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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE
THERAPIE.
>»K *'
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. v. Babes (Bukarest), Geh.-Rath Prof. Brieoer (Berlin), Geh.-Rath Prof. Curschmann (Leipzig),
Geh.-Rath Prof. Ehrlich (Frankfurt a. M.), Prof. Eichhorst (Zürich), Prof. Einhorn (New-York),
Geh.-Rath Prof. Erb (Heidelberg), Geh.-Rath Prof. Ewald (Berlin), Prof. Finsen (Kopenhagen),
Prof. A. FrXnkel (Berlin), Geh.-Rath Prof. B. Frankel (Berlin), Geh.-Rath Prof. Fürbringer
(Berlin), Prof. J. Gad (Prag), Geh.-Rath Prof. Heubner (Berlin), Geh.-Rath Prof. A. H offmann
(Leipzig), ProL v. Jaksch (Prag), Geh.-Rath Prof Jolly (Berlin), Prof. v. Jürgensen (Tübingen),
Prof. Kitasato (Tokio), Prof. G. Klemperer (Berlin), Geh.-Rath Prof. Lichtheim (Königsberg),
Geh.-Rath Prof. Liebreich (Berlin), Prof. Litten (Berlin), Prof. Marinescu (Bukarest), Prof. v. Mering
(Halle), Prof. Moritz (Greifswald), Geh.-Rath Prof. Mosler (Greifswald), Prof. Fr. Müller (München)»
Geh.-Rath Prof. Naunyn (Strassburg), Prof. v. Noorden (Frankfurt a. M.), Hofrath Prof. Nothnagel
(Wien), Prof. Pel (Amsterdam), Prof. A. Pribram (Prag), Geh.-Rath Prof. Quincke (Kiel), Geh.-Rath
Prof. Renvers (Berlin), Geh.-Rath Prof. Riegel (Giessen), Prof. Rosenstein (Leiden), Geh.-Rath
Prof. Rubner (Berlin), Prof. Sahli (Bern), Generalarzt Schaper (Berlin), Prof. Schreiber (Königsberg)
Sir Felix Semon (London), Geh.-Rath Prof. Senator (Berlin), Prof. v. Strümpell (Erlangen),
Sir Hermann Weber, M. D. (London), Prof. Winternitz (Wien), Dr. E. Zander (Stockholm),
Prof. Zuntz (Berlin).
REDIGIRT
VON
E. von LEYDEN,
A. GOLDSCHEIDER ünd P. JACOB.
Sechster Band.
Mit 78 Abbildungen.
LEIPZIG
VERLAG VON GEORG THIEME
Rabonstoinplatz 2.
1 0 03 .
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
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Inhaltsverzeichnis des YI. Bandes,
Heft Seite
Vorrede zum 6. Bande. I 3
I.
Original-Arbeiten.
Die Krankenkost und die KQche der Charitd. Von Dr. H. Sch aper, Generalarzt und
Geheimer Obermedicinalrath, ärztlicher Direktor der Charitd. Mit G Abbildungen I 5
Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrank¬
heiten. Von Dr. P. Kouindjy in Paris, flospice de la SalpStriüre. Clinique
des inaladies nerveuses du Professeur Raymond. Mit 4 Abbildungen ... I 17
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berück¬
sichtigung des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiologischen
Laboratorium der Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. (Direktor: Pro¬
fessor Dr. N. Zuntz.) Von Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller ... I 25
Klinik und physikalische Chemie. Von Dr. P. F. Richter in Berlin. I 45
lieber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säureausscbeidung beim Diabetiker.
Von Dr. Karl Grube, Arzt in Bad Neuenahr. II 75
Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrank¬
heiten. Von Dr. P. Kouindjy in Paris, Hospice de la Salpetrifcre. Clinique
des maladies nerveuses du Professeur Raymond. (Schluss.). II 82
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berück¬
sichtigung des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiologischen
Laboratorium der landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin. (Direktor: Pro¬
fessor Dr. N. Zuntz.) Von Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller. (Schluss.) II 92
Zur Frage der hemiplegischen Kontraktur. Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn
Privatdozenten Dr. Ludwig Mann, betreffend meinen Aufsatz auf S. 550ff. Bd. 5
dieser Zeitschrift Aus der I. medicinischcn Universitätsklinik zu Berlin (Direktor:
Geh. Med.-Rat Professor Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus .... II 115
Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Aus dem hygienischen
Institut der Universität Freiburg i.B. Von Dr. Max Schottelius, Professor
der Hygiene . .. III 139
Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. Von
Dr. Hans Rüge, Privatdozenten der inneren Medicin in Berlin. Mit 3 Abbildungen III 145
Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. Vortrag, gehalten auf der 23. Versammlung
der Baineologischen Gesellschaft zu Stuttgart (7. bis 12. März 1902). Von
Dr. Julian Marcuse in Mannheim. HI 158
Ueber einige praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chronischen Nasen- und
Rachenkatarrhs. Von Dr. W. Freudenthal in New-York. Mit 1 Abbildung IV 195
Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. Aus der HI.
medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rath Professor
Dr. Senator). Von Stabsarzt Dr. Menzer. IV 209
Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale hydrotherapeutische
Prozeduren, Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin
(Leiter: Geh. Med.-Rath Professor Dr. Brieger). Von Dr. August Laqucur,
Assistenten der Klinik, und Dr. Waldemar Loewenthal. IV 211
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IV
Inhal tsverzeichniss
Heft Seite
Ueber Roborat. Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Bcilin (Direktor: Geh.
Med.-Rath Professor Dr. y. Leyden). Von Dr. Fritz Rosenfeld, Volontär¬
assistenten der Klinik. IV 223
Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. Aus
der! medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rath Pro¬
fessor Dr. v. Leyden.) Von Dr. B. Wen drin er in Neuenahr. IV 228
Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. Aus der 1. medicinischen Klinik des
Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger V 259
Ueber den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexerregbarkeit.
Experimentelle Untersuchungen und kritische Betrachtungen von Dr. Theodor
Büdingen, leitendem Arzte am Kurhause Todtmoos (Schwarzwald) .... V 272
Die Fangokur und deren Indikationen. Von Dr. E. Mory, Kurarzt in Adelboden
(Schweiz). V 280
Verwendung älterer Fahrradsysteme zii therapeutischen Zwecken. Von Dr. Alfred
Martin, Assistenten für physikalische Heilmethoden an der medicinischen Klinik
zu Zürich. Mit 6 Abbildungen. V 289
Ein neuer Zerstäubungsapparat für Allgemeininhalation. Aus der Abtheilung für phy¬
sikalische Therapie im Krankenhause München I./I. Von Oberarzt Dr. Rossnitz,
kommandiert zu obiger Abtheilung. Mit 2 Abbildungen. V 294
Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. Von Geh. Med.-
Rath Professor Dr. Albert Hoffa in Berlin. Mit 22 Abbildungen. VI 315
Ueber die Behandlung der Enuresis. Aus der medicinischen Klinik des Professors
R. v. Jaksch in Prag. Von Karl Walko, klinischem Assistenten. VI 328
Ueber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 1. Mittheilung: Einfluss auf den
osmotischen Druck und den Wassergehalt Von Dr. Karl Grube in Neuenahr.
Mit 1 Abbildung. VI 334
Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. Aus der I. medicinischen Klinik des
Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger.
(Schluss). VI 339
Zur Therapie der Barlow’schen Krankheit Von Dr C. Bolle in Berlin. VI 354
Blutbefund bei Schwitzprozeduren. Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Univer¬
sität in Berlin (Leiter: Geh. Med.-Rath Professor Dr.Brieger). Von Dr. Walter
Krebs, Stabsarzt an der Kaiser Wilhelm-Akademie, kommandiert zum Institut,
und Dr. Martin Mayer.VII 371
Ueber die tägliche W T ägung als diagnostisches Hilfsmittel, besonders bei Herzkrank¬
heiten. Von Dr. H. Iacobäus, dirigierendem Arzt am Finsensanatorium in
Kopenhagen. Mit 11 Abbildungen.VII 385
Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen auf Grund von Blut¬
druck- und neuramobimetrischen Messungen. Von Dr. Arthur Loebel. Kais.
Rath, K. K. Bade- und Brunnenarzt in Wien-Dorna.VII 398
Ueber den Unterricht in der Diätetik. Von Professor Dr. Moritz in Greifswald . . VIII 427
Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. Von Dr. Max Wein-
berger, leitendem Arzt der Dr. Renner’schen Wasserheilanstalt in Budapest VIII 429
Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. Aus dem Institute für Mechano-
therapie des Dr. A. Bum in Wien. Von Dr. Robert Grünbaum, Assistent
des Institutes. Mit 8 Abbildungen.VIII 439
Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbchandlung. Aus der Königlichen medicinischen
Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber).
Von Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 8 Abbildungen. IX 491
Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst und Winter therapeutisch ver¬
wenden? Von Dr. M. Edel, Badearzt in Wyk auf Föhr. Mit 3 Abbildungen . IX 502
Zur Kenntniss der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht während der
Heilstättenbehandlung. Mittheilung aus dem Königin Elisabeth - Sanatorium bei
Budapest Von Dr. D. Kuthy, Privatdozent, dirig. Chefarzt . IX 513
Ein Rückblick auf das erste Lustrum der Zeitschrift für diätetische und physikalische
Therapie. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim . X 547
Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. Von Dr. Felix Block in Hannover X 551
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Inhalte verzeichniss. V
Heft Seite
Ceber die Verwendung des Kaseins zu Backzwccken vermittels einer neuen Gährungs-
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger.
Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat ira besonderen. Von Dr. Wilhelm Bauer-
meister, Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braun-
schweig. X 504
Beitrage zur Kenntniss der Heissluftbehandlung. Aus der Königlichen mediciniBchen
Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber).
Von Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen. (Schluss.). . . X 571
Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme (mit besonderer Berücksichtigung der
venerischen und Hautaffektionen). Beschreibung eines Präzisionsapparates »Hy-
drothermoregulator« zur Erzeugung konstanter Wärme. Von Privatdozent Dr.
Karl Ullmann in Wien. Mit 3 Abbildungen. XI 603
Die klimatischen Kurorte. Vortrag, gehalten in der Niederrheinischen Gesellschaft für
Natur- und Heilkunde in Bonn. Von Sanitätsrath Dr. W. Velten in Bonn . . XI 618
Pie Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. Von Sanitätsrath Dr. L. Fürst
in Berlin. XI 623
Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer neuen Gährungs-
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger
Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat im besonderen. Von Dr.Wilhelm Bauer¬
meister, Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braun¬
schweig. (Schluss). XI 628
Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Köppe. Von Sanitätsrath Dr. Friedrich
Engelmann in Kreuznach.XII 659
Ein Vorgänger Brand’s. Beitrag zu den Anfängen der klinischen Typhushydriatik.
