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Full text of "Zeitschrift Für Diätetische Und Physikalische Therapie 6.1903"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE 

THERAPIE. 


>»K *' 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Prof. v. Babes (Bukarest), Geh.-Rath Prof. Brieoer (Berlin), Geh.-Rath Prof. Curschmann (Leipzig), 
Geh.-Rath Prof. Ehrlich (Frankfurt a. M.), Prof. Eichhorst (Zürich), Prof. Einhorn (New-York), 
Geh.-Rath Prof. Erb (Heidelberg), Geh.-Rath Prof. Ewald (Berlin), Prof. Finsen (Kopenhagen), 
Prof. A. FrXnkel (Berlin), Geh.-Rath Prof. B. Frankel (Berlin), Geh.-Rath Prof. Fürbringer 
(Berlin), Prof. J. Gad (Prag), Geh.-Rath Prof. Heubner (Berlin), Geh.-Rath Prof. A. H offmann 
(Leipzig), ProL v. Jaksch (Prag), Geh.-Rath Prof Jolly (Berlin), Prof. v. Jürgensen (Tübingen), 
Prof. Kitasato (Tokio), Prof. G. Klemperer (Berlin), Geh.-Rath Prof. Lichtheim (Königsberg), 
Geh.-Rath Prof. Liebreich (Berlin), Prof. Litten (Berlin), Prof. Marinescu (Bukarest), Prof. v. Mering 
(Halle), Prof. Moritz (Greifswald), Geh.-Rath Prof. Mosler (Greifswald), Prof. Fr. Müller (München)» 
Geh.-Rath Prof. Naunyn (Strassburg), Prof. v. Noorden (Frankfurt a. M.), Hofrath Prof. Nothnagel 
(Wien), Prof. Pel (Amsterdam), Prof. A. Pribram (Prag), Geh.-Rath Prof. Quincke (Kiel), Geh.-Rath 
Prof. Renvers (Berlin), Geh.-Rath Prof. Riegel (Giessen), Prof. Rosenstein (Leiden), Geh.-Rath 
Prof. Rubner (Berlin), Prof. Sahli (Bern), Generalarzt Schaper (Berlin), Prof. Schreiber (Königsberg) 
Sir Felix Semon (London), Geh.-Rath Prof. Senator (Berlin), Prof. v. Strümpell (Erlangen), 
Sir Hermann Weber, M. D. (London), Prof. Winternitz (Wien), Dr. E. Zander (Stockholm), 

Prof. Zuntz (Berlin). 


REDIGIRT 

VON 

E. von LEYDEN, 

A. GOLDSCHEIDER ünd P. JACOB. 


Sechster Band. 


Mit 78 Abbildungen. 


LEIPZIG 

VERLAG VON GEORG THIEME 

Rabonstoinplatz 2. 

1 0 03 . 


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Original fro-rn 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 





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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Inhaltsverzeichnis des YI. Bandes, 


Heft Seite 

Vorrede zum 6. Bande. I 3 

I. 


Original-Arbeiten. 

Die Krankenkost und die KQche der Charitd. Von Dr. H. Sch aper, Generalarzt und 

Geheimer Obermedicinalrath, ärztlicher Direktor der Charitd. Mit G Abbildungen I 5 

Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrank¬ 
heiten. Von Dr. P. Kouindjy in Paris, flospice de la SalpStriüre. Clinique 
des inaladies nerveuses du Professeur Raymond. Mit 4 Abbildungen ... I 17 

Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiologischen 
Laboratorium der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. (Direktor: Pro¬ 
fessor Dr. N. Zuntz.) Von Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller ... I 25 

Klinik und physikalische Chemie. Von Dr. P. F. Richter in Berlin. I 45 

lieber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säureausscbeidung beim Diabetiker. 

Von Dr. Karl Grube, Arzt in Bad Neuenahr. II 75 

Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrank¬ 
heiten. Von Dr. P. Kouindjy in Paris, Hospice de la Salpetrifcre. Clinique 

des maladies nerveuses du Professeur Raymond. (Schluss.). II 82 

Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berück¬ 
sichtigung des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiologischen 
Laboratorium der landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. (Direktor: Pro¬ 
fessor Dr. N. Zuntz.) Von Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller. (Schluss.) II 92 

Zur Frage der hemiplegischen Kontraktur. Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn 
Privatdozenten Dr. Ludwig Mann, betreffend meinen Aufsatz auf S. 550ff. Bd. 5 
dieser Zeitschrift Aus der I. medicinischcn Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: 

Geh. Med.-Rat Professor Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus .... II 115 

Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Aus dem hygienischen 
Institut der Universität Freiburg i.B. Von Dr. Max Schottelius, Professor 

der Hygiene . .. III 139 

Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. Von 

Dr. Hans Rüge, Privatdozenten der inneren Medicin in Berlin. Mit 3 Abbildungen III 145 

Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. Vortrag, gehalten auf der 23. Versammlung 
der Baineologischen Gesellschaft zu Stuttgart (7. bis 12. März 1902). Von 
Dr. Julian Marcuse in Mannheim. HI 158 


Ueber einige praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chronischen Nasen- und 

Rachenkatarrhs. Von Dr. W. Freudenthal in New-York. Mit 1 Abbildung IV 195 
Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. Aus der HI. 
medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rath Professor 


Dr. Senator). Von Stabsarzt Dr. Menzer. IV 209 

Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale hydrotherapeutische 
Prozeduren, Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin 
(Leiter: Geh. Med.-Rath Professor Dr. Brieger). Von Dr. August Laqucur, 

Assistenten der Klinik, und Dr. Waldemar Loewenthal. IV 211 


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IV 


Inhal tsverzeichniss 


Heft Seite 

Ueber Roborat. Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Bcilin (Direktor: Geh. 

Med.-Rath Professor Dr. y. Leyden). Von Dr. Fritz Rosenfeld, Volontär¬ 
assistenten der Klinik. IV 223 

Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. Aus 
der! medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rath Pro¬ 
fessor Dr. v. Leyden.) Von Dr. B. Wen drin er in Neuenahr. IV 228 

Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. Aus der 1. medicinischen Klinik des 

Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger V 259 
Ueber den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexerregbarkeit. 
Experimentelle Untersuchungen und kritische Betrachtungen von Dr. Theodor 
Büdingen, leitendem Arzte am Kurhause Todtmoos (Schwarzwald) .... V 272 
Die Fangokur und deren Indikationen. Von Dr. E. Mory, Kurarzt in Adelboden 

(Schweiz). V 280 

Verwendung älterer Fahrradsysteme zii therapeutischen Zwecken. Von Dr. Alfred 
Martin, Assistenten für physikalische Heilmethoden an der medicinischen Klinik 

zu Zürich. Mit 6 Abbildungen. V 289 

Ein neuer Zerstäubungsapparat für Allgemeininhalation. Aus der Abtheilung für phy¬ 
sikalische Therapie im Krankenhause München I./I. Von Oberarzt Dr. Rossnitz, 

kommandiert zu obiger Abtheilung. Mit 2 Abbildungen. V 294 

Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. Von Geh. Med.- 

Rath Professor Dr. Albert Hoffa in Berlin. Mit 22 Abbildungen. VI 315 

Ueber die Behandlung der Enuresis. Aus der medicinischen Klinik des Professors 

R. v. Jaksch in Prag. Von Karl Walko, klinischem Assistenten. VI 328 

Ueber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 1. Mittheilung: Einfluss auf den 
osmotischen Druck und den Wassergehalt Von Dr. Karl Grube in Neuenahr. 

Mit 1 Abbildung. VI 334 

Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. Aus der I. medicinischen Klinik des 
Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger. 

(Schluss). VI 339 

Zur Therapie der Barlow’schen Krankheit Von Dr C. Bolle in Berlin. VI 354 

Blutbefund bei Schwitzprozeduren. Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Univer¬ 
sität in Berlin (Leiter: Geh. Med.-Rath Professor Dr.Brieger). Von Dr. Walter 
Krebs, Stabsarzt an der Kaiser Wilhelm-Akademie, kommandiert zum Institut, 

und Dr. Martin Mayer.VII 371 

Ueber die tägliche W T ägung als diagnostisches Hilfsmittel, besonders bei Herzkrank¬ 
heiten. Von Dr. H. Iacobäus, dirigierendem Arzt am Finsensanatorium in 

Kopenhagen. Mit 11 Abbildungen.VII 385 

Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen auf Grund von Blut¬ 
druck- und neuramobimetrischen Messungen. Von Dr. Arthur Loebel. Kais. 

Rath, K. K. Bade- und Brunnenarzt in Wien-Dorna.VII 398 

Ueber den Unterricht in der Diätetik. Von Professor Dr. Moritz in Greifswald . . VIII 427 
Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. Von Dr. Max Wein- 

berger, leitendem Arzt der Dr. Renner’schen Wasserheilanstalt in Budapest VIII 429 
Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. Aus dem Institute für Mechano- 


therapie des Dr. A. Bum in Wien. Von Dr. Robert Grünbaum, Assistent 


des Institutes. Mit 8 Abbildungen.VIII 439 

Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbchandlung. Aus der Königlichen medicinischen 
Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber). 

Von Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 8 Abbildungen. IX 491 

Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst und Winter therapeutisch ver¬ 
wenden? Von Dr. M. Edel, Badearzt in Wyk auf Föhr. Mit 3 Abbildungen . IX 502 


Zur Kenntniss der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht während der 
Heilstättenbehandlung. Mittheilung aus dem Königin Elisabeth - Sanatorium bei 


Budapest Von Dr. D. Kuthy, Privatdozent, dirig. Chefarzt . IX 513 

Ein Rückblick auf das erste Lustrum der Zeitschrift für diätetische und physikalische 

Therapie. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim . X 547 

Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. Von Dr. Felix Block in Hannover X 551 


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Inhalte verzeichniss. V 

Heft Seite 

Ceber die Verwendung des Kaseins zu Backzwccken vermittels einer neuen Gährungs- 
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger. 


Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat ira besonderen. Von Dr. Wilhelm Bauer- 
meister, Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braun- 

schweig. X 504 

Beitrage zur Kenntniss der Heissluftbehandlung. Aus der Königlichen mediciniBchen 
Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber). 

Von Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen. (Schluss.). . . X 571 
Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme (mit besonderer Berücksichtigung der 
venerischen und Hautaffektionen). Beschreibung eines Präzisionsapparates »Hy- 
drothermoregulator« zur Erzeugung konstanter Wärme. Von Privatdozent Dr. 

Karl Ullmann in Wien. Mit 3 Abbildungen. XI 603 

Die klimatischen Kurorte. Vortrag, gehalten in der Niederrheinischen Gesellschaft für 

Natur- und Heilkunde in Bonn. Von Sanitätsrath Dr. W. Velten in Bonn . . XI 618 
Pie Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. Von Sanitätsrath Dr. L. Fürst 

in Berlin. XI 623 


Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer neuen Gährungs- 
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger 
Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat im besonderen. Von Dr.Wilhelm Bauer¬ 
meister, Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braun¬ 


schweig. (Schluss). XI 628 

Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Köppe. Von Sanitätsrath Dr. Friedrich 

Engelmann in Kreuznach.XII 659 

Ein Vorgänger Brand’s. Beitrag zu den Anfängen der klinischen Typhushydriatik. 

Von Dr. J. Sadger in Wien-Gräfenberg. XII 672 

Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. Von Dr. Ni¬ 
colaus Reich, dirigierendem Arzt des Budapester medico-mechanischen Zander¬ 
institutes .XII 680 


II. 

Kritisch© Umschau. 


Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr. 

A. Dworetzky in Riga-Schreyenbusch. V 296 

Russische Beiträge zur Emährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr. 

A. Dworetzky in Riga-Schreyenbusch (Schluss).VII 407 

Ueber Nahrung und Ernährung. Von Dr. B. Laquer in Wiesbaden.VIII 453 

Zosammenfassende Uebersicht über das Adrenalin. Von Dr. G. L. Mam lock in Berlin IX 520 
Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. Von Dr. Leono r 

Michaelis, Assistent an der I. medicinischen Klinik in Berlin. X 577 

Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. Aus der I. medicinischen Univer¬ 
sitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. 

Fritz Meyer, Assistent der Klinik. XI 634 

l’eber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete der Hypnose. Von Dr. 

A. Dworetzky in Moskau.XII 687 


III. 

Kleiner© Mittheilungen. 


Ueber einen neuen Versuch zur Einführung des Magneten in die Therapie. Von Dr. 

F. Frankenhäuser, Assistenten der medicinischen Universitätspoliklinik in Berlin I 52 
Ein fahrbarer Krankenhebeapparat und eine fahrbare, zusammenlegbare Badewanne. 

Von Dr. Paul Jacob, Privatdozent, Oberarzt an der I. medicinischen Universitäts¬ 
klinik in Berlin. Mit 2 Abbildungen. I 55 

Zur Frage, ob in Gelatinepräparaten Tetanuskeime enthalten sind. Von Dr. Ernst 

Lichtenstein, Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin II 119 


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VI Inhaltsverzeichniss. 

Heft Seite 

Zur Methodik der Nordseeluftkuren. Von Dr. med. Ide, Nordseeinselheim Amrum . II 119 

Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion. Von Dr. Maximilian Roth, Chefarzt des 

Zander-Institutes in Wien. Mit 1 Abbildung. III 166 

Fleischextrakt und Hefepräparate. Eine wirthschaftliche Betrachtung von Dr. K. Beer¬ 
wald in Berlin. IV 232 

Das Sanatorium Wehrawald im badischen Schwarzwald. Von Dr. Julian Marcuse 

in Mannheim. Mit 2 Abbildungen. IV 234 

Das Konservebrot in den verschiedenen Armeen. Von M. Bailand, Oberapotheker 

I. Klasse. V 302 

Ueber die Diät Friedrichs des Grossen. Von Dr. Gotthold Ludwig Mamlock, 
Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: 

Geh. Med.-Rath Professor Dr. v. Leyden). VI 3f>7 

Eine alte diätetische Behandlung des akuten Schnupfens. Von Privatdozent Dr. Maxi¬ 
milian Sternberg in Wien.VIII 457 

Analyse zweier essbaren Erdarten aus Centralafrika. Von M. E. Hei borg, Mag. 

seientiarum in Kopenhagen. IX 526 

Seekrankheit und Tiefathmen. Eine Selbstbeobachtung von Dr. F. Paravicini, Albis- 

brunn . .. X 586 

Beckenexsudate — kühle Sitzbäder. Von Dr. Die hl, Badearzt in Berneck (Oberfranken) XII 690 


IV. 

Berichte über Kongresse und Vereine. 

Bericht über die Sitzung der Gesellschaft der Charitöärzte vom 27. Februar 1902. Von 


Dr. A. Laqueur in Berlin... I 58 

Bericht über die 23. öffentliche Versammluung der Baineologischen Gesellschaft in Stutt¬ 
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim ... I 61 
Determann (St. Blasien) und Schröder (Schömberg), Ueber die Wirkungen 

des Höhenklimas auf den Menschen. I 61 

v. Grützner (Tübingen), Ueber den Mechanismus der Magen Verdauung . . I 64 

Pariser (Homburg), Zur Lehre von der Atonie des Magens. I 64 

Koppe (Giessen), Der Salzhunger .. I 65 

III. Kongress österreichischer Baineologen in Wien vom 20. bis 26. März 1902. Von 

Dr. Julian Marcuse in Mannheim. II 123 

Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬ 
gart vom 7. bis 12 März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung) II 125 

Keller (Rheinfelden), Ueber Soolbadkuren während der Gravidität .... II 125 

Winkler (Nenndorf), Ueber den Nutzen der Kombination von Schmierkur 

und Schwefelkur bei Behandlung der Syphilis. II 126 

Vollmer (Kreuznach), Dermatologie und Balneologie. II 127 

Grube (Neuenahr), Ueber den Einfluss salzhaltigen Wassers auf die Blut¬ 
beschaffenheit nach Versuchen am Menschen. II 127 

Engelmann (Kreuznach), Einwirkung der Kreuznacher Quelle auf das Blut II 128 

Lennö (Neuenahr), Ueber Trinkkuren. II 128 

Frey (Baden-Baden), Die Bedeutung der Venendruckmessungen bei der Be¬ 
handlung der Kreislaufstörungen. II 128 

Generalversammlung des Verbandes deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und -Leiter 

am 6. März 1902 . II 130 

20. Kongress für innere Medicin in Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1902. Bericht 

von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. HI 170 

Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬ 
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung) III 175 

Camerer (Urach), Ueber Gicht und Rheumatismus.HI 175 

Weisz (Pistyan), Ueber Gicht. HI 176 

Winternitz (Wien), Die hydriatische Behandlung der Pneumonie .... IH 177 

Burwinkel (Nauheim), Chronische Herz- und Lungenleiden in ihren Wechsel¬ 
beziehungen . HI 178 


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Inhal tsverzeichniss. 


VII 


Kisch (Marienbad), Zur Bäderbehandlung der nervösen funktionellen Herz- 

Störungen ... 

Fisch (Franzensbad), Kombinierte Herztherapie. 

v. Baum garten (Tübingen), Ueber Immunität und Disposition besonders 

mit Bezug auf Tuberkulose. 

t Internationaler Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie. 

XI Congresso nazionale di medidna interna (Pisa 27.—30 ottobre 1901). 

Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬ 
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fort¬ 
setzung und Schluss.). 

Länderer (Stuttgart), Die Heilbehandlung und ihre Gegner. 

Rothschild (Soden), Das Heirathen Tuberkulöser. 

Liebreich (Berlin), Ueber Inhalationstherapie. 

Köppe (Giessen), Baineologische Studien im Anschluss an die physikalisch¬ 
chemische Untersuchung des Salzwassers .. 

Steiner (Levico), Zur Balneotherapie der Acne vulgaris. 

Länderer (Stuttgart), Theoretische und praktische Grundlagen unserer Mund¬ 
behandlung . 

Marcuse (Mannheim), Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie . . . . 
Röchling (Misdroy), Die Reizbarkeit für die Gehörseindrücke bei Neurasthenie 

nebst praktischen Folgerungen für die Kurorte. 

Zangger (Zürich), ;Der Stand der Volksheilstättenbewegung in der Schweiz 

Die grossherzogliche Badeanstaltenkommission zu Baden-Baden. 

Bericht über den zweiten^ntemationalen Kongress für medicinische Elektrologie und 
Radiologie zu Bern. 1.—6. September 1902. Von Privatdozent Dr. Ludwig 

Mann in Breslau... 

Aus der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 22.-28. Sep¬ 
tember 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische Elektrologie und 
Radiologie zu Bern. 1.—6. September 1902. Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann 

in Breslau. (Fortsetzung und Schluss). 

Sitzung des Vereins für innere Medicin am 14. Oktober 1902. Von Dr. L. Michaelis 

in Berlin. 

Jahresversammlung des] Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke 
vom 13 —15. Oktober 1902 in Stuttgart Von Dr. Waldschmidt in Charlotten- 

burg-Westend.... . .. 

Sitzung der Hufeland’scben Gesellschaft am 11. Dezember 1902 . 

Baineologische Kurse zu Baden-Baden vom 13. bis 21. Oktober 1902. Von Dr. Julian 
Marcuse in Mannheim. 


V. 

Referierte Bücher und Aufsätze. 

Aerztliches Jahrbuch 1903 . 

Albu, Die vegetarische Diät Kritik ihrer Anwendung für Gesunde und Kranke . . 
v. Aldor, Ueber Kohlehydratstoffwechsel im Greisenalter und in Verbindung damit 

Untersuchungen über Phloridzindiabetes. 

All butt, The Sanatorium in the treatment of phthisis. 

Alter, Versuche mit zellenloser Behandlung und hydrotherapeutischen Maassnahmen . 

Aron, Ueber Sauerstoffinhalationen. 

Asher und Jackson, Ueber die Bildung der Milchsäure im Blute nebst einer neuen 

Methode zur Untersuchung des intermediären Stoffwechsels. 

Bälz, Ueber vegetarischeJMassenernährung und über das Leistungsgleichgewicht . . 
Baginsky, Ueber die Indikationen und Kontraindikationen des Aderlasses bei Kindern 

Bälint, Die diätetische Behandlung der Epilepsie. 

Bang, Der gegenwärtige Stand der biologischen Lichtforschung und der Lichttherapie 


Hoft Seite 


HI 

178 

Hl 

179 

UI 

181 

m 

182 

in 

182 

IV 

237 

IV 

237 

IV 

238 

IV 

239 

IV 

239 

IV 

239 

IV 

241 

IV 

242 

IV 

242 

IV 

243 

V 

303 

VH 

413 

VUI 

459 

VIH 

466 

IX 

528 

IX 

530 

X 

587 

XI 

645 


XI 

656 

XH 

694 

I 

68 

XH 

702 

VHI 

483 

I 

70 

IX 

536 

IV 

245 

XH 

710 

IV 

250 

VI 

365 


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VIII 


Inhal tsverzeichniss. 


Heft Seit© 

ßarney, Diabetes melitus with special reference to its treatment with the double 

bromide of gold and arsenic. III 184 

Bauch, Ueber periodisches Erbrechen. I 67 

Baumgarten, Hydriatisches Jahrbuch, Band II.XII 705 

Beck, On a case of sarcoma treated by the Röntgen rays. VI 366 

Beck, The pathological and therapeutic aspects of the effects of the Röntgen rays X 595 

Becker, Zur heilgymnastischen Behandlung der Skoliose. Zwei neue Pendelapparate V 307 

Behrens, Einfluss der Witterung auf Diphtherie, Scharlach, Masern und Typhus . . III 189 

v. Behring, Beiträge zur experimentellen Therapie.VII 422 

Beizer, Ueber die Behandlung mit Frey’s Heissluftdouche. IV 252 

Benaroya, Die künstlichen Nährpräparate, ihr Werth und ihre Bedeutung für die 

Kranken- und Kinderernährung.XII 699 

Berend, Beiträge zur Frage der künstlichen Ernährung im Säuglingsalter. V 305 

Bielfeld, Zur Frage über die amylolytische Wirkung des Speichels. VI 36 L 

Bier, Ueber praktische Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie. XI 654 

Biernacki, Beobachtungen über die Glykolyse in pathologischen Zuständen, insbe¬ 
sondere bei Diabetes und funktionellen Neurosen. VI 361 

Bi net, Les stations hydro-minörales fran^aises et leur avenir. II 134 

Binz, Die Wirkung des Destillats von Kaffee und Thee auf Athmung und Herz . . I 66 

Bishop, Empioyment os occupation neuroscs-treatment by elektricity.XII 706 

Blass, Die Impfung und ihre Technik. IV 245 

Blumenthal, Pathologie des Harnes am Krankenbett. V 310 

Börner’s Reichs-Medicinal-Kalender 1903 . XI 656 

Bonne, Ueber die Suggestionsbehandlung in der täglichen Praxis. X 598 

Bordier, Sur le choix du mßtal ä employer pour les ölectrodes. HI 191 

Bordier, Traitement ölectrique des nevralgies et en particulier de celle du trijumeau IV 255 

Bourget, Die medicinale Behandlung der Perityphlitis.XH 710 

Bram well, Case of tabes with acutely developed ataxia, in which great and rapid 

improvement had resulted from FrenkeTs plan of treatment. IV 252 

Brautlecht, Ueber den Nachweis anorganischer Gifte, speziell des Arsens, mittels 

Röntgenstrahlen. VI 366 

Broden und Wolpert, Respiratorische Arbeitsversuche bei wechselnder Luftfeuchtig¬ 
keit an einer fetten Versuchsperson. I 69 

Bruck, Ueber den Einfluss kalter hydriatischer Prozeduren auf den Blutdruck . . . XH 702 

Buchsbaum, Technik der Wasseranwendungen. Belehrung für die Bade Wärter, 

Krankenpfleger u. s. w. H 134 

Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik. III 186 

Zuschrift von Dr. Anton Bum.VII 424 

v. Bunge, Ueber ein Kochsalzsurrogat der Negerstämme im Sudan. VI 361 

Burwinkel, Herzleiden und Ernährung.VH 418 

Campbell assisted by Uoagland, The blood count at higt altitudes.VH 420 

Carriöre, Studienreisen in die französischen Bäder, ihr Zweck, ihr Nutzen für die 

Aerzte und Badeorte, ihre Organisation. IV 254 

Cattle, Remarks on the relation of human and bovine tuberculosis. VI 367 

Cautru, Influence du massage abdominal dans le traitement de la diarrh£c chronique X 591 

Cazaux, Sur la prötendue absorption cutanee dans le bain. V 309 

Cleaver, A bipolar rectal electrode. V 310 

Cleaves, Betton Massey, Beck, Greenleaf, A Symposium on the treatment of 

cancer by Röntgen rays, light and electricity.VHI 485 

Cohen, Vorträge für Aerzte über physikalische Chemie. IV 249 

Cohn, Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie für Praktiker und Studierende X 596 

Cohn he im, Die Undurchlässigkeit der Wand der Harnblase. VI 361 

C o h n h eim, Die Heilwirkung grosser Dosen von Olivenöl bei organischen und spastischen 

Pylorus- und Duodenalstenosen und deren Folgezuständen (Gastrektasie) ... VI 363 

Cohnheim, Die Umwandlung des Eiweisses durch die Darm wand. XI 650 

Cornelius, Druckpunkte, ihre Entstehung, Bedeutung bei Neuralgieen, Nervosität, Neu¬ 
rasthenie, Hysterie, Epilepsie und Geisteskrankheiten sowie ihre Behandlung 
durch Nervenmassage. X 591 



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UNIVERSITf OF MICHIGAN 






































Inhaltsverzeichnis. IX 

Heft Seite 

Bremer, lieber die Verwerthung der Rhamnose im thierischen Organismus und einige 

damit zusammenhängende Fragen der Physiologie der Kohlehydrate. VI 362 

Crem er und Headers on, Ein experimenteller Beitrag zur Lehre vom physiolo¬ 
gischen Eiweissminimum.VIII 477 

Czerny, Rohmilch als Säuglingsnahrung.XII 700 

Pagron, Massotherapie. IV 251 

Dagron, Le massage dans les maladies nerveuses. XI 652 

Decker, Ueber die elektrolytische Kraft der statischen Elektrizität. IV 256 

Deschamps, Un appareil de soutien cardiaque. III 187 

Determann, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke . . VI 365 

Pixon, M. D., The ovary as an organ of internal Sekretion. II 136 

Ebstein, Die chronische Stuhlverstopfung in der Theorie und Praxis. IV 246 

Edson, Ueber die Wichtigkeit der Ruhe für Tuberkulöse. X 592 

Ehrlich, Die Reinigung des Obstes vor dem Genüsse. XI 648 

Ekgren, Der Albumengehalt des Harnes der Nephritiker unter dem Einfluss der Massago XI 652 

Eppler, Haushaltungskunde. IX 542 

Erb, Winterkuren im Hochgebirge.VIII 481 

Eulenburg, Ein lenkbares Gehrad. I 69 

Festschrift zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. IX 544 

Fibinger und Jensen, Uebertragung der Tuberkulose des Menschen auf das Rind VHI 486 

Einsen, Die Bekämpfung des Lupus vulgaris.XII 709 

Flesch, Zur Ernährungstherapie mit künstlichen Eiweisspräparaten. I 67 

Flockemann, Zur Beeinflussung der Ausfallserscheinungen beiderseitig kastrierter 

Frauen durch Ovarialpräparate. II 136 

Fornet, Pathologie und Therapie der Obesität. UI 185 

Fournier, Etiologie du tabes d’aprös un millier d’observations.XII 712 

Foveau de Courmelles, Die Lichtbehandlung.VII 421 

Foveau de Courmelles, Les lumiöres froides et refroides en thörapeutiquo ... IX 540 

Frankenhäuser, Das Licht als Kraft und seine Wirkungen. IX 540 

Freund, Die Verwendung der Spannungselektrizität zur Behandlung von Hautkrank¬ 
heiten . IH 192 

Gardner, The dietic value of sugar. IV 247 

Gaudenz, Ueber die Zerkleinerung und Lösung von Nahrungsmitteln beim Kauakt . IH 185 

Gerhardt, Betrachtungen über Epidemieen in Kurorten. I 69 

Gerhardt, Ueber Entfettungskuren. VI 362 

Gilbert, Diabetesküche. IV 248 

Goebel, Zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit. XI 655 

Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie . IV 243 

Grenet und Piquand, Traitement des anövrysmes du tronc brachiocöphalique par la 
möthode de Brasdor et des anövrysmes en gönöral par les injections sous* 

cutanöes de gölatine... . XII 711 

Grub er, Einige Bemerkungen über Eiweissstoffwechsel. X 588 

Haläsz, Ueber den Werth einiger neuerer Heilverfahren in der Ohrenheilkunde 

(Pneumomassage, Hydropneumomassage, Lucae’sche pneumatische Sonde) . . IX 543 

Hamburger, Osmotischer Druck und Jonenlehre in den medicinischen Wissenschaften X 598 

Hamm, Die Behandlung des chronischen trockenen Mittelohrkatarrhs durch Sitzungen 

in der pneumatischen Kammer.VHI 482 

Hart, The curative effect of the x rays on callous sinuses of the abdominal wall. . XII 707 

Hartogh und Schümm, Zur Frage der Zuckerbildung aus Fett. X 590 

Hedou, Sur la transfusion, aprös les hömorragies, de globules rouges purs en Suspension 

dans un sörum artificiel. VI 368 

Heim, Die Behandlung der kroupösen Pneumonie im Kindesalter. XI 650 

Heim, Die nervöse Schlaflosigkeit, ihre Ursachen und ihre Behandlung.XII 711 

Heller, Ueber die Tuberkuloseinfektion durch den Verdauungskanal.VHI 486 

Hellmer, Das Sandbad (Arönation). IH 188 

Hellmer, Das Luftbad. IV 253 

Hensay, Ueber die Speichel Verdauung der Kohlehydrate im Magen. XI 650 


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X 


Inhaltsverzeichnis. 


Heft Seite 

Herz, Handbuch der Heilgymnastik. XH 701 

Hirsch, Beitrag zur Organotherapie. Sperminum Poe hl. XI 655 

Hirschler und v. Terray, Lehrbuch der Diätetik.Vn 418 

Hoffa, Die experimentelle Begründung der Sehnenplastik. V 307 

Hübscher, Scheerenförmige Redressionsapparate mit elastischem Zug. V 307 

Jacob, Gymnastik. XI 651 

Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose Bd. II . IX 541 

Jacobi, Elektrotherapie. III 191 

Jaquet, Höhenklima und Blutbildung..VH 420 

Jaquet und Stähelin, Stoffwechselversuche im Hochgebirge.VUI 481 

Jaquet und Svenson, Zur Kenntniss des Stoffwechsels fettsüchtiger Individuen . . V 306 
lde, Ueber den Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Nordseeklima . . . XII 703 

Jellinek, Elektrizität und Chloroformnarkose. I 71 

J eil ine k, Animalische Effekte der Elektrizität. VI 366 

Immelmann, Ueber die Verwendung der Röntgenstrahlen in der Medicin.XII 706 

Ishewsky, Ueber die Wirkung des wechselnden elektromagnetischen Feldes auf den 

Organismus. V 309 

Judson, Ueber Stützapparate bei Rückgratsverkrümmung. VI 363 

Jürgensen, Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Therapie. IX 542 

Kalmar und Bagarus, Versuche über die Heilung der Epilepsie nach Toulouse und 

Richet. X 590 

Kaufmann, Ueber den Werth methodischer Tiefathmungen, insbesondere bei See¬ 
krankheit . II 134 

Kelynack, The relation of alcoholism to tuberculosis.XU 710 

Keravorthey, The use of suprarenal capsule in haemoptysis. I 72 

Kennedy, Ueber die Wiederherstellung koordinierter Bewegungen und Nervendurch¬ 
schneidung . IX 537 

Knuth, Einiges über südamerikanische Fleischkonserven. IV 247 

Königstein, Ueber Belastungstherapie.VIU 480 

Kövesi, Ueber den Eiweissumsatz im Grcisenalter. I 68 

Korczynski, Ueber den Einfluss der Gewürze auf die Magenthätigkeit. V 305 

Koväcs, Experimentelle Beiträge über die Wirkung von Sauerstoffinhalationen . . VII 420 

Kraft, Die Röntgenuntersuchung der Brustorgane.VHI 484 

Krause, Ersatz des gelähmten Quadriceps femoris durch die Flexoren des Unterschenkels XI 653 

Krawkow, Ueber das Vorkommen von Pentosen im thierischen Organismus und über 

Ursprung der Pentosurie.XII 696 

Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen. H 135 

Krebs, Elektrisches Glühlicht und innere Infektion.VHI 485 

Krikortz, Le massage. XI 651 

Krüger, Zur quantitativen Pepsinwirkung.VHI 477 

Krüger, Weitere Beobachtungen über die quantitative Pepsinverdauung.VIII 478 

Krukenberg, Ueber die Behandlung des Erysipels im rothen Zimmer.VIII 484 

Kruse, Krebs und Malaria.XII 710 

Kulisch, Ueber Kystrokopie.VH 424 

Lancashire, The therapeutic employment of x rays. X 597 

Laquer, Bemerkungen zur physikalischen und suggestiven Behandlung der nach Un¬ 
fällen auftretenden Neurosen. VI 364 

Laquerriöre, De l'impuissance sexuelle et de son traitement ölectrique. X 595 

L arg er, Faits nouveaux relatifs ä Taction de l’höröditö et de la dögönörescence en ob- 

stötrique. X 597 

Laumonier, Facteurs de la eure marine. II 135 

Laumonier, La gymnastique des petits enfants. IV 251 

Laumonier, Des laits artificiels. V 306 

Lazarus, Die Bahnungstherapie der Hemiplegie. X 592 

Lebbin, Der Nährwerth der Hühnereier.XH 695 

Legrand, Le bain froid dans un cas grave de pneumonie double. I 70 


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Inhalts verzeichniss. XI 


Heft Seite 

Lehmann und Voit, Die Fettbildung aus Kohlehydraten . IX 535 

Lupine, La lövulosurie alimentaire dans ses rapports avec les affections du foie . . IV 246 

Lupine, Le euere dans l’alimentation. V 304 

Lepine, Sur Texistence de leucomaines diabötogönes. X 600 

v. Leyden, Die Behandlung des Scharlachs mit Rekonvalescentenserum. I 72 

Loebel, Prinzipien und Indikationen der maschinellen Heilgymnastik. IV 252 

Loewenfeld, Ueber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke. IV 254 

Loewenthal, Ueber Wärme als Heilmittel. VI 364 

Loe wy und Pi ckardt, Ueber die Bedeutung reinen Pflanzeneiweisses für die Ernährung I 67 

Löwy, Ueber die therapeutische Anwendung erhitzten Kohlensäuregases. XI 654 

Loimann, Ueber die lokale Anwendung von Kohlensäure bei Menstruationsstörungen XI 654 

Lorenz, Ueber die Behandlung der Knieankylosen mittels des modellierenden Re¬ 
dressements . III 186 

Lovett, The mechanics of lateral curvature as applied to the treatment of severe cases III 187 

Lusk, Ueber Phloridzindiabetes.VIII 477 

Lüthje, Ueber die Wirkung von Salicylpräparaten auf die Harnwege, nebst einigen 

Bemerkungen über die Genese der Cylinder und Cylindroide. X 600 

Machtzum, Zur Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus. XI 653 

Martin?, Zur Frage der Milchversorgung grösserer Städte V 305 

May or, La gastörine. V 304 

Mc Kenzie, Suprarenal gland extract in the epistaxis of haemophilia. I 72 

Meffert, Beitrag zur hydriatischen Behandlung der beginnenden Lungentuberkulose 

im Hause. II 135 

Meissen, Beiträge zur Kenntniss der Lungentuberkulose. V 312 

Metzger, Ueber den Einfluss von Nährklysmen auf die Saftsekretion des Magens . . III 183 

Meyer, Deutscher Kalender für Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger auf das 

Jahr 1902 IV 245 

v. Mikulicz und Tomasczewski, Orthopädische Gymnastik gegen Rückgrats¬ 
verkrümmungen . X 592 

Mladejovsky, Ueber eine neue Entfettungsmethode.VIII 478 

Moreigne, Ueber die Wirkung der Abführmittel auf die Ernährung. VI 361 

Moritz, Studien über die motorische Thätigkeit des Magens. X 589 

Morris, The Symptoms and treatment of moveable kidney ..VIII 479 

Morris und Dove, Furth er remarks on Finsen light and x ray treatement in lupus 

and rodent ulccr .. X 597 

Müller, Beiträge zur Kenntniss des Mucins und einiger damit verbundener Eiweissstoffe II 132 

Müllejr, Experimentelle Beiträge zur Eisentherapie. III 183 

Müller, Heilung eines Falles von Tetanus nach Duralinfusion von Tetanusantitoxin . XI 656 

Munter, Die Hydrotherapie der Lungentuberkulose. VI 364 

Munter, Die Hydrotherapie der Tabes.XII 705 

Muraty L’lle de Djerba, Station d’hiver. V 308 

Murphy, Körperliche Ucbung bei der Behandlung der Lungentuberkulose. IX 537 

Neuburger, Die Anschauungen über den Mechanismus der spezifischen Ernährung 

(das Problem der Wahlanziehung)..VIII 478 

Neumann, Die Wirkung des Saccharins auf den Stickstoffumsatz beim Menschen . . V 304 

Neumann, Die Wirkung des Alkohols als Eiweisssparer. XI 649 

v. Noorden, Ueber das elektrische Vierzellenbad (System Schnöe). I 70 

v. Notthaft und Kollmann, Die Prophylaxe bei Krankheiten der Hamwege und 

des Geschlechtsapparates (des Mannes).VII 424 

Oppenheimer, Ueber das Verhältniss des Nahrungsbedarfes zu Körpergewicht und 

Körperoberfläche bei Säuglingen. IX 535 

Oppenheimer, Ueber Säuglingsernährung durch unverdünnte Milch. XI 649 

Orlowsky, Die Bedeutung der Lehre von der Selbstvergiftung des Körpers für die 

innere Pathologie und insbesondere für die Pathogenese der Urämie.XII 695 

Orlowsky, Die Blutalkalescenz unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen XH 695 

Paravicini, Selbstmassage im lauen Bade. IX 537 

Partsch, Seekrankheit und was dagegen zu thun. X 593 


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Inhaltsvcrzeichniss. 


XII 


Hoffc Seite 

Pavy, Uebcr experimentelle Glykosurie. IV 248 

Perwow, Das Verhältniss der Morbidität an einigen Infektionskrankheiten zu dem 

Stande der Boden- und Lufttemperatur. III 189 

Potts, Ankylotic rigidity of the spine (Rhizomölique spondylosis) much improved by 

the use of hot air.XII 704 

Prausnitz, Ueber das Verhalten von Fleisch und Fleischpräparaten im menschlichen 

Organismus. X 588 

Preiss, Zur Frage über die Beschaffenheit der sibirischen Kuhbutter vom chemisch¬ 
hygienischen Standpunkte.XII 699 

Prochownik, Ueber Ernährungskuren in der Schwangerschaft. XI 648 

Prevost und Batelli, Einfluss der Ernährung auf die Wiederherstellung der Herzkraft XII 700 

Quinke, Ueber Schlaflage und Bettlage überhaupt. I 68 

Rahner, Zur Epidemiologie und Aetiologie des Keuchhustens.VII 423 

Ransom, F. R. C. P., Should milk be boiled?. X 589 

Raymond, Hysterie und Delirien. Gefahren des Hypnotisierens durch Laien ... X 598 

Rögnier, Radiothörapfy et photothörapie. IV 256 

RÖgnier und Didsburg, Nouveau proeödö d'analgesie des dents ä l’aide de röleetricitö VII 422 

Reichard, Funktionsherstellung durch Sehnen Verpflanzung. VI 363 

Reichs-Medicinal-Kalender 1903 .VII 423 

Rieder, Nochmals die bakterientötende Wirkung der Röntgenstrahlen. VI 366 

Riegler (Jassy), Eine einfache gasvolumetrische Bestimmungsmethode der Chloride 

und Phosphate im Harne. X 599 

Robin, Considörations sur le rögime des albuminuriques. III 185 

Rost*s Vibrationsapparat für Heilgymnastik. VI 364 

Roth, Klinische Terminologie. IV 245 

Roth, Vorläufige Mittheilung über Versuche zur Lösung der Frage eines portativen 

Detorsions- und Redressionskorsetts für Skoliosen aller Arten. V 307 

Roth, Zöllnergedanken über Heilkunst — auch für Pharisäer.VIII 487 

Rubner, Ueber die Wirkung der Borsäure auf den Stoffwechsel des Menschen ... XI 648 
Sachs, Ueber das Verhalten der Glykogenbildung ausserhalb der Leber nach Lävu- 

losezufuhr. VI 361 

Sack, Ueber das Wesen und die Fortschritte der Fin8en , sehen Lichtbehandlung . . VIII 486 

Salvant, Kaltwasserbehandlung des febrilen Delirium tremens. X 593 

Saundby, Non diabetic glycossury. HI 183 

Sarbö, Zur Behandluug der tabischcn Ataxie. H 133 

Schaefer, On cert&injpractical applications of extract of suprarenal medulla .... I 72 
v. Schenckendorff und Schmidt, Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele .... IX 536 
Schiff, Therapeutische Anwendung der Röntgenstrahlen bei Haarerkrankungen. . . V 310 
Schilling, Taschenbuch über die Fortschritte der physikalisch-diätetischen Heilmethoden VIII 478 

Schilling, Die Verdaulichkeit der Speisen.XII 698 

Schlesinger, Aerztliches Handbüchlein für hygienisch-diätetische, mechanische und 

andere Verordnungen. IV 250 

Schloss, Ueber den Einfluss der Nahrung auf den Verlauf der Epilepsie. IV 249 

Schmidt, Einige Bemerkungen über die Gährungs- und Verdauungsprobe der Fäces, 

sowie über den Nutzen der Probediät für die Untersuchung Darmkranker I 68 

Schmidt, Ueber diaphoretisches Heilverfahren bei Osteomalacie. V 308 

Schmidt, Unser Körper.XII 701 

Schneider, Schneeschuh und Rennwolf und ihr praktischer Gebrauch. I 69 

Schottelius, Versuche über Fütterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern . . . VIH 486 
Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung .... II 133 

Schreiber und Hagenberg, Zur Lehre vom Aderlass.VHI 487 

Schroeder, Zum Vorkommen der Eutertuberkulose bei der Ziege.VH 423 

Schüle, Die Bestimmung der motorischen Thätigkeit des menschlichen Magens. . . VII 417 
Schulthess, Bericht über die Behandlung der Rückgrats verkrümm ungen vom 

1. Januar 1895 bis 31. Dezember 1900 . IH 187 

Schultze, Ein einfacher orthopädischer Tisch. IV 252 

Schulz, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungers H 132 


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r/i r/j 


Inhalts verzeichniss 


XIII 


Heft Seite 

Schumann-Leclerq, Uebcr die Aasseheidung der Aetherschwefelsäure bei konstanter 

Kost unter dem Einfluss von Karlsbader Wasser, Karlsbader Salz, Wasser, Bier XII 693 
Schürmayer, Die Photographie bezw. Mikrophotographie in der ärztlichen Praxis . VII 421 
Schwerin, Der Zusammenhang zwischen der Morbidität und den meteriologischen Er¬ 
scheinungen. III 189 

Siegert, Erfahrungen mit der nach v. Düngern gelabten Vollmilch bei der Ernährung 

des gesunden und kranken Säuglings.XII 695 

Silber, Zur therapeutischen Verwendung der Wärme mit besonderer Berücksichtigung 

der Fangobehandlung. IX 538 

imon, Eine neue rationelle Methode zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht . . VIII 488 

imon, Beitrag zur Kenntniss der Eiweisskörper der Kuhmilch.XII 698 

Sjögren et Sederholm, Valeur thörapeutique des rayons de Röntgen dans les 

dermatoses. X 595 

Speck, Abkühlung, Lichtwirkung und Stoffwechselbeschleunigung.VIII 483 

Spie waczewsky, Die Schwankungen in der Menge der atmosphärischen Niederschläge 

und die Morbidität an der Grippe. III 189 

Starke, lieber den Einfluss des Milieus, insbesondere der anorganischen Substanzen, 

auf Eigenschaften von Eiweisskörpem. X 589 

Steiner, Wie die Javanen narkotisieren. V 311 

Steinhardt, Ueber Magenausspülungen im Kindesalter. IV 247 

Stern, Some observations on the relation of the alkalescence of the blood to the urinary 

reaction. X 599 

Stifler, Ueber Herzheilbäder. III 188 

Strasser, Zur Frage der Milchkuren bei Diabetes. VI 363 

Strebel, Die praktische Ausübung der Lichttherapie und das lichttherapeutische 

Instrumentarium. . IX 540 

Strebei, Die Verwendung des Lichtes in der Therapie.XII 707 

Svenson, Stoff Wechsel versuche an Rekonvalescenten. III 184 

S wales, Two cases of lupus vulgaris succesfully treated with urea pura and the x rays X 594 

Szabö, Ueber die chemische Reaktion des Mundspeichels. V 305 

Szegö, DispOBitionskatarrhe der Kinder und deren Behandlung. V311 

Thomas, Notiz über den Gebrauch grosser Dosen von Diphtherieserum. VI 367 

Thompson , Bart F. R. C. S., M. B. Lond., Diet in relation to age and activity . . II 130 

Tittel, Versuche über die Verwendbarkeit des Fleischsaftes Puro. VI 362 

Török und Schein, Die Radiotherapie und Aktinotherapie der Hautkrankheiten. . XII 709 

Ullmann, Ueber die Heilwirkung der durch Wärme erzeugten lokalen Hyperämie auf 

chronische und infektiöse Geschwürsprozesse. III 188 

Vernay, Traitement de la növralgie de la face par les courants galvaniques. ... IV 255 

Vierteljahreschrift für öffentliche Gesundheitspflege. IX 544 

Voit, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungers . I 66 

Volt, Die Bedeutung des Körperfettes für die Eiweisszersetzung des hungernden Thieres I 66 

de Vries, The advantages of the pneumatic cabinet or differentiator in the treament 

of phthisis pulmonalis . V 307 

Vulpius, Zur Behandlung der Kontrakturen und Ankylosen des Kniegelenkes ... II 133 

Walsham, On the ultra-violet light from a rapid oscillation high tension arc, for 

the treatement of skin diseases. X 597 

Walsham, Das von einem Hochspannungsbogen mit schnellen Schwingungen er¬ 
zeugte Licht zur Behandlung von Hautkrankheiten.XH 707 

Waldvogel, Der Stoffwechsel im Gichtanfall. IX 535 

Walger, Therapie mit spezifischem menschlichem Rekonvalescentenblutserum bei akuten 

Infektionskrankheiten. VI 367 

Weber und Hinsdale, Health resorts — Mineral springs. IX 538 

Wegele, Die diätetische Küche für Magen- und Darmkranke. IV 248 

Weiner und Matt, Praktische Hydrotherapie. IX 537 

Weiss, Ueber den Einfluss von Alkohol und Obst auf die Hamsäurcbildung . . . VII 418 

Weisz, Ueber die Gicht.VH 418 

Whigtman, Hot air as a therapeutic agent. IV 253 


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Inhal tsverzeichniss. 


XIV 


Willians, Somc cascs of cancer trcated by the x rays. 

Winckler, Ueber Schwefelwasser und Hautkrankheiten. 

Winkler, Die elektrostatische Behandlung der Hautkrankheiten. 

Winternitz, Ueber die Wirkung verschiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, Kohlen¬ 
säurebäder u. 8. w.) insbesondere auf den Gaswechsel. 

Wittgenstein, Physikalisch-diätetische Behandlung der Magenkrankheiten in der Praxis 

Wood, The serura test for blood. 

Zanictowski, Versuche über Vollaisadon. 

Zeehuisen, Beitrag zur Mechanotherapie. 

Zibell, Warum wirkt Gelatine hämostatisch?. 

Zikel, Lehrbuch der klinischen Osmologie als funktionelle Pathologie und Therapie . 


Heft Seite 

V 310 
III 190 
I 71 

X 694 
VII 417 
XI 656 
VII 421 
II 133 
IX 543 
X 598 


Namenregister der Mitarbeiter (Autoren und Referenten). 

(Die Seitenzahlen der Originalarbeiten sind fett gedruckt.) 


Bailand 302. 

Bauermeister 564. 028. 

Beerwald 232. 

Bein 538. 

Bial 182. 

Block (Hannover) 551. 

Block (London) 252. 367. 479. 589. 702. 
Blumenthal 600. 

Bolle 854. 

Büdingen 272. 

Buschan 311. 590. 704. 

Buttersack 418. 478. 487. 488. 

Cowl 310. 310. 366. 366. 421. 484. 594. 595. 595. 
Cronheim 25. 92. 

Determann 70. 134. 135. 187. 308. 

Diehl 690. 

du Bois-Rcymond 69. 185. 


Dworetzky 189. 296 

;. 309. 

407. 

687. 

695. 

096. 

Edel 502. 






Engelmann 659. 






Forchheimer 188. 

190. 253. 

365. 

421. 

480. 

481. 482. 543. 

593. 

707. 




Frankenhäuser 52. 

310. 

366. 

421. 

422. 

483. 

485. 595. 696. 

706. 






Freudenthal 195. 

Freyhan 184. 648. 648. 649. 710. 

Friedländer 537. 537. 537. 592. 593. 

Fürst 623. 

Gerhardt 66. 132. 132. 361. 361. 361. 362. 
477. 477. 477. 478. 535. 535. 536. 588. 
588. 589. 589. 

Grube 75« 334» 

Grünbaum 439« 


Heiberg 526. 

Hirschei 189. 245. 247. 251. 311. 423. 649. 
650. 695. 695. 706. 710. 

Hoffa 315. 

Hönig 185. 250. 305. 305. 418. 

Jacob 55. 186. 245. 250. 256. 312. 486. 

536. 538. 542. 544. 656. 701. 701. 709. 

lacobäus 385. 

Ide 119. 

Kohnstamm 591. 592. 

Kouindjy 17. 82. 

Kövesi 418. 

Krebs 371. 

Kuthy 513. 

Laquer 453. 

Laqueur 58. 135. 188. 188. 211. 252. 253. 

307. 307. 308. 308. 363. 364. 364. 483. 

594. 599. 654. 702. 705. 

Lazarus 115. 133. 133. 186. 245. 307. 307. 

307. 362. 363. 363. 364. 653. 653. 656. 

Lemke 591. 652. 

Lewandowsky 72. 136. 247. 650. 698. 710. 710. 
v. Leyden 655. 

Lichtenstein 119. 134. 543. 712. 712. 

Linow 251. 252. 364. 651. 652. 

Lippert 254. 

Loebel 898. 

Loewenthal 211. 

Loewy 70. 365. 420. 420. 600. 

Lots 135. 

Mamlock 357. 368. 520. 656. 

Mann 71. 71. 191. 191. 192. 255. 255. 256. 
413. 466. 


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Inhal tsverzeichniss. 


XV 


Marcuse (Breslau) 247. 304. 304. 305. 305. 

363. 366. 418. 423. 599. 650. 693. 

Marcuse (Mannheim) 61. 123. 125. 158. 170. 
175. 184. 234. 237. 459. 484. 485. 486. 

537. 540. 540. 540. 541. 544. 547. 593- 

645. 651. 654. 654. 694. 705. 709. 

Martin 289. 542. 

Matth es 243. 

Mayer 371. 

Menzer 209. 

Meyer 367. 634. 655. 656. 

Michaelis, L. 528. 577. 

Moritz 427. 

Morr 280. 

Müller 25. 92. 

Obersteiner 598. 598. 

Ostertag 422. 

Paravicini 586. 703. 

Plaut 246. 306. 478. 698. 699. 699. 

B. 72. 182. 303. 423. 478. 

Rautenberg 491. 571. 

Reich 680. 

Richter 45. 245. 304. 310. 424. 424. 598. 
Rosenfeld 223. 249. 367. 700. 

Rosin 68. 69. 69. 70. 133. 134. 254. 711. 

Rossnitz 294. 


Roth 166. 

Rüge 145. 

Sadger 672. 

Schaper 5. 

Schilling 185. 
Schlesinger 259. 339. 


Schmidt 597. 597. 
Schottelius 139. 
Sternberg 467. 

597. 

707. 

707. 



Strauss 67. 183. 

246. 

248. 

248. 

248. 

417. 

417. 487. 535. 

700. 





Ullmann 603. 

Telten 618. 

Voit 67. 68. 68. 

68. 

133. 

183. 

306. 

361. 

361. 648. 






Vulpius 187. 187. 

252. 

592. 





Waldschmidt 530. 

Walko 328. 

Weber 131. 

Wegele 249. 

Weinberger 429. 

Weintraud 420. 481. 590. 
Weis 136. 

Wendriner 228. 

Zinn 66. 67. 183 361. 362. 

Zuntz 69. 597. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 1 (April). 


Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 


Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 


Seite 

Vorrede zum 6. Bande.3 

I. Original-Arbeitern 

I. Die Krankenkost und die Köche der CharitÖ. Von Dr. H. Sch aper, Generalarzt und 

Geheimer Obermedicinalrath, ärztlicher Direktor der Charitö. Mit 6 Abbildungen . 5 

II. Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrankheiten. 

Von Dr. P. Kouindjy in Paris, Hospice de la Salpdtriöre. Clinique des maladies 


nerveuses du Professeur Raymond. Mit 4 Abbildungen.17 

III. Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berücksichtigung 

des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiol. Laboratorium der 
Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz). Von 
Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller.25 

IV. Klinik und physikalische Chemie. Von Dr. P. F. Richter in Berlin.45 


II. Kleinere Mittheilungen. 

I. Ueber einen neuen Vereuch zur Einführung des Magneten in die Therapie. Von 

Dr. F. Frankenhäuser, Assistenten der medicinischen Universitätspoliklinik in Berlin 62 

II. Ein fahrbarer Krankenhebeapparat und eine fahrbare, zusammenlegbare Badewanne. Von 

Dr. Paul Jacob, Privatdozent, Oberarzt an der I. med. Universitätsklinik in Berlin. 


Mit 2 Abbildungen.55 

HL Berichte über Kongresse und Vereine. 

I. Bericht über die Sitzung der Gesellschaft der Charitöärzte vom 27. Februar 1902. Von 

Dr. A. Laqueur in Berlin.58 

II. Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft in Stuttgart 

vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.61 

Determann (St Blasien) und Schröder (Schömberg), Ueber die Wirkungen des 

Höhenklimas auf den Menschen.61 

v. Grützner (Tübingen!, Ueber den Mechanismus der Magenverdauung.64 

Pariser (Homburg), Zur Lehre von der Atonie des Magens.65 

Koppe (Giessen), Der Salzhunger. 65 

IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Ernähmngstherapie). 

Voit, Die Bedeutung des Körperfettes für die Eiweisszersetzung des hungernden Thieres. . 66 
Voit, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungems ... 66 

Binz, Die Wirkung des Destillats von Kaffee und Thee auf Athmung und Herz.66 

Zeltochr. f. dllt u. phy&tk. Therapie Bd. VI. Heft 1. ] 


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Inhalt. 


2 


Seit© 


Flesch, Zur Eraährungstherapie mit künstlichen Eiweisspräparaten.67 

Loewy und Pickardt, Ueber die Bedeutung reinen Pflanzeneiweisses für die Ernährung . 67 

Bauch, Ueber periodisches Erbrechen.67 

Kövesi, Ueber den Eiweissumsatz im Greisenalter.68 

Schmidt, Einige Bemerkungen über die Gährungs- und Verdauungsprobe der Fäces, sowie 

über den Nutzen der Probediät für die Untersuchung Darmkranker..68 

v. Aldor, Ueber Kohlehydratstoffwechsel im Greisenalter und in Verbindung damit Unter¬ 
suchungen über Phloridzindiabetes. G8 

B. Gymnastik. 

Quinke, Ueber Schlaflage und Bettlage überhaupt.68 

Eulenburg, Ein lenkbares Gehrad.69 

Schneider, Schneeschuh und Rennwolf und ihr praktischer Gebrauch.69 

Broden und Wolpert, Respiratorische Arbeitsversuche bei wechselnder Luftfeuchtigkeit an 

einer fetten Versuchsperson..69 

C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Gerhardt, Betrachtungen über Epidemieen in Kurorten.69 

Legrand, Le bain froid dans un cas grave de pneumonie double.70 

Aron, Ueber Sauerstoffinhalationen.70 

D. Elektrotherapie. 

v. Noorden, Ueber das elektrische Vierzellenbad (System Schnöe).70 

Winkler, Die elektrostatische Behandlung der Hautkrankheiten.71 

J eil ine k, Elektrizität und Chloroformnarkose.71 

E. Serum- und Organotherapie. 

v. Leyden, Die Behandlung des Scharlachs mit Rekonvalescentenserum.72 

Schaefer, On certain practical applications of extract of suprarenal medulla.72 

Mc Kenzie, Suprarenal gland extract in the eplstaxis of haemophilia.72 

Kernvorthey, The use of suprarenal capsule in haemoptysis.72 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3Va — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Vorrede zum 6. Bande. 


Die Erwartungen, mit welchen wir vor 4 Jahren die »Zeitschrift für diätetische 
und physikalischeJTherapiec begründeten, haben sich zu unserer Genugtuung erfüllt 
Das Interesse für diesen Theil der Therapie hat sich bei den Aerzten gehoben; das 
Gebiet ist durch zahlreiche Arbeiten erweitert und vertieft worden. 

In kurzer Zeit hat die Zeitschrift erfreuliche Anerkennung und Verbreitung 
gefunden, und, wir zählen unter unseren Mitarbeitern anerkannte Autoritäten Deutsch¬ 
lands und des Auslandes. 

Wenn auch die Serum- und Organotherapie nicht eigentlich dem Gebiet der 
physikalischen Therapie in der bisherigen Begrenzung angehören, so stehen sie der¬ 
selben doch näher als' der Pharmakologie. Die immer mehr emporwachsende 
physikalisch-chemische Betrachtungsweise, deren Tragweite und Tragkraft noch nicht 
sicher abzuschätzen ist, muss in der physikalischen Therapie gleichfalls eine Stelle 
finden. Aus diesen Gründen halten wir uns verpflichtet, zukünftig auch in unserer 
Zeitschrift den genannten Disciplinen eine breitere Vertretung zu gewähren, indem 
wir einerseits Originalartikel aus diesen Gebieten veröffentlichen, andrerseits Be¬ 
sprechungen über die in anderen Zeitschriften publizierten Aufsätze bringen werden. 

Entsprechend dieser Erweiterung der Aufgaben unserer Zeitschrift haben wir 
eine Reihe hervorragender Fachmänner gebeten, sich den bisherigen Herausgebern 
4er Zeitschrift hinzuzugesellen. 

Es sind dies folgende Herren: Prof. Finsen (Kopenhagen), Prof. Marinescu 
(Bucarest), Sir Felix Semon (London), Geh.-Rath Erb (Heidelberg), Generalarzt 
Schaper (Berlin), Geh.-Rath Ehrlich (Frankfurt a. M.), Prof. v. Strümpell (Er¬ 
langen), Prof. Moritz (München), Prof. Litten (Berlin). 

Ferner bringen’wir bereits in diesem Hefte einen Aufsatz von Dr. P. F. Richter, 
welcher zur Darstellung bringen soll, wie die .neueren Forschungsergebnisse auf dem 
Gebiete der physikalischen Chemie für die Praxis verwertbet werden können. 

Schliesslich bemerken wir, dass gemäss dem erweiterten Programm die Zeit¬ 
schrift von jetzt an monatlich erscheint. 


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Original - Arbeiten, 


I. 

Die Krankenkost und die Küche der Charite. 

Von 

Dr. H. Sehaper, 

Generalarzt und Geheimer Obermedicinalrath, ärztlicher Direktor der Charite. 

Der freundlichen Aufforderung der Redaktion, einen Ueberblick über die Er¬ 
nährung der Kranken in der Charite zu geben, und dabei unsere neuen Küchen¬ 
einrichtungen zu besprechen, komme ich um so lieber nach, als gerade mit durch die 
Bemühungen Ernst v. Leyden’s die Ernährung der Kranken zu einem Hauptfaktor 
in der Therapie gemacht worden ist. Unsere Anschauungen hierüber haben sich in 
den letzten 30 Jahren nicht weniger, als auf allen anderen Gebieten der ärztlichen 
Kunst und Wissenschaft geändert. Früher hielt man für die Heilung einer grossen 
Zahl von Krankheiten eine Unterernährung für vortheilhaft; alle fiebernden Kranken, 
namentlich auch Phthisiker, erhielten eine sehr knappe Diät, und Bärensprung’s 
antiluetische Kuren waren im wesentlichen Entziehungskuren. Man glaubte, dass 
durch die Zittmann’schen Dekokte und die Hungerkost zugleich mit dem Säftezerfall 
auch ein Zerfall des die Krankheit verursachenden Virus bewirkt würde. Im geraden 
Gegensatz zu jenen Anschauungen legen wir heute den grössten Werth darauf, durch 
möglichst reichliche Kost dem Kräfteverfall vorzubeugen, die Genesung zu befördern 
und ganz besonders bei denjenigen Krankheiten, welche mit bedeutendem Stoff¬ 
verbrauch verbunden sind, den Kräfteverlust so schnell und so vollständig zu er¬ 
setzen, dass die Kranken bei der Entlassung wieder einigermaassen arbeitsfähig sind. 

Bekanntlich wird, um die Diätverordnung zu erleichtern, die Kost nach be¬ 
stimmten Formen verschrieben, und ich lasse hier die in der Charitä seit dem Jahre 
1892 gebräuchliche Vorschrift für die Diätformen folgen: 


Diätformen der Charitd. 


Form 

Morgens 

and 

nachmittags 

Mittags 

Abends 

Für den ganzen Tag 

Es sind ohne 
besondere Ge¬ 
nehmigung der 
Direktion Extra¬ 
verordn ungen 
zulässig 

! i/ s 1 Milch¬ 
kaffee 

1 1 Gemüse und 

Vs Pfund Fleisch 

1 1 Suppe 

1 Pfund grobes Brot 
und eine Semmel 

zwei. 

3500 Kal. 


V» 1 Milch¬ 
kaffee 

Va 1 Gemüse und 

1/3 Pfund Fleisch 

Va 1 Suppe 

3 / 4 Pfund grobes Brot 
und eine Semmel 

zwei. 

2600 Kal. 

niA | 

V* 1 Milch¬ 
kaffee 

Vs 1 Bouillonsuppe 

| 1/2 1 Suppe 

Vs Pfund feines Brot 
oder zwei Semmeln 

vier. 

2000 Kal. 

HIB 

i/s 1 Milch¬ 
kaffee 

Vs 1 Bouillonsuppe, 

1 / 4 1 Gemüse, 

Vs Pfund Fleisch 

^ 1/2 1 Suppe 

V 2 Pfund feines Brot, 
oder zwei Semmeln, 
oder zwei Zwiebäcke 

drei. 

2000 Kal. 

IV 

i/t 1 Milch¬ 
kaffee 

V 4 1 Bouillonsuppe 

1/4 1 Suppe 

Eiue Semmel 
oder zwei Zwiebäcke 

eine. 

1000 Kal. 


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6 


H. Schaper 


Als Extraverordnungen können verschrieben werden: 

1. Mittels Diätbogens: 

1/7 1 spanischen SSsswein. 

Vs 1 Bouillon und i/ a Ei dazu. 

V*1 Weissbier. 

Vs 1 Haferschleim. 

90 g Backpflaumen. 

80 g Schinken. 

80 g gehacktes rohes Rindfleisch. 

1/7 1 Sherry. 

1 / 10 1 Kognak. 

1 / 10 1 Rum. 

II. Nur auf Grund besonderer Anträge werden verabfolgt: 

Kaffee in Bohnen, Thee, Heringe, Speck, Kakao, sowie Mehrforderungen der unter I genannten 

Nahrungs- und Genussmittel. 

Im Durchschnitt werden für jeden Kranken täglich drei Extraverordnungen verabreicht. 


80 g Milchbrot, 2 Zwiebäcke. 

250 g Weissbrot. 

40 g Butter. 

80 g Kalbsbraten oder Kotelette. 
2 Eier. 

I Citrone. 

35 g Zucker. 

I I Müch. 

1 Flasche Bayrisch Bier. 

V 7 1 französischen Rothwein. 


Man hat nun in dem Kalorieenwerth der einzelnen Formen einen sehr brauch¬ 
baren Anhalt für deren Beurtheilung. Sehen wir uns die Formen daraufhin etwas 
näher an, und zwar zunächst unter Fortlassung aller Extraverordnungen, so entspricht 
ungefähr: 

die I. Form = 3102,6 Kalorieen, die III. Form B = 1260,6 Kalorieen, 

» II. » = 2122,6 » » IV. t> = 505,3 t> 

» HL » A = 803,6 » 

Durch den Zutritt der Extraverordnungen wird der kalorimetrische Werth der ver¬ 
schiedenen Formen je nach Bedarf zu der Höhe, die man braucht, gesteigert. Die 
in der Kegel zu den beiden ersten Formen hinzugefiigten Extraverordnungen, 
nämlich: Schinken mit 112,8 Kalorieen, Butter mit 325,6 Kalorieen, erhöhen obige 
Zahlen für die I. Form auf 3541, für die H. Form auf 2561, sodass also jene selbst 
das Nahrungsbedürfniss eines kräftig arbeitenden Mannes befriedigen kann, während 
diese einer mittleren Arbeitsleistung entspricht. 

Die beiden Arten der HI. Form bilden die eigentliche Kranken - und Re¬ 
konvaleszentenkost; die Form IIIA unterscheidet sich von HIB dadurch, dass ihr 
das gekochte Fleisch mit Gemüse fehlt, dafür können ihr aber innerhalb des Diät¬ 
bogens vier Extra Verordnungen hinzugefügt werden, während bei IIIB nur drei 
möglich sind. Schon hierdurch kann man den Kalorieenwerth der Kost so steigern, 
dass sie den Bedarf im Bette liegender Kranker vollauf deckt. Setzen wir z. B. zu 
IUA hinzu: 1 Braten = 102,1, 1 Butter = 325,6, 1 Brot = 605, 1 Milch = 
590 Kalorieen, so erhält der Kranke im ganzen 2425,6, und wenn ihm statt der 
Milch Wein gereicht wird, so erniedrigt sich die Zahl auf etwa 1925 Kalorieen. Bei 
der Form HIB haben wir ohne Extra Verordnungen 1260,6 Kalorieen; fügen wir 
beispielsweise die drei Zulagen: Milch, Butter, Eier hinzu, welche einen Kalorieen¬ 
werth ven 1057,5 repräsentieren, so erhöht sich jene Zahl auf 2318,1, ein sehr reich¬ 
liches Kostmaass, wenn es sich um die Rekonvaleszenz von Krankheiten handelt, 
welche nicht mit einem abnorm hohen Gewebszerfall einhergehen. 

Die IV. Form wird jetzt überhaupt nicht mehr verordnet; mit der gewöhnlich 
dazu gereichten Extraverordnung von 1 1 Milch steigerte sich die oben für sie an¬ 
gegebene Kalorieenzahl von 503,3 auf 1095,3. Früher bildete sie vorschriftsmässig 


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Die Krankenkost und die Küche der Charitä. 


7 


den Anfang jeder Diät Verordnung, bis diese von dem behandelnden Arzte bestimmt 
werden konnte, während jetzt, wie nachher geschildert werden wird, Anordnungen 
getroffen sind, welche gestatten, jeden Kranken gleich in die regelmässige Diät auf- 
zuuehmen. Wir lassen nur deshalb die vier Formen in der bisherigen Weise weiter 
bestehen, weil sie seit Jahrzehnten eingebürgert sind und Aenderungen gerade hier 
leicht Verwirrung anrichten. 

Der Kalorieenwerth der Kost bietet natürlich, wie schon erwähnt worden, nur 
einen allgemeinen Anhalt für ihre Beurtheilung; im einzelnen Falle muss man je 
nach dem Bedarf nach der einen oder anderen Richtung den Kalorieenwerth erhöhen. 
Einige Beispiele werden dies am besten veranschaulichen: 

Ein junger Mann von 60 kg Körpergewicht, der an vorgeschrittener Lungentuberkulose 
leidet, dauernd im Bette liegt, noch gesunde Verdauungsorgaüe hat, soll eine Ueberernährung 
erhalten; es werden ihm bei der Form IIIB auf dem Diätbogen drei Zulagen verordnet: 
Eier, Butter, Zucker, und mit besonderem Anträge noch 2 Eier, 1 1 Milch, 1 h 1 Wein. 
Diese Diät entspricht einem Kalorieenwerthe von 2769,83, so dass der Mann pro Kilo¬ 
gramm Körpergewicht 46,16 Kalorieen erhält, und die Zunahme des Körpergewichts und 
die Hebung des Allgemeinbefindens beweisen, dass dies Kostmaass ein den Anforderungen 
vollkommen genügendes ist. 

Ein anderer Kranker, welcher leicht an tuberkulöser Affektion einer Lungenspitze er¬ 
krankt, ausser Bett und in günstigerem Ernährungszustände ist, erhält bei 57 kg Körper¬ 
gewicht dieselbe Form mit den drei Extraverordnungen: Butter, Brot, Rindfleisch, dazu 
auf besonderen Antrag Bier. Seine Diät bewerthet sich auf 2623,3 Kalorieen, so dass 
pro Kilogramm Körpergewicht 46 Kalorieen zugeführt werden; diese Diät bekommt dem 
Kranken gut, denn er nimmt durchschnittlich täglich 25 g an Körpergewicht zu. 

Ein junger Mann von 59 kg Körpergewicht mit doppelseitiger tuberkulöser Spitzen¬ 
affektion und chronischer Albuminurie, fast dauernd ausser Bett, erhält bei III Form B 
sechs Zulagen: Butter, Eier; Kotelette, Milch, Speck und Brot, im ganzen 3729,6 Kalorieen, 
also 63,3 pro Kilogramm Körpergewicht; erst durch diese reichliche Kost gelingt es, sein 
Allgemeinbefinden zu heben, wobei sein Körpergewicht durchschnittlich täglich um 35,7 g 
zu nimmt. 

Bei anderen Kranken gelingt dies früher, so z. B. wird bei einem jungen Kaufmann 
mit demselben Leiden, bei 53 kg Körpergewicht, der III. Form B mit Milch, Eiern, Butter 
= 2215,7 Kalorieen, also nur 41,8 pro Kilogramm Körpergewicht, schon eine tägliche 
Gewichtszunahme von 72,7 g erzielt. 

Wo es möglich war, die diätetischen Kuren längere Zeit fortzusetzen, wurden nicht 
selten bei leichteren Phthisen ausserordentlich günstige Erfolge erzielt, so z. B. bei einem 
Kranken der II. medicinischen Klinik, welcher am 7. Juli 1901 in sehr heruntergekommenem 
Zustande mit einem Körpergewicht von 68,5 kg aufgenommen wurde. Er erhielt anfäng¬ 
lich gemischte Kost mit einem Nährwerth von etwa 1800 Kalorieen, welcher nach und 
nach auf 2900 gesteigert, dann wieder etwas vermindert und schliesslich dauernd auf 
circa 2600 gehalten wurde. Der Kranke ist noch in Behandlung und hat vom Juli 1901 
bis Januar, also in sieben Monaten, über 40 Pfund zugenommen, er wiegt jetzt 79,2 kg. 

Bei leichteren Krankheiten sind durch fast ausschliessliche Ernährungstherapie natür¬ 
lich öfter in weit kürzerer Zeit ähnlich günstige Erfolge gewonnen; aus der sehr grossen 
Zahl führe ich nur einige besonders eklatante Fälle an, welche alle auf der I. medicinischen 
Klinik behandelt worden sind. Die ersten Kranken, drei chlorotische Dienstmädchen in 
jugendlichem Alter, erhielten alle IIIB mit drei Zulagen, und hierzu noch, je nachdem sie 
bei Appetit waren, 1—2 1 Milch, zeitweise auch V 2 I Sahne, so dass ihnen im ganzen 
3000—3800 Kalorieen zugeftihrt wurden. Durch diese Diät wurden folgende Erfolge er¬ 
reicht: 

1. F.W., 14 Jahre alt, am 25. November 1901 mit einem Körpergewicht von 50 kg 
bei 35% Hämoglobingehalt aufgenommen, wurde am 14. Januar 1902 mit 54 kg Gewicht 
und 76 % Hämoglobingehalt entlassen. 

2. F. M., 15 Jahre alt, am 16. November 1901 aufgenommen, Körpergewicht 47,5kg, 


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8 


H. Scbaper 


Hämoglobingehalt 30%; am 14. Januar entlassen, Gewicht 57,25 kg, Hämoglobingehalt 
65 %; sie hatte also in zwei Monaten fast 20 Pfund zugenommen. 

3. L. B., 16 Jahre alt, am 30. November 1901 mit einem Körpergewicht von 48,5 kg 
bei 30 % Hämoglobingehalt aufgenommen, am 30. Dezember entlassen, Gewicht 56 kg, 
Hämoglobingehalt 55%; sie hatte in vier Wochen 15 Pfund zugenommen. 

4. Eine ähnliche Gewichtszunahme zeigte die ebenfalls wegen Chlorose aufgenommene 
Telegraphistin M. K., welche am 31. Oktober 1901 in sehr entkräftetem Zustande mit 57,5 kg 
Körpergewicht eintrat und bis zum 4.Dezember, in fünf Wochen, 15 Pfund zugenommen 
hatte; sie wurde am 8. Dezember mit 65 kg Körpergewicht geheilt entlassen. 

5. M. R., 22jähriges Kindermädchen, am 17. Dezember 1901 mit den Erscheinungen 
eines Magengeschwürs nach vorausgegangenen starken Blutverlusten in sehr anämischem 
Zustande aufgenommen. Das Körpergewicht betrug nur 44,8 kg, und da sie anfänglich 
nichts bei sich behielt, so musste die Ernährung zuerst durch Klystiere erfolgen. Er¬ 
schwerend für den Uebergang zur Ernährung per os war die Einbildung, dass ihr nur 
durch eine Operation geholfen werden könne; und erst durch die Aussicht, mit etwas 
kräftigerer Kost für die bevorstehende Operation genügend vorbereitet zu werden, liess sie 
sich dazu bewegen, etwas Milch zu nehmen, deren Mengen dann rasch gesteigert werden 
konnten. Bald wurde es möglich, zu gemischter Kost von etwa 2500 Kalorieen Nährwerth 
tiberzugehen, und am 15. Januar 1902 wurde sie mit 48,3 kg Körpergewicht geheilt ent¬ 
lassen. 

Die Zuckerkranken erhalten in der Regel die Form HIA mit den für ihren Zustand 
geeigneten vier Extraverordnungen im Diätbogen und dabei soviel Zulagen, als durch den 
Zuckerverlust erforderlich werden. So erhält z. B. ein sehr heruntergekommener Diabetiker 
der schweren Form (Urinmenge 4—7 1, Zuckergehalt 3,5—7 %), der eine kohlehydratfreie 
Kost nicht verträgt, die Diät IIIA mit folgenden Zulagen: 6 Eier, 1 Braten, 1 Rindfleisch, 
Gemüse, Rothwein, Milch, 3 Butter = 3370,1 Kalorieen; da er aber täglich im Durch¬ 
schnitt 220 g Zucker ausscheidet, also 902 Kalorieen verliert, so kommen ihm nur 2468 
zu gute = 41,2 Kalorieen pro Kilogramm Körpergewicht. Da er bei ausgezeichnetem 
Appetit ist und gesunde Verdauungsorgane besitzt, so bekommt ihm die Diät sehr gut, 
Allgemeinbefinden und Körpergewicht heben sich, während dies bei kohlehydratfreier Kost 
nicht der Fall ist Statt Weissbrot, Gemüse, Milch, Rothwein, Butter hat er zeitweise 
Kotelette, Speck, Kognak erhalten, im ganzen 2853 Kalorieen, indessen wurde diese Kost 
nur kurze Zeit vertragen. 

Ein anderer Diabetiker in gleichem Stadium erhält zu der Form IIIA neun Zulagen, 
nämlich: 2 Butter, 1 Milch, 4 Eier, 1 Rindfleisch, 1 Kotelette, 1 Gemüse, Speck, ent¬ 
sprechend 3645,18 Kalorieen, ein Dritter mit leichteren Krankheitserscheinungen bei der¬ 
selben Form acht Zulagen: Butter, 4 Eier, 2 Rindfleisch, Schinken, Gemüse, Milch = 
2733,4 Kalorieen. 

Ich führe noch das Beispiel eines an chronischer Nephritis leidenden Patienten an, 
der sehr heruntergekommen ist und einer möglichst extraktivstofffreien Diät bedarf; er er¬ 
hält bei III Form A im ganzen sechs Zulagen = 2942,9 Kalorieen. 

Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, nach welchen Grundsätzen im 
allgemeinen bei der Beurtheilung der Diät verfahren wird, sie zeigen aber zugleich, 
dass die auf der Vorschrift vom Jahre 1892 stehende Bemerkung, dass im Durch¬ 
schnitt für jeden Kranken drei Extraverordnungen täglich verabfolgt werden, nicht 
mehr zutrifft. In früheren Jahren, als wir noch eine Abtheilung von 400 Betten für 
Haut- und Geschlechtskranke hatten, welche nur wenige Extraverordnungen brauchten, 
war es wohl möglich, diese so zu vertheilen, dass den grösserer Pflege Bedürftigen 
die von Jenen nicht gebrauchten Zulagen zu gute kamen; jetzt sind aber die be¬ 
treffenden Abtheilungen wegen des Umbaues so verkleinert, dass dies nicht mehr 
möglich ist; auch auf diesen Abtheilungen liegen nur noch wirklich der Krankenhaus¬ 
pflege bedürfende Kranke, welche eine nicht geringere Zahl von Extraverordnungen 
brauchen, als die anderen; und so hat sich die Durchschnittszahl der täglichen Extra- 


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Die Krankenkost und die Küche der Cbaritö. 


9 


Verordnungen auf vier bis fünf erhöht, was natürlieh den Etat ausserordentlich be¬ 
lastet 

Die Verordnung der Diät erfolgt bei der Morgenvisite durch den ordinierenden 
Arzt; da aber die Aufnahme der neueintretenden Kranken in der Regel erst nach 
der Morgenvisite, oft erst in den späteren Nachmittagsstunden oder in der Nacht 
erfolgt, so erhalten diese Kranken zunächst ohne weiteres Suppe, Brot, und wenn 
sie besonderer Stärkung bedürfen, so wird ihnen diese sofort auf einem Zettel mit 
der Aufschrift: >Gefahr im Verzüge!« verschrieben. Im übrigen haben wir vor 
einigen Jahren die Einrichtung getroffen, dass für alle von vormittags 11 Uhr bis 
zum nächsten Morgen 6 Uhr neuaufgenommenen Kranken die Diät vom ordinierenden 
Arzt gleich aufgeschrieben wird; diese Diätverordnungen werden den Inspektoren 
bei ihrem ersten Rundgange morgens 6 Uhr übergeben, von ihnen in ein Schema *) 
eingetragen und der Direktion so zeitig zur Genehmigung vorgelegt, dass sie noch 
in der Küche ausgeführt werden können. Diese Einrichtung hat sich als sehr zweck¬ 
mässig bewährt; wir haben dadurch den früher oft beklagten Uebelstand beseitigt, 
dass die Kranken erst vom dritten Tage ab in die regelmässige Beköstigung auf¬ 
genommen werden konnten. Nach den bei der Morgenvisite getroffenen Verordnungen 
des behandelnden Arztes arbeitet der Stationswärter beziehungsweise die Stations¬ 
wärterin oder Oberschwester bis 11 Uhr den Diätbogen aus, welcher dem Inspektor 
übergeben wird; dieser stellt aus den verschiedenen Stationsverordnungen den Diät¬ 
bogen für seine Inspektion zusammen. Als Beispiel folgt hier der Diätbogen für 
eine Inspektion der medicinischen Kliniken (s. S. 10). 

Diese Diätbogen werden mittags zur Küche gebracht, wo der Kücheninspektor 
von sämmtlichen Inspektionen eine Zusammenstellung für den Oekonomieinspektor 
macht, und von diesem wird dann auf Grund der vorher wöchentlich angefertigten 
und von der Direktion genehmigten Speisezettel in einem Verpflegungsrapport die 
Tagesausgabe festgestellt; es werden sofort die etwa noch nöthigen Bestellungen ge¬ 
macht, und es wird ein Vertheilungsplan ausgefertigt. 

Bis zum Bau der jetzigen Küche, in welcher der ganze Wirthschaftsbetrieb ver¬ 
einigt ist, besass die Anstalt drei Küchen: die Küche für den sogenannten I. Tisch, 
für Aerzte und Schwestern, in dem jetzt abgebrochenen Theile des Nordflügels der 
alten Charit^; die grosse allgemeine Küche in einem Anbau hieran, und eine zweite 
grosse Küche in der ebenfalls jetzt niedergelegten neuen Charite, welche alljährlich 
ein- oder zweimal für einige Wochen in Gebrauch genommen wurde, wenn in der 
grossen Küche der alten Charite Ausbesserungs- und Reinigungsarbeiten vorgenommen 
wurden. Die Keller für Aufbewahrung von Fleisch und sonstigen Esswaren, Wein 
und Bier befanden sich theils in der alten Charite, theils in den ausgedehnten Keller- 


i) Für neu angekommene Kranke sind auf der Abtbeilung 

der erforderlich und zu verabfolgen : 


Portionen Brot 

Rothwein 

» Butter 

Süsswein 

» Fleisch 

Sherry 

Stück Milchbrode 

Bayrisch Bier 

Haferschleim 

Bouillon 

Milch 

Braten 

Eier 

Köttel ettes 

Schinken 

Rindfleisch 

Kognak 



Berlin, den lel > 19 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Diät-Verordnungen 

für die Kranken und das WaTtpersonal auf der am 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 


in Summa 




Die Krankenkost und die Küche der Charitü. 11 


räumen des sogenannten Sommerlazareths. Jetzt ist der ganze Wirthschaftsbetrieb 
in dem schönen neuen Küchengebände vereinigt, welches so gross angelegt ist, dass 
daraus etwa 1300 Kranke und ein Personal von 400 unverheiratheten Aerzten, 
Apothekern, Schwestern, Wärtern, Wärterinnen und sonstigen Bediensteten der An¬ 
stalt ausreichend verpflegt werden können. Der folgende Lageplan (s. Fig. 1 S. 12) 
bedarf keiner Beschreibung, da die Bestimmung der einzelnen Räume angegeben ist. 
Das unter dem hier skizzierten Erdgeschoss liegende Kellergeschoss enthält unter der 
HauptkQche in gleicher Grösse mit dieser den sogenannten Rohrkeller, d. h. einen 
Raum zur Unterbringung der zahlreichen zu den Kochapparaten gehörigen Rohr¬ 
leitungen; da hier immer eine ziemlich hohe Temperatur herrscht, so ist der Raum 
gegen die zu beiden Seiten liegenden, kühl zu haltenden Keller vollständig ab¬ 
geschlossen. In letzteren befinden sich die Vorrathsräume für Fleisch mit be¬ 
sonderem Kühlraum, für Kartoffeln, Bier, und zwischen dem südöstlichen Theil der 
Küche und dem gegenüberliegenden Flügel des Werkstättenhauses ist unter der Erde 
ein überwölbter Weinkeller mit Zugang von dem Kellerraume unter dem Gemüse¬ 
putzzimmer erbaut. 

In der Hauptküche sind 14 grosse Kessel von 100— 600 1 Inhalt, 9 kleinere, 
auf einen gemeinsamen Unterbau gesetzte Kippkessel von 40—501 Inhalt, 2 Kartoffel- 
kocher. Als Material der Innenkessel wurde fast überall Nickelblech gewählt, nur 
ein grosser Kessel ist innen aus Gusseisen, ein mittelgrosser und zwei kleinere Kipp¬ 
kessel aus hartgewalztem Aluminium. Für die Herstellung der grossen Nickelkessel 
bestand anfänglich eine Schwierigkeit darin, dass, weil man bisher so grosse Kessel 
nicht aus einem Stück Nickelblech hersteilen kann, die Verniethung der Wandung 
mit dem Boden in der Weise hergestellt war, dass die Wand innen über den Boden 
Übergriff; infolgedessen liess sich dieser äusserste Rand des Bodens nie sauber 
halten; es ist aber bei unseren Kesseln möglich gewesen, die Verniethung nach 
aussen zu legen und so innen eine ganz glatte und leicht sauber zu haltende Fläche 
zu gewinnen. Bisher haben sich die Nickelkessel, deren Preis übrigens ungefähr 
demjenigen der Kupferkessel gleichkommt, gut bewährt. Dasselbe kann man von 
dem natürlich sehr viel billigeren gusseisernen Kessel sagen. Früher hatte man mit 
Recht eine gewisse Abneigung gegen diese Kessel, weil manche Speisen, z.B. Weiss¬ 
kohl, in Farbe und Geschmack litten; aber neuerdings hat man gelernt, das Guss¬ 
eisen so herzustellen, dass dieser Uebelstand vermieden wird, so dass die Küchen 
mancher grösseren Anstalten ganz und gar mit gusseisernen Kesseln ausgestattet 
sind, so z.B. in der Irrenanstalt zu Dalldorf, und die hier zubereiteten Speisen 
lassen nach Aussehen und Wohlgeschmack nichts zu wünschen übrig. Die Aluminium- 
kessel haben sich nicht bewährt; selbst das hartgewalzte Metall bleibt zu weich. 

In der Hauptküche wird im übrigen durchweg mit Dampf gekocht, nur zwei 
Tafelheerde zur Bereitung von Braten, Kotelettes etc. für die Kranken sind für 
Kohlenfeuerung eingerichtet. Den Dampf erhält die Küche vom Maschinenhause, 
und zwar sind die Leitungen durch überall gut gangbare Kanäle geführt, so dass 
jederzeit das ganze Rohrsystem leicht kontrolliert werden kann. 

Die neben der Kochküche gelegene Bratküche enthält drei grosse Bratöfen mit 
Gasheizung, einengrossen Fischkocher, ein grosses Wärmbad (sogenanntes bainmarie) 
mit sechs Einsätzen zum Warmhalten grösserer Braten und mehrere Wärmetische 
und Schränke. 

Bezüglich der Ausstattung der übrigen Räume ist zu bemerken, dass die Spül¬ 
küche zwei grosse dreitheilige Spültische mit Einsätzen aus Duranametall und einen 


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Die Krankenkost und die Küche der Charitg. 


13 


kleinen Spültisch enthält; in den Gemüseputzräamen sind drei Marmorbecken auf¬ 
gestellt zur Aufnahme der geschälten Kartoffeln und geputzten Gemüse. 

Das Obergeschoss des Küchengebäudes enthält südlich von der durch beide 
Geschosse hindurchgehenden Hauptküche die Wohnung des Oekonomieinspektors, 
nördlich davon die Wohnung der Oberköchin, ferner Schlafräume nnd Speisesaal mit 
Anrichte für 18 Köchinnen und Küchenmädchen. Es verdient noch erwähnt zu 
werden, dass in dem Obergeschoss des Maschinenhauses für das Küchen- und 
Maschinenpersonal eine kleine Badeanstalt eingerichtet ist. 

Der Dienst in der Küche beginnt Sommer und Winter pünktlich früh 5 Uhr. 
Zu dieser Zeit erscheinen die Lieferanten von Milch, Brot und Fleisch. Die Milch, 
täglich 1100—12001, wird vom Kücheninspektor abgenommen, mit dem Milchprober 
geprüft, dann sofort in zwei hierzu besonders mit einer Einrichtung zur Verhütung 
des Ueberkochens versehenen 500 1 fassenden grossen und einem kleinen Nickelkessel 
gekocht und darauf grösstentheils im Kühlapparat abgekühlt. 

Die weisse Backware wird unter Aufsicht des Oekonomieinspektors nach den 
einzelnen Inspektionen und Stationen, den Diätverordnungen gemäss, vertheilt, und 
mit dem Tags vorher zu Portionen hergerichteten Schwarzbrod pünktlich 5 8 /< Uhr 
zur Abholung bereitgehalten. Das Schwarzbrod wird täglich frisch um 6 1 /» Uhr an¬ 
geliefert und am nächsten Tage ausgegeben. Der tägliche Bedarf beträgt etwa 460 kg 
Schwarzbrot, 3000 Schrippen, 175 Portionen Zwieback. 

Der Schlächter liefert nach dem täglichen Bedarf Rind- und Kalbfleisch in 
ganzen Thieren, Schweinefleisch in Schinken und Rippenstücken, Hammelfleisch in 
Keulen. Die Zerlegung der Thiere erfolgt sofort, und die einzelnen Theile werden 
gleich sortiert; als Beispiel führe ich einen Tagesbedarf an: 

I. Tisch (Aerzte, Schwestern): 


Zur Mittagsbrühe.18 kg, 

Als Gemüsebeilage.12 » 

Mittagsbraten.40 » 

Abendtisch. 30 » 

II. Tisch (Wärterpersonal): 

Mittagstisch.106 » 

III. Tisch (Krankenkost): 

Schabefleisch.30 » 

Suppenfleisch.53 > 


Frühstücks- und Mittagsfleisch . 307 » 

Summa 596 kg. 

Die Grösse der Portionen ist aus den oben angegebenen Diätformen zu ersehen 
Die Ausgabe der Speisen erfolgt für den II. und HI. Tisch in grossen Kübeln und 
Blechkasten, welche auf Handwagen nach ihrem Bestimmungsort befördert werden, 
und zwar mittags 12V< Uhr für die Kranken, l 1 /» Uhr für Diakonissen und 
Schwestern, l 8 / 4 Uhr für die Aerzte; abends um 6 beziehungsweise 7 Uhr. 

Die hier folgenden, vom Unterarzt Rodenwaldt sehr geschickt angefertigten 
Aufnahmen von der Westseite der Küche, auf welcher die Speisenausgabe erfolgt, 
und von den Haupträumen geben ein sehr anschauliches Bild, und man sieht auf 
den Bildern der Hauptküche, dass diese sühr hell und schön beleuchtet ist, so dass 
jeder Winkel in vollem Tageslichte übersehen werden kann. 


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H. SdiHppr, Dif* Krankenkost und die Küche der Charite. 


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17 


P. Kouindjv, Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc. 


II. 

Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung 

der Nervenkrankheiten. 1 ) 

Von 

Dr. P. Kouindjy in Paris, 

Hoepice de la SalpStriöre. Clinique des maladies nerveuses du Professeur Raymond. 

Die Extension bildet im Verein mit der »Aufhängung« und »Dehnung« die 
gebräuchlichste Anwendungsmethode der Suspension; ihr Studium fällt daher natur- 
gemäss mit dem der Suspensionsmethode zusammen. 

Nachdem die Suspensionsmethode anfangs stark in Aufnahme gekommen und 
selbst von der politischen Presse zum Gegenstand des Tagesgespräches gemacht wor¬ 
den war, so dass sie bald auch Gemeingut derer wurde, welche sich in der Anwen¬ 
dung aussergewöhnlicher Heilmethoden gefielen, sanken allmählich ihr Ansehen und 
alle mit ihr in Zusammenhang stehenden Maassnahmen; nur bei einigen Nerven¬ 
krankheiten findet die Suspensionsmethode noch von Zeit zu Zeit Verwendung und 
da auch nur in einer durchaus unzureichenden Weise. Dagegen sprach sich vor noch 
nicht langer Zeit der berühmte verstorbene Neurologe Charcot folgendermaassen 
über diese Methode aus: 

»Die mittels Suspensionsmethode erzielten Resultate sind meiner Ansicht nach 
derartig ermuthigend und beachtenswerth, dass man die Suspension den besonders 
mit Neuropathologie sich beschäftigenden Aerzten ernstlich empfehlen darf. Ich kann 
nach meinen Erfahrungen bezeugen, dass ich bei Ataxie unter Anwendung anderer 
Behandlungsmethoden niemals so ausgesprochene Besserungen in kurzer Zeit bei einer 
so grossen Anzahl von Kranken gesehen habe.« 

Wir werden im folgenden zu beweisen versuchen, dass die Suspensionsmethode 
durchaus nicht das Loos verdient, zu welchem sie augenblicklich verdammt erscheint. 
Die erfolgreichen Anwendungen, welche mit ihr von einer grossen Anzahl hervor¬ 
ragender Neurologen und von mir an der mir seit drei Jahren unterstellten mechano- 
therapeutischen Abtheilung der Klinik meines hochverehrten Chefs, des Herrn Prof. 
Raymond, ausgeführt worden sind, haben in mir die Ueberzeugung gefestigt, dass 
der Suspensionsmethode unter den Behandlungsweisen der Nervenkrank¬ 
heiten im allgemeinen und der Tabes dorsalis im besonderen eine hervor¬ 
ragende Stelle gebührt 

Was nun die Methode der Suspension selbst anbetrifft, so haben wir zunächst 
eine Modifikation des Sprimon’schen Apparates geschaffen, um hierdurch die Regel¬ 
mässigkeit der Traktionsausführung nach Lande und R6gnier mit der Bequemlich- 


i) Dr. Kouindjy bat vor kurzem im Progrös medical eine ausführliche Abhandlung über die 
Suspensionstherapie geschrieben; da diese therapeutische Methode bei uns in Deutschland in eine 
unverdiente Vergessenheit gerathen ist, bringen wir mit gütiger Erlaubniss des Autors und der 
Redaktion des Progrfes medical nachstehend einen Auszug aus dem interessanten Artikel. 

Zeitschr. t diEt u. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 1. •_> 


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P. Kouindjy 


keit des: S-prhaon sehen -Afipa.ra.tes -zu vereiniget). Ferner schien es ans zweckttSüsig 
äh sein, «len Apparat bei sonst gleicher Leistußggfähigkc'it weniger umfangreich zu 
konstruieren .als di* Apparate der beiden obeo zitierten Kollegen.; Fig. 7 zeigt den 
*Exte»si«ns>t o hl«,-, wie er die .eben angeführten Apparate ersetzen soll. Der Apparat. 

setzt sich aa^ zwei vnilig.Vdn: ejanud.nr ge- 
F '£- 7 trennt e»- Stahl und Susperi - 

sionsap{w:at. Der Sitz des massig liehen 
Stuhles, hat- *0: »>ö cm Flache, während die 


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Die Extensu>ii ym e t hüde und ihre AnwenduQg ntc. 


Wean io dieser Web.e.' $1# ..Fmeru'ög : erfötgty--' ge&attet’ w& 
«Be wirkliche Verlängerung der Wirbelsäule.' zu jbfzi'elen: Da* 
Eslensionsschnur ist mit einer Reihe von Haken versehen, an 1 
Bedarf verschiedene Gewichte anhäitgeiK hierdurch sind wir im 
graduierte und progressiv an wachsende -Zu«*- 
wirkung sich entfalten zu lassen. f '*K 

Her Stuhl ist leicht und nimmt wenig 
Platz weg; ef lässt sich leicht auseinander?- 
nehmen «ntt transportieren. Der Extensbas- gl ■-. '■• ’c ; . - 
stahl entspricht unserer Ansicht nach dem 
Wunsche aller derer, weiche eine unmittel- 
hart? Wirkung auf die Vvirbekäuie und hier- .. 
durch eine mittelbare auf das Rückenmark 
erzielen wollen. Es steht fest, dass durch 
Fisiernag des Beckens mittels Gurt und zwei a » S ^ l ^^roK »d 
wir die Sicherlifeit haben, durch • * 


Schlingen 

den Gewiebtszug rückwirkend die Wirbel¬ 
säule beemtiyssen zu können. Daher wird 
jede Verschiebung des Angriffspunktes der 
Zugwirknag, 4, h, der Gewichtsreihe der Ex¬ 
ternsten der Wirbelsäule entsprechen. Wir 
beginnen die ExteBsionsbebanfilun^ je nach 
der Konsritutiou des Kranken mit 12 kg und 
steigen dann auf 2h. 20 und 40 kg. Die 
Dauer eißbr SitzuBg variiert zwischen 10 
und 10 Minuten, zuweilen dehnen wir die 
Sitzung auf 20 Minuten aus. Palls wir uns 
der Kinnbandage allein bedienen, beginnen' 
wir mit 30 kg und überschreiten selten 24 
bis 30 kg. ? • •* :■ V 


Vor ihm iL sich bereite Ilämilta»* - 

der beweglichen, schiefen Ebtdie zum Zweck der Suspension seiner Patienten. Nur 
befestigte er seine Patienten auf der Plates ku den Füssen und stellte dann das Kopf¬ 
ende tief, sodass also die Patienten stets «ft den'.'Fassen. oufgehängt waren und mit 
dem Kopfe tief lagen. Ix» dieser wenig beneidsnswerthen Stellung liessfder ameri¬ 
kanische Kollege seine Kranken ca. zehn Mioatea lang hängen; er behauptet, gute 
Besidtate erzielt zu buben. D o gi;qff’stellte sehr beacljtehswfjrthe Untersuchungen 
an über die durch Suspension bewirkten körperlichen Veränderungen, sobald der 
Kranke ans horizontaler Lage io di» vertikale gebracht wird, und führte daraufhin 
die Saspensionsmethode auf der schiefen Ebene eia, wobei der Kopf hoch und die 
Füsse tief zu liege« kamen. Die hierüber von B ogroff .mgesteilten physiologische» 





j* Kouindjy 


Untersuchungen haben in der SnspenrionsdYage ganz bedeutende Aufklärungen ge¬ 
zeitigt Mangel flti Raum verbietet e«; atii Einzelheiteu dieser Versuche einziigehen; 
jedoch werden wir weiter unten die SehUmfolgerrjngeji dev Versuchsreihen liögföi'f’s 
bringen. 

Bogrhff verzichtete auf die Ztsgwirkung am Kim* und in (Sen Achselhöhlen; 
er ersetzt sie dordv Zug am Ellbogen., ■■ Öet Sa vr e’sebe Apparat ist ersetzt durch 
zwei rimjenförnnge Itiemenhiindiiuen, welche, so an der Liegdplatte angebracht sind, 
dass sieb der Kränke mit den Ellenbogen. auf sie stützen kann, Anfangs neigt man 
die Platte um #><• und vermehrt dann des Winkel um .f»—10", 

Ib dieser Lage Man der Kranke eine halbe; eine Stunde rind mehr bleiben, 
jedenfalls ein durchaus nicht eingreifendes Verfahren. 


Unser Kollege tun! Freund Paul .Licoh') in 'Kortin hat das Verfahre« itagroff’s 
b.'igonletrmaRssefi modifiziert: Hie EllbogeascHleiferi sind weggefallen; der Zug erfolgt 
einroal durch das Körpergewicht des Patieja».«» selbst, andererseits’durch Gewichi- 
gtheke, weiche an einer Schnur angebiuigt werdgtiv die ihrerseits i« der Rinne einer 
atft Kopfende det Platte angebrachten Rolle verläuft. Hie am Kopfende der Platte 
angebrachte Aushöhlung hat. den Zweck, den Hinterkopf dos Patienten ayfzuuehinen. 
Jacob verwendet diese Art der Suspension hei Behandlung der Arthritis deformans, 
der Deformitäten der Wirbelsäule, der K'oinpressiousmyelitis, der Tabes dorsalis und 
anderer nervöser Krankheiten, ' , - . , 


vt j luv.l.i, Bericht filier <Iic Anwendung der physikalischen lleilmethiHkst etc. rCfniriiJ-.Xtinstcti 
Jahrgang) — Jacob, PhysikaJiscbt>.Therapie der Itiickfyimarkvkranblifjte«, au? 0>-M scheide» 
mul Jar.M», Santttmtfi• der physikali^lmti ThenpiV Tl»oil 2. BtL 2. 






üml Min? AiJWtfhdttni* etc 


her Tabes, unter geringer Modifikation der Extensionsart angewendet. Wir Hessen 
die Aushöhiuug für eins Hinterhaupt weg und konstruierten unsere Platte ganz glatt, 
da hierdurch die Extension direkt auf die Wirbelsäule, inbegriffen den CervikaltheiJ, 
wirkt I» den Fällen, «fö tfift Kränken ein geringes KiirpOrgewiebt besitzen, liäoged 
wir Eniäiizungsgewichle bah! au die Füsse, bald an den Leibgürtcl; bisweilen wenden 
wir auch die Achselschlingea am 

Die Figuren y und 1.0 illustrieren m besten das eben geschilderte Behandlungs- 
Die schief gestellte Platte hat mit dem Körper des Patienten diae'breite 


verfahren 

BerahruugsHiiche, sodass die Suspensiun weniger gewaiteruH ist und die gewünschte 


ifugversUirkung ganz nach willkürlicher WinkelstelHtag, ohne den Patienten auf* 
xaregen, reguliert werden kann- Weiter oben hatten wir bereits erwähnt, dass wir 
m den Fall des zu geringen Körpergewichts des Patienten ErgäBzuagsgewiCbte, sei 
es an den Füssen oder an dexa Leihgiirtel, anzuhängen plk-geh. Die Gewichte ssml 
4—30 kg schwer 'und üben flire Zugkraft in der Zugochse des Körpergewichts aus. 
t‘m die Ergäözungsge wichte an den Füssen anzübringott, bedienen wir uns mir Watte 
ausgestopfter Binden, welche zur Aufnahme der Gewichte in Stränge aiishHifen. Wollen 
wir den Ergänzungszug am Leibgurt an wenden, so bedienen wir uns einer breiten 
Binde, welche tun das Becken gesdilungW} wird und deren beide Enden zwischen 
den Füssen anslaufen. Die Frgnnzu«gsge\viriite gestatte« die gleiche Xugwirkimg 
wie die durch Aufhängung erzielte. 

Der Unterschied -zwischen dem Verfahren von MotschukoWsky uud der 
Eitension mittels der schielen Ebe.no oht-nso wie mit unserem Evtensioosstuhl oder 


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P. Kouindjy 

dem Sprimon’schem Apparat besteht darin, dass in letzterem Falle die Zugwirkung, 
allmählich zunehmend, planmässig genau berechnet und kontrolliert ausgeübt werden 
kann. Es ist allerdings Thatsache, dass der Anwendung der schiefen Ebene eine 
Unannehmlichkeit anhaftet, welche bei der Aufhängemethode ganz fehlt, nämlich der 
durch die Berührung des Körpers des Kranken mit der Platte hervorgerufene Reibungs¬ 
widerstand. Indess hat man durch die Wirkung der Unterstützungsgewichte und die 
länger ausgedehnte Extensionsdauer ein wirksames Mittel, diesen Widerstand aus¬ 
zugleichen. Andererseits rechnen wir mit diesem Widerstand und zwar in seiner 
negativen Funktion, indem er die Zugwirkung neutralisiert, in seiner positiven, indem 
er sie je nach Bedarf modifiziert. Das Verfahren mittels der schiefen Ebene 
soll nun in erster Linie dazu beitragen, der Suspensionsmethode ihren 
Platz als ein absolut rationelles Heilmittel in der Therapie der Nerven¬ 
krankheiten zu sichern. Bei dem Verfahren nach Motschuko wsky erreicht die 
Zugwirkung gleich im ersten Moment, sobald dem Kranken der Boden unter den Füssen 
schwindet, seine maximale Höhe. Einige Augenblicke später bewirkt das nach unten 
ziehende Körpergewicht einen übermässigen ruckweisen und unregelmässigen Zug. Dies 
erklärt auch die am Patienten nur zu oft wahrgeuommene Angst und die kurze Dauer, 
innerhalb welcher die Anwendung des Aufhängens noch ertragbar ist. Die Aufhängung 
darf nie die Dauer von drei Minuten überschreiten, und oft genug sieht man sich ge¬ 
zwungen, den Patienten schon nach drei Sekunden wieder herunter zu lassen. Gilles 
de la Tourette bemerkt hierzu sehr richtig: »Bei der Aufhängung spielen die Achsel¬ 
schleifen die Rolle der Regulatoren; sie dürfen weder zu kurz noch zu lang in ihrem 
Verhältnis zur Kinnschlinge sein. Sind sie zu kurz, so komprimieren sie den Plexus 
brachialis, ziehen die Schultern sehr hoch und sind im stände, Einschlafen der 
Glieder, Ameisenkriechen, Radialisparalyse etc. hervorzurufen; sind sie sehr lang, 
so müssen die Nackenmuskeln die Zugwirkung aushalten, die durch das Körper¬ 
gewicht resultiert, und die Suspension wird unerträglich.« 

Sobald die Suspension sich der schiefen Ebene bedient, spielen die Achsel¬ 
schlingen nur eine zweite Rolle, denn die Zugwirkung reguliert sich durch die schiefe 
Ebene von selbst und gestattet, die Suspension vorzunehmen, ohne dass man sich der 
Achselschlingen zu bedienen braucht. Nichtsdestoweniger wenden wir die Achselschlingen 
jedesmal an, wenn eine Wirbelsäulendeformität besteht, oder wenn wir es für noth- 
wendig erachten, die Zugwirkung, wie z. B. bei Neurasthenie, abzuschwächen. In¬ 
dem wir die schiefe Ebene allmälich in verschiedene Neigungswinkel bringen, sind 
wir im stände, den Angriffspunkt des Zuges in beliebig verschiedene Höhen zu ver¬ 
legen und auf diese Weise eine gewaltsame Zerrung der Nackenmuskulatur zu ver¬ 
meiden. Es ist schwierig, zu begreifen, wie unser Kollege Bogroff mit der all¬ 
einigen Anwendung von Ellbogenschleifen unter Verzicht auf Zug am Halse gute 
Resultate erzielen konnte. Dass der mittels Halszug und Achselschleifen erzielte 
Zug einmal auf die Wirbelsäule und hierdurch mittelbar auf das Rückenmark, 
andrerseits auf Verkrümmungen der Wirbelsäule seine Wirkung ausübt, ist ein¬ 
leuchtend. Bei der nach Bogroff ausgeführten Suspension wird aber ein Zug auf 
die Wirbelsäule überhaupt nicht ausgeübt, und ihre direkte Wirkung auf das Rücken¬ 
mark ist gleich Null. 

Wir wenden uns nunmehr zu dem eigentlichen Verfahren der Suspension 
mittels der schiefen Ebene. Die bereits früher gebrachten Photographieen ent¬ 
heben uns der Beschreibung des Apparates. Sobald sich der Kranke auf der Liege- 



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23 


Die Estensionsmethode und ihre Anwendung etc. 

platte aasgestreckt hat, legen wir ihm den von Professor Motschukowsky modi¬ 
fizierten and von C h azol gearbeiteten Sayre’schen Apparat an. Der Kopf des Patienten 
ruht entweder unmittelbar auf der Liegeplatte oder auf einem untergeschobenen 
kleinen Polster zwischen den hinteren Branchen der Kinnbandage. Es ist dies zwar 
nur eine Nebensächlichkeit, hat aber trotzdem ihre Bedeutung. Sobald der Sayre- 
sche Apparat angelegt ist, fordern wir den Patienten auf, sich so weit als möglich 
herabgleiten zu lassen, um in horizontaler Lage völlig ausgestreckt zu liegen. Ein 
mässiger Zug an den Unterschenkeln vervollständigt eine möglichste Streckung des 
Körpers. Nun hakt man den Apparat aus und hebt den Kopftheil der Platte bis zu 
einem Winkel von 30°; um eine gleichmässige Steigerung, und zwar täglich in dem¬ 
selben Grade zu erzielen, bedient man sich einer Stütze, welche auf der einen Seite 
am Apparat angebracht ist und an der anderen in eine Stellhakenleiste gleitet, die 
an der unteren Fläche des Apparates befestigt ist. Die Neigung der Platte entspricht 
der Anzahl der eingestellten Zähne resp. dem Abstand der einzelnen von einander. 
Wir beginnen die Suspension täglich mit 30 °. Die Dauer der ersten Sitzungen beträgt 
10 Minuten. Später variieren wir die Plattenhebung von 5° zwischen je zwei Sitzungen 
und die Dauer von 3—5 Minuten. Bisweilen schieben wir eine Sitzung mit erhöhtem 
Neigungswinkel zwischen zwei Sitzungen mit gleichen ein. Um den Patienten an 
einen Neigungswinkel von 50° zu gewöhnen, lassen wir ihn gleich von Anfang an 3, 
später 5 und mehr Minuten liegen. Die Dauer einer Sitzung schwankt zwischen 10 und 
20 Minuten; im Durchschnitt beträgt sie 15 Minuten. Bei Fettleibigen und Herz¬ 
leidenden überschreiten wir niemals einen Winkel von 35°; bei mageren Personen 
und solchen, welche die Suspension gut vertragen, erreichen wir selbst einen Neigungs¬ 
winkel von 60°; niemals aber steigen wir bis 90°. 

Das Extensionsverfahren mittels der schiefen Ebene hat uns nie die geringsten 
Unannehmlichkeiten selbst bei Herzleidenden und Kindern bereitet. Der Kranke 
erschrickt nicht über die Lageveränderung der Liegeplatte und, falls er doch 
anfangen sollte, sich ungemüthlich zu fühlen, so kann er sich an den seitlich 
angebrachten Handhaben aufrichten. Man hat es nur selten nöthig, zu diesem 
Mittel Zuflucht zu nehmen; denn die Dauer einer Sitzung ist eine relativ so kurze, 
dass man einer eventuellen Nackensteifigkeit vorbeügt. Die Zahl der Sitzungen 
lässt sich nur nach dem Umfang der zu behandelnden pathologischen Symptome 
bestimmen. Wie bei der Aufhängung, soll die VornahmederSitzungen so lang als 
möglich fortgesetzt werden. Während manche Autoren sich mit 40—50 Aufhänge¬ 
sitzungen begnügen, haben andere ihre Maassnahmen viel länger fortgesetzt. So 
machte Tripier bei einem Tabiker 640 Suspensionen, Ascher ging bis zu 650 
Sitzungen, Gaston und Ducop wendeten nur 350 an, Charcot Hess innerhalb von 
3 Jahren an einem Tabiker 1000 Suspensionen ausführen, Blondei unterzog einen 
Kranken sogar 1200 Sitzungen. Bei einer Patientin der Salpetriere mit Tabes und Mitral¬ 
fehler haben wir während IV 2 jähriger Behandlung mittels schiefer Lagerung nicht 
ein einziges Mal das geringste Zeichen von Ohnmacht erlebt. Im allgemeinen werden 
die Sitzungen anfangs täglich vorgenommen. Nach einer mehr oder minder grossen 
Zahl von Sitzungen und gemäss der Besserung der einzelnen Symptome werden die¬ 
selben dann alle 2, später alle 3 Tage, zuletzt zweimal wöchentlich vorgenommen. 
Die Extension soll vor den Mahlzeiten, am besten vor der ersten stattfinden. Um 
eine gewaltsame Lageveränderung durch das Senken der Lageplatte zu vermeiden, 
lassen wir sie langsam, von Zahn zu Zahn, in die horizontale Lage zurückkehren. 


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24 


P. Kouindjy, Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc. 


Bei all den Suspensionen, welche wir ausgeführt haben, — es sind weit über 
3000— haben wir niemals die geringste Störung erlebt, wie sie bei der Aufhängung 
und Dehnung gelegentlich einzutreten pflegen. Das einzige Unangenehme bei unserer 
Methode ist die Zerrung der Nackenmuskulatur bei fetten Leuten. Dieses Zerrungs¬ 
gefühl verschwindet jedoch oft nach 2—3 Minuten Ruhe. Die Unschädlichkeit des 
Verfahrens erlaubt uns die Anwendung der Suspension auch bei solchen Fällen, wo 
die Aufhängung absolut kontraindiciert gewesen wäre. So konnten wir mittels 
Suspensionsmethode einen 85 kg schweren Herrn mehrere Wochen lang behandeln, 
dem Prof. Spilmann in Nancy nach einer kurzen Reihe von Aufhängungen die 
Suspension verboten hatte. Wir thaten schon Erwähnung der Patientin mit Tabes 
und Mitralinsufficienz von der Abtheilung meines Chefs, Prof. Raymond, welche 
wir einer 1V 2 jährigen Behandlung auf der schiefen Ebene unterwarfen. Um jedoch 
die Heilung zu beschleunigen, liess sich die Patientin ohne unser Wissen ausserdem noch 
durch Aufhängung und Dehnung behandeln. Bei den beiden letzten Sitzungen blieben 
denn auch die Folgen nicht aus, es traten schwere Herzstörungen ein, und man sah 
sich gezwungen, die medico-mechanische Behandlung ganz aufzugeben. Dieser Ver¬ 
lauf ist übrigens sehr charakteristisch; denn er beweist, dass die Kranke, welche 
an einer ausgesprochenen Tabes und Mitralinsufficienz litt, die Extension mittels 
schiefer Lagerung 1Va Jahre lang vorzüglich vertrug und sich derartig erholte, dass 
sie nach einem Jahr allein gehen und ihre Besorgungen in der Stadt ausführen 
konnte; es blieb ihr aber nicht die Gefahr einer Herzlähmung erspart, als sie sich 
dazu verleiten liess, mittels Aufhängung und Dehnung ihre Besserung beschleunigen 
zu wollen. Wir haben absichtlich diesen Fall etwas genauer beleuchtet, da er die 
Vorzüge der Suspension mittels schiefer Lagerung gegenüber den Verfahren von 
Motschukowsky und Gilles de la Tourette beweist. 

(Schluss folgt.) 


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W. Cronheim u. Erich MSUer, Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 25 


III. 

Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings 
mit besonderer Berücksichtigung des organisch gebundenen Phosphors. 

Aus dem thierphysiol. Laboratorium der Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin. 

(Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz.) 

Von 

Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller. 

Einleitung. 

Die Bedeutung des Phosphors für den menschlichen Körper, speziell für den 
sich noch entwickelnden Organismus ist schon seit langer Zeit Gegenstand mannig¬ 
facher Untersuchungen gewesen. Eingehende Versuche haben uns gelehrt, dass 
sowohl die Menge des in der Nahrung vorkommenden Phosphors, als auch die 
chemische Verbindung, in welcher er enthalten, von einschneidender Bedeutung für 
die Ernährung ist. Besonderer Werth wurde den phosphorhaltigen Eiweisskörpern 
zugesprochen. 

F. Röhmann und seiner Schule verdanken wir in der Hauptsache die ein¬ 
gehende Bearbeitung und Erforschung dieser Fragen. In den Jahren 1897 und 1898 
wies Röhmann 7 ) durch Stoffwechselversuche an Hunden nach, dass bei Verfütterung 
von phosphorhaltigen Eiweisskörpern — Kasein, Vitellin — nicht nur die Phosphor¬ 
retention, sondern auch der Eiweissansatz erheblich grösser ist, als bei der Dar¬ 
reichung von phosphorfreiem Eiweiss — Myosin, Edestin — unter Hinzufügung von 
Phosphaten in solcher Menge, dass der Phosphorgehalt des Futters dem in der ersten 
Gruppe in organischer Bindung enthaltenen Phosphor gleichkommt. Im Körper des 
Hundes findet nach Röhmann nur in geringem Maasse eine Synthese aus phosphor- 
freiem Eiweiss und Phosphaten statt, vielmehr wird der Ersatz und Zuwachs durch 
phosphorhaltiges Nahrungseiweiss in der Hauptsache gedeckt. An diese grund¬ 
legenden Versuche schlossen sich die Arbeiten seiner Schüler Markuse«), Steinitz»), 
Zadik 10 ), Leipziger 11 ), Ehrlich 11 ) und Gottstein 27 ), welche diese Resultate 
bestätigten und erweiterten. Die Ueberlegenheit der phosphorhaltigen Eiweisskörper. 
über die phosphorfreien war somit durch Röhmann und seine Schule sowie durch 
die Arbeit von W. Caspari 14 ) aus unserem Laboratorium nachgewiesen worden. 
Streng genommen beweisen freilich diese sämmtlichen Versuche zwar ein Ueber- 
gewicht im allgemeinen, aber nicht sicher, dass gerade der Phosphorgehalt die Ur¬ 
sache dafür sei. Zeigen doch die Arbeiten von Hausmann 11 ), Blum 18 ), Kutscher 19 ), 
für die Spaltungsprodukte der verschiedenen hier in Betracht kommenden Eiweiss¬ 
körper so erhebliche Differenzen in quantitativer, zum theil auch in qualitativer 
Hinsicht, dass man auch daraus den verschiedenen Nährwerth ableiten könnte. Weiter¬ 
hin fehlten bisher alle Anhaltspunkte zur Beurtheilung der so wichtigen Frage, ob 
auch die phosphorhaltigen Fette eine besondere Bedeutung als Nahrungsmittel be¬ 
sitzen oder ob eine passende Mischung von Fetten und Phosphaten resp. phosphor- 
haltigen Eiweisskörpern das Gleiche leiste. 


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'26 W. Cronheim und Erich Müller 


Besonders aussichtsvoll erschien die Anwendung des Lecithins. Hatte doch 
schon Brücke 1 ! 1875 versucht eine wissenschaftliche Erklärung für die im Volke 
seit langer Zeit vorhandene grosse Werthschätzung des Eidotters zu geben und dabei 
speziell auf den Lecithingehalt desselben hingewiesen. Er schreibt: »Es ist jedoch 
die Möglichkeit vorhanden, dass die Eier wirklich in einer bestimmten Beziehung 
mehr werth sind als das Fleisch, sie enthalten in ihrem Dotter eine beträchtliche 
Menge von Lecithin. Nun wissen wir, dass das Lecithin ein wesentlicher Bestand- 
theil unserer Blutkörperchen und unseres Nervenmarkes ist; wir wissen aber bis 
jetzt nicht, ob wir es in unserem Organismus bilden können oder ob wir es in 
Substanz einführen müssen. Sollte das letztere der Fall sein, dann würde man 
allerdings dem Eidotter einen besonderen Werth zuschreiben müssen, weil wir mit 
ihm eine beträchtliche Menge Lecithin in den Organismus einführen.« Dieser Hin¬ 
weis war anscheinend in Vergessenheit gerathen, erst in den Jahren 1895 und 1896 
zeigten die Gebrüder Danilewsky*) den günstigen Einfluss des Lecithins auf die 
Entwicklung und auf das Wachsthum junger Thiere — Kaulquappen, junge Hunde, 
Hühnchen. Aus demselben Jahre stammt eine Arbeit von Umikoff 4 ) »zur Biologie 
des Phosphors«. Umikoff stellte vier parallele Versuchsreihen mit weissen Ratten 
und Tauben an, wobei er ausser Kohlehydraten und Fett 1. Eieralbumin, 2. Eier¬ 
albumin + anorganischen Phosphor, 3. Eieralbumin + Lecithinphosphor in Form 
von Gehirn oder Eidotter, 4. echtes Nuklein (aus Thymusdrüsen dargestellt) verfütterte. 
Die Gesammtnahrung war dabei kalorisch gleichwerthig. Bei der Nahrung 1 und 2 
starben die Thiere, bei No. 4 blieben dieselben am Leben, nahmen aber nicht an 
Gewicht zu. Wachsthum und Zunahme erfolgte nur bei Nahrung 3, d. h. bei 
Darreichung von Lecithin als Phosphorträger. Im Jahre 1895 hatte gleichfalls ein 
Schüler von Danilewsky, Selensky*) die günstige Einwirkung des Lecithins auf 
die Hämatopoese bei Thieren nachgewiesen. Serono*) in Turin wiederholte 1897 
die Versuche von Danilewsky bei Hunden und gebrauchte zum ersten Male das 
Lecithin in subkutaner Injektion beim Menschen. Er hatte dabei gleichfalls günstige 
Resultate zu verzeichnen. 

Weitere Veröffentlichungen von Danilewsky aus dem Jahre 1899 bestätigten 
und erweiterten die früheren Beobachtungen. Die günstige Wirkung des Lecithins 
bestand bei diesen Versuchen hauptsächlich in der Vermehrung der rothen Blut¬ 
körperchen, in der Erhöhung des Hämoglobingehaltes, Steigerung des Appetites, 
Zunahme des Körpergewichtes und des Wachsthums und schliesslich in einer Er¬ 
höhung des Widerstandes des Körpers — so z. B. einer Verringerung der Körper¬ 
gewichtsabnahme im Hungerznstande. Bei niederen Lebewesen — Mikroben (Schimmel¬ 
pilze) und kleine Krustaceen — konnte er direkt eine erhöhte Vermehrung bei 
Lecithinzusatz zur Kultur nachweisen. Mehr zufällige Beobachtungen bestätigten 
ihm die günstigen Resultate seiner Thierversuche auch für den Menschen und 
machten ihm die therapeutische Anwendung des Lecithins bei gewissen krankhaften 
Zuständen — allgemeine Ernährungsstörungen, nervöse Schwäche, Kachexie — 
empfehlens werth. 

E. Wildiers 18 ) hat die Versuche von Danilewsky mit Kaulquappen wieder¬ 
holt, — bei Säugethieren berichtet er nur über einen unvollendeten Versuch — aber 
die Befunde von Danilewsky nicht bestätigt Seine scharfe Kritik der sämmtlichen 
Versuche von Danilewsky scheint uns deswegen nicht berechtigt. Die weiteren 

*) Citiert bei Gilbert et Fournier22). 


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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


27 


Publikationen stammen, soweit wir die Litteratur übersehen können, fast ausschliess¬ 
lich aus Frankreich, wo auch neuerdings .Lecithinpräparate zu therapeutischen 
Zwecken hergestellt werden. Diese Publikationen bringen sowohl Stoffwechsel¬ 
versuche an Thieren, wie auch klinische Beobachtungen an Menschen. 

In zwei Arbeiten berichten Desgrez und Aly-Zaky 20 ) über Versuche an 
Meerschweinchen und Hunden. Sie fanden stets zu Gunsten des Lecithins eine 
Gewichtsdifferenz, welche noch bis zu 4*/ 2 Monaten nach Aufhören der Lecithin¬ 
fütterung bemerkbar war. Im Urin schieden die Versuchsthiere gegenüber den 
Kontrollthieren weniger P 2 O s , dagegen mehr N aus. Ein grösserer Theil des ge- 
sammten im Urin ausgeschiedenen N findet sich bei den Lecithinthieren in Form von 
Harnstoff, woraus die Autoren auf eine grössere Vollkommenheit des Abbaues der 
Eiweisskörper schliessen. Klinische Beobachtungen, meist jedoch auch nach vorher¬ 
gehenden Thierversuchen, theilen mit Gilbert und Fournier 22 ), M. G. Carrifcre 23 ), 
Lancereaux«), Lancereaux und Paulesco 18 ), sowie Claude und Aly-Zaky 21 ). 
Die Versuche wurden bei Krankheitsfällen verschiedener Art angestellt — Tuber¬ 
kulose, Diabetes mellitus, Neurasthenie — und hatten im allgemeinen den Erfolg, 
dass der Kräftezustand der Kranken sich mit dem Appetit besserte; eine entscheidende 
Beeinflussung der primären Erkrankung war nicht zu konstatieren. Carriöre wandte 
das Lecithin bei normalen Kindern an. Es zeigte sich bald eine beträchtliche Ge¬ 
wichtsvermehrung, welche mit zunehmender Gewöhnung des Körpers an das Lecithin 
weniger deutlich wurde. Auch die Zusammensetzung des Blutes wurde nach der 
Richtung günstig beeinflusst, dass die rothen Blutkörperchen an Zahl vermehrt 
waren und ebenso auch die Hämatoblasten, dabei war der Hämoglobingehalt ge¬ 
steigert. 

Aus jüngster Zeit endlich liegt eine Arbeit von Iljin 2 «) (wir verdanken 
die Zahlen der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Slowtzoff, welcher uns die 
wichtigen Theile der Arbeit, ebenso wie diejenigen der Arbeit von Umikoff 4 ) ins 
Deutsche übertrug) über den »günstigen« Einfluss organischer Phosphorverbindungen 
— Lecithin — auf die Anlagerung von Eiweissstoffen im menschlichen Körper vor. 
In derselben berichtet er über einen Stoffwechselversuch am erwachsenen Menschen. 
Der Versuchsmensch erhielt innerhalb von 14 aufeinanderfolgenden Tagen und zwar 
in 5 Perioden verschiedene Nahrung. In der ersten — 3 Tage — erhielt er ge¬ 
wöhnliche Kost, in der zweiten — 2 Tage — eiweissarme, in der dritten — 4 Tage — 
ei weissreiche, in der vierten — 4 Tage — eiweissreiche + phosphorreiche — Gehirn 
resp. am vierten Tage Eidotter —, endlich am letzten wieder die gewöhnliche Kost. 
Leider ist die Eiweisseinfuhr an den einzelnen Tagen derselben Periode so ver¬ 
schieden und der Uebergang von eiweissreicher zu eiweissarmer Kost und umgekehrt 
so schroff und unvermittelt, dass wir es nicht für zulässig erachten irgend welche 
Folgerungen aus diesen Versuchen zu ziehen. 

Nach dieser kurzen Darlegung der bisherigen Veröffentlichungen, welche sowohl 
für den Thierversuch als auch die therapeutische Anwendung beim Menschen über¬ 
einstimmend eine günstige Einwirkung des Lecithins berichten, kommen wir zu 
unseren eigenen Versuchen. Wir haben dieselben bereits Ende 1899*) begonnen, also 
viel früher als die meisten der erwähnten Untersuchungen. Sie sollten, wie schon 
erwähnt, die bisher noch nicht exakt in Angriff genommene Frage behandeln, ob die 

*) Vergleiche vorläufige Mittheilung vom September 1000 sub No. 19 unseres Litteratur- 
verzeichnisscs. 


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28 


YV. Cronheim und Erich Müller 


beiden Hauptformen der organischen Bindung des Phosphors, die an Eiweiss und die 
an Fett, sich in Bezug auf die Assimilation des Phosphors einerseits, des Eiweisses 
andererseits unterscheiden. Da wir an Kindern arbeiteten, konnten wir uns nicht 
entschliessen andere Präparate als solche, welche auch sonst bei der Kinderernährung 
gebraucht werden, zu verwenden. Wir haben desshalb den phosphorhaltigen Eiweiss¬ 
körper, Kasein, in Form von Magermilch, das Lecithin — das phosphorhaltige 
Fett — in Form von Eidotter verabreicht. Dass der letztere auch eine phosphor¬ 
haltige Eiweissverbindung, das Vitellin, enthält, konnte insofern nicht als störend 
betrachtet werden, als Kasein und Vitellin in ihrer Konstitution wohl einander 
sehr nahe kommen. Wir sagten uns ferner, dass, wenn die Versuche eine bessere 
Verwerthung der lecithinhaltigen Nahrung ergeben würden, die bisher qualitativ 
gefundene Einwirkung des Lecithins auf wachsende Thiere damit quantitativ für 
den wachsenden menschlichen Organismus festgestellt wäre. Es lag für uns kein 
Grund vor, als Vergleich anorganische Phosphate heranzuziehen, was Keller 28 ) in 
seiner Kritik unserer vorläufigen Mittheilung 1 ®) rügt. Nach den wiederholten Unter¬ 
suchungen von Rohm an n und seiner Schule ist die bessere Verwerthung der phosphor¬ 
haltigen Eiweissstoffe gegenüber den phosphorfreien unter Zugabe mineralischer Phos¬ 
phate wohl als thatsächlich anzusehen, wenn auch die Mittheilung von Keller, 
nach welcher ihm ein Zusatz von Phosphaten zur Frauenmilch mit die günstigsten 
Resultate für den N- und P-Ansatz ergab, interessant genug erscheint. Weiter 
hofften wir durch diese Versuche vielleicht einen Beitrag zu der bisher noch un¬ 
gelösten Frage, welchen Bestandtheilen — in chemischer Beziehung — die Frauen¬ 
milch ihre Ueberlegenheit in der Säuglingsernährung verdankt, liefern zu können. 
Haben doch neuere Forschungen — Heubner 37 ), Bendix 30 ), Schlossmann 2 «) 
u. a. — ergeben, dass das Kasein der Kuhmilch annähernd gleich gut vom Säug¬ 
ling ausgenützt wird, wie dasjenige der Frauenmilch. Mit diesen Befunden stimmt 
auch gut überein, dass Kobrak« 7 ) eine grosse Aehnlichkeit in der chemischen 
Konstitution beider Kase'ine gefunden hat. Scheinen wir so den Verschiedenheiten, 
welche früher den Eiweisskörper beider Milcharten in Bezug auf Konstitution und 
Ausnützung zugesprochen wurden, nicht mehr in dem Maasse eine Bedeutung zu¬ 
schreiben zu dürfen, so gewinnen jetzt um so grössere Wichtigkeit die anderen 
phosphorhaltigen Bestandtheile der Frauenmilch, das Nukleon — Siegfried 2 ), das 
Lecithin — Stoklasa*) und das Opalisin — Wröblewsky*). Nach Siegfried 
und seinen Schülern enthält Frauenmilch mehr als doppelt so viel Nukleon, wie 
Kuhmilch, nach Stoklasa 0,17—0,18% Lecithin gegen 0,09 — 0,11 in der Kuh¬ 
milch. Diese Stoffe sind besonders leicht verdaulich, während das an und für sich 
ja auch phosphorhaltige Kasein bei der Verdauung einen Theil des Phosphors im 
Pseudonuklein unlöslich zurücklässt. Dazu haben andere Untersuchungen — C am er er 
und Söldner 93 ), Backhaus und Cronheim 00 ) die wichtige Thatsache ergeben, 
dass bis 10 % der Trockensubstanz der Frauenmilch aus bisher nicht näher ge¬ 
kannten Stoffen besteht. 


Beschreibung der Versuche. 

Die Kinder — an Zahl sechs —, welche wir zu unseren Versuchen benutzten, 
standen mit einer Ausnahme — Kind 1, welches zweieinhalb Jahre alt war — im 
ersten Lebensjahre, 4.—11. Monat. Sie lagen theil weise — Kind II, III und V — 
in den Kinderabtheilungen hiesiger Krankenhäuser, zum Theil — Kind I, IV und 
VI — wurden sie uns aus der mütterlichen Pflege heraus von den Eltern, welche 


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Versuche über den Stoff" und Kraftwechsel des Säuglings. 


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um die Versuche wussten und sich mit denselben einverstanden erklärt hatten, über¬ 
geben und in Privatpflege von speziell dazu angestellten Wärterinnen und uns 
selbst dauernd — auch Nachts — beobachtet und wir dürfen wohl sagen, dass die 
Beobachtung eine sehr exakte war und die Genauigkeit bei allen technischen 
Maassnahmen die weitgehendste war. Die Versuchskinder waren gesund, — be¬ 
sonders diejenigen, welche wir direkt aus der mütterlichen Obhut bekamen, 
während die Krankenhauskinder aus bekannten Gründen doch wohl nur als 
annähernd normal zu bezeichnen sind — mit Ausnahme des Kindes III, welches 
während des Versuches an Dyspepsie mit dünnen Stühlen erkrankte, weshalb das 
Resultat dieses Versuches nicht eindeutig erscheint. Die Dauer der einzelnen Ver¬ 
suche schwankte zwischen drei und fünf Tagen, betrug jedoch meistens vier Tage. 
Jedem einzelnen Versuche gingen einige Tage voraus, während welcher das Kind 
die Versuchsnahrung erhielt, aber noch nicht in dem gleich zu erwähnenden Apparate 
lag. Das Kind sollte so einerseits an die Nahrung gewöhnt werden, andererseits 
sollte die Bekömmlichkeit der Nahrung geprüft werden. In Versuch V und VI 
wurde das Kind schon in der Vorperiode stundenweise in den Apparat gelegt, um 
es an die neue Lage zu gewöhnen, da in Versuch IV die grosse Unruhe des Kindes 
das Resultat getrübt hatte. Während des Versuches lagen die Kinder in dem von 
Bend ix und Finkeisteinl 5 ) angegebenen Apparate, welcher sich auch bei uns gut 
bewährte und eine genaue, quantitative Trennung und Aufsammlung der Excrete 
ermöglichte. Nur das zweieinhalbjährige Kind des Versuches I bewegte sich frei 
im Zimmer. Hier konnte jedoch der Urin und Koth bequem getrennt und ohne Ver¬ 
luste aufgefangen werden, da das sehr reinliche Kind seit längerer Zeit seine Be¬ 
dürfnisse zu rechter Zeit anzumelden gewöhnt war. Bei der ständigen Beobachtung 
ist es uns thatsächlich geglückt, ohne jeden Verlust zu arbeiten. Die Kinder 
wurden, je nachdem es die vorhandenen Verhältnisse gestatteten, entweder nur am 
Beginne und am Ende jedes Versuches oder täglich gewogen. Die Wägungen fanden 
stets in nüchternem Zustande und zur gleichen Tageszeit statt und wurden von uns 
persönlich unter Beobachtung aller Vorsichtsmassregeln, um Urin- oder Kothverluste 
zu vermeiden, ausgeführt. Die Abgrenzung des Kothes geschah nach dem Vorgänge 
von Bend ix durch Chokolade. Die dunkle Farbe dieses Kothes gestattete fast 
immer — besonders in Verbindung mit der beim Betupfen mit Salzsäure auf¬ 
tretenden Rothfärbung — eine deutliche Trennung von dem helleren Mehl- resp. 
Milchkothe. Diese Abgrenzungsmahlzeit wurde immer am Vorabend des ersten Ver¬ 
suchstages gereicht, sodass der nach der ersten Versuchsmahlzeit — 7—8 Uhr 
morgens — entleerte erste Urin bereits als zu dieser gehörig angesehen werden 
konnte. Die Gefässe, in welchen der Urin resp. der Koth gesammelt wurde, wurden 
mit je 5—10 cm* einer 1% Lösung von Thymol + Salzsäure in Alkohol zur 
Konservierung beschickt, dabei wurde die gesammte Innenfläche der Kothtöpfe durch 
vorsichtige Drehbewegungen mit einer dünnen Schicht dieser Lösung benetzt Für 
die W T ahl der Lösung bestimmend war, dass nach den Erfahrungen von Tan gl 4 <) sich 
dieselbe im Vakuum bei Zimmertemperatur vollkommen verflüchtigt und somit für 
die beabsichtigten kalorimetrischen Bestimmungen nicht störend wirkt. Die durch 
die Salzsäure, wie Tan gl gefunden hat, bewirkten Umsetzungen kommen nur in 
der Wärme und bei grösserem Ueberschuss von Salzsäure in Betracht; beides wurde 
hier vermieden. Die Kothtöpfe wurden nach der jedesmaligen Entleerung gewechselt, 
während in den Urinflaschen die 24 ständigen Mengen gesammelt wurden. Bei dem 
täglichen Wechsel der Urinflaschen wurde das Urinal mit heissem Wasser aus- 


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W. Cronheim und Erich Müller 


gespült, im Anschlüsse daran mit der Thymolsalzsäurelösung desinficiert, das ge¬ 
messene Spülwasser dem Urin beigefügt und bei der Messung der Urinmengen 
berücksichtigt. Die Exkrete wurden Sommer und Winter auf Eis resp. Schnee 
aufbewahrt, die Untersuchungen selbst wurden möglichst beschleunigt. 

Die Ernährungsweise der Kinder war die folgende: 

Die Nahrung war ein Kindermehl und bestand aus einem Gemisch von Mager¬ 
milchpulver, Hafermehl — welches zum Theil schon diastasiert war, zum Theil bei der 
Herstellung der trinkfertigen Nahrung vermittelst Diastase (Merck) diastasiert wurde 

— und Glykose resp. Rohrzucker. Das für unsere Zwecke nothwendige Lecithin 
wurde in Form von trockenem Eidotter zugeführt, im Kontrollversuch wurde der 
N- und P-Gehalt des Eidotters durch eine Erhöhung des Gehaltes an Magermilch 
ersetzt. Der kürzeren Ausdrucksweise wegen sollen in folgendem die Versuche 
mit Eidotternahrung als A-Versuche, diejenigen ohne Eidotter als B-Versuche be¬ 
zeichnet werden. Es besteht dann jeder Versuch aus einem A- und einem B- oder 
Kontrollversuch. Unser Bestreben war, den N- und P-Gehalt beider Nahrungen 
möglichst gleich zü gestalten. Die kalorische Gleichwerthigkeit der Nahrungen wurde 
durch einen Butter- resp. Zuckerzusatz erreicht. Die Nahrung wurde von uns 
selbst jeden Tag gekocht und in trinkfertigen, gleichen Portionen — inklusive aller 
Zusätze — in Soxhletflaschen 15—20 Minuten lang im strömenden Dampf sterilisiert, 
schnell abgekühlt und auf Eis bis zur Verabreichung aufbewahrt. Um einen 
möglichst quantitativen Verbrauch der Nahrungsmengen zu erreichen, wurde jedes¬ 
mal nach dem Trinken die Flasche mit einer abgemessenen Menge abgekochten 
Wassers (10 cm») nachgespült und dem Kinde nochmals gereicht. In nicht ge¬ 
trunkenen Mengen wurde die Trockensubstanz quantitativ bestimmt und Erbrochenes 

— es handelte sich immer nur um wenige cm 3 — wurde möglichst genau abge¬ 
schätzt, beides wurde bei Berechnung der Nahrungsaufnahme berücksichtigt. Bei 
der Festsetzung der täglichen Nahrungsmenge nahmen wir als Nahrungsbedarf des 
Kindes 100 Kalorieen pro Tag und Kilo an, bei einigen Versuchen sind wir den 
Anschauungen Heubner’s folgend darüber hinausgegangen und haben bis zu 
128 Kalorieen gegeben. Eine Ausnahme macht das zweieinhalbjährige Kind, welches 
nicht mehr als 70 Kalorieen aufnahm. Die tägliche Nahrungsmenge wurde stets in 
sechs Mahlzeiten und in dreistündigen Pausen verabreicht. 

Ver sachsmethoden. 

Die zur Analyse von Nahrung, Koth und Urin ausgeführten Bestimmungen 
wurden nach bewährten Methoden angestellt, die angegebenen Werthe sind das 
Mittel von mindestens zwei gut übereinstimmenden Analysen. Der N wurde nach 
Kjeldahl — bei Koth und Nahrung unter Beigabe von metallischem Quecksilber als 
Kontaktsubstanz nach Wilfarth- Argutinsky — bestimmt, der P nach der sehr 
empfehlenswerthen Methode von Neumann 42 ). Von der Genauigkeit derselben 
haben wir uns durch eigene Kontrollanalysen überzeugt. 

a) Uebliche gewichtsanalytische Bestimmungsmethode mit molybdänsaurem 
Ammon. 

b) Bestimmung nach Neu mann. 

1. in Na, HP0 4 

a 0,0544 g | b —0,0547 g 


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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 

2. in unserer Nahrung 
(mit Soda und Salpeter verpufft) 

a 1,21 o/o | b -1,23 o/ 0 

3. im Urin 

beide Mal verbrannt nach Neumann. 

a) gewichtsanalytisch, wie üblich i b) titrimetrisch nach Neumann 
0,0189 g , 0,0191 g 

Im Koth wurde der organische Phosphor nach der neuen Methode von 
Knöpfelmacher 1 «) — Behandlung nach vorhergegangener Entfettung mit 20% Salz¬ 
säurelösung und Zusatz von Tanninlösung — vom mineralischen getrennt. Die ohne 
bisherige nähere Begründung von Schlossmann 28 ) geäusserten Bedenken gegen die 
bisherigen Bestimmungen des organischen Phosphors können wir natürlich nicht auf 
ihre Tragweite prüfen. Sollten aber auch unsere Werthe durch diese Zweifel betroffen 
werden, so bleiben sie doch für alle Fälle untereinander vergleichbar. Die Fett¬ 
bestimmungen wurden nach Soxhlet in der getrockneten Substanz ausgeführt — 
mit der in unserem Laboratorium üblichen Modifikation die einmal extrahierte Sub¬ 
stanz nach einer Vorbehandlung mit Salzsäurealkohol noch einmal zur Bestimmung 
des Seifenfettes zu extrahieren. Vielfache Versuche haben ergeben, dass hierbei die 
Fette fast ebenso vollkommen, wie nach vorhergegangener Verdauung (Dormeyer 35 ) 
extrahiert werden. Die ersten Aetherextrakte dienten auch zur Bestimmung des 
ätherlöslichen Phosphors. 

Die Kohlehydrate in der Nahrung wurden indirekt als Restsubstanz berechnet, 
deshalb findet sich auch in unseren Analysen die direkte Bestimmung der Rohfaser 
nach König 38 ). Dabei sind wir uns der mit dieser’Art der Berechnung unvermeidlich 
verbundenen Fehler bewusst. Die fast immer vollständige Ausnützung der Kohle¬ 
hydrate liess uns diesen Mangel als nicht bedeutungsvoll gegenüber der sehr um¬ 
ständlichen Arbeit, welche die Einzelbestimmung der verschiedenen Kohlehydrate 
unseres Nahrungsgemisches erfordert hätte, erscheinen. Ausserdem kam für uns 
die Kohlehydratbilanz erst in zweiter Linie in Betracht. Zum Nachweis eventuell 
im Koth vorhandener Kohlehydrate wurde dieser im Autoklaven nach Märker 30 ) 
aufgeschlossen und der Zucker nach der Inversion quantitativ nach Allihn be¬ 
stimmt Zur Kritik hierbei gefundener, kleiner Mengen muss man sich gegenwärtig 
halten, dass auch andere Stoffe als Kohlehydrate — wie zum Beispiel Schleim — 
die Fehling’sche Lösung reducieren. Für die Wasserbestimmungen wurde die 
Substanz im Dampftrockenschrank getrocknet, im getrockneten Koth wurde durch 
eine nachträgliche N-Bestimmung nach Kjeldahl ein eventueller N-Verlust be¬ 
stimmt und in Rechnung gesetzt. 

Der Koth der meisten Versuche wurde in einem grossen Vakuumtrockenapparat 
bei einer 60° C nicht übersteigenden Temperatur getrocknet, dabei wurde mit der 
Heizung erst nach Herstellung des Vakuums begonnen, nachdem die Verbindung 
zwischen der Luftpumpe und dem Apparat resp. Kondensator abgestellt war. Eine 
im Apparate befindliche Schale mit Schwefelsäure absorbierte [die bei der Trock¬ 
nung sich verflüchtigenden geringen N-Mengen fast vollständig, wenigstens^ fand sich 
nur einmal das im Apparat und Kondensator sich ansammelnde Kondenswasser 
alkalisch reagierend. Trotzdem wurden jedesmal die Kondenswässer gesammelt, mit 
der Schwefelsäure vereinigt und darin der N bestimmt und berücksichtigt. In den 


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W. Cronheim und Erich Müller 


beiden Versuchen (V und VI), bei welchen wir äusserer Umstände wegen den 
Apparat nicht benutzen konnten, wurde der Eoth auf dem Wasserbade getrocknet, 
wobei durch Zusatz von Salzsäure stets eine saure Reaktion unterhalten wurde. 

In den wie üblich vorgenommenen Aschebestimmungen wurden Kalk und 
Magnesia nach den gewöhnlichen Methoden bestimmt. Hierbei sei erwähnt, dass 
wir auf die Wichtigkeit der Magnesiabestimmungen erst durch die Dissertation von 
Gottstein**) — loc. cit. — aufmerksam wurden. Deshalb fehlen dieselben in 
den Urinen der ersten Versuche, während sie im Koth und in der Nahrung nach¬ 
geholt werden konnten. Die Asche wurde in Salzsäure gelöst, wobei wir uns 
wiederholt überzeugten, dass der geringfügige Rückstand keine Pyrophosphate ent¬ 
hielt. Die Lösung wurde mit Ammoniak übersättigt und wiederum mit Essig¬ 
säure angesäuert. Das hierbei unlöslich zurückbleibende phosphorsaure Eisen wurde 
durch Filtration getrennt, durch oxalsaures Ammon der Kalk abgeschieden und 
in dem wieder ammoniakalisch gemachten Filtrate vermittelst phosphorsauren 
Natriums die Magnesia ermittelt Der Salzgehalt des zur Bereitung der Nahrung 
verwandten Leitungswassers wurde mit Mittelwerthen — nach uns zur Verfügung 
gestellten im Aufträge der städtischen Wasserwerke ausgeführten Analysen — in 
Rechnung gestellt. Diese Mittelwerthe betragen pro Liter 50 mg CaO, 6 mg MgO 
150 mg gesammte Salze, P,0 5 ist nur in Spuren vorhanden. 

Für die kalorimetrischen Bestimmungen in der Berthelot’sehen Bombe 
wurden Nahrung resp. Koth in Pastillen gepresst, der Urin nach Kellner»*) auf 
Cellulosepflöckchen, deren Verbrennungswerth wir bestimmten, bei Zimmertemperatur 
im Vakuum eingedunstet Durch Befeuchten des den Urin enthaltenden Gefässes 
mit destilliertem Wasser und durch Auswischen mit den Pflöckchen vermochten wir 
die den Wandungen anhaftenden letzten Reste des Urins quantitativ auf die Pflöck¬ 
chen zu übertragen. Das Eindunsten des Urins wurde in einem mit der Pflüger- 
schen Blutgaspumpe verbundenen Exsiccator bei ca. 5—10 mm Quecksilberdruck 
vorgenommen, es gelang uns so selbst relativ grössere Urinmengen — 20—30 cm» 
— auch im Sommer ohne Zersetzung einzudampfen, was daraus hervorging, dass die 
im Exsiccator befindliche Schale mit Schwefelsäure entweder gar keine oder nur 
Spuren von N-Verbindungen aufgenommen hatte. Bei der Berechnung der kalori¬ 
metrischen Bestimmungen haben wir die Verbrennungswärme des zur Zündung 
dienenden Eisendrahtes, sowie die der dabei entstehenden Salpetersäure in Abrech¬ 
nung gebracht. Letztere haben wir allerdings nur durch die Bestimmung der 
Säuremenge im Spülwasser der Bombe festgestellt, wobei die eventuell gebildete 
Schwefelsäure, sowie Phosphorsäure auch als Salpetersäure gerechnet wurde. Durch 
wiederholte direkte Bestimmung dieser Salpetersäure nach Jodlbaur haben wir 
uns jedoch überzeugt, dass dieser Fehler vernachlässigt werden darf. Bevor wir 
zur Besprechung der Resultate unserer Versuche übergehen, wollen wir kurz zur 
besseren Orientierung den Verlauf und die Besonderheiten jedes einzelnen Versuches 
beschreiben. 

Versuchsergebnisse. 

Versuch I (Januar bis Februar 1900). Kind I, in Privatpflege, 2Vs Jahre alt, ist 
bei guter Gesundheit, nur für sein Alter etwas zart entwickelt, geringes Gewicht. Das 
Kind ist, wie oben erwähnt, absolut reinlich und meldet seine Bedürfnisse rechtzeitig an. 
Das bereits an gemischte Kost gewöhnte Kind nimmt die in Form von dickem Brei ge¬ 
reichte Nahrung nicht immer gern, durch einen erhöhten Zuckerzusatz decken wir das 
Kalorieenbedürfniss des Kindes. Der Versuch verläuft sonst ohne Störung, Dauer jeder 


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Original fro-m 

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Versuche Ueber den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 33 


der 2 Versuchsperioden 5 Tage. Die N-Bestimmung wurde hier ausnahmsweise im frischen, 
gut gemischten Kothe ausgeführt. 

Die Nahrung verabreichten wir hier in nicht ganz gleichmässigen Portionen, vielmehr 
wurde von einem abgewogenen, grösseren Vorrathe des Nahrungsgemisches und von Rohr¬ 
zucker eine geeignet erscheinende Menge zu jeder Mahlzeit genommen und mit dem ent¬ 
sprechenden Bruchtheile der für den Tag bestimmten Butter zu Brei gekocht. Auf diese 
Weise nahm das Kind in den fünf Tagen der A-Periode (29. Januar bis 3. Februar 1900) 
zu sich: 

617 g Nahrungsgemisch in 5 1 Wasser. 

162,6 g Rohrzucker, 

35 g Butter. 

Die Analysen ergaben im Nahrungsgemisch 94,0 % Trockensubstanz, 2,46 % N, 
8,29 °/ 0 Fett, 0,64 °/o Rohfaser, 67,0% verdauliche Kohlehydrate, 2,67% Asche, 
davon 0,41 % CaO und 0,158% MgO, 1,23 % P 2 0 5 = 0,537 % P (davon ätherlöslich 
0,041 %). Die Butter wurde in allen Versuchen zu 85 % Fettgehalt gerechnet, ihr 
N stets vernachlässigt. Der gut ahgegrenzte Kot der fünf Tage wog frisch 307,0 g — 
incl. Waschwasser (destilliertes). Er enthielt 0,80 % N und lieferte nach dem Trocknen 
38.0 g lufttrockene Substanz mit 5,71% H a O,. 6,46% N, 14,31% Fett, Rohfaser 
10,39%*), andere Kohlehydrate 0 Asche 15,72% (davon 5,32% CaO, 1,11% MgO), 
und 7,27 % Pj0 5 = 3,18 % P. AetherlÖslicher P nicht vorhanden, organischer P = 
unwägbare Spuren. Aus diesen Daten berechnen wir als absolute Werthe des Umsatzes: 


I Trocken-1 ^ 

' Substanz ; 

Fett 

Rohfaser Asche 

1 

Kohle- | 
hydrate 


Einnahme. 

Ausgabe (Koth) | 

773,2 

33,3 

15,193 

2,456 

80,949 

5 438 | 

3,949 

3,949 

1 17,240 

1 0,974 

576,0 

0 

j 7,596 

2,764 

Resorbiert . . 1 

Resorbiert in % 1 , 

737,9 

! 12,737 

75,511 

- • 

11,266 

, 576,0 

| 4,832 (2,107 P) 

1 

( 

der Einnahme J 

! 

96,37 

1 83,83 

I 

93,28 


65,35 

1 

1 100 

63,61 


Die Untersuchung des Harns ergab: 


Datum 

Menge 

cm 3 

1 

N in g | 

P 2 O 5 in g 

29. Januar bis 30. Januar 

1 510 

f 

j 2,526 

0,563 

30. » »31. » 

890 

; 1,896 

0,465 

31. » » 1 . Februar 

940 

1,750 

0,411 

1 . Februar » 2 . » 

1225 

1,784 

0,454 

2. » » 3. » 

1 938 

1,612 

0,351 

Summa 

4503 

j 9,568 

2,244 (P = 0,9797) 


Die Differenz der resorbierten und der im Harn ausgeschiedenen Mengen ergiebt 
einen Ansatz von: 

3,169 g N, 2,588 g P 2 0 5 (1,130 g P), 
in % des Resorbierten: 

24,88% N, 53,56 % P 2 0 5 . 


*) Dabei haben wir für alle Versuche angenommen, dass die Rohfaser im Kothe vollständig 
wiedererscheint 

Zeitgehr. f. diät. u. phyaik. Therapie Bd. VT. Heft 1. 3 


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34 W. Cronheim und Ericl» Müller 

Für den Mineralstoffwechsel ergeben sich die folgenden Werthe: 



Durch Nah- ' 
rung+Wasser 
eingeführt 1 

im Koth 
auBgeführt 1 

Verdaut 

FT 

Dasselbe 
in o/ 0 

Asche 

17,240 

5,974 

11,266 

65,35 

CaO 

2,78 

2,021 

0,759 

27,31 

MgO 

1,005 

0,421 j 

0,584 

58,11 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

28. Januar 10 860 g 

29. > 10 846 g) 

30. > 10 680 gl 

8 J- ,* 12^-2 g > Mittel der Vcrsuchsdaner 10 673 g. 

1. Februar 10 4*2 g[ * 

2. » 10 432 g\ 

3. » 10 600 g 1 

6. » 10 860 g 

Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Kinnahme: 617 g Nahrung k 4,400 Kal. = 2714,80 Kal. 

36 g Butter*) ä 8,085 » = 282,98 » 

162,5 g Rohrzucker k 3,960 » = 643,50 » 

Summa 3641,28 Kal. = 68,23 pro Kilo u. Tag. 
Ausgabe im Kothe: 38 g k 4,830 K al. = 183,54 » 

also resorbiert = 3457,74 Kal. = 64,79 pro Kilo u. Tilg. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 94,96%. 

In den fünf Tagen der B-Periode (12. —17. Februar er.) nahm das Kind zu sich: 

555,75 g Nahrungsgemisch mit 5 L. H 2 0, 

202,14 g Rohrzucker, 

45,90 g Butter. 

Im Nahrungsgemisch ergab die Analyse: 93,48 % Trockensubstanz, 2,41% N, 
4,465% Fett, 0,52% Rohfaser, 70,51% verdauliche Kohlehvdrate, 2,92 % Asche, davon 
0,49% CaO und 0,18% MgO, 1,26% P 2 0 5 = 0,55 % P. 

Der gut abgegrenzte Koth der fünf Tage wog inklusive Waschwasser 414 g und ent¬ 
hielt 0,58% N. 

Nach dem Trocknen lieferte er 23,5 g lufttrockene Substanz, darin 2,68 % H 2 0, 
10,22 % N, 9,68 % Fett, 12,30 % Rohfaser, andere Kohlehydrate 0, 17,45% Asche, 
davon 4,69 % CaO und 1,23 % MgO, 7,62 % P 2 0 5 = 3,33 % P, organischer P unwäg¬ 
bare Spuren. 

Daraus berechnen sich als absolute Werthe des Umsatzes: 



Trocken¬ 

substanz 

N 

Fett 

i 

Rohfaser! 

_ l 

Asche 

Kohle¬ 

hydrate 

P a 0 5 

Einnahme. . . 

761,90 

13,393 

61,829 

2,890 I 

16,978 

604,64 | 

7,002 

Ausgabe (Koth) 

22,87 

2,401 

2,275 

2,890 

4,099 

1 

1,791 

Resorbiert . . 

1 739,03 : 

10,992 

59,554 


12,879 j 

604,64 1 

f>,21l 12,275 P) 

Resorbiert in % 1 
der Einnahme f 


82,07 

96,32 

i 

- 

75,86 

ioo j 

74,42 


*) Nach Kubner (Zeitschrift für Biologie 1902. Bd. 42. S. 288): 

Butter: 1 g Trockensubstanz = 9,210 Kalorieen. 

» (frisch) 1 g (87,73% Trockensubstanz) — 8,085 » 


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Versuche über den Stoff- und KraftWechsel des Säuglings. 


35 


Im Urin sind enthalten: 


Datum 

1 Menge 1 

N 

i 

p a o 5 


i cm» | 



12.—13. Februar 

948 ' 

1,801 

0,513 

13.—14. » 

ii85 ; 

1,768 

0,621 

14—15. 

980 

2,423 

0,658 

15.—16. » 

1076 

2,731 

0,606 

16.—17. » 

1195 

2,528 

0,670 

Summa 

5384 | 

11,251 

3,068 (P = 1,339) 


Aus der Differenz der resorbierten und im Harn ausgeschiedenen Mengen berechnet 
sich ein Ansatz resp. Abgabe von: 

—0,259 g N, 2,143 g P 2 0 Ä (0,936 g P), 
in °/o des Resorbierten: 

-2,36 o/o N, 41,13 o/o p a 0 5 . 

Die Werthe für den Mineralstoffwechsel ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle 



Durch Nah¬ 
rung + Wasser 
! eingeführt 

Im Koth 
ausgeführt ! 

Verdaut 

Dasselbe 
in o/ 0 

Asche 

1 16,978 

4,099 

12,879 

75,86 

CaO 

2,973 

1,102 

1,871 

62,94 

MgO 

1,068 

0,290 

0,768 

72,59 


Die 


Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 
11. Februar 11 455 g 


12. :» 11 368 g 

13. » 10 900 g 

14. )> 10 770 g 

15 » 10 741 g 

16. » 10 990 gl 

17. » 10 565 g] 

18. » 10 955 g 

Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt: 
Hinnahme: 555,75 g Nahrung ä 4,220 Kal. = 2345,3 

45,90 g Butter ä 8,085 » = 371,1 

202,14 g Rohrzucker ä 3,960 » = 800,48 


Mittel der Versuchsdauer 10 962 g. 


Kal. 


Ausgabe im Kotlie: 


Summa 3516,88 Kal. = 64,16 p. Kilo u. Tag. 
23,5 g h 4,90 Kal. = 115,15 » 


also resorbiert 3401,73 Kal. = 62,06 p. Kilo u. Tag. 

Von dem Brcnnwerthe der Nahrung sind dem Körper zu gute gekommen 96,73 °/o. 

Versuch U (Mai—Juni 1900). Das Resultat dieses Versuches haben wir bereits in 

unserer vorläufigen Mittheilung 19 ) veröffentlicht 

Kind II, 11 Monate alt, liegt im Krankenhause, wo es einer äusseren Erkrankung 
wegen — Ohrenleiden — aufgenommen war. Zum Beginn des Versuches ist es gesund. 
Dauer des A-Versuches 4 Tage, des B-Versuches äusserer Umstände wegen nur 3 Tage. 
Während des letzteren wurde als letzte Versuchsmahlzeit Kakao — 7 g — gereicht, dieser 
wurde von uns analysiert und bei Aufstellung der Bilanz in Rechnung gebracht. In unserer 
Mittheilung hatten wir den Phosphorgehalt des Kakaos nicht berücksichtigt, wir haben jetzt 
'liesen, im übrigen geringen, Fehler verbessert, wodurch sich die Zahlen für die Phos- 
phorbilanz etwas verschieben. Der Versuch verläuft ohne Störung, nur im Versuch A 
erbricht das Kind einmal, die Menge wird schätzungsweise mit 2,5 g in Rechnung gestellt. 

Die Nahrung wird gut vertragen. In den vier Tagen der A-Periode (20.—24. Mai 1900) 


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36 W. Cronbeim und Erich Möller 


erhielt das Kind 600 — 2,6 g Erbrochenes = 597,5 g Nahrungsgemisch mit 4,4^1 H *0. 
Die Nahrung war die gleiche wie in Versuch IA. 

Der Koth wog lufttrocken 52,5g, er enthielt: 6,04 °/ 0 H 3 0, 6,28 % N,t6,60 °/o Fett, 
9,33 °/o Rohfaser, 3,45 % andere Kohlehydrate, 14,71 °/ 0 Asche, darin 3,93 °/ 0 .CaO und 
1,44 MgO, 5,80 °/ 0 Pj0 5 = 2,63 °/ 0 P, ätherlöslicher P = 0, organischer P = 0,32 °/ 0 . 
Danach sind die absoluten Werthe des Umsatzes: 



Trocken¬ 

substanz 

N 

Fett 

Rohfaser 

Asche 

Kohle¬ 

hydrate 

p 2 0 3 

Einnahme. . . 

561,7 

14,699 

49,533 

4,900 

16,613 

400,445 

7,349 

Ausgabe (Koth) 

49,3 

3,298 

3,411 

4,900 

7,723 

1,811 | 

3,044 

Resorbiert . . 

512,4 

11,401 

46,122 

— 

8,890 

398,634 

1 4,305 (1,88 ]*) 

Resorbiert in o/ 0 1 
der Einnahme 1 

91,22 

77^6 

1 

93,11 

1 

I 

53,51 

99,55 

68,58 


Die Untersuchung des Harns ergab: 


Datum 

Menge 

N 

P 2 O ä 


cm* 



20 .—21. Mai 

1 400 

2,093 

0,7105 

21 .—22. )i 

725 

2,091 

0,7196 

22.-23. d 

625 

2,0865 

0,G903 

23.-24. »__ 

783 

2,370 

0,7450 

Summa 

2533 

8,6405 j 

2.865 (P = 1,251) 


Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt 
einen Ansatz von: 

2,7605 g N, 1,440 g P 2 0 5 (0,629 g P), 
in °/ 0 des Resorbierten: 

24,21 % N, 33,44<>/o P*0 5 . 

Die Werthe des Mineralstoffwechsels sind: 



Durch Nah¬ 
rung -(-Wasser 
eingeführt 

lm Koth 
ausgeführt 

Verdaut 

| 

Dasselbe 

in o/o 

Asche 

16,613 

8 

l 

8,890 

53,51 

CaO 

2,67 

2,065 , 

0,605 

22,66 

MgO 

0,97 

0,756 

0,214 

22.06 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

20. Mai 6370 gl , . . 4 „ A fl ., A 

24. * 6510 gl das Mlttel betrftgt 6440 R- 
Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt: 

Einnahme: 597,5 g Nahrung ä 4,40 Kal. = 2629 Kal. = 102 pro Kilo und Tag. 

Ausgabe im Koth: 52,5 g i\ 4,642 > = 238,46 » 

also resorbiert 2390,64 Kal. = 92,8 pro Kilo und Tag. 

Ausgeschieden im Urin... 99,01 » 

Im Körper verbrannt resp. angesetzt 2291,53 Kal. = 89 pro Kilo und Tag. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 90,93 %. 
In den drei Tagen — 30. Mai bis 2. Juni 1900 — der B-Periode wurde gegeben: 
425 g Nahrungsgemisch \ 

7 g Cacao I . _ _ , . _ ^ 

35 g Rohrzucker ( m,t 3 ’ 3 Llter H * 0, 

10 g Butter J 


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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


37 


Die Zusammensetzung des Nahrungsgemisches war die gleiche wie in Versuch IB. 
Der Kakao enthielt: 2,23% N, 1,42% P 2 0 5 , 23,0°/oFett, 5,5°/ 0 Rohfaser (angenommen), 
35 °/ 0 verdauliche Kohlehydrate (angenommen); Asche 5°/ 0 , darin 0,1 °/o CaO und 
0,4 Mg 0. Die Menge des Kothes betrug (lufttrocken) 44,95 g. Darin 9,6 °/ 0 H 2 0, 
6,35% N, 8,36 °/ 0 Fett, 5,77 °/ 0 Rohfaser, 0,97% andere Kohlehydrate, 13,93 % Asche 
mit 4,29 CaO und 1,28 % MgO, 6,18 % P 2 0 5 = 2,70 % P, organischer P 0,26%. 
Danach betragen die absoluten Werthe des Umsatzes: 



Trocken¬ 

substanz 

N 

1 

Fett 

Rohfaser 

Asche 

Kohle¬ 

hydrate 

P 2 0 5 

Einnahme. . . 

438,60 

10,399 

29,086 

2,595 

13,420 

337,12 

5,454 

Ausgabe (Koth) 

40,68 

2,854 

3,758 

2,595 

6,260 

0,44 

2,778 

Resorbiert . . 
Resorbiert in 

397,92 

7,545 

| 25,328 

_ 

i 

9,160 

336,68 ! 

2,676 (1,168 P) 

der Einnahme! 

90,72 

72,56 | 

87,09 

i 

53,35 

99,87 

i 

49,07 


Die Untersuchung des Urins ergab: 


Datum 

Menge 
cm 3 

N 

P 2 O 5 

30. Mai bis 31. Mai 

820 

2,218 

0,801 

31. » » l.Juni 

840 

2,411 

0,777 

1 . Juni » 2. » 

840 

2,192 

! 0,544 

Summa 

2500 

6,821 

2,122 (P = 0,926) 


Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedeneu Mengen ergiebt 
eineu Ansatz von: 

0,724 g N, 0,554 g P 2 0 5 (0,242 g P), 
in % des Resorbierten: 

9,60% N, 20,7 t % P 2 0 5 . 

Die Werthe des Mineralstoffwechsels sind die folgenden: 



Durch Nah¬ 
rung-(-Wasser 
eingeführt 

Im Koth 
ausgeführt 

Verdaut 

I Dasselbe 

in "/o 

Asche 

13,420 

6,260 

! 9,160 

53,35 

CaO 

2,255 

j 1,928 

0,327 

14,50 

MgO 

! 0,834 

0,575 

0,259 

31,06 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

3 !?' ^ ai . Mittel der Versuchszeit 6605 g. 

3. Juni 6590 g I 

Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Einnahme : 425 g Nahrung k 4,220 Kal. = 1793,5 Kal. 

7 g Kakao k 6 » = 35 » 

35 g Rohrzucker k 3,96 » = 138,5 » 

10 g Butter k 8,085 * = 80,85 » 

2047,95 Kal. = 103,35 p. Tag u. Kilo. 
Ausgabe im^Kothe: 44,95 g a 4,46 Kal. = 200,5 » 

also resorbiert 1847,45 Kal. = 93,24 p. Tag u. Kilo. 

Im Urin sind ausgeschieden . . . . . 63,40 » 

Im Körper verbrannt resp. angesetzt 1784,05 Kal. — 90,0 p. Tag u. Kilo. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 90,21 %. 


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38 W. Cronhcim und Erich Müller 

Versuch III (Juli 1900). Kind III, 4 Monate alt, liegt im Krankenhause. In 
diesem Versuche beabsichtigten wir, da uns ein günstiger Einfluss des Lecithinphosphors 
nach den Resultaten der ersten beiden Versuche deutlich erschien, auch noch die Frage 
nach dem Verhalten der verschiedenen Milcheiweisskörper zu prüfen. Wir gaben deshalb 
eine etwas anders zusammengesetzte Nahrung — natürlich abgesehen von dem Eidotter — 
und zwar im A-Versuche 13,3 % Magermilchpulver und 20 % trockene Molke, im B-Ver- 
suche dagegen nur Magermilchpulver — 26,5 % — und keine Molke, d. h. im A-Ver- 
suche weniger Kasein und dafür eine wesentlich grössere Menge der in der Molke allein 
noch vorhandenen Milchalbumine. Dadurch wurde im A-Versuche das Verhältnis des 
Kaseins zum Albumin dem in der Frauenmilch ähnlich gemacht. Die fehlenden Kalorieen 
des B-Versuches wurden durch Rohrzucker und Butter ersetzt Infolge dieser differenten 
Nahrung ist dieser Versuch mit den übrigen nicht vollkommen in Parallele zu stellen. 
Das Kind war wegen eines jetzt abgeheilten Furunkels ins Krankenhaus aufgenommen 
worden und erschien normal. Im Beginne des Versuches vertrug das Kind auch die Nahrung 
anscheinend gut, doch traten bald dyspeptische, später dünnflüssige und übelriechende Stuhl¬ 
gänge auf. Es mag dahingestellt bleiben, ob das Befinden des Kindes während der 
Vortage wirklich ein ganz normales war. In den nächsten Tagen besserte sich der Zustand 
des Kindes, es nahm an Gewicht zu, sodass wir den Kontrollversucb begannen. Jedoch 
entleerte das Kind auch jetzt wieder zum Theil sehr dünne und übelriechende Stühle. 
Deutet auch die bessere Fettausntitzung während des B-Versuches — siehe Tabelle — 
auf eine Besserung im Befinden des Kindes hin, so weisen doch die anderen Zahlen, be¬ 
sonders die der N-Bilanz, auf ein krankhaftes Verhalten — gekennzeichnet durch die schlechte 
Ausnützung — hin- Dieser Versuch nimmt auch deswegen eine Sonderstellung ein. Experi¬ 
mentell verlief der Versuch ohne Störung. 

In den vier Tagen (9. Juli bis 13 Juli 1900) der A-Periode erhielt das Kind 
456 —1 g Erbrochenes = 455 g Nahrungsgemisch mit 3,2 Liter H 2 0. Die Zusammen¬ 
setzung war die folgende: 92,83% Trockensubstanz, 1,97% N, 8,65% Fett, 2,65% 
Asche, darin 0,53 % CaO und 0,103% MgO, 0,34% Rohfaser, 68,88 % verdauliche 
Kohlehydrate, 1,13% P a 0 5 = 0,49 % P, davon ätherlöslich 0,021%. 

Die Menge des lufttrockenen Kothes betrug 73,03 g, darin 4,16 % H 2 0, 5,24 % N, 
20,8 % Fett, 2,12 % Rohfaser, 13,25 % andere Kohlehydrate, 12,91 % Asche, darin 
3,23 % CaO und 0,53 % MgO, 4,40 % P 2 0 5 = 1,92 % P. Organischer P = 0,1%, 
ätherlöslicher P = 0. 

Danach berechnen wir die folgenden absoluten Werthe des Umsatzes: 


_ _ _ 1 

Trocken¬ 
substanz i 

N 

1 

| Fett 

.1 _ 

1 

Asche 

| Rohfaser i 1 

1 j hydrato | 

P 20 , 

Einnahme . . . 
Ausgabe (Koth) 

422,4 

70,0 

8,904 

3,829 

39,358 

15,190 

1 

1 12,538 
| 9.426 

- 1 "■ 1 

1,547 313,404 | 

1,547 9,677 , 

5,142 

3,214 

Resorbiert . . 

352,4 f 

5,135 

24,168 

3,112 

- | 303,727 

1,928 (0,842 P) 

Resorbiert in o/ 0 \ 
der Einnahme 1 

83,43 | 

57,28 

61,41 

24,83 

! 96,91 

i l 

37,50 


Die Untersuchung des Urins ergab: 


Datum 

1 Menge 

N 

1-r 

P* 0 ;, 

CaO 


cm 3 


' l 


9.— 10 . Juli 

500 

0,9913 

0,294 

— 

10 . — 11 . » 

560 

1,0561 

' 0,376 !*) ! 

— 

11 .— 12 . » 

580 

1,0445 

1 0,316 1 

— 

12.—13. »_ 

490 

1,074 

1 0,272 

— 

Summa 

| 2190 

4,166, 

1 1,258 (= 0,549 P) I 

0,017 


*) Während die N-Werthe an den einzelnen Tagen annähernd gleich sind und auch die P 0 O 5 - 
Mengen am ersten, dritten, vierten Tage, besonders, wenn wir das Mittel vom dritten und vierten 
läge nehmen, recht gut übereinstimmon, ist die P 2 0 5 -Ausscheidung am zweiten Tage auffallend 
hoch. Vielfach wiederholte N- und PoO.rBestimmungen ergaben stets das gleiche Resultat, sodass wir 
für diesen hohen Anstieg eine Erklärung nicht geben können. 


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Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




39 


Versuche über den Stoff- und Kraft Wechsel des Säuglings. 


Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt 
einen Ansatz von 

0,969 g N, 0,670 g P 2 0 5 (0,293 g P), 
in % des Resorbierten: 

18,87 o/o N, 34,75 °/ 0 P,0,. 

Die Werthe für den Mineralstoffwechsel sind: 



Durch Nah- 1 
rang+Wasser 
eingeführt 

Im Koth 
ausgeführt 

Dasselbe 
in o/ 0 

Resorbiert 

| Im Urin 
aus¬ 
geschieden 

Retiniert ' 

Dasselbe 
in o/ 0 

Asche 

12,538 | 

9,426 

75,17 

3,112 

4,163 

—1,051 

— 

CaO 

! 2,572 i 

2,359 

91,72 

0,213 

0,017 

0 ,1% 

92,0 

MgO 

0,488 

0,387 i 

79,30 

0,101 

nicht bestimmt 



Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 


8. Juli 4005 g 

9. $ 4044 g 1 Mittel der 

13. a 4014 gl Versuchszeit 4029g. 

14. » 4005 g 


15. Juli 3990 g 

16. » 3958 g 

17. » 4000 g. 


Der Eraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Einnahme: 465 g Nahrung k 4,325 Kal. = 1968 Kal. = 122 Kal. pro Tag u. Kilo. 

Ausgabe im Koth 73,07 g k 5,109 » = 373,13 » 

also resorbiert 1594,87 Kal. = 99 Kal. pro Tag u. Kilo, 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 81,04 °/ 0 . 
In den 4 Tagen (19. bis 23. Juli 1900) des B-Versuches erhielt das Kind 444 g 
Nahrungsgemisch mit 3,2 Liter Wasser und 12,9 g Butter. Die Zusammensetzung des 
ersteren war die folgende: 

94,74 % Trockensubstanz, 2,08% N, 4,32 % Fett, 2,56% Asche, darin 0,446 
CaO und 0,158 MgO, 0,60 % Rohfaser, 74,26 % verdauliche Kohlehydrate, 1,22 % PoOr, 
(—0,53 % P). 

Die Menge des lufttrockenen Kothes betrug 73,36 g, darin 5,90 % HoO, 5,53 % N, 
10,57% Fett, 3,63 % Rohfaser, 11,67% andere Kohlehydrate, 13,40% Asche, darin 
2,93 % CaO und 0,66 % MgO, 4,78 % P 2 0 5 (1,96 % P), 0,07 % organischer P. 

Danach berechnen sich die absoluten Werthe des Umsatzes wie folgt: 



Trocken¬ 

substanz 

N. 

Fett 

Rohfaser 

Asche 

Kohle¬ 

hydrate 

p,o. 

Einnahme. . . 

Ausgabe (Koth) 

431,96 
69,03 | 

9,235 

4,053 

r 

30,146 

7,754 

2,664 

2,(164 

11,846 

9,830 

329,714 

8,559 

5,417 

3,286 

Resorbiert . . 

| 362,93 1 

5,182 

22,392 

_ l 

2,016 

321,155 ' 

2,131 (0,93 P) 

Resorbiert in % | 
der Einnahme f 

| 80,02 i 

56,11 

75,28 


17,02 

97,41 

39,34 


Die Untersuchung des Urins ergab: 


Datum 

Menge 

N ! 

P*O r , 

CaO 


cm 3 

I_ 



19.—20. Juli 

560 

0,966 ! 

0,229 


20 .—21. » 

510 

1,023 | 

0,262 


21.—22 i» 

475 

1,148 

0,291 


22.-23. »_ 

520 

1,183 

0,252 


Summa 

2065 

; 4,320 

1,034 (P = 0,451) : 

0,013 


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Original fro-m 

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40 W. Cronheim und Erich Müller 


Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt 
danach folgenden Ansatz: 

0,862 g N, 1,097 g P.,0, (0,479 g P), 
in % des Resorbierten: 

16,63% N, 51,48% P>0 5 . 

Die Wertbe des Salzstoffwechsels sind: 



Durch Nah¬ 
rung 4- Wasser 
eingeführt 

Im Koth 
aus geführt 

Dasselbe 

in o/ 0 

Resorbiert 

Im Urin 1 
aus- 1 Retiniert 

geschieden 

Dasselbe 

in o/o 

Asche 

! 11,846 

9,830 

82,96 

2,016 

4,761 | —2,745 

— 

CaO 

2,140 , 

2,150 

negativ 

— 0,01 

0,013 — 0,023 

, — 

MgO 

, 0,721 

0,484 

67,13 

0,237 

Nicht bestimmt 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

18. Juli 4 021 g 

19. > 3 916 gl das Mittel der Yersuchszeit 

23. » 3 782 g) beträgt 3849 g 

24. > 3 682 g 

25. » 3 652 g 

Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Einnahme: 444 g Nahrung k 4,223 Kal. = 1 875,0 Kal. 

12,9 g Butter k 8,085 K al. = 104,3 Kal. 

1 979,3 Kal. = 128,5 Kal. p. Tag u. Kilo. 
Ausgabe: 73,36 g Koth ä 4,738 Ka l. =• 347,6 Kal. 

also resorbiert 1 631,7 Kal. = 106,0 Kal. p. Tag u. Kilo. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen: 82,44%. 

Versuch IV (November bis Dezember 1900). Kind IV, IOV 2 Monate alt, liegt in 
Privatpflege, ist für sein Alter gut entwickelt uud vollkommen gesund. Das Kind erhält 
eine neue Mischuug, welche der Nahrung von Versuch I und II möglichst ähnlich her¬ 
gestellt wurde. Das lebhafte und von Hause an vieles Herumtragen gewöhnte Kind er¬ 
trägt die Lage im Apparate schlecht und ist sehr unruhig. Im Kontrollversuche liegt das 
Kind ruhig da, es hat sich inzwischen an die Lagerung gewöhnt. Das Ergebniss des 
B-Versuches ist erheblich günstiger als dasjenige des A-Versuches. Da uns die grosse 
Unruhe des Kindes während des A-Versuches als Erklärung für die relativ schlechte Aus¬ 
nützung möglich erschien, schlossen wir einen dritten Versuch C mit lecithinhaltiger Nah¬ 
rung an. Die Abgrenzung zu Beginn des A-Versuches liess sich — das einzige Mal — 
nicht ermöglichen, wir vereinigten deshalb den Chokoladenkoth mit dem Versuchskothe und 
zogen ihn für die Kothbilanz in Rechnung. Dabei nahmen wir nach Zuntz und Bend ix 
bei der Kraftchokolade für den N eine Ausnützung von 47 %, für das Fett eine solche 
von 95 % und für die Kohlehydrate eine vollständige an. Für die Ausnützung der 
Phosphorsäure und der Salze in der Chokolade liegen Zahlen nicht vor. Wir rechneten 
deshalb für die Phosphorsäure mit den beiden Extremen, dass dieselbe entweder ganz oder 
garnicht ausgentitzt wird. Der richtige Werth liegt dann sicher dazwischen. Für den 
Urin kamen die aus der Chokolade resorbierten Stoffe nicht in Betracht, da zwischen der 
Chokoladenmahlzeit und dem zuerst aufgefangenen Urin des eigentlichen Versuches ein Zeit¬ 
raum von 12 Stunden lag, in dessen Verlauf die aus der Chokolade resorbierten und die 
davon durch den Urin ? wieder ausgeschiedenen Stoffe im wesentlichen den Körper schon 
verlassen haben dürften. Der Versuch verlief sonst ohne Störung. Die Nahrung wurde 
gern genommen und gut vertragen. Im Aetherextrakte des Kothes von Versuch A fand sich 
Phosphor, also ein Zeichen, dass Lecithin unverändert im Koth ausgeschieden war. In 


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41 


Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


allen anderen Versuchen ergab die regelmässig im Kothfett ausgeführte Phosphorbestimmung 
ein negatives Resultat 

In den 4 Tagen der A-Periode vom 20. bis 24. November 1900 erhielt das Kind 
720—6 g Erbrochenes =* 714 g Nahrungsgemisch mit 4,4 Litern H 2 0. Jenes enthielt 
94.0% Trockensubstanz, 2,46% N, 8,29 % Fett, 2,67% Asche, darin 0,41 % CaO und 
0.158% MgO, 0,82 % Rohfaser, 67,02 % verdauliche Kohlehydrate, 1,23 % P 2 0 5 = 
0,537 % P (0,041 % ätherlöslichen Phosphor). 

Der lufttrockene Koth wog incl. des Anfangsabgrenzungskothes 53,0 g. Es ist also 
für die Stoffbilanz von dem Kothe der auf die Chokolade entfallende Antheil abzuziehen. 
Die gegebenen 15 g Chokolade enthalten nach Durchschnittswerthen [1,04% N, 27,3 % 
Fett, 1,71% Asche, darin 0,033% CaO und 0,133% MgO, 64,50% Kohlehydrate, 

0.51 % P 2 O a (eigene Bestimmung)], 0,15 g N, 4,095 g Fett, 0,267 g Asche, 9,675 g 

Kohlehydrate, 0,076 g P 2 0 5 . Nach der oben gegebenen Ausnützung für Kraftchokolade 
erscheint davon im Kothe 0,082 g N, 0.205 g Fett, welche von den entsprechenden 
Werthen des Gesammtkothes abzuziehen sind. Die prozentuale Zusammensetzung "‘des l!Ge- 
samratkothes ist: 6,67 % H 9 0, 6.74% N, 7,75 % Fett, 14,70% Asche, darin 4,12 % 

CaO und 1,34 % MgO, 11,05% Rohfaser, 8,53 % andere Kohlehydrate, 5,94 ; %2 t Pa0 5 

= 2,59 % P, 0,3 % organischer Phosphor, 0,026 % ätherlöslicher P. 

Danach berechnen sich die folgenden absoluten Werthe des Umsatzes,! wobei für N 
und Fett im Kothe die entsprechenden Werthe in Abzug gebracht sind, während für die 
P^Oj die oben auseinandergesetzte Rechnung durchgeführt wurde. Da wir für die Ver- 
werthung der Salzbestandtheile der Chokolade Angaben nicht gefunden haben und die 
Mengen absolut kleine, 0,257 g Asche, davon 0,005 CaO und 0,02 Mg 0,7sind, haben wir 
dieselben bei der Aufstellung des Mineralstoffwechsels den übrigen Salzen gleichwerthig in 
Rechnung gestellt. 

Danach berechnen sich als absolute Werthe des Umsatzes: 



Trocken¬ 

substanz 

N 

Fett 

1 Roh- 
1 faser 

Asche 

1 Kohle- 
| hydrate 

P 2 

a 

Oö 

! b 

Einnahme. . . 
Ausgabe (Koth) 

686,0*) 

50,0*) 

17,564 

3,492 

59,191 

3,904 

5,855 

5,855 

19,981*) 

7,791*) 

478,523 

4,523 

8,1 

3,146 

’82 

3,070 

Resorbiert . . 

636,0 

14,072 

55,287 

— 

12,190 

474,000 

5,636 (2,46P) 

5,712 (2.494P) 

Resorbiert in o/ 0 \ 
der Einnahme 1 

92,71 

i 

80,12 

1 

93,40 

— 

01,01 

99,05 

64,17 

05,04 


Die Untersuchung des Urins ergab: 


Datum 

Menge 

N 

p 2 o 5 

CaO 


cm 3 




20.—21. November 

335 

2,3295 

0,780 


21.-22. 5 

415 

2,534 

0,793 


22.-23. » 

553 

2,822 

1,047 


23.-24. » __ 

565 

I 2,529 

0,814 


Summa 

1868 

10,215 

3,435 (P = 1,500) 

0,194 


Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen crgiebt 
danach einen Ansatz von: 

3.857 g N und a) 2,201 g P 2 0 5 = 0,961 g P, und b) 2,277 g P.>0 5 = 0,994 g P, 

in % des Resorbierten: 

27.41% N und a) 39,06 % P 2 0 5 und b) 39,87 % P 2 0 5 . 


') Inklusive Chokolade. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






4*2 


W. (’mnheim und Erich Müllor 


Die Zahlen des Mineralstoffwechsels ergeben sich aus der folgenden Tabelle: 



Durch Nah¬ 
rung Wasser 

Im Koth 

Dasselbe 

Resorbiert 

Im Urin 

aus- 

1 1 

Retiniert 

Dasselbe 


eingeführt 

ausgefühlt 

m o/o 


geschieden 

1 

in o/ u 

Asche 

! 19,981 

1 7,791 

38,99 

12,190 

7,077 

5,113 

41,9.') 

CaO 

3,152 

1 2,184 

69,29 

| 0,968 

0,194 

0,774 

79,96 

MgO 

1,174 

0,710 

60,48 

0,464 

nicht bestimmt 



Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 


18. November 7443 g 

20. » 7458 g 

21. » 7474 g 

22. » 7499 g 

23. » — g 

24. » 7597 g 


Mittel der 
Versuchszeit 


7528 g 


25. November 7442 g 

26. » 7290 g 

27. > 7317 g 

28. » 7325 g 

29. > 7325 g 


Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Einnahme: 714 g Nahrung ä 4,40 Kal. = 3141,6 Kal. = 104,3 Kal. pro Tag und Kilo. 
Ausfuhr im Koth: 53 g ä 4, 50 » = 238,5 > 

Es sind dem Körper zu Gute gekommen 2903,1 Kal. = 96,4 Kal. pro Tag und Kilo. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 92,42 ° i0 • 

In den vier Tagen des B-Versuches vom 30. November bis 4. Dezember 1900 erhielt 
das Kind 720 g Nahrungsgemisch in 4,4 Liter Wasser und 24 g Butter. Die Zu¬ 
sammensetzung des Nahrungsgemisches war 92,24 % Trockensubstanz, 2,47 % N, 5,65 %» 
Fett, 2,95% Asche mit 0,352 % CaO und 0,146 % MgO, 0,66 % Rohfaser, 67,55 % 
verdauliche Kohlehydrate, 1,28 % P a 0 5 = 0,56 % P. 

Der lufttrockene Koth wog 61,75 g und hatte folgende Zusammensetzung: 3,33 % 
H 2 O, 6,04% N, 9,46 % Fett, 7,58 % Rohfaser, 11,62% andere Kohlehydrate, 15,76% 
Asche mit 4,80% CaO und 1,56% MgO, 5,78% P 2 0 5 = 2,52% P, 0,14% organischer P. 

Danach berechnen sich als absolute Werthe des Umsatzes: 


I Trocken- 
substanz 


Einnahme. 685,20 

Ausgabe (Koth) 59,69 

Resorbiert . . 625.51 

Resorbiert in 0 0 | 
der Einnahme J 9 ! >29 


17,784 

3,732 

14,052 

79,01 


Fett : Rohfaser 


■ ■ 1 

: 61,080 4,68 

5,843 4,68 

1 55,237 


1 

Asche 


Kohle¬ 

hydrate 


21,900 486,36 

9,774 7,178 

12,126 479,182 


90,43 55,37 98,52 


P 2 0, 


9,216 

3,570 _ 

5,646 (2,465 P) 

61,26 


Die Untersuchung des Urins ergab: 


Datum 

Menge 

cm» 

N 

P„0 5 CaO 

30. November bis 1. Dezember 

360 

2,251 

0,672 

1 . Dezember | » 2. » 

380 

2,158 

0,628 

2. » r. 3. » 

605 

2,648 

0,779 

3. » 4. » 

540 

00 

** 

0,681 

Summa 

1885 

9,615 

2,760 (P = 1,200) 1 0,139 


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Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




43 


Versuche über den Stoff- und Kraft Wechsel des Säuglings. 

Aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen berechnet 
sich folgender Ansatz: 

4,437 g N, 2,886 g P 2 0 5 (1,260 g P), 
in % des Resorbierten: 

31,57% N, 51,12% P 2 0*. 

Die Werthe für den Mineralstoffwechsel sind: 



Durch Nah- j 
rung-f Wasser 
eingeführt 

Im Koth 
ausgeführt 

Dasselbe 
in o/ 0 

Resorbiert 

Im Urin 

1 aus- 

• geschieden 

l 1 

Retiniert 

Dasselbe 
in o/o 

Asche 

21,900 

9,774 

44,63 

12,126 

7.715 

4,411 

36,38 

Ca 0 

2,754 

2,964 

— 

-0,210 

0,130 

-0,349 

negativ 

MgO 

1,077 

0,963 

89,45 

0,114 

nicht bestimmt 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

29. November 7326 g 

30. > 7347 g 

1. Dezember 7449 g 

-• >; 7596 g Mittel der Versuchszeit 7490 g. 

3. » 7538 g 

4. > 7632 g 

5. >: 7555 g 

6. » 7286 g 

7. >> 7290 g 

Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt: 

Einnahme: 720 g Nahrung k 4,161 Kal. = 2995,9 Kal. 

24 g Butter k 8,085 * = 194,0 > 

Summa 3189,9 Kal. = 106,5 Kal. pro Tag u. Kilo. 

Ausfuhr im Koth: 61,75 g k 4,441 Kal. = 274,2 > 

Es sind dem Körper zu Gute gekommen 2916,7 Kal. = 97,3 Kal. pro Tag u. Kilo. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 91,40%. 

In den 4 Togen der C-Periode — 19. bis 23. Dezember 1900 — (lecithinhaltige 
Nahrung) nahm das Kind 760,0 g Nahrungsgemisch mit 4,4 Liter H 2 O auf. Darin sind 
enthalten: 91,60 % Trockensubstanz, 2,34 % N, 8,34 % Fett, 2,38 % Asche mit 0,268 % 
CaO und 0,119% MgO, 1,08% Rohfaser, 65,17 % verdauliche Kohlehydrate, 1,14% 
= 0,498% P (0,026% ätherlöslicher P). 

Der Koth wog lufttrocken 41,5 g und besass die folgende Zusammensetzung: 3,80 % 
Wasser, 5,33 % N, 11,72% Fett, 17,76% Asche mit 5,32 % CaO und 1,58% MgO, 
19,78 % Rohfaser, 8,51 % andere Kohlehydrate, 7,06 % P 2 0 5 = 3,08 % P, darin 0,25 % 
organischer P. 

Danach ergeben sich als absolute Werthe des Stoffumsatzes: 


l 

Trocken¬ 

substanz 

N 

_ 

Fett 

Rohfaser | 

Asche 

Kohle¬ 
hydrate 1 

p»o 5 

Einnahme . . . 
Ausgabe (Koth) i 

696,2 
i 39,9 

17,784 

2,212 

63,384 

4,870 

1 8,208 ' 

| 8,208 1 

18,154 

7,370 

i ' i 

i 495,292 
3,533 

8,664 

2,930 

Resorbiert . . 

1 656,3 

1 15,572 

58,514 

| _ 

10,784 

' 491,759 

6,734 (2,504 P) 

Resorbiert in o/ 0 l 
der Einnahme! 

94,27 

87,ne 

92,32 

i - 

59,41 

99,29 

1 66,18 



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44 W. Cronheim u. Erich Müller, Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 
Im Urin sind enthalten: 



IS».—20. Dezember «00 2,462 0,649 

20.-21. » 600 2,340 0,603 

2t.—22. » 640 2,941 0,842 

22.-23. » 585 , 2,845 j 0,754 

Summa | 2425 j 10,688 | 2,848 (P = 1,243) 0,109 

Danach berechnet sich aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen 
Mengen ein Ansatz von: 

4,984 g N, 2,886 g P 2 0 5 (1.261 g P,) 
in % des Resorbierten: 

32,01 o/oN, 60,33% P 2 O 5 . 


Die Werthe des Mineralstoffwechsels sind die folgenden: 


1 

1 

Durch Nah- lm Koth 
rung -f-Wasser 
eingeführt au8 ^ cfuhrt 

Dasselbe 
in 0/0 

resorbiert 

Im Urin 

aus¬ 

geschieden 

Retiniert 

1 

Dasselbe 

in o/o 

Asche ! 

18,154 

7,370 

40,59 ! 

10,784 

6,162 

4,622 

42,86 

CaO 

2,267 

2,208 

97,82 

0,049 

0,109 

—0,060 

negativ 

MgO 1 

0,930 

0,656 

70,54 

0,274 

— 

nicht bestimmt 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

18. Dezember 7287 

19. » 71841 

20. » 7267 

21. » 7413 J Mittel der Versuchszeit 7375 g 

22. » 7480 

23. » 7666 J 

24. » 7380 

25. » 7495 

26. » 7440 

Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Einnahme: 760 g il 4,314 Kal. = 3278,6 Kal. = 111,1 Kal. pro Tag und Kilo, 

Ausfuhr im Koth: 41,5 g ä 4,1 95 » = 174,1 ) 

Es sind dem Körper zu Gute gekommen 3104,5 Kal. = 105,3 Kal. pro Tag und Kilo. 
Von dem Brennwerth der Nahrung sind so dem Körper zu Gute gekommen 94,69 %. 

(Schluss folgt.) 


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P. F. Richter, Klinik und physikalische Chemie. 


45 


IV. 

Klinik und physikalische Chemie. 

Von 

Dr. P. F. Richter, 

Assistent der III. med. Klinik in Berlin. 

Das Aufblähen der modernen Klinik beginnt mit der Zeit, wo sie Anlehnung 
an verwandte Hilfswissenschaften gesucht hat, an die Physik und Chemie. Kein 
Wunder, dass auch die Fortschritte, die in jüngster Zeit in beiden Disziplinen gemacht 
worden sind und die verbindende Brücke zwischen ihnen geschlagen haben, die Er¬ 
rungenschaften der sogenannten »physikalischen Chemie« mit Eifer von der klinischen 
Medicin aufgegriffen worden sind und für sie bereits reiche Früchte getragen haben. 
Sowohl die Diagnostik als die Therapie vermögen bereits nach mancher Richtung 
mit Erfolg auf der Grundlage weiter zu bauen, welche die Arbeiten eines van ’t-Hoff, 
Arrhenius und anderer Forscher gelegt haben, und die Zeit scheint nicht mehr 
allzufem, wo es vielleicht gelingen wird, diese Methoden, die vorläufig noch ver- 
hiltnissmässig wenig geübt werden, in die Praxis zu übertragen. Darum muss sich 
auch der Praktiker mehr und mehr mit ihnen und ihrer Bedeutung für die Medicin 
bekannt machen, und ich bin daher gern der Aufforderung der Redaktion dieser Zeit¬ 
schrift gefolgt, einen kurzen orientierenden Umriss dessen zu geben, was auf diesem 
Gebiete bereits erreicht worden ist, oder was mit Fug und Recht von einer nahen 
Zukunft erwartet werden darf. Nur die markantesten Ergebnisse sollen dabei Erwähnung 
finden, und alles von der Berichterstattung ausgeschlossen werden, was noch allzu 
phantastisch und hypothetisch ist, was für die Praxis vorläufig mehr verwirrend, als 
klärend wirkt 1 ). 

Die physikalische Chemie gewährt uns einen Einblick in das Wesen der 
Lösungen; sie zeigt uns, wie die Eigenschaften von Lösungen abhängen in erster 
Reihe von der molekularen Konzentration, d. h. der Zahl, nicht der Art der 
in ihnen gelösten Moleküle, und zweitens von der elektrolytischen Dissociation, 
d. h. von dem Gesetze, dass in allen wässerigen Lösungen, welche den elektrischen 
Strom leiten, die Moleküle sich dissociieren, in zwei Bestandteile zerfallen, die 
Jonen, von denen der eine positive, der andere negative Elektrizität gebunden hält 
Der molekularen Konzentration parallel geht der osmotische Druck der Flüssig¬ 
keiten, der selbst wieder auf einfache Weise, durch Bestimmung des Siedepunktes 
oder des Gefrierpunktes gemessen werden kann. 

Nach zwei Richtungen nun gewinnen diese neuen Theorieen der Lösungen einen 
Einfluss auf die Medicin: Erstens, insofern Lösungen auf den Organismus wirken 
und zweitens insofern im Organismus ein Austausch von Lösungen statt hat. 

Betrachten wir zunächst den ersten Punkt: Dass die physiologische Wirkung 
von Stoffen auf den Organismus ihrer chemischen Zusammensetzung parallel geht, 

i) ich behalte mir vor, in einem späteren Artikel die Technik und Methodik der physikalischen 
Chemie zu besprechen. 


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4f5 


P. F. Richter 

wissen wir seit langem; aber erweitert und noch bedeutend erweiterungsfähig sind 
unsere Kenntnisse in dieser Beziehung erst, seit wir in die physikalisch-chemische 
Konstitution einen Einblick erhalten haben. So haben wir, um nur einiges hervor¬ 
zuheben, ganz neue Gesichtspunkte für die Theorie der Desinfektion und 
die Wirkjungsweise desinfizierender Mittel erhalten (Paul und Krönig): 
Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Desinfektionsgrade von 
Säuren mit dem Grade ihrer elektrolytischen Dissociation. 

Es hat sich weiterhin herausgestellt (His und Paul), dass z. B. für die Lös¬ 
lichkeit der Harnsäure, für ihre Abscheidung oder die ihrer schwer 
löslichen Salze aus Lösungen und für die Wiederauflösung derselben die 
neuen physikalisch-chemischen Theorieen ungemein bedeutungsvoll sind. 
Dabei hat sich eine Reihe praktisch wichtiger Resultate ergeben: Grosse Mengen 
von Natriumbicarbonat machen, selbst wenn es wirklich gelingt, den Gehalt des 
Blutes an Alkali zu steigern, die Harnsäure des Blutes nicht leichter, sondern schwerer 
löslich. Ebensowenig sind Kalium- oder Lithiumverbindungen im stände, schwer 
lösliche harnsaure Salze in leichtlösliche überzuführen. Dasselbe gilt vom Piperazin 
und vom Harnstoff. Kurz, soviel ist sicher, die Prüfung von Mitteln auf ihre harn¬ 
säurelösende Fähigkeit muss in ganz neue Bahnen einlenken, wollen wir uns nicht 
irrigen Anschauungen hingeben. Fügen wir noch hinzu, dass die Lehre von der 
diuretischen Wirkung, von den Narkoticis u. a. neue Gesichtspunkte aus den 
geschilderten Theorieen erhalten hat, so wird der Leser ermessen können, welch’ 
reiches Arbeitsfeld für pharmako - dynamische Studien hier noch vor 
uns liegt. 

Bis jetzt ist allerdings für die Klinik die Anwendung der Theorie der 
Lösungen auf Vorgänge im Organismus die fruchtbringendere gewesen. Ueberall 
wo im Körper ein Austausch von Flüssigkeiten stattfindet, muss derselbe nach den 
Gesetzen der Osmose verlaufen, sofern die vitale Kraft, die Lebensthätigkeit der 
Zellen, diesen rein physikalischen Vorgängen nicht entgegenwirkt. Aus der Wechsel¬ 
wirkung dieser beiden Phänomene wird die Grösse der Leistung der Zellen unter 
normalen Umständen resultieren Aenderungen in der Thätigkeit der lebenden Elemente 
werden sich naturgemäss dann auch in Aenderungen des Effekts der physikalischen 
Kräfte verraten, und die zahlenmässige Ermittelung letzterer wird in diesem Sinne 
gleichzeitig ein Maass für die funktionelle Zellenleistung sein. Die physikalische 
Chemie lehrt also durchaus nicht, wie manche meinen, eine Betrachtungsweise, die 
von der Lebensthätigkeit der Zellen völlig abstrahiert und ihnen eine passive, der 
toten Substanz zukommende Rolle zuweist. Im Gegentheil, sie legt umgekehrt dar, 
wie gerade bei Schädigung dieser lebendigen Elemente die von ihnen geleistete Arbeit 
eine andere wird, und lässt uns einen Einblick in die Grösse dieser Arbeit thun. 

Es sind besonders die Vorgänge der Resorption und der Sekretion, die 
unter dem Einflüsse dieser Betrachtungsweise in einem neuen Lichte erscheinen. 

Beginnen wir mit dem Magen-Darmkanal. Wir wissen jetzt (Winter, 
Roth und Strauss, Pfeifer und Sommer u. a.), dass wir am Magen verschiedene 
Arten von Absonderung zu unterscheiden haben: Eine spezifische, von der Thätigkeit 
des Epithels allein abhängige, welche die Fermente und die Salzsäure liefert, eine 
andere, die den Gesetzen der Diffusion folgt, und endlich die sogenannte Ver¬ 
dünnungssekretion, die entgegen den physikalischen Gesetzen den Mageninhalt unter 
die molekulare Konzentration des Blutes einstellt. Im Anschluss an diese zunächst 
vom Standpunkte der Physiologie aus interessanten Thatsarhen ist bereits einiges 


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Klinik und physikalische Chemie. 47 

praktisch Wichtige ermittelt : Die Veränderungen der molekularen Konzentration des 
Mageninhaltes bei manchen pathologischen Prozessen, die Bedeutung der molekularen 
Konzentration von Lösungen, die in den Magen eingeführt werden, für die Motilität 
des Magens und dergl. mehr (Strauss). Bis jetzt liegt aber der praktische 
Hauptwerth derartiger Untersuchungen wohl in der besseren Einsicht, die sie uns in 
den Einfluss der Mineralwässer auf die Magen verdauung verschafft haben 
(Strauss und Kostkiewicz): Die Wirkung der Mineralwässer auf die Resorption 
und Sekretion im Magen steht in Beziehungen zu dem osmotischen Drucke, den die 
in ihnen gelösten Salze ausüben. Sogenannte hypertonische Wässer, d. h. solche, 
deren molekulare Konzentration grösser ist als die des Blutes, verweilen lange im 
Magen und verzögern die Salzsäureabscheidung; sogenannte hypotonische verschwinden 
rasch; die Salzsäureabscheidung beginnt in kurzer Zeit 1 ). 

Auf dem Gebiete der Darmresorption ist zwar auch die Wichtigkeit rein 
physikalischer Vorgänge neben der lebendigen Thätigkeit der Darmwand durch die 
Arbeiten zahlreicher Forscher in ein neues Licht gerückt worden; aber die Klinik 
hat bis jetzt greifbare Resultate daraus noch nicht zu ziehen vermocht. 

Von grosser Bedeutung ist dagegen die Erkenntniss, die wir neuer¬ 
dings von dem osmotischen Druck des Blutes gewonnen haben, um so mehr, 
als erst durch die neueren Methoden über die Zusammensetzung des Blutes Klarheit 
geschaffen ist. Wir haben gesehen, wie die Gesundheit und das Wohlbefinden des 
Individuums an eine gewisse Konstanz der molekularen Konzentration des Blutes 
geknüpft ist, und wie eine Reihe von Reguliervorrichtungen existieren, die diese 
Konstanz anderweitigen Einflüssen gegenüber aufrecht erhalten. Es müssen schon sehr 
schwere Störungen sein, die diese RegulationsVorrichtungen unwirksam machen. Aller¬ 
dings ist damit bereits ausgesprochen, dass eine diagnostische Verwendbarkeit der 
Aenderung der molekularen Zusammensetzung des Blutes für derartige Störungen nur 
in sehr geringem Umfange möglich ist, wenn sie eben nur in den hochgradigsten Fällen 
zum Vorschein kommt. Indessen werden wir doch noch später sehen, dass bei 
Versagen des bedeutungsvollsten dieser Regulierapparate sich wichtige Aufschlüsse 
auf diesem Wege gewinnen lassen. 

Der molekularen Konzentration des Blutes ungefähr gleich ist die der Ex- 
und Transsudate. Ob für deren Resorption mehr vitale Thätigkeit der Zellen 
oder osmotische Verhältnisse in Betracht kommen, ist zur Zeit noch nicht geklärt. 
Jedenfalls erscheinen Versuche noch verfrüht (Hornberger), die moderne Osmoselehre 
zu therapeutischen Zwecken für die Aufsaugung von Exsudaten auszunützen und 
reichliche Wasserzufuhr zu empfehlen, weil angeblich auf diese Weise das Blut zwar 
anfänglich verdünnter, dann aber rasch konzentrierter wird und dadurch dem Ex¬ 
sudat Wasser entzogen wird. 

Wir wenden uns nunmehr einem Gebiete zu, auf welchem die Anwendung der 
physikalisch - chemischen Betrachtungsweise nach mehrfachen Richtungen hin auf¬ 
klärend und fördernd gewirkt hat, nämlich den Nierenkrankheiten. Zunächst ist 
es als ein grosser Fortschritt zu bezeichnen, dass die Lehre von der Osmose uns zu 
einer klareren Vorstellung von dem Begriffe der Nierenthätigkeit, der Nieren¬ 
arbeit, verholfen hat und zwar nicht nur zu einer präziseren Fassung dieses Be- 

>) Anmerkung bei der Korrektur: Interessant ist auch, dass die Herabsetzung der anti- 
M-ptischen Kraft der Magcnsalzslure, wie sie bei Stauungsprozessen durch die Gegenwart von 
Kochsalz zu stände kommt, durch die neuen physikalisch-chemischen Theorien ihre Erklärung 
findet (Bialt. 


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48 p. p. Richter 


griffes, sondern vor allem auch zu der Möglichkeit, ihm eine exakte, in Maass und 
Zahlen ausdrückbare Unterlage zu geben. Dreser hat als erster gezeigt, dass es 
die Aufgabe der Nieren ist, den osmotischen Druck des Blutes zu regulieren, ein 
Sekret zu bereiten, das entweder, wie in den meisten Fällen, eine höhere molekulare 
Konzentration besitzt als das Blut oder aber das, unter seltneren Bedingungen, eine 
geringere osmotische Spannung zeigt. Die Arbeit der Niere berechnet sich nach 
Dreser aus der ^Differenz zwischen osmotischer Spannung des Blutes und des ge¬ 
bildeten Sekretes. Allerdings sind gegen diese Art der Berechnung, wenigstens 
gegen die damit erhaltenen absoluten Werthe, durch Pauli gewichtige Einwendungen 
erhoben worden. Immerhin hat die Einführung dieses Begriftes der Nierenarbeit in 
die Klinik durch A. v. Koranyi uns mit einer Reihe bemerkenswerther und nament¬ 
lich für die Diagnostik und Therapie der Nierenkrankheiten fruchtbringender That- 
sachen bekannt gemacht. 

Die wesentlichsten dieser Thatsachen, soweit sie heut durch die überaus rege 
Mitarbeit von Forschern fast aus allen Kulturländern festgelegt sind, sind folgende: 

Bei Nierenkrankheiten ändert sich die osmotische Spannung beider Faktoren, 
welche einen Gradmesser für die Funktion der Niere abgeben, die des Blutes und 
des Harnes. Die erstere nimmt infolge der durch die mangelhafte Nierenthätigkeit 
veranlasste Aufspeicherung molekularer Zerfallsprodukte zu, die des Harnes nimmt 
ab. Leider begegnet die diagnostische Verwendbarkeit dieser Thatsache für den 
einzelnen Fall Schwierigkeiten. Am meisten zieht die Klinik der Nierenkrankheiten 
noch Nutzen aus der Untersuchung der molekularen Konzentration des Blutes; 
denn dieselbe ist unter normalen Verhältnissen eine Standardzahl und wird mit 
zäher Festigkeit vom Organismus auf den Werth von etwa 0,56° eingestellt. Erheb¬ 
liche Vermehrung des osmotischen Drucks spricht häutig, allerdings nicht immer 
für Niereninsufficienz. Die höchsten Werthe werden gewöhnlich bei der charak¬ 
teristischsten Aeusserung der Niereninsufficienz, der Urämie gefunden, ohne dass man 
allerdings, wie manche Autoren wollen, auf einen Kausalnexus zwischen Erhöhung 
des osmotischen Drucks in Blut und Gewebe und Urämie zu schliessen braucht. 

Richtiger ist wohl anzunehmen, dass beide nur nebeneinander hergehende Folgen 
derselben Ursachen sind, die in ihren Einzelheiten uns noch unbekannt sind. Nur 
so viel ist sicher, dass vermehrter Ei weisszerfall unter ihnen jedenfalls eine erheb¬ 
liche Rolle spielt. 

Der umgekehrte diagnostische Schluss, dass bei einem normalen osmotischen 
Drucke im Blut die ungeschwächte Nierenthätigkeit, die Nierensuffic[ienz, garantiert 
ist, ist jedoch nicht gerechtfertigt oder darf nur sehr vorsichtig, unter Berücksichti¬ 
gung einer ganzen Anzahl von Momenten, gezogen werden: Der Organismus ver¬ 
fügt über so viel Ausgleichs- und Kompensationsvorrichtungen, dass unter Umständen, 
beispielsweise bei hochgradiger Anämie, bei Hydrops u. dergl. die Blutkonzentration 
normal erscheinen und doch eine schwere Schädigung der Nierenfunktion vorhanden 
sein kann. 

Ist so die Bestimmung der molekularen Konzentration des Blutes 
diagnostisch für Nierenkrankheiten nicht ohne Wichtigkeit, so leistet nur 
wenig bis jetzt die Gefrierpunktsbestimmung, die Kryoskopie des Gesammt- 
harns. Die Grenzen, innerhalb deren die Werthe bei Nierenkranken schwanken, 
sind, wenn auch enger als bei Gesunden, immer noch viel zu weit gesteckt, als dass 
ein zahlenmässiger Ausdruck für den Grad der Niereninsufficienz in ihnen zu erkennen 
wäre und als dass dafür diese Methode mehr leistete als andere. 


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Klinik und physikalische Chemie. 


49 


Der Hauptfortschritt, den die Diagnostik und Therapie der Nierenkrankheiten 
aus der Zuhilfenahme der Methoden der physikalischen Chemie zieht, liegt wohl 
auf dem Gebiete der einseitigen, dem Messer des Chirurgen anheimfallenden 
Nierenaffektionen. Denn hier ist die Frage, ob es uns gelingt, ein Maass für die 
Arbeitskraft der Nieren zu finden und ob diese Kraft ausreichend ist, auch nach 
Fortnahme einer Niere den Ansprüchen des Organismus zu genügen, von prinzipiellster 
Bedeutung für die Vornahme eines operativen Eingriffs und für die Aussichten, die 
derselbe bietet. Die bisherigen diagnostischen Hilfsmittel haben uns in dieser Hinsicht 
völlig im Stich gelassen; allzu grosses Vertrauen auf sie hat sogar nicht selten den 
unglücklichen Ausgang einer Nierenoperation mit verschuldet Es kann heute wohl 
nicht mehr geleugnet werden, dass die Anwendung der physikalisch-chemischen 
Methoden auf diesem Gebiete erheblich fördernd gewirkt hat: durch Kombination 
der Untersuchung des osmotischen Druckes im Blute mit der Kryoskopie des ein¬ 
seitig von jeder Niere durch Harnleiterkatheterismus aufgefangenen Harnes — also 
durch die Bestimmung der Arbeitskraft jeder einzelnen Niere — sind wir im stände, 
mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit die oben skizzierten Fragen zu be¬ 
antworten. Die auf diese Weise erzielten diagnostischen und therapeutischen Erfolge 
sind nach dem übereinstimmenden Urtheile einer ganzen Reihe von Nierenchirurgen 
sehr befriedigende, und es ist jedenfalls ein schöner Beweis für das gedeihliche 
Zusammenwirken der einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen in und mit der 
Medicin, wenn von einem ursprünglich ihm so fern liegenden Gebiete, wie der 
physikalischen Chemie, den grössten Gewinn der Chirurg davonträgt. 

Viel näher, sollte man meinen, hätte es gelegen, dass aus der Erkenntniss von 
der Bedeutung des osmotischen Druckes für die Nierenthätigkeit die Ernährungs¬ 
therapie der Nierenkranken Anregungen erhält. 

Schon in seiner ersten Publikation hat A. v. Koranyi die Frage aufgeworfen, 
ob von einer Anpassung der Diät bei Nierenkrankheiten an den durch den Harnbefund 
festgestellten Grad der osmotischen Nierenthätigkeit die Rede sein könnte. Er hatte 
diese Frage damals verneint. Inzwischen ist manches in dieser Richtung bekannt 
geworden: die Steigerung des osmotischen Druckes im Blute bei Nierenschädigungen 
hängt in so hohem Grade von der Kost ab, dass sie beispielsweise bedeutend grösser 
bei Ernährung mit Eiweiss als bei Darreichung von Kohlehydraten ist. Die Salz¬ 
zufuhr beeinflusst unter sonst gleichen Umständen den osmotischen Druck bei kranken 
Nieren mehr als bei gesunden. Ob sich derartige, bis jetzt nur am Thierversuch 
gewonnenen Erfahrungen auf den nierenkranken Menschen übertragen lassen, ist 
allerdings noch zweifelhaft. Immerhin liegt hier für weitere Untersuchungen noch 
ein ergiebiges Arbeitsfeld vor, besonders wenn wir einer sehr bemerkenswerthen An¬ 
regung von His folgen und zunächst einmal die Leistungsfähigkeit der Niere für 
ganz bestimmte, in ihrer molekularen Konzentration festgestellte Eiweiss-, Wasser- 
und Salzmengen prüfen. His betont mit Recht, dass ein grosser Theil der bisherigen 
Untersuchungen, der nur einseitig die Zahl der ausgeführten, aber nicht auch die 
der eingeführten Moleküle berücksichtigt, ungefähr auf dem Niveau der alten Stoff¬ 
wechselversuche steht, wo man auch aus dem blossen Stickstoffgehalt des Urins ohne 
Kenntniss der Nahrung weitgehende Schlüsse zog. Sicherlich ist nur auf diesem 
Wege ein genauer Einblick in die osmotische Arbeitsleistung beider Nieren zu 
gewinnen und damit vielleicht auch den Einfluss der Ernährung auf dieselben fest¬ 
zustellen. 

Ob die Lehre vom Stoffwechsel im allgemeinen aus den modernen An- 

Zeil*cbr. f. diät. n. physik. Therapie Bd. VI. Heft 1. 4 


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50 P. F. Richter 


Behauungen viel Vortheil ziehen wird, erscheint noch nicht geklärt. Es fehlt nicht 
an sanguinischen Auffassungen, die meinen, für den feinem Stoffwechsel innerhalb 
der Zelle und der Zelle mit den sie umspülenden Flüssigkeiten neue Anregungen 
zu gewinnen. Bis jetzt ist nicht abzusehen, wie das mit unseren augenblicklichen 
Methoden möglich sein soll. Wenn hier ein Fortschritt überhaupt erzielt worden 
ist, so liegt er nach einer anderen Richtung: unter dem Einflüsse einer Betrachtungs¬ 
weise, die in dem Stoffwechsel hauptsächlich das kraftbildende Moment, die Er¬ 
zeugung von Wärme, in den Vordergrund stellte, ist die Bedeutung mancher Nahrungs¬ 
mittel, wie des Wassers und insbesondere der Salze, eine Zeit lang vernachlässigt 
worden. Es ist nicht zum geringsten die Erkenntnis gewesen, dass für den Ablauf 
osmotischer Vorgänge, für die Resorption organischer Nahrangsmittel die Salze von 
höchster Bedeutung sind (Köppe), die diese Lücke in jüngster Zeit ausfüllen lässt 
und den Salzen diejenige Bedeutung zuweist, die ihnen in einer rationellen Ernährungs¬ 
therapie zukommt. 

Wir haben nun noch des Einflusses zu gedenken, welchen die Lehren der 
physikalischen Chemie auf die Entwickelung mancher Zweige der Therapie gewonnen 
haben. Ihrer Bedeutung für die Pharmakotherapie wurde schon oben gedacht. 

Besonders gross sind die Anregungen, welche die Balneotherapie durch die 
physikalische Chemie erhalten hat. Und zwar nach zwei Richtungen: Erstens durch 
die erhöhte Einsicht, die sie uns in die Wirkung der Brunnenwässer geliefert 
hat. Wie zuerst die Arbeiten von Köppe gezeigt haben, ist die physikalisch¬ 
chemische Analyse der Brunnenwässer, die Bestimmung ihrer Gefrierpunktserniedrigung, 
sowie ihrer elektrischen Leitfähigkeit eine sehr werthvolle und wichtige Ergänzung 
der rein chemischen Untersuchung. Sie giebt uns, wie beispielsweise die molekulare 
Zusammensetzung des Liebensteiner Stahlwassers zeigt, Stoffe an, die auf chemischem 
Wege nicht nachzuweisen sind und die möglicherweise für die therapeutische Wirkung 
von erheblicher Bedeutung sind; sie deckt uns die Unterschiede zwischen künstlichen 
und natürlichen Mineralwässern auf und weist nach, wie beide in ihrem pharmako- 
dynamischen Effekte nicht identisch sein können und wie die beliebige Ersetzung der 
letzteren durch die ersteren, wie sie in der Praxis vielfach geübt wird, nicht gerecht¬ 
fertigt ist. 

Der Bestrebungen, die Wirkung dieser Brunnenwässer auf die Magenverdauung 
von neuen physikalisch - chemischen Gesichtspunkten aus festzustellen und ihrer 
interessanten Ergebnisse (Strauss, Kostkiewicz) haben wir schon oben gedacht. 

Allerdings sind wir auch hier wieder erst am Anfänge unserer Kenntnisse und 
es heisst, weit den Thatsachen vorauseilen, wenn jetzt der genauen chemischen 
Analyse der Brunnenwässer schon vielfach Angaben über ihre molekulare Zusammen¬ 
setzung beigefügt werden und damit der Anschein erweckt wird, als bedeute diese 
Zahl etwas ganz besonderes für die Heilwirkung. Mit einer derartigen Angabe ist 
natürlich noch gar nichts gewonnen und in baineotherapeutischer Beziehung eben¬ 
sowenig etwas ausgesagt, als mit irgend einer Zahl aus den üblichen ellenlangen 
bis auf die kleinsten Bruchtheile eines Milligrammes durchgeführten chemischen 
Analysen der Brunnenwässer. Jedenfalls ist aber bereits ein fester Grundstein ge¬ 
legt, auf dem auch dieser eine Zeit lang etwas vernachlässigte Theil der modernen 
Klinik weiter mit Erfolg ausgebaut werden kann. 

Auch nach einer anderen Richtung gewähren die Errungenschaften der 
physikalischen Chemie der Balneotherapie die Möglichkeit, manche der bisher rein 
empirisch gefundenen, vielfach auch wohl etwas skeptisch aufgenomraenen Thatsachen 


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Klinik und physikalische Chemie. 


51 


vor dem Richterstuhle einer strengen wissenschaftlichen Kritik zu prüfen, nämlich 
hinsichtlich der Bäder und der Badekuren. 

Die unleugbare physiologische Wirkung der Bäder ist hinsichtlich ihrer Ursachen 
lange Zeit in Dunkel gehüllt geblieben. Weder war eine direkte Resorption der in 
ihnen wirksamen Stoffe durch die Haut nachweisbar, noch konnte die Annahme 
eines »hautreizenden« Effektes dieser Bäder auf die Dauer befriedigen. Es wird nun 
behauptet (Hughes), dass diese Bäder eine Veränderung des osmotischen Druckes 
im Blute zuwege bringen, und zwar Süsswasserbäder eine Herabsetzung, Mineralbäder 
eine Steigerung desselben. 

Freilich steht diese Beobachtung noch vereinzelt da und es wird weiterer 
Untersuchungen bedürfen, auch noch mit anderen, als den dort angewendeten 
Methoden, um festzustellen, ob sie sich verallgemeinern lässt und ob wirklich eine 
Veränderung des osmotischen Druckes im Blute die günstige Wirkung derartiger 
Bäder bei Resorption von Infiltraten und Exsudaten erklärt, was a priori noch gar 
nicht einzusehen ist. 

Auch für die Rolle, die osmotische Verhältnisse bei dem Eindringen gewisser 
Substanzen aus derartigen Bädern in die Haut spielen, sucht man bereits nach 
exakten Unterlagen (Vollmer an der Kreuznacher Mutterlauge). Jedenfalls erscheint 
es verdienstlich, derartige Untersuchungen auf breitester Grundlage und an Bädern 
der verschiedensten Konzentration anzustellen, und es ist anzunehmen, dass wir auf 
diesem Wege bald klarere Vorstellungen von der pharmako - dynamischen Wirkung 
der Badewässer bekommen werden, als bisher. 

Physikalisch - chemische Betrachtungsweisen stellen weiterhin die Elektro¬ 
therapie auf ein gesicherteres Fundament als bisher. Wir sind dadurch (Franken¬ 
häuser) sowohl im stände, uns eine wissenschaftliche Vorstellung von den Vor¬ 
gängen bei der Anwendung der Elektrizität auf den menschlichen Körper zu machen, 
als auch neue therapeutische Einwirkungen damit zu erzielen. Fügen wir der Voll¬ 
ständigkeit halber noch hinzu, dass auch daran gearbeitet wird, der Lichttherapie 
die ihr noch fehlende physikalisch-chemische Basis zu verschaffen, so wäre damit das 
wichtigste, was die Klinik der neuen Lehre zu verdanken hat, skizziert. 

Aber ich möchte diesen kurzen Ueberblick nicht schliessen, ohne vor einer 
Ueberschätzung der erhaltenen Resultate zu warnen. Es herrscht auf diesem Ge¬ 
biete jetzt ein reger Eifer und es fehlt leider nicht an Enthusiasten, die in der 
Deutung der Befunde viel zu weit gehen. Mit Recht betont His, wie viel noch an 
den physiologisch-chemischen Grundlagen zu vervollständigen sein wird, ehe die 
Klinik mit Sicherheit weiter auf ihnen arbeiten kann. Dazu kommt, dass auch die 
angewandte Methodik noch vielfach zu ungenau ist, um nicht, selbst bei den ein¬ 
fachen Gefrierpunktsbestimmungen des Harnes (Koppe) in der Hand des Wenig- 
geübten zu falschen Ergebnissen zu führen. Nur die schärfste Kritik der erhaltenen 
Resultate, verbunden mit einer Vertiefung in die Lehren der physikalischen Chemie 
kann zu weiteren Fortschritten führen. 


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52 


Kleinere Mittheilungen. 


Kleinere Mittheilungen. 

i. 

Heber einen neuen Versuch zur Einführung des Magneten in die Therapie. 

Von Dr. F. Frankenhäuser, 

Assistenten der medicinischen Universitätspoliklinik zu Berlin. 

Mit dem Begriffe und dem Worte »Magnetismus* ist in der Medicin viel Unfug getrieben 
worden. Sowohl der Magnetismus Belbst, als auch das, was manche Heilkünstler aus recht frag¬ 
würdigen Gründen als Magnetismus zu bezeichnen beliebten, musste dazu herhalten, verschieden¬ 
artige Wunderkuren zu erklären und populär zu machen. Aus der wissenschaftlichen Diskussion 
ist der Einfluss des Magneten auf den gesunden und kranken Menschen beinahe vollkommen aus- 
geschieden, seitdem L. Hermann (Hat das magnetische Feld direkte physiologische Wirkungen? 
Pflügeris Archiv 1888. Bd. 43) nachwies, dass frühere positive Beobachtungen und Behauptungen 
unzweifelhaft auf Irrthum beruhten. Sein Gesammtresultat fasst Hermann in die Worte zusammen: 
»Selbst unter den günstigsten Umständen ist mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln nicht die 
geringste physiologische Wirkung des Magneten auf thierische Gebilde und Organismen nachweisbar.« 

Neuerdings ist nun ein von dem Schweizer Ingenieur Müller, genannt Conrad, angegebenes 
und auch in Deutschland geschütztes Verfahren aufgetaucht, welches bestrebt ist, dem Magneten 
von neuem zu einer Rolle in der Therapie zu verhelfen. Zu diesem Zwecke sind schon eine Reihe 
von Instituten (für elektromagnetische Therapie, System Eugen Conrad) gegründet worden, in 
welchen das Verfahren unter der Leitung von Aerzten ausgeübt wird. Gleichzeitig hat sich aber die 
Unternehmung an wissenschaftliche Kreise gewendet mit dem Ersuchen, das Verfahren zu prüfen 
und zu begutachten. In Berlin wurde in erster Linie Herr Geheimrath Professor Dr. Ewald und auf 
dessen Veranlassung auch ich darum angegangen. 

Es ist ja nun an und für sich eine recht erfreuliche Erscheinung, dass ein von einem Nicht- 
mediciner eingeführtes Verfahren freiwillig der Wissenschaft zur Prüfung unterbreitet, und nicht, wie 
es schon so oft geschehen, über deren Kopf hinweg der Gunst des Publikums empfohlen wurde. 
Dies Vorgehen verdient gewiss Aufmunterung. Aber im vorliegenden Falle gerade werden jedem, 
der die Geschichte des Heilmagnetismus kennt, schwere Zweifel auftauchen, ob er es nicht mit der 
Wiederholung längst abgethaner Irrthümer zu thun hat. 

Um das Interesse der Wissenschaft in Anspruch nehmen zu können, muss das Verfahren nach- 
weisen, dass es thatsächlich etwas neues, der Erforschung würdiges zu bieten hat Die Erfüllung 
dieser Forderung kann man der neuen Methode meines Erachtens nicht ohne weiteres absprechen. 

Von den Aerzten, welche das Verfahren bisher schon ausgeübt haben (P. Rodari, Ueber 
ein neues elektrisches Heilverfahren. Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 23 und 24), ist über 
zahlreiche Heilerfolge berichtet worden, die gewiss alle Beachtung verdienen und für uns Veranlassung 
gewesen sind, der Prüfung des neuen Verfahrens näher zu treten. Trotzdem dürfen wir bei aller 
Hochachtung vor der Gewissenhaftigkeit und dem kritischen Sinne der betreffenden Herren Kollegen 
nicht vergessen, dass es bei neuen Heilverfahren, ganz besonders bei solchen, die ihre Wirksamkeit 
vorwiegend auf die sensible Sphäre erstrecken, ganz ausserordentlich schwierig ist, einen sicheren 
Maassstab für ihren objektiven Werth zu gewinnen. 

Für verfrüht halte ich es, die Beobachtungen, welche über die Einwirkungen der Apparate 
auf das Blut beschrieben wurden (Rodari a. a. 0.) für die Beurtheilung der Methode zu verwerthen. 
Da, wie ich höre, zur Zeit von höchst sachverständiger Seite Untersuchungen hierüber stattfinden, 
so ist zu hoffen, dass dieser Punkt bald endgiltig aufgeklärt wird. 

Den Hauptwerth lege ich beim gegenwärtigen Stande der Dinge auf eine unscheinbare, aber 
prinzipiell ausserordentlich wichtige Beobachtung Man sieht nämlich, wenn man seine Schläfe dem 
einen Polende des Apparates nähert, in dem betreffenden Auge ein mehrmaliges Aufblitzen (B. Beer, 


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Kleinere Mittheilnngen. 


53 


Ueber das Auftreten einer subjektiven Licbtempfindung im magnetischen Felde. Wiener klinische 
Wochenschrift 1902. No. 4.). Dieses Phänomen ist von einer so grossen Zahl sachverständiger Be¬ 
obachter festgestellt worden, dass eine Täuschung in dieser Beziehung vollständig ausgeschlossen 
ist. Auch ist es ausser jedem Zweifel, dass es nicht durch Kontakt, Stromschleifen, Funkenbildung 
oder dergleichen entsteht, sondern durch Distanz Wirkung. Wir haben hier also eine thatsächliche 
Wirkung des Magneten auf den Körper, welche man früher nicht kannte. Hermann (a. a. 0.) sagt 
ausdrücklich: »Bringt man seinen Kopf zwischen beide Pole, in irgendwelcher Lage, so tritt weder 
durch die Herstellung des Magnetismus, noch während dessen Dauer irgendwelche Art der Empfindung 
auf.« Ferner: »Empfindungen sind im magnetischen Felde meines Wissens nie beobachtet worden, 
wenn man von den konfusen Erzählungen der Magnetiseure alter und neuester Schule absieht. Den 
zahlreichen Physikern, welche mit den allerstärksten Elektromagneten jahrelang Untersuchungen aus- 
gefuhrt haben, den Faraday, Pouillet, Plücker u. a. würden sensitive Wirkungen des Magneten, 
wenn sie existierten, nicht entgangen sein.« 

Liegt hier nun ein unlösbarer Widerspruch mit den älteren so ausserordentlich gewichtigen 
Untersuchungen vor, oder lässt sich unsere positive von der früheren negativen abweichende Be¬ 
obachtung aus einer neuartigen Anordnung der Versuche erklären? Ich glaube das letztere. 

Um uns von der Wirkungsweise des Apparates ein Bild zu machen, müssen wir zunächst 
einen Blick auf seine Konstruktion und auf seinen Betrieb werfen. 

Der Apparat besteht im wesentlichen aus einem Elektromagneten, d. h. aus einem Eisenkerne, 
der von einem vollständig isolierten Drahte vielfach umwickelt ist, durch welchen ein elektrischer 
Strom geleitet werden kann. Durch diesen Draht wird nun ein ziemlich kräftiger Strom bis zu 
40 Ampere geleitet, weicher in der Sekunde ungefähr 60 Mal seine Richtung wechselt. 
Die Folge davon ist, dass der Elektromagnet ebenso oft seinen Pol wechselt, d. h. jedes Ende des 
Magneten ist abwechselnd in einer Sekunde 60 Mal Südpol, 60 Mal Nordpol und natürlich beim 
Uebergange von einer Polarität zur anderen auch 60 Male unmagnetisch. 

Auf die besonderen konstruktiven Eigenschaften des Apparates und die Eigenschaften des 
Stromes, der ihn durchfliesst, soll hier nicht näher eingegangen werden. Dieselben sind zwar nicht 
ohne Einfluss auf die Leistungen des Apparates aber für die allgemeine Auffassung derselben nicht 
noth wendig. 

Was nun diese allgemeine Auffassung anbetrifft, so sei zunächst Folgendes hervorgehoben: Wir 
brauchen uns dieselbe nicht durch die Vorstellung zu erschweren, dass wir es mit zwei wirksamen 
Prinzipien zu thun hätten, die wir von einander trennen müssten, nämlich erstens mit dem die 
Drahtwickelung (das Solenoid) durchlaufenden Strome, zweitens mit dem entstehenden und ver¬ 
schwindenden Magnetismus des Eisenkernes. Ganz dieselbe Fern Wirkung wie mit unserem Elektro¬ 
magneten könnten wir, theoretisch gesprochen, auch erzielen, wenn wir an seiner Stelle ein ent¬ 
sprechend kräftig wirkendes Solenoid ohne Eisenkern verwenden oder einen Stahlmagneten ohne 
Solenoid und ohne Strom mit der Geschwindigkeit von 60 Umdrehungen in der Sekunde rotieren Hessen. 
Die Fernwirkungen von Solenoiden, Elektromagneten und permanenten (Stahl-) Magneten sind im 
Prinzip identisch. Halten wir uns also lediglich daran, dass wir es mit einem Magnetstabe zu thun 
haben, dessen Pole 60 Mal in der Sekunde positiven Magnetismus zeigen, diesen 60 Mal verschwinden 
und 60 Mal in negativen Magnetismus umwandeln lassen. 

Von den Fernwirkungen eines solchen Magneten müssen wir prinzipiell zweierlei unterscheiden: 

1. Elektromotorische Wirkungen. 

In allen Körpern, welche sich im Wirkungsbereiche des Magneten (dem magnetischen Felde) 
befinden und im stände sind, Elektrizität zu leiten, entsteht jedesmal beim Entstehen eines Poles 
ein Induktionsstrom und ein ebensolcher, aber entgegengesetzt gerichteter beim Verschwinden des 
Poles. Diese Ströme sind von sehr kurzer Dauer und in körperlichen Leitern von sehr unregel¬ 
mässigem Verlaufe (sogenannte Wirbelströme). Der Widerstand, welchen sie in dem Leiter finden, 
führt zur Erwärmung. Metallplatten, welche man dem Apparat nähert, erhitzen sich daher. 

Unzweifelhaft werden solche Induktionsströme auch in feuchten Leitern nach denselben 
Gesetzen, wie sie für Metalle gelten, erzeugt (L. Hermann, Poggend. Ann. 1871. Bd. 142. S. 686), 
and auch in thierischen Theilen lassen sich Indukrionsströme erzeugen (L. Hermann, Pflügeris 
Arch. Bd. 43. S. 226). Aber am Lebenden, insbesondere am Menschen, hat man noch niemals eine 
klare physiologische Reaktion durch Induktion erzielt, sei es nun, dass die Ströme zu schwach sind, 
sei es, dass ihr unregelmässiger Verlauf es zu keiner klaren Reaktion kommen lässt. Ist nun vielleicht 
das oben erwähnte Aufblitzen im Auge die erste beobachtete physiologische Reaktion im Menschen 
auf solche Induktionsströme? Von der Hand weisen lässt sich diese Vermuthung zur Zeit nicht 


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54 Kleinere Mittheilungen. 


ohne weiteres. Denn wenn auch die Induktionsströme, welche in Frage kommen, nicht stärker 
und nicht in ihrer Richtung geordneter sind als die, welche bei früheren Untersuchungen schon zur 
Verwendung kamen, so verbinden sie doch eine verhältnissmässig grosse Stärke mit einer Frequenz, 
welche eine kumulierende Wirkung haben könnte. 

2. Ponderomotorische Wirkungen. 

Die mechanischen Wirkungen des Magneten treten bekanntlich am reinsten beim weichen Eisen 
hervor, welches von beiden Polen kräftig angezogen wird. Da der besprochene Apparat 60 Mal pro 
Sekunde positiven, 60 Mal negativen Magnetismus, 60 Mal gar keinen zeigt, so wirkt seine Anziehung 
auf Eisen in entsprechenden Intervallen. Es entsteht hierdurch ein rhythmisches Vibrieren des Eisens 
im magnetischen Felde. Dies lässt sich leicht dadurch demonstrieren, dass man ein grösseres Eisen¬ 
blech in die Nähe des Poles, senkrecht zu den Kraftlinien bringt Das Blech giebt dann einen 
unter Umständen sehr lauten Ton von sich. 

Nun hat Faraday (Experimental research. Ser. XX Pogg. Ann. Bd. 69) nach gewiesen, dass 
nicht nur das Eisen, sondern wohl alle Substanzen dem Einflüsse des Magnetismus unterworfen 
sind, wenn auch nicht in gleichem Maasse. In ihrem Verhalten zum Magneten theilen sich die Körper 
in zwei grosse Gruppen: in die paramagnetischen Körper, welche, wie das Eisen, von beiden Polen 
an gezogen werden, und in die diamagnetischen Körper, welche, wie das Wismuth, von beiden Polen 
abgestossen werden. Aber nicht nur die Metalle werden vom Magnetismus beeinflusst, sondern, 
wie gesagt, fast alle Körper, Flüssigkeiten so gut wie feste Körper und Gase. Von praktischer 
Wichtigkeit ist das Verhalten von Körpern, die in Flüssigkeiten suspendiert sind. Befindet sich 
nämlich ein Körper in einer Flüssigkeit, welche in demselben Grade paramagnetisch oder diamagnetisch 
ist, wie dieser selbst, so wird er vom Magneten nicht beeinflusst. Dagegen macht sich der Einfluss des 
Magneten geltend, wenn die umgebende Flüssigkeit einen anderen Grad von Paramagnetismus oder 
DiamagnetismuB besitzt, als der suspendierte Körper. Wie verhalten sich nun die thierischen Sub¬ 
stanzen zum Magneten? Sie sind, soweit bekannt, alle diamagnetisch (Vergl. hierüber die Litteratur- 
augaben bei Hermann, Pflügeris Archiv Bd. 43. S. 217 u. 218). Lebende Thiere, die menschliche 
Hand, getrocknetes Fleisch und Blut sind diamagnetisch, sie werden von den Polen abgestossen. 
Eine ausserordentlich wichtige Frage ist es, ob die Substanzen der Köiper gleichmässig diamagnetisch 
sind oder nicht. Falls sie gleichmässig diamagnetisch sind, so könnte man sich von einer mechanischen 
Einwirkung des Magnetismus auf das Körperinnere keinerlei Vorstellung machen, da der Magnetismus 
nicht auf Körper wirkt, die in Flüssigkeiten suspendiert sind, deren Diamagnetismus denselben 
Grad besitzt, wie derjenige der suspendierten Körper. 

Hierüber hat uns nun PI Ücker (Pogg. Ann. 1848. Bd. 73. S. Ö49) ausserordentlich wichtige 
Aufschlüsse gegeben. Er beobachtete Blut im magnetischen Felde unter dem Mikroskope. Das 
Resultat war folgendes: »In welcher Weise wir auch beobachteten, und gleichviel, ob wir auf das 
Glas- oder Glimmerblättchen Frosch- oder anderes Blut brachten, gleichviel ob unverdünnt oder mit 
Wasser gemischt, es war unter dem Mikroskope jedesmal eine Abstossung der ganzen Flüssigkeits¬ 
massen und daneben noch eine besondere Abstossung der Blutkügelchen für sich 
wahrzunehmen. Diese Blutkügelchen, in denen die chemische Analyse den Eisengehalt nach¬ 
gewiesen hat, erscheinen hiernach stärker diamagnetisch als Serum, in dem sie ursprünglich 
schwimmen, stärker als Wasser, in das sie gebracht werden. Aehnlich wie das Blut verhielt sich 
unter dem Mikroskope Milch mit ihren Fettkügelchen.« Es ist also nachgewiesen, dass kleinste 
Elemente des thierischen Körpers vom Magnetismus direkt mechanisch beeinflusst werden. 
A priori ist es in Anbetracht des sehr differenten Aufbaues des Gewebes sehr wahrscheinlich, 
dass Blutkörperchen und Fettkügelchen durchaus nicht die einzigen Elemente sind, die diesem Ein¬ 
flüsse unterliegen. 

Man kann sich auch ohne weiteres vorstellen, dass die Abstossung dieser Elemente beim 
Verschwinden des Magnetpols aufhören, bei seinem Wiedererscheinen wieder auftreten muss, dass 
also unter dem Einflüsse eines rhythmischen Polwechsels ebenfalls rhythmische Vibrationen dieser 
Elemente eintreten müssen, ganz analog, wenn auch in schwächerem Grade, wie bei Eisen. 

Wenn nun auch diese Vorstellung viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, so kann man sie als 
den Thatsachen entsprechend nicht eher annehmen, als bis es gelungen ist, solche Vibrationen auch 
objektiv, etwa durch das Mikroskop nachzuweisen. Leider sind die bisher (für therapeutische 
Zwecke) hergestellten Apparate für solche Untersuchungen ausserordentlich ungeeignet. Doch sollen 
besondere Apparate für derartige Untersuchungen hergestellt werden, welche es auch erlauben, die 
sehr interessante Frage zu lösen, welchen Einfluss eine grössere oder geringere Polwechselzahl auf 
die Wirkung der Apparate hat. 


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Kleinere Mittheilungen. 


55 


Es erscheint mir nach diesen Ueberlegungen nicht unwahrscheinlich, dass die beobachtete 
Wiiknng des besprochenen Magneten gerade auf seiner Eigenart nämlich seinem eigentümlichen 
kontinuierlichen Polwechsel beruht Und hierin sehe ich immerhin einen Fingerzeig, auch die 
anderen Wirkungen, welche dem Apparate nachgesagt werden, nicht mit den Eingangs erwähnten 
Bedenken kurzer Hand abzuthun, sondern einer wohlwollenden und gründlichen Prüfung zu unterziehen. 

Das betreffende Institut hat in loyaler Weise um eine solche Prüfung ersucht und die Mög¬ 
lichkeit dafür geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass es auch durch sein Verhalten nach aussen hin 
den Aereten ermöglicht wird, seinem Verfahren ein dauerndes Interesse zuzuwenden. 


II. 

Ein fahrbarer Kranhenhebeapparat und eine fahrbare, zusammenlegbare 

Badewanne. 

Von Dr. Paul Jacob, Privatdozent, 

Oberarzt an der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin. 

Die Bäderbehandlung erfreut sich im letzten Jahrzehnt einer immer wachsenden Beliebtheit 
und ist unter den verschiedensten Indikationen gerade zur Behandlung der allerschwersten Krank¬ 
heiten eingeführt worden. Bäder kommen zur Anwendung einmal bei den schwer fieberhaften 
Krankheiten, um auf die Körpertemperatur, die Herzthätigkcit u s. w. einzuwirken, ferner bei ver¬ 
schiedenen Krankheiten des Centralnervensystems, den Rückenmarkskrankheiten, Neuritiden u. s. w. 
Hier sind dank den Prinzipien, die vor allen Dingen Leyden und Goldscheider für die Benutzung 
der kinetotherapeutischen Bäder aufgestellt haben, recht günstige Resultate bei zahlreichen Rücken¬ 
markskranken etc. neuerdings erzielt worden, viel günstigere, als wir sie bisher noch vor wenigen 
Jahren zu erreichen im stände waren. Wenn trotz dieser Vorzüge, welche die Bäderbehandlung 
gerade bei den schwersten Krankheitsgruppen und speziell auch bei der Behandlung der Rücken¬ 
markskrankheiten bietet, dieselbe noch nicht so allgemeine Anerkennung und Einführung in die 
Praxis gewonnen hat, wie sie es thatsächlich verdient, so liegt das hauptsächlich an den Schwierig¬ 
keiten, welche der Transport der Kranken vom Bett in die Badewanne und vor allem der Rück¬ 
transport von der Badewanne heraus ins Bett zurück bietet. Es giebt eine Reihe von hervorragenden 
Klinikern, welche die Vorzüge der Bäderbehandlung unter den verschiedensten Indikationen voll 
and ganz anerkennen, welche dieselbe aber perhorrescieren, weil die Gefahren, welche den Kranken 
beim Transport aus dem Bett in die Badewanne und aus der Badewanne ins Bett zurück bedrohen, 
die Vortheile, welche die Kranken durch die Bäderbehandlung erlangen können, nicht aufwiegen. 
Es fehlt bisher durchaus an geeigneten Vorrichtungen, welche diese Gefahren des Transports be¬ 
seitigen. 

Die früher konstruierten Hebeapparate bestanden der Hauptsache nach aus besonders dazu 
gefertigten Betten, oder es müsste das den Heberahmen tragende Gestell am Krankenbette befestigt 
werden, was in anbetracht der so überaus verschiedenen Konstruktion der Betten nur bei einer 
beschränkten Anzahl derselben möglich war. Das Heberahmenfahrgestell des neuen Apparates ist 
dagegen in jeder Beziehung vom Bette unabhängig. (Fig. 11.) 

Der eigentliche Heberahmen hängt an vier Gurten, von denen er schnell gelöst werden kann; 
er bildet ein in sich abgeschlossenes Ganzes ohne jeden Verbindungsstab, so dass er von oben über 
den Patienten gelegt werden kann, ohne dass dieser in irgend einer Weise angehoben zu werden 
braucht Der obere Theil des Rahmens, welcher die Rückenlehne bildet, kann von der Horizontalen 
bis zur Vertikalen in jeder Stellung leicht fixiert werden. Als Unterlage dienen anknöpfbare Trage¬ 
gurte oder aber, falls der Rahmen zum Bade Verwendung finden soll, ein anknöpfbarer mit Schlitzen 
versehener Bezug. Dieser wird vor Beginn des Bades unter den Patienten gelegt in ganz derselben 
Weise, wie man ein reines Bettlaken unter einen Schwerkranken bringt. 

Soll nun der Patient gebadet werden, so wird das Fahrgestell mit dem Heberahmen direkt 
über das Bett des Kranken gefahren, der Stahlrahmen wird so tief gesenkt, dass er auf der Matratze 
»fliegt, der Bezug, auf welchen der Kranke vorher gebettet war, wird an die an den Längsleisten 
des Heberahmens befindlichen Knöpfe angeknöpft und nunmehr der Heberahmen mitsammt dem 
Patienten in die Höhe gekurbelt Dies geschieht durch eine an dem Fahrgestell angebrachte Kurbel, 


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Kleinere Mittheüuögön. 


und war dmitig leieht mul Hieher. aiU* Erschütterungen und Schwankungen beim ll«ben. ; iimi 
■ • vidi&tiindig vermieden werden:. Per Bebeme^animw* sfelb*t 

dak* v^ii eilÄ“ Person c». 8(H> Jcg 1 . jrfelit gehoi>€?H werd^ krmueii ; und' die« 

Rm>W gleiehmagßi^ auf dm gm itü FfrthffHm \ifei itilheren Mi^deileit war + falls nur aiue Perser* zur 
l\iUlkm:3tg' hvj der Band war, nur ein wehadseStigeö Heben da» Ko*j?f- oml J^&gemtes m^gbeti, 
onangenebmo. Sebf^jÄgen de» p&tertheh. tuhsraiuien) ße» fe^rdn der 

Meeiiifftitfimb* ein .Hubert rnsp. Senken de* Patieiiten i;i j$iier beliebigen Hofe, wobei in alle« 
SfoUuugrru fl er Rahmen absoiut teesthfct« Vifee dass es nothtix wäre, die Stellung durch Sperrklinken 
oder SebrnnU^b m Itxietenl '> ' ‘ 

Bereit bevor der Patt ein auf den Ilebei^Jten; gelegt wird; wiiwa neben seitiero Bette eine 
fahrbare; mit dem.. Badewaaser. gefüllte WäÄ;. autfgestelU' ä«h; der in die Hohe- gekurbelte Patient 


wird nunmehr mit dem Fahtgmell über die Wanne gefahren und daun in .diese schnei! herunter- 

Wasser bedeckt ist Tn dem lieberabinen nimmt er eine %o fm^uomr, 
riegende BteHtrpg ein, ßa&s er eine halbe Stunde und darüber im Badewunser Vsrblhiimn kanu., ein 
Moment, welches siir Behandlung golfünxitor Kranker, mir denen Utluiugexi in dtt Badewanne voi- 
geoonmvftö werden sollen« Von grösstem Wert ho i*i Der Mechanismus den .ilebarfthtoena .gestattet 
c& ferner, taelirmal» hiiitereinafider' den Kranken für nur einige Augenblicke bi dsw ijladowtmser 
dnfäuchert zu lassen und ihn dan.u sofort wieder in die Hobe xti - knfbelD; >3tcrüirfikfe^ f rö^dtiiÄijfi - 
empfohlen £ieh taonder* bei boehfleherharten und bei \nüü$m#wn .‘Pattenteß und können in deu 
gewöhnlichen Badewannen kanm uusgefüh rt werden. 

Nu eh Beendigung des Bades wird der auf dem Heborahineri Hegende iMtieht wieder ii> die 
Hohe gekrirheit (wShreaildcm JSaffc durch die in dem Bezüge angebrachten Schlitze das Wäseer 
Völlig ab), er wird Migedeckr, das Faj/rgf>STelj wird wieder über das Bett gefahren und der Krankt’ in 
sein Beit, 'auf dessei?•Mafrstf*H inzw&teheu bereits eine Gummiunterlage und ein 'Badetuch mbgahttitvA 
Wären, heruMm^kürljcJi. Bobabl .er hegt, wird der Bezug vom Heherähmcu if%ekohpTi, letzterer 
ü* die Bolio gekurbelt, der nasse Bezog unter dem Körper de? Patienten entfernt und da« Kahr« 





































Kleinere MHthdluii^ea 


!;-uü wxammit dem ffcborahinon zur Seite gerollt. Bor garrceVorgang; Transport des .Patienten 
■ •■ 1 ‘ u>: Iw*e in da* Bad uiid vice versa spieltsteh m 2—:t Miauten ab und jst für den Kranken 
ti ix deu geringsten Tn au nclwnlickkßiten ve^feuöpft 
...TW lleberalitpengjößtcll selbst ist auÄ ^ähi^t\Te« angjBfeitigt und daher vm äusserst ge- 
rüp&ith*i$U; wa kann vermöge weniger GandgrtfTv ziisatüßieiigeleg! werden und nimmt daifii 
lg iv,'i;igPbJU ein (Fig.12*; dadurch ist es fcrtftbgiieM worden, den gxnzcn Apparat mit Leichtig¬ 
keit von einem, Zuuukt ta ein anderes z\\ transportieren ;./V J ‘ \ 

i/er Bcbeapparät $r>U b^'Af^r' öieht- .nur für 'die Zweck* de* I nmsports eines Patienten- aus 
Aera Brite Sri die Badewanne und rpn Iber au* zurück ui dm» fern dienen, sondern c«r dient üoeh 
iißei Reibe öderer IndikaUoDen SO ist Kkmfced i» m andere* Bett, der 

tiw^rt welcher mit Patieutero die in F(*lge der ÜVatVir Buer Krktmvkung miVgliehst wenig er- 
knittert werden sollen,, vom Bett auf den Opcrudoitö tusch vorgeimmmen werden muss, die/Uemigtiüg 
Ar* unteren Körperflaelie eine? Kranken , jfti»>' vte eie aul bww, 

mb de\n Mebeapparat mit lx»mhtigkeit zu bow ^rkj^fcUi 




Schliesslich kommen wir nocfi 
tgnriehtong, 

2>a tp^bt überfdl fahrbare Öadewaim.aDA^uF.tnrf^gnng stehen dieselböft^^ nur sehytar vOö 
Wtetn 7dtnxn*?F rn das andere transportiert werden fcönneu und 'selili^Hsfteh meint nicht w gnias 
<fe*ä der Patient in ihuebrfine beqbemr d^ende Stellußg cmnWnne-ö kfinn, wm^ eiaet 
>mt^*re Transportable und tu sammernlegba^ Bidefexiopc konstruiert. ßrcöoUie ist am 
?*^cueh gefertigt «Jttl absolut wuwrdicht •Getragen von einem Staldrohirrubmeo^ 'Aw.^\ek 
de* WebcniKtnetis resp der eines prwaeltsenon Menschen duirhaM au; rihd reimcidßt auf 
Wfäq jede Rarnnvergeudimg. Es, genügen ca. i$n Liter za. einem ydllbade Das die Bade- 
T^3ßir fremde, Gestell, ist fahrbar und besteht aus mnemBrett, welches alr Bodpn dient und un 
Ochern gleichzeitig die die •eigentliche Wanne tragenden Stutzen befestigt smd. Diese werden 
!*mi >Üfcbt#*braifch lmrtmtergekl&ppL worauf das Gestell M»vne die zn^ürnjimiigolegte Wanne nur 
mehr Rauen als ein langes Brett heanspmehem i)k* uansportable EadoMraniie kann daher 
Andti in FekBiuärctten. Baracken etc: .mit Vortheil yenv endet werdbin. di* w auf den Gerätb wagen 
fr« Leichtigkeit vörpncfei werden kann 

Die Appamtß Avurden von der bckaimten Firma Ernst ßerlin NW,, kongruiert 


Besprechung der für Sehwerkvanke konstruierten Bade- 


Vmehenüich wurde bei der Publikation de* Artikels »Eitie cu;«e Sandi-mloeinricbtung» in 
V, Sk?i*. 1 der Zeitschrift die Hissnote vergessen .'’dasa 'dieser •ArtBU'f-.mit. besonderer Trlanbrii^ 
Ft B^ftak\j<>o der Baineuloglschun Zeitung aus edu-i Nmmuer Organs zum Abdruck gelangt/*, 

TSö Vcnäc2i<>.n 7 über welches w ir mt he.Höddereti Wunsch der Redaktion der Brdneologischvn Zelüvog 
benohten f ’-V\ ’b . . Red'. •' 


Co gle 
















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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

Bericht über die Sitzung der Gesellschaft der Charitdärzte vom 27. Februar 1902. 

Von Dr. A. Laqueur in Berlin. 

Am 27. Februar d. J. hielt die Gesellschaft der Charitöärzte zum ersten Male eine 
Sitzung in der im vorigen Jahre eröffneten hydrotherapeutischen Anstalt der Universität ab. Nach¬ 
dem der Direktor der Anstalt, Geh. Med.-Rath Professor Brieger die Anwesenden begrüsst hatte, 
gab er zunächst einen Ueberblick über die bisherige Thätigkeit des Institutes. Seit dessen 
Eröffnung Ende Januar 1901 bis Ende Februar 1902 wurden dort 1890 poliklinische und 128 
stationäre Kranke behandelt Von den ersteren wurden im Badepavillon der Anstalt selbst 1084 
Patienten behandelt, die anderen wurden mit genauen Anweisungen zur häuslichen Behandlung 
versehen oder waren überhaupt nicht zur hydrotherapeutischen Behandlung geeignet Im Bade¬ 
pavillon wurden während jener Zeit 12 000 Prozeduren verabfolgt, die sich ungefähr zu gleichen 
Theilen auf Männer und Frauen vertheilen. 

Was die Patienten selbst betrifft, so waren dieselben zu einem Theil von Aerzten der Stadt, 
anderen Polikliniken und Abtheilungen der Charitö überwiesen, zu einem nieht geringen Theil aber 
waren es solche Personen, die wegen ihrer Leiden überhaupt noch keinen Arzt konsultiert hatten, 
sondern bisher bei einem der vielen »Naturheilkünstler« in Behandlung gewesen waren. Deshalb 
betonte der Redner, dass die Bedeutung des ihm unterstellten Institutes nicht zum wenigsten darin 
beruhe, dass es geeignet sei, der gerade in Berlin so ungeheuer verbreiteten Kurpfuscherei 
Abbruch zu thun. 

Unter den behandelten Krankheitsformen verdient u. a. die Ischias eine besondere Erwähnung. 
Bei ihr hat sich die hydrotherapeutische Behandlung in einer grossen Reihe von Fällen aus¬ 
gezeichnet bewährt. Zwei Mittel kommen hier hauptsächlich in Betracht, die schottischen 
Strahlen und die heissen Vollbäder mit Bewegungen. Die schottischen Strahlen 
werden in der Weise angewandt, dass auf die Rückseite des Oberschenkels längs des Verlaufes des 
lschiadikus abwechselnd heisse und kalte Strahlendouchen oder heisser Dampfstrahl und kalte 
Strahlendouche appliziert werden; die heissen Vollbäder von 38—40o C werden in einer grossen 
Badewanne, wie sie auch für kinetotherapeutische Bäder gebraucht wird, gegeben. In dem 
Bade macht der Patient nicht nur mit dem kranken Beine Bewegungen aller Art, sondern es 
werden auch methodisch aktiv wie passiv verschiedene Streckbewegungen des ganzen 
Körpers ausgeführt, welche geeignet sind, eine Dehnung des Nerven herbeizuführen. Ausserdem 
wird in dem Bade wie auch nach dem Bade die Ischiasmassage in der bekannten Weise 
gemacht. Auch mit der Anwendung der schottischen Strahlen wird stets die Ischiasraassage verbunden. 

Der Redner berichtete über eine ganze Reihe von Fällen von Ischias, die oft nach jahre¬ 
langer anderweitiger vergeblicher Behandlung durch die geschilderte Behandlungsmethode geheilt 
worden sind. Dieselbe führte auch da, wo alle möglichen sonstigen inneren und äusseren Mittel versagt 
hatten, zu dem gewünschten Ziele. Naturgemäss ist die poliklinische Behandlung von längerer 
Dauer als die klinische, wo eine tägliche Ausführung der Prozeduren möglich ist, und die durch 
Zurücklegen des Weges zum Badepavillon bedingten immer erneuten schädlichen Einwirkungen 
wegfallen. So konnte Redner über eine Frau berichten, die seit zwei Jahren an heftiger Ischias 
litt, schliesslich vollständig gehunfähig geworden war, und bei der alle Medikamente versagt hatten, 
die aber nach nur zwölftägiger stationärer hydrotherapeutischer Behandlung von ihrem Leiden 
befreit wurde. 

Der von der Winternitz’schen Schule aufgestellte Satz, dass da, wo die hydrotherapeutische 
Ischiasbehandlung, namentlich die mit schottischen Strahlen, versage, es sich nicht um reine Ischias 
handle, sondern noch anderweitige Komplikationen vorhanden seien, konnte auch im Berliner Institute 
bestätigt werden. So kommt der hydrotherapeutischen Ischiasbehandlung auch eino differential¬ 
diagnostische Bedeutung zu. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


59 


2. Herr Krebs demonstrierte zunächst das in der hydrotherapeutischen Anstalt befindliche 
Glüh- und Bogenlichtbad, Apparate zur lokalen Bestrahlung mit Glühlicht und Bogen¬ 
licht, sowie ein von ihm konstruiertes, für Temperaturmessungen im Lichtbade geeignetes Mast- 
darmtherm ometer. Im Anschlüsse daran sprach er über Erfahrungen mit der Lichttherapie. 
Im Vordergründe bei der Wirkung der Glühlichtbäder steht deren sch weisstreibende Eigen¬ 
schaft, ohne dass sich dabei grössere Unterschiede zwischen rothem und farblosem Glühlicht gezeigt 
haben. Vortragender erwähnt dabei die theoretisch wohl begründeten Versuche Finsens, durch 
rothes Licht den Krankheitsprozess bei Pockenkranken günstig zu beeinflussen, ferner die günstigen 
Erfahrungen von Winternitz mit der Anwendung des rothen Lichtes bei Ekzem kranken, und 
nimmt dann mit einigen Worten zu den von einigen Seiten gerühmten Erfolgen derselben »Chromo- 
tberapie« bei Masern und Scharlach Stellung. 

Im allgemeinen werden auf der hydrotherapeutischen Anstalt die Glühlichtbäder angewandt 
bei Krankheiten, bei denen man sich von ihrer sch weisstreibenden und hauthyperämisierenden 
Wirkung Erfolg verspricht; sowohl der Verlauf des Bades im Glühlichtkasten als auch sein thera¬ 
peutischer Effekt unterscheide sich nur unwesentlich vom ähnlichen Heissluftbade. Doch habe 
ereteres eine Reihe von Vorzügen vor anderen Schwitzprozeduren: Der Schweissausbruch erfolgt 
im Lichtbade nach kürzerer Zeit und bei niedrigerer Temperatur ceteris paribus als im Heissluft¬ 
kasten, und die ganze Schwitzprozedur ‘ist dort für den Patienten angenehmer als hier. Die an 
den Glühlichtkisten gleichzeitig angebrachten Bogenlampen hält Krebs für überflüssig; denn 
es dauere unverhältnissmässig lange Zeit, ehe der Patient im Bogenlichtbade schwitze, das Herz 
werde, entgegen früherer Angaben, dabei auch nicht sonderlich geschont, falls der Patient nur 
kräftig schwitze; und eine besondere »leukocytoseerregende, hämoglobinvermehrende, stoffwechsel- 
befördernde* Wirkung des Bogenlichtes habe Vortragender bisher nicht nach weisen können. Auch 
halte er es nicht für angezeigt, Bogenlichtkastenbäder mit Sonnenbädern auf eine Stufe zu stellen. 

Die therapeutischen Erfolge mit dem Bogenlicht-Bestrahlungsapparat — der aus einer 
Bogenlampe von 15 Ampöre mit wagrechten Kohlenspitzen, hinter denen sich eine konkave Reflektor¬ 
scheibe befindet, besteht — führt Krebs im wesentlichen auf Wärmewirkung zurück. Diese 
therapeutischen Erfolge unterscheiden sich in nichts von den mit lokalen Heissluftapparaten oder 
mit dem Dampfstrahl erzielten; der letztere habe nach Beobachtungen des Vortragenden in den 
meisten Fällen besser gewirkt als der Reflektor. 

Die von russischen Aerzten mit besonderem Enthusiasmus bei Neuralgien verwendeten 
blauen Glühlampen mit reflektierenden Parabolspiegel wirken nach Krebs ebenfalls haupt¬ 
sächlich durch Wärmentwicklung; ist es doch bekannt, dass die Wärme sowohl schmetzlihdemd 
wie resorbierend wirkt; beides Erfolge, die dem blauen Glühlichtc von vielen Seiten als spezifisch 
ragesehrieben werden. 

Alles in allem könne man die dem Institute zur Verfügung stehenden Mittel der Lichttherapie 
wohl als schätzbare Unterstützung in der Therapie, keineswegs aber als spezifisches Allheilmittel 
begrüssen. 

Diskussion. 

Herr Senator hält es für auffällig, dass gerade die chemisch unwirksamen rothen Strahlen 
bei der Heilung des Ekzems die Hauptrolle spielen sollen. 

Herr Krebs erwidert, nach seinen bisherigen Erfahrungen habe er auch keine besonders 
Einstigen Wirkungen gerade des rothen Lichtes bei Ekzem und anderen Hautkrankheiten beobachten 
können. 

Herr Hoff mann: Bei der Frage der Behandlung des Ekzems käme es ganz darauf an, welche 
Art des Ekzems vorliege und ob es sich um akute oder chronische Fälle handle. 

Herr Jacob macht zunächst auf die Nothwendigkeit aufmerksam, an allen Lichtkästen, wie 
das auch bei dem Lichtbade im hydrotherapeutischen Institut geschehen ist, Oeffnungen anzubringen, 
die eine Kontrolle des Radialpulses erlauben. Sodann hebt er hervor, dass auch bei den auf der 
von Lev den’sehen Klinik aufgestellten Lichtbädern die Erfahrung gemacht worden sei, dass die¬ 
selben bei Heiz- und Nierenkranken keineswegs ein ungefährliches Mittel darsleilen, wie das ja 
auch der Vortragende ausdrücklich betont habe. Schliesslich macht er auf die von französischer 
Seite gemachten Beobachtungen über die beruhigende Wirkung des blauen Lichtes bei un¬ 
ruhigen Nerven- und Geisteskranken aufmerksam und empfiehlt die Nachprüfung. 

Herr Sch aper hofft, dass die bevorstehende Ausrüstung der Charitönervenklinik mit einem 
vollständigen physikalisch-therapeutischen Apparat diesbezügliche Versuche bald ermöglichen würden. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Herr Henneberg: In einem Zimmer für unruhige Geisteskranke in der psychiatrischen 
Charitöklinik sei zeitweise nachts eine blaue Glühlichtlampe angebracht gewesen; einen besonderen 
Effekt dieser Maassnahme habe er jedoch nicht beobachten können. 

8. Herr Laqueur, Mittheilungen über Blut Veränderungen bei lokalen hydrotherapeu¬ 
tischen Prozeduren. 

Während der Einfluss der den ganzen Körper treffenden hydrotherapeutischen Prozeduren 
auf die Blutzusammensetzung seit den grundlegenden Arbeiten von Grawitz, Winternitz und 
Rovighi vielfach studiert worden ist, ist die Frage der Veränderung des Blutes bei lokalen 
thermischen Einwirkungen noch nicht völlig geklärt Es liegen in dieser Hinsicht hauptsächlich 
Untersuchungen von Winternitz und seinen Schülern vor, die im allgemeinen folgendes ergaben: 
Lokale Kälteapplikation (Fussbäder, Umschläge um die Waden oder um den Leib) bewirkt 
eine erhebliche Zunahme der Werthe für Hämoglobin, rothe und weisse Blutkörperchen und spezi¬ 
fisches Gewicht des Blutes am Orte der Applikation, dagegen eine bedeutende Abnahme an ent¬ 
fernten Körperstellen; umgekehrt sei das Verhalten bei lokalen Wärmeapplikationen (heisse Um¬ 
schläge oder Kataplasmen auf den Leib). Nur bezüglich der Leukocyten bestände hierbei keine 
Konstanz. 

Die von Laqueur und Löwenthal im hydrotherapeutischen Institute diesbezüglich an- 
gestellten Blutuntersuchungen erstreckten sich auf Zählung der rothen undweissen Blutkörperchen, 
Bestimmung des Hämoglobingehaltes und des spezifischen Gewichts des Blutes und des Blutserums 
bei kalten Fussbädern und Douchen auf die Füsse, Kniegüsson, erregenden (kalten) Um¬ 
schlägen um die Waden resp. die Unterarme sowie um den Leib, und bei heissen Umschlägen 
um diese Theile. Die bisherigen Resultate sind im allgemeinen die folgenden: 

Bei kalten Umschlägen um die Waden fanden sich im Ohrläppchen die Werthe für 
die Blutbestandtheile nach einer Stunde vermindert, aber nur in geringem Maasse, nur die 
Zahl der Leukocyten zeigte eine bedeutende konstante Abnahme. Auch am Orte der Applikation 
der kalten (erregenden) Umschläge war die Alteration der Blutzusammensetzung keine bedeutende; 
die Werthe für Hämoglobin, Erytrocyten und spezifisches Gewicht des Blutes hatten zwar meist 
etwas zugenommen, aber nicht immer. Nur bei den Leukocyten war am deutlichsten und stärksten 
die Zunahme ausgesprochen. 

Bei kalten Fussbädern oder Douchen auf die Füsse war dagegen eine konstante Ver¬ 
änderung der Werthe für die Blutbestandtheile im Ohrläppchen überhaupt nicht zu konstatieren 
ausser bei den Leukocyten, die fast stets eine Abnahme auf wiesen. Die anderen Werthe waren 
theils unverändert, theis zeigten sie nach einem solchen Fussbade sogar eine geringfügige Zunahme, 
nur selten eine Abnahme. 

Auch erregende kalte Umschläge um den Leib riefen keine konstante Veränderung im Blute 
des Ohrläppchens hervor. 

Bei heissen Umschlägen um die Waden fanden die Untersucher im Blute des Ohrläppchens, 
entgegen den sonstigen Angaben, ein ähnliches Verhalten, wie bei den kalten erregenden Um¬ 
schlägen. Am Orte der Applikation waren die Leukocyten, wie bei den kalten Umschlägen, nach 
einer Stunde vermehrt, die anderen Werthe zeigten wieder meist gar keine Veränderung. 

Das spezifische Gewicht des Blutserums fand sich bei allen Prozeduren gar nicht oder nur 
unbedeutend verändert. 

Es haben also lokale hydrotherapeutische Prozeduren hauptsächlich in der Richtung auf die 
Blutzusaramensetzung in den verschiedenen Gefässprovinzen einen Einfluss, dass sie die Zahl der 
Leukocyten am Orte der Applikation vermehren, an den entgegengesetzten Körpertheilen deutlich 
vermindern. In viel geringerem Maasse werden die anderen Blutbestandtheile alteriert, am kon¬ 
stantesten noch bei den erregenden kalten Umschlägen, während bei anderen Kälteprozeduren die 
Alteration nur ganz unbedeutend und inkonstant ist. Ein prinzipieller Unterschied zwischen der 
Wirkungsweise kalter und warmer Umschläge Hess sich bezüglich der Beeinflussung der Blut¬ 
zusammensetzung von den Untersuchern bisher nicht konstatieren. 

Diskussion. 

Herr Grawitz weist darauf hin, dass die von ihm zuerst gefundenen Blutveränderungen nach 
Kälteprozeduren einen Fingerzeig dafür gäben, einen wie mächtigen Einfluss derartige hydro¬ 
therapeutische Maassnahmen auf den gesammten Organismus ausübten. Deshalb sei aber auch 
andrerseits besondere Vorsicht bei deren Anwendung am Platze, besonders bezüglich der Douchen. 
Es sei ein weitverbreiteter Irrthum, dass die Douchen bei jedem Patienten jahraus, jahrein ohne 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Schaden angewandt werden dürften, gerade bei nervösen Personen habe er oft sehr schädliche 
Folgen von einem zu lange fortgesetzten Gebrauch der Douchen gesehen. 

Herr Jacob: Frägt an, wie lange Zeit nach den betreffenden Prozeduren die Blutunter- 
sachungen gemacht worden seien und wie lange die beschriebenen Veränderungen angedauert 
bitten. 

Herr Laqueur: Die Untersuchungen wurden unmittelbar nach Beendigung der Prozeduren 
gemacht; zur Beantwortung der zweiten Frage müssten erst noch weitere Versuche angestellt 
werden. 

Herr Jacob: Weist ferner darauf hin, dass die vorgetragenen Resultate mit den Ergebnissen 
der von ihm und Goldscheider seinerzeit angestellten Versuche über Leukocytenveränderungen 
nach Kälteeinwirkung übereinstimmten. 

Herr Brieger wendet sich gegen die Ansicht von Grawitz, dass die Reize bei hydrothera¬ 
peutischen Prozeduren nicht dosierbar seien. Gerade in einer genauen Dosierung des thermischen 
and mechanischen Reizes bestehe die Kunst der richtigen hydrotherapeutischen Behandlung. Es sei 
eine bekannte Thatsaehe, dass die Anwendung der Douchen nicht übertrieben werden dürfe, und er 
pflege seine Zuhörer stets besonders darauf aufmerksam zu machen, dass gerade bei Neurasthenikern 
die Douche nur mit grosser Vorsicht angewandt werden dürfe, resp. überhaupt kontraindiziert sei. 

Zum Schlüsse demonstrierte Herr Brieger die Einrichtungen des Instituts. 


II. 

Bericht über die 23. öffentliche Tersammlung der Balneologischen 
Gesellschaft in Stuttgart vom 7. bis 12. März 1902. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Die diesjährige Tagung der Balneologischen Gesellschaft in Stuttgart gestaltete sich sowohl 
in wissenschaftlicher wie in gesellschaftlicher Hinsicht zu einer äusserst anregenden und hat wohl 
alle Theilnehmer, die in äusseret zahlreicher Menge aus Nord und Süd sich eingefunden hatten, voll¬ 
auf befriedigt. 

In Anwesenheit Sr. Majestät des Königs von Würtemberg, der dem Kongress lebhaftestes 
Interesse zuwandte, eröffnete der langjährige Vorsitzende, Prof. Dr. Liebreich, denselben mit einer 
Betrachtung über die Bedeutung der Balneologie, die Lehre vom Gebrauch und der Anwendung 
der Bäder sowohl zur Heilung von Krankheiten wie zur Förderung der Gesundheit Er weist da¬ 
bei besonders auf die Heilkraft des Wassers hin, und dass es nothwendig war, die Vorurtheile, die 
man der Balneologie entgegengebracht, zu widerlegen. Dazu braucht man aber ausser Theorie auch 
das Experiment und die praktische Beobachtung. Für die Entwicklung der Balneologie sind die 
physiologische wie die physikalische Chemie von höchster Bedeutung gewesen. Während man in 
der physikalischen Chemie vor einem Jahrhundert 35 Elemente zahlte, sind es deren heute schon 
72, ja bei genauer Berücksichtigung der chemischen Analysen wird nur wenig an der Zahl 100 
fehlen. Die Balneologische Gesellschaft dürfte noch Jahre lang als solche zusammen sein, ehe alle 
für sie in Betracht kommenden Fragen gelöst sein werden. 

In die wissenschaftliche Tagesordnung eintretend sprachen zuerst 

Determann (St. Blasien) und Schröder (Schömberg), Ueber die Wirkungen des Höhenklimas 
auf den Menschen. 

Ersterer behandelte als Referent im Aufträge der Balneologischen Gesellschaft die allgemeinen 
Wirkungen des Höhenklimas, während Schröder als Korreferent über die physiologischen Ein¬ 
flösse auf die Athmung, das Blut, die Schleimhäute sowie über die Wirkungen bei der Tuberkulose, 
da* Skrophulose, den Erkrankungen des Blutes etc. sprach. Früher hielt man sich besonders an 
die Untersuchungen im künstlich hergestellten luftverdünnten Raum. Jedoch haben die Höhen- 
expeditionen ergeben, dass die Wirkung des Höhenklimas viel umfassender und oft intensiver ist 
als die einfache Luftverdünnung. Die Herzaktion wird in der Höhe beschleunigt und oft unregel¬ 
mässig, besonders bei körperlicher Bewegung. Der Blutdruck nimmt im luftverdünnten Kabinett 
ab, jedoch ist dasselbe in grossen Höhen nicht immer der Fall. Die Ursache der Herz- und Gefäss- 
erscheinungen liegt nicht allein in der Luftverdünnung, und es reicht auch die mechanische Erklärung 


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62 . 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


derselben (Einengung der Lungenstellung, Stauung in den Lungenvenen) nicht aus, sondern es sind 
wahrscheinlich, besonders für geringere Höhen Einwirkungen auf das Nervensystem durch die 
anderen klimatischen Faktoren der Höhe heranzuziehen. Man kann in streng wissenschaftlichem 
Sinne von einer Anregung des Stoffwechsels durch das Höhenklima sprechen, wenn auch viele 
Einzelheiten in dieser Beziehung noch nicht untersucht sind. In der ersten Zeit erfolgt besonders 
ein Mehrverbrauch von Fetfc^und Wasser der Gewebe, während nach einiger Zeit.Organeiweiss au¬ 
gesetzt wird. Die Ursache davon liegt nicht in der Luftverdünnung; woran sie liegt, ist noch nicht 
ergründet. Tiefgreifende Veränderungen des Stoffwechsels, besonders der Chemie der Athmung 
zeigen sich in solchen Höhen, in denen das Blut sich nicht mehr mit Sauerstoff sättigen kann. Bis 
in Höhen von ca. 4500 m ist das allerdings noch möglich (»Luxusathmung« bis dahin). Jedoch 
kommt in grösseren Höhen eine Erschwerung des Athmungsmechanismus, weiche die Sauerstoff¬ 
alveolarspannung der Lungen abnehmen lässt. Dann verschiebt sich der respiratorische Quotient 
(CO 2 /O). 

Das Körpergewicht nimmt meistens im Anfang ab, die Wärmebilanz ist in der Höhe sogar 
bei körperlicher Arbeit konstanter als in der Niederung infolge erleichterter Wärmeabgabe. Die 
Muskelkraft nimmt in grossen Höhen ab, wahrscheinlich infolge verstärkter Wirkung der Ermüdungs- 
produkte auf das Nervensystem. Jedenfalls sind der Sauerstoffmangel und die Verdünnung der 
Luft nicht allein Schuld. Appetit und Verdauung werden in mässigen Höhen oft in ganz erstaun¬ 
lichem Maasse angeregt. In sehr grossen Höhen zeigen sich dyspeptische Erscheinungen: Ver¬ 
stopfung, Flatulenz etc. Das Nervensystem wird durch die Höhe in vielfachster Weise beeinflusst! 
Während in Höhen bis zu 2000 m Energie und Leistungsfähigkeit zunehmen, kommen in grösseren 
Höhen Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerz, Schläfrigkeit, StimmungsVeränderungen vor; in den 
grössten Höhen sind alle nervösen Funktionen erlahmt. Der Schlaf ist in grossen Höhen schlecht, 
in mittleren ist er in der ersten Zeit herabgesetzt, jedoch ist das Allgemeinbefinden dabei merk¬ 
würdig wenig gestört, in Höhen unter 1000 m pflegt er nach kurzer Zeit gut zu sein. 

Die Bergkrankheit tritt auf in Höhen von 4—5000 m — Schwäche, AthmungsVeränderungen, 
Herzerscheinungen, Uebelkeit, Erbrechen, Blutungen aus den Schleimhäuten, verzagte Stimmung, 
Benommenheit, Bewusstlosigkeit und der Tod können eintreten. Von Bedeutung für Zustande¬ 
kommen und Schwere der Erscheinungen ist das hygienische und diätetische Verhalten, körperliche 
Ruhe, Willenskraft, resp. Sorge, Furcht. Jourdanet’s AnoxyhÖmie bei dauernden Bewohnern der 
Höhe (Schwäche, Verdauungsstörungen, Anämie etc.) wird von vielen bestritten. Die Bergkrankheit 
entsteht weniger durch den Sauerstoffmangel der Luft, als durch die infolge Luftverdünnuug ein¬ 
tretende »Einengung« der Lungenstellung und die ungenügende flache Athmung, wodurch eine Ab¬ 
nahme der Sauerstoffalveolarspannung der Lungen, sowie ein O-Mangel des Blutes und der Gewebe 
zu stände kommt. Es handelt sich dann um eine innere »Erstickung«, eine Cyanose der Gewebe, 
besonders des Gehirnes. 

Die GesammtWirkung des Höhenklimas auf den Gesunden besteht in einer starken An¬ 
regung sämmtlicher vitaler Funktionen, einer Anregung, welcher der Körper in den grösseren Höhen 
nicht gewachsen ist, welche jedoch in Höhen bis 2000 m unter kräftiger Uebung aller Organe in 
wohlthätigen Grenzen gehalten wird. Antimetisationsbeschwerden treten auch schon in Höhen von 
2000 m und darunter auf. Sie bestehen in gewissen Hautreizerscheinungen, gestörtem Schlaf, Ver¬ 
änderungen der Athmung und Herzthätigkeit, der Verdauung, des Appetits, ferner in Schwindel, 
Kopfschmerz, Ohrensausen etc.; nach 4—5 Tagen tritt Gewöhnung ein und dann beginnt die wohl- 
thätige Einwirkung der Höhe. In Trainierung, Konstitution, Verhalten etc. sind Unterschiede in 
der Schwere dieser Erscheinungen vorhanden. Bei der Verordnung der Höhe für Krankheits¬ 
zustände muss vor allem vermieden werden, zu grosse Anforderungen an die Kräfte des betreffenden 
Patienten zu stellen; im allgemeinen soll man Kranke nicht höher als 2000 m schicken. Oft ist die 
Situation eines Höhenortes mehr zu berücksichtigen wie die absolute Höhenaniage (ersteres bezüg¬ 
lich Besonnung, Windschutz, Nebel etc.). Mit einem Minimum von Antimetisationsbeschwerden 
muss ein Maximum von heilsamer Anregung verbunden sein. Die Dosierung der Höhe und die 
Differenzialindikation der verschiedenen Orte und Jahreszeiten müsste noch mehr in den ärztlichen 
Verordnungen ausgeprägt sein. Greise sind im allgemeinen von Höhen über 1000 m fernzuhalten, 
Kinder vertragen das Höhenklima gut; die Gravidität verläuft in der Höhe normal! 

Bei Herz- und Gefässerkrankungen muss das Höhenklima als ein zweischneidiges Mittel an¬ 
gesehen werden. Schwere organische Erkrankungen soll man nicht höher als 1000 m schicken, 
Fälle von Arteriosclerose, Aneurysma der Aorta, fortschreitende Degenerationszustände des Herz¬ 
muskels sind von der Höhe fernzuhalten. Fettherz, gut kompensierte Klappenfehler etc. kann man 


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in Hohen von 400—1000 m mit grossem Vortheil behandeln. Sehr gut eignen sich für das Höhen¬ 
klima nervöse Herzerkrankungen, welche oft in überraschender Schnelligkeit sich bessern. 

Von den Nervenkranken werden bekanntlich die funktionell Erkrankten, besonders die 
Neurastheniker, in grosser Anzahl ins Gebirge geschickt, und sie erfahren dort meistens wesentliche 
Besserung unter Zuhilfenahme von Ruhekur oder sportlicher resp. anderer körperlicher Bethätigung 
sowie von physikalischen etc. Heilmitteln. Namentlich ist der Winter zur Behandlung von nervös 
belasteten jungen Leuten und Kindern geeignet Auch andere funktionelle Nervenerkrankungen 
werden besonders zur Besserung des Allgemeinbefindens im Gebirge behandelt. Hervorragende 
Erfolge weist dort die Behandlung des morbus Basedowii auf, ebenso die nervöse Schlaflosigkeit. 
Organische Nervenerkrankungen und Geisteskrankheiten leichteren Grades sind häufig Gegenstand 
der Behandlung im Höhenklima. Für schwerere Erkrankungen des Verdauungskanals kann man 
nur geringere Höhen verordnen, damit die geschwächten Verdauungsorgane den gesteigerten An¬ 
sprüchen nachkommen können. Die funktionellen Leiden des Magens und Darms werden mit 
grossem Erfolg im Gebirge behandelt, man sieht den Appetit sich oft in kurzer Zeit erheblich 
steigern, und mit der erreichten Gewichtszunahme lassen die Symptome nach. Die Erkrankungen 
des Stoffwechsels werden direkt nicht durch das Höhenklima beeinflusst. Jedoch werden immer 
Fälle von abnormer Magerkeit, Fettsucht, allgemeiner Plethora, gichtischer Disposition, hamsaurer 
Diathese, Phosphaturie, Oxalurie etc., auch leichte Fälle von Diabetes mellitus mit gutem Erfolge 
im Höhenklima beeinflusst 

In seinem Korreferat führte Schröder folgendes aus: Im Höhenklima tritt zuerst eine Ab¬ 
nahme der Lungenkapazität ein, die durch erschöpfende Muskelarbeit noch vermehrt werden kann. 
Längerer Aufenthalt im Gebirge dagegen steigert die Kapazität. Im höheren Gebirge tritt eine 
gewisse ständige Atemgymnastik ein, in minderen Höhen wird bald wieder der normale Zustand 
erreicht Die Frequenz der Athemzüge, ferner die Athemgrösse nehmen im Beginn des Aufenthaltes 
gleichfalls zu, mehr oder weniger stark je nach geleisteter Muskelarbeit. Später gleicht sich dies 
alles durch Akklimatisation wieder aus. Der Chemismus der Athmung kann in den uns interessierenden 
Höhen bis 2000 m keine Aenderung erfahren. Aus diesem Grunde ist auch die Theorie von der Neu¬ 
bildung der rothen Blutzellen im Gebirge in erster Linie unhaltbar. Auch andere Theorieen, wie 
stärkere Eindickung des Blutes, andere Verteilung im Kapillarsystem, veränderter Tonus im Arterien¬ 
system, verminderter Zellenuntergang etc. haben der Kritik nicht standhalten können. Vielmehr 
müssen wir annehmen, dass der Fehler der Zählkammer, die sich nach Gottstein und des Referenten 
Untersuchungen als vom Luftdruck abhängig erwies, die Erscheinung zunächst am einfachsten deutet. 
Pie Schlitzkammer zeigt nicht den genannten Fehler und daher auch nicht die Blutkörperchen¬ 
vennehrung, wie Starcke und Löwy bestätigten. Das histologische Verhalten des Blutes ist im 
Lebirge normal. Die Glockenversuche mitThieren lassen sich aus mancherlei Gründen nicht ohne 
weiteres auf den Menschen übertragen. Der vermehrte Hämoglobingehalt kann naturgemäss nicht 
schlechtweg durch die Höhe bedingt sein, sondern entsteht in erster Linie durch gesteigerte Er¬ 
nährung, Anregung des Gesammtstoffwechsels etc. An Thieren fand man nach Entbluten eine Zu¬ 
nahme der Gesammtblutmenge und des Gesammthämoglobins, ferner soll das Knochenmark der 
Bergthiere Veränderungen zeigen gegenüber dem der Thiere der Ebene. Man kennt das Anpassungs¬ 
vermögen der Thiere an das höhere Gebirge zu wenig, um diese Ergebnisse sofort auf den Menschen 
übertragen zu können. Beim Menschen werden individuelle Verhältnisse sicher auch eine gewisse 
Rofle spielen und wollen wohl beachtet sein. Auf Haut- und Schleimhäute wirkt das Höhenklima 
durch stärkere Verdunstung, Belichtung und intensivere Insolation und Kälte. Die Austrocknungs¬ 
grösse richtet sich natürlich in erster Linie nach der relativen Feuchtigkeit, die nicht stets im 
Gebirge erniedrigt zu sein braucht 

In der Phthisisbehandlung spielt das Höhenklima seit alters her eine grosse Rolle. Die 
sogenannte relative Immunität ist nicht von der Höhe schlechtweg abhängig, sondern bedingt 
1. durch Abnahme der Bevölkerungsdichte, 2. hygienischeres Leben der Gebirgsbewohner, 3. Zu¬ 
nahme der Kindersterblichkeit im Gebirge. Eine spezifische Einwirkung des Höhenklimas auf 
phthisische Prozesse lässt sich weder experimentell noch statistisch beweisen. Ebensowenig ändert 
sich im Gebirge im allgemeinen die Symptomatologie dieser Krankheit Das Hochgebirge ist für 
manche Lungenkranke nicht geeignet, die sich den veränderten klimatischen Verhältnissen nicht 
anpassen können. Für geeignete Kranke ist es sehr nützlich durch die mancherlei günstigen physio¬ 
logischen und hygienischen Einflüsse; dieselben kommen allen Erkrankungsformen der Athmungs- 
organe im Gebirge gleichmässig zu gute. Die letzteren erfuhren eine eingehende Besprechung. 

Rekonvaleszenzzustände nach akuten und chronischen Erkrankungen, ferner Malaria und ihre 


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Folgen, sobald die betreffende Gebirgsgegend malariafrei ist, werden im Höhenklima recht günstig 
beeinflusst, Anämie und Chlorose heilen im Gebirge oft überraschend. Oftmals dagegen können 
sich derartige Kranke schlecht akklimatisieren und verschlimmern ihren Zustand durch den Gebirgs- 
aufenthalt. Das Höhenklima ist ein Unterstützungsmittel in der Therapie der Skrophulose; die 
kranken Kinder müssen lange in den Bergen bleiben, wo auch für ihre geistige Ausbildung gesorgt 
werden muss. Das Sehorgan wird im Höhenklima durch die starke Belichtung in mancher Hinsicht 
ungünstig beeinflusst Chronische Katarrhe der oberen Luftwege verschlimmern sich oft durch die 
häufigere stärkere Austrocknung im höheren Gebirge. Die Larynxtuberkulose verläuft im ganzen 
wie in der Ebene. Die Sekretion der chronischen Mittelohreiterungen vermindert sich im Gebirge 
schneller wie in der Ebene; das Hörvermögen der Sklerotiker bessert sich in grösseren Höhen. 
Dagegen hönnen in Höhelagen Hautveränderungen entstehen, nämlich Rhagaden, Erytheme, 
Exantheme, ja selbst Verbrennungen 2 Grades. Bei Auswahl einer Höhengesundheitsstation für 
eine Krankheitsform muss der Arzt zunächst die Individualität seines Patienten stark berücksichtigen, 
ferner die meteorologischen und geologischen Verhältnisse, sowie die sanitären Einrichtungen des 
zu wählenden Ortes genau kennen. 

v. Grfltzner (Tübingen), Ueber den Mechanismus der Magenverdauung« 

Die Bewegungen des Magens sowie des Mageninhaltes spielen in der Physiologie des Ver- 
dauungstraktus von jeher eine grosse Rolle. Maassgebend für unsere Auffassung war bisher die 
bekannte Beobachtung Beaumont's an der Magenfistel eines kanadischen Jägers, und seine 
damaligen Angaben, dass die Speisen vom Oesophagus aus eintreten, eine Bewegung an der grossen 
Kurvatur machen und zum Pylorus wieder austraten, fanden ungeschmälerte Billigung. 

Allein so einfach ist der Prozess nicht, wie man ursprünglich annahm, sondern der Magen ist 
hinsichtlich seiner Bewegung ein zweigetheiltes Wesen, dessen linke Parthie andere Bewegungen 
macht, als die rechte. Um dies zu erkennen, war die Untersuchung des gesunden Magens noth- 
wendig. Kennan fütterte Katzen mit einem Milchbrei, der reichlich mit Bismuthum subnitricum 
versetzt war, und untersuchte nun im Röntgenbild den Magen. Man sieht da, dass anfangs die 
Bewegungen der linken Magenhälfte sehr schwach vor sich gehen, und dass sie um so energischer 
werden, je stärker die Verdauung ist. Allmählich wird diese Parthie entleert und nun beginnt in 
der Mitte des Magens eine viel intensivere Thätigkeit. Hier wird zunächst der Speisebrei erweicht, 
an der grossen Kurvatur zusammengedrückt, es bildet sich eine Einschnürung; die Flüssigkeit wird 
herausgedrückt, die festen Speisen mittels des starken sauren, peptischen Inhaltes durchknetet, vor¬ 
wärts bewegt, wieder zurück gedrängt zu wiederholten Malen, bis sie endlich durchgehen. Dieser 
Modus ist ausserordentlich zweckmässig, er ist direkt eine Sortiervorrichtung, indem die Massen 
durchknetet und, was noch nicht durchknetet ist, immer wieder zurückgedrängt wird. Moritz hat 
diese Beobachtungen ergänzt, indem er einen Manometer durch den Oesophagus in die linke Magen- 
parthie, einen zweiten in die rechte einBetzte und nun fand, dass die Druckhöhen ganz verschieden 
sind; also gehen in der rechten Parthie des Magens ganz andere, viel gewaltigere Veränderungen 
vor sich, wie links. Grützner hat nun in eigenen Versuchen und Beobachtungen folgendes fest¬ 
stellen können: Die Schichten und Formen des Mageninhaltes lassen sich am besten erkennen, wenn 
man den Magen in eine feste Form bringt. Er fütterte nun die Versuchsthiere mit verschiedenem 
Futter, tötete sie und brachte den Magen sofort in eine Kältemischung; dann wurden photographische 
Aufnahmen, Schnitte etc. davon gemacht. Die ersten Versuche wurden am Rattenmagen, dessen 
Pars cardiaca Oesophagusepithel besitzt, mithin eine rein peptische Parthie ist, angestellt und zwar 
in der Weise, dass das Thier mit einem Brei aus Weissbrötchen und Milch, dem als Indikator 
Heidelbeerextrakt zugesetzt war, gefüttert wurde. Giebt man nun solch blaugefärbtes Futter der 
Ratte und später, nach 1—2 Stunden, weisses Futter, dann sieht man am gefrorenen Magen das 
weisse Futter in der Mitte und zwar alkalisch geblieben, während an der Pars pylorica alles von 
Säure durchtränkt roth erscheint. Das neue Futter, das eingeführt wird, geräth immer in die Mitte 
des alten und weiterhin bleiben die Nahrungsmittel stundenlang liegen, ohne mit den Magenflüssig¬ 
keiten in starke Verbindung zu kommen, sie werden von diesen nur gleichsam abgewischt. Dies 
ist wichtig, weil während dieser Zeit die Wirkung des Speichels vor sich gehen kann. Aehnliches 
gilt auch für den Magen der Katze, des Pferdes etc. So ergiebt sich, dass die linke Parthie des 
Magens wesentlich als Reservoir dient, indem sie in kleinen Perioden die Nahrung dem Magen zur 
Verdauung übergiebt. Das Wasser geht sehr bald ab, es verdünnt also nicht die peptischen 
Wirkungen, wie man bei Wassertrinkem zum Essen bisher annahm; anders ist cs dagegen bei den 
festen Speisen, bei denen der Pylorus sich von Anfang an nicht öffnet, sondern erst allmählich 
auseinandergepresst wird. Die linke Parthie ist also quasi der Vorhof des Magens. Anatomisch 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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muss somit der Magen in 2—3 Abschnitte getheilt werden, die linke Hälfie zeigt bei einer grossen 
Reihe von Thieren keine verdauenden Apparate (Drüsen); auch physiologisch ist der Magen nicht 
als einheitliches Gebilde anzusehen. 

Pariser (Homburg), Zur Lehre von der Atonie des Magens. 

Eingangs seiner Ausführungen wendet sich Pariser scharf gegen die von Elsner ent¬ 
wickelte Anschauung bezüglich der Atonie und der Dignität des Plätschergeräusches, die viel Ver¬ 
wirrung gestiftet habe. Elsner’a Beweisführung bleibe an der Oberfläche der Dinge. Atonie und 
motorische Insufficienz seien an sich zwei verschiedene Dinge. Das Plätschergerausch sei ein 
typisches Zeichen der Atonie, Gastroptose sei eo ipso mit Atonio verbunden und sei keineswegs 
eiq gleichgültiger Zustand, wie Elsner behauptete. 

Pariser will, um aus dem Wirrwarr den Nomenklatur herauszukommen, die Störungen der 
muskulären Magenfunktion eingetheilt gissen in Myasthenien und poststenotische motorische In- 
sufficienz. Die Myasthenien zerfallen in zwei Untergruppen, die der reinen Atonie und der my¬ 
asthenisch-motorischen Insufficienz; die praktische Bedeutung der Atonie liege darin, dass sie das 
wohl zu beachtende Vorstadium der irreparablen motorischen Insufficienz bilde, ferner erkläre die 
reine Atonie viele Züge im Bilde der nervösen Dyspepsie. Gerade die letzteren Fälle lieferten 
den deutlichsten Beweis, dass Atonie an sich mit expulsorischer Insufficienz nichts zu thun habe. 
Die Atonie sei eine Störung der peristolischen intraorganischen Magenbewegung, die myasthenische 
Insufficienz eine Störung der peristaltischen intraorganisch wirkenden Magenbewegung. Atonieen 
können erworben sein, mindestens in der Hälfte der Fälle aber sei die Atonie ein Zeichen einer be¬ 
stimmten Anlage und komme dann besonders bei demjenigen konstitutionellen Degenerationstypus 
vor, dessen einzelne Komponenten Stiller zuerst unter dem Bild und Namen der xVsthenia uni¬ 
versale congenita zusammengefasst hat. 

ln der Diskussion traten Rohr (Gurnigel) und Prof. Winternitz (Wien) den Ausführungen 
Pariser’s entgegen, ersterer indem er das Plätschergeräusch für kein solch wesentliches Symptom, 
wie es Pariser schildert, hinstellcn möchte, letzterer indem er bei schwersten Myasthenien und 
Magenerweiterungen, wenn sie auf nervöser Basis beruhen, Heilungen beobachtet haben will. 

Koppe (Giessen), Der Salzliunger. 

Uralt ist die Erkenntniss der Salzzufuhr zu den Speisen. Das Salz hat zu allen Zeiten einen 
der wichtigsten Handelsartikel der Völker gebildet; ebenso bekannt ist auch, dass der Salzhungcr 
sich speziell bei den Pflanzenfressern einstellt. Salzhunger ist nicht das Bedürfnis nach Kochsalz 
speziell, sondern nach anorgauischen Salzen überhaupt, d. h. also nach Salzen, die im Wasser gelöst, 
Jonen bilden können. Wenn beim pflanzenfressenden Organismus sich Salzhunger einstellt, so liegt 
die Erklärung darin, dass die Vegetabilicn zu wenig Salz für das Bedürfniss des Menschen haben; 
and dabei haben die Vegetabilicn einen hohen Salzgehalt, fast dreimal soviel wie die Auimalien. 
Es kommt also auf die Form an, in der die anorganischen Salze in der Nahrung enthalten sind- 
Die Pflanzen sind die einzigen Organismen, die ihre Nahrung aus dem Mineralreich decken können; 
auch bei jungen grünen Pflanzen findet sich ein hoher Gehalt von mineralischen Stoffen. Asche 
und Salzgehalt der Pflanzen sind aber ganz verschiedene Stoffe. 

In der Pflanzenasche erhält man alle Mineralbestandtheile, sowohl die organischen wie die 
anorganischen; man müsste also annehmen, dass im Pflanzensaft alle anorganischen Bestandtheile 
vorhanden sind. Die Differenz der Asche der ganzen Pflanze minus der Asche des Zellsaftes giebt 
jedoch nicht die anorganischen Salze. Je mehr anorganische Bestandtheile, d. h. je mehr Jonen im 
Pflanzensaft sind, desto besser müsste er den elektrischen Strom leiten. Darüber ergiebt eine Reihe 
von ansgeführten Analysen seitens Koppe die nothwendige Klarheit: 



Trocken- 

sobstaaz 

Wasser 

Asche 

Aschenanalyse 

1 aus der ' 

ganzon Pflanze 1 

Aschengehalt 

des 

Ptlanzensaftes 

jWirklicher, Elekt^risclio 

1 Salzgehalt, r4hi *' ke it 

Salat. 

7,7 

92,2 

0,98 

, 1 ,or» 

0,60 

0,44 

58 

Kohlrabi .... 

8,76 

91,2 ; 

0,59 

0,65 

0,55 

0,41 

53 

gelbe Rübe . . . 

7,5 

92,5 

! 0 , 5 t; 

0,61 

0,41 

0,39 52 

Blumenkohl . . . 

! 11,8 

CO 

OD 

0,99 

1,12 

0,97 

0,60 

91 


Ganz anders bei der animalen Kost; so ist ira Blutserum der Gesamratgchalt an Salzen in 
anorganischer Form enthalten, der Aschengehalt beträgt 0,75'>/<,; die Mineralwässer nehmen eine 
gewisse Mittelstellung ein. Im Steinsalz besitzen wir ein chemisch reines Speisesalz, das Seesalz ist 

Zeifcjchr. t dilL u. pbyalk. Therapie Bd. VI. Heft 1. 5 


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66 Referate über ßücher und Aufsätze. 

viel minderwerthiger demgegenüber und trotzdem letzteres sehr, sehr viel thcurer ist, ist der Ver¬ 
brauch von Siedesalz zu Speisezwecken viel grösser. So ist laut statistischen Mittheilungen der 
Verbrauch in Deutschland im Jahre 1898 der gewesen, dass gegenüber 378000 Tonnen Siedesalz 
nur 33000 Tonnen Steinsalz verbraucht wurden. Auch der Thierzüchter zahlt lieber das theurere 
Siedesalz wie das chemisch reinere und billigere Steinsalz. Kurzum die Nebensalze haben ihre ent¬ 
schiedene Bedeutung; Salzhunger ist nicht blos allein auf das ungünstige Verhältniss von Kalium 
zu Natrium zu schieben, sondern Salzhunger ist Bedürfnis nach anorganischen, das heisst Jonen 
bildenden Salzen. In der Diskussion weisen Länderer (Stuttgart) auf die Bedeutung der Salze für 
das Zustandekommen der Rhachitis, Vollmer (Kreuznach) auf die günstige Wirkung der Kochsalz- 
queilen, die wohl durch die Verbindung von Kochsalz mit anderen Salzen zu erklären ist, hin. 

(Fortsetzung folgt.) 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Erwin Voit, Die Bedeutung des Körperfettes , 
für die Ei Weisszersetzung des hungernden 
Thieres. Zeitschr. f. Biol. Bd. 41. Heft 4. I 

Erwin Voit, lieber die Ursache der Zunahme 
der Ei weisszersetzung während des Hungerns. I 

Ebenda. 

In der ersten Abhandlung berechnet der Ver¬ 
fasser noch eingehender als in einer vor kurzer 
Zeit (Zeitschr. f. Biol. Bd. 41. H. 1) erschienenen j 
und hier bereits referierten Arbeit den Einfluss 
des Körperfettes auf den Ei weisszerfall des Hunger- j 
thieres unter Benutzung eigener und fremder in 
der Litteratur vorliegenden Vcrsuchsprotokolle. , 
Aus den am verhungerten Thier direkt bestimmten 
Werthen für Gesammteiweiss- und Gesammtfett- 
menge einerseits, aus den während des Lebens 
beobachteten N-Ausscheidungen und dem (unter | 
Beziehung auf die Körperoberfläche) berechneten 
Gesammtkaloriecnbedarf andererseits stellt Voit 
für jeden Versuchstag fest: 1. das Verhältniss des 
Stickstoffbestandes zum Fettbestand und 2. das 
Verhältniss des Eiweisszerfalles zum Gesammt- 
umsatz. 

Er findet nun bei derartiger Analyse einiger 
von verschiedenen Autoren an Kaninchen und 
Hühnern angestellter Versuche, dass diese beiden 
Werthe in bestimmtem Abhängigkeitsverhältniss 
von einander sind: so lange der erste Werth 
klein ist, d. h. solange der Fettbestand relativ 
gross ist gegenüber dem Ei weissbestand (d. h. 
dem aktiven Zell material), werden nur 4—10o/ 0 
des Gesammtbedarfs durch EiwcissVerbrennung 
gedeckt; mit der stärkeren relativen Armuth an 
Fett (etwa unterhalb 1/2 des Stickstoffbestandes) \ 


steigt der Ei weisszerfall, und zwar ganz proportional 
der fortschreitenden Fettverarmung, bis er zuletzt 
die Hälfte der erforderlichen Kalorieenwerthe 
liefert. Die zirkulierende Fettmenge, d. h. das 
zur Verbrennung dienende Fett nimmt offenbar 
ab, wenn die Fettreservoire beträchtlich zusammen¬ 
geschmolzen sind. Der Tod des Thieres tritt 
schliesslich ein, wenn infolge ungenügenden Brenn¬ 
materials die lebenswichtigen Organe nicht mehr 
genügend Nahrung bekommen. 

Der folgende Aufsatz des V erfassers wendet sich 
im wesentlichen gegen die unter gleichem Titel 
erschienene Entgegnung von Schulz; Voit be¬ 
ruft sich auf die Resultate der eben besprochenen 
Berechnungen und legt an die von Schulz heran¬ 
gezogenen Versuchsreihen scharfe Kritik. Ver¬ 
fasser kommt zu dem Schluss, dass alle bis jetzt 
bekannt gewordenen Beobachtungen sich nach 
der Voit’&chen Anschauungsweise erklären 
lassen, während die Sc h ulz’sche Auffassung nicht 
erklären könne, weshalb die Grösse des Ehveiss- 
zerfalls sich stets nach dem Energiebedarf des 
Thieres richte. D. Gerhardt (Strassburg). 

C. Binz, Die Wirkung des Destillats von 

Kaffee nnd Thee auf Athmung und Herz. 

Centralblatt für innere Medicin 1900. No. 47. 

Der Verfasser bespricht die Untersuchungen, 
die C. Th. Are hangeis ky im Bonner pharma¬ 
kologischen Institute angestellt hat. Zunächst 
wird die bisherige Litteratur angeführt. Die Er¬ 
gebnisse der Forschungen von Archangelsky 
sind folgende: Das koffeinfreie Destillat des ge¬ 
rösteten Kaffees hatte eine deutlich steigernde 
Wirkung auf die Grösse der Athmung beim 
Menschen. Sie wurde besonders dann sichtbar, 


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Referate über Bacher und Aufsätze. 67 


wenn der Mensch mehrere Stunden vorher ohne 
Nahrung geblieben; sie war nicht von langer 
Dauer; sie war die Folge eines Steigens der 
Athemzahl (Frequenz), nicht einer Vertiefung der 
einzelnen Zöge. Auch an Hunden, die durch 
Weingeist vollkommen gelähmt waren, zeigte 
sich die Aufbesserung desAthmcns, wie in den 
Binz’sehen Versuchen von 1879. Muskelunruhe 
und geringe psychische Erregung waren ebenfalls 
die Folge der Aufnahme des Kaffeodestillats. 
Die Pulsfrequenz des gesunden Menschen wurde 
durch das Kaffeedestillat nicht verändert. Das 
Destillat eines guten chinesischen Thees ergab am 
Menschen dasselbe, nur weniger stark. Weitere 
auf diesen Punkt gerichtete Beobachtungen sind 
wünschenswerth. Die Angabe von K. B. Leh¬ 
mann, dass den aromatischen Bestandteilen des 
Kaffeeaufgusses selbst in grossen Gaben eine mit 
gröberen Mitteln nachweisbare physiologische 
Wirkung auf das Gehirn oder die Muskeln nicht 
zukotnme, ist jedenfalls in dieser allgemeinen 
Fassung nicht zutreffend. Wir werden also sagen 
müssen, dass die erregenden Eigenschaften des 
ganzen Xaffee- oder Theeaufgusses vom Koffein 
und den im siedenden Wasserdampf flüchtigen 
Bestandtheilen abhängen, am meisten aller¬ 
dings, wenn man die Ergebnisse der alten und 
neuen Untersuchungen mit einander vergleicht, 
vom Koffein. W. Zinn (Berlin). 

J. Flescb, Zar Ernäbnuigstherapie mit 
künstlichen Eiweisspräparaten. Klinisch¬ 
therapeutische Wochenschrift 1900. No. 33. 

Verfasser empfiehlt das Plasmon als ein sehr 
geeignetes Eiweisspräparat bei der Ernährung in 
schweren akuten und chronischen Krankheiten; 
er zieht nach seinen Erfahrungen das Plasmon 
den ähnlichen Produkten, wie: Somatose, Tropon, 
Eukasin, Nutrose, Sanose, Sanatogen entschieden 
vor. Das Plasmon stellt einen aus Magermilch 
durch Zusatz von etwas Natriumbikarbonat ge¬ 
wonnenen Eiweisskörper dar, der, auf mechani¬ 
schem Wege erhalten, die Eiweissstoffe der Milch 
unverändert enthält; es ist ein feinkörniges, 
weisses Pulver ohne Geruch und Geschmack. 
Das Präparat ist in steter Abwechslung zu 
reichen bis zu einer Menge von 40 — 80 g in 
-4 Stunden. W. Zinn (Berlin). 


A'Loewj und M. Pickardt, Ueber die Be¬ 
deutung reinen Pfl&nzeneiweisses für die 

Ernährung. Deutsche raedicinische Wochen¬ 
schrift 1900. No. 51. • 

Die Versuche wurden mit dem aus Pflanzen- | 
eiweias hergestellten Getreidesamen Roborat an- | 


gestellt, das einen N - Gehalt von 94,2%, auf 
Trockensubstanz berechnet, hat. Die Ausnutzung 
dieses vegetabilischen Eiweisses im Darm war 
genau so gut, wie diejenige des Fleischeiweisses, 
und ferner vermochte cs in äquivalenter Menge 
das animalische Eiweiss zu ersetzen. Die Ham- 
säureausscheidung war während der Roborat- 
periode eine erheblich herabgesetzte. An¬ 
knüpfend an diese Versuche stellen die Autoren 
beherzigenswerthe Betrachtungen über Eiweiss¬ 
präparate an, welche als Massennahrungsmittel oder 
als Diätetika verwerthbar sind. Solche Eiweiss- 
präparate müssen geschmacklos sein, damit man 
sie den verschiedensten Gerichten zusetzen kann, 
sic müssen ein mässiges Volumen haben und gut 
ausnutzbar sein, und sie müssen billig sein. 
Eukasin und Nutrose sind sehr theuer, Tropon 
wird schlecht ausgenutzt und ist unlöslich, das 
vegetabilische Aleuronat und das animalische 
Soson haben einen ausgesprochenen Geschmack. 
Die obengenannten Forderungen werden erfüllt 
vom Plasmon und vom Roborat. Das eretcre 
ist Milcheiweiss und könnte daher pathogene 
Keime enthalten. Doch sind solche bisher in 
demselben noch nicht gefunden worden. 

In einem Falle wurde Roborat acht Tage 
lang in Klysmafonn gegeben, ohno dass Reiz¬ 
erscheinungen von Seiten des Darms auftraten. 

F. Voit (München). 

L. Baach, Ueber periodisches Erbrechen. 

Inaug.-Diss. Berlin 1901. 

Verfasser bespricht die Nosologie des perio¬ 
dischen Erbrechens unter besonderer Berück¬ 
sichtigung der idiopatischen Form dieser Krank¬ 
heit, welche als spezielle Art von Neurose durch 
v. Leyden zuerst beschrieben wurde, und bringt 
einige hierher gehörige Beobachtungen, die er 
auf der v. Leyden*sehen Klinik unter Jacob 
zu machen Gelegenheit hatte. Zwei dieser Fälle 
entsprechen dem Typus der von v. Leyden be¬ 
schriebenen Neurose; in einem handelte es sich 
um gastrische Krisen, welche 6-% Jahre hindurch 
das einzige Symptom einer Tabes incipiens bei 
gleichzeitiger Magengeschwulst darstellten. In 
dem idiopatischen Falle bestand gleichzeitig eine 
Aorteninsufficenz, der andere Fall zeigte migrän- 
artigen Typus. In Bezug auf die Therapie er¬ 
scheint bemerkenswerth, dass die Darreichung 
von Chloroformwasser in zwei Fällen Linderung 
der Schmerzen brachte. Die Dissertation stellt 
eine begrüssenswerthe Zusammenstellung unserer 
bisherigen Kenntnisse über das periodische Er¬ 
brechen dar. 11. Strauss (Berlin). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


68 


G£za Kövesi, Ueber den Eiweissumsatz im | 
Greisenalter. Centralblatt für innere Medicin 
1901. No. 5. 

Stoffwechseluntersuchungen an zwei Grei¬ 
sinnen im Alter von 76 und 78 Jahren ergaben 
eine bedeutende Herabsetzung des Kalorieen- 
bedürfnisses im Senium. In einem Versuch 
konnte schon mit 20 Kalorieen pro Tag und 
Kilo das Kalorieenbedürfniss gedeckt werden. 
Die Versuchsdauer erscheint allerdings dafür, 
dass der Gesammtstoffumsatz nur nach N - Ein¬ 
nahme und Ausgabe und Körpergewicht be¬ 
stimmt wurde, etwas kurz. Die Resorption der 
Eiweissstoffe im Darm erschien normal. Mit 
sehr geringen Ei weissmengen (41 g pro Tag) er¬ 
gab sich noch eine kleine N-Rentention, woraus 
der Verfasser den Schluss zieht, das9 selbst 
unter günstigen Bedingungen (niedere Kalorieen- 
zufuhr) der senile Organismus schon massige 
Eiweissmengen nicht bewältigen kann, »da die 
eiweissspaltende Fähigkeit des aktiven Zellen¬ 
materials nennenswerthe Einbusse erlitt«. 

F. Voit (München). 

A. Schmidt, Einige Bemerkungen über die 
Gährnngs- und Verdauungsprobe der Fäces, 
sowie über? den Nutzen der Probediät für 
die Untersuchung Darmkrnnker. Berliner 
klinische Wochenschrift 1900. No. 51. 

Schmidt bringt in dem Artikel eine Ver¬ 
teidigung seiner Gährungs- und Verdauungs¬ 
probe gegenüber einigen Vorwürfen, welche der¬ 
selben gemacht worden sind und welche darin 
gipfeln, dass dieselben keinen wesentlichen Fort¬ 
schritt bedeuten und dass sie praktisch nur wenig 
brauchbar seien wegen ihrer Umständlichkeit und 
Fehlerhaftigkeit. Den Hauptwerth seiner Gäh- 
rungsprobe sieht Schmidt darin, dass sie uns 
gewisse leichte Störungen der Darmfunktion an¬ 
zeigt. Fehlerquellen bestehen allerdings, aber sie 
sind nicht gross genug, um den Zweck der Me¬ 
thode in Frage zu stellen. Die Umständlichkeit 
beruht fast nur auf der Durchführung der Probe¬ 
diät. Schmidt giebt die Umständlichkeit der¬ 
selben zu, hebt aber hervor, dass im Vergleich 
hierzu der diagnostische Nutzen ein sehr grosser 
ist. F. Voit (München). 

L. v. Aldor, Ueber Kohlehydratstoffweclisel 
im Greisenalter und iu Verbindung damit 
Untersuchungen über Phloridziudiabcte«. 

Centralblatt für innere Medicin 1901. No. 21. 

Unter 30 alten Individuen trat nach Dar¬ 
reichung von l-'U) 150 g Traubenzucker im 


nüchternen Zustande bei 24 Glykosurie auf, wo¬ 
nach also die zuckerzerstörende Fähigkeit des 
Organismus im Greisenalter geringer wird. Da¬ 
bei zeigte sich eine auffallende Verspätung im 
Auftreten der Glykosurie. Während sonst die 
alimentäre Glykosurie innerhalb der ersten 
Stunde nach Verabreichung des Zuckers eintritt, 
erschien sie hier nur in zwei Fällen am Ende 
der ersten Stunde, sonst erst am Ende der 
zweiten, in einem Fall erst am Ende der fünften 
Stunde. Verfasser ist geneigt, die Verzögerung 
im Auftreten der alimentären Glykosurie theil- 
weise wenigstens durch senile funktionelle 
Störungen der Nierenthätigkeit zu erklären, da 
er vielfach bei den alten Leuten nach Injektion 
von 5 mg Phloridzin eine auffallende Irregularität 
theils betreffs des Zeitpunktes des Auftretens des 
Phloridzindiabetes, theils betreffs der Gesammt- 
menge des ausgeschiedenen Zuckers konstatieren 
konnte. F. Voit (München). 


B. Gymnastik. 

Heinrich Quinke, Ueber Schlaflage nud 
Bettlage überhaupt. Die Krankenpflege 1901. 
Heft 1. - 

Für die beste Lage des Gesunden hält 
Quinke eine horizontale Lage des Körpers auf 
nicht zu weicher Matratze, ohne das sogenannte 
Kopfkissen, welches bekanntlich in der üblichen 
Form eines oder zweier Keilkissen nicht nur 
unter dem Kopf liegt, sondern auch den oberen 
Brusttheil des Schlafenden in einen durchaus 
schädlichen Winkel zum unteren Körpertheil 
bringt. Unter den Kopf soll nach Quinke nur 
ein schmales, weiches Kissen kommen, welches 
bis in den Nacken hineinragt, 25—30 cm breit 
und 60—80 cm lang ist. Solche Betten sind in 
England, Frankreich und Italien bereits üblich. 
Das Rosshaar in diesem Kissen, welch letzteres 
aufknüpfbar ist, soll öfters aufgezupft werden. 
Statt des Kissens kann auch eine etwa 50—60 cm 
lange Rolle genommen werden. In Hotels kann 
die Rolle einigermaassen dadurch ersetzt werden, 
dass ein zusammengerolltes Federkopfkissen 
mittels eines Handtuches und Sicherheitsnadeln 
in seiner Lage erhalten wird. 

Wer gleichzeitig eine horizontale Kopflage 
wünscht, kann Kissen oder Rolle in der Mitte 
auf 8 cm Breite absteppen, sodass in der Mulde 
Kopf und Nacken ruhen. 

Die Umkleidung der Rosshaare soll* um ihr 
Reibegeräusch zu dämpfen, mittels eines mit 
Watteeinlagc hergcstellten Steppstoffes bewerk¬ 
stelligt werden. 

Des weiteren macht der Autor auf ver¬ 
schiedene hohe und seitliche Lagerungen in 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 69 


Krankheitsfällen aufmerksam, welche im Original 
einzusehen sind. Beherzigenswerth ist der Rath, 
Patienten, die lange im Bett liegen müssen, 
wiederholt verschieden zu lagern und möglichst 
Bett und Zimmer zu wechseln. Quinke ist ein 
Gegner der Federdecken: die eigentliche Körper¬ 
decke soll eine wollene oder Steppdecke sein, 
das Federbett mag nur in der kalten Jahreszeit 
hinzugefügt werden. 

Selbstverständlich ist ein allabendlicher 
Wechsel der Kleidung erforderlich; dem einfachen 
Nachthemd muss am Tage bei bettlägerigen 
Kranken, die sich sitzend beschäftigen, eine 
leichte Jacke oder ein Tuch hinzugefügt werden. 

H. Rosin (Berlin). 

Albert Eulenburg, Ein lenkbares Gehrad. 

Die Krankenpflege 1001. Heft 1. 

Der um die Erfindung und Verbesserung 
von zimmergymnastiseben Apparaten wohlver¬ 
diente Techniker Sachs aus Berlin ist neuer¬ 
dings mit einem zugleich als Krankenfahrstuhl 
benützbaren lenkbaren Gehrad hervorgetreten, 
das den bisher gebräuchlichen Vorrichtungen 
gegenüber nach Eulenburg’s Anschauung 
einige nicht zu unterschätzende Vorzüge dar¬ 
bietet. Der ans Stahlrohr gefertigte Apparat ist 
sehr leicht und doch von grosser Stabilität, ist 
ungemein verwendbar für allerlei Stellungen und 
Lagen und überdies ausserordentlich preiswerte 
Eulenburg empfiehlt ihn daher für chirurgisch 
Kranke und Gelähmte aufs allerwärmste. 

H. Rosin (Berlin). 

Xax Schneider, Schneeschuh und Rennwolf 
and ihr praktischer Gebrauch. Mit 62 Ab¬ 
bildungen. Berlin 1900. 

Die kleine Broschüre giebt für den Anfänger 
eine genaue Beschreibung der Erlernung des 
Schneeschuh- und des verwandten Rennwolf- 
^rts, für schon Kundige Rath und nützliche 
Winke bei allen möglichen Vorkommnissen, Vor¬ 
schläge zu mannigfacher Abwechslung dabei, 
Bestimmungen für Rennen u. s. w. Wenn auch 
das Erlernen des nicht ganz leichten Sports 
sicherlich am leichtesten unter Anleitung eines 
geübten Läufers geschieht, so mag es doch auch 
nach der hier gegebenen Beschreibung möglich 
sein. Vor Allem aber hat das Büchlein Werth 
als eifriger Werber von Freunden des Winter¬ 
sports, der bisher in Deutschland arg vernach¬ 
lässigt ist, trotzdem gerade zu dieser Jahreszeit 
Körperbewegung in freier Luft als Reaktion 
gegen die geheizten und oft überheizten Stuben 
doppelt noth thut. 


Angesichts der dem Arzte so erfreulichen 
Tendenz der Broschüre seien einige physiologische 
Absonderlichkeiten, wie sie sich im Kapitel 
»Training und Hygiene« finden, übergegangen. 

Uebrigcns gehört gerade der Schnceschuh- 
sport zu den von medicinischer Seite auf ihre 
Wirkung hin untersuchten. (Wenschen, Skid- 
lauf und Skidwettlauf. Eine medicinische Sport¬ 
studie). L. Zuntz (Berlin). 


y. Brodeu und H. Wolpert, Respiratorische 
Arbeitsrersnche bei wechselnder Luft¬ 
feuchtigkeit an einer fetten Versuchsperson. 
Archiv für Hygiene 1901. Bd. 39. Heft 3. S. 298. 

Verfasser haben die Wärmeregulierung, ins¬ 
besondere die Wasserabgabe eines fetten Versuchs¬ 
individuums bei Ruhe und Arbeit, in bekleidetem 
Zustande untersucht. Der Bericht lässt sich im 
einzelnen nicht durch einen Auszug ersetzen, und 
es mögen deshalb nur die Schlüsse der Verfasser 
hier wiedergegeben sein: »Ein Mensch mit reichem 
Fettpolster zeigt sich nach unseren Versuchen 
hinsichtlich desErtragensvon hohen Temperaturen 
in der Ruhe, namentlich aber während der Arbeit, 
als minderwerthig. In Luft von Bluttemperatur 
war schon während der Ruhe, bei einer relativen 
Feuchtigkeit von 66% ein völliges Wärme¬ 
gleichgewicht nicht mehr zu erreichen. Die Blut¬ 
wärme stieg. Auch die geringe Arbeit von 
5375 mkg pro Stunde vermochte der kräftige 
Mann nicht in normaler Weise zu leisten, die 
normale Bluttemperatur war nicht zu erhalten. 
Noch unhaltbarer waren die Zustände während 
der Arbeit in feuchter Luft.« Bei dem fetten 
Menschen ist zwischen der Abgabe von ver¬ 
dampfendem Wasser, das der Wärmeregulierung 
zu gute kommt, und des flüssig von der Haut 
ausgeschiedenen Wassers zu unterscheiden. Dieses 
kann durch seine Menge zu rascher Bluteindickung 
führen, die an sich und durch weitere Wärme¬ 
stauung lebensgefährlich werden kann. 

R. du Bois-Revmond (Berlin). 


C. Hydro-, Balneo- und Kliniato- 
therapie. 

C.Gerhardt, Betrachtungen Uber Epidemieen 
in Knrorten. Zeitschrift für Krankenpflege 
1901. Heft 1. 

Der Autor weist darauf hin, dass Epidemieen 
in Kurorten, wie Unterleibstyphus, Ruhr, Scharlach, 
Diphtherie, nicht selten Vorkommen. Zwar bleiben 
diese Epidemieen zumeist klein und gutartig, 
allein wünschcnswerth ist es, Mittel und Wege 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


70 


zu finden, die derartige Epidemieen verhindern 
können. Hierher gehört es in erster Reihe, die 
in den Kurorten vorhandene Neigung zu be¬ 
kämpfen, eingeschleppte ansteckende Krankheits¬ 
fälle zu verschweigen. Denn hierdurch wird ver¬ 
hindert, dass die nöthigen Schutzmaassregeln 
rechtzeitig ergriffen werden, sowohl um den 
Krankheitsfall zu isolieren, als um örtliche Schäden, 
die die Verbreitung begünstigen, abznstellen. 

Gerhardt wünscht vor allem eine streng 
durchgeführte Anzeigepflicht zum Schutze der 
Gesundheit der Badegäste und des guten Rufs 
des Badeortes. 

Ferner fordert der Autor für grössere 
Badeorte die Anfertigung von Listen und Ein¬ 
zeichnungen, welche die Lokalisation des Er¬ 
krankungsherdes in den Stadtplan ermöglichen 
Er verlangt ferner Baulichkeiten, in welche epi¬ 
demisch Erkrankte ohne Zeitverlust und kom¬ 
fortabel untergebracht werden können. 

Nöthig ist sodann irgend eine Einrichtung, 
um schnell bakteriologische Untersuchungen vor¬ 
nehmen zu können, sei es durch einen Arzt am 
Orte, sei es durch rasche Zuziehung eines dafür 
geeigneten Fachmannes. 

Schliesslich muss für jeden Badeort verlangt 
werden: Tadellose Einrichtung der Kanalisation 
oder Abfuhr, einwandsfreies Trink wasser, Institute 
zur gründlichen Desinfektion nach ansteckenden 
Krankheiten. 

Sind alle derartigen Vorrichtungen getroffen, 
so wird das sich so oft schädlich erweisende 
Vertuschungssystem schwinden und die Infektions¬ 
krankheit im Keime erstickt werden. 

H. Rosin (Berlin). 

Legrand, Le bain froid dans nn cas grave 
de pneumonie double. Bulletin gönöral de 
thörapeutique 1901. 15. Juni. 

Verfasser, der nur ein bedingter Anhänger 
der kalten Bäder ist, hat bei einem im Zustande 
schwerster Asphyxie befindlichen aber herz- 
kräftigen Soldaten nach vergeblicher Anwendung 
von blutigen Schröpfköpfen, Aderlass und medi¬ 
kamentösen Reizmitteln das von 36°—230 abge¬ 
kühlte Bad gegeben. Danach reichlicher Aus¬ 
wurf aus den doppelseitig fast ganz hepatisierten 
Lungen. Nach öfterer Wiederholung der Bäder 
vollständige Heilung. Determann (St.Blasien). 

E. Aron, Ueber SauerstoffInhalationen. Berl. 
klinische Wochenschrift 1901. No. 37—38. 

Aron giebt zunächst einen Ueberblick über 
die physiologischen Grundlagen der Sauerstoff¬ 
versorgung des Organismus; seine Auseinander¬ 


setzungen scheinen dem Referenten nicht voll¬ 
kommen zutreffend zu sein, auch nichtseine Schluss¬ 
folgerung: »vom physiologischen Standpunkte 
aus scheint mir also die Anwendung von O-In- 
halationen zu therapeutischen Zwecken völlig 
aussichtslos zu sein«. Diesen an den Eingang 
seiner Abhandlung gestellten Satz schränkt Ver¬ 
fasser allerdings zum Schluss schon erheblich ein, 
indem er Sauerstoffinhalationen wenigstens bei 
Kohlenoxyd-und Anilin Vergiftungen, sowie gegen 
die Wirkungen der verdünnten Luft empfehlen 
zu können glaubt. — Er referiert dann eine Reihe 
klinischer Erfahrungen, sowie eine grössere Zahl 
von Thierversuchen. In letzteren liess er Thiere, 
denen er einseitigen Pneumothorax, Zustände von 
inspiratorischer und exspiratorischer Dyspnoe er¬ 
zeugt, oder die er anämisch gemacht hatte, Sauer¬ 
stoff athmen, ohne Erfolge zu sehen. Referent 
kann nur wiederholen, was er bereits in der 
Diskussion zu Aron’s Vortrag in der Berliner 
medicinischen Gesellschaft ausführte, dass eine 
eingehendere allgemein pathologische Analyse 
seiner klinischen Fälle, wie der bei seinen Thieren 
vorgenommenen Eingriffe Aron hätte zu dem 
Schlüsse führen müssen, dass eine wohlthätige 
Wirkung des Sauerstoffs bei ihnen von vorn¬ 
herein kaum zu erwarten war. Diejenigen Er¬ 
krankungen, bei denen Sauerstoffinhalationen 
sich nützlich erweisen können, hat Aron nicht 
genügend in Betracht gezogen, und ist infolge¬ 
dessen den Indikationen für die Sauerstoff¬ 
behandlung in Krankheiten nicht vollkommen 
gerecht geworden. A. Loewy (Berlin). 


D. Elektrotherapie. 

Karl v. Noorden, Ueber das elektrische 
Vierzellenbad (System Schnee). Die Kranken¬ 
pflege 1901. Heft 1. 

Das bisher übliche elektrische Wannenbad 
hatte den Nachtheil, unsicher und mit zu geringen 
Stromdichten zu arbeiten; auch konnte eine be¬ 
stimmte Lokalisation des Stromes auf gewisse 
Körpertheile in nur wenig zuverlässiger Weise 
erzielt werden. Gerade zur Behandlung lokali¬ 
sierter Leiden, wie Rheumatismus, Lähmungen 
und Neuralgieen, hat sich diese Behandlungs¬ 
methode wegen der Abirrung des Stromes nicht 
bewährt, es sei denn als Suggestivmittel. 

v. Noorden glaubt nun, nach längerer Er¬ 
fahrung, das Schnße’sche elektrische Vierzellen¬ 
bad empfehlen, damit das elektrische Bad wieder 
zu Ehren bringen und zugleich seine Anwendungs¬ 
weise vervielfältigen zu können. Der Patient 
sitzt auf einem Holzstuhle und die Extremitäten 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


71 


befinden sich in vier Porzellan wannen, in welche 
der Strom gebracht wird. 

Auf diese Weise ist es möglich, bis zu 30 
Milli-Amperes, auch bei empfindlichen Patienten, 
und zwar an den verschiedensten Körperteilen 
zu applizieren, je nach der Extremität oder den 
Extremitäten, an welchen man den Strom ein- 
resp. austreten lässt, v. Noorden hat bei den 
schmerzhaften Zuständen der Diabetiker seine 
meisten Einfahrungen gesammelt und ist mit den 
Erfolgen dort sehr zufrieden; Muskelschmerzen, 
Neuralgieen, Schlaflosigkeit, allgemeines Haut¬ 
jucken und selbst Psoriasis wurden günstig be¬ 
einflusst. Aber auch bei Nichtdiabetikern er¬ 
zielte der Autor günstige Ergebnisse; und war 
die Auswahl unter den anderweitigen Krank¬ 
heitszuständen nicht sehr gross, so ermuthigten 
doch die Erfahrungen, die er gemacht hat, das 
elektrische Vierzelienbad in der ärztlichen Praxis 
anzuwenden. H. Ros in (Berlin). 


F. Winkler, Die elektrostatische Behandlung 
der Hautkrankheiten. Wiener medicinische 
Presse 1901. No. 41. 

Nach einer Uebereicht über die einschlägige 
Litteratur schildert Verfasser in Kürze seine 
eigenen Erfahrungen. Nach seiner Meinung 
kommt bei der elektrostatischen Behandlung der 
Hautkrankheiten ausschliesslich die Wirkung auf 
die Gefässnerven in Betracht. 

Hiernach theilt Verfasser die Anwendungs¬ 
weise in drei Gruppen: die Büschclentladung, 
welche eine Haut an ätu i c veranlasst, den Morton- 
schen Strom, welcher zur Hauthyperämie führt, 
und die Funkenentladung, welche zwischen beiden 
steht, indem sie bei kurzer Anwendung zur Ent¬ 
stehung einer Cutis anserina, bei längerer An¬ 
wendung zu Erythem und sogar zur Blasenbil¬ 
dung führt. 

Für die Büschelentladung kommen daher alle 
Stauungshyperämieen der Haut und alle jene Haut¬ 
krankheiten in Betracht, bei denen Gefasserweite- 
rungen vorliegen, also Peraionen und Varicen, 
Acne rosacea und kleine Teleangiektasieen. In 
ganz eklatanter Weise wird auch das Jucken be¬ 
einflusst, und zwar in allen den Fällen, in welchen 
es (nach Unna) auf einem Missverhältnis zwischen 
dem Drucke des Gewebssaftes und dem Gegen¬ 
druck der Oberhaut beruht. Die antipruriginöse 
Wirkung der Franklinisation steht aber wahr¬ 
scheinlich auch im Zusammenhang mit der viel¬ 
fach beobachteten anästhesierenden Wirkung der 
Bestrahlung. Diese Wirksamkeit lässt sich in der 
Permatotherapie vielfach benützen, bei Hyper¬ 


ästhesien der Haut, z. B. bei universellem Ekzem, 
sowie bei allerhand lokalen Schmerzempfindungen 
aus den verschiedensten Ursachen. Die schönste 
Wirkung zeigt die Franklin’sche Bestrahlung 
beim Ekzem; das Jucken verschwindet sogleich, 
und die ekzematösen Stellen heilen in der kürzesten 
Zeit ab. 

Auch eine austrocknende Wirkung auf Ge¬ 
schwürsflächen und exsudative Prozesse, sowie 
auf Hyperhidrosis lässt sich im Zusammenhang 
mit der Wirkung auf die Gefässnerven beobachten. 

Bei Alopecia areata wird oft in kurzer Zeit 
ein neuer Haarwuchs erzielt. 

Im Gegensatz zur Büschelentladung werden 
die Morton’sehen Ströme dort angewendet, wo 
man kräftig hyperämisierend wirken will, also bei 
Narbenbildungen und Kcloiden, bei Dupuytren¬ 
scher Kontraktur, bei anämischer und schuppender 
Haut, sowie bei Nachlass des Tonus der Haut, 
bei Falten und Runzeln. 

Um zu starke Reizwirkungen zu vermeiden, 
soll man bei allen Prozeduren die Sitzungen 
nicht über fünf Minuten ausdehnen: auch 
empfiehlt es sich, an die lokale Prozedur eine 
allgemeine beruhigende (Kopfglocke) anzu- 
schliessen, um etwaige Reizzustände zu be¬ 
seitigen. 

Zum Schluss spricht Verfasser die Ansicht 
aus, dass die Roentgenbehandlung, die Arson- 
valisation und die Franklinisation wahrscheinlich 
dem gleichen Wirkungsgcbietc angehören: sie 
dürften sich nur in der Intensität unterscheiden 
und ihre Erfolge in der Dermatotherapie dürften 
auf den gleichen Grundlagen beruhen. Eine 
nähere Umgrenzung der Indikationen für diese 
verschiedenen Behandlungsarten wird die nächste 
Aufgabe weiterer therapeutischer Versuche in 
dieser Richtung sein. Mann (Breslau). 


Jellinek, Elektrizität und Chloroformnnr- 
kose. Wiener klinische Wochenschrift 1901. 
No. 45. 

Bei Gelegenheit seiner Studien über die 
Wirkungen hochgespannter elektrischer Ströme 
auf den menschlichen und thierischen Organismus 
machte Verfasser folgende Beobachtung: 

Der hochgespannte Wechselstrom mit bc- 
simmter Perioden zahl und Polanordnung, >Rachen- 
rcktura«, der Kaninchen im wachen Zustande 
tötete oder sie schwer zu verletzen im stände 
war, erwies sich bei Thieren derselben Art in 
tiefer Narkose als lebensrettend: Die Kaninchen 
wurden nicht nur aus tiefster Narkose momentan 
auf gerüttelt, es war auch keinerlei schädigende 


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72 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Nachwirkung der Elektrizität in Choroformnar- 
kose zu konstatieren. 

Während ferner andere Reizmittel bei tief 
chloroformierten Kaninchen nicht den geringsten 
Effekt hervorzurufen im stände waren, die Cen¬ 
tre» des Gehirnes und des Rückenmarkes auf 
dieselben als ganz unerregbar sich darboten, da 
schien der Wechselstrom das Gegentheil be¬ 
wirken zu können. 

Verfasser will sieh vorläufig über die Be¬ 
deutung dieses Experimentes für die Praxis noch 
nicht aussprechen und behält sich weitere Unter¬ 
suchungen vor. Mann (Breslau). 


ging schon am nächsten Tage, gewöhnlich dem 
vierten Tage der Krankheit, vom Beginn des 
Schüttelfrostes an gerechnet, zur Norm zurück. 
Das Allgemeinbefinden wurde gut. Die Puls¬ 
frequenz geringer. In den übrigen Fällen war 
I der Erfolg nicht so deutlich. v. Leyden 
I scbliesst, dass die Versuche, die bisher nur an 
| Erwachsenen (über 12 Jahre) angestcllt sind, zu 
| weiteren Erfahrungen, namentlich bei Kindern 
I ermuntern, zumal die Unschädlichkeit des Serums 
| sicher erscheint. Bei Kindern würden auch 
kleinere Dosen, 5—10 ccm, genügen, um eine 
I Wirkung eintreten zu lassen. R. 


E. Serum* und Organotherapie. 

Ernst t. Leyden, Die Behandlung des 

Scharlachs mit Rekonyalescentensemni. 

Deutsches Archiv für klin. Mcdicin Bd. 73. 

Nachdem v. Leyden einen historischen 
Ueberblick über die Entwicklung der Serum¬ 
therapie gegeben, die bis heute auf solche Krank¬ 
heiten beschränkt geblieben ist, bei denen der 
Infektionserreger bekannt und auf Thiere über¬ 
tragbar ist, berichtet er von Versuchen auf seiner 
Klinik, auch bei solchen Infektionskrankheiten 
eine Serumtherapie einzuschlagen, bei denen es 
bisher nicht möglich ist, durch Immunisierung 
vonThiercnein Heilserum zu gewinnen, v. Leyden 
ging von der Idee aus, dass die bei den akuten 
Exanthemen nach Ueberstehen der Krankheit er¬ 
worbene dauernde Immunität beruht auf dem 
Gehalt des Blutserums an Antitoxinen oder spe¬ 
ziell bakteriziden Stoffen, welche nach der Krank¬ 
heit in der RekonvalesCenz in besonders aus¬ 
giebiger Weise ins Blut gerathen. War diese 
Auffassung, die unserer heutigen Auffassung 
über die Bildung erworbener Immunität ent¬ 
spricht, richtig, so konnte man hoffen, durch 
Einführen eines solchen mit Schutzstoffen be¬ 
ladenen Rekonvalescentenserums in einen kranken 
Organismus heilkräftig zu wirken, v. Leyden 
machte deshalb am 5.-8. Tage nach völliger 
Entfiebrung der Scharlachkranken einen Aderlass 
und verwandte das daraus bereitete Serum zu 
Heilzwecken bei 15 Scharlachkrankcn. Es wurden 
20—40 ccm Serum im ganzen eingespritzt; auf 
einmal 20 ccm, eventuell am nächsten Tage noch 
einmal dieselbe Dosis. Niemals wurde die ge¬ 
ringste Unannehmlichkeit nach dem Serum be¬ 
obachtet, so dass die völlige Unschädlichkeit des¬ 
selben erwiesen ist. In fünf Fällen war ein 
deutlicher Erfolg zu konstatieren. Das Fieber 

Berlin, Druck v< 


E. A. Schaefer, On certaiu practica! appli- 
| cations of extract of suprareual mednlla. 
British medical journal 1901. 27. April. 

Dan Mc Kenzie, Suprarenal gland extract 
In the epistaxis of haemophilia. Ibidem. 

W. B. Kemvorthey, The nse of suprarenal 
' capsnle in haemoptysis. Medical Record 1901. 
No. 11. 

Schaefer hat beobachtet, dass Injektion von 
Nebennierensaft Uteruskontraktionen hervorruft, 
bez. verstärkt, und er schlägt daher vor, die 
wirksame Substanz in entsprechenden Fällen, sei 
es lokal in der Form intrauteriner Injektion, 
sei es vom Blutkreislauf aus, in Anwendung 
zu bringen. Sein Vorschlag, intravenöse Injektion 
von Nebennierensaft in Fällen von akutem Shok 
zur Hebung des Blutdrucks und der Herzkraft 
zu versuchen, deckt sich mit einer vom Re¬ 
ferenten an dieser Stelle (Festnummer für den 
Kongress für innere Medicinj gegebenen An¬ 
regung. 

Mc Kenzie hatte einen Erfolg von der 
lokalen Applikation von Nebennierensaft in einem 
Fall von Epistaxis eines Bluters, bei dem andere 
Mittel versagt hatten. 

, W. B. Kemvorthey empfiehlt die wirk¬ 
same Substanz der Nebenniere in Fonn von 
j Pulver als eine Art Wundermittel gegen Hämop¬ 
tyse. Nur in einem Falle dauerte der Blutsturz 
noch 15 Minuten nach Eingabe des ersten Pulvers. 

I (Die Angaben werden leicht nachzuprüfen sein. 

I Theoretisch wäre eine Bestätigung derselben sehr 
wichtig, da man bisher einerseits angenommen 
hat, dass der Nebennierensaft bei intrastomachaler 
Applikation kaum eine Wirkung hat, und man 
I selbst im Thierexperiment bei intravenöser In- 
j jektion einen Einfluss auf den kleinen Kreislauf 
j nicht hat erkennen können. Referent.) 

M. Lcwandowsky (Berlin^. 

m \V. Rüxcnstcm. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 2 (Mai). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. £• ▼. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldseheider und Priv.-Doe. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original -Arbeiten. seit© 

I. Feber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker. 

Von Dr. K arl Grube; Arzt in Bad Neuenahr.7f> 

II. Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrankheiten. 

Von Dr. P. Kouindjy in Paris, Hospice de la Salpßtriöre. Clinique des maladies 
nerveuses du Professeur Raymond. (Schluss) . . ..82 

III. Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berücksichtigung 

des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiol. Laboratorium der 
Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz). Von 
Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller. (Schluss).92 

IV. Zur Frage der homiplegischen Kontraktur. Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn 

Privatdozenten Dr. Ludwig Mann, betreffend meinen Aufsatz auf S. 650ff. Bd. 5 
dieser Zeitschrift. Aus der 1. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor 
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus.115 


II. Kleinere Mittheilungeii. 

I Zur Frage, ob in Gelatinepräparaten Tetanuskeime enthalten sind. Von Dr. Ernst 

Lichtenstein, Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 119 
II. Zur Methodik der Nordseeluftkuren. Von Dr. med. Ide, Nordseeinselheim Amrum . . 119 

in. Berichte über Kongresse und Vereine. 

1 III. Kongress österreichischer Baineologen in Wien vom 20. bis 26. März 1902. Von 

Dr. Julian Marcuse in Mannheim.123 

II. Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬ 
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung.) 125 

Keller (Rheinfeldeu), Ueber Soolbadkuren während der Gravidität.125 

Winkler (Nenndorf), Ueber den Nutzen der Kombination von Schmierkur und 

Schwefelkur bei Behandlung der Syphilis.126 

Vollmer (Kreuznach), Dermatologie und Balneologie.127 

Grube (Neuenahr), Ueber den Einfluss salzhaltigen Wassers auf die Blut¬ 
beschaffenheit nach Versuchen am Menschen.127 

Engelmann (Kreuznach), Einwirkung der Kreuznacher Quelle auf das Blut . . 12S 

Lenne (Neuenahr), Ueber Trinkkuren.128 

Frey (Baden-Baden), Die Bedeutung der Venendruckraessungen bei der Behand¬ 
lung der Kreislaufsstörungen.12s 

111 Generalversammlung des Verbandes deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und -Leiter 

am 6. März 1902 . 130 

Zettochr. f. diät. u. pbyaik. Therapie Bd. VI. Heft 2. ß 


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74 


Inhalt. 


Seite 

IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Thompson, Bart F. R. C. S., M. B. Lond., Diet in relation to age and activity.130 

Möller, Beitrage zur Kenntniss des Mucins und einiger damit verbundener Eiweissstoffe 132 
Schulz, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungerns . . 132 
Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung.133 

B. Gymnastik. 

Vulpius, Zur Behandlung der Kontrakturen und Ankylosen des Kniegelenkes.133 

Sarbö, Zur Behandlung der tabischen Ataxie.133 

Zeehuison, Beitrag zur Mechanotherapie.133 

Kaufmann, Ueber den Werth methodischer Tiefathmungen, insbesondere bei Seekrankheit 134 

C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Bi not, Les stations hydro-minerales fran<jaises et leur avenir.134 

Buchsbaum, Technik der Wasseranwendungen. Belehrung für Badewärter, Kranken¬ 
pfleger u. s.w.134 

Meffert, Beitrag zur hydriatischen Behandlung der beginnenden Lungentuberkulose im Hause 135 

Laumonier, Facteurs de la eure marine.135 

Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen.135 

D. Serum- und Organotherapie. 

Dixon, M. D., The ovary as an organ of internal Sekretion .136 

Flockemann, Zur Beeinflussung der Ausfallserscheinungen beiderseitig kastrierter Frauen 

durch Ovarialpräparatc.136 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 Va — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen! 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten, 


i. 

Ueber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säure¬ 
ausscheidung beim Diabetiker. 

Von 

Dr. Karl Grube, 

Arzt in Bad Neuenahr. 

Im Jahre 1897 wies Geelmuyden 1 ) zuerst nach, dass im Gegensätze zu der 
bis dahin bestehenden Ansicht, nach welcher das Aceton ein Zerfallsprodukt des 
Eiweisses sei, das Fett als die Quelle des Acetons anzusehen wäre. 1899 folgte 
dann die Arbeit von Waldvogel*), in welcher durch zahlreiche Versuche am Menschen 
dasselbe Resultat gewonnen wurde, das dann weitere Arbeiten von Schwarz»), 
Hagenberg 4 ) und Waldvogel und Hagenberg») bestätigten. 

Ich werde noch Gelegenheit haben, auf einzelne Punkte dieser Arbeiten zurück¬ 
zukommen. Zunächst seien meine Versuche an Diabetikern mitgetheilt. Dieselben 
wurden begonnen im Sommer 1898. Ich will aus der Zahl der Untersuchungen 
sieben genauer mittheilen, weil sich an diesen die Verhältnisse am deutlichsten dar¬ 
stellten. Es handelte sich theils um schwere Fälle von Diabetes, theils um solche, 
bei denen das Leiden zur Zeit der Beobachtung einen günstigen Verlauf nahm. Sie 
sind hier angeführt in der Reihenfolge, in der sie zu meiner Beobachtung kamen. 

Zum Nachweis des Acetons habe ich die Legal’sehe (Nitroprussidnatrium). zu 
dem der Acetessigsäure die Ger har dt’sehe (Eisenchlorid) Probe angewandt, und 
zwar bezeichnet + kleine Spur, + -f- mässig starke Reaktion, -4- + + starke 
Reaktion. Wenn man, wie ich, gewohnt ist, sehr viele Harnuntersuchungen zu 
machen, kann man sehr wohl aus dem Verlauf der Reaktion den Gehalt an dem 
betreffenden Stoff mit genügender Sicherheit beurtheilen. Uebrigens handelte es sich 
vielfach nur um den Nachweis, ob die betreffenden Stoffe vorhanden waren oder 
nicht. Deutlicher Ausfall der genannten Reaktionen ist immer pathologisch. Die Oxy- 
buttersäure wurde stets durch Polarisation (Linksdrehung) des mit frischer Hefe 
vergohrenen Harnes bestimmt. 

Fall I. Herr B., 87 Jahre alt, am 31. Mai 1898 in meine Behandlung getreten. 
Der Diabetes wurde drei Monate zuvor entdeckt, damals 7% Zucker, starke Gewichts¬ 
abnahme. Eine systematische Behandlung wurde zwar eingeleitet, aber von dem stark 


■j »Aceton als Stoffwechselprodukt«. Zeitschr. f. physiol. Chemie 1897. Bd. 23. S. 241. 

■) »Zur Lehre von der Acetonurie«. Zeitschr. für klin. Medicin 1899. Bd. 38. S. 606. 

■i) »Ueber Acetonausscheidung«. Verhandl. des 18. Kongresses f. innere Medicin 1900. S. 480. 
*) »Ueber die Acetonvermehrung beim Menschen etc.« Centralbl. f. Stoffwechsel und Ver- 
dauungskrankheiten 1900. No. 2. 

»Ueber alimentäre Acetonurie*. Zeitschr. f. klin. Medicin 1901. Bd. 42. S. 443. 

6 * 


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76 


Karl Grube 

beschäftigten Herrn nicht befolgt, wenigstens nicht konsequent. Infolgedessen war die Zucker¬ 
ausscheidung andauernd ziemlich hoch geblieben, und der Kranke stetig*abgemagert. 

I. Juni 1898. Harn: spezif. Gewicht 1032 Acetessigsäure + + 

Zucker 3,2% Oxybutters&ure 0 

Aceton -f" Hh 24sttindige Harnmenge 2600 ccm 

Strenge Diät: Fleisch, Fisch und Eier nach Belieben, reichlich grüne Gemüse. 125 g 
Butter und V* 1 Rahm. Die Butter theils dem Gemüse zugesetzt oder auf trockenem 
Holländer Käse gegessen. Verdauung normal, Appetit gut aber nicht übermässig. 

3. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1023 j Acetessigsäure H—|—|- 
Zucker 1,2% i Oxybuttersäurc 0 

Aceton -f- H—f- 1 24 stündige Harnmenge 2100 ccm 

Dieselbe Diät beibehalten. 

5. Juni. Harn: spez.Gew. 1020 Acetessigsäure + + 

Zucker Spur(unter0,l%) 24stündige Harnmenge 1750 ccm 
Aceton + •+• + i 

Diät: Butter reduziert auf 60 g; Rahm weggelassen, 30 g Grahambrot. 

7. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 , Aceton -f- + 

Zucker Spur ! Acetessigsäure + 

Patient hat 0,6 kg an Gewicht zugenommen. 

Diät: Fisch, mageres Fleisch, Eier nach Belieben, reichlich Gemüse. Butter reduziert 
auf 40 g, 15 g Grahambrot. 

9. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1019 Aceton 4“ 

Zucker 0 Acetessigsäure 0 

Dieselbe Diät. 

II. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1019 Aceton 0 

Zucker 0 Acetessigsäure 0 

Dieselbe Diät wie vom 9.—11., aber Buttermenge auf 100 g erhöbt. 

13. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton —(- 

Zucker 0 Acetessigsäure Hr 

Dieselbe Diät, Brot auf 30 g erhöbt, Butter ganz fort, dafür 100 g Schinkenfett. 

16. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0 

Zucker 0 Acetessigsäure 0 

Dieselbe Diät, Brot auf 60 g erhöht, 25 g Butter -J- 75 g Schinkenfett. 

18. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 Acetessigsäure 0 

Zucker 0 24 stündige Harnmenge 1600 ccm 

Aceton 0 

Patient hat 0,5 kg zugenommen, im ganzen 1,1 kg. Er ist freigeblieben während der 
folgenden drei Wochen Seine Toleranz stieg auf 120 g Brot, auch Fett wurde später 
besser vertragen. 

Fall II. K. F., 4 Jahre alt. Diabetes vor acht Monaten entdeckt. Die Eltern 
sind gesund, in der Familie kein Diabetes und keine Gicht. Aetiologie ganz unklar. Kam 
am 5. August 1898 in meine Behandlung 

5. August. Harn: spez. Gewicht 1028 } Acetessigsäure + H —\- 

Zucker 3,6% j Oxybuttersäure 0,4% 

Aceton H—|—(- , 24 stündige Harnmenge 2300 ccm 

Es fällt starker Acetongeruch auf; das Kind ist im übrigen munter, hat guten Appetit 
und ist in gutem Ernährungszustand. Leidet an hartnäckiger Verstopfung. 

Diät: Reichlich Milch, d. h. so viel der Knabe trinken kann; 40 g Brot, mässig 
Fleisch, reichlich Gemüse, fett, mit Butter zubereitet, ausserdem V* 1 Rahm der Milch zu¬ 
gesetzt. Im ganzen 60 g Butter. 


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Ueber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Süureausscheidung beim Diabetiker. 77 


7 August. Harn: spezif. Gewicht 1026 Acetessigsäure -|—|— 

Zucker 2,7% Oxybuttersäure 0,7 % 

Aceton 4” + + I 

Dieselbe Diät. 

10. August. Harn: spezif. Gewicht 1024 Acetessigsäure + +-)- 
Zucker 2,4% ; Oxybuttersäure 0,9% 

Aceton 4"4~4“ ! 

Gewichtszunahme von 0,5 kg seit dem 5. August. 

Diät: Milch wie oben; mageres Fleisch, 40 g Brot, Butter und Rahm werden ganz 
weggelasscn. 

12. August. Harn: spezif. Gewicht 1024 i Acetessigsäure 4 —\- 

Zucker 1,9% I Oxybuttersäure 0,1% 

Aceton + + ! 

Diät: Milch wie oben; mageres Fleisch, 40 g Weissbrot, 40 g Schinkenfett. 

14. August Harn: spezif. Gewicht 1025 I Acetessigsäure -f- 

Zucker 2,1% Oxybuttersäure 0 

Aceton 4~ 4” I 

Dieselbe Diät, wieder 1 / 4 1 Rahm der Milch zugesetzt. 

16. August. Harn: spezif. Gewicht 1024 Acetessigsäure 4~ 

Zucker 2% Oxybuttersäure: unbedeutende Linksdrehung, 

Aceton 4" 4~ | weniger wie 0,1 % • 

Dieselbe Diät, Rahm wieder fortgelassen. 

19. August. Harn: spezif. Gewicht 1026 Acetessigsäure 4~ 4“ 

Zucker 2,2% Oxybuttersäure 0 

Aceton 4~ 4“ I 

Auf diesem Stande hielt sich der Knabe eine Zeit lang. Ende September Vcr- 
M'lilimmerung, exitus im typischen Coma 

Harn während des Coma: spez. Gew. 1032 Acetessigsäure 4“ 4~ 4" 

Zucker 2,6% j Oxybuttersäure 2,5% 

Aceton 4—[—I" | 

Das Kind erhielt während der ganzen Zeit ein Gemisch von Natr. bicarb., Calc. carb. 
4- Falc. j»hosphor, zuerst täglich 3—4 Theelöffel voll, später mehr. 

Fall 111. Herr G. H., 50 Jahre alt, kam am 22. Juni 1899 in meine Behandlung. 
Diabetes vor fünf Jahren entdeckt. Im letzten Jahre trat im Anschluss au eine mit 
kardialen Beschwerden einhergehende Influenza eine Verschlimmerung ein. Seit der Zeit 
wird der Harn nicht mehr zuckerfrei. In der letzten Woche Gewichtsabnahme von 6 Pfund: 
os besteht hartnäckige Verstopfung und allgemeine Schwäche. Starker Durst; Aceton¬ 
geruch der Expirationsluft, Herzthätigkeit schwach, Puls klein, 92. 

Harn: spezif. Gewicht 1032 Aceton 4—I—b 

Zucker 3,5 % Acetessigsäure 4“ 4—b 

Eiweiss Spur • ^-Oxybuttersäure 0,8% 

Diät: Fisch, Fleisch und Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, V* 2 1 Ketir, % 1 Rahm, 
50 g Grahambrot, 80 g Butter. 

26. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1024 *| ; Aceton 4—I—b 

Zucker 1,6% Acetessigsäure 4 4—b 

Eiweiss Spur • Oxybuttersäure 0,6% 

Dieselbe Diät. 

28. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1021 Aceton 4- 4~ 4" 

Zucker 1,2% Acetessigsäure 4 —b 4~ 

Eiweiss Spur I Oxybuttersäure 0,6% 

Diät: Der Rahm wird weggelassen, dafür % 1 Kefir mehr gegeben, die Butter wird 
auf 20 g reduziert, die Brotmenge auf 30 g. 


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78 


Karl Grube 


30. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1022 j Acetessigsäure + 

Zucker 0,8% | Oxybuttersäure 0 

Aceton — j- , 

Diät: Butter ganz weggelassen, dafür 50 g Schinkenfett, sonst gleiche Diät. 

2. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1020 j Acetessigsäure + 

Zucker 0,9 % ' Oxybuttersäure 0 

Aceton + 1 

Gewichtszunahme von 0,75 kg seit dem 22. Juni. 

Diät: Fisch, mageres Fleisch, Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 50 g Ergon- 
brot, % 1 Kefir, keine Butter, dafür 60 g Schinkenfett oder Speck. 

5. Juli Harn: spezif. Gewicht 1017 J Aceton 0 

Zucker 0,3% Acetessigsäure 0 

Eiweiss 0 

Diät: wie oben, 40 g Ergonbrot, % 1 Kefir, 60 g Schinkenfett oder Speck, 20 g Butter. 

7. Juli. Harn: spez. Gew. 1019 1 Aceton 0 

Zucker Spur (unter 0,1%) Acetessigsäure 0 
Eiweiss 0 i 

Diät: Fleisch etc. wie oben, 60 g Ergonbrot, 120 g Butter, % 1 Kefir. 

10. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1028 I Aceton + + 

Zucker 0,2% Acetessigsäure -f- 

Eiweiss 0 

Die Fettmenge wird wieder auf das Quantum vom 5. Juli reduziert, worauf das 
Aceton wieder verschwindet. 

Fall IV. Fräul. A. P., 44 Jahre alt. Oktober 1899 zuerst Zucker gefunden, 4%, damals 
Durst und Abmagerung, sonst keine Beschwerden. Diätetische Behandlung, jedoch Grahambrot 
uach Belieben, da ja unschädlich, weil »Diabetikerbrot«. Kommt in meine Behandlung am 
3. Juli 1900. Gracile, aufgeregte Person. Zunge trocken, Herzthätigkeit erregt, Puls 100. 
Harn: spezif. Gewicht 1036 Acetessigsäure + + 

Zucker 4,6% Oxybuttersäure 0 

Aceton + + 24 stündige Harnmenge 2300 ccm 

Diät: Fleisch, Fisch, Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 30 g Ergonbrot, 120 g 
Butter, l U 1 Kefir. 

6 . Juli. Ausgesprochener Acetongeruch der Athemluft. 

Harn: spezif. Gewicht 1024 | Acetessigsäure -\—\- 

Zucker 0,6% Oxybuttersäure 0 

Aceton -j-—j~ -f- 

Diät: Fleisch etc. wie oben, 50 g Ergonbrot, 40 g Butter, 1 Kefir. 

8 . Juli. Harn: spezif. Gewicht 1021 Aceton -f- 

Zucker 0,4 % Acetessigsäure + 

Diät; wie am 7. Juli. 

10. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1019 | Aceton + 

Zucker Spur I Acetessigsäure 0 

Diät dieselbe. 

12. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0 

Zucker Spur Acetessigsäure 0 

Diät: Dieselbe wie am 8. Juli. 100 g Butter + V 4 1 Rahm. 

15. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1019 j Aceton + + 

Zucker Spur | Acetessigsäure 0 

Diät: wie bisher, Butter und Rahm fortgelassen, dafür 100 g Speck oder Schinkenfett. 

IS. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0 

Zucker Spur j Acetessigsäure 0 


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Ueber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker. 79 

Fall V. Herr D., 45 Jahre alt. Seit vier Jahren Diabetiker. September 1899 
zuerst in meiner Behandlung, trotz anfänglich hoher Zuckerausscheidung bei strenger Diät 
bald zuckerfrei. Toleranz = 100 g Brot. 1900 hat sich der Zustand wesentlich ver¬ 
schlimmert. Zuckerausscheidung auch bei strenger Diät nicht mehr sistiert, vorübergehend 
Aceton und Acetessigsäure. Patient ist stark abgemagert. 

1H. Juli 1900. Harn: spezif. Gewicht 1033 Aceton + -(- 

Zucker 6,9% | 24 stündige Harnmenge 2850 ccm 

Diät: Fleisch, Fisch und Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 125 g Butter, V* 1 
Ralun, 30 g Ergonbrot. 

18. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1026 Aceton + + 

Zucker 3,6 % Acetessigsäure + -f- 

Dieselbe Diät. 

20. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1026 | Aceton + + 

Zucker 1,9% ! Acetessigsäure -j- + 

Gewichtszunahme von 1 kg seit 15. Juli. 

Diät: Rahm wird weggelassen, dafür l U 1 Kefir, Butter auf 50 g reduziert, dafür 
50 g Speck, gebraten zum Frühstück, sonst gleiche Diät. 

22. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1025 Aceton -}—\- 

Zucker 2% Acetessigsäure -j- 

Butter ganz weggelassen, dafür 80 g Speck oder Schinkenfett. 

24. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1024 Aceton 0 

Zucker 1,9% Acetessigsäure 0 

Dieselbe Diät beibehalten. 

27. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1023 Aceton 0 

Zucker 1,6% j Acetessigsäure 0 

Fall VI. Herr N., 18 Jahre alt. Zucker Oktober 1899 gefunden, damals hatte 
Patieut in kurzer Zeit ca. 20 Pfund abgenommen. Nach Angabe des damals .behandelnden 
Arztes sollte der Zucker sehr bald ganz verschwunden und nicht mehr aufgetreten sein, 
doch konnte der Kranke nicht zu Kräften kommen und litt an starker Polyurie und Durst. 
Der betreffende Arzt diagnostizierte Diab. insipid. Da keine Besserung eintrat, konsultierte 
der Kranke Anfang Juni 1900 einen anderen Arzt. Derselbe stellte das Vorhandensein 
von viel Zucker fest, obgleich nach Angabe des ersten Arztes acht Tage früher kein Zucker 
vorhanden gewesen sein sollte. Patient kam am 7. Juni 1900 in meine Behandlung. Grosser 
magerer Mensch, klagt über allgemeine Müdigkeit, sonst keine wesentlichen Beschwerden. 
Andeutung von Acetongeruch. 

8. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1039 Aceton -f- 

Zucker 7,8% ; Acetessigsäure eben angedcutet. 

Eiweiss 0 , 

Diät: Keine Kohlehydrate ausser in der Form von Milch fl 1), reichlich Gemüse, 
mässig Fleisch, 1 U 1 Rahm der Milch zugesetzt. Dem Gemüse wird reichlich Butter zu¬ 
gesetzt, tägliche Menge l U Pfund. 

10. Juui. Harn: spezif. Gewicht 1030 Aceton -\—|- 

Zucker 3,1% Acetessigsäure -f- 

Dieselbe Diät. 

12. Juni. Harn: /spezif. Gewicht 1022 I Aceton + + 

Zucker 1,7% | Acetessigsäure -f- 

Diät: Fleisch, Fisch und Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 40 g Ergonbrot, 

100 g Butter, V 4 1 Rahm, % 1 Milch. 


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80 Karl Grube 


16. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1026 Aceton -\ —f- 

Zucker 2,7% I Acetessigsäure 4- 

Diät: Butter und Kahm ganz weggelassen, Milch als Kefir genommen, V 2 1 täglich, 
40 g Ergonbrot, 100 g Speck. 

18. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1024 Aceton 0 

Zucker 2,1% Acetessigsäure 0 

Seit dem 3. Juni 1200 g Gewichtszunahme. 

Fall VII. A. v. R., 13 Jahre alt. Sohn von Vetter und Kousine. Der Knabe soll 
Weihnachten 1900 übermässig viel Stissigkeiten gegessen haben, bald nach Weihnachten 
sei Durst aufgetreten. Ende Februar Klagen über Wadenkrämpfe, März Klagen über zu¬ 
nehmende Müdigkeit. Patient wurde gleich in strenge Behandlung genommen und war, als 
er in meine Beobachtung kam (16. Mai 1901) seit 28 Tagen zuckerfrei, dagegen bestand 
deutliche Gerhard’sche Reaktion. 

17. Mai. Harn: spezif. Gewicht 1021 Aceton + 

Zucker 0 Acetessigsäure + 

Diät: 40 g Ergonbrot, l U 1 Milch, reichlich Gemüse und Fett, letzteres war bis 
dahin hauptsächlich als Rahm und Butter gegeben worden, von letzterer täglich ca. 180 g. 
Bei dieser Diät war Patient bis auf Spuren Zucker dann und wann, die aber durch Herunter¬ 
gehen im Brotquantum leicht zu beseitigen waren, sehr wohl und nahm in 12 Tagen 1,6 kg 
zu, dagegen blieb die Reaktion für Aceton und Acetessigsäure konstant bestehen Das Fett 
wurde hierauf bis auf 30 g Butter zwei Tage lang fortgelassen. 

29. Mai. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0 

Zucker 0 ( Acetessigsäure 0 

Nun wurde Speck zugelegt, ca. 100 g pro die, darnach trat keine Acetonuric auf. 
Bei dieser Diät wurde Patient mit Erfolg gehalten. Von weiteren Versuchen wurde auf 
Bitten der Mutter abgesehen. 

Ich denke die Mittheilung dieser Fälle wird genügen, um den Beweis zu liefern, 
dass auch beim Diabetiker, sowohl bei der leichten wie bei der schweren Form, die 
Aceton-, Acetessigsäure- und die Oxybuttersäure-Ausscheidung durch den Fettgehalt 
der Nahrung beeinflusst wird. 

Es zeigte sich ferner, dass Schweinefett in den gegebenen Mengen gar keinen 
Einfluss auf diese Ausscheidung hatte, dagegen Butter in bedeutendem Grade und 
Rahm ebenfalls deutlich, wenn auch weniger ausgesprochen als Butter. Diese Be¬ 
obachtung stimmt überein mit der von Hagenberg 1 )? welcher sogar nach der 
Zufuhr von Schweinefett eine Verminderung der Acetonausscheidung beobachtete. 
Schwarz 2 ) sah ebenfalls nach Butterzufur beim Diabetiker eine Vermehrung der 
Acetonausscheidung, und zwar weist er sowohl wie Hagenberg nach, dass diese Ver¬ 
mehrung auf der Anwesenheit grösserer Mengen von Fettsäuren in der Butter, und 
speziell wieder auf der Buttersäure beruht. Hagenberg konnte bei seinen Ver¬ 
suchen direkt nachweisen, dass die Acetonbildung von der Menge der in den Fetten 
vorhandenen niedrigen Fettsäuren abhängig sei. 

Wenn nun einerseits beim Diabetiker die Fettzufuhr vermehrend auf die Aceton- 
bezw. Säurebildung einwirkt und andererseits das Aceton und seine Muttersubstanzen 
(/?- Oxybuttersäure - Acetessigsäure) für die Entstehung des diabetischen Comas ver¬ 
antwortlich zu machen sind, so erhebt sich für die Praxis die Frage, ob die Fett¬ 
zufuhr beim Diabetes, wenigstens bei bestimmten Formen der Erkrankung zu be¬ 
schränken sei oder ob, anders ausgedrtickt, die Fette auch in die Reihe der von 

M loc. cit. -) loc. cit. 


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Ccber den Einfluss der Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker. 81 

dem Diabetiker mit besonderer Vorsicht zu gebrauchenden Nahrungsmittel einzu¬ 
stellen seien. 

Die Frage ist von nicht geringer Wichtigkeit. 

Der Diabetiker ist schon so schlecht genug gestellt in Bezug auf seine Nahrung; 
wenn nun auch noch die Fette, dieses wichtige Nahrungsmittel, für ihn ein noli 
me tangere werden, so ist das eine ungeheure Schwierigkeit mehr bei der ohnehin 
schwierigen Frage seiner Ernährung. 

Ich glaube, man kann die Frage, ob die Fette auf den Index zu setzen seien, 
einstweilen ruhig mit »Nein« beantworten. 

Wenn auch, wie meine mitgetheilten Versuche zeigen und wie die eingangs 
edierten Arbeiten beweisen, die Fette zur Bildung von Aceton etc. beitragen, so ist 
doch damit ihre Bedeutung für die Acidosis, d. i. die nach den neuesten Arbeiten >) 
dem typischen diabetischen Coma wahrscheinlich zu Grunde liegende Stoffwechsel¬ 
störung noch nicht genügend festgelegt. Es ist immerhin noch sehr fraglich, ob die 
mit der Nahrung zugeführte Fettmenge genügt, um schädlich zu wirken. Es muss 
sich auf alle Fälle bei den ernsten d. h. zum Coma führenden Fällen der Acidosis 
um eine Zersetzung der im Körper aufgespeicherten oder aus Eiweiss oder Kohle¬ 
hydraten abgespaltenen bezw. gebildeten Fette handeln. Ja, man könnte die Ver- 
muthung aussprechen, ob nicht das Körperfett eher geschont würde, wenn reichlich 
von aussen Fett zugeführt wird. 

Will man besonders vorsichtig sein, so kann man ja in Fällen, in denen die 
Säurebildung hohe Werthe angenommen hat, die Fettzufuhr einschränken, um nicht 
noch durch die Nahrung die Säuremenge zu vermehren. 

In einem Falle wird es sich empfehlen, die Fettzufuhr in niedrigen Grenzen 
zu halten oder ihr wenigstens so viel Beachtung zu schenken, dass man an Fett¬ 
säuren arme Fette nehmen lässt, also z. B. Schinkenfett anstatt Butter. Doch liegt 
der Grund zu dieser Maassnahme mehr auf psychischem Gebiet. Wir haben gesehen . 
(z. B. Fall VII), dass die Acetonurie erst verschwand, als die zugeführte Fettmenge 
vermindert wurde. Nun hat fast jeder Diabetiker oder wenigstens ein Angehöriger 
von Acetonurie und der damit verbundenen Gefahr gehört, ja nicht selten herrschen 
itanz übertriebene Anschauungen über die Grösse dieser Gefahr. Wenn man nun 
durch Verminderung der Fettmenge in der Nahrung dieses Symptom beseitigen und 
dadurch das Gemüth des Kranken und seiner Angehörigen beruhigen kann, so wäre 
es meines Erachtens ein Fehler, das nicht zu thun. 

Dies ist der einzige Fall, für den einstweilen ein zeitweiliges Fettverbot bezw. 
eine Einschränkung aus Gründen der Acetonurie durch Fettzufuhr begründet wäre. 

Im übrigen behalten die Fette für die Nahrung des Diabetikers ihren Werth, bis 
etwa weitere Untersuchungen uns eines anderen belehren sollten *). 

1 Siehe besondere die letzte Arbeit von Magnus-Lew im Arcli. für experim. I’athol. und 
Phannak. 1901. Bd. 45. S. 389. 

Dass es Fälle giebt, in denen Fette nicht gut vertragen werden, wenigstens nicht in grossen 
Mengen, nnd bei denen durch dieselben Verdauungsstörungen und damit selbst ernste Vorsehlimine- 
mngen hervorgerufen werden können, habe ich verschiedentlich beobachtet. Das ist aber eine 
ranz andere Sache und hat mit der vorliegenden Frage direkt nichts zu thun. 


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82 


P. Kouindjy 


II. 

Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung 

der Nervenkrankheiten. 

Von 

Dr. P. Kouindjy in Paris. 

Hospice de la Salpfitriöre. Clinique des maladies nerveuses du Professeur Raymond. 

(Schluss.) 

Worin besteht nun die Wirkung der Suspension auf das Centralnervensystem 
im allgemeinen und auf das Rückenmark im besonderen? 

Nach Professor Motschukowsky soll die Suspension und besonders die Auf¬ 
hängung eine Verlängerung des Körpers von 3 —5 cm hervorbringen. Diese Ver¬ 
längerung lässt sich hauptsächlich im unteren Körperabschnitt konstatieren, wenn 
man diesen vom vierten Lendenwirbel bis zur Ferse rechnet. Die Messungen der 
durch Suspension bewirkten Verlängerung betrugen in drei Fällen 3, 4 und 4,5 cm. 
Diese Verlängerung würde nach Ansicht unseres Kollegen in Petersburg einen Ein¬ 
fluss auf die Cirkulation in den Meningen ausüben, und zwar eine Hyperämie des 
cerebro - spinalen Centrums. Slunine, ein Schüler von Professor Merjeewsky, 
stellte anatomisch-pathologische Thierversuche an, um die Einwirkung der Suspension 
zu prüfen; er kam zu dem Schluss, dass man sich die durch Suspension hervorgebrachte 
Hyperämie des cerebro-spinalen Centrums nicht nur durch Verlängerung des Rücken¬ 
markes, sondern durch Reiz der Dura mater erklären müsse. Letztere zeigte sich 
stets bei seinen Versuchen an Kaninchen und Leichen ausserordentlich gespannt. 
Nach Hegar 1 2 ), dem Bahnbrecher der Dehnungsmethode des Rückenmarkes, erfährt 
die Wirbelsäule eine Verlängerung von 35 mm und zuweilen noch mehr, sobald man 
den Stamm gegen die unteren Extremitäten beugt. Auf Grund seiner mit St'ras’ser 
ausgeführten Versuche fand er, dass die Dura mater des Rückenmarkes der Dehnung 
der Wirbelsäule folgt und eine Verlängerung von 25—34 mm erfährt. Langenbuch, 
Vogt, Gussjenbauer und Braun sind derselben Ansicht, Morton giebt ebenfalls 
eine Verlängerung des Rückenmarkes und der Nervenstämme zu. 

Nach Alt haus würde die Suspension im stände sein, eine breite Ablösung 
der durch chronische Meningitiden verursachten Verklebungen zu bewirken. Die 
feinsten Nervenverzweigungen werden hierdurch freier, wodurch eine Besserung des 
Leitungsvermögens eintritt. Die nämliche Umgestaltung würde sich auch am Bulbus 
geltend machen, wodurch die Veränderung der Respiration und Cirkulation ihre Er¬ 
klärung finden. Nach Onanoff kann die Suspension »eine deutliche Steigerung der 
Patellarreflexe und nach vier oder fünf Suspensionen Schlaflosigkeit, erotische Träume, 
häufige Erektionen bewirken«*). Mendel und Eulenburg haben bei der Suspension 
nicht immer Athem- und Pulsbeschleunigung eintreten sehen. Nach den Unter- 


1 ) A. Hegar, Die Dehnung des Rückenmarkes. Wiener medicinische Blatter 1884. 

2 ) Charcot, Lcgons du mardi ä la salpötriöre 1888—1889. 


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Die Extensionamethode und ihre Anwendung etc. 83 

suchungen von Gilles de la Tourette und Chipaut 1 ) bewirkt die forzierte Beu¬ 
gung des Stammes über den ausgestreckten unteren Extremitäten eine Verlängerung 
der nervösen intraduralen Organe und zwar nur eine wenig geringere als |die 
nach dem Verfahren Professor Mötschukowsky’s: die Verlängerung variiert nach 
diesen Autoren zwischen 10 und 16 mm und theilt sich zwischen Rückenmark und 
Cauda equina; für das erstere kommen die Maasse von 7 bis 9 mm, für letztere 
4—11 mm in Betracht »Es ergiebt sich ferner aus unseren Messungen«, sagt Gilles 
de la Tourette, »dass die Verlängerung des Rückenmarkes im engeren Sinne sich 
nicht in gleichmässiger Stärke auf die verschiedenen Segmente dieses Organes aus¬ 
dehnt In longitudinaler Richtung liegt sie über dem zweiten dorsalen Wurzel¬ 
paar mit dem Höhenmaximum der ersten Lendenpaare; in antero-posteriorer Richtung 
beträgt die Verlängerung in den hinteren Partieen des Rückenmarkes selbstredend 
mehr als in den vorderen Theilen, da der diesen letzteren zukomraende Krümmungs¬ 
radius der kürzere ist.« 

Nach Dujardin-Beaumetz und Brown-S6quard ruft die Suspension eine 
relative Anämie des Rückenmarkes infolge der Kompression der Interkostalnerven 
hervor. Die meisten physiologischen Studien über diese Frage hat der russische 
Neurologe Bogroff angestellt. Nach diesem Autor tritt eine Hyperämie des Rücken¬ 
markes infolge des negativen Druckes ein, der seinerseits wieder durch die 
Suspensionskongestion a vacuo bedingt ist. Der zwischen Schädel und Dura mater 
erzeugte leere Raum wirkt nach Bogroff wie ein Schröpfkopf, wodurch eine 
Volumenvergrösserung der Hirngefässe, der Meningen und besonders der grauen 
Substanz zu stände kommt. »In der grauen Substanz«, sagt Bogroff, »haben 
die mikroskopischen Präparate eine Hämorrhagie um den Centralkanal, selbst in dem 
Ependvm, um und zwischen den Ganglienzellen der vorderen und hinteren Hörner 
sehen lassen, das Ependym war seitlich dilatiert « 2 ). Diese pathologische Veränderung 
fand Bogroff Jin der ganzen Länge des Rückenmarkes. »Die Suspension«, sagt 
Bogroff weiter, »wirkt durch die Hyperämie und Verlängerung der Neuroglia, d. h. 
wie ein mechanisches Mittel, welches in einer speziellen Form die Ernährung des 
kranken Gewebes umzustimmen im stände ist. Als mechanisches Mittel würde die Sus¬ 
pension viel sicherer wirken, wenn sie andauernder und intensiver angewendet würde«. 

Nach Professor Bechtereff hängen die durch die Suspension hervorgerufenen 
Cirkulationsschwankungen des Hirnes und Rückenmarkes von einem Reflexakt ab, 
der durch die Suspensionswirkung auf die Muskeln, Ligamente und Nerven ausgelöst 
wird. Was ferner die Wirkung der Suspension auf chronische Erkrankungen des N. 
opticus anbetrifft, so erklärt sie der feinsinnige russische Gelehrte durch Hyperämie 
der grauen Substanz in der Nähe der Ventrikel und der Hirnoberfläche. 

Auf Grund zahlreicher an Kaninchen gemachter Versuche kam Lombroso zu 
dem Schlüsse, dass die Suspension infolge der durch sie erzeugten Hyperämie des 
Centralnervensystems grosse Vortheile bei der Behandlung nervöser Leiden bilden 
dürfte. Die zu Versuchen verwendeten Thiere zeigten bei der Autopsie die An¬ 
wesenheit kleiner Blutungen der Meningen, der grauen Substanz und in einem Falle 
auch des Rückenmarkes. Professor Benedikt vergleicht die Wirkung der Suspension 
mit der der Hydrotheiapie; wie diese letztere, wirkt jene auch anregend auf das 
periphere Nervensystem und mittelbar auf die Ernährung des nervösen Centrums. 

!) GilleSjde la TouVetJte, Le<jons sur les maladies nerveuses 189s. 

2 ) A ^Bogjroff, Contributions au traitement des maladies nerveuses par le proctklC du 
Dr. Motschukowsky. Wieatnik de psychiatrie et de neurologie 1891. No. 1. 


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84 P. Kouindjy 

Nach Hirt ruft die Suspension keine anatomisch - pathologische Veränderung im 
Rückenmark hervor; sie wirke nur als suggestives Mittel. In gleicherweise sprechen 
sich Haushalter, Adam und Bernheim aus. 

Mein Kollege Ossankoff hat vor kurzer Zeit eine ganze Reihe von Versuchen 
an Hunden angestellt, um die Frage der Wirkungsweise der Suspension auf das 
Nervensystem zu klären. Dieser Autor wandte das Verfahren nach Hürthle an. 
Bei zehn von Ossankoff angestellten Versuchen wurde das Thier mittels Kinn¬ 
schlinge langgestreckt, deren Zugleine, über eine Rolle geleitet, eine willkürliche 
Modifikation der Zugwirkung zuliess. Das Resultat dieser Untersuchungen ergab, 
dass die Suspension oder vielmehr die Streckung der Wirbelsäule folgende Ver¬ 
änderungen im Gebiete der Hirnblutbahnen hervorzurufen im stände ist: 

1. Die Hirnarterien ziehen sich zusammmen. 

2. Der arterielle Druck nimmt zu. 

3. Der intrakranielle Druck sinkt. 

Diese F.rscheinungen verschwinden unmittelbar, nachdem die Extension oder 
Suspension zu wirken aufhört; die Hirngefässe erweitern sich, der arterielle Druck 
sinkt, während der intrakranielle steigt. Ossankoff erklärt diese Schwankungen 
durch Hyperämie des nervösen Centrums, die ihrerseits wieder durch Extension 
hervorgerufen ist. Dieser Hyperämie geht die Anämie voraus. »Die Wirkung der 
Extension auf die Wirbelsäule findet vielleicht in folgendem ihre Erklärung: die 
Suspension resp. Extension ruft eine Streckung der Muskeln, der Bänder, der 
peripheren Nerven, der vorderen und hinteren Wurzeln, der Meningen und des 
Rückenmarkes hervor. Diese Streckung wirkt reflektorisch auf das vasomotorische 
Centrum, welches andrerseits direkt einen Reiz durch die Suspension und durch 
diese auf das Rückenmark erhalten hat. Die Erregung des vasomotorischen Centrums 
ruft eine Zusammenziehung der Arterien und demgemäss eine Erhöhung des arteriellen 
Druckes hervor, wodurch anfangs eine Anämie der Hirngefässe eintritt, welche dann 
später einer Hyperämie weicht. 

Ausser der Hyperämie und den arteriellen Schwankungen des nervösen 
Centrums erfährt auch die Wirbelsäule wichtige intramedulläre Veränderungen. Die 
Experimente von Itcid und Sherington sind in dieser Hinsicht höchst interessant. 
Diese Autoren untersuchten Leichen, die sie am Kopfe auf hingen. Sie konstatierten, 
dass, wenn der Körper sicli in senkrechter Stellung — frei in der Luft aufgehangen 
— befand, der Halswirbel - Rückenmarkskanal sein grösstes Volumen zeigte. Zog 
man den Körper nur am Kopfe in die Höhe, so verminderte sicli das Volumen nur 
sehr wenig. Wenn man dagegen den Körper nach vorn oder hinten krümmte, ver¬ 
ringerte sich das Volumen ganz bemerklich. Nach diesen Autoren vermehrt sich 
das Volumen des Rückenmarkkanals unter diesen Bedingungen um 1 cm s . Nimmt 
man als Gesammtkapazität des ganzen Kanals 112 cm 3 an, so würde diese Volumen¬ 
vermehrung nur */io»o , also fast Null, betragen. 

Unter den Autoren, welche die Hypothese von der Verlängerung des 
Rückenmarkes bestreiten, müssen wir Cagney nennen. Nach diesem englischen 
Autor bewirkt die Suspension keine Verlängerung des Rückenmarkes, sondern 
wirkt auf dasselbe durch Geraderichtung der Wirbelsäule. Die Wirkung ent¬ 
faltet sich nur deutlicher bei der in Angriff genommenen Wirbelsäule an solchen 
Stellen, die Abweichungen aufweisen. Cagney fand selbst eine Verkürzung im 
Lumbaltheile. Der dorsale Theil verkürzte sich beim Lebenden mehr als an der 
Leiche, der cervikale Theil dagegen verlängerte sich etwas. Ebenso wie Althaus 


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Die Eztensionsmetbode nnd ihre Anwendung etc. 


85 


nimmt Cagney die Hypothese von der Ablösung meningitischer Verklebungen und 
der danach entstehenden Hyperämie zugleich mit dem Wechsel der Stelluugsphasen 
der Wirbelsäule als richtig an. Itauzier 1 ) schliesst sich der Meinung Bogroff’s 
an und ist der Ansicht, dass diese Behandlung den Effekt hätte, durch Besserung 
der Ernährungsverhältnisse den Tod der erkrankten Nervenelemente aufzuhalten und 
die Arbeitsleistung der gesunden zu erleichtern. 

Fassen wir Alles zusammen, so ergiebt sich, dass die Suspension 
einen unbestreitbaren Einfluss auf das Nervensystem im all¬ 
gemeinen und auf das Rückenmark im besonderen hat Sic 
beeinflusst direkt oder indirekt den Verlauf der Krankheit und leistet so 
einen unleugbaren Dienst. Wir selbst haben weder an Thieren noch an Leichen 
Versuche angestellt, um anatomisch - pathologische Schlüsse über die Suspensions¬ 
methode ziehen zu können; denn wir halten diese Art von Versuchen für ein Objekt 
freier Diskussion; mögen diese Experimente auch mit der strengsten Objektivität aus¬ 
geführt sein, immerhin ist es misslich, von ihnen auf den lebenden Menschen Schluss¬ 
folgerungen zu ziehen. Die Extension der Wirbelsäule an Leichen kann und wird 
sicher verschiedene Resultate gegenüber denen haben, die man am lebenden Menschen 
erhält, einem Individuum, welches als denkendes, reflektierendes, aktives Wesen im 
Vollbesitz aller Elemente des physischen und moralischen Lebens steht. Die Sus¬ 
pension hat bei der Leiche nicht mit dem Muskeltonus, einer ausserordentlich 
wichtigen Eigenschaft des lebenden Körpers, zu rechnen. 

Aus diesem Grunde haben wir uns darauf beschränkt, Messungen an unseren 
Kranken unmittelbar vor, während und nach der Extension zu machen, um einen 
sicheren Schluss über die thatsächliche Wirkung der Extension auf die Wirbelsäule 
ziehen zu können. So genau auch unsere Messungen ausgeführt wurden, so können 
wir trotzdem ihre absolute Richtigkeit nicht verbürgen, und es ist nicht ausgeschlossen, 
dass dabei einige unwillkürliche Irrthümer untergelaufen sind. Es möge hier das Ver¬ 
fahren unserer Messungen vor, während und nach der Extension eine Besprechung finden. 

Sobald der Patient bereit ist, sich auf die Platte zu legen, markieren wir 
drei Orientierungspunkte, den Zenithpunkt des Kopfes, die Schultern und die beiden 
Fersen. Die beiden ersten Orientierungspunkte sind markiert durch Holzwürfel 
— 5 cm 3 —, welche fest an Kopf und Schulter angedrückt werden. Nachdem 
die drei vorläufigen Merkpunkte markiert sind, heben wir die Liegeplatte bis zur 
gewünschten Höhe; nach 5—10 Minuten zeichnen wir uns in derselben Weise mit 
denselben Holzwürfeln an Kopf, Schultern und Fersen die nunmehr resultierenden 
Merkpunkte auf. Auf diese Weise legen wir die korrespondierenden Punkte in den 
verschiedenen Höhen fest. Wir erhalten durch dieses Manöver die verschiedenen 
Längen der beiden wichtigen Abschnitte: des cervikalen Theils, welcher zwischen 
Kopfzenithpunkt und Schulter liegt, und des dorsalen Theils, dessen Bereich Schulter 
bis Ferse umgreift. Die nachfolgende Tabelle giebt eine Uebersicht verschiedener 
Messungsresultate, welche an der Charcot’schen Klinik angestellt wurden. 


9. Juli 1901. 


Cervikaler Theil 
Dorsaler » 


Frau G. Tabes. 


Vor der 
Extension 


26,50 cm 
130,00 » 


lm 111. Zahn 

33° .V 

27.00 cm 
130,50 t 


Iiu IV. Zahn 
43° 5' 


27,75 cm 
131,00 » 


lm V. Zahn 
53° •>' 

27,75 cm 
131,00 » 


>) M. Kauzier, Traitement du tabes. 'l’raite de therapeutique appliquee 1893. Bd. 14. 


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86 


P. Kouindjy 


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24. Mai 1901. 

Vor der 

Im III. Zahn 

lm IV. Zahn 

Im V. Zahn 


Extension 

33° 6* 

48“ 8' 

53° 3' 

Cervikaler Theil 

30,50 cm 

31,50 cm 

31,50 cm 

— cm 

Dorsaler » 

131,00 » 

131,75 » 

132,00 » 

132,50 » 

Frl. V. Friedreich’sche Krankheit. 


24. Mai 1901. 



Im IV. Zahn 


Vor der 

Im HI. Zahn 



Extension 

33° 5' 

43° 6' 


Cervikaler Theil 

25,00 cm 

25,25 cm 

25,50 cm 


Dorsaler » 

136,00 > 

136,00 » 

136,50 » 


11. Juni 1901. 

Vor der 

Im ID. Zahn 

Im IV. Zahn 



Extension 

33° 5 # 

43° 5' 


Cervikaler Theil 

29,75 cm 

29,75 cm 

30,00 cm 


Dorsaler » 

135,25 » 

135,50 » 

136,00 > 


21. Juni 1901. 

Vor der 

Im in. Zahn 

Im IV. Zahn 

Im V. Zahn 


Extension 

33° 5' 

43° 5' 

53° 2' 

Cervikaler Theil 

28,75 cm 

29,25 cm 

30,75 cm 

31,00 cm 

Dorsaler » 

156,00 > 

136,25 » 

136,00 » 

— > 

14. Mai 1901. 

Frau 

L. Tabes. 

Im IV. Zahn 

Im V. Zahn 

Vor der 

Im m. Zahn 


Extension 

33° 5' 

43° 5' 

63° 2* 

Cervikaler Theil 

26,00 cm 

26,25 cm 

27,00 cm 

27,50 cm 

Dorsaler » 

7. Juni 1901. 

143,00 » 

144,00 > 

144,25 » 

144,25 » 

Im V. Zahn 

Vor der 

Im III. Zahn 

Im IV. Zahn 


Extension 

33° 5' 

43° 5 ' 

53° 3 

Cervikaler Theil 

26,05 cm 

27,08 cm 

28,00 cm 

— cm 

Dorsaler » 

141,25 > 

141,50 » 

142,00 » 

142,50 > 

14. Mai 1901. 

Herr 

C. Tabes. 

Im 1U. Zahn 

lm IV. Zahn 


Vor der 



Extension 

33° 5' 

43° 5' 


Cervikaler Theil 

24,75 cm 

25,25 cm 

• 25,25 cm 


Dorsaler » 

145,00 » 

145,25 » 

145,25 » 


21. Mai 1901. 

Vor der 

Im ni. Zahn 

Im IV. Zahn 



Extension 

33° 5' 

43° 5' 


Cervikaler Theil 

24,25 cm 

25,00 cm 

25,00 cm 


Dorsaler » 

145,00 » 

145,25 » 

145,50 > 


19. Juli 1901. 

Vor der 

Im lU. Zahn 

Im IV. Zahn 



Extension 

33° 1<V 

43° 8' 


Cervikaler Theil 

23,50 cm 

23,50 cm 

24,00 cm 


Dorsaler » 

156,50 » 

157,00 > 

— > 


27. August 1901. 

Vor der 

Im UI. Zahn 

Im IV. Zahn 



Extension 

33° 5' 

43° 5' 


Cervikaler Theil 

23,00 cm 

25,25 cm 

25,50 cm 


Dorsaler » 

145,25 > 

145,50 » 

146,25 » 



Frau R. Multiple Ski 

erose. 


6. August 1901. 

Vor der 

Im UI. Zahn 

Im IV. Zahn 



Extension 

33° 8' 

43° 5' 


Cervikaler Theil 

30,00 cm 

30,50 cm 

31,00 cm 


Dorsaler » 

146,00 > 

146,50 > 

146,50 » 



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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Die Extensionemethode und ihre Anwendung etc. 


87 


7. Juni 1901. 

Vor der 
Extension 

Im ELI. Zahn 

33° 10* 



Cervikaler Theil 
Dorsaler » 

24,50 cm 
149,00 > 

25,25 cm 
149,50 » 



17. September 1901. 

Herr Sc. Tabes. 

Vor der Im HI. Zahn 

Extension 30° 6' 

Im IV. Zahn 
40° 5' 

Im V. Zahn 
60° 2' 

Cervikaler Theil 
Dorsaler > 

25,50 cm 
149,25 > 

26,25 cm 
151,00 » 

26.75 cm 

151.75 

27,00 cm 
151,75 » 

27. Oktober 1901. 

Vor der 
Extension 

Im HI. Zahn 
30° 5' 

Im IV. Zahn 
40° ö' 


Cervikaler Theil 
Dorsaler » 

25,25 cm 
150,00 » 

25,50 cm 
151,00 > 

26,00 cm 
151,00 > 


30. Oktober 1901. 

Vor der 
Extension 

Im HI. Zahn 
30° 5' 

Im IV. Zahn 
40° 6' 


Cervikaler Theil 
Dorsaler » 

25,00 cm 
152,10 » 

25,75 cm 
153,00 » 

25,75 cm 
154,00 » 



Aas obigem geht hervor, dass die Extension eine Verlängerung des Körpers 
von ungefähr 1—2 cm hervorzurufen im stände ist, jedoch erreicht sie bei weitem 
nicht die von Motschukowsky angegebenen Maasäe von 3—5 cm. Im Durch¬ 
schnitt fanden wir die Verlängerung von 1,5 cm, ein Ergebniss, welches ziemlich 
den von Haushalter und Adam angegebenen Maassen nahe kommt; die letzteren 
fanden 1—2,5 cm Verlängerung bei Suspension. Die Orientierungspunkte waren 
immer dieselben, die Zugbedingungen unverändert; man hat also, ohne Furcht sich 
getäuscht zu haben, anzunehmen, durch unsere Messungsmethode ein Bild von der 
ungefähren Kraftwirkung der Suspension auf die Wirbelsäule zu erhalten. Der 
cervikale Theil dehnt sich zuweilen mehr als der dorsale; diese Verlängerung kann 
2 cm überschreiten. Dagegen ergiebt der dorsale Theil trotz Anbringung von Ver¬ 
stärkungsgewichten eine kaum 2 cm erreichende Verlängerung. Niemals aber haben 
wir eine Verkürzung der Wirbelsäule erlebt, wie sie Cagney angiebt. 

Wenn auch die anatomisch-pathologische Wirkung der Suspension ein Gegen¬ 
stand der Diskussion sein mag, so steht doch ihr symptomatologischer Einfluss ausser 
allem Zweifel. 

»Von allen Behandlungsmethoden«, sagt unser verehrter Chef, Prof. Raymond, 
>welche man bisher gegen die Tabes zur Anwendung gebracht hat, steht die Sus¬ 
pensionsmethode an der Spitze; von ihr hat man noch das meiste zu erwarten.« 
Der Einfluss der Suspensionsmethode auf die Umstimmung der symptomatologischen 
Störungen der cerebro-spinalen Erkrankungen ist, wie wir oben gesehen haben, von 
einer grossen Mehrzahl von Neurologen beschrieben worden. In jener denkwürdigen 
Vorlesung in der Salpetrige am 19. Januar 1889 stellte Charcot 14 Fälle von 
Tabes mit 10 deutlichen Besserungen vor. Es waren folgende: In erster Linie steht die 
Besserung der Koordinationsstörungen, dann die des Romberg’schen Phänomens, ferner 
Besserung der Blasenstörungen, der Impotenz und der lancinierenden Schmerzen. In 
seinen Freitags-Vorlesungen sagte Professor Raymond über die Suspension, »dass 
sie einen äusserst heilsamen Einfluss auf gewisse Symptome der Tabes auszuüben im 
stände sei, in erster'Linie auf die lancinierenden Schmerzen, ferner auf die sexuellen 
and Blasenstörungen, endlich auf die Koordinationsstörungen.« Prof.Motschukowsky 


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88 


P. Kouindjy 


gicbt in seinen letzten Vorlesungen über Tabes dorsalis eine Zusammenstellung der 
durch Suspension günstig beeinflussten Symptome an, welche von den nachfolgenden, 
mit Namen aufgeführten Autoren ihre Bestätigung gefunden haben. 

Besserungen der Krankheit im allgemeinen haben beobachtet: Charcot. 
Mendel, Eulenburg, Bosenbaum, Gilles de la Tourette, Langoudaki, 
Lupine, Andr£ Mayet, Rüssel et Taylor, Erb, Althaus, Rondel und 
Vorothynski. 

Besserung und Unterdrückung der lancierenden Schmerzen: Charcot, Michel 
Clark, Gaston, Ducony, Bonjour, Danillo und Pschikhodsky, Tripier, 
Renz und Guttmann. 

Besserung der Gehfähigkeit und der Inkoordination: Magnan, Hammond, 
Bonjour, Guttmann, Weitzfelder, Bidau, Rondel, Benedikt und Tripier. 

Besserung des Romberg’schen Phänomens: M. Clark, Eulenburg, Mendel, 
Rosenbaum und Guttmann. 

Besserung der Impotenz: Erb, Bölougou, Abadi und Desnos. 

Besserung der Schlaflosigkeit: Euleuburg, Mendel, Rosenbaum. 

Besserung der Parästhesie und Anästhesie: Bonjour, Guttmann, Michel 
Clark. 

Besserung der Blasen- und Mastdarmstörungen: Eulenburg, Mendel, 
Rosenbaum, Belougou. 

Besserung der Störungen der motorischen Nerven der Augen: Bernhardt, 
Ladame, Rondel, Moutard-Martin. 

Besserung der Sehstörungen: Darier, Eulenburg, Mendel, Abadi, 
Desnos, Bechtereff und Vorothynski. 

Besserung der Arthropathieen: Revillot. 

Besserung des Mal perforant du pied: Teissier. 

Besserung des Schwindels: Hammond. 

Besserung des Gehörs: Bernhardt. 

Besserung der Schlingbeschwerden: Hammond. 

Unterdrückung des Morphinismus: Gilles de la Tourette und Lagoudaki. 

Rückkehr des Patellarreflexes: Erb, Althaus, Bonjour und Renault. 

Unterdrückung des d’Argyl -Robertson’sehen Phänomens: Motschukowsky. 

Sonach stimmt die Mehrzahl der modernen Neurologen darin überein, dass 
die Suspension als ein positiver Heilfaktor bei Behandlung der Symptome der 
Tabes zu betrachten ist. Die Statistik von Ossankoff weist 11#07 mit Sus¬ 
pension behandelte Ataktiker auf; hiervon wurden gebessert 698, ohne deutlich 
wahrnehmbares Resultat blieben 1118, 50 verschlechterten sich, bei 40 war der 
Erfolg zweifelhaft. Dieser Statistik kann man noch 14 Fälle von Ataxie des Prof. 
Ossankoff hinzufügen; 10 Besserungen, 2 ohne Resultat, 2 Verschlechterungen; 
ferner 10 Fälle, die wir mittels Schieflagerung zu behandeln Gelegenheit hatten. 
Von diesen 10 Fällen wurden bei 2 Tabikern sämmtliche Störungen ganz bedeutend 
gebessert, und zwar gingen zuerst die Koordinationsstörungen, zuletzt die Seh¬ 
störungen zurück; bei 4 Kranken trat eine wesentliche Besserung der motorischen 
Störungen, der lancinierenden Schmerzen, des Romberg’schen Phänomens etc. ein; 
im ganzen also von 10 Fällen 7 Besserungen, 2 unbestimmt, 1 ohne Erfolg. 

Unter den durch Suspension erfolgten Besserungen seltener Art Anden wir, 
dass Althaus sogar Rückkehr der Patellarreflexe konstatierte. Marina publizierte 
einen ähnlichen Fall. Renault fand Rückkehr der Reflexe nach 50 Sitzungen, 


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Original ffom 

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Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc. 89 

Kirchener sali bei einem Fall von Myelitis das Wiederkehren der Patellarreflexc. 
Wir konnten bei einem Tabiker nach dreimonatlicher Extensionsbehandlung — drei¬ 
mal wöchentlich — Rückkehr des Achillessehnenreflexes konstatieren. 

Dohna beobachtete eine Erhöhung der Reflexe nach Suspension bei Tabikern. 
Ascher sah bei einem Alkoholiker den Patellarreflex zurückkehren. Clarke 
konstatierte eine Vermehrung des nämlichen Reflexes nach Aufhängung bei einem 
Ataktiker. Jiaroschewsky bemerkte eine Herabsetzung der Reflexe bei Ilemi- 
plegikern. Michel und Vorothynsky fanden eine Verminderung der Reflexe bei 
Patienten, welche wegen Kompressionsmyelitis mit Suspension behandelt waren. Doch 
bilden die Fälle, in denen die Suspension einen Einfluss auf die Patellarreflexe hat. 
nur Ausnahmen, im allgemeinen bessert sich die Tabes durch Suspension, die Patellar¬ 
reflexe pflegen jedoch nicht zurückzukehren. 

Die lancinierenden Schmerzen und das Romberg'sehe Phänomen bilden für 
die Suspension zwei fast immer günstig beeinflussbare Symptome; die ersteren 
pflegen zuweilen schon nach einigen Sitzungen nachzulassen,^während sich das letztere 
nur sehr langsam bessert. 

Das Nachlassen der lancinierenden Schmerzen tritt in selteneren Fällen in einer 
auffallenden Form auf: sie werden anfangs weniger heftig, weniger allgemein und 
endigen dann meist, indem sie sich an einer Stelle des Unterschenkels oder des 
Kusses festsetzen. Bald treten sie nur noch im Anschluss an eine stärkere An¬ 
strengung alle 2 — 3 Tage auf, ohne stechend und bohrend zu sein; schliesslich 
'•essieren sie völlig, ln einem Falle schwanden die lancinierenden Schmerzen bereits 
nach zweimonatlicher Extensionsbehandlung. 

Das Romberg’sche Phänomen wird ebenfalls durch die Suspension günstig be¬ 
einflusst. Die Besserung tritt langsam, zögernd ein. Oharcot hat in seiner denk¬ 
würdigen Vorlesung über Tabes die AVirkung der Suspension auf das Romberg’scho 
Phänomen und die Inkoordination hervorgehoben. Wir wissen jetzt, dass durcli 
die kompensatorische Uebungstherapie, wie sie von Frenkel, Leyden, Gold- 
scheider, Jacob und vielen anderen bearbeitet ist, die Koordinationsstörungen der 
Tabiker erheblich gebessert werden und dass die Methode allein im stände ist, bei 
motorischen Störungen eine Wiederherstellung der Association dessen herbeizuführen, 
was unser Chef, Prof. Raymond, Bewusstsein und Wille nennt: »Es ist nöthig, 
durch systematische Gymnastik die normalen Beziehungen zwischen bewusster Wahr¬ 
nehmung und Willensäusserung herzustellen 1 )«- Nichtsdestoweniger fehlt es durch¬ 
aus nicht an Beobachtungen, welche beweisen, dass die Suspension in zweckmässiger 
Weise die kompensatorische Uebungstherapie unterstützt. 

Die Suspension nimmt die Aufmerksamkeit der medicinischen Welt besonders 
durch die Besserungsresnltate bei den motorischen Störungen der Tabiker in Anspruch. 
Bei den 14 von Charcot veröffentlichten Fällen trat allgemein Besserung der Geh- 
störungen, der Inkoordination ein. Hammond, Martin, Eulenburg, Mendel, 
Clarke, Dujardin-Beaumetz und alle, welche Gelegenheit hatten, die Suspension 
bei Tabikern anzuwenden, erklären einstimmig die Suspension für einen begriissens- 
werthen Heilfaktor der Ataxie. Pierre Marie sagt in seinem Werk über die 
Krankheiten des Rückenmarks: »Es möge die Erwähnung genügen, dass die 
Suspension gegen gewisse Symptome, lancinierende Schmerzen, Ataxie und Störungen 
im Urogenitalapparat günstig wirkt*).« 


C F. Raymond, Cliniquc des maladies du Systeme uerveux 1807, 

*) P. Marie, Legons sur les maladies de la moelle S. 330. 

Zeiischr. f. Ji&t u. physik. Therapie. Bd. VJ. lieft 2. 7 


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90 


P. Kouindjy 


Zur Besserung des Ro mb erg’sehen Phänomens ist die Suspension ebenso 
wirksam wie bei der Ataxie. Wir haben z. B. eine Patientin mit sehr ab¬ 
geschwächtem Sehvermögen mit Suspension behandelt; die Kranke konnte sich 
anfangs mit geschlossenen Augen nicht zwei Sekunden lang aufrecht halten, jetzt 
vermag sie, ohne die Augen zu öffnen, eine bis zwei Minuten aufrecht zu stehen. 
Bei dem bereits weiter oben zitierten Patienten war das Ro mb erg’sche Phänomen 
derartig zum Verschwinden gelangt, dass der Kranke mit geschlossenen Augen rings 
durch den Saal und ohne Schwierigkeit rückwärts gehen konnte. Die Statistik des 
Professors Motschukowsky zeigt, dass die Besserung des Romberg’schen 
Phänomens eine weniger häufige als die der Ataxie ist. Von 207 Fällen hat 
Motschukowsky 202 mit Besserung der Ataxie und nur 155 mit Rückgang des 
Romberg’schen Phänomens verzeichnet. Diese für das Romberg’sche Phänomen 
scheinbar ungünstig lautenden statistischen Daten finden unserer Ansicht nach viel¬ 
leicht darin ihre Erklärung, dass es schwierig ist, die Grenze zwischen der Anwesen¬ 
heit des Romberg’schen Phänomens und seinem Verschwinden festzustellen. 

Unter den übrigen Symptomen, welche Besserung durch Extension erfahren, 
sind die Störungen der Blase, des Magens und der Augen zu erwähnen. 

Zwei Beobachtungen an zwei Kranken, welche auf der Abtheilung unseres Chefs 
Professor Raymond behandelt wurden, haben uns in dieser Hinsicht einen unwider¬ 
leglichen Beweis von der Wirksamkeit der Suspension mittels Schief lagerung geliefert. 