Von Dr. J. Sadger in Wien-Gräfenberg. XII 672
Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. Von Dr. Ni¬
colaus Reich, dirigierendem Arzt des Budapester medico-mechanischen Zander¬
institutes .XII 680
II.
Kritisch© Umschau.
Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr.
A. Dworetzky in Riga-Schreyenbusch. V 296
Russische Beiträge zur Emährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr.
A. Dworetzky in Riga-Schreyenbusch (Schluss).VII 407
Ueber Nahrung und Ernährung. Von Dr. B. Laquer in Wiesbaden.VIII 453
Zosammenfassende Uebersicht über das Adrenalin. Von Dr. G. L. Mam lock in Berlin IX 520
Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. Von Dr. Leono r
Michaelis, Assistent an der I. medicinischen Klinik in Berlin. X 577
Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. Aus der I. medicinischen Univer¬
sitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr.
Fritz Meyer, Assistent der Klinik. XI 634
l’eber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete der Hypnose. Von Dr.
A. Dworetzky in Moskau.XII 687
III.
Kleiner© Mittheilungen.
Ueber einen neuen Versuch zur Einführung des Magneten in die Therapie. Von Dr.
F. Frankenhäuser, Assistenten der medicinischen Universitätspoliklinik in Berlin I 52
Ein fahrbarer Krankenhebeapparat und eine fahrbare, zusammenlegbare Badewanne.
Von Dr. Paul Jacob, Privatdozent, Oberarzt an der I. medicinischen Universitäts¬
klinik in Berlin. Mit 2 Abbildungen. I 55
Zur Frage, ob in Gelatinepräparaten Tetanuskeime enthalten sind. Von Dr. Ernst
Lichtenstein, Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin II 119
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VI Inhaltsverzeichniss.
Heft Seite
Zur Methodik der Nordseeluftkuren. Von Dr. med. Ide, Nordseeinselheim Amrum . II 119
Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion. Von Dr. Maximilian Roth, Chefarzt des
Zander-Institutes in Wien. Mit 1 Abbildung. III 166
Fleischextrakt und Hefepräparate. Eine wirthschaftliche Betrachtung von Dr. K. Beer¬
wald in Berlin. IV 232
Das Sanatorium Wehrawald im badischen Schwarzwald. Von Dr. Julian Marcuse
in Mannheim. Mit 2 Abbildungen. IV 234
Das Konservebrot in den verschiedenen Armeen. Von M. Bailand, Oberapotheker
I. Klasse. V 302
Ueber die Diät Friedrichs des Grossen. Von Dr. Gotthold Ludwig Mamlock,
Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor:
Geh. Med.-Rath Professor Dr. v. Leyden). VI 3f>7
Eine alte diätetische Behandlung des akuten Schnupfens. Von Privatdozent Dr. Maxi¬
milian Sternberg in Wien.VIII 457
Analyse zweier essbaren Erdarten aus Centralafrika. Von M. E. Hei borg, Mag.
seientiarum in Kopenhagen. IX 526
Seekrankheit und Tiefathmen. Eine Selbstbeobachtung von Dr. F. Paravicini, Albis-
brunn . .. X 586
Beckenexsudate — kühle Sitzbäder. Von Dr. Die hl, Badearzt in Berneck (Oberfranken) XII 690
IV.
Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über die Sitzung der Gesellschaft der Charitöärzte vom 27. Februar 1902. Von
Dr. A. Laqueur in Berlin... I 58
Bericht über die 23. öffentliche Versammluung der Baineologischen Gesellschaft in Stutt¬
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim ... I 61
Determann (St. Blasien) und Schröder (Schömberg), Ueber die Wirkungen
des Höhenklimas auf den Menschen. I 61
v. Grützner (Tübingen), Ueber den Mechanismus der Magen Verdauung . . I 64
Pariser (Homburg), Zur Lehre von der Atonie des Magens. I 64
Koppe (Giessen), Der Salzhunger .. I 65
III. Kongress österreichischer Baineologen in Wien vom 20. bis 26. März 1902. Von
Dr. Julian Marcuse in Mannheim. II 123
Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬
gart vom 7. bis 12 März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung) II 125
Keller (Rheinfelden), Ueber Soolbadkuren während der Gravidität .... II 125
Winkler (Nenndorf), Ueber den Nutzen der Kombination von Schmierkur
und Schwefelkur bei Behandlung der Syphilis. II 126
Vollmer (Kreuznach), Dermatologie und Balneologie. II 127
Grube (Neuenahr), Ueber den Einfluss salzhaltigen Wassers auf die Blut¬
beschaffenheit nach Versuchen am Menschen. II 127
Engelmann (Kreuznach), Einwirkung der Kreuznacher Quelle auf das Blut II 128
Lennö (Neuenahr), Ueber Trinkkuren. II 128
Frey (Baden-Baden), Die Bedeutung der Venendruckmessungen bei der Be¬
handlung der Kreislaufstörungen. II 128
Generalversammlung des Verbandes deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und -Leiter
am 6. März 1902 . II 130
20. Kongress für innere Medicin in Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1902. Bericht
von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. HI 170
Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung) III 175
Camerer (Urach), Ueber Gicht und Rheumatismus.HI 175
Weisz (Pistyan), Ueber Gicht. HI 176
Winternitz (Wien), Die hydriatische Behandlung der Pneumonie .... IH 177
Burwinkel (Nauheim), Chronische Herz- und Lungenleiden in ihren Wechsel¬
beziehungen . HI 178
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Inhal tsverzeichniss.
VII
Kisch (Marienbad), Zur Bäderbehandlung der nervösen funktionellen Herz-
Störungen ...
Fisch (Franzensbad), Kombinierte Herztherapie.
v. Baum garten (Tübingen), Ueber Immunität und Disposition besonders
mit Bezug auf Tuberkulose.
t Internationaler Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie.
XI Congresso nazionale di medidna interna (Pisa 27.—30 ottobre 1901).
Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fort¬
setzung und Schluss.).
Länderer (Stuttgart), Die Heilbehandlung und ihre Gegner.
Rothschild (Soden), Das Heirathen Tuberkulöser.
Liebreich (Berlin), Ueber Inhalationstherapie.
Köppe (Giessen), Baineologische Studien im Anschluss an die physikalisch¬
chemische Untersuchung des Salzwassers ..
Steiner (Levico), Zur Balneotherapie der Acne vulgaris.
Länderer (Stuttgart), Theoretische und praktische Grundlagen unserer Mund¬
behandlung .
Marcuse (Mannheim), Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie . . . .
Röchling (Misdroy), Die Reizbarkeit für die Gehörseindrücke bei Neurasthenie
nebst praktischen Folgerungen für die Kurorte.
Zangger (Zürich), ;Der Stand der Volksheilstättenbewegung in der Schweiz
Die grossherzogliche Badeanstaltenkommission zu Baden-Baden.
Bericht über den zweiten^ntemationalen Kongress für medicinische Elektrologie und
Radiologie zu Bern. 1.—6. September 1902. Von Privatdozent Dr. Ludwig
Mann in Breslau...
Aus der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad. 22.-28. Sep¬
tember 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische Elektrologie und
Radiologie zu Bern. 1.—6. September 1902. Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann
in Breslau. (Fortsetzung und Schluss).
Sitzung des Vereins für innere Medicin am 14. Oktober 1902. Von Dr. L. Michaelis
in Berlin.
Jahresversammlung des] Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke
vom 13 —15. Oktober 1902 in Stuttgart Von Dr. Waldschmidt in Charlotten-
burg-Westend.... . ..
Sitzung der Hufeland’scben Gesellschaft am 11. Dezember 1902 .
Baineologische Kurse zu Baden-Baden vom 13. bis 21. Oktober 1902. Von Dr. Julian
Marcuse in Mannheim.
V.
Referierte Bücher und Aufsätze.
Aerztliches Jahrbuch 1903 .
Albu, Die vegetarische Diät Kritik ihrer Anwendung für Gesunde und Kranke . .
v. Aldor, Ueber Kohlehydratstoffwechsel im Greisenalter und in Verbindung damit
Untersuchungen über Phloridzindiabetes.
All butt, The Sanatorium in the treatment of phthisis.
Alter, Versuche mit zellenloser Behandlung und hydrotherapeutischen Maassnahmen .
Aron, Ueber Sauerstoffinhalationen.
Asher und Jackson, Ueber die Bildung der Milchsäure im Blute nebst einer neuen
Methode zur Untersuchung des intermediären Stoffwechsels.
Bälz, Ueber vegetarischeJMassenernährung und über das Leistungsgleichgewicht . .
Baginsky, Ueber die Indikationen und Kontraindikationen des Aderlasses bei Kindern
Bälint, Die diätetische Behandlung der Epilepsie.
Bang, Der gegenwärtige Stand der biologischen Lichtforschung und der Lichttherapie
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
VIII
Inhal tsverzeichniss.
Heft Seit©
ßarney, Diabetes melitus with special reference to its treatment with the double
bromide of gold and arsenic. III 184
Bauch, Ueber periodisches Erbrechen. I 67
Baumgarten, Hydriatisches Jahrbuch, Band II.XII 705
Beck, On a case of sarcoma treated by the Röntgen rays. VI 366
Beck, The pathological and therapeutic aspects of the effects of the Röntgen rays X 595
Becker, Zur heilgymnastischen Behandlung der Skoliose. Zwei neue Pendelapparate V 307
Behrens, Einfluss der Witterung auf Diphtherie, Scharlach, Masern und Typhus . . III 189
v. Behring, Beiträge zur experimentellen Therapie.VII 422
Beizer, Ueber die Behandlung mit Frey’s Heissluftdouche. IV 252
Benaroya, Die künstlichen Nährpräparate, ihr Werth und ihre Bedeutung für die
Kranken- und Kinderernährung.XII 699
Berend, Beiträge zur Frage der künstlichen Ernährung im Säuglingsalter. V 305
Bielfeld, Zur Frage über die amylolytische Wirkung des Speichels. VI 36 L
Bier, Ueber praktische Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie. XI 654
Biernacki, Beobachtungen über die Glykolyse in pathologischen Zuständen, insbe¬
sondere bei Diabetes und funktionellen Neurosen. VI 361
Bi net, Les stations hydro-minörales fran^aises et leur avenir. II 134
Binz, Die Wirkung des Destillats von Kaffee und Thee auf Athmung und Herz . . I 66
Bishop, Empioyment os occupation neuroscs-treatment by elektricity.XII 706
Blass, Die Impfung und ihre Technik. IV 245
Blumenthal, Pathologie des Harnes am Krankenbett. V 310
Börner’s Reichs-Medicinal-Kalender 1903 . XI 656
Bonne, Ueber die Suggestionsbehandlung in der täglichen Praxis. X 598
Bordier, Sur le choix du mßtal ä employer pour les ölectrodes. HI 191
Bordier, Traitement ölectrique des nevralgies et en particulier de celle du trijumeau IV 255
Bourget, Die medicinale Behandlung der Perityphlitis.XH 710
Bram well, Case of tabes with acutely developed ataxia, in which great and rapid
improvement had resulted from FrenkeTs plan of treatment. IV 252
Brautlecht, Ueber den Nachweis anorganischer Gifte, speziell des Arsens, mittels
Röntgenstrahlen. VI 366
Broden und Wolpert, Respiratorische Arbeitsversuche bei wechselnder Luftfeuchtig¬
keit an einer fetten Versuchsperson. I 69
Bruck, Ueber den Einfluss kalter hydriatischer Prozeduren auf den Blutdruck . . . XH 702
Buchsbaum, Technik der Wasseranwendungen. Belehrung für die Bade Wärter,
Krankenpfleger u. s. w. H 134
Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik. III 186
Zuschrift von Dr. Anton Bum.VII 424
v. Bunge, Ueber ein Kochsalzsurrogat der Negerstämme im Sudan. VI 361
Burwinkel, Herzleiden und Ernährung.VH 418
Campbell assisted by Uoagland, The blood count at higt altitudes.VH 420
Carriöre, Studienreisen in die französischen Bäder, ihr Zweck, ihr Nutzen für die
Aerzte und Badeorte, ihre Organisation. IV 254
Cattle, Remarks on the relation of human and bovine tuberculosis. VI 367
Cautru, Influence du massage abdominal dans le traitement de la diarrh£c chronique X 591
Cazaux, Sur la prötendue absorption cutanee dans le bain. V 309
Cleaver, A bipolar rectal electrode. V 310
Cleaves, Betton Massey, Beck, Greenleaf, A Symposium on the treatment of
cancer by Röntgen rays, light and electricity.VHI 485
Cohen, Vorträge für Aerzte über physikalische Chemie. IV 249
Cohn, Leitfaden der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie für Praktiker und Studierende X 596
Cohn he im, Die Undurchlässigkeit der Wand der Harnblase. VI 361
C o h n h eim, Die Heilwirkung grosser Dosen von Olivenöl bei organischen und spastischen
Pylorus- und Duodenalstenosen und deren Folgezuständen (Gastrektasie) ... VI 363
Cohnheim, Die Umwandlung des Eiweisses durch die Darm wand. XI 650
Cornelius, Druckpunkte, ihre Entstehung, Bedeutung bei Neuralgieen, Nervosität, Neu¬
rasthenie, Hysterie, Epilepsie und Geisteskrankheiten sowie ihre Behandlung
durch Nervenmassage. X 591
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
Inhaltsverzeichnis. IX
Heft Seite
Bremer, lieber die Verwerthung der Rhamnose im thierischen Organismus und einige
damit zusammenhängende Fragen der Physiologie der Kohlehydrate. VI 362
Crem er und Headers on, Ein experimenteller Beitrag zur Lehre vom physiolo¬
gischen Eiweissminimum.VIII 477
Czerny, Rohmilch als Säuglingsnahrung.XII 700
Pagron, Massotherapie. IV 251
Dagron, Le massage dans les maladies nerveuses. XI 652
Decker, Ueber die elektrolytische Kraft der statischen Elektrizität. IV 256
Deschamps, Un appareil de soutien cardiaque. III 187
Determann, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke . . VI 365
Pixon, M. D., The ovary as an organ of internal Sekretion. II 136
Ebstein, Die chronische Stuhlverstopfung in der Theorie und Praxis. IV 246
Edson, Ueber die Wichtigkeit der Ruhe für Tuberkulöse. X 592
Ehrlich, Die Reinigung des Obstes vor dem Genüsse. XI 648
Ekgren, Der Albumengehalt des Harnes der Nephritiker unter dem Einfluss der Massago XI 652
Eppler, Haushaltungskunde. IX 542
Erb, Winterkuren im Hochgebirge.VIII 481
Eulenburg, Ein lenkbares Gehrad. I 69
Festschrift zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. IX 544
Fibinger und Jensen, Uebertragung der Tuberkulose des Menschen auf das Rind VHI 486
Einsen, Die Bekämpfung des Lupus vulgaris.XII 709
Flesch, Zur Ernährungstherapie mit künstlichen Eiweisspräparaten. I 67
Flockemann, Zur Beeinflussung der Ausfallserscheinungen beiderseitig kastrierter
Frauen durch Ovarialpräparate. II 136
Fornet, Pathologie und Therapie der Obesität. UI 185
Fournier, Etiologie du tabes d’aprös un millier d’observations.XII 712
Foveau de Courmelles, Die Lichtbehandlung.VII 421
Foveau de Courmelles, Les lumiöres froides et refroides en thörapeutiquo ... IX 540
Frankenhäuser, Das Licht als Kraft und seine Wirkungen. IX 540
Freund, Die Verwendung der Spannungselektrizität zur Behandlung von Hautkrank¬
heiten . IH 192
Gardner, The dietic value of sugar. IV 247
Gaudenz, Ueber die Zerkleinerung und Lösung von Nahrungsmitteln beim Kauakt . IH 185
Gerhardt, Betrachtungen über Epidemieen in Kurorten. I 69
Gerhardt, Ueber Entfettungskuren. VI 362
Gilbert, Diabetesküche. IV 248
Goebel, Zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit. XI 655
Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie . IV 243
Grenet und Piquand, Traitement des anövrysmes du tronc brachiocöphalique par la
möthode de Brasdor et des anövrysmes en gönöral par les injections sous*
cutanöes de gölatine... . XII 711
Grub er, Einige Bemerkungen über Eiweissstoffwechsel. X 588
Haläsz, Ueber den Werth einiger neuerer Heilverfahren in der Ohrenheilkunde
(Pneumomassage, Hydropneumomassage, Lucae’sche pneumatische Sonde) . . IX 543
Hamburger, Osmotischer Druck und Jonenlehre in den medicinischen Wissenschaften X 598
Hamm, Die Behandlung des chronischen trockenen Mittelohrkatarrhs durch Sitzungen
in der pneumatischen Kammer.VHI 482
Hart, The curative effect of the x rays on callous sinuses of the abdominal wall. . XII 707
Hartogh und Schümm, Zur Frage der Zuckerbildung aus Fett. X 590
Hedou, Sur la transfusion, aprös les hömorragies, de globules rouges purs en Suspension
dans un sörum artificiel. VI 368
Heim, Die Behandlung der kroupösen Pneumonie im Kindesalter. XI 650
Heim, Die nervöse Schlaflosigkeit, ihre Ursachen und ihre Behandlung.XII 711
Heller, Ueber die Tuberkuloseinfektion durch den Verdauungskanal.VHI 486
Hellmer, Das Sandbad (Arönation). IH 188
Hellmer, Das Luftbad. IV 253
Hensay, Ueber die Speichel Verdauung der Kohlehydrate im Magen. XI 650
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X
Inhaltsverzeichnis.