Eine andere Beobachtung ist interessant in Rücksicht auf die Wirkung der 
Extension bei Augenstörungen. Wir müssen allerdings zuvor erwähnen, dass der 
Kranke gleichzeitig mit unserer Behandlung eine antisyphilitische Kur brauchte, 
und dass der diese letztere anordnende Arzt glaubte, die Heilung des Patienten 
hierauf zurückführen zu können. Ohne irgendwie die günstige Wirkung der 
spezifischen Behandlung in Abrede stellen zu wollen, welche allerdings in unserem 
Falle bis zum Einsetzen der Suspensionsbehandlung und Massage unwirksam 
blieb, glauben wir, dass die Besserung der Sehstörungen bei unserem Kranken 
grösstentheils durch die Extension erzielt wurde. Prof. Bechtereff 1 ) äussert in 
seinem Werk über Suspension die Ansicht, dass in gewissen Fällen die Suspension, 
systematisch angewendet, nützlich wirken kann bei atrophischen Störungen und 
solchen der Sehnerven, sofern sie cerebro-spinalen Ursprungs sind. »Sie erzielt«, 
sagt er, »eine Besserung der peripheren sowie der zentralen Sehschärfe, indem sie 
die Weiterentwickelung der Atrophie auf hält und das Vorwärtsschreiten des ganzen 
Krankheitsprozesses hinausschiebt.« Die Wirkungsweise der Suspension bei Störungen 
des N. opticus erklärt Prof. Bechtereff, wie wir bereits früher sahen, durch Hyper¬ 
ämie der grauen Substanz der Hirnwindungen und der Nachbarschaft der Ventrikel. 
Abadie und Darier haben im Jahre 1889 mehrere Fälle veröffentlicht, wo die 
Suspension auf akute Augenerkrankungen der Tabiker wirkte. Darier führt drei 
Fälle an, von denen einer, völlig blind, nach mehreren Suspensions-Sitzungen Gegen¬ 
stände wieder erkennen konnte. 2 ) Desnos, Mendel, Eulenburg und Vorothynsky 
erwähnen ebenfalls Besserung von Sehstörungen. Jedenfalls können wir versichern, 
dass bei denjenigen unserer Kranken, bei welchen unter doppelter Behandlung die 


1) W. Bechtereff, ’Ueber den Einfluss der Suspension auf die Sehstörung bei Affektionen 
des Rückenmarks. (Neurol. Centralblatt 1893. No. 7.) 

2 ) A. Raoult, Traitement de l’ataxie locomotrice et de quelques autres maladies du Systeme 
nerveux par la Suspension. (Progrös mCdical 1889.) 


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Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc. 91 

Sehstörungen sich besserten, ein gut Theil des Resultats auf Rechnung der Suspension 
mittels schiefer Ebene zu setzen ist. 

Wir haben schon früher erwähnt, dass wir während der Behandlungszeit mit 
Kxtension niemals einen unangenehmen Zwischenfall zu verzeichnen hatten. Nichts¬ 
destoweniger sind wir aber der Ansicht, dass die Suspension mittels schiefer Ebene 
ebenso wie die Extension mittels unseres Extensionsstuhles unter Beobachtung 
illgemeiner Vorsichtsmaassregeln vorgenommen werden muss. Unser Chef, Professor 
Raymond, hat die Kontraindikationen folgendermaassen formuliert: Die Suspension 
ist kontraindiciert — es handelt sich um Aufhängung und Dehnung — 

1. bei allen Tabikern mit Störungen des Cirkulationsapparates, 

2. bei allen Tuberkulösen und Emphysematikern; 

H. bei allen, die an apoplektiformen und epileptiformen Attaquen gelitten 
haben; 

4. bei allen sfehr Anämischen, die zu Schwindel und Ohnmacht neigen; 

5. bei Fettleibigen. 

Wir haben durch unsere Auseinandersetzung gesehen, dass mehrere dieser 
Kontraindikationen durch die bei der Suspensionsmethode getroffene Vervollkomm¬ 
nung in Wegfall kommen. Der Sprimon’sche Apparat und unser Extensionsstuhl 
gestattet uns die Extension bei Kindern, bei Herzleidenden, ja bei zu Schlagfluss 
Zeigenden ohne Gefahr auszuführen. Wir behandeln augenblicklich eine Hemiplektische 
vorgeschrittenen Alters mittels unseres Extensionsstuhles; während der drei Wochen, 
<lie wir sie mit 20 kg Belastung behandelten, ist noch nicht die geringste Störung 
vorgekommen. Die Kranke verträgt die Behandlung vorzüglich. In gleicher Weise 
haben wir die Extensionsbehandlung bei einem neunjährigen Knaben angewendet 
und haben keinen Grund, uns irgendwie über die Methode zu beklagen. 

Die Extensionsbehandlung ist angezeigt bei einer grossen Anzahl von Nerven¬ 
krankheiten, und alle Kranken, welche Gelegenheit hatten, sie an sich zu erproben, 
wissen sie zu schätzen. 

Ganz besonders dürfte die Extensionsmethode berufen sein, bei der Behandlung 
der Neurasthenie eine hervorragende Rolle zu spielen. Die Platte, welche bei einer 
Xeiguug von 15—20» nur einen minimalen Zug entstehen lässt, wirkt wunderbar auf 
die sensitive Natur der Neurastheniker und heilt die Patienten schnell von ihrem Un¬ 
behagen. So haben wir eine junge Dame mit Neurasthenie geheilt, welche bereits acht 
Jahre lang wegen ihrer rheumatischen Schmerzen mit allen möglichen Mitteln be¬ 
handelt worden war. Wir nahmen mit ihr zehn Extensionssitzungen vor und heilten 
>ie hierdurch von ihren pseudorheumatischen Schmerzen. 

Es ist schwierig für uns, weitere von uns auf der Abtheilung Professor 
Raymond’s vorgenommene Extensionsbehandlungen zu beschreiben, da sich dort 
nur ein einziger Liegeapparat zu Diensten des Krankenhauses und für mein Sprech¬ 
zimmer befindet. Wir schliessen daher diese Arbeit mit einem kurzen Resumc über 
die Nutzanwendung der Suspension. 

Die Extensionsmethode ist die einzige Form der Suspensions- 
methode, welche als nothwendiges Heilmittel in der Behandlung von 
Nervenkrankheiten angewendet werden soll. Sie muss mit derselben 
Klugheit und Vorsicht ausgeführt werden, wie andere anerkannte Heil¬ 
methoden: spezifische, electro-therapeutische etc. Behandlung. Die 
Kxtension- sowie die Suspensionsmethode leistet gute Dienste in der 
Behandlung von Krankheiten des cerebro-spinalen Systems. Sie muss 

7* 


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92 W. Cronhcim und Erich Müller 

durch einen die Methode beherrschenden Arzt geleitet, ausgeführt und 
gemäss der zu behandelnden Symptomengruppe geregelt werden; dann 
wird sich die Extension nützlich und ohne Nebenstörungen bewähren. 
Durch den Empiriker oder gar den Patienten selbst ausgeübt, birgt sie 
Gefahren. 

Von allen Suspensionsmethoden ist die Extension mittels schiefer 
Ebene die reizloseste; von anderen wissenschaftlichen Verfahren der 
Suspensionsmethode sind die mittels des Sprimon’schen Apparates und 
unseres Extensionsstuhls die besten, weil sie gestatten, eine gradweise 
und genau bemessene Zugwirkung zu erzielen. 


III. 

Versuche über den 1 Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings 
mit besonderer Berücksichtigung des organisch gebundenen Phosphors. 

Aus dem thierphvsiol. Laboratorium der Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin 

(Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz.) 

Von 

Dr, W. Gronheim und Dr. Erich Müller. 

(Schluss.) 

Versuch V (April 1901). Kind V, 4 V 2 Monate alt. liegt im Krankenhause, wo es 
wegen einer inzwischen vollkommen abgeheilten Darmstörung aufgenommen war. In diesem 
Versuche ersetzten wir das bisher gereichte Nahrungsgemisch durch eine reine Milch¬ 
nahrung ( 2 /3 Milch). Im Kontrollversuche wurde Eidotter zugefügt und dementsprechend 
weniger Milch gegeben. Dabei war der N- und P-Gehalt beider Nahrungen der gleiche 
und ebenso der kalorische Nährwerth. Erwähnt sei, dass dieses Mal der B-Versuch — 
d. h. mit der lecithinfreien Nahrung — vorangeschickt wurde und dass der A-Versuch — 
d. h. mit der eidotterhaltigen Nahrung — als zweiter nachfolgte. 

In dem A-Versucbe wurde hier infolge eines Irrthuras die inzwischen erfolgte Ge¬ 
wichtszunahme nicht berücksichtigt, sodass die dem Kinde zugeführte Kalorieenmenge relativ 
geringer war als im B-Versuch. Wir beabsichtigten in diesem Versuche einmal direkt die 
Kuhmilch mit dem Eidotter mit Bezug auf ihre Ausnützung zu vergleichen, besonders da 
mehr oder weniger verdünnte Kuhmilch die gewöhnliche Nahrung des Päppelkindcs ist. 
Andererseits schien es uns interessant, zu sehen, ob vielleicht das Lecithin in dieser relativ 
kohlehydratarmen Nahrung eine andere Wirkung zeigte. Die Milch — Kindermilch 
aus der hiesigen grössten Molkerei (mit Trockenfütterung) — wurde auf unseren Wunsch 
dem gesammten, mehrere hundert Liter enthaltenden, gut durchgemischten Gemelk ent¬ 
nommen und uns sterilisiert in V 2 Liter Portionsflaschen geliefert. Die Analyse der 
Milch, zu welcher zwei Flaschen verarbeitet wurden, ergab, der sorgfältigen Durchmischung 
entsprechend, gut übereinstimmende Werthe. Wir beabsichtigten ursprünglich das Eidotter 
in frischer Form zu geben, es war jedoch nicht durchführbar, da dasselbe, obwohl es kalt 
auf bewahrt wurde, nicht tadellos blieb. Wir mussten es deshalb trocknen und so der Milch 
zufügen. Die Trocknung geschah in dünner Schicht und möglichst schnell im Vakuum bei 
einer Temperatur, welche 50 ft C. nicht überstieg. Wir gebrauchten den schon erwähnten 


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UNIVERSfTY OF MICHIGAN 




Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 93 

Vakuumapparat, nur arbeitete diesmal die Luftpumpe während der ganzen Dauer der 
Trocknung, um die Wasserdämpfe abzusaugen. Das getrocknete Eidotterpulver wurde 
analysiert ; es roch und schmeckte gut. Es liess sich mit der Milch bequem vermischen 
and wurde gut vertragen. Der Versuch verlief ohne Störung. 

Das Kind erhielt in den 3 Tagen des zeitlich später liegenden A-Versuches vom 

16.— 19. April 1901: 1560,5 cm 3 Milch, 21,0 g trockenes Eidotter, 60 g Milchzucker und 
900 cm* Wasser. Die Zusammensetzung der Milch war die folgende: D = 1,02425, 
12.19 °/o Trockensubstanz, 0,54 % N, 3,43 °/o Fett, 0,721 °/ 0 Asche mit 0,106% CaO und 
0.01% MgO, 4,69 % Milchzucker — direkt bestimmt —, 0,227 % P 2 0 5 = 0,099 % P; 
die des Eidotters: 2,06 % H 2 0, 5,44 % N, 50,18% Fett, 3,44 % Asche mit 0,340% 
CaO und 0,048 % MgO, Kohlehydrate nicht bestimmt, 2,687 % P 2 0 5 = 1,173 % P, da¬ 
von ätherlöslich 0,292'.%. 

Der Koth wog lufttrocken 25,3 g und enthielt: 4,05% HoO, 5,45 % N, 21,36 % 
Fett, 24,20% Asche mit 8,63 % CaO und 0,66 % MgO, Kohlehydrate = O, 6,20% P 2 0, 
— 2,71 % P, organischer P nur in Spuren. 

Danach berechnen sich folgende absolute Werthe des Umsatzes: 



Trocken¬ 

N 

Fett 

J Asche 

Kohle¬ 

p 2 0. 

_ 

substanz 

hydrate 

Einnahme. . . 

269,6 

9,616 

63,720 

12,036 

132,718 

4,084 

Ausgabe (Koth) 

24,3 

1 1,378 

5,404 

6,123 

; — 

1,569 

Resorbiert . . 

245,3 

8,138 

58,316 

5,913 

I 132,718 

2,515 (1,098 Pi 

Resorbiert in % J 
der Einnahme I 

90,99 

85,51 

1 

91,52 

i 49,13 

100 

61,58 


Im Urin sind enthalten: 

Datum Menge N P 2 O s CaO i MgO 

cm 3 ! ! 

=— ■ r ~~ i 

16. —17. April 650 | 1,844 ! 0,745 

17. 18. t> 840 2,262 | 0,801 

18. —1 9. » 790 | 2,276 0,877 _ 

Summa 2280 6,479 2,423 (P =■ 1,058) , 0,070 0,110 

Aus der Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergeben 
'ich folgende Werthe des Ansatzes: 

1,659 g N, 0,092 g P 2 0, (0,040 g IM, 
in % des Resorbierten: 

20,39 % N 3,66 % P 2 0,. 

Die Werthe des Salzstoffwechsels sind: 



Durch Nah¬ 

Im Koth 

1 

Dasselbe 


Im Urin 


Dasselbe 


rung -f- Wasser 



Resorbiert 

aus- 

Retiniert 



eingeführt 

ausgeführt 

in o/ 0 * 


geschieden 


in % 

Asche 

12,036 

6,123 

50,87 

5,913 

4,419 

1,494 

25,27 

CaO 

1,768 

2,183 

negativ 

- 0,415 

0,070 

0,485 

negativ 

MgO 

0,170 

0,167 

98,24 

0,003 

0,110 

0,107 



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Original from 

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94 


W. Cronheim und Erich Müller 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

15. April 5207 g 

16. » 5274 g\ 

!Z* * Mittel der Yersuchszeit 5260 g. 

18. > 5211 g ( 

19. > 5245 gl 


Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt: 


Einnahme: 1550,5 cm 8 Milch ä 0,7068 Kal. = 

1095,9 

Kal 

60 g Milchzucker k 3,7 » = 

222,0 


21 g Eidotter k 7,740 » = 

162,5 


Summa 

1480,4 

Kal. = 93,8 p. Kilo u. Tag 

Ausgabe: 25,3 g Koth ä 4,634 Kal. = 

117,24 

» 

also resorbiert 

1363,16 

Kal. = 86,39 p. Kilo u.Tg. 

Im Urin sind ausgeschieden. 

51,114 



Im Körper verbrannt resp. angesetzt 1312,046 Kal. = 83,2 p. Kilo u. Tag. 


Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 92,08%. 

In den drei Tagen des B-Versuches vom 11. bis 14. April 1901 erhielt das Kind: 
1797,6 cm * Milch, 60 g Milchzucker und 900 cm 3 Wasser. Die Milch war die gleiche. 

Der lufttrockene Koth wog 23,45 g und war folgendermaassen zusammengesetzt: 
6,96 % H 2 0, 4,94 %N, 28,64 % Fett, 25,50 % Asche, darin 10,77% CaO und 0,90% 
Mg 0, Kohlehydrate = 0, 7,48 % P L > 0 5 = 3,26 % P, organischer P nur in Spuren. 

Danach sind die absoluten Werthe des Umsatzes: 



Trocken¬ 

substanz 

N 

Fett 

Asche 

Kohle¬ 

hydrate 

P 2 O ß 

1 

Einnahme. . . 

279,13 

9,707 

61,658 

13,090 

144,307 

4,081 

Ausgabe (Koth) j 

21,82 

1,158 

6,692 

6,980 

— 

1,753 

Resorbiert . . 

267,31 

8,649 

I 44,966 

7,116 

; 144,307 

2,328 (1,010 Pi 

Resorbiert in % 1 
der Einnahme 1 

92,17 

1 

88,07 

00 

jO 

wT 

' 54,34 

100 

57,04 


Die Zusammensetzung des Urins ist: 


Datum 

Menge 

N 

P*o* 

CaO ! MgO 


cm« | 



| 

11.—12. April 

600 

2,022 

j 0,648 

1 

12.—13. » 

' 830 

2,233 

0,708 


13.—14. v 

800 

2,513 

1 0,864 

1 

Summa 

1 2230 

6,768 

2,220 (P = 0,969) 

0,044 0,080 

1 7 , 1 


Aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen berechnet 
sich ein Ansatz von: 

1,781 g N, 0,108 g P 2 O r> (0,04 g P) 
in % des Resorbierten: 

20,83% N 4,64% P 2 Or,. 


hy Goöglc 


Original from 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


95 


Die Werthe für den Salzstoffwechsel sind: 


-1 

Durch Nah¬ 
rung +Wasser 
eingeführt 

Im Koth 
ausgeführt 

Dasselbe 

in «/„ 

Resorbiert 

Im Urin 

aus¬ 

geschieden 

Retiniert 

Dasselbe 
in o/ 0 

Asche 

, 13,096 

' 5,980 

45,66 

7,116 

5,573 

1,543 

21,68 

CaO 

1,961 

2,526 

negativ 

—0,565 

0,044 

-0,609 

negativ 

MgO 

0,186 

| 0,211 

negativ 

—0,026 

0,080 

—0,106 

negativ 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 

11. April 4949 gj 

* kcvÜ- ® Mittel der Versuchsdauer 4718 g. 

13. » 5275 g & 

14. > 5191 gl 

14. > 5207 g 

Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 

Einnahme: 1797,6 cm 8 Milch h 0,7068 Kal. = 1270,6 Kal. 

60 g Milchzucker ä 3,7 » — 222,0 » 

Summa 1492,6 Kal. = 98,1 pro Kilo u. Tag, 
Ausgabe: 23,45 g Koth ä 4,718 Kal. 110,63 > 

also resorbiert 1381,97 Kal. = 90,86 p. Kilo u. Tag, 

Im Urin sind ausgeschieden. . . 56,78 » 

Es sind im Körper verbrannt resp. angesetzt . . 1325,19 Kal. = 87,1 pro Kilo u. Tag. 

Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 92,52 %. 

Versuch VI (Juli 1901). Kind VI, 5 Monate alt, liegt in Privatpflege, es ist voll¬ 
kommen gesund und gut entwickelt. Die Nahrung war die schon mehrfach verwandte 
Mehlnahrung, nur war die Mischung eine neue. Die lecithinfreie Nahrung des Kontroll- 
versuches B zeigte einen etwas zu niedrigen N-Gehalt, wir korrigierten diesen Mangel durch 
einen kleinen Zusatz von phosphorfreiem — eigene Nachprüfung — Edestin, für dessen 
freundliche Ueberlassung wir der Firma Merck zu Dank verpflichtet sind. Das j Kind 
vertrug beide Nahrungen sehr gut. Die am ersten Tage des A-Versuches nicht getrunkene 
Nahrungsmenge wurde direkt bestimmt. In Anbetracht der geringen Menge des gereichten 
Edestins, resp. der Asche (0,041 g gegenüber 10,66 g in der Mehlnahrung) haben wir 
CaO und MgO darin nicht bestimmt, die Resorption von CaO und MgO stellt sich also 
am eine Kleinigkeit besser, als es unsere Aufstellung ergiebt. 

In den vier Tagen des A-Versuches vom 10.—-14. Juli 1901 erhielt das Kind: 
420-5,47 (nicht getrunkenes) = 414,53 g Nahrungsgemisch und 20 g Rohrzucker, dazu 
3.6 1 Wasser. Die Zusammensetzung des Nahrungsgemisches war: 96,02 % Trocken¬ 
substanz, 2,24 % N, 4,78 % Fett, 2,60% Asche, darin 0,528 % CaO und 0,072 % MgO, 
2.77% Rohfaser, 71,87 % verdauliche Kohlehydrate, 1,10% P 2 0 5 = 0,48 % P, davon 
ätherlöslich 0,0235 %. Im lufttrockenen Kothe von 37,0 g Gewicht sind enthalten : 
7.95% H 2 0, 5,33 % N, 8,87 % Fett, 31,04 % Rohfaser, 8,81 % andere Kohlehydrate, 
14,08% Asche, darin 5,15 % CaO und 0,79 % MgO, 4,80 % P*>0 5 = 2,09 % P, davon 
organischer 0,19%. 


Danach berechnen sich die folgenden absoluten Werthe: 


Einnahme . 
Ausgabe (Koth) 

Trocken- 

substanz 

N 

Fett 

Asche 

„ . . Kohle- . 

Rohfaser , , ^ 

hydrate 

1 

1 

** 

tc 

O 

e» 

418,03 

34,06 

9,286 

1,972 

19,815 

3,282 

11,318 

5,210 

11,483 317,92 

11,483 3,26 

4,560 

1,776 

Resorbiert . . 

1 383,97 

7,314 

16,533 

6,108 

1 314,66 

2,784 (1,215 P) 

Resorbiert in °/ 0 i 

1 






der Einnahme ) 

| 91,85 

78,70 

83,44 

53,97 

— 98,98 1 

61,05 



Original from 

UNIVERSITf OF MICHIGAN 





96 W. Cronheim und Erich Müller 


Im Urin wurden ausgeschieden: 


Datum 

Menge 

N 

1 p 2 o„ 

Harnsäure 

CaO 

m b o 


cm'» 


1 

i 


10.—11. Juni 

.315 

1,209 

0,475 




11.—12. i» 

450 

1,249 

| 0,472 




12. 13. » 

j 488 

1,371 

0,562 




13.—14. » 

450 

1,648 

0,606 




Summa 

j 1903 

5,437 

1 2,115 (P = 0,923) 

0,205 

0,065 

0,074 


Aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen berechnet 
sich ein Ansatz von: 

1,877 g N, 0,669 g P 3 0 5 (0.292 g P), 
in °/ 0 des Resorbierten: 

25,67 °/ 0 N, 24,03 o/ 0 P 2 0*. 

Die Werthe für den Salzstoffwechsel sind: 



Durch Nah¬ 
rung +'Wasser 
eingeführt 

' Im Koth 
ausgeführt 

! 

Dasselbe 

in °/ 0 

Resorbiert 

lm Urin 

aus¬ 

geschieden 

Retiniert 

I Dasselbe 
in o/o 

Asche 

11,318 

5,210 

46,03 

6,108 

4,220 

1,888 

30,91 

CaO 

2,369 

1,906 

80,46 

0,403 

0,065 

0,398 

85,90 

MgO 1 

0,320 

0,293 | 

91,50 

0,027 

0,074 

-0,047 

- 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 


7. Juli 4692 


8 . 

9. 

10 . 

11 . 

12 . 

13. 

14. 

15. 

16. 
17. 


4699 g 
4601 g 
4673 g 
4714 g 
4705,5 g 
4701 g 
4663 g 
4661 g 
4738 g 
4719 g 


Mittel der Versuchstage 4668 g. 


Der Krnftwechsel berechnet sieb wie folgt: 

Einnahme: 414,53 g Nahrung ä 4,279 Kal. = 1773,8 Kal. 
g Rohrzucker ä 3,96 


20 


= 79,2 



Summa 

1853,0 Kal. -- 

Ausgabe: 

37 g Koth ä 3,912 Kal. = 

158,43 > 


also resorbiert 

1094,57 Kal. = 

Im Urin 

sind ausgeschieden. 

32,10 » 


im Körper verbrannt resp. angesetzt 

1002,41 Kal. = 


Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu (inte gekommen 91,45 
In den 4 Tagen des B-Versuches vom 22. bis 26. Juli 1901 erhielt da^ Kind: 
420 g Nahrungsgemisch 


4X1,35 — 5,4 g Edestin 
4x1,5 = 6,0 g Butter 
20,0 g Rohrzucker 


} in 3.6 1 Wasser. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 97 


Das Nahrungsgemiseh bestand aus: 96,52 % Trockensubstanz, 2,03 °/o N, 2,39 % 
Fett, 2,54 °/o Asche, davon 0,54 °/o CaO und 0,063°/ 0 MgO, 1,59 °/o Rohfaser, 77,31 % ver¬ 
dauliche Kohlehydrate, 1,14% P 3 0 5 — 0,50 % P. Das Edestin enthielt: 9,71 % H 2 0, 
16,30% N, 0,76% Asche. Butter wie früher. Die 33,775 g lutfttrockenen Kothes ent¬ 
halten: 6,90% H 2 0, 11,28 % N, 4,87 % Fett, 19,77 % Rohfaser, andere Kohlehydrate 
=■* 0, 14,82% Asche, davon 5,50% CaO und 0,702% MgO, 4,66 % P 2 0 5 = 2,04% P, 
davon 0,14 % organischer. 


Danach sind die absoluten Werthe des Umsatzes: 



Trocken-1 
Substanz 

N 1 

Fett 

Asche I 

1 

0 ,, Kohle- 

Rohfaser , . i 

hydrate ; 

P 2 0 Ä 

Einnahme. . . 

| 415,70 

9,406 

15,138 

. 11,249 

6,678 

344,70 

4,788 

Ausgabe (Koth) 

31,45 | 

1,905 i 

1,644 

5,005 | 

6,678 


1,676 

Resorbiert . . 

384,25 

7,501 

13,494 

6,244 

— 

344,70 

3,213 (1,403 P) 

Resorbiert in % | 
der Einnahme i 

92,44 

79,75») | 

89,14 

55,51 


100 

67,11 


Die Zusammensetzung des Urins ist die folgende: 


Datum 

Menge 

N 

P 2 0 , r > 

Harnsäure | CaO 

MgO 


cm» 



_ \ 



22. -23. Juli 

23. -24. » 

24. -25. » 

25. —26. i 

510 

570 

675 

! 620 

1,371 

1,428 

1,634 

1,471 

| 0,478 

0,504 

0,669 

0,604 

1 

1 

1 l 

' 

! 


Summa 

2375 

5,904 

2,255 (P = 0,985) | 0,078 j 0,071 0,108 


Die Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt folgende 
Werthe für den Ansatz: 

1,597 g N, 0,958 g P 2 0 5 (0,418 g P) 

in % des Resorbierten: 

21,29 o/ 0 N, 29,82 o/o P,<> 5 . 

Die Werthe für den Salzstoffwechsel sind: 


Durch Nah¬ 
rung + Wasser 

Im Koth 

Dasselbe ; 

Resorbiert 

Im Urin 

aus¬ 

Retiniert 

Dasselbe 

eingeführt 

auBgeführt 

in % 


geschieden 


in <>/o 

i 

L__ _ 

Asche 11,249 

5,005 

44,49 

0,244 

nicht bestimmt 

t'aO 2,448 i 

1,858 

75,90 

0,590 

0,071 

0,519 

87,97 

MgO 0,287 

0,237 

82,58 

0,050 

0,1 OS 

-0,056 

- 


*j Die etwas bessere Resorption des N der lecithinfreien Nahrung erklärt sich in diesem Falle 
wohl durch die Zugabe des Edestins, dessen Verdaulichkeit nach sieben Thierversuchen (Leipziger, 
Sieinitz, Zadik) 96% beträgt. Zieht man vom Nahrungs-N den Edestin-N ab, vom Koth-N den 
Antheil, der nach der Verdaulichkeit des Edestins ausgeschieden wurde, so berechnet sich die 
Resorption des N der Mehlnahrung zu 78,07%. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




98 


W. Cronheim und Erich Müller 


Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind: 


19. 

Juli 

4684 

g 

20. 


4721 

g 

21. 


4690 

g 

22. 

i 

4694,5 g 

23. 

i 

4725 

g 

24. 


4753 

g 

25. 


4771 

g 

26. 


4760 

g 

27. 


4759 

g 

28. 


4743 

g 

29. 

> 

4801 

g 


Mittel der Versuchstage 4727 g. 


Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt: 


Einnahme: 420 g Nahrung ä 4,124 Kal. = 1732,04 Kal. 

5,4 g Edestin ä 4,996 » = 26,98 » 

6,0 g Butter ä 8,085 > = 48,51 » 

20,0 g Zucker ä 3,960 > = 79,20 > 

Summa 1886,73 Kal. = 99,79 Kal. pro Kilo u. Tag. 
Ausgabe imKothe: 33,775 g ä 3,847 K al. = 129,93 » 

also resorbiert 1766,80 Kal. = 92,91 Kal. pro Kilo u. Tag. 
Im Urin sind ausgeschiedeu .... _._ 51,73 ? 

Im Körper verbrannt resp. angesetzt 1705,07 Kal. = 90,18 Kal. pro Kilo u. Tag. 

Von dem Brennwerthe der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 93,11 %. 
In diesem Versuche haben wir auch in beiden Reihen die Harnsäure nach Wörner 4S ) 
bestimmt- Die Ausscheidung beträgt in der A-Reihe, d. h. bei Verabreichung des Nuklein 
reichen Eidotters 0,265 g, in der B*Reihe 0,078 g in dem Gesammturin. Der Eidotter hat 
also die Bildung der Harnsäure erheblich vermehrt. Dieses Ergebniss steht in guter 
Uebereinstimmung mit ähnlichen Befunden von Loewi 17 ). 


Besprechung der Tersuchsergebnisse. 

Nach Darstellung unserer Versuchsbedingungen und der Art und Weise, wie 
wir die Versuche durchgeführt haben, kommen wir zur Besprechung der Resultate, 
zu den Folgerungen und Schlüssen, welche wir aus denselben zu ziehen uns berechtigt 
glauben. Es soll noch vorausgeschickt werden, dass wir den N im Schweisse nicht 
berücksichtigen und im Kothe den aus den Darmsekreten und aus Zerfall von Darm- 
epithelien herrührenden Antheil des N nicht vom Nahrungsrest trennen konnten. Eine 
nennenswerthe Schweissabsonderung fand in keinem unserer Versuche statt, wir können 
den darauf entfallenden Antheil des N unbedenklich vernachlässigen. Zur Schätzung 
des mit den Darmsekreten dem Kothe beigemengten N könnte man die Hungerver¬ 
suche von Keller 1 *) verwerthen, welcher angiebt, dass ein Kind von 11 Monaten pro 
24 1 

Tag einmal 0,0716 - ^ = 0,057, ein zweites Mal 0,0966 • -= 0,0483 g N entleerte. 

Da wir aber aus den Versuchen von Rieder, Fr. Müller und anderen wissen, 
dass jede Nahrung den N der Darmsekrete erheblich vermehrt, können wir aus 
diesen Zahlen weiter nichts folgern, als dass auch in unseren Fällen ein erheb¬ 
licher Bruchtheil des Koth-N nicht Nahrungsrest ist, dass also die Verdauung des 
N eine wesentlich bessere ist, als unsere Zahlen es ergeben. 

Zur Erleichterung der Uebersicht geben wir in der nachfolgenden Tabelle die 
sämmtlichen Werthe der 6 Versuche auf Tag und Kilo berechnet, nur die entsprechenden 
Zahlen des Salzstoffwechsels folgen bei der Besprechung desselben. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 99 


Tabelle I. 


Ein- und Ausfuhr, bezogen auf Kilo und Tag. 


A. 


Versuch I. 


B. 



; n 

P. 2 0 5 

Fett 

Kohle- 

Kaloriecn 

-1 

N 

P*0 5 

Fett 

Kohle- 

Kalorieen 





hydrate 





hydrate 


Nahrung . 

0,29 

0,14 

1,52 

10,96 

68,23 

0,24 

0,13 

1,13 

11,03 

64,16 

Koth . . . 

0,05 

0,05 

0,10 

— 

3,44 

0,04 

0,03 

0,04 

— 

2,10 

Verdaut . 

0,24 

0,09 

1,42 

10,96 

64,79 

0,20 

0,10 

1,09 

11,03 

62,06 

Urin . . . 

0,18 

0,04 

— 

— 

— 

0,21 

0,056 

— 

— 

— 

Retiniert. 

0,06 

0,05 


— 

— 

—0,01 

0,044 

— 


— 



A. 


N 

^ersuch II. 



B. 



Nahrung. 

0,57 

0,285 

1,925 

15,55 

102,0 

0,52 

0,27 

1,469 

17,12 

103,36 

Koth . . . 

0,10 

0,120 

0,14 

— 

9,2 

0,14 

0,13 

0,190 

— 

10,12 

Verdaut . 

0,44 

0,165 

1,785 

15,55 

92,8 

0,38 

0,14 

1,279 

17,12 

93,29 

Urin . . . 

0,3M5 

0,11 

— 

— 

3,8 

0,34 

0,11 

— 

— 

3,18 

Retiniert. 

0,105 

0,055 


_ 

89,0 

0,04 

0,03 

— 

— 

90,05 



A. 


Versuch III 



B. 



Nahrung . 

0,556 

0,319 

2,442 

19,45 

122 

0,600 

0,352 

1,958 

21,410 

128,5 

Koth . . . 

0,238 

0,199 

0,942 

0,60 

23 

0,267 

0,213 

0,504 

0,556 

22,5 

Verdaut . 

0,318 

0,120 

1,500 

18,85 

99 

0,333 

0,139 

1,454 

20,854 

106,0 

Urin . . . 

0,259 

0,078 

— 

— 

— 

0,281 

0,068 

— 

— 

— 

Retiniert. 

0,059 

0,042 

— 

— 

— 

0,052 

0,071 

— 

— 

— 



A. 


Versuch IV 



B. 



Nahrung . 

0,583 

0,292 

1,966 

15,89 

104,3 






Koth . . . 

1 0,119 

0,105 

0,137 

0,15 

7,9 






Verdaut . 

0,464 

| 0,187 | 

1,829 

15,74 

96,4 






Urin . . . 

! 0,339 

0,114 

_ 

_ 







Retiniert. 

j 0,125 

0,073 



_ 

0,594 

0,308 

2,039 

' 16,235 

100,5 







0,125 , 

0,119 t 

0,195 

0,240 

q *> 



C. 




0,469 

0,189 1 

1,844 

15,995 

97,3 







0,321 

, 0,092 

— 

— 

— 

Nahrung . 

0,603 

0,294 

I 2,149 

16,79 

111,1 

0,148 

' 0,097 

— 

— 

— 

Koth . . . 

0,075 

, 0,099 

0,165 

0,12 

5,8 






Verdaut . 

0,528 

, 0,195 

i 1,984 

16,67 

105,3 






Urin . . . | 

0,359 

0,097 



- 






Retiniert. , 

0,169 

0,098 


— 

— 










Versuch V. 






Nahrung . 

0,603 

0,259 

4,038 

8,411 

93,80 

0,638 

1 0,268 

! 4,054 

9,487 

98,1 

Koth . . . 

0,087 

0,099 

0,343 

— 

7,41 

0,076 

0,115 

0,440 

— 

7,24 

Verdaut . 

0,516 

0,160 

3,695 

8,411 

86,39 

0,562 

! 0,153 

| 3,614 

9,487 

90,86 

Urin . . . 

I 0,411 

0,154 

— 

— 

3,19 

0,445 

0,146 

— 

— 

3,76 

Retiniert. 

0,105 

0,006 

— 

— 

83,20 

0,117 

0,007 


i _ 

i 

i 87,10 





Versuch VI 






Nahrung . ( 

0,497 I 

0,244 

1,061 

17,090 

99,2 

0,498 

0,253 

j 0,801 

1 18,29 

99,79 

Koth . . . | 

0,106 

0,095 

0,176 

0,175 

8,45 

0,101 

0,083 

0,087 

— 

6,88 

Verdaut . | 

0,391 

0,149 

0,885 

16,915 

90,75 

0,397 

0,170 

0,714 

18,29 

92,91 

Urin . . . | 

0,291 

0,113 


— 

1,72 

0,312 

0,122 

- 

-- 

2,73 

Retiniert. | 

0,100 : 

0,036 

— 


89,03 

0,085 

! 0,048 

! — 

, — 

1 90,18 


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100 W. Cronheim und Erich Müller 

Bei der Kritik unserer Versuche müssen wir berücksichtigen, dass Versuch V 
den übrigen nicht vollkommen gleichgestellt werden kann, da wir hier gegenüber 
dem Mehlmilchpulvergemenge frische Milch gegeben haben. 

N-Stoffwechsel. 

Für die Betrachtung desselben geben wir in der folgenden Tabelle TI die Werthe 
für die Resorption und Retention in % des Resorbierten resp. Eingeführten wieder. 


Tabelle II. 

A-Versuche. B-Versuche. 



! Lecithinhaltige Nahrung 


j Lecithinfreie Nahrung 



Resorption 
in o/o der 
Nahrung 

Retention 

| in o/o des 
Resorbierten 

in o/ 0 des 
Kingeführten 

Resorption 
in o/ 0 der 
Nahrung 

, Retention 
! in o/o des 
Resorbierten 

iVUltli uuu 

in o/ 0 des 
Kingeführten 

I 

83,83 

24,88 

20,86 

82,07 

-2,36 

—1,98 

11 

77,56 

24,21 

18,78 

72,56 

9,60 

7,00 

"io 1 

80,12 

87,56 

27,41 

32,01 i 

21,96 

28,08 

79,01 

31,57 

24,95 

VI 

78,76 

25,67 

20,21 

79,75*) 

21,29 

16,98 

III 

57,28 

18,87 

10,81 

56,11 

16,63 

9,38 

V 

85,51 

20,30 

17,44 

88,07 

20,83 

18,35 


Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich, dass der N der Nahrung durch¬ 
gehende mit einziger Ausnahme von Versuch V in den A-Versuchen besser assi¬ 
miliert wurde als in den entsprechenden Kontrollversuchen, zum Theil sogar ganz 
bedeutend besser. I, II, III zeigen es deutlich auch für die Resorption, Versuch IV 
nur, wenn wir Versuch C mit B vergleichen und von dem A-Versuche aus den 
früher erwähnten Gründen absehen. In Versuch V und VI (vergl. dazu aber die An¬ 
merkung Seite 97) ist die Resorption bei den A-Versuchen um eine Kleinigkeit 
schlechter. Noch deutlicher zeigen sich diese Verhältnisse, wenn wir die ja direkt 
vergleichbaren »Werthe pro Tag und Kilo« betrachten unter Berücksichtigung der 
anderen zugeführten Nährstoffe und der Gesammtkalorieenmenge. In Versuch I 
haben wir im A-Versuche etwas mehr N und Gesammtkalorieen zugeführt, das 
Plus an 4,07 Kalorieen erklärt sich annähernd aus dem Plus an Fett, dieses — 
0,39 g entspricht 3,63 Kalorieen. Dagegen sind im B-Versuche 11,03 g Kohle¬ 
hydrate gegen 10,96 im A-Versuche gegeben worden, und wir wissen, dass es be¬ 
sonders die Kohlehydrate sind, welche den Ansatz von N begünstigen, sodass wir 
mindestens die gleiche N-Retention in beiden Versuchen erwarten dürften. Wir 
haben aber im B-Versuche eine Abgabe von N im Körper, im A-Versuche einen An¬ 
satz. Der Differenz von 0,05 N in der eingeführten Nahrung steht eine solche von 
0,07 im Ansatz gegenüber. Versuch II ist noch beweiskräftiger. In dem B-Ver- 
suche sind absolut mehr Kalorieen eingeführt worden, etwas weniger Fett, dafür 
aber etwa 10% mehr Kohlehydrate als im Versuche A. Die Differenz in der X- 
Einfuhr beträgt 0,05 g zu Gunsten von A, im N-Ansatz dagegen 0,065 g. 

Die Werthe für die N-Ausnützung im Versuche III sind sehr schlechte und 
sprechen im Verein mit der schlechten Fettverwerthung, auf welche wir noch 
später zurückkommen werden, für den krankhaften Zustand des Kindes. Die 
Zahlen — 57,28 im A- und 56,11 im B-Versuche — decken sich sogar mit den¬ 
jenigen, welche Heubner bei einem atrophischen Kinde hei Ernährung mit Kufeke- 

*j resp. 78,07 vergl. Fussnote S. 07. 


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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 101 

melil .'•7,3®/„ — gefunden hat. Die Zahlen für die N-Resorption sowie Re¬ 

tention in Versuch III: 

N-Resorption: A 57,28% 13 56,11 % 

N-Retention: A 18,87% B 16,63% 

sprechen. wenn auch gewiss nur in geringem Masse, für die lecithinhaltige Nahrung, 
allerdings ist dabei zu bedenken, dass wir hier in dem A-Versuche gleichzeitig mit 
dem Lecithin eine nicht unbeträchtliche Menge Albumin und in dem B-Versuche 
nur Kasein der Nahrung zugesetzt haben, sodass die Frage offen bleibt, welchen 
Antheil an dem Resultate wir der einen und welchen Anteil wir der anderen Diffe¬ 
renz in der Zusammensetzung der Nahrung zuzuschreiben haben. Der erhöhte N- 
Ansatz in Versuch A erscheint um so bedeutungsvoller als die von dem Kinde pro Tag 
und Kilo aufgenommenen Kalorieen in diesem 122 und im B-Versuche 128 Kalorieen. 
also in A ein Minus von 6 Kalorieen, das ist ca. 5%, betragen. Dazu ist auch hier 
im H-Versuche die Kohlehydratzufuhr eine reichlichere (ca. 9%) gewesen. 

Versuch IV A zeigt eine schlechtere Retention als IV B, was sich aus dem Minus 
an N sowohl wie Kohlehydraten und Gesammtkalorieen und der Unruhe des Kindes 
in Versuch A erklärt. Das zeigt sich auch deutlich in der N-Ausscheidung im Urin; 
denn während wir in der Nahrung des A-Versuches 0,011 N weniger gegeben haben 
und dementsprechend auch im Kothe weniger gefunden haben, ist die absolute N- 
Ausscheidung im Urin nicht unbeträchtlich erhöht. Vergleichen wir dagegen den 
Versuch B und C miteinander, so finden wir wieder eine nicht unerhebliche Retention 
zu Gunsten der Lecithinnahrung. Allerdings ist dieses Resultat nicht so beweisend, 
da sowohl die kalorische Gesammteinfuhr sowie die der einzelnen Nährstoffe im C- 
Versuche eine grössere war. Um so klarer liegen wieder die Verhältnisse inVersuch VI. 
bei gleicher N-Einfuhr, etwas geringerer Energiezufuhr und geringeren Kohlehydrat¬ 
mengen im A-Versuche haben wir eine grössere N-Retention. 

Versuch V, in welchem wir, wie erwähnt, nur Milch — resp. Milch und Ei¬ 
dotter — verdünnt mit Wasser gegeben haben, zeigt sowohl für Resorption als auch 
für Retention etwas günstigere Werthe für die lecithinfreie Nahrung. Diese Diffe¬ 
renzen sind freilich mehr als ausreichend erklärt dadurch, dass sowohl der Eiweiss- 
irehalt der lecithinfreien Nahrung um ca. 6% als auch der Kalorieenwerth der- 
'elben um ca. 4% % höher war. Der höhere Kalorieenwerth fällt zu Gunsten des 
Kiweissansatzes umsomehr in die Wagschale als er durch Kohlehydrate bedingt ist, 
deren Menge um mehr als 10% grösser ist als in der lecithinhaltigen Nahrung, 
ln anbetracht dessen erscheint der Mehransatz von 0,012 g N pro Kilo und Tag so 
unbedeutend, dass er durchaus keinen Gegensatz gegen die anderen Versuche darstellt. 

Im übrigen möchten wir darauf hinweisen, dass in diesem Versuche die N- 
Ausnützung trotz Milchzuckerzusatz eine gute gewesen ist und die von Bendix 34 ), 
l.ange und Berend 36 ) behauptete ungünstige Einwirkung des Milchzuckers auf 
die N -Verwerthung gegenüber reiner Milchnahrung sich nicht bestätigt. Von 
Hoppe-Sevler, später Laas, Keller, Bendix ist beobachtet worden, dass 
bei Zunahme der N - freien im Verhältnis zu den N - haltigen Nährstoffen die 
Resorption der letzteren ungünstig beeinflusst wird, während gleichzeitig, wie all¬ 
bekannt, die Tendenz zum N-Ansatz wächst. Aus unseren Versuchen ergiebt sich 
eine Bestätigung dieser ersteren Beobachtung nicht mit Sicherheit. 

Die Zahlen für die täglichen N-Ausscheidungen im Urin innerhalb eines Ver¬ 
suches schwanken in mässigen Grenzen, irgend eine Gesetzmässigkeit — vielleicht. 


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102 W. Cronheim und Erich Müller 

im Sinne eines regelmässigen An- oder Abstieges mit dem zeitlichen Verlaufe des 
Versuches — lässt sich nicht finden. Es ist dies insofern wichtig, als wir daraus 
schliessen können, dass sich die Kinder zum Beginn der Versuche im Ernährungs¬ 
gleichgewicht befanden. 

Phosphorstoffwechsel. 

Wenn wir jetzt zur Besprechung des Phosphorstoffwechsels übergehen, so lässt 
sich im allgemeinen sagen, dass die Zahlen, wie die nachfolgende Tabelle III zeigt, 
stark schwanken, und dass sich eine Gesetzmässigkeit oder ein Vortheil zu Gunsten 
der lecithinhaltigen Nahrung aus denselben nicht ergiebt.. 


Tabelle des P-Stoffwechsels No. III. 

A-Versuche. B-Versuche. 

Lecithinhaltige Nahrung. Lccithinfreic Nahrung. 





Retention 

1 Retention 



Retention 

i 

Retention 


Einfuhr 

Resorp- 

in o/o des 

' in °/ 0 des 

Einfuhr 

; Resorp- 

in % des 

in % des 


tion in n / 0 

Resor- 

| Einge- 

tion in % 

Resor- | 

Einge- 

1 



bierten 

führten 



bierten 

führten 

r 

7,596 

63,6 

53,6 

84,07 

i 

7,002 1 

74,4 

41,1 ! 

30,61 

ii 

7,1149 

58,6 

33,4 

19,59 

5,454 

49,1 ! 

20,7 

10,16 


4 Tage 




3 Tage 1 

1 

! 


IV a j 

8,782 

<54,5 | 

39,4 

25,50 

9,216 

61,3 

51,1 

31,32 

IV c 

8,664 

615, ' 

50,3 

83,81 

VI : 

1 4,560 

<51,1 

24,0 

14,69 

4,788 

67,1 1 

29,8 

20,00 

III i 

5,142 

••57,5 

34,8 

13,03 

5,417 

39,3 

51,5 

20,25 

V 

4,084 | 

61,6 

3,7 

2,25 

4,081 

57,0 

4,6 | 

2,65 


Auffallend ist die Gleichmässigkeit in den Prozent-Zahlen der Resorption in der 
Reihe der A-Versuche, sie schwanken in den relativ engen Grenzen von 58,6 und 
66,2 %, nur Versuch III an dem kranken Kinde fällt mit einer Resorptionszahl von 
37,5% ganz ausserhalb dieser Reihe. Dagegen finden sich ganz regellose Diffe¬ 
renzen sowohl innerhalb der Zahlen für die Retention der A-Versuche als auch in 
den Zahlen für Resorption und Retention der B-Versuche. Sehr bemerkenswert!! 
sind die ausserordentlich geringen Werthe für die Retention in Versuch V — 3,7 % 
im A-Versuche und 4,6 % im B-Versuche — gegenüber den entsprechenden Werthen 
der übrigen Versuche, welche, wenn auch untereinander sehr verschieden (24,0% 
bis 53,6%), doch wesentlich höher liegen. Fragen wir nach der Ursache dieser 
auffälligen Differenz, so lässt sich sagen, dass sich die Zahlen für die Phosphor¬ 
resorption von den übrigen nicht wesentlich unterscheiden, auch die Werthe für die 
Ausnützung der übrigen Nährstoffe zeigen keine augenfälligen Besonderheiten, dazu 
war auch das Verhalten des Kindes während des Versuches ein gutes, dagegen 
unterschied sich in diesem Versuch die Nahrung wesentlich von derjenigen der 
übrigen. Das Kind wurde mit Milch resp. mit Milch plus Eidotter ernährt, einer 
wesentlich fettreicheren und vor allem kohlehydratärmeren Nahrung als die der 
übrigen Versuche, wie dies am besten aus Tabelle I, welche sämmtliche Werthe 
auf Tag und Kilo Körpergewicht berechnet enthält, hervorgeht. Ob wir dem 
relativ grösseren Fettreichthum oder geringeren Kohlehydratgehalt der Nahrung 
oder vielmehr dem Umstande, dass die Milch sterilisiert war, diese Beeinflussung 
der Phosphorretention zuschreiben sollen, wollen wir jedoch unentschieden lassen. 


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Versuche über den Stoff- und Kraftweohsel des Säuglings. 103 


Die Frage, ob die geringe Phosphorretention vielleicht mit der negativen Kalkbilanz 
io Zusammenhang zu bringen ist, werden wir bei der Besprechung des Salzstoff¬ 
wechsels zu erörtern haben. 

Die von Keller 15 ) vermuthete Beziehung zwischen Phosphorresorption und 
dem Alter des Kindes in dem Sinne, dass dieselbe mit zunehmendem Alter eine 
schlechtere wird, lässt sich aus unseren Versuchen nicht erkennen. Dagegen scheint 
doch eine gewisse Beziehung zwischen der Menge des eingeführten und der des 
resorbierten resp. retinierten Phosphors zu bestehen. Stellen wir die entsprechenden 
Zahlen der Versuche I, II, IV, VI — wobei III und V aus den schon erwähnten 
Gründen fortfallen — nach der Menge der Phosphorsäureeinfuhr pro Tag und Kilo 
zusammen und beginnen wir mit der niedrigsten Einfuhr, so erhalten wir folgende 
Reihe: 

Tabelle IV. 

A-Versuche (P 2 0 5 ). B-Versuche (P 2 O s ). 


Einfuhr 

Resorption 

j Retention 

Einfuhr 

Resorption j 

Retention 

I 

0,14 

0,09 

0,05 

0,13 


0,10 

0,044 

VI 

0,244 

0,149 

0,036 

0,253 

1 

0,170 

0,048 

II ! 

0,285 

0,165 

0,055 

0,270 


0,140 

0,030 

IV 

0,292 

0,187 

0,073 

0,308 


0,189 

| 0,097 

j 

0,294 

0,195 

0,098 






Im übrigen können wir mit Keller 15 ) und Gottstein* 7 ) nur betonen, 
dass,auch unsere Zahlen kein klares Bild der Vorgänge beim Phosphorstoffwechsel 
ergeben, auch nicht mit Hilfe der von uns speziell zu diesem Zwecke bestimmten 
CaO- und MgO-Bilanz, auf welche wir noch zurückkommen. Sehr bemerkenswerth 
und weiteren Studiums würdig erscheint uns allerdings die Thatsache, dass mit 
wachsendem Ueberschuss von Phosphor in der Nahrung die Retention dieses für 
den Aufbau des Knochengewebes wie der Nervensubstanz unentbehrlichen Stoffes so 
erheblich zunimmt. Wir kommen auf die Schlüsse, die man aus der Menge des 
retinierten P auf den Antheil der verschiedenen Gewebe am Wachsthnm ziehen kann, 
im Anschlüsse an die Kalkbilanz nochmals zurück. 

Das Verhalten des organischen P ergiebt sich aus der folgenden Tabelle V, 
welche die Menge des eingeführten P und diejenige der Ausfuhr im Koth für den 
-resammten und organischen, sowie für den N auf Kilo und Tag bezogen giebt: 


Tabelle V. 





Koth 


1 



Koth 



Nah- 

Ge- 

i 

Or- 

Verhältnis» 1 


i 

Nah- 1 

Ge- ^ 

Or- 

1 Verhältnis» 



rung 

I> 

sammt, ganischer 
P P 

von 

organischen P 

N 

rung 

P 

sammtlganischcr 
P P 

von 

organischenP 

N 

i 



_! 

_ J 

zuGesamratP 1 

i 





zuGesammtP 


1 

0,061 

0,022 

Spuren 

1: x 

0,050 

0,057 | 

0,013 

Spuren 

1 : oo 

0,040 

II 

0,124 

,0,052 j 

j 0,0066 

1 : 7,9 

0,130 

0,118 | 

0,057 

0,0055 

1 : 12,7 

0,140 

III 

0,139 

0,087 ' 

0,0045 j 

1 : 19,3 

0,238 

0,154 1 

0,093 

0,0033 

1 : 28,2 

1 0,267 

IV a 

0,127 

, 0,046 | 

0,0053 | 

l : 8,7 

0,119 

0,134 

0,052 

0,0030 

1 1 : 17,3 

0,125 

c 

0,128 

0,043 

0,0036 i 

1:11,9 

0,075 

VI 

o 

o 

| 0,041 

0,0039 | 

1 : 10,5 

0,106 

0,110 

0,036 

0,0026 

1 : 13,6 

0,101 

V 

j 0,113 

| 0,043 | 

| Spuren | 

! i 

1 : x 

! 

,0,087 

i 

0,117 

| 0,050 

, Spuren 

| 1 : x 

0,076 


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104 


W. Cronheim und Erich Müller 


Während nach Zusammensetzung unserer Nahrung in dieser der organische P 
überwiegt, ist im Koth das Gegentheil der Fall. Dabei beobachten wir aber, dass 
entsprechend der grösseren Zufuhr von organischem Phosphor in der lecithinhaltigen 
Nahrung — abgesehen von Versuch I und V, bei welchen sich überhaupt nur un¬ 
wägbare Spuren fanden — sich durchgängig mehr organischer Phosphor im Koth 
als bei der lecithinfreien Nahrung findet. Für den Gesammtphosphor im Koth lässt 
sich nicht das Gleiche sagen, hier schwanken die Zahlen. Die geringere Ausschei¬ 
dung von organischem Phosphor im Kothe der B-Reihe findet wohl darin seine Er¬ 
klärung, dass ein Theil des Phosphors in der Milch in sehr leicht freie P 8 0 5 liefernder 
Form vorhanden ist. Es liegt nahe, aus der Menge des organischen Phosphors im Kothe 
der B-Reihe, da wir den Nahrungs-P hier hauptsächlich im Kasein zugeführt haben, 
auf die Verdaulichkeit dieses einen Schluss zu ziehen, wir unterlassen es jedoch in 
anbetracht dessen, dass sich dem Kothe aus den Darmsekreten phosphorhaltige Ver¬ 
bindungen beimischen, über deren Menge wir nichts wissen und welche bei den 
verschiedenen Kindern möglicher Weise auch individuell recht verschieden sein 
dürften. Trotzdem erscheint ein Vergleich der Reihen A und B interessant; denn 
mag nun ein Unterschied in der P-Ausscheidung durch Nichtresorption oder durcli 
Sekretion bedingt sein, er bedeutet auf alle Fälle Unterschiede in der Menge des 
dem Kinde zum Aufbau seiner Gewebe zur Verfügung stehenden Materiales. Das 
Plus an organischem Phosphor in der Lecithinreihe können wir im übrigen nicht 
direkt als im Kothe abgeschiedenes Lecithin auffassen; denn in unseren 7 Versuchen 
haben wir nur ein einziges Mal — Versuch IV A — im Aethcrextrakte des Kothes Phos¬ 
phor, und auch da nur eine sehr geringe Menge — siehe diesen Versuch — gefunden, 
welchen wir den üblichen Anschauungen folgend als vom Lecithinphosphor her¬ 
rührend ansehen können. Dabei wollen wir wiederholen, dass dieser Versuch auch 
sonst infolge der grossen Uuruhe des Kindes eine Sonderstellung einnimmt. 

Es ist von verschiedenen Seiten versucht worden aus dem Verhältniss von 
P: N in Nahrung, Koth und Urin Rückschlüsse auf den Stoffwechsel zu ziehen. 
Besonders interessant erscheint es, bei verschiedenen Ernährungsweisen die Menge der 
im Körper retinierten N-Menge auf den Phosphor als Einheit bezogen zu berechnen. 
Wir haben diese Aufstellung bei unseren Versuchen in der nachfolgenden Tabelle VI 
durchgeführt. 

Tabelle VI. Verhältniss von P : N. 

A-Versuchc 



I 

11 

IV 

a c 

VI 

111 

V 

Nahrung . . . 

. . I : 4,58 

1 : 4,58 

l : 4,58 1 : 4,69 

1 :4,67 

1 : 4,02 

1 :5,34 

Koth. 

1 : 2,03 

1 : -->,48 

l : 2,00 l : 1,73 

1 : 2,55 

1 : 2,73 

1:2,01 

Resorbiertes . . 

l : 0,03 

1 : 0,00 

1 : 3,57 1 : 6,22 

3,52 

1 :0,02 

1 

1 :6,10 

1 : 7,4 1 

Urin. 

I : 0,77 

1 :0,01 

1:6,81 1:8,52 

! 1 :5,89 

1 : 7,59 

1:6,13 

Ketiniertes . . . 

1 s 2,80 

1:4,3!) 1:4,01 1:3,05 

(3,88) 

B-Versuche 

1 : 6,43 

i 

1 : 3,31 

1 : 41,5 

Nahrung . . 

1:4 38 

1 : 4,37 

1 : 4,42 

1 : 4,50 

1 :3,92 

I : 5.10 

Koth. 

1 : 3,07 

1 : 2,35 

1 : 2,39 

1 : 2,77 

1 : 2,82 

1 : 1.51 

Resorbiertes . 

1 :4,83 ; 

1 : 6,40 

1 :5,70 

1 : 5,35 

1 : 5,57 

1 : 8,41 

Urin. 

l : 8,40 

1 : 7,30 

1 : 7,98 

1 :0,00 f 

1 : 9,58 

1 : 0,98 

Retiniertes . . . 

. . |N negativ 

1 : 2,»» 

1:3,52 

1:3,82 

1:1,80 

1: 37,98 


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105 


Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 

An der Hand dieser Tabelle ist zu ersehen, dass durchweg bei der lecithinhaltigen 
Nahrung mehr N im Verhältniss zu 1* vom Körper zurückgehalten worden ist als 
hei lecithinfreier Ernährungsweise. Besonders bemerkenswerth ist dies für Ver¬ 
such V, dessen absolute Werthe für die N-Retention ein geringes Plus zu Gunsten 
der lecithinfreien Nahrung zeigen. Was die meisten unserer Versuche schon bei Be¬ 
sprechung der N-Bilanz allein ergaben, tritt hier mit aller Klarheit und deutlicher 
Gesetzmässigkeit hervor, die Kinder haben immer bei lecithinhaltiger Nahrung und 
hei annähernd gleicher Gesammtphosphorzufuhr mehr N auf die Einheit Phosphor 
bezogen im Körper zurückgehalten als in den Kontrollversuchen mit lecithinfreier 
Nahrung; und dieses Verhältniss ist unbeeinflusst geblieben von allen sonstigen 
Differenzen in der Nahrung, in dem Verhalten und dem Alter der Kinder. 

Eine gewisse Konstanz im Verhältniss von P: N besteht nur im Kothe, wenn 
auch in der B-Reihe die Werthe etwas mehr schwanken als in der A-Reihe. Wie 
schon früher hervorgehoben, fanden auch wir, dass der Koth verhältnissmässig 
weniger N auf P bezogen als die Nahrung enthält, während im Urin stets die 
relative Menge des N überwiegt. Die schon früher erwähnte ausserordentlich ge¬ 
ringe P-Retention im Versuch V — Milcheidotterversuch — im Vergleich zu den 
übrigen Mehlversuchen tritt auch hier durch die im Verhältniss zu P sehr hohe 
N-Betention sehr markant hervor. 


Stoffwechsel der Fette und Kohlehydrate. 

Bei (1er Besprechung desselben können wir uns kurz fassen, da die vor¬ 
handenen Differenzen nicht in einem Sinne sprechen. 

Tabelle VII 

der Fett- und Kohlehydrat-Resorption in der Einfuhr: 


A-Versuche. B-Versuche. 



Fett 

Kohle¬ 

hydrate 

Fett 

Kohle¬ 

hydrate 

I ^ 

93,28 

100,00 

90,32 j 

100,00 

II 

93,11 

99,55 

87,09 

00,87 

IV a l 

0 

93,40 

92,32 

99,05 

99,29 

90,43 ' 

98,52 

V1 1 

83,44 

98,98 

89,14 

100,00 

III 

Gl,41 

| 96,91 

75,28 

97,41 

V , 

91,52 

100,00 

89,15 

100,00 

i 


Die Fettausnützung zeigt die gewöhnlichen guten Werthe, auch der — freilich 
nicht hohe — Zusatz von Butter wurde, selbst von den ganz jungen Kindern — z. B. 
Versuch VIB — gut vertragen. Eine bessere Ausnützung des lecithinhaltigen Fettes 
— Brücke 1. c. — lässt sich aus unseren Versuchen nicht ersehen. Nur Kind III 
zeigt eine abnorm schlechte Fettausnützung in der Reihe A. Die schon besprochene 
Besserung des Kindes im Verlaufe des Versuches zeigt sich hier deutlich durch die 
zunehmende Fettverdauung, welche von 61,41 °/ n im A-Versuche auf 75,28 n /.i im 
R-Versuche stieg. 

Die Kohlehydratausnützung war durchweg, trotz der sehr reichlichen Zufuhr, 
eine sehr gute und betrug annähernd 100 °/„. Die geringen Verluste sind wohl 

Zeus ehr. f. riiäL a. physik. Therapie Bd. VI. lieft 2. £ 


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100 W. Cronhcim und Erich Müller 

mehr dadurch zu erklären, dass andere Bestandteile des Kotlies, wie Schleim, das 
Reduktionsvermögen des Kothes verursachten. Hervorzuheben ist noch, dass selbst 
das kranke und relativ sehr jugendliche — 4 Monate — Kind III pro Tag circa 
SO g Kohlehydrate zu 97 0 / 0 verdaut hat und weiterhin, dass auch in den ersten 
Versuchen, in welchen nicht diastasierte Stärke verabreicht wurde, im Kothc mikro¬ 
skopisch Stärke nicht nachweisbar war. 

Kraftbilanz. 

Legen wir der Betrachtung des Stoffwechsels die Verbrennungswärme der 
Nahrung und der Ausscheidungen zu Grunde, so ist in erster Linie zu bemerken 
(siehe nachfolgende Tabelle VIII), dass wir den Kindern 100—1*28 Kalorieen pro Tag 
und Kilo zugeführt haben, mit Ausnahme des Kindes I, welches nur 08 resp. 64 Kalorieen 
aufnahm. Als wesentliches Moment tritt die durchweg gute Resorption — etwa 
90 o/o der eingeführten Energiemenge — hervor. Nur Kind III zeigt auch hier ge¬ 
ringere Werthe, nämlich 81 resp. 82 °/ 0 . Ein Unterschied zwischen der lecithinreichen 
und lecithinfreien Nahrung lässt sich nicht feststellen; die kleinen Differenzen im 
Verhältniss des Fettes zu den Kohlehydraten führen zu keinem nachweisbaren Unter¬ 
schiede in dem Brennwerth des aus der Nahrung Resorbierten; auch Versuch V — 
sehr fettreiche Nahrung — zeigt annähernd gleiche Werthe für beide Nahrungen. 


Tabelle VIII. 

Energietabelle, berechnet auf Tag und Kilo Körpergewicht. 
A-Versuche. B-Versuche. 



Einge¬ 
führt in d. 
Nahrung 

Resor¬ 

biert 

Energie¬ 
verlust 
durch den 
Urin 

Resor¬ 
biert 
in o/ 0 

. 

Energie¬ 
verlust durch 
den Urin in 
o/o des Resor¬ 
bierten 

Einge¬ 
fühlt in d. 
Nahrung 

Resor¬ 

biert 

. 

Energie¬ 
verlust 
durch den 
Urin 

Resor¬ 
biert 
in o/o 

Energie¬ 
verlust durch 
den Urin in 
% des Resor¬ 
bierten 

I 

67,9 L 

64,47 


94,94 

_ 

63,74 

61,60 

_ 

96,64 

_ 

11 

| 102,0 

92,8 

j 3,8 

90,98 

4,09 

103,1 ! 

92,94 

3,18 

90,14 

3,42 

III 

122,0 

99,0 

— 

81,15 

— 

128,0 

105,4 

— 

82,34 

— 

IV a 
VIb 

! 104,3 
111,1 

96,4 

105,3 


92,43 

94,78 

— 

105,9 

■ 96,8 

— 

91,41 

- 

V 

93,8 

86»,39 

3,19 

92,10 

3,69 

98,1 

| 90,86 

3,76 

92,62 

4,14 

VI 

99,3 | 

90,8 

1,70 

91,44 

1,87 

99,6 

92,74 

2,73 

93,11 

2,94 


Die Zahlen für den Energieverlust im Harn, welche niemals 3,8 % der ein¬ 
geführten Energie überschreiten, sind geringer, als sie Rubner ™) für den erwachsenen 
Menschen angegeben hat. Dieser fand 4,35 und 4,48 % — 1. c. S. 292 — selbst 
bei kohlehydratreicher und fettreicher Kost. Für den Säugling giebt Rubner 
(S. 306) bei Kuhmilch den Verlust zu 4,2 °/ 0 , für Muttermilch zu 2,60 % an. Unsere 
Werthe entsprechen im Durchschnitt etwa dem von Rubner für Muttermilch ge¬ 
fundenen, was wohl als Beweis angesehen werden kann, dass wir den Eiweissgehalt, 
unserer Nahrung den normalen Ernährungsverhältnissen des Säuglings zweckmässig 
angepasst haben. 

Die im Kothe verloren gegangene Energie ist nicht bedeutend, was sich ans 
der vorzüglichen Ausnützung der die Hauptmenge der Nahrung bildenden Kohle¬ 
hydrate erklärt. Wenn man die Verbrennungswärme des Kothes auf aschefreie, 


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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


107 


organische Substanz berechnet, wie dies Kühner getlian hat — 1. c. S. 298 — so 
findet man im Gegensätze zu ihm nicht unerhebliche Schwankungen. Die extremen 
Werthe sind 4,9 Kal. pro Gramm organischer Substanz in Versuch VIb und 7,1 Kal. 
in Versuch Vb. 

Die kalorischen Quotienten (Tangl)«) d. h. die Kalorieenmenge des Harns, be¬ 
zogen auf den im Urin ausgeschiedenen N als Einheit, sind: 

A-Versuche B-Versuche 

II 1:11,3 1:9,35 

V 1 : 7,76 1 :8,45 

VI 1 : 5,84 1 :8,75 

Danach scheidet das ältere Kind — Versuch II, 11M. alt — mehr nicht ganz 
abgebaute Substanzen als die beiden jüngeren Kinder, Versuch V und VI — 4 resp. 
5 M. alt — auf die N-Einheit bezogen aus. Im Versuch II ist die so berechnete 
Energiemenge für die lecithinhaltige Nahrung die grössere, dagegen im Versuche V 
und VI für die lecithinfreie Nahrung, lieber den Effekt des Lecithingehaltes der 
Nahrung auf die Natur der in den Harn übergehenden Stoffe lässt sich aus den 
kalorimetrischen Bestimmungen nichts ersehen. Bei Kuhmilch-Nahrung resp. Kuh¬ 
milch mit Eidotter sind unsere Werthe des kalorischen Quotienten nur wenig höher 
als diejenigen von Rubner — 1. c. S. 302. — Dieser fand bei einem Säugling, der 
mit Kuhmilch genährt wurde, 6,93, bei einem Erwachsenen bei gleicher Kost 7,71. 
Oer Werth 11,3 in unserem Versuche II kommt der Zahl 12,1, welche Rubner 
für Muttermilch angiebt, sehr nahe, trotzdem die Kost in unserem Falle eine so 
ganz andersartige war. Auffallend ist der bisher nie so niedrig gefundene Werth 
in Versuch VIA 1 :5,84. Wir möchten deshalb betonen, dass derselbe auf drei gut 
übereinstimmenden Verbrennungen beruht. Nach diesen sind die Werthe für den 
Oesammturin: a) 29,30, b) 32,41 und c) 34,78 Kal., die dazu gehörigen kalorischen 
Quotienten: a) 5,4, b) 5,9, c) 6,4. Dass so niedrige Quotienten möglich sind, er¬ 
gebt sich daraus, dass Harnstoff, für sich verbrennend, den kalorischen Quotienten 
von 5.4 ergeben würde. 


Stoffwechsel der alkalischen Erden. 

Die Zahlen für die Bilanz der alkalischen Erden finden sich auf Tag und Kilo 
berechnet in der nachfolgenden Tabelle IX. Betrachten wir zunächst die Resorption 
der Salze, so finden wir dieselbe scheinbar sehr ungünstig, was sich aber aus der 
bekannten Thatsache erklärt, dass die im Stoffwechsel überschüssigen alkalischen 
Erden der Hauptmenge nach nicht durch den Urin, sondern durch den Koth aus¬ 
geschieden werden. Mit ihnen geht aucli ein grosser Theil der überschüssigen P a 0 5 
in den Koth und dementsprechend finden wir, dass im allgemeinen einer grösseren 
Zufuhr von Kalk resp. Magnesia eine grössere Ausfuhr im Koth entspricht und dass 
annäherd die Menge der PjO s im Kothe — siehe Tabelle I — mit derjenigen der 
alkalischen Erden parallel geht. 

In Bezug auf die Retention ergiebt sich, was ja bei dem wachsenden Organis¬ 
mus zu erwarten ist, dass diese meist positiv ausfällt, dass Kalk und Magnesia 
ebenso wie P 2 0 5 im Körper zurückbehalten werden. Im allgemeinen scheint 
die lecithinhaltige Nahrung die Kalkretention begünstigt zu haben, doch sind die 
Zahlen wohl noch nicht beweiskräftig genug, um diese günstige Einwirkung mit 

8 * 



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108 


W. Oronhcim und Erich Müller 

aller Sicherheit behaupten zu können Von den wenigen Fällen einer negativen 
Kalkbilanz scheiden die mit kleinen Werthen IIIB und IV0 aus, da die absoluten 
Mengen hier so gering sind, dass sie noch innerhalb der Fehlergrenzen fallen. 

Tabelle IX. 

Mineralstoffbilanz bezogen auf Tag und Kilo. 

A-Versuche. 


Nahrung | Koth | Resorbiert | Retiniert 


J 

CaO 

Mg° 

CaO 

MgO 

CaO | 

MgO i 

CaO 

MgO 


0,050 

1 

0,018 

0,036 

0,008 

| 

0,014 

1 

0,010 

Nicht anzugeben, da 

II 

0,1035 

0,038 

0,080 

0,029 

0,0235 

0,009 

i.Urin nicht bestimmt 

III 

0,1596 

0,0304 

0,1444 

0,024 

0,0152 

0,0064 

0,0120 

— 

iv a 

c 

0,1048 

0,039 

0,0724 

0,0236 

0,0324 

0,0154 

0,0256 

— 

0,0764 

0,032 

0,0748 

0,022 

0,0016 

0,010 

- 0,002 

— 

V*) 

0,1122 

0,0111 

0,1320 

0,0105 

—0,0198 

0,0006 

- 0,0249 

— 0,0065 

VI 

0,1268 

i 

0,0168 

0,1020 

0,0156 

0,0248 

0,0012 

0,0212 

— 0,0028 





B-Versuche. 




I 

0,054 

0,0193 

0,0200 

! 0,0054 

0,034 

0,0139 

i 

Nicht anzugoben, da 

II 

0,1137 

0,042 

0,0972 

0,029 

0,0165 

0,013 

i.Urin nicht bestimmt 

III 

0,139 

0,0468 

0,1396 

0,0314 

—0,0006 

0,0154 

- 0,0014 


IV 

0,092 

0,030 

0,099 

0,032 

—0,007 

0,004 

— 0,0116 

— 

V*) 

0,129 

0,0123 

0,1659 

0,0138 

—0,0369 

—0,0015 

- 0,0421 

- 0,0066 

VI 

0,1296 

0,0152 

0,0984 

0,0124 

0,0312 

0,0028 

0,0276 

- 0,0028 


Es bleiben dann nur noch IV B, V A und B übrig, bei welchen wir, da gleich¬ 
zeitig eine N-Anlagerung stattgefunden hat, die Kalkabgabe nur durch eine Ein- 
schmelzung von Knochengewebe erklären können. Wir werden darauf noch später 
zurttckzukommen haben. 

Um zu sehen, wo im Körper zurückgehaltene Mineralstoffe vorwiegend ihre 
Verwendung finden, müssen wir von dem bekannten Verhältniss der Elemente in 
den wichtigsten Organen des wachsenden Menschen ausgehen. Es kommen hier 
wohl in erster Linie in Betracht die Muskeln, das Blut, die grossen Drüsen, als 
deren Repräsentant wir etwa die Leber ansehen könnnen, die Nervensubstanz — 
speziell Gehirn und Rückenmark — und die Knochen. Unter diesen Geweben ent¬ 
halten nur die Knochen erhebliche Mengen von Kalk. Wir können deshalb aus dem 
retinierten Kalk die angesetzte Knochensubstanz und die zu ihrem Aufbau ver¬ 
wendeten Mengen von N und F berechnen. Der nun noch verbleibende Ueberschuss 
der beiden letzteren Elemente ist den anderen wachsenden Geweben des Körpers 
gut zu schreiben. 

Als Basis für diese Berechnung dienen die folgenden bekannten Werthc: 

In 100 g frischen Knochen sind enthalten: 3,89 g N, 22,3 g CaO, 10,09 g I’ v O-,. 
Ferner bilden sich auf 100 Tlieile Muskel 7 Theile Blut, was bei der Berechnung 
für den Ansatz im lebenden Organismus natürlich zu berücksichtigen ist. Nun ent- 


' i Nahrung: bestellt aus sterilisierter Milch. 


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Versuche über «len Stoff- und Kraftwcchsel des Säuglings. 101) 


halten 100 Theile Muskel 3,4 Theile N, 0,008 CaO und 0,49 Theile P,0 M 100 Theile 
Blut enthalten 3,25 Theile N, 0,007 CaO und 0,076 P 2 0 8 . Danach enthalten 
100 Theile Muskel -f- Blut 3,40 Theile N, 0,008 CaO und 0,46 P 2 0 5 . Wir können 
daraus für die Vertheilung der P,0 5 die folgenden Werthe berechnen: 


Tabelle X. 

A-Versuche. B-Versuche. 


\\t- 

Gcsamiut- 

inengeder 

davon geht ab 

Es bleibt 

Gesammt- 
menge der 

davon geht ab 

Es bleibt 

reti¬ 

nierten 

P 2 0.-, 

für 

Knochen¬ 

bildung 


ander- 

I 


ander- 

Midie 

für 

Muskel- und 
Blutbildnng 

weitig 

verfügbar 

reti¬ 

nierten 

P 2 0 6 

für 

Knochen- j 
bildung 

für 

Muskel- und 
Blutbildung 

weitig 

verfügbar 

111 

0,670 g 

0,141 

0,127 

0,402 

1,097 

kein 

0,117 

0,980 



entsprechend 

entsprechend 



Knochen- 

entsprechend 




etwa 1,0 g 

etwa 28 g 



wachsthum 

etwa 25 g 




frischen 

Muskel- und 




Muskel- und 




Knochen 

Blutsubstanz 




Blutsubstanz 


a 

2,239 

0,558 

0,504 

1,177 





IV 


entsprechend 
etwa 3,5 g 

entsprechend 
etwa 110 g 


2,886 

Kalkabgabe 

(—0,349) 

0,60 

entsprechend 

1 2,286 

c 

2,880 

kein 

0,674 

1 2,212 



etwa 131 g 




Knochen¬ 

entsprechend 








wachsthum 

etwa 147 g 

! 





V , 

0,092 

Kalkabgabe 

0,224 

J negativ 

0,108 

Kalkabgabc 

0,241 

negativ 



(__0,485) 

entspricht 



(-0,609) 

entsprechend 





etwa 50 g 

I 


i 

etwa 52 g 


VI 

0,W.» 

0,287 

0,245 

<M37 

0,958 

1 0,375 

0,204 

0,379 



entsprechend | entsprechend 

i 

1 


! entsprechend 

| entsprechend 



etwa 1,8 g 

etwa 53 g 

i 


etwa 2,3 g 

etwa 44 g 



Es fällt.auf, dass ausser in Versuch V stets mehr P angesetzt wird, als für 
Knochen- und Muskelbildung erforderlich ist, es wird dadurch wahrscheinlich, 
dass auch die phosphorreichen Gewebe, wie sie etwa in der kernreichen Thymus¬ 
drüse, vor allem aber in den Geweben des Centralnervensystems vorliegen, am Wachs- 
thnm erheblich betheiligt sind. Wir werden dabei daran denken müssen, dass im 
Centralnervensystem nicht nur die gesammte Masse zunimmt, sondern dass die 
Bildung der Markscheiden um die zur Zeit der Geburt noch marklosen Nervenbahnen 
s ehr erhebliche Mengen von phosphorhaltigen Verbindungen beanspruchen**). 

Auffallend gross ist die negative Kalkbilanz in Versuch V A und B, es er¬ 
scheint dies um so bemerkenswerther, als die eingeführten Salzmengen durchaus den 

*) In diesem Versuche genügt die Menge der retinierten P 2 0 5 nicht, um die'Bildung von 
Muskel- und Blutsubstanz entsprechend dem retinierten N zu erklären. Gleichzeitig hat aber eine 
nicht unbeträchtliche Knochcneinschmelzung stattgefunden, und es ist anzunehmen, dass der Körper 
sich aus der hierbei freigewordenen P 2 0 5 (A-Versuch = 0,350, B-Versuch = 0,445 g) die zum Auf¬ 
bau nothwendige Menge genommen hat. 

’*) Vergl. dazu auch die interessante Arbeit von Büro w (Zeitschrift für physikalische Chemie 
1900. Bd. 36. S. 496 ff.): Der Lccithingchalt der Milch und seine Abhängigkeit vom relativen Him- 
gewiebt des Säuglings. 


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110 W. Cronheim und Erich Müller 

der übrigen Versuche entsprechen. Dabei möchten wir an die oft aufgestellte Be¬ 
hauptung erinnern, dass durch die Sterilisation der Milch auch die Verdaulichkeit 
der Salze leidet. 

Diesen Versuch können wir als eine Bestätigung der vielfach ohne exakte 
Unterlagen erhobenen Behauptung hinstellen, dass die Sterilisation der Milch das 
Knochensystem ungünstig beeinflusse. Ein sehr interessantes Gegenstück zu diesem 
Ergebniss bildet Versuch IIIA, wo trotz einer für die Gesammtheit der Salze negativen 
Bilanz doch noch ein nicht unerheblicher Ansatz von Kalk stattfand. Die bei Bereitung 
dieses Mehlpräparates angewendete niedrige Temperatur verhütet offenbar jene ihrer 
Natur nach unbekannte Schädigung der Milch, welche sich nach dem Sterilisieren 
in so prägnanter Weise offenbart. Der schlechten Verwerthung des Kalkes aus der 
sterilisierten Milch in Versuch V geht eine ebenso schlechte der P a O s parallel, 
welche in auffallendem Gegensätze zum relativ reichlichen Ansatz von N steht. 

Wir wiederholen zur besseren Uebersicht noch einmal für Versuch V die Werthe 
der Retention in °/ 0 des Resorbierten: 

Versuch A Versuch B 

‘20,39 o/o N 20,83 «/„ N 

3,66 °/o P•>0 5 4,64 o/o Po 0 5 

Körpergewicht und Wasserbilanz. 

Die GewichtsVeränderungen lassen aus bekannten Gründen — Kürze der Zeit, 
Lagerung der Kinder — keine sicheren Schlüsse auf Stoffansatz resp. Abgabe zu. 
Nach den Gewichtszahlen der Versuche (siehe diese), in welchen wir über tägliche 
Wägungen verfügen, scheint es nicht ausgeschlossen, dass, vielleicht durch die 
Lagerung bedingt, eine Wasserretention stattgefunden hat, wodurch eine Beziehung 
zwischen Stoffansatz und Gewichtszunahme illusorisch würde. Für Versuch I 
trifft dies allerdings nicht zu, da das Kind sich frei bewegte; sehr auffallend ist 
hier bei IA die N-Retention von 3,169 g N — etwa entsprechend 100 g Fleisch — 
bei einer Gewichtsabnahme von 346 g, in I B eine N-Abgabe von 0,259 g — ent¬ 
sprechend etwa 8 g Fleisch — bei einem Gewichtsverlust von 793 g. Eine theil- 
weise Erklärung ergiebt sich daraus, dass das Kind an den dem Versuche voraus¬ 
gehenden Tagen reichlich gemischte und dabei wasserreiche und viel Koth bildende 
Kost erhielt, der Körper dementsprechend wasserreicher und die Darmfüllung er¬ 
heblicher war. Während des ersten Versuchstages schied das Kind grosse Mengen 
Harn und Koth ab, wodurch sicli der Gewichtsabsturz am zweiten Versuchstage er¬ 
klärt. Einer Wassereinnahme von 1000cm 3 pro Tag steht in der A-Reihe eine 
durchschnittliche Urinmenge von 900 cm 3 , in der B-Reihe eine solche von 1077 cm 3 
gegenüber, diese Zahlen genügen, um zu zeigen, dass der Gewichtsverlust im wesent¬ 
lichen durch Ausscheidung überschüssigen Wassers aus dem Körper bedingt worden 
ist. In Versuch VA betrug die tägliche Wassereinnahme 756 cm 3 , die Urinaus¬ 
scheidung 760 cm 3 . Auch hier muss also ein erheblicher Wasserverlust des Körpers 
als Erklärung für die Gewichtsabnahme trotz N-Ansatzes dienen. 

Ein Parallelismus zwischen N-Retention resp. dem sich daraus berechnenden 
Fleischansatz und der Gewichtsveränderung innerhalb der Versuche lässt sich an der 
Hand der nachfolgenden Tabelle XI nicht erkennen, wir finden häufig Gewichtsab¬ 
nahme bei N-Retention, einmal auch Gewichtszunahme bei N-Abgabe. 


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111 


Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


Gewichtstabelle XI. 


A-Versuche B-Versuche 



Gewichts- 

Fleisch- 

Gewichts- 

1 Fleisch- 


Veränderung 

ansatz 

Veränderung 

ansatz 

1 

—346 (—180 g)*) 

g 

—793 (—335 g)*) 

-8 g 

II 

+ 140 g 

83 g 

- 30 g 

22 g 

III 

-30 g 

30g 

-134 g 

26 g 

IV j* 
b 

+190 g 
+382 g 

116 g 

149 g 

+285 g 

133 g 

V 

-29 g 

50 g 

+242 g 

53 g 

VI 

-10 g 

56 g 

+ 65,5 g 

-9 g 


Tbierversuche. 

Im Anschlüsse an unsere Versuche an Kindern haben wir zwei Versuche an 
Thieren — männliche und weibliche in gleicher Vertheilung — angestellt, um 
eventuell, abgesehen von äusserlich wahrnehmbaren Differenzen — Grösse, Gewicht 
ii. s. w. — auch Unterschiede an den inneren Organen und Knochen beobachten zu 
können. Die eingangs erwähnten Forscher hatten ihre Lecithinstoffwechselversuche 
an Thieren angestellt, uns sollten die Thierversuche mehr eine Ergänzung unserer 
Untersuchungen an Kindern bilden. 

Versuch I. 

Als Versuchsthiere dienten fünf junge Hunde — ca. vier Wochen alt —, welche 
angeblich aus demselben Wurf stammten. Als Nahrung diente ihnen gleichmässig 
ein Gemenge aus Milch, Reismehl und Butter. Dazu erhielten drei Hunde trockenes 
Eidotter und zwar in dem gleichen (G°/ 0 ) prozentualen Zusatz, wie wir es bei den 
Kindern gegeben hatten, die anderen bekamen an Stelle des Eidotters eine ent¬ 
sprechende Zulage von Butter -|- Plasmon. Die sehr geringe Differenz an P bei 
diesen wurde durch Natriumphosphat, die an Eisen durch einen Zusatz von wein¬ 
saurem Eisen ausgeglichen. Die Nahrungszufuhr berechneten wir nach der Ober¬ 
fläche der Thiere, d. h. proportional dem Quadrate der dritten Wurzel aus dem Ge¬ 
wichte. Der Versuch dauerte drei Monate, im Laufe derselben starb das eine Thier 
der Eidotterreihe, die Sektion ergab als Ursache eine Pneumonie. Augenfällige 
Unterschiede traten in der Versuchszeit nicht zu Tage, die Thiere entwickelten sich 
im allgemeinen gut, aber in beiden Reihen gleichmässig. Die Thiere wurden dann 
durch Verbluten getötet, die inneren Organe gewogen und die grösseren Röhren¬ 
knochen zur makroskopischen Untersuchung des Markes geöffnet. Es zeigte sich 
dabei, dass die Gewichte der einzelnen Organe, Gehirn, Herz, Leber, Milz, Nieren und 
ebenso der einander entsprechenden Knochen im Verhältniss zum Körpergewicht der 
einzelnen Thiere, annähernd die gleichen waren. Dagegen war ein deutlicher 
Unterschied in der Entwicklung der Knochen zwischen beiden Reihen zu erkennen, 
und zwar war das Mark der Eidotterhunde gelb, fettreicher, das der Plasmon¬ 
hunde roth, blutreicher und fettärmer. Da die Umwandlung des rothen Knochen- 


*) Bei Abrechnung des Gewichtssturzes am ersten Versuchstage. 


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112 VV. Cronheim und Erich Müller 

markes in gelbes im Laufe des Wachsthums regelmässig erfolgt, so müssen wir die 
Eidotterhunde als in dieser Hinsicht weiter fortgeschritten ansehen. Die Differenz 
war so klar, dass an einer weiter vorgeschrittenen Knochenbildung der Eidotter- 
thiere nicht gezweifelt werden konnte, dem entsprach, dass die Knorpelschicht an der 
Epiphyse bei diesen weniger stark war als bei den Plasmontliieren. 

Versuch II. 

Dieser auffallende und einheitliche Knochenbefund regte uns zu einem zweiten Ver¬ 
suche an. Um sicher zu gehen, Thiere desselben Wurfes zu benutzen, verschafften 
wir uns trächtige Meerschweinchen, deren Junge — in unserem Laboratorium ge¬ 
worfen — dann zum Versuche dienten. Der Versuch begann mit den etwa vier 
Wochen alten Thierchen. Als Grundlage der Nahrung diente wieder anfangs Milch, 
später wurde dieselbe allmählich ganz durch Hafer ersetzt, welchem etwas Mohrrübe 
zugefügt wurde. Dabei erhielt eine Reihe trockenes Eidotter, die andere eine ent¬ 
sprechende Menge Plasmon und Butter und Spuren von phosphorsaurem Natrium. 
Die Menge der Nahrung wurde nach dem Gewichte berechnet. Die Ernährung 
durch Milch musste nach wenigen Wochen durch die Hafernahrung ersetzt werden, 
da die Entwicklung der Thiere zu wünschen übrig liess. Am Anfänge des Versuches 
starb ein Thier jeder Reihe, die Sektion ergab Lungenentzündung. Auffällig war 
während des Versuches nur die grössere Fresslust der Eidotterthiere. Nach circa 
drei Monaten wurde der Versuch abgebrochen, da wieder je ein Thier an Lungen¬ 
entzündung starb. Die übrig gebliebenen Thiere — zwei Eidotter- und ein Plasmon¬ 
thier — wurden getötet. Die Organe wurden gewogen, die Knochen zum Theil 
herauspräpariert und untersucht. Als auffälliger Befund liess sich konstatieren, dass 
die Dotterthiere — auch das gestorbene — eine ausgesprochene Fettleber zeigten, 
dabei waren auch die Gewichte der Leber bei annähernd gleichem Körpergewichte 
erheblich grösser. Die übrigen Organe zeigten weder in der Struktur noch im Ge¬ 
wichte nennenswerthe Unterschiede, ebensowenig das Knochenmark der Thiere beider 
Reihen. Die Gewichtszunahme dagegen war bei den Eidotterthieren eine grössere. 
Während das durchschnittliche Anfangsgewicht der Plasmonthiere 270 g, das End¬ 
gewicht 315 g betrug, sind die entsprechenden Zahlen für die Eidotterthiere 237,5 
und 300 g. In dem einen Palle also eine durchschnittliche Zunahme von 45 g, in 
dem anderen eine solche von (52,5 g oder eine Differenz von ca. 19°/ 0 zu Gunsten 
der Eidotterthiere. Der prozentuale Phosphorgehalt der Gehirne zeigte keine ein¬ 
deutigen Unterschiede. 

Die Gewichtszunahme bei den Lecithinthieren ist um so bedeutsamer, als sic 
die kleineren waren, also pro Kilo Körpergewicht einen grösseren Nährstoffbedarf 
hatten. Da nun die Nahrung nach dem Gewicht verabreicht wurde, war sie bei den 
Eidotterthieren eine knappere. Wenn die Thiere trotzdem an Gewicht stärker Zu¬ 
nahmen, so ist das nur entweder durch eine bessere Ausnützung der Nahrung oder 
durch einen reichlic heren Ansatz der bei gleichem Kraftwerth mehr wiegenden Ei¬ 
weisskörper”"?u~"erklären. Es~sei daran erinnert, dass, wenn ein Nahrungsüberschuss 
von 100 Kal. zum Fettansatz dient, er nur etwa 11 g Körperfett liefert, während 
bei P’leischbildung’etwa 120. g zum Ansatz gelangen. Wenn diese Erwägung richtig 
ist, würden die Versuche an- Meerschweinchen in guter Uebereinstimmung stehen mit 
den Erfahrungen am'Kinde, wonach die dotterhaltige Nahrung den N-Ansatz fördert. 
Es wäre erwünscht, weitere Versuche zu machen, in welchen die Nahrungsaufnahme 
der Willkür der Thiere überlassen wird, um zu kontrollieren, wie weit die Angaben 


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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


113 

der Autoren über die Anregung des Appetites und der Assimilation durch das 
Lecithin zutreffend sind. 

Wir können die wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit in folgenden Sätzen 
zusammenfassen: 

I. Wenn man bei dem wachsenden Säugling aus dem Kalkansatz 
das Wachsthum der Knochen berechnet und den über den 
Bedarf der Knochen hinaus angesetzten N als zur Fleisch- und 
Blutbildung benutzt in Rechnung stellt, so findet man, dass 
die Menge des für diese Neubildungen nothwendigen P bei 
weitem nicht so gross ist, wie die wirklich angesetzte T-Mengc. 
Es müssen also die phosphorreichen Gewebe, Nervenmark und 
kernhaltige Drüsen, am Stoffansatz des ersten Lebensjahres 
erheblich betheiligt sein. 

II. Es ist für die Assimilation nicht gleichgültig, in welcher Form 
der P aufgenommen wird. Das Wachsthum der N-haltigen Gewebe 
wird ein wesentlich grösseres bei gleicher Zufuhr von Eiweiss¬ 
körpern und Gesamtnahrung, wenn ein Theil des T in Form von 
Eidottjer zugeführt wird. Wahrscheinlich ist es das Lecithin 
des Eidotters, welches hierbei bedeutungsvoll ist. Es empfiehlt 
sich daher bei der Ernährung des Kindes frühzeitig die Ver¬ 
wendung des Eidotters. 

III. Sterilisierte Milch ist w'eder allein noch in Verbindung mit 
massigen Mengen von Eidotter im stände, eine genügende 
Knochenbildung zu ermöglichen. Im Gegentheil erwies sich 
trotz reichlicher^Zufuhr aller Knochen bildenden Mineralstoffc 
die Kalkbilanz bei der Ernährung mit sterilisierter Mich als 
negativ. Die praktische Erfahrung findet in diesen Versuchs¬ 
ergebnissen eine exakte Bestätigung. 

Herrn Professor Zuntz, welcher uns bei der Arbeit mit Rath und That. zur 
>eite stand, sagen wir für die uns bewiesene Liebenswürdigkeit unseren verbind¬ 
lichsten Dank. 

Mit gebührendem Danke sei gleichzeitig hervorgehoben, dass ein Theil der zu 
•liesen Versuchen erforderlichen beträchtlichen Mittel uns vom Kuratorium der 
Lnitin von Bose-Stiftung zur Verfügung gestellt worden ist. 

Litteratur-Zusammenstellung. 

A. Phosphor und Lecithin betreffend 

>i Brücke, Vorlesungen über Physiologie 1875. 2. Aufl. Bd. 1. S. 27o. 

Siegfried, Zeitschrift für physiologische Chemie 1895. Bd. 21. S. 5(>0. 

Danilewsky, Compt. rend. deTAkademie desScienc. 30. Dezember 1895 und 20. Juli 1890 . 

4 .» Umikoff, Dissertation. Petersburg 1895 

: ') Stoklasa, Zeitschr. f. phys. Chemie 1897. Bd. 23. 

Marcuse, Pflügers Archiv 1897. Bd. 67. S. 382. 

: ) F. Roh mann, Berl. klin. Wochenschr. 1898. No. 36. 

*) Wröblewsky, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1898. Bd. 20. 

■•) Steinitz, PflfigeFs Archiv 1898. Bd. 72 S. 75. 

lu ) Zadik, ebenda 1899. Bd. 77. S. 1 u. ff. 


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114 W. Cronheim u. Erich Müller, Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 


n) Leipziger, ebenda 1899. Bd. 78. S. 402. 

12) Caspari, Zeitschr. f. diätet u. physikal. Therapie 1899. Bd. 3. Heft 5. 

13) Danilewsky, Wratsch 1899. No. 17. (Ref. in Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie 
1900. Bd. 4. S. 418.) 

14) Ehrlich, Inaugural-Dissertation. Breslau 1900. 

iö) Keller, Archiv f. Kinderheilk. 1900. Bd. 29. Heft 1. S. 1 u. ff. 

iß) Knöpfelmacher, Jahrb. f. Kinderkeilk. 1900. Bd. 52 (3. Folge. Bd. 2. Ergänzungs¬ 
heft). S. 545. 

17) 0. Loewi, Archiv f. experim. Path. (Schmiedeberg) 1900. Bd. 44. Heft 1 u. 2. 
i3) E. Wildiers, La cellule 1900. Bd. 17. Heft 2. 

12) Cronheim und E. Müller, Jahrb. f. Kinderheilk. 1900. Bd. 52 (3. Folge. Bd. 3.). S. 300. 

20 ) Desgrez und A. Zaky, Compt rend. de la sociötö de Biologie 1900. Sitzung vom 4. August. 
S. 794. 1900. Sitzung vom 15. Juni. S. 647. 1901. 

21) Claude et A. Zaky, Gazette des hospit. 1901. No. 113. 

22) A. Gilbert et L. Fournier, Compt. rend. de la sociötö de Biologie 1901. Sitzung vom 
9. Februar. S. 145. 

23 ) Carriöre, Compt rend. de TAcademie des scienc. 1901. Bd. 133. S. 314. 

24) Lancereaux >ebenda 1901. Sitzung vom 10. Juni. 

25) Lancereaux et Paulesco, ebenda 1901. Sitzung vom 18. Juni. 

2ß) IIj i n, Wratsch 1901. No. 22. S. 1132. (Ref. in Chemiker-Zeitung 1901. Repertorium S. 335). 
27) Gottstein, Inaugural-Dissertation. Breslau 1901. 

2») Keller, Zeitschr. f. diätet. u. physikal. Therapie 1901. S. 697. 

2 ü) Schlossmann, Jahrb. f. Kinderheilk. 1901. Bd. 54 (3. Folge, 4. Bd.). Heft 5. 

B. Anderweitige Litteratur. 

30 ) Bieleru. Schneidewind, Die agrikulturchem.Versuchsstation Halle a S. 1892. (Märker.) 

31) Bendix, Therapeut. Monatshefte 1895. Juli. 

32) Kellner, Landwirtsch. Jahrb. 1896. S. 297. 

33) Camerer u. Söldner, Zeitschr. f. Biologie 1896. Bd. 23. S. 43. 

34 ) Bendix, Jahrb. f. Kinderheilk. 1896. Bd. 43. 

36) Dormeyer, Pflügeris Archiv 1897. Bd. 65. 

ao) Lange u. Be rend, Jahrb. f. Kinderheilk. 1897. Bd. 44. 

37) Heubner u. Rubner, Zeitschr. f. Biologie 1898. Bd. 36. S. 1. 

36) Camerer u. Söldner, Zeitschr. f. Biologie 1898. S. 277. 

32) Koenig, Zeitschr. f. Unters, v. Nahrungs- u. Genussmittcln 1898. S. 1. 

40 ) Heubner, Berl. klin. Wochenschr. 1899. No. 1. 

41) Hausmann, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1899. S. 95. 

42 ) A. Neumann, Vcrh. d. physiol. Ges. zu Berlin. 10. November 1899. 

43) E. Wörner, ebenda. 

44) Tan gl, Archiv für (Anat. und) Physiol. 1899. Supplementband S. 259. 

45) Bendix u. Finkeistein, Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 42. S. 672. 

46) Backhaus u. Cronheim, Berichte des landw. Instit. (Königsberg) 1900. No. 5. 

47) Kobrak, Pflügeris Archiv 1900. Bd. 80. S. 69. 

48) Blum, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1900. S. 36 ff. 

42) Kutscher, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1901. 

56) Rubner, Zeitschr. f. Biologie 1901. Bd. 42. S. 292. 


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Paul Lazarus, Zur Frage der hemiplegischen Kontraktur. 


IV. 

Zur Frage der hemiplegischen Kontraktur. 

Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Privatdozenten Dr. Ludwig Mann, 
betreffend meinen Aufsatz auf S. 550 ff. Bd. 5 dieser Zeitschrift. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von 

Dr. Paul Lazarus. 

Ehre und Wahrheit der Wissenschaft gebieten einen Standpunkt zu verlassen, 
dessen Haltlosigkeit man erkannt hat. Trotz Hochhaltung dieses Grundsatzes be¬ 
harre ich bei meiner in der Frage der Entstehung der hemiplegischen Kontraktur 
aufgestellten Theorie; denn die Gegengründe des Herrn Privatdozenten Mann sind, 
wie mir scheint, mit einer Reihe von Thatsachen nicht vereinbar. 

Der genannte, hervorragende Forscher steht auf dem Standpunkte, dass zur 
Entstehung der hemiplegischen Kontraktur eine theilweise Intaktheit der 
Pyramidenbahn nothwendig ist. In der letzteren sollen eigene Faserzüge für die 
Erregung bezw. Erschlaffung der einzelnen Muskelgruppen verlaufen; die erregenden 
Fasern für bestimmte Muskeln, z. B. für die Strecker fallen nun mit den Er- 
M'hlaffungsfasern für ihre Antagonisten i. e. die Beuger zusammen und umgekehrt. 
Bei der Hemiplegie sollen nun nach Mann nur die Erregungsfasern der Agonisten, 
z. B. der Armstrecker und folglich auch nur die mit ihnen zusammenfallenden Er- 
schlaffungsfasern der Antagonisten i. e. der Armbeuger gelähmt sein; hingegen soll 
das zweite Fasersystem: die Erregungsfasern der Armbeuger und die Erschlaffungs¬ 
fasern der Armstrecker erhalten sein. Das Resultat dieser »theilweisen Intaktheit 
der Pyramidenbahn« ist daher eine schlaffe Lähmung der Armstrecker und eine 
Kontraktur der Armbeuger. 

Gegen die Mann’sche Theorie sprechen nun eine Reihe klinischer, experimen¬ 
teller und anatomischer Thatsachen. 

In klinischer Beziehung sind die Ausbreitung und die Art der hemi¬ 
plegischen Lähmung mit der Mann’sehen Hypothese nicht in Einklang zu 
bringen. In der inneren Kapsel verlaufen bekanntlich die von den entsprechenden 
Rindenherden ausgehenden Fasersysteme für Gesicht, Arm, Bein, Zunge und linker¬ 
seits auch für die Sprache so nahe beisammen, dass ein einziger, relativ kleiner 
Blutherd sie alle zusammen lähmen kann. Die typische Ausbreitung der Kapsel- 
lähmung auf eine ganze Körperhälfte ist somit der Ausdruck einer Totalzerstörung 
der Pyramidenbahn. Die Annahme, dass bei einer typischen Kapselhemiplegie die 
Bengefasern für den Arm isoliert verschont und nur die Streckfasern isoliert zerstört 
sein sollen, ist — abgesehen davon, dass beide unmittelbar neben einander ziehen 
— auch mit der Ausbreitung der Lähmung auf den Facialis und das Bein, deren 
Pyramidenfasern in der Kapsel vor bezw. hinter der Armbahn liegen, nicht vereinbar. 


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116 


Paul Lazarus 


Eine zweite, mit der Mann’sehen Theorie kontrastierende Thatsache liefert die 
Analyse der Lähmung selbst. Sämmtliche Muskeln der gelähmten Extremitäten 
erfahren bei der typischen Hemiplegie eine starke Einbusse ihrer motorischen Kraft. 
Niemals sind die Antagonisten von der Lähmung verschont. (Mit Anta¬ 
gonisten wollen wir die kontrakturierten Muskeln, z. B. die Armbeuger bezeichnen.) 
Der schwere Hemiplegiker kann den Arm aktiv weder abbiegen noch ausstrecken. 
Wären die Strecker wirklich erschlafft und gelähmt, die Beuger hingegen erhalten 
und erregt, so müsste eine maximale, spitzwinklige Kontraktur resultieren. In der 
Tiegel überschreitet aber die Kontraktur nicht den rechten Winkel. 

Die Antagonisten sind somit nicht nur hypertonisch, sondern gleich¬ 
zeitig auch paretisch. Aber auch bei den Agonisten geht die Parese mit Hyper¬ 
tonie einher. Sowohl bei dem passiven Streckungs- als auch Beugungsversuch des 
Armes ist ein gewisser Widerstand zu überwinden, welcher in dem letzteren Falle 
von dem hypertonischen Triceps herrührt. 

Man darf eben zum Studium der Kontrakturentstehung nicht die veralteten 
Fälle heranziehen, bei welchen die Agonisten durch Ueberdehnung und Unthätigkeit. 
geschwunden sind und die gleichfalls durch die Inaktivität atrophierten Antagonisten 
infolge der langdauernden Kontraktur retrahiert sind. Die Finger der alten 
Hemikontraktur führt die Sehnen- und Fascienschrumpfung in die Beugestellung 
zurück. In dem Vorstadium der Spätkontraktur, welches zwischem dem Ende der 
Reaktionszeit der Apoplexie und der Ausbildung der Kontraktur liegt, erweisen sich 
gewöhnlich auch die Antagonisten als gelähmt; bei den schwersten Fällen voll¬ 
ständig, bei den mittelschweren nur geschwächt. Gelingt es, die bereits ausgebildete 
Kontraktur vorübergehend zu lösen — nach dem Erwachen oder im warmen Bade, 
durch Schüttei- oder atonische Gymnastik —, dann können die Kranken ihre Finger 
in geringem Grade aktiv beugen und strecken; bald fallen aber die Finger gegen 
den Willen des Kranken rein passiv in die Kontrakturstellung zurück; ebenso ver¬ 
hält es sich am Arm. Die Rückkehr zur Kontraktur ist somit eine willenlose 
Bewegung, welche der Kranke aktiv weder in einer bestimmten Phase aufhalten 
noch verstärken kann. 

Mit dem Nachweise der Parese der Antagonisten wäre auch eigentlich der Nach¬ 
weis der Hypertonie der Agonisten erbracht, denn nach Mann’s eigener Anschauung 
fallen die Bewegungsfasern der einen mit den Erschlaffungsfasern der anderen Muskel¬ 
gruppe zusammen. 

Die nächste Streitfrage bietet das Verhalten des Muskeltouus und der 
Sehnenr.eflexe; gewöhnlich sind beide gleichzeitig gesteigert oder gleichzeitig 
abgeschwächt. Der Muskeltonus ist der Muskelreflex. Nur in ganz vereinzelten, 
anatomisch noch nicht klar gestellten Fällen geht Atonie mit Erhöhung der Sehnen¬ 
reflexe einher. In der Regel weist aber die Steigerung der Sehnenreflexe auf eine 
Erhöhung des Muskeltonus hin, wie es auch Oppenheim in seinem Lehrbuch der 
Nervenkrankheiten 3. Aufl. 1902 beschrieben hat. 

Mann negiert nun die Reflexsteigerung der Agonisten bei der 
hemiplegischen Kontraktur. Die Sehnenreflexe der agonistischen Muskelgruppen 
sind bereits unter normalen Verhältnissen infolge der tiefen Lage der Sehnen 
schwerer auszulösen und infolge der geringeren Stärke ihrer Muskeln schwächer 
als die der kräftigeren, mit oberflächlichen Sehnen ausgestatteten Antagonisten (Quadri- 
eeps, Gastroknemius). Immerhin sind aber die Reflexe der Agonisten im Voistadium 
oder bei zeitweiser Lösung der Kontraktur entschieden verstärkt, wovon man sich z. B. 


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117 


Zur Frage der liemiplegischeu Kontraktur. 

am Triceps leiclit überzeugen kann. Im Stadium der Kontraktur der Antagonisten 
sind natürlich die Reflexe der überdehnten Agonisten kaum auszulösen, weil ja die Vor¬ 
bedingung für jede Reflexprüfung der Wegfall der Muskelspannu'ng ist. 

Riesen Tunkt hat Mann nicht berücksichtigt, ebensowenig den Umstand, dass 
die Agonisten, z. B. die Dorsalflexoren, bei ihrer Kontraktion nicht allein die »Eigen- 
schwere des Fusses«, sondern vor allem den mächtigen Widerstand des kon- 
traktnrierten Gastroknemius zu überwinden haben, wozu auch seitens des 
Untersuchers ein erheblicher Kraftaufwand erforderlich ist. Bei Entspannung der 
antagonistischen Muskelgruppen wird man die Reflexe der Agonisten gewöhnlieh 
deutlich erhöht Anden. 

Mann lässt ferner als Zeichen der Hypertonie nur die Behinderung der 
passiven Beweglichkeit gelten, zu deren Nachweise er sich brüsker Bewegungen 
bedient Nach meiner Erfahrung verstärken brüske Bewegungen die Kontraktur 
oder lösen sie erst aus. Um aber die Kontraktur unbeeinflusst durch äussere Reize 
zu prüfen, muss man zart, geradezu sondierend Vorgehen. Bei dieser Prüfung wird 
man bei den nicht veralteten und mit Schrumpfungsvorgängen komplizierten Kon¬ 
trakturen häufig nicht nur bei der Armstreckung, sondern auch bei der Armbengung 
eine Erschwerung der passiven Beweglichkeit finden, wobei die Spannung des Triceps 
dcht- und fühlbar zunimmt. Diese Spannung tritt im ersten Augenblick der Be¬ 
wegung ein und fällt dann gewöhnlich fast ruckweise ab. 

Aus allen diesen klinisch festgestellten Erfahrungen geht somit hervor, dass die 
Parese mit Hypertonie einhergehen kann, dass sowohl die Antagonisten als auch 
die Agonisten paretisch sind und dass man daher eine »theilweise Intaktheit« der 
Pyramidenbahn ebensowenig annehmen kann, als eine theilweise Intaktheit der von 
ihr beherrschten Muskulatur. 

Mann hat seiner Betrachtung zum grössten Theile die untere Extremität 
zu Grunde gelegt. Ich habe aber ausdrücklich hervorgehoben, dass am Bein die 
Verhältnisse wesentlich anders liegen, als am Arm. Die unteren Extremitäten 
werden beim Stehen und Gehen synergisch in Aktion versetzt; diejenigen Muskeln 
des Beines, welche synchron und synergisch arbeiten (Stehmuskeln), werden von 
beiden Hemisphären versorgt; bei einseitigem Hemisphärenherd restituieren sich 
daher die Streckmuskeln besser als die Beugemuskeln. 

»Am Arm ist jedoch die Sachlage anders; je selbstständiger ein Muskel- 
mcchanismus wird, desto mehr wird seine centrale Innervation ausschliesslich in 
eine Hemisphäre lokalisiert.« (S. 552 ff. 1. c.) Die Intensität der Lähmung hält Schritt 
mit dem Grade der bewussten Selbstständigkeit der Funktion; je automatischer eine 
Üowegung erfolgt, desto eher erfolgt ihre Restitution, und je mehr sie dem Willen 
unterworfen ist, desto ungünstiger ist die Aussicht auf ihre Wiederherstellung Der 
Uestitutionsvorgang verläuft umgekehrt ihrer Lähmungsstärke. Die aufsteigende Stufen¬ 
leiter der Lähmung bildet die Reihe: Rumpf — Bein — Arm. Selbst am Arm 
wächst die Lähmung von der Schulter bis zu den Fingern, welche die voll¬ 
kommensten Willensbewegungen repräsentieren. Für die doppelseitig innervierten 
Maskein übernimmt die andere Hemisphäre die Kompensation; den anderen Muskel- 
Gruppen stehen noch eine Reihe von Nebenbahnen ausserhalb der Pyramidenbahn 
(extrakapsuläre Bahnen) zur Verfügung, während für die im strengen Sinne bewusst 
willkürlichen Bewegungen nur die Pyramidenbahn ausgeschliffen ist. 

Die Pyramidenbahn ist somit die Willensbahn der Muskeln und die 
llemmnngsbahn der Reflexe. Ihr Ausfall lähmt die von ihr beherrschten 


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11S Paul Lazarus, Zur Frage (1er liemiplcgischen Kontraktur. 

Muskeln und erhöht deren Tonus. Antagonisten wie Agonisten sind paretisch und 
hypertonisch; jene Muskelgruppen, welche bereits unter normalen Umständen ein 
Plus an Kraft und Tonus gegenüber ihren Antagonisten haben, werden auch bei der 
Restitution besser fahren, als ihre Agonisten. Erstere werden stärker hypertonisch 
und weniger paretisch, letztere relativ schwächer hypertonisch und stärker paretisch 
sein. In gesunden wie in kranken Tagen bewahren die Antagonisten ihr Plus an Kraft, 
und Tonus. Die Kontraktur ist somit ein Ausdruck ihrer physiologischen Majorität. 

Die Mann’sche Theorie wird ferner weder durch eine experimentelle noch 
eine anatomische Grundlage gestützt. Bei Hunden und Katzen, bei denen 
die tiefen Ganglien eine relativ grosse Selbstständigkeit haben und die kortikale 
Oberleitung noch nicht voll ausgesprochen ist, führt die Exstirpation der motorischen 
Centren nicht zu Kontrakturen. Erst bei den Affen folgt nach Herrmann Munk’s 
epochemachenden Experimenten auf die Totalexstirpatio nder Fühlsphären i. e. des 
Wurzelgebiets der Pyramidenbahn eine Kontraktur, welche durch Uebung behoben 
bezw. verhindert werden kann. Ohne die bewusste Hirnrindenregulation verhalten 
sich die Körpermuskeln ähnlich wie die zum Theile von tiefer liegenden Centren 
beherrschten, in steter Kontraktion befindlichen Sphinkteren. Der mässigende 
Willenseinfluss der Hirnrinde ist verloren gegangen. 

In anatomischer Beziehung ist es eine bereits seit drei Decennien bekannte 
und vielfach bestätigte Thatsache, dass bei der Hemikontraktur der gekreuzte 
Pyramidenseitenstrang und der gleichzeitige Pyramidenvorderstrang degenerieren, 
v. Monakow beobachtete sogar Kontrakturen bei vollständigem Ausfälle beider 
Pyramiden. Ich selbst verfüge über zwei Fälle von totaler gelber Erweichung der 
inneren Kapsel bezw. der Centralwindungen mit der typischen absteigenden totalen 
Pyramidendegeneration; in beiden Fällen bestanden Kontrakturen. Es überschreitet 
den Rahmen einer Erwiderung, detaillierter auf diese Befunde einzugehen. 

Aus der Summe dieser Thatsachen glaube ich somit zu dem Schlüsse berechtigt 
zu sein, dass nicht in der partiellen Intaktheit, sondern in der totalen Zerstörung 
der Pyramidenbahn die Ursache der Kontrakturen gelegen ist; je aus¬ 
gedehnter die Läsion, desto stärker ist die Lähmung und gewöhnlich 
auch die Kontraktur. Bei Hemiparesen fehlen die Kontrakturen gewöhnlich 
oder sind gering. 

Mann hat gegen diese Behauptung den Einspruch erhoben, dass bei hoher 
Quertrennung des Rückenmarks die Kontrakturen ausbleiben und eine 
absolut schlaffe Lähmung erfolge. Dieser Versuch kann meiner Ansicht nach über¬ 
haupt nicht in Parallele gezogen werden mit der isolierten, einseitigen Zerstörung der 
Pyramidenbahn in der inneren Kapsel; denn bei der hohen Quertrennung des Rücken¬ 
marks werden ja sämmtliche Einflüsse der übrigen Hirnrinde, der subkorti¬ 
kalen Ganglien, des Hirnstammes, der Brücke, des Kleinhirns und der 
anderen Hemisphäre ausgeschaltet. Bei jenen Rückenmarkserkrankungen hin¬ 
gegen, bei denen nur die Pyramidenbahn erkrankte, z. B. bei der spastischen Spinal¬ 
paralyse oder der amyotrophischen Lateralsklerose findet sich das Bild der spas¬ 
tischen Lähmung. Dass es auch ausnahmsweise schlaff bleibende Hemiplegien giebt, 
ist bereits lange bekannt, ohne dass die anatomische Ursache aufgedeckt ist. 
Möglicherweise handelt cs sich dabei um ausgedehnte Zerstörungen der Kapsel sammt 
ihren Nachbarganglien, worauf die absolute Lähmung hinweist. 

Schliesslich bedarf noch die sedativ-galvanische Behandlung der kontrakturierten 
und die faradisch-erregende der Agonisten einer Erklärung. Ich behandle die 


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Kleinere Mittheilungen. 119 

kontrakturierten Muskeln sedativ, weil sie ein Plus an Hypertonie besitzen, welches 
durch eine erregende Behandlung nur gesteigert würde. Die erregende Behandlung 
der zwar gleichfalls hypertonischen, aber nicht kontrakturierten Strecker hat den 
/weck die Streckmuskeln zu üben und der Beugekontraktur entgegenzuarbeiten. 
Eine sedative Behandlung der Handstrecker würde zu deren Erschlaffung und daher 
zur Erhöhung der Beugekontraktur führen. Eine sedative Behandlung der kon¬ 
trakturierten Muskeln bahnt hingegen die Restitution der Agonisten; deshalb ver¬ 
binde ich häufig die Anodengalvanisation der Handbeuger mit einer milden Faradi- 
sation der Strecker. 

Es gereicht mir schliesslich zur Freude, dass ein Forscher von der grossen 
Bedeutung und den hohen Verdiensten Mann’s zwar meine Theorie angreift, aber 
deren praktischen Folgerungen volle Gerechtigkeit widerfahren lässt. Deshalb kann 
ich diesen Aufsatz nicht schliessen, ohne die sachliche Kritik Mann’s anzuerkennen. 
Eine objektive Kritik ehrt den Rezensenten, fördert das gegenseitige Verständniss 
und klärt auf diese Weise die Streitfrage. 


Kleinere Mittheilungen. 

i. 

Zur Frage, ob in Gelatinepräparaten Tetanuskeime enthalten sind. 

Von Dr. Ernst Lichtenstein, 

Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin. 

Nachdem in den letzten Monaten mehrmals über Tetanuserkrankungen nach subkutaner Gelatin- 
iojektion berichtet worden war, untersuchten Levy und Bruns*) sechs Gelatineprobcn auf ihren 
Gehalt an Tetanuskeimen, wobei sie viermal ein positives Resultat erhielten. Es war nun von 
Interesse, zu prüfen, ob ein Gelatinepäparat, das auf der I. medicinischen Klinik für Ernährungs¬ 
zwecke verwendet wurde, das Gluton, ebenfalls Tetanuskeirae enthielte. 

Nach der Methode von Sanfelicc, deren sich auch Levy und Bruns bedient hatten, wurden 
von vier aus verschiedenen Apotheken entnommenen Glutonproben je 3 g in 50 cm 3 zweiprozentiger 
Zackerbouillon gelost. Diese Losung blieb für 12 Tage im Brutschrank # bei 37° stehen, wurde dann 
'lurch Berkefeidfilter filtriert, und mit dem Filtrat wurden Mäuse und Meerschweinchen in der Weise 
geimpft, dass erstere je 0,5 cm», letztere je 5,0 cms Flüssigkeit subkutan injiziert bekamen. Diese 
Reihe von Thieren blieb ebenso wie eine weitere, die mit den gleichen Mengen einer unfiltrierten 
Lösung von 1,0 g Gluton in 10 cm 3 sterilen Wassers gespritzt wurde, völlig frei von jeder Erscheinung 
• iner tetanischen Erkrankung. 

Somit fand sich im Gegensatz zu den Resultaten der Gelatineuntersuchung bei keiner der 
Glutonproben ein Gehalt an Tetanuskeimen. 


II. 

Zur Methodik der Nordseeluftkuren. 

Von Dr. raed Ide, Nordseeinselheim Amrum. 

Die ärztliche Rundreise durch die Nordseebäder hat die allgemeine Aufmerksamkeit in er¬ 
höhtem Maassc auf dieselben gelenkt, und ist in dem darüber in dem Berliner Verein für innere 
Medicin gehaltenen A T ortrage von dem Leiter der Rundreise, Herrn Geheimrath Liebreichi, darauf 
hingewiesen, dass die Nordseebäder nicht nur als Erholungsstätten für Gesunde, sondeni als wirk- 

*) Levy und Bruns, Deutsche medicinische Wochenschrift 1902. No. 8. 


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1*20 Kleinere Mittheilungen. 

liehe Kurorte anzusehen sind. Es lässt sich daher erwarten, dass in den nächsten Jahren nicht nur 
der Zufluss zu den Nordseebädern an sich, sondern auch der von Kranken und Schwachen bedeutend 
zunchmen wird. Unter diesen Umständen ist es Pflicht, darauf hinzuweisen, dass zwar der Nord¬ 
seeaufenthalt ein bisher viel zu wenig gewürdigtes Kurmittel für Schwächezustände verschiedenster 
Art ist, dass jedoch die Handhabung der Kur bei denselben eine genaue Kenntniss der einschlägigen 
Verhältnisse und richtige Anwendung derselben verlangt, und dass ohne solche damit ebensoviel 
geschadet wie genützt werden kann. Ist dies auch bezüglich der Nordseebäder mehr oder weniger 
bekannt, so gilt es doch auch schon bezüglich des Nordsceklimas, und ist die Ausbildung einer 
Methodik der Nordseeluftkuren eine schon von Bcnekc aufgestellte Forderung. 

Von den Faktoren des Nordsceklimas sind es besonders zwei, welche durch ihre stets 
wechselnde Intensität einer Schabionisierung der Kur entgegenstehen, nämlich der Temperatur¬ 
einfluss des Seeklimas und der mechanische Reiz des Windes. Was den Temperatureinfluss an¬ 
betrifft, so ist derselbe eine Folge der im Vergleich zur Festlandsluft veränderten Temperatur, 
Feuchtigkeit und Bewegung der Luft; wir sind zwar nicht im stände, diese Faktoren selbst, 
sehr wohl aber die Intensität ihrer Einwirkung auf den Menschen durch ein zweckentsprechendes 
Verhalten zu beeinflussen So können wir durch geeignete Kleidung, Aufenthalt im Zimmer, an 
windgeschützten Stellen oder auf dem Wasser die Temperatur, Feuchtigkeit und Bewegung der 
den Körper direkt umgebenden Luft vermindern oder vermehren, und zeigen uns die seinerzeit von 
Benckc angcstellten Flaschcnabkühlungsversuche, wobei sich Unterschiede in der Wärmeabgabe 
bis um mehr als das Zwölffache ergaben, bis zu welchem Grade sich der physikalische Temperatur¬ 
einfluss des Seeklimas durch solche Maassnahmen modifizieren lässt. Ein ebenso wechselnder 
Faktor wie die Wärmeabgabe ist die dieselbe mitbedingende Windstärke auch noch bezüglich des 
mechanischen Reizes, welchen der Wind auf den Organismus ausübt. Bei schwächeren Personen 
wird daher auch dieser genau zu kontrollieren und regulieren sein, und sind wir in der glücklichen 
Lage, denselben durch die gleichen Maassnahmen, wie die Wärmeabgabe, nämlich durch Kleidung 
und Aufenthaltsort, in seiner Einwirkung auf den Menschen erhöhen oder herabsetzen zu können. 
Was die übrigen Faktoren des Seeklimas anbetrifft, nämlich den im Vergleich zur Festlandsluft ver¬ 
änderten Luftdruck, den Sauerstoff -, Ozon-, Wassergas- und Salzgehalt, die elektrische Leitungs¬ 
fähigkeit und Lichtfülle der Seeluft, so sind dieselben bezüglich ihrer Einwirkung auf den Menschen 
unserem Einfluss nur wenig unterworfen oder ganz entzogen, und mögen daher hier ausser Acht 
gelassen werden. 

Der Einfluss der obengenannten beiden Faktoren zeigt sich nun besonders nach drei 
Richtungen hin, nämlich auf das Nervensystem, den Blutkreislauf und den Stoffwechsel. Bezüglich 
des Nervensystems lehrt uns die physiologische Erfahrung, dass schwache Reize beruhigend auf 
dasselbe einwirken, stärkere dasselbe anregen und beleben, sehr starke eine erhöhte Reizbarkeit 
desselben zur Folge haben, die leicht in Erschöpfung und Ueberrcizung übergeht; und ferner, dass 
je nach der Widerstandsfähigkeit die Beurtheilung der Reizintensität einelverschiedene sein muss. 
Dies finden wir nun auch für die Kälte- und Windreize des Seeklimas bestätigt. Wie die beim 
Betreten des Sccklimas oft sofort eintretende Beruhigung, das Verschwinden von Ncuralgicen, der 
Wiedereintritt oft langentbehrten ruhigen Schlafes beweist, wirkt das Secklima an sich beruhigend 
auf das Nervensystem ein. Auch leichte Kälte- und Windreize in Form von längerem Aufenthalt 
in der bewegten Luft erhöhen in der Regel nur noch das allgemeine Wohlbefinden, verstärken den 
Appetit und vertiefen den Schlaf; und recht bezeichnend für die Wirkung der genannten Faktoren 
ist die vergnügte, lustige Stimmung, die sich robusterer Personen bei stürmischer Witterung und 
ausgedehnterem Aufenthalt am Strande oder auf dem Wasser bemächtigt. Aber auch schon bei 
normalen Personen stellt sich nach allzu kräftiger klimatischer Einwirkung eine gewisse Abspannung, 
eine Unlust zu geistiger oder körperlicher Bethätigung, verminderter Appetit und unruhiger Schlaf 
ein, es sind dies aber nur vorübergehende Erscheinungen, die bald wieder einem normalen Ver¬ 
halten Platz machen. Bei schwächeren Personen genügen jedoch oft schon sehr leichte klimatische 
Einflüsse, um Ueberreizungserscheinungen hcrvorzuiufen und an Stelle der ursprünglichen Beruhigung 
Wiederkehr alter Ncuralgicen*, Schlaf- und Appetitlosigkeit und häufig in Weinkrämpfen sich 
zeigende allgemeine nervöse Erschöpfung treten zu lassen. 

Durch rechtzeitige Regelung der klimatischen Einflüsse lassen sich nun einerseits derartige 
Ucberreizungszuständc überhaupt fernhalten. Andrerseits gelingt es bei einer dem Kräftezustand 
entsprechenden allmählichen Steigerung der betreffenden Reize, auch den Tonus und die Wider¬ 
standsfähigkeit eines schwachen Nervensystems sehr zu heben. Dabei ist neben der Fernhaltung 
von Ucberrcizcn durch passende Kleidung und Aufenthalt besonders auf die jedesmalige vollständige 
Erholung und Beruhigung des Nervensystems nach jeder stärkeren klimatischen Reizung Bedacht 


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Kleinere Mittheilungen. 121 

w nehmen. Zu diesem Zwecke hat sich mir bei allen stärkeren Schwächezuständen als ein sicheres 
Mittel immer die der klimatischen Beeinflussung folgende kürzere oder längere Bettruhe bewährt, 
doch wird auch schon eine längere Ruhe unter warmer Bedeckung auf der Chaise longue oder auf 
dem Liegestuhl an einer sonnigen, windgeschützten Stelle in vielen Fällen genügen. Nach und 
nach werden dann die klimatischen Einflüsse verstärkt und die Ruhezeiten verkürzt werden dürfen, 
und gelingt es auf diese Weise, selbst ein sehr schwaches Nervensystem dauernd f zu kräftigen, 
wenn auch zur Erreichung eines solchen Zieles nicht nur Wochen, sondern Monate und Vierteljahre 
nöthig sind. Eine besondere Vorsicht erfordert noch die nervöse Schlaflosigkeit, die einerseits ja 
an sich schon eine Indikation für das Seeklima bildet, andrerseits aber erst durch klimatische 
Ceberreizung an der See erworben werden kann. Bei derselben ist nach dem Abendbrot längerer 
Aufenthalt an dem Winde ausgesetzten Stellen oder gar am Strande vollständig zu meiden, um 
nicht durch die dadurch hervorgerufene Erregung den Eintritt des Schlafes zu verhindern. Im 
übrigen bewährt sich auch ihr gegenüber die mehrmalige Ruhe am Tage, und erscheint es dem 
Kurgast oft paradox, dass ein gelegentlich dieser Tagesruhe eingetretener Schlaf fast immer auch 
ruhigen Schlaf in der Nacht zur Folge hat 

Was die Wirkung des Seeklimas auf den Blutkreislauf betrifft, so zeigt sich die an sich be¬ 
ruhigende Wirkung auf das Nervensystem auch in der Verlangsamung und Vertiefung des Pulses 
und der Herzaktion. Von den uns hier beschäftigenden mechanischen und Kältereizen zeigen uns 
anderweitige besonders in der Hydrotherapie gemachte Erfahrungen, dass Kältcreize anfangs eine 
Kontraktion der Hautgefässe, bei längerer Einwirkung oder grösserer Intensität jedoch eine Er¬ 
weiterung derselben zur Folge haben, und dass der Hinzutritt von mechanischen Reizen den Eintritt 
der Hautfluxion beschleunigt Ferner geht mit der arteriellen Hauthyperämie die kollaterale Anämie 
der Innenorgane einher. Ueberstcigen jedoch Kälte- und mechanische Reize eine gewisse Grenze, 
so tritt an Stelle der Hauthyperämie die Anämie und an Stelle der Kontraktion der Blutgefässe der 
litnenorgane die Blutstauung in den letzteren. Dies können wir nun auch wieder beim Seeklima 
beobachten. Während nicht zu starke Kälte- und Windreize dem Kurgast das Gefühl der Wärme 
erzeugen, so dass er wohl seinen Rock öffnen möchte, um dem als warm empfundenen Winde die 
blosse Brust darzubieten, und die an der See häufig zur Beobachtung kommenden verringerten oder 
verspäteten Menses uns auf die geringe Blutfülle der Innenorgane hinweisen, tritt uns nach Ueber- 
reizen die Blutstauung in den letzteren in Form von meist sehr hartnäckigen Katarrhen, von 
Hämoptoen und üämorrhagien entgegen. Es wird sich also im gegebenen Falle darum handeln, 
eine durch Kälte und Windreiz erzeugte Hauthyperämie zu einer möglichst ausgiebigen und 
dauernden zu machen. Zu diesem Zweck steht uns nun, wie uns ebenfalls hydrotherapeutische Er¬ 
fahrungen lehren, in der dem Kältcreize folgenden Erwärmung ein sicheres Mittel zur Verfügung. 
An der See lässt sich eine solche einmal in der schon von Beneke vorgeschlagenen Weise da- 
dorch erreichen, dass ein wärmender Mantel nicht sowohl beim Aufenthalt am Strande, wo der die 
Hautflexion begünstigende mechanische Windreiz dadurch nur abgeschwächt wird, sondern nach 
der Rückkehr beim Sitzen im Zimmer oder an einem windgeschützten Orte angelegt wird. Noch 
sicherer lässt sich dieselbe jedoch wiederum durch die jeder stärkeren klimatischen Einwirkung 
folgende Bettruhe herbeiführen, und wird eine solche eine vielleicht ausgebliebene Hautfluxiou 
ooeb nachträglich hervorrufen und eine bereits eingetretene noch weiter verstärken. Durch 
methodische Anwendung derselben und allmähliche Steigerung der klimatischen Beeinflussung ge¬ 
lingt es dann in ähnlicher Weise, wie durch eine methodische Wasserkur, die Blutfülle der Haut 
und damit die Entlastung der Innenorgane zu einer anhaltenden zu macheu, den Tonus des Gefäss- 
?ystems zu erhöhen und die Gefahr der Erkältung dauernd herabzusetzen. 

Bezüglich des Einflusses des Seeklimas auf den Stoffwechsel weist schon Beneke darauf 
hin, dass wir in der Vermehrung der Wärmeabgabe durch die Kälte und Bewegung der Seeluft 
and in der dadurch hervorgerufenen Beschleunigung des Blutumlaufs und Anregung des Nerven¬ 
systems die Hauptursache für die im Seeklima beobachtete Stoffwechselerhöhung zu suchen haben. 
Dieselbe zeigt sich in der Regel bei normalen Personen in einer von vornherein eintretenden 
Gewichtszunahme; bei Personen jedoch, welche an Ablagerungen mangelhaft oxydierter Stoffwechsel¬ 
produkte leiden, wie dies z. B. bei der torpiden Skrophulose der Fall ist, geht der Zunahme eine 
Abnahme des Gewichts voraus und ist die letztere durch die Fortschaffung eben dieser Ablagerungen 
verursacht Weiter hängt die Gewichtszunahme aber auch noch von der Leistungsfähigkeit der 
Verdauungs- und Assimilationsorgane ab, und wird eine Erhöhung des Stoff Verbrauchs über die 
Grenzen des durch jene ermöglichten Stoffansatzes hinaus ebenfalls von einer Gewichtsabnahme 
begleitet sein müssen. Es werden also bei allen schwächeren Personen regelmässige Wägungen 
Zdit*cbr. f. dlÄt n. physik. Therapie Bd. VI. Heft 2. 9 


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122 Kleinere Mittheilungen. 


vorzunehmen und bei einer Gewichtsabnahme zu eruieren sein, welche der beiden Ursachen dafür 
verantwortlich zu machen ist. Während man bei Skrophulösen und ähnlichen Konstitutionen ruhig 
der Sache ihren Lauf lassen kann, wird bei dem relativ zu starken Stoff verbrauch derselbe durch 
Einschränkung des Kälte- und Windeinflusses herabgesetzt werden müssen, ln letzterem Fall 
kompliziert sich die Sache jedoch meistens noch dadurch, dass dieselben Kälte- und Windreize, 
welche den Stoffwechsel anregen, bei nervenschwachen Personen — und um solche handelt es sich 
in diesen Fällen in der Regel — den Appetit leicht stören und damit den Stoffansatz noch weiter 
herabsetzen. Um nun den hier sich gegenüber stehenden Schwierigkeiten zu entgehen, empfiehlt 
es sich, nachdem die Zellthätigkeit durch hinreichende klimatische Beeinflussung in genügender 
Weise angeregt ist, dem Organismus durch nachfolgende Femhaltung von allen klimatischen Reizen 
Gelegenheit zu vollständiger Erholung zu geben, sodass die Betreffenden wieder völlig frisch und 
mit möglichst leistungsfähigen Vcrdauungs- und Assimilationsorganen zu den Mahlzeiten kommen 
können. Dies lässt sich nun bei schwächeren Personen wieder am besten durch eine der klimatischen 
Beeinflussung folgende jedesmalige ausgiebige Ruhe vor den Hauptmahlzeiten erreichen. Dadurch 
gelingt es, alle vorhandenen Kräfte gewissermaassen für den Stoffansatz mobil zu machen, und werden 
bei der Erhöhung des letzteren allmählich auch stärkere klimatische Reize vertragen werden. Damit 
wird der Stoffwechsel aber wieder verstärkt und so allmählich der Stoffansatz immer weiter erhöht 
werden können. 

Die richtige Regulierung der Kälte- und mechanischen Windreize ist somit für die Wirkung 
des Seeklimas auf das Nervensystem, den Blutumlauf und den Stoffwechsel von wesentlichster 
Bedeutung. Erreichen lässt sich eine solche, wie bereits erwähnt, einerseits durch warme Kleidung, 
Aufenthalt an windgeschützten, sonnigen Plätzen und Beginn der Kur in der warmen Jahreszeit, 
andererseits durch ausgedehnten Aufenthalt an den freiem Winde ausgesetzten Stellen auf der Höhe 
der Dünen, am Strande und im Segelboote auf dem Wasser. Bei den für den Arzt in Betracht 
kommenden Fällen wird sich in der Regel eine Abschwächung der betreffenden Faktoren ver- 
nothwendigen, und von der Ermöglichung einer solchen oft der ganze Erfolg der Kur abhängen. 
Alle an Schwächezuständen in den betreffenden Gebieten leidenden Personen sollten daher möglichst 
zur warmen Jahreszeit an dio See geschickt werden und ferner an einen Ort, der auch bei stürmischer 
Witterung den nöthigen Schutz und damit den Aufenthalt im Freien gestattet. Zu letzterem Zwecke 
werden sich besonders vou der offenen See etwas entfernter liegende Ortschaften empfehlen und 
wird das Vorhandensein von Wäldern, Anpflanzungen, Gärten, die vor Winden geschützte Spazier¬ 
gänge bieten, sehr wünschenswerth sein. Zur Wohnung sollten solche Personen immer eine nach 
der Sonnenseite hin gelegene wählen, und werden windgeschützte Veranden die Akklimatisation sehr 
erleichtern. Als ein vorzügliches Unterstützungsmittel bewährt sich aber in allen solchen Fällen 
die der klimatischen Einwirkung folgeude mehrmalige Ruhe am Tage, entweder im Bette oder 
unter warmer Bedeckung auf der Chaiselongue oder auch nur auf einem Liegestuhl an einer wind¬ 
geschützten Stelle im Freien. Bei Innehaltung einer solchen Methodik in der Verwendung der 
klimatischen Reize gelingt es, auch hochgradige Schwächezustände der Seeluft zugänglich zu machen 
und bei genügender Ausdauer Erfolge damit zu erzielen, wie sic bei diesen oft hoffnungslosen 
Fällen kaum durch ein anderes Kurmittel erreicht werden dürften. Als eines illustrativen Beispiels 
dafür möge hier eines 21jährigen Studiosus aus Berlin Erwähnung geschehen, bei dem nach mehr¬ 
maliger Malaria und vorjähriger Influenza ein hochgradig kachektischer Zustand, ein rechtsseitiger 
Lungenspitzenkatarrh und eine Neigung zu Diarrhöen zurückgeblieben war. Iu diesem recht ver¬ 
zweifelten Falle gelang es, durch jene Methodik die durch obige Infektionen geschwächte Zell¬ 
thätigkeit innerhalb von vier Monaten derart zu heben, dass das Anfangsgewicht von 45 kg auf 
51,8 kg stieg, die papierdünne, runzelige, weisse Gesichtshaut wieder zu einer kräftigen und 
blutreichen wurde, der mühsame, kurzathmige Gang einer normalen Marschfähigkeit Platz machte 
und der Lungenbefund auch nach der Rückkehr seitens seines Hausarztes ein negativer war. Ohne 
eine solche Methodik würde der junge Mann das Nordseeklima jedoch überhaupt nicht vertragen 
haben und, um Verschlimmerungen seines Zustandes vorzubeugen, sofort wieder haben abreisen 
müssen. Die Beobachtung einer solchen Methodik ist darum bei allen derartigen Schwächezuständen 
ein unumgängliches Erfordemiss und ist auf die Nichtberücksichtigung derselben zweifellos das 
Vorurtheil zurückzuführen, welches bezüglich der Indikation des Nordseeklimas solchen Krankheits¬ 
zuständen gegenüber bisher noch herrschte. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 

i. 

III. Kongress österreichischer Baineologen in Wien vom 20. bis 26. Mürz 1902. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

In unmittelbarem Anschluss an den Kongress der Balneologischcn Gesellschaft in Stuttgart 
fand die Versammlung österreichischer Balneologen in Wien statt, deren reiche Tagesordnung Ver¬ 
anlassung giebt, in knapper Skizzierung die einzelnen Vorträge auch an dieser Stelle zu erwähnen. 

Der Kongress wurde unter lebhafter Theilnahme weiter ärztlicher Kreise von Prof. Winter¬ 
nitz (Wien) eröffnet der auf die Entwicklung der Balneologie zur Wissenschaft einen kurzen Rück¬ 
blick warf und die Beziehungen zwischen den physikalischen Heilmethoden und den Mineralquellen 
in ihrer Wechselwirkung eingehend erörterte. Sie sind das exakte Werkzeug der heutigen Balneo¬ 
logie, welches in Verbindung mit der klinischen Beobachtung die Balneologie und damit die Balneo¬ 
logen auf einen höheren Standpunkt gebracht hat. Die Berathungen selbst wurden durch ein Referat 
von Kolisch (Karlsbad) und Strasser (Wien) über die »Therapie des Diabetes« eröffnet. Erstercr 
besprach die Grundlagen der diätetischen Behandlung des Diabetes und legte dar, dass die der 
herrschenden Lehre entsprechende Ueberemährung bei Diabetikern nicht nur unberechtigt sei, son¬ 
dern eine direkte Gefahr bilde. Dasselbe gelte von der einseitigen schablonenhaften Entziehung der 
Kohlehydrate, wie sie vielfach geübt werde. Weiterhin besprach er den Einfluss der verschiedenen 
Eiweisskörper auf die Zuckerausscheidung und kam zu dem Schlüsse, dass sich die vegetabilischen 
Eiweisskörper als die unschädlichsten erwiesen haben. Strasser als Korreferent behandelte die 
physikalischen und medikamentösen Heilmethoden des Diabetes. Von den physikalischen Heil¬ 
methoden leisten vor allem die Wasserkuren und Muskelübungen, selbstverständlich in Verbindung 
mit entsprechender Diät, hervorragendes, indem sie den ganzen Kräftezustand heben, den Körper 
widerstandsfähiger machen und manche wesentlichen Symptome des Diabetes erfolgreich bekämpfen 
lassen. Bei Besprechung der medikamentösen Therapie hebt er hervor, dass eine zuverlässige 
Wirkung nur von einer sehr geringen Anzahl von Medikamenten zu erwarten sei, weshalb gegen¬ 
über der marktschreierischen Anpreisung strengste Kritik am Platze ist. ln der Diskussion betont 
Polatschek (Karlsbad), dass die Ausschaltung der Fleischkost, seinen Erfahrungen nach, nicht 
am Platze sei, er empfiehlt animalische Kost und Beschränkung von Vegetabilien, unter welchen 
allerdings gewisse Gemüse bevorzugt werden müssen. Schlesinger (Wien) ist ebenfalls für die 
Einschränkung der Eiweisszufuhr, während Winternitz (Wien) den Nutzen der Milchkuren hcrvoi- 
heht Off er endlich sprach über die Vcrwerthung des Eiweisszuckers im Organismus und lobt 
die Wirkungen des Salols in Verbindung mit entsprechender Diät. 

Biedl (Wien) sprach über »Wesen und Behandlung des Fiebers«, für welches er die 
Theorie aufstellt, dass das Fieber eine Vergiftung sei, in welcher eine Veränderung der Einstellung 
der Wärmeregulation, sowie sonstige Vergiftungserscheinungen bestehen. Die Behandlung des 
Fiebers kann demnach nur eine die Vergiftung bekämpfende sein. In der Debatte konstatieren 
Winternitz, Fodor und andere, dass die Bäderbehandlung des Fiebers mit dieser Theorie in 
keinem Widerspruch stehe, im Gegentheil, dass dieselbe durch diese Theorie direkt gestützt werde. 
Feber die günstigen Wirkungen der elektrischen Zweizellenbäder (System Prof. Gärtner) bei Schlaf¬ 
losigkeit, Neuralgieen, nervösen Exaltationen etc. referierte Fellner (Franzensbad), unterstützt von 
Strasser (Wien>, während Löbl (Dorna) die Wirkung der Kohlensäurebäder als IIerzheilmethoden 
näher illustrierte. Nach einer grossen Reihe weiterer Referate — so von Clar (Wien) »Ucber das 
österreichische Inselklima«, von Weisz (Pistyan) »Ueber das Arbeiterhospital in Pistyan«, von Stein- 
herg und Nenadovics (Franzensbad) »Ueber den Heilapparat von Franzensbad in der Behandlung 
Herzkranker«, beziehungsweise »Ueber die Wirkung der Franzensbader Moorbäder auf die physio¬ 
logischen Vorgänge im menschlichen Organismus«, von Weiss (Karlsbad) »Ueber den normalen 
Dickdarm« — wurde in die Behandlung der den diesjährigen Kongress an erster Stelle be¬ 
schäftigenden Themata eingetreten, nämlich der »Tuberkuloseheilstättenbewegung in Oesterreich« 
und der »Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus«. Ueber crstcrcn Gegenstand sprach 

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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Prof. v. Schrötter (Wien), der eine bemerkenswerthe Schilderung der gegenwärtigen Verhältnisse 
der Tuberkulosebekämpfung in Oesterreich gab. In Wien hat die Heilstättenbewegung vor 30 Jahren 
ihren Anfang genommen, hier haben die hervorragensten Aerzte für dieselbe Propaganda gemacht, 
und das Resultat ist, dass Oesterreich derzeit eine, Deutschland, auf welches sich diese Bewegung 
fortgepflanzt hat, bereits neunzig Heilstätten besitzt. Die Heilstättenbewegung ist nur ein wichtiger 
Punkt in den zwei Hauptfragen, wie heilt man Tuberkulose, wie beugt man ihr vor, und während 
alle Kulturstaaten dieses ärztlich wie sozial hochwichtige Problem zu lösen begonnen haben, ist 
Oesterreich kaum über die Diskussion dieser Frage hinausgekommen; und dabei wäre es infolge 
seiner klimatischen Verhältnisse berufen gewesen, an der Spitze dieser Kulturbcwegung zu 
marschieren. Die Anstalt Alland bei Wien, eine aus Privatmitteln erbaute Musteranstalt, die nach 
jeder Richtung, auch der wissenschaftlichen, produktiv dasteht, repräsentiert vorläufig die gesammte 
Heilstättenbewegung in Oesterreich. Zwischen Heilstätten und Asylen für Lungenkranke ist ein 
prinzipieller Unterschied zu machen. In erstere gehören alle Fälle, deren Heilung möglich ist, wobei 
zu betonen wäre, dass auch bei manchen Schwererkrankten »solide Besserungen«, das heisst Wieder¬ 
erlangung der Erwerbsfähigkeit, erzielt wurden. In Asyle gehören alle Schwerkranken, bei denen 
eine restitutio ad integrum nicht zu erwarten ist, alle Schwerkranken aus den städtischen grossen 
Spitälern. Tuberkulöse würden uns so dem Bannkreise entfernt werden, zu ihrem eigenen Wohl, 
zum Wohl der anderen Kranken und zum Wohle der Bevölkerung. Wo sollen nun Heilanstalten 
errichtet werden? Die prinzipielle Antwort lautet: Ueberall wo gute Luft, gutes Wasser vorhanden, 
und wo die Grundprinzipien der Hygiene erfüllbar sind. Hat diese Heilstättenbewegung Berechtigung? 
Auch diese Frage ist aufgeworfen worden. Die Heilerfolge sind geradezu überraschend. In Alland 
wurden bis 80% »solide Besserungen« erzielt, welche die Kranken wieder erwerbsfähig machen. 
Wie geht es den Rekonvalcscenten, wenn sie zu ihrer Familie zurückkehren? Sie haben sich an 
Reinlichkeit und an das Spuckfläschchen gewöhnt, so wirken sie erziehlich auf die Umgebung; es 
bleiben von ihnen, wie eine Umfrage ergeben hat, noch nach dreieinhalb Jahren 50% erwerbsfähig. 
Dies alles'erzeugt die gebieterische Nothwendigkeit, Heilstätten zu begründen, vor allem in Oester¬ 
reich, das bisher in diesem grossen Kulturwerke hinter den anderen Grossstaaten zurückgeblieben 
ist. In der Debatte, die sich an den mit allseitigem Beifall aufgenommenen Vortrag anknüpfte, 
führte Winternitz aus, dass die Heilstättenbewegung für Bekämpfung der Tuberkulose als Volks¬ 
krankheit nicht genüge, da man nur einen geringen Bruchtheil von Kranken in einer solchen Anstalt 
unterbringen könne. Er ist ein Feind der Einschränkung der Tuberkulösen in Bezug auf die 
persönliche Freiheit. Das Einfangen der Tuberkelbacillen mit Spucknäpfen vermöge die Krankheit 
nicht im mindesten aufzuhalten. Der Bacillus gedeihe immer nur dort, wo Disposition vorhanden 
sei und diese Dispositionen zu beseitigen, müsste das hauptsächlichste Streben sein. Nothwendig 
sei daher die Verbesserung der allgemeinen hygienischen Einrichtungen. In der Erhöhung der 
Widerstandsfähigkeit des Einzelnen bestehe die beste Prophylaxis. 

Das zweite im Vordergrund des Interesses stehende Thema war die Behandlung des 
chronischen Gelenkrheumatismus, über die Wiek (Gastein) undBumm (Wien) als Referent und 
Korreferent sprachen. Bumm gruppiert die im letzten Decennium beobachteten 865 Fälle von chro¬ 
nischem Gelenkrheumatismus nach dem Eintheilungsgrunde des klinischen Befundes. Entsprechend dem 
Verlauf der Krankheit gehörte die überwiegende Mehrzahl der Fälle jener Gruppe an, bei welcher 
es zu Veränderungen an der Gelenkkapsel und am Bandapparate gekommen ist, Fälle, die fast aus¬ 
nahmslos mechanische Behandlung mittels Massage und passiven Bewegungen erheischen. Gerade 
Gelenkerkrankungen eignen sich für die Behandlung mittels der genannten Methode, welche einer¬ 
seits die Aufsaugung von flüssigen Krankheitsprodukten in den Gelenken begünstigt und Ver¬ 
dickungen und Schrumpfungen der Gelenkkapsel wohlthätig beeinflusst, andererseits im stände ist, 
Verlöthungen und abnorme Verbindungen der Gelenkenden schonend zu lösen und zu dehnen. Dazu 
kommt der Einfluss mechanischer Behandlung auf die Muskulatur der erkrankten Glieder, die bei 
länger währender Ruhe dem Untergang verfällt. Man müsse sich endlich von der Ideenassociation 
Gelenkerkrankung — Ruhe befreien und die Vornahme zielbewusster, konsequenter Mobilisierung 
versteifter oder der Versteifung entgegengehender Gelenke pflegen. Wenn diese Mobilisierung im 
Frühstadium der Erkrankung systematisch geübt würde, dann wäre die Zahl jener Fälle eine ver¬ 
schwindende, bei welcher operative Intervention infolge Zusammenziehung der Muskeln und schwerer 
Verwachsungen der Gelenkenden nöthig ist. Eine erhebliche Unterstützung hat die mechanische 
Behandlung durch ihre Verbindung mit Heissluftbehandlung, mit warmen Lokalbädem, in einzelnen 
Fällen mit Moor- und Fangopackungen, sowie mit der von Bier angegebenen »Stauung« erfahren. 
Nach eingehender Besprechung der Resultate dieser Behandlung, des Wesens der bei gewissen 
Gelenkcrkrankungen deformierenden Charakters nothwendigen orthopädischen Behandlung mit Stütz- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


125 


und Zagapparaten, betonte Bumm die Nothwendigkeit entsprechender Kombination der einzelnen 
Heilmethoden, welche als ernste und dankbare Aufgabe ärztlicher Kunst zu betrachten ist 

»Ueber die Wirkungen konstanter Wärme höherer Temperaturen auf Haut und Gewebe« sprach 
Ullmann (Wien). Mit Hülfe eines neuen Apparates, des Hydrothermoregulators kann man Wärme, resp. 
Kälte von 0—100° C auf Haut und Organe einwirken lassen. Bei gewissen infektiösen Geschwürs¬ 
formen und oberflächlichen Eiterungen wurden mit dieser Methode geradezu glänzende Erfolge erzielt. 

Eisen b erg (Wien) berichtete im Anschluss daran über seine Erfahrungen bei der Anwendung 
von heissen Vaginaldouchen. Es handelt sich dabei um Douchen von 35—50° C in einer Dauer 
bis zu 20 Minuten. An der Hand von Krankengeschichten wurde die aufsaugende Wirkung bei 
alten Exsudaten und Verwachsungen, sowie der besonders günstige Erfolg bei Kongestionszuständen 
und den verschiedenen Beschwerden in den Uebergangsjahren demonstriert. Zum Schluss wies 
Eisenberg auf die schmerzstillende und beruhigende Wirkung hin, die bei chronischen Entzün¬ 
dungen mittels der heissen Douchen zu erzielen ist. 

Nachdem noch eine weitere Reihe von Demonstrationen gefolgt war, war die Tagesordnung 
des diesjährigen Kongresses erschöpft, die wiederum einen vollgültigen Beweis von dem lebhaften 
wissenschaftlichen Streben, das die österreichischen Balneologen beseelt, ablegte. 


II. 

Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen 
Gesellschaft in Stuttgart vom 7. bis 12. M&rz 1902. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 


(Fortsetzung.) 

Keller (Rheinfelden), Ueber Soolbadkuren während der Gravidität« 

Die alte Auffassung, dass die Gravidität alle Soolbadkuren aufheben solle, lässt sich nicht 
in Zusammenhang bringen mit der Thatsache, dass die Schwangerschaft durch eine absolute und 
relative Herabsetzung der Oxydationsprozesse charakterisiert ist. Dies führte den Vortragenden 
dazu, eine Reihe von Versuchen an der Klinik von Pinard in Paris anzustellen, deren Ergebnisse 
folgende sind. Die Gravidität erzeugt eine Reihe von Veränderungen, die Blutmenge ist vermehrt, 
aber die Bestandteile derselben sind vermindert (physiologische Leukocytose), an die Frucht werden 
Salze, besonders Eisen, abgegeben, der Stoffwechsel der stickstoffhaltigen Theile ist vermindert; 
Verlangsamung des Stoffwechsels und Verminderung der Oxydation abhängig von der ungenügenden 
Leberfunktion. Daher Obesitas, Erbrechen, Ikterus etc. Infolge Einschaltung des Placentarkreis- 
laufes steigt die Arbeit des Herzens und der Gefässe, das Herz nimmt an Volumen zu: Herzklopfen, 
Schwindel etc., ferner Veränderungen der Hautthätigkeit (Seborrhoe und dergl.), Schwellungen der 
Thyreoidea, nervöse Depressionszustände. 

Vollbäder haben dagegen einen Einfluss auf die Blutzirkulation, auf die Oxydation, den Stoff¬ 
wechsel, auf Nieren- und Schweisssekretion, daher Resorption von Exsudaten von Entzündungs¬ 
produkten, Hyperplasien, Stimulierung der Organe bei Rekonvalescenz. Soolbäder sind also gerade 
dazu geschaffen, in der Gravidität als Stimulans zu wirken; eine grosse Anzahl Autoren haben sich 
auch dafür ausgesprochen. Die charakteristischen Merkmale der Physiologie der Schwangerschaft 
and der physiologischen Wirkung der Soolbäder sind folgende: 


Physiologie der Schwangerschaft: 

1 Verlangsamung der Cirkulation. 

-- Trägheit der Darmthätigkeit, Verlangsamung 
der Thätigkeit der Drüsen des Darratraktus. 

3. Obesitas. 

4. Harnverminderung. 

3. Verminderung desGesammtstickstoffes im Urin. 
*>• Verminderung des Harnstoffes. 

7. Verminderung des Koeffizienten Harnstoff N: 
GesammtN (Stickstoff). 

8. Verminderte Assimilation. 

9. Verminderung des Stoffwechsels, Depressious- 
zustände. 


I Physiologische Wirkung der Soolbäder 
1. Kräftigung der Cirkulation. 

I 2. Kräftigung der Darmthätigkeit. Erhöhte Sekrc- 
I tion an den Drüsen des Verdauungstraktus. 

3. Vermehrter Fettumsatz. 

| 4. Harnvermehrung. 

5. Vermehrung des Gesammtstickstoffes im Urin. 
| 6. Vermehrung des Harnstoffes. 

| 7. Vermehrung des Koeffizienten Harnstoff N: 

| Gesammt N. 

8. Vermehrte Assimilation. 

9. Vermehrung des Stoffwechsels, Steigerung der 
, Lebensprozesse. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


12 fi 


Als Indikationen für die Anwendung von Soolbädem ergeben sich folgende: 1. Die gewöhn¬ 
liche physiologische Gravidität; 2. zufällige Erkrankungen, wie Schwächezustände, Anämie, Rhacbitis 
Osteomalacie, Gicht, Rheumatismus, Cirkulationsstörungen; 3. pathologische Schwangerschaften, ver¬ 
anlasst durch chronische Metritis, Oophoritis, Salpingitis, Myome etc.; 4. schwächliche, anämische 
Fälle, bei denen die Aussicht auf Frühgeburten und auf Erzeugung schwächlicher Kinder besteht. 
Bei alledem muss strengste Individualisierung vorgenommen werden, eine noch grössere Vorsicht 
wie gewöhnlich Platz greifen. Die Bäder werden 3—5 Mal wöchentlich verabreicht, entweder vor¬ 
mittags oder abends, der Salzgehalt soll für gewöhnlich 1—4°/ 0 betragen, selten 4—6<>/ 0 , die Temperatur 
des Wassers 33—35« C., Dauer des Bades 15—30 Minuten, dann Bettruhe. In bestimmten Fällen 
kann eine temperierte Begiessung folgen; kräftige Kost, viel Aufenthalt im Freien sind wichtige 
Komponenten. Die Schlussthesen, die Redner aufstellt, sind folgende: 

1. Weder die normale noch die pathologische Schwangerschaft sind an und für sich eine 
Gegenanzeige für Soolbäder. 

2. Es liegt sowohl im Interesse der Mutter als des Kindes, während der Schwangerschaft 
Soolbadkuren gebrauchen zu lassen, wenn eine Anzeige dafür besteht. 

3. Habitueller Abortus oder Neigung zu Frühgeburt sind eine Anzeige für Sool badkuren. 

4. Frauen, welche durch Schwangerschaft und Wochenbett erfahrungsgemäss sehr ge¬ 
schwächt oder erschöpft werden, sind einer Soolbadkur während der Gravidität be¬ 
dürftig. 

5. Für Frauen, welche bereits schwächliche oder garnicht lebensfähige Kinder zur Welt 
gebracht haben, sind Soolbadkuren bei späteren Schwangerschaften indiziert. 

Die sehr lebhafte Diskussion, die sich an diese Thesen Kellert 'anschloss, ergab, dass die 
grosse Mehrheit der Versammlung denselben nicht beizutreten vermochte. Engelmann (Kreuznach), 
Weisz (Pistyan), Kisch (Franzensbad) gaben ihre lebhaften Bedenken dagegen kund und stimmten 
darin überein, dass man im allgemeinen schwangere Frauen zu Hause nicht baden lassen soll. 
Demgegenüber verwies Keller auf ein Beobachtungsmaterial von über 70 schwangeren Frauen, 
die er in 15jähriger Kurthätigkeit in Rhcinfelden mit Soolbäder behandelt habe. 

Winkler (Nenndorf), lieber den Nutzen der Kombination von Sclimierknr und Schwefelknr 
bei Behandlung der Syphilis« 

Redner giebt die chemische Erklärung, wie die Kombination der Schmierkur mit einer 
Schwefelwassertrinkkur und dem Gebrauche von Schwefelbädern es möglich macht, enorme Mengen 
Quecksilber durch den Körper hindurchzutreiben und so das syphilitische Virus zu vernichten, ohne 
den Organismus zu vergiften und ohne dass Salivation oder sonstige Intoxikationserscheinungen 
cintreton. Er erklärte die Vorgänge folgendermaassen: Zunächst wird durch Oxydation des Schwefel¬ 
natriums unterschwefligsaures Natron gebildet, das auf die im Körper angetroffenen Quecksilber¬ 
verbindungen reagiert, so dass sich ein komplexes Doppelsalz bilden muss, ein lösliches unter¬ 
schwefligsaures Quecksilberalkali, welches sich nur sehr langsam unter allmählicher Abscheidung 
von Schwefel und Schwefelquecksilber und Bildung von saurem schwefelsaurem Natron und saurem 
schwefligsaurem Natron zersetzt, worauf die beiden entstandenen sauren Salze durch das Alkali¬ 
karbonat der Körperflüssigkeiten in neutrale übergeführt werden. Indem Winkler auf die von 
Dreser (Tübingen) angestellten Versuche mit Kaliumquecksilberhyposulfit hinweist, das gleich jenem 
Natriumdoppelsalz langsam wirkt und wenig reizt, nimmt er an, dass das Quecksilber in den 
Lösungen derartiger Doppclsalze grösstentheils nicht als freies Kation Hg, sondern als komplexes 
Anion HgS^jO«; vorhanden ist, deswegen werde die Lösung einer solchen Quecksilberverbin düng 
den Körper nicht schädigen, nicht vergiften. Kurz die besagte kombinierte Kur imprägniert den 
ganzen Körper mit einem verhältnissmässig unschädlichen, löslichen, leicht cirkulierenden, alle Gewebe 
durchdringenden, schliesslich langsam zerfallenden komplexen Doppelsalze, wodurch es möglich wird, 
sehr grosse Mengen Quecksilber viele Wochen lang mit gleichmässigcr Kraft auf das syphilitische 
Virus wirken zu lassen, ohne den Patienten zu schädigen. Angesichts dieser Vorgänge der 
kombinierten Kur sollte man alle Fälle von Syphilis maligna, alle Fälle von Syphilis bei skrophu- 
lösen, tuberkulösen, kachektischen Individuen und endlich alle Syphilitiker, die das Quecksilber 
schlecht zu vertragen scheinen, ohne Zeitverlust in die Schwefelbäder schicken, um ihnen hier eine 
kombinierte Kur angedeihen zu lassen, die allein im stände ist, die Krankheit cito, tuto et jucundo 
zu heilen. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 127 


Vollmer (Kreuznach), Dermatologie and Balneologie. 

Die seit langen Zeiten bestehenden Beziehungen zwischen Dermatologie und Balneologie sind 
durch mancherlei Umstände in neuerer Zeit verwirrt worden. Einerseits haben Kurorte und Bäder, 
Hotelbesitzer und Badeärzte, deren Qualifikation berechtigten Zweifel erregt, bei Aufstellung immer 
neuer Indikationen auf Hautkrankheiten ihre Thätigkeit ausdehnen zu müssen geglaubt. Anderer¬ 
seits haben auch manche Dermatologen und Praktiker einigen seit Jahrhunderten gegen Haut¬ 
krankheiten verwendeten Bader- und Trinkkuren ihre Wirksamkeit absprechen zu sollen gemeint, 
weil sie selbst vielleicht zufällig nicht in der Lage waren, eigene Beobachtungen anzustellen oder 
ein besonders unglücklicher Fall der Privatpraxis ein gutes Bad diskreditiert hat. Eine zusammen¬ 
fassende objektive Darlegung der faktischen Verhältnisse fehlte bislang, und es lohnte sich wohl, 
die Beziehungen zwischen den Badeorten und den Hautkrankheiten einmal näher zu betrachten. 
Redner ging dann zunächst auf die Beziehungen zwischen den eigentlichen Hautkrankheiten wie 
Acne, Furunkulose, Ekzem, Psoriasis, Sklerodermie und allen skrophulo-tuberkulösen Leiden, be¬ 
sonders der Kinder, und den balneologischen Prozeduren in Badeorten wie Wiesbaden, Kreuznach, 
Lenk und Aachen ein, betonte dass gerade Würtcmberg die erste Kinderheilstätte in Jagstfeld als 
erstes deutsches Kinderheim in Soolbädera gehabt hätte und erklärte, warum bei den erwähnten 
chronischen Krankheiten oft in den geradezu spezifischen Badeorten der Abschluss der Heilung 
erfolgte, nämlich durch die günstige Einwirkung auf die Gesammtkonstitution und das erkrankte 
Organ durch Bade- und Trinkkuren. Des Weiteren ging der Redner zu den Sexualerkrankungen * 
über. Auch hier gilt im allgemeinen der Satz: Die akuten Formen schliessen die Balneotherapie 
ans, die chronischen schliessen sie ein. Bei einer akuten Gonorrhoe wird kein Arzt differente Bäder 
verordnen, weder bei einer lokalen Gonorrhoe der Harnröhre, noch bei einer gonorrhoischen Gonitis, 
Epididymitis, höchstens in beiden Fällen kalte Sitzbäder verwenden. Aber ein weites Feld für 
die Balneotherapie eröffnen die durch die Gonokokkeninvasion vielfach geschaffenen chronischen 
Folgezustände wie paraurethrale Verdickungen, knotige Auftreibungen des Nebenhodens, Parame- 
tridden. Jeder Gynäkologe wird zugeben, dass es für die Beckenexsudate kein besseres Mittel 
giebt als Soolbäder mit Soolwasserinjektioncn in die Scheide. Der oft wie eingemauerte Uterus 
wird wieder mobil, und die Schmerzen bei der Harn- und Stuhlentleerung verschwinden. Auch 
jeder Urologe wird Fälle kennen, wo unleidliche Zustände der Prostata nach Gonorrhoe, wo chronische 
postgonorrhoische Schwellungen des Hodens und Nebenhodens durch Bade- und Trinkkuren z. B 
in Wiesbaden, Kreuznach, Wildungen auf ein erträgliches Minimum herabgedrückt wurden. Zum 
Schluss sprach Redner in eingehender Weise noch über die spezifischen antiluetischen Kuren in 
Schwefel- und Soolbädera, über deren wissenschaftliche Berechtigung und praktischen Werth jetzt 
wohl einmüthiges Einverständnis zwischen den Klinikern und praktischen Aerzten einerseits, und 
den dermatologisch geschulten Badeärzten andererseits bestände. Ob Schwefel- oder Soolbad sei 
nicht generell, sondern individuell zu entscheiden. 

In der Debatte weist Länderer (Stuttgart) auf die Behandlung des Ekzems und tuberkulösei 
Fisteln mittels Sool- und Schwefelbädern, Winternitz (Wien) auf die Wasserbehandlung des Ekzems 
unter Beifügung von Heidelbeermus hin, während Liebreich (Berlin) den Kausalnexus des Ekzems 
festgestellt wissen will, ehe er sich für Bäder- oder Salbenbehandlung entscheidet. 

Grabe (Neuenahr), Ueber den Einfluss salzhaltigen Wassers anf die Blutbeschalfenheit nach 
Versuchen am Menschen. 

Die Untersuchungen hat Autor an sich selbst angestellt, um den Einfluss zu studieren, welchen 
der Genoss einfachen warmen und eines salzhaltigen Wassers — Neucnahror Sprudel — auf die 
Blutbeschaffenheit hat. Die Untersuchungen erstreckten sich auf 35 Tage. Es werden nach Be¬ 
stimmung der Normal Verhältnisse dreitägliche Blutunterauchungen gemacht und zwar wurden unter¬ 
sucht: 1. der osmotische Druck; 2. der Wassergehalt; 3. die Zahl der rothen Blutkörperchen; 4. der 
Hämoglobingehalt. Folgendes waren die Resultate: 1 die Blutbeschaffenheit bleibt unter gleichen 
Lebensbedingungen konstant; 2. der regelmässige Genuss einfachen wannen Wassers hat eine Ab¬ 
nahme des osmotischen Druckes und eine Zunahme der Konzentration des Blutes zur Folge; 3. der 
regelmässige Genuss eines wannen alkalischen Mineralwassers (Neuenahrer Sprudel) hat eine Zunahme 
des osmotischen Druckes, des Hämoglobingehaltes und der rothen Blutkörperchen und eine Abnahme 
des Wassergehaltes des Blutes zur Folge; 4. diese Veränderungen zeigen sich schon sehr bald nach der 
Aufnahme des betreffenden Wassere. Sic werden während der folgenden drei Stunden ausgeprägter 
und klingen dann allmählich wieder ab. Bei fortgesetztem Genuss des Wassere tritt innerhalb von 
24 Stunden keine Rückkehr zur Norm ein, sondern die Blutveränderungen werden dauernd. 5. Sie 
sind auch noch einige Tage, nachdem der Gebrauch des Wassers wieder aufgehört hat, naclizuweisen. 


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128 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Engelmaiin (Kreuznach), Einwirkung der Krenznacher Quelle auf das Blut. 

Eine parallele Untersuchung mit Grube unternahm Engelm ann, indem er die Frage, 
welchen Einfluss die Zufuhr der Kreuznacher Soolquellen auf den Organismus im allgemeinen und 
auf das Blut im besonderen ausübe, einer Prüfung mittels der chemisch-physikalischen Untersuchungs- 
raethoden unterzog. Nach mehrtägiger Prüfung der normalen Verhältnisse, führte er während 
19 Tagen die mittlere Dosis einer Trinkkur — einen halben Liter täglich — dem Körper zu, unter 
gleichmässiger Einhaltung von Nahrung, Flüssigkeitszufuhr, Schlaf, Bewegung u. s. w. Nach Schluss 
der Trinkkur wurde dreimal täglich, auf einige Tage fortgesetzt, der osmotische Druck des Blut¬ 
plasma, des Urins festgestellt, ferner der Gehalt an Hämoglobin, Puls und Temperatur, zeitweise 
auch die Zahl der Blutzellen. Das Resultat seiner Beobachtungen resümiert Engel mann wie folgt: 
Während der 19 tägigen Trinkkur, die einer täglichen Dosis von 8 g Salz entspricht, sank im Durch¬ 
schnitt der Puls um 8 Schläge, von 78 auf 70, die Bluttemperatur um fast einen halben Grad. Das 
Körpergewicht blieb gleich. Es stieg der Hämoglobingehalt um 0,03%, die Zahl der Blutkörperchen 
von 6 300 000 auf 6 600 000, die Gefrierpunktsverminderung den Urins um 0,18° C, des osmotische 
Druck des Blutplasmas um 0,30o C. 

Lenli 3 (Neuenahr), Ueber Trinkkuren. 

Für die von den Balneologen stets angenommene spezifische Wirksamkeit der Heilquellen 
lag bis in die jüngste Zeit nur die klinische Beobachtung als Beweismaterial vor. Heute dürfte 
die physikalisch-chemische Untersuchung im allgemeinen wenigstens den exakten Beweis geliefert 
haben, dass diese Beobachtung keine Täuschung war, dass vielmehr die Mineralquellen mit ihrem 
Gehalte an Molekülen und dissociierten Jonen eine mässige Einwirkung bei ihrer Einverleibung in 
den Organismus ausüben. Des weiteren haben uns die neueren Forschungen gelehrt, dass es die 
Gesetze und Kräfte der Osmose sind, die bei dieser Einwirkung jedenfalls eine hervorragende Rolle 
spielen. Speziell die Arbeiten Köppes’s haben nach dieser Seite hin ausserordentlich aufklärend 
und zu weiteren Untersuchungen anregend gewirkt. Leider dürften die nach dieser Richtung vor¬ 
genommenen Versuche an Kaninchen für die vorliegenden Zwecke unverwerthbar sein, da die ge¬ 
wonnenen Resultate sich kaum auf den Menschen übertragen lassen. Den einzig richtigen Weg 
dagegen haben Grube und Engelmann, zwar gleichzeitig aber unabhängig von einander ein¬ 
geschlagen. Sie stellten ihre Untersuchungen an ihrer Person mit Neuenahrer Sprudel resp. Kreuz¬ 
nacher Mineralwasser an; die gezeitigten Ergebnisse decken sich nicht nur untereinander, sondern 
auch mit den Gesetzen der physikalischen Chemie. Sie beweisen, dass diese Wässer eine ganz 
energische Einwirkung auf den Organismus, in erster Reihe auf die Konstitution des Blutes aus¬ 
üben. Mit dieser Erkenntniss ist der Balneologie aber mehr wie je die dringende Aufgabe geworden, 
den noch vielfach herrschenden Schematismus bei Verordnungen von Trinkkuren endgültig auf¬ 
zugeben und auch bei Verordnung dieser Kuren mehr wie bisher den Gesetzen der Pharmako¬ 
dynamik etc. in gebührender Weise Rechnung zu tragen. Um hierbei richtig Vorgehen zu können, 
ist aber die Kenntniss der Minimaldosis jedes Heilwassers, dass heisst der geringsten Gabe, bei 
welcher die spezifische Einwirkung auf das Blut und auf den Organismus noch erkennbar und 
nachweisbar ist, eine unumgängliche Forderung. Nur auf einer solchen Grundlage wird sich eine 
wissenschaftlich begründete, für die Praxis unentbehrliche Trinkkur aufbauen lassen. 

Frey (Baden-Baden), Die Bedeutung'der Venendruckmessungen bei der Behandlung der Kreis- 
laufsstörungen. 

Für die Beurtheilung der nonnalen und besonders der pathologischen Kreislaufstörungen 
bietet die Kenntniss der Blutdruckverhältnisse die unerlässliche Unterlage. Aus dem Blutdruck 
können wir den direkten Schluss ziehen, mit welcher Kraft das Herz einerseits in die Arterien 
treibt, mit welcher Kraft es andererseits dasselbe aus den Venen absaugt; dann können wir mit 
Zuhülfenahme des Schlagvolumens, d. h. der Blutmenge, die mit jeder Systole aus dem Ventrikel 
ausgestossen wird und aus der Frequenz der Herzaktion uns ein Bild von der Geschwindigkeit 
konstruieren, mit der sich der gesammte Kreislauf vollzieht und schliesslich hängt die Energie, mit 
der in den einzelnen Organen die intimsten Stoff Wechsel Vorgänge und Funktionen sich vollziehen, 
ganz direkt von den wechselnden Blutdruck Verhältnissen in diesen Organen ab. Bei der grossen 
theoretischen und praktischen Bedeutung, die darnach der Kenntniss der Blutdruckverhältnisse zu¬ 
kommt, ist es natürlich, dass das Studium derselben ein bevorzugtes Thema der Physiologen und 
Kliniker bildete. Vierordt, Marey, v. Basch, Mosso, Rica, Gärtner und andere haben 
vorzügliche Arbeiten über Blutdruckverhältnisse geliefert und eigene Apparate angegeben. Alle 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


129 


die gebräuchlichen Blutdruckmesser jedoch, die auf den verschiedensten Prinzipien aufgebaut sind, 
sind nur für ^Arteriendruckraessongen geeignet. Wenn man der Frage der Venendruckmessung 
praktisch näher tritt, so kommt'es vor allem darauf an, einen Blutdruckmesser zu konstruieren, mit 
dem man im stände ist, ebenso genau die kleinen Werthe des Venendrucks in Zahlen auszudrücken, 
ab die beträchtlich höheren Werthe des Arteriendrucks. Der von Frey angegebene Apparat 
(erhältlich bei A. Bosch in Strassburg) beruht auf dem Prinzip der Dezimalwaage. Ein vertikal 
sich bewegender Druckstift tragt an seinem unteren Ende eine Pelotte, mit der die betreffende 
Arterie oder Vene soweit komprimiert wird, bis dem Weiterfliessen des Blutes dadurch ein Hinder¬ 
nis gesetzt wird. Für die Arterien erkennt man den Moment des ausweichenden Druckes an dem 
Verschwinden und Wiedererscheinen der Pulswellen, für die Venen daran, dass die centripetal von 
der Pelotte nach der nächsten Klappe ausgestrichene Venenparthie leer bleibt. Die geringste 
Belastung, die eben noch dazu ausreicht, gilt als annäherndes Maass für Arterien- und Venendruck, 
and ist direkt an der Skala des Druckhebels durch Multiplikation mit dem aufgesetzten Gewichte 
festzustellen. Ausser dieser Einfachheit hat dieser Blutdruckmesser den Vortheil seiner breiten 
Verwendbarkeit, von 5 g hierüber 500 g Belastung giebt er genaue Werthe, ferner hat der Apparat 
keine Kautschucktheile, die steten Veränderungen ausgesetzt sind, und ,schliesslich |giebt er die 
gefundenen Druckwerthe in Grammen an, d. h. in einem Gewichte, das für Jedermann ohne irgend 
welchen Kommentar verständlich ist. Die Arteriendruckmessungen werden usuell an den Radial¬ 
arterien vorgenommen und zwar in derselben Weise und unter denselben Voraussetzungen wie mit 
den anderen bekannten Blutdruckmessern, die auf dem Prinzipe des tastenden Fingers konstruiert 
sind. Für Venendruckmessungen ist jede oberflächlich gelegene Vene mit dichten Klappen geeignet 
- im Falle die Klappen nicht dicht sind, kann der Untersuchende durch leichte Kompression die 
Schlussfähigkeit derselben herstellen —, zumeist wird aber die vena dorsi manus verwendet; sie 
entspricht im Lumen etwa der Radialarterie, dann ist sie aber auch einer der Hauptabflüsse aus 
dem Kapillargebiet, für welches die Radialarterie der Hauptblutzufluss ist, damit sind die Anhalts¬ 
punkte bequem gegeben, um zu beurteilen, ob und in wie weit der Venendruck den physiologischen 
Schwankungen des Arteriendruckes folgt. 

Bei der Vornahme der Venendruckmessungen hat man noch folgendes zu beachten: Wie jede 
Flüssigkeit im Körper, so ist auch das Blut den Gesetzen der Schwerkraft unterworfen, die sich 
natürlich dort am meisten geltend macht, wo die treibende Kraft am geringsten ist, also in den 
Venen; an einer herabhängenden Hand werden wir höhere Venendruck werthe finden als in einer 
erhobenen, an den Beinen wird der Venendruck im Stehen grösser sein als im Liegen. Es ist 
deshalb dringend geboten, bei Venendruckmessungen an Hand oder Arm, den Arm leicht gestreckt 
horizontal *auf einem Tische aufzulegen, und zwar so, dass die zu messende Stelle genau auf der 
Höhe des rechten Vorhofes, als dem Nullpunkte der Messung sich befindet. Weiterhin ist darauf 
za achten, dass keine Kleidungsstücke besonders in der Axilla die Venen drücken, dass der zu 
Untersuchende gleichmässig ruhig athmet, den Kopf geradeaus hält, so dass die Sternocleidomastoidei 
beiderseits den gleichen Winkel mit der Clavicula bilden und dass der Arm möglichst abduziert 
gehalten wird. Dass der Venendruck in den Hautvenen, die allein den Messungen zugängig sind, 
dem Drucke in den tiefer liegenden Venen gleich sein muss, ergiebt sich bei den zahlreichen 
Anastomosen, die zwischen beiden bestehen, aus den hydrostatischen Gesetzen von selbst. 

Aus den in den letzten Jahren vorgenommenen Messungen an hunderten von Gesunden und 
Kranken ergiebt sich als Resumö, dass der normale Arteriendruck zwischen 250 und 400, der 
normale Venendruck zwischen 10 und 15 g schwankt. Arterien- und Venendruckmessungen werden 
sieh natürlich nur zu ergänzen haben, da ja gerade die Differenz aus beiden die richtige Grösse 
des Gefälles abgiebt, in der man ein Maass erkennt nicht allein für die Geschwindigkeit, mit der 
das arterielle Blut durch das Kapillametz hindurch in die Venen kommt, sondern auch für die 
Energie mit der sich der gesamrate Kreislauf vollzieht. Bekanntermaassen sind Arteriendruck¬ 
roessangen mit den verschiedenen Biutdruckmessem nicht schwer auszuführen und verlangen viel 
Uebang. Die Arterien liegen tief und die Spannung der umgebenden und bedeckenden Theilc wie 
die der Arterienwand selbst sind schwankende und dabei sehr in die Wagschaale fallende Grössen. 
Die Höhe der Pulswelle, deren Verschwinden und Wiederauftreten bei verschiedenen Messapparaten 
als Kriteriumlgilt, geht besonders in pathologischen Fällen oft garnicht parallel mit dem wirklichen 
Arteriendruck; vollends bei den Messungen mit Apparaten, die auf dem Prinzipe des Plethys- 
roometer beruhen, werden noch weit differentere Werthe angegeben. Ausser diesen technischen 
Schwierigkeiten besteht für die praktische Deutung der gefundenen Werthe ein grosses Hindemiss 
•Urin, dass der Arteriendruck bei den verschiedenen Menschen nach Geschlecht, Grosse, Alter, Blut¬ 
fülle etc. etc. in sehr weiten Grössen schwankt. Wie einfach liegen im Vergleich dazu die Ver- 


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Original fro-rn 

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130 Referate über Bücher und Aufsätze. 

hältnisse bei den Venendruckmessungen, vorausgesetzt dass die oben genannten Kautelen genau 
beachtet werden. Die einzige Unbekannte bei der Venendruckmessung ist der Widerstand des 
Hautorgans und der der Venenwandung. Bei der oberflächlichen Lage der Vena, bei dem fast 
absoluten Fettmangel am Handrücken, bei der anerkannten Dünnwandigkeit der Venen dürfte 
diese Unbekannte bei den Venendruckmessungen verschwindend klein sein im Vergleiche mit den 
analogen Verhältnissen bei den Arterien. Berücksichtigt man ausserdem, dass die breiten physio¬ 
logischen Schwankungen im Arteriendruck auf den Venendruck gamicht oder nur minimal ein¬ 
wirken, so darf man sicher in dem eng begrenzten normalen Venendruck von 10—15 g ein Reagens 
dafür erkennen, dass die Kreislauf Vorgänge in richtiger Weise sich abspielen, und schon eine geringe 
Steigerung über die angegebene Norm muss Veranlassung geben, nach einer Ursache dieser Druck¬ 
steigerung zu fahnden (chronische Nephritis, pleuritische Schwielen u. dergl.). Die grösste Bedeutung 
haben natürlich die Venendruckmessungen bei der Behandlung von Kreislaufstörungen mit physikalisch- 
diätetischen Heilmitteln; sie sind für die richtige Auswahl und Kombination derselben geradezu 
maassgebend. Für die Dosierung ist fortlaufende Venendruckmessung vor und nach der einzelnen 
Prozedur erforderlich, und gerade in dieser Richtung können Venendruckmessungen richtig gedeutet 
den Kranken wie den Arzt vor den peinlichsten Ueberraschungen oft schützen. 

(Fortsetzung folgt.) 


III. 

Am 6. März dieses Jahres hielt im Senkcnberg’schen Institut zu Frankfurt a. M. der Verbaud 
deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und -Leiter seihe diesjährige Generalversammlung ab. 
Die Ziele und Aufgaben des im vorigen Jahre in Erfurt gegründeten Verbandes wurden in längerem 
Vortrage von Sanitätsrath Dr. Kothe, Friedrichroda, dargelegt, der bei der darauffolgenden Wahl 
oinstimmig zum Vorsitzenden erwählt wurde. An seine Stelle als Kassenführer trat Dr. Dettmar 
Lauterberg. Von den gefassten Beschlüssen, die sicher der Förderung der wirtschaftlichen und 
Standesinteressen dienen werden, heben wir als besonders wichtig hervor: den Anschluss an den 
deutschen Aerztevereinsbund, Einrichtung provinzieller Verbände, Herabsetzung 
dos Vereinsbeitrages, Regulierung des Inseratenwesens, der Stellen- und Verkaufs- 
vermittelung, eventuelle Anlehnung an das medicinische Waarenhaus beziehungsweise 
deutschen Beamten verein, Stellungnahme gegen das auf dem Gebiete der Anstalts¬ 
behandlung sich besonders breitmachende Kurpfuscherthum u. a. Als nächstjähriger Ver¬ 
sammlungsort wurde der Ort des Kongresses für innere Medicin gewählt. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Sir Henry Thompson, Bart F. R. C. S., M. B. 

Lond., Diet in relation to age and activity* 

London 1891. 

Der durch seine ausgezeichneten Leistungen 
in der Chirurgie, besonders der Hamorgane, be¬ 
rühmte Verfasser hat sich auch grosse Verdienste 
erworben durch seine intelligenten und durchaus 
praktischen Rathschläge über Diät und hygienische 
Lebensweise. Einen Theil des vorliegenden Buches 
hat er schon im Jahre 1886 veröffentlicht, ein 
anderer ist neu und enthält die Schlüsse aus den 
Erfahrungen, die er zwischen dem 65. und 82. Jahre 
seines Lebens gesammelt hat Jeder der beiden | 


Theile hat zwei Kapitel, deren Inhalt wir kurz 
andeuten wollen. 

ln Bezug auf den Genuss alkoholischer Ge¬ 
tränke ist Sir Henry Thompson stets ein Ver¬ 
treter grosser Mässigkeit gewesen, ohne den be¬ 
schränkten Genuss zu verdammen, und vertritt 
in dieser Beziehung die allmählich mehr und mehr 
ausgebildeten Ansichten der hervorragendsten 
Aerzte. Der Verfasser war aber einer der frühesten 
Wegweiser über die Wichtigkeit der Art der 
Zubereitung der Speisen. Wir haben in einem 
früheren Bande dieser Zeitschrift das in vielen 
Auflagen erschienene Werk des Verfassers: *On 
food and feeding« besprochen, welches vor 
kurzem in der 12. Auflage erschienen ist Ebenso 


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Original fro-m 

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Referate über Bücher und Aufsätze. 


131 


grosses Gewicht legt er mit Recht auf die Menge 
and Answahl in der Nahrungsaufnahme, ln der 
Jugend und in dem Anfang des Mannesalters 
sieht er in den meisten Fällen keinen grossen 
Sehaden von dem zu reichlichen Genuss nähren¬ 
der Speisen, weil sich die Natur meist durch akute 
Anfälle von Verdauungsstörungen (die »bilions 
attacks« der Engländer) hilft; in zunehmendem 
Alter aber, nach 45 und 50 Jahren, führt das 
üebermaass von nahrhaften Speisen meistens zu 
Anfällen von Gicht oder Rheumatismus, Entartung 
der Blutgefässe und anderen chronischen Leiden, 
wenn nicht dnreh starke körperliche Anstrengun¬ 
gen der Verbrauch und die Ausfuhr, welche in 
den späteren Lebensperioden unter gewöhnlichen 
Verhältnissen abnehmen, sehr vermehrt werden. 
Als Beispiel der Nachtheile der übermässigen 
Nahrungsaufnahme bei nur geringer körper¬ 
licher Bewegung führt er die zur Bereitung der 
Gänseleberpasteten gefütterten Gänse an, mit 
welchem Vorgang wir im täglichen Leben der 
wohlhabenden Klassen nicht selten Verwandtes 
finden. Die einfache Weisheitsregel, die Ein¬ 
nahme mit der Ausgabe des Körpers in Harmonie 
za bringen, kann nie ohne Schaden vernachlässigt 
werden. Man kann sich nicht genug vor Augen 
halten, dass mit zunehmendem Alter, besonders 
nach dem GO. und 70. Jahre, die Ausgaben des 
Körpere und die Erneuerung der Gewebe ver¬ 
mindert sind und dass die Einnahme der Nahrung, 
besondere von Fleisch, ebenfalls vermindert 
werden muss. Die Idee vieler Menschen, dass 
im Alter mehr Fleisch, Eier und konzentrierte 
Speisen, wie starke Suppen, Fleischextrakte und 
starke Weine nöthig sind, ist durchaus falsch 
und gefährlich, obgleich die natürliche Abnahme 
von Kraftgefühl und Leistungsfähigkeit, sowie 
die Abnahme des Körpergewichts im Alter diese 
Idee zu unterstützen scheinen, aber nur fälschlich. 
Zunahme des Gewichts im Alter ist nur in seltenen 
Ausnahmefallen günstig, Fettwerden ist schon 
deshalb schädlich, weil dadurch die Bewegung 
erschwert wird, die für die Erhaltung der Cir- 
kulation und der Ernährung der Gewebe so 
wichtigist. Mit Recht sagt SirH enry Thompson 
»Der typische Mann von 80 oder 90 Jahren, 
welcher noch einen achtungswerthen Grad von 
Energie des Geistes und Körpers besitzt, ist mager 
und dünn und lebt von sehr »lässigen Rationen.« 

Im zweiten Kapitel erinnert der Verfasser 
an die Schriften von Liugi Cornaro, dem 
Zeitgenossen von Titian, welcher mit 83 Jahren 
seine erste Arbeit über Diät und Lebensweise 
schrieb; noch drei andere folgten, in denen 
er die eben erwähnten Grundsätze vertrat, bei 
welchen er bis über hundert Jahre lebte uud 
dann ohne alle Leiden starb. 


Der Verfasser, obgleich Vertreter grosser 
Mässigkeit, hält es für ganz unrichtig, bestimmte 
Diätregeln als für alle Verhältnisse gültig zu 
geben, sondern zeigt, dass dieselben jedem 
einzelnen Falle angepasst werden müssen. Dem 
Manne, welcher täglich während acht bis zwölf 
Stunden schwere körperliche Arbeit thut, giebt 
er ein anderes Maass als dem Arbeiter am 
Schreibtisch; der ersterc nimmt selten zu viel 
und ist frisch und gesund, wenn er nicht trinkt 
oder andere Fehler begeht; der letztere, wenn 
er seine freie Zeit im Zimmer, in Gesellschaften 
und bei grossen Mahlzeiten zubringt, wird meistens 
früher oder später von Verdauungsstörungen, 
gichtischen Erscheinungen oder anderen Leiden 
heimgesucht. Diese Klasse von Menschen, zu 
welchen Maler, Schriftsteller und andere geistige 
Arbeiter gehören, geniessen viel bessere Gesund¬ 
heit, wenn sie massige und leicht verdauliche 
Mahlzeiten, wie Fisch, Geflügel, Gemüse, Milch 
und Brot, nehmen, welche ein geringeres Maass 
von Nervenkraft zur Verarbeitung in Anspruch 
nehmen. Das sogenannte Metzgerfleisch, wie 
Rind-, Hammel- und Kalbfleisch, verbietet er 
jedoch dieser Klasse von geistigen Arbeitern 
nicht unbedingt, er hält cs aber für sie meist 
nicht nöthig und empfiehlt Beschränkung in dem 
Genuss desselben. Auch auf Temperatur, Klima 
und andere meteorologische Einflüsse nimmt er 
Rücksicht und ist für leichtere Nahrung in heissen 
Klimaten und im Sommer im Vergleich zu kalten 
Klimaten und dem Winter. 

Die Verdauungsstörungen, welche gewöhnlich 
mit den Worten »Indigestion« und »Dyspepsie« 
bezeichnet werden, hält Thompson für in den 
meisten Fällen abhängig von unpassenderNahrung 
in Menge oder Beschaffenheit und vermeidlich 
und heilbar durch richtige Anpassung der Nahrung 
an das Individuum. Er weist darauf hin, dass 
grosse Verschiedenheiten im gesunden Magen 
verschiedener Menschen bestehen, ebenso wie in 
der Leistungsfähigkeit des Gehirns, des Herzens 
und anderer Organe, und dass diese Verschieden¬ 
heiten in jedem einzelnen Falle berücksichtigt 
werden müssen. Er zeigt auch, dass ein schwacher 
Magen gewisse Vorzüge hat, indem er die Ein¬ 
führung von zu viel oder von unpassenderNahrung 
verweigert und so meist zu längerer Erhaltung 
des Lebens führt. Auch lehrt er, dass man durch 
Einsicht und Kunst eine sehr mässige und leichte 
Diät zu einer recht angenehmen machen kann. 

Im zweiten Theil der Abhandlung dringt 
Sir Henry Thompson nach seiner längeren 
Erfahrung noch klarer und bestimmter auf die 
im ersten Theil niedergelegten Rathschlägc und 
empfiehlt dringend, dass in Schulen ein leicht 
fasslicher Kursus über die Physiologie der Er- 


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132 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


nährung gegeben wird. Die Wichtigkeit des 
gründlichen Rauens, die Vermeidung von viel 
Getränken während der Mahlzeiten, die Zahl und 
Einrichtung der Mahlzeiten, der Genuss von 
Flüssigkeit, entfernt von den Mahlzeiten, in nicht 
zu grosser Wärme werden alle kurz besprochen, 
ebenso die geistige Arbeit, die körperliche Be¬ 
wegung, die Nothwendigkeit der Ruhe vor der 
Mahlzeit bei vielen Menschen, wenn sie vorher 
Anstrengungen gemacht haben. 

Auch über Bäder und Hautkultur, über 
Wärmung und Ventilation der Wohnungen, über 
geistige Ruhe und Thätigkeit giebt der Verfasser 
einsichtsvolle Winke, welche zur Verlängerung 
des Lebens und zu glücklichem Alter führen 
können. Wir möchten noch besonders beifügen 
die Wichtigkeit des Vermeidens und der Ent¬ 
fernung herabdrückender psychischer Einflüsse 
und Beförderung von allem, was Freude und 
Glück erzeugt. Wir haben auf einige einschlägige 
Punkte in einer kleinen Arbeit im ersten Hefte 
dieser Zeitschrift »Zur Vermeidung der senilitas 
praecox« hingedeutet. . 

Hermann Weber (London). 


Fr. Müller, Beiträge zur Kenntoiss des 
Muclns und einiger damit verbundener 
Eiweissstoffe. Zeitschr. f. Biol. Bd. 42. 

Müller giebt in der vorliegenden Abhand¬ 
lung eine ausführliche Darstellung seiner Arbeiten 
über die Chemie des Mucins und besonders über 
die Natur des daraus abspaltbaren kohlehydrat¬ 
ähnlichen [Körpers; die Hauptresultate dieser 
Arbeiten, dass sich nämlich aus dem Schleim 
verschiedener Herkunft ebenso wie aus reinem 
Eiweissalbumin der kohlehydratartige Komplex 
in Form des Glukosamins abspalten lässt, sind 
schon in vorläufigen Mittheilungen veröffentlicht 
worden und rasch allgemein bekannt geworden. 
In der jetzigen Arbeit berichtet Müller über die 
Art und Weise, wie er nach Ueberwinden vieler 
Schwierigkeiten (Reindarstellung des Mucins aus 
Sputum; Methode der Abspaltung des reduzieren¬ 
den Körpers; Ausschluss von Pentosen und Lävu- 
lose; geringe Vcrwerthbarkeit der Osazonreaktion 
zur Identifizierung des Zuckers; Ausschluss vor 
Galaktose und von Glykuronsäure; schliesslich 
Gewinnung des reinen Präparats mittels Benzoy¬ 
lierung) zum Nachweis des Glukosamins gelangte. 
Weitere Versuche ergaben, dass auch aus anderen 
Mucinen und dass auch aus Eiereiweiss Glukosamin 
sich abspalten lässt. 

Verfasser bespricht im Anschluss hieran ein¬ 
gehender die Frage nach der Zuckerbildung aus i 


Eiweiss im Organismus. Er zeigt, dass die im 
günstigsten Fall aus dem Eiweiss abspaltbaren 
Glukosaminmengen bei weitem nicht ausreichen 
um so grosse Zuckermengen zu liefern, wie sie 
thatsächlich nach der gegenwärtig geltenden Auf¬ 
fassung beim Diabetes aus Eiweiss gebildet werden. 
Hier müssen andere Spaltprodukte des Eiweiss das 
Material zur Zuckerbildung liefern. Müller hat 
früher schon darauf hingewiesen, dass unter diesen 
das Leucin sowohl nach seiner Menge als nach 
seiner chemischen Konstitution am ehesten hier¬ 
für in Frage kommt; er vertheidigt diese Vor¬ 
stellung gegen einige von anderer Seite erhobene 
Einwände und kommt zu dem Schluss, dass die 
Zuckerbildung aus Leucin zwar noch nicht be¬ 
wiesen, aber auch nicht widerlegt sei. 

Schliesslich behandelt Müller noch die Frage 
nach der Natur eines der Spaltungsprodukte des 
Mucins, des therischen Gummi. Er zeigt, dass sich - 
sowohl aus Eiweiss wie aus Mucinen verschiedener 
Herkunft mit verschiedenen Methoden Substanzen 
gewinnen lassen, welche im allgemeinen die Eigen¬ 
schaften des thierischen Gummi, aber ziemlich 
weitgehende Schwankungen ihrer chemischen 
Zusammensetzung darbieten; vermuthlich handelt 
es sich um verschiedene beim Abbau der Grund¬ 
stoffe entstandene Zwischenprodukte. 

Durch die Verwerthung der kürzlich von 
Ehrlich angegebenen Farbenreaktion mit 
Dimethylamidobenzaldehyd (dieselbe giebt die 
charakteristische Rothfärbung mit Schleim und 
mit dem einen Präparat des thierischen Gummi 
erst nach Kochen mit Kalilauge, mit einer anderen 
Art des thierischen Gummi ohne weiteres, mit 
Glukosamin nicht, wohl aber mit gewissen Essig¬ 
säureverbindungen des Glukosamins) kann Müller 
es wenigstens wahrscheinlich machen, dass Be¬ 
ziehungen zwischen dem thierischen Gummi und 
dem Glukosamin bestehen. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


Fr. N. Schulz, Ueber die Ursache der Zu¬ 
nahme der Eiweisszersetzung während des 
Hungerns. Zeitschr. f. Biol. Bd 4L Heft 3. 

Die Arbeit ist eine Verteidigung der von 
dem Verfasser aufgestellten Lehro, dass das An¬ 
wachsen der N-Ausscheidung beim Hungerthior 
in den letzten Tagen des Lebens nicht, wie 
Voit u. a. annahmen, durch völlige Verarmung 
des Körpers an Fett und dementsprechend ge¬ 
steigerte Eiweiss Verbrennung bedingt sei, sondern 
dadurch, dass bei der zunehmenden Verarmung 
an Nährmaterial zuletzt ein Theil der Gewebe 
absterbe, zerfalle und so das Material für die 
1 Zunahme der N-Zahlen im Harn liefere. Schulz 


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133 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


sucht die kürzlich von Kaufmann gegen diese 
Anschauung erhobenen Einwürfe zu widerlegen 
und stellt fest, dass hei einem Theil der dis¬ 
kutierten Thierversuche thatsächlich noch grössere 
Fettmengen hei der Sektion der Thiere gefunden 
wurden. D. Gerhardt (Strassburg). 

E. Schreiber, Ueber die Verwendung des j 
Arischen Kaseins in der Ernährung, Central- i 
blatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrank¬ 
heiten 1901. No. 5. 

Schreiber empfiehlt zur billigen Ernährung 
von Kranken und auch grösserer Volksmassen 
das aus Magermilch durch Labferment frisch ge¬ 
fällte Kasein, welches man den verschiedensten 
Speisen (Breien, Suppen) zusetzen kann, und aus 
welchem sich insbesondere durch Zusatz von 
Mehl wohlschmeckendes eiweissreiehes Brot und 
anderes Gebäck hersteilen lässt. 

F. Voit (München). 


B. Gymnastik. 

0. Talpius, Zur Behandlung der Kontrakturen 
and Ankylosen des Kniegelenkes. Münchner 
uedirin. Wochenschrift 1901. No. 49. 

Verfasser ist im Gegensätze zu Lorenz ein 
Anhänger der blutigen Behandlung der Knie¬ 
kontrakturen tuberkulöser Natur; er verwirft auch 
das von Lorenz aufgestellte Prinzip der absoluten 
Schonung des Skelettes auf Kosten der Weich- 
theüe. Beim modellierenden Redressement, sei 
es nun manuell oder im Lorenz’schenExtensions- 
apparate ausgeführt, besteht die Gefahr derUeber- 
ddmung oder Zcrreissung von Nerven und Ge- 
fisBen; desgleichen besteht die Gefahr der Fett¬ 
embolie, der Eröffnung abgekapselter tuberkulöser 
Herde und der Subluxation der Tibia. Aus 
diesen Gründen führt V u 1 p i u s selbst bei jungen, 
geringgradigen Kniekontrakturen ohne 
Gelenk Veränderung die offene, quere Flexoren- 
tenotomie mit nachfolgendem Redressement aus. 
(Referent kam bei derartigen Kontrakturen stets 
durch Anwendung der Gewichtsextension oder 
durch die allmähliche Dehnung in einem nach 
dem Prinzip der Schraube ohne Ende konstruierten 
Hälsenapparate zum Ziele.) Bei älteren Kon¬ 
trakturen mässigen Grades führt Vulpius 
nebst der Flexorentenotomie noch die supra- 
kondyläre Osteotomie aus. In beiden Fällen 
bleibt der Fixationsverband in der redressierten 
Stellung sechs Wochen liegen. Bei älteren Kon¬ 
trakturen mit Narbenbildung und einem 
Knickungswinkel unter 135<> ist die bogen¬ 


förmige Resektion (nach Helferich) ange¬ 
zeigt, desgleichen bei ossären Ankylosen. 
Nach der Resektion bleibt der Gipsverband zwölf 
Wochen liegen. Verfasser hat nach diesen Prin¬ 
zipien etwa 100 Kniekontrakturen tuberkulöser 
Natur behandelt, ohne jemals einen Misserfolg 
oder eine Beugerezidive konstatiert zu haben. 

Paul Lazarus (Berlin). 


A. y. Sarbö, Zur Behandlung der tabischen 
Ataxie. Klinische therapeutische Wochenschrift 
1901. No. 26. 

In dem vorliegenden Aufsatze beschäftigt 
sich der Verfasser mit dem FrenkeT sehen Ver¬ 
fahren der Behandlung der Tabes, der 
kompensatorischen Uebungstherapie. Schon vor 
einigen Jahren hatte er auf den Werth der so¬ 
genannten kleinen Uebungen hingewiesen, welche 
in jedem Stadium der Krankheit, schon im 
präataktischen, beim Auftreten des Romberg- 
schen Symptomes, vorgenommen werden können. 
Nunmehr giebt er eine genauere Beschreibung 
der Uebungen, nachdem er weitere günstige Er¬ 
fahrungen mit ihnen gemacht und festgestellt 
hat, dass in Zuständen, in denen die grossen 
Uebungen (Gehübungen, Treppensteigen u.s.w.) 
verboten sind, vor allem im akuten Stadium der 
Ataxie, jene kleinen Manipulationen, die rasch 
von den Patienten selbst erlernt werden können, 
nicht nur unschädlich, sondern von günstigem 
Einflüsse auf den Verlauf sind. Verfasser giebt 
eine genaue Eintheilung dieser Uebungen in 
liegender, sitzender und stehender Stellung, 
trennt die Beinübungen von den Rumpfübungen 
unter genauer Feststellung der darauf zu ver¬ 
wendenden Zeit und der Tageseintheilung, über 
die man sich im Original genauer orientieren 
mag. H. Rosin (Berlin). 

H.Zeehaisen, Beitrag zur Mechanotherapie. 
Centralblatt für innere Medicin 1901. No. 36. 

Verfasser legt den praktischen Aerzten 
eine regere Anwendung der mechanischen Heil¬ 
methoden ans Herz. Er berichtet über die 
günstigen Resultate der Schott* sehen Herz¬ 
gymnastik bei Insufficientia cordis adiposi; des¬ 
gleichen rühmt er den Einfluss der Widerstands¬ 
gymnastik bei Rekonvaleszenten nach akuten 
Infektionskrankheiten (Typhus, Influenza, Pneu¬ 
monie, Polyarthritis, Pleuritis). Sein Kranken¬ 
material bestand zum grössten Theile aus Soldaten. 
Auch bei chronischen Erkrankungszuständen 
(depressiver Neurasthenie, Hysterie, traumatischer 
Neurose, Gicht, Adipositas und manchen Formen 


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134 Referate über Bücher und Aufsätze. 


von Lungentuberkulose) gelang cs dem Verfasser 
durch eine genau dosierte und individualisierte 
Anwendung gymnastischer Prozeduren im Ver¬ 
eine mit den gewöhnlichen Heilagenticn schöne 
Erfolge zu erzielen. Paul Lazarus (Berlin). 

Kaufmann, Ueber den Werth methodischer 
Tiefathmungen, insbesondere bei Seekrank¬ 
heit« Münchener med. Wochenschrift No. 42. 

In No 38 der Münch, med. Wochenschrift war 
von Heinz die Anwendung tiefer Athemzüge als 
Mittel gegen Seekrankheit empfohlen worden. 
Kaufmann theilt mit, dass er diese Methode 
gelegentlich einer Seereise bei ungünstigcmWettcr 
an sich und einem Mitreisenden mit sehr gutem 
Erfolge erprobt habe. Ausser als Mittel gegen 
Seekrankheit will er aber methodische Tief- 
athmungen auch noch in anderen Fällen an¬ 
gewendet wissen, so bei Ohnmacht und Nasen¬ 
bluten. Ueber die Wirkungsweise dieser Methode 
giebt Kaufmann an, es handle sich erstens um 
die Ablenkung der Aufmerksamkeit, also um ein 
rein psychisches Moment, dann aber um eine An¬ 
regung der Cirkulation durch die starken 
Respirationsbewegungen, wodurch beim Nasen¬ 
bluten z. B. die venöse Stauung vermindert werde. 
Schliesslich könne noch durch die ausgiebige 
Sauerstoffzufuhr eine centrale Herabsetzung des 
Brechreizes erzielt werden. Aus diesen Gründen 
tritt Kaufmann warm dafür ein, die Tief- 
athmungen häufiger zu therapeutischen Zwecken 
anzuwenden und auch das Laienpublikum mit 
dieser Methode bekannt zu machen, da sie sich 
durch ihre Einfachheit und völlige Gefahrlosigkeit 
ganz besonders hierzu eigne. 

In Kürze sei noch erwähnt, dass sich Rosen - 
bach in No. 4C> obiger Zeitschrift mit demselben 
Thema beschäftigt. Auch er empfiehlt die Tief- 
athmungen, warnt aber vor forcierter Ausführung 
derselben, da sie sonst gerade zum Brechen 
reizten. Nach seiner Anschauung handelt es sich 
bei der günstigen Wirkung der Tiefathmungen 
nur um eine Ablenkung der Aufmerksamkeit, und 
er glaubt nicht, dass durch die aktive Athem- 
bewegungen Apnoe, und damit Herabsetzung 
der Reflexerregbarkeit des Brechcentrums erzielt 
werden könne. 

Wenn somit auch noch keine völlige Einigung 
über die Wirkungsweise der Tiefathmungen erzielt 
ist, so steht doch fest, dass wir in ihnen ein 
häufig wirksames Hilfsmittel bei der Bekämpfung 
der Seekrankheit besitzen, das auch bei den 
anderen oben erwähnten Zuständen gute Dienste 
leisten kann. Ernst Lichtenstein (Berlin). 


C. Hydro-, Balneo- und Klintato- 
therapie. 

Maurice Binet, Les stations hydro-minerales 
frau^aises et lenr avenir. Bulletin gönöral 
de thörapeutique 1901. 30. Mai. 

Binet stellt eine vergleichende Betrachtung 
der französischen und deutschen Bäder und Quellen 
an in Bezug auf Wirksamkeit, Einrichtungen, Zu¬ 
gänglichkeit, Besuch etc. Er findet mit Recht, 
dass Frankreich eine grössere Anzahl der ver¬ 
schiedenartigsten Quellen besitzt, dass jedoch 
trotzdem die Frequenz der deutschen Bäder in 
den letzten 10 Jahren mehr zugenommen hat als 
die der französischen. Die Ursache davon sucht 
Verfasser in den besseren Einrichtungen, dem 
grösseren Komfort und der besseren Bekannt¬ 
machung. Jedoch verschweigt er dabei, dass in 
Frankreich eben eine Reihe von Grundbedingungen 
zum schnellen Emporblühen der Kurorte fehlen. 
Die zum theil sehr schlechte Eisenbahnverbindung, 
die nicht sehr hervorragende Beschaffenheit be¬ 
sonders der südfranzösischen Bahnen, die durch¬ 
aus rückständige Einrichtung der Klosets, der 
Beleuchtung, zum theil auch der Bäder, ferner 
die mangelnde Kennlniss fremder Sprachen, Ein¬ 
richtungen, Gebräuche etc. in den Kurorten, 
welche trotz der Liebenswürdigkeit der Ein¬ 
wohnerschaft sich sehr unangenehm bemerkbar 
macht, werden einstweilen einen starken Zufluss 
von Fremden verhindern. Ein weiterer Umstand, 
der dem Besuch der Quellen durch wirklich 
Leidende als hinderlich vom Verfasser hingestellt 
wird, und zwar mit grossem Recht, sind die 
selbst im kleinsten französischen Bade zu finden¬ 
den Glücksspiele. So lange die Franzosen bei 
ihren spezifischen Einrichtungen in den Bädern 
beharren und nicht in grösserem Maassstabe Zu¬ 
sammenhang mit dem Auslande und Kenntniss 
von ihm erlangen, werden sich die Hoffnungen 
des Verfassers kaum erfüllen. 

Detcrmann (St. Blasien). 

B. ßuehsbunm, Technik der Wosser- 
auwendnngeu. Belehrung für Badewfirter, 
Krankenpfleger u. &• w. Mit 30 Abbildungen. 

Leipzig 1901. Georg Thiemc. 

Der Verfasser hat nach langjähriger Thätig- 
keit auf der Winternitz’schen Abtheilung der 
Wiener allgemeinen Poliklinik und der damit 
verbundenen Badedienerschule, das Bedürfniss 
nach einer gedruckten Anleitung zur Technik des 
Wasserheilverfahrens erkannt und, wie er sagt, 
»der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe« 
das vorliegende Büchlein verfasst. 

Es enthält in knapper und anschaulicher 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 135 


Weise, durch zahlreiche Abbildungen erläutert, 
eine kurze Darstellung derjenigen Maassnahmen, 
welche die Hydrotherapie erfordert. 

Die Absichten des Autors, ein praktisches 
Bach für Krankenpfleger zu geben, müssen als 
aufs Beste gelungen bezeichnet werden. Die 
wichtigsten hydrotherapeutischen Prozeduren sind 
in klarer und fasslicher Darstellung auseinander¬ 
gesetzt, besonders sind die Applikationen der Um¬ 
schläge in allen ihrenVariadonen aufs sorgfältigste 
dargestellt. Unter den Medicinalbädem vermissen 
wir die Moorbäder, und ferner sind die Douchen 
gänzlich übergangen. Vielleicht, dass in einer 
zweiten Auflage einige Erweiterungen des be¬ 
arbeiteten Stoffes, sowie ein Index hinzugefügt 
werden könnten, wodurch das ohnehin schon recht 
brauchbare, auch für Aerzte zu empfehlende kleine 
Werk, ein noch vollkommeneres Gewand besitzen 
wurde. H. Rosin (Berlin). 

Xeffert, Beitrag znr hydriatischen Behänd- 
lang der beginnenden Lungentuberkulose 
in Hause« Deutsche mcdicinische Wochen¬ 
schrift 1901. 9. Mai. 

Verfasser beschreibt ein einfaches, ganz mildes 
hydriatisches Verfahren, welches sich unter häus¬ 
lichen Verhältnissen ohne besondere Kosten durch¬ 
fahren lässt und sich bei Lungenkranken als 
nützlich erwiesen hat. Er lässt zunächst eine 
Trockenpackung vornehmen, wobei der Haut 
zunächst sich ein trockenes Betttuch befindet, 
darüber je ein besonderes wollenes Laken für 
Rumpf und Beine, und um das ganze eine wollene 
Decke. Zunächst wird der Patient durch diese 
Packung vorgewärmt, dann folgt eine flüchtige 
hintereinander am Oberkörper und Unterkörper 
vorgenommene Theilabwaschung von ca. 25°, 
nach welcher jeder Theil wieder in die besonderen 
wollenen Laken eingehüllt wird. Nach vol!- 
ständig erfolgter Wiedererwärmung bildet ein 
lauer Regen vermittels oiner Giesskanne den 
Schluss. Eine zweimal tägliche Anwendung 
scheint das Befinden sehr günstig zu beeinflussen, 
l*esonders in bezug auf die Mattigkeit, den Schlaf 
und die Schweisse. Determann (St. Blasien). 


L Lauaonier, Facteurs de la eure marine« 
Bullet günöral de thGrapeut 1901. Bd. 142. Heft 7. 

Verfasser giebt eine kurze Uebersicht über 
die klimatischen Verhältnisse der Seebäder Frank¬ 
reichs. Er unterscheidet drei Gruppen: von Dün¬ 
kirchen bis zur Mündung der Loire, von da bis 
Bilbassao, nnd die Küste des Mittelmeercs. Das 
reinste Sceklima ist nach seiner Meinung in der 
ersten Zone vorhanden. 


Das Wenige, was Verfasser noch über Meer¬ 
wasser und Bodenbeschaffenheit sagt, soll vor¬ 
nehmlich dazu dienen, die Indikationen für die 
einzelnen Bädergruppen möglichst scharf zu ge¬ 
stalten. F. Lots (Friedrichroda i. Th ). 

Krebs, Schwitzen iu elektrischen Licht- nnd 
Heissluftkfisten. Deutsche medicinischc 
Wochenschrift 1901. No. 40. 

In einer Zeit, wo die Frage nach der 
physiologischen Wirkung des elektrischen Lich¬ 
tes und speziell auch der elektrischen Glüh- 
licht- und Bogenlichtbäder eine der wich¬ 
tigsten und interessantesten der physikalischen 
Therapie bildet, aber, wie leider viele jener 
Fragen, aus naheliegenden Gründen die wider¬ 
sprechendste Beurtheilung erfährt, müssen die 
unparteiischen und sine ira et Studio gemachten 
Beobachtungen über diesen Gegenstand, wie sie 
Krebs in der hydrotherapeutischen An¬ 
stalt der Berliner Universität anstellte, 
mit Freuden begrüsst werden. Es ist nach 
diesen Mittheilungen unzweifelhaft, dass in den 
elektrischen Glühlichtbädern ceteris paribus 
die Patienten früher, leichter und vor allen 
Dingen bei niedrigeren Temperaturen 
schwitzen als bei anderen Schwitzprozeduren 
(Heissluftbädem, Dampfbädern und dergleichen). 
Diese Erleichterung des Schweissausbruchs muss 
als eine Wirkung der strahlenden Wärme 
(Lichtwärmestrahlen) angesehen werden, wäh¬ 
rend die chemisch wirksamen Lichtstrahlen dabei 
offenbar nur eine untergeordnete Rolle spielen. 
Das beweist auch der Umstand, dass das blaue 
Bogenlicht, das die chemisch wirksamen Strahlen 
in viel grösserem Maasse, als das Glühlicht ent¬ 
hält, hinter diesem hinsichtlich der sch weisstreiben¬ 
den Wirkung erheblich zurücksteht Da auch die 
baktericide Wirkung der Strahlen der in Licht¬ 
kästen üblichen blauen Bogenlampen (5Am- 
pöre) nicht in Betracht kommt (Untersuchungen 
des Gehaltes der Haut an lebenden Keimen vor 
und nach einem solchen Lichtbade ergaben keine 
nennenswerthen Unterschiede), so hält Krebs 
die blauen Bogenlichtbäder für ganz ent¬ 
behrlich, besonders, da dieselben auch wenig 
erwärmende Strahlen enthalten. 

Wegen seiner geschilderten Eigenschaften 
hat das weisse Glühlicht, etwas weniger das 
rothe Glühlicht vor allen anderen Wärmequellen 
den grossen Vorzug, dass der dadurch hervor¬ 
gerufene Schweissausbruch von dem Patienten 
besser vertragen und daher angenehmer empfun¬ 
den wird, als bei anderen Schwitzprozeduren. 
Doch wäre es ein Irrthum, anzunehmen, dass die 
Lichtbäder das Herz gamicht angreifen. Nach 


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136 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


energischem Schweissausbruch konnte Krebs 
auch hier fast stets eine Pulsbeschleunigung 
und ein Sinken des Blutdruckes beobachten; 
nur war die Steigerung der Pulsfrequenz unter 
gleichen sonstigen Verhältnissen in den Licht¬ 
bädern geringer als beispielsweise im Heiss- 
luftkasten. Wenn man daher auch herzschwache 
Patienten viel eher in ein Lichtbad setzen kann, 
als sie einer anderen Schwitzprozedur zu unter¬ 
werfen, so hält doch Krebs die Anwendung 
von elektrischen Lichtbädern bei Kranken mit 
organischen Herzfehlern für keine gefahr¬ 
lose Prozedur. 

Bezüglich der Thermometrie bei den 
elektrischen Lichtbädern haben die Unter¬ 
suchungen des Verfassers ergeben, dass die jetzt 
meist übliche Messung der Innentemperatur des 
Kastens durch ein oben angebrachtes Thermo¬ 
meter unzureichend sei, da dieses in der Regel 
zu hohe Temperaturen anzeige, während die 
Temperatur, in verschiedenen Höhen des Licht¬ 
bades gemessen, erhebliche Unterschiede auf¬ 
weist. Analoge Beobachtung hat vor kurzem 
auch Schreiber (diese Zeitschrift Bd. 5. Heft 2) 
an lokalen Heissluftkästen gemacht. Daher 
empfiehlt der Verfasser künftighin bei der Kon¬ 
struktion von elektrischen Lichtbädern diesen 
Punkt zu berücksichtigen, und schlägt auch 
eine Reihe sonstiger Verbesserungen, welche 
theils der Bequemlichkeit der Patienten, 
theils der Erleichterung von wissenschaftlichen 
Untersuchungen während des Lichtbades (Blut¬ 
druckmessungen, Pulskurvenaufnahme und der¬ 
gleichen) dienen sollen, auf Grund seiner reichen 
Erfahrung vor. A. Laqucur (Berlin). 


D. Serum- und Organotherapie. 

Walter E. Dixon, M. D., The oyary as an 
organ of internal Sekretion. 

Die Arbeit ist ein zusammenfassendes Referat 
über die bis jetzt bekannten That&achen betreffend 
die angenommene innere Sekretion der Eierstöcke. 

In Bezug auf die Extraktivstoffe sei eine ge¬ 
wisse Analogie mit dem Hodenextrakt vorhanden: 
Nukleoproteid, Spermin, Salze etc. Eine gewisse 
Einsicht in das Wesen der inneren Sekretion er¬ 
helle aus den Erfahrungen mit Kastrierten, ln 
einigen asiatischen Gegenden wird ein Theil der 
Mädchen vor erreichter Pubertät kastriert Die 
Entwicklung der Brustdrüsen, des Beckens, die 
charakteristischen Pigmentationen und Men¬ 
struation bleiben aus; die Genitalorgane atro- 
phieren. Es können sogar Attribute des hetero- 
logen Sexus auftreten, wie Barthaare, eine männ¬ 


lichere Kehl köpf bildung und Stimme. Kastrationen 
nach erreichter Pubertät bewirke Aufhören der 
Menstruation, Atrophie von Uterus und Vagina, 
Fettansatz und Aendcrungon der Stimme. Ner¬ 
vöse und psychische Störungen wie Melancholie, 
Schwindel, Herzpalpitationen, Hysterie werden 
durch die Operationen ausgelöst. 

Eine physiologische Beeinflussung der Brust¬ 
drüsen durch die Ovarien müsse zugegeben werden. 
Erfahrungen französischer Forscher hätten gezeigt, 
dass Kühe nach der Kastration auf lange Zeit 
hinaus eine qualitativ und quantitativ bessere 
Milch geliefert hätten als vor derselben. 

Aenderungen im Stoffwechsel etc. können 
hintangehalten werden, wenn nur ein Theil einer 
der beiden Eierstöcko zurückgelassen würde. Auch 
die Transplantation des Ovariums an eine andere 
Stelle oder sogar die Implantation des Ovariums 
eines anderen Individuums könne dies erreichen. 
Dixon führt hierfür Kn au er’s Experimente und 
eine klinische Mittheilung von Glass an. Dies 
alles seien Thatsachen, welche den Gedanken der 
inneren Sekretion nahe legten. Dixon berichtet 
noch über Curatulo’s und Tarulli’s Beob¬ 
achtungen an kastrierten Hündinnen, ebenso über 
Loewy’s und Richter's Untersuchungen. Die 
Resultate zeigten einen Ausfall in der Oxydations¬ 
kraft der kastrierten Individuen, welche Loewy 
und Richter durch Darreichung von Oopborin, 
aber nicht durch Injektion von Spermin oder 
Hodenextrakt ausgleichen konnten. 

Ebenso dokumentierten klinische Erfahrungen 
die günstige Wirkung von Eierstocksubstanz bei 
Kastrierten, klimakterischen Beschwerden etc. 
Dixon hält das Vorhandensein einer inneren 
Sekretion des Ovariums für erwiesen, welche 
hauptsächlich die Oxydationsvorgänge im Orga¬ 
nismus beeinflusse. A. H. Weis (Berlin). 

Flockemann, Zur Beeinflussung der Aus¬ 
fallserscheinungen beiderseitig kastrierter 
Frauen durch Ovarialpräparate. Münchner 
med. Wochenschrift 1901. 26. Nov. 

Verfasser gab in Fällen von doppelseitiger 
Kastration Ovarialtabletten (Merck), täglich 
3 — 6 Stück. Der Erfolg war in einer Anzahl 
von Fällen günstig. Die Beschwerden von Seiten 
des Cirkulations- und des nervösen Apparates 
gingen »hinreichend häufig« zurück. Schädliche 
Wirkungen der Medikation wurden nie be¬ 
obachtet. Ob Suggestion dadurch ausgeschlossen 
werden kann, dass der Patientin gesagt wird, 
die Tabletten könnten auch ohne Wirkung bleiben, 
dürfte allerdings zweifelhaft sein. 

M. Lewandowsky (Berlin). 


Berlin, Druck von W. Büxenstein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 3 (Juni). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. Seite 

L Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Aus dem hygienischen 
Institut der Universität Freiburg i. B. Von Dr. Max Schottelius, Professor der 
Hygiene. 139 

II. Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. Von 

Dr. HansRuge, Privatdozenten der inneren Medicin in Berlin. Mit 3 Abbildungen 145 
IIL Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. Vortrag gehalten auf der 23. Versammlung 
der Baineologischen Gesellschaft zu Stuttgart (7. bis 12. März 1902). Von Dr. Julian 
Marense in Mannheim.158 

IL Kleinere Mittheilung-en. 

Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion. Von Dr. Maximilian Roth, Chefarzt des Zander- 

Institutes in Wien. Mit 1 Abbildung.166 

III. Berichte über Kongresse und Vereine. 

I. 20. Kongress für innere Medicin in Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1902. Bericht 

von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.170 

IL Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft in Stutt¬ 
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung.) 175 

C am er er (Urach), Ueber Gicht und Rheumatismus.175 

Weisz (Pistyan), Ueber Gicht.176 

Winternitz (Wien), Die hydriatische Behandlung der Pneumonie.177 

Burwinkel (Nauheim), Chronische Herz- und Lungenleiden in ihren Wechsel¬ 
beziehungen .178 

Kisch (Marienbad), Zur Bäderbehandlung der nervösen funktionellen Herzstörungen 178 

Fisch (Franzensbad), Kombinierte Herztherapie.179 

v. Baumgarten (Tübingen), Ueber Immunität und Disposition besonders mit 
Bezug auf Tuberkulose.181 

III. 2. Internationaler Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie.182 

IV XI. Congresso nazionale di medicina interna (Pisa 27.—30. ottobre 1901).182 

IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Möller, Experimentelle Beiträge zur Eisentherapie.. . . . .183 

Metzger, Ueber den Einfluss von Nährklysmen auf die Saftsekretion des Magens .... 183 

Sanndby, Non diabetic glycosury.183 

Svenson, Stoffwechsel versuche an Rckonvalescenten.184 

Zetteehr. t dilt u. physlk. Therapie Bd. VI. Heft 3. IQ 

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138 Inhalt. 


Seit« 

Barney, Diabetes melitus with special reference to its treatraent with the double bromide 

of gold and arsenic.184 

Gaudenz, Ueber die Zerkleinerung und Lösung von Nahrungsmitteln beim Kauakt . . 185 

Ko bin, Considörations sur lo rögime des albuminuriques.185 

Fornet, Pathologie und Therapie der Obesität.185 

B. Gymnastik. 

Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik.186 

Lorenz, Ueber die Behandlung der Knieankylosen mittels des modellierenden Redressements 186 
Schulthess, Bericht über die Behandlung der Rückgrats Verkrümmungen vom 1. Januar 1895 

bis 31. Dezember 1900 .• . . 187 

Lovett, The mechanics of lateral curvature as applied to the treatment of severe cases . . 187 
Deschamps, Un appareil de soutien cardiaque.187 

C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Ul 1 mann, Ueber die Heilwirkung der durch Wärme erzeugten lokalen Hyperämie auf 

chronische und infektiöse Geschwürsprozesse.188 

Stifler, Ueber Herzheilbäder.188 

Hellmer, Das Sandband (Arönation).188 

Behrens, Einfluss der Witterung auf Diphtherie, Scharlach, Masern und Thyphus .... 189 

Spiewaczewsky, Die Schwankungen in der Menge der atmosphärischen Niederschläge und 

die Morbidität an der Grippe.189 

Schwerin, Der Zusammenhang zwischen der Morbidität und den meteorologischen Er¬ 
scheinungen .189 

Perwow, Das Verhältniss der Morbidität an einigen Infektionskrankheiten zu dem Stande 

der Boden- und Lufttemperatur.189 

Winckler, Ueber Schwefelwasser und Hautkrankheiten.190 

D. Elektrotherapie. 

Jacobi, Elektrotherapie.'.191 

Bordier, Sur le choix du mötal ä employer pour les ölectrodos.191 

Freund, Die Verwendung der Spannungselektrizität zur Behandlung von Hautkrankheiten . 192 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3Va— 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten, 


I. 

Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 

Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B. 

Von 

Dr. Max Schottelius, 

Professor der Hygiene. 

Durch Duclaux wurde zuerst experimentell nachgewiesen, dass der Aufbau 
der organischen Substanz in den Pflanzen nur unter Mitwirkung von Spaltpilzen 
stattfinden kann: Bringt man aseptisch sterilisierte, aber keimfähig erhaltene Pflanzen¬ 
samen in bakterienfreier, übrigens aber physikalisch und chemisch unveränderter 
Gartenerde zum Auskeimen, so findet ein Wachsen der Samen nur soweit statt, als 
es durch Ausnutzung der im Samenkorn selbst enthaltenen Nährwerthe und durch 
Wasseraufnahme geschehen kann. Die Apposition neugebildeter organischer Substanz, 
eine Gewichtszunahme, bleibt aus und die Pflanze stirbt nach 20—25 Tagen ab, 
während die unter gleichen Verhältnissen, aber in gewöhnlicher bakterienhaltiger 
Erde gewachsenen Kontrollpflanzen um das 2 —3 fache des Samengewichtes zu¬ 
genommen haben. 

Dass die Mitwirkung der Spaltpilze wie für die Ernährung der Pflanzen, so 
auch für die der Thiere und für die Ernährung des Menschen nothwendig sei, dafür 
sprechen eine Reihe feststehender biologischer Thatsachen und auch allgemeine 
wissenschaftliche Ueberlegungen. 

Es existiert überhaupt kein Thier, welches nicht ständig ungeheure Mengen 
von Bakterien in seinem tractus intestinalis beherbergt, und die entgegenstehende 
Behauptung Levin’s 1 ), dass in den arktischen Zonen der Darminhalt der meisten 
warmblütigen Thiere absolut bakterienfrei sei, ist inzwischen als unrichtig erkannt 
und widerlegt worden*). In der That besteht die Masse des abgesonderten Darm¬ 
inhaltes — der Dejektionen —, soweit es sich nicht um unverdauliche Stoffe handelt, 
zum grössten Theil aus Spaltpilzen; die Zahl und Arten dieser Darmbakterien nehmen 
etwa proportional der höher stehenden Art des Wirthes zu. Der Mensch aber weist 
die grösste Mannigfaltigkeit und entsprechend seinem Körpergewicht auch eine sehr 
grosse Menge von Darmbakterien auf. 

Dass dieser Zustand schon seit unabsehbaren Zeiten besteht und sich fort¬ 
entwickelt hat mit der Entwicklung der Arten, daran ist nicht zu zweifeln. Ebenso¬ 
wenig kann man verkennen, dass dieser Zustand >erhaltungsmässig< sein muss, denn 
es wäre im Sinne der vorwärts gehenden Entwicklung der Arten gar nicht zu ver- 


i) Anna!es de l’Institut Pasteur Bd. 13. 

J ) Schottelius, Archiv- für Hygiene Bd. 42. 

10 * 


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140 


Max Schottelius 


stehen, dass das stärkere bessere Lebewesen in seinem Inneren ständig niedere 
Organismen beherbergen sollte, ohne dass sich im Laufe der Zeiten eine Anpassung 
zwischen den Darmbakterien und den Zellen der Darmschleimhaut herausgebildet 
haben sollte. Und selbst wenn wir nicht auf ein aktives Zuführen von Nährwerthen 
seitens der Bakterien zu den Geweben zurückgreifen wollen, sondern den Darm¬ 
bakterien nur die Rolle von kämpfenden Antagonisten zu weisen, so müsste das 
ständige, seit Urzeiten vorhandene Dasein derselben im Darm dafür sprechen, dass 
diese Reizmittel zur Auslösung der Lebensenergie der Körperzellen nützlich und in 
»erhaltungsmässigec Beziehungen zu dem Gewebe der Darmwand getreten sind. 
Seien es die fermentativ wirkenden Ausscheidungen der lebendigen Darmbakterien, 
wie sie in den von Cohnheim 1 ) beobachteten Beziehungen des Bacterium coli 
zum Pepton sich äussern, oder seien es die Mykroproteine der sich auflösenden 
Leiber der abgestorbenen Darmbakterien: jedenfalls sind diese Stoffe qualitativ 
different und quantitativ so bedeutend, dass man dieselben nicht — wie bisher — 
bei der Lehre von der Verdauung einfach unberücksichtigt lassen darf. Wenn 
wirklich so viel verschiedene Stoffe in den Körpersäften und in den Geweben kreisen, 
wie sie mit Namen genannt werden, so werden sich dieselben wohl aus Bezugs¬ 
quellen ersetzen müssen, unter denen der Darminhalt noch am ehesten in Betracht 
kommen dürfte. 

Zu diesen allgemeinen Erwägungen, welche die Nützlichkeit und die Noth- 
wendigkeit der Darmbakterien erweisen, kommen noch besondere, namentlich für den 
Menschen genauer untersuchte Thatsachen. Bekanntlich enthält jedes von der Spitze 
einer menschlichen Zunge genommene klare Tröpfchen Speichel sämmtliche Grund¬ 
formen der Spaltpilzarten: Kokken, Bacillen und Spirillen, und von jeder Grund¬ 
form mehrere Sorten in zahlreichen Exemplaren. Wie die verschiedenen Mund¬ 
höhlen hygienisch behandelt werden, ob Jemand gesunde Zähne hat oder kranke, ob 
Jemand raucht oder nicht raucht u. s. w., das ist dabei nahezu gleichgültig. Bekannt 
ist auch, dass die Züchtungsversuche dieser Bewohner der menschlichen Mundhöhle 
durchschnittlich negativ ausfallen: ausser dem Fraen keUschen Spaltpilz der Sputum- 
Pneumonie wächst bei Anwendung der gewöhnlichen Kulturverfahren so gut wie 
garnichts, und unter Benützung der kompliziertesten Methoden können nur ganz 
wenige Arten dieser Spaltpilze ausserhalb der Mundhöhle am Leben erhalten werden, 
nicht entfernt in der Mannigfaltigkeit und in der Menge der mikroskopisch differenzier¬ 
baren Arten. 

Diese-Thatsache weist darauf hin, dass sich die Bakterien der menschlichen 
Mundhöhle eines ausserordentlich starken Schutzes seitens ihres Mutterbodens er¬ 
freuen; eines Schutzes, der an Kraft einer Symbiose dieser Spaltpilze mit den Körper¬ 
zellen der Mundhöhle nahe kommt, so dass die Bakterien anderswo überhaupt nicht 
gedeihen können und am Orte ihrer natürlichen Ansiedelung — in der Mundhöhle — 
unter allen Umständen vor der Zerstörung geschützt sind. 

Da es sich nun mit den Spaltpilzen des übrigen Tractus intestinalis des 
Menschen ähnlich verhält wie mit denen der Mundhöhle: insofern als überall eine 
grosse Mannigfaltigkeit und Zahl thatsächlich vorhanden ist, und eigentlich nur 
das Bacterium coli und der Milchsäurebacillus ausserhalb des Körpers kultiviert 
werden kann, so muss daraus der Schluss gezogen werden, dass diese Einrichtung 
nicht zwecklos, sondern dass sie nützlich ist. Von einem näheren Eingehen auf die 


') Cohnheim, Zeitschrift für physiolog. Chemie 1901. 


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Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 141 

Funktion einzelner Arten von Darmbakterien, besonders auf die des Bakterium coli, 
sowie auf eine Betrachtung der pathologischer Weise im Darmrohr auftretenden 
Arten glaube ich an dieser Stelle Abstand nehmen zu sollen, und möchte nur darauf 
hinweisen, dass auch die nach dieser Richtung hin angestellten Ueberlegungen zu 
dem Ergebniss führen müssen, dass das Auftreten ungewöhnlicher, als eigentliche 
Parasiten anzusprechender Arten und ihr Konkurrenzkampf mit den physiologischen 
Darmbewohnern zu Störungen in der physiologischen Funktion des Tractus intesti¬ 
nalis führen, unter denen der Gesammtorganismus geschädigt, bedingungsweise zer¬ 
stört wird. 

Der Unterschied zwischen dem Ernährungsmodus der Pflanzen, für welche die 
Nothwendigkeit der Bodenbakterien feststeht, und dem der Thiere, bezw. des Menschen 
ist auch nicht so gross, als es den Anschein hat. Die »Wurzeln« des thierischen 
und des menschlichen Organismus müssen wir eben erkennen in den Darmfalten und 
in den Darmzotten, welche in den nahrhaften Boden — in den Speisebrei — hinein¬ 
hingen und dasjenige resorbieren, was durch die Thätigkeit der Verdauungssäfte 
und durch die Thätigkeit der Darmbakterien vorbereitet ist. 

Zweifellos geschieht der ganze Umsetzungsprozess der Nahrung im thierischen 
und im menschlichen Darmrohr unter dem Einfluss der höheren Temperatur und der 
grösseren Lebensenergie aller dabei betheiligten Elemente schneller und intensiver 
als bei der Ernährung der Pflanze; aber das ist nur ein quantitativer Unterschied, 
kein qualitativer. Im Gegentheil haben die bedeutungsvollen Untersuchungen 
K. B. Lehmann’s 1 ) über Fettbildung aus Kohlehydraten bei Warmblütern (Gänsen) 
die prinzipielle Gleichartigkeit der Fettbildung bei Thieren und bei den Pflanzen 
gezeigt und damit die Aehnlichkeit der Ernährung beider um einen werthvollen 
Beleg bereichert. Immerhin war die von Pasteur bereits im Jahre 1886 gestellte 
Aufgabe: das von Duclaux für die Ernährung der Pflanzen festgestellte Gesetz auch 
für den thierischen Körper experimentell zu prüfen, noch nicht gelöst; denn die 
mühevollen Versuche von Nutall und Thierfelder 4 ), denen es gelungen war, ein 
steril geborenes Meerschweinchen zehn Tage lang mit steriler Milch zu ernähren, 
waren für eine Entscheidung der Frage weder nach der einen noch nach der anderen 
Seite hin als beweiskräftig zu verwerthen. 

Von der Benutzung befruchteter Hühnereier hatte man aber Abstand nehmen 
müssen unter dem Eindruck der Thatsache, dass die Hühnereier bereits im Ovidukt 
mit Bakterien infiziert werden, und daher zur Erzielung steril ausgeschlüpfter Hühnchen 
nicht zu gebrauchen seien. 

Nach einer Reihe diesbezüglicher Vorstudien konnte ich mich indessen doch 
davon überzeugen, dass es gelingt, die auf und theilweise auch in der Eierschale 
befindlichen niederen Pilze zu vernichten, ohne die Keimfähigkeit des befruchteten 
Hühnereies zu stören, bezw. ohne das bereits voll entwickelte sterile Hühnchen im 
Innern des Eies zu töten. Damit war dann auch die Möglichkeit gegeben, der¬ 
artige sterile Hühnchen zum Ausschlüpfen zu bringen und dieselben längere Zeit 
unter Ausschluss von Spaltpilzeu am Leben zu erhalten. 

Indem ich bezüglich der Einzelheiten dieser Versuche auf meine im Archiv 
für Hygiene 8 ) gemachten Mittheilungen verweise, will ich nur kurz hervorheben, 


1) Lehmann, Zeitschrift für Biologie Bd. 42. 

2 ) Nutall und Thierfelder, Zeitschrift für physiologische Chemie Bd. 21 u. 22. 

3 ) Schottelius, Archiv für Hygiene Bd. 34 u. 42. 


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142 Max Schottelius 

dass sämmtliche im Verlauf der letzten sechs Jahre angestellten Versuche unter 
ständiger bakteriologischer Kontrolle der Sterilität aller in Betracht kommenden 
Materialien vorgenommen wurden, und dass die diesbezüglichen Präparate bis auf 
den heutigen Tag steril aufbewahrt werden konnten. Dahin gehören nicht nur die 
in Nährgelatine eingeschmolzenen sterilen Hühnchen selbst, 'sondern auch die 
charakteristisch geformten sterilen Dejektionen der Versuchsthiere, einzelne Federn, 
dje sterilen Futterstoffe, mit denen junge Hühner aufgezogen werden müssen, Kies 
und Sand, Wasser und Eierschalen. Alle diese Materialien mussten fortlaufend auf 
Sterilität geprüft werden, denn am Ende des jeweiligen Versuchs hätte ja doch das 
in Nährgelatine eingeschmolzene Hühnchen das Misslingen des Versuchs ad oculos 
demonstriert. 

Während in den ersten Jahren die Versuche jeweils absichtlich unterbrochen 
wurden, um thunlichst von Tag zu Tag die Unterschiede zwischen den steril ge¬ 
züchteten und den normalen Kontrollhühnchen festzustellen, haben wir in den letzten 
drei Jahren stets den spontanen Tod der steril gezüchteten Hühnchen abgewartet 
und dann erst die Einbettung der abgestorbenen Thiere in Nährgelatine vorgenommen. 
Gleichzeitig wurde dann das zugehörige Kontrollhühnchen getötet, die betreffenden 
Wägungen gemacht und die Zahlen eingetragen. 

In dieser Weise wurden im ganzen 22 Versuche durchgeführt und in allen Fällen 
gleichmässig das Resultat erzielt: dass bei steriler Züchtung und steriler Nahrungs¬ 
aufnahme niemals eine Gewichtszunahme eintritt, sondern dass — wie bei den 
Pflanzensamen — das Leben nur auf Kosten der im Körper des neugeborenen 
Thieres vorhandenen Stoffe gefristet wird; dass eine fortschreitende Gewichtsabnahme 
des sterilen Thieres stattfindet, welche bis zu einem Verlust vo.n 32°/ 0 des ursprüng¬ 
lichen Körpergewichtes führt, während in der gleichen Zeit bei den normalen Kontroll¬ 
hühnchen, welche mit nicht steriler Nahrung genährt waren, ein Gewinn von 117 "/o 
des ursprünglichen Körpergewichtes zu verzeichnen war. 

Länger als 30 Tage konnte ein steriles Hühnchen nicht am Leben erhalten 
werden; meistens gehen die Thiere schon nach etwa 14 Tagen ein, leben also nur 
wenig länger als ein unter gewöhnlichen Verhältnissen ausgebrütetes Hühnchen am 
Leben bleibt, wenn man das Thier verhungern lässt. 

Uebrigens bietet das Verhalten der steril gezüchteten Hühnchen während ihrer 
Lebenstage mancherlei Interessantes. Ich war anfangs der Meinung, man müsse — 
etwa durch eine Glaswand von dem sterilen Hühnchen getrennt — eine Henne mit 
einigen gleichaltrigen Hühnchen einstellen, damit die mutterlosen Thiere durch 
Imitationstrieb das Aufsuchen und Fressen der Nahrung und des Wassers lernen 
könnten. Das ist aber durchaus nicht nothwendig, sondern nachdem das aus¬ 
geschlüpfte Hühnchen sich, meist am zweiten Tage, auf die Füsse stellen kann, 
taumelt es noch einige Zeit unsicher hin und her, fällt wieder nieder und ruht 
stundenlang aus; dann aber steht und läuft es sicher auf den Beinen und beginnt 
sofort mit dem Schnabel am Boden zu picken und von dort kleinkörnige Gegen¬ 
stände aufzunehmen. Das Bodenmaterial besteht aus gewaschenem kleinkörnigen 
Kies, gemischt mit der für junge Hühnchen geeigneten Nahrung: gequollene Hirse¬ 
körner, gehacktes hartgekochtes Eiweiss und zerstossene Eierschalen. Man kann 
nun beobachten, und auch durch die Untersuchung der Dejektionen feststellen, dass 
die Thierchen sehr bald die verschiedenen Körner zu unterscheiden wissenj, ;nur 
wenige Steinchen aufnehmen und sich an die Nahrungsmittel halten. Ebenso finden 
sie das Wasser und vermeiden es, hineinzufallen. In den allerersten Tagen kommt 


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143 


Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 

es wohl einmal vor, dass ein Hühnchen mit den noch ungeschickten Beinbewegungen 
über den Rand des Wasserbehälters stolpert und in das flache, etwa 1 cm hoch mit 
Wasser gefüllte Becken hineinfällt; aber sofort erhebt es sich und stolpert oder 
wälzt sich wieder über den Rand aufs Trockene. Die instinktive Selbstständigkeit 
dieser Thiere ist eine ganz eminente! 

Eine andere ebenfalls sehr interessante Erscheinung drückt sich darin aus, dass 
die steril gehaltenen Hühnchen ständig Hunger haben und eigentlich fortwährend 
fressen und verdauen, bezw. Dejektionen absetzen. Das findet bei den sterilen 
Hühnchen in ungleich höherem Maasse statt als bei den normal ernährten Thieren. 
Auch bei letzteren ist ja — wie man sich auf jedem Hühnerhofe überzeugen kann 
— der Darmkanal von einer bewundernswerthen Leistungsfähigkeit, aber diese steril 
gezüchteten Thierchen übertreffen in der Fresslust und in der Ausscheidung des 
Iiarminhalts die normal genährten Kontrollthiere um das Vielfache! 

Die steril gehaltenen sind auch viel unruhiger; sie jagen eben fortwährend 
nach Nahrung umher. Wenn eines ein Stückchen Eierschale oder sonst ein Körnchen 
ergriffen hat, welches es nicht gleich hinunterschlucken kann, so suchen die Anderen 
es ihm mit allen Mitteln abzujagen; dann schlingt es das Erste mit Mühe hinunter, 
und Alle fallen aufs Neue über die auf dem Boden verstreute sterile Nahrung her. 
Und trotz dieses fortwährenden Fressens und trotz desVerdauens durch 
die Körpersäfte wachsen die Thiere nicht, sondern nehmen ständig ab 
an Körpergewicht und an Kräften! 

Nachdem nun durch diese Versuche im Prinzip feststeht, dass für die Er¬ 
nährung der Thiere — speziell für die warmblütigen Wirbelthiere — die Thätigkeit 
der Darmbakterien nothwendig ist, eine Thatsache, welche nicht nur durch allgemeine 
biologische Ueberlegungen und Erfahrungen unterstützt, sondern neuerdings auch 
durch die experimentellen Untersuchungen von Mme. 0. Metschnikoff 1 ) an Frosch¬ 
larven bestätigt wurde, wird es sich zum Verständniss der Physiologie und der Patho¬ 
logie des Tractus intestinalis um den weiteren Ausbau dieser biologischen Lehre 
von der Ernährung handeln. 

Bereits haben die im vorigen Jahre im hiesigen Institut angestellten Versuche 
ergeben, dass die absichtliche Inficierung der sterilen Nahrung mit einer Aufschwem¬ 
mung von normalem Hühnerkoth die Kräfte stark heruntergekommener und dem 
Absterben naher Hühnchen wiederherstellen und die Thiere dem Leben zurückgeben 
kann; auch Reinkulturen des Bacter. coli gallinarum haben denselben unmittelbaren 
und drastischen Erfolg. Aber alle diese so bedeutungsvollen Versuche würden natür¬ 
lich damit erst einen voll befriedigenden Abschluss erreichen, wenn es gelänge, das 
Gesetz von der Nothwendigkeit der Darmbakterien für die Ernährung auch durch 
•len Versuch am Säugethier zu bestätigen. 

Die schönen Versuche von Nutall und Thierfelder haben dazu schon ein 
gutes Stück vorgearbeitet und den Weg geebnet. Nach meinen bisherigen Erfahrun¬ 
gen halte ich wohl für möglich, eine Versuchsanordnung zu treffen, nach welcher 
eine längere Beobachtungsdauer steril gezüchteter Meerschweinchen durchführbar ist. 
Dabei bin ich mir wohl bewusst, dass solche Versuche am^Säugethier zu einer Ver- 
werthung für die Ernährungstheorie bezw. für die Bedeutung der Darmbakterien 
erst dann herangezogen werden können, wenn bei den Meerschweinchen an Stelle 
der Milchernährung die normale Pflanzennahrung dieser Thiere getreten ist. 


') Annales de l’Institut Pasteur Bd. 15. 


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144 Max Schottelius, Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 


Die Milch, welche bei den Hühnchen durch das Hühnereiweiss im Ei ersetzt 
wird, bildet einen für das Junge bestimmten Theil des mütterlichen Organismus, 
und das junge Thier steht überhaupt noch nicht auf dem Boden einer eigenen Er¬ 
nährung, so lange es auf die vom mütterlichen Körper gebildeten Nährwerthe an¬ 
gewiesen ist, gerade so wenig, wie man beim Hühnchen im Ei von einer selbst¬ 
ständigen Ernährung sprechen kann, so lange noch das mütterliche Hühnereiweiss 
resorbiert wird oder bei einem Pflanzensamen, so lange noch das Amylum des Samen¬ 
kornes zum Aufbau des Pflanzenkörpers dient. 

Dann erst kommt die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung in Frage, 
wenn das Individuum, mag es nun ein Huhn oder ein Meerschweinchen oder sonst 
ein Thier oder der Mensch sein, unabhängig vom mütterlichen Organismus sich zu 
erhalten hat. 

Uebrigens lassen sich auch, abgesehen von den wohl einer späteren Zukunft 
vorbehaltenen Versuchen am Meerschweinchen, mittels des Hühnerexperimentes noch 
eine ganze Reihe leichter zugänglicher Fragen lösen. Zunächst wird es darauf an¬ 
kommen, den Versuch mit den Bacillus coli gallinarum mehrmals rein durchzuführen, 
derart, dass Hühnchen in einem thunlichst vorgeschrittenen Wachsthumstadium vor¬ 
liegen, welche ausschliesslich diesen Bacillus coli enthalten. Der Grad der Ent¬ 
wicklung dieser Hühnchen sollte dann nicht nur mit dem der steril gezüchteten Thiere 
verglichen werden, sondern namentlich auch mit den der im Freien aufgewachsenen 
Kontrollhühnchen. In dieser Weise müssen jedenfalls die wichtigsten der konstant 
im Hühnerdarm vorkommenden Spaltpilzarten einzeln und kombiniert auf ihre Wir¬ 
kung geprüft werden. Dazu muss sich die histologische und die chemische Unter¬ 
suchung der steril gezüchteten und der mit Bakterien gefütterten Thiere gesellen. 
Sodann bietet gerade das Huhn Gelegenheit, eine Reihe pathogener Spaltpilze zu 
studieren, welche vom Darm aus wirken, so dass vielleicht auch für die Pathologie 
des Darmrohres aus den Hühnerexperimenten Aufschlüsse erwartet werden können. 
Wie dem aber auch sei, soviel steht schon jetzt fest, dass sowohl für das Leben 
der Pflanzen als auch für die Ernährung der Wirbelthiere und für den Menschen die 
Thätigkeit der Darmbakterien nothwendig ist. 


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Hans Rüge, Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeut. Bemerkungen. 145 


II. 

Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen 
therapeutischen Bemerkungen. 

Von 

Dr. Hans Rage, 

Privatdozenten der inneren Medicin in Berlin. 

In dem grossen Gebiete der physikalischen Behandlungsmethoden nimmt die 
Massage einen hervorragenden Platz ein. 

Zusammen mit der Gymnastik bildet die Massage die Mechanotherapie (Bi 11- 
roth) im engeren Sinne. »Dieselbe stellt mit der Elektro- und Hydrotherapie die 
Trias der physikalischen Behandlungsmethoden dar (Bum).« 

Während wir nun durch Klein wissen, dass es bei der Heilgymnastik auf 
eine Uebung und Kräftigung der Organe (nicht der Gewebe) ankommt, und dass 
wir dieselbe durch Bewegungen (nicht Handgriffe) erzielen, besteht die Massage im 
Gegensätze dazu in Handgriffen, welche zu Heilzwecken ausgeübt werden und 
ohne Willen des Patienten auf mechanischem Wege die Gewebe des Körpers be¬ 
einflussen (Buchheim). 

Die Richtigkeit des engen Zusammenhanges zwischen. Massage und Gymnastik 
für alle praktischen Heileingriffe muss natürlich unbedingt anerkannt werden; 
ebenso wie es für uns hier nothwendig ist, beide getrennt zu behandeln, sobald wir 
ihre physiologische Bedeutung beurtheilen wollen. 

Die Massage ist ursprünglich eine rein empirische, freilich schon sehr lange 
bekannte Behandlungsmethode, die, lange Zeit vorwiegend von Laien ausgeübt, sich 
mehr und mehr als berechtigte Heilmethode bei den Aerzten einbürgert. 

Die Geschichte der Medicin giebt erhebliche Hinweise auf das hohe Alter der 
Massage und ihre Verwendung zu Heilzwecken. Ferner ersehen wir auch, dass 
schon in den ältesten Zeiten sich gelegentlich hervorragende Männer dieser Heil¬ 
methode mit Eifer zugewandt haben. 

Herodikus und HJippokrates haben sie schon um das Jahr 400 v. Chr. zu 
Heilzwecken geübt. Zu den Römern kam sie durch Alklepiades und wurde dort 
später durch Celsius und Galenus eifrig gepflegt. 

»Im Mittelalter«, sagt Bum, »konnte der von den Aerzten der Kulturvölker 
des Alterthums so verheissungsvoll angebahnte Weg mechanischer Therapie keine 
Fortsetzung finden. Erst im 16. Jahrhunderte, nachdem Ambroise Parti (1517 bis 
1590) den ersten Versuch unternommen, für die Mechanotherapie anatomischen und 
physiologischen Boden zu finden, sind Gazi und Fabricius ab Aquapendente 
in Italien, Thimothy Bright in England, Champier du Choul und Faber de 
Saint Jory in Frankreich und Leonhard Fuchs in Deutschland der Methode 
nähergetreten. Der erste aber, dessen Genius auch auf das Gebiet der Massage und 
Gymnastik einen Strahl seines Geistes fallen liess, und welcher die physiologische 
Wirkung dieser Methoden klaren Auges erschaute, war Bacon von Verulam (1561 


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146 Hans Rüge 

bis 16*26)«, der hervorragende Philosoph und Zeitgenosse der Königin Elisabeth von 
England. 

Weitere interessante Einzelheiten aus der Geschichte der Massage und ihrer 
allmählichen Weiterentwickelung in unserer Zeit geben Bum und Länderer in 
ihren Lehrbüchern. 1 

Auch jetzt noch steht eine grössere Anzahl von Aerzten der Massage skeptisch 
gegenüber; und dafür scheinen hauptsächlich zwei Ursachen vorhanden zu sein, die 
beide an sich im Wesen ärztlicher Auffassung ihren berechtigten Platz haben: Ein¬ 
mal die natürliche Abneigung gegen alles, was von Charlatanen, Kurpfuschern und 
rohen, ungebildeten Heilkünstlern mit Eifer betrieben wird, wozu leider die Massage 
— oft freilich nur die Karrikatur der Massage — gehört. Und zweitens die Skepsis 
gegen Methoden, deren wissenschaftliche und speziell physiologische Begründung 
noch unvollkommen ist. 

Die folgenden Zeilen bezwecken, einen auf physiologische Untersuchungen ge¬ 
gründeten Beitrag zur Klärung dieser Frage zu liefern, und zwar einen Versuch zu 
machen, die physiologische Wirkung der Massage besonders auf die Muskeln 
selbst zu erklären. 

Die eingehenden Untersuchungen, die ich im physiologischen Institute bei 
Herrn Professor Engelmann in Berlin angestellt habe, sind an anderer Stelle 1 ) 
ausführlich niedergelegt worden. Ich möchte dieselben daher nur soweit hier erörtern, 
wie es für das Verständniss des Arztes nothwendig ist, dem die speziell physiologischen 
Methoden ferner liegen. 

Die physiologische Wirkung der Massage ist von den verschiedensten Gesichts¬ 
punkten aus untersucht und beurtheilt worden. Gross ist die Zahl der Arbeiten, 
die sich mit der sekundären Massagewirkung auf den ganzen Organismus be¬ 
schäftigen, oder die Folgewirkungen der Massage auf Stoffwechsel, Nieren- und Herz- 
thätigkeit u. s. w. zu eruieren suchen; nur klein die Zahl der Autoren, welche die 
primäre Wirkung der Massage auf die gekneteten Organe (z. B. Muskeln) selbst unter¬ 
sucht haben. 

Die mit Gymnastik und passiven Bewegungen verbundene Massage (steifer 
Gelenke u. s. w.) muss in der folgenden Besprechung unberücksichtigt bleiben. 

Die primäre Wirkung der Massage, d. h. die direkte Einwirkung auf die 
Muskeln, haben besonders Zabludowski, Mosso und Maggiora untersucht. 
Davon weiter unten. 

Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten haben demgegenüber den Einfluss der 
Massage auf den Stoffwechsel und die Harnsekretion zum Gegenstände. 

Zabludowski, der wohl zuerst Stoffwechselversuche bei Massage an drei 
Personen anstellte, gelangte, seiner unsicheren Methode entsprechend, zu wechselnden 
Resultaten, die keine klaren Schlüsse zulassen. 

Gopadse fand eine um 1—4% vermehrte Umsetzung der stickstoffhaltigen 
Substanzen in Harn und Koth. 

Keller’s Untersuchungen zeigten vermehrte Stickstoffabscheidung, nebst 
Steigerung der Schwefelsäureausscheidungen, Zunahme der Chloride und der 
Phosphorsäure im Harn; dagegen keine Steigerung der Harnmenge durch Massage. 


D Rüge, Die physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel. Archiv für Anatomie 
und Physiologie 1901. Physiologische Abtheilung S. 4C6. 


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Physiologisches über Muskelmassagc nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 147 

Polubinski fand als Wirkung der Massage bei allen seinen zehn Versuchs¬ 
personen vermehrte Harnabsonderung; die Harnstoffmenge war einige Male vermehrt, 
andere Male vermindert. 

Erhebliche Steigerung der Harnmenge nach Bauchmassage hatte Hirschberg 
schon zwei Jahre vorher festgestellt. 

Auch Bum fand (bei kurarisierten Hunden) regelmässige Steigerung der 
llarnsekretion, ebenso nach ihm Le Marinei. 

Später (1893) konstatierte Bum dasselbe bei zwei Versuchspersonen in ‘20 Tage 
andauernden Versuchsreihen. Als Ursache dieser Vermehrung wurden die während 
der Massage aus der Muskulatur in den Kreislauf gelangenden Stoffe erkannt. Er 
stellte ferner fest, dass »die Vermehrung der Harnmenge durch Expression der 
Gewebe« bedingt ist. 

Sichere Schlüsse über die Wirkung der allgemeinen Körpermassage auf die 
Harnstoffausscheidung konnte er nicht ziehen. 

Dunlop u. a. fanden in neuester Zeit bei ihren Untersuchungen, die sich aller¬ 
dings nur auf einen Fall erstreckten, geringe Vermehrung des Urins nach Massage, 
keine Vermehrung der Stickstoffausscheidung, keine Vermehrung der Harn¬ 
säure, der Sulfate, der Chloride. 

Durch sehr sorgfältige Stoffwechseluntersuchungen an drei Personen hat Bend ix 
diesen Gegenständ wesentlich gefördert. Er kommt bei allen drei Versuchen zu 
demselben Resultate, dass die Harnmenge und die Stickstoffausscheidung 
durch Allgemeinmassage des ganzen Körpers zunehmen. Der Eiweissstoffwechsel und 
auch die Harnsekretion werden demnach durch Massage günstig beeinflusst. Bei 
seinem dritten Versuche an einem Kinde konnte er auch eine Abnahme des Fettes 
im Koth feststellen, also eine bessere Resorption des Fettes infolge der Massage. 

Des weiteren wurde der Einfluss der Massage auf den respiratorischen Gas¬ 
wechsel untersucht. Leber und Stüve fanden eine Zunahme des Gasstoffwechsels 
durch Muskelmassage, und zwar für den Sauerstoffverbrauch eine Zunahme um 
13,tio/o, für die Kohlensäureproduktion eine solche um 12,9 °/ 0 . Aber sie kamen 
im Verlaufe ihrer Untersuchungen zu dem Resultate, dass bei der Massage 
breiter Muskelmassen, d. h. eines so umfangreichen Muskelgebietes, wie 
es von dem Masseur unter Gebrauch beider Hände gleichzeitig be¬ 
arbeitet werden kann, der Gaswechsel nicht höher steigt, als durch 
aktive, ohne Belastung ausgeftihrte Kontraktionen der Fingerbeuger 
und Fingerstrecker von gleicher Zeitdauer! 

Wenn es also blos darauf ankäme, eine Steigerung des Gesammtstoffwechsels 
zu erzielen, dann würde die Massage hinter der aktiven Gymnastik zurückstehen. 

Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die »Massage« eines Muskels keinen 
vollen Ersatz für »aktive Bewegungen« desselben bilden kann. Auch meine 
physiologischen Untersuchungen am Muskel zeigen zur Evidenz, dass »Massage«, 
ihrer Wirkung nach, der »Thätigkeit« des Muskels nicht analog ist, in mancher 
Hinsicht sogar das Gegentheil dazu darstellt. Denn fortgesetzte Thätigkeit eines 
Muskels zeigt zunehmende Ermüdungserscheinungen desselben, eine eingeschobene 
Massage (von z. B. fünf Minuten Dauer) aber bringt ihm »Erholung«, und zwar 
eine viel vollkommenere Erholung, als eine ebensolange währende Ruhepause. 

Die Wirkung der Massage auf den Blutdruck scheint mir noch nicht recht 
klargestellt. Nach Colombo soll eine allgemeine Muskelmassage denselben erhöhen 

Edgecombc und Bain, die mit Oliver’s Hämadynamometer arbeiteten, 


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148 Hans Rüge 

fanden bei sehr ausgiebiger Bauchmassage ebenfalls eine Erhöhung des gesammten 
Blutdrucks. Die gewöhnlichen Massageeinwirkungen setzten aber den arteriellen 
Blutdruck herab, während der venöse stieg. 

Le Marinei konstatierte dagegen nur in der Minderzahl seiner Versuche eine 
geringe Blutdrucksteigerung bei Massage der Muskulatur der Hinterbeine. 

Brunton und Tunnicliffe äussern sich dahin, dass die Massage einer 
grösseren Muskelgruppe zunächst ein leichtes Steigen des Gesammtblutdruckes ver¬ 
anlasst, dem bald ein erhebliches Sinken des Blutdrucks folgt. 

Kl een stellte fest, dass mechanische Muskelreizung stets eine schnell vorüber¬ 
gehende Herabsetzung des Blutdrucks bedingt. 

Nach diesen Versuchen Kl een’s ist es am wahrscheinlichsten, dass Knetungen 
der Muskulatur u.s.w. den Blutdruck eher herabsetzen, was Bum ebenfalls annimmt. 


Wir kommen nun zu dem eigentlichen Thema, der Wirkung der Massage auf 
den Muskel selbst. 

Die Litteratur über dies spezielle Thema ist nicht sehr umfangreich. 

Zabludowski hat wohl als erster diese Wirkung durch Thierversuche studiert. 
In meiner oben citierten Arbeit habe ich dieselben eingehend besprochen. Hier soll 
nochmals kurz hervorgehoben werden, dass nach meinen zahlreichen Versuchen am 
Froschmuskel (am entbluteten, wie am durchbluteten) Zabludowski mit Unrecht 
die »Hubhöhen« der Muskelkontraktionen bei der Prüfung der Massagewirkung zu 
Grunde legt. Es ist vielmehr unbedingt nothwendig, den »Verlauf« der Einzel¬ 
kontraktionen in erster Linie zu berücksichtigen. Ferner ist meines Erachtens die 
Anzahl seiner Versuche eine viel zu kleine. 

Maggiora untersuchte mit dem Mosso’schen Ergographen den Einfluss der 
Massage beim Menschen. Er schrieb mit diesem Apparate eine Bewegungskurve 
seines belasteten, bis zur Erschöpfung bewegten Mittelfingers auf. Das war also 
auch eine Kurve der Hubhöhen und zwar eine Ermüdungskurve. 

Die interessanten Einzelheiten seiner Arbeit sind ebenfalls schon besprochen. 
Er kommt zu folgenden Schlüssen: 

Die Massage erhöht die Arbeitsfähigkeit des gut ausgeruhten Muskels. 
Ohne Massage wurden 4,272 kgm mechanische Arbeit geleistet, dagegen nach 
Massage 8,019 kgm! 

Die Steigerung der Arbeit besteht nicht in einer Zunahme der Höhe der ersten 
Kontraktionen, sondern in einer grösseren Zahl derselben und darin, dass sie lang¬ 
samer abnehmen. 

Der ermüdete Muskel erholt sich, wenn man ihn massiert, weit früher, als 
wenn man ihn sich selbst überlässt. 

Die besten Resultate konnten durch gemischte Massage (Kneten, Klopfen, 
Reiben u.s.w. abwechselnd) erzielt werden. 

In einer fünf Minuten lang dauernden Massage (derselben Muskeln) liegt 
durchschnittlich der grösste Nutzeffekt, den man durch Massage erhalten kann. 

Bei Ermüdung des ganzen Körpers (durch einen Spaziergang von 17 km, durch 
eine Nachtwache, durch geistige Anstrengung, durch Fasten und durch Fieber) trat 
die stärkende Wirkung der Massage auch an den erst mittelbar ermüdeten 
Muskeln zu Tage. 

Es wäre noch zu erwähnen, dass Maggiora die Kontraktionen seiner Muskeln 
theils willkürlich auslöste, theils durch elektrische Reizung vom Muskel oder vom 


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Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 149 


Nerven aas. So ansprechend seine Arbeiten auch sind, so muss doch hervorgehoben 
werden, dass den Experimentator solche Versuche an sich selbst leicht zu einer 
subjektiven Förderung der gewünschten Resultate verleiten können. Auch wäre es 
zweckmässig gewesen, ausser der Hubhöhe auch die Dauer der einzelnen Kontraktionen 
zu berücksichtigen. 

Mit der nämlichen Methode der Prüfung der Hubhöhen am Lebenden 
kommt Brandis zu entgegengesetzten Resultaten. In seinen Versuchen brachte 
zwar die Pötrissage »das schmerzhafte Ermüdungsgefühl sofort zum Verschwinden«, 
»aber«, sagt er, »der von Maggiora gefundene auffällige, stärkende Einfluss der 
Massage konnte in keinem Falle durch meine Versuche konstatiert werden«. 

Also bei der Prüfung der Hubhöhen des Muskels das eine Mal positive 
Resultate (Zabludowski, Maggiora), das andere Mal negative (Brandis)ü 

Schon das beweist, dass diese Methode nicht zum Ziele führen, d. i. den Werth 
der Massage für die Thätigkeit des Muskels nicht klarlegen konnte. 

Brandis sucht den Fehler der Methode in der subjektiven Beeinflussung der Ver¬ 
suche bei Maggiora. Dass die Versuche nicht am Objekt (Versuchsthier) angestellt 
wurden, sondern am Subjekt (dem Experimentator selbst), war sicher nicht zweckmässig. 

Aber Brandis’ Versuche, die diesen Fehler dadurch auszuschalten suchen, 
dass er unbefangene Versuchspersonen nimmt, leiden eben an dem anderen Fehler 
Maggiora’s, die Hubhöhen des Muskels zum Ausgange der Betrachtung zu wählen. 

So kommt Brandis zu der meines Erachtens unrichtigen Annahme, dass 
die Ermüdung »vorwiegend im nervösen Gentralorgan ihren Sitz hat, so dass also 
eine sofortige restaurierende Wirkung der Muskelmassage nicht zu erwarten ist«. 

Durch meine im folgenden zu schildernden Versuche meine ich aber gerade 
nachgewiesen zu haben, dass eine restaurierende Wirkung der Muskel¬ 
massage in erheblichem Maasse vorhanden ist 


Die Versuche wurden im wesentlichen nach drei Richtungen ausgeführt, und 
zwar wurden untersucht: 

1. die Hubhöhen mit und ohne eingeschaltete Massagen; 

2. der Zuckungsverlauf ebenso; 

3. die Wirkung von eingeschalteten Pausen und Massagen beim durch Tetanus 
ermüdeten Muskel. 

Die grössere Anzahl der Versuche wurde am blutdurchströmten Muskel an¬ 
gestellt Nur eine kleinere Zahl von ausgeschnittenen Nerv-Muskel- und Muskel¬ 
präparaten (letztere von kurarisierten Fröschen) kam zur Untersuchung, wobei die 
Muskeln mit Haut bedeckt blieben, um die Austrocknung zu verhindern. 

Da es zweckmässig schien, die Versuche hauptsächlich durch Reizung vom 
Nerven aus anzustellen, um den natürlichen Verhältnissen näher zu kommen, konnte 
nur in einigen Fällen Kurare angewendet werden. Die Mehrzahl der Frösche wurde 
durch Chloroformalkohol betäubt. Dann wurde vorsichtig, ohne viel Blutverlust, die 
Achillessehne freipräpariert; desgleichen an der Rückseite des Oberschenkels der 
Ischiadikus freigelegt und oben durchschnitten. 

Der ganze Frosch wurde auf einem Holzbrettchen festgelegt, welches wagerecht 
an das Stativ festgeschraubt werden konnte. 

Oben wurde der Muskelansatz des Gastroknemius (das Knie) in eine Metall¬ 
klemme eingeschraubt, die Achillessehne des senkrecht freihängenden Muskels unten 


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I 50 Hans Rüge 

durch einE-förmiges Poppelhäkche» »Bit einem Sehrcibheh.ef verbunden. «leisen 
■ Drehpunkt ßah.e an der« Stativ lag,; mit welchem auch «iic Känekletnme oberhalb 
durch einen festen M-etall^tat* verbunden war. 

Der Sdu-eibliebet schrieb auf eine rotierende TVomhh'S jX?fcinzpajuer mit be- 
msster Oberfläche)- die Hubhöhen respektive den Verlauf der Zuckungen des Muskels 
(verdrössen) auf. 

Die ßeisung des Xervus ischiadiees erfolgte durch maximale OeJfi»uugs- 
•'i»dufctJMWSschläge. die in Dausen von je 1—2 Sekunden. erfolgten n. 

Der Muskel hob jedesmal eia (lewiebc v«u ca. <; g. Er wurde durch fortgesetzte 
IDiizeireize ermüdet 

Es wurde rmö geprüft, oh kurze ftuhepauseu von. fünf bis zehn Minuten dem 
Muskel bessere jEfholühg verschafften oder «heasofeßge datsefhdc Massagen. Massagen 
van nur iMhf Minotfen taaghr Dauer wucdfeö bevorzugt, t^^inaeli. Mk&giura fiir 
den Muskeleiöea hes'üi$grs guten Nutzeffekt fetibe«, Jeh ffl&jufoite hei dem kleine»» 
Froselvmuskel mit Vorliebe die- gemischte Massage (bestehend in Knetungen, 
Klopfungen, Reifungen und Streichungen), die ja besonders zweckmässig, gefunden 
woräßö ist. 

Eine ganze Reihe von Kurven wurden hei sehr langsamer Drehung der he- 
rnsaten Tmmmel aafgeiiommen, m 'dass die in Pausen von einer Sekunde erfolgenden 
Einzelzuekungen des Muskels im wesefti liehen nur die Hubhöhe.»' anfeeidujeten Da¬ 
bei konnte das den Physiologen lange bekannte Phänomen der »Treppe« -) beobachtet 
werden. Mudich bei gleichem»}■ Reize wurde jede Hubhöhe etwas höher. als die 
Vörhergehende. Das ging »ft. biw. zur. •»lreihuB.dertsten,, ja Vierhwiideftsteö Zuckung 
des Muskel» «t> forld ädsdann begann der »S-bfall von der’T|ep|m<, ff.1i, die Hubhöhen 
nehmen langsam an (JWisse ah. big. ld 4 f bildet ein gutes Beispiel dafür. 


% 13. 

J. bis :j7. Zuckung,. * 401. bis 4 M». Zuckung. 



Theil $ptir t»Trq>pv<. ThoO eines $ Abfalle vorn der Treppt»*. 

Bei taaxinialeu gMd^rarken .Uoiicon vs wde« die llubhubeu der f-XtepptM iilliniiiilieJk.-ÄrrÖsserf. 
Peiin >* Abfall vor» <b*v w*vd<-n *<»■ illjailKjfcji wiedor kkintot 


AVwde nun e)öa- Massig ins erste- Stadium (der »Tre-ppcct Omjr^vhaiiet, so. 
wurden die niieMtfö ffubhfilrcu datmrh kleiner alt die vorheiiiejHMid^ii::■.wurde 
t*jde ii'oicdie > .Massagejifri Wm tea Studium (de$ * A bfalls vonder■. 
so wurden die nächsten nubhujiißB grösser, als dbyomgey yvr der .Massive. 

SeliMü m* 'diesen- beiden fteolm« litiingeti» auf deren Inaieniung nn anderer Stelle 

d Lbc r.itdnlttiuösftch'lägv Würde» dem Ni.*rve<t ryrmrttelH tlos 1 "»dyrlieotowi» von ivn.^ol mann 
o«Jvi der ßalfzar>et«oi». Vbr\ oder AUUzki\bnms 

A TJt&. PhanuariMt der irc'ppo usf äufcrfct \m lio^Iirielrnj ^üftk-n; 

o fiiaxlTifalet*. 

/*):Sämaitij<;hiD hier Uiit^ethriUeii Kum^i • hübe loh lin Borlmer ptovsiulo^sefteti ifistifouo im- 


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Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 151 

eingeg&ngen ist, geht hervor, dass die Hubhöhen keine klare Einsicht in das Wesen 
der Muskelmassage ermöglichen können. 

Erwähnenswerth ist, dass Rollet schon vor mehreren Jahren darauf hingewiesen 
hat, dass frühere Forscher den Hubhöhen fälschlich eine viel zu grosse Bedeutung 
für die Beurtheilung der Ermüdung und Erholung des Muskels beigemessen haben. 


Wir werden im folgenden sehen, dass der Verlauf der Einzelzuckungen (auf- 
geoommen bei schnell rotierender Trommel) uns in ganz entscheidender Weise Auf¬ 
schluss über die Wirkung der Massage auf den Muskel giebt. 

Helmholtz, Funke u. a. haben schon darauf hingewiesen, dass der Verlauf 
der Zuckungskurve mit zunehmender Ermüdung immer gedehnter wird; das heisst 
also, dass der Muskel mit zunehmender Ermüdung immer langsamer sich zusammen¬ 
zieht und besonders sich auch viel langsamer wieder ausdehnt. Der ermüdete 
Muskel arbeitet träger, als der frische. 

Ein Beispiel hierfür giebt Fig. 14. Hier sehen wir drei Kurven vom durch¬ 
bluteten Gastroknemius: 

Fig. 14. 


Vw Secunde. 




Zuckungskurven vom durchbluteten Gastroknemius. 

Die 1. Zuckung läuft ab in etwa 0,14 Sekunden 

» 100. » j> » b » 0,28 » 

» 200. » » » » * 0,70 » 

In Fig. 14 braucht die 100. Kontraktion des Muskels die doppelte Zeit, wie die 
erste; die 200. Kontraktion braucht schon das Fünffache an Zeit gegenüber der 
1. Kontraktion. 

Rollet zeigte dann, dass, wenn man einen Muskel in Pausen von zwei Sekunden 
mehrere hundert Male hintereinander durch gleichstarke (maximale) elektrische Reize 
zur Kontraktion bringt und dann dem Muskel eine Ruhepause von z. B. fünf Minuten 
gönnt, dass sich der Muskel dann erheblich erholt und wieder viel flinker arbeitet. 

Rollet’s Versuche habe ich nachgeprüft und durchaus bestätigt gefunden. 

Es handelt sich hier und in den folgenden Erörterungen durchweg um durch¬ 
blutete Muskeln am lebenden (meist chloroformierten) Frosch. 

Fig. 15 zeigt die zunehmende Ermüdung eines Muskels von der 1. bis zur 


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152 


Hans Rage 

200. Zuckung. Der Muskel ist hier schon nach 200 Zuckungen ziemlich stark er¬ 
müdet, wie die flache, lange Kurve zeigt, die fast dreimal so lang ist, wie Kurve 1. 

Nun wird eine Pause von 10 Minuten gemacht, wodurch der Muskel sich so 
sehr erholt, dass er zu einer Kontraktion und Wiederausdehnung nur halb so lange 
Zeit braucht (= Kurve 201), als vor der Pause. Ausserdem ist diese Kontraktion 
(No. 201) nach der Erholungspause auch erheblich höher, als die letzte vor der Pause. 

Man sieht also daraus den erheblichen Nutzeffekt der Ruhepause für die Er¬ 
holung des Muskels. 

Bei meinen weiteren Untersuchungen stellte sich nun aber heraus, dass man 
durch Massagen, die während solcher kleiner Pausen auf den Muskel einwirken, eine 
viel bedeutendere Verkürzung der Kontraktionsdauer des Muskels erzielen kann, 
als durch einfache Ruhe. 

Fig. 15. 



Es wurde in dieser Richtung eine ganze Reihe von Versuchen angestellt, die 
stets dieselben Resultate ergaben, und zwar ebenso bei direkter Reizung des 
Muskels, wie bei indirekter vom Nerven aus. 

Kehren wir wieder zu Fig. 15-zurück. Die Kurve 201 nach der Ruhepause 
zeigte zwar eine recht gute Erholung des Muskels. Aber nachdem der Muskel 
wieder 20 Kontraktionen ausgeführt hatte, fügten wir eine zehn Minuten dauernde 
Massage ein. Die nun folgende Zuckung (die 221.) zeigte eine viel gründlichere 
Erholung nach dieser Massage, als die (201.) Kurve nach der der einfachen Pause. 
Hier hielt die Erholung nach Massage während der folgenden 20 Kontraktionen auch 
viel besser an, als die Erholung nach der Pause. (Man vergleiche die 20. Kurve nach 
der Massage [s. No. 240] mit der 20. Kurve nach der Ruhepause [s. No. 220]). 

Die Dauer der beiden verzeichneten Kurven (in Fig. 15) nach der Ruhepause beträgt 
0,18 resp. 0,26 Sekunden, dagegen nach der Massage nur 0,12 resp. 0,16 Sekunden, 
ist also viel kürzer nach Massage! Also arbeitet der Muskel nach Massage 
flinker, und die gute Massagewirkung ist auch von erheblicher Dauer. 

In meiner mehrfach zitierten Arbeit ist ein Versuch abgebildet und dort auf 
Seite 479 besprochen, in welchem die erfrischende Wirkung der Massage auf den 
Muskel sich über mindestens 110 Kurven deutlich sichtbar erstreckt. Man sieht 


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Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 153 


daselbst ferner einen Versuch, wo nach 960 Kontraktionen eine Massage von nur 
drei Minuten Dauer dem Muskel eine ganz eklatante Erholung bringt. Die Erholung 
nach Massage ttbertrifft in ganz ausserordentlich hohem Maasse die Erholung durch 
Kuhepausen. Die 961. Zuckung, s. die 1. nach der Massage, läuft viel schneller ab, 
als die allererste Kontraktion des Muskels vor jeglicher Ermüdung oder Anstrengung. 

Rollet nennt den aufsteigenden Theil der Muskelkurve »Krescente«, den absteigen¬ 
den »Dekrescente«. Bei meinen Kurvenreihen wurden nun eingehende Messungen an¬ 
gestellt über die jedesmalige Dauer der Zusammenziehung (Krescente) und Wieder- 
ausdehnung (Dekrescente) des Muskels; es wurden ferner die Hubhöhen ausgemessen 
and aus diesen Faktoren sowie dem gehobenen Gewicht von etwa 6 g 1 ) die jedes¬ 
malige Einzelleistung des Muskels hei jeder Kontraktion in Grammmillimetern pro 
Sekunde ausgerechnet. Es genügt hier, eine einzige kleine Tabelle mit den wichtigsten 
Zahlen zur Erläuterung mitzutheilen. Durch diese Tabellen wurde es ermöglicht, 
die Leistungen einzelner Muskeln vor und nach Massage genau zu vergleichen, ferner 
auch besonders die Leistungen nach Pausen mit denen nach Massagen zu vergleichen. 

Handelte es sich in Fig. 15 um ein und denselben Muskel, so wurden diesmal 
zwei verschiedene Muskeln verglichen, aber von gleicher Grösse, nämlich der rechte 
und der linke Gastroknemius desselben Frosches. Die nachfolgende Tabelle er¬ 
läutert diesen Versuch. Während hier der rechte Muskel nur durch Ruhepausen 
erfrischt wurde, erhielt der linke gleich lange dauernde Massagen. 

Durch die erste Pause von fünf Minuten erholte sich der rechte Gastroknemius 
nur von 141 gmm auf 170 gmm (Rubrik 5 der Tabelle), der linke durch die erste 
Massage von 196 gmm auf 373 gmm! 

Tabelle von zwei durchbluteten Muskeln desselben Frosches. 


(Rechts durch Ruhepausen, links durch Massagen erholt) 


v. 

2. 

3 . 

4. 

5 . 

Eingeschobene Pausen 

Nummer 

Hubhöhe 

Krescente 

in 

Sekunden 

Leistung 
pro Sekunde 
in gmm 

oder Massagen 

der Kurve 

in mm 

A. Rechter Gastroknemius. 



1 ‘ 1. 

2,8 

0.08 

223 


5. 

3,0 

0,10 

0,16 

181 


100. 

3,7 

141 

Pause von 5 Minuten 




101. 

2,4 

0,09 

170 


400. 

0,8 

0,14 

36 

Pause von 15 Minuten 




401. 

1,2 

0,08 

95 


405. 

1A 

0,10 

90 


414. 

1,8 

0,13 

89 

B. 

Linker Gastroknemius. 



1 . 

3,3 

0,07 

284 


5. 

3,6 

0,10 

219 


100. 

4,0 

0,13 

196 

Massage von 5 Minuten 




101. 

4,1 

0,07 

873 ! 


400. 

2,0 

0,15 

85 

Massage von 15 Minuten 




401. 

4,0 

0,09 

288 ! 


405. 

4,1 

0,13 

201 ! 


414. 

3,8 

0,13 

178 ! 


') Genauer 6,36 g. 

ZaltRchr. f. dlilt. u. physlk. Therapie Bd. VI. Heft 8. 


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154 


Hans Buge 


Also die Pause verbessert links die Leistung um ein Fünftel des 
Werthes, die Massage rechts um fast das Doppelte. 

Die ganze Tabelle zeigt, dass der massierte Muskel auch jenseits der 
400. Kontraktion noch viel leistungsfähiger bleibt mit 283, 201 und 178 gmm, gegen¬ 
über dem blos durch Buhepausen erholten mit 95, 90 und 89 gmm. Beim massierten 
Bein leistet die 401.Zuckung dasselbe, wie die allererste Zuckung (284 und 283gmm); 
am rechten nicht massierten Bein ist die Leistung der 401. Zuckung mit 95 gmm pro 
Sekunde noch nicht halb so gross, wie die der ersten Zuckung (= 223 gmm). 

Der massierte Muskel ist also viel ausdauernder und leistungs¬ 
fähiger, vor allem aber flinker bei der Arbeit als der nicht massierte. 

Es wurden ähnliche Versuche auch beim nicht ermüdeten Muskel angestellt, 
die ergaben, dass auch vor jeglicher Ermüdung Massage den Muskel leistungsfähiger 
und ausdauernder macht. 

Der künstlich ödematös gemachte Muskel lässt denselben günstigen Einfluss 
der Massage gegenüber einfachen Buhepausen erkennen. Das Oedem wird offenbar 
durch die Massage besonders vortheilhaft beeinflusst. Freilich darf dieser Befund 
nicht ohne weiteres auf krankhaft entstandenes Oedem übertragen werden, zumal 
wenn letzteres infolge von Herzschwäche aufgetreten ist. Denn in unseren Versuchen 
hat die normale Herzthätigkeit und Blutzirkulation einen hervorragenden Antheil an 
dem guten Erfolge solcher Massagen. Demnach eignen sich solche Oedeme, die 
nichts mit Herzschwäche zu thun haben, für die Massage, also manche entzündlichen 
Oedeme, dann ödematöse Schwellungen nach Sehnenzerrungen oder -zerreissungen u.s.w. 

Wesentlich anders verhält sich der entblutete Muskel. Zwar verbessern auch 
hier anfangs — nach den ersten 10 und 20 Kontraktionen — Massagen die Leistung 
des Muskels viel erheblicher als Buhepausen. Aber bei den späteren Zuckungen 
tritt ein umgekehrtes Verhältniss auf. Während sich z. B. ein entbluteter, nur 
durch Buhepausen erholter Muskel noch bis zur 300. Kontraktion recht leistungsfähig 
erhielt, war der massierte Muskel (der anderen Seite desselben Frosches) bei der 
300. Kontraktion schon ganz kraftlos, seine Leistung eine sehr kleine. 

Also die Abnahme der Leistungsfähigkeit des entbluteten Muskels 
nach Massage gegenüber einfachen Buhepausen war sehr auffällig. 

Vielleicht ist dies so zu erklären, dass der Muskel durch die Massage schneller 
abstirbt. Möglich ist auch, dass durch dieselbe mit den schlechten unbrauchbaren 
Substanzen auch die guten Nahrungssäfte aus dem Muskel hinausgepresst werden, 
ohne dass andere Nahrung durch die (fehlende) Blutzirkulation zugeführt werden kann. 

Die Versuche bilden einen neuen Beweis dafür, dass für einen dauernden Er¬ 
folg der Massage die Erhaltung der Blutzirkulation unbedingte Voraussetzung ist 

Endlich noch einiges über den Einfluss der Massage auf den Tetanus. 

Kronecker und Stirling haben nachgewiesen, dass bei trägen oder ermüdeten 
Muskeln eine geringe Zahl von Beizen in der Sekunde genügt, um Tetanus zu er¬ 
zielen, dass dagegen bei flinken und frischen Muskeln eine weit grössere Anzahl von 
Beizen nothwendig ist 

Meine Untersuchungen ergaben nun durchweg, dass durch die Massage aus 
einem ermüdeten, trägen Muskel ein flinkerer wird, der demgemäss eine grössere 
Anzahl von Beizen zur Erzielung von Tetanus beansprucht, als vorher im Stadium 
der Ermüdung. 

Es ist zum Tetanus auch eine grössere Beizfrequenz nöthig nach Massagen, 


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Physiologisches Ober Moskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 155 

als nach gleichlangen Pausen, eine interessante Erläuterung der Versuche von 
Kronecker und Stirling! 

Zum Schlüsse soll noch erwähnt werden, dass es nach obigen Untersuchungen 
nicht wahrscheinlich ist, dass sich der Werth der Massage für den Muskel mit der 
Beförderung von unbrauchbar gewordenen Substanzen (Dissimilationsprodukten nach 
Hering) in die Blutbahn erschöpft Die Versuche am entbluteten Muskel zeigen 
vielmehr, dass eine direkte Einwirkung auf die kontraktile Substanz noch ausserdem 
stattfinden muss, eine Einwirkung auf die inneren Vorgänge im Muskel (Assimilierung 
und Dissimilierung). 

Maggiora sagt: »Es muss nicht angenommen werden, dass die Massage des¬ 
halb günstig wirkt, weil sie aus dem Muskel die durch die Kontraktion entstandenen 
schadhaften Produkte entfernt; denn wir sehen, dass sich die Energie des Muskels 
auch dann steigert, wenn derselbe früher nicht ermüdet wurde«. Dass die Massage 
auch auf den nicht ermüdeten Muskel günstig wirkt, zeigt eine ganze Reihe meiner 
Versuche. 

Aus all diesen Versuchen geht Folgendes hervor: 

1. Die Massage macht den Muskel leistungsfähiger und aus¬ 
dauernder, sowie vor allem flinker zur Arbeit 

2. Dies gilt für den ermüdeten sowohl, wie auch für den voll¬ 
kommen frischen Muskel. 

3. Die Massage leistet für den ermüdeten Muskel erheblich mehr, 
als blosse Ruhe; und es haben sogar kurze Massagen von 
3 — 5 Minuten oft eine grössere Wirkung, als längere Ruhe¬ 
pausen von 10—20 Minuten. 

4. Die Leistungsfähigkeit eines ermüdeten Muskels, in Kilo¬ 
grammmetern (resp. Grammmillimetern) ausgedrückt, kann 
nach einer Massage von nur fünf Minuten das Dreifache, Vier¬ 
fache, ja Siebenfache betragen, gegenüber seinen letzten 
Leistungen vorher. 

5. Zur Erzielung von Tetanus ist nach Massage eines Muskels 
eine grössere Reizfrequenz nothwendig, als vorher. Dies gilt 
für ermüdete Muskeln in noch höherem Maasse als für frische. 

Es mag noch kurz darauf hingewiesen werden, welche Schlüsse sich aus diesen 
physiologischen Beobachtungen für die Therapie ergeben. Dabei werden manche 
längst bekannten Indikationen berührt werden, wie ja überhaupt die Massage schon 
in den aUerverschiedensten Fällen praktische Anwendung gefunden hat, oft mit aus¬ 
gezeichnetem Erfolge. Hier gilt es nur, aus den wissenschaftlichen Erörterungen 
and Resultaten die praktischen Konsequenzen kurz zu ziehen. 

Nach dem oben Gesagten ist die Anwendung der Muskelmassage naturgemäss 
nützlich bei Ringern und Turnern vor ihren Kraftübungen, um sie gelenkiger zu 
machen, wie das die Griechen vor ihren Spielen thaten. 

Ferner sind Theil- oder Ganzmassagen der Muskeln zweckmässig bei 
Rekonvalescenten nach langen Krankheiten (z.B. Typbus, Pneumonie, Pleuritis, 
Influenza u.s.w.); besonders gilt dies für ältere Patienten, die durch langes 
Liegen besonders schwerfällig und steif werden, um sie behender zu machen. Hier 
wäre besonders die Muskulatur der Unterextremitäten zu massieren. Einen gewissen 

li* 


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156 


Hans Rüge 


Schutz böte dies sicher gegen Fall und Knochenbruch älterer Leute nach langem 
Krankenlager. 

Bei allen solchen Patienten, die einige Zeit still im Bett gelegen haben, 
wird vor dem ersten Aufstehen eine solche Massage sehr günstig wirken and den 
Patienten den Uebergang aus der Ruhelage in die senkrechte Haltung erleichtern. 

Nützlich wäre es auch, bei solchen Patienten, die durch Verletzungen 
(Frakturen, Luxationen u.s.w.) gezwungen lange stillliegen müssen, die 
Muskulatur der gesunden Extremitäten zu massieren, um sie kräftig und gewandt 
zu erhalten. 

Vielleicht werden auch bei Blutarmen, bei trägen und blassen 
Patienten Versuche gemacht werden können, ihnen durch Massage das Müdigkeits¬ 
gefühl zu nehmen und sie körperlich leistungsfähiger zu machen, auch die Blut¬ 
zirkulation anzuregen. 

Endlich wird man die Massage bei solchen Leuten erfolgreich anwenden, die 
durch körperliche Ueberanstrengung (sehr lange Märsche, zu lange an¬ 
haltendes Rudern, Fechten, Hantieren n. s.w.) übermüdet (Maggiora) und dadurch 
gelegentlich auch appetit- und schlaflos werden; man wird die überangestrengten 
Muskeln massieren, um das Ermüdungsgefühl (Schmerzen in den Muskeln) zu be¬ 
seitigen (Brandis) und um sie wieder frisch und leistungsfähig zu machen. 

Stets sollte man gemischte Massage anwenden und die einzelnen Muskelgruppen 
nicht zu lange, durchschnittlich je fünf Minuten, massieren (Maggiora). 

Alles dies glaubte ich im Anschluss an die bei der Massage des Muskels 
physiologisch festgestellten Thatsachen hervorheben zu dürfen. Freilich weiss ich, 
dass so manches davon schon längst empirisch festgestellt worden ist Aber es 
giebt eine gewisse Genugthuung, für empirisch Erprobtes wissenschaftliche Unter¬ 
lagen zu finden. 


Litteratur. 

Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Wien und Leipzig 189C>. 

Kleen, Ueber den Einfluss mechanischer Muskel- und Hautreizung auf den arteriellen Blut¬ 
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1889. No. 22. 

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in Wien 1887. S.57. 

Derselbe, Ueber den Einfluss der Massage auf die Harnsekretion. Zeitschrift für klinische 
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Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 157 


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Bendix, Einfluss der Massage auf den Stoffwechsel des gesunden Menschen. Zeitschrift für 
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Leber und Stüve, Ueber den Einfluss der Muskel- und Bauchmassage auf den respiratorischen 
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Colombo, Physiologische Wirkung der Massage. Clinica modema 1900. No. 8. Referiert in 
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Maggiora, Ueber die Gesetze der Ermüdung. Archiv für Anatomie und Physiologie 1890. 
Physiologische Abtheilung. 

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ital. d’igiene Bd. 12. No. 11—12. Milano 1890. (Vorläufige Mittheilung zu der folgenden Arbeit) 

Derselbe, Untersuchungen über die Wirkung der Massage auf die Muskeln des Menschen. 
Archiv für Hygiene 1892. Bd. 15. S. 141. — Archiv per le scienze medichi Bd. 15. No. 4. — 
Aich, italiennes de biologie Bd. 16. No. 2—3. 

Bran dis, Ueber die Ursachen der Muskelermüdung, nach fremden und eigenen Unter¬ 
suchungen. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie 1894. Bd. 3. S. 367. 

Bowditsch, Ueber die Eigenthümiichkeiten der Reizbarkeit, welche die Muskelfasern des 
Herzens zeigten. Berichte der sächsischen Akademie 1871. Mathematisch-physikalische Klasse. 

üelmholtz, Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrgänge 1850 und 1852. 

Engelmann, Das Prinzip der gemeinschaftlichen Strecke. Pflügeris Archiv Bd.52. S.592. 

Funke, Ueber den Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf der Muskelthätigkeit. 
Pflügeris Archiv 1874. Bd. 8. 

Rollet, Ueber die Veränderlichkeit des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln bei fort¬ 
gesetzter periodischer Erregung und bei der Erholung nach derselben. Pflügeris Archiv 1896. 
Bd. 64. S. 507. 

Kronecker und Stirling, Die Genesis des Tetanus. Archiv für Anatomie und Physiologie 
1878. Physiologische Abtheilung. 

E. Hering, Lotos 1889. Neue Folge. Bd. 9. S. 36. 

Eulenburg, Encyklopädische Jahrbücher der gesummten Heilkunde 1885. Bd. 5. S. 370. 


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Julian Marcuse 


III. 

Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 

Vortrag gehalten auf der 23. Versammlung der Baineologischen Gesellschaft 
zu Stuttgart (7. bis 12. März 1902). 

Von 

Dr. Julian Marcuse 

in Mannheim. 

In die Reihe der physikalischen Heilmittel ist seit jüngster Zeit ein Verfahren 
getreten, das gestützt durch die technischen Fortschritte der Neuzeit und durch die 
theilweise exceptionellen Erfolge, die es schuf, zur cause celebre, möchte ich fast 
sagen, moderner Therapie geworden ist. Das Lichtheilverfahren, im Alterthum als 
Sonnenbad bereits gekannt und geschätzt, hat heute eine Ausdehnung erfahren, wie 
sie eine in normalen Bahnen verlaufende wissenschaftliche Errungenschaft kaum je 
erreicht hat, nicht zum mindesten dadurch, dass sich der immer geschäftige Tross 
von Pfuschern und Charlatanen desselben bemächtigt und es zu einer Panacee in 
den Augen der leicht zu bethörenden Menge gemacht hat. Aber das Chaos, das die 
Phototherapie angerichtet hat, ist damit noch nicht abgeschlossen; geben sich doch 
auch in ernsten wissenschaftlichen Kreisen die widersprechendsten Meinungen kund, 
deren Ursache wohl hauptsächlich darin begründet ist, dass wir über die biologische 
Seite, worauf die Lichttherapie aufgebaut ist, immer noch mehr über Vermuthungen 
als über Thatsachen verfügen. Ohne Sie ermüden und Ihnen das ganze Register 
vergangener Forschungen vorführen zu wollen, muss ich dem Zweck meiner heutigen 
Ausführungen entsprechend Ihnen einige wenige Resultate und Versuche aus früheren 
Zeiten skizzieren. Wir unterscheiden bei der Lichtwirkung eine lokale Wirkung auf 
die gesunde Haut und eine allgemeine auf den ganzen Organismus. Was die erstere 
betrifft, so ist die 1859 von Charcot 1 2 ) aufgestellte Vermuthung, dass das Sonnen¬ 
erythem nicht von den Wärmestrahlen, sondern von den sogenannten chemischen 
Strahlen, den violetten und ultravioletten, herrühren, durch mannigfache, einwand¬ 
freie Versuche seitdem vollinhaltlich bestätigt worden. Unna kam durch klinische 
Beobachtungen zu demselben Resultat, ebenso Gintrax, indem er ein Spektrum auf 
die Haut fallen Hess. 1889 folgten die bahnbrechenden Versuche Widmark’s*) mit 
Bogenlicht, wobei es sich herausstellte, dass besonders die ultravioletten Strahlen, 
also die am wenigsten kalorisch wirkenden, eine hervorragende Rolle für das Zu¬ 
standekommen der Hautentzündung spielen. Und 1891 vervollständigte diese That- 
sache Hammer dadurch, dass er nachwies, dass der klinische Verlauf einer durch 
Wärmestrahlen hervorgerufenen Entzündung verschieden ist von der durch chemische 
Strahlen veranlassten. Wärmestrahlen rufen sofort Schmerz und Röthe hervor, beides 
verschwindet später, das Lichterythem dagegen erscheint erst mehrere Stunden nach 


1) Comptes rendues de la Soe. de biologie 1869. 

2) Widmark, Beiträge zur Ophthalmologie. Leipzig 1891. Lief. 16—18. 


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Der gegenwärtige Stand der Lichtther&pie. 


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der Bestrahlung, ist ganz schmerzlos, nimmt nach ein bis zwei Tagen zu und, wenn 
die Röthe verschwunden ist, bleibt eine Pigmentierung zurück. 

Dies waren die Anhaltspunkte für Finsen, der diese Verhältnisse näher studierte 
und durch den bekannten Versuch mit dem eigenen Arm — er bemalte einen un¬ 
gefähr zwei Zoll breiten Streifen desselben mit Tusche, setzte ihn dann ca. 3 Stunden 
lang sehr starkem Sonnenlicht aus, entfernte dann die schwarze Farbe, und es zeigte 
sich, dass die bemalte Haut völlig weiss und normal geblieben, dagegen die beiden 
Seiten des Tuschstreifens geröthet waren — nachwies, dass die Pigmentablagerung 
einen Schutz gegen die weitere Wirkung der chemischen Strahlen leistet Zugleich 
beobachtete er, dass die vom Lichte hervorgerufene Hyperämie erstaunlich lange 
Zeit nach der Beleuchtung bestehen bleibt; noch nach Monaten findet man eine 
deutliche Dilatation der Blutgefässe, eine, wenn man so sagen darf, latente Hyper¬ 
ämie. Histologisch haben wir es dabei wohl mit einer Gefässdilatation und einer 
davon herrührenden Exsudation, wahrscheinlich auch mit einem lebhaften Zuströmen 
von Leukocyten, wie es Bang nachgewiesen hat, zu thun. Wie die nachfolgende 
Pigmentation zu stände kommt, ist noch nicht aufgeklärt, wahrscheinlich stammt 
das Pigment von den rothen Blutkörperchen selbst her. 

Sind somit unsere Kenntnisse über die lokale Wirkung des Lichtes im grossen 
und ganzen ziemlich ausgedehnt, so klaffen die Lücken über die allgemeinen Wirkungen 
desselben um so tiefer. Empirisch wissen wir wohl, so lange es Leben auf der Erde 
giebt, welch’ unendlich weittragenden und tiefen Einfluss das Licht auf alle Organismen 
ausübt, und von welch’ schweren Folgen für unser Befinden und Wachsthum, kurzum 
für alle unsere Lebensprozesse ein Fehlen oder Mangel desselben begleitet ist. Allein 
wissenschaftlich dies auf irgend eine Art nachzuweisen, ist bisher nicht gelungen; 
wir müssen uns vorläufig mit einigen wenigen Beobachtungen und Versuchen 
experimenteller Art begnügen. So fand Engelmann, dass die Amöbe Pelomyxa 
palustris sich unter Lichteinfluss kontrahiert, russische Forscher (Uskow u. a.), dass 
das Licht incitierend auf Flimmerzellen wirkt, dass eine vermehrte Karyokinese der 
Korneazellen stattfindet und neuerdings Widmark, dass diese Karyokinese haupt¬ 
sächlich den ultravioletten Strahlen zuzuschreiben ist. Vielfach hat man auch einen 
Einfluss auf den Stoffwechsel der höheren Thiere angenommen. Nach Moleschott 1 ) 
ist die Kohlensäureausscheidung im Licht vermehrt, selbst wenn der Einfluss der 
Aagen eliminiert war. Dies beruht jedoch nach Bang wahrscheinlich auf einer 
incitierenden Wirkung, die so eigentümlich für die chemischen Strahlen ist und 
die namentlich Finsen bei Salamandern und Salamanderembryonen nachgewiesen 
bat. Die blauvioletten und noch mehr die ultravioletten Strahlen wirkten als 
mächtiger Reiz auf das Nervensystem, auf Blut und Gewebe. Während somit eine 
reflektorisch incitierende Wirkung des Lichtes wahrscheinlich ist, wissen wir bisher 
fast nichts sicheres über die direkte Wirkung des Lichtes auf biologische Prozesse. 
Etwas besser steht es mit unseren Kenntnissen in Bezug auf den indirekten Nutzen 
des Lichtes, nämlich seine bakterientötenden Eigenschaften. Downes und Blunt»), 
später Duclaux, Arloing und andere wiesen nach, dass es die violetten und ultra¬ 
violetten Strahlen sind, die bakterientötend wirken, und Finsen konnte auf Grund 
seiner zahlreichen, erschöpfenden Versuche zu dem Schluss gelangen, dass eben 
diesen Strahlen neben ihrer antibakteriellen noch eine zweite Eigenschaft, nämlich 


i) Pflüger's Archiv Bd. 11. 

*) Researches on the effect of Light upon bacteria. Proc. of theRoy. Soc. of London 1877. Bd.26 


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Julian Marcuse 


eine hautreizende, innewohnt. Die grundlegenden Resultate hierüber stammen aus 
den letzten Jahren, nämlich aus den Versuchen von Dieudonnä, Finsen und seinen 
Schülern Bang, Bie und anderen. Nachdem ersterer 1 ) gezeigt hatte, dass Sonnen¬ 
licht Bakterien erst nach mehreren Stunden, im günstigsten Falle in etwa einer 
Stunde, eine gewöhnliche Bogenlampe sogar erst nach 5—8 Stunden zu vernichten im 
stände sei, war es wiederum Finsen, der durch Anwendung konzentrierten Bogen¬ 
lichtes Plattenkulturen schon nach fünf Minuten abtöten und damit die bakterizide 
Kraft der chemischen Strahlen der therapeutischen Verwerthung näher führen konnte. 

Resümieren wir also die gegenwärtig als feststehenden Untersuchungen, die sich 
auf die biologische Wirkung der Lichtstrahlen beziehen, so sind es folgende: Die vio¬ 
letten und ultravioletten Strahlen rufen 1. eine spezifische Entzündung hervor, die in 
ihren Symptomen verschieden von allen anderen Hautentzündungen ist, 2. sie wirken 
incitierend auf den Organismus, 3. sie haben eine stark bakterientötende Wirkung. 

Die Lichttherapie nun ist ihrem Wesen nach ebenfalls eine lokale und all¬ 
gemeine, je nachdem es sich um territorial begrenzte oder allgemeine Störungen 
des Organismus handelt. Die lokale Lichttherapie und ihre systematische Be¬ 
gründung und Anwendung knüpft sich an den Namen Niels R. Finsen, dessen 
bahnbrechende Versuche in der Behandlung und Heilung des Lupus vulgaris ich 
als allgemein bekannt voraussetzen darf*). Nachdem er gefunden hatte, dass es 
dieselbe Strahlengattung ist, die auf Haut und Bakterien wirkt, war es für ihn nur 
ein weiterer Schritt in der Erkenntniss, dass, wenn man diese Strahlen in genügend 
konzentrierter und reiner Form darstellen könnte, man damit >oberflächliche 
bakterielle Hautleiden« heilen könnte. Um nun die Lichtwirkung in die Tiefe 
dringen zu lassen, sah er sich gezwungen, eine Kompression des belichteten Gewebes 
vorzunehmen, theils um das Blut, welches von allen lebenden Geweben das Licht 
am stärksten absorbiert, wegzudrücken, theils um die Dicke der zu durchdringenden 
Gewebsschicht zu verringern. Souverän ist seine Methode beim Lupus vulgaris ge¬ 
worden, und wir können heute ohne Uebertreibung die lokale Lichtbehandlung dieser 
Affektion als Spezifikum ansehen. Finsen verfügt jetzt bereits über ein Material 
von weit über 800 Fällen, von denen die weitaus grösste Zahl als geheilt entlassen 
und bei denen kein Recidiv nach theilweise mehrjähriger Beobachtung eingetreten 
ist. Die verschiedensten Nachprüfungen durch Glebowsky, Petersen, Lang, Serapin 
in Russland, Sabourand, Leredde, Lortet undGenoud in Frankreich, Lassar, 
Lesser und anderen in Deutschland haben diese glänzenden Resultate durchaus be¬ 
stätigen können. Unter Einwirkung von Gefässdilatation und Leukocytose wird der 
ganze lupöse Knoten gleichsam absorbiert ohne Affektion des umgebenden gesunden 
Gewebes. Es handelt sich also keineswegs um eine ätzende Wirkung hei dieser 
Methode, wie irrthümlich von mehreren Seiten behauptet wurde (v. Bergmann u. a.), 
sondern vielmehr um eine rein resorbierende. Dadurch ist die Narbenbildung minimal, 
und der Effekt auch in kosmetischer Hinsicht ein über alle Erwartungen schöner. 
Neben dem Lupus sind eine Reihe anderer Erkrankungen mittels lokaler Bestrahlung 
behandelt worden, so die alopecia areata, acne vulgaris, naevus vascularis, Haut- 
krankroid etc., ohne dass man jedoch hierbei auf abschliessende Resultate blicken kann. 

So gewährt die Finsen’sche Lupusbehandlung eine sichere Wirkung, völlige 

i) Dieudonnö, Arbeiten ans dem Kaiserl. Gesundheitsamt 1894. 

*) In knapper und doch erschöpfenper Darstellung hat in einer jüngsten Arbeit darüber be¬ 
richtet Sack (Heidelberg): Ueber das Wesen und die Fortschritte der Finsen’schen Lichtbehandlung. 
Münchener medicinische Wochenschrift 1902. No. 13 und 14. 


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Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 


161 


Schmerzlosigkeit sowie eine glatte Narbenbildung, während die lange Dauer der 
Behandlung, die sich eventuell auf Jahre hinausdehnt, die Umständlichkeit und Kost¬ 
spieligkeit ihre schwachen Seiten sind. Diese äusseren Gründe begrenzen die Mög¬ 
lichkeit ihrer Anwendung: Kliniken und öffentliche Institute werden vor der Hand 
wohl einzig und allein die Stätten sein, wo sie vorgenommen werden kann! 

Der naheliegende Gedanke, die violetten und ultravioletten Strahlen auch zur 
Behandlung anderer parasitärer Dermatosen, die mehr oberflächlich gelegen sind, zu 
verwenden, hat nun zu einer Reihe von einschlägigen Versuchen geführt, die wir 
kurz skizzieren wollen. Vor allem ist es Bang, der langjährige Mitarbeiter Finsen’s, 
der eine neue ausserordentlich einfache und handliche Lampe konstruiert hat, die 
ich mir gestatte, denjenigen von Ihnen, die sie noch nicht kennen, zu demonstrieren. 
Die bisherigen Apparate, die das gewöhnliche Bogenlicht verwenden, litten an dem 
gemeinsamen Uebelstand, dass das von ihnen produzierte Licht eine grosse Menge 
von Wärmestrahlen und weiterhin leuchtende Strahlen enthielt, während nur ein 
ganz kleiner Prozentsatz der verwendeten Energie als ultraviolette Strahlen zum 
Vorschein kamen. Das Bang'sehe Licht ist nun sehr reich an ultravioletten Strahlen, 
enthält verhältnissmässig wenig sichtbare und noch weniger ultrarothe Strahlen, 
entspricht also von vornherein den theoretischen und prinzipiellen Voraussetzungen. 
Er verwendet statt Kohlen Eisenelektroden; entspricht doch das Spektrum gewisser 
Metalle allen eben geschilderten Anforderungen am meisten. Das Bang’sche Licht 
stellt also ein wirkliches kaltes Bogenlicht dar, dass bei 8 Ampfere und 40 Volt in 
5 Minuten eine Lichtreaktion von derselben Stärke giebt wie die bisher verwendeten 
Apparate mit 60 bis 70 Ampere und 55 Volt in »/« Stunden. Die bakterientötende 
Wirkung dieses Lichtes ist derart, dass, während eine gewöhnliche Bogenlampe von 
30 Ampere und 55 Volt in 60 cm Abstand den Staphylokokkus pyogenes aureus 
in 4V* Minuten abtötet, die Bang’sche Lampe bei 25 Ampfere in 60 cm Abstand 
denselben in 4 Sekunden abzutöten vermag. Die hautreizende Fähigkeit dieses 
Lichtes ist von entsprechender Stärke. Zwei Minuten Aufenthalt in einer Entfernuug 
von 1 m von der Lampe genügt, um ein starkes Erythem im ganzen Gesicht von 
mehreren Tagen Dauer hervorzurufen. Dass diese hautreizende Wirkung haupt¬ 
sächlich von den ultravioletten Strahlen herrührt, lässt sich durch einen einfachen 
Versuch nachweisen; bedeckt man nämlich die zu bestrahlende Hautpartie mit einer 
z. B. 2 mm dicken Glasplatte, so bleibt die Wirkung fast aus oder kommt jeden¬ 
falls erst nach sehr langer Bestrahlung zum Vorschein. Hier liegt die Stärke so¬ 
wohl wie die Schwäche derjenigen Lichtquellen, die hauptsächlich ultraviolettes 
Licht produzieren. Je stärker irgend ein Medium ein bestimmtes Licht absorbiert, 
um so stärker ist ceteris paribus die chemische Wirkung des Lichtes auf dasselbe. 
Weil das Licht der Eisenelektroden schon von den ganz oberflächlichen Schichten 
der Haut absorbiert wird, entfaltet es hier eine sehr energische Wirkung. Aber 
eine nothwendige Konsequenz hiervon ist die, dass dieses Licht nur wenig in die 
Tiefe dringen kann. Diese Eigenthümlichkeit der Bang’schen Lampe begrenzt ihre 
Anwendung nur auf intensive Oberflächenwirkungen, so vor allem auf die parasitären 
Dermatosen wie herpes tonsurans, favus etc.; für die Behandlung des Lupus ist sie 
unbrauchbar. Indikationen hat ihr Erfinder bisher nicht gestellt und zwar mit 
klugem Bedacht, da wir in .der Behandlung der Hautkrankheiten, abgesehen vom 
Lupus, doch immer noch nicht über die ersten Anfänge hinaus sind. Zu warnen 
wäre an dieser Stelle vor den vielen werthlosen Nachahmungen, die uns die ge¬ 
schäftige Lichtheilindustrie beschert hat und die unter missbräuchlichster Benutzung 


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162 Julian Uarcuse 


des Namen »Finsen« alle nur erdenkbaren, jeder wissenschaftlichen Voraussetzung 
entbehrenden Lampen konstruiert hat. Jedes »Kurpfuschers« oder »Sechswochen¬ 
spezialisten« Heilbude ziert heute die reklamenhafte Anpreisung »Oertliche Be¬ 
strahlung mit Finsen-Xampe«, und bewusst wie unbewusst macht sich der wider¬ 
wärtigste Schwindel auf diesem Gebiete geltend. Spezielle Fabriken von Lichtheil¬ 
apparaten, die diesen Zweig der modernen Therapie als melkende Kuh betrachten, 
haben diesem Unfug Vorschub geleistet, indem sie mehr wie zweifelhafte Produkte 
auf den Markt gebracht und mit volltönenden Namen belegt haben. Kein Wunder, 
dass Aerzte, denen Ober die theoretischen Voraussetzungen des Verfahrens der 
praktische Gewinn steht, darauf hineinfallen und nun mit der sogenannten Finsen- 
Lampe als Aushängeschild lustig drauf los heilen! Die Bang’sehe Lampe ist vor¬ 
läufig nichts anderes als ein grosser technischer Fortschritt, kein prinzipieller, und 
es sind uns vor 4er Hand noch alle Indikationen für ihre Anwendung unklar. 

Viel stürmischer als Bang, dessen Publikationen ebenso präzis wie ruhig 
lauten, hat der russische ArztMinin den Kreis der phototherapeutischen Anwendungen 
gezogen und bei seinen vielfachen Versuchen die theoretisch widersprechendsten 
Resultate gefunden. Eine seiner ersten, in deutschen Fachzeitschriften erschienenen 
Veröffentlichungen!) beschäftigt sich mit der Anwendung der Lichttherapie in der 
Chirurgie. Er bedient sich einfacher blauer, mit einem Reflektor versehener Glüh¬ 
lampen von 10—50 Normalkerzen, die Dauer der Sitzungen ist 10—15 Minuten. 
Behandelt wurden auf diese Weise chronische Ekzeme, Blutergüsse nach Kontusionen, 
Verbrennungen der Haut und der Schleimhäute, veraltete Lymphome, entzündliche 
Infiltrate etc., und weiterhin wurde das blaue Licht direkt als Anästhetikum statt 
Schleich’scher Injektionen bei Incisionen, Nähten etc. in Anwendung gezogen. Er 
hat es weiterhin und angeblich mit gutem Erfolge bei tuberkulösen Ulcerationen, 
traumatischen und akut serösen Gonitiden, bei Lupus, weiterhin bei Lumbago, 
Neuralgieen, Gonorrhoe, Ulcus molle etc. etc. angewendet, so dass, nachdem die blaue 
Bestrahlung, wie oben erwähnt, auch als lokales Analgetikum wirken soll, kaum 
eine pathologische Erscheinung mehr existieren dürfte, die nach ihm nicht günstig 
darauf reagieren würde 1 2 ). Ohne sich viel in Theorieen zu verlieren, begnügt er sich 
mit der Erklärung, dass das blaue Licht eine hervorragende Wirkung auf die vaso¬ 
motorischen Nerven ausübe, und formuliert seine praktischen Erfahrungen in folgende 
Thesen: 1. Das Licht eines blauen Glasglühlämpchens von 16 Kerzen Lichtstärke 
übt eine zweifache Wirkung aus: eine schmerzstillende und eine resorbierende. 
2. Hinsichtlich der Intensität und der Raschheit der therapeutischen Wirkung hat 
das Licht unter den übrigen gegenwärtig bekannten schmerzstillenden Mitteln kein 
Analogon. Allein trotz der mannigfachen Publikationen M inin ’s, die durch zahl¬ 
reiche Krankengeschichten belegt sind, ist ein solcher Lichtenthusiasmus in deutsche 
wissenschaftliche Kreise bisher nicht gedrungen, und nur die »Lichtheilkünstler« 
bei uns haben aus naheliegenden Gründen sich dieser umfassenden Anwendung kritik¬ 
los angeschlossen. 

Das Schlagwort von der vasomotorischen Wirkung des blauen Lichts findet 
sich vor allem auch in der Empfehlung des sogenannten kombinierten Lichtheil¬ 
verfahrens, wie der örtlichen Bestrahlung mittels einer Scheinwerfer-Bogenlampe. 
Erstere Methode beruht darauf, dass, während der Körper im Lichtbad schwitzt, 


1) Medicinische Woche 1901. No. 12 u. 13. 

2) Medicinische Woche 1901. No. 36, 37 u. 51. 


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Der gegenwärtige Stand der Licbttherapie. 


163 


eine Verstärkung der Wirkung durch lokale Bestrahlung des besonders afficierten Theiles 
erzielt werden soll, letztere in der direkten örtlichen Bestrahlung. Alle für diesen 
Zweck in den Handel gebrachten Apparate — und ich habe deren verschiedene ver¬ 
sucht — genügen nach keiner Seite hin irgend welchen theoretischen Voraussetzungen 
nach Herstellung eines an chemischen Strahlen reichen Lichtes. Es sind Bogen¬ 
lampen von 15—30 Ampfcre mit vorgeschobener blauer Scheibe, die aber absolut 
nicht im stände ist, einen bedeutenden Theil der Wärmestrahlen zu absorbieren, so 
dass diese letzteren immer in mehr oder minder grösserer Menge und völlig un- 
kontrollierbar vorhanden sind und dem Apparat dadurch mehr den Charakter einer 
verstärkten Wärme-, wie den einer an chemischen Strahlen reichen Lichtquelle ver¬ 
leihen. In 14 Fällen von Neuralgieen, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, und 
die sich vornehmlich im Gebiet des n. trigeminus, des Plexus bracchialis sowie des 
n. cruralis abspielten, blieb die örtliche Bestrahlung trotz ausgedehnter Sitzungen 
und längerer Behandlungsdauer mehr oder minder erfolglos; in fünf Fällen von 
nissendem Ekzem dagegen erzielte ich damit gute Resultate, in zwei Fällen von 
Alopecia areata ermunterungswerthe, wenn auch langsame Erfolge. 

Der Vollständigkeit halber sind an dieser Stelle noch zu erwähnen die Versuche 
von Winternitz und Hellmer über die Heilung von Ekzemen im rothen Sonnen¬ 
licht 1 ), sowie die von Gustav Kaiser, mitgetheilt in der Gesellschaft der Wiener 
Aerzte, Sitzung vom 7. Februar 1902. Winternitz und Hellmer haben bei pustu- 
lösem Ekzem mittels Sonnenbestrahlung und zwar mittels der rothen Strahlen des 
Spektrum sehr prompte Resultate erzielt. Kaiser wandte das blaue Licht bei der 
Lungentuberkulose und anderen tuberkulösen Erkrankungen an, und will eine bacillen¬ 
tötende Tiefenwirkung damit erreicht haben. Diese letzteren Versuche sind aber sehr 
rasch von Kraus und Holzknecht auf Grund von Nachprüfungen ad absurdum ge¬ 
führt worden. 

Bei allen meinen Beobachtungen konnte ich konstatieren, dass die Patienten 
an den bestrahlten Stellen einen deutlichen Wärmeeffekt verspüren, und auf dieses 
Konto ist wohl vornehmlich die eventuelle Wirkung zu setzen. 

Dieser Gesichtspunkt leitet uns über zu der Frage der Ailgemeinbehandlung 
mit elektrischem Licht, wie sie in der Form der Bogenlicht- und Glühlichtbehandlung 
gegeben ist. Auch hier stossen wir besonders hinsichtlich der Bogenlichtbäder auf 
die kritiklosesten Anwendungen, indem man dieselben gleichsam als Ersatz des 
Sonnenlichtes und der Sonnenbestrahlung empfohlen und ihre Indikationen aufs weit¬ 
gehendste .ausgedehnt hat. Es ist aber durchaus falsch, das Sonnen- resp. Licht- 
Luftbad in einen Vergleich zu stellen mit dem Bogenlichtbad und den mächtigen 
impulsorischen Reiz der ersteren durch letztere ersetzen zu wollen. Eine rationelle 
Verwendung des Lichtes zur Allgemeinbehandlung organischer Störungen ist allein 
in dem Sonnenbad gegeben, wie es eben die Alten als Lichttherapeuten so mannig¬ 
fach angewandt haben. Und wenn wir heute von einer Lichttherapie reden und 
uns dabei auf die Historie stützen, so dürfen wir in materieller wie in formeller 
Hinsicht nur an die Verwendung des Sonnenlichtes denken. Im Sonnenbad haben 
wir die so ausserordentlich wirksame Kombination des Lichtes mit Luftbädern, eine 
Abhärtungsprozedur allerersten Ranges. Mit der überaus kräftigen Schwitzwirkung 
verbindet sich ein Eindringen der Lichtstrahlen in unseren Körper, dadurch kommt 
es infolge Vermittelung des Centralnervensystems zu einer excessiven Anregung der 


Blätter.für klinische Hydrotherapie 1900. S. 173, 174 und 1901, Heft 7. 


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Julian Marcuse 


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Zellthätigkeit und weiterhin zu einer Steigerung der Erregbarkeit des Nervensystems 
selbst. So ist es einmal ein Prophylaktikum wesentlichster Observanz und weiterhin 
ein Heilmittel bei Erkrankungen der Haut sowie bei Stoffwechselkrankheiten, wie 
Fettsucht, Gicht, Rheumatismus etc., die mit Verlangsamung der Oxydationsprozesse 
einhergehen. Die mächtige Steigerung dieser letzteren durch Einwirkung des Sonnen¬ 
lichtes war ja der vornehmste Beweggrund, der bereits die Aerzte des Alterthums 
zur therapeutischen Anwendung desselben veranlasste. 

Man hat nun das Sonnenlichtbad insofern durch das Bogenlichtbad zu ersetzen 
gesucht, als man sagte, die chemischen Strahlen des Spektrums seien in letzterem 
in erheblichem Maasse vorhanden, es handle sich also um eine spezifische Ein¬ 
wirkung dieser vor allem auf das Centralnervensystem; und so giebt es kaum eine 
periphere oder centrale Erkrankung dieses, wo es nicht in den Bereich der thera¬ 
peutischen Anwendung gezogen und angeblich Besserungen resp. Heilungen erzielt 
hätte. Die Bogenlichttherapie als Allgemeinbehandlung entbehrt jedoch bisher jeder 
wissenschaftlichen Grundlage, exakte Untersuchungen über den Einfluss des elektrischen 
Bogenlichtes auf den Gesammtorganismus liegen nicht vor. Empirisch habe ich es 
vornehmlich in Anwendung gezogen bei der Neurasthenie und der Hysterie, und 
nahezu in allen Fällen eine sedative Wirkung konstatieren können. Subjektive Be¬ 
schwerden, wie der bekannte Kopf- und Magendruck der Neurastheniker wurden 
gemildert, theilweise aufgehoben, allgemeine Angstgefühle abgeschwächt Allein 
weiter reicht der Einfluss der Bogenlichtbehandlung nach meinen Erfahrungen nicht, 
sie ist nichts weiter als eine Suggestionstherapie, die in geeigneten Fällen heran¬ 
zuziehen, als spezifische Behandlung jedoch kaum anzusehen ist. Der einzige Weg, 
den wir gehen müssen, um aus dieser widerspruchsvollen Empirie uns zu retten, 
ist von Finsen eingeschlagen worden, indem er ein sehr starkes, unkonzentriertes 
Bogenlicht in solcher Entfernung verwendete — 100 — 200 Ampfcre in etwa 3 m 
Entfernung —, dass die Wärmestrahlen keine deutliche Rolle mehr spielten, er filtriert 
also sozusagen das Licht durch eine genügende Luftschicht. Als Wärmeeffekt ist das 
Bogenlichtbad in den dafür verwendeten Lichtkästen absolut nicht zu gebrauchen, eine 
Schweisswirkung kommt erst nach sehr langer Zeit (in 1—1 Va Stunden) zu stände. 

Die zweite Art der allgemeinen Lichtbehandlung bilden die Glühlichtbäder, 
die, wie bekannt, Kellogg in Amerika konstruiert und Gebhard in Deutschland 
eingeführt hat, und die in den letzten Jahren eine ungeheure Verbreitung gefunden 
haben. Und mit Recht, denn wir besitzen in ihnen zwar kaum eine spezifische 
Lichtbehandlung, dagegen ein ganz vorzügliches Mittel, um Wärmestrahlen in Kraft 
treten zu lassen, dass heisst also um Schwitzprozeduren einzuleiten. Alle objektiven 
Beobachter stimmen darin überein, dass das Glühlichtbad ein Schwitzbad allerersten 
Ranges ist, dagegen den Namen Lichtbad mit Unrecht trägt. Die Schweisserzeugung 
ist gegenüber anderen Schwitzprozeduren eine viel ergiebigere, viel angenehmere und 
viel raschere, Nebenerscheinungen, wie Schwächeanfälle, Schwindel etc., sind zwar 
nicht völlig auszuschliessen, jedoch erheblich seltener. Das subjektive Befinden nach 
dem Glühlichtbad ist im allgemeinen ein vorzügliches, die Elastizität der Bewegungen 
ist vermehrt, der Appetit wird gesteigert, ein allgemeines Wohlbefinden stellt sich 
ein; bei einer Reihe von Patienten, besonders Frauen, tritt einige Stunden nach 
dem Bad eine starke Müdigkeit ein, die zu einem ruhigen Schlaf führt. Auf 
physiologische Einzelbeobachtungen werde ich an anderer Stelle zurückkommen. 
Der Platz der Lichtbäder ist — und darin schliesse ich mich vollinhaltlich den 
ausgedehnten Versuchen der medicinischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses 


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Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. 


165 


Frankfurt a. M. an } ) — vor allem da in der Therapie, wo man Flüssigkeitsentlastung 
resp. Ansscheidung giftiger Substanzen und Anregung des Blut- und Säftestromes 
erzielen will. So bei den sogenannten Erkältungskrankheiten, besonders Rheuma¬ 
tismus, ferner bei akuter und chronischer Bronchitis, Asthma bronchiale, bei Influenza, 
gewissen Formen von Nephritis — obgleich ich in drei Fällen, die ich behandelte, 
einen Rückgang des Albumen nicht konstatieren konnte —, alten Exsudaten, Chlorose, 
Ischias etc. Ein Universalmittel ist es auch bei Rheumatismus nicht; neben einer Reihe 
schöner Erfolge stehen totale Misserfolge, vor allem da wo arthritische Erscheinungen 
in den Vordergrund treten. Eine besondere Erwähnung verdient die Behandlung der 
Adipositas mittels Lichtbädern. Zweifellos wird ja im Schwitzlichtbad ein Plus an 
Wärme nicht nur zugeführt, sondern auch gebildet, es genügt aber — und darin 
schliesse ich mich ganz den Ausführungen Salomon’s an — bei dem Mangel einer 
Nachwirkung jener Prozeduren die Steigerung des Stoffwechsels nicht, um von ihr 
den Erfolg zu erhoffen, wie er für die Konstitutionsanomalie der Fettsucht von ver¬ 
schiedenen Seiten behauptet worden ist. Ohne eine strenge Diät, ohne kräftige Muskel¬ 
arbeit etc. bleibt der Erfolg aus, der ungefähre Schweissverlust von 0,3—0,5 kg pro 
Bad ist in kurzem wieder ausgeglichen, zumal das oben erwähnte Müdigkeitsgefühl 
mit dem konsekutiven Ruhebedürfniss sowie die Appetitsteigerung Gegengewichte 
bilden; in Verbindung mit obigen Faktoren ist es jedoch ein vorzügliches adjuvans. 

(Es folgt die Demonstration eines vom Elektrotechnischen Institut in Frank¬ 
furt a. M. in den Handel gebrachten Lichtbades, das gegenüber den bisher ge¬ 
bräuchlichen den Vorzug hat, dass es keinen geschlossenen Holzkasten, sondern eine 
Art Zelt darstellt. Die Vorzüge dieses Bades bestehen in der völligen Asepsis, in 
dem geringen Raum, den es einimmt, der freien Beweglichkeit des Patienten inner¬ 
halb des Lichtbades, sowie den geringen Kosten gegenüber den Holzkästen. Es 
besteht aus vier transportablen Nickelständern, einem Umhang aus weissem Leinen 
und einem Mantel aus gleichem Stoffe, den der Patient anlegt.) 

Resümieren wir nach diesen gedrängten Ausführungen, so ergeben sich für den 
gegenwärtigen Stand der Lichttherapie folgende Thesen: 

1. Die Finsen’sche Lupusbehandlung ist ein Specifikum, das, nur erschwert 
durch äussereVerhältnisse, einer universellen Anwendung Hindernisse bietet. 

2. Die lokale Lichtbehandlung, abgesehen vom Lupus, ein bisher ungelöstes 
Problem. 

3. Die allgemeine Bogenlichtbehandlung eine Methode, die bei funktionellen 
nervösen Erkrankungen als psychische Beeinflussung heranzuziehen ist. 

4. Die allgemeine Glühlichtbehandlung eine Wärmeprozedur, die nach dem 
augenblicklichen Stand unserer technischen Hülfsmittel als die beste 
Maassnahme zur Erzeugung von Schweiss anzusehen ist. 

Nachwort. 

Nach Niederschrift dieses Vortrages kommt mir der Bericht über die Sitzung 
der Gesellschaft der Charitöärzte vom 27. Februar d. J. — wiedergegeben in Heft 1, 
Bd. 6 dieser Zeitschrift — zu Händen. Ich ersehe daraus, dass die Ausführungen 
von Krebs auf Grund seiner Beobachtungen am hydrotherapeutischen Institut der 
Universität Berlin mit den meinen völlig übereinstimmen. 

i) Salomon, Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. Zeit¬ 
schrift für physikalische und diätetische Therapie Bd. 5. Heft 3. 


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Kleinere Hittheilongen. 


Kleinere Mittheilungen. 


Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion. 

Von Dr. Maximilian Roth, 

Chefarzt des Zand er-Institutes in Wien. 

Wenn auch die Wärme in ihren verschiedenen Anwendungsarten der Bäder, Umschläge, 
Dünstungen und Einpackungen mit zu dem ältesten Besitze des physikalischen Heilschatzes gehört, 
so haben doch erst wissenschaftliche Arbeiten und nicht minder technische Erfindungen, welche 
auf diesem Gebiete erst in den letzten fünf Jahren gemacht wurden, die Wärmeanwendung aus der 
Empirie in wissenschaftliche Bahnen hinübergeleitet und der so begründeten Thermotherapie im 
Rahmen der übrigen physikalischen Heilverfahren jenen Platz errungen, welchen sie mit Recht 
verdient. 

Die Arbeit Krause’si) und jene von Bier*) über die lokale Anwendung überhitzter Luft 
zu Heilzwecken sind im Jahre 1898 erschienen und haben, weil sie eine neue und sehr wirkungs¬ 
volle Art der Wärmeapplikation gelehrt haben, begründetes Aufsehen in Fachkreisen erregt. Um 
dieselbe Zeit wurden aber auch schon ausser den einfachen Behelfen der genannten zwei Forscher 
technisch vollendetere Apparate für Heissluftanwendung von verschiedenen Seiten in Anwendung 
gebracht Um nur die Bekannteren zu nennen sei an den Heissluftkessel Tallerman’s, an den 
Elektrotherm von Lindemann und an jenen von Greville, dann an die lokalen elektrischen Licht¬ 
bäder Kellogs erinnert 

Die letztgenannten Apparate, so vorzüglich sie auch technisch konstruiert sind, erleiden in 
ihrer Anwendbarbeit eine Einschränkung dadurch, dass sie nur für die Ex tremit äten geschaffen, 
dass sie umfangreich, daher schwer transportabel sind, endlich*dadurch, dassfsie sich auch^im 
Preise ziemlich hoch stellen. Aus all diesen Gründen sind diese Apparate mehr für Anstalten 
und Sanatorien, wo die nöthigen technischen Vorrichtungen bereit sind und wo sie |einen fixen 
Standort einnehmen, zur Verwendung geeignet 

Den ursprünglichen, etwas primitiven Bier’schen Kästchen zur lokalen Anwendung von 
überhitzter Luft stehen in ihrer Konstruktion am nächsten die nach den Angaben Krause's an¬ 
gefertigten und von Hamburger und Dresdener Firmen in den Handel gebrachten Heissluftapparate. 

Diese stellen bekanntlich je nach den Körperstcllen, für welche sie bestimmt sind, verschieden 
geformte Hülsen und Behälter dar, welche aus einem Drahtgerippe, aus einer inneren Asbestaus¬ 
kleidung und aus einem äusseren Filzüberzug bestehen. Der Verschluss erfolgt mittels Stoff Vorhänge. 
Ein Ventil und eine Thermometerhülse sind ausser der Einströmungsdüse für die heisse Luft die 
ergänzenden Bestandtheile dieser einfachen Apparate. Die Heizung, von einer beliebigen Wärme¬ 
quelle, Spiritus, Gas oder Elektrizität genommen, wird mittels eines Quincke’schen Schornstein¬ 
ofens besorgt. 

Diese Apparate haben dank ihrer Anpassungsfähigkeit an die verschiedenen Körperstellen 
und Gelenke, dank ihrer Einfachheit, Leichtigkeit und auch Billigkeit von allen Heissluftapparaten 
die weiteste Verbreitung gefunden. Ich selbst habe mich im Beginne meiner Beschäftigung mit 
dem Heissluftverfahren dieser deutschen Apparate bedient und habe denselben, als erster in Wien 
und in Oesterreich Eingang verschafft. 

Die ausgedehnte Anwendung dieser Apparate und die dabei gewonnenen technischen wie 
mcdicinischen Erfahrungen Hessen mir bald eine Verbesserung derselben nach verschiedenen 


1) F. Krause, Die örtliche Anwendung überhitzter Luft. Münchener medic. Wochenschrift 
1898. No. 20. 

2) A. Bier, Die Behandlung des chronischen Gelenksrheumatismus mit heisser Luft (aktiver 
Hyperämie) und mit Stauungshyperämie. Münchener medic. Wochenschrift 1898. No. 31. 


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Kleinere Mittheilungen 


167 


Richtungen um so mehr als wünschenswert^ erscheinen, weil die erzielten Heilerfolge sehr er¬ 
munternd für eine weitere Ausgestaltung des Verfahrens waren. 

Zunächst erschien mir die Einrichtung der direkten Heissluftzufuhr in den Innenraum und auf 
die eingelagerten Körpertheile bei den deutschen Apparaten nachtheilig, ja geradezu gefährlich; 
denn das Entstehen von Brandblasen ist bei dieser Konstruktion allzu leicht möglich und zuweilen 
trotz Vorsicht und trotz geschickten Wartepersonales nicht zu vermeiden. Namentlich leicht ent¬ 
stehen Brandblasen dann, wenn der Verschluss nach aussen nicht ganz luftdicht ist, oder wenn 
massigere Körpertheile, wie die von Exsudaten und Oedemen ausgedehnte es sind, der Einströmungs- 
Öffnung der heissen Luft allzu nahe kommen. 

Ungenügend und unzuverlässig ist bei diesen Apparaten auch die Wärmeregulierung, welche 
nicht an den Apparaten selbst, sondern an der Wärmequelle durch Regulierung der Flammenstärke 
geschieht Das an der Decke der Apparate befindliche Ventil kann als Wärmeregulator nicht in 
Betracht kommen, denn wenn dasselbe während der Heizung geöffnet wird, so dient es als Abzugs¬ 
rohr für die gesammte Wärme, nachdem die einströmenden heissen Luftströme dann nicht weiter 
cirknlieren, sondern durch das offene Ventil entweichen. Und doch wäre bei einem medicinischen 
Verfahren die sichere Dosierung des Heilmittels, in diesem Falle also der Wärme, eine Grund¬ 
bedingung. Diese nicht sichere Regulierbarkeit der Wärmezufuhr hat bei voller Flammenstärke ein 
jähes und sprunghaftes Ansteigen der Hitze, besonders in den kleinen Apparaten, zur Folge, und 
ehe Arzt und Patient es merken, ist an einer, gewöhnlich der Einströmungsöffnung gegenüber be¬ 
findlichen Hautstelle eine Brandblase entstanden. 

Das allzu rasche Ansteigen der Temperatur fordert auch allzu rasch die Abwehrfunktion der 
Raut, die Transpiration heraus, und zwar nicht nur an den im Apparat eingelagerten, sondern auch 
an entfernteren Körperstellen heraus. Wenn auch vielfach mit der Heissluftanwendung die An¬ 
regung einer intensiven Transpiration bezweckt wird, so liegt es doch nicht im Interesse des Ver¬ 
fahrens, dass der Schweissausbruch zu früh erfolge. Bei anhaltender Wärmezufuhr wird der ab¬ 
gesonderte, die Haut bedeckende Schweiss auch erhitzt, wirkt wie heisses Wasser und ist so 
nicht selten selbst die Quelle von Brandblasen. Dieser Umstand zwingt häufig zum Abbruch der 
einzelnen Behandlung, und doch ist im Interesse des Erfolges in den meisten Fällen eine möglichst 
lange Dauer der einzelnen Anwendungen erwünscht, was aber in Anbetracht der eben geschilderten 
Zufälle nicht leicht durchführbar ist 

Für wissenschaftliche Beobachtungen und Versuche völlig unbrauchbar ist die Temperatur- 
anzeige an diesen Apparaten. Die Thermometerhülsen stehen nämlich bei fast allen Apparaten über 
oder in der Nähe der Eintrittsstelle der heissen Luft. Die unter ziemlich starken Druck ein¬ 
strömenden heissen Luftströme treffen bei ihrem Eintritt in den Apparat die Quecksilberkugel des 
Thermometers und treiben sie natürlich in die Höhe. Bei seinem weiteren Fortschreiten, zumal in 
den grösseren Apparaten, steht der heisse Luftstrom nicht mehr unter dem gleich hohen Drucke 
wie bei seinem Eintritt und giebt auch naturgemäss viel Wärme an seino Umgebung ab. Daher 
kommt es, dass, währenddem der obere Thermometer schon 150 und noch mehr Wärmegrade zeigt, 
ein zweiter Thermometer, der am Boden des Apparates gelagert ist, kaum solche von 80 erkennen 
Hast Die in verschiedenen Publikationen über Heissluftbehandlung enthaltenen Angaben über 
ausserordentliche hohe Temperaturen, die erreicht worden sind, müssen, insofern die Angaben sich 
auf die geschilderten Apparate beziehen, mit einiger Vorsicht hingenommen werden. Für den Werth 
des Heilverfahrens sind auch nicht die imponierend hohen Hitzegrade, vielmehr die »Möglichkeit 
einer andauernden und gleichmässigen Wärmeanwendung« in Anschlag zu bringen. Um 
den letztgenannten Bedingungen gerecht werden zu können, habe ich versucht, die deutschen 
Apparate, die ich seiner Zeit von Strassacker in Altona bezogen habe, für meine Zwecke umzu¬ 
gestalten und die geschilderten Mängel derselben bei meinen Apparaten zu eliminieren. 

Die wesentlichste Modifikation meiner Konstruktion gegenüber den Krause’sehen und 
allen anderen gebräuchlichen Heissluftapparaten besteht in der Neuerung, dass ich die erhitzte Luft 
nicht direkt in den Innenraum, in welchem die zu behandelnden Körpertheile eingelagert sind, 
sondern um diesen herum leite. Dies erreiche ich so, dass ich anstatt des einfachen Draht-Asbest- 
gestelles zwei solche nehme und diese so übereinander lege, dass sie einen Hohlraum, den Heiz- 
kanal zwischen sich lassen, in welchem dann die heisse Luft geleitet wird. 

Natürlich werden auch hier die Gestelle den Körperregionen, für welche sie bestimmt sind, 
angepasst. Nur war ich bestrebt aus Zweckmässigkeitsgründen der Heiznng allen Apparaten eine 
möglichst kreisrunde Form zu geben, so dass die Apparate zumeist in sich geschlossene Röhren 
and Behälter darstcllen. 


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Kleinere Mittheilungen. 


Die Heizung ist nach dem Prinzipe der Geburth’sehen Centralluftheizung mit cirkulärer 
Luftströmung gedacht. Die Wärmequelle ist auch hier eine beliebige, Spiritus, Gasflamme oder 
elektrische Glühlampe. Die erhitzte Luft wird auch da durch einen Quincke’sehen Ofen dem 
Apparate zugeleitet, wo sie zunächst in einen erweiterten Vorraum gelangt, und aus diesem wird 
sie unter erhöhtem Druck in den schon oben erwähnten Heizkanal getrieben. Am Ende des Heiz¬ 
kanals — und weil dieser kreisrund ist — also über der Eintrittsstelle und den Vorraum, doch 
von letzterem durch eine Zwischenwand getrennt, befindet sich ein nach Graden stellbares Ventil, 
welches als energisches Luftzugsventil wirkt, und durch welches die heisse Luft wieder aus dem 
Apparat entweichen kann. 

Dieses Ventil funktioniert gleichzeitig als Wärmeregulator, denn nach seiner Stellung richtet 
sich der jeweilige Wärmegehalt der Apparate. Wird die Heizung bei Vollkraft unterhalten und 
ist das Ventil ganz geöffnet, so hat die den Innenraum umkreisende heisse Luft freie Bahn. Während 
ihrer Cirkulation im Heizkanal giebt sie aber einen grossen Theil ihrer Wärme an die Asbestwände 
und durch diese mittelbar an den Innenraum ab, und das Thermometer zeigt ein fortdauerndes 
Steigen in demselben an. Wird das Ventil bei anhaltender Heizung theil weise oder ganz geschlossen, 
so wird entsprechend der langsamen Cirkulation der heissen Luft ein mässiges Ansteigen, beziehungs¬ 
weise Stillstand der Temperatur bei einem bestimmten Grad erreicht. Bei aufgehobener Heizung 
tritt bei geschlossenem Ventil ein langsames, bei offenem Ventil ein sehr rasches Abkühlen der 
Apparate ein. 

Ein zweites Ventil, welches aus dem Innenraum ausgehend den Heizkanal durchsetzt und an 
der Decke der Apparate mündet, hat den Zweck, der mit Transpirationsfeuchtigkeit durchsetzten 
Luft des Innenraumes als Abzugsrohr zu dienen. 

Die Ventile sind an fast allen Apparaten so bequem und handlich angebracht, dass sie im 
Bedarfsfälle vom Patienten selbst dirigiert werden können. 

Die Thermometerhülse aus Korkholz und Metall gefertigt und an der Decke der Apparate 
angebracht, geht durch den Heizkanal in den Innenraum. Das durch dieselbe gesteckte 200° C 
theilige Thermometer, welches bis in die Mitte des Innenraumes reicht, und welches auf seinem 
Wege durch den Heizkanal durch die Korkhülse gegen die Beeinflussung seitens der dort strömen¬ 
den heissen Luft geschützt ist, zeigt so die wirkliche Temperatur der Apparate an. Nachdem der 
Innenraum durch die um denselben in allen Theilen gleichmässig cirkulierende heisse Luft auch in 
allen Theilen eine gleichmässige Erwärmung erfährt, so können die Thermometeranzeigen, wie ich 
mich durch vielfache Kontrollversuche überzeugt habe, als richtig und genau angesehen und zu 
exakten Messungen verwerthet werden. 

Die im Vorangehenden beschriebene neue Konstruktion weist somit folgende Vortheile auf 

1. Durch die Anlage des Heizkanals ist die direkte Zufuhr der heissen Luft 
auf die in die Apparate eingelagerten Körpertheile beseitigt und hiermit 
die Verbrennungsgefahr, das Entstehen von Brandblasen absolut sicher 
vermieden. 

2. Durch die um alle Theile gleichmässig cirkulierende heisse Luft werden 
der Innenraum und die dort eingelagorten Körpertheile überall gleich¬ 
mässig erwärmt. 

3. Durch die mittelbare Wärmezufuhr in den Innenraum steigt die Hitze in 
diesem nicht rapid, sondern langsamer und in allen Theilen gleichmässig 
und zwar ungefähr um 5° C in der Minute. 

4. Infolge des allmählichen Ansteigens der Wärme erfolgt die Transpi¬ 
ration später, und es gelingt ganz gut, bei anhaltender Heizung durch 
öfteres Oeffnen des oberen Ventils den Innenraum soweit trocken zu er¬ 
halten, dass der abgesonderte Schwciss nicht belästigend empfunden 
wird. 

i). Die Anlage des Hauptventils gestattet eine absolut siehere und verläss¬ 
liche Wärmeregulierung. 

6. DieTemperaturanzeigen entsprechen stets den wirklichen Verhältnissen. 

Nach diesem Prinzipe konstruierte Apparate habe ich für alle Gelenke sowie für ganze 
Extremitäten und den Rumpf bauen lassen. Ich habe aber auch einen kombinierten, von mir 


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Kleinere Mittheilungen 


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5 far eitlen oder für beide 

■ Füsse lH (• ‘ *•; ‘ u>^ 

Nach den*, dieser Apparat alle vp;., / f V 

Vcmheiie des oben beschriebenen | f\ ^ 

hoi^niktiouSystems .aufweist, leicht |y. [’ J : 

transportabel ist und auch im Preise J 

nicht hoch zu stellen kommt ( iOOMk }, &2t — _-- I-.---—— 

yj durfte er sich Dicht . .nux für An* 

«üdtcn, sondern auch für praktische Amte, die dieses Verfahre« seihet hin ihrer* Parierten vo»u T 
uähmen wünschen, besonder eignen, ! / ■ ';■ . . / . . / ' • l 5 : , ; >; 1 * 

Pie Appirate /sehr dauerhaft und auch Uösserliclfsehr --^ird^ß'-von dem 

Mechaniker Ludwig Walter, Vüßm, &£, B, Wintergueae '38 konstruiert 



Z*itan&/. t diat uz pUysilC TherapJ* BÖ. VI, Hart U 

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12 

. ::. • Original from. 

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Berichte Ober Kongresse und Vereine. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

20. Kongress für innere Medicin in Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1902. 

Bericht von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Unter überaus zahlreicher Theilnahme, die wohl nicht zum mindesten darauf zurückzuführen 
war, dass in dem Kähmen der Tagung die Feier des 70. Geburtstages Leyden’s, des Schöpfers 
der Kongresse für innere Medicin, vorgesehen war, fand die diesjährige Versammlung statt. Eine 
Ueberfülle von Vorträgen bildete die Tagesordnung, die nur unter fleissigster Ausnutzung der kurz 
bemessenen Zeit erledigt werden konnte. Die wesentlichsten Themen bildeten einmal die Diagnose 
und Therapie des Magengeschwüres, Referenten hierfür waren Ewald (Berlin) undFleiner 
(Heidelberg), und weiterhin die Lichttherapie, über die Bie (Kopenhagen) das Referat übernommen 
hatte. Während Ewald in eingehender klinischer Betrachtung die Diagnose des Ulcus ventriculi 
behandelte, beschäftigte sich Flein er mit der Therapie desselben. Ein spezifisches Heilmittel des 
Magengeschwürs giebt es nicht Der Arzt soll nur günstige Bedingungen für die Spontanheilung 
desselben schaffen, alle Störungen des natürlichen HeilungsVorganges aus dem Wege räumen. Dazu 
gehört die Leere des Magens, eine kräftige Kontraktion der Muskulatur zur Verkleinerung der Ge¬ 
schwürsfläche und die Ausfüllung derselben mittels frischer Granulationen. Die wesentlichste Be¬ 
dingung dafür ist eine längere Ruhekur, mindestens vier Wochen Die orsten Tage lässt man die 
Patienten zweckmässig hungern und führt ihnen nur Flüssigkeit per rectum zu. Dann beginnt man 
mit Milchdiät nach vier Wochen weisses Fleisch, nach abermals vierzehn Tagen erst vorsichtig ge¬ 
mischte Kost. Auch später ist die Vermeidung von allen mechanisch und chemisch reizenden 
Nahrungsmitteln durchaus nothwendig; Trinkkuren und Badekuren zur Nachbehandlung haben 
keinen Zweck. Bei solch schematischer Behandlung heilen etwa 75 % aller Fälle. Misserfolge sind 
auf Fehler der Patienten, namentlich in Lässigkeit in der Durchführung der Kur bestehend, zurück¬ 
zuführen, zuweilen aber auch auf individuelle Eigentümlichkeiten — fibröser, schwieliger Grund 
oder wellenartige Ränder des Geschwüres, welche das ständige Zurückbleiben von Nahrungsresten 
auf demselben zur Folge haben, mangelhafte Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur, Tiefstand des 
Magens, Gewohnheit des Luftschluckens und dergleichen mehr. Seit langem bekannt ist die Häufig¬ 
keit der Neigung zu Recidiven. Je älter das Ulkus, desto schwieriger die Heilung, ganz abgesehen 
von der sich ständig steigernden Gefahr der Blutungen und der Perforation. Gegenwärtig erscheint 
folgende Behandlungsmethode als die rationellste: Ausspülung des Magens zur Entfernung der 
Nahrangsreste, aber nur mit geringen Wassermengen und unter niedrigem Druck. Auf die ge¬ 
reinigte Geschwürsfläche kann man Höllensteinlösung bringen, die schmerzstillend wirkt, die Hyper¬ 
acidität herabsetzt und die Granulationsbildung anregt; auch Wismuth in grösseren Dosen ist mit 
Erfolg zu verwenden. Nach einem weiteren Ueberblick über die chirurgische Behandlung der 
Folgen des Magengeschwüres schloss Fl einer seine interessanten Darlegungen, die eine Fortsetzung 
in der ausserordentlich lebhaften Diskussion fanden, an der sich Leo (Bonn), Minkowski (Köln), 
Sahli (Bern), v. Mehring (Halle) und viele andere noch betheiligten. Die Pathologie des Magens 
fand ihren weiteren Ausdruck in den Vorträgen von Adolf Schmidt (Bonn), Zur Pathogenese 
des Magengeschwürs, sowie von Hirschfeld (Berlin), Die Beziehungen zwischen Magen¬ 
geschwür und Magenkrebs. Schmidt, welcher den Heilungsvorgang künstlicher Defekte im Thier¬ 
versuch studiert hat, gelangte zu der Ueberzeugung, dass dabei die Kontraktion der Magen wand, 
welche bewirkt, dass der Defekt durch Ueberdachung mit Schleimhaut ganz gegen das Magenlumen 
abgeschlossen wird, von wesentlicher Bedeutung ist. Bleibt diese Reaktion aus, so entwickelt sich aus 
dem Defekt durch die verdauende Kraft des Magensaftes ein Geschwür. Im Anschluss daran sprach 
Koppen (Norden) über operative Eingriffe beider tuberkulösen Peritonitis. Der Laparo¬ 
tomie ist keine primäre Heilwirkung auf die tuberkulöse Peritonitis zuzuschreiben. Die Therapie 
verlangt zunächst, die Immunisierung des Organismus zu befördern; gelingt dies, so ist die Heilung 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


171 


Bicher. Anderenfalls soll der Erguss abgelassen werden und zwar durch die Punktion mit nach¬ 
folgender ergiebiger Ausspülung mit physiologischer Kochsalzlösung. Auch eitrige allgemeine Peri¬ 
tonitiden sind, wie eine Beobachtung des Vortragenden beweist, dadurch zur Heilung zu bringen. 

Ueber den Parasitismus des Krebses sprach v. Leyden (Berlin) und gab unter dem leb¬ 
haften Beifall der Versammlung die morphologische Schilderung der von ihm beobachteten parasitären 
Zelleinschlüsse, die er für die Erreger des Karcinoms ansieht. Neuerdings ist es ihm gelungen, 
Sporangien dieser Parasiten nachzuweisen; dieselben liegen in kleinen Haufen dicht beieinander in 
einer Kapsel, welche von der Zellmembran gebildet wird. Diese Körperchen können mit Zell¬ 
degenerationen oder dergleichen nicht verwechselt werden; sie können kaum anders gedeutet 
werden, denn als Keime lebender Wesen. 

Heber die Beziehungen zwischen Infektion und der Glykogenreaktion der 
weissen Blutkörperchen berichtete Kaminer (Berlin). Diese Reaktion, die Ehrlich bereits 
vor 18 Jahren angegeben hat, hat Kaminer dazu benutzt, zu prüfen, wie die weissen Blutkörperchen 
sich gegenüber Krankheitsgiften verhalten. Er brachte Kulturen und Toxine von Streptokokken, 
Staphylokokken, Pneumokokken, Milzbrand-, Typhusbacillen etc. etc. in den Thierkörper ein und prüfte 
dann das Verhalten der weissen Blutkörperchen. Bei allen diesen Versuchsreihen trat die Glykogen¬ 
reaktion ein, nicht aber bei der gleichzeitigen Anwendung von Tetanustoxin und Hühnercholera- 
knlturen. Für die Lehre von der Immunität ist eine Feststellung bei Diphtherie von Werth: Nach 
Einverleibung von Diphtherietoxin finden sich jodempfindliche weisse Blutkörperchen Das Auf¬ 
treten dieser kann aber durch sehr hohe Immunisierung verhindert werden. 

Friedrich Müller (München) bespricht die Autolyse bei einigen krankhaften Zu¬ 
ständen. Von Interesse ist die Frage, auf welchen Wegen derOrganismus sich der abgestorbenen Gewebe 
ifibrinöser Exsudate, Infarkte etc.) erledigt Dies geschieht einmal dadurch, dass die Wanderzellen 
sich mit dem abgestorbenen Material beladen, oder dadurch, dass eine direkte Resorption durch die 
Lymph- und Blutgefässe erfolgt Die Verwandlung der soliden Produkte in gelöste Form stellt 
also einen Verdauungsprozess dar. Solche autolytischen Vorgänge lassen sich nun in vielen Organen 
experimentell nachweisen; gesunde und von Blut durchströmte Gewebe widerstreben der Selbst¬ 
verdauung. Die wichtigsten Träger dieses chemischen Vorganges sind die polynukleären Leuko- 
cythen. Das ganze Verhältniss beweist die engen Beziehungen zwischen den chemischen und 
biologischen Vorgängen. 

Klemperer (Berlin) hat eine auffällige physikalisch - chemische Eigenschaft des Urins zum 
Gegenstand der Untersuchung gemacht. Der Ham enthält viel mehr Harnsäure in Lösung, als nach 
den Thatsachen der physikalischen Chemie zu erwarten war. Es war zu prüfen, ob sich in ihm 
nicht chemische Stoffe finden, durch deren Inhalt im Urin die Steigerung der Fähigkeit, Harnsäure 
in Lösung festzuhalten, erklärt wird. Die Prüfung der viscösen Körper im Ham, an die zunächst 
za denken war, blieb ohne Ergebniss. In Betracht kommen sodann die kolloiden Körper, die der 
Harn enthält Bei der Durchmusterung der Bestandtheile des Harns auf kolloide Körper stiess 
Klemperer auf einen solchen, der bisher wenig beachtet worden ist. Es ist das derjenige Farb¬ 
stoff, von dem die gelbe Farbe des Harnstoffs herrührt, das Urochrom. Von ihm liess sich er¬ 
weisen, dass er die Ursache des starken Lösungsvermögens des Harns für Harnsäure ist 

Salomon (Frankfurt a. M.) spricht sodann über Fettstühle. Er verweist auf die Be¬ 
obachtungen in der Noorden’schen Klinik, wonach nicht blos bei schweren Erkrankungen der 
VerdauungsWerkzeuge, sondern auch bei Darmkatarrhen die Fettaufsaugung schwere Störungen er¬ 
leiden kann. 

Hirsch fei d (Berlin) bespricht im Anschluss daran die Beziehungen zwischen den Fett- 
stühlcn und der Pankreaszuckerharnruhr. 

Rosenfeld (Breslau) berichtet über den Fortgang seiner Untersuchungen zur Begründung der 
Anschauung, dass die Fettveränderung der Gewebe nicht als Entartung, sondern als Regeneration 
anzosehen ist 

S trau SB (Frankfurt a. M.) bringt Beiträge über die sogenannte funktionelle Prüfung der 
Nierenthärigkeit 

Aus der kaum in einer gedrängten Uebersicht zu erschöpfenden Fülle der Referate seien 
noch erwähnt die Mittheilungen von Holländer (Berlin) über die Behandlung des Lupus 
erytbemathodes. Er bekämpft die Anschauung, dass der Lupus erythemathodes tuberkulösen 
Ursprungs ist; indem er die Ursache dieser Lupusform noch ausser Betracht lässt, hält er als Sitz 
der Erkrankung auf Grund seiner Untersuchungen das Drüsengewebe der Haut Seine Behandlung 
besteht in der gleichzeitigen innerlichen Darreichung von Chinin und der Bepinselung der erkrankten 

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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Hautstellen mit Jodtinktur. Holländer illustriert seine Heilerfolge durch die Vorzeigung von 
Lichtbildern, die in der That ausserordentlich lehrreich sind. 

Nachdem sodann Brat (Berlin) über experimentelle Untersuchungen bezüglich des Ein¬ 
flusses von Eiweisskörpern auf die Blutgerinnung berichtet hatte, die Aufschlüsse 
über die Agglutination gegeben haben, behandelt Hoff mann (Düsseldorf) die Frage: Giebt 
es eine akute Erweiterung des normalen Herzens? Die widersprechendsten An¬ 
gaben, namentlich neuer Beobachter, über das Auftreten akuter Vergrosserungen des normalen 
Herzens, welche ebenso rasch wieder verschwinden sollten, veranlassten den Vortragenden, 
eine grössere Anzahl von Personen, welche sich den angeblichen Ursachen dieser akuten 
Herzerweiterung ausgesetzt hatten, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, die mit 
einem von Hoffmann konstruierten Apparat zur Untersuchung des Herzens mit Röntgenstrahlen 
ausgeführt wurde. Der Apparat, welcher auf dem Prinzip beruht, dass Lichtquelle und Schreibstift 
bei jeder Lage des letzteren einander gegenüber bleiben, und somit, wie der Orthodiagraph von 
Moritz, den älteren Apparaten von Grummach und Levy-Dorn, gleiche Vortheile bietet, hat 
nebenbei die Einrichtung, dass die Punkte und Linien der Körperoberfläche durch kreuzweise ver¬ 
schiebbare Metalldrähte direkt auf dem Röntgenbild markiert werden und so gleichzeitig mit der 
Herzkontour aufgeschrieben werden können. Die vorgenommenen Untersuchungen haben nun in 
keinem einzigen Falle eine irgendwie bedeutende Vergrösserung des Herzens, nach Anstrengung 
und Alkoholgenuss ,* sowie bei akuten Krankheiten erkennen lassen. Unter diesen Fällen waren 
einzelne von Hoffmann näher mitgetheilte, welche schwere Schädigungen des Herzrhythmus 
beobachten Hessen, ohne dass auch die geringste Dilatation während dieser Zeit sich nachwcisen 
Hess. Die Fehlerquelle, durch welche eine Dilatation des Herzens vorgetäuscht werden kann, 
sieht Hoffmann im Hochstand des Zwerchfells bei Cor mobile, in einer verstärkten Aktion des 
angestrengten Herzens und einer damit verbundenen Hyperdiastole. Während Lennhof (Berlin) an 
dem Vorkommen akuter Herzdilatationen nach excessiven Anstregungen nicht zweifelt — er ver¬ 
weist auf seine und Albu’s Beobachtungen bei Ringkämpfern und beim Radrennsport —, schHessen 
sich Rumpf (Hamburg) und v. Criegern (Leipzig) mehr oder minder den Ausführungen Hoffmann’s 
an. Besonders letzterer hat bei 500 gesunden und kranken Herzen durch Röntgenuntersuchung nie¬ 
mals eine akute Herzdehnung feststellen können. Es handelt sich nach ihm da wahrscheinlich nur 
um einen vermehrten Füllungszustand des Herzens. 

Ueber Einwirkung von Arzneimitteln auf den kleinen Kreislauf berichtet Gerhardt 
(Strassburg). Thierversuche haben ergeben, dass der Digitalis eine selbstständige Einwirkung auf den 
kleinen Kreislauf zukommt, die der Drucksteigerung im grossen parallel geht, also nicht lediglich 
Folge eines verstärkten Blutzuflusses ist Dasselbe stellte sich bei Versuchen mit Nebennierenextrakt 
heraus, der auch eine Drucksteigerung bis zu 12 mm Hg im kleinen Kreislauf erzeugt Ebenso ent¬ 
spricht dort die Senkung des Blutdruckes nach Ergotin und Hydrastinin der gleichen Einwirkung 
auf den grossen Kreislauf. Physiologie und Pathologie des Kreislaufs behandelten noch eine Reihe 
weiterer Vorträge, so von Volhard (Giessen) über Venenpulse, Strubeil (Wien) über Herzgifte, 
Albert Fränkel (Badenweiler) über die Kumulativwirkung der Digitaliskörper, Schott 
(Nauheim) über Blutdruck bei akuter Ueberanstrengung des Herzens, Hornung (Marbach) 
über Orthodiagraphie und die Friktionsmethode bei Bestimmung der Herzgrenzen,Poehl 
(Petersburg) über den Ersatz der Einführungen von Kochsalzlösungen in die Venen durch 
Eingiessungen von künstlichen physiologischen Salzlösungen. Rohden (Lippspringe) 
spricht über die Bedeutung der Kieselsäure im menschlichen Organismus und ihre 
Beziehungen zum Lungengewebe. Er misst der Kieselsäure eine wesentliche Bedeutung für 
den Organismus bei. Nach ihm hat die Kieselsäure die Kraft, entsprechend ihrer Stellung im Quarz 
und Bergkrystall auch im pflanzlichen und animalischen Organismus alle anderen mineralischen Grund¬ 
substanzen in elektrochemischer Spannung bei einander zu halten. Die Kieselsäure soll gleichsam der 
Mörtel sein, der die verschiedenen Mineralien als Mauersteine des Zellsystems vor dem Auseinander¬ 
fallen bewahrt. Es besteht ein Bedürfniss der erschlafften Gewebe im Organismus nach Kieselsäure. 

Eine wesentliche Rolle spielte auf dem diesjährigen Kongress auch der Zucker und seine Stellung 
im Organismus. Nachdem zuerst PaulMayer (Karlsbad), welcher auf Grund der Anregungen von 
Emil Fischer, dass zwischen der räumlichen Anordnung der Atome in einem chemischen Körper 
und seiner physiologischen Wirkung eine Beziehung besteht, Untersuchungen über das Verhalten 
der drei stereoisomeren Mannosen im Thierkörper anstellte, berichtet hatte, behandelte 
ClemmjDresden) die Bedeutung verschiedener Zuckerarten im Haushalt des gesunden 
und kranken Körpers. Er fand, dass bei Speichel Verdauung, weuu sie bis zu drei Tagen ein- 


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Berichte Aber Kongresse und Vereine. 


zuwirken vermag, nicht der Doppelzucker Maltose, sondern die ihn zusammensetzenden zwei Moleküle 
Dextrose das Endprodukt der Diastasierung bilden, weiterhin, dass augenscheinlich die Pankreas- 
ptyaline verschiedener Thierarten nicht nur hinsichtlich ihrer quantitativen, sondern auch hinsichtlich 
ihrer qualitativen, das ist, bezüglich der aus Stärke von ihnen gebildeten Zuckerarten, sich von einander 
unterscheiden. Endlich ergab sich ihm, dass wahrscheinlich bakterielle Einwirkung aus Stärke statt 
der Glykose die Galaktose, den Aldehyd des Dulcits, also statt jenes des Glucits entstehen liess. 

Ueber den Modus der Glykuronsäureausscheidung sprach Bial (Kissingen). Er hat 
diesen bisher biologisch wenig beachteten Körper, ein Zwischenprodukt des Zuckerstoffwechsels, in 
dem Darminhalte des Menschen gefunden. Danach kommt die Resorption aus dem Darm bei der An¬ 
häufung von Glykuronsäuren und ihrer Ausscheidung in den Harn. Der Nachweis der Glykuron- 
slure ist wichtig, bedarf aber noch einer genauen chemischen Durcharbeitung, da die bisherigen 
Methoden nach BiaPs neuen Feststellungen für die Mengenbestimmung nicht ausreichen. 

Es schliessen sich daran Mittheilungen von Vogt (Strassburg) über den weiteren Ausbau der 
von ^v. Mering zuerst festgestellten Thatsache, dass durch Phloridzindarreichung künstlich Zueker- 
hamruhr hervorgerafen werden kann, von Blum (Frankfurt a. M.), der die Beziehungen der 
Nebennieren zur Zuckerharnruhr näher studiert hat. Er ermittelte, dass schon bei Ein¬ 
bringung ganz geringer Mengen von Nebennieren bei Tbieren Zuckerhamruhr herbeigeführt werden 
kann. Aus seinen Thierversuchen leitet er Erwägungen darüber ab, inwieweit wohl Zuckerhamruhr 
beim Menschen auf einer Anomalie in der Nebennierenthätigkeit beruhe. 

So umfangreich, wie man sieht, die Tagesordnung im allgemeinen war, so dürftig war im 
speziellen der den physikalischen Behandlungsmethoden überlassene Raum; was aber an Zahl der 
Vorträge ermangelte, dies wurde reichlich eingebracht durch die Art und Behandlung des Stoffes. 
Im Vordergründe stehen hier die Ausführungen von Friedländer (Wiesbaden) über die Dosierung 
in der physikalischen Therapie. Redner ging davon aus, dass das von R. Arndt auf Grund¬ 
lage des PflügePschen Zuckungsgesetzes entwickelte biologische Grundgesetz für die physikalische 
Therapie nicht minder wie für die medikamentöse Geltung habe. Dieses Gesetz lautet: Kleine 
Reize fachen die Lebensthädgkeit an, mittelstarke fördern dieselbe, starke hemmen sie und stärkste 
beben sie auf; aber durchaus individuell ist, was sich als einen schwachen oder starken Reiz geltend 
macht. Die Gültigkeit dieses Gesetzes für die Pharmakotherapie hat Hugo Schulz in über¬ 
zeugender Weise nachgewiesen. Dasselbe hat aber auch für die physikalische Therapie Gültigkeit, 
nur müssen bei der Behandlung kranker Organe, des kranken Organismus, hier wie in der Pharma¬ 
kotherapie Modifikationen dieses Gesetzes insofern eintreten, als bei der Dosierung dem Erregbar¬ 
keitszustand der betreffenden Organe Rechnung getragen werden muss. Es ist ferner in der 
physikalischen Therapie nicht nur die Intensität der Reize, sondern auch deren Extensität und Dauer 
zu berücksichtigen, da sich aus diesen drei Komponenten die Reizgrösse in der physikalischen 
Therapie zusammensetzt. Um eine Erregbarkeitssteigerung hervorzurufen, wie bei Lähmungen, 
Anästhesien, chronischen Entzündungen, und gleichzeitig eine Vermehrung der Blutzufuhr und Stoff- 
wechselsteigerunng in den erkrankten Organen zu bewirken — denn »bahnende Wirkungen gehen 
stets Hand in Hand mit Kongestionierung und Stoffwechselsteigerung« —, werden wir im Prinzip 
schwache Reize von geringer Intensität, Extensität und Dauer anwenden. Es wird aber die Reiz¬ 
grösse dem vorhandenen Grad der Erregbarkeitsherabsetzung angepasst, d. h. vermehrt werden 
müssen, und dieser nach den individuellen Verhältnissen schwankende Zusatz zu der Reizgrosse 
wird bei der bahnenden Behandlung hauptsächlich der Intensität und Extensität zukommen müssen, 
da kurze Reize für die Erzielung von Bahnungswirkungen von besonderem Werth sind. Für die 
Hemmungsbehandlung, bei Schmerz, Hyperästhesien, Hyperkinesien, akuten Entzündungen werden 
dagegen stärkere und länger dauernde Reize zur Anwendung kommen; doch muss hier je nach 
dem Grade der Erregbarkeitssteigerung die Reizgrösse vermindert werden, und zwar auch hier 
hauptsächlich die Intensität, da länger dauernde und extensive Reize das Zustandekommen von 
HemmungsWirkungen begünstigen. Bei der Hemmungsbehandlung mittels Ableitung (Revulsion) 
und dagegen starke und langdauemde Reize auf die Haut angezeigt. 

Ueber den Einfluss mechanischer und thermischer Einwirkungen auf den Blut¬ 
strom und Gefässtonus verbreitete sich Pick (Prag). Die Untersuchungen wurden mittels direkter 
Messung der aus den Venen ausströmenden Blutmenge am defibrimierten Thier gemacht Pick fand, 
dass die unter dem Namen Massage zusammengefassten Handgriffe an den Extremitäten Beschleunigung 
des Blutstromes bei herabgesetztem Gefässtonus, im Unterleibe Verlangsamungzur Folge haben. Bauch- 
maasage beschleunigt den Blutstrom im Unterleib, verlangsamt den im Gehirn. Passive Bewegungen 
beschleunigen die Cirkulation in den Extremitäten und im Gehirn. Kälte auf den Extremitäten be¬ 
wirkt Abnahme der Cirkulation in den Extremitäten bei gleichzeitiger Beschleunigung am Unter- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


leib, Verlangsamung im Gehirn. Külteeinpackung des Bauches: Verlangsamung im Unterleib, die 
bald jedoch einer Beschleunigung Platz machte. Wärme macht Beschleunigung in den Extremitäten, 
ebenso im Unterleib, wenn man sie dort appliziert, dabei auch im Jugulargebict. Direkt auf den 
Schädel appliziert bewirkt sie keine Beschleunigung an der Jugularis. Die nach Ischiadikusdurch- 
schneidung auftretende Beschleunigung bleibt bei starker Kälte; es überwiegt die direkt an der 
Gefässmuskulatur einsetzende Wirkung. 

Weiterhin sprach Paul Lazarus (Berlin) über die Bahnungstherapie der Hemiplegie. 
Die Bahnungstherapie der Hemiplegie und motorischen Aphasie besteht in der kompensatorischen 
Ausnutzung der erhaltenen Leitungswege und in der Ausschleifung neuer Bahnen. Sie findet ihre 
Grundlage in der anatomisch und physiologisch festgestellten Thatsache, dass die Pyramidenbahn 
nicht die einzige motorische Leitungsbahn darstellt. Ausser ihr existieren noch eine Reihe von 
Reservebahnen, welche durch die subkortikalen Ganglien, insbesondere durch den Sehhügel und die 
Vierhügel zum Rückenmark herabziehen. Ueberdies kann die gesunde Hemisphäre vermittels der 
ungekreuzten Pyramidenvorderstrangsbahn für die erkrankte vikariierend eintreten. Alle Ganglien¬ 
zellen des Gehirns stehen miteinander in direkter oder indirekter Verbindung, welche durch me¬ 
thodische Uebungen gebahnt werden kann. Die Bahnung besteht in Innervationsübungen; jede 
motorische Willenserregung bahnt die Willensbewegung. Man unterscheidet die Pyramidenbahnung, 
die Associationsbahnung, die Kommissuren- beziehungsweise Balkenbahnung. Die Uebungs- 
behandlung soll möglichst frühzeitig nach Ablauf des Reaktionsstadiums der Apoplexie vor- 
genommen werden. 

Ueber den Einfluss von Bädern und Douchen auf den Blutdruck beim Menschen 
sprach Ottfried Müller (Leipzig). Die Einwirkung aller nicht bewegten Bäder auf den Blutdruck 
wird im wesentlichen durch den thermischen Reiz bestimmt. Derselbe bewirkt bei Wasserbädem 
unterhalb der mittleren Temperatur der Körperoberfläche eine während des ganzen Bades andauernde 
Blutdrucksteigerung von typischer Kurvenform bei Verminderung der Pulsfrequenz. Die Grösse 
beider Veränderungen nimmt mit dem Sinken der Temperatur bis zu bedeutenden Werthen zu. 
Wasserbäder oberhalb der mittleren Temperatur der Körperoberfläche bis hinauf zu 400 C = 32<>R 
veranlassen nach anfänglicher kurzer Steigerung ein Sinken des Blutdruckes unter den Normalwerth, 
dem dann ein erneutes Wiederansteigen folgt Die Pulsfrequenz zeigt bei dieser Gruppe bis zu 
etwa 380 C = 30 ° R eine Verminderung, von da ab nach aufwärts eine Vermehrung. Bei Wasser¬ 
bädem oberhalb von 40 ° C = 32 ® R tritt wieder eine andauernde Steigerung des Blutdruckes von 
ähnlicher typischer Form, wie bei den kalten Bädern, ein, nur mit dem Unterschied, dass die Puls¬ 
frequenz hier nicht vermindert, sondern stark vermehrt wird. Bei bewegten Badeformen, also z. B. 
bei Halb- und Wellenbädern, tritt nach Maassgabe der Intensität der Bewegung der mechanische 
Reiz immer mehr in den Vordergrund, bis er bei den Douchen das Bild vollständig beherrscht Er 
bewirkt bei genügender Intensität, stets unabhängig von der Temperatur, Blutdrucksteigerung. Die¬ 
selbe ist bedeutender, aber von kürzerer Nachwirkung als bei den meisten Bädern. 

Eine gewisse piöce de rGsistance endlich des diesjährigen Kongresses bildete das Referat von B i e 
(Kopenhagen) über Lichttherapie. In klar umgrenzter und objektiv nüchternerWeise schilderte Bie 
die biologischen Gesichtspunkte, auf denen die Lichttherapie aufgebaut ist, sowie ihre therapeutische 
Anwendung und Grenzen 1 ). Als Schüler und Mitarbeiter Finsen’s war wohl kaum jemand befugter, 
wie gerade Bie, über dieses für die moderne Therapie so ausserordentlich wichtige Thema zu sprechen 
und auf der einen Seite kritiklosen Enthusiasmus herabzustimmen, auf der anderen die wirklich brauch¬ 
baren und durch die Forschung feststehenden Resultate unberechtigtem Misstrauen gegenüber wissen¬ 
schaftlich zu erhärten. Der warme Beifall und die ausserordentlich lebhafte Debatte, die sich an 
Bic’s Ausführungen anschloss, und in der v. Jaksch (Prag), Quincke (Kiel), Rumpf (Hamburg) 
und viele andere das Wort ergriffen, bewies das Interesse, das dem Gegenstände wie den treff¬ 
lichen Ausführungen gezollt wurde. 

So hat auf dem diesjährigen Kongress die physikalische Therapie einen, wenn auch äusserlich 
bescheidenen, so doch, was die ihr entlehnten Themata anbetrifft, über das gewöhnliche Niveau 
weit hervorragenden Antheil gehabt, der sich hoffentlich auf den zukünftigen Tagungen auch dem 
Umfange nach vergrössem wird. 


i) Da in dieser Nummer an anderer Stelle ein vom Referenten über das gleiche Thema im 
März d. J. gehaltenen Vortrag in extenso wiedergegeben ist und derselbe sich in den theoretischen 
wie praktischen Schlussfolgerungen mit den Bie*sehen Ausführungen nahezu deckt, so wäre ein 
näheres Eingehen auf diese letzteren nur eine unnöthige Wiederholung. 


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n. 

Bericht über die 23. öffentliche Yersammlung der Balneologischen 
Gesellschaft in Stuttgart vom 7. bis 12. März 1902. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

(Fortsetzung.) 

Camerer (Urach), Ueber Gicht und Rheumatismus. 

Die hamsaure Gicht — so benannt zum Unterschiede von Arthritis deformans und chronischem 
Gelenkrheumatismus — zeigt eine Reihe von theilweise ihr und theilweise auch anderen Krank¬ 
heiten eigentümlichen Eigenschaften. Der Urin des Gichdkers lässt Harnsäure in Substanz unter 
solchen Umständen ausfallen, wo beim Urin des Gesunden kein Niederschlag entsteht oder höchstens 
ürate ausfallend); diese Eigenschaft des Gichturins und des häufig gleichzeitig vorkoramenden Aus¬ 
fallens von oxalsaurem Kalk schlägt Camerer vor, mit dem Namen »Harnsaure und oxalsaure 
Diathese« zu bezeichnen und darunter nichts weiteres als nur diese Urinbefunde zu verstehen. 
Derselbe ist zwar nicht pathologisch für Gicht und hamsaure Steine, denn er kommt auch beim 
Diabetiker vor und kann durch Weintrinken leicht und sicher beim Gichtiker, schwieriger beim 
Gesunden künstlich hervorgebracht werden; doch kann er in zweifelhaften Fällen die Diagnose auf 
Gicht unterstützen. Die Harnsäuremengen im 24 ständigen Urin und die Mischung der N- haltigen 
Bestandtheile ist beim Gichtiker von der beim Gesunden nicht verschieden. Das Blut und die 
Gewebssäfte enthalten bei Leukämie und bei Menschen, die Thymus verzehren, beim Gichtiker und 
manchen Nephritikem Harnsäure in quantitativ nachweisbarer Menge. Bei den ersteren ist das die 
natürliche Folge davon, dass die Produktion des Stoffes (absolut und relativ) auf das Doppelte bis 
Dreifache gesteigert ist, bei den beiden letzteren ist sie nicht gesteigert. Hier muss es sich also 
um Hamsäureretention handeln und zwar nach der ganzen Sachlage bei Gicht um eine solche von 
minimalen Grossen. Dieselbe ist selbstverständlich durch Stoffwechselversuch und Urinanalyse nicht 
nachweisbar. Die Versuche von Freudweiler-His über den Einfluss von Alkoholzufuhr bei der 
künstlichen Erzeugung harnsaurer Tophi im Ohr von Kaninchen, die von Glaser über den Einfluss 
von Alkoholzufuhr auf die Urinbeschaffenheit des Gesunden (Leukocythen, Cylinder, hamsaure und 
oxalsaure Diathese sind die Folge) erklären die klinische Beobachtung, dass die Anfälle des 
Gichtikers durch vollständige Abstinenz zum Verschwinden gebracht werden können, und lassen die 
Gicht als eine nicht seltene Folge chronischer Alkoholvergiftung (bei Disponierten) erkennen. Be¬ 
kannt ist, dass sie auch, freilich viel seltener, durch chronische Bleivergiftung verursacht wird. 

Von den rheumatischen und verwandten Gelenkkrankheiten ist als erster der akute Gelenk¬ 
rheumatismus zu nennen, der zweifellos durch Kokken verursacht wird. Dass die Krankheit auch 
subakut oder chronisch, dass sie auch als Affektion der Muskeln, anderer seröser Höhlen, der Sehnen 
ils.w. verlaufen kann, beweist das alternierende Auftreten der verschiedenen Formen sowohl bei 
einzelnen disponierten Individuen, als bei verschiedenen Angehörigen einer disponierten Familie. 
Die Diagnose Rheumatismus sollte künftig nur da gestellt werden, wo man Kokkeninfektion an- 
nefamen will und muss. 

Mit Arthritis deformans bezeichnet man am besten solche chronische Gelenkkrankheiten, bei 
welchen Wucherungen in der Peripherie des Gelenkes mit Rückbildungsprozessen im Gelenkende 
der Knochen einhergehen. Nach dem klinischen Verlauf hat man zwei Formen zu unterscheiden: 
1. Arthritis villosa, es handelt sich hier um primäre starke Zottenbildung von seiten der Synovial¬ 
membranen mit wenig Exsudat, spätere Schrumpfung derselben, geringe Betheiligung des Knorpels 
oder der Knochen. Endresultat ist starke Difformität und partielle Ankylose der Gelenke; Ursache 
nach Schüller ein eigener Bacillus, was bisher nicht bestätigt wurde. Der Beginn der Krankheit 
macht allerdings den Eindruck einer infektiösen Entzündung. 2. Die gewöhnliche Arthritis deformans, 
bei der im Gelenkende der Knochen gleichzeitige Exostosen in der Peripherie, und Erweichungs¬ 
herde im Centrum die charakteristischen Merkmale sind. Auch bei dieser Krankheit machen die 
schwenkten Fälle im Beginn den Eindruck einer infektiösen Entzündung, später mehr den einer 
Trophoneurose. Die leichtesten Fälle, auf die Gelenke der Finger beschränkt, nennt man häufig 
den Heb erden’ sehen Knoten. 


i) Also z. B., wenn Urin vom spezifischen Gewicht 1015 bei Zimmertemperatur (oder darunter) 
aufbewahrt wird. 


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Berichte über Kongreße und Vereine. 


Beim Malum senile endlich ist das Primäre eine Gewebsveränderung im Knorpel, Auffaserung 
desselben, sodann Usur von Knorpel und Knochen, endlich sekundäre Entzündung. Nach 
Schmiedeberg enthält der normale Knorpel eine Verbindung von Eiweiss und Chondroitin- 
schwefelsäure. Durch eine anderweitige Bindung der beiden Komponenten entsteht das Amyloid, 
dessen spezifische Reaktion von der Säure herrührt — Viele senile Knorpel enthalten Amyloid, das 
als optisch indifferent der Beobachtung bisher entgangen ist, durch mikrochemische Reaktion aber 
nachgewiesen werden kann. Derartige chemische Veränderungen im Knorpel dürften die erete Ur¬ 
sache des Malum senile, ähnliche in der Arterienwand die der Arteriosklerose sein. Ihr präseniles 
Vorkommen in Familien und bei einzelnen Individuen kann nicht auffallen. 

Gelenkaffektionen mit primären Gewebsveränderungen im Knorpel sind auch die bekannten 
trophoneurotischen (bei Tabes, Nervendurchschneidung, bei längerer Fixation des Gelenkes durch 
Gipsverband u. s. w.). Da bei langer Dauer der Gelenkaffektionen häufig Mischformen entstehen, ist 
eine richtige klinische und sogar pathologisch - anatomische Deutung des Einzelfalles sehr schwer, 
wenn er nicht von Anfang an gut beobachtet wurde und alle anamnestischen wichtigen Momente 
(Erblichkeit!) beigebracht werden können. Der Röntgenvereuch gestattet bekanntlich, hamsaure 
Tophi von Exostosen mit Sicherheit zu unterscheiden, bei Fällen von Subluxation nach Gelenk¬ 
rheumatismus (die mit Arthritis deformans unter Umständen verwechselt werden können) das Fehlen 
der Exostose nachzuweisen. 

Weisz (Pistyan), Ueber Gicht. 

Vortragender giebt eine übersichtliche Darstellung all jener fehlerhaften Untersuchungs¬ 
methoden (unverlässliche Bestimmung der Harnsäure und der Blutalkalescenz) und prinzipieller 
Druckfehler, die sich in die alten Gichtlehren eingeschlichen haben. Nachdem der Ham kein ein¬ 
faches physikalisches Filtrat bedeutet und seine quantitativen Verhältnisse weder unter normalen 
noch pathologischen Umständen — man denke z. B. nur an den Gehalt von Eiweiss —einen 
quantitativen Rückschluss auf das Blutserum gestatten, fehlt für die diagnostische Verwerthung der 
Harnsäure bei der Gicht jede theoretische Basis. Thatsächlich haben neuere Untersuchungen ergeben, 
dass die Hamsäureproportionen bei dem Gichthame den normalen Verhältnissen ziemlich gleichstehen. 
Früher hat man einseitigerweise stets nur an eine Ueberladung des Körpers mit Harnsäure gedacht; 
die anderen Bedingungen, die in der Veränderlichkeit des Lösemittels liegen — Anwesenheit oder 
Abwesenheit dritter Substanzen — wurden gänzlich vernachlässigt. Bei Leukämie und Nephritis 
könne manchmal Harnsäure in einer die Gicht übersteigenden Dimension im Körper kreisen, ohne 
auszufallen. Zweifelsohne muss dies die Anwesenheit anderer Stoffe im Körper hindern. Im 
menschlichen Körper kreuzen und kombinieren sich nun die verschiedensten Elemente in ver¬ 
schiedenster Weise, so dass die Löslichkeitsfrage der Harnsäure in den menschlichen Körpereäften 
beute geradezu auf noch unüberwindliche Hindernisse stösst. Man bleibt also noch immer mehr auf 
allgemeine Betrachtungen angewiesen. Der Organismus verfügt im allgemeinen über verschiedene 
Schutzvorrichtungen gegen das Ausfallen fester Körper (Bewegung durch Cirkulation und 
molekulare Strömungen, Temperaturunterschiede oberflächlich und tiefer gelegener Organe, 
Schwankung der Tagestemperatur etc., Innervationsunterschiede, chemische Prozesse durch 
Nahrungsaufnahme und Aufarbeitung derselben, reichliche Wasserbildung als Nebenprodukt 
chemischer Transaktionen etc.). Im Wasser schwerlösliche Substanzen, z. B. schwere Metalle, 
finden wir assimiliert ans Eiweiss gekettet, was bei der Harnsäure, als einem Stoffwechselprodukt, 
nicht der Fall sein könne. Die Harnsäure kreist gewissermaassen herrenlos im menschlichen 
Körper. Wenn sich dieselbe trotz alledem selten niederschlägt, müsse man annehmen, die Löslich¬ 
keit der Harnsäure sei im menschlichen Körper grösser als im Wasser (es besteht im Harne im 
Vergleich zum Wasser eine 10—40fache Löslichkeit) und die cirkulierenden Mengen minimal, d.h. 
die Hamsäurcbilanz könne durch die Niere auf Null erhalten bleiben (im Blute Gesunder wurde 
auch. Harn säure thatsächlich noch nie nachgewiesen). Im Blute des Gichtikere wurde auch nur 
relativ wenig Harnsäure — etwa 6 mmg auf 100 cm 3 Blut — gefunden. Dies auf eine gleich- 
mässige Vertheilung bei einem 70 kg schweren Gichtiker umgerechnet, würde im ganzen nur 4,2 g 
ausmachen. Was die Löslichkeit betrifft, ist das Serum des Gichtikers im stände, hinzugethanene 
Harnsäure noch reichlich zu lösen und zu digerieren.(Klemperer). Man wird somit zur Annahme 
gedrängt — wie dies ja der spezifische Stoffwechsel der einzelnen Organe mit sich bringen kann 
— dass es bei der Gicht nur lokal zu einer relativen Ueberaättigung mit Harnsäure bei ungünstigen 
lokalen Löslichkeitsverhältnissen kommen kann und schliesslich zum Ausfallen derselben. Weisz 
hebt die Analogie der harnsauren Ablagerungen mit den Kalkablagerungen der Arterien hervor. 


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Die Endoarterids ist hauptsächlich eine Erkrankung des Mannesalters wie die Gicht, beide sind 
erblich, auch ist die häutige Miterkrankung der Nieren beiden gemeinsam. Da und dort scheinen 
aber weniger eine allgemeine Kalk- oder hamsause Diathese als lokale — bisher unergründete Ur¬ 
sachen die Hauptsache zu sein. 

Therapeutisch können harnsäurelösende Mittel auf Grund von Eprouvette 7 su. a. Experimenten 
für die menschlichen Körpersäfte nicht in Frage kommen. Empirisch scheint das alte Colchicum 
vom Ansturm der neuen Mittel nicht übertroffen. Trinkkuren werden gerühmt, man soll aber von 
demselben keine Alkalisierung der Säfte fordern. Die Massage erhält im Lichte der His’sehen 
Phagocytose eine erhöhte Bedeutung. Auf den Gebrauch von Bädern — vorzüglich Schwefel- 
ichlammbädem — Entlastung der Niere — hat besonders Ebstein in seinem jüngsten Werke nach¬ 
drücklich hingewiesen. Redner verwirft endlich die lebenslänglichen, starren, schematischen Speise¬ 
zettel und lässt alle anderen berechtigten Gesichtspunkte, die individuell in Frage kommen, zur 
Geltung gelangen. Das Hauptgewicht in der Diätetik ist Schonung der Niere durch Verbot von 
Extraktivstoffen, stark reizenden Gewürzen und Alkohol. 

Winternlts (Wien), Die hydriatische Behandlung der Pneumonie. 

Winternitz hält die Pneumonie gewissermaassen für den Pegel, an dem Werth oder Un¬ 
werth der wechselnden pathologischen und therapeutischen Systeme geprüft werden kann. 

Um nur einen therapeutischen Maassstab anzulegen, wechselt die Mortalität von 
70 o/o und mehr auf 4°/ 0 und weniger, so dass der Intemistenkongress in München und auch 
v. Leyden in seiner jüngsten, unsere ganze gegenwärtige klinische Erkenntniss umfassenden be¬ 
deutsamen Arbeit es zugeben mussten, dass wir weder durch ein Heilmittel, noch durch ein Heil¬ 
serum bisher einen Einfluss auf den Ablauf und Verlauf der genuinen kroupösen Pneumonie haben. 
Aber die meisten Kliniker stehen jetzt auf dem Standpunkte, dass die Hydrotherapie bei der 
Pneumonie sehr nützlich sei, indem sie die Gefahr des Herzkollapses vermindere, die Pulsspannung 
erhöhe, die Pulsfrequenz herabsetze, Respiration und Innervation bessere. Winternitz glaubt, 
noch einigen anderen Nutzen von Wasserbehandlung der Pneumonie nach weisen zu können. Gelingt 
es — nicht während des Schüttelfrostes, wo nur diätetische und hygienische Maassregeln anwend¬ 
bar, aber unmittelbar darauf — den Pneumoniker in Behandlung zu nehmen, so wird man gut 
thun, ihn sogleich einer energischen hydriatischen Kur zu unterziehen. Ein Halbbad von höchstens 
20« C, das auf 16 und selbst bis 12o C im Verlaufe von 10—20 Minuten abgekühlt wird — so 
lange muss es dauern, bis eine gute Reaktion erzielt ist Im Bade muss der Patient von zwei bis 
drei Wärtern kontinuierlich frottiert und wiederholt über Nacken und Rücken übergossen werden. 

Hat man rechtzeitig das Bad in der geschilderten Weise angewendet, so beobachtet man zu¬ 
meist eine günstige Umgestaltung des ganzen Prozesses, so dass es einem geradezu den Eindruck 
macht, als habe man die Pneumonie koupiert, was man jedoch nicht mit Sicherheit zu hehaupten 
vermag, weil es Pneumonieen giebt, die auf einen so kurzen Verlauf gewissermaassen eingestellt 
find Die Bäderbehandlung der Pneumonie, die auch der so erfahrene Generalarzt v. Vogel 
empfiehlt und von der er behauptet, »so angewendet, hat sie gar keine Gefahr für den 
Pneumoniker«, dient nicht zur Bekämpfung des Fiebers, sondern hauptsächlich zur Verminderung 
der Gefahr des Herzkollapses, Besserung der Innervation, Besserung der Respiration und 
Expektoration, Verminderung der Pulszahl, Hebung der Pulsspannung, Ausscheidung von Toxinen 
and damit wahrscheinlich auch Verminderung der toxischen Wirkung der Kokken auf die Vaso¬ 
motoren. Denn nur bei so frühzeitigem Beginne der Bäderbehandlung bei Pneumonie gelingt es 
nach jedem Bade, wenn auch vorübergehend, Erscheinungen hervorzurufen, wie sie sich bei dem 
Bitfirlichen Abläufe der Pneumonie am fünften bis siebenten Tage nach Eintritt der Krise zu er¬ 
kennen geben. Es scheint also das Bad auch in Bezug auf die Veränderung der Blutbeschaffenheit 
ihnüches, wenn auch weniger intensiv, zu bewirken, wie die natürliche Krisis. Schwererkrankte 
Pneumoniker in ein kaltes Bad zu setzen, das muss man auf der Klinik gesehen und gelernt haben. 
Ein zu warmes Bad schadet dem Typhösen nicht, während es beim Pneumoniker durch Nicht- 
enrielung entsprechender Reaktion geradezu gefährlich werden kann, worüber mich meine eigene 
Erfahrung in zwei Fällen zu meinem Schmerze belehrt hat — Weit leichter werden sich die Aerzte 
entschliessen, in bereits vorgeschrittenen Stadien der Lungenentzündung oder auch im Anfänge, 
wenn die Möglichkeit der Bäderbehandlung nicht vorliegt, mit Theilwaschungen vorzugehen, 
die drei- bis viermal täglich, je nach der Heftigkeit der Erscheinungen, vorgenommen werden 
können. Wenn auch nicht so mächtig, wie das kalte Bad, so wird man doch auch mit den Theil- 
waschnngen, die auch ohne geschultes Wartepersonal überall in der Privatpraxis durchgeführt 


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werden können, günstige Resultate erzielen, wie uns ja Stabsarzt Pick dies gezeigt hat, der nur 
eine Mortalität von 3,2 % bei 60 kroupösen genuinen Pneumonieen zu beklagen hatte. 

Dass man sowohl bei der Bäderbehandlung, als auch bei der Behandlung mit TheilWaschungen, 
den Symptomen angepasst, Kreuzbinden, Herzschläuche, eventuell Stammumschläge an wenden wird, 
bedarf keiner tieferen Begründung. 

Das Streben der Wasserbehandlung bei der Pneumonie besteht also in Hebung der Inner¬ 
vation, Besserung der Cirkulation, Verminderung der vom Herzen drohenden Gefahr, Verflüssigung 
und Resorption des Infiltrates, Erleichterung der Expektoration. Parallel der Veränderung der 
klinischen Symptome bewirken die thermischen Reize eine Erythrocytose, eine Hyperleukocytose, eine 
Veränderung der Blutvertheilung, eine raschere Ausscheidung von Toxinen durch alle Collateralen. 
— Selbstverständlich sind auch nicht alle Pneumoniker durch die exaktest ausgeführte Wasserkur 
zu retten; doch scheint es kaum zweifelhaft, dass die Mortalität bei dieser Behandlung eine 
niedrigere ist 

Burwinkel (Nauheim), Chronische Herz- und Lnngenleiden in ihren Wechselbeziehungen. 

Herz und Lunge betheiligen sich gleichmässig an dem Prozess der Arterialisierung des 
Blutes, sie können sich gegenseitig nie völlig ersetzen, aber wohl bis zu einem gewissen Grad er¬ 
gänzen. Bei ungenügender Herzfunktion wird durch gesteigerte Respiration, bei herabgesetzter 
Lungenthätigkeit durch Zunahme der Herzkontraktionen der Schaden theilweise ausgeglichen. Die 
Prognose einer jeden Lungenerkrankung hängt fast ausschliesslich von der Herzkraft ab, wie um¬ 
gekehrt der Zustand der AthmungsWerkzeuge von grosser Wichtigkeit für das Wohlbefinden aller 
Herzleidenden ist. Die intrathoracischen Druckschwankungen begünstigen die Blutcirkulation im 
kleinen Kreislauf und bedeuten ein wesentliches Schonungsmoment fürs Herz. Ein Offenbleiben 
des Foramen ovale kommt namentlich bei schwachen Kindern vor, wenn infolge ungenügender 
Athmung der Druck im linken Vorhof nicht in dem Maasse steigt, dass das Klappensegel ordent¬ 
lich an die Vorhofswand herangepresst wird. Beneke undBrehmer haben die »Hypoplasie« des 
Herzens und die hieraus resultierende Anämie des Lungenparenchyms für die Entstehung phthisischer 
Prozesse in der Lunge verantwortlich gemacht, wie auch Leute mit Pulmonalstenose in eminenter 
Weise zur Schwindsucht disponiert sind. Das zuerst von Rokitansky betonte Ausschlussverhältniss 
der Lungentuberkulose durch die sogenannten Stauungsklappenfehler am linken Herzen ist sowohl 
durch klinische als auch durch patologisch - anatomische Beobachtungen im allgemeinen als richtig 
anerkannt Burwinkel möchte die Stauung nicht als einzige Ursache hierfür bezeichnen, da auch 
Aortenfehler, bei denen von Lungenstauung nicht die Rede ist, in gleicher Weise wie Mitralfehler 
selten mit Lungentuberkulose gepaart Vorkommen. Die meisten Herzfehler finden sich bei Leuten 
mit gichtisch-rheumatischer Diathese, deren Blut und Gewebssäfte infolge Säureüberschusses dem 
tuberkulösen Virus gegenüber antitoxische Eigenschaften besitzen. Auch Arteriosklerose und andere 
Krankheiten, die mit dieser öfters kompliziert sind, wie: Tabes, Bleikolik, finden sich entschieden 
seltener bei Tuberkulösen oder bedingen einen Stillstand des phthisischen Prozesses. Beim sub¬ 
stantiellen Emphysem, beim Keuchhusten und Laryngospasmus der Kinder, bei ausgedehnten Pleura¬ 
verwachsungen findet eine Widerstandsvermehrung im kleinen Kreislauf statt, woraus eine Hyper¬ 
trophie und Dilatation des rechten Ventrikels resultieren. Langwierige Katarrhe, wie sie sich bei 
Stauungsklappenfehlern ausbilden, können sekundär zum Emphysem führen. Emphysem und 
Arteriosklerose werden ungewöhnlich oft bei ein und demselben Individuum beobachtet. Nach 
Burwinkel ist die Arteriosklerose Folge von Emphysem, indem infolge der ungenügenden 
Stauungsgeschwindigkeit und des verminderten Sauerstoffgehaltes des Blutes die Gefässwände 
schlechter ernährt werden. Zum Schluss fordert Redner zu weiteren Untersuchungen auf, nament¬ 
lich über das Verhältniss der Arteriosklerose zum Emphysem und zur Tuberkulose, sowie der 
Tuberkulose zum akuten Gelenkrheumatismus und zur Gicht. 

Kisch (Marienbad), Zur Bäderbehandlung der nervösen funktionellen Herzstörungen. 

Redner führt zwei Typen von ihm beobachteter Herzalterationen vor, welche öfter das 
Objekt der Behandlung in den Kurorten bilden. Die erste Gruppe umfasst eine Anzahl aktiver 
Offiziere, die in einer verantwortungsvollen Stellung psychisch sehr angestrengt sind und bei einer 
besonderen Steigerung dieser Ansprüche, wie beispielsweise vor den grossen Manövern, plötzlich 
unter Anfällen von Herzbeschwerden leiden. Diese Anfälle bestehen in Tachykardie verbunden 
mit Herabsetzung des Blutdruckes und subjektiven grossen Beschwerden; Kurzathmigkeit, Präkordial¬ 
angst, Schwindel, Kopfschmerz, dabei grosse psychische Depression. Die betreffenden Patienten 
fühlen sich zur Arbeit unfähig, befürchten einen schweren Herzfehler zu haben und glauben ihren 


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Beruf auf geben zu müssen. Der objektive Befund ist am Herzen und den grossen Gefässen ein 
negativer; es handelt sich also hier um eine infolge hochgradiger psychischer Anspannung ent¬ 
standenen Funktionsstörung des Herzens, welche aus einem Insult des Herzhemmungscentrums wie 
des vasomotorischen Centrums hervorgegangen ist Den Verlauf betreffend erfolgt bei geeignetem 
Verhalten, besonders Loslösung von allen dienstlichen Verhältnissen meistens vollständige Heilung. 
Die zweite Gruppe ähnlicher funktioneller Herzstörungen stellen sonst ganz gesunde (nicht chloro- 
töche) Mädchen in den Pubertätsjahren dar, deren sonst bisher ganz normale Herzthätigkeit einige 
Zeit vor dem ersten Eintritt der Menses eine ernste Störung erfährt, welche Störung die erste 
Menstruation überdauert und kurze Zeit nach der regelmässigen Wiederkehr derselben aufhört Auch 
hier treten belästigende Anfälle von Hypcrpalpitation auf, Kurzathmigkeit, Schmerzen in der 
linken Interkostalgegend. Dabei verlieren die jungen Mädchen ihr bisheriges munteres Wesen, 
werden still, in sich gekehrt, leicht gereizt und ängstlich. Auch diese Herzbeschwerden müssen 
als nervöse betrachtet werden, deren Grund, wenn auch der reflektorische Zusammenhang mit den 
Entwicklungs Vorgängen in den Ovarien und dem Uterus zu berücksichtigen ist, doch zumeist in 
den Vorgängen der Psyche liegt, die um diese Zeit der sexuellen Veränderung sich in dem seelischen 
Organe abspielen. 

Bei diesen von Prof. Kisch eingehend geschilderten Herzstörungen müssen die balneothera- 
peutischen Maassnahmen derart geleitet werden, dass ihre Wirkung eine nervenberuhigende ist. 
Von Bädern, welche kohlensäurehaltig sind, sind darum nur die mit schwachem Gehalt an kohlen- 
sauren Gasen und mässigem Temperaturgrade (32 bis 33° C) zu wählen und nur in sehr kurzer 
Dauer, 5 bis 8 Minuten, anzuwenden. Wenn man Sool- und Salzbäder gebraucht, so soll der Gehalt 
des Badewassers an Salzen 1 bis lV 2 °/o nicht überschreiten. Nur allmählich und sehr langsam vor¬ 
schreitend darf eine Steigerung des Kohlensäure- und Salzgehaltes vorgenommen, die Badedauer aus¬ 
gedehnt, der Uebergang von ruhigen zu bewegten Badeformen angebalmt werden, um die Reiz¬ 
wirkung dem Einzelfall entsprechend zu dosieren. Beim Gebrauche der Akratothermen werden die 
indifferenten warmen den wärmesteigernden Thermalbädern vorzuziehen sein. Von hydriatischen 
Prozeduren finden Applikationen feuchter Einpackungen, Leibumschläge, Wadenbinden, auch lokale 
Einwirkung massiger Temperaturgrade auf das Herz selbst ihre Anzeige, und nur, wenn eine stärkere 
Beizwirkung erwünscht, erscheinen kühle Abreibungen mit nachfolgendem Frottieren indiziert Milde 
allgemeine Massage mit passiven Bewegungen, zuweilen auch mit einigen leichten Widerstands¬ 
bewegungen verknüpft, wirken als Unterstützung der Bäder. 

Die mit den Herzbeschwerden häufig einhergehenden Symptome gestörter Magen- und Darm- 
tbltigkeit sowie Veränderung der Gesammtemährung des Körpers lassen oft Trinkkuren mit den 
dazu geeigneten Mineralwässern indiziert erscheinen. Stets wird mit der methodischen Anwendung 
der Bäder und Trinkquellen die nach gleichen Wirkungen hinzielende Ernährungs- und psychische 
Therapie verbunden werden. In ersterer Beziehung ist grosses Gewicht auf konsequente, öfter des 
Tages vorzunehmende Zufuhr von nicht grossen Mengen kräftiger, leicht verdaulicher Nahrung zu 
legen. Kisch lässt solchen Patienten alle drei Stunden eine roborierende Kost geben: Gute Milch, 
kräftige Fleischbrühe, frisch ausgepressten Fleischsaft, Lenden, Wildpret, Geflügel, Spargel, Spinat 
n.8.w., wobei oft Reizmittel nicht zu entbehren sind. Die psychische Beeinflussung hat nebst 
Beruhigung die Aufgabe, die Patienten, welche oft die Empfindung haben, dass Bewegung die 
Hetzanfälle steigert, systematisch in schonender Weise und stetiger Zunahme an verschiedene Be¬ 
wegungsformen zu gewöhnen. Von den bekannten Herzmitteln Digitalis, Strophautus, Convallaria 
major y Adonis vera. sind kleine Gaben mehrerer solcher Mittel mit einander und in Verbindung mit 
Eisenpräparaten empfehlenswerte 

Fisch (Franzensbad), Kombinierte Herztherapie« 

Die kombinierte Heiztherapie besteht in der Kombination rationell und systematisch aus¬ 
geführter Diäto-, Balneo-, Mechano-, Pharmako- und Klimatotherapie. Sie setzt für ihre erfolgreiche 
Anwendung eine gewisse Reaktionskraft des Kranken voraus, und zwar muss jeder Herzkranke 
zumindest im stände sein, kurzdauernde Reize, wie sie durch die obigen therapeutischen Maass¬ 
nahmen hervorgerufen werden, mit aktiver Hyperämie zu beantworten. Von der Breite dieser 
Beaktionsfähigkeit soll überhaupt abhängen, wie und mit welchem Nutzen man die kombinierte 
Heiztherapie verwenden kann und darf. Diese funktionelle Leistungsfähigkeit erkennt man mit 
Hilfe des Gärtnerischen Ergostates, dessen methodische Anwendung zur Bestimmung des funk¬ 
tionellen Herzzustandes Mendelsohn und Gräupner fixiert haben Eine Ergänzung dieser Ergostat- 
resultate hat Fisch durch Verwendung des Gärtner’schen Tonometers erhalten, indem er vor und 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


nach gymnastischen Uebungen den Blutdruck maass und in dem jeweiligen Blutdruck das fand, was 
die oben erwähnten Autoren in der »Erholung« als Maass für die Herzfunktion gefunden batten. 
Man erhält also auf diesem Wege eine »funktionelle Herzdiagnostik« und kann die therapeutischen 
Maassnahmen der funktionellen Leistungsfähigkeit des Herzens genau anpassen. Denn nach wie 
vor bleibt die Hauptsache bei der Behandlung der Herzerkrankungen, dass die Arbeitsleistung des 
Herzens in das richtige Verhältnis zu seiner Arbeitsfähigkeit gebracht, dass nicht Ansprüche er¬ 
hoben werden, die nicht zu befriedigen sind. Bei der Arbeit muss das schwache Heiz von jeder, 
wenn auch nur kurzdauernden Ueberschreitung der Grenze seines Vermögens behütet werden. Es 
darf nicht wie bei gesunden Herzen ein Auf und Ab in jähen Sprüngen erfolgen, es muss ein 
Gleichmaass eingehalten werden. 