Heft Seite
Herz, Handbuch der Heilgymnastik. XH 701
Hirsch, Beitrag zur Organotherapie. Sperminum Poe hl. XI 655
Hirschler und v. Terray, Lehrbuch der Diätetik.Vn 418
Hoffa, Die experimentelle Begründung der Sehnenplastik. V 307
Hübscher, Scheerenförmige Redressionsapparate mit elastischem Zug. V 307
Jacob, Gymnastik. XI 651
Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose Bd. II . IX 541
Jacobi, Elektrotherapie. III 191
Jaquet, Höhenklima und Blutbildung..VH 420
Jaquet und Stähelin, Stoffwechselversuche im Hochgebirge.VUI 481
Jaquet und Svenson, Zur Kenntniss des Stoffwechsels fettsüchtiger Individuen . . V 306
lde, Ueber den Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Nordseeklima . . . XII 703
Jellinek, Elektrizität und Chloroformnarkose. I 71
J eil ine k, Animalische Effekte der Elektrizität. VI 366
Immelmann, Ueber die Verwendung der Röntgenstrahlen in der Medicin.XII 706
Ishewsky, Ueber die Wirkung des wechselnden elektromagnetischen Feldes auf den
Organismus. V 309
Judson, Ueber Stützapparate bei Rückgratsverkrümmung. VI 363
Jürgensen, Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, mit besonderer Berück¬
sichtigung der Therapie. IX 542
Kalmar und Bagarus, Versuche über die Heilung der Epilepsie nach Toulouse und
Richet. X 590
Kaufmann, Ueber den Werth methodischer Tiefathmungen, insbesondere bei See¬
krankheit . II 134
Kelynack, The relation of alcoholism to tuberculosis.XU 710
Keravorthey, The use of suprarenal capsule in haemoptysis. I 72
Kennedy, Ueber die Wiederherstellung koordinierter Bewegungen und Nervendurch¬
schneidung . IX 537
Knuth, Einiges über südamerikanische Fleischkonserven. IV 247
Königstein, Ueber Belastungstherapie.VIU 480
Kövesi, Ueber den Eiweissumsatz im Grcisenalter. I 68
Korczynski, Ueber den Einfluss der Gewürze auf die Magenthätigkeit. V 305
Koväcs, Experimentelle Beiträge über die Wirkung von Sauerstoffinhalationen . . VII 420
Kraft, Die Röntgenuntersuchung der Brustorgane.VHI 484
Krause, Ersatz des gelähmten Quadriceps femoris durch die Flexoren des Unterschenkels XI 653
Krawkow, Ueber das Vorkommen von Pentosen im thierischen Organismus und über
Ursprung der Pentosurie.XII 696
Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen. H 135
Krebs, Elektrisches Glühlicht und innere Infektion.VHI 485
Krikortz, Le massage. XI 651
Krüger, Zur quantitativen Pepsinwirkung.VHI 477
Krüger, Weitere Beobachtungen über die quantitative Pepsinverdauung.VIII 478
Krukenberg, Ueber die Behandlung des Erysipels im rothen Zimmer.VIII 484
Kruse, Krebs und Malaria.XII 710
Kulisch, Ueber Kystrokopie.VH 424
Lancashire, The therapeutic employment of x rays. X 597
Laquer, Bemerkungen zur physikalischen und suggestiven Behandlung der nach Un¬
fällen auftretenden Neurosen. VI 364
Laquerriöre, De l'impuissance sexuelle et de son traitement ölectrique. X 595
L arg er, Faits nouveaux relatifs ä Taction de l’höröditö et de la dögönörescence en ob-
stötrique. X 597
Laumonier, Facteurs de la eure marine. II 135
Laumonier, La gymnastique des petits enfants. IV 251
Laumonier, Des laits artificiels. V 306
Lazarus, Die Bahnungstherapie der Hemiplegie. X 592
Lebbin, Der Nährwerth der Hühnereier.XH 695
Legrand, Le bain froid dans un cas grave de pneumonie double. I 70
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Inhalts verzeichniss. XI
Heft Seite
Lehmann und Voit, Die Fettbildung aus Kohlehydraten . IX 535
Lupine, La lövulosurie alimentaire dans ses rapports avec les affections du foie . . IV 246
Lupine, Le euere dans l’alimentation. V 304
Lepine, Sur Texistence de leucomaines diabötogönes. X 600
v. Leyden, Die Behandlung des Scharlachs mit Rekonvalescentenserum. I 72
Loebel, Prinzipien und Indikationen der maschinellen Heilgymnastik. IV 252
Loewenfeld, Ueber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke. IV 254
Loewenthal, Ueber Wärme als Heilmittel. VI 364
Loe wy und Pi ckardt, Ueber die Bedeutung reinen Pflanzeneiweisses für die Ernährung I 67
Löwy, Ueber die therapeutische Anwendung erhitzten Kohlensäuregases. XI 654
Loimann, Ueber die lokale Anwendung von Kohlensäure bei Menstruationsstörungen XI 654
Lorenz, Ueber die Behandlung der Knieankylosen mittels des modellierenden Re¬
dressements . III 186
Lovett, The mechanics of lateral curvature as applied to the treatment of severe cases III 187
Lusk, Ueber Phloridzindiabetes.VIII 477
Lüthje, Ueber die Wirkung von Salicylpräparaten auf die Harnwege, nebst einigen
Bemerkungen über die Genese der Cylinder und Cylindroide. X 600
Machtzum, Zur Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus. XI 653
Martin?, Zur Frage der Milchversorgung grösserer Städte V 305
May or, La gastörine. V 304
Mc Kenzie, Suprarenal gland extract in the epistaxis of haemophilia. I 72
Meffert, Beitrag zur hydriatischen Behandlung der beginnenden Lungentuberkulose
im Hause. II 135
Meissen, Beiträge zur Kenntniss der Lungentuberkulose. V 312
Metzger, Ueber den Einfluss von Nährklysmen auf die Saftsekretion des Magens . . III 183
Meyer, Deutscher Kalender für Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger auf das
Jahr 1902 IV 245
v. Mikulicz und Tomasczewski, Orthopädische Gymnastik gegen Rückgrats¬
verkrümmungen . X 592
Mladejovsky, Ueber eine neue Entfettungsmethode.VIII 478
Moreigne, Ueber die Wirkung der Abführmittel auf die Ernährung. VI 361
Moritz, Studien über die motorische Thätigkeit des Magens. X 589
Morris, The Symptoms and treatment of moveable kidney ..VIII 479
Morris und Dove, Furth er remarks on Finsen light and x ray treatement in lupus
and rodent ulccr .. X 597
Müller, Beiträge zur Kenntniss des Mucins und einiger damit verbundener Eiweissstoffe II 132
Müllejr, Experimentelle Beiträge zur Eisentherapie. III 183
Müller, Heilung eines Falles von Tetanus nach Duralinfusion von Tetanusantitoxin . XI 656
Munter, Die Hydrotherapie der Lungentuberkulose. VI 364
Munter, Die Hydrotherapie der Tabes.XII 705
Muraty L’lle de Djerba, Station d’hiver. V 308
Murphy, Körperliche Ucbung bei der Behandlung der Lungentuberkulose. IX 537
Neuburger, Die Anschauungen über den Mechanismus der spezifischen Ernährung
(das Problem der Wahlanziehung)..VIII 478
Neumann, Die Wirkung des Saccharins auf den Stickstoffumsatz beim Menschen . . V 304
Neumann, Die Wirkung des Alkohols als Eiweisssparer. XI 649
v. Noorden, Ueber das elektrische Vierzellenbad (System Schnöe). I 70
v. Notthaft und Kollmann, Die Prophylaxe bei Krankheiten der Hamwege und
des Geschlechtsapparates (des Mannes).VII 424
Oppenheimer, Ueber das Verhältniss des Nahrungsbedarfes zu Körpergewicht und
Körperoberfläche bei Säuglingen. IX 535
Oppenheimer, Ueber Säuglingsernährung durch unverdünnte Milch. XI 649
Orlowsky, Die Bedeutung der Lehre von der Selbstvergiftung des Körpers für die
innere Pathologie und insbesondere für die Pathogenese der Urämie.XII 695
Orlowsky, Die Blutalkalescenz unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen XH 695
Paravicini, Selbstmassage im lauen Bade. IX 537
Partsch, Seekrankheit und was dagegen zu thun. X 593
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Inhaltsvcrzeichniss.
XII
Hoffc Seite
Pavy, Uebcr experimentelle Glykosurie. IV 248
Perwow, Das Verhältniss der Morbidität an einigen Infektionskrankheiten zu dem
Stande der Boden- und Lufttemperatur. III 189
Potts, Ankylotic rigidity of the spine (Rhizomölique spondylosis) much improved by
the use of hot air.XII 704
Prausnitz, Ueber das Verhalten von Fleisch und Fleischpräparaten im menschlichen
Organismus. X 588
Preiss, Zur Frage über die Beschaffenheit der sibirischen Kuhbutter vom chemisch¬
hygienischen Standpunkte.XII 699
Prochownik, Ueber Ernährungskuren in der Schwangerschaft. XI 648
Prevost und Batelli, Einfluss der Ernährung auf die Wiederherstellung der Herzkraft XII 700
Quinke, Ueber Schlaflage und Bettlage überhaupt. I 68
Rahner, Zur Epidemiologie und Aetiologie des Keuchhustens.VII 423
Ransom, F. R. C. P., Should milk be boiled?. X 589
Raymond, Hysterie und Delirien. Gefahren des Hypnotisierens durch Laien ... X 598
Rögnier, Radiothörapfy et photothörapie. IV 256
RÖgnier und Didsburg, Nouveau proeödö d'analgesie des dents ä l’aide de röleetricitö VII 422
Reichard, Funktionsherstellung durch Sehnen Verpflanzung. VI 363
Reichs-Medicinal-Kalender 1903 .VII 423
Rieder, Nochmals die bakterientötende Wirkung der Röntgenstrahlen. VI 366
Riegler (Jassy), Eine einfache gasvolumetrische Bestimmungsmethode der Chloride
und Phosphate im Harne. X 599
Robin, Considörations sur le rögime des albuminuriques. III 185
Rost*s Vibrationsapparat für Heilgymnastik. VI 364
Roth, Klinische Terminologie. IV 245
Roth, Vorläufige Mittheilung über Versuche zur Lösung der Frage eines portativen
Detorsions- und Redressionskorsetts für Skoliosen aller Arten. V 307
Roth, Zöllnergedanken über Heilkunst — auch für Pharisäer.VIII 487
Rubner, Ueber die Wirkung der Borsäure auf den Stoffwechsel des Menschen ... XI 648
Sachs, Ueber das Verhalten der Glykogenbildung ausserhalb der Leber nach Lävu-
losezufuhr. VI 361
Sack, Ueber das Wesen und die Fortschritte der Fin8en , sehen Lichtbehandlung . . VIII 486
Salvant, Kaltwasserbehandlung des febrilen Delirium tremens. X 593
Saundby, Non diabetic glycossury. HI 183
Sarbö, Zur Behandluug der tabischcn Ataxie. H 133
Schaefer, On cert&injpractical applications of extract of suprarenal medulla .... I 72
v. Schenckendorff und Schmidt, Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele .... IX 536
Schiff, Therapeutische Anwendung der Röntgenstrahlen bei Haarerkrankungen. . . V 310
Schilling, Taschenbuch über die Fortschritte der physikalisch-diätetischen Heilmethoden VIII 478
Schilling, Die Verdaulichkeit der Speisen.XII 698
Schlesinger, Aerztliches Handbüchlein für hygienisch-diätetische, mechanische und
andere Verordnungen. IV 250