Was vor allem die Diät anbetrifft, so wird am rationellsten eine gute, leicht verdauliche 
gemischte Kost bei steter Berücksichtigung gewisser individueller Momente verordnet werden, 
kleine Einzelmahlzeiten, die letzte nicht zu spät vor dem Schlafengehen. Bezüglich der durch Ge¬ 
wohnheit zum Bedürfniss gewordenen Genussmittel: Thee, Kaffee, Alkohol und Tabak, so muss 
hier ebenfalls individualisiert werden, allgemein schematische Vorschriften sind unthunlich. Die 
Anwendung von Brunnen in der Herztherapie ist nur dann angezeigt, wenn solche an Stelle anderer 
Getränke gegeben werden können und zwar so, dass die Gesammtmenge der aufgenommenen Flüssig¬ 
keiten das normale tägliche Flüssigkeitsquantum von 2 bis 2 1 nicht überschreitet 

Eine bei weitem wichtigere Rolle als den Brunnen kommt der Anwendung der Bäder in 
der kombinierten Herztherapie zu. Die Arten dieser Bäder betreffend, können dieselben ebenso 
gut natürliche wie künstliche Mineralwasserbäder sein; die Hauptsache besteht nur darin, dass die 
nothwendigen Bestandtheile, wie der Gehalt an Salzen (Kochsalz und Chlorcalcium bis zu 3%) 
und im schon fortgeschrittenen Stadium der Behandlung ein Gehalt an im Badewasser gebundener 
freier Kohlensäure darin enthalten ist Die in der Herztherapie anzuwendenden Bäder sind die 
Sool- und Kohlensäurebäder und deren Abstufungen, bezw. Verstärkungen (z. B. Nauheim, Oeyn¬ 
hausen, Homburg etc., Sool-, Thermal-, Sprudel-, Thermalstrom- und Sprudelstrombäder: Cudova, 
Franzensbad, Pyrmont etc., künstliche Sool-, Mineral-, Stahlbäder etc.). 

Die Mechanotherapie der Herzerkrankungen besteht in sogenannten heilgymnastischen und 
Widerstandsbewegungen und in der Massage. Sowohl die Bewegungen wie die Massage be¬ 
zwecken, auf mechanischem Wege durch gegebene Reize Störungen des Herzens zu beeinflussen. 
Die Heilgymnastik macht es sich zur Aufgabe, 1. eine Entlastung des venösen Kreislaufs durch 
Verbesserung der CirkulationsVerhältnisse zu erzielen und damit wieder eine Erleichterung der 
Herzarbeit, 2. eine Verbesserung der Herzmuskelbeschaffenheit, da dieselbe durch langsame, sich 
steigernde Anforderungen zu verstärkter Thätigkeit angeregt und damit vermehrte Wachsthums¬ 
energie hervorgerufen wird, d. h. Verminderung der Dilatation und Wiederherstellung kompen¬ 
satorischer Hypertrophie. Die Anwendung von Digitalis, Tinctura Strophanti wird fast stets bei 
gewissen Zuständen von Herzerkrankungen erforderlich sein, und sind diese beiden Arzneistoffe 
schwerlich durch ein oder das andere Mittel zu ersetzen. In gewissen Fällen aber wird man auch 
Reizmittel heranziehen müssen, um vorübergehend das allzu sehr geschwächte Herz anzufachen, wie 
bei drohendem Lungenödem. Als solche Reizmittel sind zu nennen Aether, Kampher, ferner starke 
Aufgüsse von heissem Kaffee und Thee mit Rum, Kognak etc.; bezüglich des Weines als Excitans 
ist grosse Vorsicht geboten. In Fällen, wo mit dem Herzleiden noch Komplikationen bestehen, 
wie z. B. Stauungsödem, wird man zu Diureticis wie Koffein, Diuretin oder ähnlichem greifen 
müssen. Auch die Klimatotherapie ist als ein Glied der kombinierten Herztherapie anzusehen; am 
besten befinden sich Herzkranko in der Ebene oder in mittleren Höhen bis zu höchstens 1000 m 
Erhebung, an Orten, welche windgeschützt und staubfrei sind und zugleich einen nicht geringen 
Feuchtigkeitsgrad (wegen der häufigen Komplikation von Bronchitis) haben. Demgemäss ist der 
Aufenthalt an der Seeküste bei Vorhandensein der obengenannten klimatischen Faktoren ganz gut, 
Seebäder im offenem Meere sind ausnahmsweise erlaubt bei guter kräftiger Herzthätigkeit, d. h. 
wenn keine Herzinsufficienz besteht, bei ruhigster See, ziemlich hoher Wassertemperatur und bei 
nur kurzem Verweilen im Bade. Als Winterstationen sind geeignet Abazzia, Südtirol, die Riviera 
di Levante. 

Was die Heilstättenfrage für Herzkranko anlangt, so ist Nauheim als erste Stätte dazu be¬ 
rufen, als eine spezielle Heilstätte bezeichnet zu werden, aber nicht etwa deshalb, weil die dortigen 
natürlichen Sool- und kohlensauren Thermalbäder eine spezifische Heilwirkung haben und spezifische 
Heilmittel darstellen, sondern vor allem weil ganz naturgemäss in der Entwicklung der Jahre die 
Nauheimer Acrzte zu Spezialisten für Herzkrankheiten geworden sind. Die Heilstättcnfrage ist 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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ihrer Lösung insofern etwas näher gerückt, als man heute schon über eine Reihe von Orten ver¬ 
fügt, die sich im Besitze ähnlich wirksamer Heilfaktoren befinden wie Nauheim, nämlich Kissingen, 
Oeynhausen, Marienbad, Homburg, Soden, Tarasp, Driburg, St. Moritz, Pyrmont und andere. 

t. Banmgarten (Tübingen), Ueber Immunität nnd Disposition besonders mit Bezug auf 
Tuberkulose, 

Redner bespricht zuerst die verschiedenen Formen der erworbenen Immunität, die Immunität 
durch natürliche und künstliche Immunisierung. Er geht sodann auf die angeborene Immunität 
über, die in der Thatsache zum Ausdruck kommt, dass ganze Ordnungen, Geschlechter, Spezies 
und Rassen gegen bestimmte parasitäre Krankheitserreger von Natur, von Geburt her vollständig 
unempfänglich sind. Diese angeborene Immunität scheint ihm nicht auf denselben Prinzipien zu 
beruhen wie die erworbene. Nach Ablehnung der zur Erklärung der angeborenen Immunität auf¬ 
gestellten Metschnikoff'schen Phagocytentheorie sowie der Buchner’schen Alexintheorie sucht 
er seine »Assimilationstheorie« der natürlichen Immunität etwas näher als bisher zu begründen. Er 
geht dabei von den Ehrl ich ’ sehen Anschauungen über den physiologischen Emährungsvorgang der 
Zelle aus, der durch besondere Receptoren der Seitenketten der Zellen vermittelt wird, welche 
Receptoren sich mittels chemischer Affinität nur dasjenige, was für sie passt, aus der cirkulierenden 
Slftemasse herausnehmen und in sich verankern. Besondere Receptoren der Seitenketten und ein 
rczepdbles Nährmaterial sind für jede Zelle die nothwendigen Bedingungen des Lebens. Da nun 
die Bakterien ebenfalls zellige Elemente sind, so müssen wir auch bei ihnen besondere Receptoren 
der Seitenketten und ein für sie chemisch passendes Nährmaterial als Bedingungen ihres Lebens 
Yoraussetzen. Wo die Bakterien nicht die für ihre Receptoren passenden Nährsubstanzen finden, 
da müssen sie zu Grunde gehen. Das trifft nun — so darf man sich vorstellen — für die Körper¬ 
safte und Körperzellen bestimmter Thierspezies resp. des Menschen bestimmten Bakterien gegenüber 
xu; aus diesem Grunde sind sie angeboren immun gegen die betreffenden Bakterien. Ob es ausser 
der angeborenen Spezies »Immunität« und »Disposition« auch eine angeborene individuelle Immunität 
und Disposition giebt, hält Redner für eine noch offene Frage. Diese Frage führt ihn auf das 
Gebiet der Tuberkulose, deren Entstehung und Verbreitung von hervorragenden Autoren auch noch 
heute von einer angeborenen oder auch erworbenen individuellen »tuberkulösen Disposition« ab¬ 
hängig gemacht wird. Baumgarten hält diese Anschauung nicht für erwiesen und auch nicht für 
wahrscheinlich. Der Tuberkelbacillus, ohne dessen Einwirkung niemals Tuberkulose entstehen kann, 
ist ein echter endogener Parasit und als solcher auf lebende Körpersubstanz in seiner natürlichen 
Ernährung angewiesen. Die Erfahrung bat gelehrt, dass er für sämmtliche Warmblüterspezies, inklusive 
die species homo, parasitisch angepasst ist. Nach Maassgabe der sehr zahlreichen Thierexperimente findet 
sich bei keiner Spezies eine individuelle Disposition resp. Immunität gegen den Tuberkelbacillus aus¬ 
gebildet Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass gerade nur beim Menschen eine solche existieren 
soüte. Vielmehr seien höchstwahrscheinlich alle Menschen für den spezifischen Tuberkelbacillus ganz 
gleich empfänglich. Dass nur ein bestimmter Prozentsatz der Menschen an Tuberkulose erkrankt und 
stirbt, lasse sich auch ohne Annahme einer individuellen tuberkulösen Disposition leicht dadurch 
erklären, dass nur eine Minorität der Menschen während ihres Lebens einer wirksamen tuberkulösen 
Infektion ausgesetzt werde. Von der eigentlichen »tuberkulösen Disposition«, die den geeigneten 
Entwicklungsboden für den spezifischen Bacillus bezeichne, seien zu trennen die Hilfsursachen für 
den Invasionsakt, sowie für die Ausbreitung der Tuberkulose innerhalb des Körpers, bei welchen 
Hilfsmsachen krankhafte Zustände der Körpergewebe, schwächende Einflüsse, sekundäre Infektionen 
mit anderweitigen, namentlich pathogenen Mikroben zweifellos eine mehr oder minder wichtige 
Rolle spielen. Die geistvollen Ausführungen v. Baumgarten’s fanden, wenn sie auch die Ver¬ 
sammlung in höchstem Grade fesselten, in der Bache doch mannigfachen Widerspruch, dem Lieb¬ 
reich (Berlin) dahin Ausdruck gab, dass er die Frage, ob Disposition oder Infektion, noch für offen 
erklärte. Es komme hauptsächlich darauf an, inwieweit der Mensch bei gewisser Erniedrigung der 
Zellenkraft für den Bacillus empfänglich wird. Die Kraft der Zellen werde nicht blos durch un¬ 
genügende Ernährung, sondern auch durch andere Einwirkungen und kulturelle Verhältnisse herab¬ 
gesetzt; insbesondere die letzteren müsse man bessern, um im Kampf gegen die Ausbreitung der 
Tuberkulose Erfolge erzielen zu können. (Fortsetzung folgt.) 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


in. 

2. Internationaler Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie. 

Derselbe wird vom 1. bis 6. September 1902 in Bern abgehalten werden. 

Die fünf Hauptthemata, welche auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, betreffen folgende 
Gegenstände: 

1. Der gegenwärtige Stand der Elektrodiagnostik. Ref.: Herr Dr. Cluzet (Toulouse), 
Herr Dr. Mann (Breslau). 

2. Die chirurgische Elektrolyse. Ref.: Herr Dr. Guilloz (Nancy). 

3. Die Radiographie und die Radioskopie der inneren Organe. Ref.: Herr Dr. Böclöre 
(Paris), Herr Prof. Grunmach (Berlin). 

4. Die von den X-Strahlen verursachten Unglücksfälle. Ref.: Herr Dr. Oudin (Paris 

5. Die Gefahren der industriellen Starkströme. Ref.: Herr Dr. Battelli (Genf). 

Mit dem Kongress ist eine internationale Ausstellung elektrischer Apparate verbunden. Alle 
näheren Mittheilungen werden durch den Schriftführer des Kongresses Herrn Dr. L. Schnyder, 
Bern, Bundesgasse 38 bereitwilligst ertheilt R. 


IV. 

XI. Congresso nazionale di medicina interna (Pisa 27.-30. ottobre 1901). 

In der Eröffnungsrede zum 11. Kongress innerer Aerzte Italiens giebt Baccelli ein Resumö 
über die von ihm eingeführte Behandlungsweise mit intravenösen Injektionen. Er er¬ 
innert zuerst an die Erfolge, welche er mit dieser Methode der Chininapplikation bei den schwersten 
Formen der Malaria gehabt hätte. Diese intravenöse Einverleibung des wirksamen Medikamentes 
hätte eben den Effekt, dasselbe im Körper durch die Blutbahn überallhin, wo es nöthig wäre, hin- 
zuschaffen. Auf der beschrittenen Bahn sei er weiter gegangen durch die Einführung der intra¬ 
venösen Sublimatinjektion bei Fällen schwerer Lues. Die Vorurtheile, die dem Verfahren entgegen¬ 
gestanden hätten, wären sehr gross gewesen, man hätte Gerinnungen, Infarkte etc. gefürchtet, aber 
seine Experimente an Thieren hätten die absolute Ungefährlichkeit dargethan; ebenso sei auch am 
Menschen nie eine unangenehme Erfahrung gemacht worden, was schliesslich auch von allen Nach¬ 
untersuchern, Lew in, Lang etc. anerkannt worden wäre. Die dritte Verwendungsmöglichkeit der 
intravenösen Injektionen, und zwar ebenfalls die des Sublimates, hat Baccelli bei der Maul- und 
Klauenseuche der Rinder inauguriert. Auch hier standen der Anwendung des Quecksilbers bei 
Rindern Bedenken entgegen, die aber, wie Baccelli zeigt, gänzlich unbegründet sind. Baccelli 
lässt die Thiere mit folgenden Dosen spritzen: 

Kälber mit 0,02—0,04 g Sublimat pro dosi 
Rinder » 0,04—0,06 * > ® » 

Stiere • 0,06—0,08 » *> » » 

Täglich 1—2 Injektionen. 

Mit diesem Verfahren hat Baccelli die denkbar glänzendsten Erfolge gehabt, das Fieber der 
Thiere sank rasch ab, Allgemeinbefinden, Fresslust, Munterkeit wurden rasch normal. Die lokalen 
Geschwüre heilten rasch, sodass die Herstellung in 2—3 Tagen erfolgt war. 

Baccelli hat bei dem Verfahren nur gute Erfolge gesehen. 

Es folgen die Krankenberichte einiger Thierärzte über 162 Fälle, die so behandelt und her- 
gestellt wurden. Die Praktiker verabfolgten die einzelne Injektion in die Jugularis, die Lösung 
enthält auf 6 g aqua destillata 0,04—0,06 g Sublimat und 0,75 g Kochsalz. 

M. Bial (Kissingen). 


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Referate Aber Bücher and Aufsätze. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


L Diätetisches (Ernährungstherapie). 

F.Mftller, Experimentelle Beiträge zur Eisen« 
theraple. Deutsche medicinischeWochenschrift 
1900. No. 51. 

Die sehr interessanten, auf die dunkle Frage 
der Chlorose und Anämie neues Licht werfenden, 
unter der Leitung von Zuntz angestellten Unter¬ 
suchungen wurden an Hunden angestellt, welche 
durch eisenarme Nahrung und Aderlässe anämisch 
gemacht worden waren. Bei diesen bewirkte der 
Zusatz von anorganischem Eisen zur Nahrung 
eine deutliche Zunahme desGesammthämoglobins. 
Durch Anlegung einer Ductus thoracicus-Fistel 
konnte festgestellt werden, dass in nicht ätzender 
Form (als Ferrum oxytartaricum) ein geführtes 
anorganisches Eisen nicht auf dem Wege der 
Lymphbahn, sondern auf dem Wege der Blut- 
bahn zur Resorption kommt Das Knochenmark 
der mit eisenhaltiger Nahrung gefütterten Thiere 
enthielt viel mehr kernhaltige rothe Blut¬ 
körperchen, als das der anderen. Daraus schliesst 
der Autor, dass das Eisen eine Wirkung auf das 
Knochenmark ausübt, die er als formativen Reiz 
(gesteigerte Neubildung von Vorstufen der Ery- 
throcyteu) bezeichnet. F. Voit (München). 


L. Metzger, Ueber den Einfluss von Nfthr- 
kljsmen auf die Saftsekretton des Magens. 

Aus der medicinischen Klinik in Giessen. 
Münchener medicinische Wochenschrift 1900. 
No. 45. 

Die Versuche wurden angestellt erstens mit 
Milcheiklysmen, bestehend aus 125 g Milch, 2 Ei¬ 
gelb, 2 g Kochsalz, zweitens mit Bouillonroth- 
wdnklysmen, bestehend aus 100 g Bouillon, 50 g 
Roth wein, 2 g Kochsalz. Zunächst machte Metzger 
Vorversuche an Hunden, welchen eine Pawlow- 
»che Magenfistel angelegt war. Das Resultat war, 
dass nur der Rothwein eine sekretionssteigemde 
Wirkung auf den Magen ausübte. Beim Menschen 
war die Versuchsanordnung folgende: Nachdem 
durch die Sondierung festgestellt war, dass der 
nüchterne Magen kein salzsäurehaltiges Sekret 
enthielt, wurde ein Wassereinlauf gegeben; war 
dann nach einer Stande kein Inhalt im Magen, 
so wurde das Nährklysma gegeben und von da 


ab i/ 2 stündlich die Sondierung vorgenommen. 
Auch bei den Versuchen am Menschen tritt der 
Unterschied deutlich hervor, welchen der Zusatz 
von Rothwein bewirkt. Metzger hat an ver¬ 
schiedenen Patienten im ganzen acht Milch- 
eierklysmata gegeben und fand dabei gewöhn¬ 
lich bei der ersten Sondierung ein schleimiges, 
salzsäurefreies Sekret, während das Auftreten 
der freien Salzsäure, wenn überhaupt, meistens 
erst nach anderthalb Stunden erfolgte. Uebri- 
gens wurde meistens während des ganzen Ver¬ 
suches nur schleimiges Sekret oder nur ganz 
schwache Kongoreaktion gefunden. Ganz im 
Gegensatz hierzu fand Metzger bei den Bouillon- 
rothweinklystieren gewöhnlich schon bei der 
ersten Sondierung ein stark saures Sekret, 
welches dann meistens nach einer Stunde ver¬ 
schwanden war. Auch beim Menschen hat Metzger 
Kontrollversuche angestellt und die sekretions¬ 
erregende Wirkung des Rothweins bestätigt ge¬ 
funden. Verfasser ist der Meinung, dass es sich 
um eine reflektorische Anregung der Magensaft¬ 
sekretion handelt. Die Untersuchungen des Ver¬ 
fassers haben für die Rektalemährung bei Ulcus 
ventriculi, insbesondere bei Magenblutungen, prak¬ 
tische Bedeutung. W. Zinn (Berlin). 


Robert Saundby, Non diabetic glycosnry. 

British medical joumal 1900. 14. April. 

Der auf dem Gebiete des Diabetes rühmlichst 
bekannte Verfasser giebt in diesem Vortrag die 
Erfahrungen wieder, die er über die Häufigkeit 
der nicht diabetischen Glykosurie sowie über die 
Diagnose und Prognose derselben gemacht hat 
Die Untersuchungen des Verfassers haben einen 
besonderen Werth, weil sie sich auf ein sehr 
grosses Material eines Arztes beziehen, der ge¬ 
rade dem Diabetes eine besondere Aufmerksam¬ 
keit geschenkt hat. Die Erfahrungen des Autors, 
die sich wohl mit denen der Mehrzahl anderer 
Forscher in diesem Punkte decken dürften, er¬ 
gaben, dass die nicht diabetischen Formen von 
Glykosurie doch recht selten sind. In 15 Jahren 
hat er nur 69 solcher Fälle gesehen, und in elf 
Fällen fand er eine reduzierende Substanz, die 
nicht Zucker war. Er theilt die Fälle von nicht¬ 
diabetischer Glykosurie ein: in Fälle von Pseudo- 
glykosurie, von alimentärer Glykosurie und von 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


pathologischer Glykosurie. Als Ursache für die 
von ihm beobachtete nichtdiabetische Glykosurie 
nennt Saundby chronischen Alkoholismus, 
chronische Hepatitis, dann Gicht, Muskelrheuma¬ 
tismus , Nervenerkrankungen, Infektionskrank¬ 
heiten; auch senile Formen hat Saundby be¬ 
obachtet. Unter den Nervenkrankheiten macht er 
fünfmal Neurasthenie und zweimal Gehirnblutung 
für Glykosurie verantwortlich. Bemerkenswerth 
ist, dass unter den Infektionskrankheiten die 
Influenza eine besondere Rolle spielt. Dem 
Alkoholismus scheint der Autor nach der An¬ 
sicht des Referenten vielleicht eine etwas zu 
grosse Bedeutung für die Entstehung der nicht 
diabetischen Glykosurie beizumessen, da nach 
den Untersuchungen des Referenten, die auch 
von anderer Seite bestätigt sind, wohl akute Zu¬ 
stände im Verlaufe des Alkoholismus relativ 
häufig alimentäre Glykosurie aufkommen lassen, 
während der unkomplizierte chronische Alkoho¬ 
lismus die Disposition zur alimentären Glykosurie 
im allgemeinen nur in geringem Grade erhöht. 
Man kann es nur unterschreiben, wenn der Autor 
hinsichtlich der Diät bei den hier besprochenen 
Fällen recht maassvolle Forderungen stellt Er 
warnt vor allem davor, bei alten Leuten mit der 
Kohlehydratentziehung irgendwie zu weit zu 
gehen. Man soll solchen Leuten nur Zucker und 
süsse Weine entziehen, ihnen aber Kartoffel, 
Mehl und Brot ruhig überlassen; überhaupt soll 
man bei diesen nichtdiabetischen Fällen die Diät 
nur gewissermaassen als Experiment zur Auf¬ 
deckung des Verhaltens der Glykosurie benutzen 
und in der praktischen Therapie solcher Fälle 
keine rigorose Diätmaassregeln anordnen. 

H. Strauss (Berlin). 


Syenson, Stoffwechsel versuche an Rekon- 
valescenten« Zeitschrift für klinische Medicim 
Bd. 43. Heft 1 und 2. 

Der Verfasser hat sich bemüht, die Art und 
Weise zu bestimmen, nach welcher sich der 
Regenerationsprozess in der Rekon valescenz akuter 
Krankheiten vollzieht Bei Typhusrekonvales- 
centcn konnte er in der ersten Periode nach dem 
Fieberabfall subnormale Werthe für den Sauerstoff¬ 
verbrauch und die Kohlensäureproduktion sowohl 
im nüchternen Zustande wie in der Ruhe kon¬ 
statieren. Nach kurzer Zeit machen diese sub- 
normalen Werthe grösseren Platz, und nach und 
nach kommen sowohl für den Saueretoffverbrauch 
wie für die Kohlensäureproduktion abnorm hohe 
Zahlen zum Vorschein. Nach einer Periode der 
Akme nehmen diese Zahlen wiederum ab und 
kehren allmählich zur Norm zurück. Der respira¬ 
torische Quotient ist zum Beginn der Rekonvales- 


cenz niedrig; mit dem Anwachsen der 0- und 
C0 2 -Werthe nimmt er zu und erreicht eine be¬ 
trächtliche Höhe. Allmählich nimmt auch der 
respiratorische Quotient ab und kehrt langsam 
zur Norm zurück. 

Boi Pneumonierekonvalescenten zeigt der 
Gaswechsel die gleichen Eigenthümlichkeiten, nur 
viel weniger ausgesprochen wie beim Typhus. 
Mit dem Eintritt in die Rekonvalescenz zeigt 
der Organismus das Bestreben, Stickstoff an¬ 
zusetzen ; der Ansatz ist so lebhaft, wie bei keinem 
anderen physiologischen Vorgang. Zuerst kann 
unter Umständen der N-Ansatz durch vermehrte 
N-Ausscheidung infolge von Resorption ent¬ 
zündlicher Exsudate verdeckt werden. Der Sauer¬ 
stoffmehrverbrauch bei Muskelarbeit ist beim 
Typhusrekonvalescenten bedeutend grösser als 
beim normalen Menschen; t beim Pneumonie¬ 
rekonvalescenten dagegen weicht er nicht er¬ 
heblich von der Norm ab. 

Diese Resultate sind recht überraschend. 
Abgesehen von der kurzdauernden Herabsetzung 
der Oxydationsvorgänge unmittelbar nach dem 
Eintritt der Rekonvalescenz finden wir nirgends 
auch nur eine Andeutung einer Reduktion der 
Stoff Wechsel Vorgänge. Im Gegentheil, es zeigt 
sich sogar, dass sowohl im nüchternen Zustande 
wie nach Nahrungsaufnahme und bei Muskelarbeit 
ein grösserer 0-Verbrauch als in der Norm statt- 
findet. Der Rekonvalescent verbraucht somit 
ceteris paribus mehr Spannkräfte als der Gesunde; 
und bei der gleichen Nahrungsmenge würde das 
Körpergewicht des Gesunden noch stärker zu¬ 
nehmen, als dasjenige des Rekonvalescenten. 

Freyhan (Berlin) 


George D. Barney, Diabetes melitus with 
special reference to its treatement with 
the double bromide of gold and arsenic. 

New-York medical journal 1900. 

Die Prognose des Diabetes war niemals 
günstiger als in der gegenwärtigen Zeit, wo man 
den Werth, den die diätetische Behandlung hat, 
erkannt hat und bemüht ist, neben der strengen 
Durchführung derselben das individualisierende 
Moment voll und ganz zur Geltung kommen zu 
lassen. Die Monotonie der Kost ist zu vermeiden; 
wo Brot zulässig ist, reiche man solches von 
feinem Weizenmehl, Milch beschränke man auf 
die durchaus nothwendige Ration; körperliche 
Gymnastik ohne körperliche Ueberanstrengung, 
ebenso geistige Anregungen sind die Behandlung 
fördernde Momente. Rationelle Diät in Verbin¬ 
dung mit einer medikamentösen Behandlung ver¬ 
sprechen gute Resultate. Was letztere anbetrifft, 
so hat man früher Opiate, Secale etc. empfohlen, 


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185 


sie alle aber haben sich als unzuverlässig, theil- 
weise sogar als schädlich erwiesen. Dagegen hat 
der Nachweis, dass der Diabetes eine schwere 
Stoffwechselstörung in sich begreift, die mit einer 
unzureichenden Zellenernährung einhergeht, das 
Augenmerk auf eine Doppel Verbindung von Brom¬ 
gold und Arsen gelenkt, in Fachkreisen unter 
dem Namen »Arsenauro« bekannt. Diese Ver¬ 
bindung enthält die kräftigsten Bestandtheile der 
beiden Metalle, deren Kombination ausserordent¬ 
lich günstige Wirkungen auf das Glykogen¬ 
zentrum, auf die nervösen Elemente, auf Ver¬ 
dauung und Blutbeschaffenheit auszuüben ver¬ 
mag. Verfasser will in der Mehrheit der Fälle 
rapide Fortschritte bei dem Gebrauch dieses ; 
Präparates erzielt haben und belegt dieses durch 
Anführung einer Reihe von Krankengeschichten. 
Die Menge des Zuckers verminderte sich, das 
Dnretgefühl wurde geringer, die psychische De¬ 
pression schwand, die Ernährung des Körpers 
wurde eine bessere. Man giebt Arsenaurum 
nach dem Fleisch, und zwar mit fünf Tropfen 
beginnend und von Tag zu Tag um einen Tropfen 
steigend. Neigung zu Diarrhöen, kolikartige 
Sehmerzen, leichte Augenanscbwellungen sind 
die Indikation für Aussetzen des Mittels. Die 
Grenze der Dosen ist verschieden, einige er¬ 
reichen dieselbe mit 10 Tropfen, andere wieder 
erst mit 30—40. J. Marcuse (Mannheim). 


J« U. Gaudenz, Ueber die Zerkleinerung 
und Lösung von Nahrungsmitteln beim 

laoakt* Archiv für Hygiene 1901. Bd. 39. 
Heft 3. S. 230. 

Verfasser hat die Einwirkung des Kauaktes 
auf die Nahrung exakt zu bestimmen gesucht, 
wobei die Kauthätigkeit freilich nur der Zeit 
nach gemessen werden konnte. Es wurde ein 
Bissen, dessen Grösse für die verschiedensten 
Substanzen eine nahezu konstante Grösse dar¬ 
stellt, so lange gekaut, bis sich der Trieb zum 
Schlucken einstellte, dann die gekaute Masse 
ausgespült und auf den Grad der Zerthcilung 
und Lösung untersucht Verfasser stellt seine 
Ergebnisse in Tabellen zusammen, von denen 
sich die erste auf ei weisshaltige Stoffe: hart¬ 
gekochtes Eiweiss, Käse, Fleisch bezieht. Die 
grössten Theilchcn, von denen stets nur wenige 
gefunden wurden, hatten 7—9 mm Durchmesser, 
Stücke von über 12 mm werden beim Schlucken 
mückgehalten. Dabei gehen etwa 12—18% 
des Gewichts der gekauten Substanz in Lösung. 
Die zwei anderen Gruppen von Nahrungsmitteln, 
die Verfasser unterscheidet, stärkereiche Vegeta- 
büien, wie Makaroni, Kartoffeln, und zucker- 
Zdtsehj». t diät u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 8. 


reiche, wie Aepfel, gelbe Rübe, Rettig, sind 
wesentlich in Bezug auf die Löslichkeit ver¬ 
schieden, indem bei den ersteren mindestens 
27—40%, bei den zweiten 30—60<>/ 0 gelöst 
werden. R. du Bois-Reymond (Berlin). 


Albert Robin, Conaidlrations sur le rlgime 
des albumlnuriqueg. Bulletin glnlral de thöra- 
peutique 1901. Heft 6. 

Die Frage, welches Regime das geeignetste 
bei Albuminurie sei, wird bisher nicht einheitlich 
beantwortet. Meist wurde bisher die Milchdiät 
empfohlen, in letzter Zeit mehrten sich die 
Stimmen für vegetabilische statt animalischer 
Kost. 

Unter Berücksichtigung der ausgeschiedenen 
Ei weissmenge, der Ernährungsweise, des Nieren¬ 
leidens und des allgemeinen Kräftezustandes des 
Patienten kommt Ro bin bei seinen Beobachtungen 
zu folgenden Schlusssätzen: 

I Die absolute Milchdiät und die lakto- 
vegetabile Kost und die lakto-animale 
Diät geben gewöhnlich weniger Eiweiss 
als Kompositionen, denen Milch fehlt 

2. Die Ei weissmenge wächst, wenn Wein an 
die Stelle von Milch tritt. 

3. Die Ernährung mit Eiern liefert weniger 
Albumin als Fleisch regime. 

4. Eine aus Eiern und Milch zusammen¬ 
gesetzte Kost giebt oft weniger Albumin 
als absolute Milchdiät 

5. Unter den Fleischarten bekommen dem 
Patienten Kalb- und Ochsenfleisch besser 
als Huhn- und Hammelfleisch. 

6. Fisch scheint die Albuminurie stets zu 
steigern. 

7. Unter den Vegetabilien geben die Kar¬ 
toffeln, der Blumenkohl und Reis am 
wenigsten Eiweiss. 

8. Brot hat als Beigabe keinen Einfluss auf 
Albuminurie. Schilling (Leipzig). 


Eiemir Fornet, Pathologie und Therapie 
derObesitttt. Orvosi hetilap 1901. No. 22—24. 

Die Obesität ist eigentlich eine anhaltende 
Unverhältnissmässigkcit zwischen Fettbildung und 
Fettkonsum ption, und zwar auf Rechnung letzterer. 
Der Nahrungsüberschuss führt im Verhältnisse der 
Kalorieenwerthe zur Fettbildung und Fettnieder¬ 
lage, und zwar sämmtlicher Nährstoffe, des Ei- 
weisses sowohl, wie des Fettes und der Kohle¬ 
hydrate. Die Fettbildung führen einige (J a q u e t, 
Ivenson) auf verminderte Wärmekonsumption 
zurück; und faktisch ist der Organismus im stände, 

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Referate über Bücher und Aufsätze. 


in gewissen Fällen wenigstens transitorisch die 
Wärmekonsumption zu vermindern und so das 
Fettgewebe des Organismus zu schützen, andere 
aber führen die Ursache auf verminderten Stoff¬ 
wechsel zurück und hierauf deuten die Heriditäts- 
verbältnisse, die Kastration und gewisse Formen 
der Impotenz; hierfür sprechen ferner jene Fälle, 
in denen trotz ausserordentlicher Verminderung 
der Nahrungsaufnahme kein Resultat zu erzielen 
ist. Die Eintheilung der Obesität in anämische 
und hyperämische Form hält Verfasser für un¬ 
richtig; er empfahl schon vor Noorden die Ein¬ 
theilung in komplizierte und in komplikations¬ 
freie Krankheitsformen. Die Herzmuskeln sind 
oft in schweren Obesitätsfällen frei, ein anderes 
Mal wieder erkranken sie früh; zur Erklärung 
dieses Umstandes nimmt er eine kongenitale oder 
acquirierte schwächere Resistenzfähigkeit seitens 
des Herzens an. Das Wesen der Behandlung 
ist, den Organismus in Kaloricendefizit zu bringen; 
bei dem diätetischen Verfahren legt er das Haupt¬ 
gewicht auf die ungenügende Wärmeeinführung. 
Eine massige Wasserentziehung befürwortet er be¬ 
sonders bei Zirkulationsstörungen. Dieglauber- 
salz- und kochsalzhaltigcn Mineralwässer 
heben, den Untersuchungen Zuntz* und Löwy’s 
gemäss, mit 20% die Oxydation, ihr Gebrauch 
ist besondere in Anbetracht der Komplikationen 
höchst indiziert. Die Dosierung von Thyreoidea 
hält er für gefährlich; die Wirkung der Bäder auf 
das Herz hält er hoch. Die individuelle Arbeits¬ 
ausmessung ist ein wesentliches Postulat. Er ist 
Anhänger der zweckbewusst kombinierten Heil¬ 
methoden; er warnt vor jeder Uebertreibung; 
den häufigeren milderen Einwirkungen giebt er 
den Vorzug vor dem drastisch wirkenden Ver. 
fahren. J. Honig (Budapest). 


B. Gymnastik. 

Anton Bum, Handbuch der Massage und 
Heilgymnastik. 3. Aufl. Berlin-Wien 1902. 
Urban und Schwarzenberg. 

Innerhalb eines Lustrums ist von diesem vor¬ 
trefflichen Handbuch bereits die 3. Auflage er¬ 
schienen. Der Herausgeber hat es sich abermals 
angelegen sein lassen, die ausserordentlichen Fort¬ 
schritte, welche die physikalische Therapie von 
Jahr zu Jahr macht, in eingehender Weise zu 
berücksichtigen und das schon in seinen ersten 
beiden Auflagen recht umfangreiche Werk durch 
Hinzufügung neuer Kapitel bezw. Ergänzung der 
bereits vorhandenen zu vervollständigen. — Neu 
bearbeitet ist vor allem der Abschnitt, welcher 
sich mit der kompensatorischen, der bahnenden 


und der hemmenden Uebungstherapie beschäftigt, 
ein Kapitel, in welchem der Autor selbst auf 
Grund der Behandlung von 52 Ataktikem, die 
er während der letzten Jahre ausgeführt hat, hin¬ 
reichende Erfahrungen sammeln konnte. — ln 
sehr eingehender Weise sind auch die Herz’schen 
Apparate berücksichtigt worden. Das Litteratur- 
verzeichniss, welches am Ende des Bandes bei¬ 
gefügt ist, darf von Bum mit Recht als »fast 
lückenlos« bezeichnet werden. 

So wird auch die 3. Auflage dieses Hand¬ 
buchs dazu beitragen, den Wunsch des Heraus¬ 
gebers zu erfüllen: »Die Mechanotherapie zum 
Gemeingut des praktischen Arztes zu gestalten.« 

Paul Jacob (Berlin). 


A. Lorenz, Ueber die Behandlung der Knie¬ 
ankylosen mittels des modellierenden (Re¬ 
dressements. Aus dem Univereitäts-Ambula¬ 
torium für orthopädische Chirurgie in Wien. 
Wiener klinische Rundschau 1901. Heft 40, 42, 
43, 44. 

Der um die unblutige Reposition der kon¬ 
genitalen Hüftluxation hochverdiente Autor tritt 
in der vorliegenden Abhandlung auch für die 
unblutige Behandlung der veralteten Knie¬ 
ankylosen ein. Als Indikation für die blutige 
Behandlung lässt Lorenz nur die flächenhafte, 
knöcherne Ankylose der Gelenkkörper gelten, 
wie sie sich in höchstens 5 % aller Knie¬ 
ankylosen findet 

Unter den operativen Eingriffen sind die 
suprakondyläre Osteotomie und Osteo¬ 
klasie, desgleichen die Keilexcision zu ver¬ 
werfen; eretere verstossen gegen das Priuzip der 
1 centralen Korrektur im Scheitel des Deformitäts- 
winkels; letztere kann infolge Verletzung der 
I Epiphysonknorpel zur Wachsthumshemmung und 
infolge ausbleibcnder Synostosierung der Knochen- 
I wundflächen zum Recidivieren der Beuge- 
I kontraktur führen. Diese Nachtheile entfallen bei 
I den konservativen Methoden von Helfe rieh 
und Koch: blutige Trennung der retrahierten 
Weichtheile, bogenförmige Resektion der Gelenk- 
enden unter Schonung der Epiphysenlinie. 

Alle übrigen Knieankylosen (95%) sind un¬ 
blutig zu behandeln. Das Redressement forcö 
ist wegen seiner Gefährlichkeit (Zerrcissung der 
Kniekehlenweichtheile, Frakturen der Tibia und 
des Femur, bcs. der Regio supracondylica, Fett* 
embolien) zu verwerfen. An seine Stelle ist das 
modellierende Redressement getreten. 

In leichteren Fällen kam Lorenz nach 
dem Etappen vorgange von Wolff ohne Narkose 
zum Ziele; an Stelle des manuellen (Wolff) 


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Redressements verwendete L o r e n z die schonende, 
instrnmentelleExtension in seinem bekannten, treff¬ 
lich regulierbaren Hüftredresseur. ln schwie¬ 
rigen Fällen verwendete Lorenz seinen 
Redresseur-Osteoklasten. In Halbnarkose 
wurde das Kniegelenk mittels Schraubenexten¬ 
sion und eines adressierenden Bindenzugeis 
ganz allmählich mit zahlreichen Unter¬ 
brechungen überstreckt, welcher Eingriff ein bis 
zwei Stunden in Anspruch nahm. Die Knie- I 
kehlensehnen tenotomierte Lorenz nur ausnahms¬ 
weise, wenn sie nach vollzogener Streckung 
sehr stark vorsprangen. Grosse Vorsicht ist bei 
poplitealen Narben erforderlich. Nach dieser 
Methode gelang es Lorenz, auch spitzwinklige 
Ankylosen in einer Sitzung gerade zu strecken. 
Stumpfwinklige Ankylosen wurden nach der 
Korrektur sofort in voller Strecklage im Gips- 
verbande fixiert; recht- und spitzwinklige 
Ankylosen werden auch nach vollkommener 
Redression vorerst in leichter Beugestellung 
und erst sekundär in den nächsten zehn Tagen 
allmählich in die Streckstellung überführt. 
Durch diese Vorsichtsmaassregel wird eine 
Peroneusparalyso vermieden. Der Fixations¬ 
verband bleibt mehrere Monate liegen und wird 
hierauf durch einen Schienenhülsenapparat ersetzt, 
welcher 1 —2 Jahre getragen werden soll. Auch 
weiterhin sind tägliche Streckbelastungen des 
Kniegelenks mittels Auflegen eines 5—10 kg 
schweren Sandsackes vorzunehmen, wodurch der 
Neigung zur Beugerezidive entgegengearbeitet 
wird. Verfasser hat das modellierende Redresse¬ 
mentim Laufe des letzten Decenniums an hunderten 
von Fällen erprobt ohne jemals einen ernsten 
Zwischenfall zu beobachten. 

Paul Lazarus (Berlin). 


SehultlieBs, Bericht über die Behandlung 

der Rückgrats Verkrümmungen vom 1. Ja- 
Haar 1895 bis 31. Dezember 1900. Zeitschrift 
für orthopädische Chirurgie Bd. 9. Heft 3. 

Schulthess beschreibst zunächst seine Fort¬ 
schritte in der Skoliosenbehandlung, insbesondere 
durch Anwendung der von ihm konstruierten 
komplizierten Pendelredressionsapparate, deren 
Gebrauch durch viele Abbildungen veranschau¬ 
licht wird. 

Vom Stützkorsett wird nur in sehr be¬ 
schränktem Maasse Gebrauch gemacht. 

Die Therapie wird durch wiederholte Mes¬ 
sungen kontrolliert 

Interessant sind die mit grösstem Fleiss und 
rühmlicher Selbstkritik zusammengestellten Er¬ 
folge bei über 600 Skoliosen. 


Dass diese Erfolge deutlich erfreulicher ge¬ 
worden sind, als früher, dafür erblickt 
Schulthess den Grund in der verbesserten 
Konstruktion seiner Pendelapparate. 

Vulpius (Heidelberg). 


Lovett, The mechanics of lateral curvature 
as appUed to the treatment of severe CAses« 

Boston medical and surgical journal 1901. No. 18. 

Lovett ist der Ansicht, dass eine habituelle 
nicht fixierte Skoliose sich in ihr Spiegelbild ver¬ 
wandle, wenn die Wirbelsäule aus gebeugter 
l Stellung in extendierte Stellung übergeführt 
I wurde. Diese Beobachtung will er für die The- 
I rapie verwerthen, und zwar will er die Extension 
erzeugen durch Abflachung der antero-posterioren 
Krümmungen, durch Beseitigung der lumbalen 
Lordose. 

Von der Wirkung forzierter Extension auf 
fixierte Skoliosen verspricht er sich nicht viel, 
da das Leichenexperiment ihm ergab, dass Druck 
auf den Rippenbuckel Verstärkung der seitlichen 
j Biegung und umgekehrt hervorrufe. 

' Jedenfalls betrachtet er das Anlegen eines 
| redressierenden Verbandes nur als Vorläufer 
gymnastischer Behandlung. 

Vulpius (Heidelberg). 


Deschauipg, Un appareil de soutien car- 
diaque. Ceinture hygiönique. Bulletin de la 
sociötö de thörapeutique 1901. 8. Mai. 

Verfasser beschreibt einen Herzstützapparat, 
welcher sich etwas von denen von Abböe und 
Hel len dal beschriebenen unterscheidet. Eine 
trageförmige Pelotte wird über die Gegend der 
linken Mammilla gelegt, in seinem unteren Th eil 
durch eine elastische rund um den Thorax ver¬ 
laufende Binde fixiert und nur locker an seinem 
oberen Theile durch ein hosenträgerähnliches 
Band vermittels der linken Schulter gehalten. 
Diese Pelotte soll die Herzhyperästhesie ver¬ 
mindern, den Blutdruck steigern und die Herz¬ 
arbeit erleichtern. Die Indikation zur Benutzung 
bildet besonders Herzschwäche bei herabgesetz¬ 
tem Blutdruck, wie sie namentlich bei gewissen 
nervösen Herzaffektionen, Herzmuskelerkran¬ 
kungen, Rekonvalescenz nach Krankheiten etc. 
vorkommt. 

Die Pelotte ist bequem zu tragen, und man 
gewöhnt sich bald daran. Nur ist es nothwendig, 
sie öfters am Tage fortzulassen, auch istesunnöthig, 
sie nachts zu tragen. Verfasser denkt sich, dass 
die Pelotte durch Reizung des Myokards berz- 
kräftigend wirkt. Wenn man sich nicht an die 

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befestigende Thorazbinde gewöhnen kann, so j 
kann man auch die Pelotte allein tragen, die I 
dann allerdings nur durch die Kleider gehalten 
wird. Bei Frauen lässt sich der Apparat wegen 
des Korsets nicht anwenden. 

Determann (St.Blasien). 


C. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Karl Ullmann, Ueber die Heilwirkung der 
durch Wärme erzeugten lokalen Hyperämie 
anf chronische und infektiöse Geschwürs- I 
prozesse. Wiener klinische Wochenschrift 1901. I 
No. 1. I 

Während die Behandlung hartnäckiger | 
ulceröser Prozesse der Haut mittels heisser 
Wasserstrahlen und sonstiger lokaler Applikation 
von heissem Wasser seit längerer Zeit schon 
durch die Arbeiten von Goldscheider, Kind- 
ler, Welander, Hebra u. a. bekannt ist, hat 
sich U11 mann zum ersten Male in einer 
grosseren Reihe von Fällen zu diesem Zwecke 
der trockenen, heissen Luft, und zwar in 
Form der bekannten lokalen Heissluftbäder be¬ 
dient. Die heilende Wirkung derselben bei ul- 
cerösen Prozessen, speziell bei Ulcus molle, 
beruht nicht, wie vorwiegend bei den erstge¬ 
nannten Behandlungsarten, auf direkter Abtötung 
der pathogenen Bakterien, sondern lediglich auf 
dem heilsamen Einflüsse der durch die heimse 
Luft hervorgerufenen starken Hyperämie und 
ödematösen Durchtränkung der Gewebe. 
Der Verfasser bediente sich der bekannten ein¬ 
fachen, nach dem System von Bier und von 
Krause konstruierten lokalen Heissluft¬ 
kästen, und setzte darin den die betreffende 
Uleeration tragenden Körpertheil Temperaturen 
von 800 C beginnend bis zu 160° C ansteigend ca. 
s/ 4 Stunden lang täglich aus. Das Verfahren ist 
vollständig schmerzlos und ohne jede schäd¬ 
liche Nebenwirkung. Ul 1 mann wandte dasselbe 
mit bestem Erfolge in einer Reihe von Fällen 
von hartnäckigem Ulcus molle, auch bei den 
serpiginösen Formen, an; ferner bei ulceriertem 
syphilitischem Primareffekt (wobei aller¬ 
dings der Verlauf der allgemeinen Syphilis 
unbeeinflusst blieb) und bei anderen syphiliti¬ 
schen Hautulcerationen. Einen ebenso guten 
Erfolg erzielte er bei schmerzhaften Rhagaden 
und Erosionen ad anum, überhaupt bei durch 
irgend welche Ursache entstandenen atonischen 
und torpid verlaufenden Ulcerationen 
der Haut, besonders auch bei Ulcus cruris. 
Die Heilerfolge sind durch eine Reihe von 


j Krankengeschichten und Abbildungen erläutert, 
I aus denen die günstige Wirkung der lokalen 
Heissluftbehandlung gerade in den Fällen von 
Ulcerationsprozesscn mit sonst schlechterHei- 
lungstendenz deutlich hervorgeht. 

A. Laqueur (Berlin). 

Stifter, Ueber Herzheilbäder. Münchener 
medicinische Wochenschrift 1901. 

Unter den kohlensäurehaltigen Bädern, 
die zur Behandlung von Herzaffektionen zur An¬ 
wendung kommen, sind zwei Formen nach 
Stifler scharf zu unterscheiden: das kohlen- 
saure Stahlbad, in dem hauptsächlich die 
Kohlensäure allein das wirksame Agens bildet, 
und das Thermal - Soolbad, in dem neben 
der Kohlensäure noch die Salze, die das Bad 
enthält, eine wichtige Rolle spielen. Während 
das kohlensaure Stahlbad (Typus: Bad Steben 
in Bayern) die Cirkulation direkt, durch pri¬ 
märe Reizung der peripheren Gefäss- 
bezirke (Erweiterung der Kapillaren des grossen 
Kreislaufs) in dem gewünschten Sinne be¬ 
einflusst, geschieht dies bei dem Thermal- 
Soolbad (Typus: Bad Nauheim) auf in¬ 
direktem, reflektorischem Wege, durch Be¬ 
einflussung der Centren für Heiz- und Gefass- 
innervation infolge der Reizung der sensiblen 
Hautnerven durch die Soolen. Danach er¬ 
geben sich auch die Indikationen für die 
beiden verschiedenen Bäderarten: das kohlen¬ 
saure Stahlbad ist da anzuwenden, wo der 
Hauptausgleich der Cirkulationsstörungen in dem 
Kapillarsystem des grossen Kreislaufes zu suchen 
ist, also bei Aortenfehlern und Arterio¬ 
sklerose; dae Thermal - Soolbad dagegen 
bei den übrigen organischen Herzerkrankungen, 
Mitralfehlern, Degeneration und Dila¬ 
tation des Herzens, da hierbei auf das Ka¬ 
pillarsystem des kleinen Kreislaufs und auf das 
Pfortadergebiet hauptsächlich eingewirkt werden 
muss. Bei komplizierten Zuständen von Herz- 
insufficienz verwischen sich natürlich dieseGrenzen. 

A. Laqueur (Berlin). 


E. Hellmer, Das Sandbad (Ardnation). Cen¬ 
tral bl. für die gesammte Therapie 1901. Heft 7. 

ln den primitivsten Formen war das Sand 
bad schon im Alterthum im Gebrauch, wie auch 
jetzt noch bei verschiedenen Naturvölkern: Man 
grub am Strande des Meeres in dem von der 
Sonne durchwärmten Sande eine Grube, legte 
den Kranken hinein und bedeckte ihn bis zum 
Kopfe mit einer mässig dicken Sandschicht; nach 


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189 


einiger Zeit nahm dann der Kranke ein Bad in 
der See, theils zur Reinigung vom Sande, theils 
zur Abkühlung. An dieser Technik hat sich 
nicht viel geändert Zur Vermeidung der Kon¬ 
gestion gegen den Kopf kühlt man diesen fleissig 
mit kalten Kompressen. Der Kranke bleibt 
20 Minuten bis zu einer Stunde im Sandbade und 
bekommt dann eine kalte Prozedur, um die er¬ 
weiterten und erschlafften Hautgefäese zur Kon¬ 
traktion zu bringen, die angchäufte Wärme ab¬ 
zuleiten und eine energische Reaktion herbei¬ 
zuführen. Es kommen in Betracht: das Laken¬ 
bad (8—100), das Halbbad (16—18«), das Voll¬ 
bad (10°) etc. Um die Schweisserregung noch 
mehr zu steigern, kann man auch an das Sand¬ 
bad eine trockene Einpackung von circa einer 
Stunde anschliessen und dann erst die kalte 
Prozedur folgen lassen. Die Wirkung der Sand¬ 
bäder, bei denen man Temperaturen von 47 bis 
53°, bei lokalen Applikationen sogar bis 63° 
verwendet, lässt sich am ehesten mit den heissen 
Luftbädern vergleichen. Die Körpertemperatur 
steigt um 1 — 1,5°, der Puls beschleunigt sich 
um 15—20 Schläge, die Respiration um circa 
20 Äthernzüge in der Minute. Der ganze Körper 
kann in der Stunde 1—3 kg an Schweiss verlieren. 
Indiziert sind die Sandbäder beim chronischen 
Gelenk- und Muskelrheumatismus, bei Arthritis 
deformans, Ischias, Adipositas universalis, bei 
Hydropsieen renaler Provenienz, Lues, torpider 
Skrophulose, Metallkachexien, rükständigen Ent¬ 
zündungsprodukten, Exsudaten und Transsudaten 
etc. Gegenanzeigen bilden hauptsächlich or¬ 
ganische Erkrankungen des Herzens und der 
Geflsse, Konsumptionskrankheiten und alle 
akuten und entzündlichen Zustände. Die Sand¬ 
bader werden jeden zweiten Tag appliziert und 
in der Zwischenzeit weniger energische Proze¬ 
duren — feuchte Einpackungen etc. — ein¬ 
geschaltet Forchheimer (Würzburg). 


Behren», Einfluss der Witterung auf Diph¬ 
therie, Scharlach, Masern und Typhus. 
Archiv für Hygiene Bd. 40. Heft 1. 

Behrens hat in umfangreichen Tabellen die 
von 1888 — 1897 in Karlsruhe allmonatlich zur 
Anzeige gelangten Erkrankung»- und Todesfälle 
an Diphtherie, Scharlach, Masern und Typhus, sowie 
die prozentische Veitheilung derselben auf die 
einzelnen Monate nach Temperatur- und Feucbtig- 
keitsgruppen und nach Niederschlagsmengen ge¬ 
ntu registriert, auch die allgemeinen Witterungs¬ 
beobachtungen für jedes Monatssechstel des be¬ 
treffenden Dezenniums auf gezeichnet, und sucht 
an der Hand des gefundenen Zahlenmaterials 


Anhaltspunkte für die Frage zu gewinnen, wel¬ 
chen Einfluss der Witterungscharakter überhaupt 
und gewisse meteorologische Momente (Luft¬ 
temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windstärke, Nieder¬ 
schläge) im besonderen auf die genannten Affek¬ 
tionen ausüben. Auch für Berlin, Breslau, Bremen 
sind die entsprechenden Zahlenwerthe tabellarisch 
zusararaengestellt und zum Vergleich herangezo¬ 
gen. Da bezüglich der Sonnenscheindauer erst 
seit 1895 statistische Notizen für Karlsruhe vor¬ 
liegen, so konnte der von Ruhemann wieder¬ 
holt (Zeitschrift für diätetische und physikalische 
Therapie 1898. Bd. 1. Heft 4, 1901. Bd.4. Heft 4) 
betonte Zusammenhang zwischen diesem Witte¬ 
rungsfaktor und zwischen Morbidität resp. Mor¬ 
talität an Infektionskrankheiten keine Berück¬ 
sichtigung finden. Die Ergebnisse der sorgfälti¬ 
gen und mühsamen Berechnungen des Verfassers 
lassen sich in folgenden Sätzen zusainmenfassen: 

Diphtherie wird am häufigsten bei kaltem 
und massig warmem Wetter beobachtet, während 
eine starke Erhöhung * oder Erniedrigung der 
Temperatur auf ihre Ausbreitung hemmend zu 
wirken scheint; die höchsten Erkrankungsziffem 
fallen zusammon mit hohem Hygrometerstand, 
geringen Niederschlagsmengen, wenigen Nieder¬ 
schlagstagen, rauher und trüber Witterung und 
Uebergang von kaltem zu warmem Wetter. Schar¬ 
lach tritt bei jeder Witterung gleich stark auf, 
doch scheint rauhes, massig warmes und trübes 
Wetter die Krankheit ebenso zu fördern wie ein 
Temperaturwechsel nach oben. Masern erreichen 
ihren Höhepunkt bei kaltem Wetter, mittlerer 
relativer Luftfeuchtigkeit und reichlichem Regen. 
Typhus ist gleich häufig bei warmer wie bei 
kühler Temperatur, und wird in seinem Auftreten 
durch trübes und regnerisches Wetter ausser¬ 
ordentlich begünstigt. Hirschel (Berlin). 


K. Spiewaczewsky, Die Schwankungen in 
der Menge der atmosphärischen Nieder¬ 
schläge und die Morbidität an der Grippe. 

Meteorologitschesky Westnik 1900. No. 5. 

T. Schwerin, Der Zusammenhang zwischen 
der Morbidität und den meteorologischen 
Erscheinungen. Meteorologitschesky Westnik 
1900. No. 5. 

A. Perwow, Das Verhältnis der Morbidität 
an einigen Infektionskrankheiten zu dem 
Stande der Boden- und Lufttemperatur. 

Medizinskaja Besseda 1901. No. 11. 

In seinem Bericht an den XIV. Aerztetag 
des Chersson’sehen Gouvernements stellte der 
landschaftliche Sanitätsarzt K. Spiewaczewsky 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


in einer übersichtlichen Tabelle die Schwankungen 
in der Menge der atmosphärischen Niederschläge 
und die gleichzeitige Morbidität an der Grippe 
für die Jahre 1889—1896 zusammen. Aus dieser 
Tabelle ergiebt sich, dass mit alleiniger Ausnahme 
des Jahres 1889 die allergrösste Anzahl der Er¬ 
krankungen an der Influenza der allergeringsten 
Menge der Niederschläge entsprach. Von den 
Wintern sämmtlicher Beobachtungsjahre wurde 
die geringste Menge von Niederschlägen im 
Winter 1893/94 konstatiert; gerade dieser Winter 
ragt unter den übrigen durch die grosse Anzahl 
der grippösen Erkrankungen hervor. Der Frühling 
des Jahres 1895 ist mehr als die übrigen an 
atmosphärischen Niederschlägen arm und dabei 
ausgezeichnet durch die grosse Anzahl der 
Influenzafälle. Ausserdem weist noch der Autor 
darauf hin, dass auch einem hohen atmosphärischen 
Druck ein Steigen der Influenzamorbidität ent¬ 
spricht. 

Denselben Zusammenhang zwischen der Mor¬ 
bidität und den meteorologischen Erscheinungen 
hat der zweite Sanitätsarzt der Cher8Son , sehen 
Gouvernementslandschaft T. Sch wer in auch für 
andere Infektionskrankheiten naehgewiesen. Beim 
Durchmustem des Ganges der Morbidität an 
Diphtherie und Scharlach einerseits und der Menge 
der atmosphärischen Niederschläge und ihrer Ver¬ 
keilung auf die einzelnen Jahre, Jahreszeiten und 
auf die einzelnen Kreise des Gouvernements 
Chersson andererseits, wobei ein Zeitraum von 
zehn Jahren (1887—1896) in Betracht kam, be¬ 
merkte der Autor einen ausgesprochenen Anta¬ 
gonismus zwischen beiden Erscheinungen. Im 
allgemeinen konnte der Umstand nicht übersehen 
werden, dass in jedem Jahre der Steigung der 
Niederschlagskurve entsprechend die Morbidität 
an der Diphtherie sinkt und umgekehrt. Der 
Verfasser spricht den Gedanken aus, dass die 
Schwankungen in der Morbidität an der Diph¬ 
therie im Laufe des Jahres in Zusammenhang zu 
bringen seien nicht mit der absoluten Menge der 
Niederschläge für das ganze Jahr und auch nicht 
mit ihrer relativen Menge in den verschiedenen 
Jahreszeiten, sondern einzig und allein mit der 
Amplitude der Niederschlagsschwankungen in 
den einzelnen Abschnitten eines jeden Jahres. 
Zum Schluss meint der Autor, dass der Anta¬ 
gonismus zwischen der Morbidität und den atmo¬ 
sphärischen Niederschlägen vielleicht dadurch zu 
erklären sei, dass mit der Verringerung der Menge 
der atmosphärischen Niederschläge die Quantität 
des Staubes sich vergrössere; folglich werde die 
Diphtherie vielleicht auch durch die atmo¬ 
sphärische Luft verbreitet und zwar durch den 
in ihr suspendierten Staub übertragen. 

A. Per wo w studierte das Verhältniss der 


Morbidität an einigen Infektionskrankheiten 
(Typhus abdominalis, Diphtherie, Pneumonia 
crouposa, Dysenterie) zu dem jeweiligen Stande 
der Boden- und Lufttemperatur. Zwischen den 
Perioden der Verbreitung des Abdominaltyphus 
und denjenigen der Ausbreitung der Diphtherie 
zeigte sich ein sehr ausgesprochener Parallelismus, 
und zwar erreichen sowohl der Unterleibstyphus 
als auch die Diphtherie ihre allergrösste Ent¬ 
wickelung in dem Zeitraum vom August bis zum 
November. Die geringste Entwickelung beider 
Krankheiten fällt am häufigsten auf den April, 
sodann auf den Mai, Juni und März. Die Zahlen 
des geringsten Auftretens der croupösen Pneumonie 
fallen auf den Juli, August und September; auf 
diese Weise existiert zwischen der Entwickelung 
des Abdominaltyphus und dem Auftreten der 
Lungenentzündung ein Gegensatz: den Monaten 
mit einer niedrigen Entwickelung der Lungen¬ 
entzündung entsprechen die Monate mit einer 
hohen Entwickelung des Typhus. Die Ausbreitung 
der Ruhr befindet sich in einem geraden Ver¬ 
hältniss zu dem Stande der Temperatur der Luft 
und der oberflächlichen Bodenschichten. In einem 
solchen Verhältniss befindet sich auch die Aus¬ 
breitung des Typhus und der Diphtherie zum 
Stande der Temperatur in der Tiefe des Bodens. 
Die Ausbreitung der Lungenentzündung steht 
jedoch in einem umgekehrten Verhältniss zu der 
Temperaturhöhe in den tiefen Bodenschichten, 
wobei die geringste Anzahl von Pneumoniefallen 
fast stets in denjenigen mittleren Monat fallt, 
welcher zwischen Monaten mit der geringsten 
und solchen mit der grössten Mengo von atmo¬ 
sphärischen Niederschlägen zu stehen kommt; 
folglich hängt nach Perwow’s Ansicht die 
Morbidität an croupöser Pneumonie am aller¬ 
meisten von dem Stande der Bodentemperatur ab. 

A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 


Axel Winckler, Ueber Sehwefelwasser und 
Hautkrankheiten. Deutsche Medicinal-Zeitung 
1901. No. 28. 

Der Verfasser bespricht die Wirkungen der 
starken Schwefelquellen, das heisst solcher, die 
neben erheblichen Mengen von Schwefelalkalien 
mindestens 15 ccm freies Schwefelwasserstoffgas 
pro Liter enthalten, auf die verschiedenen Haut¬ 
krankheiten. Er legt dabei seine mit den Nenn- 
dorfer Schwefelquellen gesammelten Erfahrungen 
zu Grunde. In allen Stadien des Ekzems ist 
die Schwefel wassertrink kur angezeigt und sofort 
einzuleiten; hingegen eignen sich die Schwefel¬ 
wasserbäder mehr für das chronische als für das 
akute Ekzem und sind auch bei den einen akuten 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


191 


oder snbaknten Charakter tragenden Nachschüben 
des chronischen Ekzems nur mit Vorsicht anzu- 
zd wen den. Hier passen die Schwefelgasbäder. 
DiePsoriasisvul gar i s wird durch die Schwefel¬ 
kur (Trink- und Badekur) weniger beeinflusst. 
Dauernde Heilungen sind dabei selten, aber Besse¬ 
rungen bilden die Regel. Dagegen wird die 
Furunkulose in den allermeisten Fällen durch 
eine Schwefelkur radikal geheilt. Nur die auf 
Diabetes mellitus beruhende Furunkulose und jene, 
die auf eine Eiterinfektion folgt, widerstehen der 
Schwefel kur. Der Verfasser schreibt die von ihm 
in Bad Xenndorf beobachteten guten Resultate 
dem Schwefelcalciumgehalt der dortigen Schwefel¬ 
trinkquelle zu. Er hat experimentell mit Milch¬ 
zucker vermischtes Schwefelcalcium (öCentigr&mm 
pro die) dem Körper zugeführt und dadurch die 
Entwicklung von Furunkeln hemmen und der 
Bildung neuer Furunkel Vorbeugen können. Bei 
Acne simples seu vulgaris leistet die 
Schwefel kur in Verbindung mit der aus dem 
natürlichen Sediment der Nenndorf er Quellen 
bereiteten Schwefelseife gute Dienste, bei Acne 
rosacea besonders dann, wenn die Patienten 
dem Alkoholgenuss entsagen, der nach des Ver¬ 
fassers Ansicht wohl immer an der Erkrankung 
mitschuldig ist. Warme oder gar heisse Voll- 
hider sind dabei verpönt, da sie die Kongestion 
zum Gesicht steigern. Nur Waschungen der 
kranken Partieen mit heissem Schwefelwasser sind 
erlaubt. Bei Prurigo und Pruritus werden 
Besserungen, manchmal auch Heilungen erzielt. 
DieSycosis simplex, non parasitaria wird 
häufig durch eine Schwefelkur geheilt Dasselbe 
gilt von der Disposition zu Urtikaria. Auch bei 
Beingeschwüren, Herpes tonsurans und 
bei Pityriasis versicolor wird die gute 
Wirkung der Schwefelbäder gerühmt Ichthyosis 
wird vorübergehend, bisweilen auf lange Zeit, 
durch Kombination von Schwefelbädern, Schwefel¬ 
schlamm bädem,Sch wefel wasserdouchen undTrink- 
kur zum Verschwinden gebracht. Künstliche 
Schwefelbäder leisten wenig. 

Forchheimer (Würzburg). 


D. Elektrotherapie. 

Weorg W. Jacobl, Elektrotherapie. Zwei 
Bände. Philadelphia 1901. 

Die vorliegenden zwei Bände bilden den 
Anfang eines grossangelegten von Cohen her- 
ausgegebenen Sammelwerkes, welches unter dem 
Titel: *A svstem of physiologic therapeutics« in 
11 Bänden die gesammte Therapie mit Ausnahme 
der Pharmakotherapie zur Darstellung bringen 


soll. Das Sammelwerk soll also mehr wie die 
physikalische Therapie umfassen, indem auch die 
Diätotherapie, Serumtherapie, Prophylaxe und 
Suggestionstherapie hineinbezogen wird. 

Die vorliegende Elektrotherapie ist nicht 
ganz so umfangreich, wie sie nach ihrem statt¬ 
lichen Aeusseren von zwei Bänden zunächst er¬ 
scheint, indem Druck und Papier so splendid 
ist, wie wir es in Deutschland bei wissen¬ 
schaftlichen Büchern nicht gewöhnt sind. Immer¬ 
hin umfassen beide Bände zusammen den an¬ 
sehnlichen Umfang von 565 Seiten. 

Bei der Bearbeitung des Stoffes hat Verfasser 
dem physikalischen Theil und der Apparatenlchre 
einen sehr breiten Raum eingeräumt Sie füllen 
den ersten Band vollkommen aus. Die Dar¬ 
stellung ist hier so eingehend und durch so zahl¬ 
reiche Abbildungen amerikanischer und euro¬ 
päischer Apparate, sowie schematische Illu¬ 
strationen unterstützt, dass mancher Fachgenosse 
diesen Theil als eine werthvolle Ergänzung un¬ 
serer deutschen Lehrbücher ansehen wird, die in 
dieser Hinsicht bei weitem nicht so vollständig 
sind. 

Die Darstellung ist durchweg klar und ein¬ 
fach und beansprucht in physikalischer Hinsicht 
die allergeringsten Vorkenntnisse. 

Die Röntgenstrahlen sind mit einbezogen, 
dagegen ist die Arsonvalisation in auffallender 
Kürze abgethan. 

Der zweite Band beschäftigt sich etwa zur 
Hälfte mit Elektrophysiologie und Elektro- 
diagnostik. Die zweite Hälfte wird von der 
eigentlichen Elektrotherapie eingenommen, die 
in der üblichen Weise in einen allgemeinen und 
einen speziellen Theil zerfällt Die Bearbeitung 
des Stoffes ist auch hier klar und übersichtlich 
und zeugt von grosser Erfahrung des Verfassers. 
Seinen Ausführungen und therapeutischen Grund¬ 
sätzen, die hier im einzelnen natürlich nicht 
wiedergegeben werden können, kann man im 
grossen und ganzen beistimmen. 

Mann (Breslau). 


! Bordier, Sur le choix du metai a employer 
pour leg electrodes. Zeitschrift für Elektro- 
I therapic. 4. Jahrgang. No. 1. 

j Bordier hat einige für die Elektrotherapie 
| praktisch wichtige Versuche über die zweck- 
I massigste Beschaffenheit der bei galvanischen 
Applikationen (besonders bei den von ihm an¬ 
gewendeten hohen Stromstärken) zu benutzenden 
Elektroden angestellt. Bekanntlich bilden sich 
an den Elektrodenoberflächen dort, wo sie von 
dem feuchtem Ueberzug bedeckt sind, infolge 
der elektrolytischen Vorgänge chemische Um- 


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192 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Setzungsprodukte, die das Metall in dicker Schicht 
bedecken, und z. B. bei Kupferelektroden, wie 
die Analyse ergab, aus Kupferoxyd und Kupfer¬ 
karbonat bestehen. Diese das Metall bedeckende 
Schicht setzt dem Strom einen grösseren Wider¬ 
stand entgegen, sie verhindert sein gleichmässiges 
Passieren durch die Elektrode und veranlasst an 
einigen weniger oxydierten Stellen eine grosse 
Dichtigkeit des Stromes, welche zu Anätzungen 
der Haut führt und Schmerzempfindungen für 
den Patienten zur Folge hat 

Aus zahlreichen Versuchen ergab sich, dass 
das Platin am allerwenigsten chemisch angegriffen 
wird, so dass es das idealste Metall für die Elek¬ 
troden darstellen würde. Da es aber seines hohen 
Preises wegen wohl kaum Verwendung finden 
kann, so ist das Aluminium besonders zu em¬ 
pfehlen, welches in dieser Beziehung die nächste 
Stelle einnimmt. In der That scheint, wie Referent 
selbst erprobt hat, das Aluminium auch schon 
wegen seiner Leichtigkeit und Biegsamkeit sehr 
empfehlenswert!! für die Verwendung zu Elek¬ 
trodenplatten zu sein. Mann (Breslau). 


Leopold Freund, Die Verwendung der 
Spannungselektrizität zur Behandlung von 
Hautkrankheiten. ’ Klinisch - therapeutische 
Wochenschrift 1901. No. 37—39. 

Freund bespricht in einem ausführlichen, 
auf dem VII. Dermatologen-Kongress zu Breslau 
gehaltenen Vortrage die physiologischen und 
therapeutischen Wirkungen der Spannungs¬ 
elektrizität, also der von Ruhmkorff* sehen 
Induktoren, Influenzmaschinen oder Arsonval- 
schen Apparaten erzeugten Elektrizität, für die 
immer ein und dieselbe physikalische Er¬ 
scheinung, nämlich die Funkencntladung charakte¬ 
ristisch ist. Die äusseren Wirkungen auf die 
Haut sind ebenfalls für alle diese Formen die 
gleichen: sie bestehen, meist nach vorüber¬ 
gehender Anämisierung, in einer Hyperämie der 
Haut, die unter Umständen bis zur Quaddel- und 
Blasenbildung führen kann. 

Freund hat nun zahlreiche Untersuchungen 
an Bakterienkulturen und an Hautstücken an¬ 
gestellt, und hat gefunden, dass an Kulturen, die 
mit Funkenschlägen behandelt wurden, sich eine 
Austrocknung, eine Erwärmung und dadurch eine 
Entwicklungshemmung von Bakterien konstatieren 
lässt. Sehr wahrscheinlich ist dabei auch eine 
elektrolytische und mechanische Wirkung der 
Funken mit im Spiele. Auch dürften die 
Wirkungen der gleichzeitig produzierten inten¬ 
siven chemischen Lichtstrahlen und des gleich¬ 


zeitig entwickelten Ozons mit in Betracht zu 
ziehen sein. 

Die histologische Untersuchung der Haut 
ergab eine kleinzellige Infiltration in den untersten 
Schichten der Epidermis, ausgedehnte Blutaus¬ 
tritte in die Gewebe und schliesslich Vakuolisation 
in der Intima der Arterien. 

Diesen experimentellen Ergebnissen ent¬ 
sprechend würde man in erster Linie eine günstige 
Wirkung der Spannungselektrizität bei den para¬ 
sitären Hautaffektionen zu erwarten haben. In 
der That sah Freund bei lupösen und anderen 
Geschwüren eine austrocknende und reinigende 
Einwirkung auf den Geschwürsgrund; aber doch 
gelang es niemals durch diese Methode, ein 
infektiöses Geschwür völlig zur Heilung zu bringen. 
Bei Versuchen am weichen Schanker ergab sich 
kein Vortheil gegenüber der üblichen Jodoform¬ 
therapie. 

Die mangelhaften Erfolge liegen wohl daran, 
dass die Wirkungen mässig intensiver Funken¬ 
entladungen sich bald an der Oberfläche er¬ 
schöpfen und keine genügende Tiefenwirkung 
besitzen. Auch bei Alopecia areata, die ja eben¬ 
falls als parasitäre Hautkrankheit aufzufassen ist, 
sah Freund nur minimale, nicht in Betracht 
kommende Erfolge. 

Das zweite Hauptgebiet stellen die sich durch 
Hypertrophien des Kutisgewebes mit fibrösem 
Charakter und durch chronische Zellinfiltrate in 
der Kutis charakterisierenden Dermatosen dar; 
Keloide, Elephantiasis etc. Freund besitzt 
hierüber keine eigenen Erfahrungen und kann 
nur über die günstigen Erfolge anderer Autoren 
berichten. 

Die dritte wesentliche Indikation bilden der 
Pruritus und die pruriginösen Affektionen, bei 
denen der Juckreiz oft ganz auffallend gemildert 
wird. Die Erwärmung und der mechanische 
Anprall der Funkenentladung spielen hierbei 
jedenfalls eine Rolle; vielleicht kommt auch die 
lebhaftere Saftströmung und die Irritation der 
Hautoberfläche, eventuell auch die Verschorfung 
blossliegender Nervenendigungen in Betracht 

Alles in allem ist Freund der Meinung, dass 
das auf dermatotherapeutischem Gebiet bisher 
Erreichte zwar manche günstige Resultate von 
der Behandlung mit Spannungselektrizität er¬ 
warten lässt aber vorläufig zu überschwänglichen 
Hoffnungen durchaus keinen Anlass giebt. 

Der Vortrag enthält noch nähere Besprechun¬ 
gen bezüglich der Methodik und mancherlei Be¬ 
merkungen physikalischer Natur, auf die hier 
nicht eingegangen werden kann. 

Mann (Breslau). 


Berlin, Druck von W. Btixonsteiu. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE dnd PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 4 (Juli). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacoh. 


Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Orlgrinal -Arbeiten. Seite 

L Ueber einige praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chronischen Nasen- und 

Bachenkatarrhs. Von Dr. W. Freudenthal in New-York. Mit 1 Abbildung .' . 195 
IL Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. Aus der III. medici- 
nischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Senator). 

Von Stabsarzt Dr. Menzer.209 

III. Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale hydrotherapeutische 
Prozeduren. Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin (Leiter: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Brieger). Von Dr. August Laquenr, Assist, der 

Klinik, und Dr. Waldemar Loewenthal.211 

IY. Ueber Roborat Aus der L medidnischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.- 

Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Fritz Rosenfeld, Volontärassistenten der Klinik 223 
V. Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. Aus 
der L medidnischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med. - Rath Prof. 

Dr. v. Leyden). Von Dr. B. Wendriner in Neuenahr.228 


IL Kleinere MlttheUungeii. 

I. Fleischextrakt und Hefepräparate. Eine wirtschaftliche Betrachtung von Dr. K. Beer¬ 
wald in Berlin. .. 

n. Das Sanatorium Wehrawald im badischen Schwanwald. Von Dr. Julian Marcuse in 
Mannheim. Mit 2 Abbildungen. . 


HL Berichte über Kongresse und Vereine. 

Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft in Stuttgart 
vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung und 

Schluss.).237 

Länderer (Stuttgart), Die Heilbehandlung und ihre Gegner.237 

Rothschild (Soden), Das Heiraten Tuberkulöser.238 

Liebreich (Berlin'), Ueber Inhalationsterapie.239 

.Köppe (Giessen), Balneologische Studien im Anschluss an die physikalisch¬ 
chemische Untersuchung des Salzwassers.239 

Steiner (Levico), Zur Balneoterapie der Acne vulgaris.239 

Länderer (Stuttgart), Theoretische und praktische Grundlagen unserer Mund¬ 
behandlung .241 

Marcuse (Mannheim), Der gegenwärtige Stand der Lichtterapie.242 

Röchling (Misdroy), Die Reizbarkeit gegen Gehörseindröcke bei Neurastenie 

nebst praktischen Folgerungen für die Kurorte.242 

Zangger (Zürich), Der Stand der Volksheilstättenbewegung in der Schweiz. . 243 
Zeitachr. t dili. dl phjaik. Therapie Bd. VI. Heft 4 . 14 


232 

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194 


Inhalt. 


Seit« 


IV. Referate über Bücher und Aufs&tze. 


A. Verschiedenes. 

Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.243 

Roth, Klinische Terminologie., . . . . 245 

Blass, Die Impfung und ihre Technik..245 


Meyer, Deutscher Kalender für Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger auf das Jahr 1902 245 

B. Diätetisches (Ernährungstherapie). 


Balz, Ueber vegetarische Massenernährung und über das Leistungsgleichgewicht.245 

Lupine, La lövulosurie alimentaire dans ses rapports avec les affections du foie.246 

Ebstein, Die chronische Stuhl Verstopfung in der Theorie und Praxis.246 

Gardner, The dietetic value of sugar.247 

Knuth, Einiges über südamerikanische Fleischkonserven.247 

Steinhardt, Ueber Magenausspülungen im Kindesalter.247 

Gilbert, Diabetesküche. 248 

Wegele, Die diätetische Küche für Magen- und Darmkranke.248 

Pavy, Ueber experimentelle Glykosuiie.248 

Cohen, Vorträge für Aerzte über physikalische Chemie.249 

Schlöss, Ueber den Einfluss der Nahrung auf den Verlauf der Epilepsie ....... 249 

Bälint, Die diätetische Behandlung der Epilepsie . . . ..250 

Schlesinger, Aerztliches Handbüchlein für hygienisch-diätetische, mechanische und andere 

Verordnungen.250 

C. Gymnastik. 

Laumonier, La gymnastique des petits enfants.251 

Dagron, Massotherapie.251 

Loebel, Prinzipien und Indikationen der maschinellen Heilgymnastik.252 

Bramwell, Case of tabes with acutely developed ataxia, in which great and rapid 

improvement had resulted from Frenkel’s plan of treatment.252 

Schultze, Ein einfacher orthopädischer Tisch.252 

D. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Beizer, Ueber die Behandlung mit Frey’s Heissluftdouche.252 

Whigtman, Hot air as a therapeutic agent.253 

Hellmer, Das Luftbad.. . . . ..253 

Carriere, Studienreisen in die französischen Bäder, ihr Zweck, ihr Nutzen für die Aerzte 

und Badeorte, ihre Organisation.254 

Loewenfeld, Ueber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke.. . 254 

E. Elektrotherapie. 

Bordier, Traitement öleotrique des nevralgies et en particulier de celle du trijumeau . . . 255 

Vernay, Traitement de la növralgie de la face par les courants galvaniques.255 

Decker, Ueber die elektrolytische Kraft der statischen Elektrizität.256 

Rögnier, Radiotherapie et photothörapie.256 


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Original - Arbeiten. 


I. 

Ueber einige praktische Gesichtspunkte in der Behandlung 
des chronischen Nasen- und Rachenkatarrhs. 

Von 

Dr. W. Freudenthal 

in Nöw-York. 1 ) 

Wenn ich es wage, Ihnen einige neuere Ansichten über den Nasen- und Rachen¬ 
katarrh heute Abend zu geben, so geschieht es hauptsächlich aus dem Grunde, um 
eine gründliche Diskussion dieses Gegenstandes hervorzurufen. 

Der chronische Katarrh der Nase und des Rachens ist so häufig, besonders hier 
in den Vereinigten Staaten, dass der praktische Arzt denselben wenigstens in seinen 
allgemeinsten Zügen kennen soUte. Aber lassen Sie mich gleich hier Sie fragen: Er¬ 
kennt der praktische Arzt immer diesen Katarrh? Untersucht er immer daraufhin? 
Ist er nicht in zu vielen Fällen gar zu schnell geneigt, die Angaben der Patienten 
ohne weiteres anzunehmen, ohne Untersuchung eine Nasendouche oder Nasenspray 
zu verschreiben und so in vielen Fällen einen Katarrh hervorzurufen, wo früher 
keiner existierte? (Defferts.) Wir werden bald sehen, dass der praktische Arzt 
gar manches in der Behandlung dieser Katarrhe erreichen kann. Bevor wir jedoch 
auf die Details unseres Themas eingehen, welches von dem Präsidenten dieser Ge¬ 
sellschaft zur Diskussion auserwählt wurde, bitte ich auf einige Minuten um Ihre 
Nachsicht, um über die Aetiologie des »Katarrhs« im allgemeinen einige Worte sagen 
zu dürfen. Sie werden dann leichter die therapeutischen Maassnahmen, die ich für 
so äusserst wichtig halte, verstehen können. Lassen Sie uns die ätiologischen 
Faktoren, welche den chronischen Katarrh der Nase, des Rachens und des Nasen¬ 
rachenraums hervorbringen, zusammen betrachten, da sie nach meiner Ansicht eine 
Einheit bilden und zusammen abgehandelt werden sollten. 

In fast allen Lehrbüchern über diesen Gegenstand werden Sie die naive Be¬ 
hauptung finden, dass der chronische Kartarrh die Folge eines oft wiederholten 
akuten Katarrhs ist. Wir alle wissen das. Wir lesen ferner, dass wir akute Ka¬ 
tarrhe verhüten sollten, um. zu verhindern, dass dieselben chronisch würden. Die 
widersprechendsten Regeln werden hierfür aufgestellt. Ich habe diesen Gegenstand 
und die Verhütung akuter Katarrhe in dieser Zeitschrift 2 ) des Längeren auseinander¬ 
gesetzt, und es ist nicht meine Absicht, dieselben hier zu wiederholen. Was ich sagen 
möchte, ist, dass Sie in der Praxis viel häufiger akute Exacerbationen von chronischen 
Katarrhen sehen werden, als frische »Erkältungen«, gleichgültig, ob diese Exacer¬ 
bationen in einer Koryza bestehen, oder in einer Angina, oder in einer akuten Bron¬ 
chitis. Es ist meine Aufgabe heute, besonders die chronischen Formen zu diskutieren. 


i) Zum TheU nach einem Vortrag, gehalten vor der Medical society of the City of New-York 
an 13. Dezember 1901. 

*) Ueber das Wesen der sogenannten Erkältungskrankheiten. 1899. Bd. 3. 

14* 


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196 


W. Freudenthal 


Lange Zeit hindurch herrschte der Glaube vor, dass die Amerikaner besonders 
zu »Katarrhen« disponiert wären. Es käme noch die grosse Feuchtigkeit unserer 
Atmosphäre, besonders längs der Seeküste, der ausserordentlich plötzliche Wechsel 
in der Temperatur, die staubigen und unsauberen Strassen u. s. w. hinzu. Selbst 
Morel Mackenzie betrachtete, nachdem er in diesem Lande gereist war, die Ver¬ 
änderlichkeit unseres Klimas, die staubigen Strassen und das hastige Essen und 
Trinken als die Hauptfaktoren des so häufigen postnasalen Katarrhs in den Vereinigten 
Staaten, und seine Ideen machten Jahrzehnte hindurch den Weg durch alle Lehr¬ 
bücher. Meine Herren! Es giebt viel Staub in anderen Theilen der Erde, es giebt 
schmutzige Strassen auch anderswo, obwohl unsere Metropole in den letzten Jahren 
einen sehr prominenten Platz in dieser Hinsicht einnahm — es giebt Leute, die 
schnell essen und trinken, überall, und doch findet man nirgends eine solche Masse 
von Leuten, die an Katarrh leiden, wie in diesem Lande. Was ist die Ursache 
hierfür? Ich fand keine genügende Erklärung für diese unbezweifelte Thatsache, bis 
ich selbst meine Untersuchungen aufnahm. Ich beobachtete die Art, wie man hier 
wohnt und arbeitet, und viele andere Faktoren des amerikanischen Lebens. Und 
vielleicht war ich besser geeignet für solche Betrachtungen, als diejenigen von Ihnen, 
meine Herren, welche in den Vereinigten Staaten geboren sind, da alles mir im An¬ 
fang fremd, vieles gerade das Gegentheil von dem, was ich zu sehen gewohnt war, 
und auf diese Weise natürlich meine Kritik unwillkürlich hervorrief. 

Wenn wir die Art und Weise, wie wir jetzt leben, vergleichen mit dem, wie 
man es vor hundert oder zweihundert Jahren that, so müssen wir eingestehen, dass 
wir zu einer sehr alten Methode zurückgekehrt sind. Wir sind — mutatis mutandis 
— nichts anderes geworden, als Höhlenbewohner, Troglodyten. In einem kleinen 
Zimmer verbringt der Durchschnittsmensch hier zu Lande 23 Stunden des Tages oder 
mehr. Das Zimmer ist nichts anderes als eine Höhle, mit der einzigen Ausnahme, 
dass sie von allen Seiten den grössten Theil des Tages und der Nacht fest ver¬ 
schlossen ist. Und es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir diese Höhle ein 
Zimmer in einem fashionablen Haus nennen, oder eine Schwitzbude. Das Zimmer 
ist meistens gegen die Invasion frischer Luft verschlossen. Wenn wir demgemäss 
von einem klimatischen Einfluss sprechen, und es existiert ganz entschieden ein 
solcher, so ist es das Klima der von uns bewohnten Zimmer, das wir studieren 
müssen. Es ist ganz gleichgültig, was die Temperatur oder das Feuchtigkeitsverhält- 
niss, was die Winde in Sandy Hock sind: die drei Millionen Einwohner unserer 
Stadt wohnen nicht dort, und es ist ohne Belang für sie, ob im Hafen von New-York 
sehr viel Feuchtigkeit ist oder nicht. Wenn manche Aerzte behaupten, es gebe so 
viel Katarrh in unserer Gegend wegen des grossen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft, so 
müssen wir eine derartige Behauptung als ganz irrig hinstellen. Von zu viel 
Feuchtigkeit entsteht nie und nimmer ein Katarrh, und besonders nicht jene Form des 
Katarrhs, welche Sie so sehr häufig sehen, und das ist der sogenannte trockene Katarrh. 

Da ich diesen Punkt für ausserordentlich wichtig halte, so werden Sie es mir 
verzeihen, wenn ich noch ein wenig länger dabei verweile. Vor mehr als zehn 
Jahren fing ich meine Untersuchungen über die Menge der Feuchtigkeit, die in 
unseren Hänsern zu finden ist, an, und ich war überrascht von den Resultaten, die ich 
erhielt. Es war schon von vielen Autoren festgestellt worden, dass die Atmosphäre 
in einem Zimmer im Winter mässig feucht gehalten werden sollte, d. h. sie sollte 
etwa zwischen 50 % und 60 % relativer Feuchtigkeit enthalten. Der niedrigste 
Punkt sollte nie unter 40°/ o relativer Feuchtigkeit hinuntergehen, während eine 


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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Racbenkatarrhs. 197 


solche von 70®/ 0 noch angenehm empfunden werde; selbst 75 % oder 80 °/ 0 relativer 
Feuchtigkeit werden nicht als ungesund betrachtet Nun habe ich im letzten Jahre 
von neuem Versuche gemacht, und ich habe niemals eine relative Feuchtigkeit von 
50°/« in den Häusern New-Yorks gefunden. Wenn die Aussentemperatur um den 
Gefrierpunkt herum sich bewegte, habe ich selbst 40 °/ 0 nie beobachtet. Das höchste 
waren 30 %; aber 25 °/ 0 , oder 20 %, oder selbst 18 % relativer Feuchtigkeit waren 
nichts Ungewöhnliches, wenn das Wetter sehr kalt war und wenn dasselbe eine ge¬ 
wisse Zeit hindurch anhielt, d.h. also, wenn die Zimmer garnicht oder sehr wenig 
gelüftet wurden. Wie kommt es nun, dass wir von Trockenheit leiden, während eine 
Atmosphäre, die mit Feuchtigkeit überladen ist, uns von allen Seiten umgiebt? Ich 
habe das in einem Artikel im Jahre 1895 bereits auseinandergesetzt. Heute erlaube 
ich mir nur einen Faktor, der sehr gewöhnlich in dieser Beziehung ist, zu erwähnen, 
and das ist die Heizung unserer Zimmer. 

Wie mir gesagt wird, zieht der mexikanische Bauer, sobald er in seine kalte 
Hütte eintritt, einen schweren Bock an. Er heizt seine Hütte nicht, weil er glaubt, 
dass dort, wo ein Ofen existiere, auch Tuberkulose erscheine. Vielleicht ist etwas 
Wahrheit in diesem naiven Vorgehen. Thatsache ist, dass jede Form künstlicher 
Heizung für die Gesundheit schädlich ist, am allerschlimmsten aber ist die Heizung 
mit heisser Luft. Sie alle wissen, wie dieselbe in unseren Häusern hier vor sich 
geht. Die Luft wird, nachdem sie von aussen her in den Ofen hereingebracht ist, 
und zwar meistens aus der Nähe des Bodens von der Küche her, in dem Ofen im 
Keller erhitzt und dann in die Zimmer getrieben. Diese unreine Luft wird erhitzt, 
d. h. sie wird des grössten Theils oder aller ihrer Feuchtigkeit beraubt, und in 
diesem Zustand der Trockenheit erreicht sie die Zimmer, in denen wir wohnen. 
Dort hat sie natürlich den Effekt, die vorhandene Luft auszutrocknen, und es ist 
ganz klar, dass je kälter die Aussentemperatur ist und je mehr der Ofen geheizt 
wird, desto trockener wird die Luft in unseren Zimmern sein. Um Ihnen nur ein 
Beispiel zu geben, wie die Trockenheit heruntergedrückt wird, möchte ich hier ein 
Hospital anführen, das hygienisch ausserordentlich günstig dasteht. Es befindet 
sich ziemlich ausserhalb der Stadt auf einem Hügel und hat alle modernen Vor¬ 
theile der Ventilation, die man für ein Hospital haben kann. Trotzdem aber und 
trotz der Thatsache, dass meine Untersuchungen dort bereits während des milden 
Wetters vorgenommen wurden, fanden wir noch immer einen ausserordentlich niedri¬ 
gen Prozentsatz der relativen Feuchtigkeit vor. Die Verhältnisse waren wie folgt: 


Saal E. Acht Betten. 


Datum 

Tageszeit 

Temp 

im 

Freien 

Fahr. 

eratur 

im 

Zimmer 

Fahr. 

Relative 

Feuchtig¬ 

keit 

% 

Bemerkungen 

11. März 

8 Uhr vormittags 

53 

65 

41 



12 » mittags 

54 

65 

45 

Fenster geöffnet. 


4 » nachmittags 

58 

67 V 8 

45 

do. do. 


A 

A 

00 

56 

68 

44 1 

do. do. 

12. » 

8 » vormittags 

54 

65 

35 



12 » mittags 

59 

61 

361/2 

do. do. 


4 » nachmittags 

60 

63 

39 

do. do. 


i 8 » » 

62 

61 

29 



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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






198 


W. Freudenthal 


Saal B. Zwei Betten. 


Datum 

Tageszeit 

Temp 

im 

Freien 

Fahr. 

eratur 

im 

Zimmer 

Fahr. 

Relative 

Feuchtig¬ 

keit 

% 

Bemerkungen 

14. März 

8 Uhr vormittags 

54 

61 V« 

26 

Fenster geöffnet. 


12 » mittags 

50 

60 

28 

do. do. 


4 9 nachmittags 

48 

61 

27 

do. do. 


8 » 9 

50 

78 

22 


15. » 

8 9 vormittags 

46 

68 V 2 

21 



12 9 mittags 

50 

7D/2 

25 



4 9 nachmittags 

48 

72V2 

28 


16. j> 

8 9 vormittags 

46 

68 V 2 

34 



12 9 mittags 

50 

70 

32 

Thür do. 


8 9 nachmittags 

59 

71 

3! 

do. do. 


Rauchzimmer. 


14. März 

8 

Uhr 

vormittags 

50 

79V2 

26i/ 2 



12 

9 

mittags 

54 

59 

24 

Fenster geöffnet. 


8 

9 

nachmittags 

50 

78 

22 


15. 9 

12 

9 

mittags 

50 

7U/2 

20 



4 

9 

nachmittags 

48 

76 

22 



8 

9 

9 

46 

69 

19 


10. 9 

8 

9 

vormittags 

46 

78i/ 2 

29i/ 2 

Thür do. 


12 

9 

mittags 

50 

76 

25 



8 

9 

nachmittags 

50 

78 

23i/ 2 



Saal A. Acht Betten. 


10. März 

8 Uhr 

vormittags 

52 

65 

401/2 

Fenster geöffnet. 



12 

9 

mittags 

53 

64 

371/2 

do. 

do. drei Stunden lang. 


4 

9 

nachmittags 

57 

631/2 

351/2 





8 

9 

9 

56 

65 

34 

do. 

do. 


11. 9 

8 

9 

vormittags 

53 

67 

38i/ 2 

do. 

do. 

des Nachts. 


12 

9 

mittags 

54 

66 i ' 2 

40 

do. 

do. 



4 

9 

nachmittags 

68 

67i/ 2 

42 

do. 

do. 



8 

9 

» 

56 

68 

40 




12. 9 

8 

9 

vormittags 

54 

66 

35 

do. 

do. 

des Abends. 


12 

9 

mittags 

59 

68 i / 2 

29 

do. 

do. 



4 

9 

nachmittags 

60 

681/2 

25 

do. 

do. 



8 

9 

9 

57 

67 

29 

do. 

do. 



Saal D. Acht Betten. 


10. März 

8 Uhr vormittags 

52 

62 

1 

39 

Fenster geöffnet. 


12 9 mittags 

53 

63 

39 



4 9 nachmittags 

57 

65i / 2 1 

36 

do. do. 


89 9 

56 

63 

37 



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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 199 


Saal C. Drei Betten. 


Datum 

Tageszeit 

Tempi 

im 

Freien 

Fahr. 

eratur 

im 

Zimmer 

Fahr. 

Relative 

Feuchtig¬ 

keit 

°/o 

Bemerkungen 

20. März 

8 Uhr 

vormittags 

54 

63 

39 V* 

Thür geöffnet 


. 12 

» 

mittags 

56 

61 

38 

do. 

do. 


4 

» 

nachmittags 

58 

64 

35 

do. 

do. 


8 

» 

» 

56 

65 

33 

do. 

do. 

21. » 

8 

» 

vormittags 

55 

69 

37i/ 2 

do. 

do. 


12 

» 

mittags 

58 

70 

35 

do. 

do. 


4 

» 

nachmittags 

60 

68 

351/2 

Fenster do. 


8 


» 

56 

70 

34 

do. 

do. 

23. * 

8 

» 

vormittags 

57 

70 

40 




12 

» 

mittags 

60 

68 

45 

do. 

do. 


8 

» 

nachmittags 

59 

70 

30 

do. 

do. 


Saal G. Sieben Betten. 


20. März 

i 8 Uhr 

vormittags 

64 

62 

35 



12 

» 

mittags 

56 

65 

32i/ 2 



8 

» 

nachmittags 

56 

68 

31 


21. » 

8 

» 

vormittags 

55 

70 

33 



12 

* 

mittags 

58 

71 

32 



8 

» 

nachmittags 

57 

70 

311/2 

Thür geöffnet. 

22. > 

8 

» 

vormittags 

57 

69 

38 

Boden geschrubbti). 


12 

» 

mittags 

60 

63 

57 

do. do. aber ober¬ 








flächlich aufgewischt. 


8 

» 

nachmittags 

59 

68 

27 



Saal A. Vier Betten. 


8 Uhr 

vormittags 

57 

61 

30 

4 » 

nachmittags 

58 

Ö 8 V 2 

39 

8 » 

» 

57 

67 

39 

8 » 

vormittags 

53 

64 

41 

12 » 

mittags 

56 

64 

46 

8 » 

nachmittags 

57 

60 

50 

8 » 

vormittags 

44 

56 

34 

12 > 

mittags 

54 

58 

33 

! 8 » 

I 

nachmittags 

55 

60 

31 


Thür geöffnet, 
do. do. 

do. do. 

do. do. 

Regen, 
do. 
do. 
do. 



Saal C. 

24. März 

8 Uhr vormittags 

57 


4 » nachmittags 

58 


8 » » 

57 

25. » 

8 > vormittags 

53 


12 » mittags 

56 


8 » nachmittags 

44 

26. ® 

8 » vormittags 

44 


12 » mittags 

54 


8 » nachmittags 

55 


Acht Betten. 

Fenster geöffnet, 
do. do. 

do. do. 

do. do. 

do. do. 

do. do. Regen, 

do. do. 

do. do. 

do. do. 


68 

28 

66 

30 

70 

30 

64 

38 

66 

39 

63 

4 U /2 

58 

38 

60 

35 

61 

1 32 


i) Wo die Bemerkung ist: »Boden geschrubbt«, da wurde das Zimmer ganz kurz vor der 
angegebenen Zeit feucht aufgewischt. 


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200 


W. Freudenthal 


Saal F. Vier Betten. 


Datura 

Tageszeit 

Tempi 

im 

Freien 

Fahr. 

eratur 

im 

Zimmer 

Fahr. 

Relative 

Feuchtig¬ 

keit 

°/o 

Bemerkungen 

28. März 

8 

Uhr 

vormittags 

40 

58 

23 >/* 

Thür 

geöffnet. 


12 

D 

mittags 

56 

67 

23 

do. 

do. 


8 

9 

nachmittags 

58 

68 

22 

do. 

do. 

29. » 

8 

9 

vormittags 

50 

64 

30 

do. 

do. 


12 

9 

mittags 

63 

66 

41 

Fenster do. geschrubbt. 


8 

9 

nachmittags 

54 

73 

38 

do. 

do. 

30. » 

8 

9 

vormittags 

45 

64 

221/a 

do. 

do. 


12 

9 

mittags 

57 

65 

23 

do. 

do. 


8 

9 

nachmittags 

58 

67 

22 

do. 

do. 




Saal B. 

Acht Betten. 



28. März 

8 

Uhr 

vormittags 

40 

63 

25 




12 

9 

mittags 

56 

69 

251/2 

Fenster geöffnet. 


8 

9 

nachmittags 

58 

70 

24 

do. 

do. 

29. » 

8 

9 

vormittags 

50 

71 

29 

do. 

do. 


12 

9 

mittags 

53 

68 

451/2 

do. 

do. geschrubbt. 


8 

9 

nachmittags 

54 

70 

30 

do. 

do. 

30. » 

8 

9 

vormittags 

48 

64 

25 

do. 

do. 


12 

9 

mittags 

67 

69 

33 

do. 

do. 


8 

9 

nachmittags 

58 

70 

32 

do. 

do. 


Diese Zahlen erhielten wir unter verhältnissmässig sehr günstigen Bedingungen. 
Gewöhnlich aber ist die Luft viel trockener. 

Diese trockene Luft nun müssen wir beständig einathmen, und von dieser Seite 
möchte ich die Aetiologie der chronischen Rhinitis, der chronischen Pharyngitis und 
des chronischen Retronasalkatarrhs betrachtet wissen. Ich glaube die Wahrheit 
dieser Behauptung schon für den Retronasalkatarrh bewiesen zu haben i), und es ist 
nur ein Schritt -weiter, die Richtigkeit derselben für den Katarrh der Nase und des 
Pharynx zu beweisen. 

In einer hervorragenden Versammlung dieser Stadt fand vor einigen Monaten 
eine Diskussion über atrophische Rhinitis statt. Alle möglichen Theorieen wurden 
vorgebracht, nur die plausibelste von allen wurde garnicht berührt. Das Haupt¬ 
symptom eines atrophischen oder trockenen Katarrhs ist die Trockenheit, und ist es 
nicht natürlich, dass die Trockenheit einer physiologisch feuchten Schleimhaut von 
der uns umgebenden Luft herrühren muss? Doch hat niemand daran gedacht. Eine 
der Funktionen der Nase ist es ja, wie Sie wissen, die eingeathmete Luft mit 
Feuchtigkeit zu sättigen. Dieses trifft nach meinen eigenen Experimenten noch mehr 
für den Nasenrachenraum zu. Wenn wir nun solche abnorm trockene Luft einathmen, 
so wird die Nase ihre Funktion eine ganze Zeit lang verrichten, bis die .Schleim¬ 
drüsen keine Feuchtigkeit mehr abzugeben haben. Zuerst wird durch die stärkere 
Inanspruchnahme aller Theile der Schleimhaut eine Hyperämie eintreten, dann eine 
Hypertrophie, und nach einer langen Zeit wird sich eine Atrophie herausbilden. Dies 


1) 1. c. 


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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Bachenkatarrhs. 201 


trifft auch mit einigen Modifikationen für den Pharynx zu, wenn der Prozess sich 
nach unten erstreckt. Diese Atrophie nun affiziert nicht nur die Schleimhaut, sondern 
die unterliegenden Knochen- und andere Gewebe, und wir erhalten das Ihnen allen 
bekannte typische Bild der atrophischen Rhinitis, das wir hier unzählige Male zu 
Gesicht bekommen. Zuweilen erreicht diese Atrophie einen ausserordentlich hohen 
Grad. In einem Fall, den ich vor nicht langer Zeit beobachtete, hatte dieselbe solche 
Dimensionen erreicht, wie ich sie nie vorher gesehen hatte. Alle mittleren und 
unteren -Muscheln der Nase waren zu reinen Rudimenten zusammengeschrumpft. 
Von der unteren Muschel links war kaum irgend etwas sichtbar. Und doch war 
nach genauer Untersuchung absolut kein Zeichen für eine luetische Infektion zu finden. 
Hopmann und Zaufal betrachten die gewöhnliche Atrophie der Nasenmuscheln als 
angeboren. Aber dies ist sicherlich nicht der Fall, da Zuckerkandel bei den 
25*2 Schädeln von jungen Kindern, die er darauf hin untersuchte, keine fand. Die 
Ursache hierfür liegt vielmehr in der Austrocknung der eingeathmeten Luft, ein Ein¬ 
fluss, der sich jahrelang hindurch geltend macht und der endlich in Atrophie endet 
Im Jahre 1896 erschien eine interessante Arbeit von Goodale in Boston 1 ), auf 
velche ich Ihre Aufmerksamkeit hinlenken möchte. 

In Deutschland scheinen die Bestrebungen der Hygieniker auf die Einrichtung 
von sogenannten Zentralheizungen hinauszulaufen, und man beneidet uns hier in 
Amerika gewissermaassen um die Fortschritte, die wir in dieser Beziehung gemacht 
haben. Von den verschiedenen Zentralheizsystemen, sagt Ervin v. Esmarch in 
seinem interessanten Büchlein 2 ), wird die Luftheizung kaum je in Mietshäusern zur 
Anwendung kommen, weil sie verhältnissmässig theuer im Betrieb ist und ihr Haupt¬ 
vorzug, die Räume stets mit frischer Luft zu versehen, vor der Hand wenigstens 
noch zu wenig von den Vermiethern wie den Mietern anerkannt wird. Ich glaube, 
dass, wenn man in Deutschland mehr Erfahrung mit der sogenannten Luftheizung 
haben wird, man dort auch die Schädlichkeiten, die sich hierbei einstellen, sehr bald 
herausfinden wird. Theoretisch sollen unsere Oefen auch vorzüglich arbeiten, prak¬ 
tisch aber haben sie sich absolut nicht bewährt, d. h. was die Gesundheit der Be¬ 
völkerung anbetrifft. 

Wenn ich jetzt von den therapeutischen Maassnahmen, die uns zur Verfügung 
stehen, spreche, so werden Sie sehen, dass jeder praktische Arzt, der überhaupt ein 
Instrument manipulieren kann, das meiste selbst ausführen kann. Bei der Behand¬ 
lung dieser chronischen Katarrhe ist der hygienische Theil der bei weitem wichtigste. 
Ein Klimawechsel ist oft von grossem Vortheil für diese Patienten. Wo sollen wir 
dieselben jedoch hinschicken, und zwar im Sommer? Wenn Sie erwägen, was ich eben 
gesagt habe, so werden Sie natürlich zu dem Schluss kommen, dass die Seeküste der 
beste Platz hierfür sei. Nun, sie ist es und ist es auch nicht. Baden in der See ist 
von grossem Vortheil in den allermeisten Fällen. Ausgenommen sind alte Personen, 
besonders solche mit Herzaffektionen, bei denen die wohlthätige Reaktion nach einem 
Seebade oft gar nicht eintritt. Es giebt aber andrerseits Leute, welche an die Seeküste 
gehen und doch nur in ihrem Zimmer baden. Solche Leute sollten besser zu Haus 
bleiben oder lieber in die Berge gehen. Durch das Baden in der offenen See werden 
die ganzen oberen Luftwege so gereinigt und stimuliert, dass sehr viele Patienten kaum 


r ) An experimental study of the respiratory functions of the nose. Boston medical and 
«tfgical Journal 1896. 6. November. 

*) Hygienische Winke für Wohnungssuchende. Berlin 1897. 


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202 


W. Freudenthal 


glauben, dass sie je irgendwelche Beschwerden in der Nase und im Rachen gehabt 
haben. Selbst Woakes, dessen Ansichten häufig verschieden von den ineinigen sind, 
erkennt in seinem ausgezeichneten Buch über »Postnasal Catarrh« an, dass »mit der 
Wiederkehr des Sommers und einem Besuch der Seeküste alle diese Symptome sich 
vermindern«. Wir können deshalb Schwimmen und Baden den allermeisten Leuten 
empfehlen, und ich möchte gleich hier hinzufügen, dass es so etwas wie eine »Kur« 
von 20 oder 21 Bädern bei unseren Patienten nicht gieht, ebensowenig gelten be¬ 
stimmte Regeln für die Dauer eines einzelnen Bades. Eine gesunde Person kann 
in dieser Beziehung sehr vieles thun, was für eine geschwächte Konstitution ein 
grosses Risiko wäre. Jahrelang habe ich während meines Sommeraufenthaltes an 
der Seeküste, welcher beiläufig etwa vier oder sechs Wochen betrug, täglich zwei 
Bäder genommen, und an sehr heissen Tagen blieb ich oft eine Stunde oder noch 
länger im Wasser, ohne den geringsten Schaden davon gehabt zu haben. 

Jedoch giebt es eine Klasse von Patienten, die sich an unserer Seeküste absolut 
nicht wohl fühlen. Wenn es heiss ist, fühlen sie sich durch die schreckliche Hitze 
bei fast absoluter Windstille und der ungeheuren Feuchtigkeit der Luft so gedrückt, 
dass sie kaum athmen können. Diese Verhältnisse sind natürlich in verschiedenen 
Gegenden verschieden. So habe ich häufig Patienten an die deutschen Gestade, an 
die Nord- und Ostsee, geschickt, wo dieselben sich ausserordentlich wohl fühlten. 
Leider können wir nicht alle Patienten dorthin schicken und für diese ist ein 
Aufenthalt in unseren Bergen, besonders wo sie zu gleicher Zeit kleine Flüsse 
oder Seen zum Baden vorfinden, von ausserordentlicher Wichtigkeit. 

Was fangen wir aber im Winter mit diesen Patienten an? Solche, die sich 
einen Klimawechsel gestatten können, gehen am besten dort hin, wo sie eine milde, 
feuchte Atmosphäre antreffen, und ich freue mich, dass Chiari 1 ) in dieser Beziehung 
mit meinen Ideen ganz übereinstimmt. Doch was können wir für die grosse Masse 
derjenigen Personen thun, die während des Winters zu Hause bleiben müssen? Da 
wir nicht, wie der mexikanische Bauer, in ungeheizten Häusern leben können, so 
müssen wir die Trockenheit unserer Zimmer in jeder erdenklichen Weise zu beseitigen 
suchen. Dass Fenster in jedem Zimmer, besonders vor dem Schlafengehen und auch 
während der Nacht geöffnet sein müssen, brauche ich hier nicht zu erwähnen. Ich 
rathe meinen Patienten jedes Mal, wenn sie eine Trockenheit in der Nase, im Hals 
oder auf den Lippen fühlen, einen Dampfinhalationsapparat in Thätigkeit zu setzen 
und den Dampf 5 — 20 Minuten lang einzuathmen. Ein wenig Salz, dem Wasser 
hinzugesetzt, ist sehr angenehm. Da diese Prozedur sicherlich harmlos ist, so kann 
man sie nach Belieben häufig wiederholen. Ich lasse es besonders vor dem Schlafen¬ 
gehen und unmittelbar nach dem Aufstehen machen. Es giebt jedoch Leute, die das 
nicht thun, da diese Vorschrift ihnen zu einfach erscheint. In solchen Fällen füge 
ich dem Wasser etwas Oleum pini sylvestris hinzu, oder Oleum therebinthae oder 
eucalyptol, oder ähnliche Drogen. Der erwartete Effekt liegt selbstverständlich nicht in 
den Arzneimitteln, sondern in der Feuchtigkeit, die so in direkte Berührung mit den 
Schleimhäuten gebracht und absorbiert wird. — Es wurden viele Apparate bereits em¬ 
pfohlen, um die heisse Luft, sowie sie aus dem Luftschacht in unsere Zimmer tritt, 
anzufeuchten. Jedoch haben dieselben sich praktisch ganz und gar nicht bewährt*). 

i) Siebe Heymann's Handbuch der Laryngologie Bd.2. S.281. 

*) Die meisten Deutschen, die hier herüberkommen, fühlen sich hier ausserordentlich un¬ 
behaglich in geheizten Zimmern, ohne aber den Grund hierfür, der eben in der sehr ungewöhnlichen 
Trockenheit der Zimmerluft besteht, zu kennen. 


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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 203 


Baden im Winter. Wie sollen wir im Winter baden, kalt oder warm? Es 
ist zweifellos, dass kalte Bäder im Winter sehr erfrischend wirken, und sicherlich 
ein Präventivmittel gegen Erkältungen sind. Ausserdem aber tragen dieselben wenig 
dazu bei, die unangenehmen Symptome unserer Patienten zu erleichtern. Die Menge 
Feuchtigkeit, welche während eines kalten Bades von ein bis zwei Minuten oder 
während einer kalten Douche von zwei bis drei Minuten absorbiert wird, ist ver- 
hältnissmässig gering. Wenn wir mehr Feuchtigkeit wollen, und mehr ist nothwendig, 
so muss ein längeres Bad, und zwar lauwarm, genommen werden. Meine Patienten 
entkleiden sich vollständig im Badezimmer, während das heisse Wasser, das hier in 
jedem Hause erhältlich ist, von einer Douche in das Bassin hineinläuft. Bevor das 
letztere halb mit heissem Wasser gefüllt ist, ist die ganze Atmosphäre des Zimmers 
mit Feuchtigkeit saturiert. Wenn wir dann etwas kaltes Wasser hinzufügen, so 
können wir mit Leichtigkeit die Temperatur des Bades so regulieren, wie es für 
jeden angenehm ist. Nach einem Bade von 10 Minuten bleibt der Patient noch etwa 
10, 15 bis 30 Minuten bekleidet oder nackt in dem Badezimmer. Wenn er sich 
kalt fühlt, so braucht er nur das heisse Wasser wieder anzudrehen, und in kurzer 
Zeit wird das Badezimmer wiederum mit heissem Dampf angefüllt sein. Wenn er 
vor oder nach dem Bade leichte gymnastische Uebungen mit Hanteln oder dergleichen 
macht, so wird das für ihn sicherlich nur von Vortheil sein. Die unteren Athmungs- 
wege werden so gleichfalls mit Feuchtigkeit gesättigt und stellen auf diese Weise 
eine Reservezufuhr von Feuchtigkeit dar für die Zeit, wenn die oberen Luftwege 
wieder trocken geworden sind. Dies sind Dinge, welche Jeder in seinem eigenen 
Hause machen kann, und ohne irgendwelche Extraausgaben. 

Schwimmbäder während des Winters, besonders wie sie in einigen Schulen 
eingeführt sind, können nur von ausserordentlichem Vortheil für die Kinder sein. 

Dass bei unseren Patienten viel frische Luft von der grössten Wichtigkeit ist, 
habe ich schon oben erwähnt, und ich möchte nur noch hinzufügen, das Spazieren¬ 
gehen, Reiten, Radeln, Golfspielen, Blaseball, Tennis und andere Spiele nicht warm 
genug selbst für die Winterszeit empfohlen werden können. Wenn Sie Ihre Kinder 
gesund erhalten wollen, dann thun Sie dasselbe, was ich mit den ineinigen thue. 
Lassen Sie sie gerade dann ausgehen, wenn es schneit und wenn es regnet, und 
lassen Sie die Gummischuhe und die Schirme bei den anderen Reliquien des ver¬ 
gangenen Jahrhunderts. Wenn Ihre Kinder im Schnee und Regen herumlaufen und 
warm werden, dann werden sie gesund sein. Wenn Sie sie immer bei solchen Ge¬ 
legenheiten zu Hause behalten, dann werden sie krank sein, und Sie sind dafür ver¬ 
antwortlich. »Czika stirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf«, sagt das unver¬ 
fälschte Zigeunerkind (von sich selber) in Spielhagen’s »Problematischen Naturen«, 
und es hat Recht! Der Aberglaube, betreffend die NothWendigkeit, Gummischuhe 
zu tragen, ist hier so tief in die weitesten Schichten eingedrungen, dass die Vor¬ 
steherin einer hiesigen Schule eines Tages mich zu sich bitten liess. Eines meiner 
Kinder war an einem Regentage ohne Gummischuhe in die Schule gekommen, und 
die Dame dachte, dass das gegen die Regeln der Schule wäre. Sapienti sat! 

Wir kommen jetzt zur Behandlung des Nasenrachenkatarrhs durch lokale Appli¬ 
kationen, worüber ich nur sehr wenig sagen möchte. Wenn grosse Hypertrophieen 
der Muscheln oder Affektionen der Nebenhöhlen, des lymphoiden Gewebes im Rachen 
oder andere pathologische Veränderungen vorhanden sind, die chirurgisch operiert 
werden sollten, dann muss dies natürlich .geschehen. Wenn die Hypertrophieen 
der Muscheln jedoch nicht so gross sind, dass sie die Athmung behindern, dann 


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W. Freudenthal 


sollten sie weder abgeschnürt noch kanterisiert werden. Wenn man den immer vor¬ 
handenen retronasalen Katarrh behandelt, dann sieht man gar zu häufig, wie diese 
scheinbaren Hypertrophieen sehr bald schrumpfen, und in vielen Fällen werden Sie 
sehen, dass die Hypertrophie hier wirklich nur eine scheinbare war und dass wir be¬ 
reits hier den Anfang einer Atrophie vor uns hatten. Ich bin in den letzten Jahren 
sehr skeptisch geworden in Bezug auf den Werth der Kauterisationen bei hypertrophi¬ 
schen Muscheln, da ich zu viele atrophische Katarrhe daraus hervorgehen sah. Wenn 
das hypertrophische Stadium bereits dem atrophischen Platz gemacht hat, ist unsere 
Aufgabe viel schwieriger. Wir müssen da zu allererst die Borken und Krusten aus 
der Nase entfernen. Ich lasse zu diesem Zwecke gewöhnlich Tampons einlegen, 
welche mit Ichthyol (5—25 «/<,) gesättigt sind, und lasse sie eine Zeit lang darin 
liegen. Wenn man dann den Retropharynx mit einer Lugol’schen oder irgend einer 
anderen Lösung reinigt, so sind die Patienten sehr leicht im stände, sämmtliche ein¬ 
getrockneten Sekrete durch Schnauben oder Blasen aus der Nase zu entfernen. Statt 
Ichthyol kann man auch eine Menge andrer Medikamente brauchen, die ich hier nicht 
weiter anzuführen beabsichtige. Jedoch giebt es manche Fälle, wo man mit diesen 
Maassnahmen nicht auskommt und ein Nasenspray oder Nasendouche empfohlen 
werden muss. Ich halte im allgemeinen diese Sprays und Douchen für ausserordent¬ 
lich schädlich, und ich glaube, dass dieselben mehr dazu beigetragen haben, Neben¬ 
höhlenentzündungen und Empyeme zu verursachen, als irgend etwas anderes. Es 
war Bresgen 1 ), der bereits im Jahre 1891 darauf aufmerksam gemacht hat und mit 
dem ich darin vollständig übereinstimme. Jedoch, wie ich eben gesagt habe, müssen 
wir in manchen Fällen die Nase ausspülen, und hierfür benutze ich gewöhnlich 
irgend einen Apparat, ähnlich dem von B. Fraenkel schon sehr lange empfohlenen, 
oder den kleinen Doucheapparat von Dessar, oder den von Birmingham, oder 
man kann irgend einen Esslöffel oder Theelöffel dazu benutzen. Protestieren möchte 
ich aber gegen den kritiklosen Gebrauch von täglichen Waschungen der Nase bei 
vollständig gesunden Kindern, wie es von einem hiesigen bekannten Laryngologen 
empfohlen wurde. Der Kollege glaubt, dass dasselbe Prinzip der Reinlichkeit schon 
seit langer Zeit in der Zahnheilkunde erfolgreich angewendet wurde, warum sollte 
der Rhinologe diesem nicht auch Folge leisten? Wenn wir in dieser Weise 
argumentieren, so verstehe ich nicht, warum der Kollege nicht tägliche Aus¬ 
waschungen des Magens empfiehlt. Wir würden sicherlich oft viel unverdaute 
Nahrung darin finden. Warum sollten wir nicht auch die Urethra und die Blase 
täglich auswaschen, warum nicht die Eingeweide mit einer antiseptischen Lösung 
irrigieren, und so weiter ad infinitum? Es giebt wenig Sachen, die, um es milde zu 
sagen, so zwecklos sind, wie die Nasendouche von gesunden Kindern mit alkalischen 
und ähnlichen Lösungen. 

Bei Reinigung der Nase bemerken wir oft einen sehr fötiden Geruch, der häufig 
aus dem Retropharynx stammt, wo sich Sekrete ja so sehr leicht ansammeln und zer¬ 
setzen können. Oft, wenn man einen derartigen Patienten zum ersten Mal sieht, ist 
dieser Gestank so markant, dass man geneigt ist, an eine Erkrankung der Neben¬ 
höhlen zu glauben. Ich habe derartige Massen häufig in allen Theilen der Nase 
und des Nasenrachenraums gefunden. Ich habe leider auch gesehen, dass an solchen 
Patienten Operationen an den Nebenhöhlen gemacht wurden, welche der operativen 


>) Wann ist die Anwendung des elektrischen Brenners in der Nase von Nutzen? Leipzig 1891. 
- Gefahren und Unzweckmässigkeiten der Nascnspüiungen. Die Praxis 1890. No. 15. 


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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 205 


Geschicklichkeit des betreffenden Rhinologen alle Ehre machten, jedoch dem Patienten 
absolut keine Erleichterung brachten. Nicht alles, was stinkt, ist eine Nebenhöhlen- 
erkrankung oder eine Ozäna. Man sieht häufig einen derartigen Fötor gänzlich ver¬ 
schwinden, nachdem man die lokale Behandlung der betreffenden Theile einige Zeit 
hindurch gründlich durchgeführt hat. 

Ich übergehe die grosse Masse der Maassnahmen, die Sie alle kennen, und die 
mit mehr oder minder Erfolg bei der lokalen Behandlung des Nasenrachenkatarrhs 
angewendet werden. Sie können dieselben in den bekannten Lehrbüchern leicht 
finden. Ich möchte nur noch auf zwei andere Methoden hinweisen, die ich in den 
letzten Jahren vielfach angewendet habe. Die eine ist die lokale Anwendung der 
Kohlensäure. Seitdem Achilles Rose dieselbe vor etwa drei oder vier Jahren 
in meiner Klinik zuerst versucht hatte, benutze ich dieselbe, und häufig mit grossem 
Erfolg für die Patienten. Ich habe sehr oft beobachtet, dass Kohlensäure, lokal auf 
die Schleimhaut gebracht, einen hyperämischen Zustand derselben hervorruft. Ich 
lasse dieselben noch in der alten Weise einathmen, indem ich sie jedesmal frisch 
mit Natrium bicarbonicum und Acidum tartarum zubereite, und die Patienten sagen 
sehr häufig: »Jetzt kann ich zum ersten Mal wieder gut athmen!« In manchen 
Fällen hat die Kohlensäure daher einen wirklich ausgezeichneten stimulierenden Effekt 
Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass der Retropharynx immer vorher von den 
adhärierenden Schleimmassen gereinigt sein muss, damit die Kohlensäure einwirken 
kann. Wenn der Retropharynx gereinigt ist, brauchen wir uns um die Nase nicht 
weiter zu kümmern, denn die Sekrete werden dann sehr leicht von selbst entfernt. 
Die Reinigung des Retronasalraums vor der Anwendung der Kohlensäure ist von der 
grössten Wichtigkeit, und da die Patienten dieses gewöhnlich nicht selbst zu Hause 
machen können, so ist das ein Grund, weshalb die Kohlensäure, zu Hause an¬ 
gewendet, für die Patienten meistens nutzlos ist. Ich habe bei meinen sehr zahl¬ 
reichen Beobachtungen in Bezug auf die Anwendung der Kohlensäure nur einmal einen 
toxischen Effekt gesehen. Es betraf einen Herrn von 73 Jahren mit Insufficienz der 
Mitralis. Nachdem derselbe etwa zwei Minuten lang das Gas inhaliert hatte, fiel er 
rückwärts und wäre vom Stuhl gefallen, wenn ich ihn nicht gehalten hätte. Er kam 
jedoch nach einigen Sekunden wieder zu sich, ohne weiteren dauernden Schaden 
davon behalten zu haben. 

Wie bei allen chronischen Krankheiten, so verliert auch hier ein und dasselbe 
Mittel seinen Effekt, nachdem es eine Zeit lang angewendet wurde. Wir müssen 
deshalb die Behandlung wechseln, und wir haben noch ein Mittel, um die inaktive 
Schleimhaut zu stimulieren, und das ist die direkte Massage der Schleimhaut. 

Michael Braun 1 ) aus Triest war der erste, der auf dem Berliner Kongress 
weitere Kreise für diese Behandlung zu interessieren suchte. Auch ich fing gleich 
nach dem Kongress mit diesen Versuchen an. Zu systematischer Arbeit wurde ich 
aber erst veranlasst durch die begeisterte Monographie Laker’s 2 ). Und wiewohl 
es mir bei der Lektüre seines Buches manchmal schien, als ob der Verfasser diese 
neue Behandlungsweise in etwas zu rosigem Lichte betrachtete, so musste ich mir 


1 ) Michael Braun, Massage, beziehungsweise Vibrationen der Schleimhaut der Nase, des 
Nasenrachenraums und des Rachens. Verhandlungen des zehnten internationalen medicinischen 
Kongresses. Berlin 1890. Abtheilung 12. S. 112. 

2 ) Carl Laker, Die Heilerfolge der inneren Schleimhautmassage bei den chronischen Krank¬ 
heiten der Nase etc. Graz 1892. 


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W. Freudenthal 


doch sagen, dass selbst bei der strengsten Kritik immer noch genügend znrückbliebe, 
um diese Therapie des Versuches zu würdigen. Doch bevor wir auf die Ausübung 
derselben näher eingehen, müssen wir die Frage beantworten: Welches ist der 
physiologische Effekt der Massage? Sie wirkt, und das ist die Hauptsache, 
regulierend auf die lokale Zirkulation des Blutes ein. Durch die Untersuchungen 
von Kronecker und Stirling wurde bewiesen, dass die Massage wie eine voll¬ 
kommene Perfusion (Durchspülung) wirkt, welche nicht nur neueft Nährstoff zuführt, 
sondern auch die asphyktischen (unbrauchbaren) Säfte sehr rasch abftthrt. Dies ge¬ 
schieht dadurch, dass die Massage auch auf den Lymphstrom einwirkt, denn es wird 
nicht nur der Lymphstrom beschleunigt, sondern auch der Rückfluss des venösen 
Blutes. So wirkt indirekt die Massage auch auf die Resorption normaler und 
pathologischer Gewebeflüssigkeiten ein. (Reibmayr.) 

Auf Grund dieser theoretischen Erwägungen und der von anderen erreichten 
Resultate entschloss ich mich nun im Jahre 1891, die Massage anzuwenden, doch 
bot mir die Ausführung derselben mancherlei Schwierigkeiten. Sie alle kennen die 
Berichte von Michael Braun, Laker, Herzfeld, Lahmann, Garnault u. a., und 
Sie wissen, dass die Erlernung der Vibrationsmassage eine ausserordentlich schwierige 
.ist. Sagt doch Laker selbst, dass man bei täglicher Uebung die Methode mit der 
Sondenmassage in einigen Monaten wohl erlernen könne. 

Wie schwierig dies aber ist und wie das ganze Resultat von der exakten Aus¬ 
führung derselben abhängig ist, davon giebt Garnault 1 ) eine sehr richtige Be¬ 
schreibung, indem er sagt: »II est absolument n£cessaire que les vibrations soient 
extremement rapides, qu’elles soient r^guli&res et de meme intensitA Ces trois 
conditions indispensables sont en meme temps insäparables. S’il n’en 6tat pas ainsi, 
on dechirerait la muqueuse, et l’on augmenterait l’inflammation, que l’on prdtend calmer«. 

Wenn man also die Methode, nicht richtig ausführt, schadet man mehr, als man 
nützt, und um sie richtig ausführen zu können, bedarf es einer täglichen Uebung 
•von mehreren Monaten. Dies sind doch Uebelstände, mit denen man sehr zu 
rechnen hat. Dies waren auch die Gründe, die mich trotz aller schon im voraus 
gemachten Einwürfe daran denken Wessen, als treibende Kraft nicht unsere Arm¬ 
muskulatur, sondern die Elektrizität heranzuziehen. Zu diesem Behufe konstruierte 
ich den elektrischen Vibrator, wie Sie ihn jetzt vor sich sehen. 

Der Mechanismus desselben ist in Kürze folgender: Zwei Magnete befinden 
sich im Innern des Hauptbestandteiles. Um dieselben läuft ein Draht in vielfachen 
Windungen. Die stossenden Bewegungen von hinten nach vorne werden von einem 
zwischen den beiden Magneten befindlichen Stabe ausgeführt, an dessen hinterem Ende 
eine eiserne Platte befestigt ist, die wiederum eine zweite Metallplatte trägt. An 
dem vorderen Ende des Stabes befindet sich ein abschraubbarer Theil, den ich die 
Sonde A nennen will. Das Knöpfende derselben, a, ist beweglich. Das Instrument 
ruht auf der Hand zwischen Daumen und Zeigefinger. Dabei wird der letztere in 
den seitlich angebrachten Halter E so weit vorgeschoben, dass er bequem auf den 
am vorderen Ende angebrachten Elfenbeinknopf I drücken kann. Am unteren, resp. 
hinteren Ende des Instrumentes sind zwei Schrauben für die elektrischen Drähte 
angebracht. Wenn ich nun auf den Elfenbeinknopf drücke, so wird der Strom ge¬ 
schlossen, die eiserne Platte durch den nun elektromagnetisch gewordenen Magneten 


i) Le ma8sage vibratoire et filectrique des muqueuses du nez, du pharynx et du larynx. La 
scmaine mgdicale 1892 S. 354. 


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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 207 


nach vorn angezogen und damit der ganze Stab natürlich auch nach vorn getrieben. 
Sowie aber die eiserne Platte vorn angelangt ist, ist auch der Strom direkt vor 
der Schraube unterbrochen, und die Platte fällt, durch Federkraft getrieben, so 
wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück. Kaum ist dies aber geschehen, so ist der 
Strom wieder geschlossen und das Spiel beginnt von neuem. Die Qualität und 
Quantität der Stösse ist durch die beiden am hinteren Ende befindlichen Schrauben 
zu regulieren. Was nun die Handhabung dieses Vibrators anbetrifft, so sind dazu 
absulut keine Vorkenntnisse erforderlich. Ich verbinde, wie Braun, die Vibrationen 
mit der Effleurage, indem ich den Apparat sehr langsam von einer Stelle zur anderen 
fortbewege. 

Um die Nase zu vibrieren, erweitere ich mir dieselbe mit einem Spekulum und 
benutze Sonde A. Will ich das Septum oder seitlich gelegene Theil berühren, so 
drehe ich das Knöpfende a nach rechts oder links; auch kann man dies oft dadurch 
umgehen, dass man den Kopf des Patienten durch leichte Seitwärtsdrehung in die 
passende Position bringt. 

Fig. 17. 



Um die Pars oralis des Pharynx zu vibrieren, benutze ich gleichfalls Sonde A 
mit gerade gestelltem Endstück. Für den Nasenrachenraum wende ich Sonde B an, 
indem ich deren bewegliches Ende gerade und dann nach oben stelle, um so alle 
Theile dieses Saumes treffen zu können (Fig. 17). 

Jeder, der ein Naseninstrument manipulieren kann, kann auch mit der grössten 
Leichtigkeit diesen Vibrator benutzen. Ich wende die direkte Massage jetzt fast aus¬ 
schliesslich für atrophische Affektionen in der Nase und am Hals an, und ich glaube, 
dass es für viele Fälle kein besseres Mittel giebt, um die inaktiven Drüsen wieder 
znr Aktivität zu bringen, als die direkte Massage der Schleimhaut. Auf diese Weise 
werden die Drüsen wiederum in den Stand gesetzt, Feuchtigkeit aufzunehmen und 
aufzubewahren, und wenn wir das allein erreichen, so ist schon viel für den Patienten 
geschehen. Ich wende kein anderes Mittel zusammen mit der Massage an, wie 
andere es empfehlen, jedoch lasse ich gleich nach der Massage den Patienten aus 
irgend einem Dampfapparat inhalieren. Auf diese Weise werden wir allen An¬ 
forderungen gerecht. 

Mit dem chronischen Katarrh der oberen Luftwege ist häufig noch ein Symptom 
verbunden, dessen sehr selten in den Lehrbüchern Erwähnung geschieht, das aber 
für manche Patienten sehr unbequem ist, und das ist das Schnarchen. Was ist 
Schnarchen? Während der normalen Athmung im Schlafe wird der weiche Gaumen 
durch den Luftdruck an die Zungenbasis gezogen, und auf diese Weise wird eine 


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208 W. Freudenthal, Prakt. Gesichtspunkte in d. Behänd!, d. chron. Nasen- u. Bachenkatarrhs. 


offene Passage zwischen der Nase und den Lungen hergestellt. Leute mit normalen 
Athmungsorganen sollten daher so ruhig schlafen »wie ein Kindt. Bei sogenannten 
Mundathmern jedoch hängt das Velum lose herab und wird mit jeder Athmung 
durch den Inspirations- und Exspirationsstrom hin und her bewegt, und auf diese 
Weise das bekannte Geräusch produziert. Es giebt jedoch eine Gruppe von Menschen, 
bei denen wir keine pathologische Grundlage für das Schnarchen finden. Ich muss 
hier wiederum diejenigen, Kinder besonders, ausschalten, bei denen grosse Massen 
von adenoidem Gewebe aus dem Nasenrachenraum entfernt worden waren. Der 
weiche Gaumen, der zuweilen durch lang anhaltenden Druck dieser aussergewöhnlich 
grossen Massen gezerrt worden war, braucht eine gewisse Zeit, zuweilen Monate, 
bevor die Restitutio ad integrum eintritt. Dies geschieht am schnellsten durch Berg¬ 
luft und durch eine im allgemeinen roborierende Diät. Die anderen Patienten aber, 
besonders erwachsene Leute, haben häufig diese »Schwäche«, die ich mir bei Ab¬ 
wesenheit aller pathologischen Ursachen nur auf folgende Weise erklären 
kann: Durch oft unbekannte Ursachen wird der weiche Gaumen erschlafft, und zwar 
häufig bis zu einem solchen Grad, dass er während des Schlafes nach hinten fällt 
und die Passage zwischen Nase und Hals abschliesst, besonders wenn der Patient 
auf dem Rücken liegt. Es ist leicht verständlich, wie auf diese Weise derselbe 
Effekt des Schnarchens hervorgebracht wird, als wenn irgend eine Masse, sei es ein 
Tumor oder eingetrocknete Sekrete, die Passage verstopften. Ich habe in solchen 
Fällen abwechselnd den galvanischen und faradischen Strom direkt auf das Velum 
appliziert und habe manche ausserordentlich gute Resultate zu verzeichnen. Ich 
möchte auch hier wiederum gegen gewisse »Erfindungen« und »Apparate« protestieren, 
welche selbst von hervorragenden Laryngologen empfohlen werden, um die Mund- 
athmung während des Schlafes bei Kindern zu verhüten. Diese Erfindungen bestehen 
gewöhnlich in irgend einer Bandagevorrichtung, welche um den Kopf und das Kinn 
herumgeführt werden, und den Zweck haben, den Mund während des Schlafes voll¬ 
ständig zu verschliessen. Ich halte dieselben für absolut gefährlich. Bei normalen 
Personen brauchen wir dieselben sicherlich nicht, denn jeder Mensch mit normaler 
Nase und normalem Hals hält den Mund während des Schlafes geschlossen. Mit 
anderen Worten, wenn irgend jemand mit offenem Munde schläft, so muss ein 
pathologischer Grund hierfür da sein. Entfernen Sie die Ursache, und wir brauchen 
keine weitern Erfindungen. Häufig tritt sogar bei Kindern, wie ich das sicherlich 
glaube, eine Schwellung der hinteren Theile der unteren Muschel während des 
Schlafes ein, und auch dies genügt schon, um die Athmung zu verlegen; wenn Sie 
nun dann den Mund eines Kindes auch noch durch irgend einen Apparat verschliessen, 
so ist die Gefahr der Erstickung ausserordentlich gross. Die Ursache aber, dass ein 
solcher Unfall bis jetzt noch nicht beobachtet worden ist, liegt nur darin, dass die 
Kinder es dennoch zustande bringen, die Lippen zu öffnen und durch die Zahnlücken 
hindurch zu athmen. 

Zum Schluss gestatten Sie mir nur noch zu sagen, dass ich es absolut nicht 
versucht habe, ein auch nur annähernd erschöpfendes Bild über den gegenwärtigen 
Stand dieser für jeden Praktiker so ausserordentlich wichtigen Frage zu geben. Ich 
bin zufrieden, wenn es mir gelungen sein sollte, Sie von der Wichtigkeit einiger 
weniger neuer Gesichtspunkte zu überzeugen. 


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Jlenzer, Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. 209 


II 

Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. 1 ) 

Aus der III. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin. 

(Direktor: Geh.-Rath Prof. Dr. Senator.) 

Von 

Stabsarzt Dr. Menzer. 

Der neuen Behandlungsweise des Gelenkrheumatismus liegt folgende theoretische 
Auffassung der Aetiologie zu Grunde. Der akute Gelenkrheumatismus ist ein eigen¬ 
artiges Krankheitsbild, nicht weil er einen spezifischen Erreger hat, sondern weil er 
eine durch besondere äussere und konstitutionelle Einflüsse bedingte Reaktion des 
menschlichen Organismus auf eine Allgemeininfektion mit parasitären Bakterien der 
oberen Luftwege darstellt. Nach allen neueren Untersuchungen handelt es sich so 
gut wie immer um Streptokokkeninfektionen, und dementsprechend ist die Behandlung 
diejenige mit einem Antistreptokokkenserum. Letzteres ist nach dem Prinzip Tavel’s 
hergestellt Dabei werden die von Menschen gezüchteten Streptokokken nicht durch 
Thierpassagen, z. B. bei Kaninchen, in ihrer Virulenz für diese Thiere gesteigert und 
dann zur Immunisierung grosser Thiere verwendet, sondern in möglichst origineller 
Beschaffenheit zu Massenkulturen auf Nährböden, welche, wie z. B. die Ascitesbouillon, 
im stände sind, die ursprüngliche Virulenz zu erhalten, angelegt und in steigenden 
Dosen grossen Thieren eingespritzt. 

Zur Immunisierung sind nur die von den Tonsillen von Rheumatikern isolierten 
Streptokokken in Anwendung gekommen. 

Das Serum ist kein antitoxisches, sondern ein antibakterielles. Durch seine Ein¬ 
verleibung werden dem menschlichen Organismus bakteriolytische Stoffe zugeführt. 

Dementsprechend macht die Einführung des Serums bei chronischem Strepto- 
kokken-Gelenkrheumatismus frische Entzündungen an kranken (nicht an gesunden) 
Gelenken — eine Fähigkeit, die nach Kon troll Untersuchungen normales Thierserum 
und auch Marmorek’s Antistreptokokkenserum nicht haben —, und im akuten 
Stadium des akuten Gelenkrheumatismus unterstützt das Serum die natürliche Heil¬ 
reaktion des Organismus. Es wirkt im Anfang entzündungssteigernd und temperatur¬ 
erhöhend, mit dem Abklingen der Erkrankung fördert es die Entfieberung, erzeugt 
bei geheilten Rheumatikern und auch bei Gesunden kein Fieber. 

Die Anwendung in etwa 20 akuten Fällen hat gezeigt, dass das Serum durch¬ 
aus nicht Schmerzen und Fieber zu unterdrücken vermag, wie dies Salicylsäure oft 
leistet, sondern nur den natürlichen Heilungsvorgang unterstützt und dadurch wieder 
etwas beschleunigt. Es werden nicht schmerz- und fieberfreie Intervalle wie bei 
der Salicylbehandlung beobachtet, dagegen treten die Affektionen an Gelenken, 


i) Autoreferat nach Vorträgen am 14. Mai 1902 in der Berliner medicinischen Gesellschaft 
und am 15. Mai 1902 in der Gesellschaft der Charitäärzte. 

Zeitaohr. t dilt u. phyBik. Therapie. Bd. VI. Heft 4 15 


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210 Menzer, Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. 

Endokard u. s. w. in kontinuierlicher Folge nach einander auf. Die Kranken be-, 
finden sich dann aber nach Eintritt völliger Entfieberung in voller Rekonvalescenz, und 
es wurden in der Zeit von 4—6 Wochen Recidive nach Eintritt der Heilung nicht 
beobachtet. 

Die Dauer der Gelenkaffektionen betrug durchschnittlich 5—6 Tage, diejenige 
des Fiebers etwa 6—7 Tage, der 14. Tag war durchschnittlich der erste Tag des 
Aufstehens. 

Auch die Endokarditis schien günstig beeinflusst zu sein. Bei den meisten 
Kranken waren im Verlauf der Erkrankung Herzgeräusche beobachtet worden, jedoch 
nur bei einem bereits zum dritten Male Erkrankten, welcher Arythmie, systolische 
und diastolische Geräusche hatte, blieb ein Klappenfehler zurück. 

Durch die Serumbehandlung konnte auch eine grössere Zahl chronischer 
Rheumatismen, welche bis zu mehreren Monaten schon nach allen möglichen 
Methoden (Salicylpräparate, Hydrotherapie, Massage u. s. w.) ohne Erfolg behandelt 
waren, in etwa 2—3 Wochen geheilt, bezw. wesentlich gebessert werden. 

Nachtheilige Folgen hatte die Einverleibung des Serums auch in Dosen bis zu 
50 ccm nicht, zuweilen trat etwas Röthung und Schwellung in der Umgebung der 
Injektionsstelle (Oberschenkel) auf, auch schwollen die Leistendrüsen bei einzelnen 
Kranken etwas an. Oefters wurden beim Abklingen des Fiebers Hauterscheinungen, 
wie Urtikaria, ferner theils fleckige, theils diffuse Erytheme u. s. w. beobachtet. 

Ein Nachtheil der Serumbehandlung ist noch die hohe Dosierung. Anfänglich 
waren 100—150 ccm für die Behandlung eines akuten Falles nothwendig. Von den 
in letzter Zeit verwendeten stärkeren Immunseren werden 50—75 ccm benöthigt, und 
täglich etwa 5—10 ccm eingespritzt. 

Die Anwendung des Antistreptokokkenserums gegen die Streptokokkenmisch¬ 
infektion der Phthise und in einem Falle von chronischer Streptokokkenbronchitis mit 
Emphysem hat ebenfalls Lokalreaktionen und Fieber hervorgerufen und in dem letzt¬ 
genannten Falle Heilung herbeigeführt. Hierin ist ein biologischer Beweis gegen die 
Annahme spezifischer Streptokokken als Erreger des Gelenkrheumatismus zu sehen. 

Bezüglich der Gewinnung des Antistreptokokkenserums bemerke ich noch, dass 
es von Herrn Dr. Landmann, dem Vorstand der bakteriologischen Abtheilung der 
Firma Merck in Darmstadt, und mir gemeinsam hergestellt wird. 


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Aug. Laqueur u. Wald. Loewcnthal, Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetznng. 211 


III. 

Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale 
hydrotherapeutische Prozeduren. 

Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin 
(Leiter: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Brieger). 

Von 

Dr. Angnst Laqueur und Dr. Waldemar Loewenthal. 

Assist, der Anstalt 


Als in der zweiten Hälfte das vorigen Jahrhunderts hauptsächlich unter Vor¬ 
angang von Winternitz die wissenschaftliche Untersuchung der Wirkung hydro¬ 
therapeutischer Maassnahmen in Angriff genommen wurde, wandte sich das Interesse 
der Forscher zunächst der Beeinflussung des Wärmehaushaltes, der Blutvertheilung, 
des Blutdruckes und anderer von vasomotorischen Vorgängen abhängiger Faktoren 
durch thermische Einwirkungen zu. Erst verhältnissmässig spät wurde die Verände¬ 
rung der Blutzusammensetzung durch hydrotherapeutische Eingriffe studiert. 

Wenn wir von der Beobachtung absehen, dass nach heissen Bädern, die mit 
Schweissau6bruch einhergehen, die Werthe für Hämoglobingehalt und Zahl der 
rothen Blutkörperchen infolge der Eindickung des Blutes steigen (Malassez), so 
sind als wichtigste Entdeckung auf diesem Gebiete die für die Leukocyten zuerst von 
Toeniessen, weiterhin von Grawitz, Winternitz und Rovighi unabhängig von 
einander gemachten Beobachtungen zu nennen, dass den ganzen Körper treffende 
Kälteprozeduren, wie sie für therapeutische Maassnahmen in Betracht kommen, 
den Hämoglobingehalt, das spezifische Gewicht des Blutes, sowie die 
Zahl der rothen und weissen Blutkörperchen im Kapillarblut erhöhen. 
Diese Befunde sind von einer Reihe von späteren Untersuchern bestätigt worden; 
was dagegen die Einwirkung anderer thermischer Einflüsse, wie extremer Kälte¬ 
anwendung, nicht bis zum Schwitzen fortgesetzter Wärmeprozeduren u. a. auf die 
Blutzusammensetzung betrifft, so herrschen hier unter den verschiedenen Autoren 
noch manche Widersprüche. 

War schon bei diesen Beobachtungen, die bei Einwirkung der Prozeduren auf 
die ganze Körperoberfläche gemacht waren, die Einsicht in das eigentliche Wesen 
der dabei auftretenden Blutveränderungen schwierig, so wurde die Frage noch mehr 
kompliziert durch die zuerst von Winternitz gemachte Mittheilung, dass auch 
lokale hydrotherapeutische Maassnahmen die Blutzusammensetzung sehr er¬ 
heblich beeinflussen, und zwar nicht nur am Orte der Applikation, sondern auch, 
uad zwar in entgegengesetztem Sinne, an entfernten Körperstellen. Winternitz 
fand nämlich, dass kalte Fussbäder, kräftige Strahlen- und Fächerdouchen auf Füsse 
und Unterschenkel und ähnliche lokale Kälteprozeduren eine Verminderung der 
weissen und rothen Blutkörperchen in Ohrläppchen und Fingerkuppe bewirken. 
Weiterhin theilte er mit, dass bei erregenden (d. h. kalten, sich allmählich unter 
Hervorrufung einer Reaktion erwärmenden) Umschlägen um die Waden am Orte der 

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212 


August Laqueur und Waldemar Loewenthal 


Applikation eine bedeutende Vermehrung der Blutdichte und Leukocytenzahl, an 
entfernter Körperstelle (Fingerbeere) eine entsprechende Verminderung eintritt Er 
fand z. B. nach einem solchen Wadenumschlag in der Wadenhaut eine Zunahme der 
rothen Blutkörperchen um fast eine Million, des Hämoglobingehaltes um 10°/ o und 
eine Verdoppelung der Zahl der Leukocyten; die Abnahme in der Fingerbeere war 
in dem angeführten Beispiele etwas geringer, betrug für die Erythrocyten aber 
immerhin noch eine halbe Million. Aehnlich starke Veränderungen fand Winter¬ 
nitz bei erregenden Umschlägen um den Leib. Umgekehrt fand er, dass im Gegen¬ 
satz zu den erregenden (d. h. anfangs kalten) Umschlägen bei heissen Umschlägen 
respektive Kataplasmen am Orte der Applikation eine sehr erhebliche Verminde¬ 
rung der Blutdichte zugleich mit Zunahme der Leukocyten eintrat. Diese Verminderung 
betrug für das Hb bis zu 22 °/ 0 , für die rothen Blutkörperchen bis zu 2,5 Millionen. 

Nebenbei sei erwähnt, dass Winternitz auch ohne jeden thermischen Eingriff 
eine Verschiedenheit der Blutzusammensetzung an den verschiedenen Körperstellen 
konstatierte, und zwar in dem Sinne, dass die Werthe für die Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen, Hämoglobingehalt und spezifisches Gewicht des Blutes vom Stamm nach 
der Peripherie zu abnahmen; z. B. fand er das Blut der Fingerbeere um 1,3 Millionen 
rothe Blutkörperchen ärmer als das der Bauchhaut. Angaben über solch auffällige 
physiologische Unterschiede in der Zusammensetzung des Blutes der verschiedenen 
Körperstellen sind, soweit wir haben finden können, sonst nur von Kosturin ge¬ 
macht worden, während neuere Untersuchungen mit »einem hohen Grad von Wahr¬ 
scheinlichkeit das Vorhandensein eines grösseren Unterschiedes in der Zusammen¬ 
setzung der von verschiedenen Körperregionen untersuchten Blutproben ausschliessenc 
(Reinert cit. nach Matthes). Auch unsere eigenen wenigen zur Orientierung über 
diese Frage unternommenen Untersuchungen haben keine wesentlichen Unterschiede 
in dieser Hinsicht ergeben. 

Abgesehen von Winternitz sind Angaben über die Wirkung lokaler hydro¬ 
therapeutischer Prozeduren auf die Blutzusammensetzung von anderen Autoren nur 
nebenher gemacht worden (Grawitz, Friedländer), und so erschien uns eine 
spezielle Untersuchung dieses auch theoretisch interessanten Gebietes wohl angezeigt 
Wir beschränkten uns bei unseren Versuchen ausschliesslich auf lokale, 
nur einzelne Körpertheile treffende Prozeduren. 

Untersucht wurde die Wirkungsweise hauptsächlich von erregenden und von 
warmen Umschlägen, ausserdem von prolongierten kalten Armbädern, von kalten 
Fussbädern, Fussdouchen und Kniegüssen von verschiedener Dauer. Die Blutunter¬ 
suchung wurde jedesmal vorgenommen unmittelbar vor Beginn und ein zweites Mal 
sofort nach Beendigung der Prozedur, oder, wo dies angängig war, noch während 
ihrer Anwendung nach Ablauf einer bestimmten Frist. Die Blutentnahme geschah 
bei all den lokalen Eingriffen, deren Fern Wirkung geprüft werden sollte, aus dem 
Ohrläppchen, in den Fällen, wo die Wirkung am Ort der Applikation der Prozedur 
geprüft werden sollte, aus der Fingerbeere. Es wurde bestimmt die Zahl der rothen 
und weissen Blutkörperchen, der Hämoglobingehalt (nach Fleischl), das spezifische 
Gewicht des Blutes (nach Hammerschlag’s Benzolchloroformmethode) und des in 
Grawitz’schen Kapillaren abgesetzten Blutserums (ebenfalls nach Hammerschlag). 
Bei der Zählung der weissen Blutkörperchen wurde in drei Kammern des Thoma- 
Zeiss’schen Zählapparates das ganze Netz durchgezählt, zur Zählung der rothen aus 
drei Kammern je vier, also zusammen zwölf grosse Quadrate zu je 16 Feldern. 
Durch Kontrollversuche hatten wir gefunden, dass bei Zählung von weniger Quadraten 


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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung. 


213 


die Fehlermöglichkeit zu sehr wuchs. Den Vergleichsresultaten, die sich bei der 
Hb-Bestimmung nach Fleischl ergaben, darf nur bei sehr eklatanten Unterschieden 
grösserer Werth beigemessen werden, da die Fehlergrenze hierbei immer mindestens 
5®/ 0 beträgt. Auch die Bestimmungen mit dem Gowers’schen Apparat, den wir zum 
Vergleich öfters heranzogen, sind nicht genauer. Die Bestimmung des spezifischen 
Gewichts des Blutes erwies sich bei Kontrollversuchen als einwandsfrei. Das Blut 
wurde zur Untersuchung vor und nach der Prozedur aus demselben Finger ent¬ 
nommen, bei Untersuchung aus dem Ohr ebenfalls bis auf wenige Male aus dem¬ 
selben Ohr, und es wurde dazu fast ausnahmslos ein neuer Einstich gemacht; die 
Blutentnahme zu den verschiedenen Proben war fast stets nach höchstens fünf Mi¬ 
nuten beendet. Als Versuchspersonen dienten Gesunde und leichter Kranke aus der 
Poliklinik und der stationären Abtheilung des Instituts. 


A. Erregende Umschläge. 

Die Umschläge wurden in der Weise appliziert, dass um den betreffenden 
h'örpertheil (Unterschenkel, Leib, Vorderarm mit Hand) ein in möglichst kaltes 
Wasser (9—11 0 C) getauchtes gut ausgewundenes Handtuch umgelegt und mit einem 
Flanelltuch gut überdeckt wurde. Nach anfänglichem Kältegefühl erwärmt sich die 
Haut und der Umschlag, die Hautgefässe erweitern sich, d.h. es tritt die typische 
Reaktion ein. Schon nach wenigen Minuten ist dies gewöhnlich der Fall und thut sich 
durch ein angenehmes Wärmegefühl an dem betreffenden Körpertheil kund. Wir Hessen 
die Umschläge circa eine Stunde lang liegen und untersuchten bei Umschlägen um 
Waden oder Leib nach Ablauf dieser Zeit das Blut aus dem Ohrläppchen, ohne den 
Umschlag zu entfernen, während wir bei Blutentnahme aus der Fingerbeere den Um¬ 
schlag um Hand und Arm nach dieser Zeit natürlich erst entfernen mussten. 

I. Erregende Umschläge um die Waden mit Untersuchung des Blutes 

des Ohrläppchens. 


Tabelle I. 


Name 

Rothe 

Blut¬ 

körperchen 

Leuko- 

cyten 

Spezif. € 

Blutes 

lewicht des 

Blut¬ 

serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

l. M. 

vorher 

4266 500 

7180 

1053,5 

1027 

85,5 

Umschlag um beide Waden. 


nachher 

4 216 500 
= (-) 

6440 

1051 

1027 

82,5 

Gute Reaktion. 

2. K. M. 

vorher 

nachher 

4 045 000 
3900000 

i 

1057 
1056,5 
= (-) 

1032 

1032 

99 

96,5 

Beide Waden. Umschlag nur 
wenig erwärmt. 

3. Frl. Tr. 

vorher 

4 935 000 

7815 

1055 

1030 

72,5 

Eine Wade. Haut massig 


nachher 

4 445 000 

9200 

1055 

1027 

72,5 

warm und geröthet. 

4. Mo. 

vorher 

nachher 

4 762 500 

4 450000 

6970 
6870 
= (-) 

1055,5 

1052 

1031 

1033 (Hb) 

97.5 

92.5 

Beidfc Waden. Haut wann. 

ö. Ke. 

vorher 

4 220 800 

10800 

1051 

1027 

97 

Beide Waden. Sehr gute 


nachher 

3820800 

6440 

1048 

1028 

+ 

90,5 

Reaktion. 

6. FrL Tr. 

vorher 

nachher 

4154000 

3 995 500 


1054 
1053,5 
= (-) 

1028 

1028,5 

=w 

85 

81,5 

Beide Waden. Ziemlich gute 
Reaktion. 

i 


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214 


August Laqueur und Waldemar Loewenthal 


Es ergiebt sich also gleichmässig eine Abnahme der Werthe für die ein¬ 
zelnen Blntbestandtheile im Ohrläppchenblut, die aber zum Theil noch innerhalb 
der Fehlergrenze liegt und auch in den anderen Fällen nicht sehr erheblich ist. Die 
höchste Differenz beträgt für die rothen Blutkörperchen 490 000, für die weissen 
4360, für das spezifische Gewicht 3,5 Tausendstel, für das H b 6,5 °/o • Nur einmal 
(Versuch 3) waren die Leukocyten vermehrt, bei gleichzeitiger Abnahme der anderen 
Werthe. 

II. Erregende Umschläge um den Leib mit Untersuchung des Blutes 

des Ohrläppchens. 

Tabelle II. 


Name 

Rothe 

Blut¬ 

körperchen 

Leuko¬ 

cyten 

Spezif. G 

Blutes 

lewicht des 

Blut¬ 

serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

1. Bi. vorher 

6 245 000 

8220 

1055 

1029 

98,5 

Gute Reaktion. 

nachher 

4 916 000 

11330 

1052,5 

1028,5 

91 



— 

+ 

— 

= (-) 

— 


2. He. vorher 

4 454000 


1057 


96 

Massige Reaktion. 

nachher 

4 787 000 


1056 


87,5 



+ 


— 


— 


3. Bo. vorher 

6 640000 

8220 

1057,5 

1025 

108,5 

Gute Reaktion. 

nachher 

5 225 000 

7600 

1056,5 

1026 

107 



— 

— 

— 

+ 

= (-) 


4. Frl. Bö. vorher 

4 718 400 

5460 

1052.5 

1027 

96,5 

Gute Reaktion. Zweite Ent- 

nachher 

4 634 400 

7000 

1053,5 

1027 

92,5 

nähme aus dem anderen 


= (-) 

+ 

+ 

= 

— 

Ohr. 

5. Fr. Br. vorher 

3 345 500 


1047 

1028 

76,6 

Ziemlich gute Reaktion. 

nachher 

3908000 


1051 

1028 

79 

Angst vor Aether und 


+ 


+ 

= 

+ 

Chloroform. 

6. Vo. vorher 

4 929 000 


1057,5 

1028 

106,5 

Gute Reaktion. 

nachher 

5400 000 


1057,75 

1030 (Hb) 

110,5 



+ 


= 

+ 

+ 


7. Fr. Bo. vorher 

4 304 150 

9060 

1050 

1027,5 

62,5 

Gute Reaktion. 

nachher 

4 078000 

6060 

1044,5 

1024,5 

57,5 


8. Fr. Bo. vorher 

4 879150 

6860 

1049 

1022 

62,5 

Gute Reaktion. 

nachher 

4 345 800 

6600 

1045,5 

1022,5 

51 



— 

= (-) 

— 

= 

— 



Wie sich aus der Tabelle ergiebt, sind die Resultate bei den erregenden Leib¬ 
umschlägen schon Weniger konstant als bei den Wadenumschlägen; immerhin ist 
auch hier im ganzen eine Abnahme der Werthe für die Blntbestandtheile im Ohr¬ 
läppchen nach der Prozedur zu konstatieren. Wie wir aus Beispiel 5 sehen, sind 
schon geringfügige Einflüsse im stände, das Versuchsresultat zu ändern. Bei der 
Versuchsperson erweckte nämlich der Geruch von Chloroform und Aether, die wir 
während des Versuches brauchten, unangenehme Erinnerungen an überstandene 
Laparatomieen, so dass ihr schon das Oeffnen der betreffenden Flaschen peinlich 


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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung. 


215 


war, und wie aus Grawitz’ Versuchen hervorgeht, sind Schmerz, Schreck und 
ähnliche psychische Erregungen sehr wohl geeignet, die Werthe für die einzelnen 
Blntbestandtheile zu beeinflussen. Aber auch ohne solche nachweisbare Einflüsse 
kann, wie aus Beispiel 6 hervorgeht, bei erregenden Leibumschlägen einmal statt 
einer Abnahme der Werthe im Ohr eine geringe Zunahme erfolgen. Noch weniger 
konstant als die anderen Werthe wurden die Zahlen für die Leukocyten durch 
diese Umschläge beeinflusst. 


111. Erregende Umschläge um Vorderarm und Hand mit Untersuchung 
des Blutes aus der Fingcrbcerc. 

Tabelle III. 


Name 

Rothe 

Blut¬ 

körperchen 

Leuko¬ 

cyten 

Spezif. C 

Blutes 

Jewicht des 

Blut¬ 

serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

I. Dr.Loe. vorher 

4 341500 


1059 

1027 

92,5 

Keine gute Reaktion. 

nachher 

4658000 


1059 

1027,5 

92,5 



+ 


= 

= (+) 

= 


1 Dr. La. vorher 

4175 000 

5930 

1058 

1030 

91,5 

Gute Reaktion. 

nachher 

4354 000 

6970 

1058 

1029 

94,5 



+ 

+ 

= 

— 



o. Dr. La. vorher 

4650 000 

7690 

1060.5 

1028 

95 

Gute Reaktion. Bei der ersten 

nachher 

4 562 000 

9065 

1060 

1028,5 

97 

Entnahme etwas gedrückt. 


= (-) 

+ 

= (-) 


( 

T 


4. Fr. Bo. vorher 

4200000 

10400 

1054,5 



Umschlag gut erwärmt; sub¬ 

nachher 

4200000 

10400 

1054,6 



jektiv Kältegefühl. 

ö. Gr. vorher 

4 750 000 

13 060 

1055 

1031 (Hb) 

76,5 

Umschlag mit Leinen be¬ 

nachher 

4 854000 

14 320 

1057 

1031 

82,5 

deckt, wenig erwärmt. 


+ 

+ 

+ 

= 

+ 

Geringe Stauung durch 







den Rockärmel. 

6. Prz. vorher 

4 645 800 

10400 

1052 

1025 

74,5 

Sehr gute Reaktion. 

nachher 

4800 000 

10 600 

1055 

1030 (Hb) 

80 



+ 

= (+) 

+ 

+ 

+ 


7. Dr. La. vorher 

5116 500 

7520 

1057,5 

1029 

95,5 

Umschlag ungleichmässig er¬ 

nachher 

4 937 500 

8400 

1058,5 

1030 

95 

wärmt. 


— 

+ 

+ 

+ 

= (— ) 



Es war a priori vorauszusetzen, dass die Befunde bei Blutentnahme am Orte 
der Applikation der erregenden Umschläge die entgengesetzten Resultate liefern 
müssten, als bei Untersuchung am entfernten Körpertheil. Diese Voraussetzung hat 
sich auch im allgemeinen bestätigt; jedoch entsprechen die Zahlen für die Zunahme 
der Werthe am Orte der Applikation an Grösse der Differenz nicht der vorher er¬ 
wähnten Abnahme an entfernten Körpertheilen. Nirgend war die Zunahme am Orte 
der Applikation eine sehr bedeutende, oft hielten sich die Veränderungen der Werthe 
vor und nach dem Umschläge innerhalb der Fehlergrenzen. 


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216 


August Laqueur und Waldemar Locwenthal 


B. Heisse Umschläge. 

Wir haben hier, um jede ungewünschte Abkühlung zu vermeiden, diese Um¬ 
schläge nicht wie heisse Kompressen ständig gewechselt, sondern haben zwischen 
das auf der Haut liegende, mit heissem Wasser getränkte leinene Tuch und das be¬ 
deckende Flanelltuch Duritschläuche resp. Aluminiumschläuche (nach Vorbild des 
Winternitz’schen Magenmittels) eingeschaltet, durch welche dauernd Wasser von 
45—49 °C Temperatur cirkulierte; dadurch wurde die Temperatur des Umschlages 
konstant hoch erhalten. 

I. Heisse Umschläge um die Wade. Blut am Ohrläppchen untersucht. 


Tabelle IV. 


Name 

Rothe 

Blut¬ 

körperchen 

Leuko¬ 

cyten 

Spezif. Gt 

Blutes 

iwicht des 

Blut¬ 

serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

1. St. 

vorher 

5 450 000 

13 441 

1061,5 

1028 

97,5 

Umschlag um eine Wade. 


nachher 

5 154 000 

14 067 

4- 

1057,5 

1027 

94 

Dauer eine Stunde. 

2. M. 

vorher 

4750 000 

7908 

I 

I 1052 

1026 

93,5 

Umschlag um eine Wade. 


nachher 

4 254 000 

7189 

1052 

1025,5 

83 

Dauer eine Stunde. 

3. N. 

vorher 

4 416 500 

1 

1055 

i 

| 

93 

Umschlag um eine Wade. 


nachher 

I 

4 258 000 

1 

1054 

i 

90 

Dauer 50 Minuten. 

4. W. 

vorher 

4 500000 

9159 

1053 

1027 

91,5 

• 

Umschlag um eine Wade. 


nachher 

4337000 

7696 

1055 

4- 

1025 

89 

Dauer eine Stunde. 

5. Nie. 

vorher 

4123000 

7080 

1053 

1029 

78,5 

Umschlag um eine Wade. 


nachher 

4 277 500 

5986 

1052,5 

1027,5 

78,5 

Dauer eine Stunde. 



+ ■ 

— 

1 = l—) 

. 

= 


6. Br. 

vorher i 

4 087 500 

8460 

1053 

! 1030 

87 

Umschlag um eine Wade. 


nachher 

3 770 150 

11400 

-f 

1049 

1027 

77,5 

Dauer eine Stunde. 

7. K. 

vorher j 

4 183 300 

7320 

1056,5 

1026 


Umschlag um eine Wade. 


nachher , 

3 995 800 

7000 

1053,5 

1026 


Dauer eine Stunde. 


i 

! 



, 





Wir haben also nach heissen Wadenumschlägen in der besprochenen Form 
im ganzen dieselben Resultate bei Untersuchung des Blutes aus der entfernten 
Körperstelle bekommen, wie bei den erregenden Umschlägen um die Waden, d. h. 
geringfügige Abnahme der Werthe für die einzelnen Blutbestandtheile oder auch 
Gleichbleiben derselben. Auch für die Leukocyten ist eine konstant verschiedene 
Wirkungsweise der erregenden und der warmen Umschläge aus der Tabelle nicht zu 
entnehmen. 


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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung. 


217 


II. Heisse Umschläge um Hand und Unterarm. Blut am Orte 
der Applikation (Fingerbeere) untersucht. 

Tabelle V. 


Name 

Rothe 

Blut- 

| körperchen 

Leuko¬ 

cyten 

Spezif. Gc 

Blutes 

iwicht des 

Blut¬ 

serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

1. Bo. 

vorher 

4 012 500 

9 960 

I 

1054 

1031 

76,5 1 

Dauer eine Stunde. 


nachher 

3 993 750 

12 720 

1056 

1030 

77 




= (-) 

+ 

+ 

— 

= (+) 


1 Bo. 

vorher 

4204 160 

9 000 

1054 

1027,5 

75 

Dauer eine Stunde. 


nachher 

4 216 500 

11200 

1053 

1028 

73 




= (+) 

+ 

— 

= (+) 

— 


3 . F. 

vorher 

4166 500 

9 060 

1051 

1027 

79 

Dauer eine Stunde. 


nachher 

4 195 800 

10 260 

1052,75 

1027 

80 



1 

= (+) 

+ 

+ 

= 

= (+) 


4. Dr.Loe. vorher 

4 620 800 

9030 

1060 


88,5 

Dauer eine Stunde zehn 


nachher 

4 779 150 

9330 

1060,5 


89,5 

Minuten. 



+ 

+ 

= (+) 


= (+) 


3. Bo. 

vorher 

4287 500 

5660 

1049,5 

i 

67,5 

Dauer 45 Minuten. 


nachher 

4 412 500 

4860 

1051,5 


62,5 




+ 


+ l 

i 

— 



Hier sind die Werthe im wesentlichen gleich geblieben, nur die Leukocyten 
zeigen mit Ausnahme von Versuch 5 eine Zunahme. Wir konnten also auch am 
Orte der Applikation ebensowenig wie am entfernten Körpertheil eine direkt ent¬ 
gegengesetzte Wirkung der heissen und der erregenden Umschläge auf die Blut¬ 
zusammensetzung konstatieren. Es sei aber hervorgehoben, dass die Einwirkung der 
heissen Umschläge in dieser Beziehung noch weniger intensiv ist, als die der erregen¬ 
den, was besonders bei Blutuntersuchungen am Orte der Applikation hervortrat. 


C. Kurze Kälteeinwirkungen auf die F&sse. 

Ebenso wie die erregenden Umschläge gehören auch kurze Kälteeinwirkungen 
auf die Unterextremitäten (kalte Fussbäder, kalte Douchen auf die Füsse, Knie¬ 
güsse etc.) zu den Prozeduren, die bei richtiger Anwendung durch Herbeiführung 
einer Gefässreaktion Hyperämie des betreffenden Theiles hervorrufen und so »ab- 
leitend« von entfernten Körperstellen wirken. Winternitz hatte bei diesen Pro¬ 
zeduren meistens eine Verminderung der rothen und weissen Blutkörperchen sowie 
des Hämoglobingehaltes im Blute des Ohrläppchens konstatieren können. 

Für unsere diesbezüglichen Versuche sei nun bemerkt, dass dabei jene erwähnte 
ableitende Wirkung selbst bei guter lokaler Reaktion öfters nicht deutlich in Er¬ 
scheinung trat; denn wir Hessen bei Anwendung dieser Prozeduren zu Versuchs¬ 
zwecken die sonst dabei zur Vermeidung der »Rückstauungskongestion« gebräuch¬ 
lichen Kopfkompressen 'meist fort, um nicht durch lokale Kälteeinwirkung auf Kopf 
und Füsse gleichzeitig die Verhältnisse noch mehr zu komplizieren. 

Bei der Kürze der Prozeduren konnte hier die zweite Blutentnahme aus dem 


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218 


August Laqueur und Waldemar Loewcnthal 


Ohrläppchen nicht während der Anwendung, sondern unmittelbar nach Beendigung 
der Prozedur und erfolgter Abtrocknung (ohne Frottieren) geschehen. 

Wir gaben die Fussbäder in einer Dauer von V»—2 Minuten mit ca. 11° C 
kaltem Wasser, mit und ohne gleichzeitige Friktion der Fasse, sowie Kniegüsse, 
fliessende Fussbäder und kalte Sohlendouchen bis zu 10 Minuten Dauer. 
Die Resultate der bei diesen Prozeduren von uns angestellten Blutuntersuchungen 
waren derart wechselnd und offenbar von geringfügigen zufälligen äusseren Ein¬ 
wirkungen abhängig, dass wir von einer Mittheilung der ausführlichen Tabellen hier 
Abstand nehmen. Wir fanden nämlich unter 15 untersuchten Fällen eine deutliche 
Abnahme der Werthe für rothe Blutkörperchen, Hämoglobin und spezifisches Ge¬ 
wicht nur in zwei Fällen, eine geringe Zunahme dieser Werthe in sieben Fällen, unter 
denen bei drei eine deutliche Kongestion nach dem Kopfe während der Prozedur 
auftrat; in den anderen Fällen waren jene Werthe, im Blute des Ohrläppchens unter¬ 
sucht, überhaupt unverändert. 

Eine gesetzmässige Beeinflussung der Resultate durch Dauer und Art der Pro¬ 
zedur oder durch mehr oder minder guten Eintritt der Reaktion liess sich nicht 
feststellen. Nur die Leukocyten verhielten sich ziemlich konstant, denn sie zeigten 
nur zweimal eine Zunahme, in allen anderen untersuchten Fällen eine, wenn auch 
nicht sehr erhebliche Abnahme ihrer Zahl (bis zu 30°/ 0 ) im Blute des Ohrläppchens 
nach kurzer Kälteeinwirkung auf die Unterextremitäten. In Bezug auf die weissen 
Blutkörperchen stimmen also unsere Resultate mit den von Winternitz bei jenen 
Prozeduren gefundenem überein. 

Als Beleg für jede dieser drei erwähnten Wirkungen der kurzen Kälteprozeduren 
auf die Füsse sei hier je ein Beispiel angeführt. 


Kurze kalte Fussbäder. Blut am Ohrläppchen untersucht. 

Tabelle VI. 


Name 

Rothe 

Blut¬ 

körperchen 

Leuko¬ 

cyten 

Spezif. Ge 

Blutes 

wicht des 

Blut¬ 

serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

1. S. vorher 

3 960 000 

15 000 

1056 


65 

Dauer zwei Minuten. Gute 

nachher 

3 680 000 

11200 

1053 


62 

lokale Reaktion 

2. I. vorher 

4 648 000 

7 320 

1055 

1029 

82,5 

Dauer eine Minute. Gute 

nachher 

4 624 000 

6 000 

1055 

1029 

84 

Reaktion. 


= (-) 

— 

= 

— 

= (+) 


3. R. vorher 

3960 000 

10 920 

1052 

1028 

81 

Dauer eine Minute. Gute 

nachher 

4544 000 

7 120 

1056 

1032 

90 

Reaktion. Versuchsperson 


+ 

— 

+ 

+ 

+ 

leidet an leichtem Morb. 







Basedowii. 


D. Langdauernde lokale Kälteprozeduren. 

Obgleich solche Prozeduren nur etwa in der Form der sogenannten »Longetten- 
verbände« therapeutisch in Betracht kommen, hielten wir ihre Untersuchung für 
wichtig, um die reine Wirkung der lokalen Kälteapplikation* auf die Blutzusammen¬ 
setzung unter Ausschluss der Reaktion zu prüfen. Solche Versuche sind, ab¬ 
gesehen von Grawitz, der nach Aufbinden einer Eisblase auf den Leib Blutunter- 


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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung 


219 


suchungen machte, besonders von Friedländer angestellt worden. Friedländer 
beobachtete bei 40 Minuten bis 1 Stunde lang dauernden lokalen kalten Arm- und 
Handbädern in der Fingerbeere eine Abnahme der Werthe für rothe Blutkörperchen 
und spezifisches Gewicht des Blutes, und eine Zunahme der Zahl der weissen Blut¬ 
körperchen. 

Wir applicierten die Kälte in der Form, dass wir den mit Leinen umwickelten 
Unterarm mit der Hand in 7—10® kaltes Wasser brachten und 30—50 Minuten lang 
darin hielten. Nur in zwei Fällen nahmen wir statt des Armbades eine Berieselung 
des mit Leinen umwickelten Vorderarmes mit ebenso kaltem Wasser lange Zeit hin¬ 
durch vor. Nach anfänglichem Kälteschmerz trat, besonders bei den Armbädern, 
nachher Taubheitsgefühl in Hand und Arm und Hitzegefühl im übrigen Körper auf, 
am Schlüsse der Prozedur waren Hand und Arm vor Kälte fast unbeweglich, die 
Haut dabei kalt und geröthet. Aus diesen Gründen und wegen der Erkältungsgefahr 
konnten wir diese für die Versuchsperson sehr unangenehmen Untersuchungen nur 
wenige Male anstellen. 

Untersucht wurde die einen Male das Blut aus der Fingerbeere, die anderen 
Male aus dem Ohrläppchen. 

Langdauernde Kälteeinwirkungen. 

Tabelle VII. 


1. Blut aus dem Ohrläppchen untersucht. 


Nam e 

Rothe 

Blut¬ 

körperchen 

Leuko- 

cyten 

Spezif. Gi 

Blutes 

jwicht des 
| Blut¬ 
serums 

Hämo¬ 

globin 

Bemerkungen 

1. Fr. vorher 

4 760 600 

7000 

1057,5 

1032 

80,5 

Longettenverband 7—8° C 

nachher 

ö 163 300 

8120 

1058* 

1030 

81,5 

50 Minuten. 


+ 

+ 

= (+) 

— 

= (+) 


2. Dr.Loe. vorher 

5 191650 

8060 

1059,5 

• 1032 

78,5 

Armbad 11 o C 45 Minuten. 

nachher 

4 495 800 

10320 

1057,75 

1032 

73 



— 

+ 

— 

' = 

— 


3. Dr. La. vorher 

5 570 000 

6520 

1060,6 

1028 

87,5 

Armbad 10° C 43 Minuten. 

nachher 

4 854 150 

6860 

1060 

1030 

91,5 



— 

+ 

= (—*) 

+ 

-f 



2. Blut aus der Fingerbeere 

untersucht. 

1. L. vorher 

3950000 

8000 

1049,5 

1027 

72,5 

Longetten 45 Minuten. 

nachher 

4100000 

8400 

1052 

1026 

74,5 



+ 

+ 

+ 

— 

+ 


2. Dr. Loe. vorher 

5400000 

11060 

1061 

1029 

89,5 

Armbad 7<> C 40 Minuten. 

nachher 

4 862 500 

10 860 

1059 

1032 

91 



• — 

= (-) 

— 

+ 

= (+) 


3. Dr. La. vorher 

4 962 500 

7060 

1058 

1029 

91 

Armbad 7° C 35 Minuten. 

nachher 

4208 300 

6600 

1056,5 

1030 

89 

i 


— 

— 

— 

+ 

— 



Es lassen sich aus diesen wenigen Versuchen bindende Schlüsse nicht ziehen, 
um so weniger, als die Blutbefunde aus dem Ohrläppchen bei diesen Versuchen den 
Befanden am Orte der Applikation nicht entsprechen. Speziell die Leukocytcn 


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220 


August Laqueur und Waldemar Loewenthal 


haben hier, im Gegensätze zn den Friedländer’schen Resultaten, nur einmal eine ge¬ 
ringe Zunahme am Orte der Applikation gezeigt, an entfernter Stelle dagegen jedesmal 
zugenommen. Auffallend ist, dass bei diesen Versuchen die Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen an beiden Untersuchungsstellen sehr stärk alteriert wurde, ohne dass 
dem entsprechende Veränderungen von Hämoglobin und spezifischem Gewicht des 
Blutes parallel gegangen wären. Hämoglobinämie (Rothfärbung des abgesetzten 
Serums) haben wir nach keiner dieser intensiven lokalen Kälteapplikationen beobachten 
können. Es erscheint bemerkenswerth, dass die Stichwunden in den stark abgekühlten 
Fingern jedesmal stark und lange Zeit hindurch nachbluteten. 


Wenn wir nun versuchen, unsere Blutbefunde bei lokalen Applikationen mit 
den Theorieen, die zur Erklärung der nach Kälteeinwirkung auftretenden Blut¬ 
veränderungen bisher gegeben worden sind, in Einklang zu bringen, so muss vor 
allem bemerkt werden, dass alle diese Theorieen sich auf die Wirkung allgemeiner, 
die gesammte Körperoberfläche treffender Prozeduren beziehen. Selbst die 
Grawitz’sche Auffassung, welche die Veränderungen der Blutzusammensetzung von 
solchen des Blutdrucks und der Gefässweite abhängig macht, und die besonders 
nach der jüngst durch Becker erfolgten Anzweiflung der Cohnstein-Zuntz’schen 
Theorie zur Erklärung der Wirkung der Allgemeinprozeduren am meisten ein¬ 
leuchtend erscheint, reicht zur Erklärung der Aenderung der Blutdichte nach lokalen 
Prozeduren nicht aus. Denn wie schon Winternitz hervorhebt, lässt es sich schwer 
denken, dass ein lokaler Eingriff den Blutdruck an einer Körperstelle steigern und 
an der anderen vermindern solle, sodass das Blut dort eingedickt und an anderer 
Stelle verdünnt werde. Aehnliche Ein wände lassen sich gegen jede der gegebenen 
Theorieen erheben, solange man in natürlichem Zustande eine gleiche Zusammen¬ 
setzung des Blutes in den verschiedenen Gefässprovinzen annimmt. 

Und an dieser Stelle greifen die Eingangs erwähnten Befunde von Winter¬ 
nitz über das ungleichmässige Verhalten der Blutdichte in den verschiedenen Gefäss¬ 
provinzen ein. Diese Befunde aber stehen, abgesehen von Untersuchungen Kosturin’s, 
der Litteratur vereinzelt da, und auch uns gelang es in den wenigen zur Orientierung 
unternommenen Versuchen nicht, sie zu bestätigen. Ferner widersprechen ihnen 
Breitenstein’s Untersuchungen über das Verhalten des Venenblutes verschiedener 
Gefässgebiete, und Becker’s Befunde, die im Kapillar- und Venenblute annähernd 
gleiche Zahlen sowohl für rothe wie auch für weisse Blutkörperchen ergaben. 

Als hervorstechendes Resultat unserer Untersuchungen sei betont, dass wir einen 
prinzipiellen Unterschied zwischen der Wirkung erregender und heisser Umschläge 
in der von uns angewandten Form auf die Blutzusammensetzung nicht konstatieren 
konnten, weder am Orte der Applikation noch an der entgegengesetzten Körperstelle. 
Da nun aber die vasomotorische Wirkung erregender und heisser Umschläge offen¬ 
bar eine verschiedene ist, so geht auch daraus hervor, dass die Beeinflussung der 
Blutdichte durch lokale thermische Reize nicht von der vasomotorischen Wirkung 
dieser Reize allein abhängig sein kann. 1 ) 

Alle diese Erörterungen finden auf die Leukocyten, welche eine Sonder- 


') Aehnliche Schlüsse hat auch Friedländer aus Versuchen gezogen, die ergaben, dass all¬ 
gemeine kalte und warme, nicht bis zum Schwitzen fortgesetzte Prozeduren die Blutzusammen¬ 
setzung nicht in entgegengesetztem Sinne beeinflussen. 


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lieber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung. 


221 


Stellung einnehmen, keine Anwendung. Die Veränderungen der Leukocyten gehen 
unabhängig von denen der anderen Blutbestandtheile einher, wie auch aus unseren 
Versuchen hervorgeht. Es ist bemerkenswerth, dass bei lokalen hydrotherapeutischen 
Prozeduren die Veränderungen der Leukocyten am meisten Konstanz zeigen 
und auch quantitativ am bedeutendsten sind. Die Beeinflussung der Leukocyten 
durch diese Prozeduren geschieht im allgemeinen in dem Sinne, dass ihre Zahl am 
Orte der Applikation des thermischen Reizes, mag derselbe nun in lokaler Kälte 
oder in lokaler Wärme bestehen, vermehrt, an den entfernteren Stellen vermindert 
ist. (Nur bei protrahierten Kälteeinwirkungen scheint nach unseren Versuchen 
das umgekehrte Verhalten stattzuhaben.) 

Zur Erklärung des Verhaltens der Leukocyten sind komplizierte Theorieen, 
wie sie für die übrigen Blutveränderungen gegeben worden sind, nicht nothwendig, 
wenn wir jenen lokalen Prozeduren eine thermotaktische Wirkung zuschreiben, 
ähnlich wie sie Friedländer für allgemeine Prozeduren annimmt. Dass von 
diesem regelmässigen Verhalten der Leukocyten auch in unseren Versuchen ver¬ 
einzelte Ausnahmen Vorkommen, darf uns nicht Wunder nehmen; auch Winternitz 
fand bei lokalen Prozeduren das Verhalten der Leukocyten nicht immer konstant, 
und Goldscheider und Jacob haben gezeigt, dass der Hyperleukocytose nach 
einer allgemeinen Kälteprozedur (kühles Bad), wie sie von anderen Untersuchern stets 
angenommen wnrde, eine länger dauernde Hypoleukocytose vorausgehen kann. 

Fassen wir unsere Ergebnisse nochmals zusammen, so ergiebt sich: 

1. Lokale hydrotherapeutische Prozeduren können sowohl am 
Orte der Applikation als auch an entfernter Körperstelle eine 
Alteration der Blutzusammensetzung hervorrufen, doch hält 
sich diese Veränderung in verhältnissmässig engen Grenzen. 
Am konstantesten erweist sich diese Wirkung bei den erregen¬ 
den Umschlägen, während der Einfluss kurzer Kälteapplikatio¬ 
nen (Fussbäder etc.) auf die Blutzusammensetzung ein viel un- 
gleichmässigerer ist. 

2. Ein prinzipieller Unterschied zwischen erregenden und heissen 
Umschlägen konnte bezüglich der Beeinflussung der Blut¬ 
zusammensetzung nicht konstatiert werden. 

3. Von den einzelnen Blutbestandtheilen werden durch lokale 
Applikation hydrotherapeutischer Maassnahmen am meisten 
die Leukocyten beeinflusst, und zwar tritt meistens eine Ver¬ 
mehrung derselben am Orte der Einwirkung des thermischen 
Reizes, eine Verminderung am entgegengesetzten Körper 
theil ein. 

Für die therapeutische Bedeutung der lokalen hydriatischen Prozeduren mag 
von diesen Blutveränderungen das geschilderte Verhalten der Leukocyten noch am 
ehesten in Betracht kommen. Im übrigen aber bleibt für die therapeutische Wirkung 
dieser lokalen Eingriffe weniger die durch sie hervorgerufene meist unbedeutende 
Veränderung der Blutzusammensetzung als vielmehr ihr unbestrittener bedeutender 
Einfluss auf Blutvertheilung und -Cirkulation das Maassgebende. So bleibt 
denn auch der klinische Unterschied zwischen erregenden und heissen Umschlägen 
durch unsere Blutbefunde unberührt. 


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222 Aug. Laqueur u. Wald. Loewenthal, üeber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung. 


Zum Schlüsse erfüllen wir eine angenehme Pflicht, indem wir Herrn Geh. Med.- 
Rath Professor Dr. Brieger für die Anregung zu diesen Untersuchungen und das 
denselben gewidmete Interesse unseren ergebensten Dank aussprechen. 

Litteratur: 

Becker, Ueber die Veränderung der Zusammensetzung des Blutes durch vasomotorische 
Beeinflussungen, insbesondere durch Einwirkung von Kälte auf den ganzen Körper. Archiv für 
klin. Medicin Bd. 70. Heft 1 u. 2. 

Breitenstein, Wirkung leichter Bäder auf den Kreislauf Gesunder und Fieberkranker. Archiv 
für experim. Pathol. u. Pharm. Bd. 37. 

Friedländer, Ueber Veränderungen der Zusammensetzung des Blutes durch thermische 
Einflüsse. Blätter für klinische Hydrotherapie 1898. No. 2. (Auch Verhandlungen des XV. Kongresses 
für innere Medicin 1897. S. 383.) 

G r a w i t z, Klinisch-experimentelle Blutuntersuchungen. Zeitschr. für klin. Medicin Bd. 21 u. 22. 
Derselbe, Bemerkungen zu dem Artikel: Neue Blutuntersuchungen etc. von Winternitz. 
Centralbl. für innere Medicin 1894. No. 2. 

D e rBel b e, Ueber die Beeinflussung der Blutmischung durch kurzdauernde Kälteeinwirkungen. 
Centralbl. für innere Medicin 1899. No. 46. 

Goldscheider und Jacob, Ueber die Variationen der Lcukocytose. Zeitschr. für klin. 
Medicin Bd. 25. 

Knöpfelmacher, Ueber vasomotorische Beeinflussung der Zusammensetzung und physika¬ 
lische Beschaffenheit des menschlichen Blutes. Wiener klin. Wochenschrift 1893. No. 45 u. 46. 

Kosturin, Ueber die Verbreitung der rothon Blutkörperchen in den Kapillargefassen der 
Haut. Petersburger medicin. Wochenschrift 1880. No. 39. 

Matth es, Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie. Jena 1900. 

Strasser, Die Wirkung der Hydrotherapie auf Kreislauf und Blut. Wiener medidnische 
Presse 1899. No. 14 u. 15. 

Toeniessen, Ueber Blutkörperchenzählung beim gesunden und kranken Menschen. Diss. 
Erlangen 1881. 

Winternitz, Ueber Leukocytose nach Kälteeinwirkungen. Centralbl. für innere Medicin 
1893. No. 9. 

Derselbe, Neue Untersuchungen über Blutveränderungen nach thermischen Eingriffen. 
Centralbl. für innere Medicin 1893. No. 49. 

Derselbe, Neue Untersuchungen über Blutveränderungen unter thermischen Eingriffen. 
Blätter für klin. Hydrotherapie 1894. No. 4. 

Derselbe, Ueber die Wirkungsverschiedenheit erregender und warmer Umschläge. Blätter 
für klin. Hydrotherapie 1894. No. 10. 


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Fritz Rosenfeld, Ucber Roborat. 


223 


IV. 

Ueber Roborat. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von 

Dr. Fritz Rosenfeld, 

Volontärassistenten der Klinik. 

Eine Geschichte der Nährpräparate an die Spitze einer Arbeit über ein neues 
Nährmittel zu stellen, erübrigt sich. Theils hat eine grosse Zahl derselben nur 
ephemeren Charakter, so dass man heute sich kaüm mehr daran erinnern kann, was 
gestern Mode war, theils haben, zum mindesten in der häuslichen Krankenpflege, 
diese Präparate doch nicht das Zauberhafte geleistet, was man von ihnen erwarten 
zu können glaubte. 

Mit Recht hat G. Klemperer darauf hingewiesen, dass die quantitativen Ge¬ 
sichtspunkte vor allem die Wichtigkeit der Nährmittel bestimmen. »Nur in den hoch¬ 
gradigsten Schwächezuständen mögen sie in möglichst koncentrierter Form dem 
Kranken eingeflösst werden, und zu Nährklystieren finden sie unter Umständen 
nützliche Verwendung.« 

Anders verhält es sich wenigstens theoretisch mit den Eiweisspräparaten als 
Emährungsmittel. Seitdem die Pflüger’sehen Leitsätze in die Massen gedrungen 
sind, dass nur aus dem Eiweiss die Kraft der Muskeln und die Schärfe des Geistes 
stamme, sehen alle Fabrikanten und Erfinder von Eiweisspräparaten ihr Ideal darin, 
ein Präparat zu liefern, das das Fleischeiweiss möglichst ersetzen soll. Dazu müsste 
natürlich ausser der guten Ausnutzung der Preis billig genug sein. 

Eine dritte Bestimmung der Eiweisspräparate ist schliesslich die als Ernährungs¬ 
mittel im engeren Sinne. 

Für Armeen, Karawanen etc. wäre diese Art der Verproviantierung, auf einen 
möglichst kleinen Raum eine möglichst grosse Menge nährkräftigen Materials zu be¬ 
schränken, natürlicherweise sehr anzurathen. 

Die Zahl der Eiweisspräparate ist heute schon fast eine unendlich grosse. 
Ihrem Zwecke, das Nahrungseiweiss zu ersetzen, genügen sie alle mehr minder gut. 
Doch liegt ihr Hauptwerth nicht darin. »Es wird sich darum handeln, die Indika¬ 
tionen der guten und brauchbaren Nährpräparate, je nach dem einzelnen Krankheits¬ 
fälle, schärfer zu präcisieren« (v. Leyden). 

Die Richtung der Eiweisspräparate geht im grossen Zuge von den Peptonen 
and Albumosen zu den Kase'fnpräparaten einerseits, als deren fast idealer Typus 
wohl das Plasmon gelten darf. Auf der anderen Seite darf als Typus der aus dem 
Blot hergestellten Präparate wohl das Fersan gelten. Zwar liegen auch diesen 
beiden Präparaten gegenüber tadelnde Stimmen genug vor. Dem einen Autor »war 
das Plasmon so unangenehm, dass er es persönlich einen Tag nur mit grosser 
üeberwindung zu sich nehmen konnte«. Was das Fersan anbetrifft, so ist es leider 
für den allgemeinen Gebrauch zu theuer. 


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224 


Fritz Rosenfeld 


In der letzten Zeit ist nun ein neues Präparat auf den Markt gebracht worden. 
Loewy und Pickardt hatten sich die Aufgabe gestellt, die Bedeutung von reinem 
Pflanzeneiweiss für die Ernährung zu untersuchen. Es handelte sich dabei um die 
Beantwortung zweier Fragen. Es musste untersucht werden, ob das rein dargestellte 
Pflanzeneiweiss ebensogut ausgenutzt würde, wie das fhierische, und ob sich iso¬ 
dynamische Mengen beider Eiweissarten gegenseitig vertreten können. Die Verfasser 
konnten diese beiden Fragen auf Grund ihrer Untersuchungen, die sie mit Roborat 
angestellt hatten, bejahen. Damit war nun das rein dargestellte Pflanzeneiweiss in 
die Debatte gerückt und ich folgte gern der Aufforderung meines hochverehrten 
Chefs, des Herrn Geheimraths v. Leyden, das Roborat in der Krankendiätetik und 
in Stoflwechselversuchen genauer zu prüfen. 

Das Roborat ist ein weissgraues Pulver, das sehr fein zerrieben ist. Es hat 
keinen spezifischen Geruch und an und für sich keinen spezifischen Geschmack. Es 
kommt sehr auf die Zubereitung an, ob und wie es den Patienten schmeckt. In 
Form von Eierkuchen und Backwaare, Reis- oder Griesbrei wird es im allgemeinen 
sehr gern genommen. Giebt man'es in Milch oder Bouillon, so drängt sich, wenn 
es nicht sorgfältig nach den Angaben bereitet wird, der etwas mehlige Geschmack 
des. Präparates vor, da es sich dann in Klumpen zusammenballt, allerdings nicht so 
unangenehm, dass sich die Kranken weigern, das Präparat weiter zu nehmen. Es 
kommt eben bei dem Roborat alles auf die sorgfältige Zubereitung an. Am ein¬ 
fachsten verordnet man das Roborat in lauwarmer Milch, sorgfältig bis zur völligen 
Zertheilung umgertthrt. Eines besonderen Hinweises bedarf die Verwendung des 
Roborats für Backzwecke. In letzter Zeit hat man auch Roboratbrot für Zucker¬ 
kranke hergestellt. Dieses Brot, das nur 1 % Kohlehydrate enthalten soll, heisst 
Anamyl und schmeckt den Kranken, wenn sie vier bis sechs Wochen lang vollständig 
kohlehydratfrei gelebt haben, natürlich sehr gut. 

Der Eiweissgehalt des Roborats beträgt nach unseren Analysen, die mit dem 
Ergebniss von Loewy und Pickardt vollständig übereinstimmen, ca. 83%, die 
Ausnutzung desselben liegt zwischen 95 und 96 %. Berechnet man die Menge der 
N-haltigen Substanzen auf das Trockengewicht, so finden wir zwischen 94 und 95%; 
es steht also nach dieser Hinsicht das Präparat mit den besten Eiweissmitteln auf einer 
Linie, und seine Ausnutzung kommt der mittleren Ausnutzung des Fleisches gleich. 
Nach den Untersuchungen von Frentzel erwies sich das Roborat dem thierischen 
Eiweiss und zwar gerade dem kalorisch-höchststehenden vollkommen isodynam. 

Aus der Arbeit von Berju geht hervor, dass das Roborat ausserordentlich 
leicht aufgeschlossen wird. Dieser Forscher setzte das Roborat, sowie andere Nähr¬ 
mittel der künstlichen Verdauung aus. Er fand bei geeigneten Versuchsbedingungen, 
dass vom Roborateiweiss nach einer Stunde bereits 99,17 % verdaut waren, während 
von Plasmoneiweiss in dieser Zeit 67,06%, von Troponeiweiss 8,12% verdaut wurde. 
Natürlich darf, wie übrigens auch der Verfasser ausführt, die Bedeutung dieser Ver¬ 
suche für die einzelnen Präparate nicht zu hoch geschätzt werden,* da die künstliche 
Verdauung den natürlichen Verhältnissen nicht völlig gleichgesetzt werden darf. Aber 
es ist daran zu denken, dass ein so leicht aufschliessbares Nährmittel doch von Werth 
sein kann bei Ulcus ventriculi, sowie bei Darmerkrankungen, besonders bei Typhus. 

Ein besonderer Bestandtheil des Roborats ist das Lecithin, das im Roborat zu 
etwa 0,9 % enthalten ist. Seine Bedeutung und Wirkung ist auch heute noch nicht 
völlig aufgedeckt. Es ist hier nicht der Ort, diese ganze Frage aufzurollen, zumal, da 
in der nächsten Zeit aus der I. medicinischen Klinik darüber berichtet werden wird. 


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Ueber Roborat. 


225 


Es haben das Roborat in den letzten vier bis fünf Monaten etwa 150 Personen 
genommen. Die Mehrzahl dieser Patientinnen war anämisch, znm Theil waren es 
echte Chlorosen. Diese erholten sich bei der Roboratdiät rasch. Es lässt sich 
natürlich hier das post hoc propter hoc schwer umgehen. Doch waren einige Kranke 
dabei, bei denen früher alles andere (Eisen, Arsen, warme Bäder etc.) schon ver¬ 
sucht worden war. In diesem Falle darf der günstige Effekt wohl dem Lecithin zu¬ 
geschrieben werden. Wenigstens haben Kontrollversuche mit reinem Lecithin den 
gleichen Effekt gehabt. In dem einen wie in dem anderen Falle hob sich der Hämo¬ 
globingehalt sehr rasch. Auch aus der französischen Litteratur liegen genug Be¬ 
richte vor, nach denen das Lecithin blutbildend wirken soll. 

Der andere Theil unserer Kranken bestand aus Rekonvalescentinnen nach Schar¬ 
lach, Masern, Diphtherie, Angina, Erysipel etc. 

Es erübrigt sich, die Krankengeschichten anzuführen, nur auf eine soll kurz 
hingewiesen werden. 

Fräulein W., 22 Jahre, war am 4. Januar 1902 auf Station 16 der Charitä auf¬ 
genommen worden. Sie litt draussen an Blutbrechen und Magenbeschwerden und von den 
behandelnden Aerzten war die Diagnose auf Ulcus ventriculi gestellt worden. Sie wurde 
mit grossen Mengen Opium behandelt und es entwickelte sich ein hochgradiger Meteorismus 
des Abdomens nebst Stuhlverhaltung. Dieser Meteorismus hatte wieder zur Folge, dass 
Patientin alles brach, was sie zu essen bekam. In diesem Zustande wurde sie in die 
Charit4 eingeliefert, nachdem sie vier Tage lang alles, was sie zu sich nahm, gebrochen 
hatte. Auch in der Klinik brach sie in den ersten Tagen alles, was man ihr gab, eis¬ 
gekühlte Milch, Beeftea etc. Am Schlüsse gaben wir ihr Roborat, und das war das eih- 
rige, was sie hei sich behielt. Es gelang uns, ihr 30 g Roborat beizubringen. An diesem 
Tage schied sie 200 ccm Harn aus. N = 11,2. Damit war der Anfang gemacht zu einer 
besseren Ernährung, ganz im Sinne der Erfahrungen, die v. Leyden schon vor 18 Jahren 
veröffentlicht hatte. Als es ihr nach einigen Tagen wieder besser ging, schied sie bei einer 
Nahrung, die 2200 Kalorieen betrug (Patientin wog damals 72 Pfund), 1200 ccm Urin aus. 
N war = 6,6866i). 

Es wurden mit dem Präparate sechs Stoffwechselversuche angestellt an Re¬ 
konvalescentinnen der Station 16 der Charitö. Für die Erlaubniss hierzu spreche ich 
Herrn Oberarzt Blumenthal meinen besten Dank aus. Von diesen Patientinnen be¬ 
fand sich die eine, Fräulein Fo., in der fünften Woche nach der Entfieberung nach 
Scharlach. Sie war in der Charitö geblieben, weil sie hysterisch war. Die zweite 
Patientin, Fräulein H., war Rekonvalescentin nach Erysipel, die dritte und vierte, 
Fräulein S. und Fräulein Fe., nach Scharlach. Der fünfte und sechste Stoffwechsel¬ 
versuch wurde an Frau H. (50 Jahre alt) vorgenommen, die eines chronischen Ge¬ 
lenkrheumatismus wegen auf Station 16 aufgenommen worden war, um Lichtbäder 
zu bekommen, die aber sonst als gesund bezeichnet werden kann. Da alle sechs 
Versuche vollständig gleichsinnig ausfielen, so genügt es wohl, zwei zu veröffentlichen. 
Hinweisen möchte ich noch einmal auf die Zunahme des Hämoglobingehalts bei den 
einzelnen Kranken (s. oben). Untersucht wurde auf Stickstoff, Harnsäure, Phosphor¬ 
säure und flüchtige Fettsäuren, sowie auch qualitativ auf Indican. Allerdings wurde 
nicht in jedem einzelnen der sechs Fälle auf alle oben angeführten Faktoren unter¬ 
sucht. Ich lasse die Daten folgen: 

Frau H. ist im ersten Versuche vom 28. Februar bis 18. März. In der Vorperiode 
vom 28. Februar bis 6. März bekam sie 

an Eiweiss an Fett an Kohlehydraten 
104,6 g 74,03 g 371,76 g 

i) Die genaueren Zahlen sollen an anderer Stelle veröffentlicht werden. 

Zeitachr. f. di&t ul phyaüc. Therapie Bd. VI. Heft 4. Iß 


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226 


Fritz Rosenfeld 


Die Zahlen sind theils nach den Klemperer’schen Angaben, theils nach eigenen Analysen 
berechnet, die ebenso wie die von Jacob und B er gell (Zeitschrift für klinische Medicin 
Bd. 35) mit den Klemperer’sehen auch heute noch hinlänglich übereinstimmen. 

In der Versuchsperiode vom 6. bis 14. März (der 11. und 12. fällt weg) werden 
eine Portion Kalbfleisch » 

2 Eier > zusammen 41,13 g Eiweiss 

V 2 1 Milch I 

durch 60 g Roborat = 41,5 g Eiweiss ersetzt. 

In der Nachperiode vom 15. bis 18. März die Diät der Vorperiode. 

Dieser Versuch ist dadurch kompliziert, dass in den letzten drei Tagen der Vor- 
periode, sowie in der ganzen Hauptperiode pro Tag 250 g Thymus der Nahrung zugelegt 
wurden, um eine Steigerung der Harnsäureausscheidung zu erzielen. Bemerkenswerth ist, 
dass diese 250 g Thymus auf die Stickstoffausscheidung keinen wesentlichen Einfluss ausüben. 


1. Vorperiode 

N . . . . = 

Harnsäure . = 
do. . = 

P a 0 5 . . .= 

F 1 ) . . . = 

Nachperiode (15. bis 18. Mörz). 

N. . . . = 10,126 (ohne Thymus). 

Harnsäure . = 0,3981. 

P,0 5 . . = 1,952. 

F . . . . = 58,5. 


(28. Februar bis 5. März). 
9,408. 

0,398 (ohne Thymus). 
0,62642 (unter Thymus). 
2,312. 

77,16. 


2. Periode (6. bis 14. März). 

N . . . . = 11,109. 
P 2 0 5 . . . = 1,989. 

Harnsäure . = 0,5183. 

F . . . . = 67,671. 


Da sich aus diesen Versuchen keine deutliche Verminderung der Harnsäure ergeben 
hatte, wie in den vorhergehenden, und da ebenso wie in allen früheren Stoffwechsel¬ 
versuchen und bei den Versuchen mit reinem Lecithin eine Zunahme der N-Ausscheidung 
während der Versuchsperiode erfolgte, so wurde noch ein weiterer Versuch mit N-Be¬ 
stimmungen im Kothe unternommen. 

Der zweite Versuch wurde vier Tage später mit derselben Person unternommen mit 
Sammlung des Kothes, der in der gewöhnlichen Weise abgegrenzt wurde. Die Nahrung war 
dieselbe wie beim ersten Versuche. Nach der Roboratperiode wurde noch ein dreitägiger 
Versuch mit lecithinfreiem Roborat angestellt, an den sich erst die Nachperiode anschloss. 


Vorperiode (22. bis 24. März). 

N . . . . = 8,762. 

Harnsäure . = 0,376. 

Koth-N . . = 0,99. 

Periode mit lecithinhaltigem Roborat 
(25. bis 28. März). 

N . . . . = 11,052. 

Harnsäure . = 0,228. 

Koth-N . . = 1,141. 


Periode mit lecithinfreiem Roborat 
(29. bis 31. März). 

N . . . . = 9 654. 

Harnsäure . = 0,1851. 

Koth-N . . = 1,206. 

Nachperiode (1. bis 3. April. 

N . . . . = 8,4738, 
Harnsäure . = 0,387. 

Koth-N . . = 1,03. 


Das auffallendste bei diesen Versuchen ist, dass in der Roboratperiode die N- 
Bilanz negativ wird. Diese Zahlen gelten übrigens auch für Versuche mit Lecithin, 
sowohl an Menschen, als auch an Versuchsthieren. Auch in der französischen 
Litteratur findet sich nach Lecithindarreichung eine auffällige Steigerung der N-Aus- 
fuhr. Hervorzuheben ist, dass nach der überwiegenden Mehrzahl der Versuche, die 
in der Litteratur niedergelegt sind, sowie nach den unsrigen, trotzdem mehr N aus- 
geschieden wurde, die Kranken an Gewicht Zunahmen 2 ). Erklärlicher wird dieses 


1 ) F = flüchtige Fettsäuren. 

2 ) Bei einer rein klinischen Beobachtung hatte Kohn dieselben Ergebnisse. 


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lieber Roborat. 


2*27 


Verhalten des N-Stoffwechsels, wenn wir die PjO,-Ausscheidungen betrachten. 
Natürlicherweise sind von uns nicht Analysen des Phosphorgehaltes der Nahrung 
oder des Kothes gemacht worden. Aber so viel geht aus unseren Zahlen hervor, 
dass die gewöhnliche Relation (P 2 O s :N =1:6,5) in der Roboratperiode nicht fest¬ 
gehalten wird. Es zeigt sich eine ziemlich bedeutende Retention von P 2 0 5 im Ver- 
hältniss zu N. Während in dem erst angeführten Versuche in der Vorperiode das 
Verhältnis von P 2 0 5 : N = 1:6,6 ist, ist es in der Roboratperiode wie 1:5,6. Die 
Nachperiode kann wieder nicht in Betracht kommen, da die Rechnung sich nur auf 
die Thymustage erstreckt. Zwar haben in der neuesten Zeit W. Cronheim und 
Erich Müller, die diese Untersuchungen am Säugling angestellt haben, diese Re¬ 
tention von P 2 0 5 für den Säugling nicht bestätigen können. Sie haben im Gegen- 
theil eine Retention von N im Verhältniss zu P beim Säugling erhalten 1 ). In 
der Retention vonP 2 0 5 scheint uns zum grossen Theil die Bedeutung des Roborats, 
resp. des in dem Roborat enthaltenen Lecithins zu liegen. 

Damit scheint man der v. Leyden’schen Forderung, für die einzelnen Nähr¬ 
präparate bestimmte Indikationen aufzustellen, zu entsprechen. Dass die Harnsäure* 
bildung herabgesetzt ist, ist leicht zu erklären, da im Roborat, als dem vegetabilischen 
Eiweiss, im Gegensatz zu dem animalischen keine Nukleine, die ja Harnsäurebildner 
sind, enthalten sind. Das Verhalten der flüchtigen Fettsäuren und der qualitativen 
Indikanuntersuchung, die in keinem Falle positiv wurde, als Maassstah der Darm- 
f&nlmss genommen, zeigt in Uebereinstimmung mit den Versuchen von Backman, 
dass die Ersetzung des animalischen durch vegetabilisches Eiweiss keinen merklichen 
Unterschied in der Darmfäulniss hervorruft. 

Zum Schlüsse sei es gestattet, die Ergebnisse in einigen kurzen Sätzen nieder¬ 
zulegen : 

1. Das Roborat ist ein leicht bekömmliches Eiweisspräparat; es vermag das 
Fleischeiweiss im Stoffwechselversuch annähernd zu ersetzen. 

2. Die Bildung von Harnsäure wird durch das Roborat herabgesetzt. 

3. Der Gehalt des Roborats an Lecithin bedeutet einen Fortschritt auf dem 
Gebiete der Eiweisspnäparate und es ist deshalb in allen Fällen, wo es 
zu einer Retention von P 2 0 5 kommen soll, zu empfehlen (Rachitis, 
Neurasthenie etc.). 

4. Das Roborat wirkt durch seinen Lecithingehalt günstig auf die Blutbildung. 

Benutzte Litteratur. 

Die Litteratur über Roborat s. bei Schlesinger, Zeitschrift für diätetische und physikalische 
Therapie Bd. 5. 

Max Heim, Die künstlichen Nährpräparate. Berlin 1901. 

Bergell, Die Bedeutung der Phosphorsäure etc. Inauguraldissertation. Berlin 1898. 

Jacob und Bergell, Zeitschrift für klinische Medicin Bd.35. 

Backmann, Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 44. S. 472. 

Cronheim und Müller, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 6. Hier 
auch die Litteratur über Lecithin. 

S. Kohn, Therapie der Gegenwart 1902. Mai. 

G. Klemperer, Ueber Nährpräparate. Handbuch der Emährungstherapie. 

E. v. Leyden, Allgemeine Therapie der Ernährung. Sein Handbuch. 

E. v. Leyden, Einleitung der deutschen Klinik. 

i) Vergl. Jacob und Bergell, 1.c. — Bergell. 


10 * 


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228 


B. Wendriner 


lieber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel 

des Menschen. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von 

Dr. B. Wendriner 

in Neuenahr. 

Meinen Studien über die »Wirkung des Neuenahrer Sprudels auf die Magen¬ 
verdauung beim Menschen«lasse ich in vorliegender Arbeit das Resultat meiner 
klinisch-experimentellen Beobachtungen über den Einfluss des Neuenahrer Sprudels 
auf den Stoffwechsel des Menschen folgen. Hierbei liegt meinen Untersuchungen 
die Absicht zu Grunde, für die zweifellos guten therapeutischen Erfolge der Neuen¬ 
ahrer Kur eine wissenschaftliche Grundlage vermittelst genauer klinischer Be¬ 
obachtungen zu erbringen. Speziell über die physiologische Wirkung des Neuenahrer 
Sprudels waren bisher noch keine Arbeiten veröffentlicht, die dem heutigen Stand¬ 
punkt der Wissenschaft Rechnung tragen*). Hier galt es eine Lücke auszufüllen. 
Ich unterzog mich dieser Aufgabe und bringe damit einen weiteren Beitrag zur 
Beurtheilung der Vorgänge im menschlichen Organismus unter dem Einfluss des 
Genusses von Neuenahrer Sprudel. 

Bei meinen Versuchen habe ich aus praktischen Gründen, wie ich gleich vor¬ 
ausschicken will, nur den Befund des Harns in den Kreis meiner Beobachtung 
gezogen, ohne auf die Chemie der Fäces einzugehen. Aber auch hieraus allein 
können wir ein annähernd richtiges Bild von der Wirksamkeit des Sprudels auf den 
menschlichen Organismus erhalten. 

Drei wesentliche Punkte sind es, denen ich meine ganz besondere Auf¬ 
merksamkeit widmete: 

1. Gesämmtdiurese; 

2. Stickstoffausscheidung; 

3. Harnsäureausscheidung. 

Ausser diesen drei Gesichtspunkten, nach denen ich die Leistungsfähigkeit des 
Sprudels und seinen Einfluss auf den Stoffwechsel des Menschen beurtheilte und 
bewerthete, beobachtete ich auch das Verhalten der aromatischen Gruppe des Eiweiss¬ 
moleküls, dessen Abbau wir zum grossen Theil in der Aetherschwefelsäure kennen. 
Ich wählte natürlich das Indikan als den am leichtesten nachweisbaren Repräsentanten 
der gepaarten Schwefelsäuren. Dasselbe dient uns als Maassstab für die im Darm 
sich abspielenden FäulnissVorgänge, soweit deren Endprodukte hauptsächlich durch 

1) cf. Berliner klin. Wochenschrift 1898. No. 23. 

2) Lennö veröffentlicht auf der 21. Balneologen-Versammlung eine an sich selbst angesteilte 
Versuchsreihe, aber unter anderen Gesichtspunkten und mit anderem Resultat. 


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Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. 229 


den Harn und zwar als Aetherschwefelsäuren eliminiert werden. Wenngleich mir 
für die Mengen des Indikan ziffernmässige Belege fehlen, so lehrt doch die Erfahrung, 
dass wir bei den Versuchen auch ohne dieselben auskommen können 1 ), wenn 
wir nur bei jeder einzelnen Versuchsreihe von dem am Anfang des Versuchs auf¬ 
tretenden Färbungsgrade (bei der Jaffe’schen Indikan-Probe) ausgehen und diesen 
bei jeder Versuchsreihe und bei andauernd gleichmässiger Diurese als eine Art von 
Standard annehmen. 

Allen mir zum Versuch dienenden Kranken gab ich täglich eine Flasche Neuen¬ 
ahrer Sprudel (ca. 700 ccm). Davon nehmen die Patienten die eine Hälfte früh¬ 
morgens nüchtern, die andere Hälfte im Laufe des Nachmittags (5 Uhr) zu sich. 
Vor dem Gebrauch wurde der Brunnen auf ca. 30 0 C erwärmt. Einige von den 
Patienten lagen beständig zu Bett, andere gingen umher. 

Aus der Zahl der protokollierten Fälle, bei denen ich meine Versuche an¬ 
stellte, wähle ich drei aus, weil bei diesen das Resultat meiner Beobachtungen recht 
eklatant war, und weil bei ihnen übrigens niemals jene vorher unberechenbaren 
Storungen eintraten, mit denen bekanntlich ein jeder zu rechnen hat, der sich mit 
experimentellen Forschungen am Krankenbett befasst. 

Ich unterscheide eine Vorperiode, dann eine Periode mit Gebrauch von Neuen¬ 
ahrer Sprudel und sodann eine Nachperiode ohne denselben. 


Diurese 
pro die 


N -Ausscheidung 
pro die 


Harnsäure¬ 
ausscheidung 
pro die 


1302 ccm 


Vorperiode (viertägig) 
8,07 g 


0,38 g 


Fall I 

Frau mit chron. 
Rheumatismus 


2015 ccm 


1381 ccm 


Neuenahrer Periode 
(siebentägig) 
10,25 g 

Nachperiode 

(siebentägig) 

9,62 g 


0,43 g 


0,40 g 


Fall II 
Rekonvales- 
centin nach 
Diphtheritis 


Fall III 2 ) 
Rekonyales- 
centin nach 
Scarlatina 


1662 ccm 


1973 ccin 
1530 ccm 


Vorperiode (viertägig) 

12,00 g 

Neuenahrer Periode 
(sechstägig) 

12,37 g 

Nachperiode (dreitägig) 

10,86 g 


2746 ccm 


1126 ccm 


1307 ccm 


Neuenahrer Periode 
(dreitägig) 

13,18 g 

Periode ohneNeuenahrer 
Sprudel (viertägig) 
9,26 g 

Neuenahrer Periode 
(dreitägig) 

8,81 g 


0,51 g 


0,60 g 
0,60 g 


0,82 g 


0,62 g . 


0,80 g 


*) cf. Blumenthal, Charitä-Annalen 24. Jahrgang. 

2 ) Hier wurde durch ein Versehen schon anfangs Neuenahrer Sprudel gegeben. 


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‘230 


B. Wendriner 


Auffallend ist bei obigen drei Fällen die Zunahme der Diurese beim Genuss 
des Sprudels. Hier handelt es sich um eine fast bei allen mineralischen Quellen 
beobachtete Thatsache ’)• Ich lasse dahin gestellt, ob bei dem Gebrauch von Neuen- 
ahrer Sprudel die Menge des eingenommenen Wassers oder seine Temperatur und 
deren Einfluss auf die Vasomotoren die Veranlassung zu der ersichtlichen Zunahme 
der Harnausscheidung ist. Beobachtet habe ich auch in der Mehrzahl der Fälle, 
dass diese vermehrte Diurese auch nach dem Aussetzen des Sprudels noch einige 
Tage lang anhält. 

Was das Verhalten der Stickstoffausscheidung anbelangt, so sehen wir, 
dass mit der Zunahme der Diurese gleichzeitig eine Vermehrung des N im Harn 
auftritt. Dieses Resultat deckt sich mit der Erfahrung maassgebender Autoren. 
Jacques Mayer, Oppenheim, v. Noorden und andere sind nämlich der Meinung, 
dass diese Stickstoffvermehrung auf einer besseren Auslaugung der Gewebe beruht. 
Es handelt sich hierbei also um die Elimination von Eiweiss, das nur schwer 
assimilierbar ist und bei stärkerer Anregung des Stoffwechsels aus den Geweben 
mUhelos herausgespült wird. Wenn nämlich mit diesem grösseren Eiweissverlust 
des Organismus eine dem entsprechende Ernährungsstörung verbunden wäre, so 
würden wir wohl regelmässig bei jedem Patienten in Neuenahr während des Ge¬ 
brauchs des Sprudels einen mehr oder weniger erheblichen Verlust am Körper¬ 
gewicht zu konstatieren haben. Es zeigt sich aber gerade das Gegentheil. Wohl 
die meisten Kurgäste erleiden an ihrem Körper keine Einbusse, sondern verlassen 
Neuenahr regelmässig mit einem Plus an Körpergewicht. 

Am meisten hervorstechend bei meinen Versuchen ist jedoch die Beeinflussung 
der im Harn nachweisbaren Harnsäureausscheidung. Hier zeigt sich, dass dem 
Neuenahrer Sprudel eine ganz besondere Rolle in der Reihe der Mineralwässer zu¬ 
fällt Auch Jul. Glax hat diese Thatsache in der 19. Balneologenversammlung bei 
Besprechung der mineralischen Quellen im allgemeinen erwähnt Es kommt eben 
»zur Temperaturwirkung noch die den Blutdruck steigende der Kohlensäure und 
die osmotische der Salze hinzu im Sinne einer vermehrten Harnsäureausscheidung«. 
Wenngleich die Unterschiede der Harnsäureziffern anscheinend nicht sehr gross sind, 
so handelt es sich doch, wie Fall II und III erweist, um eine Steigerung von ca. 
20% der ursprünglich im Harn konstatierten Harnsäuremenge. Und, was noch be¬ 
sonders zu betonen ist, es bleibt bei dieser auffälligen Vermehrung der Harnsäure, 
selbst von dem Zeitpunkt an, wo in der Nachperiode der Gebrauch des Neuenahrer 
Sprudels ausgesetzt ist. 

Die Einwirkung auf die Indikanausscheidung habe ich in obigen Tabellen 
nicht besonders vermerkt. Obige drei Fälle hatten sämmtlich Indikanurie verschiedenen 
Grades. Während der Periode mit Neuenahrer Sprudel liess sich eine deutliche Ver¬ 
minderung des Indikangehalts im Urin nachweisen. 

Am Ende meiner Arbeit untersuchte ich auch den Stoffwechsel einer alten 
Diabetica (ohne Eiweiss, Aceton und Acetessigsäure) unter derselben Fragestellung 
wie die oben citierten Fälle. Unter dem Einfluss des Neuenahrer Sprudels kam ich 
zu folgendem Resultat: 


i) cf. Jul. Glax 20. Balneologen-Versammlung und I.enn6 21. Balneologen-Versammlung. 


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Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. 231 



Dinreflfl 

N-Aus* 

Harnsäure¬ 

Zucker¬ 


JL/1U1 vuv 

pro die 

Scheidung 

ausscheidung 

ausscheidung 


pro die 

pro die 

pro die 




Vorperiode (dreitägig) 




4236 ccm 

22,58 g | 

0,77 g 

215,15 g 

Diabetica 


! 

Periode mit Neuenahrer 


<31 Jahre alt 



Sprudel (sechstägig) 



4084 ccm 

21,61 g 

1 0,75 g 

219,72 g 




Nachperiode (viertägig) 




4055 ccm 

19,96 g | 

0,73 g | 

215,65 g 


Bei diesem Fall nahm unter der Einwirkung des Neuenahrer Sprudels die 
Gesammtdiurese ab. Sie blieb auch geringer, nachdem der Sprudelgenuss aus¬ 
gesetzt war. Interessant ist auch das Verhalten der Stickstoffabgabe im Urin 
und der Harnsäure. Bei beiden ergab sich eine Abnahme der Mengen bei dem 
Genuss von Neuenahrer Sprudel. 

Ich sehe diese verringerte N-Ausscheidung als eine für den Organismus wohl- 
thätige Wirkung des Sprudels an, um so mehr, als die Patientin täglich ein und 
dieselbe für sie bestimmte, gemischte Diabetikerkost zu sich nahm. Infolge der an sich 
erheblichen Diurese kann es wohl kaum zu einer Anhäufung von schwer assimilier¬ 
baren Eiweiss in den Geweben kommen. Vielmehr ist ihre tägliche Auslaugung eine 
vollkommene. Es ist demnach die Vorbedingung, welche zu einer stärkeren Stick¬ 
stoffabgabe während der Neuenahrer Periode führt, — wie cs in den oben erwähnten 
Fällen zu beobachten war — nicht vorhanden. Wenn sich hier also die N-Abgabe 
im Harn während und nach dem Gebrauch des Neuenahrer Sprudels vermindert, so 
kann ich diese Folgeerscheinung mit Recht als eine für das Befinden der Patientin 
günstige Thatsache besonders hervorheben. 

Mit der verminderten N-Ausscheidung geht parallel die verringerte Harn- 
säuremenge. Dieses Factum lässt eine vielfache Deutung zu. Vermuthlich wird 
weniger Harnsäure im Organismus gebildet. Jedoch lässt sich ein besonderer Schluss 
aus der Verminderung der durch den Harn ausgeschiedenen Harnsäuremenge nicht 
herleiten, da die Entstehung der Harnsäure doch zu wenig geklärt ist, als dass man 
anf irgend einer der heute bestehenden Theorieen über die Bildung der Harnsäure 
fassen und von ihr eine Folgerung ableiten könnte. 

Eine Indikanreaktion war bei diesem Fall nicht nachweisbar. 

Die Zuckerausscheidung wurde im vorliegenden Falle garnicht beeinflusst. 
Die Mengen blieben ungefähr dieselben. Eine Herabsetzung der Zuckerausscheidung 
Hess sich von vornherein auch nicht erwarten, eben so wenig, als der Genuss von 
Karlsbader Wasser zu einer Verminderung der Glykosurie führt. Nur die in Neuenahr 
sorgfältig durchgeführte Diät im Verein mit dem Gebrauch des Sprudels kann eine 
prompte Herabsetzung der Zuckerausscheidung zu Wege bringen. 

Ziehe ich zum Schluss aus meinen obigen Versuchen ein Resum6, so kann ich 
wohl mit Recht behaupten, dass der Neuenahrer Sprudel im allgemeinen 

1. die Diurese vermehrt, 

2. die N-Ausscheidung steigert. 

3. Die Harnsäureausscheidung nimmt unter dem Gebrauch von Neuen¬ 
ahrer Sprudel zu und bleibt auch nach dem Aussetzen des Sprudels noch 
eine Zeit lang eine grössere, als sie es vor dem Gebrauch war. 

4. Die Indikanurie nimmt ab. 


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232 


Kleinere Mittheilungen. 


Dagegen konnte ich bei einem Diabetesfall stärkeren Grades mit Polyurie 
konstatieren, dass unter der Einwirkung des Neuenahrer Sprudels 

1. die Diurese sich verringerte, 

2. die N-Abgabe im Urin, und 

3. die Harnsäureausscheidung abnahmen. 

Diese Verringerung von 2. und 3. hielt auch nach dem Aussetzen des Neuen¬ 
ahrer Sprudels an. 

Es sei mir zum Schluss vergönnt, Herrn Geheimrath v. Leyden für die gütige 
Erlaubniss zu danken, meine Versuche an Kranken der I. medicinischen Klinik an¬ 
stellen zu dürfen. 


Kleinere Mittheilungen. 


i. 

Fleischextrakt und Hefepräparate. 

Eine wirtschaftliche Betrachtung von Dr. K. Beerwald in Berlin. 

Vor einiger Zeit ist in einem medicinischen Fach blatte ein Artikel überiSiris« erschienen, der 
genanntes Hefepräparat als dem Fleischextrakt gleichwertig bezeichnet Vielfach ist dieser Artikel 
in der Presse nachgedruckt worden, und gleichzeitig haben auch andere Hefepräparate, »Ovos«, »Wukt, 
»Sitogen«, durch eine lebhafte Reklame beim konsumierenden Publikum den Versuch gemacht, als 
hervorragende Genussmittel anerkannt zu werden, ja sie wollen daneben sogar als eigentliche 
Nahrungsmittel eine sehr wesentliche Bedeutung haben. Es wird daher zur Pflicht, objektiv nach¬ 
zuprüfen, ob solche Behauptungen durch die Thatsache gerechtfertigt sind; denn auf keinem Gebiete 
der Gesundheitspflege haben Irrthümer verhängnisvollere Folgen als auf dem der Ernährung, wobei 
es ganz gleichgültig ist, ob diese Irrthümer bewusste oder unbewusste sind. 

Das erste künstliche Genussmittel, das uns geboten wurde, war die eingedickte Fleischbrühe 
Liebig’s, die als Fleischextrakt in den Handel kam. Wenn ihm auch im Laufe der Jahre manche 
Nebenbuhler entstanden, welche bei gleichem thierischen Ursprung bald besser, bald billiger sein 
sollten, hat doch bis auf den heutigen Tag der Liebig-Kemmerich’sche Fleischextrakt sich in 
seiner Art als der beste bewährt Nur in den letzten Jahren ist seine Alleinherrschaft dadurch 
eingeschränkt worden, dass Maggi’s Würze mehr und mehr bekannt wurde, in welchem Produkt 
das bisherige Prinzip verlassen und hauptsächlich pflanzliche Bestandteile zur Herstellung des 
Genussmittels verwendet worden waren. Daher konnte diese Würze auch zu einem Preise an- 
geboten werden, der ihr selbst in die ärmste Hütte Eingang verschaffte, und so wurde bald der 
anfänglich scheinbare Konkurrent eine notwendige Ergänzung des Fleischextraktes, dessen hoher 
Preis ihn stets von der Küche des armen Mannes ausschliessen wird, und der bei seiner tierischen 
Abstammung eine ganz andere Beurteilung finden muss als Maggi’s Würze. Das aber ist 
andererseits beiden Produkten gemeinsam, dass sie nur Genussmittel sein sollen und wollen, durch 
welche auf die Verdauungsorgane jene Anregung ausgeübt wird, die zu einer genügenden Nahrungs¬ 
aufnahme und Verdauung erforderlich ist, und beide äussem in dieser Beziehung eine gleich starke 
Wirkung. 

Arbeiten hervorragender Hygieniker und Chemiker, besonders der beiden Brüder Büchner, 
über Hefe führten inzwischen zu dem überraschenden Resultate, dass bei einem gewissen Verfahren 
die Hefezellen platzen, ihr eiweissartiges Protoplast austritt, und das gewonnene Produkt schliesslich 
an Geruch und Geschmak einen dem Fleischextrakt ähnlichen Charakter erhält. Leider wurde diese 
Beobachtung zu früh bekannt, und ohne die weiteren Arbeiten der Forscher abzuwarten und 
dieselben zu jenem definitiven Abschluss kommen zu lassen, der den Hefepräparaten einst eine 


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Kleinere Mittheilungen. 


233 


berechtigte Stellung in der Ernährung des Menschen anweisen wird, haben kaufmännische Unter¬ 
nehmer die errungene, noch recht unvollkommene Basis sofort zur Herstellung neuer Genussmittel 
benutzt, welche als billige, aus Hefe gefertigte Fleischextrakte den theueren aus dem Fleische selbst 
erhaltenen Fleischextrakt verdrängen sollten. Dass künstliche Produkte stets nur eine minder- 
werthige Nachahmung, niemals ein vollgültiger Ersatz für die natürlichen sein können, übersahen 
jene Industriellen sehr zum Schaden des Publikums und zum Theil dem eigenen, wenn sie nach 
kurzer Zeit ihre Präparate als ungenügend wieder zurückziehen mussten; und auch die eingangs 
erwähnten vier Hefepräparate dürften trotz der für sie aufgewandten grossen Reklame kaum längere 
Zeit vom Publikum benutzt werden, da ihre Nachtheile gegenüber dem Fleischextrakt doch zu 
auffällige sind. 

Wenn auch kein zu grosses Gewicht darauf gelegt werden soll, dass die Haltbarkeit der 
Hefepräparate ganz bedeutend der des Floischextraktes nachstcht, der wochenlang in offener Büchse 
stehen kann, ohne die geringste Veränderung zu erleiden, während die ersteren bei der gleichen 
Behandlung schon nach wenigen Tagen Pilzrasen zeigen, die zum mindesten ihre Genussfähigkeit 
nicht erhöhen, so ist es doch eine recht bedenkliche Behauptung, wenn die Hefepräparate auch 
Nährmittel genannt werden und z. B. über Sitogen kühn geschrieben wird, dass es »alle Bestand¬ 
teile enthält, welche dem menschlichen Körper regelmässig zugeführt werden müssen, wenn er 
kräftig und gesund erhalten werden soll«. Stellen wir das Eiweiss des an Eiweiss reichsten dieser 
Präparate, des Pflanzenfleisch ex trakt genannten Ovos, in Parallele mit unseren Nahrungsmitteln, so 
würden in der Form von Ovos, das 40o/ 0 Eiweiss hat, kosten 200 g Eiweiss M. 3,75, 
in magerem Rindfleisch zu 90 Pfg. das Pfund . 205 g » » 1,80, 

in Schellfisch zu 40 Pfg. das Pfund.214 g » »1,00, 

in Magerkäse zu 60 Pfg. das Pfund. 200 g » » 0,75. 

Setzen wir den Tagesbedarf eines Mannes an Eiweiss auf 120 g fest, so bedarf derselbe zu 
dessen Deckung 

durch Ovos einen Geldaufwand von . M. 2,20, 


» mageres Rindfleisch.» 1,05, 

» Schellfisch.» 0,57, 

» Magerkäse.» 0,45. 


Ausserdem darf nicht vergessen werden, dass die drei zum Vergleich herangezogenen 
Nahrungsmittel sämmtlich thierisches Eiweiss enthalten, welches für den Körper durch die Verdauung 
zu einem viel grösseren Theile ausgenutzt wird, als pflanzliches, wie es Ovos repräsentiert. Doch 
wenn selbst dieser sehr wichtige Umstand nicht weiter berücksichtigt wird, würde der Tagesbedarf 
eines Mannes an Eiweiss nach den angeführten Werthen in der Form von Ovos zweimal so theuer 
bezahlt werden als im Fleisch, viermal so theuer als im Schellfisch und fünfmal so theuer als im 
Magerkäse. Ohne weiteres soll nun zugegeben werden, dass es Niemandem einfallen wird, soviel 
Ovos zu geniessen, um die durch die Lebensenergie und Arbeitsleistung im Körper verbrauchten 
Eiweissmengen allein dadurch zu ersetzen, und dass selbst ein Freund von Ovos dieses Präparat 
stets nur in kleinen Mengen mit seinen Speisen vermischen wird. Aber auch für die kleinsten 
wirklich verwendeten Mengen behält die aufgestellte Berechnung in proportionaler Reduktion volle 
Geltung; ein Verschwender ist, wer durch Zusatz von Ovos oder einem anderen Hefepräparat bei 
deren heutiger Zusammensetzung den Nährwerth seiner Mahlzeit vermehren will, und bedeutend 
billiger und zweckmässiger ist es, z. B. in einen Teller Suppe zu diesem Zwecke ein Ei zu verquirlen 
als ihr entsprechend viel Ovos hinzuzufügen. Das ist mit die beste und vornehmste Empfehlung des 
Fleischextraktes, dass er nur ein Genussmittel sein will und seiner reichlich vorhandenen Eiweiss¬ 
körper nicht weiter gedacht wird. 

Wenn also die Hefepräparate als Nahrungsmittel für uns nicht in Betracht kommen können, 
so gebührt ihnen bei ihrem reichen Gehalt an Salzen und Extraktivstoffen immerhin eine gewisse 
Bedeutung als Genussmittel, obgleich sie auch in dieser Beziehung dem Fleischextrakt an Gewürz¬ 
stärke um das zwei- bis dreifache nachstehen, da von den einzelnen Hefepräparaten zwei- bis dreimal 
so viel genommen werden muss als vom Fleischextrakt, um eine annähernd gleich starke Geschmacks¬ 
wirkung zu erreichen. Wegen dieser geringeren Würzkraft werden die Hefepräparate also that- 
Blchlich zwei- bis dreimal so theuer bezahlt, als der Ladenpreis beträgt, so dass die Behauptung ihrer 
Büligkeit gegenüber dem Fleischextrakt nicht aufrecht erhalten werden kann. Dazu kommt aber, 
dass die Salze und Extraktivstoffe des Fleischextraktes für den Körper viel werthvoller sind, als 
diejenigen der Hefepräparate, was durch die erwähnte Differenz im Geschmackscharakter schon sinn- 


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234 


Kleinere Mittheilungen. 


fällig hervortritt und bei dem unendlich verschiedenen Herkommen beider Produkte kein Wunder 
nehmen kann. Es ist daher auch kaum zu erwarten, dass die Hefepräparate in dieser Beziehung 
jemals den Fleischextrakt erreichen werden, was indessen vielleicht für ihre Würzstärke mit der 
Zeit eintreten kann. Diesen Zeitpunkt hätten ihre Fabrikanten abwarten sollen, und da sie das 
nicht gethan und eigentlich unfertige Produkte in den Handel gebracht haben, sollten sie wenigstens 
im Interesse des Publikums in der Anpreisung der Hefepräparate nicht über deren wirklichen 
Werth hinausgehen. 


II. 

Das Sanatorium Wehrawald im badischen Schwarzwald. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Die ungeahnt schnelle und günstige Entwickelung der auf die Bekämpfung der Tuberkulose 
hinzielenden Bestrebungen, wie sie nur Dank dem sozialpolitischen Empfinden weitester Kreise sich 
Bahn brechen konnten, hat ein ausserordentlich werthvolles Zusammengehen von Wissenschaft und 
Technik erzeugt. Dies offenbart sich in erster Reihe an der Anlage und Einrichtung der Lungen¬ 
heilstätten, wie sie im Laufe des letzten Jahrzehnts vornehmlich in Deutschland erstanden sind und 
für Inland wie Ausland den Charakter wahrer Musteranstalten repräsentieren. Jeder neue industrielle 
Fortschritt, jede neue technische Erfindung ist in den Dienst der Allgemeinheit getreten und dem 
Zwecke, mustergiltige Einrichtungen zu treffen, nutzbar gemacht worden. Hat schon gelegentlich 
des denkwürdigen Tuberkulosekongresses im Jahre 1899 Oberstabsarzt Dr. Pannwitz in der Fest¬ 
schrift »Deutsche Industrie und Technik bei Einrichtung und Betrieb von Sanatorien und Kranken¬ 
häusern« sowie weiterhin in seinem Referate über »Bauliche Herstellung von Heilstätten« Baurath 
Schmieden die Grundprinzipien der Anlage und Einrichtung der Lungenheilanstalten sowie 
weiterhin die wesentlichen Fortschritte gegenüber vergangenen Zeiten feststellen können, so ist dies 
in viel höherem Maasse noch seitdem geschehen im letzten Jahrzehnt, das in der Tuberkulose¬ 
bekämpfung als das glorreichste anzusehen ist. 

Ein Produkt dieser jüngsten Periode, die sich bomühl, alle auf ernste Forschung und weit¬ 
gehende Erfahrung basierenden Fortschritte in den Dienst dieses hehren Zieles zu stellen, ist das 
Sanatorium Wehrawald im Schwarz wald, das seiner mustergültigen Einrichtungen wegen an 
dieser Stelle einer flüchtigen Betrachtung unterzogen werden soll. 

Die prinzipiellen Anforderungen, die an jede zur Aufnahme von Lungenkranken dienenden 
Anstalten zu stellen sind, sind bei Wehrawald vollauf erfüllt: das Sanatorium liegt in einer völlig 
isolierten, windgeschützten Lage, ist von dichtem Wald umschlossen, besitzt ein geeignetes Klima, 
eine gleichmässige Temperatur und, da über der Nebelzone gelegen, eine andauernde Insolation. 
Sind somit die klimatischen Faktoren aufs glänzendste erfüllt, so zeigt auch die Gesammtanlage 
das thatkräftige Zusammenwirken von Wissenschaft und Technik. Aus hygienischen wie therapeu¬ 
tischen Gründen ist nur der lediglich zur Aufnahme der Patienten bestimmte Mittelbau mit einer 
60 m langen Front mehrstöckig, während die sich daranschliessenden Seitenflügel, in denen einerseits 
die Bäder und ärztlichen Räume, andererseits die wirtschaftlichen, wie Speisesaal, Küche etc. unter¬ 
gebracht sind, nur ein Stockwerk besitzen. Auf diese Weise ist, da auch der Mittelbau nur nach 
einer Seite, und zwar nach Süden, Zimmer hat, der freie Zutritt der Waldluft von allen Seiten er¬ 
möglicht und zugleich eine völlige Absonderung der Kranken von dem allgemeinen Betrieb erzielt. 
Was nun die Innenräume anbetrifft, so ist als oberster Grundsatz das Prinzip einer völligen Wasch¬ 
barkeit und Desinfizierbarkcit nicht nur der Bautheile, sondern auch aller Einrichtungsgegenständo 
bis zum kleinsten Stück durchgeführt. Um jede Staubablagerung unmöglich zu machen, ist überall 
auf zweierlei geachtet, einmal dass sich nirgends Kanten und Ecken, Riefen und Risse finden, und 
dass zweitens durch die Art der Ausführung der Möbel wie deren Anordnung dem Dienstpersonal 
die Reinhaltung aufs äusserste erleichtert wird. Daher im ganzen Bau nirgends eine Ecke, die 
Wände stossen in einem abgerundeten Winkel zusammen, die Decke geht leicht gewölbt in die 
Wände über, wo diese mit dem Fussboden Zusammentreffen, ist eine Dreieckleiste eingefügt. Die 
Risse, die sich da zu bilden pflegen, wo das Holz der Thüren und der Fenster an die Wände stösst, 
sind durch Leinewandbelag überdeckt. Die Wände selbst sind zur Hälfte mit der abwaschbaren 
Salubratapete bekleidet, der obere Theil mit Oelfarbe gestrichen. Auch die elektrischen Lampen 
und die Heizkörper der Niederdruckdampfheizung sind derart gestaltet, dass nirgends auch nur die 


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Kleinere MittheiJungen. 


geringste Sta!ib»bljigeni«g stntjtfinden kann; speziell rüo Radiatoren der tatgt&rcn aind soweit von 
Hmien und Wmä entfernt, das« eine gründliche Reinhai^ng ddJrebfrihrbar giebf es 

m den Zimwltfnj -weder Vorhänge noch Teppiche. Man vermisst aber diese keineswegs: denn durch 
die Kunst des .rl^pbd^rcitiuekteii'ist ein vornehmer, behaglicher und ungemi in wohnlicher Eindruck 


y^^s.v.i / |i 












l \! ei n ere M1 ttli ei 1u ngc« tu 


de* Ganzen erzieh worden. : , harmonisch ah^etöwte Farben* 

ge.lmög der ganzen Ziromercinriehtum^ stilvolle,B*fnaluijg 4er Decke, Berückiku\ Farben 
te *; der Polsterung der Möbel, teppidiairfig wirkender Un<>iei«mbelag t alles die» wirkt ios^'oi«? i.« 
%<> dass man die sonst gewobmo Innendekoratiön völlig entbehrlich findet. Die PoUrer dfet Sessel, 
dem* Stoff einer bequemen und gründlichen Desinfektion zugänglich ist, sind leicht m ehtfemfen; 
sn dass nur das glatte Ilofc&eriin hbrig bleibt Eine besondere Erwähnung vcidkmou die 

Fig, 19. 


Liegeha116 des Sanatoriimrs. 


V endlatioiiseinnclitungifn; Ueber allen Fenstern und Buikout hären sind qu erliegende, leid it in Jod er 
Page stellbare KlappdoppelfenHter angebracht. Dieselbe Einrichtung befindet sich auch über den 
g^gcriulierliegeftden Ziünnertbüren. Diese? genau regulierbaix», natürliche VentHnttoa übertnfft jede 
knnMliehe weit an Wirkung; Ausserdem kennen alle Fcnfttefflügcl und Ba&outhuren beim Deffaen 
durch eia leicht regulierbares- Hebchvork in jedem Winkel fixiert werden , -aae .anssemnU^ülcfi 
praUtisehi- Ifsndhabung, Fenster* und Balkonthuren haben hulzcme Aussenl-tdefi mit Quertiiv-il^og 
tjä briWfungshobe. wodurch eine wehere Regelung der Luftzufuhr ermöglicht wird. 
f:0^i 61- fange? Licgehailh t deren Snftcnflilgfel in cin^u twh sditeu offnen; 


um etwaige Wintk abzuhaffi'n; eine durumer.'befindliche ebenso lange Waudejbahnh^wi^ 

|i 






















Berichte über Kongresse und Vereine. 


237 


zwei kleinere Liegehallen mitten im Wald vervollständigen das Bild der Anstalt. Die Beseitigung 
und Vernichtung der Abfallstoffe geschieht mittels des biologischen Reinigungsverfahren, für dessen 
Ausführung die Bedingungen in Wehrawald insofern ganz besonders günstig liegen, als ein tiefer 
Staaweiher die gereinigten Abwässer aufnimmt, bevor sie — mit dem Wasser dieses Weihers ver¬ 
mischt und durch dieses ausserordentlich verdünnt — dem Flusslauf der Wehra zugeführt werden. 

Alles in allem haben wir in dem Sanatorium Wehrawald eine bis in die kleinsten Einzelheiten 
mustergültige Anstalt, deren wesentliche Fortschritte nicht blos in der strengen Durchführung 
wissenschaftlicher Prinzipien, sondern vornehmlich auch in dem Nachweis beruhen, dass es möglich 
ist, eine vollkommene Hygiene mit allen Anforderungen eines verwöhnten Geschmackes zu ver¬ 
binden. Und in diesem Komfort des Kranken, wie er sich unter Wahrung aller hygienischen Vor¬ 
bedingungen in der harmonischen und direkt reizvollen Innengestaltung der Räume darstellt, liegt 
meines Erachtens einer der wesentlichsten Verbesserungen des modernen Sanatoriumbaues. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Bericht über die 23. öffentliche Yersammlnng der Balneologischen 
Gesellschaft in Stuttgart Tom 7. bis 12. März 1902. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

(Fortsetzung und Schluss.) 

Länderer (Stuttgart), Die Heilbehandlung nnd ihre Gegner. 

Die Bekämpfung der Tuberkulose ist zur Zeit das am meisten umstrittene Gebiet der Medicin, 
Hier konkurrieren in erster Linie verschiedene bakterio-therapeutische Methoden. Die eine Richtung 
— von Koch vertreten — sucht durch Tuberkelbacillenderivate Immunität gegen Tuberkulose zu 
erzielen, während die andere Richtung, deren Haupt Vertreter Maragliano ist, antitoxische Stoffe 
im Thierkörper heizustellen bemüht ist und sie dem Patienten einverleibt. Dann ist zu nennen: 
die Freiluftbehandlung, die durch Verhütung von Schädlichkeiten die Selbstheilung der Tuberkulose 
zu fördern und zu sichern sucht. Weiter kommt noch die chemisch-pharmokologische Industrie in 
Betracht; sie ist bemüht, durch Variation und Kombination von Mitteln zu wirken, die bei der 
Taberkulose als nützlich erkannt sind. 

Die Heilbehandlung wird von allen diesen Richtungen bekämpft Redner erwähnt zunächst 
eine Anzahl Autoren, die mit Hetol gute, zum Theil glänzende Resultate erzielt haben, wie: 
£xaquet, Weissmann, Mann, White, Franck, Guttmann, Lowski, Wassilenko u. a., 
dann bespricht er die Einwände der Gegner im einzelnen. Die Ergebnisse Fränkel’s sind schon 
durch Krämer gebührend beleuchtet; die Behauptungen Staub’s, dass das Hetol ein völlig in¬ 
differenter Stoff sei, so gleichgültig wie physiologische Kochsalzlösung, sind neuerdings von dem 
unter ähnlichen klimatischen Verhältnissen arbeitenden Heusser zurückgewiesen worden, der mit 
Hetol hervorragende und dauernde Resultate erzielt hat Gidionsen (Falkenstein) sieht dagegen 
im Hetol ein sehr differentes Mittel, das Gewichtsverlust und Verschlechterung herbeiführe; dem 
entgegen hat Haentjens in einem niederländischen Sanatorium ganz vorzügliche Erfolge erzielt. 
Die schwerwiegendsten Einwände hat M. Wolff (Berlin) gegen das Hetol erhoben; er will auch 
bei leichten Fällen, und, *was den lokalen Befund betrifft«, keinen Erfolg gesehen haben. Auch 
»eine Thierexperimente verliefen völlig negativ. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass zur 
selben Zeit, am selben Ort und gleichfalls an ambulatorischem, aber zweifellos wesentlich schwererem 
Krankenmaterial Guttmann (Krause’sche Poliklinik für Kehlkopfkranke in Berlin) und E. Franck 
(Berlin) sehr schöne Erfolge mit Hetol erzielt haben. 

Dass bei sehr schweren experimentellen Thierinfektionen Hetol wirkungslos bleibt, soll nicht 
geleugnet werden. Wolff hat nun zweifellos mit sehr empfänglichen Thieren (Meerschweinchen) 
gearbeitet und die nothwendige intravenöse Injektion des Hetols zum Theil garnicht, zum Theil 
nur vorübergehend angewandt Jurjew und Kanzel haben — mit weniger virulentem lnfektions- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


material arbeitend — die Angaben Länderer’s über die Heilongsweise der Tuberkel vollinhalt¬ 
lich bestätigt. Unerschütterliche Beweise zu Gunsten des Hetols hat die Arbeit von Cordes ge¬ 
bracht; er untersuchte in der Krause’schen Poliklinik für Kehlkopfkranke Gewebsstücke aus den 
Kehlköpfen von mit Hetol behandelten Kehlkopftuberkulosen und konnte an ihnen aufeinander¬ 
folgend die von Länderer angegebenen Wirkungen des Hetols auf den Tuberkel — die Um¬ 
wallung mit weissen Blutkörperchen, die Abkapselung, die Durchwachsung und Vererbung — nach- 
weisen. 

Dieselben Prozesse wurden auch auf dem Sektionstisch bei Heilbehandlung nachgewiesen, 
z. B. von Ewald u. a. Diese unanfechtbaren positiven Beweise zeigen gegenüber den negativen 
Befunden bei Wolff’s Thierexperimenten, dass ein Mittel, welches bei schwerster Impftuberkulose 
des Thieres versagt, deshalb noch lange nicht bei der spontan entstandenen Tuberkulose des 
Menschen wirkungslos zu sein braucht. Auch die verschiedenen Sera, z. B. das Diphtherieserum, 
trifft derselbe Vorwurf. 

Bei der Würdigung der Angriffe gegen das Hetol ist zunächst auf die merkwürdige That- 
sache hinzuweisen, dass die Einwürfe der Gegner schon untereinander in unlösbaren Widersprüchen 
stehen. Im übrigen ist von ihnen die dringende Mahnung Länderer’s nicht befolgt worden, zu¬ 
erst und vorwiegend leichte und beginnende Fälle der Behandlung zu unterziehen, ausserdem be¬ 
herrschten sie die Technik nicht genügend, verwandten besonders die subkutane statt der intra¬ 
venösen Injektion. Ihren richtigen Platz hat die Hetolbehandlung in der Privatpraxis, wo nicht zu 
vorgeschrittene Fälle (die »unkomplizierten Tuberkulosen« Länderer’s) längere Zeit unter Beobachtung 
bleiben können. Es wäre zu wünschen, dass die Vorurtheile gegen die unschädliche und wirkungs¬ 
volle Hetolbehandlung allmählich einer genügenden Vertrautheit mit der Methode weichen, um so 
mehr, als die Heilstättenbewegung nie im stände sein wird, die enorme Menge der Tuberkulösen 
zu versorgen und die Unzulänglichkeit der Freiluftbehandlung allmählich sogar in ihren eigenen 
Reihen (Weicker) zugegeben wird. 

Rotschild (Sodenj, Das Heirathen Tuberkulöser. 

Die Frage nach dem Heirathskonsens ist wenig studiert, sie gliedert sich in drei Unterfragen: 
1. welchen Einfluss die Heirath auf den Verlauf des Tuberkuloseprozesses bei bereits erkrankten 
Ehegatten gewinnt; 2. wie sich der bis zur Ehe gesunde Gatte verhält; 3. welches das Loos der 
eventuellen Kinder ist. Prinzipiell ist der Konsens zu verweigern bei Phthisikern, die fiebern, 
reichliche bacillenhaltige Sputa entleeren, zu HämoptoÖ neigen, überhaupt Stigmata eines Fort- 
schreitens des Krankheitsprozesses zeigen. Bei stationären Phthisen, den sogenannten einfachen 
Spitzenkatarrhen, kann man unter Kautelen die Heirath gestatten. Der tuberkulöse Mann ist hier¬ 
bei günstiger daran, als die tuberkulöse Frau. Nicht selten tritt bei dem Mann, der durch die Ehe 
zu einem hygienisch einwandsfreien Leben gezwungen wird, eine Ausheilung des Prozesses während 
oder sogar durch die Ehe ein; die Frau ist durch Gravidität, Wochenbett und Sorge für die Kinder, 
insbesondere Stillen gefährdeter. Nicht selten beobachtet man, dass gerade ein bis zur Ehe stationärer 
phthisischer Prozess während der Gravidität zu rascher Weiterentwickelung kommt, um vielleicht 
kurz nach der Entbindung den Tod der Frau herbeizuführen. Die Frage der künstlichen Beendigung 
der Schwangerschaft ist in solchen Fällen nach dem Vorgänge Kaminer’s ernstlich zu erwägen. 
Treten weniger bedrohliche Symptome auf, vermehrter Husten und Auswurf, Appetitabnahme, so 
ist eine Badekur der Graviden zu empfehlen. Ansteckung zwischen Ehegatten ist selten. Alle 
Statistiken beweisen, dass in höchstens 15% von Ehen, wo ein Ehegatte tuberkulös war, auch der 
zweite tuberkulös wird. Aber nicht einmal an diesen 15% darf man immer die Infektion für die 
Entstehung der Tuberkulose bei dem Gatten heranziehen. Sonstige Ursachen der Aetiologie der 
Tuberkulose wirken auch hier mit; es bleiben höchstens 7 % der Ehen, in denen keine andere Ur¬ 
sache für das Entstehen der Tuberkulose gefunden werden konnte, als Infektion des gesunden durch 
den tuberkulösen Gatten. 

Dieses ausnahmsweise Vorkommen der Infektion rechtfertigt kein universelles Eheverbot für 
Tuberkulöse. Es ist von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die äusseren Verhältnisse so sind, dass 
durch hygienische Maassnahmen der Entstehung der Krankheit bei dem gesunden Gatten vorgebeugt 
werden kann. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Uebertragung der Krankheit vom 
kranken Mann auf die gesunde Frau häufiger ist, als die Uebertragung von der tuberkulösen Frau auf 
den gesunden Gatten. Kinder werden nie tuberkulös geboren; durch entsprechende Hygiene, durch 
Aufenthalt der Kinder an der See und in Soolbädem, durch roborierende Ernährung und möglichste 
Trennung vom Elternhaus lässt sich die Ansteckung verhüten. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 239 


Liebreich (Berlin), Ueber Inhalationstherapie. 

Der viel geübten und mit Erfolg seit alten Zeiten angewandten Inhalationstherapie fehlt trotz¬ 
dem die wissenschaftliche Grundlage, wie man sie für eine Reihe anderer therapeutischer Maass¬ 
nahmen besitzt Zahlreiche Versuche, die man an Thieren mittels Einathmung von Farbstoffen an¬ 
stellte, führten zu keinem Resultate, die Sektionen ergaben nichts. Die Schlussfolgerung hiervon, 
dass die Methode nichts werth sei, ist falsch, denn wenn die praktische Erfahrung seit langen 
Zeiten dafür spricht, so ist eben das Experiment nichts werth. Bei der Inhalation werden gas¬ 
förmige Substanzen ton der Lunge eingeathmet und resorbiert, fein zerstäubte Substanzen können, 
in die Lunge eingetreten, pathologische Stoffe völlig beherrschen. Also man muss daran festhalten, 
dass die Inhalation ein ganz wichtiges therapeutisches Moment ist Wie gestaltet man nun die 
Inhalation am besten? Man muss vor allem die gasförmige Substanz mittels des Mundes ein- 
athmen, zur Verhinderung der Nasenathmung eventuell eine Nasenklemme benutzen. Die Thatsache, 
dass bei der Staubinhalation wirkliche Infektionen der Lunge eintreten, ist mit ein Beweis, dass 
die Inhalationen in die Lunge selbst kommen. Bei der Einathmung von Salzlösungen sind am 
besten kalt gesättigte, nicht warme Lösungen zu verwenden; die feineren Theilchen verschwinden 
jedenfalls in der Lunge, legen sich an die Schleimhaut an und werden resorbiert. Wenn man 
Substanzen in der Lunge nicht nachweisen kann, so liegt dies nicht immer am Fiimmerepithel oder 
dergleichen, sondern daran, dass eben die Lunge mit kolossaler Schnelligkeit resorbiert Wenn 
auch die experimentellen Untersuchungen hierüber noch nicht völlig abgeschlossen sind, eins steht 
jedenfalls fest, dass man einer so bewährten Methode therapeutisch nicht entrathen kann. 

K5ppe (Giessen), Balneologische Stadien im Anschlags an die physikalisch-chemische Unter- 
sichnng des Salzwassers. 

ln der chemischen Analyse eines Mineralwassers kommt das thatsächliche Verhältnis nicht 
zum Ausdruck. Die chemisch-physikalische Analyse der Neuzeit hat uns nun einen Schritt weiter 
gebracht, denn wenn auch die Ergebnisse der chemischen Analyse an sich durch den Wechsel der 
modernen Anschauungen nicht berührt werden, so ergeben doch erst beide Analysen zusammen 
einen thatsächlichen Befund und lehren uns, dass jede Mineralquelle an sich studiert und nicht mit 
anderen verglichen werden darf. Köppe hat nun eine Reihe von Untersuchungen nach dieser chemisch- 
physikalischen Methode über den Gehalt der Mineralwässer an Kalk und Kohlensäure angestellt 
und ist auf diesem Wege dazu gelangt, den exakten Nachweis dieser Bestandteile zu führen und 
damit die Konstitution des betreffenden Mineralwassers kennen zu lernen. 

Steiner (Levico), Zar Balneotherapie der Acne vulgaris. 

Die Acne vulgaris ist eine Vegetationsanomalie, bedingt durch eine krankhaft veränderte 
Reaktion der Haut und ihrer Drüsen auf äussere . Schädlichkeiten, meistens bei gleichzeitigem Status 
seborrhoicus, welcher angeboren oder durch Konstitutionsanomalien (Anämie, Chlorose) bedingt 
sein kann. Die in ihrem Tonus erschlafften Talgdrüsen geben mit ihrem qualitativ und quantitativ 
veränderten Sekrete für die präexistirenden und neu ein wandernden Mikroorganismen einen günstigen 
Entwicklungsboden ab (Kaposi, Vciel, Isaac, Hammer). 

Das mit Rücksicht auf seine pathologische Dignität so unbedeutende, aber für die davon 
Befallenen lästige und ihre soziale Stellung untergrabende Hautleiden, war seit jeher ein Angriffs¬ 
punkt für die mannigfachsten therapeutischen Versuche. In der älteren Zeit wurde natürlich, ent¬ 
sprechend der herrschenden Ansicht von der dyskrasischen Entstehung der Hautleiden, die All¬ 
gemeinbehandlung in den Vordergrund gestellt: roborierende Diät, Stimulantia, Alkoholgenuss. 
Dann hat man angebliche Spezifika gegen Acne angegeben: Schwefelkalcium, Glycerin, Ergotin, 
01. therebinthinae und in neuester Zeit das zum Universalheilmittel erhobene Ichthyol. 

Da aber alle diese Mittel die in sio gesetzten Hoffnungen mehr oder weniger unerfüllt Hessen, 
griff man zu der von Hebra empfohlenen und ausgebildcten örtlichen Behandlungsmethode; diese 
besteht darin, dass man a) die die Talgdrüsen verschliesscnden Komedonen ausdrückt, die bereits 
vereiterten Follikel zur Entleerung bringt und die Epidermis durch Pflasterpraparate, Pasten 
(Resorcin, Naphtol), Spiritus sapon. kal., Schmierseife und b) durch den fettaufsaugenden und aus¬ 
trocknenden Schwefel zur Abstossung bringt. In England und Frankreich ging man radikaler vor, er- 
öffnete die Pusteln mit Stachel und Messer, schabte die Haut mit dem scharfen Löffel, skarifizierte, 
äzte selbst mit Karbolsäure. All' den genannten Methoden haftet aber der Nachtheil an, dass sie 
»ar auf einer Klinik konsequent durchgeführt werden können und dass sie schmerzhaft, langwierig 
und unbequem sind. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Zu gleicher Zeit wurde von einzelnen Männern auch schon der hydrotherapeutischen Be- 
handlungsmethode das Wort gesprochen, aber ihre Stimmen verhallten vor der Autorität Hebra’s 
und seiner Schule, welche dieser Behandlungsweise schädliche Nebenwirkungen vindizierten. Später 
näherten sich zwar Kaposi, Lassar u. a. diesen Bestrebungen, aber erst in neuester Zeit ist es 
den Bemühungen eines Winternitz, Polotebnow, Saalfeld und Liebersohn gelungen, der 
Wasserbehandlung der Acne vulgaris allgemeine Anerkennung zu verschaffen. 

Was nun die letztere betrifft, so haben Bonn und Barlow durch schweisserregende Proze¬ 
duren (Packungen und Dampfbäder) mit darauffolgender Kälteapplikation eine allgemeine mächtige 
Tonisierung des Gesammtkörpers, sowie namentlich der Haut und ihrer Drüsen herbeizuführen ge¬ 
sucht. Gegenüber dieser allgemeinen Anwendung des Wassers bricht sich in der neuesten Zeit 
bei der Behandlung der Hautleiden und speziell der Acne die lokale Applikation des Wassers, 
namentlich des heissen, Bahn. Liebersohn hat die physiologische Wirkung bestimmt temperierten 
Wassers an sich und an anderen experimentell untersucht und gefunden, dass durch dasselbe ein 
verstärkter Blutzufluss zur Haut mit Steigerung der Thätigkeit der Hautdrüsen und bei wiederholter 
Anwendung stromenden Dampfes Exfoliation der Haut eintritt. Schädliche Wirkungen wurden nur 
bei länger dauernder Einwirkung namentlich hoher Temperaturen gesehen. Bei pathologisch ver¬ 
änderter Haut kommt es zur Abstossung der aufgelagerten Schuppen und Krusten, zur Resorption 
der Infiltrate, sowie zur Abstossung und Ueberhäutung der nekrotischen Stellen. 

Was die Technik der Behandlung mit Wasserdampf betrifft, so geschieht sie mittels eigens 
hierzu konstruierter Dampfzerstäuber oder mittels Vorrichtungen, welche Inhalationsapparaten ähnlich 
sind. Auf letzterem Prinzipe beruhen die für diese Zwecke vom Vortragenden benutzten Apparate* 
welche jedoch eine wesentliche Verbesserung dadurch erfahren haben, dass der für das Gesicht be¬ 
stimmte trichterförmige Hohlraum durch an den Schlauch anfügbare kleinere Glascylindcr ersetzt 
ist, welche den verschiedenen Gesichtsantheilen entsprechend konstruiert sind. Vor der Applikation 
des Dampfes wird die Haut durch Seifenwaschungen entfettet und nach denselben zur Erhöhung 
des Tonus einem flüchtigen Kältereiz ausgesetzt Bei der ersten Sitzung stellt man die individuell 
tolerierte geringste Entfernung des Apparates von der Applikationsstelle fest und trachtet, sich 
einerseits während der Sitzung, die 10—15 Minuten dauert, andererseits in den nachfolgenden 
Sitzungen zu immer stärker werdender Applikadonsweise einzuschleichen. Bei dieser Art der 
Anwendung kommt es nie zu Verbrühungen und höchstens bei sehr empfindlicher Haut anfänglich 
zu rasch vorübergehender Quaddelbildung. Die Dauer der Kur richtet sich nach der Schwere des 
Einzelfalles, und es gilt als Hegel, die Prozedur auch nach dem Verschwinden der letzten Spur von 
Infiltration noch einige Zeit fortzusetzen, da sonst erfahrungsgemäss von diesen Infiltrationsherden 
aus leicht Rezidive eintreten. Den Apparat dem Kranken zu übergeben, hat sich wegen der dabei 
unvermeidlichen Unzukömmlichkeiten als unrathsam erwiesen. 

Aber auch diese Art der Medikation ist, selbst wenn man zur Beschleunigung der Heilung 
mit dem Dampfe gleichzeitig medikamentöse Stoffe (Seifenspiritus, Essig) auf die Haut verstäubt, 
für den Arzt und den Patienten oft sehr zeitraubend. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, hat 
Vortragender nach zahlreichen sorgfältigen Untersuchungen in seiner Anstalt in Levico eine von 
Erfolg gekrönte Behandlungswcise ausgearbeitet, welche wegen ihrer Einfachheit und Bequemlich¬ 
keit in vielen Fällen alle bisherigen Methoden zu verdrängen geeignet ist. Diese Methode besteht 
in örtlicher Applikation von Levicowasser auf die Haut Die Ausführung geschieht in folgender 
Weise: Eine Maske aus Flanell oder Leinewand, welche den Gesichtsformen möglichst genau an¬ 
gepasst ist, wird mit verdünntem Levicowasser getränkt, sorgfältig angelegt, zur Verhinderung des 
Austrocknens mit einem wasserdichten Stoff bedeckt und über die Nacht liegen gelassen. Die An¬ 
legung kann nach der ärztlichen Unterweisung in der Folgezeit natürlich durch den Patienten selbst 
geschehen, und der Erfolg gleicht, was Kürze der Behandlungsdauer und Vollkommenheit betrifft, 
dem mit Dampfbehandlung; auch können beide Methoden kombiniert werden. 

Bei der Anwendung des Levico wassere zur Acnetherapie vereinigen sich vielerlei Faktoren 
zu einer gemeinsamen, sich gegenseitig unterstützenden Wirkung. Zunächst handelt es sich um eine 
einfache Wirkung eines erregenden Umschlages, bedingt durch Temperaturdifferenz zwischen 
Haut und Umschlag, welche zu einer ausgleichenden vasomotorischen Thätigkeit Veranlassung giebt 
In zweiter Linie kommt die spezifische Wirksamkeit der in Levicowasser aufgelöst enthaltenen 
mineralischen Bestandteile in Betracht, welchen im allgemeinen eine adstringierende, 
tonisierende und baktericide Wirkung zukommt Die einzelnen dabei in Betracht kommenden 
Komponenten sind: der Schwefel, dessen dermatotherapcutische Bedeutung ja hinlänglich bekannt 
ist; das Eisen mit seiner spezifischen Wirkung auf die die Acne begleitende Anämie und Chlorose, 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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und das Arsen, dem eine vortheilhafte Beeinflussung des gesammten Stoffwechsels und eine um- 
stimmende Wirkung auf den darniederliegenden Tonus der Gewebe zugeschrieben wird. — Neben 
der lokalen Anwendung von Levicowasser haben sich namentlich in Fällen, wo die Acne auch 
über den Stamm verbreitet war. auch allgemeine protahierte Bäder mit diesem Wasser und interner 
Gebrauch desselben vorzüglich bewährt. 

Als ein von vielen Seiten vernachlässigtes und doch sehr berücksichtigenswerthes Hilfs- 
verfahren, welches ebenfalls vom Patienten selbst ausgeführt werden kann und deshalb eine Ent¬ 
lastung des Arztes bei dieser langwierigen Krankheit bedeutet, bezeichnet Vortragender die Gesichts¬ 
massage, und zwar in der Form, welche ihr der russische Forscher Pospelow gegeben hat. 
Pospelow hat mit Berücksichtigung der Verlaufsrichtung der Spaltlinien der Haut, der Gesichts¬ 
muskulatur und der Hautdrüsen ein Schema entworfen, bei dessen genauer Ausführung der Inhalt 
der Talgdrüsen entleert wird und ein Ein treiben von Mikroorganismen in die Lumina derselben 
ausgeschlossen erscheint. Die Massage des Gesichtes nimmt der Patient selbst, der das Schema vor 
sich liegen hat, jeden Abend mit erwärmten und angefetteten Fingerspitzen vor, wischt am nächst¬ 
folgenden Morgen das Fett fort und massiert dann durch 10—15 Minuten mittels eines mit Tuch 
überzogenen Wattebäusehchens. Bei mehrmonatlicher konsequenter Durchführung dieses Verfahrens 
sah Vortragender namentlich bei Acne indurata sehr schone Erfolge. Nur bedient sich Vortragender 
in seiner Anstalt zur Gesichtsmassage nicht der Finger, sondern einer elektrisch betriebenen Welle, 
an welcher entsprechende Ansatzstücke angebracht werden können, und zum Gebrauche der Patienten 
hat der Vortragende ursprünglich kleine geriffte, in einem Gehäuse beweglich angebrachte Holz¬ 
kugeln bestimmt, denen aber der Nachtheil schwerer Reinhaltung anhaftete; auf seine Veranlassung 
wird daher von der Firma Löblich und Dohnal in Wien ein solcher sehr zweckdienlicher Apparat 
aus leicht desinfizierbarem Metall hergestellt. 

Zum Schlüsse bespricht Vortragender die Prophylaxe der Acne vulgaris. Dabei kommt 
zunächst die viel umstrittene Frage der Diät in Betracht, die aber derzeit noch keineswegs spruch¬ 
reif ist; es dürfte sich jedenfalls empfehlen, alle Nahrungsmittel, welche einen Ueberschuss an Magen¬ 
saure und Gasentwicklung verursachen, zu vermeiden. Nebenbei ist die Darmthätigkeit durch Gym¬ 
nastik und Massage anzuregen. Zum Waschen ist am besten abgekochtes Wasser zu verwenden, 
zum Abtrocknen ein reines, frisches Handtuch; der Gebrauch von Badeschwämme und Frottieriappen, 
welche als wahre Staub- und Bacillenfänger bezeichnet werden, ist direkt verwerflich. 

Länderer (Stuttgart), Theoretische und praktische Grundlagen unserer Mnndbehandlnng. 

In der modernen Mundbehandlung fliessen zwei Strömungen zusammen: 1. die bakterio¬ 
logische mit Pasteur beginnend und seinem fundamentalen Versuch, dass in einer fäulnissfähigcn 
Flüssigkeit die Fäulniss ausbleibt, wenn dieselbe gekocht und von der Luft abgeschlossen wird. 
Lister führte diese Lehre weiter und begründete die Prophylaxe. Obwohl nun die Lister’schen 
Leitsätze theoretisch gänzlich unhaltbar waren, haben sie sich in der Praxis glänzend erwiesen, was 
den Satz bestätige, dass Theorie und Praxis oft nicht mit einander übereinstimmen Weiter ver¬ 
danken wir Koch unendlich viel durch seine Forschungen über die accidentellen Mundkrankheiten, 
über Nährböden etc. Die chirurgischen Infektionskrankheiten nehmen nun eine ganz besondere 
Stellung in der Lehre von den Infektionen ein; man weiss wohl, welche Krankheiten der Pest-, 
der Typhusbacillus erzeugt, allein auf dem Boden der chirurgischen Mundkrankheiten hat die 
Spezifität der Mikroorganismen ein grosses Loch. Von einem Abscess z. B. kann man fast niemals 
vor der Eröffnung sagen, welches Bakterium zu Grunde liegt; derselbe Mikroorganismus kann klinisch 
verschiedene Bilder machen, es giebt also hier keine spezifische Erkrankung. Ein weiterer unauf¬ 
geklärter Punkt ist die Annahme, dass die meisten Infektionen zur Heilung gelangen. Dass der 
Körper toxische Stoffe ausscheidet oder immunisierende erzeugt, das ist bei den chirurgischen 
nicht der Fall Koch hat ferner gezeigt, dass kochende Hitze, strömender Dampf die sichersten 
Desinfektionsmaassregeln sind, viel sicherer als chemische; Bergmann und Schimmelbusch 
haben praktisch dies gezeigt, und trotzdem ist die absolute Keirafrciheit der Hände und des 
Operationsfeldes noch immer eine ungelöste Frage, wenn wir auch gute praktische Mittel besitzen. 
2. Der histologische Standpunkt. In der Zeit der Hochfluth der Antipepsis hat man sich um die 
<Tewebe garnicht gekümmert, man hat sie vernachlässigt, zerschnitten etc. etc. Heute wissen wir, 
das« wir Gewebe zu schonen, ihre Widerstandsfähigkeit möglichst wenig herabzusetzen haben. 
Quetschen wir Gewebe, so wissen wir genau, dass diese geschädigten, malträtierten Gewebe leicht 
Bakterien aufnehmen können, ein gesundes, wenig verletztes Gewebe bietet keine Disposition, 
ein mechanisch gequetschtes Gewebe besitzt diese Disposition. Durch eigene Fehler kann man 
Z*it?chr. f. diät u. physik. Therapie Bd. VI. Hoft 4. 17 


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242 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


eine Disposition schaffen, indem man Wunden ohne genügende Blutstillung verschliesst, Blut¬ 
gerinnsel auf ihnen lässt etc. Diese Dispositon kann man mikroskopisch nach weisen — Zellen blähen 
sich auf, zerfallen. Man weiss ferner, dass chirurgische Infektionen zuerst lokal sind; den Ueber- 
gang der lokalen in allgemeine Infektion können wir nur auf dem Wege der alten klinischen Er¬ 
fahrung bekämpfen, nämlich durch Incision, Entspannung, die die Weiterbildung der Toxine hint¬ 
anhält Ein weiterer Punkt, wo Theorie und Praxis nicht zusammen stimmen, ist das Verhältniss 
der Asepsis zur Antisepsis; erstere ist theoretisch wichtiger, die Praxis hat aber gezeigt, dass beide 
in richtiger Kombination zusammen gehören. 

Marc use (Mannheim), Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie« 

Der Vortrag ist in extenso in Bd. VI Heft 3 dieser Zeitschrift erschienen. 

Röchling (Misdroy), Die Reizbarkeit gegen GehörseindrUcke bei Neurasthenie nebst prak¬ 
tischen Folgerungen für die Kurorte. 

Die geistige Ermüdung, die Folge der Abnutzung der den höheren Funktionen dienenden 
Gehimtheile durch Arbeit und Alter tritt entsprechend deren langsamen Aufbau nur allmählich ein, 
aber auch der Ausgleich findet nur zögernd statt, nicht allein weil ausreichend Schlaf zur Fort- 
schwemmung der Ermüdungsprodukte durch die Lymphgcfässe erforderlich ist, sondern vor allem 
weil die Gehirnzellen die hochstwerthigen chemischen Verbindungen des ganzen Organismus dar¬ 
stellen. An dem Zustandekommen und an der Fortdauer der geistigen Uebermüdung ist mindestens 
eben so sehr als die aktive geistige Arbeit die rezeptive Seite der Gehimthätigkeit betheiligt, 
die Aufnahme der Sinnes Wahrnehmungen, und unter diesen sind in erster Linie die unmittelbar 
wirkenden Gehörseindrücke von Einfluss. Die empirisch längst bekannte Thatsache der direkten 
Einwirkung der Schallwahmehmungen auf die geistige Stimmung lässt sich heute durch eine Reihe 
meist neuerer Ergebnisse aus verschiedenen Gebieten der medicinischen Forschung ausreichend und 
ungezwungen erklären: Das Gehörorgan und der n. acusticus verhält sich gegen elektrische Reizung 
nahezu neutral; die Ermüdung des Gehörs verschwindet wenige Sekunden nach Aufhören der 
Ursache spurlos; Hyperästhesie des Gehirns ist einwandfrei nur bei äusseren Ohrenerkrankungen 
nachgewiesen: die Empfindung, dass Geräusche wehthun, gilt dem Otologen als ein Symptom 
centraler Erkrankung. Die subjektiven akustischen Bilder werden beim doppelseitigen Hören in 
den Kopf, nicht ins Ohr verlegt, Gehöreindrücke erregen häufig Sinnesempfindungen im Sehorgan 
und umgekehrt Bei dem geistig Ermüdenden werden Gehörseindrücke, die sich nicht direkt an ihn 
wenden, als Störung unangenehm empfunden; ihre Häufung macht reizbar, verdirbt die Stimmung 
und beeinträchtigt hierdurch die aktive Arbeit Bei Fortdauer der Ermüdung können Schall¬ 
empfindungen, besonders plötzliche, ein Gefühl körperlichen Schmerzes erregen, während weiterhin 
durch Uebung auch während des Schlafes Töne und Geräusche zur Empfindung kommen, wodurch 
der Neurastheniker seines besten Heilmittels beraubt wird. Diese Empfindlichkeit gegen Gehörs¬ 
eindrücke ist ein Attribut der grossstädtischen Neurasthenie; sie fehlt bei der in manchen Gegenden 
verbreiteten Nervenschwäche kleiner Landbewohner, die oft durch eine allzu grosse Gleichartigkeit 
der ganzen Lebensführung bedingt wird. Doch auch die Grossstädte unterscheiden sich je nach 
dem Charakter der Bevölkerung. Prophylaktisch lässt sich auch in der Grossstadt manches er¬ 
reichen durch richtige Wahl des Arbeitszimmers, durch gute Dielung und Bodenbelag, Doppel¬ 
fenster, mechanische Thürschlicsser und durch nächtliche Isolierung. Bei einem Erholungsaufenthalt 
scheue man sich nicht anfangs Brom, Do welsches Pulver und dergl. anzuwenden. Vor allem aber 
ist das Verhalten der Kurorte wichtig, die ja in überaus grosser Zahl die Neurastheniker zum Be¬ 
suche einladen, die sich der hieraus erwachsenden Pflichten vielfach nur wenig bewusst sind. Die 
fast überall durchgeführte Theilung des Kurortes in einen geschäftlichen und in einen Villenthcil 
genügt nicht, um den Patienten die nothwendige Ruhe zu verbürgen, die immerhin keine Kirchhofs¬ 
ruhe sein soll, da auch der Neurastheniker Anregung und Unterhaltung bedarf. Unzweckmässige 
und liederliche Bauart der Logierhäuser, ein Ucbermaass von Glockengeläut, öffentliches Ausschellen 
zur Unzeit, Strassenpflaster, fehlerhafte Wegüberführangen, schnelles Fahren, Unerzogenheiten von 
Kurgästen und Einwohnern, Hühnerställe und manches andere bringt, wie drastische Beispiele 
zeigen, erhebliche und schmerzlich empfundene Belästigung. Die meisten Uebelstände lassen sich 
leicht abschaffen durch das einfache Mittel des Ortsstatuts. Das Ideal wäre die Einführung einer 
Art von Polizeistunde für die Sommers der Ruhe gewidmeten Mittagsstunden von 2—4 Uhr. Wie 
die Balneologische Gesellschaft in den letzten Jahren für die Hygiere in den Kurorten erfolgreich 
eingetreten ist, so möge sie zu gegebener Zeit die Kurorte für Nervenkranke mahnen: Ruhe ist die 
erste Bürgerpflicht. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


243 


Zangger (Zürich), Der Stand der Volksheilstättenbewegung in der Schweiz. 

Die von Deutschland ausgegangene Bewegung hat auch in der Schweiz einen mächtigen Nach¬ 
hall gefunden und zur Gründung von Heilstätten geführt, sodass heute auf je 9000 Einwohner ein 
Bett kommt (in Deutschland erst auf je 10000 Einwohner). Im Besitze beträchtlicher Mittel konnten 
die Schweizer Volksheilstätten schon Ende 1900 jährlich 1240 Patienten den Durchschnittsaufenthalt 
von 107 Tagen gewähren. Von den 2677 Patienten, welche eine längere Kur in den Sanatorien 
durchmachten, waren 39% im ersten, 32% im zweiten und 29% im dritten Stadium; 82% der 
Kranken wurden gebessert entlassen. Redner schlägt vor, für denjenigen Patienten des ersten 
Stadiums, welche scheinbar geheilt das Sanatorium verlassen haben, die Bezeichnung »relativ geheilt« 
einzuführen, durch Nachuntersuchung nach drei Jahren kann dann wohl die Mehrzahl dieser Patienten 
als geheilt registriert werden. Von den im ersten Stadium befindlichen Kranken wurden 87 % 
wesentlich gebessert, von den im zweiten Stadium nur 47%, dies beweist also den enormen 
Werth möglichst frühzeitiger Sanatoriumsbehandlung, ln Fällen, wo die Ueberführung in ein 
Sanatorium aus äusseren Gründen (unüberwindliche Abneigung etc.) unmöglich ist, tritt eine häus¬ 
liche hydrotherapeutische Kur in Kraft; Redner hat in 16 solcher Fälle in den letzten drei Jahren, 
die ausschliesslich hydriatisch behandelt wurden, die gleichen Resultate erzielt wie in den Sanatorien, 
und hat die »relative Heilung« von 10 Fällen im ersten Stadium 6 Monate bis 21/2 Jahre Bestand 
gehabt. Es handelte sich ausschliesslich um einfache leicht ausführbare Prozeduren wie Abreibungen 
und Kreuzbinden, eventuell später noch um Douchen und Halbbäder. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Verschiedenes. 

Goldscheider und Jacob, Handbuch der 
physikalischen Therapie. Theil 2. Bd. 2. 
Leipzig 1902. Georg Thieme. 

Dem letzten Bande des grossen Handbuches 
ist ein Schlusswort der Herausgeber vorangestellt, 
welches in einem Danke an v. Leyden ausklingt. 
Der Inhalt dieses letzten Bandes ist ein überaus 
reichhaltiger. 

Die erste Abtheilung, die Erkrankungen 
der Cirkulationsorgane sind: von Litten 
und Lennhoff: Herzklappenfehler, Lazarus: 
muskuläre Insufficienz des Herzens und Er¬ 
krankungen des Perikards, Litten: Gefäss- 
erkrankungen, bearbeitet worden. Es ist gewiss 
nicht leicht, diesem Thema, über das wir gerade 
aus jüngster Zeit umfassende und vorzügliche 
Monographien besitzen, eine neue Darstellung 
zu geben. Man kann aber diesem Kapitel nach¬ 
rühmen, dass es frisch und anregend geschrieben 
ist, wenn auch gewisse Wiederholungen, z. B. die 
doppelte Besprechung der kohlensauren Bäder, 
sich nicht haben vermeiden lassen. Erwähnens- 
werth erscheint, dass Litten mehr der Grödel 
und G räup ne r’sche Auffassung, Lazarus mehr 
den Scho tuschen Ansichten zuneigt. 


Senator hat das folgende Kapitel, die 
physikalische Therapie der Nieren¬ 
erkrankungen, bearbeitet. Es zeichnet sich 
seine Darstellung durch eine ruhige Kritik aus. 

Die Erkrankungen der tieferen Harn¬ 
wege hat Posner übernommen, der die physi¬ 
kalischen Heilbehelfe bei akuter und chronischer 
Gonorrhoe, sowie bei den Komplikationen der¬ 
selben bespricht, der chronischen Cystifls, Prosta¬ 
titis, den Strikturen u. s. w. besondere Kapitel 
widmet, endlich die nervösen Blasenerkrankungen, 
die Erkrankungen der Harnleiter und der Nieren¬ 
becken behandelt. Ueberall findet man ver¬ 
ständigerweise vor einem Zuviel gewarnt und 
die Beziehungen zur allgemeinen Neurasthenie 
gebührend hervorgehoben. 

Fürbringer, welchem das nächste Kapitel, 
die Erkrankungen der männlichen 
Geschlechtsorgane, zugefallen ist, behandelt 
vorzugsweise die Störungen der Geschlechts¬ 
funktionen, die sexuelle Neurasthenie in kurzer 
aber erschöpfender Weise. Hervorgehoben mag 
die Warnung vor dem kritiklosen Gebrauch des 
Psychrophors sein. 

Die folgenden umfangreichen Kapitel über 
die physikalischen Heilmethoden in der 
Gynäkologi’e und in der Geburtshilfe sind 

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244 


Referat© über Bücher und Aufsätze. 


von Gottschalk bearbeitet und mit einem I 
Anhang über die Störungen der Menopause j 
von Kisch versehen. Referent muss sich natur- 
gemäss als Nicht-Spezialist eines Urtheils über j 
diese Abschnitte enthalten. j 

Sehr detailliert und genau hat Riegel die , 
physikalischen Behelfe bei Oesophagus- I 
erkrankungen, namentlich die Sondierungen 
und Dilatationen und Dauerkanülen beschrieben; 
ebenso sorgsam schildert derselbe Autor die 
Magenspülung, die Magendouchen, die Anwen¬ 
dung der Massage und die elektrischen Verfahren, 
ferner die hydro- und thermotherapeutischen sowie 
orthopädischen Methoden, um dann in einem 
ferneren Abschnitt die Anwendung bei den ein¬ 
zelnen Formen der Magenerkrankungen zu geben. 

v. Jacksch bringt die physikalische 
Therapie der Erkrankungen des Darmes 
und des Bauchfells; er hat sich dabei mit 
Recht auf diejenigen Krankheitsformen beschrankt, 
in denen die physikalischen Methoden wirklich 
etwas leisten. Bemerkenswerth ist sein warmes 
Eintreten für die von Winternitz vorgeschlagene 
hydriatische Behandlung der Diarrhöen, die mit 
Krankengeschichten belegt ist. Auch der Referent 
hat in geeigneten Fällen von dieser Methode 
gutes gesehen. 

Die Erkrankungen der Leber und der 
Gallenblase sowie die der Milz haben 
Strauss zum Verfasser. Dieser Abschnitt, der 
theilweise eigene Untersuchungen bringt, z. B. 
Messungen des Druckes in der Gallenblase am 
Menschen, giebt namentlich ausführlichere Be¬ 
sprechungen des Icterus catarrhalis, der Gallen¬ 
steinerkrankungen, der Lebercirrhosen und ent¬ 
hält manche nützliche Rathschläge und Erfah¬ 
rungen des Verfassers. | 

Es folgt die Darstellung der physikalischen 
Heilmethoden bei Neuritiden und peri- i 
pheren Lähmungen von Goldscheider, die 
reich illustriert ist und deutlich zeigt, dass Gold- | 
schcider über die verschiedenen Methoden der | 
Hebungen sowie der Stutz- und Korrektions- < 
apparate eine reiche eigene Erfahrung besitzt. j 

Die physikalische Therapie der > 
Krämpfe und Neuralgien ist von v. Frankl- I 
Hochwart kurz aber anschaulich geschildert. | 

Sehr ausführlich ist der Abschnitt über die 
spinalen Erkrankungen, den Jacob ge- I 
schrieben hat. Auch hier sicht man, dass es | 
sich um des Verfassers Spezialgebiet handelt und ! 
dass er sich namentlich mit der kompensatorischen 1 
Uebungstherapie sehr intensiv persönlich be¬ 
schäftigt hat. 

Die physikalische Therapie der Ge¬ 
hirnkrankheiten hat Jollv bearbeitet. Die 


kurze, 17 Seiten umfassende Abhandlung lässt 
auf jeder Zeile den erfahrenen Kliniker, der Un¬ 
wichtiges vom Wesentlichen zu trennen weiss, 
erkennen. Sehr dankenswerth ist der Anhang 
dazu von Goldscheider, der in systematischer 
Weise die Uebungstherapie bei den ver¬ 
schiedenen Formen der Aphasie schildert. 
Goldscheider hat dieses viele Geduld und Mühe 
erfordernde Feld sichtlich mit Vorliebe bestellt 
und giebt klinisch sehr brauchbare Einzel Vor¬ 
schriften. 

DieN eurasthenie und Hy st eriehatD et er¬ 
mann übernommen, und eine sehr lesenswerthe 
Darstellung gegeben. Determann betont wieder¬ 
holt die Wichtigkeit der psychischen Beeinflussung, 
für welche die physikalischen Heilmethoden ein 
sehr bequemer Träger sind. Auch er warnt dem¬ 
entsprechend vor jedem Zuviel und räth zum 
strengsten Individualisieren. Durchaus richtig ist 
der Standpunkt, den er zum Beispiel den kalten 
Abreibungen gegenüber einnimmt. 

Strasser hatdiephysikalischeTherapie 
der Epilepsie gut und ohne Uebertreibungen 
ihrer Leistungsfähigkeit beschrieben. 

Hoffa schildert die mechanische Be¬ 
handlung der Chorea und Athetose in 
einer anzuerkennenden Weise. Man findet manches 
Neue in dem kurzen Artikel. 

Den Schluss des Bandes bilden Laquer’s 
Abhandlungen über die physikalische 
Therapie der Migräne und der Be¬ 
schäftigungsneurosen. Der Abschnitt über 
die erster© Erkrankung bringt die Methoden, 
die man versuchen kann, namentlich eigene 
Erfahrungen über Vibration mit dem »Tremolo« 
genannten Apparat, sowie über den Lichtheil¬ 
apparat Heliodor. 

Alles in allem ist auch dieser Band eine 
Quelle mancherlei Anregung und Belehrung. 
Man sieht, dass alle Autoren sich die Mühe ge¬ 
nommen haben, persönliche Erfahrungen zu 
sammeln und zu bringen. Referent möchte zum 
Schluss das Urtheil aussprechen, dass Gold- 
scheider und Jacob sich gerade dadurch ein 
grosses Verdienst erworben haben, dass mit 
diesem Handbuch eine Summe von Erfahrungen 
kritikvoller Autoren festgelegt ist. In einer 
zweiten Auflage wird das ganze Werk vielleicht 
einheitlicher ausfallen, jetzt jedenfalls ist in dieser 
jungen Disziplin cs durchaus berechtigt und er¬ 
forderlich gewesen, dass man der Individualität 
des einzelnen Autors einen möglichst breiten 
Spielraum gelassen hat. 

M. Matth es (Jena). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


245 


Otto Roth, Klinische Terminologie. Sechste 
Auflage. Leipzig 1902. Georg Thieme. 

Das bekannte, bereits vor 25 Jahren von 
Roth herausgegebene Werk hat, nachdem es 
inzwischen von verschiedenen anderen Autoren 
in mehreren Auflagen bearbeitet worden ist, 
nunmehr seine sechste Auflage erfahren; sie ist 
vonVierordt in Tübingen herausgegeben. Wie 
früher, so erhebt sich auch diesmal das Werk 
über den Rahmen einer einfachen Terminologie, 
da bei einer grossen Reihe von Namen ausführ¬ 
liche Erläuterungen didaktischer Natur bei¬ 
gegeben worden sind. Besondere Aufmerksam¬ 
keit hat der diesmalige Herausgeber dem 
ethymologischen Theile und der Anleitung zur 
richtigen Aussprache der einzelnen Worte ge¬ 
widmet. Viele neue Worte und Begriffe finden 
sich in der neuen Auflage vor, ohne dass dabei 
eine maassvolle kritische Einschränkung zu ver¬ 
missen ist. — So wird das Buch Studenten 
wie Aerzten, welche bei wissenschaftlichen Ar¬ 
beiten so oft eines Nachschlagewerkes für 
technische Ausdrücke bedürfen, werthvolle Auf¬ 
schlüsse geben. Paul Jacob (Berlin). 


€. Blass, Die Impfung und ihre Technik. 

Zweite durchgesehene Auflage. Leipzig 1901. 

Naumann’s medicin. Bibliothek No. 2. 

Ein sehr brauchbares Büchlein, welches alles 
enthalt, was der praktische Arzt von der Impfung 
wissen soll. In übersichtlicher und präziser Weise 
erörtert Verfasser die Geschichte, Methodik und 
die Komplikationen der Impfung. Im Anhänge 
findet sich eine Zusammenstellung der Reichs¬ 
impfgesetze. P. Lazarus (Berlin). 


George Meyer, Deutscher Kalender für 

Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger 

auf das Jahr 1902. Frankfurt a. Main 1901. 

Von dem rasch beliebt gewordenen Kalender, 
welchem E. v. Leyden ein kurzes Geleitwort 
auf den Weg mitgegeben hat, liegt der 4. Jahr¬ 
gang für 1902 vor. Der Herausgeber hat eine 
grössere Anzahl tüchtiger Mitarbeiter für den 
wissenschaftlichen Theil neugewonnen; derselbe 
enthält Abhandlungen aus der Feder von Frank, 
»Ueber die Pflege chirurgisch Kränkere, von 
Warnekros, »Die Mundpflege bei Kranken«, 
W. Croner, »Die künstlicho Ernährung«, Bern¬ 
hard »UeberPflege des kranken Kindes«, Abels¬ 
dorff, »Ueber die Pflege Augenkranker«, Jacob¬ 
son, »Ueber die Pflege des erkrankten Ohres«, 
Cohn-Frankfurt a. M., »Ueber die Ausbildung 
der Schwestern vom rothen Kreuz«. Sämmtlichc 


Artikel, denen sich die aus früheren Jahrgängen 
übernommenen, zum Theil erweiterten Kapitel 
von Esmarch (Antisepsis und Asepsis), vom 
Herausgeber (erste Hilfeleistung bei Unfällen), 
Schlesinger (Bemerkungen zur Krank eu- 
emährung), Soltsien (Sanitätskolonnen und 
Krankenpflege) hinzugesellen, erfüllen in vortreff¬ 
licher Weise ihre Aufgabe, das für das Pflege¬ 
personal Wissenswerthe aus den betreffenden 
Spezialgebieten in knapper und leicht verständ¬ 
licher Diktion zu bringen. 

Der erste Theil des Kalenders umfasst Uebcr- 
sichten über Körpertemperatur, Puls und Respi¬ 
ration, Maass- und Gewichtstabeiion, sowie ein 
Kalendarium nebst Notizblättem; störend wirkt 
bei letzterem die auf jeder Seite sich breit 
machende, auf Anpreisung des »Perdynamin« 
hinzielende Reklame, welche in einem von ärzt¬ 
licher Seite herausgegebenen Taschenbuch dem 
Referenten recht deplaziert erscheint. 

Eine im Beiheft angefügte, von Dietrich 
herrührende Zusammenfassung der für das Pflege¬ 
personal wichtigsten Bestimmungen der deutschen 
Reichs- und Landesgesetzgebung stellt eine werth¬ 
volle Bereicherung des empfehlenswerthen, 
schmuck ausgestatteten Büchleins dar. 

Hirschei (Berlin). 


B. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Bftlz, Ueber vegetarische Massenernährung 
and über das Leistangsgleichgewicht. Berliner 
klinische Wochenschrift 1901. l.Juli. 

In dem sehr interessanten Vortrage theilt 
Verfasser die Erfahrungen mit, die er in Japan 
gemacht hat, wo das Volk zum grossen Theil, 
aus Gewohnheit oder Zwang, aus Vegetariern 
besteht. Er weist darauf hin, wie der bekannte 
Voit’sche Satz von den 120 g als Eiweiss¬ 
minimum für die Nahrung des erwachsenen, 
arbeitenden Mannes eben nur für die europäische 
Lebensweise gilt; der Japaner bleibt bei einer 
Kost, die einen viel geringeren Eiweissgehalt 
besitzt und dabei überwiegend vegetarisch ist, 
völlig arbeite- und leistungsfähig. 

Mit besonderem Nachdruck betont Balz — 
und das erscheint dem Referenten recht werthvoll 
—- wie wichtig es überhaupt ist, die Leistungs¬ 
fähigkeit dos Organ ismus, »das Leistungs¬ 
gleichgewicht« als Maassstab für den Werth 
einer Nahrung anzusehen und nicht nur einseitig 
den kalorischen Werth der Nahrungsmittel in 
Rechnung zu ziehen. »Die wahre physiologische 
Leistungsprobe sollte an die Stelle des Stickstoff¬ 
gleichgewichts oder an die Stelle der Chemo- 
dynamik und Chemostatik gesetzt werden«. 


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246 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


ln dieser Weise hat Verfasser einige Versuche 
angestcllt und dabei festgestellt, dass bei aus¬ 
schliesslicher Pflanzenkost die Leistungsfähigkeit 
eine sehr grosso sein kann. Die Fleischnahrung 
gestattet wohl für den Augenblick und für kurze 
Zeit eine intensivere und grössere Kraftleistung; 
der Vorzug der überwiegenden Pflanzennahrung 
liegt dagegen in der Ausdauer, die sie verleiht. 

Gegenüber den Anschauungen reiner Vege¬ 
tarier ist bemerkenswerth, dass Verfasser aus¬ 
drücklich hervorhebt, dass vegetarische Nahrung 
durchaus nicht etwa die normale Nahrung ist; 
denn es kann nicht jeder Mensch sofort den 
Uebergang zur Pflanzennahrung durchmachen. 
Ein japanischer Pflanzenesser gewöhnt sich 
vielmehr eher an unsere europäische gemischte 
Kost, als umgekehrt, so dass also auch bei ihm 
der Darmkanal nicht für den Vegetarismus, sondern 
für den Omniverismus eingerichtet ist. Aber fest¬ 
gehalten muss daran werden — so schliesst Ver¬ 
fasser —, dass man bei reiner Pflanzennahrung, 
besonders wenn man viel Bohnen und kon¬ 
zentrierte Pflanzenstoffe zusetzt, sein ganzes 
Leben lang kräftig zu arbeiten und gesund zu 
bleiben vermag, und dass diese Lebensweise 
ohne Schaden sogar durch verschiedene Gene¬ 
rationen fortgesetzt werden kann. 

P. F. Richter (Berlin). 

R. Lupine, La ldvnlosnrie alimentaire dans 
ses rapports avec les affections da foie. 

La semainc möd. 1901. No. 14. 

Die auffällige und von vielen Autoren be¬ 
stätigte Erscheinung, dass die Lävulose von 
vielen Diabetikern besser assimiliert wird als die 
Dextrose, während beim Gesunden das umgekehrte 
Verhalten Platz zu greifen scheint, findet, wie 
Löpine auseinandersetzt, ihre Erklärung in der 
Thatsache, dass die Leber des diabetischen 
Menschen ebenso wie die des durch Pankreas¬ 
exstirpation diabetisch gemachten Thieres die 
Fähigkeit bewahrt bat, die Lävulose in Glykogen 
umzuprägen, während ihr bezüglich der Dextrose 
diese Fähigkeit verloren gegangen ist. Intaktheit 
der Leber ist demgemäss eine unerlässliche Be¬ 
dingung für die Toleranz des Organismus gegen 
Lävulose, und es ist daher sehr erklärlich, wenn 
diese Toleranz, wie Löpine an der Hand zweier 
Fälle demonstriert, bei Leberkrankheiten erheb¬ 
lich beeinträchtigt ist. Unberührt von Affektionen 
der Leber ist dagegen, wie Löpine bei Be¬ 
sprechung der beiden Fälle besonders hervorhebt, 
und wie in Deutschland namentlich H. Strauss 
betont hat, das Verhalten des Organismus gegen 
Dextrose; und die abweichende Meinung einiger 
französischer Autoren, die an einen Zusammen¬ 


hang zwischen alimentärer Glykosurie und Leber- 
insufficienz glauben, findet nach Löpinc ihre 
einfache Erklärung in dem Umstand, dass die¬ 
selben zu ihren Experimenten Rohrzucker ver¬ 
wendeten, der ja bekanntlich ein Gemisch von 
Dextrose und Lävulose darstellt. Auf Grund 
dieser Erwägungen empfiehlt L6pine die Ver- 
i wendung der Lävulose zur Prüfung der Leber¬ 
funktion und bedauert nur, dass dieselbe im 
Preise so hoch steht, und dass es so schwer ist, 
sich dieselbe selbst chemisch rein darzustellen. 

Plaut (Frankfurt^. M.). 

| Wilhelm Ebstein, Die chronische Stnhl- 
I Verstopfung in der Theorie and Praxis» 

Stuttgart 1901. Enke. 

Die vorliegende, 258 Seiten umfassende, Mono¬ 
graphie des Göttinger Klinikers stellt ein ausser¬ 
ordentlich verdienstliches Werk dar, dessen Werth 
vor allem darin gelegen ist, dass hier ein ebenso 
kritischer als erfahrener Kliniker ein Gebiet be¬ 
handelt, dessen Darstellung gerade dem sub¬ 
jektiven Ermessen des Autors einen nicht ge¬ 
ringen Spielraum überlässt Denn wer nur 
einige von den zahlreichen, dasselbe Thema be¬ 
handelnden, Monographieen kennt, weiss recht 
gut, wie durchaus verschieden der Werth von 
zwei den gleichen Gegenstand bearbeitenden 
Abhandlungen ist. Da sich unter der grossen 
Anzahl derselben nicht allzuviel befinden, 
welche durch exakte Kritik und Originalität 
glänzen, so ist die Ebstein’sehe Monographie 
besonders willkommen. Treffen wir doch in 
ihr nicht nur die bekannte Gründlichkeit ihres 
Autors, die fast alle in Betracht kommenden 
Fragen an der Hand anatomischer, physiologischer 
| und klinischer Erwägungen ebenso eingehend als 
i kritisch erörtert, sondern auch zahlreiche persön¬ 
liche Erfahrungen des Autors diagnostischer und 
j therapeutischer Art wiedergegeben,sowie schliess- 
i lieh noch eine ganze Reihe von historischen Be¬ 
merkungen, die nach vielen Richtungen hin ein 
Interesse besitzen. Für den Leser ist dabei von be¬ 
sonderem Werthe, dass sich der Autor nicht nur 
von Spekulationen fern hält, sondern auch sich — 
was nicht für alle das gleiche Thema behandelnde 
Bücher gesagt werden kann — stets auf dem 
Boden der Thatsachen bewegt und mit weitem 
Blick alle die Fragen behandelt, welche mit dem 
Thema in mehr oder minder engem Zusammen¬ 
hang stehen. Dies gilt nicht blos für die 
j diagnostische, sondern auch für die therapeutische 
! Seite des Buches, welch letztere einen 
ziemlich breiten Raum in dem Werke ein- 
1 nimmt. Dadurch, dass Ebstein die Therapie 
— insbesondere auch die diätetisch-physikalische 



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Referate über Bücher und Aufsätze. 


— sehr im Detail schildert und seine persönlichen 
Erfahrungen über die Indikationsstellung und 
Wirkung der einzelnen therapeutischen Maass¬ 
nahmen ausführlich mittbeilt, gewinnt das Buch 
für den Praktiker eine besondere Bedeutung. Die 
Vielseitigkeit der besprochenen Fragen, sowie die 
klare objektiv-kritische Diskussion derselben und 
die zahlreichen in dem Buche enthaltenen prak¬ 
tischen Winke geben ihm ein begründetes Recht 
darauf, in dem Bücherschatze eines jeden Arztes 
eine Stelle zu finden. H. Strauss (Berlin). 


H. Willoughby Gardner, The dietetic 
valoe of sogar« British medical journal 1901. 
27. April. 

Die Wagschale des Zuckere ist in den letzten 
Jahren erheblich gestiegen. Betrachtete man ihn 
früher als Prügelknaben, dem man alle möglichen 
Krankheiten zur Last legte, von der Zahnkaries 
bis zur Flatulenz und der katarrhalischen Dis¬ 
position, so haben wir heute das »Zuckertraining« 
und den Zucker als Bestandteil der Soldaten¬ 
ration. 

Die Weltproduktion an Zucker betrug im 
Jahre 1900 7 933 000 t, 5 523 000 t Rübenzucker 
und 2 410 000 t Rohrzucker. Während der letzten 
15 Jahre hat sich der Weltverbrauch beinahe 
verdoppelt, der Verbrauch in Grossbritannien be¬ 
trug im Jahre 1700: 10 000 t, 1800: 150 000 t, 
1864 : 600 000t, 1885: 1 100 000t und 1900: 

1 627 000 t. Pro Kopf der Bevölkerung stieg der 
Verbrauch von 1869—1890 von 30 auf 86 englische 
Pfund. Es ist behauptet worden, dass der ausser¬ 
ordentlich hohe Zuckerverbrauch in England, der 
nur unter der Herrschaft des Freihandels möglich 
ist, die Erklärung sei für die Gesundheit und 
Leistungsfähigkeit der englischen Rasse. Aehn- 
lich hoch ist der Zuckerverbrauch pro Kopf nur 
noch in Amerika, so dass inan mit einigem Recht 
die Angelsachsen als die zuckeressende Rasse be¬ 
zeichnen könnte. In Deutschland z. B. beträgt 
der Zuckerverbrauch pro Kopf nur ein Drittel 
des englischen, was der Verfasser allerdings durch 
den Bier- beziehungsweise Maltosegenuss für 
einigermaassen kompensiert erachtet. Auch der 
Zuckerkonsum der Buren ist ein hoher, was der 
Verfasser offenbar, wenn auch nicht ausdrück¬ 
lich, bedauert, da sonst wohl der afrikanische 
Krieg viel früher beendet worden wäre. 

Die wissenschaftliche Entwickelung der 
Kohlehydratnahrung, besonders durch die Ar¬ 
beiten von Pettenkofer und Voit, und Mosso 
ist ja bekannt. Jedenfalls spielen die Kohle¬ 
hydrate eine gewaltige Rolle bei der Erzeugung 
der Muskelkraft. Es ist interessant, dass die 
japanischen Läufer an Ruhetagen viel Fleisch 


247 


essen und behaupten, davon kräftige Muskeln zu 
bekommen, während der Arbeitstage selbst aber 
hauptsächlich von Reis leben. Auch ln den 
Tropen soll vielfach eine vorwiegende Kohle¬ 
hydratnahrung als die gesundeste bezeichnet 
werden. Dass die Versuche in der deutschen 
Armee günstige Resultate für den Zucker er¬ 
geben haben, ist bekannt, ebenso, dass viele 
Alpinisten und Nordpolfahrer dem Zucker be¬ 
lebende und kräftigende Eigenschaften zuprechen. 
Also: Zucker für die Arbeit! 

M. Lewandowsky (Berlin). 


Knuth, Einiges über südamerikanische 
Fleischkonserven. Zeitschrift für Fleisch- 
und Milchhygiene 1901. Juni. 

Das südamerikanische Trockcnfleisch wird 
ohne weitere Zubereitung in starkem Luftstrome 
getrocknet und bildet besonders in Chile einen 
Handelsartikel. Die Bereitung des Dörrfleisches, 
dort Tasajo genannt, wird von Knuth aus¬ 
führlich beschrieben. Die Konservierung beruht 
im wesentlichen auf Austrocknung mittels Koch¬ 
salz. Der Tasajo wird hauptsächlich in Brasilien 
und auf den Antillen konsumiert; für Europa 
kommt er kaum in Betracht, obwohl ein kleiner 
Export nach Portugal, Spanien und Italien statt¬ 
findet. Gotthelf Marcuse (Breslau). 


Steinhardt, Ueber Magenansspülongen im 
Kindesalter. (Beitrag zur Behandlung der 
kindlichen Verdauungsstörungen). Münchener 
medicinische Wochenschrift 1901. No. IG. 

Die Magenausspülungen haben nach Stein¬ 
hardt^ Meinung bei der Behandlung von Ver¬ 
dauungsstörungen des Säuglings- und Kindes- 
altere bisher nicht die verdiente Beachtung seitens 
der Praktiker gefunden. Er empfiehlt sie an¬ 
gelegentlichst gegen die verschiedenen Formen 
des gastrischen Erbrechens, und zwar bei stür¬ 
misch und bedrohlich einsetzenden Fällen von 
Cholera infantum gleich von Anfang an, bei 
leichteren dyspeptischen Störungen dann, wenn 
die übliche medikamentöse und diätetische The¬ 
rapie versagt hat, endlich auch gegen das hart¬ 
näckige und wiederholte Erbrechen chronisch 
magenkranker Kinder; meist werden mittels der 
Ausheberung allein oder durch Kombination der¬ 
selben mit der sonst bewährten Diätetik und Me¬ 
dikation rasche und dauernde Erfolge erzielt. Als 
Spülflüssigkeit benutzt Verfasser reines, körper¬ 
warmes Wasser, das er in Mengen von je 100 ccm 
unter nicht zu hohem Druck einlaufen lässt; die 
Magenspülungen sind jedesmal so lange fort¬ 
zusetzen, bis das Wasser vollkommen klar ohne 


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248 


Referate Über Bücher und Aufsätze. 


sichtbare Beimengung von Schleim oder Speise¬ 
resten zurückfliesst. Die Technik bietet selbst 
bei ganz jungen Säuglingen keinerlei Schwierig¬ 
keit, wenn man, um Würgbewegungen und Brech¬ 
reiz bei den sich sträubenden kleinen Patienten 
zu vermeiden, den als Schlundsonde dienenden, 
weichen Nölatonkatheter (No. 6—8—10, je nach 
dem Alter des Kindes) nicht vom Munde aus, 
sondern durch die Nase einführt, und ihn mit 
Hilfe des bis zur hinteren Rachenwand vor¬ 
geschobenen linken Zeigefingers richtig gegen 
den Oesophagus hin dirigiert. 

Hirschei (Berlin). 


W. H. Gilbert, Diabeteskttche. Berlin 1902. 

Verlag: Die medicinische Woche. 

Das E. v. Leyden gewidmete, 72 Seiten 
umfassende, Büchlein stellt eine sehr praktische 
Sammlung von Kochrezepten für Diabetiker dar, 
von welchen man bekanntlich nie genug haben 
kann. Ausser den Küchengeheimnissen, in 
welche der Autor uns einführt, giebt er aber 
auch in seinen der Rezeptsammlung voraus¬ 
gesandten »Allgemeinen Bemerkungen« noch 
eine Reihe werthvoller Winke, welche sich auf 
die Hygiene des Essens im allgemeinen beziehen 
und infolgedessen für den Tisch eines Jeden 
passen, der seinen Verdauungsapparat schonen 
und leistungsfähig erhalten will. Ebenso finden 
wir in den am Schlüsse der Sammlung ent¬ 
haltenen »Bemerkungen über einzelne Speisen 
und Nahrungsmittel und ihre Verwendung« 
zahlreiche praktische Angaben, unter welchen 
vor allem die in der »Gleichwerthigkeitstabelle« 
enthaltenen Notizen und die Ausführungen des 
Verfassers über den Genuss und die Zubereitung j 
der Kartoffeln interessieren. Auch aus dem, | 
was der Autor über die Darreichung von Ge¬ 
müsen, Obst und Kompotten sagt, ersieht man, | 
dass wir es hier nicht mit einer am grünen Tisch | 
erwachsenen Kompilation, sondern mit den Dar- | 
legungen eines auf eigenen Erfahrungen 
urtheilenden, und zwar kritisch und maassvoll | 
urtheilenden, Therapeuten zu thun haben. Aus 
diesem Grunde kann das Büchlein mit gutem | 
Rechte einer allgemeinen Benützung empfohlen I 
werden. H. Strauss (Berlin). | 


C. Wegele, Die diätetische Küche für Magen- I 
und Darmkranke. 2. Auflage. Jena 1902. 
G. Fischer. I 

Bei der Besprechung der zweiten Auflage | 
dieses für den praktischen Gebrauch bestimmten 


Büchleins dürfen wir mit Freude konstatieren, 
dass die günstige Prognose, die wir vor 1 1/2 Jahren 
(Bd. IV. S. 426) diesem Buche gestellt hatten, 
durchaus — und zwar nach vollem Verdienste — 
eingetroffen ist Nicht zum Mindesten war dies 
die Folge des Umstandes, dass das Büchlein trotz 
seiner kompendiösen Fassung so ziemlich alles 
enthält, was praktisch wichtig ist und zwar 
in einer Form, der man auf Schritt und Tritt 
anmerkt, dass man es hier mit den Rathschlägen 
eines erfahrenen Praktikers und eines streng 
wissenschaftlich denkenden Arztes zu thun hat. 
Wenn auch die zweite Auflage, trotzdem sie 
gegenüber der ersten nur wenig verändert ist, 
den Fortschritten der letzten zwei Jahre durch¬ 
aus angepasst ist, so würde Referent doch bei 
Besprechung der Behandlung der Motilitäts¬ 
störungen das Fett gerne etwas mehr gewürdigt 
wissen. Indessen es führen viele Wege nach 
Rom, und man nennt mit vollem Recht immer 
zuerst denjenigen, welchen man selbst genau 
ausprobiert hat, namentlich wenn man, wie dies 
von Wegele hier ruhig gesagt werden darf, 
in den Ruf eines sicheren und zuverlässigen 
Führers gekommen ist Für die rasch erfolgende 
Beliebtheit des Büchleins war sicherlich auch die 
dem Buch beigegebene, von Frau Jose fine 
Wegele bearbeitete und zum Theii selbstständig 
erweiterte Sammlung guter Kochrezepte von 
nicht geringer Bedeutung. 

H. Strauss (Berlin). 


F. W. Pftvy, Ueber experimentelle Glykosurie. 

Wiener medicinische Blätter 1901. No. 44 

und 45. 

P a vy bespricht in diesem auf der vorjährigen 
69. Jahresversammlung der Britisch Medical Asso¬ 
ciation gehaltenen Vortrag in überaus klarer 
Weise die Entstehungsarten der Glykosurie und er¬ 
örtert des Genaueren die Beziehungen des Zuckers 
zum Eiweiss der lebenden Zelle. Bei der Assi¬ 
milation des Zuckers und seiner Unterbringung 
im Körper spielt die Zellfunktion eine grosse 
Rolle. Es ist eine allgemeine Eigenschaft des 
Protoplasmas, passende Kohlehydratsubstanzen zur 
Aufnahme durch seine Lebensvorgänge brauchbar 
zu machen. Für das Glykogen hat Pflüger ge¬ 
zeigt, dass es sich im lebenden Organismus mit 
stickstoffhaltigen Substanzen verbindet. Der 
Kohlehydratbestandtheil kann von dem stickstoff¬ 
haltigen leicht abgetrennt werden, weil sich jener 
in der labileren Seitenkette befindet, während 
dieser dem stabileren Kern des Moleküls an¬ 
gehört. Pavy dehnt diese Betrachtungsweise 
auf die Lagerung der Kohlehydrate im Eiweiss 
ganz im allgemeinen aus, und bespricht an der 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


249 


Hand einer solchen Auffassung die auf dem Boden 
eines Eiweisszerfalles zu stände kommenden 
Glykosuriecn. Bezüglich der Zuckerbildung aus 
Fett äussert er sich sehr skeptisch, wie er über¬ 
haupt eine Reihe noch strittiger Punkte auf dem 
Gebiete der Entstehung derGlykosurie mit grosser 
Reserve beurtheilt. Man kann ihm nur zustimmen, 
wenn er seine kritisch gehaltenen Betrachtungen 
mit den Worten schliesst: Gewiss führen nach 
unserer heutigen Auffassungsweise ganz un¬ 
gleichartige Bedingungen zu demselben End¬ 
resultate. Ein gestörter Stoffwechsel giebt sich 
als Quelle der Glykosurie kund. Dieses Be- 
kenntniss des hervorragenden Experimental¬ 
forschers auf dem Gebiete der Glykosurie ist um 
so erfreulicher, als es sich mit dem Standpunkt 
der Klinik vollkommen deckt. 

H. Strauss (Berlin). 


Ernst Cohen, Torträge für Aerzte über 
physikalische Chemie. Mit 49 Figuren im 
Text Leipzig 1901. 

Es ist nicht zu verkennen, dass die Aus¬ 
bildung des Arztes heute, insbesondere auf dem 
Gebiete der physikalischen Chemie, viel zu 
wünschen übrig lässt. Bei der Wichtigkeit 
physikalisch - chemischer Vorgänge für die 
Physiologie ist gerade eine gründliche Kenntniss 
der Theorie sowohl, wie der Praxis derselben 
für den Arzt ein erstrebenswerthes Ziel, und es 
ist von diesem Gesichtspunkt aus jedes Werk 
mit Freuden zu begrüssen, das dazu geeignet 
ist, den Arzt in dieses schwierige und bisher 
leider an den Hochschulen allzusehr ver¬ 
nachlässigte Gebiet einzuführen. Um aber die 
Lehren desselben richtig zu verstehen, dazu ist 
vor allem Klarheit der Darstellung und eine 
äusserst sorgfältige Auswahl des Stoffes mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der physiologischen 
Vorgänge für denjenigen nöthig, der es unter¬ 
nimmt, ein Werk über physikalische Chemie für 
Aerzte zu schreiben. Wir müssen gestehen, dass 
von diesem Standpunkte aus der Verfasser seine 
Aufgabe nicht gerade glücklich gelöst hat. 
Manche Kapitel sind in der Darstellung zwar 
vorzüglich gelungen; aber andrerseits wieder 
sind in dem Werke viele Gegenstände ab¬ 
gehandelt, die der Arzt nie braucht, und andere 
wieder sind vom Standpunkte der Jonentheorie 
aus behandelt, einer Theorie, über die man sich 
in chemischen Kreisen noch lange nicht klar ist, 
und die bisher nur eine verhältnissmässig geringe 
Zahl von Anhängern unter den Chemikern selbst 
zählt Der grosse Theil aller in Laboratorien und 
physikalischen und physiologischen Betrieben 


arbeitenden Chemiker ist ein direkter Feind der 
Jonentheorie, und zwar aus dem einfachen Grunde, 
weil sich dieselbe für die Praxis als absolut un¬ 
brauchbar erwiesen hat, so schön auch die 
theoretischen Erfolge derselben sind. Auch der 
Arzt und der Physiologe sind Praktiker, und 
wenn sie auf praktischem Gebiete wirklich 
Tüchtiges leisten und sich eine klare Darstellung 
über die physikalisch - chemischen Vorgänge im 
Körper machen wollen, so müssen auch die 
grundlegenden Punkte, von denen ihre Aus¬ 
bildung ausgeht, allgemein klare und allgemein 
anerkannte sein. Von diesem Standpunkte aus 
ist es zu verwerfen, dass der Verfasser des vor¬ 
liegenden Werkes die alten vorzüglich bewährten 
Grundsätze von Bercelius, Wöhler, Liebig 
und vor allem Rose ganz verlassen hat, um sich 
auf die Seite der so problematischen Jonentheorie 
zu stellen; und als einziger Grund für diese That 
kann nur der Umstand in Betracht kommen, dass 
eben der Verfasser aus der Schule Ostwald’s 
hervorgegangen, was im übrigen auch leicht 
daraus zu ersehen ist, dass sich sein Werk eng 
an das Ostwald’sche anlehnt. Auch in der 
Auswahl des Stoffes ist der Verfasser nicht 
immer glücklich gewesen. Es sei nur darauf 
hingewiesen, dass kein Mensch, ausser den in 
der betreffenden Abtheilung einer grossen 
elektrotechnischen Fabrik, mit der Spezial¬ 
aufgabe Betrauten oder den Angestellten der 
physikalisch - technischen Reichsanstalt, sich ein 
Normalolement selbst herstellen wird. Was sollen 
also in einem für Aerzte bestimmten Lehrbuch 
der physikalischen Chemie ausführliche Ab¬ 
handlungen Über die Reinigung des Quecksilbers 
zur Herstellung von Normalelementen, sowie zur 
Füllung des Kapillarelektrometers? Was soll 
ferner ein Arzt mit der Entwickelung der Nernst¬ 
schen und Ostwald*sehen Anschauungen über 
die Theorie der galvanischen Elemente u. s. w. 
u. s. w. anfangen — Beispiele, die wir noch um 
weitere vermehren könnten. Wir können also 
dahin resümieren, dass der Standpunkt, von 
welchem der Verfasser bei Abfassung seines 
Buches ausgegangen ist, kein glücklicher war, 
und ebenso die Auswahl des Stoffes. Dennoch 
enthält dasselbe eine Anzahl von Kapiteln, deren 
Studium wir dem Arzt anzurathen nicht verfehlen 
möchten. 

Fritz Rosenfeld (Berlin). 


H. Schlöss, Ueber den Einfluss der Nahrung 
auf den Verlauf der Epilepsie. Wiener kli¬ 
nische Wochenschrift 1901. No. 46. 

Verfasser hat sich der dankenswerten Auf¬ 
gabe unterzogen, den mehrfach behaupteten Ein- 


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250 Referate über Bücher und Aufsätze. 


fluss verschiedenartiger Ernährungsweise auf den 
Verlauf der Epilepsie durch einwandsfreie Ver¬ 
suche klarzustellen und kam zu folgenden Er¬ 
gebnissen: Eine nur aus Milch und Vegetabilien 
bestehenden Kost, bei 16 Kranken sechs Wochen 
lang durchgeführt, konnte die Zahl der Anfälle 
im Vergleich zu einer gleich langen Periode 
reiner Fleischnahrung in keiner Weise herab¬ 
setzen (eher etwas steigern). Bei der Nachprüfung 
der Methode von Toulouse und Richet (den 
Körper durch Entziehung der Chlorsalze bis auf 
ein Minimum für die Bromwirkung empfänglicher 
zu machen) ergab sich für fünf Kranke, welche 
während sechs Wochen nur ca. 2 g Kochsalz pro 
die in der Nahrung entfernten, ein unverkennbar 
günstiger Einfluss auf die Zahl der Anfälle, 
welche theils völlig sistierten oder nur noch ganz 
selten auftraten; dagegen wurden die Patienten 
äusserst schwach und hinfällig, und das Körper¬ 
gewicht nahm (trotz Steigerung des täglichen 
Kalorieenquantums über 3500) um 1 - 6 kg in 
dieser Zeit ab. Eine schädliche Wirkung säure- 
und fettreicher Diät konnte (bei 13 Kranken 
während 4 Monate durchgeführt) nicht mit völ¬ 
liger Sicherheit erwiesen werden. Was die viel¬ 
umstrittene Alkoholfrage anlangt, so erhielten 
12 Kranke während 2 Monate täglich i/ 2 1 und 
während V/ 2 Monate 1 1 leichtes Bier, während 
sie früher abstinent gehalten waren Es ergab 
sich, dass die Anzahl der Anfälle in der Alkohol¬ 
periode um ein Kleines geringer war, wie vor 
der Abstinenzzeit! Wegeie (Bad Königsborn). 


Rudolf Bälint, Die diätetische Behandlung 
der Epilepsie. Orvosi hetilap 1901. No. 17. 

Verfasser berichtet über die Ergebnisse, die 
er bei 28 Epileptikern mit der von ihm modi¬ 
fizierten Toulouse - Rieh et* sehen diätetischen 
Behandlung der Epilepsie erreichte. Das eigent¬ 
liche Wesen der Behandlung liegt bekanntlich 
darin, dass der Chlorgehalt der eingeführten 
Nahrung wesentlich vermindert wird, wodurch 
sich die Bromwirkung in hohem Maasse steigert. I 
Dieses Verfahren modifizierte Bälint dermaassen, | 
dass er den in den Nährmitteln eingeführten 
Chlorgehalt auf 20 g reduzierte und zu diesem 
Zwecke folgende Diät verordnete: 1000—1500 g 
Milch, 30 — 35 g Butter, 3 Eier und 3 — 400 g 
Brot und Obst. Damit das im Brot befindliche 
Kochsalz den Chlorgehalt nicht vermehre, salzte 
er dasselbe mit Bromnatriura. Nach der Ein¬ 
führung dieser Diät verminderten sich die An¬ 
fälle und blieben alsbald ganz au9 oder wurden 
vorerst schwächer, eventuell in Form von Vertigo 
auftretend. In 80°/ 0 der Fälle wurden die Kranken, , 


vom vierten bis fünfzehnten Tage angefangen r 
anfallfrei. Wurde die oben angeführte diätetische 
Behandlung genügend lang (drei Monate hindurch) 
fortgesetzt, so blieben die Kranken auch nach 
dem Aussetzen derselben frei von Anfällen. Die 
Behandlung lässt sich am besten in Sanatorien 
durchführen, besonders in ihrer oben beschriebenen 
chlorarmen Form. Der allgemeine Körperzustand 
der Kranken war während der Krankheit zu¬ 
friedenstellend, schädliche Bromwirkung zeigte 
sich nie. Wurde das Brom ausgelassen und blos 
die Diät verordnet, so konnten die Anfälle nicht 
beeinflusst werden, ebensowenig nützte die Kur 
trotz der Diät, wenn Brom und zugleich Koch¬ 
salz (in Pulver) den Kranken gegeben wurde. 
Die streng durchgeführte Kur war auch bei an 
inveterierter Epilepsie Leidenden von Erfolg, die 
Aufklärung des Sensoriums zeigte sich alsbald. 

In den Schlussfolgerungen betont Verfasser: 
1. Die chlorarme Diät sei in allen Fällen von 
Epilepsie anwendbar und anzuwenden, und zwar 
am geeignetsten in Sanatorien. 2. Bis zur völligen 
Erkennung der Krankheit sei die Diät in ihrer 
streng chlorarmen Form durchzuführen, wobei 
schon kleine Dosen von Brom (3 g) genügen. 
3. Die Einverleibung des Broms in die Nähr¬ 
mittel, besonders in das Brot, anstatt des Koch¬ 
salzes ist schon vom Standpunkte der angenehmen 
Dosierung sehr geeignet. 4. Die günstige Wir¬ 
kung der Behandlungsweise zeigt sich in der 
hochgradigen Beförderung der Bromwirkung, 
weshalb dieselbe auch bei sonstigen Nerven¬ 
krankheiten, wo stärkere Bromwirkung erwünscht 
wird, zu erproben ist. 

J. Honig (Budapest). 


H. Schlesinger, Aerztliches Handbüchlein 
für hygienisch-diätetische, hydrotherapeu¬ 
tische, mechanische und andere Ver¬ 
ordnungen. Göttingen 1902. Deuerlich’sche 
Buchhandlung. 

Das kleine Handbüchlein, von dem nach kaum 
zwei Jahren abermals eine neue Auflage (die 
achte) erschienen ist, hat sich einen so allgemeinen 
Eingang in die Praxis verschafft, dass es fast 
überflüssig erscheint, demselben noch eine 
Empfehlung hinzuzugeben. Es sei daher hier 
nur darauf hingewiesen, dass auch in der neuen 
Auflage der Autor zahlreiche Aenderungen und 
I Ergänzungen vorgenommen hat, welche den Fort¬ 
schritten der Wissenschaft auf hygienisch-diäte¬ 
tischem Gebiete innerhalb der letzten zwei Jahre 
entsprechen. Paul Jacob (Berlin). 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


251 


C. Gymnastik. 


Gehen unter Anleitung des Arztes von vorn¬ 
herein vermieden werden. 


Laumonier, La gymnastiqne des petits 
enfants. Bulletin gönöral de thörapeutique 
1901. Oktober. 

Verfasser plädiert dafür, dass man schon 
bei vier- bis siebenjährigen Kindern, mehr als 
es bisher geschieht, durch systematische, dem 
Kräftemaass angepasste Gymnastik eine Stärkung 
der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur an¬ 
streben und die körperliche Entwickelung über¬ 
haupt befördern sollte. Aufgabe der Eltern sei 
es, den Turnunterricht selbst zu leiten und sorg¬ 
sam zu überwachen, da die Kinder unter diesen 
Umständen die Uebungen nicht als lästigen und 
ermüdenden Zwang, sondern als angenehmen 
Zeitvertreib empfinden und dieselben gleichsam 
spielend erlernen würden. In erster Reihe seien 
Suspension an Leitern oder am Trapez zu 
empfehlen, während Freiübungen, Hantel- und 
Stabübungen, Springen etc. als zu anstrengend 
in so jugendlichem Alter weniger in Betracht 
kommen. Die günstige Einwirkung eines der¬ 
artigen systematischen Turnens auf Entwickelung 
und Wachsthum wird durch eine zweckmässige 
allgemeine Körperhygiene, passende Ernährung 
und gesundheitsgemässe Kleidung, Bäder, kalte 
Waschungen, fleissige Bewegung im Freien 
wesentlich gefördert. Hirschei (Berlin). 


X. Dagron, M&ssothärapie. Le Bulletin 
medical 1901. No. 65, 69. 

ln den beiden Abhandlungen bespricht 
Dagron die Massage bei Gelenkerkrankungen 
und bei frischen Frakturen. Als Beispiel einer 
frischen Gelenk Verletzung nimmt er die Ver¬ 
stauchung des Fussgelcnkes. Er beginnt mit 
der Massage des Gelenkes sofort. Sie wird an¬ 
fangs sehr schwach und vorsichtig, nach einigen 
Tagen aber schon kräftig ausgeführt. Sie be¬ 
fördert den Rückgang der Schwellung und 
Schmerzen. Dagron betont besonders, dass bei 
der Verstauchung des Fussgelenkes die Muskeln 
des Unterschenkels massiert werden müssen. Er 
lasst den Kranken bei einer einfachen Ver¬ 
stauchung 5—6 Tage zu Bett liegen und wickelt 
um das Gelenk eine Flanellbinde. An die 
Massage knüpft er sofort passive Bewegungen, 
und nach einigen Tagen auch aktive. Die ein¬ 
zelne Massagesitzung dauert ungefähr 20 Minuten. 
Wenn der Patient das Bett verlassen hat, muss 
man vor allen Dingen darauf achten, dass er 
nicht hinkt Nach Dagron's Ansicht kann das 
Hinken durch Muskelübung, insbesondere durch 


Als eine zweite Gelenkerkrankung bespricht 
Dagron den chronischen Hydrops des Knie¬ 
gelenkes. Er führt an, dass er durch die Massage 
eine Reihe Jahre lang bestehender Erkrankungen 
definitiv geheilt hätte. Es kommt vor allen 
Dingen darauf an, den Quadriceps, welcher fast 
immer stark abgemagert ist, durch die Massage 
zu kräftigen. Durch eine Flanellbinde wird auf 
das Gelenk eine leichte Kompression ausgeübt. 
Man soll den Kranken nicht im Bett liegen lassen. 
Der Erguss schwindet nachts, tritt aber am Tage 
wieder auf. Allmählich aber mit der Kräftigung 
des Quadriceps nimmt er ab und schwindet 
schliesslich ganz. Die Behandlung soll nur unge¬ 
fähr einen Monat dauern. Dann soll man den 
Kranken sein Bein möglichst viel gebrauchen lassen. 

Bei der Massagebehandlung der Frakturen 
beschränkt Dagron diese im allgemeinen auf 
die Gelenkfrakturen. Es soll kein fester Verband 
angelegt werden. Er wendet sich gegen die alte 
Ansicht, dass eine Fraktur nur durch Immobili¬ 
sation heilt. Zum Beispiel ist bei Rippen- und 
Schlüsselbeinbrüchen eine völlige Ruhigstellung 
der Fragmente auch in einem noch so gut an¬ 
gelegten Verbände überhaupt nicht möglich, weil 
bei der Athmung, bei den Bewegungen des 
Kopfes u. s. w. immer eine Bewegung der Bruch¬ 
stücke eintritt. Dies ist der beste Beweis, dass 
eine Ruhigstellung zur Heilung nicht nothwendig 
ist. Dagron besitzt Präparate von gebrochenen 
Fasanen- und Rebhühnerknochen, welche doch 
ohne festen Verband vollständig konsolidiert 
sind. Zum Beispiel bei einer Schlüsselbeinfraktur 
beginnt Dagron sofort mit der Massage. Diese 
befördert die Kallusbildung und vermindert die 
Schmerzen. Die Schmerzen werden weniger 
durch die Beweglichkeit der Bruchstücke als 
durch die starke Kontraktur der Muskeln bedingt. 
Durch die Massage erschlaffen die Muskeln und 
die Schmerzen schwinden. Man kann schon bald 
mit passiven Bewegungen und später auch mit 
aktiven beginnen. Diese Behandlung hat vor 
allen Dingen den Vortheil, dass Gelenksteifig¬ 
keiten vermieden werden, dass der Arzt täglich 
die Fraktur beobachtet und somit in der Lage 
ist, eine Deformität möglichst zu vermeiden. 
Dagron empfiehlt sogar den Landärzten diese 
Behandlung, wenn die Massage auch nur zwei- 
bis dreimal wöchentilch geschieht. Ein Schlüssel¬ 
beinbruch heilt unter dieser Behandlung in zwei 
bis vier Wochen vollständig, ohne dass nach 
Ablauf dieser Zeit eine Steifigkeit der Schulter 
besteht. Bei Kindern soll man die Umgebung 
der Bruchstelle nicht massieren, sondern nur die 
Muskeln, weil durch die Massage mitunter eine 


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252 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


übermässige Calluswucherung entsteht Bei 
Frakturen der unteren Extremität muss man vor 
allen Dingen eine Deformität zu vermeiden suchen 
und unter Umständen für 10 oder 14 Tage nach 
Beseitigung der Deformität einen festen Verband 
anlegen. Linow (Dresden). 


ArthurLoebel, Prinzipien und Indikationen 
der maschinellen Heilgymnastik. Klinisch- 
therapeutische Wochenschrift 1901. No. 31, 32 
und 33. 

In diesem im Verein der Bukowinaer Aerzte 
gehaltenen Vortrage giebt Verfasser einen kurzen 
Ueberbliek über die Entwickelung der maschi¬ 
nellen Heilgymnastik, wobei er besonders die 
Systeme von Zander und Hertz hervorhebt. 
Er geht dann genauer auf die Hertz’schen 
Apparate ein, welche nach seiner Ansicht einen 
grossen Fortschritt in der maschinellen Heil¬ 
gymnastik bedeuten Bollen. Hierauf bespricht 
er kurz die Behandlung der verschiedenen Krank¬ 
heitsgruppen durch maschinelle Heilgymnastik, 
worauf jedoch nicht näher eingegangen werden 
kann, da die Abhandlung nur längst bekanntes 
bringt. Wenn Verfasser zum Schlüsse anführt, 
dass nach Bum’s Aussage jede Uebertreibung 
und Simulation gegenüber den traumatischen 
Neurosen mittels der Apparate von Hertz auf¬ 
gedeckt werden kann, so bezweifelt Referent auf 
Grund eigener Erfahrungen solches. 

Linow (Dresden). 


Byron Bramwell, Case of Tabes with 
aentely developed Ataxia, in which great 
and rapid improrement had resnlted Crom 
FrenkePs Plan of treatment. Medical Press 
and Circular 1902. 12. März. 

Ein 35 jähriger, verheirateter Mann, der früher 
16 Jahre Schiffsteward, nachher 5 Jahre Wirth 
war, wurde in die R. Infirmary zu Edinburgh 
gebracht, weil er weder stehen noch gehen konnte. 
Absolute Negation von jeglicher Geschlechts¬ 
krankheit und Alkoholismus; er will nur 4 Glas 
Bier per Woche, 12 Glas Whisky per annum 
genommen und sehr massig geraucht haben. 
Nach kurzdauernden Schmerzen in den Beinen, 
welche von taubem Gefühl in denselben begleitet 
waren, sowie geringfügigen Blasen Störungen, ent¬ 
wickelte sich plötzlich innerhalb 48 Stunden Un¬ 
fähigkeit zu gehen und zu stehen. Dieselbe war 
bedingt durch Ataxie; keine Lähmungen, Musku¬ 
latur der Beine gut, Bewegungen ataktisch in 
den Beinen, nicht in den Armen; Rombergsches 


Symptom, Sehnenreflexe nicht vorhanden. Die 
direkte Erregbarkeit der vorderen und hinteren 
Schenkelmuskulatur, zeigte sich etwas erhöht, 
Cremasterreflex nicht vorhanden, aber Babinski, 
Abdominalreflexe schwach. Die Pupillen waren 
erweitert, die rechte maass 8, die linke 10 mm, 
beide reagierten nur schwach akkommodativ, 
nicht auf Lichteinfall. Am Thorax, den Ulnar¬ 
nervengebieten und den unteren Extremitäten 
bestanden Analgesieen und Anästhesieen; keine 
gröberen sexuellen Störungen, keine Verände¬ 
rungen im Gebiete der Kopfnerven. 

Nach 15 tägiger Behandlung mit »Kreuzbrett* - 
Uebungen nachFrenkel war Patient derart ge¬ 
bessert, dass er mit Stöcken gehen konnte, und 
drei Wochen später waren diese nicht mehr nöthig. 

Der Fall ist bemerkenswerth durch: 1. die 
Negation von spezifischer Infektion; 2. den plötz¬ 
lichen Ausbruch der Ataxie; 3. die Beschaffenheit 
der Pupillen (Erweiterung); 4. die rasche Besserung 
mit der eingeschlagenen Therapie. 

R. Block (London). 


Schnitze, Ein einfacher orthopädischer 
Tisch. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie 
Bd. 9. Heft 3. 

Schultze hat den schon früher von ihm 
konstruierten Tisch weiterhin so verbessert, dass 
alle orthopädischen Verrichtungen an ihm vor¬ 
genommen werden können. 

Am Kopf- und Fussende befindet sich je 
eine Welle zur Aufnahme des extendierenden 
Drahtseiles, ferner kann ein vereinfachter Lo¬ 
renz’scher Osteoklastredresseur und eine soge¬ 
nannte Kyphosenschaukel angebracht werden. 
Letztere dient der Korrektur der Kyphose und 
der Hüftkontraktur. 

Fabrikant ist die Firma Lütgenau & Cie. in 
Crefeld-Berlin. Vulpius (Heidelberg), 


D. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Beizer, Ueber die Behandlung mit Frey’s 
Heissluftdouche. Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1901. No. 44. 

Den früheren günstigen Berichten über die 
Erfolge der Behandlung von neuralgischen und 
rheumatischen Leiden der verschiedensten Art 
mit der Frey’schen Heissluftdouche reiht 
Beizer eine grössere Anzahl von Kranken¬ 
geschichten an, aus denen die manchmal vor- 


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Referate über Bücher und Aufsatze. 


253 


treffliche Wirkung dieser Behandlungsmethode 
hervorgeht. Interessant ist, dass ausser bei den 
genannten Krankheiten Beizer auch in zwei 
Fällen von Cirkulationsstörungen die Heiss- 
luftdouche mit gutem Erfolge in Anwendung 
brachte; in dem einen Fall handelte es sich um 
Oedeme, die infolge eines Herzleidens aufge¬ 
treten waren, im anderen Falle waren Anfälle 
von Angina pectoris vorhanden; der Ver¬ 
fasser erklärt hier die Wirkung der Heissluft- 
douche durch Erhöhung des Gefäss- und Kapillar¬ 
tonus im ersten, durch ableitende Hauthyperamie 
im anderen Falle. Er deutet an, dass auch schon 
erfolgreiche Versuche über die Beeinflussung der 
Cirkulado ns Verhältnisse durch dieHeissluftdouche 
bei manchen Augenaffektionen im Gange 
sind. Auch in einem Falle von Sklerodermie 
erzielte Beizer durch die Frey’sche Behand¬ 
lungsmethode wesentliche Besserung; vor kurzem 
ist übrigens von Neumann über die günstigen 
Erfolge der lokalen Heissluftbäder bei der¬ 
selben Affektion berichtet worden (s. Referat in 
dieser Zeitschrift). A. Laqueur (Berlin). 


Orrin S. Whigtman, Hot alr as a thera- 
peutie agent. New-York medical journal 1901. 
17. August. 

Auch in Amerika erfreut sich die lokale 
Heissluftbehandlung bereits einer grossen 
Beliebtheit, und zwar bedient man sich dort zu 
diesem Zwecke eines von Betz in Chikago an¬ 
gegebenen Heissluftkastens, der im wesentlichen 
eine Nachbildung des bekannten Tallerman- 
schen Apparates ist Neben den günstigen Er¬ 
folgen, die Wight man sowohl bei chronischem 
als auch bei akutem Gelenkrheumatismus 
mit jener Behandlungsmethode erzielte, ist be¬ 
sonders hervorzubeben, dass er lokale Heissluft- 
blder auch bei akuten Luxationen, Kon¬ 
tusionen und auch bei Frakturen mit bestem 
Erfolge gegen die Schwellung und Schmerz¬ 
haftigkeit der verletzten Theile an wandte; 
speziell als schmerzlinderndes Mittel hat 
sich ihm die lokale Heissluftbehandlung in der¬ 
artigen Fällen vorzüglich bewährt. Natürlich ist 
dieselbe, das hebt der Verfasser ausdrücklich 
hervor, keine Panacee, sondern sie ist meist in 
Verbindung mit anderen therapeutischen Maass¬ 
nahmen anzuwenden, unter denen die Massage 
die Hauptrolle spielt. Als neu sei schliesslich 
noch die Angabe Wightman’s erwähnt, dass 
die lokale Heissluftbehandlung auch einen 
beruhigenden Einfluss auf das Nerven¬ 
system ausübt, der sich bei langen Sitzungen 
bis zum Schläfrigmachen steigert; der Nachlass 


der Schmerzen spielt jedenfalls die Hauptrolle 
bei dieser bisher wenig beachteten Wirkung; ob 
auch die durch Hyperämisierung der behandelten 
Theile hervorgerufene Anämie des Gehirns da¬ 
bei mitwirkt, wie Verfasser meint, mag dahin¬ 
gestellt bleiben. A. Laqueur (Berlin). 


E. Hellmer, Das Luftbad. Centralblatt für 
die gesammte Therapie 1901. Heft 10. 

Von den drei Hauptfaktoren des physikalischen 
Heilverfahrens: Licht, Luft und Wasser wird der 
zweite in der Klimatotherapie, bei den Freiluft¬ 
kuren und sub forma des sogenannten Luftbades 
in Anwendung gezogen Die Technik ist die 
denkbar einfachste. Die Patienten, mit Schwimm¬ 
hose oder Lendenschürze bezw. mit einem leichten 
Hemd bekleidet, sollen in der freien Luft Be¬ 
wegungen machen, laufen, turnen, auch Sportspiele 
treiben. Die Dauer des Luftbades (10—60 Mi¬ 
nuten), die Tageszeit, die Temperatur, die Art 
und Weise, das Maass der körperlichen Bewegung 
sind nach den individuellen Verhältnissen zu be¬ 
stimmen. Wie bei den Wasseranwendungen 
kommen auch bei den Luftbädern zwei Momente 
in Betracht: der thermische Reiz des Mediums, 
hier der Luft, und der mechanische Reiz (die 
Reibung) der bewegten Luft Der Patient darf 
unmittelbar nach dem Entkleiden höchstens einige 
Sekunden hindurch ein leichtes Frösteln verspüren; 
hierauf muss sich ein angenehmes Wärmegefühl 
und ein allgemeines Behagen geltend machen 
und während der ganzen Dauer des Luftbades 
anhalten. Wenn sich das geringste Kältegefühl 
zeigt (sekundärer Frost), so sind die Körperübungen 
zu steigern; hilft das nicht sofort, so hat sich der 
Patient rasch anzukleiden und bis zur vollständigen 
Wiedererwärmung Bewegungen zu machen. Das 
Charakteristikum der Luftbäder beruht auf 
dem gewöhnlich grossen thermischen Reiz bei 
geringer mechanischer Erregung. Darin liegt der 
Vorzug und die Schwäche der Luftbäder gegen¬ 
über den hydriatischen Prozeduren: der Vorzug, 
dass sie auch von sehr sensiblen Naturen — bei 
der richtigen Temperatur — fast ausnahmslos 
sehr gut vertragen werden, die Schwäche, dass 
sich der thermische Reiz nur in geringem Maasse 
willkürlich dosieren lässt. Es kommen noch 
andere physikalische Faktoren in Betracht: die 
Luftfeuchtigkeit, der bei den Vollbädern vor¬ 
handene hydrostatische Druck, der hier wegfällt, 
und der Einfluss des direkten und zerstreuten 
Sonnenlichtes auf die ganze Körperoberfläche. 
Indiziert sind die Luftbäder bei Anämie, Chlorose, 
Neurasthenie, Retardierung des Stoffwechsels, 
gichtischen und rheumatischen Zuständen, Neigung 
zu den sogenannten Erkältungskrankheiten: kon- 


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traindiziert sind sie bei vorgeschrittenen Schwebe¬ 
zuständen, hochgradiger Insufficienz des Herzens 
und seines Klappenapparates etc. Wegen der 
geringen Fähigkeit, sich genau dosieren zu lassen, 
können die Luftbäder nie eine selbstständige Heil¬ 
methode werden, sie bilden aber eine unter Um¬ 
ständen recht brauchtbare Erweiterung des physi¬ 
kalischen Heilschatzes, jedoch nur in der Hand 
eines wohlerfahrenen Hydriaters. 

Forchheimer (Würzburg). 


Carron de la Carri&re, Studienreisen in 
die französischen Bäder, ihr Zweck, ihr 
Nutzen für die Aerzte und Badeorte, ihre 
Organisation. Sociötö d’hydrologic 1899. 

0. Februar. 

Bekanntlich ist in Frankreich zuerst der Ge¬ 
danke von Carron ausgesprochen worden, unter 
dem Protektorat medicinischcr Autoritäten Reisen I 
in die französischen Bäder zu machen, um den | 
Aerzten Gelegenheit zu geben, sich mit den be- , 
treffenden Heilwirkungen vertraut zu machen. I 
Die erste derartige Reise wurde im Sep¬ 
tember 1899 ausgeführt, und auch in Deutschland 
ist nunmehr eine ähnliche Organisation erfolg¬ 
reich ins Leben getreten. In dem Protokoll, 
welches Carron der hydrologischen Gesellschaft 
zu Paris in der Sitzung des oben genannten 
Datums vorlegte, sind in ausführlicher Weise 
alle jene Gründe auseinandergesetzt, welche die j 
beabsichtigten Expeditionen als nothwendig er- i 
scheinen lassen, und es ist interessant, aus dem ! 
Sitzungsprotokoll zu ersehen, eine wie grosse 
Majorität sich den Vorschlägen Carron*s an- l 
geschlossen hat. H. Rosin (Berlin). 


L. Loewenfeld, Ueber Luftkuren für Nervöse 1 
und Nervenkranke. Deutsche Praxis 1901. 
Bd. 10. 

Eine sehr lesenswerthe kleine Abhandlung 
über die richtige Auswahl von Kurorten für 
Nervenkranke veröffentlicht Loewenfeld. — Er 
kennzeichnet in präziser Weise die Verhältnisse 
und Faktoren, welche für den Arzt bei der Er¬ 
ledigung dieser so oft an ihn herantretenden 
wichtigen Angelegenheit maassgebend sind, bezw. 
sein sollen, und es wäre wünschenswerth, dass 
der kleine Aufsatz recht weite Verbreitung fände. 
Nicht nur der Mangel persönlicher Kenntniss der 
Verhältnisse vieler Luftkurorte verschuldet in I 
dieser Beziehung häufig Missgriffe, sondern es 1 
unterliegt auch die individuelle Reaktionsweise I 
auf gewisse klimatische Faktoren erheblichen 


Schwankungen, so dass dieselbe Bich nicht immer 
mit Sicherheit vorhersehen lässt. 

Persönliche Erfahrungen, welche Verfasser 
(im Hochplateau Chur-Tiefenkastel, Oberengadin- 
Fexthal, Nauders-Malserhaide) gemacht, bringen 
ihn zu dem bestimmten Schlüsse, dass neben der 
Höhenlage an sich als wichtiger klimatischer 
Faktor der herrschende Grad der Luft¬ 
bewegung ins Gewicht fällt; er fand diese 
Annahme an höher gelegenen Orten mit mangeln¬ 
der Luftbewegung (Hochpusterthal und Brenner¬ 
gebiet) bestätigt, indem er hier kühlere Tempe¬ 
raturen vermisste, während wieder an anderen 
Orten (auf bayerischem Gebiet im Innthal zwischen 
Brannenberg und Oberaudorf, Täufers im Ahm¬ 
thal) Lokalwinde zu bestimmten Tages¬ 
zeiten den Aufenthalt zu einem angenehmen 
machten. 

Loewenfeld wünscht also, dass sowohl der 
Lage eines Ortes im Gebirge überhaupt als speziell 
der Höhenlage desselben nicht diejenige Be¬ 
deutung beigelegt werde, wie dies seitens vieler 
Aerzte jetzt noch geschehe, gerade weil nach 
dem Gesagten von zwei nahe bei einander ge¬ 
legenen Orten von verschiedener Höhenlage der 
eine, wenn auch niedriger gelegene infolge daselbst 
bestehender Luftbewegung ein angenehmeres und 
wirksameres Klima besitzen kann als der höher 
gelegene. 

Die stärkere Luftbewegung bewirkt: 

1. Eine gewisse Abhärtung der Haut- 
ner von. 

2. GrösserenBlutreichthum derHautund 
damit Entlastung innerer Organe. 

3. Anregung des Stoffwechsels und 
Appetites (durch stärkere Verdunstung 
und Wärmeentziehung auf der Oberfläche 
der Haut). 

4. Grössere Kühle, und diese ermöglicht be¬ 
ständigen Aufenthalt im Freien, 
welcher eine kräftige Einwirkung eines 
anderen Heilfaktors des Höhenklimas, der 
Insolation, bedingt, und infolgedessen 
eine ausgiebigereKörperbewegung, 
die sämmtlichen Funktionen des Organis¬ 
mus zu gute kommt. 

Sollte, wie dies in den meisten Höhenkur- 
! orten Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz 
i der Fall ist, erheblichere und andauernde Luft- 
| bewegung fehlen, und es trotzdem nöthig sein, 

I eine Wahl unter solchen Orten zu treffen, so 
müsste dieselbe auf solche mit ausgedehnten und 
schattigen Waldungen fallen. 

Ebenso abhängig von der Luftbewegung sei 
das Seeklima; selbst auf einer Insel könne von 
einem solchen nicht die Rede sein, wenn die 
Seewinde fehlen (Beispiel: Sylt und Föhr). 


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255 


Hochgebirgs- und Seeklima veifügen gemein¬ 
sam über einen sehr wichtigen Faktor, hohen 
Ozongehalt. 

Bei der Auswahl ist also folgendes zu be¬ 
achten: 

1. Die bei den einzelnen Kurorten gegebenen 
klimatischen Faktoren. 

2. Die bekannte Reaktionsweise des Indivi¬ 
duums auf gewisse klimatische Einflüsse. 

3. Die Höhendifferenz zwischen der Lage 
des ständigen Domicils und derjenigen 
des zu wählenden Ortes. 

Hervorgehoben sei noch, dass Hochgebirge 
kontraindiziert ist bei Neurasthenia vasomotoria 
et coidis und bei länger bestehender Agrypnie, 
während Erschöpfungszustände infolge geistiger 
Ueberanstrengung ohne wesentliche Schlafstörung 
für das Hochgebirge geeignet ist. 

Auch gegenüber der Ansicht v. Krafft- 
Ebings, nach welcher Höhenlagen von 1000 m 
für erethische Zustände der Neurastheniker, für 
die mit Arteriosklerose und mit Anämie kom¬ 
plizierten Fälle, sowie für Neurasthenia intestinalis 
die oberste zulässige Grenze bilden, betont 
Loewenfeld, dass es bezüglich der Höhe auf 
ein Mehr oder Weniger nicht so sehr ankomme, 
als auf das Vorhandensein oder Fehlen stärkerer 
Luftbewegung (ausgenommen sind die mit Arterio¬ 
sklerose komplizierten Fälle). 

Wechsel von Ruhe und Bewegung, Ver¬ 
pflegung und ein bestimmtes anderweites Regime 
sind natürlich wie bei jeder derartigen Kur auch 
hier von Wichtigkeit. 

Viktor Lippert (Wiesbaden). 


E. Elektrotherapie. 

H. Bordier, Traitement electrique des ndY- 
ralgies et enparticulierdeceUe dutrijumeau. 

Journal des practiciens 1901. No. 48. 

Verfasser empfiehlt dringend die Behandlung 
der Neuralgieen, speziell der Trigeminusneuralgie 
mit sehr starken galvanischen Strömen von langer 
Dauer. Er verwendet für den Trigeminus eine 
Gesichtselektrode aus Aluminium oder platiniertem 
Kupfer, welche so geformt ist, dass sie die ganze 
Gesichtshälfte mit Ausnahme von Auge und 
Mund bedeckt Die Elektrode wird sorgsam mit 
wasseraufsaugenden Stoffen (Gaze oder dergl.) 
gepolstert, so dass sie der Oberfläche überall 
exakt anliegt und mit warmem Wasser getränkt. 
Diese Elektrode bildet die Anode, während die 
Kathode als grosse Platte von 250—500 qcm auf 


eine indifferente Stelle (Rücken, Schenkel, Bauch 
etc.) gesetzt wird. Der Kranke befindet sich 
während der Behandlung am besten in Rücken¬ 
lage. Der Strom wird nun vermittels des 
Rheostaten bis zu einer Stärke von 30—100M.-A. 
gesteigert und eine Stunde lang stabil einwirken 
gelassen. Die Sitzungen werden anfangs täglich, 
später nach eingetretener Besserung alle zwei 
Tage ausgeführt. Sobald die Schmerzen beseitigt 
sind und nur noch eine gewisse Hyperästhesie 
zurückgeblieben ist, setzt man die Behandlung 
ganz aus, um sie bei Wiederkehr der Schmerzen 
mit etwas schwächeren Strömen (bis höchstens 
50 M.-A.) nochmals aufzunehmen. 

Verfasser führt als Beleg zwei Kranken¬ 
geschichten an: in dem einen Falle bestand eine 
sehr heftige Trigeminusneuralgie seit 10 Monaten. 
Die Besserung wurde nach der siebenten Sitzung 
deutlich; nach einem Monat völlige Heilung, vier 
Jahre lang ohne Rezidiv. 

Im zweiten Falle bestand die Neuralgie seit 
3 V 2 Jahren. Die Schmerzen verschwanden nach 
5 Wochen völlig. Nach einigen Monaten geringes 
Rezidiv, welches mit wenigen Sitzungen beseitigt 
wurde. Von da an anfallsfrei bei einer Beobach¬ 
tung von über drei Jahren. 

Ueber die Wirksamkeit der galvanischen Be¬ 
handlung macht sich Verfasser im Anschluss an 
Bergoniö die Vorstellung, dass der Strom, nach¬ 
dem er sich in der Haut verbreitet hat, den ge¬ 
ringsten Widerstand in den Löchern der Kopf¬ 
knochen (for. supraorbitale, infraorbitale etc.) 
findet, in welchen die Aeste des Trigeminus ver¬ 
laufen. Er verbreitet sich daher gerade entlang 
der Nervenstämme bis zum Ganglion Gasseri und 
löst ausgiebige elektrolytische Vorgänge in den¬ 
selben aus. Diese elektrolytische Beeinflussung, 
die Jonenverschiebung wirkt nun umstimmend 
auf die Ernährung der Nerven und damit heilend 
auf den neuralgischen Krankheitszustand ein. 

Mann (Breslau). 


Yernay, Traitement de la ndyralgie de la face 
par les courante galyaniques. Lyon mödical 
1901. No. 44, 46 u. 47. 

Ebenso günstige Resultate wie in der vor¬ 
stehend referierten Arbeit werden von Vernay 
berichtet. Er verwendet Ströme von 40—60 M.-A. 
30—50 Minuten lang. In den mitgetheilten vier 
Krankengeschichten handelte es sich stets um 
sehr schwere schon lange bestehende Fälle von 
Trigeminusneuralgie. Sie wurden in 20 bis 30 
Sitzungen geheilt. 

Verfasser verwendet nicht wie andere Autoren 
in allen Fällen die Anode als differente Elektrode 


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256 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


sondern er benutzt die Kathode in den Fällen, 
in welchen trophische Storungen bestehen. Er 
empfiehlt jedoch, in jedem Falle mit dem anderen 
Pole einen Versuch zu machen, wenn der eine 
keinen Erfolg hat. 

Als Gesichtselektrode benutzt er eine Elek¬ 
trode aus Zinn, welche sehr biegsam ist und der 
Gesichtshälfte gut angepasst werden kann. Sie 
wird mit Kautschukbinden befestigt. Die in¬ 
differente Elektrode wird, um die Fläche zu 
vergrössern, verdoppelt: zwei Elektroden von je 
200 qcm werden mit demselben Pol verbunden 
und auf dem Sternum und dem Rücken plaziert. 

Nach den Erfahrungen des Verfassers ist die 
Methode trotz der hohen Stromstärke gänzlich 
ungefährlich; natürlich müssen alle VorsichtB- 
maassregeln getroffen werden, dass keine plötz¬ 
lichen Stromesunterbrechungen Vorkommen. Be¬ 
sonders Arteriosklerotiker bekommen leicht An¬ 
fälle von Syncope bei etwas raschen Veränderungen 
der Stromstärke; bei diesen muss man daher be¬ 
sonders vorsichtig mit dem Rheostaten ein- und 
ausschleichen. 

Die Wirkungsweise der galvanischen Behand¬ 
lung denkt sich Vernay ebenfalls in elektro¬ 
lytischen Vorgängen begründet 

Mann (Breslau). 

Adolf Decker, Ueber die elektrolytische 
Kraft der statischen Elektrizität. Zeitschr. 
für Elektrotherapie und die verwandten physi¬ 
kalischen Heilmethoden 1902. Bd. 4. No. 1. 

Die in Bd. 5 S. 521 dieser Zeitschrift referierte 
Arbeit von Schatzkij (Die Grundlagen der 
therapeutischen Wirkung der Franklinisation) hat 
durch Decker eine Kritik resp. Nachprüfung 
erfahren, welche die zuversichtlichen Behaup¬ 
tungen des Verfassers bedenklich zu erschüttern 
geeignet ist. Referent hatte damals in seiner 
Besprechung bereits an der Richtigkeit der 
Schatzkijachen Aufstellungen gezweifelt. Er 
nahm zwar die Versuche Schatzkij’s, da er sie 
nicht selbst nachgeprüft hatte, al9 einwandfrei 
hin, bezweifelte aber vom physiologisch-thera¬ 
peutischen Standpunkte aus die Richtigkeit der 
Folgerungen, die der Verfasser bezüglich der 
Wirkungsweise der Franklinisation daraus gezogen 
hatte. 

Decker weist nun nach, dass Schatzkij 
auch vom physikalischen Standpunkte aus seinen 
Experimenten eine falche Deutung gegeben hat. 
Vermittels kleiner Abänderungen der Sch atz kij- 
sehen Versuchsanordnung zeigt er, dass der 
Franklin’sche Funke nicht durch Elektrolyse 


die Zersetzung des Jodkaliums bewirkt, sondern 
durch die Wirkung des von dem Funken erzeugten 
Ozons. Der’Versuch lasst sich nämlich so an¬ 
ordnen, dass der Funke garnicht die Jodkalium- 
8tärkelösung berührt, sondern nur in der Nähe 
derselben überspringt. Es tritt auch dann unter 
diesen Bedingungen jedesmal die Blaufärbung* 
auf, wenn nur die Zerstreuung des sich bildenden 
Ozons einigermaassen verhindert wird. Noch be¬ 
weisender sind Versuche mit Guajactinktur. Diese 
wird durch Ozon blaugefärbt, aber nicht elektro¬ 
lytisch zerlegt, wie sich mit dem konstanten 
Strom nach weisen lässt. Bei den vorerwähnten 
Versuchen tritt aber auch bei Verwendung von 
Guajactinktur Blaufärbung auf. 

Auch die Angabe Schatzkij’s, dass der 
positive und negative Pol des Franklinischen 
Apparates bezüglich der Elektrolyse eine qualitativ 
verschiedene Wirkung habe, so dass man beim 
statischen Strom ebenso wie beim galvanischen 
von einer Anode und Kathode sprechen könne, 
widerlegt der Verfasser. Schatzkij hatte den 
statischen Wind beider Pole auf einen Jod¬ 
kaliumstärkekleistertampon geleitet und nur an 
der Seite des positiven Poles Blaufärbung be¬ 
obachtet; Decker giebt dagegen an, dass bei 
etwas längerer Fortsetzung des Experimentes 
sich auch am negativen Pol Blaufärbung zeigt, 
wenn auch in geringerer Intensität. Es besteht 
also nur ein quantitativer Unterschied zwischen 
beiden Polen. 

Als einwandsfrei lässt Decker von den 
Schatzkij 'sehen Aufstellungen nur den Satz 
bestehen, dass die statische Elektrizität sich nicht 
nur an der Oberfläche des menschlichen Körpers 
ausbreite, sondern auch die tiefen Gewebe durch¬ 
dringe. Mann (Breslau). 


L. R. Regnier, Radiotherapie et Photo- 
thdrapfe. Paris 1902. Bailliöre et fils. 

Das kleine Büchlein giebt in gedrängter 
Kürze einen guten Ueberblick über die physio¬ 
logischen Eigenschaften der Licht- und Röntgen¬ 
strahlen sowie über die verschiedenen Apparate, 
welche in den letzten Jahren hierfür erfunden 
worden sind. Auch die Anwendung der Licht¬ 
bäder bei verschiedenen Krankheitszuständen 
wird ziemlich ausführlich geschildert, desgleichen 
die Anwendung des einfachen Lichts und des 
farbigen Lichts. 

Wer sich schnell über die einschlägige Materie 
informieren will, dem kann die Lektüre dieses 
kleinen Büchleins empfohlen werden. 

Paul Jacob (Berlin). 


Berlin, Druck von W. Büxenstein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 5 (August). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. y. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. Seito 

I. Heber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. Aus der I. mcdicinischen Klinik dos 

Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger *25!) 

II. lieber den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexerregbarkeit. 

Experimentelle Untersuchungen und kritische Betrachtungen von Dr. Theodor 

Büdingen, leitendem Arzte am Kurhause Todtmoos (Schwarz wald).27*2 

111- Die Fangokur und deren Indikationen. Von Dr. E. Mory ? Kurarzt in Adelboden (Schweiz) *280 
IV. Verwendung älterer Fahrradsystemc zu therapeutischen Zwecken. Von Dr. Alfred 
Martin, Assistenten für physikalische Heilmethoden an der medicinischen Klinik 


zu Zürich. Mit 6 Abbildungen.*280 

V. Ein neuer Zerstäubungsapparat für Allgemeininhalation. Aus der Abtheilung für 
physikalische Therapie im Krankenhause München l./I. Von Oberarzt Dr. Rossnitz, 
kommandiert zu obiger Abtheilung. Mit 2 Abbildungen.201 


II. Kritische Umschau. 

Russische Beitrage zur Ernährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. D w o rc tz k v 

in Riga-Schrcyenbusch.*200 

III. Kleinere Mittheilungren. 

Das Konservebrot in den verschiedenen Armeen. Von M. Ball and, Oberapotheker I. Klasse 302 


IV. Berichte über Kongresse und Vereine. 

Die grossherzogliche Badcanstaltenkommission zu Baden-Baden.303 

IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Eruähruugstherapie). 

Lepine, Le Sucre dans Talimentation. 304 

Neumann, Die Wirkung des Saccharins auf den Stickstoffumsatz beim Menschen .... 304 

Mayor, La gastßrine.304 

Marti ny, Zur Frage der Milch Versorgung grösserer Städte.30"» 

Korezyriski, Ueber den Einfluss der Gewürze auf die Magenthätigkcit.305 

Berend, Beitrage zur Frage der künstlichen Ernährung im Säuglingsalter.305 

Szabö, Ueber dio chemische Reaktion des Mundspeichels.305 

Jaijuet und Svenson, Zur Kenntniss des Stoffwechsels fettsüchtiger Individuen .... 300 

baumonier, Des laits artificiels. 300 

Zeitachr. t diÄt. u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 5. 18 


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Original fro-m 

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258 


Inhalt. 


Seite 


B. Gymnastik» 

Hoffa, Die experimentelle Begründung der Sehnonplastik.307 

Becker, Zur heilgymnastischen Behandlung der Skoliose. Zwei neue Pcndelapparate ... 307 

Hübscher, Scheercnförmigc Redressionsapparate mit elastischem Zug.307 

Roth, Vorläufige Mittheilung über Versuche zur Losung der Frage eines portativen 

Detorsions- und Redressionskorsetts für Skoliosen aller Arten.307 


C. Hydro-, Balneo- nnd Klimatotherapie. 

de Vries, The advantages of the pneumatic cabinet or differentiator in the treatmcnt of 


phthisis pulmonalis.307 

Schmidt, Ueber diaphoretisches Heilverfahren bei Osteomalacie.308 

Murat, L’fle de Djerba, Station d’hiver. 308 

Cazaux, Sur la prötendue absorption cutanöe dans le bain.309 


D. Elektrotherapie. 

Ishewsky, Ueber dieWirkung des wechselnden elektromagnetischen Feldes auf den Organismus 309 


Cleaver, A bipolar rectal electrode.310 

Willi ans, Some cases of cancer treated by the x rays.310 

Schiff, Therapeutische Anwendung der Röntgenstrahlen bei Haarerkrankungen.310 

E. Verschiedenes. 

Blumenthal, Pathologie des Harnes am Krankenbett.310 

Szegö, Dispositionskatarrhe der Kinder und deren Behandlung.311 

Steiner, Wie die Javanen narkotisieren.311 

Meissen, Beiträge zur Kenntniss der Lungentuberkulose.312 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä, 3V2 —4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten. 


I. 

Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 

Aus der I. medicinischen Klinik des Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. 

Von 

Dr. Wilhelm Schlesinger. 

Der thierische Organismus besitzt in hohem Maasse die Fähigkeit, seinen Be¬ 
stand an Körpersubstanz zu erhalten. Grössere Arbeitsleistungen, sowie Wärme¬ 
verluste, beide geeignet, Körpersubstanz zu verbrauchen, führen in der Norm zu 
einer regulatorischen Steigerung des Appetits, zu vermehrter Nahrungsaufnahme und 
damit zum Ersätze des Verlorenen. 

Bei den meisten Krankheiten dagegen ist der eine regulatorische Faktor, der 
Appetit, stark beeinträchtigt. So führen im Fieber schon die bedeutenden Wärme¬ 
verluste allein zur Abmagerung. Anders beim Diabetiker. Hier ist das Bestreben 
dieser Regulierung wohl vorhanden, wenn auch in unrichtigen Bahnen sich bewegend. 

Diabetiker haben in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vortrefflichen 
Appetit und verzehren ausserordentliche Mengen von Nahrung. Das Missverhältniss 
zu der gleichwohl fortschreitenden Abmagerung hat früher zu der Annahme geführt, 
dass es sich bei dieser Krankheit um einen besonderen Zerfall von Körpersubstanz 
handle. Man dachte dabei gelegentlich an Gifte, die einen solchen Zerfall herbei¬ 
führen, und noch heute spielt in der französischen Litteratur der Diabete azotc 
(Diabetes mit primärem Eiweisszerfall) eine gewisse Rolle. Wissenschaftlich gestützt 
hätte eine solche Annahme erscheinen können durch die ersten Respirationsversuche 
an Diabetikern von Pettenkofer und Voit 1 ), die scheinbar eine verminderte 
Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe ergeben hatten, sowie durch Ebstein’s 2 ) 
Annahme, dass die Ernährungsstörung bei Diabetes auf einer Verminderung der 
Kohlensäurebildung beruhe. In beiden Fällen müssten die verminderten Oxydations¬ 
vorgänge durch Spaltungen im Organismus ersetzt werden, bei denen weniger Wärme 
frei wird, die also fortgesetzt zu einem Defizit an den Körper aufbauenden Substanzen 
führen müssten. 

Pettenkofer’s und Voit’s Versuche blieben aber nicht unangefochten. Durch 
die exakten späteren Untersuchungen von Weintraud 3 ), von diesem und Laves«), 
Lusk«), Leo 6 ) wurde wohl mit Sicherheit festgestellt, dass der Verbrauch an 


i) Zeitschrift für Biologie Bd. 3. 

*) Die Znckerhararahr. Wiesbaden 1887. 

*) Bibl.mcd. 1893. Heft 1. 

«) Zeitschrift für physiologische Chemie 1894. Bd. 19. 

*) Zeitschrift für Biologie Bd. 27. 

6 ) Zeitschrift für innere Medicin Bd. 19. Suppl. 

IS* 


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260 Wilhelm Schlesinger 

Nahrungssubstanz beim Diabetiker nicht grösser ist, als beim Normalen, sofern nur 
der Zuckerverlust durch den Harn in Rechnung gezogen wird. 

Für die Zwecke der Therapie hat v. Noorden dieser Thatsache durch die 
Forderung Rechnung getragen, dass die Kalorieenmenge der Nahrung des Diabetikers 
so gross sein müsse, wie die eines Gesunden, vermehrt um jene Kalorieenmenge, die 
dem Zuckerverluste durch den Harn entspricht. 

Thatsächlich trachten die meisten bei der Diabetesbehandlung, Noorden’s 
Postulat gerecht zu werden. 

Doch muss bemerkt werden, dass seine Forderung nicht ohne Widerspruch 
blieb. So behauptet Kolisch 1 ) erst jüngst ganz allgemein, dass der Diabetiker mit 
einer viel geringeren Nahrungsmenge auskommt, und begründet diese Behauptung 
mit Weintraud’s Befund, welcher Diabetiker (allerdings nur in kürzeren Be¬ 
obachtungsperioden) schon bei sehr geringer Nahrungszufuhr Stickstoff zurückhalten 
sah, sowie durch die Ueberlegung, dass der Organismus in hohem Maasse die Fähig¬ 
keit besitzt, sich geänderten Ernährungsbedingungen anzupassen. 

Wie verhält sich der Diabetiker zu dem von Rubner nach Kalorieen 
berechneten Nahrungsbedürfnisse des Gesunden? 

Bevor wir der Beantwortung dieser Frage nähertreten, sei es gestattet, die 
wichtigsten Punkte von Rubner’s Lehre, soweit sie für unsere Frage von Belang 
sind, hervorzuheben. 

Einmal fand Rubner, dass die Zersetzungsvorgänge im Thierkörper, sofern 
absolute Ruhe eingehalten wird, eine ganz bestimmte, von der Nahrungszufuhr 
unabhängige Grösse besitzen, welche im wesentlichen durch die Wärmeabgabe der 
Haut an ihre Umgebung bedingt ist. 

Zweitens wurde gefunden, dass die drei Gruppen von Nahrungsmitteln: Eiweiss, 
Fett und Kohlehydrat, einander genau nach ihrem Wärmewerthe vertreten können, 
wobei es gleicbgiltig war, ob Fett und Eiweiss mit der Nahrung zugeführt, oder 
dem Körperbestande entnommen wurden. 

Schliesslich wurde durch verschiedene Untersuchungen von ihm und seinen 
Schülern für die Ruhe und für verschiedene Typen der Arbeitsleistung ein bestimmter 
Durchschnittswerth an Kalorieen ermittelt. Dieser stellt sich für den Ruhenden auf 
30 — 35, für den leicht Arbeitenden auf 35—40 Kalorieen pro Kilo Körpergewicht, 
für den schwer Arbeitenden um 5 Kalorieen höher. 

Inwieweit das Nahrungsbedürfniss des Diabetikers .den von Rubner auf¬ 
gestellten Sätzen folgt, muss in erster Linie durch Stoffwechseluntersuchungen er¬ 
mittelt werden, die sowohl den N - Stoffwechsel als auch den respiratorischen Gas¬ 
wechsel berücksichtigen. Solche Versuche wurden, wie erwähnt, bereits wiederholt 
angestellt. Sie können sich naturgemäss nur auf kürzere Beobachtungen und auf 
wenige Individuen erstrecken. 

Eine zweite und, weil viel einfachere, auf lange Reihen anwendbare Betrachtungs¬ 
weise ergiebt sich aus dem Vergleiche zwischen Nahrungszufuhr und Körpergewicht. 
Wird die Nahrungsmenge festgestellt, bei welcher das Körpergewicht zunimmt, bei 
welcher es abnimmt und bei welcher es gleich bleibt, so müssen daraus Schlüsse 
auf das Nahrungsbedürfniss des Diabetikers gestattet sein, sofern nur die Beobachtungs¬ 
perioden lang genug gewählt sind, um zufällige Schwankungen des Körpergewicht«, 
wie sie durch äussere unwesentliche Umstände bedingt sein können, auszuschalten. 

i) Lehrbuch der diätetischen Therapie Bd. 2. Leipzig und Wien 1900. 


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Debcr das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 261 

Diese letztere Art der Beobachtung wird den folgenden Erörterungen zu 
Grunde gelegt. 

Sie erstreckt sich auf 57 durch Monate und Jahre beobachtete Kranke, die zu 
einem Theile meiner Privatpraxis angehören, deren weit grössere Zahl ich jedoch 
an der I. medicinischen Klinik beobachten durfte, wofür ich auch an dieser Stelle 
Herrn Hofrath Professor Dr. Nothnagel meinen verbindlichsten Dank ausspreche. 

Aus therapeutischen Gründen wurde den Kranken ein genau mit der Wage 
kontrolliertes Nahrungsquantum vorgeschrieben, welches in vorliegenden Tabellen 
nach seinem Kalorieenwertheund nach seinem Eiweissgehalte notiert wurde. 

Durch je nach der Lage täglich oder in grösseren Intervallen (zumeist wöchent¬ 
lich einmal) vorgenommene Harnuntersuchung wurde der wirkliche oder durchschnitt¬ 
liche Zuckergehalt des Harns ermittelt und gleichfalls in Kalorieen umgerechnet. 

Durch Subtraktion von der zugeführten Gcsammtmenge wird die Zahl der dem 
Organismus nutzbar gewordenen Kalorieenmenge festgestellt. 

Ebenso wurde das Körpergewicht zumeist wöchentlich einmal unter möglichster 
Einhaltung aller Kautelen bestimmt. Dem Einwande, dass zumal bei ambulant be¬ 
handelten Patienten eine Gewähr für die genaue Befolgung der Diätvorschriften nicht 
gegeben ist, wurde dadurch Rechnung getragen, dass nur jene Kranken ausgewählt 
wurden, die sich bei langer Beobachtung als vertrauenswürdig erwiesen hatten. 

Dazu kommt, dass Ueberschreitungen rUcksichtlich der Diätvorschriften gerade 
bei Diabetikern leichter festzustellen waren. Sie betrafen im wesentlichen den Genuss 
von Kohlehydraten, verriethen sich daher durch die Harnuntersuchung. 

Die Art der Ernährung unserer Kränken war zwar in jedem einzelnen Falle 
verschieden, folgte aber doch ganz allgemein bestimmten Regeln, die sich aus dem 
Bestreben, den Harn zuckerfrei zu machen, von selbst ergaben. 

Zuerst wurde eine eiweissreiche Nahrung mit mässigen und mittleren Kohle¬ 
hydratmengen verabreicht, deren Kalorieengehalt an und für sich kein beträchtlicher 
war, und sich durch die dabei zumeist noch vorhandene reichliche Zuckerausscheidung 
noch weiter erniedrigte. In einem zweiten Stadium wurden die Kohlehydrate all¬ 
mählich reduziert bei noch reichlicher Eiweisszufuhr und neuerlicher Fettzulage. 
Bei den schweren Fällen musste schliesslich behufs völliger Entzuckerung auch das 
Eiweissquantum unter neuerlicher Fettzulage reduziert werden. Später wurde ver¬ 
sucht, Kohlehydrate und Eiweiss wieder zuzulegen. So konnten die Veränderungen 
des Körpergewichtes sowohl bei kaloricenarmer und eiweissreicher als auch bei 
kalorieenreicher und eiweissarmer Kost, bei zuckerreichem und zuckerfreiem Harne 
studiert werden. 

Freilich ist zu bemerken, dass zumindest bei den abgemagerten schweren 
Diabetikern von vornherein das Bestreben vorhanden war, das Körpergewicht zu 
heben, und damit die Neigung, eher grössere Nahrungsmengen zuzuführen. 

Die Frage, ob es gelingt, das Körpergewicht des Diabetikers auch mit einer 
viel geringeren Nahrungszufuhr zu erhalten, kann demnach blos durch zufällig dabei 
gemachte Beobachtung, sowie an der Hand einiger weniger darauf direkt gerichteter 
Versuche erörtert werden. 

Sämmtliche erhaltenen Zahlen sind um ein Geringes zu niedrig, da der Nähr¬ 
werth des schwarzen Kaffees, der Suppe und der rohen Gemüse nicht berücksichtigt 


>) Diese Originaltabellen mussten wegen ihrer Ausdehnung fortgelassen werden. 


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262 Wilhelm Schlesinger 

wurde. Wohl wurde aber die mit den Gemüsen zugeführte Fettmenge sowie der 
Alkohol mit in Rechnung gezogen 1 ). 

Die grobe Betrachtung der gewonnenen Zahlen gestattet, sämmtliche Fälle in 
drei Gruppen zu bringen, je nachdem das aus ihnen abgeleitete Nahrungsbedürfniss 
Rubner’s bereits erwähnten Zahlen im allgemeinen, d. h. während der ganzen Zeit 
der Beobachtung entspricht, unterhalb dieser Zahlen liegt, oder sie überschreitet. 

Dabei ergiebt sich, wie schon jetzt bemerkt werden soll, dass die erste Gruppe 
alle schweren und mittelschweren Fälle von Diabetes umfasst, bei denen anderweitige 
Rtoffwechselstörungen fehlten. 

I. 

Es handelt sich um 18 Fälle, die in Tabelle I übersichtlich zusammengcstellt sind. 

Der Kaloriecnwerth, bei welchem hier Konstanz des Körpergewichts erzielt 
wurde, schwankt im allgemeinen zwischen 30—40 Kalorieen pro Kilo Körpergewicht, 
je nachdem die Kranken absolute Ruhe befolgten oder Arbeit leisteten. So gelang 
es, den ersten Patienten der Reihe bei der absichtlich niedrig gewählten Zufuhr von 
31 Kalorieen durch längere Zeit im Gleichgewicht zu erhalten. Als er dann wieder 
Arbeit verrichtete, nahm er bei 34 Kalorieen binnen kurzem um 3 kg ab, während 
eine neuerliche Zulage bis auf 42 Kalorieen bereits eine mässige Zunahme des 
Körpergewichts bewirkte. 

Von besonderem Interesse war die Frage, ob ältere Diabetiker dieser Gruppe, 
wie auch sonst bei Gesunden beobachtet, mit einer geringeren Nahrungszufuhr aus- 
kommen. 

Thatsächlich konnten Fall 13—16, die sämmtlich über 50 Jahre alt waren, schon 
bei 30—33 Kalorieen mässige Arbeit verrichten, ohne an Körpergewicht einzubüssen. 

Umgekehrt brauchten die beobachteten Kinder (Fall 17—18) 60—70 Kalorieen, 
um nicht abzumagern, in Uebereinstimmung mit den auch sonst bei Kindern ge¬ 
fundenen hohen Werthen, die Rubner auf die mit der relativ grösseren Oberfläche 
verbundenen grösseren Wärmeverluste bezieht. 

Wie erwähnt, wurde bei den Kranken dieser Gruppe zumeist Zunahme des 
Körpergewichtes erstrebt, daher der Werth für das eigentliche Nahrungsbedürfniss 
nicht immer mit wünschenswerther Genauigkeit ermittelt. 

Andrerseits ist für die Beurtheilung des Nahrungsbedürfnisses nicht blos die 
Thatsache der Körpergewichtszunahme, sondern auch ihre Grösse von selbst¬ 
verständlicher Bedeutung. 

Darum wurde der Versuch unternommen, bei einer ganzen Reihe von Fällen 
aus der Grösse der Zu- oder Abnahme des Körpergewichtes und der zugeführten 
Nahrung für die Zersetzungsgrösse selbst einen zahlenmässigen Ausdruck zu ge¬ 
winnen. 


’) Für die Berechnung nach Kalorieen wurden für die verschiedenen Nahrungsmittel die 


folgenden Durchschnittszahlen gewählt: 

Fleisch (zubereitet). 200 ° 0 Kalorieen 

Schinken.150 » 

1 Ei.75 >' 

Käse.170 °/o » 

Fett. 800 » 

Weisswein (österreichischer, zu 7 % Alkohol) . . 50 » 

Milch.50 » 

Brot. 300 >, 


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Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 263 

Auf die Bedenken, die gegen diesen Vorgang erhoben werden können, soll 
später eingegangen werden. 

Die ganze Zeit der Beobachtung wurde in einzelne Perioden getheilt, oder 
einzelne solcher Perioden herausgegriffen. 

Für ihre Abgrenzung waren verschiedene Momente maassgebend. Einmal wurden 
die Abschnitte so gewählt, dass ihnen eine möglichst gleichmässige Nahrungszufuhr 
entsprach. Dann wurde darauf Rücksicht genommen, ob während einer solchen 
Periode das Verhalten des Körpergewichtes annähernd das gleiche war, d. h. ob es 
sich um eine dauernde und konstante Zunahme, um eine ebensolche Abnahme, 
oder um ein Gleichbleiben des Körpergewichts handelte. 

Schliesslich wurde die Grösse der Zuckerausscheidung in Betracht gezogen, so 
dass Perioden mit ganz grosser, mit mittelgrosser und mit verschwindender Zucker¬ 
ausscheidung einander gegenübergestellt werden. 

Dabei wurde vor der Hand angenommen, dass eine Zunahme oder Abnahme des 
Körpergewichtes in dem gleichen Verhältnisse erfolgt, wie sie der Zusammensetzung 
der Körpersubstanz aus Eiweiss und Fett auch sonst entspricht. 

Ein Beispiel mag den dabei eingehalteren Vorgang erläutern: 

Der bereits erwähnte Kranke (Fall 1) nahm — bereits zuckerfrei —, als er 
wieder Arbeit leistete, vom 3. November bis 1. Dezember bei einer Nahrungszufuhr, 
die einen Werth von 2134 Kalorieen und 131 g Eiweiss im arithmetischen Mittel 
repräsentierte, um 2700 g ab. Dies ergiebt für den Tag eine Abnahme von 93 g, 
also rund 9,3 (10)% Eiweiss und 18,6 (20)% Fett, die zusammen den Kalorieen- 
werth 213 haben würden. 

Um die Zersetzungsgrösse während dieser Periode kennen zu lernen, muss 
die zu Verlust gegangene Eiweiss- und Kalorieenmenge zu der Nahrungszufuhr 
addiert werden. So ergiebt sich, dass er während dieser Periode per Tag im Durch¬ 
schnitt 2347 Kalorieen (38 pro Kilo) und 140,3 g Eiweiss (2,3 g pro Kilo) zersetzte. 

In der darauf folgenden Periode, die 63 Tage umfasste, wurde die Nahrungs¬ 
zufuhr auf 2500 Kalorieen und 148 g Eiweiss erhöht. Nun erfolgte eine Körper¬ 
gewichtszunahme von 1200g = 20 g pro Tag, entsprechend 2 g Eiweiss und 46 Kalorieen. 

Dieser Werth muss, weil nicht zersetzt, von der zugeführten Nahrungsmenge 
subtrahiert werden. So berechnete sich die Zersetzungsgrösse dieser Periode auf 
2450 Kalorieen (40 pro Kilo) und 146 g Eiweiss (2,4 g pro Kilo). 

Gegen diese Art der Berechnung, wie sie bei verschiedenen Kranken durch¬ 
geführt wurde, können schwerwiegende Bedenken erhoben werden, da ja eine Gewähr 
dafür, dass Zu- und Abnahme im einzelnen Falle wirklich in der der Berechnung zu 
Grunde gelegten Weise erfolgte, ohne Stoffwechselversuche durchaus nicht geboten 
ist, vielmehr die Möglichkeit besteht, dass Eiweiss und Fett in wechselndem Ver¬ 
hältnisse zum Ansätze oder zur Zersetzung kommen. 

Im allgemeinen wird angenommen werden können, dass die zu Ansatz oder zu 
Zerfall gekommenen Mengen an Körpersubstanz einen höheren Kalorieen- und Eiweiss- 
wertli besitzen, als der Berechnung zu Grunde gelegt wurde. So gewann Patient T. 
in Weintraud’s 1 ) Untersuchungen bei einer Zunahme von 2800 g 49 g N = 307 g 

i) I. c. Tabelle XIV, S. 21; Tabelle XI, S. 19: 42,9 g N = 264 g Eiweiss gefunden, 240 g 
Eiweiss berechnet; Tabelle V: 32,6 g N = 205 g Eiweiss gefunden, 200 g Eiweiss berechnet. Da¬ 
gegen ergiebt sich bei dem fettleibigen Diabetiker J. bei einer Körpergewichtszunahme von 
500 g ein Eiweissverlust von 577 g (Tabelle VIII). Auf dieses besondere Verhalten soll bei den 
Kranken der II. Gruppe zur&ckgekommen werden. 


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264 Wilhelm Schlesinger 

Eiweiss, während der von uns gewählten Berechnung blos 280 g Eiweiss entsprechen 
würden. Aehnliche Verhältnisse bestehen für seine übrigen Versuche. Da in unseren 
Beobachtungen ausserdem Fett reichlich zugeführt wurde, so erscheint es zumindest 
wahrscheinlich, dass gleichzeitig mit Eiweiss auch dieses in beträchtlicher Menge 
zum Ansätze kam. Jedenfalls werden die aus unserer Berechnung gewonnenen 
Resultate nur einen vorläufigen Werth besitzen, so lange sie nicht durch exakte 
Stoffwechselversuche gestützt sind. 

Die gefundenen Zahlen erscheinen für die Kranken dieser Gruppe in der 
Tabelle II zusammengestellt. 

Dass aber dieser Art der Berechnung, wenigstens soweit es sich um Vcrgleidis- 
werthe handelt, nicht jeder Werth abgeht, ergiebt sich daraus, dass die einzelnen 
Zahlen am gleichen Individuum im allgemeinen relativ gute Uebereinstimmung zeigen. 

Finden wir beim gleichen Individuum bei wechselnder Ernährung die Zer¬ 
setzungsgrösse zwischen 40 und 44 (Fall 4), oder zwischen 34 und 36 (Fall 5) 
schwankend, oder gar, wie bei Fall 2, bei 32 Kalorieen konstant, so ist dieses 
annähernde Gleichbleiben der Zersetzungsgrösse bei wechselnder Ernährung, bei 
Zunahme, Gleichbleiben oder Abnahme des Körpergewichtes auffallend genug, um 
einmal die gewählte Art der Berechnung nicht völlig zu verwerfen, um andrerseits 
Uebereinstimmung auch der Stoffwechsel Vorgänge am Diabetiker mit Ru bn er’s Satz 
neuerdings festzustellen, dass die Zersetzungsgrösse im thierischen Organismus unter 
gleichen Bedingungen der Ruhe und Arbeitsleistung stets die gleiche bleibt und von 
der Nahrungszufuhr unabhängig ist. 

Fast bei jeder einzelnen Beobachtung fallen einzelne Zahlen aus der Reihe, und 
es soll der Versuch gemacht werden, für die fehlende Uebereinstimmung gemeinsame 
Ursachen zu finden. 

Sie sind in der Tabelle durch auffallende Schrift gekennzeichnet. 

Vorerst zeigt sich, dass fast immer zu Beginn der Behandlung trotz ge¬ 
ringer disponibler Kalorieenmcnge namhaftes Ansteigen des Körpergewichtes 
erfolgte, so dass sich rechnerisch eine ausserordentlich niedrige Zersetzungsgrösse 
ergiebt. 

Einmal war der Kalorieenwerth der Nahrung an und für sich schon in dieser 
Periode kein sehr grosser und wurde durch die bestehende grosse Zuckerausscheidung 
ganz ausserordentlich erniedrigt. So ergab sich bei Fall 4 eine Zersetzungsgrössc 
von blos 30 gegen durchschnittlich 40—42 während der anderen Perioden, bei Fall 5 
von 27 Kalorieen gegen durchschnittlich 35. 

Bei Fall 6 erfolgte namhafte Zunahme bei einer Zufuhr von blos 1329 Kalorien, 
so dass sich hier nur eine Zersetzungsgrösse von 10 Kalorieen pro Kilo ergiebt (gegen 
42 im Durchschnitt). 

Diese anscheinend geringe Zersetzung wurde kaum je vermisst, wo es sich um 
herabgekommene Diabetiker mit grosser Zuckerausscheidung handelte, und befindet 
sich in Uebereinstimmung mit Weintraud’s bereits erwähnter Beobachtung. 

Zur Erklärung dieser auffallenden Thatsache können verschiedene Momente 
herangezogen werden. 

Einmal handelte es sich um sehr magere Individuen, bei denen sich das Ver- 
liältniss an wirklicher Körpersubstanz gegenüber den Knochen zu Ungunsten der 
ersteren verschoben hatte, um Individuen, die ausserdem wegen ihrer augenblicklichen 
Körperschwäche übermässige Bewegung peinlich vermieden. 

Bekanntlich genügt auch sonst bei herabgekommenen Individuen eine relativ 


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Ucber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 265 

geringe Nahrnngsznfuhr, um ihr Körpergewicht zu erhalten. Ebenso ist die That- 
sache bekannt, dass Rekonvalescenten nach schweren Krankheiten ungemein rasch 
wieder zunehmen, ohne auffallend grosse Nahrungsmengen zu konsumieren. Doch 
ist zu bemerken, dass unsere Zahlen gelegentlich so niedrig sind, dass diese 
Erklärung allein nicht ausreichen könnte. Ebensowenig geht es an, sie auf den 
relativen .Hungerzustand dieser Kranken zu beziehen, da weder in Rubner’s Ver¬ 
suchen am Hungerthiere, noch bei dem Hungerkünstler Cetti eine besonders kleine 
Zersetzung beobachtet wurde (bei letzterem durchschnittlich 33,4 Kalorieen). Es sei 
denn, dass man mit Kolisch annehmen wollte, es finde eine allmähliche Anpassung 
an den Hungerzustand auch rücksichtlich der Wärmeabgabe durch die Haut statt, 
für welche Annahme aber der Beweis erst noch zu erbringen wäre. 

Schliesslich kann die in diesem Stadium noch bestehende bedeutende Hyper¬ 
glykämie für das geringe Nahrungsbedürfniss eine Erklärung mit abgeben. 

Brennbares Material ist beim Gesunden doch hauptsächlich im Anschlüsse an 
die Nahrungszufuhr sofort disponibel, während beim Diabetiker die Gewebe ständig 
von einem sehr zuckerreichen Blute umspült werden, ein Umstand, der ihm rück¬ 
sichtlich der Ernährung zu Statten kommen kann, sofern die Fähigkeit des Organismus, 
Zucker zu konsumieren, noch nicht vollständig verschwunden ist, und nutzbares 
Material (Fett) wenigstens cinigermaassen reichlich zugeführt wird ’). Thatsächlich 
fand sich eine geringe Zersetzungsgrösse auch sonst bei hoher Zuckerausscheidung. 

Fall 9, der früher eine Zersetzung von 42 Kalorieen dargeboten hatte, wurde 
in der letzten Zeit, wo er Entziehung der Kohlenhydrate nicht mehr durchzuführen 
wünschte, wohl aber noch reichlich Fett konsumierte, wieder beobachtet, und es zeigte 
sich, dass er bei der kolossalen Zuckerausscheidung von 300 g pro die sein Körper¬ 
gewicht auf gleicher Höhe erhielt, obwohl er anscheinend blos 27 Kalorieen pro Kilo 
täglich aus seiner Nahrung zur Verfügung behielt. 

Andrerseits wurde das initiale Ansteigen des Körpergewichts in den aller¬ 
schwersten Fällen vermisst (Fall 47 und Fall 52 und 53 der Tabelle VI), wo die 
Störung im Zuckerverbrauch eine so grosse war, dass auch bei sehr geringer Eiweiss¬ 
zufuhr noch grössere Zuckermengen ausgeschieden wurden. 

Schliesslich sei schon jetzt darauf hingewiesen, dass während der genannten 
Anfangsperiode die Eiweisszufuhr eine recht reichliche war. 

Eine zweite auffallende Thatsache ist die, dass sich in allen daraufhin unter¬ 
suchten Fällen eine besonders niedrige scheinbare Zersetzungsgrösse für jene 
Periode ergiebt, in welcher der Zucker aus dem Harn verschwand. 

Wenn wir von unserer immerhin anfechtbaren Berechnung der Zersetzungsgrösse 
absehen, so findet diese Thatsache auch darin ihren Ausdruck, dass während der ge¬ 
nannten Periode das Körpergewicht plötzlich in die Höhe schnellte, und zwar bei 
einer Nahrungszufuhr, die nicht grösser war, als während der vorhergegangenen und 
der nachfolgenden Periode. 

Auch ist zu bedenken, dass nach dem früher herangezogenen Vergleiche mit 
Weintraud’s Zahlen ein Fehler in der Berechnung der Zersetzungsgrösse wohl am 
ehesten sich daraus ergeben könnte, dass der Kalorieenwerth der zugewachsenen 
Körpersubstanz eigentlich höher zu veranschlagen ist, so dass die durch Subtraktion 


!) Vergl. v.Noordcn’sErklärung für das Entstehen der diabetogenen Fettsucht. v.Noordcn' 
Die Zuckerkrankheit. Berlin 189S. S. 50. 


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266 Wilhelm Schlesinger 

dieses Faktors erhaltene Zahl für die Zersetzungsgrösse sich noch weiter erniedrigen 
würde. 

Diese Zahlen sind aber stellenweise so ausserordentlich niedrig, dass es nicht 
angeht, sie als wirklichen Ausdruck der Zersetzung anzusehen. 

Man betrachte Fall 1, wo.sie in der Ruhe 16 Kalorieen beträgt, gegenüber 
dem Normalwerthe in der Reihe von 31 Kalorieen. 

Am auffallendsten ist das Verhalten bei Wimmer (Fall 5), wo in der Woche 
der Entzuckerung das Körpergewicht um 7 kg anstieg, so dass die zugeführte 
Nahrungsmenge lange nicht ausreichen würde, um den berechneten Ansatz an Körper¬ 
substanz zu decken, demnach die berechnete Zersetzungsgrösse sowohl rück¬ 
sichtlich der Kalorieen- als auch der Eiweissmenge einen negativen Werth annimmt. 

Aber auch in den meisten anderen nicht in Tabelle II aufgenommenen Fällen 
der Tabelle I war der Anstieg des Körpergewichts zur Zeit der Entzuckerung deut¬ 
lich genug ausgesprochen. 

Es liegt demnach sehr nahe, in dem Verschwinden des Zuckers ein Moment 
zu suchen, das eine Zunahme des Körpergewichts herbeiführt. 

Am ungezwungensten erklärt sich diese auffallende Thatsache durch die An¬ 
nahme, dass der in den Geweben kreisende Zucker diesen ständig Wasser entzieht, 
und dass nach der Rückkehr des Zuckergehaltes zur Norm die Gewebe gierig Wasser 
aufnehmen, wodurch eine Zunahme an Körpersubstanz vorgetäuscht wird. 

Die Gewebe der zur Sektion kommenden Diabetiker sind erfahrungsgemäss 
wasserarm. Auffallend bleibt, dass die angenommene Wasseraufnahme scheinbar 
plötzlich, zumeist mit dem Verschwinden der letzten Zuckerspur aus dem Harn, 
erfolgt. Doch ist zu bedenken, dass der Zuckergehalt des Blutes und der Gewebe 
zum Zuckergehalte des Harnes durchaus nicht in einem einfachen Verhältnisse steht 
(vergl. Naunyn’s Bestimmungen) 1 ), und dass es immerhin denkbar ist, dass erst 
das Verschwinden der letzten Zuckerspur aus dem Harn auch das völlige Ver¬ 
schwinden einer namhafteren Hyperglykämie anzeigen kann *). Auch ist es denkbar, 
dass das von uns zu Beginn der Behandlung beobachtete Ansteigen des Körper¬ 
gewichts zum Theile auch mit einer raschen Einschränkung der früher maasslosen 
Hyperglykämie und dadurch bedingtem Wassergewinnc mitzuerklären ist, ebenso wie 
es möglich ist, dass auch die erwähnte rasche Zunahme von Typhusrekonvalescenten 
einer Wasseraufnahme der im Typhus erfahrungsgemäss gleichfalls ausgetrockneten 
Gewebe zum Theile ihren Ursprung verdankt. Dass hier sowie bei den Diabetikern 
Weintraud’s dabei gleichzeitig Stickstoffretention beobachtet wurde, spricht durch¬ 
aus nicht gegen diese Annahme, da auch Dennig 3 ) bei seinen Versuchen mit Wasser¬ 
entziehung bei mageren Individuen auffallenden Eiweisszerfall beobachten konnte, 
dem während der Periode neuerlicher Wasserzufuhr eine ebenso rasche Retention 
von Stickstoff' entsprach. 

Wenn wir uns nun dem Eiweissbedarfe unserer Diabetiker zuwenden, so 
verdient vorerst die Frage Erwägung, inwieweit reichliche Eiweisszufuhr geeignet ist, 
das kalorieenmässig ausgedrückte Nahrungsbedürfniss der Diabetiker herabzusetzeu. 


J) Der Diabetes meiitus. Wien 1898. S. 150. 

Mit dieser Annahme stimmt die Erfahrung überein, dass eine Steigerung der Toleranz 
für Kohlehydrate häufig erst nach dem Verschwinden der letzten Zuckerspuren aus dem Ilame er¬ 
zielt wird. 

3) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 2. 


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Uebcr das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 267 

Wohl erscheint durch die Untersuchungen Rubner’s festgestellt, dass sich die 
einzelnen Nahrungsmittelgruppen beim normalen Menschen gegenseitig vertreten 
können; andrerseits fand aber auch Rubner, dass ein Theil des Eiweisses durch 
kein anderes Nahrungsmittel ersetzt werden kann, und es muss im speziellen Falle 
des Diabetes die Grösse dieses Quantums ermittelt werden. Beim normalen Menschen 
wird diese Grösse wechselnd angegeben. Voit bestimmte sie im Durchschnitt mit 
1,5 g pro Kilo Körpergewicht. 

Doch wurden für kürzere Untersuchungsperioden auch weit geringere Zahlen 
angegeben Q. 

Aus Tabelle I ergiebt sich, dass die Diabetiker dieser Gruppe ihr Körpergewicht 
bei einer Zufuhr von 1,3—2,2 g Eiweiss konstant erhalten konnten. 

Die höheren Zahlen gehören im allgemeinen den arbeitenden Diabetikern an, 
ausserdem naturgemiiss den leichteren Fällen, weil ja nur bei solchen mit Rücksicht 
auf die Zuckerausscheidung eine so hohe Eiweisszufuhr auf die Dauer gewählt wurde. 

Es wurde bereits bemerkt, dass das während des Beginnes der Behandlung be¬ 
obachtete geringe Nahrungsbedürfniss mit hoher Eiweisszufuhr zusammenfiel und 
durch sie mitbedingt werden konnte. 

Aber auch sonst kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass eine 
grössere Eiweisszufuhr das Erhalten des Körpergewichts im allgeneinen erleichtert 2 ). 

Sofern das aus Eiweiss abgespaltcne Kohlehydrat wenigstens zum Theile noch 
verwerthet werden kann, mag es die Ernährung erleichtern, da es bekanntlich leichter 
gelingt, mit Kohlehydrat als mit Fett den Bestand des Organismus zu sichern 3 ). 

Für die untere Grenze des Eiweissbedürfnisses scheinen sich aus unseren 
Tabellen einige Anhaltspunkte zu ergeben. 

So blieb bei Fall 4 während der letzten Periode eine Körpergewichtszunahme 
aus, obwohl die Kalorieenzufuhr nicht wesentlich niedriger war, als während der 
vorhergehenden Perioden mit bedeutender ständiger Zunahme. 

Die Eiweisszufuhr dieser Periode betrug aber nur 1,2 g pro Kilo, und es liegt 
die Annahme nahe, dass damit die untere Grenze jener Eiweissmenge erreicht war, 
die der Organismus für seinen täglichen, nicht anderweitig ersetzbaren Bedarf an 
Eiweiss benöthigte, sodass Eiweiss zum Ansätze nicht mehr übrig war. 

Daraus ergiebt sich gleichzeitig, dass es schwer gelingt, Fett allein zum Ansatz 
zu bringen, sofern nicht Eiweissansatz gleichzeitig ermöglicht ist *). Ueber die Schick¬ 
sale des auf diese Weise sozusagen überflüssig gewordenen Fettes (44 Kalorieen!) 
könnten wohl nur Ausnützungs- und Respirationsversuche Auskunft geben, wobei 


i) Ich selbst beobachtete einen Diabetiker, der durch lange Zeit seinen Körperbestand mit 
nur 1,3 g Eiweiss pro Kilo — allerdings bei reichlicher Fettzufuhr — erhalten konnte. Archiv für 
experimentelle Pathologie und Pharm. Bd. 42. 

*) Deutlicher noch erhellt dieses Verhalten aus Tabelle III (fettleibige Diabetiker). 

3 ) Rubner in v. Loyden’s Handbuch der Emährungsthcrapie. Leipzig 1897. Bd. 1. S. 43. 

4 ) Diese Annahme steht in Uebcrcinstimmung mit den auch sonst bei Mastkuren und seitens 
der Viehzüchter gemachten Erfahrungen. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, dass bei reich¬ 
licher Fettzufuhr und gleichzeitig noch angebotenem Eiweissüberschusse ersteres nicht in besonders 
hohem Maasse zum Ansätze gelangt. Solche Bedingungen bestehen z. B. bei Fall 6, 5. Periode, 
wurden aber bei der Berechnung der Zersetzungsgrössc nicht berücksichtigt. Der dort erhaltene 
hohe Zcreetzungswerth (49!) müsste entsprechend dem höheren Brennwerthe des zum Ansätze ge¬ 
kommenen Fettes erniedrigt werden. Andrerseits könnte, sofern dieser Werth in Uebereinstimmug 
mit den vorhergehenden Perioden mit 42 angenommen wird, die Differenz einen Maassstab für den 
Umfang abgeben, in welchem ein solcher Fettansatz thatsächlich stattgefunden hat. 


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268 Wilhelm Schlesinger 

die Möglichkeiten vermehrter Muskel- und Herzarbeit einerseits, einer verminderten 
kompensierenden Fettresorption im Darm andrerseits ins Auge zu fassen wären. 

Von besonderem Interesse ist die Frage, inwieweit bei ganz schweren Fällen 
die Entwerthung des Eiweissmoleküles durch Zuckerbildung für die Ernähruug in 
Betracht kommt. 

Fall 47 kann, obwohl streng genommen zu einer anderen Gruppe gehörig 
(Patient war ursprünglich fettleibig), hier herangezogen werden. 

Bei diesem ganz schweren Diabetiker wurde weder zu Beginn der Behandlung 
bei Zufuhr von 24 Kalorieen und 1,8 g Eiweiss, noch auch später bei Steigerung der 
Kalorieenzufuhr auf 36 und ähnlicher Eiweisszufuhr eine Zunahme erzielt, wohl aber 
blieb das Körpergewicht mit ganz geringen Schwankungen auch zuletzt bei 
31,5 Kalorieen und 1,5 g Eiweiss konstant. Bei dieser letzten Nahrung mit einem 
Gehalte von 91 g Eiweiss im Ganzen schied er während eines Zeitraumes von 23 Tagen 
1258 g Zucker aus, so dass nach Abzug der geringen, in Form von Troponbrot und 
kleinen Mengen von Milch zugeführten Kohlehydratmengen (im Ganzen 141 g), die 
ja voraussichtlich vollständig im Harn als Zucker wieder ausgeschieden wurden, 
1117 g Zucker = 46 g pro Tag übrig blieben, die aus dem zugeführten Eiweiss ent¬ 
standen sein mussten. 

Dabei wird aus dem Gleichbleiben des Körpergewichtes geschlossen, dass nicht 
noch Körpereiweiss in grösserer Menge zu Zerfall kam. Da aus 91 g Eiweiss 
theoretisch etwa 41 g Zucker gebildet werden können, hat dieser Kranke thatsächlich 
zumindest das gesammte zugeführte Eiweiss durch Zuckerbildung entwerthet. Wenn 
gleichwohl das Körpergewicht während dieser Zeit nicht abnahm, so darf man 
schliessen, dass auch dieses durch Zuckerbildung entwerthete Eiweiss geeignet war, 
das Eiweissbedürfniss des Organismus zu decken, während es andrerseits — wenn 
auch im Ueberschusse angeboten — nicht geeignet war, einen Ansatz an Körper¬ 
substanz zu bewirken 1 ). 

Schliesslich ist die Bedeutung von Kohlehydratzufuhr für die Ernährung der 
Diabetiker noch kurz zu berühren. Wie schon gelegentlich der Besprechung höherer 
Eiweisszufuhr erwähnt, schützt nach Rubner und seinen Schülern die Zufuhr von 
Kohlehydrat etwas mehr als die von Fett den Eiweissbestand des normalen 
Organismus. Auch bei nicht allzuschweren Diabetikern wäre demnach ein solcher 
Unterschied zu erwarten, sofern die Fähigkeit, Kohlehydrat überhaupt zu verwerthen, 
nicht völlig abhanden gekommen ist. Bei dem leichteren Fall 2 (Gangler, letzte 
Periode) wurde indessen eine Herabsetzung der Zersetzungsgrösse unter Milch- (300 g) 
und Brotzufuhr (30 g) vermisst. Freilich ist zu bemerken, dass die zugeführten 
Mengen hier wie bei den übrigen Fällen dieser Gruppe nie sehr gross waren. Auf¬ 
fallend war ihr Einfluss im Sinne einer Erniedrigung der Zersetzung im Fall 6 (Bös, 
37 Kalorieen gegen 43 vorher). Hier bestand aber hochgradige Accidose, die durch 
Kohlehydrate bekanntlich beeinflusst wird; darum findet dieser Fall an anderer Stelle 
(Fälle der dritten Gruppe) Besprechung. 


] ) Dass unter diesen Umständen trotz reichlicher Fettzufuhr eine Zunahme des Körper¬ 
gewichtes ausblicb, ist ein weiterer Beweis für den oben (Fall 4) gezogenen Schluss, dass isolierter 
Fettansatz ohne gleichzeitigen Eiweissansatz kaum zu stände kommt. 


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lieber das Nahrungsbediirfniss der Diabetiker. 


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Original frnm 

UNIVERSETY 0F MICHIGAN 




270 


Wilhelm Schlesinger 


Tabelle II. Diabetiker ohne 






Pro die Gramm 


Fall 

N.a m e 

Periode 

Körpergewicht 

Körpergewichts- 

Zucker 





Zunahme 

Abnahme 

g 




18./2.—2G./2. 99 

52,5-54,0 

166 

__ 

200—80 

4 

Mayer, F., 26 J. 


27-/2.—10./3. 

54,0—56,3 

191 

— 

80—31 


Landarbeiter. 


11./3.-24./3. 

56,3—60,3 

286 

— 

Entzuckerung 


Diabetes gravis (Acidose). 


25./3.— 2./4. 

60,3 -60,6 

40 


Spuren 




3./4.-12./4. 

60,6-61,1 

45 

— 

Spuren 



13./4. —19./4. 

61,1 

— 

■— 

Sp.—O 




11./2.—17./2. 99 

64,6-66,3 

245 

__ 

40#—50 

5 

Wimmer, Peter, 45 J., 


18./2.-26./2. 