Schloss, Ueber den Einfluss der Nahrung auf den Verlauf der Epilepsie. IV 249
Schmidt, Einige Bemerkungen über die Gährungs- und Verdauungsprobe der Fäces,
sowie über den Nutzen der Probediät für die Untersuchung Darmkranker I 68
Schmidt, Ueber diaphoretisches Heilverfahren bei Osteomalacie. V 308
Schmidt, Unser Körper.XII 701
Schneider, Schneeschuh und Rennwolf und ihr praktischer Gebrauch. I 69
Schottelius, Versuche über Fütterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern . . . VIH 486
Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung .... II 133
Schreiber und Hagenberg, Zur Lehre vom Aderlass.VHI 487
Schroeder, Zum Vorkommen der Eutertuberkulose bei der Ziege.VH 423
Schüle, Die Bestimmung der motorischen Thätigkeit des menschlichen Magens. . . VII 417
Schulthess, Bericht über die Behandlung der Rückgrats verkrümm ungen vom
1. Januar 1895 bis 31. Dezember 1900 . IH 187
Schultze, Ein einfacher orthopädischer Tisch. IV 252
Schulz, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungers H 132
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r/i r/j
Inhalts verzeichniss
XIII
Heft Seite
Schumann-Leclerq, Uebcr die Aasseheidung der Aetherschwefelsäure bei konstanter
Kost unter dem Einfluss von Karlsbader Wasser, Karlsbader Salz, Wasser, Bier XII 693
Schürmayer, Die Photographie bezw. Mikrophotographie in der ärztlichen Praxis . VII 421
Schwerin, Der Zusammenhang zwischen der Morbidität und den meteriologischen Er¬
scheinungen. III 189
Siegert, Erfahrungen mit der nach v. Düngern gelabten Vollmilch bei der Ernährung
des gesunden und kranken Säuglings.XII 695
Silber, Zur therapeutischen Verwendung der Wärme mit besonderer Berücksichtigung
der Fangobehandlung. IX 538
imon, Eine neue rationelle Methode zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht . . VIII 488
imon, Beitrag zur Kenntniss der Eiweisskörper der Kuhmilch.XII 698
Sjögren et Sederholm, Valeur thörapeutique des rayons de Röntgen dans les
dermatoses. X 595
Speck, Abkühlung, Lichtwirkung und Stoffwechselbeschleunigung.VIII 483
Spie waczewsky, Die Schwankungen in der Menge der atmosphärischen Niederschläge
und die Morbidität an der Grippe. III 189
Starke, lieber den Einfluss des Milieus, insbesondere der anorganischen Substanzen,
auf Eigenschaften von Eiweisskörpem. X 589
Steiner, Wie die Javanen narkotisieren. V 311
Steinhardt, Ueber Magenausspülungen im Kindesalter. IV 247
Stern, Some observations on the relation of the alkalescence of the blood to the urinary
reaction. X 599
Stifler, Ueber Herzheilbäder. III 188
Strasser, Zur Frage der Milchkuren bei Diabetes. VI 363
Strebel, Die praktische Ausübung der Lichttherapie und das lichttherapeutische
Instrumentarium. . IX 540
Strebei, Die Verwendung des Lichtes in der Therapie.XII 707
Svenson, Stoff Wechsel versuche an Rekonvalescenten. III 184
S wales, Two cases of lupus vulgaris succesfully treated with urea pura and the x rays X 594
Szabö, Ueber die chemische Reaktion des Mundspeichels. V 305
Szegö, DispOBitionskatarrhe der Kinder und deren Behandlung. V311
Thomas, Notiz über den Gebrauch grosser Dosen von Diphtherieserum. VI 367
Thompson , Bart F. R. C. S., M. B. Lond., Diet in relation to age and activity . . II 130
Tittel, Versuche über die Verwendbarkeit des Fleischsaftes Puro. VI 362
Török und Schein, Die Radiotherapie und Aktinotherapie der Hautkrankheiten. . XII 709
Ullmann, Ueber die Heilwirkung der durch Wärme erzeugten lokalen Hyperämie auf
chronische und infektiöse Geschwürsprozesse. III 188
Vernay, Traitement de la növralgie de la face par les courants galvaniques. ... IV 255
Vierteljahreschrift für öffentliche Gesundheitspflege. IX 544
Voit, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungers . I 66
Volt, Die Bedeutung des Körperfettes für die Eiweisszersetzung des hungernden Thieres I 66
de Vries, The advantages of the pneumatic cabinet or differentiator in the treament
of phthisis pulmonalis . V 307
Vulpius, Zur Behandlung der Kontrakturen und Ankylosen des Kniegelenkes ... II 133
Walsham, On the ultra-violet light from a rapid oscillation high tension arc, for
the treatement of skin diseases. X 597
Walsham, Das von einem Hochspannungsbogen mit schnellen Schwingungen er¬
zeugte Licht zur Behandlung von Hautkrankheiten.XH 707
Waldvogel, Der Stoffwechsel im Gichtanfall. IX 535
Walger, Therapie mit spezifischem menschlichem Rekonvalescentenblutserum bei akuten
Infektionskrankheiten. VI 367
Weber und Hinsdale, Health resorts — Mineral springs. IX 538
Wegele, Die diätetische Küche für Magen- und Darmkranke. IV 248
Weiner und Matt, Praktische Hydrotherapie. IX 537
Weiss, Ueber den Einfluss von Alkohol und Obst auf die Hamsäurcbildung . . . VII 418
Weisz, Ueber die Gicht.VH 418
Whigtman, Hot air as a therapeutic agent. IV 253
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Inhal tsverzeichniss.
XIV
Willians, Somc cascs of cancer trcated by the x rays.
Winckler, Ueber Schwefelwasser und Hautkrankheiten.
Winkler, Die elektrostatische Behandlung der Hautkrankheiten.
Winternitz, Ueber die Wirkung verschiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, Kohlen¬
säurebäder u. 8. w.) insbesondere auf den Gaswechsel.
Wittgenstein, Physikalisch-diätetische Behandlung der Magenkrankheiten in der Praxis
Wood, The serura test for blood.
Zanictowski, Versuche über Vollaisadon.
Zeehuisen, Beitrag zur Mechanotherapie.
Zibell, Warum wirkt Gelatine hämostatisch?.
Zikel, Lehrbuch der klinischen Osmologie als funktionelle Pathologie und Therapie .
Heft Seite
V 310
III 190
I 71
X 694
VII 417
XI 656
VII 421
II 133
IX 543
X 598
Namenregister der Mitarbeiter (Autoren und Referenten).
(Die Seitenzahlen der Originalarbeiten sind fett gedruckt.)
Bailand 302.
Bauermeister 564. 028.
Beerwald 232.
Bein 538.
Bial 182.
Block (Hannover) 551.
Block (London) 252. 367. 479. 589. 702.
Blumenthal 600.
Bolle 854.
Büdingen 272.
Buschan 311. 590. 704.
Buttersack 418. 478. 487. 488.
Cowl 310. 310. 366. 366. 421. 484. 594. 595. 595.
Cronheim 25. 92.
Determann 70. 134. 135. 187. 308.
Diehl 690.
du Bois-Rcymond 69. 185.
Dworetzky 189. 296
;. 309.
407.
687.
695.
096.
Edel 502.
Engelmann 659.
Forchheimer 188.
190. 253.
365.
421.
480.
481. 482. 543.
593.
707.
Frankenhäuser 52.
310.
366.
421.
422.
483.
485. 595. 696.
706.
Freudenthal 195.
Freyhan 184. 648. 648. 649. 710.
Friedländer 537. 537. 537. 592. 593.
Fürst 623.
Gerhardt 66. 132. 132. 361. 361. 361. 362.
477. 477. 477. 478. 535. 535. 536. 588.
588. 589. 589.
Grube 75« 334»
Grünbaum 439«
Heiberg 526.
Hirschei 189. 245. 247. 251. 311. 423. 649.
650. 695. 695. 706. 710.
Hoffa 315.
Hönig 185. 250. 305. 305. 418.
Jacob 55. 186. 245. 250. 256. 312. 486.
536. 538. 542. 544. 656. 701. 701. 709.
lacobäus 385.
Ide 119.
Kohnstamm 591. 592.
Kouindjy 17. 82.
Kövesi 418.
Krebs 371.
Kuthy 513.
Laquer 453.
Laqueur 58. 135. 188. 188. 211. 252. 253.
307. 307. 308. 308. 363. 364. 364. 483.
594. 599. 654. 702. 705.
Lazarus 115. 133. 133. 186. 245. 307. 307.
307. 362. 363. 363. 364. 653. 653. 656.
Lemke 591. 652.
Lewandowsky 72. 136. 247. 650. 698. 710. 710.
v. Leyden 655.
Lichtenstein 119. 134. 543. 712. 712.
Linow 251. 252. 364. 651. 652.
Lippert 254.
Loebel 898.
Loewenthal 211.
Loewy 70. 365. 420. 420. 600.
Lots 135.
Mamlock 357. 368. 520. 656.
Mann 71. 71. 191. 191. 192. 255. 255. 256.
413. 466.
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Inhal tsverzeichniss.
XV
Marcuse (Breslau) 247. 304. 304. 305. 305.
363. 366. 418. 423. 599. 650. 693.
Marcuse (Mannheim) 61. 123. 125. 158. 170.
175. 184. 234. 237. 459. 484. 485. 486.
537. 540. 540. 540. 541. 544. 547. 593-
645. 651. 654. 654. 694. 705. 709.
Martin 289. 542.
Matth es 243.
Mayer 371.
Menzer 209.
Meyer 367. 634. 655. 656.
Michaelis, L. 528. 577.
Moritz 427.
Morr 280.
Müller 25. 92.
Obersteiner 598. 598.
Ostertag 422.
Paravicini 586. 703.
Plaut 246. 306. 478. 698. 699. 699.
B. 72. 182. 303. 423. 478.
Rautenberg 491. 571.
Reich 680.
Richter 45. 245. 304. 310. 424. 424. 598.
Rosenfeld 223. 249. 367. 700.
Rosin 68. 69. 69. 70. 133. 134. 254. 711.
Rossnitz 294.
Roth 166.
Rüge 145.
Sadger 672.
Schaper 5.
Schilling 185.
Schlesinger 259. 339.
Schmidt 597. 597.
Schottelius 139.
Sternberg 467.
597.
707.
707.
Strauss 67. 183.
246.
248.
248.
248.
417.
417. 487. 535.
700.
Ullmann 603.
Telten 618.
Voit 67. 68. 68.
68.
133.
183.
306.
361.
361. 648.
Vulpius 187. 187.
252.
592.
Waldschmidt 530.
Walko 328.
Weber 131.
Wegele 249.
Weinberger 429.
Weintraud 420. 481. 590.
Weis 136.
Wendriner 228.
Zinn 66. 67. 183 361. 362.
Zuntz 69. 597.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 1 (April).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
Seite
Vorrede zum 6. Bande.3
I. Original-Arbeitern
I. Die Krankenkost und die Köche der CharitÖ. Von Dr. H. Sch aper, Generalarzt und
Geheimer Obermedicinalrath, ärztlicher Direktor der Charitö. Mit 6 Abbildungen . 5
II. Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrankheiten.
Von Dr. P. Kouindjy in Paris, Hospice de la Salpdtriöre. Clinique des maladies
nerveuses du Professeur Raymond. Mit 4 Abbildungen.17
III. Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berücksichtigung
des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiol. Laboratorium der
Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz). Von
Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller.25
IV. Klinik und physikalische Chemie. Von Dr. P. F. Richter in Berlin.45
II. Kleinere Mittheilungen.
I. Ueber einen neuen Vereuch zur Einführung des Magneten in die Therapie. Von
Dr. F. Frankenhäuser, Assistenten der medicinischen Universitätspoliklinik in Berlin 62
II. Ein fahrbarer Krankenhebeapparat und eine fahrbare, zusammenlegbare Badewanne. Von
Dr. Paul Jacob, Privatdozent, Oberarzt an der I. med. Universitätsklinik in Berlin.
Mit 2 Abbildungen.55
HL Berichte über Kongresse und Vereine.
I. Bericht über die Sitzung der Gesellschaft der Charitöärzte vom 27. Februar 1902. Von
Dr. A. Laqueur in Berlin.58
II. Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft in Stuttgart
vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.61
Determann (St Blasien) und Schröder (Schömberg), Ueber die Wirkungen des
Höhenklimas auf den Menschen.61
v. Grützner (Tübingen!, Ueber den Mechanismus der Magenverdauung.64
Pariser (Homburg), Zur Lehre von der Atonie des Magens.65
Koppe (Giessen), Der Salzhunger. 65
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernähmngstherapie).
Voit, Die Bedeutung des Körperfettes für die Eiweisszersetzung des hungernden Thieres. . 66
Voit, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungems ... 66
Binz, Die Wirkung des Destillats von Kaffee und Thee auf Athmung und Herz.66
Zeltochr. f. dllt u. phy&tk. Therapie Bd. VI. Heft 1. ]
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Inhalt.
2
Seit©
Flesch, Zur Eraährungstherapie mit künstlichen Eiweisspräparaten.67
Loewy und Pickardt, Ueber die Bedeutung reinen Pflanzeneiweisses für die Ernährung . 67
Bauch, Ueber periodisches Erbrechen.67
Kövesi, Ueber den Eiweissumsatz im Greisenalter.68
Schmidt, Einige Bemerkungen über die Gährungs- und Verdauungsprobe der Fäces, sowie
über den Nutzen der Probediät für die Untersuchung Darmkranker..68
v. Aldor, Ueber Kohlehydratstoffwechsel im Greisenalter und in Verbindung damit Unter¬
suchungen über Phloridzindiabetes. G8
B. Gymnastik.
Quinke, Ueber Schlaflage und Bettlage überhaupt.68
Eulenburg, Ein lenkbares Gehrad.69
Schneider, Schneeschuh und Rennwolf und ihr praktischer Gebrauch.69
Broden und Wolpert, Respiratorische Arbeitsversuche bei wechselnder Luftfeuchtigkeit an
einer fetten Versuchsperson..69
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Gerhardt, Betrachtungen über Epidemieen in Kurorten.69
Legrand, Le bain froid dans un cas grave de pneumonie double.70
Aron, Ueber Sauerstoffinhalationen.70
D. Elektrotherapie.
v. Noorden, Ueber das elektrische Vierzellenbad (System Schnöe).70
Winkler, Die elektrostatische Behandlung der Hautkrankheiten.71
J eil ine k, Elektrizität und Chloroformnarkose.71
E. Serum- und Organotherapie.
v. Leyden, Die Behandlung des Scharlachs mit Rekonvalescentenserum.72
Schaefer, On certain practical applications of extract of suprarenal medulla.72
Mc Kenzie, Suprarenal gland extract in the eplstaxis of haemophilia.72
Kernvorthey, The use of suprarenal capsule in haemoptysis.72
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3Va — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Vorrede zum 6. Bande.
Die Erwartungen, mit welchen wir vor 4 Jahren die »Zeitschrift für diätetische
und physikalischeJTherapiec begründeten, haben sich zu unserer Genugtuung erfüllt
Das Interesse für diesen Theil der Therapie hat sich bei den Aerzten gehoben; das
Gebiet ist durch zahlreiche Arbeiten erweitert und vertieft worden.
In kurzer Zeit hat die Zeitschrift erfreuliche Anerkennung und Verbreitung
gefunden, und, wir zählen unter unseren Mitarbeitern anerkannte Autoritäten Deutsch¬
lands und des Auslandes.
Wenn auch die Serum- und Organotherapie nicht eigentlich dem Gebiet der
physikalischen Therapie in der bisherigen Begrenzung angehören, so stehen sie der¬
selben doch näher als' der Pharmakologie. Die immer mehr emporwachsende
physikalisch-chemische Betrachtungsweise, deren Tragweite und Tragkraft noch nicht
sicher abzuschätzen ist, muss in der physikalischen Therapie gleichfalls eine Stelle
finden. Aus diesen Gründen halten wir uns verpflichtet, zukünftig auch in unserer
Zeitschrift den genannten Disciplinen eine breitere Vertretung zu gewähren, indem
wir einerseits Originalartikel aus diesen Gebieten veröffentlichen, andrerseits Be¬
sprechungen über die in anderen Zeitschriften publizierten Aufsätze bringen werden.
Entsprechend dieser Erweiterung der Aufgaben unserer Zeitschrift haben wir
eine Reihe hervorragender Fachmänner gebeten, sich den bisherigen Herausgebern
4er Zeitschrift hinzuzugesellen.
Es sind dies folgende Herren: Prof. Finsen (Kopenhagen), Prof. Marinescu
(Bucarest), Sir Felix Semon (London), Geh.-Rath Erb (Heidelberg), Generalarzt
Schaper (Berlin), Geh.-Rath Ehrlich (Frankfurt a. M.), Prof. v. Strümpell (Er¬
langen), Prof. Moritz (München), Prof. Litten (Berlin).
Ferner bringen’wir bereits in diesem Hefte einen Aufsatz von Dr. P. F. Richter,
welcher zur Darstellung bringen soll, wie die .neueren Forschungsergebnisse auf dem
Gebiete der physikalischen Chemie für die Praxis verwertbet werden können.
Schliesslich bemerken wir, dass gemäss dem erweiterten Programm die Zeit¬
schrift von jetzt an monatlich erscheint.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
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Original fro-m
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Original - Arbeiten,
I.
Die Krankenkost und die Küche der Charite.
Von
Dr. H. Sehaper,
Generalarzt und Geheimer Obermedicinalrath, ärztlicher Direktor der Charite.
Der freundlichen Aufforderung der Redaktion, einen Ueberblick über die Er¬
nährung der Kranken in der Charite zu geben, und dabei unsere neuen Küchen¬
einrichtungen zu besprechen, komme ich um so lieber nach, als gerade mit durch die
Bemühungen Ernst v. Leyden’s die Ernährung der Kranken zu einem Hauptfaktor
in der Therapie gemacht worden ist. Unsere Anschauungen hierüber haben sich in
den letzten 30 Jahren nicht weniger, als auf allen anderen Gebieten der ärztlichen
Kunst und Wissenschaft geändert. Früher hielt man für die Heilung einer grossen
Zahl von Krankheiten eine Unterernährung für vortheilhaft; alle fiebernden Kranken,
namentlich auch Phthisiker, erhielten eine sehr knappe Diät, und Bärensprung’s
antiluetische Kuren waren im wesentlichen Entziehungskuren. Man glaubte, dass
durch die Zittmann’schen Dekokte und die Hungerkost zugleich mit dem Säftezerfall
auch ein Zerfall des die Krankheit verursachenden Virus bewirkt würde. Im geraden
Gegensatz zu jenen Anschauungen legen wir heute den grössten Werth darauf, durch
möglichst reichliche Kost dem Kräfteverfall vorzubeugen, die Genesung zu befördern
und ganz besonders bei denjenigen Krankheiten, welche mit bedeutendem Stoff¬
verbrauch verbunden sind, den Kräfteverlust so schnell und so vollständig zu er¬
setzen, dass die Kranken bei der Entlassung wieder einigermaassen arbeitsfähig sind.
Bekanntlich wird, um die Diätverordnung zu erleichtern, die Kost nach be¬
stimmten Formen verschrieben, und ich lasse hier die in der Charitä seit dem Jahre
1892 gebräuchliche Vorschrift für die Diätformen folgen:
Diätformen der Charitd.
Form
Morgens
and
nachmittags
Mittags
Abends
Für den ganzen Tag
Es sind ohne
besondere Ge¬
nehmigung der
Direktion Extra¬
verordn ungen
zulässig
! i/ s 1 Milch¬
kaffee
1 1 Gemüse und
Vs Pfund Fleisch
1 1 Suppe
1 Pfund grobes Brot
und eine Semmel
zwei.
3500 Kal.
V» 1 Milch¬
kaffee
Va 1 Gemüse und
1/3 Pfund Fleisch
Va 1 Suppe
3 / 4 Pfund grobes Brot
und eine Semmel
zwei.
2600 Kal.
niA |
V* 1 Milch¬
kaffee
Vs 1 Bouillonsuppe
| 1/2 1 Suppe
Vs Pfund feines Brot
oder zwei Semmeln
vier.
2000 Kal.
HIB
i/s 1 Milch¬
kaffee
Vs 1 Bouillonsuppe,
1 / 4 1 Gemüse,
Vs Pfund Fleisch
^ 1/2 1 Suppe
V 2 Pfund feines Brot,
oder zwei Semmeln,
oder zwei Zwiebäcke
drei.
2000 Kal.
IV
i/t 1 Milch¬
kaffee
V 4 1 Bouillonsuppe
1/4 1 Suppe
Eiue Semmel
oder zwei Zwiebäcke
eine.
1000 Kal.
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Original frorn
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6
H. Schaper
Als Extraverordnungen können verschrieben werden:
1. Mittels Diätbogens:
1/7 1 spanischen SSsswein.
Vs 1 Bouillon und i/ a Ei dazu.
V*1 Weissbier.
Vs 1 Haferschleim.
90 g Backpflaumen.
80 g Schinken.
80 g gehacktes rohes Rindfleisch.
1/7 1 Sherry.
1 / 10 1 Kognak.
1 / 10 1 Rum.
II. Nur auf Grund besonderer Anträge werden verabfolgt:
Kaffee in Bohnen, Thee, Heringe, Speck, Kakao, sowie Mehrforderungen der unter I genannten
Nahrungs- und Genussmittel.
Im Durchschnitt werden für jeden Kranken täglich drei Extraverordnungen verabreicht.
80 g Milchbrot, 2 Zwiebäcke.
250 g Weissbrot.
40 g Butter.
80 g Kalbsbraten oder Kotelette.
2 Eier.
I Citrone.
35 g Zucker.
I I Müch.
1 Flasche Bayrisch Bier.
V 7 1 französischen Rothwein.