66,3-67,8 

187,5 


80 


Tagelöhner. 


27-/2.— 4./3. 

67,8—68,0 

133 

- 

40 


Diabetes gravis (Acidose). 


5./3.-10./3. 

11./3.—29. 3. 

68,6—75,7 
75,7 

1183 

_ 

Entzuckerung 

0 




m, Schwankungen 







5./10.--23. 10. 01 

61,0-62,2 

63 


200-30 

1 

Hmceck, Albert, 30 J., 


24./10.—26./10. 

62,2 63,5 

433 


Entzuckerung 


Eisengiesser. 


27./10 - 2./11. 

63,5—63,7 

28,5 

— 

0 


Mittelschwer. 


3./11.— 1.12. 

63,7-61,0 

— 

93 

0 




2./12.— 2. 2. 02 

61,0—62,2 

20 


0 




■28.19. —18./10. 99 

55,5—56,5 

48 


55—11 

0 

W., Paul, 36 J., Musiker. 
Schwer. 


19./10.— 2./12. 
ll./l.—19./1.02 

i 

l 

56,5-57,0 

58 

10 

..... 

Spuren 

300 

13 

K., Regine, 54 J., < 

1./4.—30./5. 98 

55,3—59,5 1 

70 

-■ 

90-Sp. 


Ehefrau. j 

31. 5. - 7-/6. 

59,5-58,8 

.... 

! 

0 


Mittelschwer. 1 

1 29./7.— 7./12. 

59,5—60,7 

1 1 

20 

l 

87 j 

0 

3 

H., Jos., 29 J., Buchhalter. 
Erat leicht (207 g Zucker),, 


1. 4. 9-/6- 00 

1 ! 

i 65,0 -67,1 | 

33 

i 

Sp.-o 


später schwer. 


! 10.'6.—29./10. 

, 

1 

67,1 1 

1 


i 

0 



18./9. - 26./9. 99 

43,5-46,9 j 

378 

_ 

350-200 




27. 9. — 2./10. 

46,9-47,6 

117 

- j 

200 

6 

Bös, Ferdinand, 46 J., 


3./10.—16./10. 

47,6 



150—90 


Geschäftsdiener, 


17./10 -23. 10. 

47,5 48,0 

71,4 

| _ 

100-70 


Schwer (Acidose). 


24./10.—30. 10. 

48,0—48,6 

86 

— 

idem 




7-/11.-13/11. 

48,8-49,9 

157 

— 

70 



14./11.—20./11. 

49,9-49,4 

-- 

71 

70--90 

o 

Gangler, Stefan, 28 J., 

2. 2. - 8. '2. 02 

_ 

56,0- 56,5 

71 


50-20 


Sattler. , 

9./2.—15. '2. 

I 56,5—56,9 

50 

— 

20-Sp. 


Mittelschwer. 


16./2.-22./2. 

1 56,9-58,0 

164 

— 

Entzuckerung 




23./2.— 1./3. 

58,0-58,5 

71 

— 

0 

47 

Cziep, 35 J., Schneider, 
Sehr schwer (Coma diab.). * 

| 

1./10.—19./10. 00 
20./10.—28./11. 

18./1.31-/1. 01 

70 

70 

67 

— 


1 130 

! 60 

30 




20./4.—21./5. 

59 

— 

- 

52,4 


Difitized by 


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i 

UMIVE R5ITY OF MICH IGAN J 







Ueber das Nahrungsbcdörfniss der Diabetiker. 


271 


anderweitige Stoffwechselstörung. 


Kalorieen- 

Kalorieen zersetzt 

Eiweiss- 

Eiweiss zersetzt 




zufuhr 

g 




zufahr 

Menge 

per Kilo 

Menge 

per Kilo 


1993 

1603 

30 

151,3 

136,3 

27 


•2601 

•2164 

39,3 

147,6 

128,5 

2,3 


2649 

1994 

34,2 

117 

88,4 

1,5 


27*24 

‘26.12 

43,6 

102 

98 

1.6 


2693 

2590 

42 

82,6 

78 

1,3 


2620 

2620 

44 

71,5 

71,5 

1,2 


2327 

1766 

27 

155 

160,5 

2,0 


277"» 

2347 

35 

169 

150 

2 ° 


2754 

2449 

36 

134 

120,7 

1,8 


2534 

fehlen 175 

— 

105,1 

fehlenl3,2 

— 


2 .'86 

- 2586 

34,2 

100,5 

100,5 

1,3 

Schwankungen von 31,6— 38,5 Kal. per 
Kilo und 1,20 1,5 g Eiweiss. 

1754 

1610 

26 

118 

111,7 

1,8 

| 

2015 

1023 

16,3 

122 

78,7 

1,25 

> Ruhe. 

2015 

1951 

31 

122 

119 

1,8 

1 

2134 

2347 

38 

131 

140 

2,3 

i 

241*7 

2451 

40 

148 

146 

2,4 

[ Arbeit. 

2457 

2347 

42 

141 

130 

2,4 

Arbeit 

2531 

2507 

44 

82 

81 

1,4 



am 1600 

am 27 


117 

2,0 

Neben Eiweiss und Fett reichlich 
Kohlehydrate. 

1803 

1643 

28,6 ! 

103,4 

09,4 

1,7 

_ - " 

Massige Arbeit im Hause. 

1*113 

1813 , 

I ^0,7 

80,5 

89 1 

1,5 

Ein Hungertag eingeschoben. 

11*27 

1881 

31,7 

104 

1**2 

1,7 


2507 1 

2429 

37 

144,5 

Ml 

2,1 

Arbeit. 

2719 

2719 

40,5 

137 

137 

2,0 

_1 


1329 

463 

10,2 

146 • 

108 

2,4 


1464 ' 

1196 

25 

131,5 

12** 

2,5 


207* * 

2070 

43 

! 116 

110 

2,0 


218*5 1 

2024 

42 

100 

93 

1,9 


2571 

2374 

49 

100 

91 

1,9 

Reichlich Fett. 

2177 1 

1 1806 * 

37 

108 

92 

i 1,9 

I 

1044 

1806 

37 

125 

132 

1 2!o i 

j Kohlehydratznfiilir (weniger Fett). 

194G 

1784 

32 

i 127 

120 

2,1 

| 

11*18 

1804 

32 

118 

113 

2,0 

, Kein Kohlehydrat. 

1882 

1506 

• 26 

112 

95 

1,65 


1949 j 

1790 

i . i 

32 

116,5 

109 

1,9 

1 

Kohlchydratzufuhr. 

1700 

^ 1700 

24 

127 

127 

i,8 ; 

| Arbeit. 

25**0 

, 2500 

36 

95 

95 

1,3 

2500 

2500 

36 

111 

111 

!,6 

I. Spitalsaufnahme. 

1830 

1 1830 

31,5 

91 

91 ! 

1,3 

II. Spitalsaufnahme. 

(Schluss folgt.) 


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Original fro-rn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 




27-2 


Theodor Büdingen 


II. 

Ueber den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat 
und die Reflexerregbarkeit. 

Experimentelle Untersuchungen und kritische Betrachtungen 

von 

Dr. Theodor Büdingen, 

leitendem Arzte am Kurhause Todtmoos (Schwarzwald). 

Die Frage, ob Lichtstrahlen Bewegungsreize sind, wird jeder unbedenklich 
bejahen zu können glauben, der weiss, dass es sich im Lichte, sagen wir eines milden 
Frühjahrstages, besser und freudiger arbeiten lässt, als im Dunkel eines Bergwerks 
zur selben Jahres- und Tageszeit. Dass das Licht auf die Psyche und indirekt auf 
den motorischen Apparat fördernd einwirkt, ist ja eine allgemein anerkannte Hypo¬ 
these, die freilich des strikten Nachweises noch harrt. Abgesehen von diesem 
psychischen Einflüsse des Lichtes auf höhere Organismen haben die Botaniker be¬ 
kanntlich durch das Licht direkt ausgelöste Bewegungen der Blätter gewisser Pflanzen 
beobachtet und die Zoologen haben durch Lichteinfall hervorgerufene Kontraktionen 
einzelliger Lebewesen nachgewiesen. Diese Beobachtungen würden vom naturwissen¬ 
schaftlichen Standpunkte allein es rechtfertigen, Versuche darüber anznstellen, wie 
sich aus Zellen zusammengesetzte kontraktile Gebilde, also Muskeln, gegen Licht¬ 
reize verhalten. Ich habe nun derartige Versuche im physiologischen Institut der 
Universität Freiburg i. Br. angestellt. Für die Erlaubniss hierzu und für die gütige 
Ueberlassung der für meine Zwecke erforderlichen Hilfsmittel Herrn Geh. Hofrath 
Professor v. Kries auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank zu sagen, ist 
mir eine angenehme Pflicht. 

Veranlassung zu den nachfolgenden Untersuchungen gab mir ausser dem 
biologischen vor allem auch das praktische Interesse, das in jedem Arzte durch die 
von Kellogg und Finsen angeregte Lichttherapie wachgerufen wurde, und das Be- 
dürfniss nach physiologischer Durchforschung dieses Gebietes. 

Bekanntlich können Kontraktionen der Muskeln durch direkte Reize und auch 
indirekt durch den motorischen Nerven treffende Reize hervorgerufen werden. Im 
letzteren Falle sind Zuckungen der Muskulatur das Reagens, leider das einzige 
Reagens 1 ), das wir besitzen, für im Nerven ablaufende durch den Reiz verursachte 
Thätigkeitsvorgänge. 

Es war daher auch zu untersuchen, ob Licht vielleicht auf dem Wege der 
Nervenleitung Bewegungen veranlassen könne, wodurch wir Aufschluss über die 
Anspruchsfähigkeit des peripheren und bei geeigneter Versuchsanordnung auch des 
centralen Nervensystems für Lichtstrahlen erhielten. Demgemäss lautete die experi¬ 
mentelle Fragestellung: Ist Belichtung auf den Muskel direkt oder vermittels des 

i) Biedermann, Pfliigcr’s Archiv 1900. Bd. 80. 


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Gougle 


Original fro-m 

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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexcrregbarkeit 273 

motorischen Nerven auf das Nervmuskelpräparat wirksam, ferner, können reflek¬ 
torische Zuckungen durch Bestrahlung der Haut angeregt werden? Um den 
psychischen Einfluss — durch das Auge aufs Gehirn — auszuschalten, müssen 
Experimente, die sich mit dieser letzteren Frage beschäftigen, am entgrosshirnten 
Thiere oder an Thieren, bei denen die Nervenverbindung zwischen Hirn und Rück¬ 
mark durchtrennt ist, vorgenommen werden. Bei meinen Versuchen nahm ich Durch¬ 
trennungen mit nachfolgender Zerstörung des Gehirns vor und bezeichne im folgen¬ 
den die auf solche Weise operierten Thiere als entgrosshirnte. 

Bei dieser Versuchsanordnung ist also die Frage ausgeschieden, ob Lichtstrahlen 
durch Vermittlung des Gehirns d. h. cerebral wirksame Bewegungsreize sind. Das 
Resultat würde nur Antwort auf die Frage sein, ob Licht ein durch Vermittlung 
des Rückenmarkes d. h. spinal wirksamer Bewegungsreiz ist. Selbstverständlich 
erhielten wir damit auch gleichzeitig Aufschluss über eine etwaige Beeinflussung der 
Reflexerregbarkeit durch Lichtstrahlen. 

Die Rücksicht auf therapeutische Beobachtungen veranlassten mich anfangs nur 
mit blauem oder rothem konzentriertem Lichte unter möglichster Ausschaltung der 
Wärmewirkung zu arbeiten. 

Wollen doch einige Irrenärzte einen beruhigenden Einfluss des blauen Lichtes 
auf Maniakalische und eine anregende Wirkung des rothen auf Melancholische wahr¬ 
genommen haben. Mehr als diese Wahrnehmungen, die ins Gebiet der psychologischen 
Probleme fallen, geben die Erfahrungen von Niels Finsen und Winternitz zur 
Ergründung einer vielleicht bestehenden physiologischen Wirksamkeit verschieden¬ 
farbigen Lichtes auf das Nervensystem Anlass. Finsen will bekanntlich Heilungen 
des Scharlachs, der Masern und der Blattern durch rothe Belichtung der betreffenden 
Kranken veranlasst haben, und Winternitz konstatierte einen günstigen Einfluss 
derselben Lichtart auf hartnäckige Ekzeme. Beide Forscher führen die Heilungen 
auf die Ausschaltung der chemisch wirksamen Strahlen, welche die Haut reizten, 
zurück. Nun kommen aber diese sogenannten erregenden Strahlen unter der Bett¬ 
decke, unter der sich die Patienten bei der bisherigen Behandlung befunden haben, 
kaum in Betracht, d. h. nur insoweit, als sie Gesicht und Hände treffen. Ausserdem 
lassen die geschlossenen Fenster eines Krankenzimmers die ultravioletten Strahlen, 
welche konsequenter Weise als die Hauptübelthäter anzusehen wären, zum grossen 
Theil nicht durch. Wenn also thatsächlich ein Einfluss des rothen Lichtes auf den 
Ablauf dieser Krankheiten zu konstatieren ist — was übrigens von anderen Aerzten 
bestritten wird, — so liegt es nahe, das Nervensystem als eventuellen Ausgangs¬ 
punkt dieser therapeutischen Erfolge in erster Linie zu berücksichtigen und experi¬ 
mentelle Belege hierüber zu sammeln. Als Heilfaktoren kämen hierbei etwaige 
durch verschiedenfarbige Belichtung bedingte Erregbarkeitssteigerungen oder -herab- 
setzungen im centralen oder peripheren Nervensystem in Betracht. 

Ich beginne mit der Erläuterung und Schilderung der Versuche am Nerv¬ 
muskelpräparat. 

Von vornherein war nicht zu erwarten, dass Nerv und Muskel, die ohne weitere 
Kautelen dem rothen oder blauen Lichte ausgesetzt wurden, in Zuckung gerieten. 
Das wäre jedenfalls längst schon konstatiert worden. Auch ruft ja diffuses Tages¬ 
licht, dieser Inbegriff verschiedener Lichtarten, niemals eine Zuckung des Muskel¬ 
präparates, geschweige denn einen Tetanus hervor. Es konnten also lediglich Kon¬ 
trastwirkungen in Frage kommen, plötzliche Uebergänge von der Dunkelheit zu dieser 
oder jener farbiger Belichtung und zwar zu einer Belichtung in konzentrierter Form. 

Zeitechr. L diftL u. phyaik. Therapie Bd. VI. Heft 5. ]9 


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Original fro-m 

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274 Theodor Büdingen 

Auch davon versprach ich mir nichts. Ich machte die Versuche, um in der Versuchs¬ 
reihe keine Lücke zu lassen. 

Das Versuchsthier war der Frosch, weniger deswegen, weil ich glaubte, dass 
etwaige Resultate sich ohne weiteres auf den Menschen übertragen Hessen, als weil 
die grundlegenden Versuche der Nerven- und Muskelphysiologie an ihm gemacht 
wurden und er in dieser Beziehung jedenfalls das am besten gekannte Thier ist 
Höhere Wirbelthiere sind für Lichtversuche deswegen ungeeignet, weil ihr Fell zu 
viele der das Integument treffenden Strahlen absorbiert. Dies sei nebenbei bemerkt 

Die Frösche wurden vor jedem Versuche ] /j— 1 Stunde in der Dunkelkammer 
auf Eis gehalten. Nach ihrer Tötung wurde das Nervmuskelpräparat (musc. gastro- 
cnemius mit nerv, ischiadicus) in bekannterWeise bei rothem Glühlicht 1 ) hergestellt, 
das Präparat an einem Myographion befestigt, der mit dem Muskel verbundene 
Schreibhebel an die berusste Ludwig’sche Trommel, die in langsame.Rotation ver¬ 
setzt wurde, angelehnt. Nun wurde konzentriertes blaues oder rothes Licht auf das 
Präparat, das im Fokus der Lichtquelle stand, fallen gelassen. Als Lichtquelle 
diente eine Bogenlampe von 18 Ampere Stromstärke, die in einem mit Ausschnitt 
versehenen schwarzen Kasten stand. Im Ausschnitt befand sich eine Metallhülse, in 
dieser gegen einander verschieblich zwei plankonvexe Linsen, deren jede einen Durch¬ 
messer von 10 cm hat. Vor dem Linsensystem war lichtdicht ein auswechselbarer 
Wasserkasten angeschlossen, in dem je nach Bedarf eine wässerige Methylenblau¬ 
lösung oder eine 3 y 2 % rothe Fuchsinlösung — mit Eis gekühlt — war. Der Wasser¬ 
kasten stand in einem Blechkasten, welcher rundliche dem Lumen der Metallhülse 
entsprechende Ausschnitte an der Vorder- und Hinterseite hatte. Mit dem vorderen 
Ausschnitt war eine kurze Blechröhre verbunden, die durch einen Deckel mittels 
elektrischer Vorrichtung geschlossen und geöffnet werden konnte, sodass das Präparat 
entweder im Dunkeln stand oder belichtet wurde. 

Das Ergebniss dieser Versuche war, wie schon oben angedeutet, negativ. Nie 
konnte eine Zuckung beobachtet werden. 

Ich legte mir nun die Frage vor, ob Licht vielleicht eine durch andere Reize 
hervorgerufene Zuckung zu modifizieren im stände sei. Die Lichtwirkung könnte 
ja an sich zu schwach sein, um Muskelthätigkeit hervorzurufen, dennoch aber in den 
Ablauf der Thätigkeitskurve des Muskels — diese verzögernd oder verkürzend oder 
auf andere Weise ändernd — eingreifen. 

Ich liess also im Dunkel eine isotonische Zuckung, worunter man bekanntlich 
die Zuckung eines Muskels bei gleicbbleibender Spannung versteht, auf die Gewichts¬ 
trommel, deren Konstruktion ich als bekannt voraussetze, aufschreiben, danach von 
demselben Ausgangspunkt der berussten Fläche die isotonische Kurve des entweder 
blau oder roth (konzentriertes Licht) beleuchteten Nervmuskelpräparates zeichnen. 
Entweder fielen die Kurven in einander, oder es zeigten sich so geringe, zudem nicht 
gleichsinnige Unterschiede, dass hieraus nicht auf eine Einwirkung der Belichtung 
geschlossen werden konnte. Die Versuche wurden häufig wiederholt, die Dauer der 
Belichtung verkürzt oder verlängert, nie wurden positive für Lichteinfluss sprechende 
Resultate erzielt. 

Ebenso verhielt es sich mit den 'isometrischen Kurven, worunter die Kurven des 
thätigen Muskels bei gleichbleibender Länge zu verstehen sind, welche Kurven be¬ 
kanntlich über die innere Arbeit des gereizten Muskels Auskunft geben. 


') Nach Herstellung des Präparates wurde die Glühlampe ausgeschaltct. 


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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die ßeflexerregbarkeit. 275 

Bei allen diesen Versuchen fiel der Nerv derart über den faradisch gereizten 
Muskel, dass er mit diesem im Fokus der Lichtquelle war. In der Annahme, dass 
vielleicht die Fascie des Muskels die Lichtwirkung verhindere, wurden verschiedene 
Muskeln in der Längsrichtung angeschnitten und die Schnittfläche unter den ge¬ 
schilderten Versuchsbedingungen belichtet. Abgesehen davon, dass Ermüdungs¬ 
erscheinungen früher auftraten, konnte keine spezifische Aenderung der Kurven 
konstatiert werden. 

Aus diesen Experimenten darf geschlossen werden, dass blaues und rothes 
konzentriertes Licht, welches keine ultravioletten Strahlen enthält, keinen direkten 
Einfluss auf das Nervmuskelpräparat ausübt. 

De Parville will nachgewiesen haben, dass das rothe Ende des Spektrums 
die Nerven erregt, während das entgegengesetzte Ende mit den Farben grün, blau 
und violett"sie beruhigt. Dafür konnte ich aus den bisherigen Versuchen keinen 
Anhaltspunkt gewinnen. 

Mit um so grösserem Interesse sah ich daher dem Ausfälle der Versuche, welche 
sich mit der Frage der Beeinflussung der Reflexerregbarkeit entgrosshirnter Thiere 
durch Licht beschäftigen sollten, entgegen. Ich will in Kürze die Momente zusammen¬ 
stellen, die dafür sprechen, dass Lichteindrücke mit motorischen Folgen für den 
Organismus nicht nur durch das Auge vermittelt werden. In erster Linie sind die 
Erfahrungen an augenlosen Thieren hervorzuheben, bei denen W. Nagel 1 ) eine 
ausserordentlich grosse Lichtempfindlichkeit konstatierte. Scheuen doch die meisten 
Würmer das Licht und leben in der Dunkelheit! Die Auster schliesst bei Ver¬ 
dunkelung plötzlich die Schale etc. Engelmann*) wies bei Fröschen nach, dass 
Belichtung der Haut auf reflektorischem Wege Verkürzung der Zapfeninnenglieder 
in der Netzhaut der vor Lichteinfall ausreichend geschützten Augen bedinge. 

Nach Justus Gaule 3 ) schwinden während der Winterszeit die bei Fröschen 
neben den Sexualorganen liegenden Fettkörper am Tage und bilden sich wieder 
während der Nacht. Da dies Phänomen auch bei blindgemachten Fröschen sich 
zeigt, so muss der Einfluss des Lichtes auf die Fettkörper auch durch die Haut 
vermittelt werden können. 

Ob die Reflexerregbarkeit durch verschiedenfarbiges Licht gesteigert oder herab¬ 
gesetzt werden kann, prüfte ich in folgender Weise: Die zuvor entgrosshirnten Frösche 
wurden 5—10 Stunden lang in der Dunkelkammer auf Eis gelegt, wodurch die Reflex¬ 
erregbarkeit bekanntlich günstig beeinflusst wird, dann mit dem Oberkiefer mittels einer 
Klemme an einem Stativ befestigt und dem Lichte (rothem oder blauem konzen¬ 
triertem Lichte) ausgesetzt. Weder bei raschem Wechsel von Dunkel und Licht, 
von blauer und rother Belichtung, noch bei länger andauernder Bestrahlung wurde 
je eine Zuckung, die hierauf sich zurückführen liess, beobachtet. Absterbende oder 
zu bald nach der Operation verwendete Frösche zucken bisweilen und geben dadurch 
zu falschen Deutungen Anlass, vor denen man sich bei allen derartigen Versuchen 
hüten muss. 

Analog, wie bei dem Muskelpräparat, dessen durch andere Reize veranlassten 
Thätigkeitserscheinungen bei verschiedenfarbigem Lichte untersucht wurden, prüfte 
ich bei dem Reflexfrosche, ob eine Einwirkung des Lichtes auf den zeitlichen Ab- 


Biologisches Ccntralblattt 1894. Bd. 14. S. 385. 

*) Pflfigcr’s Archiv 1885. Bd. 35. S. 498. 

3) Centralblatt für Physiologie 1900. Bd. 14. S. 25. 

19* 


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276 Theodor BQdingen 

lauf der durch chemische Reize verursachten Reflexe sich konstatieren liesse. Zu 
diesem Zwecke wurden zehn verschieden starke Lösungen von Normalschwefelsäure 
hergestellt, deren stärkste jedoch keine nachweisbare Aetzwirkung ausübte. Die 
Pfote des aufgehängten entgrosshirnten Frosches wurde nun bis zu einer durch einen 
Eisenring markierten Höhe alle zwei Minuten (durch Metronom bestimmt) für je 
zwei Sekunden in die Lösungen — von den stärkeren zu den schwächeren fort¬ 
schreitend — getaucht, bis bei gleichbleibender Belichtung diejenige Lösung gefunden 
wurde, auf welche innerhalb 20 Sekunden keine Reaktion (Zuckung) erfolgte. Diese 
Lösung wurde alsdann mehrere Male in gleicher Weise gebraucht und nach gleichem 
negativen Resultate das Licht gewechselt. Darauf wurde versucht, mit der bisher 
wirkungslosen Lösung eine Reaktion herbeizuführen; glückte dies nicht, so wurden 
stärkere Lösungen angewendet. Die Versuche wurden beim rothen Glühlicbt, wie 
bei blauem und rothem konzentrierten Bogenlicht gemacht. 

Auf diese Weise erhielt ich mehrere Tabellen, aus denen hervorzugehen schien, 
dass bei rother Belichtung, da hierbei immer stärkere Lösungen zur Erzielung von 
Reflexen nothwendig waren, die Reflexerregbarkeit eine Herabsetzung erlitten habe, 
und dass bei blauer Belichtung in Rücksicht auf die Rcizerfolge durch schwächere 
Lösungen die Reflexerregbarkeit erhöht worden sei. Doch bekam ich bald dem 
widersprechende Tabellen. 

Ich nahm dann verschiedene Modifikationen an der Versuchsanordnung vor. 

10 Minuten wurden für die Einwirkung der jeweiligen Lichtart auf den Reflex¬ 
frosch festgesetzt, bevor mit den Reizversuchen begonnen wurde; dann wurde je 
sechs- bis achtmal in Abständen von zwei Minuten nach jeder Zuckung mit den 
Schwefelsäurelösungen gereizt, die Lösung bis zum Reizerfolg, jedoch nicht länger 
als zwei Minuten, gebraucht, worauf die Pfote, wie auch früher, abgespült, nachher 
aber mit Fliesspapier getrocknet wurde. 

Auf diese Weise konnte ich keinen Einfluss der beiden Lichtarten in obigem 
Sinne feststellen. Bei den früheren Versuchen war möglicher Weise die Beobachtungs¬ 
zeit von 20 Sekunden nach der Reizung zu kurz; auch musste eine Verdünnung 
häufiger gebrauchter Lösungen dadurch, dass nach der Abspülung die Pfote nicht 
abgetrocknet worden war, eintreten, wodurch es zu Fehlerquellen gekommen sein 
mochte. 

Von Misstrauen gegen die Methode selbst erfüllt, der vor allen Dingen der 
Einwurf zu machen ist, dass trotz der Abspülung die Empfindlichkeit der Haut 
durch häufigere Anwendung der Schwefelsäurelösungen abgestumpft werden könne, 
probierte ich es mit einem anderen Verfahren: Ich vergiftete bei rothem Glühlicht 
in der Dunkelkammer zuvor entgrosshirnte, auf Eis gelagerte Frösche durch Injektion 
von 4 /ioo Milligramm Strychnin in den Lymphsack unter der Rückenhaut und wartete 
den Beginn des Vergiftungsstadiums ab, wo spontane Bewegungen nahezu oder über¬ 
haupt ausgeschlossen waren, der Frosch aber auf geringe Erschütterung, leise Be¬ 
rührung, ja schon durch einen Lufthauch in Streckzuckung bezw. Tetanus gerieth. 
Der Frosch sass in einer doppelwandigen Blechröhre, die einen seinem Rücken ent¬ 
sprechenden, dem Lichteinfall zugekehrten Ausschnitt hatte, auf einer an der unteren 
Deffnung der Röhre befestigten Stange dergestalt, dass die Beine zu beiden Seiten 
derselben herunterhingen. Der Raum zwischen beiden Wänden der Röhre war mit 
Eis gefüllt, damit nicht durch die während der Versuche eintretende Erwärmung der 
Frösche, die zuvor schon auf Eis gelegen hatten, eine Herabsetzung der Reflexerreg¬ 
barkeit eintreten könne. 


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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexcrrcgbarkeit. 277 

Bei der Verwerthung der Versuchsresultate ist auch hier grösste Vorsicht und 
längere Beobachtung nothwendig, damit man nicht durch spontane Bewegungen des 
Thieres getäuscht wird, und diese als Effekte der Bestrahlung ansieht. Dies ist mir 
anfänglich wiederholt passiert. Zahlreiche Beobachtungen aber lehrten mich, dass 
selbst bei diesen hoch erregbar gemachten Thieren konzentriertes blaues oder rothes 
Bogenlicht zu keinem Reflexe Veranlassung giebt. 

Bei zwei Fröschen kombinierte ich diese Methode der Erregbarkeitssteigerung 
mit der oben erwähnten chemischen Reizmethode und fahndete nach Aenderungen 
in der Zeit des Eintrittes der Reflexe bei verschiedenfarbigem Lichte. Trotzdem 
diese Frösche auch - «/ioo Milligramm Strychnin erhalten hatten und bereits eine Stunde 
seit der Einspritzung vergangen war, waren sie noch nicht im Stadium der Streck¬ 
krämpfe, sondern zogen auf die chemischen Hautreize hin die Beine prompt an den 
Leib!). Auch bei diesen Experimenten erhielt ich insofern negative Resultate, als 
die Reflexzuckungen bei beiden Lichtarten in denselben zeitlichen Abständen — vom 
Beginn des Eintauchens der Pfote in die Schwefelsäurelösung gerechnet — eintraten. 

Nach dem Ausfälle dieser und der oben geschilderten Versuche an ca. 60 Fröschen 
darf ich mir wohl den Schluss erlauben, dass eine Einwirkung des 
konzentrierten blauen und rothen Bogenlichtes auf Nerv und Muskel, 
sowie auf die Reflexerregbarkeit nicht zu erkennen ist. 

Meine letzten Versuche beschäftigten sich mit dem etwaigen Einflüsse des 
Sonnenlichtes auf die Reflexerregbarkeit. Eine vollkommene Trennung der Licht- 
von den Wärmeslrahlen ist der Natur der Sache nach leider nicht durchführbar. 
Schalten wir zwecks Eliminierung der Wärmestrahlcn zwischen Lichtquelle und 
Untersuchungsobjekt eine Wasserschicht, so verändern wir die Qualität des Lichtes. 
Ein Theil der ultravioletten Strahlen wird unfehlbar absorbiert. Setzen wir in 
gleicher Absicht die zu bestrahlende Haut des Versuchsthieres einer kontinuierlichen 
Benetzung aus, so greifen wir mechanisch und eventuell auch thermisch in den be¬ 
stehenden Erregungszustand ein, was besonders bei vorausgegangenen Strychnin¬ 
vergiftungen zu beachten ist. In Rücksicht hierauf verzichtete ich auf die sonst 
üblichen Versuchsanordnungen und Hess Sonnenlicht mittels eines Momentverschlusses, 
dessen Oeffnung von V 20 —1 Sekunde variiert werden konnte, auf den Rücken des 
entgrosshirnten mit Strychnin vergifteten Frosches fallen, der in der oben beschriebenen 
Kühlröhre in der Dunkelkammer sass. Eine rothe Glühlichtlampe stand in einiger 
Entfernung, sodass etwaige Reflexe der Beobachtung nicht entgehen konnten. Jeder 
zur Untersuchung kommende Frosch lag mehrere Stunden vor dem Versuch auf dem 
Eis. Der Versuch begann mit dem Eintritt der Streckzuckungen auf taktile Reize hin. 

Auch diese Versuche ergaben kein Resultat, das für eine Lichtwirkung sprechen 
konnte. Bei der kurzen Dauer der Belichtung dürfte die damit verbundene äusserst 
geringe Erwärmung nicht als Hemmung des Lichtreizes in Betracht kommen. Auch 
rasch aufeinander folgende Belichtungen, bei denen immerhin eher daran gedacht 
werden konnte, führten trotz der hochgradigen Erregbarkeit der Thiere zu keinem 
anderen Resultat. 

Uebcrblicken wir die Gesammtheit der Versuche, so lassen sich daraus folgende 
Schlüsse ziehen: 1. Eine direkte Erregung der Nerven und Muskeln durch 


1 ) Das Ausbleiben der für Strychninvergiftung charakterischen Erscheinungen dürfte vielleicht 
in diesen Fällen auf die Eiskühlung in der Blechrohre zurückzuführen sein. Bei den anderen Ver¬ 
suchen zeigte es sich nicht. . 


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278 Theodor Büdingen 

konzentriertes rothes oder blaues Licht lässt sich ebensowenig fest¬ 
stellen, wie eine Thätigkeitsänderung des durch andere Reize in Thätig- 
keit versetzten, der betreffenden Lichtart dabei exponierten Muskels. 
2. Die Reflexerregbarkeit des Rückenmarks wird durch die Haut 
treffende Lichtstrahlen nicht beeinflusst. 

Auf die Thätigkeitsprüfung des Nervmuskelpräparates bei Sonnenlicht habe ich 
in Rücksicht auf die dabei nicht zu vermeidende Erwärmung verzichtet. 

Daraus, dass die Reflexerregbarkeit des entgrosshirnten Frosches durch Belich¬ 
tung keine offenkundige in Zuckungen oder in deren Ablauf sich äussernde Ver¬ 
änderung erfährt, können wir entweder schliessen, dass das Licht keine Reize enthält, 
welche auf centripetalen Nervenbahnen des entgrosshirnten Frosches fortgeleitet 
werden, oder dass das Licht derartige Reize, jedoch von einer auf das Rückenmark 
unwirksamen Stärke, besitzt, dass mithin der zur Erregung centrifugaler Nervenfasern 
erforderliche Schwellenwerth der Reize nicht erreicht wird. Aus folgendem Grunde 
neige ich der letzteren Ansicht zu. 

Bekanntlich hat Engelmann, auf dessen Versuchsanordnung ich hier nicht 
eingehe, nachgewiesen, dass Frösche lediglich auf Belichtung der Rückenhaut — der 
Lichteinfall in die Augen war durch die Versuchsanordnung unmöglich gemacht 
worden — mit einer Kontraktion der Zapfeninnenglieder der Netzhaut reagieren. 

Damit ist nicht nur der Nachweis gebracht, dass der Sehnerv gleichzeitig ein 
centrifugal leitender Nerv ist, sondern auch, dass der Lichtreiz auf centripetalen 
Bahnen — nicht nur des nervus opticus — zum Gehirn gelangt und von dort aus 
motorische Erscheinungen veranlassen kann. Diese centripetalen Bahnen führen 
entweder durch das Rückenmark oder auf anderem Wege zum Gehirn. Im ersteren 
Falle würden wir aus Engelmann’s und meinen Versuchen weiterhin erfahren, dass 
es durch Licht bedingte Hautreize giebt, die auf das Gehirn einen motorische Er¬ 
scheinungen auslösenden Einfluss haben, während sie das Rückenmark zu keiner 
Thätigkeitsäusserung veranlassen können. Das Rückenmark wäre also für durch 
Licht verursachte Hautreize Durchgangsstation, das Gehirn Empfangs- und Umschalt¬ 
apparat 

Diese Hypothese, die nur bedingt ausgesprochen sein soll, gilt allenfalls für 
den Frosch. Analogieschlüsse auf den Menschen sind unzulässig. Denn es lässt 
sich in der Thierreihe eine fortschreitende Differenzierung in der Empfänglichkeit 
der nervösen Organe für Lichtreize nicht verkennen. 

Während niedrig stehende Organismen, wie z. B. Pelomyxa palustris durch 
Belichtung zu Gestaltsveränderung und Fortbewegung veranlasst werden, sehen wir 
schon beim Frosche die Anspruchsfähigkeit der nervösen Apparate für Lichtreize, 
welche die Haut treffen, auf wenige zum und vom Gehirne gehende Nervenbahnen 
beschränkt Auf den Menschen lässt sich bis jetzt nur ein durch den Sehnerven 
vermittelter psychischer Einfluss des Lichtes nach weisen, der mit Wahrscheinlichkeit, 
aber nicht mit Nothwendigkeit auf die motorische Sphäre übergreift. Eine gesetz- 
mässige Reaktion der nervösen Centralorgane beim Menschen auf Belichtung der 
Haut ist bis jetzt in keiner Weise festgestellt. Die Annahme eines spezifischen Licht¬ 
einflusses auf die Nervenendigungen in der menschlichen Haut, wie sie u. a. auch 
von Professor Rieder 1 ) in seiner anregend geschriebenen zusammenfassenden Ueber- 


v l So sagt Rieder (S. 499 des Goldscheider-Jacob'sehen Handbuches der physikalischen 
Therapie Theill. Bd. 1): »Bei den Sonnenbädern ist aber ausser der schwoisscrzeugonden noch eine 


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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexerregbarkeit. 279 

sicht über Lichtbehandlung getheilt wird, ist bis jetzt durch kein einwandfreies 
Experiment gestützt. Analogieschlüsse aber sind, wie ich nochmals betonen möchte, 
angesichts der klar und deutlich erkennbaren fortschreitenden Differenzierung in der 
Lichtempfindlichkeit der Thierreihe — entwicklungsgeschichtlich betrachtet — unhalt¬ 
bar. Gleichfalls nicht nachgewiesen ist ein Einfluss des Lichtes auf den respira¬ 
torischen Stoffwechsel des Menschen. Feststehende Thatsache ist die Lichteinwirkung 
auf das menschliche Auge, auf die Stimmung des Menschen, auf die menschliche 
Haut — Pigmentierung und eventuell Dermatitis hervorrufend — und auf einige 
für den Menschen pathogene Mikroorganismen. Nachgewiesen ist ferner durch die 
interessanten Versuche Quincke’s 1 ) eine Steigerung der Sauerstoffzehrung in den 
Zellen des Eiters, des leukämischen Blutes und zerkleinerter menschlicher Organe. 
Ob aber diese durch Licht bedingte Erhöhung der Oxydation auch unter der be¬ 
lichteten Haut bei strömendem Blut im lebenden menschlichen Körper erfolgt, dafür 
sind bis jetzt keine Beweise erbracht. 

Wenn daher von einem durch Sonnenlichtbäder und elektrische Lichtbäder 
verursachten spezifischen Lichteinflüsse auf den Stoffwechsel 2 ) und das Nervensystem 
gesprochen wird, so ist dies nach dem heutigen Stande unseres Wissens eine un- 
erwiesene Behauptung. Als Anstaltsarzt habe ich bei häufiger Anwendung elektrischer 
Lichtbäder niemals einen Heilerfolg gesehen, der nicht auch durch andere Schwitz¬ 
bäder zu erzielen gewesen wäre — von den Suggestivwirkungen natürlich abgesehen. 

In Uebereinstimmung mit anderen Beobachtern sah ich nur einen gelegentlich 
früher d. h. bei niederer Temperatur eingetretenen Schweissausbruch im Bogenlichtbade. 

Mit diesen Ausführungen soll selbstverständlich der Werth der Lichtbäder in 
technischer,, ökonomischer und suggestiver Beziehung nicht herabgesetzt werden, noch 
weniger soll damit die freudig zu begrüssende mächtige Heilwirkung des Lichtes 
auf Hautkrankheiten verkannt oder geleugnet werden. Meine Kritik wendet sich 
lediglich gegen einen Enthusiasmus, der sich nicht mehr auf dem Boden gesicherter 
Thatsachen bewegt. 


spezifische Wirkung der Lichtstrahlen anzunehmen, es erfolgt Anregung des Nervensystems und des 
Stoffwechsels«. Vielleicht hat Rieder die im Sonnenbade erfolgende Erwärmung der Körperobcr- 
fläcbe als causa movens im Auge? Dass thermische Einflüsse aber das Nervensystem und den 
Stoffwechsel anregen, ist nichts neues, nichts »spezifisches«. 

i) Pflüger’s Archiv Bd. 57. 

*) Nach den Untersuchungen von Salomon aus dem städt. Krankenhause zu Frankfurt a. M. 
(Prof. v. Noorden) haben Glühlichtbäder keinen anderen Einfluss auf den Stoffwechsel wie die 
sonst üblichen Schwitzbäder. S. Zeitschr. f. diät. u. physik. Therapie 1901. S. 205. Weitere Unter¬ 
suchungen im Bogenlichtbade, das ja weit mehr chemisch wirksame Strahlen wie das Glühlicht¬ 
bad enthält, sind im Interesse einer endgültigen Entscheidung der Frage sehr wünschenswerte 


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•280 


E. Morv 


III. 

Die Fangokur und deren Indikationen. 

Von 

Dr. E. Mory, 

Kurarzt in Adelboden (Schweiz). 

Von den mehr oder weniger bekannten Formen der physikalischen Therapie 
ist in der vorliegenden Zeitschrift bis dato über die Fangokur nur in referierender 
Weise die Rede gewesen. Meine dreijährigen Erfahrungen als Leiter der Fango¬ 
anstalten in Thun und Zürich berechtigen mich, an der Hand eines grossen Kranken¬ 
materiales ein bestimmtes Urtheil über diese neue und doch so alte physikalische 
Heilmethode abzugeben. 

Abgesehen vom therapeutischen Erfolg einer Methode kommt wohl in zweiter 
Linie deren bequeme und leicht ausführbare Anwendungsweise und absolute Gefahr¬ 
losigkeit in Betracht, denn mit einem zweischneidigen Schwerte dürfen wir nicht 
vorgehen: Nihil nocere steht als Grundsatz für den gewissenhaften Arzt noch immer 
oben an. Das Experiment gehört nicht in das Krankenzimmer, sondern in das 
physiologische Institut. 

Um für die Fangotherapie alle diese Punkte zu besprechen, beginnen wir mit 
der Provenienz des Heilmittels und der Entstehung der Methode. 

Hierüber referierte zuerst W. F. C. Müller (München) in einem Vortrag vor 
dem allgemeinen deutschen Bäderverbande in Salzungen 1890. Den Gebrauch des 
Fango di Battaglia zu Heilzwecken erwähnen schon Plinius, Galen, Joh. de Dondis, 
Savonarola u a. In Battaglia (Provinz Padua) bestehen natürliche Fangoquellen 
in Form kleiner Seen, welche auf ihrem Grunde den aus dem Erdinnern mit Thermal¬ 
wasser vermischten Schlamm ablagern lassen. Die römischen Kaiser hatten sich hier 
schon prächtige Marmorbäder gebaut, welche während der Völkerwanderung zerstört 
und von Theodorich dem Grossen wieder hergestellt wurden. Der Kurort Battaglia 
hat sich nicht nur bis zum heutigen Tage als solcher seinen Ruf bewahrt, sondern 
sendet sein Produkt, den Fango di Battaglia, als das heilsame Agens seiner Thermen 
in alle Welt hinaus. 

Nachdem Oeffinger und Obkicher im Grossherzoglichen Landesbad und 
Friedrichsbad in Baden-Baden klinische Versuche mit dem importierten Fango di 
Battaglia gemacht hatten, die die besten Resultate ergaben und Fangoheilanstalten 
in Wien, Berlin, Zürich etc. etc. entstanden, welche in wissenschaftlicher Weise die 
Fangotherapie weiter ausbildeten, ist die Ausdehnung derselben unaufhaltsam fort¬ 
geschritten und wird der Fango di Battaglia bis nach den Vereinigten Staaten 
expediert. 

Sehen wir uns nun die Anwendungweise näher an. 

So einfach die Fangoapplikation an und für sich auch ist, so bedarf es 
doch einer zu erlernenden Fertigkeit seitens der Applizierenden, die nicht aus einer 


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281 


Die Fangokur und deren Indikationen. 

gedruckt vorliegenden Gebrauchsanweisung, leicht aber durch Anschauungsunterricht 
zu erlangen ist 

Dasselbe lässt sich von der Massage sagen, und jeder, der Laienmasseure an 
der Arbeit sah, wird die Behauptung, die Hoffa in der Einleitung seiner »Technik 
der Massage« (Stuttgart 1900) aufstellt, gut heissen: 

»Ich behaupte, dass jeder Laienmasseur, der selbstständig die Massage ausübt, 
ein Pfuscher ist und bleibt, und strebe demgemäss das völlige Verbot der Laien- 
massage an.« 

Es liegt mir nun ferne, aus diesen Auseinandersetzungen ableiten zu wollen, 
dass bei der Fangotherapie conditio sine qua non sei, dass der Arzt jede Packung 
mache, und dass eine Fangobehandlung nur in einer Fangoheilanstalt möglich sei; 
jedoch ist als Postulat aufzustellen, dass die erste Applikation in Anwesenheit des 
behandelnden Arztes ausgeübt werde, dass der Applizierende ein gewissenhafter Wärter 
sei, der nicht im Wickel die Hauptsache der ganzen Prozedur sieht, sondern der 
sich genau an die ihm ordinierte Temperatur des Fango hält und der natürlich eine 
Packung lege artis zu machen versteht. 

Die Patienten sollen öfters vom Arzt während und insbesondere nach der 
Applikation besucht und befragt werden, da ja bei keinem die Reaktion nach vor¬ 
auszusehender Schablone eintritt. Dies gilt bei der Fangotherapie gerade so wie bei 
der Hydrotherapie und anderen physikalischen Methoden, und gerade darin sehe ich 
einen grossen Vortheil dieser Methoden für die Patienten. 

Ueber die Applikationsweise kann ich kurz hinweggehen. Nehmen wir als 
Beispiel eine Ischias. Wir legen den vollständig ausgezogenen Patienten auf das 
zum Fangobett hergerichtete Lager, bestehend aus einer Matratze, zwei Wolldecken, 
ein Wachstuch, ein Leintuch. Die betreffende Extremität von der Hüfte bis zur 
Zehe wird nun mit dem auf die gewünschte Temperatur erwärmten Fango eingehüllt, 
und die vier Schichten (Leintuch, Wachstuch, erste Wolldecke, zweite Wolldecke) 
werden eng darüber zum Wickel, wie er in der Hydrotherapie gebräuchlich ist, ge¬ 
schlossen. Je nach Jahreszeit oder Individualität können noch weitere Wolldecken 
die Packung vervollständigen. 

Hat man es auf eine allgemeine Schwitzwirkung abgesehen, so macht man einen 
ganzen Wickel, kommen nur schmerzstillende Absichten (Gicht an der Zehe, Distor¬ 
sionen, schmerzstillende Callusbildupg an den Extremitäten etc.) in Frage, so können 
Theilwickel genügen. 

Nach Stunde, je nachdem, wird der Patient »ausgepackt«, oder photo¬ 

graphisch gesprochen »ent—wickelt«, und zu Reinigungs- und Abkühlungszwecken 
in ein Vollbad oder eine Douche gesteckt. 

Ob und wie nachher Massage noch angewendet werden soll, darüber später bei 
Besprechung der einzelnen Indikationen. 

Die Häufigkeit der Anwendung und die Dauer der einzelnen Applikation hängt 
ganz vom speziellen Fall ab; es muss von Fall zu Fall individualisiert werden. 
Dasselbe, gilt für die Temperaturgrade, auf welche der Fango zu Applikationszwecken 
gebracht wird. Als niedrigste Temperatur giebt v. Aufnaiter (Wien) 46°C an, 
als höchste 58° C; es entspricht dies den von mir gemachten Erfahrungen, wiewohl 
ich diese Grenze nach unten auf 48 0 C, nach oben auf 56 0 C gezogen wissen möchte. 
Je nach dem Verlauf des Falles, frühzeitig oder spät, oder garnicht eintretenden 
Reaktionsschmerzen ist auch hier'die Temperatur zu regeln. 


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282 E. Mory 

Man hat es vollständig in der Hand, die Fangopackung allgemein oder lokal 
wirken zu lassen, indem man dieselbe als ganze oder als Theilpackung ordiniert Auch 
da wo eine ganze Packung der Natur des Leidens wegen (Polyarthritis) indiziert ist, 
kann man dieselbe in ihrer Wirkung auf den Gesammtorganismus steigern oder ab¬ 
schwächen, indem man dieselbe sehr fest und ergiebig oder lose und leicht macht 
wodurch man in letzterem Falle die schweisstreibende Wirkung eliminiert falls sie 
kontraindiziert oder nicht gewünscht wird. 

Kontraindikation für die Fangotherapie, um das hier gleich abzumachen, 
kenne ich keine. Nie bin ich in den Fall gekommen, eine Packung unterbrechen 
zu müssen oder die Gcsammtkur wegen durch die Therapie selbst bedingte Ver¬ 
schlimmerung des Subjektivbefindens aufgeben zu müssen. Ich habe Patienten mit 
schweren unkompensierten Klappenfehlern, alte dekrepide Rheumatiker mit stark 
vorgeschrittener Arteriosklerose eben so gut und ohne Störung mit Fangoapplikationen 
behandeln können wie Schwangere und Phthisiker. 

Ich setze dabei allerdings eine genaue Beobachtung des Patienten während der 
Kur durch den Arzt selbst voraus. 

Bei der Fangotherapie benöthige ich nichts, als den leicht erhältlichen Fango, 
ein Bett, ein Wachstuch und — den Patienten. 

In Bezug auf physiologische Wirkung der Fangopackung kann ich mich 
kurz fassen; ich halte sie für eine thermisch-mechanische. 

Im vulkanischen Fango di Battaglia haben wir eine Masse, die das Ideal eines 
Kataplasma darstellt; seine feine Homogenität, seine butterweiche Konsistenz, seine 
Eigenschaft als schlechter Wärmeleiter und seine für die menschliche Haut vorzüglich 
passende Adhäsion (die der Fango in ähnlicher Weise wie der Modelliergyps besitzt) 
verleihen ihm diese Vorzüge. 

Der auf 50« C oder darüber erhitzte Fango behält im Fangowickel die ihm 
gegebene Temperatur stundenlang und wirkt so kataplasmatisch in die Tiefe der 
Gewebe auf lange Zeit. Experimentell wurde die Tiefenwirkung von äusserlich appli¬ 
zierter Wärme durch Heinz (Erlangen) nachgewiesen (19. Kongress für innere Medicin), 
und zwar wurden diese Experimente vermittels thermo-elektrischer Nadeln an Thieren 
angestellt und ergaben, dass sich eine Tiefenwirkung äusserlich applizierter Wärme 
in der Pleura von Hunden und Kaninchen nachweisen lässt. Salaghi (Bologna) 
erklärt diese Tiefenwirkung »durch eine Erweiterung der kutanen und subkutanen 
Blutgefässe und gleichzeitige Erschlaffung der Haut,* die sich in analoger Weise wie 
sie sich bei Kälteanwendung zusammenzieht, bei der Hitze ausdehnt und in erheb¬ 
lichem Maasse nachgeben kann, wegen des welligen gekräuselten Verlaufes der Binde¬ 
gewebsfasern, sowie der Hyperextendibilität der glatten Muskeln und der elastischen 
Fasern«. Durch die Tiefenwirkung erklären wir uns die Verflüssigung eingedickter 
Exsudate, dass allmähliche Weichwerden rheumatischer Schwielen und schliessliche 
Resorption derselben, die Fortschaffung gichtischer Ablagerung u. s. w. Durch lokale 
Wärmeapplikation wird, wie bekannt, aber nicht nur auf das Gefässsystem gewirkt, 
sondern auch auf die Nervenbahnen und zwar erzeugt man dadurch, wie Winter¬ 
nitz dargethan, Reflexvorgänge in den Nervenbahnen, die zu Schmerzlinderung und 
Schmerzaufhebung führen. 

Da der Fango ein dichteres Medium ist, sich dem Hautbezirk intensiver und 
fester anschmiegt als Wasser und zudem die Temperaturen viel höher genommen 
werden können als bei Bädern, so muss dieser Reflexreiz ein intensiverer und wirk- 


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Die Fangokur und deren Indikationen. 283 

samerer sein. Die Fangoapplikation wirkt also wärmespendend auf dem Reilexwege 
und, wie oben gesehen, durch Kontiguität. 

In zweiter Linie ist die mechanische Wirkung des Fango von Werth; die 
breiige homogene Masse wirkt auch durch ihre Schwere wie eine Massierkugel. 
Nehmen wir z. B. die Behandlung eines Beckenexsudates an, so legen wir 5—6 kg 
warmen Fango auf die Bauchdecken und wickeln fest; durch die respiratorischen 
Exkursionen des Diaphragma entsteht nun zwischen Fangobelag und Abdominaldecken 
eine beständige Selbstmassage, die nicht intensiv, aber darum nicht minder wirksam ist. 

Bei akutem Gelenkrheumatismus ist es die Regel, dass die blosse Berührung 
eines akut geschwollenen Gelenkes nicht einmal die Belastung mit dem Leintuch 
verträgt und Bettbogen zum Schutz der Gelenke verwendet werden müssen. Ich 
habe die Erfahrung gemacht, dass derartig empfindliche Gelenke sich in eine Fango¬ 
umhüllung schmerzlos einpacken lassen und sich darin wie suspendiert fühlen; der 
Wickel darüber kann ganz fest gemacht werden. Der Fango vertritt hier die Stelle 
von Watte und wirkt zudem sofort schmerzstillend. Ebenso verhält es sich bei dem 
akuten Gichtanfall. 

Auf eine Besprechung der chemischen Wirkung des Fango und Resorption seiner 
Metallsalze verzichte ich aus dem einfachen Grunde, weil ich nicht daran glaube. 
Ebenso ergeht es mir mit den negativ elektrischen Strömen, die sich während der 
Applikation zwischen menschlicher Haut und Fango entwickeln und heilend wirken 
sollen. Es genügt mir vollkommen, durch mehrjährige Erfahrung brillante Resultate 
durch die Fangobehandlung bei Krankheiten erzielt zu haben, auf die ich im Folgenden 
noch zu sprechen komme. Man wird es mir heutzutage nicht mehr als Ober¬ 
flächlichkeit auslegen, wenn ich mir zur Richtschnur gemacht, alle Dinge in der 
Medicin nach ihrer Wirkung zu beurtheilen und nicht nach dem Wieso? und Wodurch? 
Die wissenschaftlichen Hypothesen sind ja schön und recht, wenn sie nur längere 
Lebensdauer hätten. 

Die Indikation der Fango therapie ziehe ich nicht so weit, wie es heutzutage 
für jede neue oder alte physikalische Heilmethode nachgerade Sitte geworden ist zu 
thun; sie ist begrenzt, feiert aber gerade da bisweilen ihre Triumphe, wo Chemie, 
Elektrizität, Mechanotherapie und Hydrotherapie umsonst ins Treffen geführt wurden. 

Die Fangokur hat sich bei den rheumatischen Affektionen der Gelenke 
als eine angenehme und rasch wirkende Methode glänzend bewährt. 

Anfangs hielt ich die Anwendung von warmem Fango (50—55°C) bei akuter 
Polyarthritis rheumatica für kontraindiziert, weil Gründe, die von anderer 
Seite dagegen vorgebracht wurden, mir einleuchteten, wiewohl es nur theoretische 
Raisonnements waren. Als ich trotzdem den Versuch machte, fiel derselbe vollständig 
befriedigend aus. 

Solange Fieber vorhanden, habe ich nie Ganzpackungen gemacht, sondern nur 
einzelne Gelenke abwechselnd gewickelt und kam dennoch schneller zum Ziel als 
mit Salicyl etc. Ich hatte dazu nicht die unangenehmen Nebenwirkungen dieser 
Medikamente. Der Schmerznachlass tritt immer schon im Beginn der Packung ein. 
Zu beachten ist dabei nur, dass das betreffende Gelenk nicht in einer gezwungenen 
unbequemen Lage fixiert wird. Wie ich oben erwähnt, wirkt die Schwere des auf¬ 
gelagerten Fango nicht etwa schmerzend, da natürlich die untere Fläche des Gelenkes 
ebenfalls auf einem Fangopolster ruht. Ich habe immer beobachtet, dass solche 


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284 E. Mory 

Patienten eine Verlängerung der Applikation wünschten, weil sie sich subjektiv eben 
wohl befanden — immerhin vorausgesetzt, dass die Packung eine korrekte war. 

Ein besonders prägnanter Fall sei hier kurz skizziert: 

Frau P., 35 Jahre alt. Polyarthritis rheumatica acuta. Seit sechs Wochen alt¬ 
wechselnde Schwellung und Röthung der Fuss-, Knie-, Hand-, Ellbogen- und Schultergelenke. 
Trotz 60 g Salicyl und nachherigem Gebrauch von Salol, Salophen und Aspirin ist noch 
keine Besserung zu konstatieren. Die Patientin verbringt schlaflose Nächte und ist sehr 
heruntergekommen. 

Nach der ersten Fangoapplikation auf alle empfindlichen Gelenke, schläft dieselbe 
vier Stunden; die Schmerzparoxysmen treten seltener und wenig intensiv auf. Nach der 
fünften Applikation nur noch Schmerzen beim Gehen; nach der elften Applikation sind 
sämmtliche Gelenke abgcschwollen und schmerzlos; nach der fünfzehnten Applikation macht 
Patientin zweistündige Spaziergänge, ohne Schaden 2 u nehmen. Die Applikationen wurden 
täglich ausgeführt und bis zu 1V* Stunden ausgedehnt. 

Weniger prompt tritt die Wirkung beim chronischen Gelenkrheumatismus 
ein, und insbesondere gilt dies von der deformierenden Form derselben. 

Wo schon ankylotische Fixierung der Gelenke und Atrophie der Muskeln in 
hohem Grade vorhanden, ist nicht mehr viel zu hoffen>); aber da wo die Gelenkenden 
noch nicht in ihrer Form verändert, sondern die abnorme Stellung des Gelenkes nur 
durch einen chronischen, die Gelenkkapsel prall spannenden Erguss bedingt ist, erzielt 
man noch schöne Resultate. So habe ich bei einem alten Ehepaar vom Lande, 
wovon der Mann sich beklagte, dass er mit seinen verkrümmten Fingern die Tabaks¬ 
pfeife nicht mehr stopfen und den zum Gehen nothwendigen Stock nicht mehr halten 
könne, und die Frau nur noch wünschte wieder stricken zu können, da ihr die Zeit 
sonst zu lange werde, es durch eine mehrwöchentliehe Kur dazu gebracht, dass beider 
Wünsche in Erfüllung gingen. 

Ich muss freilich beifügen, dass hier jeder Applikation eine Massagesitzung mit 
Bewegungsübungen angeschlossen wurde, die ich selbst ausführte, da nach meinen 
Erfahrungen ein Drauflosmassieren in solchen Fällen mehr schaden als nützen kann. 
Darum halte ich die maschinelle (schwedische und andere) Behandlung von Gelenk¬ 
steifigkeiten infolge Rheumatismus nicht nur für eine gefährliche, sondern auch für 
eine rohe; denn eine Maschine hat weder Gefühl noch Tastsinn, noch anatomisch' 
physiologische Kenntnisse a ). 

Die Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus resp. deren Resultate 
sind ein prägnantes Beispiel für die Vortheile, welche oft die Kombination zweier 
verschiedener physikalischer Heilmethoden bieten. Durch die kataplasmatische Tiefen¬ 
wirkung des Fango werden die zähen Ausschwitzungen und Schwarten dünnflüssiger 
und weicher, und somit durch die Massage der Resorption leichter zugänglich. 

Ueber die Aetiologie des chronischen Gelenkrheumatismus, insbesondere des 
deformierenden, herrschten in der Litteratur ein unentwirrbares Chaos und zahlreiche 
Theorieen; Thatsache aber ist, dass die ärztliche Kunst gegen dieses Leiden sehr 
wenig vermag, und dass namentlich interne Medikation hier ganz umsonst ist. Ich 
glaube, dass die Fangotherapie hier mit grossem Erfolge in die Lücke treten kann. 


i) Trotzdem habe ich völlige Lösung einer sehr festen Ankylose und Wio'’erbcwcglichkeit 
des Gelenkes in mehreren Fällen nach längere Zeit dauernder Fangokur gesehen. Dasselbe bestätigt 
v. Aufschnaitor (Wien). Vide dessen Methodik der Fangobehandlung. 

-) Je nachdem Reaktionschmerzen auftreten oder nicht, ist die der Applikation nachfolgende 
Massage mehr oder weniger intensiv zu gestalten, eventuell temporär auszusetzen. 


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Die Fangokur und deren Indikationen. 

Die Schmerzen, die beim chronischen Rheumatismus ja weit geringer sind als 
beim akuten, können immerhin neben der Funktionsstörung sehr unangenehm sein; 
von den Fangoapplikationen werden sie sehr günstig beeinflusst. 

Die Beeinflussung der typischen Gicht durch Fangoapplikationen, insbesondere 
des typischen akuten Gichtanfalles, der bekanntlich punkto Schmerz es mit 
dem schönsten Zahnweh aufnimmt, kann geradezu als überraschend bezeichnet 
werden. 

(Wer, nebenbei bemerkt, eine meisterhafte Beschreibung eines akuten Gicht¬ 
anfalles und die typische Krankengeschichte eines Gichtikers lesen will, wie kein 
medicinisches Lehrbuch sie prägnanter geben kann, der nehme Zolas bekannten Roman 
>.Joie de vivre< zur Hand.) Auch hier hatte ich wie beim akuten Gelenkrheuma 
aus theoretisch-technischen Gründen Bedenken, einem vor Schmerz schreienden 
Patienten, dessen Fuss nicht die leiseste Berührung vertragen konnte, eine Fango¬ 
applikation vorzuschlagen, und es war gerade ein solcher Patient, der seit Jahren 
Gichtiker und seit Jahrzehnten Bonvivant, die Gichttherapie der letzten 20 Jahre 
besser kennt wie mancher Medikus, kategorisch nach diesem ultimum refugium ver¬ 
langte. Der Erfolg war brillant. 

Gerade dieser eben citierte Patient war es, der mich darauf aufmerksam machte, 
dass er nicht nur keinen unangenehmen Druck auf dem affizierten Gelenk spüre, 
sondern vielmehr das Gefühl habe, als sei der Fuss suspendiert und werde ganz 
sachte und sanft wie mit einem Sammethandschuh gerieben, und doch lasteten 
ca. 3 kg Fango, ein Leintuch, eine Gummihülle und zwei Wolldecken auf dem Fuss. 
Nach drei Tagen war Patient soweit, dass er seinen Schuh wieder anziehen und 
herumgehen konnte. Seither habe ich natürlich ohne Zögern bei jedem akuten 
Gichtanfall sofort eine lokale Applikation von einer Temperatur bis zu 55 0 C gemacht, 
und immer mit demselben überraschenden Erfolg. Aeitere Gichtiker, die schon die 
ganze Pharmakopoe durchgekostet und ein kleineres Vermögen in Piperazin angelegt 
haben, singen das Lob des Fango. 

Aber nicht nur beim akuten Gichtanfall, sondern auch bei allgemeiner gichtischer 
Diathese und deren Lokalisation in Gelenken oder Sehnen, waren die Resultate der 
Fangobehandlung sehr schöne, bessere und raschere als ich sie von anderen 
Behandlungsmethoden sah. Je nach dem Fall wurden auch Ganzpackungen gemacht, 
und durch Auflegen von Fango am Stamme eine kräftige Diaphorese erzeugt. 

Der Begriff Muskelrheumatismus ist nicht leicht abgrenzbar; da wo man 
sogenannte rheumatische Schwarten oder Schwielen mit Sicherheit palpieren kann 
und dieselben nach einigen Applikationen mit darauffolgender Massage zum Ver¬ 
schwinden bringt, kann man zweifelsohne von Muskelrheuma sprechen. Die Fango¬ 
applikationen wirken auch hier sehr rasch schmerzlindernd; es genügen oft zwei 
bis drei Applikationen, um solche rheumatischen Schmerzen zum Verschwinden zu 
bringen. 

Die Schmerzlosigkeit und freie Funktion der Lendengegend bei Lumbago durch 
Fangoapplikationen tritt sehr rasch ein. Es werden auch hier Massagemanipulationen 
der Applikation angeschlossen. Ein Beamter, der seit sechs Jahren alljährlich im 
Frühjahr drei bis fünf Wochen an Lumbago zu Bette lag oder doch nur mühsam 
sich im Zimmer bewegen konnte, stellte sich bei seiner sechsten letztjährigen Attake 
zur Fangokur. Nach fünf Tagen (täglich eine Applikation von ®/ 4 Stunden) war er 
schmerzfrei und nahm seine Büreaustunden wieder auf. 


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286 E. Mory 

Sind Nierenaffektionen oder Wirbelkaries die Ursachen von Rückenschmerzen, 
so kann von einer Heilung durch Fango keine Rede sein, doch habe ich immer 
Milderung der Schmerzen gesehen. 

Neuralgieen im Gebiet peripherer Nerven stellen neben Rheumatismus das 
Hauptkontingent der Fangopatienten, und hier ist es insbesondere die Ischias, von 
der ich behaupte, alle Fälle mit einer regelrechten Fangokur zu heilen, die nicht im 
Zusammenhang mit Wirbelkaries oder Beckentumoren stehen. 

Die Entzündung des grossen Hüftbeinnerven und seiner ausgedehnten Geflechte 
ist eine nicht nur überaus häufige, sondern auch äusserst merkwürdige und in zahl¬ 
reichen Varianten entstehende Affektion, und die Einführung der Fangotherapie in 
unseren modernen Arzneischatz ist insbesondere geheilten Ischiaspatienten zu ver¬ 
danken, welche dieselbe als ultima ratio noch versuchten und damit aufs Vortreff¬ 
lichste reüssierten. 

Aetiologisch spielt bei Ischias für den Laien die »grosse Unbekannte«: die 
sogenannte »Erkältung« wohl eine Hauptrolle, dann Traumen verschiedenster Art, 
Lues, Diabetes, Wirbelkaries, Tumoren und die Gravidät. Nach meinen speziell 
darauf hinzielenden Recherchen spielt der Stiefsohn der Erkältung — der Rheuma¬ 
tismus — hierbei eine ziemlich unbedeutende Rolle; viele meiner Ischiatiker waren 
vorher nie von einem ausgesprochenen typischen Rheumatismus heimgesucht. Bei 
schwangeren Ischiaspatientinnen sah ich mehrmals ein eigenthümliches Verhalten. 
Während in der Regel Schwangere, die gegen Ende der Gravidität eine Druckischias 
acquirierten, dieselbe post partum los waren, beobachtete ich vereinzelte Fälle, wo 
die ischiatischen Schmerzen im Beginn der Gravidität sehr stark waren, in der zweiten 
Hälfte derselben bedeutend abnahmen oder ganz verschwanden, um im Wochenbett 
mit erneuter Vehemenz aufzutreten. Da wirkte also der gravide Uterus durch 
Kompression schmerzstillend, statt schmerzfördernd, ähnlich wie bei Supra- und 
Infraorbitalneuralgien ein fester Fingerdruck auf den austretenden Nerven den 
Schmerzanfall oft abkürzt. In diesen Fällen ist die Ursache der Ischias also kein 
Druck, sondern wohl eher ein von der Innenfläche des Uterus ausgelöster Reiz per 
continuitatem oder auf dem Reflexwege. 

Noch verschiedener als in ihrer Aetiologie erscheint uns die Ischias in ihrem 
Auftreten. Die Schmerzen sind insofern charakteristisch, als sie zu den intensivsten 
gehören. 

In ihrer Lokalisation bieten sie ein sehr verschiedenes Bild, je nachdem, dass 
diese oder jene Bahnen dieses Nerven affiziert sind, oder die Schmerzempfindung 
durch Irradiation von Patienten an einer Stelle empfunden wird, wo in der Regel 
keine Schmerzen gefühlt werden. 

Auch die sogenannten Schmerzpunkte sind nicht konstant; am häufigsten finden 
sie sich in der Glutäalfalte, in der fossa poplitea, im unteren Drittheil der Wade, 
am Malleolus und auf dem Fussrücken; seltener an der Tibia, an der Innenseite des 
Oberschenkels oder am Rand des Os sacrum. 

Inkonstant ist ebenfalls das sogenannte Ischiasphänomen, d. h. die Unmöglich¬ 
keit, bei Rückenlage das affizierte Bein bei gestrecktem Knie hoch zu heben. Das 
von W. Berger beschriebene paradoxe Ischiasphänomen, welches darin sich äussert, 
dass das affizierte Bein leicht gehoben werden kann, dagegen das scheinbar gesunde 
nicht, habe ich ebenfalls öfters konstatiert. 


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Die Fangokur und deren Indikationen. 


*287 


Während bei Ischias sowohl die Elektrizität als auch die Schwefelthermen 
recht lückenhafte Resultate aufweisen, von der medikamentösen Behandlung, die nur 
palliativ wirkt und oft nur schadet (Ischias liefert einen grossen Prozentsatz Morphi¬ 
nisten) garnicht zu reden, habe ich, wie oben schon gesagt, mit Fangoapplikationen 
frische und sehr alte Fälle in relativ kurzer Zeit heilen sehen. 

Einem Ingenieur, der seit 15 Jahren derart an Ischias litt, dass er drei- bis 
viermal des Jahres auf je zwei bis vier Wochen arbeitsunfähig war, habe ich vor 
zwei Jahren *25 Applikationen gemacht, und derselbe hat seither nie mehr die leiseste 
Spur von Ischias gefühlt. Für wochenalte Fälle genügen in der Regel zehn bis fünf¬ 
zehn Applikationen. 

In der Mehrzahl der Fälle tritt die Reaktion schon nach fünf bis acht Appli¬ 
kationen ein, d. h. es exacerbieren die Schmerzen, und dann ist es ein Gebot der 
Nothwendigkeit, wie v. Aufschnaiter ganz richtig angiebt, und worauf ich von 
ihm aufmerksam gemacht wurde, sowohl Applikationsdauer, als deren Frequenz und 
namentlich die Temperatur des Fango herabzusetzen. 

v. Aufschnaiter erwähnt noch die Vortheile, die bei sehr heftiger Ischias die 
Kombination von Kohlensäure mit Fango bietet; er stellt sogenannten kohlensauren 
Fango her, indem er doppelkohlensaures Natron und Weinsäure mit Fango kurz vor 
dem Gebrauch mischt. 

Da sich schöne Kohlensäurebäder durch den Keil er’sehen Apparat erzeugen 
lassen, so habe ich auf einfachere Weise dieser Indikation genügt, indem ich ab¬ 
wechselnd eine Fangoapplikation und ein C0 2 -Bad ordinierte 1 ). 

In derselben Weise wie Ischias lassen sich die Neuralgieen der Rippen, der 
Extremitäten und selbst des Kopfes beeinflussen. Am Kopf ist die Technik der 
Applikation eine etwas schwierige, bei Männern aber doch auszuführen. Eine Occipital- 
neuralgie, die bis in die Galea aponeurotica ausstrahlte und den Patienten infolge 
ihrer Hartnäckigkeit und Vehemenz ganz heruntergebracht hatte, heilte ich mit zwölf 
Applikationen; ich Hess den Patienten mit der Tondeuse die Haupthaare ganz kurz 
schneiden, belegte den Nacken, die Schultern und den ganzen behaarten Kopf mit 
Fango und umhüllte denselben turbanähnlich mit den nöthigen Schutzdecken. Der 
Patient empfand gar keine Kongestionen oder Wallungen, wiewohl er ein 56jähriger 
Mann mit ausgesprochener Arteriosklerose war. 

Auch bei Gesichtsneuralgieen verwende ich Fango. Die Augen werden mit 
Schutzbrille oder Wattetampon geschützt, Nase und Mund freigelassen. Hier ist eben 
die modelliergypsartige Konsistenz des Fango di Battaglia von grossem Vortheil, da 
er nicht abtropft oder verläuft. Wer zudem den ächten vulkanischen Fango di 
Battaglia sich einmal näher besehen hat, wird nicht mehr von »unappetitlicher« 
Prozedur sprechen. Fango di Battaglia als vulkanisches Thermalprodukt aus dem 
Erdinnern entströmend und nirgends mit der Erdoberfläche in Berührung kommend, 
ist so rein und frei von Verwesungsprodukten wie jedes Quell- und Trinkwasser. 

Von Neuritiden und Beschäftigungsneurosen, die nach meinen Erfahrungen 
der Fangokur ein dankbares Feld eröffnen, erwähne ich die multiple Alkoholneuritis, den 
Schreibkampf und die Bleineuralgie. Bei letzterer machte ich stets Ganzpackungen, 
um durch die Fangoapplikation zugleich allgemein diaphoretisch auf den Stoffwechsel 
zu wirken. 


*) Ich wende bei der Behandlung der Ischias stets noch eine ergiebige Massage nach jeder 
Applikation an. 


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288 E. Mory, Die Fangokur und deren Indikationen. 

Beckenexsudate, Metritiden, Oophoritis und Salpingitis habe ich eben¬ 
falls in zahlreichen Fällen mit gutem Erfolg behandelt; selbst bei Eiterherden und 
durchgebrochenen Abscessen bewirkt Fangowickel eine rasche Verflüssigung und er¬ 
leichterte Entleerung nach aussen. Ein derartiger Fall bewog mehrere Gynäkologen, 
die Fangotherapie hoffähig zu erklären. Die Patientin hat acht Monate das Bett ge¬ 
hütet, fieberte fast beständig, eine begonnene Soolbadkur musste unterbrochen werden, 
der herbeigezogene Chirurg widerrieth einen operativen Eingriff wegen Multiplizität 
der Eiterherde und aus ätiologischen Gründen (Gonokokken). Der Ehemann verlangte 
in seiner Verzweiflung eine Fangokur, während deren Durchführung sehr abundante 
Eiterentleerung stattfand, das Fieber verschwand. Patientin stand nach drei Wochen 
auf. Nach zwei Monaten wieder Recidiv, das nach sechs Applikationen wieder 
verschwand. 

Auf den Rath eines Gynäkologen habe ich in derartigen Fällen vermittels Heiss¬ 
wasserspekulum die Vagina mit 60° C heissem Fango ausgefüllt, zugleich von aussen 
Fango appliziert und bin mit dem Resultat dieser Maassnahme sehr zufrieden. 

Bei Ovarialneuralgie auf hysterischer Basis mag immerhin auch das Neue 
der Prozedur und damit Autosuggestion eine Rolle spielen; in solchen Fällen, wie 
übrigens in allen gynäkologischen, wird die Patientin in eine Art von Neptunsgürtel 
aus Fango, der vom Rippenrand bis zur Mitte der Oberschenkel reicht, gehüllt. 

• Erwähnen will ich noch die hervorragend rasche Wirkung der Fangoapplikation 
bei Gallensteinkolik, wo ich manchmal schon zehn Minuten nach Beginn des 
Wickels Relaxation des Duktus und damit Ausstossung des Steines konstatierte. 

Schmerzen, die nach Distorsiorien und Frakturen Zurückbleiben, bieten eben¬ 
falls günstige Angriffspunkte, sowie Gelenkentzündungen verschiedenster Pro¬ 
venienz, nicht ausgeschlossen die gonorrhoischen Gelenkaffektionen, die sehr vor- 
theilbaft beeinflusst werden. 

Dem denkenden Arzt wird noch manche Affektion begegnen, die sich durch 
eine unschädliche und nicht unangenehme Prozedur, welche wie die Fangoapplikation 
allgemein und lokal zu wirken im stände ist, beseitigen lässt. 

Die Methode hat sich eingebürgert und wird in Deutschland, Oesterreich, Frank¬ 
reich, England und der Schweiz bereits ausgeübt. 


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Alfred Martin, Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken. 289 


IV. 


Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken. 

Von 

Dr. Alfred Martin, 

Assistent für physikalische Heilmethoden ah der medicin. Klinik zu Zürich. 

Wer die Geschichte des Fahrrades verfolgt, wird finden, dass des öfteren der 
Versnch gemacht wurde, an Stelle der kreisenden Bewegung der Fasse eine andere 
zu setzen. Für die Fortbewegung des Bades kommt nur die Kraftrichtung von oben 
nach unten in Betracht. Bei der Bewegung des Pedals vom oberen zum unteren 
toten Punkte kommt sie nur einmal voll zur Geltung und zwar in der Mitte zwischen 
beiden Punkten, an den übrigen Stellen nur theilweise. Zerlegt man an diesen die 
Kraftrichtung nach dem Parallelogramm der Kräfte, so wird nur eine Komponente 



Trieb Vorrichtung an Goldings hohem Claviger Sicherheitszweirade. 


als wirksame Kraftrichtung resultieren, deren Grösse bis zur Mitte zwischen den 
toten Punkten von oben nach unten zu-, dann wieder abnimmt Es war daher ein¬ 
leuchtend, ein Bad zu konstruieren, bei dem die Bewegung der Pedale möglichst 
senkrecht von oben nach unten geschah. Bei den sogenannten Sicherheitsfahrrädern 
englischen Fabrikates mit Hebel Vorrichtung war dies der Fall. Bei Goldings Claviger 
safety-bicycle der Claviger Cycle Co. in Manchester geschah der Trieb in einer Weise, 
die am besten durch Fig. 20 veranschaulicht wird. A ist die Achse, um die sich 
die Kurbel K dreht, wodurch das Pedal P die angegebene Bewegung macht. Die 
Fahrung geschieht durch einen Schlitten S, der in doppelter Schiene läuft Das 
Rad ist durch den Rover bald verdrängt worden. Es soll weiter unten darauf zu¬ 
rückgekommen werden. 

Vom sportlichen Standpunkt muss es als eine verfehlte Idee bezeichnet werden, 
wenn Ingenieur Vietor in Osnabrück 1890 ein Rad auf den Markt brachte, bei dem 

Zeitachr. f. dltt u. physlk. Therapie. Bd. VI. Heft 6. 20 


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ÄifttUt. Marti« 


die unwirksame Konijiouente noch viel grösser ist als bei «lern Uaii mit kreisender 
J'eilaHit'wegiuig. Vjetor. be'/eichmi seine Kurbeln tils KHipseukorlml^ ich entnehme 
darüber dem Werke von Wolf, Irtlirniil mrd itadfabrer ') (nadt -desse« 'Abbildungen 
ich S-’m. 'io-?} duuefertigt habe), folg, tun ies. 

■-•Von der Voraussetzung fiusgehgiulv dass die an sieh naturgowässeiieWrsaing 
deP'Fö&fiß nicht die kreisförmige, gondero die voir Kindesbeinen m gewohnte, in 
-einer Ar! langgestreckter Ellipsen vor sich geltend'- Gelibetyegrai£ sei, dass also hoi 
' , • • ; i . -Faiirräderö rtigjgBrgs Trethewegung dfe 

l1 ^ berte sein Ä, wejrhe dieser (iehhewcv 

gtiag eutsjrteclie, hat Victor Kurbeiu hwv 
gestellt, 'AvcIoÄiß .'Tret«»' ofeli t pßs- 
förtnig, sötuicm efliptmtli »mhnifro. Jede 
tieF'iMtle^ltto^Ä'-hesitelft.' dämlich aut 
zwei Armen, eitteui kroisfatabg wie ,d5e 
gewohnVihheaj^tifbcfh tihifaufehdiut fisuid^ 
und einem in diesem gelagerten Nuhen- 
anvi, weit her den Treter trägt. .-Diese 
beiden Kur bei atme jeder Kurbel Bind 
durch Zalrtit'ad' und Kettenwirkumt der¬ 
art xwanghttdtg m einander,: dass dqr 
Nebenarm stets mit derselben Oeschwin- 
dtgfc«it ;i alter/in'-'ehtge'gcBgesetztemTDre- 
IfuJlgiisißiie aurthiilft wie der riauptarm. 
iMtnlet- «lieser Zwanglaudgkeit bewegen 
Heft <Kö Tiitibols'en tu elliptischen Bahnen 
um die Kauptkurbfelaehser. Dabei kifnaen 
die Ellipseti sowohl ihrer Gestalt als auch 
hinsichtlich der Dichtung ihrer Achsen 
iiftch leicht und schnell verstellt werden, 
so ihm* mau die nach Länge uadTlifthtitag 
vgrschiedenen, Schi 1 ilt.lte\venuu,uen ausfödi- 
reis kaum. .. y>. 

&ai i’igi :2t.-,uud '22- ist der Mo-hu- 
»nvftiMS der Kurbeln zu ersehen, in Fig. lSf: 
sebr deutlich dfe- Ößhlis^^Kag.. 

$au sollte glauben, der Erfinder hätte seine Kurbeln zu ther&pevrtiachen 
Zwecken konstruiert, von den isportsleuteü siml sie «ubeaebtet gobüetit 1 «. 

Die beide.« genannte« Systeme sind bisher beim Bah \ött Apparaten zu therspeuti- 
scheu Zwecken wnlteriicksiebtigt geblieben. Ich möchte auf den Wörth beider hin weisen, 
weit sie 'vor sämtntlielien Maschine« Geh- und Steigheweguiigen tun besten naclnthtne«; 

Die bisher gcbrAuebiicheu Dergfetcigapparaie gestatten eine l!»yreguiig> die ent¬ 
weder m gerader Linie oder in kreisender (wobei - »1er Kuss hei«r AbwürtSfc.‘€lm.u rück¬ 
läufig die Dahn des Aufstiegs beschreibt) auf- uihI niedergellt. Kein Apparat bringt 
de« steigenden Schritt nach vorn zur Geltung Man betrachte Fig ‘20 (wobei das 
1 «e-beht des Patienten der Achse des Hades /.ugewäiidt ist) und wird zugeben müsset,, 
dass dies ihiivfi; die npeeföbrto Vorrichtung erreicht, ist. Mit einem Sebwungrade 


Vi ct (t r’fiirtit: Eliigs.cn knriiclu 


Vietor’scbe Kuibolit in Anwcinfoti, 


)\ betrzii- ss-io sgamer 




Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken. 2!)1 

in Verbindung gebracht und mit den gebräuchlichen Widerstandsvorrichtungen ver¬ 
sehen, würde ein Bergsteigeapparat zu stände kommen, der wenigstens annähernd 
das ist, was sein Name sagt. 

Versieht man die Kurbel KA mit einem Längsschlitz, macht man die Länge 
des Hebels zwischen SK und KP verstellbar, so erhält man bei Verstellung ver¬ 
schiedene Pedalbahnen, kann also die Länge und die Höhe des Schrittes, auch beide 
zugleich beliebig gestalten (Fig. 23). Auf einen anderen wichtigen hierher gehörigen 
Punkt soll unten eingegangen werden. 

Der Werth des zweiten Apparates ist selbstverständlich. 

Siegfried') betrachtet mit Hecht die Radübung in Bezug auf die Beinbewegung 
als Vorübung für den mittels der Leyden-Jacob’schen Apparate vorzunehmenden 
eigentlichen Gehunterricht. Unter Verwendung der Vietor’sehen Kurbeln am Sieg- 
fried’schen oder Jacob-Lazarus’schen Rade würde dies noch mehr der Fall sein. 



Pedalbahnen von Goldings modifiziertem hohen Claviger Sicherheitszweirade. 

_Bahn mit Hebel S P, mit der Kurbel A K in K verbunden. 

-Bahn bei Verkürzung des Hebels zwischen K und P. 

_Bahn bei Verkürzung des Hebels zwischen K und S. 

. Bahn bei Verkürzung der Kurbel KA. 

Zwischen Gehübungen auf der Erde und sitzendem Fahren würde ich noch — 
wo es der Zustand des Patienten erlaubt — das stehende Fahren einschieben, wo¬ 
durch auch der Bewegung im horizontalen Bogen (parallel der Bewegungsebene) 
beim Gehen, bei dem sich das Becken um den als Drehpunkt fungierenden Ober¬ 
schenkelkopf dreht 2 ), Rechnung getragen, also eine weitere Annäherung an den 
natürlichen Gang des Menschen erreicht würde. Aus dem letzteren Grunde möchte 
ich auch die Spurweite verstellbar wissen, wodurch eine Verlängerung der bisher 
üblichen Pedale nöthig würde, bei denen durch eine Schraubvorrichtung die Schuhe 
oder Sandalen nach Bedürfniss der Mitte des Rades genähert oder von dieser ent¬ 
fernt werden. Die Bahnkurven liegen nach v. Mayer, Braune und Fischer mit 
Belastung in horizontaler Richtung weiter auseinander als ohne Belastung. Bei 
Menschen mit schwerem Körpergewicht muss man deshalb diesen Umstand berück- 


1) Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Zeitschrift für 
diätetische und physikalische Therapie 1901/02. Bd. 6. Heft 2. 

2 ) v. Meyer cit. bei Fuchs, Der Gang des Menschen. Biolog. Centralblatt 1901. Bd 21. No. 22 
u. 23. Auch die späteren Angaben über den Gang des Menschen sind dieser Arbeit entnommen. 

20 * 


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292 Alfred Martin 


sichtigen, und wenn das Bad als Vorübung zum eigentlichen Gehen dienen soll, die 
Radübungen mit entsprechender Spurweite vornehmen. 

Für die Nachahmung eines natürlichen Ganges ist es erforderlich, dass die 
Pedale nicht niedergetreten, sondern emporgezogen werden, wie dies von Siegfried 
bereits praktisch durchgeführt wurde 1 ). Noch mehr wie Siegfried möchte ich hervor¬ 
heben, dass das Vorwärtsbewegen des Beines nicht nur eine Pendelbewegung, sondern 
auch aktive Muskelthätigkeit ist, wie dies von v. Mayer, Duchenne, Garlet und 
Vierordt betont worden ist Daraus würde die therapeutische Maassnahme zu 
folgern sein, das Emporheben der Pedale durch Widerstände zu erschweren, was 
durch Anhängen von Gewichten oder besser Anschrauben (eventuell Einschieben mit 
Halt durch Federdruck) erreicht würde. Diese Gewichte könnten auch am Fersen - 
theile des Schuhes (z. B. zur Beseitigung von Spitzfussstellung) angeschraubt werden. 
Im letzteren Falle wendete Siegfried Federkraft an, der vielleicht Gewichte wegen 
der besseren Dosierbarkeit vorzuziehen sind. 

Beim Bergsteigen wird das Vorwärtsbewegen des Beines noch viel mehr als 
beim Gehen auf ebener Erde durch Muskelthätigkeit bewirkt, weshalb bei der Nach¬ 
ahmung dieses Vorgangs die Pedale des Bergsteigeapparates nicht getreten, sondern 
emporgehoben werden müssen, unter Gewichtsbelastung je nach Bedürfniss. 

Für den Handbetrieb ist die Vonhausen’sche Vorrichtung am Siegfried’schen 
Dreirade 2 ), sobald es sich um ein selbstständiges Fahren auf öffentlichen Strassen 
handelt, die beste, weil beide Handgriffe zu gleicher Zeit niedergedrückt werden 
und dadurch ein bald Rechts- bald Linksausweichen des Vorderrades vermieden wird, 
wie das bei kreisender Bewegung geschieht, weshalb die Räder dieser Art meist mit 
den Oberschenkeln gesteuert werden, eine Verbindung von Fuss- und Handbetrieb 
also nicht möglich ist 

Anders, wenn der Patient im Garten auf geradem Wege fährt oder auf dem 
Zimmerfahrrade. Hier ist das gleichzeitige Hinabbewegen von rechtem und linkem 
Handgriff nicht nöthig, weil die Steuerung wegfällt bezw. festgestellt werden kann. 

Da die Armbewegungen für das Gehen nicht gleichgültig sind, so ist für das 
Vorüben zum Gehen auf dem Rade nöthig, diese zu berücksichtigen. Die Lazarus- 
sche Verbesserung des Jacob’schen Rades 3 ) genügt, soweit es sich um Antrieb und 
Unterstützung der Beinbewegung handelt, vollkommen. Für die kompensatorische 
Uebungstherapie müssten jedoch die Handkurbeln in ihrer Stellung verändert werden. 
Fig. 91 zeigt rechten Treter und rechten Handgriff hochgestellt. Da wir jedoch beim 
Gehen rechtes Bein und linken Arm zu gleicher Zeit heben, so müsste der rechte 
Treter und der linke Handgriff zu gleicher Zeit nach oben zeigen. 

Die Kreisbewegung für die Arme hat einen Nachtheil. Man ist auf kleine Kreise 
angewiesen. Verwendet man Kurbeln von 25 cm Länge, so ist bei horizontaler 
Stellung der Kurbeln der eine Arm übermässig gestreckt, die Faust des anderen 
steht dicht vor der Brust. Der Höchstdurchmesser von 40 cm der Kreisbewegung 
am Lazarus’schen Rade ist schon höchst unbequem, zumal beide Handgriffe nahe 
dem oberen Ende der Gabel liegen. Aus diesem Grunde eignet sich die Bewegung 

1) Man muss den Patienten wiederholt auf das Emporziehen aufmerksam machen; denn un¬ 
willkürlich verfällt er in das Treten, was namentlich bei Patienten, die früher Radfahrer waren, der 
Fall ist 

2 ) Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Zeitschrift für 
diätetische und physikalische Therapie 1901/02. Bd. ö. Heft 3. 

s) Lazarus, Der Cyklostat, eine Modifikation des Jacob’schen stationären Fahrrades. Zeit¬ 
schrift für diätetische und physikalische Therapie 1901/02. Bd. 5. Heft 8. 


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Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken. 


293 


in einer ellipsenähnlichen Bahn besser für den Handbetrieb. Bei ihm kommt bei 
flachen Kurven auch noch eine Annäherung an die normale Bewegung der Arme 
beim Gehen in Betracht. 

Der Mechanismus erhellt aus Fig. 24. Der obere Theil der Gabel ist bei Gi 
von oben nach unten, bei G 2 von vorn nach hinten verstellbar. Die Form der Kurve 
lässt sich durch Verkürzung oder Verlängerung zwischen SKi, KiH 2 und A 1 K 1 , die 
Lage der Kurve durch Drehen in A a verändern. 

Stellt man die ganze Handbetriebsvorrichtung hoch, bringt sie nahe an den 
Körper und dreht den oberen Theil in der Bichtung des Pfeiles um A 2 , dass H a in 
der Nähe der Gabel zu liegen kommt, so wird beim stehenden Fahren mit den 
Vietor’schen Kurbeln (selbstverständlich mit Verbindung der Kurbeln des Hand- mit 
denen des Fussbetriebes) annähernd die Bewegung des Körpers beim Gehen nach¬ 
geahmt. Dabei ist die Spurweite der Hände zu berücksichtigen, was durch dieVor- 


Fig. 24. 



Handbetriebsvorrichtuug mit 
ellipsenförmiger Bewegung, 
ist die Neigung der Gabel 
zur Horizontalen.) 


M 


Fig. 25. 



Der an den Hebel Hj (Fig. 24) 
nach aussen angesetzte Theil 
der Handbetriebs- 
vomchtung. 


ricbtung in Fig. 25 erreicht wird. Der Abstand von V von der Medianlinie M ent¬ 
spricht der halben Spurweite, die verstellbar ist. Auch ist V um H a verstellbar je 
nach Bequemlichkeit. Die Querstange H a ist mit dem Hebel H a (Fig. 24 u. 25) durch 
ein Lager verbunden, also in diesem beweglich. Der steigbügelförmige Handgriff 
Hj ist mit V durch ein Kugelgelenk verbunden, wodurch die Bewegung der Hand 
bei Supinations-, Pronations- und Mittelstellung des Vorderarms ausführbar ist 

Für die oben erwähnte Nachahmung der Armbewegung beim Gang wäre der 
Patient anzuhalten, die Handgriffe von unten hinten nach oben vorn durch Muskel- 
thätigkeit zu führen und eine Mittelstellung des Vorderarmes zwischen Pronation 
und Supination (Daumen nach oben) inne zu halten. 

Falls der Handbetrieb nicht benutzt werden soll, ist die Verbindung mit dem 
Fussbetrieb auszuschalten. Die Handgriffe sind in möglichster Annäherung zu ein¬ 
ander festzustellen und die Hände auf die Querstange HiH a aufzulegen. Die Ent¬ 
fernung beider von einander würde bedeutend kleiner sein als bei den Handkurbeln 
mit kreisender Bewegung, falls man überhaupt nicht vorzieht, eine einfache feste 
Lenkstange aufzustecken. 

Für die kompensatorische Uebungstherapie würde sich demnach am besten ein 
Rad eignen, dass mit Vietor’schen Fusskurbeln und dem Handbetrieb in Fig. 24 u. 25 
ausgerüstet wäre. 


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294 


Rossnitz 


V. 

Ein neuer Zerstäubungsapparat für Allgemeininhalation. 

Aus der Abtheilung für physikalische Therapie im Krankenhause München l./I. 

Von 

Oberarzt Dr. Rossnitz, 
kommandiert zu obiger Abtheilung. 

Während die für Einzelinhalationen gebräuchlichen Apparate im grossen und 
ganzen ihrem Zwecke entsprechen, gehen die Ansichten über Konstruktion und Wirk¬ 
samkeit der Apparate, welche der Allgemeininhalation zerstäubter Flüssigkeiten 
dienen, noch auseinander. Im wesentlichen sind es zwei Momente, welche bei der 
Leistung dieser Apparate besonders in Betracht kommen: 

1. Die Inhalationsflüssigkeit muss so fein vertheilt werden, dass die Möglichkeit, 
in die tieferen Partieen der Luftwege einzudringen, gegeben ist, und 

2. der Aufenthalt im Inhalationsraum darf für die Patienten in keiner Weise 
von schädlichen Folgen sein, bedingt durch übergrossen Feuchtigkeitsgrad, unzweck¬ 
mässige Temperatur oder Luftverbrauch und Kohlensäureanhäufung infolge von 
Anwesenheit zahlreicher Personen im Inhalationsraum. 

Diese Thesen, welche schon Bull in g der Beschreibung seines Apparates 1 ) zu 
Grunde gelegt hat, dürfen wohl mit Recht als die wichtigsten Bedingungen einer 
rationellen Zerstäubung angesehen werden. 

Emmerich 2 ) hat nun die zur Allgemeininhalation bisher gebräuchlichsten Systeme 
einer vergleichenden Prüfung unterworfen. Zu diesem Zwecke hat er sowohl die 
Beschaffenheit der zerstäubten Flüssigkeit nach Zahl und Grösse der Tröpfchen und 
somit deren Eindringungsfähigkeit in die tieferen Partieen des Respirationsapparates 
festzustellen gesucht als auch die Beschaffenheit der Luft in den Inhalatorien einer 
eingehenden Untersuchung unterworfen. 

Die Resultate sind nicht unangefochten geblieben, wie überhaupt die ganze Frage 
der Zerstäubung in Inhalatorien noch nicht als abgeschlossen zu betrachten ist 

Es dürfte daher von Interesse sein, auf einen neuen Apparat hinzuweisen, der 
seit Wochen inV Krankenhause München l./I. im Betriebe ist und in technischer Be¬ 
ziehung sehr befriedigende Resultate geliefert hat. Was die Untersuchungen über 
Zahl und Grösse der Tröpfchen betrifft, so werden zur Zeit noch Versuche darüber 
angestellt, die demnächst zur Veröffentlichung kommen werden; hier möge zunächst 
nur eine Beschreibung des Apparates folgen: 


>) Ein neuer Zerstäubungsapparat für Inhalatorien. Münchener medicin. Wochenschrift 1901. 
No. 26. 

2 ) Vergleichende Untersuchungen über die Leistungen verschiedener Inhalationssysteine. 
Münchener medicin. Wochenschrift 1901. No. 20. 


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Ein neuer ZtT&tiiuhung&apparat für AI) tfoit»wiiinliiiiati mi 


Dbr Apparat (Fig. 2$), welcher.-rnn dem döri iielrf. 

konstruiert und aus Weissmetall gefertigt ist setzt- sieh aus tröge, (ujenj'heiieii (Fig. 27) 
zusammen. ; • 

Aus einem .tassea förmige» Ouhäuse mit cvjißdrteidieni Aufsatz :& 
Duröturigsscbeihe 6 uml ebner Klomnischrruröe c, wn- 
mit die Scheibe an das Gehäuse luftdicht, ängepresst wird. Fig. 26. 

Der Apparat \\ird wie der Ciar'sehe mit körn- 
priniierter Luft betrieben und kann deshalb aurb mit . 

Leichtigkeit au die Clar’sche Vomchtuäg migeschtoxseii . ' **** 

werden. Die Druckluft tritt durch die Oriftuiflg il in • 
des Uehäu-e «• ei« und drängt sich durch die Sparkaeitk 1 
t.e (durch l'feil markiert) in die Veitheilungskamme! 
von wo sie durch die Zerstäubungssihlitze <jtj ausfriU. V uRe. 

Die medikamentöse Flüssigkeit, welche vom Behälter aus i« 

durch die «chlauchveiirrndurtg (Fig. 20) irr die .fasse h 
il'ig. 27) eingeleitet wird, lliessi durch die Yerthcilimgv 
spalten iß aus derselbeu ans um) wird dort,, wo sie. an 
den Zerstäuhmiesschlitzei! r/e mit der Dressluft zusammen- . X- 

trifft, iu zerstäubtem Zustande mit. ftiilgorKsets. Dadurch. ’ g^8 
dass die [gilt an den Zerstäub ungsscliliUeii mit mindestes^ jotalaHswlit. 

eiuer Atmosphäre. Druck ans»ritt, entsteht eine natürliche 
Luftströmung- J.run,. wo die Druckluft mit der ZerstäubmigsHitssigkoit, z. B. Suoie, 
welche infolge ihrer natnrllehen Setuvere riflgSum langsam »bfliesst, /Jisnmmentrlfft, 
nimmt sie dieselbe ip feinster Zerstäubung mit und vertheilt die Flüssigkeit, da die 
Zerstüubiing allseitig erlulgt, gleichmüssig im ganzen luhaiatinnsiauro. Schon nach 
kurzer Zeit ist das löhftlätermm in dichten Nebel gehüllt, weicher aus 
feinsten Tröpfchen besteht, ohlte dass der Feiichtigkeitsgrad ein ufian- * -b 
genehmer wird. Auch hier kann man Ah «lick wie beim Bulii.ßg’sehe.ii Tgfji 
Apparat durch DegulieriUig sowohl der zugefübrten Pressluft, als auch der eji i 

Fltissigkeitazufuhr bestimmend auf die Zerstfiuiuiwgsmasse d. h. auf Zahl ; Vj 

und Qrüsse der Tröpfeheß wirkeh- Ibizu lmnimeii noch mannigfache 
andere Vorzüge de* Apparates. Sowohl Konstruktionauch Bedienung : : ■ 
ist eine inisserst .einfache.'' Die Ausehaffutigskosteu sind massig, die Be- \Tj tT 
fliebkosten sehr gering. Ausserdem arbeitet der Apparat schon hei 
.einer .Umo?jdnire Druck und kann..bei..Verwendung von zwei br- drei 
Atmosphären dtindi die m dem Windkessel ioifgespeicherrö Luft allein 
— ohne dass die l.uftpuiwpe •.veitcriu'beitet. 'betrieben werde», was. 

Dem B uili/ig'sehen ZennHubor gogeniltier. welcher eite grossere Betrieb^- 
kraft erfordert, einen vcesdbiiichen Vürthoil bietet, / Ferner ist eine iröterbreehuug 
der Zerstilubmig durch Verstopfung vor, Düset), wie dies bd den Systemen Olur 
und Reit/, der Fall ist, vollständig aasgcrö’uliyssen. 


einer 


VDoris* *t:)Di 
de* /»?••- 
>tinil»uHgS- 
.fippar.ltftM.-. 


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296 


A. Dworetzky 


Kritische Umschau. 


Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. 

Zusammenfassender Bericht 
von 

Dr. A. Dworetzky 

in Riga-Schreyenbusch. 

In dem Bestreben, die chemische Zusammensetzung der Kuhmilch derjenigen 
der Frauenmilch möglichst nahe zu bringen, wird bekanntlich die Hauptaufmerksam¬ 
keit der Verringerung der Eiweissstoffe gewidmet, was am einfachsten durch die 
Verdünnung der Kuhmilch mit Wasser erreicht wird. Setzen wir der Kuhmilch 
Wasser zu gleichen Theilen zu, so erhalten wir ein Gemisch, das hinsichtlich des 
Eiweissgehaltes der Frauenmilch ähnlich ist. An Zucker und Fett jedoch ist dieses 
Gemisch um mehr als um die Hälfte ärmer als die Frauenmilch, und dieser Nach¬ 
theil wird bekanntlich durch den Zusatz von Zucker wieder gut gemacht Ausgehend 
von der Erwägung, dass auch die Verdünnung der Kuhmilch mit einer 6—7®/ 0 igen 
Milchzuckerlösung dennoch nicht im stände ist, den Mangel an Fett in dem Milch¬ 
gemisch zu ersetzen, dass partieller Fetthunger immer noch fortbestehen bleibt, und 
dass der Zusatz einer stärkeren (12 0 / 0 igen) Zuckerlösung von den Säuglingen nicht 
vertragen wird und Durchfälle und Gewichtsverlust hervorruft, nahm A. Romanow 1 ) 
zu dem Rahmgemenge als Mittel, den Fettgehalt in der Milch zu ver- 
grössern, seine Zuflucht. Die Zubereitungsmethode des Biedert’schen Rahm¬ 
gemenges, welche vielleicht unter hervorragend günstigen Bedingungen zugänglich 
ist, erweist sich aber als entschieden ungeeignet bei seiner Anwendung für die Massen¬ 
ernährung, z. B. in den Findelanstalten. 

Romanow ersann deshalb ein neues Verfahren, um das Rahmgemenge 
erst nach der Sterilisation der Milch zu erhalten, und geht zu diesem 
Zwecke auf folgende Weise vor. Frische Milch wird zu gleichen Theilen mit Gersten¬ 
schleim, der 4 % Milchzucker enthält, verdünnt, in Saugflaschen von 180 g gegossen 
und im Soxleth’schen Apparate 10 Minuten lang gekocht. Sofort werden die 
Fläschchen aus dem Kessel genommen und auf Eis gestellt. Nach Verlauf von 
2—3 Stunden ist die Milch fertig. Bevor man diese Milch den Kindern reicht, 
werden die Saugflaschen vorsichtig, ohne jegliche Erschütterung aus dem Eiskeller 
gebracht, und dann wird mit Hülfe eines Syphonapparates, welcher fast bis zum 
Boden der Saugflasche durch die Rahmschicht hindurch eingetaucht wird, der untere 
Theil der Milch bis zur Hälfte derselben aufgesogen, während die in dem Fläschchen 
nachbleibende Milch nach starker Durchschüttelung und Erwärmung dem Kinde zum 
Trinken dargeboten wird. Zahlreiche Untersuchungen sowohl der in dem Fläschchen 
Testierenden, als auch der mit dem Syphon entfernten Milchportionen erwiesen, dass 
in dem Saugfläschchen drei- und viermal mehr Fett vorhanden ist, als in der ent¬ 
fernten Portion. Wiederholte Messungen mit dem Apparate von Conrad ergaben 
in dem auf die eben beschriebene Weise dargestellten Rahmgemenge 2,9—3,6 °/ 0 Fett. 
Rücksichtlich des Fettgehaltes steht also dieses Gemenge der Frauenmilch sehr nahe, 
und auch der Menge der Eiweissstoffe und des Zuckers nach ist es der letzteren 
ähnlich, sodass es für die Zwecke der künstlichen Ernährung bei weitem geeigneter 
ist als die einfach verdünnte oder die Vollmilch. In der Findelanstalt zu Woronesh 
hat Romanow mit der Anwendung dieses Gemisches sehr gute Resultate erzielt, 
über die er noch ausführlicher zu berichten verspricht. 


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Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. 


297 


Diesen Bericht lieferte Romanow 3 ) in der Sitzung der Sektion für Kinder¬ 
heilkunde des Vni. Allrussischen Aerztekongresses zum Andenken an N. Pirogoff 
zu Moskau vom 7. (20.) Januar 1902. Die Sterblichkeit in dem Findlingsasyle der 
Gouvernementslandschaft von Woronesh sank im Laufe des Jahres 1901, während 
welches die vom Referenten angegebene Methode der künstlichen Ernährung an¬ 
gewendet wurde, in ganz beträchtlichem Grade: in den früheren Jahren erreichte 
die Mortalität der Pflegebefohlenen 52,2 und 48,8%, in dem genannten Jahre betrug 
sie jedoch nur 13,6%. Angesichts dessen, dass alle übrigen Verhältnisse in dem 
Asyle die alten geblieben und keine sonstigen Veränderungen eingetreten waren, 
schreibt Romanow die auffallende Herabsetzung des Sterblichkeitsprozentsatzes eben 
der neuen Ernährungsweise der Säuglinge zu. — Die Sektion billigte folgende 
Thesen des Referenten: 1. Das Verfahren der Milchverdünnung mit 2—3 Theilen 
Wasser unter Zusatz von Milchzucker muss fallen gelassen werden, da es für die 
Ernährung der Säuglinge durchaus ungenügend ist. 2. Die Verdünnung der Milch 
mit Wasser ohne Einbusse ihrer Nahrhaftigkeit ist nur zu gleichen Theilen zu ge¬ 
statten und dann nur unter der Bedingung, dass der Fettgehalt der verdünnten Milch 
dem normalen Gehalte an Fett in der Frauenmilch sich möglichst nähere. 3. Der 
Mangel an Fett kann nicht durch den Zusatz von Zucker genügend ersetzt werden, 
und der Prozentgehalt des Zuckers in dem Milchgemisch darf 6 % nicht über¬ 
steigen. 4. Die Vermehrung des Fettes in der verdünnten Milch wird am einfachsten 
erreicht durch das Stehenlassen der Milch in der Saugflasche und durch die Ent¬ 
fernung der unteren (fettarmen) Hälfte des Flascheninhaltes mit Hülfe einer Syphon- 
vorrichtung. 

Die Anschauungen M. Saussailow’s 3 ) widersprechen in einigen wichtigen 
Punkten recht auffallend den Ansichten und den Erfahrungen Romanow’s. 
Saussailow verbreitet sich über die Veränderungen in der sterilisierten 
Milch, welche in Abhängigkeit von dem Aufbewahrungsmodus derselben 
auftreten. Nach seinen Beobachtungen vermag die sterilisierte Milch Veränderungen 
zu erleiden bei völliger Abwesenheit irgend welcher Bakterieneinwirkung, wobei 
diese Veränderungen die Eiweisskörper und die Fette der Milch betreffen. Der 
Rahm der sterilisierten Milch scheidet sich beim Stehen derselben von ihr ab, und 
beim Durchschütteln vermischt er sich nur äusserst schwer mit der Milch wieder 
(Romanow ist der entgegengesetzten Anschauung und findet, dass der Rahm beim 
Schütteln sich gleichmässig in der gesammten Milchmenge vertheilt). Die sterilisierte 
Milch kann in Abhängigkeit von dem Aufbewahrungsmodus auch bei Abwesenheit 
von Bakterien derartige Eigenschaften annehmen, welche bei dem Gebrauche dieses 
Nahrungsmittels krankhafte Erscheinungen bei gesunden Personen hervorzurufen ver¬ 
mögen; die nicht bakteriellen Veränderungen befinden sich im Zusammenhänge mit 
der Einwirkung des Lichtes, der Luft und der Temperatur des Aufbewahrungsortes. 
Diese Veränderungen in dem Chemismus der Milch treten schneller auf und sind 
deutlicher ausgeprägt bei gleichzeitiger Einwirkung von Licht, Luft und höherer 
Temperatur (37 0 C) auf die Milch. Mit der Beseitigung der Lichteinwirkung, aber 
bei Zutritt von Luft und bei einer Temperatur von 37 0 C gehen die Veränderungen 
in der Milch sehr langsam und in sehr geringem Grade vor sich. Bei Verhinderung 
des Luftzutrittes allein zu der Milch gewinnt diese nicht den schmalzigen Geruch 
und gewisse sonstige schädliche Eigenschaften. Wird die sterilisierte Milch bei 
völligem Luftabschluss und ohne Lichtzutritt an einem kühlen Orte aufbewahrt, so 
bleibt sie unbeschränkt lange Zeit hindurch von jeglichen Veränderungen verschont. 
Hinsichtlich des Einflusses der sterilisierten Milch auf den allgemeinen Ernährungs¬ 
zustand und speziell auf die Funktionen des Magendarmkanals ergaben die Be¬ 
obachtungen Saussailow’s an 265 Kindern, dass gesunde Kinder in einem Alter 
von einem Monat und darüber diese Milch gut assimilieren und sich bei ihr in sehr 
befriedigender Weise entwickeln; Magendarmstörungen wurden bei dieser Ernährungs¬ 
methode nicht öfter angetroffen als bei der Brustnahrung (diese Ansicht steht im 
Widerspruch mit den Erfahrungen vieler kompetenter Autoren und Kinderärzte, 
welche besonders in jüngster Zeit die Schattenseiten und die pathogenen Eigen¬ 
schaften der sterilisierten Milch recht eindringlich hervorheben). Werden bei der 


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298 A. Dworetzky 


Brustnahrung erkrankte Säuglinge auf sterilisierte Milch gesetzt, so erholen sie sich 
allerdings in einigen Fällen dabei, öfters jedoch werden Besserungen der Verdauugs- 
anomalien bei diesem Uebergange nicht beobachtet. Die sterilisierte Milch wird am 
besten vertragen und verdaut in der kühlen Jahreszeit; in den heissen Monaten wird 
sie merklich schlechter vertragen, wobei die Säuglinge in der heissen Zeit die Milch 
nicht in einer solchen Menge zu verdauen im stände sind, in welcher sie dieselbe 
während der kühleren Jahreszeit zu vertragen vermögen. 

Zum Schluss giebt Saussailow folgende Fingerzeige für die Sterilisation und 
Aufbewahrung der Milch. Zum Sterilisieren muss eben erst gemelkte Milch genommen 
werden: die sterilisierte Milch muss vollständig von Luft befreit sein und in solchem 
Zustande bis zum Gebrauche konserviert werden; sie muss auch unbedingt vor Licht¬ 
zutritt bewahrt werden, denn unter diesen Bedingungen allein verändert sie ihre 
chemische Zusammensetzung ausserordentlich langsam. Am allerbesten wird die 
sterilisierte Milch vertragen, wenn sie zur Hälfte mit einer wässerigen Lösung von 
10—12 o/o Zucker verdünnt wird (einen solch hohen Prozentgehalt an Zucker findet 
Romanow für unbedingt den Verdauungsorganen schädlich). Für Neugeborene und 
für besonders schwächliche Säuglinge, welche die mit Wasser verdünnte Milch zu 
verdauen unfähig sind, ist es nothwendig, das Wasser durch die gleiche Menge 
künstlichen Magensaftes zu ersetzen. 

Trotz der günstigen Meinung, welche Saussailow über die Bekömmlichkeit 
der sterilisierten Milchnahrung hegt, ist es doch jetzt unzweifelhaft nachgewiesen 
und durch viele experimentelle und klinische Untersuchungen erhärtet worden, dass 
bereits beim einfachen Aufkochen und noch mehr beim Sterilisieren die Milch tief¬ 
gehende chemische Veränderungen erleidet. Diese Alterationen dokumentieren sich 
durch die Gerinnung einiger für die Ernährung wichtiger Eiweisskörper, durch die 
Abspaltung des mit ihnen organisch verbundenen Phosphors und durch die Bildung 
des in Wasser unlöslichen basisch phosphorsauren Calciums, durch die Zersetzung 
des Milchzuckers, durch die gröbere Emulgierung des Rahmes und durch die Ver¬ 
langsamung oder vollkommene Aufhebung der Gerinnbarkeit des Kaseins unter der 
Einwirkung des Labferments. Dazu kommt noch die Zerstörung der in der Milch 
enthaltenen Lipase, eines fettspaltenden und darum für die Verdauung des Rahmes 
überaus wichtigen Fermentes, bei einer Temperatur von über 70« C. Ein sehr grosser 
Theil der von Saussailow beobachteten und von ihm den Einwirkungen von Licht, 
Luft und Temperatur bei der Aufbewahrung der Milch zugeschriebenen Veränderungen 
des Chemismus derselben sind m. E. als direkte Folgen des Sterilisationsprozesses 
zu betrachten. Alle diese eingreifenden Modifikationen setzen nicht nur die Ver¬ 
daulichkeit, sondern auch den Nährwerth der Milch bedeutend herab. Deswegen 
besitzt auch die rohe Milch eine grössere Nahrhaftigkeit und eine bessere Verdaulich¬ 
keit als die gekochte oder gar sterilisierte. Andererseits gehen die sporentragenden 
Bakterien bei den in der Praxis üblichen Methoden des Sterilisierens nicht zu Grunde. 
Von diesen Gesichtspunkten aus erweist sich als die trefflichste Methode der Milch¬ 
desinfektion diejenige, bei welcher man sich mit der Einwirkung für den Chemismus 
der Milch indifferenter Temperaturen begnügen kann, die aber die Milchsäure¬ 
bakterien und die übrigen möglicherweise in der Milch enthaltenen pathogenen 
Mikroben abzutöten vermögen. Dieses Ziel ist vollkommen erreichbar durch die 
Pasteurisation der Milch. 

Ausgehend von der Ueberzeugung, dass die Pasteurisation zu Hause, in dem 
gewöhnlichen Haushalte, der Vornahme dieses Prozesses im Grossen unbedingt vor¬ 
zuziehen sei, konstruierte nun A. Hippius 4 ) einen einfachen, billigen Apparat, 
welcher seiner Bestimmung: erstens auf eine bequeme Weise eine solide Pasteurisation 
der Kindermilch zu erzielen und zweitens die Möglichkeit zu gewähren, diese Milch 
bei einer für die Ernährung des Säuglings geeigneten Temperatur aufzubewahren, 
in vorzüglichster Weise zu entsprechen imstande ist. Das Prinzip des von Hippius 
angegebenen Apparates beruht auf einer Kombination von Warmwasser- und Heiss¬ 
luftbad. Fünf mit Milch gefüllte Soxhletflaschen (das ausreichende Tagesquantum 
an Säuglingsnahrung) werden in einem mit Wasser gefüllten Kessel, der mit einem 
Thermometer versehen ist, solange erwärmt, bis das Wasser eine Temperatur von 


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Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. 299 


TU 1 ' C erreicht. Der Kessel hat eine doppelte Wand, aber nur einen einfachen 
Boden. Die äussere Wand überragt die innere nach unten um 1 cm. Nach dem 
Erwärmen wird der Kessel auf einen Dreifuss gestellt, dessen obere Fläche aus einer 
in der Mitte mit einem kleinen Loche versehenen Platte besteht. Diese Platte bildet 
nun mit der längeren Aussenwand des Kessels eine dessen Innenwände umschliessende 
Kammer, in welcher sich Luft befindet. Durch eine kleine, unter den Dreifuss 
gestellte Petroleumlampe wird diese Luft erwärmt, wodurch die Temperatur des 
Wassers dauernd auf 60—70, die der Milch auf 60—65 0 C gehalten wird. Man 
kann den Apparat ununterbrochen bis zur Verabreichung der Milch über der Flamme 
belassen, oder die Milchflaschen nach zwei Stunden entnehmen und zunächst kalt 
stellen. Der Apparat vereinigt also in sich die Vorzüge eines Pasteurisators im 
engeren Sinne des Wortes mit denen eines Thermophors. 

Was die physikalischen Eigenschaften der in dem Hippius’schen Apparat 
bearbeiteten Milch betrifft, so unterscheidet sie sich weder der Farbe nach, noch in 
Bezug auf den Geruch oder den Geschmack von der rohen. Sie gerinnt auch bei 
Zimmertemperatur im Laufe der ersten 24 Stunden nicht. Zahlreiche Prüfungen der 
Wirkungsweise des Apparates in chemischer und bakteriologischer Beziehung und 
wiederholte Untersuchungen der Milch vor und nach der Pasteurisation ergaben 
folgende Resultate. Die im Verlaufe einer halben Stunde oder zwei Stunden lang 
bei einer Temperatur von 65« pasteurisierte Milch zeigt hinsichtlich ihrer chemischen 
Konstitution fast gar keine Unterschiede von der rohen. Nach zweistündiger 
Pasteurisation in dem Apparate von Hippius verringert sich die Anzahl der lebens¬ 
fähigen Keime in der Milch annähernd in demselben Grade wie bei der Sterilisation 
nach Soxhlet; in der Folge dagegen, beim längeren Verweilen der Milch im 
Apparate, sinkt nicht selten die Zahl der Mikroorganismen bis auf Null, d. h. sämmt- 
liche vegetative Bakterienformen gehen endgültig zu Grunde. Speziell Tuberkel¬ 
bacillen bewahren ihre Virulenz (bei Versuchen an Meerschweinchen) bei einer 
Temperatur von 65 0 noch 5 Minuten lang, nach 15 Minuten dagegen sind sie gänzlich 
vernichtet. Das tuberkulöse Toxin wird nach der 5 Minuten langen Einwirkung 
einer Temperatur von 65 0 im Apparate beträchtlich abgeschwächt und bei derselben 
Temperatur nach Verlauf von 15 Minuten völlig zerstört. Auch rücksichtlich des 
Diphtheriebacillus ergab sich das Resultat, dass er in der Milch bei 65° C nach 
Ablauf von 15 Minuten vollständig zu Grunde geht. Auf diese Weise kommt 
Hippius zu dem Schluss, dass in dem von ihm konsumierten Apparat die Milch 
vollkommen sicher desinfiziert wird. Dabei bewahrt sie fast ohne die geringsten 
Veränderungen die chemische Zusammensetzung der rohen Milch und repräsentiert 
sich infolge dieses Umstandes als ein nahrhaftes und leichtverdauliches Nahrungs¬ 
mittel. Als kein geringer Vorzug muss auch die Thatsache betrachtet werden, dass 
für die Säuglinge zu jeder Zeit, besonders aber des Nachts, die Milch im Apparate 
trinkfertig ist. 

In der Sektion für Kinderheilkunde des VIII. Allrussischen Pirogoff'sehen 
Aerztekongresses in Moskau berichtete A. Hippius 5 ) am 7. (20.) Januar 1902 über 
seine praktischen Erfahrungen mit der Anwendung der in seinem 
Apparate pasteurisierten Milch in der Kinderernährung. Sämmtliche 
Beobachtungen, welche einen Zeitraum von 6—10 Monaten umfassen, waren 59 an 
der Zahl. Von diesen betreffen 38 Fälle Brustkinder und 21 Fälle Kinder höheren 
Alters (von 1—6 Jahren). Die Beobachtungen an den Kindern im Säuglingsalter 
dienten als Kriterium für die Beurtheilung der pasteurisierten Milch als Nahrungs¬ 
mittel, während ihre Anwendung bei den älteren Kindern zur Prüfung ihrer Heil¬ 
wirkung herangezogen wurde. Im allgemeinen ist Hippius mit den von ihm bei 
der Pasteurisation der Milch im Hause erzielten Resultaten sehr zufrieden, und dabei 
nicht nur rücksichtlich der Verdaulichkeit der pasteurisierten Milch, sondern auch 
hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirkung in einigen Fällen von gestörter Darm¬ 
funktion und allgemeiner Ernährungsstörung. 

Zur Bewerthung der Nahrhaftigkeit und der leichten Verdaulichkeit der 
pasteurisierten Milch wendet sich Hippius vor allem zu der Gruppe der Kinder in 
der Säuglingsperiode, welche ausser dieser Milch keine andere Nahrung im Laufe 


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300 A. Dworetzky 


der ersten 6 Lebensmonate erhielten. Solcher Fälle hatte der Autor 20 in seiner 
Beobachtung. Die Zahlen, welche sich bei der Wägung der Säuglinge in wöchent¬ 
lichen Intervallen ergaben, entsprachen durchaus der von W. Camer er festgestellten 
Norm der Gewichtszunahme für künstlich ernährte Kinder, in einigen Fällen über¬ 
trafen sie sogar diese Norm. Die Kinder hatten meistentheils 1—3 Ausleerungen 
täglich. Bei keinem einzigen der Fälle dieser Gruppe kamen Darmkatarrhe zur 
Beobachtung. Die leichte Verdaulichkeit der pasteurisierten Milch konnte besonders 
deutlich an denjenigen Kindern verfolgt werden, welche von der ersten Lebens¬ 
woche an die Milch unverdünnt und ohne jegliche Beimengungen bekamen. Hippius 
verfügt über sieben derartige Fälle: in zwei von ihnen wurde die Vollmilch den 
Kindern in sterilisiertem Zustande gereicht, in einem Falle einfach aufgekocht, und 
in den übrigen vier Fällen wurde die Nahrung in des Verfassers Apparate pasteurisiert 
Obgleich alle Säuglinge sich gut entwickelten, so litten doch diejenigen, welche die 
Milch in gekochtem oder sterilisiertem Zustande erhielten, an Verstopfung und 
häufigem Erbrechen, was an denjenigen, welche mit pasteurisierter Milch gefüttert 
worden, nicht konstatiert werden konnte. 

Die übrigen 18 Beobachtungen an Kindern des Säuglingsalters betreffen nicht 
mehr Neugeborene, sondern solche Säuglinge, welche anfänglich entweder an der 
Mutterbrust oder auf irgend eine Weise künstlich ernährt und sodann erst auf 
pasteurisierte Milch gesetzt wurden. Zu einem solchen Uebergang nahm Hippius 
dann seine Zuflucht, wenn die Ernährung an der Brust erfolglos vor sich ging und 
man dabei mit der Unmöglichkeit oder mit dem Widerstreben eine Amme zu 
engagieren rechnen musste, oder wenn irgend eine Verdauungsstörung bei einem 
nach dieser oder jener Methode künstlich ernährten Kinde den üblichen therapeutischen 
Maassregeln nicht weichen wollte. Der Erfolg des Ueberganges zur pasteurisierten 
Milch war fast immer ein guter, in einigen Fällen sogar ein glänzender. Unter 
diesen 18 Fällen waren 13, in denen bereits frühzeitig von der Mutterbrust zur 
pasteurisierten Milch übergegangen worden war, und kein einziges Mal sah Hippius 
davon einen Verfall des Ernährungszustandes, sondern im Gegentheil ein regelmässiges 
Ansteigen des Körpergewichtes in sämmtlichen Fällen entsprechend den Camerer- 
schen Tabellen. Als etwas schlechter repräsentieren sich die Ergebnisse in 5 Fällen 
von chronischem Darmkatarrh, welcher sich entweder bei künstlich mit sterilisierter 
Milch (4 Fälle) oder mit Lahmann’scher Pflanzenmilch (1 Fall) ernährten Kindern 
entwickelt hatte. Nach Ersatz dieser Ernährung durch die pasteurisierte Milch er¬ 
holten sich die Kranken nur langsam von ihrem Darmleiden und nahmen bei dem 
neuen Regime etwa einen Monat lang an Körpergewicht nicht zu. Nach der Genesung 
jedoch fingen alle 5 kleinen Patienten sich in völlig normaler Weise zu entwickeln an. 

Was die Kinder höheren Alters, von 1—6 Jahren, betrifft, so wurde ihnen die 
pasteurisierte Milch vorzüglich zu diätetischen oder therapeutischen Zwecken ver¬ 
ordnet. Hier stand auf dem ersten Plane die Behandlung der habituellen Obstipation, 
die bei Kindern nach Ablauf des ersten Lebensjahres so häufig beobachtet wird. 
Unter den 21 Fällen dieser Gruppe litten 10 Kinder an chronischer Verstopfung. 
Bei allen erwies sich der Uebergang zur pasteurisierten Milch als sehr nutzbringend. 
In der Mehrzahl der Fälle allerdings wurde die günstige Wirkung der pasteurisierten 
Milch nach einem oder zwei Monaten gewisserraaassen schwächer: die Neigung zur 
Verstopfung kehrte wieder, wenn auch nicht in dem Grade wie früher. In weiteren 
11 Fällen wurde von Hippius empfohlen, die Milch nicht aufzukochen, sondern zu 
pasteurisieren, wo es sich um rhachitische oder anämische, appetitlose Kinder handelte. 
Auch hinsichtlich dieser Krankengruppe gewann der Autor einen günstigen Eindruck: 
die Kinder erholten sich mit besserem Erfolge als bei gekochter Milch aus dem 
Grunde, weil die pasteurisierte Milch ihnen besser mundete und sie die letztere in 
bedeutend grösseren Quantitäten tranken als die erstere. 

Zum Schluss macht noch Hippius darauf aufmerksam, dass die pasteurisierte 
Milch zu therapeutischen Zwecken sowohl bei Durchfällen wie auch bei leichter 
Neigung zu Verstopfung als diätetisches Heilmittel angewendet werden könne, und 
zwar stehe die stopfende und die abführende Wirkung in direkter Abhängigkeit von 
der Dauer der Pasteurisation. Bei Neigung zu Durchfällen dauert die Pasteurisation 


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Russische Beiträge zur Emährungstherapic. 301 


volle zwei Stunden, und die Milch wird im Apparate bei Thermophortemperatur 
noch längere Zeit hindurch aufbewahrt. Bei Konstipation dagegen wird die Milch 
Vs — 1 Stunde lang pasteurisiert und dann aus dem Apparat entfernt. 

Die Frage der künstlichen Säuglingsernährung wurde auf dem VIII. All¬ 
russischen Pirogoff’schen Aerztekongress zu Moskau nochmals diskutiert, und zwar 
anlässlich eines Vortrages von M. Blauberg 6 ) in der vereinigten Sitzung der 
Sektionen für Hygiene und für Kinderkrankheiten vom 9. (22.) Januar 1902. Blau¬ 
berg sprach über den gegenwärtigen Stand der Frage von der künstlichen 
Ernährung der Kinder im Säuglingsalter. Referent hat die behufs der künst¬ 
lichen Ernährung der Säuglinge am meisten gebräuchlichen Surrogate, welche in 
ununterbrochener Reihenfolge, von dem Lärm einer wenig gewissenhaften und auf¬ 
dringlichen Reklame begleitet, in fast unübersehbarer Zahl den Markt überschwemmen, 
einer allseitigen Untersuchung und genauen Prüfung unterworfen und ist zu dem 
wenig tröstlichen Ergebnisse gelangt, dass fast kein einziges dieser Surrogate und 
Ersatzmittel in der einen oder anderen Beziehung seiner Bestimmung Genüge leistet. 
Auf Grund dieses traurigen Ergebnisses seiner Nachprüfungen stellte der Referent 
die Thesis auf, dass die künstliche Ernährung ein Uebel sei, das mit allen Mitteln 
bekämpft werden müsse. Zur Ausarbeitung von Maassregeln im Kampfe mit der 
künstlichen Ernährung und zur möglichsten Verringerung des Schadens seitens der 
Surrogate schlug der Referent vor, eine besondere Kommission einzusetzen. Ausser¬ 
dem seien spezielle Institutionen von Nöthen, deren Aufgabe darin bestehe, die Frage 
von der Massenernährung überhaupt und von der Kinderernährung im besonderen 
zu beleuchten. Da die Ernährungsphysiologie des kindlichen Organismus noch sehr 
wenig aufgehellt ist, so sei es überhaupt wünschenswerth, zur Entscheidung und 
Aufklärung der einschlägigen Fragen Experimente und Versuche in den Findel¬ 
anstalten und Krippen anzustellen, da derlei Untersuchungen s. E. für die betreffenden 
Kinder unschädlich seien. 

Dieser letztere Vorschlag des Referenten, nämlich ernährungsphysiologische Ver¬ 
suche an den Insassen der Kleinkinderbewahranstalten vorzunehmen, stiess in der 
Sektion auf den heftigsten Widerspruch seitens der Anwesenden. Ebenso wenig 
Sympathie fand auch die zweite Proposition des Referenten, eine besondere Kommission 
zur Untersuchung der Milchsurrogate einzusetzen; mit Recht wurde von der Mehrzahl 
der Mitglieder darauf hingewiesen, dass eine derartige Kommission ewig werde tagen 
müssen, da die Anzahl der Milchersatzmittel mit jedem Jahre immer wachse. Voll¬ 
ständige Einmüthigkeit trat in der Frage der künstlichen Ernährung zu Tage, insofern 
als die Sektion die künstliche Ernährung als Uebel anerkannte, das bekämpft 
werden müsse. 

Alle diese unzähligen Methoden der künstlichen Säuglingsernährung, all dieses 
endlose Suchen nach neuen und vervollkommneteren Verfahren, all diese fruchtlosen 
Bemühungen und immer wieder neuen Enttäuschungen wären natürlich gänzlich 
überflüssig, wenn sämmtliche Mütter, wie es von der Natur vorgeschrieben ist, ihre 
Kinder an der eigenen Brust nähren würden. Es kann kein Zweifel darüber be¬ 
stehen, dass die allerwirksamste Maassregel zur beträchtlichen Herabsetzung der 
enormen Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahre die möglichst weite Verbreitung 
der Ernährung der-Kinder an der Mutterbrust sei. Leider aber stillen sehr viele 
Mütter ihre Kinder nicht an der Brust, und zwar in der Mehrzahl der Fälle ohne 
zwingenden, hinreichenden Grund. Schuld daran sind zum Theil auch die Aerzte, 
welche nicht selten leichten Herzens ihre Erlaubniss dazu geben, das Kind nicht an 
die Brust zu legen; schuld daran sind auch die Hebammen, schuld auch so manche 
populär-medicinische Schriften. (Schluss folgt.) 


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Kleinere Mittheilungen. 


302 


Kleinere Mittheilungen. 


Das Konservebrot in den verschiedenen Armeen 1 )' 

Von M. Ball and, Oberapotheker I. Klasse. 

Frankreich« Seit 25. November 1894 wurde statt des früheren »Biskuit« das »Kriegsbrot« 
in die Armee eingeführt; dasselbe wird aus feinem Roggenmehl, Wasser, Salz und Hefe dargestellt 
und unterscheidet sich somit von dem »Biskuit«, welches weder Salz noch Hefe enthielt. Die 
Scheiben sind kleiner, jedoch auf der Oberfläche mehr gewölbt und zahlreicher gelocht; sie wiegen 
nur 60 g und haben ungefähr eine Länge von 7 cm, eine Breite von 6,5 cm und eine Dicke von 

2.5 cm. Jede Scheibe trägt sowohl den Namen seines Fabrikationsortes als auch die Zeitangabe 
seiner Fabrikation (Monat und Jahr). Die Kruste ist ein wenig härter, während die weisse, sehr 
poröse Brotkrume sich ausserordentlich schnell in Kaffee oder Bouillon einweichen lässt. Das Mehl 
muss mindestens auf 30% gebeutelt sein; das Gewicht der Friedensration beträgt 550 g, das der 
Kriegsration 600 g (12 Scheiben). 

Deutschland« Das »Konservebrot« stellt sehr kleine, rechteckige Scheiben dar: 2,3 g schwer, 
3,7 cm lang, 2 cm breit, 0,7 cm dick. Die Scheibchen lassen sich infolge ihres geringen Umfanges 
unbeschadet in Säcken transportieren. Jedes Brödchen weist zwei Durchstichslöcher auf, während 
es im übrigen äusserlich ganz dem französischen Kriegsbrote gleicht Die Krume ist weiss und 
porös und ausserdem noch mit einigen Kümmelkörnern gewürzt. Der Hauptbestandteil ist reines 
Weizenmehl und scheint auf 30—35% gebeutelt zu sein. 

Ausserdem giebt es noch Brödchen von der nämlichen Form, welche jedoch mehr Stickstoff 
enthalten, stärker gezuckert und lockerer gebacken sind; sie sind aus Mehl, Wasser, Zucker und Eiern 
dargestellt. Sie enthalten keinen Kümmel, ähneln mehr trockenem Kuchen und sind mehr dem 
Ranzigwerden und dem Angriff der Insekten ausgesetzt als die erstbeschriebenen Brotscheiben. 

Oesterreich-Ungarn« Das Konservebrot bildet eine mit zwei queren Stanzfurchen versehene 
Scheibe im Gewicht von 150 g, 13 cm lang, 10 cm breit und 2 cm dick. Jede dieser Scheiben, in 
einer dreitheiligen Form gegossen, besteht aus drei kleinen durch zwei Furchen von einander ge¬ 
trennten Theilstücken, welche sich durch geringen Druck abbrechen lassen. Jede einzelne Bruch¬ 
scheibe misst demgemäss 10 cm in der Länge und 4,5 cm in der Breite und wiegt 50 g; jede ist mit 
zwölf durchgehenden Lochungen versehen. Die Kruste ist sehr hart und sieht wie glasiert aus, 
ähnlich der in der Backofenhitzc mit Wasser bestrichenen Brotteigkruste. Die Krume zeigt Spuren 
von Hefe und ist mit einigen Kümmelkörnern gewürzt. Das Mehl ist im gleichen Prozentsätze ge¬ 
beutelt wie das in der französischen Armee verwendete. Die Beimengung von Kümmel erhöht 
übrigens weder die Haltbarkeitsdauer, noch vermag er die Insekten fernzuhalten. 

Belgien. Das Konservebrot bildet 150g schwere, flache Scheiben, welche, mit 40 durch¬ 
gehenden Lochungen versehen, eine Länge von 15 cm, eine Breite von 10 cm und eine Dicke von 

1.5 cm besitzen. Das Mehl ist schlecht gebeutelt und scheint mit Eiern und Zucker angemacht zu 
sein. Das frische Brot besitzt einen angenehmen Geschmack nach Kuchen, wird jedoch nach wenigen 
Monaten ranzig. Sein doppelter Nachtheil besteht darin, dass es eine grosse Anziehungskraft für 
Insekten besitzt und sehr brüchig ist. 

Italien« Das Konservebrot gleicht dem alten französischen Biskuit; quadratische Scheiben 
(15 cm breit und 2 cm dick) mit 36 Lochungen versehen; es besteht aus einer Mischung von feinem 
und grobem Roggenmehl, 25% gebeutelt. Das Ausbacken des Brotes scheint erzielt zu werden 
durch ein längeres Verweilenlassen im Backofen bei einer niedrigeren Temperatur, als man für ge¬ 
wöhnlich anzu wenden pflegt. Hierdurch erzielt man eine dickere, gleichmassig glatte und sehr harte 
Kruste, welche sowohl;'gegen Bruch als auch gegen Insekten widerstandsfähig ist. 

Rumänieu« Das Kriegsbrot, wie es auf der Allgemeinen Ausstellung 1900 vorlag, weist alle 


Die nachfolgende übersichtliche Zusammenstellung, welche das Interesse vieler Leser der 
Zeitschrift erregen dürfte, entnehmen wir der Zeitschrift Le Caducee 1902. No. 2. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 303 


Eigenschaften des französischen Kriegsbrotes auf, dasselbe Gewicht, dieselbe Grösse, sogar dasselbe 
prozentuale Verhältniss der Beutelung, 30%. 

Russland Ein spezielles Kriegsbrot existiert nicht. Die »Sukhari«, welche anstatt Biskuit 
Verwendung findet, besteht aus kleinen Stückchen gewöhnlichen Brotes, welches im Backofen ge¬ 
röstet wird. Um es genussfähig zu machen, wird es in Thee aufgeweicht. 

Schweiz. Man verwendet als Konservebrot frisches Brot, welches in gelindem Backofen¬ 
feuer geröstet wird, nachdem es vorher in entsprechende Stücke geschnitten ist. Die Scheiben, wie 
sie von langen rechteckigen Broten mittels Stanzmaschinen geschnitten werden, sind sehr gleich- 
massig; sie sind quadratisch, 9 cm breit; ihre Dicke beträgt 2 cm, ihr Gewicht 50 g. Diese Brot¬ 
scheiben sind zu je fünf Stück in Schachteln aus Kartonpapier verpackt. Allerdings sind sie bei 
gleichem Gewicht viel voluminöser als alle bereits besprochenen Konservebrote. Das Mehl dürfte 
auf 40% ausgebeutelt sein. Die Backofenhitze hat den Brotscheiben eine schöne goldgelbe Farbe 
verliehen; die Krume iBt sehr weiss, sehr porös, ein Beweis für sorgfältige Hefegährung. 

Türkei. Die Armee führt runde Brotscheiben von 15 cm Durchmesser, jedoch unregelmässiger 
Form und wechselnder Dicke, welches seinen Grund darin hat, dass die Herstellung ohne Press¬ 
maschinen erfolgt; das Gewicht ist auch nicht gleichmässig, ungefähr 200 g. Die Löcher, welche 
die Trocknung erleichtern und die Blasenbildung während des Backens verhindern sollen, sind wenig 
zahlreich und in ,der Mitte in willkürlicher Form vertheilt. Die Kruste ist braun und sehr dick; 
die Brotscheiben sind sehr hart. Der innere Bruch gleicht dem italienischen Biskuit, das Mehl ist 
zwischen 20—30% gebeutelt 

Die Konservebrote, soweit sie in den letzten Jahren von den verschiedenen Armeevor- 
waltungsbehörden angenommen wurden, sind im grossen Ganzen alle aus Roggenmehl dargestellt, 
dessen Ausbeutelungsprozentsatz durchschnittlich über 20% steht 

Das Konservebrot der belgischen Armee, dessen Darstellung aus den am wenigsten gebeutelten 
Mehlen stattfindet, ist auch von allen in Betracht gezogenen Produkten dasjenige, welches die 
meisten unausnützbaren Stoffe (Cellulose) enthält. Zwar vermehren die bei der Fabrikation mit 
verwendeten Eier etwas die Nährkraft, jedoch stellen sie andererseits die Konservationsfahigkeit 
umsomehr in Frage, als gerade die Fettsubstanzen in Berührung mit den Kleie- und Stärkemehl¬ 
haltigen Bestandtlheilen des Brotes sehr schnell ranzig werden. — Um das Ranzigwerden zu ver¬ 
meiden, fordert die französische Armee Verwaltungsbehörde Mehle, die mindestens auf 30% aus¬ 
gebeutelt sind, da diese bekanntlich viel weniger fettstoffhaltig sind als die nur zu 20 — 25% aus¬ 
gebeutelten. Das französische Kriegsbrot, wie es unter genauster Beobachtung der hierüber 
bestehenden Vorschriften dargestellt wird, steht in keiner Weise gegen ein gleiches Produkt des 
Auslandes zurück. Die abfällige Beurtheilung desselben stützt sich auf folgende zwei wichtige 
Faktoren: entweder war das Konservebrot länger als zwölf Monate, d. h. über die laut ministerieller 
Vorschrift erlaubte Frist im Magazin auf bewahrt gewesen, oder es war nicht mit hinreichend gebeutel¬ 
tem, mithin einem dem reglementmässigen Vorschriften nicht entsprechendem Mehle dargestellt. 

Die Ansicht aller Sachverständigen, welche vom Kriegsministerium beauftragt waren, den 
Streit zwischen der Armeeverwaltungsbehörde und den Fabrikanten zu schlichten, war über diese 
beiden Punkte stets eine ungetheilte *). 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Die grossherzogliche Badeanstaltcnkommission zu Baden-Baden 

hat, wie wir aus sicherer Quelle erfahren, beschlossen, auch in diesem Jahre die im vergangenen 
Herbst eingerichteten und so rege besuchten theoretisch - praktischen' Kurse der physikalisch¬ 
diätetischen Heilmethoden und der Balneotherapie für Aerztc und Studierende der Medicin wieder 
abzuhalten. 

Der Beginn der auf ca. 8 Tage berechneten Kurse ist auf den 13. Oktober gelegt. 

Die Bekanntgabe aller Einzelheiten erfolgt duryh spätere Veröffentlichungen. R. 


i) Annales d’hyg. publ. et de med. 16g. 1901. Juni. 


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304 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

B. Lupine, Le Sucre dans l’alimentation. 

Semaine mödicale 1901. No. 27. 

Neuerdings hat Bunge in einem Artikel: 
»Der wachsende Zuckerkonsum und seine Ge¬ 
fahren« ausgeführt, dass ein Uebermaass von 
Zucker in der Ernährung deswegen von Nach¬ 
theil ist, weil derselbe weder Eisen noch Kalk 
enthält, die Gefahr also vorhanden ist, dass 
diese, namentlich dem wachsenden Organismus 
unumgänglich nothwendigen Bestandteile der 
Nahrung in zu geringen Quantitäten dem Körper 
zugeführt werden, wenn der Zucker sich über 
Gebühr in dem Kostmaass vordrängt 

Löpine wendet sich gegen diese An¬ 
schauung; er hält den Zucker in der Volks¬ 
emährung für ein so wichtiges Mittel, dass er 
im Gegensatz zu Bunge sogar für eine weit 
häufigere Verwendung des Zuckers als Nährstoff 
eintritt. P. F. Richter (Berlin). 


Neumann, Die Wirkung des Saccharins anf 
den Sückstoffumsatz beim Menschen. Mün¬ 
chener medicin. Wochenschr. 1901. No. 26. 

Bornstein war bei Ausnützungsversuchen 
mit Saccharin (Zeitschr. f. klin. Medicin 1900) zu 
der Anschauung gelangt, dass durch Beigabe von 
Saccharin zur Nahrung die Ausnützung des Stick¬ 
stoffs etwas schlechter werde. Gegen diese An¬ 
gabe wendet sich Verfasser vorliegender Mit¬ 
teilung. In einem 30tägigen, an sich selbst 
vorgenommenen Stoffwechsel versuch kommt er 
zu dem Resultat, dass die Einfuhr von Saccharin 
in ansteigenden Dosen von 0,1 bis 3,5 g den 
Ei weisszerfall in keiner Weise beeinflusst und 
das Stickstoffgleichgewicht nicht im mindesten 
gestört hat. Der Stuhl war stets normal, während 
Bornstein öfter Diarrhöen angegeben hatte. 

Die Ursache des Born st ein* sehen Ergeb¬ 
nisses sucht Neu mann in ungenügender Analyse 
der von Bornstein genossenen Nahrungsmittel. 
Bornstein hatte von seiner Nahrung nur das 
Fleisch, Zwieback und Kakes analysiert, während 
er den in den übrigen Nahrungsmitteln (Butter, 
Zucker, Schokolade, Kaffee, Sahne, Aepfel) ent¬ 
haltenen N schätzungsweise mit 1 g in die Rech¬ 


nung einstellte. Das war gewiss nicht exakt; 
aber es handelte sich hierbei nur um unwesent¬ 
liche Stickstoffmengen, und ausserdem wurde 
der Fehler in den Vergleichsperioden gleichmäsaig 
gemacht, sodass das Verhältnis der Bilanzen zu 
einander, auf das es ja hierbei allein ankam, da¬ 
durch nicht alteriert wurde. Anders steht es mit 
der Frage, ob Bornstein berechtigt war, aus 
den kleinen Differenzen, die er fand, so schwer¬ 
wiegende Schlüsse zu ziehen. Die Berechtigung 
hierzu kann man bestreiten, und es wäre viel¬ 
leicht gut, wenn Born stein durch einen noch¬ 
maligen Versuch die Ergebnisse seiner Arbeit 
nachprüfte. Gotthelf Marcuse (Breslau). 

A. Mayor, La gastdrine. Revue möd. de la 
Sui&se romande 1901. No. 1. 

In den Jahren 1895 und 1898 hatte Frömont 
Mittheilung gemacht (Bull, de la Soc. de thöra- 
peutique de Paris 1899) von einem Verfahren, 
funktionelle Magenstörungen motorischer und 
sekretorischer Natur mit reinem thierischen Magen¬ 
saft zu behandeln, den er in der Weise gewann, 
dass er bei Hunden das Duodenum an den 
Oesophagus unter Schonung der Magennerven 
annähte, den also isolierten Magen an beiden 
Enden verschloss und durch eine Fistel mit der 
Bauch wand verband. Das derart gewonnene Medi¬ 
kament nannte er »gastörine«. 

Mayor (Genf) prüfte die Frömont’schen 
Angaben an zwei Patientinnen mit Enteroptose 
und Darniederliegen der Magenfunktion nach. Der 
Erfolg war ein guter: Der Magen entleerte 
sich rascher, die Schmerzen schwanden, der 
Schlaf wurde gut, der Appetit besserte sich, das 
Körpergewicht nahm zu; und das alles, trotzdem 
die Enteroptose als solche sich nicht wesentlich 
änderte. Die »Gastörine« scheint, abgesehen von 
ihrer chemischen Wirkung bei Verdauung der 
Speisen, auch die Motilität des Magens, direkt 
oder indirekt, günstig zu beeinflussen. 

Bei vorübergehenden Dyspepsien, z. B. im 
Laufe Fieberhafter Erkrankungen, wird der Magen¬ 
saft am besten mit Milch (25 ccm : 75 ccm Milch) 
stündlich oder zweistündlich gegeben. Bei chro¬ 
nischen Dyspepsien wird er bis zur Maximaldosis 
von 500 ccm pro die, ebenfalls in Milch, oder 


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305 


tieferate Über Bücher und Aufsätze. 


in Wein, Wasser, Bouillon, während der Mahl¬ 
zeiten in kleinen Portionen getrunken. 

Wenn das Mittel die damiederliegende Magen- 
funktion nicht nur ersetzt, sondern sie auch all¬ 
mählich wieder weckt, so muss es als bedeut¬ 
samer Fortschritt in der Therapie der Magen¬ 
krankheiten begrüsst werden. Eis bleibt abzu¬ 
warten, ob weitere Nachprüfungen das günstige 
Resultat bestätigen. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 

Martinj, Zar Frage der Milchrersorgang 
grösserer Städte. Zeitschr. f. Heisch- u. Milch¬ 
hygiene 1901. Juni. 

Eine Berliner Polizei verordnung gestattet den 
Milehhändlera den Verkauf von Vollmilch (2,7% 
E’ett), Halbmilch (1,5%) und Magermilch, und 
schreibt vor, dass die Verkaufsgefasse mit einer 
den Inhalt entsprechend angebenden Aufschrift 
versehen sein müssen. Im Anschluss nun an ein 
gerichtliches Urtheil, durch das ein Händler, der 
Vollmilch zu dem dafür üblichen Preise aus einem 
die Aufschrift »Halbmilcht tragenden Gefäss ver¬ 
kauft hatte, freigesprochen worden war, setzt 
M artiny auseinander, wie das Publikum vor 
Verfälschung der Milch geschützt werden könne, 
und kommt zu dem Schluss, dass dies, so lange 
die grossstädtische Milch Versorgung Sache eines 
ungeregelten Kleinhandels sei, nicht in jeder Be¬ 
ziehung möglich sei; von dem kleinen Händler 
könne nicht vorausgesetzt werden, dass er seine 
Milch stets unmittelbar von zuverlässigen Land- 
wirthen beziehe, oder selbst die Milch auf ihre 
Zuverlässigkeit prüfen könne. Der Grossbetrieb 
in irgend einer Form sei die einzige Art, durch 
die das Publikum vor Schädigung bewahrt werde. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


Korcxynski, Ueber den Einfluss der Gewürze 
auf die Magenthätigkeit. Wiener medicinische 
Presse 1901. No. 12. 

Korczy nski ist in der mcdicinischcn Klinik 
in Krakau mit Versuchen beschäftigt über den 
Einfluss der Gewürze auf die motorische und 
sekretorische Thätigkeit des Magens. In vor¬ 
liegendem Aufsatz macht er eine kurze Mit¬ 
theilung über die Erfahrungen, dio er in dieser 
Richtung an einem Kranken mit Myelitis chronica 
gemacht hat, bei dem die Sondenuntersuchung 
eine geringe sekretorische und motorische Magen¬ 
schwäche ergeben hatte. Nach jeder der üblichen 
Probemahlzeiten war in dem ausgeheberten Magen¬ 
inhalt der Säuregrad immer niedriger, die freie 
HCl immer spärlicher nach den Gewürzen, 
als ohne dieselben. 

Zeitoohr. t di*k u. pbyaik. Therapie Bd. VI. Heft 5. 


Es scheinen also, nach dieser Erfahrung des 
Verfassers, die Gewürze nicht in jedem Falle 
sekretionsbefördernd zu wirken. Dass die Aus¬ 
nutzung der Speisen thatsächlich durch die Ge¬ 
würze nicht wesentlich erhöht wird, hat schon 
Flügge im Jahre 1879 nachgewiesen. 

Die motorische Kraft des Magens schien in 
dem Korczyriski’schcn Versuche günstig be¬ 
einflusst zu werden. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


NikolAas Berend, Beiträge zur Frage der 

künstlichen Ernährung im Säuglingsalter. 

Gyögyäszat 1900. No. 23—24. 

Verfasser erörtert kritisch alle Präparate, die 
zum Ersätze der Muttermilch empfohlen werden, 
welche aber nicht immer brauchbar, ja überhaupt 
ganz überflüssig sind Bei einfacher Anwendung 
von Milch, Milchrahm und Zucker, sowie einer 
gehörig bereiteten Verdünnuugsflüssigkeit, werden 
wir diese Präparate bei gesunden Säuglingen 
überhaupt nicht benöthigen, wenn wir mit Be¬ 
achtung der Wage und des Stuhles die künst¬ 
liche Ernährung individualisieren. Bei kranken 
Kindern aber ist es die schwierigste und — leider 
— am wenigsten kultivierte Aufgabe der Kinder¬ 
heilkunde zu beurtheilen, welche von den ange¬ 
führten Präparaten angezcigt sind. Es darf aber 
nie vor Augen gelassen werden, dass es höchst 
gefährlich ist, die zur Entwicklung des Säuglings 
eben genügende minimale Menge des Nahrungs¬ 
quantums zu überschreiten. Sind wir aber infolge 
einer chronischen Verdauungsstörung dennoch 
gezwungen, cinE'abrikpräparat zu Hilfe zu nehmen, 
so ist dio Menge desselben mit zunehmender 
Besserung des Zustandes des Säuglings allmählich 
zu vermindern und langsam zur einfachen nicht 
komplizierten Nahrung zurückzukehren. 

J. Honig (Budapest). 


JosephSzabö, (Jeher die chemische Reaktion 
des Mnudspeichels. Orvosi hetilap 1900. No. 32. 

1. Statistische Daten. Die chemische Reaktion 
des Mundspeichels war in der überwiegenden 
Mehrzahl der untersuchten Fälle alkalisch, saure 
Reaktion fand sich kaum in 1—2 Fällen vor. 
Doch in der Intensität der Alkalität fand Ver¬ 
fasser den einzelnen Zahnkrankheitsprozessen ent¬ 
sprechend ganz bestimmte Unterschiede. Während 
bei gaugränösen Erkrankungen der Zähne der 
Mundspcichel in 39% der Fälle stark alkalische 
Reaktion bcsass, war bei Pulpitis nur in 20% 
und bei blosser Karies sogar nur in 4,8 % der 
Fälle eine ähnliche Intensität der Reaktion vor¬ 
handen. 2. Hängt die Alkalität des Mund- 

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306 


Referate über Bücher und Aufsatze. 


Speichels von dem Verlaufe der Magen¬ 
sekretion ab? Im Anschlüsse an drei Ver¬ 
suchsreihen, bei gewöhnlicher Ernährung, während 
des Hungers, sowie bei Uebcrfutterung untersuchte 
Verfasser die Reaktion des Mundspeichels und 
fand, dass dieselbe mit der Magensekretion in 
keinerlei Zusammenhang steht; ja ihre Intensität 
(durch Titrierung festgcstcllt) ist sogar auffallend 
konstant, so dass die Beziehungen, welche zwischen 
der Magensekretion und Urinreaktion bestehen, 
auf der Mundspeichelreaktion keine Anwendung 
findet. J. Honig (Budapest). 

A» Jaquet und N. Svenson, Zar Kenntniss 
des Stoffwechsels fettsüchtiger Individuen. 

Zeitschr. f. klin. Medicin No. 41. S. 375. 

In der Ruhe fanden sich keine Unterschiede 
im öaswechsel gegenüber der Norm. Dagegen 
war die durch Nahrungsaufnahme bedingte Steige¬ 
rung des Verbrennungsprozesses eine bedeutend 
geringere und weniger lang andauernde als beim 
normalen Menschen. Aus dieser Ersparnis an 
Verbrennungsmaterial lässt sich wenigstens theil- 
weise der Fettansatz erklären. Bei Muskelarbeit 
waren in einem Fall die Verhältnisse normal, im 
andern trat bei geringer Arbeitsleistung eine sehr 
starke Steigerung des Sauerstoffverbrauches auf. 
Die Gewichtsabnahme nach Thyroidcabehandlung 
ist in manchen Fällen allein durch den Wasser¬ 
verlust bedingt, ln anderen Fällen tritt dazu 
noch eine Steigerung der VerbrennungsVorgänge, 
was aber Jaquet und Svcnson nur nach Nah¬ 
rungsaufnahme, nicht im nüchternen Zustand be¬ 
obachteten. F. Voit (München). 

J. Laumonier, Des laits artiflciels. Bulletin 
genöral do thörapeutiquo 1901. Heft 23. 

Der Artikel Lauraonicr’s bildet ein zu¬ 
sammenfassendes Referat über die zahlreichen 
Milchpräparate, die zur künstlichen Ernährung 
der Säuglinge angegeben worden sind. Da die 
wesentlichsten Unterschiede zwischen Kuh- und 
Frauenmilch in dem grösseren Kasein- und Salz¬ 
gehalt der ersteren bestehen, bei geringerem 
Zuckergehalt, so ist die nächstliegende Methode 
zum Ausgleich dieser Verschiedenheiten — und 
einen solchen streben ja alle diese Präparate an 
— die Verdünnung mit Wasser mit nachfolgendem 
Milchzuckerzusatz. Uffclmann, Escherich und 
Marfan haben hierfür besondere Vorschriften 
gegeben, je nach den verschiedenen Lebens¬ 
monaten. Aber alle diese]Methoden haben nach 
dem Urtheil des Verfassers den Nachtheil, dass ; 
sie leicht zu einer Flüssigkeitsüberlastung des 
kindlichen Magens führen, dass sie ferner eine | 


Verminderung des Fettgehaltes der Milch be¬ 
wirken, und dass sie schliesslich, worauf 
Laumonier besonderes Gewicht legt, die Milch 
der Gefahr der Verunreinigung aussetzen. Nament¬ 
lich aus letzterem Grunde ist man daher dazu 
fibergegangen, die Bereitung geeigneter Mileh- 
präparate nicht mehr den Haushaltungen zu über¬ 
lassen, sondern dieselben auf industriellem Wege 
herzustellen und trinkfertig in den Handel zu 
bringen. Von derartigen Präparaten erwähnt 

Laumonier zunächst die von F 6 c a m p und E u r v, 
deren Herstellung sich im wesentlichen in der 
Weise gestaltet, dass man die Milch abrahmen 
lässt, einen Theil der Magermilch durch eine Milch¬ 
zuckerlösung ersetzt, eventuell noch etwas Rahm 
hinzufügt und sterilisiert. Recht originell er¬ 
scheint die folgende von Vigier angegebene 
Methode. Man theilt die frisch gemolkene Milch 
in zwei Theile, a und b. Theil b lässt man an 
einem kühlen Ort abrahmen und giebt den Rahm 
zu a. Dann unterwirft man b der Labgerinnung, 
lässt den Kaseinkuchen sich absetzen und giesst 
die überstehendc Flüssigkeit ebenfalls zu a. Die 
so entstehende Mischung enthält demzufolge nur 
die Hälfte des Kaseins der ursprünglichen Milch, 
während Fett, Zucker und Salze nur eine unbe¬ 
deutende Verminderung erfahren haben. In den 
mannigfachen Manipulationen erblickt jedoch der 
Verfasser eine Gefahr für die »Asepsis« der 
Milch. Daran reiht sich eine Besprechung der 
Gärtner’schen Milch, die nach Laumonier’s 
Ansicht den Nachtheil hat, dass das Fett, seines 
natürlichen Emulsionszustandes beraubt, an den 
Wanden der Flaschen hängen bleibt und dadurch 
dem Säugling entzogen wird. Die in Amerika 
gebräuchlichen Präparate von M e i gs (Philadelphia) 
und Morgan Rotch (Boston), die ebenso wie 
die Gärtnerische Milch vermittels Centrifu- 
gierung hergestellt werden, sind im wesentlichen 
Mischungen von Rahm, Magermilch und Zuckcr- 
lösung, eventuell unter Zusatz von Kalkwasser. 
Die mit denselben erzielten Resultate sollen nach 
Laumonier's Angaben nicht sehr ermuthigend 
sein. Auch rügt Laumonier den geringen 
Eiweissgehalt (1%) des Rotch*sehen Präparates. 
Von deutschen Präparaten folgen dann die 
Rieth’schc Albumosenmilch, die Lchmann’sche 
Milch, die Lahmann*sehe und Löflund’schc 
Peptonmilch und schliesslich Biedert’s Rahm¬ 
gemenge. Das Gcsammturtheil, das Laumonier 
über alle diese Präparate abgiebt, ist recht un¬ 
günstig. Die Bestrebungen, die Kuhmilch der 
Frauenmilch gleich zu machen, scheitern seiner 
Meinung nach von vorne herein an den qualita¬ 
tiven Verschiedenheiten der beiden Milcharten, 
die sich natürlich durch keinerlei Verfahren aus- 
gleichen lassen. Weiterhin bewirkt jede Ver- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 307 


Minderung des KaseTngehaltes auch eine Ver¬ 
minderung des Salzgehaltes, und zwar besonders 
der so wichtigen Phosphor- und Eisensalze. Und 
die zur Ausgleichung des durch die Verdünnung 
entstandenen Nähr werth Verlustes empfohlenen 
Zusätze von Milchzucker oder Rahm können, wie 
Laumonier ausführt, für die Säuglinge, speziell 
für verdauungskranke, durchaus nicht gleichgiltig 
sein, wie ja auch Esche rieh nachgewiesen hat, 
dass in solchen Fällen gerade die Fettsubstanzen 
der Milch schlecht ausgenutzt werden. »Cette 
rovue rapide nous conduit donc ä dire, . .. qu’il 
faut pröförcr aux laits artificiels — le lait störilisö 
industriellement, qui n’exige aucune manipulation, 
est beaucoup inoins couteux, et a conservö une 
grande partie de ses propriötös physiologiqucs 
primitives ou en a acquis de nouvelles au point 
de vue de la digestibilitö, h la condition toute- 
fois qu’il soit administre möthodiquement, 
conformöment aux indications de l’ctat, de Tage 
et du poids«. Plaut (Frankfurt a. M.). 


B. Gymnastik. 

A. Hoffa, Die experimentelle Begründung 
der Sehnenplastik. Vortrag am Naturforscher- 
kongress in Hamburg 1901. Münchener medicin. 
Wochenschr. 1901. No. 51. 

In gewohnter Meisterschaft entwirft Verfasser 
ein klares Bild von dem gegenwärtigen Stande 
der Sehnenplastik. Zum Studium ihres Heilungs- 
vorganges hat nun Hoffa an einer Reihe von 
Hunden und Katzen die verschiedenartigsten 
Sehnenoperationen ausgeführt und sodann die 
Vernarbungsstadien aufs genaueste untersucht. 
An der Bildung der Schnennarbe betheiligen sich 
hiernach nicht nur die bindegewebigen Sehnen- 
hullcn, sondern auch das Sehnengewebe selbst. 
Echte Sehncnfibrillen ersetzen mit der Zeit die 
ursprünglich bindegewebige Narbe. Diese ideale 
Sehnenregcncration tritt nur bei exakter Blut- 
stillungund aseptischem Verlaufe der Operation ein. 

Paul Lazarus (Berlin). 


W. B ec k e r, Zur heilgyinnastischen Behandlung 
der Skoliose. Zwei neue Pendelapparate. 
Hoffa’s Zeitschr. für orthop. Chirurgie 1902. 
Bd. 10. Heft 1. 

Das Problem der Skoliosenbchandlung ist 
noch nicht endgültig gelöst, was auch aus der 
grossen Zahl der verschiedenartigsten Skoliosen¬ 
apparate hervorgeht. Bei dem ersten vom Ver¬ 
fasser konstruierten Pendelapparate kann durch 
eine sinnreiche Vorrichtung die maschinelle Dc- 
torsion der Wirbelsäule mit aktiv adressierenden 


Muskelübungen verbunden werden; bei dem 
zweiten »Detorsionspendek kann ausserdem die 
Wirbelsäule durch Zug an Kopf, und Schultern 
bei gleichzeitiger Fixation des Beckens gestreckt 
werden. Paul Lazarus (Berlin). 


0. Hübscher, Scheereuformlge Redressions¬ 
apparate mit elastischem Zug. Hoffa’s Zeit¬ 
schrift f. orthop. Chirurgie 1902. Bd. 10. Heftl. 

Diese Apparate können leicht aus zwei, 
sebeerenartig sich kreuzenden Eisenschienen im¬ 
provisiert werden, deren Chamiere an beide 
Seiten des Gelenkes zu liegen kommen. Die 
Schienen finden durch drei Halbrinnen aus Fiber- 
material ihren Halt an der Extremität, während 
die Enden durch dickwandige Drainschläuchc 
nach Bedarf genähert werden können. Die Rc- 
dression geschieht somit durch Hebelwirkung, 
welche durch entsprechende Verkürzung der 
Drains beliebig dosiert werden kann. 

Paul Lazarus (Berlin). 


A. Roth, Vorläufige Mittheilung über Ver¬ 
suche zur Lösung der Frage eines portativen 
Detorsious- und Redressiouskorsetts für 
SkoUosen aUer Arteu. Hoffa’s Zeitschr. f. 
orthop. Chirurgie 1902. Bd. 10. Hoft 1. 

Verfasser konstruierte ein neues Skoliosen¬ 
korsett und wählte als Angriffspunkt für die 
Redressionspelotten nicht nur die Gegend des 
Rippcnbuckels, sondern auch die diagonal gegen¬ 
über liegende Thoraxstelle vom Pektoralis bis 
zum Hypochondrium. Die Redressionspelotten 
sind nicht an den Armkrücken, sondern an drei 
eigenen Stahlmasten angebracht. Prof. Hoffa 
bestätigt in einer Nachschrift die gute Wirksam¬ 
keit des Roth’sehen Korsctt’s. 

Paul Lazarus (Berlin). 


0. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Carlisle de Vries, The advantages of the 
pneumalic cabinet or differentiator in the 
treatment of phthisis pulmonalis. New-York 
medical journal 1900. Juni. 

Die Behandlung der Lungentuberkulose 
vermittels des pneumatischen Kabincts ist 
in Amerika zwar schon vor vielen Jahren 
empfohlen worden, jedoch gerieth diese Be¬ 
handlungsart dort bald wieder in Vergessenheit, 
I nach der Ansicht des Verfassers sehr mit Uu- 

21 * 


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308 


Referate über Bücher und Aufsatze. 


recht Der Apparat, dessen sich seit längerer 
Zeit de Vries mit bestem Erfolge bediente, be¬ 
steht aus einem grossen, luftdicht abgeschlossenen 
Kasten; in diesen wird der Patient gesetzt, 
darauf wird die Innenluft des Kastens allmählich 
verdünnt. Ist dies bis zu einem gewissen Grade 
geschehen, so wird der Patient angewiesen, nun¬ 
mehr durch eine mit der Aussenluft kommuni¬ 
zierende, mit einem besonderen Mundstück ver¬ 
sehene Rohre tief ein- und auszuathmen. Diese 
Athmungsbewegungen sind viel ausgiebiger als 
die gewöhnlichen, da der auf dem Thorax 
lastende Luftdruck vermindert ist, während der 
Druck der eingeathmeten Luft demjenigen der 
atmosphärischen Luft gleich ist. Aus diesem 
Grunde erfordern diese ausgiebigeren Athmungs¬ 
bewegungen von dem Patienten keine grössere 
Anstrengung, als das gewöhnliche Athmen; über¬ 
haupt verspüren die Patienten während der Be¬ 
handlung (die jedesmal von 5 bis zu 40 Minuten 
lang andauert) keinerlei Beschwerden bei Be¬ 
obachtung der nöthigen Vorsichtsmaassregeln. 

de Vries lässt nun die Patienten durch die 
erwähnte Röhre ausser der atmosphärischen Luft 
noch Dämpfe antiseptischer Substanzen 
einathmen (Kreosot, Ozon, Karbol, Jodoform etc.); 
da das Athmungsvolumen dabei um 50—75<Y 0 
gegen gewöhnlich vergrössert ist, so können 
diese Medikamente eine stärkere Wirkung als i 
sonst entfalten, besonders da sie an Stellen der 
Lungen hingelangen, an die sie bei gewöhnlicher 
oberflächlicherer Respiration nicht kommen. 

Die Resultate, die de Vries bei dieser i 
Behandlungsmethode, dio allerdings sowohl von | 
Seiten des Arztes, als von Seiten des Patienten 
viel Geduld erfordert, erzielt hat, sind sehr 
günstige, sowohl in Fällen von beginnender 
Lungentuberkulose, als auch bei fortgeschrittener 
Phthise. Besonders hebt der Verfasser den oft 
überraschend günstigenEinfluss hervor, den 
die im pneumatischen Kabinet veränderten Druck¬ 
verhältnisse bei Hämoptoe ausüben. Nach 
seinen Erfahrungen reicht kein anderes Mittel 
gegen Hämoptyse in seiner Wirkung an das 
pneumatische Kabinet heran. Es muss dabei 
hervorgehoben werden, dass der Verfasser sich 
sichtlich bemüht, Uebertrcibungen zu vermeiden, 
so dass seine Angaben es wohl verdienen, auch 
bei uns an einem grösseren Material einmal nach¬ 
geprüft zu worden. A. Laqueur (Berlin). 


Rudolf Schmidt, üeher diaphoretisches 
Heilverfahren hei Osteomalacie. Wiener 
klinische Wochenschrift 1901. 4. Juli. 

In der Annahme, dass intra- und periostale 
Cirkulationsanomalien im Sinne entzündlich - hv- 


perämischer Vorgänge die pathologisch-anatomi¬ 
sche Grundlage der Osteomalacie bilden, hat 
Verfasser, um durch intensive Oberflächcn- 
| hyperämio eine Gefässentlastung tiefergelegener 
Theile zu bedingen, in zwei Fällen eine grössere 
Reihe von Heissluftbädern im Bette mittels 
Phönix ä Fair chaud angewandt Im ersten Fall 
lag eine leichtere Krankheitsform vor. Besserung 
des Ganges schon nach neun Heissluftbädem, 
nach circa einem Monat ist Treppensteigen mög¬ 
lich. — Im zweiten Fall, der erfolglos mit 
Phosphor behandelt war, wurde in hoffnungs¬ 
losem Zustande mit Heissluftbädem begonnen. 
Dieselben haben schon nach einem Monat 
den Erfolg, dass Patientin ohne Schmerzen 
niesen kann und nach drei Monaten ist selbst¬ 
ständiges Gehen auch auf Treppen möglich. — 
Ob neben der Erzeugung einer intensiven dif¬ 
fusen Hauthyperämie und damit Entlastung der 
hyperämisch gestauten Gefässbezirke des Periosts 
und Knochenmarkes noch die reichliche Aus¬ 
scheidung organischer Säuren bei der Wirkung 
der Heissluftbäder in Betracht zu ziehen ist, 
lässt Verfasser unentschieden. 

Determann (St. Blasien). 

Louis Murat, L’ile deDjerba, Station d’hiver. 

Archives gönörales de Mödecine 1901. September. 

Die Insel Djerba, vor der Küste von Tunis 
gelegen, ist als Winterstatiou für Lungen¬ 
kranke sowohl innerhalb wie ausserhalb Frank¬ 
reichs noch fast unbekannt, trotzdem sie sich 
in hohem Maasse dafür eignet Das Klima ist 
dort ein sehr mildes, die mittlere Temperatur 
in den Wintermonaten noch höher als in Algier 
und Tunis, auch die übrigen klimatischen Ver¬ 
hältnisse sind sehr günstig, Regentage und Tage 
mit starkem Sirokko sind hier seltener als irgend¬ 
wo anders an der nordafrikanischen Küste. Die 
Lage im Mittelmeer einerseits, die Nähe der 
Wüste andererseits bedingen eine Reinheit und 
Milde der Luft, die den französichen Schriftsteller 
Flaubert zu dem Ausspruch in Bezug auf die 
Insel Djerba veranlasste: »L’air est si doux quäl 
erapöche de mourir«. Mehr kann man füglich 
von einem Kurort für Lungenkranke nicht ver¬ 
langen. Die subtropische Vegetation auf der 
Insel ist eine sehr reichliche, die Verhältnisse 
bezüglich Wohnung und Verpflegung der Kur¬ 
gäste sind befriedigend, wie Murat versichert, 
und haben, worin sie sich von denen ähnlicher 
Winterkurorte unterscheiden, vor allem den Vor¬ 
zug der Billigkeit. Ob das so bleiben wird, 
wenn die Insel erst einmal »entdeckt« worden 
ist, ist freilich eine andere Frage; eine Zeit lang 
wird sie wohl noch deshalb davor geschützt 


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Referate über BQcher und Aufsätze. 309 


bleiben, weil sic erst in einer 6tägigen Seefahrt 
von Marseille aus zu erreichen ist Diese See¬ 
fahrt bietet aber, da sie für viele Phthisiker 
schon Selbstzweck ist, keine Kontraindikation 
dafür, nicht allzu Schwerkranke nach jener Insef 
für den Winter zu schicken, die aus den an¬ 
geführten Gründen die Konkurrenz mit Corfu, 
Madeira, Algier und ähnlichen Winterstationen 
wohl anfnehmen kann. 

A. Laquour (Berlin). 


Cazinx, Sur 1a prltendne Absorption cutanee 
dans 1© bain. Annales d’hydrologic et de 
diraatologie mödicales Bd. 6. No. 9. 

Cazaux schliesst sich der heute allgemein 
gültigen Auffassung an, dass eine Resorption 
medikamentöser Bäderzusätze durch die un¬ 
verletzte, unveränderte Haut nicht er¬ 
folgen kann, es sei denn, dass di eso Chemikalien 
an sich schon Veränderungen, wenn auch gering¬ 
fügiger Art, an der Epidermis bewirken (wie 
z. B. die keratolytisch wirkenden: Salicylsäure, 
Karbolsäure, Phenol). Trotzdem glaubt Cazaux 
an eine spezifische Wirkung der Medikamente 
enthaltenden Badewässer, speziell auch der 
Mineralwasser, und lässt es dahingestellt, ob 
man sich dieselbe durch Reizung, oder Ab¬ 
leitung, oder durch Entstehung von elektrischen 
Strömen erklären will. A. Laqueur (Berlin). 


D. Elektrotherapie. 

P. Ishewsky, Ueber die Wirkung des 
wechselnden elektromagnetischen Feldes 
auf den Organismus. Nachrichten der kaiser¬ 
lichen militärmedicinischen Akademie 1901. 
No. 3. März. 

Ishewsky studierte an gesunden Menschen 
den Einfluss des durch Wechselströme von starker 
Frequenz und hoher Spannung erhaltenen elektro¬ 
magnetischen Feldes auf den Organismus, wobei 
er seine Aufmerksamkeit nur denjenigen physio¬ 
logischen Funktionen des Körpers zuwendetc, 
welche durch ziffermässige Daten zum Ausdruck 
gebracht werden können. Es wurden also unter¬ 
sucht die Pulsfrequenz, die Häufigkeit der Athera- 
züge, die Hautsensibilität, die Kraft der Hände, 
die elcktrokutane und elektromuskulärc Reizbar¬ 
keit dem induzierten Strome gegenüber. Ausser¬ 
dem wurden Beobachtungen aufgenommen über 
die Veränderungen der Lungenkapazität während 
der Sitzung im Magnetfcldc und über die 
Alterationen der Puls- und Respirationsqualität 


unter dem Einflüsse der Sitzung. Alle diese 
Untersuchungen fanden an 52 jungen Leuten 
von fast demselben Alter (22—25 Jahren) statt; 
die Versuchspersonen waren hauptsächlich 
Studierende der militärmedicinischen Akademie 
von älteren Semestern. Ausser diesen Versuchen 
wurden noch die Schwankungen des Blutdruckes 
an Menschen und an Hunden registriert. Auch 
die Luft wurde in den Bereich der Untersuchungen 
gezogen, und zwar wurde die Menge des in der 
Luft enthaltenen Ozons bestimmt, welches unter 
dem Einflüsse der hochgespannten Wechselströme 
sich entwickelt. Auf Grund seiner sorgfältigen 
Experimente kommt der Autor zu dem Schluss, 
dass das wechselnde elektromagnetische Feld auf 
unmittelbarem Wege Veränderungen in dem 
Organismus hervorruft. Der grösste Effekt tritt 
in den am meisten peripher gelegenen Theilcn 
des Körpers, d. h. in der Haut, zum Vorschein. 
Im allgemeinen aber machen sich folgende 
Alterationen in dem Verhalten des Organismus 
unter dem Einflüsse des elektromagnetischen 
Feldes der hochgespannten und starkfrequenten 
Wechselströme bemerkbar: 1. der Pulsschlag 
wird langsamer und voller; 2. die Respiration 
wird seltener und tiefer; 3. die Hautsensibilität 
wird in Bezug auf den Raumsinn (mit dem 
Web er*sehen Tasterzirkel gemessen) gesteigert; 
4. die elcktrokutane Sensibilität dem Induktions¬ 
strome gegenüber wird erhöht; 5. die elektro- 
muskuläre Kontraktilität durch den induzierten 
Strom wird nicht verändert; 6. die Kraft der 
Hände bleibt ebenfalls ohne Veränderung; 7. die 
Lungenkapazität wird um ein Unbedeutendes ver¬ 
ringert; 8. der Blutdruck steigt. 

Ausser den eben beschriebenen Wirkungen 
der Sitzungen in dom elektromagnetischen Felde 
konnte der Autor noch nachweisen, dass sie nicht 
ohne Einfluss auch auf andere Funktionen des 
Organismus blieben. Am meisten in die Augen 
fallend ist der Effekt auf die Steigerung der 
Lebhaftigkeit und Beweglichkeit und der 
schnellere Eintritt von völliger Erholung nach 
anstrengender geistiger Beschäftigung. Während 
der Sitzung empfinden die Versuchspersonen ge¬ 
wöhnlich nichts besonderes; nur wenn sie 
15 Minuten überdauert, zeigt sich bei ihnen ein 
leichtes Ermüdungsgefühl. Nach der Sitzung 
dagegen, besonders Dach einer solchen von 5 bis 
10 Minuten Dauer, tritt eine geringe Aufregung 
auf, welche sich durch eine gehobene Gemüths- 
stimmung und durch Zufluss von Energie 
dokumentiert. Müde, schlaffe Personen, die es 
besonders unter dem Einflüsse der Fettleibigkeit 
geworden sind, werden wieder lebhafter, be¬ 
weglicher. Wenn man alles eben auseinander¬ 
gesetzte in Betracht zieht und dazu noch die 


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310 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Angaben über die Steigerung des Gaswechsels, 
die Erhöhung des Stoffwechsels und das An¬ 
steigen des Blutdruckes im Auge behält, so muss 
man nach der Meinung des Verfassers zu dem 
Schlüsse gelangen, dass wir in der Behandlung 
mit dem wechselnden elektromagnetischen Felde 
ein mächtiges therapeutisches Mittel gegen solche 
Leiden erworben haben, welche durch ein all¬ 
gemeines Sinken des Ernährungszustandes des 
Organismus bedingt werden. 

A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch). 

Margaret A. Cleayer, A Bipolar Rectal Elec- 
trode. Tho Journal of physical therapeutics 
1902. Bd. 3. No. t. 

Verfasser empfiehlt zur Behandlung lokaler 
Kongestionen im Rektum die Anwendung alter¬ 
nierender (sinuoidaler oder inducierter) Ströme 
mittels einer bipolaren Rektalclektrode. Eine Ab¬ 
bildung der Elektrode ist der Abhandlung bei- 
gegeben. F. Frankenhäuser (Berlin). 


F. H. Will lang, Some cases of cancer treated 
by the X-Rays. Boston med. and surg. journ. 
Bd. 145. Heft 11. 

Will ians erläutert an der Hand von vier 
Autotypien, die zwei Fälle inoperablen Epithelioms 
des unteren Augenlides vor und nach der Heilung 
darstellen, eine Reihe von ähnlichen Fällen, ver¬ 
säumt jedoch ihre Anzahl anzugeben. Die Be¬ 
strahlungen wurden fast immer mehrere Wochen 
hindurch je einige Minuten zwei- bis dreimal 
wöchentlich fortgesetzt. In leichten Fällen ge¬ 
nügten zehn oder noch weniger Bestrahlungen. 

Cowl (Berlin). 

E. Schiff, Therapeutische Anwendung der 
Röntgenstrahleu bei Haarerkrau klingen. 
Wiener medicin. Blätter 1901. Heft 40. 

In einer gemeinsamen Sitzung der Ab¬ 
theilungen für Dermatologie, Chirurgie und 
Röntgenologie der Naturforscherversammlung in 
Hamburg erstattete Schiff ein Referat über die 
Röntgentherapie der Haarerkrankungen, nament¬ 
lich über diejenigen Fälle, wo eine Epilation als 
Kur oder als Mittel zur Kur auch sonst Verwendung 
findet, in erster Reihe Hypertrichosis, Sykosis 
und Favus. Er beschrieb ferner seine Behand¬ 
lungsmethoden und berichtete über äusserst 
günstige Frfolge. Dass die Ausheilung beim 
Favus nicht allein der von den Röntgen- 
stiahlen bewirkten Epilation zuzuschreiben war, 
könnte man daran erkennen, dass schon bevor 


die Haarstümpfe ausfielen, der Ausschlag ab¬ 
trocknete. Er fügte noch hinzu, dass Albers- 
Schönberg, Gassmann und Schenkel, Hahn 
und Kienböck ähnliche Erfolge erzielt batten. 
Eine Heilung von Alopecia arcata, wie von 
letzterem Autor berichtet wurde, hat der Verfasser 
noch nicht verzeichnen können. Technisch-klinisch 
und mit Rücksicht auf die Vermeidung von un¬ 
erwünschten Entzündungen zieht er die weniger 
intensiv wirkenden harten den weichen Strahlen 
vor. Er unterbricht die Sitzungen beim Auftreten 
von Hyperämien, die von den etwa schon be¬ 
stehenden abstechen. Cowl (Berlin). 


E. Verschiedenes. 

F. Blumenthal, Pathologie des Harnes am 
Krankenbett. Berlin-Wien 1902. (Urban & 
Schwarzenberg.) 

An ausführlichen Monographien, die sich 
mit der Pathologie des Harnes beschäftigen, ist 
gerade kein Ueberfluss. Gewöhnlich wird der 
Gegenstand in den zahlreichen Werken, die w'ir 
über mikroskopische und chemische Diagnostik 
überhaupt besitzen, etwas kursorisch abgehandelt 
und von der an und für sich schon nicht grossen 
Zahl von Büchern, die sich eingehender mit der 
Semiotik des Harnes befassen, entsprechen die 
meisten nicht mehr dem heutigen Stande unserer 
Kenntnisse. Mit um so grosserer Freude ist es 
daher zu begrüssen, dass der Verfasser, der ja 
selbst vielfach auf diesem Gebiete erfolgreich 
mitgearbeitet, sich der Mühe unterzogen hat, 
in dem vorliegenden Buche für den Arzt und 
für den Studierenden zu zeigen, wie gross die 
Hilfsmittel der klinischen Chemie sind und wie 
werthvolle Fingerzeige sic, richtig und mit Kritik 
angewendet, dem Arzt in der Klinik und am 
Krankenbett geben. Es ist eine fast erdrückende 
Fülle von Stoff, dio der Verfasser auf den 400 
Seiten verarbeitet hat; aber mit besonderer Freude 
kann Referent anerkennen, dass es sich nicht um 
eine blos referierende Aneinanderreihung einzelner 
Befunde und Thatsachen handelt, sondern dass 
bei jedem Kapitel der Leser das Gefühl hat, dass 
der Autor über dem Stoff steht und dass die 
etwas spröde Materie mit grossem Geschicke und 
interessant dargestellt ist. 

Das Buch zerfällt in zwei Theilc: In dem 
ersten sind die einzelnen chemischen Substanzen 
des Harnes abgehandelt; der zweite schildert die 
Veränderungen des Harnes in den verschiedensten 
pathologischen Zuständen. Es ist wohl kaum 
eine wichtigere Arbeit der letzten Jahre, die 
nicht ihre Würdigung gefunden hätte; und nicht 
blos dem Studierenden, den es in die Materie ein- 


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311 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


führt, nicht blos dem praktischen Arzt, dem es I 
die Bedeutung der klinischen Chemie vor Augen 
führt, auch dem, der auf dem Gebiete der 1 
Harnchemic wissenschaftlich arbeitet, wird, 
namentlich durch die Fülle der Litteratumach- 
weise, das Buch ein zuverlässiger Führer sein. 
Wir sind überzeugt, dass es in kurzer Zeit weite 
Verbreitung finden und sich in der Bibliothek 
des Arztes, der in seinem diagnostischen Können 
auf der Höhe bleiben will, einen dauernden Platz 
erobern wird. 

Die Ausstattung des Buches, das v. Leyden 
zu seinem 70. Geburtstage gewidmet wurde, ist, 
wie dies bei dem bewährten Ruf der Verlags¬ 
buchhandlung natürlich, eine vorzügliche. 

P. F. Richter (Berlin). 


Szegft, Dispositionskatarrhe der Kinder und 
deren Behandlung. Klinisch - therapeutische 
Wochenschrift 1001. 17. Februar. 

Bei vielen Kindern besteht eine auf einer 
ererbten Disposition basierende oder im Gefolge 
schwerer, den Organismus schwächender Infek¬ 
tionskrankheiten erworbene, durch geistige Ueber- 
anstrengungen, allzu rasches Körperwachsthum 
und schlechte, hygienische oder soziale Ver¬ 
hältnisse begünstigte Neigung zu häufig 
recidivierenden Erkältungskatarrhen der Nase, 
des Rachens, Kehlkopfes und der Bronchien; 
meist handelt es sich um schwächliche und 
anämische Individuen, bei denen torpide 
Schwellungen der ccrvikalen Drüsen, Hyper¬ 
trophie der Tonsillen, adenoide Vegetationen 
das bekannte Bild der lymphatisch-skrophulösen 
Konstitution vervollständigen. Szegö räth, der¬ 
artige Kinder nicht zu verzärteln, wie es von 
ärztlicher Seite und vor allem durch übertrieben 
ängstliche Mütter noch vielfach geschehe, warnt 
jedoch auch vor dem anderen, in allzu rigorosen 
Abhärtungsprozeduren gipfelnden Extrem und 
plaidiert dafür, in zielbewusster Weise die kleinen 
Patienten durch geeignete Mittel abzuhärten und 
sie systematisch an die äusseren schädlichen Ein¬ 
wirkungen zu gewöhnen. Eine allgemeine 
Kräftigung des Organismus und damit zugleich 
eine Verminderung oder gänzliche Beseitigung 
der katarrhalischen Disposition lässt sich schnell 
und völlig gefahrlos am Meeresstrande erzielen, 
wo die klimatischen Verhältnisse ihre machtvolle 
Unterstützung bieten und die stimulierende 
Wirkung der Seeluft, die Reinheit, der Ozon¬ 
reichthum und hohe Feuchtigkeitsgehalt derselben, 
die durch die Nähe des Meeres bedingte mildere 
Temperatur, die starke Insolation, welche den 
ganzen Winter hindurch, wenigstens an ge¬ 
schützten Stellen, einen Aufenthalt im Freien 


ermöglicht, als höchst wirksame Faktoren für 
die Abhärtung sich kombinieren. Eine be¬ 
sondere, bisher unbeachtet gebliebene Eigen¬ 
heit des Seeklimas ist die mit der stimulierenden 
Wirkung der Seeluft zusammenhängende Ver¬ 
minderung der Empfindlichkeit gegen niedere 
Temperaturen der äusseren Atmosphäre; die 
Temperatur von 10° R, die im Binnenlande 
schon unangenehmes Frösteln hervorruft, lässt 
am Meeresstrande ein Kältegefühl überhaupt 
nicht auf kommen. 

Die Abhärtungskuren in dem von Szegö 
geleiteten Kindersanatorium zu Abbazia variieren 
je nach der Jahreszeit. Die Kinder nehmen im 
Sommer im Freien ein kurzes, wenige Minuten 
dauerndes Seebad und tummeln sich den grössten 
Theil des Tages auf dem nächst dem Strande 
angelegten Spielplatz, wo sie barhäuptig und 
barfüssig in dem vom Seewasser durchtränkten 
Sande spielen; nur ganz schwache und blutarme 
Patienten, die schon auf geringe Bewegungen 
mit Herzklopfen und Ermüdung reagieren, 
werden in der ersten Zeit statt der Behandlung 
mit Bädern zu völlig ruhigem Liegen angehalten. 
Im Winter erhalten die Kinder in der hydro- 
pathischen Abtheilung der Anstalt anfangs jeden 
zweiten bis dritten Tag, später allabendlich vor 
dem Nachtessen in erwärmtem Seewasser (von 
26 ü abwärts gehend) ein Halbbad von drei bis 
fünf Minuten Dauer mit intensiver Frottierung 
und nachfolgender abkühlender Bespritzung oder 
Uebergiessung des ganzen Körpers. Neben 
dieser allgemeinen Behandlung wird manchmal 
auch eine lokale erforderlich, welche z. B. bei 
chronischem Nasenkatarrh in Ausspülungen mit 
Seewasser, Einpinselungen etc., bei Mandel¬ 
hyperplasie und adenoiden Wucherungen in 
chirurgischen Eingriffen besteht; medikamentöse 
Behandlung der tieferen Luftwege lässt sich in 
der Regel vermeiden. 

Die bei Dispositionskatarrhen und Schwäche¬ 
zuständen aller Art vom Verfassscr in relativ 
kurzer Zeit erreichten Heilerfolge und Besserungen 
sind aus einer der Arbeit beigefügten Tabelle 
zu erkennen, in welcher die einzelnen (57) Fälle 
nach Alter und Geschlecht, Summe der in der 
Anstalt verbrachten Tage, GewichtsVerhältnissen, 
Lokalisation der katarrhalischen Dispositionen 
und ätiologischen Momenten übersichtlich rubri¬ 
ziert sind. Hirschel (Berlin). 


L. Steiner, Wie die Javanen narkotisieren. 
Archiv für Schiffs- und Tropenhygieno 1901. 
Bd. 5. No. 12. 

Von den javanischen Hcilkünstlem wird die 
Kompression der Karotis (Tarik Urat Tidor = 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


312 


Schlafader ziehen) ausgeübt, um eine momentane 
Müdigkeit und Schlaf zu erzielen. Verfasser hat 
eich von der Wirksamkeit und relativen Unge¬ 
fährlichkeit der Methode sowohl an den Ver¬ 
suchen der eingeborenen Mcdicinmänner, im be¬ 
sonderen eines Spezialisten darin, Namens Pa 
Saitan, als auch durch eigene Beobachtungen 
an 30 Javancn überzeugen können. Vor dem 
Patienten sitzend umfasst er beiderseits die Seiten 
des Halses und versucht mit den Daumen hinter 
und etwas über den Karotiden diese gegen die 
Wirbelsäule zu drücken, und zwar in nicht über¬ 
mässig starker Weise. Vier der Personen, an 
denen das Verfahren vorgenommen wurde, wollen 
keine Wirkung verspürt haben; bei den übrigen 
wurde folgendes beobachtet: 

Sobald mit dem Drucke begonnen war, 
wurde die Person unruhig, athmete tief und 
häufig; nach kurzer Zeit, oft schon nach einer 
halben Minute, fiel der Kopf nach rückwärts und 
Schlaf schien sich cinzustellen. Sobald Bewusst¬ 
losigkeit cingetreten war, wurden die Karotiden 
wieder losgelassen. Die Leute reagierten nicht 
mehr auf Zuruf, auch nicht auf Kneifen oder 
Nadelstechen; eine Hautfalte konnte getrost durch¬ 
stochen, einmal auch eine eitrige Drüse geöffnet 
werden, ohne dass die Betreffenden etwas davon 
merkten oder hinterher noch eine Erinnerung 
hatten. Licss man die Eingeschlafenen, nachdem 
der Druck nachgelassen, ruhig sitzen, so blieben 
sie einige Minuten in diesem Zustande. Rief 
man sie an oder schüttelte sie, so erwachten sic 
bald, sahen verwundert um sich und wussten 
erst gar nicht, was mit ihnen geschehen war. 
Einige Leute behaupteten, einen Traum gehabt 
zu haben. 

Der Puls blieb während der Prozedur un¬ 
verändert, manchmal verlangsamte er sich etwas. 
Die Gesichtsfarbe veränderte sich meistens nicht 
merklich (cs handelte sich zumeist auch um In¬ 
dividuen mit magerem Halse), nur bei Leuten mit 
stärkerem Halse trat leichtcCyanose ein.DiePupillen 
blieben meistens unverändert, manchmal wurde 
Hippus beobachtet. Die Reaktion auf Lichtcin- 
fall war stets erhalten. Bemerkenswerth ist nur, 
dass in den meisten Fällen mehr oder weniger 
ausgeprägte, über den ganzen Körper sich kaum 
erstreckende Muskeizuckungen sich einstcllten, 
die manchmaal sehr leicht, ab und zu aber auch 
sehr heftig und bedenklich sich ausserten; je 
mehr Uebung Steiner in dem Drücken der 
Karotiden bekam, um so seltener und leichter 
schienen ihm die Zuckungen zu sein. Nach dem 
Erwachen hatten die Leute keinerlei Beschwerden 
oder Missempfindungen. Auch der Umstand, 
dass niemand zögerte, sich immer wieder der 


Prozedur zu unterziehen, lässt darauf schliessen, 
dass man keine unangenehmen Nebenerscheinungen 
beobachtet haben kann. Verfasser dehnte seine 
Versuche auch nur auf wenige Minuten aus. 
Unter der Voraussetzung, dass man es mit ge¬ 
sunden Menschen zu thun hat, hält er die Kom¬ 
pression derKarötis für ungefährlich und angebracht 
zur Anästhesie bei kleineren Operationen, ferner 
gegen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Störungen 
des Gehirns u. a. ra. Die Schnelligkeit, mit der 
die Unempfindlichkeit eintritt und wieder auf¬ 
gehoben worden kann, das Fehlen der Nach- 
wehen und der Umstand, dass die Anästhesie 
hervorgebracht wird, ohne ein Gift in den Körper 
zu bringen, kann dieser Methode als Vorzug 
dienen. Buschan (Stettin). 

Ernst Meissen, Beiträge zur Kenntnis» der 
Lungentuberkulose. Wiesbaden, J. F. Berg¬ 
mann. 1901. 

Während der letzten Jahre ist die Anzahl 
eingehender Berichte, welche die Besitzer von 
Heilanstalten für Lungenkranke veröffentlicht 
haben, immer mehr und mehr angewachsen. 
Wenngleich die Litteratur der Tuberkulose für 
den Einzelnen kaum mehr zu bewältigen ist, — 
beziffert sich doch ein kurzer Jahresbericht, in 
welchem die während des letzten Jahres auf dem 
Gebiete der Tuberkulose erschienenen Arbeiten 
zusammengestellt wurden, auf über 700 Nummern, 
so ist cs doch dankbar zu begrüssen, wenn so 
hervorragendePhthiseotherapeuten wie Meissen, 
die Ergebnisse aus den reichen Schätzen ihrer 
Erfahrung kritisch zusammcnstellcnd, berichten. 
Meissen’s und seiner Mitarbeiter Arbeiten sind 
bisher grösstcntheils nur in einzelnen Aufsätzen 
veröffentlicht worden, während liier dieselben 
nach dem Vorgang der früheren B re hm er¬ 
sehen Veröffentlichungen in zwangloser Weise 
ancinandergcrciht sind. Im ganzen handelt cs 
sich um 12 verschiedene Kapitel, die wir hier 
nicht einzeln referieren können, da sie sich mit 
den Zielen unserer Zeitschrift nicht decken. Als 
besondere werthvoll möchten wir aber wenig¬ 
stens einzelne erwähnen; so das Kapitel: »Wie 
können die Fachärzte zur Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose beitragen?«, ferner über die »Verbreitungs- 
weisc der Lungenschwindsucht«, über »die Misch¬ 
infektion der chronischen Lungenschwindsucht« 
(G. Schröder), »Uebcr das frühe Erkennen und 
über den Begriff Heilung der Lungentuberkulose«, 
über »Hcirath und Tuberkulose« und schliesslich 
über »die vermeintlichen Blutveränderungen im 
Gebirge«. Paul Jacob (Berlin). 


Berlin, Druck von W. Büxenstein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 6 (September). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. y. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 


Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. seit« 

I. Ucber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. Von Geh. Med.- 

Rath Prof. Dr. Albert Hoffa in Berlin. Mit 22 Abbildungen. 315 

II. Ucber die Behandlung der Enuresis. Aus der inedicinischen Klinik des Professors 

R. v. Jak sch in Prag. Von Karl Walko, klinischem Assistenten.328 

III. Ucber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 1. Mittheilung: Einfluss auf den 

osmotischen Druck und den Wassergehalt. Von Dr. Karl Grube in Neuenahr. 

Mit 1 Abbildung.334 

IV. Ucber das Nah rungsbedürf niss der Diabetiker. Aus der I. medicinischen Klinik des 

Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger 

(Schluss).339 

V.' Zur Therapie der Barlow ; schen Krankheit. Von Dr. C. Bolle in Berlin.354 


II. Kleinere Mittheilungren. 

Ucber die Diät Friedrichs des Grossen. Von Dr. Gotthold Ludwig Mamlock, Volontär- 
assistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.- 
Rath Professor Dr. v. Leyden).357 


III. Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Biernacki, Beobachtungen über die Glykolyse in pathologischen Zuständen, insbesondere 

bei Diabetes und funktionellen Neurosen. 

Sachs, Ucber das Verhalten der Glykogenbildung ausserhalb der Leber nach Lävulosezufuhr 

Cohnheim, Die Undurchlässigkeit der Wand der Harnblase. 

v Bange, Ueber ein Kochsalzsurrogat der Negerstämme im Sudan. 

Bielfeld, Zur Frage über die amylolytische Wirkung des Speichels. 

Moreigne, Ueber die Wirkung der Abführmittel auf die Ernährung. 

Tittel, Versuche über die Verwendbarkeit des Fleischsaftes Puro. 

Gerhardt, Ueber Entfettungskuren. 

Cremer, Ueber die Verwerthung der Rhamnose im thierisehen Organismus und einige damit 

zusammenhängende Fragen der Physiologie der Kohlehydrate. 

Strass er, Zur Frage der Milchkuren bei Diabetes. 

Cohnheim, Die Heilwirkung grosser Dosen von Olivenöl bei organischen und spastischen 
Pylorus- und Duodenalstenosen und deren Folgezuständen (Gastrektasic) . . . . 

Zeitechr. t dlÄi n. pbyslk. Therapie Bd. VI. Heft 6. 


301 

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314 


Inhalt. 


Seite 

B. Gymnastik. 

Reich ard, Funktionsherstellang durch Sehnen Verpflanzung.363 

Judson, Ueber Stützapparate bei Rückgratsverkrümmung.363 

Rost’s Vibrationsapparat für Heilgymnastik.364 

Laquer, Bemerkungen zur physikalischen und suggestiven Behandlung der nach Unfällen 

auftretenden Neurosen.364 

C. Hydro-, Balneo- and Klimatotherapie. 

Loewenthal, Ueber Wärme als Heilmittel.364 

Munter, Die Hydrotherapie der Lungentuberkulose.364 

Dctermann, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke .... 365 

D. Elektrotherapie. 

Bang, Der gegenwärtige Stand der biologischen Lichtforschung und der Lichttherapie . . 365 

Brautlecht, Ueber den Nachweis anorganischer Gifte, speziell des Arsens, mittels Röntgen- 

strahlen.366 

Beck, On a case of sarcoifla treated by the Röntgen rays.306 

Rieder, Nochmals die bakterientötende Wirkung der Röntgcnstrahlen.366 

Jellinek, Animalische Effekte der Elektrizität.366 

E. Serum- and Organotherapie. 

Cattle, Remarks on the relation of human and bovine tuberculosis.307 

Thomas, Notiz über den Gebrauch grossor Dosen von Diphtherieserum.367 

Walger, Therapie mit spezifischem menschlichem Rekonvalescentenblutscrum bei akuten 

Infektionskrankheiten.367 

Hedou, Sur la transfusion, aprös les hömorragies, de globules rouges purs en Suspension 

dans un sörum artificiel.368 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 J /2— 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten. 


I. 


lieber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung 1 ). 

Von 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Albert Hoffa 
in Berlin. 

Meine Herren! Wenn ich mir als Vortragsthema für den heutigen Abend die 
orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmungen gewählt habe, so geschah 
dies deshalb, weil es mir gerade hierbei möglich sein wird, Ihnen die Fortschritte 
vor Augen zu führen, die sowohl die mechanische als die operative Orthopädie in 
in den letzten Jahrzehnten gemacht haben. 

Das Krankheitsbild der spinalen Kinderlähmungen ist Ihnen allen, meine Herren, 
ein wohl geläufiges. Sie wissen, dass die Erkrankung meistens Kinder in den ersten 
Lebensjahren befällt, dass sie meistens ganz plötzlich einsetzt, dass die Lähmung in 
der Regel zunächst mehrere Körpertheile befällt, dass sie sich dann an einzelnen 
Theilen zurückbildet, und dass sie schliesslich, wo sie bestehen bleibt, zur Ent¬ 
wickelung von Schlottergelenken oder Kontrakturen führt. Schlottergelenke erhalten 
wir dann, wenn alle ein Gelenk bewegenden Muskeln einer vollständigen Lähmung 
verfallen sind. Die Kontrakturen entwickeln sich dagegen, wenn ein Theil der 
Muskeln funktionsfähig geblieben ist, und zwar sind bestimmend für die Art der 
entstehenden Kontraktur einmal die willkürliche Kontraktion der nicht gelähmten 
Antagonisten, und zweitens die eigene Schwere des Gliedes und die Belastung des¬ 
selben durch das Körpergewicht. 

Wir treffen die paralytischen Kontrakturen an allen Körperstellen an. Wir 
haben die Torticollis paralytica, wir haben die paralytischen Lordosen, Kyphosen und 
Skoliosen, die paralytischen Kontrakturen oder Schlottergelenke der Schulter, an 
der Hand und den Fingern, die paralytischen Kontrakturen, Schlottergelenke und 
Luxationen an der Hüfte, die paralytischen Deformitäten des Kniegelenks und 
schliesslich die mannigfachen Deformitäten des Fusses in Gestalt des Spitz-, Klump-, 
Platt-, Hacken- und Hohlfusses. 

Jede dieser einzelnen Deformitäten kann für sich bestehen; vielfach sind sie 
aber auch kombiniert und nicht nur an einer, sondern an beiden Körperhälften vor¬ 
handen. Die unglücklichen Kinder sind dann nicht im stände, sich aufrecht zu er¬ 
halten, sondern vermögen oftmals nur auf allen Vieren sich mühsam fortzubewegen. 

Genauer auf die einzelnen Krankheitsbilder einzugehen, verbietet mir die kurze, 
mir zugemessene Zeit. Die einzelnen Deformitäten sind ja auch so häufig, dass sie 
Ihnen allen wohl bekannt sind. Die Kürze der Zeit verbietet mir aber auch, alle 
die therapeutischen Maassnahmen zu besprechen, welche zur Behandlung der spinalen 
Kinderlähmungen angegeben worden sind. Ich will nur erwähnen, dass wir in der 


i) Nach einem im Verein für innere Mcdicin zu Berlin gehaltenen Vorträge. 

22 * 


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31 fi Albert Hoffa 

elektrischen Behandlung der gelähmten Muskeln, in der Massage, Gymnastik, in 
redressierenden Manipulationen, in warmen Bädern, in der Applikation heisser, 
trockener Wärme und in reizenden Abreibungen genug Mittel und Wege haben, die 
vitale Energie der gelähmten Theile nach Möglichkeit zu kräftigen. Jedenfalls 
empfiehlt es sich, die Behandlung der spinalen Kinderlähmung so frühzeitig als 
möglich zu beginnen. Es ist ja bekannt, dass diese Lähmungen im ersten Stadium 
ihres Bestehens eine grosse Neigung zur Spontanheilung zeigen, indem ein Theil der 
ursprünglich bestehenden Lähmungen zurückgeht, um sich dann auf ein bestimmtes 
Gebiet zu beschränken. In diesem Gebiet aber soll man sich die Lähmungen mit 
ihren Folgen nicht festsetzen lassen, sondern soll vielmehr von Anfang an die Natur 
in ihren Heilbestrebungen unterstützen; namentlich soll man von vornherein durch 
geeignete Maassnahmen die Entstehung paralytischer Kontrakturen verhüten. Haben 
sich nun aber solche Kontrakturen entwickelt, so tritt nunmehr die eigentliche ortho¬ 
pädisch-chirurgische Behandlung in ihr Recht, indem sie die möglichst vollkommene 
Herstellung der normalen Form und Funktion der Glieder zu erreichen strebt. 

Das erste Hilfsmittel der eigentlich orthopädischen Behandlung der Kontrakturen 
ist die Redression derselben. Diese Redression der paralytischen Kontrakturen 
gelingt im allgemeinen viel leichter, als die der angeborenen Deformitäten. Man 
versucht sie zunächst allein durch die Händekraft zu erreichen. Gelingt dies nicht 
oder nur unvollkommen, so wirkt vielfach unterstützend die subkutane Tenotomie 
oder die offene Durchschneidung aller der Weichtheile, welche sich der Gerade¬ 
richtung des Körpertheiles entgegensetzen. Am Knochen zu operieren hat man nur 
sehr selten nöthig. Nach vollendeter Redression wird das Glied gewöhnlich zunächst 
im Gipsverband in der gewünschten Stellung fixiert. Nimmt man die Gipsverbände 
dann nach einigen Wochen ab, so ist der gewünschte Zweck meistens erreicht. Das 
Glied hat seine normale Gestalt, doch tritt, da ja die ursprüngliche Lähmung 
weiterbesteht, sehr bald ein Rccidiv auf, wenn man nicht die geeigneten Maass¬ 
nahmen trifft, um dq,s erzielte Resultat dauernd zu erhalten. Diese geeigneten 
Maassnahmen haben wir nun in der Verordnung geeigneter orthopädischer Apparate 
oder in der Verwerthung spezieller Operationen an den Muskeln und Sehnen. 

Ich möchte nun die Gelegenheit benutzen, Ihnen zunächst die Verbesserungen 
zu schildern, die die Anfertigung der bezüglichen orthopädischen Apparate in den 
letzten Jahrzehnten gemacht hat. Als Heine in Würzburg im Jahre 1840 seine 
berühmt gewordene Mittheilung über die von ihm so genannten essentiellen Kinder¬ 
lähmungen machte, beschrieb er gleichzeitig Stützvorrichtungen für die gelähmten 
Glieder, die derart gebaut waren, dass seitliche, in gewissen Abständen mit Ringen 
versehene Schienen an die gelähmten Extremitäten angelegt wurden. Seit Heine 
sind derartige Schienen vielfach in Gebrauch genommen und sind es auch noch 
heute, obgleich ihnen viele Mängel anhaften. Zunächst üben die Ringe auf die 
unterliegenden Weichtheile einen zu einseitigen Druck aus und bewirken darum 
gerade an diesen Stellen eine stärkere Atrophie. Zudem geben sie nie einen wirk¬ 
lich verlässlichen Halt, wenn sie nicht fest angeschnürt werden, in welch’ letzterem 
Falle sie wieder durchaus ungünstig auf die Cirkulation des betreffenden Gliedes 
einwirken. Es war daher ein grosser Fortschritt, als man diese Ringe durch Hülsen 
ersetzte, welche einen gleichmässigen, auf grössere Partieen wirkenden und darum 
die Cirkulation viel weniger beeinträchtigenden Halt am Körper ermöglichen. 
Hatte man nun auch schon vorher solche Hülsen verwerthet, so war es doch erst 
llessing, welcher uns die Hülsen in vollendeter Form zu bauen lehrte. Es ist 


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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 317 

» 

Hessing’s unbestreitbares Verdienst, uns gezeigt zu haben, dass sich wirklich zweck¬ 
entsprechende Hülsen nur über einem ganz exakt gearbeiteten Modell des be¬ 
treffenden Gliedes hersteilen lassen. Hessing selbst benutzte Holzmodelle; ich 
zeigte dann, dass es leicht möglich ist, auch brauchbare Gipsmodelle zu verwerthen, 
indem man nur das ursprüngliche Gipsmodell mit Stärkebinden überzieht. Dadurch 
wird es zur Herstellung der Hülsen völlig geeignet. Ueber diesen Modellen, welche 
die Körperkonturen absolut genau wiedergeben, werden also Hülsen gearbeitet. 
Diese Hülsen können aus den verschiedensten Materialien, aus Gips, Wasserglas, 
Celluloid, Hornhaut u. s.w. gemacht werden; am besten eignet sich aber das Leder 
dazu, das, über die Modelle gewalkt und dann getrocknet, eine ausserordentlich 
haltbare und dabei doch sehr leichte Hülse erzielen lässt. Die einzelnen für den 
betreffenden Fall nothwendigen Hülsen werden nun durch seitliche, entsprechend den 
Gelenken mit Scharnieren versehene Schienen verbunden. So entstehen aus Schienen 
und Hülsen bestehende und darum als Schienenhülsenapparate bezeichnete 
Apparate. Diese Schienenhülsenapaarate stellen das Vollendetste dar, was wir zur 
Zeit in der Apparattechnik besitzen. Zur Behandlung der Kinderlähmungen lassen 
sie sich in der mannigfachsten Weise verwerthen. Einmal vermögen sie, wie 
gesagt, die nach der Redression einer Kontraktur hergestellte normale Form 
eines Gliedes dauernd festzuhalten in einer für den Patienten möglichst be¬ 
quemen und ihn am wenigsten belästigenden Form. Die Apparate werden nämlich 
unter den Kleidern getragen. Ueber den Apparat wird eventuell ein Strumpf ge¬ 
zogen und ein besonderer Schuh angefertigt, so dass der Apparat selbst gar nicht 
auffallend zu Tage tritt. 

An den Apparaten lassen sich nun sehr gut die verschiedensten Hilfsmittel der 
orthopädischen Technik anbringen, um irgend einen gewünschten Zweck zu erreichen. 
So verwenden wir sehr oft Gummizüge zum Ersatz der paralytischen 
Muskeln. Ich zeige Ihnen hier zunächst einmal einen zur Behandlung des 
paralytischen Spitzfusses dienenden Apparat mit sogenannten Vorfusszügeln 
(Fig. 28), welche die gelähmten Muskeln an der Streckseite des Unterschenkels er¬ 
setzen sollen. Die Zügel sind beiderseits an dem vorderen Theil des Fussbleches 
angeschraubt und werden in der gewünschten Spannung kreuzweis an Knöpfen der 
Seitenschienen befestigt. So halten sie den Fuss in Dorsalflektion fest. Hier sehen 
Sie ferner einen Calcaneusapparat (Fig. 29). An ihm ist die fehlende Waden¬ 
muskulatur durch einen Gummizug ersetzt, der, am Fersentheil des Fussbleches 
inserierend, bei seiner Anspannung den Fuss dauernd in Spitzfussstellung hält. 
Sehr häufig sind wir genöthigt, einen künstlichen Quadriceps an den Apparaten 
anzubringen. Dieser besteht aus einem Bügel, der an den Kniegelenksscharnieren 
des Apparates befestigt wird und auf seiner Höhe kreuzweise übereinander befestigte 
Gummibänder trägt. Diese Gummibänder werden je am Ober- und Unterschenkel 
beiderseits an den Schienen in der nothwendigen Spannung festgeknöpft (Fig. 30). 
Beugt der Patient das Knie, so ziehen die elastischen Bänder den Unterschenkel 
gleich wieder in Strecksteilung zurück. Sie spielen also die Rolle der defekten 
Streckmuskulatur. Schliesslich zeige ich Ihnen noch einen Apparat zur Behandlung 
des paralytischen Klumpfusses (Fig. 31). Sie sehen hier auf der Innenseite 
des Apparates in der Höhe des Fussgelenks zwei Scharniere über einander liegen. 
Diese beiden Scharniere gestatten einmal die Dorsalflektion und zweitens die Pro¬ 
nation des Fusses. Die Dorsalflektion erreichen wir wiederum durch die schon vorher 
genannten Vorfusszügel, die Pronation dagegen durch einen Gummizug, den wir von 


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318 Albert Hoffa 

der Aussenseite des Fussbleches nach dem oberen Ende der Unterschenkelschiene 
verlaufen lassen. Verlegen wir die doppelten Scharniere an die Aussenseite des 
Apparates und lassen den seitlichen Gummizug ebenfalls an der Innenseite des 
Apparates in die Höhe gehen, so eignet sich der Apparat sehr gut auch zur Be¬ 
handlung des paralytischen Plattfusses. 

Haben wir in den bisher geschilderten Vorrichtungen die Gummibänder zum 
Ersatz paralytischer oder paretischer Muskeln verwerthet, so benutzen wir in anderen 
Fällen den elastischen Zug direkt als redressierende Kraft. So benutzen wir 
z. B. zur Beseitigung von Beugekontrakturen des Hüftgelenkes ein starkes, breites 
Gummiband, welches einerseits am hinteren Theil der Oberschenkelhülse befestigt, 
anderentheils am oberen Bügel des Beckengürtels angeknüpft, den Oberschenkel stark 
nach hinten zieht (Fig. 32). Oder aber wir bringen den Gummizug auf der vorderen 
Seite des Apparates an. Dann bedienen wir uns folgender Vorrichtung: An dem 
die Spina ilei ant. sup. umfassenden Theil des Beckengürtels ist ein gerade nach 
abwärts verlaufender Stahlstab angebracht, welcher an seinem unteren Ende einen 
Knopf trägt. An diesen Knopf wird nun das untere Ende eines Gummizuges an¬ 
geknöpft, dessen oberes Ende an einen Knopf befestigt wird, der in der Mitte 
eines am oberen Ende der Oberschenkelhülse angebrachten Bügels befestigt wird. 
Das Anknüpfen des Gummibandes geschieht unter starker Anspannung des Gummis. 
Das Gummiband hat dann das Bestreben, sich auf seine ursprüngliche Länge zurück¬ 
zuziehen. Damit drängt es aber die beiden vorher genannten Knöpfe auseinander, 
und drängt damit einmal den Beckengürtel nach oben, andrerseits die Oberschenkel¬ 
hülse und damit den Oberschenkel nach unten und hinten. So geschieht die 
Korrektur der Beugestellung des Oberschenkels unter gleichzeitiger Extension des¬ 
selben (Fig. 33). 

Ist bei einer spinalen Kinderlähmung ein Bein völlig gelähmt, so vermögen 
die Patienten dasselbe zum Gehen nur so zu gebrauchen, dass sie durch Beckenhebung 
das Bein vorwärts schleudern, dass sie dann mit der Ferse auf den Boden auftreten 
und nun durch starke Üeberstreckung des Knies einen Halt zu finden suchen. Diesen 
Patienten kann man das Gehen nun ausserordentlich erleichtern, ja vielfach erst er¬ 
möglichen, wenn man ihnen einen das ganze Bein umfassenden Stützapparat ver¬ 
ordnet. Ein solcher Stützapparat muss in besonderer Weise gebaut sein. Er muss 
bis zum Tuber ischii reichen, so dass die Patienten auf dem gut gepolsterten Sitz¬ 
ring reiten. Die Körperlast wird dann von dem Fussblech aus direkt auf das Becken 
übertragen. Dazu müssen die Kniegelenke natürlich fixiert sein. Stellt man nun aber 
das Kniegelenk von vornherein fest, so ist das sehr unbequem für den Patienten, denn 
er muss das Knie geradeausgestreckt halten, sobald er sich hinsetzt. Das geht noch, 
wenn nur ein Bein gelähmt ist, wird aber äusserst unbequem, wenn beide Beine von 
der Lähmung betroffen sind, so dass Stützapparate für beide Beine nothwendig werden. 
In solchen Fällen muss man die Apparate so einrichten, dass sie das Knie in ge¬ 
rader Stellung festzustellen erlauben, gleichzeitig aber auch das Sitzen 
mit gebeugtem Knie gestatten. Solcher Vorrichtungen, welche das Kniegelenk 
zeitweise in gestreckter Stellung festzuhalten, zeitweisezu beugen gestatten, kennen 
wir eine ganze Reihe. Am einfachsten sind Schieber- oder riegelartige Vorrichtungen 
in der Weise, dass ein auf der einen Schiene laufender kleiner Stahlriegel in ein 
bügelartiges Stück der zweiten Schiene hereingeschoben wird, in gleicherweise, wie 
man eine Thür verriegelt. Ferner benutzt man vielfach das Prinzip der ein¬ 
springenden Feder, indem durch einen Federmechanismus ein Zapfen der einen 


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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 319 

Schiene zum Einschnappen in ein Loch der anderen Schiene gebracht wird. Alle 
diese Vorrichtungen besitzen den gleichen Nachtheil: Mangel der Haltbarkeit. Ich 
habe sie daher alle verlassen, und es ist mir nach vielen Versuchen gelungen, schliess¬ 
lich zwei automatisch wirkende Sperrvorrichtungen zu konstruieren, welche 
einfach und absolut haltbar sind und ihren Zweck sicher erfüllen. 

Die erste dieser Vorrichtungen (Fig. 34a und 34b) benutze ich dann, wenn es 
möglich ist, das Knie ganz zu strecken und wenn gleichzeitig kein Genu valgum 
besteht Ich benutze in diesem Falle einen federnden Stahlbügel, der an der hinteren 
Seite des Oberschenkels von der Aussenschiene zur Innenschiene reicht, ein wenig 
oberhalb der Kniegelenkslinie angebracht ist und beweglich in der Oberschenkel¬ 
schiene steckt. Die Schenkel des Bügels stehen parallel zu den Seitenschienen und 
enden beiderseits mit kleinen, einwärts gerichteten Zapfen. Entsprechend den 
Schenkeln dieses Bügels sind an den Oberschenkelschienen kleine Fortsätze in Form 
schiefer Ebenen angebracht. Die Erhöhung derselben geht beiderseits nach aussen. 
Die Unterschenkelschienen reichen zu beiden Seiten blattförmig einige Centimeter über 
die Scharniergelenke hinaus. An ihrem oberen Ende sind Löcher eingebohrt, in 
welche die Bügelzapfen einschnappen. Ist das Bein gestreckt, so greifen die Zapfen 
des Bügels durch die Löcher der Unter- und Oberschenkelschiene und fixieren so das 
Gelenk (Fig. 34a). Die Wölbung des Bügels ruht dabei dicht an der Wölbung des 
Oberschenkels, während der Winkel des Bügels nach vorn von der Oberschenkel¬ 
schiene steht. Die Schenkel des Bügels stehen dann garnicht in Berührung mit der 
Oberschenkelschiene, ausser dort, wo die Zapfen einschnappen. Wird nun der Bügel, 
den man mit der Hand durch die Kleider hindurch dirigieren kann, gesenkt, so gleiten 
die Schenkel auf den obengenannten, an den Obersckenkelschienen angebrachten schiefen 
Ebenen in die Höhe, sodass die Schenkel der Bügel parallel mit der Oberschenkel¬ 
schiene zu liegen kommen. Dadurch werden die Zapfen aus den Löchern der Unter¬ 
schenkelschienen herausgehebelt, und die Beugung des Kniees ist nun ermöglicht 
(Fig. 34 b). Soll das Kniegelenk beim Aufstehen der Patienten wieder fixiert werden, 
so genügt ein leichter Druck auf das Kniegelenk, um den Bügel in die Höhe gleiten 
und die Zapfen in die Unterschenkelschienen eingreifen zu lassen; damit ist dann 
das Kniegelenk wieder festgestellt. 

Die eben geschilderte Vorrichtung benutze ich wie gesagt nur dann, wenn sich 
das Knie ganz gerade ausstrecken lässt. Ist dagegen, wie es oft der Fall ist, ein 
leichter Grad von Genu valgum vorhanden, so benutze ich eine andere Sperr¬ 
vorrichtung, die auch vortrefflich wirkt (Fig. 35 a u. 35 b). Ein das Knie hinten um¬ 
greifender Stahlbügel artikuliert hinten und aussen an der Oberschenkelschiene direkt 
oberhalb des Kniescharniers. Von der Mitte dieses Bügels geht hinten ein Gummi¬ 
band nach abwärts zum unteren Theil der Unterschenkelhülse. Wird das Knie¬ 
gelenk gestreckt, so spannt sich dieser Gummizug fest an und lässt zwei an den 
Bügelschienen angebrachte Vorsprünge in den hinteren Absatz des Kniescharniers 
einspringen, damit ist dann das Kniegelenk fest fixiert. Will sich der Patient setzen, 
so greift er von hinten in die Kniekehle hinein, hebt den Bügel etwas in die Höhe, 
bringt damit die Vorsprünge aus den Kniescharnieren wieder heraus, giebt damit 
die Kniebeugung frei. 

Seitdem wir diese geschilderten Sperrvorrichtungen verwenden, d. h. seit jetzt 
etwa drei Jahren, haben wir in Verbindung mit gut sitzenden Schieneuhülsenapparaten 
unsere Patienten wirklich erhebliche Erleichterungen in der Fortbewegung verschafft. 
Sie gestatten mir wohl, Ihnen einige Patienten zu demonstrieren, welche derartig 


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Albert Iloffa 


320 


ausgestattete Apparate tragen, und Sie werden mir zugeben, dass sicli etwas voll¬ 
kommeneres kaum denken lässt. (Demonstration.) 

Handelt es sich um die Ermöglichung des Gehens bei starkem Genu recur- 
vatum so erhalten die Patienten Apparate, deren Kniescharniere man einfach so 
arbeitet, dass eine Ueberstreckung unmöglich ist. Die Patienten können dann in 
solchen Apparaten recht gut stehen und gehen (Fig. 36 a u. 36 b). 

Sind beide Beine gelähmt und erstreckt sich'die Lähmung gleichzeitig 
auch auf die Rückenmuskulatur, so fertigt man für solche Kranken am besten 
ein gut sitzendes Stoffkorsett an, und bringt dann die Schienenhülsenapparate durch 
Scharniere in Verbindung mit den Bügeln des Korsetts. Man kann auch an den 
Hüftgelenksscharnieren ohne grosse Schwierigkeit Sperrvorrichtungen nach dem 
Prinzip der springenden Feder anbringen, doch lässt sich auch ohne solche Sperr¬ 
vorrichtung eine gute Feststellung der Hüfte erreichen durch ein breites von dem 
unteren Ende der Oberschenkelhülse nach dem Hüftbügel des Korsetts ziehendes 
Gummiband (Fig. 37 a). Es ist für den Orthopäden eine der grössten Freuden, wenn 
es ihm gelingt, solche Patienten, die bisher auf den Rollstuhl oder auf Krücken an¬ 
gewiesen waren, wieder im wahrsten Sinne des Wortes auf die Beine zu bringen, 
und zwar mit solchem Erfolge, dass sie oft im stände sind, selbst ohne Hülfe von 
Stöcken zu gehen (Fig. 37 a, b u. c). 

Das bisher Gesagte sollte Ihnen, meine Herren, einen Begriff geben von der 
Leistungsfähigkeit der modernen Orthopädie auf dem Gebiete der Apparattechnik. 
Es ist damit natürlich lange nicht alles erschöpft, was auf diesem Gebiete gearbeitet 
worden ist. Ich könnte Ihnen noch zahlreiche andere Vorrichtungen schildern, auch 
solche, welche bei den paralytischen Deformitäten der oberen Extremitäten in Ver¬ 
wendung kommen und Ihnen zeigen, wie man durch Verbindung der Apparate mit 
Hebeln, Federn und Spiralen irgend einen gewünschten Zweck zu erreichen gesucht 
und auch erreicht hat. Das würde mich aber hier viel zu weit führen. Jedenfalls 
hoffe ich, Ihnen gezeigt zu haben, dass sich gerade in der Hand des denkenden 
Arztes die Apparatbehandlung der Lähmungen recht segensreich verwerthen lässt. 

So grosse Fortschritte nun auch die Apparatbehandlung der paralytischen 
Deformitäten gemacht hat, für den Einzelnen, der verurtheilt ist, einen Apparat, 
womöglich Zeit seines Lebens tragen zu müssen, hat auch der vollkommenste Apparat 
seine grossen Schattenseiten. Die Apparate selbst müssen doch von Zeit zu Zeit 
erneuert werden, das macht mehr oder weniger grosse Kosten; ferner ist nicht zu 
bezweifeln, dass bei ständigem Gebrauch eines Apparates eine beträchtliche Atrophie 
der betreffenden Glieder eintritt. Wir kämpfen allerdings gegen die Entstehung 
einer solchen Atrophie nach Möglichkeit an, indem wir empfehlen, täglich eine 
energische Massage der atrophischen Muskeln vornehmen zu lassen. Das wird aber 
der Bequemlichkeit wegen sehr oft unterlassen, und so tritt die Atrophie doch ein. 

Bei diesem Stand der Dinge nimmt es nicht Wunder, dass man bei dem Auf¬ 
blühen der antiseptischen Wundbehandlungsmethode bald auf den Gedanken kam, 
ob es nicht möglich sein würde, den armen gelähmten Patienten auf operativem 
Wege Hilfe zu bringen. 

Albert in Wien war der erste, der diesen Gedanken verwirklichte. Im Jahre 
1877 führte er seine erste Arthrodesenoperation aus. Diese Arthrodesenoperation 
hat die Absicht, eine künstliche Versteifung der paralytischen Gelenke 
herbeizuführen. Die unteren Extremitäten sollten durch diese Operation gewisser- 
maassen in lebendige Stelzen umgewandelt werden, so dass die Patienten unabhängig 


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und physik. Therapie. Bd. VI. Heft 6. 


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Zeitschrift für diät, und physik, Therapie. Bd. VI, Heft. 6. 


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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 321 

von Apparaten sein würden oder doch wenigstens mit ganz einfachen Stütz¬ 
vorrichtungen auskommen könnten. Die Albert’sche Idee wurde bald von vielen 
Seiten aufgegriffen, und es wird heutzutage die Arthrodese, d. h. die künstliche 
Ankylosierung eines paralytischen Gelenkes in geeigneten Fällen vielfach geübt. 
Man macht sie aber nicht nur an der unteren, sondern auch an der oberen Extremität, 
indem man z. B. den Oberarm an das Schulterblatt anheftet. Die durch die Arthro¬ 
dese gewünschte knöcherne Ankylose lässt sich nur durch eine blutige Er¬ 
öffnung der Gelenke, Anfrischung der Gelenkenden und direkte Ver¬ 
einigung derselben durch die Naht mit Silberdraht, durch Einschlagen von Nägeln 
oder durch Einführung von Elfenbeinstiften in die Markhöhlen erreichen. Des öftern 
erzielt man namentlich am Fussgelenk keine völlige Ankylose, aber auch eine straffe 
fibröse Verwachsung der Gelenkenden giebt brauchbare Resultate. 

Die Arthrodese ist an sich eine ungefährliche Operation. Ich habe selbst wieder¬ 
holt z. B. beide Kniegelenke in einer Sitzung mit Erfolg ankylosiert. Deshalb soll 
man sich aber doch nicht verleiten lassen, die Arthrodese zu früh auszuführen. 
Sie ist vielmehr erst dann angezeigt, wenn man alle Hilfsmittel der Therapie 
mindestens Va — 1 Jahr lang vergeblich angewendet hat und die Lähmung trotz aller 
Mühe keine Spur von Besserung zeigt. So ist und bleibt die Arthrodesenoperation 
nur ein ausnahmsweise vorzunehmender Eingriff. 

Glücklicherweise hat uns nun die letzte Zeit eine Operationsmethode geschenkt, 
die dazu bestimmt ist, die Arthrodesenoperation noch mehr als bisher einzuschränken, 
eine Operation, welche es uns heute ermöglicht, früher ganz ungeahnte Erfolge zu 
erzielen und die uns vielfach gestattet, die früher gelähmten Patienten so herzustellen, 
dass sie gar keiner orthopädischen Apparate mehr bedürfen. Es ist dies die so¬ 
genannte Sehnentransplantation. 

Die Sehnentransplantation bezweckt bei sonst unheilbaren Muskellähmungen 
auf operativem Wege die Sehnen gesunder, aber wenig bedeutender Nachbar¬ 
muskeln auf die funktionsuntüchtigen Sehnen zu überpflanzen und so die 
Thätigkeit der gesunden Muskeln auf diese letzteren zu übertragen. Die Sehnen¬ 
transplantation ist eine Erfindung Nicoladoni’s. Derselbe führte sie zuerst aus 
zur Heilung eines Pes calcaneus mit Lähmung der Wadenmuskulatur, indem er die 
Musculi peronei hinter dem Mallcolus externus durchschnitt, dann ebenso die Achilles¬ 
sehne über der Ferse durchtrennte und nun die centralen Enden der Peronealsehnen 
mit dem Stumpf der Achillessehne vernähte. Die Verwachsung trat ein, und der Er¬ 
folg war ein guter. 

Die Operation Nicoladoni’s wurde in den letzten Jahren sehr häufig wieder¬ 
holt und empfohlen, namentlich Drobnik, Franke, Vulpius, Hoffa und Lange 
in Deutschland, Goldwhait in Amerika, Codivilla in Italien haben sich um ihre 
Verwerthung und Vervollkommnung verdient gemacht. Heutzutage wird sie nicht nur 
in dem ursprünglichem Sinne Nicoladoni’s ausgeführt, dass man die Funktion 
eines gesunden Muskels auf einen gelähmten zu übertragen sucht, man übt vielmehr 
auch noch die Theilung der Funktion eines Muskels, indem man dessen Sehne 
nur theilweise an den gelähmten Muskel annäht. 

Sehen wir zunächst zu, in welcher Weise der kraftspendende Muskel mit dem 
gelähmten in Verbindung gebracht werden kann, so kommen hier wesentlich vier 
Methoden in Betracht: 

1. kann man die Sehne eines noch vollkommen funktionstüchtigen Muskels 
durchtrennen, um seinen centralen Stumpf der Sehne des gelähmten Muskels ein- 


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322 Albert Hoffa 


zuverleiben und dadurch der letzteren neue Kraft zuzuführen; diese Methode wird 
nur ausnahmsweise verwerthet, und zwar dann, wenn der betreffende gesunde Muskel 
für seinen ursprünglichen Zweck entbehrlich ist. Denn nur so ist ja seine voll¬ 
kommene Ausschaltung ohne Schädigung der Aktionsfähigkeit des betreffenden Gliedes 
gerechtfertigt. Als Beispiel möchte ich die Ueberpflanzung des gesunden Flexor 
carpi ulnaris auf den gelähmten Extensor digitorum communis anführen. 

2. Die zweite Möglichkeit der Sehnenüberpflanzung ist die, dass man die Sehne 
des gelähmten Muskels durchschneidet, dass man das centrale Ende derselben ganz 
ausser Acht lässt, das periphere Ende dagegen möglichst centralwärts an den kraft¬ 
gebenden Muskel annäht. Denken wir uns z. B. einen paralytischen Pes equinus, 
bei dem der Musculus tibialis anticus gelähmt, der Extensor digitorum communis 
longus dagegen erhalten ist. Man durchtrennt dann in solchem Falle die Sehne des 
Tibialis anticus, bringt den Fuss in möglichst starke Dorsalflexion und näht nun 
das pheriphere Ende des Tibialis anticus möglichst centralwärts an die Sehne des 
Extensor digitorum longus an. Man erreicht damit einmal, dass das Fussgelcnk 
durch die vorhandene Spannung in dorsal flektierter Lage bleibt, dann aber, dass 
nach eingetretener Verwachsung der Sehnen jede Kontraktion des Extensor digitorum 
den peripheren Tibialistheil mit sich emporzieht und so einen der Tibialiskontraktion 
ähnlichen Effekt hervorbringt. 

3. Die dritte Modifikation der Sehnentransplantation gestaltet sich derart, dass 
man von der Sehne eines vollkommen erhaltenen Muskels einen Theil, etwa die 
Hälfte, abzweigt und diesen abgezweigten Theil dann in der nothwendigen Korrektions¬ 
stellung des Gelenkes mit der Sehne des gelähmten Muskels fest vernäht. Am 
häufigsten wird in dieser Weise ein Theil der Achillessehne verwerthet, um die 
Kraft der Wadenmuskulatur für die Thätigkeit der gelähmten Musculi peronei, des 
gelähmten Tibialis anticus oder der gelähmten Zehenstrecker in Anspruch zu nehmen. 

4. Neuerdings hat Mainzer die Sehnenplastik auf einem indirekten Wege 
ausgeführt, indem er wegen zu grosser Kürze der zu überpflanzenden Sehnen ein 
Stück gesunder Sehne zwischen die beiden zu kurzen Sehnenenden einpflanzte. 

Ich habe vorgeschlagen die Operation, bei der die Sehne eines gelähmten 
Muskels oder ein Theil derselben an die Sehne eines funktionsfähigen Muskels an¬ 
genäht wird, eine passive, die Operationen dagegen, bei der die funktionsfähige 
Sehne, oder ein Theil derselben auf die gelähmte Sehne transplantiert wird, eine aktive 
Ueberpflanzung zu nennen; denn im ersten Fall wird eine nichtthätige, passive Sehne 
an eine kraftgebende angenäht, während im zweiten Fall die Sehne eines aktiven 
Muskels auf einen gelähmten Muskel übertragen wird. Die Kombination beider 
Methoden würden wir dann als aktiv-passive Transplantation bezeichnen. 

Eine besondere Form der Sehnentransplantation ist schliesslich die von Lange 
angegebene periostale Sehnenverpflanzung. Der kraftspendende Muskel wird 
in diesem Falle nicht mit dem gelähmten Muskel, sondern direkt mit dem Periost 
vernäht. So schafft man neue Muskelansätze an den Knochen, die normaler Weise 
gar nicht existieren, und hat es dadurch in der Hand, die gewünschte Funktion 
möglichst günstig zu gestalten. Bei einer Lähmung des Extensor digit. pedis würde 
man beispielsweise eine abgespaltene Partie des Tibialis anticus mit der Dorsalseite 
des Os cuboideum vernähen. Die Methode hat ihre entschiedenen Vorzüge, nament¬ 
lich auch deshalb, weil bei der Bildung des neuen Muskels keine atrophische Sehne 
verwendet wird. 


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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 323 

Hand in Hand mit der geschilderten aktiven, passiven oder aktiv-passiven 
Sehnentransplantation übt man nun zur Erreichung brauchbarer Resultate noch 
Operationen an den Sehnen, die man als Sehnen Verkürzung und Sehnen¬ 
verlängerung bezeichnet, und ich muss nach meiner Erfahrung sagen, dass man 
gerade durch die Kombination der genannten Methoden die besten Erfolge 
zu erzielen vermag. 

Die Sehnenverkürzung kann man entweder so ausführen, dass man die Sehne 
durchschneidet, die Sehnenenden gegeneinander verschiebt und sie dann unter mög¬ 
lichster Anspannung der beiden durchschnittenen Enden vernäht, oder man verkürzt 
die Sehne durch Faltenbildung, indem man die Sehne mit einem starken Seiden¬ 
faden durchflicht und die beiden Enden des Seidenfadens dann stark anzieht und 
fest verknüpft. 

Wie ich schon öfters betont habe und wie dies Lange auch neuerdings wieder 
hervorgehoben hat, spielen die Sehnenverkürzungen eine grosse Rolle beim 
Zustandekommen guter funktioneller Resultate. Die gelähmten Muskeln sind 
vielfach infolge der auf sie einwirkenden Schwerkraft oder infolge der 
auf sie ’einwirkenden Belastung zu lang geworden; sie sind passiv ge¬ 
dehnt und haben dadurch ihre normale, zu ihrer Funktion nothwendige 
Spannung verloren. Diese normale Spannungsfahigkeit muss nun wieder her¬ 
gestellt werden, und das erreichen wir durch die Verkürzung der betreffen¬ 
den Sehnen. 

Soll ich Ihnen einen derartigen konkreten Fall schildern, so wollen wir den Pes 
valgus paralyticus als Beispiel nehmen. Bei dieser Deformität besteht eine passive 
Dehnung des Musculus tibialis posticus. Legen wir uns nun die Sehne dieses Muskels 
bloss, ziehen die Sehne aus ihrer Scheide bei möglichster Supination des Fusses hervor, 
durchschneiden sie, verschieben die Sehnenenden gegen einander und vernähen sie 
unter möglichsterAnspannung mit einander, so erreichen wir eine beträchtliche 
Verkürzung des Musculus tibialis posticus, und geben ihm so die Möglichkeit, seine 
Funktion, die er wegen seiner passiven Verlängerung nicht ausüben konnte, wieder 
aufzunehmen. 

Die Sehnenverlängerung macht man nach Bayer derart, dass man die 
Sehne treppenförmig spaltet, die beiden Enden der Länge nach verschiebt und die 
Querschnitte vernäht. 

Auf die Technik der eigentlichen Sehnentransplantation näher einzu¬ 
gehen, ist hier nicht der Platz. Selbstverständlich ist, dass man sich, bevor man 
an die Operation herangeht, einen genauen Operationsplan macht, wofür eine 
genaue elektrische Untersuchung der Muskulatur des Patienten unerlässlich 
ist Ist man trotzdem nicht im stände zu unterscheiden, ob der betreffende Muskel 
ganz oder nur theilweise gelähmt ist, so kann man während der Operation durch 
die Farbe des Muskels Klarheit gewinnen; der kräftige funktionstüchtige Muskel 
ist dunkelroth, der gelähmte infolge seiner fettigen Degeneration gelblichweiss, der 
paretische mehr oder weniger rosaroth gefärbt. 

Ist die Sehnentransplantation ausgeführt, so wird das betreffende Glied in über¬ 
korrigierter Stellung durch einen Gipsverband fixiert. Die Hautnähte entfernt man 
nach 3—5 Tagen durch ein Fenster im Verbände. Nach 4—8 Wochen wird der 
Verband entfernt und nun die Nachbehandlung mittels Massage, Gymnastik und 
Elektrizität einige Wochen hindurch geübt. 


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Albert Hoff» 


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Es ist nun sehr interessant, dass oft schon nach wenigen Wochen, nach Ab¬ 
nahme des ersten Verbandes, der Erfolg der Transplantation sichtbar ist, so dass 
z. B. nach Ueberpflanzung eines Theiles der Achillessehne auf die gelähmten Peronei 
der Patient im stände ist, mittels der Wadenmuskulatur die gewünschte Pronations¬ 
bewegung des Fusses, die vor der Operation ganz unmöglich war, auszuführen. 
In anderen Fällen stellt sich die erstrebte Bewegung erst nach und nach ein. Wieder 
in anderen Fällen muss man zufrieden sein, wenn man nur die abnorme Gelenk¬ 
stellung beseitigt und eine dauernde Korrektion der Deformität erreicht hat. 

Die Frage, in welcher Weise der kraftspendende Muskel zu seiner neuen Thätig- 
keit angeregt wird, ist physiologisch sehr interessant, aber noch nicht definitiv ent¬ 
schieden und auch wohl in den verschiedenen Fällen verschieden zu beantworten. 
In einigen Fällen, namentlich in denjenigen, wo der Erfolg der Operation schon nach 
wenigen Wochen deutlich in die Erscheinung tritt, glaube ich dies darauf zurückführen 
zu müssen, dass die betreffenden Muskeln infolge der Lähmung den zu ihrer Wirkung 
nothwendigen Spannungszustand verloren hatten. Durch die Operation wurde 
ihr, wie ich sagen möchte, normaler Spannungsgrad wieder hergestellt, und 
dadurch wurde ihnen ihre Funktion wieder ermöglicht. Ich habe in dieser Beziehung 
wiederholt sehr schöne Beobachtungen gemacht. So habe ich z. B. gelegentlich ein¬ 
mal bei einer seit 14 Jahren bestehenden kompleten Facialislähmung die Entstellung 
des Gesichtes durch eine Keilresektion aus der Wange behoben. Merkwürdigerweise 
stellte sich nun bei dieser Patientin nach der Operation die Beweglichkeit der vorher 
total gelähmten Wange, wenn auch nur in gewissen Grenzen, wieder her. Ich kann 
mir das nur so erklären, dass vor der Operation die gelähmten Theile durch die 
Schwere der Wange passiv so gedehnt waren, dass selbst durch den elektrischen 
Strom keine Zuckung mehr ausgelöst werden konnte. Erst als durch die Operation 
die gedehnten Muskeln verkürzt waren und sie gewissermaassen ihre normale Länge 
wieder erhalten hatten, kehrte ihre Kontraktionsfähigkeit wieder zurück. Meine 
Annahme von dem Einfluss der Wiederherstellung des normalen Spannungsgrades 
auf die Wiederkehr der Funktion hat, wie ich schon hervorgehoben habe, sicher 
nur für eine Reihe von Fällen Gültigkeit. In den anderen, und zwar in der Mehr¬ 
zahl der Fälle muss wohl, wie dies zuerst Drobnik und Eulenburg betont haben, 
durch die Transplantation gewissermaassen ein neues Muskelindividuum entstehen, 
welches durch Anpassung der Gehirnrinde allmählich eine gewisse Selbstständigkeit 
der Innervation und Funktion erlangt. Die Anpassung der Koordinationscentren 
an die veränderte Wirkungsweise der Muskeln entsteht jedenfalls durch immer wieder¬ 
holte centripetale sensible Erregungen aus dem Gebiete der verlagerten Muskeln. 
Zweifellos ist es hochinteressant, dass man zur Kraftübertragung nicht nur solche 
Muskeln benutzen kann, die vermöge ihrer Funktion den gelähmten Muskeln nahe¬ 
stehen, dass man vielmehr ganz entgegengesetzt wirkende Muskeln zur Kraftüber¬ 
tragung benutzen kann, und trotzdem ein gutes funktionelles Resultat erzielt. 

Um Ihnen, meine Herren, nun einen Begriff über die Resultate zu geben, die 
wir mittels der geschilderten Operationen an den Sehnen erzielen können, will ich 
mir erlauben, Ihnen einige von mir operierte Fälle vorzustellen, die ich gerade zur 
Hand habe. Ich habe bisher nahezu 100 Sehnentransplantationen vorgenommen. Wie 
bei allen anderen Operationen geht es auch hier. Je grösser die Erfahrung des 
Einzelnen wird, desto besser werden die*Resultate. Man lernt, wie man im gegebenen 
Fälle die noch erhaltenen Muskeln am zweckmässigsten verwerthen kann. Des öfteren 
lässt es sich nicht umgehen, zweizeitig, zu operieren. Will man z. B. einen para- 


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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 


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lytischen Klumpfuss heilen, so thut man gut, zunächst die Adduktion und Supination 
des Fusses zu korrigieren und in einer zweiten Sitzung erst den Spitzfuss zu be¬ 
heben. Ich stimme darin ganz mit Schanz überein. Ganz besonders will ich noch¬ 
mals hervorheben, dass stets der richtige Spannungszustand an den operier¬ 
ten Muskeln hergestellt wird, denn sonst bleibt der gewollte Effekt aus. 

Ich will Ihnen nun zunächst an einem ganz interessanten Beispiel die Wirkung der 
Sehnenplastik demonstrieren. Sie sehen hier ein Kind, das an einem doppelseitigen Pes 
ealcaneo-valgus gelitten hat. Die rechte Seite ist operiert worden, die linke nicht. Es ist 
rechts die Achillessehne verkürzt und der Peroneus longus auf die Achillessehne aufgenäht 
worden; es ist ferner der Tibialis post, verkürzt worden. Legt man nun den Jungen auf 
den Rücken und hält beide Beine senkrecht in die Höhe, so sehen Sie, wie auf der linken 
nicht operierten Seite der Fuss sofort in seine Calcaneovalgusstellung fällt, der rechte 
operierte Fuss bleibt dagegen in völlig rechtwinkliger guter Mittelstellung stehen. Durch 
die Sehnenplastik hat er also wieder eine vollständig normale Stellung erhalten. Dieses 
eben gezeigte Kind soll ihnen nur den unmittelbaren Effekt der Sehnenplastik vor Augen 
fahren. 

Um Ihnen nun aber zu zeigen, dass die Sehnenplastik nicht nur unmittelbare 
gute Erfolge aufweist, sondern dass wir wirklich im stände sind, mittels der¬ 
selben sehr gute dauernde Heilresultate zu erzielen, will ich Ihnen eine 
Reihe von Fällen demonstrieren, bei denen die Operation schon vor längerer Zeit — 
theilweise vor zwei Jahren — ausgeführt wurde, so dass Sie hier wirklich die End¬ 
resultate vor sich sehen. Ich beginne mit den Operationen an der oberen Extremität, 
und zeige Ihnen zunächst einen Fall von paralytischem Schlottergelenk der 
Schulter. 

Es handelt sich um ein 17jähriges Mädchen, welches in seinem zweiten Lebensjahre 
die Kinderlähmung acquirierte. Es blieb, wie Sie aus der Photographie (Fig. 38 a) ersehen, 
ein typisches paralytisches Schlottergelenk der rechten Schulter zurück mit hochgradigster 
Atrophie der ganzen Oberarmmuskulatur. Der Oberarm war vollständig funktionsunfähig. 
Ich habe in diesem Fall den Muse, cucullaris von seinen Ansatzstellen an der Clavicula 
und am Schulterblatt abgelöst und habe ihn dann auf den ganz atrophischen Muse, deltoides 
aufgenäht. Trotzdem sich im Verlaufe der Heilung einige Seidenfäden ausstiessen, ist das 
funktionelle Endresultat ein gutes geworden (Fig. 38 b). Wie Sie sehen, vermag die Patientin 
nun mit ihrem Cucullaris den Oberarm kräftig in die Höhe zu heben (Fig. 38 c). Der Ober¬ 
armkopf wird dabei bis in die Höhe des Akromion emporgehoben. Die Patientin ist sehr 
zufrieden mit der Gebrauchsfähigkeit ihres Armes; während sie vor der Operation ganz 
hilflos war, ist sie jetzt ohne jede Schwierigkeit als Verkäuferin in einem Modewarengeschäft 
thätig. 

Ich zeige Ihnen ferner einen schönen Fall geheilter Radialislähmung. Der jetzt 
14 jährige Knabe hatte die Lähmung seit seiner frühesten Kindheit. Die Hand hing in der 
bekannten typischen Stellung herab und konnte absolut nicht dorsal flektiert werden. Ich 
habe in diesem Falle den Flexor carpi radialis und Flexor carpi ulnaris auf die Extensoren 
der Hand aufgenäht und gleichzeitig diese Extensoren durch Faltung verkürzt. Sie sehen 
nun, dass wir ein geradezu ausgezeichnetes Operationsresultat erreicht haben. Der Junge 
kann nunmehr seine Hand in nahezu normalen Grenzen dorsal- und volarwärts flektieren 
und kann die Finger kräftig beugen und strecken. Aehnlichc Fälle habe ich bereits früher 
veröffentlicht und abgebildet. Dieser Junge ist leider vor der Operation nicht photographiert 
worden. 

Von den Sehnenplastiken der unteren Extremität zeige ich Ihnen zunächst zwei Fälle, 
in denen ich den gelähmten Quadriceps nach der von Lange und Fedor Krause zuerst 
ausgeführten Operationsweise durch die Beugemuskeln an der hinteren Seite des Ober¬ 
schenkels ersetzt habe. In beiden Fällen ist die Operation so ausgeführt worden, dass 
durch zwei Längsschnitte an der hinteren Seite des Oberschenkels der Musculus biceps und 
semimembranosus von ihrem Ansatz am Unterschenkel abgelöst wurden; beide Muskelenden 
wurden dann nach vorn geführt und von einem vorderen Längsschnitt aus an den inneren 


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Albert Hoffa 


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respektive äusseren Rand der Patella fest angenäht Hier der erste Knabe ist 5, der 
zweite 9 Jahre alt. Wie Sie nun sich überzeugen können, vermögen beide Knaben ihre 
früher ganz gelähmten Beine ohne jede Schwierigkeit in völlig gestreckter Stellung von der 
Unterläge zu erheben und in gestreckter Lage hochzuhalten. Ebenso können sie jetzt wieder 
nahezu völlig normal herumgehen. 

Kommen wir nun zu den Sehnenplastiken an den Füssen, so kann ich Ihnen auch 
hier vortreffliche Dauerresultate vorstellen: 

Fräulein E. P. kam mit einem rechtsseitigen hochgradigsten paralytischen Plattfuss und 
linksseitigem paralytischen Klumpfuss vor zwei Jahren in unsere Behandlung (Fig. 39a). An 
beiden Füssen sind eine Reihe von Operationen vorgenommen worden. Zunächst wurde an 
dem rechten paralytischen Plattfuss die Achillessehne gespalten und der abgespaitene Zipfel 
mit dem peripheren Ende der durchschnittenen Tibialisanticussehne vernäht, der Tibialis 
posticus verkürzt und der Rest der Achillessehne verlängert. Am linken Fuss wurde nur 
der Tibialis anticus verkürzt Später wurde dann an diesem linken Fuss in einer Nach¬ 
operation ein Theil der Achillessehne auf die Peroneen verpflanzt und die Streckmuskulatur 
verkürzt. Das Endresultat ist nunmehr das, dass der linke Fuss völlig normal steht, während 
am rechten Fuss noch eine leichte Valgusstellung vorhanden ist (Fig. 39 b). Während aber 
vor der Operation das Gehen nur mit Hilfe von zwei Stöcken und Stützapparaten für beide 
Füsse möglich war, geht Patientin jetzt ohne jegliche Stützvorrichtung stundenlang spazieren, 
ebenso wie sie auch sehr gut tanzen gelernt hat. 

In dem folgenden Fall handelte es sich ebenfalls um einen paralytischen Plattfuss. 
Der Junge ist 12 Jahre alt und litt seit frühester Jugend an einem hochgradigen paralytischen 
Plattfuss, der ihm das Leben sehr schwer machte. Es wurde in diesem Falle ein Theil der 
Achillessehne abgespalten, der Rest nach Bayer verlängert, der abgespaltene Theil auf den 
Tibialis posticus genäht, der dann noch verkürzt wurde. Sie sehen jetzt, dass der Fuss voll¬ 
ständig normal steht und dass sich die Wölbung des Fusses sehr schön wiederhergestellt 
hat. — Auch in den beiden folgenden Fällen handelte es sich um paralytische Plattfüsse. 
Bei diesem 3 jährigen Kinde wurde die Operation in derselben Weise und mit gleich gutem 
Erfolge wie in dem vorigen Falle ausgeführt. Bei diesem 13jährigen Mädchen wurden eben¬ 
falls die gleichen Selmenverlagerungen ausgeführt, da aber der Fuss gleichzeitig noch ein starker 
Knickfuss war, wurde noch die Sehne des Peroneus longus von einem äusseren Schnitt aus 
durchtrennt, unter der Achillessehne nach der inneren Seite des Fusses herübergeführt und 
hier, am inneren Rande des Cnlcaneus angenäht. Wie Sie sehen, ist der Erfolg auch hier 
ein recht guter, sowohl was die Stellung des Fusses, als auch seine Funktion betrifft. 

Weiter zeige ich Ihnen einen Fall von hochgradigem Pes calcaneo-valgus, der zu 
seiner Heilung eine ganze Reihe von Eingriffen nöthig machte. Zunächst wurde der Tibialis 
posticus mit dem Extensor digitorum communis vereinigt, der Tibialis anticus verkürzt und 
ein Theil der Achillessehne auf das. Os naviculare aufgenäht. Später wurde dann noch die 
Achillessehne verkürzt und, um die Knickstellnng des Fusses zu beseitigen, die Sehne des 
Peroneus longus durchschnitten, unter der Achillessehne durchgeführt und am inneren Rande 
des Calcaneus angenäht. Schliesslich wurde noch ein starker Seidenfaden einestheils an 
das Os naviculare befestigt, anderntheils unter starker Spannung mit dem Tibialis posticus 
vernäht. Dank aller dieser Operationen hat der Fuss nicht nur seine richtige Stellung, 
sondern Patientin vermag den Fuss jetzt nicht nur plantar und dorsal zu flektieren, sondern 
auch zu pronieren und zu supinieren, bei dem vorher ganz haltlosen, unbrauchbaren Fuss 
gewiss ein ausgezeichnetes Resultat. 

Zum Schluss zeige ich Ihnen noch einen geheilten paralytischen Klumpfuss. Bei dem 
14jährigen Mädchen wurde innen und aussen ein Theil der Achillessehne abgcspalten; die 
stehengebliebene Partie wurde nach Bayer verlängert, die beiden seitlichen Zipfel wurden 
nach vorn durchgeführt und mit den verkürzten Sehnen des Tibialis anticus und Extensor 
digitorum communis vereinigt. Der Fuss hat jetzt vollständig normale Stellung und kann 
aktiv im Sinne der Plantar- und Dorsalflektion bewegt werden (Fig. 40a und 40b). 

Soviel, meine Herren, über die durch die Sehnenplastik erreichbaren Resultate. 
Während nun in all den angeführten Fällen, ebenso wie in den bisher in der Litte- 
ratur mitgetheilten Fällen die Ansatzstellen der Muskeln verlängert wurden, möchte 
ich Ihnen jetzt noch ein Kind vorstellen, bei dem ich nicht die Ansatzstellen, son- 


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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 327 

dern den Ursprung eines Muskels verlagert habe. Es ist .dies eine neue 
Operation, welche ich jetzt in fünf Fällen stets mit demselben guten Resultat aus¬ 
geführt habe. Es handelt sich in diesem hier vorgestellten Fall, ebenso in den vier 
anderen um eine cerebrale Kinderlähmung. Bei diesen cerebralen Kinder¬ 
lähmungen steht der Arm im Ellenbogengelenk gebeugt und die Hand stark proniert. 
Jedem Streckversuche des Ellenbogens sowie jeder Supination der Hand setzt sich 
ein oft kaum zu überwindender Widerstand von Seiten der Muskulatur entgegen. 
Ich habe nun, um diesen Muskel widerstand zu beseitigen, einmal den Lacertus 
fibrosus und die Bicepssehne in offener Wunde durchtrennt, dann aber habe ich, um 
das Uebergewicht der Pronatoren über die Supinatoren zu beheben, den 
Musculus pronator teres von seinem Ursprung am Epicondylus int. 
humeri losgelöst, ihn nach der anderen Seite des Armes herübergezogen, 
zwischen dem Supinator brevis und der Beugemuskulatur durchgezogen 
und an den Epicondylus ext. oberhalb des Supinator brevis angenäht. 
So wurde also aus dem Pronator teres gewissermaasen ein zweiter Su¬ 
pinator brevis! Wie sie nun sehen, ist durch die. Operation die früher bestandene 
Supinationsbehinderung, ebenso wie die Beugekontraktur des Ellenbogengelenkes 
vollständig beseitigt Das Kind beugt und streckt den Arm ohne jede Mühe und 
supiniert aktiv auch fast in normalen Grenzen. Das gleich gute Resultat ist wie 
gesagt auch bei den andern vier Operierten erzielt worden. 

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch zeigen, meine Herren, in welcher Weise 
wir heutzutage starke Verkürzungen der Extremitäten, wie sie uns gelegentlich bei 
paralytischen Beinen zur Behandlung kommen, ausgleichen. Anstatt der eisernen 
Gestelle, die man früher anwandte, oder der unschönen hohen Stiefel gehen wir jetzt 
so vor, dass wir den Fuss in extremer Spitzfussstellung in einer Lederhülse fassen. 
Durch ein entsprechend geformtes Korkstück geben wir dann der Lederhülse die 
gewünschte Länge und bringen unten am Kork einen einfachen künstlichen Fuss an. 
Der Patient zieht dann über den so hergestellten Apparat einen gewöhnlichen Stiefel 
an, und wie Sie bei dieser kleinen Patientin sehen, ist es dann schwer, überhaupt 
etwas von einer bestehenden Deformität zu entdecken. 

Wie ich schon eingangs erwähnte, lag es nicht in meiner Absicht, Ihnen das 
gesammte Kapitel der Behandlung der spinalen Kinderlähmungen vorzuftthren. Ich 
wollte Ihnen nur zeigen, dass die moderne orthopädische Chirurgie über eine ganze 
Reihe von Hilfsmitteln verfügt, um in einem gegebenen Falle das denkbar beste 
Resultat zu erreichen. Dass aber diese Resultate wirklich befriedigende, selbst in 
schweren Fällen zu sein vermögen, davon haben Sie sich, meine Herren, wohl zur 
Genüge selbst überzeugen können. 


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Karl Walko 


328 


XI. 

Ueber die Behandlung der Enuresis. 

Aus der medicinischen Klinik des Professors R. v. Jaksch in Prag. 

Von 

Dr. Karl Walko, 

klinischem Assistenten. 

Die Behandlung der Enuresis hat in den letzten Jahren mehrfache Wandlungen 
erfahren, bei welchen immer deutlicher das Bestreben zu Tage trat, den ursächlichen 
Verhältnissen gerecht zu werden. Im allgemeinen ist aus der Methodik der Be¬ 
handlung zu ersehen, dass die medikamenteile Therapie zu Gunsten der mechanischen, 
allgemein hygienischen und psychischen zurücktritt, insbesondere bei allen jenen 
Fällen, wo die Harninkontinenz keine symptomatische — durch centrale, spinale, 
periphere, reflektorische Reize bedingt —, sondern eine funktionelle ist. Von der 
physiologischen Enuresis im Säuglingsalter und den erwähnten symptomatischen 
Formen abgesehen, ist die Enuresis eine Erkrankung, welche in der frühesten Kind¬ 
heit ihren Beginn und mit der Pubertät ihr Ende findet Ein späterer Beginn, nach 
dem ü. Lebensjahre, sowie eine längere Dauer, bis zum 20. Lebensjahre oder darüber 
hinaus, gehört zu den selteneren Erscheinungen. Es ging daher die Auffassung der 
Erkrankung bei sonst körperlich und geistig normal entwickelten Individuen dahin, 
die Ursache in dem Fortbestehen des infantilen Zustandes der Innervation, der 
mangelhaften Innervation des Schliessmuskels der Blase zu finden. Bereits Bohn 1 ) 
fasst die Krankheit als lokale Neurose auf, deren nervöser Charakter sich schon 
durch den Einfluss des Willens und Gemüthsaffektes offenbart. In gleichem Sinne 
ist die Auffassung Trousseau’s und Bretonneau’s, Ultzmann’s 2 ) gehalten, 
welche die Enuresis als Neurose bezeichnen, bei welcher ein Missverhältniss in der 
Innervation des Sphinkters und Detrusors in der Art bestehe, dass der erstere 
mangelhaft innerviert sei. Auch von den meisten der späteren Beobachter wird die 
Enuresis, sei sie eine nocturna oder diurna, als Neurose ohne irgendwelche bestehende 
anatomische Veränderung gedeutet. Von anderen wird die angeborene oder später 
hinzugekommene Schwäche des Schliessmuskels in der behinderten Entwickelung 
des Schliessmuskelapparates als Ursache für die verminderte Funktionsleistung der 
Blase angenommen (Mendelsohn 3 )). Einen eigenen Standpunkt vertritt Thiemich«), 
welcher die Enuresis nicht als lokale, sondern als allgemeine Neurose auffasst und 
sie als eine Erscheinungsform der dem Kindesalter eigenen monosymptomatischen 
Hysterie bezeichnet. 

Um nun bezüglich der Auffassung der als idiopathisch bezeichneten Form der 
Enuresis einen Aufschluss zu gewinnen, sind in erster Linie die Ergebnisse der 

i; Bohn, Jahrbuch für Kinderheilkunde 1869. Heft 3. S. 46. 

*•*) Ultzraann, Die Krankheiten der Harnblase. Stuttgart 1890. 

») Mendelsohn, Berliner klinische Wochenschrift 1895. Bd.32. S. 1026. 

*) Thiemich, Berliner klinische Wochenschrift 1901. Bd. 38. S. 808. 


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lieber die Behandlung der Enuresis. 329 

therapeutischen Maassnahmen zu berücksichtigen. Bei einem Vergleich der ungemein 
zahlreichen Methoden ist es immerhin auffallend, dass bei Anwendung der ver¬ 
schiedensten und divergentesten Methoden oft gleich gute Erfolge zu Tage traten. 
Man könnte schon a priori daraus den Schluss auf eine funktionelle Erkrankung ziehen. 
Ohne nun früher auf die einzelnen vorgeschlagenen Behandlungsmethoden einzugehen, 
will ich zuerst an der Hand einzelner selbst beobachteter Fälle das Ergebniss der 
Therapie kurz mittheilen, welche ich nach verschiedenen Gesichtspunkten durchprüfte. 

I. Fälle reiner idiopathischer Enuresis. 

1. Fall. B. J., 15 jähriger Lehrling, leidet seit dem 12. Jahre an nächtlichen Bett¬ 
nässen, zeitweilig auch am Tage. Anamnestisch werden keine weiteren Erkrankungen an¬ 
gegeben. Der somatische und Nervenstatus ergeben einen normalen Befund. Der Patient 
wurde mehrmals faradisiert mit Applikation der einen Elektrode auf das Perineum, der 
anderen oberhalb der Symphyse. 

Nach geringer Besserung trat, allerdings nur während der Nacht, neuerdings öfters 
spontane Harnentleerung auf. Nach kombinierter Massage vom Rektum aus trat nach zwei¬ 
maliger Sitzung Heilung ein. Patient blieb von der Zeit ab gesund; Beobachtungszeit ca. 
ein halbes Jahr. 

2. Fall. S. Fr., 15 jähriger Schuhmacherlchrling, seit mehreren Jahren nächtliches Bett¬ 
nässen; somatisches und psychisches Verhalten normal; Stuhlentleerung regelmässig, ohne 
Störung; nach dreimaliger Massage vom Rektum aus sistierte die Enurese völlig, während 
vier Monaten kein Rückfall. 

3. Fall. L. A., 14 V 2 jähriger Gymnasiast, kräftiger junger Bursche ohne Zeichen 
nervöser Störung, seit einem halben Jahre nächtliche unwillkürliche Harnentleerung. Vibrations¬ 
massage der Blasengegend als des Peritoneums durch je 2—3 Minuten; nach drei Sitzungen 
Besserung, nach sechs weiteren keine Inkontinenz mehr, nach drei Monaten kein Rückfall. 

4. Fall. H. A., 16jähriger Lehrling, seit zwei Jahren sowohl während der Nacht 
als während des Tages unwillkürliche Harnentleerung. Ausser einem chronischen Ekzem 
am Hodensack und an der Innenfläche der Oberschenkel keine Zeichen einer somatischen 
oder nervösen Erkrankung. Nach mehrmaliger Vibrationsmassage trat geringe Besserung 
ein; darauf kombinierte Massage vom Rektum aus; nach einmaliger Sitzung sistiert der 
Harndurchbruch während des Tages, nächtlich noch zeitweilig erfolgend, zwei Wochen nach¬ 
her durch dreimalige kombinierte Massage völliges Aufhören der unwillkürlichen Harn¬ 
entleerung (spätere Beobachtungszeit sechs Wochen ohne Recidiv). 

5. Fall. S. W., 9jähriger Schüler, seit Kindheit Bettnässen, sonst völlig gesund, 
Therapie anfangs täglich kurzdauernde kalte Sitzbäder mit Beckenhochlagerung; kein bleiben¬ 
der Erfolg; später kombinierte Massage, nach vier Sitzungen völliges Auf hören der Er¬ 
krankung, nach einem Monat kein Recidiv. 

6. Fall. Sch. K., 8 jähriger Schüler von sehr schwacher Konstitution. Seit mehreren 
Jahren nächtliches Bettnässen. Bei Faradisation öfters Recidive, nach sechsmaliger kom¬ 
binierter Massage völlige Heilung, innerhalb der nächsten zwei Monate kein Recidiv. 

7. Fall. Br. W., 12jähriger Schüler, kräftig entwickelter Knabe, seit einem Jahr 
nächtliches Bettnässen; nach viermaliger kombinierter Massage völlige Heilung, nach acht 
Wochen kein Recidiv. 

8. Fall. B. A., 16 jähriger Fleischerlehrling, kräftiger junger Mann ohne nervöse 
Erscheinungen, ausser öfteren Harndrang; geringe Hyperacidität. Seit dem 4. Jahre nächt¬ 
licher Harnabgang. Nach einmaliger leichter Hypnose sistiert die unwillkürliche Harn¬ 
entleerung sowie der Harndrang, nach drei Monaten kein Recidiv. 

9. Fall. B. H., 24 jähriger Uhrmacher, hatte in seiner Jugend Blutsturz. Seit der 
frühesten Kindheit leidet er an nächtlicher unwillkürlicher Harnentleerung, seit dem 6. Lebens¬ 
jahre auch während des Tages, bis in die letzte Zeit. Der Harndrang tritt immer plötzlich 
ein, und Patient ist dann nicht im stände, denselben zurückzuhalten. Die körperliche Unter¬ 
suchung ergab nur eine abgelaufene Spitzenaffektion. Patient wurde bereits mehrmals 
medikamenteU behandelt, ohne dass jedoch die Enuresis damit wesentlich besser geworden wäre. 

Zeitechr. t diät u. physik. Therapie Bd. VL Heft 6. 23 


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330 Karl Walko 

Auch hier wurde die bimauuclle Massage angewendet. Nach dem ersten Male sistierte 
die Enuresis während des Tages, die nächtliche Inkontinenz erst nach dreimaliger Massage. 
Gleichzeitig wurden die Harnentleerungen seltener, drei- bis viermal im Tag; während der 
nächsten neun Wochen zeigten sich keine Inkontinenzerscheinungen. 

10. Fall. B. K., 12 jähriger Schüler, kräftiger Bursche, seit der Jugend zeitweilige 
unwillkürliche Harnentleerung bei Tage und bei Nacht, angeblich nach einem Schreck ein¬ 
getreten. Körperlich und geistig völlig normale Verhältnisse. 

Kalte Abreibungen der Lumbalgegend und kalte Sitzbäder führten innerhalb von 
14 Tagen zu keinem befriedigenden Resultat. Nach dreimaliger Massage sistierte die 
Enuresis völlig, ohne sich in den nächsten zwei Monaten zu wiederholen. 

Bei den bisher beschriebenen Fällen handelt es sich durchwegs um Individuen, 
welche keinerlei Erscheinungen einer cerebralen, spinalen oder somatischen allge¬ 
meinen oder lokalen Erkrankung darboten. Epilepsie, Hysterie, Helminthen etc. 
Hessen sich nirgends nachweisen. Es sind demnach neun Fälle von Enuresis nocturna 
respektive diurna, von denen die einen durch das relativ späte Auftreten (Spät- 
enurese), die anderen durch die lange Dauer der Erkrankung erwähnenswerth sind. 

II. Fälle von symptomatischer Enuresis. 

1. Fall. B. V., 11 jähriger Schüler, litt vor sieben Jahren an öfters auftretenden 
Krämpfen mit Bewusstlosigkeit, welche durch ca. ein Jahr anhielten, dann durch ent¬ 
sprechende Behandlung allmählich sistierten. Seit 1 1 U Jahren besteht nächtlich unfreiwillige 
Stuhl- und Harnentleerung. Die Untersuchung ergab derzeit keine anderen nervösen und 
somatischen Störungen. Nach zweimaliger bimanueller Massage vom Rektum sistierte die un¬ 
freiwillige Stuhl- und Harnentleerung. Obwohl nach achttägiger Pause kein Rückfall eintrat, 
wurde die Massage noch dreimal wiederholt. Innerhalb der nächsten sieben Wochen erfolgte 
die Harnentleerung völlig normal, und bei Tage weniger häufig, wie Patient selbst angab. 

In diesem Falle bestand kein Zusammenhang zwischen den Inkontinenz¬ 
erscheinungen und den Krämpfen, wie dies meistens namentlich im Beginne des 
epileptischen Anfalles der Fall ist. 

Trotz genauester Beobachtung konnten auch des Nachts keine Konvulsionen 
oder epileptische Aequivalente konstatiert werden; doch unterliegt es keinem Zweifel, 
diese Inkontinenz als epileptische aufzufassen, indem entschieden die vorausgegangenc 
Epilepsie eine gewisse Disposition für das spätere Auftreten der Enuresis hinterliess. 

2. Fall. B. S., 60 jähriger Kaufmann, leidet seit zwei Monaten an Schmerzen in der 
Blasengegend und Inkontinenz der Harnentleerung bei Tage und bei Nacht. Die Unter¬ 
suchung ergab eine geringe Prostatahypertrophie und die Zeichen einer Cystitis. Der 
enleertc Harn ist trübe, im Sedimente zahlreiche Leukocyten mit Blasenepithelien. Der 
Patient soll früher von einem Arzte mehrfach katheterisiert worden sein. 

Da die Erscheinungen der Cystitis nicht sehr hochgradig waren, wurde von Blasen- 
sptilungen abgesehen und nur 3 g Salol pro die verabreicht. Gleichzeitig wurde durch 
zwei Wochen jeden zweiten Tag die bimanuelle Massage ausgeftihrt. Nach dieser Zeit ver¬ 
minderten sich die Beschwerden zusehends, auch war Patient im stände, durch längere 
Zeit den Harn zu halten, das Harn träufeln sistierte fast ganz. Die Erscheinungen der 
Cystitis dauerten in sehr geringem Maasse noch drei Wochen an, um dann allmählich zu 
verschwinden. Schmerzen in der Blasengegend, Harninkontinenz bestanden nicht mehr und 
erneuerten sich innerhalb eines Jahres nicht mehr. 

Die Ursachen der Inkontinenz in diesem Falle war wohl die bei Cystitis öfters 
vorhandene Anästhesie der Blasenschleimhaut. Die günstige Wirkung der Massage 
zeigte sich hier auffallend. 

3. Fall. N. J , 12jähriger Schüler, fiel infolge eines Stosses auf den Rücken, worauf 
Schmerzen im Kreuz, dann Schwäche in den Beinen und unwillkürlicher Abgang des Harnes 
eintraten. Der Kranke stand vor der Spitalsaufnahme schon sechs Wochen in ärztlicher 


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Ucber die Behandlung der Enuresis. 331 

Behandlung, ohne dass eine wesentliche Besserung erfolgte. Die Untersuchung ergab neben 
einem normalen somatischen Status eine Paraparese mit totaler Anästhesie für taktile Reize 
(Nadelstiche) und Temperaturunterschiede. Die Reflexe gesteigert. Der Patient konnte 
nur unterstützt gehen, wobei er die Beine in merkwürdiger Weise nach der Seite hin 
schleudert. Koordinationsstörungen sind nicht vorhanden. Der Harn enthält keine abnormen 
Bestandteile. — Die Annahme einer funktionellen Lähmung wurde durch den Erfolg der 
Therapie bestätigt, nach einmaliger Hypnose war die Anästhesie verschwunden, auch der 
Gang bedeutend gebessert. Es wurde auch vom Rektum die Blase massiert, worauf die 
Inkontinenz aufhörte und die Harnentleerung völlig normal erfolgte. 

Nach einmaliger Wiederholung der suggestiven Behandlung, trat eine fortschreitende 
Besserung ein, sodass der Patient drei Tage nach eingeleitctcr Therapie ohne Unsicherheit 
zu gehen und zu laufen vermochte und beim Stehen mit geschlossenen Augen auf schmaler 
Basis nicht das geringste Schwanken auftrat. 

Die hysterische Natur der Inkontinenz steht hier ausser allem Zweifel, da eine ana¬ 
tomische Läsion des Lumbalmarkes oder eine Blutung in die Rttckcnmarksbäute durch den plötz¬ 
lichen Rückgang der Erscheinungen nach sechswöchentlicher Dauer wohl unwahrscheinlich ist. 

In einem Falle von Tabes dorsalis konnte eine mehrwöcbentliche Massage¬ 
behandlung das Harnträufeln nicht zum Stillstand bringen, während in einem Falle 
von Tabes, bei welchem durch ca. ein halbes Jahr nächtliches Bettnässen bestand, 
die Massage von sehr gutem Erfolge begleitet war und die Inkontinenzerscheinungen 
um ein Beträchtliches einschränkte. 

Bei der Behandlung wurden vornehmlich die mechanischen Methoden berück¬ 
sichtigt und zum Vergleich auch einige andere in Anwendung gebracht. Es zeigte 
sich dabei, dass namentlich die kombinierte Massage vom Rektum an, wie sie 
schon Thure-Brandt für die Blase empfahl, bei der funktionellen Enuresis aus¬ 
gezeichnete Resultate lieferte und durchschnittlich bei drei- bis fünfmaliger Anwendung 
zu einer dauernden Beseitigung des Leidens führte. Dasselbe Verfahren hatte auch 
bei Fällen symptomatischer Inkontinenz einige Male sehr gute Erfolge. Die Massage 
wurde derart ausgeführt, dass der Patient entweder in Rückenlage oder in Knieellen¬ 
bogenlage gebracht wurde, dann die eine Hand oberhalb der Symphyse dem in das 
Rektum eingeführten Zeigefinger der anderen Hand entgegengedrückt. Nun wurden 
durch ca. 4 — 5 Minuten eine leichte Massage des Blasenhalses durch kreisende 
Bewegung oder längs- und querverlaufende Streckung ausgeführt. 

Es ist diese Methode der Behandlung nicht allein der Enuresis, sondern auch 
der Harninkontinenz durch andere Ursachen, z. B. Spinalleiden, dem praktischen 
Arzte am meisten zu empfehlen, da sie leicht auszuführen ist, keine grösseren Behelfe 
bedarf und in relativ kurzer Zeit von günstigen Erfolgen begleitet ist. Gleichwohl 
wird dies Verfahren im Vergleich zu anderen nur wenig in Anwendung gebracht; 
doch zeigen die einzelnen Beobachtungen, so von Czillag 1 ) und Herbsmann 2 ), 
die relativ rasche und gute Wirkung; allerdings sind die Beobachtungszeiten Czillag’s 
zu kurz, um daraus auch den dauernden Effekt zu ersehen. 

In einzelnen Fällen verwendete ich auch die Vibrationsmassage bei reiner 
Enuresis und symptomatischer Inkontinenz sowohl am Perineum sowie an der Blasen¬ 
gegend oberhalb der Symphyse in der Dauer von 2—5 Minuten gleichfalls mit gutem 
Erfolge, doch giebt sie nicht bessere Erfolge wie die weit einfachere kombinierte 
Massage. 

Ein Vergleich der Statistiken der einzelnen Beobachter ergiebt, dass die Kur 
der Enuresis im allgemeinen bei sehr häufiger in der Regel vier bis fünf Minuten 

1) Czillag, Archiv für Kinderheilkunde 1891. No. 12. S. 260. 

2 ) Herbsmann, Münchener mcd. Wochenschr. 1901. No. 48. S. 80. 

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332 


Karl Walko 


dauernden Sitzungen mindestens vier bis fünf Wochen dauert. Diese Zeit nimmt 
z. B. Oberländer 1 ) bei Anwendung operativer Behandlung oder stärkerer Dehnung 
der hinteren Harnröhrenpartie an. Die lokale Behandlung durch Einführung dicker 
Sonden, Gebrauch des Psychrophors (Preyer 2 )), Instillation von Adstringentien er¬ 
fordert erfahrungsgemäss immer einen längeren Zeitraum. 

vanTienhoven 3 ) erzielte durch Hochlagerung des Beckens bei 14 Kindern im 
Durchschnitte nach 42 Tagen Heilung, darunter ein Recidiv. 

Am meisten von allen Methoden wurde bisher die elektrische angewendet und 
durchgeprüft, doch werden die Wirkungen ungleich angegeben. 

Nach der Statistik Olivier’s 4 ) wurde durch direkte Faradisation des Sphinkters 
nach Guyon von 20 Kindern 7 geheilt, 9 gebessert gewöhnlich nach 12—15 Sitzungen. 
Mendelsohn 5 ) giebt bei lokaler Behandlung des Blasensphinkters mit dem schwachen 
faradischen Strom vier bis fünf Wochen unter täglicher Behandlung von fünf bis 
zehn Minuten Dauer an, während z. B. Köster«) durch Anwendung des modifizierten 
Seeligmüller’schen Verfahrens — Anwendung hoher Stromstärken mit Applikation 
in die Harnröhre von zwei bis drei Minuten Dauer unter An- und Abschwellen des 
Stromes — durchschnittlich nach zwei Sitzungen bei 20 Fällen in 85 °/ 0 Heilung sah. 

Auch Thiemich erzielte gute Erfolge mit stärkeren elektrischen Strömen auch 
ohne direkte Einwirkung auf den Sphincter vesicae. 

Die Hydrotherapie — Anwendung kurz dauernder kalter Sitzbäder, kalter 
Waschungen an den unteren Partieen des Rückens vor dem Schlafengehen, des 
Psychrophors etc. — erfordert gleichfalls längere Behandlungsdauer. 

Die medikamentelle Therapie mit Belladonna, Atropin, Rhus aromatica 
etc. ist in den meisten Fällen eine ebenso unsichere wie ungenügende, die in an- 
betracht der langen Dauer noch die Gefahren einer Intoxikation des kindlichen 
Organismus in sich schliesst. So verwendet Mac Alister 1 7 ) bei Kindern Atropin in 
hohen Dosen (6—8 mg täglich) bei einer Behandlungsdauer von circa sechs Wochen, 
wobei in den meisten Fällen Sehstörungen eintraten. Glücklicherweise wird diese 
Behandlungsart nur wenig mehr in Anwendung gebracht. 

In Berücksichtigung des funktionellen Charakters der in Rede stehenden Er¬ 
krankung wäre es also von vornherein ungerechtfertigt, das eine Verfahren oder das 
andere ausschliesslich zu empfehlen oder zu verwerfen, da der grösste Heilfaktor bei 
allen angewendeten Methoden in der psychischen Beeinflussung des Individuums 
beruht. Henoch leugnet im Grunde den Werth irgendwelcher Methode ausser der 
suggestiven und behauptet, dass auch der faradische Strom nur durch den psychischen 
Eindruck oder durch den erregten Schmerz auf den Kranken einwirke. Henoch ver¬ 
wendete momentan intensiv psychische Eindrücke mit gutem Erfolge. Diese An¬ 
schauung Henoch’s ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man auch sonst gute 
Resultate durch die merkwürdigsten Mittel eintreten sieht. So bei der Behandlung 
mit Glüheisen in der Lumbalgegend (Gross 8 )), durch Applikation von Schröpf köpfen, 

i) Oberländer, Berliner klinische Wochenschrift 1888. Bd. 25. S. C09. 

*) Preyer, Centralblatt für innere Medicin 1891. Bd. 12. S. 143. 

■■») van Tienhovcn, Centralblatt für innere Medicin 1891. Bd. 12. S. 143. 

*) Olivier, Schmidt’s Jahrbücher 1891. Bd.219. S. 92. 

5 ) Mendelsohn, 1.c. 

«) Köster, Deutsche medicinische Wochenschrift 1896. Bd.22. S.364. 

7) Mac Alister, Ceutralblatt für innere Medicin 1894. Bd. 15. S. 1024. 

8 ) Gross, Schmidt’s Jahrbücher 1866. Bd. 130. 8.259. 


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Ucber dio Behandlung' der Enuresis. 333 

Blasenpflastern auf den Nacken nach Harkin 1 ), Swan 2 ), Duvelliß 3 ), welch letztere 
Autoren auf Gmnd dieser Wirkung die Enurese mit einer erhöhten Reflexempfind¬ 
lichkeit der Medulla oblongata infolge von Hyperämie in Zusammenhang brachten 
Es ist wohl unzweifelhaft, dass diese sämmtlichen Mittel, wie auch die Entfernung 
von adenoiden Vegetationen aus der Nase, wie sie von Schmaltz und Körner 1 ) 
beschrieben wurden, ihre Erfolge allein der Suggestiv Wirkung verdanken. 

Für diese Anschauung tritt auch Thie mich ein. Seine Auffassung der Enuresis 
als Erscheinungsform der Hysterie ist sicher für einen Theil der Fälle berechtigt, 
namentlich für Individuen neuropathischer Abstammung. 

Doch ist es andrerseits unwahrscheinlich, dass die hysterische Disposition sicli 
bis in höhere Altersstufen, so bis zum 20. Jahre oder darüber hinaus, blos auf die 
Enuresis beschränken wird, ohne auch in anderen Symptomen ihren Ausdruck zu 
finden. Andrerseits liessen auch die von mir beobachteten Fälle von Spätenuresis 
irgendwelche anderweitige nervöse oder psychische Störungen vermissen. Auch 
konnte eine neuropathische Abstammung, soweit dies zu eruieren war, nicht 
konstatiert werden. Bei einigen Fällen wurde angegeben, dass die Erkrankung nach 
heftigen Gemütlisbewegungen, Schreck aufgetreten und stationär geblieben sei. In 
diesem Sinne wäre die Enuresis als ein durch verschiedene accidentelle Ursachen ein- 
getretenesHemmungsphänomen eines an sich früher normal funktionierenden 
Organes zu betrachten. Derartige Erscheinungen sind einer suggestiven Behandlung 
sehr leicht zugänglich, doch ist damit noch keineswegs ausgesprochen, dass deren Aus¬ 
fallssymptom psychischer Natur direkt auf hysterischer Basis beruhe. Der Organismus 
besitzt Einrichtungen, mit deren Hülfe er eine Funktion plötzlich aufheben oder im 
Gegentheil steigern kann, was Brown-S6quard als Inhibition oder Dynamogenie 
bezeichnet hat. 

Diese hemmende und bahnende Fähigkeit kommt sehr vielen Theilen des 
Nervensystems zu und kann sowohl durch direkte Reizung als auf reflektorischem 
Wege hervorgerufen werden (Bernheim 5 )). 

In diesem Sinne erklärt sich zum grossen Theil die Wirkung der verschiedensten 
Behandlungsmethoden der Enuresis, wenn man dieselbe als einfache Hemmungs¬ 
erscheinung beobachtet. Durch die Suggestion gelingt die Beseitigung einer Ausfalls¬ 
erscheinung um so leichter, als nach Bernheim die Hypnose sowohl eine Steigerung 
der ideomotorischen als ideosensitiven und ideosensoriellen Reflexerregbarkrit besitzt. 

Durch die einzelnen Methoden wird nun vornehmlich eines bewirkt, der Nerven¬ 
erregung einen schnelleren und leichteren Ablauf zu schaffen. In einem von mir 
mit Hypnose behandelten Falle gelang die Heilung in einer Sitzung, wiewohl die 
Enuresis durch 12 Jahre bestand. 

Wie weit der Effekt der Massage mit der Suggestionswirkung zusammenfällt, 
lässt sich schwer bestimmen. Doch ist es immerhin auffällig, dass der Erfolg sich 
verhältnissmässig rasch einstellt und im Verlauf der Heilung, namentlich der vernach¬ 
lässigten Fälle mit Enuresis nocturna und diurna, nach ein-oder zweimaliger Massage 
immer zuerst der Harndurchbruch bei Tage sistiert und erst später während der 


!) Harkin, Centralblatt iür innere Medicin 1887. Bd. 8. S. 816. 

2 ) Swan, ibidem. 

3 ) DuvelliC, ibidem 1892. Bd. 13. S. 974. 

4 ) Körner, ibidem 1891. Bd. 12. S. 417. 

®) Bernheim, Die Suggestion und ihre Heilwirkung. Wien und Leipzig 1896. S. 130. 


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334 Karl Grube 

Nacht. Es spricht dieses Verhalten doch zum Theil für eine suggestive Beeinflussung 
des Patienten. Der Umstand, dass selbst von der frühesten Jugend bis weit über 
die Pubertätszeit hinausreichende Enuresis geheilt werden kann, und der Sphinkter 
von da ab normal funktioniert, beweist, dass es sich bei dieser Erkrankung that- 
sächlich nur um eine Hemmungserscheinung psychischer Natur eines an 
sich normal entwickelten Organes und nicht um Entwickelungsstörung 
oder Muskelschwäche handelt. 


III. 

Ueber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 

1. Mittheilung: 

Einfluss auf den osmotischen Druck und den Wassergehalt. 

Von 

Dr. Karl Grube 

in Neuenahr. 

Die Versuche, die im folgenden mitgetheilt werden sollen, hat Verfasser an 
sich selbst angestellt. Ihr Zweck ist, den Einfluss festzustellen, den der Genuss von 
Mineralwasser auf die Blutbeschaffenheit hat, und zwar soll der Versuch gemacht 
werden, sowohl physikalisch-chemischen wie chemischen Veränderungen nachzugehen. 
In dieser ersten Mittheilung ist nur der Einfluss auf den osmotischen Druck und 
den Wassergehalt dargethan, in weiteren Arbeiten hoffe ich auch über andere Punkte, 
wie Hämoglobingehalt, Zahl der Blutkörperchen, N - Gehalt etc. Aufschluss geben 
zu können. 

Die Dauer des Versuches erstreckt sich über ca. vier Wochen. Ehe der Ein¬ 
fluss des betreffenden Wassers gefunden werden konnte, musste deijenige gewöhn¬ 
lichen Wassers festgestellt werden, und dieser Feststellung musste selbstverständlich 
eine Darstellung der Normalverhältnisse vorhergehen. Somit zerfällt jede Versuchs¬ 
reihe in drei Perioden: 

1. einer 5 —7 tägigen Periode genau geregelter Lebensweise mit zwei 
täglichen Blutbestimmungen; 

2. einer 5—7 tägigen Periode einfachen Wassergenusses mit drei täglichen 
Blutbestimraungen; 

3. einer ca. dreiwöchentlichen Periode des Genusses von Mineralwasser mit 
ebenfalls drei täglichen Blutbestimmungen. 

Diät, tägliche Flüssigkeitsmenge, sonstige Lebensweise, Menge der täglichen 
körperlichen Bewegung etc. blieben in allen drei Perioden vollkommen gleich. 

Ueberiden Einfluss, des Wassertrinkens auf die Dichtigkeit des Blutes ist eine 
grosse Litteratur vorhanden. Sie ist eingehend zusammengestellt in der bekannten 
Balneotherapie von'Glax (I. S. 28). 

Ueber den Einfluss von Salzlösungen auf das Blut ist weniger bekannt. Von den 


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Uebcr den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 335 


darüber erschienenen Arbeiten sind die von Hay 1 ), Grawitz 2 ) und Dünschmann 3 ) 
hervorzuheben. Die beiden ersten Arbeiten beschäftigen sich mit dem Einfluss auf 
den Menschen, während Dünschmann die Frage nur am Thier (Kaninchen) studierte. 

Hay fand, dass konzentrierte Salzlösungen beim innerlichen Gebrauch eine 
schnell auftretende Zunahme der Dichtigkeit des Blutes und eine Vermehrung der 
Zahl der rothen Blutkörperchen verursachten, während verdünnte Lösungen keinen 
unmittelbaren Einfluss auf das Blut erkennen Hessen, wohl aber einen sekundären. 
Grawitz stellte fest, dass Salzlösungen, welche direkt in die Blutbahn gebracht 
wurden, eine Zunahme des Wassergehaltes des Blutes, Lösungen, welche innerlich 
genommen wurden, eine Zunahme der Blutdichte zur Folge hatten. 

Dünschmann kam bei seinen Thierexperimenten zu folgenden Resultaten: 
der Wassergehalt des Blutes war vermehrt, 
der N-Gehalt war vermindert, 
der osmotische Druck nahm zu. 

Doch ist zu dieser Arbeit folgendes zu sagen: Die Wahl des Versuchsthieres 
war keine günstige, die Zahl der Versuche war spärlich (3), und von diesen dreien 
wurde nur in einem Falle eine vollständige Blutanalyse vor und nach der Anwendung 
des Mineralwassers (Homburger Elisabethquelle) gemacht; die Applikation des Wassers 
war aber in diesem Falle nicht einwandsfrei, indem dasselbe in das Peritoneum ein¬ 
gespritzt wurde. Allgemeine Schlüsse und Anhaltspunkte für den Einfluss der 
Mineralwässer auf die Blutbeschaffenheit lassen sich aus Dünschmann’s Arbeit 
nicht gewinnen, und die Ansicht, die derselbe von der weittragenden Bedeutung 
dieser spärlichen Versuche hegt, ist wohl etwas weitgehend, wenn auch ein Zeichen 
schönen Selbstbewusstseins. 

Ueberhaupt ist die Frage aufzuwerfen, ob das Thierexperiment bei derartigen 
Untersuchungen angebracht ist, deren Zweck es ist, den Einfluss der Mineralquellen 
als therapeutischer Agentien festzustellen. Ich bin der Ansicht, dass solche Unter¬ 
suchungen in der Weise anzustellen sind, dass sie in dem Gebrauch dieser Wässer 
ein Analogon haben. Nur dann lassen sich ihre Resultate auch auf den kranken 
Menschen übertragen, und selbst dann nur mit Vorsicht. Solche Versuche müssen 
am Menschen selbst angestellt werden unter Innehaltung gleichmässiger Bedingungen 
und unter Ausdehnung auf eine genügend lange Zeit. 

Ich versuchte nach diesem Gesichtspunkte zu verfahren. Ich habe zunächst 
das mir am bequemsten zu beschaffende und stets in beliebiger Menge frisch zu 
erhaltende Neuenahrer Wasser verwendet. Dasselbe enthält im Liter ca. 2 g feste 
Bestandteile, von denen die Hälfte doppeltkohlensaures Natron, der Rest in der 
Hauptsache Salze der Erdalkalien und kohlensaures Eisen ist. Das Wasser ist 
warm (36° C) und enthält freie Kohlensäure. Um den Einfluss der Wärme auszu- 
schliessen, musste in der Voruntersuchung ebenfalls warmes Wasser getrunken werden. 

Die Lebensweise war folgende: 

7 Uhr nüchtern 250 g warmes Wasser bezw. Neuenahrer Sprudel, 

7 » 15 Min. dasselbe, 

8 » Frühstück, 

9 » 30 Min. erste Blutuntersuchung, 


i) »The action of salinc cathartics«. Journal of anatomy and physiology 1882. lieft 16. S. 286. 

-) »Klin. experim. Blutuntersuchungen«. Zcitsclir. f. klin. Medicin 1893. Heft 22. 8.411. 

3) »Einfluss des Salzgehaltes der Trinkquellen etc.« ibid. 1902. Heft 44. S- 91. 


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336 Karl Grube 

11 Uhr 250 g warmes Wasser bezw. Neuenahrer Sprudel, 

11 » 15 Min. dasselbe, 

12 » zweite Blutuntersuchung, 

1 » Mittagessen, 

4 » 30 Min. Tasse Thee, 

6 » dritte Blutuntersuchung, 

7 » 30 Min. Abendessen. 

Die Diät war denkbar einfach, sie entsprach etwa derjenigen, die mau einem 
Gallensteinkranken verordnen würde, also möglichst reizlos; Alkohol wurde, abge¬ 
sehen von 1 .Glas Moselwein und 1 U 1 leichtem Bier täglich nicht genommen. 

Die Blutuntersuchung erstreckt sich in dieser Versuchsreihe 

1. auf die Bestimmung des osmotischen Druckes, 

2. auf den Wassergehalt des Blutes, 

3. auf die Zahl und den Hämoglobingchalt der rothen Blutkörperchen. 

Die letzte Bestimmung fällt in dieser Mittheilung weg, weil ich die Resultate 

nachprüfen will. Ich halte die Methode der von mir angewandten Hämoglobiu- 
bestimmung (von Fici sch l’s Apparat) für zu wenig ein wandsfrei. 

Ueber die andere Methode ist folgendes mitzutheilen. 

Die einfachste Art, den osmotischen Druck und Lösung zu bestimmen, besteht 
darin, ihren Gefrierpunkt festzustellen und denselben mit dem Gefrierpunkt vou 
destilliertem Wasser zu vergleichen. Die Differenz zwischen den beiden oder die 
Gefrierpunktserniedrigung (J) giebt den Werth für den osmotischen Druck der be¬ 
treffenden Lösung. Diese Methode war natürlich für meine Untersuchungen aus¬ 
geschlossen, aus dem Grunde, weil ich mir nicht vier Wochen lang täglich zwei- bis 
dreimal die zur Gefrierpunktsbestimmung nothwendige Blutmenge entziehen konnte. 
Ich musste deshalb den osmotischen Druck mit Hilfe des Hämatokriten bestimmen. 
Wegen der Einzelheiten dieser Methode verweise ich auf das bekannte Buch von 
II. Koeppe 1 ). 

Man bestimmt mit dem Hämokriten das Volumen der Blutkörperchen; dasselbe 
ist abhängig von der Konzentration i. e. dem osmotischen Druck der Flüssigkeit, in 
welcher sie sich befinden. Durch Vergleichung des Volumens der Blutkörperchen 
in einer Flüssigkeit von bekanntem osmotischen Druck mit dem Volumen, das sie 
in dem zu bestimmenden Blute haben, lässt sich daher der osmotische Druck des 
letzteren selbst finden. Das Volumen der Körperchen wurde von mir in zwei 
Lösungen von Magnesiumsulfat von verschiedener Konzentration bestimmt. Diese 
Konzentration war auf Grund einiger Vorbestimmungen so gewählt, dass die Werthe 
für das Volumen der Blutkörperchen im Blute selbst zwischen den beiden mit den 
Magnesiumsulfatlösungen gefundenen Werthen lag. Betrug z. B. das 

Volumen der Blutkörperchen in der MgSO.»-LösungI (= 0,223gmol.%o) 51,8°/ 0 


und in der Mg S0 4 -Lösung II (= 0,243 g mol. .47,7 % 

und im Blute selbst.48,8 % 


so war die Lösung I zu schwach und die Lösung H zu stark; es musste also die 
Lösung, in welcher die Blutkörperchen dasselbe Volumen haben sollten als im Blute 
selbst, zwischen den beiden Lösungen liegen. Durch Interpolation konnte ihre Kon¬ 
zentration berechnet werden. Für das gewählte Beispiel ergab sich, dass die Blut- 


’) «Physikalische Chemie in der Modi (“in« 1000. 


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lieber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 


337 



knrperchen in einer Magnesiumsulfatlösung von 0,238 g mol. %o dasselbe Volumen 
hatten wie im Blut. Diese Lösung war also isosmojtisch dem untersuchten Blute; 
der osmotische Druck des letzteren also betrug 0,238. 

Die Bestimmung des Wassergehaltes bezw. der Veränderungen im Wassergehalt 
des Blutes wurden nach der vonStintzing 1893 angegebenen Methode ausgeführt 1 ). 
Diese Methode giebt keinen absoluten Werth für den Wassergehalt, sie giebt aber 
konstante relative Werthe und kann daher zu Vergleichsbestimmungen verwendet 
werden. Das zu untersuchende Blut wird der Fingerbeere durch Einstich entnommen 
und in kleinen Glasschälchen aufgefangen, welche bis zum Versuch im Warmofen 
verwahrt werden. Diese Schälchen haben die nebenstehende Form; sie sind mit 
einem genau aufgeschliffenen Deckel versehen. Die Höhlung a fasst ca. 0,4 g Blut. 
Es wird zunächst das Gewicht des vollkommen trockenen Schälchens -f- Deckel 
genau abgewogen, darauf lässt man aus der Fingerbeere 
41 ___ 7—g Tropfen Blut in die Höhlung a tropfen, bringt sofort den 

ßt' M3KM Deckel darauf und wiegt wieder genau ab. Hierauf wird das 
Schälchen 4- Deckel in den Warmofen gebracht, der Deckel 
abgenommen und daneben gelegt und nun bei einer Temperatur 
von 75—80° C über Schwefelsäure, die sich in flachen Schalen auf dem Boden des 
Ofens befindet, 6—7 Stunden lang gehalten. Diese Zeit genügt, wie ich mich durch 
Kontrollversuche überzeugt habe, um alles Wasser, das bei dieser Temperatur zur 
Verdunstung gebracht werden kann, auszutreiben. Nach Ablauf dieser Zeit wird der 
Deckel wieder aufgelegt und das ganze gewogen. Es wurden stets zwei Proben des¬ 
selben Blutes nebeneinander bestimmt; die Differenz zwischen beiden durfte '/io Milli¬ 
gramm nicht übersteigen. 

Blutuntersuchung am 31. Dezember 9 Uhr 30 Min. morgens. 

Erstes Schälchen.= 4,1750 g) „ , 

» » + Blut . . = 4,4373 g} Gewicht des Blutcs = °’ 2623 g 

Gewicht nach sieben Stunden . = 4,2339 g 

Verlust = 0,2034 g = 77,5 °/ (l . 

Kontrollbestimmung: 

Zweites Schälchen.= 4,2612 gv 

» » + Blut . . = 4,5790 g} GewicI,t (,cs Blutes = °’ 3178 g 

Gewicht nach sieben Stunden . = 4,3324 g 

Verlust = 0,2466 g = 77,5 %. 

Der Wassergehalt betrug demnach 77,5 % • 

Resultate: 

1. Periode des Vorversuches. In dieser betrug der Wassergehalt meines Blutes 
im Mittel (aus 5 Tagen) 78,3%. Der osmotische Druck — ebenfalls im Mittel aus 
5 Tagen — war gleich demjenigen einer MgS0 4 -Lösung von 0,233 g mol. im Liter 
= 5,8 % Lösung. 

2. Periode des warmen Wassers. Durchschnitt von 5 Tagen: Der Wassergehalt 
erlitt eine Verminderung, er betrug 77,88 %; der osmotische Druck ging herunter 

] ) »Verhandlungen des medicin. Kongresses in Wiesbaden« 1893. 


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338 Karl Grube, lieber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 


auf 0,213, d. h. er war gleich demjenigen einer MgS0 4 -Lösung von 0,213 g mol. im 
Liter = 5,3 % Lösung. 

3. Periode des Neuenahrer Sprudels. Durchschnitt von 17 Tagen: Der Wasser¬ 
gehalt des Blutes ging weiter zurück auf 77,76%, dagegen stieg der osmotische 
Druck auf 0,242, d. h. er war gleich demjenigen einer MgS0 4 -Lösung von 0,242 g 
mol. im Liter = 5,07 % Lösung. 

Betrachten wir nun, wie sich die Verhältnisse im Laufe eines Tages gestalteten. 
Zunächst fand sich folgendes: Wurde die Blutuntersuchung unmittelbar nach dem 
Genuss des Wassers vorgenommen, etwa 10 — 15 Minuten, und ehe die Diurese be¬ 
gonnen hatte, so zeigte dieses Blut stets einen grösseren Wassergehalt und einen 
geringeren osmotischen Druck; wartete ich dagegen mit der Bestimmung bis zu einer 
Zeit, in der die Diurese begonnen hatte, also von % bis zu einer Stunde nach dem 
Wassergenuss, so waren die Verminderung des Wassergehaltes und bei dem Mineral¬ 
wasser die Erhöhung des osmotischen Druckes bereits zu konstatieren. Auf der am 
Schlüsse beigegebenen Tabelle sind nur die letzteren Bestimmungen berücksichtigt 
worden, da ich mich damit begnügt habe, dieses verschiedene Verhalten des Blutes 
direkt und einige Zeit nach dem Wassergenuss einige Male festzustellen. Die Ver¬ 
minderung des Wassergehaltes und die Steigerung des osmotischen Druckes nach 
dem Genuss des Mineralwassers beginnen sehr bald nach der Aufnahme desselben, 
schreiten dann bis zu einem gewissen Punkte fort, um dann allmählich wieder ab¬ 
zuklingen, ohne aber bei fortgesetztem Genüsse des Mineralwassers wieder bis zur 
Norm zurückzukehren. Dies ergiebt sich deutlich aus den Untersuchungen: die 
ca. 1 Stunde nach dem Wassergenuss angestellte Untersuchung zeigte schon einen 
höheren Werth für den osmotischen Druck und einen niedrigeren für den Wasser¬ 
gehalt, die ca. 2 Va Stunden nach dem Wassergenuss vorgenommene Untersuchung 
gab den höchsten Werth für den osmotischen Druck und den niedrigsten für den 
Wassergehalt, während die ca. 7 Stunden nach dem Wassergenuss vorgenommene 
Untersuchung Werthc ergab, die dem Normalwerth am nächsten kamen. 

So ergab z. B. am 31. Dezember die Untersuchung: 

um 91/2 Uhr i. e. 2*/a Stunden nach dem Wassergenuss für den osmot. Druck 0,247, 
für den Wassergehalt 77,5%, 

um 12 Uhr i. c. 1 Stunde nach dem Wassergenuss für den osmot. Druck 0,243, 
für den Wassergehalt 77,85%, 

um 6 Uhr i. e. 7 Stunden nach dem Wassergenuss für den osmot. Druck 0,239, 
für den Wassergehalt 78%. 

Das giebt einen Durchschnitt für den Tag: 

osmot. Druck = 0,243, Wassergehalt = 77,7%. 

Fasse ich zusammen, so ergiebt sich: 

1. Unter gleichen Lebensbedingungen bleiben der osmotische Druck und der 
Wassergehalt des Blutes konstant. 

2. Der regelmässige, einige Zeit lang fortgeführte Genuss einfachen w'armen 
Wassers hat eine Abnahme des osmotischen Druckes sowie eine Abnahme 
des Wassergehaltes zur Folge. 

3. Der regelmässige, längere Zeit fortgeführte Genuss eines warmen Mineral¬ 
wassers hat eine Zunahme des osmotischen Druckes und eine Abnahme 
des Wassergehaltes des Blutes zur Folge. 


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Wilhelm Schlesinger, Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 330 

4. Diese Veränderung der Blutbeschaffenheit zeigt sich schon sehr bald nach 
der Aufnahme des betreffenden Wassers. Sie wird während der folgenden 
drei Stunden ausgeprägter und klingt dann allmählich wieder ab. Bei 
fortgesetztem Genuss des Mineralwassers tritt aber innerhalb 24 Stunden 
keine Rückkehr zur Norm ein, sondern diese Veränderung des Blutes 
wird dauernd. 



Periode vor dom 
Versuch; Mittel aus 

2 tagl. Bestimmungen 

Mittel 

aus 

5 Tagen 

Periode des einfachen warmen 
Wassers (40 o C); 

Mittel aus 3 tagl. Bestimmungen 

Mittel 

aus 

5 Tagen 

1 

Datum. 

12./12. 

13./12. 

14./12. 

10.-14./12. 

15./12. 

16./12. 

17./12. 

18/12. 

19-/12. 

; 15.-19./12. 

Osmot. Dmck . 

— 

0,233 

0,233 

0,233 


— 

0,224 

0,225 

0,199 

0,215 

0,213 

Wassergehalt . j 

78,4 

78,3 

78,3 

78,3 



77,8 

78,1 

77,7 

78,0 

77,8 

77,88 




Periode des Neuenahrer Sprudels (36 o C); 



Mittel 

aus 




Mittel aus 3 täglichen Bestimmungen 



17 Tagen 

Datum.' 

i 

i 20./12. 

21./12. 

23./12. 

24./12. 

27./li 

2. 

28./12. 

. 29./12. 

31-/12. 

2-/1* 

I 

4-/1. 

20./12.-6./1. 

Osmot. Druck . 

I 0,243 

0,244 

0,238 

— 

— 


— 

0,243 

0,244 

0,240 

0,242 

0,242 

Wassergehalt . 

178,1 

77,8 

77,65 

77,5 

77,2 

78,0 

77,65 

77,7 

78,26 i 

. 

77,8 

i 

77,70 






IV. 






Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 


Aus der I. medicinischen Klinik 

des Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. 


Von 

Dr. Wilhelm Schlesinger. 

(Schluss.) 

H. 

Die Ernährungsverhältnisse bei der ersten Gruppe unserer Fälle wurden aus¬ 
führlicher behandelt, weil hier bei Fehlen anderweitiger Stoffwechselstörungen Gelegen¬ 
heit geboten war, die dem Diabetes als solchem zukommenden Eigenthümlichkeiten 
zu studieren. 

Einzelne von ihnen, wie das besonders geringe Nahrungsbediirfniss bei noch 
vorhandener hoher Zuckerausscheidung finden sich auch bei den Fällen der anderen 
Gruppen mehr oder minder ausgesprochen. 

Die zweite Gruppe, der wir uns jetzt zuwenden, umfasst fettleibige Diabetiker; 
ihnen allen ist gemeinsam, dass das Nahrungsbedürfniss dauernd auffallend gering ist. 

Dabei war es gleichgiltig, ob es sich um leichte Fälle oder um ganz schwere 
Fälle mit Acidose und Uebergang in diabetisches Coma handelte (z. B. Fall 21, 
Tabelle III). 

Eine Unterscheidung zwischen diabetogener Fettsucht (v. No’orden), d. h. von 
Diabetesfällen, wo die Zuckerausscheidung im Anschlüsse an ganz plötzliches Fett- 


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Wilhelm Schlesinger 


340 


werden des Individuums auftrat (Fall 20, 41), und Fällen von Diabetes bei Fett¬ 
leibigen, d. h. solchen Individuen, wo die Fettleibigkeit den Diabetes blos begleitet, 
ohne ihn zu verursachen, wurde nicht getroffen, da sich für die Fragen der Er¬ 
nährung keine wesentlichen Verschiedenheiten für die beiden Arten ergeben. Schon 
jetzt mag bemerkt werden, dass hier auch jene Fälle aufgenommen wurden, die, früher 
fett, im Verlaufe des Diabetes abmagerten, oder doch wenigstens ein beträchtliches 
Fettpolster nicht mehr aufwiesen. 

Tabelle III führt 28 solche Fälle gedrängt vor. Sie umfasst jene ausserordent¬ 
lich wichtigen, weil zahlreichen Fälle, wie sie für gewöhnlich zur Beobachtung 
kommen; und der Umstand, dass gerade bei ihnen ein niedriges Nahrungsbedürfniss 
festgestellt wird, mag mit die Ursache sein, warum ein solches dem Diabetiker ge¬ 
legentlich ganz allgemein zugeschrieben wird. 

Zumeist handelt es sich um Individuen an der oberen Grenze der mittleren 
Jahre, bei denen, wie wir gesehen haben, das Nahrungsbedürfniss auch sonst niedrig 
ist. Wenn wir aber sehen, dass die meisten mit einer durchschnittlichen Kalorieen- 
zufuhr von 25, viele aber mit 20 Kalorieen ihr Körpergewicht konstant erhielten, 
und dass sich diese Zahl nur bei arbeitenden Individuen (Männern) bis auf 28, 
höchsens 30 Kalorieen erhöht, so kann das höhere Alter der Patienten allein keine 
genügende Erklärung für das niedrige Nahrungsbedürfniss abgeben. Zudem wies 
auch ein jugendlicher Kranker dieser Gruppe (Arie, Akromegalie) eine Zersetzungs¬ 
grösse von nur 19 Kalorieen auf. 

Verschiedene Ursachen wurden für das geringe Nahrungsbedürfniss Fettleibiger 
überhaupt verantwortlich gemacht. 

Magnus-Lewy 1 ), der bei ihnen 0-Einnahme und C0 2 -Abgabe niedriger als 
beim Normalen fand, kommt zu dem Schlüsse, dass ihre Zersetzungsgrösse nicht 
besonders klein ist, wenn man berücksichtigt, dass ein grosser Theil ihrer Körper¬ 
substanz aus Fett, also einem toten Einschlüsse besteht, der bei der Berechnung auf 
das Kilo eigentlich nicht mit berücksichtigt werden dürfte. 

Ein Blick auf unsere Tabelle lehrt aber, dass auch die absoluten Zahlen für 
die Kalorieenzufuhr in einzelnen unserer Fälle ganz besonders niedrig sind (1200 bis 
1500 Kalorieen). 

Freilich ist zu bemerken, dass es sich — entsprechend dem gewöhnlichen Typus 
der Fettleibigen — zumeist um kleine Individuen handelte, bei denen ein recht 
niedriges Körpergewicht als normal angenommen werden müsste. Andrerseits betnig 
alier die Zahl der nutzbar gewordenen Kalorieen auch bei den sehr gross und kräftig 
gebauten Patienten 29 und 30 blos gegen 2000, trotz angestrengter Arbeit. 

Im Sinne der Rubner’schen Theorie kann man auch die sich der Tonne 
nähernde Körperform solcher fettleibigen Patienten für ihr geringes Nahrungs¬ 
bedürfniss mit verantwortlich machen, da unter solchen Verhältnissen die Oberfläche 
im Verhältniss zum Körpergewichte klein, also auch die Wärmeabgabe durch die 
Haut weniger gross ist. Diese Annahme besonderer Körperform trifft aber für jene 
bereits erwähnten Kranken, die infolge ihres Diabetes wieder abgemagert waren, 
nicht zu. 

Schliesslich könnte man annehmen, dass das Fettpolster als solches und die 
mit ihm einhergehenden Cirkulationsstörungen in der Haut bei Fettleibigen eine 
grössere Wärmeabgabe verhindern, dass demnach bei ihnen die Grösse der Zer- 


!) Berliner klinische Wochenschrift 1895. Heft 30. 


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Ucber das Nahrnngsbedürfniss der Diabetiker. 341 

setzang im Gegensätze zum Normalen im wesentlichen durch die von ihnen ge¬ 
leistete Muskelarbeit beeinflusst wird, so dass bei ihnen thatsächlich bei Hinzutreten 
eines Diabetes eine Anpassung an die geringere nun zur Verfügung stehende Nahrungs¬ 
menge eintreten kann. 

Dort wo intensive Arbeit geleistet werden muss (Fall 25 und 41), gelingt es 
nicht so leicht, Körperansatz zu erzielen. Dabei mag das leichtere Schwitzen des 
Fettleibigen bei Arbeitsleistung und der dadurch bedingte nun erfolgende Wärme- 
vcrlust mit maassgebend sein. 

Eine auffallende Erscheinung bei den Kranken dieser Gruppe bildet die Er¬ 
fahrung, dass sie ihr Körpergewicht bei sehr verschiedener Nahrungszu'fuhr 
konstant erhielten, was wieder im Sinne einer Anpassung gedeutet werden könnte. 
In Tabelle III wurden zumeist blos die niedrigsten Werthe eingetragen, bei denen das 
Körpergewicht während langer Beobachtung gleich blieb. Es gelang hier nur selten, 
das eigentliche Nahrungsbedürfniss durch Abgrenzung jener Werthe zu bestimmen, 
bei denen Zunahme oder Abnahme erfolgte. 

Andrerseits wurden geringere Schwankungen des Körpergewichts (1—2 kg) viel 
häufiger beobachtet als bei Gruppe I, ohne dass sie durch geänderte Ernährungs¬ 
bedingungen direkt zu erklären wären. Besonders auffallend war der Einfluss 
psychischer Erregung auf die Abnahme des Körpergewichts. 

Gegenüber solchen inkonstanten Schwankungen mag daran erinnert werden, 
dass das Fettgewebe bis 30% Wasser enthält, dass dieser Wassergehalt aber 
schwankt und sicher vasomotorischen Einflüssen unterworfen ist. In manchen Fällen 
mag für dieses Verhalten beginnende Arteriosklerose, ein bei dieser Gruppe von 
Kranken häufiger Befund, auch dort von Belang sein, wo eigentliche Oedeme noch 
nicht vorhanden sind. 

Man vergleiche z. B. Fall 19 der Tabelle IV, wo an einigen wenigen Fällen der 
Versuch gemacht wurde, die Zersetzungsgrösse, ähnlich wie in Tabelle II der ersten 
Gruppe, zahlenmässig zu bestimmen. 

Dabei ergaben sich für den genannten Fall so ausserordentlich grosse schein¬ 
bare Schwankungen |der Zersetzungsgrösse, dass wechselnder Wassergehalt der Ge¬ 
webe auch zu einer Zeit angenommen werden musste, wo sichtbare Oedeme noch 
nicht nachweisbar waren 1 ). 

Dass Wasserverlust allein bei Fettleibigen im Gegensätze zu Gesunden grössere 
Gewichtsabnahme ohne Eiweisszerfall herbeiführen kann, beweisen die Versuche 
Dennig’s mit Wasserentziehung. 

Da Gruppe II reichlich Fälle von leichteren Diabetikern umfasst, bei denen 
dauernde therapeutische Erfolge zu erzielen waren, so konnte hier häufig genug ein 
grösseres Eiweissquantüm zugestanden werden. Aber auch die schweren Fälle dieser 
Gruppe erhielten mit einer Eiweisszufuhr von 90—100 g ihr Körpergewicht auf 
gleicher Höhe. 

Freilich ist zu bemerken, dass, wie die von vielen Autoren bei Entfettungs¬ 
kuren gemachten Beobachtungen beweisen, gerade bei Fettleibigen ein Gleichbleiben 


■>) Mit dem Auftreten von Oedemen wird eine Beurtheilung der Zersetzungsgrösse aus dem 
Verhalten des Körpergewichtes natürlich unmöglich. Ein gutes Beispiel bietet Fall 5 auf Tabelle VI 
(letzte Periode) mit scheinbarem Abfalle der Zersetzungsgrösso. 


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342 Wilhelm Schlesinger 

des Körpergewichts noch keine sichere Gewähr dafür bietet, dass Eiweiss nicht zu 
Verlust gegangen ist 1 ). 

Andrerseits scheinen aber nach Hirschfeld’s 2 ) Untersuchungen gerade Fett¬ 
leibige die Fähigkeit zu besitzen, sich bei längerer Dauer beschränkter Eiweisszufuhr 
dieser anzupassen. 

Nach dem Gesagten begegnet die Ernährung solcher fettleibiger Diabetiker 
keinerlei Schwierigkeiten. 

Eine Eiweisszufuhr von 120 g, entsprechend 250 g Fleisch, 3 Eiern, etwas Käse, 
reicht wohl für alle Fälle aus, und kann bei schwerer Glykosurie noch weiter er¬ 
niedrigt werden. Darf man etwas Kohlehydrate geben, so wird man durch Zulage 
von 60—80 g Fett fast stets in der Lage sein, nicht blos das Körpergewicht, sondern 
auch den Eiweissbestand des Organismus zu erhalten. Möglicherweise empfiehlt cs 
sich aber gerade bei diesen Fällen, die N-Bilanz gelegentlich zu kontrollieren, da 
hier das Körpergewicht allein ein weniger sicherer Wegweiser ist, als bei den Fällen 
der ersten Gruppe. 

III. 

An der Hand des Falles Cziep (47) wurde bereits erläutert, dass es, sofern von 
dem Zuckerverluste durch den Harn abgesehen wird, auch in jenen Fällen gelingt, 
das Körpergewicht zu erhalten, wo die Störung im Zuckerhaushalte so bedeutend 
ist, dass sogar die geringen, durch keine anderweitigen Nahrungsmittel ersetzbaren 
zugeführten Eiweissmengen durch Zuckerbildung entwerthet werden. Freilich gelingt 
cs in solchen Fällen auch nicht, durch Zufuhr noch so bedeutender Nahrungs¬ 
quantitäten eine Zunahme des Körpergewichtes zu erzielen, so dass ein erhöhtes 
Nahrungsbedürfniss vorgetäuscht werden kann. 

Eine weitere wesentliche Störung in der Nahrungsverwerthung könnte in der 
Bildung abnormer Säuren (Acetessigsäure, /9-Oxybuttersäure) gesucht werden. That- 
sächlich haben Münzer und Strasser») im Coma diabeticum einen besonderen 
Eiweisszerfall festgestellt. Man braucht zu seiner Erklärung durchaus nicht, wie es 
von anderer Seite geschehen ist, auf die eiweisszerstörende Wirkung von Organgiften 
zurückzugreifen. Denn die Menge abnormer Säuren, die unter diesen Umständen, 
wenn auch nicht ausgeschieden, so doch gebildet und im Körper retiniert werden, 
ist nach den Untersuchungen von Magnus - Lewy<) sehr bedeutend. Entgehen 
diese Substanzen, wie es im Coma anscheinend der Fall ist, der Verbrennung, so 
ergiebt sich daraus allein ein ganz bedeutendes Deficit an Wärmeeinheiten, das der 
Organismus durch vermehrte Eiweisszersetzung in dem Maasse zu decken trachtet, 
als er ja nicht in der Lage ist, seine durch Wärmeabgabe bedingten Ausgaben zu 
verringern. 

Bios ganz hypothetisch soll auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass die 
Unfähigkeit des Organismus, bei plötzlich eintretender Acidose seine Ausgaben rasch 
genug durch Ei weisszerfall zu decken, allein schon Lebensgefahr bedingen könnte. 

Jedenfalls war ausserhalb des Comas der durch Nichtverbrennung solcher 


Vergl. Weintraud’s fettleibigen, 80 kg schweren, Patienten J. (1. c. S. 15). In fünfWochen 
erfolgte hier eine Zunahme des Körpergewichtes um !/ 2 kg. Gleichwohl weist die N - Bilanz ein 
Deficit von 91,5 g auf, entsprechend 577 g Eiweiss. 

-) Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 22. — Berliner klinischo Wochenschrift 1894. 

3) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmak. Bd. 32. 

*) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmak. Bd. 42. 


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Ucber das Nahrungsbcdürfniss der Diabetiker. 343 

Substanzen für den Organismus sich ergebende Ausfall an Wärmeeinheiten bei einer 
Reihe von Fällen mit schwerer Acidose (Mayer, Wimmer, Bös) nicht gross genug, 
um namhafte Zunahme des Körpergewichtes zu verhindern. So sei bemerkt, dass bei 
der der zweiten Gruppe angehörigen Patientin Schneck (Tabelle III) noch wenige Tage 
vor dem Eintreten des Koma eine Körpergewichtszunahme um 2 kg konstatiert 
wurde, obwohl sie schon seit Monaten die Erscheinungen schwerster Acidose darbot. 
Andrerseits muss aber festgestellt werden, dass gerade bei den oben genannten Kranken 
der Tabelle II, verglichen mit den Kranken ohne Acidose, eine recht hohe Zer¬ 
setzungsgrösse berechnet wurde (40—44 Kalorieen), zumal, wenn berücksichtigt wird, 
dass es sich um Spitalskranke handelte, die eine nennenswerthe Arbeit nicht zu 
leisten hatten; es liegt nahe, die hier gefundenen hohen Zahlen durch Entwerthung 
eines Theiles der Nahrung (Fett?) durch unvollständige Oxydation (Oxybuttersäurc) 
zu erklären. Durch Kohlehydratzufuhr wird die Bildung solcher abnormer Säuren 
bekanntlich behindert oder ihre Verbrennung gefördert 1 ). So ging anscheinend unter 
ihrem Einflüsse im Falle Bös (Fall 6 der Tabelle II) mit dem Abnehmen der Eisen¬ 
chloridreaktion auch die Zersetzungsgrösse von 42—43 bis auf 37 Kalorieen herunter. 

Die nun folgenden Erörterungen gelten jenen Fällen von Diabetes, wo im Zu¬ 
sammenhänge mit anderweitigen Stoffwechselstörungen ein besonders hohes 
Nahrungsbedürfniss festgestellt wurde, und zwar handelt es sich dabei einmal um 
eine direkte Steigerung der Oxydationsvorgänge im Organismus, zum anderen um 
Entwerthung der zugeführten Nahrung durch gestörte Resorptionsverhältnisse. 

1. Gesteigerte Oxydationen, deren Annahme früher in der Pathogenese ver¬ 
schiedener Krankheiten eine grosse Rolle spielten, wurden durch exakte Respirations¬ 
versuche blos beim Morbus Basedowii nachgewiesen 2 ). Sie sind demnach auch bei 
kombiniertem Auftreten von Diabetes und dieser Krankheit von vornherein zu erwarten. 

In der Litteratur findet sich über eine ganze Reihe solcher Fälle berichtet, bei 
denen der Diabetes zumeist später als die Basedow’sehen Erscheinungen auftrat. 
Gewöhnlich wurden dabei auch ganz bedeutende Grade der Abmagerung beobachtet, 
doch fehlen exakte Angaben über die zugeführte Nahrung, so dass diese Fälle für 
die Beurtheilung unserer Frage nicht direkt verwendet werden können. 

Ich selbst hatte Gelegenheit, einen derartigen Fall zu beobachten: 

Katharina H. (Fall 48), 51 Jahre, Agentensgattin, erkrankte vor 12 Jahren unter den 
typischen Erscheinungen eines Morbus Basedowii mit schwankender Zu- und Abnahme des 
Körpergewichtes. Vor einem Jahre trat plötzlich auffallend grosses Hunger- und Durst¬ 
gefühl, sowie Harndrang auf, die eine Harnanalyse veranlassten, welche die Gegenwart von 
reichlich Zucker ergab. Bei einer einen Monat vorher vorgenommenen Harnuntersuchung 
wurde kein Zucker gefunden. 

Bei der Aufnahme fand sich ausser Struma, Exophtalmus, 120 Pulsschlägen, sehr 
lebhaften Reflexen, ein Zuckergehalt des Harns von 40 g bei niässig strenger Diät, der 
wohl bei strenger Fleischfettdiät verschwand, ohne dass indessen eine Steigerung der 
Toleranz erzielt worden wäre. Vielmehr rief schon die Zufuhr kleiner Mengen von Kohle¬ 
hydrat neuerliche Zuckerausscheidung hervor. Dabei wurde zu Beginn ein allmähliches 
Ansteigen des Körpergewichtes bei sehr reichlicher Nahrungszufuhr erzielt. Doch ist zu be¬ 
merken, dass auch während dieser Periode das Gewicht unter den gleichen Ernährungs¬ 
bedingungen oft durch Wochen blos eben konstant erhalten werden konnte. Als dann 


') Für die Oxybuttersäure nachgewiesen von Gerhardt und Schlesinger. Archiv für 
experimentelle Pathologie und Pharmak. Bd. 42. 

*) Magnus-Lcwy, Berliner klinische Wochenschrift 1895. — Stüvc, Festschrift des Frank¬ 
furter Krankenhauses zur 08. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerztc 189G. 


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344 Wilhelm Schlesinger 


nach dreimonatlicher Behandlung heftigere Erregungszustände mit vermindertem Appetit 
auftraten, sank das Körpergewicht rasch um 9 kg. Wenige Monate später erfolgte nach 
mündlicher Mittheilung Exitus an Entkräftung. 

Auf Tabelle V wurde der Versuch gemacht, die Zersetzungsgrösse für diesen 
Fall zu berechnen. Die dort gefundenen Werthe von 42 — 45 Kalorieen und 2 g 
Eiweiss sind mit Rücksicht auf das geringe Körpergewicht der Patientin und die 
von ihr geleistete sehr geringe Arbeit (während der letzten Periode zumeist Bettruhe) 
wohl abnorm hoch zu nennen und werden am ungezwungensten auf den bestehenden 
Morbus Basedowii mit gesteigerter Oxydation zurückgeführt, zumal für Resorptions¬ 
störungen keinerlei Anhaltspunkt vorhanden war. 

Robert Breuer 1 2 ) hat vor zwei Jahren Fälle von Jodismus beschrieben, die 
unter dem Bilde des Thyreoidismus respektive Morbus Basedowii verliefen. 

Für Fall Kress (22), der auch in Breuer’s Arbeit Aufnahme fand, sind auf 
Tabelle V die Zersetzungsgrössen berechnet, desgleichen für Fall 23. In beiden 
Fällen waren nach Joddarreichung Herzklopfen und Aufregungszustände aufgetreten, 
gleichzeitig Abnahme des Körpergewichtes. Letztere erfolgte im Falle 23 trotz reich¬ 
licher Nahrungszufuhr, so dass sich für die Jodperiode eine Zersetzungsgrösse von 
30 Kalorieen gegenüber von 24 in den Vor- und Nachperioden ergiebt. 

Fall Kress hatte vorher sein Körpergewicht bei 20 Kalorieen und 1,4 g Eiweiss 
pro Kilo lange konstant erhalten (sehr fetter Mann). Unter Jod erfolgte bei nur 
wenig geringerer Nahrungszufuhr eine Abnahme um 12 kg, so dass sich die Zer¬ 
setzung auf 27 Kalorieen und 1,8 g Eiweiss berechnet. Während des zweiten 
Monates dieser Periode wurde Jod überhaupt nicht mehr genommen. Aber auch 
während der nachfolgenden Periode von sechs Wochen, wo der Kranke sich wieder 
vortrefflichen Appetites und Wohlbefindens erfreute, stieg das Körpergewicht trotz 
sehr reichlicher Nahrungszufuhr (33 Kalorieen) nicht mehr an. Später erfolgte 
wieder Zunahme mit allmählichem Abfall der Zersetzungsgrösse. Ein Einfluss dieses 
Zustandes auf die Zuckerausscheidung wurde nicht beobachtet. Es liegt nahe, 
dieses Ansteigen der Zersetzungsgrösse unter dem Einflüsse der Jodintoxikation mit 
Breuer unter dem gleichen Gesichtspunkte zu betrachten, wie die beim Morbus 
Basedowii gefundene Steigerung der oxydativen Vorgänge. 

Für ihre Erklärung sind in beiden Fällen verschiedene Momente heranzuziehen*). 
Erstens eine gesteigerte Herz- und Muskelaktion. Doch ist bezüglich ersterer zu be¬ 
merken, dass mit der Zunahme der Pulsfrequenz gewöhnlich ein niedriger Druck 
im Arteriensystem einhergeht, so dass eine direkte Zunahme der Herzarbeit nicht 
ohne weiteres anzunehmen ist. Die bei beiden Affektionen vorkommenden Auf¬ 
regungszustände, sowie der Tremor sind wohl geeignet, die Sauerstoffzehrung zu ver¬ 
mehren. Doch wurde gesteigerte 0-Aufnahme von Magnus-Lewy auch bei 
ruhenden Basedowkranken beobachtet. Am wahrscheinlichsten ist es, dass die beim 
Morbus Basedowii beobachteten vasomotorischen Störungen, sowie die in ihrem Ge¬ 
folge auftretenden Schweisse zu einer gesteigerten Wärmeabgabe durch die Haut 
führen, so dass auch hier blos eine pathologische Modifikation der Rubner’schen 
Gesetze nachzuweisen wäre. Schliesslich könnte für die Abmagerung der Basedow¬ 
kranken allgemeiner die von den meisten dabei angenommene Vergiftung ver- 


1) Wiener klinische Wochenschrift 1000. Heft 28 und 29. 

2) Die sonst bei Basedow die Ernährung störenden Diarrhöen waren in unseren Fällen 
nicht vorhanden. 


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Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 345 

antwortlich gemacht werden. Möglicherweise erfolgt unter ihrem Einflüsse primärer 
Eiweisszerfall. Doch wird zugestanden werden müssen, dass Abmagerung infolge 
solcher Gifte ungezwungen auf dem Umwege der berührten, durch Gifte hervor¬ 
gerufenen vasomotorischen Störungen erklärt werden kann. 

2. Eine besondere Schwierigkeit, das Körpergewicht der Diabetiker zu erhalte^ 
ergiebt sich, wenn die Resorption der Nahrungsmittel vom Darm aus gestört ist. 

Solche Fälle finden sich auf Tabelle VI vereinigt. 

Fall 49 — 54 stellen schwerste Fälle von Diabetes dar, bei denen sämmtlich 
dauernd oder in einem späteren Stadium der Erkrankung ausgesprochene Fettstühle 
beobachtet wurden. Dieselben waren zumeist schon makroskopisch durch ihre 
lehmgraue Farbe als solche erkennbar, waren ungemein massig und enthielten 
mikroskopisch ganz ausserordentlich grosse Mengen von Fett in der Form von Fett¬ 
säurenadeln und Seifen, sowie anscheinend abnorm grosse Mengen von quergestreiften 
Muskelfasern. Rücksichtlich der Ernährung war ihnen gemeinsam, dass nur unter 
Zufuhr ganz grosser Nahrungsmengen anfangs das Körpergewicht zunahm (Fall 49, 
51, 53), während im weiteren Verlaufe Abmagerung erfolgte. In einzelnen Fällen 
(Fall 52, 54) konnte schon von Beginn an die Abnahme des Körpergewichts nicht 
verhindert werden. 

Wenn auf Tabelle VI der Versuch gemacht wurde, für diese Fälle die Zer¬ 
setzungsgrösse zu berechnen, so sind die gewonnenen Zahlen selbstverständlich nicht 
der Ausdruck der wirklichen Zersetzung, sondern sollen blos den Grad und die Zu¬ 
nahme der Resorptionsstörung versinnbildlichen. Sie übertreffen an Grösse, sowohl 
was das Kalorieenbedürfniss als die Eiweisszufuhr betrifft, beträchtlich alle von uns 
früher gefundenen Werthe. 

Auch sonst erwiesen sich diese Fälle klinisch als sehr schwer, betrafen zumeist 
jugendliche Individuen, zeigten rapiden Verlauf und endeten zumeist im Coma. Auch 
die Glykosurie war immer sehr schwer. Doch gelang es im Falle 49 und 51, 
wenigstens vorübergehend, den Zucker zum Verschwinden zu bringen, die Toleranz 
für Kohlehydrate zu heben und die Kranken durch 1 beziehungsweise 1 ’/* Jahre 
vollständig arbeitsfähig zu erhalten. Die Zuckerausscheidung selbst zeigte an ver¬ 
schiedenen Tagen trotz gleicher Nahrungszufuhr nicht selten namhafte Schwankungen. 
Sie war bei Fall 52 von Anbeginn an nicht sehr bedeutend (um 40 g), konnte aber 
auch durch Einschränkung der Eiweisszufuhr nicht so entschieden wie sonst beein¬ 
flusst werden — wohl sämmtlich Erscheinungen, die auf die gleichzeitig gestörte 
Eiweissresorption bezogen werden müssen. Indikan war in sämmtlichen Fällen 
trotz bestehender Stuhlverstopfung nicht nachweisbar (Obermayer’s Reaktion). 

Solche Fälle wurden vor mehreren Jahren von Hirschfeld 1 ) beschrieben, und 
zu Pankreas Veränderungen in Beziehung gebracht. Naunyn 2 ) macht dagegen geltend, 
dass gestörte Fettresorption sich wohl auch sonst finden könne, wo an den Darm 
rücksichlich ihrer auf die Dauer zu grosse Anforderungen gestellt werden. 

Eine solche Erklärung wäre vielleicht für Fall 54 heranzuziehen, wo der Stuhl 
ausser Fett- und Muskelfasern noch ausserordentlich grosse Mengen von Darm- 
epithelien enthielt. Zudem bestanden Darmkoliken und Stuhlverstopfung seit vielen 
Jahren, desgleichen Magenbeschwerden (Ueblichkeiten), während sich bei den übrigen 


9 Zeitschrift für klinische Mcdicin Bd. 10. 

*) I. c. S. 248. 

Zeitschr. t dlÄt n. physlk. Therapie. Bd. VI. Heft 6. 24 


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346 Wilhelm Schlesinger 

Kranken die Störung der Fett- und Eiweissresorption gerade, wie in Hirschfeld’s 
Fällen, durch keinerlei subjektive Symptome bemerkbar machte. 

Störung der Darmfunktion könnte auch für den Fall Wimmer in Anspruch ge¬ 
nommen werden, bei dem die Störung der Resorption erst gelegentlich seines letzten 
Spitalaufenthaltes konstatiert wurde, und bei dem die Autopsie ausser Pankreas¬ 
atrophie auch noch einzelne tuberkulöse Geschwüre im unteren Ileum ergab. 1 ) 

Dagegen fehlten bei den gleichfalls zur Autopsie gekommenen Fällen 49 und 
52 entscheidende Veränderungen am Darme. 

Wohl aber fand sich bei beiden, ebenso wie bei Fall Wimmer, ausgesprochene 
Atrophie des Pankreas, bei Fall 49 ausserdem noch umfängliche Fettnekrosen.*) 

Wenn noch bemerkt wird, dass bei den übrigen zur Autopsie gelangten schweren 
Fällen der Tabelle I (Fall 6, 11, 17 und 18) grobe Pankreasveränderungen vermisst 
wurden, so muss bei aller Vorsicht, die der Kleinheit des Materiales gegenüber am 
Platze ist, doch hervorgehoben werden, dass Steatorrhoe und Azotorrhoe, zumal, wenn 
sie, wie im Falle 52, schon von anbeginn und bei Zufuhr geringer Fettmengen beobachtet 
werden, einigermaassen für Pankreasaifektion sprechen. 

Fall 55 betrifft eine 64jährige Frau, bei der Fettstühle blos gelegentlich 
beobachtet wurden: 

M. P., 64 Jahre, erkrankte vor fünf Jahren plötzlich unter den Erscheinungen des 
Ileus mit heftigen Schmerzen in der linken Oberbauchgegend. Nachdem die ersten 
stürmischen Erscheinungen vorübergegangen waren, wurde in der Gegend der früheren 
Schmerzen bald ein Tumor gefunden; weiter reichlich Zucker im Harn, sowie gelegentliche 
Fettstühle. Die Untersuchung ergicbt eine etwas abgemagerte Frau, bei der ein walzen¬ 
förmiger horizontal gestellter Tumor von anscheinend Apfelsinengrösse, quer über den 
Nabel, mehr nach links zu, gefunden wird, der respiratorisch wenig verschieblich ist, nach 
links hin sich unter dem Rippenbogen verliert, und nach rechts von der handbreit unter 
dem Rippenbogen fühlbaren Leber abzugrenzen ist. 

Mit Rücksicht auf die Anamnese wurde eine Apoplexie des Pankreas mit nach¬ 
folgender Cystenbildung oder Peripankreatitis angenommen. 

Der Diabetes erwies sich trotz fünfjährigen Bestehens blos als mittelschwer. 
Fettstühle wechselten mit normalen Stühlen ab. Dabei wurde im ganzen eine 
namhafte Zunahme des Körpergewichtes erzielt. Der Einfluss der einzelnen Perioden 
von Fettstühlen auf das Körpergewicht ist aus der Berechnung der scheinbaren Zer¬ 
setzungsgrösse ohne weiteres ersichtlich. 

Schlieslich sei bemerkt, dass ich in letzter Zeit Gelegenheit hatte, einige Fälle 
von leichter Glykosurie bei älteren Leuten zu beobachten, bei denen trotz nam¬ 
hafter Nahrungszufuhr, und trotzdem es sich um fettleibige Individuen mit sonst ge¬ 
ringem Nahrungsbedürfniss handelte, die erwartete Zunahme des Körpergewichtes 
ausblieb. Klinisch zeichneten sie sich durch das gelegentliche Auftreten von 
Diarrhöen aus, die aber, weil selten, nicht geeignet erschienen, das grössere 
Nahrungsbedürfniss dieser Kranken zu erklären (Fall 56). 

Dagegen fanden sich auch in den festen Stühlen reichlich Fett und quer- 


') Für die gütige Mittheilung der Leichenbefunde bin ich Herrn Hofrath Professor Weichsel- 
bäum zu besonderem Danke verpflichtet. 

2 ) In Fall 49 wurde massiger Dünndarmkatarrh gefunden, der aber vermuthlich erst durch 
kürzere Zeit bestand, während die Störung der Resorption schon zu Beginn der Beobachtung fest- 
gestellt wurde. 


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347 


Ueber das Nahnmgsbedürfnfss der Diabetiker. 

gestreifte Muskelfasern. Da eine Autopsie in keinem Falle vorliegt, dieselben auch 
ihrer ganzen Natur nach eine andere Deutung wohl zulassen, sei nur ganz hypothetisch 
darauf hingewiesen, dass auch bei diesen Fällen geringfügiger Glykosurie die Möglich¬ 
keit einer Pankreaserkrankung (etwa Verfettung im Sinne Hansemann’s oder 
partielle Nekrosen) mit in Betracht zu ziehen ist. 

Ein besonderes Verhalten bot Fall 57 (Diabetes gravis). Für die Thatsache, 
dass es hier auch bei sehr reichlicher Nahrungszufnhr nicht gelang, das Körper¬ 
gewicht zu heben, ist wohl der Umstand verantwortlich zu machen, dass der Kranke 
an Infiltration beider Lungenspitzen mit abendlichen Temperatursteigerungen litt. 
In den Stühlen wurde trotz reichlicher Zufuhr kein Fett, wohl aber wurden un- 
gemein reichlich unverdaute Muskelfasern gefunden. Möglicherweise vermittelte 
ausser der Temperatursteigerung auch der Umstand der isoliert gestörten Eiweiss¬ 
resorption, wie er auch sonst dem Fieber eigenthümlich ist, die Störung in der Er¬ 
nährung. 

Die günstigen therapeutischen Erfolge, die auch bei einzelnen der genannten 
Fälle mit gestörter Resorption, wenigstens für eine gewisse Zeit erzielt wurden, 
mahnen dazu, auch bei diesen prognostisch ungünstigen Fällen einen Versuch mit 
strenger Diät nicht zu unterlassen. Dort, wo dieser Versuch fehlschlägt, oder im 
vorgeschrittenen Stadium wäre freilich der Hauptwerth auf eine reichlichere Eiweiss¬ 
zufuhr zu legen, wobei lösliche Eiweisspräparate mit in Betracht kämen. Daneben 
wäre zumindest der Versuch am Platze, durch Zufuhr kleinerer Kohlehydratmengen 
die Resorptionsverhältnisse zu bessern (v. Noorden). Die Milch stellt in solchen 
Fällen — weil emulgiertes Fett enthaltend — sicher ein empfehlenswerthes 
Nahrungsmittel dar, sofern durch sie nicht die Glykosurie excessiv gesteigert wird. 
Ausserdem wäre nach Vorschlag der meisten Autoren Pankreas in Substanz zu ver¬ 
suchen. Pankreatintabletten hatten auch nach unseren Beobachtungen keinen deut¬ 
lich nachweisbaren Einfluss auf die Resorptionsvorgänge. 


Wenn ich die gewonnenen Erfahrungen über das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker 
in wenigen Worten zusammenfassen darf, so ergab sich für den unkomplizierten 
Diabetes blos eine Thatsache, die sich mit Rubner’s Lehre nicht ohne weiteres in 
Uebereinstimmung bringen lässt: das ist das auffallend geringe Nahrungsbedürfniss 
der Diabetiker mit hoher Zuckerausscheidung, obwohl auch hier der Versuch ge¬ 
macht wurde, für die scheinbar fehlende Uebereinstimmung das Verständniss anzu¬ 
bahnen. 

Eine Reihe anderer auffallender Thatsachen, die durch die gewählte Methode 
der Berechnung der Zersetzungsgrösse aufgedeckt wurden und die mit Rubner’s Sätzen 
von der Konstanz der Zersetzungsgrösse, sowie mit seinen absoluten Zahlen für das 
Nahrungsbedürfniss normaler Individuen in scheinbarem Widerspruche stehen, lassen 
sich schon durch theoretische Ueberlegungen befriedigend erklären, die der Nach¬ 
prüfung durch den Stoffwechselversuch wohl stand halten dürften. 

Doch erscheint Diabetes nicht so selten mit anderen Stoffwechselanomalien ver¬ 
knüpft, denen allein eine pathologische Modifikation der Rubner’schen Ernährungs¬ 
gesetze zukommt. Zum Theile handelt es sich um zufällige Komplikationen, zum 
anderen Theile um Zustände, die mit der Krankheitsursache direkt verbunden sind. 
In jedem Falle sind sie geeignet, das Nahrungsbedürfniss des Diabetikers nach 
verschiedenen Seiten abzuändern. 

24 * 


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348 


Wilhelm Schlesinger 


Tabelle III. 





Beob- 


Gewichts-Zunahme bei 




Körper¬ 

gewicht 






Fall 

Name 

Diabetes 

achtet 

Zucker 

Kalorieen 

Eiweiss g 




Monate 

I e 

Menge 

p. Kilo 

» Menge p. Kilo 

19 

K., Bertha, 51 J. 

schwer 

3 

83-87 

_ 






Gutsbesitzerin 

(Acidose) 








20 

Arie, Isaak, 33 J. 

leicht 

2 

81 

30-80 

1524 

19 

142 

1,7 


Fleischhauer 

(Akromegalie) 







21 

M—k, Sal., 54 J. 

schwer 

3 

59-64 

60 

1563 

26 

125 

2,0 


Kaufmann 

(Coma diab.) 







22 

Kress, 63 J. 

leicht 

12 

82 

— 


_ 

_ 

_ 


Beamter 

(Struma) 








23 

Fr., Marie, 48 J. 
Wirthschafterin 

mittelschwer 

50 

83 

30-0 

2028 

25 

99 

1,2 

24 

Korab, 33 J. 
Uhrmacher 

leicht (5,5 o/o) 

6 

68 

0 

2150 

32 

136 

2,0 

25 

Rs., 61 J. 

mittelschwer 

5 

61 

— 

_ 

_ 

_ 

_ 


Ehefrau 

! 








20 

B—sch, 49 J. 

leicht 

11 

76 

— 

_ 

__ 

_ 

__ 


Beamter 









27 

T-ff, 42 J. 

mittolschwer 

2 

89 

— 

_ 

_ 

__ 

_ 


Advokat 









28 

Markussohn, 46 J. 

mittelschwer 

8 

06—75,4 

60 

2100 

30 

160 

2,3 


Arbeiter 

(Akromegalie) 








29 

Zöpfcl, 55 J. 

leicht (3 o/ 0 ) 

10- 

80-75 

— 

_ 

_ 

_ 

_ 


Bläser 








30 

Masaryk, 43 J. 
Händler 

leicht 

15 

84 

— 


— 

— 

- 

31 

P—k, Mina, 59 J. 

mittelschwcr 

3 

67 

— 


_ 

_ 



Geschäftsfrau 









32 

St., Karoline, 63 J. 

leicht 

12 

70 

— 

_ 

_ 

_ 

__ 

33 

Geschäftsfrau 
Tauber, 59 J. 

leicht (5,6%) 

5 

63 

0 

1850 

30 

127 

2,0 


Ehefrau 





1 


34 

Utz, 51 J. 

leicht (4,2%) 

5 

82 

_ 

_ _ 


_ 

_ 


Köchin 








35 

D—ger, 44 J. 
Brand weinschänk er 

schwer (Coma) 

12 

74—70 ' 

60 

2300 

33 

112 

1,6 

3G 

Wcilubek, 55 J. 

schwer 

12 

91-65 | 

1 

_ 

_ 

_ 

_ 


Magd 



i 






37 

Wozelka, 146 J. 

leicht (4%) 

2 

70 

0 

2000 

29 

_ 

_ 


Ehefrau 








38 

Schneck, 41 J. 

schwer (Coma) 

11 

04-68 

80 

1850 

27 

90 

1,3 


Händlerin 







39 

B k, 53 J. 

in ittelschwer 

14 

74—78 

0 

2400 

32 

126 

1,7 


Beamter 







40 

Mährischl, 43 J. 

schwer 

50 

70-78 

30 

2000 

26 

80 

1,1 


Händlerin 






41 

Dr. R., 32 J. 

schwer 

5 

79 

_ 

__ 

_ 

_ 

_ 


Chemiker 









42 

Popper, 53 J. 

mittelschwcr 

3 

88 

0 

2000 

23 

125 

1,4 


Ehefrau 








43 

His, 48 J. 

mittelschwcr 

10 

80 

0 

1700 

21 

90 

1,1 


Ehefrau 






44 

Hagelbauer, 47 J. 

leicht 

8 

91 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

1 

Musiker 

(Albumen) 








45 | 

Robiesek, 60 J. 

leicht 

12 

63 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 


Händlerin 









40 ' 

Alvinski, 60 J. 

mittelschwer 

11 

80 

_ 

_ 

_ 

_ 

_ 

1 

Ehefrau 1 

(Osteo malacie) 


J 

1 

i 

i 




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lieber das NahrnngsbedOrfniss der Diabetiker. 


349 


Fettleibige Diabetiker. 



Gewichts'Konstanz bei 


Gewichts-Abnahme bei 


Zucker 

Kalorieen 

Eiweiss g 

Zucker 

Kalorieen 

Eiweiss g 


* 

Menge 

p. Kilo 

Menge 

p. Kilo 

g 

Menge 

p. Kilo 

Menge 

p. Kilo 


60 

1992 

23 

115 

1,3 

— 

— 

— 

— 

— 

Wenig Bewegung. 

30 

1510 

19 

132 

1,6 

— 

— 

- 

— 

— 

Zumeist Bettruhe. 

— 

— 

— 

— 

— 

i 

— 

— 

— 

— 

Wenig Bewegung. 

0 

1600 

20 

116,5 

1,4 

— 

- 

— 

— 

— 

D 

0 

1900 

23 

99 

1,2 

0 

1857 

22 

93,5 

1,2 

Arbeit. 

0 

1950 

29 

137 

2,0 

0 

1820 

27 

140 

2,0 

» 

Spur 

1700 

28 

107 

1,7 

— 

— 

— 

— 

— 

Arbeit (früher 70 kg). 

Spur 

1700 

28 

107 

1,7 

— 

— 


— 

— 

Leichte Arbeit 

30 

2100 

23 

104 

1,2 

30 

1950 

20 

150 

1,7 

Mässige Bewegung 
(früher 106 kg). 

80 

1950 

28 

160 

2,3 

— 

— 

— 

— 

— 

Zumeist Bettruhe 
(Durchfälle). 

Spur 

2000 

25 

126 

1,5 

— 

— 

— 

— 

— 

Arbeit. 

Spur 

1900 

22 

130 

1A 

— 

— 

— 

— 

— 

Arbeit (grosser, kräfti¬ 
ger Mann). 

20 

1500 

22 

132 

2,0 

40 

1000 

15 

150 

2,2 

Mässigo Arbeit (klein, 
fett seit 9 Jahren). 

Spur 

1200—1400 

17—20 

130-140 

1,9 

— 

— 

— 


_ 

Wenig Bewegung. 

Spur 

1600 

25 

132 

2,1 

— 

— 


— 

— 

Mässige Arbeit 
(früher fett). 

0 

2000 

25 

102 

1,3 

— 

— 

— 

— 

— 

Arbeit. 

50 

2150 

30 

112 

1,6 

100 

2100 

28 

107 

1,4 

» 

50 

1800 

21 

88 

1,1 

60 

1500 

17 

95 

1,2 

» 

0 

1200—1500 

17—21 

90—125 

1,3—1,8 

— 

— 

— 

— 

— 

Mässige Arbeit. 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Mässige Bewegung. 

— 

— 

— 

— 

_ 

— 

— 

— 

— 

— 

Mässige Arbeit. 

— 

— 

— 

— 

— 

ü\ 

© 

1 

o 

1700 

22 

80 

1,1 

» 

Spur 

2500 

32 

130 

1,9 

Spur 

2200 

28 

90 

1,1 

Arbeit 

(grosser Mann). 

0 

1700 

19 

120 

1,3 

— 

— 

— 

— 

— 

Geringe Arbeit. 

60 

1550 

19 

110 

1,4 

— 

— 

— 

— 

— 

j> 

Spur 

2400 

27 

105 

1,2 

— 

— 

— 

— 

— 

Arbeit 

Spur 

1200 

19 

135 

2,2 

— 

— 

— 

— 

— 

Mässige Arbeit 
(früher fett). 

50 

1700 

21 

122 

1,5 

j — 

— 

— 

— 

— 

Mässige Arbeit 


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Original frorn 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Wilhelm Sc-hlcsingcr 


Tabelle IV. 


Name 


19 K, Bertha, 64 J., 

Gutsbesitzerin. 
Diabetes gravis, Acidose 
(Arteriosklerose). 


21 ‘ M — k, 54 J , Kaufmann. J 

Diabetes gravis, Acidose. j 


Arie, Isaak, 33 J , 
Fleischbeschauer. 
Diabetes levis 
(Akromegalie). 


| Periode 

Körper- 
| gewicht 

i 

Pro die Gramm 
Körpergewichts- 

Zunahme | Abnahme 

i " . 

Zucker 

£ 

12./11.—27./11. 01 

© 

00 

1 

3 

— 

108 

00—70 

28/11.— 4./12. 

84,0—85,9 

204 


90 

i 5./12.—11./12. 

86,9—85,8 


! 

GO 

12./12.—20./12. 

85,8—83,3 

— 

271 

•15—60 

21./12.—30./12. 

i 

83,3-87,1 

aso 

\ 


40—70 

1 

12./4.—20./4. 00 

58,7-00,3 

\ 

178 

; _ 

60-90 

21 ./4.— 1,6. 

00,3-01,9 j 

U4 

— 

70 

2./6.—21.6. | 

1__ _ J 

01,9-04,0 

| 106 

1 

Go 

j 18./1.—26/1. 02 

78,7—80,7 j 

280 


20—80 

| 2G./I.— 2 2. 

80,7-81,0 1 

60 

-- 

80 40 

3./2.— 9. 2. i 

81 

~ ! 


7—30 

10,2.-22,2. 

81,0 81,7 

i 

w i 

1 

13-0 


Tabelle V. Diabetes mit Morbus 


Name 


Periode 


Körper¬ 

gewicht 


Pro die Gramm 
Korpcrgewichts- 

I Zunahme j Abnahme 


| Zucker 

i £ 


II n, 61 J., Ehefrau. 
Diabetes mit Morbus 
Basedow». 


26 Fr I., Marie, IS .1., 
i Wirthschafterin. 

I Mittelschwer. 


22 Kress, 03 J , Beamter. 

! Diabetes levis (Struma). 


1 10/12.99- 

-22./1.00 

43,0-46,7 

1 73 


40-0 

23/1- 

- 1,3. 

46,7-47,0 

’ 34 

i 

0 

2./3. - 

-27,3. 

47,0 -47,6 

19 

— 

0-12 

28. 3. 

-28 /6. 

47,6 -38,3 


100 

1 um 00 

i 

1 

11, 12. 97- 

- 2 3. 98 

1 

79,9 82,8 

39 


28—0 

3/4. 

I0./6. 

82,8 79,7 

— 

31 

0 

13,3.- 

-30./3. !)t) 

86,6—81,6 


OO») 

, 16 

1 

10./4. - 

20./4. 00 

1 

82 1 



Sp.—0 

27/4. 

26./O. 

81,8 -09,6 


2< )8 

0 

20.0.- 

-13.8. 

09,6 ; 


— 

0 


28./1 1. 

09,6-72,6 ' 

38,4 

- 

0 


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Original ffom 

UNIVERSETY OF MICHIGAN 


351 


Ucber das Nahrungsbcdürfniss der Diabetiker. 


Fettleibige Diabetiker. 


Kalorieen- 

Kalorien zersetzt 

Eiweiss- 

znfuhr 

Eiweiss zersetzt 


zufuhr 

Menge 

per Kilo 

g 

Menge 

per Kilo 


\m 

2097 

25 

113,5 

124 

i 

1,5 


IW7 

1323 

15,0 

112 

85,0 

1,0 


199*2 

2031 

23,5 

115 

117 

1,4 


i m 

2504 

29,0 

101 

128 

1,5 

Theilweise Bettruhe. 

2081 

1231 

14,4 

125 

87 

1,0 [ 

Einen Monat spater Oedeine. 

1 

1G9:> 

1283 

21,C 

1 

105 | 

i 

87 | 

1,5 

Wenig Bewegung. 

1563 

1231 

20 ; 

125 

in i 

1,8 


1650 

1410 

22,4 

140 j 

130 

2,0 

Einen Monat spater Tod im Coma; 
keine Autopsie. 

1781 

1540 

19,3 

145 

135 

1,7 


1524 

1410 

17,4 

142,5 

137,5 

1,7 


1510 

1510 

18,0 

132 

132 

1,0 


1555 

! 1131 

i 1 

17,4 

129 

123,0 

1,5 , 


Basedowii uud Thyreoidismus. 



Kalorieen- 

Kalorieen zersetzt 

Eiweiss¬ 

zufuhr 

Eiweiss zersetzt 


zufuhr 

Menge 

per Kilo 

S 

Menge 

per Kilo 


2042 

1874 

42,t 

94 

80,7 

1,9 

J Massige Bewegung. 

2151 

2073 

44,7 

90 

80,0 

1,9 

2108 

2065 

43,7 

92 

90 

1.9 

1 

um 1500 

um 1730 

I 

um 41 

um 95 

um 105 

um 2,5 

Zumeist Bettruhe. 

2028 

1939 

23,8 

99 

95 

i 

i 

1,2 


1.857 

1928 

23,7 

39,5 

96,0 

1,2 


2004 

2512 

30 

97 

119 

1,4 

Jod. 

1G00 

| 1600 

| 20 

116,5 

110,5 

1,4 


1555 

20.35 

i 27 

140 

140 

1 

Jod bis20./5.; Herzklopfen, Aufregung. 

2.300 

1 2300 

j 33 

147 

147 

2,1 

Guter Appetit, Wohlbefinden. 

1077 

1890 

i 

1 

26,0 

1 

153 

153 

i 2,2 

1 

i 

1 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



352 


Wilhelm Schlesinger 


Tabelle VI. Diabetiker mit 






Pro die Gramm 

Zucker 

Fall 

Name 

Periode 

Körpergewicht 

Körpergewichts- 





Zunahme! Abnahme 

g 

49 

ß., Viktor, 19 J., 


20. 0.—28./10. 99 

54,0—57,3 

25,2 


265—0 


Student. - 


30./9.—25./10.00 

47,5 

— 


40—70 


Diab. gravis (Coma diab.). 

15./3.—30./3.00 

55,0-54,0 

— 

62,5 

17-0 

50 

H., Marie, 42 J., Ehefrau. 

, 30./10.— 3./11.99 

66 

_ 


00—14 


Diab. gravis. 

; 







i 

I 10./3.—23.'3. 98 

47,7-49,3 

123 


270—32 

51 

P., Karl. 33 J., 

j 24. 3.-27 /7. 

49,3-54,0 

37 


0 


Fabrikant. ^ 

1 



0—Sp. 


Diab. gravis (Coma. diab.). 

28.Z7. — 31./1 99 

54 





29.;'12.—27.; 6. 00 

50,8—45,1 

— 

32 

30 40 

52 

Vogt, Hugo, 32 J., Fischer, j 

1-/4.—15. 4.00 

53,10 

— 


40 


Diab. gravis (Coma diab.). 1 

17./7.—28./7. 

42 

— 

— 

15—40 

53 

Janowski, Marie, 23 J., 


1./6.— 15. 0. 01 

51,0-51,6 

40 

_ 

80-50 


Dienstmädchen. 


14.,'7.—21.'7. 

53,6-54,7 

138 

— 

Entzuckerung 


Diab. gravis. 






54 

P., Marie, 35 J., Ehefrau. J 

7./10.—21.,10. 98 

40,0-44,0 

0 

133 

100 


Diab. gravis. 1 


1 



1 



f 17-/2. —2G./2.99 

| 00,3—67,8 

187,5 

_ 

1 80 

: 


27./11.— 2./12. 99 

70.8—68,8 

— 

333 

108-60 

5 

Wimmer. 

1 3./12.— 9./12. 

1 08,8—66,0 

— 

400 

40 



10./12.—17./12. 

1 06,0—07,7 

212 

— 

i 40-70 




15./2.—25./2. 00 

i 73,0—79,5 

582 

— 

20—30 



1 

fj 19. 12.— 27/12.01 

57,8—58,0 

25 

— 

30-10 



, 28./12.— 3./1.02 

58,0-59,2 

171 

— 

10-0 

;k> 

P., Mina, 64 J., Ehefrau. 


4./1. - 10-/1. 

59,2-58,9 

— 

45 

0 


Mittelschwcr. 


ll./l. —31./1 

58,9-59,7 

38 

_ 

einige Tage 30, 


Pankreascyste. 


1./2. —21./2. 

59,7-61,8 

105 

— 

sonst 0 

0 




22.'2. — Ö./4. 

61,8—63,2 

32,5 

— 

0 




6./4. —13./4. 

63,2—62,0 

— 

171 

0 

50 

P., Julius, 52 J., 


17./1.—15./2.02 

72,3-70,5 

— 

00 

10—0 


Kaufmann. 

Diab. levis. 


16./2.—22./2. 

70,5—71,5 

145 

— 

0 




23-/2.— 3-/4. 

71,5 

— 

I 

0 

57 

Zwirina, 21 J., Binder. J 

5./0. —5./9. 00 

um 49 


~~ 

100 


Diab. gravis. 1 


l 


i 



j 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 






Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 


353 


Störungen der Resorption. 


Kalorieen- 

zufuhr 

Kalorieen zersetzt 

Eiweiss- 

zufahr 

ff 

Eiweiß8 zersetzt 


Menge 

per Kilo 

Menge 

per Kilo 

2635 

2578 

46,3 

122 

119,5 

2,15 



2247 

2247 

47,3 

86 

86 

1,8 



2010 

2754 

50,5 

66,5 

72,8 

1,3 

Autopsie: Fettnekrosen des Pankreas; 








Pankreasatrophie. 

2400 

2400 

36 

90 

90 

1,3 

Früher sehr fett; 1 Jahr später Tod im 








Coma; keine Autopsie. 

2686 

2406 

49,5 

126,5 

114 

2,4 



2600 

2575 

50 

105 

101,6 

1,9 



2402 

2492 

46 

94 

94 

1,7 



2779 

2852 

60 

85 

88,2 

1,85 

Keine Autopsie. 

2300 

2300 

43 

71,5 

71,5 

1,4 



2940 

2940 

71 

96 

96 

2,3 

Autopsie: Pankreas schmal, stark gefurcht, 








Bindegewebe stark vortretend. 

2230 

2140 

41,5 

125 

121 

2,3 



2400 

2078 

38,4 

60 

46 

0,85 

2 Monate später Exitus im Coma; keine 








Autopsie. 

2500 

2830 

63 

140 

150 

3,1 

Im Stuhle ausser Fett und Muskelfasern 








massenhaft Darmepithelien; 2 Monate 








später Tod im Coma; keine Autopsie. 

2775 

2347 

! 35 

169 

150 

2,2 

Erste Aufnahme s. Tabelle II. 

2127 

2883 

41,3 

107 

137 

2,0 

Autopsie: Atrophie des Pankreas, einzelne 








tuberkulöse Geschwüre im Ileum. 

2841 

3757 

55 

85,5 

135,5 

1,9 



3251 

2770 

41,4 

108,5 

87,5 

1,3 



3235 

! 1902 

I 

25 

81 

23,8 

— 

Oedeme. 

2020 

1964 

35,8 

118 

115,5 

2,0 

Fettstühle. 

1827 

1435 

24,5 

93 

76 

1,3 



1963 

2066 

35 

95,7 

102 

1,7 



1932 

1845 

31,1 

91 

87,2 

1,5 


Normale Stühle. 

2212 

1972 

32,5 

.115 

104 

1,7 



2144 

2068 

33 

114,5 

111 

1,8 


. 

2130 

2519 

40,3 

116,5 

i 

133,5 

2,1 

Fettstfihle. 

2100 

2234 

31,3 

133 

139 

1,9 

Gelegentlich reichlich Fett und Muskel- 








fasern im Stuhle. 

2294 

1962 

27,6 

134 

119,5 

1,7 



2264 

2264 

31,6 

135 

135 

1,9 



2500 

2500 

50 

130 

130 

2,6 

Tub. pulm. mit Fieber; im Stuhle kein 








Fett, aber massenhaft quer gestreifte 








Muskelfasern.Autopsie: Pankreas normal. 


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354 


C. Bolle 


V. 

Zur Therapie der Barlow’schen Krankheit. 

Von 

Dr. C. Bolle 

in Berlin. 

In der letzten Zeit tauchen in der medicinischen Fachlitteratur sehr häufig 
Berichte über die Bar low’sehe Krankheit auf, und hört und liest man oft über 
diese theilweise noch ziemlich räthselhafte Erkrankung die verschiedensten Vor¬ 
schläge betreffs deren Therapie. Zur Klärung der Frage dürfte der Krankheits¬ 
bericht eines kürzlich von mir beobachteten und behandelten Falles beitragen: 

Es handelt sich um das 2 V 2 jährige Kind einer besser situierten Familie. Die Eltern 
sind beide gesund, eine ältere Schwester lebt und ist auch gesund. Die Leute leben in 
guten sozialen Verhältnissen und haben an der Pflege des Kindes nichts fehlen lassen. Das 
Kind ist bis zum Januar d. J. mit den verschiedensten Milchsorten uud Nährpräparaten 
ernährt. Das was die Eltern schon seit etwa IV 2 Jahren beunruhigte, waren andauernde 
Durchfälle, die jeder Behandlung trotzten. Seit Januar d. J. erhielt das Kind Kindermilch 
von Kühen mit Trockenfüttcrung aus einer renommierten Berliner Meierei. Die Milch wurde 
15 Minuten im Soxhletapparat gekocht und auf ärztliche Verordnung in geeigneter Ver¬ 
dünnung ohne Milchzuckerzusatz verabreicht. Das Kind behielt jedoch die Durchfälle und 
nahm zusehends ab. 

Seit Februar d. J. schleppt das Kind den linken Fuss nach, die Durchfälle mehren sich. 
Im März stellt sich wackeliger Gang ein. Im April läuft das Kind nur noch ungern und 
mit Widerwillen. Der konsultierte Kollege stellt englische Krankheit fest und ordiniert 
zweimal wöchentlich Stassfurter Salzbäder. Seit Mai d. J. läuft das Kind überhaupt nicht 
mehr. Die anamnestische Aufnahme war sehr genau zu erheben, da die Mutter ein Tage¬ 
buch über das Befinden des Kindes geführt hatte, worin alles in gewissenhaftester Weise 
notiert und niedergelegt war und für mich dadurch zu einer werthvollen Fundgrube bei der 
Anamnese wurde. Das Kind soll nie gefiebert haben. Der zuletzt konsultierte Kollege 
glaubte jedoch neben der bestehenden englischen Krankheit wegen der grossen Schmerz¬ 
haftigkeit der Glieder des Kindes an das Bestehen eines rheumatischen Leidens und richtete 
seine Behandlung hauptsächlich darauf. 

Am 28. Juni d. J., abends 6 Uhr sah ich das Kind zum ersten Male. Die Diagnose 
war unzweifelhaft auf Barlow’sche Krankheit zu stellen. Es war geradezu ein Schulfall 
dieser immerhin ziemlich seltenen Erscheinung. Patient liegt theilnahmslos im Bett, wimmert, 
schreit und zeigt nicht für das Geringste irgendwelche Theilnahme. Die Eltern be¬ 
haupten, dass dies bereits seit mehreren Tagen Tag und Nacht anhalte, .dass das Kind 
höchstens einmal eine Stunde schläft, um mit einem lauten Aufschrei nach irgend einer 
Bewegung aus dem Schlummer zu erwachen. 

' Der Körper ist annähernd proportional gebaut, der etwas stark gebaute Kopf fällt 
jedoch auf. Die unteren Extremitäten des Kindes erscheinen verdickt, jedoch ist eine 
genaue Untersuchung wegen der grossen Schmerzhaftigkeit, die namentlich am linken Bein 
dicht unterhalb des Knies am stärksten erscheint, nicht möglich. Auf die leiseste Berührung 
hin reagiert das Kind mit gellendem Schrei. Grosse Schmerzhaftigkeit an den Rippenbögen 
lässt sich bei dem Versuch des Herausnehmens konstatieren, auch leidet das Kind unter 
lästigen Schweissen. Unterhalb des rechten Knies ist eine Berührung des geschwollenen 
Beines möglich, und hat dort der palpierende Finger das Gefühl, als ob es in der Tiefe 


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355 


Zur Therapie der Barlow’schcn Krankheit. 


knistert und schnurrt. Die Handgelenke sind leicht aufgetrieben, jedoch nicht knisternd. 
Am Zahnfleisch des Unterkiefers blutige Sugillationen; das gesammte Zahnfleisch der Mund¬ 
höhle befindet sich »in einem Zustande hämorrhagischer Schwellung«. 

Ich liess sofort an die schmerzenden Gelenke Priessnitzumschläge mit Essigwasser 
machen, ordinierte viermal täglich einen Theelöffel Weissbierhefe und als Nahrung 
pasteurisierte Kindermilch eigener Kuhhaltung, so wie sie geliefert wird, zur Hälfte mit 
Haferschleim verdünnt; den Haferschleim liess ich erhitzen und die Milch so ungekocht 
zusetzen. Als Getränk wurde Mohrrübensaft gestattet. 

Am 29. Juni, tags darauf, ist frühmorgens ein fester Stuhl erfolgt, und das Kind scheint 
im grossen und ganzen ruhiger geworden zu sein. Trotzdem an diesen Tagen mittags 
12 Uhr eine Temperatur von 22 °R im Schatten war, also ein relativ heisser Tag, scheint 

das Kind nicht mehr so unter den Schweissen zu leiden Sonstiger Befund unverändert. 

Als ferneres Getränk wird Rindfleischwasseraufguss 1:4 ungekocht verordnet. 

30. Juni. Das Kind macht einen bedeutend besseren Eindruck, giebt auf Fragen 
deutliche und klare Antwort und lässt sich willig untersuchen. Zum ersten Male sind 
mehrere festere Stühle von hellbrauner Farbe erfolgt; der Befund an den Füssen ist genau 
noch ebenso wie am ersten Tage der Behandlung, doch scheint die Schmerzhaftigkeit nach¬ 
gelassen zu haben. Die Milch soll jetzt nur noch mit Vs Haferschleim verdünnt werden. 

1. Juli. Besserung ist bedeutend vorgeschritten, abends wird ein lauwarmes Bad mit 
Kamillen verordnet; das Kind soll jetzt täglich viermal reine Milch trinken, so wie sie von 
der Meierei geliefert wird, ungekocht, und zweimal noch mit etwas Haferschleimzusatz. 

3. Juli. Die Füsse des Kindes lassen sich bewegen, ohne Schmerzen zu verursachen. 

5. Juli. Das Kind soll zum ersten Male während des Badens die Füsse selbstständig 

bewegt haben und setzte auch, im Bettchen liegend, die Füsse auf. 

9. Juli. Das Kind macht die ersten Stehversuche im Bettchen. Es isst alles mit, 
was es am elterlichen Tische zum Mittag giebt, namentlich viel Kartoffeln und Gemüse. 
Vom ersten Tage der Krankheit an habe ich jeden Mittag schon etwas Gemüse essen lassen, 
doch hatten die Eltern aus Furcht, dem Kinde den Magen zu verderben, ihm nur 1—2 Thee¬ 
löffel frisches Gemüse gegeben; jetzt ist jedoch die Angst der Eltern geschwunden, sie geben 
dem Kinde alles, was es verlangt. Es tritt täglich zwei- bis dreimal spontan ein fester 
Stuhl ein; das Kind sitzt und spielt im Bett, ohne Schmerzen zu zeigen. Die Schmerzen 
an den Rippenbögen, die sich namentlich dann stark zeigten, wenn man das Kind aufheben 
wollte, sind vollständig geschwunden; man hat den Eindruck, dass die Macht der 
Krankheit vollständig gebrochen sei. Das Kind, welches am 4. Juli 9390 g wog, wiegt 
am 12. Juli 9700 g, hat also in 9 Tagen 310 g zugenommen, was für ein 2 V 2 jähriges Kind 
immerhin in so kurzer Zeit als eine ganz gute Zunahme zu bezeichnen ist. 

Am 15. Juli sah ich das Kind zum letzten Male. Es läuft ohne irgend welche 
Schmerzhaftigkeit umher, bewegt obere und untere Extremitäten gleichmässig frei. Im Mund 
ist keine Veränderung mehr zu sehen; der Appetit ist ausgezeichnet, das Kind isst alles, 
was auf den Tisch kommt gern; keine Verdauungsbeschwerden; täglich etwa drei feste 
Stühle; wird als geheilt aus der Behandlung entlassen. 

Im ersten Augenblick erscheint es merkwürdig, dass bei einer 17tägigen 
Behandlung ein derartiger Erfolg erzielt ist. Ich hatte schon mehrmals Ge¬ 
legenheit, Fälle Barlow’scher Krankheit zu beobachten, und habe jederzeit die 
gleich günstigen Erfahrungen gemacht. Die Hauptsache ist und bleibt, wie auch der 
vorliegende Fall lehrt, dass bei Barlow’scher Krankheit sofort mit der bisherigen 
Ernährung zu brechen und das Kind möglichst mit roher Milch zu ernähren ist. 
Ich bin nun allerdings in der glücklichen Lage, dafür Sorge tragen zu können, dass 
in solchen Fällen den Kindern eine Milch gereicht wird, die als absolut einwands¬ 
frei roh getrunken werden kann. Darin scheint mir der Hauptwerth der Behandlungs¬ 
methode zu liegen, wie ich auch der Ansicht bin, dass für das Entstehen der 
Barlow’schen Krankheit lediglich eine zu lange Sterilisation der Milch 
verantwortlich zu machen ist. Ein ein-bis zweimaliges Aufwallen der pasteurisiert 


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C. Bollo, Zur Therapie der Barlow’schcn Krankheit. 


gelieferten Milch im Milchkocher oder ein ein bis zwei Minuten langes Kochen derselben 
Milch im Soxhletapparat (die Milch muss mit dem Wasser im Soxhletapparat erwärmt 
werden) genügt vollkommen, um pathogene Keime abzutöten. Aengstliche Gemüther 
mögen immerhin die Milch noch etwas länger kochen, doch möchte ich sieben Mi¬ 
nuten als die höchste Grenze bezeichnen. Fütterungsversuche, die ich bereits vor 
einer Reihe von Jahren angestellt habe, haben zur Evidenz erwiesen, dass mit 
sterilisierter Milch ernährte Meerschweinchen unweigerlich an Bar low’scher Krank¬ 
heit eingehen. 

Ich liess eine Serie von Thieren mit sterilisierter Milch füttern, und Milch 
hersteilen, die 5, 10, 15 etc. Minuten bis zu 2 Stunden sterilisiert war. Es wurde 
eine ganze Serie von Meerschweinchen mit dieser Milch gefüttert und zwar so, dass 
ein Thier während der Dauer des Versuchs nur 5 Minuten lang sterilisierte Milch 
bekam, das zweite Thier nur 10 Minuten lang sterilisierte Milch und so weiter bis 
zu den Thieren, die mit 2 Stunden lang sterilisierter Milch gefüttert wurden. 
Kontrollthiere wurden in Nachbarkäfigen mit derselben Milch, die jedoch entweder roh, 
oder nur einmal aufgekocht war, gefüttert. Es ergab sich das überraschende Resultat, 
dass nach etwa zwei Wochen bereits die Thiere, die mit der hochsterilisierten Milch 
gefüttert waren, eingingen, während die Sterblichkeit im umgekehrten Verhältnisse 
zur Dauer der Sterilisation abnahm, sodass die Meerschweinchen, welche mit 
5 Minuten sterilisierter Milch gefüttert wurden, nach einem Vierteljahre noch ebenso 
munter und gesund waren, wie die Kontrollthiere, während die mit 10 Minuten 
sterilisierter Milch gefutterten Thiere bereits klinische Erscheinungen der Krankheit 
zeigten 1 ). • 

Die zur Autopsie kommenden Thiere wiesen übereinstimmend eine grosse 
Knochenbrüchigkeit auf, bei einem Thiere waren in der Skapula grosse Löcher, wie 
mit der Laubsäge ausgesägt. Die langen Röhrenknochen zeigten sich brüchig und 
spröde, und an den Epiphysengrenzen Knochenabsprengungen. Die sämmtlichen 
Kontrollthiere blieben gesund, und die zu Vergleichszwecken geschlachteten Thiere 
zeigten normalen Knochenbau und keine Veränderungen. 

Die veränderten Knochen der Thiere wurden von mir seinerzeit einem Assistenten 
der thierärztlichen Hochschule vorgelegt, der mir diese Erscheinung nicht erklären 
konnte; jedoch kam auch er zu der Ansicht, dass diese Veränderungen auf das Ver¬ 
füttern von sterilisierter Milch zurückzuführen seien. 

Dadurch ist für mich der Beweis erbracht, dass das Entstehen der Barlow- 
schen Krankheit lediglich auf Verfütterung zu stark sterilisierter Milch zurück¬ 
zuführen ist, und dürfte in der Vermeidung dieses Faktors ein Hauptheilmittel zur 
Bekämpfung der Barlow’schen Krankheit zu suchen sein. 


i) Ein genau gloicher Versuch zwecks Feststellung des Wcrthcs pasteurisierter Milch ist be¬ 
reits angeordnet und werden die Erfolge später veröffentlicht 


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Kleinere Mittheilnngen. 


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Kleinere Mittheilungen. 


lieber die Diät Friedrichs des Grossen. 

Von Dr. Gotthold Ludwig Mamlock, 

Volontärassistcnt der I. medicinischcn Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rath 

Professor Dr. v. Leyden). 

Aus meiner demnächst im Verlage der Königlichen Hofbuebhandlung von Alexander Dunker 
zu Berlin erscheinenden Schrift über »Friedrichs des Grossen Beziehungen zur Medicin« sei im 
Folgenden einiges über die Diät des grossen Königs mitgetheilt: 

Die beiden Leiden, an denen Friedrich Zeit seines Lebens krankte, die Verdauungsstörungen 
sowie die Gicht, Hessen ihn frühzeitig den Werth einer zweckmässigen Diät erkennen. In ihr sah 
er »ein souveränes Heilmittel, erhaben über alle Medicin und Mediciner« 1 * ). Letzteren, sowie ihrer 
Kunst stand er stets sehr skeptisch gegenüber, jedoch ging er, wie er Voltaire 2 ) schreibt, in seinem 
Unglauben nicht so weit, den Werth einer guten Diät zu bozweifeln. Als sein Bruder, der Prinz 
Ferdinand, von einer fieberhaften Lungenerkrankung in Breslau ergriffen war, verlangte Friedrich 
strengste Innehaltung der von dem berühmten französischen Arzte Tronchin vorgeschriebenen Diät. 
Zuweilen pflegte er selbst seiner nächsten Umgebung diätetische Maassregeln zu geben. Besonders 
interessant ist, dass er seine Nichte, die Prinzessin von Oranien, ermahnt, während ihrer Schwanger¬ 
schaft sich zu »menagieren«, »pour ne pas trop nourrir le frut qu’ellc portera« 3 4 ). Dem Präsidenten 
der Akademie der Wissenschaften, Maupertuis, der schwer lungenleidend war und Blut auswarf, rieth 
Friedrich den Genuss von Frauenmilch; zu vermeiden wäre jedoch Fleisch, Kaffee, Wein und 
Likör*). Ebenso zweckmässig wie letztere Verordnung sind die Rathschläge, die Friedrich dem 
ihm besonders nahestehenden Grafen Suhms), sächsischem Gesandten in Petersburg, sowie dem 
italienischen Schöngeist Grafen Algarotd«) giebt: Beide litten an Magenbeschwerden und Ver¬ 
dauungsstörungen, und so, meint Friedrich, dürfen sie kein Gemüse, kein geräuchertes Fleisch, 
keine blähenden und erhitzenden Gerichte essen. Er fügt hinzu: »Ich habe dies alles selbst erprobt«. 
Bedenken wir, dass Friedrich der Grosse fast ständig von Verdauungsstörungen, Hämorrhoidal- und 
Gichtbeschwerden belästigt war, und dass er in den drei schlesischen Kriegen zu einem Verzicht auf 
eine regelmässige Lebensführung gezwungen war! Wie er selbst Voltaire schreibt, habe er all seine 
Anstrengungen nur ertragen, weil er sich einer strengen Diät unterwarf. In einem Briefe aus 
späterer Zeit, der ebenfalls an Voltaire») gerichtet ist, heisst es: »Ich bin unpässlich und krank, 
heile mich aber selber durch Diät und Geduld. Tronchin selbst wird nicht leugnen, dass es 
wenig spezifische Mittel giebt; und dass alles wohl überdacht, Kräuter und zerstossene Mineralien, 
die Federn, die von der Zeit abgenutzt und halb zerstört sind, weder ganz machen noch an¬ 
spannen kann. Die geschicktesten Aerzte geben den Kranken Medicin, um seine Imagination zu 
beruhigen und heilen ihn dann durch Diät Da ich Finde, dass Elixiere und Tränkchcn mir, seitdem 
ich krank bin, nicht die geringste Hilfe geben, so unterwerfe ich mich einer strengen Diät und 
habe mich bis jetzt recht wohl dabei befunden«. 

1 ) An Graf Rothenburg 1751 (P). 

2 ) 28. April 1759. (Briefstellen ohne nähere Angabe sind der Quartausgabe der Werke 
Friedrichs des Grossen von Preuss [Berlin 1846—1857. Bd. 31] entnommen und im folgenden durch 
[P] bezeichnet.) 

3) An Prinz Wilhelm von Oranien 9. April 1769 (P Bd. 27.) 

4 ) Koser, Briefe Friedrichs des Grossen an Grumbkow und Maupertuis. Publikationen 
aus den Staatsarchiv. Leipzig 1898. Bd. 72. 

Ä ) Correspondance famiHöre de Frödöric le Grand avcc le comte de Suhm. Berlin 1787. 
Supplement aux oeuvres posthumes Bd. 2. S. 391. (7. Juli 1739.) 

«) Förster, Friedrichs U. Briefwechsel mit Algarotti. Berlin 1837. (I. Oktober 1719.) 

7) 28. April 1759 (P). 

») 1. Januar 1765 (P). 


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Kleinere Mittheilungen. 


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Nach alledem wie Friedrich über den Werth einer guten Diät dachte, sollten wir nun von 
ihm eine besondere zweckmässige Lebensweise erwarten; zu unserem grössten Erstaunen finden wir 
jedoch einen auffallenden Gegensatz zwischen Theorie und Praxis bei ihm. 

Schon als Kronprinz, wo sich bei ihm bereits Störungen der Verdauung von grösster Hart¬ 
näckigkeit cinstellteni), liebte er, wie Augenzeugen 2 ) übereinstimmend berichten, pikante, scharf ge¬ 
würzte und schwer verdauliche Speisen. »Les haut-gouts«, schreibt der Graf Schulenburg, »hat er 
besondere gern; Forellen und Bouillon waren nicht nach seinem Geschmack«. Friedrich ist zwar 
nicht ein starker Esser gewesen; dass er sich aber auf Delikatessen ausgezeichnet verstand, ent¬ 
nehmen wir seinen Briefen an König Friedrich Wilhelm I., dem er die ausgesuchtesten Leckerbissen 
regelmässig aus Ruppin und Rheinsberg übersandte 1 * 3 4 ). Friedrich selbst äussertc sich mit Bezug auf 
seine vortreffliche Küche 4) seinem Geheimen Kämmerer Fredersdorf gegenüber wörtlich folgender- 
maassen: »Ich versichere dier, das unser Frass nicht kostbahr, aber nur delikat ist«. Wir geben ab¬ 
sichtlich diese Stelle in Friedrichs Ausdrucksweise wieder, weil sie einem der wenigen deutsch ge¬ 
schriebenen Briefe des grossen Königs entstammt 5 ). Den Tafelfreuden hat Friedrich auch später sich 
nicht gern entzogen, und selbst hei Revüen und Paraden dauerten die Mahlzeiten zuweilen drei 
Stundend). Es hat gewiss Interesse, einige Menus von Friedrichs berühmten Diners mitzutheilen; 
man erhält so eine Vorstellung von seinem Geschmack, zumal besondere bevorzugte Gerichte, wie 
das hier in der Wiedergabe auch geschehen ist, von ihm mit einem Kreuz versehen wurden. 


Menu vom 6. Mai 1784. 


1. Soupe ä la faubonne. + 

2. Boeuf au pannais. 

3. Asperges en cardons etpoulcts grillös et farcis. 

4. Tourte Kevenhiller. f 

Menu vom 6. 

1. Soupe aux choux ä la Fouqu6. + 

2. Du boeuf au pannais et carottcs. 

3. Des poulcts en cannelon aux concombrcs 
farcis au blanc ä Tanglaise (Friedrich setzte 
dafür: Des cotelettes dans du papier). 

4. De petits patez ä la romainc. 

5. Gebratene junge Kolennen. 

6. Du saumon h la Dessau. 


5. Le vaux. 

6. Concombres ä la Pompadour. 

7. Des roulades d’anguilles. 

8. Crachins ä Panglaisc. Houblon. f ") 

August 1786. 

7. De filös de volaillc ä la Pompadour avcc 
langue de boeufs et croquets. 

8. Portugieser Kuchen (Friedrich setzte dafür: 
Des gauffres). 

9. Grüne Erbsen. + 

10. Frische Heringe. + 

11. Saure Gurken«). 


Beide Menus müssen durch die Fülle schwerer Gerichte im höchsten Maasse auffallen; zumal 
das zweite, welches nur zwölf Tage vor dem Tode des Königs angcrichtet wurde. Nach den weiter 
unten folgenden Mittheilungen des Leibarztes Hofraths Zimmermann, haben wir allen Grund, an¬ 
zunehmen, dass Friedrich die besagten Speisen nicht verschmäht hat. Friedrich pflegte, wie wir 
aus zeitgenössischen Berichten») ersehen, zu Tisch »eine Boutcille Sekt« zu trinken, und zwar eine 
Marke, die Oeil de perdrix hiess. Ausserdem liebte er besondere Ungarwein 10 ) und Bergerac, auch 


1 ) Mamlock, Friedrichs des Grossen Beziehungen zur Medicin. Berlin 1902. S.2ff. 

2 ) Zi mm ermann, Uebcr Friedrich den Grossen und meine Unterredungen mit ihm. Leipzig 
1788. — Schöning, Friedrich II., König von Prcussen. Ueber seine Person und sein Privatleben. 
Berlin 1808. — Vehse, Geschichte des preussischen Hofes und Adels. Hamburg 1851. Bd. 4. S. 33 
und 35. S. 152. —■ Lavisse, Le grand Fredcric avant l’övönement. Paris 1893. S. 93. 

3) Briefe Friedrichs des Grossen an Friedrich Wilhelm 1. Berlin, Posen, Bromberg 1732 bis 
1739. (10. Februar 1736.) 

4) Vehse, Geschichte des preussischen Hofes und Adels. Hamburg 1851. Bd. 3. S. 195. 

5 ) Vehse, l.c. Bd.4. S. 33-35. 

ft) Der Bär, Zeitschrift für die Geschichte Berlins Bd. 24. S. 203. Lafayctte an Washington 
8. Februar 1786. 

“) PreuBS, Friedrich der Grosse, eine Lebensgeschichte. Berlin 1832. 4 Bände. 

*) Vehse, l.c. Bd.4. S. 33. 

») Schöning, l.c. — Grünhagen, Zeitschrift für preussischc Geschichte und Landeskunde 
1875. Bd. 12. S 608. 

i°) An Suhm s. oben l.c. eorrespondance. 7.Juli 1739 (P). 


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Kleinere Mittheilungen. 


359 


Moselwein, den er meist mit Wasser vermischt nahm. Rheinwein trank er gamicht, hielt ihn sogar 
für schädlich und führte seines Vaters Gicht auf zu starken Rheinweingenuss zurück i). 

Ausser für schweren Wein hatte Friedrich eine Vorliebe für starken Kaffee. Der französische 
Botschafter am Berliner Hofe, Marquis Valori, bemerkt in seinen Erinnerungen mit Bezug auf 
Friedrichs Lebensgcwohnhcitcn: »Son rögime ordinaire ne contribuo pas peu ä onflammer son saug«. 
Ein gewiss berechtigter Ausspruch, wenn wir hören, dass Friedrich morgens 7—8 Tassen Kaffee 
nahm, denen er zuweilen noch Senf zusetzte* 1 2 3 * ). Gewöhnlich trank er vorher mchrcro Glas Wasser 
rein oder mit Fenchel wasser vermischt*). 

Die im Vorstehenden mitgetheilte Lebensweise Friedrichs des Grossen kann bei seinen er¬ 
wähnten Beschwerden eine zweckmässige nicht genannt worden*). Besonders, da er an ihr auch 
in kranken Tagen im wesentlichen festhiclt. Zwar kehrt in seinen Briefen immer wieder, dass er 
durch «‘rögirae et patience« seine Gicht sowie die Verdauungsstörungen zu beseitigen gedenke 5 6 ), 
allein wirklich durchgreifende Aenderungen seiner Lebensweise, sowie etwa systematische Inne- 
haltung einer bestimmten Diät scheint er nie unternommen zu haben. Einige kürzere Badereisen 
können hier nicht in Betracht kommen ö). Fast die einzige Beschränkung, die sich Friedrich auf¬ 
erlegte, bestand im Verzicht auf das Abendessen; er theilt dies Voltaire 7 * 9 10 11 ) ausdrücklich mit, und als 
der Dichter später einen leichten Schlaganfall erlitt, räth ihm Friedrich, die Abendmahlzeit aufzu¬ 
geben **). Darauf scheint er grossen Werth gelegt zu haben. Seit dem siebenjährigen Kriege haben 
für Friedrich die Soupers aufgehört#). Während des Krieges selbst hat er oft genug, durch die 
Verhältnisse gezwungen, sich mit den allereinfachsten Speisen begnügen müssen. An Marschtagen 
bestand, wie er der Oberhofincistcrin Gräfin Camas meldet, sein Mittagessen nur aus einer Tasse 
Schokolade io). Kurz nach dem siebenjährigen Kriege sah er sich wegen seiner angegriffenen Ge¬ 
sundheit genöthigt, grösseren Diners fernzubleiben w), und als er sich einst beim Grafen Fouquö zum 
Essen ansagt, bittet er nur um »etwas gute Suppe« und »ein Gericht Spinat« u). 

Diese Genügsamkeit im Essen machte jedoch im Laufe der Jahre allmählich der Gewohnheit 
Platz, in grosser Menge die schwersten und unverdaulichsten Speisen zu gemessen. Schöningi' 2 ) hat 
uns gewissenhaft aufgezeichoct, welche Gerichte der König bevorzugte: stark gewürzte französische 
und italienische Speisen, Polenten, Kuchen, Pasteten, Mehlspeisen, Käsespeisen, Schinken, Sauerkohl, 
Grünkohl u. s. w. Friedrich selbst sagte von sich »und bin ich wie die schwängern Weiber, die un¬ 
ordentliche Lüste haben« i3). Gegen diese seine Gewohnheiten im Essen namentlich in dem letzten 
Drittel seines Lebens waren die Aerzte absolut machtlos. Der Breslauer Arzt Dr. Jagwitz, den 
Friedrich der Grosse wegen anhaltender Magen- und Darmverstimmung konsultierte, vcrordnctc u. a 
als Getränk für den König dünnen Gerstenschlcim, einfache Bouillon mit feiner Graupe und Ei, und 
eine Orgadc aus Perlgraupe. Er gestattete weiter gewürzfreie Schokolade, Wasser rein oder mit etwas 
Pontak oder Ungaiwein und geröstetes Brot. Er empfiehlt eine »solide nourriturc«, und bemerkt be¬ 
sondere: »Bei schlechter Verdauung ist sehr hoher goüt der Speisen schädlich« i**). Hierzu konnte sich 
Friedrich jedoch nicht verstehen und liess durch seinen Lcibchirurgcn Schlauch wenige Tage darauf 
dem Dr. Jagwitz mittheilen, »er tränke Moselwein und Bcrgerac mit drei Thcilen Wasser« u). Eine 

1) An Voltairo 27. Januar 1739. 

2 ) Valori, Memoires des nögociations ä la cour du roi de Prasse. Paris 1820 (juin 1740). 

3) Schöning, 1. c. S.6. 

Waldeyer, Festrede. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1900. 

5 ) An Alembert 11. März 1774 und 17. Mai 1770. — An Voltaire 15. Dezember 1775. — 
An Prinz Heinrich 1775. cfr. Preuss, Oeuvres. 4. Ausgabe. — An Prinz August Wilhelm 
28. Juli 1776. Geheimes Staatsarchiv, Berlin. 

6) Mamlock, 1. c. S. lff. 

7) 31. Juli 1767 (P). cfr. auch an Algarotti 1. Oktober 1849 bei Förster 1. c. 

«) 4. Dezember 1775. 10. Januar 1776 (P). 

9) Schöning, 1. c. — Zimmermann, I. c. S. 166. 

10) Lettres inödites de Frödöric II avec monsieur et madamc Camas. Berlin 1802. (I l November 
1760.) (2. Juni 1763.) 

n) FouquG, Memoires: Berlin 1788. Bd. 2. 

12 ) Schöning, 1. c. 

13) Burchardt, Friedrichs II. Briefe an Fredersdorf. Leipzig 1834. (14. Dezember 1745, 
nach Preuss* 4. Ausgabe der Oeuvres) 

11) Graf Lippe, Friedrich der Grosse im Kampfe mit seinem Seelenfutteral Zeitschrift für 
preussische Geschichte und Landeskunde Bd. 14. 


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360 Kleinere Mittheilungen. 


andere Gewohnheit Friedrich’s, nämlich den reichlichen Genuss von Obst versuchte Jagwitz auch 
vergeblich zu bekämpfen; Friedrich hatte eine grosseVoriiebe für ausgewählte Fruchte'). Diese pflegten 
in grossen Körben auf den Kommoden und Tischen seines Vorzimmers zu stehen. Am meisten scheinen 
ihm Kirschen, Feigen, Pfirsiche und Muskatellertrauben zugesagt zu haben d). Von den ihm lieb¬ 
gewordenen Genüssen war Friedrich nicht abzubringen; er konsultierte die verschiedensten Aerzte, 
hoffend, dass sich ihre Verordnungen mit seinen Wünschen vereinigen Hessen. Als der Berliner 
Arzt Dr. Muzel mit Erfolg seine Magenbeschwerden behandelt hatte, zog sich Friedrich durch zu 
reichlichen Genuss einer Mehlspeise einen Rückfall zu»). Der durch seine gelehrten Schriften be¬ 
kannte Dr. Möhsen, Friedrich’s Leibarzt im bayrischen Erbfolgekriege, wurde entlassen, weil er 
dem König den Genuss von Parmesankäse untersagt hatte 1 * 3 4 * * * 8 * 10 ). Welche Bedeutung für den grossen 
König der Küchenzettel hatte, geht vielleicht am besten aus einer Ode hervor, die er an seinen 
Koch Noel richtete, als dieser für ihn ein neues Gericht »Bombe ä la Sardanapale« hcrgcstellt hatte, 
ln dem langen Gedicht heisst es u. a.: 

»Was für Filets Dein Denken schon erfand, 

Was für Pasteten formte Deine Hand, 

Was für Hachis und Farcen zum Entzücken, 

Die unserm Gaumen, recht ein Wonneschmaus, 

Ihn kitzelnd fein, behagten überaus« 0 ). 

Diesen Koch Noel rühmt Friedrich* wiederholt seinen Freunden gegenüber, namentlich scheinen 
seine Pörigord-Trüffeln des Königs Beifall gehabt zu haben»). Während des siebenjährigen Krieges 
Hess er ihn sich nach Balkenhayn nachkommen, um auf die gewohnten Genüsse nicht verzichten zu 
müssen7). Die grosse Rolle, die Noel spielte, war für Friedrichs Aerzte ein Gegenstand steter Sorge»). 

In besonderem Maasse war das nun in des Königs letzter Krankheit der Fall. Obwohl immer 
wiederkehrendes Erbrechen und schwere Verdauungsstörungen bei Friedrich vorhanden waren, hören 
wir von Zimmermann , der ihn in den letzten Lebenswochen behandelte, dass der König bei seinen 
Mahlzeiten gerade die schwersten Speisen bevorzugte. Er pflegte zur Suppe einen grossen Ess¬ 
löffel voll von gestossenen Muskatblüthen und Ingwer zu nehmen; ferner Rindfleisch in Branntwein 
gekocht, in Butter gebackenen türkischen Weizen mit Parmesankäse und Knoblauchssaft, und 
schliesslich ass er noch Aalpastete, »die so heiss und würzhaft war, als ob sie in der Hölle gebacken 
schien«»). Wir hören weiter, dass der König gelegentlich morgens schon die verschiedensten, 
seinem geschwächten Magen wenig zuträglichen Dinge ass: ausser Kaffee und kaltem Fleisch nahm 
er Erdbeeren, Kirschen, sogenannte Diablotins — ein Schokoladckonfckt —, sowie Meringues, ein 
aus Zucker, Eiweiss und Rahm bestehendes Gebäck»). 

Dass Friedrich noch in seinen letzten Lebenstagen sich so wenig schonte, ist offenbar auch 
weiteren Kreisen nicht unbekannt geblieben. Vier Wochen vor dem Tode des grossen Königs, schreibt 
Mirabeau, der damals in Berlin war, an den Abbö Pörigord mit Bezug auf Friedrichs Gewohnheit 
im Essen: »II ötait incorrigible sur rinsobriötö«»). Diese Worte entbehren insofern einer gewissen 
Tragik nicht, als Friedrich selbst viele Jahre früher dem todkranken Mampertuis schreibt: »Avec 
la sobriötö vou8 rötablirez« 10 ). 

Bei Friedrich wäre allerdings damals kaum mehr etwas zu ändern gewesen, selbst bei der 
vorsichtigsten Lebensführung. Trotz aller Missgriffe im Essen und der daraus sich ergebenden 
mannigfachen heftigen Beschwerden hat er sich doch bis zum letzten Augenblick mit eiserner 
Willenskraft aufrecht erhalten. 


1 ) Zimmermann, 1. c. S. 166 und 167. 

*) An Alembert 12. August 1781 (P). 

3) Graf Lippe, 1. c. s. Schlauch’s Bericht Dezember 1767 oder 1768. 

4 ) Preuss, 1. c. Bd. 4. S. 234. 

ß) Vulpinus, Fridcricus redivivus. Berlin 1886. Ode an Noel 1772. 

») Fouquö, 1. c. 19 und 20. Oktober 1764. 

?) An Marquis d’Argens 4. April 1759. 

8) Zimmermann, 1. c. S. 113 und 29. S. 72. S. 101. 

ö) Welschingcr, La mission secröte de Mirabeau ä Berlin 1786 -1787. Paris 1900. Brief 
vom 12. August 1786. 

10 ) Koscr, 1.c. Brief an Maupcrtuis 12. April 1752. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

E. Biernacki, Beobachtungen über die Gly¬ 
kolyse in pathologischen Zuständen, ins¬ 
besondere bei Diabetes nnd funktionellen 
Neurosen. Zeitschr. f. klm. Medicin No. 41. 
S. 332. 

In pathologischen Zustanden zeigt die glyko- 
lytische Kraft des Blutes nur geringe Unterschiede 
gegenüber der Norm. Doch giebt es Ausnahmen. 
Zu diesen gehört der Diabetes mellitus, bei welchem 
Biernacki ausserordentlich niedrige Werthe fand. 
Es hangt aber der Grad der Glykolyse von der 
Konzentration der angewandten Zuckerlosungen 
ab. In 2% Losungen wurde vom diabetischen 
Blut absolut und relativ mehr Zucker zersetzt als 
in 0,5%igen. Bei Neurosen pflegt entgegen dem 
gewöhnlichen Verhalten das defibrinierto Blut 
starker zu oxydieren als das nicht defibrinierte. 

F. Voit (München). 


H. Sachs, Ueber das Verhalten der Glykogen- 
bildnng ausserhalb der Leber nach Lftriilose- 

zufuhr. Zeitschr. f. klin. Medicin No. 41. S. 434. 

Sach8 konnte durch Versuche an Fröschen 
zeigen, dass bei diesen nur die Leber die Fähig¬ 
keit besitzt, aus Lävulosc Glykogen zu bilden, 
die Muskeln und-sonstige Glykogendepots da¬ 
gegen nicht F. Voit (Münchenj. 


O. Cohnheini, Die Undurchlässigkeit der 
Wand der Harnblase. Zeitschrift für Biologie 
Bd. 41. Heft 3. 

Die entgegengesetzten Ansichten früherer 
Autoren über dies Thema erklären sich nach 
Cohnheims Versuchen dadurch, dass die in¬ 
takte Blasenschlcimhaut absolut 'undurchgängig 
ist, dass sie aber durch ätzende Substanzen und 
sogar schon durch hohen Diffusionsdruck an sich 
indifferenter Körper (Dextrose schon in 10°/ 0 
Lösung) wesentlich geschädigt wird und 
nun dem gegenseitigen Austausch des Blasen¬ 
inhalts und des vorbeifliessenden Blutes an ge¬ 
lösten Stoffen kein Hindemiss mehr setzt Trotz¬ 
dem theoretisch die Wandung absolut undurch- 

Zeltsehr. f. dfHt. n. phyalk. Therapie Pd. VI. Heft 6. 


lässig ist, können in praxi doch viele Gifte eben 
wegen der leichten Schädigung der Epithel Schicht 
von der Blase aus resorbiert werden. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


G. v. Bunge, Ueber ein Kochsalzsnrrogat 
der Negerstämme im Sudan. Zeitschrift für 
Biologie Bd. 41. Heft 4. 

Verfasser konnte durch eigene Analyse die 
Angabe der Afrikareisenden prüfen, dass gewisse 
Negerstämrae, die sich kein Kochsalz verschaffen 
können, die Asche gewisser auffallend natron¬ 
reicher Pflanzen statt des Salzes ihren Speisen 
zufügen. 

Bei der Untersuchung solcher Aschenproben 
fand v. Bunge thatsächlich sehr hohe Natron- 
werthe (fast 20%); während bei den natron¬ 
reichsten der europäischen Pflanzen auf 1 Th eil 
Kali V 2 Theil Natron treffen, ist in jenen von 
den Negerstämmen instinktiv gefundenen Ge¬ 
wächsen (Salsolacccnarten) dieses Verhältniss 1:6. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


P. B i el f el d, Zur Frage über die amylolytische 
Wirkung des Speichels. Zeitschrift für 
Biologie Bd. 4L Heft 3. 

Verfasser folgert aus seinen Versuchen, dass 
die Menge des Ptyalins ohne Einfluss sei auf 
die Menge des entstehenden Zuckers, dass letztere 
auch nicht von der relativen, nur von der ab¬ 
soluten Quantität des Amylums abhängc. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


H. Moreigne, Ueber die Wirkung der Ab¬ 
führmittel auf die Eruährnng. Archiv de 
mödecine experimentale et d’anatomic patho- 
logiquc 1900. Bd. 12. No. 4. 

Verfasser machte an sich selbst Unter 
suchungen über die Wirkung der Abführmittel, 
er beschäftigte sich besonders mit Aloe und 
Podophyllin. Nachdem er sich in Ernährungs¬ 
gleichgewicht gebracht hatte, nahm er Aloe 0,25, 
Podophyllin 0,02 ein; er untersuchte die 
248tündigen Urinausscheidungen am Tage vor 

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Referate Über Bücher und Aufsätze. 


der Einnahme des Abführmittels und an diesem 
Tage selbst Er folgert aus den quantitativen 
Bestimmungen des stickstoffhaltigen und der 
stickstofffreien Substanzen, dass durch das Ab¬ 
führmittel eine Steigerung des gesammten Stoff¬ 
wechsels und eine vermehrte Oxydation hervor¬ 
gebracht würde. Gesammtstickstoff, Harnstoff, 
Gesammtschwefel, Phosphorsäurc u. s. w. erfuhren 
eine Zunahme im Ham des Einnahmetages. Ver¬ 
fasser stellt weitere Untersuchungen in Aussicht, 
mit denen er eine wissenschaftliche Erklärung 
der zahlreichen therapeutischen Verwendungs¬ 
arten der Abführmittel zu geben hofft. 

W. Zinn (Berlin). 


C. Tittel, Versuche über die Verwendbarkeit 
des Fleischsaftes Puro. Allgemeine medi- 
cinische Centralzeitung 1900. No. 39. 

Die Versuche hat der Verfasser angestellt 
an der Abtheilung des Professors Frühwald 
für Kinderkrankheiten in Wien. Mit dem Präparat 
Puro wurde fast ausnahmslos zunächst eine rasche 
und bedeutende Verbesserung des Appetites er¬ 
zielt, womit natürlich Hand in Hand bei herunter¬ 
gekommenen und anämischen Kindern auch eine 
direkte günstige Einflussnahme auf die Blutbildung 
möglich war. Ausser dieser stimulierenden 
Wirkung auf die Verdauungsorgane besitzt das 
Präparat vor anderen Erzeugnissen ähnlicher Art 
noch den Vorzug, dass es zufolge seiner 20% 
Eiweiss einen beachtenswerthen Nährwerth in 
sich birgt Dadurch und durch die neuerliche 
Steigerung des sinkenden Appetits wird dieser 
Fleischsaft auch in Fällen angewendet werden 
können, wo durch die fortgesetzte Darreichung 
hochwerthiger Eiweisspräparate dem Kranken die 
Nahrungsaufnahme fade und eklig zu werden 
beginnt. Das Präparat hält sich infolge seiner 
hohen Konzentration sehr lange selbst im offenen 
Glase. Der gute Geschmack kommt seiner Ver¬ 
wendung in der Kinderpraxis und der Möglich¬ 
keit seiner verschiedenen Darreichung sehr zu 
statten. Mit mehreren Krankengeschichten belegt 
der Verfasser seine Ausführungen. 

W. Zinn (Berlin). 


C. Gerhardt, Ueber Entfettungskuren. 

Therapie der Gegenwart 1902. Juni. 

Die Ausnutzung der Nahrungsmittel wird 
durch Einnahme von borsaurem Natrium ge¬ 
schädigt. Von dieser Beobachtung ausgehend 
prüfte nun Gerhardt den Einfluss des Natrium 
biboraeicum auf Fettsüchtige. Bei drei Versuchs¬ 
personen wurde nach entsprechender Regelung 
der Diät und nach rochrmonatlichcm Borax¬ 


gebrauch eine Abnahme des Körpergewichtes 
von 3 — 13 Pfund erzielt Von besonderem 
Interesse ist der erste Fall, bei welchem nach 
34tägigem Boraxgebrauch die Herzbeschwerden 
sich besserten, und das Körpergewicht um 
8 Pfund sank, trotzdem die tägliche Nahrungs¬ 
aufnahme (vorzugsweise Stickstoffdiät) ungefähr 
2900 Kalorieen entsprach. Unter dem Einflüsse 
des Borax scheint namentlich die Ausnutzung der 
Fette herabgesetzt zu werden. Am zweck- 
mässigsten reicht man das Mittel dreimal täglich 
0,5 g. Grössere Dosen werden schlecht vertragen. 

Paul Lazarus (Berlin). 


M. Crem er, Ueber die Verwerthung der 
Rliamnose im thierischcn Organismus und 
einige damit zusammenhängende Fragen der 
Physiologie der Kohlehydrate. Zeitschrift 
für Biologie Bd. 42. 

Crem er verfütterte einem Hund und vier 
Kaninchen grössere Mengen Rhamnose und fand 
regelmässig, dass nur ein kleiner Theil dieses 
Zuckers unverändert im Harn ausgeschieden wird; 
die Hauptmenge verschwindet im Organismus, 
wird also offenbar verbrannt. Aus der Unter¬ 
suchung der Athemluft und des Urins zeigt 
Crem er nun, dass Eiweisszersetzung und Gc- 
sammtkaloriecnproduktion an den Rhamnosetagen 
keine wesentlichen Aenderungen aufweisen, dass 
dagegen die Fettzersetzung ganz entsprechend 
den aus der Rhamnose gelieferten Kalorieen ein¬ 
geschränkt wird. 