Man hat nun in dem Kalorieenwerth der einzelnen Formen einen sehr brauch¬
baren Anhalt für deren Beurtheilung. Sehen wir uns die Formen daraufhin etwas
näher an, und zwar zunächst unter Fortlassung aller Extraverordnungen, so entspricht
ungefähr:
die I. Form = 3102,6 Kalorieen, die III. Form B = 1260,6 Kalorieen,
» II. » = 2122,6 » » IV. t> = 505,3 t>
» HL » A = 803,6 »
Durch den Zutritt der Extraverordnungen wird der kalorimetrische Werth der ver¬
schiedenen Formen je nach Bedarf zu der Höhe, die man braucht, gesteigert. Die
in der Kegel zu den beiden ersten Formen hinzugefiigten Extraverordnungen,
nämlich: Schinken mit 112,8 Kalorieen, Butter mit 325,6 Kalorieen, erhöhen obige
Zahlen für die I. Form auf 3541, für die H. Form auf 2561, sodass also jene selbst
das Nahrungsbedürfniss eines kräftig arbeitenden Mannes befriedigen kann, während
diese einer mittleren Arbeitsleistung entspricht.
Die beiden Arten der HI. Form bilden die eigentliche Kranken - und Re¬
konvaleszentenkost; die Form IIIA unterscheidet sich von HIB dadurch, dass ihr
das gekochte Fleisch mit Gemüse fehlt, dafür können ihr aber innerhalb des Diät¬
bogens vier Extra Verordnungen hinzugefügt werden, während bei IIIB nur drei
möglich sind. Schon hierdurch kann man den Kalorieenwerth der Kost so steigern,
dass sie den Bedarf im Bette liegender Kranker vollauf deckt. Setzen wir z. B. zu
IUA hinzu: 1 Braten = 102,1, 1 Butter = 325,6, 1 Brot = 605, 1 Milch =
590 Kalorieen, so erhält der Kranke im ganzen 2425,6, und wenn ihm statt der
Milch Wein gereicht wird, so erniedrigt sich die Zahl auf etwa 1925 Kalorieen. Bei
der Form HIB haben wir ohne Extra Verordnungen 1260,6 Kalorieen; fügen wir
beispielsweise die drei Zulagen: Milch, Butter, Eier hinzu, welche einen Kalorieen¬
werth ven 1057,5 repräsentieren, so erhöht sich jene Zahl auf 2318,1, ein sehr reich¬
liches Kostmaass, wenn es sich um die Rekonvaleszenz von Krankheiten handelt,
welche nicht mit einem abnorm hohen Gewebszerfall einhergehen.
Die IV. Form wird jetzt überhaupt nicht mehr verordnet; mit der gewöhnlich
dazu gereichten Extraverordnung von 1 1 Milch steigerte sich die oben für sie an¬
gegebene Kalorieenzahl von 503,3 auf 1095,3. Früher bildete sie vorschriftsmässig
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Die Krankenkost und die Küche der Charitä.
7
den Anfang jeder Diät Verordnung, bis diese von dem behandelnden Arzte bestimmt
werden konnte, während jetzt, wie nachher geschildert werden wird, Anordnungen
getroffen sind, welche gestatten, jeden Kranken gleich in die regelmässige Diät auf-
zuuehmen. Wir lassen nur deshalb die vier Formen in der bisherigen Weise weiter
bestehen, weil sie seit Jahrzehnten eingebürgert sind und Aenderungen gerade hier
leicht Verwirrung anrichten.
Der Kalorieenwerth der Kost bietet natürlich, wie schon erwähnt worden, nur
einen allgemeinen Anhalt für ihre Beurtheilung; im einzelnen Falle muss man je
nach dem Bedarf nach der einen oder anderen Richtung den Kalorieenwerth erhöhen.
Einige Beispiele werden dies am besten veranschaulichen:
Ein junger Mann von 60 kg Körpergewicht, der an vorgeschrittener Lungentuberkulose
leidet, dauernd im Bette liegt, noch gesunde Verdauungsorgaüe hat, soll eine Ueberernährung
erhalten; es werden ihm bei der Form IIIB auf dem Diätbogen drei Zulagen verordnet:
Eier, Butter, Zucker, und mit besonderem Anträge noch 2 Eier, 1 1 Milch, 1 h 1 Wein.
Diese Diät entspricht einem Kalorieenwerthe von 2769,83, so dass der Mann pro Kilo¬
gramm Körpergewicht 46,16 Kalorieen erhält, und die Zunahme des Körpergewichts und
die Hebung des Allgemeinbefindens beweisen, dass dies Kostmaass ein den Anforderungen
vollkommen genügendes ist.
Ein anderer Kranker, welcher leicht an tuberkulöser Affektion einer Lungenspitze er¬
krankt, ausser Bett und in günstigerem Ernährungszustände ist, erhält bei 57 kg Körper¬
gewicht dieselbe Form mit den drei Extraverordnungen: Butter, Brot, Rindfleisch, dazu
auf besonderen Antrag Bier. Seine Diät bewerthet sich auf 2623,3 Kalorieen, so dass
pro Kilogramm Körpergewicht 46 Kalorieen zugeführt werden; diese Diät bekommt dem
Kranken gut, denn er nimmt durchschnittlich täglich 25 g an Körpergewicht zu.
Ein junger Mann von 59 kg Körpergewicht mit doppelseitiger tuberkulöser Spitzen¬
affektion und chronischer Albuminurie, fast dauernd ausser Bett, erhält bei III Form B
sechs Zulagen: Butter, Eier; Kotelette, Milch, Speck und Brot, im ganzen 3729,6 Kalorieen,
also 63,3 pro Kilogramm Körpergewicht; erst durch diese reichliche Kost gelingt es, sein
Allgemeinbefinden zu heben, wobei sein Körpergewicht durchschnittlich täglich um 35,7 g
zu nimmt.
Bei anderen Kranken gelingt dies früher, so z. B. wird bei einem jungen Kaufmann
mit demselben Leiden, bei 53 kg Körpergewicht, der III. Form B mit Milch, Eiern, Butter
= 2215,7 Kalorieen, also nur 41,8 pro Kilogramm Körpergewicht, schon eine tägliche
Gewichtszunahme von 72,7 g erzielt.
Wo es möglich war, die diätetischen Kuren längere Zeit fortzusetzen, wurden nicht
selten bei leichteren Phthisen ausserordentlich günstige Erfolge erzielt, so z. B. bei einem
Kranken der II. medicinischen Klinik, welcher am 7. Juli 1901 in sehr heruntergekommenem
Zustande mit einem Körpergewicht von 68,5 kg aufgenommen wurde. Er erhielt anfäng¬
lich gemischte Kost mit einem Nährwerth von etwa 1800 Kalorieen, welcher nach und
nach auf 2900 gesteigert, dann wieder etwas vermindert und schliesslich dauernd auf
circa 2600 gehalten wurde. Der Kranke ist noch in Behandlung und hat vom Juli 1901
bis Januar, also in sieben Monaten, über 40 Pfund zugenommen, er wiegt jetzt 79,2 kg.
Bei leichteren Krankheiten sind durch fast ausschliessliche Ernährungstherapie natür¬
lich öfter in weit kürzerer Zeit ähnlich günstige Erfolge gewonnen; aus der sehr grossen
Zahl führe ich nur einige besonders eklatante Fälle an, welche alle auf der I. medicinischen
Klinik behandelt worden sind. Die ersten Kranken, drei chlorotische Dienstmädchen in
jugendlichem Alter, erhielten alle IIIB mit drei Zulagen, und hierzu noch, je nachdem sie
bei Appetit waren, 1—2 1 Milch, zeitweise auch V 2 I Sahne, so dass ihnen im ganzen
3000—3800 Kalorieen zugeftihrt wurden. Durch diese Diät wurden folgende Erfolge er¬
reicht:
1. F.W., 14 Jahre alt, am 25. November 1901 mit einem Körpergewicht von 50 kg
bei 35% Hämoglobingehalt aufgenommen, wurde am 14. Januar 1902 mit 54 kg Gewicht
und 76 % Hämoglobingehalt entlassen.
2. F. M., 15 Jahre alt, am 16. November 1901 aufgenommen, Körpergewicht 47,5kg,
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8
H. Scbaper
Hämoglobingehalt 30%; am 14. Januar entlassen, Gewicht 57,25 kg, Hämoglobingehalt
65 %; sie hatte also in zwei Monaten fast 20 Pfund zugenommen.
3. L. B., 16 Jahre alt, am 30. November 1901 mit einem Körpergewicht von 48,5 kg
bei 30 % Hämoglobingehalt aufgenommen, am 30. Dezember entlassen, Gewicht 56 kg,
Hämoglobingehalt 55%; sie hatte in vier Wochen 15 Pfund zugenommen.
4. Eine ähnliche Gewichtszunahme zeigte die ebenfalls wegen Chlorose aufgenommene
Telegraphistin M. K., welche am 31. Oktober 1901 in sehr entkräftetem Zustande mit 57,5 kg
Körpergewicht eintrat und bis zum 4.Dezember, in fünf Wochen, 15 Pfund zugenommen
hatte; sie wurde am 8. Dezember mit 65 kg Körpergewicht geheilt entlassen.
5. M. R., 22jähriges Kindermädchen, am 17. Dezember 1901 mit den Erscheinungen
eines Magengeschwürs nach vorausgegangenen starken Blutverlusten in sehr anämischem
Zustande aufgenommen. Das Körpergewicht betrug nur 44,8 kg, und da sie anfänglich
nichts bei sich behielt, so musste die Ernährung zuerst durch Klystiere erfolgen. Er¬
schwerend für den Uebergang zur Ernährung per os war die Einbildung, dass ihr nur
durch eine Operation geholfen werden könne; und erst durch die Aussicht, mit etwas
kräftigerer Kost für die bevorstehende Operation genügend vorbereitet zu werden, liess sie
sich dazu bewegen, etwas Milch zu nehmen, deren Mengen dann rasch gesteigert werden
konnten. Bald wurde es möglich, zu gemischter Kost von etwa 2500 Kalorieen Nährwerth
tiberzugehen, und am 15. Januar 1902 wurde sie mit 48,3 kg Körpergewicht geheilt ent¬
lassen.