Die bisher über das Verhalten der Pen tosen 
ira Thierkörper veröffentlichten Untersuchungen 
sprechen, wie Crem er darlegt, durchweg in 
demselben Sinne, und Crem er bestreitet speziell 
die Berechtigung einer von v. Jaksch auf Grund 
eigener Versuche erhobenen Behauptung, dass 
die Pentosen vom Diabetiker nicht verwerthet 
werden. 

Im Anschluss an die mitgetheilten Versuche 
erörtert der Verfasser die Frage, ob die Pentosen 
Glykogenbildner seien; er hält die in einer 
früheren Arbeit begründete Ansicht, dass aus 
Pentosen kein Glykogen gebildet werden könne, 
aufrecht, lässt aber zu, dass sie die Glykogcn- 
bildung aus Eiweiss begünstigen können. Die 
Lehre, dass im Thierkörper aus Eiweiss Kohle¬ 
hydrat gebildet werde (nicht nur durch Ab¬ 
spaltung vorgebildeter Kohlchydratkoraplexe aus 
dem Eiweissmolekül),vertheidigt er lebhaft gegen 
Zweifel, die besonders von der Pf lüge r'sehen 
Schule erhoben wurden. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


363 


Strasser, Zur Frage der Milchkuren bei 

Diabetes« Blätter f. klin. Hydrotherapie 1901. 

No. 2. 

Strasser veröffentlicht in der vorliegenden 
kurzen Mittheilung einen Fall von Diabetes, in 
dem er die von Winternitz und ihm empfohlene 
Milchkur (Blätter f. klin. Hydrotherapie 1899. 
No. 10) angewandt hatte. Da es sich um einen 
jugendlichen Patienten handelte, der auf Ent¬ 
ziehung der Kohlehydrate mit Steigerung der 
Zuckerausscheidung (bis 7,9%) und Aeetonurie 
reagierte, so war der Fall als bösartig aufzufassen. 
Es wurde eine dreitägige absolute Milchdiät 
angeordnet. Der Patient trat mit 4,6% in die 
Milchkur ein und war nach 3 Tagen zucker¬ 
frei; ca. 8 Monato nachher ist er noch 
zuckerfrei gewesen. Mit der Milchkur war 
eine leichte Wasserkur verbunden, feiner zwei¬ 
mal am Tage 100 g Karlsbader Mühlbrunnen. 
(Wasserkur und Karlsbader Kur allein, ohne 
Milchdiät, hatten, wie vorhergegangene Versuche 
lehrten, keine Wirkung gehabt.) Nach der drei¬ 
tägigen Milchkur wurde erst eine Fleischmahi- 
zeit täglich eingeschoben, und vom achten Tage 
an wurde folgende Diätordnung cingchalten: 
morgens Theo ohne Zucker, 2 Eier, etwas Schinken; 
mittags eine Suppe, 2 Fleischspeisen, grünes Ge¬ 
müse und Käse; nachmittags % 1 Milch; abends 
kaltes Fleisch, Oelfische und Käse; auf den ganzen 
Tag vertheilt ein Stück Grahambrot im Ge¬ 
wichte von 200g. Ich vermisse eine Angabe 
über die Milchmengen, die in den Tagen der 
absoluten Milchdiät gegeben wurden. 

Da seit der Veröffentlichung der Methode 
erst eine einzige Arbeit erschienen ist, die sich 
mit dem Thema beschäftigt (Berger, Ueber den 
Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes mellitus 
Wiener klin. Rundschau 1900. No. 31), so wären 
weitere Nachprüfungen sehr wünschenswerth. 

Ucbrigens hat bereits 1898 Hoffmann in 
Leyden’s Handbuch der Emährungstherapie 
(Bd. 1. S. 683) eine kurze Bemerkung über die 
Anwendbarkeit der reinen Milchdiät bei Diabetes 
gemacht Gotthclf Marcusc (Breslau). 


P.Cohnheim, Die Heilwirknng grosser Dosen 
von Olivenöl bei organischen and spastischen 
Pylorns- und Dnodeualstenosen und deren 
Folgezustfiuden (Gastrektasie). Therapie der 
Gegenwart 1902. Heft 2. 

Der Verfasser erzielte in elf Fällen, bei denen 
es sich um die obengenannten Leiden handelte, 
durch Gaben von grossen Dosen von Olivenöl 
(100—250 g täglich) sehr gute, zum Theil über¬ 
raschende Erfolge, auch da, wo alle sonstigen 


therapeutischen Maassnahmen versagt hatten. Er 
erklärt sich die günstige Wirkung des Olivenöls 
in Fällen von spastischer Pylorusstenose (infolge 
von Ulkus oder Fissur am Magenausgang) durch 
die kr ampf stil len de Eigenschaft dieses Mittels, 
die ja auch schon bei reflektorischem Oesophago- 
spasmus und bei Gallensteinkoliken vielfach er¬ 
probt ist; die Erleichterung der Beschwerden, die 
der Verfasser auch bei organischer (narbiger) 
Pylorusstenose durch grosse Gaben von Olivenöl 
erzielte, führt er auf Verminderung des Reibungs¬ 
widerstandes durch das Oel zurück. 

In Anbetracht der guten Erfolge dieser Therapie 
räth der Verfasser, in allen Fällen von Pylorus¬ 
stenose, wo als ultimum refugium ein operativer 
Eingriff in Erwägung gezogen wird, vorher noch 
einen Versuch mit Oelbehandlung zu machen. 
Dieselbe hat insofern auch eine differential¬ 
diagnostische Bedeutung, als sie bei rein 
hysterischen Magenleiden versagt. 

A. Laqueur (Berlin). 


B. Gymnastik. 

Reichard, Funktionsherstellung durch 
Sehnenverpfianzung« Berliner klinische 
Wochenschrift 1902. No. 7. 

In scharfen Umrissen skizziert Verfasser die 
Technik, die Indikationen und Heilerfolge der 
Tenoplastik bei der spinalen und cerebralen 
Kinderlähmung, bei der Little’sehen Krankheit 
und dem kongenitalen Klumpfuss, sowie der 
reci di vierenden Flexionskontraktur des Knie¬ 
gelenks. Aus der grossen Reihe der vom Ver¬ 
fasser mit Erfolg ausgeführten Sehnon¬ 
verpflanzungen verdient ein Fall von infantiler 
posthemiplegischer Lähmung der Daumenbeuger 
hervorgehoben zu werden; durch Einpflanzung 
der Sehne des Extensor pollicis longus in die 
Beugesehne wurde ein vortreffliches funktionelles 
Resultat erzielt. Paul Lazarus (Berlin). 


A. B« J udson, Ueber Stützapparate bei Rück- 
gratsverkrümmung. Hoffa’s Zeitschrift für 
orthopädische Chirurgie 1902. Bd. 10. Heft 1. 

Verfasser demonstriert an einem Gummi¬ 
modell der Wirbelsäule die bereits von 
Harrison, Albert u.a. am Skelett erwiesene 
Thatsache, dass die skoliotische Wirbelsäule 
nebst der seitlichen Beugung noch eine 
Rotationsbewegung beschreibt. Die Anwendung 
des seitlichen Druckes auf den Rippenbuckel 
muss nun nach des Autors Anschauung die 
Rotation der Wirbelsäule vermehren. Nur durch 
direkten Druck auf die skoliotischen Wirbelkörper 

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364 


Referate über Bücher und Aufsatze. 


könnte man die Scitcnkrümmung sammt der 
Rotation korrigieren, eine bisher unausführbare 
Aufgabe. Paul Lazarus (Berlin). 


Rost’s Vibrationsapparat für Heilgymnastik« 

Der Apparat wiegt 500 g, so dass er vom 
Arzte in der ambulanten Praxis mitgeführt werden 
kann. Er wird wie eine Scheere gehandhabt. Er 
dürfte aber kaum weitere Verbreitung und An¬ 
wendung finden. Linow (Dresden). 

L. La quer, Bemerkungen zur physikalischen 
und suggestiven Behandlung der nach Un¬ 
fällen anftreteuden Neurosen« Therapie der 
Gegenwart 1902. Juni. 

Die Behandlung der traumatischen Neurose 
stellt an die Erfahrung und Diplomatie des Arztes 
die höchsten Anforderungen. Mit Nachdruck tritt 
La quer in seinem sehr lesenswerthen Aufsatze 
für eine unmittelbar nach dem Unfall einsetzende 
physikalische und psychisch - suggestive Be¬ 
handlung ein. Rühmenswerth ist die humane 
Auffassung des Autors: Der elektrische Apparat 
ist keine Daumenschraube zur Erpressung von 
Geständnissen. Aus diesem Grunde verbannt 
Laquer den faradischen Pinsel. Am zwcck- 
mässigsten erweisen sich milde hydro¬ 
therapeutische und gymnastische Prozeduren, 
schwache Faradisation der Schmerzpunkte oder 
parctischer Muskeln, zarte Galvanisation des 
Kopfes, des Sympathikus und des Rücken¬ 
markes, elektrische Theil- und Vollbäder und 
dergleichen. Mit Entschiedenheit tritt Laquer 
für die Einweisung von Unfallverletzten in be¬ 
sondere Unfällnervenklinikcn ein und verweist auf 
die Erfolge einer derartigen unter Wind scheid^ 
Leitung in Stötteritz stehenden Anstalt, in welcher 
physikalisch-thcrapcutischeUebungen mit Arbeiten 
iu eigenen Tischler-, Schlosser- und Lackierer¬ 
werkstätten verbunden werden. 

Paul Lazarus (Berlin). 


C. Hydro-, Balneo- und Kliniato- 
therapie. 

L. L o e w e n t li a I, Ueber Wärme als Heilmittel. 
Monatsblatt für öffentliche Gesundheitspflege 
1902. No. 7. 

In übersichtlicher, prägnanter Weise schildert 
Locwenthal die verschiedenen therapeutischen 
Anwendungsformen derfeuchten und dertrockenen 
Wärme, und deren physiologische Wirkung. Als 
besonders bemerkenswerth sei erwähnt, dass auch 
L o ew e n th a 1 gefunden hat, dass die Wänne- 


vcrtheilung iu den lokalen Heissluftkästen 
eine sehr ungleichmässige ist, und dass speziell 
die Temperatur der die Haut des behandelten 
Gliedes umgebenden Luft nicht über 48—50 ü C 
steigt, auch wenn die Temperatur oben im Heiss- 
luftkästen 150° beträgt. 

A. Laqucur (Berlin). 

S. Munter, Die Hydrotherapie der Lungen¬ 
tuberkulose« Berliner klinische Wochenschrift 
1902. No. 10. 

Für die hydrotherapeutische Behandlung am 
meisten geeignet ist nach Munter das Stadium 
der Lungentuberkulose, in dem noch keine Misch- 
infektion eiugetreten, und wo es zur eigent¬ 
lichen Phthisis pulmonum noch nicht gekommen 
ist. Die Hauptaufgaben der hydriatischen Therapie 
sind hier Hebung des Allgemeinbefindens, 
der Ernährung, des Appetits u. s.w., und andrer¬ 
seits Abhärtung gegen Erkältungen, welche zu 
der so gefürchteten Mischinfektion führen könnten. 
Jenen beiden Indikationen genügen kurzeKältc- 
reize, sei es nun in Form der die Gefässe mehr 
schonenden kalten Theil- oder Ganzwaschungen 
(10 — 20 0 C), Begiessungen oder Halbbäder, 
oder der mehr übenden Abreibungen, Brausen etc.; 
speziell zur Abhärtung empfiehlt der Verfasser 
die Wechsel warmen Brausen. Im übrigen lassen 
sich aber bestimmte allgemein gütige Rezepte, wie 
überhaupt in der Hydrotherapie, so auch hier nicht 
geben. Die Hauptsache bleibt bei allen bei Lungen¬ 
tuberkulose in Frage kommenden Kälteprozeduren, 
dass dabei eine W ä r ui e n t z i e li u n g durch vorher¬ 
gehende Anwärmung (im Bett, in einer feuchten 
Packung, im Licht- oder Heissluftbad) v c r m i e d e n, 
und stets für eine gute Gefässreaktion (durch 
ebendiese Vorwärmung und eventuell nach¬ 
folgenden mechanischem Reiz, Bewegungen etc.^ 
gesorgt wird. Unter diesen Kautelen lässt sich 
die hydrotherapeutische Behandlung der reinen 
Tuberkulose in allen Fällen durchführen: nicht 
überflüssig erscheint es, dass Munter auch hier 
wieder dem noch vielfach verbreiteten Irrthum 
entgegentritt, dass die Anwendung von lau¬ 
warmen Prozeduren für den Patienten schonender 
sei als kurz.e Kälteanwendungen mit Sorge für 
gute Reaktion. 

Zur lokalen hydriatischen Behandlung der 
Lungentuberkulose dienen die Lungenpackungen 
(Kreuzbinden). Sie bewirken nicht nur eine 
Besserung der Cirkulationsverhältnisse in den 
Lungen, Erleichterung der Expektoration und 
Verminderung des Hustenreizes, sondern wirken 
durch Verlangsamung der Pulsfrequenz und Er¬ 
höhung des Blutdruckes auch auf das ganze 
Cirkulationssysteiu des Kranken günstig. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


365 


Im Stadium der vorgeschrittenen 
Tuberkulose will Munter alle eingreifenderen 
Prozeduren vermieden wissen; doch rühmt er 
die günstige Wirkung von partiellen kühlen 
Abwaschungen bei Phthisis pulmonum, da¬ 
neben kann man auch hier noch die Kreuzbinden 
mit gutem Erfolge anwenden. Zur Bekämpfung 
des Fiebers können milde Prozeduren (Theil- 
waschungen, Abreibungen, Abklatschungen) ver¬ 
wandt werden; eine eingreifende antipyretische 
Wasserbehandlung ist hier selbstverständlich 
kontraindiziert. A. Laqueur (Berlin). 

Determann, Das Höhenklima im Winter und 
seine Verwendbarkeit für Kranke. Sammlung 
klinischer Vorträge 1901. No. 308. 

Während eine Reihe von Höhen orten in den 
Schweizer Alpen werthvolle und vielbesuchte 
Winterstationen darstellen, haben sich Winter¬ 
kuren in den Kurorten der deutschen Mittel¬ 
gebirge noch nicht einbürgern können. Auch 
liegt für sie kein genügend zusammcngestelltes 
und gesichtetes meteorologisches Material vor, 
auf Grund dessen genügeud sichere Indikationen 
aufgestellt werden könnten. Determann hat 
deshalb die meteorologischen Daten der letzten 
zehn Jahre für eine Reihe von Höhenstationen 
der Alpen, des Schwarzwaldes, desRicscngcbirgcs, 
Thüringer Waldes und Harzes gesammelt uud 
giebt in vorliegender Arbeit zunächst eine 
klimatologische Beschreibung der verschiedenen 
Gebirge und ihrer Stationen. Er bespricht das 
Verhalten des Luftdruckes, der Sonnenstrahlung, 
des Ganges der Temperatur mit tabellarischer 
Angabe der Monatsmittel, der Temperaturraaxima, 
der Tcmperaturschwankungen; der Luftfeuchtig¬ 
keit, die ja besonders bei der Auswahl eines 
Kurortes gewürdigt werden muss, da der Umfang 
der Bewölkung und der Niederschläge mit ihr 
verknüpft sind; der Sonnenscheinhäufigkeit und 
Dauer. 

Es folgen Betrachtungen über die An¬ 
forderungen, die an das Winterhöhenklima aus 
ärztlichen Gesichtspunkten gestellt werden müssen^ 
reine, staubfreie Luft, Exposition nach Süden, 
Windschutz und lange Besonnungsdauer, geringer 
Feuchtigkeitsgehalt, lange Dauer der Schneedecke. 
— Gegenüber den Alpen haben die Stationen der 
Vogesen, des Riesengebirges, des Schwarzwaldes 
keine so hohe Gleichmässigheit und Schönheit 
des Winterwetters, die Schneedecke ist keine so 
sichere und langanhaltende. — Nach einer kurzen 
Besprechung der Wirkungen des Höhenklimas 
.auf Gesunde und Kranke folgt eine Angabe der 
Indikationen für seine Benutzung. Neben der 
Tuberkulose führt Verfasser die nervösen Herz¬ 


erkrankungen auf (während Arteriosklerose und 
Herzmuskelerkrankungen, inkompensierte Herz¬ 
fehler ausgeschlossen sind), Neurasthenie, 
chronische Verdauungsstörungen, Anämie und 
Chlorose, Neigung zu Erkältungen. 

Endlich giebt Determann Aufschluss über 
die Art des Winterlebens in den einzelnen Kur¬ 
orten und schliesst mit einer Beschreibung der 
bekannten, schon jetzt mehr oder minder be¬ 
nutzten Orte der Schweiz und der deutschen 
Mittelgebirge. 

Diese letzteren Ausfährungcn, nicht weniger 
aber auch das beigebrachte statistische Material 
machen die Arbeit Determann’s werthvoll zur 
Orientierung für den Praktiker, der die Heil¬ 
faktoren des Winterhöhenklimas sich zu Nutze 
machen will. A. Locwy (Berlin). 


D. Elektrotherapie. 

S. Bang, Der gegenwärtige Stand der 
biologischen Lichtforschnng und der Licht¬ 
therapie. Berliner klinische Wochenschrift 
1901. No. 49 und Monatshefte für praktische 
Dermatologie Bd. 34. No 8. 

Die photobiologischen Untersuchungen haben 
bisher gelehrt, dass die brechbarsten Strahlen 
(violett und ultraviolett) eine spezifische Haut¬ 
entzündung hervorrufen, incitierend auf den 
Organismus, wohl hauptsächlich durch reflek¬ 
torische Vorgänge, wirken, und eine starke 
bakterientötende Wirkung haben. Die Licht¬ 
therapie lässt sich in positive und negative 
theilen. Die negative geht darauf aus, alles 
Licht, oder doch den chemisch wirksamen Theil, 
von dem Patienten abzuhalten und hat sich gegen 
lokale Hautleiden (Variola) bewährt. Die positive 
Lichttherapie verwendet theils das Licht für All- 
gcmeinbehandlung, theils lokalen Leiden gegen¬ 
über, und zwar hauptsächlich gegen Hautleiden. 
Die Allgeraeinbehandlung verwendet theils 
Sonnenlicht, theils elektrisches Bogenlicht oder 
Glühlichtbäder, jedoch ist ihr Werth noch nicht 
festgestellt. Der einzige Zweig der positiven 
Lichttherapie, der sowohl wissenschaftlich wie 
praktisch wohl begründet erscheint, ist die lokale 
Lichttherapie, so wie sie von Finsen ausgebildet 
ist und besonders bei Lupus vulgaris, Alopecia 
arcata, Acne vulgaris, Naevus vascularis u. s.w. 
mit grossem Erfolg angewandt wurde. Leider 
sind die jetzigen Apparate noch recht theucr; 
doch wird die Lichttherapie sicher eine grosse 
Zukunft haben, zumal die Technik stets bestrebt 
sein wird, billigere gleichwerthigc Apparate zu 
schaffen. Auch der Verfasser hat einen neuen 



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Referate über Bücher und Aufsätze. 


366 

Apparat konstruiert, der schnell und billig gute 
Resultate erzielt. Für die lokale Hautbehandlung 
benutzt er eine ganz kleine Lampe, die er näher 
beschreibt. Forchheimer (Würzburg). 


C. Brautlecht, lieber den Nachweis an¬ 
organischer Gifte, speziell des Arsens 
mittels Röntgenstrahlen. Fortschritte auf 
dem Gebiete der Röntgenstrahlen Bd. 4. Heft 6. 
S. 253. 

Von der Thatsache ausgehend, dass das 
Areen ein viel höheres Atom- wie auch spezi¬ 
fisches Gewicht hat als die Hauptkörperbestand- 
theilo sie besitzen, stellte Verfasser eine Reihe 
röntgographischor Versuche an Thiercn von kleiner 
Grösse sowie an der menschlichen Leiche an, die 
für die ereteren das Ergebniss lieferten, dass auch 
von Mengen bis zu 1 cg bezw. 1 mg der areenigen 
Säure herunter ein deutliches Bild der einver- 
leibten Sustanz erhalten werden könnte, während 
erst die cxcidierten Eingeweide der Leiche die 
Areenikablagerungen erkennen Hessen, indessen 
mit schärfster Lokalisation. Da ferner nach 
den Gerichtsannalen der überaus empfindliche 
chemische Nachweis des Arsens zuweilen infolge 
unreiner Reagenticn fälschlicherweise als positiv 
angeführt worden ist, wird darauf aufmerksam 
gemacht, dass das Röntgen verfahren es einem an 
die Hand giebt, dem Richter ein Bild der Ein¬ 
lagerungen der sonst chemisch nachzuweisenden 
Substanz vorzuführen. Cowl (Berlin). 


Carl Beck, On a case of sarcoma treated bj 
the Röntgen-Rays. New-York medical journal 
1901. IG. November. 

Beck beschreibt einen interessanten Fall 
theilweiser Rückbildung von Melanosarcomata 
infolge Röntgenbestrahlung, die am Unterschenkel 
und Malleolus ext. zur dauernden Vernarbung 
gebracht, dagegen in der Inguinalbeuge nicht 
mehr wesentlich beeinflusst werden konnten. Die 
Primärgeschwulst entstand in einem Muttermal 
(mole, Ref.) am Fussgelenk etwa ein Jahr vor 
dem Schluss des Berichts, wuchs zuletzt nebst 
infizierten Inguinaldrüsen äusserst schnell an und 
wurde wie diese zweimal innerhalb sechs Wochen 
excidiort. Um die Strahlen besser wirken 
lassen zu können, wurden letztere ein drittes 
Mal excidiert, jedoch ohne Erfolg, während viele 
kleine Metastasen am Unterschenkel wie auch 
das krankhafte Gewebe am Situs primär, ver- 
hältnissmässig rasch ausheilten. 

Cowl (Berlin). 


Rieder, Nochmals die bakterientötende Wir¬ 
kung der Röntgenstrahlen. Münchener me- 
dicinische Wochenschrift 1902. No. 10. 

Rieder hatte bereits im Jahre 1898 die Er¬ 
gebnisse von Versuchen über die bakterientötende 
Wirkung der Röntgenstrahlen veröffentlicht. Er 
war damals zu dem Resultat gekommen, dass die 
Röntgenstrahlcn die Bakterien in ihrer Entwick¬ 
lung hemmen. Zur Bekräftigung dieser Behaup¬ 
tung wurden neuerdings von ihm Versuche an¬ 
gestellt mit genau demselben Ergebniss. Da alle 
Faktoren, die, abgesehen von den Röntgenstrahlen 
selbst, noch als event. wirksam in Betracht kamen, 
wie das Fluorescenzlicht der Röhre, Wärme, Ozon¬ 
bildung, elektrische Wirkungen, eine etwaige Ver¬ 
änderung des Nährbodens, durch geeignete Ver¬ 
suchsanordnung entweder ausgeschaltet oder als 
unwirksam nachgewiesen wurden, so sprechen 
die Versuche für eine spezifisch-baktericide 
Wirkung der Röntgenstrahlen. Die Ab¬ 
tötung bereits voll entwickelter Kolonieeu gelang 
indessen nicht; nur bei in der Entwickelung be¬ 
griffenen Kulturen war eine Wirkung der Rönt¬ 
genstrahlen ersichtlich. 

Die Frage, ob das Resultat der Versuche 
eine praktische Anwendung zur Bestrahlung in- 
ficierter Thiere und Menschen gestatte, wird vom 
Verfasser, ebenso wie früher, verneint. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


S. Jellinek, Animalische Effekte der 
Elektrizität. Vortrag in der k. k. Gesellschaft 
der Aerzte in Wien vom 14. März 1902. Wiener 
klinische Wochenschrift 1902. No. 16 und 17. 

Verfasser versteht unter animalischen 
Effekten der Elektrizität Arbeitsleistungen, welche 
die Elektrizität durch Nah- oder Fernwirkungen 
am menschlichen oder thierischen Körper hervor¬ 
ruft, ohne Präjudiz über (Jas Wesen dieser 
Wirkungen. Sein Bericht enthält zahlreiche 
Citate der einschlägigen Litteratur. Inbetreff 
der Frage nach der Grösse des Widerstandes 
des lebenden Gewebes bringt Verfasser eine 
# grosse Menge Daten aus fremden und eigenen 
Beobachtungen, um zu zeigen, von wie vielen 
Faktoren die Widerstandsziffer thierischer Gewebe 
und des menschlichen Körpere abhängig ist. Daran 
anschliessend wird die Frage besprochen, welchen 
Weg der Strom im menschlichen Körper nimmt, 
und ob und wie die elektrische Energieform im 
lebenden Gewebe in andere Energieformen umge¬ 
wandelt wird. Insbesondere derBildung der Jo ule¬ 
schen Wärme wendet der Verfasser seine Aufmerk¬ 
samkeit zu. Zur näheren Erläuterung werden eine 
Reihe von Beobachtungen bei Unglücksfällen durch 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Starkstrom und Blitzschlag, sowie bei einer nord¬ 
amerikanischen Hinrichtung mitgetheilt und be¬ 
sprochen. Eine wesentliche Ergänzung erfahren 
diese mehr oder minder zufälligen Beobachtungen 
durch eine Reihe von Thierexperimenten, welche 
u. a. auch eine ausserordentlich verschiedene 
Toleranz der einzelnen Thierarten für den 
elektrischen Strom ergaben. 

Besonders dankenswcrth sind die Abbildungen 
von Nerven- und RückcnmarkBpräparaten, welche 
die zerstörende Wirkung von Starkströmen nach 
des Verfassers eigenen Beobachtungen zeigen. 

F. Frankenhäuser (Berlin). 


E. Serum- und Organotherapie. 

C. H. Cattle, Remark« on the relation of 
human and bovino tnbercnlosis. British 
medical joumal No. 2147. 

Auf Grund umfangreicher Studien und 
statistischer Untersuchungen von S. Martin, Sir 
Thorne, Mac Fadyean, Still, Shennan, 
Carr kommt Cattle zu folgenden Schlüssen: 
Die Möglichkeit der Infektion durch Milch kann 
nicht geleugnet werden, aber nicht alle Kinder¬ 
tuberkulosen haben diese Aetiologie; eine 
exklusive Milchtbeoric, die das häufigere Be- 
fallensein der Lunge im Vergleich zum Darm 
unberücksichtigt lässt, fehlt eben deshalb, weil 
sie die anderen Infektionsquellen nicht beachtet. 
Es steht ausser Zweifel, dass gewisse Kinder¬ 
krankheiten (Morbilli, Tussis, Bronchitis, 
Bronchopneumonie) mächtige prädisponierende 
Ursachen für die Tuberlosesterblichkeit ab¬ 
geben; sie hinterlassen eine Schwäche der All¬ 
gemeinkonstitution, Katarrh der Athemwege und 
häufig auch des Intestinaltraktus. Unter diesen 
Bedingungen gewinnt der weit verbreitete 
Tubcrkelbacillus einen Nährboden in den 
empfindlichsten Organen. Die Milch mag für 
manche Fälle verantwortlich sein, allein die 
Thatsache, dass die Schwindsucht im Thorax im 
jugendlichen Alter so häufig ist, lässt den Schluss 
zu, dass der menschliche Tuberkelbacillus (im 
einen Fall eingeathmet, im anderen verschluckt), 
vermischt mit den Körpersekreten, oder mit der 
Nahrung, die Ursache ist einmal vom Brustleiden, 
das andere Mal von der Darmerkrankung. Koch’s 
Behauptung, dass die primäre Danntuberkulose 
ausserordentlich selten sei, steht nicht im Ein¬ 
klang mit britischen Erfahrungen bei Kindern, 
was wohl zum Theil darauf zurückzuführen ist, 
dass in Deutschland das Kochen der Milch, mit 
englischer Sitte verglichen, die Regel ist. 

Zura Schluss vergleicht Cattle unsere An- 


367 


schauungen über die Ausbreitung der 
Tuberkulose mit denjenigen über die des 
Typhus. Wie wir früher annahracn, Fälle der 
persönlichen Ansteckung seien sehr selten, und 
jetzt glauben, diese Infektion komme doch jeden 
Augenblick vor, so kommen wir langsam bei der 
Tuberkulose zu der Idee, dass bei Erwachsenen 
die Infektion von Fall zu Fall beinahe die Regel 
sei. Und ob es bei Kindern — trotz der Milch 
— nicht ebenso ist? Block (Koblenz). 


Thomas, Notiz Ober den Gebranch grosser 
Bosen von Diphtherieserum. Revue mödicale 
de la suisse romande 1901. September. 

Verfasser hat mit dem von Roux hergestellten 
Diphtherieserum gearbeitet, das etwa dem hoch¬ 
wertigen Heilserum von Behring entspricht. 
Während Vallette und Aubin mit 5—10—15 ccm 
dieses Serums keine besonders günstigen Resultate 
erzielten, gelang es Verfasser, durch Einspritzung 
von 40 ccm als Maximaldosis die Statistik sehr zu 
verbessern. Am Tage nach der Injektion wird 
der Kranke beobachtet, um eventuell am dritten 
Tage noch eine aber schwächere Injektion zu er¬ 
halten. Schädliche Folgen sah Thomas nie. Doch 
mahnt er zur Vorsicht bei reichlicher Albuminurie. 

Fritz Rosenfcld (Berlin). 


Walger, Therapie mit spezifischem menscli- 
llchemRekonTalescentenblutserumbei akuten 
Infektionskrankheiten. 

Verfasser macht cs sich in dem summarisch 
gehaltenen Artikel zur Aufgabe, die von Weiss, 
Weissbecker, Blumenthal und Huber und 
ihm selbst beobachteteThatsachc, dassRckonvales- 
centensera nach akuten Infektionskrankheiten bei 
der Behandlung derselben günstige Resultate 
zeitigen, auf seine Weise zu erklären. 

Während die Symptome der akuten Infektionen 
(wie z. B. Exanthema und schenonische Infiltration) 
als Ausscheidungsbestrebungen des Organismus 
gegenüber den Toxinen von ihm aufgefasst werden, 
erklärt er das Fieber auf drei verschiedene Arten: 
Durch die Bildung der Toxine von Seiten der Er¬ 
reger wird zunächst ein Fieber erzeugt, welches als 
Prodromalfieber in Erscheinung tritt, während die 
im Laufe der Krankheit sich zeigende Temperatur- 
Steigerung hervorgerufen wird sowohl durch den 
Abbau der Toxine vermöge der vermehrten Zellen- 
thätigkeit des erkrankten Organismus als auch 
durch die Ausscheidung dieser umgebildeten 
Toxine. Den Anreiz zu diesem energischen Vor¬ 
gehen des Körpers liefern die krankmachenden 
Mikroben selbst, welche dadurch selbst die Heilung 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



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Referate über Bücher und Aufsätze. 


herbeiführen. Denn dieses umgebildeto Toxin allein 
hemmt durch seine Anwesenheit im Körper jede 
weitere Toxinbildung. Nur im Falle, dass diese 
Umbildung gelingt, ist eine Genesung möglich. 
Für die in dieser Hinsicht ungünstigen Fälle 
empfiehlt Verfasser, das Rekonvalescentenserum 
in die Behandlung einzuführen, da diese geheilten 
Fälle eben umgebildctes Toxin in sich tragen und 
dieses bei subkutaner Einführung in dem anderen 
Falle ebenfalls sofort die weitere Toxinbildung 
hemmt. Da in dem behandelten Falle keine Um¬ 
bildung des Toxins erfolgt, so ist auch das Serum 
desselben nicht wieder für Heilzwecke zu ver¬ 
wenden. 

Aus demselben Grunde sind die auf natür¬ 
lichem, quasi activem Wege geheilten Fälle selbst 
immun, während die auf passivem Wege, d. h. 
durchs Injektion von Rekonvalescentenserum zur 
Genesung geführten Kranken diesen Schutz nicht 
besitzen. Der wesentliche Punkt in diesen etwas 
zu theoretischen, mit Eh rlich ’s Ansichten vorerst 
wenig vereinbarlichen Ausführungen liegt darin, 
dass das umgebildete Toxin, welches nicht etwa 
zum Antitoxin wird, nicht bindend auf das ferner¬ 
hin gebildete Gift wirkt, sondern nur durch seine 
Anwesenheit eine Hemmung in der Giftbildung 
bedeutet. 

Mit einer Injektion von Rekonvalescenten¬ 
serum werden dem Körper demnach nicht Schutz- 
stoffe im hergebrachten Sinne, als Antitoxine oder 
baktericide Körper, beigebracht, sondern ein Stoff 
verwendet, welcher die Bildung der Gifte im 
kranken Körper sofort aufhebt, eine Anschauung, 
für welche der Verfasser bisher die Begründung 
noch schuldig geblieben ist 

Fritz Meyer (Berlin). 


Hedou, Sur la transfnsion, npr&s les 
liemorragies, de globales ronges purs en 
Suspension dans un sdrnm artiflciel. 

Archives de medecine expörimentalo et 
d’ematourie pathologique 1902. No. 3. S. 297. 

Hedou untersuchte, ob die Transfusion rother 
Blutkörperchen in physiologischer Kochsalzlösung 
suspendiert, im stände wäre, die Folgczustandc 
ausgedehnter Blutentziehung zu beseitigen. 
Hedou entnahm zu dem Zweck Kaninchen 
bezw. Hunden durch einen Aderlass zunächst 70 
bis 80 ccm Blut, injizierte alsdann intravenös eine 
gleiche Menge physiologischer NaCl- Lösung, 
wiederholte nach ein bis drei Stunden den Ader¬ 
lass und entzog nun 30 -50 ccm Blut, bis Zuckungen 
eintraten und die Korneareflexe der Thiere 


schwanden; sofort transfundierte er jetzt 30 bis 
50 ccm physiologischer NaCl, in der rothe Blut¬ 
körperchensuspendiert waren, in einer dem zweiten 
Blutverlust entsprechenden Menge. Die Trans¬ 
fusionsflüssigkeit wurde wie folgt hergestellt: 
Dem Versuchsthier oder einem anderen derselben 
Gattung wurde eine Quantität Blut entnommen, 
dasselbe wird defibriniert, über Glaswolle filtriert 
und dann so lange mit physiologischer NaCl- 
Lösung zentrifugiert, bis allein die rothen Blut¬ 
körperchen übrig bleiben. Ihnen wird so viel 
NaCl-Lösung zugefügt, bis die zu injizierende 
Menge erreicht ist. Schliesslich wird, um 
Leukocyten und Fibrinreste zurückzuhalten, das 
Ganze durch Papier filtriert. Wurde die 
Prozedur innerhalb derselben Thierspezies vor¬ 
genommen, so beobachtete Hedou nach vor¬ 
übergehender Athcmverlangsamung und leichter 
Temperaturschwankung regelmässig völlige 
Wiederherstellung der Thiere, selbst wenn ihnen 
so viel Blut entzogen war, dass Transfusionen 
mit reiner physiologischer Na CI-Lösung oder nur 
definibriertem Blut absolut wirkungslos war. Die 
in physiologischer NaCl - Lösung suspendierten 
Normocyten nehmen sphärische und Stechapfel¬ 
formen an, kehren jedoch alsbald zur gewöhn¬ 
lichen Form zurück und erhalten sich sehr lange. 
Hämoglobinurie und Albuminurie werden nach 
diesen Transfusionen nie beobachtet. Die Er¬ 
holung der Thiere erfolgt ziemlich schnell, wenn 
die Menge der transfundierten Erythrocyten ge¬ 
ringer ist, als die der durch Aderlass entnommenen. 
Nach der Transfusion tritt zunächst Hyper- 
I leukocytose auf, und die Zahl der rothen Blut¬ 
körperchen schwankt sehr beträchtlich, um all¬ 
mählich zur Norm zurückzukehren. Rothe Blut¬ 
körperchen aus Thromben sind in gleicher Weise 
verwendbar. Der Aderlass wurde in zwei Ab- 
: sätzen vorgenommen, weil sich auf diese Weise 
viel mehr Blut entziehen lässt. Wird in der be¬ 
schriebenen Weise eine Transfusion unter ver¬ 
schiedenen Thierspezies gemacht, so tritt nach 
etwa vier Tagen eine völlige Zerstörung der 
injizierten Erythrocyten ein, und die Thiere gehen 
mit Hämoglobinurie und Lungeninfarkten zu 
Grunde; ebenso wirkt Transfusion mit dc- 
! finibriertem Blut meist ungünstig, wenn vorher 
eine tötlichc Blutentziehung statt hatte: während 
Transfusionen mit rothen Blutkörperchen, in 
NaCl-Lösung suspendiert, stets das Leben er¬ 
halten. Die globulicide und hämolytische Eigen¬ 
schaft des Serums einer bestimmten Thierart für 
eine andere hindern auch die Uebcrtragung der 
| Versuche auf den Menschen: da Thierblut nicht 
I im stände ist, lebensfähig im menschlichen Kreis- 
| lauf zu bestehen. G. L M am lock (Berlin). 


Berlin, Druck von W. BUxcnstein. 


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Original frorri 

UNIVERSITY 0F MICHIGAN 





ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 7 (Oktober). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. y. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider and Priv.-Doc. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original -Arbeiten. seit« 

I. Blutbefund bei Schwitzprozeduren. Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität 

Berlin (Leiter: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Brieger). Von Dr. Walter Krebs, 
Stabsarzt an der Kaiser Wilhelms - Akademie, kommandiert zum Institut, und 
Dr. Martin Mayer.371 

II. Ueber die tägliche Wägung als diagnostisches Hilfsmittel, besonders bei Herzkrankheiten. 

Von Dr. H. Iacobäus, dirigirender Arzt am Finsen-Sanatorium in Kopenhagen. Mit 

11 Abbildungen.385 

UI. Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen auf Grund von Blut¬ 
druck- und neuramöbimetrischen Messungen. Von Dr. Arthur Locbel, Kais. Rath, 

K. K. Bade- und Brunnenarzt in Wien-Doma.398 


II. Kritische Umschau. 

Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. D w o re tz k y 

in Riga-Schreyenbusch (Schluss).407 

III. Berichte über Kongresse und Vereine. 

Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie 

zu Bern (1.—6. September 1902). Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann zu Breslau 413 

IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Schule, Die Bestimmung der motorischen Thätigkeit des menschlichen Magens.417 

Wittgenstein, Physikalisch-diätetische Behandlung der Magenkrankheiten in der Praxis . 417 

Burwinkel, Herzleiden und Ernährung.418 

Weisz, Ueber die Gicht.418 

Weiss, Ueber den Einfluss von Alkohol und Obst auf die Ilamsäurebildung.418 

Hirschler und v. Terray, Lehrbuch der Diätetik.. 418 

B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Jaquet, Höhenklima und Blutbildung.420 

Koväcs, Experimentelle Beitrage über die Wirkung von Sauerstoffinhalationen.420 

Campbell assistcd by Uoagland, The blood count at higt altitudes.420 

Zeitsohr. f. dUM. n. phyalk. Therapie Bd. VI. TToft 7 oft 


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Original fro-rn 

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Seite 


370 


Inhalt. 


C. Elektrotherapie. 

Schürmayer, Die Photographie bezw. Mikrophotographie in der ärztlichen Praxis .... 421 

Foveau de Courmelles, Die Lichtbehandlung .421 

Zanictowski, Versuche über Voltaisation .421 


Rügnier und Didsburg, Nouveau proc6d6 d’analgösie des dents ä l’aide de TCdectricite . 422 

D. Serumtherapie. 


v. Behring, Beiträge zur experimentellen Therapie.422 

Rahner, Zur Epidemiologie und Aetiologie des Keuchhustens.42:3 

Schroeder, Zum Vorkommen der Eutertuberkulose bei der Ziege.423 

E. Verschiedenes. 

Reichs-Medidnal-Kalender 1903 423 

Kulisch, Ueber Kystrokopie.424 

v. Notthaft und Kollmann, Die Prophylaxe bei Krankheiten der Harnwege und des 

Geschlechtsapparates (des Mannes).424 

Zuschrift von Dr. Anton Bum.424 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 Va—4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original from 

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Original - Arbeiten. 


I. 

Blutbefimd bei Schwitzprozeduren. 

Aus (1er hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin. 

(Leiter: Oeh. Med.-Rath Prof. Dr. ßrieger.) 

Von 

Dr. Walter Krebs und Dr. Martin Mayer. 

Stabsarzt an der Kaiser Wilhelms-Akademie, 
kommandiert zum Institut. 

Ueber die Beeinflussung der Blutmischung durch Schwitzprozeduren existiert 
bereits eine grössere Reihe von experimentellen Arbeiten. Bei der Durchsicht der 
betreffenden Litteratur fällt es jedoch auf, wie sehr die Befunde und die Ansichten 
der einzelnen Untersucher von einander abweichen. Es erschien deshalb nicht un¬ 
wichtig, durch Anstellen einer grösseren Versuchsreihe, wenn möglich, eine Klärung 
in dieser Frage herbeizuführen. Da gerade in letzter Zeit von Seiten einzelner 
Lichttherapeuten eine hochgradigere Einwirkung der verschiedenen Lichtschwitzbäder 
auf das Blut bezüglich einer Vermehrung des Hämoglobins und der Leukocyten 
gegenüber den älteren Schwitzmethoden (Heissluftbad, heisses Wasserbad) betont 
wurde, empfahl es sich, diese verschiedenen Schwitzprozeduren in parallelen Versuchs¬ 
reihen zu studieren, um eventuell dadurch einen Anhalt zu therapeutischem Vorgehen 
zu gewinnen. 

Es wird vortheilhaft sein, ehe wir auf unsere eigenen Untersuchungen näher 
eingehen, die Befunde und Ansichten der früheren Autoren kurz anzuführen. Wir 
beschränken uns dabei im wesentlichen auf diejenigen Arbeiten, die sich auf all¬ 
gemeine Wärmeprozeduren mit dem Endziele des Schwitzens beziehen, so¬ 
weit nicht zur Erklärung der Phänomene auch andere Arbeiten herangezogen werden 
müssen. Eine besondere Schwierigkeit des Vergleiches der einzelnen Befunde ent¬ 
steht daraus, dass ein Theil der Untersucher überhaupt keine näheren Versuchs¬ 
protokolle anführt, andere wieder Angaben über die Zeit der vorgenommenen Blut- 
untersuchung (ob noch im Schwitzbade oder nach vorgenommener Nachprozedur), 
sowie besonders über die Schwitzdauer vermissen lassen. Es ist daher natürlich, 
dass ein Theil der sich widersprechenden Befunde sehr wohl auf verschiedene Ver¬ 
suchsanordnung zurückgeführt werden kann. 

Betrachten wir zunächst die Ergebnisse der einzelnen Untersucher (chronologisch) 
in Bezug auf spezifisches Gewicht, Hämoglobin, rothe Blutkörperchen, Leukocyten und 
Sernmgewicht, um auf einzelne Formen der angewandten Schwitzprozeduren später 
noch genauer einzugehen. Wo nichts anderes angegeben, haben die Autoren Kapillar¬ 
blut (Finger oder Ohr) untersucht. 

Ueber das Verhalten des spezifischen Gewichtes finden wir brauchbare Angaben 
bei Lloyd Jones, Hammerschlag, Grawitz, Ivnöpfelmacher, Löwy, Ziegel- 
roth uud Friedländer. 

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372 


Walter Krebs und Martin Mayer 

Lloyd Jones erzielte Schweiss durch Muskelarbeit und türkisches Bad, and 
fand dabei eine rasch eintretende, wenn auch nicht hochgradige Zunahme des 
spezifischen Gewichtes. 

Desgleichen fand Hammerschlag eine Zunahme des spezifischen Gewichtes in 
vier Versuchen, wovon zwei Dampfbäder von halbstündiger Dauer, ein heisses Wasser¬ 
bad (ohne Angabe der Dauer, Untersuchung P/a Stunden nach Eintritt) und ein vier¬ 
stündiger anstrengender Marsch. 

Grawitz stellte in einer Reihe von 18 heissen Wasserbädern (30—32° R und 
15 Min. Dauer) zwölfmal mit zunehmendem Schwitzen allmählich steigende Blutdichte 
fest, manchmal erst in der nachfolgenden, zweistündigen, trockenen Ganzpackung; 
— in sechs Fällen fand er eine Abnahme des spezifischen Gewichtes. Er konnte 
ferner bei Menschen, die nach einem heissen Bade und Genuss von heissem Thee 
in starken Schweiss gebracht waren, am Ende des Schwitzaktes, bei dem durch¬ 
schnittlich 1—2 kg Schweiss abgeschieden wurden, eine Erhöhung des spezifischen 
Gewichtes des Blutes von 1040—51 konstatieren, der nach sehr kurzer Frist, sobald 
die Haut durch energisches Reiben mit wollenen Tüchern getrocknet war, ein Ab¬ 
sinken auf das Anfangsgewicht nachfolgte. 

Bei Knöpfelmacher, der heisse Bäder von 36—42° C anwandte, finden sich 
Schwankungen nach oben und unten, doch hat er zu verschiedenen Zeiten nach der 
Prozedur untersucht. 

Ziegelroth fand keine nennenswerthe Beeinflussung bei zehn Heissluftbädern 
von 38—40° R, woraus er schloss, dass der Schweiss kein Blutwasser ist, sondern 
lediglich Gewebesaft. 

Löwy experimentierte mit Kaninchen im Kasten von 60—70° C bei kurzer 
Dauer ('/a—15 Min.), und erreichte eine Zunahme der Blntdichte in den Ohrkapillaren, 
eine Abnahme in den grossen Gefassen. 

Auch Friedländer fand bei verschiedenen Schwitzprozeduren (warmen Wasser¬ 
bädern, heissen Luft- und Sandbädern, Dampfkasten) eine Zunahme des spezifischen 
Gewichtes um 3 °/ 0 im Mittel. 

Nach der Mehrzahl der Untersucher nimmt also die Blutdichte beim 
Schwitzen durch künstliche Prozeduren, gleichgiltig, ob Heissluft-, Dampf¬ 
oder Wasserbad, zu. 

Ueber die Beeinflussung des Hämoglobingehaltes durch Schwitzprozeduren 
findet sich die älteste Angabe bei Leichtenstern, in seinen »Untersuchungen über 
den Hämoglobingehalt des Menschen«. Er gab an sechs Tagen ein heisses Wasserbad 
von 31—33° R und l U— 3 U Stunden Dauer, danach wollene Trockenpackung für 
zwei Stunden. Bei dieser etwas forcierten Methode ergab sich viermal eine Zu-, 
zweimal eine Abnahme des Hämoglobingehaltes. Leichtenstern hält danach eine 
grössere Konzentration des Blutes an Blutfarbstoff durch reichliches Schwitzen für 
wahrscheinlich. 

Nach Wiek (citiert nach Hammerschlag) lässt sich durch Schwitzen der 
Hämoglobingehalt um 10 °/ 0 erhöhen. 

Knöpfelmacher fand bei seinen schon erwähnten heissen Wasserbädem (36 
bis 42 ° C) zweimal Zunahme um 5 %, viermal Abnahme um im Mittel 5 °/ 0 und 
einmal Gleichbleiben; Befunde, auf die wir noch zurückkommen. 

Sehen wir einstweilen von den letzteren Resultaten ab, so fanden die Vor- 
uutersucher bei ergiebigem Schwitzen durchweg eine ziemlich betracht- 


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Blutbefand bei Schwitzprozeduren. 


373 


liehe Zunahme des Hämoglobingehaltes, und zwar bei den verschiedensten 
Schwitzmethoden. 

Viel widersprechendere Befunde ergaben sich bei der Untersuchung des Ver¬ 
haltens der Formelemente des Blutes, der Erythrocyten und Leukocyten. 

Betreffs der rothen Blutkörper stellte M&lassez fest, dass sie beim Schwitzen, 
sei es durch intensive Muskelarbeit, sei es durch kflnstliche Prozeduren (Dampfbäder 
von 45° [R?] und 15—20 Min. Dauer) eine Zunahme zeigen. 

Knöpfelmacher giebt an, dass nach Einwirkung sehr heisser Wasserbäder und 
darauf folgendem intensiven Schwitzen eine Zunahme der Erythrocyten erfolge; nach 
der seiner Arbeit beigegebenen Tabelle erfolgt nach den Bädern allein jedoch in 
der Mehrzahl der Fälle (sieben von zehn) eine Abnahme. 

Löwy fand bei seinen oben geschilderten Versuchen kurzer Erwärmung bei 
Kaninchen in den Ohrkapillaren eine Zunahme der geformten Elemente. (Versuche, 
die eigentlich nicht hierher gehören, aber aus theoretischen Gründen mit in den Kreis 
der Betrachtung zu ziehen sind.) 

Friedländer erzielte bei verschiedenen thermischen Prozeduren (Heissluft, 
Sandbädern, Wasserbädern, Dampf kästen) in sieben Fällen eine Vermehrung der 
rothen Blutkörperchen um 10,93 % im Mittel; bei zwei Fällen (Dampfbädern von 
38 0 C und 20 Min. Dauer) eine Abnahme von 4 bezw. 12%. 

Wir sehen somit ein Schwanken im Verhalten der Erythrocyten, indem wohl 
meist eine Zunahme konstatiert wurde, aber bei verschiedenen Autoren 
(Knöpfelmacher, Friedländer) immerhin in einzelnen Versuchen unmittel¬ 
bar nachher eine Abnahme eintrat. 

Am interessantesten und aus theoretischen wie praktischen Gründen am 
wichtigsten erscheint das Verhalten der Leukocyten, da der Leukocytose vielfach be¬ 
sondere Aufgaben in der Pathologie und Therapie zugeschrieben werden. 

Rovighi hat (nach Winternitz) angegeben, dass bei Kaninchen Wärme¬ 
einwirkung die Zahl der Leukocyten um etwa zwei Drittel herabsetze, Kälte sie auf 
das Doppelte vermehre. 

Knöpfelmacher erzielte eine relativ viel höhere Zunahme der Leukocyten, 
als der Erythrocyten; in seiner Tabelle zeigt sich allerdings kurz nach dem heissen 
Wasserbade meist eine Abnahme der Leukocyten (sechsmal weniger, dreimal mehr, 
einmal Gleichbleiben). 

Sehr eingehend hat sich Friedländer mit dem Verhalten der Leukocyten be¬ 
schäftigt; er fand eine ganz hochgradige Zunahme, und zwar um 17,68 % im Mittel 
und bis 27 % in maximo; selbst bei zwei Dampfbädern, bei denen er Abnahme der 
Erythrocyten sah, stieg die Zahl der Leukocyten um 17 bezw. 27%. Unmittel¬ 
bar nach der Einwirkung der Wärme konstatierte er häufig eine Verminderung 
der Leukocyten, die erst später in starke Hyperleukocytose überging. Er giebt 
ferner an, dass die Leukocytose keine vorübergehende war, sondern oft recht lange 
(24 Stunden) anhielt; in einer Versuchsreihe von drei Tagen (täglich ein Dampfbad) 
stieg die Zahl von 6500 auf 9500, und zwar täglich um je 1000. 

Bohland machte bei Untersuchungen über Hidrotika und Antihidrotika auch 
Versuche mit heissen Wasserbädern und kam zu dem Ergebnisse, dass sowohl 
chemische als mechanische Schwitzmittel eine bedeutende Leukocytose erzeugen, ein 
Befund, den auch Horbaczweski (nach Bohland) gemacht hat. 

Hannes experimentierte an Kindern über die Wirkung des Schweissausbruches 


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374 Walter Krebs und Martin Mayor 

auf die Leukocytenzahl. Ein Theil der Kinder (29) schwitzte spontan, bei 15 wandte 
er den Heissluftapparat an. Er ersah aus seinen Versuchen, dass bei Gesunden und 
Kranken — von schwer kachektischen Individuen abgesehen — mit dem Auftreten 
eines Schweissausbruches überhaupt, mag er spontan entstehen, oder durch 
medikamentöse oder thermische Reize ausgelöst sein, zugleich Leukocytenbewegungen 
(starke Vermehrung im Kapillargebiete) stattfinden. Er fand — im Gegensatz zu 
Friedländer — schon sehr bald nach Unterbrechung des Schweiss¬ 
ausbruches ein Absinken der Zahl zur Norm (in der Regel innerhalb von 
einer halben Stunde). 

Die meisten Voruntersucher nehmen also unter dem Einflüsse des 
Schwitzens eine ziemlich starke Zunahme der Leukocytenzahl, eine 
Hyperleukocytose, an. 

Bezüglich des spezifischen Gewichtes des Blutserums findet sich nur bei 
Friedländer eine Angabe, und zwar will er im Mittel eine Zunahme von 3,37 «/o, 
entsprechend dem Wasserverluste des Blutes, gefunden haben. 

Hätten wir somit die Ergebnisse der Voruntersucher, soweit sie sich zum Ver¬ 
gleich mit den unseren eignen, erschöpft, so erübrigt noch, die Erklärungen, die 
die einzelnen für die Phänomene fanden, anzuführen: 

Dass ein grosser Theil der Befunde auf vasomotorische Beeinflussungen zurück- 
zuführen ist, erkennen wohl alle Untersucher an. Für die Vermehrung der Form¬ 
elemente konnte solche Einflüsse Löwy bei seinen Untersuchungen direkt nach- 
weisen. Er sagt: »Durch die Erweiterung grosser Gebiete des Kapillarsystems treten 
eine mehr oder weniger grosse Zahl von körperlichen Elementen in Gefässe ein, die 
zuvor nur Plasma führten (Vasa serosa), oder nur für wenige Blutkörper Raum 
boten. Die in den durch die Wärme erweiterten Kapillaren in grösserer Zahl 
cirkulierenden Blutkörperchen werden den grösseren Gefässen entzogen, ihr Blut wird 
ärmer an geformten Elementen, die Dichte dieses Blutes ist vermindert Das Plasma 
weist keine Veränderung auf«. Er fand thatsächlich in den grossen Gefässen eine 
Abnahme der Formelemente und Dichte, in den Ohrkapillaren eine Zunahme. 

Cohnstein und Zuntz reizten die Vasomotoren direkt vom Rückenmark aus; 
sie konnten am durchsichtigen Theil des Frosches direkt beobachten, dass bei künst¬ 
lich herbeigeführter Gefässerweiterung die Kapillaren mehr Blutkörperchen führten; 
bei entgegengesetzter Reizung mit Gefässkontraktion sahen sie mehr Vasa serosa 
entstehen durch die Verhinderung des Durchtritts von Blutkörperchen (Versuche, 
deren Beweiskraft neuerdings von Becker auf Grund eigener Untersuchungen stark 
angezweifelt wurde). 

Winternitz nahm als Ursachen an: Veränderungen der Cirkulation, der Herz¬ 
aktion, des Tonus von Gefässen und Geweben. Aus Organen, in denen unter ge¬ 
wöhnlichen Bedingungen Stauungen, Stasen, stattfinden, werden nach seiner Ansicht 
die Zellen unter günstigen Cirkulationsverhältnissen in den allgemeinen Kreislauf 
geworfen. Diese Annahme weist besonders Becker zurück. 

Die meist hochgradiger befundene Zunahme der Leukocyten halten 
die meisten Autoren (besonders Friedländer) für eine aktive Leukocytose, 
eine der Chemotaxis ähnliche Thermotaxis, d. h. eine »Anlockung« der Leuko¬ 
cyten zur Peripherie. 

Weniger einhellig ist die Auffassung der verschiedenen Autoren bezüglich des 
Verhaltens der Blutdichte. 


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Blutbefund bei Schwitzprozeduren. 375 

Grawitz nimmt einen Austausch von Flüssigkeit zwischen Blut und Gewebe 
an: »Bei Kontraktion der Gefässe und Steigerung des Blutdrucks findet ein Austritt 
von Flüssigkeit und dadurch eine Koncentration statt; bei Dilatation durch Er¬ 
wärmung und dem Sinken des Blutdrucks tritt Flüssigkeit vom Gewebe ins Blut 
über, also tritt eine Abnahme der Koncentration ein. Wie dann durch das Schwitzen 
bei dieser Erklärung eine Zunahme des spezifischen Gewichtes (trotz der Dilatation 
im Kapillargebiete) zu stände kommt, spricht er nicht deutlich aus, doch nimmt er 
wohl direkt einen Wasserverlust des Blutes dabei an, wie auch Friedländer, der 
dies durch Zunahme des spezifischen Serumgewichtes direkt für bewiesen ansieht. 

Ziegelroth sieht im Schweisse nur Gewebswasser und sagt: »Wenn der 
Schweiss Blutwasser wäre, müsste das spezifische Gewicht intensiv steigen«. Er hält 
ihn daher lediglich für Gewebswasser und beweist es dadurch, dass nach einer 
methodischen Schwitzkur das spezifische Körpergewicht höher ist. Allerdings setzt 
er hinzu: »Selbst wenn das Blutwasser dabei betheiligt sein sollte, dass mittels der 
Schweissdrüsen zunächst aus den Kapillaren Blutwasser ausgeschieden wird, so wird 
dieser Verlust doch sofort wieder durch Gewebswasser aus den Geweben ersetzt«. 
In diesem Nachsatze erkennt er also doch wohl die Grawitz’sche Ansicht an. 

Soweit die Ergebnisse und Theorieen der Voruntersucher. Lassen wir nun 
unsere eigenen Untersuchungen folgen, um unter Berücksichtigung der früheren 
Forschungen ein Urtheil zu gewinnen über die Beeinflussung des Blutes durch 
Schwitzprozeduren; vor allem aber, was wichtiger wie Theorieen, die Schluss¬ 
folgerungen für praktisches, therapeutisches Vorgehen zu ziehen. Auf den einen oder 
anderen der früheren Untersucher müssen wir dabei später noch bei Betrachtung 
unserer Resultate näher eingehen. 

Bei unseren Untersuchungen beobachteten wir folgendes Vorgehen: Die Blut¬ 
entnahme erfolgte durchgängig an den Ohrzipfeln, wobei wir die bekannten Kautelen 
— vor allem Vermeidung alles Drückens — auf das Strengste wahrten. Für die 
Bestimmung des Hämoglobingehalts benutzten wir das Fleischl’sche Hämometer - ; 
die Ablesung erfolgte durch uns beide, so zwar, dass der erste Untersucher dem 
zweiten keine Mittheilung von dem Resultat seiner Untersuchung machte, damit der 
letztere in seinem Urtheil nicht beeinflusst werden sollte. Ferner machten wir es 
uns zur Gewohnheit, sofort auf die bewegliche Zahlenskala den Finger zu halten, um 
auch auf diese Weise eine etwaige Beeinflussung zu verhindern. Wir erreichten 
schon sehr bald eine derartige Uebereinstimmung unserer Resultate, dass sie fast 
niemals über 5 % auseinandergingen. Für die Zählung der weissen Blutkörperchen 
benutzten wir den Thoma-Zeiss’schen Zählapparat, als Verdünnungsflüssigkeit mit 
Essigsäure versetztes Wasser. Von der Zählung der rothen Blutkörperchen glaubten 
wir im Hinblick auf die Bestimmung des Hämoglobingehaltes und des spezifischen 
Gewichts — in ßenzolchloroform (nach Hammerschlag) — Abstand nehmen zu 
dürfen. 

Wir entnahmen das Blut, wogen den Patienten, worauf er sein Bad 
erhielt. Ara Schlüsse der Schwitzprozedur, meist nach 20 — 25 Minuten, 
entnahmen wir wieder Blut, während der Patient noch im Bade war, 
kühlten ihn dann kurz mit einer Douche oder einem Wasserbade ab und wogen 
ihn sodann wieder. Wir Hessen also genau denselben Prozess von den Untersuchten 
durchmachen, welcher bei der Vornahme von Schwitzprozeduren zu Heilzwecken bei 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 



370 


Walter Kr*')»* u«»l Martin Mnvw 


uns in der Kegel vorgeschriebe« wird, um auf diese Weise: zu erfahret}, wie das- Blut 
beschaffen wäre naeh oder ioMtge der gebräuchlichen Schwitzbäder. Wir legteti gerade 
Werth darauf, nicht nach -excessiven, zu .• Versuchszwecken besonders lange aus- 
gedehoto« SchwH.>:pro7.cMlnrc& den lilothcfund zu erheben, sondern, wie schon 
gesagt, »ach sulchen, wie sie von uns zu Heitzweckeri in der liege) vor- 
ordnet werden, Penn wenn es auch vor. Interesse ist, zu erfuhren, in welcher 
Weise die Blatjoisr.iiaog u. *, w. durch beVoftders energisches Schwitzen beeinflusst- 
wird» su xuuss doch vor allein darauf geachtet werden, mit dem Schwitze» inner¬ 
halb -.gewöhnlicher Pn-nzen zu -. Metbeo, falls man dherhftupt eise praktische Nutz¬ 
anwendung aus den Ergebnissen ziehen will. Erhält rast« zum Beispiel eine atia* 
gesprochene Leukocvtose nach .einen). Gewiditsverlust von' 'i— 2- kg und einer Dauer 
des Schwitzen^ von «hör eine bis zwei Stunden, so hat dfts für die etwaigst Ver- 
werthuBg bei der Behandlung., falls man siel; eben berechtigt, glauben wollte, aus 
tfer Vermehrung der Leukocyten sogleich therapeutische KoDseriueBzen ziehen m 
dürfen, nur bedingten Werth., Itenn wie viel Patienten vertragen solch eingreifende 

Wtederhüieu dürfen, da sowohl Nferr'en- wie 
sehe Kuren aufs stSrkste alteriert werdenv 
lli« nachstehendst Tabelte ergioht eine »Jcbersicht ■•über die in lleKslöftkästen 
gewönnen«« Resultate. Die Temperas wen iin After wurden in alten FSH«» mit dem 
Rektiint-MaxUiiaRhcmotucter \u»t Krebs gemessen. 



Heissluft kästen. 


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Wir sollen in deu 10 Füllen: 

Gnwl (00 %) Vermehrung der Leitkoeyten... 

4 mal (40';»> Vf iTftuiderufig - 

5 mal (SO 'v,,} Steigerung dos spezitisuheft Gewichtes, 

2 mal. <;20 •'/,/> Sinken %• » 

7 Bijkl («7 »/.i» Steigerung s Ml» - (ielntlfos, 

I mal <J’jf */,,") Bihkeu >.-' . .D ' 

. Ti mitljniehf-untersucht.) 


iby 


Go gle 




W; v.'vprigir-al frorr 





Blutbefund bei Schwitzprozeduren. 377 

Ein gleichartiges Verhalten aller Faktoren wurde in 4 von den 8 vergleichbaren 
Fällen, also in 50 °/ 0 , konstatiert; 

ein gleichartiges Verhalten von Hb und spezifischem Gewicht in 6 der 8 ver¬ 
gleichbaren Fälle, also in 75 °/ 0 ; 

von Leukocyten und spezifischem Gewicht in 6 der 10 vergleichbaren Fälle, 
also in 60°/ 0 , 

und von Leukocyten und Hb in 5 von 8 vergleichbaren Fällen, also in 62 %• 

Bei den elektrischen Glühlichtbädern, welche stets mit rothen Glühlichtbirnen 
verabfolgt wurden, und bei denen die Lufttemperaturen, gleichwie bei den Bogen¬ 
lichtbädern nur ausnahmsweise die obere Grenze des Schweissoptimums (70 0 C) er¬ 
reichten, zeitigten wir folgende Ergebnisse; 


Glüblichtkasten. 






iHb-Geh&ltl 

d 

d 

60 

60 «- o . 



Leukocyten 
vor j nach 
dem Schwitzen 

Spez. Gewicht 
vor | nach 
dem Schwitzen 

vor j nach 
dem 

i- 9 
8 § 

Schweiss- 
dauerin Mi 

t 

3 0 

A 

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© Z 

3 0 0* 

© . _ 

g ©-o g 
6o2 
5-4 fl >* 

►iS 0 

Bemerkungen 






Schwitzen 

•o 

° > 


Dr. M. . . . 

5200 

10700 

1056,5 

1058,0 

85 

100 

15 

10 

_ 

+105,7 

Starker Schweiss. 

Frau K. . . 

4400 

5900 

1055,5 

1060,0 

80 

94 

— 

— 

100 

+34,1 


Unterarzt E. . 

6700 

7200 

1057,0 

1057,5 

80 

89 

23 

18 


+7,5 


• R. . 

9800 

11000 

1057,0 

1059,0 

96 

95 

25 

15 

400 

+ 12,2 

Puls von 66 auf 182 ge- 
stiegen. 

Fraulein W. . 

5100 

5200 

1056,0 

1056,0 

80 

75 

22 

11 

— 

+ 1,9 

Mässiger Schweiss. 

Dr. B. . . . 

10100 

10400 

1065,5 

1062,0 

85 

90 

25 

19 

400 

+2,9 


Herr R. . . 

Unterarzt Me. 

11100 

8500 

1061,5 

1060,0 

72 

67 

21 

17 

300 

i 

t 

—23,4 

Ohrllppchen nach dem 
Schwitzen bei Blutent¬ 
nahme etwas gedrückt. 

6800 

6500 

1057,5 

1061,0 

95 

94 

20 

15 

350 

-4,4 

i Ma. 

7600 

5100 

1057,5 

1061,0 

105 

107 

22 

13 

400 

—28,9 


Herr Gr. . . 

11700 

13500 

1058,5 

1059,5 

93 

97 

20 

15 

300 

+ 15,4 


cand. med. Z. 

6800 

6300 

1058,5 

1059,5 

88 

84 

22 

15 

— 

-7,3 

Keine Gewichtsabnahme. 

Fräulein T. . 

8400 

11800 

1058,0 

1061,0 

81 

94 

22 

14 

350 

+40,4 


* » 

5100 

5500 

1057,5 

1058,5 

I 81 

87 

19 

12 

350 

+7,8 


Herr T. . . 

5200 

5600 

1061,5 

1062,5 

91 

98 

24 

16 

400 

+7,7 

Spez. Gewicht dos Serums 
1037-1036. 


Es traten also in den 14 beobachteten Fällen ein: 

10 mal (71,5%) Vermehrung der Leukocyten, 

4 mal (28,5 %) Verminderung » » 

11 mal (78,5 »/„) Steigerung des spezifischen Gewichtes, 

3 mal (21,5%) Sinken bezw. Gleichbleiben des spezifischen Gewichtes, 

9 mal (64 %) Steigerung des Hb - Gehaltes, 

5 mal (36 %) Sinken * > 

In letzterem Falle betrug jedoch die Verminderung nie über 5 % des Gehaltes. 
Ein gleichartiges Verhalten aller Faktoren wurde in 8 Fällen, also in 57,1%, 
festgestellt, 7mal (50%) Steigen, 1 mal (7,1%) Sinken; 
desgleichen von Hb und spezifischem Gewicht in 9 Fällen, also 64%; 
von Leukocyten und spezifischem Gewicht ebenfalls in 9 Fällen, also auch 64 %; 
von Leukocyten und Hb in 11 Fällen, also 78,5%. 


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378 Walter Krebs und Martin Mayer 

Die blauen Bogenlichtbäder, welche in denselben Kästen wie die Glühlichtbäder 
verabfolgt wurden, und bei denen die Wärme durch vier je 8 Ampere starke Bogen¬ 
lampen erzeugt wird, führten zu folgenden Ergebnissen: 


Blaues Bogenlichtbad. 







Hb-Gehalt 

d 






Leukocyten 
vor | nach 

Spez. Gewicht 
vor | nach 

• 

vor 

fo 

nach 

i 

s* 
0.2 
g u 

iS 

*3 d 

Gewichts¬ 
verlust in 

n •ö ^ 

2 p 

Bemerkungen 


dem Schwitzen 

dem Schwitzen 

dem 

Schwitzen 

© ® 
og 

T3 

•8 g 
00 3 
■o 

© • a 

►3 2« 


Dr. M. . . . 

6100 

5800 

1059,0 

1065,0 

80 

98 

25 

20 

200 

-5,0 

Dr. M. wiegt 100 kg. 

cand. med. K. 

8100 

7000 

1061,0 

1059,0 

— 

— 

20 

15 

— 

— 13,5 

Massiger Schweiss. 

Frau K. . . 

4900 

5200 

— 

— 

80 

88 

37 

25 

— 

+ 6,1 

Wenig Schweiss. 

cand. med. Z. 

5700 

4500 

1059,0 

1067,0 

79 

90 

26 

18 1 

— 

—21,0 

Massiger Schweiss. 

Unterarzt Me. 

5000 

0400 

1057,5 

1060,5 

86 

94 

23 

20 

200 

+28,0 


Unterarzt R.. 

8300 

10800 

1058,0 

1061,0 

80 

80 

25 

19 

— 

+30,1 

Starker Schweiss. 

Dr. B. . . . 

5300 

7200 

1060,0 

1061,0 

87 

99 

— 

20 

250 

+35,9 


Fräulein T. . 

9200 

9200 

1057,0 

1058,0 

85 

87 

— 

20 

200 

+0,0 


Herr T. . . 

8700 

8600 

1069,0 

1060,0 

94 

103 

40 

20 

300 

-1,2 

T. wiegt 85 kg; spez. Ge¬ 
wicht des Serums 1088 












bis 1061. 

Unterarzt Ma. 

7900 

7100 

1053,5 

1058,0 

96 

100 

31 

16 

300 

-1,1 



Auch bei dieser Zusammenstellung springt wieder in die Augen, wie geringe 
schweisstreibende Wirkung die Bogenlichtbäder, so wie sie meist konstruiert werden, 
besitzen 1 ). Es darf dabei gleich bemerkt werden, dass die Personen nicht in den 
ausgekühlten Kasten stiegen, sondern erst, nachdem dieser vorher auf eine Temperatur 
von 45 0 C erwärmt worden war, sodass der weitaus grösste Theil der Zeit bei einer 
Wärme zugebracht wurde, welche wohl im stände ist, Schweiss hervorzurufen. 

Wir beobachteten bei den 10 Untersuchungen: 

4 mal (40 %) Vermehrung der Leukocyten, 

1 mal (10 %) Gleichbleiben » » 

5 mal (50 %) Verminderung a> » 

8 mal (88,8 %) Steigerung des spezifischen Gewichtes, 

1 mal (11,2 °/ 0 ) Sinken » » » 

(1 mal wurde das spezifische Gewicht nicht geprüft) 

8 mal (88,8 %) Steigerung des Hb - Gehaltes, 

1 mal (11,2 o/o) Sinken » » 

(1 mal wurde der Hb - Gehalt nicht untersucht). 

Ein gleichartiges Verhalten aller Faktoren wurde in 3 der 8 vergleichbaren 
Fälle (nur Ansteigen), also in 37,5 % bemerkt; 
desgleichen von Hb und spezifischem Gewicht in 7 Fällen, — 87,5%; 
von Leukocyten und spezifischem Gewicht in 4 Fällen, — 44 %; 
von Leukocyten und Hb-Gehalt in 3 Fällen, — 33,3%. 


') Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen. Deutsche medicinischo 
Wochenschrift 1901. No. 40. — Lichttherapeutische Erfahrungen. Monatsschrift für orthopädische 
Chirurgie und physikalische Heilmethoden 1902. No. 4. 


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ßlutlfcfmul bei S.'liv, »tzpnaodnrCiU 370 

Hie Wasserbäder wurden so verabreicht, Anm der Patient in Wasser v«n -iS * || 
hineiosüeg und dann' sofort heisses Wasser bis zu 10" € hin/ulaufoo lies«. ftas 
Wasser bedeckte den ganzen Körjier bis zum Hake; 4er Kopf war, wie hei aUen 
andereu Schwitzbädern »»ich, mit kühler Kmnpres.se versehen. 


Wassert» »der von 40” 0. 



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Aflsserordentlich anffalleufl erscheinen hier die Htssu.lt/de. Während in den drei 
bisher beschriebenen .Hadern sich »4 Aber der Hälfte der Fälle stets eine Vermehrung 
der-t.eukucvten, eine Steigerung des if o-iieSmites und spezifischen Gewichtes zeigte/ 
ergiebt. sich bei den heissen W’usserbndew &0F genaue Gegentheil, wie nächsteheude 
Zusammenfassung beweist. Wir fanden in den 14 Fällen : 

Oma) eine Vermehrung der Keukocyten, 

14 mal (400 •/,.) eine Venoimlernug der Leukoryten •»1 mal nicht gezahlt!, 

. 4mal (21 u „i eine Steigerung des spezifischen Gewichtes, 

Ti mal (Tb " ; Vl ein tHeicbbleibcn bezw Sinken des spezifischen Gewichtes, 

2 mal flsK'-d eine Steigerung des 11b - Gehaltes, 

II mal »8'* ein tsiaken > • i (1 mal nicht/»mtGvsufht». 

Hin 'gleichartig©?. Verhalten — und zwar nur Sinken — aller Faktoren wurde 
in 7 — also in $$.% — voo 1*2 vergleichbaren Füllen bemerkt; 
desgleichen von IJb und sperifiseheTW (ieWii^i;'f^ 'tvyri;Hinke‘n — in ■%- also 
in ßl,5 '•/„ — von den 14 vergleichbaren Fälle»« ; 
v«.»n Leukocyt.en und Spezifischen» Gewicht ~ nur Sinken — in 10 - also 
io 77 •’:« — von den 14 vergleichbaren Fülle«, 
von Leukoevten und [Ib-Gcholt in 1(1 — «Is»* «:> *!■„ — von den \% vergleich- 
baren Fällen - ebeulhlls nur Sinket». 


Di gi tta«i, : Go gle 




380 


Walter Krebs und Martin Mayer 


Vergleicht man nun die Resultate der einzelnen Bäder unter- und miteinander, 


so sieht man: 

I 

Vermehrung der Leukocyten: 

a) in Heissluftbädern in 60 % 

b) y> elektr. Glühlichtbädern. > 71 ,5% j 

c) » » Bogenlichtbädern > 40 % 

d) » heissenWasserbädern. . » 0 °/o I 


Verminderung der Leukocyten: 

a) in Heissluftbädern.in 40 • / 0 

b) > elektr. Glühlichtbädern. » 28,5 °/ 0 

c) » » Bogenlichtbädern » 50 n / 0 

d) »heissenWasserbädern. . » 100 % 


II. 


Steigerung des spez. Gewichtes: 

a) in Heissluftbädern.in 80 °/o 

b) » elektr. Glühlichtbädern. » 78,5 % 

c) » > Bogenlichtbädern » 88,8 % 

d) » heissenWasserbädern. . j> 21 % 


Abnahme des spez. Gewichtes: 

a) in Heissluftbädern.in 20 »/„ 

b) » elektr. Glühlichtbädern. » 21,5 °/ 0 

c) » » Bogenlichtbädern » 11,2 ®/ 0 

d) » heissenWasserbädern. . » 79 °/ 0 


III. 


Steigerung des Hb - Gehaltes: 

a) in Heissluftbädern.in 87 % 

b) » elektr. Glühlichtbädern. > 64 °/o 

c) » » Bogenlichtbädern » 88 «/ 0 

d) » heissenWasserbädern. . » 15 # / 0 


Sinken des Hb-Gehaltes: 

a) in Heissluftbädern.in 13 % 

b) » elektr. Glühlichtbädern. » 36 % 

c) » » Bogenlichtbädern » 12 % 

d) » heissenWasserbädern. . » 85 °/ 0 


Heissluftbäder — unter denen auch Glühlicht- und Bogenlichtbäder zu ver¬ 
stehen sind — zeigen also nach Schwitzprozeduren, wie sie gewöhnlich bei uns, und 
voraussichtlich auch in'anderen Anstalten vorgenommen werden, in über 80% aller 
Fälle eine Steigerung des spezifischen Gewichtes, in über 75% aller Fälle eine solche 
des Hb-Gehaltes, und eine Vermehrung der Leukocyten in nicht 60% aller Fälle. 
Wir können also wohl sagen, dass bezüglich dieser Bäder unsere Ergebnisse im grossen 
und ganzen Ubereinstimmen mit denjenigen der Mehrzahl der bisherigen Untersucher. 
Freilich ist die im Archiv für Lichttherapie oftmals so stark betonte Wirkung des 
Bogenlichtes auf die Hervorrufung und Beschleunigung der Leukocytose nach unseren 
Untersuchungen in der Mehrzahl überhaupt nicht vorhanden, und auch bei den anderen 
beiden Heissluftbädern jedenfalls eine starke Leukocytose — einige Autoren belieben 
sie mit dem Namen Hyperleukocytose zu belegen — nicht zu erweisen. Wenn man 
nun glaubt, diese Erscheinung seitens der weissen Blutkörperchen therapeutisch, z. B. 
bei chronischen und akuten Infektionskrankheiten, verwerthen zu können, so ist doch 
wohl der Einwurf berechtigt, dass die gemeinhin bei den Heissluftbädern gefundenen 
Werthe viel zu geringe sind, als dass man sie als Retter und Helfer bei den oben¬ 
genannten Krankheiten in Betracht ziehen kann. Bedenken wir z. B. bei Lungen¬ 
entzündung den um das Zwei-, ja Drei- und Vierfache gesteigerten Leukocytengehalt 
des Blutes, der dazu noch tagelang anhält, und vergleichen damit die nur vorüber¬ 
gehend — nach unseren Untersuchungen im Höchstfälle um das Doppelte — ver¬ 
mehrten Leukocyten, eine Vermehrung, die dazu noch nicht einmal in allen Fällen 
eintritt, so müssen wir doch sagen, dass die Heranziehung der Phagocytentheorie zur 
Begründung der Heilwirkung von Schwitzbädern keine ernsthafte Unterlage besitzt. 


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Blutbefund bei Schwitzprozedmen. 


381 


Um einen Einblick zu gewinnen, ob bestimmte Leukocytenformen in höherem 
Maasse als andere an den Schwankungen der Zahl betheiligt seien, wurden mit 
Eh rlieh’schem Triacid gefärbte Bluttrockenpräparjite angefertigt, in denen jedesmal 
100—150 weisse Blutkörperchen gezählt wurden. In 25 unserer Fälle erfolgte diese 
Untersuchung, wobei als Gruppen unterschieden wurden: 1. Neutrophile, 2. Ueber- 
gangsformen und grosse Lymphocyten, 3. kleine Lymphocyten, 4. Eosinophile. — 
Die Schwankungen des Prozentverhältnisses der einzelnen Formen zu einander waren, 
wie auch unter normalen Verhältnissen, nicht unbeträchtlich. Immerhin ergiebt sich 
bei Betrachtung derjenigen Fälle, in denen besonders starke Leukocytenvermehrung 
und ausgiebige Schweissabsonderung nach Ausweis unserer Tabellen zu konstatieren 
war — und das trat vorzüglich in den 13 daraufhin untersuchten Glühlichtbädern 
ein —, dass 11 mal bei ihnen sich eine Zunahme der Neutrophilen fand, und zwar in 
6 Fällen hauptsächlich auf Kosten der kleinen Lymphocyten, in den anderen 5 auf 
Kosten der Uebergangsformen, grossen Lymphocyten und Eosinophilen; es ist also 
der Schluss wohl berechtigt, dass die nach, starkem Schwitzen in Heiss¬ 
luftbädern anftretende Leukocytose hauptsächlich auf die Betheiligung 
seitens der Neutrophilen zurückzuführen ist. Dieser Befund würde sich auch 
mit den früheren Erfahrungen decken, dass in der überwiegenden Menge der Leuko- 
cytosen sich die Neutrophilen am ehesten vermehrt erweisen. So fand Ekgren 
neuerdings bei allgemeiner Massage des Körpers eine Leukocytenvermehrung, die fast 
nur die Neutrophilen betraf. 

Ob es sich in unseren Fällen um eine Thermotaxis (Anlockung der im Knochen¬ 
mark stets in grosser Zahl aufgespeicherten Polynukleären) handelt, analog der 
Chemotaxis (Ehrlich) möchten wir auf Grund der doch nicht eindeutigen Zunahme 
der Neutrophilen nicht als erwiesen ansehen. 

Wesentlich stärker als die Leukocyten werden spezifisches Gewicht und 
Hb-Gehalt durch Heissluftbäder beeinflusst, jedenfalls zeigten sie in allen drei 
Heissluftbäderarten in mehr als zwei Dritteln derselben eine Zunahme, während die 
weissen Blutkörperchen bei Glühlicht- und Heissluftbädern wohl eine solche in der 
Mehrzahl, bei den Bogenlichtbädern aber nur in zwei Fünfteln der Falle aufwiesen. 

Ferner ergab sich, dass spezifisches Gewicht und Hb-Gehalt in weit höherem 
Maasse durch die obengenannten drei Bäderarten gleichartig verändert, d. h. gleich¬ 
zeitig vermehrt oder vermindert wurden im Durchschnitt in 72,2 % der Fälle, 
während ein gleichartiges Verhalten von Leukocyten und Hb nur in 57,9%, von 
Leukocyten und spezifischem Gewicht in 56 % im Durchschnitt zu beobachten war. 

Das spezifische Gewicht des Serums, welches gleichfalls nach Hammerschlag 
untersucht wurde, war in allen drei untersuchten Fällen (1 mal Heissluft, 1 mal 
Bogen-, 1 mal Glühlicht) um ein Geringes vermindert nach dem Bade und zwar be¬ 
trug diese Verminderung im Höchstfälle 2 % 0 . (Schwankungen, wie sie beim Serum¬ 
gewicht durch geringe Hämoglobinbeimengung öfters Vorkommen.) 

Ueber die Ursache dieser Beeinflussung des Blutes nach Schwitzen in Heiss¬ 
luftbädern eine völlig befriedigende Erklärung zu geben, ist bisher noch nicht ge¬ 
lungen. — Wenn auch Hyperämie und Schweissabsonderung in keinem direkten Zu¬ 
sammenhänge stehen, so ist doch die Ernährung der Schweissdrüsen durch das Blut 
bedingt. Je mehr also die Drüsen thätig sind, um so mehr muss seitens des Blutes 
für Unterhaltung der Zellen beigetragen werden, wodurch eine Eindickung desselben 
erfolgt. Es dürfte dies als der eine Grund der obengefundenen Erscheinungen an- 


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382 


Walter Krebs und Martin Mayer 


Zusehen sein. Als zweiter ist von manchen Seiten die Thatsache angenommen worden, 
dass nach längerer Wärmeeinwirkung sich die Hautgefässe bis zu den kleinsten Kalibern 

— den Kapillaren — erweitern, welch letztere somit den körperlichen Blutbestand- 
theilen weniger Widerstand leisten, und ihnen in grösserer Anzahl als in normalen 
Verhältnissen die Passage gestatten. Andrerseits ist wiederum zuzugeben, dass mit 
der Erweiterung der Blutgefässe in der Haut und der Herabsetzung des Blutdruckes, 
wie sie nach energischem Schwitzen fast stets beobachtet wird, ein Rückschuss von 
Gewebssaft in das Gefässsystem ermöglicht, ja herbeigeführt werden kann, sodass 
dieser Umstand jedenfalls bis zu einem gewissen Grade geeignet erscheint, die Ver¬ 
mehrung der Blutkörperchen in der Raumeinheit und Steigerung des spezifischen 
Gewichtes zu vereiteln. 

Einen völligen Gegensatz, vor allem bezüglich der Leukocyten, zu diesen Er¬ 
gebnissen nehmen, wie bereits oben angedeutet, die heissen Wasserbäder ein: zeigten 
doch in allen 14 untersuchten Fällen die Leukocyten eine Venninderung, waren doch 
auch spezifisches Gewicht und Hb-Gehalt in der Mehrzahl herabgesetzt Wie ist 
diese auffallende Thatsache, die bisher unseres Wissens ausser von Grawitz — 
spezifisches Gewicht — noch niemals -- gerade im Vergleich mit den Heissluft¬ 
schwitzbädern — betont worden ist, zu erklären? Ist es möglich, dafür den durch 
das Wasser auf den Körper und in erster Stelle auf die Haut ausgeübten Druck 
heranzuziehen, oder soll man annehmen, dass die in diesen Bädern stets ziemlich 
beträchtliche Steigerung der Körpertemperatur auch die inneren Gefasse erweitert, 
die bei Heissluftbädern unter gewöhnlicher Innenwärme unbehelligt bleiben, sogar 
vielmehr sich im Gegensätze zu den sehr erweiterten Hautgefassen möglicherweise 
kontrahieren, um zu grossen Blutdruckschwankungen ein Gegengewicht zu bieten? 1 ) 

Wir vermögen nicht diese Frage zu entscheiden, möchten jedoch nicht ver¬ 
absäumen, darauf hinzuweisen, dass voraussichtlich besonders die Vertheilung der 
Leukocyten in den Blutgefässen, wie schon oben ausgeführt, mit bedingt ist durch die 
Weite dieser, beziehungsweise durch die Widerstände, welche sie den Leukocyten 
durch ihre Kontraktion oder Dilatation leisten, und dass somit die vorhin angegebenen 
Gründe wohl im stände sein könnten, einen Einfluss auf die Zahl der weissen Blut¬ 
körperchen in der aus dem Kapillarblut entnommenen Stichprobe auszuüben. 

Grawitz, welcher unter 18, bei heissen Wasserbädern und nachfolgenden 
Trockenpackungen, angestellten Untersuchungen sechsmal eine Abnahme des 
spezifischen Gewichtes feststellte, erklärt diese Erscheinung damit, dass in den 
Fällen der Abnahme der vasodilatatorische Einfluss soweit überwiegt, dass trotz Ab¬ 
gabe von Schweiss eine Verdünnung des Blutes durch Gewebssaft eintritt. Nun ist 
aber zu beobachten, dass gerade in heissen Wasserbädern eine Hyperämie der Haut 

— also Dilatation der Hautgefässe — in viel geringerem Maasse in die Erscheinung 
tritt, als bei Heissluftbädern: eine Thatsache, die dem Grawitz’schen Erklärungs¬ 
versuche widersprechen würde. Knöpfelmacher sagt zwar: »Nach Einwirkung sehr 
heisser Bäder und darauffolgendem intensiven Schwitzen erfolgt eine Zunahme der 
rothen Blutkörperchen und eine relativ viel höhere Zunahme der Leukocyten«. Be¬ 
trachtet man nun aber an der Hand seiner Tabelle diejenigen Fälle, bei denen die 
Blutentnahme ganz kurz — bis höchstens drei Minuten — nach dem heissen 
Wasserbade erfolgte, so ergiebt sich, dass in den vier in Betracht kommenden 
dreimal Abnahme (um 1 , 8 und 14%), einmal Gleichbleiben der Leukocyten, 


i) S. auch Matth es. 


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Blutbefand bei Schwitzprozeduren. 


383 


dreimal Abnahme der rotben Blutkörperchen (um 7, 8 und 11 °/ 0 ), einmal Zu¬ 
nahme (2%); dreimal Abnahme, einmal Zunahme des spezifischen Gewichtes, 
zweimal Abnahme, einmal Zunahme — bei drei einschlägigen Fällen — des 
Hb-Gehaltes eintraten. Es sind dies also Ergebnisse, welche sich nicht viel 
von den unseligen unterscheiden. Wenn Knöpfelmacher, sowie auch andere 
Autoren, andere Ergebnisse gefunden, beziehungsweise aus den Befunden ihrer 
Untersuchungen nach Schwitzen in heissen Wasserbädern andere Schlussfolgerungen 
gezogen haben, so liegt dies zum grossen Theil daran, dass das Blut nicht direkt 
nach den heissen Bädern, beziehungsweise noch während derselben, wie bei uns, 
entnommen wurde, sondern meist in einem späteren Stadium der Behandlung (Nach¬ 
schwitzen in Trockenpackung, oder auch Abkühlung). Die Angabe Friedländer’s in 
seiner letzten Arbeit, dass häufig unmittelbar nach Einwirkung der Wärme — also 
doch wohl im Beginn der Schwitzprozedur — eine Verminderung der Leukocyten 
erfolge, die erst später in Hyperleukocytose überginge, ist zu unbestimmt, um hier 
zu einer genaueren Vergleichung herangezogen zu werden. 

Dürfen wir aus unseren Untersuchungen Schlussfolgerungen für die Therapie 
ziehen? Unsere Befunde sind nicht geeignet, grosse Hoffnungen auf die Heilwirkung 
der weissen Blutkörperchen und auf die Vermehrung des Hb-Gehaltes in oder nach 
Schwitzbädern zu erwecken, da die in der Mehrzahl der Heissluftbäder wohl be¬ 
obachtete Vermehrung beziehungsweise Steigerung desselben, wie schon erwähnt, 
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf einer vermehrten Bildung von Blutkörperchen, 
sondern vielmehr auf einer Eindickung des Blutes und auf einer andersartigen, durch 
vasomotorische Einflüsse bedingten Blutzusammensetzung in der Peripherie beruhen 
dürfte. Dazu kommt, was bis auf Friedländer von allen Seiten zugegeben wird, 
und was wir bestätigen können, dass nämlich diese Blutbefunde nur vorübergehender 
Natur sind. 

Und schliesslich und vor allem: Welchen therapeutischen Werth könnte es 
haben, wenn die Zunahme der Blutkörperchen im peripheren Kapillargebiet zu stände 
kommt, einzig auf Kosten der inneren Gefässbezirke? Es fehlt deshalb jeder Anhalt, 
aus den Ergebnissen unserer Blutuntersuchungen an und für sich nach irgend einer 
Richtung hin therapeutische Konsequenzen zu ziehen. 

Wir dürfen als Resultat unserer Untersuchungen folgende Sätze ansehen: 

1. Schwitzen von 15 — 25 Minuten in Heissluftbädern bedingt in 
der Mehrzahl der Fälle massige Leukocytose (hauptsächlich 
erfolgt Vermehrung der neutrophilen Leukocyten), mässige 
Zunahme des Hb-Gehaltes und des spezifischen Gewichtes; 

2. Glüh- und Bogenlichtbäder nehmen unter den Heissluftbädern 
keine Sonderstellung ein; 

3. Schwitzen in heissen (40° C) Wasserbädern — 15 —25 Minuten— 
verursacht keine Zunahme der weissen Blutkörperchen, eher 
eine Abnahme, welche auch spezifisches Gewicht und Hb-Gehalt 
in der Mehrzahl zeigen; 

4. Die therapeutischen Erfolge der Schwitzkuren sind jedenfalls 
nicht auf Rechnung irgendwelcher qualitativer und quanti¬ 
tativer Veränderungen des Blutes zu setzen (soweit die jetzt vor¬ 
handenen Untersuchungsmethoden Schlüsse zu ziehen gestatten), sondern 
werden vielmehr in einer Beeinflussung der Gewebe selbst 
bezw. der Cirkulationsverhältnisse zu suchen sein. 


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384 Walter Krebs und Martin Mayer, Blutbefund bei Schwitzprozeduren. 


Litteratur. 

Becker, Ueber die Veränderung der Zusammensetzung des Blutes durch vasomotorische Ein¬ 
flüsse etc. Archiv für klinische Medicin 1901. Bd. 70. 

Bohland, Ueber die Einwirkung von Hydrotika und Antihydrotika. 

Cohnstein - Zuntz, Untersuchungen über den Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und 
Geweben unter verschiedenen physiologischen und pathologischen Bedingungen. Pflüger's Archiv 
Bd. 42. S. 303. 

Ehrli ch - Lazarus - Pinkus, Die Anämie. Nothnagel's Handbuch. 

Ekgren, Das Verhalten der Leukocyten im menschlichen Blute unter dem Einfluss der 
Massage. Deutsche medicinischc Wochenschrift 1902. No. 29. 

Friedländer, Veränderungen der Zusammensetzung des Blutes. Verhandlungen des 
lö. Kongresses für innere Medicin 1897. Balneologische Centralzeitung 1902. No. 16—17. 

Grawitz, Klinisch-experimentelle Blutuntersuchungen, Zeitschrift für klinische Medicin 1892. 
Bd. 21. — Klinische Pathologie des Blutes 1902. 2. Auflage. 

Hammerschlag, Bestimmung des spezifischen Gewichtes des Blutes. Zeitschrift für klinische 
Medicin 1892. Bd. 20. 

Hannes, Schweissausbruch und Leukocytose. Centralblatt für innere Medicin 1901. S.823. 

Knöpfelmache r, Ueber vasomotorische Beeinflussung der Zusammensetzung und 
physikalischen Beschaffenheit des menschlichen Blutes. Wiener klinische Wochenschrift 1893. 

Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen. Deutsche medicinische Wochen¬ 
schrift 1901. S. 40. — Lichttherapeutische Erfahrungen. Monatsschrift für orthopädische Chirurgie 
etc. 1902. No. 4. 

Laqueur und Löwenthal, Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale 
hydrotherapeutische Prozeduren. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1902/1903. Bd.6. 

Leichtenstern, Untersuchungen über den Hämoglobingehalt des Blutes. Leipzig 1878. 

Lloyd Jones, On the variations in the specific gravity of the blood in health. Journal of 
Physiologie 1887. Bd. 8. 

A. Löwy, Ueber Veränderungen des Blutes durch thermische Einflüsse. Berliner klinische 
Wochenschrift 1896. No. 41. 

Malassez, Sitzungsbericht. Gazette mödicale de Paris 1874. S. 673. 

Matth es, Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie. Jena 1900. 

Rieder, Beitrag zur Kenntniss der Leukocytose. Leipzig 1892. 

Rovighi, Prager medicinische Wochenschrift 1892. 

Wiek, Wiener medicinische Zeitung 1887. 

Winternitz, Neue Untersuchungen über Blutveränderungen nach thermischen Einflüssen. 
Centralblatt für innere Medicin 1893. S. 1017. 

Ziegelroth, Das spezifische Gewicht des Blutes nach starkem Schwitzen. Virchow’s 
Archiv 1896. Bd. 146. 


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H. Iacobäus, Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 385 


ix 

Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel, 
besonders bei Herzkrankheiten. 

Vortrag, gehalten in der medicinischen Gesellschaft zu Kopenhagen am 17. Dezember 1901. 

Von 

Dr. H. Iacobäus, 

dirigirender Arzt am Finsen-Sanatorium in Kopenhagen. 

Meine Herren! Es ist ja eine alte Sache, dass Veränderungen des Körper¬ 
gewichtes ein sehr wichtiges Symptom ist, und ich brauche nur an die Bedeutung 
zu erinnern, die man dem Sinken oder Steigen des Gewichtes während Phthisis 
pulmonum oder Diabetes mellitus zuschreibt. Man hat deshalb auch schon seit 
langer Zeit bei diesen und anderen Krankheiten in reichem Maasse sich der Wägungen 
bedient, wenn sie auch nicht gerade jeden Tag vorgenommen werden. 

Wenn uns die Veränderung im Gewichte während einer Lungentuberkulose oder 
eines Diabetes wichtige Schlüsse zu ziehen erlaubt, so kommt das davon, dass die 
Krankheit stark auf den allgemeinen Ernährungszustand einwirkt; schreitet die Krank¬ 
heit vorwärts, geht die Ernährung zurück, so zeigt sich dies durch das Sinken des 
Körpergewichtes. Umgekehrt steigt das Gewicht, wenn sich der Krankheitszustand 
etwas bessert. Diejenigen Aufklärungen, die uns die Wägungen bei den genannten 
sowie bei den meisten anderen Leiden gewähren, erhalten wir, wenn ich so sagen 
darf, auf indirektem Wege, indem wir vom Gewichte auf den Ernährungszustand 
schliessen und von diesem wiederum auf den krankhaften Zustand. Es ist indessen 
auch möglich — wie ich es heute Abend zu zeigen versuchen werde —, direkte, 
unmittelbare Aufklärungen über das Zunehmen oder Abnehmen pathologischer Ab¬ 
lagerungen mittels häufiger, am liebsten täglicher Wägungen zu erhalten. 

Wenn ein hydropischer Patient mittels passender Behandlung eine sehr reich¬ 
liche Diurese bekommt, wobei die Oedeme schwinden, dann liegt es ja auf der Hand, 
dass auch das Gewicht sinken muss. Zuweilen hat man zwar einen bedeutenden Ge¬ 
wichtsverlust konstatiert, wenn die Wägungen nur ab und zu unternommen wurden; 
über eine methodische Anwendung der Wageschale bei derartigen Krankheitszuständen 
dagegen findet man in der Litteratur nur sehr wenig, jedenfalls so weit ich dieselbe 
zu übersehen im stände bin. Ich habe nämlich nur eine einzige, vom bekannten 
französischen Kliniker Chauffard geschriebene Arbeit finden können. Sie heisst: 
»De la möthode des pes6es quotidiennes pour l’6valution quantitative des 6panche- 
ments du p^ritoine et de la plövrec. Verfasser erwähnt hier zwei Fälle von Ascites, 
bei denen er das Steigen und Sinken der Unterleibsflüssigkeit mittels täglicher 
Wägungen zu erforschen versucht; ausserdem nennt er vier Fälle von exsudativer 
Pleuritis. Er hebt scharf hervor, dass die täglichen Wägungen leicht ausführbar 
sind, und zuverlässige Aufklärungen über das Zunehmen und Abnehmen des Exsudats 
geben; es ist dies ja eine sehr wichtige klinische Frage, die man unter Anwendung 

ZeJtechr. f. diät u. ptaysik. Therapie Bd. VL Heft 7. 27 


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386 


H. Iacobäus 


Kurve 42. 


recht difficiler Untersuchungsmethoden, wie z. B. die Gefrierpunktsbestimmung der 
Pleuraflüssigkeit und des Blutes, zu beantworten versucht hat. 

Die Abhandlung Ghauffard’s ist in »La semaine mödicalec vom 17. Juli 1901 
erschienen. Schon seit mehreren Jahren hat indessen unser bekannter Kollege Pro¬ 
fessor Finsen sich der täglichen Wägungen bedient, um dadurch einen Maassstab 
für das Abnehmen und Zunehmen der Ascitesflüssigkeit und so eine Hilfe für die 
Therapie seiner eigenen Krankheit zu bekommen. Auf dem hiesigen Sanatorium für 
Herz- und Leberkrankheiten sind diese täglichen Wägungen in weitem Maasse aus¬ 
geführt worden, und es sind die dabei erzielten Resultate, die ich heute gern mit¬ 
theilen möchte. 

Bezüglich der Technik ist zu bemerken, dass wir eine Wage benutzten, die 
schon mit 10 g Ausschlag zeigt. Es wäre selbstredend das beste gewesen, das Wägen 
in nacktem Zustande zu unternehmen. Dies haben wir jedoch nicht durchführen 
können; indessen haben wir stets sorgfältig darauf geachtet, dass die Patienten immer 

in derselben Kleidung gewogen wurden, und da 
die Kranken, fast alle, diesen Wägungen ein zu 
Zeiten sogar zu regesinteresse entgegenbrachten, 
kann man dieselben wohl als völlig zuverlässig 
betrachten. 

Um die Resultate, die eine Untersuchungs¬ 
methode bei pathologischen Zuständen giebt, völlig 
beurtheilen zu können, muss man sie im voraus 
unter physiologischen Verhältnissen versucht haben. 
Wir haben deshalb auch eine Anzahl täglicher 
Wägungen gesunder Individuen gemacht, und als 
Probe werde ich Ihnen, meine Herren, Kurve 42 
und 43 vorzeigen, die von einem gesunden Manne 
und von einem gesunden Kinde herrühren. Diese, 
sowie die übrigen Kurven sind derart konstruiert, 
dass der Zwischenraum zweier kleiner Striche der 
Vertikale 200 g und der Horizontale einen Tag 
entspricht. Fünf der erstgenannten Zwischenräume entsprechen also 1 kg, sieben der 
letztgenannten einer Woche. 

Es fällt nun gleich auf, dass das Gewicht, von Tag zu Tag untersucht, einige 
Schwankungen aufweist. Es ist ja längst bekannt, dass das Gewicht, selbst bei ge¬ 
sunden Individuen, und wenn die äusseren Lebensbedingungen konstant bleiben, 
etwas variiert, was wahrscheinlich davon kommt, dass sich der Wassergehalt des 
Organismus innerhalb gewisser, übrigens enger Grenzen verändert, auch unter physio¬ 
logischen Verhältnissen. Die Gewichtskurve wird indessen sicher in hohem Grade 
davon beeinflusst, ob Vesika und Rektum beim Wägen leer oder voll sind. Es bietet 
nun für gewöhnlich keine besondere Schwierigkeiten, sich beim täglichen Wägen von 
der völligen oder der annähernden Leere der Vesika zu überzeugen. Etwas anders 
verhält es sich mit dem Rektum, und dies spielt eine Rolle, wie uns Kurve 42 zeigt. 
In der ersteren Periode wurden die Wägungen ohne Rücksicht auf eventueller Ab¬ 
führung ausgeführt, in der letzteren immer nachdem das Rektum entleert worden 
war; man sieht leicht, dass die Schwankungen im ersteren Abschnitt viel grösser 
und mehr unregelmässig sind als im letzteren. 



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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 


387 


Es entsprechen ebenfalls die Spitzen der Kurve 43 denjenigen Tagen, an welchen 
die Wägungen vor der Entleerung des Rektums unternommen wurden. Diese nor¬ 
malen Gewichtskurven haben ihr hauptsächliches Interesse, wenn wir sie mit den 
pathologischen vergleichen. Es ist jedoch noch ein Punkt, den ich eben gern be¬ 
rühren möchte. Die Kurve 43 zeigt uns eine Veränderung des Körpergewichtes von 
einem Tag bis zum andern bis auf 600 g. Es kommt sehr häufig vor, dass ein 
Phthisiker oder ein Diabetiker entweder übermässig froh oder tief geknickt ist, weil 
die wöchentlichen Wägungen ein Steigen, bezw. ein Sinken von 1—2 Pfund des 
Gewichtes zeigen. Wenn man indessen bedenkt, dass die Wägung in der grossen 
Mehrzahl der Fälle ohne Rücksicht auf den Füllungsgrad der Vesika oder des Rektums 
unternommen wurde, und zumal mit Hilfe einer bedeutend gröberen Wage als die¬ 
jenige, die wir benutzt haben, dann ist es höchst wahrscheinlich, dass das, wenn 
ich so sagen darf, reelle Gewicht oft unverändert ist, und dass also keine besondere 
Ursache zur Freude oder Trauer vorliegt. 


Kurve 43. Kurve 44. 



Wenn ich nun dazu übergehe, Ihnen, meine Herren, einige Gewichtskurven zu 
zeigen, die von pathologischen Fällen herrühren, muss ich die Bemerkung voraus¬ 
schicken, dass ich von den Krankengeschichten nur so viel mittheilen werde, wie 
eben nöthig, um eine Idee der Natur und der Intensität des betreffenden Krankheits¬ 
falles zu bekommen. 

Die Kurve 44 rührt von einem 56 jährigen Weibe her, die am 6. Mai 1901 nach dem 
Sanatorium kam. Sic litt an Morbus cordis mitraiis nach wiederholter Febris rhcumatica. 
Es waren bedeutende Oedeme, etwas Ascites, starke Cyanose und Dyspnoe. Nach zwei¬ 
tägiger Observation wurde Bettlager verordnet und die medikamenteile Behandlung cingeleitet. 
Die Diurese nahm stark zu, Oedeme und Ascites schwanden völlig, und nach 12 Tagen 
stand sie wieder auf. Das Gewicht war von 73,7 kg bis 65,125 kg gefallen, also ein Ver¬ 
lust von etwas über 8,5 kg. 

Diese Zahl hat zweifelsohne einiges Interesse. Das insufficiente Herz -kann 
bekanntermaassen nur schwierig denjenigen Anforderungen nachkommen, die ihm 

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388 H. lacobäus 

jede Körperbewegung stellt. Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob das Gewicht, 
das bewegt werden soll, 8,5 kg mehr oder weniger ist, und man versteht, dass die 
Patientin selber merken kann, dass sie viel leichter geht, nachdem sie von diesen 
8,5 kg oder, was dasselbe ist, beinahe 1 2°/ 0 des ursprünglichen Gewichtes befreit 
worden ist. Hierzu kommt nun ferner, dass diese Betrachtungsweise, die aus¬ 
schliesslich auf die groben mechanischen Verhältnisse zielt, wohl einige Wahrheits¬ 
momente enthält, jedoch aber durchaus nicht völlig die Wohlthat darlegt, die‘man 
einem Patienten dadurch erweist, dass man ihm von Hydropsieen befreit. Diese be¬ 
dingen an und für sich ein grosses Hinderniss für die Cirkulation. Wieder und 
wieder hat man ja gesehen, dass die Patienten lange Zeit hindurch mit schweren 
Oedemen und elender Diurese liegen können, bis die Haut berstet oder punktiert 
wird. Wenn nun ein Theil der transsudierten Flüssigkeit entleert wird, steigt oft 
die Urinabsonderung, und die Cirkulation bessert sich, auch wenn sonst keine andere 

besondere Behandlung instituiert wird. Dies 
kann nur derart gedeutet werden, dass die 
Oedeme in hohem Grade den peripheren Wider¬ 
stand vergrüssern. Dass die mechanischen Ver¬ 
hältnisse überhaupt eine grosse Rolle bei hy- 
dropischen Zuständen spielen, geht auch aus 
Erfahrungen hervor, die von Patienten mit 
Ascites herrühren. Hier bei uns hat besonders 
Finsen, nach eigener persönlicher Erfahrung, 
alle die Qualen hervorgehoben, die ein be¬ 
deutender Ascites verursacht, und gleichzeitig 
zeigt er, wie dieselben abnehmen, sobald der 
Ascites in der einen oder anderen Weise ab¬ 
nimmt. Das Resultat dieser Betrachtungen 
muss also sein, dass wir immer die für Herz¬ 
kranke so verhängnissvolle Bildung von Hy¬ 
dropsieen zu verhindern suchen müssen; in dieser 
Beziehung können wir sicher etwas machen. 
Da dieser Patient so stark angegriffen 
war, wurden 11 Tage keine Wägungen unternommen, weshalb der Gewichtsverlust 
durch eine gerade Linie repräsentiert wird. Wenn aber eine Wägung jeden Tag ge¬ 
macht worden wäre, hätte man jedoch sicher einen successiven gleichmässigen Ge¬ 
wichtsverlust konstatieren können. Ich bin nämlich im stände, Ihnen, meine Herren, 
einige Kurven vorzuzeigen, die ebenfalls sehr bedeutende Schwankungen des Körper¬ 
gewichtes zeigen. 

Kurve 45 rührt von einem 66jährigen Manne her, der nach dem Sanatorium am 
28. Juli kam. Er litt seit einem Jahre an Herzklopfen und Kurzathmigkeit; zeigte un¬ 
zweifelhafte Zeichen eines Mitralleidens; die Leber war ziemlich geschwollen, kein nach¬ 
weisbarer Ascites, grosse, aber ziemlich schlaffe Oedeme der Unterextremitäten. Während 
der medikamentellen Behandlung sinkt das Gewicht, wie die Kurve zeigt, zunächst plötzlich, 
später langsam im Laufe von 14 Tagen von 66,7 kg bis 60 kg oder beinahe 5,5 kg. 

Wie ausserordentlich rasch das Gewicht infolge eines rapiden Zunehmens der 
Oedeme steigen kann, zeigt die Kurve 46. 

Der Patient war ein 52 jähriger Mann, der am 12. August aufgenommen wurde. Im 
Februar fing er an, an Verdauungsstörungen zu leiden, nach kurzer Zeit stellten sich Kurz- 



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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 


389 


Kurve 46. 


athmigkeit, Herzklopfen und leichte Oedeme ein. Von Men bei passender Behandlung hervor¬ 
gerufenen Remissionen abgesehen, verschlechterte sich der Zustand im Laufe der folgenden 
Monate. Bei der Aufnahme zeigten sich Symptome von Nephritis mit 1—3°/oo Albumen und 
einige Cylinder im Harn; ferner excessive Dilatation 
und Hypertrophie des linken Ventrikels. Den Iktus 
fühlte man im sechsten Interkostalraum in der 
mittleren Axillarlinie; die Töne rein. Während 
der medikamentelien Behandlung fiel das Gewicht 
etwas, die Oedeme nahmen ab, schwanden aber 
nicht völlig; nachdem die Medikamente seponiert 
waren, fing das Gewicht an, rapid zu steigen, wie 
die Kurve zeigt Im Laufe von 10 Tagen steigt 
es von 62,5 kg bis 69,9 kg, oder ungefähr 7,5 kg. 


70.190 


€ 9.10 9 


€8,100 -j 



Die Kurve 47 zeigt sowohl ein starkes Ab- 61 > m 

nehmen als auch ein bedeutendes Steigen des 
Gewichtes. 

Der Patient, ein 48jähriger Mann, fing zur 
Osterzeit an, an Herzklopfen und Kurzathmigkeit 
zu leiden. Bei der Aufnahme am 9. August zeigten 
sich sowohl Symptome eines Morbus cordis mitralis, 
sowie einer Nephritis (ca. lVs°/oo Albumen und 
einige Cylinder im Harn). Kurz bevor war er mit 
Strophantus und digitalis behandelt worden. Wie 
die Kurve zeigt, fängt das Gewicht gleich an zu 
steigen; es wurde dann wieder eine medikamenteile Behandlung instituiert, und es sinkt 
jetzt das Körpergewicht stark, im Laufe von neun Tagen von 87,6 kg bis 80 kg. Sobald 
die Medikamente seponiert werden, geht das Gewicht in die Höhe, und erreicht im Laufe 
von 3—4 Wochen dieselbe Höhe, 

wie vorher. Ein einzelner Tag Kurve 47. 

zeigt , eine Gewichtsvermehrung 
von 2 kg. 

Die Kurven zeigen ja, wie 
Sie, meine Herren, leicht er¬ 
sehen werden, einige Unregel- S5 
mässigkeiten, indem das Ge¬ 
wicht an einzelnen Tagen sta¬ 
tionär sein kann, oder auch 
etwas zunehraen in einer Pe¬ 
riode, wo es sonst stark sinkend 
ist, während es auf der anderen 
Seite ab und zu sinkt in Pe¬ 
rioden, wo es sich in starker 
Steigung befindet; dies hängt 
nun theils damit zusammen, 
dass das Gewicht auch unter 
pathologischen Verhältnissen 
dieselben eigenthümlichen Schwankungen zeigt, die wir im normalen Zustande ge¬ 
funden haben; teils, und ganz besonders, rühren diese Unregelmässigkeiten von dem 
Einflüsse der Abführung her. Man schätzt das Gewicht der täglichen Abführung 
auf 170 g; dies ist jedoch eine reine Durchschnittszahl; bei vegetabilischer Nahrung 
steigt es bis auf 400—500 g, und bei Diarrhöe, gleichgültig ob sie von einem Darm- 



1 1 111 r 1 1 1 1 1 

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390 H. lacobäus 


leiden oder von Abführungsmitteln herrührt, kann das Gewicht der täglichen Aus¬ 
leerungen bis auf 1200—1300 g steigen. Welchen Einfluss die Abführung auf eine 
im übrigen aussergewöhnlich regelmässige Kurve ausüht, geht u. a. auch aus der 
Kurve 48 hervor. 

Die Patientin war ein 72jfthriges Weib, das am 2. Mai aufgenommen wurde. Während 
der letzten Jahre litt sie ein paarmal vorübergehend an Ikterus; keine Schmerzen. Ein 
Jahr vor der Aufnahme hatten sich plötzlich Symptome eines schweren Heparleidens ge¬ 
zeigt. Das Organ war geschwollen, es war Ikterus und zugleich hohes unregelmässig re¬ 
mittierendes Fieber. Das Allgemeinbefinden war selbstredend sehr mitgenommen. Die febrile 
Periode dauerte sechs Monate; noch ehe das Fieber ganz verschwunden war, fing ein 
Ascites an, welcher gleichmftssig zunahm und wiederholter Punktur bedurfte; die letzte 
Punktur wurde am 25. April unternommen. Bei der Aufnahme war die Patientin in gutem 
Ernährungszustände; die Funktion normal, die Diurese jedoch nur sehr gering, 300 bis 
400 ccm. Es war ein bedeutender Ascites; Hepar reichte ungefähr bis zur Umbilikaltrans- 
versale, war sehr fest und hart und mit höckeriger Oberfläche. 

Kurve 48. 



Ich habe diese Krankheitsgeschichte etwas ausführlicher referiert, weil es sich 
hier um einen sehr seltenen Fall handelt; jedenfalls habe ich in den kasuistischen 
Mittheilungen über Leberkrankheiten, die ich studiert habe, nichts Entsprechendes 
finden können. Die Deutung bietet jedoch kaum unüberwindliche Schwierigkeiten. 
Nachdem die Patientin ein paar Anfälle von leichter Infektion der Gallenwege gehabt 
hat, die nur einen vorbeigehenden Ikterus verursachten, hat sie einen sehr schweren 
Anfall mit langwierigem hohen Fieber bekommen. Die Infektion ist zwar zur Ausheilung 
gekommen, hat aber starke schrumpfende Prozesse im Bindegewebe der Leber hinter¬ 
lassen mit konsekutiver Pfortaderstauung und Ascites. Die Höcker^ die man auf 
der Oberfläche der Leber deutlich fühlen konnte und die man eine Zeit lang als 
Kancer fürchtete, sind vielleicht theilweise von der fibrösen Retraktion bedingt, zum 
Theil aber rühren sie jedenfalls von einer Neubildung von Lebergewebe in Form 
von Adenomen her. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich bei fast allen 
Formen von Hepatitis regenerative Prozesse finden, besonders eine Neuformation der 
Gallenkapilläre, jedoch aber auch der Leberzellen, zuweilen in so hohem Grade, 
dass sich veritable Knoten bilden. Diese Form von Hepatitis ist u. a. von franzö- 


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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 391 

sischen Autoren unter dem Namen von »Höpatite nodulaire« beschrieben. Mit dieser 
Annahme, wonach also eine reichliche Menge funktionsfähigen Lebergewebes vor¬ 
handen sein sollte, bekommen wir eine acceptable Erklärung des auffallend guten 
Ernährungszustandes, den die Patientin, der schweren Cirkulationsstörungen im 
Unterleibe zum Trotze, besass. Denn der äusserst schlechte, zuweilen beinahe 
kachektische Zustand, den man in manchen Fällen von Hepatitis findet, hängt gewiss 
in erster Reihe von der Läsion der Leberzellen ab, deren Funktion, wie von Chauf- 
fard in seiner bekannten Darstellung der Leberleiden in »Traitö de m^decine« hervor¬ 
gehoben, äusserst mannigfaltig, und deren Bedeutung für den Gesammtorganismus 
ausserordentlich gross ist. Die Patientin wurde mittels Diät, welche nur eine relativ 
geringe Menge flüssiger Stoffe enthielt, behandelt, und diese Diät scheint auch ihre 
Wirkung zu thun; während der Ascites in den Wochen vor der Aufnahme unzweifel¬ 
haft in Steigung war, blieb jetzt das Gewicht und der Umfang des Unterleibes un¬ 
verändert. An vereinzelten Tagen zeigte das Gewicht ein ziemlich plötzliches Sinken, 
verursacht durch eine reichlichere Abführung. In der dritten Woche trat z. B. ein 
interkurrenter, übrigens sehr moderater Durchfall ein, wobei in drei auf einander 
folgenden Tagen bezw. 710, 310 und 210 g entleert wurden, welches sich, wie Sie, 
meine Herren, sehen, in der Kurve deutlich bemerkbar macht Anfangs der fünften 
Woche des Aufenthalts punktierte man und entleerte 5 1 seröser Flüssigkeit, und 
man hegte nun die Hoffnung, durch Anwendung derselben Behandlung den Ascites 
zurückhalten zu können. Dies misslang indessen; wie die Kurve zeigt, stieg das 
Gewicht von Tag zu Tag, und es vergrösserte sich der Umfang des Unterleibes. Die 
Ursache dieses in seiner Weise ungünstigen Resultats ist wahrscheinlich die, dass 
die Schrumpfungsprozesse der Leber und somit die Stauung im Pfortadergebiete in 
derselben Periode Zunahmen; gleichzeitig mit dem Zunehmen des Ascites wurden die 
Venen der Bauchdecken mehr hervortretend und gespannt, und auch während des 
früheren Krankheitsverlaufs stieg der Ascites in gewissen Perioden rasch, in anderen 
langsam. 

Diese Beobachtung, die ja nach mehreren Richtungen hin Interesse bietet, hat 
auch Bedeutung für die Beantwortung der für die Brauchbarkeit der Methode über¬ 
aus wichtigen Frage: Inwiefern können wir schliessen, dass ein Zunehmen des Ge¬ 
wichtes ein präziser Ausdruck für die Vermehrung der Flüssigkeitsmenge des Körpers 
ist, und umgekehrt. Man sieht gleich, dass der nach einer Punktur eintretende Ge¬ 
wichtsverlust ziemlich genau dem Gewichte der entleerten Flüssigkeitsmenge ent¬ 
spricht. Ebenfalls muss man auch der genauen Uebereinstimmung, die sich zwischen 
dem Zunehmen und dem Abnehmen des Gewichtes und dem Umfang des Unterleibes 
findet, einige Bedeutung zuschreiben. Sie tritt sehr deutlich in der Kurve 49 hervor, 
welche von einem 40jährigen Mann, der seit vielen Jahren an Morbus cordis und 
einer Leberkrankheit gelitten hat, herrührt; seit ca. 10 Jahren leidet er an Ascites, 
während es durch eine durchgeführte diätetische Behandlung möglich war, die Bildung 
von Oedemen so zu sagen völlig zu verhindern. Das Gewicht ist bei dieser wie bei 
den übrigen Kurven durch eine grade Linie, die Maasse des Unterleibes durch eine 
gebrochene repräsentiert, und Sie sehen ja, wie genau sie einander folgen. Ferner 
wirkt eine stark wasserhaltige Abführung beträchtlich auf die Gewichtskurve ein, 
wie es aus der Kurve 48 hervorgeht. Noch prägnanter zeigt sich diese Wirkung auf 
der Kurve 50, die vom letztgenannten Patienten stammt; ca. vier Wochen lang wurde 
jeden dritten Tag ein starkes salinisches Abführungsmittel gegeben, und Sie sehen, 
wie hierbei ein konstanter Gewichtsverlust Yon etwa 1 kg hervorgerufen wird. 


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392 


11. lacobäus 


Theoretisch kann eine Vergrösserung, bezw. eine Verminderung des Körper¬ 
gewichtes ein Zunehmen, bezw. ein Abnehmen theils der festen Bestandteile des 
Körpers, theils der Wassermenge desselben bedeuten, und selbstredend kann man in 
gewissen Fällen im Unklaren sein, ob das eine oder das andere stattgefunden hat 
Hat man indessen Wägungen, wenn auch nur für einige Tage, wird man sich jedoch 
selten irren. Die sehr bedeutenden Schwankungen des Gewichtes, die verschiedene von 
diesen Kurven zeigen, findet man gewiss nur bei den hydropischen Zuständen, und 
hierzu kommen als sehr werthvolles Hilfsmittel die begleitenden Umstände. Wenn die 
Hydropsieen zunehmen, vermindert sich in der Regel der Appetit, und der allgemeine 
Zustand wird im ganzen schlechter; es ist nun mehr als unwahrscheinlich, dass die festen 
Bestandteile des Körpers sich unter diesen Umständen vermehren, und wenn das 
Gewicht steigt, kann man sicher schliessen, dass dies auf ein Zunehmen des Wasser¬ 
gehalts zurückzufUhren ist; umgekehrt findet man gewöhnlich einen besseren Appetit, 
und im ganzen ein besseres Befinden mit einem oft starken Gewichtsverlust zusammen. 


Kurve 49. 



Auf der Kurve 44 , um ein konkretes Beispiel zu nehmen, wurde der Appetit schlecht 
zu derselben Zeit, wo das Gewicht zu steigen anfing und besserte sich bedeutend, 
sobald es wieder fiel. 

Ich glaube deshalb, dass man bei Fällen von Herzkrankheiten mit Hydropsieen 
und Leberaffektionen mit Ascites in den täglichen Wägungen ein Mittel besitzt, wo¬ 
durch wir bestimmen können, ob eine pathologische Anhäufung von Flüssigkeit in 
dem angegriffenen Organismus vor sich geht oder nicht, und ich glaube zugleich, 
dass dieses Mittel recht empfindlich ist. Bei der Patientin, deren Kurve mit 44 be¬ 
zeichnet ist, kam z. B. eine Periode vor, wo das Gewicht zweifellos eine abnorme 
Retention von Wasser zeigte, ohne dass man Ascites oder Oedeme der Unterextre¬ 
mität nachweisen konnte. Dies zeigt ja, was man übrigens im voraus erwarten 
konnte, dass die abnorme Wasserretention recht beträchtlich sein muss, ehe man im 
stände ist, ihre Folgen, die Hydropsieen, nachzuweisen. Wenn die Diurese fällt, dann 
ist es wohl wahrscheinlich, dass eine Wasseranhäufung im Organismus stattfindet 
Die tägliche Urinmenge wird indessen von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst, 


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Uebcr das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 393 

wie z. B. dem Genüsse flüssiger Stoffe, der Hautfunktion u. a., so dass die Grösse 
der Diurese allein immer nur einen unzuverlässigen Maassstab dafür bietet, ob sich 
Wasser im Körper anhäuft. 

Jede Diagnose zielt ja zunächst auf die Therapie, und die Frage isF nun die, 
ob diese täglichen Wägungen dem Arzte bei seiner wichtigsten Aufgabe', der Be¬ 
handlung der Patienten, helfen können. Ganz im allgemeinen gilt die Regel, dass 
wir eine Therapie instituieren auf Grundlage unseres Wissens vom Wesen und von 
der Natur der Krankheit und von der biologischen Wirkungsweise der angewandten 
Mittel mit dem Resultate zahlreicher klinischen Beobachtungen zusammen gehalten, 
indem wir zugleich die Behandlung nach den speziellen Erforderungen des vorliegen¬ 
den Falles einzurichten versuchen. Wir müssen indessen gestehen, dass eine insti- 
tuierte Behandlung durchaus nicht selten als ein Versuch — der gelingen oder miss¬ 
lingen kann — aufzufassen ist, und die Reaktion des Krankheitsfalles ist dafür ent¬ 
scheidend, ob wir die Behandlung seponieren oder fortsetzen, verstärken oder ab- 


Kurve 50. Kurve 51. 



schwächen sollen. Eine Methode, die uns gestattet, einigermaassen genau den Ver- 
änderungen im kranken Organismus während der Behandlung zu folgen, muss des¬ 
halb selbstredend einige Bedeutung für die Therapie besitzen. Es sind indessen 
nicht nur derartige theoretische Betrachtungen, die für die Brauchbarkeit derjMethode 
sprechen, sondern diese lässt sich auch in mehreren Punkten direkt nachweisen. 

Wie Sie sich vielleicht erinnern, meine Herren, stammt Kurve 44 von einer 
Patientin mit einer sehr weit vorgeschrittenen Herzkrankheit. Während es nun keinem 
Zweifel unterworfen ist, dass die Kohlensäurebäder gut, zuweilen sogar vorzüglich 
wirken bei Fällen, wo die Kompensation zu versagen anfängt, stellt sich die Sache 
etwas anders bei denjenigen Patienten, die Zeichen schwerer Kompensätionsstörungen 
darbieten oder dargeboten haben. Die Frage von den Indikationen für Kohlensäure¬ 
bäder, auf die ich übrigens jetzt nicht näher eingehen werde, gehört überhaupt zu 
den sehr streitigen. Was den vorliegenden Fall anbelangt, so meinte „ich, dass 
man einen Versuch mit Kohlensäurebäder machen konnte, besonders weil wir in der 
Weise, die wir bei der Bereitung der Bäder verwenden, im stände sind, die Stärke 
sehr genau zu bestimmen ; es ist ja ausserdem ein grosser Vortheil, dass der Patient 
unter fortwährender täglicher Observation gehalten wird. Wie es aus der Kurve 


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394 H. lacobäus 


hervorgeht, fing das Gewicht an zu sinken, nachdem die Patientin einige Bäder 
genommen hatte, und es wurde deshalb die Behandlung fortgesetzt; wenn das Ge¬ 
wicht dagegen fortwährend gestiegen wäre, und besonders wenn die Steigung stärker 
geworden wäre, hätten wir selbstredend die Bäder in diesem Falle seponiert. 

Die wesentlichste Hilfe durch die Wägungen bekommen wir indessen bei der 
Entscheidung des sehr wichtigen Problems: Die Ernährung des Patienten. Ich gehe 
auf die schwierige Frage nicht ein, welche Bedeutung es für den gesunden und 
kranken Organismus hat, ob ihm eine grössere oder geringere Menge flüssiger Stoffe 
zugeführt wird. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass Oertel in seinem sehr 
bekannten Buche: »Allgemeine Therapie der Kreislaufstörungen«, die Rolle hervor¬ 
gehoben hat, die eine Einschränkung der flüssigen Stoffe für die Herzpatienten spielt, 
eine Anschauung die heutzutage als allgemein anerkannt anzusehen ist. Hier bei 
uns hat Finsen in einer Abhandlung: »Ueber die Behandlung und die Vorbeugung 
von Ascites« die grosse Bedeutung hervorgehoben, die eine mildere oder strengere 
Trockendiät unzweifelhaft besitzt für die Behandlung von Transsudaten im Unter¬ 
leibe. Für gewöhnlich sagt man dann auch den Herzpatienten: Sie dürfen 
nicht zu viel trinken. Die richtige Ausführung dieser Ordination bietet indessen oft 
besondere Schwierigkeiten dar. Es leuchtet ja zunächst ein, dass die Einschränkung 
in der Zufuhr flüssiger Stoffe von dem Grad der Girkulationsstörung abhängen muss; 
leichte Fälle können ohne Schaden mehr Flüssigkeit geniessen, schwere müssen sich 
mit weniger begnügen. Ausserdem sind aber die Patienten in der Regel nicht darüber 
klar, wie viel sie überhaupt trinken, und sie sind sehr geneigt, Getränke, die man 
von ihrer Diät ausschliesst, mit stark wasserhaltigen Nahrungsmitteln zu ersetzen. 
Wenn man, wie es in dem Sanatorium geschieht, eine Reihe von Tagen alles wägt, 
was der Patient im Laufe des Tages geniesst — welches ja ausserdem eine genaue 
Berechnung theils der Menge von Trockenstoff in der Nahrung, theils ihres Inhalts 
von Kalorieen möglich macht —, dann zeigt es sich, dass das Gewicht von Nahrungs¬ 
mitteln, welche in einem Tage von einem Menschen eingenommen werden, im 
weitesten Sinne des Wortes sehr variiert. Um unter den vielen Zahlen, die zu 
meiner Verfügung stehen, einige zu nennen, nahm eine Frau, die 55 kg wog, in fünf 
Tagen 5600 g oder 1120 g pro Tag ein, ein Mann, der 66 kg wog, in derselben Zeit 
11510 g oder ca. 2300 g pro Tag, ein Mann, der 115 kg wog, 15490 g oder ca. 
3100 g pro Tag. Alle ohne Ausnahme erklärten, dass sie nur sehr wenig tranken 
oder jedenfalls viel weniger wie früher. Man wird leicht verstehen, dass man Glück 
haben muss, um das richtige Maass flüssiger Stoffe, welches einem Herzpatienten 
zulässig ist, zu bestimmen, wenn die Ordination sich darauf beschränkt: Sie dürfen 
nicht so viel trinken. Wenn man indessen bloss einige Zeit hindurch bestimmt, was 
der Patient nach eigenem Gutdünken zu sich nimmt und gleichzeitig mit Hilfe der 
Gewichtskurve eine gewiss recht zuverlässige Abschätzung darüber bekommt, ob 
Wasserretention im Organismus vorhanden ist oder nicht, kann man selbstredend 
ohne besondere Schwierigkeit finden, was im gegebenen Falle am besten passt. 
Welchen Einfluss eine etwas rigorose Durchführung einer Trockendiät auf eine patho¬ 
logische Wasseransammlung ausüben kann, bin ich im stände, Ihnen durch das fol¬ 
gende Beispiel zu zeigen. 

Die Kurve 51 rührt von dem schon wiederholt erwähnten Patienten mit Morbus 
cordis und Leberleiden mit schwerem Ascites, nicht aber Oedemen her. Der auf- 
steigende Theil der Kurve zeigt eine Periode, wo der Patient eine, jedenfalls für 
ihn zu grosse Menge flüssiger Stoffe zu sich nahm. Das Resultat war nämlich ein 


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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 395 

starkes Steigen des Gewichtes mit Vergrösserung des Umfanges des Unterleibes und 
mit dem GefQhl peinlichen Druckes und Spannung. Drei Tage lang wurde nun 
Trockendiät in Verbindung mit salinischen Abführungsmitteln verordnet In derZeit 
ist die gesammte Einnahme von Nahrungsmitteln 2520 g, das Gewicht des Urins und 
der Abführung zusammen 4260 g, und der gesammte Gewichtsverlust 3205 g. Ein 
noch grösserer Gewichtsverlust, durch Trockendiät verursacht, ist in der Kurve 52, 
die ebenfalls vom obengenannten Patienten herrührt, graphisch dargestellt. 

Es steht hiernach für mich als sicher und unzweifelhaft, dass die täglichen 
Wägungen Hilfe leisten können bei der Diagnose und der Behandlung von Herz¬ 
krankheiten mit Hydropsieen und Leberleiden mit Ascites. Eine Frage ist es noch, ob 
sie nicht in Verbindung mit einigen anderen quantitativen Untersuchungen als kli¬ 
nische Untersuchungsmethode benutzt werden können, auf einem Gebiete, wo man 
in hohem Grade einer solchen bedarf. 

Wägt man einen Menschen auf zwei oder mehr aufeinander folgenden Tagen 
und wägt man ferner alles, was der Betreffende zu sich nimmt, sowie den entleerten 
Urin und die Abführung, so entsteht dadurch 
ein solches Minus in der Bilanz, dass das durch 
die Haut und die Lungen abgegebene Wasser und 
Kohlensäure das Gewicht des aufgenommenen 
Sauerstoffs bedeutend überschreitet. 

Diese sogenannte Perspiratio insensibilis 
ist im Durchschnitt für Erwachsene 1200 g. Es 
ist indessen eine Grösse, die von vielen Fak¬ 
toren, wie z. B. das Verhalten der Luft, Be¬ 
wegung und Ruhe, die Art der Ernährung, be¬ 
einflusst wird, und es ist deshalb schwierig, 

-wenn auch nicht gerade unmöglich, mit ihr zu 
rechnen. Die Grösse der Diurese ist bekannter- 
maassen von vielen verschiedenen Momenten 
abhängig, jedoch bezweifelt wohl niemand, dass 
Diuresemessungen ihre unzweifelhafte klinische 
Bedeutung besitzen. Viel deutet nun darauf 
hin, dass die insensible Perspiration bei ge¬ 
wissen Krankheitszuständen herabgesetzt wird- 
Es ist ja allgemein bekannt, das ödematöse Patienten oft genug nicht durch solche 
Mittel zum Schwitzen gebracht werden können, die sonst bei Gesunden eine reich¬ 
liche Schweissabsonderung bewirken; sicher, wenn auch weniger bekannt, ist es, 
dass auch chronische Leberleiden die Fähigkeit zum Schwitzen herabsetzen oder 
völlig aufheben. Diese partielle oder völlige Aufhebung der Schweisssekretion ist 
ja zweifelsohne kein isoliertes Phänomen, sondern der am leichtesten nachweis¬ 
bare Ausdruck für die Herabsetzung der Hautfunktion im ganzen; wenn die Haut 
die Fähigkeit, Wasser in Tropfenform abzugeben, verloren hat, liegt es ja nahe 
anzunehmen, dass sie ebenfalls nur ungenügend vermag, Wasser in Dampfform ab¬ 
zugeben. Einzelne Untersuchungen, die wir angestellt haben, zeigen auch nach dieser 
Richtung hin. Eine Patientin wog 55,9 kg, drei Tage später 55,87 kg; die Nahrung, 
sowohl die flüssige wie die feste, wog für diese drei Tage 3634 g, Urin und Fäces 
1454 g. Wäre nun das Körpergewicht unverändert geblieben, so würden 2180 g 
durch die Lungen und durch die Haut verloren sein; es ist aber jetzt ein Gewichts- 


Kurve 52. 



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396 H. Iacobäus 


Verlust von 30 g vorhanden, sodass wir also 2210 g bekommen oder eine Perspiratio 
insensibilis von ca. 730 g pro Tag; für einen anderen Patienten zeigte eine in der¬ 
selben Weise angestellte Berechnung nur 410 g pro Tag. 

Eine Herabsetzung der funktionellen Fähigkeit der Haut spielt zweifelsohne 
eine höchst prekäre Rolle bei vielen Krankheiten. Die Haut ist ja ein überaus 
mächtiges Organ mit einer komplizierten Funktion; u. a. ist es ja keinem Zweifel 
unterworfen, dass der Organismus auch durch die Haut einen Theil der Toxine, die 
sowohl bei der normajen wie bei der abnormen Lebensthätigkeit gebildet werden, 
ausscheidet. Was speziell Herz- und Leberleiden mit Disposition zu Hydropsieen 
anbelangt, so wird eine Herabsetzung der Fähigkeit, Wasserdämpfe abzugeben, noth- 
wendigerweise die für derartige Patienten so verhängnissvolle Wasserretention im 
Organismus fördern. 

Diese Betrachtungsweise führt ja ganz natürlich dazu, dass man durch thera¬ 
peutische Maassregeln die Hautfunktion zu verbessern versucht. Bekanntermaassen 
benutzt man auch eine grosse Anzahl von Behandlungsmethoden, die in erster 
Reihe auf die Haut einwirken; es lässt sich aber nicht leugnen, dass die nähere 
Erkennung der Wirkungsweise dieser Methoden verschiedene Schwierigkeiten dar¬ 
bietet. Es breiten sich in der Haut die sensitiven Nervenenden aus, und un¬ 
zweifelhaft können wir durch Incitation dieser Nervenenden, z. B. durch Kaltwasser¬ 
behandlungen, auf verschiedene innere Organe, wie z. B. das Centralnervensystem und 
das Herz, einwirken. Ob der eine oder der andere Eingriff durch seine Besserung 
der Hautfunktion zugleich oder in erster Reihe von Vortheil ist, können wir in der 
Regel nicht entscheiden, weil wir einen Maassstab für die funktionelle Thätigkeit der 
Haut vermissen, und aus derselben Ursache ist es schwierig, den Eingriff zu gradieren. 
Wenn wir bei Fällen von Herzkrankheit, um ein praktisches Beispiel zu nennen, 
Kohlensäurebäder a ';verwenden, dann ist die Besserung der Herzarbeit wohl dem 
reflektorischen}Reize, • der von den incitierten Hautnervenzweigen ausgeht, zu ver¬ 
danken; möglich ist es jedoch auch, dass die starke und nicht immer vorbeigehende 
Erweiterung der Hautgefässe einen besseren Funktionszustand, speziell eine grössere 
Fähigkeit Wasserdampf abzugeben, bedingt; und in anbetracht der grossen Bedeutung 
der Wasserretention bei vielen Fällen von Herzkrankheiten würde man in dem Falle 
eine Hilfe zur Erklärung der oft genug unzweifelhaften guten Wirkung der Kohlen¬ 
säurebäder bekommen. Auch für die Untersuchung der therapeutischen Eigenschaften 
der modernen Lichtbäder kann eine Methode, die uns, wenn auch nur approximativ, 
den funktionellen Zustand der Haut zu beurtheilen erlaubt, von grosser Bedeutung 
sein; möglich ist es ja jedenfalls, dass man durch Bestimmungen der insensiblen 
Perspiration bei demselben Individuum vor, während und nach der Behandlung, und 
wenn man^selbstredend zugleich dafür sorgte, dass alle die anderen Verhältnisse, die 
auf die Grösse derselben einwirken können, unverändert blieben, Aufklärung über 
die Wirkung des Eingriffes bekommen würde. 

Zu welchem Resultat man bei etwaigen diesbezüglichen Untersuchungen ge¬ 
langen wird, kann ich selbstverständlich nicht sagen; dass man auf grosse Schwierig¬ 
keiten stossen wird, ist sicher, dass dieselben sich als unüberwindlich zeigen werden 
ist möglich, jedoch nicht ganz unzweifelhaft. In jedem Falle wird ein Versuch, 
eine klinisch brauchbare Methode zur Bestimmung des Funktionszustar.des der Haut 
in guter Uebereinstimmung mit denjenigen Wegen sein, auf welchen man in der 
modernen Medicin ^vorwärts zu kommen versucht hat. Früher legte man ein ab¬ 
solut entscheidendes Gewicht auf die pathologisch-anatomischen Veränderungen, die 


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Ucber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 397 

man bei den verschiedenen chronischen Krankheiten findet, und dies führte u. a. zu 
dem nihilistischen Standpunkte: Es ist unmöglich, dass ein jedes der zu unserer Ver¬ 
fügung stehenden Mittel wesentlich günstig auf diese Veränderungen influieren [kann, 
und ergo ist bei diesen Krankheiten nichts zu thun. Der erste Satz ist richtig, der 
andere dagegen nicht. Denn wir wissen nun, dass es möglich ist, ein chronisch er¬ 
kranktes Organ zu schonen, sodass die Folgen der anatomischen Läsion so gering 
wie möglich für den Organismus werden; ferner kann man die ganz ■oder theilweise 
gesunden Elemente, die immer vorhanden sind, derart aufüben, dass sie eine grössere 
Arbeit leisten. Mit diesen Prinzipien für die Behandlung chronischer Krankheiten 
wird ja selbstredend die Bestimmung der Funktion von der grössten Bedeutung, und 
wie die Verschiebung in der theoretischen Auffassung auf die Praxis eingewirkt hat, 
geht u. a. aus den Anschauungen der Vorzeit und der Jetztzeit über die Indikationen 
der herztonisierenden Medikamente hervor. Früher nahm man besonders auf das 
anatomische Leiden Rücksicht, ein Umstand, der dazu führte, dass einige gute Be¬ 
obachter behaupteten, dass Digitalis gut bei Stenosen, schlecht bei Insufficienzen, 
vorzüglich bei Mitralfehler, schlecht bei Aortaleiden wirkte, während andere, ebenso 
gute Kliniker zu dem gerade entgegengesetzten Resultat gelangten. Heutzutage einigen 
sich wohl die meisten Forscher auf diesem Gebiete darin, dass Herztonica ganz im 
allgemeinen indiciert sind, wenn das Herz in nicht befriedigender Weise fungiert. 
Es ist ferner dasjenige Prinzip: Zu schonen und zu üben, welches dazu geführt hat, 
dass man eine funktionelle Ventrikeluntersuchung ausarbeitet, und ferner versucht 
hat, eine Methode zur Bestimmung der Funktion des Darms zu finden, sowie durch 
recht verwickelte und zum Theil nicht ganz unbedenkliche Mittel, wie subkutane 
oder interne Applikation von Methylenblau und Phloridzin oder durch die Be¬ 
stimmung des Gefrierpunktes des Blutes, ein Maass für die Nierenfunktion zu ge¬ 
winnen. Wenn wir also den funktionellen Zustand der Haut untersuchen, um dadurch 
Indikationen für Eingriffe zu fördern, die aller Wahrscheinlichkeit nach einen grösseren 
oder geringeren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit derselben ausüben, dann ist der 
Versuch jedenfalls rationell; denn eine funktionelle Therapie erfordert als fast noth- 
wendige Voraussetzung eine funktionelle Diagnostik. 


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398 


Arthur Loebel 


111 . 

Beitrag zur Wirkung ^der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen 
auf Grund von Blutdruck- und neuramöbimetrischen Messungen. 

Von 

Dr. Arthur Loebel, Kais. Rath, 

K. K. Bade- und Brunnenarzt in Wien-Dorna. ’) 

Der eigentliche Aufschwung, den die Herztherapie genommen, ist kaum viel 
älter als zwei Decennien und datiert aus der Zeit, da die pathologische Anatomie 
nicht minder wie die experimentelle Pathologie und Physiologie uns mit zahlreichen 
bis dahin unbekannten Einzelheiten der Herzkrankheiten vertraut gemacht und im 
Gegensätze zu der bis dahin landläufigen Anschauung, die alle Aufmerksamkeit den 
Klappenfehlern zuwendete, die grosse Bedeutung des Herzmuskels selbst für die 
Störungen im Kreisläufe zur Werthschätzung gebracht hat, sowie dessen Fähigkeit 
automatisch in rythmischer Weise zu pulsieren zufolge Ausflusses seiner Erregungs¬ 
fähigkeit und Reizleitung. 

Parallel mit diesen Erkenntnissen wurde auch unsere Einsicht geklärt, dass 
nebst den physikalisch nachweisbaren Symptomen, die bereits das Vorhandensein 
irreparabler Gewebsveränderungen feststcllen, namentlich die Störungen in der 
Funktion, Ernährung und Innervation des Muskels zu berücksichtigen bleiben. Sie 
mussten den therapeutischen Fortschritt begründen, welcher die Vortheile erschloss, 
einerseits die Vorgänge frühzeitiger zu erkennen und andererseits die destruktiven 
Prozesse zu verlangsamen, eventuell aufzuhalten. 

Rosenbach, der durch gediegene Beiträge, einen erschöpfenden Grundriss und 
das anerkannteste Handbuch diese Umkehr zumeist gefördert hat, erklärt daher als 
Aufgabe einer genauen Diagnose nicht die subtile Konstatierung der Gewebs¬ 
veränderungen, auch nicht die exakte Feststellung des Sitzes der Erkrankung an 
einer bestimmten Klappe, sondern die genaue Unterscheidung der wichtigen Formen 
der geänderten Herzarbeit, die strenge Trennung der ungenügenden Anpassungs¬ 
fähigkeit des Herzens von der absoluten Insufficienz des Herzmuskels. 

Wenn wir uns aber auch auf dem Wege befinden, den funktionellen Störungen 
ernsteres Gewicht beizumessen als jenen texturellen Erkrankungsphasen, die sich erst 
durch Geräusche, Hypertrophie und Dilation bemerkbar machen, so sei damit keines¬ 
wegs gesagt, dass die physiologische Diagnose berufen sei, die anatomische irgendwie 
zu ersetzen. Vielmehr muss ausdrücklich betont werden, dass das gesammelte Material 
unserer Altvorderen von uns nicht hoch genug gewürdigt und nicht oft genug benutzt 
werden kann, dass aber gerade die Herzerkrankungen uns unbewusst in das Fahr¬ 
wasser der funktionellen Untersuchuugsmethoden treiben, wo uns erst recht die ana- 


*) Auszug aus dem Vorträge gehalten am 22. März 1902 in der dritten wissenschaftlichen 
Versammlung des Central Verbundes der Balneologen Oesterreichs. 


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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen. 399 

tomischen Erfahrungssätze, wie ein Kompass, auf den richtigen Weg weisen. Denn 
da, wo die Symptomatologie der Störungen durch Abnahme der Herzkraft eingeleitet 
und unterhalten wird, hört jede Schabionisierungsliebhaberei 'auf, beginnt das Indi¬ 
vidualisierungsgeschick, und da wird es gleichgiltig, ob ein nicht mehr genügend 
kompensierter Klappenfehler oder eine anatomische, relative, bezw. muskuläre In- 
sufficienz des Herzens die Krankheitsbilder liefert. 

Jede Heilmethode strebt dann prinzipiell die Erhöhung der Herzkraft und den 
Wiederausgleich der Gleichgewichtsstörungen an und berücksichtigt nur mehr die 
funktionell bestimmten Widerstandsgrade des Herzens und die bestehende Reaktions¬ 
fähigkeit der Gesammtkonstitution. Die Methoden ergänzen sich eben, und so werth¬ 
voll auch die eine oder die andere an und für sich sein mag, vollwerthig wird jede 
einzelne erst durch Berücksichtigung der anderen. 

Die Herzschwäche, als Ausdruck verminderter Herzarbeit, ist die Folge eines 
Missverhältnisses zwischen der Kraft des Herzmuskels und den zu überwindenden 
äusseren Widerständen. Dem Eintritte von Herzinsufficienz muss demnach ein Stadium 
vorausgehen, in welchem die Reize vorerst die Reservekraft des Herzens aufbrauchen, 
um dann die Phase einer aktiven Dilatation einzuleiten, während welcher die 
Kontraktionsfähigkeit des Herzens intensiver in Anspruch genommen wird, und 
schliesslich entsprechend der ausgiebigeren Arbeit und der damit zusammenfallenden 
besseren Ernährung zu einer Hypertrophie des Herzmuskels zu führen. 

Dyspnoe, Oedem und gewisse Veränderungen am Pulse, bezw. in der Intensität 
der Herztöne sowie in der Dämpfungsfigur des Herzens vermögen uns nun gewisse 
Aufschlüsse über die Leistungsfähigkeiten des Herzmuskels zu verschaffen. 

Mittels der funktionellen Untersuchungsmethoden sind wir auch derzeit in die 
Lage gebracht, aus dem veränderten Charakter der Respiration bedeutungsvolle 
Signale für die initialen und terminalen Phasen des Herzleidens zu konstruieren, 
ferner in dem Verlaufe der hämostatischen Gleichgewichtsstörung jene Grenzlinie ab¬ 
zustecken, an denen die labilen, besserungsfähigen Zustände in aussichtslose progre¬ 
diente Verhältnisse Umschlagen; andererseits setzt uns ebenso die funktionelle Diagnostik 
in den Stand, aus den Pulsvariationen und Intensitätsdifferenzen der Herztöne die 
tonometrischen und stethophonometrischen Messungen zu gewinnen, welche uns die 
Beurtheilung gestatten, ob wir es mit einer stabilisierten oder labilen Herzdynamik 
zu thun haben, mit einer Herzhypertrophie oder einer Stauungsdilatation. 

Die Zunahme der Muskelmasse ist doch nur eben solange Ynöglich, als die 
Coronararterien das erforderliche Nährmaterial den Herzhöhlen zu entnehmen ver¬ 
mögen, und früher oder später muss ja endlich zufolge Ueberfüllung der Herzventrikel 
mit gestautem Blute die gefürchtete Verminderung des Herztonus und gleichzeitige 
Herabsetzung der Kontraktionsfähigkeit sowie der stetige Rückgang der Herzernährung 
eintreten. 

Da wird allgemein als eines der wichtigsten differentialdiagnostischen Hilfsmittel 
und Heilmittel die Schott’sche Selbsthemmungsgymnastik anerkannt, und als 
milderer und wirksamerer Eingriff die Beklopfung oder Erschütterung des Herzens. 

Die schwedischen Gymnastiker behaupteten wohl mit der Hartnäckigkeit einer 
fast hundertjährigen Propaganda, in ihrer Methode ein sicheres Heilmittel für Herz¬ 
leidende zu besitzen, aber erst dem genialen Zander in Stockholm gelang es, unter 
der Kontrolle hervorragender Kliniker die unzweideutigen Heilwerthe seiner Behand¬ 
lungstechnik auch bei Herzkranken zu erproben. Derselben zu durchschlagender An¬ 
erkennung verholfen zu haben, ist erst Schott gelungen, indem er die Frage dahin 


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400 Arthur Loebel 


formulierte, dass die Insufficienz des Herzmuskels durch die Gymnastik nach doppelter 
Richtung hin bekämpft werde. In erster Linie nehme die Herzkraft, dann die 
Muskelsubstanz bis zur kompensatorischen Hypertrophie zu, bei Einengung der be¬ 
stehenden Dilatation durch die verstärkte Kontraktionskraft des Herzens, und in 
zweiter Linie werden die zufolge der Kraftabnahme' des Herzmuskels gesetzten 
Störungen im Girkulationsapparate reguliert. 

Sowohl Oertel als Schott konstatierten nach den gymnastischen Maassnahmen 
eine Einengung der Herzdämpfung bis auf wenige Centimeter bei Vorhandensein eines 
kräftigen Pulses und Herzstosses, ein Steigen des Blutdruckes um 30—40—60 mm, 
ein Sinken der Pulszahl von 120—90, bczw. 96—72, wobei die Qualität derselben 
normaler wird, und eine Reduktion der Athemztlge bei Vertiefung derselben von 
32 auf 24. Hydrops und Stauungsalbuminurie schwanden. 

Das unkontrollierbare, dem Ermessen des Patienten anheimgegebene Bergsteigen 
Oertel’s wurde schon von Schott nur auf die leichteren Krankheitsfälle beschränkt 
und für die komplizierten Zustände nur die genau dosierbare Methode der Bewegungs¬ 
kuren im Uebungssaale unter Leitung eines Sachverständigen gewählt. 

Die willkürliche Empirie von den ihr anhaftenden Fehlern im vollkommensten 
Grade losgeschält zu haben, ist das Verdienst des Dozenten Herz, dessen Apparate 
derart differenziert sind, dass sie der Equilibrierung der verschiedenartigen Funktions¬ 
störungen dienstbar gemacht werden können. 

Liegt aber auch der Schwerpunkt der Mechanotherapie darin, dass sie, wie es 
schon Frey betont, den Rückfluss des Venenblutes befördert und die Aspirations¬ 
kraft des Herzens unterstützt, so kann sie erst dann von Erfolg gekrönt werden, 
wenn die zur Regulierung des ganzen Kreislaufes erforderliche Druckenergie noch 
vorhanden ist oder durch sie wieder hergestellt werden kann. 

Wo diese Propulsivkraft des Herzens fehlt, wo die unvermittelten Blutdruck¬ 
steigerungen, wie sie die intensiveren Muskelanstrengungen der Heilgymnastik mit 
sich bringen, keinen genügend widerstandsfähigen Herzmuskel treffen, kurz, wo vor¬ 
erst durch Umstimmung die Reservekräfte des Herzmuskels angesammelt und durch 
Stoffanbildung die effektive Leistungsfähigkeit desselben gehoben werden müssen, 
rücken die balneo- und hydrotherapeutischen Methoden in ihre Vorrechte als die 
milderen Kurbehelfe. 

Die Kohledsäurebäder, die infolge der unermüdlichen Arbeiten von Beneke, 
der Brüder Schott, der Cudower Aerzte Scholz und Jacob, von Groedel, 
Gräupner u. v. a. heute als die Herzheilbäder par excellence anerkannt werden, 
rufen nach den auf den Kliniken Romberg’s und Curschmann’s von Hensen 
angestellten Versuchen die bereits von Schott festgestellten Thatsachen hervor. Bei 
64 Kranken mit Herzinsufficienz, als Folge von Klappenfehlern und Myokard¬ 
erkrankungen, wurden in den überwiegenden Fällen Blutdrucksteigerungen kon¬ 
statiert, die selbst noch eine Stunde nach dem Bade 20—30—36 mm betrugen, 
ferner verschiedentliche Verkleinerungen der Herzdämpfung bis 1 und 1 V» cm nach 
dem Bade bei unveränderten Lungengrenzen. Die Verminderung der Pulsfrequenz 
bewegte sich zwischen 10 bis 20 Schlägen, während die Urinmenge nicht selten an 
Badetagen vermehrt erschien. 

Diese Angaben schlichten den heftigen Streit, ob die kohlesäurereichen Bäder 
die Herzdämpfungsgrenzen beeinflussen oder nicht, und ob sie den Blutdruck steigern 
oder vermindern. Sie bestätigen vor allem meine eigenen Beobachtungen, die bei 


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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmnskelerkrankungen. 401 

einem Kohlensäuregehalte der Bäder von 20—30 Volumeinheiten des Reichert’schen 
Schüttelapparates gemacht wurden, und die praktische Regel, die ich mir hieraus 
abgeleitet, dass der Herzkranke mit der labilen Leistungsfähigkeit seines kreislauf¬ 
regulierenden Centralorganes gerade dem Bade gegenüber, welches im ausgiebigsten 
Maasse die Umlagerung der Blutmengen und die Geschwindigkeit des Blutstromes zu 
beeinflussen vermag, in der verschiedenartigsten Weise reagieren müsse, wenn auch 
die thermischen, chemischen und mechanischen Reize des Bades zuverlässig dieselben 
bleiben. 

Fühlt sich der Patient im Bade wohl und nach demselben erfrischt bei ver¬ 
tiefter, beruhigter Athmung, dann erhalten wir eben in der Ziffer des Blutdruckes 
den funktionellen Maassstab für die jeweilige Leistungskraft des Herzens und für die 
nach jeder Untersuchung indizierte Verordnung. 

Je nachdem sich gerade der erkrankte Herzmuskel mit der mangelhaften und 
geschwächten Arbeitsfähigkeit zur Erfüllung seiner Aufgabe aufzuraffen vermag, wird 
er die tonischen und trophischen Agentien des kohlensäurehaltigen Bades in der 
Sammlung seiner Reservekräfte, in der Erleichterung seiner Arbeit, kurz in der 
Erholung und Schonung suchen, und alles vermeiden, das die erschöpften Energieen 
noch mehr zu reduzieren vermag. Er wird aber umgekehrt in dem Anpassungs¬ 
bestreben seiner inneren Lebensvorgänge an die äusseren Reize, wenn es seine Hülfs- 
mittel noch gestatten, seine verfügbaren Widerstandsfähigkeiten mobilisieren und 
durch eine angemessene und wiederholte Uebung dieser Vitalimpulse der Anbildung 
kontraktiler Elemente Vorschub leisten. Dieses wird selbstverständlich auch der 
Fall sein, wenn sich durch den Erfolg der Bäderwirkung das Herz bereits zur Er¬ 
füllung dieser anspruchsvolleren Arbeit genügend gestärkt hat. 

Hält man sich an diese Erscheinungen, dann erkennt man erst den vollen 
dynamischen Werth der Kohlensäurebäder und den erziehlichen Umfang ihrer 
steigerungsfähigen, abwechselungsreichen Skala auf den Herzmuskel, je nachdem 
man sie als gasarme Mineralbäder, als kohlensäurehaltige Thermalbäder oder als 
kohlensäurereiche Sprudelbäder im stehenden, beziehungsweise fliessenden Zustande 
zur Anwendung bringt. 

Während die Heilgymnastik und die Kohlensäurebäder bei Behandlung der 
Herzkrankheiten immer weitere Kreise- und immer wichtigere Positionen eroberten, 
wurde die Hydrotherapie unter den entmuthigenden Misserfolgen Priessnitz’ als 
ernste Kontraindikation bis in die jüngste Zeit hinein betrachtet und die Anwendung 
von Kaltwasserprozeduren geradezu als Kunstfehler angesehen, selbst nachdem die 
Wirkungen der thermischen Reize auf jede einzelne Phase der Cirkulationsvorgänge 
genau erforscht waren. 

Erst vor einem Dezennium brachte Winternitz eine Arbeit, die diesen Bann 
brach, und seitdem haben namentlich seine Schüler Strasser, Buxbaum, 
Pospischil u. a. eine Reihe von verdienstvollen Arbeiten publiziert, welche erweisen, 
dass der Hydrotherapeut ohne Zagen an die Behandlung der schwersten Cirkulations- 
störungen herantreten darf. 

So vermag bereits der Hcrzschlauch die Zahl und die Irregularität der Pulse 
nach Silva und Winternitz zu vermindern, den Blutdruck zu erhöhen, die Herz¬ 
aktion und den zweiten Aortenton zu verstärken, weshalb Winternitz diesen Kur¬ 
behelf als hydriatische Digitalis bezeichnet. Die Theilwaschung wiederum verlangsamt 
und vertieft den Respirationstypus, so dass man beim Alternieren dieser zwei 

Zeltachr. f. diät n. Physik. Therapie. Bd. VI. Heft 7. 28 


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402 Arthur Loebcl 

Prozeduren bald eine milde Lungengymnastik mit Erweiterung der peripheren Strom¬ 
bahnen, somit eine sichtbare Herabsetzung der Widerstände, die vom Lungen¬ 
kreisläufe dem rechten und vom arteriellen Stromgebiete dem linken Herzen ent¬ 
gegengesetzt werden, bald eine systematische Herzmuskelgymnastik erreicht, die zu 
einer Ausbildung kontraktiler Elemente führt und mit der Steigerung der Leistungs¬ 
fähigkeit eine Potenzierung der kardialen Aspirations- und Propulsivenergieen erzielt 

Die Binden und Umschläge übernehmen bei Oedemen nebst der ausgiebigen 
Gefässdilatation der eingewickelten Hautpartieen und der hiermit verbundenen Er¬ 
leichterung der Blutzirkulation die Wasserausscheidungen der entsprechenden Krank¬ 
heitsherde durch Transpiration. Bei hartnäckigeren, ausgebreiteteren Hydropsieen mit 
Albuminurie kommen die Dampfbäder in Betracht. Indem sie den Geweben Flüssig¬ 
keit entziehen, vermindern sie mit dem Wassergehalt im Organismus auch dessen 
Blutquantum und erleichtern mit der Entwässerung des Blutes und der Entlastung 
im Venengebiete dem Herzen einen Theil der mit dem Blutdurchtriebe zu über¬ 
windenden Last. 

Bei der Hydrotherapie gelingt es uns also, gerade wie bei den anderen Heil¬ 
methoden, mit der Behebung der Herzschwäche, der Pulsanomalieen und mit dem Aus¬ 
gleiche der hämostatischen Gleichgewichtsstörungen, die ominösen Symptome der 
Dyspnoe im kleinen Kreisläufe oder die hydropischen Ansammlungen und die Harn¬ 
stauung im grossen Kreisläufe zum Verschwinden zu bringen. 

Sie hat der Mechanotherapie und den Kohlesäurebädern den unschätzbaren Vor¬ 
theil voraus, auch grössere hydropische Ansammlungen zum Schwinden bringen zu 
können durch Mitbetheiligung der gesammten Hautoberfläche an der vermehrten 
Wasserabgabe bei gleichzeitiger Entlastung der Niere. 

Hingegen vermögen die kohlensäurereichen Bäder mit der mechanischen Wirkung 
des Gases eine unvergleichlich mildere Art des Reizes zu entfalten, als die Frottierungen 
der Badediener. Dieser Reiz kann noch potenziert werden durch den chemischen 
Einfluss der die Haut in Millionen Bläschen Ubersäenden Kohlensäure, welche die 
zarten Protoplasmawände der kontraktilen Kapillaren trifft. Der Vortheil steigt in 
dem Grade, als die erhöhte Reizbarkeit eines erkrankten Herzens alle unvermittelten 
Einwirkungen seitens des Athmungsapparates und der Nervenreflexe mit einer 
empfindlicheren Gleichgewichtsstörung beantwortet, und je empfindlicher es sich 
etwaigen, allzu energischen Wärmeentziehungen gegenüberstellt. 

Umgekehrt gebührt den passiven Bewegungen und der Massage der Hydro¬ 
therapie gegenüber das Uebergewicht in jenen Fällen von Herzschwäche, die sich 
mit den anämischen Formen von Fettleibigkeit vergesellschaften und wegen ihrer 
hochgradigen Dyspnoe nicht mehr im stände sind, durch freie Bewegungen den Ein¬ 
tritt der Reaktion zu befördern. 


Die Gymnastik, die Kohleusäurebäder und nicht minder die Kaltwassertherapie 
erfüllen die Aufgabe in allen Zuständen von drohender oder eingetretener Herz- 
insufficieuz, die Kontraktionsfähigkeit des Herzmuskels zu fördern: sei es durch An¬ 
passung seiner kontraktilen Masse an die Bedürfnisse des Organismus und an die 
ausgiebigeren Volumsschwankungen der Lebensprozesse, sei es durch Vermehrung 
oder Zunahme seiner kontraktilen Elemente zufolge Mehraufnahme eines nähr¬ 
reicheren Blutes. Sie vermögen demnach jene Dilatationszustände zu beheben, 


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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen. 403 

welche sich bei einem Klappenfehler oder nach einer Myokarddegeneration als so¬ 
genannte aktive Dilatation einstellen im Momente, da die ganze Reservekraft des 
Herzens aufgebraucht erscheint. Weniger Erfolg verspricht dagegen deren Anwendung, 
wenn bei bereits vollentwickelter Hypertrophie das Herz seine Akkomodationsfahig- 
keit an die vitalen Anforderungen verliert und in diesem Stadium eine Kompensations¬ 
störung auftritt. Da ist keine Aussicht mehr vorhanden, durch die Förderungsmittel 
der Gymnastik mit der Fortschaffung der gestauten Blutmassen den Blutdurchtrieb zu 
bessern, weil die Betriebskraft des Herzmuskels versagt bezüglich seiner Aspirations¬ 
kraft. Es ist aber auch jede Aussicht illusorisch, durch die hydriatischen oder 
Kohlensäurereize die Herzenergie soweit zu steigern, dass ihr Propulsivkoefficient 
noch die aufgestauten Widerstände überwinde. Die terminale Phase der Herzhyper¬ 
trophie nimmt eben ihren Anfang. 

Von diesem Standpunkte aus muss man mit Rosenbach bekennen, es sei nicht 
immer gut, das Herz zur höchsten Leistung anzuspornen, seine Hypertrophie zu be¬ 
günstigen, und es auch mit Oertel als gefährlichen Irrthum erkennen, wollte man 
glauben, dass ein Kranker mit gut kompensiertem Klappenfehler nur einer gewissen 
Schonung seines Kräftezustandes und seiner Kreislaufsverhältnisse bedürfe. 

Eine Heilmethode, welche nun, ähnlich der Meclianotherapie, direkt anregend 
auf die Gewebsthätigkeit und durch mechanische Beeinflussung des Muskelprotoplasmas 
den Blutumlauf beschleunigt und dabei den Blutdruck herabstimmt, besitzen wir in 
den Moorbädern, die diesen Vortheil auch den kalten und kohlensäurereichen Bädern 
gegenüber behaupten. 

Die Moorbäder bei Behandlung der Herzkrankheiten als berücksichtigenswerthen 
Kurbehelf erörtern zu wollen, mag bei dem unausrottbaren Vorurtheile, das gegen 
dieselben noch besteht, als Wagniss erscheinen. Aber so wie den lange Zeit arg 
verpönten Prozeduren der Hydrotherapie wird auch dieser Heilpotenz nach und nach 
der angedichtete Respekt eines hochgradigen Erregungsmittels abgestreift werden 
müssen. 

In der originellen Arbeit über Herzkrankheiten bei Arteriosklerose giebt v. Basch 
derselben Ansicht unverhohlenen Ausdruck, indem er auf den Vortrag zurückkommt, 
der am letzten Wiener Baineologenkongresse von mir über die Behandlung der 
Arteriosklerose mit Moorbädern gehalten wurde. Ich halte, schreibt er, die Moor¬ 
bäder in Fällen von hoher Blutspannung für indiciert, mache aber aus Traditions¬ 
gründen, d. i. deshalb, weil sie im Rufe stehen, aufregend zu wirken, nur selten 
bei der Herzinsufficienz Gebrauch davon. Möglich, dass im Laufe der Zeit ihr Ruf 
sich ändert, wie ja der Ruf von Bädern überhaupt — Nauheim ist ein Exempel 
hierfür. Dann werden Moorbäder vielleicht als ein Spezifikum gegen Arteriosklerose 
gepriesen und angewendet werden. 

Die Moorbäder sind baineologische Behelfe, die rücksichtlich ihrer Einflüsse 
auf den Puls, den Blutdruck und die Respiration, sowie den Stoffwechsel des Be¬ 
handelten denselben Gesetzen unterliegen wie die einfachen Wasserbäder. Worin 
sie jedoch von denselben differieren, sind die Temperaturverschiebungen des Bade¬ 
mediums. Die breiigen Massen, die der Abkühlung durch die Luft grössere Schwierig¬ 
keiten entgegensetzen als die flüssigen Medien, ändern ihre Wärmeleitungs- und 
Wärmekapacitätsverhältnisse je nach dem wechselnden Absorptionsvermögen ihrer 
Moorerde, die je nach ihrem hygroskopischen Koefficienten bald die mehr, bald die 
minder dichte Konsistenz des Bades bestimmt. 

•J8* 


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404 Arthur Locbcl 

Bei Beurtheilung der Wirkung eines Moorbades auf Herzkranke müssen wir 
darum von allen chemischen und physikalischen Theorieen absehen, und uns blos 
auf die strikte Berücksichtigung der ziffermässigen Beobachtungen beschränken, die 
wir nach Gebrauch desselben in der Puls- und Athemfrequenz, sowie im Blutdrucke, 
bezw. in den Temperaturveränderungen des Organismus notieren können. Wir dürften 
sonst mit Rücksicht auf die herrschenden Dissonanzen zwischen den Balneologen 
bezüglich der differenten Qualitäten der Moorbädersubstrate den Werth dieser Be¬ 
obachtungen sogar nur auf den jeweiligen Untersucher und Untersuchungsort be¬ 
schränken. 

Ich konnte in meinen bisherigen Abhandlungen aus diesem Kapitel nach den 
30—35°C Moorbädern meines Kurortes vor allem auch die von Abel und Stifler 
bestätigten Blutdruckreduktionen verzeichnen, ferner die in gleichtemperierten Bädern 
auch von Fellner beobachteten Rückgänge der Puls-und Athemfrequenz feststellen. 

Um endlich auch dem Märchen von der erregenden Wirkung der Moorbäder 
näher zu rücken, habe ich unmittelbar vor und nach jedem Bade Messungen mit 
Exners Neuramöbimeter vorgenommen. Es sei mir gestattet, aus meinen Beob¬ 
achtungen hier zwei typische Fälle herauszugreifen. 

In einem Falle von Stenokardie mit Hypertrophie des linken Ventrikels und verstärktem 
zweiten Aortenton bei einer 58jährigen Frau, in dem nach einem 35° C Moorbadc von 
20 Minuten Dauer der Blutdruck von 190 auf 110 mm, der Puls um sechs Schläge und die 
Respiration um vier Athmungen zurückgegangen war, konnte ich eine Reduktion der Re¬ 
aktionszeit, d. i. jenes Intervalles, das erforderlich ist, bis ein den Hörsinn treffender Ton 
eine anbefohlene Muskclbewegung auslöst, von 25 auf 11 Schwingungen im Mittel notieren. 

In einem anderen Falle von Cor adiposum mit normalen Herztönen, arythmisekem 
Pulse, dyspnoischer Athmung und häufigen, gegen den linken Arm ausstrahlcnden Schmerzen 
in der Herzgegend, bei einer 60 jährigen Matrone, wurde in einem glcichtemperierten Moor¬ 
badc nach gleicher Applikationsdaucr eine Reduktion des Blutdruckes von 190 auf 135 mm 
nach dem zweiten Moorbadc, und auf 120 mm nach dem sechsten Moorbade bei massiger 
Besserung der Athmungs- und Pulsfrequenz, sowie der Nervenreizbarkeit von 26 auf 
16 Schwingungen beobachtet. 

Da die Untersuchten die Aufgabe hatten, die beim Neuramöbimeter in Schwingun¬ 
gen versetzte Metallplattc von der Schreibtafel, auf welcher sie 100 Oscillationen in 
der Sekunde notierte, in dem Momente abzuheben, da sie ihr singendes Schwirren 
wahrnahmen, hat die erste Patientin zur Umsetzung ihrer Sinnesperccption in eine 
Muskelaktion vor dem Bade V* Sekunde, und nach dem Bade nur Vj> Sekunde be¬ 
ansprucht. Desgleichen hat sich bei der zweiten Patientin das Nervensystem zufolge 
der Benutzung des Moorbades soweit beruhigt, dass sich der Zeitraum, der von der 
Umsetzung des Gehöreindruckes in eine Muskelinnervation erfordert wurde, um 
10 Schwingungen, d. i. um 10 Sekunden vermindert. 

Es geht hieraus hervor, dass wir nach den Moorbädern der Indifferenzzone, die 
sich um 35 »C bewegt, in erster Reihe eine retardierte Schlagkraft des Herzens 
unter Verringerung des Blutdruckes und Verlangsamung, sowie Vertiefung der Ath¬ 
mung mit erhöhter Oxydation des Blutes verzeichnen. Es sind dies werthvolle 
Einzeleflfekte, welche auch in ihrer Gesammtwirkung eine Schonung der Herzenergieen 
bewerkstelligen. 

Wir erzielen mit denselben Moorbädern aber gleichzeitig in zweiter Reihe eine 
Verkürzung der Reaktionsdauer für die Umbildung der sensitiven Reize in moto¬ 
rische Willensäusserungen, eine promptere Transformation von Sinneseindrücken in 


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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelcrkrankungen. 405 

intendierte Muskelbewegungen, das sind Werthschwankungen, welche auf die funk¬ 
tioneile Hebung der Thätigkeit des Centralnervensystems hindeuten. 

Derart hat Grebner, der Untersuchungen über die mechanotherapeutische Beein¬ 
flussung der Reaktionsfähigkeit der Nervencentren angestellt hat, gefunden, dass nicht 
nur neurasthenische Beschwerden, sondern auch depressive Gemüthsaffekte und 
angestrengte geistige Arbeit die Reaktionszeit verlängern. Auch Exner und Ober¬ 
steiner, die sich gleichfalls mit dieser Frage beschäftigt haben, sind darüber einig, 
dass Ermüdung die Reaktionszeit erhöhe. Zu dem gelten ja Ermüdungs- und Unlust¬ 
gefühle, wie die Schmerzempfindungen, nicht als Ausdruck der Funktionsschwäche, 
sondern blos als Verminderungs- oder Erschwerungsgrad der Funktion. Man kann 
demnach mit Berechtigung aus der Herabsetzung der Reaktionszeit auf die Beseitigung 
der Ermüdungsstoffe aus dem Nervensystem und auf eine regenerative Umstimmung 
seiner Energieen schliessen, ähnlich wie wir in der Hydrotherapie den schmerzlindernden 
Prozeduren beim chronischen Rheumatismus die Deutung geben, dass sie die Neutrali¬ 
sierung bezw. raschere Fortschwemmung der abgelagerten Rückbildungsprodukte be¬ 
wirken, die wir auch als Ermüdungsstoffe ansprechen und für das Auftreten der 
schmerzhaften Krankheitssymptome verantwortlich machen. 

Wie also die Moorbäder eine Erleichterung der Herzarbeit nach sich ziehen, 
sehen wir sie auch eine günstige Beeinflussung . der Erregbarkeit im Centralnerven¬ 
system veranlassen. Wir schliessen daher, dass sich eine systematische Badekur mit 
denselben ebenso zur Schonung des erschöpften Herzmuskels summieren wird, überall 
wo sich derselbe in dauernder Ueberanstrengung befindet, wie sie zur Heilung des 
Herzleidens führen muss, wo dasselbe als funktionelle Erkrankungsform infolge des 
veränderten Erregungszustandes der Hirnrinde und aller anderen Nervencentren zur 
Erscheinung kommt. 

Bei Neurosen und Arteriosklerose des Herzens, bezw. beim Cora- 
diposum mit den Begleiterscheinungen von hohem Blutdrucke halte ich 
demnach Moorbäder für angezeigt. Ich betrachte jedoch die hydro- 
pischen Kompensationsstörungen als Grenze dieser Behandlungsmethode 
wegen des niedrigen Blutdruckes, der meist bei diesen Zuständen Platz 
greift, und wegen der Ueberlegenheit der kohlensäurehaltigen Bäder 
oder der hydriatischen Kurbehelfe. 

Auf die Bedeutung der Moorbäder bei Arteriosklerose habe ich wiederholt auf¬ 
merksam gemacht. Deren Komplikationen mit Herzfehlern lassen mich die 
Empfehlung der Moorbäder aus dreifachem Grunde bevorzugen. 

Die den Blutdruck herabstimmende Eigenschaft derselben führt ebensowohl 
zur Milderung der im nothleidenden Gefässsysteme obwaltenden Spannungsverhältnisse, 
als es dem hypertrophierten Herzen den Yortheil schafft, mit der Reduktion der 
Ueberdruckverhältnisse die übermässige Kraftanspannung zu verringern und mit der 
Besserung der Ernährung die Gefahr zu beseitigen, dass die kontraktilen Muskel¬ 
elemente degenerieren und zu Grunde gehen. Demnächst liegt der Werth der Moor¬ 
bäder in der spezifischen Eigenschaft der Bademasse, durch ihre mechanischen Effekte 
auf das System der Kapillargefässe wie eine mächtige Vis a tergo auf die Blut¬ 
zirkulation zu wirken und als namhafter Unterstützungsfaktor für die Herzthätigkeit 
den Blutstrom aus den Kapillaren und den Venen hinauszupressen, also derart die 
an der Peripherie eingenisteten Cirkulationshindernisse durch Einschaltung einer 
frischen Propulsivkraft zu verringern. Als drittes maassgebendes Moment kommt 


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40(5 Arthur Loebel, Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei llerzmuakclerk rank liegen 

das Phänomen der erhöhten Fluxiori zu den tieferliegenden Hautschichten, das von 
Jacob durch das erhebliche Steigen der Hauttemperatur gegenüber dem Fallen der 
Achselhöhlentemperatur selbst in Bädern von 32,5 0 C und von Fellner im dünn¬ 
flüssigen 35 0 C Moorbade durch das Absinken der Temperatur in den Körperhöhlen 
nachgewiesen wurde: als eine Erwärmung der Körperoberfläche bei Abkühlung des 
Körperinnern. 

Bei arteriosklerotischen Herzerkrankungen der höheren Jahre erfordert die Prognose 
Rücksichtnahme auf den progressiven Charakter, den die Erkrankungsform in diesen 
Fällen zu bekunden pflegt. Der Umstand aber, dass der Herzmuskel, wie v. Leyden 
angiebt, das einzige Organ ist, das im Alter an Masse und Leistungsfähigkeit zu¬ 
nimmt, erklärt uns, warum arteriosklerotische Greise die gefürchteten Moorbäder so 
gut vertragen. 

Die gleichen Gründe veranlassen mich, auch die Fälle von Fettherz und Herz¬ 
neurose, sobald sie das Symptom des hohen Blutdruckes ausweisen, mit Moorbädern 
zu behandeln, mögen Luxusernährung, Intoxikationen mit Alkohol, Nikotin, Thee 
oder Kaffee, bezw. körperliche und geistige Ueberanstrengung oder das Klimakterium 
als Kausalmomente sich aufdrängen. Der hohe Blutdruck ist in diesen Fällen ge¬ 
wöhnlich von einer verstärkten oder beschleunigten Herzthätigkeit, seltener von 
arythmischen und dyspnoischen Störungen begleitet oder von heftigen, pseudoanginösen 
Schmerzen in der Herzgegend. 

Hochhaus und Lehr, die durch eingehende Studien dieses Kapitel bereichert 
haben, unterscheiden auch hier das Reizungsstadium von den Lähmungserscheinungen 
und schildern Herzmuskelinsufficienzen, die im Anschlüsse auftreten und nur schwer 
von der Angina pectoris zu unterscheiden sind. Rosenbach und v. Basch halten 
solche Zustände für Vorläufer der Arteriosklerose und Herzinsufficienz und mahnen 
zur Vorsicht in der Prognose. 

Erfordert aber bereits die Applikation der Kohlensäurebäder im allgemeinen 
grosse Vorsicht und peinliche Individualisierung, so erheischt die Verwendung von 
Moorbädern eine noch viel gewissenhaftere Ueberwachung der Blutdruckschwankungen, 
will man nicht von einem Anfall von Herzschwäche überrascht werden. Ich pflege 
sie bei einem Blutdrucke von 130 mm und darunter nicht mehr zu verordnen und 
ebenso zu unterlassen, wo aus äusseren Gründen die Kontrolle der Wirkung eines 
jeden einzelnen Bades nicht durchführbar ist. 


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A. Dworotzky, Russische Beitrüge zur Ernäliruugsthcrapic. 


407 


Kritische Umschau. 


Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. 

Zusaramenfassender Bericht 
von 

Dr. A. Dworetzky 

in Riga-Schreyenbuscli. 

(Schluss.) 

Auf Grund eines genauen Studiums des Stillungsgeschäftes bei 300 intelligenten 
Frauen streift N. Strzelbicky 7 ) in seiner Mittheilung in der Sektion für Kinderheil¬ 
kunde des VIII. Allrussischen Pirogoff’schen Aerztekongresses zu Moskau am 
7. (20.) Januar 1902 die (nach den Aussagen der Mütter selbst) häufigste Ursache 
der Unmöglichkeit, die ausschliessliche Ernährung mit der Mutterbrust 
bis zu einem halben Jahre durchzuführen, nämlich die ungenügende Milch¬ 
absonderung und die geringe Milchmenge in den Brüsten bei der Stillenden. Nach 
den Untersuchungsergebnissen des Referenten haben von 300 Müttern blos 91 
(30,3 °/o) ihre jüngsten Kinder bis zu einem halben Jahre ausschliesslich an der 
Brust ernährt, 154 (50,3%) haben das ausschliessliche Stillen an der Mutterbrust 
nicht bis zum Ablauf der ersten Jahreshälfte durchgeführt, und 55 Mütter (18,3%) 
haben ihren Kindern überhaupt nicht Brustnahrung gereicht. Klagen über ungenügende 
Milchabsonderung in den Brüsten wurden vom Referenten in 81 Fällen verzeichnet. 
Bei der genaueren Untersuchung dieser letzteren zeigte es sich, dass in 40 Fällen 
als Grund für die Klagen über eine ungenügende Milchmenge in den Brüsten in der 
Wirklichkeit die sich durch das Schreien und durch die Unruhe der Kinder 
dokumentierende Dyspepsie der Säuglinge diente, wobei die Mütter dieses Geschrei 
fälschlicherweise als den Ausdruck des unbefriedigten Hungergefühles deuteten. 
Viele von diesen 40 Müttern verloren thatsächlich mit der Zeit ihre Milch, aber 
nicht etwa deswegen, weil ihre Brustdrüsen nicht im stände waren, die für ihr Kind 
genügende Milchquantität abzusondern; die Sekretion versiegte bei ihnen einzig und 
allein aus dem Grunde, weil infolge der frühen Gewöhnung des Kindes an andere 
Nahrung die Milchabsonderung nicht in genügendem Maasse sich entwickeln konnte, 
da der mit anderen Speisen gefütterte Säugling nicht so saugen will und kann, wie 
er es thäte, wenn er nicht ausserdem künstlich gefüttert würde. Auf Grund seiner 
Untersuchungen kommt der Referent zu dem Schluss, dass ein wirklicher Milch¬ 
mangel in den Brüsten der Stillenden in der Praxis bei weitem seltener angetroffen 
wird, als es nicht nur die Mütter, sondern auch viele Aerzte wähnen. Zahlreiche 
Fälle dieser Kategorie müssen als solche angesehen werden, wo die potentielle 
Energie der Brustdrüse in Abhängigkeit von physischen (z. B. schlechte Brustwarzen, 
Schwäche des Säuglings) und auch von psychischen Ursachen in ungenügender Weise 
ausgenutzt wurde. 

Wenden wir uns nun von dem dunklen Gebiete der künstlichen Säuglings¬ 
ernährung, wo noch so viele Aufgaben der Lösung harren und so viele Fragen der 
Entscheidung bedürfen, zu einem andern Gebiete der Diätetik, in welches die Arbeiten 
des berühmten Petersburger Physiologen J. P. Pawlow und seiner zahlreichen 
Schüler so viel Licht hineingetragen haben. Nur die genaueste Kenntniss der 
physiologischen Funktionen des Magendarmkanalcs und der verschiedenen Modi¬ 
fikationen seiner Leistungen unter verschiedenen Ernährungsbedingungen vermag uns 


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408 A. Dworetzky 


die besten Hinweise für die rationellste Anwendung der diätetisch-therapeutischen 
Prinzipien zu liefern. Insofern haben die unter der Leitung des Prof. J. Pawlow 
im Institut für Experimentalmedicin zu St. Petersburg meist an Thieren angestellten 
detaillierten Untersuchungen und Forschungen über die Physiologie der Verdauungs¬ 
organe und ihrer Sekrete einen hohen Werth für die Therapie. 

J. Lintwarew*) beschäftigte sich unter Prof. Pawlow’s Leitung mit der 
Frage über den Einfluss verschiedener physiologischer Bedingungen 
auf den Zustand und die Menge der Fermente in dem Pankreassaft. Die 
Resultate seiner Versuche an Hunden sind kurz folgende. Bei Hunden mit einer 
beständigen Pankreasfistel ergiesst sich auf der Höhe der Fleischdiät das Eiweiss¬ 
ferment des Bauchspeicheldrüsensekretes in den Darm ganz in Form des Trypsins 
und bedarf zu seiner Verstärkung durchaus nicht des Darmsaftes, welcher bei dieser 
Diätform die Kraft des reinen trypsinhaltigen Pankreassaftes sogar herabsetzt; 
anders verhält sich der zweite Gehülfe des pankreatischen Saftes, die Galle, welche 
zu derselben Zeit die eiweiss-fermentative Fähigkeit des Bauchspeicheldrüsensekretes 
bedeutend verstärkt. Im Gegentheil, bei der entgegengesetzten" Diätform, bei Milch- 
Brot-Nahrung, wird der Pankreassaft in zymogenem Zustande ergossen, und die 
Rollen der beiden Hilfsmittel des Sekretes wechseln in völlig umgekehrtem Sinne: 
hier zeigt eine stark aktivierende Wirkung der Darmsaft, die Galle dagegen drückt 
manchmal die eiweissverdauende Kraft des Pankreassaftes herab. Bei der Fleisch¬ 
diät ist zwar die absolute Kraft des Eiweissfermentes grösser als die bei einem 
Regime von entgegengesetzter Natur; bei chronischem Fieichessen jedoch schränkt 
die Bauchspeicheldrüse in bedeutendem Maasse ihre Thätigkeit ein, giebt ihren 
Antheil an der Verdauungsthätigkeit allmählich auf, sodass die Eiweissnahrung bei 
ausschliesslicher Fleischkost wahrscheinlich ganz von dem Magensafte bearbeitet 
wird. Das Studium des diastatischen Fermentes des pankreatischen Saftes 
zeigte, dass es in qualitativer Beziehung bei verschiedenen Kostformen in keiner 
Weise merklich verändert wird und im Sekrete stets in der Form des Amylopsins 
enthalten ist, während seine Quantität den Bedürfnissen des Organismus entsprechend 
in Abhängigkeit von der Schnelligkeit der Ausscheidung variiert, und zwar ist der 
relative Gehalt an Amylopsin der Schnelligkeit der Saftsekretion umgekehrt pro¬ 
portional. Was schliesslich das Fettferment betrifft, so ist es bei Kohlehydrat-Fett¬ 
nahrung im zymogenen Zustande in dem pankreatischen Safte enthalten und wird 
sowohl durch den Darmsaft wie auch speziell durch die Galle in die aktive Form 
übergeführt. Bei ausschliesslicher Eiweissnahrung dagegen ist meistentheils weder 
die Galle noch der Darmsaft in aktivierender Weise auf dieses Ferment einzuwirken 
im stände, und es ergiesst sich auf den Speisebrei in Form des Oleopsins. 

Die Rolle der Fette bei dem Uebertritt des Mageninhaltes in den 
Darm studierte ebenfalls unter der Leitung Prof. J. Pawlow’s im Institut für 
Experimentalmedicin S. Lintwarew 9 ) mit Hilfe einer ganzen Reihe (mehr als 150) 
von Versuchen an Hunden, wobei sowohl reine Fette und fetthaltige Nahrungsmittel 
als auch Spaltungsprodukte der Fette der Untersuchung unterworfen wurden. 
S. Lintwarew fand, dass Fette, die in den Darm übergetreten oder unmittelbar 
dahin beim Versuche hineingebracht sind, selbstständig einen reflektorischen Schluss 
des Pylorus und eine Kontraktion der Pförtnermuskulatur hervorrufen, sodass jedes 
Eintreten von neuer Flüssigkeit aus dem Magen in den Darm beträchtlich erschwert 
oder ganz unmöglich gemacht wird; während dessen geht in dem Duodenum die 
Bearbeitung des Fettes durch die Galle und durch den pankreatischen Saft vor sich, 
sodass der reflektorische Pylorusschluss dazu vorhanden zu sein scheint, um diesen 
beiden Sekreten ihre schwierige Aufgabe der Fettemulgierung ungehindert zu gestatten. 
Dieser Reflex von Seiten der Fette steigt rasch an, ebenso wie der Reflex infolge 
des Uebertrittes des sauren Mageninhaltes oder überhaupt von Säuren (s. meinen 
voraufgehenden Bericht, diese Zeitschrift 1901, Bd. 5, Heft 6, Seite 497); aber während 
dieser letztere nach Maassgabe der Neutralisierung der Säuren durch die alkalischen 
Darmsäfte ebenso schnell auch sinkt, hält sich der erstere sehr lange, bis zu 1 bis 
3 Stunden, je nach der Menge des übergetretenen oder des eingeführten Fettes. In 
dieser Richtung wirken die verschiedenen Fettarten im allgemeinen gleichartig, ein 


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Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. 


400 


Unterschied ist nur in der Abhängigkeit von der Menge des eingeführten Fettes zu 
konstatieren; der Effekt ist bei der gleichen Fettmenge, einerlei ob eine fettige 
Speise oder ob reines Fett, wie z. B. Eidotter und Rahm, in den Darm hinein¬ 
gebracht ist, ein und derselbe. Stoffe, welche den Fetten nur der Konsistenz nach 
ähnlich sind, wie Stärkekleister, Hühnereiweiss, Gummilösung, ergaben nicht diesen 
Reflex auf den Pylorus, wenigstens nicht dann, wenn sie direkt in den Dünndarm, 
ohne vorher vom Magensaft bearbeitet worden zu sein, eingeführt wurden. Im 
Gegensatz zu ihnen bewirkten die Seifen in sehr ähnlicher Weise reflektorischen 
Pylorusschluss, wobei die Stärke des Reflexes von der Konzentration der benutzten 
Seifenlösung in Abhängigkeit zu bringen war. 

Da der durch die Fette bedingte reflektorische Pylorusschluss bei Einführung 
von Fett in den Darm auch in kleinen Mengen hervorgerufen wird, so kann diese 
Erscheinung nicht im Sinne der »Ueberfüllung des Darms« gedeutet werden Auf 
diese Weise kommt zu der bereits bekannten Eigenschaft der Säure, den Uebertritt 
der Speisen aus dem Magen in den Darm zu regulieren, ein neues Moment in Form 
der Fette hinzu, welche mit dem gleichen Vermögen ausgestattet sind. Folglich 
nimmt das Duodenum den sauren Speisebrei und die Fette nur in einer derartigen 
Quantität auf, welche es zu verarbeiten im stände ist, und gestattet nicht den Ueber¬ 
tritt neuer Mengen aus dem Magen bis zu dem Zeitpunkte, wo es seine vorläufige 
Aufgabe bewältigt hat. Eine ganze Reihe von krankhaften • Symptomen, die bei so 
manchem »launenhaften« Patienten zur Beobachtung gelangen, wenn ihm dieses oder 
jenes diätetisches Regime angeordnet wird, findet unschwer ihre Erklärung bei der 
aufmerksamen und eingehenden Untersuchung des Zustandes der verschiedenen Organe 
des Verdauungstraktus. 

In das Grenzgebiet der Physiologie und der Diätetik gehört auch der Vortrag 
über den Einfluss der Alkalien auf die Ausscheidung der Harnsäure und 
über die Zersetzung derselben im Organismus, welchen L. Subkow 10 ) in der 
Sektion für Pharmakologie und Balneologie des VIII. Allrussischen Pirogoff’schen 
Aerztekongresscs zu Moskau im Januar 1902 gehalten hat. Die biologische Be¬ 
deutung der Harnsäure ist, nach Subkow’s Meinung, bis jetzt noch nicht in ge¬ 
nügendem Grade klargelegt worden. Die frühere Anschauung, dass die Menge der 
zur Ausscheidung gelangenden Harnsäure bei den verschiedenen Thicrarten durch den 
Unterschied in der Intensität der in ihrem Organismus sich abspielenden Oxydations¬ 
prozesse zu erklären sei, ist unbefriedigend und hält der Kritik nicht stand, da bei 
den Vögeln, die ja eine grosse Menge Harnsäure ausscheiden, die Oxydationsprozesse 
äusserst energisch vor sich gehen, bei den Reptilien dagegen ausserordentlich lang¬ 
sam. Die neuesten Untersuchungen sprechen dafür, dass die Harnsäure in der Leber 
der Vögel auf dem Wege der Synthese ihren Ursprung nimmt, während die Leber 
der Säugethiere im Gegentheil als Ort für die Zerstörung der Harnsäure dient. Was 
den Einfluss der Alkalien auf den Ausscheidungsprozess der Harnsäure betrifft, so 
fand Subkow bei seinen diesbezüglichen Untersuchungen, dass kleine Mengen von 
Natrium bicarbonicuin das Gesammtquantum des zur Ausscheidung gelangenden Stick¬ 
stoffs um 4—6 % verringern, die Harnsäuremenge um 6—9 % verkleinern, die absolute 
Menge des Harnstoffes um 2—3,5% herabsetzen und die relative Quantität des 
letzteren um 1,5—3,8% vergrössern. Dosen von 3,0—6,0 Soda wirken im entgegen¬ 
gesetzten Sinne. 

Ueber die Zersetzung der Harnsäure im Organismus spricht der Referent den 
Gedanken aus, dass bei den Säugethieren sich bedeutend mehr Harnsäure bildet als 
nachher zur Ausscheidung gelangt, und dass dieser Ueberschuss mit Hilfe eines 
fermentativen Prozesses zersetzt wird. Dieser Vorgang ist durchaus kein Oxydations-, 
sondern ein Hydratationsprozess. Das in Frage kommende Ferment befindet sich 
hauptsächlich in der Leber. Bei Vögeln und Reptilien ist dieses Ferment entweder 
garnicht vorhanden, oder wenn es auch vorhanden ist, so fehlen doch die Bedingungen 
für seine Wirksamkeit, unter denen das Fehlen des Temperaturoptimums die Haupt¬ 
rolle spielt. Da eine Synthese im Organismus nur durch Vermittelung der lebenden 
Zelle vor sich gehen kann, so muss jegliche Reizung des Zellprotoplasmas sich durch 
eine Vermehrung der Harnsäuremenge dokumentieren, einerlei ob dieser Reiz ein 


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410 A. Dworetzky 


physiologischer oder pathologischer, ein thermischer oder chemischer ist. Auf diese 
Weise erklärt sich die Vermehrung des Harnsäurequantums im kindlichen Alter und 
nach dem Essen, bei fieberhaften Prozessen, bei Herabsetzung oder Steigerung der 
Blutalkalescenz u. s. w. Eine Herabsetzung der Funktion der Leber muss in noch 
einschneidenderem Grade auf die Menge der Harnsäure im Sinne einer Vermehrung 
derselben aus zwei Gründen einwirken: erstens wird die Zersetzung der Harnsäure 
in der Leber abgeschwächt, und zweitens ergiebt sich aus der eintretenden Auto¬ 
intoxikation eine gesteigerte Reizbarkeit sämmtlicher Zellen (bei Leberkrankheiten, 
Leukämie, harnsaurer Diathese). Die Leukocytose, welche ja mit der Vermehrung 
der Menge der Harnsäure in Zusammenhang gebracht wird, ist nur der Ausdruck für 
die Lebensfähigkeit des Organismus und tritt ebenfalls als eine Folge der Reizung 
des Zellprotoplasmas auf. Alle physiologischen, pathologischen und chemischen Ein¬ 
wirkungen, welche die Lebensfähigkeit und die Vitalität des Protoplasmas der Zellen 
herabsetzen, müssen auch die Quantität der Harnsäure vermindern, wie das höhere 
Alter, Kachexie und dergl. Zustände. 

Ueber die hervorragende Bedeutung der im Lecithin enthaltenen organischen 
Phosphorverbindungen für den Haushalt des pflanzlichen und thierischen Organismus 
und über die merkwürdige Rolle des Lecithins im menschlichen Körper ist in dieser 
Zeitschrift bereits mehrfach die Rede gewesen (s. mein Referat über die Arbeit von 
Prof. A. Danilewsky* Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie 1900. Bd. 4. Heft 5. 
S. 418 und den Sammelbericht von A. Keller, 1901. Bd. 4. Heft 8. S. 669). Jüngst 
erschien aus dem Laboratorium für physiologische Chemie an der Militär-medicinischen 
Akademie zu St. Petersburg eine unter der Leitung Prof. A. Danilewsky’s ausgeführte 
experimentelle Arbeit von M. Iljin 11 ) über den Einfluss der organischen 
Phosphorverbindungen, d. h. des Lecithins, auf die Fixation des Stick¬ 
stoffs und den Ansatz der Eiweisskörper im menschlichen Organismus. 
Sämmtliche Experimente mit dem Lecithin wurden bisher von den über diese Frage 
arbeitenden Autoren ausschliesslich an Thieren vorgenommen, es war indess im 
höchsten Grade interessant, die von ihnen gewonnenen äusserst werthvollen und 
überraschenden Resultate auch am Menschen zu bestätigen. Angesichts dessen unter¬ 
nahm es Iljin auf den Vorschlag des Prof. A. Danilewsky, wenn auch nur einige 
Stoffwechselversuche am Menschen bei ungenügendem und. überschüssigem Gehalt 
an organischen Phosphorverbindungen, eigentlich an Lecithin, in der aufgenommenen 
Nahrung anzustellen. Der Stoffwechselversuch wurde an einem gesunden Laboratorinms- 
diener zur Ausführung gebracht und dauerte 14 Tage, welche in fünf Perioden zer¬ 
fielen. Dabei wurden folgende Bedingungen streng beobachtet: Alle Arten der auf¬ 
genommenen Nahrungsmittel wurden sorgfältigst gewogen. Alltäglich wurde auch 
die Versuchsperson gewogen. Der Harn wurde in sorgfältiger Weise im Laufe von 
24 Stunden gesammelt, seine Menge wurde genau gemessen, und in den einzelnen 
Urinportionen wurden der Gesammtstickstoff des Harns nach Kjeldahl in dem 
Borodin’schen Apparate und der Gesammtphosphorgehalt durch Titrierung mit 
essigsaurem Uranyl bestimmt. Die Gewichtsmengen des mit den Speisen in den 
Körper gelangenden Phosphors und Stickstoffs wurden nach einer besonderen Tabelle, 
welche der Verfasser mittheilt, berechnet. Die Quantitäten des aus dem Körper 
ausgeschiedenen Stickstoffs und Phosphors wurden nach den bei der Harnanalyse 
gewonnenen Zahlen bestimmt; derKoth wurde einer analytischen Untersuchung nicht 
unterzogen; infolge dessen wurden zu den bei der Harnuntersuchung gewonnenen 
Zahlen der neunte Theil des mit dem Harn ausgeschiedenen Gewichtsquantums Stick¬ 
stoff und Phosphor hinzuaddiert, da bekanntlich mit dem Harn im Mittel 90% des 
gesammten vom Organismus ausgeschiedenen Stickstoffs und etwa 80% des bei ge¬ 
mischter und 94 % des bei ausschliesslicher Fleischnahrung ausgeschiedenen Phosphors 
aus dem Körper entfernt wird. 

Die von Iljin angeführten Stoffwechseluntersuchungen ergaben nun im ein¬ 
zelnen folgendes: 

In der ersten Periode, welche den 1., 2. und 3. Tag dauerte, nahm die Ver¬ 
suchsperson gewöhnliche Nahrung, aber in nicht genügender Menge zu 
sich, und zwar im ganzen durchschnittlich 19,23 g N und 3,07 g P a 0 6 , und befand 


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Russische Beiträge zur Emährungstherapie. 


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sich bei einer täglichen Ausscheidung von 24,56 g N und 3,52 g P 2 O s nicht im Stick¬ 
stoff- und Phosphorgleichgewicht, sondern verlor täglich 5,23 g vom eigenen N und 
0,45 g P 2 O s . Auf diese Weise verarmte der Körper während dieser Zeitperiode an 
N (Eiweissstoffen) und P. 

In der zweiten, an Eiweiss und Phosphor armen Periode, welche zwei Tage, 
den 4. und 5., dauerte, bekam die Versuchsperson wenigEiweiss und Phosphor, 
im Mittel 4,83 g N und 1,15 g P 2 0 s . Hier wai* der Verlust an eigenem Eiweiss 
und Phosphor noch bedeutender, denn am 4. Tage (vom Beginn des ganzes Versuches) 
verlor sie 14,97 g an Organstickstoff und 2,0 g P 2 0 6 , am 5. Tage 6,65 g N und 
0,834 g P*0 S . 

Die dritte Periode, welche vier Tage dauerte, und zwar den 6., 7., 8. und 
9. Tag, war sehr reich an Eiweiss, aber arm an Phosphor. Hier wurde 
bereits ein Theil des eingeführten Eiweisses angesetzt (fixiert): in der ersten Hälfte 
dieser Zeitperiode bekam die Versuchsperson 27,20 g N und 1,76 g P 2 0 5 täglich 
und setzte 4,73 g N an, während sie sich in Bezug auf den P im Stoffwechselgleich¬ 
gewicht befand. In der zweiten Hälfte dieser Periode, am 8. und 9. Tage, wo die 
Versuchsperson im Durchschnitt 37,59 g N und 2,36 g P 2 0 5 erhielt, wurden je 6,13 g N 
und 0,89 g P 2 0 6 fixiert. 

Die vierte Periode, welche ebenfalls vier Tage dauerte (den 10., 11., 12. und 
13. Tag), war reich an Eiweiss und sehr reich an Phosphor, besonders an 
Lecithinphosphor (Eigelb, Hirn). In dieser Periode wurde der Versuchsperson eine 
täglich sich stets verringernde Menge N zugeführt, und zwar am zehnten Tage 30,23 g, 
am elften 25,82 g, am zwölften 24,72 g und am dreizehnten 22,16 g N. Die ent¬ 
spechenden Zahlen des dargereichten organischen Phosphors betrugen am zehnten 
Tage 3,011 g, am elften 1,65 g, am zwölften 5,577 g und am dreizehnten 3,26 g P. 
Dank den grossen Mengen der zugeführten organischen Phosphorverbindungen verlor 
die Versuchsperson nur an den ersten Tagen, d. h. am 10. und 11. Tage, eine kleine 
Menge des eigenen Stickstoffs, und zwar am zehnten Tage 1,81 g und am elften 
1,18 g N, und befand sich fast im Phosphorgleichgewicht, verlor aber dafür am 12. 
und 13. Tag, besonders am 12., wo 5,577 g P 2 0 5 in den Organismus eintraten, nicht 
nur nichts vom Organeiweiss, sondern hatte sogar die Möglichkeit, trotz des kleineren 
Quantums des zugeführten Eiweisses (24,72 g N) fast Vs davon (2,91 g) und ausser¬ 
dem noch 1,74 P 2 0 5 zu fixieren; am folgenden (13.) Tage, wo die dargereichte 
Eiweissmenge noch kleiner war (22,16 g N), verlor die Versuchsperson dank den 
3,26 g P 2 Oj ebenfalls nicht nur nichts, sondern fixierte sogar noch 0,92 g N und 
0,15 g P a Oj. 

Die fünfte Periode dauerte aus vom Verfasser unabhängigen Gründen blos 
24 Stunden und zeigte, dass der präventiv mit Eiweiss und Phosphor einmal ge¬ 
sättigte Organismus hartnäckig an seinem Organeiweiss festhält und nur ganz gering¬ 
fügige Mengen N verliert, wenn er hinterher eine auch ganz geringe Menge von 
Eiweissstoffen dargereicht bekommt. 

Aus diesem Stoffwechselversuche des Autors erhellt, dass die Phosphor¬ 
verbindungen (Lecithine) die Fixation des Stickstoffs, speziell den Ansatz von Eiweiss¬ 
körpern begünstigen. 

Ueber den Ersatz der Weintraubenkur in Russland durch den fabrik¬ 
mäßig hergestellten pasteurisierten Traubensaft hatte ich in dieser Zeit¬ 
schrift bereits die Gelegenheit mitzutheilen (s. meinen Bericht: Diätetisches aus 
Russland. 1901. Bd. 5. Heft 6). E. Jwanow 11 ) wendete diesen pasteurisierten Saft 
aus den zu therapeutischen Zwecken in Betracht kommenden Weintraubensorten mit 
dem besten Erfolge an bei chronischer Bronchitis, Atonie des Darmes, chronischen 
Nierenleiden und Leberaffektionen, zugleich auch als Tonikum und als Nährmittel 
nach Typhus abdominalis und schwerer Grippe. In zwei Fällen von Herzfehlern und 
in einem Falle von Aortenaneurysma, welche von Stauungsniere, starken Oedemen der 
Beine und von Ascites begleitet waren, wies der Traubensaft eine sehr kräftige 
diuretische Wirkung auf. Diese Fälle ermuntern nach Jwanow’s Ansicht zu ferneren 
und ausgedehnteren Beobachtungen über die pharmakologische Wirkung des Trauben- 


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412 A. Dworetzky, Russische Beitrage zur Ernährungstherapie. 


saftes. Die Behandlung mit dem ausgepressten und konservierten Saft ersetzt voll¬ 
kommen die Traubenkur, die ja aus leicht begreiflichen Gründen nicht zu jeder Zeit 
und nicht für alle Kranken zugänglich ist. Ausserdem ruft das andauernde Kauen 
der Trauben bei vielen Personen in Kürze eine Reizung der Mundhöhle und sogar 
die Bildung von Geschwürchen auf der Mundschleimhaut, besonders an der Zungen¬ 
spitze, hervor; bei manchen tritt infolge des Traubengenusses eine starke Blähung 
des Leibes auf, was von dem Verschlucken der Gährungserreger abhängig ist, welche 
der Schale sogar der gewaschenen Weintrauben dicht aufsitzen. Der pasteurisierte 
Traubensaft wird, wie ich schon berichtet habe, von der Firma Eynem in Simferopol 
fabriziert. Das Präparat wird gewöhnlich auf den nüchternen Magen verordnet, eine 
halbe bis eine Stunde vor dem Morgenthee, vor dem Frühstück oder vor dem Mittag¬ 
essen, weil dann eine abführende, expektorierende und diuretische Wirkung am 
besten zum Vorschein kommt. Die Dosis beträgt ein viertel bis ein halbes Glas, 
was einem halben bis einem Pfund Trauben entspricht und wird zwei- bis dreimal 
täglich wiederholt. Vor dem Trinken muss der Saft zur Beschleunigung und Ver¬ 
stärkung seiner Wirkung in heissem Wasser erwärmt werden. Nach dem Trinken 
ist es nützlich, etwas umherzugehen. Die entkorkte Flasche muss liegend an einem 
kühlen Orte auf bewahrt werden, da der Weintraubensaft bei Zimmertemperatur nach 
Verlauf von drei Tagen in der geöffneten Flasche fast stets verdirbt. 

Litteratur. 

1) A. Romanow, Eine Methode zur Vermehrung der Fettmenge in der verdünnten und 
Bterilisierten Kuhmilch bis zum normalen Prozentsätze des Fettes in der Frauenmilch. Wratsch 
1901. No. 35. 

2 ) A. Romanow, Die Methode der künstlichen Ernährung, welche in dem Asyle für Find¬ 
linge der Gouvemementslandsehaft zu Woronesh im Jahre 1901 angewandt wurde. Vortrag, ge¬ 
halten auf dem VIII. Allrussischen Aerztekongress zum Andenken an N. Pirogoff zu Moskau am 
7. (20.) Januar 1092. Russky Wratsch 1902. No. 11. 

3) M. Saussailow, Ueber die in Abhängigkeit von dem Aufbewahrungsmodus der sterilisierten 
Milch in ihr auftretenden Veränderungen. Bolnitschnoja Gaseta Botkina 1901. No. 16—18. 

4) A. Hippius, Ein Apparat zur Pasteurisation der Milch im Haushalt. Djetskaja Medizina 
1901. No. 1. 

5) A. Hippius, Ueber das Pasteurisieren der Milch in der Kinderpraxis. Vortrag, gehalten 
auf dem VIII. Allrussischen Pirogoff ’ sehen Aerztekongress zu Moskau am 7. (20.) Januar 1902. 
Medizinskoje Obosrenie 1902. No. 2. 

6) M. Blauberg, Der gegenwärtige Stand der Frage über die künstliche Ernährung der 
Kinder im Säuglingsalter. Vortrag, gehalten auf dem VIII. Allrussischen Pirogoff’Bchen Aerzte¬ 
kongress zu Moskau am 9. (22.) Januar 1902. Wratschcbnaja Gaseta 1902. No. 10. 

U N. Strzelbicky, Beitrag zur Frage über die Ernährung der Säuglinge mit der Mutter¬ 
brust. Vortrag, gehalten auf dem VIII, Allrussischen Pirogoff’ sehen Aerztekongress zu Moskau 
am 7. (20.) Januar 1902. Russky Wratsch 1902. No. 11. 

s) J. Lintwarew, Der Einfluss verschiedener physiologischer Bedingungen auf den Zustand 
und die Menge der Fermente im Paukreassafte. St. Petersburger Dissertation 1901. 

o) S. Lintwarew, Ueber die Rolle der Fette beim Uebcrtritt des Mageninhalts in den Dann. 
St. Petersburger Dissertation 1901. 

10) L. Subkow, Ueber den Einfluss der Alkalien auf die Ausscheidung der Harnsäure und 
über die Zersetzung der letzteren im Organismus. Vortrag, gehalten auf dem VHI. Allrussischen Aerzte¬ 
kongress zum Andenken an N. Pirogoff zu Moskau im Januar 1902. Russky Wratsch 1902. No. 8. 

11) M. II j in, Der Einfluss der organischen Phosphorverbindungen (dos Lecithins) auf die Fixation 
des Stickstoffs (den Ansatz der Eiweissstoffe) im menschlichen Körper. Wratsch 1901. No. 37. 

12) E. Jwanow, Der konservierte Traubensaft als Heilmittel. Therapewtitschesky Westnik 
1901. No. 25. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische 
Elektrologle und Radiologie zn Bern (I.—6. September 1902). 

Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann zu Breslau. 

Der zweite internationale Elektrologenkongress war nur von einer vcrhältnissmässig geringen 
Zahl von Theilnehmem (etwa 100) besucht, was in Anbetracht der zahlreichen interessanten Themata, 
die zur Diskussion standen, sowie auch der sehr lehrreichen und reichhaltigen, mit dem Kongress 
verbundenen Ausstellung lebhaft zu bedauern war. 

Besonders auffallend war die geringe Betheiligung von deutschen Fachleuten, eine Thatsache, 
aus der man wohl auf eine Abnahme des Interesses für elektrotherapeutische Bestrebungen in 
Deutschland schliessen darf, wie sie meiner Empfindung nach übrigens auch in unserer Fachlitteratur 
der letzten Jahre zum Ausdruck kommt. 

Jedoch bezieht sich diese Bemerkung nur auf die ärztlichen Fachmänner, während die Elektro* 
technik gerade von deutscher Seite zahlreiche und vortreffliche Vertreter gestellt hatte. 

Es standen sieben grosse Referate und 61 Vorträge auf der Tagesordnung, an die sich zum 
Thcil sehr anregende Diskussionen anschlossen. Für das ausserordentlich geschickte Arrangement 
und die umsichtige Leitung des Kongresses werden alle Theilnehmer dem Präsidenten, Herrn 
Dr. Dubois, den lebhaftesten Dank wissen. 

Der erste Verhandlungstag wurde wesentlich von Themata allgemein - theoretischen 
sowie diagnostischen Inhaltes eingenommen. An der Spitze stand das Referat von CI uz et (Tou¬ 
louse), Sur l’ötat actuel de Uölectrodiagnostic, welches, da der Referent am persönlichen Er¬ 
scheinen verhindert war, von dem Präsidenten verlesen wurde. 

Der Verfasser erwähnt in seinem Referat zunächst, dass unsere elcktrodiagnostischen Unter- 
sucliungsmethoden in der letzten Zeit besonders durch die Benutzung der Entladungen von 
Kondensatoren eine Bereicherung erfahren haben. 

Diese Untersuchungsmethode gestattet eine genaue quantitative Feststellung der Reizgrösse 
(nach dem Gesetz von Wciss) und giebt viel präzisere Resultate wie alle bisher üblichen Methoden. 
Verfasser giebt sodann einen Ucberblick über die Krankheiten, bei denen man eine Veränderung 
des elektrischen Lcitungswiderstandes hat finden wollen, ohne sich über diese (zum Theil recht 
zweifelhaften!) Befunde näher zu äussem, und geht sodann zu einer Beschreibung der an den 
motorischen Nerven und Muskeln gefundenen Reaktionen über. Er schliesst sich hier der Dar¬ 
stellung Do um er’s an, welcher einzelne anormale Eiemcntarreaktionen unterscheidet und für jeden 
pathologischen Zustand ein bestimmtes Ensemble von derartigen Reaktionen finden will, welches 
das elektrische »Syndrom« der betreffenden Krankheit darstellt. Die Eiemcntarreaktionen sind 
1. quantitativer Art, nämlich Ucber-, Unter- und Unerregbarkeit, und 2. qualitativer Art, nämlich 
Veränderungen in der relativen Grosse der galvanischen Zuckungen, Veränderungen der Zuckungs¬ 
form und die Verschiebung des motorischen Punktes. 

Vortragender erwähnt sodann das Vorkommen der elektrischen Elementarreaktionen bei den ver¬ 
schiedenen pathologischen Zuständen, wobei man übrigens nicht in allen einzelnen Punkten mit ihm 
einverstanden sein kann. Er beschreibt ausführlich zwei elektrische Syndrome, das der traumatischen 
Nervendegeneration und das der Facialislähmung, welch letzteres besonders von Wertheim-Salo¬ 
mo nson auf gestellt worden ist. Vortragender hofft, dass sich noch eine Anzahl von anderen Krank¬ 
heiten durch ihre elektrischen Syndrome werden charakterisieren lassen, giebt aber zu, dass man 
in diesen Bestrebungen noch nicht weit vorgeschritten ist. Er hofft, dass die Anwendung der 
Kondens&tormethöde weitere Fortschritte in der Feststellung der elektrischen Reaktionen mit sich 
bringen wird. 

Das zweite Referat über dasselbe Thema (über den gegen wärtigen Stand dorElektro- 
diagnostik) erstattete Mann (Breslau). Der Vortragende beschäftigt sich in erster Linie mit der 


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Berichte über Kongreese und Vereine. 


Methode der quantitativen Feststellung der Erregbarkeit. Er hebt hervor, dass der galvanometrischen 
Bestimmung der galvanischen Reizgrösse nach Intensitätseinheiten, der man vor einigen Jahren noch 
eine so grosse Exaktheit zuschrieb, grobe Fehlerquellen anhaften. Diese Fehlerquellen sind theils 
physiologischer Natur, d.h. wir besitzen kein exaktes Normalmass der Erregbarkeit, weil letztere offen¬ 
bar individuell in ziemlich erheblichen Grenzen schwankt, und theils liegen sie an technischen Mängeln 
unserer Untersuchungsmethoden. Am meisten aber ist die Exaktheit unser Methoden in Frage ge¬ 
stellt worden durch die wichtigen Untersuchungen von Dubois, nach welchen die Bestimmung 
der Reizgrösse in Intensitätseinheiten überhaupt fehlerhaft sein und die Spannung des Stromes 
das richtige Maass abgeben soll. Dubois wies bekanntlich nach, dass sich der menschliche Körper 
in der »variablen Periode« des Stromes, d. h. während des die Zuckung erregenden Stromschlusses 
nicht wie ein elektrolytischer Leiter, sondern wie eine Kapazität verhält. Er ladet sich wie ein Kon¬ 
densator, und bei dieser Ladung trifft der Strom auf einen viel geringeren Widerstand, wie dem 
(in der konstanten Periode festgestellten) Ohm’sehen Widerstande entspricht. Er stellt einen kleinen 
fixen Widerstand dar, der in seinem Werthe nur wenig schwankt und etwa zwischen 400 und 
900 Ohm liegt, während der Widerstand in der konstanten Periode bekanntlich viel grösser ist und 
Schwankungen in ausserordentlich weiten Grenzen zeigt. Da nun die Zuckung schon vor Beendi¬ 
gung der variablen Periode zu stände kommt, und der Widerstand in derselben stets annähernd 
konstant ist, so kommt einzig und allein die Spannung für die Grösse der Stromwirkung in Be¬ 
tracht. Man muss deswegen (nach Dubois) das Voltmeter und nicht das Milliamperemeter als 
Maassinstrument benutzen. 

Diese Anschauungen Dubois 1 sind von einigen bestätigt, von anderen bestritten worden. 
Vortragender selbst konnte sich nicht davon überzeugeu, dass unter den praktischen Bedingungen 
der Elektrodiagnostik die Messung nach Volt gonauere Resultate giebt, wie die nach Milliampere. 
Er vermuthet, dass diese Abweichung von den Erfahrungen Dubois , durch die Veränderungen 
bedingt ist, welche die Leitfähigkeit der Haut durch die Einwirkung des Stromes erfährt. Wenn 
einige etwas länger dauernde Stromschlüsse stattgefunden haben, wird die Haut in ihrer Leitfähigkeit 
den feuchten Geweben immer ähnlicher und der Körper nähert sich nunmehr viel mehr der Be¬ 
schaffenheit eines elektrolytischen Leiters, wie der eines Kondensators, entspricht also nicht mehr 
den von Dubois angenommenen Bedingungen. Es empfiehlt sich deswegen, bei den Untersuchungen 
stets möglichst kurze Stromschlüsso anzuwenden, und es scheint von diesem Gesichtspunkte die 
Untersuchung mit Kondensatorentladungen, wie auch mit Einzelinduktionsschlägen besonders be- 
aebtenswerth. Jedenfalls aber befinden sich infolge der Duboisuchen Befunde unsere quantitativen 
Erregbarkeitsbestimmungen gegenwärtig in einem Stadium der Unsicherheit. 

Vortragender überblickt nunmehr die diagnostischen Schlüsse, die wir aus quantitativen Ver¬ 
änderungen der Erregbarkeit ziehen können und kommt zu dem Resultat, dass wir in dieser Be¬ 
ziehung seit längerer Zeit keine wesentlichen Fortschritte gemacht haben, trotz mancherlei Einzel¬ 
befunden, die von verschiedenen Seiten mitgetheilt worden sind. 

Was die qualitativen Veränderungen anbetrifft, so sind wir bezüglich der wichtigsten derselben, 
der EAR, in manchen Punkten entschieden vorwärts gekommen. 

Die Frage nach der Ursache der Umkehr der Zuckungsformel scheint durch die schönen Unter¬ 
suchungen von Wiener definitiv gelöst, ebenso ist eine befriedigende Erklärung für die »Ver¬ 
schiebung des motorischen Punktes« gegeben. Dagegen harren andere wichtige Fragen, wie diejenige, 
ob man die träge Zuckung einfach als die Reaktion der »entnervten« Muskelfaser anzusehen hat, 
wie ferner die nach der Ursache des verschiedenen Verhaltens des entarteten Muskels den beiden 
Stromesarten gegenüber, noch der definitiven Lösung. 

Die Untersuchung des Leitungswiderstandes ist noch immer zu den praktischen Zwecken der 
Diagnose wenig verwendbar. Wir haben, wie schon erwähnt, nach Dubois, den Widerstand der 
variablen Periode von dem der konstanten zu unterscheiden. Ersterer stimmt mit dem faradischcn 
Leitungswiderstand überein und repräsentiert einen ziemlich fixen Werth, der in Krankheitszuständen 
nur wenig charakteristische Veränderungen zeigt. Letzterer variiert schon normaler Weise in so 
weiten Grenzen, dass seine diagnostische Verwerthung nur mit grösster Vorsicht versucht werden kann. 

Immerhin ergeben sich bei einzelnen Krankheitszuständen in einer Anzahl von Fällen von 
der Norm abweichende Werthe. 

Vortragender schliesst mit der Bemerkung, dass die elektrodiagnostischen Arbeiten der letzten 
Jahre mehr theoretisch interessante wie praktisch verwerthbare Resultate zu Tage gefördert haben. 

ln unmittelbarem Anschluss an diese beiden Referate wurde eine Mittheilung von Sudnik 
(Rio de Janeiro): Les decharges du condensateur chargö ä la pile dans Uölectro- 
diagnostic verlesen. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 415 


Verfasser hat ausgedehnte Untersuchungen mit Kondensatoren angestellt. Er benutzt sie 
theils in Form von direkten Entladungen, theils von »alternativen« Entladungen, d. h. die Entladungen 
werden durch eine induzierende Spirale geschickt, und eine induzierte Spirale wird zur Reizung 
verwendet. Mit dieser Methode konnte Verfasser viel genauer, wie mit irgend einer anderen die 
geringsten quantitativen Veränderungen der Erregbarkeit feststellen. Auch konnte er gewisse 
qualitative Veränderungen, auf die hier nicht näher cingegangcn werden kann, konstatieren und 
dadurch auch prognostische Schlüsse auf den Verlauf einer Affektion ziehen. 

Hierauf bringt Dubois (Bern) in einem äusserst klaren Vorträge (lo dosago du courant 
excitatcur) nochmals seine Lehre, nach welcher die Voltspannung das exakte Maass des galvanischen 
Reizes bildet, zur Darstellung und verteidigt dieselbe in glänzender Weise gegen die erhobenen 
W iderspröche. 

Dieses Thema bildet auch den Hauptpunkt der sich an die vorstehenden vier Vorträge 
gemeinsam anschliessenden Diskussion, jedoch kann auf diese theoretische Frage wegen der 
Unmöglichkeit einer knappen Darstellung derselben hier nicht eingegangen werden. 

Aus der übrigen Diskussion sei nur eine Mittheilung von Läduc (Nantes) erwähnt, welche 
sieb auf das Verhalten des Leitungswiderstandes bezieht. Er hat gefunden, dass die Durchfeuchtung 
der Haut durch langes Auflegen von feuchter Watte den Widerstand nicht merklich verändert; 
ebenso hat die Temperatur keinen Einfluss: der Widerstand ist derselbe, ob das die Elektroden be¬ 
feuchtende Wasser eine Temperatur von 50° oder 0° hat. 

Bezüglich der von ihm gebrauchten Methode erwähnt Läduc, dass sie empfindlich “genug 
war, um die Vermehrung des Widerstandes zu konstatieren, welche durch die*Anämie bei Muskel¬ 
kontraktion entsteht. Der Leitungswiderstand hängt nach Läduc von der Zahl undjder Natur der 
Jonen ab, welche die Haut enthält. Durch Einführung von Chlorionen aus Chloriden hat er den 
Widerstand in 15 Minuten von 8000 auf 1000 Ohm abfallen sehen. Durch Substitution der Chlorionen 
durch Calciumionen konnte er den Widerstand in weniger als 5 Minuten von 1000 auf 4000 Ohm 
steigern. Diese Verhältnisse sollen ganz regelmässig und sicher nachweisbar sein. Sie müssen 
natürlich bei jeder Widerstandsmessung und ihrer Verwerthung zu diagnostischen Zwecken genau 
berücksichtigt werden. 

In der Diskussion äussem mehrere Redner ihre Verwunderung über diese Befunde Läduc’s 
welche in der That, was die Unabhängigkeit des Widerstandes von der Durchfeuchtung der Haut 
und der Temperatur der Elektroden anbetrifft, den alltäglichen, praktischen, elektrotherapeutischen 
Erfahrungen zuwiderzulaufen scheinen. Jedoch soll die Zuverlässigkeit der Experimente natürlich 
nicht bestritten worden. 

Die weitere Diskussion muss hier übergangen werden. 

Die Nachmittagssitzung des ersten Tages brachte 1. einen für die Theorie der Elektrotherapie 
höchst wichtigen Vortrag von Schnyder (Bern), Influence du courant galvaniquo sur la 
force musculaire. 

Vortragender hat nach dem Vorgänge von Capriati Untersuchungen über den Einfluss des 
galvanischen Stromes auf die Muskelkraft vermittels eines von Dubois modifizierten Ergographen 
angestellt, und kommt zu folgenden Resultaten: 

Die Galvanisation des Rückenmarkes übt auf die Muskelkraft einen günstigen Einfluss 
ans, welcher weniger in einer Vermehrung der kilogrammmetrischen Arbeit, wie einer Veränderung 
der Ermüdungskurve (grössere Zahl von Ordinaten und weniger steiler Abfall derselben) zum Aus¬ 
druck kommt. Aber dieser günstige Einfluss auf die Muskelkraft stellt keine besondere und eigen¬ 
tümliche Wirkung der elektrischen Erregung dar. Andere auf die Haut applizierte Reize, wie etwa 
ein Senfpflaster, bringen ungefähr dieselbe Einwirkung auf die Muskellcistung hervor. 

Vortragender will auf weitergehende theoretische Schlussfolgerungen aus seinen Versuchen 
sich nicht einlassen. Er will nur darauf hinweisen, dass dieselben die Ansicht erschüttern, nach 
welcher die Einwirkung der Elektrizität auf die Muskelkraft eine direkte und spezifische Wirkung 
derselben darstellen soll. Vielmehr führen die Versuche darauf hin, an ein allgemeines biologisches 
Gesetz zu denken, nach welchem dio Bewegung das Endresultat jedes Reizes darstellt und demnach 
jede sensible Reizung sich schliesslich in eine Steigerung der Muskelkraft umsetzt. 

2. Ein Vortrag von Albert Weil (Paris) beschäftigte sich mit: Electrothärapic et 
Orthopädie, und rühmt die erstere als ein höchst wirksames Unterstützungsmittel der letzteren. 

Vortragender verwendet die Elektrotherapie an dem grossen Material der chirurgischen Kinder¬ 
klinik (Hospital Trousseau) in allen Fällen von spinaler und cerebraler Kinderlähmung, Litt la¬ 
scher Krankheit, Skoliosen auf rhachitischer Basis und dergleichen mehr. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


416 


Seine Erfahrungen bei frühzeitig begonnener und lange Zeit konsequent fortgesetzter Be¬ 
handlung sind sehr günstige. Er verwendet am meisten stabile Galvanisation der gesammten 
Extremität mit mässigen Stromstärken (nicht über 10 M-A), indem er die betreffende Extremität in 
ein Wasserbad stellt, welches den negativen Pol enthält, während der positive auf den entsprechenden 
Abschnitt der Wirbelsäule appliziert wird; ferner lokale Faradisationen und Galvanisation der 
paretischen Muskeln und faradische Hautreizung. 

Bei Rhachitis wird neben entsprechender Diätetik die stabile Galvanisation des Rückenmarkes 
(Kathode am Nacken, Anode in einem Fussbad, 10 M-A) als tonisierender Faktor herangezogen. 

3. Laquerriöre und Delherm (Paris), Action motrice des difförents modes 
ölectriques sur Pintestin gröle. 

Die Vortragenden stellten ihre Versuche an Kaninchen, Meerschweinchen und Hunden an und 
fanden bei allen Thierspezies im wesentlichen die gleichen Resultate: der konstante Strom erzeugt 
eine Kontraktion an beiden Polen, aber an beiden verschieden. Sie präsentierte sich nicht in Form 
einer Zuckung, sondern einer mehr oder weniger rasch an wachsenden Retraktion. Dieselbe hängt 
nicht von der Stromschliessung, sondern von dem stabilen Zustand ab, und es ist ganz gleichgiltig, 
auf welche Weise derselbe erreicht wurde. 

Der positive Pol erzeugt eine energische, prompte Kontraktion, welche sich auf die ganze 
Cirkumferenz des Organes erstreckt, während der negative eine schwächere, langsamere und 
lokalisierte Kontraktion hervorruft. 

Die Kontraktion kann noch nach Unterbrechung des Stromes zunehmen, oder wenn der Strom 
von kurzer Dauer war, sogar erst nach der Oeffnung erscheinen, sodass man eine wirklich verlang¬ 
samte Kontraktion sieht. 

In der interpolaren Strecke treten Kontraktionen erst bei Stromstärken über 20 M-A auf. Eine 
Erregung der longitudinalen Fasern konnte durch den konstanten Strom niemals erreicht werden. 

Der faradische Strom erzeugt an beiden Polen gleichmässige Kontraktionen, welche während 
der ganzen Dauer des Stromschlusses unverändert bleiben und sich in der Form einer ringförmigen 
immer obcihalb des Ansatzpunktes der Elektroden liegenden Striktur äussern. In der interpolaren 
Strecke sieht man pcristaltische Kontraktionen; bei starkem Strom eine Kontraktur en masse der 
zwischen den Elektroden liegenden Schlinge. Die Faradisation erregt auch deutlich die longitudi¬ 
nalen Fasern; die Wirksamkeit ist um so grosser, eine je höhere Spannung der Strom besitzt 

Der kombinierte (WattevilPsche) Strom theilt die Eigenschaften der Galvanisation und 
Faradisation; man kann den Unterschied der Pole wie bei der ersteren beobachten, und die inter- 
polaren Reaktionen wie bei der letzteren. 

Boi Reizung durch die Bauchdecken hindurch vermittels des konstanten Stromes findet man 
dieselben Strikturen an den den Elektroden anliegenden Darmschlingen. Faradische Reizung ergiebt 
eine starke Wirkung auf die Peristaltik, wenn nur eine Elektrode auf die Bauchdecken appliziert 
wird. Setzt man beide Elektroden auf, so ist die Wirkung viel schwächer, und man konstatiert die 
polaren Strikturen an den den Elektroden anliegenden Stellen. 

Die motorischo Wirkung der Elektrisation durch die Bauchdecken erscheint nicht so stark, 
wie man anzunehmen gewöhnt war. 

Die Experimente beziehen sich allein auf die Motilität und geben durchaus nicht für alle 
klinisch beobachteten Erscheinungen eine Erklärung, Erscheinungen, die man auf sekretorische, 
vasomotorische, Reflcxwirkungcn etc. beziehen muss, und die wahrscheinlich bei gewissen 
Prozeduren, wie der elektrischen Darmausspülung, eine wichtige Rolle spielen. Diese Reflex¬ 
erscheinungen können natürlich an narkotisierten und operierten Thieren nur sehr unvollkommen 
studiert werden. 

Grosses Interesse erregte eine Mittheilung von Sticker (Giessen) über gal vanoskopische 
Untersuchungen am Gesunden und Kranken. 

Die von der Haut abzuleitendcn galvanischen Phänomene sind bisher zu diagnostischen 
Zwecken wenig benützt worden. Wenn man von zwei nicht symmetrischen Hautstellen zu einem 
Galvanometer ableitet, so findet man drei Phänomene: 

1. den Ruhestrom, welcher gewöhnlich aufsteigend verläuft und sich in seiner Stärke je 
nach dem Zustande des Individuums etwas verschieden verhält. 

2. Kleine Schwankungen des Ruhestromes, die um so geringer sind, je ruhiger sich das In¬ 
dividuum körperlich und geistig verhält. 

3. Den Tarchanoff’sehen Erregungsstrom, eine sehr starke Stromschwankung, welche sofort 
auftritt, wenn irgend eine Hautstelle gereizt, oder ein plötzlicher Sinneseindruck oder auch irgend 
welche Vorstellungen erregt werden. 


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Referate Ober Bücher and Aufsätze. 


417 


Vortragender dachte anfangs daran, den Erregungsstrom, respektive sein Fehlen zum objek¬ 
tiven Nachweis von Sensibilitätsstörungen zu benutzen; aber es zeigte sieh, dass derselbe auch bei 
Ausschaltung der sensiblen Bahn (z. B. traumatische Zerstörung der Nerven) bestehen bleibt Zur 
Erklärung musste daher angenommen werden, dass er nicht nur von der durch den sensiblen Nerven 
zu den Schweissdrüsen gehenden Reflexleitung abhängig ist, sondern dass das ganze Kapillarsystem 
der Haut dabei betheiligt ist Man muss annehmen, dass, wenn irgend eine Hautstelle gereizt wird, 
sich die Reizung über das ganze Kapillarsystem fortpflanzt. 

Für den Nachweis von Sensibilitätsstörungen ist daher das Erregungsphänomen nur dann 
verwerthbar, wenn die Reaktion des Kapillarsystems ausgeschaltet wird, was durch starke Ab¬ 
kühlung oder Ueberhitzungjder Haut geschehen kann. 

Vortragender hat nun versucht, den Erregungsstrom zu einem anderen diagnostischen Zwecke 
zu verwerthen. Er hat durch denselben feststellen wollen, ob die hysterischen Amnesieen thatsäch- 
lich eine Auslöschung der Erinnerung bedeuten oder ob sie, wie sich Jan et ausdrückt, nur subjektiv 
sind. Die Versuche sind zu Gunsten der letzteren Annahme ausgefallen. Dem hysterischen Indi¬ 
viduum wurden eine Reihe von Worten gesagt oder Bilder oder Personen oder dergleichen gezeigt. 
Der Erregungsstrom blieb aus, solange die betreffenden Gegenstände kein Interessejfür das Indi¬ 
viduum hatten, er trat aber sofort auf, wenn sie mit den Erlebnissen, die den hysterischen Anfall 
und die Amnesie hervorgerufen hatten, in irgend welcher Beziehung standen. Es ist dadurch be¬ 
wiesen, dass die Erlebnisse während des Stadiums der Amnesie nicht völlig aus der Erinnerung 
ausgelöscht sind. 

In der Diskussion warnt Benedikt (Wien) davor, diese Untersuchungsmethode nicht etwa 
in forensischen Fällen verwenden zu wollen, besonders nicht etwa bei den häufigen Angaben der 
Hysterischen über Kohabitationsversuche von seiten des Arztes während der Hypnose. Die Er¬ 
wähnung eines derartigen Vorfalles wird einen Erregungsstrom hervorrufen können, auch ohne dass 
der Vorfall thatsachlich stattgefunden hat. (Fortsetzung folgt) 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Schüle, Die Bestimmung der motorisehen 
Thitigkeit des menschlichen Magens. Fort¬ 
schritte der Medicin 1901. No. 18. 

Verfasser benutzt zur Bestimmung der mo¬ 
torischen Thätigkeit des menschlichen Magens 
ein Verfahren, welches eine Modifikation der 
Leu benschen Methode darstellt und folgender- 
maassen beschaffen ist: Eine Stunde nach einem 
Probefrühstück (1 Tasse Thee, 1 Stück Zucker, 
50 g Zwieback) oder drei Stunden nach einer 
Probemahlzeit (230 g Schleimsuppe, 250 g [rohes], 
sorgfältig geschabtes und angebratenes Fleisch 
und 150gKartoffelbrei) entnimmt man den Magen¬ 
inhalt und spült nach. Das gesammte, theils 
durch Expression, theils durch Nachspülung ge¬ 
wonnene Material wird zusammengegossen, de¬ 
kantiert und auf ein vorher gewogenes Filter 
gebracht Grössere Schleimmengcn sind zu ent¬ 
fernen. Der Filterrückstand bleibt einige Tage 
stehen, bis er vollständig lufttrocken geworden 
ist und wird dann gewogen. Das Gewicht minus 
dem Filtergewichte giebt dann einen Anhalts- 
Zeiteohr. t dllt u. physüc. Therapie B<L VI. Heft 7. 


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punkt fün die Menge des nicht in den Darm be¬ 
förderten Materials. Schüle fand bei magen¬ 
gesunden Personen für Probefrühstück Werthe 
zwischen 1 und 5,5 g, und für Probemahlzeit 
Rückstandswerthe, die zwischen 1,5 und 4,5 g 
schwankten. Bei pathologischen Fällen war der 
Wechsel in den gefundenen Zahlen bedeutend 
grösser. Denn es fanden sich einerseits Werthe, 
die unter 1 lagen, andrerseits Werthe bis zu 
18,0. Wenn man die Tabelle Schüle’s durch¬ 
sieht, so sind hohe Werthe besonders bei 
Karcinom gefunden worden. Doch ist das 
Material von Schüle vorerst zu klein, um 
bindende Schlüsse zuzulassen, aber gross genug, 
um zu einer weiteren Prüfung mit diesem Vor¬ 
gehen anzuregen H. Strauss (Berlin). 


Alb. Wittgenstein, Physikalisch-diätetische 
Behandlung der Magenkrankheiten in der 
Praxis. Leipzig 1901. 

Dieses kleine Büchlein will dem Praktiker 
eine Anleitung zur physikalischen und zur diäte¬ 
tischen Behandlung Magenkranker geben und 

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418 Referate über Bücher und Aufsätze. 


zerfallt in einen allgemeinen und speziellen Theil, 
sowie in einen Anhang, welcher Kochrezepte 
enthält. Das Büchlein dürfte weder auf Originalität 
noch auf Vollständigkeit Anspruch machen und 
sich damit begnügen, die landläufigen Prinzipien 
der physikalisch-diätetischen Behandlung Magen¬ 
kranker in Form eines kurzen Abrisses zusamracn- 
zustellen. H. Strauss (Berlin). 


Burwinkel, Herzleiden nnd Ernährung. 

Monatsschrift für hygienische Aufklärung und 
Reform Bd. 14. Heft 10. 

Der auf der 22. Versammlung der balncologi- 
schen Gesellschaft zu Berlin gehaltene Vortrag 
wendet sich in einleuchtender Weise gegen das 
moderne Schlagwort, man müsse Herzkranke 
»kräftig ernähren«, damit das Myokard leistungs¬ 
fähig bleibe. Verfasser bespricht die nach¬ 
theiligen Folgen, welche zu viel Flüssigkeits- 
aufnahmc und übertriebene Fleischnahrung haben; 
es werde dadurch die Viskosität des Blutes höher 
und damit die Anforderung an das Herz grösser. 
Er plädiert für kleinere, wenn auch häufigere 
Mahlzeiten und zwar für einen gemässigten 
Vegetarianismus, namentlich sollen die stark ge¬ 
würzten und an Extraktivstoffen reichen Floisch- 
sorten (rohes Fleisch, Gulasch, Kagout, Wild und 
dergleichen) gestrichen werden. 

Buttersack (Berlin). 


Edmund Weisz, Ueber die Gicht. Orvosi 
Hetilap 1901. No. 22—26. 

Die biologischen Fehler der alten Gicht- 
theorieen forschend, weist Verfasser darauf hin, 
dass nach den Daten der neuesten Untersuchungen 
aus dem Hamsäuregchalt des Urins die Diagnose 
der Gicht nicht feststellbar ist, da die Harnsäure 
im Urin nicht einmal während des Anfalls ver¬ 
mehrt ist und da das Serum der Gichtkranken von 
der zugefügten Harnsäure einen Theil noch zu 
lösen vermag und schliesslich, da die Alkalcscenz 
des Blutes in nichts von den normalen Verhält¬ 
nissen abweicht. Uebrigens ist die im mensch¬ 
lichen Organismus kreisende Harnsäuremenge so 
gering, gewöhnlich im normalen Blut nicht ein¬ 
mal nachweisbar, dass schon ^Anbetracht dieses 
Umstandes von einer Harnsäurediathese nicht ein¬ 
mal gesprochen werden kann. Verfasser sieht 
in den Niederlagerungen der Harnsäure einen ge¬ 
wissen biologischen »error loci«, demzufolge in 
pathologischen Verhältnissen nicht nur die Nieren, 
sondern auch die Gelenke den Organismus von 
der im Blute sich befindenden Harnsäure zu be¬ 


freien im stände sind, welche infolge ihrer schweren 
Lösbarkeit sich früher oder später dort zu kiys- 
tallisieren gezwungen ist Die an Tauben voll¬ 
führten Versuche scheinen ebenfalls die wichtige, 
ja sogar entscheidende Rolle der lokalen Verhält¬ 
nisse zu beweisen gegenüber der bisher ange¬ 
nommenen »Diathesis«-Theorie. 

| J. Honig (Budapest). 


| Weiss, Ueber den Einfluss von Alkohol nnd 
I Obst anf die Harnsänrebildnng. Münchener 
| mcdicin. Wochenschr. 1901. No. 26 

Weiss fand in seinen Versuchen (am 
Menschen) in Uebereinstimmung mit Leber und 
v. Noorden keine Beeinflussung der 
Harnsäureausscheidung durch Alkohol. 
Ebenso konnte er die Angaben von His, Leber, 
Dauber über die diesbezügliche Unwirksam¬ 
keit der Citroncnsäurc bestätigen. Wenn 
bei der Citronenkur eine Verminderung der Harn- 
säureausscheidung vorkommt, so könnte das die 
Folge davon sein, dass der Magen nach der Ein¬ 
führung der kolossalen Mengen von Citronensaft 
die Aufnahme von Fleisch und andern Eiweiss¬ 
stoffen verweigert. — Der Genuss von ge¬ 
schälten Acpfeln hatte keinen Einfluss auf die 
Harnsäuremenge; dagegen sank die letztere be¬ 
trächtlich, wenn die Schalen mitgenossen 
wurden, was Weiss auf einen etwaigen Gehalt 
der Schalen an Chinasäure zurückführt. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


August Hirschler und Paul v. Terra?, 
Lehrbuch der Diätetik. (Ungarisch) 

Im letzten Dezennium wandte sich in er¬ 
höhtem Maasse die Aufmerksamkeit der ärztlichen 
Kreise der Diätetik zu; hauptsächlich die zahl¬ 
reichen Fragen, welche im Laufe der Stoffwechsel- 
Untersuchungen auftauchten, erhöhten das Inter¬ 
esse, und rastlos wurde an dem Aufbau der 
rationellen Diätetik gearbeitet, an deren Zustande¬ 
kommen die deutsche medicinische Schule grosse 
Verdienste sich erwarb. In der ungarischen 
medicinischen Litteratur war es bisher eine be¬ 
deutsame Lücke, dass man kein auf wissenschaft¬ 
licher Grundlage aufgebautes Lehrbuch der Diätetik 
besass; demzufolge betraute die Ungarische wissen¬ 
schaftliche Akademie die Verfasser mit der Aus¬ 
arbeitung einer Diätetik. Die Verfasser entledigten 
sich ihrer Aufgabe mit grossem Geschicke, denn 
einerseits ist die Physiologie der Ernährung in leicht 
fassbarer und klar durchsichtiger Art dargestellt, 
andererseits findet der Praktiker all’ die diäte¬ 
tischen Methoden darin, welche man bei den 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


verschiedenen pathologischen Zuständen an wendet. 
Es muss hervorgehoben werden, dass die vor¬ 
liegende Arbeit nicht nur als Lehrbuch im 
strengsten Sinne des Wortes zu betrachten sei, 
sondern sie enthält auch die subjektiven Ansichten 
der Verfasser über einzelne strittigen Fragen der 
Diätetik, welche nur das Interesse an dem Buche 
erhöhen. 

In dem ersten Theile wird die Bedeutung 
der einzelnen Nährstoffe dargcstellt; bei der Be¬ 
sprechung des Nährwerthes der Salze ist deren 
Bedeutung, als Quelle der osmotischen Energie 
im Organismus, berücksichtigt. In ausführlicher 
Art ist das Verhalten der einzelnen Nährstoffe 
zur motorischenThätigkeit des Magens besprochen, 
welcher Umstand eben bei der Bestimmung der 
Schwerverdaulichkeit ausschlaggebend sein sollte. 
Für den Praktiker enthält der Abschnitt über 
die zeitliche Eintheilung der Speisenäufnahme 
sehr zahlreiche auf grosser Erfahrung beruhende 
Anweisungen. In den folgenden Kapiteln ist die 
chemische Zusammensetzung der einzelnen Nähr¬ 
stoffe ausführlich dargestellt, bei den allgemein 
gebräuchlichsten vollzogen die Verfasser selbst 
die mühevollen Analysen. Eine eingehende Be¬ 
sprechung wird der in letzter Zeit von neuem in 
den Vordergrund getretenen strittigen Alkohol¬ 
frage gewidmet; die Verfasser nehmen den Stand¬ 
punkt ein, dass der Alkohol keine eiweiss- 
ersparende Wirkung besitzt, und nur den Fett¬ 
verbrauch herabsetzt, demzufolge ist der Nährwerth 
des Alkohols ein minimaler, hingegen ist er als 
stimulierendes Mittel zu verwenden. In der Dar¬ 
stellung air der verwickelten Fragen des normalen 
Stoffwechsels bewährte sich die fachkundige Hand 
der Verfasser; hauptsächlich muss die klare und 
ausführliche Darstellung der verschiedenen Aus¬ 
sichten über den Ei weissbedarf und -Umsatz des 
gesunden Menschen hervorgehoben werden; daran 
anschliessend findet man auch praktische An¬ 
weisungen für die Ausführung von Stoffwechsel¬ 
versuchen. Sehr lesenswerth ist der Abschnitt 
über die künstlichen Nährpräparate; in der Zeit, 
wo die irrthümlichsten Ansichten über die 
Anwendung und den Werth der verschiedenen 
Nährpräparate herrschen, ist der strenge kritische 
Ton, der hier angewendet wird, sehr am Platze; 
nach Durchsicht dieser kritischen Besprechung 
wird der praktische Arzt in der verwirrten Frage 
der künstlichen Nährmittel sich ein klares Urtheil 
bilden können. Die Darstellung der Indikationen 
and der Anwendungsweise der künstlichen Er¬ 
nährung beschliesBt denjersten Theil. 

Im zweiten speziellen Theile wird die diäte¬ 
tische Therapie der einzelnen Krankheitsformen 
behandelt; auf all die Einzelheiten näher einzu¬ 
gehen, möchte den Umfang dieses Referates 


419 


i ungebührlich vergrössem, sodass der Inhalt nur 
I in kurzen Umrissen dargestellt werden kann. Mit 
! besonderer Sorgfalt behandelten die Verfasser 
die diätetische Behandlung der fieberhaften Krank- 
I heiten, in erster Reihe des Typhus abdominalis; 
in der Fieberperiode wird ausschliesslich flüssige 
Diät angerathen, hinwieder in der Rekonvalescenz 
dem Ueberwiegcn der ei weissreichen Kost das 
Wort gesprochen. 

Aus dem umfangreichen Abschnitte über die 
! diätetische Behandlung der Magen- und Darm¬ 
krankheiten soll nur der Standpunkt, den die 
Verfasser in einzelnen strittigen Fragen behaupten, 
angefühlt werden. In der Streitfrage, ob eiweiss- 
oder kohlehydratreiche Kost bei der Ilypcrchlor- 
hydrie dargereicht werde, nehmen sie einen ra¬ 
tionellen vermittelnden Standpunkt ein und stellen 
eben nur dieses Erforderniss auf, dass man die 
Kohlehydrate womöglich in leicht resorbierbarer 
Form verwenden soll. Die schematische Ein¬ 
schränkung der Flüssigkeitsaufnahmc bei der mo¬ 
torischen Insufficienz des Magens wird strenge 
verurthcilt, und nur vor der reichlichen Aufnahme 
der keinen Nahrungswerth besitzenden Flüssig¬ 
keiten wird gewarnt. Zahlreiche zweckmässige 
Diättabellen ergänzen diesen Abschnitt. Die Diäto- 
therapie der Lungenschwindsucht ist in allen ihren 
Einzelheiten am ausführlichsten dargestellt; die 
physiologische Grundlage der Methode und die 
Veränderungen in der diätetischen Behandlung 
bei etwa bestehenden Komplikationen sind ent¬ 
sprechend ihrer Bedeutung gewürdigt. Der um¬ 
fangreichste Theil des Buches ist die Diätetik 
der Stoffwechselanomalieen. Bei der Behandlung 
der Fettsucht wird an den verschieden bekannten 
Kostformen strenge Kritik geübt und die Be¬ 
deutung der zeitweiligen Kontrolle des Stoff¬ 
wechsels im Laufe der Behandlung betont; denn 
sehr richtig wird hervorgehoben, dass der Erfolg 
der Behandlung nicht von der strengen Durch¬ 
führung der einzelnen angegebenen Methoden 
abhängt, sondern von der zweckmässigen An¬ 
passung der Therapie an die vorhandene Krank¬ 
heitsform. Auf grund eingehender patho-physio- 
logischcr Betrachtungen ist die diätetische Be¬ 
handlung der Zuckerkrankheit entwickelt; sorg¬ 
fältige Beachtung wurde den einzelnen Diabetes¬ 
formen zugewendet, und der Vortheil der 
kombinierten Eiweiss - Fettdiät hervorgehoben. 
Eingehende Würdigung wurde der Diätetik der 
harnsauren Diathese, der Chlorose, sowie der 
Nierenkrankheiten zu theil. Die WeirMitchell- 
und die Play fair’sehe Kur haben eine er¬ 
schöpfende Darstellung erfahren; es war schräm 
Platze, dass die Indikationen der Anwendung 
streng umschrieben wurden; besonderen Werth 
verleiht diesem Abschnitte die angeführte reiche 


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420 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


persönliche Erfahrung der Verfasser. Anhangs¬ 
weise enthält die Arbeit eine lichtvolle Darstellung 
der künstlichen Ernährung der Säuglinge und der 
Grundzüge der Diätetik des kranken Kindes. 

G. Kövesi. 


B. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

A. Jaquet, Höhenklima nnd Blntbildnng. 

Archiv für experimentelle Pathologie und 
Pharmakologie Bd. 45. Heft 1. 

Nachdem^ Jaquet in einer gemeinschaftlich 
mit Suter*ausgeführten Versuchsreihe zu dem 
Resultat gekommen, dass die Gesammtblut- 
resp. Hämoglobinmenge unter dem Einflüsse 
des Höhenklimas zunimmt, so dass die Ver¬ 
mehrung der Zahl der Blutkörperchen und des 
Hämoglobingehaltes als Ausdruck einer that- 
sächlichen Vermehrung des Blutfarbstoffes und 
nicht etwa bloss einer veränderten Blutmischung 
aufzufassen ist, untersuchte er in der Folge 
systematisch die verschiedenen im Gebirge in Be¬ 
tracht kommenden Faktoren auf ihre eventuelle 
Wirkung auf blutbildende Apparate. Die Unter¬ 
suchungen erstrecken sich auf den Einfluss von 
Temperatur, Licht, Lufttrockenheit und Luftdruck 
und sind am Kaninchen in der Weise angestellt, 
dass am Ende der Versuchszeit der gesammte 
Hämoglobingehalt nach vollständiger Durch¬ 
spülung des Körpers mit 1 % Kochsalz im 
Fleischl-Miescher’schen Apparate bestimmt 
und mit demjenigen von Kontrollthieren ver¬ 
glichen wurde. Die Resultate sind folgende: 

Thiere, die sechs Wochen lang bei einer 
Temperatur von 2—5° C gehalten worden waren, 
zeigten pro Kilogramm Körpergewicht denselben 
Hämoglobingehalt, wie die Kontrollthiere, die in 
Temperaturen von 13— 16 o C untergebracht waren. 
Der Lufttemperatur kommt demnach ein Einfluss 
auf die Blutbildung im Gebirge nicht zu. 

Um den Einfluss des verminderten Luft¬ 
druckes zu studieren, konstruierte sich Jaquet 
einen besonderen luftdicht abgeschlossenen Kasten 
in der Grösse der gewöhnlichen Thierkäfige und 
setzte darin — imter Garantie ausreichender 
Lüftung — mittels einer Säugpumpe den Luft¬ 
druck konstant (durch ein Differentialmanometer 
kontrolliert) auf 6640 mm herab. Unter dem 
Einflüsse des heruntergesetzten Luftdruckes, dem 
die Thiere vier Wochen lang ausgesetzt waren, 
konstatierte eT regelmässig eine bedeutende Zu¬ 
nahme sowohl der Zahl der Blutkörper als des 
prozentigen Hämoglobingehaltes, in voller Ueber- 
einstimmung mit seinen früheren Versuchen am 
Menschen und am Thiere. Eine Herabsetzung des 


atmosphärischen Druckes um 100 mm genügt, um 
künstlich eine Erhöhung des Hämoglobingehaltes 
des Blutes um mehr als 20 o/ 0 des ursprünglichen 
Werthes hervorzurufen. Die Druckdifferenz er¬ 
klärt also ohne weitere Mithilfe eines anderen 
Faktors die im Hochgebirge eintretende Blut¬ 
veränderung zur Genüge. 

Da in den Thierkasten die Luft dauernd sehr 
feucht war, so erhellt daraus, dass die Luft¬ 
trockenheit, der man im Hochgebirge einen Ein¬ 
fluss auf die Blutbildung zusprechen wollte, 
gegenüber der Luftdruckverminderung nicht in 
Betracht kommt. Ebensowenig möchte Jaquet 
der intensiveren Belichtung, wie sie im Hoch¬ 
gebirge wohl statt hat, eine maassgebende Ein¬ 
wirkung auf die daselbst beobachtete Blut¬ 
veränderung zusprechen. 

Weintraud (Wiesbaden). 


Josef Koväcs, Experimentelle Beiträge über 

die Wirkung von Sanerstoffinhalationon. 

Berliner klin. Wochenschr. 1902. No. 16. 

Die Untersuchungen des Verfassers sollen 
einen neuen objektiven Befund für die Heil¬ 
wirkung von Sauerstoffinhalationon in Krank¬ 
heiten bringen. Leitet man Kohlensäure in 
Blut, so sinkt dessen Gefrierpunkt; dasselbe 
ist am cirkulierenden Blut der Fall, wenn 
es durch Erkrankungen am Cirkulations- oder 
Respirationssystem zu Kohlensäureüberladung des 
Blutes kommt. Leitet man durch Kohlensäure 
überladenes Blut Sauerstoff, so kehrt der Gefrier¬ 
punkt zur Norm zurück. Lässt man Kranke, die 
an Herz- oder Lungenaffektionen leiden, Sauer¬ 
stoff athmen, und der Gefrierpunkt ihres Blutes, 
der abnorm niedrig war, kehrt danach zur Norm 
zurück, so soll dies ein Beweis sein, dass mehr 
Sauerstoff als bei Athmung athmosphärischer Luft 
ins Blut übergetreten ist und eine bessere Sauer- 
stoffvereorgung des Blutes und der Gewebe er¬ 
zielt worden ist. 

Koväcz hat diesen Effekt erzielen können 
bei Lungenemphysem, Kapillarbronchitis und einer 
Zahl von Herzklappcnfchleru. Der Gefrierpunkt 
stieg um 3 /ioo“ 6 /ioo° nach 0 - Inhalationen. Die 
günstige Wirkung der Saueretoffinhalationbn wäre 
danach objektiv im Blute in seinen Fällen er¬ 
wiesen. A. Loewy (Berlin). 


W. A. Campbell assisted by H« W. Uoagland, 
The blood count at high altitudes. The anuric. 
joum. of med. Sciences 1901. Bd. 122. S. 654 

Die Verfasser nahmen Zählungen der Blut, 
zellen vor bei Kaninchen und an Personen, die 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


sich zunächst am Fusse des Pikes Peak in Colo¬ 
rado Spring aufhielten (6000 Fuss Höhe) und 
dann mit der Bahn auf die Spitze fuhren (14147 
Fuss). Hier wurden sogleich und nach längerem 
Verbleiben wieder Zählungen vorgenommen. Es 
fand sich eine Zunahme der Zahl gleich nach der 
Auffahrt, die allmählich weiter wuchs. Die Zu¬ 
nahme betrug ca. 50000 pro tausend Fuss An¬ 
stieg. — Die Verfasser wurden nun aufmerksam 
auf die Wirkung vasomotorischer Einflüsse auf 
die Blutzellenzahl und stellten selbst den Effekt 
fest, den Muskelthätigkeit und Abkühlung auf 
die Zeilenzahl hat. Sie kamen dadurch zu dem 
Schluss, dass auch die plötzliche Zunahme in der 
Höhe nur durch solche Effekte bedingt ist, dass 
sie keine reelle, sondern nur eine scheinbare ist 
Sie wurden in dieser Annahme bestärkt durch 
den Befund, dass bei ihren Kaninchen nach dem 
Aufstieg auf 14000 Fuss zwar die Blutzellenzahl 
in den Ohrgefassen zu-, dagegen die in den 
MesenteriaJgefässen gegen unten a b genommen hat. 

Als bedeutsam für diese Aenderung der 
Blutzellenvertheilung betrachten sie auch die 
Aenderung, die die Herzthätigkeit und damit die 
Cirkulation auf der Höhe erleidet. 

Erst die nach längerem Aufenthalt sich 
findende gesteigerte Blutzellenzahl in der Höhe 
soll eine wirkliche, auf Vermehrung beruhende 
sein. A. Loewy (Berlin). 


C. Elektrotherapie. 

B. Schürmayer, Die Photographie hezw. 

Mikrophotographie in der ärztlichen Praxis. 

München 1901. 

In der für Aerzte, die sich eingehend mit 
der Photographie beschäftigen, geeigneten Ab¬ 
handlung befindet sich fast eine Ueberfülle feuilleto- 
nisdsch niedergeschriebener Anweisungen haupt¬ 
sächlich von speziellem bezw. technischem Inter¬ 
esse zusammengestellt, aus denen Einiges hervor¬ 
gehoben werden mag; zunächst die Bemerkung, 
dass man nur selten in die Lage kommt, Gegen¬ 
stände im Freien zu photographieren. Hieran 
knüpft der Verfasser eine Besprechung der 
schwierigen Kunst, in einem Wohnzimmer zu¬ 
friedenstellende Aufnahmen zu machen, unterlässt 
es aber darauf hinzuweisen, dass im Freien alle 
Umständlichkeiten, welche das Fensterlicht be¬ 
dingt, mit einem Male fortfallen. Auf Kabitz’ 
Methode, Trichinen durch Mikroprojektion in 
rascher, bequemer und sichererWeise zu suchen, 
weist Verfasser hin. Bezüglich der Mikrophoto¬ 
graphie mit apochromatischen Objektiven wird 
die durch das sehr gewölbte Gesichtsfeld bedingte 


4*21 


Kleinheit der Bilder notiert Der Rath, eine 
photographische Dunkelkammer schwarz an¬ 
streichen zu lassen, erscheint Referent etwas weit¬ 
gehend, da man bekanntlich auch abends im 
Wohnzimmer beim ungeschwächten Licht einer 
Kerze bezw. eines Wachsstocks, das die Platte 
nicht in nächster Nähe oder nur gegen das Ende 
der Bildhervorrufung trifft, gut entwickeln kann. 

Cowl (Berlin). 


Foveau de Courmelles, Die Lichtbehand¬ 
lung. Mödecine orientale 1901. No. 23 und 
Monatshefte f. prakt. Dermatologie Bd. 34. No. 8. 

Der Verfasser berichtet über einen Fall von 
ausgedehntem Lupus der Nase und des Gesichts, 
der durch sehr oft wiederholte Bestrahlungen mit 
Röntgenstrahlen (nahezu 150 Sitzungen) zur Heilung 
gebracht wurde. — Im Anschluss daran erwähnt 
der Verfasser kurz die Anwendung des elek¬ 
trischen Lichts in Form von Glühlichtbädem, 
wofür er den Namen »artefizielle Heliotherapie« 
vorschlägt, und die Finsen’scheLichtbehandlung. 
Letztere hat den grossen Nachtheil, dass der 
nöthige Apparat sehr umfangreich, kompliziert 
und kostspielig ist (Jetzt nicht mehr! Der Referent) 
Der Verfasser hat im Jahre 1900 für die Licht¬ 
behandlung nach Finsen’schen Prinzipien einen 
einfachen, kleinen und billigen Apparat kon¬ 
struiert, den er »chemischen Radiator« nannte 
und damals eingehend beschrieb und demon¬ 
strierte. Der Apparat, der nicht patentiert und 
infolgedessen vielfach nachgemacht wurde, ist 
ohne Assistenz zu handhaben; er ergiebt bei Lupus 
mindestens ebenso gute Resultate wie der grosso 
Finsen’sche Apparat 

Forchheimer (Würzburg). 


Zanictowski, Versuche über Voltaisatioii. 

Neurologisches Centralblatt 1902. No. 1. 

Anschliessend an die wissenschaftliche Kontro¬ 
verse zwischen Dubois und Hoorweg, darüber, 
ob die Voltspannung oder die Stromintensität 
wesentlich als Maass für die Erregbarkeit zu be¬ 
trachten sei, hat Verfasser aus rein praktischen 
Gründen die Resultate seiner eigenen Versuchs¬ 
reihen zusammcngestellt. Seine Erfahrungen führen 
ihn zu dem Schlüsse, dass für den praktischen 
Arzt der einzige Weg, konstante Resultate zu 
erhalten, in dem »kurzen Stromschlusse« sich 
findet Was die Frage anbetrifft, ob der praktische 
Arzt den Reiz nach Dubois in Volts oder nach 
der alten Methode in Ampöres ausdrücken soll, 
so empfiehlt Zanictowski einen mittleren Weg: 


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Original fro-rn 

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422 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


während der Vcrgleichsvcrsucho an ein und dem¬ 
selben Kranken immer denselben fremden 
Widerstand einzuschalten, oder bei derselben 
Spannung, nicht aber, wie üblich, bei der ersten 
beliebigen die Intensität abzulesen. 

F. Frankenhäuser (Berlin). 

!»• R. Rdgnier und Henry Didsburg, 
Nouveau procedd d’aualglsie des dents h 
Paide de P^lectricitd. Le Progrös mödieal 
1902. No. 13. Le Bulletin mödieal 1902. No. 13. 

Die Verfasser verwenden Strome von hoher 
Spannung und hoher Frequenz nach d’Arsonval, 
um bei zahn chirurgischen Operationen lokale 
Anästhesie zu erzeugen. Das Verfahren soll 
nach den Erfahrungen der Verfasser häufig den 
Schmerz vollkommen aufheben, immer wenigstens 
stark vermindern; sie sehen daher in demselben 
ein höchst empfehlenswerthes Anästhetikum. 

F. Frankenhäuser (Berlin). 


D. Serumtherapie. 

L. v. Behring, Beiträge zur experimentellen 
1 herapie« Heft 5. Tuberkulose. Einleitung 
von E. v. Behring. I. Thcil von E. v.Behring, 
P. Römer und W. G Ruppel. Marburg 1902. 
Selbstverlag von E. v. Behring. In Kom¬ 
mission der N. G. El wcrt'schen Verlagsbuch¬ 
handlung. 

Seitdem v. Behring in Stockholm seinen 
»Nobel« -Vortrag über die Bekämpfung der Tuber¬ 
kulose gehalten hat, wurden in der gesammten 
medicinischen Welt mit grösster Spannung die 
genaueren Mittheilungen über die Ergebnisse der 
Versuche erwartet, auf Grund deren v. Behring 
zu seinem zuversichtlichen Urtheil über die 
günstigen Aussichten einer Tuberkulosebekämpf¬ 
ung, zunächst beim Rind, gekommen ist. Diese 
Mittheilungen sind jetzt erschienen. Sie stellen 
dem Referenten die ausserordentlich schwierige 
Lage, aus der Fülle des Thatsachenmateriales, 
welches die Mittheilungen enthalten, das Wesent¬ 
lichste und Wichtigste zu entnehmen. Denn zum 
Vcrständniss der Behring'schen Versuche und 
ihres weiteren Ausbaues sind fast alle in der 
vorliegenden Publikation enthaltenen Angaben 
wesentlich und wichtig. Die Interessenten seien 
daher auf das Original verwiesen. An dieser 
Stelle mögen nur die grundlegenden Feststellungen 
und die leitenden Gesichtspunkte, welche 
v. Behring für die Tuberkulosebekämpfung 
beim Rind aufgestellt hat, skizziert werden. 


i v. Behring hat durch seine bisherigen Unter- 
| suchungen die Ucberzcugung gewonnen, dass es 
möglich ist, durch intravenöse Injektion von 
: Tuberkelbacillen Rinder gegen künstliche und 
natürliche Tuberkuloseinfektion immun zu machen. 
In der landwirthschaftlichen Praxis soll zur Schutz¬ 
impfung zunächst folgendes Verfahren eiprobt 
werden: 0,001 g einer 4—6 Wochen alten Serum- 
Tuberkelbacillenkultur, welche aus Sputum ge¬ 
wonnen und durch zahlreiche Generationen fort¬ 
gezüchtet wurde, wird einem auf Tuberkulin 
nicht reagierendem Rinde von 5—7 Monaten 
intravenös injiziert; 4 Wochen später bekommt 
dann das Rind eine 25mal grössere Dosis, also 
0,025 g derselben Kultur. Diese Art der Immuni¬ 
sierung nenntv.Behring Jenn erisation, da sic 
eine isopathiache Immunisierung vorstcllt wie die 
Jenner’sche Pockenimpfung und die Pasteur¬ 
sche Milzbrand- und Rotlaufschutzimpfung, 
v. Behring hebt hervor, dass im Prinzip sowohl 
die von menschlicher Tuberkulose wie die von 
perlsüchtigen Rindern herstammenden Tuberkel¬ 
bacillen dazu dienen können, ein Rind soweit 
tuberkuloseimmun zu machen, dass es die für die 
nicht vorbchandelte Kontrollerinder tödliche In¬ 
fektion mit Tuberkulosevirus übersteht Für die 
Praxis handelt es sich aber darum, die Schutz¬ 
impfung gegen die Tuberkulose so ungefährlich zu 
machen wie die Schutzpockenimpfung. Ein 
solches Verfahren glaubt v. Behring zu besitzen. 
Die Erfahrung soll nun darüber entscheiden, ob 
die nach der v.Behring'sehenMethode geimpften 
Rinder auch der natürlichen Infektion Stand zu 
halten vermögen. Zu diesem Zweck werden jetzt 
schon unter Mitwirkung beamteter Thierarzte 
Impfungen in landwirthschaftlichen Betrieben aus¬ 
geführt. 

Auf das engste verknüpft mit der Behring- 
schen Schutzimpfung gegen die Tuberkulose ist 
die Frage der Identität der Erreger der Menschcn- 
und Rindertuberkulose, v. Behring ist durch 
seine Versuche, wie er bereits in Stockholm be¬ 
richtet hat, zu dem Schlüsse gekommen, dass 
die Erreger der Menschen- und Rinder¬ 
tuberkulose identisch sind. Er hat ins¬ 
besondere festgestellt, dassdiemenschlichen 
Tuberkelbacillen mit positivem In¬ 
fektionserfolg auf das Rind übertragen 
werden können, und dass es möglich ist, dem 
Menschentuberkclbacillus durch geeignete Thicr- 
passageeine hoheRindervirulenz zu verleihen, 
v. Behring hebt hervor, dass seine Instituts¬ 
experimente durch die auf dem Londoner Tuber¬ 
kulosekongress bekannt gewordenen Arbeiten 
von R. Koch über die Virulenz unterschiede der 
vom Menschen und der vom Rinde herstammenden 
Tuberkulosekulturen eine sehr einschneidende 


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423 


Referat© über Bücher und Aufsätze. 


Acndcrung und eine wesentliche Förderung er¬ 
fahren haben. Denn die Marburger Instituts- 
vereuchc waren auf einem toten Punkt angelangt, 
weil cs mit den ausschliesslich verwendeten 
Tuberkelbacillen menschlicher Herkunft nicht 
möglich war, gesunde Kontrollrinder absolut 
sicher und in vcrhältnissmässig kurzer Zeit an 
Tuberkulose sterben zu lassen, v. Behring be¬ 
stätigt, dass es Tuberkulosekulturen giebt, welche 
mit aller Sicherheit bei jeder Art der Einver¬ 
leibung und in verhältnissmässig geringer Menge 
Rinder wenige Wochen nach der Infektion durch 
akute Miliartuberkulose der Lungen und Bauch¬ 
organe töten. Diese Kulturen ermöglichen nun¬ 
mehr die Prüfung, ob die schutzgeimpften Rinder 
thatsächlich eine Immunität gegen eine Tuber¬ 
kuloseinfektion besitzen oder nicht 

Uebcr die praktische Bedeutung der 
v. Behring’schen Schutzimpfung für die Be¬ 
kämpfung der Rindertuberkuloso ein Urtheil ab¬ 
zugeben, wäre heute verfrüht, v. Behring 
würdigt selbst eingehend die Unterschiede 
zwischen einer künstlichen und der natürlichen 
Tuberkuloseinfektion. Es ist aber zu hoffen, 
dass die ins Werk gesetzen praktischen Schutz¬ 
impf ^versuche in dieser zunächst für die Land¬ 
wirtschaft ausserordentlich wichtigen Frage in 
nicht allzu ferner Zeit die Entscheidung bringen 
werden. Ostertag (Berlin). 


Rahner, Zur Epidemiologie und Aetiologie 
des Keuchhustens, Aus dem hygienischen 
Institut der Universität Freiburg i. B. Archiv 
für Hygiene Bd. 40. Heft 1. 

Eine Keuchhustenepidemie, welche im 
Februar 1900 ganz unvermittelt nach längerer 
Pause in einer ziemlich isoliert gelegenen 
Scbwarzwaldortschaft ausbrach, bot Rahner 
Gelegenheit zu Studien über die Epidemiologie 
und Aetiologie der Pertussis. Es gelang mit 
Sicherheit die Einschleppung der Krankheit durch 
ein von ausserhalb zugezogenes Kind nachzu¬ 
weisen; die Ausbreitung auf die Nachbargemeinde 
erfolgte wahrscheinlich dadurch, dass die Insassen 
beider Dörfer, respektive deren Kinder, beim 
Besuch einer gemeinsam benutzten Kirche in 
nähere Berührung kamen. Die Jahreszeiten sind 
ohne Einfluss auf das Auftreten des Keuchhustens, 
doch üben ungünstige meteorologische Ver¬ 
hältnisse, namentlich schroffe Temperatur- und 
Feuchtigkeitswechsel, die in jeder Jahreszeit, be¬ 
sonders jedoch im Winter, auftreten können, eine 
Einwirkung auf die Krankheitsdauer und durch 
Begünstigung etwaiger Komplikationenauch auf 
die Mortalität aus. Geschlecht und Konstitution 
der Kinder spielen für die Empfänglichkeit keine 


Rolle, dagegen ist im Altersunterschied bezüglich 
der Mortalität stets eine gewisse Proportion zu 
erkennen, insofern, als die Sterblichkeit von 
Kindern unter einem Jahr zu derjenigen von 
älteren Kindern sich wie 2:1 oder 3:1 verhält 
Die Mortalität pertussiskranker Kinder unter 
einem Jahr beläuft sich auf l,ö —2,6% aller 
anderen Sterbefälle in dieser Altersklasse. 

Was die Frage nach der Aetiologie der 
Krankheit betrifft, so hält Verfasser den exakten 
Nachweis eines spezifischen Keuchhustenerregers 
auch durch die neuesten Arbeiten (Koplik, 
Zusch, Czaplewski, Hensel, Vincenzi, 
Luzzato, Buttermilch etc.) nicht für erbracht 
und die in dieser Richtung angestellten Unter¬ 
suchungen deshalb für äusserst schwierig, woil 
trotz sorgfältigster Waschung dem Auswurf 
immer noch zahlreiche, das bakteriologische Bild 
trübende Keime aus der Mundhöhle, der Nase 
und dem Rachen beigemengt sind; auch in 
seinen 30 Fällen konnte er einen morphologisch 
und biologisch charakteristischen Mikroorganismus 
nicht auffinden. Das Keuchhustenvirus sei mög¬ 
licherweise garnicht unter den Bakterien, sondern 
in der Gruppe der Protozoen zu suchen. 

Hirschei (Berlin). 

Schroeder, ZnmVorkommen der Eutertuber- 
kulose bei der Ziege. Zeitschr. f. Fleisch- u. 
Milchhygiene 1901. Juni. 

Schroeder publiziert in dieser Arbeit einen 
Fall von Tuberkulose bei einer Ziege: Lunge, 
Leber, Mesenterium, Lymphdrüscn zeigten die 
typischen Zeichen der Tuberkulose. Die rechte 
Euterhälfte war in einen Tumor mit zahlreichen 
Tuberkelknötchen verwandelt, deren Inhalt theils 
verkäst, theils verkalkt war. Der Fall lehrt, dass 
auch beim Genuss der Ziegenmilch dieselbe Vor¬ 
sicht beobachtet werden muss, wie bei der Rinder¬ 
milch, dass vor allem auch Ziegenmilch nie 
ungekocht getrunken worden darf; ausser¬ 
dem wäre zu wünschen, dass die Besitzer von 
Ziegenhccrden ihre Bestände regelmässig auf 
Tuberkulose untersuchen Hessen, um so die krank¬ 
heitsverdächtigen Thiere frühzeitig ausmerzen zu 
können. Gotthelf Marcuse (Breslau). 


E. Verschiedenes. 

Reichs -Medicinal- Kalender 1903. Begründet 
von Dr. Paul Börner. Verlag von Georg 
Thieme, Leipzig. 

Auch in diesem Jahre ist das vortreffliche 
Buch, welches für jeden praktischen Arzt ein un- 


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424 


Referate über Bücher and Aufsätze. 


entbehrliches, übersichtliches Notizbuch und ein 
überaus werthvoller Rathgeber geworden ist, mit 
gewohnter Pünktlichkeit erschienen. Da die in 
den Beiheften enthaltenen kurzen Aufsätze sich 
im wesentlichen nicht von den im vorigen Jahr¬ 
gange des Kalenders enthaltenen unterscheiden, 
so mochten wir diesmal uns darauf beschränken, 
die Leser unserer Zeitschrift auf das Erscheinen 
des Buches hinzuweisen. R. 


Kuligeh, Veber Kystrokopie. München 1900. 

Ein recht lesenswerther Vortrag, der in ob¬ 
jektiver Weise dem Praktiker die Fortschritte 
schildert, die dieses erst seit einem Vierteljahr¬ 
hundert bebaute Gebiet der Medicin für die 
Blasen- und Nierenkrankheiten, sowohl in dia¬ 
gnostischer, als therapeutischer Hinsicht, gebracht 
hat. Je mehr die Kenntniss davon in die Kreise 
der Aerzte dringt, wie durch derartige technisch 
vervollkommnet« Untersuchungsmethoden, die 
bei richtiger Handhabung absolut ungefährlich 
sind, die Frühdiagnose einer Reihe von Affek¬ 
tionen gefördert wird, um so seltener werden 
verschleppte Erkrankungen, die jeder Therapie 
trotzen, in unsere Hände gelangen, und um so 
erfolgreicher wird namentlich das operative Ein¬ 
schreiten sein. Wir müssen daher dem Ver¬ 
fasser Dank wissen, dass er sich in geschickter 
Weise der gestellten Aufgabe entledigt hat, in 
klarer und anschaulicher Darstellung dem Arzte, 
der bisher keine Gelegenheit gefunden hat, sich 
durch Lektüre oder eigene Thätigkeit über die 
Technik und die Bedeutung der Kystrokopie ein 
Urtheil zu bilden, einen Ueberblick darüber zu 
geben. P. F. Richter (Berlin). 


v. Notthaft und Kolluiann, Die Prophylaxe 
bei Krankheiten der Harnwege und des 
Geschlechtsapparates (des Mannes). Aus 
Nobiling-Jankau, Handbuch der Prophylaxe. 
München 1901. 

Es sind etwas heterogene Dinge, die in der 
Darstellung der beiden auf ihrem Spezialgebiet | 
bekannten Autoren zusammengefasst werden: 1 
die Prophylaxe des Diabetes mellitus unter dies | 
Kapitel zu subsummieren, erscheint wohl ge- j 
zwungen, und wenn schon diese Eintheilung ge- | 
wählt wurde, hatte dies so wichtige Kapitel j 
nicht in ganz unvollständiger Darstellung auf j 
einer(!) Druckseite abgehandelt werden dürfen. 

Auch sonst wird man über die Ausdehnung 
des »Begriffes Prophylaxe« mit den Autoren 


rechten dürfen: Wenn z. B. die Prophylaxe der 
chronischen Gonorrhoe als eine Prophylaxe durch 
die Behandlung der akuten Gonorrhoe aufgefasst 
und letztere ziemlich eingehend geschildert wird, 
so möchte Referent auch die Meinung vertreten, 
dass das nicht gerade in den Rahmen des Buches 
passt, wie denn die Verfasser selbst erklären, 
»es wäre nicht ihre Aufgabe, die Behandlung 
der Gonorrhoe in erschöpfender Weise darzu¬ 
stellen«. Andrerseits gehört doch zur »Prophylaxe 
der Harnkrankheiten« eine sorgfältige Des¬ 
infizierung der nothwendigen Instrumente, 
namentlich des Katheters, und gerade eine Dar¬ 
stellung dieses so eminent wichtigen Kapitels 
vermisst Referent. 

Wenn sich somit Referent mit der gewählten 
Eintheilung des Stoffes — er will es an den 
beiden Beispielen genügen lassen — gar nicht 
befreunden kann, so enthält das Büchlein doch 
eine reiche Anzahl von praktischen Winken, die 
es dem Arzte immerhin empfehlcnswerth er¬ 
scheinen lassen. P. F. Richter (Berlin). 


Wir erhalten folgende Zuschrift: 

Geehrte Redaktion! 

Im 4. Hefte des VI. Bandes Ihrer geschätzten 
Zeitschrift findet sich ein Referat Linow’s über 
eine Arbeit des Dr. A. Loebel, in welchem der 
Referent ein Citat des genannten Autors aus 
meinem »Handbuche der Massage und Heil¬ 
gymnastik« anführt und mit Recht skeptisch be- 
urtheilt Loebel schreibt nämlich: 

»Viel verlässlicher ist dies (nämlich die 
Differentialdiagnose), wie Bum bemerkt, 
traumatischen Neurosen gegenüber, wo 
jede Uebertreibung und Simulation durch 
die ziffermässigen Aufschlüsse bezüglich 
der Muskelfunktion aufgedeckt werden 
können. (Klin.-therap. Wochenschrift 1901. 
S. 1089.)« 

Die betreffende Stelle in meinem Handbuche 
(I. u. II. Aufl. S: 135, III. Aufl. S. 138) lautet 
dagegen wörtlich: 

»Der sog. traumatischen Neurose gegen¬ 
über ist die maschinelle Heilgymnastik 
insofern diagnostische Dienste zu leisten 
im stände, dass sie einerseits bezüglich der 
Muskelfunktion genaue, ziffermässig belegte 
Aufschlüsse zu geben, andererseits jeder 
Uebertreibung und Simulation in dieser 
Richtung entgegenzutreten vermag.« 

Mit der Bitte, dieser Richtigstellung Raum 
zu gewähren ergebenst 

Dr. Anton Bum. 


Berlin, Druck von W. Büxenstein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 8 (November). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und PrivtDoc. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. seit© 

I. Ucber den Unterricht in der Diätetik. Von Prof. Dr. Moritz in Greifswald.427 

II. Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. Von Dr. Max Weinberger, 

leitendem Arzt der Dr. Rcnner’schen Wasserheilanstalt in Budapest.429 

111. Zur Physiologie und Technik der Heissluftbchandlung. Aus dem Institute für Mechano- 
therapie des Dr. A. Bum in Wien. Von Dr. Robert Grünbaum, Assistent des 
Institutes. Mit 8 Abbildungen.439 

EL Kritische Umschau. 

Ueber Nahrung und Ernährung. Von Dr. B. La quer in Wiesbaden.453 


III. Kleinere Mittheilungen. 

Eine alte diätetische Behandlung des akuten Schnupfens. Von Privatdozent Dr. Maximilian 

Sternberg in Wien.457 


IV. Berichte über Kongresse und Vereine. 

I. Aus der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 

22.-28. September 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.459 

II. Bericht über den zweiten internationalen Kongress für mcdicinische Elektrologie und 

Radiologie zu Bern. 1.—6. September 1902. Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann 
in Breslau. (Fortsetzung und Schluss).466 


V. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Crem er und Henderson, Ein experimenteller Beitrag zur Lehre vom physiologischen 


Ei weissminiraum.477 

Lusk, Ueber Phloridzindiabetes.477 

Krüger, Zur quantitativen Pepsinwirkung.477 

Krüger, Weitere Beobachtungen über die quantitative Pepsinverdauung.478 

Neuburger, Die Anschauungen über den Mechanismus der spezifischen Ernährung (das 

Problem der Wahlanziehung).478 

Schilling, Taschenbuch über die Fortschritte der physikalisch-diätetischen Heilmethoden . 478 
Mladejovsky, Ueber eine neue Entfettungsmethode.178 

Zeitscbr f. diüi. u. phyaik. Therapie Bd. VI. Heft 8 «o 


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Inhalt. 


426 


Seit« 

B. Gymnastik, 

Morris, The Symptoms and treatment of moveable kidney.479 

Königstein, Ueber Belastungstherapie.480 

C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Jaquet und Stähelin, Stoffwechselversuche im Hochgebirge.481 

Erb, Winterkuren im Hochgebirge.481 

Hamm, Die Behandlung des chronischen trockenen Mittelohrkatarrhs durch Sitzungen in 

der pneumatischen Kammer.482 

Alter, Versuche mit zellenloser Behandlung und hydrotherapeutischen Maassnahmen . . . 483 

D. Elektrotherapie. 

Speck, Abkühlung, Lichtwirkung und Stoffwechselbeschleunigung.483 

Kraft, Die Röntgenuntersuchung der Brustorgane.484 

Krukenberg, Ueber die Behandlung des Ersysipels im rothcn Zimmer.484 

Cleaves, Betton Massey, Beck, Greenleaf, A Symposium on the treatment of cancer 

by Röntgen rays, light and electricity.485 

Krebs, Elektrisches Glühlicht und innere Infektion.485 

Sack, Ueber das Wesen und die Fortschritte der Einsen’sehen Lichtbehandlung .... 480 

E. Serum- und Organotherapie. 

Fi bi n ge r und Jcnsen, Ucbertraguug der Tuberkulose des Menschen auf das Rind . . . 486 

Heller, Ueber die Tuberkuloseinfektion durch den Verdauungskanal.486 

Schottelius, Versuche über Fütterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern.486 

F. Verschiedenes. 

Schreiber und Hagenberg, Zur Lehre vom Aderlass.487 

Roth, Zöllnergedanken über lleilkunst — auch für Pharisäer.487 

Simon, Eine neue rationelle Methode zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht .... 488 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 1 /a — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn 
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten. 


I. 


Ueber den Unterricht in der Diätetik. 

Von 

Professor Dr. Moritz 
in Greifswald. 


Der zur Zeit übliche Unterricht in der Diätetik entspricht nicht der ganz un¬ 
bestrittenen Bedeutung, die der Ernährungslehre für die Therapie zukommt, geschweige 
denn, dass er mit der Ausführlichkeit wetteifern könnte, mit der diätetische Dinge 
heutzutage in der Litteratur behandelt werden. Wenn man bedenkt, wie viel werth¬ 
voller für eine grosse Reihe von Erkrankungen eine richtige Ernährung als eine 
medikamentöse Therapie ist, und wie nur bei wenigen Krankheiten auf eine besondere 
Gestaltung der Diät ganz verzichtet werden kann, so ist es gewiss nur logisch und 
nothwendig, dass dem Unterricht in der Diätetik nicht geringere Sorgfalt zugewandt 
werde, als dem Unterricht in der Arzneimittellehre. Es genügt nicht, dass in der 
Klinik gelegentlich Hinweise auf diätetische Regeln gegeben werden, ebensowenig 
wie in solcher Weise der pharmakologische Unterricht genügend ertheilt werden 
könnte. Es muss vielmehr dem Studierenden Gelegenheit gegeben werden, sich in 
zusammenhängenden Vorlesungen über diätetische Dinge zu unterrichten. Solche 
Vorlesungen werden jedoch nur an einer Reihe unserer Universitäten gehalten; wo 
sie aber stattfinden sind sie — und das ist meines Erachtens der wundeste Punkt — 
fast ausschliesslich theoretischer Natur, obwohl die Diätetik einer demonstrativen 
Behandlung durchaus zugänglich ist. 

Das wissenschaftliche Fundament der Ernährungslehre wird den Studierenden im 
ganzen wohl ausreichend gegeben. Dafür sorgen die Vorlesungen über die Physiologie 
des Stoffwechsels und der Ernährung und die Klinik der Stoffwechselkrankheiten. 
Damit allein ist aber dem Arzte nicht gedient. Der Arzt braucht ebensosehr Kennt¬ 
nisse über die praktisch-technische Seite der Diätetik. Die wissenschaftliche Er- 
nährungs- und Stoffwechsellehre befasst sich mit dem Schicksal der einzelnen 
Nahrungsstoffe, der Eiweisskörper, Fette, Kohlehydrate u. s. w. im Körper. Unter 
diesem in gewissem Sinne nivellierenden Gesichtspunkt verflüchtigt sich aber die 
Individualität der einzelnen Nahrungsmittel und erst recht die Individualität ihrer 
Produkte, der Speisen. Gerade die Individualität der Speisen aber, ihre so ver¬ 
schiedene Bewerthung für den kranken Körper nach Nährwerth, Bekömmlichkeit und 
Nebenwirkungen ist es, mit der der Arzt auf das Genaueste vertraut sein muss. 
Man muss es von ihm verlangen können, dass er über die Zulässigkeit ganz be¬ 
stimmter Speisen bei einer Erkrankung ein begründetes Urtheil habe. Ein solches 
lässt sich aber nicht gewinnen ohne Kenntniss von der Zusammensetzung der be¬ 
treffenden Speise aus bestimmten Nahrungsmitteln und ohne Verständniss für die bei 
der Bereitung der Speise erfolgenden Vorgänge. In dieser Beziehung darf bei den 

30 * 


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428 Moritz, Uebcr den Unterricht in der Diätetik. 

Studierenden nichts vorausgesetzt werden. Es fehlen ihnen häufig auch die ein¬ 
fachsten Kenntnisse über die Zusammensetzung und Beschaffenheit der Nahrungs¬ 
mittel und die Veränderungen, die sie durch ihre Zubereitung zu Speisen erfahren. 
Und es wäre eine Illusion, wollte man annehmen, dass die Studierenden solche 
Kenntnisse sich privatim durch eine doch meist trockne Lektüre aneignen würden. 
So kommt es, dass die Aerzte nicht aussterben, deren diätetisches Glaubensbekenntniss 
mit »gebratenes Fleisch, nichts Saures und nichts Fettes« erschöpft ist, die einer 
konkreten Feststellung eines Speisezettels möglichst aus dem Wege gehen, und bei 
jeder diätetischen Schwierigkeit zu einem »Nährpräparat« ihre Zuflucht nehmen. 

Man sollte, wie ich glaube, dem hier vorliegenden Unterrichtsbedürfniss dadurch 
zu genügen suchen, dass man für die Studierenden »Kurse der praktischen Diätetik« 
einrichtet, in denen dieselben auch etwas zu sehen bekommen. Solche Kurse 
würden eine Vereinigung theoretischer Ausführungen über diätetische Grundfragen 
mit demonstrativen Vorführungen darstellen, welch’ letztere sich nicht nur auf die 
originäre Beschaffenheit der wichtigsten Nahrungsmittel und Nährpräparate, sondern 
auch auf ihre Umformung zu Speisen zu beziehen hätten. Es wäre den Studierenden 
also geradezu etwas vorzukochen, ihnen die Herstellung der für die Krankenernährung 
wichtigsten Speisen zu zeigen, die Prinzipien ihnen darzulegen, nach denen eine Speise 
gelockert, weicher und dadurch »leichter verdaulich« gemacht werden kann, und 
andererseits ihnen zu demonstrieren, wie bei gewissen Zubereitungsarten aus denselben 
Ingredienzien, aus denen man »leichte« Gerichte machen kann, »schwere« werden, 
ihnen anzuführen, wie man wenig nahrhafte Speisen, z. B. Suppen, in zweckmässiger 
Weise anreichert, wie man mit gewissen einfachen Nahrungsmitteln, wie z. B. Milch 
und Eiern, durch eine passende Form der Darreichung dasselbe und mehr ausrichtet, 
als mit den industriellen Nährpräparaten, und vieles andere mehr. Es ergiebt sich 
dabei beständig Gelegenheit, bei bestimmten Speiseformen auf die Krankheitszustände 
hinzuweisen, bei denen sie in Anwendung zu bringen sind, und umgekehrt auch von 
dem Gesichtspunkte bestimmter Krankheitszustände aus die diätetischen Regeln zu 
erörtern, die bei ihnen in Frage kommen, und die Speisen anzuführen, die dabei 
besonders indiziert oder kontraindiziert sind. So werden herüber und hinüber 
Brücken von der Küche zur Klinik und von der Klinik zur Küche geschlagen und 
damit die beiden Gebiete fest verbunden. Dem Studierenden wird auf diese Weise 
der Kurs, weil abwechselnd, interessant und unterhaltend. Besser wäre freilich 
noch, wenn man dem Studierenden selbst den Kochlöffel in die Hand geben könnte. 
Wer chemisch arbeiten gelernt hat, dem ist die Technik des Kochens schon halb 
vertraut, und es ist deren Beherrschung bis zu einem gewissen Grade sicher für den 
Arzt ein nicht zu unterschätzender Vortheil. Es ist damit ebenso, wie mit der 
Dispensierkunde, zu deren technischer Erlernung man dem Studierenden ja auch 
Gelegenheit giebt. Indessen wird ein solches Unternehmen in der Regel an unzu¬ 
länglichen Einrichtungen sowie daran scheitern, dass die Studenten für einen Kurs, 
in dem sie selbst Hand anlegen, die nöthige Zeit kaum erübrigen werden. Eine 
Veranstaltung aber, wie ich sie soeben zu skizzieren versuchte, beansprucht nicht 
allzuviel Zeit. Ich habe im Wintersemester 1901/02 in München einen derartigen 
»Kurs der praktischen Diätetik« gehalten. Es wurde im Hörsaale auf einem kleinen 
transportabeln Gasherde mit einer ad hoc beschafften einfachen Kücheneinrichtung 
gekocht. Dank dem verständnissvollen Entgegenkommen der Oberin des Rothen 
Kreuzes in München, Clementine von Wallmenich, konnte ich zu diesem Zwecke 
über die Küchenschwester des Rothen Kreuzes verfügen. Wenn mir gelegentlich der 


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Max Weinberger, Uebcr die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. 4 2!) 

Gedanke gekommen war, dass der Versuch, die Küche in den Hörsaal zu verpflanzen, 
sich deplaziert ausnehmen könnte, so bewies der Erfolg, dass diese Besorgniss un¬ 
begründet war. Der Kurs erfreute sich eines regen Besuches und anhaltenden 
Interesses sowohl seitens der Studierenden als auch seitens einer Reihe von Aerzten, 
und ich glaube annehmen zu dürfen, dass durch ihn etwas Nützliches geleistet wurde. 
Im ganzen wurde der Lehrgang eingehalten, wie ep meinen »Grundzügen der Kranken¬ 
ernährung« zu Grunde liegt. Es zeigte sich, dass wöchentlich l'/a Stunden (zusammen¬ 
hängend) genügten, um einen Ueberblick über das ganze Gebiet zu geben. 


XI. 

Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis 1 ). 

Von 

Dr. Max Weinberger, 

leitendem Arzt der Dr. Renner’schen Wasserheilanstalt in Budapest. 

Kaum 22 Jahre sind verflossen, seitdem Beard’s grundlegendes, in englischer 
Sprache geschriebenes Werk erschien, in welchem er die in Folge nervöser Ermüdung 
und Hyperästhesie auftretenden kaleidoskopartigen Symptome zusammenfasste, und 
sie als selbstständiges Ganzes von anderen, mit ähnlichen Symptomen einhergehenden 
Nervenkrankheiten (Hysterie, Hypochondrie) absonderte, und so den Begriff der 
Neurasthenie schuf. 

Nach Beard befasste sich ein ganzes Heer der Forscher mit der Neurasthenie; 
fast unübersehbar ist die Zahl der Publikationen, die die Fachlitteratur in den letzten 
Jahren auf diesem Gebiete produzierte, und die in immer gesteigertem Maasse auch 
jetzt produziert wird. Man suchte die Veränderungen, die im stände wären, die 
Symptome dieser Krankheit zu erklären, und fand sie nicht. Man -stellte Hypothesen 
auf, die diese ohne jede anatomische Veränderung zustandekommenden funktionellen 
Störungen erklären sollten, und war nicht im stände, eine andere annehmbare Er¬ 
klärung zu finden, als die Annahme der Ermüdung, mit welcher sich im Haushalt 
des menschlichen Organismus eo ipso gewisse chemische Prozesse abspielen. Die 
Wirkung dieser Prozesse auf das Nervensystem, so stellte man sich die Sache vor, 
löst dann die neurasthenischen Symptome aus. 

Obzwar uns diese Erklärung nicht vollauf befriedigen kann, und obzwar die 
riesige Verbreitung der Neurasthenie es sehr wünschenswerth erscheinen lässt, dass 
man ihr Wesen gründlicher erkenne, können wir doch mit Zufriedenheit auf jene 
Erfolge zurückblicken, die wir dem erwähnten vielseitigen wissenschaftlichen Interesse 
verdanken; ich verstehe hierunter die Zunahme der Erkenntniss auf dem Gebiete der 
Aetiologie, des Verlaufes und der Therapie der Neurasthenie. Kennen wir die Krank¬ 
heitsursachen, so wird es leichter sein, sich gegen sie zu vertheidigen, und die Pro¬ 
phylaxe tritt zur rechten Zeit in ihre Rechte. Kennen wir die Krankheitssymptome 

i) Vortrag, gehalten im 12. ungarländischcn Baineologenkongress in Budapest. 


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430 Max Weinberger 

und den Verlauf, so werden wir uns in der Diagnose durch das Prävalieren einzelner 
Symptome nicht beeinflussen und irreführen lassen, wie das, um nur ein Beispiel zu 
erwähnen, sehr häufig geschah, bevor Stiller das Wesen der Dyspepsia nervosa er¬ 
kannte und beschrieb. Was schliesslich die Therapie der Neurasthenie anbelangt, 
so konnte ich schon auf dem vor zwei Jahren gehaltenen Kongresse über meine dies¬ 
bezüglichen Erfahrungen Bericht erstatten, und schon damals habe ich hervorgehoben, 
dass wir mit Benutzung physischer, sowie diätetischer, hydriatischer Hilfsmittel, wie 
speziell heimischer Kurorte, über genügende Mittel zur Heilung der Neurasthenie 
verfügen, wenn die moralische und materielle Möglichkeit der Anwendung derselben 
gegeben ist. 

Nun gehe ich zur Besprechung einer Abart der Neurasthenie, der Neurasthenia 
sexualis über, insofern dies der enge Rahmen der für die Vorlesung zugemessenen 
Zeit erlaubt. 

Die Benennung »Neurasthenia sexualis« findet sich schon im ersten Werke 
Beard’s. Doch gruppierte und behandelte Beard unter dieser Benennung nicht 
die gegenwärtig unter diesem Sammelnamen zusammengefassten Krankheiten, sondern 
wies nur im allgemeinen darauf hin, dass auch im Geschlechtsleben jeder anatomischen 
Grundlage entbehrende, rein funktionelle Störungen auftreten. Diese können als 
Krankheitsursachen der allgemeinen Neurasthenie oder als begleitende Symptome 
auftreten, sind aber mit dieser nicht zu verwechseln, weil sie eine von dieser ganz 
selbstständige Krankheit darstellen; sowie zum Beispiel die Neurasthenie von der 
Hysterie, oder der Hypochondrie, oder von anderen, schon mit organischen Ver¬ 
änderungen einhergehenden Erkrankungen des Nervensystems strenge abzusondern ist 

Nach Beard befassten sich viele hervorragende Forscher mit dem Studium der 
Neurasthenia sexualis, jedoch ist deren Ansicht über Ursprung und Wesen der unter 
diesem Namen zusammengefassten Krankheiten nicht immer übereinstimmend. Krafft- 
Ebing z. B. stellt die Formen der Neurasthenia sexualis in eine gewisse Reihenfolge, 
und als erste derselben nimmt er die durch geschlechtliche Abusus — Onanie — 
hervorgerufene gesteigerte Reizbarkeit des Ejakulationscentrums an, als Grundlage der 
sich entwickelnden lokalen Neurose. Treten nun die hiermit einhergehenden lokalen 
Parästhesieen und die gesteigerten Pollutionen in noch höherem Maasse auf, gesellen 
sich zu diesen Symptomen auch schon vom lumbalen Theile des Rückenmarkes aus¬ 
gehende Störungen hinzu, welche in Form von Ejaculatio praecox, Spermatorrhoe, 
nervöser Impotenz auftreten, dann haben wir es mit dem zweiten Stadium zu thun, 
welches Krafft-Ebing als Spinalneurose bezeichnet. Als drittes Stadium bezeichnet 
er die Corebrospinalneurose, bei welcher die weitausgebreiteten cerebralen und 
spinalen Symptome der Neurasthenie gemeinsam auftreten, und welcher Krankheits¬ 
prozess nur bei belasteten Individuen vorkommt. Während Krafft-Ebing also das 
schwerste Stadium der Neurasthenia sexualis nur bei nervös belasteten Individuen 
in Begleitung von anderen neurasthenischen Symptomen (nervöse Dyspepsie, kardiale, 
cerebrale und spinale Symptome) auftretend auffasst, sondert Bouveret die Neurasthenia 
sexualis strenge ab mit der Begründung, dass hierher nur solche Fälle zu zählen 
sind, deren Grundlage in den Genitalien aufgetretene Krankheiten oder Störungen 
sind. Er bestreitet also die Existenz einer als Theilerscheinung der allgemeinen 
Neurasthenie auftretenden sexualen Neurasthenie. Im Gegensätze zu ihm finden wir 
Fürbringer, welcher erklärt, dass die sexuelle Neurasthenie eine Form der Neuro¬ 
pathie sei, die meistens, wenn auch nicht immer, die Folge pathologischer sexueller 
Zustände ist, und bei welcher die sexuellen Störungen und Symptome über die anderen 


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Ueber die physikalische Therapie der Nenrasthenia sexualis. 431 

nervösen Symptome prävalieren, ja manchmal als die einzigen Symptome der be¬ 
stehenden Neuropathie auftreten. 

Aehnlich wie Fürbringer definiert Eulenburg die Neurasthenia sexualis, indem 
er jene neurasthenischen Zustände hierher zählt, bei welchen die beiden Kardinal¬ 
symptome der Neurasthenie: die Reizbarkeit und die rasche Erschöpfung, primär 
oder hauptsächlich in der Sphäre der Genitalnerven auftreten. 

Sehr treffend ist die Definition Löwenfeld’s, nach welcher das Krankheitsbild 
der Nenrasthenia sexualis entweder blos durch sexuelle Störungen zu stände kommt, 
oder diese wenigstens unter den anderen Symptomen vorherrschen; doch giebt er zu, 
dass die Neurasthenia sexualis nicht ausschliesslich eine Folge von in der Geschlechts¬ 
sphäre aufgetretenen Störungen oder Krankheiten sein muss. Andrerseits erklärt er 
sehr richtig, dass die sexuellen Störungen andere nervöse Störungen verursachen 
können, so z. B. im Magen, am Herzen, und so wieder die Grundlage einer all¬ 
gemeinen Neurasthenie bilden können. 

Bins wanger erklärt in seinem über die Pathologie und Therapie der Neurasthenie 
geschriebenen grossen Werke, dass die in der Geschlechtssphäre auftretenden Störungen 
den anderen zum Krankheitsbilde der allgemeinen Neurasthenie gehörigen funktionellen 
Störungen gleichwerthig, und in der grössten Zahl der Fälle sekundären Ursprungs 
sind. Er hebt also unter der Benennung Neurasthenia sexualis nur jene kleine Gruppe 
aus der allgemeinen Neurasthenie hervor, wo man ohne Rücksicht auf die gegen¬ 
wärtigen Klagen des Kranken beweisen kann, dass die ersten Symptome der Er¬ 
krankung in der Genitalsphäre aufgetreten sind, und dass der neurasthenische All¬ 
gemeinzustand eine Folge der »lokalen Genitalneurose« ist. 

Diese Abgrenzung halte ich meinerseits für zu enge; es gelingt auch nicht 
immer, zu bestimmen, dass thatsächlich die Genitalneurose die Grundlage der 
Neurasthenia sexualis war. Denn wenn sich der Patient dem Arzt mit Sperma- 
torrhoe, oder Ejaculatäo praecox, oder mit der Klage über Impotenz vorstellt, findet 
man in sehr vielen Fällen noch viele andere Symptome der allgemeinen Neurasthenie, 
bezüglich deren der Kranke anerkennt, dass sie schon seit langer Zeit bestehen, 
deretwegen er aber es nicht für »der Mühe werth« hielt, sich an einen Arzt zu 
wenden. Hingegen hatte ich unter meinen Patienten Fälle von Spermatorrhoe, bei 
denen ich von Charcot’s sieben Kardinalsymptomen der Neurasthenie blos dieses 
eine als für eine Störung des Genitalsystems charakteristische Symptom finden konnte, 
und kein zweites finde, wenn ich die durch das Bestehen der Spermatorrhoe hervor¬ 
gerufene Niedergeschlagenheit nicht etwa hierherzählen wollte. Doch musste ich die 
Diagnose auf Neurasthenia sexualis stellen, weil weder lokale anatomische Veränderungen 
oder Krankheiten, noch konstitutionelle Erkrankungen vorhanden waren, welche die 
Insufficienz der Ductus ejaculatorii aus anderen Ursachen, als aus Ursache der 
Neurasthenie, erklären hätten können. 

Solche Fälle sind jedoch selten, wenigstens kommen sie in meiner Praxis nur 
sporadisch vor. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Störungen in der 
Genitalsphäre finden wir auch die anderen Symptome der Neurasthenie. Bildete nun 
aber die primäre lokale Genitalneurose die Grundlage der vorhandenen Neurasthenie, 
oder treten die sexuellen Störungen erst später, im Krankheitsbilde der schon vor¬ 
handenen Neurasthenie, auf, — gleichviel, ich verbuche alle jene Fälle, bei denen 
die sexuellen Symptome über die anderen nervösen Symptome prävalieron, mit der 
Diagnose der Neurasthenia sexualis. 

In den letzten vier Jahren fanden sich in der Dr. Renner’sehen Wasserheil- 


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Max Wcinbergw 


432 

anstalt unter 1326 nervösen Kranken 410 solche, in deren Krankheitsbild die 
sexuellen Störungen so dominierten, dass man sie direkt wegen derselben zu uns 
schickte, oder sie — in unvcrhältnissmässig geringer Zahl — spontan die Heil¬ 
anstalt aufsuchten. 

Selbstverständlich befanden sich unter diesen keine solchen Fälle, in welchen 
eine noch bestehende Erkrankung der Genitalien die Ursache der Spermatorrhoe 
oder der Impotenz war, weil wir solche als ins Wirkungsgebiet des Urologen oder 
Chirurgen gehörend zur Behandlung nicht annahmen; so zählten auch jene Fälle von 
Impotenz nicht hierher, deren Krankheitsursache Tabes oder Diabetes war. 

♦ • 

♦ 

Nun gehe ich zur Besprechung der Krankheitsformen der Neurasthenia sexualis 
über. Zwischen diesen strenge Grenzen zu ziehen, wie das Krafft-Ebing thut, ist 
gewöhnlich undurchführbar, da ja häufig eine Krankheitsform ohne jede Abgrenzung 
in eine andere übergeht oder mit ihr gemeinschaftlich auftritt. Aber einer gewissen 
Reihenfolge zu Liebe und schon ihrer grössten Häufigkeit halber will ich mich zu¬ 
erst mit den pathologischen Samenverlusten beschäftigen. Sie treten in zwei 
Formen auf: in der Form der zu häufigen Pollutionen und in Form der Spermatorrhoe. 

Betrachten wir zuerst die zu häufigen Pollutionen. Bis zu welcher^Grenze die 
Pollutionen normal sind, und wann wir sie als pathologisch aufzufassen haben, dies¬ 
bezüglich brauchen wir wohl keine Bestimmung aufzustellen. Thatsache ist, dass 
manche Neurastheniker schon dann mit der Klage über pathologische Pollutionen 
kommen, wenn sie in 1 — 2 Wochen einmal eine Pollution haben. Und hier kann 
ich durch meine eigene Erfahrungen nur bestätigen, was Cur sch mann behauptet, 
dass solche Individuen vor dem Arzte nur darum so sorgsam ihre pathologischen 
Pollutionen hervorheben, weil sie hiermit genügende Daten behufs der einzuschlagen¬ 
den Therapie zu liefern glauben, ohne einzugestehen, dass sie selbst durch Onanie 
die pathologischen Samenverluste hervorriefen. Solche Patienten kennen fast aus¬ 
wendig den Inhalt des »Selbstschutzes« oder eines anderen populären Rathgebers, 
ihre ganze Gedankenwelt ist erfüllt von dem Bewusstsein der begangenen Sünde, und 
die Furcht vor den Folgen treibt sie zum Arzte. Gewöhnlich ist bei ihnen die 
allgemeine Neurasthenie schon entwickelt, und ich bin viel eher geneigt, als Ursache 
derselben durch Lektüre solcher Reklamelitteratur hervorgerufene Gemüthsein- 
wirkungen und die ewigen Gewissensbisse anzunehmen, als die durch die Onanie 
hervorgerufene allgemeine Schwäche. 

Ich kenne einen Mann von 49 Jahren, der mir gestand, schon im 11. Lebens¬ 
jahre mit der Onanie begonnen zu haben, er trieb sie in »schrecklichem Maasse« 
sechs Jahre hindurch, ging dann zum normalen Coitus über; excedierte auch hierin 
immer, ohne (trotz seines verhältnissmässig hohen Alters) an seiner Potenz bisher 
etwas eingebüsst zu haben, ja er war nicht einmal neurasthenisch zu nennen. 

Mit diesem Beispiele will ich jedoch durchaus nicht die schädlichen Folgen 
der Onanie leugnen, denn nicht jeder Organismus ist Schädlichkeiten _ gegenüber 
gleich widerstandsfähig; ich will hier nur darauf hinweisen, wie sehr psychische 
Schädlichkeiten (z. B. die Lektüre solcher Reklamebücher) im stände sind, aus der 
Onanie-Neurose eine allgemeine Neurasthenie zu machen. 

Die vom Patienten angegebene Zahl der Pollutionen wird uns um so weniger 
in der Beurthcilung der Schwere des Falles beeinflussen, als ja der nervöse Kranke 
gewöhnlich übertreibt, um grösseres Mitleid zu erwecken oder um seinen Arzt da- 


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lieber die physikalische Therapie der Neurasthenia scxualis. 433 

durch zu sorgsamerer Behandlung anzuspornen. Viel wichtiger ist zu eruieren, unter 
welchen Umständen die Pollutionen auftreten. Die unschuldigsten, und oft als 
physiologisch anzusehen sind diejenigen, welche nach etwas reichlicherem Nachtmahl 
früh zu Bette Gegangene heimsuchen, oder nach abendlichem reichlichem Genüsse 
geistiger Getränke auftreten, endlich diejenigen, wo der Patient bei Eintritt der 
Pollution mit dem Bewusstsein erwacht, einen aufregenden Traum mit Erektion 
gehabt zu haben. Diese Fälle sind nur dann als pathologisch zu betrachten, wenn 
sich die Pollution innerhalb einer Woche trotz Ausübung des Coitus öfter wiederholt. 

Bedenklicher sind schon die während des Nachmittagsschläfchens auftretenden 
Pollutionen, die oft nicht vom Bewusstsein der Erektion begleitet sind; noch schwerere 
Fälle sind jene, bei welchen im wachen Zustande, während Unterhaltung oder 
Scherzens mit einem Weibe, oder gar bei Lektüre pikanter Bücher die Pollution 
auftritt; diese letzteren Fälle jedoch bin auch ich geneigt, für Bemäntelung der 
Onanie anzusehen. Nicht selten sind jedoch auch solche Klagen, dass die Pollution 
beim Fahren auf der Eisenbahn oder auf anderen Wagen, mit geringer oder ganz 
fehlender Erektion auftritt. Ich behandelte einen jungen Mann, welcher angab, dass 
bei ihm beim Fahren im Omnibus ohne Erektion, mit geringem Orgasmus, Pollutionen 
auftreten. Dass in solchen Fällen die Neurasthenia sexualis mit einer Myelasthenie 
kombiniert ist, ist selbstverständlich und bedarf keiner Erklärung; diese Fälle ge¬ 
langen schon mehr in Folge der hier immer vorhandenen Impotenz höheren oder 
niedrigeren Grades in Behandlung. 

In der Aetiologie der pathologischen Pollutionen — andere, zu Pollutionen 
führende Krankheiten sind hier natürlich ausgeschlossen — steht die Onanie an 
erster Stelle. Sie ruft Ermüdung und Ueberempfindlichkeit sowohl des cerebralen 
als des spinalen Nervensystems hervor. Diese Ermüdung kann jedoch auch infolge 
der allgemeinen Neurasthenie eintreten, ob nun dieselbe eine angeborene, oder er¬ 
worbene Grundlage haben mochte. Dass auch Excessus in venere Ermüdung und 
Ueberempfindlichkeit des Genitalcentrums und so sekundäre pathologische Samen¬ 
verluste hervorrufen kann, wird blos von Gyurkovechky geleugnet. Aber ob nun 
die Onanie, ob Excesse in venere die primäre Ursache der Erschöpfung waren, oder 
ob die pathologischen Samenverluste Folgen der primären allgemeinen Neurasthenie 
sind, immer ist es in erster Reihe die Neurasthenie, die wir behandeln müssen. Be¬ 
züglich der Behandlung der Neurasthenie will ich nicht wiederholen, was ich hier 
vor zwei Jahren darüber gesprochen; darum will ich nur kurz erwähnen, dass unser 
Vaterland reich ist an solchen Kurorten, wohin wir derartige Kranke schicken können. 
Die Tiitra, mit ihrer herrlichen Luft, ihren Gebirgsspaziergängen, mit ihren nüchtern 
angewendeten diätetischen und hydriatischen Kuren; der Plattensee mit seinem 
milderen Klima, mit seinen vortrefflichen, stärkenden Bädern; unsere Kohlensäure- 
und Eisenbäder mit ihren Trinkkuren und ihren nervenstärkenden Badekuren sind 
alle segensreiche Heilfaktoren in der Behandlung solcher Kranker. Jene Kranken 
jedoch, die im Sommer keinen Badeort aufsuchen können, sind in den Wasserheil¬ 
anstalten durch Anwendung der entsprechenden Prozeduren mit Erfolg zu behandeln. 
Bei weniger aufgeregten Individuen werden wir von kalten Leintuchabreibungen 
guten Erfolg sehen, während es bei schwächeren, sensibleren Personen angezcigt ist, 
die Kur mit Halbbädern von 32—28° C einzuleiten, und erst dann zu den Leintuch¬ 
abreibungen überzugehen Einer sehr ausgebreiteten Anwendung erfreuen sich auch 
kühle (25 —20" C) Sitzbäder von kurzer Dauer, welche ich in jedem solchen Falle 
nebst den früher erwähnten Prozeduren mit Erfolg anwendete. 


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434 Max Weinberger 

Ein wirksames Heilmittel der Pollutionen ist auch der W intern itz 'sehe 
Psychrophor; bei Anwendung desselben ist es jedoch sehr angezeigt, Brick's 
Weisungen zu beherzigen. Br ick empfiehlt in den Fällen, in denen eine hoch¬ 
gradige lokale Empfindlichkeit besteht, den kalten Psychrophor von 18° C absteigend 
10—15 Minuten lang anzuwenden; wo hingegen vollständige Unempfindlichkeit be¬ 
steht, dort lässt er Wasser von 38° C 5 Minuten hindurch durch den Psychrophor 
fliessen. Bei einem solchen Verfahren können wir ohne weiteres und mit gutem 
Erfolge zur Heilung pathologischer Samenverluste den Psychrophor anwenden. Eine 
Ausnahme bilden die bei den sogenannten »Tripperneurasthenien« bestehenden Pollu¬ 
tionen, weil ja hier eben die übertrieben langwährende und energische intraurethrale 
Behandlung die Ursache der Neurasthenie ward. Abwechselnd mit dem Psychrophor 
können wir auch den Atzberger’schen Kühlapparat benutzen, den wir in den Mast¬ 
darm einführen. Seine Wirkung ist besondere in solchen Fällen augenscheinlich, 
wo häufige Pollutionen mit Priapismus abwechselnd Vorkommen. 

Was die diätetischen Vorschriften anbelangt, so will ich als selbstverständlich nur 
kurz erwähnen, dass stark gewürzte Speisen, reichliche Nachtmähler, starkes Rauchen 
sowohl den an Pollutionen als auch den an Spermatorrhoe Leidenden zu verbieten 
sind. Alkoholika sind in recht beschränktem Maasse (und nicht abends!) zu erlauben. 
Was die Bewegungstherapie betrifft, sind Schwimmen, viel Spaziergänge anzurathen, 
jedoch dürfen diese nicht bis zur Erschöpfung getrieben werden. Schädlich ist: 
das Rudern und das Fahrrad, sowie das Reiten, da dieselben die überempfindlichen 
Genitalien noch mehr reizen. Am zweckmässigsten ist, die Bewegungskur in einer 
Anstalt für schwedische Heilgymnastik unter Aufsicht von Spezialärzten vornehmen 
zu lassen. 

Die zweite Art der bei der Neurasthenia sexualis auftretenden pathologischen 
Samenverluste ist die Spermatorrhoe, der ohne Erektion und Orgasmus auftretende 
Samenverlust, welcher durch Erweiterung und Schlaffheit des Schliessapparates des 
Samenausführungsganges entsteht 

Diese Schlaffheit kann ihre Erklärung finden in einem vorgeschrittenen Ent¬ 
zündungszustand dieser Theile (Urethritis posterior chronica), jedoch auch — wenn 
auch seltener — in der durch die Masturbationsneurose selbstständig hervorgerufenen 
Erschlaffung. In den im Gefolge der chronischen Genorrhoe auftretenden Fällen von 
Spermatorrhoe werden wir auch nicht immer Symptome neurasthenischer Natur 
finden, und nach meiner Erfahrung heilen diese Fälle viel schwerer als diejenigen, 
welche durch die Masturbationsneurose hervorgerufen wurden. 

Nebst der Urethritis posterior, sowie der Masturbationsneurose kann auch noch 
der Coitus interruptus oder reservatus entweder primär oder durch Erzeugung all¬ 
gemeiner Neurasthenie sekundär diese Schlaffheit erzeugen. 

Diese Ansicht sind zwar so hervorragende Autoren wie Fürbringer, Gyur- 
kovechky nicht sehr geneigt zu acceptieren, Payer, Eulenburg, Finger und 
andere sehen jedoch diese unzweckmässige Art des Coitus als Ursache pathologischer 
Pollutionen und der Spermatorrhoe mit Bestimmtheit an. Ich schliesse mich der 
letzteren Ansicht auf Grund mehrerer Beobachtungen an, bei welchen man als Ursache 
der bestehenden Spermatorrhoe nichts anderes eruieren konnte, als den Coitus inter¬ 
ruptus. Es sei mir erlaubt, diesbezüglich ein Beispiel anzuführen: 

Ein 39 Jahre alter, seit sieben Jahre verheiratheter, der intelligenten Bevölkc- 
rungsklasse angehörender Mann wurde wegen beginnender Impotenz zu uns in Behand¬ 
lung geschickt. Seit einem Jahr bemerkt er, dass sich bei hartem Stuhle »rotzähnliches« 


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Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. 435 

spärliches Sekret aus seiner Harnröhre entleert, welchem Umstande er keine be¬ 
sondere Bedeutung zuschrieb. Vor drei Monaten begann er zu merken, dass seine 
Erektionen nicht mehr so intensiv sind wie früher und sich immer seltener einstellen; 
in den letzten zwei Wochen hatte er trotz der direkt gesuchten sinnlichen Reize 
überhaupt keine Erektion. Onanie hatte er in nennenswerthem Maasse nicht ge¬ 
trieben, ein venerisches Leiden nie gehabt. Nervös fühlt er sich blos in der letzten 
Zeit, seitdem er sich über seinen Zustand Sorgen macht. Sein Leiden führt er sehr 
richtig darauf zurück, dass er, um die Geschlechtslust seines Weibes zu steigern, 
später schon »zu befriedigen«, wenn er das Herannahen der Ejakulation verspürte, 
im Coitus innehielt und nachher denselben wieder derart vornahm, dass er jetzt 
schon längere Zeit hindurch denselben fortsetzte bis Ejakulation eintrat. Manchmal 
macht er diese Unterbrechung zwei- bis dreimal, weil sich mit der Zeit die Ejaku¬ 
lation auffallend rasch einzustellen begann. Die Verhinderung der Ejakulation un¬ 
mittelbar vor ihrem Eintritt, wo das ganze Nervensystem im Aufregungszustande ist, 
ist unbedingt von sehr schädlicher Rückwirkung sowohl auf den Schliessapparat des 
Ductus ejaculatorius, als auf das ganze Nervensystem. In diesem Falle ist es daher 
unmöglich, den ätiologischen Einfluss des Coitus interruptus zu leugnen; dieser ver¬ 
ursachte der Reihe nach Spermatorrhoe, Ejaculatio praecox, Impotenz und mittelbar 
auch allgemeine Neurasthenie. 

Neben der Spermatorrhoea defaecationis und mictionis besteht' noch die be¬ 
ständige Spermatorrhoe — die Spermaturie —, der ich in meiner Praxis noch nie¬ 
mals begegnet bin, welche jedoch auch Praktiker mit sehr ausgebreiteter Praxis nur 
sehr selten bei neurasthenischen Kranken beobachtet haben. 

Die Behandlung der Spermatorrhoe stimmt im allgemeinen mit der der patho¬ 
logischen Pollutionen überein, sowohl was die Badeorte, als was die Wasserbehandlung, 
die Diät und Gymnastik anbelangt. Eine Abweichung besteht nur in der lokalen 
Behandlung, indem wir hier neben dem Psycbrophor und dem Atzberger’schen 
Mastdarmkühler auch Sondenkuren und Elektrizität sowohl in Form des galvanischen 
als des faradischen Stromes mit Erfolg anwenden. 

Der galvanische Strom wird selten angewendet, schon darum, weil man die 
eine Elektrode durch den in die Harnröhre eingeführten Spiegel hindurch unter 
strenger Kontrolle — mit sehr schwachen Strömen — anwenden muss, um die sehr 
empfindliche Schleimhaut nicht zu versengen. Einfacher ist die bei uns durch Porosz 
eingeführte Faradisation der Prostata per rectum, von der auch ich in vielen Fällen, 
sowohl bei der Spermatorrhoe als bei Impotenz, recht gute Erfolge gesehen habe. 
In der Anwendungsweise weiche ich jedoch von der durch ihn inaugurierten Methode 
ab, darum will ich hier die von mir geübte Modifikation beschreiben, und erlaube 
ich mir, sie zur Erprobung anzuempfehlen. 

Porosz lässt den Patienten sich mit einem Arme auf einen Sessel stützen, 
während er mit der anderen Hand die eine Elektrode an den Bauch hält, gleich¬ 
zeitig wird die andere Elektrode mittels des von Porosz konstruierten Instrumentes 
durch das Rektum hindurch auf die Prostata appliziert So zusammengekrümmt 
ermüdet der Kranke, da er sich nur auf eine Hand stützt, während der 10 bis 
15 Minuten lang dauernden Behandlung sehr, darum lasse ich ihn auf dem Ruhe¬ 
bette, mir den Rücken zugekehrt, liegen, lasse ihn die Kniee beugen, und während 
er die eine, nämlich die positive Elektrode auf den Bauch hält, führe ich die andere 
Porosz’sche Elektrode bequem per rectum ein. Am Bauche lasse ich die Elektrode 
jedoch nur 5 Minuten lang liegen, dann verlege ich sie auf die Gegend des ersten 


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436 Max Weinberger 

bis zweiten Lendenwirbels, während die andere Elektrode im Rektum bleibt. So 
leidet der Patient unter den unangenehmen Erschütterungen des Bauches nur kürzere 
Zeit hindurch, andrerseits wird das genitospinale Centrum vollständig in den Kreis 
der Faradisation einbezogen, was einerseits durch das in der Harnröhre auftretende 
Ameisenkriechen, andrerseits durch die lebhafte wurmförmige Bewegung der Hoden 
bewiesen wird. Da der Patient bei uns entkleidet zur Behandlung kommt, hatte 
ich Gelegenheit, manchmal bei der Faradisation auch an den Ober- und Unter¬ 
schenkeln vibrierende Muskelzuckungen als Zeichen dessen zu sehen, dass auch der¬ 
jenige Theil des Rückenmarkes in den Strombereich gelangt, der die untere Extremität 
mit Nerven versieht. Das ist jedoch hauptsächlich bei Anwendung stärkerer Ströme 
zu sehen. Die Kraft des Stromes steigere ich, wie das Porosz empfiehlt, langsam 
ansteigend, dann schwäche ich nach einiger Zeit wieder ab, und steige dann wieder an. 

Diese Faradisationsmethode wende ich jedoch nicht täglich an, sondern ab¬ 
wechselnd mit anderen Methoden, mit dem Psychrophor und der Sondenkur kombi¬ 
niert, und sah von dieser abwechselnden Behandlung sowohl bei Behandlung 
der Spermathorrhoe, als bei der Impotenz die besten Erfolge; dieses Verfahren ist 
schon darum zweckmässig, weil es nicht angezeigt ist, täglich den Psychrophor oder 
die Sonde anzuwenden, und in den-Zwischentagen leistet uns die oben beschriebene 
Prostatafaradisation gute Dienste. 

Ich gehe nun zur Besprechung der wichtigsten Art der Neurasthenia sexualis, 
der Impotentia coeundi über. (Einen Kranken, der über Impotentia generandi 
geklagt hätte, habe ich noch nicht gesehen.) 

Diejenigen Arten der Impotentia coeundi, welche als Folgezustände von Ent¬ 
wickelungsfehlern oder Krankheiten der Genitalorgane, oder von konstitutionellen 
Allgemeinerkrankungen auftreten, können hier nicht den Gegenstand der Besprechung 
bilden. Diese Fälle sind jedoch auch viel seltener, als die im Gefolge der Neurasthenie 
auftretenden. Als Beispiel will ich anführen, dass in Röna’s Fällen 83,3% der 
Fälle von Impotenz nervösen Ursprungs waren und nun 16,7°/ 0 anderen Ursprungs. 

Eine Unterart der nervösen Impotenz ist die Ejaculatio praecox, oder jene 
Form, bei welcher vor der Friktion, ja oft noch ante introitum, sich die Ejakulation 
einstellt. In diesen Fällen ist die Erektion oft noch genügend, jedoch tritt infolge 
einer Uebererregbarkeit des Ejakulationscentrums, rein auf cerebralen Reiz schon 
Ejakulation auf. Diese Fälle stehen im engsten Zusammenhänge mit den Pollutionen, 
die während des Tages auftreten, sie können Folgezuständc derselben bilden, und 
können ätiologisch auch gleichen Ursprungs sein, also ebenso von Onanie oder all¬ 
gemeiner Neurasthenie hervorgerufen werden. Die Ansicht Gyurkovechky’s, dass 
die Impotenz niemals infolge von Onanie, sondern nur als Folge von Excessen in 
venere auftritt, kann ich mit vielen meiner Fälle widerlegen. Darunter befinden 
sich zwei Fälle, wo der Patient infolge von Onanie pathologische Pollutionen, später 
Ejaculatio praecox, schliesslich totale Impotenz bekam, ohne jemals einen regel¬ 
rechten Coitus ausgeübt zu haben. Dass solche Individuen, die niemals coitiert 
haben, auch keine Excesse in venere ausgeübt haben konnten, liegt auf der Hand. 

Bei der Ejaculatio praecox ist noch Libido vorhanden, ja manchmal in ge¬ 
steigertem Maasse, und bei der Ejakulation ist auch Orgasmus vorhanden. Trauriger 
sind schon jene Fälle, in denen keine Erektion mehr auftritt, oder wenn sie auftritt, 
nur sehr kurze Zeit hindurch bestehen bleibt, und vor Beginn des Coitus oder während 
desselben aufhört, bevor noch Ejakulation eintritt. Diese Fälle sind häufig genug. 
Unter 410 Fällen von Neurasthenie sexualis hatte ich 186 solcher Fälle, d. h. 45,4°/ 0 . 


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lieber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. 


437 


Ausser der im Rahmen der Neurasthenie sexualis auftretenden Impotenz kann 
noch auf rein psychischer Grundlage Impotenz auftröten, wie auch auf hypo¬ 
chondrischer Basis, z. B. bei Furcht vor Ansteckung. Einen typischen Fall von 
psycho-neurasthenischer Impotenz beobachtete ich bei einem 23jährigen Manne; dieser 
verliebte sich mit 17 Jahren in ein Mädchen, und befriedigte seine Begierde durch 
Onanie. Im Alter von 23 Jahren heirathete er den Gegenstand seiner Liebe, konnte 
jedoch in Folge der Aufregung und Ungeübtheit keinen regelmässigen Coitus aus¬ 
üben, seine Frau nicht deflorieren. Er versuchte Wochen hindurch täglich mehrmals 
den Coitus, bis er sich plötzlich, verzweifelt über seinen Zustand, impotent fühlte. 
Das klagte er seinem Arzte, der ihn zu uns behufs Behandlung wies. Ein anderer 
ebenfalls typischer Fall ist folgender: ich behandelte einen aus allgemeiner Neurasthenie 
entspringenden Fall von Impotenz, bei welchem die früher mangelhaften Erektionen 
befriedigend wurden, und nach 12—15 Friktionen bei normalem Orgasmus Ejakulation 
eintrat. Der Patient warf bei diesem Zustande die Frage der Heirath auf, von der 
ich nicht abrieth. Seine Hochzeitsreise beginnend, drängte sich ihm der Gedanke 
auf, dass er möglicherweise nicht im stände sein werde, den Coitus zu vollziehen, 
und dieser Gedanke beherrschte ihn so sehr, dass selbst auf gesuchten sinnlichen 
Reiz keine Erektion eintrat. Er befasste sich schon mit Selbstmordgedanken, als er 
erfuhr, dass bei seiner Frau Menstruation eingetreten war. Während der Dauer 
derselben, nachdem er begonnen, sich an die Situation zu gewöhnen, beruhigte er 
sich, und vollzog nach Auf hören der Menstruation gleich beim ersten Versuche einen 
regelmässigen Coitus, und hatte seither, das ist seit drei Jahren, keine Ursache über 
seine Potenz zu klagen; er ist heute Vater zweier Kinder, und erzählt seinen Fall 
gerne seinen Bekannten als lehrreiches Exempel. 

Zu den psychischen Impotenzen muss ich auch jene Fälle relativer Impotenz 
zählen, wo der Patient nur gegenüber gewissen Frauen oder nur unter gewissen 
Umständen impotent ist; manche zählen auch jene Fälle von Impotenz hierher, die 
bei Lüstlingen Vorkommen, die gegen den normalen Coitus ganz abgestumpft sind, 
also impotent sind, und eben deshalb auf widernatürlichem Wege Befriedigung ihres 
Geschlechtstriebes suchen. Diese Fälle gehören schon in den Kreis der Psycho¬ 
pathie, trotzdem die vorhergegangenen Exzesse immer Neurasthenie hervorbrachten. 

Gehen wir nun zur Therapie der nervösen Impotenz über. Dass man hier die 
Neurasthenie nicht als nebensächlich betrachten darf, ist zweifellos, ja wir müssen 
sogar in erster Reihe ihr unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Bei in geistiger Arbeit 
Ermüdeten empfehlen wir Aussetzen der Arbeit und eine Reise in interessante, schöne 
Gegenden, wobei wir längeren Aufenthalt an einzelnen Orten vorschreiben; bei anderen 
empfiehlt sich die Anwendung von Wasserkuren an Höhenkurorten; kohlensäure- 
haltige Bäder; Seebäder — die wir auch durch den vermöge seines Wellenschlages 
wirksamen Plattensee ersetzen können — sind gleichfalls nützliche Mittel zur Be¬ 
handlung der Impotenz. 

Bei körperlich erschöpften, mageren Personen ist nebst genügender Ruhe gute 
Ernährung, eventuell Ueberernährung in Form von Mastkuren angezeigt, diese sind 
jedoch nicht unbedingt schablonenmässig bei Bettruhe durchzuführen; bei meinen 
ambulanten Kranken gelingt es mir oft, eine Gewichtszunahme von 5 —6 kg während 
der Kur zu erreichen, wenn sie die vorgeschriebene Diät einhalten. 

Können wir die Kranken nicht in einen Badeort schicken, so wenden wir zu 
Hause eine entsprechende Wasserbehandlung an, welche aus lauwarmen Halbbädern, 
kalten Leintuchabreibungen, kühlen Sitzbädern und aufsteigenden, sowie in die Gegend 


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438 Max Weinberger, Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. 


des Nackens und des Kreuzes applizierten kalten Douchen besteht, je nach der 
Körperkraft und Empfindlichkeit des Individuums. 

Unser Prinzip bei Anwendung der Wasserbehandlung ist, dass dieselbe beim 
Patienten kein unangenehmes Gefühl hervorrufen darf. Lieber steigen wir allmählich 
bis zur Applikation der heilenden Kälte herunter, als dass wir dem Kranken Un¬ 
annehmlichkeiten bereiten. 

Ich kann nicht umhin, hier zu erwähnen, dass Wärme, besonders Schwitz¬ 
prozeduren, von sehr nachtheiliger Wirkung auf Impotente sind. Ich beobachtete 
zwei Fälle, wo die vom Hausarzte gegen Rheumatismus sehr richtig angeordneten 
schweisstreibenden Lichtbäder bei dem Kranken, dessen Potenz bereits geschwächt 
war, vollständige Impotenz verursachten. 

Eine ausgezeichnete Wirkung müssen wir bei Behandlung der nervösen Impotenz 
den kohlensäurehaltigen Bädern zuschreiben, welche wir, da wir die Erfolge nur der 
reflektorisch wirkenden nervenstärkenden Einwirkung der Kohlensäure zuschreiben 
können, auch künstlich hergestellt mit Erfolg anwenden werden. Ich beobachtete 
mehrere leichte Fälle, wo ausschliesslich künstliche kohlensäurehaltige Bäder die Kur 
bildeten und der Erfolg ein sehr zufriedenstellender war; damit will ich jedoch 
keinesfalls den Werth der natürlichen kohlensäurehaltigen Bäder herabsetzen, da hei 
diesen noch die ausgezeichnete Luft, Ruhe und Zerstreuung als Heilfaktoren den 
Erfolg erhöhen. Diese jedoch können nur im Sommer in Anwendung kommen, 
während uns die künstlichen Kohlensäurebäder auch im Winter zur Verfügung stehen. 

Die Lokalbehandlung ganz von der Hand zu weisen, wie das viele thun, halte 
ich für unrichtig. Allenfalls unterstützen die lokalen Heilmethoden die bisher er¬ 
wähnten Heilfaktoren in der Erreichung des Erfolges. Sowohl äusserliches 
Elektrisieren, als Faradisation der Prostata auf die schon beschriebene Art, der 
Psychrophor, der Atzberger’sche Kühlapparat, letzterer besonders in mit 
Pollution einhergehenden Fällen, Sondenkuren, mit einander abwechselnd, wirken 
sehr gut auf den Kranken. 

Zabludowsky empfiehlt die Massage zur Heilung der Ejaculatio praecox und 
der Impotenz. Ich versuchte seine Methode in mehreren Fällen nach seiner Vor¬ 
schrift; jedoch steht der Erfolg durchaus nicht im Verhältnisse zu der Mühe, welche 
die ausgebreitet vorzunehmende Massage verursacht. 

Schliesslich noch einige Worte über die medikamentöse Behandlung. Ebenso¬ 
wenig wie wir die Neurasthenie medikamentös heilen können, haben wir ein Medi¬ 
kament zur Heilung der Impotenz. Ein Aphrodisiakum im wahren Sinne des Wortes 
haben wir bis heute nicht; besser als alle bekannten Mittel wirkt oft eine kleine 
Dosis Alkohol, besonders bei in Heilung Begriffenen. Von Yohimbin, dem Poehl- 
schen Spermin, Arsen und Phosphor sah ich niemals Wirkung eintreten. Viele Fälle 
kamen in meine Behandlung, die nach Einnahme der erwähnten Medikamente nicht 
gebessert waren, hingegen wurden sie durch diätetische, hygienische, lokale und 
hydriatische Behandlung geheilt. 


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Robert Grünbaum, Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 439 


III. 

Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 

Aus dem Institute für Mechanotherapie des Dr. A. Bum in Wien. 

Von 

Dr. Robert Gr&nbaum, 

Assistent des Institutes. 

Erst seit wenigen Jahren dem Heilschatze der physikalischen Heilmethoden 
eingefügt, hat die Heissluftbehandlung in kurzer Zeit allgemeine Verbreitung ge¬ 
funden, und alle Publikationen darüber berichten einstimmig über die guten Re¬ 
sultate, die man mit dieser Methode bei den verschiedensten Erkrankungen erzielt. 
Diese günstigen Resultate, welche weit besser seien als die mit jeder anderen Art 
von Wärmeapplikation erzielbaren, sollen vor allem dadurch bedingt sein, dass 
dabei exorbitant hohe Temperaturen therapeutisch angewendet werden können. Man 
beginnt mit »niedrigen Temperaturen« von 80—90° C, um die Empfindlichkeit des 
Patienten zu prüfen, und steigt dann allmählich bis zu 140, 150° und selbst noch 
darüber. Trotz dieser excessiven Temperatur komme es bei entsprechender Vorsicht 
kaum je zu Verbrennungen der Haut. Dabei wird Jeder, der sich mit Heissluft¬ 
therapie beschäftigt, oft genug erfahren haben, dass die Patienten angeben, lokal 
das Gefühl angenehmer, behaglicher Wärme zu haben, während das Thermometer des 
verwendeten Apparates schon Temperaturen von 100 oder 120° anzeigt. Diesen ver¬ 
blüffenden Kontrast suchen einzelne Autoren in verschiedener Weise zu erklären. 
Roth 1 ) erinnert daran, dass die Wärmekapazität der Luft 25mal geringer sei, als 
die des Wassers, zieht daraus aber folgende uns unverständliche Schlussfolgerung: 
»Sie (die Luft) beansprucht demnach 25 mal so viel Wärmeeinheiten, als das Wasser, 
um mit letzterem gleich warm zu sein. Die Luft vermag demnach bei gewöhnlichem 
Feuchtigkeitsgehalt auch 25 mal mehr Wärme von unserem Körper aufzunehmen, als 
das Wasser«. 

Auch die angeführte »Vertrautheit und Angewöhnung« an excessive Hitze sind 
keine gnügenden Erklärungsgründe. 

Mendelsohn*) findet die Erklärung wieder darin, dass es unter dem Einflüsse 
dieser Temperaturen zu einer ausserordentlichen Schweissabsonderung kommt, und 
durch die Verdunstung des Schweisses zu einer konstanten Erniedrigung der Haut¬ 
oberflächentemperatur. »Das ist der einfache Vorgang, welcher es ermöglicht, diese 
exorbitanten Temperaturen nicht nur auszuhalten, sondern sogar ohne besonders ge¬ 
steigertes Wärmegefühl über sich ergehen zu lassen.« 

Schreiber 3 ) (Königsberg) hat zur Klarlegung dieser Verhältnisse eine Reihe 


’) Wiener medicinische Wochenschrift 1900. 

*) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1898. 
3 ) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1901. 


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440 Robert Grfinbaum 


einfacher Versuche angestellt, die zu ganz anderen Resultaten führten. Er stellte 
dieselben in der Weise an, dass er im Innenraume verschiedener Heissluftapparate 
neben7dein gewöhnlich zur Temperaturmessung dienenden Kastenthermometer noch 
mehrere kleine Maximalthermometer an verschiedenen Stellen aufhing. Nun wurde 
die Behandlung wie gewöhnlich vorgenommen, dann der Kasten geöffnet und an 
den Maximalthermometern die erreichten höchsten Temperaturen abgelesen. Da 
zeigte es sich, dass die Angaben der Thermometer im Innern sehr bedeutend 
von den Anzeigen des Kastenthermometers differierten. Um auch den Einwand zu 
entkräften, dass diese bedeutenden Differenzen durch die infolge der starken Schweiss- 
verdunstung des eingeschlossenen Körpertheiles erzeugte Verdunstungskälte verursacht 
seien, wiederholte Schreiber diese Messungen, ohne eine Extremität einzuhängen, 
und erhielt prinzipiell dasselbe Resultat, nur, dass die erreichten Innentemperaturen 
jetzt etwas höher waren. Den Beweis, dass die niedrigeren Zahlen der ersten Versuchs¬ 
reihe nicht auf den behaupteten abkühlenden Einfluss der behandelten Extremität 
zurückzuführen sind, erbrachte er dadurch, dass, wenn man statt dieser einen Gips- 
fuss einhängt, die erreichten Temperaturen sich wieder den erst erhaltenen Zahlen 
nähern. Aus diesen Versuchen geht mit Sicherheit hervor, dass in den Heissluft¬ 
apparaten von Krause und anderen ähnlich konstruierten die Innenwärme ganz 
ungleichmässig vertheilt ist, dass das Kastenthermometer, welches mit seiner Queck¬ 
silberkugel in den Deckenwärmestrom eintaucht, erheblich höhere Temperaturen an¬ 
zeigt, als in den Schichten vorhanden sind, in denen die zur Behandlung eingehängten 
Körpertheile lagern, dass also die Behauptungen von der Toleranz der menschlichen 
Haut gegen Lufttemperaturen von 120—150 °, soweit dieselben aus den Ablesungen 
der in der üblichen Weise angebrachten Kastenthermometer erschlossen wurden, als 
bis jetzt nicht bewiesen angesehen werden müssen. 

Es schien mir der Mühe werth, diese Behauptungen, die den Angaben aller 
anderen Autoren widersprachen, nachzuprüfen. Ich verwendete bei meinen Versuchen 
die Apparate: System Reitler (Wien) und System Odelga (Wien). Die Heissluft¬ 
apparate System Reitler sind modifizierte »Krause«-Apparate, in ihren Dimensionen 
etwas grösser gehalten wie diese. Um zu vermeiden, dass die einströmende 
heisse Luft die Haut direkt treffe, befindet sich im Innern des Apparates, 
von der äusseren Wand ungefähr 2 cm entfernt, eine zweite, etwas geneigte Asbest¬ 
wand, die vom Boden bis nahe an die Decke reicht. »In diesem dadurch gebildeten 
spaltförmigen Zwischenraum muss sich die einströmende heisse Luft erst möglichst 
gleichmässig vertheilen, bevor sie in den innersten Raum zu dem erkrankten Körper- 
theil gelangen kann«'). In diesen Raum ragt bei den meisten Apparaten die Quecksilber¬ 
kugel des Kastenthermometers hinein. Der wesentlichste Fortschritt gegenüber allen 
übrigen Systemen soll in der Verwendung pulverisierten Chlorkalciums zur Trocknung 
der Innenluft bestehen. Dasselbe wird auf einer flachen Steinguttasse in einem 
kästchenartigen, aufklappbaren Vorbau aufgestellt, der mit dem Behandlungsraum 
durch einen mehr oder minder breiten Spalt in Verbindung steht. Reitler erwartet, 
dass dieses, von der feuchten heissen Luft gar nicht direkt bestrichene Chlorkalcium 
genüge, um die Innenluft »thatsächlich trocken« zu machen, und glaubt das Recht 
zu haben, seine Apparate, im Gegensätze zu den »alten« Systemen, als alleinige 
»Trockenheissluftapparate« zu bezeichnen. Eine einmalige Verwendung derselben 
muss Jeden vom Gegentheil überzeugen. Dass sie für praktische Zwecke ebenso 


Rudolf Reitler, Die TrockeDheissluftbehaudlung. 1900. 


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Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 441 


brauchbar sind, wie die meisten anderen Systeme, und dass man mit ihnen dieselben 
therapeutischen Effekte erzielen kann, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung. 

Die Apparate von Odelga, und zwar dessen neue Typen, bestehen aus ver¬ 
schieden grossen, entsprechend geformten Kästen aus vielen auf einander geklebten 
Asbestlamellen. Die Zuführung der heissen Luft erfolgt von unten her, vom Boden 
des Apparates, welcher, um eine gleichmässige Vertheilung der heissen Luft nach 
allen Richtungen hin zu bewirken, ganz besonders konstruiert ist. Der Quincke’sche 
Schornstein, in welchem die heisse Luft durch eine Spirituslampe oder ein Gasrechaud 
erzeugt wird, ist unterhalb des Bodens des Apparates angeordnet und mündet in 
senkrechter Richtung in einen Blechkasten (Fig. 53 c), der in den Boden des Apparates 
eingelassen ist. Die Ausströmung nach oben erfolgt durch eine grössere Anzahl 
kleiner Oeffnnngen. Damit die heisse Luft nicht direkt in die Höhe streiche, ist über 
dem Blechkasten eine fast den ganzen Boden des Apparates bedeckende, niedrige, 
heraushebbare Biechklappe (a) von muldenförmigem Querschnitte als Luftvertheiler 
eingesetzt. Dieselbe hat eine grosse Anzahl seitlicher kleiner Oeffnungen, und erst 


Kg. 63. Fig. 64. 




durch diese tritt die heisse Luft von allen Seiten, in der Richtung von unten nach 
oben streichend, in den Behandlungsraum. Um zu vermeiden, dass die von der Blech¬ 
kappe ausstrahlende Hitze unangenehm fühlbar werde, ist dieselbe mit Asbest derart 
überzogen, dass zwischen diesem und der Blechmulde eine Luftschicht (b) als 
schlechter Wärmeleiter eingeschaltet ist. Der Kastendeckel besitzt einige zur Auf¬ 
nahme der Thermometer dienende Ausschnitte. 

Um zunächst über die Wärmevertheilung in diesen Kästen Aufschlüsse zu er¬ 
halten, wiederholte ich die Versuche von Schreiber, indem ich neben dem ge¬ 
wöhnlichen Kastenthermometer an verschiedenen Stellen des Innenraumes Maximal¬ 
thermometer anbrachte. 


Versuch I. Apparat für beide Füsse (System Reitler [Fig. 54]). 
Die Thermometer zeigten: 


nach 

10 

Minuten a 172° i 

Differenz 


I nach 40 Minuten 

a 2180 j 

| Differenz 


b 110» j 

-02« 


b 1560 | 

—02° 


20 

» a 198° i 


—610 

9 60 » 

a 2180 





b 137° 1 

9 


b 1670 

» 

—01» 


30 

i a 212« | 


—640 


c 980 


120» 



b 148» / 

9 

l 

<1 9öo 

» 

123» 






i 

1 

e 1420 

» 

-76» 

Zoiütchr. f. 

diät u. physik. Therapie Bd. VI. 

Heft 8. 



31 



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442 Robert Grfinbanm 


Versuch II. Apparat für beide Füssc (System Rcitler [Fig. 65]). 
Die Thermometer zeigten: 


nach 

5 

Minuten 

a 137° | 



nach 

40 Minuten 

a 2110 | 

b 157° Differenz 
c 1280 ! i> 





b 780 

Differenz 

-59« 




—540 




c 520 ) 

1 

—850 




-830 

» 

10 


a 1840 | 

! 


» 

50 

» 

a 212® | 

I 





b 1220 

» 

-62° 




b 158® 

» 

—540 




c 940 | 

1 » 

—900 




c 128® 1 

1 

—840 

» 

20 

» 

a 2030 j 



» 

60 

» 

a 212® 






b 1460 

> n 

- 570 




b 158® 

P 

—54° 




c 1150 J 

» 

-880 




c 128® 

») 

—840 

» 

30 

» 

a 2080 | 






d 80» 

P 

12G0 




b 1530 

- o 

550 




Ch 97® 

l) 

-115° 




c 122« ) 

» 

- -860 




e,j 117® 

» 

—950 










f 121® 

» 

—890 


Ich will mich auf die Anführung dieser beiden Versuche beschränken, die ich 
ohne Wahl einer grösseren Serie ganz gleicher Versuche entnahm. Es geht aus ihnen, 

zusammengehalten mit den im Prinzip glei¬ 
chen Ergebnissen Schreiber’s, mit ge¬ 
nügender Sicherheit hervor, dass auch bei 
den Apparaten des Systems Reitler inner¬ 
halb des Behandlungsraumes ausserordent¬ 
lich grosse Temperaturdifferenzen bestehen, 
und dass sich aus den Angaben des Kasten¬ 
thermometers (a) keine irgendwie verläss¬ 
lichen Schlüsse über die wirkliche Innen¬ 
wärme ziehen lassen. Die Differenzen in 
den Temperaturangaben schwanken ja in 
dem Kasten für beide Füsse zwischen 54 
bis 126®. Steigert man die Hitze des Luft¬ 
stroms, den Angaben des Apparatthermo- 
meters nach, so steigt die Temperatur auch 
an den übrigen Stellen im Innern, aber ohne 
dass sich irgend eine gesetzmässige Abhängigkeit finden Hesse. Sicher ist, dass die 
Wärme von oben nach unten abnimmt. Aber selbst in derselben Horizontalschicht 
bestehen erhebliche Unterschiede. 

Es genügt, wie Versuch 2 zeigt (Fig. 55 e, urtd e 2 ), bereits eine Verschiebung 
der Quecksilberkugeln in derselben Ebene nach vorn oder hinten, um Differenzen 
von 20° und auch noch mehr aufzuweisen. 

Dass ich bei meinen Versuchen noch erheblichere Differenzen gefunden, als 
Schreiber, erklärt sich ohne weiteres daraus, dass bei den Rcitler’schen Apparaten 
das Indikationsthermometer, wie bereits erwähnt, direkt in den Heissluftstrom ein¬ 
taucht. 

Die Ursachen für diese ungleiche Wärmevertheilung liegen, wie Schreiber in 
seiner Arbeit näher ausführt, vor allem in den Gesetzen der Wärmeverbreitung und 
Wärmefortführung, denen zu folge die Luft mit zunehmender Erwärmung sich aus¬ 
dehnt und den obersten Schichten zuströmt. »Jeder im Innenraum des Apparates 
befindliche tote oder lebende Körper wirkt auf die Wärmeströmung, indem er je 
nach Form, Grösse und Lage die Ausbreitung des heissen Luftstromes wesentlich 


Fig. r>r>. 



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Zur Physiologie and Technik der Heissluftbehandlung. 


alteriertc. Schreiber hat auch nach dieser Richtung entscheidende Versuche an¬ 
gestellt, indem er rings um die Einströmungsöffnung für die heisse Luft vier Maximal¬ 
thermometer auf hing und nun einmal ohne den Asbestschirm, der die direkte 
Bestreichung der zu behandelnden Körpertheile mit dem Heissluftstrom verhindern 
soll, die erreichten Maximaltemperaturen bestimmte, das andere Mal mit demselben. 
Ans den sich ergebenden Differenzen lässt sich die Ablenkung des Luftstromes ohne 
weiteres beweisen. Auf dieselbe Weise kann man die angebliche »regulierende« 
Wirkung der an den Kästen angebrachten Klappen und Ventile prüfen. Bei den 
Apparaten von Reitler kam ich zu gleichen Resultaten. Eine Serie ähnlicher Ver¬ 
suche stellte ich mit den Apparaten von Odelga an. 

Versuch III. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 56]). 

Die Thermometer zeigten: 


Differenz +4° 
» +lo 

Differenz + 40 
» + 1 ° 


nach 10 Minuten a 66° 


nach 40 Minuten a 102® i 

b 67o 

► Differenz + 1 0 

b 106» 

c 670 1 

» +10 

c 103» 1 

» 20 f> a 84° 


» 60 »i a 106® 

b 87o 

‘ « + 30 

b 110® 

c 850 1 

' » + io 

c 107® 

ö 60 »' a 94° | 


d 111® 

b 980 

+ 4« 

Ct 103« 

c 950 ) 

» +lo 

e 2 103® 


: 

f 108® 


Fig. 56. 


Fig. 57. 






Versuch IV. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 57]). 

Die Thermometer zeigten: 

nach 10 Minuten a 75° \ I nach 40 Minuten a 108° \ 

b 800 l Differenz + 5 ft b 11:1° > E 

c 770 I » + 2« c 108° I 

» 20 . a 94® | » 00 » a 115® 

b 100® I » + C« i b 118® 

C 95® [ » + 1» | c 115® 

d 90® I » + 2» i d 115® 

. 50 » a 104® \ C! 118® 

b 108® | » -( 4» e 2 118® 

c 104® f » 0® f 117» 


renz + 5° 
> Oo 


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444 Robert Grünbaum 


Die grössten Differenzen, die ich zwischen den an den verschiedensten Stellen 
des Innenraumes angebrachten Thermometern gefunden habe, betrugen hier 6—8®. 
Durch die eigenthümliche Art und Weise, die heisse Luft in den Behandlungsraum 

einströmen zu lassen, ist also bei 
diesen Apparaten das Problem einer 
gleichmässigeren Vertheilung der 
Wärme in befriedigender Weise ge¬ 
löst. Man kann, ohne einen erheb¬ 
lichen Fehler zu begehen, die An¬ 
gaben des Kastenthermometers (a) 
als verlässlich und der wahren Innen¬ 
temperatur nahezu entsprechend an- 
sehen, natürlich nur für den Fall, 
dass die heisse Luft, wie in diesen 
Versuchen, ungehindert von unten 
nach oben strömen kann. 

Nach den Experimenten Sch rei¬ 
be r’s war es naheliegend, zu ver- 
muthen, dass die Wärmeverhältnisse 
im Innern durch die eingehängte Extremität, die wie ein ablenkender Schirm in den 
Luftstrom eingeschaltet ist, wesentlich modifiziert werden würden. Ich stellte des¬ 
halb eine Reihe diesbezüglicher Versuche an. 


Fig. 68. 



Versuch V. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 58]). D. B., rechten 
Fuss eingehängt. 


Die Thermometer zeigten: 


nach 5 Minuten 

a 530 * 


nach 15 Minuten 

a 72® j 



b 48° > Differenz 

— 50 


b 67® > Differenz 

~ 50 


c 45° I * 

- 8“ 


c 69® ) » 

30 

» 10 » 

a 630 j 


* 18 

a 73® | 



b 580 l r , 

— 50 


b 68® (. » 

— 5° 


c 55° ) » 

— 80 


c 70® [ » 

30 





d 72« J » 

- io 


Versuch VI. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 59]). M. Kr., beide 
Füsse eingehängt. 


Die Thermometer zeigten: 


nach 5 Minuten 

a 48® 




b 47® 

> Differenz 

- io 


c 47» 1 

1 

— 10 

»10 » 

a 58® | 

| 



b 57« 

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10 


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1 

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a 70» | 

, 



b 70® 

» 

00 


c 67® I 

[ » 

-30 


d 72« J 

1 » 

+ 20 


nach 25 Minuten a 74® 



b 74® 1 

l Differenz 0» 


c 71« J 

.. - - 3« 

» 30 » 

a 78® ) 



b 77® 

\ « - 1« 


c 73® > 

D — 5° 

» 35 » 

a 80« | 

1 


b 78® 

r 0 _ 2° 


c 75® ' 

» — 50 

» 40 » 

a 82® j 



b 80® | 

» - 2° 


c 77® 

» — 5 0 


d 90® j 

» + 80 


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Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 445 

Es zeigte sich in diesen, ebenso wie in einer ganzen Reihe ähnlicher Versuche, 
dass die behandelte Extremität an den Ergebnissen der ersten Versuchsreihe im 
Prinzipe nichts ändert. Auch hier betrugen die grössten Differenzen zwischen den 
Angaben des Kastenthermometers und der in der Umgebung des betreffenden Körper- 
theiles aufgehängten höchstens 6 — 8 0 . Es zeigt also das Indikationsthermometer 
thatsächlich ziemlich genau jene Temperatur an, die in der Umgebung des be¬ 
handelten Gliedes herrscht. 

Diese Thatsache gewährte mir die Möglichkeit, die Frage zu entscheiden, welches 
die höchsten Temperaturen seien, die die menschliche Haut bei Verwen¬ 
dung heisser Luft als Wärmeträger verträgt, ohne Schaden zu nehmen, und ob 
dieselbe, wie die meisten Autoren, die sich mit Heissluftbehandlung beschäftigen, 
behaupten, wirklich eine so grosse Toleranz gegen excessiv hohe Lufttemperaturen 
besitzt. Mendelsohn 1 ) nahm an, dass die infolge der hohen Temperatur eintretende 
kontinuierliche Hautperspiration allein das Ertragen derselben ermöglicht, und eine 
Schädigung der Hautoberfläche hint¬ 
anhält. »Sobald diese Perspiration F>g- f» 9 - 

herabgesetzt wird, empfindet ja auch 
subjektiv der Patient sogleich un¬ 
angenehm die Temperaturwirkung. 

Der Organismus hilft sich auch hier, 
wie überhaupt hohen Temperaturen 
gegenüber, dadurch, dass er starken 
Schweiss produziert, und dass dieser 
Schweiss nun, wenn er von der Haut¬ 
oberfläche in die umgebende Luft 
verdunstet, auf diese Körperober¬ 
fläche dabei eine derartige Verdun¬ 
stungskälte produziert, dass die hohe 
Aussentemperatur hierdurch ausge¬ 
glichen wird«. Ais Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung führt Mendel¬ 
sohn folgenden Versuch an: Hält der Patient, während seine Hand und Arm sich 
im Heissluftapparat befinden, ein Thermometer während der ganzen Dauer der Ein¬ 
wirkung zwischen den Fingern, so dass die Quecksilberkugel der Hautoberfläche 
innig anliegt, so zeigt dieses Thermometer jedesmal bei der Herausnahme nur un¬ 
bedeutende Steigerungen bis höchstens 38,7 wobei noch die unmittelbare Ein¬ 
wirkung der sehr heissen Luft auf die frei im Innern des Apparates befindliche 
Quecksilbersäule in Abrechnung gebracht werden muss. Diese letztgenannte Ein¬ 
wirkung ist indes ganz bedeutungslos. Hält man ein Thermometer so über eine 
Spiritusflamme, dass die Quecksilberkugel zwischen den Fingern vor der unmittelbaren 
Berührung der Flamme geschützt ist, so kann der übrige Theil des Thermometer¬ 
glases glühend erhitzt werden, ohne dass die Quecksilbersäule steigt (Schreiber). 
Das Quecksilbergefäss des Thermometers war bei den Versuchen Mendelsohn’s 
durch die umschliessenden Finger des Patienten dem Einflüsse der heissen Innenluft 
entzogen, denn sonst müsste der frei herausragende Theil des Quecksilbergefasses 
allmählich die Temperatur der Umgebung annehmen, glühend heiss werden und das 
Festhalten des Thermometers unmöglich machen. Der bei diesen Versuchen beob- 

>) 1. e. 



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Original fro-m 

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446 Robert Gr&nbaura 

achtete Anstieg der Quecksilbersäule entspricht ausschliesslich nur dem Anstiege der 
lokalen Körpertemperatur unter dem Einflüsse der Heissluftbehandlung. Der Beweis 
lässt sich leicht erbringen: Schliesst man die mit dem Quecksilber bewaffnete Extre¬ 
mität nur bis zur Mitte des Oberarmes in den Heissluftkasten ein und legt ein 
zweites Maximalthermometer in die freie Achselhöhle derselben Seite, dann ent¬ 
sprechen die Steigerungen der Achselhöhlentemperaturen annähernd genau dem An¬ 
stiege des im Innern befindlichen Thermometers. 

Der positive Beweis dafür, dass in den Regionen, in denen sich die zu be¬ 
handelnden Körpertheile in den üblichen Heissluftkästen befinden, eine viel niedrigere 
Temperatur herrscht, als allgemein angenommen wird, geht aus Schreiber’s und 
meinen Versuchen vollständig klar hervor. 

Ebensowenig vermag auch die Angabe Frey’s 1 ), dass er bei seiner Heissluft- 
douche Temperaturen bis 150° verwende, ohne Verbrennungen der Haut zu bewirken, 
einer ernsten Kritik stand zu halten. Das Thermometer, an dem die Ablesungen 
vorgenommen werden, befindet sich nicht an der Ausströmungsöffnung des abführenden 
Schlauches, sondern vor dem Abgänge desselben. Die heisse Luft muss also noch 
den 1—1 »/a m langen Schlauch passieren und sich schon dadurch etwas abkühlen. 
Wesentlicher aber ist, dass Frey den heissen Luftstrom aus einer Distanz von 5 bis 
10 cm auf die Haut einwirken lässt. Dass aber in einer solchen Entfernung von der 
Ausströmungsstelle der Luftstrom eine ganz andere Temperatur hat, geht aus folgenden 
Zahlen hervor, die ich bei Versuchen mit der heissen Kohlensäuredouche von Herz 
(Wien) 2 3 ) gefunden habe. Wenn die erhitzte Kohlensäure bei der Verwendung eines 
Druckes von 2 1 /*—3 Atmosphären unmittelbar an der Ausströmungsöffnung eine 
Temperatur von 155° hat, so beträgt die Temperatur des Gasstromes in einer Ent¬ 
fernung 

von 2 cm und mehr 105—115° von 8 cm und mehr 74—84° 

» 4 » » > 90—100° » 10 » » > 70—80° 

» 6 » » » 80—90 0 

Ich glaube keinen Fehlschluss zu machen, wenn ich behaupte, dass Aehnliches 
auch für die Frey'sehe Heissluftdouche gilt. Bei einer Distanz von 5 —10 cm von 
der Haut würde die wirkliche Temperatur des Luftstromes also zwischen 70—90« 
schwanken. Die Gründe, weshalb auch den Angaben Clado’s*), Temperaturen von 
110° therapeutisch ohne Schädigung stundenlang verwendet zu haben, keine Beweis¬ 
kraft zukommt, hat Schreiber 4 ) zur Genüge auseinandergesetzt. 

Dies alles zusammengehalten, ergiebt sich, dass die vielfach behauptete Toleranz 
der menschlichen Haut gegen sehr hohe Lufttemperaturen bisher durch nichts be¬ 
wiesen ist. 

Die Frage, welches die höchsten noch ohne Schädigung der Haut er¬ 
träglichen Temperaturen sind, die man bei der Heissluftbehandlung verwenden 
kann, lässt sich mit den Apparaten von Tallermann, Bier, Krause, Reitler und 
ähnlich konstruierten nicht mit genügender Sicherheit entscheiden. Selbst wenn 
man von den ganz unverlässlichen Angaben des Kastenthermometers abstrahiert, zur 

i) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1900. 

ü) Wiener medicinische Presse 1901. 

3) Bericht des französischen Chirurgenkongresses vom Jahre 1891 (citiert nach Bier). 

*) I. c. 


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Original frem 

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Zar Physiologie und Technik der Heisslnftbehandlung. 447 


Prüfung der Innentemperatur an verschiedenen Stellen Maximalthermometer aufhängt 
und nun untersucht, bis zu welchen Graden man die Hitze steigern kann, bis sie 
unerträglich gefühlt wird, so sind doch bei der ganz ungleichmässigen und irregulären 
Vertheilung der Wärme die gefundenen Zahlen nicht absolut beweisend. Sie werden 
bei verschiedenen Stellungen der Thermometer bald zu hohe, bald zu niedrige, in 
einzelnen Fällen auch richtige Temperaturen anzeigen. Ich habe daher die ent¬ 
scheidenden Versuche auf die Apparate System Odelga beschränkt, und bei einer 
grösseren Anzahl von Gesunden und Kranken zu ermitteln gesucht, wo die oberste 
Grenze der Toleranz gegen hohe Lufttemperaturen gelegen ist. Es war mir nur 
darum zu thun, die Frage nach dem Maximum zu entscheiden; wo das Optimum 
gelegen sei, liess ich vorläufig un¬ 
berücksichtigt. Obwohl aus den oben 
angeführten Untersuchungen hervor¬ 
geht, dass bei diesen Apparaten die 
Vertheilung der Innenwärme ziem¬ 
lich gleichmässig ist, habe ich doch, 
um etwaigen Einwänden zuvorzu¬ 
kommen, neben dem Kastenthermo¬ 
meter an den verschiedensten Stellen 
stets noch einige Thermometer an¬ 
gebracht. Bei den diesbezüglichen 
Experimenten zeigte es sich, dass 
die höchsten Temperaturen, 
die man noch ertragen kann, 
zwischen 75—85 °C schwanken. 

Nur in einzelnen Fällen konnte ich 
mit der Temperatur bis 90—92° 
steigen. Bei diesen Temperaturen hat man lokal das Gefühl starken Brennens, das 
sich bis zu intensiven stechenden Schmerzen steigert, die uns zwingen, mit der 
Temperatur herunterzugehen. Versucht man, diese obere Grenze zu überschreiten, 
so kommt es zur Bildung von Brandblasen, zuweilen zu tiefergehenden Verbrennungen. 

Versuch VII. K. B. Beide Füsse im Kasten (System Odelga [Fig. 60]). 


Fig. 60. 



Die Thermometer zeigten: 


nach 5 Minuten 

a 

550 



b 

52° 



c 

610 

>» lü 

» 

a 

80» 



b 

770 



c 

750 

» 15 

i» 

a 

820 



b 

790 



c 

760 

» 18 

» 

a 

840! 



b 

810 



c 

780 


Brennen an der 
Fussspitze 

Brennen an beiden 
Füssen 

starkes Brennen 
am ganzen Beine 


nach 20 Minuten a 84 c ! i unerträgliches 

b 82° I | Brennen an beiden 
c 79° J Beinen 

»25 “ a 82® | ß rennen am Unter- 

^ 810 [ schenket 

c 79° I 

»30 » a 77° 

b 79° 
c 76° 
d 78° 
e 73° 


In gleicher Weise verliefen eine Reihe ähnlicher Versuche bei anderen Per¬ 
sonen. Auf Grund aller dieser Thatsachen möchte ich als obere Grenze der 
Toleranzwerthe für Lufttemperaturen 80—90° C erklären. Wenn man auch die 


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448 


Robert Grünbaum 


bei der Heissluftbehandlung erreichbaren Wärmegrade nach meinen Versuchen einer 
entsprechenden Korrektur unterzieht, so steht diese Applikationsart in Bezug auf 
die Höhe der erreichbaren Temperaturen immer noch an erster Stelle, und damit 
könnte die Thatsache, dass man mit dieser Applikation von Wärme vielfach bessere 
therapeutische Resultate wie mit jeder anderen erzielt, zum Theil ihre Erklärung finden. 


Erreichbare 

Medium Maximaltemperaturen 
Wasser 40—50 0 

Moor, Fango 45—55° 

Wasserdampf 50—60° 


Erreichbare 

Medium Maximaltemperaturen 
Sand 55-65 “ 

Heisse Luft 80—90 ° 


Das Verhalten der Körpertemperatur. 

Ueber das Verhalten der lokalen Körpertemperatur bei Erwärmung liegen ver- 
hältnissmässig wenige Untersuchungen vor. Peters liess eine mit Wasser von 61 ° 
gefüllte Wärmeflasche an die Hohlhand anlegen; nach 10 Minuten war die Hand¬ 
rückentemperatur um 4° gestiegen. Winternitz wiederholte diese Versuche in der 
Weise, dass er die Hohlhandtemperatur bei Erwärmung des Handrückens durch eine 
mit Wasser von 50 ° gefüllten Kautschuckblase mass. Innerhalb von 40 Minuten 
stieg die Temperatur der Hand von 33,8 auf 37,3“. Salomon 1 ) mass als Effekt der 
Erwärmung durch heisse Kataplasmen von 55—59 ® in verschiedenen Fistelgängen 
für eine Tiefe von 1—2 cm 1,2°, für 3—4 cm 0,2—0,4 ° als Temperatursteigerung. 
Im Munde gemessen, betrug diese durchschnittlich 0,75—1,2°, in der Hohlhand 
bei Erwärmung des Handrückens bis 0,3°. Quincke 2 ) konstatierte bei äusserer 
Erwärmung in der männlichen Harnröhre Anstiege bis zu 41 ®. Ich fand bei meinen 
Versuchen direkte lokale Temperaturerhöhungen von 2,5 — 4° bei Anwendung von 
Lufttemperaturen von 70—90° durch 30—40 Minuten. Die Hautoberflächentemperatur 
betrug dabei 39 — 40“, häufig selbst 40,5°, gemessen mit einem gewöhnlichen 
Maximalthermometer in einer nach Aufhören der Heissluftbehandlung rasch ge¬ 
bildeten Hautfalte. Schreiber 3 ) fand bei gleichen Messungen in zwei Fällen 40,5 
und 41 °; bei diesen kam es aber unter der Einwirkung der Luft zu schweren Ver¬ 
brennungen. Noch höhere Zahlen (42° und darüber) fand Frey 4 ) bei Anwendung 
seiner Heissluftdouche und Messen der Temperatur mittels des Hautthermometers 
nach Galante. 

Ebenso schwankend sind die Angaben über die Veränderungen der allgemeinen 
Körperwärme bei lokaler Erhitzung eines Körpertbeiles. Lindemann 8 ) beobachtete 
entweder gar keine Veränderung oder nur geringfügige Erhöhungen bis höchstens 
0,3 °. Messungen der Rektumtemperatur bei Behandlung mit dem lokalen Elektro- 
thcrm ergaben sogar Erniedrigungen um mehrere Zehntelgrade. Grawitz“) fand im 
heissen Sandbade Zunahmen von durchschnittlich 0,5°. Frey und HeiligenthaD) 


i) Berliner klinische Wochenschrift 1897. 

*) Berliner klinische Wochenschrift 1897. 

3 ) 1. c. 1. c. 

■>) Münchener medicinische Wochenschrift 1898. 

«) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1898, 

~) Citicrt nach Goldscheider, im Handbuch für physikalische Therapie von Goldscheider 
und Jacob. Leipzig 1901. Georg Thieme. 


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449 


Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 

konstatierten im Dampfraume von 45 0 nach 25 Minuten ein Ansteigen (1er Körper¬ 
temperatur um 2,7°. Mendelsohn 1 ) behauptet, dass die Allgemeintemperatur 
während des Heissluftbades, wie hoch auch die lokal einwirkende Hitze gewählt 
werden möge, höchstens um Bruchtheile eines Grades, niemals um erheblichere 
Differenzen ansteigt, gleichgiltig, ob man sie unter der Zunge, in der Achselhöhle, 
oder an anderen Körperstellen misst. 

Ich habe bei einer grossen Anzahl von Patienten (23) während ihrer Behandlung 
systematisch Messungen der Körpertemperatur an verschiedenen Stellen (Achselhöhle, 
Inguinalfalte, Hand, Ellenbeuge) vorgenommen und gefunden, dass es selbst bei Be¬ 
handlung kleiner Körpertheile, wie Hände oder Ftisse, zu einem deutlichen Ansteigen 
der Allgemeinwärme kommt. Dieser Anstieg beträgt bei mittleren Temperaturen von 
70—80 0 mehrere Zehntel eines Grades bis zu 1 bei hohen Temperaturen (80—90 # ) 
1—1 Vj°, selbst 2°. Mehrmals habe ich Temperaturen von 38,3—38,7 0 in der Achsel¬ 
höhle gemessen. Bei einem Patienten (Tabes dorsalis) habe ich zweimal — freilich 
bei gleichzeitiger Behandlung fast der halben Körperoberfläche — 39,5 und 39,6° 
in der Achselhöhle gemessen. Die Steigerung erfolgte innerhalb dieser Grenzen 
bei einem und demselben Patienten ziemlich proportional dem Anstiege der Luft¬ 
temperatur. Von wesentlichem Einflüsse ist auch die Grösse der Oberfläche des 
behandelten Körperabschnittes. 

Der Abfall erfolgt langsamer als der Anstieg. Auch noch einige Zeit nach be¬ 
endeter Behandlung besteht die Temperaturerhöhung, um allmählich zur Norm zurück¬ 
zukehren. 

Das Verhalten von Puls, Blutdruck und Respiration. 

Die Frequenz des Herzschlages wird im allgemeinen durch Wärmereize ge¬ 
steigert. Lindemann 2 ), Mendelsohn 3 ) u. a. fanden bei der lokalen Anwendung 
heisser Luft Steigerungen der Pulsfrequenz um 10—20 Schläge. Etwas höhere 
Zahlen (20—30 und noch mehr) habe ich bei meinen Versuchen gefunden, aus 
denen ich zwei als Beispiele herausgreife: 

Versuch VIII. Marie Kr., 27 Jahre. Gonitis chron. rheum, bilat. Beide Beine bis 
zur Mitte der Oberschenkel im Kasten (System Odelga). Puls 84. Respir. 24. 


Zeit 

| Temperatur 
| im Kasten 

Puls 

Respir. 

9 Uhr 

10 Min. 

480 

00 

X 

20 

9 

» 

15 

» 

580 

«4 

28 

9 

» 

20 


040 

86 

28 

9 

» 

25 

» 

700 

92 

28 

9 

* 

30 


740 

93 

28 

9 

» 

35 

» 

78«» 

99 

30 

9 

T» 

40 

» 

800 

104 

30 

9 

» 

45 

» 

820 

108 

30 


Höchste Temperatur in der linken Achselhöhle 38,1°. 


1) I. C. *) I. C. s) 1. C. 



Original from 

UEIVERSITY OF MICHIGAN 



450 Robert Grünbaum 


Versuch IX. Ferdinand Gr., 29 Jahre. Polyarthritis chron. rlieum. Beide Beim; 
bis über das Hüftgelenk im Kasten (System Rcitler). Puls 68. Respir. 20. 


Zeit 

Temperatur im Kasten 

Puls 

Respir. 

10 Uhr 15 Min. 

130° (51°) 

68 

21 

10 » 20 » 

1700 ( 5 ßo) 

74 

24 

10 » 25 » 

190° (62°) 

78 

24 

10 » 30 » 

2000 (690) 

87 

24 

10 » 35 » | 

2050 (750) 

91 

27 

o 

o 

2100 (780) 

102 

28 


Schluss der Behandlung 



10 Uhr 45 Min. 

HO® (680) 

84 

22 

10 » 50 » 

800 ( 550 ) 

84 

21 

10 »55 » 

650 (480) 

80 

21 


Höchste Temperatur in der linken Achselhöhle 37,6°. 


Ob direkt auf die Herzgegend applizierte Wärmereize einen besonders starken 
Einfluss auf die Pulsfrequenz ausüben, darüber fehlen mir eigene Beobachtungen, 
hingegen kann ich die von Winternitz gefundene Thatsache, dass Wärmereize am 
Nacken zunächst die Pulszahl herabsetzen und erst nach längerer Einwirkung be¬ 
schleunigen, nicht bestätigen. Ich habe bei meinen Versuchen diesen prinzipiellen 
Unterschied gegenüber anderen Körperstellen nicht finden können. Auch bei Be¬ 
handlung der Nackengegend stieg die Pulsfrequenz allmählich an, ohne vorausgehendc 
Erniedrigung. 

Versuch X. Karl Th., 42 Jahre. Torticollis rheumat. Nackenapparat (System Reitler). 

Puls vorher 69. 69. 69. 

Puls während der Behandlung 69. 69. 72. 72. 75. 75. 78. 75. 81. 84. 81. 81. 81. 81. 84. 

84. 87. 87. 88. 90. 90. 90. 87. 90. 90. 

Temperatur der RQckcnhautoberfläche nach beendeter Behandlung 40,9°. 

Höchste Temperatur in der linken Hohlhand 37,4°. 

Ueber das Verhalten des Blutdruckes unter dem Einflüsse von Wärmeprozeduren, 
zumeist untersucht während der verschiedenen Warmwasserapplikationen, liegen die 
widersprechendsten Angaben vor. Die einen (Kunigama, Grefberg) fanden hierbei 
Erhöhung, die anderen (Winternitz, Schweinburg, Colombo) Herabsetzung, die 
dritten (Zadek) gar keine Veränderung. Tschlenoff 1 ) hat diese Beziehungen einer 
neuerlichen gründlichen Nachprüfung unterzogen und kam zu folgenden Schlüssen: 
»Indifferente Vollbäder von 34 — 35 0 beeinflussen den Blutdruck auf keine Weise, 
oder haben eine ganz geringe Herabsetzung des Druckes zur Folge. Heisse Voll¬ 
bäder von 38 — 40° setzen den Blutdruck etwas herab (um 5 —10 mm) oder lassen 
ihn unverändert«. Tschlenoff betont aber ausdrücklich, dass die gefundenen Ver¬ 
änderungen noch in die Fehlergrenze der verwendeten Messapparate (Basch, Mosso) 
fallen, andererseits in den Bereich der physiologischen Blutdruckschwankungen, dass 
es also nicht angeht, aus ihnen irgend welche weitgehenden Schlüsse über die Wirkung 
der verwendeten Prozeduren zu ziehen. 

Ueber das Verhalten des Blutdruckes bei den Heissluftapplikationen fehlen noch 


i) Diese Zeitschrift 1898. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 451 

alle Angaben. Ich habe zu meinen Messungen das Tonometer von Gärtner verwendet, 
über dessen Gebrauch mir aus meinen früheren Untersuchungen 1 ) reichlich Er¬ 
fahrungen zur Verfügung standen, unter Berücksichtigung aller nothwendiger Weise 
zu beobachtenden Vorsichtsmaassregeln. Ich sorgte dafür, dass die Hand der Ver¬ 
suchsperson stets in der Höhe des Herzens auf einer festen Unterlage bequem, unter 
Vermeidung jeglichen Druckes, aufruhte, und mass stets an demselben Finger mit 
einem Ringe, der dem Kaliber des Fingers genau entsprach. Nachdem der Patient 
die Lage eingenommen, die er auch während der Behandlung einhielt, machte ich 
zunächst eine grössere Anzahl von Messungen, bis das Niveau des Blutdruckes sich 
annähernd konstant erwies. Dann erst wurde die Behandlung begonnen, und während 
derselben und noch einige Zeit nachher ohne Lageveränderung des Patienten die 
Messungen kontinuierlich fortgesetzt. 

Versuch XI. Ferd. Gr., 29 Jahre. Polyarthritis rheum. Beide Beine und linke Hand 
im Kasten. (System Reitler). 


Blutdruck vorher 135. 

138. 134. 135. 136. 135. 133. 132. 134. 

Zeit 

Blutdruck 

Temperatur 
(nach Angrabe 
des Kasten¬ 
thermometers) 

9 Uhr 5 Min. 


j 950 

9 » 10 » 

120. 118. 116. 115. 

HO« 

9 » 15 x 

115. 112. 109. 110. 115. 

1300 

9 » 20 » 

112. 109. 108. 110. 112. 

1380 

9 » 25 » 

110. 108. 110. 110. 

1460 

9 » 30 » 

107. 106. 105. 109. 

1500 

9 » 35 » 

107. 109. 108. 107. 

Schluss der Behandlung. 

1520 

9 Uhr 40 Min. 

108. 108. 108. 

— 

9 » 45 » 

110. 110. 111. 110. 

— 

9 » 50 » 

110. 112. 112. 111. 115. 

— 


Versuch XII. Fried. K., 42 Jahre. Arthritis deform. Beide Beine im Kasten 
(System Reitler). 

Blutdruck vorher: 125. 125. 123. 123. 125. 123. 


Zeit 

Blutdruck 

Temperatur 

(nach Angabo 
des Kasten¬ 
thermometers) 

10 Uhr 5 Min. 

125. 125. 120. 120. 

130° 

10 » 10 » 

120. 115. 115. 114. 115. 

1700 

10 i» 15 » 

115. 115. 110. 110. 

1900 

10 » 20 » 

115. 115. 110. 110. 112. 

2000 

10 » 25 » 

110. 110. 108. 109. 

2050 

10 x 30 » 

107. 107. 106. 106. 105. 105. 106. 
Schluss der Behandlung. 

2100 

10 Uhr 35 Min. 

108. 110. 108. 108. 108. | 

— 

10 a 40 » 

109. 107. 108. 109. 107. 

— 

10 » 45 » 

111. 115. 111. 110. 110. ! 

1 

— 


>) Wiener medicinische Presse 1899. 


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452 Robert Grünbaum, Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 

Versuch XIII. Johann St., 49 Jahre. Omarthritis chron. dextr. Rechter Arm im 
Kasten (System Reitler). 

Blutdruck vorher: 140. 135. 138. 140. 139. 140. 





Temperatur 


Zeit 

Blutdruck 

(nach Angabe 
des Kasten¬ 
thermometers) 

0 Uhr 45 Min. 

134. 130. 135. 129. 127. 

1050 

9 

B 50 » 

130. 130. 129. 126. 126. 

HO« 

9 

» 55 » j 

126. 123. 124. 119. 116. 

1170 

10 

7) 

115 115. 117. 125! (Gefühl des 

| 1400 



Brennens) 


10 

» 5 » 

120. 125. 125. 120. 

1300 

10 

» 10 » 

125. 123. 124. 119. 117. 

1370 


Versuch XIV. Gustav W., 27 Jahre. Gonitis gonorrhoica dextr. Das rechte Bein 
im Kasten (System Reitler). 

Blutdruck vorher: 115. 118. 115. 116. 115. 116. 116. 






Temperatur 

Zeit 


Blutdruck 

(naoh Angabe 





des Kneten- 





thermometers) 

9 Uhr 

15 Min. 

108. 107. 110. 113. 110. 

700 

9 » 

20 


114! (Brennen an den Zehen) 105. 

1100 




107. 105. 104. 

1 

Zehen mit Watte 

1 abgedeckt 

9 » 

25 


98. 98. 96. 97. 103. 96 

1 1400 

9 » 

30 

» 

98. 103. 102. 102. 

1520 

9 >. 

35 

» 

104. 101. 103. 99. 

1550 




Schluss der Behandlung 



9 Uhr 40 Min. | 104. 106. 105. 103. 101. | 

9 » 45 » | 100. 102. 104. 105. 104. 

<1 » 50 » ' 107. 105. 107. 108. 105. J - 

9 » 55 » 106. 107. 106. 106. ' 

I l 

Es zeigte sich bei allen Versuchen unter dem Einflüsse der Heissluftbehand¬ 
lung eine Herabsetzung des Blutdruckes, die im Durchschnitt 10—20 mm, in 
einer ganzen Reihe von Fällen bis 30 mm betrug. Diese Differenzen sind zu be¬ 
trächtlich, als dass man sie nur auf Untersnchungsfehler und auf die physiologischen 
Schwankungen, die fast niemals grösser wie 5—15 mm sind, beziehen könnte. 
Ausserdem erfolgt dieser Abfall ziemlich gleichmässig ohne Unterbrechungen bis 
zum Schlüsse der Behandlung. Der erniedrigte Blutdruck bleibt auch nach Sistieren 
derselben noch durch längere Zeit hindurch bestehen und kehrt sehr langsam zur 
Norm zurück, vorausgesetzt, dass Patient noch weiter ruhig in derselben Lage ver¬ 
bleibt und nicht seinen Blutdruck durch Lagewechsel oder andere Muskelanstrengungen 
in die Höhe treibt. Bei mehreren Versuchen beobachtete ich während des Abfallens 
ein plötzliches, unvermitteltes Ansteigen um 5—10 mm (Versuche XIII und XIV). 
In fast allen Versuchsprotokollen findet sich an diesen Stellen der Vermerk, dass 
Patient an irgend einer Stelle das Gefühl intensiven Brennens hatte. Wurde der 
Temperaturanstieg gemässigt, oder diese Stelle durch Watteauflage vor allzustarker 
Erhitzung geschützt, so fiel der Blutdruck weiterhin konstant. Ich möchte diese 


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B. Laquer, Ueber Nahrung und Ernährung. 


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plötzlichen kleinen Anstiege auf die Schmerzempiindungen der Patienten beziehen, 
wie ja ganz allgemein starke sensible Reize blutdrucksteigernd wirken. 

Den geringsten Einfluss üben die Heissluftapplikationen auf die Respiration 
aus. Die Athemfrequenz erhebt sich während derselben nur um wenige Athemzüge 
(4—8), und diese Zunahme verschwindet sehr rasch mit dem Absinken der Kasten¬ 
temperatur. 

Ueber die praktischen Erfahrungen, die wir mit der Heissluftbehandlung ge¬ 
macht haben, und über die therapeutischen Resultate derselben werde ich an anderer 
Stelle ausführlich berichten. 


Kritische Umschau. 


Ueber Nahrung und Ernährung. 

Von 

Dr. B. Laquer 

in Wiesbaden. 

In Form der Besprechung dreier jüngst erschienener Vorträge wollen wir die 
Art und Weise schildern, in der biochemische, insbesondere Ernährungsprobleme 
neuerdings betrachtet werden. 

Das Ziel aller Ernährung ist die Aufrechterhaltung der Organisation unserer 
Zellen, von den vitalen Vorgängen, die dabei in Frage kommen, handelt der Vortrag 
von F. Hofmeister (Die chemische Organisation der Zelle. Braunschweig 1002). 

Die bioenergetischen Umsetzungen verlaufen in der Zelle weit komplizierter 
als in der Dampfmaschine; das beiden, der Zelle und der Lokomotive, zugeführte 
Heiz- und Brennmaterial unterliegt verschiedenen energetischen Veränderungen; die 
Kohle hat nur die Aufgabe, die Maschine zu heizen; die Nahrung dient zugleich als 
Baustein der Zelle, sie befördert Wachsthum, ergänzt Defekte. Den verschiedenen 
Leistungen der Drüsen-, der Muskel- und Nervenzellen entsprechen differente 
chemische Zwischenstufen, in welche die eingefühlte Nahrung sich erst verwandelt. 
Die Vereinfachung dieser Zwischenstufe z. B. bei der Amoebe ist nur eine schein¬ 
bare in folge der Zusammendrängung der beim Thiere breit vertheilten Funktionen 
auf einen kleinsten Raum. — Die tinctorielle Differenzierung der Zelle führt nur zu 
unklaren physikalisch - chemischen Differenzen, noch dazu an stark verändertem 
Material. Hingegen ergiebt die rein chemische Untersuchung der Gewebselemente, 
selbst wenn sie zertrümmert sind, wichtige Befunde, nur im Organbrei gelingt oft 
erst der Nachweis von vitalen Agentien, z. B. von Fermenten. Ja die struktur¬ 
chemische Auffassung lässt Verhältnisse erkennen, die unter der Grenze der Sichtbar¬ 
keit liegen (z. B. in den Arbeiten Ehrlich’s und seiner Schüler. Ref.) 

Vortragender will aber nicht von der Struktur ausgehend das Zellleben schildern, 
sondern von den Leistungen her, also gewissermaassen a tergo fragen, wie muss 
die Zelle, etwa die der Leber höherer Thiere gebaut sein, um diese grossartigen 
Leistungen zu ermöglichen und zu vollbringen. In der Leberzelle spielen sich 
Synthesen, Analysen, Paarungen, Erzeugung von Verbindungen, Verankerung und 
Neutralisierung von Giften, ferner Assimilation bezw. Hydrierung und Oxydation der 
zugeführten Nährstoffe ab; eine Theilung der Arbeit in getrennten Räumen und Be¬ 
hältern der Leber als solchen wie im Laboratorium ist nicht wahrscheinlich; alle 
Leberzellen sind in dieser Hinsicht gleichwerthig befähigt und eingerichtet, es spielen 


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B. Laquer 


sich also in der nur mikroskopisch sichtbaren Zelle zehn und mehr chemische Vor¬ 
gänge neben- oder nacheinander ab. 

Was ist dazu an Material und Einrichtungen nöthig? Vor allem das 
sogenannte Ausgangsmaterial, und zwar in gelöstem Zustande, sodann der reagierende 
Körper selbst, das Reagens, ferner Wärme, unangreifbare Behälter, die auch zur Unter¬ 
bringung der sich anhäufenden Reaktionsprodukte dienen. Das, was den Zellchemismus 
gegenüber der Werkthätigkeit im Laboratorium auszeichnet, sind die Einfachheit 
und Zweckmässigkeit der angewandten Mittel und die Raum- und Kraftersparniss; 
prinzipiell giebt es keinen Unterschied zwischen Zellen- und Laboratoriumsarbeit. Nur 
jene katalytisch wirkenden Reagentien von kolloidaler Beschaffenheit sind es, 
welche die verhältnissmässig grossen Leistungen ohne wesentliche Selbstabnutzung 
vollbringen; ihre Konstitution verhindert sie auch, die Zelle mit ihren ebenfalls 
kolloiden Wänden zu verlassen. 

Für jede vitale chemische Funktion wird man dereinst ein spezifisch auf sie 
abgestimmtes intracelluläres Ferment finden; Millionen hiervon haben in der kleinsten 
Zelle, die sie alle beherbergt, genügenden Spielraum. 

Wie aber das eine Pepsin verschiedene Eiweisskörper spaltet, so vermag manches 
intracelluläres Ferment abwechselnd auch auf Stoffe gemeinsamen Baues zu wirken; 
auch die »reversible Fermentwirkung« gehört in diese Betrachtungen. Für den 
Moment der Gefahr (Infektion, Vergiftung) stehen in gleicher Weise Fermente zur 
Verfügung, auch die sogenannte Autolyse (Selbstverdauung), eine Art von »Toten¬ 
gräberarbeit«, muss herangezogen werden; die mit ihr einhergehende Bildung bakterizider 
Stoffe schützt den Gesammtorganismus vor den Gefahren der Autolyse. 

Mathematische Gesetzmässigkeit, wie etwa bei rein mechanischen Konstruktionen, 
Auslösungs-Hemmungsvorrichtungen, Automatismus und Selbststeuerung (Reversibilität) 
fehlen auch in der Organisation der Zelle keineswegs, wie an Beispielen gezeigt 
wird, so z. B. an dem Problem der Befruchtung. Kolloide Scheidewände (Bütschli’s 
Schaumstruktur) ermöglichen getrennte Lokalisation der chemischen Zellarbeiten; 
dafür sprechen auch a priori Gründe, z. B. die nothwendige Annahme des Neben- 
und des Nacheinanders ganz entgegengesetzter chemischer Reaktionen, mit denen 
auch noch die Unangreifbarkeit der Zellwände bedinglich verknüpft ist Analogieen 
der Zellstruktur im einzelnen mit unseren künstlichen Spül- und Trichter- und 
Filtriervorrichtungen liegen ebenfalls im Rahmen der Wahrscheinlichkeit. 

Vortragender betont den trotz aller waghalsigen Ausflüge in unbekannte Gebiete 
heuristischen Werth seiner Erörterungen und stellt sich in Bezug auf die allgemein 
biologischen Anschauungen in die Mitte zwischen du Bois (Ignorabimus) und 
Bunge (Neovitalismus!). 

Aus den feinen vielverschlungenen Pfaden der Zellbiologie führt der zweite 
Vortrag auch eines Strassburger Dozenten Prof. Jos. Försters zu höheren- wirthschafts- 
hygienischen Ein- und Ausblicken. »Warum und was essen wir?« ist das Thema 
der Kaiser-Geburtagsrede (Strassburg 1901. J. H. Heitz). Mit einem seltener ge¬ 
hörten Homerischen Citat beginnend setzt der Vortragende in der Einleitung den 
Wechsel der Ansichten auseinander, welche im Zeitenlauf über die »alltäglichste aller 
täglichen Handlungen«, die Speiseaufnahme gehegt wurden. Im 18. Jahrhundert 
spukte das Phlogiston, ein ubiquitärer Wärmestoff; Lavoisier bestimmte zuerst 
scharf den chemischen Verbrennungsbegriff; das Leben ist ein fortwährender Ver¬ 
brennungsprozess; wir essen verbrennungsfähige, Sauerstoff durch die Athmung bezw. 
in dem Gewebe aufnehmende Stoffe, die dementsprechend wasserlöslich sein müssen, 
oder es durch die Verdauung werden; Liebig und Wöhler begründeten die organische 
Chemie; des ersteren Anschauungen galten jahrzehnte lang. Pettenkofer, Voit, 
Pflüger lehrten die Bedingungen, die quantitativen und qualitativen, unter denen 
die Nahrungsaufnahme bei Arbeit und Ruhe, bei Krankheit und Rekonvalescenz, in 
der Jugend und im Alter vor sich geht. Hierbei ist die Lehre von der Erhaltung 
der Energie der Mittelpunkt, die Nabe; der Kaloriebegriff entsteht, d. i. 437 mkg, 
d. i. der zehnte Theil der Arbeit, die ein Mann von 70 kg leistetj falls er die GO m 
hohe Plattform des Strassburger Münsters besteigt; 1 g Eiweiss liefert bei der Ver¬ 
brennung im lebenden Körper 5,7 Kalorieen, d. i. 2500 mkg, 1 g Fett 4000 mkg, 1 g 
Zucker 1750 mkg. 


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Ueber Nahrung und Ernährung. 455 


Nun berechnete Malthus in Cambridge vor 100 Jahren, dass die Bevölkerung 
unserer Erde in geometrischer, die Produktionsfähigkeit an Nahrungsmitteln nur in 
arithmetischer Reihe zunehme; dieser Prophetie von Hunger, Elend und Untergang ist 
nun neuerdings der englische Physiker Crookes entgegengetreten; die kaukasische 
Race, so führt Crookes aus, verdankt dem Genuss von Weizen-Roggenbrot ihrUeber- 
gewicht gegenüber den Reis und Hirse essenden Völkern. 

Wie könnte nun dem Boden der zum Aufbau unserer Brotfrüchte nöthige Stick¬ 
stoff in stärkerem Maasse dargeboten und so die Ertragsfähigkeit des Bodens ge¬ 
steigert werden? 

Den gebundenen Stickstoff liefert der Chemiker; als Quelle desselben imponiert 
uns vor allem die Atmosphäre, die ihn allerdings nur frei mit sich selbst zu Stick¬ 
gas vereinigt enthält; der Niagara vermag diejenige Energie, die diesen freien N 
bände, abzugeben, ohne an Fallkraft einzubüssen. Diese von Crookes postulierten 
Maschinen sind, wie die Tagesblätter berichten, an den Fällen kürzlich erbaut und 
von Lord Kelvin (W. Thompson) dem englischen Physiker besichtigt worden. 
Der so der Ackerkrume zugeführte N verdoppelt und verdreifacht die Brotfrucht¬ 
ernte. Ferner könnten die Broteiweissstoffe, die unserer Nahrung dienen, aus niederen 
Stoffen aufgebaut werden; Alkohol, Süssstoffe sind synthetisch gewonnen worden. 
Fett und Eiweiss werden folgen. Oder ist das alles doch ein Ikarischer Flug? so 
fragt der Vortragende und weist auf Grund von Untersuchungen seines Schülers 
Saltet auf die Unsicherheit statistischer Berechnung hin und weiterhin auf die kulina¬ 
rische Geschmacksverschlechterung, die von den künstlichen Nährpräparaten droht. 
Und auch die Frage, ob die aus dem Laboratorium des Chemikers stammenden 
Nährmittel hinsichtlich der Bewerthung als Kraftquelle den Nährmitteln, die uns 
die Natur liefert, völlig gleichstehen, ist noch eine offene; die Bedeutung der Salze, 
die Zerstörung gewisser Substanzen durch die Temperatur beim Backen und Kochen 
spielen hier eine grosse noch unerforschte Rolle. 

Tauben mit kalkarmer Nahrung gefüttert erkranken; ebenso zuweilen Kinder, 
die nichts als abgekochte Milch erhalten; in Weizenbrotländern nimmt die Karies 
der Zähne Ueberhand — angeblich wegen Mangels der Fluorspuren, die in der 
Roggenasche vorhanden sind; die Bedeutung des Jods für den Stoffwechsel des 
Menschen erkannt zu haben, ist erst eine Errungenschaft des letzten Jahrzehntes. 

Die Beri-Beri-Krankheit der Indier — in Japan Kakke genannt — eine Art 
peripherer Neuritis wurde durch interessante Thierversuche von Eijkmann-Batavia 
auf den Genusss von geschältem Reis zurückgeführt; das Silberhäutchen des Reises 
enthält einen Stoff, der dem Organismus unentbehrlich ist. Die synthetische Her¬ 
stellung künstlicher Nahrung wird dem Forscher sowohl als den Regierungen, die über 
das Wohl ihrer Unterthanen zu wachen haben, neue und schwierige Probleme stellen. 

In die Verhältnisse des Stoffwechsels beim kranken Menschen, also in klinische 
Verhältnisse, führt die Abhandlung von F. Müller-Basel ein: Ueber einige Fragen 
des Stoffwechsels und der Ernährung (Volkmann’s Vorträge. Leipzig 1900. No. 272). 
In der Einleitung werden die normalen physiologischen Gesetze und ihre Anwendung 
als diagnostisches Hilfsmittel bei Krankheiten erörtert; die Feststellung der Unter¬ 
ernährung, d. h. Verbrennung und Aufnahme des Nährmateriales, lässt den Schluss 
auf Bestehen eines konsumierenden, zehrenden Faktors irgendwo im Körper zu. 

Das Gesetz der Isodynamie, d.i. der Vertretbarkeit von Eiweiss, Fett und 
Kohlehydraten im Verhältniss ihrer Heizwerthe, hat eine Ausnahme; eine bestimmte 
Menge Eiweiss (60 g) ist als Erhaltungsminimum stets zuzuführen; grössere Mengen 
als 60 g kommen unserer Leistungsfähigkeit nicht als direkte Kraftspender zu Gute, 
denn die Handarbeiter müssten sonst in ihrer Muskulatur den wohlhabenden Klassen 
nachstehen, während das Entgegengesetzte der Fall ist; die Zunahme arbeitender 
Muskeln ist eine Folge ihrer Uebung und vollzieht sich nicht in Form von Ver¬ 
mehrung, sondern in qualitativem Dickenwachsthum der an Zahl gleichbleibenden 
Muskelbündel in gleicher Weise, wie bei der Leber und bei den Nierenzellen. 

Abundante Eiweisszufuhr steigert den Stoffwechsel höchst unökonomisch und 
weit über sein Bedürfniss; sie führt zur Vermehrung der Wärmebildung, zu Steigerung 
der Herzaktion. — Die Hindus weisen ebenso wie die Chinesen, weil sie weniger 
Fleischeiwciss und mehr Pilanzeneiweiss (Reis) essen, weit seltener die bei uns häufige 


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B. Laquer, Ueber Nahrang und Ernährung. 


Arterienverkalkung, und ebenso selten chronische Nierenleiden auf, abgesehen davon, 
dass sie auch alkoholabstinent sind. 

Nur in der Rekonvalescenz nach langdauernder Unterernährung bedarf der 
Körper der Zufuhr grösserer Eiweissmengen, die er im Körper zurückhält und zum 
Ansatz bringt. Ebenso verfährt das gesunde Kind, dessen Wachsthumsenergie nicht 
durch Krankheiten geschädigt worden ist. »Die Pflanze treibt nur dann, wenn 
ihre Zeit gekommen ist.« Diese Affinitätsgier junger, wachsender Zellen hat in 
einem klassischen Beispiel der zu früh verstorbene Baseler Physiologe W. Mi es eher 
an den Hoden und Eierstöcken von Rheinlachsen erwiesen; für das Wachsthnm ihrer 
Generationsorgane entreissen sie ihrer geschwollenen Seitenmuskeln das Eiweiss; ähn¬ 
lich bauen trächtige Hündinnen aus eigenem Eiweiss den Embryo auf; Krebs¬ 
geschwülste verzehren so den Wirthsorganismus, auf dem sie wuchern. 

Mithin ist der Eiweissansatz vielfach abhängig von physiologischen Reizen 
(Uebung, Befruchtung), sowie von dem Wachsthumsreiz jugendlicher und avider 
Elemente. 

Den Verbrauch von Fetten und Kohlehydraten entscheidet der Bedarf; über¬ 
schüssiges Fett wird im Körper deponiert, und zwar im Innern lebender Zellen, wahr¬ 
scheinlich besorgt dies die Leber; im Blute giebt es bestimmte im Plasma gelöste, 
wenn auch noch nicht chemisch aufgeklärte Fettlecithinverbindungen mit Eiweiss; 
die lebende Thätigkeit des Zellprotoplasmas, wie sie uns Hofmeister schildert, 
führt sich auf chemischen Wegen das Fett zu. 

Tritt Fettmangel oder Fettbedarf ein, so vollzieht sich in gleicher Weise eine 
Fettabgabe an oft weit entfernte Organe; die Leber dient hierbei als Stapelplatz, 
vielleicht unter Mitwirkung der Nerven, sie verwandelt das Fett aber nicht in Zucker, 
wie dies die Pflanze leistet; letztere vermag auch Eiweiss synthetisch zu bilden, was 
das Thier nicht im stände ist. 

Ein Ueberschuss von Kohlehydraten (Zucker) führt ebenfalls zum Fettansatz; 
fette Leute haben langsame Verbrennung, sie erwärmen sich leichter, sie kühlen sich 
langsamer ab; die Kugelgestalt, der sich Fettwänste und Falstaffe nähern, bietet die 
geringste Oberfläche im Verhältnis zum Inhalt dar, d. h. also auch die geringere Ver¬ 
brennung, da diese direkt von der Körperoberfläche abhängt. Mässige Anfettung ist 
allein zu empfehlen; jeder stark Fettleibige ist gefährdet Andrerseits verweist 
Müller auf die Bedeutung der Mastkuren, ja selbst einer kräftigen Einzelmahlzeit 
als Nervenstärkungen, und auf die Verschiedenheit der Temperamente von Mageren 
und von Dicken. 

Der Nahrungsverbrauch ist vermindert bei absoluter Muskelruhe, bei Bettlage, 
er wird gesteigert b£i Kälte, z. B. im kühlen Bade, ferner durch Muskelarbeit, also 
auch beim jugendlichen, tonisch angeregten Körper, beim Marschieren und Berg¬ 
steigen; Fette magern daher nicht nur in Marienbad, sondern auch in Zermatt ab. 
— Andrerseits ist Muskelthätigkeit gerade den wohlhabenden zur Fettsucht Neigenden 
zu empfehlen; sie übt und kräftigt auch das Herz, sie schützt bedingungsweise vor 
Gicht, Zuckerkrankheit, oder mindert ihre Gefahren. 

Der Appetit sagt uns, wieviel und was wir essen sollen, er reguliert die Nahrungs¬ 
zufuhr, so auch in der Rekonvalescenz; bei Gesunden herrscht in Bezug auf Nahrungs¬ 
zufuhr ein gewisses Gleichgewicht, welches eben zu erstreben ist. 

Die Besprechung der Vorträge, die Skizzierung ihres Inhaltes soll natürlich zur 
eingehenden Lektüre anregen, die um so genussreicher ist, als alle drei in klarem 
Deutsch und von einem umfassenden, aus allen Wissenskreisen Beispiele heranziehenden 
Standpunkte aus geschrieben sind. 

Wie Nahrungsprobleme in scheinbar ganz abseits gelegene Gebiete hineinragen, 
beweist auch eine Abhandlung des Breslauer Nervenarztes H. Kureila 1 ), der auf 
Grundlage jener oben oft erwähnten Standardzahlen für Eiweiss, Kohlehydrate, Fette 
die Unmöglichkeit zu erweisen sucht, agrarische Zölle in der von der »Rechten« ge¬ 
forderten Höhe aufrecht erhalten zu können. 


M Handelspolitische Flugschriften 1902. Heft 3. Berlin. Springer. 


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Kleinere Mittheilongen. 


457 


Kleinere Mittheilungen. 


Eine alte diätetische Behandlung des akuten Schnupfens. 

Von Privatdozent Dr. Maximilian Stern berg in Wien. 

Die Zahl der gegen Schnupfen empfohlenen Mittel ist Legion, und täglich werden neue zur 
lokalen Behandlung von einer lauten und aufdringlichen Reklame angepriesen. Ich habe vor 
mehreren Jahren, gelegentlich von Litteraturstudien, die zu einem ganz anderen Zwecke unter¬ 
nommen wurden, in den ausgezeichneten Vorlesungen von Williams über die Krankheiten der 
Brust — der Williams’sche Trachealton trägt von ihm den Namen — eine Behandlungsweiso 
dieser lästigen Erkrankung gefunden, welche, wie ich mich überzeugt habe, mit Sicherheit das 
Leiden koupiert und meist auch die Entwickelung eines »descendierenden Katarrh es« verhindert. 
Da diese Methode gänzlich in Vergessenheit gerathen ist, sollen folgende Zeilen in Kürze darauf 
aufmerksam machen. Ich gebe die Darstellung von Williams*) mit Auslassung einiger neben¬ 
sächlichen oder nicht zum Thema gehörigen Sätze wörtlich wieder, wiewohl manches ein wenig 
altfränkisch klingt: 

>Einen Katarrh hält man gewöhnlich für eine unbedeutende Krankheit, und obgleich der 
damit Behaftete oft mehr daran leidet und mehr von derselben belästigt wird, als von einer Krank¬ 
heit, die einen ernsteren Namen führt, so bleibt es doch immer »nur eine Erkältung«. Man be¬ 
dauert den Kranken gewöhnlich etwas, und er nimmt einige Hausmittel, die weder Gutes noch 
Böses stiften. Allein diejenigen unter Ihnen, meine Herren, welche zu Katarrhen geneigt sind, 
werden mir gewiss beipflichten, wenn ich sage, dass diese Klasse von Krankheiten durch ihr 
häufiges Vorkommen, durch ihre eigenen Leiden und durch die vielen Schmerzen und Unannehm¬ 
lichkeiten, welche sie mit sich führen (als Kopfschmerz, Ohrenschmerz, Taubheit, Schlingbeschwerden, 
schwache Augen, rheumatische Schmerzen, Indigestion, Verstopfung u. s.w.) sehr viele Individuen 
mehr belästigen, und sie mehr in ihren Geschäften stören, als alle anderen Krankheiten zusammen¬ 
genommen. Es verlangt daher der Katarrh sicherlich mehr Aufmerksamkeit, als ihm gewöhnlich 
geschenkt wird. ... 

Nun haben aber viele Leute nicht die Zeit, auf ihrem Zimmer eine Erkältung abzuwarten, 
und sie lassen die Krankheit entweder ihren Verlauf durchmachen, oder sie bleiben — was noch 

schlimmer ist — einen Tag zu Hause und schwitzen tüchtig, und den anderen Tag gehen sie 

wieder aus, wo sie sich von neuem und noch stärker erkälten. Wir müssen also eine Methode aus¬ 
findig machen, die auch für diejenigen passt, welche wegen einer blossen Erkältung nicht das 
Zimmer hüten können oder nicht wollen, wozu hauptsächlich die Aerzte gehören. . . . 

Die Methode, einen Katarrh schnell zu beseitigen, besteht in der Austrocknung desselben, 
wie ich sie nennen möchte. Ich versuchte diese Methode zuerst an mir selbst, und welchen Erfolg 
sie hatte, will ich Ihnen mittheilen. In früherer Zeit litt ich häufig an heftigen katarrhalischen 
Affektionen des Kopfes, welche, nachdem sie acht bis zehn Tage gedauert hatten, gemeiniglich mit 
einem Husten endeten, der, noch so sorgsam abgewartet, kaum früher als nach 14 Tagen ver¬ 
schwand, und, wenn er vernachlässigt wurde, mich noch einmal so lange quälte. Als ich vor un¬ 
gefähr 12 Jahren von einer solchen Affektion befallen wurde, bemerkte ich, dass ich, wenn ich 

Thee trank, oder eine andere Flüssigkeit zu mir nahm, obgleich ich mich zur Zeit sehr wohl be¬ 

fand, eine Schwere, eine Verstopfung im Kopfe fühlte, die von einem Ausflusse einer brennenden 
reizenden Flüssigkeit aus Nase und Augen begleitet war. Ich beschloss daher, zu versuchen, ob 
ich nicht diese Exacerbationen durch Abschneidung der Zufuhr, durch Vermeidung des Trinkens 
nämlich, verhindern könnte. Ich nahm 24 Stunden lang auch nicht einen Tropfen irgend einer 
Flüssigkeit zu mir, und zu meiner angenehmen Ueberraschung entging ich nicht nur jenen Exacer- 


*) M. J. B. Williams, Vorlesungen über die Krankheiten der Brust. Deutsch bearbeitet 
unter Redaktion des F. J. Behrend. S. 156ff. Leipzig 1841. 

Zeltsohr. t dilt u. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 8. 


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458 Kleinere Mittheilungen. 


bationen, sondern auch die Verstopfung des Kopfes und der Ausfluss Hessen merklich nach, und 
ich brauchte lange nicht so häufig wie früher zum Schnupftuch meine Zuflucht zu nehmen. Ich 
setzte dieses noch 24 Stunden lang fort, und ich war von meinem Schnupfen befreit; nur dann und 
wann sammelte sich noch etwas gelatinöser, undurchsichtiger Schleim in der Nase und im Halse 
an, ohne Schwere im Kopfe oder Irritation, ganz so wie am Ende eines Katarrhes. Was aber noch 
weit wichtiger war, es erfolgte kein Husten wie früher, und das ganze katarrhalische Leiden schien 
verschwunden zu sein. . . . Die Hauptwirkung der Entziehung von allem Getränke besteht in der 
Abnahme der Masse der cirkulierenden Flüssigkeiten. Die natürlichen flüssigen Sekretionen dauern 
fort, obwohl in geringerer Menge. Nicht so die krankhafte Sekretion aus einem gereizten Membran. 
Mit der abnehmenden Vollheit der Blutgefässe wird auch die Irritation herabgestimmt, der krank¬ 
hafte Fluss hört auf, indem die sparsamer cirkulierende Flüssigkeit für die nothwendigen Ex¬ 
kretionen in Anspruch genommen wird, und die kranke Membran, nicht länger mehr durch ihr 
eigenes Sekret gereizt, nimmt bald wieder ihre gesunde Beschaffenheit an. . . . 

Wesentlich ist es für das Gelingen dieser trocknenden Behandlung (Methodus exsiccans), dass 
die katarrhalische Affektion sich noch in ihrem früheren irritativen Stadium befindet, in welchem 
sie gemeiniglich die Nasal- und Trachealschleimhaut ergreift. . . . 

Brot oder eine andere konsistente Mehlspeise mit etwas Butter, Vegetabilien, Weissfische und 
weisso oder gelatinöse Fleischnahrung, leichte Puddings und getrocknete Früchte werden zur 
trockenen Diät sich eignen. Ich habe oft sogar die Diät nur darin verändert, dass ich keine 
Flüssigkeiten gemessen Hess; und, was diesen letzteren Punkt betrifft, so ist zwar eine totale Ab¬ 
stinenz am wirksamsten, allein ich habe erst vor kurzem ermittelt, dass ein Theelöffel voll Thee 
oder Milch zum Frühstück oder Abendbrot und ein Weinglas voll Wasser beim Schlafengehen den 
Erfolg der Kur nicht beeinträchtigt. Ein grosser Vorzug dieser Methode ist aber, dass sie den 
Kranken in seinen gewöhnlichen Beschäftigungen nicht stört, und er das Zimmer nicht zu hüten 
braucht. Wenn man sich nur warm kleidet und vor Erkältung schützt, so unterstützt Bewegung 
in freier Luft die Kur, indem sie die natürlichen Sekretionen befördert Als mittlere Zeit kann 
man 48 Stunden annehmen, während welcher man sich jedwede Flüssigkeit entziehen muss. Oft 
waren schon 36 Stunden hinreichend, während einige wenige heftige Fälle drei Tage brauchten. 
Die katarrhalische Affektion ist gewöhnlich schon am Ende des ersten Tages bedeutend gemildert 
und fällt nur zu Zeiten beschwerlich, allein die Kur ist nicht eher vollendet zu nennen, als bis alle 
sogenannte Verstopfung in den Luftwegen verschwunden ist, und sich in den Nasal- uud Bronchial¬ 
röhren nichts weiter bildet, als ein konsistenter Schleim ohne Irritation.« 

Diesen Angaben von Williams habe ich nur weniges hinzuzufügen. Ich habe diese Be¬ 
handlungsmethode in mehreren Jahren an mir selbst, meiner Familie und einigen Freunden und 
Klienten — die meisten konsultieren ja wegen Schnupfens keinen Arzt — erprobt, stets mit voll¬ 
ständigem Erfolge. Es verschwindet nicht blos sofort der lästige Ausfluss aus Nase und Kon¬ 
junktivs, der den Patienten gesellschaftsunfähig macht, und namentlich dem Arzte äusserst 
hinderlich ist, sondern diese Behandlung ist zweifellos auch die beste Prophylaxe gegen die ge¬ 
fährliche Komplikation der Otitis media, die sicherlich in vielen Fällen nicht durch Uebergreifen 
der Entzündung per contiguitatem, sondern durch Hineinschleudern des Sekretes in die Paukenhöhle 
beim gewaltsamen Schneuzen erzeugt wird. Aehnlich verhält es sich wohl öfters mit den Neben¬ 
höhlen der Nase. Unbedingt nötliig ist, dass man sofort, im Beginne des Leidens, die Flüssigkeits¬ 
entziehung durchführt. Es bleibt alsdann auch der Durst aus, der sonst die Koryza begleitet. 
Temperaturerhöhung ist keine Kontraindikation. Die spezielle Diät kann jeder leicht zusammen¬ 
stellen. Ich lasse gewöhnlich zum Frühstück Rühreier mit einer Semmel nehmen, mittags wird 
einfach die Suppe weggelassen, ein kleines Weinglas voll Wasser oder Rothwein gestattet, ebenso 
abends ein Löffel voll. Da der Appetit ohnedies vermindert ist, kommt man zwei Tage lang mit 
diesen drei Mahlzeiten aus, am dritten Tage kann man in der Regel zu seiner gewöhnlichen Nahrungs¬ 
weise zurückkehren, und die Sache ist beendet Eine Kontraindikation bildet chronische Nephritis. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

Aus der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 

22.-28. September 1902. 

Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. 

Der glänzende äussere Verlauf der diesjährigen Naturforscherversammlung steht nicht ganz 
im Einklang zu den wissenschaftlichen Ergebnissen desselben) wenigstens insoweit diese die medi- 
cinischen Gruppenarbeiten betreffen, die in diesem Jahre entschieden gegenüber den allgemeinen 
Naturwissenschaften zurücktraten. Dies dokumentiert sich vor allem in den Vorträgen der allgemeinen 
Sitzungen, deren piöces de rösistance die Ausführungen von Prof. Koch (Göttingen) über den Kreis- 
1 auf des Stickstoff s sowie von Prof. v. Wettstein (Wien) über den Neo-Lamarckismus bildeten, 
aber auch weiterhin in den Versammlungen der einzelnen Gruppen, deren Arbeit wesentlich den 
experimentellen wie deskriptiven Naturwissenschaften zu gute kam. Für die Therapie, insbesondere 
die physikalische, ist die Ausbeute nicht gross, und wir müssen uns darauf beschränken, die 
wesentlichsten in den Verhandlungen zum Ausdruck gelangten Gesichtspunkte ihrer selbst wie der 
Grenzgebiete und der allgemeinen physiologischen und klinischen Themen wiedercugeben. 

In der Gesammtsitzung der beiden Hauptgruppen standen die Vorträge von Suess (Wien) 
über das Wesen der Quellen und Meyerhoffer (Berlin) über die chemisch-physikalische 
Beschaffenheit der Heilquellen im Vordergrund des Interesses. Von den vulkanischen Er¬ 
scheinungen an der Oberfläche des Erdballs ausgehend kommt Suess auf die Quellen zu sprechen, 
die häufig da zu Tage treten, wo man ihr Vorhandensein a priori gamicht erwarten sollte. So ist es 
von vornherein schwer verständlich, dass in einem auf granitischem Untergrund gelegenen Gebiet, 
wie es die nähere und fernere Umgebung von Karlsbad darstellt, solche Thermen zu Tage treten, wie 
sich der berühmte Kurort derselben rühmen kann. Nach Suess hat man zwischen der sogenannten 
Vadose (das ist die Gesammtheit des an der Erdoberfläche angesammelten, in Flüssen, Strömen, 
Bächen sowie im Meer enthaltenen Wassers) und dem »juvenilen Wasser«, d. h. demjenigen Wasser, 
das aus dem Erdinnem stammt und vermuthlich den Jugendzuständen unseres Planeten seine Ent¬ 
stehung verdankt, streng zu unterscheiden. Das Pulsieren (stossweise Emporwallen) heissen Wassers, 
wie es für eine beträchtliche Anzahl von Quellen charakteristisch ist, kommt in zweierlei Weise zu 
stände, nämlich einerseits durch den wechselnden Grad der Erhitzung, wie dies bei den Geysem in 
Island der Fall ist, andererseits durch die treibende Kraft des Kohlensäurcdruckes. Quellen wie 
die Gcyser kommen nur in rein vulkanischen Gebieten vor. Bezüglich der kohlensäurehaltigen 
Quellen unterliegt es keinem Zweifel, dass der Kohlensäure eine gewisse Selbstständigkeit gegen¬ 
über dem Wasser zukommt; bezüglich der Vulkane liegen zahlreiche Thatsachen vor, die beweisen, 
dass das eigentliche Agens der Eruption in dem Druck des Wasserdampfes zu erblicken ist. Neben 
anderen Thatsachen deuten die ausgeworfenen Schlammmassen, sowie die gleichzeitig mit der Lava 
ausgestossenen Wasserdämpfe in dieser Richtung. Ebenso wie in den Quellen hat man auch in der 
Thätigkeit der Vulkane regelmässige rhytmische Pulsationen beobachtet, Eruptionen, die durch 
Ueberführung des Wassers in Wasserdampf zu stände kommen. 

Bezüglich der Lage der Karlsbader Quellen erschien es, wie schon bemerkt, zuerst unfasslich, 
wie die grossen Mengen von kohlensaurem Kalk und sonstigen Mineralsalzen, welche die Wasser 
enthalten, mit Rücksicht auf den aus Granit bestehenden Untergrund zu erklären seien. Indessen 
haben neuere Untersuchungen dargethan, dass zwischen den Erzgängen des sächsischen Erzgebirges 
und den heissen Quellen in Böhmen einige Beziehungen bestehen. Zur Auflösung der in jenen 
Erzgängen enthaltenen mineralischen Substanzen muss natürlich das Wasser bezw. der Wasserdampf 
eine sehr hohe Temperatur erreichen, wie man sie für Wasser bezw. WäSserdampf in bedeutenden 
Tiefen überhaupt anzunehmen hat Wenn man mit Rücksicht auf die Temperatur der Karlsbader 

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Berichte über Kongresse und Vereine. 


Quellen auch darauf schliessen könnte, dass dieselben aus einer ungefähren Tiefe von 2000 Metern 
stammen, so liefern doch andererseits die in ihnen aufgelösten Bor- und Fluorsalze den unzweideutigen 
Beweis dafür, dass der Ursprung derselben in viel grösseren Tiefen zu suchen ist, wo eine so be¬ 
deutende Temperatur herrscht, wie sie für die Auflösung jener Salze im Wasser erforderlich ist 
Jedenfalls aber kann über den »juvenilen«, das heisst in das tiefe Erdinnere zu verlegenden Ursprung 
der Karlsbader Thermen ein Zweifel nicht obwalten. 

Im Anschluss an diese mehr geologischen Ausführungen sprach Mcyerhoffer vom chemisch¬ 
physikalischen Standpunkte aus. Nachdem er die osmotischen Vorgänge und die Beziehungen der 
Zellen des menschlichen Organismus zum osmotischen Druck eingehend erörtert, führte er des 
weiteren aus, dass die früher allgemein übliche Gewohnheit, Wirkung und Werth der Quellen nach 
der rein prozentualen Zusammensetzung zu beurtheilen, nicht den thatsächlichen Verhältnissen 
Rechnung tragt. Vielmehr sind die dynamischen Verhältnisse, wie Druck und Temperatur der 
Quellwässer nicht nur für die Beurtheilung des chemischen Zustandes, sondern auch des physio¬ 
logischen Verhaltens von entscheidender Bedeutung. Die allgemein bekannte Thatsache, dass das 
versandte Wasser der Heilquellen hinsichtlich seiner heilenden Wirkung dem direkt an der Quelle 
getrunkenen Mineralwasser nicht völlig gleichkommt, ist zuweilen wohl auf den Umstand zurück¬ 
zuführen, dass durch den Versand bezw. die längere Aufbewahrung der Mineralwässer der modifi¬ 
zierende Einfluss, den dieselben auf den osmotischen Druck ausüben, verändert wird, und dass 
gewisse Substanzen, die im Mineralwasser in ganz minimalen Mengen enthalten sind, unter den ver¬ 
änderten Verhältnissen im menschlichen Organismus nicht zur Geltung kommen. Vielleicht handelt es 
sich auch um Umlagerung von Atomgruppen, die sich einstweilen noch unserer Kenntniss entziehen, 
da die quantitative Analyse hierüber kaum Aufschlüsse liefert und das prozentuale Verhältniss der 
in den versandten Wässern enthaltenen Bestandteile dabei keine Veränderung zu erleiden braucht- 
Dass die elektrische Leitungsfähigkeit des Wassers grossen Schwankungen unterworfen ist, unter¬ 
liegt keinem Zweifel. So haben Ludwig und Mauthner durch eine Anzahl von Untersuchungen 
festgestellt, dass das reine Quellwasser eine Leitungsfähigkeit von nur 0,38, dagegen das durch 
Destillation gewonnene eine solche von 40,2 besitzt. Je nach dem Grade der Konzentration — die 
natürlich bei den zum Versand kommenden Mineralwässern durch theilweise Verdunstung der 
Flüssigkeit verändert wird — ändern sich nun die Verhältnisse des osmotischen Druckes. Hoffent¬ 
lich werden spätere Untersuchungen über die Verhältnisse, über die wir zur Zeit noch nicht genügend 
unterrichtet sind, weitere Aufschlüsse liefern. 

Die Osmose stand weiterhin im Mittelpunkt eines Vortrages von Strauss (Berlin), über 
Osmodiätetik. Ziel- und Angelpunkt jeder osmotischen Arbeit des gesunden Organismus läuft 
darauf hinaus, den osmotischen Druck des Blutes konstant zu erhalten. Möglich wird diese Konstant¬ 
erhaltung des osmotischen Druckes des menschlichen Blutes dadurch, dass wir ausgezeichnet 
funktionierende Regulationen voraussetzen müssen, die in der Weise wirken, dass sie einmal einen 
rapiden Zutritt grosser Mengen osmotisch wirksamer Moleküle zum Blute verhindern, und zweitens 
den Austritt osmotisch wirksamer Moleküle aus dem Blute in dem Maasse veranlassen, als es der 
Art und Menge des Zuflusses entspricht. Diesen Gesichtspunkten entsprechend zeigt der normal 
arbeitende Magen das Bestreben, blutisotonischo und bluthypertonische Lösungen hypotonisch zu 
machen, bis eine im Verlauf weiteren Verweilens der Ingesta im Magen nicht mehr veränderliche Zone 
der »Gastroisotonie« erreicht ist, weshalb hypertonische Lösungen ceteris paribus länger im Magen 
zurückgehalten werden, als molekular niedriger konzentrierte. Aus einer Reihe von Versuchen 
schliesst Strauss, dass der Resorptionsakt im Gegensatz zum rein osmotischen Molekülaustausch 
im Magen gerade bei osmotisch hochwerthigen Lösungen besonders stark und auch besonders rasch 
wirksam ist So verlässt eine Kochsalzlösung den Magen rascher, als eine gleichkonzentrierte Zucker¬ 
oder Magnesiumsulfatlösung, der Vorgang der Verdauung stellt eine Vorarbeit für den Darm dar, 
welche einerseits die Darmwand vor dem schädlichen Kontakt mit zu konzentrierten Lösungen 
schützt, andrerseits die Resorption im Darme, die ihrerseits eine Mischung vitaler und osmotischer 
Vorgänge darstellt, erleichtert und unterstützt. So wird man im Sinne einer osmodiätetischen 
Schonung handeln, wenn man — soweit flüssige Nahrungsmittel in Betracht kommen — eine 
möglichst »gastroisotonisehe« Nahrung verabreicht. Interessant ist nach dieser Richtung, dass die 
von der Natur fertig gebotenen und als besonders leicht verdaulich geltenden flüssigen Nahrungs¬ 
mittel, wie die Milch, das Eiereiweiss und der Fleischsaft, im Gegensatz zu Bier, Wein etc. die Zone 
der »Gastroisotonie« nur wenig überragen, indem sie blutisotonisch sind. Der Gesichtspunkt, eine 
möglichst gastroisotonische Konzentration der flüssigen Nahrungsmittel zu wählen, ist besonders 
wichtig für die Diätbehandlung der motorischen Insufficienz des Magens. Hier wird man nicht blos 
ein Uebermaass in der Zufuhr von Flüssigkeit, sondern auch das Zustandekommen einer hohen 


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osmotischen Konzentration des Mageninhaltes durch eine Verminderung in der Zufuhr von osmotisch 
hochwerthigcn Substanzen, wie Alkohol, Salzen, Zucker etc. zu vermeiden suchen. Für derartige 
Fälle empfiehlt sich auch die Wahl eines reichlichen Fettquantums, da das Fett keine osmotischen 
Ansprüche an die Magenwand stellt, und den motorisch insufficienten Magen im Vergleich zu 
anderen Nahrungsstoffen nicht mehr belastet, als seinem Kalorieengehalt entspricht. 

Den Zielen einer osmodiätetischen Reizung — so bei Apepsia gastrica und ähnlichen Zuständen 
— dürfte die Wahl osmotisch hochkonzentrierter Flüssigkeiten dienen, wenn auch die Konzentrations- 
Verminderung eines resorptionsfähigen, osmotisch hochwerthigen Materiales zunächst durch eine Ver¬ 
stärkung des nicht osmotischen Resorptionsaktes eingeleitet zu werden scheint. Eine weitere Frage 
ist die, inwieweit man bei Storungen des Austrittes osmotisch wirksamer Moleküle aus dem Blute 
in der Lage ist, osmodiätetisch zu wirken. Das hierfür in Betracht kommende wichtigste Organ ist 
die Niere, bei der einheitliche Versuchsreihen einmal ergeben haben, dass der an der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung gemessene osmotische Druck in ausserordentlichem Grade von der Grosse der gleich¬ 
zeitig vorhandenen Wasserausscheidung abhängt, und weiterhin, dass die Polyguric bei vielen 
Nephritikern einen kompensatorischen Zweck erfüllt Es giebt Nephritiker, die zur Aus¬ 
schwemmung einer normalen Valenzmenge eines grösseren Wasserquantums bedürfen, als Gesunde. 
Man findet ein derartiges Verhalten bei der Mehrzahl der sogenannten chronisch - interstitiellen 
Nephritiden, in der Rekonvnlescenz von akuten Nephritiden auch bei schweren Anämieen mit 
Nieren Verfettung. Pei Polyurie muss deshalb unter dem Gesichtspunkte der Herzschonung ein 
Ucbermaass in der Flüssigkeitszufuhr vermieden werden, aber nur das Uebermaass, nicht die 
Flüssigkeitszufuhr an sich, die namentlich bei den Formen der chronischen interstitiellen Nephritis 
zur dauernden Ausscheidung normaler Valenzmengen durchaus nothwendig ist. 

Eine sichere Herabsetzung der osmotischen Nierenarbeit ist durch Herabsetzung des Eiweiss¬ 
stoffwechsels zu erreichen. Man wird also den auch schon in der Praxis erprobten Grundsatz be¬ 
folgen, die Eiweissration des Nephritikers bei ausreichendem Kalorieengehalt der Diät nicht höher 
zu gestalten, als es zur Erhaltung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit (Herz!) nothwendig ist. 

Von den Verhandlungen der medicinischen Hauptgruppe des Kongresses verdienen noch be¬ 
sonderer Erwähnung die Vorträge von Leube (Würzburg) über physiologische Aljbuminurie, 
und von Eiselberg (Wien) über die Bedeutung der Schilddrüse für dejn Haushalt der 
Natur. Leube führte folgendes aus: Die bisher allgemein verbreitete Annahme, dass der Urin 
des gesunden Menschen niemals Albumen enthält, hat sich als unzutreffend erwiesen. Die an 
Soldaten und anderen gesunden Menschen seit einer Reihe von Jahren vorgenommenen Massen- 
untereuchungen haben vielmehr ergeben, dass der Urin bei 4% der Untersuchten in allen Proben 
Eiweiss enthält, in 16°/ 0 , wenn der Harnabscheidung Muskelanstrengungen, ein Dauermarsch und 
ähnliches vorangegangen waren. Damit war der ersterc sichere Nachweis erbracht, dass Eiweiss- 
ausscheidung im Urin nicht immer pathologisch ist, sondern noch in den Rahmen des physiologischen 
Verhaltens fallen kann. Neben dieser manifesten physiologischen Albuminuriej kommt noch eine 
latente physiologische Albuminurie vor, worunter man solche Fälle zu verstehen hat, wo die ge¬ 
wöhnlichen Eiweissreaktionen zwar kein Albumen im Urin erkennen lassen, wo aber doch nach 
Vorbehandlung des zu untersuchenden Harnes und bei Anwendung feinster Ei weisareagen tien* Spuren 
von Eiweiss erkennbar sind. 

Unter den physiologische Albuminurie begünstigenden Umständen spielen Muskelanstrengungen, 
die Zufuhr von Nahrung, ferner kalte Bäder, geistige Anstrengungen und Geraüthserregungen eine 
gewisse Rolle, als wichtigster Faktor für das Auftreten bezw. die Steigerung dor physiologischen 
Albuminurie ist jedoch die aufrechte Körperstellung anzusehen. Bei gewissen gesunden'Menschen 
erscheint regelmässig Eiweiss im Harn, wenn sie kürzere oder längere Zeit stehen, während die 
Albuminurie ausbleibt, wenn die Betreffenden in liegender Stellung verharren und ebenso wenn 
sie sitzen. Bei Muskelanstrengungen wird Eiweiss ausgeschieden, aber nur, wenn die Be¬ 
treffenden dabei auf den Füssen standen und erschöpft wurden; nervöse Einflüsse spielen bei 
gewissen Individuen bezüglich der Provozierung der physiologischen Albuminurie ebenfalls eine 
wichtige Rolle. Der Genuss weniger roher Eier kann Albuminurie provozieren, aber bemerkens- 
werther Weise nur dann, wenn dieselben im Stehen genossen werden, wobei dann erst Serum¬ 
albumin, später Eieralbumin in grösserer Menge von den Nieren ausgeschieden J wird. Die Dis¬ 
position zum Uebertritt von Eiweiss in den Urin bei gesunden Menschen erklärt sich am besten 
durch die Annahme einer angeborenen grösseren Durchlässigkeit der Filtrationsmembran der 
Niere, wofür auch das Vorkommen eklatanter physiologischer Albuminurie bei mehreren Gliedern 
derselben Familie spricht Nach Leube giebt es 1. Individuen, welche unter völlig «normalen 
Verhältnissen auch ohne Einwirkung der geschilderten, die Albuminurie begünstigenden Faktoren 


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in jedem (auch im Nachturin) Eiweiss entleeren. Es sind dies gesunde Menschen mit absolut 
undichtem Nierenfilter; 2. Individuen, welche nur, wenn sie ausser Bett sich befinden und die 
genannten Faktoren wirksam sind, Eiweiss im Harn entleeren (gesunde Menschen mit relativ 
undichtem Nierenfilter); 3. Individuen mit relativ dichtestem Nierenfilter, deren Urin unter allen 
Umständen eiweissfrei ist. Die Pubertätsalbuminurie (Albuminurie im Jünglingsalter; ist, ebenso 
wie die Fälle ausklingender oder initialer Nephritiden, von der physiologischen Albuminurie 
prinzipiell zu trennen. Sie ist eine Entwicklungskrankheit mit woblcharakterisiertem Krankheitsbild; 
die Ursachen dieser Krankheitserscheinungen sind theils schlechte Beschaffenheit des Blutes, theils 
ein leichter Grad von Herzinsufficienz mit Neigung zur Stauung. 

Das Auftreten von Eiweiss im Harn ist bei Menschen mit physiologischer Albuminurie eine 
harmlose Erscheinung und deswegen kein Gegenstand der ärztlichen Behandlung; dagegen kann 
die Pubertätsalbuminurie gebessert oder ganz geheilt werden durch Verbesserung der Blut¬ 
beschaffenheit (kräftige Ernährung, Aufenthalt in frischer Luft, Eisen) oder der Herzthätigkeit 
(Terrainkuren, Hydrotherapie etc.). 

In seinem Vortrage über die physiologische Bedeutung derj Schilddrüse weist 
Prof, von Eyselsberg (Wien) darauf hin, wie man erst in neuerer Zeit zu der Erkenntniss 
gelangte, dass die Schilddrüse ein nicht nur höchst wichtiges, sondern ein durchaus unentbehrliches 
Organ ist, dessen Fehlen schwere Wachsthumshemmungen, geistige Verblödung, ja sogar Starrkrampf 
und raschen Tod zur Folge hat. Diese Kenntniss verdanken wir einerseits dem Thierversuch, 
andererseits den zahlreich vorgenommenen Kropfoperationen. Solange die Entfernung des Kropfes 
sich auf einen Bruchtheil, bis etwa höchstens drei Viertel der ganzen vergrösserten Druse erstreckt, 
sind bedenkliche Erscheinungen nicht zu befürchten, sofern überhaupt nur noch ein normal 
funktionierender Rest der Drüse vorhanden ist. Ist aber alles entfernt, so leidet! der Organismus 
schwer und zwar gleich sehr bei Mensch und Thier. Verschieden ist aber das Verhalten von 
Fleisch- und Pflanzenfressern. Fleischfresser beantworten die völlige Beseitigung der Schilddrüse 
mit tötlichen Starrkrämpfen, die meist schon sehr rasch nach der Operation .eintretan, Pflanzen¬ 
fresser dagegen mit chronischer Kachexie, körperlicher und geistiger Verkümmerung. So führt 
auch die krankhafte Entartung der Schilddrüse selbst zum Kretinismus, sobald die ganze Masse 
funktionsunfähig wird. Mit einem Ueberblick über die Voraussetzungen, die man an die Schild¬ 
drüsentherapie knüpfte, und über die tbatsächlichen Erfolge, die damit erzielt wurden, schloss 
Eyselberg seine klaren und präzisen Ausführungen. 

Aus den Abtheilungsvorträgen sind zu nennen die resümierenden Darlegungen von Eulen- 
burg (Berlin) über einige neuere elektrotherapeutische Methoden. Er erwähnt kurz die 
Arsonvalisation und als deren Ersatz die Anwendung der sogenannten monodischen Voltströme von 
Jodko-Narkiewicz. Es kommen hierbei Ströme zur Benutzung, die von einem Ruhmkorff-Induktor, 
der durch eine Akkumulatorbatterie angetrieben wird, erzeugt werden. Die lokale Anwendung 
der monodischen Voltströme kann theils in Form punktförmiger Reizung, theils auch in der der 
Massage oder Friktion geschehen, und scheint sich namentlich bei rheumatischen Schmerzen, 
Analgesieen und Anästhesieen Hysterischer als nützlich zu bewähren. 

ln einem gewissen Gegensatz zu den Tesla-ArsonvalWchen Methoden steht [die elektro¬ 
magnetische Therapie System Könrad; denn während die Arsonval- und Tesla-Apparate mit 
Strömen von enorm hoher Spannung und von enormer Wechselzahl arbeiten, hat man es dagegen bei 
dem Konrad’schen System mit Strömen von zwar hoher Intensität aber nur geringer Spannung und von 
relativ geringer Wechselzahl zu thun. Es handelt sich hierbei überdies nicht um Verwendung elektrischer 
Energie im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine eigenartige Erzeugung einer elektromagnetischen 
Strahlung und deren Benutzung zu Heilzwecken in Form eines wellenförmigen Magnetfeldes. [Als 
physiologische Beobachtungen der Einwirkung der Apparate sind beschrieben worden ein plötzliches 
Aufleuchten des Gesichtsfeldes und eine Steigerung des Oxyhämoglobingehaltes des Blutes um an¬ 
geblich 5—25%; therapeutisch ist ein beruhigender (sedativer und antineuralgischer), ermüdender und 
direkt schlafmachender Effekt konstatiert worden. Endlich erwähnt Eulenb,urg das Schneewehe 
Vierzellenbad, bei dem bekanntlich die vier Extremitäten als Angriffspunkte des Stromes dienen 
und zu diesem Zwecke in vier getrennten Einzelwannen untergebracht werden. 

Ueber Fettumsatz im Organismus berichtet auf Grund eigener ausgedehnter Studien 
Leo (Bonn). Er hat zunächst die Rolle des Glycerins im Stoffwechsel .verfolgt und gefunden, 
dass ein Theil des im Magen und Darm abgespaltenen Glycerins gleichzeitig mit den bei der Fett¬ 
spaltung entstandenen Fettsäuren von der Darmwand resorbiert wird, um innerhalb derselben sich 
wieder zu Fett zu regenerieren. Ein Theil aber wird allein resorbiert,* dies folgt aus der viel 
schnelleren Resorption des Glycerins. Hieraus erklärt sich auch der konstante Gehalt der Fäces 


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Berichte über Kongresse und Vereine. ’ 463 

an Fettsäuren, während Glycerin darin niemals vorkommt. Auch die Untersuchung pathologischer 
und selbst ganz flüssiger Stühle von Kindern und Erwachsenen auf Glycerin war ausnahmslos 
negativ. Um der Art der Fettzersetzung innerhalb der Gewebe nachzugehen, wurden die ver¬ 
schiedenen Organe auf Glycerin untersucht, aber ebenfalls mit negativem Erfolg. Aus dem 
gleichen Grunde untersuchte Leo, ob und wieviel Glycerin, wenn es per os aufgenommen wird, 
den Körper unresorbiert wieder verlässt. Der Grenzwerth, welcher hierbei gefunden wurde, wider¬ 
sprach nicht der Möglichkeit, dass die Spaltung in Fettsäuren und Glycerin den ersten Akt der 
Fettzereetzung bildet. 

Zur Mechanotherapie chronischer Herzmuskelkrankheiten (machte Lewinsohn 
(Soden) einige beiläufige Bemerkungen. Gegenwärtig wird die Mechanotherapie und Widerstands- 
gymnastik vielfach bei der Degeneration angewendet. Infolge der veränderten biologischen Vor¬ 
gänge innerhalb des diffus erkrankten Herzmuskels und durch eine Steigerung der Herzarbeit und 
Vermehrung der Kontraktionen wird der Nutzeffekt der letzteren herabgesetzt, die Emährungsbedin- 
gungen geschädigt und der degenerative Zerfall beschleunigt. Nur die rein nervöse Herzschwäche 
und die einfache Fettauflagerung sollto die einzige absolute Indikation für die Mechanotherapie 
bilden, dagegen muss das Prinzip der Schonung und Ruhe neben Digitalis und Kohlensäurebädern 
die Hauptsache bei Herzmuskelerkrankungen bleiben. 

Die Pathologie und Therapie der Verdauungsorgane fand in einer grossen Reihe 
von Themen eine eingehende Würdigung; an dieser Stelle seien [erwähnt die Ausführungen von 
v. Noorden.über Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus, von Wal|ko (Prag) über 
Superacidität, von Singer (Wien) über spastische Obstipation, v. Noorden wendet sich 
von vornherein gegen die neuerdings vielfach üblich gewordene übermässige Eiweisszufuhr in der 
Nahrung des Diabetikers, da sic die Zuckerausscheidung steigert und die Toleranz für die Kohlo- 
hydratassimilation herabdrückt. Unterschiede der einzelnen Eiweissarten hinsichtlich ihres Einflusses 
auf die Glykosurie sind noch nicht bekannt; nach Beobachtungen an ca. 20 Patienten stellt sich am 
günstigsten das Hühnereiweiss, dann Pflanzeneiweiss, Kasein und zuletzt Muskcleiweiss. Aber viel 
ausschlaggebender ist die Individualität des Kranken. Ein einzelner Eiweisskörper scheint die 
Glykosurie günstiger zu beeinflussen als die Vereinigung mehrerer. Von den Nahrungsfetten erhöht 
die Butter am meisten die Acetonausscheidung, wahrscheinlich infolge ihres Gehaltes an Butter¬ 
säure, dennoch verdient sie in der Praxis den Vorzug, zumal durch Auswaschen die Fettsäuren ent¬ 
fernt werden können. In vielen, besonders schweren Fällen wird der Hafer doppelt so gut ver¬ 
tragen, wie entsprechende Mengen von Brot, doch gilt dies nicht allgemein. 

Zur Behandlung der Superacidität empfiehlt Walko Olivenöl in Dosen von 150—300 g 
täglich durch Schlundsonde oder per os. Er hat nach mehr wöchentlicher Behandlung wesentliche 
Besserung und selbst Heilung gesehen. Keine Beeinträchtigung der Magenverdauung, die Salzsäure- 
abscheidung wird vermindert und verzögert. Auch bei spastischen Stenosen des Verdauungskanalcs 
hat sich diese Behandlungsmethode bewährt, ferner auch bei frischem Ulcus ventriculi, wo das Oel 
einen Schutz gegen die AetzWirkung des übersauren Magensaftes bildet. Das Oel ist dem Atropin 
und Natrium bicarbonicum in diesen Fällen weit überlegen. 

Bei der spastischen Obstipation unterscheidet Singer eine symptomatische und eine 
idiopatische Form. Erstere kommt bei Frauen mit Genitalerkrankungen vor, bei Männern infolge 
von Prostataaffeklionen, ferner bei Mastdarmerkrankungen, Analfissuren,» Hämorrhoiden u. dergl. 
schliesslich auch bei Nierensteinkoliken. Das Hauptkontingent der zweiten Form wird von Neu¬ 
rasthenikern gebildet. Neben dyspeptischen Beschwerden bestehen Klagen über Schmerzen in der 
Gegend des Nabels, des Coecum und im linken Hypochondrium. Der Dickdarm ist in toto oder 
an einzelnen Stellen strangförmig zu tasten, der krankhafte Spasmus des Sphinkter kann durch die 
Digitalexploration festgestellt werden. Die Fäces sind schafkothartig oder bandförmig, oft mit 
Schleimauflagerungcn und Blutbeimischungen. Therapie: Warme Sitzbäder und Umschläge, warme 
0elkiy8ticre und Mastdarmbougierung, eventuell Narcotica in Form von^Suppositorien. 

In der Abtheilung für Kinderheilkunde wurden eine Reihe sehr bemerkenswerther Vorträge 
gehalten. Zuerst behandelte Siegcrt (Strassburg) die Ernä;hrungstherapi,c des kranken 
Säuglings. Er vertritt den Standpunkt, dass man neben dem bisher beinahe allein verfolgten 
Prinzip, die Nahrung des kranken Säuglings dem jeweiligen Stande der Leistung seiner Verdauungs¬ 
drüsen anzupassen, auch noch versuchen soll, bei unveränderter Nahrung durch Anregung der Ver¬ 
dauungssekrete und Zugabe von Verdauungsfermenten (Pankreas, Pepsin etc.) eine der normalen 
adäquate Verdauung zu erhalten. Auch die erregende Bedeutung der Säure auf die Thätigkeit der 
Dünndarm Verdauung, ferner des Fleischextraktes, der dextrinierten Mehle wird noch nicht genügend 
gewürdigt Durch genaue Ueberwachung der Verdauungsstörungen auf Grund der zuerst von 


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464 Berichte über Kongresse und Vereine. 


Biedert angeregten Fäcesuntersuchung erhält man die Indikationen zur Verwendung der Sekretions¬ 
erreger und Regulatoren. 

Hecker (München) sprach interessant, aber in vielen Punkten anfechtbar über die sogenannte 
Abhärtung der Kinder. Wenn er vor der systematischen Abhärtung der Kinder als unzweck¬ 
mässig und direkt gesundheitsschädlich warnt, so ist das weit über das Ziel geschossen und dem Prinzipe 
etwas vindiziert, was nicht dieses, sondern die schablonenmässige Ausführung trifft. Die kritiklose, 
schematische Anwendung verdient Bekämpfung, nicht aber das System als solches. Eine merk¬ 
würdige Statistik diente ihm zur Unterlage seiner Ausführungen. Von 50 Kindern seiner Klientcle, 
über die er Nachforschungen anstellte, waren 25 im 1. Lebensjahre, 7 nach dem 1. Lebensjahre und 
18 garnicht systematisch abgehärtet. 1. Wirkung der Abhärtung auf die Disposition zu Erkältungs¬ 
krankheiten. Von 16 nicht abgehärteten waren 5 = 31%, von 13 mild abgehärteten 5 = 38%, 
von 21 streng abgehärteten 13 = 62% ausgesprochen empfänglich für Erkältungen. Von 15 streng 
abgehärteten Säuglingen waren 11=73% empfänglich. 2. Wirkung auf das Nervensystem. Bei 
milder Abhärtung dreimal günstige und viermal ungünstige, bei strenger Abhärtung viermal günstige 
und achtmal ungünstige Wirkung. 3. Wirkung auf die Psyche. Von 15 streng abgehärteten über 
zwei Jahren waren 7 abnorm reizbare, nervöse Kinder, unter den nicht abgehärteten war keines 
übertrieben lebhaft oder abnorm reizbar. 4. Einfluss auf den allgemeinen Gesundheitszustand und 
die allgemeine Krankheitsdisposition. Von 15 nicht abgehärteten blieben 8 = 53% im ersten Lebens¬ 
jahre vollständig gesund, von 13 mild abgehärteten 7 = 53%, wogegen von 21 streng abgehärteten 
nur 4 = 19% als gesunde Kinder sich entwickelten, 14 davon = 66% machten schwere Erkrankungen 
durch. 5. Abhärtung und adenoide Vegetation. Adenoide Vegetationen finden sich bei nicht ab¬ 
gehärteten in 20%, bei mild abgehärteten in 30%, bei streng abgehärteten in 40% der Fälle. Er 
schliesst hieraus: Die übertriebene Abhärtung kann zu schweren Schädigungen führen, und zwar 
findet man schwere Anämiecn, ferner Erkrankungen des Gesammtnervensystems, wie Neurasthenie, 
Anorexie, Clamon noctumus, psychische Reizbarkeit etc. Sie gewährt nicht nur keinen Schutz vor 
Erkältungen, sondern erhöht sogar die Disposition hierzu; sie führt zu allen möglichen chronischen 
Darmerkrankungen und bewirkt bei interkurrenten Krankheiten einen schweren Verlauf derselben. 
Körperliche Abhärtung ist nothwendig, nur geschehe sie durch natürliche adäquate Mittel, dies ist 
in erster Linie Luft (Blossliegen im Bett, Nackt- und Barfusslaufen etc.), ferner richtig angepasste 
Kleider, nicht aber sportmässig betriebene kalte Güsse und Waschungen. Säuglinge sind überhaupt 
nicht abzuhärten, sondern warm zu halten Anämische und nervöse Kinder dürfen nicht im ge¬ 
wöhnlichen Sinne abgehärtet werden. 

Ueber Tuberkulose im frühen Kindesalter stellte Schlossmann (Dresden) eine Reihe 
von Thesen auf, so unter anderen: Die Häufigkeit der Tuberkulose im frühen Kindesalter, besonders 
im Säuglingsalter, schwankt innerhalb beträchtlicher Grenzen nach den Mittheilungen, die von den 
verschiedenen Autoren und aus verschiedenen Orten stammen, doch scheint es, als ob bei einem 
und demselben Material grosse Unterschiede in Bezug auf die Häufigkeit der tuberkulösen Affek¬ 
tionen im Säuglingsalter Vorkommen. Im Säuglingsalter überwiegt die reine Tuberkulose, die mit 
anderen Infektionen nicht vergesellschaftet ist. In weitaus der Mehrzahl aller Fälle vermag man 
im Sputum bezüglich in dem durch Aus wischen oder Ansaugen gewonnenen Schleime bei Säug¬ 
lingen Tuberkelbacillen nicht mikroskopisch nachzuweisen. Das einzige diagnostische Hilfsmittel, 
um die Tuberkulose im Säuglingsalter mit Sicherheit festzustellen, ist das Tuberkulin. Primäre 
„ Tuberkulose des Verdauungstraktus ist von Schlossmann nie beobachtet worden, sie dürfte ein 
äusserst seltenes Vorkommen sein, wenn sie überhaupt je einwandfrei festgestellt ist. Der Verdauungs¬ 
traktus des Säuglings erscheint nur schwer infizierbar. Die Erfahrung lehrt, dass auch häufiges 
Verschlucken von Tuberkelbacillen (Speichel der Mutter) nicht zu einer primären Darm- oder 
Mesenterialdrüsen tuberkulöse führt. Erst massenhafte Einführung von Tuberkelbacillen ergiebt 
Tuberkulose des Magens, des Darms und der Mesenterialdrüsen. Charakteristisch für die Tuber¬ 
kulose des Säuglingsalters ist die frühzeitige intensive Erkrankung der Bronchialdrüsen, zumal der 
an der Bifurkation. In jedem Falle von Tuberkulose im Säuglingsalter gelingt es, bei genügender 
Nachforschung festzustellen, dass das Kind in enge Berührung mit einer tuberkulösen Person ge¬ 
kommen ist. Die tuberkulöse Infektion durch Milchgenuss spielt in der Aetiologie der Säuglings¬ 
tuberkulose in Deutschland keinerlei Rolle. 

Auch die Alkoholfrage nahm, wie auf allen Kongressen der Gegenwart, einen bemerkens- 
werthen Raum in den Verhandlungen ein; es sprachen Frick (Zürich) über die Behandlung 
fieberhafter Krankheiten ohne Alkohol undKassowitz (Wien) über Nahrung und Gift 
Nach allgemeinen Ausführungen über das eigentliche Wesen des Alkohols als£ Narkotikum, über 
seine die Widerstandsfähigkeit des thierischen Körpers gegen Infektionsstoffe herabsetzende Eigen- 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 465 


schäften fasst Frick die Vortheile der Behandlung Fiebernder ohne Alkohol in folgende Sätze zu¬ 
sammen: Viel weniger Delirien, viel weniger Schwierigkeiten mit der Ernährung und wesentlich 
abgekürzte Rekonvalescenz. Kollaps kommt dabei viel seltener vor, die Mortalitätsverhältnisse sind 
wesentlich günstiger, als wenn die Patienten Alkohol bekommen. Besonders schädlich wirkt der 
Alkohol bei solchen Fieberhaften Krankheiten, die das Herz schädigen, wie die Diphtherie oder 
die die Anforderungen an das Herz steigern, wie die Lungenentzündung. Auch bei Blutvergiftungen 
und Puerperalfieber ist ein Nutzen des Alkohols nicht nachgewiesen. Beim Scharlach liegt ein 
Hauptgrund zur Verwerfung des Alkohols darin, dass der Alkohol notorisch die Nieren schädigt. 
Besonders ausführlich bespricht Frick die Resultate in der Behandlung der Pneumonie. Diese 
verläuft nach ihm ohne Alkohol viel besser und führt dabei auch bei Trinkern viel seltener zum 
Tode, als wenn Alkohol gereicht wird. 

Kassowitz ging in seinem Vortrage von der Lehre Robert Mayer’s aus, die da lautete, 
der Werth der Nahrung liegt in ihrer Brennbarkeit. Die Stärke, der Zucker und das Fett haben 
einen bedeutenden Brennwerth und sind in gleichem Verhältnisse auch nahrhaft. Das Gleiche gilt 
insbesondere auch von den durch Gährung aus Zucker entstehenden Spirituosen. Damit war die 
Lehre von der nährenden Fähigkeit des Alkohols auf rein theoretischem Wege zum wissen¬ 
schaftlichen Dogma erhoben, indem man bei der Bemessung der Kostmaasso für Gesunde und 
Kranke die Verbrennungseinheiten des Alkohols gleich setzte mit denen von Zucker, Fett oder 
Eiweiss. Auf der anderen Seite ist aber der Alkohol ein narkotisches Gift, der auf chemischem Wege 
die lebenden Theile des Organismus angreift und ertötet. Dieser Widerspruch der Nähr- und der 
Giftwirkung in einem Stoffe wird allein dadurch gelöst, dass man nur von solchen Stoffen eine 
nährende Wirkung erwarten darf, welche zum Aufbau der lebenden Substanz verwendet werden, 
niemals aber von einem giftigen Körper, welcher diese lebende Substanz durch seine chemische 
Wirkung zerstört. Von jeder wirklichen Nahrung weis 9 man, dass sie uns nicht nur in den Stand 
setzt, Arbeit zu verrichten, sondern dass sie ausserdem, in genügender Menge verabreicht, unseren 
Körper auf seinem Stande erhält Wäre der Alkohol eine Nahrung, wie man auf Grund der 
Heiztheorie angenommen hat, dann müsste es möglich sein, einen Theil der nothwendigen Kost¬ 
ration durch Alkohol zu ersetzen, wie man zum Beispiel ein Thier, das man mit einer bestimmten 
Menge von Fleisch und Zucker ausreichend ernährt hat, auch dann auf seinem Körperbestande 
erhalten kann, wenn man den Zucker ganz oder theil weise durch Fett ersetzt. Ausserordentlich 
instruktive Versuche des Physiologen Chauveau haben nun gezeigt, dass der Alkohol diese Rolle im 
Haushalt nicht zu spielen vermag, dass er nicht nur nicht ausser stände ist, den Zucker als Nahrungs¬ 
stoff zu ersetzen, sondern im Gegentheil durch Zersetzung des lebenden und arbeitsfähigen 
Protoplasmas an dem Körper der Versuchstbiere zehrt. Der Alkohol nimmt also keine singuläre Aus¬ 
nahmestellung ein, er wirkt nicht zugleich nährend und giftig, sondern er greift die lebende 
Substanz des Körpers an und wirkt dadurch- noch besonders verhängnisvoll, dass er, wie alle 
narkotischen Stoffe, eine besondere Affinität zum Protoplasma der Nervenelomcnte besitzt und 
daher ausser der Schädigung der Einzelorgane auch noch die Leistungsfähigkeit des Gesammt- 
organismus durch seine lähmende Wirkung auf das Nervensystem herabsetzt. Die praktischen 
Konsequenzen aus dieser total geänderten Auffassung von der Wirkung des Alkohols auf den 
lebenden Organismus ergeben sich von selbst; sie bestehen in einer völligen Eliminierung des 
Alkohols aus der Klasse der Nahrungsstoffe und dem Fallenlassen der Irrlehre, als sei derselbe 
ein Kräftigungs- und Nahrungsmittel. 

Von hydrotherapeutischen Ausführungen wären noch anzuführen die Mitteilungen von Baruch 
(New-York) über Förderung der Reaktion nach Kaltwasserkuren. Er wies nach, dass das Gespenst 
des Shoks bei kalten Bädern durch Abstufung der Temperatur und der Dauer beseitigt werdeu kann. 
Er selbst hat schon grosse Kälte selbst bei heruntergekommenen Organismen mit gutem Erfolg an¬ 
gewandt. Durch Bcsprengungen mit kaltem Wasser wurden fiebernde Patienten mit durchaus 
günstigem Resultat behandelt. Die Faktoren, mit denen ein heilbringender Erfolg erzielt werden 
kann, sind thermische, mechanische und chemische Reize, und es soll ohne mechanische Reize 
(Frottieren) kein kaltes Bad verordnet werden. Die Wirkung des kalten Reibebades bei Fiebernden 
erklärt sich durch Erhöhung des Widerstandes in ihren Hautgefässcn. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


h. 

Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische 
Elektroiogie und Radiologie zu Bern. I.—6. September 1902. 

Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann in Breslau, 
f Fortsetzung und Schluss.) 

Von Vorträgen theoretischen Inhaltes ist noch eine Mitthcilung von WoiBS (Paris), Sur 
Punifcation des möthodes employöcs en Physiologie et cn mödecine, zu erwähnen, in 
welchem auf den Mangel an Uebereinstimmung in den von Physiologen und Klinikern gebrauchten 
Maassmethoden hingewiesen und die Aufstellung einheitlicher Normalmaasse und Methoden 
empfohlen wurde. 

Ferner ein Vortrag mit Demonstration von Wertheim - Salomonson (Amsterdam) über 
eine neue Methode, nicht gedämpfte, sehr schnelle Wechselströme (courants alter- 
natifs non-amortis de frequencc trös elevöe) zu erzeugen. 

Wird ein Lichtbogen zwischen mehreren Kohlenspitzen mittels einer Sclbstinduktionsspirale 
und einem Kondensator passender Grösse kurz geschlossen, dann bemerkt man die Erscheinung des 
»pfeifenden Lichtbogens«. Derselbe entsteht, indem Wechselströme in der Kondensatorncben- 
schliessung hervorgerufen werden, die sich alsdann auf den konstanten Strom superponieren. Die 
Schwingungszahl ist eine sehr hohe, sie beträgt bis 50 000 in der Sekunde. Durch Anbringung 
einer sekundären Spirale Hess Vortragender von diesen Wechselströmen einen induzierten Strom 
erzeugen, und prüfte denselben auf seine physiologischen Eigenschaften. Er erwies sich dem ge¬ 
wöhnlichen faradischen Strome ganz ähnlich, jedoch erzeugte er bei partieller EAR eine etwas 
schnellere Erschöpfung des Muskels, wie dieser. Auch konnte Wertheim - Salomonson bei 
einigen Fällen von Lähmung mit diesem Strom einen Tag früher Herabsetzung der Muskelerregbar- 
keit nach weisen, wie mit dem faradischen. 

Eigentümlich ist die ausserordentlich geringe Schmerzhaftigkeit der Applikation. 

Therapeutisch zeigte er sich bei der Behandlung von Lähmungen dem faradischen Strom 
deutlich überlegen. 

Grosses Interesse erregte eine Mittheilung von Löduc (Nantes), betitelt: Production du 
sommeil et de Panesthösie gönörale et locale par les courants ölectriques. 

Löduc demonstrierte folgenden Versuch: In einem Gleichstrom von schwachem, innncrcm 
Widerstand wurde ein Unterbrecher eingeschaltet, der 150 — 200 Unterbrechungen in der Sekunde 
gab. Auf den von Haaren befreiten Kopf eines Hundes wurde eine grosse Kathodenplatte auf¬ 
gesetzt, während die Anode auf dem Rücken ruhte. Wenn man nun rasch die elektromotorische 
Kraft im Stromkreise steigert, so treten allgemeine krampfartige Muskelbewegungen auf, der Hund 
fällt auf die Seite und die Athmung steht still. Dann wurde der Strom nachgelassen, bis die 
Athmung sich wieder einstellte. Bei einer bestimmten Stromstärke verblieb das Thier in einem 
ruhigen und regelmässigen Schlaf mit vollkommen gleichmässiger Athmung und normalem Heiz¬ 
schlag, während nur die Gehirnthätigkeit völlig unterdrückt war. Es konnte am Fell in die Höhe 
gehoben, geschnitten und gestochen werden, ohne Abwehrbewegungen zu zeigen. Die Dauer des 
Schlafes wurde in einigen Versuchen bis zu zwei Stunden verlängert. Das Erwachen erfolgte 
plötzlich bei Unterbrechen des Stromes; es blieben keinerlei Gesundheitsschädigungen zurück. 

Der Versuch beweist also, dass man durch elektrische Ströme ohne wahrnehmbares Schmerz¬ 
gefühl die Thätigkeit_des|Gehimcs völlig zum Stillstand bringen kann, ohne dass die Bewegungen 
der Athmung und des Blutkreislaufes beeinträchtigt werden. Man erhält auf diese Weise einen 
ruhigen, anhaltenden Schlaf und eine vollständige allgemeine Unempfindlichkeit des Körpers. 

In der Diskussion fragt Kronecker (Bern), ob die anfangs auftretouden Kontrakturen nicht 
von der gleichzeitigen Durchströmung des Rückenmarkes herrühren. 

Löduc glaubt dies nicht; er führt sie auf Reizung der motorischen Zonen zurück. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 4(>7 

Einen sehr ^breiten Raum nahm in den folgenden Sitzungen die Lehre von den Röntgcn- 
slrahlen, die Radiologie, ein, die auch in der Ausstellung in einer ganz hervorragenden Weise 
prädominierte. Jeder, der nicht selbst mitten in diesen Arboiten steht, wird mit Erstaunen die 
eminenten Fortschritte betrachtet haben, die die Technik und die klinische Verwerthung des 
Röntgen Verfahrens in wenigen Jahren gemacht hat Wohl selten hat sich eine Methode in so 
kurzer Zeit zu einer so ausgedehnten, abgeschlossenen Spezialität entwickelt. 

Die Vorträge wurden eingeleitet durch ein sehr ausführliches Referat von 

1. Oudin (Paris), Sur les accidents dus aux rayons x. 

Oudin erwähnt eingangs in Kürze die Gesundheitsschädigungen allgemeiner Natur, die 
gelegentlich bei der Anwendung von Röntgenstrahlen auftreten, wie Erbrechen, Herzklopfen, 
Zittern etc., und beschreibt dann ausführlich die »akute Radiodermitis«, deren Stadien er als 
Erythem, Vesicelbildung, oberflächliche Ulceration, Schorfbildung, tiefe Ulceration und Narben¬ 
bildung IJabgrenzt. Diese unerwünschten Erscheinungen setzen oft erst sehr spät nach der Be¬ 
strahlung ein, nehmen immer einen höchst langsamen Verlauf und trotzen allen Heilungsversuchen. 

Als zweite Form beschreibt er die »chronische Radiodcrmitisa, die er auch »Radiodermitis 
der Operateure« nennt. Sie entsteht durch häufig wiederholten Kontakt mit den Röntgenstrahlen, 
also fast stets an den^Händen, und besteht in langsam fortschreitenden trophischen Veränderungen 
der Haut und der tieferen Gewebe. Gewöhnlich ist sie mit einem Tremor der Hände vergesellschaftet. 

Die Entstehungsweise der Radiodermitis sieht Oudin in einer Reizung der kutanen Nerven¬ 
zellen, die sich als ascendierende Neuritis auf die Nervenfasern fortsetzt, und auf diesem Wege zu 
trophischen Störungen führt. 

Die Methode, die Vortragender anwendet, um die Radiodermitis zu vermeiden, ist folgende: 
Die ersteh Sitzung dauert nur 30 Sekunden, die zweite, 48 Stunden später, 1 Minute, die dritte, 
wieder 48 Stunden später, V/ 2 Minuten, und so wird die Dauer alle 2 Tage um V 2 Minute bis zu 
3 Minuten vermehrt. Dann werden die Sitzungen 8 Tage lang ausgesetzt, und, wenn sich dann 
nicht das geringste Reizsymptom zeigt, wird mit 3 Minuten begonnen und allmählich auf 5 Minuten 
gestiegen. Diese Dauer wird bis zum Schluss der Behandlung niemals überschritten. 

Um bei dieser kurzen Bohandlungszeit möglichst intensive Wirkungen zu erzielen, wird die 
Ampulle so weit der Haut genähert, wie es ohne Funkenübergang möglich ist, gewöhnlich etwa 5 cm. 

Bei dieser Methode hat Vortragender niemals mehr unangenehme Erscheinungen beobachtet. 

In der Diskussion erwähnt Schiff (Wien), dass auch er unangenehme Begleiterscheinungen 
dadurch vermeide, dass er die Behandlung sofort bei der geringsten Reizung aussetzt. Die Erfolge 
sind vorzüglich, wenn auch die Behandlung etwas länger dauert. Im übrigen wird in der Diskussion 
hauptsächlich der Begriff der »Idiosynkrasie« besprochen. 

*2. Schiff (Wien), Ueber eine neue Methode zur Konstanterhaltung von Röntgen¬ 
strahlen. 

Zu therapeutischen Zwecken kann man nur solche Röhren verwenden, deren Strahlung eine 
geringe chemische Wirkung auf die lichtempfindliche Platte ausübt, weil die Bestrahlung mit wirk¬ 
sameren (weichen) Röhren unangenehme reaktive Entzündungen hervorrillen kann. Dabei ergiebt 
sich der Ucbelstand, dass die Röhre schon nach wenigen Minuten heiss und dadurch weicher wird, 
bo dass sic wieder chemisch wirksamere Strahlen ausschickt, die man gerade vermeiden will. 
Schiff hat eine Methode gefunden, um diese Uebelstände zu umgehen, und eine weiche Röhre zu 
Behandlungszwecken in der Weise einzustellen, dass sie wie eine harte wirkt, ohne deren Nach¬ 
theile zu zeigen. 

Die Methode besteht darin, dass man vor der betreffenden Röhre zwei andere ganz harte 
Röhren hintereinander einschaltet. Diese Vorschaltröhren wirken ganz anders, wie irgendwelche 
anderen eingeschalteten Widerstände, sie bewirken eine völlige Konstanz der Strahlung selbst bei 
cinstündigem Betriebe. 

Die vorgeschalteten Röhren, die einzeln noch ein ganz brauchbares Bild liefern, zeigen die 
merkwürdige Eigenschaft, dass sie bei der Serienschaltung nicht die geringste Zeichnung des ex¬ 
ponierten Objektes liefern, sondern eine vollkommene Schwärzung der Platte bewirken. Es handelt 
sich hier um eine eigentümliche Modifikation der X-Strahlen, auch dichte Gewebe (Knochen) voll¬ 
kommen zu durchdringen, also eine gewisse Aehnlichkcit mit den Bequerelstrahlen. 

Zwei ausführliche Referate wurden über die Radioskopie und Radiographie der 
inneren Organe erstattet. Das erste von 


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4 68 Berichte über Kongresse und Vereine. 

3. Grunmach (Berlin). Der Vortragende giebt einen Ueberblick über die Methoden und die 
bisher erhobenen Befunde, und zeigt eine Serie von vorzüglichen Radiographieen vermittels des 
Projektionsapparates. Unter diesen sind besonders die Krankheiten des vasomotorischen Systeme» 
zu erwähnen: Aneurysmen, Arteriosklerose, Verlagerungen des Herzens, Perikarditis etc. 

Grunmach verwendet stets kurze Expositionen, sehr grosse Induktorien von 80—100ein 
Funkenlänge und Tuben mit wassergekühlter Antikathode. 

Das zweite Referat erstattet 4. Böclöre (Paris). Vortragender betont, dass die radiologischc 
Diagnostik der inneren Organe in der letzten Zeit eine grosse Bedeutung angenommen habe und 
jedem Arzt zugänglich werden müsse. Die grösste Wichtigkeit beansprucht in dieser Beziehung 
die Diagnostik der Brustorgane. Der Radiographie muss stets eine radioskopische Untersuchung 
vermittels des Schirmes vorausgehen. Vortragender demonstriert dabei ein von ihm konstruiertes 
Stativ, welches eine allseitige Beweglichkeit der Röhre, Stellungsänderung des Patienten, Ver¬ 
änderung der Grosse des Diaphragmas etc. mit grösster Leichtigkeit ermöglicht. 

Vortragender bespricht sodann die Grundsätze der Diagnostik der Thoracal- und der Ab¬ 
dominalorgane. Letztere zerfällt in die Untersuchung des Magendarmtraktus und der Konkremente, 
speziell der Blasensteine. Die Diagnostik der letzteren hat sich in neuerer Zeit sehr vervollkommnet. 
— Die Untersuchung des Schädels und der Wirbelsäule hat vorläufig nur eine indirekte Bedeutung 
für die Diagnostik der Nervenkrankheiten, indem sie Knochenveränderungen auf deckt, die den 
Ausgangspunkt für Nervenkrankheiten bilden können. 

Resümierend spricht Vortragender der Röntgenuntersuchung nur eine indirekte und gelegent¬ 
liche Bedeutung für das Nervensystem zu, dagegen eine sehr wichtige für die Diagnostik der 
Abdominalerkrankungen, und eine ganz hervorragende für die Thoracal Organe. In letzterer 
Beziehung verdient sie immer mehr in die allgemeine Praxis eingeführt zu werden, und eine 
wichtige Stellung neben der Perkussion und Auskultation einzunehmen. 

In der Diskussion kritisiert Holzknecht (Wien) sehr abfällig das Grunmach’sche Referat, 
welches nicht einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Frage, sondern nur über die eigenen 
Leistungen des Vortragenden dargestellt habe. 

Es entspinnt sich über einzelne Punkte eine zum Theil ins Persönliche spielende Debatte, an 
der sich ausser Grunmach und Holzknocht noch Benedikt und Kronecker betheiligen. 

Im Anschluss hieran spricht 

ö. Benedikt (Wien), Sur le diagnostic des maladics du ccrveau et de la moelle par les 
rayons de Röntgen. 

Er erwähnt einige Fälle von Jackson’scher Epilepsie, bei denen er Verdickungen uud 
Exostosen im Schädelinnem mittels der Radiographie hat nachweiscn können, und legt die be¬ 
treffenden Bilder vor. Da er bei der forensischen Beurtheilung dieser Fälle Widerspruch erfahren 
hat, so ersucht er den Kongress, eine Kommission zur Prüfung seiner Negative einzusetzen. 

Löduc schlägt trotz aller Hochachtung und Sympathie für Benedikt vor, diesem Wunsche 
nicht zu willfahren, und findet damit das Einverständniss der Versammlung. 

('). Förster (Bern), Ueber den Einfluss von Röntgenstrahlen auf den elektrischen 
Widerstand des Selens. 

Vortragender hat vergleichende Versuche darüber angestellt, mit welcher Geschwindigkeit 
sich der elektrische Widerstand des Selens ändert, wenn es einerseits den Röntgenstrahlen, und 
andrerseits dem gewöhnlichen Licht ausgesetzt ist. Er fand, dass sich der Widerstand bei Be¬ 
strahlung mit Röntgenstrahlen langsamer ändert. 

7. Kienböck (Wien), Radiotherapeutische Fragen. 

Er führt u. a. aus, welche Fälle von Bartwuchs der Frauen zur Radioepilation geeignet 
sind und welche nicht. Es entwickelt sich nämlich allmählich durch die wiederholten Bestrahlungen 
selbst bei Vermeidung von stärkeren Entzündungen Hautatrophie, zugleich mit der Atrophie der 
Haarpapillen. Vor anderthalb bis zwei Jahren kann meist die Behandlung nicht als vollendet an¬ 
gesehen werden, dann aber bleibt der Haarwuchs im wesentlichen ganz aus. Es sind ferner Vor¬ 
kehrungen nöthig, dass sich das Gebiet der Hautatrophie nicht durch eine Stufe von der umgebenden 
normalen Haut das Gesicht scharf abgrenze. Leichte Fälle von Hypertrichosis faciei mulieris sollen 
nicht mit Röntgenstrahlen behandelt werden, da die konsekutive Atrophie der Kutis ein grösseres 
Uebcl darstcllt, als die Haare. 


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469 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Gewisse Fälle von Alopecia areata capillitii werden durch Röntgenbestrahlung geheilt 

Teleangiektasieen, die in der atrophierenden Haut nach Röntgen belieb tung so häufig auf- 
treten, kommen nicht nur nach heftiger Radiodermatitis vor, sondern zuweilen, ohne dass jemals 
Gxkoriation stattgefunden hat, selbst nach einer einzigen nicht zu intensiven Bestrahlung. Die 
Veränderung pflegt sehr spät aufzutreten, und dürfte nicht mehr zum Schwinden zu bringen sein. 

Ueber Technik der Radiotherapie brauchte Kienböck nicht viel zu sprechen, da seine 
Rathschläge zum grössten Theil von Oudin acceptiert und in dem Referat desselben mitgetheilt 
wurden. Nur verdient noch hervorgehoben zu werden, dass der Grad der arteficiellen Radio¬ 
dermatitis im allgemeinen proportional zur Menge des von der Haut während der Exposition ab¬ 
sorbierten Röntgenlichtes ausfällt. 

Das von Holzknecht auf Grund dieser Erkenntniss konstruierte Chromoradiometer 
gestattet die Bestrahlungsdose zu messen, und so wird man leichter als bisher, wie Kienböck es 
bereits vorgeschlagen hat, durch eine einzige Sitzung die erforderliche Reaktion hervorrufen 
können. 

8. Holzknecht (Wien), Ueber Chromoradiometer. 

Vortragender erinnert daran, dass die Entstehung der Röntgeudermatitis von der Menge der 
von der Haut absorbierten Strahlen abhängt. Es ist daher wichtig, diese Quantität zu messen, und 
dies ist durch einen von dem Vortragenden konstruierten einfachen Apparat möglich. Er besteht 
aus einer Komposition von Salzen, die sich durch die chemische Wirkung der X-Strahlen blaugrün 
färben. Aus dem Grade der Färbung, der an einer Skala abgelesen werden kann, kann man ein 
Maass für die Menge der absorbierten Strahlen gewinnen und im einzelnen Falle die zu applizierende 
Quantität danach dosieren. 

9. Weinberger (Wien), Ueber die bei der Erweiterung der Pulmonalarterie im Röntgen¬ 

bilde entstehende Schattenform. 

Vortragendem ist es gelungen, an einer wesentlichen Vergrösserung des Schattens im zweiten 
Intcrkostalraume eine Erweiterung der Pulmonalartcrie zu erkennen. Die Ursache dieser Erweite¬ 
rung kann, wie die Obduktion mehrerer Fälle ergab, eine sehr verschiedene sein (Offenbleiben des 
ductus Botalli, verschiedene Klappenfehler etc.). 

Derselbe Autor spricht ferner 10. Ueber die Untersuchung der Brustkrankheiten mit 
Röntgenstrahlen und theilt seine Methoden und Grundsätze der Untersuchung mit, bei denen sich 
einige Differenzen mit Holzknecht ergeben, der sich in der Diskussion hierüber äussert. 

11. Bade (Hannover), Die Bedeutung der Radiologie für die Orthopädie. 

Vortragender weist auf die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Orthopädie hin und 
erläutert sie an zwei Beispielen, der angeborenen Hüftluxation und der Skoliose. Besonders die 
erstere habe aus der Radiologie wissenschaftlich und praktisch Nutzen gezogen in Bezug auf Aetio- 
logie, Diagnosenstellung und therapeutisches Handeln. 

12. Kienböck (Wien), Ueber Knochenveränderung bei gonorrhoischer Arthritis. 

In bisher ungeahnter Häufigkeit, Raschheit und Intensität tritt an den Gelenkabschnitten der 
Knochen bei akut beginnender gonnorrhoischer Arthritis eine kariesähnliche Erweichung auf. Im 
Röntgenbild erscheint dort der Schatten der Knochen hell und seine Umriss- und Strukturzeichnung 
verschwommen, also Veränderungen, die bisher meist als Inaktivitätsatrophie angesehen wurden, aber 
besser mit Sudeck als akute Knochenatrophie oder als akute porotische Atrophie zu bezeichnen 
sind. So lässt sich auch frühzeitig die Usur des Gelenkknorpels und die beginnende Synostose 
erkennen (Demonstration der Radiogramme). 

13. Henrard (Bruxelles), Lösions osseuses rares suites do contusions multiples unique- 
ment diagnostiquöes par la radiographie. 

Vortragender zeigt die Radiogramme von vier Fällen, bei denen sich nach einem Trauma 
eine Hyperpfodnktion von Knochen entwickelt hatte. Besonders bei einem siebenjährigen Kinde, 
welches einen Sturz auf eine Hand erlitten hatte, ist die Ueberproduktion an den Karpusknochen 
sehr deutlich im Radiogramm zu demonstrieren. In der Diskussion erwähnen Laqucrriere und 
Bcrgonniö ähnliche Beobachtungen. 


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470 Berichte über Kongresse und Vereine. 


14. Decref (Madrid), Appareil de Chabaud pour la radiographie störeoscopique. 

Vortragender giebt eine Boschreibung des Chabaud’schen stereoskopischen Röntgenapparates 
und der damit erreichten Resultate. 

15. B. Walter (Hamburg), Uebcr Röntgenstereoskope. 

Während bei der bisherigen stereoskopischen Röntgentechnik verkleinerte Diapositive an¬ 
gefertigt werden mussten, die vermittels eines gewöhnlichen Stereoskopes betrachtet wurden, hat 
Vortragender in Verbindung mit der optischen Anstalt von A. Krüss (Hamburg) Apparate ange¬ 
fertigt, bei welchen die Originalaufnahmen direkt betrachtet werden können. Diese »Stereoskope 
für grosse Bilder« haben drei verschiedene Formen, die als Spiegel-, Prismen- und Linsenstereo¬ 
skope unterschieden werden. 

10. Eid (Cairo), Radiographies obtenues avec la courant alternatif redresse par la 
soupape Nodon. 

Vortragender zeigt sehr gute Radiogramme, die mit dem im Titel angegebenen Instrumentarium 
aufgenommen sind. 

17. Luraschi (Mailand), Nouvelle bobine pour rayons X ä chariot. 

Luraschi beschreibt ein neues lnduktorium, dessen Vorzüge hauptsächlich in Regulierbark eit 
der Kapazität des Kondensators, in Regulierbarkeit der Autoinduktion der primären und der In¬ 
duktion der sekundären Spule bestehen. 

18. Espina y Capo (Madrid), fitude de rectification de Faire cardiaque au moyen des 
rayons X. 

Die radiographischen Untersuchungen des Herzens haben den Vortragenden zu dem Er- 
gebniss geführt, dass die Schattenzone kleiner ist, wie die Zone der absoluten Dämpfung und tiefer 
als diese liegt (Demonstration). 

19. Sala (Pavia), Actions des rayons X sur la peau. 

Vortragender hat in Thierversuchen feststellen wollen, ob die bei Röntgenbestrahlungen be¬ 
obachteten Veränderungen der Haut und der Haare auf Alterationen der Nerven zurückzuführen sind 
Er fand keine Veränderungen an den peripheren Nerven und am Rückenmark. 

20. Destot (Lyon), Nouvelle möthode de radioscopie abdominale. 

Die Methode besteht in Aufblähung des Magens mittels der Fauchö’sehen Tube. Dabei ent¬ 
faltet sich der Magen, wenn er gesund ist, ganz gleichmässig, während in Krankheitszuständen, in 
denen die Elastizität der Magenwände verändert ist, seine Entfaltung und seine Form verändert ist. 

21. d’Arman (Venedig), Sul miglior modo di render graduabili li rochette per la 
radiografia. 

Vortragender beschreibt ein lnduktorium, welches eine sozusagen universelle Benutzung er¬ 
möglicht für Faradisation, Arsonvarsche Ströme, Hydroelektrische Bäder und Röntgenstrahlen. 

Die Vorträge von 22. Dessauer (Aschaffenburg), Eine neue Röntgenröhre und von 

22. Rosenthal (München), Ueber eine neuo regulierbare Röhre (Voltohm-E-Röhrc) seien 
liier nur erwähnt, ohne dass auf ihren sehr interessanten, aber rein technisch-physikalischen Inhalt 
hier näher eingegangen werden könnte. 


Gehen wir nunmehr von der Radiologie zu der Elektrotherapie im engeren Sinne über, so 
sind folgende Mittheilungen zu erwähnen: 

1. Laquerriöre et Delherm (Paris), Influence sur la constipation des traitements 
ölectriques gynöcologiques. 

Der Mittheilung liegen 28 Fälle von hartnäckiger Obstipation zu Grunde bei Kranken, welche 
einer gynäkologischen Elektrotherapie unterworfen wurden. 

Heilungen oder beträchtliche Besserungen wurden in 50°/ 0 der Fälle beobachtet, und es machte 
dabei keinen grossen Unterschied aus, ob die Störung durch ein mechanisches im Becken sitzendes 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 471 


Hinderniss zu erklären war, oder ob sie eine andere Ursache hatte. Es ist daher in Fällen von 
schwerer Obstipation, wenn nicht irgend eine bestimmte Kontraindikation besteht, auf jeden Fall 
die gynäkologische Elektrotherapie zu versuchen. 

2. Dieselben, A propos du traiteme’nt de rentero-colite muco-racmbraneusc par la 
mSthode du professeur Doumer. 

Die Do um ergehe Methode (konstanter Strom von 50—100 M.-A., die beiden Elektroden in 
den Fossae iliacae, Dauer 10 Minuten, jede Minute eine Strom Wendung) wurde nur bei sicher 
diagnostizierten Fällen, nach Versagen der üblichen Therapie angewendet Die Erfolge siud vor¬ 
züglich: es treten spontane regelmässige Stühle auf, die Membranen verschwinden etc. Unter 25 
Fällen nur ein völliger und zwei theilweisc Misserfolge, die hauptsächlich auf Nebenumstände zurück¬ 
zuführen waren. 

Dieselben, Traitement de la constipation chronique opiniätre et plus parti- 
culiörement de la constipation spasmodique par le courant de Watteville. 

Bei den spasmodischen Formen der Konstipation versagen diejenigen Methoden der El'cktri- 
sation, welche nur anregend auf die Kontraktilität wirken. Der Watteville’sche Strom gab da¬ 
gegen sehr gute Resultate: unter 30 Fällen nur zwei Misserfolge. Methode: 10 Minuten Dauer, 
grosse Kathode vorn, grosse Anode in der Lendengegend, 50—100 M.-A., sehr schwacher fara- 
discher Strom. 

Bei Enterocolitis wurde diese Methode auch versucht, gab aber viel schlechtere Resultate 
wie die Do um er’sehe. 

4. Bloch (Paris), ä propos du traitement ölectrique de la constipation. 

Vortagender bespricht die verschiedenen Methoden der Elektrotherapie der Konstipation. Er 
giebt der Methode von Doumer (konstante Ströme von hoher Intensität) den Vorzug bei hart¬ 
näckiger veralteter Obstipation. Den Watteville’schen Strom verwendet er nur in frischen Fällen. 
Die Behandlung muss noch einige Zeit nach dem Wiederauftreten des normalen Stuhles fortgesetzt 
werden. 

In der Diskussion betont Laquerriöre, dass beim Wat tevi Ile'sehen Strom der Induktions¬ 
strom einer dünndrähtigen Spirale angewendet werden muss. Die Spirale von groben Draht giebt 
nicht dieselben Erfolge. 

5. Schatzkij (Moskau), Donnees biologiqucs au traitement des inflammations par 1c 

courant continu. 

Vortragender betrachtet die Entzündung als die Gesammtheit derjenigen Affektionen, welche 
auf einer akuten Störung in der Verthcilung der Emährungssubstanzen beruhen. Die Ursache der 
Entzündung ist eine durch ein schädliches Agens hervorgerufene Alteration des physiologischen 
Gleichgewichtes zwischen dem Protoplasma und dem Kern der Zelle, welche zu einer anormalen 
Funktion führt. 

Der wichtigste Faktor dabei ist ein Mangel an Sauerstoff, welchen der Entzündungserreger 
dadurch erzeugt, dass er entweder die Aktivität der Zellen steigert oder für sich selbst Sauerstoff 
verbraucht. 

Durch den konstanten Strom entsteht in der entzündeten Region eine vermehrte Zufuhr von 
freiem Sauerstoff, und die Zellen können dadurch ihre normale Funktion wiederherstellen. 

Der Strom bewirkt ferner auf seinem ganzen Wege eine elektrolytische Zersetzung der Flüssig¬ 
keiten und der Salze der Gewebe, und indem er die Jonen nach den Polen transportiert, vermindert 
er das entzündliche Oedem und lässt dadurch die Blut- und Lympheirkulation wieder normal werden. 
Indem der konstante Strom also die normale Vertheilung der Ernährungsubstanzen in den Geweben 
herstellt, verhindert er auch die progressiven Phänomene der Entzündung (die gesteigerte Proliferation 
des Bindegewebes und des Endotheliums). 

Auf dieser theoretischen Basis hat Schatzkij die galvanische Behandlung der Entzündungen 
praktisch erprobt. Er setzt stets die Anode auf den locus morbi und die Kathode möglichst in 
die Nähe, bei Gelenken etwa auf die gegenüberliegende Seite. Als Elektroden benutzt er Leinen¬ 
tücher, die durchfeuchtet und je nach der Region zusammengefaltet und mit einer biegsamen 
Elektrodenplatte bedeckt werden. 

Vortragender hat das Verfahren bei Periostitis, Adenitis, Angina, Phlegmone und rheumatischer 
Arthritis mit ausgezeichnetem Resultat angewendet. Er erwähnt zwei Fälle: ein taubeneigrossor 


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472 Berichte über Kongresse und Vereine. 

Abscess am Unterkiefer wurde 15 Minuten mit einem Strom von 20 M.-A. behandelt. Am nächsten 
Morgen war der Schmerz geschwunden und der Abscess kaum mehr zu fühlen. 

Bei einer luetischen Periostitis der Clavicula verschwanden alle Symptome in drei Sitzungen 
ohne anderweitige Behandlung. 

In der Diskussion theilt Luzenberger ebenfalls günstige Resultate bei luetischer Periostitis 
mit Mann hat das Gegentheil gesehen. Im übrigen schweift die Diskussion vom Thema ab und 
beschäftigt sich hauptsächlich mit der differenten therapeutischen Wirkung der beiden Pole, welche 
Benedikt im Gegensatz zu anderen Rednern absolut leugnet. 

G. Schatzkij (Moskau), Der konstante Strom als Heilmittel der Tuberkulose. 

Aus den im vorsthehenden Vortrag angeführten Erwägungen heraus hat Schatzkij den 
konstanten Strom auch bei Tuberkulose, sowohl Gelenk-, wie Lungen- und Kehlkopftuberkuluse 
angewandt und berichtet über sehr günstige Erfolge. 

7. Delherm (Paris), Traitement de Farthrito blennorrhagique ä la periode aigue par 

le courant continu ä dose ölövöe. 

Vortragender hat beobachtet, dass in Fällen von gonnorrhoischer Hydarthrose, Arthralgie oder 
Arthritis der kleinen oder grossen Gelenke die Galvanisation bei weitem bessere Resultate liefert, 
wie alle anderen Behandlungsmethoden. Er wendet sie so zeitig wie möglich an in einer Stärke 
von 20—60 M.-A. und mehr, wenn es irgend möglich ist. Die Sitzungen finden ein- bis zweimal 
täglich statt; um die Anwendung der hohen Stromstärken zu ermöglichen werden Elektroden aus 
Thon gebraucht Alle Versteifungen, Ankylosen und Atrophieen werden durch diese Methode 
sicherer wie durch irgend eine andere verhindert. 

8. Laquerriöre (Paris), Affcctions pöriutörinos et Fölectricitö. 

Vortragender weist darauf hin, dass cirkulatorische nervöse Störungen bei den periuterinen 
Affektionen oft von grossem Einfluss sind, betont die günstige Einwirkung der Elektrizität bei 
denselben. Kontraindikation bilden nur Eiteransammlungen und akute infektiöse Erscheinungen; in 
allen anderen Fällen kann die Elektrisation, wie Vortragender nach dem Vorgänge seines Lehrers 
Apostoli erpropt hat, versucht werden und giebt oft bemerkenswerthe Besserungen selbst bei 
anatomischen Läsionen, chronisch infektiösen Zuständen u. dcrgl. Bei nervösen und cirkulatorischen 
periuterinen Erkrankungen bildet sie die spezifische Behandlungsmethode. / 

9. Laquerriöre (Paris), Les contraindicationa au traitement ölectrique des myomes 

utörines. 

Man hat mit Recht allerhand Kontraindikationen für die elektrische Behandlung der uterinen 
Fibromyome aufgestellt. Man muss aber die verschiedenen Prozeduren genau unterscheiden und 
darf nicht alle Kontraindikationen, die für die Methode von Apostoli gelten, auch den anderen 
Methoden zuschreiben, wenngleich die ausserordentlich wirksame und energische Ap ob toi Fache 
Methode nicht, wie man allgemein annimmt, die Methode der hohen Intensitäten, sondern die des 
»Maximums der Toleranz« darstellt. 

Es giebt absolute und relative Kontraindikationen. Ueber erstere darf man sich niemals 
hinwegsetzen, die letzteren können unter gewissen Umständen vernachlässigt werden, wenn der 
Behandelnde genügende Erfahrungen in der Elektrotherapie besitzt. 

Ausser den Fällen in denen die Elektrotherapie die spezifische Behandlung darstellt und 
denjenigen, in denen sie leicht von einem jeden Arzt angewendet werden kann, giebt es viele 
andere, bei denen die Resultate weniger rasch und vollständig sind, und in denen die Anwendung 
eine besondere Geschicklichkeit von Seiten des Operateurs erfordert. Diese Fälle bilden aber keine 
wirklichen Kontraindikationen. 

10. Hornung (Schloss Marbach), Die Elektrotherapie der Herzmuskelinsufficienz. 

Vortragender berichtet an der Hand von 560 Fällen über die Erfolge der Elektrotherapie bei 
Herzmuskelinsufficienz. Die Therapie versagt selbst in den schwersten Fällen nicht, solange noch 
der grössere Thcil des Gefässsystems elastisch und im stände ist, durch seine Arbeit das Herz zu 
entlasten. Nicht geeignet für die Behandlung sind Fälle von fortgeschrittener Arteriosklerose. 

Die Elektrizität wird angewandt in der Form der sinusoidalen Wechselströme, der faradischen 
Ströme und der Franklinisation. Die Anwendung der einen oder anderen Form ergiebt sich nach 
dem Zustande des Kranken und kann im allgemeinen so präcisiert werden, dass muskelstarkr 


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Berichte Über Kongresse und Vereine. 


473 


Kranke mit den am stärksten wirkenden Wechselströmen und zwar in Form der elektrischen Bäder 
behandelt werden, während die mildere faradische und statische Behandlung in verschiedene Ab¬ 
stufungen im Beginn der Kur bei empfindlicheren Kranken angewandt wird. 

Die Erfolge dieser Behandlung, bei der schon nach der ersten Anwendung sich ein ganz 
bedeutendes Zurückgehen der Herzerweiterung zeigt, sind glänzende. So sind z. B. in diesem Sommer 
am Ende der Kur drei Kranke im stände gewesen, den Säntis (2400 m) ohne die geringste 
Schädigung zu besteigen. 

Vortragender empfiehlt zum Schlüsse seiner Ausführungen an Stelle der mindestens sehr un¬ 
angenehmen kalten Bäder bei Infektionskrankheiten, wärmere faradische zu setzen, wenigstens in den 
Fällen, wo die Gefahr einer GerinselVerschleppung nicht vorliegt, um dadurch einmal die Herzkraft 
während der Dauer der akuten Erkrankung zu erhalten, sodann aber durch Fortsetzung der Be¬ 
handlung in der Rekonvalescenz zu gleicher Zeit prophylaktisch zu wirken, weil nach seiner Er¬ 
fahrung der grösste Theil der zur Behandlung kommenden Herzmuskelinsufficienzen sich an fieber¬ 
hafte Krankheiten anschliesst 

11. Bergoni6 (Bordeaux), De l'excritation intra-rachidienne chez l’homme dans un but 
thörapeutique. 

Vortragender hat in drei Fällen im Anschluss an Lumbalpunktionen eine faradische Reizung 
des Rückenmarkes vorgenommen und hat gefunden, dass dies ohne Gefahr und ohne Schmerz 
möglich ist Aus den resultierenden Muskelkontraktionen ergab sich, dass theils das Rückenmark 
selbst, theils die Wurzeln gereizt wurden. Verfasser glaubt, dass man diese Methode vielleicht bei 
manchen Rückenmarkskrankheiten versuchen könne. 

12. Libottc (Bruxelles), Röle de Pölectricitö dans le traitement des fractures. 

Vortragender verwendet bei der Behandlung der Frakturen den galvanischen Strom. Während 
das Glied im Verbände liegt, werden die Nervonstämme der Einwirkung der Galvanisation aus¬ 
gesetzt. Dieselbe erregt die Motilität, die Sensibilität und die Vasomotoren, und bewirkt dadurch 
eine Resorption des Exsudates, eine Verminderung der Schmerzen und eine Beschleunigung der 
Reparation. Es ist gewissermaassen eine Mobilität während der Immobilität 

13. Thiel 16 (Rouen), Un cas d'ictöre traitö par la voltaisation sinusoTdale ondulatoire. 

Der Inhalt des Vortrages ergiebt sich aus dem Titel. 

* * 

* 

Schliessen wir nunmehr die Mittheilungen über die Arsonral’schen Hochfrequenzströme an, 
die im Gegensatz zu dem Pariser Kongress vor zwei Jahren auffallend gering an Zahl waren. 

1. Bergoniö (Bordeaux), Traitement des angiomes plans ou taches angiomateuses par 

les courante de haute fröquence. 

Während bei den grossen Angiomen die Elektrolyse die wirksamste Methode ist, bildet bei 
den angiomatösen Flecken, die die Hautoberfläche nicht überschreiten, die Anwendung der Arsonvali- 
sation das sicherste Mittel. Bergoniö wendet sie an in Form von Ausstrahlungen aus dem 
sekundärem Solenoid. Die rothblaue Haut wird sofort nach dieser Applikation weiss, es tritt eine 
reaktive Entzündung und eine subkutane Heilung mit mehr oder weniger entfärbter Epidermis ein. 
Die Intensität der Bestrahlung muss sich nach der Empfindlichkeit der Haut richten. 

In der Diskussion berichten Guilloz und Luraschi ebenfalls über günstige Erfolge mit 
dieser Methode. Beel Öre fragt, ob nicht die Wirkung zum Theil von ultravioletten Strahlen herrührt, 
was von Laquerriöre und Kurella bestritten wird. 

2. A. Moutier (Paris), Rösultats thörapeutiques de la d’Arsonvalisation. 

Nach dem Vortragenden setzt die Autokonduktion den Blutdruck herab und ist deshalb die 
beste Behandlung der prämonitorischen Periode der Arteriosklerose und ihrer Folgezustände. 
Andererseits steigert die direkte Anwendung der Hochfrequenzströme den Blutdruck, weswegen 
sie bei fieberhaften Krankheiten (Pleuritis, Perikarditis, Lungentuberkulose) ein Mittel von grosser 
Bedeutung darstellt. Ferner soll nach Moutier die Autokonduktion bei Gallen- und bei Nieren¬ 
steinen den Austritt bereits gebildeter Steine erleichtern und die Bildung neuer Steine verhindern. 

In der Diskussion wird die Methode der Blutdruckmessung besprochen, ferner bestätigen 
Laquerriöre und Kurella die günstigen Erfolge, letzterer besonders bei Migräne, depressiven 
Zuständen und Stoffwechselerkrankungen. 

Zeftftchr. f. diät u. physfk. Therapie Bd. VI. lieft 8. 33 


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474 Berichte über Kongresse und Vereine. 


3. Billinkin (Epemay), Anesthesic locale par les courants de haute fröquence dans 

la eure des hömorroides. 

Vortragender benutzt Arsonvarsche Bestrahlungen (vermittels des Oudin’schen Resonators), 
um eine Anästhesie zur galvanokaustischen Entfernung der Hämorrhoiden zu erzeugen. 

4. M. Neumann (Wien), Hochgespannte Elektrizität in der Medicin. 

Vortragender berichtet über die therapeutischen Erfahrungen, die er mit der hochgespannten 
Elektrizität in ihren verschiedenen Formen (Franklinisation, Areonvalisation, Röntgenstrahlen, mono¬ 
discher Voltastrom, ultraviolette Strahlen) gemacht hat 

Von Allgemeinwirkungen rühmt er besonders die schlafmachende und sedative, von lokalen 
die anästhesierende und analgesierende, welche sich bei Myalgieen, Neuralgieen etc. vortheilhaft ver¬ 
wenden lässt Bezüglich der Wirkungen auf den Blutdruck hat er widersprechende Resultate er¬ 
halten, bei Stoffwechselerkrankungen sah er keinen Erfolg. 

Die Röntgenstrahlen wandte er besonders bei Hautaffektionen (Lupus, Sycosis, Favus, Ekzem, 
Hypertrichosis etc.) mit gutem Erfolge an. 

f>. Guilleminot (Paris), Emploi et röglage du rösonateur en spirale pour les appli- 
cations des courants de haute fröquence. 

Guilleminot beschreibt eine Vorrichtung zur Regulierung der Resonatorwirkung, welche 
in der Einschaltung einer kleinen Spirale von regulierbarer Seifinduktion besteht. 


Schliesslich ist ein Vortrag über die neueste Methode der Elektrotherapie zu erwähnen: 

Müller (Zürich), üeber das Prinzip der Permea-Elektrotherapie (Elektromagnetische 
Therapie). 

Vortragender schildert die Prinzipien seiner neuen Behandlungsmethode 1 ) und demonstriert 
in der Ausstellung seine Apparate. Er theilt verschiedene Beobachtungen mit, auf Grund deren 
er zu dem Schlüsse kommt, dass die bisher wissenschaftlich negierte Eigenschaft der magnetischen 
Kraft, organische, lebende Körper direkt nachweisbar zu beeinflussen, thatsächlich besteht und dass 
die beobachteten Erscheinungen (insbesondere die subjektiven Lichterscheinungen) nicht auf die 
Induktion elektrischer Ströme zurückzuführen sind. Es ist ihm trotz mannigfaltiger Versuche nicht 
gelungen, nachzuweisen, dass in Flüssigkeiten und organischen Körpern elektrische Ströme durch 
das magnetische Feld induziert werden. 

Ferner hat er eine Fähigkeit des magnetischen Feldes, auf organischo und anorganische 
Lösungen und Flüssigkeiten einzuwirken, konstatieren können, eine Eigenschaft, wie sie in ähn¬ 
licher Art der Elektrizität in allen ihren bekannten Formen nicht eigen ist. 

Ueber Lichttherapie lagen folgende Mittheilungen vor: 

l. Strebei (München), Lichtgeneratoren in der Lichttherapie. 

Vortragender schildert verschiedene von ihm angegebene Neuerungen in der Konstruktion 
der Lampen für die Lichttherapie. Die Eisenlampe hat er dadurch verbessert, dass der Voltabogen 
nicht mehr wie früher zwischen wassergekühlten Eisenröhren, sondern zwischen massiven Eisen¬ 
stäben erzeugt wird, die in doppelwändige vom Wasser durchflossene Röhren eingelegt sind. Sie 
haben den Vortheil, dass sich der abbrennende Eisenstift während der Behandlung durch eine 
Schraube leicht nachschieben lässt. Sie liefern ferner ein konzentriertes Ultraviolett und gewähr¬ 
leisten dadurch eine deutlichere Tiefenwirkung, als sich mit dem einfachen Ultraviolett der bisherigen 
Eisenlampen erzeugen lässt Dem Eisenlicht fehlt im allgemeinen die (z. B. für die Lupusbehand¬ 
lung nöthige) Tiefenwirkung, weil es keinen bedeutenden Gehalt an chemisch wirksamen permeablen 
Farbstrahlcn hat. Vortragender bemühte sich deshalb Elektroden herzustellen, welche neben viel 
Ultraviolett auch viel Farbstrahlen zu liefern im stände sind, und dies gelang ihm durch Herstellung 
einer Mischung von Ferrum reductum mit Kohle; er erzielte ferner eine Verstärkung der Wirkung 
durch Hintereinanderschaltung zweier Lampen im gleichen Stromkreise, die vermittels Reflektoren 
ihr Licht auf eine Stelle werfen. 


l ) s. diese Zeitschrift Bd. f». S. 011 und Bd. 0. S. ö‘2ff. 


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Qrigiral frem 

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Berichte Über Kongresse und Vereine. 


475 


Schliesslich erwähnt Vortragender die Verwendung des im luftleeren Raume erzeugbaren 
elektrischen Glimmlichtes für therapeutische Zwecke. Er verwendet dieses Licht zur Behandlung 
der männlichen chronischen Gonorrhoe. Das Licht wird in einem röhrenartigen Instrument erzeugt, 
welches in die Harnröhre eingeführt wird und etwa eine Stunde bis zur Erzielung einer schwachen 
Schleimhautreaktion liegen bleibt. 

2. Curchod (Basel), La lampe dermo et le traitement du lupus. 

Vortragender hat Versuche mit der Lampe »Dermo« (Eisenelektroden mit Wasserkühlung) 
angestellt und hat sehr gute Erfolge bei Lupus erzielt. Er stellt eine seit 2 1/2 Monaten in Behandlung 
befindliche Patientin vor und hofft, dass dieser Apparat dazu dienen wird, der Lichttherapie, die 
bisher auf einzelne Institute beschränkt war, eine grössere Verbreitung zu geben. 

Schiff bemerkt in der Diskussion, dass er zwar ebenfalls Erfolge von der Lampe Dermo 
gesehen hat, dass dieselbe aber die Methode von Finsen nicht werde ersetzen können. 

3. Leuillicux (Nantes), Emploi de la cathode du tube de Geissler pour la production 

de rayons vjiolets et ultraviolets. Applications cliniques. 

Vortragender hat phototherapeutische Versuche mit den Ausstrahlungen von Geissler’schen 
Röhren gemacht. Auf gesunden Hautflächen verursacht die Bestrahlung eine kaum merkliche 
Empfindung und ganz geringe Röthung. Bei der Applikation auf Naevi verringert sich bald die 
rothblaue Färbung. Er erwähnt zwei Fälle, in denen die Resultate sehr gut waren. 

Löduc giebt in der Diskussion der Hoffnung Ausdruck, dass die Verwendung der Geissl er¬ 
sehen Röhren sich als eine Vereinfachung in der Lichttherapie bewähren wird. 

4. Foveau (de Courraclles), La photothörapie. 

Vortragender schildert hauptsächlich den von ihm selbst konstruierten Apparat, den »Radiator 
Foveau«, welcher, wie aus der Diskussion hervorgeht, auch von anderen Therapeuten (Michaud) 
allen anderen Apparaten vorgezogen wird. 

ö. Tonta (Mailand), Le bain de lumiöro perfectionnö avec aspirateur. 

Vortragender beschreibt eine verbesserte Konstruktion des Glühlichtbades, welches mit einem 
Ventilator versehen ist und auch sonst noch einige kleine Neuerungen enthält. 


Die zwei letzten Sitzungstage brachten noch zwei ausführliche Referate: 

Guilloz (Nancy), Sur Pölectrolyse et lo galvanocaustic chirurgicales. 

Vortragender bespricht zunächst die Theorie der elektrolytischen Vorgänge und kommt zu 
dem Schluss, dass es sich bei der chirurgischen Elektrolyse meistens um eine mehr oder minder 
intensive Galvanokaustik handele. Stets ist dies der Fall in der Nähe metallischer Elektroden. Die 
interpolaren Wirkungen in der Nachbarschaft der Elektroden rühren von dem elektrolytischen 
Transport der sekundären Produkte her. 

Die Gewebe reagieren auf die galvanokaustische Reizung mit Bindegewebsproliferation, deren 
Produktion nach Ort und Quantität durch die Bedingungen der Elektrolyse reguliert werden kann. 
Dieser histologische Prozess führt die Modifikation und die Heilung der Blutgeschwülste herbei. 
Ausser diesen galvanokaustischen Wirkungen giebt es auch interpolare Wirkungen. In diesen inter- 
polaren Wirkungen liegen wahrscheinlich die »resolvierenden« Eigenschaften des konstanten Stromes 
zum Theil begründet. 

Vortragender bespricht sodann ausführlich die Applikationsweise der Elektrolyse bei den 
einzelnen Krankheitsformen. 

Batelli (Genf), Les dangers des courants ölectriques industriels. 

Während die Ströme von hoher Spannung den Tod durch Hemmung der nervösen Centra 
herbeiführen, töten die Ströme von niedrigerer Spannung durch Herzlähmung. Die letzteren führen 
zu fibrillären Zuckungen des Herzens, und der Tod erfolgt. 

Bei Anwendung hochgespannter Ströme schlägt das Herz weiter, aber die Athmung steht still 
Ein Strom von hoher Spannung kann ein Herz, welches durch einen niedriger gespannten 
Strom in fibrilläres Zittern gerathen ist, wieder zu rythmischen Schlägen bringen (Demonstration 

3 «* 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


eines Thiervereuches!), im übrigen aber tritt stets Herzstillstand und Tod ein, wenn erst fibrilläres 
Zittern vorhanden war. 

Diese durch das Thierexperiment gewonnenen Erkenntnisse erklären die anfänglichen Miss¬ 
erfolge der elektrischen Hinrichtungen. Man verwendete einen hochgespannten Strom und erhielt 
Lähmung der Centren, aber die Exekutierten kehrten zum Leben zurück, weil das Herz weiter schlug. 

Man muss zunächst einen hochgespannten Strom einleiten, um die Centra zu lähmen, dann 
die Spannung verringern, um Herzzittern zu erzielen, und der Tod wird unabwendbar eintreten. 
Sobald das fibrilläre Zittern eingetreten ist, nützt keines von den üblichen Wiederbelebungsmitteln. 

Vortragender geht dann auf die Verbrennungen und die sonstigen durch den Strom hervor¬ 
gebrachten Schädigungen ein (Lähmungen, Kontrakturen etc.), und bespricht schliesslich den Ein¬ 
fluss des Hautwiderstandes, der Grösse und des Ortes der Berührungsfläche, und die zu versuchenden 
Mittel zur Abwendung der Gefahr. Die Gefahren der industriellen Ströme beginnen bei Wechsel¬ 
strom bei etwa 400—500, bei Gleichstrom bei 1500 Volt. 

An den Vortrag und die Demonstration schliesst sich eine lebhafte Diskussion an, an der 
sich besonders Kronecker, Asher, Jellinek betheiligen. 

Letzterer weist auf die Aehnlichkeit der von Batelii demonstrierten herzbelebenden Wirkung 
des Starkstromes mit seinen Beobachtungen über Chloroformnarkose i) hin. 

Im Anschluss an dieses Referat hält Jellinek (Wien) seinen Vortrag über histologische 
Veränderungen im menschlichen und thierischen Nervensystem, hervorgerufen 
durch Elektrizität 

Die durch atmosphärische und technische Elektrizität verursachten Gesundheitsstörungen 
weisen grosse Aehnlichkeit, mitunter Identität auf. Um nichts zu präjudizieren, sollten die 
letzteren als »animalische Effekte der Elektrizität« bezeichnet werden. Für deren Entstehung ist 
der Uebergangswiderstand von Bedeutung. 

Wir unterscheiden Lokal- und Allgemeinsymptome. 

Zu den ersteren gehören: Haut- und Haarverbrennungen, Blutaustritte, schussförmige Durch¬ 
löcherungen der Haut, Blitzfiguren. 

Die Allgemeinsymptome sind ausserordentlich mannigfaltig: Vorübergehende Bewusstseins¬ 
störungen, Koma, Psychosen, Lähmungen, Schwerhörigkeit bis Taubheit, Sensibilitätsstörungen, 
Störungen der Herz- und Lungenthätigkeit, Oedeme, Gelenkschwellungen etc. 

Die histologische Untersuchung menschlicher und thierischer Nervensysteme ergab frische 
und alte Veränderungen. 

Zu den ersteren gehören mikroskopische Blutaustritte, Zerreissungen der Kapillaren, Zellver¬ 
änderungen. 

Die Veränderungen älteren Datums (bei überlebenden Thieren) bestanden in frischen 
(Marchi) und älteren (Weigert) Degenerationen des centralen und peripheren Nervensystems. 
Diese Befunde sind die ersten dieser Art. 


! ) s. diese Zeitschrift Bd. G. S. 71. 


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Referate Aber Bücher und Aufsätze. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährnngstherapie). 

X. Cremer und M. Henderson, Ein 
experimenteller Beitrag zur Lehre vom 
physiologischen Eiweissminimum. Zeit¬ 
schrift für Biologie Bd. 24. Neue Folge. 

E. Voit und Korkunoff hatten gezeigt, 
dass die geringste zur Erhaltung des N- Gleich¬ 
gewichts nöthige Ei weisem enge beim Hund um 
etwa 11 o/o grösser ist, als die Eiweissmenge, 
die im Hunger zersetzt wird. Sivön hat da¬ 
gegen für den Menschen weit geringere relative 
Eiweisswerthe als zur Erhaltung des Körper¬ 
bestandes noch ausreichend gefunden. 

Die Verfasser theilen nun zwei an Hunden 
angestellte Beobachtungsreihen mit; in beiden 
bekamen die Thiere noch etwas höhere Eiweiss¬ 
mengen, ^als nach jenen E.Voit’sehen Versuchen 
unter Berücksichtigung der vorher bei Inanition 
ausgeschiedenen N- Zahlen eben hinreichend ge¬ 
wesen wären (daneben noch im einen Fall vier 
Fünftel, im anderen den ganzen durch Respirations¬ 
versuche festgestellten Kalorieenbedarf in N-freier 
Kost), ln beiden Versuchen reichte die verabfolgte 
Eiweissmenge jedoch nicht aus, die Thiere im 
N-Gleichgewicht zu halten. 

Die Verfasser theilen diese Versuche als 
statistischen Beitrag mit, ohne einstweilen ver¬ 
allgemeinernde Schlüsse daraus ziehen zu wollen. 

D. Gerhardt (Strassburg). 

G. Lnsk, lieber Phloridzindiabetes« Zeit¬ 
schrift für Biologie Bd. 24. Neue Folge. 

Lusk wendet sich gegen die aus den letzten 
Jahren stammenden Arbeiten von Rumpf und 
v. Noorden und/deren Schülern, die zeigen 
sollen, dass beim* Diabetes des Menschen und 
beim experimentellen Phloridzindiabetes auch 
aus Fett Zucker gebildet werden könne. In 
jenen Arbeiten wurde das Verhäliniss des Zuckers 
zum Stickstoff im Harn (D: N) grösser gefunden 
(3,6 bis 5,2: 1), als es nach den bisher geltenden 
Regeln hätte ausfallen können, wenn der Zucker 
lediglich dem Eiweiss entstammen sollte. Lusk 
erinnert aber daran, dass er selbst in früheren 
Versuchen beim Phloridzinhund schon Werthe 
von ca. 3,6:1 beobachtet hat, und berichtet über 
neue Versuche, in welchen dies Verhältniss tage¬ 


lang ebenfalls zwischen 3 und 4:1 schwankte. 
Beim Phloridzindiabetes scheint also die Quelle 
der Zuckerbildung umfangreicher zu sein als 
beim Pankreasdiabetes, bei welchem Minkowski 
jenes Verhältniss regelmässig 2,8:1 fand. Bei 
mit Phloridzin vergifteten Ziegen, Kaninchen 
und Katzen fand übrigens auch Lusk nur 2,8:1. 

Dies Verhältniss kann noch grösser werden 
im Beginn der Phoridzinwirkung dadurch, dass 
zunächst aller im Körper vorhandene Zucker im 
Harn ausgeschwemmt wird. 

Lusk sucht ferner durch zwei längere Be¬ 
obachtungsreihen an Hunden (darunter auch ein 
sechsstündiger Respirationsversuch) darzulegen, 
dass im Phloridzindiabetes für den nicht zur Ver¬ 
brennung gelangenden Zucker entsprechende 
Mengen von Eiweiss eintreten, und dass diese 
gesteigerte Eiweisszersetzung durch Fettzufuhr 
nicht eingeschränkt werden könne. 

Endlich theilt er Beobachtungen über 
Phloridzinwirkung bei Milchziegen mit Er fand, 
dass durch Phloridzin ebenso wie durch einfache 
Inanition die Menge der Milch zwar sehr ver¬ 
mindert, ihr prozentischer Fettgehalt aber be¬ 
deutend (aufs 2 — 2i/2^ ac be) gesteigert wird; die 
Ursache ist offenbar der reichliche Fettgehalt des 
Blutplasmas, der bei Hunger wie bei Phloridzin¬ 
vergiftung gefunden wird. 

D. Gerhardt (Strassburg). 

Fr. Krüger, Zur quantitativen Pepsin¬ 
wirkung. Zeitschrift für Biologie Bd.41. Heft 3. 

Die vielfach variierten Versuche des Ver¬ 
fassers zeigen zunächst, dass vermehrter Zusatz 
von Pepsin vermehrte Eiweissspaltung bedingt, 
dass aber die Menge des gespaltenen Eiweisses 
weniger zunimmt als die Menge des zugesetzten 
Pepsins. (Die Arbeiten von E. Schütz, 
Borissow, J. Schütz, wonach die zersetzten 
Eiweissmengen sich verhalten wie die Quadrate 
der Pepsinmengen, bleiben unberücksichtigt, 
übrigens liegen die angewandten Konzentrationen 
ausserhalb der von J. Schütz angegebenen 
Grenzen.) Ferner zeigten Krüger’s Versuche, 
dass die Menge der Verdauungsprodukte um so 
grösser ist, je geringer die Konzentration der 
Eiweisslösung. Bleiben prozentischer Gehalt an 
Eiweiss und Salzsäure gleich, wächst aber 
(natürlich unter Vermehrung des Flüssigkeits- 


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478 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


quantums) die absolute Eiweissmengc, dann wird 
von einer gewissen Grenze ab nur ein gewisser 
und für die gegebenen Bedingungen konstanter 
Prozentsatz der weiteren Ei weissmengen 
peptoniaiert Im allgemeinen liefern grossere 
Eiweissmengen bei gleichen Pepsinmengen wohl 
absolut mehr, aber relativ weniger Verdauungs¬ 
produkte als kleinere. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


Fr. Krüger, Weitere Beobachtungen über die 
quantitative Pepsinverdaunng. Zeitschrift 
für Biologie Bd. 41. Heft 4. 

Die Arbeit sucht für die in der vorigen Ab¬ 
handlung beobachtete Erscheinung, dass die 
Pepsinwirkung mit der Grösse der Ei weissmengen 
relativ geringer wird, eine Erklärung zu geben. 

Durch Versuche mit Zusatz präformierter 
Peptone kann Kröger zeigen, dass die An¬ 
wesenheit grösserer Mengen die entstandenen 
Verdauungsprodukte auf die Fermentwirkung 
beeinträchtigend wirkt und dass dieser hemmende 
Einfluss ein zweifacher ist, erstens bedingt durch 
die Gegenwart der Albumosen und Peptone an 
sich, und zweitens bedingt durch das Salzsäure- 
bindungsvermögen derselben. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


M. Neuburger, Die Anschauungen über den 
Mechanismus der spezifischen Ernährung 
(das Problem der Wahlanziehung). I^eipzig 
und Wien 1900. 

»Eine Hypothese, die durch neue Fakta ver¬ 
drängt wird, stirbt eines ehrenhaften Todes; hat 
sie gar die Thatsachen, durch welche sie ver¬ 
nichtet wurde, selbst zu ihrer Prüfung herauf¬ 
berufen, so verdient sie ein Monument der 
Dankbarkeit«. An diese Stelle aus J. Hcnle’s 
genialer, nur leider viel zu wenig bekannten 
rationellen Pathologie wurde ich bei der Lektüre 
von Neuburg er 1 s historischer Studie über die 
Vorstellungen von der Ernährung erinnert. Die 
Geschichte ist in derThat wie ein Friedhof; hier 
ist alles zeitliche Ringen zur Ruhe gekommen, 
und nur die Monumente, die Erinnerungszeichen 
ragen als stumme Zeugen heute kaum mehr be¬ 
griffener und damals doch so weltbewegender 
Ideen und geistiger Kämpfe. 

In souveräner Beherrschung des Stoffes und 
mit meisterlicher Klarheit zeichnet der Verfasser 
den alten Zwist zwischen Vitalismus und mecha¬ 
nischer Auffassung und zeigt, wie diese letztere 
allemal in einem den jeweiligen physikalisch¬ 
chemischen Kenntnissen entsprechenden Gewände 
auftrat. Die Fabel blieb dieselbe, nur die Kostüme 


wechselten, wenn Hippocrates die Aufnahme 
der Nährstoffe nach dem^Typus des Schröpf¬ 
kopfes, ErasistratuB nach dem des Blase¬ 
balges, Epicur nach dem des Magneten, Car- 
tesius als Durchsieben, van Helmont als 
Filtration, Reil als thierische KryBtallisation, 
Prochaska als Wirkung einer supponierten 
Voltasäule erklärten. Es ist interessant und 
lehrreich, zu sehen, wie alle diese Auffassungen, 
auch wenn sie momentan noch so befriedigend 
erscheinen mochten, jedesmal vom Vitalismus 
abgelöst wurden, und wie auch heute wieder 
vitalistisches Denken sich an Stelle der exklusiv 
mit Filtration und Osmose arbeitenden Schule 
Ludwig’s schiebt. Wie ein Pendel fliegt der 
Zeitgeist bald nach rechts und bald nach links. 
Nur ein untergeordneter Geist, an seine Scholle 
und an sein Dezennium gefesselt, kann diesen 
Wechsel bedauern, als ob nur Eine Richtung 
richtig wäre. Wiederum sind wir in der Nähe 
eines Umschwungs angelangt; lassen wir uns 
durch die Vergangenheit belehren, dass die Uhr 
der Geschichte nur richtig geht, w T enn das Pendel 
frei nach beiden Seiten schwingt. 

Buttersack (Berlin). 

Schilling, Taschenbuch Uber die Fort¬ 
schritte der physikalisch-diätetischen Heil¬ 
methoden. 2. Jahrg. Leipzig. Verlag Konegen. 

Das kleine Büchelchen, dessen 2. Jahrgang 
hier vorliegt, setzt sich wiederum aus einer 
grossen Reihe von Referaten, welche über Auf¬ 
sätze aus dem Gebiete der diätetischen und 
physikalischen Heilmethoden erstattet werden, 
i zusammen. Der Verfasser war bemüht, nur 
solche Arbeiten des letzten Jahres zu referieren, 

| die einmal Neues, zweitens aber wirklich Werth- 
I volles gebracht haben. Der Praktiker wird daher 
in dem Büchelchen manches finden, was er mit 
I Vortheil für seine Patienten benutzen kann. 

R. 

I Mladejovsky, Ueber eine neue Entfettung*- 
I methode. Vorläufige Mittheilung. (Wien. Medic. 

I Blätter 1901. No. 4.) 

Während die Behandlung der Fettleibigkeit 
I mit Schilddrüsenpraparaten in der letzten Zeit 
1 fast von allen Autoren als unzweckmässig, über- 
I flüssig und gefährlich verworfen # worden ist, hat 
Mladejovsky von einer besonderen Modifikation 
I der Thyreoideabehandlung in einer Anzahl von 
Fällen gute Erfolge gesehen. Er verabreichte 
kleinere Dosen als die anderen Autoren, nämlich 
I höchstens 2 Tabletten Merck ä 0,3 täglich, und 
gab das Mittel auf nüchternen Magen , f um die 
Wirkung mit derjenigen des Marienbader Wassers 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


479 


zu kombinieren. Um den bekannten üblen Neben¬ 
wirkungen des Mittels zu begegnen, verabreichte 
er ferner gleichzeitig mit demselben 0,1 Chinin, 
mur. und eine eben solche Dosis Theobromin. 
Von diesen beiden Medikamenten soll nach der 
uns freilich etwas kühn erscheinenden Kalkulation 
des Verfassers das Chinin der fieberähnlichen 
Wirkung des Thyreoidins entgegenarbeiten, vor 
allem dem grosseren Stoffzerfall, während das 
Theobromin die schwächende Wirkung des 
Thyreoidins auf den Herzmuskel paralysieren 
soll. Referent kann hier die Frage nicht unter¬ 
drücken, ob nicht durch den supponierten, den 
Stoffwechsel hemmenden Einfluss des Chinins 
die Wirkung der an sich kleinen Thyreoidin- 
gabe illusorisch wird, oder ob das Chinin etwa 
bloss dem unerwünschten Eiweisszerfall entgegen¬ 
arbeitet, während die gesteigerte Fettverbrennung 
ungehindert vor sich geht. Der Verfasser em¬ 
pfiehlt seine Methode zunächst für solche Fälle 
von Fettsucht, die mit Cirkulationsstörungen 
kompliziert sind und giebt auch eine genaue 
Krankengeschichte eines solchen erfolgreich be¬ 
handelten Falles. Da er jedoch neben der in 
Rede stehenden Medikation auch eine erhebliche 
Diät- und Flüssigkeitsbeschränkung eintreten liess 
und ausserdem kohlensaure Bäder und Massage 
anwandtc, so kann der Fall nicht als Beweis für 
die Wirksamkeit der Thyreoidinbehandlung gelten. 
Ausserdem wandte Mladßjovsky seine Methode 
bei Patienten an, die entweder nicht im stände 
waren, sich im Essen Beschränkungen aufzuerlegen, 
oder bei denen die körperliche Bewegung durch 
irgend eine Ursache erschwert oder unmöglich 
gemacht war. Auch die hier erzielten Erfolge 
jedoch gestatten kein Urtheil über den Werth 
der Methode, da bei den Fällen der ersten Kate¬ 
gorie zweckmässige Körperbewegungen, bei den 
der zweiten Diätbeschränkungen neben der kom¬ 
binierten Thyreoidin-Mineralwasserkur verordnet 
wurden. Ein abschliessendes Urtheil wird sich 
daher wohl erst nach den weiteren von dem 
Verfasser in Aussicht gestellten Mittheilungen 
abgeben lassen. Plaut (Frankfurt a. M.). 


B. Gymnastik. 

H. Morris, The Symptoms and treatment of 
moveable kidney. Lancet 1901. 30. November. 

Ein gewisser Grad von Beweglichkeit ist 
jeder Niere eigen: bei tiefer Inspiration entsteht 
ein beschranktes Verschieben nach unten, bei 
der Exspiration nach oben. Bei bimanueller Unter¬ 
suchung ist diese Verschiebung nicht immer nach¬ 
zuweisen, wohl aber kann sie beim Operieren 
fast stets gesehen werden; häufig ist der Unter¬ 


sucher übrigens im stände, ein Verrücken des 
unteren Poles festzustellen, ohne aber berechtigt 
zu sein, deshalb von ungenügend fixierter (oder 
Wanderniere) zu sprechen. Wir dürfen nach 
Morris eine aborm bewegliche Niere annehmen, 
wenn das ganze Organ während tiefer 
Inspiration bei bimanueller Palpation 
unter die Finger des Untersuchers ver¬ 
schobenwird, oder wenn das ganze Organ 
oder sein grösster Theil derart nach 
unten geräth, dass es zwischen den 
Fingern beider Hände gefühlt werden 
kann, oder wenn die untere Hälfte in 
dieser Weise während der Einathmung 
fühlbar ist. Soweit decken sich die Begriffe 
mit dem, was Glönard als »rein mobile 
nouveau« bezeichnet hat Zu einer anderen 
Gruppe gehören diejenigen Fälle, in welchen 
die Niere bei gewöhnlicher Athmung oft 
aus ihrer Lage geräth, in extremen Fällen 
mit einem Blick auf das Abdomen sichtbar oder 
mit einem Griff fühlbar, die »rein flottant« 
Glönards. Endlich nach Morris beinahe die 
wichtigste Form, ein Lagewechsel des Organs, 
bei dem dasselbe auf dem Planum der hinteren 
begrenzenden Partieen gleitet oder sich median- 
wärts und nach hinten senkt, nicht ganz oinwands- 
frei gesagt »fällt« (Nephroptosis); dabei finden 
nämlich rotierende Bewegungen statt um die 
transvorsale oder vertikale Axe. 

Die grossen Verschiedenheiten in den An¬ 
sichten der Autoren bezüglich der Häufigkeit 
des Vorkommens der Krankheit (Glönard 
fand 14%, Senator und Guttmann 1—*3%, 
nach Autopsieen 1 °/oo•) sicht Morris in folgenden 
Gründen: viele Fälle sind bei Sektionen über¬ 
sehen worden, noch mehr werden täglich nicht 
beachtet oder nicht erkannt, weil die richtige 
Palpationsmcthode nicht genügend bekannt ist. 
andererseits werden viele Nieren als lose be¬ 
zeichnet von solchen Aerzten, welche jedes mit 
der Athmung fühlbare Verschieben des Organs 
als pathologisch bezeichnen; endlich lässt sich 
auch verstehen, dass Kur- % und Badeärzte, deren 
Klientel sich oft mehrCntheils aus dyspeptischen, 
nervösen oder hysterischen Patienten zusammen¬ 
setzt, bei systematischer Palpation der enteropto- 
tischen Organe einen höheren Prozentsatz von 
Wandernieren finden können. 

In der Beschreibung der Morris’schen 
Methodik der Untersuchung auf Wander¬ 
niere finden wir die meistenteils von deutschen 
Aerzten in gleicher Weise geübte bimanellc Palpa¬ 
tion wieder. Ein guter Wink scheint mir der Vor¬ 
schlag zu sein, den Patienten zuerst in Rücken¬ 
lage zu untersuchen, wobei der Untersucher auf 
der Seite des zu palpiorenden Organs steht, 


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sodann ihn in gleicher Position beider Hände auf 
die andere Seite rollen zu lassen, so dass er in 
Bauchlage kommt, die eventuell noch in Knie- 
Ellbogenlagc umgewandelt wird. 

•* Zum Grundsatz macht Morris eine mehr¬ 
malige Untersuchung; er empfiehlt stets nach 
folgenden Symptomen zu forschen: Schmerzen 
in der Nierengegend, im Rücken, in den Seiten 
und im Unterleib, . Störungen des Ver¬ 
dauungsapparates, wie Brechen, Obstipation, 
seltener Diarrhöen (nach Edebohls ist auch 
chronische Appendicitis häufig mit Ren mobilis ver¬ 
gesellschaftet!), Neurasthenie und Hysterie, 
endlich, wenn auch seltener, Polyurie und 
Anomalieen des Urins sowie gastrische 
Störungen. 

Die Diagnose der Wanderniere stützt sich 
einmal auf die absolut sichere Palpation des 
Organs und die Feststellung der erwähnten 
Störungen, die ein solches verursacht, und dann 
auf die Ausschliessung der differentialdiagnostisch 
in Betracht kommenden Erkrankungen anderer 
Organe: Schnürlappen der Leber, vergrösserte 
Gallenblase, Wandermilz, Carcinom des Coecum 
und des Magens, intraperitoneale Abscesse, 
Ovarialkystome, Uterusmyome und Tumoren des 
Netzes. 

In der Behandlung empfiehlt Morris zu 
individualisieren nach dem Grade der subjektiven 
Beschwerden und je nach den begleitenden 
Komplikationen. In leichteren Fällen ist im all¬ 
gemeinen nichts zu thun, in schwereren ist die 
Nephropexie vorzuschlagen. Ziemlich abfällig 
spricht sich der Autor über Bandagenapparate 
aus, die oft mehr schaden als nützen, diätetische 
Vorschriften und Ruhelage bringen nur vorüber¬ 
gehende Erleichterung. Die Nephrektomie für 
Wanderniere ist unzulässig, die Nephropexie hilft 
in den meisten Fällen und ist als ein ganz un¬ 
gefährlicher Eingriff zu bezeichnen, ihre Mortalität 
etwa 1%; rechnet man Schmerz, gastrointesti¬ 
nale und nervöse Störungen mit ein, so dürfte 
man auf 90% radikale Heilungen kommen. Drei 
verschiedene Meth odenIt önnen angewandt werden, 
die von Vulliet, Morris und Tuffier an¬ 
gegebene Operation. 

Morris* Schlussfolgerungen in der Behand¬ 
lung der Wanderniere sind in Kürze folgende: 

1. Bei Komplikation mit Enteroptose 
keine Operation, medicinisch-diäte- 
tischc und orthopädische Behand¬ 
lung. 

2. Dasselbe gilt bei dem Zusammen¬ 
treffen mit Ptose der Leber und der 
Niere der anderen Seite; bestehen 
aber im letzteren Falle von beiden 
Nieren lebhafte Beschwerden, so 


sollen beide in einem Intervall von 
einer Woche operativ fixiert werden. 

3. Hysterische oder Neurastheniker 
mit Wanderniere müssen zuerst 
palliativ behandelt werden; nur aaf 
besonderen Wunsch kann die Nephro¬ 
pexie gemacht werden (50<>/o Heilung). 

4. Bei unkomplizierten Fällen: Nephro¬ 
pexie. 

5. Renale Krisen erfordern ebenfalls 
die Operation. 

0. Wandernieren,dieohneBeschwerden 
für denPatienten bestehen, bedürfen 
weder operative noch orthopädische 
Behandlung. R. Block (London). 


J. Königstein, Ueber Belastungstherapie« 
Centralblatt für die gesammte Therapie 1902. 
März. 

Nach der operationslustigen Epoche hat die 
Gynäkologie in den letzten Jahren wieder in 
konservativere Bahnen eingclenkt. Gerade die 
Entzündungen und deren Produkte sind das 
Punctum saliens bei der Behandlung der chronisch 
entzündlichen Erkrankungen der weiblichen Ge¬ 
schlechtsorgane. Das Bestreben der Therapie 
muss einerseits dahin gerichtet sein, das Weiter¬ 
greifen der Entzündung zu verhindern, anderer¬ 
seits bereits gesetzte Entzündungsprodukte zur 
Aufsaugung zu bringen. Letzteres geschieht durch 
die Resorptionsmethoden. Zu diesen ist in den 
letzten Jahren ein neues gekommen, das von 
W. A. Freund angegeben wurde. Das Wesent¬ 
liche des neuen Verfahrens besteht in der Aus¬ 
übung eines konstanten Druckes auf die Becken¬ 
organe von der Vagina und vom Abdomen aus. 
Durch je einen aussen auf dem Abdomen und 
innen in der Vagina angebrachten Schrotbeutel 
wird das innere weibliche Genitale einer ständigen 
Belastung, mithin Kompression ausgesetzt. 
Schauta modifizierte die Applikadonsweise da¬ 
durch, dass er statt des Schrotbeutels einen mit 
Quecksilber gefüllten Kolpeurynter zur Anwen¬ 
dung brachte. Dies hat den Vorzug der be¬ 
quemeren Applikation. Durch das höhere 
spezifische Gewicht des Quecksilbers ist es auch 
möglich, einen grösseren Druck auszuüben. Es 
können mit Leichtigkeit 1000 g Quecksilber in 
den Kolpeurynter eingegossen werden. Da zu¬ 
meist der Douglas’sche Raum anzugreifen ist, 
so wird der Kolpeurynter hinter die Portio ge¬ 
führt und als Gegengewicht ein Schrotbeutel über 
! der Blasengegend angebracht. Ist man genöthigt, 

1 die eine oder die andere Seite mehr zu belasten, 
I so muss man die Patientin in die entsprechende 
i Seitenlage bringen; dann wirkt, nach dem Gesetz 


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481 


der Schwere, der Kolpeurynter auf die betreffende 
Seite ein. Man beginnt mit 1/2 kg m der Vagina 
und steigt von Sitzung zu Sitzung. Die Dauer 
der Einwirkung schwankt von einer Stunde im 
Minimum bis zu einem ganzen Tag. Indiziert ist 
das Verfahren bei chronischer Para- und Peri¬ 
metritis, bei Adnexschwellungen, bei schwer 
reponiblen Retroflexionen, bei narbiger und infantil 
enger Vagina. Eine strikte Kontraindikation 
bilden die akuten Entzündungen. Besonders bei 
jenen Affektionen, die sich am Beckenboden ab¬ 
spielen, bewährt sich die Belastungsmethode, 
während bei Erkrankungen am Fundus Uteri die 
manuelle Massage cinzugreifen haben wird. Um 
eine durch plötzliche zu starke Belastung be¬ 
dingte Komprcssionsanämie und andererseits eine 
durch zu starke Entlastung entstehende schranken- 
reaktivo Fluxionshyperämie zu vermeiden, hat 
Pincus einen »Quecksilber-Luft-Kolpeuryntero 
konstruiert, mit denen man die intravaginale Ent¬ 
lastung und Belastung allmählich graduell steigern, 
respektive mindern kann. Der Apparat ermög¬ 
licht ferner durch rasches Füllen, respektive Nach¬ 
lassen des Druckes eine Form der Massage, die 
Pincus als »Kolpeuryntermassage« bezeichnet. 
Sie hat den Vortheil, dass jede Friktion und 
Reizung des weiblichen Genitales ausgeschlossen 
ist, weshalb sie besonders bei hysterischen, 
erotischen und erethischen Frauen zu empfehlen 
ist. Die »Kolpeuryntermassage« hat sich bei 
Reizungszuständen in der Beckenmuskulatur 
(Myodynia intrapelvica sexualis), den Vorstufen 
des Vaginismus, den Folgen des Coitus inter- 
ruptus, bei Erschlaffungszuständen im Genital¬ 
schlauche (Myasthenia intrapelvica sexualis et 
stercotralis), bei mangelhaftem Tonus in der Wand 
der Vagina und ihrer Umgebung, endlich bei 
schlechter Involution des Uterus mit erhalten 
gebliebener Kontraktilität bewährt. Zur Anregung 
und Verstärkung von Geburtswehen wirkt sie 
besser als die Anwendung von W asserkolpeurynter. 

Forchheimer (Würzburg). 


C. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Jaquet und Stfthelin, Stoffwechselversuchc 
im Hochgebirge. Archiv für experimentelle 
Pathologie und Pharmakologie 46. S. 274. 

Wenn der Uebergang von der Ebene ins 
Hochgebirge, wie Jaquet in früheren Versuchen 
erwiesen, mit einer erheblichen Vermehrung der 
Blutkörperchen und des Blutfarbstoffes einher¬ 
geht, so durfte man erwarten, dass ein solcher 
Neubildungsvorgang störend auf das Stoffwechsel¬ 


gleichgewicht einwirken müsse, indem der 
Organismus zum Aufbau der neugobildeten 
Zellen Stoffe braucht, welche er wahrscheinlich 
von der zugeführten Nahrung entnimmt. Ein 
exakter Stoffwechselversuch, der neben der Kon¬ 
trolle der Nahrungszufuhr und der Ausscheidung 
im Urin und im Koth auch die Produkte des 
respiratorischen Stoffwechsels berücksichtigte, 
sollte darüber Aufschluss geben. 

Zu diesem Zweck übersiedelten die Verfasser 
nach entsprechenden Vorversuchen in Basel nach 
dem Chasseral, der 1600 m hoch, einer der höchsten 
Gipfel der Jurakette ist Der dortselbst vor¬ 
genommenen Versuchsreihe folgte eine Nach¬ 
periode in Basel. 

Als wesentlichstes Ergebniss der Gegenüber¬ 
stellung der bei absolut gleicher Kost in der 
Ebene und auf der Höhe gewonnenen Zahlen¬ 
reihen sieht man eine deutliche Stickstoffretention 
während der Gebirgsperiode. Parallel mit der¬ 
selben geht auch ein Herabsinken der P 2 0 Ä -Aus¬ 
scheidung. Nach der Rückkehr ins Tiefland 
steigen Stickstoff und P 2 0 5 -Ausscheidung im Urin 
alsbald wieder an. Die Stickstoffretention beträgt 
mehr als zur Neubildung des Blutfarbstoffes in 
dem thatsächlich konstatierten Umfange erforder¬ 
lich gewesen wäre, so dass die Vermuthung nahe 
liegt, dass im Gebirge nicht nur die Blutbildung 
reger wird, sondern dass daneben auch noch eine 
mehr oder weniger intensive Neubildung anderer 
Gewebselemente statthat. Die Gaswechselanalysen, 
welche gleichzeitig während der Versuche aus¬ 
geführt wurden, ergaben für die Athmuugs- 
mechanik, dass die Athmungsthätigkeit im Höhen¬ 
klima in der Ruhe ungefähr die gleiche ist wie 
im Tieflande. Doch wenn man das Athmungs- 
volum auf 0<> und 760 ccm reduziert, so erscheint 
die im Hochgebirge in der Zeiteinheit aus- 
geathmete Luftmenge deutlich herabgesetzt Der 
Athmungschemismus zeigt sich in der Weise ver¬ 
ändert, dass im Höhenklima Kohlensäureaus¬ 
scheidung und Sauerstoffaufnahme in der Ruhe 
gesteigert waren und der respiratorische Quotient 
erhöht war. Nach der Rückkehr in das Tiefland 
blieben Kohlensäureausscheidung und Sauerstoff¬ 
aufnahme noch eine Zeit lang erhöht und kehrten 
nur langsam und allmählich auf den ursprüng¬ 
lichen Werth zurück. 

Weintraud (Wiesbaden). 


Wilhelm Erb, Winterkuren im Hochgebirge. 

Sammlung klin. Vorträge. Neue Folge No. 271 
und Therapeutische Monatshefte 1902. März. 

ln vielen Kreisen existieren noch grosse 
Vorurtheile gegen den Winter im Hochgebirge 
(d. h. in einer Meereshöhe von über 1500 m oder 


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482 Referate über Bücher und Aufsätze. 


mindestens 1000 in), den man sich als besonders 
rauh, wild und wegen schwierigen Verbindungen 
als ungastlich vorstellt Die speziellen Erfahrungen 
des Verfassers beziehen sich auf St. Moritz (1820 
bis 1860 m) und Davos (1540 m), welches letztere 
Spengler auf Grund der Erfolge Brehmers 
in Görberedorf zunächst als Sommer-, dann aber 
auch als Winteraufenthalt für Phthisiker seit An¬ 
fang der 70 er Jahre empfahl und einführte. Es 
giebt noch andere, später entstandene und auf¬ 
blühende Winterkurorte, so z. B. Les Avants 
oberhalb Montreux (1000 m), Mont de Caux ebenda 
(1100 m), Leysin (1450 m), Arosa (1856 m). Die 
Eigenthümlichkeitcn des Winterklimas im Hoch¬ 
gebirge bestehen einmal in der niedrigen Tempe¬ 
ratur der Luft, die vom Anfang November bis 
Ende März am Tage in der Nähe oder unterhalb 
des Gefrierpunktes liegt und in der Nacht nicht 
Belten auf 22—300 C unter Null sinkt. Die gegen¬ 
über dem Tieflande reichlichere und anhaltendere 
Besonnung jedoch, die im Verhältnis zur Armuth 
der Luft an Wolken und Nebenbildung steht, 
ergiebt nicht nur eine wesentliche Erhöhung der 
täglichen Sonnenstunden in den Wintermonaten, 
sondern ermöglicht auch während dieser den 
dauernden Aufenthalt im Freien, sogar in Sommer¬ 
kleidung. Von noch grösserer Bedeutung als die 
Dünne der Luft ist ihre Trockenheit, durch die 
Abnahme des Wasserdampfgehaltes der Atmo¬ 
sphäre mit wachsender Höhe bedingt. Die Luft 
ist ferner, sobald nach den ersten Schnccfällcn 
im November Berg und Thal konstant mit einer 
1 cm hohen Schneelago bedeckt ist, vollkommen 
staubfrei. Schliesslich ist die Bewegung der Luft 
eine sehr geringe, und dieses Moment ist es neben 
dem Feuchtigkeitsgehalt, welcher die Kälte so 
wenig empfindlich macht. Das Zusammenwirken 
aller dieser Faktoren aber ergiebt die allseitig 
gerühmte wunderbare Schönheit und Beständig¬ 
keit des Wetters. Gegenüber den südlichen Kur¬ 
orten , die bis vor wenigen Dezennien fast aus¬ 
schliesslich als Winterstationen in Betracht kamen, 
ergeben sich wesentliche Vortheile für die Kranken. 
Das frühlingsmässige Klima der letzteren mit 
ihrer mehr oder weniger erschlaffenden, nicht 
selten feuchten Luft, ihren häufigen Winden, den 
Regenperioden, der unangenehmen Kälte und 
dem fast überall lästigen Staub, giebt weit weniger 
Gelegenheit zu Spaziergängen und tüchtiger Be¬ 
wegung, wenn man von Sport und Amüsement 
oft recht aufregender Art absieht. Demgegen¬ 
über geben auch die Höhenkurorte Gelegenheit 
zu ausgedehntem Wintersport (Schlittschuhlaufen, 
Schlitteln, Skilaufen, Ilockcyspiel — einer Art 
Fussballspiel auf dem Eis —, Curling (einer 
Art von Eiskegeln oder Bocciaspiel) sowie ab¬ 
wechslungsreichen Vergnügungen (abgesehen von 


gesellschaftlichen Zerstreuungen, Schlittenfahren 
nach allen Richtungen auf den stets gebahnten 
Poststrassen), die, mit Maass und unter ärztlicher 
Kontrolle betrieben, ausser dem foitwährenden 
Genuss der frischen Luft zum grössten Theil auch 
ein schätzon8werthe8 Maass von körperlicher An¬ 
strengung, verbunden mit Vergnügen und Wett¬ 
eifer mit sich bringen, so dass die Vorzüge der 
Winterkuren im Hochgebirge sehr hoch anzu¬ 
schlagen sind. 

Unter den Indikationen für die letzteren ist 
die für die Lungenphthise die älteste, am sichersten 
begründete und erprobteste. Dann aber sind es 
die sogenannten Prophylaktiker, d.h. dicphthisisch 
belasteten Individuen, die Schwächlinge aus be¬ 
lasteten Familien, die Skrophulösen, die Rekon- 
valescenten von Pleuritis, welche mit geradezu 
erstaunlichen Resultaten Winterkuren im Hoch¬ 
gebirge machen. Die Gefahr der Infektion 
kommt selbst in den speziellen Schwindsuchts¬ 
kurorten (Davos, Arosa) nach Erb trotz aller 
Bedenken der »reinen« Bakteriologen und Kon- 
tagionisten gegenüber der Disposition nicht in 
Betracht Unter den Nervenkranken, die nicht 
nur im Sommer sondern auch im Winter in den 
Höhenkurorten Erfrischung, Hebung dcrEmäh rung, 
Kräftigung und Heilung ihrer Leiden finden, sind 
Hysterische, leicht Verstimmte, »Minderwertige«, 
»Degenerierte«, Leute mit Zw^angsvorstellungen 
und Grübelsucht, vielleicht auch in leichteren 
Fällen an Cyklothymie Leidende hervorzuheben. 
Neben Anämie, Chloroso und Malariakachexie 
sah Verfasser auch bei gewissen Fällen von 
Asthma, namentlich auch beim Morbus Basedowii 
glänzende Erfolge. Schliesslich kann allen Er¬ 
holungsbedürftigen und Rekonvalescenten von 
schweren Krankheiten, allen Ueberarbeiteten und 
den durch Aufregungen, Sorgen, Kummer her¬ 
untergebrachten — kurz allen den Menschen, die 
im Sommer einige Wochen ins Gebirge oder an 
die Sec gehen, der Rath gegeben werden, und 
zwar mit noch grösserem Nutzen, für einige 
Wochen oder Monate Aufenthalt im Hochgebirge 
zu nehmen. Forchheimer (Würzburg). 


Hamm, Die Behandlung des chronischen 
trockenen Mittelohrkatarrhs durch Sitzungen 
in der pneumatischen Kammer. Münchener 
medieinische Wochenschrift 1902. No. 5 und 
Centralblatt für die gesammte Therapie 1902. 
März. 

Der chronische Mittclohrkatarrh, die Sklerose 
des Mittelohrs ist von jeher eine crux medicorum 
gewesen. Es hat nicht an Bemühungen gefehlt, 
die durch die Krankheit verursachten Beschwerden 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


zur Heilung zu bringen. Neuerdings hat man 
sich mit Vorliebe der Troihmelfellmassage zu¬ 
gewandt, nachdem die medikamentöse und chirur¬ 
gische Therapie vollständig im Stiche gelassen 
hat. Die Ursachen des Misserfolges der bisherigen 
derartigen Behandlungsmethoden haben nach des 
Autors Meinung ihren Hauptgrund in der zu 
schwachen mechanischen Einwirkung. Der an¬ 
gewandte Druck muss starker sein. Die Dauer 
des jedesmaligen Druckes muss verlängert werden, 
da mit den kurz dauernden Druckstossen der 
Massage nichts erreicht worden ist. Der Druck 
muss langsam ansteigen, da die öfter zu be¬ 
obachtende Schmerzhaftigkeit der Massage wahr¬ 
scheinlich darauf zurückzuführen ist, dass Druck¬ 
erhöhung und Drucknachlass zu schnell aufein¬ 
ander folgen und so akute Zerrungen eintreten. 
Ein solches »Instrument«, das diese Vorzüge auf¬ 
zuweisen hat, ist die pneumatische Kammer. 
Hamm berichtet über seine Erfahrungen an 
acht Patienten, die er lediglich mit Luftdruck 
behandelt hat. Eine vorübergehende Besserung 
zeigte sich in allen Fällen. Irgend welche nach¬ 
theiligen Folgen sind nicht zur Beobachtung ge¬ 
kommen, lassen sich auch jedenfalls bei vorsich¬ 
tigem Ansteigen und Abnehmen des Luftdruckes 
vermeiden. Die Dauer der Sitzung betrug 
D /2 Stunden, von denen 2ö Minuten auf das An¬ 
steigen und 40 Minuten auf das Heruntergehen 
verwendet wurden. Ein grosser Vorzug des Ver¬ 
fahrens ist, dass es auch bei grossen Perforationen 
oder Fehlen des Trommelfelles angewendet werden 
kann. Vielleicht wird sich nach Radikalopera¬ 
tionen, wenn die Eiterung beseitigt und noch ein 
Reet Gehörvermögen vorhanden ist, eine Luft¬ 
druckbehandlung empfehlen. Jedenfalls sei das 
pcumatischo Kabinett den bisherigen Methoden 
überlegen, da es in mehreren Fällen geholfen 
hat, wo jene versagten. Die Dauer einer Kur 
schwankt zwischen 2ö und 40 Sitzungen. An¬ 
fänglich hat Hamm die Patienten unter einem 
Ueberdrucke von 1/2» später 1/1 und zeitweilig 
n /2 Atmosphären sitzen lassen, am günstigsten 
scheint 1 Atmosphäre zu wirken. Es scheint, als 
ob in den dauernd beeinflussten Fällen noch eine 
günstige Nachwirkung eintritt 

Forchheimer (Würzburg). 


W. Alter, Versuche mit zellenloser Be¬ 
handlung und hydrotherapeutischen Maass¬ 
nahmen. Contralblatt für Nervenheilkunde und j 
Psychiatrie 1902. No. 146. 

Die Versuche, welche Verfasser in der 
Provinzial-Irrenanstalt zu Leubus gemacht hat, 
um die Isolierung von Geisteskranken zu be¬ 
seitigen, beruhen, wie derselbe hervorhebt, nicht 


483 


1 auf einem vermehrten Gebrauche narkotischer 
Mittel, sondern im Gegenthcil in erster Linie auf 
einem in möglichst grossem Umfange durch¬ 
geführten Ersatz der medikamentösen Behandlung 
durch protrahierte Bäder und Packungen. 

Die guten Erfolge, über welche Verfasser 
berichten kann, sind auch für Nichtpsychiatcr 
höchst beachtenswerth, als eine unter den er¬ 
schwerendsten Umständen angestellto Probe auf 
die sedative Wirkung dieser hydrotherapeutischen 
Maassnahmen. Es handelte sich zunächst um 
16 Kranke, von denen 10 dauernd mehr oder 
weniger gewaltthätig, zerstörungssüchtig und 
höchst unsauber waren. Als Sedationsmittcl 
dienten früher neben der Isolierung fast aus¬ 
schliesslich Medikamente. Verfasser liess die 
Patienten mit täglich zwei bis drei je IV 2 bis 
2 Stunden ausgedehnten Bädern von 34—66° C, 
! nach dem Vorgehen Kräpelins behandeln. »Der 
Erfolg der Bädor war ausgezeichnet — bei den 
Paralytikern wie bei den alten Fällen. Ich konnte 
beinahe augenblicklich mit der Darreichung von 
Medicin aufhören. Die Nächte wurden gut, 
Nahrungsaufnahme und Körpergewicht hoben sich, 
die aggressiven und destruktiven Tendenzen 
schwanden, die Unsauberkeit, das Schmieren mit 
Koth etc. hörte auf.« Diese Erfolge ermuthigten 
Verfasser zu weiteren Versuchen, welche eben 
so glückten, sodass zur Zeit in der Pensionanstalt 
kein Patient mehr isoliert ist, und arzneiliche 
Beruhigungsmittel nur ganz ausnahmsweise ver¬ 
wendet werden. Einpackungen von 33 — 35° C 
waren auf den Schlaf und den Appetit oft von 
noch günstiger Wirkung als die Bäder. 

F. Frankenhäuser (Berlin). 


D. Elektrotherapie. 

C. Speck, Abkühlung, Lichtwirkung und 
Stoffwechselbeschleunigung. Therapie der 
Gegenwart 1901. Heft 11. 

Wie in seinen früheren Arbeiten so tritt auch 
hier wieder der Autor der Ansicht namhafter 
Forscher wie Liebermeister, Rubner u. a. 
entgegen, dass durch die Abkühlung im kalten 
Bade die Oxydationsvorgänge im Körper ge¬ 
steigert würden. Nach seiner Ansicht erfolgt 
die Wärmeregulation bei der Abkühlung fast 
ausschliesslich auf physikalisch e t m W ege; über¬ 
all da, wo nach kalten Bädern oder anderen ab¬ 
kühlenden Prozeduren Steigerung der Ver¬ 
brennungsvorgänge beobachtet wurde, ist dieselbe 
auf erhöhte Muskelthätigkeit zurückzu¬ 
führen. Aber diese Muskelbewegongen, die als 
Begleiterscheinungen der abkühlenden Prozeduren 


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484 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


die Versuchsresultate nach jener Richtung hin 
beeinflussten, haben, wie Speck betont, nichts 
regelmässiges, gesetzmässiges an sich, wie z. B. 
Winternitz annimmt, sondern sie sind rein zu¬ 
fällig, sie können nach des Autors Ansicht unter 
denselben Bedingungen bald auftreten, bald fehlen. 
Eine Steigerung der Oxydations Vorgänge erfolgt 
nicht in kalten, sondern eher noch in heissen 
Bädern, und Speck stellt den Satz auf, dass das 
Steigen und Fallen der Oxydationen im Körper 
parallel mit dem Steigen und Fallen derKörper- 
temperatur geht 

Ebensowenig wie die Abkühlung vermag 
auch die Licht Wirkung die Verbrennungs¬ 
vorgänge im Körper zu steigern. Speck wendet 
sich mit grosser Schärfe gegen die heutzutage 
von gewisser Seite propagierten übertriebenen 
Vorstellungen über den Einfluss des Lichtes auf 
die Vorgänge im Körper; er hält vor allem auch 
den beliebten Vergleich mit der Wirkung des 
Lichtes auf den Stoffwechsel der Pflanze des¬ 
halb für unzulässig, weil es sich hier um 
Reduktionsvorgänge handelt, während ja im 
thierischen Körper das Licht im Gegentheil 
die Oxydationen angeblich fördern soll. Da 
wo nach Angaben anderer Autoren Versuche an 
Menschen oder Thieren eine Steigerung der 
Oxydationsprozesse durch das Licht ergeben haben, 
führt Speck diese Steigerung ebenso wie bei 
den Abkühlungsversuchen auf begleitende 
Muskelbewegungen zurück, speziell bei Thier¬ 
versuchen kommen hier die oft unvermeidlichen 
Abwehrbowegungen in Betracht. Eigene Ver¬ 
suche des Autors über Stoffwechselbeeinflussung 
durch Lichtwirkung auf dem Wege der Reizung 
des Sehorgans ergaben negative Resultate. 

Nach Speck giebt es hiernach nur ein 
Mittel, das zur Regulierung und Steigerung der 
Oxydationsprozesse therapeutisch in Betracht 
kommen kann, das ist die Muskelthätigkeit. 
Selbst die künstlichen Drüsenpräparate wirken 
nach des Autors Ansicht nur auf dem Wege der 
indirekten Steigerung der Muskelthätigkeit oxy¬ 
dationsbefördernd. 

Die interessanten Ausführungen Speck’s 
haben zweiffellos das grosse Verdienst, über¬ 
triebene Vorstellungen von der Wirkung mancher 
Faktoren der physikalischen Therapie, speziell 
auch des Lichtes, einer ernsten wissenschaftlichen 
Kritik zu unterziehen. Doch muss man sich auch 
hier hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. 
Speziell über die Lichtwirkung und ihre Be¬ 
ziehung zum Stoffwechsel ist noch nicht das 
letzte Wort gesprochen, auch die Versuche 
Speck’s vermögen diese Frage nicht völlig zu 
lösen. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass 
bei der heute häufigsten therapeutischen An¬ 


wendungsform des Lichtes, bei den Licht¬ 
bädern, hauptsächlich die Wärme Wirkung, 
wenn auch in modifizierter Form, in Betracht 
kommt Da nun hohe Temperaturen auch nach 
Speck’s Ansicht die Stoffwechsel Vorgänge zu 
beschleunigen im stände sind, und die Unter¬ 
suchungen zahlreicher anderer Autoren eine 
Steigerung des Zerfalls sowohl von Eiweiss als 
auch von N-freiem Material nach heissen Proze¬ 
duren unzweifelhaft ergeben haben, so entbehrt 
auch jetzt schon die Lichttherapie in der ge¬ 
schilderten Form nicht mehr völlig der theo¬ 
retischen Begründung, und wird da, wo sie 
rationell angewandt wird, ihren Platz zu behaupten 
wissen. A. Laqueur (Berlin). 


H. K r af t, Die Röntgennntersn chung der Brust- 
Organe. Strassburg 1901. 

Unter obigem Titel giebt Kraft einen im 
allgemeinen lesenswerthen Ueberblick des patho¬ 
logisch - diagnostisch bisher Erzielten auf dem 
speziellen Gebiete der Röntgenuntersuchung des 
Thorax, der nur nicht betreffs des Anatomisch¬ 
physikalischen — auf das zwar besonderes Ge¬ 
wicht gelegt wird — nicht ganz empfeblenswerth 
erscheint Es ist jedenfalls nur ein Versehen, das 
dem M. latissimus dorsi einen gleichen Verlauf 
mit den Rippen giebt. Ein »umgekehrtes Gesetz 
der Perspektive« erscheint schwer vorstellbar, 
wie ebensowohl ein Gesetz der umgekehrten 
Perspektive sich nicht leicht vertheidigen Hess. 
Ausser einem ziemlich flüchtig durchgearbeiteten 
Litteraturvcrzeichniss zeichnet sich die Broschüre 
jedoch durch anerkennendes Eingehen auf bis¬ 
herige Feststellungen dieses lange nicht ganz be¬ 
herrschten äusserst mannigfaltigen Gebietes aus. 

Aus der Fülle der durch die Röntgenunter¬ 
suchung der Brustorgane erhaltenen diagnostischen 
Gewinne, die sich erst bei einer Zusammenstellung 
wie der vorliegenden voll würdigen lassen, dürfte 
die objektive Unterstützung insbesondere der 
Diagnostik von Kavernen, Centralpneumonien 
und Lungenhernien angeführt werden. 

Cowl (Berlin). 


Krukenberg, Ueber die Behandlung des 
Erysipels im rothen Zimmer. Münchener 
medicinische Wochenschrift 1902. No. 13. 

Angeregt durch die Publikationen Bie’s 
über die Behandlung akuter exanthematischer 
Infektionskrankheiten mittels rothen Lichtes hat 
Krukenberg 18 Fälle von Erysipel mit rotbein 
Licht behandelt, und den Eindruck gewonnen, 


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Referate über Bücher und Anf&Itze. 


485 


dass die Krankheit dadurch in ausserordentlich 
günstiger Weise beeinflusst wird. Die durch¬ 
schnittliche Fieberdauer stellte sich im rothen 
Zimmer auf nur zwei Tage, schwere Allgemein- 
erscheinungen haben in allen Füllen gefehlt. Eine 
lokale oder innerliche Behandlung fand, abgesehen 
von drei Füllen, wo noch Alkoholumschläge ge¬ 
macht wurden, nicht statt. Von den 18 be¬ 
handelten Füllen waren 15 Gesichtserysipele, 
3 Erysipele an anderen Körpertheilen. Für die 
Mehrzahl der Falle benutzte Krukenberg ein 
Zimmer, in dem nicht nur die Wände und Decken 
roth gestrichen und die Fenster mit rubinrothem 
Glas versehen waren, sondern auch die Vorräume, 
Kloset, Bad und Korridor rothe Fenster ent¬ 
hielten. Die Frage, worin die Heilwirkung be¬ 
steht, ist vorläufig nicht zu beantworten. Richtiger 
wohl wird die Fragestellung sein, worin der 
schädliche Einfluss des Lichtes zu suchen ist, 
dessen Eliminierung die Heilungsvorgänge be¬ 
günstigt Und da können wir uns wohl, wie 
Finsen es thut, vorstellen, dass bei gewissen 
Erkrankungen die Empfindlichkeit gegen die 
Sonnenstrahlen ungemein gesteigert wird, oder 
dass umgekehrt die Sonnenstrahlen die Haut für 
das schädliche Agens einer infektiösen Dermatitis 
zu einem besonders empfindlichen Nährboden 
machen. Man könnte wohl annehmen, dass der 
eigenthümlich kriechende Fortschritt des Erysipels 
durch die Einwirkung des Lichtes befördert wird, 
dass das Erysipel seine Neigung zum spontanen 
Erlöschen bei Ausschaltung des Lichtreizes be¬ 
sonders häufig hervortreten lässt. 

J. Marcuse (Mannheim). 


ST. Cleaves, S. Betton Masse/, Carl 
Beck, Clarence A. Greenleaf, A Sym¬ 
posium on the treatment of cancer by Rönt¬ 
gen rays, light and electricity. The journal 
of physical therapeutics 1902. Bd. 3. No. 2. 

Cleaves führt zunächst (Introduktion) aus, 
dass es bei bösartigen Neubildungen sehr er¬ 
wünscht sei, die rein chirurgischen Maassnahmen 
durch die in neuerer Zeit sich mehr und mehr 
ausbildenden physikalischen Methoden dei Be¬ 
strahlungen und des elektrischen Stromes zu er¬ 
gänzen, welche im stände seien, weiter zu 
reichen, als das Messer der Chirurgen. 

Darauf berichtet Massey (Destruction and 
regional Sterilisation of cancerous growths by 
mercuric cataphoreris) über eine von ihm viel¬ 
fach zu seiner Zufriedenheit erprobte Methode 
der Vernichtung von Krebs (und Sarkom) durch 
den elektrischen Strom. Der Patient wird in 
der Narkose eine Stunde und mehr einem 


Strome bis zu 800 M.-A. ausgesetzt. Die aktiven 
Elektroden sind Röhren von Gold, frisch mit 
Quecksilber amalgamiert; sie werden in die Ge¬ 
schwulst eingeführt, und können beliebig mit 
Quecksilber gefüllt und nachgefüllt werden. 
Gleichzeitig kommen auch amalgamierte Zink¬ 
elektroden zurVerwendung. Die aktivenEloktroden 
dienen als Anode. Als indifferente Elektrode 
wird die Kathode verwendet, die sehr gross und 
mit Essigwasser befeuchtet ist Der Patient liegt 
auf ihr. 

Durch das elektrolytische Eindringen des 
Quecksilbers wird die Geschwulst zerstört. 
Ausserdem soll aber die Umgebung des Zer¬ 
störungsherdes durch das im Gewebe entstehende 
Quecksilberchlorid desinfiziert und eine sehr 
glatte Heilung der Wunde erzielt werden. 

Ausser dieser »grösseren Methode« hat Ver¬ 
fasser noch eine ganz ähnliche »kleinere Methode«, 
welche unter lokaler Kokainanästhesie operiert. 
Verfasser hat die Methode in 50 Fällen an¬ 
gewendet, wovon 16 geheilt wurden, 7 während 
oder kurz nach der Operation, 27 später an 
schon vorher bestehenden Metastasen starben. 
Von den geheilten Fällen sind 8 Fälle neun bis 
drei Jahre, 8 Fälle noch nicht zwei Jahre nach 
der Behandlung in Beobachtung. Verfasser giebt 
zwei Abbildungen von nach seiner Methode be¬ 
handelten Mammakarcinomen. 

Beck (On Röntgen therapy) berichtet 
über die erfolgreiche Behandlung eines Lupus 
erythematodes und eines Karcinoms mit Röntgen¬ 
strahlen. Auch bei Sarkomen hält er sie nach 
seinen Erfahrungen für wirksam. 

Greenleaf (Report of a case of sarcoma of 
the thyroid treated by the x rays) konnte bei 
seinen Patienten ein Schwinden der Geschwulst 
und vor allem der unerträglichen Schmerzen er¬ 
zielen, so dass er denselben wenigstens Euthanasie 
verschaffte. 

Die berichteten Fälle verdienen jedenfalls alle 
Beachtung und eine gründliche und vorsichtige 
Nachprüfung. F. Frankenhäuser (Berlin). 


Krebs, Elektrisches Glühlicht und innere 
Infektion. Berliner klinische Wochenschrift 
1902. No. 2. 

Krebs hat sich der dankenswerthen Arbeit 
unterzogen, die Frage nach den bakteriziden 
Eigenschaften des elektrischen Glühlichts durch 
den Thierversuch nachzuprüfen. Die Versuche 
von Gebhardt und Aufrecht hatten anschei¬ 
nend — und es war dies ein Schiboleth für alle 
Lichttherapeuten — ergeben, dass mit Milzbrand-, 


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486 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Eiter-, Diphtherie- und Tuberkelbacillen geimpfte 
Thiere, wenn sie nach der Infektion dauernd mit 
elektrischem Glühlicht beleuchtet wurden, sich 
im Gegensatz zu den nicht belichteten, gleichfalls 
infizierten Kontrollthieren als gegen die Infektion 
widerstandsfähig erwiesen., Der naheliegende 
Schluss auf den menschlichen Körper wurde mit 
Emphase gezogen und bildete in jeder weniger 
objektiv angelegten Arbeit ein Grundprinzip. 
Allein schon Bö der wiese 1900 mit Evidenz 
nach, dass die Strahlen des elektrischen Lichtes 
keinen irgendwie erkennbaren Einfluss auf den 
Verlauf von akuten wie chronischen Allgemein¬ 
erkrankungen besitzen. Die Versuche von Krebs 
führten zu demselben Resultat. Weder bei Mäusen 
noch bei Meerschweinchen, die mit Typhus- und 
Milzbrandbacillen infiziert und theilweise bestrahlt, 
theilweise nicht bestrahlt wurden, resultierte aus 
der Bestrahlung irgend ein Vortheil, die bei 
gleichen Temperaturen gehaltenen infizierten 
Thiere starben fast stets gleichzeitig oder doch 
nur mit geringen Zeitunterschieden und zwar bald 
im Lichtgefass, bald im Wärmeschrank, früher. 
Krebs resümiert dahin: Der thierische Körper 
verhält sich wesentlich anders als die künstlichen 
Nährböden der Bakterien, und die im Körper 
vorhandenen Bakterien sind nicht so leicht 
schwächenden oder abtötenden Einflüssen zu¬ 
gängig als Reinkulturen. Ein irgendwie aus¬ 
sichtsreiches Eingreifen mit der Lichttherapie — 
abgesehen von der Schwitzwirkung — bei der 
Behandlung innerer, mehr oder minder akuter 
bacillärer Krankheiten ist nicht zu erwarten, 
und nach den Erfahrungen am Thiere ist eine 
Beeinflussung von aussen durch künstliche Licht¬ 
strahlen bei den gleichen Krankheiten als vor¬ 
handen nicht zu erweisen. 

J. Marcuse (Mannheim). 


A. Sack, (Jeher das Wesen and die Fort¬ 
schritte derFlnsen’sehen Lichtbehandlung. 

Münchener medicinischo Wochenschrift 1902. 
No. 13. 

In einem sehr klaren und eingehenden Ex¬ 
pose schildert Sack die Entwickelung und den 
augenblicklichen Stand der Finsen’schen Licht¬ 
behandlung. Die physikalischen wie biologischen 
Gesichtspunkte werden knapp und anschaulich 
erörtert, Wesen und Hilfsmittel dieses Verfahrens 
durch Lichtbilder und Demonstrationen — Sack 
behandelte den Gegenstand ursprünglich in einem 
im naturhistorisch-medicinischen Verein zu Heidel¬ 
berg gehaltenen Vortrag — veranschaulicht Von 
besonderem Interesse war die Vorführung der 
Lortet 1 sehen und Genoud’schon Bogenlampe, 
die nicht blos eine bedeutende Vereinfachung des 


Fi n s c n 9 sehen Instrumentariums darstellt,sondern 
auch wegen ihrer tadellosen Bauart und Handlich¬ 
keit den Vorzug verdient. Mit dieser Lampe hat 
Sack bisher sechs Lupusfälle behandelt, and 
trotzdem einige sehr schwer sind, und trotz der 
verhältnissmässig kurzen Behandlungsdauer zwei 
anscheinend schon geheilt, während die übrigen 
ganz auffallend gebessert sind. Auch ist es ihm 
gelungen, einen Fall von Hautkarcinom mit 
Lort et der Heilung entgegenzuführen. 

J. Marcuse (Mannheim). 


E. Serum- und Organotherapie. 

Fibinger und Jensen, Uebertragung der 
Tuberkulose des Menschen auf das Rind. 

Berliner klin. Wochenschr. 1902. No. 38. 

Heller, Ueber die Tuberkuloseinfektion 
durch den Verdauungskanal. Deutsche 
medicinische Wochenschrift 1902. No. 39. 
Schottelius, Versuche über Fütterungs¬ 
tuberkulose bei Rindern und Kälbern. 
Münchener medicin. Wochensehr. 1902. No. 39. 

Drei wichtige Arbeiten sind während der 
letzten Wochen erschienen, deren Ergebnisse in 
starkem Widerspruch zu den Resultaten und 
den daraus gezogenen Schlüssen stehen, welche 
Koch auf dem Londoner Tuberkulosekongress 
mitgetheilt hatte und die wohl noch Allen in 
frischer Erinnerung sind. Fibinger und Jensen 
ist cs gelungen, von drei Fällen von Kinder¬ 
tuberkulose, bei denen als Locus infectioni9 mit 
grosser Wahrscheinlichkeit der Darratraktus an¬ 
gesehen werden musste, durch Impfung die Tuber¬ 
kulose bei Kälbern zu erzeugen. Auch von zwei 
Fällen von Tuberkulose Erwachsener konnten 
die beiden Autoren die Tuberkulose auf Kälber 
übertragen; in den beiden letzteren Fallen er¬ 
wiesen sich aber die Tuberkelbacillen als viel 
weniger virulent als die von den drei Kindern 
stammenden Bacillen. Die Autoren wagen aus 
ihren Versuchsergebnissen nicht ohne weiteres den 
Schlu99 zu ziehen, dass die Tuberkelbacillen des 
Menschen und Rindes identisch sind; sondern sie 
meinen, dass es ihnen deshalb gelungen wäre, 
speziell durch Verimpfung der von den drei 
Kindern stammenden Tuberkelbacillen bei den 
Kälbern Tuberkulose zu erzeugen, weil die Kinder 
sich ursprünglich, wahrscheinlich durch vom 
Rinde stammende Tuberkel bacillen infiziert hätten. 
Dem Referenten erscheint diese Deutung etwas 
zweifelhaft; wir meinen, dass ebenso, wie der 
Mensch durch die Tuberkelbacillen des Rindes 
eine Tuberkulose acquiricren kann, der umge¬ 
kehrte Weg der Infektion gleich möglich ist 


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Referate Aber Bücher und Aufsätze. 


Dieser Rückschluss wird auch bestätigt durch 
eine ganze Reihe von Arbeiten, welche wäh¬ 
rend des letzten Jahres im Anschluss an die 
Roch*sehe Mittheilung erschienen sind, und 
unter denen als neueste die von Schottelius 
zu nennen ist. 

Dieser hat das von Koch auf dem Londoner 
Tuberkulosekongress gestellte Desiderat, bei 
Rindern durch Verfütterung eines vom Menschen 
stammendenTuberkclbacillenmaterials eine Tuber¬ 
kulose zu erzeugen, erfüllt. Als Infektionsmaterial 
diente das Sputum einiger schwerkranker Phthisi¬ 
ker, welches den zwei Versuchskälbern in die 
Milch, der Versuchskuh unter das Grünfutter ge¬ 
gossen wurde. Die Thiere erhielten in einem Zeit¬ 
räume von drei Monaten 24 derartige Fütterungen, 
in welchen stets ca. 50 g Sputum enthalten waren. 
Während dieser Zeit boten die drei Thiere keine 
nennenswerthen Krankheitserscheinungen dar. 
Dagegen ergab die Sektion folgenden Befund: Bei 
der Kuh tuberkulöse Enteritis und starke Schwel¬ 
lung der Mesenterialdrusen, ausserdem tuberkulöse 
Verkäsung und Verkalkung der Mediastinal- und 
Bronchialdrüsen und eine verkäste tuberkulöse 
Pneumonie nebst vereinzelten Miliartuberkeln in 
der Pleura. Bei beiden Kälbern stark geschwollene 
tuberkulöse, verkäste und verkalkte Submaxillar- 
drüsen und einzelne tuberkulöse Mesenterial¬ 
drüsen. 

Bei allen drei Thieren waren sämmtliche 
Lymphdrüsen des ganzen Körpers, auch die 
Muskellymphdrüsen, geschwollen, theilweise 
marmoriert geröthet, mit blassen — wio nekrotisch 
erscheinenden — Einsprengungen durchsetzt Die 
mikroskopisch-bakteriologische Untersuchung er¬ 
gab in allen drei Fällen das Vorhandensein von 
Tuberkelbacillen in den erkrankten Theilen. 

Schliesslich ist noch die kurze Mittheilung 
von Heller in Kiel bemerkenswerth, welcher 
über die Häufigkeit der primären Darm- bezw. 
Mesenterialdrüsentuberkulose eine eigene Sta¬ 
tistik, ferner die von Councilman, Mallory 
und P e a r c e, und schliesslich die von A.Baginsky 
zusammen stellte. Die in diesen drei Statistiken 
mitgetheiltcn Fälle sind sämmtlich Diphtheriefälle, 
welche zur Sektion kamen und bei denen die 
Tuberkulose zufällig gefunden wurde. Die Zahlen 
sind folgende: 



Kiel 


Ba- 



ginsky 

Diphtheriefälle. 

714 

220 

806 

Darunter Tuberkulosefälle . . 

140 

35 

144 

= o/ 0 der Diphtheriefälle . 
Darunter Tuberkulose durch 

19,0 

io 

17,8 

die Verdauungsorgane . 

53 

13 

6 

= o/ 0 der Diphtheriefälle . 

7,4 

5,9 

0,7 

= % der Tuberkuloscfällo 

37,8 

37,1 

4,1 


487 


Heller’s und die englische Statistik unter¬ 
scheiden sich demnach bezüglich des Vorkommens 
von Darmtuberkulose sehr wesentlich von der 
Baginsky’schen. Heller führt dies auf die 
unzweckmässige Technik der Darmsektion zurück, 
deren sich wahrscheinlich Baginsky bedient 
hätte. Jedenfalls bezeugen seine sowie die 
englischen Befunde, dass die Darm- bezw. 
Mesenterialdrüsentuberkulose der Kinder keines¬ 
wegs ein so seltenes Vorkommniss ist, wie Koch 
dies behauptet hatte. Paul Jacob (Berlin). 


F. Verschiedenes. 

E. Schreiber und J. Hagenberg, Zur Lehre 
vom Aderlass. Vorläufige Mittheilung. Central¬ 
blatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrank¬ 
heiten 1901. No. 11. 

Die beiden Verfasser haben Versuche über 
den Einfluss des Aderlasses mit darauf folgender 
Kochsalzinfusion an drei Patienten und an Hunden 
angestellt. Das Ziel ihrer Untersuchungen war, 
festzustellen, in wieweit durch diese Maassnahmen 
die molekuläre Konzentration und die Viskositäl 
des Blutes verändert wird. Bezüglich der mole- 
kulären Konzentration konnten sie keinen 
i nennenswerthen Einfluss des Aderlasses konsta¬ 
tieren, während sie hinsichtlich der Viskosität zu 
dem Schlüsse kamen, dass diese nach dem Ader¬ 
lass und der Infusion sinkt; allerdings ist dieser 
Abfall beim Serum auch nicht konstant. Sie 
glauben die Wirkung des Aderlasses und der 
Kochsalzinfusion bei Urämie so erklären zu müssen, 
dass die Arbeit des Herzens duich die Herab¬ 
setzung der Viskosität erleichtert wird und dass 
eine Ausschwemmung von giftigen Stoffen statt- 
findet. Da bei den Versuchen auch eine Ver¬ 
mehrung der Erythrocyten nach Vornahme des 
Aderlasses und der Kochsalzinfusion beobachtet 
wurde, so glauben die Autoren, dass auch diese 
infolge einer besseren Blutversorgung des Organis¬ 
mus, speziell des Gehirns, bis zu einem gewissen 
Grade mit an dem Erfolge der beobachteten 
Wirkung des Aderlasses und der Kochsalzinfusion 
betheiligt sei. H. Strauss (Berlin). 

Carl Roth, Zölluergedaukeu über Hellkuust 
— noch für Pharisäer. Stuttgart 1901. 

Schon der Titel deutet an, dass das Buch 
abseits von der Heerstrasse sich bewegt; aber 
mit welcher Heftigkeit es mit unseren heutigen, 
sozusagen offiziellen Anschauungen Ins Gericht 
geht, ahnt der Leser zu aufang gar nicht Ver- 
I fasscr haut so sehr nach allen Seiten um sich, 


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488 


Referate über Bücher und Aufsfitze. 


dass es nicht leicht ist, herauszufinden, was er 
eigentlich positives denkt. Das Wesentliche und 
Verdienstvolle seiner Ausführungen dürfte unge¬ 
fähr dieser Gedankengang Bein: Das Leben ist 
nicht eine mysteriöse Kraft, ein i/ipurov r«, das 
nun einmal als etwas gegebenes, nicht weiter 
diskutables, in der lebendigen Materie hin¬ 
genommen werden muss; es ist vielmehr eine 
Reaktion, die nur im Quantum, nicht im Quäle, 
von den sonst bekannten chemischen und physi¬ 
kalischen Umsetzungen ab weicht. Das Reagierende 
ist das Plasma, der Organismus; der Reiz das 
Milieu, Luft, Licht, Wärme, Nahrung u. s. w.; und 
unter deren Einfluss entwickelt sich der Organis¬ 
mus in einer ganz bestimmten Weise. Die un¬ 
gestörte und zweckmässige Umsetzung kosmischer 
Kräfte in organische Gestaltungsenergie nennen 
wir Gesundheit, ihre Störungen Krankheit. Eine 
rationelle Therapie fasst nicht am Organismus 
an, sondern am Milieu, und sucht in bewusster 
Weise den »Lebensraum« d. h. die genannten 
Lebensmedien zu korrigieren. »Künstlicher 
Zonenwechsel«, »künstliche Tropenräume« will 
er an Stelle der Apothekenmedicin setzen und 
führt auch aus, wie das z. B. für Tuberkulose¬ 
behandlung praktisch durchzuführen wäre. 

Mit seinen Angriffen gegen die moderne 
Serumchemie, gegen das Ueberwiegen der mikro¬ 
skopischen Denkweise u. s. w. hat Verfasser ge¬ 
wiss Recht. Aber er irrt mit der Annahme, dass 
die Druckerschwärze der Zeitschriften und Kon¬ 
gressberichte das Evangelium für die gesammte 
Aerztewelt darstelle. Es sind ihrer nicht die 
schlechtesten, die sich die Freiheit nehmen, 
anders zu denken, die aber nach dem Satze La 
Bruyöre’s handeln: la gloire et le möritc 
de certains hommes est de bien ficrire; 
et de quelques autres, c’est de n’öcrire 
point. ln ihnen lebt noch die naive Natur 
hetrachtung, wie sie einst schon Timäus der 
Lokrier ausgesprochen hat: »Auch die Gewohn¬ 
heiten vermögen ziemlich viel, in denen man in 
einer Stadt oder in einem Hause erzogen wird, 
und die tägliche Lebensweise, wodurch die Seele 
entweder verweichlicht oder kräftig und stark 
gemacht wird. Denn der Aufenthalt unter freiem 
Himmel, einfache Kost und körperliche Uebungen 
und die Sitten derer, mit denen wir Zusammen¬ 
leben, haben den grössten Einfluss auf unsere 
Tüchtigkeit und Schlechtigkeit«. 

Die Schüler der Lama rck, Laplace, Hum¬ 
boldt, Goethe sind nicht alle degeneriert; aber 
Verfasser wird, wenn er konsequent ist, selbst 
einsehen, dass in dem gährenden Milieu unserer 
Tage noch keine Existenzbedingungen für eine 


abgeklärte Naturphilosophie gegeben sind. Er 
mag sich trösten; in der nächsten Periode werden 
wieder die grossen Fragen in den Vordergrund 
treten, und die grossen Fragen werden wieder 
itrosse Männer zeitigen. Als Vorläufer dieser 
Periode werden C. Roth’s Zöllnergedanken 
immer ihren Werth behalten. 

Buttersack (Berlin). 


Richard Simon, Eine nene rationelle Me¬ 
thode zur Bekämpfung der Lungenschwind¬ 
sucht. Göttingen 1901. 

»Pacatis rumoribus bacteriologorum novi 
motus (in medicina) exdtati sunt a tot novis 
philosophis. ... Itaque praxeos principia tanto- 
pere turbata sunt, ut inter peritissimos hodie non 
facile constet, quid tenendum, cui credendum, 
qua dem um via progrediendum sit.« 

Diese leicht variierte Stelle aus G. Bagli vPs 
Opera omnia medico - practica (edit. nona. Ant- 
werpiae 1715. pag. 121) passt auch auf unsere 
heutige Zeit wieder, und ein Jeder wird in den 
tot novi philosopbi die modernen Wasser-, Licht-, 
Massage-, Ernährung»- n.s.w.Therapeuten wieder¬ 
erkennen. 

Verfasser setzt gewiss an einem ebenso 
naheliegenden wie wichtigen Punkt ein, wenn 
er schreibt: wir dürfen die ungenügende Ath- 
mung als den bei weitaus den meisten Fällen 
Avichtigsten und nächstliegenden Faktor bei der 
Entstehung der Schwindsucht ausgeben, oder 
Avenn er die Athmungsgymnastik für ebenso 
Avichtig erklärt als die Lignosulfitinhalation. Wer 
erkannt hat, mit welch* erstaunlich geringer 
Lungenlüftung viele Leute auskommen, und wie 
zahlreiche Menschen auch auf energische Auf¬ 
forderung hin nicht tief ein- und ausathmen kön¬ 
nen, der wird dem Verfasser sicherlich beistim¬ 
men; ja er wird noch weiter gehen und in An¬ 
lehnung an Diesterweg’sche Vorstellungen, 
Avonach der Respiration eine grosse Bedeutung 
für die Bewegung des Blutes zukommt, eine 
Reihe von anscheinend verschiedenartigen Stö¬ 
rungen auf dieses Moment einer mangelhaften 
Athmung zurückführen. 

Es scheint mir ein Verdienst von Simon zu 
sein, diese Gesichtspunkte wieder in den Kreis 
der Betrachtungen gerückt zu haben; auch was 
er über die Schattenseiten der Liegekuren sagt, 
ist beachtenswerth. 

Daneben empfiehlt er aufs wärmste die 
Lignosulfitinhalationen; über ihren Heilwerth 
Avage ich kein Urtheil; Schaden können sie wohl 
kaum viel anriebten. Buttersack (Berlin). 


Berlin, Druck von W. Büxensteiu. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 9 (Dezember). 

Redaction: 

Geb. Med. - Rath Prof. Dr. E. y. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Prof. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. seit* 

I Beitrage zur Kcnntniss der Heissluftbehandlung. Aus der Königlichen medicinischen 
Univereitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber.) Von 
Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 8 Abbildungen.491 

II. Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst und Winter therapeutisch ver¬ 

wenden? Von Dr. M. Edel, Badearzt in Wyk auf Föhr. Mit 3 Abbildungen . . 502 

III. Zur Kcnntniss der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht während der Heil- 

stättenbehandlung. Mittheilung aus dem Königin Elisabeth - Sanatorium bei Buda¬ 
pest. Von Dr. D. Kuthy, Privatdozent, dirig. Chefarzt.513 

II. Kritisch© Umschau. 

Zusammenfassende Ucbcrsicht über das Adrenalin. Von Dr. G. L. Mamlock in Berlin . . 520 

III. Kleinere Mittheilungen. 

Analyse zweier essbaren Erdarten aus Centralafrika. Von M. E. Heiberg, Mag. scientiarum 

in Kopenhagen.52G 

IV. Berichte über Kongresse und Vereine. 


I. Sitzung des Vereins für innere Medicin am 14. Oktober 1902. Von Dr. L. Michaelis 

in Berlin.528 

II. Jahresversammlung des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke vom 

13—15. Oktober 1902 in Stuttgart. Von Dr. Waldschmidt in Charlottenburg- 
Westend...530 


V Referate über Bücher und Aufs&tze. 

A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Lehmann und Voit, Die Fettbildung aus Kohlehydraten.535 

Oppenheimer, Ueber das Verbältniss des Nahrungsbedarfes zu Körpergewicht und Körper¬ 
oberfläche bei Säuglingen.535 

Waldvogel, Der Stoffwechsel im Gichtanfall.535 

Asher und Jackson, Ueber die Bildung der Milchsäure im Blute nebst einer neuen Methode 

zur Untersuchung des intermediären Stoffwechsels.536 

Zeitschr. I dilt. u. phynlk. Therapie Bd. VI. Heft 9 . 34 


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490 


Inhalt. 


B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 


Seit» 


v. Schenckendorff und Schmidt, Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele.536 

Murphy, Körperliche Uebung bei der Behandlung der Lungentuberkulose.537 

Para viel ni, Selbstmassage im lauen Bade.537 


Kennedy, Ueber die Wiederherstellung koordinierter Bewegungen und Nervendurchschneidung 537 


C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Weiner und Matt, Praktische Hydrotherapie.537 

Weber und Hinsdale, Health resorts — Mineral springs ..538 

Silber, Zur therapeutischen Verwendung der Wärme mit besonderer Berücksichtigung der 

Fangobehandlung.538 


D. Elektro- and Röntgentherapie. 

Frankenhäuser, Das Licht als Kraft und seine Wirkungen.540 

Strebei, Die praktische Ausübung der Lichttherapie und das lichttherapeutische Instru¬ 
mentarium .540 

Foveau de Courmelles, Les lumiöres froides et refroides en thörapeutique.540 

E. Verschiedenes. 

Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose.541 

Jürgensen, Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, mit besonderer Berücksichtigung 

der Therapie.542 

Eppler, Haushaltungskunde.542 

Zibell, Warum wirkt Gelatine hämostatisch?.543 

Haläsz, Ueber den Werth einiger neuerer Heilverfahren in der Ohrenheilkunde (Pneurno- 

massage, Hydropneumomassage, Lucae’sche pneumatische Sonde).543 

Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege.544 

Festschrift zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.544 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 x /a — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn 
Prof. Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten 


I. 


Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbehandlung. 

Aus der Königlichen medicinischen Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. 

(Direktor: Professor Dr. Schreiber;. 

Von 

Dr. E. Rautenberg, 

Assistenzarzt. 

Es ist unzweifelhaft Bier's Verdienst, der Behandlung mittels heisser Luft in 
den therapeutischen Schatz Eingang verschafft zu haben; denn obgleich Quincke 
dieselbe schon mehrere Jahrzehnte vorher empfohlen hatte, war die von ihm an¬ 
gegebene Methode, das sogenannte Quincke’sehe Schwitzbett, doch nur in massigem 
Umfange in Aufnahme gekommen. Erst seitdem Bier besonders spezialisiert ge¬ 
baute Apparate konstruiert hatte und über gute Heilerfolge berichten konnte *), fand 
die genannte Therapie grössere Verbreitung 2 ). Als weiterhin sichtbares Zeichen für 
dieses durch Bier geweckte allgemeine Interesse darf vielleicht der Umstand be¬ 
trachtet werden, dass Bier auf dem vorjährigen Kongresse für innere Medicin be¬ 
auftragt war, ein Referat: »Ueber die Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie zu 
Heilzwecken«*) zu erstatten. 

Wenn aber trotz alledem die Heisslufttherapie bisher in der allgemeinen Praxis 
noch nicht die Anwendung gefunden hat, die ihr dem Anschein nach gebührt, so 
liegt das wohl hauptsächlich daran, dass ihre Anwendung in der Praxis, im Kranken¬ 
hause sowohl als namentlich im Hause des Patienten auf ziemlich erhebliche Schwierig¬ 
keiten stösst. 

Zwar hatte Bier von vornherein das Bestreben, seiner Methode gerade in der 
allgemeinen Praxis eine grosse Verbreitung zu sichern, und stellte deshalb seine 
Heissluftkästen möglichst einfach, man kann sagen roh her, damit ihr Preis niedrig 
und ihre Herstellung leicht sei. Aber da zur Behandlung aller Körpertheile eine 
grössere Anzahl von solchen Heissluftkästen nothwendig ist, — was namentlich bei 
Gelenkleiden, die sich für diese Behandlung besonders eignen sollen, zutrifft — so 
ist das zur Behandlung nöthige Instrumentarium doch ziemlich unbeholfen und 
schwerfällig. 

Bei den später von anderen Autoren konstruierten Heissluftapparaten sind diese 
Uebelstände nicht beseitigt. Dieselben sind zwar eleganter gebaut, und — was die 


i) v. Esmarch’s Festschrift S. 63. Kiel und Leipzig 1893. — Münchener medicinische Wochen¬ 
schrift 1899. No. 48 f. 

*) Ueber die Priorität in der Anwendung der Heisslufttherapie, s. Bier 1.c. im Gegensatz 
zu Mendelsohn (Kongress für innere Medicin 1898), der Tallerman die Priorität zuschreibt, 
aber fälschlich, denn Bier begann seine Versuche 1891, Tallerman erst 1893. 

*) Verhandlungen des 19. Kongresses für innere Medicin zu Berlin 1901. 

34» 


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Original fro-m 

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492 E. Rautenberg 

Heizung betrifft, — zum Theil technisch vollkommener; aber einmal sind sie schon 
ihrer Kostspieligkeit wegen für die allgemeine Praxis nicht geeignet, und ebenso ist 
der für viele Apparate nothwendige Anschluss an eine elektrische oder Gascentrale 
ein Hinderniss für ihre Verbreitung. 

Der Grund für diese Uebelstiinde der Heissluftapparate ist zu suchen in der 
Schwierigkeit, die die heisse Luft bietet bei dem Versuche, sie als wärmeführendes 
Agens zu benutzen. So sehr einzelne ihrer Eigenschaften sie als für die Wärme- 
therapie geeignet erscheinen lassen, so sehr bieten andere grosse technische Schwierig¬ 
keiten. 

Einmal hat die heisse Luft das Bestreben, sich in der niedriger temperierten 
Umgebung schnell zu vertheilen, und zwar hauptsächlich in der Richtung nach oben, 
und ferner nimmt sie begierig Feuchtigkeit aus der Umgebung auf, ein Missstand, 
welcher noch vermehrt wird durch die starke Schweisssekretion der Haut des mensch¬ 
lichen Körpers bei hoher Lufttemperatur. Die erste Eigenthümlichkeit bereitet dem 
Bestreben einer guten Wärmeapplikation insofern Schwierigkeiten, als es schwer ist, 
dem ganzen exponierten Körpertheil gleichmässige Wärme zu applizieren, d.h. die 
Temperatur und Strömung der Luft in seiner Umgebung gleichmässig zu erhalten; 
die zweite Eigenschaft erfordert hingegen eine beständige Erneuerung der Luft in 
der Umgebung des zu behandelnden Körpertheils, eine genügende Ventilation; denn 
eine Stagnation derselben würde zur Folge haben, dass sie sich zu sehr mit Feuchtig¬ 
keit sättigt, und damit eine der Eigenschaften verliert, die sie als ein zur Wärme¬ 
applikation dienendes Vehikel so geeignet erscheinen lässt, ihre relative Indifferenz 
gegenüber dem menschlichen Körper. 

So widersprechen sich bei den Heissluftapparaten als Ausdruck der Schwierig¬ 
keit ihrer Konstruktion einerseits das Prinzip, die Luft auf bestimmter Temperatur¬ 
höhe zu erhalten, andrerseits die Forderung, sie zu erneuern. 

Fast alle Autoren haben diese technische Schwierigkeit in der Weise zu über¬ 
winden gesucht, dass sie Kastenapparate konstruierten, welche die heisse Luft so¬ 
zusagen festhalten, und innerhalb welcher der kranke Körpertheil der heissen Luft 
exponiert wird. Sie wird theils im Innern der Apparate selber (Tallermann 1 ), 
Lindemann 2 )), oder aussen erhitzt, und dann in den Kasten hineingeführt (Bier 3 ) 
und die Modifikationen von Krause*) u. a.). Für Erneuerung der Luft wird bei den 
Apparaten gesorgt durch an der Decke angebrachte Abzugsöffnungen, so dass die 
heisse Luft innerhalb des Kastens an dem hineingelagerten Gliede mehr oder weniger 
intensiv vorbeiströmt Da diese Apparate sich der Form und Grösse des zu be¬ 
handelnden Körpertheiles anpassen müssen, so sind — ein unvermeidbarer Uebel- 
stand — immer ihrer viele für die Behandlung des ganzen Körpers, respektive aller 
Körpertheile nothwendig, z. B. bei Bier und den verwandten Kästen vier bis sechs, 
ein ganzes Inventarium. 

Im Gegensatz zu dieser Form der geschlossenen Apparate benutzt Frey*) die 
strömende heisse Luft und lässt sie douchenartig gegen den Körper strömen. Er 
hat dabei den Vortheil, mit Hilfe eines Apparates alle Körperstellen beliebig lange 


1) Mendelsohn, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1. — 
Salaghi, ebenda Bd. 3. Heft 5. 

2 ) Lindemann, Münchener medicinische Wochenschrift 1898. No. 46. 

») Bier, 1. c. 

*) Krause, Münchener medicinische Wochenschrift 1898. No.20. 

5 ) Frey, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 3. Heft 8. 


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Beiträge zur Kenntniss der Hcissluftbehandlung. 493 

und stark der heissen strömenden Luft exponieren zu können. Leider hat diese 
Methode u. a. den Fehler, dass sie sehr starke Heizquellen braucht (elektrischen 
Strom, Gas), um die durchströmende Luft auf die erforderliche hohe Temperatur zu 
bringen, und dass eine sehr aufmerksame Bedienung nothwendig ist 1 ). 

Wir sehen also, dass die genannten Nachtheile der Heissluftapparate, nämlich 
Umständlichkeit der Applikation, voluminöse Form, Bedarf starker Heizquellen, 
kaum vermeidbare Uebelstände sind, bedingt durch die Natur des benutzten warmen 
Mediums, der Luft. 

Was die Eigenschaft dieser Apparate betrifft, so waren bis vor kurzem alle 
Autoren einig in dem Lobe ihrer ausserordentlich vortrefflichen Funktion; ihre gute 
Konstruktion erlaubte angeblich, dass der menschliche Körper die exorbitant hohen 
Temperaturen bis 150 °C ertragen könne, ohne Schaden zu nehmen. Erst in letzter 
Zeit hat sich in dieser Beziehung eine Aenderung vollzogen, nachdem J. Schreiber*) 
auf die Fehler hingewiesen hatte, die bei den Beobachtungen über die vermeintlich 
ertragenen hohen Temperaturen offenbar gemacht worden sind, und auf die Ursache 
dieser fälschlichen Beobachtungen, auf die Differenz der in den (Krause’schen) 
Heissluftapparaten an den verschiedenen Stellen herrschenden Temperaturen. Die 
bisherigen Mittheilungen über Temperaturen von 130—150°, die angeblich stunden¬ 
lang ertragen wurden, sind demnach nicht zu verstehen als Temperaturen, die im 
Innern der Heissluftkästen in der Umgebung des Körpertheiles herrschten, sondern 
als Temperaturen, die sich an der Decke des Apparates stauten. 

Obgleich diese Verschiedenheit der Temperatur den einfachen physikalischen 
Gesetzen entspricht, und den Autoren, die sich mit der Anwendung der heissen Luft 
beschäftigten, nicht hätte entgehen dürfen, ist Schreiber thatsächlich der erste ge¬ 
wesen, der sie erkannte, und auf die thatsächliche Verbreitung der Temperaturen im 
Innern der Wärmekasten genauer hinwies. Alle anderen Autoren bezeichneten bisher 
mehr oder weniger ausdrücklich die vom Deckenthermometer angezeigte Temperatur 
als die im Innern des Apparates befindliche, respektive als die vom Körper ertragene 
Temperatur. 

In seiner neuesten Abhandlung 8 ) macht nun Bier die ganz kurze und mehr 
beiläufige Bemerkung: »Die Temperatur ist natürlich in den verschiedenen Ab¬ 
schnitten des Kastens verschieden hoch, im allgemeinen oben viel höher als unten. 
So grosse Unterschiede, wie sie Schreiber neulich beschrieben hat, sind bei meinen 
Apparaten auch nicht im entferntesten vorhanden, insbesondere dann nicht, wenn 
man Gas als Heizquelle braucht.< Diese Bemerkung ist geeignet, in mehrfacher 
Beziehung Missverständnisse hervorzurufen; ich betone daher ausdrücklich, dass die 
von Bier als »natürlich« angegebene Erscheinung eben bisher von ihm und den 
anderen Autoren übersehen worden ist und infolgedessen zu falschen, mindestens zu 
bisher unerwiesenen physiologischen Anschauungen geführt hat. 

Wenn Bier zweitens bei dieser Gelegenheit behauptet, dass bei seinen Apparaten, 
namentlich wenn sie mit Gasflammen erhitzt werden, nicht so hohe Temperatur¬ 
differenzen Vorkommen, wie sie Schreiber an den Krause’schen Apparaten be¬ 
schrieben hat, so sei darauf hingewiesen, dass Bier diese Apparate als mit den 

!) Als eine nicht ganz unzweckmässige Modifikation darf der kleine Apparat von Vorstädter, 
»Kalorisator« (Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 48) bezeichnet werden. Er entspricht 
jedoch allgemeineren Anforderungen — soweit ich mich überaeugt habe — nicht. 

J. Schreiber, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 5. Heft 2. 

8 ) Therapie der Gegenwart 1902. Februar. 


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G. Rautenberg 


494 


seinigen im Prinzip übereinstimmend anerkannt hat, und dass Bier und Krause 
zur Heizung ihrer Apparate eine Spirituslampe empfehlen. Schreiber hat sich 
also bei seinen Versuchen dieser Erwärmungsart bedient und musste sich ihrer be¬ 
dienen, wenn seiner Nachprüfung ein vergleichender Werth zuerkannt werden sollte. 
Wenn nun Bier nachträglich die Bemerkung macht, dass die Temperaturdifferenzen 
der einzelnen Schichten in seinem Wärmekasten nicht so hohe seien, wenn man die 
Luft durch Gasflamme erhitze, so hat diese Bemerkung mit den Angaben Schreiber’s 
gewiss nichts zu thun. Immerhin sah ich mich ihr gegenüber veranlasst — obgleich 
sie mir erst bei der Niederschrift dieser Arbeit zur Kenntniss kam — Kontroll- 
versuche anzustellen. Ich habe hierbei einen Bier’schen Kasten für Hand und Fass 
benutzt, und denselben durch Gas erhitzt. Aber auch so habe ich bei scheinbaren 
Erwärmungen des Kastens auf 100—110° (Deckenthermometer) zwischen den obersten 
Theilen des Kastens und der mittleren Höhe, in welcher sich die eingelagerte Extremität 
befand, doch Temperaturunterschiede von 30 — 40° gefunden. Einen wesentlichen 
Unterschied zwischen der Erwärmung der Kästen mit Spiritus oder Gasflamme 
möchte ich hiernach wenigstens für die therapeutisch in Betracht kommenden 
Temperaturen und Zeitverhältnisse trotz jener nachträglichen Angabe Bier’s nicht 
anerkennen. 

Schliesslich darf auch nicht übersehen werden, dass Schreiber’s Angaben sich 
nicht nur auf die verschiedene Vertheilung der Luft in den einzelnen Höhen der 
Wärmekästen beziehen, sondern auch auf die in den einzelnen Tiefen der gleichen 
Höhe, nämlich vorn, hinten, rechts, links u.s.w. von der eingelagerten Extremität, 
so dass z. B., wie Schreiber zu demonstrieren versuchte, bei Behandlung des Fuss- 
gelenkes unter Umständen einzelne Theile der Extremität überhitzt, das Gelenk selbst 
stellenweise kaum erwärmt zu werden braucht. 

Bezüglich der Funktion der Bier’schen und verwandten Heissluftapparate sei 
nur darauf aufmerksam gemacht, dass die natürliche Temperaturdifferenz in denselben 
dadurch begünstigt wird, dass die Luft an einer Stelle (seitlich) eingeführt wird, 
und dass nur eine Abzugsöffnung, und zwar an der Decke des Apparates, angebracht 
ist. Durch diese Einrichtung wird die Tendenz der Luft zu ungleicher Temperatur- 
vertheilung nur begünstigt, und der exponierte Körpertlieil wird dabei durch den 
entstehenden Heissluftzug mehr oder weniger immer nur an der einen Seite getroffen. 
Demgegenüber scheint mir eine ältere Konstruktion der Bier’schen Kästen insofern 
zweckmässiger, als in ihnen »ganz nach Bedarf an verschiedenen Stellen« Abzugs¬ 
löcher angebracht werden»), und der Luftstrom im Apparate mehr vertheilt wird. 
Doch scheint Bier von dieser Konstruktion wieder abgekommen zu sein, denn bei 
den späteren Abbildungen der Kästen sieht man immer nur eine Abzugsöffnung, 
nämlich an deren Decke 3 ). 

Bei längerem Gebrauche dieser Apparate bemerkt man ausserdem den Uebel- 
stand, dass man die heisse Luft nicht genügend auf kleinere Körperpartieen 
lokalisieren kann, da man auf die vorhandene Form des Kastens angewiesen ist. 

An dieser Stelle sei zugleich einer Angabe in der Litteratur bezüglich des 
Tallerman’schen Apparates Erwähnung gethan. Wer sich viel mit Erzeugung 
aktiver Hyperämie beschäftigt hat und weiss, wie intensiv dieselbe bei direkter 

>) Münchener medicinische Wochenschrift 1899. No 48. 

2 ) Münchener medicinische Wochenschrift 1899. No. 49. 

3 ) Therapie der Gegenwart 1902. Februar. 


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495 


Beiträge zur Konntniss der Heissluftbehandlung. 

Einwirkung hoch temperierter Luft ist, dem muss es auffallen, wenn Mendelsohn 1 ) 
von dem genannten Apparate sagt: >Nach der Herausnahme war die Hautoberfläche 
der betreffenden Extremität feucht, und an den nicht umhüllten Körperstellen ein 
wenig, jedoch ganz unerheblich geröthet, zeigte aber sonst keinerlei Beeinträchtigungen 
oder Veränderungen.« Wir müssen aus dieser Beschreibung schliessen, dass die Haut 
kaum von heisser Luft berührt sein dürfte, und werden deshalb Salaghi 2 ) beistimmen, 
wenn er auf das Missverhältniss aufmerksam macht, welches zwischen der Grösse 
dieses Apparates und der zur Heizung nöthigen Wärmemenge gegenüber der thatr 
sächlich auf den Körper einwirkenden Temperatur besteht (da derselbe nach Vorschrift 
mit Binden umhüllt werden muss). Auch werden wir uns dem Bedenken nicht ver- 
schliessen können, dass diese Einhüllung des Körpers eine genügende Luftventilation 
verhindert und eine Zurückhaltung der Feuchtigkeit begünstigt. Kurz gesagt, scheint 
bei dem Tallerman’schen Apparate eine direkte Einwirkung der heissen Luft 
nicht stattzufinden. 

Derartige Ueberlegungen veranlassten meinen Chef, Herrn Professor J. Sch reib er, 
der Frage näherzutreten, ob es nicht möglich sei, handlichere Apparate zu konstruieren, 
welche zunächst den Bedingungen der poliklinischen Behandlung angepasst wären. 
Die Heisslufttherapie hatten wir bis dahin in der Form des Quincke’schen Schwitz¬ 
bettes in Gebrauch, und versuchten zunächst dieses in eine zweckentsprechende Form 
zu bringen. Um eine möglichst gute Vertheilung der heissen Luft herbeizuführen, 
schien uns die Zuführung der heissen Luft von unten her, etwa durch einen durch¬ 
lochten Boden, die natürlichste zu sein, doch gaben wir derartige Konstruktions¬ 
versuche bald auf, da die Herrichtung eines solchen Bodens zu umständlich war und 
die Konstruktion der Apparate komplizierte 3 ). Wir blieben schliesslich, wie die Ab¬ 
bildungen zeigen, im grossen und ganzen, wie Bier, Krause u. a., bei dem Prinzip 
des Quincke’schen Apparates, d.h. es wurde an der Zuführung der heissen Luft 
vermittels eines Metallrohres festgehalten. Im übrigen wurde der Apparat durch 
viele andere Einrichtungen so gestaltet, dass er wohl schliesslich als ein an sich 
eigenartiger und neuer Apparat bezeichnet werden kann, der sich, wie gezeigt werden 
wird, durch seine Einfachheit und mannigfache Verwendbarkeit wie kein anderer 
Apparat auszeichnet. 

Er besteht (s. Fig. 61) in der Hauptsache aus dem winklig geknieten Heissluft¬ 
rohr (r), dessen horizontaler Theil mit einer nicht metallischen Verlängerung (p) 
versehen ist und mit einer nicht metallischen Kappe (Ara) armiert werden kann. Das 
ganze Rohr ist vermittels eines breiten Ringes (ri) an einem festen eisernen Statif 
befestigt, dessen Höhe vermittels einer Schraube (bei h ) verstellbar ist. 

Das Heissluftrohr ist aus Eisenblech gefertigt und gekniet; die bei ähnlichen 
Apparaten bestehende Krümmung bewährt sich in der Praxis nicht. Der vertikale 
Theil des Rohres ist 55 cm., der horizontale nur 15 cm lang, der Durchmesser be¬ 
trägt 7 cm. 

Zur Regulierung der Intensität des Heissluftstromes respektive der zugeführten 
Temperaturhöhe ist im Innern des horizontalen Rohres eine Klappe angebracht, 

■) Hendelsohn, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1. 

2 ) Salaghi, 1.c. 

3) ln neuester Zeit hat S. Löwenthal (s. Zeitschrift »Die Krankenpflege 1901/02. S. 527 und 
Katalog von Mehn-Braunscbweig) nach dem genannten Prinzip einen Heissluftapparat konstruiert. 
Der dnrchlocfate Boden ist aus Asbestpappe verfertigt. Ueber die Funktion des Apparates besitze 
ich leider keine Erfahrung. 


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K ftautgnburg 


deren "Qrflf aussen lieraiisfl'agt- Nach Arb einer Ofenklappe kann sje nach Bedarf 
m» gestellt werden, dass sie das Lumen des Rohres tlieilwfetse oder auch ganz sehlles:-:. 
An den Coden des Öriffes. befindet sie!) eine ca. I in lange Doppidkette (r/A*), oft 
deren Hilfe der die therapeutische .Prozedur .Beaiifsifhtigeöde • resp. der Kranke, 
selbst die Temperatur in getvtinsriiter Weise regulieren kann. 

Am unteren Theil des vertikalen Rohres billigt ein Teller (f), ihn die zur 
Heizung nhHuge Splri)r^;lbmpg trügt- Oer Teller lässt sieti beben «ad senken, so 
dass aueh dadurch die Temperatur gferngelfc werden kau», jedoch nur in ungedStirer 

Weist'; die genauere Regul.ieruttg g«.- 
Tig, OL schiebt mit de? erwähnten Klappt* 

\,v . : ma 8 ** ißr: A'wwög erwäh r. t 
»verden, dass der Vortheil der T?m- 
poratiaTegulierntig ihr den Krankes 

$$&$*?** .•'•' ein ausserordentlich grosser ist. Ah- 

fl§ f:I gesehen davon, dass dnbeiAerlt«?nmia- 

•' ** | gen naturgemiiss viel .seltener. statt- 

£}■ „, !;;;; finden. ist der TJwstnnd besonders 
. i.:; erwäbnenswertU y. dass die Bedienung 
und-Beaufsichtigung während der Pro- 
■ zodur eine weit einfachere ist. Jio AB- 
: ; .-. Idn-ri hieran will ich gleich hervor- 

jv. •; fv jF .L^s*. heben, dass wir von jeher an? ein 

ständiges- Thermometer, welches dem 


; : : sich uU die •a.lli.nu.blidi .äßktergende 

Temperatur schnell gewöhnt und oft trotz, weiterer Steigerung diese»', namentlich 
»her bei Konstanz derselben ein Sinken zu bemerken glaubt,. — fiebrigem ädnünt 
sieb in letzter Zeit, seitdem Schreiber auf die ITizuvetTiisssightdt der bisher üblichen 
Thermomctrie. aufmerksam gemacht, hat, in dieser Beziehung eine Aendemng zu'.voll* 
.-.nÜHti. So betont 2. B. Titer, in seiner letzten Arbeit ausdrücklich, dass das. ob¬ 
jektive. Befinde» • »der einzige Maassstah für die Hohe def Hitzes sei, und. .in den 
Abbildungen seiner neue« Hei.ssiuftkäßteö «ad denn auch Dcckenthmmometer nicht 
abgebildet. 

hbt horizontale T'hoü des TJeissluftrcthres ist. mit der acl-on erwähnten V<-r- 
langcrnfig vürseltea. Sie besteht nicht ans Metall.■ da bei Benutzung dos Apparates 
gerade mit diesem Tbeile desselben fieckeu,. Betten, eventuell sogar der exponierte 
Kdcporflicif in Berührung kuimnen .und leicht verbrenne«-'. Wir hatten anfangs als 
Material für diese Verlängerung Asbestpappe gewählt, wiche sich «her nicht halt¬ 
bar zeigte, da sie ieicht zerfaserte. Dsnin vernichten wir einfache fiste Pappe und 
Hessen uns in einer Kartonfabiik; diese, rohrförmige Ve.vli<ngernhg- (/>) -bersteilen. Sie 
passt genau auf das Kisenrohr and ■ bildet, nachdem sie einige Genüumter weit auf 



Beitrage zur Kcnntuiss der Heissluftbchandlung. 


497 


Die 

be- 


dasselbe hinaufgesehoben ist, ein einheitliches festes Ganzes mit demselben. 
Länge des ganzen horizontalen Theiles ist ca. 40 cm. Kurz vor der Mündung 
findet sich noch an der Unterseite des Papprohres eine 
rechteckige Oeffnung ( 0 ), 8 cm lang, 6 cm breit, so dass ^ 62> 

also zwei Ausmündungsstellen vorhanden sind, eine vordere 
kreisförmige und eine untere rechteckige (Fig. 62). Auf 
das horizontale Rohr lässt sich je nach Bedarf eine ca. 

30 cm lange, vorne geschlossene Kappe ( kä) heraufschieben, 
die an der Unterseite eine Oeffnung ( 0 ) hat, und zwar 
in einer, dem vorher genannten unteren Ausschnitt ent¬ 
sprechenden Grösse (6x8 cm). Wenn der Apparat mit dieser Kappe armiert ist, 
ist die vordere Ausmündungsstelle geschlossen, und es besteht dann nur eine, nach 
unten gerichtete Oeffnung (s. Fig. 63). 

Die Kappe setzt uns in den Stand, einmal das horizontale Rohr beliebig zu 
verlängern, und ferner ermöglicht sie es, in dieser verlängerten Stellung der Aus¬ 
strömungsöffnung eine beliebige Richtung nach unten, seitlich, oben zu geben, indem 
man die Kappe um ihre Längsachse auf dem horizontalen Rohr dreht. 



Hg. 63. 

LQu 



Fig. 64. 
Qu 



Qu = Querschnitt. 


Diese Vorrichtung hat den Zweck, die Richtung des austretenden Heissluftstromes in 
bestimmter Weise zu beeinflussen. Wenn wir uns darüber orientieren wollen, inwieweit 
dieses möglich ist, so gehen wir am besten von den Verhältnissen aus, die die heisse Luft 
darbietet, wenn sie aus dem nicht mit der Kappe versehenen Heissluftrohre ausströmt 
(Fig. 62). Obgleich hier eine untere und eine vordere Oeffnung vorhanden ist, so tritt die 
Luft vermöge der Strömung, die bei der Erhitzung des Apparates entsteht, nur aus der 
vorderen Oeffnung und zwar in einem kompakten Strahle heraus. Sie nimmt in der kühleren 
Umgebung schnell eine vertikal aufsteigende Richtung an. 

Einen ganz anderen Weg muss der Heissluftstrom nehmen, falls die vordere Oeffnung 
verschlossen ist, und nur eine, nehmen wir zunächst an nach unten gerichtete Oeffnung 
vorhanden ist (Fig. 63 u. 64). Der Strom wird dadurch gezwungen, zunächst eine Strecke 
weit nach unten seinen Weg zu nehmen, und dann erst nimmt die Luft, vermöge ihrer 
spezifischen Leichtigkeit gegenüber der Umgebung wieder eine aufsteigende Richtung an. 
Der grössere Theil der heissen Luft strömt dabei schräge aufwärts nach vorne, andere 
Theile strömen seitlich in die Höhe (s. Querschnitt). Gegenüber dem vorher erwähnten 
Verhalten ist die Luftströmung hierbei eine geringere, da die Kraft der Strömung sich in 
diesem Falle bricht, und die Vermischung mit der umgebenden Luft eine schnellere. 

Je mehr die nach unten gerichtete Oeffnung in eine seitlich oder nach oben gerichtete 
umgewandelt wird, desto mehr findet in der Richtung der Luftströmung ein Uebergang nach 
den in Fig. 62 beschriebenen Verhältnissen statt. 

Da wir bei der Heissluftbehandlung viel mit geschlossenen Räumen, den >Heissluft- 
kasten« operieren, so sei hier vorweg erwähnt, dass die Strömungsverhältnisse der heissen 
Luft stark beeinflusst werden, wenn sie nicht in die freie Umgebung, sondern in einen 


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498 


E. Rautenberg 


geschlossenen Ranm ausströmt. Es kommt dabei vor allem auf die Lage der im Kasten 
befindlichen Ventilationsöffnung an, da diese den Heissluftstrom zu sich »hinzieht«. Man 
könnte demnach in einem solchen Falle die in Fig. 68 und 64 geschilderten Verhältnisse 
unterstützen, wenn man die Ventilationsöffnungen an den unteren Partieen anbringt (Fig. 66). 
Durch Drehung der Ausströmungsöffnung nach der Seite müsste man auch hier die Luft¬ 
strömung und Temperaturvertheilung beherrschen können (Fig. 66). 

Die Applikation der heissen Luft nehmen wir gewöhnlich, namentlich da, wo 
es sich um Behandlung der Extremitäten handelt, in geschlossenen Räumen vor; 
doch ermöglicht es die Konstruktion unseres Apparates, dass wir in bestimmten 
Fällen davon unabhängig sind, wie wir unten sehen werden. 

Zur Herstellung geschlossener Räume benutzen wir denkbar einfachste Mittel, 
nämlich dicke Pappe, wie man sie im Papierladen oder beim Buchbinder in der 
Grösse 80 x 70 cm erhält. Dieselbe lässt sich leicht, nachdem sie angefeuchtet ist, 
bogenförmig krümmen und behält diese Form dauernd, wenn man sie in derselben 
erhält (z. B. mit einem Bindfaden entsprechend umschnürt) und- so trocknen lässt 
kan erhält auf diese Weise Bogen von ca. 30 cm Höhe, 70 cm Länge und einer 
offenen Basis von 40 x 70 cm. Je nachdem man einen grösseren oder kleineren 
geschlossenen Raum braucht, kann man zwei oder einen derartigen Pappbogen 
nehmen, respektive auch nur einen halben (s. z. B. Fig. 67). 

Fig. 65. Fig. 66. 




Der durch die Pappbögen gebildete Raum wird durch einfach darüber gebreitete 
dünne, wollene oder halbwollene Decken verschlossen; in denselben wird von dem 
einen Ende her der zu behandelnde Körpertheil, von dem anderen oder von der 
Seite durch eine kreisförmige Oeffnung der Pappe der Heissluftapparat hineingeführt, 
und zwar meist mit abwärts gegen den darunter liegenden Körpertheil gerichteter 
Oeffnung, in einer durchschnittlichen Entfernung von 15 cm. Im allgemeinen gilt 
die Regel, dass, je grösser die zu behandelnde Körperfläche ist, desto grösser die 
vertikale Entfernung, der Ausströmungsöffnung sein muss. 

Nehmen wir z. B. an, dass ein oder beide Unterschenkel behandelt werden 
sollen, so ergiebt sich eine ähnliche Anordnung, wie sie aus Fig. 67 ersichtlich ist, 
mit dem Unterschiede, dass ein grosser Pappbogen dazu nöthig ist Man kann 
in diesem Falle nach Belieben das Heissluftrohr von der Seite oder vom Ende 
her einführen. Eine ähnliche Anordnung ergiebt sich für Behandlung des Kniees 
und des Armes, die in gestreckter Stellung in den Raum eingeführt werden, das 
Heissluftrohr seitlich. Doch kann man diese Stellung ganz nach Bequemlichkeit des 
Patienten modifizieren, z. B. für Behandlung des Ellenbogens und der Schulter in 
der Weise, dass der Ellenbogen sich in rechtwinkliger Stellung befindet und die 
Hand durch einen seitlich angebrachten Ausschnitt hinausgeführt wird, damit die 
Stellung den Patienten auf die Dauer nicht ermüdet. Der Patient sitzt dabei neben 


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Beiträge zur KühntnW ü«r Hfe'isftluftbHhanrtinng 


einem Tische, auf den er deri erkrankten Ami lagert Bei Behänd lang 4er Iiand 
»na des Fasses ersieht, sich eine ähnliche Steilung Wie in Fig. 6* fftr das Knie 
(s. auch Kig. 88 schematisch). Zur Behandlung des Rumpfes, der unteren Extremitäten 
oder des gäözer, Körpers Mellen- wir ein oder zwei grosse Papphogeu über den 
Körper Wild \fQhre%'s^|l^|iV>»3eip vog* Ende aus die heisse Luft hi»e«i. ( ganz so. wie 
es sich lör d«tt Patienten am bequemsten arrangieren lässt, wenn er io seiner Häus¬ 
lichkeit im Sette .oder auf eioer Matratze liegend behandelt wird. Sollte eine Flamin« 
nicht genüge«, so kann man einen zweiten Heissluftapparat auf derselben oder 
entgegengesetzten Seite einsehälten, doch sind wir bisher nicht dazu genöthigt 
gewesen. 

Fig. 67, 


Ich will besonders hervorlieben, dass wir keine besonderen Abzngsöffnungen 
an diesen geschlossenen Bäumen angebracht haben. Wir benutzen möglichst dünne 
Decken (FlaneHstoffj und legen sie möglichst lose herum, so dass die uaturgemäss 
sich ergebenden kleinen Spalten und Lücken der heissen Luft genügenden Spielraum 
zur Ventilation lassen, Es handelt sich also hier nicht um völlig abgeschlossene 
Räume, eotidetn (entsprechend dem Beispiel io Fig. 65) gewisssrmaässen um Räume 
mit vielen kleinen seitjidißn VentUatioDsöffnüngenv 

Wenn man zu dicke Decken nimmt, wird die Ventilation leicht, insofern un¬ 
genügend, als die Feuchtigkeit (Schweis*, hei der Spiritusverbremiung entstehendes 
Wasser) nicht genügend itinweggeführt Wird; durch Lüftung der vevschllessenden 
Decke kann man diesem Fehler atihelfea. Allerdings; sind manche Patienten leicht 
geneigt, die starke Sdiweissbihlung. welch« meist mit, geringer Hyperämie einher¬ 
geht, als das wünschenswert}!« Resultat der Behandlung z\i betWcbteg, 


gfjj ffgSSiM 










500 E. Rautenberg 

Die Vertheilung der Lufttemperatur ist bei dieser Art der Applikation in der 
Umgebung des exponierten Körpertheils eine verhältnissmässig gleicbmässige, wie 
wir uns durch zahlreiche Messungen überzeugten. Einige Beispiele seien im folgenden 
angeführt: 

H. S., Ulcus cruris, Heissluftbad des rechten Unterschenkels, 1 Stunde lang, 16. März 
1901. Vier Maximalthermometer, 1 cm von der Haut entfernt über dem dorsnm pedis, der 
Mitte des Unterschenkels, rechts und links vom Gelenke zeigen: 

61°, 60°, 56°, 68°. 

H. D., Chorea minor, Heissluftbad der unteren Körperhälfte, von den Hüften abwärts, 
1 Stunde lang, am 11. und 12. März 1901. Vier Maximalthermometer, 1 cm von der Haut 
entfernt an Fuss- und Kniegelenk des rechten und linken Beines zeigen: 

am 11. März 97«, 102«, 106«, 95« 

» 12. > 81®, 92«, 91«, 88«. 

Die vermittels der Maximalthermometer erhaltenen Zahlen geben die Höhe der 
ertragenen Hitze an. Wenn dieselben, wie ersichtlich, nicht nur bei den verschiedenen 
Individuen, sondern auch bei derselben Person variieren, so hat das ausser der jedes¬ 
maligen individuellen Verschiedenheit seinen Grund darin, dass die Temperaturhöhe 
nicht allein das einwirkende Moment darstellt; dieses setzt sich bei der Heissluft¬ 
applikation vielmehr aus zwei hauptsächlichen Faktoren zusammen, aus der Höhe 
der Lufttemperatur und aus der Geschwindigkeit der Strömung. Diese letztere aber 
genauer zu bestimmen, hat seine grossen Schwierigkeiten. 

Natürlich ist nicht zu verhindern, dass an der Decke des Raumes die Tempe¬ 
ratur höher steigt als in der Umgebung des Körpers. Diese Temperaturdifferenz, 
im Durchschnitt 20—30« betragend, ist ohne Belang, da der exponierte Körpertheil 
immer horizontal gelagert ist und in einer gleichmässig temperierten Luftschicht 
liegt. (Da, wo einzelne Theile des Körpers in höhere Luftschichten ragen, z. B. 
bei Behandlung der Unterschenkel und des Fusses, können wir, wie schon be¬ 
schrieben (Fig. 66), durch leichte Drehung der Kappe von dem Fusse hinweg mit 
Leichtigkeit die Temperatur so regulieren, dass sie an den Zehen nicht höher ist 
als am Unterschenkel.) Verursacht wird die günstige Temperaturvertheilung offenbar 
dadurch, dass die Luft beim Austritt aus dem Heissluftrohr gewissermaassen nach 
unten gedrückt wird (wie oben schon ausgeführt ist). Der Heissluftstrom vertheilt 
sich dann, in dem Bestreben in die Höhe zu steigen, gleichmässig nach allen Seiten, 
und begünstigt wird die Vertheilung noch durch die Lage der Abzugsöffnungen 
(d. h. Spalten und Oeffnungen der abschliessenden Decke) an den seitlichen Theilen 
des Heissluftraumes. Die Luft streicht also von oben herabsteigend und sich ver¬ 
breitend über den horizontal gelagerten Körpertheil hinjweg. Auf diese Weise — 
diesen Umstand halten wir für sehr wesentlich zur Erzielung einer gleichmässigen 
Wärmeapplikation — wird die Bildung eines kompakten Heissluftstromes vermieden, 
der etwa nur einige Stellen des Körpertheiles intensiv trifft, während der grössere 
Theil nur mit niedrigen Temperaturen in Berührung kommen würde. 

Andererseits kann man leicht je nach Bedarf innerhalb des Heissluftstromes be¬ 
stimmte Körperstellen besonders stark dem Heissluftstrom exponieren, indem man 
die Ausströmungsöffnüng gegen die gewünschte Stelle richtet resp. ihr nähert. Man 
kann also den Luftstrom auf bestimmte Stellen, falls der Ausdruck erlaubt ist, 
lokalisieren. 

In besonders einfacherWeise lässt sich dieses erreichen, wenn kleinere Körper¬ 
stellen mit der Hyperämie behandelt werden sollen, nehmen wir z. B. an die Patellar- 


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BHtniffe zur Kenntnis tlet ilri$riuftbahniulhing. 


negend. die .Mageimcghnd v- a. w. ' fiebrigen«; kann tafln in einem derartigen Falle 
auf besondere iTondellnog des gcsehirisÄeneii Raumes verzichten* Indent nmn einfach 




über das Rohr des Heissluftappanttes eine Decke zeUlorrtig hfcrüberijangt, tvie Fig. 08 
♦reijrf. (Der Deutlichkeit halber ist das hmibhäiigende Tuch wo def rechten Seite 
des l’atieutcn in die Hohe geschlagen.! (Seidu** folgt.) 


vn 



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502 


M. Edel 


II. 

Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst und Winter 

therapeutisch verwerthen? 

Von 

Dr. M. Edel 

Badearzt in Wyk auf Föhr. 

Seit mehr als einem Jahrhundert dienen unsere deutschen Nordseeinseln als 
anerkannte und erfolgreiche Kur- und Heilorte. Fast zufällig war beobachtet worden, 
dass eine Anzahl von Krankheiten durch einen Aufenthalt auf einer Nordseeinsel zur 
Heilung gelangte, und als diese Beobachtungen sich mehrten, ging man daran, die im 
Nordseeklima offenbar vorhandenen heilenden Wirkungen den Kranken systematisch 
nutzbar zu machen, und gründete Seebäder. Norderney darf sich rühmen, das älteste 
deutsche Nordseebad zu sein. Seine Gründung fällt noch in das Ende des 18. Jahr¬ 
hunderts. Erst 20 Jahre später, im Jahre 1819, wurde als das zweite deutsche Nordsee¬ 
bad das Bad in Wyk auf der Insel Föhr eröffnet. Diesem folgte sieben Jahre später die 
Gründung des Bades auf der Felseninsel Helgoland, die damals zu England gehörte. 

Jahrzehnte lang blieben Norderney, Wyk und Helgoland die einzigen Inselbäder 
in der Nordsee. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts treten allmählich auch 
die benachbarten Inseln in die Reihe der Seebäder ein, so dass jetzt wohl auf allen 
Nordseeinseln, die über einen brauchbaren Strand verfügen, ein Seebad besteht 

Die Zahl der Besucher dieser Bäder, der alten wie der alleijüngsten, ist in 
schneller Entwicklung zu einer bedeutenden Höhe gestiegen, aber die Zeit, in welcher 
sie aufgesucht werden, hat sich seit der Gründung des ersten Nordseebades nicht 
geändert Im Sommer sind alle mit Badegästen überfüllt, aber im Herbst, der all¬ 
gemein und mit vollem Recht als die schönste Jahreszeit an der Nordsee gilt, und 
vollends im Winter sind die Inseln von Fremden verlassen, nur ganz vereinzelt 
treffen wir dort Wintergäste an. 

Für die grosse Menge der Gesunden, die im Seebad nur eine angenehme Er¬ 
holung von ihren Berufspflichten, ein kühles Bad an heissen Tagen und ein amüsantes 
Badeleben suchen, wird der Aufenthalt an der See stets durch, die Hauptreise- und 
Ferienzeit, die sogenannte Saison, bestimmt bleiben. Viel grösser ist aber die Zahl 
derjenigen, welche aus therapeutischen Gründen von ihren Aerzten an die Nordsee 
geschickt werden. Sollen auch diese nur im Sommer die Nordseeinseln aufsuchen, 
oder können sie dort auch im Herbst und Winter Heilung und Genesung erwarten? 

Solange man die Heilerfolge der Nordsee einzig dem Baden im offenen Meere 
zuschrieb, war die Kurzeit auch für die Kranken auf die wenigen Wochen beschränkt, 
in denen die Temperatur des Meeres das Baden darin gestattet, also im grossen 
und ganzen auf die Monate Juli, August und September. Nachdem aber erkannt 
war, dass mehr noch als das Baden im Meere der Aufenthalt in der Seeluft die 
Heilerfolge hervorbringe, musste die Frage entstehen, ob es nicht möglich sei, auch 
nach Beendigung des Sommers, im Herbst und im Winter, diese unschätzbaren 
Naturkräfte den Kranken dienstbar zu machen. 


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UNjVERSITY OF MICHIQAN 



Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen? 503 

Beneke, der als erster mit grossem Nachdruck darauf hingewiesen >) hatte, 
dass »an dem Nordseegestade die Meeresluft unter den heilenden Faktoren die erste 
und das Bad im offenen Meere die zweite Stelle einnehme«, suchte auch diese Frage 
zuerst zur praktischen Lösung zu bringen. Es war ihm bekannt, dass öfter Kranke 
auf der einen oder der anderen Nordseeinsel überwintert hatten, und dass diese ver¬ 
einzelten Ueberwinterungen stets gute Resultate ergeben hatten. 

Daher beschloss er 3 ), 'mit einer grösseren Anzahl von Kranken einen Herbst 
und Winter auf einer Nordseeinsel zuzub'ringen und wählte hierzu die Insel Norderney. 
Mit unermüdlicher Ausdauer und bewunderungswürdiger Energie besiegte er mancherlei 
Hindernisse, die sich der Ausführung seines Planes entgegen stellten, und ver¬ 
sammelte während des Winters 1881/82 über 50 Kranke in Norderney. Der Erfolg 
war glänzend, so dass Beneke »den verlängerten Aufenthalt auf den deutschen 
Nordseeinseln« für die dazu geeigneten Kranken warm empfahl. 

Zwanzig Jahre sind jetzt gerade seit dieser ersten grösseren Ueberwinterung 
Kranker auf einer Nordseeinsel verflossen, aber noch immer sieht man bei uns nur 
ganz vereinzelte Wintergäste, noch immer begegnet man ungläubigen oder spöttischen 
Gesichtern, wenn man von Winterkuren auf den Nordseeinseln spricht. Die Wirkungen 
der Seeluft wagt niemand zu bestreiten, niemand behauptet, dass etwa die Seeluft 
im Winter von einer anderen physikalischen Beschaffenheit sei als.im Sommer, aber 
die meisten zweifeln an der Möglichkeit, dass überhaupt ein Kranker an der Nordsee 
überwintern könne. Es halten eben noch allzuviele, wie auch Hill er 3 ) erwähnt und 
bedauert, an dem Aberglauben von der »kalten« Nordsee fest, an der »der Herbst 
und Winter furchtbar kalt sein müsse«, da »schon der Sommer so kühl ist«. 

Zur Bekämpfung dieses Aberglaubens habe ich in einer Tabelle die Temperatur¬ 
zahlen von neun aufeinanderfolgenden HerbBten und Wintern (zehn Jahren) für das 
Nordseebad Wyk auf Föhr zusammengestellt. Da es nicht möglich ist, die Tempe¬ 
raturen jedes einzelnen Tages zu geben, was gewiss den genauesten Einblick in die 
Temperaturverhältnisse gestatten würde, habe ich für jeden einzelnen Monat die drei 
wichtigsten Zahlen angegeben, nämlich die absolut höchste, die absolut niedrigste 
und die mittlere Temperatur des Monats. Meine Tabelle enthält nebeneinander diese 
Zahlen für die Herbst- und Wintermonate vom Oktober des einen bis zum März des 
nächsten Jahres, und untereinander die entsprechenden Zahlen für die einzelnen 
Winter vom Winter 1887/88 bis zum Winter 1895/96. Die Zahlen habe ich den 
vom Königl. Preussischen Meteorologischen Institut herausgegebenen »Ergebnissen der 
Beobachtungen an den Stationen zweiter und dritter Ordnung« 4 ) entnommen. Da 
das Jahr 1896 das letzte ist, über welches die Beobachtungen bis jetzt erschienen 
sind, musste ich mit dem Winter 1895/96 auf hören. Ich habe es vermieden, aus 
diesen neun Jahren die Mittelzahlen zu geben, sondern für nöthig gehalten, für jedes 
Jahr und jeden Monat die Zahlen einzeln anzuführen, weil ich die Ueberzeugung 
erhalten habe, dass solche Mittelzahlen nur wenig sagen können, sondern meistens tote 
Begriffe bleiben. Mir liegt aber vorzüglich daran, ein klares Bild von der Herbst- 

i) F. W. Beneke, Die erste Ueberwinterung Kranker auf Norderney. Aerztlicher Bericht 
2. Ausgabe. S. 2. Norden und Norderney 1886. 

*) F. W. Beneke, Die sanitäre Bedeutung des verlängerten Aufenthaltes auf den deutschen 
Nordseeinseln, insonderheit auf Norderney. Ebendaselbst 1886. 

aj Hiller, Kap. Thalassotherapie in Goldscheider-Jacob’s Handbuch der physikalischen 
Therapie Bd. 1. S. 409. Leipzig 1901. 

<) Beobachtungen än den Stationen zweiter und dritter Ordnung im Jahre 1887 etc. bis 1896. 
Berlin 1891—1901. 


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Tabelle I. 


504 


M. Edel 


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Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen ? 505 

und Wintertemperatur der Nordseeinseln entstehen zu lassen. Ich will hier bemerken, 
dass die auf der einen Insel gewonnenen Temperatur-, Niederschlags- und anderen 
klimatischen Zahlen ohne grosse Fehler für alle anderen als richtig angesehen werden 
können. Denn wenn auch zwischen den einzelnen Inseln in Boden und Vegetation, 
in Windwirkung und Wellenschlag gewisse Verschiedenheiten bestehen, so sind doch 
die klimatischen Eigentümlichkeiten auf allen dieselben. Die Wasserstrasse, die 
die Nordseeinseln vom Festlande trennt, so schmal sie auch ist, genügt doch vollauf, 
um auf ihnen ein echtes Inselklima hervorzubringen. 

Zur deutlicheren Demonstration der Unterschiede zwischen Festlands- und 
Inselklima habe ich unter die Zahlen von Wyk die entsprechenden Zahlen der auf 
dem gegenüberliegenden Festlande ziemlich in derselben Höhe wie die Insel Föhr 
gelegenen Stadt Husum gesetzt. Ferner gebe ich zum Vergleich auch die entsprechenden 
Zahlen von Wiesbaden, das wegen seines milden Winters berühmt ist, und endlich 
noch dieselben Zahlen für Berlin, dessen Klima im Sommer sowohl wie im Winter 
den meisten aus Erfahrung bekannt sein und daher ein passendes Vergleichsobjekt 
abgeben dürfte» (Siehe Tabelle I.) 

Ich habe zu dieser Tabelle nur die beiden Extremzahlen des Monats und die 
mittlere Monatstemperatur benutzen können. Der Verlauf der Temperatur lässt sich 
aber noch besser an den aus je fünf aufeinanderfolgenden Tagen gewonnenen Durch¬ 
schnittszahlen, den sogenannten Pentaden, demonstrieren. Ich habe aus diesen 
Pentadenzahlen Kurven konstruiert, in denen die Zahlen für Wyk, Berlin und Wies¬ 
baden eingezeichnet sind, Husum liess ich, um die Uebersichtlichkeit nicht zu stören, 
fort. Da es zu weitläufig wäre, diese Temperaturkurven für alle neun Winter wieder¬ 
zugeben, wählte ich hierzu den Winter, welcher nach Tabelle I für Wyk, und den, welcher 
für Wiesbaden der wärmste war, und endlich den kältesten Winter. (Fig. 69, 70 u. 71.) 

Die Tabelle und die Kurven sind ohne jeden Kommentar verständlich. Die Tabelle 
lässt klar erkennen, dass die Temperaturverhältnisse eine Ueberwinterung Kranker in 
Wyk auf Föhr ganz besonders begünstigen, da die mittleren Temperaturzahlen das 
Klima vom Oktober bis Februar noch milder erscheinen lassen als in Wiesbaden, wo 
nach Glax 1 ) >Magnolie, Edelkastanie und Mandelbaum im Freien überwintern«. 

Wenn wir nur die Temperaturminima ins Auge fassen, so sehen wir, dass es 
auch in der kältesten Zeit niemals zu den extremen Kältegraden kommt, wie sie in 
der gleichen Zeit auf dem Festlande beobachtet sind. Von Oktober bis Januar sinkt 
das Thermometer in Wyk nie so tief wie in den anderen Orten, erst im Februar 
hat Berlin einmal und Wiesbaden zweimal einen kleinen Vortheil vor Wyk, während 
sich in den anderen Monaten die Minima öfter um 5 0 und sogar 10 0 zu Gunsten 
Wyks unterscheiden. Auf das Fehlen dieser extremen Kältegrade möchte ich be¬ 
sonders hinweisen, da vor allem dadurch der Winter an der Nordsee so angenehm 
und milde wird. Von viel geringerer Bedeutung sind die Temperaturmaxima, denn 
es ist für das Wohlbefinden total gleichgültig, ob vielleicht an einem Januartage als 
höchste Temperatur 3° oder 5,6° (90/91) oder auch 7,3° und 11,5 0 (89/90) gemessen 
wird. Daher ist der Nachtheil für Wyk, welcher sich bei Betrachtung der Temperatur¬ 
maxima ergiebt, nur ein scheinbarer und wird durch die erreichten geringen Kälte¬ 
grade mehr als aufgehoben. Dieser Umstand dokumentiert sich deutlich in den 
mittleren Monatszahlen und erhellt am besten aus den Temperaturkurven. Diese, 
welche ja nur eine Ergänzung und eine Art Uebersetzung der entsprechenden Zahlen 


i) Glax, Lehrbuch der Balneotherapie 1900. Bd. 2. S. 560. 

Zeitachr. f. diät u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 9. 


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likstsieb «las KJimsi der Nor<lsetin*eli! auch ioi Herbei tu Winter thempeutwö v.örw'ertben 1 

der Tabelle sind, und die Taliejie selbst lassen ein ganz bestimmtes kOKstantes Yer- 
liiiltDiss der Temperaturen der einzelnen Monate crk-emien. 

Der Oktober ist. für Wyk stets ein waruiei Monat nftd kantr ebne Bedenken 
mit de» Souii.yermoisivfeß gleichgestellt werden. 

Ich juöebte an dieser Steife bervorheben, dass der Herbst infolge der besonders 
klaren Luft und durch das Wunderbare Farheiispiel des Meeres die Sotnmernmnate 
an- Schönheit bei weitem übertrifft. 


Fif?. 71. 

Winter l Mg3/96' nach dem fünftägigen TempJ&rfttdr®i 11 c-1, 
Absolutes Minimum im DiwwSkl lVyk —'MO', Wiesbaden 11,7", ßprljii. 12 , 3 ^; 
Oktober November Dezember Januar Februar Märe 


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Wyk auf Föhr 


WiOftbadeiv 


Berlin N 


Iin November macht sich schon überall die winterliche Abkühlung bemerkbar. 
Trotzdem bleibt es in .Wyk noch Ziemlich wann, und seine Tcxu.perat.ur iibertrifft die 
von Berlin fast ausnahmslos «ntl die Temperatur von Wiesbaden sehr häufig an 
Hobe. Viel ausgesprochener und estwhiedener. wird die grössere Wärme auf den. 
loselu in den mgeniHchen Wintermönaten- Sie haben in der grossen .Wassermasse 
ei« nösttedebaies IVävnteresm'voir. so. dass Dezember und Januar in Wyk bedeutend 
Jk&ntec sind als in Wiesbaden -«twi Berlin. ; .im Februar- -sind die. Verhältnisse wieder 
ähnlich wie im Növeniher, die mittleren Temper« tureu gleich«« neuen voff Wiesbaden. 
lu> Mary beginnt dort schon der .Frühling mit milden warmen Tagen. Das Meei 
aber erwärmt sich lanasniu, -so dass es auf den Jfiselii später .Frühling wird eis auf .1 
d em Kontinent.. - ■/ ,' ■ ' “• . . • /• 

Der Winter fängt •bIbo'. :»»f '.dtöjt' jf»i^neinsdlit spül AÖ utid ist diäiä«; milder als 
in Wiesbaden .und'bedeutend Würmer als- in Berlin. . Aber auf diesen wanne« Winter 
folgt ein später, kühler Frühling. Hieraus ergie-ht sich .für die Benutzung m Wioter- 
kgren die fteggl, dieX>eberwint«rnaig^xl^^aGfaägdd.-fasse« und sie spätestens 
iftt Mürz, zu beendige«. 

'' *' ' ; - VV > ’ , ' ^v . * . t T *‘ **.* • - ; 


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5;SlwiwMtK.C 








508 M. Edel 


Es bleibt mir noch übrig, die in der Tabelle enthaltenen Zahlen von Husum 
mit denen von Wyk zu vergleichen. Das absolute Minimum ist dort schon ganz 
erheblich niedriger als auf der nahegelegenen Insel, das absolute Maximum ist aber 
erst im März höher als in Wyk. Die Mittelzahlen erreichen daher fast ohne Aus¬ 
nahme in Wyk eine grössere Höhe als in der gegenüberliegenden Küstenstadt, 
während Husum seinerseits im Durchschnitt wärmer erscheint als Berlin mit seinem 
Binnenklima. Das Meer, das im Sommer wie im Winter die Temperaturextreme 
ausgleicht und das Inselklima zu einem so gemässigten macht, kann eben diese 
Wirkungen bei den Küstenorten nur zum Theil ausüben. Hierdurch wird das klima¬ 
tische Uebergewicht der Inselbäder den Küstenbädern gegenüber bewiesen, mögen 
sie an der Nord- oder Ostsee gelegen sein. 

Ich habe bisher nur von den Temperaturextremen und den mittleren Monats¬ 
temperaturen gesprochen. Sehr wichtig für die Beurtheilung eines Klimas ist aber 
noch die Veränderlichkeit der Temperatur innerhalb eines Tages und von einem 
Tage zum anderen. Ein gleichmässiges, wenig veränderliches Klima wird stets als 
viel angenehmer empfunden als ein ungleichmässiges, stark veränderliches Klima. 
Selbst bedeutende Kältegrade werden ohne Störungen des Wohlbefindens auch von 
Kranken und Schwachen ertragen, wenn sie allmählich entstanden sind, und nichts 
macht ein Klima unangenehmer als häufige und grosse Temperatursprünge. Die 
Veränderlichkeit der Temperatur von einem Tage zum anderen habe ich nach den 
für das Königl. Preussische Meteorologische Institut von dem hiesigen Beobachter 
desselben, Herrn Badedirektor G. Weigelt gemachten und mir gütigst zur Verfügung 
gestellten Aufzeichnungen für die Jahre 1896 bis einschliesslich 1901 berechnet und 
in der folgenden kleinen Tabelle zusammengestellt. 

Tabelle II. Temperaturveränderung in Wyk auf Föhr. 


Die Temperatur änderte sich von einem Tag zum andern: 


im 

Jahre 

um 

minde- 
j stens 

1 Jan. 

! 

1 

, Febr. 

* März 

l 

i 

April 

1 

| Mai 

i- 

Juni 

Juli 

l 

Aug. 

Sept 

j? 

Okt 

i 

Nov. 

Dez. 

1896 | 2« 

1 3 mal 

8 mal 1 6 mal 

1 

4 mal 

2 mal 

6 mal 

14 mal 

| 3 mal 

i 4 mal 

1 

3 mal 

5 mal 

6 mal 


40 

2 mal 

— 

, lmal 


2 mal 

lmal 

2 mal 

1 

— 

1 — 

i lmal 

— 


60 

1 

— 

1 

| — 

1 

, lmal 

— 

1 

i 

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1 lmal 

— 

1897 

2« 

6mal 

7 mal 

5 mal 

5 mal 

lOmal 

9 mal 

3 mal Omal 

6 mal 

7 mal 

9 mal 

8 mal 


1 4o 

— 

— 

— 

lmal 

2 mal 

, 3 mal 

— 

— 

1 lmal 

— 

4 mal 

— 


60 

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— 


lmal 

| — 

1 

! 

1 

1 

— 


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1898 

20 

6 mal 

4 mal 

4 mal 

5 mal 

8 mal 

8 mal 

5 mal 

1 

lOmal 

(lOmal 

l mal 

8 mal 

11 mal 

1 

: 

40 

6 ° 

— 

— 

1 mal 

- 

lmal 

1 mal 

lmal 

, 2 mal 

j lmal 

lmal 

lmal 

lmal 

1899 

20 

1 

5 mal 

lOmal 

9 mal 

8 mal 

7 mal 

8 mal 

4 mal 

2 mal 

1 “ 

3 mal 

8 mal 

6 mal 

lOmal 


40 

* 4 mal 

1 mal 

3 mal 

— 

1 mal 

1 mal 

1 mal 

1 — 

— 1 

lmal 

— 

3 mal 


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1 — 

lmal 

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— 

— 

— 

— 

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1 

1 1 

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1900 

2 o 

10 mal 

8 mal 

4 mal 

5 mal 

13 mal 

6 mal 

7 mal 

Omal 

5 mal 1 

4 mal 

5 mal 

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40 

Omal 

lmal 

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1 mal 

2 mal 

1 mal 

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1 1 mal 

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— 

— 

lmal 

lmal 

— 

— 

— 

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1901 

2 ° 

12 mal 1 

11 mal 

4 mal 

LOmal 

7 mal 

6 mal 

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1 mal 

1 mal 1 

Omal 

12 mal 

8 mal 


40 

2 mal 

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Lässt sieb das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen ? 509 

Diese Zahlen beweisen, dass genau, wie es vom Seeklima im Sommer gerühmt 
wird, die Temperatur auch im Winter eine grosse Beständigkeit hat und nennens- 
werthe Temperatursprünge zu den grössten Seltenheiten gehören. 

Die Differenz der Temperaturextreme eines Tages ist hier in Wyk im Herbst 
und Winter noch viel niedriger als in den Sommermonaten, wie mir ebenfalls die 
Durchsicht der oben genannten Aufzeichnungen ergehen hat. Es dürfte aber unnöthig 
sein, auch hierfür die genauen Zahlenangaben zu machen, da diese Erscheinung voll¬ 
kommen mit dem von van Bebber 1 ) folgendermaassen formulierten allgemeinen 
Gesetz übereinstimmt: »Die Grösse der Temperaturunterschiede der wärmsten und 
kältesten Tagesstunden (Amplitude) wächst mit zunehmender Tageslänge«, ist also in 
den kurzen Wintertagen am geringsten. Es kommt hier garnicht selten vor, dass 
die Amplitude im Winter nur 1—2° beträgt, und niemals ist sie so gross, dass sich 
abends eine fühlbare Abkühlung bemerkbar macht. Daher können die Wintergäste 
auch nach. Sonnenuntergang noch Spaziergänge im Freien machen, ohne irgendwie 
unter der Kälte zu leiden. Diese grosse Gleichmässigkeit der Temperatur kann als 
ein bedeutender Vorzug des Inselklimas betrachtet werden. 

Wenn wir nun Kranke in diesem relativ warmen, überaus gleichmässigen Klima 
überwintern lassen wollen, müssen wir auch wissen, ob die Wind- und Regen¬ 
verhältnisse ihnen den Aufenthalt im Freien gestatten. 

An der Nordsee ist die Luft niemals ruhig, ein mehr oder weniger heftiger 
Wind weht vielmehr fast ununterbrochen und ist als eine der Ursachen zu betrachten, 
denen man die Heilerfolge des Nordseeklimas zuschreiben muss. Der Neuankömmling 
ist zu Anfang gegen die beständige Luftbewegung empfindlich, gewöhnt sich aber in 
zwei bis drei Tagen an den Wind und empfindet ihn dann als anregend und wohl- 
thuend. »Es ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung in Nordseebädern, die Reise¬ 
gefährten, welche bei der Hinfahrt auf dem Schiff sich noch die Ohren vermummten, 
nach einigen Tagen in einfacher leichter Kleidung am Strande bei gleicher Wind¬ 
stärke spazieren gehen zu sehen«, sagt Hiller*). 

Was hier vom Sommer gesagt ist, gilt ohne Einschränkung auch vom Winter, 
da die durchschnittliche Windstärke wenigstens für Wyk in den Wintermonaten nur 
ganz unbedeutend höher ist, als in den Sommermonaten. Ein Wind von derselben 
Windstärke wirkt aber auf den Organismus ganz verschieden, je nach der Richtung, 
aus welcher er kommt. Die West- und Südwestwinde, die meistens feucht sind, gelten 
als weich und milde, während die im allgemeinen trocknen Ost- und Nordwinde 
als hart und rauh erscheinen. 

Wenn man nun die vier Himmelsrichtungen und die vier Hauptnebenrichtungen 
durch acht von einem Punkte ausgehende Linien darstellt, so dass die entstehenden 
Winkel sämmtlich die Grösse eines halben rechten haben, kann man durch die 
Länge dieser Linien die Häufigkeit der aus den betreffenden Richtungen wehenden 
Winde leicht und übersichtlich angeben. 

Herr Badedirektor Weigelt hat für die zehn Jahre von 1891—1900 die mittlere 
Windvertheilung für die einzelnen Monate berechnet und auf die beschriebene Art 
dargestellt. Ich bin in der angenehmen Lage, diese bisher nicht veröffentlichten 
Daten hier wiedergeben zu können, beschränke mich aber hierin, dem Zwecke meiner 
Arbeit entsprechend, auf die Herbst- und Wintermonate. 


') van Bebber, Hygienische Meteorologie. Stuttgart 1900. S. 79. 
*) Hiller, 1. c. S. 361. 


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510 


M. Edel 


Während des ganzen Winters überwiegen die Südwest- und Westwinde, während 
die harten und scharfen Ostwinde ungemein selten sind. Einzig im November stehen 
die Südwestwinde an zweiter Stelle. Aber auch in diesem Monat werden sie nicht 
von den Ost-, sondern den doch etwas gemilderten Südostwinden in der Häufigkeit 
übertroffen. — Durch seine geographische Lage ist Wyk gegen den direkten Anprall 
der westlichen und südwestlichen Winde geschützt, so dass diese schon an und für 
sich milden Winde hier ganz besonders angenehm wirken. 


Januar 



Fig. 72. 

Nord 



Oktober 


West 


Februar 





Sftd 


Windveitheilung in Wyk auf Föhr nach dem zehnjährigen 
Durchschnitt 1891—1900. 

In der nächsten Nähe des Strandes finden sich in Wyk auch genügend Stellen, 
an denen der Fremde bei massigem Ostwind gut geschützt promenieren kann. Bei 
der dominierenden Stellung der südwestlichen Winde können daher die wenigen 
Tage mit heftigem Ostwind absolut nicht ins Gewicht fallen, wenn man die Möglich¬ 
keit der Ueberwinterung abwägt. Es kann sich gewiss in ganz seltenen Fällen er¬ 
eignen, dass der Wintergast durch einen Oststurm auf einen Tag ans Zimmer gefesselt 
wird, aber die Zahl dieser Tage während des ganzen Winters ist so klein und un¬ 
bedeutend, dass sie auf den Erfolg der Kur oder das Wohlbefinden des Fremden 
völlig ohne Einfluss bleiben. 

Die Winde aus Südwesten und Westen verdanken ihre Weichheit und Milde 
zum grössten Theil der bedeutenden Feuchtigkeit, welche sie mit sich führen. Daher 
regnet es auch im Winter häufiger an der Nordsee als im Sommer, wiewohl die 
Niederschlagsmengen immer noch mittlere bleiben. Der Regen dauert aber meistens 
nur kurze Zeit, und sofort, nachdem es zu regnen aufgehört hat, kann wieder heller 


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Lässt sieb das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen? 511 

Sonnenschein sein. Den Aufenthalt im Freien beeinträchtigt der Regen fast garnicht, 
da man mit geeigneter Kleidung trotz Regen spazieren gehen kann. Sehr viele 
rühmen, dass gerade während und nach dem Regen die Luft überraschend weich 
und angenehm ist. Beneke erwähnt in seinem Bericht über die erste Ueberwinterung, 
dass seine Patienten auch an Tagen mit starkem Regen im Freien promenieren. 

Nachdem ich nun das Klima der Nordseeinseln im Herbst und Winter näher 
betrachtet habe, möge es mir gestattet sein, das Resultat meiner Betrachtungen kurz 
zusammen zu fassen. 

1. Der Herbst ist die schönste Jahreszeit auf den Nordseeinseln, der Oktober 
ist ein besonders warmer Monat. 

2. Der Winter ist nach der Höhe der Temperatur milder als in Wiesbaden 
und wärmer als in Berlin. 

3. Der März ist verhältnissmässig kalt, der Frühling^kommt spät. 

4. Die Temperatur ist überaus gleichmässig, Temperatursprünge gehören zu 
den grössten Seltenheiten. 

5. Die mittlere Windstärke ist im Winter wenig grösser als im Sommer. 

G. Die milden Südwest- und Westwinde sind die herrschenden Winde. 

7. Der Regen dauert meistens nur kurze Zeit und hindert fast nie den 
Aufenthalt im Freien. 

Die Höhe der Temperatur und ihr Verlauf, die Art des Windes und die Form 
der Niederschläge, alle diese klimatischen Faktoren machen den Winter an der 
Nordsee angenehm und milde. Es kann unter diesen Umständen keinem Zweifel 
unterliegen, dass die Patienten vom Ende des Sommers bis Ende Februar sich sehr 
viel im Freien aufhalten und dem heilenden Einfluss der Seeluft und des Seeklimas 
aussetzen können. Damit dürfte die therapeutische Verwendbarkeit des Klimas der 
Nordseeinseln im Herbst und Winter bewiesen und das Vorurtheil gegen die »kalte Nord¬ 
see« als völlig unbegründet dargethan sein. Wir haben also keinen Grund, den reichen 
Schatz an heilenden Kräften, welche das Nordseeklima enthält, im Winter brach 
liegen zu lassen, und können mit der sicheren Erwartung eines guten Erfolges 
geeignete Kranke auf Nordseeinseln überwintern lassen. Natürlich muss man bei 
der Auswahl der Kranken auf die besonderen Eigenthümlichkeiten des Klimas bedacht 
sein. Der Kräftezustand der Patienten muss auf alle Fälle das Unternehmen von 
Spaziergängen gestatten, sie müssen auch den Wärmeverlust ertragen können, der 
heim Aufenthalt in der bewegten Seeluft unvermeidlich ist. 

Trotz dieser Beschränkung bleibt noch eine Menge von Leidenden übrig, denen 
eine Ueberwinterung an der Nordsee Heilung bringen kann. Die Patienten von 
Beneke waren zum allergrössten Theil Tuberkulöse, und erst vor kurzer Zeit 
empfahl ein angesehener und bekannter Berliner Kliniker mit warmen Worten das 
Nordseeklima bei der Behandlung Tuberkulöser. Ich kann es mir nicht versagen, 
diesen Ausspruch von Prof. Litten hier zu citieren, den er bei Gelegenheit einer 
Diskussion über Tuberkulose im Verein für innere Medicin in Berlin gethan hat 1 ): 

y> .Der Vortragende hat . . . bei den Vorschlägen,, die er gemacht hat, eines 

Heilfaktors keine Erwähnung gethan: der Seeluft und des Aufenthaltes in derselben. 
Er hat . . . gerathen, die Heilstätten für die Phthisiker vorzugsweise in die Nähe 

*) Vereins beilag e No. 20 der Deutschen medicinischen Wochenschrift vom 27. Juli 19<>1. 


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512 M. Edel, Lässt sich das Klima der Nordseeinseln etc. 

der grossen Städte zu verlegen, während ich es für sehr zweckmässig halten würde, 
ein so erprobtes und allgemein annerkanntes Heilmittel für Lungenkrankheiten, wie 
es gerade die Seeluft ist, in vollstem Maasse für die Tuberkulösen auszunützen und 
die Heilstätten in möglichst grossem Umfange an die Seeküsten zu verlegen, wie 
das ja auch in einer Reihe von Fällen geschehen ist. Die friesischen Inseln, die 
nur zum geringen Theil solche Anstalten besitzen, würden sich für derartige Ein¬ 
richtungen ganz besonders eignen; ich selbst habe mehrere Jahre hintereinander ] 
Gelegenheit gehabt, die glänzenden Heilerfolge der Heilstätte in Westerland auf Sylt 
zu kontrollieren, und ich darf wohl sagen, dass es überraschende Erfolge waren, die 
dort lediglich durch den Aufenthalt in der Seeluft produziert worden sind.« 

Ich brauche kein Wort darüber zu verlieren, wie wichtig Winterkuren gerade 
bei der Tuberkulose sind, möchte aber hier noch besonders betonen, dass es sich 
nur um das Anfangsstadium der Krankheit handeln kann. Fiebernde Tuberkulöse 
gehören im Winter so wenig wie im Sommer an die Nordsee. Aber in der Rekon- 
valecenz und zur Nachkur nach anderen fieberhaften Krankheiten werden sich die 
Winterkuren an der Nordsee vorzüglich empfehlen, wenn gleichzeitig die Prophylaxe 
vor der Tuberkulose ins Auge gefasst werden muss. Gerade zur Verhütung der 
Tuberkulose sehe ich die Winterkuren als besonders werthvoll an. Wenn ein Kranker 
im Herbst eine Pleuritis überstanden hat oder sich bei einem Kinde im Anschluss 
an Masern eine schwere Bronchialaffektion entwickelt, sollen diese den Winter über 
den Schädlichkeiten der Stadtluft ausgesetzt werden und dann erst an die See gehen;' 
Wird der Erfolg nicht viel grösser und nachhaltiger sein, wenn der Patient den 
Winter in der reinen, staub- und bakterienfreien Seeluft verlebt? 

Ich will diese Beispiele nicht häufen, sondern nur noch hinzufügen, dass 
dieselben Indikationen, welche für den Gebrauch des Seeklimas im Sommer gelten, 
mit geringen Modifikationen auch im Winter maassgebend sind. Je sorgfältiger die 
Auswahl der Kranken nach den vorhin angeführten Grundsätzen geschieht, desto 
günstiger werden die Resultate der Winterkuren sein. 


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D. Kutby, Zur Kenntnis» der Teinperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht 513 


III. 

Zur Kenntniss der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht 
während der Heilstättenbehandlung. 1 ) 

Mittheilung aus dem Königin Elisabeth-Sanatorium bei Budapest. 

Von 

Dr. D. Kuthy, 

Privatdozent, dirig. Chefarzt. 

Die intermittierende Fieberkurve des Tuberkulösen erweckt in dem Beobachter 
unwillkürlich Interesse für die täglichen Schwankungen der Temperatur desselben. 
Es ist bekannt, dass die Differenz zwischen Minimal- und Maximaltemperatur an ein 
und demselben Tage beim gesunden Menschen ungefähr 1»C beträgt. Somit wird 
durch diese Ziffer die Tagesschwankung der Körpertemperatur beim normalen 
Organismus gegeben. In der Klimatologie hat man viel mit Schwankungen der 
Luftwärme zu thun, und dort wird diese Spielweite der täglichen, monatlichen etc. 
Wärmegradwerthe »Amplitude« genannt. Wir können diese Bezeichnung wohl 
auf den Schauplatz der klinischen Beobachtung übertragen, und mit der »Ampli¬ 
tude« die tägliche Temperaturschwankung des lebenden Organismus 
bezeichnen. 

Wie bekannt, überschreitet bei kontinuirlichem Fieber die Amplitude 1 0 C 
nicht, dagegen ist sie bei Febris remittens schon beträchtlicher, ohne dass jedoch 
die untersten Temperaturwerthe die Norm erreichen würden, während bei der Febris 
intermittens par excellence die Eigenschaft besteht, dass bedeutende Tagesschwankungen 
der Körperwärme sich zeigen, d. h. grosse Amplituden Vorkommen, mit der Rück¬ 
kehr der Temperaturkurve in gewissen Tageszeiten zur Norm. Das Fieber der 
Lungenschwindsucht zeigt, wie wir wissen, meistens diesen Charakter, und die hohen 
Amplitudewerthe der Phthisiker werden dadurch noch vergrössert, dass die zumeist 
auf die Morgenstunden fallende Intermission oft subnormale Tiefen erreichen kann. 

Wir haben bei denjenigen Kranken, welche in die »Königin Elisabeth-Heilstätte« 
bei Budapest mit Fieber aufgenommen wurden, nicht selten hohe Amplituden be¬ 
obachtet. In den fünf Fällen, deren Temperaturtabelle zuerst vorgezeigt wird, war 
die tägliche Temperaturschwankung 1,6—2,3—2,7—2,8 und 3,2 \C, nach der Reihe 
mit einem Maximum von 38,1 — 38,0 — 38,7 — 39,4 und 38,4° C, und mit einem 
Minimum von 36,5—35,7—36,0—36,6 und 35,2° C (sublinguale Messungsresultate). 
Als das Fieber nachlässt, die täglichen Maxima niedrigere Werthe erlangen, wird 
auch die Amplitude kleiner, da die obere Grenze des täglichen Temperaturganges 

1 ) Vortrag in der Tuberkulosesektion des Königl. ung. AerzteVereins zu Budapest am 
12 . März 1902. (Vorsitzender: Prof. Friedrich v. Koränyi). 


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D. Kuthy 


514 

sich zur unteren nähert. Wenn wir aber die Temperaturkurve aufmerksam betrachten, 
so wird es bald ersichtlich, dass die Amplitude sich oft auch durch das Steigen 
der Minima verkleinert. Von den erwähnten fünf Fällen sind drei gleich solche, 
wo das Sinken der täglichen Maxima durch das gleichzeitige Erscheinen höherer 
Minima begleitet war. Bei einem derselben (17 Jahre alter Mann, II. Stad.) betrug 
das absolute Maximum in den ersten 12 Tagen des Austaltsaufenthalts 38,3 0 C, das 
absolute Minimum 35,4 »C. Von dem 13. bis zum 21. Tage zeigten sich nie mehr 
höhere Werthe als 37,8 0 C und nicht niedrigere als 36,8 0 C. Wir sehen also, dass 
indem die schwach febrile Temperatur bei dem Manne sich zur Schwelle des 37 0 C 
mit 0,5 °C näherte, kam das Minimum zu derselben mit 1,4° C näher. In einem 
zweiten Fall (43 Jahre alter Mann, I. Stad.) war in den ersten Zeiten das absolute 
Maximum 38,7° C, die niedrigste Temperatur 35,5 0 (■; im zweiten Zeiträume seines 
Anstaltaufenthaltes war die höchste Körperwärme 37,8 0 C, die niedrigste 35,8 0 C 
gewesen. In einem dritten Falle (20 Jahre alter Mann, I. Stad.) fanden wir bei 
38,8 0 C absolutes Maximum, 35,1 o C als absolutes Minimum, und während die höchste 
Temperaturziffer sich mit 0,5 <>C erniedrigte (38,3° C), stieg das absolute Minimum 
bis 36,0° C, d. h. um 0,9° C. 

Kommt eine Exacerbation des Fiebers vor, so zeigen sich oft, wie es eben 
auch der letzterwähnte Fall demonstrierte, wieder subnormale Minima, ohne dass 
der Kranke einen bemerkbaren Nachtschweiss gehabt hätte. Der betreffende 20 jährige 
Jüngling zeigte in der fünften Woche seines Heilstättenaufenthaltes von neuem einen 
etwas erhöhten Temperaturgang: das absolute Maximum betrug 38,6 0 C, und das 
absolute Minimum sank in demselhen Zeiträume bis 35,7 ® C, d. h. die Amplitude 
des Kranken hatte eine Zunahme nach beiden Richtungen hin erlitten. Im Gegen- 
theil: je mehr der Kranke stufenweise afebril wird, umso deutlicher tritt die Ver¬ 
minderung seiner Amplitude zum Vorschein. Was dann noch interessanter gewesen 
ist und mir als eine neue Beobachtung galt, war folgendes: während der schon 
völlig fieberlosen Zeit fand noch eine weitere Abnahme der täglichen 
Temperaturschwankung statt, und es zeigten sich beim Heilstättenleben sub¬ 
normale, ja sogar weniger als die Hälfte des Normalen betragende Amplituden 
(0,4—0,3—0,2° C), wie es die vorgeführten Tabellen demonstrieren. Derjenige Kranke, 
welcher am 28. Dezember 1901 eine Temperaturschwankung von 1,6 0 C hatte 
(36,5—38,1° C), liess am 16. Januar 1902 nur 0,4° C (36,3—36,7 0 C), am 21. Januar 
0,3 °C (36,5—36,8° C) Amplitude beobachten. Jener 43 Jahre alter Mann, der am 
19. Dezember 2,7 0 C Temperaturschwankung zeigte, vollführte seine Messungen am 
4., 5. und 6. Februar stets gleichmässig mit einer Amplitude von 0,6 ° C. Diese 
auffallende Verkleinerung des täglichen Temperaturschwankens wird durch einen 
Blick an die Minimal-Maximal-Tabelle sofort ersichtlich; noch instruktiver ist aber 
diejenige graphische Abbildung der Verhältnisse, wenn wir einerseits die absoluten, 
andererseits die durchschnittlichen Minima und Maxima der betreffenden Zeiträume 
der Anstaltsbehandlung an der Fiebertabelle mit geraden Linien von zwei ver¬ 
schiedenen Farben verbinden. Die Konvergenz der Striche gewährt uns eine auf¬ 
fallende Uebersicht über das Minderwerden der täglichen Temperaturschwankung 
während des Heilstättenlebens. 

Wenn wir nun die Beobachtung weiter führen, so erfahren wir, dass die Ampli¬ 
tude der subfebril ankommenden Kranken sich mit der Zeit auch ziemlich stark 
verkleinert, hier später oft ausschliesslich durch das Steigen der Minima. Ein 


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Zur Kenntoiss der Temperaturechwankungen bei Lungenschwindsucht. 515 

28 Jahre alter Patient (III. Stad.) zeigte im ersten Monat seines Hierverweilens 37,8 ® C 
als das höchste Maximum und 36,0 0 C als die niedrigste Temperatur, somit eine 
absolute maximale Amplitude von 1,8° C. Für den zweiten Monat sind die be¬ 
treffenden Zahlen: 37,5—36,2 = 1,3° C, im dritten Monat: 37,4—36,4 = 1,0° C. Die 
durchschnittliche Amplitude war im letzten Monat nur mehr 0,7 °C, und die detaillierte 
Besichtigung der Fiebertabellen lässt erkennen, dass der Patient in den letzten 
Wochen seiner Anstaltsbehandlung an manchen Tagen nicht mehr als 0,5 0 C 
Temperaturschwankung hatte. Der Durchschnitt der täglichen Maxima ist bei dem¬ 
selben binnen zwei Monaten auf einer Höhe geblieben (37,2 0 C), dagegen hat sich 
der Mittelwerth der Minima von 36,3 0 C bis 36,5 0 C gesteigert. 

Jedoch verdienen die Beobachtungen, welche an schon von Anfang völlig 
fieberlosen Kranken gemacht werden können, das meiste Interesse. In allen 
Stadien der Lungentuberkulose kommen absolut afebrile Patienten zur Beobachtung, 
deren Temperaturschwankungen dennoch unregelmässig gross sind. Die Temperatur¬ 
kurve zeigt einen ausgesprochen intermittierenden Charakter, wobei aber sämmtliche 
Oscillationen der Körperwärme unter 37,5 0 C verlaufen, welche Schwelle auch durch 
die absoluten Maxima nicht überschritten wird. Solche Fälle — in ihrer klassischen 
Form — haben wir in den ersten vier Monaten der Thätigkeit unserer Anstalt zwei 
gesehen. Der eine Fall betraf ein 22jähriges Mädchen (III. Stad.), der andere einen 
20jährigen Jüngling (I. Stad.). 

In beiden Fällen konnten wir mittels der geordneten, ruhigen Lebensweise und 
der beigefügten Behandlung erreichen, dass die hypernormale Amplitude sich ver¬ 
minderte und später auf subnormal kleine Werthe sank. Die erwähnte Patientin 
wurde am 4. Januar 1902 versuchsweise aufgenommen mit einer ausgebreiteten In¬ 
filtration an der linken und mit einer ziemlich grossen Dämpfung an der rechten 
Seite. In den ersten neun Tagen war das absolute Maximum 37,5 0 C, das absolute 
Minimum 35,1 °C, im Durchschnitte ergaben die Maxima 37,2 °C, die Minima 35,4 °C. 
Im Zeiträume zwischen dem 10. und 22. Tage war das absolute Maximum 37,3 0 C, 
das absolute Minimum aber schon 35,8 0 C; durchschnittliches Maximum 37,2 0 C, 
durchschnittliches Minimum 36,2 0 C. Somit betrug die durchschnittliche 
Amplitude in den ersten neun Tagen der Heilstättenbehandlung 1,8 0 C, von dem 
10.—22. Tage nur mehr 1 0 C. In der vierten Woche des Anstaltsaufenthalts ver¬ 
kleinerte sich die Amplitude noch mehr und zwar durch die Annäherung der Minima 
zur Schwelle des 37 0 C. In dieser Zeit war das durchschnittliche Maximum 37,2 0 C, 
das durchschnittliche Minimum 36,6 ° C, die Amplitude also im Mittel 0,6 0 C, beinahe 
die Hälfte des Normalen. Während also der Temperaturgang der Patientin in den 
ersten Zeiten sozusagen eine »febris hectica subnormalis« vorgespielt hat, nahm 
derselbe schon zu Ende des ersten Monats der Behandlung einen mit ganz kleinen 
Schwankungen um 37,0 0 C oscillierenden Charakter an. Der zweite Fall war ganz 
analog. In einer weiteren Serie von Temperaturtabellen, welche wir der geehrten 
Versammlung vorzuführen im stände' sind, ist die ähnliche, wenn auch nicht so 
äusserst augenfällige Veränderung des Temperaturganges ersichtlich. 

Im allgemeinen kommt eine Verminderung der Amplitude unter die Norm 
während der Heilstättenbehandlung sehr oft zum Vorschein, ja es giebt Fälle, wo wir 
gleich von Anfang an eine ganz kleine Tagestemperaturschwankung wahrnehmen, und 
letztere haben meistens eine gute Prognose, während der zweiterwähnte klassische 
Fall (20jährige Jüngling) der fieberlosen grossen Amplitude nebst ganz geringem 


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516 D. Kuthy 

Lungenbefunde eine ziemlich protrahierte Besserung zeigte und auch während fünf¬ 
monatlicher Anstaltsbehandlung nicht »emporblühen« wollte. — Ein Fall von 
denjenigen, welche gleich ab ovo kleine Amplituden hatten, liess trotz interkurrenter 
Magenbeschwerden in 2 1/2 Monaten 6,2 kg Zunahme erkennen, ein anderer hatte in 
2 1 /« Monaten, ein dritter hinnen 9 Wochen die stattliche Körpergewichtszunahme 
von 11 kg erreicht. 

Wir halten somit die Verminderung der Amplitude für eine günstige Er¬ 
scheinung, nicht nur deswegen, weil dieselbe anfangs gleichzeitig das Fieberlos werden 
der Kranken bedeutet, sondern auch an und für sich als ein erwünschtes Phänomen. 
Je mehr es uns gelingt, die tägliche Temperaturschwankung einzuschränken, umsomehr 
sind wir mit dem Erfolge unserer Behandlung zufriedengestellt. Wir kämpfen nicht 
nur gegen das auffallendste Symptom des Fiebers, gegen die erhöhten Temperaturen, 
solange sie da sind, sondern auch, wenn das Fieber schon verschwunden ist, gegen 
die hypernormalen Tagesschwankungen der Körperwärme, weil wir erfahren haben, 
dass die Verminderung der Amplitude in der Mehrzahl der Fälle auch mit anderen 
Besserungserscheinungen einhergeht. 

Derjenige 20jährige männliche Patient, welcher am 30. Dezember 1901 uoch 
eine Amplitude von 1,6° C zeigte, offenbarte von seiner Aufnahme (14. November) 
bis zu dem erwähnten Termin nur eine mässige Besserung. Obwohl er an Körper¬ 
gewicht im allgemeinen zugenommen hatte, zeigte die Gewichtskurve doch auch ein 
nicht unbedeutendes Schwanken; der Appetit hat sich gebessert, doch die Nacht- 
schweisse blieben nicht ganz aus; zeitweise störten auch arge Hustenanfälle die 
Euphorie des Kranken. Bis zu dem 20. Januar 1902 war die Amplitude auf 0,5 °( 
gesunken, und der Patient zeigte nunmehr eine ungestörte Zunahme an Gewicht, der 
Nachtschweiss blieb aus, Allgemeingefühl und Kräftezustand besserten sich; und als 
der Jüngling am 10. Februar die Anstalt mit konstant kleinen Amplituden und einen) 
Plus von 6,5 kg an Gewicht verliess, konnten wir die Aufzeichnung in die Kranken¬ 
geschichte einführen, dass sich in den letzten drei Wochen auch das Husten stark 
vermindert hat. — Bei einem anderen Patienten, ein Jüngling mit 17 Jahren, im 
zweiten Stadium der Krankheit, war nur dann erst Gewichtszunahme vorhanden, als 
seine ursprünglich im Durchschnitt 1,6«C grosse Amplitude auf 0,7 0 C gesunken 
ist; gleichzeitig besserten sich Appetit und Kräftezustand, die Menge des Auswurfs 
wurde geringer, Dyspnoe zeigte sich nicht mehr. — Ein 40 Jahre alter Sicherheits¬ 
beamter ist mit einer Infiltration an der Supra- und Infraklavikulargegend, mit 
konsonierendem Rasseln und mit einem Fieber von über 39 0 C aufgenommen worden. 
Am dritten Tage war er bereits afebril und hatte normale (ca. 1 «C)Tagesschwankungen; 
vom sechsten Tage seines Anstaltslebens kamen schon 0,5« C Amplituden vor, und 
die Zeichen der allgemeinen Besserung blieben auch nicht aus. Die Gewichtszunahme 
betrug in der ersten Woche 1,2 kg, in der zweiten 2,5 kg (bis die vorliegende Arbeit 
zur Uebersetzung in das Deutsche gelang, hatte der betreffende Patient binnen neun 
Wochen 16,2 kg zugenommen). — Ein 20jähriger Setzer ist uns mit rechtseitiger 
Spitzenaffektion zugekommen. Er hatte in den ersten zwei Wochen, wo seine Ampli¬ 
tude im Mittel 2,0° C gewesen ist, nur 0,8 kg Zunahme; während der dritten und 
vierten Woche sank die Amplitude auf 1,2° C, und das neuerrungene Plus an Körper¬ 
gewicht betrug 2,5 kg. Die fünfte und sechste Woche seines Anstaltsaufenthaltes 
brachte wieder grössere Temperaturschwankungen (1,6° C im Durchschnitt), in dieser 
Periode nahm der Kranke nicht zu, und erst dann zeigte die Gewichtskurve einen 


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Zur Kenntnis» der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht. 517 

bedeutenden Fortschritt von mehr als 4 kg, als in den späteren Wochen die durch¬ 
schnittliche Amplitude sich bis 0,6 0 C stufenweise verminderte. Der Zustand des 
Patienten besserte sich gleich mit der ersten Abnahme seiner Amplituden. Bei der 
Aufnahme bestanden Nachtschweisse, hohe Pulszahl (stehend 128), viel Auswurf 
(tagsüber zwei bis drei grosse Dettweiler-Flaschen). Nach vier Wochen beträgt 
Pulsfrequenz (stehend) 100, Nachtschweisse wurden selten, Auswurf auf ein Drittel 
des ursprünglichen verringert, Appetit sehr gut, Allgemeingefühl gebessert, Kräfte¬ 
gefühl merklich gehoben. 

Die vorgeführten Fälle sind deshalb nicht genügend beweiskräftig, weil bei 
diesen im Zeiträume der grossen Amplitude anfangs mehr oder weniger fieberhafte 
Temperaturbewegungen vorhanden waren (der Reihe nach: 37,8—37,7—39,2 [während 
zwei Tage] —38,0 °C durchschnittliche Tagesmaxima). Völlig demonstrativ ist der 
Verlauf von jenen Fällen, wo die hohen Amplitudewerthe bei total afebrilem 
Zustande des Kranken zur Beobachtung gekommen sind. 

Bei jener 22 Jahre alten Patientin, welche anfangs 1,8° C durchschnittliche 
Amplitude (Minima im Mittel 35,4 » C) zeigte, traten schon Symptome der Besserung 
in den Vordergrund, als die stufenweise sich vermindernden Tagesschwankungen 
1,0° C erreicht hatten. Bis die Amplitude auf 0,6 °C gesunken ist, war bei der 
Kranken (schwerer Fall) 4,6 kg Körpergewichtszunahme zu konstatieren, der Appetit 
besserte sich in hohem Maasse, der Kräftezustand wurde gehoben, der Auswurf an 
Quantität geringer, die früher andauernde Athemnoth war nur mehr sporadisch vor¬ 
handen. Dieselbe Patientin besass in der siebenten Woche der Behandlung nur 
mehr eine Durchschnittsamplitude von 0,4° C, und sie erreichte in der neunten 
Woche ihres Anstaltsaufenthaltes eine Gewichtszunahme von 8 kg, obwohl bei der 
Aufnahme manche Bedenken laut wurden, ob die sanatorielle Therapie ihr nocli 
Nutzen bringen wird. 

Selbstredend wird die Amplitudengrösse bei febrilen Kranken durch Anti- 
pyreticis beeinflusst. Bei dem schon erwähnten 20jährigen Buchdrucker haben wir 
die durchschnittliche Höhe seiner Tagesmaxima anfangs mit ('hinin, später mittels 
Pyramidondosen von 38 0 C auf 37,6 ® C herabgesetzt. Auf täglich zweimal 0,30 
Pyramidon verminderte sich die 1,5 «C hohe Amplitude schon am zweiten Tage auf 
0,5 0 C, dadurch, dass das Maximum näher zu 37,0° C rücken musste; sofort aber 
als wir täglich nur einmal 0,30 Pyramidon reichten, kam gleich an dem ersten Tage 
der neuen Regime eine Tagesschwankung von 2,0 0 C zur Beobachtung, und auch die 
späteren gaben stets höhere Werthe. Nachdem die medikamentöse Therapie aus¬ 
gesetzt wurde, vergrösserte sich die Amplitude durch verschieden intensive febrile 
Steigerungen zusehends, bis wir sodann dem Patienten absolute Bettruhe ver- 
ordneten und ihn mit kleinen Unterbrechungen drei Wochen bei derselben verbleiben 
Hessen. Im Bette bekam der Kranke morgens partielle kalte Abreibungen; später, 
nachdem nach Ablauf der dritten Woche das Bett gänzlich verlassen wurde, bestand 
die hydriatische Behandlung in ganzen Leintuchabreibungen mit kaltem Wasser 
(8—10° C). Mittels der die Körperbewegung reduzierenden Kurverordnung liess sich 
der Durchschnitt der Maxima auf 37,5 0 C, die der Amplituden auf 1,1 «C herab¬ 
setzen. Das Verlassen des Bettes hatte dann für zwei Tage höhere Temperatur¬ 
schwankungen zur Folge (Amplitude 1,5° C mit subfebrilem Temperaturgange), welche 
sich später bei den auf einem Trakte der Heilstätte beschränkten Bewegungen des 
Kranken langsam verkleinerten (1,3 — 1,2 —1,0° C), wobei die Tagesmaxima (selbst- 


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D. Kuthy 


518 

redend ohne Antipyreticis) 37,6« C nicht mehr überschritten. Eine interkurrente 
Hämoptyse fesselte den Kranken nochmals vier Tage lang zum Bette, in dieser 
Periode kamen Tagesschwankungen von 0,4—0,3—0,2° C zur Beobachtung; als der 
Patient nun diesmal das Bett verliess, zeigten sich nochmals grössere Amplitude- 
werthe (1,1 —1,2 —1,3 0 C), doch dieselben erreichten 1,5« C nicht mehr, und nach 
einer für drei Tage eigens deshalb wiederholten Bettruhe blieb die Tagesschwankung 
der Körperwärme dauernd klein, derart, dass sie bei dem steten Aufsein des Kranken 
(nur das Stiegensteigen wurde ihm verboten, Lift) bereits unter dem normalen 
Werthe geblieben ist (im Mittel 0,6 0 C). 

Aehnlicherweise, jedoch viel rascher, schon am zweiten Tage der Bettruhe 
wurde das mässige Fieber behoben bei einem anderen Kranken (20 jähriger 
Jüngling), bei welchem während neun Tage fortgesetztem Bettliegen die anfangs 
1,3—1,6« C grossen Amplitudewerthe auf 0,9—0,7—0,6—0,5—0,4—0,3® C gesunken 
sind und auch später beim Aufsein der Kranken (endlich auch mit Treppensteigen) 
nicht höhere Ziffern erreicht hatten. In der Periode der Bettruhe wurden hier 
ebenfalls partielle kalte Abreibungen angewendet 

Bei dem 40 Jahre alten Sicherheitsbeamten hatten Bettruhe und die öfters 
gewechselten kalten Stammumschläge das 39« C überragende Fieber schon am dritten 
Tage der Behandlung eingestellt. In der zweiten Hälfte des zehntägigen Bettliegens 
dominierten schon kleine Amplituden von 0,5 0 C. Als der Patient aufgestanden, 
hatte er am ersten Tage eine Temperaturschwankung von 1,6« C, am zweiten 0,8« C, 
am dritten 0,3«C, und die Amplitudewerthe blieben nunmehr stets die erwünschten 
subnormalen (kein Treppensteigen, Aufzuggebrauch). — In einem anderen Falle 
(43jähriger Mann) konnte die physische Ruhe (Bettruhe während zwölf Tage) die 
Temperaturschwankungen nur mit ungenügender Intensität einschränken. Als der 
Kranke das Bett verliess, zeigten sich von neuem 1,5® C und noch grössere Ampli¬ 
tuden (Maxima 38—38,4« C). Wir verordneten nun abermals Bettruhe und ausser¬ 
dem täglich über eine Woche — Herzkühlung. Auf diese Weise konnte man 
erreichen, dass die Amplitude gegen Ende der genannten Woche unter 1«C herab¬ 
sank und die Maxima 37,6« C nicht mehr überschritten haben. — Beider erwähnten 
22 Jahre alten Patientin, welche die grossen Amplitudewerthe bei völlig afebrilem 
Temperaturgange zeigte, hatten wir zwar die Körperbewegungen eingeschränkt, 
doch keine Bettruhe verordnet, sondern wir liessen der morgens applizierten kalten 
Theilabreibung wochenlang stets Herzkühlung folgen. Wie wir gesehen haben, hat 
sich die Amplitude konsequent verkleinert, trotzdem wir später mit der subjektiven 
Besserung der Kranken der Körperbewegung immer mehr Platz geben konnten. 

Es ist seit langem bekannt, dass die physische Ruhe das Erlöschen des Fiebers 
bei der Lungenschwindsucht befördert, in der vorliegenden Arbeit wollten wir auch 
nicht dies hervorheben, sondern die Aufmerksamkeit der klinischen Beobachtung auf 
die besondere Wichtigkeit der Temperaturschwankungen des Phthisikers auch bei 
völlig afebrilem Zustande hinlenken. 

Nach unserer Auffassung kann die Thatsache, dass die Amplituden der Lungen¬ 
kranken sich während der sanatoriellen Behandlung subnormal klein gestalten, als 
ein Dokument dafür dienen, dass es uns gelungen ist, den kranken Organismus in 
einem Stoffe sparenden Zustand zu versetzen. 

Die normale Wärmeproduktion unseres Körpers, sowie die aller homoiothermen 
Organismen, richtet sich zu dem Zwecke der konstanten Aufrechterhaltung der 


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Zur Kenntnis» der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht. 519 

normalen Temperatur ein und wird im allgemeinen durch die wechselnde Grösse 
des Wärmeverlustes beeinflusst. Der tagsüber thätige Mensch produziert aber während 
des Tages mehr Wärme als er ausgiebt, daher zeigt sich beim gesunden Individuum 
in den Abendstunden eine relativ erhöhte Temperatur, eine physiologische Temperatur¬ 
steigerung, weshalb wir beim gesunden Menschen eine normale Amplitude von 1 0 C 
finden können. Diejenige Menge von Wärmekalorieen, welche der physiologischen 
Temperaturerhöhung der Abendstunden ungefähr entspricht, ist als eine Folge der 
tagsüber geleisteten physischen und psychischen Thätigkeit, d. h. ein Nebenprodukt 
der bei der Arbeit stattgehabten Energieumwandlung, aufzufassen. Während in dem 
Zustande des Wachseins am Tage die chemische Energie der Körpersubstanzen sich 
in geistige Arbeit und Bewegung umbildet, wird auch Wärme erzeugt. Ein Theil 
dieses Wärmeplus kann in der Form der normalen abendlichen Temperatursteigerung, 
noch instruktiver in der Form der normalen Amplituden beobachtet werden und 
als Indikator des Energieverbrauchs, d. h. Stoffekonsums seitens des Körpers 
an dem betreffenden Tage, dienen. Wir wissen aus den Beobachtungen Krieger’s, 
dass, wer bei Tag schläft und bei Nacht arbeitet, bei dem auch der Temperaturgang 
der 24 Stunden völlig entgegensetzt ist, indem die Maxima sich morgens, die Minima 
sich abends zeigen. 

In diesem Sinne halte ich die Verkleinerung der Amplitude des Lungenkranken 
im Laufe der Sanatorienbehandlung für sehr bedeutungsvoll. Wenn es uns gelingt, 
mit der vorgeschriebenen Lebensweise und Kurverordnung die tägliche Temperatur¬ 
schwankung von 1 0 C auf die Hälfte oder noch mehr zu vermindern, so zeigt uns das 
ein wichtiges Resultat an. Es deutet darauf hin, dass der kranke Organismus, dessen 
Einnahmen wir durch unsere roborierende Kur zu erhöhen suchen, nunmehr in 
seinen Ausgaben sparsam wird, an chemischer Energie, welche in seinen Körper¬ 
substanzen aufgespeichert liegt, weniger verbraucht, in einem Zustande der Stoffe¬ 
apposition gelangen kann und so aus der Dekadenz, welche ihm theilweise die 
ätiologischen Momente, theilweise die Tuberkulose selbst, bereiteten, sich langsam 
retten wird. 

Von diesem Standpunkte aus beobachteten wir eingehend die Tagestemperatur¬ 
schwankungen unserer sämmtlichen Kranken, und aus diesem Grunde trachten wir 
stets die Amplitude, auch bei ganz Fieberlosen, möglichst zu verkleinern. 


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520 


G. L. Mamlock 


Kritische Umschau. 


Zusammenfassende Uebersicht über das Adrenalin. 

Von 

Dr. 0. L. Mamlock 

in Berlin. 

Im fünften Band dieser Zeitschrift hat Lewandowsky *») in einem kritischen 
Aufsatz über die Organtherapie sich auch besonders über die Behandlung mit Neben¬ 
nierenpräparaten ausgesprochen; er hat in mustergiltiger Weise unter eingehender 
Berücksichtigung der Nebennierenpathologie die verschiedenen Prinzipien der Therapie 
erörtert, und zum Theil auf Grund eigener experimenteller Studien eine Reihe neuer 
wichtiger Gesichtspunkte festgelegt. Trotzdem bleiben, wie der Autor auch selbst 
erklärt, noch genug Fragen auf diesem Gebiete ungelöst, und so würde an sich schon 
eine erneute Prüfung des Themas geboten sein. Des weiteren kommt nun aber hinzu, 
dass durch eine Reihe neuer Mittheilungen aus dem Gebiete der Nebennierenpathologie 
und Therapie die ganze Frage in ein anderes Licht gerückt wird. Nicht nur die 
übergrosse Zahl der Publikationen, sondern namentlich eine Reihe zunächst nicht 
immer in Einklang zu bringender physiologischer und pharmakologischer Thatsachen 
fordern dazu auf. Dieselben knüpfen sich zumeist — wenn auch nicht alle — 
an das neueste Nebennierenpräparat, das Adrenalin, an, in dem offenbar das wirk¬ 
same Prinzip der Nebenniere in Form einer Base vorliegt. 

Das Adrenalin wurde von dem amerikanischen Chemiker Dr. Takamine 44 ) 
durch folgendes Verfahren zuerst dargestellt: 

Man lässt die Nebennieren mehrere Stunden macerieren, fügt zu dem Macerations- 
wasser Bleiacetat, filtriert, konzentriert die Lösung durch Eindampfen und behandelt 
mit Alkohol. Nach Verjagung desselben macht man die Lösung durch Ammoniak 
oder Natronlauge alkalisch, wodurch das Adrenalin gefällt wird. Darauf filtriert 
man, wäscht den Niederschlag mit Alkohol und Aether, und trocknet ihn an der Luft 
und im Vakuum. Battelli 4 ) hat dies Verfahren in wesentlichen Punkten verbessert 
Einmal verwendet er nur die Marksubstanz, da in der Rinde, wie Taramasio 45 ), 
Lewandowsky und Mr. und Mme. Christiani») gezeigt haben, die eigentlich wirk¬ 
same Substanz nicht enthalten ist. Zweitens fällt Battelli vor dem Verdunsten des 
Alkohols mittels Sublimat noch verschiedene indifferente Substanzen, die bei der 
oben genannten Behandlung zusammen mit dem Adrenalin ausfallen würden. Ausser¬ 
dem ersetzt er die Filtration durch Centrifugieren, um zu vermeiden, dass sich das 
Adrenalin an der Luft oxydiert, was namentlich bei Gegenwart von Alkali leicht ge¬ 
schieht, und wodurch sich nach Taramasio ein inaktiver Körper bildet. Gerade 
beim Adrenalin ist eine genaue Kenntniss der chemischen Eigenschaften durchaus 
nöthig, da ohne eine solche ein Verständniss der Wirkung des Mittels nicht möglich ist. 

Nach dem mitgetheilten Verfahren erhält man das Adrenalin als gelblichweissen 
Körper, von schwach alkalischer Reaktion, bitter schmeckend, leicht in warmem, 
schwer in kaltem Wasser löslich, und in verschiedenen Formen krystallisierend. 
Takamine fand für das Adrenalin die Zusammensetzung C l0 H, 5 NO s , während 
Aldrich 1 ) die Formel C ? H 13 NOj angiebt. Adrenalin wird nicht gefällt durch Jod¬ 
quecksilberjodkalium, Pikrinsäure, Gerbsäure, Phosphorsäure, Phosphormolybdän¬ 
säure , Quecksilberchlorid, Kaliumchromat und Platinchlorid. Eine wässrige 
Adrenalinlösung mit Eisenchlorid behandelt giebt eine Grünfärbung, die auf Zusatz 
von Alkali in Roth übergeht. Hierauf beruht eine Methode, den Gehalt einer 
Adrenalinlösung kolorimetrisch zu bestimmen. 


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_ UNIVERSITY QF MICHIGAN. _ 



521 


Zusammenfassende Uebcrsicht über das Adrenalin. 


Man hat es also im Adrenalin mit einer wohlcharakterisierten, einheitlichen 
Substanz zu thun; es bedeutet dies einen erheblichen Fortschritt. Denn wenn bisher 
die Erfolge der Nebennierentherapie hinter den Erwartungen zurückblieben, so lag das 
zum grossen Theil daran, dass die verschiedenen im Handel befindlichen Präparate in 
ihrer Wirkung nicht konstant waren. Darauf sind auch die ungünstigen Erfahrungen 
und widersprechenden Angaben von Kinneir 21 ), Kühn 2 «) und Kirchner 2S ) zurück¬ 
zuführen. Während z. B. Rosenberg 38 ) mit dem Extract. glandul. supraren. gute 
Resultate erzielte, konnten sich Moure und Brindel 81 ) nicht davon überzeugen. 

Ein weiterer Vorzug ist der, dass man nun in der Lage ist, genaue Dosierungs¬ 
vorschriften zu geben und die physiologische Wirkung der wirksamen Substanz in 
der Nebenniere zu studieren. 

Bezüglich der physiologischen Eigenschaften der Nebennierensubstanz überhaupt 
und des Adrenalins im besonderen sind von den verschiedensten Forschern eine 
grosse Reihe von Beobachtungen gemacht, die jedoch bisher noch nicht zu einem 
vollen Verständniss seiner Wirkung genügen. Nur soviel steht fest, dass Adrenalin 
eine Kontraktion der peripheren Gefässe bewirkt, dadurch einmal styptisch und 
andrerseits blutdruckerhöhend wirkt. Betreffs des Zustandekommens der letzteren 
Wirkung entstehen nun schon Schwierigkeiten in der Erklärung, indem von Gottlieb 18 ) 
z. B. eine direkte Einwirkung auf das Herz angenommen wird, während die Mehrzahl 
der anderen Forscher, wie auch Lewandowsky, meint, die glatte Muskulatur werde 
direkt erregt durch die wirksame Substanz, und so käme eine Kontraktion der 
Kapillaren zu Stande; dieselbe führe zu Blutdruckerhöhung und wirke damit gleich¬ 
zeitig günstig auf das Herz. 

Nun ist jedoch zu bedenken, dass nach Lewandowsky verhältnissmässig 
enorme Mengen von Nebennierensubstanz schon in kürzester Zeit im Organismus 
zerstört, bezw. ihrer blutdruckerhöhenden Fähigkeit beraubt werden; so macht z. B. 
eine Instillation von Nebennierensubstanz in das Auge zwar die Konjunktiva blass, 
zu einer Wirkung auf die Pupille kommt es jedoch nicht, da das wirksame Prinzip 
zu labil ist. Es ist daher schwer zu verstehen, dass bei einer offenbar so rasch vor¬ 
übergehenden Wirkung auf die Gefässwandung sich eine Blutdrucksteigerung bemerk¬ 
bar machen sollte. Weiter müsste bei einer solchen ja auch der styptische Effekt 
ein viel geringerer sein. 

Bekanntlich kommt es selbst bei Unterbindungen beider Nierenarterieen, wie 
Senator 13 ) bemerkt, nicht zu einer Erhöhung des Blutdruckes; zum Zustandekommen 
eines solchen bedarf es einer weit länger dauernden Beeinflussung des Gefässsystems, 
als das bei Nebennierensubstanzanwendung der Fall ist. Sowohl bei innerlicher wie 
subkutaner Darreichung von Adrenalin würden ja immer zunächst nur die unmittel¬ 
bar betheiligten Gefässbezirke konstringiert, und zahlreiche Kollateralbahnen wären 
gangbar. Eine nennenswerthe Blutdruckerhöhung könnte ja nur zu Stande kommen, 
wenn auf das gesammte Cirkulationssystem gleichzeitig die vasokonstriktorische 
Wirkung ausgeübt wurde; man würde dann, ähnlich der von Senator angenommenen 
Erklärung bezüglich der Entstehung der Blutdruckerhöhung bei Nierenaffektionen, 
sich die Verhältnisse bei der Adrenalinanwendung erklären können. Jedoch wirkt 
letzteres viel zu kurze Zeit im Gegensatz zu der Retention von Harnbestandtheilen bei 
Nierenleiden, die ja erst eine ziemliche Weile dem Steigen des Blutdruckes vorangeht. 

Die Annahme, dass der Blutdruck nach Anwendung von Nebennierenpräparaten 
gesteigert werde durch Kontraktion der Kapillaren, genügt also nicht zu einer be¬ 
friedigenden Erklärung. Dazu kommt, dass, wie Bukofzer 8 ) gezeigt hat, keineswegs 
sich die gefässverengernde Wirkung des Adrenalins auf die Kapillaren beschränkt, 
sondern sich auch bei direkter Berührung auf Arterieen und Venen erstreckt. 

Vielleicht ist daher die Annahme gerechtfertigt, dass die Nebennierensubstanz 
bezw. Adrenalin durch Reizung der Gefässnerven auf die von Schiff 11 ) entdeckte 
rythmische Verengerung und Erweiterung der Gefässe wirke; eine Störung dieser 
»periodisch-regulatorischen Gefässbewegung« (Landois 27 ) würde sich nun auch mit 
einigen anderen Beobachtungen bei Nebennierentherapie vereinigen lassen. Zunächst sei 
noch bemerkt, dass nach Lewandowsky allerdings gerade bei Addison’scher Krankheit 
Cirkulationsstörungen im Hintergrund stehen; allein die Pigmentierung bei Addison 

Z«ltsohr. f. di»t u. phyülk. Therapie. Bd. VI. Heft 9 3 g 


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522 G. Ii. Mamloek 

ist nach Riehl 37 ) und Tizzoni 48 ) eine Folge von Gefässveränderungen, und diese 
letzteren können nach Untersuchungen von Nothnagel 32 ) und Recklinghausen 35 ) 
sehr wohl bedingt sein durch Aenderung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes. 

In besonderem Maasse ist die bemerkenswerthe Entdeckung von Blum«), wonach 
sich bei Nebennierensaftinjektionen Glykosurie einstellen soll, geeignet, die Wirkung 
der Nebennierenpräparate in einer Beeinflussung der vasomotorischen Nerven zu 
sehen. Die Abhängigkeit des Zuckergehalts vom Blutreichthum der Leber (Landois), 
die nach Aorten- oder Pfortaderkompression eintretende Glykosurie sind längst be¬ 
kannte Thatsachen, die ja für einen Zusammenhang vasomotorischer Störung mit 
Diabetes sprechen. Ferner findet die merkwürdige Thatsache, dass nach Durch¬ 
schneidung der Nn. splanchnici eine vorhandene Melliturie aufgehoben werden kann 
(Landois), vielleicht eine Analogie in dem Zurückgehen des Zuckergehalts bei Diabetes 
nach Nebennierensubstanzbehandlung, was neuerdings von Osborne 33 ) berichtet ist 
Vielleicht würden auch mit der hier ausgeführten Störung in der rythmischen Gefäss- 
bewegung nach Adrenalinanwendung die von Frisch 13 ), Goldschmidt 17 ) u. a. be¬ 
obachteten heftigen Nachblutungen sich erklären. 

Was die Ursache der schnell vorübergehenden Wirkung der Nebennieren¬ 
präparate betrifft, so ist schon bemerkt, dass das Adrenalin sich sehr leicht durch 
Oxydation verändert. Am wenigsten ist dies wohl bei intravenöser Injektion möglich, 
daher denn auch nach Angaben von Lewandowsky, Taramasio, Amat*), Fürth, 
Umber 49 ) u.a. die letztere Anwendungsform die wirksamste, zugleich aber auch wegen 
der Intoxikationsgefahr die gefährlichste ist. Bei der Darreichung selbst sehr grosser 
Mengen von Nebennierensubstanz per os konnte Blum keine Glykosurie nach weisen. 
Auch bei subkutaner Anwendung soll, nach Langlois 28 ), die wirksame Substanz 
durch Oxydation zerstört werden; möglicher Weise wird bei dieser Anwendung aber 
infolge des vasokonstriktorischen Einflusses die Cirkulation und mit ihr die Resorption 
ungünstig beeinflusst Sehr merkwürdig ist allerdings, dass sowohl bei intravenöser 
wie subkutaner Injektion in gleicher Weise Glykosurie eintritt, während sich die 
beiden Anwendungsarten bezüglich der Blutdruckerhöhung verschieden verhalten, eine 
Schwierigkeit, die noch vergrössert wird durch Blum’s Angaben, dass die zucker¬ 
treibende Substanz 1 mit der blutdrucksteigernden identisch ist. 

Der Hauptgrund, dass die Nebennierenwirkung nur eine kurzdauernde ist, sieht 
Lewandowsky, Huismans 20 ) und Umber 49 ) darin, dass die beständige Sekretion der 
Nebenniere nicht durch vereinzelte Injektionen des wirksamen Prinzipes zu ersetzen 
ist. In dieser Erkenntniss hat auch Battelli durch kontinuierliche intravenöse 
Adrenalininfusion versucht, bessere Resultate zu erzielen; jedoch starben ihm seine 
Versuchsthiere nach 10 bis 20 Stunden. Daraus folgt, dass selbst bei einer dauern¬ 
den Zuführung des wirksamen Bestandtheils der Nebenniere 'dieselbe nicht entbehrlich 
ist, und dass es daher, wie Huismans u. a. meinen, unmöglich ist, die Nebenniere 
organotherapeutisch zu ersetzen. Der Körper bedarf eben der lebensfähigen Drüse. 
So fielen denn auch Versuche, Addison’sche Krankheit mit Adrenalin zu behandeln, 
absolut negativ aus. 

Sieht man sich nun die Fälle, in denen durch Nebennierenpräparate bezw. 
Adrenalin wirklich therapeutische Erfolge erzielt sind, genauer an, so sind doch das 
ausnahmslos solche, bei denen die Nebennieren vorhanden und funktionstüchtig waren; 
es handelte sich also im Grunde garnicht um eine Organtherapie im eigentlichen Sinne. 

Die von den meisten Autoren gemachte Beobachtung, dass Adrenalin schon in 
minimalen Dosen wirkt, erfordert in jedem Einzelfalle bei der Dosierung strengste 
Kritik, da ja das Mittel keineswegs indifferent ist. Fürth 74 ) sah bei einem 4 Kilo¬ 
gramm schweren Hunde nach 0,6 —1,2 Milliontelgramm Adrenalin pro Kilo Körper¬ 
gewicht den Blutdruck um 16 —18 mm steigen. Nach Takamine wirkt das 
Adrenalin 625 Mal so stark wie die bisher gebräuchlichen Präparate. 

Taramasio hat in einer grossen Reihe von Experimenten an Fröschen, Meer¬ 
schweinchen und Kaninchen die Eigenschaften und die Wirkungsweise genau 
demonstrieren können. Frösche verhielten sich ziemlich indifferent gegen Adrenalin. 
Bei Dosen von 0,0005—0,004, die subkutan beigebracht wurden, trat vorübergehend 
Dyspnoe, leichte Parese der Extremitäten und Mydriasis ein. Diese Symptome waren 
verstärkt, bei Gaben von 0,01—0,02, führten jedoch nur in wenigen Fällen zum Tode. 


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Zusamroenfasscnde Uebereicht über das Adrenalin. 523 


Bei Meerschweinchen genügten schon Dosen von 0.00025 — 0,0005 Adrenalin, 
um Pulsbeschleunigung und vorübergehend Temperaturnerabsetzung zu erzeugen. 
Ferner entstand jedesmal an der Injektionsstelle eine Mortifikation des Gewebes, die 
unter Zurücklassung einer Narbe heilte. Wandte man Dosen an, die über 0,004 
betrugen, so stellte sich sehr beschleunigte Athmung ein, die Sensibilität wurde 
herabgesetzt, und unter Konvulsionen gingen die Thiere zu Grunde. 

Kaninchen vertrugen ohne erhebliche Störungen des Allgemeinbefindens 0,0031 
bis 0,0045. Bei Gaben von 0,008 g Adrenalin gingen sie unter denselben Er¬ 
scheinungen zu Grunde wie die Meerschweinchen, nur waren die Zuckungen noch 
stärker. Auch hier bildete sich jedesmal an der Einstichstelle ein brandiger Schorf. 

Taramasio kommt zu dem Schluss einmal, dass die tötliche Dosis ziemlich 
konstant ist, sie schwankt um 0,007, liegt in der Mehrzahl der Fälle noch tiefer und 
nur in. ganz wenigen Fällen über 0,008. Die Todesursache ist bei Fröschen Lähmung 
der nervösen Centren. Bei Warmblütern führen Dyspnoe, Lähmungen der willkür¬ 
lichen Muskulatur, Teraperaturherabsetzung, Verlust der Sensibilität zum Tode. Man 
findet dann die Lungen stark kongestioniert und mit blutigem Schaum gefällt. 

Die therapeutische Anwendung des Adrenalins ist noch verhältnissmässig 
selten bei inneren Erkrankungen versucht. 

Benedikt«) giebt bei chronischen Herzerkrankungen tropfenweise von einer 
l°/ 0 igen Lösung von Adrenalin, sodass immer nur 0,00025 g genommen werden. 
Diese Dosis entspräche also von der im Handel befindlichen Adrenalinlösung 
1:1000 etwa 3 — 5 Tropfen, die 0,00015 — 0,00025 g Adrenalin enthalten. Ebenso 
wandte dieser Autor das Adrenalin bei Magenblutung mit Erfolg an. Er empfiehlt 
es nach dem Essen zu geben, damit die Verdauung nicht gestört werde. Ein 
weiterer Grund wäre noch der, dass ein Mittel, welches so intensiv anämisierend 
wirkt, offenbar leicht zu nekrotischen Schleimhautveränderungen führen kann. 

Thomas 4 «) wandte das Adrenalin in Gaben von 3 bis 6 g der Lösung 1:1000 bei 
Hämophilie an. Er Hess diese Menge vierstündlich innerlich nehmen, sodass also 
jedesmal 0,003 — 0,006 g Adrenalin eingeführt wurden; es sind dies schon ziemlich 
hohe Dosen, die keineswegs als ungefährlich gelten können. Allerdings will Thomas 
damit selbst erhebliche Blutungen zum Stehen gebracht haben. 

Viel ausgedehnter ist bisher die äusserliche Anwendung des Adrenalins 
gewesen, z. Th. wohl, weil man seine Wirkung dabei besser kontrollieren kann. 
Namentlich ist es benutzt zur Anämisierung von Schleimhäuten und Stillung von 
Blutungen, v. Frisch 1 ») hat wiederholt bei blutigen Eingriffen an der Harnröhre und 
Blase von Adrenalin Gebrauch gemacht. Es ist das Verdienst von Fürth, darauf 
hingewiesen zu haben, dass diese Behandlung sehr grosse Gefahren haben kann, und 
man, wenn nicht sehr vorsichtig verfahren wird, oft die schwersten Intoxikations¬ 
symptome, wie Ohnmächten und Zuckungen, bekommt. 

Daher sind zur Zeit wohl auch nur geringe Aussichten, das Adrenalin bei aus¬ 
gedehnteren blutigen Operationen zu verwenden, zumal wenn es sich um Organe 
mit grösserer Resorptionsfähigkeit als die Blase handelt. Ganz verbieten wird sich 
der Gebrauch des Adrenalins bei Blutungen post partum, sowie solchen aus Varicen, 
wegen der grossen Gefahr, die beim Eindringen des Mittels in das Venensystem be¬ 
steht Dass man überhaupt bei Uterusblutungen mit Adrenalinanwendung weit 
kommen wird, ist bei der schnell vorübergehenden Wirkung des Präparates fraglich. 

In Fällen vesikaler Hämaturie liess Frisch 100— 150 cm» einer Lösung von 
Adrenalin 1:10000 drei bis vier Minuten in der Blase und brachte so die Blutung 
zum Stehen. Ebenso füllt man behufs endoskopischer Abtragung von Papillomen 
die Blase mit Adrenalinlösung 1:10000. Bei der Operation von Blasentumoren 
durch Sectio alta betupft man nach Eröffnung der Blase die Tumoren und deren 
Umgebung mit Watte, die in Adrenalinlösung 1:1000 getaucht ist. Dies genügt, um 
die Exstirpation der Tumoren in dem anämischen Gewebe fast ganz ohne Blutverlust 
ausführen zu können. Allerdings ist eine Neigung zu oft erheblichen Nachblutungen 
vorhanden, sodass man die Wunden entweder durch die Naht schliessen, oder die 
Blase tamponieren muss. Schwierigkeiten beim Sondieren oder Kathetcrisieren in¬ 
folge Strikturen oder Prostatahypertrophie werden oft beseitigt, wenn man vorher 
1—2 cm» einer Adrenalinlösung 1:1000 instilliert, wodurch die Schleimhaut wenigstens 

36 * 


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524 G. L. Mamlock 


vorübergehend zur Abschwellung gebracht wird. Auch Baratrina 8 ) empfiehlt ganz 
neuerdings auf Grund klinischer Beobachtungen Adrenalininstillationen bei Spasmen, 
sowie Schwellungen und Kongestion der Harnröhre. 

Die weiteste Anwendung fanden bisher die verschiedenen Nebennierenpräparate 
in der Laryngologie und Rhinologie; Bukofzer, der an 21 Patienten bezügliche 
Versuche anstellte, kommt zu bemerkenswerthen Resultaten, die vielleicht die Indi¬ 
kation strenger umgrenzen. Er fand, dass die äusserliche Anwendung von Adrenalin 
bei habituell gewordener Hyperämie der Schleimhaut keinen nennenswerthen Erfolg 
giebt. Auf die Kehlkopf- und Nasenschleimhaut wirkt Adrenalin energisch anämisierend. 
Sehr bewährte es sich auch bei Behandlung von Heiserkeit, die ausschliesslich auf 
einer Hyperämie beruht; allerdings ist die Wirkung nur eine vorübergehende. 
Adrenalin wirkt dabei gleichzeitig anästhesierend; schädliche Nebenwirkungen hat 
Bukofzer nicht wahrgenommen. 

In der Ophthalmiatrie ist ebenfalls ein weitgehender Gebrauch von Adrenalin 
gemacht worden. Kirchner berichtet über gute Resultate, die er mit Einträufelungen 
von Adrenalinlösungen bei den verschiedensten Affektionen, namentlich beim 
katarrhalischen Randgeschwür, Bindehautentzündungen, Glaukom, bei Operationen an 
stark entzündlich gereizten Augen erzielte. Er wandte eine Adrenalinlösung 1:1000 
an, bezw. verdünnte er dieselbe noch auf das Zehnfache mit physiologischer Kochsalz¬ 
lösung, oder destilliertem Wasser. Diese Mittheilungen werden bestätigt durch Er¬ 
fahrungen Darier’s 10 ). Er giebt für die Adrenalinbehandlung die folgenden Vorschriften: 

Für Anämie und Anästhesie bei Fremdkörperextraktionen, Kauterisationen u.s.w.: 
Adrenal. hydrochloric. (1:1000) 0,5 gtt. X 
Cocain hydrochloric. 0,1 

Aq. sterilis. 10,0 

Bei Episkleritis und Frühjahrskatarrh: 

Adrenal. hydrochloric. (1 :1000) gtt. L 
Mydrargyr. cyanat. (1 : 2000) 10,0 

Dosis: Sechs- bis achtmal einträufeln. 

Bei Glaukom: 

Adrenal. hydrochloric. (1 : 1000) 1,0 
Pilocarginin hydrochloric. 0,1 

Eserin salicyl 0,02 

Aq. destill. sterilis. 10,0 

Dosis: Zwei- bis achtmal täglich einträufeln. 

Als Adstringens, besonders bei Diplobacillenkonjunktivitis: 

Adrenal. hydrochloric. (1 : 1000) 1,0 gtt. XX 
Cocain hydrochloric. 0,2 

Zinc. sulf. 0,2 

Aq. destill. 10,0 

Bekanntlich hatte Takamine selbst schon mit einem Tropfen einer Adrenalin¬ 
lösung (1 :10000) eine völlige Anämie der Konjunktiva erzielt. 

Die von vorgenannten Autoren zur Anwendung benutzte Adrenalinlösung hat 


folgende Zusammensetzung: 

Adrenal. hydrochloric. 0,1 

Natr. chlor. 0,7 

Chloretou 0,5 

Aq. destill. 100,0 


Es entspricht dies also einer Lösung von 1:1000. Das salzsaure Salz ist ge¬ 
eigneter, weil sich die Base selbst zu leicht oxydiert. Der Zusatz von Chloreton, 
eines Reaktionsproduktes von Chloroform, Aceton und Alkali, soll die Haltbarkeit 
des Präparates erhöhen, sowie gleichzeitig eine antiseptische und anästhetische 
Wirkung erzeugen. Fabriziert wird diese Lösung von der Londoner Firma Parke, 
Davis & Co. nach Angaben des Chemikers Dr. Jokichi Takamine. In Berlin kommt 
das Präparat durch die Kaiser Friedrich-Apotheke in den Handel, in Flaschen zu 
30 g. Ebenso ist Adrenalin in Krystallen erhältlich. 


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Zusammenfasscndc Uebersicht über das Adrenalin. 525 


Litteratur. 

1) Aldrich, Americ. Journ. of Physiol. 1901. Bd. 5. S. 57. 

2 ) Amat, Bulletin gßnßral de Therapeutic 1902. Bd. 143. S. 888. 23. Juni. 

3) Bartrina, Bulletin mädical 1902. 16. annüe. No. 88. 5. November. 

4 ) Battelli, C. R. de la Society de Biologie 1902. S. 1138. 24. u. 31. Mai und 18. Oktober. 

5) Benedikt, Therapeutical gazettc 1901. 

6) Blum, Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 71. Heft 2 und 3. — Verhandlungen 
ries Kongresses für innere Medicin 1902. Bd. 20. S. 503. — Pflüger’s Archiv 1902. Bd. 90. 

7) Braden Kyle, The Therapeutic gazette 1902. 15. Juli. 

*) Bukofzer, Allgemeine medicinische Centralzeitung 1902. No. 44. — Archiv fürLaryngo- 
logie Bd. 13. Heft 2. S. 241. 

») M. H. Christiani et Mme. A. Christiani, Soc. de Biologie 1902. S. 1124 18. Oktober. 
i°) Darier, Ophthalmologischc Klinik 1902. Bd. 4. No. 13 und Bd. 6. No. 17. 5. September, 
ii) Edel, Münchner medicinische Wochenschrift 1900. No. 52. 
w ) Farlane, Canad. Journ. Med. and Surg. 1901. Mai. 

13) Frisch, Wiener klinische Wochenschrift 1902. No. 31. 

u) Fürth, Deutsche medicinische Wochenschrift 1902. 23. Oktober. — Zeitschrift für phvsiolog. 
('heraie Bd. 26 und 29. — Hofmeisters Beiträge zur chemischen Physiologie Bd. 1. 

13) Gazette des höpitaux 1902. No. 113. 7. Oktober. 

iß) Gerhardt, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 1902. Bd. 44. 

17) Goldschmidt, Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1902. Bd. 34. No. 9. September. 

16) Gottlieb, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 38. S. 99. 
i6) Harm er, Wiener klinische Wochenschrift 1901. No. 19. 

*») Huisinans, Therapie der Gegenwart 1902. S. 341 ff. August. 

•-'i) Hultgren u. Anderson, Studien zur Physiologie u.Anatomie der Nebennieren. Leipzig 1899. 

22 ) Internationales Centralblatt für Laryngologie 1902. Januar, April, Juli. 

23) lngals, St. Paul Med. Journ. 1901. Mai. 

24) Kinncir, Brit. med. Journ. 1902. 8. März. 

25) Kirchner, Ophthalmol. Klinik 1902. No. 12. 

26 ) Kühn, Therapie der Gegenwart 1902. S. 347. August. 

27) Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen 1896. S. 831. 

26) Langlois, Archiv de Physiol. 1898. 

») Lewandowskv, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 5. 

-*w) Mayer, Phil. med. Journ. 1901. 27. April. 

31) Moure u. Brindel, Revue hebdora. de Laryngol. 1901. No. 52. 

32) Nothnagel, cit. nach Landois S. 831. 

33) Osborne, New York med. News 1902. 12. Juli. 

34) Radzych, Allgemeine medicinische Centralzeitung 1902. Jahrg. 71 No. 84 u. 85. Oktober. 

35) Recklinghausen, cit. nach Landois S. 831. 

36) Reynolds, Am. Med. 1901. 6. Juli. 

37) Riehl, cit. nach Eulenburg Realcncyklopädie Bd. 1. S. 244 siehe Addison. 

36) Rosenberg, citicrt nach Radzych. 

3») Samberger, Wiener klinische Rundschau 1902. Bd. 16. No. 29. 20. Juli. 

40) Schweinitz, The Therapeutic gazette 1902. S. 433. 15. Juli. 

41) Schiff, cit. nach Landois S. 831. 

42) Semons, Centralblatt für Laryngol. u. Physiol. 1902. S. 307. 

43) Senator, Die Erkrankungen der Nieren. Wien 1896. S. 98. 

44) Takaminc, Journ. of Physiol. 1901. Bd. 27. S. 29. — The Therapeutic gazettc 1901. 15. April. 
Scottish med. and surg. journ. 1902. No. 2. 

45) Taramasio, Revue m&licalc de la Suisse Romande 1902. Bd. 22. No. 8. 20. August. 

46) Thomas, Therapeutische Monatshefte 1902. Marz. Referate S. 154. 

47) The Therapeutic gazette 1902. cf. S. 474 und 641. 15. Juli und 15. September. 

4*) Tizzoni, cit. nach Eulenburg Realencyklopädic Bd. 1. S. 244 siehe Addison. 

49) Umber, Therapie der Gegenwart 1902. S. 364—366. August. 

’“) Wil son, Laryngoscope 1901. Juli. 


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52(i 


Kleinere Mittheilungen. 


Kleinere Mittheilungen. 


Analyse zweier essbaren Erdarten aus Centralafrika. 

Von M. E. Heiberg, Mag. scientiarum in Kopenhagen. 

Das Erdessen — die Geophagie — ist von alten Zeiten her gekannt und über die ganze 
Erde verbreitet. 1 ) Ob es die Ursache verschiedener Krankheiten ist, weiss man nicht, trotzdem die 
Litteratur hierüber recht gross ist; denn die Pflanzer an den Antillen und anderen Stellen waren 
seiner Zeit sehr interessiert, die krankhaften Zustände, die von dem Erdessen herrühren oder dieses 
Phänomen hervorrufen, und welche die Arbeitskraft ihrer Neger sehr herabsetzen, kennen zu lernen. 
Die Neger selbst geben an, dass sie in ihrer Hcimath ohne Nachtheil verschiedene Erdarten ge¬ 
messen können. 

Gewöhnlich wird die Art der Erde, die gegessen wird, nur in ganz unbestimmten Ausdrücken 
erwähnt: Thon, kalkhaltiger Thon, weisser Lehm etc. Selten findet man eine so genaue Bestimmung 
wie: »ein Gemisch von Lehm und kohlensaurem Kalk, von Eisenoxyd gefärbt« 2 ). (Zwei Abhand¬ 
lungen, in welchen eine Analyse einer essbaren Erde, soweit man aus dem Titel schliessen kann, 
sich findet, kann ich hier nicht haben)*). 

Ehrenberg 1 ) hat zwei essbare Erdarten aus China untersucht, eine weisse Art, welche nach 
der chemischen Analyse kieselsaures Aluminiumoxyd ist, und eine gelbe, die nur mikroskopisch 
untersucht ist und für eine Thonart gehalten wird. 

Eine essbare Erdart aus Java hat Ehre nberg^) inderseiben Weise untersucht; er bezeichnet 
sie als feinen plastischen Lehm von gelb-rother Farbe. 

Die Untersuchungen Ehrenbcrg’s gehen hauptsächlich darauf aus, festzustellen, ob Ein¬ 
mischungen organischen Ursprungs, w odurch die geologische Stellung dieser Erdschichten festgestellt 
werden könnte, sich finden oder nicht, ln der weissen Erde aus China findet er keine solche Ein¬ 
mischung, in der gelben giebt er an, eine Polygasterart, neun Phytolithariearten und eine Poly- 
thalamieart gefunden zu haben. In der Erde aus Java findet Ehrenberg drei Polygaster- und 
dreizehn Phytolithariearten. 

Da jede theoretische Erwägung des Vor- oder Nachtheils eines solchen Erdessens, die mecha¬ 
nische Wirkung ausgenommen, nutzlos ist, so lange man nicht weiss, welche Stoffe in der Erde, die 
gegessen wird, enthalten sind, so theile ich hier das Resultat einer chemischen Analyse zweier Proben 
essbarer Erdarten mit, die Herr Dr. Hans Müller; medecin de Iiöre cl. aus l’fitat Independant du 
Congo, zu diesem Zwecke nach Europa mitgebracht hat. 

Das Acussere der zwei Erdarten ist ganz verschieden. Die eine ist ein gelber (ockergelber), 
poröser, sehr bröckeliger Körper, der sehr leicht zu einem feinen Pulver derselben Farbe zertheilt 
wird. Die andere Art ist ein dichter grauschwarzer Körper, ganz wie gewöhnlicher Thon. Wenn 
man kleinere Stücke davon nimmt, kann man sie ziemlich leicht zu einem feinen grauen Pulver von 
derselben Farbe wie die grösseren Stücke zertheilen. In dem Mörser lässt sich die schwarze Erde 
zu einer fettglänzenden Masse, die mit einem Spatel gelöst werden muss, zusammendrücken; aber 
sie sitzt ebensowenig wie die gelbe an den Wänden eines Reagensgläschens fest. 


M C. F. Heusinger, Die sogenannte Geophagie oder tropische Chlorose als Krankheit aller 
Länder und Kliinate dargestellt. Kassel 1852. 

2 ) D. Mason, Edinburgh med. und surg. Journal 1833. Bd. 31). 

a ) J. J. Alt he er, Scheidekundig onderzoek der delfstof etc. Tijdschr. d. Ver. t. Bevord. d. 
gen. Wetensch. in Nederl. Indie. Batav. 1853. S. 187—196. — J. R. Cotting, Analysis of a species 
of clay etc. The South, med. and surg. Journal Augusta 1837. S. 288 -292. 

4 ) Monatsberichte der Berliner Akademie 1851. S 735. 

'0 Berichte der königl. preuss. Akad. der Wiss 18 *8. S. 22<). 


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Kleinere Mittheilnngen. 527 


Die gelbe Erde enthält Kieselsäure, Aluminiumoxyd, Natron und ein wenig Eisen. 

Die graue Erde enthält Kieselsäure, Aluminiumoxyd und Spuren von Eisen. 

Beide Erdarten geben, wenn sie erhitzt werden, Wasser und alkalische Dämpfe ab, und geben, 
mit Natronkalk erhitzt, Ammoniakreaktion. Wird die Erde erst geglüht, so giebt die gelbe mit 
Natronkalk keine Ammoniakreaktion, die graue dagegen giebt sie noch. In der gelben Erde ist 
eine bedeutende Menge freies Quarz in Gestalt von feinen Sandkörnern enthalten, in der grauen 
dagegen findet man keinen freien Quarz. Das Silikat der gelben Erde wird von Salzsäure zertheilt, 
das Silikat der grauen Erde dagegen nicht. 

Beide Erdarten haben denselben eigentümlichen ganz angenehmen Geruch, der stärker wird, 
wenn sie mit Wasser benetzt werden. Sie enthalten beide in geringer Menge einen organischen 
stickstoffhaltigen Stoff, der mit Wasser ausgezogen werden kann. Dampft man diese Lösung, die 
neutral reagiert, in dem Wasserbade ein, so nimmt man immer den aromatischen Geruch wahr. Der 
Rest von der Eindampfung ist sehr gering. Er schmeckt salzartig und giebt,’ mit Natronkalk er¬ 
hitzt, Ammoniakreaktion. Wird er für sich erhitzt, so verkohlt er. 

Wie man aus der Analyse sieht, sind für den Organismus brauchbare Stoffe nur Eisen, und 
in der einen Erdart Natrium zugegen. Der organische Stoff findet sich nur in ganz minimalen 
Mengen — einige Milligramm in 3—4 g des Stoffes — und geht, was die gelbe Erde betrifft, fort, 
wenn man sie röstet; wenigstens wird er in beiden Erdarten bei diesem Prozess verkohlt 

Herr Dr. Müller erzählt folgendes von diesen essbaren Erdarten: Die gelbe Erdart wird in 
den Kaffeepflanzungen hinter Nouvel Anvers (Bangala) gefunden; man glaubt, dass sie ein Ver¬ 
witterungsprodukt einiger Felsen ist, die aus einer Steinart bestehen, welche man ihres Aussehens 
halber französisch Limonit und deutsch Ocher nennt; beide Namen sind, wenn man die Analyse 
berücksichtigt, nicht gut brauchbar. Diese Felsen liegen theils an dem Ufer des Flusses, theils über 
das ganze Terrain zerstreut; dementsprechend kommt die gelbe Erde dort überall vor. 

Die graue Erde, die mehr beliebt ist, wird zuweilen von den Eingeborenen nach Nouvel 
Anvers gebracht und ist dort eine stark begehrte Waare, deren Preis wohl fünf Centimes pro Kilo 
beträgt Wo die graue Erde gefunden wird, weiss man nicht; wahrscheinlich wird sie am Ufer 
gesammelt, da die Neger seewärts den Kongofluss entlang kommen. 

Die gelbe Erde wird so gegessen, wie sie ist; die graue wird vorher leicht geröstet. 

Die Sitte, Erde zu essen, ist besonders unter den Frauen sehr verbreitet, die Eingebomen 
sind fest davon überzeugt, dass der Genuss der Erde für die Gesundheit zuträglich ist. 

Zum Schluss will ich noch erwähnen, dass eine mikroskopische Untersuchung, die Herr 
Dr. C. J. Wolff die Güte gehabt hat, für mich auszuführen, das Resultat giebt, dass die gelbe 
Erde aus scharfeckigen Quarzkömem besteht, welche ein Drittel bis drei Viertel so gross sind wie 
gewöhnliche Sandkörner und von einem sehr feinen gelben Pulver in verhältnissmässig geringer 
Menge umgeben sind. Man sieht keine Spur von organischen Bestandteilen (Diatomeen;. 

Die graue Erde enthält keinen Quarz. In der untersuchten Probe war eine Pflanzenfiber; 
da die Probe aber aus der Mitte eines grösseren Stückes genommen war, so war das untersuchte 
Material vielleicht doch leicht geröstet, ln dieser Erde wurden einige Spongolithen, wahrscheinlich 
von Süsswasserschwämmen herrührend, gefunden. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


528 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


i. 

Sitzung des Vereins für innere Medicin am 14. Oktober 1902. 

Von Dr. L. Michaelis in Berlin. 

Herr Wassermann hält seinen Vortrag: üeber biologische Mehrleistung des 
Organismus bei der künstlichen Ernährung von Säuglingen gegenüber der Er¬ 
nährung mit Muttermilch. 

Durch die von Tchistovitch und Bordet entdeckten Präcipitine sind wir in die Lage ge¬ 
setzt, zwischen verschiedenen Eiweisskörpern, welche früher mit Hilfe der rein chemischen Methoden 
als völlig identisch erschienen, sicher charakterisierte Unterschiede zu machen. Diese neue Methode 
gestattet uns, z. B. die Blutsera oder die Milcharten verschiedener Thierspezies genau zu unter¬ 
scheiden. Die Präcipitine werden dadurch erzeugt, dass man einen Ei weisskörper, der von irgend 
einer Thierart stammen mag, wiederholt einem Thiere einer anderen Spezies injiziert, sei es subkutan 
oder intraperitoneal. Das Blutserum dieses injizierten Thieres gewinnt dann die Eigenschaft, mit 
jenem zur Injektion verwendeten Eiweisskörper im Reagensglas einen kräftigen Niederschlag zu er¬ 
zeugen. Diese Reaktion ist mit gewissen, für die vorliegenden Ausführungen nicht in Betracht 
kommenden Einschränkungen streng spezifisch, d. h., wenn man einem Kaninchen Menschen¬ 
milch injizierte, so giebt das Serum dieses Kaninchens später im Reagensglas ganz allein mit 
Menschenmilch einen Niederschlag, nicht z. B. mit Kuh- oder Ziegenmilch. So reagiert jedes Thier 
auf ihm nicht angehörigc Eiweisskörper mit der Bildung eines Präcipitins. Nur seine eigenen 
Ei weisskörper lösen diese Reaktion in seinem Organismus nicht aus. Auf diese Weise kann man 
mit Bezugnahme auf eine Thierspezies die Ei weisskörper in die diesem homologen und in die 
heterologen Eiweisskörper eintheilen. Homolog ist nur das der Thierspezies selbst angehörige 
Eiweiss. 

Die Thatsache, dass ein heterologer Eiweisskörpei von einem Thier nur unter Entstehung 
einer bedeutsamen Reaktion ausgelöst wird, zeigt uns an, dass ein heterologer Eiweisskörper nicht 
ohne weiteres für den Stoffwechsel denselben Werth haben kann, wie ein homologer Ei weisskörper. 
Es muss diejenige Arbeitsleistung, welche der Organismus bei der Einführung des heterologen 
Eiweisskörpers leistet, von dem eigentlichen Nährwerth dieses Eiweisses abgezogen werden, wenn 
man zu einer richtigen Vorstellung üher die Bedeutung einer gewissen Quantität von heterologem 
Eiweiss für den Stoffwechsel des Versuchsthieres kommen will. 

Diese Mehrleistung des Organismus demonstriert der Redner durch folgenden Versuch näher: 
Er injizierte einem Kaninchen sein homologes, einem zweiten ein heterologes Eiweiss in die Bauch¬ 
höhle. Nach einer gewissen Zeit infizierte er die Bauchhöhle der Thiere mit gleichen Mengen einer 
pathogenen Bakterienkultur und fand, dass stets das zweite, mit heterologem Eiweiss injizierte Thier 
die Infektion besser überstand als das andere. Daraus folgt, dass die baktericiden Stoffe in der 
Bauchhöhle des heterolog behandelten Thieres schon vor der Infektion allein durch den Reiz des 
heterogenen Eiweisses lokal gebildet worden waren. Ihre Herkunft ist von den Lcukocyten, welche 
auf die Injektion des^heterologen Eiweisses hin in die Bauchhöhle reichlich auswandern. 

Das heterolog behandelte Thier hatte also auf den blossen Reiz des injizierten Eiweisses hin 
eine Arbeit mehr geleistet als das andere Thier: die Bildung einer Substanz, welche sich z.B. 
durch die ihr ebenfalls zukommende Baktericidie erkennen Hess. Die zur Bildung dieser Substanz 
nothwendige Arbeit geht also von dem absoluten Nährwcrth des injizierten Eiweisses ab. 

Auf diese Weise wird es verständlich, weshalb ein Säugling eine grössere Menge von Kasein 
in Form von Kuhmilch, als in Form von Muttermilch braucht, um die gleiche Stickstoffbilanz zu 
erreichen. 

Im Anschluss an diesen Vortrag fand eine lebhafte Diskussion statt. 


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Leonor Michaelis: Obgleich die Thatsache nicht anzuzweifeln ist, dass die Kuhmilch für 
den Säugling der Muttermilch nicht ganz gleichwerthig ist, so reichen doch die von Wassermann 
angeführten Thatsachen nicht aus, um diesen Unterschied zu erklären. 

Zur Erzeugung von Präcipitinen ist es nämlich nothwendig, dass die heterologen Eiweiss¬ 
körper so wie sie sind, ohne durch die Verdauung verändert worden zu sein, in die Gewebe des 
Thieres gelangen. Man injiziert das Eiweiss daher in die Bauchhöhle oder subkutan. Das sind aber 
Verhältnisse, wie sie in natura nicht Vorkommen. Der natürliche Weg führt alle Eiweisskörper 
zunächst in den Magen, wo sie auf das Pepsin stossen. 

Redner hat nun in einer früheren Untersuchung festgestellt, dass die Eiweisskörper durch die 
experimentelle Pepsinverdauung sowohl ihrer Präcipitin erzeugenden Eigenschaft wie auch ihrer 
Reaktionsfähigkeit gegenüber einem auf sie eingestellten Präcipitin verlustig gehen. Man könnte 
das so ausdrücken: Das Pepsin beraubt die Eiweisskörper ihrer Spezifizität. Das geht 
sogar so weit, dass durch die Pepsinverdauung die Spezifizität schneller vernichtet wird als die 
Koagulierbarkeit beim Erhitzen, so dass man bei vorsichtiger Pepsinverdauung konstant ein sehr 
frühes Stadium der Verdauung findet, auf welchem das Verdauungsgemisch noch kräftig durch Hitze 
koaguliert werden kann, wo es aber absolut nicht mehr auf das entsprechende Präcipitin reagiert. 
Das Trypsin des Pankreas vernichtet zwar auch die Spezifizität des Eiweisses, aber langsamer und 
parallel der Abnahme der Koagulierbarkeit durch die Hitze. 

Es ist also eine besonders zweckmässige Einrichtung, dass gerade das erste Verdauungsenzym, 
welchem die Eiweisskörper auf ihrem Wege durch den Verdauungstraktus begegnen, die Spezifität 
der Eiweisskörper vernichtet. 

Das weitere Schicksal des Eiweisses ist, dass es vom Pepsin, später vom Trypsin immer 
weiter gespalten wird, und dass diese Spaltungsprodukte in der Darmwand wiederum zu Eiweiss 
aufgebaut werden, wie aus den bekannten älteren Arbeiten von Neumeister, Heidenhain etc. 
hervorgeht. Aber das Eiweiss, welches jetzt in der Darm wand gebildet wird, das ist ein für das 
Thier homologes Eiweiss. 

Das heterologe Eiweiss wird also durch die Verdauungsenzyme in indifferente Körper 
gespalten, und diese werden durch die Thätigkeit der lebenden Darm wand zu homologen Eiweiss¬ 
körpern aufgebaut. 

Wenn man somit den ganzen Vorgang der Eiweiss Verdauung als eine Schutzvorrichtung gegen 
das Eindringen von körperfremdem Eiweiss in die Gewebe betrachten kann, so muss doch zugegeben 
werden, dass diese Schutzvorrichtung unter gewissen Umständen nicht vollkommen funktioniert. 

Wenn man s. B. einem Kaninchen grosse Mengen Eiereiweiss oder Rinderserum häufig mit 
der Schlundsonde in den Magen cingiebt, so kann ein Theil dieses Eiweisses in völlig unverändertem 
Zustande im Harn wiedererscheinen, wo man seine Spezifizität noch durch die Präcipitinreaktion nach- 
weisen kann, wie Ascoli gezeigt hat ln solchen Fällen entsteht auch ein Präcipitin im Blute des 
Thieres. Mit anderen Worten: ein Theil des in übergrosser Menge eingeführten Eiweisses ist ins 
Blut resorbiert worden, bevor das Pepsin seine Wirkung entfalten konnte. Die Schutzvorrichtung 
war also mangelhaft. 

Ein derartiger Vorgang, die Bildung eines Präcipitins durch Fütterung, ist aber bisher nur mit 
Eiereiweiss und Blutserum gelungen, dagegen nicht z. B. mit heterogener Milch. Bei der Milch ist offen¬ 
bar die vorzeitige Resorption des Kaseins nicht möglich, weil das Labferment im Magen das Kasein 
zunächst einmal ausfällt und bewirkt, dass die Resorption nicht eher stattfinden kann, als bis die Kasein- 
flocken durch Pepsin (bezw. Trypsin) verflüssigt und daher in niederen Produkten aufgebaut sind. 

Gegenüber der Milch ist also die Schutzvorrichtung des Körpers noch raffinierter als gegen 
andere Eiweisskörper. Wenn also Wassermann die Spezificität der Milch heranzog, um daraus 
die Mehrleistung des kindlichen Organismus zu erklären, so muss man einwenden, dass die Eiweiss¬ 
körper der Milch — gleichviel, ob homologer oder heterologer Milch — stets zu unspezifischen 
Körpern abgebaut und auf jeden Fall zu homologen Eiwcisskörpem wieder aufgebaut werden 
bevor sie in die Gewebe gelangen. 

Nun ist aber die Thatsache nicht zu bezweifeln, dass es für den Stoffwechsel des Säuglings 
nicht gleichgiltig ist, ob er Muttermilch oder Kuhmilch bekommt. Und das könnte sehr wohl daran 
liegen, dass beim Neugeborenen der Verdau ungs Vorgang der Ei weisskörper anders ist als beim Er¬ 
wachsenen. Darüber wissen wir aber gar nichts hierin Gehöriges, und cs wäre somit die Aufgabe 
des Experimentes, diesen möglicherweise vorhandenen Unterschied aufzudecken, und dann erst hätten 
wir die theoretische Begründung jener an sich nicht zu bezweifelnden Thatsache, welche Wasser¬ 
mann zu begründen die Absicht hatte. 


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6. Klemperer bestreitet die Beweiskraft des Wassermann’schen Versuches vollkommen. 
Es sei durchaus etwas anderes, das Eiweiss auf dem natürlichen Wege durch den Magendarmkanal 
zu geben, als, wie in dem Wassermann'sehen Versuch, direkt in die Bauchhöhle. Nach den 
neueren physiologisch - chemischen Untersuchungen werden die Eiweisskörper im Darm sogar noch 
viel weiter abgebaut, als man früher annahm. Sie zerfallen bis zu den einfachen Amidosäuren, und 
es hat sich herausgestellt, dass der thierische Organismus sogar aus diesen Endprodukten der Ver¬ 
dauung wieder Eiweiss aufbaut. Es ist aber unmöglich, dass diesen Endprodukten der Eiweiss¬ 
verdauung noch irgend welche Spezificität anhafte, und deshalb sind die Resultate der intra- 
peritonealen Ei weissinjektion durchaus nicht auf die Ei Weissfütterung zu übertragen. 

v. Leyden fragt nach den mikroskopisch sichtbaren Vorgängen während der Resorption von 
Eiweiss, im besonderen von Milch vom Peritoneum aus. 

Dazu sprechen Wassermann und L. Michaelis. Letzterer beschreibt die Vorgänge, w'elche 
bei der Resorption von Rinderserum in der Bauchhöhle des Kaninchens vor sich gehen. Bei einem 
nicht vorbehandelten Thier findet diese Resorption unter Erzeugung eines Leukocytenexsudates statt, 
aber ohne spätere Hinterlassung einer Spur. Dagegen findet bei schon gegen Rinderserum immunen 
Thieren die Resorption derart statt, dass sich kuchenähnliche solide Eiweissmassen in der Bauch¬ 
höhle bilden, welche mikroskopisch in der Peripherie eine dichte Leukocyteninfiltration erkennen 
lassen; mehr nach aussen grosse mononukleäre Zellen, Metschnikoff’s »Makrophagen«, weiter 
innen polynukleäre Leukocyten, Metschnikoff’s »Mikrophagen«. Auch das ganze Mesenterium 
ist mitunter von feinsten tuberkelähnlichen Knötchen durchsetzt, welche mikroskopisch reine 
Leukocytennester sind. 

Injiziert man einem gegen Kinderserum immunisierten Kaninchen Rinderserum ins Blut, so 
entstehen nicht, wie im Reagensglas, Niederschläge im kreisenden Blut, sondern es entsteht nur 
eine äusserst lebhafte Hy perl eukocy tose Offenbar nehmen die Leukocyten die Verbindung zwischen 
Präcipitin und Rinderserum in statu nascendi auf. Besonders weist Redner auf die Inkongruenz 
der sichtbaren Wirkungen des Präcipitins im Reagensglas und im Thierkörper hin. 

A. Baginsky verlangt eine Aufklärung des Widerspruches, der darin liegt, dass mit 
heterogenem Eiweiss genährte Kinder ein Ucbermaass von baktericiden Substanzen produzieren, 
während sic doch bekanntlich Infektionen leichter anheimfallen als mit Muttermilch genährte Kinder. 

Wassermann (Schlusswort) erklärt das daraus, dass cs sich bei jenen Versuchen nicht um 
eine allgemeine Vermehrung der Komplemente, sondern nur um eine lokale Anhäufung handelt. 

Gegenüber den ihn gemachten Einwendungen, dass die Spezificität durch die Magenverdauung 
vernichtet wird, führt er die Versuche von Ehrlich an, welche beweisen, dass Immunität durch 
die Milch von der Mutter auf die saugenden Jungen übertragen werden könne. 

(Ein kritisches Referat über diese Frage wird in der nächsten Nummer dieser Zeitschrift 
erfolgen.) 


II. 

Jahresversammlung des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger 
Getränke vom 13.—15. Oktober 1902 in Stuttgart. 

Von Dr. Waldschmidt in Charlottenburg-Westend. 

Die Verhandlungen wurden eingeleitet durch die dritte Kouferenz der Vorstände von Trinker¬ 
heilanstalten des deutschen Sprachgebietes. Diese Konferenz erfreute sich eines ausserordentlich 
starken Besuchs und hatte zum ersten Mal den Vorzug, Vertreter hoher Staats- und Kommunal¬ 
behörden begrüssen zu dürfen, ein Beweis dafür, dass man der praktischen Trinkerfürsorge eine 
grössere Aufmerksamkeit zu widmen beginnt und ihr, wie zu hoffen steht, etwas von dem Inter¬ 
esse zuwendet, welches in so überreichem Maasse der zweckentsprechenden Versorgung und Be¬ 
handlung Tuberkulöser geschenkt wird. 

An Stelle des erkrankten Vorsitzenden, Pastor Dr. Martius, eröffnetc Dr. med. Waldschmidt 
die Sitzung mit einem Hinweis auf die Schwierigkeiten, welche sich überall der Behandlung der 
Alkoholfrage entgegensetzen; er erinnerte an eine ähnliche Erscheinung vor 100 Jahren, als man 
der praktischen Psychiatrie den Weg zu bahnen suchte und gab der Hoffnung Raum, dass die Er¬ 
kenntnis, für die Alkoholkranken wie für die Geisteskranken fgeeignete Fürsorge zu treffen, all- 


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mählich in immer weitere Kreise dringen und bei den maasgebenden Körperschaften den nöthigen 
Rückhalt finden möchte, um auf diese Weise für unzählige Familien helfend und schützend eingreifcn 
zu können. 

Nachdem sich das Bureau konstituiert, Oberregierungsrath Fa Ich-Stuttgart den Vorsitz über¬ 
nommen und die verschiedenen Vertreter der Behörden die Versammlung begrüsst hatten, nahm 
Dr. Waldschmidt das Wort zu seinem Referat: »Weshalb ist ein Trinkerfürsorgegesetz in Deutsch¬ 
land nöthig und welche Bestimmungen muss es enthalten?« (Der Vortrag ist gedruckt im 4. Heft 
1902 der Vierteljahrsschrift »Der Alkoholismus«, Verlag 0. V. Böhmert in Dresden.) Der §6 Abs. 3 
des B. G. B., so führte Referent aus, bildet einen der Bausteine, welche der Deutsche Verein gegen 
den Missbrauch geistiger Getränke zusammengetragen hat, um einen starken Damm gegen die immer 
stärker werdende Alkoholgefahr zu errichten. Der Wortlaut desselben, dass entmündigt werden 
kann, »wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag oder sich oder 
seine Familie der Gefahr des Nothstandes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet«, lässt 
deutlich erkennen, dass der Gesetzgeber solch schwere Störungen bei dem betreffenden Individuum 
voraussetzt, dass man sich unwillkürlich fragt, ob in solchen Fällen nicht eine Entmündigung ein- 
treten muss. Der Antrag auf Entmündigung kann von den Angehörigen oder auch im Falle von 
Bedürftigkeit von der Annenbehördc, nicht aber vom Staatsanwalt (wie bei Geisteskranken) gestellt 
werden. Bedenkt man nun, wie schwer ein Angehöriger, z. B. die Ehefrau sich dazu cntschlicsst, 
bezw. wie weit das Familienoberhaupt wirthschaftlich heruntergekommen sein muss, bevor die 
Armenbehörde eintritt, so kann es nicht wimder nehmen, dass seit Einführung des B. G. B. Ent¬ 
mündigungen wegen Trunksucht überhaupt wenig stattgefunden haben. Bedenkt man weiter, dass 
der Amtsrichter, § 681 der C. P. 0. gemäss, den Entmündigungsbeschluss aussetzen muss, sofern 
Aussicht auf Besserung besteht, so darf man behaupten, dass die Erwartungen, welche man an den 
§6, 3 B. G. B. geknüpft hat, sich überhaupt nicht verwirklichen werden, sofern man hoffte, durch 
seine Einführung ein Abnehmen oder eine Beeinträchtigung des Alkoholismus selbst zu erwirken. 
Es folgt aber auch hieraus, dass man die Entmündigung für die unheilbaren Alkoholisten ein¬ 
gerichtet hat (sofom keine »Aussicht vorhanden, dass der zu Entmündigende sich bessern werde«, 
muss der Beschluss ausgesetzt werden), dass man für die heilbaren Fälle aber nichts anderes als 
den Druck besitzt, den der Entmündigungsrichter auf das betreffende Individuum ausüben kann, 
sofern der Entmündigungsantrag gestellt ist. Ob man aber mit diesem einzigen Mittel auskommt, 
um Alkoholkranke zu heilen, muss mehr wie zweifelhaft erscheinen; und da es sich doch in erster 
Linie darum handelt, Kranke einer Heilbehandlung und nicht einer Entmündigung zuzuführen, so 
ist es erforderlich, auch für diese Möglichkeit gesetzliche Maassnahmen zu treffen. Bekommen wir 
keine gesetzlichen Handhaben, einem Trunksüchtigen auch gegen seinen Willen, zwangsweise einer 
Spczialbehandlung zuzuführen — ohne ihn entmündigen zu müssen —, so kann sich die Trinker¬ 
fürsorge immer nur auf einen kleinen Theil der Alkoholisten beschränken, sie wird nie verall¬ 
gemeinert werden, d. h. es wird alles beim alten bleiben. Deshalb ist in der Einführung des B. G.B. 
nur ein kleiner Anfang für ferner zu treffende Maassnahmen für die Alkohol kranken zu erblicken, 
und es ist anzustreben, auch für sie wie für Geisteskranke Gesetze zu schaffen, die sie mit Gewalt 
aus ihrer Einsichtslosigkeit herausreisson und sie zwangsweise einer geeigneten Versorgung und 
Behandlung zuführen lassen. Gewiss giebt es Alkoholkranke, welche einsichtig und ernstlich ge¬ 
willt sind, sich als solche behandeln zu lassen, aber meistens dürfte es hierzu der Ueberredungs- 
kunst und langjährigen Vorstellungen seitens der Umgebung bedürfen. Und ist der immer wieder 
hinausgeschobene Entschluss endlich ausgeführt und eine Heilstätte aufgesucht, so kommt sogleich 
der zweite wichtige Faktor, die Ausdauer, in Betracht. 

Meist werden die Kranken in mangelhaftem Ernährungszustand aufgenommen, nach wenigen 
Tagen stellt sich ein kräftiger Appetit ein, die körperlichen Kräfte heben sich schnell und verleiten 
den Kranken zu einem trügerischen Selbstgefühl. In euphorischem Zustande, im Vertrauen auf sich 
selbst, verlassen sie vorzeitig die Heilstätte, um sehr bald wieder rückfällig zu werden. Andere 
warten die natürliche Reaktion, die sich als Reizbarkeit, Unzufriedenheit und psychische Depression 
kundthut, noch ab und gehen, keiner vernünftigen Vorstellung zugänglich, ebenfalls von dannen, 
um sehr bald das Opfer ihrer GemüthsVerstimmung zu werden; und wieder andere, die Quartals¬ 
und Periodentrinker, sind nicht über den betreffenden Zeitpunkt, welcher für sie einen unwider¬ 
stehlichen Drang zum Alkohol bildet, hinaus zu halten, auch sie nehmen keinen Rath an, sie scheitern 
im nächsten Wirthshaus. Und von all diesen Patienten weiss man, dass ihnen bei zwangsweiser 
Zurückhaltung geholfen werden könnte. Wollte man nun nach Art der Irrenanstalten Trinkcrheil- 
und Pflegeanstalten einrichten, so müsste man für beide Arten das Dctentionsrecht beanspruchen. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


um im Nothfalle bei aussichtslosen, charakterschwachen, wankelmüthigen aber heilbaren Personen 
den Zwang ausüben zu können, der zur wirksamen Durchführung einer Kur erforderlich ist Da 
sich Indess Heil- und Pflegeanstalten nicht wohl strikte unterscheiden lassen, da ferner die mit 
Dententionsrecht versehenen Anstalten nach Ansicht des Referenten öffentliche Anstalten sein 
müssen, freiwillig eintretende Kranke indess meist nur ungern öffentliche Anstalten aufsuchen, so 
möge man offene und geschlossene Anstalten für Alkoholkranke schaffen Und gesetzlich fest¬ 
legen, dass für Bau, Einrichtung und Betrieb solcher Anstalten die Bestimmungen Platz greifen, 
welche für die allgemeinen Krankenanstalten (offene) und für die Irrenanstalten (geschlossene) be¬ 
reits gesetzlich sind. Alle diese Anstalten, ob offen, ob geschlossen, sind konzessionspflichtig, was 
merkwürdigerweise bei den heute vorhandenen Trinkerheilanstalten in Deutschland nicht für nöthig 
befunden wurde. Wie die offenen Heilanstalten den Charakter von Sanatorien oder Volksheil¬ 
stätten tragen sollen, und ihre Errichtung und Unterhaltung der freien Liebesthätigkcit zugesprochen 
werden darf, Bind die geschlossenen Anstalten unbedingt nur als öffentliche (staatliche, provinziale 
oder kommunale) zu denken. Eine reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens möge 
nicht mehr zu lange auf sich warten lassen und die Trinkerfürsorge mit unter ihre 
Fittiche nehme*n! Demgemäss möge auch Klarheit darüber herbeigeführt werden, wer für die 
Behandlung Trunksüchtiger kostenpflichtig iot; auf alle Fälle hat ausser der Gemeinde auch der 
Staat unbedingt ein grosses Interesse an der Bekämpfung der Trunksucht sowohl als auch an der 
rationellen Behandlung des Einzclindividuums, und es sei hier die Frage am Platz, ob nicht ähnlich 
wie in der Schweiz durch das sogenannte Alkoholzehntel auch in Deutschland durch Zolleinnahmen, 
Branntweinsteuer etc. ein Staatszuschuss zu fordern sei. 

Nach kurzer Debatte brachte die Versammlung durch einstimmige Annahme einer eingcbrachten 
Resolution zum Ausdmck, dass sie die Nothwendigkeit eines Trinkerfürsorgegesetzes anerkenne, 
indem sie den Vorstand ersuchte, für die Verwirklichung desselben entsprechende Schritte zu thun. 

Pastor Haacke-Rickling verbreitete sich in einem längeren Referat über »die Hilfe der Ab- 
stinenz vereine« bei der Nachpflegc der als geheilt Entlassenen, indem er die einzelnen Institutionen, 
wie den Guttempler-Orden, das Blaue Kreuz, den Alkoholgcgner-Bund gegeneinander abwog, ihre 
Tendenz und ihre Arbeit eingehend besprach und schliesslich die Wichtigkeit hervorhob, den aus 
einer Trinkerheilanstalt zu Entlassenden einer solchen Vereinigung zuzuführen, um sich selbst durch 
rege Vereinsarbeit immer mehr zu befestigen und in der Abstinenz zu bestärken. 

Pastor Kruse-Lintorf besprach »die Arbeit der Anstalt selbst« bei den Entlassenen; er 
befürwortete einen engen Anschluss der entlassenen Pfleglinge unter sich als auch mit der Heilstätte, 
sei es, dass ein reger fortlaufender Briefwechsel gepflegt werde, sei es, dass — wie sich dies z. B. 
in der Schweiz bewährt hat — unter den Anstaltspfleglingen ein besonderes Vereinsleben den 
ständigen Zusammenhang bilde. Referent regte an, eine Zeitschrift für entlassene Pfleglinge zu 
gründen (wie Dr. Liebe den »Hcilstättcnboten« für seine entlassenen Lungenkranken ins Leben 
gerufen hat), ein Korrespondenzblatt, in welchem Beispiele aus dem täglichen Anstaltsleben vor¬ 
geführt werden und ein Austausch der ehemaligen Patienten stattfinden könnte. 

Pastor Bovet-Bern sprach sodann an Stelle des verhinderten Hausvaters Steffen über »die 
Selbsthilfe der Geheilten«, die er in die Worte zusammenfasstc: Wenn die Pfleglinge die Anstalt 
verlassen, sollen aus Rekruten Soldaten geworden sein, die gewillt sind, einzustehen für die Sache 
der Enthaltsamkeit, die die Parole ins Volk hineinzurufen wagen: Heraus aus dem Wirthshaus, hin¬ 
ein in die Enthaltsamkeitsvereine! Im ferneren wünsche er eine Förderung des eigenen Familien¬ 
lebens und Pflege des religiösen Sinns, auf alle Fälle offenes Bekennen der persönlichen Enthaltsamkeit. 

Pfarrer Neumann-Mündt tritt bei dem nächsten Punkte der Tagesordnung für eine Betheili¬ 
gung der Trinkelheilstättcn - Leiter auf dem im Frühjahr 1903 in Bremen tagenden internationalen 
Kongress gegen den Alkoholismus ein und hofft dadurch einen Ucberblick darüber zu gewinnen, 
was in den einzelnen Kulturstaaten nach dieser Richtung hin geleistet worden ist. 

Dr. med. Col la-Finkenwalde bespricht sodann die Aufgaben,.welche den Versammlungen der 
Anstaltsleiter erwachsen, er befürwortet eine festere Gliederung der bisherigen Konferenz, indem 
er ihre Uebcrleitung in die Vereinsform beantragt. Es wird demgemäss beschlossen und ein »Ver- 
e in der Vorstände der Trin kerheiianstalten des deutschen Sprachgebietes« konstituiert, 
und sein Vorstand wie folgt gewählt: Vorsitzender Oberregierungsrath F a 1 c h - Stuttgart, stellver¬ 
tretender Vorsitzender Dr. med Waldschmidt-Uharlottcnburg, Beisitzer Dr. med. Colla-Finken¬ 
walde, Pastor K ruse-Lintorf und Pfarrer Neu mann-Mündt. 

Nach dieser ausserordentlich anregenden und interessanten Sitzung fand am nächsten Morgen 
die Sitzung der Verwaltungsaussehussmitglieder statt, welchen eine reiche Tagesordnung zu Theil 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


wurde, von der nur einzelne Berathpngsgegenstände, wie der Bericht des Geschäftsführers (welcher 
erfreulicherweise eine nicht unwesentliche Vermehrung der Mitgliederzahl (auf 15000) und der 
wachsenden Vereinsthätigkeit aufwies — es regt sich eben allerorten!), Berathung der in Aussicht 
genommenen neuen Arbeiten, Ausnutzung der durch den bekannten Antrag des Grafen Douglas 
geschaffenen günstigen Lage, Petition zur Begründung einer Landes- bezw. Reichskommission zur 
Bekämpfung der Trunksucht, Referate für die nächste Mitgliederversammlung, Internationaler Kon¬ 
gress in Bremen etc. Erwähnung finden mögen. 

Am Abend fand der sogenannte Begrüssungsabend im Konzertsaal der Liederhalle unter 
Leitung des Professors v. Grützner-Tübingen statt. Der Vereins Vorsitzende, Senatspräsident 
Dr. v. Strauss und Torney-Berlin, begrüsstc die zahlreiche Versammlung mit herzlichen Worten 
des Dankes und meinte im Süden wie im Norden des deutschen Reiches ein tapferes Vorwärts¬ 
schreiten im Kampfe gegen die Trunksucht konstatieren zu können. Ein guter Beweis hierfür sei 
u. a. die günstige Aufnahme des Antrages Graf Douglas im preussischen Landtage, die vor fünf 
Jahren noch nicht möglich gewesen sei, jetzt aber hoffentlich zu weiterer Arbeit in allen betheiligten 
Kreisen anspornen und reiche Früchte tragen werde. 

Professor v. Grützner gab einen Ueberblick über die Vereinsthätigkeit in Württemberg; 
obwohl auch hier ein Fortschreiten in der Erkenntniss der Alkobolgefahr zu konstatieren sei, begegne 
man doch vielfach falschen Auffassungen und Irrthümern, die mit aller Macht bekämpft zu werden 
verdienten. Referent suchte dies von seinem physiologischen Standpunkte aus an verschiedenen 
Beispielen überzeugend darzuthun und äusserte, dass, wenn wir die Alkoholpest nicht los werden, 
wenn sie immer weitere Kreise infiziere, unser Volk trotz Kultur, trotz Kanonen und Maschinen¬ 
gewehren dem Untergänge geweiht sei. 

Oberjustizrath Sch wand n er — Direktor des Landesgefängnisses in Schwab. Hall — entfaltete 
recht interessante Bilder aus seiner kriminalistischen Praxis. Obwohl die ihm unterstellte Anstalt 
keine eigentlichen Alkoholdelinquenten aufnehme, seien nach seinen statistischen Aufzeichnungen 
doch 50% aller Fälle auf Alkohol zurückzuführen, und zwar seien fast alle Sittlichkeitsverbrechen 
dem Alkohol zu verdanken. Eine ständige Redensart bildeten die entschuldigenden Worte der 
Betreffenden, »betrunken gewesen zu sein«. Die Vercinschriften, die Aufklärung und Belehrung 
habe schon manch gutes gewirkt: es müsse in dem Sinne immer weiter gearbeitet werden. 

Frau Staatsrath v. Göz-Stuttgart sprach in hervorragender Weise über die sozialen Schäden 
der Trunksucht, welchen die Frau als Gattin und Mutter in aller Stille zu begegnen vermöchte; sie 
solle die Kinder vom Alkohol femhalten, die heranwachsenden Söhne ans Haus fesseln, mittelbar 
und unmittelbar gegen die Trinksitten auftreten. 

Obcrkonsistorialrath Dr. v. Braun-Stuttgart hob die Nothwendigkeit der Einwirkung seitens 
der Geistlichkeit hervor, besprach die Trinkerrettung durch das Blaue Kreuz, die Erfolge der Volks- 
kaffeehäuscr, und bemängelte das feuchtfröhliche Studententhum, dem er edlere, reinere Genüsse 
und Freuden wünschte, um Körper und Geist gesund zu erhalten und zu pflegen. 

Dr. phil. Lutz-Stuttgart geisselt mit Recht den Alkoholmissbrauch bei der Jugend; unzählige 
Kinder würden frühzeitig an Alkohol gewöhnt und zeigten die Folgen in der Schule. Es sollten die 
Eltern über die dadurch entstehenden Gefahren besser aufgeklärt werden, und ein Schulkind über¬ 
haupt vorAlkoholgenuss bewahrt bleiben. 

Gewerbeinspektor F u c h s - Karlsruhe endlich legte dar, welche Verheerungen der Alkohol¬ 
missbrauch in der. arbeitenden Bevölkerung bringe. Die 10—20% des Lohnes, die der Arbeiter in 
Alkohol anlege, gehen der Ernährung verloren, und zwar nicht nur seiner selbst, sondern auch 
seiner Familie. Es müsse eine wirksame Sozialreform getrieben, für gute Wohnungen, geordnete 
Lohnverhältnisse, Möglichkeit der Fortbildung und edler Gastlichkeit gesorgt werden; es sei nicht 
nur ein Arbeiten für die Arbeiter, sondern mit den Arbeitern noth wendig. 

Dieser sehr interessanten Abendsitzung folgte am anderen Vormittag die Hauptversammlung; 
dieselbe war ebenfalls gut besucht; eine ganze Reihe Vertreter von Behörden sowohl Württembergs 
wie Preussens überbrachten ihre Grüssc und Sympathiebezeugungen, nachdem der Vorsitzende mit 
warmen Worten der Freude und des Dankes, aber auch der Mahnung, im Kampfe gegen den Miss¬ 
brauch geistiger Getränke rüstig vorwärts zu schreiten, die Sitzung eröffnet hatte. Unsere Vereins¬ 
versammlungen, äusserte er, zeichneten sich vor manch anderen Vereinigungen dadurch aus, dass 
Festgelagc nicht die Hauptsache bildeten, vielmehr sei ernstliche Arbeit der Zweck der Zusammen¬ 
künfte; so sei cs auch diesmal, und er hoffe, dass diese Jahresversammlung in Stuttgart sowohl 
für die Stadt und das Land als auch für das Reich von Segen sein möchte. Es wurden üuldigungs- 
tclegramme an den Kaiser und an den König von Wüttemberg gesandt, und, nach Erledigung ge- 


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534 Berichte über Kongresse und Vereine. 


schäftlicher Mittheilungen, zunächst der Vortrag des Pfarrers Gonser-Heilbronn über: Verein und 
Wirthshaus entgegengenommen. 

Redner schildert das Vcreinsleben und die Geselligkeit in den grosseren Städten, welche den 
kleineren Ortschaften mit dem nöthigen Beispiel vorangingen. Sicherlich bilden in den Gressstädten 
die Vcreinsvcrsammlungen die einzige Möglichkeit zur Besprechung und Wahrung gemeinsamer 
Interessen, sie seien das Bindeglied zwischen Stadt- und Landbewohnern, sie befriedigten das Ver¬ 
langen nach Geselligkeit. Immerhin könne nicht geleugnet werden, dass der Verlust oft grosser sei. 
als der Gewinn, die Vereine seien durchweg auf die Wirthshäuser angewiesen, und hierdurch von 
den Schankwirthen abhängig. Vereine würdiger Art wie Tum-, Gesang-, Krieger vereine etc. Hefen 
bei den gegebenen Verhältnissen leicht Gefahr, zu Trink vereinen zu werden. Komme es doch vor, 
dass Wirthe ihre Lokale den Vereinen zur Benutzung entzögen, sofern nicht ein genügende» 
Quantum alkoholischer Getränke konsumiert würde; man sei dank der heutigen Sitte und Gewohn¬ 
heit, dem geltenden Trinkzwang, verpflichtet, beim Betreten eines Wirthshauses etwas zu trinken, 
mag dafür ein Bedürfnis vorhanden sein oder nicht. Mithin sei eine Gasthausreform durchaus 
geboten, wie* sie nebenbei von einer Anzahl gerade der besseren Wirthe selbst angestrebt werde. 
Die Verbindung zwischen Verein und Wirthshaus müsse gelockert, das Trinken innerhalb der Vereine 
gehemmt werden. Vereine sollten möglichst eigene Lokale besitzen, wie die Förderung von Volka- 
häusern, Volksheimen ohne Trinkzwang nicht warm genug empfohlen werden könne. Die Frage 
der edlen Volkserholung sei eine der grössten und schwersten Arbeiten der Jetztzeit, und harre 
allerorts der Lösung; statt durch Denkmäler möge man das Andenken grosser Männer durch Errichtung 
von Volkshallen, Kaffeehäusern, Volksbibliotheken und Lesehallen ehren. Bei alledem dürfe aber 
die Familie nicht vernachlässigt werden, die Pflege der Geselligkeit innerhalb derselben stehe obenan, 
und dies gelte für alle Schichten der Bevölkerung, man solle nicht nach unten Mässigkeit predigen 
und dabei oben Bacchus und Gambrinus unbeschränkt herrschen lassen. 

Pfarrer Schwarz-Warthausen theilte als Mitberichterstatter den Standpunkt des Referenten 
vollkommen; auch er sprach sich sehr bestimmt für die Nothwendigkeit einer Gasthausreform aus, 
und empfahl, dass der Deutsche Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke die Initiative hierzu 
ergreifen möge, um über das ganze Reich eine Einheitlichkeit herbeizuführen. Gerade die werth¬ 
volleren, volkstümlichen Vereine, wie Turn- und Kriegervereine, sollten, als im ganzen Reich zu¬ 
sammenhängende Organisationen, mit dazu beitragen, überall in den Wirtschaften, auf die sie an¬ 
gewiesen, statt der alkoholhaltigen auch alkoholfreie Getränke zu verlangen; so würde schon eine 
Aenderung eintreten. Es müsse überhaupt das Vorhalten von alkoholfreien Getränken, und zwar zu 
billigen Preisen, für die Wirthe gesetzlich sein. In Wien habe sich bereits der Gastwirthsvcrband 
bereit erklärt, diesem Wunsche Rechnung zu tragen, ein Beweis, dass man in Wirtskreisen wohl 
geneigt sei, billige Forderungen des Publikums zu berücksichtigen. 

Dr. med. Beck-Mengen, Vorsitzender des Vereins württembergischer Bahnärzte, referierte alsdann 
über das Thema: Was lässt sich zur Trinksittenreform bei den Öffentlichen Verkehrs¬ 
einrichtungen thun? Referent verbreitete sich zunächst über den Alkohol als Genuss- und 
Nahrungsmittel, wies auf die Grossindustrio hin, welche bestrebt sei, die Getränke so billig wie 
möglich herzustellen, um dadurch einen grösstmöglichen Absatz zu erzielen. Mit dem Genuss mehre 
sich der Durst, sobald aber die Wirkung des Alkohols beginne, höre die ruhige Ueberlegung auf; 
so sei es gerade für Angestellte im Eisenbalindienst bei ihrer hohen Verantwortlichkeit von aller¬ 
grösstem Interesse, die Alkoholgefahr zu beseitigen. Der Grund zum Alkoholismus werde bei den 
niederen Beamten häufig während der Militärdienstzeit, bei höheren Beamten auf den Hochschulen 
gelegt. Eine Umfrage bei den deutschen Bahnverwaltungen habe ergeben, dass nur einige Ver¬ 
waltungen Verordnungen nach dieser Richtung erlassen haben. Der Eisenbahnbeamte solle während seiner 
Dienststunden keinerlei alkoholischen Getränke zu sich nehmen, höchstens abends nach dem Dienst. 
Eine völlige Abschaffung des Alkohols halte er für eine Utopie; deshalb möge man nicht mit gänz¬ 
lichem Verbot und Strafen gegen die Trinksitten vorgehen, sondern diese zu reformieren suchen. 
Hierzu gehöre u. a. Abhaltung von Versammlungen der Eisenbahner in Lokalen ohne Speisen- und 
Getränkeverabreichung, Kocheinrichtungen in den Packwagen, gutes Trinkwasser auf den Bahn¬ 
höfen, daselbst Verabreichung alkoholfreier Getränke zum Selbstkostenpreise an die Beamten. 
Wünschenswerth wäre ferner, dass die Bekämpfung des Alkoholmissbrauches bei der Handels- und 
Kriegsmarine eingeführt würde; die neue Seemannsordnung enthalte indess keinerlei derartige Be¬ 
stimmungen. Redner plädierte für grössere Aufklärung und Belehrung, und meinte, dass von dem 
einzelnen Beamten und seiner Behörde erst dann etwas Eingreifendes zu erwarten sei, wenn sieb 
das Volk allgemein gegen die Trinksitten erklärt und die Bekämpfung gegen den Missbrauch 
geistiger Getränke aufgenommen haben würde. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 535 


In der Diskussion brachte Dr. med. Gaye-Stettin interessante Bestimmungen von ausser- 
rieutschen Eisen bahn Verwaltungen betreffend das gänzliche Verbot alkoholischer Getränke für alle 
Angestellten; er befürwortete als Bahnarzt dringend die völlige Durchführung der Abstinenz bei 
den Eisenbahnbeamten und deren Anschluss an den vom Eisenbahndirektor de Terra-Stolp ge¬ 
gründeten »Verein enthaltsamer deutscher Eisenbahner«. — Mehrere Herren sprachen sich in ähn¬ 
lichem Sinne aus, indem sie auf die Untersuchungen Kräpelin’s, betreffend die protrahierte Nach¬ 
wirkung des Alkohols, verwiesen. 

Zum Schluss dieser sehr werthvollen Berathungen wurde auf Vorschlag des Vorsitzenden der 
Geheime Medicinalrath Dr. Baer-Berlin, der verdienstvolle Förderer der Alkoholfrage, zum Ehren¬ 
mitglied des Vereins ernannt. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). I 

K B. Lehmann und E.Volt, Die Fettbildung ! 
aus Kohlehydraten. Zeitschrift für Biologie 1 
Bd. 24. Neue Folge. j 

Die Verfasser theilen ausführlich eine Ver¬ 
suchsreihe mit, die sie im Jahre 1884 im C. Voit- 
schen Laboratorium ausführten, und die zeigt, 
dass Voit damals schon, lange vor den Pflüger- 
schen Einwänden, die Entstehung von Fett aus 
Kohlehydraten klar erkannte. 

Die Versuche sind an Gänsen ausgeführt, 
die mit Reis ernährt wurden. Da, wie die Ver¬ 
fasser zeigen, die Schätzung des ursprünglichen 
Fettgehaltes nach den Bestimmungen gleich¬ 
genährter Kontrollthiere kaum genügend sichere 
Resultate liefert, suchten die Verfasser die sämmt- 
lichen Einnahmen und Ausgaben der Thierc 
während der gangen 8—17 Tage dauernden 
Vereuchszeiten (inklusive ausgeathmete C0 2 ) 
exakt zu bestimmen. Drei verschieden an¬ 
geordnete Versuchsreihen zeigen übereinstimmend, 
dass bei reichlicher Zufuhr von Kohlehydrat in 
der That grössere Mengen von Kohlenstoff (bis 
zu 113 g in vier Tagen) im Thierkörper zurück¬ 
gehalten werden. Ueber die Form, in welcher 
der Kohlenstoff im Körper verbleibt, werden 
die Verfasser in einer späteren Arbeit berichten. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


K. Oppenheimer, Ueber das Verhältnis» 
des Nahrnngsbedarfes zu Körpergewicht 
nnd Körperoberfläche bei Säuglingen. 

Zeitschrift für Biologie Bd. 24. Neue Folge. 

Ein von Oppenheimer genau beobachtetes 
frühgeborenes Kind mit einem Anfangsgewicht 


von 1970 g hatte nach 20 Wochen sein Anfangs¬ 
gewicht auf das 2,28 fache gesteigert (normale 
Kinder wiegen zu dieser Zeit genau doppelt so 
viel wie bei der Geburt), während »normal« sich 
entwickelnde frühgeborene Kinder relativ mehr 
an Gewicht zunehmen (2,89: l). 

Durch Vergleich mit einem normalen Säugling 
und mit einem von Hahn er ähnlich genau be¬ 
obachteten Frühgeborenen (Geburtsgewicht 1620) 
kann Oppenheimer zeigen, dass der normal 
sich entwickelnde Frühgeborene pro Kilo Körper¬ 
gewicht mehr Nahrung aufnimmt als der normale 
Säugling, und dass sein Kind bei derselben 
Nahrungsaufnahme (pro Kilo) wie der normale 
Säugling im Wachsthum zurückblieb. Die Er¬ 
klärung für diese Widersprüche liefert das 
Rubner’sche Gesetz, dass nicht Körpergewicht, 
sondern Körperoberfläche den Nahrungsbedarf 
bestimmen: Pro Quadratmeter Oberfläche nahmen 
der normale Säugling und der Frühgeborene mit 
normaler Entwickelung gleich viel Milch auf, das 
vom Verfasser beobachtete Kind dagegen circa 
14<>/ 0 weniger. 

Oppenheimer sieht demgemäss in seiner 
Beobachtung eine Bestätigung jenes Rubner- 
schen Gesetzes (wobei er allerdings Zusammen¬ 
setzung und Ausnutzung der Nahrung bei den 
verschiedenen Kindern als gleich voraussetzen 
muss). D. Gerhardt (Strassburg). 


Waldvogel, Der Stoffwechsel im Gicht¬ 
anfall. Centralblatt für Stoffwechsel- und 
Verdauungskrankheiten 1902. No. 1. 

Verfasser hat auf der Ebstein'sehen Klinik 
zu Göttingen bei einem an einem Gichtanfall 
leidenden Patienten Blut- und Stoffwechselunter¬ 
suchungen nach verschiedenen Richtungen hin 


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536 Referate über Bücher und Aufsätze. 


augestellt. Es ergab sich hierbei, dass der Harn- 
säuregehalt des Blutes etwas vermehrt (23 mg 
auf 1000) und die Gefrierpunktserniedrigung des 
Blutes während des Gichtanfalls erhöht war. j 
Letzteren Befund hat Referent selbst einmal be¬ 
obachtet und auch in seiner Monographie über 
die chronischen Nierenentzündungen mitgetheilt. 
Doch fand Referent in zwei anderen Fällen, in 
welchen er während des Anfalls gleichfalls die I 
Gefrierpunktserniedrigung bestimmte, dies Ver¬ 
halten nicht wieder. 1 

Bei den Stoffwechseluntersuchungen, bei 
welchen Waldvogel den Stickstoffgehalt der ! 
Nahrung und des Kothes leider nicht bestimmt 
hat, ergab sich bei dem — nur wenig Nahrung 
zu sich nehmenden — Patienten eine geringe 
Stickstoffausscheidung im Urin. Der Harnsäure- j 
werth im Urin war leicht erhöht, dagegen war 
die Phosphorsäureausscheidung vom Beginn des 
Anfalls an vermindert Die Acidität des Urins j 
schwankte in normalen Grenzen. Verfasser zieht I 
aus diesen Beobachtungen eine Reihe von 
Schlüssen bezüglich deren Details auf das Original 
verwiesen werden muss. Er ist nicht der Meinung, 
dass die in seinem Fall während des Anfalls j 
vorhanden gewesene Steigerung der molekularen | 
Konzentration des Blutes durch eine Nieren- j 
insufficienz zu Stande gekommen ist, sondern er | 
deutet sie als die Folge einer Mehraufnahme | 
(von Harnsäure) aus den Geweben, indem er sich 
vorstellt, dass die Harnsäure aus den Gelenk- 
depöts so rasch gelöst wird, dass die Nieren¬ 
ausscheidung der Lösung nicht das Gleichtgewicht 
halten kann. Das Verhalten der Phosphorsäure 
ist er geneigt, im Sinne eines verminderten i 
NukleTnumsatzes beim Gichtanfall zu deuten. I 
H. Strauss (Berlin). > 
i 

L. Asher und H. Jackson, Ueber die 
Bildung der Milchsäure im Blute, nebst 
einer neuen Methode zur Untersuchung des 
intermediären Stoffwechsels. Zeitschrift für 
Biologie Bd. 41. Heft 3. j 

Zur Entscheidung der Frage, ob die im 
cirkulicrenden Blut entstehende Milchsäure aus 
Zucker oder aus Eiweiss herstammt, prüften die 
Verfasser an künstlich durchströmten Muskeln, 
ob Zuckerzusatz zum Durchströmungsblut Ein- | 
fluss auf die Milchsäurebildung ausübe. Die ( 
Versuche ergaben übereinstimmend, dass ein | 
solcher Einfluss nicht besteht; dagegen zeigte i 
sich, dass die Menge derjenigen N - haltigen | 
Körper, welche durch Eiweisskoagulation (durch 
Alkohol oder Eisenchlorid) nicht gefallt werden ' 
und die jedenfalls als Zerfallsprodukte des 
Eiweisses anzusehen sind, deutlich zunahm. 


Da bei der künstlichen Durchströmung ein¬ 
zelner Organe immerhin durch die zeitweilige 
völlige Blutleere und andere Umstände tiefer¬ 
greifende Veränderungen der Gewebe möglich 
waren, ersannen die Verfasser eine andere Me¬ 
thode der Durchströmung unter mehr natürlichen 
Verhältnissen: sie unterbanden sämmtliche Ein¬ 
geweide, (inklusive Nieren-JGefässe und durch¬ 
trennten (zur Vermeidung von vasomotorischen 
Einflüssen) die Medulla oblongata. Auch in 
diesen Versuchen nahm sowohl die Milchsäure 
wie der »Zerfallstickstoff« während der Be¬ 
obachtungszeit zu, auch hier erwies sich ge¬ 
ringerer oder grösserer Zuckergehalt des Blute? 
ohne Einfluss auf die Milchsäurebildung. 

Die Verfasser halten es demnach für sehr wahr¬ 
scheinlich, dass die Milchsäure nicht aus Kohle¬ 
hydraten, sondern aus Eiweiss gebildet werde; 
Einfluss von Sauerstoffmangel auf ihre Entstehung 
konnten sie (im Gegensatz zuAraki’s bekannten 
Versuchen) nicht feststellen. 

Einzelheiten über die Anordnung der Ver¬ 
suche, interessante Ausführungen über gewisse 
Differenzen in der Menge der erzeugten Milch¬ 
säure bei beiden Versuchsarten, sowie hieraus 
abgeleitete Vermuthungen über den Ort der 
Milchsäurebildung und ihre Beziehung zur Leber 
müssen im Original eingesehen werden. 

D. Gerhardt (Strassburg). 

B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 

E. y. Schenckendorff und F. A. Schmidt, 

Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele. 

Leipzig. R. Voigtländeris Verlag. 

Bei uns in Deutschland wird leider noch 
immer viel zu wenig Gewicht auf die körper¬ 
liche Ausbildung der Jugend gelegt Die zwei 
Turnstunden, welche im allgemeinen wöchentlich 
in den Schulen gegeben w r erden, genügen selbst¬ 
verständlich nicht, um die vielen Schädigungen 
auszugleichen, welche der stundenlange Aufenthalt 
in den Schulräumen, und die oft noch un¬ 
gesundere Lebensweise in den schlecht venti¬ 
lierten Wohnungen der Eltern mit sich bringen. 
Es ist daher lebhaft zu begrüssen, dass die 
Bestrebungen des Centralausschusses zur Förde¬ 
rung der Volks- und Jugendspiele in Deutsch¬ 
land immer mehr an Boden gewinnen. 

Zeugniss hiervon legt der vorliegende 11. Jahr¬ 
gang des Jahrbuches für Volks- und Jagendspiele 
ab, in welchem sich eine Reihe bedeutungvoller 
Aufsätze über das Wesen und die Aufgabe der 
Volks- und Jugendspiele befinden, Aufsätze, die 
auch für die Aerzte von grösstem Interesse sind. 
Wir nennen darunter nur: 1. den Aufsatz von 


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537 


Referate über Bücher and Aufsätze. 


Schmidt (Bonn): Körperpflege und 
Tuberkulose; 2.’ von Burgersten (Wien) 
über: Einige Punkte der Schulgesund¬ 
heitspflege; 3. von Stabsarzt Matthes: Die 
Bedeutung der Volks- und Jugendspiele 
für die nationale Wehrkraft etc. 

Der zweite Theil des Buches ist der Praxis 
der deutschen Spielbewegungen gewidmet. Aus 
ihm möchten wir das Kapitel besonders hervor¬ 
heben, in welchem in vier verschiedenen Auf¬ 
sätzen über dasWandern der Jugend berichtet 
wird. 

Das Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele 
sollte von jedem praktischen Arzte gehalten 
werden, welcher der körperlichen Ausbildung 
der Jagend seiner Klientel das Maass von Be¬ 
deutung beimisst, das ihr thatsächlich zukommt 
Paul Jacob (Berlin). 

Parker Murphy, Körperliche Uebung bei 
der Behandlung der Lungentuberkulose« The 

Dietetic and Hygienic Gazette Bd. 16. No. 12. 

Verfasser betont den hohen Werth der Lungen- 
gymnastik für die Prophylaxe und Behandlung der 
Tuberkulose. Er lässt die Patienten, wenn mög- ; 
lieh im Freien, ^systematisch tief athmen unter 
gleichzeitigem Heben und Senken der Arme bei j 
der Inspiration resp. Exspiration. Es gelingt da¬ 
durch ausnahmslos, bei beginnender Phthise die 
Lungenkapazität zu vergrössem und die Cirku- | 
lationsVerhältnisse in den Lungen zu verbessern. 
Dasselbe Verfahren ist angezeigt bei Rekon- 
valescentcn von Pneumonie und Pleuritis. Die 
Intensität und Dauer der Uebung muss dem 
Kräftezustand der Patienten sorgfältig angepasst 
werden. Bei entsprechendem Kräftezustand kön¬ 
nen mit Erfolg auch die verschiedenen für diesen 
Zweck empfohlenen Apparate (Exerciser) ver¬ 
wendet werden. Wenn die Uebungen im Zimmer 
vorgenommen werden, so ist für entsprechende 
Ventilation der Räume zu sorgen. 1 

R. Friedlaender (Wiesbaden). 


Paravicini, Selbstmassage im lauen Bade. 

Korrespondenzblatt der Schweizer Aerzte 1901. 

No. 2. 

i 

Verfasser empfiehlt mit der Applikation ther- j 
mischer Reize eine mechanische Selbstbehandlung ! 
mittels Massage und Gymnastik zu verbinden. 
Eine solche Selbstmassage im lauwarmen Bade | 
kommt namentlich bei chronischer Obstipation in 
Betracht Muskel Übungen und Selbstmassage im 
Bade sind ferner als Ersatz für Schwimmbäder 
oder als begleitende Prozeduren einer Terrain- 

Zeitachr. t diät u._phy»ik. Thorapia Bd. VI. Heft 9. 


kur anzuwenden. Die Massage des Bauches und 
der Extremitäten kann der Patient selbst sehr 
wohl im Wasser vornehmen, dazu werden aus¬ 
giebige Bewegungen in allen Gelenken ausgeführt 
R. Friedlaender (Wiesbaden). 


Robert Kennedy, Ueber die Wiederher- 
stellung koordinierter Bewegungen nach 
Nervendurchschneidung. The Lancet 1900. 
Februar. 

Verfasser hat bei drei Hunden den Ischiadicus 
durchschnitten, die Schnittenden durch Naht ver¬ 
einigt und die Wiederherstellung der Funktion 
beobachtet. Dabei wurden einmal die Schnitt¬ 
enden bei der Naht möglichst genau in ihrer ur¬ 
sprünglichen Lage aufeinander gepasst, während 
bei den beiden anderen Hunden das peripherische 
Segment vor der Vereinigung halb um seine 
Achse gedreht wurde. Diese Versuche ergaben, 
dass die Wiederherstellung der Funktion gleich 
schnell erfolgt, ob nun die beiden Enden des 
durchschnittenen Nerven genau aufeinander ge¬ 
passt werden, um die korrespondierenden Nerven¬ 
fasern möglichst aneinander zu bringen oder ob 
das peripherische Segment so gedreht wird, dass 
nicht korrespondierende Fasern aufeinander zu 
liegen kommen. Die mikroskopische Untersuchung 
der wiederverheiltcn Nerven ergab, dass die 
Wiedervereinigung im wesentlichen durch neu ge¬ 
bildete Nervenfasern erfolgte, und Hess es zweifel¬ 
haft, ob diese in der Narbe sich vielfach kreuzen¬ 
den jungen Nervenfasern den Zusammenhang 
zwischen früher korrespondierenden Nervenendi¬ 
gungen vermittelten oder Fasern vereinigten, die 
vorher nicht korrespondiert hatten, sondern nur 
vor der Naht aneinander gelegt waren. 

R. Friedlaender (Wiesbaden). 


C. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Weiner und Matt, Praktische Hydrotherapie. 

Frankfurt am Main 1901. Johannes Alt 

In vorliegendem Buche handelt es sich um 
eine freie Bearbeitung der DuvaTschen ®La 
pratiquede l’hydrothörapie«, einem preisgekrönten 
Werk aus dem Jahre 1891, das die während 
30 Jahren gesammelten Erfahrungen eines her¬ 
vorragenden Praktikers enthält Im Vordergründe 
der Duval*sehen Hydrotherapie stehen die 
Douchen, die nach der französischen Auffassung 
alle anderen Prozeduren zu ersetzen im stände 
sind, selbst bei der Behandlung chronischer Er- 

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538 


Referate über Bücher and Aufsätze. 


krankungen. Er verwendet bei der Douchen- 
applikation Wasser von 8° C, verwirft im 
grossen und ganzen warme Douchen, auch die 
Werthschätzung der alternierenden schottischen 
Douche ist bei ihm nicht gross. Jedenfalls regt 
die eigenartige Verwendung der Douche, wenn 
sie auch manchmal übertrieben einseitig erscheint, 
in dem DuvaTschen System zum Nachdenken 
an, und eröffnet eine Reihe in der bei uns ge¬ 
übten Hydrotherapie weniger streng zum Aus¬ 
druck kommenden Ausblicke. Die Verfasser, die 
neben den Erfahrungen und Beobachtungen des 
französischen Praktikers ihre eigenen, sowie die 
Lehren von Winternitz zu Worte kommen 
lassen, haben jedenfalls das Verdienst, dieses zeit- 
gemässeWerk, aus dem eine Summe praktischer 
Erlebnisse spricht, den deutschen Aerztcn zu¬ 
gänglich gemacht zu haben. 

J. Marcuso (Mannheim). 


Parkes Weber (London) with the collaboration 
for America of Guy Hinsdale, Health 
resortB — Mineral sprlngs. In two books. 
London 1901. Rebman Limited. 

Von dem grossen Sammelwerk, welches 
Cohen über die gesammte diätetische und 
physikalische Therapie herausgiebt, sind Bd. 3 
und 4 von Weber unter Mithilfe von Hinsdale 
bearbeitet worden. Es liegt hier ein Werk über 
die Klimatologie und Balneologie vor, welches 
besonders in Bezug auf die umfassende Gründ¬ 
lichkeit, mit der die Kurplätze der ganzen Welt 
beschrieben werden, kaum seinesgleichen auf¬ 
weisen dürfte. Aber noch nach vielen anderen Rich¬ 
tungen hin bieten die beiden Bände vorzügliches: 
In den ersten Kapiteln werden die klimatischen 
Faktoren, die Zusammensetzung der Atmosphäre, 
die Beziehungen der Besonnung, Vegetation, des 
Wasserreichthums etc. zu dem Klima erörtert; 
dann werden die Klimata in fast sämmtlichen 
aussereuropäischen und europäischen Ländern 
besprochen, wobei nicht nur die klimatischen 
Verhältnisse der eigentlichen Kurplätze, sondern 
auch die der Länder, Inseln etc. und der grossen 
Städte kritisch beleuchtet werden. Weiterhin 
werden in zwei allgemeinen Kapiteln die all¬ 
gemeinen Indikationen, welche au einen Kurort 
gestellt werden müssen, und die therapeutischen 1 
Hilfsmittel, die hier zur Verfügung stehen, er- j 
läutert; und schliesslich werden in eiuer Reihe I 
von Spezialartikeln die Kurorte, welche für die ! 
einzelnen Krankheitsgruppen am meisten in j 
Betracht kommen, kritisch aufgezählt. j 

Das Werk ist somit der werthvollste 
»ärztliche Bädeker«, den wir besitzen. Mit 
ruhiger Objektivität, und unter Benutzung der i 


reichen Erfahrungen seines Vaters, des be¬ 
kannten und berühmten Sir Hermann Weber, 
mit welchem gemeinschaftlich derAutor bereits vor 
mehreren Jahren ein ähnliches kleineres Werk: 
»The mineral waters and health resorts of 
Europe* herausgegeben hat, hat er hier das 
gewaltige Material gesichtet, welches — wir 
möchten beinahe sagen — die ganze Welt mit 
ihren unerschöpflichen Naturkräften uns Aerzten 
zur Bekämpfung und Heilung der Krankheiten 
bietet. 

Wohl zum ersten Male erfahren wir 
europäischen Aerzte durch das Studium dieses 
Werkes von den immensen Heilscbätzen, welche 
auch in der »neuen Welta enthalten, aber zum 
grossen Theile bisher noch nicht gehoben sind. 

Auch den Hygienikern, den Behörden, 
welche bei der modernen Ausbreitung der 
Kolonieen sich mit den klimatischen Fragen der 
aussereuropäischen Länder eingehend beschäftigen 
müssen, wird das Werk ein werthvoller Rath¬ 
geber sein. 

Ein vorzügliches Sachregister, ein grosses 
Kartenmaterial erleichtern seine Benutzung ganz 
wesentlich. 

So erscheint eine Empfehlung dieser beiden 
von P. Weber herausgegebenen Bände durch 
den Referenten überflüssig; sie empfehlen sich 
jedem von selbst, der sich die Mühe nimmt, sie 
zu studieren. Mögen dies recht viele thun! 

Paul Jacob (Berlin). 

Max Silber, Zur therapeutischen Verwendung 
der Wärme mit besonderer Berücksichtigung 
der Fangobehandlung. Vortrag, gehalten in 
der medicinischen Sektion der schlesischen Ge¬ 
sellschaft für vaterländische Kultur am 31. Januar 
1902. Allgem. medicin. Centralzeitung 1902. 
No. 16 u. 17. 

Bei der therapeutischen Verwendung der 
Wärme ist es für die Auswahl der Methode von 
Wichtigkeit, ob man im gegebenen Fall lediglich 
eine Wärmezufuhr oder auch gleichzeitig dabei 
eine Wärmestauung beabsichtigt. Während bei 
der ersteren Maassnahme nur eine vorübergehende 
Hauthyperämie cintritt und die Vermehrung der 
Blutkörperchen und des Hämoglobingehaltes in 
dem aus der Hautoberfläche gewonnenen Blut¬ 
tropfen nur auf einer Aenderung in der Biut- 
vcrtheilung beruht, wird bei Anwendung von 
Wärmestauung ein mehr oder weniger intensiver 
Einfluss auf den Stoffwechsel des Organismus 
ausgeübt, was sich klinisch schon in der erhöhten 
Körpertemperatur und gesteigerten Pulsfrequenz 
bemerkbar macht. Dieser prinzipielle Unterschied 
bleibt auch bestehen, wenn nicht der ganze 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


539 


Körper, sondern nur einzelne Theile der erhitzen¬ 
den Prozedur ausgesetzt werden. 

Die Auswahl des Badematerials richtet sich 
einmal nach der beabsichtigten Höhe der Tempe¬ 
ratur und ferner danach, ob man neben der aus¬ 
schliesslich thermischen Wirkung noch eine 
mechanische oder chemische erzielen will. 

Die höchsten Hitzegrade bis zu 150° C lassen 
sich durch Heissluftbäder und die ihnen im all¬ 
gemeinen gleich werthigen elektrischen Lichtbäder 
erzielen, wobei sich allerdings herausstellt, dass 
die excessiven Hitzegrade — abgesehen von der 
grossen Gefahr der Verbrennung — nicht im 
Einklang stehen mit dem gewünschten Effekt, im 
Gegentheil weniger gute Resultate liefern als die 
massigere Wärme der Moor- und Schlammbäder. 
Die Heissluft- bezw. elektrischen Lichtbäder, deren 
Wirkung lediglich eine thermische ist, also auf 
Wärmezufuhr beruht, sind bei gewissen patho¬ 
logischen Verhältnissen am Platze, wo man eine 
Entlastung der inneren Organe anstrebt. Voraus- 
setzungistallerdings, dass keine arteriosklerotische 
Entartung im Gefässsystem besteht, damit das¬ 
selbe die veränderten Druck Verhältnisse aushalte. 

Wenn auch die genannten Prozeduren nicht 
ohne jeden Einfluss auf den Stoffwechsel sind, 
so stehen sie doch in ihrer oxydationssteigernden 
Wirkung hinter der der heissen Wasserbäder er¬ 
heblich zurück. Diese gehören bereits zu den 
Methoden der Wärmestauung und sind infolge 
dessen im stände, pathologische Produkte zum 
Zerfall und zur Resorption zu bringen (Winter¬ 
nitz). Bekannt ist die Behandlung der Bleich¬ 
sucht mit heissen Bädern durch die Untersuchungen 
von Rosin, der entsprechend dem gesteigerten 
Stoffwechsel eine absolut vermehrte Ausscheidung 
der festen Harnbestandtheile feststclltc; doch ist 
der Heileffekt der heissen Wasserbäder beschränkt 
durch die Höhe der Temperatur, die kaum über 
40° C vertragen wird. Will man einen intensiveren 
fleilcffekt durch höhere Temperaturen erzielen, 
so muss man zu Moor- oder Schlammbädern greifen 
Noch höhere Hitzegrade werden anstandslos bei 
der Fangopackung bis zu 55° C vertragen und 
beim Sandbadc, das man bei allmählicher Steige¬ 
rung bis auf 60° C und darüber bringen kann. 
Aber trotz dieser intensiven Wärme erreichen 
die heissen Sandbäder, deren Erfolg bei der 
Resorption alter entzündlicher Produkte in den 
Gelenken u. s. w. unbestritten ist, nicht die Er¬ 
gebnisse der Moorbäder und der Fangoappli¬ 
kationen. 

Besonders instruktiv sind in dieser Hinsicht 
die vergleichenden Untersuchungen von Thime 
in Kottbus mit Fango-, Sand-, Heissluft-, örtlichem 
Dampfbad und Thermophoren, der bei Unfall¬ 
erkrankungen die Wirkung des Fango an eiste 


Stelle stellt. Diese vorurtheilsfreien Untersuchungen 
weisen darauf hin, dass ausser der Wärme noch 
andere Qualitäten und besonders dem mechanischen 
Einfluss der Medien eine hervorragende Bedeutung 
zukommen muss: je dichter das Medium, desto 
stärker der Effekt. Daher kann Sand, dessen 
Körnchen immer noch mit Luft angefüllte Lücken 
zwischen sich lassen, nie den gleichen mecha¬ 
nischen Reiz hervorrufen wie Moor und besonders 
Fango, der sich aufs innigste an die Körperhaut 
anschmiegt und durch seinen Druck geradezu als 
eine Art Massage wirkt. Dazu kommt als weiterer 
Vorzug, dass kein anderes Material vermöge der 
geringen Wärmeleitungsfähigkeit stundenlang so 
gleichmässig warm erhalten werden, ja während 
der Applikation durch geeignete Vorkehrungen 
noch weiter gleichmässig in seiner Temperatur 
erhöht werden kann als der Fango. Und will 
man den chemischen Bestandteilen, wie das 
von einzelnen geschieht (Foss), eine besondere 
Bedeutung bei der Heilwirkung der Moor- und 
Schlammbäder beilegen, so kann auch diese 
mit vollem Recht für den Fango in Anspruch 
genommen werden, da er alle wesentlichen Be¬ 
standteile des Moores enthält (Liebreich) 
Schliesslich verhindert der Feuchtigkeitsgehalt 
der Moor- und Fangoapplikationen noch mehr 
wie beim trockenen Sandbade die Regulation 
mit der Aussenluft und erhöht dadurch die an 
und für sich beträchtliche Wärmestauung. 

Diesen Eigenschaften des Fango entspricht 
die intensive Alteration des Stoffwechsels und 
macht die hervorragenden Hcileffekte bei Ex¬ 
sudaten, pathologischen Ablagerungen und ähn¬ 
lichen Abnormitäten erklärlich; wird doch die 
Eigenwärme bei Applikationen mit Einpackung 
des ganzen Körpers um 1—1,500 erhöht. Dabei 
steigert sich die Pulsfrequenz nur unbedeutend, 
im Durchschnitt um 10—12 Schläge und die 
Athmung um ca. sechs Athemzüge ln der 
Minute. Infolgedessen werden auch die Fango¬ 
packungen durchwegs gut vertragen. Dieselbe 
Wärmestauung zeigt sich auch bei isolierter 
lokaler Applikation ohne Einpackung des ganzen 
Körpers in dem gerade behandelten Bezirk, wie 
Verfasser an zahlreichen Messungen und Beobach¬ 
tungen hat feststellen können, so dass es durchaus 
rationell ist, lokale Erkrankungen gewisser Art 
mit lokaler Anwendung von Wärme zu behandeln. 

Verfasser berichtet über seine eigenen Er¬ 
fahrungen, die sich auf über 200 Fälle mit ca. 
3000 Anwendungen erstrecken. Die besten Er¬ 
folge wurden erzielt bei Lumbago, akutem und 
subakutem Gelenkrheumatismus, Muskelrheuma¬ 
tismus, Residuen von Entzündungen der Bauch¬ 
organe, entzündlichem Plattfuss und Stauungen 
in den unteren Extremitäten. Sehr zufrieden- 

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540 Referate über Bücher und Aufsätze. 


stellend waren die erzielten Resultate bei Residuen 
nach Verletzungen, Knochenbrüchen, Kontusionen, 
Luxationen etc., Ischias, Gicht, odcmatösen Ver¬ 
dickungen, Periostitiden etc. Selbst bei den trost¬ 
losen Formen schwerer Arthritis deformans wurde 
in so weit ein günstiger Einfluss konstatiert, als 
die Schmerzen beseitigt und die Bewegungs¬ 
fähigkeit gebessert wurden. Am ungünstigsten 
waren die Erfolge bei veralteten Affektionen 
der Kniegelenke, die schon Jahre lang, manche 
über zwei Dezennien, bestanden. In Zahlen aus¬ 
gedrückt waren es 60°/ 0 geheilte, 32% gebesserte, 
8% ungeheilte Fälle. Noch besser erweist sich 
der Erfolg der Kuren im allgemeinen in der 
Fangokuranstalt in Berlin. Das Ergebniss würde 
sich noch günstiger gestalten, wenn die Fango¬ 
behandlung nicht mit Vorliebe als ultima ratio 
bei inveterierten Leiden in Anwendung gezogen 
würde. 

»Das günstige allgemeine Urtheil, das über 
die Heilwirkung des Fango gefällt wird, muss 
in Zukunft immer weniger Einschränkung erfahren, 
je mehr sich der einzelne Arzt für seine Anwen¬ 
dung interessiert. Ein vereinzelter Erfolg be¬ 
rechtigt eben so wenig zu überschwenglichem 
Lobe, wie ein Misserfolg zur Ablehnung, besonders 
wenn er zufällig mit dem ersten Versuche zu¬ 
sammenfällt. Ein Kurmittel, welches in tausen¬ 
den von Krankkeitsfällen in über 200000 An¬ 
wendungen so selten im Stich gelassen hat, ver¬ 
dient zum mindesten die ernsthafte und wohl¬ 
wollende Prüfung der Fachgenossen«. 

Bein (Berlin). 


D. Elektro- und Röntgentherapie. 

Fritz Frankenhäuser, Das Licht als Kraft 
und seine Wirkungen. Berlin 1902. 

Die erhöhte Bedeutung, die das Licht im 
letzten Jahrzehnt für die Medicin gewonnen, die 
überraschenden Resultate, die es in der Therapie 
gezeitigt, haben allenthalben die Forschung auf 
die Wirkungen desselben in der belebten wie 
unbelebten Natur gelenkt. Diesem systematischen 
Streben, Klarheit in einer so wichtigen biolo¬ 
gischen Frage zu gewinnen, verdankt auch die 
vorliegende Arbeit ihren Ursprung, in der der 
Verfasser sich bemüht hat, ein möglichst orga¬ 
nisches Bild von den gesetzmässigen Wirkungen 
des Lichtes zu geben. In der richtigen Erkennt¬ 
nis, dass die Bedeutung des Lichtes für Gesund¬ 
heit und Kranksein nur erfasst werden kann auf 
der gesicherten Grundlage der Erkenntnis des 
Lichtes als Kraft, seiner physikalischen Eigen¬ 
schaften, seiner chemischen Energie, schildert 
Frankenhäuser in knapper und klarer Dar- 


l Stellung die heutigen wissenschaftlichen An¬ 
schauungen über die Photophysik, Photochemie 
J und Photophysiologie, um in dem letzten Theil 
I des Werkchens -die allgemeinen Gründzüge der 
j Phototherapie zu entwickeln. Das frisch und 
I anschaulich geschriebene Büchlein kann allen 
denen, die der Lichttherapie wissenschaftliches 
[ wie praktisches Interesse entgegenbringen, warm 
I empfohlen werden. J. Marcuse (Mannheim). 

| 

Strebei, Die praktische Ausübung der Licht¬ 
therapie und das lichttherapeutische Instru¬ 
mentarium. Deutsche Praxis 1902. No. 3. 

In einer durchaus kritischen und objektiven 
Darstellung giebt der auf dem Gebiete der Licht¬ 
therapie wohlbekannte Verfasser eine Schilderung 
der verschiedenen Behandlungsmethoden mit Licht 
und eine Anzahl praktischer Winke für deren 
Anwendung. Ira zweiten Theil seiner Aus¬ 
führungen geht er auf die zuerst von ihm ge¬ 
machten Wahrnehmungen, dass der kondensierte 
Funke des Hochspaunungsstromes eine sehr starke 
bakterientotende Kraft besitzt und bezüglich 
dieser mit dem Kohlen bogenlicht zu rivalisieren 
im stände ist, näher ein. Zur Herstellung dieses 
Lichtes dient ein Funkeninduktor von 10—15 cm 
Schlagweite. Das Licht ist ganz kalt, der 
Apparat dient zur Behandlung des Lupus und 
anderer Hautaffektionen parasitären Ursprungs. 
Unabhängig von Bang und gleichzeitig mit ihm 
hat Strebel weiterhin den Voltabogen zwischen 
! Metallen durch Konstruktion einer Eisenbogen- 
1 lampe therapeutisch in Anwendung gebracht 
t J. Marcuse (Mannheim), 

j 

i 

| Foveau de Courmelles, Les lumi&res 
| froides et refroides en thdrapeutique. 

I Bulletin officicll de la soci£t6 mödicale des 

I praticiens. Söance du 21 mars 1902. 

i Verfasser hat seit Jahren sich bereits mit der 
| Anwendung des Lichtes in der Therapie be- 
! schäftigt, und dasselbe sowohl bei infektiösen 
i Hautexanthemen (Scharlach, Pocken, Ruleole etc.) 

| wie bei Nervenerkrankungen in Anwendung ge- 
I zogen. Vor zwei Jahren hat er einen Radiator 
für chemische Strahlen konstruiert, der aus einer 
i Bogenlampe mit Quarzlinsen und Wasserspülung 
i besteht, und des Autors Mittheilungen nach an 
( Einfachheit der Konstruktion, leichter Handlich¬ 
keit und Kostenersparniss alle ähnlichen Apparate 
| übertrifft Damit will er u. a. sehr glückliche 
! Resultate bei tuberkulösen Erkrankungen der 
| Haut, der Knochen und selbst der Lungen er- 
; zielt haben. Die als analog günstige Erfolge 



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Referate über Bücher und Aufsätze. 541 


angeführten Versuche von Kaiser (Wien) sind 
um deswillen nicht besonders glücklich gewählt, 
als ja inzwischen, wie bereits an anderer Stelle 
erwähnt, Krause und Holzknecht auf Grund 
von Nachprüfungen die Richtigkeit der Kais er¬ 
sehen Versuche bestritten haben. Auch die von 
Minin’schem Geiste beeinflussten Perspektiven 
auf die Wirkung des Lichtes als Heilmittel bei 
den verschiedensten Läsionen in der Tiefe, und 
die bakterientötende Wirkung des blauen Lichtes 
daselbst erscheinen bei kühler Betrachtung nicht 
einwandfrei. J. Marcuse (Mannheim). 


E. Verschiedenes. 

Paul Jaeob und Gotthold Pannwitz, Ent¬ 
stehung und Bekämpfung der Lungentuber¬ 
kulose. Band H. Bekämpfung dor Lungen¬ 
tuberkulose. Leipzig 1902. Georg Thicrae. 

Von dem gross angelegten Werk, dessen 
erster Band 1901 erschienen i), ist zur rechten Zeit, 
im Augenblicke, wo die erste internationale 
Tuberkulosekonferenz in Berlin zusammen trat, der 
zweite »Die Bekämpfung der Lungentuberkulose« 
herausgegeben worden. Hatten wir schon bei der 
Besprechung des ersten Theiles — der Entstehung 
der Tuberkulose — Gelegenheit, die mustergiltige 
Darstellung seitens der Verfasser, die übersicht¬ 
liche Anordnung des gewaltigen und in seiner 
Beschaffung und Zugrundelegung vorbildlichen 
Materiales zu kennzeichnen, so trifft unsere 
damalige Beurtheilung vollinhaltlich auch auf den 
vorliegenden zweiten Band zu. Die Bekämpfung 
der Lungentuberkulose ist weit mehr wie die 
Entstehung dieser Volkskrankheit ein Problem 
nicht nur der medicinischen Wissenschaft, sondern 
auch der einzelnen Organe unseres weitver¬ 
zweigten sozialen Organismus; und damit erhält 
dieser Band den Charakter eines sozial-hygie¬ 
nischen Werkes vornehmster Art. Als solches 
ist das Studium desselben nicht allein für den 
Arzt, sondern für jeden, der sich mit der I 
brennenden Frage, wie die moderne Kultur das 
Umsichgreifen dieser verderblichsten aller Volks¬ 
seuchen zu bekämpfen hat, beschäftigt, von er- 
spriesslichstem Werthe uud als erstes er¬ 
schöpfendes sozial - hygienisches Werk über die 
Tuberkulose von hervorragender Bedeutung. 

Der Standpunkt der Verfasser hinsichtlich 
des Zustandekommens tuberkulöser Infektion und 
Erkrankung ist der der überwältigenden Mehr¬ 
zahl der Praktiker: Die Tuberkulose wird durch 

*) Besprochen in Heft 4. Bd. f> dieser Zeit- j 
schrift. D. Ref. 


| den von Robert Koch'entdeckten Tuberkelbacil- 
lus verursacht; dieser bedarf indess zu seiner An¬ 
siedelung im menschlichen Körper einer gewissen 
Disposition ^(Anlage, Empfänglichkeit). Diese 
fundamentale Anschauunglist der rothe Faden, 
der steh durch die gesammte wissenschaftliche 
Bearbeitung des vorliegenden Themas hindurch¬ 
zieht und das weitschichtige und umfassonde 
Material anordnet So werden im Abschnitt A 
I zunächst die allgemeinen Lebensbedingungen und 
| Lebensgewohnheiten in ihren Beziehungen zur 
| Disposition und zur Uebertragung des Krankheits- 
j erregers einer Betrachtung unterzogen. Dabei 
! galt als Richtschnur die Anschauung, dass der 
Tuberkelbacillus nicht überall vorhanden, sondern 
dass seine leider so reichlich fliessende Quelle 
immer wieder beim unreinlichen Schwindsüchtigen 
zu suchen ist, welcher rücksichts- und gewissenlos 
seinen giftigen Auswurf in seiner Umgebung 
verstreut. Auch ist mit vollem Recht bei der 
Erwägung der Uebertragungsgefahren die Auf¬ 
fassung abgelehnt worden, als ob die Empfäng¬ 
lichkeit für den Tuberkelbacillus praktisch soweit 
ginge, dass durch zufälliges vereinzeltes Ein- 
athmen verstäubter oder in Speicheltröpfchen ver¬ 
sprühter Tuberkelbacillen die Krankheit ausgelöst 
zu werden pflege. Vielmehr wird dem Tuberkel¬ 
bacillus je nach dem Grad der vorhandenen 
Disposition früher oder später die Ansiedelung 
dadurch ermöglicht, dass gesunde Menschen mit 
den ebengenannten Infektionsträgern in 
geschlossenen Räumen ständig Zu¬ 
sammenleben und fortgesetzt Krank¬ 
heitserreger, die von jenen in Wohnungen, 
Werkstätten u. s. w. der gemeinsamen 
Athmungsluft beigemischt werden, in 
sich aufnehmen. Damit ist der übertriebenen 
Bacillophobie, der ängstlichen Scheu vor jedem 
Schwindsuchtskranken ein Riegel vorgeschoben, 
zugleich aber durch richtige Belehrung von dem 
Wesen der Krankheit die Vorbedingung für eine 
wahrhafte Volksaufklärung erfüllt. — Eheschlies¬ 
sung und Familienleben,Wohnung und Ernährung, 
Kleidung und Hautpflege, das Kindesalter in 
seinen verschiedenen Stadien, das gesammte 
Erwerbsleben, das Verkehrswesen, der Militär¬ 
dienst werden in diesem Abschnitt einer ein¬ 
gehenden Erörterung in ihren Beziehungen zur 
Verhütung der Tuberkulose bei Gesunden unter¬ 
zogen und durch die den einzelnen Kapiteln bei¬ 
gefügten kurzen Schlusssätze knapp und scharf 
präzisiert. 

ImAbschnittB »Fürsorge für die an Tuber¬ 
kulose Erkrankten« wird an erster Stelle die Er¬ 
mittlung, an zweiter die Unterbringung der 
Kranken besprochen. Die Anzeigepflicht, die 
Mitwirkung der Aerzte bei der Krankenermittlung 


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Referate über Bücher und Aufsfitze. 


542 


werden in ihrer wesentlichen Bedeutung und Durch¬ 
führung geschildert und in den weiteren Kapiteln 
der Differenzierungsprozess verfolgt, der sich auf 
dem Gebiete der Krankenfürsorge unter dem 
Einfluss der Bestrebungen des letzten Jahrzehnts 
vollzieht resp. bereits vollzogen hat. Dies be¬ 
zieht sich auf Krankenhäuser, Genesungshäuser, 
Erholungsstätten, die Spezialheilanstalten und 
ländlichen Kolonien für Lungenkranke, die Pflege- 
Stätten für vorgeschrittene Tuberkulose. 

Abschnitt C, D und E zeigen den Stand 
der Tuberkulosebekämpfung in Deutschland und 
im Ausland bezw. die internationalen Bestrebungen 
zur Bekämpfung der Tuberkulose ; ein sehr um¬ 
fangreicher Anhang giebt eine überaus wichtige 
Zusammenstellung der wichtigsten gesetzlichen 
und behördlichen Bestimmungen, soweit sie mit 
der Prophylaxe und Bekämpfung der Tuberkulose 
Zusammenhängen. 

So bringt das von autoritativster Seite ver¬ 
fasste Werk, — denn beide Autoren gehören seit 
Jahren zu den wissenschaftlichen Vorkämpfern 
der Tuberkulosebewegung, — dem Arzte wie dem 
Hygieniker, ja selbst auch dem Verwaltungs- 
beamten, Politiker etc. ein unschätzbares Material, 
dessen vorzügliche Sichtung und Bearbeitung 
das Studium dieser Frage zu einem ebenso an¬ 
regenden wie nutzbringenden macht 

J. Marcuse (Mannheim). 

Jftrgensen, Lehrbuch der speziellen Patho¬ 
logie nnd Therapie, mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der Therapie« Für Studierende 
und Aerzte. Leipzig 1902. Veit & Co. 

Als Jürgensen vor fast 15 Jahren es 
unternahm, in einem einheitlichen Werke selbst¬ 
ständig das gesamintc grosse Gebiet der speziellen 
Pathologie und Therapie zu bearbeiten, war diese 
Aufgabe keine zu schwere; denn es hatte die 
Medicin noch nicht die ungeheueren Fortschritte 
gemacht, welche sie während der letzten zwei 
Jahrzehnte erfahren hat. Wenn der Autor aber | 
jetzt abermals dieses gewaltige Gebiet allein, j 
ohne die Hilfe von Mitarbeitern, monographisch 1 
behandelt, so legt dies ein Zeugniss von seinem ! 
bewundernswerthen Fleissc und seiner Gründ- j 
lichkeit ab. In unserer Zeit, in welcher die Ge¬ 
pflogenheit immer mehr und mehr sich ausbildet, 
sich für ein nur kleines Gebiet zu spezialisieren, 
ist eine unbedingte Gefahr dafür vorhanden, dass 
in diesen Fächern eine gewisssc Einseitigkeit 
allmählich entsteht. Der klinische Lehrer der i 
Jugend — darin stimmen wir Jürgensen bei 
— und der Autor, welcher ein Buch für praktische 
Aerzte schreibt, müssen über diesem Spezialisten¬ 
thum stehen. Ein Werk der speziellen Phathologie 


und Therapie kann aber nur dann aus einem Gusse 
entstehen, wenn ein Einziger mit umfassendem 
kritischen Blick das gesammte Gebiet bearbeitet 
und in rieh tiger W eise ab wägt, was für den Studenten 
und praktischen Arzt wissenswerth, was über¬ 
flüssig erscheint. Nach dieser Richtung hin muss 
das vorliegende Werk von Jürgensen als ein 
hervorragendes bezeichnet werden. Nicht an allen 
Stellen ist es vielleicht den neuesten Forschungs¬ 
ergebnissen gerecht geworden; aber dies sind 
kleine Mängel, welche den Werth des Werkes 
nicht herabsetzen können, und welche namentlich 
für die Leser, für die das Buch bestimmt ist, 
überhaupt nicht in Betracht kommen. Es sei 
daher Studenten und Aerzten angelegentlichst 
empfohlen. Paul Jacob (Berlin). 


A. Eppler, Haushaltungsknnde. Ein Lehr¬ 
buch für Frauen und Mädchen, besonders zum 
Unterricht an höheren Mädchenschulen, Haus- 
haltungspensionaten und Fortbildungsschulen. 
Wolfenbüttel 1902. 

Der Verfasser ist wissenschaftlicher Lehrer 
an der höheren Mädchenschule in Detmold und 
hält auf Veranlassung seines Direktors Lange 
sowohl in der Mädchenschule als auch in Fort¬ 
bildungskursen für Damen Vorträge über Haus- 
lnltungskunde, deren Inhalt er in vorliegendem 
Buche niedergelegt hat. Das kleine Werk ver¬ 
dient Beachtung, und es ist zu wünschen, dass es 
in weiteren Kreisen Aufnahme findet. In äusserst 
lebendiger Sprache mit klaren, schematischen 
Zeichnungen bietet der Verfasser eine populäre 
Hygiene, der sich eine kurze Darstellung der 
Hilfeleistung bei plötzlichen Erkrankungen und 
Unglücksfällen und der Krankenpflege anschliesst 
Auch Zeitfragen, wie die des Alkoholismus und 
Vegetarismus zieht er in die Besprechung und 
behandelt sie leicht verständlich mit Geschick. 
Energisch macht er gegen das Kurfuscherthum 
Front. 

Den breitesten Raum des Buches nimmt die 
Nah rungsmittel künde ein. Hier geht der Ver¬ 
fasser vielleicht über den Rahmen des Buches 
hinaus. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkte 
aus verlangt er eine grössere Verwendung der 
Hülsenfrüchte und sieht in der Fettbohne (Soja 
hispida) das zukünftige Ideal der Volksnahrung. 

»Vor ca. 25 Jahren hat Professor Haber¬ 
land in Wien, begeistert durch den ausser¬ 
ordentlich hohen Gehalt an Stickstoffsubstanz 
und Fett, versucht, die Fettbohne bei uns ein¬ 
zuführen , doch hatte er nicht die richtigen 
Varietäten, hatte wenig Kenntnisse in Bezug auf 
die Verwerthung und starb zu früh, so dass sein 
mit grossem Eifer begonnenes Werk unvollendet 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


blieb, auch wusste man damals noch nichts von 
den Bakterienarten, mit denen die Hülsenfrüchtc 
zusammen leben. Seit einigen Jahren hat der 
Verfasser dieses Buches die Arbeiten Haber¬ 
land’s wieder aufgenommen und ganz in der 
Stille Versuche angestellt; er besitzt jetzt mehrere 
Sorten, die selbst in Norddeutschland sehr gut 
gedeihen, er hat den zur Fettbohne zugehörigen 
Bacillus seinen Kulturen eingeirapft und vor 
allem eine Reihe Koch versuche angestellt, die zu 
den günstigsten Ergebnissen geführt haben. Wenn 
auch unter den Stickstoffsubstanzen der Fett- 
bohnc noch etwas mehr unverdauliches Eiweiss 
ist als bei den Bohnen, so bleibt doch noch so 
viel, um alle anderen Hülsenfrüchte weit zu über¬ 
treffen. Der hohe Fettgehalt macht sic geeignet, 
unseren arbeitenden Klassen neben einer eiweiss¬ 
reichen Nahrung das so theure Fett in reichem 
Maasse zu liefern, und deshalb ist es schon der 
Mühe werth, alles zu versuchen, um dieser 
Leguminose Eingang bei uns zu verschaffen. Sie 
muss im Verein mit anderen Hülsenfrüchten ver¬ 
suchen, von der Kartoffel das Feld zurück- 
zuerobem, das man dieser Pflanze zum grossen 
Schaden der ganzen Volksemährung so bereitwillig 
eingeräumt hat; vielleicht ist die Fettbohne dazu 
bestimmt, zu diesem Kampfe Hilfstruppen zu 
zu werben.« 

Verfasser fordert dann zur Mitarbeit an dieser 
Frage auf. Nach der von Eppler gegebenen 
Tabelle hat die Fettbohne 341 / 4 % Eiweiss (die 
Linse 26%), 17%% Fett (die Linse und die 
Gartenbohne 2%), Kohlehydrate 28 1 /2°/o* Ref- 
ist weniger optimistisch als der Verfasser. Ein¬ 
mal gehört, wenigstens in Norddeutschland, bei 
der arbeitenden Bevölkerung zur Kartoffel der 
billige Hering, der neben dem Fett auch noch 
eine Menge gut verdaulichen Eiweisses enthält. 

Dann kommt der bald eintretende Wider¬ 
wille gegen fortgesetzte Leguminosennahrung in 
Betracht, was sich von der Kartoffel nicht sagen 
lässt, wie der Verfasser auch selbst angiebt. 
Immerhin sind die Versuche des Verfassers ihm 
hoch anzurechnen und ist ihm aller Erfolg zu 
wünschen, wenn auch der von ihm erhoffte kaum 
eintreten wird. Alfred Martin (Zürich). 


Zibell, Warum wirkt Gelatine hftmostatisch t 
Aus dem pharmakologischen Institut in Greifs¬ 
wald. Münchener medicinische Wochenschrift 
No. 42. 

Nach einer kurzen Uebcrsicht über die In¬ 
dikationen für die Anwendung der Gelatine als 
Hämostatikum und nach Angabe der Methode zur 
subkutanen Injektion des Mittels, die besonders 
von französischer Seite ausgebildet wurde, geht 


543 


Verfasser zu seinem engeren Thema über. Er 
führt aus, wie sich verschiedene Anschauungen 
über die Wirkungsweise der Gelatine entgegen¬ 
stehen. Zunächst die von Lanceraux, welcher 
annimmt, die Gelatine gehe in gelöster Form in 
den Blutstrom über und könne nun hier zu 
Koagulationen führen. Allerdings trete dies 
letztere nur an solchen Stellen der Intima ein, 
die pathologisch verändert seien, während eine 
Thrombenbildung an gesunden Stellen der Gefäss- 
wand ausgeschlossen sei. — Im Gegensatz hierzu 
glaubt Labor de, die Gelatine nur suspendiert 
annehmen zu dürfen und fürchtet demzufolge die 
koagulierende Wirkung dieses »Fremdkörpers« 
auch an unerwünschten Stellen. — Während diese 
Theorieen nicht darauf eingehen, was der eigent¬ 
lich wirksame Bestandtheil in der Gelatine sei, 
meinen Cannis und Gley, ihn in den Säuren 
der Gelatine gefunden zu haben. Nach ihren 
Versuchen soll Gelatine unwirksam werden, wenn 
deren Acidität durch Alkali abgestumpft wird, 
und andrerseits durch Säurezusatz zunehmen. 

Zibell stellt nun die Theorie auf, in der 
Gelatine wirksam wären die anorganischen Salze, 
besonders der Kalk, und begründet seine An¬ 
schauung mit Versuchen einiger Forscher, wie 
Hammarsten u.a., die gefunden haben, dass 
zwischen Blutgerinnung und Kalk ein enger Zu¬ 
sammenhang besteht. Zum Beweise für seine 
Annahme nimmt Zibell ausgedehnte Analysen 
verschiedener Gelatinearten auf ihren Kalkgehalt 
hin vor (die Methode wird genau angegeben) 
und findet im Durchschnitt 0,6 °/ 0 . Dass eine 
so geringe Menge Kalk wirksam sei, glaubt Ver¬ 
fasser einmal durch die leicht resorbierbarc Form 
des gelösten Stoffes erklären zu können, dann 
aber führt er Tabellen an, die darthun, dass die 
wegen ihres Kalkgehaltes therapeutisch benutzten 
Quellen auch keine wesentlich anderen Werthe 
aufweisen Aus allen diesen Gründen glaubt 
Zibell annehmen zu dürfen, dass die hämosta- 
tische Wirksamkeit der Gelatine hauptsächlich 
auf ihrem Kalkgehalt beruht. 

Ernst Lichtenstein (Berlin). 


Heinrich Haläsz, lieber den Werth einiger 
neuerer Heilverfahren in der Ohrenheil¬ 
kunde (Pneuniomassage, Hydropnenmo- 
massage, Lucae’sche pneumalische Sonde). 
Centralblatt für die gesammte Therapie 1901. 
Heft 8 und 9. 

In der Ohrenheilkunde machte als erster 
Cleland Are hi bald im Jahre 1741 Versuche 
mit der Mechanotherapie, indem er die Tuba 
Eustachii katheterfeierte und so massierte. Lucae 
konstruierte die Drucksonde, um das fixierte Ge- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


544 


lenk der Gehörknöchelchen in Bewegung setzen 
zu können. Die vollkommenste Vorrichtung ist 
die mittels eines Elektromotors in Betrieb gesetzte 
Breitung’schc Luftpumpe. DiePneumomassage 
besteht darin, dass man die im Gehörgange be¬ 
findliche Luftsäule in schneller Aufeinanderfolge 
in Bewegung setzt, welche Luftbewegung ihre 
Stösse dem Trommelfell und dieses den Gehör¬ 
knöchelchen mittheilt. Durch diesen Vorgang 
wird das krankhaft fixierte Gelenk der Gehör¬ 
knöchelchen in Bewegung gebracht, beginnt zu 
fungieren, erlangt die Fähigkeit, die Stösse der 
Schallwellen an die Stapesplatte weiter zu geben; 
und diese, wenn nicht knöchern fixiert, befördert 
sie an den Nervenendapparat mit Hilfe der im 
Labyrinth befindlichen Flüssigkeit. Andererseits 
lässt sie dem krankhaft blutlosen, eventuell ver¬ 
dickten Trommelfelle reichlicher Blut zukommen 
und dient also zur Verbesserung und Beförderung 
der Ernährung. Sic lockert die an die Wand 
der Trommelhöhle angewachsenen Adhäsions¬ 
bündel des Trommelfelles, und indem sie in der 
rigid-atrophischen Schleimhaut eine stärkere Blut- 
fluxion hervorbringt, wird der ganze schallleitcnde 
Apparat behufs Aufnahme und Leitung des 
Schalles brauchbarer. Die Krankheitsformen, bei 
denen die Pneumomassage angewandt wurde, 
sind im allgemeinen jene, die mit Schwerhörig¬ 
keit und Ohrgeräuschen einhergehen: Myringitis 
chronica sicca, Sklerosis, Catarrhus cavi tympani 
chronicus und die Residuen des akuten Mittel- 
ohrkatarrhs. Der Zweck der Pneumomassage ist, 
dass bei jedem einzelnen Bestandteile des schall¬ 
leitenden J Apparates die Schwingungsfahigkeit 
durch schnell aufeinander folgende Vibrationen 
hergestellt werde. Die Vibrationsfähigkeit des 
Trommelfelles ist nur zu erreichen, wenn die 
Produkte des chronischen Katarrhs, welche die 
Schwingungsfähigkeit des Trommelfelles nach¬ 
teilig beeinflussen, vorher mittels entsprechender 
medicincller Behandlung zur Absorbierung ge¬ 
bracht werden, z. B. durch Acid. socojodol. 0,5; 
Alcohol. absolut. 2,0; Ol. ricini 20,0. Breitung 
lässt die Pumpe so lange fungieren, bis längs 
des Hammergriffes keine bestimmte Injektion 
auftritt, St etter massiert durchschnittlich eine 
Minute lang. Um die Wirkung der Ohrmassage 
zu erhöhen und von der Auffassung ausgehend, 
dass wir auf den schallleitenden Apparat inten¬ 
siver einwirken können, wenn wir zwischen das 
Trommelfell und den Luftleitungsschlauch ein 
nicht zusammendrückbares Medium setzen, be¬ 
nutzte Lucae als solches am wenigsten unan¬ 
genehmes einfachstes Medium das Wasser. Durch 
die bei seinen Versuchen gewonnenen Kurven 
lässt sich nachweisen, dass die Schwingungen 


des Trommelfelles während der Hydropneuino- 
massage stärker sind als während der Pneumo- 
massage. Objektiv ist eine Auflockerung des 
äusseren Gehörganges und des Trommelfelles 
wahrnehmbar. Die Massage kann 1—3, in seltenen 
Fällen 4—5 Minuten lang dauern. Der Verfasser 
empfiehlt die Massage aufs wärmste und spricht 
die Ueberzeugung aus, dass frühzeitige oder 
noch nicht lange bestehende Schwerhörigkeit 
geheilt werden kann und, wenn die Erfolge zur 
allgemeinen Kenntniss gelangen, die Kranken 
auch frühzeitiger den Arzt aufsuchen, so dass 
es gelingen wird, die das Bewusstsein der Mensch¬ 
heit so sehr niederdrückende Taubheit zu sanieren, 
eventuell zu lindem. 

Forchbeimer (Wüxzburg). 

Yierteljahrsschrift für öffentliche Gesund¬ 
heitspflege. Bd. 3. Supplement. Heraus¬ 
gegeben von Geheimrath Dr. A. Pfeiffer 
Braunschweig. Verlag Vieweg & Sohn. 

Der vorliegende Band, welcher als Jahres¬ 
bericht über die Fortschritte und Leistungen auf 
dem Gebiete der Hygiene erscheint, wird auch 
diesmal von allen Interessenten freudig auf¬ 
genommen werden; denn infolge der Gründlich¬ 
keit, mit welcher alle einschlägigen Fragen der 
Hygiene auf Grund der Jahreslitteratur von den 
einzelnen Referenten behandelt werden, ist^das 
Werk auf dem Gebiete der Hygiene eine werth- 
volle Fundgrube. Paul Jacob (Berlin). 


Festschrift zur 74. Versammlung dentsoher 
Naturforscher und Aerzte. Gewidmet von 
der Stadt Karlsbad. 

In einem Prachtwerke von über 800 Seiten 
hat die Stadt Karlsbad den deutschen Natur¬ 
forschern und Acrzten einen Willkommensgruss 
zugerufen. In geradezu glänzender textlicher wie 
illustrativer Ausstattung wird in diesem dick¬ 
leibigen Buche von den berufensten Federn 
Karlsbad in seiner historischen, balneologischeu 
und allgemein sozialen Entwicklung geschildert, 
und ein überaus farbenreiches Bild von der 
gegenwärtigen Bedeutung dieses Weltkurortes 
entworfen. Es ist nicht blos ein Vergnügen, 
das vornehm ausgestattete Werk zu durch- 
blättern, das mit seinen künstlerischen Beigaben 
immer von neuem fesselt, sondern es bringt vor 
allem auch in wissenschaftlicher Hinsicht so 
reiche Ausbeute, dass es als eine balneologische 
Monographie werthvollster Art betrachtet werden 
kann. J. Marcuse (Mannheim). 


Berlin, Druck von W. Büxensteiu. 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 



ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 10 (Januar). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t, Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Prof. Dr. P. Jacob. 

Verlag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten, Seite 

I. Ein Rückblick auf das erste Lustrum der Zeitschrift für diätetische und physikalische 

Therapie. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.Ö47 

II. Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. Von Dr. Felix Block in Hannover 561 


III. Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer neuen Gährungs- 
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger Methode 
hergestellte (Salus-)Fabrikat im besonderen. Von Dr. Wilhelm Bauermeister, 


Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig . . . 504 
IV. Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbehandlung. Aus der Königlichen medicinischen 
Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber.) Von 
Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen. (Schluss.).671 


n. Kritische Umschau. 

Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Eraährungsphysiologie. Von Dr. Leonor 

Michaelis, Assistent an der 1. medicinischen Klinik in Berlin.577 

III. Kleinere Mittheilungren. 

Seekrankheit und Tiefathmen. Eine Selbstbeobachtung von Dr. F. Paravicini, Albisbrunn 686 

IV. Berichte über Kongresse und Vereine. 

Sitzung der Hufeland’schen Gesellschaft am 11. Dezember 1902 . 587 

V. Referate über Bücher und Aufsfitze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Grub er, Einige Bemerkungen über Ei weissstoff Wechsel .588 

Prausnitz, Ueber das Verhalten von Fleisch und Fleiscbpräparaten im menschlichen Organismus 588 

Moritz, Studien über die motorische Thädgkeit des Magens.589 

Starke, Ueber den Einfluss des Milieus, insbesondere der anorganischen Substanzen, auf 

Eigenschaften von Eiweisskörpem.589 

Rjansom, F. R. C. P., Should milk be boiled?.589 

Kalmar und Bagarus, Versuche über die Heilung der Epilepsie nach T oulose und Richet 590 
Hartogh und Schümm, Zur Frage der Zuckcrbildung aus Fett.590 

Zeilschr. t diät. u. physik. Thorapie Bd. VI. Heft 10 3g 



Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 















546 


Inhalt. 


B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 


Seit« 


Cautru, Influence du massage abdominal dans le traitement de la diarrh£e chronique . . 591 

Co rnelius, Druckpunkte, ihre Entstehung, Bedeutung bei Neuralgieen, Nervosität, Neurasthenie, 

Hysterie, Epilepsie und Geisteskrankheiten sowie ihre Behandlung durch Nervenmassge 591 

Lazarus, Die Bahnungstherapic der Hemiplegie.592 

Edson, Ueber die Wichtigkeit der Ruhe für Tuberkulöse.592 

v. Mikulicz undTomasczewski, Orthopädische Gymnastik gegen Rückgrats verkrümm ungen 592 


C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Parts ch, Seekrankheit und was dagegen zu thun.593 

Munter, Die Hydrotherapie der Lungentuberkulose.593 

Salvant, Kaltwasserbehandlung des febrilen Delirium tremens.593 

Winternitz, Ueber die Wirkung verschiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, Kohlensäure¬ 
bäder u. s. w.) insbesondere auf den Gas Wechsel .594 


D. Elektro- nnd Röntgentherapie. 

S wales, Two cases of lupus vulgaris succesfully treated with urea pura and the x rays. . 594 
Sjögren et Sederholm, Valeur thGrapeutique des rayons de Röntgen dans les dermatoses 595 
Beck, The pathological and therapeutie aspects of the effects of the Röntgen rays . . 595 

Laquerriöre, De Timpuissance sexuelle et de son traitement ölectrique.595 

Cohn, Leitfaden der Elcktrodiagnostik und Elektrotherapie für Praktiker und Studierende . 596 

Lancashire, The therapeutie employment of x rays.597 

Walsham, On the ultra - violet light from a rapid oscillation high tension arc, for the 

treatement of skin diseases.597 

Morris und Dove, Further remarks on Finsen light and x ray treatement in lupus and 

rodent ulcer...597 


E. Verschiedenes. 

Larger, Faits nouveaux relatifs ä Taction de l’höreditö et de la dögßnörescence en obstetrique 597 

Bonne, Ueber die Suggestionsbehandlung in der täglichen Praxis.598 

Raymond, Hysterie und Delirien. Gefahren des Hypnotisierens durch Laien.598 

Hamburger, Osmotischer Druck und Jonenlehre in den medicinischen Wissenschaften . . 598 

Zikel, Lehrbuch der klinischen Osmologie als funktionelle Pathologie und Therapie . . . 598 
Stern, Some observations on the relation of the alkalescence of the blood to the urinary reaction 599 
Riegl er (Jassy), Eine einfache gasvolumetrische Bestimmungsmethode der Chloride und 

Phosphate im Harne.599 

Lepine, Sur Texistence de leucomaines diabötogönes.600 

Lüthje, Ueber die Wirkung von Salicylpräparaten auf die Hamwege, nebst einigen Be¬ 
merkungen über die Genese der Cylinder und Cylindroide.600 


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Original - Arbeiten. 

I. 

Ein Rückblick auf das erste Lustrum 
der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. 

Von 

Dr. Julian Marcuse 

in Mannheim. 

Fünf Jahre sind verflossen, seitdem die physikalischen Heilmethoden eine Heim¬ 
stätte in der medicinischen Wissenschaft gefunden, seitdem v. Leyden, als erster 
der deutschen Kliniker, in Gemeinschaft mit Goldscheider und Jacob, durch Be¬ 
gründung der »Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie« die 
Basis geschaffen, von der aus ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung und Förderung 
angebahnt werden konnte. An der Neige dieses Quinquenniums, als des ersten Zeit¬ 
abschnittes des Werdeganges der physikalischen Therapie, drängt sich mit Macht der 
Blick zu den verflossenen Jahren zurück, und sucht an Gegenwart und Vergangenheit 
die Fortschritte der Entwickelung zu messen. 

Aus der rohen Empirie heraus, die mitten im pharmakotherapeutischen Sieges¬ 
zuge ihre Triumphe feierte und der wissenschaftlichen Bewegung eine Volksbewegung 
entgegenstellte, wurden die physikalischen Heilmethoden geboren, brandend schlug 
die Welle überschäumenden Fanatismus an die festgefügten, aber altersgrauen Mauern 
des wissenschaftlichen Gebäudes. In der Medicin, die in sich einen Doppelbegriff 
involviert, den des Wissens und den der Kunst, durfte ein solch ungestümer Appell 
nicht verhallen, und wäre es auch nur zu dem Zwecke gewesen, um falsche Vor¬ 
spiegelungen ihres blendenden Scheines zu entkleiden, um übertriebene Voraus¬ 
setzungen einzudämmen und sie auf eine reale Basis zurückzuführen. Je mannig¬ 
faltiger diese Begleiterscheinungen einer unklaren Reaktion gegen die souveräne 
Pharmakotherapie auch waren, je leidenschaftlicher dieser Ansturm, oft von den 
zweifelhaftesten Elementen geführt, unternommen wurde, desto dichter hüllte sich 
die Wissenschaft in die Toga ihrer geläuterten Erkenntniss und war und blieb un¬ 
nahbar. Und so geschah es, dass, anstatt dieser übermässigen Ausbreitung einer 
Lehre, welche in ihrem Kerne so vieles Gute und Richtige enthielt, freiwillig ent¬ 
gegenzutreten und durch eine wissenschaftliche Begrenzung ihren frechen Heraus¬ 
forderungen wie übertriebenen Lobpreisungen ein Ende zu bereiten, man unbekümmert 
den Laien die Sache überliess, bis endlich die öffentliche Meinung mit ihrer immer 
siegreichen Stimme die Aerzte zur Betrachtung und Entscheidung zwang. Dies war 
der Moment, wo v. Leyden seine gewichtige Autorität in die Wagschale warf, und 
durch Begründung eines Organes für physikalische Therapie diesen Disciplinen das 
Bürgerrecht in Klinik und Therapie verlieh. Unter seiner Aegide und seiner kraft¬ 
vollen Unterstützung wurden die physikalischen Behandlungsmethoden von der Wissen- 

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548 Julian Marcuse 


Schaft in die Hand genommen, gelenkt und gefördert, um in das Arbeitsfeld and den 
Lehrplan der Kliniken aufgenommen und damit zum Allgemeingut der Aerzte zu 
werden. Diesen letzteren ein auf eigene Anschauung beruhendes Wissen, ein sicheres 
Urtheil in der Anwendung zu verschaffen, der Wissenschaft eine objektive, anf 
Forschung und geprüfter Erfahrung beruhende Erkenntniss zu bringen, war eine der 
wesentlichsten Aufgaben, die sich die neue Zeitschrift stellte, als Pionier eines neuen 
Zweckes sollte sie voranschreiten. Die Freude, mit der ihr Erscheinen begrüsst 
wurde, die Freunde, welche sie sich im Laufe der fünf Jahre ihres Bestehens 
erworben, sind das markanteste Zeichen für die Nothwendigkeit ihrer Geburt ge¬ 
wesen. 

Aber nur als Mittel zu höheren Zwecken war sie gedacht und schwebte sie 
ihren Begründern vor: Eine Zeitschrift kann wohl Anhänger der Sache sammeln, 
kann Ideen propagieren, aber weiter reicht ihre Tragweite nicht. Und so musste 
der entscheidende Schritt der Einfügung der physikalischen Therapie in den Lehr¬ 
plan der Kliniken vom Staate aus erfolgen, und er geschah erstmalig durch Kreirung 
eines hydrotherapeutischen Institutes an der Universität Berlin. Ausser Berlin be¬ 
sitzen München, Leipzig, Heidelberg, Bonn, und in jüngster Zeit meines Wissens nach 
auch Breslau und Halle an die medicinische Klinik angegliederte hydrotherapeutische 
Institute, den übrigen Lehranstalten fehlt bislang jede derartige Einrichtung; dürftige 
und von Dozenten wie Studenten nur als nebensächlich angesehene Lehraufträge 
bilden das einzige Requisit des Unterrichts in den physikalischen Behandlungs¬ 
methoden. Zu einem Allgemeingut der Aerzte sind diese Disciplinen nach wie vor 
nicht geworden, trotzdem sie scheinbar das Bürgerrecht in den Kliniken sich erkämpft 
haben. Woran liegt dies, welche Mittel zur Abhilfe sind einzuschlagen? Unbestreit¬ 
bar lastet das alte Odium der Ueberschätzung und Unwissenschaftlichkeit des Wassers 
als Heilmittel — und die Hydrotherapie bildet ja den Kern der physikalischen 
Therapie, um den sich alle anderen Disciplinen dieser Gattung erst gruppieren — 
noch immer auf demselben; und so einwandfreie physiologische Thatsachen auch 
vorliegen, die subjektive Antipathie, genährt durch Jahrtausende nicht minder wie 
durch die Gegenwart mit dem frechen Vordringen halbgebildeter Laienärzte, ist in 
diesem Falle stärker als die wissenschaftliche Forschung; denn jenes Gefühl hindert 
die Erkenntniss, Erfahrung zu sammeln, Beobachtungen anzustellen, die Technik zu 
erlernen, kurzum der Frage eingehende Aufmerksamkeit zu schenken. 

Ein zweiter Beweggrund, der in der Natur der Sache selbst liegt, ist die an¬ 
scheinend mühselige Vornahme hydrotherapeutischer Prozeduren gegenüber der Ordi¬ 
nation medikamentöser Stoffe. Es ist im Erziehungsgange des Mediciners wie in 
der gesammten Organisation der Klinik alles so eingedrillt auf die Rezeptur 
— äusserlich wie innerlich —, dass es thatsächlich eine gewaltsame Veränderung 
bestehender und gleichsam liebgewordener Verhältnisse bedeutet, will man an Stelle 
des Althergebrachten neue Formen therapeutischer Hilfsmittel anwenden. In der 
Thätigkeit des praktischen Arztes spiegeln sich die gleichen Gesichtspunkte der Ab¬ 
lehnung des Wasserheilverfahrens, nur etwas nüchterner, wieder. Nächst der mangel¬ 
haften Kenntniss der Wirkung und Anwendung ist es die Unbequemlichkeit der 
Ordination und Ausführung, die der allgemeinen Anwendung im Wege stehen. Man 
macht wohl hier und da Konzessionen, aber im allgemeinen bleibt das Schema das 
gleiche I In erster und vornehmster Reihe die Pharmakotherapie, in zweiter Reihe 
als eventuelles Adjuvans das Wasser. Und in Wirklichkeit sollte es für jeden Arzt 
als minister naturae die absolute Pflicht sein, als wesentlichste Aufgabe der Therapie 


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549 


Ein Rückblick auf das erste Lustrum etc. 

die Steigerung der natürlichen Schutzkräfte des Organismus zu betrachten, das heisst 
mit anderen Worten die physikalischen Heilmethoden anzuwenden, und erst dann, 
wenn diese nicht zum Ziele führen sollten, auf pharmakodynamische Mittel zu 
rekurrieren. Um dies zu erreichen, um die vor fünf Jahren in so zukunftsreiche 
Bahnen gelenkten Schritte zum Ziele zu führen, bedarf es der prinzipiellen Ein¬ 
reihung der Hydrotherapie und ihrer verwandten Fächer in die Organisation des 
medicinischen Unterrichtes. Man hat in der Geschichte dieses immer die Erfahrung 
gemacht, dass die offizielle Aufnahme eines Faches in die Prüfungsgegenstände, der 
Nachweis des Besuches dieser Vorlesungen von wesentlichstem Einfluss auf die Ent¬ 
wicklung des Faches selbst gewesen ist. Denn einmal setzt diese Aufnahme eigene Lehr¬ 
kräfte und eigene Institute voraus, die allein die Basis für eine vertiefte und methodische 
Forschung abgeben, und weiterhin zwingt sie die Lernenden sich mit dem Gegen¬ 
stand als einem der Hauptfächer zu beschäftigen. Die medicinische Prüfungsordnung 
hat im Laufe des letzten Jahrzehnts eine bedeutende Zunahme erfahren, die durch 
die Ausbildung früher mehr als enfants gät6s angesehener Fächer zu erklären ist. 
Nichtsdestoweniger ist im Interesse der fundamentalen Bedeutung der physikalischen 
Methoden für die Therapie wie für die ganze soziale Stellung des Arztes die weitere 
Ausdehnung derselben in diesem Sinne zu verlangen. In dem Zeitalter der Hygiene, 
deren leitende Gedanken unsere ganze wissenschaftliche Forschung, unser wissen¬ 
schaftliches Streben durchsetzen, ist eine hygienische Therapie, wie sie die physika¬ 
lischen Methoden darstellen, als souveräne anzusehen und eine gebieterische Pflicht, 
ihr diese Stellung einzuräumen. Dieses Postulat kann nur erfüllt werden durch Kreirung 
eigener Professuren und eigener Institute, sowie durch einen in Konsequenz hieraus 
erfolgenden obligatorischen Unterricht, über dessen Resultate die Staatsprüfung Auf¬ 
schluss zu geben hat. Und weiterhin ist zu verlangen, dass an allen grösseren 
Krankenhäusern hydrotherapeutische Abtheilungen unter der Leitung geschulter Aerzte 
errichtet werden, die in zweifacher Hinsicht zu wirken geeignet sind, einmal in rein 
therapeutischer und ferner in Hinsicht auf die Popularisierung des Wasserheilverfahrens 
unter den Aerzten selbst. Gerade die Krankenhäuser der mittleren und grossen 
Städte sind mit den am gleichen Orte ansässigen Aerzten meist viel enger verbunden 
wie die mehr oder minder entfernten Universitäten, und üben mittelbar einen weit¬ 
gehenden Einfluss aus. Für die Erziehung der Aerzte in der Hydrotherapie ist 
somit die Einfügung derselben in die bestehenden Krankenhäuser unumgänglich 
nothwendig. 

Im Novemberheft dieser Zeitschrift hat Professor Moritz die Linien vor¬ 
gezeichnet, die für einen erspriesslichen Unterricht in der Diätetik verlangt werden 
müssen, jener Lehre, die heute in der Therapie eine geradezu klassische Bedeutung 
erlangt hat, und er hat mit vollem Recht gefordert, dass dem Unterricht in der 
Diätetik nicht geringere Sorgfalt zugewendet werde, als dem Unterricht in der 
Arzneimittellehre. Voll und ganz sind seine Argumente zu acceptieren, und sie 
sind weiter auf die physikalischen Behandlungsmethoden im allgemeinen auszudehnen, 
zu denen die Diätetik ja als ein wesentliches Glied gehört, um so mehr, als das 
letztvergangene Jahr uns in dem Handbuch der physikalischen Therapie zum ersten 
Mal im Entwicklungsgänge der medicinischen Wissenschaft eine geradezu klassische 
Darstellung dieser Disciplin auf breitester wissenschaftlicher Grundlage gebracht 
und damit den gesicherten Boden für Lehr- und Lerngang geschaffen hat. 

Die physikalische Therapie hat auf eine wechselvolle Geschichte zurückzublicken. 
Bald stieg sie, wie ein Meteor, alles mit sich ziehend, am Firmament empor, bald 


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550 Julian Marcuse, Gin Rückblick auf das erste Lustrum etc. 

wieder blühte sie wie ein Veilchen im Verborgenen, von wenigen nur gesehen und 
erkannt. Psychologisch leicht erklärbare Umstände raubten ihr zu alten wie in 
neueren Zeiten Gunst und Werthschätzung der Wissenschaft, sie verblieb in den 
Händen von Laien und Afterärzten, und wurde zur Panacee. Die Gegenwart hat 
dank dem unermüdlichen Streben der Winternitz’schen und v. Leyden’schen 
Schule den physikalischen Behandlungsmethoden die wissenschaftliche Stellung, die 
ihnen gebührt, geschaffen, sie hat ihre Wirkung nach den Gesetzen der Physiologie, 
ihre Benennung nach den Normen der Pathologie und Therapie erklärt, ihre Stellung 
und ihren Werth unter den übrigen Heilmitteln fixiert, Dosis, Form und Anwendungs¬ 
weise wissenschaftlich bestimmt. 

Im Wasser speziell haben wir das eigenthümliche Phänomen, dass ein und das¬ 
selbe Mittel als Diätetikum und Therapeutikum gebraucht und mit dem vorzüglichsten 
Erfolge in beiden Fällen angewandt werden kann; in dieser Beziehung steht das 
kalte Wasser einzig da. Es ist also nicht blos ein Heilmittel in Krankheitsfällen, 
sondern auch das hervorragendste Schutzmittel für die Pflege der Gesundheit. Beide 
Attribute verlangen gebieterisch die regste Aufmerksamkeit der Aerzte. Es wäre 
Verblendung, wollte man die vulgäre Begeisterung für die Wasserbehandlung als 
»Mode« oder als »ephemere Doktrin« ansehen; die Geschichte der Heilkunst weist 
für den, der sie kennt, Warnungstafeln genug auf, nicht in die alten, oft genug zum 
Verhängniss der Aerzte gewordenen Fehler zurückzufallen. Pflicht und Selbst¬ 
erhaltungstrieb des Aerztestandes gebietet es, sich der Lehre zu bemächtigen, sie zu 
prüfen, ihre Grenzen festzustellen und sie als erkannte Wahrheit in das Leben ein¬ 
zuführen, Pflicht des Staates aber im Interesse der Volksgesundheitspflege wie der 
Salubrität des Medicinalwesens, den breitesten Boden für Lehre und Anwendung 
dieser Wissenschaft zu schaffen. 


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Felix Block, Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. 551 


ii. 

Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung 1 ). 

Von 

Dr. Felix Block 

in Hannover. 

Dem Grundsätze, dass nicht die Krankheit, sondern der kranke Mensch 
der Gegenstand der ärztlichen Behandlung sein soll, droht nirgends so grosse 
Gefahr missachtet zu werden, als bei einem Leiden, gegen das sicher wirkende 
spezifische Heilmittel vorhanden sind. Von den chronischen Krankheiten ist das 
allein die Syphilis. Leider nur zu leicht lässt sich mancher Arzt durch die That- 
sache, dass die Symptome der Lues auf Quecksilberanwendung rasch und sicher 
zurückgehen, verleiten, die Anwendung dieses Mittels, sowie die des Jods gegen 
Erscheinungen der Spätsyphilis für ausreichend zur Behandlung Syphiliskranker zu 
halten*). Und doch ist ein derartiges einseitiges Vorgehen durchaus verfehlt. Hat 
denn der Kranke von der Syphilis nichts weiter zu befürchten als einige Flecke und 
Papeln auf Haut und Schleimhäuten, die an und für sich doch völlig bedeutungslos 
sind oder allenfalls noch gummöse Haut-, Muskel- und Knochenaffektionen, die auf 
Jod und Quecksilber rasch verschwinden? 

Dass dem nicht so ist, wird durch die Beobachtungen von Klinikern wie 
Pathologen von Jahr zu Jahr mehr erkannt. Die Gefahr der Syphilis liegt vor¬ 
nehmlich in ihrer Lokalisation in lebenswichtigen Organen und ihren Nach¬ 
krankheiten, Affektionen, die, selbst richtig erkannt, doch dem Quecksilber und 
Jod kaum mehr weichen, weil es sich um irreparable Degenerationen handelt. 
Gemeint sind nicht die gummösen Eingeweideerkrankungen, deren Gefahr vornehm¬ 
lich in der Schwierigkeit ihrer rechtzeitigen Diagnose liegt, während sie geeigneter 
Behandlung keinen grossen Widerstand leisten. 

Vielmehr ziele ich vor allem auf die Schädigung der zwei wichtigsten 
Systeme des Körpers, des Gefässsystems und des Nervensystems durch die 
Syphilis. Hier handelt es sich keineswegs, wie man wohl früher annahm, um späte, 
tertiäre Prozesse, dieselben reichen vielmehr mit ihren Ursprüngen bis in die erste 
Frühzeit der Syphilis herauf. An den Leichen von Syphilitischen beobachtet man einen 
eigenartigen interstitiellen Entzündungsprozess der Arterienwandungen, 
der zum Schwund ihrer charakteristischen Elemente, zur Erschlaffung oder 
zur Sklerosierung führt. Es ist längst bekannt, dass derartig degenerierte Hirn¬ 
arterien häufig schon in den ersten Jahren nach der Infektion Gehirnblutungen ver- 


t) Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Hannover am 21. Mai 1902. 

*) So sagt z. B. Möbius (üeber den Kopfschmerz. Halle a. S. 1902. C. Marhold): »Wüssten 
wir in jedem Falle, welcher Stoff Hilfe bringt, wie wir es bei der Malaria, bei der Syphilis, bei der 
Diphtherie und manchen anderen Krankheiten wissen, so wäre cs reine Zeit- und Kraftverschwendung, 
ausser der Arznei noch andere Kuren zu verordnen«. In seiner Polemik gegen die Ucberschätzung 
der »physikalischen Therapie« und für die alte chemische schiesst er hier arg über das Ziel. 


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552 Felix Block 


anlassen, dass sich infolge derartiger mesarteritischer EntzUndungsprozesse bei noch 
jungen Individuen Aneurysmen der Aorta bilden. Neuerdings werden neben fibrösen 
und verrucösen Endokarditiden syphilitischer Herkunft auch bei frisch Luetischen 
klinisch beobachtete funktionelle Herzstörungen, meist durch Schwächung der Herz¬ 
muskulatur veranlast, angeführt 1 ). Wie viele Herzerkrankungen des späteren Lebens¬ 
alters mögen auf solche Weise ihren Ursprung in der längst anscheinend spurlos ver¬ 
schwundenen und vergessenen Syphilis der Jugend haben? Auch diffuse Entzündungs¬ 
prozesse verschiedener Organe, z. B. akute gelbe Leberatrophie, Lebercirrhose, inter¬ 
stitielle Nephritis, Gehirn- und Rückenmarksdegenerationen werden in neuerer Zeit 
immer mehr auf luetische Gefässalterationen zurückgeführt. — Man muss aus alle¬ 
dem mit Sicherheit schliessen, dass die leider noch immer nur hypothetischen 
Syphilistoxine von Anbeginn an die Arterienwandungen überall im Körper 
zu schädigen geneigt sind. 

Dabei ist nun höchst bemerkenswerth, dass diese syphilitischen Arterien¬ 
erkrankungen denen ungemein ähnlich sind, die vom Alter (auch von dem durch 
zu intensives Leben bedingten verfrühten), sowie von der chronischen Alkohol¬ 
vergiftung hervorgerufen werden. Auf diesen wichtigen Umstand ist noch zurück¬ 
zukommen. 

Das andere System, das Nervensystem, finden wir ebenfalls bereits von der Aus- 
brnchsperiode der sekundären Syphilis an affiziert, und zwar zunächst nur funktionell 
in Gestalt der Neurasthenie, der melancholischen, hypochondrischen Gemüths- 
depression, seltener als Hysterie. Jeder sorgfältig beobachtende Arzt kann die 
bekannten Symptome der Neurasthenie, vor allem Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit, 
bei einer grossen Anzahl frisch infizierter Patienten oft schon vor Ausbruch des 
Exanthems feststellen. Diese »syphilogene« Neurasthenie, wie man sie nennen 
könnte, ist wohl kaum verschieden von der durch andere Ursachen, z.B. 
geistige Ueberanstrengungen, Sorgen, Excesse in Baccho et Venere und 
ähnliche Schädlichkeiten entstandenen, was wiederum zu beachten ist. — Dass Tabes 
und Dementia paralytica Folgen von Lues, parasyphilitische Affektionen sind, wird 
immer mehr allgemein anerkannt 2 ). Was aber früher von allen, von den Gegnern 
der Syphilisätiologie auch heute noch, als Ursachen dieser Krankheiten angeführt 
wurde: Alkoholismus, Erkältung (besonders Durchnässung), Traumen, körper¬ 
liche und geistige, vor allem sexuelle Ueberanstrengungen sind auch ganz 
gewiss als solche anzuerkennen, aber eben nur für syphilitisch durch¬ 
seuchte Individuen. Darum kommt, beiläufig bemerkt, auch — was zu Unrecht 


!) Karl Grassmann, Untersuchungen an den Kreislauforganen im Frfihstadium der Syphilis. 
Deutsches Archiv für klinische Mcdicin 1901. 

*) Wenn, wie zuverlässige Autoren angeben, mindestens (50—80% Tabeskrankc (bei 
Paralytikern ist natürlich die Anamnese weit unzuverlässiger) anamnestisch Syphilis aufweisen, so 
ist das ohne weiteres 100 % glcichzusetzen. Ganz abgesehen von absichtlichem Verschweigen (vor¬ 
nehmlich der Ehemänner) entgeht weit häufiger als viele glauben die primäre und sekundäre 
Syphilis der Beobachtung des Kranken. Wenn man die Anamnese bisher unbehandelter tertiär 
Syphilitischer auch noch so sorgfältig aufnimmt, wird man kaum in einem höheren Prozentsatz als 
dem oben angeführten FrühByphilis fcststellen können. In meiner Privatpraxis kam ich zwar auf 
82%, bei Krankcnhausmatcrial aber Lang z.B. nur auf 63,5%. Hat deshalb aber schon einmal 
ein Kliniker behauptet, es gäbe eine gummöse Syphilis, der keine Frühsyphilis vorausgegangen sei? 
— Die bekannte »paralytische Virgo« von Möbius würde kein Gegenbeweis sein. Abgesehen von 
hereditärer Lues giebt es extragenital infizierte Virgines intactae, deren ich beispielsweise zur Zeit 
zwei in Behandlung habe. 


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Hygiene und Diätetik bei der Syphylisbehandlung. 553 

als Grund gegen ihre parasyphilitische Natur angeführt wird — Paralyse hei minder 
civilisierten Völkern trotz ausgebreiteter Lues kaum vor. Deren Gehirn ist nicht 
nur ab origine') widerstandsfähiger als das unsere, sondern wird auch nicht so viel 
in Anspruch genommen und der Abnutzung ausgesetzt. Jene Krankheiten werden 
eben keineswegs von der Syphilis allein hervorgebracht, etwa wie eine Papel, sondern 
es bedarf zu ihrer Entstehung auf syphilitischem Boden gewisser Schädigungen 
und Schwächungen des Centralnervensystems. 

Aehnliche, aber jetzt wohl von allen Neurologen unterschiedene, Affektionen des 
Centralnervensystems wie die Syphilis, vermag auch für sich allein der Alkohol 
hervorzurufen. Ebenso giebt es traumatische Spinalaffektionen und schwere 
Erkrankungen als Folge sexueller Ausschweifungen. 

Aus alledem ergiebt sich, dass eine Anzahl von Schädlichkeiten: 
Alkoholmissbrauch, geschlechtliche Excesse, körperliche, mehr noch 
geistige Ueberanstrengungen, daneben wohl auch noch Traumen und heftige 
Erkältungen, zumal häufig wiederholte, auf das Gefäss- und Nervensystem 
in ähnlicherWeise krankmachend einwirken, wie die Syphilis, und dass eben 
dieselben Schädlichkeiten sich einem syphilitisch durchseuchten Organismus 
gegenüber, wie a priori klar, doppelt verderblich erweisen müssen. 

Wir wissen noch nicht, durch Schädigung welcher Zellen des Körpers es ge¬ 
schieht, aber die Erfahrung lehrt uns, dass die Syphilis auch zur Tuberkulose, 
lokaler (manchmal direkt auf syphilitischen Affektionen papulöser wie gummöser 
Art entstehend) und besonders allgemeiner, sowie zum Diabetes mellitus 2 ), viel¬ 
leicht auch zu anderen sogenannten Stoffwechselkrankheiten disponiert, wie dies 
allerhand den Körper schwächende äussere Schädlichkeiten ebenfalls thun. 

Endlich muss der Eigenthümlichkeit der Syphilis gedacht werden, auf irgend 
eine Reizung an der betroffenen Stelle mit einem spezifischen Ausbruch, 
respektive der Verstärkung eines solchen zu antworten. So finden wir beispiels¬ 
weise an der durch Schweissmaceration und Ekzeme gereizten Genito- Analgegend 
Syphilitischer wuchernde Papeln in grösserer Zahl. Man kann auch künstlich durch 
Dunstumschläge und reizende Pflaster ähnliches erzeugen. Wer raucht und viel 
scharfe Speisen geniesst, hat mehr unter syphilitischen Mund- und Rachenaffektionen 
zu leiden als andere. Und wir haben keinen Grund zu zweifeln, dass diese lokale 
Verschlimmerung der Syphilis durch Reiz, die sich vor unseren Augen auf Haut 
und sichtbaren Schleimhäuten abspielt, nicht ebenso in gereizten inneren 
edleren Organen vor sich geht. — Von der Ursache dieser Erscheinung können 
wir uns folgende Vorstellung machen: Der Reiz erzeugt aktive Hyperämie, d.h. Er¬ 
weiterung der zuführenden Blutgefässe, also Verlangsamung des Blutstromes. Ist 
nun, wie wir annehmen müssen, das Blut zu Zeiten von dem Syphilisvirus durch¬ 
setzt, so hat dieses hier Gelegenheit sich aufzuhäufen, festzusetzen und zunächst die 
Gefässwände, dann das umliegende Gewebe spezifisch zu schädigen, also eine 
syphilitische Manifestation hervorzubringen. 


J ) Die Widerstandskraft aller Organe nimmt mit der höheren Rasse und Kultur ab, wie schon 
im Tbierrciche mit der höheren Stellung auf der Stufenleiter der Entwickelung. 

2 ) Vorher nicht vorhandenen Diabetes mellitus habe ich mehrmals bei zum Theil erblich dazu 
veranlagten Patienten ln den ersten Monaten der Syphilis auftreten sehen. 

* * 

* 


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554 


Felix Block 

Für die Praxis der Syphilisbehandlung folgt aus diesen theoretischen Er¬ 
wägungen, dass es nothwendig ist, alle die Schädlichkeiten auszuschalten, 
welche geeignet sind, einmal bereits für sich allein ähnliche Erkrankungen 
lebenswichtiger Organe hervorzurufen, wie die Syphilis, die also mit dieser gleichsam 
an einem Strange ziehen, zweitens durch Reizung syphilitische Erkrankungen 
an edleren Organen zu provozieren. Es ergiebt sich mit einem Worte die Noth- 
wendigkeit einer hygienischen und diätetischen Behandlung der Syphilis. 

Um Missverständnissen vorzubeugen, soll hier betont werden, dass die Haupt¬ 
sache bei der Syphilisbehandlung auch für mich eine recht gründliche Queck¬ 
silberbehandlung ist, gemäss dem Ausspruche Ricord’s: »II fait bon, de se bien 
porter quand on prend la Syphilis, mais — — cela ne suffit pasc. Ja, beiläufig be¬ 
merkt, begnüge ich mich mit einer nur symptomatischen Anwendung dieses Heilmittels 
nicht, sondern wende die chronisch-intermittierende Kur nach den Grundsätzen 
von Fournier und Neisser an, und zwar mit vorzüglichem Dauererfolge. Denn 
dass auch gegen die unerwünschten Nebenwirkungen reichlicher Quecksilber¬ 
anwendung eine sorgfältige Diätetik erfreuliches leistet, ist nicht zu verkennen. 

Die Hygiene und Diätetik der Syphilis wird in unseren Lehrbüchern leider fast 
durchweg recht kurz abgethan. Dies scheint seit der Zeit zu geschehen, etwa der 
Mitte des 19. Jahrhunderts, da durch Sigmund in Wien eine im Gegensatz zu den 
bis dahin üblichen und mit Recht verhassten »Salivationskuren«, die die Patienten 
absichtlich in ihrem Ernährungszustände herunterbrachten und auch sonst schädigten 
und quälten, die moderne rationelle Methode der Einreibungskur geschaffen wurde. 
Mit dieser im wesentlichen noch heut allgemein üblichen Behandlung erzielte man 
vorher nicht gekannte ausgezeichnete Heilerfolge und neigte daher seit dieser Zeit 
zu dem Glauben, mit der Inunktionskur oder anderen neueren brauchbaren An¬ 
wendungsformen des Quecksilbers alles Nothwendige zur Bekämpfung der Syphilis 
gethan zu haben. — Freilich Sigmund selbst war noch anderer Meinung und 
schreibt in der Vorrede zu seinem maassgebenden Aufsätze über »seine« Kur 1 ): 
»Doch kann ich nicht nachdrücklich genug darauf hinweisen, dass es sich bei dieser 
Kur keineswegs blos um die einseitige und willkürliche Anwendung von Ein¬ 
reibungen der grauen Salbe allein, sondern um deren unzertrennliche Ver- 
bindung-mit dem Einzelfalle angepassten hygienischen und diätetischen 
Maassregeln, allenfalls auch dem Gebrauche anderer Arzneimittel handelt.« Nur 
dieser Verbindung schreibt er seine grossen praktischen Erfolge zu und betont auch, 
dass jene hygienischen und diätetischen Vorschriften nicht nur während der Kur 
selbst Geltung haben sollten. — Seine Nachfolger, wie erwähnt, waren trotzdem ge¬ 
neigt, sich auf das Quecksilber allein zu verlassen, vielleicht weil die Erfindung und 
Erprobung zahlreicher neuer Einverleibungsarten des alten Mittels, sowie der noch 
fortdauernde Streit über symptomatische oder chronisch-intermittierende Behandlung 
ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nahm. Und es ist nicht nur die Litteratur 
in der Hygiene und Diätetik der Syphilis zu kurz gekommen, es ist, da der Schüler 
dem Lehrer zu folgen pflegt, nach meinen Erfahrungen und Eindrücken vor allem 
auch die Praxis. 

Um nunmehr auf die Einzelheiten der hygienisch-diätetischen Maassregeln ein- 
zugehen, so wirft sich zuerst die Frage auf: Darf der an frischer Lucs Erkrankte 


i) O. L. Sigmund, Die Rinreibungskur bei Svphilisfonnen. 3. Auflage. Wien ISOfi. Diese 
Worte gaben mir bereits seit Jahren Anlass, mich mit dem vorliegenden Thema zu beschäftigen. 


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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. 555 

seiner bisherigen Berufsthätigkeit nachgehen, insbesondere während seiner ersten 
energischen Kur? — Im allgemeinen wird man diese Frage bejahen, schon weil 
man es muss. Denn die grosse Mehrzahl der Syphiliskranken besteht aus jüngeren 
Männern, die garnicht daran denken können ohne die zwingendsten Gründe ihre 
Berufsthätigkeit, von deren Ertrage allein sie leben, zu unterbrechen und überdies 
noch erhebliche Kosten auf sich zu nehmen ’). Ein anderer Grund gegen das Auf¬ 
geben der gewohnten Thätigkeit ist psychologischer Natur und soll später erörtert 
werden. — Keineswegs will ich leugnen, dass in geeigneten Krankenanstalten bei 
völliger körperlicher wie geistiger Ruhe durchgeführte Quecksilberkuren wirksamer 
sind, als zu Hause gemachte, und dass die nothwendige Erziehung der Patienten zu 
hygienischer Lebensweise nirgends besser als in solchen Anstalten erfolgen kann. 
Man kann diese Wohlthat aber doch nur einer verhältnissmässig kleinen Zahl von 
begüterten Kranken zu Theil werden lassen, bis etwa einst staatliche oder andere 
Behörden in der Erkenntniss der Wichtigkeit der Syphilisbekämpfung durch Er¬ 
richtung von Volksheilstätten für-diese Kranken helfend eintreten. Den Kranken¬ 
hausaufenthalt wird man für Mitglieder der Arbeiterkrankenkassen wählen, zumal 
solche, deren Berufsthätigkeit anstrengend und ungesund ist. Er verhindert auch 
am sichersten die Weiterverbreitung der anfangs so überaus infektiösen Krankheit. 
— Stets ist darauf zu halten, dass der Syphilispatient vor jeder körperlichen und 
geistigen Ueberanstrengung bewahrt bleibe, und vor allem auch sich genügend 
Zeit zum nächtlichen Schlaf lasse, mindestens acht Stunden, damit vor allem das 
Centralnervcnsystem geschont werde. Zu recht frühem Zubettegehen soll man 
daher seine Kranken auf das Dringendste anhalten, auch um sie von Ausschreitungen 
aller Art abzuhalten. Bei Patienten, die in diesem Punkte recht folgsam sind, er¬ 
zielt man die besten Heilungsresultate. 

Was die Erholungszeit unter Tags anlangt, deren nicht zu knappe Bemessung 
sehr wünschenswerth ist, so sollte sie für Kranke, die körperlich arbeiten müssen, 
natürlich in körperlicher Ruhe bestehen, während die geistigen Arbeiter und Stuben- 
sitzer auf mässige Bewegung in frischer Luft Bedacht zu nehmen haben. Für die 
letzteren ist das Betreiben gesunder Sports durchaus zu billigen. Niemals jedoch 
dürfen diese bis zur völligen Ermüdung betrieben werden, die bei unseren Kranken, 
worauf sie hinzuweisen sind, viel leichter als in gesunden Tagen eintritt. Streng 
zu verpönen ist alles sportliche Trainieren sowie die Betheiligung an Wettkämpfen, 
auch wenn solche nur scherzweise veranstaltet werden, wie es oft zu geschehen pflegt. 

In den Ansichten über die Ernährung Syphiliskranker hat sich in der ersten 
Hälfte des 19. Jahrhunderts eine völlige Umkehrung vollzogen. Bis dahin hielt man 
Einschränkung der Nahrung, selbst Hungerkuren, für einen nothwendigen, ja für den 
wichtigsten Faktor der Syphilistherapie. Heut existiert dergleichen wohl nur noch 
in dem berüchtigten Lindewiese und nach diesem Vorbild in einigen »Natur«heil- 
anstalten in Gestalt der Schroth’schen trockenen Semmelkur, auch Regenerations¬ 
kur benamset. Sie entstand offenbar als Konkurrenz und Gegensatz gegen den 
Lindewiese benachbarten erfolgreichen »nassen« Priessnitz in Gräfenberg, und be- 


') Die Kurpfuscher, die bekanntlich ihre reichlichste Ernte auf dem Felde der Behandlung 
der Geschlechtskrankheiten einheimsen, wissen sehr wohl, warum sie mit Vorliebe ihre Kuren »ohne 
Berufsstörang« ankundigen, und dadurch den Schein erwecken, als gelte das von der ärztlichen Be¬ 
handlung nicht. Häufig haben mich ihre Opfer versichert, dass es gerade dieser Köder sei, auf den 
sie angebissen hätten. 


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556 Felix Block 


steht darin, dass nur trockenes, altes Weissbrot und einige Arten Brei genossen und 
möglichst wenig dabei getrunken werden darf. Also eine kombinierte Hunger- und 
Durstkur, die sich zwar durch grosse Wohlfeilheit für die Anstaltsbesitzer auszeichnet, 
aber skorbutartige Erscheinungen, Fieber und Herzschwäche hervorzurufen geeignet, 
und für schwächliche Patienten zweifellos gefährlichi) ist. Dass sie, wie die bei 
Aerzten früherer Zeit üblichen Entziehungs- und Schwitzkuren, im stände ist, 
leichtere Syphilissymptome zum Schwinden zu bringen, wenn auch viel langsamer 
als eine Quecksilberkur, wird von einigen Autoren angegeben. Man wird an gewisse 
Erfolge symptomatischer Art auch glauben müssen, weil sonst derartige Kuren nicht 
in vergangenen Tagen auch von Aerzten, die auf der Höhe ihrer Zeit standen, empfohlen 
worden wären. Dass sie trotzdem nach unseren heutigen Anschauungen und Er¬ 
fahrungen verwerflich sind, ist klar. Wir glauben nicht mehr, dass kräftige Kost 
»die Krankheit nährt, nicht den Kranken«, wie die alte Lehre besagte; wir wissen 
vielmehr, dass der Organismus selbst die eingedrungenen Parasiten und die von 
diesen erzeugten Gifte unschädlich zu machen, bestrebt ist, und suchen ihm dabei 
zu Hilfe zu kommen, indem wir ihn kräftigen, nicht noch mehr schwächen. Sehen 
wir doch auch fast immer die Syphilis bei gutgenährten, kräftigen Personen 
milder und rascher ablaufen als bei schwächlichen und schlechtgenährten. Ueber- 
dies nehmen während der ersten Monate nach der Ansteckung die Kranken durch¬ 
weg an Gewicht, Körperkräften und Widerstandsfähigkeit gegen alle Schädlichkeiten 
mehr oder minder ab 1 2 ). Wie sollten wir es danach für angemessen halten, solchen 
Patienten die Nahrungsmenge herabzusetzen? Wenn wir sie dagegen in dieser Zeit 
in geeigneter Weise mit Quecksilber behandeln und dabei gut nähren, so bemerken 
wir bald eine erhebliche Zunahme des Körpergewichtes wie der Kräfte; und 
das muss doch das Ziel unserer Therapie sein. Man soll auch nicht versäumen, 
diesen Erfolg der Behandlung durch regelmässige Wägungen zu kontrollieren. 

Im allgemeinen gilt also der Grundsatz, wenn die bisherige Ernährungs¬ 
weise des Kranken einigermaassen vernünftig ist, so belasse man sie ihm. Dass 
man überernährte Patienten mit schwelgerischen Gewohnheiten dagegen auch zu 
knapperer Kost anhalten muss, enthält zu dem eben angeführten keinen Wider¬ 
spruch, denn Ueberanstrengungen irgend eines Organes sind bei Syphiliskranken stets 
zu vermeiden. Sehr fette Leute scheinen auch die Quecksilberkuren (Inunktionen 
wie Injektionen) häufig minder gut zu vertragen als normal genährte. — Bei Patienten 
mit bereits kranken Yerdauungsorganen und solchen, bei denen Quecksilber ungünstig 
auf diese Organe einwirkt, was man nicht selten beobachten kann, hat der Arzt be¬ 
sondere individuell verschiedene Anordnungen wegen einer recht leicht verdaulichen, 
dabei aber nahrhaften Kost zu treffen, und kann sich hier oft mit Nutzen reich¬ 
lichen Milchgenusses, sowie eines der zahlreichen neueren Nährpräparate (ich 
habe von Somatose gutes gesehen) bedienen. — Mehrfach wird Entziehung von Ge¬ 
würzen, Kaffee, Thee und dergleichen empfohlen. Ich kann, Missbrauch ausgeschlossen, 
dem nicht zustimmen. Frische Syphilitiker neigen gar nicht selten zu Appetitlosig¬ 
keit; warum ihnen die Nahrung unschmackhaft machen und sie unnütz deprimieren ? 


1) Mracek, Ein Beitrag zur Behandlung der Syphilis mit dem sogenannten Naturheil verfuhren. 
Wiener klinische Wochenschrift 1898. No. 26. 

2 ) Radaeli (Lo specimcntale ßd. 64. Heft 3. Referiert im Archiv für Dermatologie und 
Syphilis Bd. 59. Heft 1.) stellte durch ausführliche Stoffwechsel untersuch ungen fest, dass in dieser 
Zeit die Stickstoffbilanz des Organismus negativ ist, auch wenn keine Temperatursteigerung stattfindet. 


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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. 557 

Neigung zu Stomatitis und Leukoplacie dagegen schliesst scharfe und harte (Brot¬ 
kruste) Speisen aus. 

So konciliant sich der Ar# den Essgewohnheiten seiner Syphilispatienten gegen¬ 
über meist verhalten darf, so streng muss er oft ihrem Trinken geistiger Ge¬ 
tränke gegenübertreten. Gründe hierfür wurden bereits angeführt Aber es sind 
nicht nur pathologische Studien und theoretische Erwägungen, die uns zum Ein¬ 
greifen veranlassen sollen, sondern schon die Krankenbeobachtung selbst. Fast regel¬ 
mässig nehmen wirwahr, wie bei Trinkern die Syphilis von Anbeginn in schwereren 
Formen auftritt. Bereits Primäraffekte kann man bei ihnen in ganz ungewöhnlicher 
Heftigkeit sich entwickeln sehen; das erste Exanthem ist häufig nicht makulös, sondern 
papulös und pustulös, erheblich dichter als sonst, und befällt das Gesicht mehr als 
bei Massigen. Desgleichen erscheinen oft schon in den ersten Jahren und häufiger 
als bei anderen tertiäre Symptome, und alle syphilitischen Manifestationen neigen 
zu raschem Zerfalle. Von Nieren- und Lebererkrankungen, arteriosklerotischen 
Affektionen aller Art, die dem Zusammenwirken von chronischem Alkoholismus und 
Syphilis ihre Entstehung verdanken, ist bereits die Rede gewesen. 

Vielfach, besonders von englischen, skandinavischen und amerikanischen Aerzten, 
ist deshalb für alle Syphiliskranke völlige Enthaltsamkeit gefordert worden. 
Dagegen ist anzuführen, dass eine solche Anordnung, vorausgesetzt, dass sie über¬ 
haupt durchgesetzt werden kann, sehr geeignet ist, die Gemüthsverfassung der 
Kranken, die ohnehin anfangs eine sehr düstere zu sein pflegt, herabzustimmen. 
Uebrigens herrscht bei den genannten Völkern die Unsitte, recht starke Alkoholika, 
und diese meist gleich im Uebermaass zu geniessen, wenn sie sich ein derartiges 
Vergnügen machen wollen, während der Deutsche, von den eigentlichen Säufern ab¬ 
gesehen, zwar regelmässig, aber ein nur massiges Quantum, und auch lieber leichtere 
Getränke zu sich zu nehmen pflegt. — Für Kranke mit derartiger Gewöhnung 
scheint mir die Verordnung zu genügen, ihren Konsum an geistigen Getränken 
möglichst einzuschränken, schwere durch leichte Biere und Weine (Apfel¬ 
wein) zu ersetzen. Bezüglich der Quanten kann man individualisieren. Streng zu 
widerrathen ist das Theilnehmen an Zechereien aller Art, das meist recht schlecht 
vertragen wird. Auf das entschiedenste zu verbieten sind starke Alkoholika: 
Schnäpse, Liköre, Grog, gespritete Südweine und dergleichen, und zwar am besten 
gleich für alle Zeit. — Bei echten Gewohnheitssäufern, bei denen Mässigkeit- 
predigen bekanntlich vergeblich ist, bleibt nichts übrig als sie, am besten wohl in 
einer geeigneten Anstalt, zu totaler Abstinenz zu erziehen. Gelingt dieses nicht, 
so ist die Prognose ihrer Syphilis recht ungünstig, wie vielfache Erfahrung lehrt. 

Was das Rauchen anlangt, so fällt gegen das völlige Verbot derselbe Grund 
in das Gewicht, wie beim Trinken. Gewohnheitsraucher auch massigen Grades tragen 
die Entsagung oft recht schwer. Dass bei Rauchern während der Frühperiode der 
Syphilis häufiger Papeln der Mund- und Rachenschleimhaut auftreten als bei Nicht¬ 
rauchern, ist zweifellos, aber vielleicht bei der raschen Heilbarkeit dieser Affektion 
nicht sehr erheblich. Dass es bei ihnen während der Quecksilberkuren leichter zu 
Salivation und Zahnfleischlockerung käme, wie behauptet wird, kann ich nicht be¬ 
stätigen. Die hauptsächlichste Veranlassung des Rauchverbotes ist die 
Leukoplacia oris, bekanntlich ein ungemein lästiges, nur in frischen Fällen heil¬ 
bares und wegen der Neigung zur Karcinombildung gefährliches Leiden. Seine 
Aetiologie ist zwar noch nicht ganz aufgeklärt, zweifellos aber, dass es ganz über¬ 
wiegend bei syphilitischen oder syphilitisch gewesenen starken Rauchern auftritt. 


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558 Felix Block 


Starkes Rauchen ist daher unter allen Umständen zu verbieten. Doch habe 
ich die Leukoplacie auch mehrmals bei Syphilispatienten erscheinen sehen, die glaub¬ 
haft versicherten, das von mir gestattete Maass von zwei Cigarren täglich nicht über¬ 
schritten zu haben. Wenn es daher irgend angeht, empfehle ich doch, dem Rauchen 
ganz zu entsagen. Zumal bei solchen Charakteren, denen völlige Enthaltsamkeit 
leichter gelingt als Einschränkung ihrer Gewohnheit, hat das stets zu geschehen. 

Das Verbot des Geschlechtsverkehrs Syphiliskranker wird, so lange 
sie sich in ansteckendem Stadium befinden, schon in Rücksicht auf die Gefahr 
der Weiterverbreitung gefordert. Der Arzt hat die unabweisbare Pflicht, den 
hierüber oft sehr leicht denkenden jungen Männern diesen Umstand recht eindring¬ 
lich vorzustellen. — Leider wird er dabei im Deutschen Reiche nicht (wie z. B. in 
Dänemark) durch eine besondere Gesetzgebung unterstützt, die jeden Beischlaf eines 
Geschlechtskranken unter Strafe stellt. Eine solche wäre im Interesse der Ein¬ 
dämmung der venerischen Krankheiten dringend zu wünschen. — Am meisten wird 
der Kranke auf die Vorstellung von der Gefahr einer schweren Gehirn- und 
Rückenmarkserkrankung für ihn selbst achten, die aber natürlich nur mit Vor¬ 
sicht und nicht bei Hypochondern gemacht werden darf. — In den ersten Monaten 
ist die geschlechtliche Enthaltsamkeit bei der meist vorhandenen allgemeinen 
Depression leicht durchzusetzen. Je mehr sich aber der Kranke vom ersten Schreck 
erholt und je mehr er seine Körperkräfte wieder wachsen fühlt, desto schwerer. 
Deshalb ist es bei vielen Patienten vielleicht politischer, etwa vom zweiten Krank¬ 
heitsjahre an ein wenig durch die Finger zu sehen und einen recht seltenen Ge¬ 
schlechtsverkehr zu gestatten, jedoch die grösste Vorsicht in Bezug auf Ansteckung 
(Kondom) wie Ueberanstreugung dringend zu empfehlen. Die Gefahr, dass durch 
übermässige Inanspruchnahme der genitalen Centren bei Syphilitischen, 
auch solchen, die bereits seit Jahren symptomfrei sind, Tabes und Paralyse ent¬ 
stehen, ist sehr gross. Bemerkenswerth ist die Häufigkeit der ersten Symptome 
dieser Leiden bei jungen Ehemännern, deren Infektion soweit zurückliegt, dass 
ihre Frau und Kinder gesund befunden werden. — Den bereits verheiratheten, durch 
ausserehelichen Koitus infizierten Patienten ist im Hinblick auf die Gefahr der An¬ 
steckung der Gattin wie der Zeugung syphilitischer Früchte auf vier bis fünf Jahre 
hinaus, wenn Enthaltung nicht erreichbar, der Gebrauch des Kondoms anzurathen M. 
Auch muss hier auf die Möglichkeit extragenitaler Infektion besonders aufmerksam 
gemacht werden. 

Wenn die sogenannte »Naturheilkunde« behauptet, Syphilis allein durch 
Wasseranwendungen verschiedener Art, je nach dem besonderen Bekenntnisse 
ihres Apostels, heilen zu können, so wissen wir u. a. durch zahlreiche Beobachtungen 
an den mit derartigen Methoden ausschliesslich vorbehandelten Syphiliskranken, die 
ungeheilt in ärztliche Beobachtung kamen, dass dem nicht so ist*). — Dagegen 

i) Erfahrungen in meiner Praxis machen es mir wahrscheinlich, dass ein Mann beim Koitus 
auch infizieren kann, ohne sichtbare syphilitische Manifestationen am Genitale zu haben. Ob es 
durch Sperma geschieht oder auf noch unbekannte Art, kann ich nicht sagen. 

*) Die Herren »Natur«ärzte wissen es natGrlich ebenfalls und scheuen sich mitunter auch gar 
nicht, sehr im Widerspruche zu ihren Theoricen, Syphilispatäenten, ganz wie wir anderen, mit Queck¬ 
silber zu »vergiften«. Ich behandle z. B. zur Zeit einen Patienten, dem zuvor ein bekannter ärzt¬ 
licher Leiter einer sächsischen Naturhcilanstalt eine ganz richtige Schmierkur verordnet hatte. Auch 
die »Homöopathen« machen es ähnlich und geben ganz normale Dosen spirituöser Sublimatlösung 
innerlich, die den Kranken als homöopathische Tropfen imponiert, ihnen aber meistens den Magen 
verdirbt. 


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Hygiene und Diätetik bei der Sypbilisbehandlung. 559 

werden von Alters her mit Recht Bäder verschiedener Art neben der Quecksilber¬ 
behandlung als ein werthvolles Unterstützungsmittel der Syphilis¬ 
behandlung geschätzt. Während der Kuren und wohl überhaupt während des 
ersten Krankheitsjahres sind warme Bäder den kalten als die milder wirkenden 
vorzuziehen, da zu berücksichtigen ist, dass die Patienten in diesen Zeiten sehr zu 
Erkältungen geneigt zu sein pflegen. Kühle Bäder und kalte Douchen nach den 
warmen Bädern erlaube man im ersten Jahre nur solchen Kranken, die bereits daran 
gewöhnt sind. Bei Einreibungskuren verordnet man Bäder zur Reinigung und Er¬ 
holung der Haut gewöhnlich nach jedem vier- bis sechstägigen Turnus. Bei täglichen 
Bädern mit folgender Einreibung darf man nicht übersehen, dass das Quecksilber 
nicht einfach mechanisch durch die Haut gerieben in den Körper eindringt, wie man 
früher allgemein glaubte, sondern entweder ausschliesslich oder doch hauptsächlich 
in gasförmigem Zustande theils von der Haut, theils (zum kleineren Theile) von den 
Lungen aufgenommen wird ’). — Daher auch die Wirksamkeit der Quecksilbersäckchen- 
und Merkolintbehandlung. — Sonach findet die Resorption keineswegs nur während 
der Einreibung, sondern noch viele Tage nachher statt, so lange die graue Salbe auf 
der Haut und an der Wäsche haftet. Wenn man also aus irgend welchen Gründen 
täglich baden lassen will, muss man die Dosis der einzureibenden Salbe vergrössern, 
um gleiche Wirkung wie .bei selteneren Bädern zu erzielen. — Bei Einspritzungen 
unlöslicher Quecksilbersalze leisten einige Stunden später genommene warme Bäder 
gute Dienste zur Verminderung der dann eintretenden Beschwerden. — Nach den 
Quecksilberkuren sind die Bäder mit Nutzen fortzusetzen, und vor allem Schwitz¬ 
prozeduren, wie Dampf-, Heissluft- und Lichtbäder, sowie Schwitzeinpackungen, 
besonders bei gut- und überernährten Patienten von Nutzen für den rege zu haltenden 
Stoffwechsel wie für die Hautpflege. Bei subkutaner Quecksilberanwendung kann 
man diese Behandlung auch während der Kuren selbst vornehmen. Die Zeiten 
zwischen den Kuren wird man auch wählen zur hydriatrischen Behandlung 
der syphilogenen Neurasthenie, für die sich, da Wärmeentziehung thunlichst 
zu meiden, recht leichte Prozeduren mit nicht zu kaltem Wasser empfehlen, z. B. 
die aus England stammenden »Schwammbäder« 2 ), die ich häufig mit vielem 
Nutzen brauchen lasse, und die jedermann ohne Hilfe im eigenen Schlafzimmer 
machen kann. 

Wodurch die vielfach beobachtete günstige Wirkung von Bädern und Schwitz¬ 
prozeduren auf Syphiliskranke sich erklärt, ist uns freilich noch völlig unbekannt; 


’) Juliusborg, Experimentelle Untersuchungen über die Quecksilberresorption bei der 
Schmierkur. (Aus der königlichen dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau.) Archiv für 
Dermatologie und Syphilis 1901. Bd. 56. Heft 1. 

2 ) Der Patient stellt sich in einen flachen, etwa 1 m im Durchmesser haltenden Zuber (als 
»Stehbadewanne« käuflich). Daneben wird in handlicher Höhe eine Waschschalc mit lauem und 
ein Krug mit kaltem Wasser gefüllt gestellt Der Patient taucht wiederholt einen grossen Bade¬ 
schwamm in die Schale und drückt ihn über Kopf und Schultern aus. Es soll dabei nur das Ge¬ 
fühl angenehmer Kühle, kein Frieren entstehen. Das Wasser wird durch Zugiessen von kaltem 
allmählich abgekühlt, die Prozedur etwa drei bis fünf Minuten fortgesetzt. Danach tupft der Patient 
ganz flüchtig das Wasser mit einem Handtuch von der Haut (nicht frottieren), steigt rasch ins Bott 
und deckt sich warm zu, wonach er die Füssc noch gründlich abtrocknet. Es erfolgt rasche Er¬ 
wärmung, die nach 15 — 20 Minuten wieder normaler Temperaturempfindung weicht. Nimmt man 
das Schwammbad morgens, so muss man vor dem Ankleiden das Verschwinden der Hitzeempfindung 
im Bett abwarten. Am Abend wird der Kopf nicht mitbenetzt, da dieses den Schlaf hemmt, den 
das Bad sonst befördert. Im Winter muss das Zimmer geheizt sein. 


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560 Felix Block 


dass die Wiederausscheidung des Quecksilbers oder die Lockerung von irgendwo fest¬ 
gelegten Depots von Syphilisgift durch sie befördert werde, ist völlig hypothetisch >). 

Das gleiche gilt von einer spezifischen Wirkung verschiedener Heilquellen. 
Mit Recht macht Ne iss er 2 ) darauf aufmerksam, dass Schwefelbäder, die doch be¬ 
sonderen Ruf als Antisyphilitika geniessen, das nach einer Einreibung noch auf und 
in der Haut befindliche Quecksilber in gänzlich (selbst subkutan) unwirksames 
Schwefelquecksilber umwandeln. Unzutreffend ist daher die Auffassung mancher 
Autoren, welche sagen, der Gebrauch der betreffenden Schwefelbäder gestatte die 
Anwendung weit grösserer Dosen grauer Salbe ohne Schädigung des Patienten; 
nein, er verlangt sie zur Erzielung des gleichen antisyphilitischen Effektes, weil 
er einen sehr erheblichen Theil der eingeriebenen Salbe nachträglich unwirksam 
macht. Deshalb wäre es eigentlich rationeller, gerade in Schwefelthermen Injektions¬ 
kuren zu machen. Auch Kochsalzbäder mit und ohne minimalen Jodgehalt haben 
ganz gewiss keine spezifische Wirkung. Neben ihrer durch die Erfahrung, wenn 
auch nicht durch die Theorie, gelehrten günstigen Wirkung auf das Allgemein¬ 
befinden der Kranken kann die Indikation aller Heilquellen nur darin gefunden 
werden, dass an einem Badeorte der Kranke Ruhe und Zeit hat, sich ausschliess¬ 
lich und recht sorgfältig der Behandlung seiner Syphilis zu widmen, wodurch natür¬ 
lich, zumal wenn recht energische Kuren nothwendig waren, bessere Resultate als 
zu Hause erzielt werden können. Nicht selten auch ist die Entfernung aus ihrer 
Berufsthätigkeit, aus ihrer Familie und ihrem Umgangskreise für frisch erkrankte 
Syphilitische wünschenswerth, und man wird sie dann gern einem Badeorte zuweisen, 
wo, gleichgiltig welcherlei Quelle dort fliesst, eine gründliche Queck¬ 
silberbehandlung und angemessene Beaufsichtigung zu finden sind. Was 
letzteren Punkt anlangt, so herrschen freilich nicht allerwärts in den Kurorten die 
geeigneten Zustände. Nach Schilderung mancher Patienten, die denn auch in recht 
üblem Zustande zurückkehrten, geht es hie und da viel lustiger zu, als es wünschens¬ 
werth ist: da finden Festlichkeiten aller Art, Kneipereien bis tief in die Nacht 
hinein, wo nicht^noch ärgeres statt. Auch über unärztlichen Schematismus der 
Kuren, ja darüber, dass die einreibenden Badediener die eigentlichen Leiter der Be¬ 
handlung seien, ist geklagt worden. Der Arzt, der einen Syphiliskranken nach einem 
Badeort schickt, wird daher gut thun, sich darüber zu unterrichten, wie es daselbst 
zugeht, und, zumal bei leichtlebigen Charakteren, vorziehen, ihn an die Anstalt 
eines ihm als tüchtig und sorgsam bekannten Kollegen zu empfehlen. — Wenn keine 
Nothwendigkeit besteht, die Kur selbst in einem Badeorte vornehmen zu lassen, ist 
es von bester Wirkung, den Patienten nach grösseren Kuren zu geeigneter Jahres¬ 
zeit in Kurorte und Sommerfrischen zu senden, deren Auswahl sich nach der 
sonstigen Körperbeschaffenheit, der Neigung und dem Geldbeutel des Patienten richtet 
Oft habe ich mit grossem Nutzen meine von der Krankheit wie von der Behandlung 
angegriffenen und nervös gewordenen Syphilispatienten in das waldige Mittel¬ 
gebirge, besser noch Hochgebirge, oder an die See geschickt (vom zweiten 
Krankheitsjahre an kann man meist auch Seebäder empfehlen), wo sie frei von 
den Quälereien einer Quecksilberkur sich weit vollkommener erholen konnten, als 
wenn sie während dieser Zeit merkuriell behandelt worden wären. Winter- 


i) A. Noisser, Syphilisbehandlung und Balneotherapie. Berliner klinische Wochenschrift 
1897. No. 10. 

'-) a. a. 0. 


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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbchandlung. 


561 


aufenthalt in südlichem Klima dürfte für Syphiliskranke als solche kaum je¬ 
mals nöthig sein, ausser vielleicht wo die Indikation des Ortswechsels behufs Hebung 
psychischer Depression besteht. 

Dieser Umstand leitet über auf die psychische Behandlung Syphiliskranker, 
deren Wichtigkeit nicht zu unterschätzen ist, die aber leider oft gänzlich versäumt 
wird. Nicht etwa von Suggestion oder dergleichen ist die Rede, sondern von dem 
Einflüsse, den der Arzt auf die Psyche jedes seiner Patienten zu gewinnen hat, um 
auch von da aus helfend einzugreifen. Man kann in der Wirkung, die eine Syphilis¬ 
infektion auf das Gemüth des Befallenen ausübt, meist deutlich zwei Stadien unter¬ 
scheiden: ein erstes der Depression und ein zweites der Gleichgiltigkeit, ja 
des frivolen Leichtsinnes der Krankheit gegenüber. Der erstere Zustand dürfte 
wohl fast ausnahmslos eintreten, zuweilen, wohl bei prädisponierten Individuen und 
wenn besondere Umstände, z. B. Heirathsabsicht, Verheirathetsein u. a. dazukommen, 
in recht schwerer Form bis zur völligen Muthlosigkeit und Selbstmordgedanken. 
Auch ausgeführte Selbstmorde kommen sicherlich, in grösserer Zahl als festzustellen 
ist, auf Rechnung frischer syphilitischer Infektionen. Die durch die Krankheit selbst 
hervorgerufene oder verstärkte Neurasthenie hypochondrischen Charakters, auf welche 
Quecksilberkuren meist wenig günstig wirken, ist nicht geeignet, den seelischen Zu¬ 
stand des Kranken zu bessern. Dass Gemüthsverstimmungen solcher Art auf den 
Stotfwechsel, die Funktionen der lebenswichtigen Organe und damit die Abwehr- 
thätigkeit des Körpers gegen das Gift der Parasiten hemmend einwirken müssen, 
sieht jeder ein, der den grossen Einfluss der Psyche auf die rein vegetativen 
Funktionen kennt. — Hier leistet nach beendeter erster Kur Ortsveränderung, wenn 
sie sich ermöglichen lässt, das beste. — Späterhin, besonders bei leichtem Verlaufe 
der Krankheit, kehrt sich — nicht immer — das Bild oft völlig um, und der Kranke 
ist von seiner völliger Heilung und der Ueberflüssigkeit weiterer Kuren und vor¬ 
sichtiger Lebensweise so überzeugt, dass er entweder einfach aus dem Gesichtskreise 
seines Arztes verschwindet, oder doch dessen Anordnungen wenig oder gar nicht 
mehr nachkommt — zuweilen sehr zu seinem Schaden. Mancher äussert wohl gar: 
»Jetzt bin ich einmal mit der Syphilis hereingefallen, nun brauche ich mich um 
nichts mehr zu sorgen!« und lebt dann entsprechend darauf los, bis Tabes oder 
Paralyse Halt gebieten. — Wie sollen wir uns diesen beiden so sehr verschiedenen 
Indikationen gegenüber verhalten? Sie scheinen es mir vor allem nothwendig zu 
machen, den Kranken von Anbeginn an über die Natur seiner Krankheit und 
deren nothwendige medikamentöse wie hygienische Behandlung eingehend zu 
belehren. Das widerspricht, wie mir wohl bewusst ist, dem landläufigen ärztlichen 
Grundsätze, dass der Patient von seiner Krankheit nichts zu wissen brauche, sondern 
blindlings Vertrauen zu seinem Arzte und dessen Verordnungen haben solle. Schon 
seit einiger Zeit aber mehren sich die Stimmen derer, die diesem Grundsätze über¬ 
haupt, der auch in verschiedenen anderen Ländern längst ausser Geltung zu sein 
scheint, Fehde ansagen: er trage erhebliche Mitschuld daran, dass die Kurpfuscherei, 
approbierte wie unapprobierte, so ungeheuerlich überhand genommen habe. Das 
Publikum unserer Zeit, auch das minder gebildete, wolle eben wissen, worum es 
sich bei seinen Krankheiten und deren Bekämpfung handele, und wende sich deshalb 
von den hochmüthig schweigenden wissenschaftlichen Aerzten zu den um so ge¬ 
sprächigeren Pfuschern. Darum laufe es scharenweise zu deren populären Vorträgen, 
und kaufe massenhaft ihre unglaublich elend zusammengeschmierten Bücher für 
theures Geld. — Vor allem scheint mir eine eingehende Belehrung über die Krank- 

Zeltaehr. f. diat n. pliyaik. Thorapin Rd. VI. Heft 10 . 39 


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heit und ihre Behandlung gerade bei der Syphilis nothwendig. Die Gemüths- 
depression der kürzlich Infizierten wird häufig verstärkt durch die Lektüre der 
nicht auf die Aengstlichkeit der Kranken Rücksicht nehmenden Artikel der 
Konservationslexika und populär-medicinischer Werke, die fast jeder Syphiliskranke 
nachschlägt. Weit verderblicher noch wirkt die bereits erwähnte überall verbreitete 
Schundlitteratur der Annonzierärzte, Kurpfuscher, Geheimmittelschwindler und 
spekulativen Buchhändler, die in der unverantwortlichsten Weise die kranken Leser 
in die grösste Angst vor der Syphilis und dem Quecksilber hineinhetzt, natürlich in 
ganz bestimmter eigennütziger Absicht. Andere Machwerke wiederum verkünden im 
Gegentheil, dass die Syphilis eine ganz leichte, rasch durch die einfachsten »natur- 
gemässen« Mittel zu heilende Krankheit sei, und die schweren Erscheinungen nur 
Folge von »Quecksilbervergiftung«. Dem allen gegenüber ist der Arzt geradezu ge¬ 
zwungen, seinen Syphilispatienten (und wenn möglich auch dem Publikum überhaupt) 
die Wahrheit, soweit sie Wissenschaft und Erfahrung uns hat erkennen lassen, in 
thunlichst eindringlicher Weise und in nicht zu knapper Form^darzulegen. Ist doch 
die richtige Kenntniss des Wesens der Syphilis wohl geeignet, zweckmässig vor¬ 
getragen, sowohl den Verzweifelnden Muth wie den Leichtsinnigen Besonnenheit ein- 
zuflössen. Dieses nur mündlich zu thun, ist kaum möglich, ganz abgesehen von der 
Zeit, die es jedesmal dem Arzt kostete. Ich halte es daher für empfehlenswerth, 
den Syphilispatienten, wenn auch nicht einem jeden, ein kurzgefasstes Büchlein 1 ) 
mit Belehrungen in die Hand zu geben über die Natur seiner3Krankheit, c ihre Heil¬ 
mittel und die nothwendigen hygienisch - diätetischen Vorschriften, letztere am aus¬ 
führlichsten behandelt und begründet. Einfache Verhaltungsmaassregeln ohne 
Motivierung, wie sie vielfach üblich sind, erscheinen mir für die bessere Praxis 
mindestens als nicht genügend. Der Nachtheil des gedruckten Wortes vor dem ge¬ 
sprochenen, dass man es dem Charakter des Patienten, den^man anfangs übrigens 
doch meist gar nicht kennt, nicht anpassen kann, ist durch anschliessende münd¬ 
liche Belehrungen und Erläuterungen des Gedruckten, die niemals unterbleiben 
sollten, wettzumachen. 

Um noch auf einige Einzelheiten einzugehen, muss man dem durch den ersten 
Ausbruch der Syphilis oder auch durch hartnäckig wiederholte Symptome deprimierten 
Patienten vor allem die sichere, wenn auch längere Zeit erfordernde, Heilbarkeit 
seiner Krankheit recht eindringlich vorstellen. Es ist für viele solcher Kranken 
besser, sie in der gewohnten Thätigkeit zu belassen, da der Müssiggang sie 
noch mehr verführt, unaufhörlich über ihr Leiden und dessen mögliche Folgen nach¬ 
zugrübeln und sich dem Lesen der erwähnten Bücher zu widmen. Diese Lektüre 
muss man natürlich durchaus verbieten und versuchen, die Vorstellungen der Kranken 
in andere Bahnen zu lenken, etwa durch angenehme Beschäftigung in den Musse- 
stunden und dergleichen. Bei den schwersten syphilitischen Hypochondern mit be¬ 
reits getrübtem Intellekt wird man freilich wenig Erfolg haben; sie lassen sich, 
selbst wenn sie bereits symptomfrei geworden sind, von jener Lektüre nicht ab¬ 
bringen, wechseln auch häufig den Arzt, suchen noch mehr'Naturheilanstalten und 
Schwindelinstitute auf, da sie kritiklos auf alles Neue und Reklamehafte hineinfallen. 
Sie enden wohl nicht selten im Irrenhause. — Besser wird man schon mit den 
Leichtherzigen fertig, deren Verstand eben nicht gelitten hat, und die geeignetem 


') Für meiuen Privatgebrauch habe ich ein solche» drucken, aber nicht im Buchhandel er 
scheinen lassen. 


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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbchandlung. 563 

Zuspruche, dem einige Drohungen nicht fehlen dürfen, doch meist zugänglich sind. 
Der Arzt thut gut, solche Patienten in nicht zu langen, regelmässigen 
Zwischenräumen, auch wenn ihnen nichts fehlt, zu sich zu bestellen, theils 
um dem Uebersehen von Syphilissymptomen, wozu sie sehr geneigt sind, vorzu¬ 
beugen, theils um sie immer wieder daran zu erinnern, dass sie an einer ernsten, 
langwierigen Krankheit leiden, und ihnen die nothwendigen Lebensregeln immer 
wieder einzuschärfen. Für diese Klasse von Patienten ist daher die Behandlung der 
Syphilis nach dem chronisch-intermittierenden Typus auch in psychischer Hinsicht 
werthvoll. Man braucht nicht zu fürchten, einen hypochondrisch zu machen, der 
nicht von Natur dazu veranlagt ist. 

Es erübrigt noch, wenn es auch streng genommen nicht zu unserem Thema 
gehört, der Medikamente zu gedenken, die sich, abgesehen von den Antisyphilitika, 
bei der Behandlung Syphiliskranker mit Nutzen anwenden lassen. Sehr häufig, be¬ 
sonders im ersten Krankheitsjahre, findet man bei den Syphilitischen Anämie. 
Meist weicht dieselbe dem Quecksilber, das, wie man mit Recht sagt, bei ihnen 
wirkt, wie Eisen bei Chlorotischen. Doch ist das nicht immer der Fall, und dann 
empfiehlt sich auch hier das Eisen, am vortheilhaftesten mit ein wenig Arsen in 
Form Blaud’scher Pillen zwischen den Quecksilberkuren gereicht Dasselbe Mittel, 
eventuell mit Extractum strychni kombiniert, eignet sich zur medikamentösen 
Behandlung der Neurasthenie. Gutes sieht man bei Schwächezuständen 
während oder nach energischen Kuren von Chinin ( 0,2 — 0,3 pro die), das auch 
mit Ferrum zugleich gegeben werden kann. Nervöse Appetitlosigkeit, meist 
als Begleitung der allgemeinen Depression bei Beginn der Syphilis auftretend, wird 
mit Orexinum tannicum 0 , 5 — 1,0 zweimal täglich eine bis zwei Stunden vor der 
Mahlzeit gereicht, erfolgreich behandelt. Bei bösartigen Formen von Syphilis, 
wo Quecksilber und Jod anfangs schlecht vertragen werden oder gänzlich versagen, 
z. B. bei bestehender erheblicher Albuminurie, wendet man seit langem mit Vortheil 
diuretische Kuren in Form des Zittmann’schen Dekoktes oder der billigeren 
Holztränke an, neben äusserst sorgfältiger Diätregelung mit reichlichem Milch¬ 
genuss. Danach werden Quecksilber und Jod besser vertragen. 

Alle hygienischen und diätetischen Vorschriften gelten vornehmlich für die erste 
Zeit der Krankheit, solange noch häufigere Symptome irgend welcher Art auftreten 
und das Allgemeinbefinden noch gestört ist. Wie die Syphilis unter richtiger Be¬ 
handlung allmählich erlischt, so darf auch der Kranke von den ihm vielfach lästigen 
Verordnungen und Einschränkungen sich allmählich emanzipieren. Doch niemals 
ganz. Der Arzt muss ihm gegenüber betonen, dass, auch wenn er sich nach etwa 
vier bis fünf Jahren als geheilt betrachten kann, er doch nicht jetzt mit verdoppeltem 
Eifer alle ihm so lange versagten oder beschränkten Genüsse nachholen dürfe. Zu¬ 
nächst giebt es ja leider bei der Syphilis keine absolute Gewissheit der Heilung 
(ausser durch Reinfektion), dann aber müssen wir berücksichtigen, dass die Wider¬ 
standskraft eines einmal von Syphilis durchseucht gewesenen Körpers in 
sämmtlichen Organen, vor allem im Gefäss- und Nervensystem dauernd 
herabgesetzt ist. Wenn wir daher auch einem von Syphilis Genesenen erlauben 
dürfen, sich wie ein Gesunder zu verhalten, so sollen wir ihm doch dringend an- 
rathen, wie ein Vernünftiger zu leben und in Anstrengungen wie in Ge¬ 
nüssen lebenslang weises Maass nicht aus den Augen zu lassen. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




564 


Wilh. Bauermeister 


XII. 

Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer 
neuen Gährungstechnik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, 
wie über das nach obiger Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat 

im besonderen. 

Von 

Dr. Wilh. Bauermeister, 

Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig. 

Ohne anderweitigen Veröffentlichungen vorgreifen zu wollen >), gestatte ich mir im 
folgenden meine Erfahrungen über Verwendung natürlichen Kaseins zu Backzwecken 
mitzutheilen, umsomehr als sie in mehrjährigen Bemühungen gewonnen und nunmehr 
zu feststehenden Erfolgen gediehen sind. Den Anlass bildete die allbekannte Er¬ 
fahrungssache aller, die sich intensiver mit der Behandlung von Diabetikern befassen, 
dass im allgemeinen auf die sogenannten Diabetikerbrote nicht bedingungsloser Ver¬ 
lass ist. Im günstigsten Falle ist der Kohlehydratgehalt schwankend, fast durch¬ 
schnittlich erhebt er sich in mehr oder weniger starkem Prozentsatz über die Begleit¬ 
analysen, wovon auch die anerkanntesten Fabrikate zuweilen keine Ausnahme machen, 
oft aber ist der Stärkegehalt ein derartiger, dass das Fabrikat überhaupt nicht den 
Namen eines Diabetikerbrotes verdient. Was soll man dazu sagen, wenn solche 
Brote, die 47 ®/ 0 (statt der angekündigten 30 °/ 0 ), 45 °/ 0 , 50 % Stärkestoffe enthalten, 
im Gegensatz zu dem ca. 55 — 60 % enthaltenden gewöhnlichen Brotarten als be¬ 
sondere Diabetikerbrote bezeichnet werden? In unfreiwilligem Zugeständniss dieser 
Mangelhaftigkeit wird dann namentlich auf den starken Eiweissgehalt dieser Fabrikate 
hingewiesen, als ob der Eiweissgehalt eines Gebäckes das Charakteristische und Werth¬ 
volle an der Sache wäre. Jeder Eingeweihte weiss, dass das von ganz nebensächlicher 
Bedeutung ist. Der Diabetiker braucht im Prinzip kein eiweisshaltiges Brot 2 ) (das 
nöthige Eiweiss können wir ihm meist in viel angenehmerer Form zuführen), und 
zudem ist es gar kein Kunststück, Eiweiss in ein Brot hineinzubekommen; was er 
aber braucht, ist ein kohlehydratarmes Brot, und in der Entziehung der Stärkestoffe 
aus dem Brote liegt der ganze Schwerpunkt der Fahrikation. Wie bekommt man 
die Stärkestoffe aus dem Brote heraus? das ist die brennende Frage bei der Her- 


') Vergl. Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung. Central¬ 
blatt für Stoffwechsel- etc. Krankheiten Bd. 2. Heft 5. 

2 ) Anmerkung während der Korrektur: Dass die oft beliebte, planlos bemessene Eiweisszufuhr 
unter Umständen nicht nur gleichgiltig, sondern, weil sie nicht selten zur Vermehrung der Zucker¬ 
ausscheidung etc. führt, für den Diabetiker direkt schädlich ist, darauf hat jüngst wieder v. Noorden 
auf der letzten Naturforschcrversammlung zu Karlsbad mit Nachdruck hingewiesen. Vergl. Referat 
in dieser Zeitschrift Bd. C. Heft 8. S. 4<W. 


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lieber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc. ; >65 

Stellung derartiger Gebäcke. Die Schwierigkeit der Lösung derselben ergiebt sich 
aus der Thatsache, dass eben die Kohlehydrate, das Mehl, der Träger der Backfähig¬ 
keit eines Teiges überhaupt sind. »Brot ohne Mehl« giebt es nicht. 

Unter Backfähigkeit eines Teiggemisches verstehen wir einmal, dass dasselbe 
vor dem eigentlichen Backprozesse einer zweckdienlichen Gährung fähig ist und sich 
lockert (der Teig muss gehen), und dass es nach dem stattgefundenen Backprozess 
locker bleibt, sein Gefüge behält (das Brot muss stehen). Beides geht vor sich unter 
Bindung einer bestimmten Wassermenge, die bei gutem Ausfall des Produktes sich 
auf einem konstanten Betrage hält, so dass gut ausgebackene Waare immer einen be¬ 
stimmten Prozentsatz Wasser (35—45 °/ 0 ) und einen bestimmten Prozentsatz Kohle¬ 
hydrate (55—65 o/o) enthält. 

Das Diabetikerbrot soll sich nun durch einen geringeren Gehalt an Kohle¬ 
hydraten auszeichnen; es wird erst dadurch zu dem, was es vorstellen soll. Als 
der einfachste Weg, dies zu erreichen, könnte die einfache Vermischung des Teiges 
mit kohlenwasserstofffreien Substanzen erscheinen, aber der ist nur bis zu einem 
gewissen Grade beschreitbar. Nehmen wir Tropon, Plasmon, Eukasin, ausgewa¬ 
schenes pulverisiertes Kasein, so können wir durch Einführung gewisser Mengen 
derselben — prozentualiter des Zusatzes — den Kohlehydratgehalt herabdrücken. 
Das wird aber immer nur in einem beschränkten Grade der Fall sein können, weil 
mit der Grösse des Zusatzes die Backfähigkeit des Teigzusatzgemenges leidet. Der 
Zusatz ist für den Teig eine tote Masse, die durch die lebendige Kraft der Kohle- 
hydratgährung mit gehoben werden muss. Es ist klar, dass bei Ueberlastung mit 
derartigem Material die Kraft der Teiggährung unterliegt, unter Umständen die 
Gährung direkt erstickt wird: die prozentualiter herabgedrückten Kohlehydrate 
können den Teig nicht mehr heben, es giebt kein poröses, stehendes Gebäck mehr, 
sondern das Endprodukt ist eine kompakte, schwere Masse, die nach dem Backen 
vollends wieder zusammensinkt. Und wenn wir uns an dieser Formlosigkeit nicht 
stossen würden, würden statt dessen meist andere Umstände der dauernden Ver¬ 
wendung wenigstens im Wege stehen, sei es, dass bei einigermaassen beträchtlichen 
Zusätzen unser Geschmackssinn, wie beim Tropon und anderen denaturierten, un¬ 
löslichen Substanzen, rein mechanisch beleidigt würde, sei es, dass die löslichen 
Präparate, wie z. B. Kasein Verbindungen, eben wegen dieser Eigenschaft chemisch 
auf unsere Geschmacksnerven bis zur Unausstehlichkeit abstossend wirken. Das wird 
jeder bestätigen können, der in diesem Fache länger gearbeitet und sein Fabrikat 
auch selbst gegessen hat. Ja selbst der Geruch kann einem die Sache schon ver¬ 
leiden, namentlich wenn man versucht hat, die Gebäcke für längere Zeit in einem 
geschlossenen Behälter zu verwahren. Dem natürlichen Brotgeschmack und dem 
natürlichen Aroma kann auf die Dauer kein Mensch entrathen. Aus diesen Er¬ 
fahrungen heraus ist für mich die conditio, sine qua kein ansprechendes Brot ge¬ 
backen werden kann, die: 1. der Zusatz muss unschmeckbar, id est unlöslich, sein, 
und darf auch mechanisch nicht beleidigen, 2. der Zusatz muss sich am Aufbau 
des Brotes aktiv betheiligen. 

Vor Jahren gemachte Versuche, das unlösliche Tropon, das lösliche, daher in 
grösseren Mengen schmeckbare Plasmon, Eukasin, ausgewaschenes natürliches oder 
getrocknetes und pulverisiertes Kasein durch Beigabe von Alkohol, Ammoniak, \Back- 
pulver etc. backfahiger zu machen, sind als gescheitert zu betrachten: wenn der Teig 
vor dem Backen auch »ging«, nach dem Backen fiel das Brot bei einigermaassen 


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566 


Willi. Bauermeister 


stärkerem Zusatz zusammen. Durch jeden stärkeren Zusatz, wie er bei Diabetikerbrot 
in Anwendung kommen muss, biisste das Teiggemisch, je nachdem bis zu gänzlicher 
Unbrauchbarkeit, an Backfähigkeit ein: das Tote erstickt das Lebendige. Auf der 
Suche nach einem solchen Zusatz, der die Backfähigkeit des Gemenges womöglich 
nicht nur nicht hemmte, sondern womöglich noch seinerseits unterstützte, blieb mir 
nichts anderes übrig, als nach Präparaten zu greifen, die selbst kohlehydrathaltig 
waren: Herstellung eines kohlehydratarmen Brotes durch Zusatz kohlehydrathaltiger 
Stoffe in grosser Menge: eine contradictio in adjecto auf den ersten Blick, die um 
so befremdender erscheinen konnte, als man ja bei allen in Betracht kommenden 
Präparaten früher die Befreiung von Kohlehydraten, sei es durch Auswaschen, Aus¬ 
fällen, durch Vergähren etc. der natürlichen Stoffe, sei es im Verlauf eines ein¬ 
geleiteten Denaturierungsprozesses vor Verwendung zum Backen sorgfältig erstrebt 
und ausgeführt hatte. Ich selbst hatte früher den natürlichen Käsequark zum Backen 
benutzt und ihn ebenfalls (zum Theil wenigstens) ausgewaschen, hatte ihn auswaschen 
müssen, weil anderenfalls der Milchzucker in der Analyse des Diabetikerbrotes prompt 
in Erscheinung trat, und so auf der einen Seite an mehr gefährlichen Kohlehydraten 
wieder einzuholen drohte, was auf der anderen an weniger gefährlichen abgedrängt 
war. So schien die Verwendung grösserer Mengen noch milchzuckerhaltigen Kaseins 
daran zu scheitern, dass er in der Teiggährung nicht in hinreichender Menge mit 
unterging. Wenn es aber gelang, Mittel und Wege zu finden, grössere Milchzucker¬ 
mengen im Teig mit zu vergähren, so fiel einmal damit die Gefahr einer neuerlichen 
und zwar verhältnissmässig schädlicheren Kohlehydratanreicherung des Brotes fort, 
andrerseits konnte damit die Milchzuckergährung direkt in den Dienst der Brotberei¬ 
tung gestellt werden: es konnte dadurch eventuell die Gährung im Teig eine derartig 
intensive werden, dass nicht nur die gesammte Teigmasse gehoben wurde, sondern 
man konnte aus dem teigmilchzuckerhaltigen Quarkgemenge sogar noch, proportional 
dem zugeführten Milchzucker, Mehl fortlassen, ohne für ein genügendes »Gehen« 
fürchten zu müssen, falls es eben gelang, grössere Milchzuckermengen, wie sie 
grössere natürliche Quarkmengen in sich schliessen, während] der Teigbereitung zu 
vertilgen, und zwar auf dem Wege der Gährung. 

Die Gährung einer gährfähigen Substanz kann je nachdem durch chemische 
Körper (ungeformte) oder durch organisierte Lebewesen (geformte Fermente) bewirkt 
werden. 

Im allgemeinen hat jede Zuckerart ihren eigenen Gähruugserreger; andrerseits 
giebt es Gährungserreger, die auf verschiedene Zuckerarten zersetzend wirken. Zu 
letzteren gehört z.B. der Bacillus coli. Manche Fermentorganismen bedürfen, um 
gährungserregend zu wirken, der Anwesenheit bestimmter Bedingungen, wie ebenfalls 
der Bacillus coli. Der Kolibacillus vermag sowohl — im Gegensatz zum Typhus¬ 
bacillus — Milchzucker zu vergähren, als er auch Traubenzucker vergährt; das 
letztere unter bestimmten Umständen. Bekannt ist, zu dem Zwecke Traubenzucker 
in Bouillon aufzulösen. Verfasser selbst liess vor zwei Jahren lange gekochten 
eiweisshaltigen Diabetikerharn — aus Mangel an anderem Material — ebenfalls 
prompt vergähren. Der Bacillus coli vergährt auch — im Brutschrank bei ent¬ 
sprechender Temperatur — den Milchzucker der Milch in einem, zwei oder 
mehreren Tagen, je nach den Bedingungen. Der Verfasser fand seinerzeit ebenfalls, 
dass bei Zusatz von sterilisiertem, neutralisiertem Magensaft zur Milch, bei An¬ 
wesenheit des Bacillus coli, die Gährung, welche vorher nach Tagen eintrat, jetzt 
fast nach ebensoviel Stunden vollzogen war. Es waren also Wege bekannt, wie man 


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lieber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc. 


567 


einerseits den Widerstand verschiedener Zuckerarten gegen einen bestimmten Bacillus 
brechen, und wie man andrerseits eine vor sich gehende langsame Gährung in eine 
schnell stattfindende verwandeln konnte. Bei dem Bacillus coli brauchte man den 
Zusatz von Substanzen, die in der Bouillon, dem gekochten, neutralisierten Magen¬ 
saft, dem sterilisierten, albuminhaltigen Diabetikerharn vorhanden waren. Um zu 
entscheiden, ob auch die Milchzuckergährung durch den Bacillus acidi lactici, einem 
Seitenverwandten des Bacillus coli, im Quark auf ähnliche Weise beeinflusst werden 
konnte, wurden folgende Laboratoriumsversuche angestellt: 


Erster Versuch: 

Es werden Reagensgläser von 30 cm» Inhalt als Gährungsröhrchen armiert und auf 
folgende Weise gefüllt: 

Glas A mit 24 cm 3 dickbreiiger Quarkaufschwemmung und 6 cm» Wasser; 
» B » 24 j » » 3 cm» Wasser und 

3 cm» Leimpeptonlösung; 

» C mit 24 cm» dickbreiiger Quarkaufschwemmung, 3 cm» Wasser und 
3 cm» Hefeaufschwemmung; 

> D mit 24 cm» dickbreiiger Quarkaufschwemmung, 3 cm» Hefe und 

3 cm» Leimpeptonlösung. 

Nach zwölfstündigem Aufenthalt im Wärmeschrank bei 37 0 C ist: 

Glas A durchsetzt mit Gasblasen, aber bis zur Kuppe mit Quark gefüllt; 

» B » » » die Kuppe in l'/a cm Höhe nur Gas; 

» C » » » »»»1»»»» 

» D » » » » » > 4 » » » » 


Zweiter Versuch. 

Es werden angefüllt: 

Glas Aj mit 24 cm» wässerigem, sterilisiertem Quarkauszug und 6 cm» Wasser; 

> B, » 24 » > » d 3 cm» Wasser und 

3 cm» sterilisiertem, neutralem Magensaft; 

» C, mit 24 cm» wässerigem, sterilisiertem Quarkauszug, 3 cm» Wasser und 
3 cm» Hefeaufschwemmung; 

> D, mit 24 cm» wässerigem, sterilisiertem Quarkauszug, 3 cm» Hefeauf¬ 

schwemmung und 3 cm» Magensaft. 

Nach zwölfstündigem Aufenthalt im Wärmeschrank bei 37—40° C zeigt: 

Glas A, in der Kuppe ein kleines Gasbläschen; 

> B,- desgleichen; 

» C t in der Kuppe eine Gassäule von 1 cm Höhe; 

> D, » s> > » » > 4 » > 

Dritter Versuch. 

Es werden angefüllt: 

Glas A 2 mit 19 cm» sterilisierter Milch -I- 1 cm» Wasser; 

» B 2 >19 cm» > » + 1 » » dann geimpft mit 

einer Platinöse Quark; 


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5(58 Wilh. Bäuerineister 


Glas C a mit 19 cm 3 sterilisierter Milch + 1 cm 3 Wasser, dann geimpft mit 
einer Platinöse saurer Milch; 

» D 2 a mit 19 cm» sterilisierter Milch -f- 1 cm 3 Purofleischsaft (Lösung: 

1:10), dann geimpft mit einer Platinöse Quark; 

;; D 2 /9 mit 19 cm 3 sterilisierter Milch -|- 1 cm 3 Purofleischsaft (Lösung: 

1:10),'dann geimpft mit einer Platinöse saurer Milch; 

D 3 7 - mit 19 cm 3 sterilisierter Milch -f- 1 cm» sterilisierten Magensaftes, 
dann geimpft mit einer Platinöse Quark. 


Nach zwölf Stunden zeigt sich in: 

GlasAjj gleichmässige Gerinnung, keine Gasbläschen; 

» B 2 über dem mit Gasblasen durchsetzten Gerinnsel eine 4 


» » 
» » 

> » 

D,?- » » 


D n U 


» 1 »/* 
> 9 

» 6 1 /* 

» 11 


cm hoheGassäule; 

> » * 

» > » 

» » » 

» » » 


In demselben Sinne sind folgende Versuche zu deuten: 

Es werden zwei gleich grosse Gläser gefüllt mit derselben Lösung von Rüben¬ 
saft (bekanntlich sämmtliche vorkommende Disaccharide enthaltend) und Zuckern, die 
aus einer Brotanalyse stammten; dieselben nach Herzfeld armiert und mit Fall¬ 
rohren verbunden, in denen sich die durch Gährung gebildete Kohlensäure sammelt 
und quantitativ abgelesen werden kann. Glas A ; , wird ohne weiteres, B 3 nach Zusatz 
von thierischer Gallerte, mit der gleichen Menge derselben Hefe versehen, in ein 
Wasserbad von 40° C gesetzt mit folgenden Resultaten: 


Vierter Versuch. 


11 Uhr abends angesetzt A s ohne Glutoidlösung B s mit Glutoidlüsung 


11,10 

» 

» 

Gassäule von 0 cm 

6 cm Höhe 

11,30 

» 


» » 3 > 

11 > » 

11,40 

» 


» » 5 > 

14 J> 




Fünfter Versuch. 



In gleicher Weise werden angesetzt je 100 cm» Milch mit Quark vermischt um: 

4 

Uhr nachmittags 

A 4 ohne Glutoidlösung 

B 4 mit Glutoidlösung 

8 

» 

abends 

Gassäule von 9 cm 

12 cm» CO s im Steigrohr 

10,30 

> 

» 

» y> 17 > 

22 » » > 2» 

9 

» 

vormittags 

» » 38 » 

36 » V > 




Sechster Versuch. 



Es werden angesetzt in drei Gläsern (A 5 , B s und C s ) eine 2 °/ 0 ige Milchzucker¬ 
hefequarkaufschwemmung um: 

7 Uhr abends A s ohne Glutoidl. B s mit Glutoidl. C 5 mit Purofleischsaft 

11 » » Gassäule von 2 1 /* 4 cm» CO s 

8 » vorm. » » 1V* 6 l /> 7 > > 


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Original ftom 

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Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc. 


569 


Siebenter Versuch. 

Ebenso werden angesetzt Hefequarkaufschwemmung mit Rohrzucker um: 


9,45 

Uhr vormittags A e ohne Glutoidl. 

B s mit Glutoidl. 

c 6 

mit Puro 

10 


i Gassi, von 0 

2V* 

3Va 

cm 

10,20 

» 

y> » » V 4 

4 V« 

43/4 

» 

12 

> 

» » * 1 V 2 

6 1 /* 

6 

» 

1 


nachm. » » 3V* 

8 V 2 

7 

» 

3 

» 

» » » 4 

11 

8 

cm 3 C 0 3 


Achter Versuch. 

Ferner werden ca. 50 g Milchzucker in 1 1 Wasser gelöst, mit ca. 20 g Käse¬ 
quark durchschüttelt und in Gläsern angesetzt um : 

3 Uhr nachmittags A 7 ohne Glutoidl. B 7 mit Glutoidl. C 7 mit Puro 
6 » » Gassi, von 0 10 cm® C0 3 

7» » » > 1 3 1 > » 

<3 » > » » 4 7 5</z » » 

9 » » > 8 10 9 » > 

Diese Laboratoriumsversuche, wie auch die vorerwähnten, den Bacillus coli be¬ 
treffenden, lehren, dass es in der That möglich ist, eine unter Umständen bis zum 
Ausbleiben langsame Milchzuckervergährung in augenfälliger Weise zu beschleunigen. 
Wie das hier für sterilisierten Magensaft, Albumosepeptonlösung (Puro), thierische 
Leimlösung, die durch mehrstündiges Kochen thierischen, leimhaltigen Gewebes theils 
im einfachen Kochtopf, theils unter mehrfachem Atmosphärendruck gewonnen wurde, 
nachgewiesen ist, kann man zu demselbeu Zwecke, wie bereits Bendix 1 ) festgestellt 
hat, auch andere Substanzen, wie ausgepresste Organsäfte, oder getrocknete Organ¬ 
substanzen u. s.w. benutzen, falls sie, wie Bend ix hervorhebt, Albumosen und 
Peptone, oder, wie ich hinzufüge, die entsprechenden Derivate der Albuminoide ent¬ 
halten. Wie die Wirkung eintritt, ob auf die geformten oder ungeformten Fermente, 
mag dahin stehen; die Thatsache steht nach dem Ausfall obiger Versuchsreihen fest. 
Diese Thatsache nun, diese Methode, den Widerstand schwer vergährbarer Kohle¬ 
hydrate gegen mehr oder weniger fakultative Gährungserreger durch Zusatz ge¬ 
nannter Albumin- und Albuminoidsubstanzen zu brechen, kann man auch auf 
obligatorische Gährungserreger übertragen, mit dem Erfolg, dass auch hier theils 
der Eintritt der Gährung durch entsprechende Zusätze bedeutend beschleunigt, theils 
die stattfindende Gährung selbst dadurch bedeutend verstärkt wird. Dafür spricht 
folgendes: 

In der oben angezogenen Herz fei d'sehen Anordnung werden drei Flaschen 
mit einer gleichen Hefequarkaufschwemmung und 5 g Rohrzucker angesetzt: 

um 9,45 Uhr No. 1 ohne Puro No. II mit Puro No. III mit Glutinlösung; 
es hat entwickelt: 

um 10 Uhr 0 3 1 /* 2 1 / 2 cm®C0 3 

>12 » 1 U 4®/ 4 4 » » 

» 1 » 1 */ 2 6 8 1 /* » 

> 3 » 4 8 11 » . 

>) Diese Zeitschrift Bd. 3. Heft 7. S. 587. 



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UMIVERSITY OF MICHIGAN 



570 Wilh. Bauermeistcr, Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzweeken etc. 


Ferner wird in vier Flaschen eine gleiche Zuckerlösung, in gleicher Menge, mit 
derselben Hefemenge angesetzt; dazu kommt in: 


um 

10,45 

Uhr 

No. I 

20 cm s Wasser 

No. II 

20 em 3 Tropon- 
pepton 

No. III 

20 cm* Gelato- 
pepton 

No. IV 

20 cm* Glutin¬ 
lösung >) 

» 

10,50 

» 

15 

50 

20 

20 cm» CO. 

»' 

11,10 

>; 

48 

250 

105 

85 s » 


11,80 

» 

108 

270 

200 

220 » » 

» 

12 


165 

365 

300 

340 > )» 

2> 

1 

» 

200 

488 

430 

494 » » 


Ferner wird eine Lösung von Rübensaft in gleichen Portionen in vier Flaschen 


mit gleichen Hefequanten angesetzt: 


um 

12,15 

Uhr 

No. I 

ohne 

No. II 

mit Tropon- 
pepton 

No. III 
mit Gelato- 
pepton 

No. IV 

mit Glutin 

cs entwickelt 
bis 12,30 


30 

30 

?2) 

30 cm» CO 


12,40 

» 

115 

120 

90 

125 » > 

/> 

12,50 

» 

210 

225 

195 

250 » » 


1 

» 

300 

310 

290 

350 » > 

» 

2 

» 

750 

810 

800 

900 » j 


2,30 


900 

1060 

990 

1240 » 2> 


Um nun zu.dem eigentlichen Thema, der Verwendung des Rohkaseins zu 
Backzwecken, zurückzukommen, so glaubte Verfasser in diesen Vorversuchen die 
Mittel und Wege gefunden zu haben, den vollmilchzuckerhaltigen Quark in grosser Menge 
zum Brotteig mischen zu können, ohne den Milchzucker im fertigen Brote wieder¬ 
finden zu müssen. Denn da die Laboratoriumsversuche mit demselben Material 
arbeiteten, wie es bei der Brotbereitung verwendet werden sollte, so war es von 
vornherein wahrscheinlich, dass dasjenige, was im Brütschrank, im Reagensglas, 
respektive in der Gährflasche gelang, auch in der Backstube, im Backtroge gelingen 
musste. Der Erfolg gab der Annahme Recht. Es konnten in das Brot auf Grund 
obiger Auseinandersetzungen Kaseinmengen verbacken werden, die den Teig ohne 
dies früher vollständig erstickt hätten, und die bisher von keiner anderen Seite ver¬ 
wandt werden konnten. Wenn z. B. Schreiber an obengenannter Stelle schon mit 
Genugthuung hervorhebt, ein Brot aus zwei Theilen Mehl und einem Theil Kasein 
backen zu können, so ergiebt das, wie man leicht ausrechnen kann, ein Produkt von 
ungefähr 45% Kohlehydraten und ca. 6—8 % Eiweissgehalt, während in unseren Pro¬ 
dukten sich das Eiweiss in mehr als doppelter, unter Umständen in drei- und vierfacher 
Menge findet. Doch davon später. Als ein objektives Zeichen von der durch ge¬ 
nannte Zusätze in der That gesteigerten Gährung sei vorerst einfach erwähnt, dass 
ein Brot, unter sonst gleichen Bedingungen nach dem von mir ersonnenen Verfahren 


i) Diese von mir so benannten Körper wurden gewonnen durch Kochen von Tropon resp. 
thierischen Leimes unter mehrfachem Atmosphärendruck; alle Lösungen No. 13, III und IV waren 
vor dem Gebrauch auf einen N-Gehalt von 0,5 % eingestellt 

a ) Flasche in war anfänglich nicht luftdicht verschlossen. 


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E. Kautonberg, Beiträge zur Kenntnis» der Hcissluftbehandlung. 571 

gebacken, 1,8 —2,8% kaltwasserlösliche Kohlehydrate hat, während dasselbe Brot, 
früher sogar mit theilweisem Auswaschen des Quarkes, 3,5—4,6 % davon aufwies. 
Es ist dies in der That ein Zeichen, dass, unter dem Zusatz nicht nur die Milch- 
zuckervergährung sehr ausgiebig ist, sondern dass, wie auch die Laboratoriums¬ 
versuche gezeigt haben, auch die gewöhnliche Teighefegährung eine bedeutende An¬ 
regung erfahren hat. Diese beiderseitige aussergewöhnlich starke Vergährung er¬ 
möglicht nun ihrerseits wieder eine ganz bedeutende Reduktion des Mehlgehaltes 
des Brotes; denn je stärker (neben einer starken Hefegährung) die Milchzucker- 
gährung ist, desto mehr kann man auf die Mehlteiggährung verzichten, desto mehr 
kann man also dem Teige Mehl entziehen, ohne für das Lockerwerden fürchten zu 
müssen; umsomehr, als durch passende Auswahl der Peptone auch ein Stehenbleiben 
des Brotes nach dem Lockern erzielt wird. 

Nach diesen allgemeinen Erörterungen sei es gestattet, auf die nach obiger 
Methode hergestellten Gebäcke, die von dem Bäckermeister Otto Meiners in 
Braunschweig unter dem Stichwort »Salusfabrikate« hergestellt werden, des Näheren 
einzugehen mit besonderer Berücksichtigung der Faktoren, welche den Gradmesser 
für den Werth eines Diabetikergebäckes als solchem überhaupt bilden. 

(Schluss folgt.) 


IV. 

Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbehandlung. 


Aus der Königlichen medicinischen Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. 

(Direktor: Professor Dr. Schreiber). 

Von 

Dr. E. Rautenberg, 

Assistenzarzt. 

(Schluss.) 

Wir kommen hiermit auf eine zweite Methode der Applikation der 
heissen Luft, die uns in einfacher Weise durch die Konstruktion unseres 
Apparates ermöglicht ist, und deren wir uns in unserer Poliklinik sehr gerne be¬ 
dienten. Es handelt sich bei der letztgenannten Art der Applikation gewisser- 
maassen um eine Art von Heissluftdouche, nämlich der Art, dass wir unter 
Verzicht auf einen allseitig geschlossenen Raum die Luft direkt aus dem Apparat 
gegen den Körper strömen Hessen, und zwar allein mit Hilfe der im Heissluft¬ 
apparat entstehenden Strömung, ohne Zuhilfenahme eines Motors, wie ihn z. B. 
Frey 1 ) nöthig hat Diese Anwendungsform benutzen wir hauptsächlich dann, 
wenn es sich darum handelt, Partieen des Rumpfes, des Rückens, der Brust, 
der Kreuzgegend der heissen Luft zu exponieren, am besten in sitzender Stellung 
des Patienten. Der Heissluftapparat wird zu diesem Zwecke mit seiner Mündung 

i) Frey, 1. c. 


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572 


E. Hautonberg 


— nach Abnahme der Kappe — gegen den betreffenden Kürpertheil gerichtet, nicht 
zu weit, ca. 30—40 cm, von ihm entfernt. Die heisse Luft strömt dann, ihren Lauf 
schräge aufwärts nehmend, gegen den Körper. Da sie aber die Tendenz hat, sehr 
bald nach dem Austritt aus der horizontalen Richtung in die vertikale überzugehen, 
so spannt man zweckmässig ein Tuch (a, b in Fig. 73) von dem Körper (oberhalb 
der Applikationsstelle) nach dem Apparat hin, so dass der Heissluftstrom vermittels 
des Tuches gleichsam nach der gewünschten Stelle hingeleitet wird. 

Fig. 74, 75 veranschaulichen eine derartige Stellung. Damit das Tuch sich 
nicht etwa vor die Mündung des Rohres legt, ist ein schirmartiger Aufsatz auf 
dasselbe hinaufgeschoben; in Fig. 75 ist es (bei Sch ) sichtbar gemacht Manchen 
Patienten ist übrigens der direkte Luftstrom zu intensiv; in diesem Falle armiert 
man das horizontale Rohr einfach mit der Kappe, Oeffnung nach unten gerichtet. 
Der Effekt der Applikation wird dabei nicht beeinträchtigt. 

Für die Applikation gegen Rücken- und Kreuzbeingegend haben wir uns, wie 
in den Abbildungen sichtbar, besondere schleppenartige Mäntel konstruiert. Ver¬ 
mittels dieser ist es möglich, die heisse Luft in gewünschter Weise genau zu lokali¬ 
sieren; und falls es z. B. nothwendig ist, nur 
Kiff. 7:s. eine Rückenhälfte mit heisser Luft zu be¬ 

handeln (bei Pleuritis), so bringt man in 
der Mitte der Schleppe ein senkrecht herab- 
fiängendes Tuch als Scheidewand an; auf 
diese Weise gelingt es sehr vollkommen, 
nach Bedarf gegen die rechte oder linke 
Seite isoliert den Heissluftstrom zu führen. 

Für den Patienten ist diese Methode 
der Wärmeapplikation sehr bequem, und der 
Effekt der Applikation ist wegen der starken 
Strömung der heissen Luft der einer ausser¬ 
ordentlich starken Hyperämie. Auch bei 
dieser Applikation kann der Patient vermittels der Klappe und der daran befestigten 
Kette die Temperatur seinem Gefühle nach selber regulieren. 

Wir haben in den letzten Jahren bei unseren poliklinischen Kranken die Heiss¬ 
luftbehandlung in weitgehender Weise angewandt, und zwar so, dass die Kranken 
in der Poliklinik selbst, nicht in ihrer Häuslichkeit behandelt wurden; im Durch¬ 
schnitt Hessen wir die heisse Luft eine Stunde lang, täglich einmal einwirken. Da 
die Kranken die Temperatur selber regulieren konnten, bedurften sie nur geringer 
Beaufsichtigung, und so konnten sie während der Sprechstunde, natürlich in be¬ 
sonderen Räumen, behandelt werden. Die Fälle, bei denen wir besondere Be¬ 
obachtungen und Messungen anstellten, bedurften natürlich besonderer Stunden. In 
einzelnen Fällen haben wir die Apparate auch nach Hause mitgegeben. 

Im allgemeinen haben wir die Heisslufttherapie angewandt bei den Erkrankungen, 
die auch sonst von den Autoren als besondere für diese Behandlung geeignet genannt 
sind, nämlich 1 ) bei rheumatischen und arthritischen Affektionen, Neuritiden (Ischias), 

] ) Die 120 Krankheitsfälle, über die ich berichte, wurden in einem Zeitraum von 1>/ s Jahren 
(bis Fierbst 1901) von uns in der Poliklinik unter meiner speziellen Beobachtung behandelt. 

35 arthritischc Affektionen, darunter 1 gichtische, 4 wurden als geheilt, 23 als gebessert 
8 (darunter 1 Gicht) als ungcbcsscrt entlassen. 10 fteuralgieen: 5 geheilt, 9 gebessert, 2 ungeheilt 
15 Myalgieeu: 12 geheilt, 1 gebessert, 2 mit zweifelhaftem Erfolg. 1 Tic convulsif: wesentlich ge- 




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UNIVERSITY OF MICHIGAN 




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574 E. Rautenberg 

traumatischen Folgezuständen (Kontusionen, Distorsionen), entzündlichen Prozessen 
(Tendovaginitis, Bursitis), bei Geschwürsbildungen (namentlich Unterschenkel¬ 
geschwüren) u. s. w. Ferner haben wir sie angewandt in einzelnen Fällen von 
Neurasthenie und Hysterie, bei Ulcus ventriculi, bei Chorea minor, in je einem Falle 
von Tic convulsif, von skrophulösen Lymphdrüsen, von konstitutioneller Syphilis. 
Endlich haben wir vermittels der direkt strömenden Luft die Behandlung der serösen 
Pleuritiden unternommen und gerade diese Erkrankungen sehr gerne der Behandlung 
unterzogen. 

Was die Erfolge betrifft, so sind diese — entsprechend der Natur der zuerst 
genannten meist langwierigen und zum Theil verschleppten Krankheitsfälle — schein¬ 
bar nur sehr massige, da dauernde Heilungen nur sehr selten erzielt wurden. Doch 
sind es nur sehr wenige Fälle, in denen gar keine Besserung eintrat; meist waren 
die Patienten sehr zufrieden mit dieser Behandlung, die ihnen in ihrem langwierigen 
Leiden oft genug über Erwarten grosse Erleichterung brachte. 

Bei den Neurasthenikern hatte die Heisslufttherapie im ganzen einen sehr guten 
Erfolg, ebenso in zwei Fällen von Ulcus ventriculi. Es darf allerdings dabei nicht 
ausser acht gelassen werden, dass gleichzeitig die sonst noch üblichen therapeutischen 
Mittel zum Theil angewandt wurden. 

Der Tic convulsif wurde mit strömender heisser Luft behandelt, indem in 
das horizontale Rohr eine konische Verlängerung eingesetzt wurde mit einer V* cm 
weiten Oeffnung. Der Apparat wurde nur 5—10 cm entfernt von der Wange auf¬ 
gestellt. Die Patientin gab schon nach einigen Sitzungen an, grosse Erleichterung 
zu verspüren und war mit diesem Erfolge sehr zufrieden. In der That waren die 
Kontraktionen seltener geworden. 

Bei dem Falle mit skrophulösen Lymphdrüsen wandten wir neben Alkohol¬ 
umschlägen die direkt strömende heisse Luft mit gutem Erfolge an; bei der konsti¬ 
tutionellen Lues war wegen Neigung zu starker Stomatitis die erneute Anwendung 
von Quecksilber.kontraindiziert; deshalb behandelten wir sie mit allgemeinen Heiss¬ 
luftbädern, jedoch war der Erfolg vollkommmen negativ. 


bessert. 4 Fälle von akuter Bursitis und Tendovaginitis: geheilt entlassen. 7 Fälle von Periostitis 
resp. Veränderungen nach Frakturen: 2 geheilt, 1 gebessert, 3 nicht gebessert. 5 wegen erlittener 
Kontusion: 2 geheilt, 3 (darunter 2 Simulanten) nicht geheilt. 5 mit zum Theil sehr ausgedehnten 
Unterschenkelgeschwüren: 1 geheilt, 4 gebessert. 4 Fälle von Neurasthenie resp. Hysterie: 3 ge¬ 
bessert, 1 nicht gebessert. 2 Fälle von Chorea minor: 1 geheilt, 1 gebessert 2 Fälle von Ulcus 
ventriculi: gebessert. 1 Fall von Lues: nicht gebessert 1 Fall mit multiplen Lymphdrüsen: wesentlich 
gebessert. 1 Fall Nephritis mit Oedemen: mit zweifelhaftem Erfolge. Endlich 21 Fälle von Pleuritis, 
darunter 1 Fall von ausgesprochener Pleuritis sicca (die Krankheit bestand seit ca. i/ 2 Jahr); 8 Fälle 
(Pleuritis exsudativa) wurden vollkommen geheilt; bei 2 Fällen blieb eine Dämpfung bestehen, und 
zwar handelte es sich um Schwartenbildung, wie der negative Ausfall der nachträglichen Probe¬ 
punktion zeigte; 6 Fälle, die schon nach kurzer Zeit subjektiv und objektiv erheblich gebessert 
waren, blieben aus der Behandlung fort, so dass der weitere Verlauf nicht beobachtet werden 
konnte; bei 2 Kranken war die Besserung nur gering, bei 1 Patient trat keine Besserung ein; es 
musste in diesen 3 Fällen die Punktion vorgenommen werden. — Auffallend war die rasche Heilung 
der erwähnten Pleuritis sicca mit lautem Reibegeräusch über einem grossen Theil der linken vorderen 
Brustwand. Der Anamnese nach hatte das Leiden vor 1/2 Jahr begonnen, war ärztlich auch so 
lange nachgewiesen worden, und der Kranke selbst konnte das »sägenden Athemgeräusch in seiner 
Brust fühlen. Während achttägiger Behandlung mit der heissen Luft nahm die Deutlichkeit des 
Reibegeräusches ab, um an den nächsten 3 Tagen vollständig zu verschwinden. Hand in Hand 
mit dem Verschwinden des Rcibegeräusches ging die subjektive Besserung des Kranken, der durch 
das »sägende« Athmen nicht mehr beunruhigt wurde. 


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Beiträge zur Kenntnis» der Heissluftbehandlung. < r >75 

Die Chorea minor glaubten wir mit gutem Rechte in den Bereich der Heiss¬ 
luftbehandlung ziehen zu können, da sie doch mit den rheumatischen Affektionen in 
enger Beziehung steht, und diese sich für unsere Behandlungsart so gut eignen. Der 
Erfolg entsprach unseren Erwartungen aber nicht, da die Behandlung der schon 
einen Monat lang bestehenden Erkrankungen noch 1—2 Monate hindurch fortgesetzt 
werden musste, ehe Besserung respektive Heilung eintrat. Der Verlauf der Chorea 
war also durch die Heissluftbäder nicht sichtlich beeinflusst worden, doch fühlten 
die Kranken sich bei dieser Art der Behandlung sehr wohl, und bei der sonstigen 
Machtlosigkeit der Therapie schien sie uns sehr willkommen. 

Dagegen hatten wir bei der Behandlung der serösen pleuritischen Exsudate 
sehr gute Erfolge. Obgleich wir verschiedene Fälle in Behandlung bekamen, die 
vom Arzte zu Hause mit den üblichen Mitteln, ein Fall selbst mit Punktion ver¬ 
geblich behandelt waren, so trat bei allen eine prompte, oft überraschend schnelle 
Resorption ein, so dass in längstens 3—4 Wochen das Exsudat ganz verschwunden 
war, respektive nur eine geringfügige, nicht auf Flüssigkeitsreste zu beziehende 
Dämpfung restierte. In ungefähr der Hälfte der Fälle, die übrigens fast alle vor, 
während und nach der Behandlung in der poliklinischen Vorlesung demonstriert 
wurden, war die Restitution so vollkommen, dass weder eine Dämpfung, noch eine 
auskultatorische Veränderung zurückblieb, und die Verschieblichkeit der Lungen¬ 
grenzen vollkommen normal wurde. Wir gewannen den Eindruck, dass keins der 
gebräuchlichen Mittel im stände sei, die Resorption des Exsudates in dieser Weise 
relativ rasch und vollkommen zu beeinflussen. 

Beim Beginne der Resorption, nach den ersten Applikationen, trat verschiedene 
Male, als ein Zeichen der Abnahme des Exsudates, pleuritisches Reiben auf, das sich 
in einigen Tagen verlor. Die Stelle desselben lag meist in der Axillarfläche. 

Die Behandlung nahmen wir in der Weise vor, dass zunächst durch eine Probe- 
punktion festgestellt wurde, dass es sich in der That um ein seröses Exsudat 
handele. Falls Verdrängungserscheinungen bestanden, wurde zunächst punktiert, 
mindestens bis zur Beseitigung derselben. 

Die Applikation der heissen Luft dauerte gewöhnlich eine Stunde, und wurde, 
wenn möglich, täglich vorgenommen. 

Wir sind weit entfernt davon, diese Erfolge der Pleuraexsudatbehandlung allein 
der Heisslufttherapie zuschreiben zu wollen; denn es ist ja z. B. bekannt, dass bei 
verzögerter Resorption gelegentlich der Reiz einer Probepunktion genügen kann, um 
die Aufsaugung anzubahnen. Da die Resorption aber in den beobachteten Fällen 
sehr rasch eintrat und so vollkommen wurde, wie nur selten nach den üblichen 
Medikationen, so glauben wir der Heisslufttherapie einen jedenfalls sehr günstigen 
Einfluss zuschreiben zu müssen. Die Erklärung für diesen Effekt ist nicht schwierig, 
wenn man die starke Hyperämie betrachtet, welche durch die strömende heisse Luft 
auf der dem Krankheitsherde entsprechenden Stelle der Thoraxwand hervorgerufen 
wird, und sich erinnert, dass Bier, ferner Quincke und Salomon 1 ) nachgewiesen 
haben, dass Wärmeapplikationen der Haut in 1—2 cm Tiefe Temperatursteigerungen, 
d.h. tiefgehende Hyperämieen hervorrufen. Ferner hat Heinz 4 ) auf thermoelektrischem 
Wege nachgewiesen, dass äussere, Hyperämie hervorrufende Applikationen der Brust¬ 
wand (z. B. Alkoholumschläge) in der Pleurahöhle Temperatursteigerungen bis 1 0 C 


’) Beiliner klinische Wochenschrift 1807. No. 49 und '>0. 
'*) Kongress für innere Medicin. Berlin 1901. 


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576 E. Rautenberg, Beiträge zur Kenntnise der Heissluftbehandlung. 

hervorrufen. Da die Hauttemperatur bei der Heissluftapplikation auf 40 — 41 “ (' 
steigt 1 ) (um 3—4® über die Körpertemperatur, viel höher also, als bei den von 
Heinz angestellten Versuchen), so werden wir nicht fehlgehen in der Annahme, dass 
diese hohe Temperatursteigerung respektive Hyperämie entsprechend stärkere Ver¬ 
änderungen in der Pleura hervorruft, welche ihrerseits in höherem Grade geeignet 
sind, die Desorption anzuregen. 

Wenn wir zum Schlüsse noch einmal die Hauptpunkte zusammenfassen, durch 
die sich der in der hiesigen medicinischen Poliklinik zur Anwendung gebrachte 
Heissluftapparat*) von den bisherigen Apparaten unterscheidet, so sei hervorgehoben, 
dass er vor allem einfach konstruiert ist, und mit einfachen Mitteln für alle Körper¬ 
teile eine leichte und bequeme Lokalisation zulässt. Ferner können wir in aus¬ 
giebigerer Weise im geschlossenen Raum die Luftströmung beherrschen, und ausser 
der üblichen >Kastenbehandlung< auch freiströmende heisse Luft applizieren. Endlich 
sei noch einmal hervorgehoben, dass wir in keiner Weise an die Art der Applikation 
gebunden sind; in diesem Sinne sind die beigefügten Abbildungen auch nur zu ver¬ 
stehen als Vorschläge, wie die Applikation uns am zweckmässigsten erschienen ist. 
Durch geringe Aenderungen kann man die vorgeschlagenen Stellungen nach Belieben 
und Bequemlichkeit verändern. 

Für die Praxis ergiebt sich nach unseren Erfahrungen, dass die Heisslufttherapie 
einzelnen Erkrankungen gegenüber ein erfolgreiches, zuverlässiges Mittel ist, anderen 
gegenüber ein vollkommenes Unterstützungsmittel. Jedenfalls wird es von allen Kranken 
gern entgegengenommen, und verdient somit als eine beachtenswerthe Bereicherung 
unseres therapeutischen Schatzes angesehen zu werden, mit welcher sich eingehender 
zu beschäftigen für den Praktiker verlohnen möchte. 


>) Schreiber, I.c. 

-) Die Firma C.J. Hehn. Braunschweig, ist mit der Herstellung unserer Apparate (D.R.G.M. 
X«. 17(1442) beauftragt woidcn. 


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Leonor Michaelis, Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Emährungsphysiologie. »>77 


Kritische Umschau. 


Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungs¬ 
physiologie. 

Von 

Dr. Leonor Michaelis, 

Assistent an der I. tnedicinischen Klinik in Berlin. 

Wenn man einem Thiere irgend eine, seinem Körper fremde Eiweiss¬ 
art wiederholt injiziert, so gewinnt allmählich das Blutserum dieses 
Thieres die Eigenschaft, mit jener injizierten Eiweissart im Reagens¬ 
glase einen Niederschlag zu geben. 

Diese in einem so einfachen Satze enthaltene, allgemein gütige Thatsache 
wurde auf recht sonderbaren, verwickelten Wegen gefunden. 

Die ganze hierher gehörige Lehre, welche ihrer Natur nach in die Physiologie 
gehört, ist aus der Bakteriologie hervorgegangen. 

Es war nach der Entdeckung der krankheitserregenden Bakterien ein nicht 
gar fern liegender Gedanke, die schädlichen Wirkungen der Bakterien auf Gifte 
zurückzuftthren, welche in den Bakterienleibern enthalten oder von ihnen secerniert 
würden. Schon Pasteur, Koch hatten diesen Gedankengang, und Brieger bemühte 
sich, aus den Bakterienkulturen dieses Gift chemisch zu isolieren. Das erste 
Bakterientoxin, welches wir, wenn auch nicht in reinem Zustand, so doch völlig von 
den Bakterien, die es erzeugt hatten, isoliert kennen lernten, war das von Roux 
und Yersin gefundene Diphtherietoxin. Es erzeugt beim Thier dieselben Krank¬ 
heitserscheinungen wie der Diphtheriebacillus selbst, und auch darin decken sich 
die Wirkungen des Toxins und der Bacillen, dass das Ueberstehen einer einmaligen 
Intoxikation bezw. Infektion einen gewissen Grad von Immunität gegen dieses Gift 
hinterlässt. 

Diese längst bekannte Thatsache, dass eine überstandene Infektion oder Intoxi¬ 
kation in gewissen Fällen eine Immunität hervorruft, wurde dann durch die be¬ 
rühmte Behring’sche Entdeckung dahin erweitert, dass das Serum solcher immunen 
Thiere die Immunität auch auf andere nicht immune Thiere überträgt. Hier war zum 
ersten Mal ein »Antikörper« gefunden, und zwar ein Antitoxin. 

Die Wirkungsweise des Antitoxins dachte man sich zunächst entweder derart, 
dass es das Gift zerstöre, also etwa fermentartig in kleinere ungiftige Moleküle 
abbane, oder aber derart, dass es gar nicht auf das Gift wirke, sondern einen gift¬ 
festigenden Einfluss auf die Zelle ausübe. 

Aber diese beiden Anschauungen erwiesen sich als unhaltbar. Ehrlich war es, 
der zum ersten Mal Klarheit in den Mechanismus der Antitoxinwirkung brachte 1 ). 
Er wies an der Hand eines anderen, und zwar eines pflanzlichen Giftes, des Ricins, 
welches ebenso wie die Bakteriengifte eine spezifische Immunität gegen sich erzeugt, 
in überzeugender Weise nach, dass die Wirkung des Antitoxins auf einer chemischen 
Bindung an das Toxin beruht, welche etwa der neutralisierenden Wirkung einer 
Base gegen eine Säure vergleichbar ist, um so mehr vergleichbar, als ein n-faches 
Multiplum des Toxins genau durch das n-fache Multiplum des Antitoxins neutra¬ 
lisiert wird. 

Aber es stellte sich heraus, dass nicht nur die Bakterientoxine und die diesen 
in ihrer Wirkungsweise nahe verwandten Gifte wie das Ricin und das Schlangengift 

Zeitsobr. f. diät a. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 10. jq 


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Leonor Michaelis 


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derartige Antikörper im Organismus hervorlocken, sondern dass auch geformte 
Elemente eine entsprechende Reaktion im Körper auslösen. Ich will hier nur der 
von Pfeiffer 2 ) gefundenen Eigenschaft des Serums gegen Cholera immunisierter 
Meerschweinchen gedenken, unter gewissen Bedingungen einen spezifischen Einfluss 
auf Choleravibrionen auch im Reagensglas auszuüben, welcher in einer Auflösung 
dieser Bakterien besteht. 

Auf der anderen Seite stellte es sich heraus, dass durchaus nicht alle Gifte 
im stände sind, Antikörper zu erzeugen, vor allem nicht die Alkaloide und die 
metallischen Gifte. Als befähigt zur Antikörperbildung haben sich die echten 
Bakterientoxine, die ihnen nahestehenden pflanzlichen Gifte Ricin und Abrin, die 
Schlangengifte, und schliesslich ein grosser Theil der ungeformten Fermente (Lab, 
Pepsin etc.) erwiesen. 

Alle diese Stoffe waren längst als Gifte erkannt. Auch als man durch Bordet*) 
die Thatsache kennen lernte, dass die rothen Blutkörperchen einer fremden Thierart 
spezifische Antikörper zu erzeugen im stände sind, wurde die überraschende Neuheit 
dieser Entdeckung dadurch dem Verständnis näher geführt, dass man aus älteren 
klinischen Versuchen, Hammelblut dem Menschen zu transfundieren, die hohe Giftig¬ 
keit einer fremden Blutart kennen gelernt hatte. 

Ganz und gar unerwartet kam aber die Entdeckung, dass auch gelöste Eiweiss¬ 
substanzen, die einer fremden Thierspezies entstammen, im stände sind, bei ihrer 
Injektion einen spezifischen Antikörper hervorzurufen, welcher seine Wirkung auf 
jenes Eiweiss durch eine Niederschlagsbildung in demselben anzeigt 

Dass ein Antikörper seine Wirkungsweise im Reagensglase durch das Entstehen 
eines Niederschlages bemerkbar machen könne, wurde zum ersten Mal von Kraus 4 ) 
beobachtet. Ein Serum, welches Typhusbacillen agglutiniert, giebt in dem keim¬ 
freien Filtrat einer Typhuskultur einen Niederschlag. Mit einem Serum injizierte 
Tchistovitch«) zuerst Thiere. Er benutzte Aalserum, welches er Kaninchen ein¬ 
spritzte. Das Serum dieser Kaninchen gab dann mit Aalserum im Reagensglas einen 
Niederschlag. Aber er bezog diese Reaktion nicht im allgemeinen auf das Serum, 
sondern hielt es naturgemäss für eine spezielle Eigenschaft des seit langem als giftig 
bekannten Aalserums. Wiederum war es Bordet 6 ), welcher diese Reaktion als eine 
den Eiweisskörpern allgemein anhaftende Eigenschaft erkannte. Er konnte dieselbe 
Reaktion durch Injektion von Milch und von Blutserum verschiedener Thiere beim 
Kaninchen erhalten. Durch die nunmehr folgenden Arbeiten von Wassermann 7 ) 
und Schütze 8 ) 9 ), Myers 10 ), Nolf 11 ), Uhlenhut 12 ) und vielen anderen wurde 
gezeigt, dass die Reaktion für die Eiweissart spezifisch ist. So zeigten Wasser¬ 
mann und Schütze, dass das Präcipitin, welches man durch Injektion von Ziegen¬ 
milch beim Kaninchen erhält, nur auf Ziegenmilch, nicht auf Kuh- oder Menschen¬ 
milch wirkt und umgekehrt. 

Nur flüchtig streifen kann ich in diesem Aufsatz die gleich von Anfang an 
von Wassermann gezogene Nutzanwendung der Präcipitine, um für forensische 
Zwecke Menschenblut von Thierblut zu unterscheiden. Nach der ersten Mittheilung 
Wassermann’s erschien eine diesbezügliche Arbeit von Uhlenhut, und die Litteratnr 
über diesen Gegenstand ist schon heute gewaltig angewachsen. 

Welcher chemischen Natur sind nun diese Präcipitine? Solange es 
nicht gelingt, die Präcipitine in reinem Zustand aus dem Serum zu isolieren, solange 
wird eine exakte Beantwortung dieser Frage nicht möglich sein, und auch dann noch 
kaum. Aber immerhin sind doch einige wichtige Eigenschaften der Präcipitine be¬ 
kannt. Zunächst gelingt es, die Präcipitine von einem grossen Theil der Eiweiss¬ 
körper des Serums zu isolieren. Wenn man nämlich Blutserum bis zur halben 
Sättigung mit Ammoniumsulfat versetzt, so entsteht ein voluminöser Niederschlag, 
welcher nur das Serumglobulin enthält, während das Serumalbumin in Lösung bleibt. 
Wenn man den durch Filtrieren gewonnenen Niederschlag wieder in Wasser löst, so 
hat man eine vom Albumin gänzlich befreite Globulinlösung. Es zeigt sich nun, das 
die präcitierende Fähigkeit stets an diejenige Fraktion des Serums gebunden ist, 
welche das Globulin enthält. Man kann nun durch Abstufungen in der Sättigung 
mit Ammonsulfat das Globulin wiederum in zwei Fraktionen zerlegen, welche Hof- 


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Die Bedeutung der Präeipitinreaktion für die Ernährungspbysioiogic. 579 


meister als Euglobulin und Pseudoglobulin unterscheidet. Nach meinen Ver¬ 
suchen findet sich das Präcipitin stets in derjenigen Fraktion, welche das Euglobulin 
enthält. Doch scheint dieses Verhalten nicht ganz konstant zu sein. Leblanc 15 ) 
hat seine Präcipitine gerade im Pseudoglobulin gefunden, und es ist ein solcher 
Wechsel in dem Verhalten wohl denkbar. Als Analogon dafür führe ich an, dass 
E. P. Pick 1Ä ) das Diphtherieantitoxin im Pferdeserum unter den Pseudoglobulinen, 
im Ziegenserum unter den Euglobulinen fand. 

Eine andere Eigenschaft des Präcipitins ist die, dass es durch Erhitzen zerstört 
wird; nicht so leicht wie die Hämolysine, welche schon bei 55° eine gewisse Ver¬ 
änderung erfahren, wohl aber bei 68°, also durchaus unterhalb der Koagulations¬ 
temperatur der gewöhnlichen Eiweisskörper. 

Das Präcipitin diffundiert ferner nicht durch Pergamentpapier und erweist sich 
damit als ein hochmolekularer Stoff. 

Ferner wird das Präcipitin durch kurze Einwirkung von Pepsinsalzsäure (Ober¬ 
meyer und Pick; Verf.) rasch zerstört. Durch energische Einwirkung von Trypsin 
wird es nach meinen Erfahrungen ebenfalls, wenn auch langsamer vernichtet. 

Aus diesen wenigen Eigenschaften können wir freilich über die wahre Natur 
des Präcipitins noch nichts bestimmtes aussagen. Die naheliegende Annahme, es 
sei ein Ei weisskörper, in Anbetracht seiner Verdaulichkeit durch eiweissspaltende 
Fermente, ist nicht ohne weiteres gerechtfertigt, da auch andere nicht zu den Eiweiss¬ 
körpern gehörende Stoffe, wie einige Fermente, leicht durch Verdauungsfermente 
zerstört werden. 

Einem Missverständniss möchte ich jedoch Vorbeugen. Einen Stoff, der in der 
Milch einen Niederschlag erzeugt, wie auch das Labferment, ist man von vornherein 
geneigt, als ein »Ferment« zu betrachten. In dem gewöhnlichen Sinne ist aber das 
Präcipitin kein Ferment. Denn wie schwankend auch der Begriff des Fermentes noch 
bis vor kurzem gewesen sein mag, so gehört doch zu diesem Begriff zum mindesten die 
Eigenschaft, dass ein echtes Ferment bei der Reaktion, welche es einleitet, nicht 
verbraucht wird. Das ist nun bei den Präcipitinen ganz anders. Wenn eine gewisse 
Menge präcipitinhaltigen Serums eine gewisse Menge des auf dasselbe eingestellten 
Eiweisses ausgefällt hat, so ist es nunmehr aus dem Serum verschwunden. Es ist 
also während der Reaktion quantitativ verbraucht worden. Dagegen lässt es sich 
in dem Niederschlag unter gewissen Bedingungen wieder nachweisen. Wie nämlich 
P. Th. Müller 22 ) gezeigt hat, zerfällt der Niederschlag, den Kasein mit seinem 
Präcipitin erzeugt, durch Aufschwemmen in reichlichem Wasser wieder in die Kom¬ 
ponenten: Kasein und Präcipitin. Jede dieser beiden Komponenten lässt sich dann 
durch Hinzufügen der anderen im Ueberschuss wiederum durch Niederschlagsbildung 
erkennen. Ferner hat Eisenberg 20 ) diese Verhältnisse an Serumpräcipitinen studiert. 
Er stellte in eingehender Weise Untersuchungen an über die quantitativen Verhält¬ 
nisse, welche zum Zustandekommen des Niederschlages nothwendig sind. Ohne auf 
die interessanten Einzelheiten hierüber eingehen zu können, kann ich aus diesen 
Untersuchungen nur hervorheben, dass auch er zu dem sicheren Resultat kommt, 
dass das Präcipitin nicht etwa wie ein Ferment die Entstehung des Niederschlages 
nur auslöst, sondern dass das Präcipitin bei der Niederschlagsbildung verbraucht 
wird und in dem Niederschlag enthalten ist. 

Welche Stoffe sind nun im stände, bei ihrer Injektion in den Thierkörper ein 
Präcipitin zu erzeugen? Die einfachste Antwort nach den obigen Darlegungen ist: 
die Eiweisskörper. Das ist aber bestritten worden. Obermeyer und Pick, ferner 
Landsteiner und Calvo glaubten Grund zu der Annahme zu haben, dass das 
eigentliche Präcipitin erzeugende Prinzip nicht der Eiweissstoff als solcher, sondern 
eine in ihrer chemischen Natur noch unbekannte Beimengung der in natura vor¬ 
kommenden Eiweisskörper ist. Der Hauptgrund, der Obermeyer und Pick zu 
dieser Annahme bewog, war, dass nach ihren Versuchen Eierklar, welches durch die 
tryptische Verdauung völlig aufgespalten worden war, doch noch bei der Injektion ein auf 
Eierklar wirkendes Präcipitin hervorrief. Dieses Resultat konnte aber von Oppen¬ 
heimer und mir für das Rinderserum nicht bestätigt werden. Keineswegs bin ich 
der Meinung, dass die Resultate von Obermeyer und Pick auf irgend einer gröberen 

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Leonor Michaelis 


Fehlerquelle beruhen. Ich glaube vielmehr, dass die Ursache für die Differenz der 
Meinungen sich im weiteren Verlauf der Untersuchungen aufklären werden, und dass 
hierbei noch unbekannte Faktoren mitgespielt haben. Nur möchte ich die Versuche 
dieser Autoren wegen der Divergenz der Resultate nicht als einen unbedingten Be¬ 
weis dafür gelten lassen, dass jener hypothetische Stoff die Präcipitinbildung anrege, 
und nicht das Eiweiss. Ich kann keinen Beweis dafür anführen, dass die Präcipitin 
erzeugende Eigenschaft wirklich im Eiweissmolekül selbst steckt; ich möchte nur die 
bisherigen Beweise, welche dagegen sprechen, nicht als stichhaltig anerkennen. 

Im Grunde ist aber diese Meinungsdiflferenz nicht von so einschneidender Be¬ 
deutung, wie sie auf den ersten Blick scheinen möchte. Jeder Stoff, der einen Anti¬ 
körper erzeugt, muss eine »haptophore Gruppe« (Ehrlich) enthalten, welche an 
einen entsprechenden »Rezeptor« im Organismus passt. Also müssen wir noth- 
gedrungen auch im Eiweissmolekül einen solchen Komplex annehmen, der ein 
spezifisches Bindungsvermögen für einen auf ihn eingestellten Rezeptor hat. Der 
ganze Streit dreht sich bei dieser Auffassung um die Entscheidung, ob, wie 
Oppenheimer und ich in Anlehnung an die überkommene Auffassung wollen, 
dieser bildungsfähige Komplex einen Theil des grossen Eiweissmoleküles darstellt, 
oder ob er, wie Obermeyer und Pick wollen, ein vom Eiweiss zu trennender, 
selbstständiger Stoff sei, welcher im Organismus in Mischung mit dem Eiweiss 
vorkommt. Für die Schlussfolgerungen, welche wir am Ende dieses Aufsatzes 
ziehen wollen, ist also diese Meinungsdiflferenz nicht belangreich. 

Wenn wir also in diesem Sinne sagen, dass es die Eiweisskörper sind, welche 
die Bildung von Präcipitinen hervorrufen, so fragt es sich jetzt, ob denn alle 
Eiweisskörper im stände sind, Präcipitine zu erzeugen. Darauf muss man zunächst 
antworten, dass die Eiweisskörper in dem Zustand, in dem sie im thierischen oder 
pflanzlichen Organismus gebildet werden, so weit sie untersucht sind, alle die Eigen¬ 
schaft der Präcipitinerzeugung haben. Es sind bisher untersucht worden die Sera 
der verschiedensten Thiere; die verschiedensten Milcharten, eiweisshaltige, peritoneale 
und pleuritische Exsudate, ei weisshaltiger Harn; Harn mit Bence-Jones’schem 
Eiweisskörper (Rostoski), alle mit demselben Resultat. Es sind dies alles die 
sogenannten genuinen Ei weisskörper. 

Durch sehr wenig eingreifende Manipulationen, welche die Ei weisskörper auch 
sonst nicht denaturieren, wie Fällung durch Neutralsalze, werden die Eiweisskörper 
ihrer Präcipitin erzeugenden Eigenschaft nicht beraubt. Daher konnte man auch die 
durch fraktionierte Ammonsulfatfällung nach Hofmeister isolierten Eiweissstoflfe des 
Serums, des Eierklaren u. s.vv. einzeln untersuchen. Dabei zeigte sich, dass durch 
die Injektion einer Eiweissart, z.B. des Albumins, oft ein Präcipitin entsteht, welches 
auch auf eine andere Eiweissart derselben Thierspezies wirkt, z. B. Globulin. Jedoch 
ist es durchaus nicht der Fall, dass man durch Injektion irgend einer beliebigen 
Eiweissart stets ein Präcipitin erhielte, welches gegen jedes beliebige Eiweiss der¬ 
selben Thierart wirkte. Die hierhin gehörigen Einzelheiten aufzuzählen, würde einen 
grossen Raum beanspruchen, ohne dass man sichere allgemeine Schlüsse aus den 
vielen einzelnen Thatsachen ziehen könnte. Es genügt deshalb, zu betonen, dass man 
durch Injektion einer Eiweissart in gewissen Fällen ein Präcipitin erhält, welches 
auch auf manche andere Eiweissarten derselben Thierart einwirken kann, aber nicht 
auf alle Eiweissarten dieser Spezies, und auch nicht immer. 

Anders ist es, wenn man die genuinen Eiweisskörper durch Hitze oder chemische 
Agentien denaturiert oder sie durch Verdauungsfermente spaltet. Hier bestehen 
nun wieder Meinungsverschiedenheiten, indem die einen Autoren angeben, auch mit 
so denaturierten Eiweisskörpern Präcipitine erhalten zu haben, andere dies leugnen. 
Schon Myers wollte ein Präcipitin für Witte’s Pepton erhalten haben. Schütze 
berichtet von einem Präcipitin, das er durch einen in der Hitze koagulierten und 
durch Lauge wieder in Lösung gebrachten Muskelpresssaft gewonnen hat; derselbe 
Autor hat auch durch Injektion von »Peptonen« Präcipitine erhalten, von denen er 
sogar angiebt, dass sie für das Pepton der angewandten Thierspezies spezifisch sind. 

Demgegenüber stehen die absolut negativen Resultate von Büchner und Geret, 
Oppenheimer und mir, und, ganz neuerdings, P. Th. Müller. Büchner und 


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Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. 


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Geret konnten für Witte’s Pepton kein Präcipitin erhalten; Oppenheimer und 
ich injizierten stets mit negativem Erfolg: Riedel’s »Pepton«; Albumosengemische 
aus Eierklar, beides also peptische Spaltungsprodukte; ferner durch Trypsin ver¬ 
dautes Rinderserum; durch Kochen koaguliertes und in Lauge gelöstes Rinderserum. 
Müller erhielt bei den Jodverbindungen des Kaseins zwar noch Präcipitine, nicht 
aber bei den peptischen und tryptischen Spaltungsprodukten des Kaseins. Hier steht 
also zunächst Meinung gegen Meinung, und es ist mir, um weitere Schlüsse zu ziehen, 
nicht mehr möglich, wie bis hierher, objektiver Referent zu sein, sondern ich muss 
mich auf den Standpunkt stellen, dass denaturierte oder gespaltene Eiweisskörper 
keine Präcipitine erzeugen, indem ich erwarte, dass die Meinungsdifferenzen in dieser 
Frage sich noch auf klären werden. 

Freilich ist es noch kein abgeschlossenes Gebiet, welche Manipulationen die 
Eiweisskörper nun überhaupt vertragen, ohne ihrer Fällbarkeit durch das Präcipitin, 
bezw. der immer damit koincidierenden Fähigkeit, Präcipitine bei der Injektion zu 
erzeugen, verlustig zu gehen. Eintrocknen, nicht zu lange andauernde Wirkung des 
Alkohols, Ausfällen mit Neutralsalzen, nach Müller sogar die Jodierung, beraubt 
die Eiweisskörper der in Frage stehenden Eigenschaft nicht. Im allgemeinen aber 
kann man sagen, dass der den physiologischen Chemikern schon lange gebräuchliche 
Begriff des »genuinen Eiweisskörpers« nach den bisher vorliegenden Erfahrungen die 
Fähigkeit der Präcipitinbildung in sich schliesst, während die als »denaturiert« be- 
zeichneten Eiweissstoffe diese Eigenschaft nicht mehr besitzen. 

Die Versuche, aus denen die bis hierhin geschilderten Beobachtungen hervor¬ 
gingen, wurden in der Weise angestellt, dass den Thieren, meist Kaninchen, das 
Eiweiss subkutan, intraperitoneal, oder wohl auch intravenös injiziert, jedenfalls also 
auf eine unnatürliche Weise dem Körper einverleibt wurde. Es fragt sich nun, ob 
sich nicht ein ähnliches Verhalten bei der natürlichen Einführung der Eiweisskörper 
durch den Magendarmkanal bemerkbar macht. Im allgemeinen kann man sagen, dass 
bei der Aufnahme selbst genuiner Eiweisskörper vom Magen aus kein Präcipitin ge¬ 
bildet wird. Das war auch von vornherein anzunehmen, denn sonst müsste z. B. jedes 
Menschenserum ein Präcipitin für Kuhmilch enthalten, da ja jeder Mensch Kuhmilch 
in grossen Mengen aufgenommen hat. Normales Menschenserum enthält aber kein 
derartiges Präcipitin. Jedoch ist es beim Kaninchen gelungen, durch wiederholte ge¬ 
waltsame Einführung von grossen Mengen genuiner Eiweissstoffe durch die Schlund¬ 
sonde schliesslich doch ein Präcipitin zu erhalten. Das hat Uhlenhut mit Eier- 
eiweiss, ich mit Rinderserum erreicht. Ascoli bestätigte den Versuch von Uhlenhut 
und stellte zugleich die nach älteren Beobachtungen nicht unerwartete Thatsache 
fest, dass ein Theil des in übergrosser Menge aufgenommenen Eierklares in un¬ 
veränderter, auf biologischem Wege nachweisbarer Form im Harn ausgeschieden 
wird. Da nun aus den Versuchen von Obermeyer und Pick, Oppenheimer und 
mir, sowie von P. Th. Müller hervorgeht, dass die peptischen Spaltungsprodukte 
keine Antikörper erzeugen, und da in der That ein Theil des Eiweisses unverändert 
im Harn wiedererschien, so folgt daraus, dass ein Theil des in den Magen ein¬ 
geführten Eiweisses resorbiert worden sein muss, bevor es durch das Pepsin ge¬ 
spalten worden ist. Das kann entweder daran liegen, dass die Resorption dieses 
Eiweisses schon im Magen vor Beendigung der peptischen Spaltung stattgefunden 
hat, oder, was noch wahrscheinlicher ist, dass ein Theil des Eiweisses vor Beendigung 
der peptischen Verdauung durch den Pylorus in den Darm gelangt und hier resorbiert 
worden ist. Gelegentlich meiner Versuche konnte ich nämlich konstatieren, dass 
genuine Eiweisskörper, vor allem Blutserum, durch das Trypsin des Pankreas äusserst 
schwer angegriffen werden, wenn sie nicht vorher durch die Pepsinverdauung oder 
auf andere Weise denaturiert worden sind. Wenn also einmal das vom Pepsin ver¬ 
schont gebliebene Eiweiss in den Darm gelangt, so wird es in erheblichem Maasse 
vom Trypsin nicht weiter verdaut, sondern in unverändertem Zustande resorbiert werden. 

Es besteht demnach wohl die Möglichkeit, vom Magen aus ein Präcipitin zu 
erzeugen, jedoch wird dieser Fall spontan nie eintreten. Handelte es sich doch in 
den positiv ausgefallenen Versuchen um das Kaninchen, einen Pflanzenfresser, dem 
mit Gewalt übergrosse Mengen eines animalischen Eiweisskörpers eingeführt worden 


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582 Leonor Michaelis 


waren. Das ist kein harmloser Eingriff, und, obwohl Versuche darüber noch nicht 
vorliegen, so zeigt doch die Natur, dass Fleischfresser enorme Mengen genuinen 
Muskelfleisches fressen, ohne dass bisher der Nachweis eines Präcipitins in ihrem 
Serum gelungen sei. 

Wir können also trotz der Magenversuche beim Kaninchen daran festhalten, 
dass bei naturgemässer Aufnahme der Eiweisskörper kein Präcipitin entsteht. 

Da die Wirkung des Präcipitins im Reagensglas sich in einer Niederschlags¬ 
bildung äussert, so könnte man annehmen, dass auch in dem Organismus eines 
Thieres, das ein Präcipitin in seinem Blute enthält, nach intravenöser Einspritzung 
des passenden Eiweisskörpers Niederschläge entständen. Das gegen den Eiweiss¬ 
körper »immunisierte« Thier wäre durch diesen schädlichen Vorgang dem nicht 
immunen Thier nicht nur nicht im Vorth eil, sondern im Nachtheil. Es müssten 
Embolien entstehen. Aber das ist nicht der Fall. Es besteht hier eine eigenartige 
Divergenz der Erscheinungen im Reagensglas und im Thierkörper. Injiziert man 
nämlich einem immunisierten Thier das Eiweiss ins Blut, so entsteht nichts weiter 
als eine sehr starke Hyperleukocytose, aber keine Niederschlagsbildung. Man könnte 
zunächst meinen, dass die Ursache darin läge, dass das Präcipitin im lebenden Thier 
nicht frei im Blutplasma, sondern nur innerhalb der Leukocyten enthalten und erst 
bei der Gewinnung des Serums durch Zerfall der Leukocyten frei würde. Ich habe 
mich aber durch rasches Abcentrifugieren der Blutkörperchen vor Beginn der Blut¬ 
gerinnung davon überzeugt, dass das Präcipitin frei im Blutplasma gelöst enthalten 
ist. Wenn wir also den Thierversuch deuten wollen, so müssen wir annehmen, dass 
die Leukocyten das Ausfallen des Niederschlages verhindern, indem sie die Ver¬ 
bindung des Eiweisskörpers mit seinem Präcipitin in statu nascendi in sich aufnehmen. 


Was lehren uns die Präcipitine? 

Der Umstand, dass körperfremde Eiweissstoffe bei ihrer Injektion die oben be¬ 
schriebene Reaktion des Organismus, die Bildung eines Präcipitins auslösen, lehrt 
uns, dass die Eiweissstoffe im genuinen Zustande nicht schlechtweg als Nähr¬ 
stoffe zu bezeichnen sind, deren Brennwerth man nach Kalorieen, deren Ansatz¬ 
fähigkeit als Eiweiss man nach dem Stickstoffgehalt schlechtweg messen könnte. 
Die Assimilation eines körperfremden, auf unnatürlichem Wege eingeführten Eiweiss¬ 
stoffes erfordert vielmehr eine erhebliche Mehrleistung des Organismus, welche sich 
in der Entstehung des Präcipitins kund giebt. Körperfremde Eiweissstoffe haben 
eine Doppelnatur; sie sind nicht nur Nährstoffe, sondern gleichzeitig, und beim 
nicht immunen Thier sogar überwiegend, Gifte. 

Zweitens lehrt uns die Erscheinung der Präcipitine eine bisher nicht gekannte 
Funktion der Eiweissverdauung kennen. Die Verdauung durch Pepsin und Trypsin 
vernichtet jene Gifteigenschaft des körperfremden Eiweisses und spaltet sie in 
indifferente Bruchstücke, aus welchen sich der Organismus nun wiederum ein 
»genuines« Eiweiss aufbaut, und zwar ein körpereigenes, direkt für ihn assimi¬ 
lationsfähiges, nämlich das körpereigene Serumalbumin und Serumglobulin. 

Es war ein ausserordentlich glücklicher und fruchtbringender Gedanke von 
Ehrlich, den Toxinen und in gleicher Weise den Nährstoffen haptophore Gruppen 
zuzuschreiben, welche die Fähigkeit haben, sich an bestimmte, auf sie abgestimmte 
»Rezeptoren« des Protoplasmamoleküls chemisch zu binden. Nach Ehrlich müssen 
wir daher als eine Vorbedingung für die Assimilation eines Eiweissstoffes seine Bin¬ 
dung an einen solchen Rezeptor annehmen. Während aber die Bindung des körper¬ 
eigenen Serumalbumins ein physiologischer Prozess ist, welcher unmittelbar zur 
Assimilation des gebundenen Eiweisses führt, ist die Bindung des körperfremden 
ivvais^ s ein ungewohnter Reiz für das Protoplasma, und hat, statt einer glatten 
Assimilation des Eiweisses, in der hinlänglich bekannten, von Ehrlich gelehrten 
Art und Weise eine erhebliche Ueberproduktion und Abstossung jener Rezeptoren 
zur Folge. Diese abgestossenen, in die cirkulierenden Säfte gelangenden Rezeptoren 
sind eben das Präcipitin. 


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Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. 583 


Die fruchtbare Hypothese von Ehrlich, dass die Assimilation der Eiweiss- 
körper auf einer vorherigen Bindung an das Protoplasma beruhe, lässt sich jedoch 
bisher nur eben für die genuinen Eiweisskörper experimentell stützen. 

Die genuinen Eiweisskörper haben sicherlich ein derartiges Bindungsvermögen 
an das Protoplasma. Da ja alle eingeführten Eiweissstoffe auf dem Wege der Ver¬ 
dauung und Resorption in genuines, körpereigenes Eiweiss (Serumalbumin und 
-globulin) übergeführt werden, so ist damit in der That nahe gelegt, dass die Assi¬ 
milation des Eiweiss auf dem Wege der Bindung an Rezeptoren geschieht. 

Bei allen anderen Nährstoffen, den Kohlehydraten und Fetten, ist eine solche 
Bindung experimentell in keiner Weise bewiesen. Ja nicht einmal bei den denatu¬ 
rierten Eiweissstoffen oder bei den Abbauprodukten der Eiweissstoffe hat sich die 
Bindung an Rezeptoren erweisen lassen. Die Spaltungsprodukte der Eiweissstoffe, 
die Albumosen, sind zwar seit langem als Gifte erkannt, wenn man sie direkt 
injiziert. Aber ein Gift ist durchaus noch nicht identisch mit einem toxinartigen 
Körper, d. h. einem solchen Gift, welches sich an einen auf ihn abgestimmten 
Rezeptor zu binden vermag, einem »Haptin« nach Ehrlich. Denn es giebt Gifte 
von chemisch so indifferenter Natur, dass a priori ein Bindungsvermögen an einen 
Rezeptor ausgeschlossen ist, wie z. B. Aether, Chloroform. Dieser Unterschied 
zwischen den toxinartigen, spezifisch bindungsfähigen Giften und den einfach, nicht 
spezifisch bindungsfähigen Giften ist ebenfalls von Ehrlich zuerst erkannt worden. 

Man könnte daher die Frage aufwerfen, ob diejenigen Nährstoffe, welche nach 
den vorliegenden Erfahrungen keine Thierspezifizitüt aufweisen und welche keine 
Präzipitine oder sonstigen Antikörper bei der Injektion erzeugen, zu den spezifisch 
bindungsfähigen Stoffen gehören oder nicht: ob ihre Verarbeitung im Organismus 
ebenfalls durch eine Bindung an bestimmte Rezeptoren eingeleitet werde oder nicht. 
Mit Recht nimmt Ehrlich an, dass der negative Ausfall von Immunisierungs¬ 
versuchen nicht gegen das Vorhandensein der passenden Rezeptoren spricht; denn 
zur Immunisierung gehört nicht nur der Rezeptor, sondern auch die Eigenschaft des 
Rezeptors, locker am Protoplasma zu haften, und unter Umständen abgestossen 
werden zu können. Ehrlich bezeichnete jene anderen, nicht abstossbaren Rezeptoren 
als »breitbasig aufsitzende Rezeptoren«, ein Ausdruck, welcher ein treffendes, grob¬ 
sinnliches Bild von der Eigenschaft dieser Rezeptoren giebt 

Eine experimentelle Entscheidung, ob Kohlehydrate und Fette an solche 
Rezeptoren gebunden werden könnnen oder nicht, ist zur Zeit in so exakter Weise, 
wie bei den genuinen Eiweissstoffen noch nicht möglich. Es sei aber nicht unter¬ 
lassen zu erwähnen, dass Ehrlich geneigt ist, allen Nährstoffen eine solche spezi¬ 
fische Bindungsfähigkeit zuzuschreiben. Legt man diese Anschauung zu Grunde, so 
besteht also der Unterschied in der Assimilation der verschiedenen Nährstoffe darin, 
dass die genuinen Eiweissstoffe an locker haftende Rezeptoren, die anderen Nähr¬ 
stoffe an »breitbasig aufsitzende« Rezeptoren gebunden werden. Die andere An¬ 
schauung wäre, dass überhaupt nur die Eiweissstoffe spezifisch bindungsfähig sind, 
und alle anderen Stoffe ohne eine spezifische Bindung an das Protoplasma verbrannt 
oder aufgespeichert werden. Da eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglich¬ 
keiten experimentell bisher nicht möglich ist, so wird man vorläufig auf eine defini¬ 
tive Entscheidung verzichten müssen. 

Auf jeden Fall stehen die Erfahrungen der Präcipitinforschung in einem guten 
Zusammenklang mit den Erfahrungen der Ernährungsphysiologie; sie zeigen wiederum 
den Gegensatz zwischen Eiweissstoffen einerseits, und Fetten und Kohlehydrate 
andererseits. Fette und Kohlehydrate werden in jedem Thierkörper in gleicher 
Weise verbrannt oder aufgespeichert; es giebt keine für eine Thierart spezifische 
Glukose; keine für eine Thierart spezifische Stearinsäure*); wohl aber hat jede Thier¬ 
art ihr spezifisches Serumalbumin und Serumglobulin. Kohlehydrate und Fette werden 
von den Verdauungsfermenten in relativ einfache Repräsentanten ihrer Gruppen ge- 


*) Die Spezifität der verschiedenen Fettarten beruht nur auf einen wechselnden Mengen- 
verhältniss an sich gleichartiger Fette. 


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Leqnor Michaelis 


spalten, wenn sie nicht schon als solche in der Nahrung aufgenommen worden sind, 
und werden als solche resorbiert. Die Eiweissstoffe werden dagegen, nachdem sie 
zunächst einmal durch die Verdauung abgebaiit worden sind, schon während ihrer 
Resorption wieder zu höchst komplizierten Eiweissstoffen, den Serumeiweissstoffen, 
aufgebaut und erst als solche dem Körper nutzbar gemacht. 

Die Präcipitinreaktion lehrt uns aber noch mehr. Hamburger und Wasser¬ 
mann haben nämlich darauf hingewiesen, dass diese Reaktion ein Schlaglicht auf die 
Säuglingsernährung wirft. Sie legten dar, dass es dem Säugling nicht gleichgültig 
sein könne, ob er das ihm angepasste Eiweiss in Form der Muttermilch oder das körper¬ 
fremde, »heterologe« Eiweiss der Kuhmilch als Nahrung erhält. Die alte Erfahrung, 
dass gerade die Muttermilch am besten vom Säugling vertragen wird, und die Er¬ 
gebnisse der modernen Stoffwechseluntersuchungen am Säugling, dass nämlich die 
Ansatzfähigkeit des mütterlichen Kaseins grösser ist als die des Kuhkaseins, mit 
anderen Worten, dass bei Zufuhr von Muttermilch das Stickstoffgleichgewicht schon 
durch geringere Stickstoffeinnahme erreicht wird als bei Zufuhr von Kuhmilch, finden 
in der That eine wesentliche theoretische Stütze durch die Ergebnisse der Präcipitin- 
forschung. Wassermann versuchte auch den experimentellen Nachweis, dass der 
Organismus bei der Verarbeitung fremder Eiweisskörper eine grössere Arbeit leisten 
müsse, als bei Zufuhr von »homologen« Eiweissstoffen. Allerdings stehen diese 
Behauptungen in einem Widerspruch zu den obigen Darlegungen, welche zeigten, 
dass die Eiweisskörper durch die Verdauung ihrer Spezifizität beraubt werden. 
Trotzdem sind die Wassermann’schen Angaben nicht einfach zu verwerfen, denn 
es liegen gewichtige Gründe dafür vor, dass der Magendarmkanal sich beim Säugling 
anders verhält als beim Erwachsenen. Dafür liegen sogar schon experimentelle Anhalts¬ 
punkte vor. Ehrlich hat gezeigt, dass durch die Milch von Thieren, die gegen 
Abrin, Ricin und Tetanusgift immunisiert waren, die Jungen passiv gegen diese Gifte 
immunisiert werden. Die in der Milch enthaltenen Antitoxine sind also im Magen 
der Säuglinge nicht zerstört worden. Behring® 7 ) hat sogar den Satz ausgesprochen: 
»Antitoxische Eiweisskörper werden von neugeborenen Individuen auf stomachalem 
Wege ebenso resorbiert, als wenn wir sie in die Blutbahn oder unter die Haut 
gespritzt hätten, während bekanntlich ausgewachsene Individuen per os und per 
rectum antitoxische Eiweisskörper normalerweise garnicht als solche zu resorbieren 
im stände sind.« 

Behring führt dies darauf zurück, dass nach einer Untersuchung von Disse 
die Epithelzellen des Magens noch nicht, diejenige Struktur zeigen, welche die sekre¬ 
torisch thätigen Zellen des Erwachsenen erkennen lassen. Wenn aber »antitoxische 
Eiweissstoffe« die Darmwand unzersetzt passieren, so können Nahrungseiweissstoffe 
das auch wohl thun. Es ist nun zwar nach den vorliegenden Erfahrungen 
nicht bekannt, dass das Serum der Neugeborenen unverändertes Kasein enthielte; 
irgend eine Veränderung, die dieses in Serumalbumin und -globulin umwandelt, muss 
auch schon beim Säugling stattfinden. Aber diese Veränderung kann ja weniger 
eingreifend als beim Erwachsenen sein. Wenn daher zum sicheren Beweis der An¬ 
schauung von Wassermann die direkten experimentellen Untersuchungen noch aus¬ 
stehen, so sprechen doch die bekannten Thatsachen dafür, dass die Wassermann- 
sche Auffassung berechtigt ist, und dass in der That der Organismus des Säuglings 
zur Verarbeitung körperfremder Eiweissstoffe eine Mehrarbeit gegenüber der Ver¬ 
arbeitung der Muttermilch leisten muss; nur ist die dem Experiment durchaus 
zugängliche Beweisführung hierfür von Wassermann noch nicht einwandsfrei 
erbracht. 

Schon vorher hatte Hamburger dieselbe Frage durch das Experiment zu lösen 
versucht. Jedoch sind auch seine Versuche im wesentlichen negativ ausgefallen, 
d. h. der klinisch sicherstehende Unterschied zwischen Muttermilch und Kuhmilch 
wurde durch biologische Versuche nicht geklärt. Zunächst zeigte das Serum von 
künstlich mit Kuhmilch ernährten Säuglingen keine Präcipitinreaktion gegen Kuh¬ 
milch. Aber auch neugeborne Hündchen, die mit Kuhmilch gefüttert wurden, und 
zum Theil sogar subkutane Injektionen von Kuhmilch erhalten hatten, zeigten kein 
Präcipitin für Kuhmilch in ihrem Serum. 


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Die Bedeutung der Praci pitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. 585 


Aus alle dem sieht man, dass es heute noch verfrüht ist zu behaupten, dass 
die Präcipitinforschung einen klaren Einblick in die Frage der künstlichen Säuglings¬ 
ernährung gebe, und dass man sich zunächst auf die für den erwachsenen Organis¬ 
mus gültigen Schlussfolgerungen beschränken muss. 

Litteratur. 

1 ) Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immunität. I Ucber Ricin. II. Ueber 
Abrin. Deutsche medicinische Wochenschrift 1891. 

2 ) Pfeiffer, Weitere Untersuchungen über das Wesen der Choloraimmunität und spezifisch 
baktericide Prozesse. Zeitschrift für Hygiene 1894 u. a. 

3) Bordet, Sur l’agglutination et la dissolution des globules rouges par lc sörum d’aniraaux 
injeetös de sang döfi bring. Ann. Pasteur 1897. 

4 ) R. Kraus, Ueber spezifische Reaktion in keimfreien Filtraten etc. Wiener klinische 
Wochenschrift 1897. 

fi) Tchistovitch, Etudes sur l’immunisation contre lc sörum d’anguilles. Ann. Pasteur 
'899. S. 406. 

6 ) Bordet, Le möcanisme de l’agglutination. Ann. Pasteur 1899. S. 225. 

7) Wassermann, Kongress für innere Medicin 1900. S. 501. 

») Wassermann und Schütze, Ueber eine neue forensische Methode zur Untersuchung 
von Menschen- und Thierblut. Berliner klinische Wochenschrift 1901. 

») Schütze, Ueber ein biologisches Verfahren zur Differenzierung verschiedener Eiweissarten 
anf biologischem Wege. Zeitschrift für Hygiene 1901. S. 5; ferner ebenda S. 487 und Festschrift 
zum 70. Geburtstag von v. Leyden. 

10) Myers, Ueber Immunität gegen Proteide. Centr. Bakt. 1900. S. 237. 

11) Nolf, Contr. ä l’gtude des sörums antihömatiques. Ann. Pasteur 1900. S. 237. 

12 ) Uhlenhut, Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. S. 734. 1901. S. 82, 260 u. 499. 

13) L. Michaelis, Untersuchungen über Eiweisspräcipitine. Deutsche medicinische Wochen¬ 
schrift 1902. No. 41. 

h) Michaelis und Oppenheimer, Ueber Immunität gegen Eiweiss. Archiv für Anatomie 
und Physiologie. Suppl. 1902. 

i3) Leblanc, Contr. ä l’ötude de l’immunitg acquise. Cellulg 1901. S. 3:55. 

iß) E. P. Pick, Zur Kenntniss der Immunkörper. Hofmeisters Beitrage 1901/02. 

17) Obermeyer und Pick, Biologisch * chemische Studie über das Eiklar. Wiener klinische 
Rundschau 1902. No. 15. 

18) Landsteiner und Calvo, Zur Kenntniss der Reaktionen des normalen Pferdeserums. 
Centr. Bakt. 1902. S. 701. 

18) Ehrlich, Schlussbetrachtungen. Nothnagel’s Handbuch der speciellen Pathologie und 
Therapie 1901. Bd. 8. 

2°) Eisenberg, Beiträge zur Kenntniss der spezifischen Präcipitationsvorgänge. Bull. acad. 
des sc. de craesovie 1902. Mai. 

21) Büchner und Geret, Ueber ein krystallinisches Immunisierungsprodukt. Münchener 
medicinische Wochenschrift 1901. S. 1163 und 1275. 

22 ) P. Th. Müller, Vergleichende Studien über die Gerinnung des Kaseins durch Lab und 
Lactoserum. Münchener medicinische Wochenschrift 1902. S. 7 und Centralblatt 1902. 

23 ) Hamburger, Biologisches über die Ei weisskörper der Kuhmilch und über Säuglings¬ 
ernährung. Wiener klinische Wochenschrift 1901. 

M ) Ascoli, Ueber den Mechanismus der Albuminurie etc. Münchener medicinische Wochen¬ 
schrift 1902. S. 398. 

23) Behring, Zustandekommen und Bekämpfung der Rindertuberkulose etc. Berliner thier¬ 
ärztliche Wochenschrift 1902. No. 47. S. 10, 

26) Ehrlich, Ueber Immunität durch Vererbung und Säugung. Zeitschrift für Hygiene 1892. S. 183. 

27) Rostoski, Habilitationsschrift. Würzburg 1902. 


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Kleinere Mittheilungen. 


Kleinere Mittheilungen. 


Seekrankheit und Tiefathmen. 

Eine Selbstbeobachtang 
von 

Dr. F. P a r a v i c i n i, Albisbrunn. 

Bei einer ziemlich stürmischen Ueberfahrt von Rotterdam nach London hatte ich Gelegenheit, 
an mir selber die Seekrankheit in einer sehr merkwürdigen Form kennen zu lernen. Ich fuhr mit 
einem Kollegen. Wir befanden uns schon einige Tage auf der Reise und hatten die Nacht vor der 
Abfahrt von Rotterdam im Eisenbahnwagen zugebracht. Ich erwähne dies, weil Unregelmässig¬ 
keiten, Reisen, schlaflose Nächte bekanntlich die Disposition für die Seekrankheit erhöhen. Unsere 
Plätze waren auch ungünstig, nämlich weit von der Schiffsmitte abliegend und zudem gerade gegen¬ 
über dem Abort, der während des stürmischeren Theils der Fahrt lebhaft besucht wurde. Mein Kollege, 
ein ruhiger, starker Mann, wusste sich der Seekrankheit unterworfen, und sie setzte denn auch bei 
ihm trotz Tiefathmen, Cerium oxalicum und Orexinum tannicum abends 11 Uhr, ca. eine Stunde nach 
der Abfahrt von Hoek von Holland in der üblichen Weise ein und hielt an bis zur Einfahrt in die 
Themsemündung. Die Mehrzahl der übrigen Passagiere, auch der Stewart, war schon vor meinem 
Kollegen erkrankt. Ich, zum erstenmal auf See, hatte mich beim Beginn höheren Wellenganges 
hingelegt und angefangen, meine ganze Aufmerksamkeit auf ruhiges, möglichst tiefes Athmen zu 
konzentrieren. Zur Zeit, als meine sämmtlichen nicht seefesten Mitpassagiere schon schwer litten, 
fühlte ich mich noch völlig wohl und fähig, der Sache die humoristische Seite abzugewinnen. Nur 
ein leises Ameisenkribbeln in den Fingerspitzen fiel mir schon da auf. Zwischen 11 und 12 Uhr 
nachts kam dann dic^erste Anwandlung von Uebelkeit, der ich durch energisches Tiefathmen leicht 
Herr wurde. Sowie sie aber nachüess, verstärkte sich die erwähnte Parästhesie in den Händen, ich 
hatte das Gefühl eingeschlafener Arme. Nach einigen Minuten wich es. und es trat für ca. eine 
Viertelstunde vollständige Euphorie ein. Dann wiederholte sich derselbe Cyklus: Gefühl von Uebel¬ 
keit, Brechreiz, Ueberwindung desselben und gleichzeitiges Auftreten der Parästhesie, hierauf wieder 
Wohlbefinden. Die Symptome verschärften sich nach und nach. Das Kribbeln trat auch in den 
Füssen auf, Grösse und Form und hauptsächlich Zahl der Finger schien verändert, es schienen für 
das Gefühl eine Menge Finger an jeder Hand zu sein, das Kribbeln verstärkte sich zur Empfindung 
eines starken faradischen Stromes, und schliesslich traten auch motorische Störungen, tetanische 
Spannung der Strecker und Beuger, Starre der Glieder hinzu. Ich wiederhole, dass diese sensiblen 
und motorischen Störungen zuweilen den durch Tiefathmen mit Aufbietung aller Energie gewaltsam 
unterdrückten Brechreiz ablösten, um dann nach wenigen Minuten ihrerseits einer längeren eupho¬ 
rischen Pause Platz zu machen. Der ganze Cyklus lief jeweilen in ca. 15 — 20 Minuten ab. Ich 
machte ihn vier- oder fünfmal durch. Dann ermüdeten die respiratorischen Hilfsmuskeln, die ich 
beim Tiefathmen ausgiebig angestrengt, auch hatten die peripheren nervösen Störungen zuweilen 
eine peinliche Stärke erlangt. Ich beschloss während eines Stadiums des Wohlbefindens dem 
nächsten Brechreize nachzugeben und meine Athmung nicht länger zu* forcieren. |Wie ich gehofft, 
stellte sich dann auch nach dem Brechen sofort längeres Behagen, sogar Schlaf ein, ohne die 
Uebergangsphase der unangenehmen Empfindungen und Spannungen in den Extremitäten. In 
längeren Abständen trat dann noch zweimal Vomitus leichteren Grades auf. Die sensiblen und 
motorischen Störungen blieben gänzlich aus. Mit Tagesanbruch betrat ich das Deck, ass in der 
Folge mit gutem Appetit und kam nachmittags 2 Uhr, 22 Stunden nach Betreten des Schiffes, völlig 
wohl in London an. 

Erscheinungen! von Seiten des peripheren Nervensystems und von dem hier beschriebenen 
Grade finde ich in der mir zugänglichen Litteratur über Seekrankheit nicht erwähnt 

Rosenbjach in seiner umfassendsten, ein grosses literarisches Material bearbeitenden Mono¬ 
graphie über den Gegenstand spricht wohl (S. 23 u. 24) von einer »eigentümlichen maskenartigen 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


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Starre des Gesichts*, die er aber nicht von »eigentlicher Kontraktur, sondern von Veränderung der 
Oberflächenspannung der Muskeln« herleitet. An einem anderen Orte (S. 62) führt er Fälle an, »in 
denen die regelmässigen Stösse der Schraube und die dadurch bedingte rhytmische Erschütterung 
des Schiffes, die sich dem Körper der Schiffsbewohner mittheilt, als ein unangenehmer Reiz auf 
das Nervensystem wirkt, oder eine Reihe von besonders empfindlichen Personen in einen eigen¬ 
tümlichen Zustand veränderter Erregbarkeit, besonders Hyperästhesie oder Anästhesie versetzt«. 
Da ist ein Bindeglied, wenn auch diese Fälle nicht identisch mit dem meinigen sind, in dem es 
sich nicht nur um Stösse der Schiffsschraube als Ursache und nicht um blosse sensible Störungen 
als Folge handelt Auch habe ich auf einer späteren Fahrt konstatieren können, dass ich für Schiffs¬ 
bewegungen nicht besonders empfindlich bin. Wohl aber fiel mir sonst schon bei der Reaktion auf 
psychische und Intoxikationseinwirkungen eine Lokalisation vorzugsweise im Nervensystem der 
Extremitäten auf. 

Wenn einmal das im letzten Jahrgang der »Münchener medicinischen Wochenschrift« von 
zwei Seiten empfohlene Tiefathmen prophylaktisch und therapeutisch mehr gegen Seekrankheit an¬ 
gewendet wild, mögen sich Erfahrungen ähnlich der meinigen mehren. Man muss wohl nach dem 
ganzen Verlauf der Erscheinungen die sensiblen und motorischen Störungen als Ersatz, gleichsam 
als »Aequivalent« des unterdrückten Brechens auffassen. Dass dann das Leiden in einer von seiner 
klassischen Erscheinungsweise verschiedenen, alternierenden Form sich äussem kann, erscheint mir 
als eine Stütze der Rosenbach’schen Theorie, wonach die Seekrankheit als eine »allgemeine Störung 
der gewerblichen Energetik, eine Veränderung der Molekularmechanik, eine Allotropie, Anisotropie 
des Gewebes« aufzufassen wäre. 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Sitzung der Hufeland’schen Gesellschaft am 11. Dezember 1902. 

HerrA.Loewy spricht über die Wirkung der Sauerstoffinhalation auf den osmotischen Druck 
des Blutes. Loewy geht von der Beobachtung v. Koväc’s aus, wonach die abnorm gesteigerte 
osmotische Spannung des Blutes bei Zuständen, in denen das Blut mit Kohlensäure überladen ist, 
durch Sauerstoffinhalation zur Norm zurückgeführt wird. Diese Thatsache wird der analog ange¬ 
sehen, dass die durch Kohlensäureeinleitung abnorm gesteigerte osmotische Spannung von Blut in 
vitro durch Sauerstoffdurchleitung normal gestaltet werden kann. — Loewy weist darauf hin, dass 
durch keine von beiden Thatsachen etwas für eine spezifische Sauerstoff Wirkung auf die Blutkohlen¬ 
säure bewiesen wird. Diese ist bis heute überhaupt nicht sicher erwiesen und im allgemeinen nicht 
angenommen. Trotzdem geht aus neuen Versuchen des Vortragenden hervor, dass sie doch vor¬ 
handen ist: der Sauerstoff vermag die Kohlensäure aus dem Blute energischer auszutreiben als 
andere Gase. 

Bei Sauerstoffinhalation kommt aber neben dieser Wirkung noch ein weiterer Vorgang 
hinzu, durch den die in abnormer Menge angesammelte Kohlensäure des Blutes ausgetrieben, seine 
osmotische Spannung vermindert wird, das ist die AthmungsVertiefung. Loewy setzt ausführ¬ 
lich deren Einfluss auf das Blut auseinander und kommt zu dem Schluss, dass bei den Sauer¬ 
stoffinhalationen, wie sie heute ausgeführt werden, als der wesentlichere Faktor 
eintretender Besserung die Verstärkung der Athmung, als unterstützender die durch seine 
Versuche erwiesene spezifische Sauerstoffwirkung auf das Blut anzusehen sei. Besondere Unter¬ 
suchungen werden noch genauer die quantitative Betheiligung des letzten Faktors an der Gesammt- 
wirkung festzustellen haben. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

DL Gr über, Einige Bemerkungen über den 
Eiweissstoffwechsel. Zeitschrift für Biologie 
Bd. 42. 

Verfasser weist hin auf den grossen Gegen¬ 
satz, der im Organismus besteht zwischen der 
grossen Stabilität des Organ ei weisses und der 
raschen Verbrennung des Nahrungsei weisses. Er 
glaubt, dass sich die rasche Zersetzung des 
Nahrungseiweisses nur erklären lasse unter der 
Annahme, dass nicht das ganze Eiweissmolekül 
sogleich bis zu den Endprodukten verbrannt 
werde, dass vielmehr nur die sticksoffhaltenden 
Theile bis zum Harnstoff oxydiert, stickstofffreie 
Gruppen aber noch unverbrannt, etwa als Fett 
im Körper retiniert werden. Zum Beleg führt 
Grub er zwei eigene Versuchsreihen am Hunde 
an, die zeigen, dass bei sehr reichlicher Eiweiss¬ 
nahrung thatsächlich erheblicheKohlenstoffmengen 
(bis zu 20 g täglich) im Körper retiniert werden. 
Noch wahrscheinlicher wird dies beim Betrachten 
der stündlichen N-Ausscheidung. In den ersten 
Stunden nach der Fütterung steigt die N-Aus- 
scheidung so stark, dass die Kalorieenbildung 
mehr als das Doppelte des Tagesmittels betragen 
müsste, falls wirklich die entsprechenden Eiweiss¬ 
mengen vollkommen verbrannt würden. 

Ferner sucht Grub er eine Erklärung zu 
geben für die bekannte merkwürdige Thatsache, 
dass trotz der grossen Konstanz, mit welcher 
der Körper seinen, Eiweissgehalt auf gleicher 
Höhe hält, doch bei Steigerung wie bei Ver¬ 
minderung der Eiweisszufuhr erst nach einigen 
Tagen wieder Stickstoffgleichgewicht eintritt, 
bis dahin aber im ereteren Fall mehr Stickstoff 
retiniert, im letzteren mehr Stickstoff abgegeben 
wird. Durch eine Reihe von Gründen kann 
Gruber zeigen, dass der im ersteren Fall 
retinierte* Stickstoff wirklich in der Form von 
Eiweiss, nicht etwa in der eines Abbauproduktes 
retiniert wird. Trotzdem glaubt Grjuber nicht, 
dass es sich hierbei um eine wahre Vermehrung 
des Eiweissbestandes handele; er glaubt viel¬ 
mehr, eine solche sei nur vorgetäuscht durch die 
Art, wie die resorbierten Eiweissstoffe überhaupt 
im Körper verbrannt werden. Ob grosse oder 
kleine Eiweissmengen zugeführt sind, immer 
steigt die stündliche N - Ausscheidung rasch auf 


ein Maximum)und .fallt nur ganz langsam, im 
Lauf von fast 24 Stunden, wieder zum Nüchtern¬ 
werth ab. Verfasser vermuthet, dass dies etwa 
dadurch bedingt sein könne, dass die ver¬ 
schiedenen bei der Verdauung entstehenden 
eiweissähnlichen Substanzen nicht mit gleicher 
Leichtigkeit im Organismus zerlegt werden 
können. Wenn sich nun die Ausscheidung der 
Eiweissreste normaler Weise nicht nur auf den 
einen, sondern auch auf den zweiten und dritten 
Tag noch erstreckt, dann würde natürlich auch 
an den ersten Tagen geringerer Stickstoffzufuhr 
noch Reste der reichlicheren Stickstoffmenge des 
letzten Tages der Vorperiode ausgeschieden 
werden, und,dies Moment giebt in derThat die 
einfachste Erklärung für die scheinbar langsame 
Art der Anpassung des Organismus an grössere 
oder geringere Eiweisszufuhr. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


W. Prausnitz, Ueber das Verhalten von 
Fleisch und^Fleischpr&paraten im mensch¬ 
lichen Organismus. Zeitschrift für Biologie 
Bd. 42. 

Prausnitz hat unter allen erforderlichen 
Kautelen vergleichende Ausnutzungsversuche an¬ 
gestellt mit gebratenem Fleisch, Pökelfleisch und 
einem von der Kompagnie Licbig gelieferten 
Fleischmehl. Das Ergebniss ist, dass frisches 
Fleisch und Pökelfleisch etwa gleich gut aus¬ 
genutzt wurden (von ersterem erscheint 2,9'9, 
von letzterem 3°/ 0 der organischen Substanz im 
Koth), dass das Fleischmehl etwas weniger voll¬ 
ständig resorbiert wird (3,78 o/ 0 organischer Sub¬ 
stanz im Koth). Der Unterschied ist so gering, 
dass er praktisch keine Bedeutung hat; theoretisch 
ist es interessant, dass Prausnitz die etwas 
schlechtere Ausnutzung des Fleischmehls auf 
langsamere Einwirkung des Pepsins und Trypsins 
zurückführen konnte: frisches Fleisch löst sich in 
künstlichem Verdauungsgemüse viel rascher als 
die Fleischtrockenpräparate. 

Aehnlich wie Fleischmehl wird auch (laut 
Untersuchungen von Neumann) das ähnlich be¬ 
schaffene »Soson« etwas schlechter resorbiert als 
Fleisch, während die Pflanzeneiweisspräparate, 
so Tropon, wesentlich schlechter resorbiert werden- 


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589 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Es ist zu hoffen, dass das bei der Fleisch¬ 
extraktfabrikation als Nebenprodukt gewonnene 
Fleischeiweiss als relativ billiges, leicht zu kon¬ 
servierendes Eiweisspräparat grossere Verbreitung 
findet. D. Gerhardt (Strassburg). 


Mo ritz 9 Studien über^die motorische Thätig- 
keit des Magens« Zeitschrift für Biologie Bd.42. 

Verfasser zeigt zunächst an Thierversuchen, 
dass (wie Verfasser selbst, v.Mering u.a. schon 
früher fanden) in den Magen eingeführtes Wasser 
alsbald ins Duodenum abfliesst und nach circa 
einer Viertelstunde bereits völlig den Magen ver¬ 
lassen hat; dass die Entleerung des Magens er¬ 
heblich langsamer verläuft, wenn statt des Wassers 
breiige oder feste Stoffe in den Magen gebracht 
werden, dass aber Milchgcrinnsel und gehacktes 
Fleisch doch auch zum Theil im breiigen, nicht 
nur im verflüssigten Zustand denPylorus passieren. 

Zahlreiche Versuche am Menschen bestätigen 
die Abhängigkeit der Schnelligkeit der Magen¬ 
entleerung von der Konsistenz der Ingesta. Auch 
hier wird reines Wasser am raschesten entleert 
(von i/ 2 1 innerhalb der ersten zehn Minuten 60<>/ 0 , 
innerhalb einer halben Stunde fast die ganze 
Menge), übrigens noch wesentlich rascher beim 
Herumgehen als beim ruhigen Sitzen; warmes 
Wasser wird etwas rascher entleert als kaltes. 
Schwache Kochsalzlösung verschwindet ebenso 
rasch, kohlensäurehaltiges Wasser etwas lang¬ 
samer, schwache Salzsäurelösung erheblich lang¬ 
samer aus dem Magen; Bier wird noch viel lang¬ 
samer (nach 30Minuten nur 45<Y 0 entleert), Bouillon 
fast ebenso rasch wie Wasser, Milch wieder lang¬ 
samer (64% in einer halben Stunde) entleert. 

Schon bei Milch- und bei Biergenuss enthält 
der Magen, wenn die Hauptmenge entleert ist 
noch reichliche Flüssigkeit, die grösstentheils aus 
Magensaft besteht; dasselbe tritt in noch höherem 
Maasse auf nach Genuss von dickflüssigen Suppen 
und Breien; nach einer Stunde ist die Suppe 
zwar fast völlig verschwunden, aber der Magen 
enthält bis zu 200 cm 3 fast reinen Magensaft 

Im ganzen zeigen die Mo ritz 7 sehen Ver¬ 
suche die grosse Bedeutung der Konstistenz der 
Nahrung für die Schnelligkeit der Magen¬ 

verdauung; aber daneben kommt auch ein 
chemischer Reiz auf die Magenschleimhaut in 
Betracht; es ergiebt sich, dass die Ingesta um 
so längere Zeit im Magen verweilen, eine je 
stärkere Sekretion des Magens sie veranlassen. 
Daneben kommt allerdings wohl auch dem 
Füllungszustand des Darms eine gewisse Be¬ 
deutung für die Schnelligkeit der Magen¬ 

entleerung zu. D. Gerhardt (Strassburg). 


J« Starke, Ueber den Einflusslos^Milieus, 
insbesondere der anorganischen Substanzen, 
auf Eigenschaften von Eiweisskörpern. Zeit¬ 
schrift für Biologie Bd. 42. 

Aciditäts-, respektive Alkalescenzgrad, sowie 
der Salzgehalt des Lösungsmittels 1 beeinflussen 
die Eigenschaften gelöster Eiweissskörper, speziell 
deren Gerinnbarkeit in hohem Grade. 

Starke zeigt nun zunächst, dass der Salz¬ 
gehalt (so lange er unter der Grenze der zum 
eigentlichen Aussalzen nöthigen Konzentration 
bleibt) wesentlich dadurch die Löslichkeit des 
Eiweisses beeinflusst, dass er den Alkalescenz¬ 
grad ändert: Verdünnte Säuren verlieren durch 
Salzzusatz an Acidität, verdünnte Alkalien ge¬ 
winnen durch Salzzusatz an Alkalescenz; dadurch 
werden natürlich die Lösungsbedingungen für 
das Eiweiss geändert; das Eiweiss selbst erleidet 
aber keine chemische Aenderung. 

Auch die Koagulierbarkeit durch Hitze wird 
durch Salzzufuhr zu den Eiweisslösungen wesent¬ 
lich beeinflusst; so gerinnt alkalische Albumin¬ 
lösung in der Hitze erst bei Salzzusatz. Starke 
sucht nun zu zeigen, dass derartige Verschieden¬ 
heiten der salzhaltigen und salzfreien Albumin¬ 
lösung nicht einfach auf einer Aenderung des 
Milieus beruhen, sondern dass hier diese 
Aenderung des Milieus chemische Aenderung 
des Eiweisskörpers und dadurch erst die ver¬ 
schiedene Koagulierbarkeit bewirkt habe. 

Ob auch das Globulin in seinen Eigenschaften 
durch den Salzgehalt des Lösungsmittels nur des¬ 
halb geändert werde, weil es dabei in einen anderen 
chemischen Körper übergeführt werde, scheint 
Starke nicht ganz so sicher, aber doch wahr¬ 
scheinlich (er hält für möglich, dass das Globulin, 
das er als ein Alkalieiweiss ansieht, dann, wenn 
es koaguliert wird, als einfaches Eiweiss gerinne). 

Eine Erklärung dafür, dass die Koagulations¬ 
temperatur von Eiweisslösungen durch Salzzusatz 
erhöht wird, lässt sich nach Starke einstweilen 
noch nicht geben; nur das eine lässt sich fest¬ 
stellen, dass die Erhöhung des Koagulutions- 
punktes um so leichter eintritt, wenn die zu¬ 
gesetzte Substanz sich in Wasser dissociiert. 

Das Wesen der Koagulation im chemischen 
Sinne sucht Starke in Abgabe von Krystall- 
wasser, für welche Deutung er eine Reihe von 
Beobachtungen als Beleg anführt. 

D. Gerhardt (Strassburg). 


W. B. Ransom, F. R.C. P., Should milk be 
boUed? British medical journal No. 2147. 

Ransom stellt folgende Sätze auf: Milch, 
auf ihren Siedepunkt (110 0 C) erhitzt oder bei 


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500 


Referate Über Bücher und Aufsätze. 


100 0 C für 10—15 Minuten gekocht, leidet nicht 
in ihrem Nährwerth; dass bei diesem Gebrauch 
oder nach dem von pasteurisierter Milch (auf 80 
bis 85 0 erhitzt) Kinderskorbut auftreten kann, ist 
ganz unwahrscheinlich. 

Die genannten Verfahren machen die Milch 
nicht absolut keimfrei, aber sie töten die meisten 
pathogenen Bakterien (Tuberkel-, Cholera-, 
Diphtherie-, Typhusbacillen) ab, und, wenn diese 
Milch kühl aufbewahrt (und dann getrunken) wird, 
finden sich keine Sporen zu Bacillen entwickelt. 
Pasteurisieren eignet sich aus medicinischen und 
ökonomischen Gründen weniger gut als viertel¬ 
stündiges Kochen, das mit passenden Apparaten 
(Soxleth,Aymard,Hawksley) in jedem Haus¬ 
halt zweckmässig vorgenommen werden kann. 

In Zeiten von Sommerdiarrhoen soll das 
Kochen auf eine halbe Stunde ausgedehnt 
werden, und die Milch in einigen Stunden ver¬ 
braucht sein, oder einen neuen Sterilisations¬ 
prozess durchmachen, da die Sporen des Enteritis¬ 
bacillus sehr widerstandsfähig sind. Immer soll 
rohe und »sterilisierte« Milch so frisch als mög¬ 
lich getrunken werden, aber Kinder, die aus¬ 
schliesslich davon leben, sollen nicht den durch 
das Nichtkochen gesetzten Gefahren preisgegeben 
werden. Block (Koblenz). 

J. Kalmar und A. Bagarus, Versuche über 
die Heilung der Epilepsie nach Toulouse 
und Richet. Ungarische med. Presse 1902. 
No. 6. 

Es wurden 15 Epileptiker in der psychia¬ 
trischen Abtheilung des allgemeinen Kranken¬ 
hauses des Komitats Bökös, nachdem ihnen zwei 
Monate vorher das Brom entzogen worden war, 
nach dem von Toulouse und Richet ange¬ 
gebenen Verfahren (täglich 2 Liter Milch, 2 Eier, 
ca. 3 g Brom in der Erlenmeyer'sehen Lösung 
und 750 g salzloses Brot bei den Männern, 500 g 
bei den Frauen) behandelt. Unter dieser, einen 
Monat lang durchgeführten Kur nahmen bei sieben 
Kranken die Anfalle an Zahl ab, bei sechs je¬ 
doch wurden sie häufiger und zwei Eiranke starben 
dabei. Die Gesammtzahl der Anfälle belief sich 
in diesem Versuchsmonat auf 273, was nur die 
Hälfte weniger bedeutet, als während der Brom¬ 
entziehung. Einen wesentlichen Werth können 
die Verfasser dieser Kur indessen nicht zuschreiben, 
denn bei der normalen Diät und Brombehandlung 
zehn Monate hindurch war sechsmal die Zahl der 
Anfälle noch kleiner als 273 gewesen. Als die 
gewöhnliche Kost mit Bromtherapie wieder ein¬ 
geleitet wurde, stieg anfänglich bei den noch 
am Leben gebliebenen 13 Kranken die Zahl ihrer 
Anfälle auf 324, fiel dann aber bei fünf derselben, 


trotz Aussetzens des Broms, auf 219—109. Be- 
achtenswerth ist ferner, dass die herabsetzende 
Wirkung des Broms während der kocbsalzarmen 
Diät sich in nicht unbedenklicher Weise äosseite: 
Die Kranken wurden nicht blos ruhiger und 
weniger empfindlich, sondern bei einzelnen zeigten 
sich förmlicher Stupor und Delirien; bei zwei 
stellte sich Herzschwäche, Oedeme, Kollaps und 
Exitus ein. Zur Entscheidung der Frage, ob in 
den beiden letzten Fällen etwa die Bromintoxi¬ 
kation an sich oder aber die Entziehung des 
Kochsalzes an dem unglücklichen Ausgange die 
Schuld getragen haben, Hessen die Verfasser zwei 
nichtepileptische Kranke chlorarme Milchdiät 
gemessen: Bei beiden stellten sich innerhalb 
zweier Tage bereits so unangenehme Erscheinungen 
(Schwäche etc.) ein, dass die Kranken energisch 
ein Aussetzen verlangten. Wenngleich sich eine 
gesteigerte Wirkung des Broms bei oligochlorer 
Diät nicht in Abrede stellen lässt, so ist doch 
wegen der damit verbundenen schweren Brom¬ 
intoxikation davor zu warnen. 

Buschan (Stettin). 


Hartogh und C. Schümm, Zar Frage der 
Zackerbildang aas Fett. Archiv für 
experimentelle Pathologie und Pharmakologie 
Bd. 45. S. 11. 

Die zur Lösung der vorstehenden Frage 
unternommenen Versuche, über welche die Ver¬ 
fasser hier berichten, sind an Hunden angestellt, 
die mit Phlorrhizin vergiftet wurden, nachdem 
zuvor durch länger dauernde anstrengende Ar¬ 
beitsleistung bei möglichst eiweissarmer, fett¬ 
reicher Nahrung der Glykogenbestand des Kör¬ 
pers auf ein Minimum herabgesetzt worden war. 

Neben der Zuckerausscheidung wurde auch 
der Stickstoffgehalt des Harnes, ferner Aceton, 
Linksdrehung nach dem Vergährcn, und in 
einigen Versuchen auch Phosporsäure, Schwefel¬ 
säure und Ammoniak bestimmt. 

Das Hauptinteresse beansprucht das Ver¬ 
hältnis» von Hamstickstoff zu Harnzucker, das 
seiner Zeit von Minkowski auf Grund seiner 
Untersuchungen am pankreasfreien Hunde als 
1:2.8 angegeben worden war, wenn die Zucker¬ 
bildung allein aus dem Eiweiss herrührt. 

Im Gegensatz dazu ergaben die Versuche, 
dass der Faktor von N und Zucker bei den 
phlorrhizinvergiftcton Hunden ein grösserer ist, 
als der von Minkowski bei seinen Versuchen 
gefundene, er beträgt in einem Versuche im 
Durchschnitt 5, gegen Ende eines Versuches in 
einer fünftägigen Periode 9, in zw^ei aufeinander¬ 
folgenden Tagen 10,6 und an einem Tage sogar J3. 


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Referate Aber Bücher und Aufsätze. 591 


Da trotz der sehr geringen Eiweisszufuhr 
die Thiere unter dem Einfluss der Phlorrhizin¬ 
vergiftung sehr bedeutende Mengen N im Urin 
ausschieden (infolge des Eiweisszerfalles) und 
diese N-Ausscheidung auch in den letzen Tagen 
vor dem Tode nicht abnahm, so ist es nicht an¬ 
gängig, eine Zurückhaltung von N im Körper 
anzunehmen und das hohe Verhältniss von N:D 
darauf zurückzuführen. Auch die Menge der 
ausgeschiedenen Phosphorsäure war während der 
Phlorrhizinvergiftung nicht in dem Maasse ver¬ 
mehrt, dass es zulässig wäre, die Abstammung 
der gefundenen Zuckerraengen aus der Nuklein¬ 
säure herzuleiten. Vielmehr sind die Verhältniss- 
zahlen so gross, dass die Entstehung des Zuckers 
durch Abspaltung aus dem Eiweiss nach allen 
anderen Beobachtungen als ausgeschlossen be¬ 
trachtet werden kann. Es bleibt also nur noch 
die Möglichkeit, dass der Zucker sich entweder 
aus Fett gebildet hat, oder dass der Kohlenstoff 
der Zerfallsprodukte des Eiweissmoleküles für die 
Zuckerbildung verwendet worden ist Letzteres 
ist aber eine Hypothese, welche den Verfassern 
noch weit weniger begründet erscheint, als die 
Annahme, dass der Zucker aus Fett entsteht. 

Weintraud (Wiesbaden). 


B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 

Cautru, Influence du massage abdominal 

dans le traitement de 1a diarrh^e chronique. 

Bulletin gönöral de thörapeutique 1902. April. 

Die Bauchmassage leiste in der Behandlung 
der chronischen Diarrhöen in einer grossen An¬ 
zahl von Fällen thatsächliche Dienste. Sie bringe 
im allgemeinen und ziemlich schnell die Diarrhöen 
der Konstipierten und solche Diarrhöen, die durch 
gastrointestinale Gährungen bedingt würden, zum 
Verschwinden. Diese Formen kämen hier weniger 
in Frage. Es handle sich mehr um die idio¬ 
pathischen Formen. Es erscheine ihm aber frag¬ 
lich, ob es sich nicht auch dabei meist um 
Diarrhöen handle, die bedingt würden durch 
eine Magenstörung, eine latente Dyspepsie, ln 
den Fällen von Hyperchlorhydrie trete der 
Chymus sehr sauer aus dem Magen in den Darm 
über; werde er dann nicht genügend durch 
alkalische Galle neutralisiert, so bleibe er 
sauer, und werde so aus dem Darm aus- 
gestossen. In den Fällen von Apepsie träten die 
Nahrungsmittel meist schnell und immer schlecht 
verdaut aus dem Magen in den Darm über; 
hilft dann Galle und Bauchspeichel der Magen¬ 
verdauung nicht noch nach, so wirkten die 
Trümmer der Nahrungsmittel wie ein Fremd¬ 
körper und würden so schnell ausgestossen. 


Die grosse Mehrzahl der Fälle von Hyper¬ 
chlorhydrie und chloro - organischer Hyperpepsie 
sei eher zu Verstopfung als zu Durchfall geneigt. 
Die Bauchmassage wirke besser in Fällen von 
Apepsie als in solchen von Hyperchlorhydrie. 
Aber auch in diesen könne sie gute Dienste 
leisten, man müsse sie eben nur anzuwenden 
verstehen. Sie solle beruhigend auf das Nerven¬ 
system und zugleich anregend auf die eventuell 
erschlaffte Magenmuskulatur wirken, diesen 
Zweck erfülle allein eine Vibrationsmassage; die 
Wirkung dieser sei dieselbe wie die langer Eisen¬ 
bahnfahrten, wie sie Trousseau angerathen 
habe. Bei der Apepsie dagegen regele die Bauch¬ 
massage den Chemismus des Magens und rege 
die Sekretion der Leber und der Bauchspeichel¬ 
drüse an, wie es so wichtig sei, um die mangel¬ 
hafte Magenverdauung zu ergänzen oder zu er¬ 
setzen. In diesen Fällen müsse die Massage an¬ 
regend sein, oberflächlich und tief (Knetungen, 
Hackungen u. s.w.). Cautru belegt seine Aus¬ 
führungen mit den Krankengeschichten von vier 
einschlägigen Fällen. Er meint, die Bauchmassage 
dürfe nicht zurückgewiesen werden bei der Be¬ 
handlung der chronischen Diarrhöen. Sie wirke 
wunderbar gut bei den infektiösen Diarrhöen 
gastrischen Ursprunges und bei den Diarrhöen 
der Konstipierten. Ihre Wirkung sei schnell und 
sicher. Langsamer führe sie auch zum Ziel bei 
den Diarrhöen der Apeptischen, vorausgesetzt 
natürlich, dass keine schwereren Läsionen der 
Leber oder der Magcndarmschleimhaut vorlägen. 
Endlich könne in den Fällen von Hyperchlorhydrie 
die Vibrationsmassage versucht werden, die ihm 
in ungefähr der Hälfte der Fälle Erfolge gehabt 
zu haben scheine. Lemke (Dresden). 

Cornelius, Druckpunkte, ihre Entstehung, 
Bedeutung bei Neuralgieen, Nervosität, 
Neurasthenie, Hysterie, Epilepsie und 
Geisteskrankheiten sowie ihre Behandlung 
durch Nervenmassage. Berlin 1902. 

Cornelius schreibt den Druckpunkten eine 
bedeutende Rolle in der Aetiologie und Therapie 
verschiedener Neurosen, darunter der Epilepsie 
zu. Als ihr Substrat sieht er eine »bindegewebige 
Umklammerung der feinsten sensiblen Nerven- 
fäserchen« an. Die pathogene Narbenbildung sei 
das Produkt rheumatischer, traumatischer, entzünd¬ 
licher Schädlichkeiten. Die von den Druck¬ 
punkten ausgehende Ueberreizung des Central¬ 
organes führe zu pathologischer Reizbarkeit 
desselben. 

Bei der Aufsuchung des Druckpunkts be¬ 
ginnt Verfasser so,* dass er mit dem Zeige- und 
Mittelfinger der rechten Hand schnell vibrierend 


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Original fro-rn 

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592 Referate über Bücher and Aufsätze. 


und leise druckend die ganze Gegend abtastet, 
und so den ersten Bchmerzpunkt aufsucht in 
dem er hier etwas starker vibriert, fragt er nach 
Ausstrahlungen und Enden der Schmerzen. So 
gelangt er zur Auffindung neuer Schmerzpunkte. 
Auch die reaktiven Schmerzen, die im Gefolge 
der Massage auftreten, zeigen weitere typische 
Druckpunkte an. 

Prophylaktisch soll man schon bei der Be¬ 
handlung jeder einfachen Wunde regelmässig 
leichte Vibration ausführen, um Einklemmung 
sensibler Fasern zu verhindern. Operative Be¬ 
handlung der Neuralgieen schafft nur neue 
Gelegenheit zum pathogenen Druck auf die Nerven 
und ist deshalb zu verwerfen. 

Die Erfolge sind bemerkenswerth, wie die 
fast jeder konsequent betriebenen Therapie, und 
mahnen zur sorgfältigen Lektüre der Schrift 
0. Kohnstamm (Königstein i. T ). 


P. Lazarus, Die Bahnungstherapie der Hemi¬ 
plegie. Verhandlungen des 20. Kongresses 
für innere Medicin S. 337. Wiesbaden 1902. 

Auch nach vollständiger Zerstörung einer 
inneren Kapsel sind die ursprünglichen Lähmungs¬ 
erscheinungen einer weitgehenden Restitution 
fähig, besonders wenn eine methodische Uebungs- 
therapie eingreift Zur anatomischen Erklärung 
dieser Möglichkeit zieht Lazarus vor allem das 
»vikariierende Eintreten der gesunden Hemi¬ 
sphäre für die erkrankte« heran. Des weiteren 
denkt er an die Neubildung motorischer Centren 
in der Nachbarschaft der erkrankten Rinden- 
theile und schliesslich an die Restitution auf dem 
Wege der tiefen Hirnganglien, die durch extra¬ 
pyramidale Wege mit der Rinde in Verbindung 
treten oder sich unter Umständen bei rein 
subkortikaler Innervation funktionell vervoll¬ 
kommnen können bis »zur Höhe der willkür¬ 
lichen Innervationsfähigkeit«. Dabei fasst er ins¬ 
besondere den Sehhügel ins Auge, der ja in viel¬ 
facher Weise centripetal und centrifugal mit dem 
Rückenmark verbunden ist. — Die Eintheilung 
der Uebungstherapie in Associations- und Kommi- 
surenbahnung erscheint cinigermaassen künstlich. 
Denn die »Associationsübung«, eine vorgezeigte 
Bewegung nachzuahmen, und die »autopassive« 
Kommisurcnübung, das gelähmte Glied von dem 
symmetrischen gesunden mitnehmen zu lassen, 
unterscheidet sich doch wohl wesentlich dadurch, 
dass im ersteren Fall ein Eindruck des Gesichts¬ 
sinnes, im zweiten ein solcher des Muskelsinnes 
innervatorisch wirksam werden soll. Auf Er¬ 
regungen des Muskelsinnes beruhen wohl auch 
die bahnenden Wirkungen der kinetotherapeuti- 
schen Bäder, der peripheren Faradasation, der 


Erleichterung der Bewegungsaufgaben durch 
Aequilibrierung der gelähmten Gliedmaassen etc. 
Auf die Wiedergewöhnung des Muskelsinnes an 
normale Sensationen läuft nach Ansicht des Ref. 
(diese Zeitschrift Bd. 4. Heft 2) auch die Be¬ 
handlung der Kontrakturen hinaus, deren völlige 
Uebergehung an dieser Stelle um so mehr auf¬ 
fällt, als sie vor kurzem durch den Vortragenden 
eine so vortreffliche Darstellung gefunden hat 
(diese Zeitschrift Bd. ß. Heft 7). 

0. Kohnstamm (Königstein i. T.). 


Oaroll E. Edson, Ueber die Wichtigkeit der 
Ruhe für Tuberkulöse. The dietetic and 
hygienic gazette Bd. 16. No. 12. 

Wie jedes entzündliche Organ, müssen auch 
die tuberkulös erkrankten Lungen möglichst ruhig 
gestellt werden. Lange fortgesetzte körper¬ 
liche Ruhe in Liegestellung bei gleichzeitigem 
Aufenthalt in der frischen Luft ist für Tuber¬ 
kulöse dringend nothwendig. Es wird dadurch 
die Frequenz des Pulses herabgesetzt und das 
Herz gekräftigt, das Fieber vermindert und Ge¬ 
wichtszunahme bewirkt Nur wenn kein Fieber 
vorhanden ist, darf mässige Körperbewegung ge¬ 
stattet werden, die aber auch dann sorgfältig 
kontrolliert werden muss. 

R. Friedlaender (Wiesbaden). 


t. Mikulicz und Valesca Tomasczewski, 
Orthopädische Gymnastik gegen Rückgrats- 
Terkrttmmungen. 

Das Büchlein will Aerzten und Erziehern 
die Durchführung des orthopädischen Turnens 
erleichtern. 

Die von v. Mikulicz geschriebene Einleitung 
giebt in kurzer und klarer Darstellung eine 
Schilderung von Ursachen und Wesen der seit¬ 
lichen Rückgratsverkrümmung, von der Prophy¬ 
laxe, der Therapie, insbesondere von Zweck und 
Werth des orthopädischen Turnens. 

Die Beschreibung der Technik des Turnens 
hat Frau Tomasczewsky, die Leiterin einer 
orthopädischen Turnanstalt in Breslau, über¬ 
nommen. Es kann hier auf die grosse Zahl der 
Frei- und Gerätheübungen natürlich nicht genauer 
eingegangen werden. Es sei nur rühmend die 
Deutlichkeit und Sachlichkeit des Textes, die 
Reichhaltigkeit der*Illustrationen betont. 

Jeder am orthopädischen Turnen Interessierte 
wird die Schrift mit Interesse und Gewinn studieren. 

Vulpius (Heidelberg). 


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593 


Referate Über Bücher und Aufsätze. 


C. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Hermanu Partsch, Seekrankheit und was 
dagegen za than. Medical Record 1900. Juni. 

Verfasser, der sich als Autor über die See¬ 
krankheit bereits einen Namen gemacht hat, giebt 
auf Grund seiner langjährigen Erfahrung als 
Schiffsarzt praktische Rathschläge für die Be¬ 
kämpfung dieser Krankheit. Die Anämie des 
Gehirns, die durch Erschlaffung der peripherischen 
Gefässe, besonders im Splanchnikusgebiet hervor¬ 
gerufen wird, bildet eine wesentliche Ursache der 
Nausea. Der Patient soll möglichst viel liegen, 
ohne dass der Kopf wesentlich erhöht wird. 
Nahrungsenthaltung ist unzweckmässig, weil 
durch die infolgedessen entstehende allgemeine 
Anämie die Neigung zur Seekrankheit begünstigt 
wird. Verfasser empfiehlt oft am Tage, aber 
nicht viel auf einmal zu essen, und sich unmittel¬ 
bar nach jeder Mahlzeit nieder zu legen. Bei 
Stuhlverstopfung sind Abführmittel zu vermeiden 
und Wasserirrigationen oder Glycerineinspritzun¬ 
gen vorzuziehen. Von Medikamenten ist Brom 
am Besten geeignet, die Beschwerden zu er¬ 
leichtern. R. Friedlaender (Wiesbaden). 

Manter, Die Hydrotherapie der Lungentuber¬ 
kulose. Berliner klinische Wochenschrift 1902. 
No. 10. 

Von allgemeinen Grundprinzipien über Wesen , 
und Behandlungszweck der Tuberkulose ausge¬ 
hend, charakterisiert Autor den Werth der Hydro¬ 
therapie, das heisst der methodischen individuellen 
Verwerthung des thermischen Reizes in fast allen 
Stadien der Lungentuberkulose. Da man bei 
der Lungentuberkulose es meist mit einem 
crethischen Stoffwechsel zu thun hat, so wird 
man thermische Reize anwenden müssen, die dem 
kranken Körper weder Wärme entziehen noch 
die Eigenwärme erhöhen. Man erzielt einmal 
eine Besänftigung des erethischen Stoffwechsels 
durch Erhöhung der Oberflächenwärme, also reiz- 
abhaltend, das andere Mal eine Erhöhung der 
Oxydation mit vergrösserter Assimilation durch 
den nachfolgenden Kältereiz. Die Methoden be¬ 
hufs Erhöhung der Oberflächentemperatur sind: 
Die Bettwärme, die trockene Einpackung, die 
partielle feucht© von 2—5 Stunden und die totale 
feuchte von »/ 4 — D/ 4 Stunden, ohne Erhöhung der 
Eigentemperatur, das laue Vollbad von 35—38»C 
von 1/4 Stunde, die warme Brause von 38—42^C, 
das Heissluft- oder das elektrische Lichtbad von 
ö—10 Minuten, das Sonnenbad. Als Kältereize 
verwendet man die Theilwaschung, Abklatschung, , 

Zeitsohr. f. diät. u. phjrsik. Therapie Bü. VI. Heft 10. 


Begiessung, Brause, das Halbbad, Vollbad. Eine 
Hauptbedingung für alle kälteren Prozeduren ist 
die Erzielung einer Reaktion, d. h. einer schnellen 
Wiedererwärmung, die bei Schonungsbedürftigen 
passiv also durch die Bettwärme, bei den In¬ 
dikationen der Uebung aktiv, also durch Be¬ 
wegung, erreicht wird. Symptomatisch wird die 
Tendenz zur Heilung wirksam unterstützt durch 
die Lungenpackung (Kreuzbinde), der Auswurf 
löst sich leichter, der Husten wird seltener. Die 
Packung ist zugleich die beste Vorerwärmung 
für nachfolgende Kältereize. Bei schlechter 
Reaktion geht ihr eine kurze kalte Theilwaschung 
mit nachfolgender Frottierung voraus. Die Packung 
bleibt eventuell die ganze Nacht liegen, ihr folgt 
je nach Indikation eine Regenbrause von 20 bis 
30°C, ein Halbbad oder eine Abreibung. Wechsel¬ 
warme Brausen können in der Anstaltsbehandlung 
an deren Stelle treten. Auch die häufig auf¬ 
tretenden Bronchialkatarrhe werden durch diese 
Behandlungsart mit Lungenpackungen, vorherigen 
und nachfolgenden kalten Waschungen, wechsel- 
warmen Brausen ausserordentlich günstig beein¬ 
flusst. In jedem Falle ist die Erzielung einer 
Reaktion ob aktiv oder passiv ein Hauptpostulat 
für die günstige Wirkung jedes Kältereizes und 
von nie zu unterschätzender Bedeutung. 

J. Marcuse (Mannheim). 


Salyant, Kaltwasserbehandlung des febrilen 

Delirium tremens. Gazette des eaux 1901. 

No. 230. 

Als Maassstab für die Einleitung der Be¬ 
handlung dient die Körpertemperatur. Konstatiert 
man im Beginne des Anfalles eine Rektal temperatur 
von melirals 39°, so sind sofort Bäder anzuwenden, 
und zwar von 18» C; bei schlechter Herz- und 
Arterienbeschaffenheit, oder wenn der Kollaps 
auch nur angedeutet ist, wählt man eine Temperatur 
von 25—28° C. Während des Bades soll der 
Kopf des Patienten fortwährend mit dem Bade¬ 
wasser übergossen werden; es ist auch angezeigt, 
wanne Getränke und Stimulantien zu geben. 
Die Dauer des Bades variiert von fünf bis zehn 
Minuten. Es ist besser, die Bäder öfter zu geben, 
etwa alle drei Stunden, als sie allzu lange aus¬ 
zudehnen. Man setzt die Bäder so lange fort, bis 
die Hyperthermie und das Delirium aufhört. 
Schon nach einigen Bädern zeigen sich die 
günstigen Wirkungen. Der Arzt muss diese Be¬ 
handlung persönlich leiten, er darf während des 
ganzen Bades keinen Augenblick den Puls un¬ 
beachtet lassen. Wenn der Kranke das Bad ver¬ 
lässt, muss er in sein Bett zur Wiedererwärmung 
gebracht werden, wobei auch warme Getränke 
und alkoholfreie Stimulantien gute Dienste 

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594 


Referate über Bücher nnd Aufsätze. 


leisten. Sind die Anfalle geschwunden, so wird 
die Rekonvalescenz in gewöhnlicher Weise be¬ 
handelt. In leichteren Fällen, oder wenn die 
Temperatur unter 39° bleibt, genügen meistens 
laue Bäder; letztere erweisen sich auch dann als 
zweckmässig, wenn kalte Bäder kontraindiziert 
sind, also bei schweren Komplikationen seitens 
des Herzens, Endopcrikarditis, Myokarditis, 
Arteriosklerose, Diabetes etc.; in allen diesen 
Fallen geben laue Bäder ausgezeichnete Resultate. 
Die Kollapssymptorae, die manchmal im Anschluss 
an prolongierte kalte Bäder auftreten, behandelt 
man mit Tomeis, Aether etc. 

Forchheimer (Würzburg). 


H. Winternitz, Ueber die Wirkung ver¬ 
schiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, 
Kohlensäurebäder n. s. w.) insbesondere auf 
den Gaswechsel« Deutsches Archiv für kli¬ 
nische Medicin Bd. 32. Heft 3 und 4. 

Zu Beginn dieser sehr eingehenden Arbeit 
bestätigt H. Wintern itz durch Mittheilung 
neuerlicher Versuche die schon früher von ihm 
und anderen gefundene Thatsache, dass heisse 
Wasserbäder von 39—40° C Temperatur eine 
sehr erhebliche Vermehrung desO-Ver- 
brauches und der C0 2 - Produktion her- 
vorrufen, und dass diese Steigerung des 
respiratorischen Gaswechsels selbst die bei hoch¬ 
fieberhaften Prozessen vorkommende bedeutend 
überschreitet. Eine fast gleiche oxydations¬ 
steigernde Wirkung rufen auch die heissen 
Sandbäder hervor, worin H. Winternitz 
einen Beweis dafür sieht, dass der haut¬ 
reizenden Wirkung dieser Bäder hauptsächlich 
jener Effekt zuzuschreiben ist; denn die höher 
temperierten Licht- und Heissluftbäder steigern 
die Oxydationen, wie Salomon fand, nur un¬ 
bedeutend. Vor den heissen Wasserbädem haben 
die Sandbäder den grossen Vorth eil, dass sie 
trotz ihrer starken Einwirkung auf den Gas¬ 
wechsel Puls und Athmungsthätigkeit viel 
weniger alterieren als jene, und auch die 
Körpertemperatur nur wenig erhöhen. 

Soolbäder von indifferenter Temperatur 
(34,5 — 35,8 ° C) beeinflussen dagegen den 
respiratorischen Stoffwechsel nur unbedeu¬ 
tend, und zwar ergaben sowohl 3—4% Koch¬ 
salzbäder, wie auch Bäder mit Stassfurter Salz 
und solche mit Chlorkaliumzusatz dasselbe 
negative Resultat; eine wesentliche hautreizende 
Wirkung muss daher der Verfasser den Sool- 
bädem absprechen. Hingegen fand er bei den 
zweifellos hautreizend wirkenden Senfbädern 
wieder eine deutliche Oxydationssteigerung, wenn 


dieselbe auch nicht den bei Sandbädern un«l 
heissen Wasserbädem beobachteten Grad erreicht. 

Sehr beachtenswerth sind die Resultate des 
Verfassers bei Versuchen mit Kohlensäure¬ 
bädern; er fand nämlich im Gegensätze zu allen 
früheren Autoren bei seinen mit grosser Exakt¬ 
heit ausgeführten Versuchen (jede direkte Ein- 
athmung von C0 2 während des Badens war aus¬ 
geschlossen), dass im Kohlensäurebad that- 
sächlich eine Resorption der C0 2 durch 
die Haut stattfindet; das äussert sich u.a. 
auch darin, dass der C0 2 -Gehalt der Exspirations¬ 
luft in einem solchen Bade stetig zunimmt, ohne 
dass dem eine entsprechende Vermehmng des Sauer¬ 
stoffverbrauches parallel geht. Die Wirkung eines 
Kohlensäurebades besteht hauptsächlich in einer 
bedeutenden Vermehrung des Athmungs- 
volumens infolge von Steigerung der Athem- 
thatigkeit und in dementsprechender 
Oxydationssteigerung. Jene Steigerung 
der Athmungsthätigkeit kommt auf zwiefachem 
Wege zu Stande: 1. durch direkten Reiz der 
resorbierten Kohlensäure auf das Athmungs- 
centrum; 2. auf reflektorischem Wege durch 
Reizung der sensiblen Nervenendigungen 
der Haut durch die Kohlensäure. Zusatz von 
2 — 3% Kochsalz oder Stassfurter Salz zum 
Kohlensäurebad begünstigt die Resorption der 
C0 2 und damit die therapeutische Wirkung des 
Bades. 

Schliesslich untersuchte H.Winternitz noch 
die Wirkung- von Schwefelbädern auf den 
Gaswechsel und fand dabei, dass dieselben eine 
Aenderung der oxydativen Vorgänge nicht 
hervorrufen. A. Laqueur (Berlin). 


D. Elektro- und Röntgentherapie. 

E. SWales, Two cages of lupus vulgaris 
succesfuUy treated with urea pura and the 
X-Rays. The Lancet 1902. 8. März. 

Veranlasst wurde der Verfasser zn der 
innerlichen Anwendung von Urea purea in 
den zwei beschriebenen Fallen von Lupus 
vulgaris durch die Resultate Harper’s bei 
Phthisis pulm.; doch führt er auch einen von 
Buck veröffentlichten Fall von Lupus an, der 
durch Urea, Leberthran und Malzextrakt ohne 
Röntgenbestrahlung geheilt wurde. In seinen 
beiden Fällen handelte es sich um 30jährige 
Frauen mit weit ausgedehntem, ulcerierendem 
Gesichtslupus, bedeutender Körperschwäche und 
Stumpfsinn, in dem einen mit Ergriffensein der 
Nasenschleimhaut, in dem anderen mit Entropium 
und eitriger Konjunktivitis. Die Röntgen- 


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595 


liefe rate über Bücher und Aufsatze. 


bestrahlungen dauerten täglich sieben Minuten ohne 
Schatz der gesunden Haut bis zum fast völligen 
Schwund des Lupus und zwar fünf bezw. sechs 
Monate, die Einnahme der Urea pura dagegen 
länger. Die Dosis fing mit 1,25 g an und wurde 
innerhalb sechs bezw. neun Monaten bis 8 g täg¬ 
lich gesteigert. 

Am Ende eines Jahres vom Behandlungs¬ 
beginn an waren in beiden Fällen nur weisse 
Narben vorhanden, daneben war die Aufmerk¬ 
samkeit der Patienten auf ihre Umgebung wesent¬ 
lich grosser. 

Im Ham soll sich der Harnstoff nicht über 
das Normale hinaus vermehrt haben. (Ob die 
grossen Meegen Harnstoff wirklich dauernd ein¬ 
genommen wurden? Ref.) Cowl (Berlin). 

T. Sjögren etE, Sederholm, Yaleurthöra- 
peutique des rayons de Röntgen dans les 
dermatoses« Ber. in La semaine mödicale 1902. 

8. Januar. 

Sjögren und Sederholm kombinierten bei 
der Behandlung des Lupus vulgaris die Galvano- 
punktur und Röntgenbestrahlung mit dem Erfolg, 
dass in 27 Fällen 18 Heilungen, durchschnittlich 
innerhalb sechs Monaten, — in einigen Fällen 
nach wenigen, in anderen erst nach 200—250 
Sitzungen — erzielt wurden. Lupus erythematosus 
erwies sich in sechs Fällen der Behandlung 
weniger zugänglich, dagegen in fünf Fällen von 
Hauttuberkulose waren die Resultate überaus 
günstig. Chronisches Ekzem bedurfte in elf 
Fällen durchschnittlich nur 15 Bestrahlungen zur 
Kur. Von Psoriasis wurde in zwei Fällen, von 
Pruritus ano-vulvae in vier Fällen Heilung erzielt. 
Acne vulgaris und hartnäckige Geschwüre 
besserten sich oder heilten aus. Hypertrichosis 
trat zwar immer zunächst nach erfolgreicher Be¬ 
strahlung wieder, jedoch jedesmal in vermindertem 
Maasse auf. Ulcus rodens s. Epitheliom liess sich 
in allen von fünf Fällen ganz beseitigen. 

Cowl (Berlin). 

! 

Carl Beck, The pathological and therapeotic j 
aspects of the effects of the Röntgen rays. 
Medical Record 1902. 18. Januar. 

Ohne Bezug auf die bisher veröffentlichten i 
Beobachtungen über die Pathogenität der Röntgen- | 
strahlen beschreibt Verfasser in einem mit drei 
Autotypien von schwereren und leichtercnRöntgen- 
läsioncn erläuterten Aufsatz deren Bedingungen 
und Behandlung, und vergleicht sie mit gewöhn¬ 
lichen Brandwunden, von denen sic sich in erster 
Reihe dadurch unterscheiden, dass ihnen immer 


erst ein ausgeprägtes Stadium incubationis, das 
bis 14 Tage betragen kann, vorausgeht. Jo nach 
der Dauer bezw. Intensität der Bestrahlung treten 
auf: 1. Hyperämie und Pruritus, Verdickung von 
Epidermis und Kutis nebst Haarausfall, 2. Bullae 
nebst Schmerzen, 3. Trockener Brand mit nach¬ 
folgenden äusserst langsam heilenden Geschwüren. 

Der Brand ist dem »Gletscherbrand« ähnlich- 
An den Händen vonPersonen, die viel im Röntgen¬ 
licht arbeiten, ist eine kumulative pathogenische 
Wirkung mit Sicherheit zu konstatieren. Blonde 
Personen erweisen sich besonders empfindlich. 
An sich selbst hatVerfasser Sistierung der Schweiss- 
sekretion mit beträchtlichem Unbehagen in der 
verdickten Haut der Hand beobachtet. Schon 
das Erythem allein kann eine Pigmentbildung 
hinterlassen. 

Bedeutendere chronische Veränderungen sind 
Verdickung und verminderte Elastizität der mit 
rauher, errötheter Oberfläche behafteten Haut und 
anomales Wachsthum der Nägel. 

Den therapeutischen Erfolgen Anderer bei 
Favus, Sykosis, Hypertrichosis, Psoriasis, Rosacea, 
Acne, Prurigo und Lupus reiht Verfasser seine 
eigenen Kuren an. Zunächst einen schon ver¬ 
öffentlichten Fall von Lupus vulgaris, der nun¬ 
mehr drei Jahre hindurch dauernd geheilt geblieben 
ist. Bei Lupus erythematosus dauerte die Be¬ 
handlung noch länger als bei Lupus vulgaris. 
Epitheliome Hessen sich zwar erfolgreich be¬ 
handeln, jedoch ist es vortheilhafter, die Be¬ 
strahlung für die Behandlung post operationem 
zu reservieren. In hoffnungslosen Fällen von 
Sarkom schrumpften die Geschwülste nach der 
wiederholten Bestrahlung um etwas ein. 

Durchweg ist die Bestrahlung sofort zu unter¬ 
brechen, sobald ein Brennen in der Haut auftritt 
(und wohl auch vorher. Ref.). Es ist empfehlens- 
werth, die erste Bestrahlung nur fünf Minuten 
andauem zu lassen und erst wieder nach 
acht Tagen zu wiederholen. Die Zwischenzeit 
lässt sich bald bis auf 24 Stunden vermindern 
und zwar bei Bestrahlungsdauer zwischen 10 und 
45 Minuten, je nach der Tiefe und Hartnäckigkeit 
der Läsion. Bei Hautkrankheiten im allgemeinen 
genügen 5—10 Minuten bei 10 cm Abstand der 
Röntgenröhre, die weiche Strahlen geben soll. 

Cowl (Berlin). 


A. Laquerrifcre, De Pimpuissance sexueHe 
et de son Traitement ölectrique. Le Progrös 
möd. 1902. 31. Jahrg. 3. Serie. Bd. 14. No. 19. 

Verfasser bespricht kurz die verschiedenen 
Arten der Impotenz und ihre elektrischen Be¬ 
handlungsmethoden. Der eigentliche Kern der 
Abhandlung gilt der Behandlung nach A p o s t o 1 i, 

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596 Referate; über Bücher und Aufsätze. 


welcher folgendermaassen verfährt: Er benutzt 
zwei grosse Elektroden aus Topf ertön, ganz von 
der Art seiner indifferenten Elektrode zur gynäko¬ 
logischen Elektrolyse. Die Anode liegt der Kreuz- 
und Gesässgegend, die Kathode der Nacken- und 
Schultergegend auf. Es werden sehr starke Ströme 
von 100—175 M.A. täglich 10 Minuten lang an¬ 
gewendet und gut vertragen. 

Das Ergebniss war je nach der Natur der 
Krankheit verschieden, doch wurde immer, 
wenn nicht ein organisches unheilbares 
Leiden zu Grunde lag, nach den ersten Sitzungen 
eine Vermehrung, fast immer eine Verstärkung 
der Erektionen erzielt, welche freilich manchmal 
später wieder nachliessen. Verfasser sieht in der 
beschriebenen Behandlungsmethode ein Mittel, 
welches damiederliegcnde Erektionen verstärkt, 
und welches man in geeigneten Fällen versuchen 
muss, gleichgiltig, ob man darin ein eigentliches 
Heilmittel erblicken will, oder nur ein Mittel, 
welches dem Patienten dazu hilft, das verlorene 
Selbstvertrauen wiederzugewinnen. 

F. Frankenhäuser (Berlin). 

TobyCohn, Leitfaden der Elektrodiagnostik 
and Elektrotherapie für Praktiker nud 
Studierende. Mit 6 Tafeln und 39 Abbildungen 
im Text. Zweite vermehrte und verbesserte 
Auflage. Berlin 1902. Verlag von S. Karger. 

Die Neubearbeitung des vortrefflichen Leit¬ 
fadens ist mit Erfolg von demselben Gesichts¬ 
punkte aus vorgenommen worden, von dem aus 
die erste Ausgabe entstanden ist. Es galt, den 
praktischen Bedürfnissen der Aerzte und der 
Studierenden eine solide und übersichtliche Grund¬ 
lage zu bieten. Von den meisten Leitfäden, 
welche denselben Gegenstand behandeln, unter¬ 
scheidet sich der vorliegende dadurch, dass er 
allem Theoretischen nur gerade in sofern Raum 
giebt, als es die Praxis dringend erfordert. So 
gehtVerfasser gleich in medias res vor. Nach einigen 
Worten über das galvanische Element wird ein 
Apparat für galvanischen und faradischen Strom 
demonstriert und seine Verwendung erläutert. 
Es folgt eine kurze und übersichtliche Darstellung 
der Zuckuugsgesetze als Einleitung zu dem 
wichtigsten Kapitel der Elektrodiagnostik, welches 
den Gang der Untersuchung behandelt. Hier 
wird die Technik der Untersuchung in anschau¬ 
licher und direkt praktisch verwerthbarer Weise 
geschildert, werden die erregbarsten Punkte der 
Nerven und Muskeln an der Hand guter Tafeln 
dargestellt, und schliesslich wird die zweck- 
mässigste Art der Protokollierung an Beispielen 
erläutert. Im vierten Kapitel kommen daran 
anschliessend die Veränderungen der Reaktion 


der Muskeln und motorischen Nerven zur Dar¬ 
stellung. Der Verfasser bedient sich hierbei in 
zweckmässiger Weise der Neuronentheorie, um für 
den Leser diese Vorgänge übersichtlich zu machen, 
ohne ihn jedoch in den Streit der Meinungen über 
diese Theorie zu verwickeln. In den zwei folgen¬ 
den Kapiteln werden die elektrische Untersuchung 
der Sinnesorgane und die Veränderungen des 
Leitungswiderstandes kurz beschrieben. 

Es folgt der zweite Theil: Elektrotherapie. 
Gegenüber den weit auseinandergehenden An¬ 
sichten der Autoren über den Heilwerth der 
Elektrizität hält sich Verfasser auf einer ge¬ 
mässigten mittleren Linie. Der psychischen 
Wirkung elektrotherapeutischer Maassnahmen 
lässt er zwar volle Gerechtigkeit widerfahren. 
Er verficht jedoch auch energisch den Standpunkt 
der spezifischen Heilwirkung der Elektrizität auf 
Grund der vorliegenden Thatsachen und An¬ 
schauungen. Zugleich erkennt er an, dass der 
Forschung auf diesen Gebieten noch sehr viel 
zu thun übrig bleibt. Was die Methode anbetrifft, 
so warnt Verfasser mit Recht den Anfänger, dem 
Schema, das er sieh einprägen muss, allzu grossen 
Werth bcizulegen; »der beste Therapeut wird auch 
hier der sein, der am wenigsten schematisiert«. 

In dem Absätze, welcher vom Lokalisieren 
der Behandlung auf den Ort der Krankheit 
handelt (S. 103), würde es dem Referenten nützlich 
erscheinen, wenn einiges über die Strom vertheilung 
in Kürze gesagt wäre. In Bezug auf die Dosierung 
empfiehlt Verfasser dem Anfänger, »sich in der 
Praxis von beiden Extremen fern zu halten bis 
grössere Erfahrungen gesammelt sind«. Hierin 
kann man ihm nur Recht geben — Es folgen eine 
Anzahl aus der Praxis gewonnener werthvoller 
Winke in Bezug auf die Einzelheiten der Technik. 

Der spezielle Theil behandelt die Erkrankungen 
gruppenweise nach ihrem Sitze im Rückenmarke, 
Gehirn etc. Die Besprechung der Methoden der 
allgemeinen Faradisation und Galvanisation, der 
elektrischen Bäder (S. 120) etc., wären nach 
Ansicht des Referenten besser im allgemeinen 
Theile untergebracht. 

Erst jetzt, gewissennassen anhangsweise, be¬ 
spricht Verfasser die verschiedenartigen 
Apparate für Galvanisation und Faradisation. 
Und schliesslich widmet er noch ein Kapitel der 
Franklinisation, eines der Teslaisation und eines 
den »neueren Anwendungsformen der Elektrizi¬ 
tät«: dem magnet-elektrischen, dem sinusoldalen 
Strom, den monodischen Voltstrom, der Konden¬ 
satorentladungen und der Permcaelektrizität 

Alles in Allem hält dieses Buch, was es 
verspricht, und ist Praktikern und Studierenden 

zu empfehlen. _ _ . . . „ . 

F. Frankenhauser (Berlin). 


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397 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


G. H. Lancashire, The therapeutic em- 
ployment of x rays. The british medical jour- 
nal 1902. Mai. 

Verfasser theilt seine Erfahrungen in der 
Röntgenbehandlung folgender Affektionen mit: 
Hypertrichosis, Sykosis, Lupus vulgaris, Ulcus 
rodens. 

Bei kleinen cirkumskripten Fällen von Hyper¬ 
trichosis gebührt der Elektrolyse der erste Platz, 
bei ausgedehnteren ist die Röntgentherapie die 
einzig mögliche. 

Ebenso sind ausgedehnte und besonders 
ulcerierte Lupusfälle sehr geeignet für die 
Röntgenbehandlung, die in manchen Fällen nur 
eine Vorbehandlung für die Bestrahlung nach 
Finsen ist. 

Sykosis heilt prompt nachRöntgenbestrahlung. 

Auch bei Ulcus rodens sind die Erfolge dieser 
Behandlungsmethode gut; Verfasser hat zwei Fälle 
sechs Monate beobachtet, ohne dass ein Recidiv 
eingetreten ist. Schmidt (Berlin). 

Hugh Wal sh am, On tlie ultra - violet light 
from a rapid oscillation high - teusion arc, 
for the treatmeut of skin diseases. The j 

Lancet No. 4092. S. 285. \ 

Die Arbeit enthält ausführliche Angaben über 
verschiedene Untersuchungsniethoden, welche zum 
Nachweise der in einer Lichtquelle enthaltenen 
kurzwelligen, besonders der ultravioletten Strah¬ 
len dienen. Ferner beschreibt Verfasser eine 
handliche Lampe, an welcher dicht vor den schräg 
gestellten, in einem Tubus befindlichen Kohlen ; 
an Stelle der üblichen Quarzplatte als Kom- j 
pressorium eine Eisplatte angebracht wird. Es 
handelt sich hier also nicht um konzentriertes, 
sondern um diffuses Licht. Die Lampe brennt 
mit 10 Ampfcre. 

Nach den in zwei Monaten gemachten Be¬ 
obachtungen bei der Behandlung Lupöscr glaubt 
Verfasser, mit den erzielten Resultaten zufrieden ■ 
sein zu können. Schmidt (Berlin). j 

| 

Malcolm Morris und S. Ernest Dove, | 
Further remarks on Finsen light and 
x ray treatment in lupus and rodent ulcer. 

The british medical joumal 1902. Mai. 

Die Verfasser vergleichen die Finsen- und 
Röntgenbehandlung, ihre Vortheile und Nach- | 
thcile. Beide Methoden sollen nicht die einzigen 
sein, sondern mit anderen (kaustischen, chemischen) 
Mitteln kombiniert angewendet werden. DerFinsen- 
behandlung dürfte unter gleichzeitiger unter¬ 
stützender chemischer, respektive kaustischer t 


Behandlung der erste Platz in der Lupustherapie 
zukommen. Vorzüge und Nachtheile der Methode 
sind bekannt Ein Vortheil der Finsentherapie 
vor allen anderen Behandlungsweisen ist darin 
zu sehen, dass durch sie auch die tiefen zunächst 
nicht sichtbaren Knötchen allmählich sichtbar ge¬ 
macht werden, während das bei anderen Methoden 
wegen der nach Zerstörung der oberflächlichen 
Lupusinfiltrate cintretenden mehr oder weniger 
derben Narbenbildung nicht möglich ist. Uebcr 
die Dauer der Behandlung lässt sich im allgemeinen 
nichts sagen. Recidivc können auf treten. Dann 
müssen diese wiederum der Behandlung unter¬ 
zogen werden. Die Intervalle zwischen den 
Recidiven werden immer länger, bis die 
Recidive schliesslich ganz ausbleiben, so dass 
auch in diesen recidivierenden Fällen schliess¬ 
lich eine Dauerheilung zu erzielen ist. Die 
Dauerresultate sind nach Finsenbehandlung 
häufiger als nach Röntgenbestrahlung. Letztere 
Methode hat folgende Nachtheile: 1. Schwierig¬ 
keit in der Dosierung und daher auch der Be- 
urtheilung der Frage, ob die erst spät auftretende 
Reaktion zu schwach oder zu stark sein wird. 

2. Weniger schönes kosmetisches Resultat. 

3. Häufig Residuen von Lupus oder Recidive 
in der Narbe. 

Die Vorzüge der Röntgenbehandlung sind 
darin zu suchen, dass man grössere Bezirke be¬ 
lichten, die Schleimhäute behandeln und ulcerierte 
Fälle schneller zur Ueberhäutung bringen kann, 
als das durch Finscnlicht möglich ist. 

Beim Ulcus rodens leistet die Röntgen¬ 
behandlung sehr viel. Auch in den sehr aus¬ 
gedehnten Fällen tritt rasch Ueberhäutung der 
Geschwürsflächen ein. Schwierigkeit macht mit¬ 
unter der wallartige Rand — also das eigentliche 
Kancroid —, der dann noch chirurgisch zu be¬ 
handeln ist. Schmidt (Berlin). 


E. Verschiedenes. 

M. R. Larger, Falts noureanx relatifs a 
Paction de Phdrdditd et de la dlg£n6rescence 
en obstetrique. AcadömiedemSdccine. S6ance 
du 31 döcember. Le bullctin mödical 1902. No. I. 

Vortragender berichtet über zwei Fälle, die 
ihm geeignet erscheinen, seine in früheren 
Nummern der gleichen Zeitschrift veröffentlichte 
merkwürdige Theorie zu stützen, dass die meisten 
Abweichungen von der Norm in der Schwanger¬ 
schaft, Geburt und im Wochenbett Zeichen einer 
ererbten Degeneration eines der bcidenErzeuger sei. 

Fall 1. Nach einer ersten Entbindung in 
normaler Lage wird eine Frau vom Moment der 
zweiten Befruchtung an von hysterischen Krisen 


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598 Referate über Bücher und Aufsätze. 


ergriffen, die sich während der ganzen 
Schwangerschaft wiederholen. Zweite Ent¬ 
bindung in anormaler (Steiss-)Lage. 

Fall 2. Nach drei normalen Entbindungen 
wird eine Frau zum vierten Male während der 
Belagerung von Paris schwanger. Geburt eines 
Knaben in Gesichtslage mit Armvorfall. Dessen 
erstes Kind wird ebenfalls in Gesichtslage mit 
Arm Vorfall geboren! L. Zuntz (Berlin). 


G. Bonne, lieber die Suggestionsbehandlung 
in der täglichen Praxis. Wiener medicinische 
Presse 1901. No. 45. 

Der Verfasser tritt dafür ein, dass die me¬ 
thodische Psychotherapie nicht Spezialeigenthum 
der Nervenärzte bleibe, sondern in das tägliche 
Armamcntarium des praktischen Arztes aufge¬ 
nommen werde. — Er bespricht die Indikationen 
und die Methoden der Suggestivbehandlung und 
empfiehlt sie speziell bei Alkoholikern. Selbst 
bei tobenden Deliranten will er mit Erfolg 
Müdigkeit und Schlaf suggerieren, indem er sich 
unter der Firma des »besten Freundes« in das 
entgleiste Bewusstsein des Kranken einschleicht 
und den jeweiligen Hallucinationen angepasste 
Suggestionen zur Erzielung des angestrebten 
Effektes in Anwendung bringt. 

Obersteiner (Wien). 

Raymond, Hysterie und Delirien. Gefahren 
des Hypnotisierens durch Laien. Le Bulletin 
müdical 1902. No. 44. 

Raymond berichtet über eine schwer hyste¬ 
rische junge Frau, die in den Anfällen von wilden 
Thieren gebissen zu werden und noch tagelang 
nach den Anfällen die Bisse schmerzhaft zu 
empfinden meinte. Bereits vor zwei Jahren 
waren leichte hysterische Symptome aufgetreten; 
in seiner ganzen Schwere entwickelte sich aber 
das Krankheitsbild durch folgendes eigentüm¬ 
liches Zusammentreffen: Vor einem Jahre fing sie 
ein Licbesverhältniss mit einem Unteroffizier an, 
welcher stark eifersüchtig war, und um sich von 
ihrer Treue zu überzeugen, sie wiederholt hypno¬ 
tisierte. und im hypnotischen Schlafe ausfragte. 
Da erschien ein Rivale auf der Bildfläche, welcher 
zu dem gleichen Mittel griff, sich von der »Treue« 
der jungen Frau zu überzeugen. So zwischen 
zwei hypnotisierenden Liebhabern hin- und her¬ 
geworfen fing sie bald an, immer schwerere 
Anfälle darzubieten, bis sich das beschriebene 
Bild entwickelte. In der Salpötriöre gelang es 
rasch ebenfalls auf hypnotischem Wege, die 
Kranke zu beruhigen und die Erinnerung an die 
beiden Liebhaber auszulöschen; leider wussten 


diese letzteren Mittel und Wege, ihr Liebesbriefe 
zukommen zu lassen; sie verliess das Spital und 
war bald wieder in dem früheren Zustand. 

Obersteiner (Wien). 

Das grosse Interesse, das augenblicklich für 
die Ergebnisse der physikalischen Chemie herrscht, 
soweit sie verschiedene Zweige der medicinischen 
Wissenschaften berühren, dokumentiert sich nicht 
nur in der täglich steigenden Anzahl von Einzel¬ 
arbeiten auf diesem Gebiete, sondern vor allein 
darin, dass sich das Bedürfniss herausgestellt 
hat, diese Ergebnisse auch einem grösseren 
Kreise von Acrzten in zusammenfassender Dar¬ 
stellung bekannt zu machen. 

Glänzend erscheint diese schwierige Aufgabe 
gelost in dem Werke von 

Hamburger, Osmotischer Druck und Jonen- 
lehre in den medicinischen Wissenschaften. 
Zugleich Lehrbuch physikalisch - chemischer 
Methoden. Wiesbaden 1902. J. F. Bergmann. 

Wie kaum ein zweiter war allerdings gerade 
der Verfasser dazu prädestiniert, der ja selbst 
auf diesem Gebiete so grundlegendes und hervor¬ 
ragendes geleistet. 

Das gross angelegte Werk gliedert sich in 
zwei Theile. In dem ersten bisher erschienenen 
werden die physikalisch-chemischen Grundlagen 
und Methoden besprochen, sowie ihre Beziehungen 
zur Physiologie und Pathologie des Blutes; der 
zweite soll dann die praktisch wichtigen Förde¬ 
rungen beleuchten, welche die Lehre von der 
Sekretion und Resorption, die Pharmakologie, 
die Bakteriologie etc. bisher der physikalischen 
Chemie zu danken haben. 

Eine ungemein klare und fassliche Dar¬ 
stellung zeichnet das Werk aus. Wer sich in 
die schwierige und dem Arzte theilweise recht 
fern liegende Methodik einarbeiten will, wird 
leicht an seiner Hand zum Ziele kommen. Da¬ 
bei ist es mit einer umfassenden Beherrschung 
der Litteratur geschrieben, so dass es auch als 
Orientierungswerk für den schon mehr mit dem 
Stoff vertrauten vollauf seinen Zweck erfüllt. 

Wir stehen nicht an, es als ein »Standard 
work« im besten Sinne des Wortes zu bezeichnen 
und sehen mit grossem Interesse dem Erscheinen 
des zweiten Bandes entgegen. Es sollte in der 
Bibliothek keines Arztes fehlen, der sich mit ein¬ 
schlägigen Fragen beschäftigt. 

H.Zikel, Lehrbuch der klinischen Osmologie 
als funktionelle Pathologie iiud Therapie. 

Berlin 1902. Fischeris medicin. Buchhandlung, 
nennt sich die zweite Neuerscheinung auf diesem 
Gebiete. Das Buch erscheint unter günstigen 


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Referat© Über Bücher und Aufsätze. 599 


Auspizien: v. Leyden zu seinem 70. Geburt»- j 
tage als Festschrift gewidmet und von Senator i 
mit einer inhaltsreichen Vorrede versehen, die 
das Verdienstvolle des Unternehmens, die Kennt- 
niss der klinischen Bedeutung der »Osmologie« 
in weitere Kreise zu tragen, hervorhebt 

Das Buch ist, wie das beigegebenc Litteratur- 
verzeichniss zeigt, mit einem ausserordentlichen 
und rühmenswerthcn Fleisse zusammen gestellt. 
Freilich können wir die Bemerkung nicht unter¬ 
drücken , dass »weniger« manchmal vielleicht 
»mehr« gewesen wäre; unbeschadet der Wirkung 
des Ganzen könnten eine Reihe hypothetischer 
Dinge, ebenso zahlreiche Formeln und Berech¬ 
nungen in einer Neuauflage in Wegfall kommen. 
Dann wird das hohe Ziel, welches sich Verfasser 
gesetzt hat, ein Lehrbuch zu schreiben, das ein 
getreues Bild des gegenwärtigen Standes der 
Osraoselehre darbietet, noch mehr erreicht werden. 

P. F. Richter (Berlin). 

Stern, Some observations onthe relation of 
the alkalescence of the blood to the urinary 
reaction. New-York medical joumal 1901. 

In einer grösseren Reihe von Selbstversuchen 
hat Stern die Alkalescenz des Blutes und 
gleichzeitig die Acidität des Urins zu ver¬ 
schiedenen Tageszeiten bestimmt. Er fand, dass 
im allgemeinen diese beiden Faktoren im umge¬ 
kehrten Verhältnis» zu einander stehen, d. h. dass 
mit dem Steigen der Blutalkalesccnz meist ein 
Sinken der Urinacidität verbunden ist und um¬ 
gekehrt, jedoch ist dieses Verhältnis» nicht immer 
ein konstantes. Bemerkenswerth ist, dass in den 
Versuchen Stern’» in den Nachmittags¬ 
stunden die Blutalkalescenz fast stets gesteigert, 
der Säuregehalt des Urins dementsprechend ver¬ 
mindert war; es liegt nahe, hier an eine Analogie 
mit den Verhältnissen der Leukocytose zu den 
verschiedenen Tageszeiten zu denken, eine Zählung 
der Leukocyten hat der Verfasser jedoch leider 
nicht angestellt. Die Quantität der Nahrung 
hat auf die Blutalkalescenz keinen Einfluss, der 
Einfluss der Qualität der Nahrungsmittel ist 
ebenfalls ein ganz unerheblicher. 

Von grossem Interesse, auch in therapeu¬ 
tischer Hinsicht, ist der Umstand, dass eine Reihe 
von Medikamenten (Natron salicylicum, Kalium¬ 
bitartrat, Natriumacetat u. a.), welche die Acidität 
des Urins herabsetzen auch dann, wenn sie den 
Urin selbst deutlich alkalisch machen, die 
Alkalescenz des Blutes nicht vermehren. 
Zugleich dient diese Beobachtung als ein weiterer 
Belag dafür, dass Verminderung der Acidität des 
Urins nicht immer mit Steigerung der Blutalkales¬ 
cenz einherzugehen braucht. 


Die Ursache dafür, dass bei Nacht die Acidität 
des Urins normaler Weise höher ist als bei Tage 
und besonders Nachmittags, ist nach Stern nicht 
in der Art der Nahrung, sondern in der Art und 
Weise der Kohlensäureausscheidung zu 
suchen. Stern nimmt an, dass die Umwandlung 
des Dinatriumphosphats des Blutes in das sauer- 
rcagierende Mononatriumphosphat des Urins, wo¬ 
rauf ja dessen sauere Reaktion hauptsächlich 
beruht, in erster Linie dadurch hervorgerufen 
wird, dass die im Blute retinierte C0 2 dem 
Dinatriumphosphat ein Na-Atom entzieht. Da 
nun in der Nacht trotz geringerer Kohlensäurc- 
produktion mehr C0 2 im Blute retiniert und 
weniger C0 2 durch Lungen und Haut ausge¬ 
schieden werde als bei Tage, und besonders 
Nachmittags, wo nach der Nahrungsaufnahme die 
Funktionen der Cirkulation und Respiration ge¬ 
steigert sind, so fände die im Blute cirkulierende 
freie C0 2 Nachts mehr Gelegenheit zu jener Um¬ 
wandlung des Dinatriumphosphat in das sauere 
Salz als tagsüber. A. Laqueur (Berlin). 


Riegler (Jassy), Eine einfache gas volu¬ 
metrische Bestimmung»methode der Chloride 
und Phosphate im Harne. Wiener medicinische 
Blätter 1901. No. 30. 

Das Prinzip, das Riegler seiner Methode zu 
Grunde legt, ist folgendes: Wenn man Chlorsilber 
mit Hydrazinsulfat (N 2 H 4 H 2 S0 4 ) und Natron¬ 
lauge behandelt, so scheidet sich Silber aus und 
Stickstoff wird frei; aus dem Volumen des in 
einer Messröhre aufgcsammelten Stickstoffes kann 
man das Gewicht des demselben entsprechenden 
AgCl resp. Na CI berechnen: 1 mg N entspricht 
8,23 mg Na CI. Der Apparat, der zu dieser Be¬ 
stimmung benutzt wird, ist das Azotometer von 
Knop-Wagner. In ähnlicher Weise werden die 
Phosphate bestimmt, indem sie zunächst als 
Magnesium-Ammonium-Phosphat gefällt w erden; 
dieses wird in Silberphosphat und das letztere 
durch Versetzen mit H CI in Ag CI übergeführt, 
welches wiederum, wie oben angegeben, auf gas¬ 
volumetrischem Wege bestimmt wird: 1 mg N 
entspricht 3,34 mg P 2 0 5 . Ausführlich wird 
Riegler darüber in »Fresenius’ Zeitschrift für 
analytische Chemie« berichten. 

Die Methode der Phosphatbestimmung er¬ 
scheint mir ziemlich umständlich, jedenfalls nicht 
weniger umständlich als die bisherigen gewichts¬ 
analytischen Methoden. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 


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r>00 Referate über Bücher und Aufsatze. 


R. Lepine, Sur l’existence de leucoraaines 
diabdtogeneB. Berliner klin. Wochenschr. 1902. 
No. 16. 

Von verschiedenen Seiten ist die Anwesen¬ 
heit toxischer, Glykosurie erzeugender Substanzen 
im Blute von Diabetikern zu erweisen gesucht 
worden, so von Leo, der durch Injektion eines 
Extraktes aus diabetischem Harn Hunde 
glykosurisch machen konnte. Lüpine konnte 
nun mitBoulud konstatieren, dass Extrakte aus 
diabetischem Blute, in geringer Menge Meer¬ 
schweinchen injiziert, mehr oder weniger lange 
dauernde Glykosurie erzeugen. Ebenso entsteht 
diese durch Injektion von alkoholischem Blut¬ 
extrakt pankreasloser Hunde, während Blutextrakt 
normaler Hunde nur eine ganz flüchtige Zucker¬ 
ausscheidung hervorruft. Das scheint dafür zu 
sprechen, dass das Pankreas Glykosurie-erzeugende j 
Substanzen im Blute zerstört, und dass bei seinem 
Fehlen sich diese im Blute aufhäufen. | 

A. Loewy (Berlin). 


HugoLüthje, Ueber die Wirkung yon Salicyl- 
pr&paraten auf die Harnwege nebst einigen 
Bemerkungen über die Genese der Cylinder 
und Cylindroide. Archiv für klinische Medicin 
1902. S. 163—206. 

Verfasser beschreibt 33 Fälle in denen Salieyl- 
praparate gegeben wurden; Eiweiss zeigte sich 
insbesondere bei Gelenkrheumatismus, während 
Cylinder verschiedener Art und Cylindroide 
konstant beobachtet wurden. Pleuritis, Kopf¬ 
ekzem, chronische Bronchitis, Migräne, Cerebellar¬ 
tumor, tertiäre Syphylis zeigten schwächere 
Reaktion als Gelenkrheumatismus. Mit dem 
Aussetzen der Salicylpräparate sah Verfasser 
regelmässig nach 2—3 Wochen Rückkehr zu | 
normalen Verhältnissen. Verunreinigung der Prä¬ 
parate war ausgeschlossen — salicyl sau res Natron, 
Aspirin, Salipyrin und Salol aus verschiedenen i 
Quellen bezogen, verhielten sich alle gleich; * 
die Dosis von salicylsaurem Natron war 5 g pro 
die, von den übrigen Präparaten 3—4 g pro die. , 
ln allen Fällen schied sich sehr viel Calcium¬ 
oxalat aus, und Verfasser meint, es könne dieser 
Befund von dem gleichfalls oft massenhaft im ' 
Harn auftretenden Leukocyten herrühren. 

Cylinder beobachtete Verfasser bei den be¬ 
schriebenen 33 Fällen 204 mal; dabei konnte nur 
96 mal von einer Albuminurie im klinischen Sinne 
die Rede sein. j 

Verfasser untersuchte 49 Harne gesunder 
Personen und fand niemals Cylinder, woraus 

Berlin, Druck voi 


| er die beobachtete Cylindrurie als von der 
Salicvlsäure herrührend beweist Die Cylinder 
| selbst waren überwiegend hyaline und granulierte 
Cylinder; Wachscylinder wurden nie gesehen, 
j Cylindroide jedoch kQnnte Verfasser häufig auch 
im Harne gesunder Personen und namentlich bei 
Frauen feststellen, doch verschwand die Zahl 
I derselben im Vergleiche zu der Menge in Salieyl- 
hamen. Auch Epithelien aus den unteren Harn¬ 
wegen erschienen massenhaft, so dass man von 
einem desquamativen Katarrh der Blase sprechen 
I konnte, welche auch bei cystoskopischer Unter- 
1 suchung sich entzündet erwies. 

! Nachdem Verfasser noch die These einer 
Nephritiserregung durch Salicyl aufstellt, be¬ 
schreibt er Versuche an Hunden, denen er Salicyl¬ 
präparate gab, um dann die Nieren anatomisch 
zu untersuchen. Es fand sich makroskopisch 
Hyperämie, Trübung der gewundenen Harn¬ 
kanälchen und Fettmetamorphose der Mark¬ 
substanz. Mikroskopisch waren Koagulationen 
zw ischen der Kapsel und den Schlingen, Blutungen, 
die erwähnte Fettmetamorphose und Cylinder in 
den geraden, sowie Trübung in den gewundenen 
Kanälen zu sehen. 

Dass Nephritis nach Salicylgebrauch wenig 
bekannt wurde, führt Verfasser auf ein starres 
Festhalten des Satzes, dass zu Nephritis Eiweiss 
ira Urin gehört, zurück. Verfasser w'arnt vor 
langem Gebrauch der Salicylpräparate, wendet 
sich dann zur Genese der Cylinder und bildet 
einen Cylinder ab, an dem ein Uebergang von 
der epithelialen zur homogenen Form zu sehen 
ist. Verfasser stellt auch die Entstehung von 
Vacuolen, sow-ie Konglonerate von Nieren- 
epithelicn, die in hyaline Massen eingebettet sind, 
sehr schön dar. Verfasser glaubt nicht, dass die 
Ausscheidung homogener Massen in der Zelle 
und die Umwandlung derselben in homogene 
Substanz von der Bildung der hyalinen Cylinder 
in den Kanälen, verschiedene Prozesse seien, 
da, falls die hyalinen Cylinder nur transsudiertem 
geronnenem Eiw'eiss ihren Ursprung verdankten, 
man doch im Salicylharne immer Eiweisss finden 
müsste in Gegenwart von Cylindem. 

Dass Cylindroide oberhalb der Blase entstehen 
können, beweist Verfasser dadurch, dass er den 
Ham direkt aus den Ureteren entnahm und dann 
Cylinder unter dem Mikroskope sah, wie auch 
Nierenepithelicn, die direkt cylindroidale Aus¬ 
läufer hatten, direkt in Cylindroide übergingen, 
und giebt Verfasser davon zwei Abbildungen, 
womit die Arbeit unter dem Hinweise, dass die 
exklusive Entstehung der Cylindroide durch 
Gerinnung aufzugeben sei, abschliesst. 

F. Blumenthal (Berlin). 

W. Büxeustein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 11 (Februar). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider und Prof. Dr. P. Jacob. 

Jährlich 12 Hefte Mk. 12.—. 

Vertag von Georg Thieme in Leipzig. 


INHALT. 


I. Original-Arbeiten. Seite 

I. Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme (mit besonderer Berücksichtigung der 
venerischen und Hautaffektionen). Beschreibung eines Präzisionsapparates »Hydro- 
thermoregulator« zur Erzeugung konstanter Wärme. Von Privatdozent Dr. Karl 

Ul 1 mann in Wien. Mit 3 Abbildungen.603 

II. Die klimatischen Kurorte. Vortrag gehalten in der Niederrhein. Gesellschaft für Natur- 

und Heilkunde in Bonn. Von Sanitätsrath Dr. W. Velten in Bonn.618 

III. Die Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. Von Sanitätsrath Dr. L. Fürst 

in Berlin. 623 

IV. Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer neuen Gährungs- 

technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger Methode 
hergestellte (Salus-)Fabrikat im besonderen. Von Dr. Wilhelm Bauermeister, 
Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig. (Schluss) 628 


II. Kritische Umschau. 

Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. Aus der 1. mediciniscben Universitäts¬ 
klinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Fritz 
Meyer, Assistent der Klinik.634 

IIL Berichte über Kongresse und Vereine. 

Bai neologische Kurse zu Baden-Baden vom 13. bis 21. Oktober 1902. Von Dr. Julian 


Marcuse in Mannheim.645 

IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Rubner, Ueber die Wirkung der Borsäure auf den Stoffwechsel des Menschen.648 

Prochownik, Ueber Ernährungskuren in der Schwangerschaft.648 

Ehrlich, Die Reinigung des Obstes vor dem Genüsse.648 

Neumann, Die Wirkung des Alkohols als Eiweisssparer.649 

Oppenheimer, Ueber Säuglingsernährung durch unverdünnte Milch.649 

Cohnheim, Die Umwandlung des Eiweisses durch die Darmwand.650 

Hensay, Ueber die Speichelverdauung der Kohlehydrate im Magen.650 

Heim, Die Behandlung der kroupösen Pneumonie im Kindesalter.650 

Zeitsohr. t dillt u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 11. 42 


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602 


Inhalt. 


B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 


Seite 


Jacob, Gymnastik.661 

Krikortz, Le massage.•.651 

Ekgren, Der Albumengehalt des Harnes der Nephridker unter dem Einfluss der Massage . 662 

Dagron, Le massage dans les maladies nerveuses.652 

Krause, Ersatz des gelähmten Quadriceps femoris durch die Flexoren des Unterschenkels . 653 


C. Hydro-, Balneo- and Klimatotherapie. 

Machtzum, Zur Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus.663 

Bier, Ueber praktische Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie.664 

Loimann, Ueber die lokale Anwendung von Kohlensäure bei Menstruationsstörungen . . 654 
Löwy, Ueber die therapeutische Anwendung erhitzten Kohlensäuregases.664 


D. Serum- und Organotherapie. 

Hirsch, Beitrag zur Organotherapie. Sperminum Poe hl.655 

Goebel, Zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit.655 

Müller, Heilung eines Falles von Tetanus nach Duralinfusion von Tetanusantitoxin ... 656 
Wood, The serura test for blood.656 

E. Verschiedenes. 

Börner’a Reichs-Medicinal-Kalender 1903 . 656 

Aerztliches Jahrbuch 1903 . 656 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3V2— 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn 
Prof. Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten, 


I. 


Zur Thermotberapie mittels konstanter Wärme 

(mit besonderer Berücksichtigung der venerischen und Hautaffektionen). 

Beschreibung eines Präzisionsapparates »Hydrothermoregulator < zur Erzeugung 

konstanter Wärme. 

Von 

Privatdozent Dr. Karl Ullmann 

in Wien*). 

Nirgends so sehr, als im Bereiche der Dermatologie und Syphilidologie ist in 
den letzten Jahren der Werth der physikalischen Heilmethoden gegenüber den ge¬ 
bräuchlichen chemischen Mitteln zur Anerkennung gelangt. Waren noch vor wenigen 
Jahren operativer Eingriff, die Behandlung mit Pflastern, Salben, Pulvern, medika¬ 
mentösem Spray und innere Medikation die hauptsächlichen Behelfe der Dermato- 
therapie, so kann man heute wohl schon sagen, dass für viele Affektionen nunmehr 
an deren Stelle und mit weit besserem Erfolge die physikalischen Heilmethoden 
getreten sind, so die Verwendung von Licht, X-Strahlen und, wie im folgenden gezeigt 
werden wird, auch die Wirkung lokaler Wärmeapplikationen. 

Und gerade das Territorium der Haut und der zugänglichen Schleimhäute er¬ 
scheint uns ganz besonders geeignet zur Applikation physikalischer Agentien. Diese 
letzteren haben gegenüber der medikamentösen Therapie, ähnlich wie operative Ein¬ 
griffe, den Vorzug der exakten Dosierbarkeit, und sie gewähren, richtig angewendet, 
auch sicheren Schutz vor üblen Nachwirkungen. Sie ermöglichen ein Lokalisiert¬ 
bleiben der beabsichtigten Heilwirkung, sie lassen es viel leichter vermeiden, während 
der Behandlung von Kranken von sogenannten ldiosynkrasieen unangenehm über¬ 
rascht zu werden. 

So ist bei zahlreichen Affektionen, wie Gelenkerkrankungen, chronisch entzünd¬ 
lichen Infiltrationszuständen, Acne indurata, Neuralgieen u. a. die Bedeutung der 
Anwendung von Wärmeprozeduren, bei anderen, z. B. Lupus, Psoriasis vulgaris, 
Eczema tyloticum und anderen Affektionen wieder der überlegene Werth der Licht- 
und Radiotherapie, also durchwegs physikalischer Agentien gegenüber allen bisher 
angewendeten Heilmethoden bis zur Ueberzeugung der objektiv Denkenden bereits 
dargethan worden, trotzdem die Erfahrungen mit diesen Agentien bei den verschiedenen 
Erkrankungen erst seit relativ kurzer Zeit datieren, bei anderen Affektionen noch sehr 
spärlich sind, wieder bei einzelnen anderen hierzu geradezu herausfordernden Leiden 
Versuche damit überhaupt noch nicht gemacht worden sind. 

Die Wichtigkeit der physikalischen Heilfaktoren für die gesammte Medicin, 
nicht nur für das obenerwähnte Spezialgebiet, erhellt am besten aus den praktischen 


*) Referat nach mehreren in verschiedenen öffentlichen Versammlungen gehaltenen Vorträgen 
und Demonstrationen. 


42* 


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604 Karl Ullmann 

Erfolgen und aus dem Schwergewicht, das in hervorragenden medicinischen Schulen 
wie in der unter Führung des Geheimrathes v. Leyden stehenden Berliner medicinischen 
Klinik auf dieselben schon seit Jahren gelegt wird, und ganz besonders gilt dies von 
der Thermotherapie, welcher Goldscheider 1 ), Bier»), Mendelsohn 3 ) u. a. auch 
wissenschaftliche Grundlage gegeben haben, und über die hier eingehender ge¬ 
sprochen werden soll. 

In früheren Jahren wurden thermische Reize nur insoweit zur Heilung von 
Affektionen verwendet, als dieselben durch hydrotherapeutische, balneologische 
Prozeduren, ganze oder lokale Bäder, Schlamm-, Fango-, Sandbäder und dergleichen 
verabreicht werden konnten. Und man kann schon mittels dieser mehr primi¬ 
tiven Prozeduren zweifellos mitunter bemerkenswerthe Resultate erzielen, so durch 
Dampfkompressen (Winternitz 4 )), heisse Umschläge (Quincke 5 ), Salomon«), 
Wilms 7 )), Irrigationen in der Gynäkologie (Skutsch 9 )), heisse Douchen (Arning*), 
Balzer 10 ), Goldscheider”) u. a.). Doch erweist sich diese historisch eingelebte 
Art der Therapie für eine Anzahl der hier in Betracht kommenden Affektionen er- 
fahrungsgemäss als nicht genügend wirksam und rationell, abgesehen davon, dass 
sich dieselben, z. B. Lokalbäder, Umschläge etc., an gewissen Lokalisationen gar 
nicht verwenden lassen. 

In dem letzten Jahrzehnt sind von verschiedenen Seiten, theils auf empirisch¬ 
klinischem, theils auf experimentellem Wege, Thatsachen zu Tage gefördert worden, 
welche beweisen, dass die Steigerung von Wärmereizen auf die Haut, sei es durch 
Prolongation der Wärmezufuhr, sei es durch Erhöhung der Temperatur bis nahe an 
die Grenze der Zellschädigung am Orte der Applikation in der Haut selbst oder in 
tiefer darunter liegenden Organen Veränderungen hervorruft, welche man als 
arterielle oder gemischte Hyperämie (Bier in Greifswald), oder schlechtweg 
als künstliche Hyperämie bezeichnet hat (Büchner”)), und welchen eigentlich nichts 
anderes zu Grunde liegt, als jene Gefässalterationen, wie sie ja vor vielen Jahren durch 
Cohnheira 13 ), Samuel 14 ), Stricker 15 ) und deren Schüler an Kalt- und Warmblütern 
studiert und beschrieben worden sind und die eigentlich die verschiedenen Anfangs¬ 
phasen der »Entzündung« darstellen. 

Die Thermotherapie im engeren Sinne des Wortes, d. h. soweit sie nicht einen 
Theil der Balneotherapie darstellt, und auch nicht als Kaustik zum Zwecke der 
Gewebszerstörung angewendet wird, sondern soweit sie dosierbare Wärmereize pure 
et simple, losgelöst von allen Neben- und Kombinationswirkungen benutzt, ist somit 
eigentlich nichts anderes, als die Setzung von verschiedenen Entzündungsphasen zur 
radikalen und methodischen Behandlung funktioneller Störungen und aller jener patho¬ 
logischen Veränderungen der Gewebe gröberer oder feinerer Natur, wie sie theils 
durch pathogene Mikroben, theils durch Stoffwechselanomalieen, auf traumatische 
oder unbekannte Ursachen hin, zur Entstehung gelangen. 

Aetiologische Momente ähnlicher Art sind es ja auch, aus welchen sich die 
grosse Reihe der venerischen und Hautaffektionen ableiten lassen, mit deren Be¬ 
handlung wir uns hier vornehmlich, wenn auch in kurz zusammenfassender Weise 
beschäftigen wollen. 

Die wichtigsten der bisher bekannten Methoden der praktischen Thermotherapie, 
welche für unsere Zwecke in Frage kommen, sind: einfache, trockene Wärmeanwendung 
(Thermophore, Thermophorkompressen), ferner die Benutzung heisserLuft, welche 
sowohl mittels der bekannten Heissluftkästen verschiedener Systeme (Bier, Taller- 
man 1fl ), Lindemann 17 ), Krause 13 ) u. a.) als auch in Form heisser Luftströme, Luft- 


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Zur Thermotherapie mittelB konstanter Wärme. 


605 


douchen, wie sie bisher durch Apparate von Vorstädter 19 ), Taylor« 0 ), Reich« 1 ), 
Max Herz«*) u. a. in Anwendung gebracht werden. Eine ähnliche Wirkung, wie die 
Heissluftdouchen, haben auch die von Audry* 8 ), Krösing* 4 ) und mehreren anderen 
empfohlenen Hitzebestrahlungen, bei denen die strahlende Wärme von glühenden 
Metallstäben ebenfalls Reaktionen schafft, welche im Sinne der künstlichen Hyperämi- 
sierung zur Geltung kommen und so dem gedachten Heilzwecke dienen. 

Auch feuchte Wärme in Form von heissen Umschlägen, Breiumschlägen, lokalen 
Schwitzbädern, Dampfdouchen oder heissen Lokalbädern wurden hierzu häufig ver¬ 
wendet, nur ist man bis jetzt noch auf Schwierigkeiten gestossen, eine gewisse Genauig¬ 
keit und Konstanz der Temperatur bei allen diesen Applikationen, insbesondere bei 
solchen auf längere Zeit berechneten, aufrecht zu erhalten. Gerade aber die Konstanz 
der Temperatur ist es, durch welche erfahrungsgemäss werthvolle therapeutische 
Effekte erzielt werden können, da man die dem Falle entsprechenden Maximal¬ 
temperaturen verwenden kann, ohne dass es zur Verbrennung kommt. 

In den letzten Jahren hat die Frankfurter Elektrizitätsgesellschaft nach dem 
Prinzipe Salaghi’s*®), durch Einschaltung rheostatartiger Widerstände in den 
elektrischen Stromkreis dosierbare, regulierbare warme Kompressen hergestellt. Ich 
habe auch diese zur Applikation feuchter warmer Kompressen zu verwenden gesucht, 
bin aber davon wieder abgekommen, weil: 

1. die angebliche Dosierbarkeit dieser Wärmezuleiter eine nur fictive, un¬ 
genügende ist, die selbst auf mehrere Grade hin ungenau bleibt und sich so für 
feinere Einstellungen (Ulcusbehandlung etc.) nicht eignet; 

2. die Applikation speziell feuchter Umschläge damit grossen Schwierigkeiten 
begegnet; 

3. die betreffenden, Drahtgeflechte darstellenden Thermoden überhaupt nur für 
.plane und grössere Körperflächen, weniger gut oder überhaupt nicht für kleine, ge¬ 
wölbte (Kopf-) und eingesunkene (Achselhöhle, Vagina, Rektum etc.) Körperregionen 
verwendbar sind; 

4. die Gesetze der Antisepsis bei Inanspruchnahme solcher Thermalkompressen 
nicht aufrecht zu erhalten sind. 

Wohl haben von diesem Gesichtspunkte verschiedene Forscher und Aerzte, so 
Professor Welander*®), mit ihm Dr. ßerlien* 1 ) (Stockholm) zur Behandlung von 
Ulcerationen, Professor Quincke* 8 ) (Kiel) für allgemein therapeutische Zwecke bereits 
in früheren Jahren Apparate konstruiert, welche es gestatten, trockene oder auch 
feuchte Wärme in beliebiger Temperatur und ziemlicher Konstanz zu liefern; doch 
sind die Apparate der genannten Forscher weder für die tägliche, noch für die Spitals¬ 
praxis völlig zweckentsprechend, wie ich an anderen Orten (1. c.) ausführlich dar- 
gethan, um es auch hier kurz zu sagen, theils wegen ihrer besonderen Kompliziert¬ 
heit und derNothwendigkeit einer eigenen Wasserleitung (ThermoregulatorWelander’s, 
Berlien’s), theils wieder wegen des Mangels der nöthigen Präzision zur längeren 
Beibehaltung konstanter Temperaturen (Quincke’s Cirkulationsofen zur Wärmung 
von Kataplasmen). 

Ich selbst habe an einem reichen Krankenmateriale der syphilitischen und 
chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Ed. Lang und des Herrn Primarius 
Dr. Frank im Wiener allgemeinen Krankenhause, und aus eigener Praxis mit 
mehreren dieser Apparate und Methoden vielfache, darunter auch vergleichende Ver¬ 
suche gemacht, und meine Erfahrungen hierüber zu wiederholten Malen und unter 
Demonstration des entsprechenden Krankenmateriales öffentlich kundgegeben. Auch bin 


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60t! Karl Ullmann 


ich in ähnlicher Weise, wie Professor Bier, der Wirkung verschiedenartiger Wärme- 
applikationen unter verschiedenen Versuchsbedingungen in Thierexperimenten näher 
getreten. Obwohl die ausführlichen Mittheilungen und Protokolle über diese letzten 
Versuche erst nach Abschluss derselben veröffentlicht werden sollen, habe ich doch 
einiger sich aus diesen und aus den Versuchen anderer Autoren bereits ergebender 
Thatsachen Erwähnung gethan. 

Das Zusammenhalten der klinischen Erfahrungen mit den Resultaten der er¬ 
wähnten Thierversuche führt unter anderen zu folgenden Sätzen: 

1. Die lokale Einwirkung hoher Temperaturen, also der Hitzegrade von etwa 
38—46« C, sowohl in Form der trockenen, als der feuchten Wärme auf die mensch¬ 
liche Haut, beziehungsweise die Schleimhaut bewirkt eine schon mechanisch wirk¬ 
same flexionäre Hyperämie, welche in beliebiger Weise einerseits bis zur Oedembildung 
und hämorrhagischen Entzündung gesteigert, andrerseits durch Prolongierung der An¬ 
wendung zu einer chronischen Hyperämie gebracht werden kann. 

2. Unter dieser Hyperämie vollziehen sich gewisse physiologische Effekte, 
durch deren Steigerung weiterhin auch Theilwirkungen auf krankhafte Gewebe aus¬ 
geübt werden, und zwar vornehmlich im Sinne einer Lockerung und Resorption 
fixer und flüssiger Exsudationsbestandtheile. 

3. Weiterhin intensive chemische lokale Umsetzungen, z. B. Oxydationsprozesse, 
welche durch das bei der Hyperämie erfolgende raschere und reichlichere Zuströmen 
sauerstoffhaltigen Blutes in die betreffenden Gewebe, zu stände kommen. Auf die¬ 
selben Vorgänge müssen wir auch wohl die Tötung und Abschwächung (Avirulisierung) 
gewisser pathogener Bakterien zurückführen, wie letztere unter Zufuhr konstanter 
Wärme in den betreffenden Gewebsabschnitten bereits nachgewiesen wurde. 

4. Auch dem während dieser Prozesse entstehenden künstlichen Oedem ist 
höchstwahrscheinlich eine gewisse chemische Wirkung im Sinne einer Art von Auto¬ 
serotherapie zuzuschreiben. 

5. Die Blutgefässe werden hauptsächlich im durchwärmten Gebiete, aber auch 
reflektorisch, durch den Wärmereiz in abseits liegenden kollateralen bezw. regionären 
Gebieten zur Erweiterung gebracht, und dadurch wird eine Aenderung des lokalen, 
wie sogar des gesammten Stoffwechsels herbeigeführt 

6. Experimentell sehr wahrscheinlich gemacht (Lassar*»), Kowalski»*»)) ist 
eine analog wie bei den Blutgefässen so auch bei den Lymphgefässen stattfindende 
Beeinflussung im Sinne einer Wanderweiterung durch intensive und prolongierte 
Wärmezufuhr. 

7. Die hier angeführten physiologischen Vorgänge können unter entsprechender 
Variation der angewendeten Temperaturgrade und Zeitdauer durch die verschiedensten 
Arten von Wärmeanwendungen zu stände kommen. 

Schon aus dieser kurzen Aufzählung und Zusammenfassung wichtiger, durch 
verschiedene Forscher mehr oder weniger sichergestellten Thatsachen erhellt es wohl 
zur Genüge, wie sehr rationell betriebene Wärmeanwendungen geeignet sind, die 
Bedingungen zur Einleitung und Durchführung einer rationellen physikalischen Lokal¬ 
therapie zu erfüllen. 

Unter den verschiedenen im Vorstehenden angeführten Methoden der Wärme- 
applikation zu therapeutischen Zwecken sind einzelne, bei denen mehr die Reiz¬ 
wirkung der Temperaturdifferenz, andere, bei denen die Temperaturerhöhung 
selbst infolge fortgesetzter Wärmezufuhr das vorwiegend wirksame Agens darstellt. 
Wieder bei anderen Wärmcapplikationen sind diese beiden Arten von Wirkungen in 


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Zur Tbermothorapio mittels konstanter Wärme. 607 

mannigfacher Kombination unter einander oder mit anderen physikalischen Agentien 
(Massage, Elektrisation etc.) thätig. 

Eine relativ grosse Reizwirkung kommt beispielsweise den Heissluftdouchen, 
Dampfdouchen, schottischen Strahldouchen, den heissen Begiessungen, Irrigationen 
etc. zu. 

Verhältnissmässig geringe Reizwirkung übt hingegen die Applikation konstanter 
Wärme in Form von Lichtbädern, Schwitzkästen, heissen Umschlägen, Dunst- und 
Breiumschlägen etc. aus, zumal, wenn das betreffende Wärmeverfahren rationell 
durchgeführt wird. 

Beiläufig in der Mitte zwischen den eben genannten Arten von Wärme¬ 
applikationen steht die Methode der Wärmezufuhr mittels sog. Heissluftkästen nach 
Bier, Tallerman u. a., bei denen stets mehr oder weniger der Reiz von Luft¬ 
strömungen, strahlender Wärme neben der konstanten Wärme wirksam ist. 

Ob nun im konkreten Krankheitsfalle die eine oder die andere Methode der 
Wärmeapplikation zur Anwendung gelangen soll, dürfte nicht nur nach Maassgabe 
der verschiedenen erforderlichen oder indizierten physikalischen Effekte, sondern 
gewiss oft auch durch äussere Umstände bedingt werden. 

So ist es ja zunächst von vornherein klar, dass sehr reizbare und vulnerable 
Körper- resp. Hautpartieen eine weniger reizende und, was die Höhe der Temperatur 
betrifft, möglichst exakt dosierbare Wärmeapplikation erheischen. 

Weiterhin aber, dass auch bestimmte Oertlichkeiten der Erkrankungen, z. B. ver¬ 
steckter Sitz derselben in Körperhöhlen, so im Rektum, Vagina, Urethra, Achselhöhle, 
auch wohl Lokalisationen an heikein Regionen im Gesicht, am oder im Auge, am Ohr 
oder im äusseren Gehörgang, in der Nasenhöhle, die besonders reizenden Wärmeproze¬ 
duren ausschliessen und nur die Applikation von Wärmeleitungskörpern mit sehr 
geringem Volumen und sehr präziser Dosierbarkeit gestatten, wenn überhaupt das 
Wärme verfahren keine Beschwerlichkeit oder selbst Schädigung für den Patienten 
nach sich ziehen und so Anspruch auf allgemeine Anwendbarkeit erheben können soll. 

In einzelnen Fällen der letzten Gruppe können wohl auch vielleicht kurz 
dauernde Heissluftdouchen, heisse Kohlensäuredouchen etc. Anwendung finden, doch 
ist die Wirkung der letzteren eine eminent reizende und im Verhältniss zur Appli¬ 
kation, z. B. konstanter Wärme, welche ja durch viele Stunden und Tage angewendet 
werden kann, eine verschwindend geringe. 

Aus dem Gesagten folgt, dass bespielsweise die für Behandlung von 
gonorrhoischen, syphilitischen und rheumatischen Gelenkaffektionen so vielfach 
benutzten Heissluftkästen, die ich ja selbst in meinem erst zitierten Vortrage für 
die Behandlung gewisser Affektionen angelegentlichst empfohlen habe, zunächst 
schon für alle diese früher genannten delikaten Behandlungen, und zwar aus tech¬ 
nischen Gründen, nicht verwerthbar sind. Selbst der von mir (1. c.) angegebene 
Heissluftkorb zur Behandlung von Affektionen am Genitale, Ulcera venerea, 
Epididymitis etc., den ich schon 1899 auf dem Pariser Kongresse demonstriert habe, 
leidet an dem Nachtheile, 

1. dass die Antisepsis eines solchen für viele Patienten zu benutzenden, aus 
Filz und Tuchstoff verfertigten Apparates nicht einwandfrei durchzuführen ist; 

2. dass die Möglichkeit des Entstehens von Brandwunden bei nicht genügender 
Ueberwachung gerade am Genitale leicht gegeben ist; 

3. dass bei der Behandlung gewisser Affektionen, beispielsweise der Epididymitis 
oder Orchitis acuta, in solchen Kästen durch das längere Herabhängen des durcli 


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608 Karl Ullmann 

kein Suspensorium gestützten Scrotums Schmerz und Stauungserscheinungen ent¬ 
stehen, welche dem gewünschten Nutzeffekt entgegenwirken und denselben mitunter 
geradezu illusorisch machen. 

Für manche der oben genannten heiklen Partieen der Körperoberfläche sind 
Heissluftapparate überhaupt nicht anwendbar, und würde auch nur die Herstellung, 
die Instandhaltung und Aufbewahrung aller solcher Apparate selbst für eigene 
Anstalten, natürlich noch mehr für den einzelnen praktischen Arzt oder Spezialisten, 
unverhältnissmässig und ungerechtfertigt grosse materielle Opfer erlteischen. 

Alle diese Momente sprechen also für die Nothwendigkeit, in der Praxis über 
ein bequemes Verfahren der Wärmeapplikation verfügen zu können, das allen diesen 
Anforderungen Genüge leistet, und das bisher mangels eines passend konstruierten 
Wärme spendenden Apparates nicht vorhanden war. 

Es ist mir nun gelungen, einen Apparat für diese Zwecke zu konstruieren, 
der, wie mich die nun schon durch längere Zeit gewonnenen Erfahrungen überzeugt 
haben, thatsächlich ziemlich allen diesen Anforderungen entspricht. 

Ich habe diesen Apparat bereits in der Sitzung vom 4. Dezember 1901 in der 
gynäkologischen, ferner in der vom 13. Januar 1902 in der dermatologischen und 
in der Sitzung vom 4. April 1902 in der K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien, 
auf dem dritten wissenschaftlichen Kongresse des Centralverbandes der Balneologen 
Oesterreichs, 21.—25. März 1902, ausserdem in einzelnen anderen ärztlichen Vereinen 
öffentlich, zuletzt auf dem 73. Kongress deutscher Naturforscher in Karlsbad 1902 
demonstriert und bei einigen dieser Gelegenheiten auch eine Reihe von Kranken, 
die mittels dieses Verfahrens behandelt und geheilt wurden, vorgestellt. 

Indem ich auf die diesbezüglichen Sitzungsprotokolle verweise, begnüge ich 
mich damit, an dieser Stelle bloss in Kurzem das Prinzip des Apparates zu 
resümieren sowie die wichtigsten Indikationen zu dessen Verwendung mitzutheilen. 

Der Apparat, den ich Hydrothermoregulator nenne, weil er auf demselben 
hydraulischen Prinzip fusst, das auch schon früher in mehr oder weniger primitiver 
Weise zur Konstruktion ähnlicher Apparate (Leiter 31 ), Quincke, Kraus 32 )) an¬ 
gewendet wurde, benutzt einen cirkulierenden, warmen resp. auch eiskalten Wasser¬ 
strom als Wärmequelle. Er besteht im wesentlichen aus einem Röhrensystem, 
welches an einer Stelle zu einem Wärmegefäss kesselartig erweitert ist und an der¬ 
selben Stelle auch durch eine automatisch sich regulierende Flamme bezw. durch 
Elektrizität (elektrische Widerstände in der Kesselwand) erwärmt und auch auf der 
beliebig zu wählenden Temperatur konstant erhalten wird. 

Von dem höchsten Punkte der Seitenwand dieses Wärmegefässes (siehe 
Fig. 76) führt ein Rohr nach abwärts zum Krankenbett, wo der heisse Wasser¬ 
strom durch beliebig eingeschaltete Thermokörper, Thermoden — ich wählte diesen 
Ausdruck nach Analogie mit Elektroden — fliesst, dieselben erwärmt und je nach 
der Oberflächenausdehnung der zu behandelnden Stellen verschieden grosse Wärme- 
respektive Kältemengen abgiebt. Vom Kranken aus wird das Wasser nun wieder 
durch ein rückläufiges Röhrensystem in den Apparat zurückgeleitet, d. h. zurück¬ 
gepumpt oder nach Umlegung eines Komutators in entgegengesetzter Richtung 
zurückgesaugt. 

Um nämlich den durch die Niveaudifferenzen entstehenden hydrostatischen Druck 
sowie auch den gesammten Widerstand, den die ganze Wassersäule bei ihrer fort¬ 
währenden Bewegung im Röhrensystem, insbesondere innerhalb der mitunter ganz 
eng kalibrierten Thermoden selbst findet, zu überwinden, habe ich die Kraft eines 


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Zur Thp4iutither$fl>k» mitttd» totigOßittf WSmu- 


die äussere 


kleinen Motors*) in den Strom uuii zwar derart eingeschaltet-/ da?: 
St.erapolstange, weiche unf und ab getrieben wird, an einer Stelle des rückläufige» 
Kidnensptems dieses letztere durchbohrt, und so durch den Hub eine theils saugende, 
theils treibende Wirkung auf den Wasserstrnm im Sinne der Fortbewegung desselben 
ausübt .Durch diese Kraft ist es weiterhin auch möglich, bei entspreclrfmler 


flvilrOtliermüregulsitor mit einfapjiem Deppelticiilsw-Ii und ibfgewd<a|o*v 
BktirolirtheniuxU' für Gäsbetricb 


graden ist nur die Eiskalte .■ möglich, zu welchen* Zwecke <«>e Wävmeflaromc 
abgedreht, hißgegeit der Deckel des Ueservoir* abgehoben und moe Fisstücke in 
den Apparat gegeben werden, bis zu deren völligem Zers* hmeizen eine, dem Gefrier¬ 
punkt »nhs Tetupetatur U» ganzen Rdhrcnsystom herrscht. 'Von den Wärmegraden 
ist es mdylii'i]. Jeden beliebigen bis i#. Siedetemperatur konstant. boizubehaUcn. 


'*’i i*e k.'Uiu dirs srlbt>tverat?.ndlicli jede Art vou Motor. R’i.'.kc?o»*li'tgj>» »1* tMzh'ö'de tot 
«sijpg, ife jpjuft iüVtov, Ofei Vorbamk'iisei« v# jrdpkti;is<ri>t>it* Cdemhdroiit -oder .Wptiaekteurt''di«. 
rnw|»rcelM-ndor Elektromotor sein- Boi 4?»' .Ajisetinl'ftißü dc#.Api»arat«.*s ist do*Mh V(li- A n.cd.- 
öbfcr 'ilie .An; der vcifilgUiii;* 11 Hetzkucile für den Mutov.uöiJHg, ’’ ■ ’ ' ,y : 












610 Karl UUmann 


In praxi kommen einerseits nur die Eiskälte für Psychrotherapie, für Warm¬ 
behandlungen vorzüglich die Temperaturen von 36 bis in maximo 50 ° C in Betracht. 

Durch zwei bis drei in den Strom eingeschaltete und an passender Stelle des 
Apparates angebrachte Thermometer ist man jederzeit in der Lage, die jeweilige 
Temperatur resp. Wärmeabgabe des cirkulierenden Wasserstromes in beliebigen 
Punkten des Röhrensystems abzulesen und sich so über die jeweilige Temperatur 
an der Oberfläche der zu behandelnden Partieen in präzisester Weise zu informieren. 
Die Konstanz der Temperatur bei Applikation von höheren Wärmegraden wird 
durch einen in dem oben genannten Wärmereservoir in passender Weise eingefügten, 
aber modifizierten und zwar aus Metall gefertigten Thermoregulators nach dem 
Prinzipe von Meyer-Soxhlet ermöglicht. 

Die Verwendbarkeit des Verfahrens für den Gebrauch in Anstalten und Privat¬ 
wohnungen ist seit der Adaptierung des Hydrothermoregulators für elektrischen 
Betrieb des Motors, zugleich aber auch für elektrische Reizung und Regulierung 
natürlich beträchtlich vermehrt worden. Mit dieser technischen Vervollkommnung 
ist auch die Möglichkeit gegeben, Operationstische, Couveusen, Betteinlagen dauernd, 
nach Belieben erwärmt zu erhalten, da die Triebkraft der elektrisch betriebenen 
Apparate eine weit stärkere und zu allen diesen Zwecken ausreichende ist Ich habe 
einen derartigen durchaus auf elektrischem Wege betriebenen Apparat bereits auf 
dem letzten Naturforschertag 1902 in Karlsbad demonstriert 

So gestaltet sich dieser Apparat nicht nur vom theoretischen, sondern auch 
vom praktischen Standpunkt zu einem Präzisionsapparat für Thermotherapie 
für alle Zweige der praktischen Medizin, der sowohl an Kliniken wie im Hause 
bequem zu verwerthen ist 

Mit Hilfe des Hydrothermoregulators und entsprechend formierter, theil starr- 
wandiger, röhren- oder plattenförmiger, aber auch aus Weichgummi hergestellter, 
elastisch dehnbarer Thermoden ist es nun möglich, jeder Körperregion in 
örtlich beliebig scharf begrenzbarer Weise dauernd konstante Wärme zuzuführen. 

Mit Hilfe dieser einfachen Vorrichtungen ist es auch leicht möglich, die Wärme¬ 
applikation als Präzisionsverfahren an jedem Krankenbette zu installieren. Er¬ 
forderlich hierzu ist bloss eine Gasleitung resp. jeder elektrische Strassenstrom 
(Wechsel- und Gleichstrom), alles Uebrige an Nebenapparaten sowie der Apparat selbst 
ist leicht transportabel und in wenigen Minuten in Bereitschaft und Betrieb zu setzen. 

Die Erfahrungen, die ich mit Hilfe dieses Verfahrens an Kranken selbst 
gewonnen, erstrecken sich auf dermatologischem und dessen Grenzgebieten, haupt¬ 
sächlich auf die abortive Behandlung des Ulcus venereum, der Arthritis 
gonorrhoica und syphilitica verschiedener Stadien, darunter auch auf recentere 
Ankylosenbildungen, auf syphilitische Knochen- und Gelenksaffektionen, auf die Be¬ 
handlung der Epididymitis und Funiculitis gonorrhoica, seröser und 
blutiger, auch traumatischer Ergüsse in die Scheidenhaut des Hodens und 
Samenstranges, ferner auf Behandlung von Periostitis und Ostitis verschiedenen 
Ursprungs, traumatischen Distorsionen, Gewebshämorrhagien, endlich auf 
Fälle von Prostatitis follicularis und diffusa. 

Diese Affektionen konnten meist in relativ sehr kurzer Zeit (gegenüber anderen 
gebräuchlichen Behandlungsmethoden) der Besserung beziehungsweise der Heilung 
zugeführt werden und dies regelmässig unter ausgesprochener Euphorie der Kranken. 

Auch einzelne Dermatosen im Gesicht, so die überaus hartnäckige Acne 
indurata faciei auf anämischer Grundlage, Furunculosis, Dermatitis 


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?;or Xherratitii 


nnd Tricliopkitia capillitii im»! Andere, xut» Titelte infektiöse Prozess?, die 
mit chronischer EntztoduutJ einhergehe-n zur Eiterung tendieren, Hessen sich 
mittels dieses Wiirmeverfalireus in erfolgreicher Weise beeinflussen. Itez «glich der 
Abortmhewtpte des Ulcus venereum koniHe» mit Hilfe des ffydrothennoregulators 
il3ß glänzenden Erfolge, die Wal ander schon seit mehreren Jahren mittels kon- 
WÖffltö" Wärme erzielt, hat 


umfassender Weise bestätigt- werden Es gelingt. 


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IlvilrotbonDürBgulator in der Praxis, mit SrlmrageMu^ 
Beschadigmig^n, Htanb eie. rersehem. 


diesen sjritiSfi&sb meist, ..bläuen 48 Stunden, mitunter sogar .nöc-b 

rascher, zn koujiieim und dm 'Geschwüre:: in eine reine granulierende Wunde zu 
verwandeln. IJiese Ikohechlutig habe ich bisher schon an zahlreichen Fällen aus 
der Ab'flfnHBHg des Herrn i!risöiirhntes v l?rbfesst)r E.. Lang und an Kranken, in eigener 
Praxis, die ich. «» diesem /'wecke -in .vfitm-biede'itön Sanatorien aber auch. in deren Haus 
behandelt habe, machen können. Die 'abortive Wirkung'dev Wärme ist in solchen 
Fällen jedoch nur insoweit eine absolut .verlässliche, als es auch gelingt, die ganze 
Fläche des Ulcus trmukgen und dem Win aievertahreii; aumtsetze«. Manchmal. /.. Ii, 
hoi <iu 'der' Ukcrn im jdimtte tallieit Vorlm« backe. sind; iicnifeiibijrtrhvüd.. York* 




612 


Karl Ullmann 

kleine chirurgische Yoroperationen, Spaltungen, Freilegungen etc. nothwendig. Bei 
der Epididymitis ist die konstante Wärmebehandlung geeignet und geradezu berufen, 
manche älteren Behandlungsmethoden mittels Salben und Umschlägen, ganz besonders 
aber das früher und auch jetzt noch häufig angewendete Verfahren der kon¬ 
tinuierlichen Kälteapplikationen auf das Scrotum zu ersetzen. Gegenüber dieser 
letzteren, welche ich trotz einer gewissen nicht zu leugnenden Bequemlichkeit und 
Annehmlichkeit für den Patienten als nicht ganz einwandfrei betrachte, da meinen 
Erfahrungen entsprechend gerade unter dem Einflüsse der kontinuierlichen Kälte¬ 
wirkung jene bekannten harten Bindegewebsverdickungen an der Grenze zwischen 
Nebenhoden und Samenstrang zu entstehen pflegen, welche zumal bei beiderseitigem 
Befallensein für die Potentia generandi nicht gleichgiltig sind, aber auch durch 
die lange bleibende Empfindlichkeit, durch die Neigung zur Tuberkulinisation und 
auch durch psychische Belästigungen Schaden bringen, hat die Wärmebehandlung, 
besser gesagt Hitzebehandlung,'gewisse Yortheile ergeben. 

Unter den 24 älteren Fällen und weiteren 12 Fällen recenter Stadien*) der 
Epididymitis gonorrhoica konnte ich derartige nennenswerthe Residualinfiltrate, wie ich 
sie eben erwähnt, nicht beobachten, ja im Gegentheil ist es mir wiederholt gelungen, 
derartige schon bestehende Infiltrationen verschiedenster Dauer ihres Bestandes in 
auffallend kurzer Zeit und dabei in einer für die Kranken höchst angenehmen 
Weise zur Verkleinerung bezw. zum Verschwinden zu bringen. Diese Thatsacbe 
bildet an sich wohl einen Beweis für die Tiefenwirkung der konstanten Wärme. 

Bei der Behandlung der Epididymitis, sowie anderer entzündlicher Affektionen 
überhaupt ist die Erzielung einer gewissen Reaktion, Röthung, Schwellung durch 
allmähliches Steigen der Temperatur nothwendig. Bemerkenswerth ist die Euphorie 
der Kranken bei dieser Behandlung, selbst während der mehr akuten Stadien der 
genannten Affektionen. Die Behandlungsdauer, bezw. der Spitalsaufenthalt solcher 
Kranken wird beim Ulcus venereum, bei Gelenksprozessen und der Epididymitis 
aller Grade wesentlich, ja bis weit über die Hälfte der unter anderen Behandlungs¬ 
methoden zu beobachtenden Zeitdauer herabgedrückt, und verdient dieses Verfahren 
demgemäss die Einführung in die Spitäler. Diese Thatsachen haben bei der Häufig¬ 
keit des Vorkommens solcher Affektionen (Ulcus, Arthritis, Epididymitis) eine her¬ 
vorragende, nosokomiale Bedeutung. Die guten Erfolge in der dermatologischen 
Praxis, sowie die zuerst von Prof. Bier experimentell festgestellten Thatsachen der 
reflektorischen Tiefenwirkung der Wärme sind ausserdem geeignet, konstante Wärme 
auch zur Behandlung schwerer und ausgedehnter exsudativer Entzündungen im Be¬ 
reiche des Abdomens und Thorax, so in der internen Praxis bei manchen Fällen 
exsudativer Peritonitis, Perityphlitis, Pleuritis, in der Gynäkologie, hauptsächlich 
auf dem Gebiete der gonorrhoischen Perimetritis und zwar schon im Interesse 
der Schmerzstillung aber auch behufs Beschleunigung des natürlichen Resorptions¬ 
prozesses heranzuziehen,wie dies ja bereits J a c o b i»»), G o 1 d s ch e i d e r, Jaco b und noch 
andere Autoren mit Hilfe anderer technischer Mittel in erfolgreicher Weise bewerkstelligt 
haben. Die direkte bakterizide Tiefenwirkung konstanter Wärme, hoher Temperaturen 
innerhalb lebender Gewebe der Haut und selbst der Schleimhaut erstreckt sich wohl 
nur auf eine relativ geringe Tiefe (Welander), hingegen ist die Hauptwirkung als eine 
auf reflektorischem Wege im Bereiche der Gefässnerven sich fortpflanzende anzusehen, 


*) Audi bei weiteren Fällen dieser Art, die seit Abschluss dieser Arbeit im Frühjahre 1002 
in meine Behandlung kamen, hatte ich Gelegenheit, dieselbe Beobachtung zu machen. 


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Zur Therraotherapie mittele konstanter Wärme. 613 

wie dies aus zahlreichen Feststellungen verschiedener Autoren, sowie auch aus meinen 
eigenen hervorgeht. Es ist vornehmlich das cirkulierende Blut, welches eine Durch¬ 
wärmung des lebenden Gewebes bis auf beträchtlich höhere (als die Körpertempe¬ 
ratur) Temperaturen und insbesondere in beträchtliche Tiefen hinein verhindert und 
durch die Absorption der zugeführten Wärmemengen die Temperatur der Gewebe 
nicht zu einer solchen Erhebung über die Bluttemperatur gelangen lässt, die noth- 
wendig wäre, um dadurch auch in der Tiefe eine bakterizide Wirkung hervorzurufen. 
Die Thatsache hat sich mir unter anderem bei Durchwärmung der Prostata vom 
Mastdarm aus und bei gleichzeitiger Messung der Temperatur von der Urethra aus 
deutlich gezeigt. Die höchste Temperaturdifferenz vom Beginn bis zur Höhe der 
Durchwärmung bei maximalen vom Rektum aus angewendeten Temperaturen (44 bis 
45° C) betrug in einem Falle nur 2,2», die höchst erzielbare Temperatur in der 
Pars posterior urethrae überhaupt in demselben Falle 39« C, in mehreren anderen 
Fällen war sie noch geringer und erhob sich nur wenige Zehntelgrade über die Blut¬ 
temperatur. Ich bin auch geneigt, die geringe Erhöhung der Temperatur weniger 
auf die Dickenausdehnung der Organe, hier des zu durchwärmenden Prostatagewebes, 
als vielmehr auf die Menge des diese Gewebe durchströmenden Blutes zurückzuführen. 
Durch dauernde Kompression (Zusammendrücken beider Metallinstrumente) der Mast- 
darmtbermode und des katheterförmig gekrümmten, eigens hierzu angefertigten 
Thermometers, konnte beispielsweise die Harnröhrentemperatur noch etwas (um 0,2 0 C) 
erhöht werden. 

Bezüglich der Technik des Verfahrens ist hervorzuheben, dass es sich vor¬ 
wiegend um die Applikation feuchter Wärme handelt, wobei das Feuchtbleiben 
der Haut nach Welander durch viele Stunden am einfachsten und zweckmässigsten 
durch eine Zwischenlage feuchter Watte zwischen Thermode und Haut und über die 
Thermode noch eine Lage impermeablen Stoffes mit einigen Bindezügen fixiert, er¬ 
reicht wird. Oefteres Befeuchten bei längerer, auf viele Stunden oder über eine 
Nacht sich hinziehende Behandlung ist selbstverständlich nothwendig. Die Anwendung 
trockener Wärme hat sich mir als weit mehr reizend, leichter blasenziehend und 
oberflächlicher wirkend erwiesen und ist ausserdem auch von geringerer Wirkung 
geblieben. Sie empfiehlt sich noch am besten bei neuralgieformen Zuständen, wo 
sie unter besonderer Vorsicht angewendet und auf 40° in maximo gesteigert werden 
kann. Bei Anwendung feuchter Wärme lässt sich die Temperatur der Haut stunden- 
bis tagelang weit höher beibehalten als bei trockenerWärme. Auf der Genital- und 
Gesichtshaut konnte ich Temperaturen bis 42» C, auf der behaarten Kopfhaut bis 
44» C, auf den Schleimhäuten der Vagina und des Rektums 45 0 C ohne jeden Schaden 
viele Stunden lang anwenden. Die Behandlung mittels konstanter Wärme erfordert 
ausser dem Hydrothermoregulator als Wärmeerzeugungsapparat nur noch eine Reihe 
von Thermoden (Wärmezuleitungskörper), die theils aus Bleiröhren, theils Weichgummi¬ 
röhren oder Gummiblasen bestehen und um weniges Geld leicht zu beschaffen sind *). 

Empfehlenswerth und als wesentlicher Fortschritt gegenüber den weniger wirk¬ 
samen und bequemen Heissluftkasten, Heissluftdouchen etc. ist die Methode der 
konstanten Wärmeapplikation mit Hilfe des Hydrothermoregulators nach meinen 
bisherigen Erfahrungen ganz besonders bei folgenden Erkrankungen: 

*) Die metallenen Thermoden hat mir bis jetzt die Firma J. Leiter, Wien IX, Mariannen¬ 
gasse 11, die aus Weichgummi die Vereinigten Fabriken vormals Reithofer in Harburg-Wimpassing 
N. Oe., ebenfalls durch J. Leiter beziehbar, geliefert. — Der Hydrothermoregulator selbst wird 
von der Firma J. Rohrbcck’s Nachfolger, Wien, Kämthnerstr. 59, angefertigt. 


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Karl Ullmann 


614 


1. Bei der grossen Gruppe aller schmerzhaften, dem Kranken am Gehen und 
sonstiger Bewegung hindernden Affektionen überhaupt. Es gilt dies auch von 
Gelenkerkrankungen mehr akuter Natur. 

2. Infektiöse und fortschreitende Entzündungen, insbesondere venerische 
Ulcerationen, aber auck kokkogene, z. B. furunkulöse, phlegmonöse, erysipela- 
töse Prozesse. Für diese letztere scheint die Wärme, rechtzeitig und richtig an¬ 
gewendet, manchmal geradezu abortiv zu wirken. 

3. Das Gebiet der Epididymitis, Funiculitis, Spermatocystitis und 
Prostatitis gonorrhoica aller Stadien. 

4. Verschiedenartige Abscesse, ganz besonders torpide Infiltrationen, z. B. Acne 
anaemica, Follikulitis schwerer Form, z. B. schwere Formen von medikamentösen 
Ausschlägen (Bromacne), Trichophytie, vielleicht noch andere mykotische Er¬ 
krankungen der Kopfhaut. 

Ich hatte wohl noch nicht genügend Zeit und Gelegenheit, über alle diese 
Affektionen ausreichende Erfahrungen zu sammeln. Bei der Trichophytia capillitii 
genügte nach einer bereits von mir an einer kleinen Patientin gemachten Erfahrung 
schon eine 2—3 tägige, allerdings nahezu kontinuierliche, nur von kleinen Pausen zur 
Erholung der Patientin unterbrochene Wärmebehandlung der gesammten, von der 
Mykose ergriffenen Partieen des behaarten Kopfes, und zwar bei Temperaturen von 
42—44° C unter der Wärmehaube an der Haut über dem nicht geschorenen Kopf¬ 
haar gemessen, um die Pilze abzutöten, die dann nur noch mechanisch durch 
Waschungen mit Seifenspiritus etc. abgestossen zu werden brauchten. — Es scheint, 
dass diese Methode die gewiss nicht gleichgültige Epilation des gesammten Kopf¬ 
haares bei den mit hartnäckiger Trichophytie behafteten Kindern, zumal Mädchen 
durch Röntgenbestrahlung überflüssig machen wird. 

Für die Behandlung des Favus scheint das Wärmeverfahren hingegen nicht 
auszureichen, da der Favuspilz selbst bei durch längere Zeit applizierten Tempe¬ 
raturen von 44° C, welche von der Haut eben noch durch längere Zeit ohne 
Schädigung vertragen werden, nicht völlig abgetötet wird. Wohl aber wird dadurch 
seine Virulenz verringert und es wäre dann vielleicht auch möglich im Sinne 
Zinsser’s 34 ) und Welander’s 32 ), die durch eine kontinuierliche Wärmeapplikation 
von 44 °C in ihrer Resistenz geschwächten Favuspilze ohne radikale Epilation, aber bei 
nachheriger Anwendung der sonst gebräuchlichen antiseptischen Mittel, wie Schwefel¬ 
präparate, schwefelige Säure, Calciumbisulfit etc. gänzlich abzutöten. 

5. Ausser auf dem dermatologischen Gebiete sind es, wie schon früher hervor¬ 
gehoben wurde, noch verschiedene akute, sowie chronische exsudative Prozesse, so 
manche Formen von cirkumskripter Peritonitis, Perityphlitis, Pleuritis, Peri¬ 
karditis, die vielleicht durch reflektorische Gefässerweiterung infolge der in un¬ 
mittelbarer Nachbarschaft etablierten Wärmeapplikation im Sinne einer raschen 
Resorption der gesetzten Exsudate günstig beeinflusst werden können. 

6. Dasselbe gilt für eine ganze Reihe von neuralgieformen Zuständen selbst 
schwerster Art, mit Ausnahme der durch Malaria hervorgerufenen. Das Temperatur¬ 
optimum für derlei Affektionen beträgt 39—41 0 an der Haut gemessen. 

7. Für die Behandlung der Para- und Perimetritis gonorrhoica. Zu diesem 
Zwecke werden längere Zeit hindurch mehrere Stunden täglich Applikationen von 
kolpeuryntherförmigen Vaginalthermoden gemacht, auch gleichzeitig oder abwechselnd 
über der Unterbauchgegend gelegte Metallplatten appliziert, endlich (bei retro-uterinen 
Exsudationen) können auch vom Rektum aus eingeführte Blasen mit Vortheil verwendet 


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Zat I’horWdtberipM' mittel* konstanter Wärme 


werden. Es wäre das Verfahren selbstverständlich auch hei Epudahionsprodttkten 
nicht spezifischer Art am «4#r- m weiblichen Genitale zu Versuches. Als Temperaturen 
können in der 'Vagina oder iitt Rektum gemessen diejenigen ton 4ö ft C, steigend bis 
44-' € gewählt mul je nach der Art, Chronizität der Fälle, der Affektioneu und der 
subjektiven EmjdjndHrhkeit variiert werden. 

Ich habe bereits in einigen wenigen Fällen im VereiM mit anderen gyta'lknltsgischßn 
Fachkollege» unter dem Einflüsse derartiger Anwendungen bemetkeimvertho. Var(heile 
inv Sinne der Schmerzstillong mid raschen ResörptiaB iflterer Edikte ringsubi den 
Uterus, andrerseits niemste Nachtiteile von diesem Wämetrerfhbren gesehen. 


Auch bei der Behandlung von Augenaffdktionen, sowohl im Bereiche des 
Ivoujuüktivalsackes (torpide Katarrhe, tJicorationefth ganz besonders- aber bei Iritis, 
Cykliüs. Glaukom etc. dürften, sich durch ein derartiges, genau prüzisierbares und 
dosierbares Whrmevfiriähren betr ädhiiicke therapeutische Föftsch ritte etVebenk' JÖxö 
durch dauernde .^d^^PPi^tioe den intraokularen Bruck hmlF 
zusetzen, liegt gewiss nahe. FXa Regen bezüglich einzelner hier genannter Augen- 
erkranküngön schwerster Art bereits konkrete günstige Itesultate vor. die ■ von'zu¬ 
ständiger Seite verüffentHcbt werden sollen, 

Zuro Schlüsse seien hier noch einig« jener wichtigsten Thenuoden (Fig, 78) an¬ 
gegeben, diebis jetzt zur Behändfttßg verschiedener Erkrankungen der Haut und der 
Schleimhäute «dt Erfolg in Anwenduog gezogen worden sind. 






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Karl Ullmann 


616 


1 . Bleiplattenthermode für beide Wangen, in der Mitte durch einen über das Kinn zu legen¬ 
den Schlauch verbunden, mittels Bändern über Stirne und Kopf bis zum engen Anschluss zu fixieren. 
Verwendet bei Acne, Furunkulose, Rosacea und ähnlichen Prozessen im Gesichte; ähnliche Platten 
bestehen für die Stirne. 

2 . Plattenförmige Thermode, aus dünnem, biegsamem Blei für den Thorax, verwendet bei 
Pleuritis, Lumbago, Muskelrheumatismus, Neuralgieen und anderen Prozessen. Die 
Metallplatte erhält einen stets feucht zu haltenden Wollstoffüberzug und wird durch Bänder befestigt 

3. Plattenförmige Thennoden in verschiedenster Grösse zur Applikation auf das Abdomen, 
die Magen- oder Herzgegend. 

4 . Sternförmige Metallthermode zur Behandlung distinkter, kleiner Hautpartieen in ver¬ 
schiedenster Grösse. 

5 . Dieselben für Nacken- und Halsgegend in verschiedenster Breite und Länge. 

6 . Konvolut biegsamer Bleiröhren, nach Erforderniss für eine bestimmte Körperpartie, Penis, 
Finger, Vorderarm zu formieren. 

7. Bleiröhren etwa 1/2 m lang und an den beiden Enden mit olivenförmigen Ansätzen ver¬ 
sehen. Sie. werden in cylindrischer oder halbcylindrischer Form angewendet. Die halb plan- halb 
cylindrisch geformten haben den Vorzug, mit der planen Fläche an der Haut besser anlegbar zu 
sein. Verwendung vornehmlich zur Behandlung venerischer Affektionen, Ulcera am Penis, Pana- 
ritien etc. 

8 . Dieselben Röhren in bereits gebogenem Zustande. 

9. und 10. Thennoden aus Neusilber, System double courant zur Einführung ins Rektum 
behufs Behandlung von Entzündungen der Prostata, der Vesiculae seminales, der Urethra posterior 
und Perimetritis. 

11 . Kautschukblase für dieselben Zwecke, zur Einführung ins Rektum bestimmt (Wärme¬ 
zufuhr mittels Kautschuk blase wird von den Patienten zumal in der empfindlichen Gegend des 
Sphincter ani weniger unangenehm empfunden. 

12 . Double courant-Rohr zu 11. Der Zufluss durch Hähne regulierbar. 

13. Urethralthcrmoden für die gesammte Länge der männlichen und weiblichen Urethra und 
Thermode für das Urethralsystem allein. 

14. Metallkorb zur Behandlung späterer, chronischer Stadien der Epididymitis. 

15. Gummisuspensorium zur Behandlung der akuten und noch schmerzempfindlichen Epidi¬ 
dymitis und Orchitis gonorrhoica und luetica von der Fläche abgebildet mit Zu- und Abflussrohr. 
Die beiden Wände, sowie Zu- und Abflussrohr werden von einem kontinuierlichen Röhrensystem 
dargestellt. 

16. Wärmesuspensorium aus Weichgummi, aus einem in Kommunikation befindlichen System 
von grösseren Kammern bestehend, durch welche der heisse Wasserstrom getrieben wird. Die 
Thermoden 15 und 16 für die ersten Stadien der stärkeren Schwellung und Empfindlichkeit be¬ 
sonders geeignet. 

17. und 19. Kolpeuryntherartige Thermode aus Weichgummi zur Behandlung der Peri- und 
Paramitrids. 

18. Double courant-Rohr dazu. 

20 . Metallschleife, einem von Gummi überzogenen Konduktor, zur Behandlung von ülcera- 
tionen an der Vaginalpordon. 

21 . und 22. Wärmehauben aus Weichgummi und Metallröhren zur Behandlung der Kopfhaut 

Seit dem Abschlüsse dieser Arbeit sind von mehreren Fachärzten selbstständig 
praktische Thermoden zur Behandlung von Erkrankungen der Haut, des Auges, 
Ohres, Warzenfortsatzes, Halses und solcher für veterinäre Zwecke angegeben worden, 
welche die Firma Leiter in W T ien angefertigt hat. 

Litteratur. 

1) Vergleiche A. Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Leipzig 
1901. Georg Thieme. Kapitel Tbermotherapie, in welchem auch auf einzelne grundlegende Arbeiten 
des erstgenannten Autors Bezug genommen ist. 

2 ) Bier, Die Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus mit heisser Luft etc. Münchener 
medicinische Wochenschrift 1898. No. 30 und 1899. No. 48 u. 49. — Virchow’s Archiv Bd. 147. 


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Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme. Gl7 


S. 5. — Ueber die Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie zu Heilzwecken. Verhandlungen des 
19. Kongresses für innere Medicin in Wiesbaden. 

J») Martin Mendelsohn, Ueber die therapeutische Verwendung sehr hoher Temperaturen. 
Verhandlungen des 15. Kongresses für innere Medicin. Wiesbaden 1898. — Ueber Heissluft¬ 

behandlung mittels überhitzter trockener Luft nach Tallerman’s Methode etc. Zeitschrift für 
diätetische und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1. 

4 ) W. Winternitz, Ein neues hydriatisches Magenmittel. Blätter für klinische Hydro¬ 
therapie 1891. No. 1. 

5 ) Quincke, Ueber therapeutische Anwendung der Wärme. Berliner klinische Wochen¬ 
schrift 1896. No. 16 und 1897. No. 49. 

ö) Salomon, Ueber die lokale Wirkung der Wärme. Berliner klinische Wochenschr. 1897. No.60. 

7) M. Wilrns, Forzierte Wärmebehandlung bei Gelenkerkrankungen mittels eines einfachen 
Apparates. Deutsche medicinische Wochenschrift 1898. No. 23. 

8 ) F. Skutsch, Die Anwendung der Hydrotherapie in der Gynäkologie. Jena 1900. 

®) Ajrning,* Bericht über die Verhandlungen des 6. Kongresses der Dermatologischen Gesell¬ 
schaft in Strassburg. 

10) Balz er, Die Behandlung des phagedänischen Schankers mittels dauernder Irrigation mit 
einer heissen Losung von Kalium hyperm. Monatshefte für praktische Dermatologie Bd. 23. S. 570. 

11) A. Goldscheider, Ref. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 2. 

12) H. Büchner, Natürliche Schutzeinrichtungen des Organismus und {deren Beeinflussung 
zum Zwecke der Abwehr von Infektionsprozessen. Münchener medicinische Wochenschrift 1899. 
No. 39 u. 40. 

13) J. Cohnheim, Meine Untersuchungen über die Entzündung. Berlin 1873 und Lehrbuch: 
Vorlesungen über allgemeine Pathologie. Berlin 1877—80. 

i<) S. Samuel, Das Gewebswachsthum bei Störungen der Blutcirkulation. Virchow’s 
Archiv Bd. 58. Heft 1. 

13) Stricker, Salomon, Vorlesungen über allgemeine Pathologie 1877. 

io) Martin Mendelsohn, The Tall,erman Treatment. Note by the Inventor S. 173. 
London 1898. Bailliöre Tindall & Co. und Mendelsohn-Tallerman, Zeitschrift für diätetische 
und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1. 

i7) E. Lindemann, Münchener medicinische Wochenschrift 1898. No. 46 und Bericht über 
die Anwendung der physikalischen Heilmethoden auf der ersten medicinischen Klinik von v. Leyden 
und Jacob (Charitö-Annalen, 25. Jahrg.j, .ferner Berliner Klinik 1901. Heft 151, Neuere Behandlungs¬ 
methoden des chronischen Gelenkrheumatismus. 

1») F. Krause, Die örtliche Verwaltung überhitzter Luft. Münchener medicinische Wochen¬ 
schrift 1898. No. 20. 

i®) Vorstädter, Ueber Luftdruckmassage pPneumo-Thermomassage«. Centralblatt für innere 
Medicin 1894. — Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 49. 

20) William Taylor (Edingburgh) citiert im Artikel Technik der Thermotherapie von Dozent 
Friedländer. Handbuch der pysikalischen Therapie. Leipzig 1901. 

20 ) Nikolaus Reich» Der Thermo-Aerophor. Verhandlungen des Kongresses für innere 
Medicin 1899. S. 628. 

22) Max Herz, Ueber die therapeutische Verwerthung der Kohlensäure und der heissen Luft. 
Wiener medicinische Presse 1900. S. 742. 

23) Ch. Audry, Zur Behandlung des einfachen Schankers. Monatshefte für prakt. Dermatol. 
Bd. 22. S. 516. 

w) Rudolf Krösing, Ueber Behandlung des Ulcus molle mit Hitzebestrahlung. Festschrift 
gewidmet F. J. Pick. Wien 1898. Verlag bei Braumüller. 

23) S. Salaghi, Ueber die neuen Methoden für die örtliche Anwendung der Wärme mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung eines elektrischen Thermophors. Zeitschrift für diätetische und physika¬ 
lische Therapie 1900. Bd. 3. 

26) Eduard Welander, Versuche weichen Schanker Drittels Wärme zu behandeln. Nordiskt. 
medicunikt Arkiv. Jahrg. 1893. Sep -Abdr. S. 10 u. 11. 

27) Berlien-Welander, Wiener klinische Rundschau 1895. No. 9—11. 

20) Quincke, Berliner klinische Wochenschrift 1896. No. 10. 

20) 0. Lassar, Vircbow’s Archiv 1873. Bd. 76. 

Zeitechr. f. diät u. physik. Therapie Bd. VT. Heft 11. 43 


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W. Velten 


3°) E. v. Kowalski, Ueber den Einfluss thermischer Reize auf die Lytnphbewegung u. *. w. 
Klinische Blätter für Hydrotherapie 1901. No. 1 u. 2. 

;n ) Josef Leiter, Neukonstruierte Wärmeregulatoren aus Metall zur Wärmeentziehung und 
Wärmezufuhr für den erkrankten Körper. Wien 1886. Im Selbstverlag. 

32 ) Rudolf Kraus, Demonstration eines sich automatisch regulierenden heizbaren Objekt¬ 
trägers in der Mai-Sitzung 1901 des physiologischen Klubs. Bericht darüber bisher nicht gedruckt 

33) Jacobi, Verhandlungen des Kongresses für innere Medicin. Wiesbaden 1896 und Münchener 
medicinische Wochenschrift 1897. No. 8 u. 9. 

34) F. Zinsser, Ueber Behandlung des Favus mit Wärme. Archiv für Dermatol, u Svph. 1894 
1. Bd. 29. Heft 


II. 

Die klimatischen Kurorte. 

Vortrag gehalten in der Niederrhein. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn. 

Von 

Sanitätsrath Dr. W. Velten 
in Bonn. 

Die Bestrebungen der zeitgenössischen Heilkunde gehen immer mehr darauf 
hinaus, die von der Natur gebotenen Heilkräfte, die natürlichen Heilmittel im wahren 
Sinne des Wortes eingehend kennen zu lernen und der leidenden Menschheit mehr 
als bisher zugänglich zu machen. Die diätetisch-physikalische Heilmethode gewinnt 
immer mehr an Ausdehnung und Bedeutung und ist zu grossen Erfolgen berufen. 

Es giebt bekanntlich mächtige natürliche Hilfsquellen, die wohl im stände sind, 
auch in so gut wie verzweifelten Krankheitsfällen noch radikale Kuren einzuleiten 
und zu einem glücklichen Ende zu führen. 

Unsere angelsächsischen Vettern und Rivalen im Kampfe um die Güter der 
Welt haben es seit Menschengedenken verstanden, diese Hilfsquellen für ihre 
Kranken und Invaliden nutzbringend und erfolgreich zu verwerthen. Ich meine die 
wahren klimatischen Kurorte und die weiten Seereisen, von denen die englischen 
Kollegen Generationen hindurch ausgiebigen und höchst befriedigenden Gebrauch 
gemacht haben und noch machen. Ich habe auf den Kordilleren Perus und Boli¬ 
viens, in Santa Fe de Bogota, auf dem Hochlande Kolumbias, in Alta Guatemala, 
in Quito, Ekuador, auf Jamaika, auf der Hochebene von Mexiko ganze Kolonieen 
englischer Rekonvalescenten getroffen, auch in den transatlantischen Häfen manche 
englische Yacht gesehen, die mit Patienten an Bord auf grossen Seereisen begriffen 
war. Die Engländer hatten freilich früher allein die erforderlichen Transport¬ 
mittel zur Verfügung, die englische Handelsflotte verkehrte mit allen Welttheilen; 
Passagierdampfer und Vergnügungssegler, die erwähnten Privatyachten, standen den 
Genesungsuchenden in grosser Auswahl zur Verfügung und wurden und werden noch 
eifrig benutzt, und Genesende ohne Zahl kehren wohlgemuth und leistungsfähig nach 
Hause zurück. Seereisen auf Segel- und Dampfschiffen nach dem Kap der guten 


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Die klimatischen Kurorte. 

Hoffnung, häufig in Verbindung mit einem Aufenthalte auf der Hochebene von Trans¬ 
vaal, um dieses Kap herum nach Australien und Neuseeland, nach Westindien, durch 
das Mittelmeer sind für englische Patienten an der Tagesordnung. 

In dieser Beziehung ist es nun zu Deutschlands Gunsten anders geworden. 
Unsere Handelsmarine ist der englischen wenigstens ebenbürtig, in mancher Be¬ 
ziehung, wie Unterkunft, Beköstigung, Behandlung der Passagiere und ärztliche Für¬ 
sorge derselben bedeutend überlegen. Ist es doch in dieser Hinsicht sehr bezeichnend, 
dass Engländer und Amerikaner für ihre Reisen nach den Vereinigten Staaten, Ost¬ 
asien und Australien die prächtigen deutschen Schiffe ihren eigenen vorziehen. Wir 
haben also jetzt das Eheste Transportmaterial zur Verfügung, und es ist deshalb an 
der Zeit, dass wir deutsche Aerzte den englischen Kollegen das Privileg streitig 
machen, nur ihren Patienten jene unschätzbaren natürlichen Heilkräfte zur Ver¬ 
fügung zu stellen. Bei der internationalen Bekämpfung der Tuberkulose, jener Geissei 
der Menschheit, ist dieser Faktor von nicht zu unterschätzender Bedeutung. 

Vor wenigen Wochen bin ich von einem ideal schönen Winteraufenthalt zurück¬ 
gekehrt, aus dem Wunderlande Algerien, wo ich meine seit Jahren erschütterte 
Gesundheit vollständig wieder hergestellt habe. 

Ehe ich versuche, dieses prächtige Land zu beschreiben, möchte ich hier eine 
vergleichende Uebersicht geben über die klimatischen Kurorte der Welt, wovon ich 
die meisten aus ^ eigener Anschauung und persönlicher Erfahrung kenne. Während 
meiner 18jährigen Thätigkeit im tropischen und subtropischen Spanisch-Amerika 
(Süd- und Centralamerika, Mexiko und Südstaaten der Union) habe ich die ungemeine 
Wichtigkeit des Klimas der Hochebenen dort kennen und schätzen gelernt. Beson¬ 
ders die peruanische und bolivianische Hochebene bieten klimatische Verhältnisse 
dar, wie sie sich wohl kaum irgendwo anders in der Welt, mit Ausnahme der 
mexikanischen Hochebene, wieder finden. 

In Lima, der früher so schönen, von den rohen Chilenen arg verstümmelten 
und geplünderten Hauptstadt von Peru, ist Tuberkulose und Skrophulose nichts Un¬ 
gewohntes. Aber wenn die Patienten, selbst schon im Stadium der Kavernenbildung, 
von einem tüchtigen Arzte, deren es dort manche giebt, nach den Hochländern von 
Jauja oder Huancayo gebracht werden, so sind sie ihrer Wiederherstellung sicher, 
selbst ausgedehnte Kavernen verheilen dort, und andauernder Stillstand des krank¬ 
haften Prozesses, gutes Allgemeinbefinden, Leistungsfähigkeit, selbst blühendes Aus¬ 
sehen sieht man häufig in Lima bei Personen, die fast hoffnungslos auf die Hoch¬ 
lande hinauf gebracht wurden. Jauja und Huancayo, ausgedehnte Thalsenkungen 
auf der Hochebene der Kordilleren, 2500—3000 m über dem Meere, haben eine 
gleichmässige Temperatur im Mittel 14 — 18° das ganze Jahr hindurch, eine reine, 
der bedeutenden Höhe entsprechend verdünnte Luft, und waren schon zur Zeit der 
Inkas berühmt als unfehlbare Heilorte für Phthisiker. 

Die physiologischen Wirkungen des Höhenklimas kommen dort so recht zur 
Geltung: 1. Tiefe Athcmzüge. 2. Kräftigung der Athemmuskeln. 3. Kräftigung des 
Herzens und der Cirkulation. 4. Verbesserung der Hautthätigkeit. 5. Vermehrung 
des Appetits und der Nahrungsaufnahme, Hebung der Verdauung. 6. Verbesserung 
der Blutbildung und Organernährung. 7. Anregung der Nerventhätigkeit. 

Andere berühmte Kurorte sind in Peru: Arequopa, 2100 m mit ewigem Früh¬ 
ling; Puno am Titicacasee, 3400 m, wo unsere Obstbäume herrlich gedeihen. 

Von Santa Fe de Bogota, der Hauptstadt der leider jetzt von Revolutionen 
zerfleischten Republik Kolumbia habe ich schon gesprochen; 4000 m hoch, nahe am 

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W. Velten 


620 


Aequator gelegen, erfreut es sich eines sehr gleichmässigen Klimas und reiner er¬ 
frischender Höhenluft, und ist ein Lieblingsplatz englischer Invaliden. 

Jamaika, die herrliche englische Insel Westindiens, von den Engländern mit 
Recht als »peaceful and delightful« gerühmt, bietet in seinen sehr abwechselnden 
Höhenlagen über dem Meeresspiegel vorzügliche für manche Krankheiten je nach 
Jahreszeit und Meereshöhe passende Aufenthaltsorte. 

Kalifornien und Florida werden beide von den Amerikanern sehr gerühmt und 
empfohlen. Das mittlere und südliche Kalifornien mit seiner ausgedehnten Meeres¬ 
küste zwischen 32 und 38« N. Br. kann sich wirklich eines sehr schönen, äusserst 
gleichmässigen Klimas rühmen; San Diego (mittlere Temperatur im Winter 16°, im 
Januar 12°), Los Angeles, Santa Barbara, Monterey, Santa Cruz und selbst San 
Francisco (mittlere Temperatur im Winter 13°, Januar 9°) sind die dort am meisten 
besuchten Orte. Und auf der anderen Seite des Kontinents Florida, der Orange¬ 
garten der Union, die ganze Halbinsel auf Korallenriffen aufgebaut, zwischen 25 
und 31 0 N. Br., von grosser landschaftlicher Schönheit, mit den Städten Jacksonville, 
Orange, Baldwin, Leesburg, wird im Winter von Lungenleidenden stark besucht. Aber 
beide Länder haben ihre grossen Uebelstände: in beiden herrscht die Mosquitoplage, 
Kalifornien leidet viel unter Nebel, Staub, Wind und Erdbeben, Florida hat sumpfige 
Strecken und ist nicht frei von Malaria. 

Nun zu der äusserst wichtigen mexikanischen Hochebene. Sie ist auf zwei 
Wegen leicht und bequem zu erreichen, entweder zur See über Vera Cruz oder von 
New-York mit der Eisenbahn, in den herrlichen Pulman Care, die im Tage einen 
bequem eingerichteten Salon bilden und Nachts sich in geräumige Schlafsäle um¬ 
wandeln. 

Nach Dr. Lombardo, einem in der Hauptstadt Mexiko prakticierenden be¬ 
kannten Arzte und Klimatologen, dessen Erklärungen auf dem Berliner Tuberkulose¬ 
kongress meine persönlichen Erfahrungen bestätigen, kann man die grosse Hochebene 
von Mexiko in drei Zonen eintheilen: 1. Die Orte, wo Schwindsucht unbekannt ist; 
der Typus dieser Orte ist die grosse Silberstadt Zacatecas, unter 23 0 N. Br., 2500 m 
über dem Meere, mit einer mittleren Jahrestemperatur von 12—14°. Regen ist nicht 
häufig, es herrscht eine trockene, stimulierende und tonisierende Luft; im Winter 
kein Tag ohne Sonne. Die in Zacatecas erzielten Heilerfolge sind grossartig; der 
Ort verdient es, besser bekannt und von wohlhabenden Patienten dauernd besucht 
zu werden. Die bekanntesten Aerzte in Zacatecas sind Brena und Prevost. Die 
zweite Zone begreift diejenigen Orte, wo zwar keine absolute Immunität herrscht, 
wo aber Schwindsucht sehr selten; sie begreift alle Punkte des Centralplateaus mit 
trockener, stimulierender Luft; z. B. Oaxaca, unter 17° N. Br., 1560 m über dem 
Meere, und viele andere, wie Fresnillo, Aguas Calientes, Guanajuato, Querätaro, Sau 
Miguel de Allende, San Luis Potosi, Morelia, Toluca u. a. Die dritte Zone hat als 
Typus die Hauptstadt Mexiko mit ihrer wundervollen Umgegend; hier findet sich 
die Schwindsucht unter den Bewohnern, aber das Klima ist erfahrungsgemäss sehr 
vortheilhaft für alle von der heissen Küste, den Vereinigten Staaten und Europa 
kommenden Patienten. Die Stadt Mexiko liegt unter 19° N. Br., und 2280 m über 
dem Meere; die mittlere Jahrestemperatur beträgt 15°, die höchste während 13jähriger 
Beobachtung war 29°, die tiefste 2,1°. Es ist ein grosser Vortheil für die nach 
Mexiko reisenden Patienten, dass sie in all den angeführten Städten tüchtige, in 
Europa ausgebildete Aerzte, auch manche deutsche, finden, denen sie sich vertrauens- 


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Die klimatischen Kurorte. 


621 


voll in die Hand geben können. In der Hauptstadt Mexiko ist der deutsche Kollege 
Dr. Fichtner seit vielen Jahren thätig. 

Die Hochlande Südafrikas, genauer gesagt Transvaals, haben den hohen Er¬ 
wartungen als klimatische Stationen nicht entsprochen; die Höhenunterschiede sind 
so gross, dass es ungemein schwierig ist, die richtige Lokalität für einen bestimmten 
Fall festzustellen. Doch sind in Blömfontain, Alliwal North, Kimberley, Pretoria 
und anderen Orten in Höhen von 1300—1500 m manche Heilungen erzielt worden, 
und es ist gewiss, dass jetzt nach dem Friedensschlüsse mit den Buren jene Orte 
wieder das Ziel vieler Genesungsuchenden sein werden. 

Wir nähern uns jetzt dem Mittelmeere. Auf dem Wege dorthin liegen die 
bekannten Inselgruppen: die spanischen Kanarischen Inseln und das portugiesische 
Madeira. Die Kanarischen Inseln haben das Klima von Nordafrika, von welchem 
später. Madeira, unter 32—35° N. Br., hat eine mittlere Jahrestemperatur von 
18,8°; die niedrigste Temperatur ist 6,5°; mittlere Temperatur im Januar 15,9°, 
im April 17,1°, im Juli 22,7°, im Oktober 20,7°. Die mittlere Jahresextreme sind 
28,7° und 10,3°; die tägliche Abweichung etwa 5°. 

Es ist also ein wundervoll gleichmässiges Klima und wird mit Recht von vielen 
Leidenden während des Winters aufgesucht; ein Uebelstand für Madeira und die 
Kanarien ist die unbequeme Dampferverbindung und die mangelhafte Qualität der 
Dampfer, wo die von Seekrankheit befallenen Passagiere viel zu leiden haben. 

Von der vielgerühmten Riviera habe ich nicht viel zu sagen; sie ist ja wohl- 
bekannt sowohl in ihren Vorzügen als ihren Nachtheilen; sie theilt mit Ajaccio und 
Sicilien die schönen sonnigen, aber auch die recht häufigen schlechten Tage, wo 
Ausgehen und Bewegung in freier Luft nicht möglich sind. Die zunehmende 
Theurung, ja Ausbeutung der Fremden ist ein sehr ins Gewicht fallender Umstand. 
Viele Leidende gehen dorthin in Ermangelung von etwas besserem. Ich habe hier 
besseres zu empfehlen. 

Zuerst Algier. Diese herrliche Stadt liegt unter 36,7 ° N. Br. im Grunde einer 
nach Osten offenen Bai. Mit den Vorstädten St. Eugene im Westen und Mustapha 
im Osten bietet die Stadt eine Meeresfront von 8—10 km und steigt amphitheatralisch 
die sanft geneigten Hügel hinan, die das prachtvolle Bild einsäumen; eine üppige, 
fast tropische Vegetation, Gärten und ausgedehnte Parkanlagen, ausgedehnte schattige 
Spaziergänge nach allen Richtungen. Das Klima im Winter und Frühling ist aus¬ 
gezeichnet; die mittlere Wintertemperatur, 12,5®, ist höher als die an der Riviera, 
auf Korsika und Sicilien. Die mittlere Divergenz zwischen Maximum und Minimum 
ist hier weniger hoch, sie beträgt weniger als 10°. Hieraus ergiebt sich ein Klima, 
das dem tropischen nahe kommt, aber sich sehr vortheilhaft von diesem unter¬ 
scheidet durch geringere Luftfeuchtigkeit und auch viel geringere atmosphärische 
Niederschläge. Die regenreichsten Wintermonate Dezember und Januar geben eine 
mässige Menge von Niederschlägen; selbst nach den wolkenbruchartigen Güssen der 
eigentlichen Regenzeit, Oktober und November, bricht die Sonne wieder mächtig 
durch, der Kalkboden trocknet rasch, und Strassen und Spaziergänge sind bald wieder 
passierbar. Die mittlere Jahrestemperatur 18,9° ist auch höher als an der Riviera; 
das Minimum im Winter beträgt 8°, in den strengsten Wintern fällt das Thermo¬ 
meter nur ganz ausnahmsweise unter -(- 4 °. 

Algier verdient die wärmste Empfehlung als Winterstation für Lungenkranke, 
Skrophulöse, Bleichsüchtige, Bronchitiker; bei atonischen Verdauungsstörungen und 
besonders bei Neurasthenie. Die berühmte Schwefeltherme Hammam d’Irha ganz 


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W. Velten, Die klimatischen Kurorte. 


in (1er Nähe von Algier verdient noch besonderer Erwähnung; sie ist von grosser 
Wichtigkeit in spezifischen Krankheitsfällen, und ihr grossartiges Kurhaus wird viel 
besucht. 

Algier ist leicht und bequem zn erreichen; Schnellzug ohne Wagenwechsel über 
Basel, Genf, Lyon nach Marseille: von dort fährt fünfmal die Woche ein grosser 
Post- und Passagierdampfer der ('o. Transatlantique in 20 Stunden nach Algier. 
Das Leben in Algier ist äusserst billig; man kann in erstklassigem Hotel für 10 bis 
12 Francs, alles einbegriffen, herrlich leben. Die Hotels haben meistens deutsche 
oder deutsch-schweizerische Leitung, überall giebt es deutsche Bedienung. Tüchtige 
Aerzte stehen den Winterkurgästen zur Verfügung. 

Von Algier gelangt man nach lSstündiger Eisenbahnfahrt an den Rand der 
Sahara, nach der bekannten Oase Biskra, unter 34,8° N. Br.; sie ist heute die 
äusserste bedeutende Militärstation der französischen Besitzungen und besteht aus 
einem hübschen französischen Städtchen von etwa 1200 Einwohnern, und dem so¬ 
genannten Altbiskra, einem Palmenwald von 5 Kilometer Durchmesser, in dessen 
Schatten fünf ruinenhafte Araberdörfer mit 70000 Einwohnern labyrinthartig sich 
ausdehnen. Landschaftlich wunderbar schön, ebenso wie die nahe gelegene berühmte 
Oase El Kantara, bietet Biskra nicht, wie Helouan bei Kairo, das richtige Wüsten¬ 
klima, dafür liegt der schneegekrönte Atlas noch zu nahe. Biskra wird als Touristen¬ 
station wohl immer bedeutender, es bietet gute und billige Unterkunft in zahlreichen 
Hotels, aber ein klimatischer Kurort kann es nicht werden; es regnet sehr selten. 
Staub und Wind vorherrschend. Nach 10jährigen Beobachtungen beträgt die Regen¬ 
menge im Dezember 17, Januar 11, Februar 24, März 26, April 30, Mai 31 mm. 
Die Tage sind ja überwiegend schön und in der Sonne sehr warm, aber die Abende, 
Nächte und Morgen recht empfindlich kühl; während meines mehrwöchigen Aufent¬ 
haltes dort sank das Thermometer in der Nacht regelmässig auf 0° und darunter, 
während bei Tage in der Sonne 30—35° waren. Die mittleren Temperaturschwankungen 
zwischen Maximum und Minimum betragen: Dezember 20°, Januar 22°, Februar 22°, 
März 24°, April 27», Mai 27,6°. Also für Kranke und Rekonvalescenten sehr ge¬ 
fährliche Schwankungen, auch mitten im Tage zwischen Sonne und Schatten. 

Und nun komme ich endlich zu der Perle unter den uns leicht und bequem 
erreichbaren klimatischen Kurorten, nämlich der südlichen Mittelmeerküste von 
Spanien, besonders dem einzigen Malaga, nebst den anderen an jenem priviligierten 
Küstenstriche gelegenen Orten: Almeria, Murcia, Alicante mit Elche, Valencia. 
Dr. Cortezo aus Madrid hat auf dem Berliner Tuberkulosekongress mit vollem 
Rechte die grosse Wichtigkeit dieser Orte für die Errichtung grosser Sanatorien 
hervorgehoben. Obwohl alles weit übertreffend, was sonst auf europäischem Boden 
an klimatischen Kurorten existiert, ist jene Gegend noch viel zu wenig gekannt und 
ausgenutzt. Die Spanier haben in der Nähe von Alicante das Sanatorium Basot, 
und in der Nähe von Valencia das von Ara Coeli, einem früheren Kloster, errichtet, 
aber es fehlt dort an Unternehmungsgeist und Kapital, und es ist zu hoffen, dass 
deutsche Kollegen, die über das nöthige Kapital verfügen, die Sache in die Hand 
nehmen und dort, besonders in Malaga, Sanatorien errichten, die j Erfolge erzielen 
werden, wie sie die Welt noch nicht gesehen. Malaga liegt unter 36,6 0 N. Br., also 
noch etwas südlicher als Algier, ist gegen Norden und Osten durch die Sierra 
Nevada und die Bergkette von Granada geschützt, und hat ein herrliches, gleich- 
mässiges Klima, wie es in Europa seines Gleichen nicht findet. Malaga kann sogar 
mit Kairo wetteifern; in Malaga wird Zuckerrohr gebaut wie in Aegypten, und wo 


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L. Fürst, Dir Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. 0-3 

Zuckerrohr gedeihen soll, da darf die Temperatur nie selbst bis auf 4 0 sinken. 
In der That ist die niedrigste Wintertemperatur in Malaga 8 °. Die Zahl der Regen¬ 
tage in den sechs Wintermonaten beträgt 29; eine üppige, fast tropische Vegetation 
wird durch künstliche Bewässerung nach bewährtem arabischem System, wie auch 
in Valencia, unterhalten. Sechs Wintermonate hindurch können die Kranken und 
Rekonvalescenten mit dem grössten Nutzen in Malaga verweilen und täglich mit sehr 
wenig Ausnahmen viele Stunden im Freien zubringen. Zur Weihnachtszeit sitzt man 
in Malaga bei offenem Fenster wie bei uns im Sommer! Und dann ist Malaga mit 
der Bahn zu erreichen, also keine Seereise und obligate Seekrankheit zu Uberstehen! 

Zum Schluss möchte ich noch einen Umstand zur Sprache bringen, der wohl 
im stände ist, den wohlbegründeten Ruf eines klimatischen Kurortes zu erschüttern. 
Es kommt leider zu häutig vor, dass Patienten, die ein kundiger Arzt nach den 
ihrem speziellen Leiden am besten angepassten Kurort geschickt hat, dort einen 
Misserfolg erleben, sogar Verschlimmerung ihres Zustandes zu beklagen haben. Diese 
Kranken haben eben geglaubt, dass das Klima Alles mache, sie begehen Diätfehlcr 
und erlauben sich Excesse im Spazierengehen, Ausflügen, Gesellschaften, Sport¬ 
leistungen, Ausgehen bei der Abenddämmerung u. a. Es ist selbstverständlich, dass 
der Kranke bei Ankunft im Kurorte sich sofort einem tüchtigem Arzte anvertraut 
und dessen Anordnungen in Bezug auf Lebensweise streng befolgt; nur dann kann 
das Klima auch seinen wohlthätigen Einfluss ausüben. 


III. 

Die Bedeutung der Lävulose fiir die Kinderdiätetik. 

Von 

Sanitätsrath Dr. L. Fürst 
in Berlin. 

Obwohl man von jeher die den Fettansatz begünstigende Wirkung des Zuckers 
kannte, theils dieselbe fürchtete und zu verhindern suchte, wenn abnorme Fettbildung 
vorlag, theils sie benutzte, um eine Unterernährung auszugleichen, hat doch erst die 
moderne diätetische Therapie, wie sie durch v. Leyden, Goldschehder, v. Noorden, 
Jacob u. a. eingeleitet wurde, dem Zucker seinen gebührenden Platz als diätetisches 
Mittel gesichert. Schon die werthvollen Versuche von Heubne’;r und Hofmann, das 
mangelnde Fett in der Säuglingsmilch durch Milchzucker zu substituieren, um dem 
Kinde den entsprechenden Kalorieenwerth zuzuführen, hatten die Aufmerksamkeit auf 
die Bedeutung des Zuckers für die Ernährung hingelenkt. Hat sich auch später her¬ 
ausgestellt, [dass der Säugling nur ein gewisses Quantum von Milchzucker verträgt, 
ohne durch Diarrhoe darauf zu reagieren, so war doch deshalb das Verdienst der 
genannten Autoren um die systematische Verwendung des Zuckers für die Diätetik 
kein geringeres. 

Gerade jetzt, wo das Gesetz gegen die künstlichen Süssstoffe deren allge¬ 
meinere Verwendung als Zusatz zu Nahrungsmitteln verboten und ihnen nur noch 


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L. Fürst 


der Weg ärztlicher Verordnung zu Heilzwecken und des Vertriebes durch die Apo¬ 
theken offen gelassen hat, wendet sich das Interesse wieder den natürlichen Süss¬ 
stoffen zu. So ist es denn erklärlich, dass man sich aufs neue mit dem sogenannten 
»Rohrzucker« und seinen Derivaten beschäftigt, und zwar, da der importierte, aus 
den Stengeln des Zuckerrohrs gewonnene ursprüngliche Rohrzucker durch den che¬ 
misch gleichwertigen Rübenzucker vollständig ersetzt, und überhaupt im täglichen 
Leben, sowie in der wissenschaftlichen Sprache, dieser gewohnheitsgemäss als Rohr¬ 
zucker bezeichnet wird, dies Produkt heimischer Industrie wieder mehr ins Auge fasst. 

Theils ist es der aus der Zuckerrübenstärke durch Behandlung mit Kalkhydrat 
gewonnene Zucker an und für sich, der gegenwärtig als Diätetikum (neben der üb¬ 
lichen Verwendung als Geschmackskorrigens) in den Vordergrund tritt, theils der aus 
der Zuckerlösung durch Behandlung mit verdünnten Säuren hergestellte Invertzucker, 
oder, richtiger gesagt, das aus diesem gewonnene Derivatenpaar (C 6 H I2 0 8 ). Diese 
beiden bekannten Zuckerarten, Dextrose und Lävulose, welche gemeinsam als 
präformiertes Glukosid in vielen Früchten-, sowie im Honig Vorkommen, wo sie an 
organische stickstofffreie Extraktivstoffe von spezifischer Eigenart, die Fruchtsäuren, 
gebunden sind, lassen sich nicht schwer durch Kalkbehandlung von einander trennen. 
Die so gewonnene von Dextrose befreite »Lävulose«, der sogenannte Fruchtzucker, 
eine weisse, krystallinisch-krümelige, leicht wasserlösliche Substanz, ist den Volks¬ 
kreisen durchaus nicht unbekannt. Auch der Laie schätzt diesen Fruchtzucker, der 
sich z. B. auf der Schale getrockneter Feigen, Pflaumen, Rosinen etc. als eine dem 
Auge sichtbare weisse, süssliche Schicht ablagert. Wenn der russische Bauer statt 
des Zuckers eine Rosine in den Mund nimmt, um sich den Thee zu versüssen, wenn 
der Schweizer sein Frühstück durch Honig vervollständigt, der Genuss dick einge¬ 
sottener Fruchtmarmeladen und Gelees zum Kaffee im Orient etwas ganz Gewöhn¬ 
liches ist, Obst- und besonders Traubenkuren von jeher beliebt waren, so deutet dies 
alles schon auf eine instinktive Werthschätzung des Fruchtzuckers hin. 

Dennoch ist die Lävulose, chemisch rein dargestellt, bisher eigentümlicher 
Weise als Diätetikum und Heilmittel für chemische Ernährungsstörungen noch durch¬ 
aus nicht genügend, ihrem Werthe entsprechend, gewürdigt worden. Es ist dies 
um so befremdender, als sie von Ebstein, v. Leyden, v. Hebra, H. Strauss, 
Fr. Voit u. a. zur Ernährung des Diabetikers, von H. Weber für die Kost des 
Phthisikers sehr warm empfohlen worden ist. Vielleicht ist gerade ihre Schlichtheit 
und Einfachheit daran schuld. A. Jacobi’s treffender Ausspruch: »Die Diätetik 
soll sich mit einfachen Stoffen abfinden«, wird in unserer viel zu sehr dem Ge¬ 
künstelten und Komplizierten zugeneigten Zeit noch lange nicht genug beachtet und 
befolgt. 

Es ist'schon von vielen Seiten anerkannt, dass dies Kohlehydrat, dessen Rein¬ 
darstellung der Chemischen Fabrik auf Aktien (vormals E. Schering) in Berlin ge¬ 
lungen ist, ausserordentlich viele, auch für den Pädiatriker höchst werthvolle Vorzüge 
hat. Ich hielt es deshalb gerade jetzt, wo die Süssstofffrage akut geworden ist, für 
angezeigt, mich intensiver mit diesem Präparate zu beschäftigen und eine kleine 
Reihe von Versuchen, welche ich seit Jahresfrist damit an gesunden und kranken 
Kindern angestellt habe, den Fachgenossen mitzutheilen. Es galt mir hauptsächlich, 
festzustellen, £ inwieweit die Lävulose einen zweckmässigen Ersatz des Rohr- und 
Milchzuckers in der Kinderdiätetik bildet. 

Zur Verwendung gelangte die Lävulose theils rein, theils in syrupöser Form 
(Satrap genannt), theils in Verbindung mit Kakao als Lävuloseschokolade, welche 


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Die Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. 625 

Präparate von Gebrüder Stollwerck zu Köln am Rhein hergestellt werden. Ein aus¬ 
reichendes Versuchsmaterial in diesen drei Formen wurde mir von den Genannten 
auf meinen Wunsch bereitwilligst gratis zur Verfügung gestellt, wofür ich hierdurch 
pflichtschuldigst meinen Dank ausspreche. 

Die 17 poliklinischen Patienten, bei denen ich die Lävulose anwendete, ge¬ 
hörten durchweg ärmeren Volksklassen an. hei denen die Ernährungs- und Lebens¬ 
bedingungen von Haus aus keineswegs sehr günstig waren. Um so erfreulicher war 
das — wie ich vorausschicke — völlig befriedigende Ergebniss. Es gehörten an: 
dem 1. Jahre 5 Kinder, dem 2. Jahre 4, dem 3. Jahre 4, dem 5. und 8. je 2 Kinder. 
8 waren gesund, aber dürftig genährt; 3 litten an allgemeiner (Drüsen-)Skrophulose, 
ohne dass Verdacht auf Tuberkulose bestand; 3 waren tuberkuloseverdächtig, und 
zwar je 1 nach Influenza, nach Masern und nach Keuchhusten wegen chronischer 
Bronchitis und Bronchiolitis, sowie starker Körperabnahme in Behandlung; 2 litten 
an Anämie; 1 konnte sich von einer schweren Bronchopneumonie nicht recht erholen. 
Bei allen liess sich nach mehrwöchentlicher Lävulosebehandlung, unter gleichzeitiger 
sorgfältiger Berücksichtigung günstigerer hygienisch - diätetischer Bedingungen, sicht¬ 
liche Besserung des Aussehens, des subjektiven Befindens und der Gewichtsverhält¬ 
nisse konstatieren. 

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Lävoluse sehr gern genommen, von 
keinem der Kinder zurückgewiesen wurde, in keinem Falle störende Nebenwirkungen, 
speziell seitens des Gastrointestinalkanals, im Gefolge hatte. Sie erwies sich als die 
typische Vereinigung eines Genuss- und Nährmittels, wie wir sie meines Wissens 
noch nicht besitzen, wie sie aber gerade in der Diätetik des normalen und in der 
Ernährungstherapie des erkrankten Kindes sehr erwünscht ist. 

Meine Versuchskinder könnte ich in folgende Kategorieen sondern: 


1. Kleine, noch vorwiegend mit Kuhmilch genährte, aber in Unter¬ 
ernährung befindliche Kinder. 

Hier gab ich die Lävulose pur, theils als Geschmackszusatz zu der Milch 
fbezw. zum Milchgriesbrei und Milchzwiebackbrei), theils mit der Tendenz, den 
Nährwerth der Milch zu erhöhen. Am populärsten ist bei uns noch der Rohr¬ 
zucker, der aber oft, als Puderzucker, gefälscht in den Handel kommt, und der, 
obwohl er (nach Beilstein) ca. 1353 Kalorieen auf 1 Molekül entwickelt, doch ge¬ 
wisse klinische Nachtheile hat. Denn er verursacht gerade ) beim Säugling nicht 
selten Dyspepsie oder intestinale Gährungsprozesse, eine trübe Erfahrung, deren 
sich mancher noch aus der Zeit erinnern wird, in welcher die kondensierte Milch 
aufkam. 

Der von Vielen befürwortete Milchzucker süsst in kleinen Quantitäten zu wenig, 
in ausreichend grossen reizt er aber den Darm und veranlasst Diarrhöen, die gerade 
im Säuglingsalter und besonders in der wärmeren Jahreszeit durchaus nicht gleich- 
giltig sind. Auch kommt er, wenn er nicht aus einer zuverlässigen Fabrik stammt, 
keineswegs immer keimfrei in den Handel, was mit seiner recht oft primitiven Her¬ 
stellungsart zusammenhängt. Hier erweist sich nun die Lävulose als dasjenige Kohle¬ 
hydrat, welches wesentliche Vorzüge besitzt. Schon ihre dem Milchzucker gleiche 
Molekularform, der wohl annähernd gleiche Kalorieenwerth (670 pro Molekül) und 
der angenehme Geschmack, den sie der Milch verleiht, lassen die Lävulose als ge- 


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G26 L. Fürst 

eigneten Ersatz für ihn erkennen. Sie verursacht nach meinen Erfahrungen selbst 
bei monatelangem Gebrauch keine Magen- und Darmstörungen, wird sehr leicht und 
schnell assimiliert. Die Assimilation ist eine so vollständige, dass, wie schon Worm- 
Müller betonte, im Harn nichts davon nachgewiesen werden kann. (Eine Ausnahme 
machen, nach Strauss, nur Leberkranke, bei denen, was differential - diagnostisch 
gegenüber den Diabetikern wichtig ist, eine Lävulosurie entsteht.) Bei künstlich ge¬ 
nährten Säuglingen kommt es ja in erster Linie auf reichlichen Fettansatz an, und 
dieser Indikation genügt die Lävulose ganz ausgezeichnet, meines Erachtens voll¬ 
kommener als andere Kohlehydrate. Denn mit der totalen Verbrennung zu Kohlen¬ 
säure, auf die H. Weber seine Phthiseotherapie begründet, geht bei der Lävulose- 
einfuhr eine reichliche Fettablagerung einher, infolge deren die Kinder sehr bald so 
rund und voll aussehen, wie man es für dieses Alter wünscht. Dass aber nicht blos 
eine Fettaufspeicherung erfolgt, sondern wirklich auch eine Zunahme der Muskcl- 
und Nervenenergie, geht aus der grossen Munterkeit der betreffenden Kinder — 
einem untrüglichen Zeichen subjektiven Wohlbefindens — und aus deren kräftigen 
Bewegungen hervor. 

2. Gesunde, aber ungenügend ernährte Kinder nach dem zweiten 

Lebensjahre. 

Manche Kinder werden mit dem Nachlasse der Milchnahrung, die ja oft eine 
Art von Mästung darstellt, etwas magerer und anämischer; sie nehmen nicht mehr 
genug zu sich, wenn man ihnen nicht sehr zuredet. Hierzu gesellt sich bisweilen, 
sobald der Schulbesuch beginnt, eine gewisse Nervosität. Vermehrte Muskelbewegung 
und*Wachsthum mögen wohl zu dieser an und für sich bedeutungslosen, aber doch 
unwillkommenen Abnahme des Fettpolsters beitragen. Hier kommt die Lävulose, 
zunächst in Kombination mit Kakao, als Lävuloseschokoladje sehr ,zur Geltung. 
Gerade bei Kindern kommt es darauf an, dass ihnen die zweckmässige, rationelle 
Kost in angenehmer Form gereicht wird; denn nur dann wird sie gern und in aus¬ 
reichendem Quantum genommen. Der Nährwerth muss dem Kinde unter der Flagge 
des Genussmittels eingeschmuggelt werden, und dazu eignet sich dieses Präparat sehr 
gut, ganz abgesehen davon, dass Kakao schon an sich einen hohen Nährwerth reprä¬ 
sentiert, also weit mehr als ein Geschmackskorrigens ist. In den von mir beobach¬ 
teten Fällen erwies sich die Lävuloseschokolade als ein schätzbares Nähr- und Kräf¬ 
tigungsmittel, welches bei täglich zweimaligem Genuss derjjin V« 1 Vollmilch ge¬ 
kochten Schokolade sehr bald wieder eine Gewichtszunahme herbeiführt. 

Die durch leichtere Herstellung billigere, dennoch aber 80—90 »/ 0 Lävulose ent¬ 
haltende Syrupsform (Satrap) Hess ich auf Weissbrotscheiben streichen, ganz wie 
dies mit Syrup oder Honig geschieht. Die Kinder betrachteten derartige Kost als 
grosse Delikatesse und hatten auch völlig Recht darin. Jedenfalls ist dies Präparat 
bekömmlicher und nahrhafter, als ein nur zu oft gefälschter Honig. Lävulose stei¬ 
gert, wie experimentell erwiesen ist, die Magensekretion, setzt durch Bindung der 
Salzsäure die Acidität herab und befördert die Verdauung. Ich konnte dies bei 
grösseren Kindern, welche die Lävulose in den beiden letztgenannten Formen er¬ 
hielten, konstatieren. Der Appetitmangel hob sich, und die bisweilen träge Darrn- 
funktion wurde lebhafter angeregt. 


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Die Bedeutung der Lävulose für die Kimlerdiätctik. 


(i-27 


3. Kranke oder rekonvalescente Kinder. 

Hier interessierte mich besonders die Einwirkung auf chronische Lymphadenitis 
univcrsalis (Skrophulose), auf gesunkenes Nahrungsbedürfniss, Nachlass der Assimi¬ 
lationsfähigkeit und gesteigerten Fettschwund. Die Lävulose wirkte hier überraschend 
schnell im Ersatz-von Körpersubstanz und in Verbesserung des Ernährungszustandes. 
Die Drüsenintumescenzen,^zumal auch die sonst so schwer therapeutisch zugängigen 
Mesenterialdrüsenschwellungen, gingen mindestens ebenso schnell zurück, wie nach 
Leberthran, ohne dass die übliche, lästige Leberthrandyspepsie eintrat. Sie erwies 
sich als ein reizloser, eiweisssparender Zusatz zur Krankenkost, der eine ungemein 
vielseitige Verwendung gestattet, indem sie zu Kaffee, Milch, Kakao, Kompott, Frucht¬ 
säften (Limonaden), zu Brei- und Mehlspeisen gefügt werden kann. 

Die Frage, ob wir bei Kindern eine cnterogene, alimentäre Phthise kennen, die 
etwa auf den Genuss der Milch perlsüchtiger Kühe zurückgeführt werden könnte, ist 
ja noch nicht endgiltig entschieden. Die Seltenheit primärer Darmtuberkulose spricht 
dagegen. Angesichts der häufigen primären Darmdrüsenschwellungen ist aber die 
Möglichkeit einer bacillären Invasion vom Darm aus nicht von der Hand zu weisen. 
Bei der ausserordentlich leichten Assimilation der Lävulose in syrupöser Form be¬ 
sitzen wir jedenfalls in dieser ein Hilfsmittel, um die Rückbildung dieser Drüsen 
nach der alten Horaz’schen Formel: »Miscere utile dulci« zu begünstigen und zu 
beschleunigen. Ueber den Werth der Lävulose bei der Behandlung des Diabetes und 
der Tuberkulose Erwachsener fehlen mir eigene Erfahrungen. Was aber die Dis¬ 
position zu Tuberkulose bei Kindern betrifft, so leistet das Präparat, in Verbindung 
mit einer sonstigen zweckentsprechenden Kost, nicht wenig, vielleicht gerade, weil 
es ein so einfaches, ungekünsteltes, der Natur entnommenes Diätetikum ist. 

Die Lävulose bessert das objektive und subjektive Befinden durch Steigerung 
der Kohlensäureproduktion, durch vollkommene Ausnutzung, Hebung des Stoffwech¬ 
sels, Vermehrung des Fettansatzes, und leistet damit so viel, wie man von einer 
nicht spezifischen Behandlung verlangen kann. Jedenfalls erhöht sie mit der ver¬ 
besserten Ernährung auch die Widerstandskraft des kindlichen Organismus gegen 
schädigende Einflüsse. 


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628 


Willi. Bauermoistor 


IV. 

Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer 
neuen Gährungstechnik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, 
wie über das nach obiger Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat 

im besonderen. 

Von 

Dr. Willi. Bauermeister, 

Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig. 

(Schluss.) 

Ein Diabetikerbrot verdient erst diesen Namen, wenn es bestimmte, gerade 
für die Ernährung des Zuckerkranken zweckmässige Eigenschaften besitzt. Dahin 
gehört neben Wohlgeschmack vor allen Dingen Kohlehydratarmuth, die oft zweck¬ 
mässig mit einem grösseren Gehalt an Eiweiss verbunden (nicht etwa durch diesen nur 
vorgetäuscht) wird, und geeigneten Falles von stärkerem Fettreichthum begleitet ist. 
Ferner muss das Brot — und dieser Punkt wird trotz seiner eminenten praktischen 
Bedeutung m. E. viel zu wenig berücksichtigt — gegenüber den landläufigen Sorten 
bestimmte ernährungstechnische Vortheile besitzen. Zu diesen nothwendigen kommen 
dann noch wünschenswerthe für die Zwecke der Diabetikerernährung u. U. auch sehr 
wichtige Attribute, die den Werth des Brotes für den speziellen Fall erhöhen. 

Was den Geschmack der verschiedenen Diabetikerbrote anlangt, so ist der den 
natürlichen Gebäcken gleichende selbstverständlich der beste. Und wenn der 
Diabetiker bei dem Worte Brot im allgemeinen gegen den Geschmack desselben 
von liebevoller Rücksicht ist, so wird ihm doch unter Umständen selbst auch nur 
ein geringer Beigeschmack auf die Dauer zuwider: .mit unwiderstehlicher Gewalt 
zwingt es ihn zum Aroma des natürlichen Brotes zurück, namentlich) wenn er in 
irgend welchem körperlichen Unbehagen, wie z. B. schwerem Stuhlgang bei ver¬ 
schiedenen Diabetikerbroten, eine weitere Selbstentschuldigung findet. Deshalb ist 
es nöthig, dass das tägliche Brot des Diabetikers die Würze des natürlichen besitzt, 
und in dieser Beziehung ist das Rohkase'in, wie auch Schreiber 1 ) hervorhebt, in 
keiner Beziehung störend. Es liegt das einmal an seiner Unlöslichkeit gegenüber 
anderen zu Diabetikerbroten gebrauchten Beimengungen, wie Konglutin-, Aleuronat-, 
Ergon-, Plasmon- etc. Präparaten, und andererseits darin, dass es trotz dieser Un¬ 
löslichkeit bei der Innigkeit des Verbackens mit Mehl nicht die mechanisch störende 
Eigenschaft z. B. des unlöslichen Tropons zeigt. 

Was die Kohlehydratarmuth anbetrifft, so wäre bei der Selbstverständlichkeit 
derselben kein Wort darüber zu verlieren, wenn man nicht immer wieder auf 
Fabrikate stiesse, die an 45—50—55°/ 0 Stärkestoffe enthielten bei Mangel jedweder 
kompensatorischer Eigenschaften. Ein derartig hochprozentiges Brot bietet, wie de> 


>) I. c. 

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Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc. 629 

ferneren genau ausgeführt werden wird, gegenüber den gewöhnlichen Brotarten dem 
Diabetiker nicht nur; keinen Vortheil, sondern es ist sein Gebrauch direkt ver- 
hängnissvoll, da der Diabetiker bei diesen Broten seine Assimilationsgrenze fast 
konstant über- und damit einer steten Verschlimmerung seines Leidens entgegen¬ 
schreitet — unbesorgt; der Name Diabetikerbrot allein verschafft ihm ein ruhiges 
Gewissen. Der Diabetikeramateur im Kleingewerbe der Bäckerei liefert natürlich 
ein viel gefährlicheres Gebäck als der Grossbetrieb, der immerhin nach festen Sätzen 
arbeitet und sich von Zeit zu Zeit durch eine Analyse kontrollieren lässt. Allein 
auch hier erlebt man, dass die Begleitanalyse von einem ganz anderen Fabrikate 
stammen muss, als dem begleitenden Gebäck. Die eigene Kontrolle versetzt auch 
da oft in unmuthiges Erstaunen — an die 43—50 °/ 0 Kohlehydrate findet man ab und 
zu selbst im Diabetikerbrot renommierter Herkunft. 

Sind diese hochprozentigen Brote für die Ernährung des Diabetikers von gar 
keinem Vortheile gegenüber den gewöhnlichen Brotarten, so giebt es auch gering¬ 
prozentige Brote, mit denen man dem Diabetiker für den allgemeinen Gebrauch auch 
nichtjbesonders dienen kann. Das sind namentlich die pumpernickelartigen Brote, 
die den Vortheil ihres geringen Stärkegehaltes durch ein zu geringes Volumen 
wieder wett machen. Denn das Volumen ist für die Beurtheilung eines Diabetiker¬ 
brotes ebenso wichtig'wie der Kohlehydratgehalt, und beide zusammen erst liefern 
den richtigen Maassstab für die Beurtheilung seines Werthes. 

Der Diabetiker soll das Brot nie um dessen selbst willen essen 1 ); es soll ihm 
immer dienen als Mittel und Unterlage für möglichst viel Zukost wie Fleisch, 
Fett etc. Je grösser bei gleich geringem Kohlehydratgehalt die Brotscheibe, desto 
besser und geeigneter ist das Brot für seinen Gebrauch. Vom Standpunkt der 
Grnährungstechnik ist das von höchster Bedeutung, und demgemäss schien es mir 
zweckmässig, aus dem Volumen und dem Kohlehydratgehalt des Brotes einen direkten 
zahlenmässigen Gradmesser für die Güte eines Diabetikerpräparates aufzustellen. 
Folgendes diene zur Erläuterung: 

Wenn ich das hiesige'gewöhnliche Weissbrot mit ca. 58% Kohlehydratgehalt 
(eigene Analyse) mit Paraffin überziehe und in ein vollgefülltes Gefäss tauche, so 
fliessen (nach Abzug der Paraffinmenge) bei 100 g Weissbrot über den angefetteten 
Gefässrand 400 ccm Wasser ab. Das Gewichtsvolumen des Weissbrotes ist also 

i) In diesem Sinne sehe ich in den gewinnsüchtigen Anleitungen und Aufforderungen einiger 
Fabriken zur Fabrikation von Torten, Napfkuchen etc. mit Hilfe »unschädlicher« Präparate direkt 
eiu Verbrechen gegen das Leben. Gerade die Vorspiegelung der Unschädlichkeit verleitet die 
Patienten zu ganz zwecklosen überflüssigen, durch nichts als ihre Naschhaftigkeit motivierten Kohle¬ 
hydrateinnahmen. Seit Abfassung der Arbeit kam mir ein 16 jähriger junger Mensch mit schwerem 
Diabetes und halbkomatös unter die Hände, der ausserhalb seiner Diätvorschriften täglich ca. 160 g 
Konglutintopfkuchen, von der thörichten Mutter ihm als Zuspeise zum Kaffee bereitet, verzehrte; 
das machte pro die eine unnütze Zufuhr von ca. 60 g Kohlehydraten, denn die Analyse des »un¬ 
schädlichen« Gebäckes ergab nahezu 40% Kohlehydrate. Allein nach Fortlassen dieses Kuchens 
ging trotz Zugabe von 1 1 Milch der Zucker von 4% in einigen Tagen auf D/ 2 % zurück, was nicht 
hinderte, dass der Patient nach ungefähr 14 Tagen einem typischen Koma erlag. Ihm folgte nach 
einigen Tagen ein anderer 45 jähriger mit tub. pulm. behafteter Diabetiker, der seit Jahren nie 
weniger als 2 1 / 2 — 3% ausgeschieden haben wollte »trotz der strengsten Lebensweise«. Darunter 
verstand er, dass er von Kohlehydraten nur das »erlaubte« Aleuronatbrot (hiesiger Provenienz) in 
Mengen von durchschnittlich 400—500 g, d. i. = 180 —220 g Kohlehydrate pro die verzehrt hatte. 
Hätte er statt dessen täglich 6— 7 V 2 Weissbröte gegessen, so wäre er bei demselben Effekt billiger 
davongekommen. 


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630 


Willi. Bauermeister 


wuT = 4. Die in 100 g Brot enthaltenen 58 g Stärke nehmen also einen Raum 

IUU 

von 400 cm 3 * * 6 ein; lg Kohlehydrat nimmt in dem Weissbrot also den Raum von 
4^ = 6,9 ein. Der Kohlehydratgrammvolumquotient im gewöhnlichen Weissbrot 
ist also = 6,9. 

Dementsprechend ist folgende Tabelle aufgestellt 1 * ): 



Kohle- 

Gewichts- 

Kohle¬ 

hydrat- 

Ei weissgeh alt 

Fett 


hydrat 

volum 

grainm- 

= N X 6,25 


rt /o 

1 

volum 

°/° 1 

°o 

Weissbrot.i 

58,0 

4,00 

6,9 

nicht bestimmt 

| _ 

Aleuronatbrot (hiesiges). 

48,0 

2,84 

r q 

I 

10,50 1 

— 

Aleuronatbrot (Günther, Frankfurt) 

1 38,0 

3,05 

8,0 

17,90 

' — 

| 

36,8 

3,06 

8,3 

nicht bestimmt 

— 

Diabetikerbrot (Rademacher, Frankf.) { 

38,1 

2,95 

7,6 

— | 

— 

l 

43,0 

— 

— 

nicht bestimmt 

1 — 

Diabetikerbrot (Gericke, Potsdam). . 

34,0 

2,10 

6,2 

16,40 i 

— 

| 

36,9 

2,97 

8,0 

12,54 

— 

Konglutinbrot. \ 

38,4 

2,91 

7,6 

14,60 

— 

l 

41,0 

— 

l — 

nicht bestimmt 

— 

Salusschrotbrot (Mciners, Braunschw. | 

28,1 

33,8 

2,30 

1 2,90 

8,7 

8.6 

14,80 

13,45 

2.9 

do. do. drei Tage alt 

34,2 

2,93 

1 8,6 

14,60 

1 

do. do. Extrabrot. . 

(13,6!) 

(1,92) 

1 (14,1!) 

— 


Salusweissbrot (Heiners, Braunschw.) 

36,8 

1 3,15 

1 8,7 

11,80 

10,0 


42,0 

i 4,3 

! 10,4 

14,80 

— 

do. do. alt . . < 

34,0 

| 4,12 

1 12,8 

12,88 

— 

l 

42,6 

1 4,38 

10,4 

12,47 

— 

do. do. Extrabrot . 

(22,4!) 

, (4,12) 

j 07,7!) 

1 _ 

13,7 

Korn-Vollbrot (Braunschw.) .... 

43,0 

l 1,32 

1 3,07 

-- 

--- 

Simonsbrot (Hannover). 

j 43,7 

f 1,4 

3.2 


- 

Knökebrot (Schweden). 

70 

! 

1 — 

— 

- 


Diese Tabelle ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Der Kohlehydratgraram- 
volumquotient lehrt, dass der Diabetiker von gewöhnlichem Weissbrot eine grössere 


l ) Die Analysen wurden folgendemaassen ausgeführt: Das Fett wurde durch ca. 24 stündiges 

Ausziehen der Trockensubstanz mit Aether nach Soxhlet gewonnen. Der Eiweissgehalt nach 

Kjeldahl als Stickstoff ermittelt und mit 6,25 multipliziert. Behufs Bestimmung der Kohlehydrate 

wurde (eventuell nach Kaltwasserauszug der löslichen Zucker) die Substanz 3—6 Stunden im Auto¬ 

klaven bei 125—130% gekocht; dann mit entsprechenden Mengen HCl im Wasserbad fernere 3 bis 

6 Stunden im Kochen erhalten. Die Prozentzahl des so gewonnenen Zuckers wurde nach Meissl 
All ihn bestimmt, wobei der Eintritt der vollständigen Reduktion durch die Gegenprobe mit Essig¬ 
säure - Ferrocyankali pcinlichst kontrolliert wurde. Die hiernach erhaltenen Zahlen stimmten denn 
auch mit den von Nahrungsmittelcheinikem gefundenen Werthen gut überein. — Bemerkt werden 
muss, dass ich zur Analyse nicht eine Probe des Gesammtbrotes nahm, sondern dass ich (hei 
allen Untersuchungen!) Scheiben aus dem vollen Brote schnitt. Das ist dadurch begründet, dass ich 
meine Patienten auch nur solche essen lasse. Die Enden (Knüste) der Brote dürfen sie deshalb 
nicht essen, weil sie namentlich bei in Kastenform gebackenen Broten fast nur aus Rinde bestehen. 
Die Rinde ist aber bekanntlich einmal bedeutend wasserärmer als die Krume, und sodann enthält 
sie vor allen Dingen die zuckerartigen Bestandteile des Brotes. Die Rinde ist also für den Diabetiker 
viel gefährlicher als die Krume, und die Gewohnheit mancher Zuckerkranker, vor dem Genuss eines 
Weissbrotes letztere zu entfernen, ist in dieser Betrachtung geradezu widersinnig. 


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Original fro-rn 

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631 


Ueber die Verwendung de» Kaseins zu Backzweckcn etc. 

Portion essen darf, als von schlechtem Diabetikerbrot. Und daraus ersehen wir 
zweitens, was allerdings jedem, der sich eingehender mit der klinischen Behandlung 
und der Speisezubereitung für Diabetiker befasst, wohl bekannt ist, dass rein er¬ 
nährungstechnisch die bisher bekannten Diabetikerbrote keine so grossen Vortheile 
bieten, als man allgemein annehmen möchte, z. B.: 

Bei einer Zugabe von 60 g Kohlehydraten in Brotform würde man angenommener¬ 
weise bei’V 2 cm Dicke 1 ) geben können: 


Von 

gewöhnlichem Weissbrot 

eine 

Scheibe 

von 

828 cm 

> 

Aleuronatbrot (hiesigem) 

> 


» 

708 


» 

» (Frankfurter) 

> 

> 


960 

» 

» 

Diabetikerbrot > 



» 

996 


> 

Aleuronatbrot (Potsdamer) 



» 

740 

» 


Konglutinbrot 

7> 

> 

> 

912—960 

» 

3» 

Salusschrotbrot *) 

» 



984-1035 


» 

Salusweissbrot *) 

» 

» 

» 

1044-1530 



Kornvollbrot 

» 

y> 

y> 

369 


» 

Simonsbrot 




384 


> 

Knöckebrot 



» 

456 

> 


Diese Zahlen lehren uns also: 

Bei vorsichtiger Eintheilung und zweckmässiger Aufmachung kommen wir im 
Prinzip mit dem gewöhnlichen Weissbrot fast ebensoweit, wie mit den bis dato be¬ 
kannten Diabetikerbroten. Nur die Gefahr, dass der Kranke bei ersterem erfahrungs- 
gemäss fast ausnahmslos zum Ueberschreiten des Maasses geneigt ist, was beim 
Diabetikerbrot durch das mit dem Gebrauch verbundene stete Erinnern an seine 
Krankheit (oft auch infolge des Geschmackes) weniger leicht der Fall ist, wie die 
Rücksicht auf Abwechslung, zwingt, in der freien Behandlung zu einem besonderen 
Gebäck zu greifen. Da der Diabetiker viel lieber mit dem Auge als mit der Wage 
misst, wird ein Brot mit grossem Kohlehydratgrammvolumen sein besonderes Wohl¬ 
gefallen finden, und trotzdem, respektive gerade bei letzteren, das eventuelle Ueber¬ 
schreiten des Maasses leichter vermieden, respektive in relativ engeren Grenzen ge¬ 
halten, als bei einem dichteren Brote. 

Ein wirklicher dann allerdings in die Augen springender Vortheil wird tech¬ 
nisch der Ernährung des Diabetikers nur geboten bei Gebrauch eines Brotes mit 


>) Brote, die sich nicht in so dünne Scheiben schneiden lassen, bedeuten gegenüber anderen 
einen Nachthei), und aus diesem Grunde ist cs wichtig, dass das Brot trotz grossem Volumen ein nicht 
zu bröckliges Gefüge hat. Das letztere macht die Aufmachung in dünnen Scheiben so gut wie 
unmöglich. 

«) Die niedrige Volumzahl stammt aus der Lehrzeit des Fabrikanten; nach genügender Uebung 
liefert er ein Brot von geringerem Kohlehydratgehalt und grösserem Volumen, respektive einem 
Kohlehydratgrammquotienten, wie es die Endzahlen anzeigen. Als Probe seiner Leistungsfähigkeit 
und der Leistungsfähigkeit der Methode lieferte er jüngst jene durch Einklammerung bezcichncte 
Ware, wovon das Salusweissbrot einen Stärkegehalt von 22,4 °/ n ! und ein Kohlehydratgrammvolumen ' 
von 17,07 (= 2050 cm«), das Salusschrotbrot einen Stärkegehalt von 13,6%! und ein Kohlehydrat¬ 
grammvolum von 14,1 (= 1632 cm«) aufwies. Die Fabrikate waren in jeder Beziehung vorzüglich; 
insbesondere hatte das cellulosereichc Schrotbrot ganz den Charakter eines Brotes (nicht Pumper¬ 
nickels) bewahrt. Allein die technische Einrichtung der Bäckerei erschwert einstweilen die Her¬ 
stellung grösserer Mengen derselben, so dass diese exquisit kohlehvdratarmcn voluminösen Brote 
erst nach Erweiterung des Betriebes in den Verkehr treten werden. 


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632 Willi. Bauermeister 


derartig hohem Kohlehydratgrammquotienten, wie ihn z. B. die Endzahlen der Salus- 
fabrikate aufweisen. 

Dass man nebenbei in der Grösse des Kohlehydratgrammquotienten einen An¬ 
halt für die Verdaulichkeit eines Brotes hat, wird nur der bezweifeln, der in dem 
Aberglauben lebt, dass die löslichen Bestandtheile eines Brotes vor allen Dingen in 
dieser Frage entscheiden. Der oft angepriesene Satz, dass infolge Zumischung lös¬ 
licher Substanzen ein Brot leicht verdaulich sei, ist nicht nur unbewiesen, sondern 
direkt falsch. Nicht die Löslichkeit der Backsubstanzen macht ein Brot verdaulich, 
sondern'die? Zugängigkeit für die Verdauungssekrete ist das Ausschlaggebende. Die 
auch das Kolehydratgrammvolumen mitbedingende Lockerheit und Porosität des Brotes 
ist ein sehr wesentliches Kriterium der Verdaulichkeit; und je feiner porös das Brot 
ist, desto leichter ist es im allgemeinen verdaulich; daher ist auch aus diesem 
Grunde bei den Diabetikerbroten ein feinporöses einem grobporösen oder direkt 
groblochigen Fabrikat vorzuziehen, falls man auf die Verdaulichkeit Werth legt. 

Ein sehr einfaches, aber instruktives Verfahren, sich in gewisser Beziehung ein 
Urtheil über die Verdaulichkeit eines Gebäckes zu bilden, liefert folgender Versuch: 
man schneide von den betreffenden Broten mit einem scharfen Messer scharfkantige 
Stücke heraus, meinetwegen in Oktäderform, und stelle sie in Wasser oder noch 
besser in Magensaft im Brütofen an. Ein leicht verdauliches Brot wird sich bald 
vollsaugen, zerfallen oder wenigstens durch geringe Berührung auseinandergehen, 
während andere kaum eine Quellung eingehen, ihre absolut scharfen, gradlinigen 
Ränder behalten, gar keine Neigung zum Zerfall haben, und noch nach Tagen in 
toto z. B. auf einer Stricknadel aus dem Wasser genommen werden können. Dahin 
gehören z. B. gerade die als Diabetikerbrote kat exochen reklamierten Produkte. 
Es ist klar, dass sie der der eigentlichen Assimilierung vorausgehenden mechanischen 
Zerkleinerung im Magendarmtraktus ebenfalls einen relativ grossen Widerstand ent¬ 
gegensetzen werden. 

Nach diesen Betrachtungen über die nothwendigen Eigenschaften, sei.es ge¬ 
stattet, noch auf einige Punkte hinzuweisen, die für die Beurtheilung eines Diabetiker¬ 
brotes im speziellen Fall von Werth sein können: Dahin gehört vor allen Dingen 
der Cellulosereichthum'eines Brotes (bei Salusschrotbrot ca. 3—4%). DerJDiabetiker 
ist durchschnittlich in der Aufnahme von Erzeugnissen des Pflanzenreiches be¬ 
schränkt. Da diese in |der gewöhnlichen Ernährung die Hauptträger des für den 
Darm nöthigen Ballastes sind, leidet er meist Mangel an diesem die Darmbewegung 
anregenden Füllmaterial. Daher (neben der Austrocknung durch Polyurie etc.) 
unter anderem die Neigung zur Verstopfung, die sich oft bei und oft gerade durch 
den Genuss ungeeigneten Diabetikerbrotes zur Unerträglichkeit steigert. Mit einem 
cellulosereichen Brot wird ihm daher oft gedient sein: es füllt bei ihm im bildlichen 
wie im wörtlichen Sinne jeweilig eine störende Lücke aus. Noch ein anderer Gesichts¬ 
punkt verdient dabei hervorgehoben zu werden. Nach Rubner 1 ) werden die Kohle¬ 
hydrate der verschiedenen Brotarten nicht alle gleichmässig resorbiert Vielmehr 
gehen unverdaut von der Stärke des feinen Weizenbrotes 1,1—2,6%, von groben 
Weizen- und Roggenbrot 7,4—7,9 o/ 0 , von ganz groben aus ganzem Korn bereiteten 
Brot 10,9—14% ab. Von einem Brote, dass, wie z. B. das Salusschwarzbrot, zwischen 
der zweiten und dritten Gruppe rangiert, dürfte demgemäss auch ein entsprechender 
Theil seiner Kohlehydrate unresorbiert bleiben. Diese vom allgemein physiologischen 

i) v. Leyden 7 » Handbuch der Ernährungstherapie. 


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Ueber die Verwendung des KaseTns zn Backzwecken etc. 


633 


und ökonomischen Standpunkte als Mangel zu bezeichnende Thatsache bedeutet für 
den speziellen Fall der Diabetikerernährung einen Vortheil: einmal werden die 
Kohlehydrate nicht alle'resorbiert, und zweitens helfen diese liegen gebliebenen Reste 
neben der'Cellulose den Darm mit ausfüllen und ihn anregen. Bei der Zumessung 
der Kohlehydratmenge dürfte dieser Faktor mit Vorsicht verwerthet werden können. 

Zum Schluss sei es erlaubt auf eine Besonderheit aufmerksam zu machen, die 
den Salusfabrikaten gegenüber allen anderen Diabetikergebäcken zukommt. Bei 
den meisten Diabetikerbroten etc. wird mit mehr oder weniger Erfolg ein geringerer 
Kohlehydratgehalt durch Zumischung von Eiweisssubstanzen zu erzielen gesucht. 
Diese Zuführung an sich ist zweckmässig. Der Diabetiker ist in seinem Stickstoff- 
bestande von Gefahren umdroht. Die Eiweisszufuhr im Brot wird dieser Gefahr des 
Eiweissverlustes entgegen wirken. Aber auch in dieser Beziehung sind nicht alle 
Sticktoffsubstanzen gleichwerthig ’). 

Gegenüber solchen, die, wie das Albumin, Kasein, Aleuronat, Plasmon etc. als 
Kalorieenträger den Verbrauch des cirkulierenden Eiweisses einschränken, respektive 
das verlorengegangene Organeiweiss gemäss ihres N-Gehaltes ersetzen können, giebt 
es noch eine Gruppe von N - Substanzen, die neben dieser kalorischen noch eine 
förmlich dynamische Rolle im Körperhaushalte spielen. Voit u. a. 1 ) haben in 
jüngster Zeit namentlich darauf hingewiesen, dass die Albuminoide nicht nur im 
stände sind, den N-Verlust an Körper- und cirkulierenden Eiweiss quantitativ zu er¬ 
setzen und den Körper im Stickstoffgleichgewicht zu halten; vielmehr haben die Leim¬ 
stoffe noch die ganz besondere Eigenschaft, auf den N-Umsatz des Körpers an sich 
in günstigem Sinne einzuwirken: sie schützen das Organ- und Cirkulationseiweiss 
direkt vor dem Zerfall; sie wirken in diesem Sinne direkt eiweisssparend. 

Dass diese schon für den normalen Stoffwechsel bedeutsame Thatsache bei dem 
pathologischen Eiweisszerfall, zu dem der Diabetiker erfahrungsgemäss neigt, von 
besonderer Bedeutung ist, erscheint einleuchtend 3 ). Die Salusfabrikate, die neben 
echten Eiweissstoffen noch beträchtliche Mengen von den eiweisssparenden Albumi- 
noiden enthalten, erscheinen nach obigen Auseinandersetzungen damit für die Ernährung 
des Diabetikers als besonders zweckmässig zusammengesetzt und doppelt werthvoll. 

Diese Zusammensetzung lässt übrigens die Salusfabrikate auch bei anderen 
Krankheitszuständen, wie Gicht, harnsaure Diathese 4 ), Nierenkrankheiten, Fettsucht 
mit Vortheil verwenden; ebenso bei Störungen des Magendarmtraktus. Hervorzuheben 
wäre der Gebrauch des schlackenreichen Schrotbrotes namentlich bei mit Verstopfung 
einhergehenden Affektionen, während das milde Salusweissbrot bei gegenteiligen 
Verhältnissen indiziert ist. Namentlich bei dem sogenannten schwachen Magen und 
den mit Hyperacidität einhergehenden Magenkrankheiten hat sich mir letzteres stets 
bewährt, ein Erfolg, der nach der Analyse wohl verständlich ist. 

i) Von dem im Kasein organisch an das Eiweiss gebundenen Phosphor, der, nach Röhmann, 
im wesentlichen allein den Aufbau resp. die Regeneration phosphorhsltigen Gewebes gewährleistet 
resp. nur in Spuren durch Zufuhr von Phosphaten ersetzt werden kann, von dieser Ueberlegenheit 
des KaseTns gegenüber anderen in diesem Sinne phosphorfreien Eiweissstoffen sehen wir hier ganz ab. 

3) Deutsche mcdicinische Wochenschrift 1902. No. 2. Referiert im Verein für innere Medicin. 

3 ) Von Interesse wäre auch festzustellen, welchen Einfluss die Zufuhr von Leimstoffen bei 
den Diabetikern ausübt, bei denen die Zufuhr echter Eiweissstoffe in grösseren Mengen eine ver¬ 
mehrte Zuckerausscheidung im Harn zur Folge hat. 

4 ) Weil weder die Kaseine noch die Albuminolde im Gegensatz zu anderen Ei weissstoffen 
die Harnslurebildung vermehren. 


Zeltschr. f. diät u. physik. Therapie, üd. VI. Heft 11. 


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Kritische Umschau 


Die Serumbehandlung- der Streptokokkeninfektionen. 

Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). 

Von 

Dr. Fritz Meyer, 

Assistent der Klinik. 

Die spezifische Behandlung der Streptokokkeninfektionen mit dem Blutserum 
vorbehandelter Thiere ist in jüngster Zeit durch Aronson’s Mittheilungen wieder in 
den Vordergrund getreten, nachdem sie jahrelang unverdientermaassen geschlummert 
hatte. Es ist heute, wo wir in dem Aronson’schen Serum einen theoretisch 
fundierten und experimentell geprüften Heilfaktor besitzen, vielleicht nicht unange¬ 
bracht, einen Blick auf die Entwicklung der Streptokokkensera zu werfen, wie sich 
dieselbe in den letzten 10 Jahren gestaltet hat. 


1. Die Antistreptokokkensera, ihre Herstellung und klinische 

Anwendung. 

Auch auf diesem engeren Gebiete, wie so manchem anderen der modernen 
Bakteriologie, begegnen wir, abgesehen von einer älteren französischen Arbeit, 
Behring's klangvollem Namen an führenderstelle. Es ist jene Zeit, da man schon 
nicht mehr nach dem bakteriellen Erreger allein suchte, sondern daran dachte, die 
von ihm verursachten Krankheiten durch ihn selbst, respektive seine Stoffwechsel¬ 
produkte, zu heilen. Das Diphtherietoxin und Antitoxin war entdeckt worden und 
das Tetanusheilserum hatte seine ersten vielbestrittenen Erfolge gefeiert. In der 
gleichen Zeit begann Behring gemeinsam mit seinen Schülern Boer, Knorr und 
v. Lingelsheim mit der Immunisierung von kleineren Thieren gegen den Strepto¬ 
coccus longus, indem er die von ihm und Emmerich entdeckte Methode der Vor¬ 
behandlung mit abgeschwächten und später virulenten Bakterienkulturen für die 
Streptokokken durchführen liess 1 ). Schon im Jahre 1892 stellte er die Immunisierung 
von Pferden zur Herstellung eines Heilserum in Aussicht. Es ist interessant, dass 
zu diesem Zeitpunkte, als die Unterschiede zwischen antitoxischen und antibakteriellen 
Sera noch nicht so klar waren wie heute, Behring in dieser Frage auf rein bakteri¬ 
zidem Wege vorwärts strebte. Während es in Deutschland über diesen Gegenstand noch 
lange Zeit still blieb, bearbeiteten in Frankreich Charrin, Roger 2 ) und Mironoff s ) 
denselben mit dem gleichen Erfolge, wie die deutschen Forscher. Es gelang ihnen, 
kleinere Thiere mit dem Serum vorbehandelter Kaninchen zu schützen. Alles das 
waren aber nur geringfügige Vorläufer des Jahres 1895, in dem durch die grosse 
Energie und den rastlosen Eifer Marmorek’s 4 ), von der klassischen Stelle des Pariser 
Pasteur-Institutes, das erste bekannte Serum seinen Einzug in die wissenschaftliche 
Welt hielt. Die Freude, ein Heilmittel für eine Anzahl sonst desperater Krank¬ 
heiten zu besitzen, war eine aufrichtige, die Erwartung, mit der man ein solches 
ersehnte, eine wohlbegreifliche. 


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635 


Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. 


In dieser seiner ersten ausführlichen Publikation giebt Marmorek, dem un¬ 
streitig das Verdienst gebührt, als erster in grossem Maassstabe trotz zahlreicher 
Misserfolge die Frage der Streptokokkenimmunität durchgeführt zu haben, eine ge¬ 
naue Beschreibung seiner Methode. Ausgehend von der, für ihn feststehenden Ein¬ 
heit aller Streptokokkenarten, behandelt er seine Pferde mit einem Scharlachstrepto¬ 
kokkus, welcher noch heute in seinem Besitze ist, und durch fortlaufende Kaninchen¬ 
passagen (wöchentlich zweimal) in hoher Virulenz erhalten wird. Mit allmählich 
steigenden Dosen dieser Kultur werden Pferde geimpft, deren Serum nach mehreren 
Monaten, drei bis vier Wochen nach der letzten Injektion, zu Heilzwecken Ver¬ 
wendung findet. Das heute im Handel befindliche Mittel setzt sich zu gleichen 
Theilen aus dem Serum zweier Sorten von Pferden zusammen. Während die eine 
derselben mit den lebenden Bakterien vorbereitet wird, erhält die andere lediglich 
filtrierte Streptokokkenkulturen, somit nur die Bakterientoxine. Das heutige Mar¬ 
mor ek'sehe Serum ist also ein kombiniert antitoxisch — antimicrobielles. Die 
klinischen Resultate, welche mit ihr erzielt wurden, waren naturgemäss zunächst in 
Frankreich gewonnen und lauten daselbst in den ersten Jahren meistens günstig. 
Marmorek selbst heilte 46 Erysipele, Charrin, Jost und Hermany Puerperal¬ 
fälle, Baginsky») Scharlachkranke und Lignieres 0 ) fand in ihm ein vortreffliches 
Heilmittel gegen das Anasarka der Pferde. 

Wir dürfen nicht verhehlen, dass zu gleicher Zeit gegnerische Stimmen laut 
wurden, welche bei der Prüfung des Serums zu absolut negativen Ergebnissen ge¬ 
langten. Waren auf klinischem Gebiete vor allem Josias 7 ) häufig, und Charpentier 8 ), 
Bar 9 ), Budin 10 ) und Monti 11 ) die Erfolge stets versagt geblieben, so sind im Expe¬ 
rimente vor anderen Petruschky 1 *) (in Mitarbeit mit Robert Koch), Schenk 13 ) 
und Bornemann«) zu völlig negativen Resultaten gekommen. Neben den Forschern, 
welche dem Serum jede Schutzwirkuug absprechen, stehen gleichsam in der Mitte 
andere Autoren, welche einzelnen Stämmen gegenüber eine Wirkung fanden, während 
andere völlig unbeeinflusst blieben Wenn wir hier Courmont 16 ) und Ligniferes 
nennen, so sind das, wie es bei der grossen Litteratur überhaupt nur möglich ist, 
nur einige Namen aus der Reihe aller derjenigen, welche sich mit zahlreichen und 
umfangreichen Arbeiten an der Lösung dieser Probleme betheiligten. Von deutschen 
Klinikern ist eigentlich nur Haeberlin 10 ) und Blumberg 17 ) in der letzten Zeit 
noch einmal für Marmorek’s Serum eingetreten, ohne damit allerdings allzusehr die 
herrschende Meinung zu Gunsten des Pariser Serum zu beeinflussen. Wir können uns 
nicht verhehlen, dass im Augenblicke in Deutschland die Stimmung hinsichtlich seiner 
Anwendung zu Heilzwecken keine günstige ist, ganz zu schweigen von einer solchen 
im präventiven Sinne. Kaum einer unserer deutschen Geburtshelfer würde sich, wie 
z. B. Pinard, dazu verstehen, jede Schwangere vor der Entbindung präventiv zu 
injizieren. Und doch liegt in dieser Maassregel ein sehr richtiger Grundgedanke. 
Ist das Serum wirksam, so liegt der Nutzen auf der Hand, ist es unwirksam und 
zwar weil es zu schwach ist, so ist die Aussicht, mit einer Dosis, welche zur Heilung 
zu schwach ist, Schutzwirkung auszuüben, ausserordentlich gross. Lediglich der 
Fall, dass das Serum überhaupt keine Einwirkung haben kann, weil prinzipielle 
Fehler bei seiner Herstellung gemacht werden, ein Punkt, auf den wir später noch 
vielfach zu sprechen kommen werden, macht diese Maassregel überflüssig, niemals 
schädlich. Das Gesammtresultat der in den verschiedenen Jahren über Marmorek’s 
Serum erschienenen Publikationen, soweit dieselben in der Litteratur auffindbar 
waren, ergiebt folgende Zahlen: 

Es erschienen seit 1895 51 Publikationen, welche klinisch beobachtete, scrum- 
bebandelte Fälle betrafen. Unter diesen erwies sich das Serum 38 mal erfolgreich, 
während es den anderen 13 Autoren vollständige Misserfolge brachte. Da gerade 
die weitaus grösste Anzahl derselben sich auf deutsche Arbeiten bezieht, so erklärt 
sich, warum man sich in Deutschland, obwohl wir seither keine besseren Sera er¬ 
halten haben, in der Therapie der Streptokokkenkrankheiten wieder den alther¬ 
gebrachten medikamentösen und diätetischen Faktoren zuwendete und das einst mit 
so viel Hoffnung und Erwartung begrüsste Antistreptokokkenserum Marmorek, 
vielleicht allzu schnell, in Vergessenheit gerathen Hess. 

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636 


Fritz Meyer 


Diese wechselnden Ergebnisse eines von maassgebender Stelle ausgehenden 
Mittels legten den Gedanken nahe, dass die mangelnde Wirksamkeit nicht so sehr 
in einer unzureichenden Stärke, als vielmehr in prinzipiellen Fehlern der Dar¬ 
stellung ihre Ursache haben könnten. Die zwei am meisten ins Auge fallenden 
Punkte waren die Thatsachen, dass Marmorek zur Herstellung seines Serums nur 
einen einzigen Streptokokkenstamm verwendet hat, und somit, wenn es differente 
Arten dieser Bakterien giebt, nur gegen diesen allein einen wirksamen Schutzkörper 
produzierte. Die übrigen Varietäten, wie die des Erysipels, der Sepsis und anderer 
Infektionen müssen dann unbeeinflusst bleiben. Für diese Auffassung scheinen nicht 
zum wenigsten die Thierversuche Courmont’s zu sprechen, der mit Marmorek’s 
Serum Kaninchen gegen die Bakterien der Scharlachangina, nicht aber des Erysipel 
zu schützen vermochte. Die zweite Erklärung jener Misserfolge wurde in der That- 
sache gesucht, dass die ursprünglich für den Menschen virulenten Mikroben nicht 
mehr die gleiche Schädigungsmöglichkeit für diesen in sich bergen, sobald sie durch 
jahrelange Thierpassage für irgend eine besondere Thierspezies das Maximum ihrer 
Virulenz erreicht haben. Ein Versuch Petruschky’s beleuchtet diese Möglichkeit 
und macht sie wahrscheinlich. 10 ccm der Originalkultur Marmorek’s, welche 
in der Dosis von Vioooooo ccm ein Kaninchen in 12 Stunden tötet, war, in der Menge 
von 10 ccm einem Menschen beigebracht (zur Karcinomheilung), nicht im stände, 
die geringsten Krankheitserscheinungen bei diesem auszulösen. Mit diesen Kulturen 
wird das Marmorek’sche Serum seit dem Jahre 1895 hergestellt. 

Eine jede dieser beiden Möglichkeiten in Rechnung ziehend, hat eine Reihe 
von Forschern eigene Sera publiziert und fabrikmässig herstellen lassen, welche die 
vorerwähnten Missstände zu vermeiden suchten. Der erste, welcher auf den lang¬ 
dauernden Aufenthalt der zur Immunisierung verwendeten Streptokokken ausserhalb 
eines menschlichen Körpers hinwies und gleichzeitig bei seinem Serum nur frische, wenn 
auch virulent gemachte Stämme benutzte, war Denys. Sein in Louvain dargestelltes 
Serum ist nicht sehr bekannt geworden, obwohl die auf dem Kongress 1897 in 
Moskau mitgetheilten Resultate nicht schlecht zu nennen waren. Nicht mehr Auf¬ 
sehen erregte das von ihm und seinem Schüler van der Velde nicht lange darauf 
publizierte Serum polyvalent, van der Velde tritt in weiterer Ausführung der 
Denys’schen Ideen energisch für die Verschiedenheit der menschlichen Strepto¬ 
kokken ein und postuliert damit logischer Weise auch verschiedene Sera. Da aber 
die Ausführung dieser Theorie in praxi aus technischen Gründen kaum durchführbar 
ist, so immunisiert er ein und dasselbe Pferd mit möglichst verschiedenartigen, 
virulenten Stämmen. Auf diese Weise findet sich, so schliesst er, wohl sicher auch 
derjenige Schutzkörper im Serum vor, welcher in dem betreffenden Falle mensch¬ 
licher Erkrankung verlangt werden muss. Trotz dieser nicht von der Hand zu 
weisenden Schlussfolgerung haben die Erfolge doch im Stich gelassen. Weder die 
experimentellen noch die klinischen Erfahrungen haben einheitlich günstige Resultate 
gezeitigt. Das Prinzip der polyvalenten Immunisierung mit thierpathogenen Strepto¬ 
kokken hat sich nicht so viel Anerkennung verschafft, um die Russen, Amerikaner 
und Engländer, welche selbstverständlich bald darauf in ihren neuerrichteten Instituten 
an die Herstellung eines Antistreptokokkenserums gingen, zu dieser Methode zu be¬ 
kehren. Bokenham 1 «), Bulloch 19 ) und Nestjadimenko*«) in Russland haben die 
entsprechenden Sera (British Instit. of praevent. med. und Borrough u. Wellcome) 
nach dem alten, klassischen Prinzip mit thierpathogenen Streptokokken hergestellt. 
Dabei sind, um dieses vorweg zu nehmen, die erzielten Erfolge recht gute zu nennen. 
Bei flüchtigem Ueberblick erschienen in den letzten Jahren mehr als 20 günstig 
lautende englische und amerikanische Krankengeschichten. 

Wir wollen an dieser Stelle nicht versäumen zu erwähnen, dass ein russischer 
Forscher Sieber-Schumow 81 ) schon früher ein Versuch gemacht hat, eine Anzahl 
hochvirulenter Streptokokkenstämme zur Immunisierung eines Thieres zu verwenden, 
ohne dass dieses, eigentlich erste Serumpolyvalent durch seine Erfolge bekannt ge¬ 
worden wäre. Damit nähern wir uns den letzten Jahren, nachdem, um chronologisch 
vorzugehen, eigentlich eine Entmuthigungsperiode während der Jahre 1899 und 1900 
in dieser Frage zu verzeichnen wäre. Alle vorerwähnten Serumsorten, univalente, 


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Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. 


637 


wie polyvalente hatten sich die allgemeine Anerkennung nicht erwerben können und 
der Wunsch, diesem Missstande abzuhelfen, veranlasste den Berner Forscher Ta vel 41 ) 
von einem neuem Gesichtspunkte an diese Frage heranzutreten. Seine Methode be¬ 
stand in der Immunisierung grosser Thiere mittels möglichst vieler, direkt vom 
Menschen stammender Bakterienstämme. So wurde ein polyvalentes, möglichst den 
menschlichen Verhältnissen entsprechendes Serum geschaffen, über dessen Anwendung 
vorerst nur Schweizer Berichte vorliegen. Doch weder die von Ta vel im Korrespondenz¬ 
blatt für Schweizer Aerzte, noch die in den Wiener therapeutischen Monatsheften 
gegebenen Daten können grosse Begeisterung und Hoffnung erregen. Einerseits 
sind die Resultate und die Art der Einwirkung nicht sehr einleuchtende, andrerseits 
macht es keinen vertrauenerweckenden Eindruck, wenn der Verfasser sein Serum 
auch bei Staphylokokkenerkrankungen empfiehlt. Strenge Spezifität aller Heilsera 
ist, wenigstens bisher, das Fundament unseres darauf bezüglichen Denkens gewesen, 
welches in seiner jetzigen Form auch durch die Tavel’schen Erfolge nicht verändert 
wird. Ganz in gleicher Weise, angeregt durch die Tavel’schen Erfolge, liess Menzer 44 ) 
in jüngster Zeit ein Serum anfertigen, welches mittels Anginastreptokokken von 
frischen Gelenkrheumatismen hergestellt wurde. Die Erfolge, welche bisher von ihm 
allein publiziert wurden, beziehen sich auf entsprechende Fälle von akuten und 
chronischen Rheumatismen, welche, wie man in der letzten Zeit mehr und mehr 
findet, auf Streptokokkeninfektion beruhen. 

Damit sind wir in unserem kurzen historischen Ueberblick zu dem am Ein¬ 
gänge erwähnten Serum gelangt, welches Aronson 4 *) im Juli 1902 bekannt gab und 
welches seiner Werthigkeit und exakten Darstellung nach, zweifellos die werthvollste 
Errungenschaft der Streptokokkenheilserum - Arbeiten bis heute bildet. Dasselbe, 
welches einen Vorgänger in dem 1896 von Aronson 48 ) publizierten Serum hat, wird 
nach der alten, schon von Marmorek beschrittenen Methode mittels eines hoch¬ 
virulenten (Vioooooo ccm tötet eine Maus in 24 Stunden) Scharlachstreptokokkus her¬ 
gestellt. Es wurde zunächst für dasselbe, auf Baginsky’s Anregung, das Scharlach¬ 
fieber als Anwendungsgebiet in Aussicht genommen. Da aber nach Aronson’s 
Ansicht, der in diesen Fällen gefundene Streptokokkus sich in keiner Weise von 
den gewöhnlichen Arten unterscheidet, so haben wir es hier wiederum mit einem 
neuen Antistreptokokkenserum zu thun. Bisher liegt über seine Anwendung nur 
der Bericht Baginsky’s 45 ) vor, welcher nach mehreren ungünstigen Erfahrungen, in 
letzter Zeit, wenn auch keine eklatanten Erfolge, so doch ermuthigende Resultate 
gesehen hat (sichere allmähliche Entfieberung, geringere Sterblichkeit etc.). Erwähnt 
sei übrigens an dieser Stelle, dass der Bericht des gleichen Klinikers 1896 über die 
Anwendung des Marmorek'scheu Serums kaum ungünstiger gelautet hat. Es ist 
auffallend, dass bei dem von Aronson hergestellten Serum trotz frappierender Thier¬ 
versuche nicht annähernd so eklatante Erfolge im klinischen Gebrauche erzielt 
werden. Mehr denn je treten bei dieser Betrachtung die schon mehrmals geäusserten 
Bedenken in Kraft, ob auch die Verwendung eines für Mäuse so virulenten Stammes 
das geeignete Immunisierungsmaterial zur Herstellung eines Menschenheilserums ist. 
Dieser Gedanke wird durch die Thatsache noch gestützt, welche Verfasser 4 «) für die 
Bildung der Streptokokkenagglutinine fand, die trotz ihrer sicheren Nichtidentität mit 
den Immunkörpern doch Vergleiche anzustellen erlauben. Fast wie eine Antwort 
auf diese noch nicht spruchreifen Fragen berühren uns die in Karlsbad mitgetheilten 
Erfolge Mosers”) welcher eine Reihe von Pferden mit Scharlachstreptokokken, die 
nie einen Thierkörper passiert haben, immunisierte, und so ein Gegenstück zum 
Aronson'sehen Serum auf dem schon oft besprochenenen zweiten Wege schuf. 
Entsprechend unseren Anschauungen waren die Erfolge dieses, vorläufig noch in 
grosser Dosis (150 ccm) verabreichten Mittels nach dem Urtheil gewiegter und 
kritischer Kliniker so eklatante, wie sie bisher bei der Anwendung des Aronson- 
schen Serum nicht hervorgetreten sind. In allerjüngster Zeit hat schliesslich Pior- 
kowski 48 ) nach gleichen Prinzipien ein Heilserum gegen die Pferdedruse, gleichfalls 
eine Streptokokkeninfektion, dargestellt und gute Resultate damit erzielt. 


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Fritz Meyer 


2. Die experimentelle Bearbeitung der Streptokokkenimmunität. 

Sind dieses in kurzen Zügen die über die klinische Anwendung der Anti¬ 
streptokokkensera erschienenen Arbeiten, so liegen noch eine Anzahl hochinteressanter 
Publikationen vor, welche sich auf experimentellem Wege Einblick in den kompli¬ 
zierten Prozess der durch Serumwirkung erfolgten Heilung zu verschaffen suchten. 
Es sei uns gestattet an dieser Stelle kurz die Theorieen zu rekapitulieren, wie sie, 
vor und nach der klassischen Bearbeitung der Immunitätsfrage durch Ehrlich, für 
die Wirkung der antibakteriellen Sera aufgestellt worden sind. 

Nach dauernden, allmählich steigenden Injektionen von Bakterien treten im 
Blute so behandelter Thiere Stoffe auf, welche sowohl im Beagensglase, wie auch 
im Thierkörper bestimmte Einwirkung auf diejenige Bakterienart haben, welche zur 
Vorbehandlung verwendet worden ist. Im Reagensglase beobachtete man Zusammen¬ 
ballung und Auflösung derselben, im Thierkörper zeigte sich eine Schutz- und Heil¬ 
wirkung, je nachdem die Infektion voraufging oder nachfolgte. Schon Richet 
und H6ricourt hatten im Jahre 1888 diese Thatsachen an dem heilenden Einflüsse 
des Blutes solcher Thiere beobachtet, welche vorher eine gleiche Infektion glücklich 
überstanden hatten. Während Behring in Deutschland seine glänzende Entdeckung 
des Diphtherieheilserums machte und auch der Streptokokkenimmunisierung eine 
günstige Prognose stellte, hatte man naturgemäss unter dem Eindrücke so über¬ 
wältigender Thatsachen in Deutschland die Tendenz, in der Wirkung eines gegen 
Streptokokken hergestellten Serum einen rein antitoxischen Effekt zu sehen. In 
diesem Sinne beurtheilte man Richet und Höricourt’s Experimente 2 »), obwohl die 
im Jahre 1890 veröffentlichten Immunisierungsversuche Behring’s 30 ) gegen den 
Vibrio Metschnikoff eine andere Deutung nahe legten. Es ist um so mehr anzu¬ 
erkennen, dass in Frankreich zu gleicher Zeit Roger 31 ) diese Frage von einem Ge¬ 
sichtspunkt bearbeitete, welcher durch die aufgewendete Schärfe des Urtheils und 
der Beobachtung weit über das wissenschaftliche Niveau der Zeit hinausgeht. Er 
immunisierte Kaninchen erfolgreich mittels abgeschwächter Kulturen, und erzielte 
so ein Serum, welches andere Thiere gegen eine tötliche Infektion zu schützen ver¬ 
mochte. Doch ohne sich damit zu begnügen, schritt er weiter zur Beantwortung der 
Frage, wie sich der Heilungsprozess im Körper vollzöge, und welchen Faktoren das 
Ueberleben der geschützten Thiere zuzuschreiben sei. Er fand, dass die eingeführten 
Bakterien durch die im Körper kreisenden Schutzstoffe abgeschwächt werden, um 
dann durch die natürlichen Schutzorgane des Körpers, vor allem durch die Leuko- 
cyten, vollkommen überwunden zu werden. Diese Mitbetheiligung der letzteren ent¬ 
spricht den Anschauungen des zweiten genialen Bearbeiters dieser Frage, Elias 
Metschnikoff 32 ), welcher im Jahre 1884 seine erste Publikation über die seither 
vielumstrittene Leukocytentheorie veröffentlicht hatte. Wenn man vor dieser Zeit 
in den Leukocyten einen Verbreitungsweg, gleichsam ein Vehikel der Bakterien ge¬ 
sehen hatte, so sprach er damals zum ersten Male die Ansicht aus (vor ihm hatte 
nur Roser 33 ) 1881 etwas ähnliches geäussert), dass diese Zellen den eindringenden 
Schädlichkeiten in der Mehrzahl der Fälle durch Phagocytose mit Erfolg entgegen¬ 
zutreten berufen seien. An Widerspruch hat es ihm begreiflicherweise nicht gefehlt, 
und klangvolle Namen, wie Baumgarten und Ziegler sind unter seinen Gegnern 
zu finden. Es strebte damals alles auf der Basis der in den Körpersäften gelösten 
antitoxischen Schutzstoffe zum Ideale der Immunität, und erst die an das Auftreten 
der Cholera 1892 geknüpften Untersuchungen über Vibrionen brachten Licht in 
diese Frage. Als Vorläufer dieser letzteren sind Behring und Nissen’s Unter¬ 
suchung über den Vibro Metschnikoff aufzufassen, welche ein Serum mit bakteri- 
ciden Eigenschaften zeitigte, und Behring zu der Ueberzeugung brachte, dass die 
erworbene Immunität gegen Bakterien auf dieser Baktericidie der Körpersäfte beruhe. 
(Humorale Theorie). Erst 1894, als Pfeiffer 31 ) eine Erscheinung beobachtete, welche 
unter dem Namen des Pfeiffer’schen Phänomens bekannt ist, vollzogen sich grosse 
Umwälzungen in diesem Kapitel der Immunität. Pfeiffer hatte gesehen, dass bei 
Einspritzung einer Mischung von Immunserum und Choleravibrionen in die Bauch- 


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Die Serumbehandlung der StreptokokkeninfektioneD. 639 


höhle eines normalen oder einer Kultur allein in diejenige eines immunisierten 
Thieres, die Vibrionen auf bestimmte Weise geschädigt und schliesslich zerstört werden. 
Er erklärt diese Thatsache damit, dass die im Immunserum enthaltene spezifische 
Substanz erst unter dem Einfluss der Körperzellen wirksam genug werde, um die 
Bakterien zu zerstören. Mit dieser Erklärung hat man sich jedoch nicht begnügt, 
und ist beim genaueren Studium dieser Frage, vor allem durch Bordet 35 ), zu dem 
Resultate gekommen, dass es sich bei der Wirkung der antibakteriellen Sera um die 
Zusammenarbeit zweier Substanzen handelt. Die erste derselben ist thermostabil 
(substance sensibilatrice Bordets), und nur im Immunserum enthalten, die zweite 
ist thermolabil (alexine) und kreist in dem Körper eines jeden normalen Thieres. 
Die zweite greift nur nach vorheriger Einwirkung der ersten den Bakterienleib an 
und vernichtet ihn. Eine weitere Bestätigung dieser Auffassung wurde bald darauf 
gelegentlich der Entdeckung der anticellulären Sera (Hämolysine) gegeben. Ehrlich 
und Morgenroth 36 ), welche diese Frage in ähnlicher Weise an den Hämolysinen 
bearbeiteten, fanden ebenfalls die Mitwirkung zweier Körper nothwendig, um den 
Schutz- und Heilungsprozess zu vollenden. Der eine derselben, der Immunkörper, 
im Immunserum enthalten, wird durch das in dem normalen Thierkörper enthaltene 
Komplement zum heilkräftigen Faktor ergänzt. Der durchgreifende Unterschied in 
den Folgerungen Ehrlich’s und Bordet’s liegt also darin, dass nach Ansicht des 
französischen Forschers das Alexin direkt an die fremde Zelle (Bakterien oder Blut¬ 
körperchen) nach Einwirkung der substance sensibilatrice angreift, während Ehrlich 
nur eine Bindung zwischen Bakterium und Immunkörper einerseits und letzteren mit 
dem Komplement andrerseits anerkennt, um den Heilungsprozess zu vollenden. 

Diese Thatsachen, unter den Bakterien vornehmlich für Choleravibronen und 
Typhusbacillen gefunden, wurden naturgemäss nach dem Bekanntwerden der Strepto¬ 
kokkenimmunität auch auf diese Bakterien zu übertragen gesucht, und es sind eine 
Reihe von Arbeiten erschienen, welche sich auf experimentellem Wege diese Vor¬ 
gänge klarzulegen versuchten und gleichzeitig die im ersten Theile dieser Arbeit 
erwähnten Heilsera auf ihre Wirksamkeit prüften. 

Betrachten wir unter diesen experimentellen Arbeiten zunächst diejenigen, welche 
sich mit dem Mechanismus der durch Seruminjektionen mitgetheilten Immunität be¬ 
schäftigen, so ist es interessant, diese Reihe ausnahmlos für die Wichtigkeit der 
Phagocyten als Schutzorgane eintreten zu sehen. Abgesehen von der schon früher 
erwähnten Roger’sehen Arbeit, welche als erste zu diesem Resultate kam, sind, um 
chronologisch vorzugehen, die Arbeiten von Denys-Leclef 37 ) (1895), Denys- 
Marchand 33 ) (1896), Bordet 39 ) (1897), Salimbeni 40 ) und Marchand 41 ) (1898), 
Lingelsheim 42 ) und Wallgren 43 ) (1899) an dieser Stelle zu besprechen. 

Die ersterwähnte Publikation von Denys-Leclef beschäftigt sich mit dem 
Einflüsse des Blutserum immunisierter Kaninchen, in welchem sie deutlich bakterizide 
Eigenschaften gefunden haben. Durch dieses werden Streptokokken, sowohl im 
Reagensglase, wie im Thierkörper abgetötet. Die hinzutretende Thätigkeit der Leuko- 
cyten ist demnach eine rein sekundäre, und besteht lediglich in dem Fortschaffen 
der vernichteten Bakterienleiber. Zu ganz anders lautenden Resultaten gelangten 
jedoch Denys-Marchand, als sie ein Jahr später sich dem Studium des Serum 
hochimmunisierter Pferde zuwendeten. 

Das Serum derselben wies, im Gegensätze zu frühereu Befunden an Kaninchen, 
nicht die geringsten bakteriziden Fälligkeiten auf, denn die von ihm geleistete Schutz¬ 
wirkung beruht lediglich im Met sehn iko ff'sehen Sinne auf eine Stimulisierung des 
Leukocytenapparates. Sie konnten gleich einer Anzahl anderer Forscher eine deut¬ 
liche Phagocvtose in der Bauchhöhle der krank gemachten und später geheilten 
Thiere beobachten, und so die allmähliche Vernichtung der Streptokokken sich voll¬ 
ziehen sehen. Viel genauer, wenn auch nicht wesentlicli anders, ist Bordet diesem 
Problem nachgegangen, und hat in seiner Veröffentlichung über das Serum Marmoreks, 
als erster fundamentale Grundsätze über die Wirkung antibakterieller Sera aufgestellt. 
Er fand neben einer vortrefflichen Heil- und Schutzwirkung vor allem eine regel¬ 
mässig wiederkehrende Reihe von Thatsachen, welche den Krankheitsprozess in der 


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Bauchhöhle des infizierten Thieres begleiten. Im Reagensglase konnte er keine 
Bakterizidie des Serums konstatieren, ebenso war die makroskopisch sichtbare 
Agglutination der Bakterien durch Serumzusatz nur sehr gering ausgesprochen 
(Verhältniss 1:3). 

In der Bauchhöhle der Kaninchen sah er stets bei geringer infizierender Dosis, 
sowohl beim Kontrollthiere, wie auch dem durch Serum geschützten Kaninchen geringe 
Phagocytose. Während diese bei dem ersteren bald aufhört, setzt sie sich bei dem 
letzteren bis zur vollständigen Vernichtung der Bakterien und gleichzeitiger Heilung 
des Thieres fort. Wählt man die Dosis der Bakterien grösser, so sieht man zunächst 
eine deutliche Phagocytose sich etablieren, welche jedoch nicht hindert, dass sich so¬ 
wohl die im Innern der Zellen befindlichen ebenso, wie die wenigen extracellularen 
Bakterien weiter entwickeln. Erst nach einigen Stunden setzt ein, geschützte und nicht 
geschützte Thiere deutlich differenzierender Prozess ein, den Bordet mit dem Namen 
crise phagocytaire bezeichnet. Es bemächtigen sich plötzlich die mononukleären 
und mehrkernigen Leukocyten mit grosser Schnelligkeit bei dem durch Serum ge¬ 
schützten Thiere aller Streptokokken und bedingen so die Heilung, während dieses 
Phänomen bei dem Kontrollthiere ausbleibt. Der durchgreifende Unterschied wird 
nach Bordet dadurch bedingt, dass die hochvirulenten Streptokokken, welche sich 
übrigens durch eine Kapsel vor den avirulenten auszeichnen, chemotaktisch negativ 
gegen die Leukocyten wirken. Diese Eigenschaft wird ihnen durch die Wirkung 
des Marmorek’schen Serum genommen und in positive Chemotaxis umgewandelt 
und so, da die Leukocyten nun ihre Thätigkeit entfalten können, Thier oder Mensch 
gerettet. 

Gleich ihm sieht auch Marchand in einer solchen Thätigkeit der Zellen die 
Einwirkung des Serum und unterscheidet sich von Bordet nur in der Erklärung des 
phagocytären Phänomens. Nicht die Chemotaxis, sondern bestimmte physikalische 
Eigenthümlichkeiten der Bakterien sind es nach ihm, welche diese bedingen. 

Salimbeni, gleich Bordet ein Schüler Metschnikoff’s, nähert sich diesem 
in seinen Versuchen, welche sich mit dem Schicksal der Streptokokken unter der 
Haut eines von Marmorek hochimmunisierten Pferdes beschäftigen. Auch hier ist 
es eine starke Phagocytose, welche das durch die Injektion entstehende Oedem 
bald zum Verschwinden bringt und die Bakterien vernichtet. Auch Wallgren 
schwört zur Fahne dieser Theorie, und auch v. Lingelsheim, welcher sich von 
Deutschen als einer der ersten dem Studium der Streptokokken gewidmet hatte, hält 
die Thätigkeit der Phagocyten für sehr bedeutsam. Daneben fand er allerdings das 
Serum hochimmunisierter Pferde schwach bakterizid und im allerschwächsten Masse 
agglutinierend. Eine Auflösung, wie man sie z. B. bei Typhus- oder Cholerabacillen 
in ihrem Immunserum beobachtet, fand er nicht. Geht aus diesen Arbeiten neben 
ihren wichtigen theoretischen Ergebnissen mit Sicherheit hervor, dass diese Sera 
auch im Thierexperiment wirksam waren, so wäre schliesslich noch über eine Reihe 
von Arbeiten zu berichten, welche es sich aus klinischem Interesse angelegen sein 
Hessen, die im Handel befindlichen Sera auf ihre Stärke und Schutzkraft zu prüfen. Es 
ist hier vielleicht an der Zeit mit einem Worte auf den eventuellen Werth eines in dieser 
Hinsicht günstigen Thierversuches hinzuweisen, und sich zu fragen, welche Folgerungen 
sich aus der Thatsache, dass eine Maus oder ein Kaninchen durch Seruminjektion 
gerettet wird, hinsichtlich eines Erfolges am Krankenbette ziehen lassen. Die Antwort 
auf diese in letzter Zeit mannigfach aufgeworfene Frage ist noch nicht mit voller 
Bestimmtheit zu geben. Aus vielen Versuchen weiss man, dass das Serum stets für 
diejenige Thierspezies am heilkräftigsten wirkt, für welche die zur Immunisierung der 
Pferde verwendeten Bakterien am höchsten virulent gemacht worden sind. So wirkt 
z. B. das mit dem für Mäuse hochpathogenen Streptokokkus hergestellte Aronson’sche 
Serum am kräftigsten ein Mäuseversuch, während man unverhältnissmässig viel grössere 
Dosen zur Heilung eines Kaninchens gebraucht. Für dieses ist derselbe Streptokokkus 
fasst in gleichem Maasse weniger virulent als das Serum schwächer wirkt. Da wir 
aber aus Petruschky’s Versuchen wissen, dass der von Marmorek zur Immuni¬ 
sierung seiner Pferde gebrauchte Streptokokkus, welcher in der Menge eines 
Millionstel Kubicentimeter ein Kaninchen tötet, in der Gesammtheit von 10 ccm beim 


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Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. 641 


Menschen keine Reaktion auszulösen im stände war, kann man sich mit Fug und 
Recht fragen, ob die von diesem Mikroben ausgelösten Schutzstoffe wirklich für die 
Menschenpathologie von Werth sein werden oder nicht vielleicht ebenso unwirksam 
sind, wie ihre Gifte. Aus diesen Gründen ist im Jahre 1901 Tavel’s Serum, wie oben 
besprochen, geschaffen worden. Trotzdem glauben wir, dass auch zur Prüfung der 
mit menschenpathogenen Streptokokken geschaffenen Sera der Thierversuch einen, 
wenn auch bedingten Werth hat. da die zur Herstellung verwendeten Bakterien 
auch ohne Thierpassage, für Thiere eine gewisse Virulenz besitzen. Es wird demnach 
sowohl für das neue Moser’sche Scharlachserum, wie Tavel’s verschiedene Mittel 
eine Prüfung im Thierversuch am Platze sein. Um so mehr lag es nach den vorhin 
erläuterten Anschauungen im Jahre 1895 nahe dem Marmorek’schen Serum auf 
seine Thierheilfähigkeit zu prüfen, und manches Kaninchen ist in diesem Für und 
Wider dem Versuche unterworfen worden, ohne dass bis heute völlige Einmüthigkeit 
in dieser Frage herrscht. Gleichwohl kann man, was die experimentelle Bearbeitung 
des Marmorek’schen Serums anlangt, doch sagen, dass sich, in Deutschland wenigstens, 
die Waage mehr zur ungünstigen Seite neigt. Am meisten zu dieser Beurtheilung 
hat die im Koch’schen Institut im gleichen Jahre noch vorgenommene Untersuchung 
von Petruschky beigetragen, welcher nicht die geringste Schutzfähigkeit des Serum 
gegen einen beliebigen Streptokokkenstamm, ja nicht einmal gegen den von Marmorek 
zur Immunisierung verwendeten, konstatieren konnte. Er geht soweit, auf Grund 
seiner Experimente dem Serum jedweden Werth abzusprechen. Nicht viel anders 
lauten die von Schenk und Aronson 1896 publizierten Berichte über den 
Werth dieses und des Lyoner Serum. Der letztgenannte Autor fand im Gegensatz 
zu einem von ihm selbst hergestellten, dass die beiden genannten Fabrikate, so¬ 
wohl präventiv, wie auch nach der Infektion eingespritzt, nicht die geringste 
Aenderung der tätlichen Erkrankung hervorzubringen im stände waren. Den Ueber- 
gang zu denjenigen Arbeiten, welche sich günstig über die mit Marmorek’s Mittel 
angestellten Thierversuche aussprechen, bildet der Aufsatz von Bornemann, welcher 
manchmal durch Injektion des Pariser Serum Thiere retten konnte. Ausnahmslos 
vortrefflich war dagegen die Wirkung der Pariser, wie Lyoner Sera, in den Thier¬ 
versuchen von Merieux-Niemann 44 ) und denjenigen mehrerer Franzosen. Sowohl 
Bordet wie auch Courmont und Lemoine 44 ), Mery 46 ) u. a. sahen eine vortreff¬ 
liche Wirkung, im besonderen gegen den von Marmorek selbst gezüchteten Strepto¬ 
kokkus. Interessant ist vom Standpunkte der Frage, ob es mehrere Streptokokken¬ 
arten giebt, die Thatsache, dass z. B. in Courmont und Mery’s Versuchen es nicht 
gleichmässig gegen alle Stämme zu schützen, vielmehr bei anderen Arten den Krank¬ 
heitsprozess eher zu verschlimmern schien. In dieser letzterwähnten recht wichtigen 
Frage der Streptokokkeneinheit ist die Serumwirkung recht verschiedenfach herangezogen 
worden. War es z. B. möglich mit einem, durch Sepsisstreptokokken hergestellten 
Serum Thiere gegen die Infektion mit anderen Streptokokken verschiedener Art zu 
schützen, so war damit erwiesen, dass es sich überall um die gleiche Art handelt. 
Während, wie schon erwähnt, Courmont, M6ry, und nach ihnen Paltauf, Paras- 
condolo, Ligni&res, Tavel, Piorkowski sich auf Grund ihrer Versuche dieser An¬ 
sicht zu neigen, treten vor allem in jüngster Zeit Aronson und Menzer für die ent¬ 
gegengesetzte Auffassung, derjenigen der absoluten Einheit, ein. Vor allem Aronson 
konnte auf Grund seiner Erfahrungen an Mäusen konstatieren, dass sein Serum auf 
alle, den verschiedenartigsten menschlichen Erkrankungen entstammende Arten gleich¬ 
mässig agglutinierend und schützend wirkt, sofern dieselben durch zahlreiche Mäuse¬ 
passage einen hohen Virulenzgrad für diese Thiere erreicht hatten. Wieweit diese 
Versuche für diese Frage beweisend sind, ist an anderer Stelle ausführlicher erläutert 
worden. Hier sei nur hinzugefügt, dass auch die weiteren Versuche nichts ergeben 
haben, welches die erwähnte Annahme stützen kann. Als Kuriosum sei noch erwähnt, 
dass auch von anderer Seite (Marmorek und Bernheim 4 ») der Versuch gemacht 
wurde, das gleiche Pferd gegen Streptokokken und Diphterie zur gleichen Zeit zu 
immunisieren, umso den septischen Diphtheriefällen wirksamer entgegentreten zu 
können, doch haben die wenigen praktischen Versuche kaum so günstige Erfolge ge¬ 
liefert, dass dieses Verfahren sich weiteren Eingang verschafft hätte. 


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Fritz Meyer 


ß 42 


3. Die praktische Anwendung der Streptokokkensera zu Schutz- 
und Heilzwecken, ihre Nebenwirkungen. 


Um nun auch die praktische Seite der Streptokokkenserumbehandlung kurz zu 
berühren, so wäre zunächst zu erwägen, welche Fälle sich nach dem heutigen Stande 
der Frage für eine solche eignen. Wir wollen an dieser Stelle, ohne uns von unserer 
Ansicht, dass diese Therapie eine grosse Zukunft hat, abbringen zu lassen, dahin 
äussern, dass wir für viele Krankheiten medikamentöse Mittel haben, welche ihre 
Schuldigkeit zu gut erfüllen, um sie zu Gunsten einer noch unsicheren Behandlungs¬ 
art anfzugeben. Wir rechnen z. B. zu diesen Fällen den akuten Gelenkrheumatismus, 
bei dem auch das Menzer’sche Serum die Salicylpräparate noch nicht zu verdrängen 
im stände ist. Wir reden auch nicht der Erysipelbehandlung auf serothera¬ 
peutischem Wege das Wort, da weitaus die grösste Mehrzahl der Fälle gutartig ver¬ 
läuft, treten aber energisch für die Anwendung der Sera in denjenigen Fällen ein, 
welchen man bisher noch rein exspektativ gegenüber stand. Es liegt kein Grund 
vor, in Fällen von puerperaler Sepsis, Endokarditis ulcerosa, postoperativer 
Pyämie etc. thatenlos zuzuschauen, wenn alle operativen Eingriffe erschöpft sind 
und mit der so häufig gehörten Bemerkung »es nützt ja doch nichts« von einer 
Serumtherapie Abstand zu nehmen. Gegen diese Art der Betrachtung sprechen zu 
laut jene vorerwähnten Fälle, in denen selbst ungläubige Kollegen von der Wirkung 
der ohne jede Erwartung gemachten Einspritzungen überrascht waren. Um so mehr 
sollten wir uns zu dieser Anschauung bekehren, als diese Behandlung aller anderen 
Hilfsmittel, wie die Anwendung der Digitalis und anderer Herzmittel, die diätetischen 
Verordnungen, ja selbst die operativen Eingriffe in keiner Weise ausschliesst. Dem 
letzt erwähnten Modus, nämlich der Anwendung des Serum vor operativen Ein¬ 
griffen, möchten wir an dieser Stelle eindringlichst das Wort reden, d. h. den prä¬ 
ventiven Gebranch der Antistreptokokkensera betonen. Nach den glänzenden 
Resultaten, welche die Schutzimpfung bei Diphtherie in den Händen hervorragender 
Kliniker, wie Heubner und Netter, geliefert hat, brauchen wir uns nicht zu 
scheuen, dieselbe auch für die Streptokokkeninfektionen zur Sprache zu bringen. 
Giebt es doch gerade unter diesen eine Reihe von Fällen, welche einen nur allzu 
traurigen Ausgang nehmen. Der septische Verlauf kleinster Rachen- und Nasen¬ 
operationen, ebenso wie fortdauernde Infektionsperioden in der geburtshilflichen 
Praxis vielbeschäftigter Landärzte rücken diesen Vorschlag in das Bereich vollster 
Berechtigung. Um so mehr ist eine solche Maassregel ins Auge zu fassen, als bei 
einem antibakteriellen Serum die Chance des Präventivschutzes, d. h. die Steigerung 
der Abwehrvorrichtungen gegen Infektionserreger eine bedeutend bessere ist, als 
wenn sich die eingedrungenen Bakterien bereits innerhalb des Körpers angesiedclt 
haben. Diese Art der Anwendung wird bei den Streptokokkensera wahrscheinlich 
viel früher z.u guten Resultaten führen, als Heilbestrebungen bei schon bestehen¬ 
der Sepsis. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass diese Schutzimpfung mitMarmorek- 
schem Serum seit 7 Jahren in einer der ersten geburtshilflichen Kliniken von Paris 
mit gutem Erfolge durchgeführt wird. 

Die heute im Handel befindlichen und für den Praktiker anwendbaren Sera 
sind gemäss dem ersten Theile unserer Zusammenstellung somit die folgenden: 

1. Marmorek’s Serum, fabriziert im Institut Pasteur - Paris, 

2. Lyoner Serum, fabriziert in Lyon-Vaise, 

3. das polyvalente Serum, Denys van der Velde, fabriziert in Louvain, 

4. das Serum des British Institut of praeventiv Medicine, 

5. das Serum Borrough-Wellcome, 

6. das Serum Tavel, fabriziert in Landsberg a. W., 

7. Serum Menzer, fabriziert bei Merk in Darmstadt, 

3. Serum Aronson, fabriziert in Berlin bei Schering, 

!t. Serum Moser, fabriziert im Wiener Institut für Serotherapie. 


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Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. 


ß43 


Die Art der Anwendung ist bei allen die gleiche. Alle werden in grossen 
Dosen (10—20 ccm), je nach der Schwere des Falles verabreicht, ja selbst Mengen 
von 100—200 ccm für unschädlich und oft nothwendig gehalten. Die Injektion 
wird mit einer grösseren Injektionsspritze nach gründlicher Sterilisation derselben 
und milder Desinfektion der Haut, am besten am Oberschenkel, Bauch oder Brust 
gemacht. Man thut gut, äusserst vorsichtig mit der Injektionsstelle zu verfahren, 
da oft mehr als 20 Einspritzungen im Verlauf schwerer Fälle nothwendig werden 
und grössere Strecken des Körpers durch eventuelle Entzündungen für den Gebrauch 
ausgeschaltet werden. Die intravenöse Anwendung scheint noch nicht in Betracht 
gezogen zu sein, wahrscheinlich würde dieselbe wegen der häufig dem Serum zu¬ 
gesetzten Konservierungsflüssigkeiten (Chloroform und Kresol) Schwierigkeiten be¬ 
gegnen. Nach vollendeter Einspritzung ist das vom Verfasser seit langem geübte 
Verfahren eines feuchten antiseptischen Verbandes zu empfehlen, durch welchen man 
ausnahmslos die häufig eintretende schmerzhafte Infiltration vermeidet. 

Zum Schluss noch ein Wort über die Art der günstigen und ungünstigen Ein¬ 
wirkung dieser Behandlung. Tritt eine günstige Beeinflussung des Krankheits- 
verlanfes ein, so kennzeichnet sich dieselbe stets durch sofortiges Heruntergehen der 
Temperatur und des Pulses, bei gleichzeitiger Hebung des Allgemeinbefindens. Allein 
Menzer hat, wie vor ihm schon Boucheron 50 ), nach Anwendung seines Serum 
Temperaturerhöhung mit Schmerzen in den erkrankten Gelenken und häufige Ery¬ 
theme gesehen. In der theoretischen Erklärung dieser unangenehmen Fakta, in denen 
er gerade die Heilreaktion des Organismus sieht, ist man noch nicht einig, denn 
sowohl Blumenthal* 1 ) wie Aronson äusserten die Anschauung, dass sich in seinem 
Serum wahrscheinlich noch die Toxine der zur Immunisierung verwendeten Bakterien 
befänden und auf diese Weise die sogenannte Reaktion ausgelöst würde. 

Von ungünstigen Nebenwirkungen der anderen Sera sind kaum andere als 
Serumexantheme beschrieben worden. Dieselben treten als Spät- oder Frühexantheme, 
nesselartig und stark juckend, 3—4 oder 14—20 Tage nach der Injektion an Haut 
und Schleimhäuten auf. Häufig sind sie von Fieber und Gelenkschmerzen, seltener 
von Eiweissausscheidung begleitet und verschwinden in der Regel nach 4—5 Tagen. 
Eine besondere Behandlung derselben ist nicht nothwendig. Will man dieselbe aus 
äusseren Gründen einleiten, so hat sich Mentholspiritus und Puder im äusserlichen, 
Salipyrin im innerlichen Gebrauche stets gut bewährt. 

Damit stehen wir am Schlüsse dieser heute wieder modernen und wichtigen 
Frage. Die Resultate in klinischer, wie in experimenteller Beziehung sind noch 
keine eindeutigen. Weder die Statistik, noch das Urtheil hervorragender Kliniker 
haben hier ihr gewichtiges Wort gesprochen, wie es in der Behandlung der Diph¬ 
therie mit Behring’schem Serum so glücklich geschehen ist. Ferner ist bisher noch 
keine exakte Werthigkeitsbestimmung eines Streptokokkenserums möglich gewesen, 
wie überhaupt bei den Streptokokkeninfektionen die Verhältnisse andere sind, als 
bei der Diphtherie. In einer Reihe leichter und günstig verlaufender Erkrankungen 
scheuen wir uns vor der Anwendung eingreifender Mittel, in den Fällen grösserer 
Eiterung spricht das Messer des Chirurgen das erste Wort. So bleibt also nur 
jene allerdings noch grosse Zahl desperater Erkrankungen übrig, für welche das 
Wort »exspektative Therapie« geradezu gefunden zu sein scheint. Nennen wir hier 
noch einmal die Sepsis nach Wochenbett und Operation, maligne Scharlachfieber, Endo¬ 
karditiden, Wandererysipele und verzweifelte Fälle schon vergeblich operierter Peri¬ 
tonitis, so ist damit noch ein ausreichend grosses Feld für die Anwendung der Anti¬ 
streptokokkensera gegeben. Wenn wir daneben noch einmal der Präventivimpfungen 
unter bestimmten, vorher erwähnten Verhältnissen gedenken, so werden sich, wie es 
in anderen Ländern nicht mehr selten ist, auch bei uns eine Reihe von Fällen finden, 
in denen der Arzt die Anwendung des Antistreptokokkenserums nicht zu bedauern 
haben wird. 


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644 


Fritz Meyer, Die Serum behänd lang der Streptokokkeninjektionen. 


Litteratu 

1) Behring, Gesammelte Abhandlungen 1892. 

2) Roger, Gäzette m6d. de Paris 1895. 

3) Mironoff, Semaine möd. 1893. 

*) Marmorek, Annal. de Tinst. Pasteur 1895. 

3) Baginsky, Berliner klin.Wochenschrift 1896. 
o) Ligniöres, Bulletin de la sociGtä centrale de 
m£d. vßterin. 1895. 

7) Josias, Bulletin de thärapie 1896. 

*) Sitz. d. französ. Geburtshelfer 1896. 10. April, 
o) Ibid. 

10) Ibid. 

11) Monti, Wiener med. Zeitung 1897. 

12) Petruschky, Zeitschrift für Hygiene und In¬ 
fektionstherapie Bd. 22. 

13) Schenk, Wiener klin. Wochenschrift 1897. 

14) Bornemann, Wiener klm. Wochenschr. 1896. 
13) Courmont, Congrös de Montpellier 1898. 

1«) H a e b e r 1 i n, Corresp. f. Schweizer Acrzte 1899. 
i7) Blumberg, Berliner klin. Wochenschrift 1901. 

No. 5 u. 6. 

i 8 ; Bockenham, Brit med. joura. 1896. Bd.2. 
io) Bulloch, Lancet 1896. Bd. 1. 

20 ) Nestjadimenko, Arch russe de pathol.1900. 

21) Tavel, Korresp. f. Schweizer Aerzte 1901. , 

22 ) Menzer, Zeitschrift für klin. Mcdicin 1902. ' 

23j Aronson, Berliner klin.Wochenschrift 1896. | 
24) Aronson, Berliner klin.Wochenschrift 1902. 

23) Baginsky, Berliner klin.Wochenschrift 1902. 

26 ) Meyer, Deutsche medicinische Wochenschrift 
1902. 

27) Moser, Naturforsch.-Versamml. Carlsbad 1902* 


rübersicht. 

! «) Piorkowski, Beil. klin. Wochenschrift 1902. 
2i*) Riebet und Hßricourt, C. rend. de l’aca- 
demie des Sciences 1888. 

30) Behring, Zeitschrift für Hygiene 1890. 
u) Roger, Revue de mSdecine 1892. 

32) Metschnikoff, Virchow’s Archiv 1884. 

33) Roser, Beiträge zur Biologie niederster Or- 
j ganismen 1881. 

i4) Pfeiffer, Zeitschrift für Hygiene 1894. 

35 ) Bordet, Annal. de Tinst. Pasteur 1896. 

36) Ehrlich Morgenroth,Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1899. 

37) Denys- Leclef, La Cellule 1895. 

j 38) Denys-Marchand,Bull.deTacad.Beige 18%. 

39) Bordet, Annal. de l’inst. Pasteur 1897. 

40) Salimbeni, Annal. de Tinst. Pasteur 1898. 
j 4i) March and, Arch. de m6d exper. 1898. 

| 42) v. Lingelsheim,Beitr.z. exper.Therap. 1900. 
i 43) Wallgren, Ziegler’s Beiträge 1899. 

' 44) M5rieux - Niemann, Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1896. 

45) Lemoine, Soci6t5 de biologie 1867. 

40) Mery, Soci6t6 de biologie 1896. 

*7) Paltauf, Gazette höbd. de med. 1897. No. 54. 

48) Parascandolo, Wien.klin. Wochenschr. 1895. 

49) Bern heim, Archiv für Hygiene Bd. 33. 

30) Boucheron, Semaine m5d. 1900. 

5 ‘) Blumenthal, Verhandlungen der Cbarittf- 
gesellschaft 1902. 

I 32) Sieber-Schoumov, Archive des Sciences 
biolog. 1896. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 


645 


Berichte über Kongresse und Vereine. 


Balneologische Kurse zu Baden-Baden vom 13. bis 21. Oktober 1902. 

Von Br. Julian Marcuse in Mannheim. 

Die im Jahre 1901 von den Badener Aerzten ins Leben gerufenen balneologischen Kurse, eine 
Idee, die lebhafte Zustimmung allerseits fand, haben auch im eben vergangenen Jahre wiederum 
eine grosse Reihe von Hörern in der lieblichen Bäderstadt’an der Oos versammelt, und haben da¬ 
mit den Beweis ihrer Lebensfähigkeit und des Anspruches, zu einer dauernden Institution zu werden, 
erbracht. 

Als einführender wissenschaftlicher Vortrag sind an erster Stelle die Ausführungen Bäum- 
1 er’s'(Freiburg i. B.) zu nennen, der das Verhältniss der Balneotherapie zur Gesammt- 
medicin seinem Thema zu Grunde legte. Nach einer kurzen historischen Einleitung über die Be¬ 
nutzung des Wassers, insbesondere von heissen und von Mineralquellen zu Heilzwecken, geht der 
Vortragende zur Beantwortung der Frage über, in welcher Weise die so mannigfach zu modifizie¬ 
rende äusserliche Anwendung des Wassers, und wie systematischer innerlicher Gebrauch, namentlich 
von Mineralwässern auf den menschlichen Körper wirken, und wie diese Wirkungen sich als ge¬ 
sundheitsfördernd und heilsam erweisen könnten. Was die Wirkungen balneotherapeutischcr Maass¬ 
nahmen im engeren Sinne anbetrifft, so sind als die zunächst in Betracht kommenden Angriffs¬ 
punkte das Nervensystem und der Cirkulationsapparat zu nennen. Die Beeinflussung der nervösen 
Centralorgane durch Einwirkung von Wärmeunterschieden im Vergleich zur Hautwärme, für sich allein 
oder in Verbindung mit anderen (chemischen, mechanischen, elektrischen) Reizen, können je nach 
ihrer Art beruhigende oder erregende Wirkungen hervorbringen. Weitaus am mächtigsten aber ist 
die Wirkung von Bädern verschiedener Art auf den Kreislauf. Abwechselnde Füllungszustände 
grösserer äusserer und innerer Gefässgebiete mit entsprechender sekundärer Wirkung auf das nicht 
direkt von dem thermischen Reiz betroffene Gebiet bringen je nach Umständen vermehrte Zufuhr 
von Emährungsmaterial, vor allem auch von Sauerstoff, zu den Geweben, bewirken eine raschere 
Zufuhr der Stoffwechselprodukte aus denselben, wie durch Vermehrung der Ausscheidungen aus 
dem Körper überhaupt, und fördern dadurch die Ernährung der Organzellen und deren Funktion. 
Was die Verwendung der Balneotherapie im weitesten Sinne anbetrifft, so stehen im Vordergründe 
die Wirkungen hydrotherapeutischer Maassnahmen bei akuten fieberhaften Krankheiten. Gerade 
diese Form der Balneotherapie gehört zu den am besten studierten, aber der Standpunkt, von dem 
aus fiebernde Kranke mit Wasser behandelt werden, ist ein anderer geworden, als zu Zeiten Cur- 
ries, Brand’s und Liebermeister's: nicht mehr die Herabsetzung der fieberhaft gesteigerten 
Körperwärme um jeden Preis ist jetzt das Vorgesetzte Ziel, sondern die Beeinflussung der Central¬ 
organe des Nervensystems, der Kreislaufsorgane, der Ausscheidungsorgane, die Anregung des Stoff¬ 
wechsels und die Erregung der Organzellen zu erhöhter Thätigkeit, wodurch dieselben in ihrem 
Kampfe gegen Intoxikation und Infektion gestärkt werden. Ein grosses Feld der Wirksamkeit 
kommt der Balneotherapie in Form verschiedenartiger Bäder bei chronischen Krankheitszuständen 
und Kreislaufsstörungen in den verschiedensten Organen zu, namentlich der Haut, den Knochen, 
Gelenken u. a. Derartige Kuren können unterstützend wirken iür chirurgische Maassnahmen, an¬ 
dererseits kann eine Badekur wesentlich unterstützt werden durch gleichzeitigen innerlichen Ge¬ 
brauch von Mineralwässern oder durch anderweitige arzneiliche oder diätetische Behandlung bei 
Diabetes, Gicht, Fettsucht, Syphilis, Krankheiten der Verdauungsorgane etc. Bei chronischen Er¬ 
krankungen des Nervensystems wird die Balneotherapie für sich oder in Verbindung mit elektri¬ 
scher Behandlung und Massage häufig mit grossem Nutzen angewendet, vor allem bei organischen 
heilbaren Erkrankungen peripherer Nerven und der davon abhängigen Muskelstörungen, sodann 
hauptsächlich bei funktionellen Störungen, bei denen neben der Badekur die seelische Beeinllussung 
durch dieselbe, der Einfluss der Umgebung, die suggestive Wirkung einzelner Verordnungen, eine 
wichtige, oft sogar die Hauptrolle spielt. Durch organische Veränderungen in den Centralorganen 


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64:6 Berichte über Kongresse und Vereine. 

zerstörtes Nervengewebe kann zwar nicht wieder ersetzt werden, aber ein derartiger Krankheits¬ 
herd ist oft viel kleiner, als es anfänglich den Anschein hat Unter dem Einfluss einer vorsichtigen 
Badekur, welche auf die Gesammtemährung günstig ein wirkt, gehen häufig die Erscheinungen bis 
auf einen zurück bleibenden Rest zurück, der dem wirklich zerstörten Theil entspricht. Auch für 
diesen Ausfall könnnen unter Umständen benachbarte oder entferntere gesund gebliebene Bezirke 
des Centralorganes bis zu einem gewissen Grad cintreten und für diesen Zweck durch gesteigerte 
Uebungen (Uebungstherapie) eingeübt werden. Mit einer Skizzierung der Bedeutung Baden-Badens 
als eines Erholungs- und Kurortes schloss Bäumler seine allgemeinen Ausführungen. 

Im Anschluss daran sprach Heiligenthal (Baden-Baden) über die physikalische The¬ 
rapie der funktionellen Neurosen. Er betonte die Nothwendigkeit strenger Individualisierung 
sowohl in der Beurtheilung der Krankheit wie hinsichtlich der anzuwendenden Maassnahmen. Dies 
trifft sowohl für die Wahl der Kurorte, wie vor allem für die Wahl der hydriatisclien Prozeduren 
zu, für welche die Dosierung des thermischen und mechanischen Reizes nach Stärke und Dauer 
maassgebend ist. Danach wird sich die Verordnung und Anwendung der einzelnen Prozeduren 
und die Dosierung der einzelnen Komponenten zu richten haben, je nachdem man erregend oder be¬ 
ruhigend wirken will, je nachdem es sich um erethische oder torpide Formen der Neurosen handelt 
Von diesen Gesichtspunkten aus ist die Verwendung der Ganzhaibbäder, Douchen, Abreibungen, 
Einpackungen etc. anzuordnen. Auch die Elektrizität kommt in Anwendung entweder als lokale 
Applikation, wie z. B. Galvanisation des Kopfes und Rückenmarkes, oder als allgemeine Anwendung 
in Form der elektrischen Bäder. Der Massageheilgymnastik fällt hauptsächlich die Aufgabe zu, die 
Cirkulation, den Stoffwechsel und Ernährung zu fördern. Es zeigen jedoch die Untersuchungen 
Grebner’s, dass bestimmten Uebungen, die Herz als Förderungsseibsthemmungsbewegungen be¬ 
zeichnet, insofern bestimmte Wirkungen auf kortikale Funktionen zukommen, als dieselben die Re¬ 
aktionszeit verkürzen und verlängern können. Was nun im allgemeinen die Dosierung der physi¬ 
kalischen Heilagentien anlangt, so handelt es sich dabei um die Applikation von Reizen. Bestehen 
schon beim Gesunden sehr viele Schwankungen in der Reizempfänglichkeit, so um so mehr bei der 
Neurose, wo die Erregbarkeit sowohl gesteigert wie herabgesetzt sein kann. Um in dieser Bezie¬ 
hung sicher zu gehen, empfiehlt es sich, stets mit weniger eingreifenden Prozeduren zu beginnen, 
und nur langsam, tastend zu stärkeren vorzuschreiten. 

In seinem Vortrag: Diätetik in der Balneotherapie und diätetische Heilmethoden 
giebt Gilbert (Baden-Baden) einen kurzen Ueberblick der Geschichte und Entwicklung der Bal¬ 
neotherapie, darauf folgt eine Liste der verschiedenen allgemeinen Regeln der Zubereitung der 
Speisen und Getränke, sowie Vorschriften für die normale Ernährung des Menschen, der zu seiner 
Existenz Eiweisskörper und leimgebende Stoffe, Fette, Kohlehydrate und Salze nöthig hat. Die 
Flüssigkeitsaufnahme bei den Mahlzeiten soll mässig sein, ausser der Suppe braucht man nicht viel 
mehr, denn die Verdauungssäfte werden dadurch allzusehr verdünnt, der Magen selbst wird über¬ 
füllt und lässt wenig Raum für die konsistente wirkliche Nahrung. Die neuesten-Versuche Ewald'a 
haben dargethan, dass, ausser bei Magenerweiterungen, es nicht darauf ankommt, ob man vor, 
während oder nach dem Essen trinkt, doch soll, je nach den einzelnen Fällen, die Menge des Ge¬ 
tränkes genau bestimmt werden. Eine Reihe allgemeiner Grundsätze hinsichtlich der Aufnahme 
wie der Zubereitung von Speisen — letztere wurden in praxi dargestellt —, sowie Wesen und Natur 
der diätetischen Maassrcgeln während einer Trink- und Brunnenkur wurden des weiteren von Gil¬ 
bert erörtert. 

Ueber die Chemie der Mineralquellen sprach Rössler (Baden - Beden) und erläuterte 
durch zahlreiche Versuche seinen Vortrag. Er schildert, wie eine Mineralwasseranalyse entsteht, 
und wie aus den erhaltenen Säure- und Basenarten die Analysen entweder nach dem Vorschläge 
Bunsen’s oder nach der Jonentheorie berechnet werden. Einer eingehenden Besprechung werden 
die Quellsalze unterworfen und an der Hand der Analysen gezeigt, dass durch Abdampfen der 
Heilquellen nichts besseres geschaffen werden kann, als was man im stände ist, ebensogut, aber 
weit billiger durch Mischen von Salzen und eventueller Karbonisierung derselben herzustellen. Löse 
man aber gar im Glauben, das ursprüngliche Mineralwasser wieder zu erhalten, diese sogenannten 
natürlichen Quellsalze im Wasser auf, so erhalte man eine Lösung, die weder die chemische Zu¬ 
sammensetzung, noch den Geruch und Geschmack des Mineralwassers habe, das man durch diese 
Auflösung herstellen wollte. Eine Nachahmung eines Wassers, das aus grösserer Tiefe stamme, sei 
unmöglich, da es ganz labile Gemische seien, deren chemische Zusammensetzung mit dem Austritt 
der Quelle aus dem Schosse der Erde beginne. Mit einer detaillierten Besprechung der Mineral¬ 
wässer des Handels schlossen diese Ausführungen. 


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Berichte über Kongresse und Vereine. 647 


Ueber Thermotherapie sprach Neumann (Baden-Baden), der dirigierende Arzt des dor¬ 
tigen Landesbades. Neu mann betont eingangs seiner Ausführungen, dass durch die modernen 
Formen der Thermotherapie ein grosser Fortschritt schon dadurch gegeben ist, dass eine lokale 
Verwendung von Wirme und Hitze sich leicht ermöglichen lasse. Infolgedessen sind Temperaturen 
bis zu 1600 C zur Verwendung zu bringen und dadurch auch lokale Heilwirkungen denkbar ge¬ 
worden, die früher in keiner Weise erreichbar waren. Für diese Zwecke in Anwendung gezogen 
wurde im Landesbad Fango, Tallerman und das elektrische Glüh- und Bogenlicht, und zwar 
ereteres in 3900 Applikationen, der Tallerman in 3500 Fällen (beides innerhalb eines Zeitraumes 
von drei Jahren), das elektrische Glüh- und Bogenlicht 2200mal innerhalb zweier Jahre. Auf Grund 
der gewonnenen Erfahrungen wurde aber dem Bogenlicht der Janduslampe (Hochspannung und 
3 cm langer Lichtbogen) entschieden der Vorzug gegeben. Nach diesen verschiedenen Prozeduren 
treten Erscheinungen auf, welche sämmtlichen Methoden gemeinsam sind: Einmal starke Vaskula¬ 
risation der betreffenden Körperpartie, meistens leichte allgemeine Temperaturerhöhung, energische 
Schweisssekretion, massige Steigerung der Pulsfrequenz. Gemeinsam ist ferner die Thatsache, dass 
lokal hoebgesteigerte Temperaturen vom Herzen meist gut vertragen werden, ferner, dass wohl 
durch die angeregte Ausscheidung von Toxinen das Allgemeinbefinden sich eher hebt, der Appetit 
sich steigert, das Herz vielfach kräftiger wird und beträchtliche Gewichtsabnahmen nicht eintreten. 
0ertlich finden infolge der energischen arteriellen Hyperämie in der Tiefe Resorptionsvorgänge 
statt. Interessant ist auch die schmerzstillende Wirkung auf lokal behandelte Theile. Eine Haut¬ 
reizung kam nie zur Beobachtung, und Verbrennungen können bei gutem Wartepersonal von halb¬ 
wegs verständigen Patienten sicher vermieden werden. Interessant ist die Thatsache, dass im elek¬ 
trischen Bogenlichtbade manchmal schon während des Bades eine Pulsverlangsamung cintritt Die 
lokale Schweisssekretion, der ja immer eine allgemeine folgt, scheint zweifellos am intensivsten bei 
trockener überhitzter Luft zu erfolgen, wie auch die Blutfüllung der Haut am deutlichsten und 
nachhaltigsten nach Anwendung des Ta 11 er manschen Apparates sichtbar wird. Drückt man 
nach längerer Anwendung desselben eine Glasplatte auf die Haut, so ist es nicht möglich, die tie¬ 
feren Schichten derselben vollständig blutleer zu machen. Ferner nimmt nach ThermoanWendungen 
der Umfang der betreffenden Glieder ansehnlich zu. Welche Anregung für Resorption und Lymph- 
bewegung damit gegeben ist, geht aus der arteriellen Hyperämie hervor, umsomehr, als auffallender 
Weise die Venen an dieser Hyperämie nicht betheiligt sind, sondern variköse Erweiterungen eher 
kleiner werden. Gemeinsame Indikationen für alle Arten von Thermotherapie sind Gelenkerkran¬ 
kungen subkutanen und chronischen Charakters, zweitens Neuralgieen und Neuritiden, drittens 
Muskelatrophieen peripheren Ursprungs. Auffallend ist, dass solche Fälle neuritischen Ursprunges 
besonders unter dem Gebrauch des Bogenlichtes mit der Janduslampe rasch zur Besserung und zur 
Heilung gelangen, wie man es von sonstigen Behandlungsweisen, insbesondere von monatelangem Gal¬ 
vanisieren, nie sieht. Hohe Hitzegrade wirken auch auf erschlaffte und erkrankte fibröse Gewebe, wie 
sie bei der rheumatischen Schwiele, dem entzündlichen Plattfuss und der Versteifung der Wirbelsäule 
in Erscheinung treten. Besonders in Verbindung mit Gymnastik lassen sich geradezu glänzende Er¬ 
folge erzielen. Von internen Krankheiten eignen sich für Thermotherapie, inbesondere für Fango¬ 
anwendung chronische Exsudate der Bauchhöhle (puerperale Exsudate, Gallensteinerkrankungen und 
deren Folgen etc ). Ganz eigenartige und vorzügliche Eifolge erzielte Neumann bei aus den ver¬ 
schiedensten Ursachen zu Stande gekommenen Ankylosen von Gelenken (mit Ausnahme derer tuber¬ 
kulösen Ursprunges, die nie zur Behandlung mittels thermotherapeu tisch er Prozeduren gezogen 
wurden), indem er dieselben in tiefer Narkose brach und dann sofort der Wirkung des Fangos und 
abwechselnd des Tallerman’sehen Apparates aussetzte Auf diese Weise kann man im vollsten 
Gegensatz zu den bisherigen Behandlungsmethoden sehr bald mit maschineller Gymnastik beginnen 
und in vielen Fällen den Zustand des Kranken ganz ausserordentlich bessern. 

Es sprachen weiterhin noch Frey (Baden-Baden) über Hydrotherapie, ihre Methodik 
und Anwendungsformen; Obkircher (ebendaselbst) über Thermen, ihre Anwendungs¬ 
weise und Indikation; Steinmann (Freiberg) über die geologischen Beziehungen der 
Therm en, und trugen auch ihrerseits zu dem wissenschaftlich-regen Verlauf der diesjährigen Kurse bei. 


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648 


Referate Qber Bücher und Aufsätze. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

M. Hübner, Ueber die Wirkung der Borsäure 
anf den Stoffwechsel des Menschen. Hygie¬ 
nische Rundschau 1902. No. 4. 

Die Borsäure, welche ganz allgemein als gutes 
und unschädliches Konservierungsmittel den ver¬ 
schiedensten Nahrungs- und Genussmitteln zuge¬ 
setzt wird, erweist sich nach den Untersuchungen 
Rubner’s als ein verschiedene Körperfunktionen 
wesentlich beeinflussender Stoff. Die schon früher 
von Förster beobachtete schlechtere Ausnützung 
der Nahrung nach Zusatz von Borsäure konnte 
auch Rubner bestätigen. Ausserdem fand er 
eine beträchtliche Steigerung der Kalorieen- 
produktion, wobei die N-Ausscheidung fast gleich 
blieb, während die CO*-Ausscheidung anstieg, 
sodass also der Mehrverbrauch auf Kosten der 
N-freicn Stoffe stattfand. Gleichzeitig wurde 
eine Mchrausscheidung von Wasserdampf in der 
Borperiode beobachtet. Infolge dieses starken 
Einflusses auf die Fettzersotzung ist die Borsäure 
entschieden unter die gesundheitsschädlichen 
Mittel einzureihen. Möglicherweise lässt sich von 
der Borsäure als Entfettungsmittcl etwas erwarten* 
F. Voit (München). 

Procbownik, Ueber Ernährnngskuren in 
derSchwaugerschaft. Therapeutische Monats¬ 
hefte 19)1. August/September. 

Der Verfasser hat sich seit vielen Jahren mit 
praktischen Untersuchungen darüber beschäftigt, 
ob ein Zusammenhang zwischen Kräfte- bezw 
Ernährungszustand der Frau und dem Verlauf 
von Geburt, Wochenbett und Stillgeschäft be¬ 
steht, und ferner, ob ein Zusammenhang zwischen 
der Ernährung der Mutter und der Beschaffenheit 
des Kindes zu eruieren ist. Zu seinem Versuchen 
wurden ausschliesslich Schwangere benutzt, die 
in ihrem Ernährungszustand keine normalen Ver¬ 
hältnisse darboten, und zwar einerseits über¬ 
ernährte, fette Individuen, und andrerseits schlecht 
genährte, anämische. Bei der ersten Kategorie 
wurde die völlige Enthaltung von Suppen, Spi¬ 
rituosen und Süssigkeiten zur Pflicht gemacht, 
die Menge des Wassers und der Kohlehydrate 
genau vorgeschrieben und daneben ein bestimmtes j 


Maass von Bewegung verordnet Die Wahl zwi¬ 
schen Fleisch, Fisch, Gemüsen und Fetten wurde 
dem subjektiven Empfinden der Einzelnen über¬ 
lassen. Bei dieser Diät, die in den ersten Mo¬ 
naten der Gravidität begonnenn wurde, gestalteten 
sich die Geburten überraschend leicht, während 
die ersten Geburten stets schwere und kom¬ 
plizierte gewesen waren Betreffs des Stillens 
war eine wesentliche Aenderung gegen früher 
I nicht festzustellen. Was die Kinder anlangte, so 
blieb das Gewicht gegen das der vorausgegange¬ 
nen Kinder zurück, obwohl man nach der Ge- 
■ burtenzahl das umgekehrte Verhalten hätte er- 
I warten müssen. 

Bei den unterernährten Schwangeren wurde 
die Behandlung mit einer mehrwöchigen, lokalen 
Ruhelage begonnen, unter gleichzeitiger Appli¬ 
kation von hydriatischen Prozeduren und Mas¬ 
sage. Die Flüssigkeitszufuhr war eine reichliche; 
in der Kost wurde das Hauptgewicht auf Zufuhr 
von Eiweiss und Fetten gelegt. Daneben wurden 
dauernd kleine Mengen von Eisen gereicht. Auch 
hier waren ausgezeichnete Erfolge zu verzeichnen; 
die Bauchpresse und die Uterusmuskulatur zeigten 
! weit bessere Kontraktionsfähigkeit wie früher, 

! und die Kindergewichte stiegen bedeutend an. 

I Die Zahl der Beobachtungen, über die der 
Verfasser verfügt, ist nach seiner eigenen Ansicht 
l eine viel zu kleine, um aus ihr allgemein gütige 
| Schlüsse abzuleiten; immerhin hält er seine Re¬ 
sultate für wichtig genug, um auf diesem Wege 
fortzuschreiten. Freyhan (Berlin). 


Ehrlich, Die Reinigung des Obstes vor dem 
Genüsse. Archiv für Hygiene Bd. 41. Heft 2. 

So wenig man im allgemeinen daran zweifelt, 
dass das zum Genüsse bestimmte Obst oft einer 
Verunreinigung mit allerlei Substanzen ausgesetzt 
ist, so hat man doch noch nicht versucht, an 
Stelle einer allgemeinen Vorstellung die konkrete 
Thataehe zu setzen. Und doch ist die Kenntniss 
dieser Verhältnisse nothwendig, um eine zweck¬ 
mässige Reinigung des Obstes vor dem Genuss 
durchzuführen. Der Verfasser hat nun experi¬ 
mentell festgestellt, dass dem Obste Bakterien 
anhaften, deren Zahl im allgemeinen sich in massi¬ 
gen Grenzen hält. Die verschiedenen Obstsorten 
zeigten sich in ungleichem Maasse beschmutzt: 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


649 


am wenigsten Bakterien fanden sich bei den 
Heidelbeeren, am meisten bei den Kirschen. 
Jedenfalls erweisen die Tabellen des Verfassers 
klar, dass eine Beschmatzung der verschiedenen 
Obstsorten regelmässig vorkommt, und ferner, 
dass dieselbe nicht etwa allein während des 
Transportes geschieht, sondern dass auch Stoffe 
allerlei Art mit den Strauchfrüchten in Berührung 
kommen und an ihnen haften bleiben. 

Was die Reinigung des Obstes betrifft, so 
abstrahiert Ehrlich aus seinen Untersuchungen 
folgendes Verfahren als das zweckmässigste: Bei 
frischem Obst genügt eine einmalige gründliche 
Waschung, am besten unter strömendem Wasser, 
wobei das Obst etwas durcheinandergeschüttelt 
werden muss. Mehrfaches Waschen ist nur bei 
solchem Obst nöthig, das längere Zeit dem Ein¬ 
trocknen ausgesetzt gewesen ist, weil hier die 
Keime fester haften. Durch zu langes Waschen 
wird das Aroma und der Geschmack mancher 
Obstsorten, wie z. B. der Erdbeeren und Him¬ 
beeren, nachtheilig beeinflusst, sodass hier dem 
geringen Vortheil einer gründlichen Reinigung 
der grössere Nacbtheil eines verringerten Ge¬ 
nasses gegenübersteht. Wenn Birnen und Aepfel 
mit der Schale genossen werden, so ist es zweck¬ 
mässig, sie zuerst mit einem sauberen und trocke¬ 
nen Lappen abzureiben und dann in strömendem 
Wasser abzuspülen. Auf diese Weise lassen sich 
die anhaftenden Verunreinigungen in ausreichen¬ 
dem Maasse entfernen. Uebrigens ist bei allen 
diesen Maassnahmen im Auge zu behalten, dass 
feucht gewordenes Obst rasch Gährungserscliei- 
nungen und Schimmelwachsthum zeigt; cs sind 
daher nur die zum unmittelbaren Konsum be¬ 
stimmten Früchte der Waschung zu unterziehen. 

Freyhan (Berlin). 


Reumann, Die Wirkung des Alkohols als 
Eiweisssparer. Archiv für Hygiene Bd. 21. 
Heft 2. 

Die vorliegende Arbeit ist in der Hauptsache 
eine Entgegnung auf eine Kritik, die Rosemann 
an einem früheren Alkohol versuch des Verfassers 
geübt hat. Neumann war in dieser früheren Ar¬ 
beit zu dem Resultat gekommen, dass der Alkohol 
als Eiweisssparer aufzufassen ist, und da seine 
Schlussfolgerungen als nicht beweiskräftig ange¬ 
griffen worden sind, so sucht er durch neue Ver¬ 
suche seine Behauptungen zu stützen. Aus dem 
Vergleich des jetzigen mit dem früheren Versuch 
geht zunächst hervor, dass beide Male trotz An¬ 
wendung einer verschiedenen Methode doch das 
gleiche Ergebniss erzielt worden ist. So wurde 
einmal bei Unterernährung und Alkohol fast genau 
N - Gleichgewicht erzielt, und andrerseits bei ge- 

Zeitaohr. t dilt u. phjsik. Therapie Bd. VI. Heft 11. 


nügender Nahrung und Alkohol N-Zus&tz erreicht. 
Der N-Ansatz war allerdings geringer, als wenn 
an Stelle des Alkohols Fett gereicht wurde. Ueber- 
einstimraend in beiden Versuchen war ferner in 
der Alkoholperiode eine geringe Erhöhung der 
Urinmenge und die Beobachtung, dass sich der 
Organismus in sehr kurzer Zeit an grosse Alkohol¬ 
dosen gewöhnen kann. Beide Male gelang die 
Gewöhnung in der kurzen Zeit von fünf bis sechs 
Tagen, einmal nach Ueberwindung einer Intoxi¬ 
kation, das andere Mal unter Vermeidung der¬ 
selben. Jedenfalls stimmen die erzielten Ergeb¬ 
nisse im Punkt der Eiweisssparung vollständig 
mit einander überein; sie sind um so wichtiger, 
als sie an ein- und derselben Person gewonnen 
sind, zu ganz verschiedenen Zeiten und bei ganz 
anders eingerichteter Nahrung, aber sonst unter 
gleichen Bedingungen und Verhältnissen. Natür¬ 
lich ist der Verfasser weit entfernt davon, aus 
der Thatsache, dass der Alkohol ein Eiweiss¬ 
sparer ist, eine praktische Nutzanwendung ziehen 
zu wollen; im Gegentheil verwahrt er sich da¬ 
gegen, dass der Alkohol etwa in der Praxis als 
ei weisssparendes Mittel empfohlen werden könnte 
Freyhan (Berlin). 


0ppenheimer, Ueber Säuglingsernährung 
durch unverdünnte Milch« Archiv für Kinder¬ 
heilkunde. Bd. 31. Heft 5/6. 

Verfasser tritt auf das Lebhafteste für die 
Vollmilch als Säuglingsnahrung ein, welche, na¬ 
mentlich von französischen Kinderärzten, neuer¬ 
dings angelegentlichst empfohlen, in Deutschland 
seither nur vereinzelte Fürsprecher gefunden hat 
Seine Versuche erstrecken sich auf ca. 90 theils 
gesunde, theils magendarmkranke und atrophische 
Kinder; dieselben wurden meist längere Zeit, von 
vier Wochen bis zu mehreren Monaten, mit pas¬ 
teurisierter, unverdünnter Kuhmilch ernährt, und 
wiesen in der Mehrzahl der Fälle tägliche Ge¬ 
wichtszunahmen auf, welche (mit 23—25g pro 
die) die von Camerer und Biedert für künst¬ 
lich genährte Säuglinge überhaupt (auf 19,7 g) 
berechneten Durchschnittswerthe übertrafen; da¬ 
bei wurde ein sehr guter Allgemeinhabitus, na¬ 
mentlich straffes Fettpolster und derbe Musku¬ 
latur, erzielt, und selbst unter elf stark atrophi¬ 
schen Kindern gediehen vier bei Vollmilch recht 
gut Der jüngste mit Vollmilch aufgezogene 
Säugling war erst neun Tage alt. Als unerläss¬ 
liche Kautelen bezeichnet Oppenheimer all¬ 
mählichen Uebergang zur Vollmilch und genaue 
Dosierung der Einzelmahlzeiten und der Tages¬ 
quanten; er giebt am ersten Tage 1/2 Milch, 1/2 
Wasser, oder eventuell noch stärkere Verdün¬ 
nungen, dann jeden zweiten Tag um 100 g Milch 

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Referate über Bücher and Aufsätze. 


650 


mehr and um 100 g Wasser weniger, bemisst die 
Tagesmengen auf 500 g im ersten Monat, 750 im 
zweiten, 1000 im dritten bis vierten, und berech¬ 
net die Zahl der täglichen Mahlzeiten auf acht in 
den ersten zwei bis drei Wochen, sieben im 
zweiten bis vierten Monat, und fünf oder höch¬ 
stens sechs in späterer Zeit. 

Zahlreiche Tabellen und graphisch dargestellte 
Kurven demonstrieren die Erfolge des vom Ver¬ 
fasser befürworteten Ernährungsregimes mit Voll¬ 
milch, welche durch ihre Bekömmlichkeit und 
nicht minder auch durch die einfachere Herstel¬ 
lung vor den bisher beliebten, diversen Milch¬ 
verdünnungen den Vorzug verdiene. Allerdings 
bezeichnet Oppenheimer die pasteurisierte, 
reine Kuhmilich nur als die beste »künstliche« 
Nahrung und betont ausdrücklich ihre Inferiorität 
gegenüber der Muttermilch. 

Hirschei (Berlin). 

Otto Cohn heim, Die Umwandlung des Ei- 
welsses durch die Darm wand« Zeitschrift für 
physiologische Chemie Bd. 33. Heft 5 und 6. 
S. 451. 

Im Jahre 1880 hat Salvioli, 1881 Hof¬ 
meister gefunden, dass die überlebende Darm¬ 
schleimhaut Pepton verschwinden lässt, d. h. es 
in einer Weise verändert, dass es mit den üblichen 
Reaktionen nicht mehr nachgewiesen werden 
kann. Hofmeister zog daraus den Schluss, 
dass die Peptone bei der Resorption von den 
Leukocyten der Darmwand assimiliert würden, 
und durch diese als Eiweiss und sogar als Zell¬ 
ei weise den Organen zugeführt würden.^ Diese 
letztere Hypothese wies Heidenhain zwar zu¬ 
rück, aber auch er nahm eine Rück vor Wandlung 
der Peptone in Eiweiss an, nur sollte diese schon 
in den Epithelien der Darmwand statthaben. 
Thatsache ist, dass in den Geweben, im Blut und 
in der Lymphe auch verdauender Thiere kein 
Pepton vorkommt Aber ein positiver Beweis für 
die Restitution des Eiweiss war nicht erbracht, 
vielmehr hatte schon Neumeister gezeigt, dass, 
wenn man überlebende Dannschleimhaut mit 
Peptonen in Berührung bringt, das Pepton zwar 
verschwindet, an seiner Stelle aber kein Eiweiss, 
sondern umgekehrt vielmehr Spaltungsprodukte 
der Peptone, nämlich Leucin und Tyrosin 
auf treten. 

Verfasser hat nun diese Neumeister’sche 
Beobachtung weiter verfolgt Auch ihm gelang 
es in keiner Weise, eine Restitution der Peptone 
in Eiweiss nachzuweisen, vielmehr fand sich der 
ganze Stickstoff in dem enteiweissten Filtrat 
wieder, aber weder als Pepton noch als Eiweiss, 
sondern als Spaltungsprodukte des Peptons, wie 


schon Neumeister angegeben hat, hauptsäch¬ 
lich als Leucin und Tyrosin (ausgefällt durch 
Phosphorwolframsäure). Dieses Resultat erhielt 
der Verfasser nun auch, wenn er nicht über¬ 
lebende Darmschleimhaut, sondern das Extrakt 
der Darmschleimhaut verwendete. Es folgt dar¬ 
aus, dass die Spaltung der Peptone nicht an die 
lebende Zelle geknüpft ist sondern ein fermen¬ 
tativer Prozess ist. Dieses Ferment nennt der 
Verfasser Erepsin (von ipeinu» ich zertrümmere). 
Es unterscheidet sich von dem Trypsin des Pan¬ 
kreas dadurch, dass es nur auf Peptone und 
einen Theil der Albumosen, nicht auf genuines 
Eiweiss einwirkt. Als der Ort seiner Bildung 
ist die Darmwand anzusehen. 

M. Lewandowsky (Berlin). 


Hensay, Leber die Speiehelverdanung der 
Kohlehydrate im Magen* Münchener medi- 
cinische Wochenschrift 1901. No. 30. 

Verfasser suchte einen Einblick in die im 
Mund und Magen des Menschen stattfindende 
Amylolyse dadurch zu gewinnen, dass er bei 
seinen Versuchspersonen eine gewisse Zeit nach 
einer kohlehydratreichen Mahlzeit im ausgeheber¬ 
ten Mageninhalt das Verhältnis der gelösten zu 
den ungelösten Kohlehydraten bestimmte, ln 
seinen Versuchen fand er durchweg sehr grosse 
Mengen von Stärke durch Speichelwirkung gelöst, 
und schliesst daraus, dass die chemische Funktion 
des Speichels ganz hervorragend wichtig ist. Die 
gelösten Kohlehydrate bestanden grössten theils 
aus Maltose und der Maltose sehr nahestehenden 
Dextrinen. Die Acidität des ausgeheberten Breies 
war meist eine sehr niedrige, was Verfasser auf 
den Fettgehalt des Breies schiebt, da Fett be¬ 
kanntlich die H C1 - Sekretion verlangsamt. Man 
könnte vielleicht auf diesen Umstand das günstige 
Resultat bezüglich der Amylolyse zurückführen; 
allerdings war in einem Versuche 0,13% freie 
HCl vorhanden, und trotzdem fand eine starke 
Amylolyse statt. 

Verfasser versuchte auch festzustellen, wie¬ 
viel der gelösten Kohlehydrate von der Magen¬ 
wand resorbiert würde; indess waren infolge der 
Unzulänglichkeit der Methode die diesbezüglichen 
Resultate unklar, so dass diese Frage offen ge¬ 
lassen werden musste. 

Gotthelf Marcuse (Breslau). 

Heim, Die Behandlung der kronp&sen Pneu¬ 
monie im Kindesalter* Therapeutische Mo¬ 
natshefte 1901. November. 

Die vom Verfasser geübte Pneumoniebehand¬ 
lung — Sorge für gute, nicht zu trockene Luft 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


651 


im Krankenzimmer, reichliche Ernährung der Pa- I 
tienten durch Milch oder Kefir, Mehlpräparate, [ 
weich gekochte Eier und leichte Fleischspeisen, 
Bekämpfung des Hustenreizes, des Fiebers und 
der bei Säuglingen häufigen Konvulsionen, sowie 
Verhütung der Herzinsufficienz und Hebung des 
Sensoriums durch geeignete Medikamente und 
hydrotherapeutische Prozeduren — deckt sich im 
wesentlichen mit den allgemein üblichen Maass¬ 
nahmen. Bemerkenswerth ist die wohl von den 
meisten Kinderärzten anerkannte Empfehlung des 
Alkohols als Stimulans, gegen dessen Darreichung 
selbst in kleinen Dosen neuerdings Kassowitz 
(Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. 54. Heft 4) 
sehr energisch Front macht, und die Anwendung 
von Sauerstoffinhalationen und Venaesektionen 
bei drohendem Lungenödem. 

Hirschei (Berlin). 


B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 

P. Jacob, Gymnastik. Aus: Die deutsche 
Klinik am Eingang des zwanzigsten Jahrhun¬ 
derts. Bd. 1. Urban und Schwarzenberg. 

In dem gross angelegten Werke, das bekannt¬ 
lich von v. Leyden inauguriert ist und in der 
Form akademischer Vorlesungen die gesammte 
spezielle Pathologie und Therapie der Klinik der 
Gegenwart umfasst, ist als eine der letzten Liefe¬ 
rungen die vorliegende Abhandlung erschienen. In 
knapper, anschaulicher Form behandelt der Autor, 
dessen fruchtbringende Thätigkeit auf dem Ge¬ 
biete der physikalischen Heilmethoden ja allge¬ 
mein bekannt ist, das Thema, und versteht es, 
durch seine frische, klare Darstellung des an sich 
so spröden Materiales zu fesseln. Nach einer 
kurzen historischen Einleitung werden Turnen, 
Turnspiele und Sport, Heilgymnastik und ihre 
therapeutische Anwendung bei den einzelnen 
Krankheitsgruppen skizziert, wobei der Haupt¬ 
werth auf ihre praktische Verwendbarkeit gelegt 
wird. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die 
grossen Lehrbücher der Heilgymnastik auf ein 
sehr schwaches Interesse bei Aerzten wie Stu¬ 
dierenden stossen, dagegen Abhandlungen im 
Sinne der Jacobesehen von vornherein durch 
ihre nie ermüdende, zusammenfassende Darstel¬ 
lung einen dankbaren Boden finden. Kommt 
nun hinzu, dass hier nicht bloss der Theoretiker, 
sondern auch der geübte Praktiker, der sich 
selbst mit den Fragen der Begründung neuer 
physikalischer Heilmethoden, mit den Neukon¬ 
struktionen, Verbesserungen von Apparaten etc. 
seit langem beschäftigt, seine Erfahrungen offen- , 
bart, so gewinnt die Arbeit wesentlich an Werth, j 
Eine Reihe von Figuren, die die Haupttypen der 


Apparatotherapie in scharfer Form wiedergeben, 
trägt zur Veranschaulichung des Textes bei. 

J. Marcuse (Mannheim). 


Krikortz, Lemassage. Journal des Practiciens 
1901. No. 37. 

Verfasser bespricht die Bewegungstherapie 
bei Herzkrankheiten, besonders die Anwendung 
von aktiven und passiven Bewegungen. Er theilt 
die aktiven Bewegungen in Hemmungs- und 
automatische Bewegungen. Erstere werden sehr 
langsam ausgeführt. Der Kranke muss mit Zu¬ 
hilfenahme der Antagonisten seine ganze Auf¬ 
merksamkeit darauf richten, dass die vorge¬ 
schriebene Geschwindigkeit nicht überschritten 
wird. Dieses erfordert eine hohe Inanspruch¬ 
nahme der Willenskraft, wodurch eine Reizung 
der Gehirnrinde eintritt Diese psychische Er¬ 
regung beeinflusst das Gefässsystem und erhöht 
den arteriellen Blutdruck, was an der Pulskurve 
nachzuweisen ist. Die 1 Hemmungsbewegungen 
wirken somit als Tonikum auf das Herz und 
werden in solchen Fällen angewandt, wo das 
Herz noch zu einer methodischen Trainierung 
fähig ist, z. B. bei gut kompensierten Klappen¬ 
fehlern oder im ersten Stadium der Inkompen¬ 
sation, bei geringer Dilatation, wenn der Herz¬ 
muskel gesund ist u. s. w. 

Die automatischen Bewegungen entlasten im 
Gegensätze hierzu die Gehirnrinde, wodurch deren 
tonisierender Einfluss auf das Gefässsystem fort¬ 
fällt. Hierdurch beruhigen sie das Herz und 
finden daher bei seinen funktionellen Störungen 
Anwendung. Ausserdem üben sie dadurch, dass 
sie oft und lange ausgeführt werden können, 
einen günstigen Einfluss auf die venöse Blut- 
cirkulation aus, indem durch die Muskelbewegungen 
der Abfluss des Venenblutes erleichtert wird. 
Weil aber hierdurch dem Herzen eine grosse 
Menge venöses Blut zugeführt wird, muss man 
mit diesen Bewegungen vorsichtig sein, wenn 
der rechte Ventrikel erweitert ist. 

In diese beiden grossen Bewegungsgruppen 
lassen sich nach Verfassers Meinung alle aktiven 
Bewegungen, auch die Widerstandsbewegungen 
einreihen; je nachdem die Willenskraft bei ihnen 
mehr oder weniger zur Geltung kommt, # nähern 
sie sich der einen oder der anderen Gruppe. 

Krikortz weist dann noch auf das bekannte 
Schwann’sche Gesetz hin, dass der Widerstand 
in den verschiedenen Phasen der Bewegung ein 
wechselnder ist. Die Apparate von Herz er¬ 
füllen nach seiner Ansicht diese Forderung in 
vollkommener Weise. 

Ein zweites Mittel, um auf das Herz ein¬ 
zuwirken, sind forzierte Inspirations- und Ex¬ 
spirationsbewegungen. Forziertc Inspirationen 


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Referate über Bficher and Aufsätze. 


erhöhen den Blutdruck, während forzierte Ex¬ 
spirationen , d. i. die Kompression des Thorax 
bei der Exspiration ihn herabsetzen. Daher sind 
bei Ueberfüllung des Lungenkreislaufes forzierte 
Exspirationen am Platze. Besonders empfiehlt 
Krikortz noch die Rückenmassage, bestehend 
in Friktion der Interkostalnerven. 

Ein drittes Mittel ist die Massage der Herz¬ 
gegend, welche direkt auf das Herz wirkt. Das 
Tapotement erregt das Herz und erhöht den 
arteriellen Blutdruck, während die Erschütterungen 
beruhigend wirken. 

Schliesslich erwähnt Krikortz als weitere 
Hilfsmittel bei der Behandlung von Herzkranken 
noch die Baachmassage, die Erschütterung der 
Lenden- und Kreuzgegend and die Massage der 
Extremitäten. 

Zum Schlüsse meint er, dass die schwedische 
Methode, welche nur auf die venöse Cirkulation 
einzuwirken suche, wie auch die deutsche von 
Schott, welche nur das Herz stimulieren wolle, 
einseitig seien. Er will diesen die französische 
Methode gegenüberstellen, welche er eine aus¬ 
wählende, sich den Indikationen genau anpassende 
Methode nennt 

Er ist der Ansicht, dass die Apparate von 
Herz den Zander’schen überlegen seien, was 
wohl darin seinen Grund hat, dass er die Be¬ 
handlung von Herzkranken mit letzteren nicht 
aus eigener Erfahrung kennt. Er giebt zu, dass 
er seine Erfahrungen über die Bewegungstherapie 
bei Herzkranken in Bourbon - Lancy, wo sich 
Herz* sehe Apparate befinden, gesammelt hat. 

Linow (Dresden). 


Erik Ekgren, Der Albumengehalt des 
Harnes der Nephritiker unter dem Einfluss 
der Massage. Aus der III. medicinischen 
Universitätsklinik in Berlin. 

Es ist erwiesen, dass der normale Urin Spu¬ 
ren von Albumen enthält. Namentlich ist solches 
nach starken Muskelanstrengungen beobachtet. 
Bei pathologischer renaler Albuminurie hat Se¬ 
nator wiederholt gesehen, dass starke Muskel¬ 
bewegungen die Albuminurie steigern. Solche 
Kranke sollen demnach aktive Bewegungen spe¬ 
ziell der unteren Extremitäten, wie Gehen, Berg¬ 
steigen , Radfahren u. s. w. möglichst vermeiden. 

Eine andere Frage ist nun aber, wie es sich 
bei diesen Kranken mit passiven Bewegungen 
oder mit Massage verhält. Verfasser hat nun 
zwei Fälle von Granularatrophie und einen Fall 
von subakuter parenchymatöser Nephritis mit 
allgemeiner Körpermassage, insbesondere mit Ef- 
fleurage und Pötrissage behandelt, indem er das 
Tapotement der Nierengegend und die Nieren¬ 


erschütterung vermied. Der eine Fall wurde im 
ganzen fünfmal, der andere sechsmal und der 
dritte Fall dreimal mit Massage behandelt. 

Die Versuche haben zunächst ergeben, dass 
die Massage auf die Urinmenge und das spezifi¬ 
sche Gewicht keinen besonderen Einfluss hatte. 

Der Eiweissgehalt ist nach der Massage vier¬ 
mal derselbe geblieben oder gesunken, während 
er sich zehnmal beträchtlich vermehrt hat. 

Bei einem Fall wurden Widerstandsbewe¬ 
gungen der unteren Extremitäten hinzugefugt, 
nach denen der Eiweissgehalt stieg. Aber auch 
Bewegungen der oberen Extremitäten steigerten 
den Eiweissgehalt. 

Subjektiv wurde die Massage gut vertragen. 
Auch nahmen die Oedeme ab. 

Das Resultat der Untersuchungen gipfelt 
demnach darin, dass Widerstandsbewegungen 
oder allgemeine Körpermassagc bei Nierenkran¬ 
ken zu vermeiden sind; cs deckt sich mit den 
Erfahrungen der Mechanotherapeuten, für welche 
jede Nierenerkrankung eine strikte Kontraindi¬ 
kation für Massage und Heilgymnastik bildet 
Linow (Dresden). 


Dagron, Le massage dans les maladies 
nerveuses. Le bulletin mödical 1902. No. 19. 

Es sei schon seit Langem massiert worden 
in Fällen von Nervenkrankheiten. Die Massage 
sei ausgeführt worden in der Form von Friktionen, 
in jedem Fall in derselben Weise, und von Leuten, 
die kein Verstandniss für den Einzelfall hatten, 
und so manchmal direkt schadeten. Es sei nöthig, 
dass die Friktion durch Maassnahmen ersetzt 
werde, die ihrer Form und der Intensität ihrer 
Anwendung nach den pathologischen Verhält¬ 
nissen des Einzelfalles angepasst wären, und es 
sei weiter nöthig, dass der Arzt selbst massiere, 
oder doch wenigstens die Ausführung seiner An¬ 
ordnungen durch eine geschulte Assistenz über¬ 
wache, um jede Schädigung des Patienten zu 
vermeiden. Selbstverständlich könne die Massage 
eingetretene pathologisch - anatomische Verände¬ 
rungen nicht rückgängig machen, oder ihren 
Verlauf irgendwie beeinflussen. Sie könne nur 
ihre Symptome mildern und die Atrophie einzelner 
Muskeln oder Muskelgruppen hintanhalten, bezw. 
sie schnell kräftigen, wenn sie ihre Funktionen 
wieder aufnehmen. In ihrer Ausführung müsse 
sich die Massage den Verhältnissen des Einzel¬ 
falles, seiner Art und seinem Entwickelungs¬ 
stadium anpassen. In jeder Nervenkrankheit 
fänden sich drei Symptomenformen mehr oder 
weniger stark ausgeprägt: Lähmungen,Neuralgieen 
I Kontrakturen; gegen sie müsse je nachdem vor- 
[ gegangen werden. Die Behandlung der Lähmungen 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


wird besprochen an dem Beispiel einer Radialis- 
lähmung mit dem Hinweis darauf, dass hier eine 
Massagebehandlung schneller und sicherer wirkt 
wie die elektrische Behandlung. Es werden zu¬ 
erst leichte Streichungen im Verlauf des Nerven 
ausgeführt, die bezwecken, die Cirkulation in den 
Venen, die den Nerv begleiten, zu unterstützen, 
die Resorption von Exsudaten, die sich in seinem 
Verlauf finden können, zu begünstigen, und den 
Nerv selbst, der manchmal empfindlich ist, fu 
anästhesieren. Dann werden alle von dem ge¬ 
lähmten Nerv innervierten Muskeln mit sanften 
Streichungen massiert, um das Eintreten einer 
Atrophie zu verhüten in der Erwartung, dass 
der Nerv wieder leistungsfähig werden wird. 
Diese Massage muss eventuell lange fortgesetzt 
werden, auch wenn die Centren des Nerven 
affiziert sein sollten in der Hoffnung, dass 
eventuell benachbarte Nerven für den gelähmten 
eintreten werden. Dann folgen nach einigen 
schnelleren und kräftigeren Streichungen der 
Antagonisten, die, da sie nicht arbeiten, auch 
eine Tendenz zur Ermüdung und Degeneration 
haben, passive Bewegungen der Gelenke, später¬ 
hin aktive Bewegungen und Uebungen der 
Muskulatur. Die Behandlung der Neuralgieen 
wird an dem Beispiel einer Ischias besprochen 
mit dem Hinweis darauf, dass bei Neuralgieen 
eine Heilung selten die Regel, aber eine Besserung 
häufig ist. Der kranke Nerv wird in seinem 
Verlauf massiert; die Streichungen müssen sanft 
und nicht schmerzhaft sein; sie befördern die 
Cirkulation und anästhesieren den Nerven. Dann 
folgt eine Massage der Muskeln, die bezweckt, 
die grossen Gelenke zu entspannen. Erst später 
— vom dritten bis vierten Tage ab — folgen 
Bewegungen in den Gelenken und leichte 
Dehnungen des Nerven. Die Behandlung der 
Kontrakturen wird besprochen an dem Beispiel 
eines Tortikollis. Es kommt hierbei l darauf an, 
die gespannten Muskeln sanft zu massieren und 
zu dehnen, die gedehnten Muskeln kräftiger zu 
massieren, um sie zu kräftigen. In vielen Fällen 
werden die Kontrakturen so wenigstens*gemildert 
werden können, in manchen Fällen sogar wesent¬ 
lich gebessert werden, wenn der. pathologische 
Prozess, der sie bedingte, noch zurückgeht, und 
die Leitungsbahnen sich zum Theil wiederher¬ 
stellen. Lemke (Dresden). 

P« Krause, Ersatz des gelähmten Quadriceps 
fetnorisj[durch^ die Flexoren desj Unter- 
Schenkels, Deutsche medicinische Wochen¬ 
schrift 1902. No. 7 und 8. 

Es handelte sich J um eine vollständige Pa- 
^ysc der rechten Kniestrecker nach spinaler j 


Kinderlähmung. Krause ersetzte den vollstän¬ 
dig atrophischen und wachsartig degenerierten 
Quadriceps durch die Kniebeuger (Biceps, Gra- 
cilis, Semimembranosus und Semitendinosus). 
Die genannten Muskeln wurden von ihren An¬ 
sätzen am Schien- und Wadenbein losgelöst, bis 
zur Mitte des Oberschenkels frei präpariert und 
hierauf der Biceps durch einen Schlitz im Vastus 
extemus, und die übrigen Muskeln durch einen 
Schlitz im Vastus internus nach vorn verlagert 
Der Biceps wurde hierauf am oberen, äusseren 
Rand der Kniescheibe, und die übrigen drei 
Muskeln sammt dem Sartorius an deren oberen, 
inneren Rand festgenäht. Das Resultat dieser 
ostalen Sehnenplastik war ein vortreffliches. 
Gegenwärtig, vier Jahre post Operationen}, kann 
der nun 19jährige Mann das Knie aktiv strecken, 
und mit Hilfe des Gastroknemius und Popliteus 
auch beugen. Er geht ohne Stock, auch über 
Treppen. Dieser Fall stellt nicht nur ein chi¬ 
rurgisches Meisterstück, sondern auch ein inter¬ 
essantes physiologisches Experiment dar. Wie 
Geheimrath Jolly’s Untersuchung zeigte, war 
der Quadriceps in diesem Falle vollständig atro¬ 
phisch, und auch durch elektrische Reizung des 
Nervus cruralis keine Wirkung zu erzielen. Fa- 
radische Reizung des Ischiadikus führte hingegen 
infolge der Verlagerung der Kniebeuger zur Knie¬ 
streckung Mit der Umpflanzung der Kniebeuger 
auf die Streckseite ist die Kompensation noch 
nicht abgeschlossen; es muss auch in der Hirn¬ 
rinde eine Umschaltung der Funktion eintreten. 
Das Centrum für die Kniebeugung muss im anta¬ 
gonistischen Sinne der Kniestreckung innerviert 
werden, was der Patient bereits vier Wochen 
post Operationen} erlernte, ohne dass er sich des 
Wechsels der Innervation bewusst wurde. 
Schliesslich sei noch auf die Ersetzung gelähmter 
Muskelfunktionen durch elastische Zuge hinge¬ 
wiesen, wie sie speziell bei ungleicbmässiger An¬ 
ordnung der Lähmung, z.B. bei der posthemi- 
phlegischen Lähmung der Kniebeuger und Fuss- 
heber vom Referenten empfohlen wurde. 

Paul Lazarus (Berlin). 


C. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Machtsum, Zur Behandlung des chronischen 
Gelenkrheumatismus« Therapie der Gegen¬ 
wart 1902. Juni. 

Verfasser rühmt den schmerzstillenden Ein¬ 
fluss der thermischen Hyperämie auf chronisch 
entzündete Gelenke. Oertlich kamen in erster 
Reihe der Dampfstrabi, sodann auch Dampf- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


Umschläge, heisse Sandsäcke, Heissluftapparate 
und Heisswasserbäder von 40 —45° C zur An¬ 
wendung. Bei Erkrankungen mehrerer Gelenke 
wurden Lichtschwitzbäder oder heisse Vollbäder I 
(36—42° C) verabfolgt. Die durch die Hitze ver- | 
ursachte Hyperämie führt zur serösen Durch- | 
tränkung der Gelcnkschwarten und zur Auflösung I 
der Entzündungsprodukte, welche durch nach¬ 
folgende Massage und Bewegungen schmerzlos 
entfernt werden können. | 

Paul Lazarus (Berlin). 


A.Bier, Ueber praktische Anwendung künst¬ 
lich erzeugter Hyperämie. Therapie der 
Gegenwart 1902. Heft 2. 

Wenn auch in den letzten Jahren viel über 
die lokale Heissluftbchandlung von den 
verschiedensten Seiten publiziert worden ist, so 
erscheint cs doch als dankenswerth, wenn Bier, 
der das Hauptverdienst um die Einführung und 
Verbreitung dieser therapeutischen Methode hat, 
dieselbe hier nach der theoretischen wie nach 
der praktischen Seite hin systematisch bespricht. 
Bekanntlich wirkt nach Bier die lokale Heiss- 
luftbehandlung hauptsächlich durch die arteri¬ 
elle (aktive) Hyperämie, die sie hervorruft; 
diese aktive Hyperämie hat eine auflösende, re¬ 
sorbierende und schmerzstillende Wirkung, und 
deshalb bedient man sich ihrer zur Lösung 
von Gelenksteifigkeiten, Resorption von Gelenk¬ 
ergüssen etc. und ferner zur Bekämpfung von 
Neuralgieen. Neu ist, dass Bier die Eigenschaft 
der heissen Luft, auf erkrankte Gefässe er¬ 
regend und übend zu wirken, zur Behand¬ 
lung von varikösen Erkrankungen mit Heiss¬ 
luftbädern mit gutem Erfolg verwerthete. 

Die praktische Verwerthbarkeit der ant.i- 
bakteriellcn Wirkung der aktiven Hyperämie 
hält Bier für fraglich; zu diesem Zwecke wendet 
er vielmehr die passive venöse Stauungs- j 
hyperämie an, vor allem, wie bekannt, bei Ge- , 
lenktuberkulose, dann auch bei gonorrhoi¬ 
schen und zuweilen bei pyämischen Gelenk¬ 
erkrankungen und bei beginnenden phlegmo¬ 
nösen Prozessen. Aber auch bei rheuma- | 
tischen Gelenkaffektionen empfiehlt der Ver- 1 
fasser in manchen Fällen statt der arteriellen die ! 
Stauungshyperämic anzuwenden, die ebenfalls 
schmerzstillend und auflösend wirkt Die Tech¬ 
nik der Stauungshyperämie (Anlegen einer Stau- 
ungsbindo zentralwärts von dem zu behandelnden 
Gelenke) ist nur’scheinbar sehr einfach, und es 
mag zum Theil an Fehlem in dieser Technik 
liegen, wenn Andere bei Behandlung von go¬ 
norrhoischen und rheumatischen Gelenkleidcn 


mit venöser Stauung nicht so günstige Erfolge 
erzielten, als sie Bier aufzuweisen hat. Erwähnt 
sei noch, dass der Verfasser auch bei anämischen 
Kopfschmerzen durch eine vorsichtig um den 
Hals angelegte Stauungsbin de sehr günstige 
Erfolge erzielte. A. Laqueur (Berlin). 


G. Loimann, Ueber die lokale Anwendung 
von Kohlensftnre bei Mengtruationsstömn- 
gen. Wiener klinische Wochenschrift 1901. 
No. 15. 

Kohlensäuregasbäder und Gasdouchen sind 
schon seit längerer Zeit bei gewissen 
Menstruation sstörungen, wie Dysmenorrhoe, 
Oligomenorrhoe und Amenorrhoe, ferner bei so¬ 
genannter Frigidität u. a. mit unzweifelhaftem 
Erfolg und grossem Nutzen angewandt worden 
Zur Applizierung der Gasdouche auf die inneren 
Genitalien bediente man sich bisher eines ge¬ 
wöhnlichen Mutterrohres, respektive des Holzer- 
schen Spiegels. Diese allerdings einfache Methode 
hat jedoch den grossen Nachtheil, dass sie die 
wichtige Kontrolle über das richtige Funktionieren 
der Gasdouche nahezu ausschliesst. In Erwägung 
dessen hat Hirschl einen Apparat konstruiert, 
der es ermöglicht, die Gasdouche in rationeller 
Weise anzuwenden. Derselbe besteht aus einem 
Röhrenspekulum, dessen äussere Mündung mit 
einer Scheibe gasdicht verschlossen werden kann. 
Dieses Verschlussstück lässt durch eine grössere 
centrale Bohrung das Gaszuleitungsrohr hindurch¬ 
treten, und trägt in einer kleineren peripheren 
Bohrung ein kurzes Abflussrohr, welches mit 
einem Tonerzeuger montiert ist, der so beschaffen 
sein muss, dass schon beim schwächsten Gas¬ 
strome ein deutlich wahrnehmbarer Ton entsteht 

In der systematischen Anwendung der Gas¬ 
douche besitzt man daher ein sehr wirksames 
Emenagogum, das sich sowohl bei Oligomenorrhoe 
als vollständiger Amenorrhoe trefflich bewährt. 
Vor allem eignen sich für diese Behandlung 
solche Fälle, wo keinerlei anatomische Ver¬ 
änderung der Genitalorgane angetroffen, und dis 
bestehende Leiden auf Störungen der Innervation 
oder des Stoffwechsels zurückgeführt wird, daher 
auch die vielseitig anerkannten Erfolge bei 
fehlenden oder zu spärlichen Menses fettleibiger 
Frauen. J. Marcuse (Mannheim), 


Robert Lowy, Ueber die therapeutische 
Anwendung erhitzten Kohlensfturegases. 

Wiener inedicinische Presse 1901. No. 14. 

Von den Apparaten für Heissluftbehandlnng 
und den damit im Zusammenhang stehenden 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


655 


Heissluftdouchen ausgehend, konstruierten Löwy 
und Bernstein einen Apparat, bei dem als vis 
a tergo statt des durch einen Motor betriebenen 
Turbinengebläses der durch Anwendung eines 
Reduzierventils beliebig zu modifizierende Druck, 
unter welchem flüssige Kohlensäure in Gasform 
ausströmt, benutzt wurde. Gleichzeitig ver¬ 
banden die Autoren damit die Idee, an Stelle 
der indifferenten atmosphärischen Luft ein Gas 
zu verwenden, das gegenüber der Luft eine Reihe 
von Vorzügen besitzt. Die Kohlensäure ist ein- 
und einhalbmal so schwer als die Luft, sie führt, 
auf den gleichen Temperaturgrad erhitzt, eine 
bedeutend grössere Wärmemenge der Haut zu. 
Sie ist ferner absolut trocken, sie übt schliesslich 
eine spezifische Wirkung aus. Ihre physiologischen 
Effekte bestehen — lässt man kalte Kohlensäure 
auf die Haut strömen — anfangs in Prickeln 
und Jucken, später in einem intensiven Wärme- 
gefühl und schliesslich in einer ausgesprochenen 
Anästhesie der betreffenden Stelle. Wird er¬ 
hitzte Kohlensäure angewendet, so kommt es zu 
einer Kontraktion der glatten Muskelfasern, zu 
intensiver Röthung, gleichzeitig zu einem Er¬ 
müdungsgefühl in den Muskeln. Mittels des von 
Herz angegebenen Apparates — derselbe besteht 
aus einem flüssige Kohlensäure enthaltenden 
Eisencylinder und aus einem elektrischen Ofen — 
wurde diese Kohlensäuredouche nun in einer 
Reihe von rheumatischen, traumatischen Affek¬ 
tionen angewandt und zwar mit sehr gutem Er¬ 
folg. Besonders in Verbindung der Douche mit 
Massage wurden sehr gute Resultate erreicht, so 
dass Autor zu dem Schluss gelangt, dass die 
erhitzte Kohlensäure in ihrer therapeutischen 
Wirkung ähnlichen Methoden im Effekte gleich¬ 
kommt, oft sogar noch da Erfolge hat, wo andere 
Mittel versagt haben. 

J. Marcuse (Mannheim). 


D. Serum- und Organotherapie. 

0. Hirsch, Beitrag zur Organotherapie. 
Sperminnm P o e h 1. Petersburger medicinische j 
Wochenschrift. 

Das von Professor A. P o e h 1 dargestellte und 
in die ärztliche Praxis eingeführte Spermin ist 
besonders in Russland viel angewendet und steht 
in grossem Ansehen. Auch in Deutschland und 
in Frankreich wird es viel und mit Erfolg an¬ 
gewendet Dasselbe wird theils in Form hypo- 
dermatischer Injektionen, theils als Essentia 
spermin. innerlich verordnet. Der Verfasser, Leib¬ 
arzt Dr. Hirsch theilt in dieser Schrift aus seiner 
reichen Erfahrung seine Beobachtungen über dieses 
Mittel, welches zur Gruppe der Organotherapie ge- j 


hört, mit. Er verwendete es mit wesentlichem Nutzen 
in mehreren Fällen von Anämie und Chlorose, in 
Fällen von Migräne und Schwäche, besonders 
wirksam war es bei Zuständen von Herzschwäche 
und Unregelmässigkeit des Pulses. Vielfach an¬ 
gewendet wurde das Spermin zu subkutanen In¬ 
jektionen bei Tabes. Nach mehrwöchentlichem 
Gebrauche wurde fast immer der Gang sicherer, 
die Patellarreflexe kehrten zum Thcil wieder, die 
lancinierenden Schmerzen Hessen nach. Auch in 
einigen Fällen von Arteriitis obliterans sah Hirsch 
guten Erfolg. 

Das Spermin hat, nach der Erfahrung von 
Hirsch, keine spezifische Wirkung bei bestimm¬ 
ten Krankheiten, scheint aber ein physiologisch 
organisches Agens zu sein, welches die Intra¬ 
organoxydation reguliert und damit das Nerven¬ 
system von Zerfallsprodukten entlastet 

E. v. Leyden (Berlin). 


Wilhelm Goebel, Zur Serumbehandlnng der 

Basedowschen Krankheit. Münchner med. 

Wochenschrift 1902. No. 20. 

Nach kurzer Betrachtung der früher gang¬ 
baren Methoden wendet sich Verfasser in dieser 
Arbeit der neuesten Therapie der Basedowschen 
Krankheit zu und erörtert die von Moebius und 
Lanz eingeführte Behandlung mit Serum und 
Milch thyreoectomierter Ziegen. Während die 
genannten Autoren ihre therapeutischen Versuche 
mit der Theorie eines sogenannten Antitoxins, 
welches im schilddrüselosen Körper entsteht und 
das Gift der Basedowschen Krankheit neutrali¬ 
sieren soll, begründen, giebt Goebel seinerseits 
eine neue Erklärung der so erzielten günstigen 
Wirkung. Auf diese Weise sucht er sich die 
Priorität seiner Methode gegenüber Moebius 
und Lanz zu sichern, während er die ersten iu 
diesem Sinne von Blumenthal und Burkhart 
in Berlin angestellteb Versuche überhaupt nicht 
erwähnt. Ausgehend von der Anschauung, dass die 
BasedowSche Krankheit auf einer Hyperfunktion 
der Schilddrüse und der dadurch bedingten 
grösseren Produktion der Thyrojodins beruhe, 
sucht er diesen Missständen dadurch abzuhelfen, 
dass er die Jodzufuhr in den Nahrungsmitteln be¬ 
schränkt. Wenn nämlich, so folgert er, die Ver¬ 
arbeitung des Jods in Thyrojodin eine besondere 
Funktion der Schilddrüse ist, so darf in der Milch 
der thyreoectomierter Ziegen kein organisch ge¬ 
bundenes Jod enthalten sein. Durch Verab¬ 
reichung dieser Milch ist den Patienten also nicht 
die Möglichkeit geboten, das für sie schädliche 
Thyrojodin zu bilden. 

Mit einer kurzen Betrachtung über den neu- 
rothyreogenen Ursprung der in Rede stehenden 


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Referate über Bücher und Aufsitze. 


Krankheit und der detaillierten Beschreibung eines I 
nach seiner Methode behandelten Falles schliesst 
Verfasser seine interessante Arbeit 

F. Meyer (Berlin). 


W. Müller, Heilung eines Falles von Tetanus 
nach Dnralinfnsion ron Tetanusantitoxin. 

Deutsche Aerztezeitung 1902. Heft 18. 

In dem herzoglichen Krankenhausein Braun- 
schweig gelangten in den letzten Jahren sechs 
Tetanusfälle zur Beobachtung, von denen fünf 
trotz frühzeitiger, allerdings nur subkutaner An¬ 
wendung des Tetanusantitoxins letal endeten; erst 
der sechste Fall wurde durch die im Jahre 1898 
von Paul Jacob begründete Methode der Du¬ 
ralinfusion des Antitoxins, welche nach den Er¬ 
fahrungen v. Leyden 1 s der subkutanen An wen- | 
düng überlegen ist, geheilt. Es handelte sich i 
hierbei um eine sehr schwere Wundinfektion bei | 
einem 10jährigen Knaben, welchem durch eine ' 
Rübenschneidmaschine der Daumen abgetrennt I 
wurde; die Wunde war reichlich mit Erdschmutz 
infiziert. Der Fall bietet mehrere Besonderheiten. 
Trotz der 10 Tage langen Inkubationsdauer und 
der frühzeitigen kunstgemässen Wunddesinfektion i 
nahm der Tetanus einen äusserst schweren, dabei I 
fieberfreien Verlauf. Die Zahl der Anfälle betrug | 
in den beiden ersten Tagen 40—50 pro Stunde, 
und sank regelmässig nach den Duralinfusionen 
des Antitoxins. Im ganzen wurde letztere vier¬ 
mal zu je 5 cm 3 mittels Lumbalpunktion vorge¬ 
nommen. Nach Ablauf des Tetanus — am 20. 
Tage nach der Verletzung — trat erst Fieber 
von remittierendem Charakter, Schüttelfröste, 
ferner ein scharlachartiges Exanthem, allgemeine 
indolente Drüsensch wellungen und Milzschwellung 
auf. Diese Erscheinungen sind auf eine primäre 
Mischinfektien des Tetanus mit Sepsis zu be¬ 
ziehen, welch letztere gleichfalls eine auffallend 
lange Inkubationsdauer hatte. Der Patient genas 
vollständig und machte schliesslich zur Behebung 
der restierenden Rumpfsteifigkeit erfolgreich eine 
medicomechanische Behandlung durch. 

Paul Lazarus (Berlin). 

S.E.Wood, The sorum test for blood. Boston 
medical and surgical Journal 1902. No. 17. 

In einer kurzen Arbeit über die Herstellung 
des spezifischen präcipitierenden Blutserums, wie 
es nach Uhlenhuth’s und Wassermann^ Ar¬ 
beiten in der gerichtlichen Medicin verwendet 
wird, giebt Verfasser eine gedrängte geschicht¬ 
liche Uebersicht dieser neuen Methode. Er rühmt 


den auch von den deutschen Forschem an¬ 
gegebenen Weg, Thiere durch 6—8 malige intra- 
peritoneale Blutinjektionen voreubereiten und 
dann das Serum dieser Thiere auf die lOOfacbe 
Verdünnung des zu bestimmenden Blutes, in der 
Menge von 2—3 Tropfen, einwirken zu lassen. 
In einem zweifelhaften Falle gelang es so, durch 
exakten Nachweis eines Blutfleckens als von 
menschlichem Blute herrührend, den Mörder des 
Verbrechens zu überführen. 

Im Anschluss an diesen Artikel giebt Dr. 
Whitney in derselben Nummer des Boston 
Journal eine kurze Uebersicht der Operations¬ 
technik und beschreibt die von ihm geübte Me¬ 
thode, ohne etwas wesentlich Neues zu liefern. 

F. Meyer (Berlin). 


E. Verschiedenes. 

Paul Börner’» Reichs-Medicinal-Kalender 
1903. H.Theil. Herausgegeben von Professor 
Dr. Julius Schwalbe. Verlag von Georg 
Thieme, Leipzig. 

Mit gewohnter Pünktlichkeit ist auch im 
letzten Jahre der H.Theil des Reichs-Medicinal- 
Kalenders erschienen; wesentliche Neuerungen 
sind diesmal nicht zu verzeichnen. Mit Dank 
hebt der Herausgeber hervor, dass das Personal- 
verzeichniss der Aerzte infolge der Unterstützung 
seitens der Kollegen, in diesem Jahre besonders 
sorgfältig ausgeführt werden konnte. 

Paul Jacob (Berlin). 

Aerztliches Jahrbuch 1908. Herausgegeben 
von Dr. v. Grolmann. Frankfurt am Main. 
Verlag von Johannes Alt. 

Der neue, vierte Jahrgang des ärztlichen 
Jahrbuches enthält, wie seine Vorgänger, in ge¬ 
drängter Kürze ein reiches wissenschaftliches wie 
praktisches Material. Sehr schätzenswerth sind 
die prägnanten, alles wesentliche enthaltenden 
Referate über den neuesten Stand der Tuberkulin¬ 
frage, Lichttherapie, Röntgenuntersuchungen, 
Heissluftbehandlung etc. Das Verzeichniss der 
neueren Heilmittel ist sehr umfangreich, und ent¬ 
hält eine grosse Zahl brauchbarer Dosierungs- 
Vorschriften. Besonders willkommen ist in dem 
Verzeichniss der Heilstätten die Aufführung der 
Anstalten für minderbemittelte Kranke an grossen 
Badeorten, wovon der Arzt ja oft genug Gebrauch 
machen muss. Für die täglichen Eintragungen 
liegen dem Jahrbuch vier Quartalshefte bei. 

G. L. Mamlock (Berlin). 


Berlin Druck von W. Büxcnatein. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE. 

1902/1903. Band VI. Heft 12 (März). 

Redaction: 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden, 

Prof. Dr. A. Goldscheider and Prof. Dr. P. Jacob« 

Jährlich 12 Hefte Mk. 12.—. 

Verlag von Georg Thleme in Leipzig. 


INHALT, 


I. Original-Arbeiten. seit© 

I. Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe. Von Sanitätsrath Dr. Friedrich 

Engel mann in Kreuznach.609 

II. Ein Vorgänger Brand’s. Beitrag zu den Anfängen der klinischen Typhushydriatik. 

Von Dr. J. Sa dg er in Wien - Gräfenberg.672 


III. Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft Von Dr. Nicolaus 

Reich, dirigierendem Arzt des Budapester medico - mechanischen Zanderinstitutes 680 

II. Kritische Umschau. 

Feber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete der Hypnose. Von Dr. A. D woretzky 


in Moskau.687 

IIL Kleinere Mitthellungren. 

Beckenexsudate — kühle Sitzbäder. Von Dr. Diehl, Badearzt in Bemeck (Oberfranken) . 690 


IV. Referate über Bücher und Aufsätze. 

A. Diätetisches (Ernfthrangsth erapie). 

Schumann-Lcclcrq, Ueber die Ausscheidung der Aetherechwefelsäure bei konstanter Kost 


unter dem Einfluss von Karlsbador Wasser, Karlsbader Salz, Wasser, Bier . . . 693 
Albu, Die vegetarische Diät. Kritik ihrer Anwendung für Gesunde und Kranke .... 694 

Lebbin, Der Nährwerth der Hühnereier.695 

Siegert, Erfahrungen mit der nach v. Düngern gelabten Vollmilch bei der Ernährung des 

gesunden und kranken Säuglings.695 

Orlowsky, Die Bedeutung der Lehre von der Selbstvergiftung des Körpers für die innere 

Pathologie und insbesondere für die Pathogenese der Urämie.695 

Derselbe, Die Blutalkalescenz unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen . . 695 
Krawkow, Ueber das Vorkommen von Pentosen im thierischen Organismus und über den 

Ursprung der Pentosurie.696 

Simon, Beitrag zur Kenntniss der Ei weisskörper der Kuhmilch.698 

Schilling, Die Verdaulichkeit der Speisen.698 

Preise, Zur Frage über die Beschaffenheit der sibirischen Kuhbutter vom chemisch¬ 
hygienischen Standpunkte.699 

Benaroya, Die künstlichen Nährpräparate, ihr Werth und ihre Bedeutung für die Kranken- 

und Kinderernährung. 699 

Prevost und Batelli, Einfluss der Ernährung auf die Wiederherstellung der Herzkraft. . 700 

Czerny, Rohmilch als Säuglingsnahrung.700 

Ztitflchr. f. di*t u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 12. 40 


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Inhalt. 


«58 


B. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 

Herz, Handbuch der Heilgymnastik. 

Schmidt, Unser Körper. 


Seite 

701 

701 


C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie. 

Bruck, Ucber den Einfluss kalter hydriatischer Prozeduren auf den Blutdruck.7<>2 

All butt, The Sanatorium in the treatment of phthisis.702 

Ide, Ueber den Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Xordsccklitua.7 ü:j 

Potts, Ankylotic rigidity of tho spine (Rhizomöliquc spondylosis) much improved by the 

use of hot air.704 

Baum garten, Hydriatisches Jahrbuch, Band II.705 

Munter, Die Hydrotherapie der Tabes..705 

D. Elektro- and Röntgentherapie. 

Immclmann, Ucber die Verwendung der Rontgenstrahlcn in der Medicin.706 

Bishop, Employment os occupation neuroses-treatment by elektricity.706 

Walsham, Das von einem Hochspannungsbogen mit schnellen Schwingungen erzeugte Licht 

zur Behandlung von Hautkrankheiten. .707 

Hart, The curative effect of the x rays on callous sinuses of the abdominal wall .... 707 

Strebei, Die Verwendung des Lichtes in der Therapie.707 

Einsen, Die Bekämpfung des Lupus vulgaris. 700 

Török und Schein, Die Radiotherapie und Aktinotherapie der Hautkrankheiten .... 709 

E. Verschiedenes. 

Baginsky, Ueber die Indikationen und Kontraindikationen des Aderlasses bei Kindern . .710 

Bourget, Die medieinale Behandlung der Perityphlitis.710 

Kelynack, The relation of alcoholism to tuberculosis.710 

Kruse, Krebs und Malaria.710 

Grenet und Piquand, Traitement des anövrysmes du tronc brachiocöphalique par la methode 

dcBrasdoret des anövrysmes en genöral par les injections sous-cutanees de gölatine 711 

Heim, Die nervöse Schlaflosigkeit, ihre Ursachen und ihre Behandlung.711 

Fournier, Etiologie du tabes d’aprös un millier d’observations.712 


Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3V2 — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen 
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a. 


Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere 
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen. 

Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen. 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen 
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern 
von Original-Arbeiten gratis geliefert. 

Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler- 
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn 
Prof. Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten. 

Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht 
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden. 


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Original - Arbeiten. 


I. 

Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Köppe. 

Von 

Sanitätsrath Dr. Friedrich Engelmann 
in Kreuznach. 


Zu der Erforschung der Lebensvorgänge im thierischen Organismus werden in 
steigendem Maasse die physikalisch-chemischen Untersuchungsmethoden 
herangezogen. Zahlreich sind die wissenschaftlichen Arbeiten, welche in den letzten 
Jahren auf diesem Gebiete veröffentlicht wurden. 

Vielversprechend sind die Resultate für die Zukunft, in der Gegenwart aber 
noch recht beschränkt. 

Nur über einzelne Punkte der Lebensvorgänge vermögen die physiologisch-che¬ 
mischen Methoden Auskunft zu geben. Die altbewährten Methoden werden durch 
sie nicht verdrängt werden, nur in einzelnen, freilich sehr wichtigen Punkten er¬ 
gänzt. Es ist ihr Werth ein grosser, aber doch ein beschränkter. Die Beschränkung 
ist durch die Natur der Methoden gegeben. Sie vermögen nur Antwort zu geben 
auf die Frage nach der Anzahl der in der Lösung enthaltenen Moleküle, nicht aber 
über die Natur derselben. 

In dieser Beschränkung und mit klarer Erkenntniss ihrer Leistungs¬ 
fähigkeit angewandt werden die Methoden sicher wichtige Resultate ergeben. 

Es ist vorwiegend die Bestimmung des Gefrierpunktes nach Beckmann, 
die den meisten bisherigen Untersuchungen!) zu Grunde gelegt ist, nur bei einer 
kleinen Zahl ist auch die elektrische Leitfähigkeit herangezogen worden. 

Das erstere Verfahren ist das einfachere, bedarf aber doch zu seiner Ergänzung 
nothwendig des letzteren, falls man vollkommene Resultate erzielen will. 

Meistens waren es die Vorgänge der Resorption und Sekretion, und in 
erster Linie der Urin, welche den Gegenstand der Untersuchung bildeten. 

An die wichtigste Salzlösung im thierischen Körper, an das Blut, sind 
weniger Forscher herangetreten; über das menschliche Blut besitzen wir nur 
sehr wenig Untersuchungen. 

Und doch ist gerade die Bestimmung des Salzgehaltes des menschlichen Blutes 
von ganz hervorragender Bedeutung, nicht allein für die Kenntniss des Blutes selbst, 
sondern auch zum Vergleich mit den anderen Salzlösungen des Körpers. 

Es muss betont werden, dass alle Untersuchungen der letzteren nur einen 
sehr beschränkten Werth haben, wenn sie nicht verbunden sind mit solchen 
des Blutes. 


!) Man findet die Litteratur in: Köppe, Physikalische Chemie in der Medicin, 1900, und in , 
dem soeben erschienenen Buche von Hamburger, Osmotischer Druck und Jonenlehrc in den me- 
dicinischen Wissenschaften 1902, die für den Forscher auf diesem Gebiete unentbehrlich sind. 

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H60 Friedrich Engelmann 

Dies haben auch verschiedene Forscher erkannt und darum sich auf das Thier¬ 
experiment beschränkt. Dieses ist aber gerade hier recht wenig geeignet, den Ver¬ 
such am Menschen zu ersetzen, besonders wenn es sich um die Erforschung patho¬ 
logischer Vorgänge handelt. 

Es ist allerdings bei Benutzung der besprochenen Methoden nicht 
leicht, sich menschliches Blut in hinreichender Menge zu beschaffen, man 
muss schon zu einer Venaesektion schreiten. Das ist lästig und bei Reihenunter¬ 
suchungen kaum durchführbar. Und doch sind gerade länger fortgesetzte 
Reihenuntersuchungen zunächst allein geeignet, Klarheit in das Dunkel 
zu bringen. 

Einzelne Untersuchungen sind fast werthlos. 

Bei dieser Lage der Dinge ist es geradezu unverständlich, dass ein 
kleiner Apparat nicht weiter Verbreitung gefunden hat, der allen Anforderungen 
in vollem Maasse genügt, der Hämatokrit, wie er von Koppe angegeben ist. 

Der Gedanke des Instrumentes stammt ja von Hedin; dasselbe war aber in 
seiner ersten Form unbrauchbar. Erst durch Koppe wurde es so verbessert, wie 
es heute ist, und zwar bereits im Jahre 1893! Die erste Beschreibung findet sich 
in der Münchener medicinischen Wochenschrift 1893. 

Seit jener Zeit hat Koppe und mit ihm andere mit dem Instrumente gearbeitet 
und bemerkenswerthe Erfolge erzielt. 

Trotzdem ist das Instrument verhältnissmässig unbekannt; ich konnte nur 
wenige Arbeiten in der Litteratur finden, die mittels desselben ausgeführt sind. 

Das Instrument ist in seiner Art vollkommen und giebt sichere Resul¬ 
tate in bestimmten Grenzen. 

Die relative Unvollkommenheit theilt es übrigens mit den anderen 
physikalisch-chemischen Methoden. Auch die Gefrierpunktsbestimmung, 
wenigstens in der gewöhnlichen Weise nach Beckmann ausgeführt, giebt nicht 
genaue Resultate, in geringerem Maasse auch die Bestimmung der elek¬ 
trischen Leitfähigkeit. 

Die Grenzen, in denen das Instrument mit Sicherheit arbeitet, hat 
Koppe in seinem Buche genau festgestellt. 

Gerade bei den Versuchen, bei welchen es in erster Linie Verwendung 
finden soll, bei Reihenuntersuchungen, handelt es sich weniger um absolute 
Genauigkeit, als um sichere Vergleichszahlen. 

Sein Hauptvorzug vor den anderen Methoden besteht darin, dass die 
Blutmenge, die es bedarf, eine sehr kleine ist. Dadurch giebt es die Möglich¬ 
keit, die Versuche am Menschen selbst anzustellen, und zwar auch täglich 
längere Zeit hindurch wiederholte, und, was besonders wichtig ist, auch an dem 
kranken Menschen. Denn nicht um Erforschung physiologischer Vorgänge 
allein handelt es sich, viel wichtiger wird diejenige pathologischer sein. 

Weiter giebt es die Möglichkeit, die Versuche an sich selbst anzustellen, 
was nicht ohne Bedeutung ist. 

Es ist der Einwand gemacht worden, dass das Instrument nicht sicher 
arbeitet. 

Koppe hat durch zahlreiche Arbeiten den Gegenbeweis geliefert. Ein 
jeder kann sich leicht von der Richtigkeit desselben überzeugen. Ich kann mich 
in allen Punkten Koppe anschliessen, nachdem ich während sechs Monaten an- 


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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Köppc. (561 

haltend mit dem Instrumente gearbeitet habe. Dem Geübten giebt es sichere 
Resultate. 

Köppe hat vorwiegend sich darauf beschränkt, physiologische Vorgänge 
zu studieren. 

Es ist jedem, der mit dem Instrument arbeiten will, anzurathen, für den An¬ 
fang sich ebenfalls auf solche zu beschränken, um Kenntniss zu erhalten über 
die normalen Verhältnisse. Erst dann soll man an die Erforschung krankhafter Vor¬ 
gänge herantreten. 

Und gerade in der Erforschung derselben glaube ich den grössten Werth 
des Apparates zu finden. Ist doch die Erkenntniss der genauen Verhält¬ 
nisse des Blutes von der grössten Bedeutung. 

Eine Anzahl noch nicht abgeschlossener Versuchsreihen auf diesem Gebiete 
berechtigen mich zu der Ansicht, dass hier wichtige Resultate zu erzielen sind. 
Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass unser Instrument eine nothwen- 
dige Ergänzung der anderen physikalisch - chemischen Untersuchungs¬ 
methoden ist, ja dieselben an Wichtigkeit überragt. Für die Untersuchung der 
Blutverhältnisse ist es unentbehrlich. Kein Forscher, der sich mit einschlä¬ 
gigen Untersuchungen beschäftigt, wird sich der Kothwendigkeit entziehen können, 
mit seinem Gebrauche sich vertraut zu machen. 

Wenn dem nun in der That so ist, woher kommt es, dass das Instrument 
so wenig Anwendung gefunden hat? 

Ich sehe den Hauptgrund darin, dass die Arbeit mit demselben, d. h. die 
exakte, sichere Arbeit schwer ist. 

Ich denke mir, dass die absprechenden Urtheile, die man hören kann, von 
solchen herrühren, die Versuche mit demselben angestellt und, wie es im Anfang 
nicht anders möglich ist, unsichere Resultate erhalten haben, und daraus den 
Schluss zogen, dass die Methode überhaupt unbrauchbar ist. 

In der That bedarf es längerer Uebung, bevor man diejenige Sicherheit 
in der Handhabung des Apparates erlernt hat, die unbedingt nothwendig ist. 

Ich habe es selbst erfahren, wie schwer es ist, und wie viel Zeit vergeht, ehe 
man sicher arbeitet, wie viel Punkte zu beachten, wie zahlreich die Fehlerquellen 
sind. Wochen von Misserfolgen sind vorangegangen, bevor ich zu ein¬ 
wandfreien Resultaten gelangte. 

Da scheint es mir denn nicht überflüssig, wenn jemand diese verheissungs- 
volle Methode neuerdings genau beschreibt, der sie mühsam erlernt hat, und 
dem die vielen Schwierigkeiten und Fehler noch recht frisch im Gedächt- 
niss sind. 

Es ist dies um so mehr geboten, da Köppe in seinen Veröffentlichungen 
seine Methode zwar klar, aber für den Lernenden zu kurz beschrieben hat. 


Ich nehme an, dass der Kollege, der sich mit solchen Arbeiten beschäftigen 
will, die Vorkenntnisse besitzt durch Studium der betreffenden Kapitel der physi¬ 
kalischen Chemie, dass ihm die einschlägige Litteratur bekannt ist, dass er 
das Buch von Köppe, das in gedrängter Kürze ziemlich alles enthält, was wir über 
den Gegenstand kennen, studiert hat. Darum darf ich auf dasselbe verweisen auch 
in Betreff dessen, was über die Apparate, ihre Bezugsquellen u. s. f. gesagt ist. 


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662 Friedrich Engelmann 

Ich beschränke mich darauf, die Methode selbst recht eingehend — denn 
dies ist nothwendig — zu beschreiben und auf die Fehlerquellen aufmerksam 
zu machen, damit sie leichter vermieden werden können. 


Zunächst sind die Instrumente passend aufzustellen, bequem zur Arbeit 

Hei den anderen ergiebt es sich von selbst, eine Besprechung bedarf jedoch 
die Aufstellung der Centrifuge. 

Ich nehme an, dass mit der Kreiselcentrifuge gearbeitet wird: sie giebt 
hinreichend sichere Resultate, bessere nach Koppe wie die anderen Centri- 
fugen mit Handbetrieb, und hat den Vorzug der Billigkeit. Ist es möglich, 
eine mechanisch getriebene Centrifuge zu benutzen, um so besser, die Arbeit wird 
dann rascher und bequemer vor sich gehen, die Resultate genauer werden ’)• Die 
Centrifuge muss derart aufgestellt sein, dass sie möglichst fest und unbeweglich 
mit ihrem Lager verbunden ist. Das kleine Konsol, welches dem Apparate bei¬ 
gefügt ist, muss tief und sicher in die Wand eingelassen sein, am besten eingegypst 
werden. Die Platte muss vollständig horizontal sein. Unter die Bügel werden 
dicke Filz platten gelegt, um das Geräusch möglichst zu dämpfen. Die Axe der 
Centrifuge muss vollkommen senkrecht sein. Jeder tüchtige Schlosser ist im 
Stande, die Aufstellung richtig vorzunehmen. 

Bei richtigem Schmieren muss der Lauf beinahe ganz geräuschlos sein. 

Alle acht Tage, wenigstens bei fleissigem Gebrauche, soll man das Instrument 
schmieren. Das Oel, welches für Fahrräder benutzt wird, hat sich mir bewährt. 

Zum Auseinandernehmen des Apparates benutzt man die beiden Schrauben¬ 
zieher, und zwar dreht man in entgegengesetzter Richtung. Mit dem einen 
löst man die Stellschraube, mit dem andern fixiert man die Mikrometerschraube, 
welche zur Befestigung der Axe der Centrifuge dient Hat man die Stellschraube 
entfernt, so dreht man die Mikrometerschraube nach oben und kann dann leicht die 
Centrifuge herausnehmen. Nach dem Reinigen und Schmieren befestigt man wieder 
die Schraube und fixiert sie durch die Schraubenmutter, indem man sich der beiden 
Schraubenschlüssel bedient. 

Den richtigen Sitz der Axe erkennt man daran, dass sie sich nur ganz un¬ 
bedeutend seitlich bewegen lässt. 

Man hüte sich, während des Ganges die Centrifuge zu berühren, Will man 
dieselbe zum Stehen bringen, so legt man zwei Finger der linken Hand an die 
Axe, die wie eine Bremse wirken. 

Die Centrifuge läuft, gut geölt und aufgezogen, etwa 10 Minuten lang. An¬ 
fangs macht sie sicher über 2000 Umdrehungen in der Minute. Da wir hohe Ge¬ 
schwindigkeit nothwendig haben und dieselbe sehr bald nachlässt, so ist es rathsam, 
die Centrifuge nach Ablauf von l>,a bis *2 Minuten anzuhalten und neu auf- 
zuzieilen. Man erspart auf diese Weise Zeit. 


i' Neuerdings hat Koppe eine elektrische Centrifuge angegeben und demonstriert, welche 
allen Anforderungen genügt. Ich habe mich selbst von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugt. Pie 
Resultate sind tadellos. Nach !."■ Minuten erfolgt kein Sinken der Blutkörperrhensäule mehr; hier¬ 
mit ist der l'ebelstand beseitigt, den Hamburger gerügt hat Pie Grenzen sind besonders scharf. 
Ihr Gebrauch erspart viel Zeit und Mühe, nur ist der Preis ziemlieb hoch. Da sie jedoch überall, 
wo ('entrifugieren in Frage kommt, benutzt werden kann, so wird für klinische Institute der Preis 
kein Hinderniss für ihre Anschaffung sein. Mechaniker \Y. Petzold-Loipzig fertigt sie an 


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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von II. Koppe. 663 

Mit dem Apparat wird eine Feder mitgegeben, die um die Axe läuft und den 
Deckel beim Oeffnen selbstthätig in die Höhe halten soll. Sie ist zu entfernen, da 
sie ihren Zweck doch nur unvollkommen erfüllt und stört. 

Beim Einbringen, respektive Herausnehmen der Pipetten legt man den 
Deckel über eine an dem Metallbügel angebrachte Schraube. Dieselbe würde übri¬ 
gens besser 2 cm höher angebracht werden, um mehr Raum zu lassen. 


Die Kapseln der Pipetten sollen sicher und unbeweglich in den Metall¬ 
klammern ruhen, doch sollen sie nicht derart festgehalten werden, dass man zum 
Herausnehmen Gewalt anwenden muss. Nach Oeffnen des Deckels fixiert man die 
Centrifuge mit der linken Hand und entfernt mit der andern die Holzhülse vor¬ 
sichtig unter leichter Drehung aus der Klammer, wobei man trachtet, das innere 
Ende zuerst zu befreien. Beim Einbringen verfährt man ähnlich. 

Manchmal kommt es vor, dass die Schraube, welche den Deckel befestigt, durch 
Spannung des letzteren derart fixiert wird, dass es dem Finger nicht mehr gelingt, 
die Verbindung zu lösen. Es erleichtert das Aufdrehen wesentlich, wenn man sich 
dazu einer Zange bedient, wie sie Gasarbeiter beim Befestigen der Röhren benutzen. 

Der Bindfaden, mit dem die Centrifuge aufgezogen wird, ist doppolt ge¬ 
dreht. An dem Ende wird er mit feinem Draht umwickelt. Er muss die passende 
Länge haben. Beim Aufziehen entferne man die Manschetten der linken Hand, da 
man leicht an denselben hängen bleibt und Verletzungen des Nagels entstehen können. 

* * 

♦ 

Zum Reinigen der Pipetten bedient man sich am besten einer Spritz¬ 
flasche, aus der destilliertes Wasser direkt durchgespritzt wird. Dann braucht 
man weiter Kali causticum, Alkohol, Aether zum Reinigen, am besten in Tropf¬ 
gläsern. Eine Flasche mit Karbollösung und Kollodium dient zum Behandeln der 
kleinen Wunden. Das Cedernöl, welches man für die Oelpipetten verwendet, 
muss rein sein und nicht zu dünnflüssig, da es sonst leicht aus der Pipette 
ausfliesst. Am besten hat sich mir eine Mischung von gewöhnlichem Oel mit 
dem eingedickten, wie es bei Oelimmersion benutzt wird, und zwar zu gleichen 
Theilen, bewährt. 

Von besonderer Wichtigkeit ist die Reinigung der Pipetten, da von ihr zu 
nicht geringem Theil der Erfolg des Versuches abhängt. Minutiöse Reinlichkeit 
ist erste Bedingung beim Arbeiten mit dem Hämatokriten. 

Man mache es sich zur Regel, stets nach Beendigung eines jeden Versuches 
die Pipetten zu reinigen. Man entfernt zunächst den Inhalt durch Blasen, und 
wenn dies bei den Oelpipetten schwer gelingt, führt man einen Messingdraht, am 
besten übersponnenen, durch, nachdem man vorher einige Tropfen Aether zum Lösen 
des Oeles eingebracht hat. Nun spritzt man aus der Spritzflasche destilliertes W'asser 
durch, bläst aus und füllt in jeden Trichter einen Tropfen Kali causticum, reinigt 
mittels einer Wicke aus Mullgaze letztere, spritzt nochmals, reinigt die Pipette 
äusserlich mit einem Tuche und überzeugt sich, dass dieselbe vollständig rein ist; 
dann noch einige Tropfen Alkohol und schliesslich Aether, jedes Mal bläst man 
Luft durch, nach dem Aether zieht man dieselbe von der Mündung aus an. 


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664 


Friedrich Engelmann 


Es ist nothwendig, dass die Pipetten genau gearbeitet sind und in gutem 
Zustande erhalten bleiben. Der Verschluss oben und besonders unten muss ein 
vollkommener sein, sie muss im Gestell liegen, ohne Spannung der Stahl¬ 
bügel. Letzterer muss ohne Druck doch ziemlich fest in den Holzhülsen liegen. 
Der Verschluss des Instrumentes ist ein sehr zweckmässiger und vollkom¬ 
mener, wenn er in gutem Zustand erhalten wird. Die Gummiplatten halten Jahre 
lang, lockern sich nur bisweilen und müssen neu befestigt werden. Dies geschieht 
am zweckmässigsten mit Schellak, den man in heissem Wasser in Stäbchen formt, 
dann etwas über der Flamme erwärmt und auf die gewärmte Platte bringt. Dann 
drückt man die Gummiplatte fest auf die flüssige Masse und beachtet, dass die 
Ränder besonders gut haften. 

Will man die Korkplatten erneuern, so schneidet man sich eine Anzahl 
dünner Scheiben aus einem fehlerlosen, weichen Kork, mittels eines scharf¬ 
schneidenden Rasiermessers. Die Schnittflächen müssen ganz glatt sein und keine 
Sprünge zeigen. Dann formt man die Scheiben nach Wunsch, am besten rundlich, 
da bei viereckigen die Ecken sich leicht lösen. 

Diese Korkplatten werden einfach auf die gelöste Gummiplatte auf¬ 
geklebt. Ich benutze dazu ein Klebemittel, das man unter dem Namen »Syndeti¬ 
kon« in Drogerien bekommt. Eine kleine Menge Klebestoff genügt. Ist Kork und 
Gummiplatte fest vereinigt, so befestigt man letztere in der oben angegebenen Weise 
auf der Metallplatte des Bügels. 

Es ist nothwendig, die Korkverschlüsse öfters zu erneuern, auch wenn 
sie scheinbar noch untadlich funktionieren. Sie trocknen ein und verlieren ihre 
Elastizität. Am besten ist es, beim täglichen Arbeiten die Erneuerung regelmässig 
alle acht Tage vorzunehmen. 

Hat man die Pipetten frisch armiert, so drückt man zunächst mittels derselben 
eine Delle in das Centrum der Korkplatte, damit die Lage der Pipette gut centra- 
lisiert ist. 

Ein Zeichen des richtigen Verschlusses ist es, wenn nach dem Versuche 
sich im Centrum des Korkes nun ein ganz kleiner Blutfleck zeigt, entsprechend 
der unteren Oeffnung der Pipette. Die untere Metallscheibe soll wenig be¬ 
weglich sein im Charniere, jede unnöthige Bewegung desselben ist zu vermeiden, 
da sonst das Einbringen der Pipetten erschwert wird. Die obere Platte dagegen 
soll leicht beweglich sein. 

Die Pipetten sind noch verbesserungsfähig: 

Zunächst habe ich unangenehm empfunden, dass die Trichter nicht bei allen 
gleichmässig gearbeitet sind. Es erschwert dies die sichere Verbindung mit der 
Spritze. Dann aber ist es nicht leicht, die gleiche Menge von Verdünnungsflüssigkeit 
nachzuziehen, wie es doch erwünscht ist. 

Die Skala derselben wäre etwas feiner herzustellen und solide zu färben. Das 
Ablesen wird durch das rasche Verschwinden der Schwarzfärbung recht erschwert 


Ein Wort möchte ich hier einfügen über die Bereitung der Verdünnungs¬ 
flüssigkeit (Testflüssigkeit). 

Selbstverständlich wird man Lösungen von solchen Stoffen wählen, die 
nicht oder nur in geringem Grade dissociieren. Auch solche sind ausgeschlossen, 


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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe. 

deren Moleküle, wenn auch nur in beschränktem Maasse, durch die wirkliche oder 
supponierte Wand der Blutzellen diffundierten. Am besten wären Lösungen von 
Rohrzucker geeignet, da derselbe nicht dissociiert, und meistens wird er auch in 
Anwendung gezogen. Doch haben sie den Nachtheil rasch sich zu zersetzen, 
so dass sie häufig erneuert werden müssen. Dies ist bei Reihenuntersuchungen 
sehr lästig. 

Auf den Rath Köppe’s habe ich Lösungen von Magnesiumsu'lfat benutzt, 
das nur in geringem Grade dissociiert. Dies stört bei unseren Untersuchungen nicht. 

Am zweckmässigsten ist es, die Testlösungen, um die Nachprüfungen zu 
erleichtern, nicht wie es meist geschieht in Prozenten der Konzentration anzugeben, 
sondern stets das A, die Gefrierpunktserniedrigung, derselben. Hierdurch werden 
auch die Missverständnisse, ob es sich um Lösung nach Raoult oder Arrhenius 
handelt, vermieden. 

Man bereitet sich zwei Lösungen, deren J 0,10° C von einander liegt. Am 
besten für unseren Zweck die eine mit J = 0,50° C, die zweite mit J = 0,60° C. 
Zwischen beiden Zahlenwerthen liegt meistens das J des Plasma. 

Man bereitet sich zunächst eine Normallösung, welche ein Grammmolekül 
in (ad) einemLiterWasser enthält. Und zwar muss das destillierte Wasser frisch 
bereitet sein. Man verdünnt diese Lösung nun beliebig und bestimmt dann den 
Gefrierpunkt. Aus demselben kann man dann leicht die Konzentration berechnen, 
welche einem J von 0,50° C respektive 0,60» C entspricht. Die Lösung hält sich 
lange Zeit, ohne sich zu verändern. Ich habe über zwei Monate mit der gleichen 
gearbeitet, und dieselbe zeigte schliesslich genau denselben Gefrierpunkt wie zu 
Anfang. Doch ist dies nicht immer der Fall, wie ich ebenfalls erfahren habe. Daher 
ist cs rathsam, in nicht zu langen Zwischenräumen die Lösung zu prüfen. 
Oefters muss dieselbe auch filtriert werden, da sich Pilzkörper in ihr bilden. 
Dieselben stören nur insofern, als sie eine Verunreinigung der Pipetten bedingen, 
sie ändern die Zusammensetzung der Lösung nicht. 

Auf einen Punkt muss ich noch aufmerksam machen. Bei Bestimmung des J 
destillierten Wassers, welches wiederholt gefroren und wieder aufgethaut wird, 
ebenso wie auch der Testflüssigkeit darf nur wenig gerührt werden. Denn 
hier handelt es sich nicht darum, möglichst genaue Resultate zu erhalten für die 
Flüssigkeit selbst, sondern um Vergleichszahlen. Rühre ich stark, so entferne ich 
die Luft, dieselbe wird sich aber wieder rasch beim Stehen in die Flüssigkeit 
einfügen. Das J derselben wird dann um 1 bis 2 Hundertstel Grad höher sein als 
das der stark gerührten Flüssigkeit; es ist also bei unseren Verfahren nicht ab¬ 
solut richtig, es ändert sich aber auch nicht mehr. Und dies ist bei Reihen¬ 
untersuchungen das Wichtigere. 

Beim Gebrauche der Testflüssigkeit sind einige Kautelen zu beachten. Man 
muss stets die Flüssigkeit in der Flasche umschütteln, bevor man sie verwendet, 
um das Kondenswasser mitzunehmen. Nach dem Gebrauche muss der Hals der 
Flasche sowie der Kork abgewischt werden, da sich sonst Salze niederschlagen, 
die sich^bei späterem Gebrauche wieder lösen und die Lösung konzentrierter machen. 
Auch ist Sorge darauf zu verwenden, dass die Uhrgläschen, in welche die Lösungen 
zum Gebrauche gebracht werden, stets sehr rein sind. Auch das Tuch, welches 
zur Reinigung dient, muss rein sein und häufig gewechselt werden. 

Alle diese Dinge klingen kleinlich, ihre Beachtung ist aber doch von Be¬ 
deutung. 


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666 Friedrich Engclmann 

Die Spritze zum Aufziehen der Flüssigkeit ist eine gewöhnliche Pravaz'sche 
Der Gebrauch derselben, besondere wenn es sich um Versuche an eigenem Blute 
handelt, ist nicht ganz einfach. Die Haltung der Finger am Kolben wird sich 
e praxi ergeben. Beim Heraufziehen des Stempels wird eine leicht drehende 
Bewegung die beste sein. 

Um mit den Fingern an der Glasröhre der Spritze besseren Halt zu be¬ 
kommen, habe ich dieselbe mit einer Gummiröhre überzogen. Der Stempel muss 
leicht beweglich sein, aber auch nicht zu leicht. Man erreicht dies am sichersten, 
wenn man stets nach dem Gebrauche die Spritze mit Wasser voll saugt und 
so aufbewahrt. Nur muss man dann beachten, vor dem Gebrauche das Wasser voll¬ 
ständig zu entfernen. 

Die Verbindung der Spritze mit der Pipette wird durch ein kurzes Gnmmi- 
rohr vermittelt. Dasselbe muss die richtige Länge haben. Der Trichter soll 
etwa zur Hälfte in derselben eingeschoben werden. Es ist darauf zu achten, dass 
das Rohr feste Wände hat, damit ein leichter Druck auf dasselbe, wie er gelegent¬ 
lich vorkommt, nicht eine Volumenveränderung zur Folge hat und aufsaugencl 
auf den Inhalt der Pipette wirkt 

Die Nadel zum Umrühren der Verdünnungsflüssigkeit muss stets vollständig 
rein und glänzend sein. Oefteres Wechseln ist gerathen. Trotz aller Sorgfalt 
hatte ich Anfangs häufig Gerinnselbildung an der Nadel. Erst als ich darauf kam, 
unmittelbar vor dem Gebrauch die vorher bereits sorgfältig gereinige Nadel 
nochmals fest abzureiben, bekam ich tadellose Resultate. Ob hierbei die Er¬ 
wärmung der Nadel mitspielt, wage ich nicht zu entscheiden. Das Stilet, welches 
durch eine Feder vorgetrieben die kleine W T unde für die Blutentziehung bewirkt, 
ist nach dem Gebrauche mit Karbolsäurelösung und Wasser zu reinigen. Ueber die 
Entnahme des Blutes selbst einige Worte. Man wählt die Länge des Stilets 
der Art, dass man einen hinreichend grossen Tropfen Blut erhält. An ver¬ 
schiedenen Stellen desselben Fingers und an den verschiedenen Fingern, ebenso bei 
verschiedenen Personen ist dies sehr abweichend. Das Blut soll leicht einen hin¬ 
reichend grossen Tropfen bilden bei leichtem Druck oder Streichen der Finger. 
Der letztere soll die Umgebung der Wunde vermeiden, da man sonst leicht Gewebs¬ 
flüssigkeit dem Blute beimischt. 

Als Stelle des Einstiches wählt man die Fingerbeere und zwar am be¬ 
quemsten bei Versuchen am eigenen Körper die Daumen Seite. In diesem Falle 
kann man auch nur die der vierten und fünften Finger bequem zur Blutentziehung 
benutzen, da man die anderen zum Manipulieren mit der Pipette braucht. 

Ist das Blut in die Pipette aufgesogen, so habe ich es für zweckmässig ge¬ 
funden, so zu verfahren: 

Der Blutstropfen, der sich auf der Fingerbeere findet, wird abgewischt 
und letztere mit einer schmalen Mullbinde umwickelt, um das weitere Heraus- 
fliessen des Blutes zu verhindern. Besondere ist dies nothwendig, wenn man an 
sich selbst experimentiert und daher die Finger nothwendig hat. Ist die eine Pipette 
versorgt, so löst man die Binde und reibt mit trockenem Tuche einige Mal fest 
über den Finger nach der Spitze. Hierdurch wird alle Feuchtigkeit entfernt und 
zugleich das Blut nach der Fingerbeere zu gedrängt. Ein leichter Druck genügt dann, 
um einen hinreichend grossen Tropfen Blut zu erhalten. 

Sind alle Pipetten gefüllt, so befeuchte ich die Binde mit etwas Karbolsäure¬ 
lösung, lasse sie noch einige Minuten am Finger und streiche dann nach dem Ab- 


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Dio Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe. 667 

trocknen Kollodium auf. Kommt man später mit septischen Stoffen in Berührung, 
so zieht man einen Gummifinger über. 

In dieser Weise vorgehend habe ich bei vielen hunderten von Stichen, die 
ich bei mir und anderen Personen machte, nie Schaden gesehen. Nur zu Anfang, als 
ich bei mir selbst längere Zeit hindurch täglich jeden Finger mehrmals in Anspruch 
nahm, trat in der Hand und dem ganzen Arm ein eigenthilmliches Gefühl von 
Schwere, zugleich mit Ameisenkriechen und Kribbeln auf, das recht unangenehm 
war und besonders beim Herabhängen des Armes sich bemerkbar machte. Dies 
dauerte ca. 14 Tage und verlor sich dann vollständig, trotzdem ich die 
Arbeit gleichmässig fortsetzte. 

Koppe theilte mir mit, dass bei ihm an den überangestrengten Fingern (von 
Juli 1894 bis November 1895 ca. 900 Stiche) die Sensibilität etwas herabgesetzt 
wurde, und Schweissausbruch an denselben vor jeden Einstich erfolgte, sodass 
die Versuche für einige Zeit ausgesetzt werden mussten. Alle Erscheinungen schwanden 
allmählich. 


* * 

* 

Ich füge nun eine systematische Beschreibung der Methode bei. Ge- 
rathen ist, mit der Untersuchung bei einem Dritten zu beginnen, da dieselbe 
leichter ist als am eigenen Körper. Um Uebung in Handhabung der Pipette zu 
erlangen, ist es gerathen, einen gefärbten Wassertropfen auf die Fingerbeere zu 
bringen und denselben in die Pipette aufzusaugen. 

Wenn der Versuch seinen Anfang nimmt, überzeugt man sich zunächst, dass 
alles in Ordnung ist. Alle Gegenstände liegen bereit, und zwar sollen dieselben 
stets auf derselben Stelle und in derselben Lage sich befinden, damit man sie im 
Notbfalle mit geschlossenen Augen greifen kann. Jede Bewegung muss gleichfalls 
automatisch erfolgen. 

Die Centrifuge ist offen, der Bindfaden liegt bereit. 

Die Pipetten sind in Reih und Glied geordnet nach den Nummern, etwas 
schräg, um sie bequem zu fassen, hinter jeder liegt die Spange, die obere Platte 
flach aufliegend, die untere senkrecht, hinter einer jeder die zugehörige Holzkapsel. 
Man überzeugt sich nochmals, ob alle Nummern stimmen. 

Links derselben stehen zwei Uhrgläschen, reichlich gefüllt mit der Test¬ 
flüssigkeit. 

Daneben die Rührnadel, die Spitze frei in der Luft, um Verunreinigungen zu 
vermeiden, und die leicht angefeuchtete fingerbreite ca. 15 cm lange Mullbinde. 

Auf der rechten Seite des Tisches findet sich handgerecht die Spritze? 
von deren leichten Gang und Trockenheit man sich überzeugt hat; daneben das 
Stilet, richtig eingestellt. 

Seitwärts das Notizbuch, bereits mit dem Schema für den Versuch versehen, 
dabei Bleistift und Lupe. 

Zunächst reinigt man das Operationsfeld durch Abreiben mit Wasser (nicht 
Karbolsäurelösung oder dergleichen) und Aether unter starkem Aufdrücken, um 
Hyperämie der Fingerspitze zu erzielen. 

Nun wird das Instrument fest auf die gewählte Stelle aufgesetzt und auf 
der Feder gedrückt. Gewöhnlich folgt ein kleines Tröpfchen Blut, das sich langsam 
vergrössert. Manchmal kommt anfangs kein Blut, besonders wenn das Ver- 


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Friedrich Engelinann 


068 

suchsobjekt etwas ängstlich ist, doch nach kurzer Zeit fliesst es reichlich. Daher 
mit einem zweiten Einstich sich nicht übereilen. 

Vorher hat man bereits die Oelpipetten mit Oel versehen, durch Aufsaugen 
mit dem Munde, das anhaftende Oel mittels eines reinen Tuches abgewischt. Die 
Menge des Oel ist gleichgiltig, doch soll der Trichter nicht gefüllt sein. 

Man ergreift nun die eine Oelpipette und saugt sie, ebenfalls mit dem Munde, 
voll Blut, bis in die Nähe des 100. Punktes, entfernt das übrige Blut durch Ab¬ 
streichen der Pipetten auf dem Ballen der Hand und bringt sie unmittelbar in 
die Spange, indem man Sorge trägt, dass kein Blut ausfliesst. Dies erreicht man 
am besten, indem man die Pipettte möglichst horizontal hält und fest gegen die 
Korkplatte andrückt, bevor man die obere Platte über den Trichter schiebt. Man 
kontrolliert nun, ob die Pipette richtig senkrecht an der Spange liegt, bringt dann 
letztere in die Holzhülse und zwar der Art, dass die Spangen nach dem Aus¬ 
schnitt im Holze gerichtet sind. Dann verfährt man mit der zweiten Oelpipette 
in gleicher Weise und beeilt sich, beide in die Centrifuge zu bringen, und letztere 
in Bewegung zu setzen. Natürlich müssen beide sich gegenüber liegen. 

Alle Manipulationen sollen möglichst rasch und ohne Zögern und Zeit¬ 
verlust, aber auch ohne jede Uebereilung gemacht werden. Allzu ängstlich 
braucht man nicht zu sein. Das wesentliche ist, dass das aufgesaugte Blut ganz 
frisch ist und die Centrifuge von anfang an möglichst intensiv einwirkt. 

Anfangs hatte ich grosse Schwierigkeiten mit den Oelpipetten und bekam 
schlechte Resultate, da ich nach Vorschrift letztere bei Schluss des Versuches in 
Angriff nahm. Ich schob die Ursache auf alles mögliche, die Centrifuge, das Oel u. s. f. 
und machte vielerlei Versuche, bis ich auf den Gedanken kam, die Oelpipetten 
zunächst zu behandeln, solange das Blut noch leicht aus der Stichöffnung 
fliesst. Seitdem hatte ich vortreffliche Resultate und kam nicht mehr in die Lage, 
eine Pipette verwerfen zu müssen. Vollkommen ist das Resultat nur dann, wenn 
sowohl die Blutkörperchen, wie auch die Plasmasäule scharf und horizontal 
abschneidet und letztere vollkommen frei von Bluttheilchen ist. 

Die beiden Pipetten müssen gleiche Volumprozente.zeigen, die Abweichung 
darf keinesfalls 0,5 eines Grades überschreiten 1 ). 

Man tritt hierauf an die Füllung der ersten Pipetten. Der kleine Verband 
wird gelöst, nachdem man zuvor die Pipette mit der Spritze armiert hat. Man achte 
hierbei darauf, dass der Stempel der letzteren unten steht und dass der Trichter 
nur zur Hälfte vom Gummischlauch bedeckt ist. 

Ein Blutstropfen wird zum Austreten gebracht und in die Pipette aufgesogen. 
Der Theilstrich 100 soll nicht überschritten werden, da beim Zurückschieben 
der Spritze stets etwas Blut an der Wand kleben bleibt und das Resultat trübt. 

Man versteife sich nicht darauf, am wenigsten bei Beginn der Versuche, den 
100 Punkt möglichst nahe zu kommen oder denselben gar einzuhalten. Es hat 
nur geringen Vortheil und giebt Ursache zu manchen Unkorrektheiten. Wünschens- 
werth ist es allerdings, die Blutsäule möglichst hoch zu erhalten, da die Resultate 
richtiger werden. Aber es genügt vollkommen, wenn man die Zahl 80 überschreitet. 


') Bei starker Leukocytose, auch der alimentären, ist die Grenze zwischen Blutkörperchen- 
säule und Plasma nicht ganz scharf, da die weissen Blutzellcn als leichte Körper sich oben an¬ 
sammeln und schlecht centrifugieren. 


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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe. 


ßfif) 


Ist das Blut in die Pipette aufgesaugt, so wischt man sorgfältig alles aussen- 
haftende Blut ab. Bleibt noch aussen etwas haften, so wird dasselbe leicht in die 
Pipette eingezogen und macht das Resultat unrichtig. 

Ich lege nun die Pipette mit Spritze auf dem mit dem Tuche bedeckten 
Tisch und zwar möglichst horizontal. Hierdurch wird das Ablesen wesentlich 
erleichtert. Denn so gelingt es leicht, das Auge genau in einem rechten Winkel 
zu stellen. Dies ist aber durchaus nothwendig, besonders beim Ablesen mit der 
Lupe. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass das Resultat sich um Va bis 
1 Grad der Skala verändert, wenn man das Auge etwas seitwärts bringt oder gar 
das Centrum der Lupe verschiebt. Die drei Tunkte Auge, Centrum der Lupe, 
Höhe der Blutsäule müssen genau in einer geraden Linie liegen, recht¬ 
winklig zur Pipette. 

Dies Verfahren hat mir sicherere Resultate gegeben als das Ablesen der senk¬ 
recht gehaltenen Pipette. 

Auch hier muss die Uebung das beste thun. 

Ist die richtige Zahl festgestellt (bei einiger Uebung lassen sich noch 
0,2 Grad der Skala abschätzen), so wird dieselbe in das Protokoll eingetragen. 

Dann nimmt man die Pipette auf, zieht den Stempel zurück, damit die Blut¬ 
säule etwas in die Höhe steigt und kein Blut direkt mit der Flüssigkeit, die nun 
aufgesaugt wird, in Berührung kommt. 

Beim Aufsaugen macht man mit dem Stempel der Spritze leichte Drehbewegungen 
und saugt eine nicht zu kleine Menge Flüssigkeit ein. Man soll etwa das zehn¬ 
fache der Blutmenge mit derselben vermischen. Es sollte von dem Verfertiger 
eine Marke angebracht sein, die für vollständige Füllung der Pipette die Grenze 
für die nothwendige Mischungsflüssigkeit angiebt. Man kann sich dieselbe 
übrigens auch ohne Schwierigkeiten selbst herstellen. 

Es ist nicht gleichgiltig, ob mehr oder weniger Flüssigkeit mit dem Blut ver¬ 
mischt wird, bei stärkerer Verdünnung wird die Dissociation grösser. 

Ist die Flüssigkeit aufgesaugt, so darf auf der Oberfläche derselben im Uhr¬ 
glas keine Spur von Blut sichtbar sein. Uebrigens muss dieselbe zu jedem Ver¬ 
suche, auch wenn dieselben sich rasch folgen, erneuert werden und darf selbst¬ 
verständlich nicht in die Flasche zurückgegossen werden. 

Die Pipette wird nun durch Streichen auf dem Tuche von dem Tropfen 
Flüssigkeit, der ihr anhängt, befreit und hingelegt. Dann reibt man nochmals 
die Rührnadel fest ab, befeuchtet die Spitzen der drei Finger, welche die Spange 
ergreifen, und zwar Daumen und Mittelfinger seitlich die Spangen, der Zeige¬ 
finger ruht auf der Platte, den Kork verschliessend. 

Man ergreift nun die Spritze mit der rechten Hand (man hüte sich hierbei, 
das Gummirohr, welches die Verbindung herstellt, zu drücken) und führt von oben 
her die Spitze der Pipette an die Korkplatte, drückt sie leicht dagegen, wäh¬ 
rend der Zeigefinger der linken Hand einen leichten Gegendruck ausübt. Gleich¬ 
zeitig verlassen die anderen Finger die Spange, fassen die Pipette fest in der 
Mitte etwa und drücken sie gegen die Korkplatte. 

Die Pipette ruht nun in der Spange, gehalten durch die drei Finger, die durch 
ihren kombinierten Druck dieselbe an der Korkplatte festhalten und jedes Ausfliessen 
von Flüssigkeit verhindern. 

Unter leichtem Drehen wird dann die Spritze von dem Trichter befreit. 
Hierbei ist es gut, die Pipette möglichst horizontal, leicht nach unten geneigt, 


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fi7Ü Friedrich Engclmann 

/» halten. Man ergreift die Nadel, führt sie vorsichtig in den Trichter und 
rührt mit ihr Flüssigkeit und Blut tüchtig durch einander, wobei man beachtet, dass 
die Nadel etwas in die Röhre selbst eindringt, um auch hier eine Vermischung 
zu vermitteln. Mit der feuchten Nadel soll man nicht die Wände des Trichters 
oberhalb der Flüssigkeit berühren. 

Man legt dann die Nadel bei Seite, schiebt den oberen Verschluss über den 
Trichter, indem man gleichzeitig die Pipette fest gegen die untere Korkplatte presst. 

Alle diese kombinierten Bewegungen müssen fleissig geübt werden. Man wird 
erst sichere Resultate erzielen, wenn dieselben gleichsam automatisch erfolgen. 
So lange man noch überlegen muss, was nun kommt und was dann, wird der Erfolg 
mangelhaft sein. 

Die in der Spange befindliche Pipette wird nun auf richtige Lage geprüft 
und in die Holzhülse gebracht. 

Die Beschreibung der Manipulation ist lang, sehr viel länger als die Aus¬ 
führung. Bei einiger Uebung gelingt es leicht, sämmtliche Pipetten in circa fünf 
Minuten herzurichten. 

Während die Pipette No. 3 gefüllt wurde, hat sich der Lauf der Centrifuge be¬ 
reits verlangsamt, und dieselbe muss neu aufgezogen werden. Dann begiebt man 
sich an die Füllung der letzten Pipette, die ganz in gleicher Weise vorgenommen 
wird. Die Rührnadel ist natürlich unmittelbar nach dem Versuche zu reinigen. 

Beide Pipetten werden dann in die Centrifuge gebracht 

Hat man letztere fünfmal neu aufgezogen, so wird sie geöffnet und nach¬ 
gesehen, ob alles in Ordnung ist, und zugleich eine jede Holzkapsel um 180° ge¬ 
dreht, damit oben kommt, was unten war, um hierdurch eine gleichmässige Ober¬ 
fläche der Blu'tsäule zu erzielen. 

Ein 12—15maliges Aufziehen der Centrifuge soll genügen. Doch wird dieses 
bei Jedem verschieden sein. Man muss es eben ausprobieren. Sinkt das Niveau 
der Blutsäule nicht mehr, so ist der Versuch beendet, und man kann die Pipetten 
herausnehmen und ablesen. Hierbei sind dieselben Kautelen zu beachten wie oben 
bemerkt. 

Ich lege die Pipette auf weisser Unterlage vor mich hin, horizontal. 
Die Oelpipetten verlangen dunkeln Hintergrund und helles, am besten seitlich ein¬ 
fallendes Licht, um die obere Grenze des Plasmas deutlich zu erkennen. 

Nachdem die Zahlen in das Protokoll eingetragen und das Resultat berechnet, 
ist der Versuch beendet. 


Zum Schluss möchte ich noch einige Worte über die Leistungsfähigkeit 
unseres Instrumentes, sowie seine Fehler anfügen. 

Koppe hat eingehend in seinem Buche die Grenzen der Leistungsfähigkeit be¬ 
sprochen. Ich will einzelnes hervorheben. 

Die Natur des Instrumentes bedingt es, dass mit demselben nicht absolut 
genaue Resultate erzielt werden können. Die Gestalt der Blutzellen, welche 
immer noch einen gewissen Raum zwischen sich lassen, auch wenn sie fest auf¬ 
einander liegen; der wenn auch geringe Dissociationskoefficient, der bei Mi¬ 
schung mit dem Plasma sich noch vergrössert, sind Hindernisse einer absoluten Ge¬ 
nauigkeit. Daher stimmen die mit ihnen gewonnenen Resultate nicht ganz genau 
mit den durch andere physikalisch-chemische Methoden erzielten überein. 


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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von II. Koppe. <*71 

Dazu kommt noch die bereits erwähnte Schwierigkeit beim Ablesen der 
Skala und die Breite der Skalastriche. Letztere sind im Verhältniss zu dem 
freien Raum recht reichlich breit. Man stellt daher unwillkürlich das Auge auf 
dieselbe ein und bemerkt nur stärkere Abweichungen als solche. 

Ueber den Missstand, dass am Trichter keine Marke ist, habe ich bereits 
oben gesprochen. Ihm ist leicht abzuhelfen. Man saugt bis Theilstrich 100, zieht 
dann etwas Luft in die Pipette und zieht von neuem bis zu derselben Höhe, und 
so fort, bis man 11 mal Flüssigkeit eingesaugt hat. Dann erhält man die Grenze 
der lOmaligen Vermischung, die man durch einen Feilstrich markiert. 

Ein Uebelstand liegt weiter in der Centrifuge. 

Die Kreiselcentrifuge erfüllt nach Koppe alle Erfordernisse und hat ihm 
genaue Resultate gegeben. Dies ist wohl richtig, aber bei meinen Versuchen genügte 
ein 12 —15 maliges Centrifugieren nicht. Noch nach 24 mal veränderte sich die 
Blutkörperchensäule, und zwar ziemlich regelmässig bis 2° der Skala. Hamburger 
hat dieselbe Erfahrung gemacht, wie er in seinem Buche betont. Bekanntlich lässt 
sich reines Blut leicht centrifugieren, mit Salzlösungen vermischtes recht schwer. 
Dies lässt sich leicht feststellen. Die Oelpipetten ändern sich nach 12—15maligem 
Centrifugieren nicht mehr, wohl aber die andern bis 2° und mehr. 

Will man sichere Resultate haben, so muss man dementsprechend recht lange 
centrifugieren. Dies ist unbequem, besonders bei Reihenuntersuchungen. Nun kommt 
es bei letzteren aber nicht so sehr auf absolut richtige Werthe an, sondern nur auf 
relative, die durch gleiche Methoden gewonnen sind. Es genügt daher bei allen 
Versuchen, mit derselben Kraft und Zeit zu centrifugieren, um verwendbare Zahlen 
zu bekommen. Durch die elektrische Centrifuge werden alle diese Uebelstände Ab¬ 
stellung finden. 

Die Ausstellungen sind, wie man sieht, geringfügiger Natur und können den 
Werth des Instrumentes nicht herabsetzen. 


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J. Sadgcr 


II. 

Ein Vorgänger Brand's. 

Beitrag zu den Anfängen der klinischen Typhusbydriatik. 

Von 

Dr. J. Sadger 

in Wien - Gräfenberg. 

Das Jahr 1861 gilt als das Geburtsjahr der klinischen Hydrotherapie. In diesem 
Jahre erschien nämlich die erste Monographie Ernst Brand’s über die Wasser¬ 
behandlung des Typhus, die Jürgensen den Anstoss zu eigenen hydriatischen Studien 
gab. Dem letzteren aber und später noch Ziemssen gebührt das Verdienst, dass 
sich zur Stunde viele Kliniker mit der Wasserbehandlung des Typhus befassen. 
In der obcitierten Monographie war nach dem stolzen Worte des Autors »zum 
ersten Mal, so lange die wissenschaftliche Medicin existiert, eine Therapie für 
eine lebensgefährliche Krankheit gefunden, welche den Anforderungen entsprach, die 
man an eine Behandlung stellen kann«. Und wenn dann auch Jürgensen erfolg¬ 
reiche Vorgänger entdeckt haben wollte, war doch Ernst Brand anscheinend im 
Recht, als er mit allem Nachdruck erwiderte: »Die Litteratur der Wasserbehandlung 
des Typhus beginnt, wie ich glaube, nicht mit Hippokrates, sondern mit dem 
Jahre 1861, d. h. mit dem Erscheinen meiner Monographie«. So blieb es bis zum 
heutigen Tage, und Deutsche wie Franzosen pflichteten jenem Satze von Brand ein- 
müthig bei. Eine einzige Ausnahme bliebe zu nennen. Wilhelm Winternitz hat 
nämlich bereits im Jahre 1869, dann nochmals in seinem grossen Lehrbuch für einen 
in der Aerztewelt Unbekannten eine Lanze gebrochen. Es war dies Dr. med. Leo¬ 
pold von der Decken, der zwei Jahre vor Brand schon eine ganz detaillierte Me¬ 
thode beschrieb, wie der Typhus mit Wasser zu behandeln sei, und der ausserdem 
noch die wichtigsten Erkenntnisssätze von Brand mit ausdrücklichen Worten vor¬ 
weggenommen hatte. Da aber kein Kliniker sich seiner Ideen annehmen wollte, ist 
er noch zur Stunde so gut wie verschollen. 

Für diesen einen Vorgänger Brand’s trat aber doch wenigstens Winternitz 
ein. Ich will aber heute von einem reden, der lange vor Brand und von der 
Decken systematische Typhushydriatik übte, und den kein einziger Sammler nennt, 
so viele auch über den Typhus geschrieben. Ich meine da nicht etwa Vincenz 
Priessnitz, obwohl mit dessen ureigenstem Kalb selbst Brand noch pflügte, wohl 
ohne es zu wissen. Ich spreche vielmehr von einem Arzt, dem späteren Physikus 
und Medicinalrath Dr. Pingier, der unter Priessnitz selbst noch gelernt, und dann 
seine eigene Typhushydriatik ausgebildet hatte. Im Jahre 1854 erschienen im 
13. Bande der »Medicinischen Jahrbücher für das Herzogthum Nassau« (Wiesbaden, 
Christian Wilhelm Kreidel) amtliche Berichte über zwei grössere Typhusepidemieen 
in den ersten Semestern 1851 und 1853, sowie über eine kleinere Epidemie von 


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673 


Ein Vorgänger Brand s. 

26 Fällen im Jahre 1850. Im zweiten Semester des letzteren Jahres war durch den 
damaligen Medicinalassistenten Dr. Georg Pingier in Königstein zum ersten Male 
die ausschliessliche Behandlung mit kaltem Wasser eingeführt worden. Der thera¬ 
peutische Effekt (2 Todesfälle auf 26, also 7,6 °/ 0 Mortalität) war immerhin günstig, 
zumal wenn man noch in Rechnung zieht, woran und wieso die beiden gestorben. 
Der erste Fall ist eigentlich kein Sterbefall durch Typhus zu heissen, »indem der 
Patient von der vierten bis sechsten Woche fieberlos war, guten Appetit hatte und 
sich zu erholen schien, dann aber von akuter Lungentuberkulose befallen wurde, an 
welcher er starb«. Bei dem zweiten jedoch wurde fast kein kaltes Wasser, wohl 
aber viele Arzneien ](Aq. oxymuriat., Rheum, Ipecac., Alumen, Arnica) angewendet. 
Schon damals vermochte Georg Pingier in seinem Berichte den Ausspruch zu 
wagen: »Soll ich meine Meinung äussern über den Nutzen des kalten Wassers im 
Typhus, so kann ich nicht anders, als der Priessnitz’schen den Vorzug vor allen 
andern Behandlungsweisen einzuräumen, was sich besonders dann herausstellt, 
wenn die Kranken noch mit voller Reaktionskraft zur Behandlung kom¬ 
men«. Und weiter den interessanten Satz: »Ich bin überzeugt, dass man im 
Vorläuferstadium fast immer diese Krankheit abhalten kann, was auch 
Priessnitz mit aller Bestimmtheit behauptet«. 

Der glückliche Ausgang der Kuren Pingler’s bewirkte zunächst, dass im 
nächsten Jahre sein Amtskollege Dr. Küster sich gleichfalls der Hydriatik des 
Typhus zuwandte, allerdings nur schüchtern und in nur allzubescheidenem Maass. 
Aber gleichwohl bekennt er in seinem Bericht: »Kalte Abwaschungen, kalte Kom¬ 
pressen auf den Kopf, Uebergiessungen desselben, und, wo die häuslichen Verhält¬ 
nisse es gestatteten, das Einschlagen in ein nasses Leintuch, erquickten die Kranken 
nicht nur sehr, sondern verlangsamten und hoben den Puls, während gleichzeitig die 
Fieberhitze auf kürzere oder längere Zeit in einem solchen Grade gemässigt wurde, 
wie es durch kein anderes Mittel zu erzielen ist.« 

Im Jahre 1851 erprobte Pingier seine Methode in einer grösseren Typhus¬ 
epidemie zu Königstein und Umgehung. Von 95 Kranken verlor er nur einen armen 
Knaben am 52. Tage an Meningitis, und von der weniger zu überwachenden Land¬ 
klientel »ein durchaus skrophulöses Kind nach glücklich bestandener Krise infolge 
vieler Abscesse«. Das gäbe also eine Mortalität von 2,1 °/ 0 . Mit Ausnahme jener 
zwei wurden alle gerettet, ja »in anderer Beziehung fühlten sich die meisten der Be¬ 
fallenen nach überstandener Krankheit wohler als früher«. 

Noch glänzender waren die Erfolge im Jahre 1853. Selbst Dr. Küster starben 
bei seiner reservierten Hydriatik, bestehend ausschliesslich in kalten Abwaschungen 
und höchstens Abreibungen, stehend oder liegend, blos 11 Patienten unter 200, also 
5 1 /*°/o, bei einer nichts weniger als gutartigen Epidemie; Dr. Pingier aber gar nur 
2 Patienten von 128 (Mortalität 1,6 °/ 0 ), und beide unter ganz besonderen Umständen. 
Der erste betraf nämlich einen jungen, kräftigen Mann, der sich erst lange ohne 
ärztliche Hilfe herumgeschleppt hatte, dann eine Zeit lang arzneilich behandelt, 
hierauf in siebentägiger hydriatischer Behandlung bis zur kritischen Entfieberung 
geführt worden war, um endlich durch Aerger und häuslichen Zwist, sowie durch 
unvorsichtigen Genuss von Gurken einen Rückfall schlimmster Art zu bekommen. 
Nun verordnete ein fremder Arzt hinter Pingler’s Rücken Opiumtinktur gegen die 
Diarrhoe, was sofort zur Betäubung und Somnolenz führte, und als trotzdem das 
Wasser noch alles überwinden zu wollen schien, kam es plötzlich zu eitriger Paro- 

Zeitsohr. t diät u. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 12. 47 


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674 J. Sadgcr 

titis und retropharyngealer Phlegmone, an welch letzterer der Kranke suffokativ zu 
Grunde ging. Der zweite Exitus endlich betraf eine Frau von 53 Jahren, bei der 
Fingier die Bäderbehandlung, wie mich bedünkt, alzu vorzeitig eingestellt hatte, 
weil sich am ganzen Körper Bläschen bildeten, die platzten und »eine entzündete 
Grundfläche zeigten, wie nach Verbrennungen dritten Grades«. 

Rechnet man sämmtliche Typhuskranke Pingler’s in diesen drei Epidemieen 
zusammen, so ergeben sich 249 Kranke mit nur 6 Toten, d. h. im ganzen einer Mor¬ 
talität von 2,4<»/o, gewiss ein glänzendes Resultat. Und zwar um so glänzender, als 
die genannten drei Epidemieen in unhydriatisch behandelten Fällen nichts weniger 
als milde und glimpflich verliefen. 

Was war nun die Behandlungsmethode Pingler’s, die solche Erfolge zeitigen 
konnte? Wie er in einem späteren Buche erzählt, ward Pingier im Jahre 1850 
durch die Noth zu Vincenz Priessnitz getrieben. Damals übte er nämlich seine 
Praxis in einer Gegend aus, wo die meisten Gemeindebürger in der allergrössten 
Dürftigkeit lebten. Das Bedürfniss nach einer Pharmacopoea pauperum, die bei 
möglichster Wirksamkeit doch möglichst wenig Kosten verursacht, bewog ihn, zu 
Vincenz Priessnitz zu reisen. Als er dem grossen schlesischen Bauer die Gründe 
seines Kommens dargelegt hatte, liess dieser alles Misstrauen fahren, das er sonst 
infolge sehr übler Erfahrungen gegen sämmtliche Aerzte mehr weniger nährte. In 
den 100 Tagen, die Pingier nun auf dem Gräfenberg weilte, hat er gar vieles 
Merkwürdige gesehen, und, wie ich aus späteren Privatbriefen weiss, jenen Aufent¬ 
halt stets als das grösste Glück seines Lebens betrachtet >) Dort war ihm auch der 
Anstoss zu seiner Methode der Typhushydriatik geworden. 

Als er Priessnitz um die Behandlung des Typhus fragte, gab dieser folgenden 
Bescheid: »Vor allen Dingen sorgen Sie, dass der Kopf klar werde und bleibe; so¬ 
bald ich dieses erreicht habe, halte ich den Kranken für gerettet«. Man wird nicht 
umhin können, dem Scharfsinn des Mannes Anerkennung zu zollen. Denn that- 
sächlich wird eine Hydriatik, die beim Typhus abdominalis die cerebrale Störung 
dauernd beseitigt, auch fast jede andere Gefahr beheben. Um dies zu erzielen, 
ging Priessnitz nach Pingier folgendermaassen vor: »Der Kranke wird mit 
einem kalten Kopfumschlag versehen, in der abgeschreckten Wanne bis zur Ab¬ 
kühlung frottiert, muss dann in der kalten Wanne untertauchen, in die abgeschreckte 
zurücksteigen, nimmt ein Luftbad und begiebt sich zu Bette, in dem er bis zur Er¬ 
wärmung frottiert oder feucht eingeschlagen wird. Bei jeder folgenden Exacerbation 
folgen feuchte Leintücher (oft 20—30 in einem Tage), aber nie bis zum Schwitzen, 
Halb- und Vollbäder. Der Sinn des Verfahrens ist wohl der: Durch das Frottieren 
im Halbbade werden die Hautnerven erregt, das Blut von den Centraltheilen ab¬ 
geleitet, eine grosse Wärmemenge wird entzogen. Lungen- und Herzthätigkeit werden 
im abgeschreckten Halbbade in fast ganz beliebiger Weise herabgestimmt, wie dieses 
durch kein anderes Mittel möglich ist. Die Einleitung der Reaktion, in Verbindung 


!) So schrieb er noch wenige Jahre vor seinem Tode: ». . . Wenn ich Ihnen etwas zu em¬ 
phatisch erscheine, so wollen Sie solches meinem Alter, insbesondere aber dem Umstand zusebrei- 
ben, dass ich mein ganzes Glück seit fast 40 Jahren meinem Aufenthalte auf dem Gräfenberge zu 
verdanken habe. Ich verstehe hierunter weit weniger die übrigens nicht zu verachtende materielle 
Ausbeute > sondern das spezifisch ärztliche Glück, indem von den mehr als 30 000 rein hydriatisch 
von mir behandelten Kranken hunderte Heilung fanden, die nach der medicinischen Methode nicht 
zu heilen gewesen wären«. 


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Ein Vorgänger Brand’s. 675 

mit dem reichlichen Genüsse von Wasser, regt die kritische Thätigkeit des grössten 
Ausscheidungsorganes an. Vor Vollendung des Bades lässt Priessnitz den Kranken 
in der kalten Wanne untertauchen und in die abgeschreckte zurücksteigen; ein Ver¬ 
fahren, das meines Wissens von keinem Schriftsteller erwähnt und gebührend ge¬ 
würdigt wird. Es wird aber durch das momentane Eintauchen in die grosse Wanne 
eine enorme Beizung der Hautnerven herbei geführt, und ein neuer Zufluss des Blutes 
zu der Haut hervorgerufen, die es möglich macht, die Ableitung von den inneren 
Organen und die Wärmeentziehung bis zum äussersten Grade fortzusetzen. Der aus 
dem Vollbad in die abgeschreckte Wanne zurückgebrachte Kranke, der in letzterer 
vorher schon Frost fühlte, glaubt nunmehr, sich in heissem Wasser zu befinden, und 
der zweite Frost wird weiter hinausgeschoben«. 

Ich kann nicht umhin, den Bericht Dr. Pingler’s richtig zu stellen. So wenig 
an dessen Wahrheitsliebe zu zweifeln ist, geht doch aus einer Reihe ganz unverwerf¬ 
licher Zeugnisse hervor, dass die obengenannte Typhushydriatik nicht ganz die ge¬ 
wöhnliche Priessnitz’ war. Zumal der Wechsel von Halbbädern und Vollbad, den 
Pingier einfach als Regel nimmt, wurde nur in der Minderzahl der Fälle geübt, 
wenn auch vielleicht in seinen 100 Tagen besonders häufig. Gemeinhin war Priess¬ 
nitz’ Methode so: Ganz im Anfang, so lange das Krankheitsbild wenig markiert 
hervortrat, triefende Abreibung zweimal am Tage, mit Luftbad, Leibbinde, Spazieren¬ 
gehen und reichlichem Wassertrinken. War die Hyperthermie schon ausgesprochen, 
drei- bis viermal in 24 Stunden vielfach gewechselte feuchte Einpackungen mit fol¬ 
gendem hochtemperierten Halbbad und stündlich gewechselte Leibumschläge. Bei 
starker Diarrhoe ferner kleine Klystiere und bei heftigen Cerebralphänomenen Kopf¬ 
umschläge, Fussbäder und Wadenbinden. Im Stadium der Entfieberung endlich zwei¬ 
mal am Tage eine einzige Einpackung von halbstündiger Dauer mit einem ab¬ 
schliessenden kühleren Halbbad. 

Im Gegensatz zu Priessnitz behandelte Pingier den Typhus so: »Im ersten 
Stadium ohne Unterschied: Abortivmethode, auch selbst noch im Anfänge des zweiten. 
Für ihre fast untrügliche Wirksamkeit sprechen die Erfahrungen fast aller Schrift¬ 
steller über Wasserheilkunde. Ich vollführte sie mittels Regen-, Wellen-, Giessbäder 
und Douchen, mit Wasser von 8—11 °R. Das Resultat war folgendes: Alle Ge¬ 
sunden, die die Fallbäder brauchten, blieben von der Krankheit verschont. Von 
15 Kranken — der Bericht stammt aus dem Jahre 1851 — aus der Stadt und meh¬ 
reren vom Lande, die in evidenter Weise im ersten oder zweiten Stadium des Typhus 
litten, kam nur einer, der nur eine Douche hatte nehmen können, zum Liegen; bei 
den übrigen wurde die Krankheit koupiert. Aber auch jener war nach 5 Tagen 
wieder hergestellt. 

Zweites Stadium. Indikationen: 1. Der Heilkampf muss frei entfaltet werden. 
2. Er muss in gewissen Schranken gehalten werden, d. i. das Fieber ist auf den 
Grad des Erethismus zurückzuführen. 3. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der 
Typhusprozess grosse Neigung zu passiven Zuständen im Gefäss- und Nervensystem 
involviert. 4. Die Krise ist vorzubereiten und einzuleiten. 

Ich verfahre folgendermaassen: Der Kranke wird bis zur Abkühlung in der 
abgeschreckten Wanne frottiert, dabei die kalten Kopfumschläge fleissig erneuert, 
darauf bei nicht vollends klarer Gehirnthätigkeit mit einer Giesskanne von einiger 
Höhe herab absatzweise mit kaltem Wasser übergossen und die stete Erwärmung 
der Haut durch Reiben erwirkt. Nur da, wo dieses Verfahren zur Erregung des 

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Centralnervensystems sich nicht genügend erweist, wird der Kopf unmittelbar absatz¬ 
weise übergossen. Der Kranke wird abgetrocknet, mit dem Kopfumschlage versehen 
zu Bette gebracht. Der Kopf darf nicht auf Federn nihen, das Zimmer muss zwischen 
10—14° R erwärmt sein. Von der grössten Wichtigkeit ist die Einleitung der Reaktion. 
Viele Wasserärzte schlagen den Kranken in die feuchte Einhüllung, ich lasse ihn bis 
zur Erwärmung frottieren und gut bedecken. Als beständige Ableitung dient ein 
feuchter Leibumschlag und gewöhnlich ein Klystier. Nach starker Abkühlung muss 
das Reaktionsverfahren wiederholt werden, da die Extremitäten unter zunehmender 
Kopfkongestion leicht wieder kühl werden. Dieses Verfahren ist ebenso gefahrlos, 
als wirksam, dennoch war ich genöthigt, es mehrmals zu wiederholen. Ein Kind 
von vier Jahren lag in so tiefem Sopor, dass es erst im neunten Bade zu sich kam, 
sich wehrte und die Augen aufschlug. 

Ist hierdurch das Gehirn vom Druck befreit, dann schlafen die Kranken ruhig 
ein; dabei sind die Augen vollständig geschlossen und die Respiration ruhig und 
leicht Neue Fieberstürme kommen aber bald nach, und dann ist die zweite Indi¬ 
kation zu erfüllen. 

Man entspricht ihr durch das kühlende, beruhigende und ableitende Verfahren 
in seiner ganzen Ausdehnung. Es wird dieses repräsentiert durch Einwickelungen 
in feuchte Leintücher, Halb-, Sitz- und Fussbäder, kühlende und erwärmende Um¬ 
schläge und Klystiere. Welche von diesen Operationen in den einzelnen Fällen in 
Anwendung zu ziehen ist, das richtet sich nach dem Charakter des Fiebers und den 
konstitutionellen Verhältnissen des Kranken. Ein Missgriff richtet hier aber keinen 
so grossen Schaden an, als die Wahl einer unpassenden Arznei. Bei erethischem 
Fieber halte ich ein passives Verhalten für schlecht, sondern erstrebe durch milde 
Anwendung des Wassers Belebung des Nervensystems, Ableitung von dem Central¬ 
organe zu erwirken und kritische Ausscheidungen durch die Haut vorzubereiten. Bei 
synochalem Charakter des Fiebers passen die fieberstillenden,' abgeschreckten Halb¬ 
bäder und feuchte Einpackungen, nebst der entsprechenden Lokalbehandlung. Dem 
torpiden Charakter des Fiebers, der übrigens nach einstimmendem Urtheile der 
Wasserärzte nie bei von Anfang der Krankheit richtig geleiteter Behandlung vor¬ 
kommt, und der nur dann sich zeigt, wenn die Centralorgane des Nervensystems za 
lange der Tummelplatz der krankhaften Vorgänge waren, begegnet man durch eine 
reizende Behandlungsweise: Abreibung, Vollbäder, Giessbäder, Wellenbäder und selbst 
die Douche ist schon angewendet worden. Die Wahl der Form eines Bades ist der 
leichtere Theil des hydriatischen Verfahrens. Schwieriger und wichtiger sind die 
Bestimmungen a) für die Temperatur, b) für die Dauer, c) für die Wiederholung 
und Aufeinanderfolge der einzelnen Badeoperationen. Sobald sich der Arzt klar 
bewusst ist, ob er gelind erregend, heftig reizend, kühlend oder beruhigend ein¬ 
wirken will, so richtet sich die Wahl der Temperatur des anzuwendenden Wassers 
nach dem Grade der Reizbarkeit des Individuums, dessen Hautnervensystem in den 
beabsichtigten Grad der Reizung versetzt werden soll. Sowohl Alter, Geschlecht, 
Konstitution, sowie auch der Umstand ist zu berücksichtigen, ob der Kranke an den 
Genuss kalter Bäder gewohnt ist oder nicht; ja selbst die Temperatur der Luft darf 
nicht ausser Acht gelassen werden. Die Grenze für beruhigende Halb- und Sitz¬ 
bäder kann demnach zwischen 12 und 24®R liegen, für reizende Badeoperationen 
zwischen 6 und 14° R. Als ziemlich allgemeine Richtschnur kann man sich des 
Instinktes der Kranken bedienen, da fast ausnahmslos jedes richtig vorgenommene 
Bad eine fühlbar wohlthuende Einwirkung hervorrufen muss. Hat aber ein Kranker 


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schon viel Wärme verloren, so muss zum Zweck der Beruhigung bei jedem nach¬ 
folgenden Bade eine höhere, zum Zweck der Reizung eine niedere Temperatur ge¬ 
wählt werden, da mit der Abnahme der Wärme zugleich die Reizbarbeit und 
Reaktionskraft sich mindert. 

Die Dauer der reizenden Bäder muss um so kürzer sein, je grösser die Reiz¬ 
barkeit, bei beruhigenden um so grösser, je mehr Wärme entzogen werden muss. 
Rücksichtlich der Aufeinanderfolge der Bäder befolge ich die Regel, dass kein Ganz¬ 
bad vorgenommen wird, ehe die Haut an allen Theilen gleichmässige Wärme zeigt; 
desgleichen nie, wenn Frost da ist. Sonst lasse ich nie eine lokale Wasseranwendung 
stattfinden, ohne vorausgegangene allgemeine. Bei heftigem Fieber werden täglich 
gemeiniglich drei Bäder genommen; bei gelinderem zwei eder eins. Kein Bad darf 
bereitet werden, ehe die Reaktion des vorhergehenden vorüber ist. 

ad 3. Hat man sich unter dem beschriebenen Verfahren dem Momente der Krisen 
mehr und mehr genähert, dann ist zu berücksichtigen, dass die Krankheit beständige 
Neigung zeigt, einen adynamischen Charakter anzunehmen. Ausser der Rücksicht¬ 
nahme auf kräftigere Diät, suche ich diesem durch folgendes Verfahren zu begegnen: 
Der Kranke wird ein- bis zweimal täglich bis zu seiner Erwärmung in ein feuchtes 
Tuch eingeschlagen, dann in einem fast lauen Halbbade mässig abgekühlt und zum 
Schlüsse mit kühlem Wasser (von etwa 12° R) übergossen. 

ad 4. Das beschriebene Verfahren ist sehr geeignet zur Vorbereitung der 
Krise, die, wie gesagt, nur beim Nachlasse der Fieberzufälle eintreten kann. Es ist 
Tollheit, diese erzwingen zu wollen, wie dies von vielen Wasserärzten gelehrt wird. 
Mein Verfahren ist folgendes: Der Kranke trinkt fleissig in kleinen Portionen Wasser, 
und wird zur Nachtzeit in ein feuchtes Leintuch geschlagen, das von der Achsel¬ 
höhle bis zu den Knieen reicht. Ein besseres Mittel, um Schlaf und Transpiration 
zu fördern, kann es wohl kaum geben. In der Zeit des Eliminationsprozesses liebe 
ich bei erschöpften Kranken den Gebrauch des Weines sehr und sah die herrlichsten 
Erfolge hiervon«. 

Vergleichen wir nun die Methode Pinglers mit jener von Priessnitz, so sind 
die Unterschiede zwischen den beiden wirklich gering, ja stellenweise mit freiem 
Ange überhaupt nicht erkennbar. Die wichtigste Abweichung war noch die, dass 
Pingier zu Beginn nicht abreiben lässt, sondern Regen-, Wellen-, Giessbäder oder 
Douchen benutzt Da aber muss ich sagen, sind, von den Giessbädern abgesehen, 
die sämmtlichen Prozeduren privat weit schwerer durchführbar, als Vincenz Priess¬ 
nitz’ Ganzabreibungen. Was die übrigen kleinen Differenzen betrifft, so gewahrt 
man bei Pingier schon das Zurücktreten der gewechselten Packungen gegenüber 
dem blossen längeren Halbbad, genau wie es später Brand — erfand. Auch die 
Begiessung im Halbbade mit einer Giesskanne ist weder eine Erfindung Kneipp’s 
noch eine Ernst Brand’s, da Priessnitz bereits jede Art von Begiessung in Anwen¬ 
dung brachte, doch freilich ohne diese zur allein seligmachenden Methode zu erheben. 
Auch in der häufigeren Nutzung des Vollbades zeigte sich Pingier als deutlicher 
Vorgänger Brand’s und Jürgensen’s. Er ist das unverkennbare Mittelglied in der 
Entwicklung von Priessnitz zu Brand. 

Das tritt noch besonders in den Erkenntnisssätzen zu Tage, die Pingier lehrte, 
wie später Ernst Brand. Schon in dem Berichte von Dr. Küster, dem Amts¬ 
kollegen Pingler’s und schüchternen Hydropathen, sind folgende bezeichnende 
Stellen zu lesen: »Die unmittelbare Wirkung der Abwaschungen und besonders der 
Einhüllungen ist Verlangsamung des Pulses, Verminderung der Temperatur, Be- 


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freiung des Sensoriums, sodass selbst die Delirien nachlassen, und ein allgemeines 
Gefühl von Wohlbehagen. Diese Verbesserung des Zustandes ist so fühlbar, dass 
die Kranken, welche sich anfangs nur mit Widerstreben den Einhüllungen unter¬ 
warfen, dieselben bald selbst verlangten. Dekubitus trat bei keinem einzigen Kranken 
ein, was ich umsomehr als einen glücklichen Erfolg der regelmässigen Abwaschungen 
rühmen muss, da viele Kranken viele Wochen lang in den höchsten Graden der 
nervösen Depression darniederlagen, und zwar in kleinen, niedrigen, überfüllten 
Lokalen mit schlechten Lagern und trotz der reichen Gaben ohne die Möglichkeit, 
für genügende Erneuerung der Wäsche sorgen zu können«. Und Pingier vollends 
spricht es mit klaren Worten aus: »Der ausgebildete Typhus wurde von mir nur 
dann beobachtet a) wenn die Kranken im Stadium der Vorläufer und des Ausbruchs 
vollständig vernachlässigt worden waren, b) bei solchen, die zuerst arzneilich be¬ 
handelt worden waren und dann die hydriatische Behandlung nachsuchten, c) bei 
rezidiv gewordenen Kranken. Nie aber wurde vollkommener Typhus beobachtet, wo 
die Kranken sich im Stadium der Vorläufer und des Krankheitsausbruches dem 
hydriatischen Heilverfahren überliessen«. Und weiter, nachdem er das volle 
Typhusbild trefflich gezeichnet: »Die hier entworfene Schilderung ist das Resultat 
ausschliesslich der Beobachtung an Kranken, die vordem noch keiner hydriatischen 
Behandlung unterworfen worden waren, auf welche Bemerkung ich aus dem Grunde 
einen besonderen Nachdruck legen muss, weil durch einen oder einige 
hydriatische Eingriffe der ganze Ausdruck der Krankheit so geändert 
werden kann, dass das frühere Bild nicht mehr zu finden war«. Klingt 
dieser Satz nicht, als hätte ihn Ernst Brand geschrieben? Auch andere Dinge 
sind nicht erst durch Brand der Aerztewelt verkündet worden. So erklärt schon 
Pingier, man könne adynamische Typhusfieber durch Wasserprozeduren sichtbar 
anfachen, woraus der Patient trotz einer gesteigerten Hyperthermie ganz unverkenn¬ 
baren Vortheil zöge. Er sagt es ferner mit deutlichen Worten, dass im Stadium 
decrementi die feuchte Einpackung und das abgeschreckte Halbbad »so merkwürdig 
auf die Beruhigung des Blutkreislaufes und gleichzeitig in einer so wohlthätigen 
Weise wirken, dass es fast stets in der Hand des Arztes steht, in diesem Stadium 
dem Pulse eine beliebige Frequenz zu geben, ja ihn durch eine Badeoperation um 
30—40 Schläge fallen zu machen«; die Remissionen würden freier, die Exacerba¬ 
tionen verlören von Tag zu Tag an Heftigkeit, worauf unter leichten Schweissen 
und erquickendem Schlafe die Krisis cintrete. Auch Pingier legt als echter Schüler 
von Vincenz Priessnitz den »Krisen« die allergrösste Bedeutung bei, nicht etwa 
erst Brand. Er bezeichnet als Krisen »die exanthematischen Hautausscheidungen, 
die in pruriginösen, ekzematösen Eruptionen, meistens in Furunkeln, oft in Abscessen 
grösserer Art bestehen«, in zweiter Linie die Ausscheidungen durch den Stuhl (»mehr 
reichliche als häufige Durchfälle, wobei galligte und fötide Stoffe ausgeleert werden«), 
die Harnniederschläge und selbst den Auswurf nach katarrhalischen Brustaffektionen. 
Am verblüffendsten aber ist das Resume des Nassauer Arztes: »Fasse ich liier die 
Vorzüge des hydriatischen Heilverfahrens kurz zusammen, so ergiebt sich: 1. Durch 
die Abortivmethode wird im ersten und im Anfänge des zweiten Stadiums der Typhus 
meistens vollständig abgeschnitten. 2. Der Arzt hat einen ausserordentlichen Ein¬ 
fluss auf die Lenkung des Fiebers. 3. Die komplizierenden Kongestionen und Ent¬ 
zündungen werden mit Leichtigkeit und ohne Gefahr beseitigt. 4. Der leicht ge¬ 
fährlich werdenden Lokalisation der Krankheit wird gewöhnlich vorgebeugt. Die 
äussere Haut wird zu dem Organ, worauf sich der Heilkampf hauptsächlich entfaltet. 


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Ein Vorgänger Brand’s. 


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5. Jedes richtig geleitete Bad wirkt erquickend und kräftigend auf das Gesammt- 
nervensystcm. 6. Innere Ruhe und Schlaf kann durch kein Mittel der Welt in so 
einfacher und natürlicher Weise herbeigeführt werden. 7. Die Krise ist leicht ein¬ 
zuleiten und durchzuführen. 8. Nachkrankheiten kommen hierbei sehr selten vor. 
9. Die ganze Kur stimmt mit dem Instinkte des Kranken überein. Manche Kranken 
klammerten sich an die Badewanne, sodass man sie mit Gewalt daraus entfernen 
musste. 10. Die Rekonvalescenzzeit wird stets sehr abgekürzt. 11. Die Bildung 
und Entwicklung des Kontagiums wird gewiss sehr gemindert. 12. Neben diesen 
positiven Vorzügen ist zu erwähnen, dass so manche unangenehme Nebenwirkungen 
des medicinischen Heilverfahrens, namentlich der Blutentziehungen, Quecksilbermittel, 
der Hautreize u. s. f. vermieden werden«. Das ist dem Sinne nach beinahe identisch 
mit jenen Schlusssätzen, die Brand 1887 in seiner letzten Typhusarbeit in der 
»Deutschen medicinischen Wochenschrift« aussprach. Nach all dem Vorstehenden 
wird man es vollauf begründet linden, dass Pin gier seinem Nachfolger in einem 
späteren Büchlein vorhält: »Auffallend war es-mir zu sehen, dass Herr Dr. Brand 
in Stettin in seiner sonst ausgezeichneten Schrift über die Natur des Typhus Aus¬ 
züge aus jenem Hefte (der »Nassauer medicin. Jahrbücher«) mittheilt, meines Auf¬ 
satzes aber mit keiner Silbe erwähnt, als sei er der erste gewesen, der den Typhus 
rationell mit Wasser behandelt habe«. 

Das bisher Gesagte nochmals resümiert, ergeben sich folgende Resultate: 1. Eine 
ärztlich ausgebildete hydriatische Methode der Typhusbehandlung bestand schon 
lauge vor Brand und von der Decken, und wurde schon sieben, respektive fünf 
Jahre vor deren Veröffentlichungen publiziert. 2. Dieselbe brachte glänzende Er¬ 
folge, welche durchaus nicht kleiner sind, als die der beiden späteren Aerzte. 3. In 
Pingler’s Berichten sind die wichtigsten Erkenntnisssätze von der Decken’s und 
später Ernst Brand’s vorweggenommen. 4. Pin gier war voll berechtigt, Brand 
des Todschweigeverfahrens zu bezichtigen. 

Nachdem ich vorstehend einen Beitrag zu dem Satze geliefert, dass in der Me¬ 
dicin jede Wahrheit drei-, viermal neu entdeckt werden muss, will ich noch zwei 
bemerkenswerthe Punkte aus den Berichten Pingler’s anführen. Zunächst die Be¬ 
obachtung, die übrigens schon Priessnitz’ Badediener machten,~dass bei der Hy- 
driatik akuter, fieberhafter Krankheiten oft schlummernde Krankheitsstoffe aus¬ 
geschieden und veraltete Uebel gleich mitgeheilt werden. So wurden z. B. in der 
Typhusepidemie von 1851 »zwei Knaben von 13 und 14 Jahren, die an hartnäckiger 
Incontinentia urinae nocturna litten, von diesem Uebel vollkommen befreit. Bei 
einem Mädchen gingen in zwei Tagen 35 Spulwürmer ab. Eine Frau, die seit meh¬ 
reren Jahren an fieberhaften Zufällen einen grossen Theil des Winters zu Bette zu¬ 
bringen musste, wurde nach überstandenem Typhusleiden von einer Intermittens be¬ 
fallen, oder, besser gesagt, das in ihr schlummernde Intermittensleiden wurde ge¬ 
weckt und geheilt. Gleiche Bewandniss hatte es bei einer anderen Frau und einem 
Mädchen. Ein junger Bursche, welcher ein Jahr vorher an einer Lungenentzündung 
erkrankt und mit Merkurialmitteln behandelt worden war, erlitt eine Rekrudescenz 
jenes Uebels mit starkem, sicherlich mit Ausscheidung jenes Metalles verbundenem 
Speichelfluss, nach dessen Heilung er sich gesunder fühlte, als vor der Krankheit«. 
Auffallender als dies wird manchem eine Behauptung Pingler’s bedünken, die 
Dauer des Krankheitsprozesses betreffend. Neben Heftigkeit der Erkrankung, Alter, 
Konstitution und rechtzeitiger Einleitung der Hydriatik. bedingen dieselbe nach 
Pingier vornehmlich die allgemeinen Heilungsbedingungen. »Hierzu rechne ich«, 


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Nicolaus Reich 


heisst es im Bericht, »die Höhe und Grösse des Krankenzimmers, die Möglichkeit 
der Durchlüftung, die Beschaffung der erforderlichen Temperatur und Verpflegung, 
das Auflegen von Umschlägen und die Isolierung der Kranken. Demgemäss konnte 
bei Reicheren und Gebildeteren die Dauer der Krankheit im allgemeinen wesentlich 
abgekürzt werden, so dass bei neun Kranken dieser Art die Krankheit in der ersten 
siebentägigen Periode vorüberging, während sie bei armen und nachlässigen Personen 
sich weit mehr in die Länge zog«. Da es sich damals um eine schwere Epidemie 
handelte und doch wohl nicht anzunehmen ist, dass nur bei den Reichen und den 
Gebildeteren die Fälle besonders milde gewesen, es ferner noch unwahrscheinlicher 
ist, dass blos bei den letzteren die Diagnose verfehlt worden sei, so müssen wir wohl 
an einen besonderen therapeutischen Effekt der Hydriatik glauben. Ich bemerke 
übrigens, dass auch von der Decken, nach dem Zeugniss von Winternitz, »ein 
tüchtiger, erfahrener, geistreicher, und, was noch mehr sagen will, redlicher Arzte, 
wenige Jahre später gleichfalls zu dem Schlüsse kam: »Wo bis dahin gesunde In¬ 
dividuen vom Typhus befallen und alsbald der Behandlung mit kaltem Wasser etc. 
unterworfen werden, gelingt es fast stets, binnen acht bis zehn Tagen der Krankheit 
Herr zu werden, und das Stadium der Rekonvalescenz herbeizuführen; häufig gelingt 
dies sogar in sechs Tagen.« 


III. 

Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. 

Von 

Dr. Nicolaus Reich, 

dirigierendem Arzt des Bndapester medico-mechanischen Zandcrinstitutcs. 

Schon in meiner, den Thermo-Aerophor betreffenden ersten Mittheilung 1 ) 
gab ich der Vermuthung Ausdruck, dass eine Sterilisation der Hautdecke, 
einschliesslich der behaarten Theile mittels trockener überhitzter Luft 
wahrscheinlich leicht und mit Erfolg durchführbar wäre. 

Die Luft erweist sich eben, vermöge ihres eigenthümlichen physikalischen Ver¬ 
haltens, als besonders passende Wärmeträgerin, wenn es gilt, auf die Körperober¬ 
fläche Hitzegrade zu applizieren, welche die Blutwärme um ein Mehrfaches 
übertreffen, ohne doch destruktive Wirkungen zu verursachen. 

Zunächst ist die Toleranz für hohe Lufthitzegrade durch den Umstand bedingt, 
dass die Luft eine bedeutend geringere Wärmekapazität besitzt, als die Mehrzahl aller 
sonst üblichen Bademedien. Sie beträgt z. B. nur 0,003 des Wassers. Wollen wir 
also einem Körper mittels überhitzter Luft Wärme zuführen, so müssen wir uns 
zum Verständniss der auffallend hohen Temperaturen, welche noch ertragen werden, 
vergegenwärtigen, dass die Wärme, welche von der Luft in der Zeiteinheit abgegeben 
wird, in Hinsicht der Menge 3000mal geringer ist, als diejenige eines gleich¬ 
temperierten Wassers von demselben Volum. 


') Nicolaus Reich, Der Thermo-Aerophor. Vorläufige Mittheilung über eine neue Form 
der Ilcissluftbchandlung. Verhandlungen des XVII. Kongresses für innere Medicin. Wiesbaden 1809. 
Bergmann. 


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Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. 


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Das dargelegte physikalische Verhältniss zwischen überhitzter Luft und anderen 
Wärmeträgern wird zu Gunsten der Ersteren verschoben durch dasVerhalten der 
Regulationsmechanismen des Organismus, welche in dem Medium der Luft 
einer Wärmestauung über das physiologisch erträgliche Maass hinaus wirksamst zu 
begegnen vermögen. 

Ein Hauptantheil an dieser Regulation kommt selbstverständlich der Ver¬ 
dunstung zu, deren Koeffizient sich umso grösser gestaltet, je trockener, je 
wärmer, je bewegter die Luft ist 1 )- 

Aus eben diesem Grunde (nämlich der gesteigerten Verdunstung und hierdurch 
erzeugten Verdunstungskälte) verzögert sich aber eine schichtweise Durchwärmung 
der Gewebe von der Hautdecke aus, was übrigens nur therapeutisch erwünscht sein 
kann, wenn wir auf die Haut intensiv einwirken wollen, ohne gleichzeitig die 
centrale Temperatur wesentlich zu alicinieren. 

Dies vorausgeschickt, wird es einleuchten, warum es mir im Verfolge der 
Eingangs ausgesprochenen Vermuthung daran lag, die Prüfung der Wirksamkeit der 
heissen Luft zunächst an der Furunkulose zu versuchen, deren Ursprung auf 
Kokkeninvasion beruht, welche einerseits oberflächlich genug ist, um durch 
das Agens erreicht zu werden, welche andrerseits pathologische Veränderungen 
setzt, die schon makroskopisch erkennbar sind, so dass eine Kontrolle mittels des 
Gesichtssinnes genügt, um uns in der beregten Frage zu orientieren und für die 
Praxis brauchbare Schlüsse zu gestatten. 

Ich nahm von vornherein an, dass ein auf die infizierten Hautpartien gerichteter 
Luftstrom von 100—120» C die Virulenz des hier in Frage kommenden Staphylo- 
coccus pyogenes aureus herabzumindern vermag. Hauptsächlich rechnete ich 
aber auf die durch den Heissluftstrom in beliebiger Ausdehnung und Intensität zu 
erzeugende aktive Hyperämie, welche zum Zwecke einer rascheren Aufsaugung 
starrer Infiltrate geeignete Cirkulationsverhältnisse schafft (Derivation), eventuell auch 
die Kampffähigkeit der Gewebe gegen die Mikroben, den supponierten Phago- 
cytismus, steigert. Endlich glaube ich, dass eine Reinfektion erschwert würde 
durch die Möglichkeit des Sterilisierens ausgedehnter Hautgebiete in der Umgebung 
der Furunkel. 

Beobachtungen. 

I. Der erste Fall von Furunkelbildung, bei welchem ich die Wirksamkeit der 
strömenden, trockenen Luft versuchte, war mein eigener. 

Im Oktober 1901 schossen mir auf dem Halse resp. Nacken im Verlaufe von zwei 
Tagen drei schmerzhafte Furunkel auf, von welchen zwei etwa hellergrosse, lebhaft geröthete, 
harte Zellgewebsinfiltrate, die dritte eine erbsengrosse, konisch sich zuspitzende, follikuläre 
Entzündung darstellten. Die eine unterhalb des rechten Unterkieferwinkels sitzende In¬ 
filtration zeigte zwei, fast konfluierende Eiterpunkte, während der benachbarten ein ver¬ 
eiternder Follikel aufsass. 

Das Ausflussrohr meines Thermo-Aörophors wird in der Entfernung eines Gentimeters 
gegen die Efflorescenzen und ihre Umgebung gerichtet. Die Temperatur der unter dem 
Drucke von 0,1 Athmosphäre strömenden Luft beträgt 100—120°C. Das Lumen der 
Düse ist auf ein Quadratcentimeter eingestellt. Die Menge der ausströmenden Luft ist 
etwa auf 3 Liter pro Sekunde zu stellen. 

Die Mündung des Ausflussrohres wird, um stärkeres Brennen zu verhüten, rasch 
pendelnd und kreisförmig über die affizierten Partien geführt, die allmählich sich heiss an- 


i) Alle diese Momente fanden bei Konstruktion meines Thcrmo-Aerophor entsprechende Be¬ 
rücksichtigung. Vergl. 1. c. und weiter unten. 


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Nicolaue Reich 


fühlen, ohne jedoch subjektiv lästige Empfindungen von Brennen zu erregen. Als nach 
etwa 5 Minuten die Prozedur unterbrochen wird, sind die Hautgefässc auf dem bestrichenen 
Areal lebhaft injiziert, die Haut intensiv geröthet, heiss und trocken. 

Wiederholte Furunkeleruptionen, die ich im Laufe der Jahre hatte, traten bei mir 
stets in ihren abortiven Formen auf, d. h. ohne nennenswerthe Eiterung und Gewebs¬ 
zerfall, so dass der Heissluftversuch in diesem Falle nicht als vollgültiger Beweis für 
seine Abortivwirksamkeit anzusehen ist. 

Immerhin fiel mir im Vergleich mit früheren Eruptionen gleichen Charakters auf, dass 
unmittelbar nach der Heisslufteinwirkung die Schmerzhaftigkeit nachliess und die Infiltrate 
weder auf Druck noch durch das Reiben des Hemdkragens irgendwie empfindlich waren. 
Anderen Tages sind die grösseren Infiltrate nahezu verschwunden. 

Hervorzuheben finde ich überdies den Umstand, dass alle drei Eiterblasen zu trockenen, 
kreidigen Massen einschmolzen und nach ihrem Abfallen kaum einen Substanzverlust hinter- 
Hessen. Auch die Zertheilung der Infiltrationen ging verhältnissmässig rasch vor sich und 
gründlicher als in früher von mir beobachteten Fällen. Die Stellen blieben dauernd reizlos, 
während mir sonst das Auflodern bereits abgelaufener Entzündungen nach Tagen, selbst 
Wochen oft genug passierte. 

Wichtiger war die Erledigung der Frage, wie sich wohl der Heissluftbehandlung 
gegenüber Fälle von allgemeiner Furunkulose verhalten, bei denen der Ausgang in 
Eiterung und Gewebszerfall ausnahmlos eintrat. 

Zur Prüfung eines solchen Falles bot sich zum erstenmale Gelegenheit am 15. No¬ 
vember 1901, als sich mir Dr. med. E. zum Zwecke eines Heilversuches mittels heisser 
Luft anbot. 

II. Seit Mai 1901 entstanden auf Armen, Beinen und im Gesicht des sonst gesunden 
Dr. E. in kurzen Intervallen 12 Furunkel, welche sämmtlich abscedierten. Von diesen 
Abscessen fand nur bei einem Spontaneröffnung statt, alle übrigen mussten in der üblichen 
Weise eröffnet werden. Die letzte Operation fand im August statt. Von da ab trat eine 
Pause ein bis zum 13. November, an welchem Tage auf der Dorsalflftche der linken Hand 
ein Furunkel sich zu entwickeln begann, welcher am Tage der Aufnahme (15. November) 
eine prallgespannte dunkelrothe Infiltration von Zweihellergrösse darstellte, in deren Mitte 
eine Eiterkuppe von der Grösse einer Linse sichtbar war. Seit Beginn des Prozesses ist 
die Schmerzhaftigkeit eine so bedeutende, dass sie dem Patienten den Schlaf raubt. Patient 
ist nach seinen bisherigen Erfahrungen überzeugt, dass der Furunkel, wie die vorher¬ 
gegangenen ihren Ausgang in Abscedierung und Gewebsnekrose nehmen werde. Auch hält 
er die Incision für unvermeidlich. 

1901. 15. November. Applikation strömender Luft von 120° C aus dem Thermo- 

Aörophor zweimal je 3 Minuten lang im Verlauf einer halben Stunde. 

16. November. Befund: die Eiterblase zur Grösse eines Steknadelkopfs eingeschrumpft, 
von einem noch immer lebhaft rothen Hof umgeben. Die Schmerzhaftigkeit hörte nach der 
gestrigen Behandlung auf. 

Wiederholung der Heissluftdouche durch 5 Minuten. Der Eiterpfropf fällt als kleines 
trockenes Krüstchen ab. Konischer Substanzverlust, an dessen Spitze das Korium roth 
durchschimmert. 

Die heutige Behandlung war bereits überflüssig, da der abortive Verlauf durch die 
erste Sitzung gesichert erschien. 

III. Frau F. R, an Arthritis urica leidende, 48jährige, kräftige Adiposa, welche seit 
zwei Jahren die Wintermonate hindurch in meinem Institut gegen dieses Uebel Heissluft¬ 
bäder und Zandergymnastik gebraucht. Zucker im Harn bisher nicht vorhanden gewesen. 
Patientin bekommt im November 1901 ihren ersten Furunkel in der rechten Ellenbeuge, 
welcher nach 8 Tagen, vom Beginne gerechnet, durch den Operateur Dr. Ihrig eröffnet.wird. 

Die zweite, an der Innenseite des rechten Oberarmes entstandene Blutschwär öffnete 
sich spontan. Gleichzeitig entwickelt sich oberhalb derselben ein Furunkel, welcher 
operiert wurde. 

Es entstanden noch in rascher Folge am rechten Oberschenkel, in der rechten Achsel¬ 
höhle je ein umfänglicher Furunkel mit tiefgehenden Infiltrationen des Unterhautgewebes. 
Diesen folgen im Verlaufe von 4 Wochen noch weitere drei in der rechten Achselhöhle, 
welche Dr. Ihrig operierte, den letzten am 25. Dezember. 


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Abortivbehandlung der Furunkulose mittels Überhitzter trockener Luft. 683 


Als Frau R. am 17. Januar 1902 die Institutsbehandlung wieder aufnimmt, zeigt sich 
in der rechten Achselhöhle ein neuer Furunkel, an welchem ich mit Einwilligung des Ver¬ 
trauensarztes die Heissluftbehandlung versuche. 

1902. 17. Januar. Derbe, blassrothe, schmerzhafte Infiltration von der Grösse und 
Form einer Haselnuss, die mit ihrem längeren Durchmesser sich in die Tiefe erstreckt. 
Weisslicbgraue, stecknadelkopfgrosse Eiterkuppe. Applikation eines Heissluftstrahles von 
120° C aus dem Thermo-Aörophor in der Dauer von 5 Minuten. 

18. Januar. Da9 Infiltrat zeigt sich weniger derb und gespannt, verursacht keinen 
Schmerz, hat aber von seinem Umfange nichts eingebüsst. Eiterkuppe unverändert. Thermo- 
Aörophor durch 5 Minuten. 

19. Januar. Die Infiltration verbreiteter. Der Eiterpunkt hat sich bis zur Linsen¬ 
grösse entwickelt, ist von weisser Farbe. 

In der Meinung, dass das Koupieren des Prozesses misslungen ist, unterlasse 
ich die Heissluftanwendung. Im Einverständniss mit dem Operateur halte ich eine Incision 
für angezeigt. Diese ist für den nächsten Tag (20. Januar) in Aussicht genommen. 

20. Januar. Der Eiterfollikel ist eingetrocknet und abgefallen, der ent¬ 
sprechende, sehr geringfügige Substanzverlust nahezu überhäutet. Das Infiltrat 
hat an Ausdehnung um die Hälfte abgenommen und ist absolut schmerzlos. 

An der Apertura septi nariuin rechterseits entwickelt sich ein Furunkel, 
welcher auf knorpelig harter, unnachgiebiger Unterlage fussend, infolge der Spannung grosse 
Schmerzen verursacht. 

Nach Einschiebung eines Wattetampons in die Nasenöffnung, richte ich den Heiss¬ 
luftstrom auf die erkrankte Stelle in der Dauer von 3 Minuten. 

Wiederholung der Prozedur am 22. Januar. 

Am 22. Januar ist diese Efflorescenz spurlos verschwunden. An das Inlfiltrat 
in der rechten Achselhöhle erinnert noch eine minimale Bindegewebsinduration. 

Seither hat sich bis zum heutigen Tage (10. März) keine neue Eruption gezeigt. 

Wenn wir berücksichtigen, dass bis zum Beginne der Heissluftbehandlung alle Furunkel 
unserer Patientin vereiterten, ferner, dass die am 17. Januar in Behandlung genommene 
Patientin am 19. Januar an der Schwelle der Operation stand, so wäre es schwer, den 
kausalen Zusammenhang zwischen der Restitution und dem angewandten Heilverfahren zu 
leugnen. Ob wir das Cessieren — namentlich in der rechten Achselhöhle —, wo die 
Furunkel gehäuft auftraten, als Ergebniss der mittels Heissluft bewirkter Sterilisation zu 
betrachten haben, ist nicht leicht zu entscheiden. 

Einen mehr eindeutigen klinischen Beweis für die *«r e&r/rp sterilisierende 
Wirkung des Heissluftstromes liefert meiner Ansicht nach der folgende Fall: 

IV. M. Str., 34 Jahre alt, Gutsbesitzer, leidet seit etwa drei Jahren unausgesetzt 
an Acne und Furunkeln, deren mehrere vereitern. Den Tummelplatz dieser überaus zahl¬ 
reichen Eruptionen bildet — wie so oft — der Nacken hart an der Grenze des behaarten 
Kopfes in Querdaumenbreite. 

Bei Beginn der Heissluftbehandlung am 30. Januar 1902 ist der Status der folgende: 
die beschriebene Nackenpartie stellt eine einzige derbe bindegewebige Induration dar, von 
höckerig unebener Beschaffenheit. Auf diesem Grunde zähle ich 13, in verschiedenen 
Stadien theils der Rückbildung, theils der Entwicklung begriffene Acnepusteln und Furunkel, 
einige konfluieren. Unter dem rechten processus mastoideus eine in Heilung begriffene, 
von einem Kreuzschnitt herrührende Wunde mit frischen Granulationen. Weiterhin sind 
zwei ältere Narben zu sehen, die den üblichen Kreuzschnitt noch erkennen lassen. 

Durch 8 Minuten wird ein Luftstrom von 120 0 C aus dem Thermo-Aörophor auf die 
befallene Hautpartie geleitet. 

Diese Prozedur wiederhole ich achtmal im Verlaufe von 11 Tagen. 

Am achten Tage der Behandlung sind die Eiterfollikel abgetrocknet, die Induration 
der umgebenden Haut erscheint nicht mehr diffus, sondern insulär, zwischen sich normale 
Hautpartieen einschliessend, und ist nirgends schmerzhaft, ja nicht einmal empfindlich. 

10. März. Patient stellt sich heute vor. Neue Eruptionen bisher nicht entstanden. 
3—4 bindegewebige Knoten, über welchen die Haut von normaler Farbe ist. 

Die lange Dauer (3 Jahre) und die rasche Wendung in Betracht gezogen, welche mit 
dem Beginn der Heissluftbehandlung zusammenfällt, kann der Verlauf des beschriebenen 


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684 Nicolaus Reich 


Falles nur so gedeutet werden, dass die infizierenden Potenzen mittels der heissen Luft 
vernichtet wurden. Was die Aufsaugung der alten Bindegewebsindurationen bis auf geringe 
Reste betrifft, glaube ich als Ursache dieses Ergebnisses die aktive Hyperämie an¬ 
sprechen zu sollen, welche durch den Heissluft ström erzeugt, die Cirkulationsverhältnisse zu 
verbessern geeignet ist. 


Schlussfolgerungen. 

Von den rechtzeitig, d. h. vor Entstehung der Gewebsnekrose und der 
Eiteransammlung im Unterhautzellgewebe zur Behandlung gekommenen 
Furunkulosen ist es in keinem der von mir untersuchten Fälle zu Vereiterung 
und Gewebszerfall gekommen. Sämmtliche Furunkel konnten also, allem 
Anscheine nach, in ihrer Entwicklung koupiert werden. 

Infiltrationen bei abortiven Formen schienen sich zeitlich rascher zurückzubilden, 
als ich dies in solchen Fällen wahrnahm, welche nicht nach meiner Methode be¬ 
handelt wurden. 

Auch ältere bindegewebige Schwarten, Residuen abgelaufener Furunkel sind 
noch durch das Heissluftverfahren im Sinne einer Rückbildung beeinflussbar. Auf 
den die Furunkel umgebenden Hautgebieten kam Reinfektion kein einziges Mal zur 
Beobachtung. 

Meine bisherigen Beobachtungen erbringen den klinischen Beweis für die abortive 
Wirksamkeit der überhitzten trockenen Luft in der Behandlung der Furunkulose. 

Zu wiederholten Malen gelang es mir, in seit lange bestehenden Fällen die 
Neigung zur Reinfektion (III. und IV. Fall) zu vermindern. Die Abortivbehandlung 
mittels Heissluft führte nach meinen bisherigen Erfahrungen verhältnissmässig rasch 
— in 1—8 Sitzungen — zu dauerndem Erfolge. 

Diese Heissluftprozedur selbst ist kaum schmerzhaft, wohl aber lassen das 
schmerzhafte Spannungsgefühl und sonstige unangenehme Sensationen in dem in¬ 
filtrierten Hautgebiet sofort nach einer 5 Minuten währenden Sitzung wesentlich nach. 

Die Heissluftbehandlung bietet kaum technische Schwierigkeiten, sie ist einfach, 
reinlich und ungefährlich. 

Die Untersuchungen bedürfen, was die Wirksamkeit meiner Methode betrifft, 
noch einer Ergänzung in Hinsicht solcher Fälle von Furunkulose, welche auf Dys- 
krasien basieren. Es ist ja bekannt, dass Arthritiker, an Diabetes und Syphilis 
Leidende neben erhöhter Vulnerabilität der Gewebe einen schlechten Heiltrieb 
aufweisen. 

Es lässt sich ein günstiger Effekt der Heissluftbehandlung auch in solchen 
Fällen vermuthen, welche in diese Gruppe gehören, wie meine III. Krankengeschichte 
und ein früherer Fall meiner Beobachtung 1 ) beweist, in welch letzterem es sich um 
eine nach Schmierkur aufgetretene allgemeine Furunkulose handelte. Um aber 
ein abschliessendes Urtheil fällen zu können, ist eine grössere Reihe einschlägiger 
Fälle nothwendig, vor allem aber die Beobachtung dessen, wie sich die Furunkulose 
der Diabetiker unserem Verfahren gegenüber verhält 

Wenn auch hier, bei der bekannten »schlechten Heilhaut« der Diabetiker, ein 
positives Ergebniss erzielt werden könnte, so wäre das nachgerade ein Experimcntum 
crucis für die Wirksamkeit meiner Methode. 


r ' Nicolaus Reich, Indikationen und Methoden der Ueissluftkur. Vorgt'tragon im un£. 
Balueolojfen-Kongress 1900. 


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Abortivbehandlnng der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. (>85 


Die Methoden der Furunkulosebehandlung mittels Heissluft. 

Ich bediene mich zur Herstellung strömender, trockener, überhitzter Luft eines 
nach meinen Angaben konstruierten Apparates, den ich Thermo-Acrophor 1 ) ge¬ 
nannt habe. 

Dieser Apparat besteht im wesentlichen aus einer mittels Elektromotors be¬ 
wegten Luftpumpe und einem Heizcylinder, aus welchem die mit Bunsenflamme bis 
200 °C erhitzbare Luft durch ein biegsames Metallrohr auf den zu behandelnden 
Körpertheil unter regulierbarem Drucke strömt.. Mit Hilfe einer Düse, deren Mün¬ 
dung bis zu 1 cm 2 erweitert werden kann, vermag ich den Durchmesser des Luft¬ 
stromes zu regulieren. Der Vortheil dieser Düsenvorrichtung liegt aber in der Luft¬ 
pressung, welche stark genug ist, um an der vom Pressstrahl getroffenen Haut¬ 
fläche eine sichtbare Delle zu erzeugen, wodurch erst eine genaue Lokalisation 
auf umschriebene Stellen ermöglicht wird. In dem Apparat passend angebrachte 
Thermo- und Manometer, sowie Mischventile dienen der Präcision von Temperatur 
und Druck. Den momentanen Bedürfnissen entsprechende Temperaturveränderungen 
sind durch Annähern oder Entfernen der Düsenmündung vom Körper raschestens zu 
erzielen. 

Mein Apparat, der eigentlich zum Zwecke der streng lokalisierten Behandlung 
von Neuralgieen und rheumatischer, gichtischer Affektionen kleiner Gelenke kon¬ 
struiert wurde, eignet sich seiner Komplexität, sowie seines hohen Preises wegen 
hauptsächlich für Institute. 

Für die alltägliche Praxis genügt der kleine, sehr handliche Kalorisator von 
Vorstädter 2 ), welcher aus einer kleinen Spirituslampe mit Vorgesetztem Asbestrohr 
besteht, durch welches die bis zu 160—170°C erhitzbare Luft mittels Kautschuk¬ 
gebläses getrieben wird. 

Was nun die Art, Dauer und Häufigkeit des Heissluftverfahrens bei 
den geschilderten Zuständen betrifft, so gehe ich folgendermaassen vor: Zunächst be¬ 
streiche ich mit dem Heissluftstrom ringartig die Umgebung der Furunkel. Ich be¬ 
absichtige hiermit einen hyperämischen Gürtel im Umkreise der Infiltration zu er¬ 
zeugen, den ich mit Rücksicht auf Zweck und supponierte Wirkung dieses präpara¬ 
torischen Verfahrens als Zona derivatoria bezeichnen möchte. Je ausgebreiteter 
die Infiltration ist, in desto grösserem Umkreise wird das hyperämische Band mittels 
kreisförmiger Bewegung des Ausflussrohres angelegt. 

Hierauf gelangt das Infiltrat und die Eiterkuppe des Furunkels bei stetem 
Pendeln des Schlauches unter den Heissluftstrom. 

Die ganze Prozedur nimmt drei bis acht Minuten in Anspruch. 

Es ist zweckmässig, die Sitzung zwei- bis dreimal am ersten Tage, dann täglich 
einmal bis zum Abtrocknen vorzunehmen. 

Um Kombustionen zu vermeiden, ist ein zeitweiliges Prüfen des Heissluftstromes 
mit den zwischen Körper und Rohr eingeschobenen Handrücken geboten. Fühlt man 
ein Brennen, so entfernt man die Schlanchmündung um 1 —2 cm weiter von der 


1 ) 1.c. — Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Leipzig 1002. 
— Strasser, Hydrotherapie. Eulenburg’s Rcalencyklopädie. 

2 ) Im Berliner medicinischen Waarenhaus für 15 Mark erhältlich. 


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Ö36 Nicolaus Keich, Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. 

Ilautoberfläche. Die Herabminderung des Hitzegrades beträgt in diesem Falle 10 
bis 35 «C. 

Nach der Sitzung bleibt der Furunkel unbedeckt. Nur an Stellen, wo stärkerer 
Druck oder Reibung unvermeidlich, lege ich einen Wattebausch auf, der mit einigen 
Mullbindentouren oder einem Heftpflasterstreif fixiert wird. 

Die Dauer der Behandlung richtet sich nach dem Fall. Handelt es sich um 
solitäre Formen und kommt die Efflorescenz im Frühstadium ihrer Entwicklung oder 
im Entstehen zur Behandlung, so genügen in der Regel eine bis zwei Sitzungen, um 
das Uebergehen in Abscedierung und Gewebsnekrose zu verhindern. Allgemeine Fu¬ 
runkelbildung erheischt eine längere Reihe von Sitzungen. Auch ist es in solchen 
Fällen zweckmässig, von Zeit zu Zeit — etwa jeden anderen Tag — Heissluft¬ 
vollbäder, am besten die sogenannten >elektrischen Lichtbäder«, mit nachfolgender 
Douche oder Halbbad einzuschieben. 

Nachschrift. Seitdem ich vorstehende Untersuchungen abgeschlossen, sind 
mir zwei Fälle zur Beobachtung gekommen, in welchen es sich um scheinbar im 
Frühstadium der Entwicklung begriffene Furunkel handelte. Trotz der sofort ein¬ 
geleiteten Heissluftprozedur ging die Vereiterung im Unterhautzellgewebe ungehindert 
vor sich. Besonders die Beobachtung des zweiten dieser Fälle belehrte mich, dass 
das Versagen meiner Methode vermutblich durch die tiefe Lage des Infektions¬ 
herdes bedingt und das Gebilde dadurch der Thermophorwirkung entzogen war. 
In beiden Fällen waren es nicht Furunkel, sondern Cellulitiden, die ich auch 
vom Standpunkte meiner Therapie auseinander halten möchte. Die Haut oberhalb 
der fraglichen Gebilde erscheint unverletzt und bleibt während des Eiterungsprozesses 
lange Zeit hindurch von Entzündungserscheinungen verschont. Eine scharfumgrenzte 
Eiterkuppe — wie im Frühstadium der Furunkulose — ist überhaupt nicht zu 
sehen, sondern kurz vor Durchbruch des Eiters ein diffuses Ergriffensein der Haut. 
Diese Merkmale sind bei Eruptionen gemischten Charakters besonders zu beachten. 
Cellulitiden werden von der Anwendung meines Verfahrens auszu- 
schliessen sein, während bei wirklicher Furunkulose innerhalb der oben ab¬ 
gestreckten Grenzen ein Misserfolg kaum zu gewärtigen ist. 


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A. Dworetzky, Ucbcr einige neuere russische Arbeiten auf dem Gebiete der Hypnose. <>87 


Kritische Umschau. 


Ueber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete 

der Hypnose. 

Von 

Dr. A. Dworetzky 

in Moskau. 

Th. Rybakow, Die Formen des hypnotischen Schlafes in ihrem Ver¬ 
hältnis zur Therapie. Wratsch 1901. No. 36. — R. Peters, Ueber die An¬ 
wendung der Psychotherapie im kindlichen Alter. Wratsch 1901. No. 22. — 
Th. Rybakow, Die Behandlung der Trunksucht mit hypnotischer Sug¬ 
gestion. Wratsch 1901. No. 45. — A. Preiss, Die Hypnose als Heilmittel. 
Medizinskaja Besseda 1901. No 21. 

Angesichts der Thatsache, dass die Anwendung der Hypnose in der letzten Zeit 
immer mehr nnd mehr sich das Bürgerrecht in der Therapie erwirbt, bietet die 
nähere Bekanntschaft mit den hypnotischen Erscheinungen ein ausserordentlich grosses 
Interesse für den praktischen Arzt dar. Vom praktischen Standpunkte ist es vor 
allem wichtig, die Frage zu entscheiden, ob die therapeutische Wirksamkeit der 
Suggestion von der Tiefe, oder aber auch von der Form des hypnotischen Schlafes 
in Abhängigkeit zu bringen sei. 

Der Moskauer Privatdozent Th. Rybakow sucht auf Grund seiner eigenen 
überaus zahlreichen Beobachtungen der Lösung dieser Frage nach Möglichkeit näher 
zu kommen. Nach Aufzählung der vier Arten oder Stufen des hypnotischen Schlafes, 
den Lehren der Schule von Nancy entsprechend, welche die Schläfrigkeit oder den 
Schlummerzustand, die Hypotaxie, die hypnotische Amnesie und den hypnotischen 
Somnambulismus oder Automatismus unterscheidet, hebt der Verfasser hervor, dass 
der Hauptunterschied zwischen diesen Formen in der Tiefe des hypnotischen Zustandes 
oder Schlafes besteht. Die Stärke des therapeutischen Elfektes steht aber nicht im 
Zusammenhänge mit der Art und folglich auch nicht mit der Tiefe des hypnotischen 
Schlafes, sondern der Grad des therapeutischen Einflusses entspricht direkt 
dem Grade der Suggestibilität der betreffenden Person. Die Suggestibilität 
setzt sich ihrerseits aus zwei psychischen Hauptfaktoren zusammen: a) aus der 
Fähigkeit der betreffenden Person einen fremden Gedanken zu appercipieren (der 
Suggestibilität im engeren Sinne des Wortes), und b) aus ihrer Fähigkeit den auf¬ 
gefassten Gedanken sich völlig zu eigen zu machen (der Fähigkeit der psychischen 
Assimilation). Der Grad der angeborenen, natürlichen Suggestibilität befindet sich 
in keiner physiologischen Abhängigkeit von der intellektuellen Entwicklung oder 
von der natürlichen Willenskraft der zu behandelnden Person; im Gegentheil, sie ist 
bis zu einem gewissen Grade einem jeden psychisch gesunden Menschen eigentümlich, 
und ein angeborenes Fehlen jeder Suggestibilität dient als Hinweis auf eine gewisse 
Stufe der psychischen Degeneration. Die Wahrscheinlichkeit eines günstigen thera¬ 
peutischen Effektes wird nun, abgesehen von den Eigenschaften der Krankheit selbst, 
durch den Grad der natürlichen Suggestibilität des zu Hypnotisierenden 
und durch den Grad seiner Fähigkeit zur dauernden Assimilation des 
suggerierten Gedankens bedingt. Folglich steht die Grösse der Chancen auf den 
Erfolg der Behandlung, unter gleichen sonstigen Bedingungen, in direktem Verhält¬ 
nisse zu dem Grade der natürlichen Suggestibilität. Der hypnotische Schlaf dient 


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G88 A. Dworctzky 

nur dazu, um zeitweilig diese natürliche Suggestibilität des Patienten zu vergrössern; 
er soll das Gehirn dem suggerierten Gedanken gegenüber aufnahmefähiger machen. 
Hervorzuheben ist noch, das zwischen der Tiefe des hypnotischen Schlafes und dem 
Grade der Suggestibilität nicht immer ein gerades Verhältniss besteht: bei Personen, 
welche über eine sehr stark ausgesprochene natürliche Suggestibilität verfügen, kann 
der hypnotische Schlaf schwach ausfallen, und umgekehrt. Von der Tiefe des hypno¬ 
tischen Schlafes befindet sich daher der Grad der therapeutischen Wirkung nur in 
indirekter und inkonstanter Abhängigkeit. 

In vollkommener Uebereinstimmung mit Rybakow, welcher die stark ver¬ 
ringerte Suggestibilität oder ihre gänzliche Abwesenheit als ein Zeichen psychischer 
Minderwertigkeit betrachtet, hebt auch Privatdozent R. Peters (St. Petersburg) 
hervor, dass es viel schwieriger ist, Kinder in Hypnose zu versetzen als Erwachsene. 
Je kleiner das Kind ist, desto schwerer ist es, zu hypnotisieren; je 
schwächer seine psychischen Fähigkeiten entwickelt sind, je mehr es sich dem Typus 
der Stumpfsinnigen und Idioten nähert, desto unvollkommener gelingt die Hypnose. 
Zu therapeutischen Zwecken wurde die Hypnose von Peters in zwei Formen an¬ 
gewandt: 1. als Einschläferung ohne jegliche Suggestion; dieser Form bediente er 
sich verhältnissmässig selten, und zwar nur dort, wo einfache Beruhigung der Psyche 
bei hysterischer Aufgeregtheit wünschenswerth war; 2. die zweite Anwendungsweise 
der Hypnose, und zwar die Einschläferung mit nachfolgender Suggestion, wurde als 
die klassische Methode am häufigsten benutzt. Bei kleineren Kindern, die der echten 
Hypnose nicht zugänglich sind, wurde noch eine dritte Methode in Anwendung ge¬ 
zogen, nämlich Suggestionen noch vor dem Eintritt des völligen Einschlafens. Eine 
gänzlich selbstständige Stellung, die nach Peters’ Ansicht nichts Gemeinschaftliches 
mit der eigentlichen Hypnose hat, nimmt diejenige psychotherapeutische Methode 
ein, welche als Wachsuggestion bezeichnet wird. Die Suggestionen im Wachzustände 
wurden dort benutzt, wo die echte Hypnose nicht herangezogen werden konnte, 
z. B. bei sehr kleinen Kindern, oder wo von der Hypnose ein schädlicher Einfluss 
zu erwarten war, oder wo ihre Erfolglosigkeit vorauszusetzen war, z. B. in Fällen 
mit »falschen Vorstellungen« nach Moebius. Bei der Wachsuggestion wurde die 
Suggestibilität durch verschiedene Umstände künstlich erhöht, z. B. durch eine streng 
angeordnete systematische Kur, durch eine äusserst sorgfältige und eingehende Unter¬ 
suchung, durch das imponierende Auftreten des Arztes. Manchmal wirkte durchaus 
günstig auf die Suggestibilität der Kinder eine für den Kranken neue Behandlungs¬ 
methode, vielleicht auf die Weise, dass während ihrer Anwendung eine Ablenkung 
der Aufmerksamkeit von der Krankheit, eine Beseitigung der Autosuggestionen und 
ein Aufleben neuer Hoffnung auf Genesung erzielt wurden. Auch die übrigeu Modi¬ 
fikationen und Unterstützungsmittel der psychotherapeutischen Kuren werden nicht 
vernachlässigt, so Versetzung in eine andere Umgebung, Bettbehandlung in Verbindung 
mit Mastkur, Hydrotherapie und Gymnastik, Uebung des Willens u. dergl. 

In den Jahren 1898 und 1899 wurden von Peters im ganzen 79 hypnotische 
Sitzungen in 40 Krankheitsfällen bei Kindern vorgenommen. Das Verhältniss der 
Mädchen zu den Knaben betrug wie 7:4. Zur Beobachtung kamen: 1 Fall von 
hysterischer Aphonie, 6 Fälle von Enuresis nocturna, 3 Fälle von Hystero-Epilepsie, 

13 Fälle von einfacher Hysterie, 2 Fälle von hysterischer Chorea, 1 Fall von hyste¬ 
rischer Zwerchfellslähmung, 1 Fall von genuiner Epilepsie, 2 Fälle von habitueller 
Obstipation, 1 Fall von traumatischer Neurose und 10 Fälle von Charcot’scher 
Chorea. Die Resultate der Psychotherapie waren natürlich nicht in allen Fällen 
günstig zu nennen. 

Zum Schlüsse macht Peters noch darauf aufmerksam, dass die Hypnose bei 
Kindern in zwei von einander vollständig verschiedenen Formen in die Erscheinung 
tritt, welche mit einander nichts Gemeinschaftliches haben, ausser der erhöhten 
Erregbarkeit des Centralnervensystems. Bei der einen Art, die nur selten, im ganzen 
dreimal unter den 40 Fällen, beobachtet wurde, und zwar an Mädchen von 12 bis 

14 Jahren mit schwerer Hysterie, konnte der hypnotische Schlaf ganz leicht in die 
übrigen Stufen des hypnotischen Zustandes, d. h. in die Katalepsie, die Lethargie 
und in den Somnambulismus übergeführt werden, ebenso wie bei Erwachsenen. 


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L'eber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete der Hypnose. (>80 


Diese Form der Hypnose ist identisch mit demjenigen Zustande, welchen die Schule 
der Salp^triere als den gewöhnlichen beschreibt, welcher jedoch als eine durch die 
Versuche hervorgerufene und ausschliesslich an kranken Personen erzeugte Neurose 
aufzufassen ist. Die andere Form der Hypnose, in welcher sich der hypnotische 
Zustand bei Kindern kund giebt, besteht in einem leichten Schlafe, der zwar als 
hypnotischer bezeichnet wird, der aber eigentlich etwas Besonderes darstellt, wie der 
Autor meint. Dieser hypnoseähnliche Schlaf entspricht der Auffassung, welche die 
ärztliche Schule von Nancy sich über die Hypnose gebildet hat. Der Autor lässt sich 
aber auf eine weitere Verfolgung der von ihm angeregten Frage nicht ein, sondern 
verschiebt die Entscheidung derselben auf eine spätere Zeit, wenn sich ein grösseres 
Material angesammelt haben wird. 

In einem früheren Berichte (s. diese Zeitschrift 1901. Bd. 4. Heft 8. S. 681) 
hatte ich bereits Gelegenheit, von den neueren russischen Versuchen zur Behandlung 
des Alkoholismus mittels der Hypnose ausführlich zu reden. Einen weiteren Beitrag 
zu dieser Frage liefert der oben erwähnte Moskausche Privatdozent Th. Rybakow. 
Seine Beobachtungen betreffen die nicht geringe Anzahl von 250 Patienten. Seine 
sämmtlichen Kranken theilt der Autor in drei Gruppen: in die zufälligen Trinker, 
in die Gewohnheitssäufer und in die Dipsomanen. Die zufälligen Trinker rekrutieren 
sich aus solchen Personen, welche bei jeder sich ihnen darbietenden günstigen 
Gelegenheit übermässig sich betrinken, welche jedoch ohne unangenehme Sensationen 
zu empfinden sich des Trunkes enthalten können; hier steht die Trunksucht auf der 
Grenze zwischen Laster und Krankheit; diese Personen gehen im Laufe der Zeit 
mit Leichtigkeit in die Kategorie der Gewohnheitssäufer über, besonders bei dem 
Vorhandensein einer hereditären Disposition. Bei den Gewohnheitstrinkern besitzt 
der Hang am Schnapsgenuss den stabilen Charakter eines unüberwindlichen Dranges, 
die Alkoholzufuhr ist für sie unumgänglich nothwendig zur Aufrechterhaltung ihres 
physischen und psychischen Gleichgewichtszustandes; in der Mehrzahl der Fälle sind 
hier bereits die Anzeichen der chronischen Alkoholvergiftung zu konstatieren. Bei 
den Dipsomanen tritt der Drang zum Schnapsgenuss periodisch auf, in gewissen 
Zeitintervallen, und in diesen kritischen Minuten ist kein Hinderniss im stände, ihnen 
Halt zu gebieten; in der freien Zwischenzeit fühlen die Quartalssäufer sogar einen 
Widerwillen gegen den Alkoholgebrauch. Ausserdem existiert noch eine vierte 
Kategorie von Säufern: die gemischte oder Uebergangsform. Von einem anderen 
Gesichtspunkte aus theilt der Verfasser seine Fälle in drei andere Gruppen: in 
Trinker ohne hereditäre Disposition'(in Rybakow’s Fällen betrugen sie 28,07% der 
Gesammtzahl), in Säufer mit erblicher Belastung (57,4 0, 0 ) und in Degeneranten, 
d. h. Trunksüchtige mit deutlichen Anzeichen der psychischen Entartung. Die grösste 
Anzahl von Degenerierten wird unter den Dipsomanen beobachtet, und die grösste 
Anzahl von Personen mit erblicher Veranlagung unter den Gewohnheitstrinkern; die 
geringe Zahl von Entarteten unter den Gewohnheitstrinkern lässt sich dadurch er¬ 
klären, dass sie leicht von der zufälligen Trunksucht zur Dipsomanie übergehen. 

Die Alkoholiker sind nach Rybakow’s Erfahrungen sehr leicht der Hypnose 
zugänglich; diese wurde anfangs jeden zweiten Tag, dann zweimal in der Woche, 
darauf einmal monatlich u. s. w. vorgenommen. Was die Resultate betrifft, so tranken 
nicht im Laufe der ersten Woche vom Beginn der Behandlung an 92%, im Laufe 
des ersten Monats 66,8 %> im Laufe von drei Monaten 88,4%, von sechs Monaten 
25,6% und im Laufe eines ganzen Jahres 20,8%. Aus diesem ungleichmässigen 
Sinken des Prozentsatzes (schnelleres Abfallen während der ersten Jahreshälfte) ist 
zu ersehen, dass mit der Fortsetzung der Behandlung die Aussichten auf Erfolg 
wachsen; dabei ergaben die allergünstigsten Resultate die zufälligen und die Gewohn¬ 
heitstrinker, während die Dipsomanen bedeutend weniger günstige Erfolge aufwiesen. 
Bei den nicht erblich Belasteten war ein bei weitem grösserer Prozentsatz von 
Geheilten zu verzeichnen als bei Trunksüchtigen mit hereditäter Disposition. Die 
psychisch Entarteten trotzten am allermeisten der Behandlung, und eine dauernde 
Genesung ist unter ihnen nur äusserst selten zu erreichen. Aus all seinen Be¬ 
obachtungen und Erfahrungen zieht der Autor den Schluss, dass bei der Behandlung 
der Trunksüchtigen die hypnotische Suggestion zur Zeit als eines der besten Heil- 

ZeitAchr. I diät u. physik. Therapie Bd. VL Heft 12. 


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6^0 Kleinere Mittheilungen. 


mittel betrachtet werden kann und dass ihr der erste Platz in der Kur des Alkoholis¬ 
mus angewiesen werden muss. 

Einen 43jährigen Alkoholiker aus neuropathischer Familie hatte auch A. Praiss 
(Smolensk) zu behandeln. Der Kranke hatte in einem Alter von 22 Jahren Schnaps 
zu trinken angefangen, und mit 30 Jahren begann er an Dipsomanie zu leiden, wobei 
er sich mehrmals bis zum Delirium tremens betrank. Periodisch traten bei ihm 
Geschmacks- und Geruchshalluzinationen auf, Gemüthsdepression etc. Der Autor 
unterzog den Kranken der Behandlung mittels Hypnose: zweimal wurden die Sitzungen 
in einem Zwischenraum von zwei Wochen vorgenommen, die folgenden drei Sitzungen 
in Zeiträumen von einem Monat. Vom Beginne der Kur an empfindet der Kranke 
nicht nur nicht keinen Wunsch nach Schnaps mehr, sondern der Schnaps flösst ihm 
den grössten Widerwillen ein. Leider giebt der Verfasser nicht an, wie lange dieser 
bemerkenswerthe Erfolg angedauert hat. Gleich günstige Resultate erzielte Praiss 
bei einem 10jährigen Knaben mit nächtlichem Bettnässen und bei einer 40jährigen 
Frau mit schwerem nervösem Husten. Bei einem psychisch degenerierten Knaben 
dagegen mit Moral insanity blieb die suggestive Behandlung, entsprechend den Be¬ 
obachtungen von Peters und Rybakow, ohne jeglichen Erfolg. 


Kleinere Mittheilungen. 


Beckenexsudate — kühle Sitzbäder. 

Von Dr. Diehl, Badearzt in Berneck (Oberfranken). 

Die Behandlung parametraner Exsudate ist in den neuesten Auflagen von Fritsch, Hof* 
meier, Runge und im Handbuche der physikalischen Therapie von Goldscheider und Jacob 
(1902) keine einheitliche. 

Die eitrigen Exsudate sind baldigst zu operieren. 

Die nicht eitrigen, nicht infizierten Exsudate des Parametriums, die Schwielen, Infiltrationen, 
Bandverdickungen und Verkürzungen, die Parametritis anterior, lateralis und posterior mussten schon 
entgegengesetzte Therapie über sich ergehen lassen. Sind einige der obigen Autoren Anhänger 
warmer Sitzbäder, so hat Pin gl er seinerzeit die Kälte gepriesen. 

Die aufstrebende Massage der 80er Jahre wollte das Feld im Sturm nehmen; viele heutige 
Aerzte halten an unbedingter Ruhe fest. Wo liegt die Wahrheit? Beleuchten wir einige der 
neuesten Ansichten näher. Fritsch lässt Sitzbäder zu, nicht unter 26# R, nicht über 30° R. Bei 
frischen Exsudaten kühlere, bei alten wärmere Bäder. Von heissen Scheidenirrigationen sah er und 
Runge nicht blos gute Erfolge. Runge zieht die Vollbäder vor, doch trotzten ihnen einzelne Ex¬ 
sudate lange. Hof meier widmet der Perimetritis längere Betrachtungen, die Parametritis ist nicht 
therapeutisch abgehandclt. Wollte er vielleicht nicht Stellung nehmen in einer Sache, die ihm noch 
nicht geklärt schien? Gottschalk empfiehlt Sitzbäder im subakuten Stadium, da sie im akuten 
zur eitrigen Einschmelzung des Exsudates führen könnten. Aetiologisch halten diese Autoren, 
ausser Hof meier, der traumatische Entstehung einräumt, an der Infektion fest. Stehen wir nicht 
zu sehr im Banne der Bakteriologie? Warum vereitern eine ganze Reihe von Parametritiden nicht 
trotz jahrelangen Bestehens, trotz interkurrenter Geburten, trotz der behaupteten weiteren Ein¬ 
wanderung von Gonokokken, bei latenter Gonorrhoe des Mannes? 

Wir sollten dem mechanischen Momente mehr Aufmerksamkeit zuwenden. Vergegenwärtigen 
wir uns die Venengeflechte des Uterus und seiner Umgebung, gedenken wir der häufigen Blut¬ 
zufuhren durch die Menses und der mangelhaften Körperthätigkeit gerade derjenigen Frauen, bei 
denen wir solchen Leiden am meisten begegnen. Bieten diese drei Momente nicht Gründe genug 
zu dauernden Hypcrämicen im parametranen Bindegewebe, besonders wenn noch weitere mecha¬ 
nische Läsionen, ohne die keine Geburt abgehen kann, hinzukommen? 


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Kleinere Mittheilungen 691 


Die vielerlei Ansichten und Meinungen lassen erkennen, dass das physiologische Moment der 
Parametritis noch unklar ist Um ihm, das wir als einheitliche Grundlage der Exsudatbehandlung 
anzusehen hätten, näher zu kommen, beginnen wir mit der Aetiologie. Die Ursachen der Exsudat¬ 
bildung sind verschiedene: Eine normale aber schwere Entbindung, künstliche Entbindung, Kürette¬ 
ment, Tubenschwangerschaft, eitrige Prozesse der Beckenorgane, nicht minder solche des Blind¬ 
darmes; alle diese in lokaler, technischer, thermischer, septischer Hinsicht so verschiedenen Ursachen 
bewirken dasselbe; bewirken eine Ausschwitzung von Blutwasser iu das Becken. Warum die Natur 
so reagiert, ob zum Schutze, ob aus Schwächezuständon, Erschlaffungen der Gefässmuskulatur her¬ 
aus, wissen wir nicht. Giebt uns so die Aetiologie keinen Fingerzeig für die Behandlung, so lässt 
sie, indem sie uns das einheitliche Resultat verschiedener Ursachen zeigt, den Gedanken einheitlicher 
Rückbildung auf kommen. 

Noch mehr Boden gewinnt dieser Gedanke aus der Betrachtung der pathologischen Anatomie. 
Was ist, pathologisch - anatomisch betrachtet, das Exsudat? Eine normale Flüssigkeit, die sich an 
falschem Platze befindet, der aber selbst normal ist. Das Ganze ist mehr physiologisch als patho¬ 
logisch. Das wird deutlicher, wenn wir den obigen Vorgang mit einem anderen pathologischen ver¬ 
gleichen. Nehmen wir als Vergleichsobjekt eine beginnende Lungenphthise. Wir beobachten in 
der Praxis oft genug, dass die Resorption eines gewöhnlichen Beckenexsudates vier bis fünf Monate 
braucht, dieselbe Zeit also, die bald hinreicht, eine beginnende Phthise zur Heilung zu bringen, an¬ 
nähernd die gleiche Zeit für die extremsten Erkrankungen; dort für die Resorption normaler Körpor- 
säfte — ein physiologischer Vorgang, der in der Rückbildung des post partum entleerten Uterus 
sein Analogon hat, welch letztere um so prompter vor sich geht, je früher die Frauen tüchtig 
arbeiten müssen, — hier für die Beseitigung drei schwerer pathologischer Vorgänge. Der Körper 
hat die Tuberkelbacillcn einzukapseln. Er hat das eingeschmolzene Gewebe durch neues zu ersetzen 
und hat gleichzeitig die Stoffwechselprodukte der Bakterien, die Ptomaine, unschädlich zu machen. 

Dies alles leistet ein kräftiger Körper in vier bis fünf Monaten, während wir in gleicher Zeit 
nicht jedes Exsudat beseitigen können, ja schwielige Verdickungen jahrelang bestehen sehen. Noch 
mehr! Wer hat nicht erlebt, dass durch heisse Sitzbäder Exsudate gewachsen sind? Ich hatte Ge¬ 
legenheit, drei solcher Fälle zu verfolgen; und gerade diese führten mich zur Beobachtung des phy¬ 
siologischen Momentes, das, meiner Anschauung nach, als Grundlage der zukünftigen Behandlungs¬ 
weise dienen sollte. 

Der erste Fall war ein Exsudat nach Kurettement; letzteres war nach geplatzter Tuben¬ 
gravidität für nÖthig erachtet worden. Herr Kollege Dr. Wittmer, Basel, der mit mir die Be¬ 
handlung leitete, war gleich mir sehr erstaunt, als unsere 35°C-Sitzbäder das Exsudat vergrösserten. 
Herr Professor Bumm, damals noch in Basel, verordnete Salzwasserumschläge und Bettruhe für 
einige Monate. Drei Monate Bettruhe und eine sechswöchentliche Soolbäderkur in Rhcinfclden 
brachten dann das Exsudat zum Schwinden. Ein Jahr später kam der zweite ähnliche Fall in Be¬ 
handlung. Fran Finchen, eine sehr energische, junge Dame, protestierte lebhaft gegen einen drei¬ 
monatlichen Haus- und Bettarrest und begrüsste meinen Vorschlag einer aktiven Therapie aufs freu¬ 
digste. 

Hier muss ich einschalten, dass ich damals seit einem Jahrzehnt an Hämorrhoiden litt, die 
ich als Disposition vom Vater ererbt, mir durch allzugrosse Flüssigkeitsquanta erworben hatte, um 
sie zu besitzen. Jahrelang ward ich sie nicht los. Hantelpessare, Salben, Kurellapulver, Anusol 
und Karlsbader Salz wirkten ebensowenig wie fleissiges Reiten, Radfahren und die strengsten Diät¬ 
kuren. Das Leiden brachte mich sehr herunter, es musste geholfen werden. Vor der Radikal¬ 
operation schreckte ich zurück. Nicht blos wegen der Schmerzen und Gefahr, vielmehr noch im 
Bewusstsein, durch die Operation werden die Knoten, nicht aber die zuführenden erweiterten Veuen 
beseitigt. Ich wendete mich dann an Herrn Kollegen Dr. Lahmann, und seinen Verordnungen, 
insbesondere den kühlen Sitzbädern, habe ich meine Heilung zu verdanken. 

Lag der Gedanke nicht nahe, die kühlen Sitzbäder, 25°C, gegen das Exsudat anzuwenden? 
Die kühlen Sitzbäder hatten die Blutüberfüllung des Unterleibes zum Schwinden gebracht. Mussten 
sie nicht auch Exsudate zur Resorption bringen? Der Gedanke lag um so näher, als die warmen 
Bäder die Exsudate vergrössert hatten. Die Patientin war geneigt, den Versuch zu wagen. Die 
ersten zehn Bäder brachten keinerlei Veränderungen. Wir gingen herunter auf 22°C, badeten zwei¬ 
mal täglich, und nun schwanden die kleinen, subjektiven Beschwerden rasch. Die Resorption setzte 
kräftig ein. Nach weiteren zwölf Badetagen war nichts mehr zu fühlen. Unter zweitägiger Kon¬ 
trolle durfte Patientin aufstehen, nach weiteren acht Tagen entliess ich sie aus der Behandlung, 
nachdem Spazierengehen und Hausarbeit ihr keinerlei Beschwerden verursachten. 

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C)92 Kleinere Mittheilungen. 


In der Anwendung kühler Temperaturen, wie ich es durch Lahm an n kennen lernte, glaube 
ich das physiologische Moment der Therapie erblicken zu müssen. Ich versuche jetzt, es näher zu 
begründen. In seinem Buche: »Ueber die natürlichen Schutzmittel des Organismus, mit besonderer 
Berücksichtigung des Entzündungsvorganges« zwingt uns March and, den Begleiterscheinungen der 
Entzündung ein erhöhtes Interesse zuzuwenden. Es wird uns daraus klar, dass die Hyperämie in 
vielen Fällen eine ebenso wichtige Rolle spielt, als die Entzündung selbst. Ja, bei vielen Prozessen 
der weiblichen Scxualorgane ist die Entzündung überhaupt nur noch eine Hyperämie. Es erhellt 
dies aus dem anatomischen Bau und dem physiologischen Vorgänge der Menstruation. Ist beispiels¬ 
weise nach einer schweren Geburt oder nach zu lange dauernden Menstruationen irgend ein Venen¬ 
strang in einem Theile des Parametriums stark erweitert und prall gefüllt, so wird er sich noch 
nicht genügend geleert und verengert haben, bis die nächste Periode eintritt. Die noch schlaffen 
Wandungen geben nach, und abermals tritt eine Hyperämie ein. Ohne richtige Maassnahmen bleibt 
dieser Circulus vitiosus jahrelang bestehen. Ichthyol in allen Stärken, Massage, Gymnastik, nichts 
bringt den leichten Schmerz, das dumpfe Gefühl zum Schwinden, das die armen Trägerinnen be¬ 
ständig plagt und sich zur Zeit der Menstruation bis zu kolikartigen Anfällen steigern kann. Viele 
joner kleinen cirkumskripten Parametritiden, Perisalpingitiden und Perioophoriden sind keine Ent¬ 
zündungen; sie sind nur Hyperämieen, und, wie jede andere Unterleibshyperämie, durch kühle Tem¬ 
peraturen zu bekämpfen. Veraltete Fälle mit Verhärtungen der Bänder verlangen natürlich vorher 
eine Auflockerung; dies leistet Wärme und Massage. Von vielen nur eine kurze Krankengeschichte: 
Im vorigen Sommer war eine junge Frau wegen Blutarmuth und Nervenschwäche hierher gekommen, 
um Fichtennadelbäder zu nehmen. Nach dem sechsten Bade fühlte sie sich elender wie je. Sie 
kam zur Konsultation, erwähnte aber anfangs ihr Unterleibsleiden nicht. Erst auf eingehendes 
Examen erzählte sie, sie sei seit zwei Jahren hoffnungslos unterleibsleidend; alle möglichen spe¬ 
ziellen Behandlungen — zum Theil sehr schmerzhafte und eingreifende — seien erfolglos gewesen, 
ebenso Soolbäder; zumeist hätten die Schmerzen unter der Behandlung sogar zugenommen. Die 
Untersuchung zeigte in dem den Mastdarm umfassenden Theile des Parametriums eine stark hyperä- 
mische Stelle, die druckempfindlich war. Eine Reihe kühler Sitzbäder, einige gelinde Massagen 
brachten so guten Erfolg, dass die nächste Periode völlig schmerzfrei verlief, seit Jahren wieder 
das erste Mal. Bei grösseren Spaziergängen und Laufspielen konnten wir uns von dem Dauererfolge 
überzeugen. Gerade diese Fälle kommen jedem Herrn Kollegen oft unter die Hände und eignen 
sich zur Prüfung der besprochenen Methode. 

Zum Schlüsse wollen wir noch einen in zweifacher Hinsicht interessanten und lehrreichen Fall 
heranziehen, eine Perityphlitis. Am zehnten Tag wurde wegen plötzlicher Eiterbildung die Ope¬ 
ration nöthig. Zur raschen Entleerung des Eiters und baldigen Ausstossung des vermutheten Koth- 
steins Hess ich die zwölfjährige Patientin heisse Bäder nehmen; dieselben wurden bis zum 22.Tage 
nach der Operation gut vertragen. Am genannten Tage war Patientin nach dem Morgenbade noch 
sehr munter, aus dem Abendbad verlangte sie bald heraus; sie klagte über Leibschmerzen und 
empfand gegen 10 Uhr heftiges Schneiden beim Urinieren. Eine Erklärung fand sich am anderen 
Morgen. Unterhalb der Bauchwunde beginnend, zog sich quer über die Symphyse ein Exsudat, das 
bis zur linken Darmbeinschaufel reichte, rechts drei, links zwei Finger hoch nach oben fühlbar. Ich 
stehe nicht an, die Aetiologie zu erklären: Ich halte es für eine Folge der vielen heissen Bäder bei 
dem schon geschwächten und gereizten Unterleib. Die Eiterung war in den letzten Tagen minimal 
geworden, die Wunde am Verheilen, der Verdacht auf Kothstein weggefallen. Die Behandlung setzte 
nun umgehend mit kühlen Bädern ein: dadurch schwanden die subjektiven Beschwerden zusehends. 
Vom vierten Tage ab ging das Urinieren leichter; in IG Tagen hatte sich das ganze Exsudat zurück- 
gebildet. Dass dies sehr grosse Exsudat in so kurzer Zeit zurückging, verdankte ich nicht nur den 
kühlen Bädern. Ich hatte in diesem Falle die Patientin schon am sechsten Tage aufstehen lassen, 
als ihre Hauptschmerzen vorüber waren. Und gerade auf diesen Punkt möchte ich das Augenmerk 
der Herren Kollegen besonders richten. Die Bettruhe beim Exsudat! Warum eigentlich diese un¬ 
selig lange Bettruhe? Sollte sic und die mangelnde Bewegung der Extremitäten nicht gerade die 
Resorption verhindern? Hier fesselt eine übergrosse Aengstlichtigkeit der Aerzte die Patientinnen 
unnützer, ja schädlicher Weise zu lange ans Bett! Unterziehen wir die Zeit der Bettruhe beiin Ex¬ 
sudat einer näheren Betrachtung. Warum haben wir seither so lange zu Bett liegen lassen? Doch 
nur aus Angst, jede Bewegung könne das Exsudat vergrössern. Das warme Sitzbad macht eine 
starke aktive Hyperämie zum Unterleib, ohne dass dieselbe von einem kräftigen, venösen Rückflüsse 
gefolgt wäre. Durch Umhergehen im Zimmer bewirken wir letzteres und unterstützen so das resor¬ 
bierende Moment, das kühle Sitzbad. 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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Unsere Zeit strebt einer einheitlich in sich begründeten Heil weise zu; deren grosser und 
erster Fundamentalsatz dürfte lauten: Akute Erkrankungen werden mit Ruhe, chronische mit Be¬ 
wegung behandelt. Daher die Erfolge der physikalischen Therapie bei chronischen Leiden. Wir 
haben demnach das Exsudat im akuten Stadium mit Bettruhe, im chronischen mit Bewegung zu 
behandeln. Wie lange dauert aber das akute und wann beginnt das chronische Stadium? Wir 
haben keinen fieberhaften, keinen Entzündungsprozess vor uns. Das akute Stadium kann also nur 
so lange dauern, bis die Grundursache behoben ist. Ist die Grundursache geschwunden, so ist das 
akute Stadium vorbei. Die Grundursachen aller nicht infizierten Exsudate haben etwas Gemein¬ 
sames, nämlich Gewebs-, respektive Gefässläsionen. Die Läsion kann durch Quetschung bei 
schwerem, normalem Geburtsverlauf, durch Quetschung bei Anwendung von Kunsthilfe, durch Zer¬ 
störung des Gewebes beim Kurettement, durch Zerreissung der Tubenwandung entstehen und die 
Ursache des Exsudates sein. Aber in allen Fällen ist die Gewebsläsion schnell repariert und daher 
das akute Stadium ein sehr kurzes. Meistens wird es fünf bis sechs Tage nicht überdauern. Zum 
Beweis diene noch das frühe Aufstehen der meisten Wöchnerinnen. Mehr als die Hälfto der Wöch¬ 
nerinnen auf dem Lande bleibt keine Woche zu Bett. Ich sehe das akute Stadium nicht länger als 
eine Woche dauernd an, und werde künftig keinerlei Bedenken tragen, nach Verlauf der ersten 
Woche mit den kühlen Bädern und der Bewegungstherapie zu beginnen. Die letztere wird anfangs 
dreimal täglich die Patientin ein Stündchen im Zimmer herummarschieren lassen. Fühlt sic sich 
kräftiger, so kann Treppensteigen, Unterschenkel kreisen und Kniebeuge hinzukommen. Die Er¬ 
nährung sei kräftig und reichlich, denn die kühlen Sitzbäder erheischen kräftige Blutbildung. Die 
Stuhlentleerungen sind durch reichlichen Obstgenuss und einige kleine, kühle Einläufe zu unterstützen. 

Diese Mittel dürften unsere seitherige Ohnmacht gegenüber den Exsudaten beseitigen und uns 
befähigen, — prophylaktisch angewendet — die kostbare Gesundheit unserer Frauenwelt zu fördern. 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


A. Diätetisches (Ernährungstherapie). 

Schnmaii-Leclercq, Ueber die Ausschei¬ 
dung der Aetherschwefelsäure bei konstan¬ 
ter Kost unter dem Einfluss von Karlsbader 
Wasser, Karlsbader Salz, Wasser, Bier. 

Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 40 

Welchen Einfluss Laxantien auf die Darm- 
faulniss haben, ist noch Gegenstand der Diskus¬ 
sion. Morax hat zuerst die Meinung ausge¬ 
sprochen, dass Laxantien die Darmfäulniss stei¬ 
gern; Rovighi erklärte dies dadurch, dass in¬ 
folge der Vermehrung der im Darm enthaltenen 
Flüssigkeit die Thätigkcit der Darmbakterien ge¬ 
steigert wird; da aus demselben Grunde auch die 
Absorption der Fäulnissproduktc erleichtert ist, 
tritt eine Vermehrung der Aetherschwefelsäure 
im Harn auf. Albu bestritt die Morax’sehe 
These in einer Arbeit über den Einfluss ver¬ 
schiedener Ernährungsweisen auf die Darmfäul- 
niss (1897;: da mit der Entleerung grosser Men¬ 
gen fäulnissfähigen Materiales aus dem Darm die 
Eiweissfäulniss in demselben beschränkt wird, 
wirken alle diejenigen Abführmittel, welche die 
Peristaltik beeinflussen, vermindernd auf die 


Darmfäulniss; im Gegensatz freilich zu den Ab¬ 
führmitteln, welche durch seröse Transsudation 
im Darm wirken und den Darminhalt verflüssigen. 

Einen Beitrag zu dieser Frage liefert vor¬ 
liegende Abhandlung von Schuman-Leclercq. 
Verfasser machte seine Versuche an sich selbst; 
er bestimmte die absolute Menge der im Harn 
ausgeschiedenen Aetherschwefelsäure bei Zugabe 
von Karlsbader Sprudelwasser (in zwei Versuchs¬ 
perioden), von Kalsbadcr Sprudclsalz, von Trink¬ 
wasser und von Münchener Bier (je eine Periode) 
zu einer konstanten Versuchsdiät. Zwischen je 
zwei Versuchsperioden wurde eine Kontrollperiode 
mit alleiniger Normalkost eingeschaltet. In der 
Sprudelsalzperiode trat eine Verminderung 
der Ausscheidung der Aetherschwefel¬ 
säure ein, in der Sprudel wasser-, Trinkwasser- 
und Bierperiode eineErhöhung. Die Sprudel- 
salzperiodo war durch häufige Defäkation 
charakterisiert; und diese schnelle Beförderung 
der Kothmassen aus dem Darm wird wohl auf 
die Verminderung der Aetherschwefelsäure einen 
Einfluss gehabt haben. 

Nothwendig wären N-Bestimmungen im Koth 
gewesen, um die Resorptionsverliältnissc der ein- 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


geführten Nahrung, respektive die Menge des 
fäulnissfähigen Materiales im Darm festzustellen. 
Die einzelnen Perioden hätten dadurch in ein 
klareres Verbältniss zu einander gesetzt werden 
können. Ausserdem wäre wohl dadurch die Ur¬ 
sache der Gewichtsabnahme des Verfassers wäh¬ 
rend des Versuches (nahezu 2 kg) aufgedeckt 
worden, die Verfasser auf Wasserverlust bezog. 
Da nur fünf gelegentliche N - Bestimmungen im 
Urin gemacht wurden, so'bleibt es zweifelhaft, 
ob wirklich N - Gleichgewicht bestand, oder ob 
nicht doch der Organismus N abgegeben hat 

GotthelfJMarcuse (Breslau). 


A. Albu, Die vegetarische Diät. Kritik ihrer 
Anwendung für Gesunde und Kranke. Leip¬ 
zig 1902. Georg Thieme. 

Die vornehme Ignoranz, die die wissenschaft¬ 
liche Mcdicin seit Jahrzehnten allen der zünftigen 
Schulmeinung zuwiderlaufcnden Theoriecn und 
Argumentationen gegenüber, zur Schau getragen 
hat, hat den Bann der Phrase und des Schlag¬ 
worts erzeugt, dem unzählige zum Opfer gefallen 
sind. So ging es mit dem Wasserheilverfahren, 
so mit den physikalischen Methoden überhaupt; 
und auch der Vegetarianismus, dieses seit un¬ 
denklichen Zeiten immer wieder in der Geschichte 
des Menschen hervortretende Problem, konnte 
von seinen Gläubigen als Panacee gepriesen, von 
den Wissenschaften mit einem mitleidigen Achsel¬ 
zucken belächelt, unwiderlegt nach allen Rich¬ 
tungen des menschlichen Lebens und Denkens 
kreisen und zu einer blindlings anerkannten 
Theorie werden. Wenn auch seine Wellen die 
streng exakte Wissenschaft wenig berührten, um 
so heftiger schlugen sie an das leicht empfäng¬ 
liche Gcmüth des Volkes an und schufen mit 
Hilfe einer geräuschvollen Propaganda und ober¬ 
flächlichen Beweisführung Anhänger in allen 
Kreisen und Schichten der Gesellschaft. Es ist 
daher ein anerkennenswerthes Verdienst von 
Albu, dieser Frage zum ersten Mal in einer er¬ 
schöpfenden , abgerundeten Darstellung näher 
getreten zu sein und nächst der Kritik und Ab¬ 
weisung unerwiesener und von Generation zu 
Generation nachgesprochener Allgemeinbehaup¬ 
tungen die Indikation der Anwendung des Vege¬ 
tarianismus als diätetisches Heilmittel streng 
methodisch fixiert zu haben. Sein Buch, dass 
ausserordentlich frisch und anregend geschrieben 
ist, zerfällt demgemäss in zwei Theile: Im ersten 
werden nach einer Betrachtung der Geschichte 
des Vegetarianismus, des Begriffes und der 
Definition dieser Weltanschauung — denn eine 
solche stellt sie im Grunde genommen dar, nicht 


blos ein diätetisches Prinzip — die Beweismittel, 
die diese Lehre für sich in Anspruch nimmt, 
einer kritischen Würdigung unterworfen, die nicht 
blos von medicinischen Gesichtspunkten aus ge¬ 
schieht, sondern eine viel umfassendere Basis 
hat Die Wechselbeziehungen zwischen dem 
Vegetarianismus einerseits und der Hygiene, der 
Aesthetik, der Ethik, Religion und Volkswirtk- 
schaft andrerseits werden festzustellen gesucht 
und damit auch zugleich die verwirrenden Ein¬ 
flüsse der verschiedensten Art und von den ver¬ 
schiedensten Seiten aus näher beleuchtet; ver¬ 
wirrend insofern, als die heterogensten Faktoren 
zusammentrafen, um eine Weltanschauung zu 
erzeugen. Der umfassende Blick, der dem Ver¬ 
fasser zu eigen, lässt ihn aller dieser Gesichts¬ 
punkte gerecht werden, und das vorzüglich ver¬ 
arbeitete Material giebt ein abgerundetes Bild 
von dem Vegetarianismus als physiologisches, philo¬ 
sophisches und nationalökonomisches Problem. 
Der zweite Thcil behandelt den Werth der vege¬ 
tarischen Diät für die Krankenernährung, hier 
tritt die Kritik gegenüber der praktischen Ver- 
werthbarkeit zurück. Eigene Erfahrungen sowie 
die anderer gewissenhafter Beobachter lassen 
die vegetarische Diät in einer grossen Reihe 
pathologischer Veränderungen als durchaus in¬ 
diziert erscheinen, so vor allem bei der Neu¬ 
rasthenie, den nervösen Magen- und Darmkrank- 
heiten, den katarrhalischen Affektionen des 
Magendarmtraktus (hier ist es wesentlich die 
laktovegetabile Diät, die in Betracht kommt), 
weiterhin bei Neurosen, der Arthritis urica, der 
Fettleibigkeit, dem Diabetes, Basedow, Nieren¬ 
krankheiten, chronischen Hauterkrankungen etc. 
Gerade dieses Gebiet, das ja von wissenschaft¬ 
licher Seite aus bisher fast ganz unbeackert da¬ 
lag, bedarf, wie auch Albu hervorhebt, weit 
mehr eingehender Beobachtungen, ehe man zu 
völlig sicheren Schlüssen gelangt. Die Entwick¬ 
lung der Diätetik als Wissenschaft berechtigt zu 
der Hoffnung, dass auch eine umfassendere, sorg¬ 
fältige Prüfung des Werthcs der vegetarischen 
Diät bei den verschiedenen in Betracht kommen¬ 
den Formen akuter wie chronischer Erkrankungen 
angebahnt werden wird. Mit Albu’s Schluss¬ 
sätzen können wir uns voll und ganz einver¬ 
standen erklären, sie lauten: »Die wissenschaft¬ 
liche Kritik macht jetzt das unumwundene Zu¬ 
geständnis, dass die vegetarische Ernährungs¬ 
weise als eine physiologisch mögliche und aus¬ 
reichende erwiesen ist, [und dass auch ihre bio¬ 
logische Daseinsberechtigung erhärtet ist durch 
den Nachweis einer damit erreichbaren gleichen 
körperlichen Leistungsfähigkeit. Nicht mehr aber 
ist erwiesen, als dass die pflanzliche Ernährung 
im besten Falle der gemichten Kost ebenbürtig 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 695 


ist. Die aus animalischen und vegetabilischen 
Nahrungsmitteln möglichst gleichmässig gemischte 
Kost ist die einzig richtige Ernährung des ge¬ 
sunden Menschen. Für den gesunden Menschen 
machen sich nur die Nachtheile der vegetarischen 
Diät geltend, ihre Vortheile kommen nur für den 
Kranken in Betracht«. 

J. Marcuse (Mannheim). 


Leb bin, Der Nähr werth der Hühnereier« 

Therapeutische Monatshefte 1901. Novomber. 

Nach Leb bin’s Untersuchungen beträgt das 
mittlere Gewicht eines Hühnereies 50,5 g, wovon 
5,5 g = 10,89% auf die Schale, 29,5 g = 58,42% 
auf das Eiweiss, 15,5 g = 30,69% auf das Ei¬ 
gelb entfallon; durch fünf Minuten langes Kochen 
erfolgte fast ausnahmslos eine mittlere Gewichts¬ 
zunahme um 0,326 g (0,61 %). Für die prozenti¬ 
sche Zusammensetzung des Dotters und des Weis- 
sen ergiebt sich: 



Was- 

Pro- 

Fett 

Asche 

Von der Asche 


ser 

teYne 

P« 0» FeiOa 

Weissei. 
Gelbei . 

86,61 ! 
47,53 | 

10,93 
17,45 | 

0,14 

33,32 

0,71 
! 1.67 

0,22 0,006 
1,43 0,037 


Diese Zahlen, sowie die für die chemische Zu¬ 
sammensetzung eines schalenfrcien Hühnereies 
berechneten Werthe — 32,92 g Wasser, 5,92 g 
Eiweissstoffe, 5,2 g Fett, 0,47 g Aschenbestand- 
theile, 0,28 g P 2 0 5 , 0,0074 g Fe^a — entsprechen 
im wesentlichen den von J. König, Rubner, 
Munk und Ewald angegebenen, und zeigen, 
dass die Eier ein äusserst werth volles Nahrungs¬ 
mittel darstellen. Bei einem mit 22 Eiern an 
einer gesunden Versuchperson vorgenommenen 
Ausnützungsversuch erwies sich der Nährwerth 
der Hühnereier als ein sehr hoher. Besonders 
bemerkenswerth war die günstige Ausnützung 
der im Dotter enthaltenen Lecithine, welche die 
Möglichkeit eröffnet, durch Darreichung von 
Eiern dem nervös erschöpften Körper schnellen 
und guten Ersatz seiner Nervensubstanz zu ver¬ 
schaffen. Hirschel (Berlin). 


Siegert, Erfahrungen mit der nach r. Dün¬ 
gern gelabten Vollmilch bei der Ernährung 
des gesunden und kranken Säuglings. 

Münchener medicin. Wochenschr. 1901. No. 29. 

Auf Grund eigener sechsmonatlicher Versuche 
bezeichnet Verfasser die nach v. Düngern’s Vor¬ 
schrift (cfr. Referat in dieser Zeitschrift Bd. V. 
Heft 7) mit Lab versetzte Kuhmilch als ein 


werthvolles Nahrungsmittel für gesunde und 
kranke Säuglinge; er empfiehlt sie beim Säug¬ 
ling sowohl als ausschliessliche Nahrung wie 
beim AU&itement mixte, ferner für ältere Kinder 
und Erwachsene, wenn gewöhnliche Kuhmilch 
Druck im Magen oder Erbrechen verursacht, auch 
bei katarrhalischen Zuständen und bei Ulcus ven- 
triculi. Säuglingen ist die unverdünnte Milch in 
entsprechend kleiner Menge zu verabreichen, 
schwer oder chronisch magendarmkranken Kin¬ 
dern in Einzelportionen von nur 60, selbst 30 g. 
Die Labung der Milch geschieht nach Siegert 
folgondermaassen: Die nach Förster krankheits¬ 
keimfrei gemachte oder die sterilisierte Vollmilch 
— in sehr bedenklichen Fälleu vorübergehend 
ungekochte, frisch gemolkene Milch — wird bei 
Körpertemperatur in der Trinkflasche durch Zu¬ 
satz von Pegnin, dem an Milchzucker gebundenen 
sterilen Labferment, gelabt (eine Messerspitze 
Pegnin genügt für 200 g Milch); nach einmaligem 
Umschüttcln wird die Flasche in warmes Wasser 
von 400 c zurückgestellt bis zur Gerinnung in 
etwa 5—10 Minuten; hierauf wird je nach Er- 
fordemiss Wasser, Schleim, Rahm, Eigelb etc. 
hinzugefügt, und das Gerinnsel durch kräftiges 
Schütteln derart beseitigt, dass Flocken makro¬ 
skopisch kaum noch sichtbar sind, dann die Milch 
bei Körpertemperatur verabfolgt. Pausen von 
3 —3V2 Stunden zwischen den einzelnen Mahl¬ 
zeiten sind dringend zu empfehlen, 1 1 pro die 
soll vor dem achten Monat nicht gegeben und 
bis zum Ende des ersten Lebensjahres nicht über¬ 
schritten werden. Nach vierwöchentlichem Ge¬ 
brauch gelabter Vollmilch wird meist auch die 
ungclabte Vollmilch schon gut vertragen. Die 
in den ersten Lebensmonaten bei Ernährung mit 
unverdünnter Milch öfters auftretende Neigung zu 
Obstipation lässt sich durch Zusatz von Rahm 
oder Milchzuckerlösung, noch sicherer durch die 
Bauchmassage beseitigen. 

Hirschei (Berlin). 


W. Orlowsky, Die Bedeutung der Lehre von 
der Selbstvergiftung des Körpers für die 
innere Pathologie und insbesondere für die 
Pathogenese der Urämie. Wratsch 1901. No. 30. 
Derselbe, Die Blntalkalescenz unter physio¬ 
logischen und pathologischen Verhältnissen. 
Daselbst 1901. No. 39 u. 40. 

Zur Entscheidung der Frage, wodurch die 
Herabsetzung der Blutalkalescenz bei Urämie 
bedingt wird, nahm Orlowsky eine Reihe von 
Untersuchungen vor. An Hunden mit Unter¬ 
bindung beider Ureteren und an urämischen 
Kranken an gestellte Experimente zeigten vor 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


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allem) dass die Blutalkalescenz bei Urämie that- 
sächlich um 40—50% sinkt. Weitere Versuche 
an Hunden ergaben, dass diese Erscheinung 
hauptsächlich durch die Ansammlung von sauren 
Produkten im Blute verursacht wird. Ein aus¬ 
gesprochenes Sinken der Blutalkalescenz tritt je¬ 
doch nicht gleich zu Beginn der Krankheit auf, 
sondern nur kurz vor dem Tode; im Anfänge 
dagegen weicht, ungeachtet der vollkommen aus¬ 
geprägten urämischen Symptome, die Alkalescenz 
des Blutes nur unbedeutend von der Norm ab. 
Dieser Umstand veranlasst den Verfasser, die 
Sättigung des Körpers mit sauren Stoffwechsel¬ 
produkten nicht für die effektive Ursache der 
Urämie zu halten, sondern sic nur als Begleit¬ 
erscheinung derselben zu betrachten, welche durch 
die eingreifende Störung des Stoffwechsels her¬ 
vorgerufen wird. 

Ferner studierte Orlowsky das Verhalten 
der Blutalkalescenz unter physiologischen und 
pathologischen Bedingungen überhaupt. Durch 
Experimente an Hunden konnte er feststcllen, 
dass auf den Grad der Blutalkalescenz die je¬ 
weilige Anzahl der rothen Blutkörperchen und 
ihr Resistenzvermögen einen entscheidenden Ein¬ 
fluss ausübt. Weitere überaus sorgfältige Unter¬ 
suchungen an 08 Kranken zeigten, dass der Grad 
der Blutalkalescenz bei verschiedenen Krankheiten 
und bei einer und derselben Krankheit verschie¬ 
dener Personen nicht der gleiche ist. Stellt man 
jedoch die Werthe der Alkalescenz des Blutes 
mit dessen Gehalt an rothen Blutkörperchen zu¬ 
sammen, so bemerkt man unschwer, dass sic ein¬ 
ander völlig parallel gehen: mit der Verringerung 
der Zahl der rothen Blutkörperchen sinkt auch 
die Blutalkalescenz, bei normaler Anzahl von 
Erythrocyten steht auch der Grad der Alkalescenz 
auf normaler Höhe. Die Alkalescenz des Blut¬ 
plasmas hingegen erweist sich bei den ver¬ 
schiedensten krankhaften Zuständen als voll¬ 
ständig normal, und wenn sie auch hin und 
wieder von der Norm abweicht, so doch jeden¬ 
falls sehr unbedeutend. Es giebt aber einige 
Affektionen, bei denen eine beträchtliche Herab¬ 
setzung der Alkalescenz auch des Blutplasmas 
zu konstatieren ist, nämlich Diabetes mellitus, 
Krebskachexie und Urämie (in ihrem Endstadium). 

A. Dworetzky (Moskau). 


N. Krawkow, Ueber das Vorkommen von 
Pentosen im thierfschen Organismus und 
über den Ursprung der Peutosurie. Wratsch 
1901. No. 30 und 31. 

Als Ausgangspunkt für die Untersuchungen 
Professor Krawkow’s (an der miütär- 


medicinischen Akademie ln Petersburg) diente 
folgende von ihm entdeckte Thatsache: Kocht 
man ein Stückchen Kaninchenmuskel mit Salz¬ 
säure in Gegenwart einer kleinen Menge von 
Phlorogluein, so tritt nach kurzer Zeit eine 
rosige Färbung der Flüssigkeit auf, — eine Re¬ 
aktion, die für Pentose charakteristisch ist. Diese 
Färbung verliert sich schnell beim weiteren Kochen 
Eine ebensolche charakteristische Reaktion auf 
Pentose erhält man beim Kochen eines Muskel- 
stückchens mit Salzsäure in Gegenwart von 
Orcin. Im letzteren Falle beobachtet man eine 
prächtige blauviolettc, in smaragdgrün über¬ 
gehende Färbung. Bei Bearbeitung einer solchen 
Lösung mit Amylalkohol geht die Farbe in 
diesen über und tritt dann um so deutlicher 
hervor. Das Spektrum dieser Lösung zeigt die 
für die Pentosen charakteristischen Absorptions¬ 
linien. Zur Isolierung der Pentose versuchte 
Krawkow, ihr entsprechendes Osazon auf dem 
üblichen Wege darzustellen, was ihm auch ge¬ 
lang. Um die Muskel Substanz von den in ihr 
enthaltenen freien Kohlehydraten, wie: Glykogen, 
Glykose u. a. zu befreien und dadurch von dem 
entstehenden Pentosazon Beimengungen von 
Glykosazon nach Möglichkeit fernzuhalten, wurde 
das in einer gewöhnlichen Fleischmahlmaschine 
aus Metall fein zerkleinerte Fleisch zuerst längere 
Zeit in kaltem Wasser ausgelaugt, dann wieder¬ 
holt mit Wasser aufgekocht, bis die Spülflüssig¬ 
keit endlich keine Spuren einer Reaktion auf 
Glykogen oder auf Zucker mehr darbot. Oder 
es wurde ein Thier so lange im absoluten 
Hungerzustande gehalten, bis es 60% seines 
Anfangsgewichtes verloren hatte. Infolge eines 
so lange durchgeführten Hungernlassens ent¬ 
hielten die Muskeln des Versuchstieres w’eder 
Spuren von Glykogen, noch von Zucker. Auf 
diese Weise konnte die die Pentosereaktion 
liefernde Substanz in Form ihres Osazons rein 
gewonnen werden, wobei kein Zweifel darüber 
obwalten kann, dass der von Professor Krawkow 
dargestellte Körper sowohl hinsichtlich seiner 
physikalischen Eigenschaften, als auch seiner 
elementaren chemischen Zusammensetzung nach 
das Pentosazon repräsentiert. Es zeigte sich also 
zur Evidenz, dass das vom Glykogen und vom 
Zucker vollständig befreite Muskelgewebe Vor- 
räthe eines Kohlehydrates mit fünf Kohlenstoff¬ 
atomen enthält. Die Vorräthe dieses Kohle¬ 
hydrates in den Muskeln werden im Gegensatz 
zum Glykogen und zum Zucker auch beim an¬ 
dauernden absoluten Hungern des Versuchstbieres 
in bedeutenden Mengen vor dem Verbrauche be¬ 
wahrt. Demnach ist die Annahme berechtigt, 
dass das Muskelgewebe die Hauptquelle 
der Pentose im Organismus darstellt und 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 697 


dass dieses Gewebe in der Pathogenese 
der Pentosurie eine hervorragende Rolle 
spielen muss. 

Nachdem Professor Krawkow einen be¬ 
deutenden Gehalt an der Pentosengruppe in der 
Muskcisabstanz gefunden hatte, wendete er sich 
der Frage über das Vorkommen dieser Gruppe 
in den verschiedenen anderen Organen des Thier- 
korpors zu. Die qualitativen Untersuchungen 
über den Gehalt an Pentose wurden von ihm mit 
Hülfe von Phlorogiucin oder Orcin in Gegenwart 
von starker Salzsäure vorgenommen, und die 
Flüssigkeit nach dem Erkalten mit Amylalkohol 
geschüttelt. Es wurde Pentose nachgewiesen 
beim Kaninchen in den Muskeln, im Herzfleisch, 
in der Leber, in der Darmwand, in den Nieren, 
im Gehirne, in den Knochen, im Glaskörper des 
Auges; bei einem jungen Hunde im Knorpel, in 
den Muskeln (?); bei einem Frosche in den Muskeln, 
in der Darm wand; bei einem Hechte in den Muskeln, 
im Herzen, in der Leber, im Darm, im Eierstock; 
bei einem Krebse in der Muskulatur. Die Bauch¬ 
speicheldrüse von Hunden und Kaninchen gab 
stets eine ausgesprochene positive Pentosc- 
reaktion Der Autor kommt also zu dem 
Schluss, dass die Quellen der Pentosen- 
bildung im thierischen Organismus sehr 
verbreitet und überaus mannigfaltig 
sind, dass aber in dieser Beziehung das Muskel¬ 
gewebe eine ganz besondere Beachtung verdient. 
Wenn auch das Pankreas im Vergleich mit der 
Muskulatur eine nicht geringere relative Menge 
von Pentose enthält, so ist doch die absolute 
Menge dieses Stoffes zweifellos in dem Muskel¬ 
gewebe grösser, da ja dem Gewichte nach dieses 
in dem Organismus das Hauptgewebe darstellt. 

War einmal die Pentosengruppe in den ver¬ 
schiedensten Organen des Körpers gefunden 
worden, und zwar höchstwahrscheinlich als 
integrierender Bestandteil komplizierter Eiweiss- 
moleküle, so war es auch interessant, zu erfahren, 
ob die Pentose sich ebenso wie die anderen be¬ 
kannten Zuckerarten physiologischerweise in dem 
Organismus bildet. Profosser Krawkow ist 
geneigt, diese Frage im bejahenden Sinne zu be¬ 
antworten, da seine Beobachtungen mit grosser 
Wahrscheinlichkeit zu Gunsten dieser Anschauung 
sprechen. Die daraufhin gerichteten Unter¬ 
suchungen des Verfassers ergaben, dass bei 
der fermentativen Bildung von Zucker 
in der dem Körper entnommenen Leber 
gleichzeitig mit verschiedenen anderen 
Zuckerarten sich auch Pentose bildet. 
Die Quellen der Pentosenbildung unter solchen 
Bedingungen sind anscheinend dieselben, wie 
für die Bildung des Traubenzuckers in der Leber, 
d. h. die Eiweissstoffe und das Glykogen. 


Was das Wesen der Pentosurie betrifft, so 
betrachtet sie Professor Krawkow als eine 
besondere Form der Glykosurie. Er ist 
überzeugt, dass beim genaueren Studium des 
Charakters der im Organismus vorhandenen 
Kohlehydrate noch andere Abarten der 
Glykosurie werden aufgedeckt werden, d. h. 
dass an Stelle der Glykose oder der Pentose 
noch Zuckerarten mit einem anderen Gehalt an 
Kohlenstoffatomen an das Tageslicht werden ge¬ 
fördert werden. 

Bei der Klarlegung der Erscheinungen der 
Pentosurie muss man ausser der vermehrten 
Produktion von Pentose auch den verhältniss- 
mässig geringfügigen Verbrauch desselben seitens 
des Organismus im Auge behalten. Die Fähig¬ 
keit des Thierkörpers, die Pentose zu zersetzen 
und zu assimilieren, ist eine äusserst unbedeutende 
im Vergleiche mit seiner Fähigkeit zur Assimilation 
der Glykose. Um den Unterschied im Verhalten 
des thierischen Organismus der Pentose gegen¬ 
über einerseits und der Glykose andrerseits klar- 
zustellen, nahm Verfasser zu einigen Parallel- 
veisuchen an Kaninchen seine Zuflucht Aus 
diesen Experimenten erhellte es zur Genüge, dass 
bei subkutaner Applikation der Verbrauch des 
Organismus an Arabinose (einer Pentose) un¬ 
vergleichlich kleiner ist als der Verbrauch an 
Glykose. Ausserdem ruft die subkutane Zufuhr 
von Glykose Polyurie hervor, was bei der Ver¬ 
abreichung von Arabinose nicht zur Beobachtung 
kam. Es fragte sich aber, ob die Pentosen im 
Organismus nicht unter derartigen physiologischen 
und pathologischen Bedingungen zerstört werden 
könnten, unter welchen die Oxydationsprozessc 
oder die Vorgänge des Stoffzerfalles überhaupt 
verstärkt sind. Von diesem Gesichtspunkte aus 
war es interessant, das Verhalten des Vogel¬ 
organismus der Pentose gegenüber zn eruieren, 
da bekanntlich die Vögel normalerweise eine 
Körpertemperatur von über 40 o C besitzen, und 
auch das Verhalten des fiebernden Organismus 
zu beobachten. Zu Versuchen in dieser Richtung 
dienten dem Autor Tauben und unter der Ein¬ 
wirkung der Infektion mit dem Staphylokokkus 
pyogenes aureus fiebernde Kaninchen. Die diesen 
Thieren unter die Haut in solchen Mengen bei¬ 
gebrachte Arabinose, in welchen die Glykose 
ihrerseits vollständig verbraucht wurde, kam in 
bedeutenden Mengen durch die Nieren zur Aus¬ 
scheidung. Auch bei dem durch Strychnin- 
vergiftung hervorgerufenen Tetanus der Frösche 
enthielt der Harn immer noch beträchtliche 
Quantitäten von Pentose. Auf diese Weise ge¬ 
lang es auch nicht, durch langandauernde, tetanische 
Muskelkontraktionen den Verbrauch an Pentose 
zu steigern. Folglich hat man die Ursache 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


698 


der Pentosurie nicht so sehr in dem 
herabgesetzten Oxydationsvermögen der 
Gewebe zu suchen, als vielmehr in ihrer 
vermehrten Produktion von Pentose. 

Im thierischen Organismus befindet sich stets 
ein der Pentose chemisch verwandter Stoff: das 
ist die Glykuronsäure. Angesichts der nahen 
chemischen Verwandtschaft der Glykuronsäure 
mit der Pentose hält der Verfasser die Annahme 
für berechtigt, dass auch die Bildungsquellen 
dieser beiden Stoffe ganz dieselben sind, nämlich 
fast alle Gewebe des thierischen Körpers, haupt¬ 
sächlich aber die Muskelsubstanz. Das Auftreten 
der Glykuronsäure unter dem Einflüsse ver¬ 
schiedener Gifte giebt andrerseits zu der An¬ 
nahme Veranlassung, dass auch die mit 
dieser Säure verwandte Pentose sich 
unter dem Einflüsse irgendwelcher 
Giftwirkung auf don Organismus 
bilden könne. Diese Giftstoffe brauchen 
nicht nur pharmakologische oder mikrobielle 
zu sein, es können auch irgendwelche ähn¬ 
liche toxische Substanzen in Betracht kommen, 
die sich im Organismus selbst bilden (Auto¬ 
intoxikation mit Leukomamen). Da nun Professor 
Krawkow die Pentosurie als eine bestimmte 
Abart des Diabetes oder richtiger dernGlykosurie« 
betrachtet, so glaubt er auch die Anschauung 
aussprechen zu dürfen, dass auch die Ursache 
einiger Formen des echten Diabetes 
mellitus auf der Vergiftung des 
Organismus mit irgendwelchen Toxinen, 
man chmal sogar mit solchen mikrobieller 
Natur, beruhe. 

A. Dworetzky (Moskau). 

G. Simon, Beitrag zur Kenntnis» der Ei¬ 
weisskörper der Kuhmilch« Zeitschrift für 
physiologische Chemie Bd. 33. Heft 5 und 6. 
S. 466. 

Verfasser hat die Methode zur Bestimmung 
und Trennung der Eiweisskörper der Kuhmilch 
einer minutiösen Prüfung unterworfen, und dann 
die Milch zweier Kühe fortlaufend während der 
Laktationsperiode untersucht Das Kolostrum ist 
ein im Verbältniss zu gewöhnlicher Milch wasser¬ 
armes Sekret von hohem spezifischem Gewicht 
und hohem Trockensubstanzgehalt. Die Summe 
der im Kolostrum enthaltenen Eiweisskörper 
kann die der Milch um das Sechsfache übertref¬ 
fen. An dieser Höhe ist sowohl das Kasein, wie 
das Albumin betheiligt, in den ersten Gcmelken 
aber namentlich das Albumin (vielleicht auch 
das Globulin), das um das Zwei- bis Dreifache 
höher ist, als das Kasein, während es in ge¬ 
wöhnlicher Milch nur den fünften bis sechsten 


Theil des Kaseins ausmacht Die Menge der 
Eiweissstoffo nimmt von Gemelk zu Gemelk ab, 
und zwar das Albumin bedeutend schneller als 
das Kasein, so dass sich allmählich das in der 
Milch herrschende Verbältniss herausstellt; dies 
ist nach ungefähr drei Tagen der Fall Die 
stickstoffhaltigen, nicht ei weissartigen Extrak¬ 
tivstoffe — deren Vorkommen überhaupt in 
der Milch Verfasser noch einmal genau geprüft 
und bestätigt hat — sind auch in gesteigerter 
Menge vorhanden, bis zu 90 mg in 100 cm *, der 
doppelten Höhe des gewöhnlichen Betrages. Der 
Fettgehalt ist anfangs niedrig. Gegen Ende der 
Laktation erreicht der prozentische Fettgehalt 
eine Höhe, wie nie im Beginn. Die Summe der 
Eiweissstoffe nimmt allmählich ab, um sich gegen 
das Ende der Laktation wieder stark zu erhöhen, 
und zwar wächst das Albumin stärker als das 
Kasein (2 :1 statt 4—5:1). 

M. Lewandowsky (Berlin.) 


F. Schilling, Die Verdaulichkeit der Spei¬ 
sen. Wiener klinische Rundschau 1901. No. 30. 

Für die Beurtheilung der Verdaulichkeit der 
Speisen kann nach Schilling’s Anschauung 
nur die Resorbierbarkeit maassgebend sein Die 
Beobachtung der Verweildauer der Speisen im 
Magen, auf Grund deren Leubc und Pentzoldt 
eine Klassifizierung der Speisen vorgenommen 
haben, besitzt für die vorliegende Frage nur 
untergeordneten Werth, da ja die Resorption im 
Magen nach v. Mering’s Untersuchungen nur 
gering ist. Was ferner die durch Kothanalysen 
gewonnenen Ausnutzungszahlen betrifft, so leiden 
dieselben an dem Nachtheil, dass nicht aller Stick¬ 
stoff und Kohlenstoff der Fäces als Rückstand der 
Nahrung angesehen werden darf, und dass ausser¬ 
dem, wie v. Oefele nachgewiesen hat, nicht aller 
Stickstoff als Eiweiss, und nicht aller Aether- 
extrakt als Fett betrachtet werden darf. Zudem 
hat man bei solchen Versuchen oft eine Speise 
in übermässigen Mengen, wie sie normaler Weise 
nie in Betracht kommen, eingeführt, wodurch cs 
zu ungenügender Ausnutzung und zu einem fal¬ 
schen Bild der Verdaulichkeit kommen musste. 
Schilling empfiehlt demgegenüber die mikro¬ 
skopische Untersuchung der Fäces, eine Methode, 
die er schon längere Zeit übt, und deren Resul¬ 
tate er in einer vor kurzer Zeit erschienenen 
Schrift genauer veröffentlicht hat. Er hat die bei 
gemischter Kost entleerten Totalmengen einer 
jeden Defäkation bei gesunden Kindern und Er¬ 
wachsenen monatelang untersucht und macht zu¬ 
nächst darauf aufmerksam, dass sich der kind¬ 
liche Organismus in der Ausnützung weniger 
Stoffe stärker zeige als der des Erwachsenen. 


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Referate über Bücher und Aufsätzo. 


f>99 


Rohe und Arbeit sind auf die Ausnutzung ohne 
Einfluss. Fleisch und Fisch werden warm besser 
ausgenutzt als kalt. Alle Fleischarten hinterlassen 
grobe mit blossem Auge sichtbare Reste, Fisch¬ 
fleisch jedoch nicht, und gewiegtes Filet nur dann, 
wenn es mit Schwarzbrot verzehrt wird. Fette 
Gans und Gänsebrust liefern, viele grobe Stück¬ 
chen. Das Fett des Aales oder der Oelsardinen 
erschwert die Verdauung nicht. Die Haut von 
Fischen und Geflügel geht unverdaut ab. Kalb¬ 
fleisch hinterlässt als Puröe keine Rückstände, 
wohl aber als Suppenfleisch. Mehr oder weniger 
Residuen hinterlassen Milch und Ei, besonders 
Spiegelei. Weiterhin enthält jeder Stuhlgang als 
Folge unseres täglichen Brotgenusses Reste in 
Gestalt brauner Kruste oder Frucht- und Samen¬ 
schale von Weizen und Roggen. Sehr gering ist 
die Fäccsmenge nach Reis, Bisquit, Mehlbrei, 
Milchmehlsuppe und Aufläufen. Junges und zartes 
pflanzliches Gewebe verfällt grösstentheils der 
Verdauung. Stärkezellen finden sich selbst nach 
Genuss aufgeschlossener Stärke wieder. Bezüg¬ 
lich des Turnus der Entleerung der aufgenom¬ 
menen Speisen bemerkt Schilling, dass die 
Rückstände bei regelmässigem Stuhlgang 36 bis 
48 Stunden post coenam entleert werden, sofern 
in der Kost nicht besondere, die Peristaltik an¬ 
regende Stoffe enthalten sind. 

Plaut (Frankfurt a. M ). 

Meyer Preise, Zur Frage über die Be¬ 
schaffenheit der sibirischen Knhbutter vom 
chemisch-hygienischenStandpnnkte. Inaug.- 
Diss. Berlin 1901. 

Sibirien ist, wie der Verfasser berichtet, un¬ 
gemein reich an natürlicher Kuhbutter, Produk¬ 
tion und Export derselben nach dem Ausland 
nehmen von Jahr zu Jahr zu, und es steht zu 
hoffen, dass dieselbe in der nächsten Zeit auf 
dem Weltmarkt eine bedeutende Rolle spielen 
wird. Der Mangel einer eingehenden wissen¬ 
schaftlichen Untersuchung derselben musste daher 
als eine empfindliche Lücke gelten, und der Ver¬ 
fasser hat sich mit grosser Gründlichkeit der Auf¬ 
gabe unterzogen, dieselbe auszufüllen. Er be¬ 
schreibt zunächst die verschiedenen Zubereitungs¬ 
formen der Butter, wie er sic in sibirischen Dör¬ 
fern selbst beobachtet hat, und schildert dann 
die nach Herstelltung und Provenienz verschie¬ 
denen Qualitäten, wie sie in den Handel kom¬ 
men. Von Verfälschungen kommt vor allem die 
Beimischung von Margarine in Betracht, was na¬ 
mentlich dann bedenklich erscheint, wenn zur 
Herstellung derselben nicht frisches Rinderfett 
von bester Qualität verwandt wird, sondern Darm- 
fett, das fast immer verunreinigt ist, oder Fett 


von Thieren, die an einer Infektionskrankheit ge¬ 
storben sind. Von der Regierung gegen diese 
Verfälschungen erlassene Gesetze sind bisher er¬ 
folglos geblieben, jedoch erfährt die Butter an¬ 
drerseits eine wesentliche Verbesserung durch 
das in Sibirien vielfach geübte Umschmelzen der 
bei den Bauern aufgekauften Butter, wodurch 
Schmutz und unreine Zusätze entfernt werden. 
Daran anschliessend bespricht der Verfasser den 
Einfluss von Verpackung und Transport auf die 
Qualität der Butter und hebt dabei hervor, dass 
in Westsibirien die Verpackung der Exportbutter 
auf gehörige Weise erfolgt, und dass auch der 
Transport in neuerer Zeit mehr auf die Höhe der 
Zeit gebracht worden ist. Die chemischen Unter¬ 
suchungen, die der Verfasser an 18 Buttersorten 
angcstellt hat, und deren Methodik er eingehend 
beschreibt, erstreckten sich auf Bestimmung des 
Eiweiss-, Fett-, Wasser- und Salzgehaltes, Er¬ 
mittlung des Grades des Ranzigscins und des 
Schmelzpunktes und Bestimmung der Menge der 
flüchtigen Säuren. Auf Grund dieser eingehen¬ 
den Prüfung kommt der Verfasser zu dem Re¬ 
sultat, dass die sibirische Butter ihrer chemischen 
Beschaffenheit nach besser ist als andere Butter, 
und daher wohl die kollossale Nachfrage verdient, 
die sich nach ihr in der letzten Zeit im Ausland 
bemerkbar macht Plaut (Frankfurt a. M.). 

Molise Benaroya, Die künstlichen Nähr¬ 
präparate, ihr Werth und ihre Bedeutung 
für die Kranken- und Kinderernährung. 

Inaug.-Diss. Berlin 1901. 

Die Hochfluth von Nährpräparaten, die uns 
die letzten Jahre gebracht haben, hat auch gleich¬ 
zeitig einen ansehnlichen Strom von Litteratur 
mit sich geführt, in der Wirkungkreis und — Art 
der Mittel im allgemeinen und im besonderen so 
eingehend und von so mannigfachen Gesichts¬ 
punkten aus diskutiert worden sind, dass cs un- 
gemein schwer erscheint, auf diesem Gebiete 
etwas Neues zu bringen, oder auch dasselbe er¬ 
schöpfend zu behandeln. Der Verfasser der vor¬ 
liegenden Arbeit hat sich daher naturgemäss 
darauf beschränken müssen, neben einer Aufzäh¬ 
lung und Charakterisierung der wichtigsten Prä¬ 
parate das Indikationsgebiet derselben unseren 
heutigen Anschauungen entsprechend zu um¬ 
grenzen. Er vertritt demgemäss den Standpunkt, 
dass den künstlichen Nährpräparaten nur ein vor¬ 
übergehender, mässig unterstützender Werth in 
der Ernährung des Kranken zuzuschreiben ist. 
Das gilt zunächst besonders für die Eiweiss¬ 
präparate, da wir ja wissen, das9, wo es sich 
darum handelt, Eiweissansatz zu erzielen, den 
N-freien Nahrungsstoffen die Hauptrolle zufällt, 



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Referate über Bücher und Aufsätze. 


700 


und da sich ausserdem gezeigt hat, dass der Vor¬ 
theil, den man durch Verabreichung vorverdautcr 
Präparate zu erzielen hoffte, illusorisch ist. Achn- 
lich steht es, wie der Verfasser weiterhin be¬ 
merkt, mit den vorverdauten, i. e. dcxtrini- 
sierten Kohlehydratpräparaten. Auch ihnen kann, 
wenigstens beim Erwachsenen, ein Vorzug vor 
den natürlichen feinen Mehlsortcn nicht cin- 
geräumt werden. Von Eiweisspräparaten kommen 
dem eben Gesagten zu Folge im wesentlichen die 
KaseTnpräparate in Betracht, unter denen der Ver¬ 
fasser mit Recht dem Plasmon den Vorzug giebt. 
Das Tropon eignet sich wegen seiner Unlöslich¬ 
keit und seines sandigen Geschmackes wenig zur 
Verwendung bei den au sich schon meist empfind¬ 
lichen Patienten. Mehr anregend als nährend 
wirken die Fleischextraktc, namentlich der Lic- 
big'sche. Nur dem Fleischsaft »Puro« kommt 
neben der anregenden eine, wenn auch geringe, 
nährende Wirkung zu. Von Fettpräparaten er¬ 
wähnt der Verfasser Lipanin und Kraftschokolade, 
während er den Butterersatz »Sana« unberück¬ 
sichtigt lässt. Auch bezüglich der Eiweisspräpa¬ 
rate muss bemerkt werden, dass über Roborat 
und namentlich über Fersan doch eine Anzahl 
klinischer Erfahrungen vorliegen. Ferner sei der 
Verfasser auf die gemischten Nährpräparate, wie 
Alkarnose, Eulaktol, Enterorose und Mutase hin¬ 
gewiesen, die doch immerhin eine Erwähnung 
verdienen. Bei der Besprechung der Bedeutung 
der Nährpräparate für die Kinderernährung stellt 
der Verfasser mit Recht den ökonomischen Stand¬ 
punkt in den Vordergrund und betont daher, dass 
das Soxbletverfahren, so segensreich es sich auch 
erwiesen hat, doch nur für die einigermaassen 
besser situierten Bevölkerungsklassen in Betracht 
kommt, und dass ebendasselbe für die Kinder¬ 
mehle gilt (Theinhardt, Mufflcr), zumal diese 
ebenso wie die neuerdings von Keller wieder 
empfohlene Liebig’sehe Suppe immer nur als 
Korrigenden der Kuhmilch betrachtet werden 
dürfen. Billiger und darum von grösserer all¬ 
gemeiner Bedeutung als die Kindermehle sind die 
reinen Milchpräparato (Biedert, Gärtner, Löf¬ 
lund), die jedoch möglicherweise, wieHeubner 
vermuthet, bei monatelangem Gebrauch chroni¬ 
sche Blutkrankheiten verursachen können. 

Plaut (Frankfurt a. M.). 


Prevost und Batellf, Einfluss der Ernäh¬ 
rung auf die Wiederherstellung der Herz¬ 
kraft. Aus dem physiologischen Laboratorium 
der Universität Genf. Revue mödicale de la 
suisse romande 1901. September. 

Die Verfasser haben an 59 Hunden und Kaizen 
\ ersuche über den Einfluss der Nahrung auf die 


Wiedererregbarkeit der Herzkraft durch künst¬ 
liche Athmung und Herzmassage angestellt. Sie 
fanden, dass das Herz am leichtesten zu rhyth¬ 
mischen Kontraktionen gebracht wurde, wenn 
das Thier vor der Narkose bezw. der Abklem¬ 
mung der Trachea eine aus Eiweiss, Fett, Kohle¬ 
hydraten gemischte Nahrung bekommen batte. 
Nach ausschliesslicher Eiweiss- oder Fettnahrung 
kam es nur zu fibrillären Kontraktionen des Herz¬ 
muskels. Nach Zuführung von Kohlehydraten in 
Form von Zucker kam es in einigen Fällen wieder 
zu rhythmischen, in den anderen dagegen zu fi¬ 
brillären Kontraktionen. Bei subkutaner Injektion 
von Zucker dagegen vermochte das Herz sich 
nicht mehr zu erholen. 

Bei der künstlichen Athmung, die mit der 
Herzmassage verbunden ist, sind es zuerst die 
Athembowegungen, welche wieder erscheinen. 
Im Anfang sind sie schwach und langsam, doch 
nehmen sie an Tiefe und Frequenz zu. Sie sind 
von vornherein regelmässig. Die Reflexbewe¬ 
gungen erscheinen erst einige Minuten später. 
Zuerst beginnt die Pupille sich zu verengern. 
Dann folgt der Präpatellarsehnen-, dann der Kor- 
nealreflex. Fritz Rosenfeld (Berlin). 


A. Czerny, Rohmilch als Säuglingsnahrung. 

Centralblatt für Stoffwechsel- und Verdauungs¬ 
krankheiten 1902. No. 4. 

Als Beitrag zu Mittheilungen von Palmer- 
Chikago und Monrad - Kopenhagen, nach wel¬ 
chen Palmer im Hochsommer 700 Kinder mit 
roher Kuhmilch ernährte und dabei nur drei 
Todesfälle erlebt und Monrad ähnliches be¬ 
obachtet hat, berichtet Czerny über die Er¬ 
fahrungen, die er in seiner Klinik mit roher 
Ziegenmilch gemacht hat. Czerny hält in seiner 
Klinik zu Breslau einige Ziegen, welche »vor 
jeder einzelnen Mahlzeit der Säuglinge von einer 
Wärterin nach vorausgegangener sorgfältiger Rei¬ 
nigung des Euters gemolken werden«. Die Milch 
wird den Kindern sofort als Nahrung verabreicht. 
Mit dieser Milch ernährte er im Sommer 1901 15 
atrophische Säuglinge im Alter von 2 —IS Mo¬ 
naten längere Zeit hindurch. Die Ziegenmilch 
wurde mit Wasser-, Schleim- oder Mehlabkoehun- 
gen in gleicher Weise verabfolgt, wie das sonst 
unter denselben Verhältnissen mit gekochter Milch 
geübt wurde. Die Ergebnisse derVereuche zeigten 
keinen Vortheil gegenüber einer Ernährung mit 
gekochter Ziegenmilch, und sie waren so wenig 
befriedigend gegenüber den Resultaten, die man 
mit Frauenmilch erhält, dass Czerny es vor¬ 
erst nicht beabsichtigt, die Versuche zu wieder¬ 
holen. Die guten Erfolge, die Monrad mit un¬ 
gekochter Milch im Vergleich zu denjenigen, die 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


701 


er mit gekochter Milch beobachtete, glaubt 
Czerny darauf zurückführen zu dürfen, dass 
Monrad seinen Patienten eine durch zu langes 
Kochen denaturierte Nahrung gab, die den Kin¬ 
dern schlechter bekam als die rohe Milch. 

H. Strauss (Berlin). 


R. Gymnastik, Massage, Orthopädie. 

Max Herz, Handbuch der Heilgymnastik. 

Mit 209 Abbildungen. Berlin und Wien 1903. 

Urban und Schwarzenberg. 

Der Verfasser dieses Handbuches hat sich 
durch die zahlreichen Publikationen, welche er 
während der letzten Jahre auf dem Gebiete der 
Heilgymnastik erscheinen Hess, einen bekannten 
Namen verschafft und hat nach mancherlei Rich¬ 
tungen hin durch Begründung neuer heilgym¬ 
nastischer Prinzipien und Erfindung zahlreicher 
heilgymnastischer Apparate diese wichtige the¬ 
rapeutische Methode wesentlich ausgebaut Das 
vorliegende Lehrbuch stellt eine Zusammenfas¬ 
sung all dieser einzelnen Publikationen dar. Es 
ist begreiflich, dass hier der Autor mit manch 
alten Prinzipien der Heilgymnastik gebrochen 
und an Stelle derselben das von ihm begründete 
neue System eingesetzt hat. Dabei hat er aber 
nie die zulässigen Grenzen überschritten, sondern 
überall versucht, seine Ideen mit denen anderer 
Autoren in Einklang zu bringen. 

Das Buch gliedert sieh in zwei llauptthcile: 
In dem ersten Theil, welcher wieder in vier Ab¬ 
schnitte zerfällt, wird die Physiologie der Heil¬ 
gymnastik und die Technik der einzelnen heil- 
gymnastischen Prozeduren abgehandelt. Beson¬ 
ders ausführlich werden dabei die Widerstands¬ 
bewegungen besprochen. Der Autor legt seinen 
Betrachtungen seine bekannten Analysen der 
Muskelarbeit und seine Studien über die Mechanik 
der Gelenke zu Grunde. Wie sehr die Zand er¬ 
sehe Schule die von Herz aufgestellten Lehren 
bekämpft, ist bekannt; aber es muss doch an 
dieser Stelle rühmend bemerkt werden, dass 
Herz bei seinen Untersuchungen bestrebt war, 
nach Möglichkeit alle die Umstände zu berück¬ 
sichtigen, durch welche Veränderungen der Be¬ 
wegungskraft bewirkt werden, und dass gerade 
auf diesen Berechnungen das System der von ihm 
begründeten gymnastischen Methoden beruht 

Der zweite Theil seines Lehrbuches beschäf¬ 
tigt sich mit den Wirkungen der heilgymnasti¬ 
schen Prozeduren. In den einzelnen Abschnitten 
wird die Anwendung der heilgymnastischen Pro¬ 
zeduren bei den verschiedenen Krankheitsgruppen 
besprochen; überall zeigt sich, dass Herz die 
Gymnastik keineswegs für die allein wirksame 


' Therapie bei den einzelnen Krankheiten hält, 
| sondern er weist vielmehr den heilgymnastischen 
I Prozeduren überall die richtige Stelle in dem 
I Gesammtgebiet der Therapie zu. 

I So kann das Buch allen, welche sich prak¬ 
tisch mit der Ausübung der Heilgymnastik be¬ 
schäftigen, warm empfohlen werden. Es wird 
I aber auch für diejenigen, welche nicht selbststän- 
( dig die Gymnastik zu betreiben im stände sind, 
sondern die sich nur über deren Indikationen und 
| Kontraindikationen genau orientieren wollen, ein 
werthvoller Rathgeber sein. 

Paul Jacob (Berlin). 


F. A. Schmidt, Unser Körper. Handbuch 
der Anatomie, Physiologie und Hygiene der 
Leibesübungen. 2. Auflage mit 557 Abbil¬ 
dungen. Leipzig. R. Voigtländer’s Verlag. 

Auf S. 536 des Dezemberheftes dieser Zeit¬ 
schrift hatten wir rühmend den 11. Jahrgang des 
Jahrbuches für Volks- und Jugendspiele, welches 
von v. Schenckendorf und Schmidt heraus¬ 
gegeben wird, besprochen. Von dem zweiten 
dieser beiden Autoren uud in dem gleichen Ver¬ 
lage ist nun das vorliegende umfassende Hand¬ 
buch erschienen, und zwar bereits in zweiter 
Auflage. Auch von diesem Handbuch können 
wir wohl mit Recht behaupten, dass es das 
regste Interesse, besonders der Aerzte, erregen 
muss. Wenn auch, namentlich in den ersten 
beiden Theilen, das meiste dem Mediciner aus 
der Anatomie und Physiologie bekannt und ge¬ 
läufig sein dürfte, so ist die Darstellung der be¬ 
treffenden Fragen doch originell und von Werth, 
weil durch allo Kapitel die anatomisch-physio¬ 
logischen Betrachtungen in ihren Beziehungen 
zur Gymnastik besprochen werden. Völlig Neues 
dürfte aber für die meisten Aerzte der dritte 
Theil dieses Werkes, in welchem die Bewegungs¬ 
lehre der Leibesübungen abgehandelt wird, bieten. 

557 zum Theil vorzügliche Abbildungen 
dienen zur Erläuterung der theoretischen Aus¬ 
führungen. Am Schlüsse des Werkes findet sich 
ein Verzeichniss der vorzugsweise eingesehenen 
Bücher, sowie ein recht ausführliches Sachregister. 

Wenn der Referent sich noch für die nächste 
Auflage, welche der zweiten wohl sicher bald 
folgen wird, einen Wunsch erlauben darf, so ist 
es der, dass hier nicht nur Rudern, Schwimmen 
und Radfahren, sondern auch das Schlittschuh- 
und Schneeschuhlaufcn, das Reiten, sowie ein¬ 
zelne Bewegungsspiele mitberücksichtigt werden. 

Paul Jacob (Berlin). 


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702 Referate über Bücher und Aufsätze. 


C. Hydro-, Balneo- und Klimato- 
therapie. 

Carl Brack, Veber den Einfluss kalter 
hydrlaUscher Prozeduren auf den Blut¬ 
druck« Inaug.-Diss. München 1902. 

Wenn auch über Blutdruck Veränderungen 
nach hydrotherapeutischen Prozeduren schon 
eine Reihe von Mittheilungen vorliegen, so sind 
dieselben doch noch vielfach widersprechend, 
und die Resultate sind wenig einheitlich. Ins¬ 
besondere gilt dies auch für kalte Prozeduren, 
und es sind daher die umfangreichen exakten 
Blutdruck untersuch ungen mit Freuden zu be- 
grüssen, die Bruck bei verschiedenen Kälte¬ 
anwendungen an einem grossen Material 
(125 Fällen) der Rieder’schen Abtheilung für 
physikalische Therapie zu München ausführte. 
Der Verfasser benutzte zu diesen Blutdruck¬ 
untersuchungen den Riva RoceF sehen 
Sphygmanometer, den er insofern modifiziert 
hat, als er dabei das Quecksilbermanometer durch 
ein handlicheres und ebenso exaktes Metall¬ 
manometer ersetzte. 

Die Resultate Brucks sind kurz die fol¬ 
genden: Extrem kalte Vollbäder (8° C) 

bringen schon nach einer halben Minute Dauer, 
Vollbäder von ca. 13—16 o erst bei einer Minute, 
noch höher temperierte (20 — 22°) erst bei zwei 
Minuten und längerer Dauer eine Druck¬ 
steigerung hervor. Dagegen erfolgt bei Bädern 
von 10—19° und einer Dauer von einer halben 
Minute, sowie bei solchen von 20—22° und 
einer Minute Dauer eine beträchtliche Druck¬ 
herabsetzung. Nach allmählich abgekühlten 
Ziemssen'schen Halbbädern von fünf Minuten 
Dauer konstatierte Bruck fast immer eine 
Druckherabsetzung, nur in einzelnen Fällen, 
in denen die Patienten das Bad schlecht ver¬ 
trugen, war der Druck nachher erhöht. Nach 
Abreibungen und Abklatschungen war 
der arterielle Druck gleichfalls mit Konstanz er¬ 
niedrigt, Regen-, Fächer- und Rücken¬ 
brausen von 15—20° C Temperatur führten bei 
kürzerer Dauer (2 — 3 Minuten) zu einer Blut¬ 
druckherabsetzung, erst bei längerer 
Dauer trat eine Drucksteigerung ein. Diese 
Druck Steigerung erfolgte in schon kürzerer 
Zeit respektive sofort nach eingreifenderen 
Prozeduren (Staubbrausen, Kapellcnbrausen, 
heissen Strahlendouchen), während die Wechsel - 
warmen Douchcn den Blutdruck überhaupt un¬ 
beeinflusst Hessen. Mit Ausnahme der letzt¬ 
genannten Prozeduren sowie des extrem kalten 
Vollbades (8°) bewirken also milde hydriatische 
Prozeduren, wie sie therapeutisch am häufigsten 


angewandt werden, bei kurzer Einwirkung 
konstant eine Blutdruckherabsetzung» 
während sie bei längerer Dauer eine Blut¬ 
druckerhöhung hervorrufen. 

Bemerkenswerth ist, dass Bruck eine 
Konstanz in der Grösse der Druck¬ 
steigerung oder -Senkung nicht beobachten 
konnte, und dass die gleichzeitig vorgenommenen 
Puls- und Temperaturmessungen ergaben, 
dass diese Werthe sich unabhängig von dem 
Blutdruck bei Kälteprozeduren verändern. Des¬ 
halb sowie wegen der verhältnissmässig kurzen 
Dauer der Blutdruck Veränderungen (wenig mehr 
als eine Stunde) kommt Bruck zu dem Schlüsse, 
dass die therapeutischen Wirkungen hydria- 
tischer Prozeduren am wenigsten auf Verände¬ 
rungen des allgemeinen Blutdruckes zurückzu¬ 
führen sind; doch geben diese bezüglich der In¬ 
dikationen der Prozeduren manchmal werth- 
volle Aufschlüsse. A. Laqueur (Berlin). 

T« Clifford Allbutt, The Sanatorium in 
the treatmeut of Phthlsis. Lancet 1901. 
9. November. 

Trotz der verschiedenartigsten Bestrebungen 
und Versuche individualisierender Behandlungs¬ 
methoden für die Lungentuberkulose hält A11 b u 11 
an der prophylaktischen und der Brehmer’schen 
Sanatorienbehandlungsweise als der richtigen, 
stabil gewordenen fest Spezifika giebt es nicht, 
nicht einmal im Klima; höchstens ist für skrophu- 
löse Kinder die See vorzuziehen, während Er¬ 
wachsene im dritten und vierten Decennium 
besser ins Gebirge zu schicken sind. 

Das Sanatorium soll nach Südosten, auf 
trockenem Grunde erbaut und in Entfernung 
von mindestens 200 Meter von Kieferwald um¬ 
geben sein; es hat möglichst nur Einzelzimmer 
zu enthalten, ein jedes mit einer Veranda in der 
Front, welche den ständigen Aufenthaltsort des 
Patienten bildet und reichlich Raum für ein Bett 
oder Sopha und einen Tisch bat, gedeckt werden 
kann und mit bequemer elektrischer Beleuchtungs¬ 
einrichtung versehen ist Alle Zimmcrthüren 
sollen doppelte sein, die Wände und Flure ohne 
Winkel, in den Wänden die Garderoben ein¬ 
gebaut. Der Fussboden wird mit Filz bezogen 
und Linoleum darüber gelegt; ein grosses Fenster 
nimmt den Hauptthcil der Südmauer ein und bat 
Vorrichtungen zum Verdunkeln des Raumes des 
Patienten und zum Schutze gegen die Unbilden der 
Witterung. Passende Ventilatoren sind nützlich 
und je nach der Heizungsart cinzurichten; eine 
praktische Kaminfeuerung hält der Autor für das 
Beste (!), zumal wenn auf die nöthige gleich- 
massige Korridorheizung gesehen wird. Besondere 


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Referato über Bücher und Aufsätze. 


703 


Aufmerksamkeit verdient die Speisesaal frage — 
denn die Kranken sollen nicht in ihren Zimmern 
grössere Mahlzeiten einnehmen —; die Speise¬ 
zimmer dürfen nicht zugig sein, müssen aber doch 
gute Lüftung und jeden Komfort für die Patienten 
haben. 

Eine Bettenzahl von über 50 verlangt einen 
im Hause wohnenden Arzt, und je weitere 
50 Patienten sollen einen eigenen Arzt haben, 
gleichviel ob Centralsystera oder Baracken- 
Pavillonsystem vorliegt; letzteres ist vorzuziehen. 
Allbutt legt wenig Werth auf die Anwesenheit 
der Sonne, hält im Gegentheil mit Gabrilowitsch 
das Winterklima eher für besser, wenigstens für 
kräftige Personen unter 40 oder 45 Jahren mit 
wenig bronchialer Reizung, da eine ruhige, klare, 
kalt-trockene Luft stimulierend und appetit¬ 
anregend wirkt. (Dabei wird anscheinend mehr 
ein Höhenklima wie Davos berücksichtigt.) Das 
Moment des Appetits darf nicht unterschätzt 
werden; Abwechselung in der Nahrung und vor 
Allem gute Zubereitung sind sehr wichtig und 
von dem Hausarzte, der »etwas vom Kochen 
veretehen und ein Gourmet sein sollte*, fleissig 
zu überwachen. Dieser hat eine in praktischer 
und wissenschaftlicher Hinsicht keineswegs leichte 
Aufgabe; er soll sich nicht allzuziel mit Bacillen¬ 
zählungen aufhalten, aber Blutuntersuchungen 
machen, die Beschaffenheit der Blutzellen, 
Hämöglobingehalt, Serum, Agglutination, Tuber¬ 
kulinreaktion prüfen, Infektion durch Toiletten¬ 
gegenstände, Verschlucken von Sputum, Ver¬ 
dauungsapparat und Urin kontrollieren etc. An 
alle Acrzte richtet All butt die ernste Auf¬ 
forderung, nicht nachzulassen im Streben der 
Erkcnntniss der Frühdiagnose, alle uns zu 
Gebote stehenden Mittel der physikalischen (und 
chemischen) Untersuchungsmethoden mit pein¬ 
licher Selbstkritik so oft als möglich zu ver- 
werthen, um die Zahl der vorgeschrittenen Fälle 
immer kleiner werden zu lassen. 

Was die Dauer des Sanatoriumaufenthaltes 
betrifft, so sind drei Stadien ins Auge zu fassen: 
Aufhalten des Krankheitsprozesses, Stillstand und 
Restitutio ad integrum; für sie alle ist noth- 
wendig, die Kranken mindestens zwei Winter 
und einen Sommer, also etwa 18 Monate unter 
Augen zu haben. Doch fallen hier die indivi¬ 
duellen Verschiedenheiten in Konstitution und 
begleitenden Dispositionen der Patienten sehr ins 
Gewicht, Ficberverhältnisse in den ersten Monaten, 
Nahrungsaufnahme, Alter, Temperament, Be¬ 
schaffenheit des Urins, etwaige Schwanger¬ 
schaften u. s. f., nicht zuletzt die lokalen Zeichen. 
Erbliche Belastung kann im Gegensatz zu Sir 
William Broadbent’s Meinung prognostisch 
nicht absolut verwerthet werden. 


Eine Hauptaufgabe der individuellen Be¬ 
handlung ist in der Diät gelegen; der Magen 
spielt eine grössere Rolle als wir gewöhnlich 
glauben, und gar oft braucht er — Ruhe. Die 
Fleischnahrung ist besonders wichtig, zu grosse 
Milchzufuhr häufig vom Uebel, wegen der Ueber- 
ladung mit Flüssigkeit und der dadurch bedingten 
Mehrarbeit des Cirkulationsapparates. 

In der Frage der Alkohol gäbe ist Allbutt 
ganz der Meinung B e n n e t s: »selbst in Mcdicinal- 
dosen verordnet ist immer die Gefahr des Miss¬ 
brauches da, er ist ein zweischneidig Schwert.« 

Hydropathie, Douche und nasse Packung 
sind vortheilhaft, Gymnastik nur mit grosser 
Vorsicht anzuwenden, Medikamente, wenn es 
auch kein Spezifikum giebt, oft nicht zu ent¬ 
behren, im allgemeinen häufig mit der Freiluft¬ 
kur zu verbinden. Fieberfreie Patienten sollen 
leichte geistige und körperliche Beschäftigung 
haben. R. Block (London). 


Ide, Ueber den Aufenthalt yon nerven¬ 
schwachen Personen im Nordseeklima. The¬ 
rapeutische Monatshefte 1901. Oktober. 

Verfasser hebt hervor, wie unzweckmässig 
es sei, wenn Kurbedürftige während ihres Aufent¬ 
haltes an der See nach wio vor ihre Geschäfte 
erledigen wollen oder ohne bestimmte ärztliche 
Verhaltungsmaassregeln an die Küste geschickt 
werden. Es resultieren daraus oft Schädigungen, 
die dann verständnislos dem Seeklima zur Last 
gelegt werden. Dasselbe verfügt eben, wie die 
vielgelobte und vielgeschmähte Wasserbehand¬ 
lung sowohl über erregende, wie über beruhigende 
Wirkungen, und nur deren richtige gegenseitige 
Abwägung und individuelle Dosierung verbürgt 
eine erfolgreiche therapeutische Verwerthung. 
Zunächst werden Beweise für beruhigende Wir¬ 
kung des Secklimas angeführt: Verschwinden 
von Tics, Herzklopfen, Neuralgien, Besserung der 
Beschwerden beim Morbus Bascdowii, Eintreten 
allgemeiner Beruhigung und guten Schlafs, Ver¬ 
langsamung und Vertiefung der Athmung. Die 
Ursache dieser auffallenden Erscheinungen ist die 
in der ozonreichen Seeluft vermehrte Sauerstoff¬ 
aufnahme des Organismus, die durch klinische 
Versuche bestätigt und als beruhigend und 
krampfstillend dargcstellt wird. Unterstützend 
wirken die verminderte therapeutische Reizung 
durch Wärmeverdunstung, die gleichmässige 
Temperatur, die leichtere Ausgleichung elek¬ 
trischer Spannungsdifferenzen zwischen Körper 
und Umgebung, geringere Austrocknung der 
Haut und der in ihr liegenden Nervenendigungen, 
Ruhe der Umgebung und Gleichmässigkeit der 


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704 Referate über Bücher und Aufsätze. 


Sinneseindrüoko. Allerdings weist das Secklima 
auch ganz entgegengesetzt wirkende Reize auf. 
Vermehrung der Wärmeabgabe durch die stärkere 
Leitung und Bewegung der Seeluft, Zunahme 
des mechanischen Hautreizes durch den Wind, 
durch Reflexion des Lichtes vom Wasser und 
weissen Dünensand und durch Sturm und Bran¬ 
dung erhöhte Gesichts- und Gehörsreize. Diese 
erregenden Faktoren wirken nur bei widerstands¬ 
kräftigen Naturen günstig. Im allgemeinen zeigt 
sich aber an der See eine Abnahme körper¬ 
licher und geistiger Leistungsfähigkeit, erklärlich 
durch die erhöhten Ansprüche, welche eben 
diese erwähnte Reizung der Haut und Sinnes¬ 
organe, ferner die Erhöhung des Stoffwechsels 
und die dadurch hervorgerufene vermehrte 
Thätigkcit der Verdauungs- und Assimilations- 
organc an die Nervonkraft stellen. Ueber- 
anstrengungen führen deshalb an der See be¬ 
sonders leicht zu Ueberreizungserscheinungen. Bei 
Nervösen zeigt sich oft im Beginn Beruhigung, 
nachher Aufregung, wohl infolge Reizsummation. 
Doch erweist sich der Gewinn an Widerstands¬ 
kraft auch bei solchen, die an der Küste nur 
eben leidlich durchgebracht werden, oft erst in 
der Nachkur beim Wegfall der Reize. Körper¬ 
liche und geistige Anstrengungen haben daher 
auch nach dem Küstenaufenthalt noch einige Zeit 
zu unterbleiben. Es giebt freilich auch eine 
Beruhigung durch klimatische Ueborreize; so ist 
ein Verschwinden hartnäckiger nervöser Reiz¬ 
zustände nach sehr ausgedehntem Strandaufent¬ 
halt bei stürmischer Witterung oder nach längeren 
Segelpartieen mitunter beobachtet worden. Doch 
lässt sich damit im allgemeinen nicht rechnen. 
Die genaue Dosierung der Reize ist für den 
Heilplan das Wesentliche, und hier bieten uns 
z. B. für die Regulierung der Wärmeabgabe 
schon die Wahl des Aufenthaltsortes, die Um¬ 
gebung mit mehr oder minder guten Wärme¬ 
leitern, die Bestimmung der Jahreszeit sehr ein¬ 
greifende Handhaben. Die Beucke’schen Flaschen¬ 
abkühlungsversuche liefern hier sichere Anhalts¬ 
punkte. An der See ist übrigens für die Wärme¬ 
abgabe weniger die Temperatur als die Bewegung 
der Luft von Belang. Die Monate Juli und 
August bieten auch hierin die günstigsten Aus¬ 
sichten. Der Kältereiz und der mechanische 
Hautreiz durch den Wind gehen übrigens an 
der See parallel, was für den Eintritt einer 
richtigen Hautreaktion von Werth ist und auch 
in der kälteren Jahreszeit und für schwächere 
Personen einen Küstenaufenthalt ermöglicht, vor¬ 
sichtige Dosierung der Reize vorausgesetzt. Die 
Gesichts- und Gehörsreize können natürlich durch 
die Wahl des Aufenthaltsortes in ziemlich um¬ 
fassender Weise modificiert werden. Verfasser 


empfiehlt für nervös reizbare Kranke etwa fol¬ 
genden Kurplan: Zeit Juli oder August, Aufent¬ 
haltsort von der See etwas entfernt, freundlich, 
sonnig, windgeschützt. Anfänglich Ruhe und 
Aufenthalt im Freien und an geschützten Stellen. 
Nach 3—4 Tagen bei nicht stürmischer Witte¬ 
rung mehrmals täglich Strandpromenadc mit 
Sorge für darauf folgende Erholung und Haut¬ 
reaktion durch Ruhe und Bedeckung. Bei Ueber- 
reizung event. Bettruhe. Der Stoff verbrauch darf 
nicht über die Kraft der Verdauungs- und Assi- 
railationsorgane hinaus angeregt w T erdcn. Ab¬ 
solute Ruhe vor den Hauptmahlzeiten und dem 
Schlafengehen. Steigerung der Ansprüche mit 
Zunahme der Kräfte, so dass schliesslich 4 bis 
6 Stunden des Tages am Strand zugebracht werden. 
Für Phthisiker gelten ähnliche Vorschriften. 
Zum Schluss weist Verfasser auf die Analogie 
zwischen Behandlung im Seeklima und Hydro¬ 
therapie in Bezug auf deren Wärme entziehende 
und Haut reizende Wirkungen hin, möchte aber 
für erstere als Vorzug die erleichterte Sauerstoff¬ 
aufnahme vindiciercn. Dem werden wohl die 
Hydrotherapeuten die weitaus grössere Stufen¬ 
leiter der ihnen zur Verfügung stehenden Reize 
und die Möglichkeit der Lokalisierung derselben 
entgegenhalten. Den Grund dafür, dass das See¬ 
klima bisher in der Behandlung nervöser Stö¬ 
rungen nicht die Rolle gespielt hat, wie andere 
Heilmethoden, sieht Verfasser im Mangel eigent¬ 
licher Ncrvensanatorien an der Küste. 

Paravicini (Albisbrunn-Zürich). 


C. S. Potts, Ankylotic rigldity of the spine 
(Rhizom£liqne spondylosis) much improved 
by tbe nse of hot air. The therapeutic 
gazettc 1902. Bd. 18. S. 375. 

Der 36jährige Farmer bemerkte die ersten 
Spuren seines Leidens vor vier Jahren; es be¬ 
gann in dem Metatarsalgelenk der grossen Zehe, 
ergriff dann weiter die Kniee, Hüftgelenke und 
schliesslich die untere Partie^ der Wirbelsäule, 
sodass der Patient nicht mehr im stände war, 
aufrecht zu stehen und nur mittels Unterstützung 
eines Stockes zu gehen. Verfasser versuchte 
neben der innerlichen Darreichung von Eisen, 
Kalomcl und Arsenik noch Heissluft von 300® F 
auf die Hüften und die untere Rückenpartie, 
und zwar mit augenspringendem Erfolge. Die 
Schmerzen begannen sehr bald zu verschwinden, 
der Schlaf wurde wieder gut, und im Verlaufe 
von einem Monat'konnte sich der Kranke wieder 
in seinem Bette uradrehen, was ihm vordem ab¬ 
solut unmöglich gewesen war. Nach zwei Monaten 
war er im stände, eine nahezu aufrechte Haltung 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


wieder einzunehmen (der Unterschied wird an 
zwei Abbildungen sehr deutlich gezeigt) und 
beträchtliche Strecken Weges zu Fuss ohne Zu¬ 
hilfenahme eines Stockes zurückzulegen. 

Buschan (Stettin). 


Alfred Baumgarten, Hydriatisches Jahr¬ 
buch, Band II. Worishofen 1902. 

Der zweite Band des von Dr. Baumgarten, 
dem Wörishofener Arzte und offiziellen Nach¬ 
folger Kneipp’s herausgegebenen Jahrbuches 
ist erschienen. Der Hauptzweck dieser Schrift 
ist, wie der Herausgeber in der Einleitung her¬ 
vorhebt, in weitere Aerztekreise authentische Auf¬ 
klärungen über Worishofen und das dort geübte 
Kneipp’sehe Heilverfahren zu bringen. An erster 
Stelle findet sich eine kurze Biographie Kneip p ’s. 
Dann folgen zwei Abhandlungen Baum garten’s 
über Worishofen, seine topographische Lage, 
Klima, Frequenz etc., die dortigen Kurhäuser, 
die ärztlichen Verhältnisse und vor allem über 
das Kneipp’sche Heilverfahren selbst und 
die Art der dortigen Anwendung; die Artikel 
sind mit reichlichen und guten Abbildungen ver¬ 
sehen, und geben ein anschauliches Bild von 
dem Wörishofener Kurleben. Bemerkenswerth er¬ 
scheint, dass die Krankenbehandlung in Wöris- 
hofen, soweit sie unter Baum garten’s Verant¬ 
wortlichkeit steht, ausschliesslich von Aerzten 
z. Zt ausgeübt wird, was Baumgarten aus¬ 
drücklich hervorhebt und wofür er stets mit 
Nachdruck eingetreten ist; wie er sagt, handelt 
er damit auch im Sinne von Kneipp selbst. 
Ferner verwahrt der Autor sich und die »Kneipp- 
ärztec überhaupt gegen den Vorwurf der Un¬ 
wissenschaftlichkeit; die Kneipp’sche Schule 
stände durchaus auf dem Boden der klassischen 
Medicin und befolge nur bezüglich der schwanken¬ 
den Fragen der Therapie ihre eigenen Wege, 
ohne jedoch auf Medikamente rim Falle der 
Nothwendigkeit« gänzlich zu verzichten. 

Nach diesen Erkläruugen darf aber auch er¬ 
wartet werden, dass die einseitigen Ueber- 
treibungen und die Angriffe auf die »Schul- 
medicin«, wie sie sich in den Publikationen der 
Kneipp’schen Aerzte und auch in diesem Bande 
vielfach finden, künftig mehr und mehr ver¬ 
schwinden. 

Auf den von Baum garten selbst verfassten 
Theil folgt noch eine Abhandlung von Heisig, 
in der auf Grund umfangreicher Quellenstudien 
der Beweis zu führen gesucht wird, dassPriess- 
nitz seine Wasserheilmethode nicht selbstständig 
erdacht, sondern von dem bekannten Schweid- 
nitzer Arzte Johann Siegmund Hahn indirekt 
übernommen hat. Den Beschluss des Jahrbuches 

Zeltschr. f. diät. u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 12. 


705 


bildet ein Artikel von F. Kleinschrod, Zur 
Physiologie der Krankheit. Es wird hier 
auf Grund des Satzes, dass nicht die Krankheit, 
sondern der kranke Mensch zu behandeln ist, 
der Vorzug der Hydrotherapie und speziell des 
Kneipp’schen Verfahrens vor der medikamen¬ 
tösen Therapie auseinandergesetzt, und ferner in 
geschickter und origineller Weise der gewiss 
nicht unberechtigte Standpunkt vertheidigt, dass 
die Therapie nicht allein auf die pathologischen 
Veränderungen, sondern auch auf empirische 
Grundlagen sich stützen müsse, und dass ihre 
Hauptaufgabe die Unterstützung der Heilkraft 
der Natur sei. Zu bedauern bleibt nur, dass auch 
hier der Autor sich von einseitigen Ueber- 
treibungen nicht frei hält. 

A. Laqueur (Berlin). 


Munter, Die Hydrotherapie der Tabes. Deutsche 
mcdicinische Wochenschrift 1902. No. 21. 

Ausgehend von der wohl heute allgemein 
anerkannten Ley den’schen Auffassung von der 
Tabes als eines fortschreitenden degencrativen 
Prozesses des sensorischen Neurons und der 
experimentell gefundenen Thatsache, dass zwei 
Momente das Neuron trophisch beeinflussen: die 
normale Blutzufuhr und die gewohnte Durcli- 
strömung durch die Nervenerregung, wirft Munter 
die Frage auf, wie sind wir im stände, die Ncrven- 
elemente funktionell und nutritiv durch den 
thermischen Reiz und mit Hilfe der Methodik 
durch die Hydrotherapie zu beeinflussen. Das 
Grundgesetz des thermischen Reizes ist: Kälte 
erniedrigt und Wärme erhöht die funktionelle 
Leistung. Nun zeigt aber der thierische Organis¬ 
mus scheinbare Abweichungen von diesem Ge¬ 
setz, die als Abwehrbewegungen durch Ver¬ 
mittlung des Nervensystems auf gefasst werden 
müssen. So zeigt der kurze Kältereiz eine Er¬ 
höhung sämmtlicher sensorischer Empfindungen, 
als Sensibilität, Tast-, Wärmegefühi etc., also eine 
Erhöhung aller Reizqualitäten (Goldscheider) 
unter Verringerung für die Kälteempfindung. 
Man wird ihn also anwenden können, um die 
sensorischen Funktionen im allgemeinen zu er¬ 
höhen und wird so das sensorische Neuron stärken, 
einzelne eventuell ausgefallene Nervenfasern und 
Leitungen durch Bahnung anderer Nervenclementc 
und Aufhebung von Hemmungen vikariierend 
ersetzen können und hiermit eine Hauptindikation 
der Tabestherapie erfüllen. 

Hinsichtlich der Beeinflussung der Symptome 
ist eine wesentliche Indikation die Beseitigung 
der lanzinierenden Schmerzen, des Gürtelgefühls, 
der Krisen, ferner die Beeinflussung der Ataxie 
und schliesslich der paretischen Zustände der 

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706 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Skelett-, Blasen- und Dannmnskulatur. Zur Be¬ 
einflussung des Schmerzes haben sich die in¬ 
differenten Temperaturen als reizabhaltend und 
schmerzhemmend bewährt — 1% Soolbäder von 
27—28° R bis zur Dauer von 3 / 4 bis einer Stunde. 
Will man jedoch den Tabesprozess selbst beein¬ 
flussen, so wird je nach Lage des Falles eine Kom¬ 
bination verschiedener Reize eintreten müssen. 
Ist die Schonung mehr indiziert, so folgt den 
indifferenten Soolbädem von 10—20 Minuten ein 
Kältereiz von kurzer Dauer, z. B. ein Halbbad, 
das allmählich von 27° R bis auf 24 und 20° R 
abgekühlt wird und zwar unter fortwährender 
Bespülung seitens zweier Diener, Abtrocknung, 
und eine kurze kalte Abwaschung der ergriffenen 
Extremitäten mit nochmaliger Trocknung be¬ 
endet die Prozedur, der Bettruhe folgt. Ist bei 
noch nicht so weit vorgeschrittenem Prozess die 
Anwendung intensiverer Reize möglich, so wird 
man mehr übend vorgehen. Denselben Prozeduren 
— Soolbad und Halbbad — folgt als Ucbungs- 
mittel eine Brause von 18° von 1—2 Minuten 
Dauer, Abklatschung und entweder aktive Be¬ 
wegung oder Bettruhe, je nach beabsichtigtem 
Effekt Der kurze Kältereiz wirkt nächst der 
Beseitigung der Schmerzempfindungen auch vor¬ 
züglich auf die Parästhesien, bewirkt eine bessere 
Blutcirkulation, beseitigt die dem Tabeskranjten 
so lästige Kälte in Füssen und Knieen und schafft 
ihm das behagliche Gefühl der natürlichen Wärme¬ 
empfindung. So günstig die C0 2 - Bäder bei 
richtiger Anwendung wirken, so muss man doch 
bei den dolorösen Tabesformen mit kälteren 
Temperaturen als 26° R sehr vorsichtig sein, da 
sie schmelzsteigernd sind. Munter lässt auch 
nach dem C0 2 -Soolbad die betreffenden Extre¬ 
mitäten schnell mit kaltem Wasser von 6—10° R, 
aber nur 5—10 Sekunden, ab waschen. Bei den 
Krisen der Hoden, Vulva, des 'Anus sind oft 
protrahierte Sitzbäder von 27—30° R von längerer 
Dauer bis zu 1 / 2 — 1 Stunde, bei welchen man 
mit dem Wärmereiz allmählich einschleicht, von 
guter Wirkung, bei lanzinierenden Schmerzen 
neben den lauen, protrahierten Vollbädern auch 
erregende Umschläge, letztere jedoch mit Vor¬ 
sicht wegen mangelnder Reaktion, trockene 
Wärme etc. Bei Paresen der Blasenmuskulatur 
die innere direkte Elektrisierung; gegen Schmerzen, 
Ataxie, Parästhesien und sonstige nervöse Er¬ 
scheinungen das elektrische, faradische Wasser¬ 
bad mit langsam einschleichendem Strom. Ist 
bei Tabeskranken eine Schwitzprozedur indiziert, 
so kommt nach Munter allein das trockene Heiss¬ 
luftbad in Betracht. Wenn auch alle diese Maass¬ 
nahmen ihre Hauptwirkung bei der Tabes in- 
cipiens, im ernten Stadium der Krankheit, in der 
präataktischen Periode haben, so wird man sie 


doch auch in dem ataktischen und paretischen 
Stadium bei genauer individueller Berücksichti¬ 
gung unter Vermeidung einer Hyperfunktion an¬ 
wenden können. Mit einer kurzen Betrachtung 
der Formen von Pseudotabes und ihrer Behand¬ 
lung schliessen die ausserordentlich instruktiven 
und physiologisch durchgeführten Ausführungen 
des Verfassers. J. Marcuse (Mannheim). 


D. Elektro- und Röntgentherapie. 

Immelmann, Ueber die Verwendung der 
Röntgenstrahlen ln der Medlcin. Berlin 1901. 

Anlässlich des fünfjährigen Bestehens des 
von ihm geleiteten Röntgenkabinettes hat Ver¬ 
fasser eine kleine schön ausgestattete Festschrift 
herausgegeben, welche in Wort und Bild auf den 
hohen Werth der Radioskopie für die Anatomie, 
Chirurgie und interne Klinik, für Unfallbegut¬ 
achtung und gerichtliche Medicin hinweist. Auf 
24 Tafeln sind in hervorragender Schönheit und 
Deutlichkeit eine Reihe instruktiver Photogramme 
aus denjenigen Gebieten wiedergegeben, auf wel¬ 
chen die Röntgenstrahlen als diagnostisches Hilfs¬ 
mittel sich eines unbestrittenen Bürgerrechtes er¬ 
freuen. Tafel I stellt einige Kinderhände mit den 
Anlagen der Knochenkerne dar, Tafel II—XIX 
Anomalieen und Missbildungen am Skelett, Frak¬ 
turen, angeborene und traumatische Luxationen, 
syphilitische und tuberkulöse Knochenerkrankun¬ 
gen, in den Körper eingedrungene Projektile etc, 
auf Tafel XX—XXU sind eine tuberkulös er¬ 
krankte Lunge, ein Aortenaneurysma und eine 
steinhaltige Harnblase im Röntgenbilde reprodu¬ 
ziert, auf den beiden letzten Thorax und Abdo¬ 
men eines totgeborenen Kindes und eines solchen, 
das einige Stunden gelebt hat. Mit einem kurzen 
Hinweis auf die erfolgreiche, therapeutische Ver- 
werthung der X-Strahlen bei Lupus, Psoriasis, 
Favus und Sykosis schliesst das Schriftchen, 
dessen Bildertafeln in trefflicher Weise die in re¬ 
lativ kurzer Zeit erreichte Vervollkommnung der 
Röntgentechnik illustrieren. 

Hirschei (Berlin). 


Francis B. Bishop, Employment os oecn« 
pation neuroses • treatement by elektricity. 
The Journal of physikal therapentics 1902. 
Bd. 3. No. 1. 

Verfasser macht sich von den Beschäftigungs¬ 
neurosen, welche dem Typus des Schreibkrampfcs 
entsprechen, die Vorstellung, dass ihnen eine durch 
Ueberanstrengung bedingte Degeneration der 
entsprechenden sensiblen Nervenbahnen einerseits. 


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Referate über Bücher and Aufsätze. 


707 


der entsprechenden Muskulatur mit ihrer Inner¬ 
vation andererseits zu Grunde liege. Er hat auch 
in einigen seiner Fülle Entartungsreaktion fest- 
gestellt; statt durch die degenerierten motorischen 
Bahnen werde der Willensimpuls durch andere, 
mit diesen anastomosierenden Nervenbahnen ge¬ 
leitet, wodurch unter Mitwirkung reflektorischer 
Gegcnirapulse die Spasmen, oder bei tieferer 
Affektion der motorischen Centren die Parese 
der in Frage kommenden Muskelgruppen zu stände 
kommen. Dieser Hypothese entsprechend wären 
die peripheren Enden der Hautnerven und die 
beim Schreiben angestrengten Muskeln zunächst 
betheiligt, sekundär dann die sensorischen und 
motorischen Centren des Rückenmarkes, vielleicht 
auch die Centren der Hirnrinde. — Auf Grund 
dieses Bildes glaubt Verfasser, dass die richtigste 
Behandlung solcher Neurosen in folgendem Ver¬ 
fahren bestehe: Eine grosse Anode wird auf den 
unteren Theil des Nackens und den oberen Theil 
des Rückens gebracht. Der Unterarm, eventuell 
auch der Oberarm wird in ein mit warmem 
Wasser gefülltes Gefass gesteckt, welches die 
Kathode bildet. Der Strom wird dann auf 30 
bis 50 M.-A. sehr sorgfältig eingeschlichen und 
nach 30 Minuten wieder eben so ausgeschlichen. 
Verfasser lässt es dahingestellt, ob seine Hypo¬ 
these vom Wesen dieser Neurose richtig sei 
oder nicht; von seiner Methode habe er noch 
keinen Misserfolg gesehen. Mässige Arbeit sei 
dabei zu erlauben. 

F. Frankenhäuser (Berlin). 


H. Walsbam, Das von einem Hochspannuogs- 
bogen mit schnellen Schwingungen erzeugte 
Licht zur Behandlung von Hautkrankheiten« 
Lancet 1902. 1. Februar und Monatshefte für 
praktische Dermatologie Bd. 34. No. 8. 

Bekanntlich haben die verschiedenen Kom¬ 
ponenten des Sonnenspektrums verschiedene 
Wellenlängen. Bezeichnet man mit mp den 
millionstel Theil eines Millimeters, so haben die 
rothen bis grünen Strahlen mit 698—500 mp die 
grösste Länge, während die ultravioletten weniger 
als 392 mp i haben. Mit dem elektrischen Bogen¬ 
licht erhält man Wellenlängen von nur 160 bis 
190 mh, die aber schon, wie Lenard nachweist, 
durch eine Luftschicht von 2 cm absorbiert 
werden. Wahrscheinlich enthält das Sonnenlicht 
auch Strahlen von viel geringerer Länge als die 
angegebenen, doch werden dieselben jedenfalls 
von der Atmosphäre absorbiert; hierdurch er¬ 
klärt sich die grössere chemische und bakterizide 
Wirksamkeit des künstlichen Lichtes. Um das 
Durchdringungsvermögen der kurzen Wellen 
(unter 200 mp) zu prüfen, bedient sich Wal sh am 


des Goldblattelektroskops, dessen Verwendung 
auf dem Prinzip beruht, dass Gase, durch welche 
die kurzen Wellen passieren, LeitungBvermögen 
annehmen. Die in einer Glasglocke aufgehängten 
Goldblättchen werden mit negativer Elektrizität 
geladen, bis sie divergieren. Alsdann werden 
sie der Einwirkung des Bogenlichtes ausgesetzt 
unter Zwischenschaltung von verschiedenen 
Medien (Quarz, Eis, Wasser, Gelatine) und die 
Zeit notiert, bis das Zusammenfallen der Gold¬ 
blättchen die erfolgte Herstellung der Leitung 
anzeigt Es ergab sich, dass Eis den Strahlen 
kaum mehr Widerstand entgegensetzt als Luft, 
während eine Schicht von durchsichtiger Gela¬ 
tine, 0,04 mm dick, alle Strahlen absorbiert und 
Quarz (2 Stücke von je 2,2 mm) 60% derselben 
zurückhält. Auf Grund dieser Beobachtungen 
verwendet Wal sh am mit Vorliebe Eisstücke 
zum Kühlen und zur Kompression auf den Lupus¬ 
gebieten. Er hat sich eine kleine, nur etwa einen 
Fubb lange, tragbare Bogenlampe für hohe 
Spannung und Schwingungen konstruieren lassen, 
mit der er bei Beleuchtungen von 10—15 Minuten 
sowohl bei Lupus vulgaris, wie auch, obgleich 
nicht so prompt, bei Lupus erythematodes, gute 
Erfolge erzielt hat. 

Forchheimer (Würzburg). 


D. Berry Hart, The curative Effect of the 
x rays on caUous slnuses of the abdominal 
waU« The british medical journal 1902. Mai. 

Verfasser berichtet über zwei Fälle von sehr 
hartnäckigen, nach gynäkologischen Operationen 
zurückgebliebenen Fisteln der Bauch wand, die 
nach Röntgenbestrahlung auffallend rasch geheilt 
sind. Schmidt (Berlin). 


H« Strebet, Die Verwendung des Lichtes in 
der Therapie« München 1902. 

Der Verfasser unterscheidet bei der Licht¬ 
behandlung zwischen der kalorischen und der 
photochemischen Wirkung des Lichtes. Wäh¬ 
rend die meisten Lichttherapeuten als eigentlich 
spezifische Lichtbehandlung nur die Applikation 
der chemisch wirksamen Strahlen gelten lassen, 
weist der Autor auch den Wärmestrahlen ihren 
Platz in der Phototherapie an; für die Anwendung 
der »Lichtwärme« kommen die bekannten von 
Kellog eingeführten Glühlicht- und Bogen¬ 
lichtschwitzbäder und der zur lokalen Wärme¬ 
applikation dienende Bogenlichtreflektor 
(eine in einen Metalltubus horizontal einmontierte 
Bogenlampe, deren Licht durch einen Parabol¬ 
spiegel auf die zu behandelnde Stelle reflektiert 

49* 


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708 Referate über Bücher und Aufsätze. 


wird) in Betracht Der minimale Gehalt an 
chemisch wirksamen Strahlen kommt therapeutisch 
nicht in Frage. 

Sowohl kalorische, als photochemische 
Wirkung spielt bei den Sonnenlichtbädern 
eine Rolle. 

Rein chemische Lichtapplikation ist die 
Anwendung des koncentricrten Bogen¬ 
lichtes der Finsenlampe, des Eisen¬ 
lichtes der Bang’schen Lampe, und des 
vom Verfasser in die Lichttherapie cingeführten 
hoch gespannten Induktionsfunkens. 

Bei der Belichtung des ganzen Körpers 
(Sonnenlichtbad, Glühlichtbad) ist die Steigerung 
der Hautthädgkeit und sekundär des Stoffwech¬ 
sels im allgemeinen — mag diese Steigerung nun 
durch kalorische, chemische oder durch beide 
Arten von Strahlen hervorgerufen sein — 
therapeutisch von Bedeutung, während als Heil¬ 
faktoren bei der lokalen Bestrahlung der Haut 
mit chemisch wirksamem Lichte die ent¬ 
zündungserregende und die baktericide 
Wirkung des blauen, violetten und ultravioletten 
Theiles des Spektrums in Betracht gezogen wer¬ 
den müssen. Sehr wichtig für den Erfolg der 
lokalen Lichtapplikation ist die Tiefenwirkung 
des Lichtes. Die ultravioletten Strahlen, auf die 
man zuerst das Hauptgewicht legen zu müssen 
glaubte, dringen nun leider gamicht in die Tiefe, 
sondern werden von den alleroberflächlichsten 
Epidermisschichten absorbiert. 

Referent kann daher in der Einführung des 
an ultravioletten Strahlen sehr reichen Eisen¬ 
lichtes und des Induktionsfunkens in die Dermato- 
therapie keinen wesentlichen Fortschritt sehen. 
Denn für den Lupus vulgaris, der doch in erster 
Linie in Frage kommt, eignet sich die Anwendung 
dieser Lichtquellen wegen der mangelnden Tiefen¬ 
wirkung nicht, und die vom Referenten bei anderen 
oberflächlichen Dermatosen parasitärer Natur 
(Pityriasis versicolor, Herpes tonsurans) an- 
gestellten Behandlungsvcrsuchc mit der Bang- 
sehen Eisenelektrodenlampe sind in jeder Hinsicht 
entmuthigend ausgefallen. Ausserdem stehen dem 
Arzte für derartige oberflächliche Affektionen 
genug andere wirksame und billigere Mittel zur 
Verfügung. 

Der vom Verfasser angegebene Apparat zur 
Applikation des Induktionsfunkenlichtes besteht 
im wesentlichen aus einem Ebonitrohr, an dessen 
einem Ende ein als Reflektor dienender 
Magna li um Spiegel angebracht ist, während 
sich am anderen Ende eine als Kompressorium 
fungierende Quarzplatte befindet. Im Innern des 
Rohres sind zwei Alumin iumelektroden be¬ 
festigt, zwischen denen der Induktionsfunke über¬ 


springt. Nach einer Belichtungszeit von 30—40 
Minuten tritt eine entzündliche Reaktion ein. 
Ausserdem hat der Verfasser, um das Induktions¬ 
funkenlicht auch auf schwer zugängliche Schlcim- 
hautflächen wirken lassen zu können, sonden¬ 
förmige, mit Quarzfenstem versehene Instrumente 
konstruiert, die in Uretha, Vesika, Vagina, Uterus 
etc. eingeführt 'werden. 

Der Autor empfiehlt theils die allgemeine, 
theils die lokale Lichtbehandlung bei den ver¬ 
schiedenartigsten Krankheiten, 

Das geeignetste Objekt zur Behandlung mit 
»Lichtwärmc<* im Glühlichtkasten ist die Fett¬ 
leibigkeit; mit Leichtigkeit lässt sich »ohne 
subjektive Beschwerden und objektive Schädi¬ 
gung« eine Gewichtsabnahme von 20 — 25, ja in 
vielen Fällen bis 40 Pfund erzielen. 

Herzleiden organischer oder funktioneller 
Natur hält der Verfasser nicht für eine Kontra¬ 
indikation, vorausgesetzt, dass keine Kompcn- 
sationsstörungen vorhanden sind. 

Nicht sehr ermuthigend sind die Erfolge der 
Lichtschwitzbäder bei Diabetes, Gicht und 
Rheumatismus. 

Ferner ist die Lichtschwitzbehandlung an- 
gezcigt bei katarrhalischen Zuständen der 
Bronchien, womöglich mit gleichzeitiger lokaler 
Bestrahlung. 

Anämische, Chlorotische, Neurasthe¬ 
niker und Phthisiker im Frühstadium sind 
sehr geeignet für das Sonnenlichtbad, dagegen 
ungeeignet für das Lichtschwitzbad. 

Die Syphilis glaubt der Autor durch eine 
Kombination der Hg mit einer Lichtschwitz¬ 
behandlung günstiger beeinflussen zu können, als 
durch Hg allein. Harte Schanker und 
tertiäre Ulcera sollen auf Ultraviolett¬ 
bestrahlung (Eisenlicht, Funkenlicht) rasch ab¬ 
heilen, desgleichen ulcera mollia, »auch phage¬ 
dänische Formen innerhalb weniger Tage«. 
Weiterhin sind durch die lokale Bestrahtung bei 
Favus, Svkosis, Trichophytia capitis, 
Naevus vasculosus, Acne, Furunkulose, 
Acne rosacea günstige Resultate zu erzielen. 
Ausserdem giebt der Verfasser an, mit dem 
Induktionsfunkenlicht zwei Fälle von Lupus 
vulgaris, zwei Fälle von tertiär-syphi¬ 
litischen Ulcerationen, einen Fall von 
Herpes tonsurans, einen Fall von Svkosis 
und einen Fall von nässendem Ekzem geheilt 
zu haben, ferner Ulcus cruris, Alopecia 
areata, akute und chronische Gonorrhoe. 

Referent besitzt Erfahrungen nur über die 
Finsenbehandlung und die Behandlung mit der 
Bang 7 sehen Eisenlichtlampe und kann daher 
ein Urtheil über den Werth der vom Verfasser 
empfohlenen allgemeinen photochemischen und 


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Referate über Bücher und Aufsätze. 


709 


kalorischen Lichtbäder und der lokalen Be¬ 
strahlung mit dem Induktionsfunkenlicht nicht 
abgeben, mochte aber doch vor einem allzu 
grossen Optimismus in der Phototherapie warnen. 

Schmidt (Berlin;. 


Niels R. Finsen, Die Bekämpfung des Lupus 
vulgaris. Jena 1903. Verlag von Gustav Fischer. 

In dieser kleinen Monographie veröffentlicht 
Finscn den Vortrag, welchen er bei der Herbst¬ 
konferenz im »Internationalen Centralbureau zur 
Bekämpfung der Tuberkulose«, Berlin 1902, ge¬ 
halten hatte. Er giebt zunächst eine kurze Sta¬ 
tistik über die 804 Patienten mit Lupus vulgaris, 
welche vom November 1895 bis Januar 1902 im 
Finseninstitut behandelt wurden. Sie ergiebt fol¬ 


gende Zahlen: 

I. Geheilt.412 

a) Recidivfrei in 2—6 Jahren . . . 124 

b) Observationszcit unter 2 Jahren 288 

II. Annähernd geheilt (nur unbedeutende 

Reste des Krankheit ührig).192 

III. Unter Behandlung.117 

a) Wesentlich in Besserung oder 

theilweise geheilt. 91 

b) Von der Behandlung wenig oder 

vorübergehend beeinflusst ... 26 

IV. Unterbrochene Behandlung (unvollendete 

Kur. 83 

a) Nicht zufriedenstellendes Re¬ 
sultat . 16 

b) Gestorben (31) oder an anderen 

schweren Krankheiten leidend 
(13). 44 

c) Aeusscre Umstände . 23 


Zusammen 804 

Diese Resultate sprechen für sich selbst. Es 
braucht keineswegs als eine zu optimistische 
Hoffnung des Verfassers ausgesprochen werden, 
wenn er meint, dass in kurzer Zeit in Dänemark 
der Lupus vulgaris eine seltene Krankheit dar¬ 
stellen und Bchon in kurzer Zeit auf eine ver- 
hältnissraässig geringe, leicht heilbare Haut¬ 
affektion reduziert werden wird. 

Die hervorragenden Resultate, welche durch 
diese Bchandlungsweise erzielt worden sind, 
kommen aufs schönste in den 24 Tafeln zur An¬ 
schauung, welche der Monographie beigegeben 
sind, und die in der Weise angeordnet wurden, 
dass auf je einer Tafel derselbe Patient vor und 
nach der Behandlung abgebildet ist. 

Es mag noch erwähnt werden, dass die Geld¬ 
mittel , welche zur Erreichung der eben geschil¬ 
derten grossartigen Resultate erforderlich waren, 
keineswegs als übermässig hoch bezeichnet wer¬ 


den können. Ausser der Privatunterstützung 
einzelner begüterter Männer, ‘hat der Staat eine 
Unterstützung von 20 000 Kronen, ein zinsen- 
freies Darlehen von 40 000 Kronen und seit 
einem Jahre eine jährliche Beihilfe von 25 000 
Kronen geleistet. 

Auch wir möchten mit Finsen der Hoff¬ 
nung Ausdruck geben, dass andere Staaten dem 
Beispiele Dänemarks folgen mögen, so dass nicht 
nur in diesem Lande, sondern möglichst in ganz 
Europa der Lupus vulgaris, diese für den Träger 
nach vielen Richtungen hin so fürchterliche 
Krankheit, ganz oder völlig ausgerottet wird. 

Paul Jacob (Berlin). 

L. Török und M. Schein, Die Radiotherapie 

und Aktinotherapie der Hautkrankheiten« 

Wiener medicinischo Wochenschrift 1902. 

No. 18/23. 

Török und Schein haben umfassende 
therapeutische Versuche mit Röntgenstrahlen bei 
einer grossen Zahl von Hautkrankheiten an¬ 
gestellt, so bei Hypertrichose, Favus, Sycosis 
Simplex, Acne vulgaris, Lupus vulgaris, Lupus 
erythematodes, Urticaria pigmentosa etc. Sie 
betonen vor allem die wesentliche Bedeutung 
der Kenntniss der Reaktion, deren Uebersehen 
die unangenehmsten Folgen nach sich ziehen 
kann. Reaktive Symptome sind: Jucken oder 
Brennen, Hyperämie, leichte Schuppung, 
Pigmcntation, Lockerung der Haare, endlich 
Ekzematisation. Die Behandlung soll sofort 
unterbrochen werden, sowie derartige Er¬ 
scheinungen auftreten. Als Röhren wurden 
ausschliesslich regulierbare, weiche Müller’scho 
Köhren benutzt, die Spannung des induzierten 
Stromes entsprach einer Funkenlänge von 30 cm; 
die Umgebung der bestrahlten Stelle wurde durch 
dicke Bleiplatten geschützt. Relativ günstige 
Resultate gab die Behandlung der Hypertrichosis 
bei Frauen, wenn auch Rccidive in einer Reihe 
von Fällen nach mehr oder minder langen Zeit¬ 
räumen wieder auftraten. Bei ausgebreiteter 
Hypertrichose empfehlen die Verfasser die Radio¬ 
therapie, bei umschriebener das elektrolytische 
Verfahren. Die Behandlung des Favus, des 
Herpes tonsurans mittels Röntgenstrahlcn halten 
die Verfasser als die rationellste, einzig zu 
empfehlende Behandlungsmethode, denn es ist 
die einzige, welche unter der Voraussetzung, dass 
der ganze infizierte Bereich auf einmal behandelt 
wird, in sehr kurzer Zeit zu sicherer Heilung 
führt; dasselbe gilt ceteris paribus auch für die 
Sycosis simplex, während die behandelten Fälle 
von Acne vulgaris und Lupus erythematodes 
noch nicht spruchreif sind. 


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710 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


Die lichttherapeutischen Versuche der Ver¬ 
fasser wurden mit der von Lortet und Genoud 
angegebenen Lampe ausgeführt, und zwar 
wurden damit behandelt: Lupus vulgaris, Lupus 
erythematodes und Alopecia areata. Ein ge¬ 
radezu eklatanter Heilerfolg wurde bei einem 
Lupus der Schleimhaut der Oberlippe und des 
harten Gaumens erzielt, sehr günstige Resultate 
bei drei Fällen von Alopecia areata. 

J. Marcuse (Mannheim). 


E. Verschiedenes. 

Baginsky, Ueber die Indikationen und Kon¬ 
traindikationen des Aderlasses bei Kindern. 

Archiv für Kinderheilkunde Bd. 31. Heft 5 u. 6. 

Baginsky lässt für den Aderlass bei Kin¬ 
dern nur zwei strikte, vitale Indikationen gelten: 
1. lebensbedrohende, den Blutkreislauf des Her¬ 
zens hemmende Zustände, besonders die mit Er¬ 
stickungsgefahr verknüpfte Ueberfüllung des 
rechten Herzens, und 2. Ueberladung des Blutes 
mit chemischen Zerfallsprodukten des Organis¬ 
mus, welche als Giftstoffe wirken und vor allem 
die Funktionen des Centralnervensystcmes zu 
schädigen geeignet sind. Die hier ursächlich in 
Betracht kommenden Affektionen sind lobuläre 
und lobäre Pneumonieen, kapilläre Bronchitiden 
mit Stauungserscheinungen, chronische Herzfehler, 
von Gehimhyperämieen ausgehende Konvulsionen, 
schwere Nephritiden mit urämischen Symptomen. 
Ais Kontraindikationen bezeichnet Verfasser chro- 
nisch-hydrämische Zustände bei Tuberkulose und 
Lues, ernste Digestionsstorungen, sowie akute 
Infektionskrankheiten, selbst wenn hochgradige 
cerebrale Störungen, eklamptische Attacken und 
Delirien durch die Hyperpyresis veranlasst sind. 
Schwere Chlorose, deren Behandlung mit Blut- 
entzichungcn von verschiedenen Autoren erst in 
den letzten Jahren wieder warm empfohlen wurde, 
ist eine im kindlichen Alter seltene Krankheit. 
Die Technik der Venacsektion gleicht derjenigen 
beim Erwachsenen, nur bei Kindern mit sehr 
reich entwickeltem Fettpolster ist es rathsam, die 
zu öffnendo Veno mittels Hautschnittes vorher 
frei zu präparieren. Hirschel (Berlin). 


Bourget, Die medicinale Behandlung der 
Perityphlitis. Therapeutische Monatshefte 
1901. Juli. 

Der Verfasser bekennt sich als einen ent¬ 
schiedenen Gegner der Peritvphlitisbehandlung, 
wie sie jetzt zumeist geübt wird; vor allem zieht 
er gegen ein frühzeitiges chirurgisches Eingreifen 


zu Felde. Von Eis und Opium will er nichts 
wissen, weil durch diese Mittel das Leiden nur 
verdeckt, aber nicht gehoben wird. Er empfiehlt 
ein Verfahren, das ihm angeblich ausgezeichnete 
Resultate geliefert hat, das aber allen sonstigen 
Erfahrungen stracks zuwiderläuft und kaum an¬ 
derswo Anklang finden dürfte. Er giebt nämlich 
beim Einsetzen des akuten Anfalles sofort Ricinus- 
öl, und setzt diese Medikation mehrere Tage hin¬ 
durch fort. Daneben macht er Magen- und Dann¬ 
ausspülungen, alles Eingriffe, die sonst streng 
verpönt sind und von den meisten Praktikern 
wohl als Kunstfehler bezeichnet werden dürften. 
Der Verfasser selbst freilich will damit glänzende 
Resultate erzielt haben, giebt aber keine dc- 
talliertcn Daten, sodass seine Angaben nicht 
kontrollierbar sind. Frey han (Berlin). 


T. N. Kelynack, The relation of alcoholism 
to tubereulosis. Edinburgh medical Journal 
1901. September. S. 251. 

Verfasser erörtert die drei Anschauungen, 
welche über die Beziehungen des Alkoholismus 
zur Tuberkulose sprechen, die erste, dass der 
Alkoholismus der Tuberkulose entgegen wirkt, 
die zweite, dass überhaupt kein Vcrhältniss zwi¬ 
schen den beiden Erkrankungen bestände, die 
dritte, dass der Alkoholismus zur Tuberkulose 
prädisponiere. Verfasser schliesst sich der letzten 
Anschauung an, besonders auf Grund seiner Be¬ 
obachtungen über die Komplikation der Neuritis 
alcoholica mit Tuberkulose. Dieser Anschauung 
entsprechend erhofft er von der Bekämpfung der 
Trunksucht auch einen Einfluss auf die Verbrei¬ 
tung der Tuberkulose. 

M. Lewandowsky (Berlin). 


Kruse, Krebs und Malaria. Münchener me- 
dicinische Wochenschrift 1901. No. 48. 

Verfasser wendet sich gegen den Vorschlag 
Locffler’s, den Krebs durch Impfung von Ma¬ 
laria bessern oder heilen zu wollen. Er stellt 
zunächst fest, dass in Italien prozentualiter eben 
soviel Personen an malignen Geschwülsten zu 
Grunde gehen, wie in Preussen (4,2 auf 10000 
Einwohner), trotzdem in Preussen die Malaria¬ 
sterblichkeit = 0, in Italien 5,81 auf 10 000 ist, 
d. h. ungefähr 580 von 10 000 Einwohnern jähr¬ 
lich an Malaria erkranken. Auch aus der italie¬ 
nischen Statistik geht hervor, dass Krebs und 
Malaria in keinem gegensätzlichen Vcrhältniss zu 
einander stehen. Vielmehr wird dieses Verhält- 
niss zum Theil durch die Dichtigkeit der ße- 


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Referate über Bücher and Auf Bitze. 


711 


völkerung, bezw. ihre Anhäufung in städtischen 
Centren bestimmt. Vor allem aber glaubt der 
Verfasser eine Rassendisposition für den 
Krebs annehmen zu müssen, in dem Sinne, dass, 
je geringer die mittlere Statur der Bevölkerung 
ist, um so geringer auch die Krebssterblichkeit 
ausfällt. In Italien stehen an der Spitze die 
Landschaften Toscana und Emilia mit der 
grössten Krebssterblichkeit und den grössten 
Leuten, dann folgen Ligurien, die Lombar¬ 
dei, die Marken, Latium und Umbrien. 
Jetzt kommt ein ziemlich plötzlicher Sprung zu 
den Landestheilen mit niedriger Krebsziffer und 
kleineren Leuten, aber auch hier bleibt die Regel¬ 
mässigkeit der Reihenfolge, die von den Abruz¬ 
zen, Apulien undCampanien über Sizilien 
zu Calabrien, schliesslich Sardinien. Der 
Verfasser schliesst also auf eine Immunität der 
tropischen Rassen gegen denKrebs. 

M. Lewandowsky (Berlin). 


Henry Grenet und G« Piquand, Traite- 
ment des andvrysmes da tronc brachio- 
cdphalique par la mdthode deBrasdor et 
des andvrysmes en gdndral par les injecti- 
ons sous - catandes de gdlatine. Arch. gön. 
de mddecine 1901. Mai und Juni. 

Die Verfasser haben einen Fall von grossem 
sackförmigen Anemysma der Anonyma dextra 
auf der Abtheilung des Professors Tillaux auf 
doppelte Weise behandelt. Zuerst mit der Unter¬ 
bindung der Carotis communis und axillaris, ober¬ 
halb des Aneurysmas, nach der Methode von 
Brasdor, und, als diese Operation nur wenige 
Tage erfolgreich blieb, noch mit subkutanen Ein¬ 
spritzungen von Gelatine, ohne auch damit helfen 
zu können, da der Patient bald starb. 

Dieser Fall hat nun den beiden Autoren zu 
einem sorgfältigen historischen und kritischen 
Studium der beiden Methoden Veranlassung 
gegeben, in denen wohl die gesammte inter¬ 
nationale Litteratur berücksichtigt worden ist. 
Einige ihrer Schlussfolgerungen dürften von be¬ 
sonderem Interesse sein: 

Die Brasdor’sche Operation ist die einzige 
empfehlenswerthe Operation für die Aneurysmen 
der Anonyma. Nur muss man einige Kontra¬ 
indikationen berücksichtigen, welche unter ge¬ 
wissen Umständen bedingt sein können durch die 
Thrombose der linken Carotis, oder durch die 
Insufficienz der Aortenklappen. Aber auch wenn 
diese beiden Hinderungsgründe fehlen, muss die 
Operation möglichst früh vorgenommen werden, 
weil die kollatcralen Gcfässc sonst schon zu weit 
ausgedehnt sind und so durch dieselben der Blut¬ 
strom allzu langsam fliesst; nur bei genügender 


Schnelligkeit der Strömung durch die Kollateralen 
lässt sich aber ein »aspiratorischer Effekt auf das 
Aneurysma selbst« erwarten (?). Auch kompri¬ 
miert andrerseits ein allzu grosses Aneurysma 
diese Kollateralen meist gänzlich und verhindert 
so überhaupt den Eintritt des Blutes in dieselben. 

Was die Gelatineeinspritzungen betrifft, so 
sollte man dieselben nach Lancereaux nur bei 
sackförmigen Geschwülsten anwenden, freilich 
nach Bourdillon nützen sie auch bei cylindri- 
schen. Ihre Wirkung, die mit Schmerz und Fieber 
oft verbunden ist, während die Gefahr der Em- 
bolieen gering zu sein scheint, ist auf Grund der 
Statistik recht unsicher. Man weiss noch gar 
nicht, ob die Gelatine als solche in den Kreis¬ 
lauf kommt. Trotz der zahlreichen Beobachtungen 
bedarf es noch weiterer klinischer und experi¬ 
menteller Studien und auch jedenfalls der grössten 
Vorsicht bei der Anwendung des Mittels, welches 
unter Umständen auch höchst gefährliche Blut¬ 
drucksteigerungen erzeugen kann. 

H. Rosin (Berlin). 


Max Heim, Die nervöse Schlaflosigkeit, ihre 
Ursachen and ihre Behandlung. Bonn 1902. 

In kurzer, übersichtlicher Form behandelt 
Verfasser in seiner Broschüre, die, nach den in 
Klammer beigefügten Erklärungen einiger Fach¬ 
ausdrücke, auch für Laien bestimmt scheint, das 
Thema der nervösen Schlaflosigkeit. 

In dem ersten Kapitel bespricht er an der 
Hand der Arbeiten verschiedener Physiologen das 
Wesen, den Zweck und die Dauer des normalen 
Schlafes. — Indem er dann zur Schlaflosigkeit 
übergeht, beschäftigt er sich eingehend mit den 
Ursachen derselben. Als eine der wichtigsten 
hebt er wohl mit Recht das Hasten und Jagen 
der heutigen Zeit hervor, das nicht nur im Er¬ 
werbsleben des Mannes, sondern auch für Frauen, 
besonders der begüterten Stände, im gesellschaft¬ 
lichen Leben zum Ausdruck kommt 

Den folgenden Abschnitt widmet Verfasser 
der Pathologie der Schlaflosigkeit. In der Mehr¬ 
zahl der Fälle glaubt er dieselbe als eine funk¬ 
tionelle Störung des Nervensystems, als eine 
Theilerscheinung der Neurasthenie auffassen zu 
dürfen. Die abnorme Erregbarkeit der an dieser 
Krankheit leidenden Patienten mache es unmög¬ 
lich, die zum Schlafe nothwendige Ausschaltung 
aller Sinnesreize herbeizuführen. 

Nach diesen Ausführungen geht Verfasser 
zur Therapie der Schlaflosigkeit über. 

Als ersten wichtigsten Punkt fordert er die 
Feststellung der Ursachen, die zur Agiypnie ge¬ 
führt hatten. Sobald diese vermieden würden, 
besserten Bich viele Fälle von selbst. Des wei- 


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712 


Referate über Bücher und Aufsätze. 


teren giebt er allgemeine, für jeden Fall passende 
Regeln, wie: stets in kühlem, luftigem Zimmer 
zu schlafen, sich leicht zuzudeckcn, Abends nur 
leichte Kost zu nehmen, aufregende Gespräche 
und Lektüre zu vermeiden, für regelmässige Ver¬ 
dauung zu sorgen etc. 

Dann weist Verfasser auf die Hilfsmittel hin, 
welche die physikalische Therapie bei Behand¬ 
lung der Schlaflosigkeit bietet. Für leicht erreg¬ 
bare Patienten empfiehlt er die beruhigende Wir¬ 
kung feuchter Packungen von längerer Dauer 
entweder auf den ganzen Körper oder nur par¬ 
tiell angewendet 

In anderen Fällen, die durch Obstipation und 
Kongestionen zum Kopfe verursacht waren, sah 
er günstige Erfolge von methodisch fortgesetzter 
Vibrationsmassage. 

Weiter empfiehlt er dringend die Anwendung 
des elektrischen Stromes, besonders des faradi- 
schen. Zwar handle es sich hierbei wohl haupt¬ 
sächlich um eine suggestive Wirkung, doch sei 
der Erfolg ein unzweifelhafter. — Für viele Fälle 
räth Verfasser Klimawechsel und Aufsuchen eines 
Badeplatzes, der nach dem allgemeinen Befinden 
des Patienten zu wählen sei. Besonders günstige 
Erfolge Hessen sich häufig durch die beruhigende 
Wirkung der Akratothermen erzielen. Ausdrück¬ 
lich warnt Heim davor, schlaflose Patienten in 
die eleganten unruhigen Luxusbäder zu schicken. 

Für Ausnahmefälle wird dann noch die 
Hypnose erwähnt. 

Zum Schlüsse giebt Verfasser noch einige 
Medikamente an, wie Dormiol, Iledonal und Bro¬ 
midin. Doch erziele man durch diese nur eine 
Narkose und keinen Schlaf. Daher sei ihr Ge¬ 
brauch auf die Ausnahmcfälle zu beschränken. 
Im allgemeinen könne man durch die physikali¬ 
sche Therapie die besten Resultate erzielen. 

Da Heim in seiner kaum 60 Seiten umfas¬ 
senden Arbeit die wichtigeren physikalischen 
Prozeduren nicht nur erwähnt, sondern genau die 
Art und Weise ihrer Ausführung beschreibt, so 
dürfte sich sein Buch für den Gebrauch des prak¬ 
tischen Arztes empfehlen, dem die Zeit fehlt, 
grössere Spezialwcrke zu studieren. 

Ernst Lichtenstein (Berlin). 


A. Fournier, Etiologie du tabes d’apres un 
milUer d’observations« Le bulletin mödical 
No. 95. 15. Jahrgang. 

In einem längeren Aufsatze beschäftigt sich 
Fournier mit dem Zusammenhang zwischen 
Lues und Tabes, einem Thema, das er seit vielen 
Jahren aufs eifrigste studiert hat. Er schildert, 


wie er als erster im Jahre 1875 einen Zusammen¬ 
hang zwischen diesen beiden Krankheiten ange¬ 
nommen habe, aber nur sehr langsam und nach 
harten Kämpfen mit seiner Anschauung habe 
durchdringen können. Als Schlussstein seiner 
Arbeiten wolle er nur noch an Hand eines gros¬ 
sen statistischen Materials nachwcisen, dass ein 
Zusammentreffen von Lues und Tabes kein zu¬ 
fälliges sei, sondern dass ein ätiologischer Zu¬ 
sammenhang zwischen beiden Krankheiten be¬ 
stehe. 

Sein Material setzt sich aus 1000 Tabesfällcn 
susammen, die, sorgsam ausgewählt, mit grösster 
Sicherheit Lues entweder annehmen oder aus- 
schliessen lassen. Unter ihnen finden sich nun 
925 mit Zeichen einer früheren Lues, während 
nur bei 75 solche vermisst werden. Auf Grund 
dieser Zahlen nimmt Verfasser Lues als häufigste 
Ursache der Tabes an, ohne indessen andere, 
vorläufig noch ungenügend bekannte Momente 
auszuschliessen. 

Des weiteren theilt Fournier mit, dass sich, 
wie einige seiner Fälle deutlich erweisen, auch 
auf Grund einer kongenitalen Lues Tabes ent¬ 
wickeln könne. Dies ist um so wichtiger, als es 
erlaubt, Fälle von Tabes, bei denen jede syphi¬ 
litische Infektion auszuschliessen ist, noch als 
luetisch anzusehen, sofern sich in der Ascendenz 
Gründe für eine Lues ergeben. 

Wissenswerth ist auch folgende Beobachtung 
des Verfassers: Gerade auf die leichtesten, schein¬ 
bar gutartigsten Fälle von Lues pflegt am häu¬ 
figsten Tabes zu folgen, und daher ist die An¬ 
sicht vieler Aerzte irrig, die meinen, eine leichte 
Lues gebe eine durchaus günstige Prognose für 
die Zukunft. 

Auf Grund seiner Statistik nimmt Fournier 
auch eine gewisse Disposition zur Tabes an, in¬ 
dem er sagt, dass diejenigen Personen besonders 
häufig an Tabes erkranken, die entweder ihr 
Nervensystem überanstrengen, ohne ihm genü¬ 
gende Erholung zu gönnen, oder aber erblich 
nervös belastet sind, sofern sie eine Lues durch- 
gemacht haben. 

Schliesslich weist Fournier darauf hin, wie 
häufig sich gerade unter den Tabikern Patienten 
befinden, die ihre Lues gamicht oder ungenügend 
haben behandeln lassen. 

Aus diesem Grunde tritt Verfasser für gründ¬ 
liche, über lange Zeit ausgedehnte Behandlung 
jeder Lues ein, und schliesst seinen Aufsatz mit 
der Ermahnung an Aerzte und Behörden, heute 
mehr denn je an der Bekämpfung und Verhütung 
der Lues mitzuarbeiten, seitdem wir in der Tabes 
eine furchtbare Folge derselben kennen gelernt 
haben. Ernst Lichtenstein (Berlin). 


Borlin Druck von \V. Büxenstein. 


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Mt _ • :_werden angenommen bei der Axmonoen-Bzpeditlon Rudolf Koue, Berlin 8W., 

Mjk ff 37 AI fj fm n Breslau. Cöln a. Rh., Dresden, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Hamburg, Leipzig, München, 
mmm I I Nürnberg, Prag, Stuttgart, Wien, Zürich. Insert onspreia nach besonderem Tarif 



Auszug aus dem Bericht von PROFESSOR D£ LANCEREAUX 

Vice-Präsident der Akademie der Medizin in Paris 
„De mes observations, il rtsulte qne l’Eau „APENTA“ constitue an 
,#xcellent purg atif, tris acttu et rigpureusemerit dost. Sön action est 
,/iouce ei constante; eile purge ä la dose d’an verre ou d’un demi-verre 
„sans dtterminer_ni_coliques, ni malaises. Cest VEaa qai convient 
,4ans le traitement de la consti£ation habituelle. De plus, par sä 
„composition spiciale ei cönstääte, cette £q b.- me parait mtnter ane 
„place ä £art dans la thtrapeutique hydrologiqae." 

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Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. Band VI. Heft 12. 


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