Die Zuckerkranken erhalten in der Regel die Form HIA mit den für ihren Zustand
geeigneten vier Extraverordnungen im Diätbogen und dabei soviel Zulagen, als durch den
Zuckerverlust erforderlich werden. So erhält z. B. ein sehr heruntergekommener Diabetiker
der schweren Form (Urinmenge 4—7 1, Zuckergehalt 3,5—7 %), der eine kohlehydratfreie
Kost nicht verträgt, die Diät IIIA mit folgenden Zulagen: 6 Eier, 1 Braten, 1 Rindfleisch,
Gemüse, Rothwein, Milch, 3 Butter = 3370,1 Kalorieen; da er aber täglich im Durch¬
schnitt 220 g Zucker ausscheidet, also 902 Kalorieen verliert, so kommen ihm nur 2468
zu gute = 41,2 Kalorieen pro Kilogramm Körpergewicht. Da er bei ausgezeichnetem
Appetit ist und gesunde Verdauungsorgane besitzt, so bekommt ihm die Diät sehr gut,
Allgemeinbefinden und Körpergewicht heben sich, während dies bei kohlehydratfreier Kost
nicht der Fall ist Statt Weissbrot, Gemüse, Milch, Rothwein, Butter hat er zeitweise
Kotelette, Speck, Kognak erhalten, im ganzen 2853 Kalorieen, indessen wurde diese Kost
nur kurze Zeit vertragen.
Ein anderer Diabetiker in gleichem Stadium erhält zu der Form IIIA neun Zulagen,
nämlich: 2 Butter, 1 Milch, 4 Eier, 1 Rindfleisch, 1 Kotelette, 1 Gemüse, Speck, ent¬
sprechend 3645,18 Kalorieen, ein Dritter mit leichteren Krankheitserscheinungen bei der¬
selben Form acht Zulagen: Butter, 4 Eier, 2 Rindfleisch, Schinken, Gemüse, Milch =
2733,4 Kalorieen.
Ich führe noch das Beispiel eines an chronischer Nephritis leidenden Patienten an,
der sehr heruntergekommen ist und einer möglichst extraktivstofffreien Diät bedarf; er er¬
hält bei III Form A im ganzen sechs Zulagen = 2942,9 Kalorieen.
Diese Beispiele werden genügen, um zu zeigen, nach welchen Grundsätzen im
allgemeinen bei der Beurtheilung der Diät verfahren wird, sie zeigen aber zugleich,
dass die auf der Vorschrift vom Jahre 1892 stehende Bemerkung, dass im Durch¬
schnitt für jeden Kranken drei Extraverordnungen täglich verabfolgt werden, nicht
mehr zutrifft. In früheren Jahren, als wir noch eine Abtheilung von 400 Betten für
Haut- und Geschlechtskranke hatten, welche nur wenige Extraverordnungen brauchten,
war es wohl möglich, diese so zu vertheilen, dass den grösserer Pflege Bedürftigen
die von Jenen nicht gebrauchten Zulagen zu gute kamen; jetzt sind aber die be¬
treffenden Abtheilungen wegen des Umbaues so verkleinert, dass dies nicht mehr
möglich ist; auch auf diesen Abtheilungen liegen nur noch wirklich der Krankenhaus¬
pflege bedürfende Kranke, welche eine nicht geringere Zahl von Extraverordnungen
brauchen, als die anderen; und so hat sich die Durchschnittszahl der täglichen Extra-
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Die Krankenkost und die Küche der Cbaritö.
9
Verordnungen auf vier bis fünf erhöht, was natürlieh den Etat ausserordentlich be¬
lastet
Die Verordnung der Diät erfolgt bei der Morgenvisite durch den ordinierenden
Arzt; da aber die Aufnahme der neueintretenden Kranken in der Regel erst nach
der Morgenvisite, oft erst in den späteren Nachmittagsstunden oder in der Nacht
erfolgt, so erhalten diese Kranken zunächst ohne weiteres Suppe, Brot, und wenn
sie besonderer Stärkung bedürfen, so wird ihnen diese sofort auf einem Zettel mit
der Aufschrift: >Gefahr im Verzüge!« verschrieben. Im übrigen haben wir vor
einigen Jahren die Einrichtung getroffen, dass für alle von vormittags 11 Uhr bis
zum nächsten Morgen 6 Uhr neuaufgenommenen Kranken die Diät vom ordinierenden
Arzt gleich aufgeschrieben wird; diese Diätverordnungen werden den Inspektoren
bei ihrem ersten Rundgange morgens 6 Uhr übergeben, von ihnen in ein Schema *)
eingetragen und der Direktion so zeitig zur Genehmigung vorgelegt, dass sie noch
in der Küche ausgeführt werden können. Diese Einrichtung hat sich als sehr zweck¬
mässig bewährt; wir haben dadurch den früher oft beklagten Uebelstand beseitigt,
dass die Kranken erst vom dritten Tage ab in die regelmässige Beköstigung auf¬
genommen werden konnten. Nach den bei der Morgenvisite getroffenen Verordnungen
des behandelnden Arztes arbeitet der Stationswärter beziehungsweise die Stations¬
wärterin oder Oberschwester bis 11 Uhr den Diätbogen aus, welcher dem Inspektor
übergeben wird; dieser stellt aus den verschiedenen Stationsverordnungen den Diät¬
bogen für seine Inspektion zusammen. Als Beispiel folgt hier der Diätbogen für
eine Inspektion der medicinischen Kliniken (s. S. 10).
Diese Diätbogen werden mittags zur Küche gebracht, wo der Kücheninspektor
von sämmtlichen Inspektionen eine Zusammenstellung für den Oekonomieinspektor
macht, und von diesem wird dann auf Grund der vorher wöchentlich angefertigten
und von der Direktion genehmigten Speisezettel in einem Verpflegungsrapport die
Tagesausgabe festgestellt; es werden sofort die etwa noch nöthigen Bestellungen ge¬
macht, und es wird ein Vertheilungsplan ausgefertigt.
Bis zum Bau der jetzigen Küche, in welcher der ganze Wirthschaftsbetrieb ver¬
einigt ist, besass die Anstalt drei Küchen: die Küche für den sogenannten I. Tisch,
für Aerzte und Schwestern, in dem jetzt abgebrochenen Theile des Nordflügels der
alten Charit^; die grosse allgemeine Küche in einem Anbau hieran, und eine zweite
grosse Küche in der ebenfalls jetzt niedergelegten neuen Charite, welche alljährlich
ein- oder zweimal für einige Wochen in Gebrauch genommen wurde, wenn in der
grossen Küche der alten Charite Ausbesserungs- und Reinigungsarbeiten vorgenommen
wurden. Die Keller für Aufbewahrung von Fleisch und sonstigen Esswaren, Wein
und Bier befanden sich theils in der alten Charite, theils in den ausgedehnten Keller-
i) Für neu angekommene Kranke sind auf der Abtbeilung
der erforderlich und zu verabfolgen :
Portionen Brot
Rothwein
» Butter
Süsswein
» Fleisch
Sherry
Stück Milchbrode
Bayrisch Bier
Haferschleim
Bouillon
Milch
Braten
Eier
Köttel ettes
Schinken
Rindfleisch
Kognak
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Diät-Verordnungen
für die Kranken und das WaTtpersonal auf der am
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Original fro-m
UNIVERSETY OF MICHIGAN
in Summa
Die Krankenkost und die Küche der Charitü. 11
räumen des sogenannten Sommerlazareths. Jetzt ist der ganze Wirthschaftsbetrieb
in dem schönen neuen Küchengebände vereinigt, welches so gross angelegt ist, dass
daraus etwa 1300 Kranke und ein Personal von 400 unverheiratheten Aerzten,
Apothekern, Schwestern, Wärtern, Wärterinnen und sonstigen Bediensteten der An¬
stalt ausreichend verpflegt werden können. Der folgende Lageplan (s. Fig. 1 S. 12)
bedarf keiner Beschreibung, da die Bestimmung der einzelnen Räume angegeben ist.
Das unter dem hier skizzierten Erdgeschoss liegende Kellergeschoss enthält unter der
HauptkQche in gleicher Grösse mit dieser den sogenannten Rohrkeller, d. h. einen
Raum zur Unterbringung der zahlreichen zu den Kochapparaten gehörigen Rohr¬
leitungen; da hier immer eine ziemlich hohe Temperatur herrscht, so ist der Raum
gegen die zu beiden Seiten liegenden, kühl zu haltenden Keller vollständig ab¬
geschlossen. In letzteren befinden sich die Vorrathsräume für Fleisch mit be¬
sonderem Kühlraum, für Kartoffeln, Bier, und zwischen dem südöstlichen Theil der
Küche und dem gegenüberliegenden Flügel des Werkstättenhauses ist unter der Erde
ein überwölbter Weinkeller mit Zugang von dem Kellerraume unter dem Gemüse¬
putzzimmer erbaut.
In der Hauptküche sind 14 grosse Kessel von 100— 600 1 Inhalt, 9 kleinere,
auf einen gemeinsamen Unterbau gesetzte Kippkessel von 40—501 Inhalt, 2 Kartoffel-
kocher. Als Material der Innenkessel wurde fast überall Nickelblech gewählt, nur
ein grosser Kessel ist innen aus Gusseisen, ein mittelgrosser und zwei kleinere Kipp¬
kessel aus hartgewalztem Aluminium. Für die Herstellung der grossen Nickelkessel
bestand anfänglich eine Schwierigkeit darin, dass, weil man bisher so grosse Kessel
nicht aus einem Stück Nickelblech hersteilen kann, die Verniethung der Wandung
mit dem Boden in der Weise hergestellt war, dass die Wand innen über den Boden
Übergriff; infolgedessen liess sich dieser äusserste Rand des Bodens nie sauber
halten; es ist aber bei unseren Kesseln möglich gewesen, die Verniethung nach
aussen zu legen und so innen eine ganz glatte und leicht sauber zu haltende Fläche
zu gewinnen. Bisher haben sich die Nickelkessel, deren Preis übrigens ungefähr
demjenigen der Kupferkessel gleichkommt, gut bewährt. Dasselbe kann man von
dem natürlich sehr viel billigeren gusseisernen Kessel sagen. Früher hatte man mit
Recht eine gewisse Abneigung gegen diese Kessel, weil manche Speisen, z.B. Weiss¬
kohl, in Farbe und Geschmack litten; aber neuerdings hat man gelernt, das Guss¬
eisen so herzustellen, dass dieser Uebelstand vermieden wird, so dass die Küchen
mancher grösseren Anstalten ganz und gar mit gusseisernen Kesseln ausgestattet
sind, so z.B. in der Irrenanstalt zu Dalldorf, und die hier zubereiteten Speisen
lassen nach Aussehen und Wohlgeschmack nichts zu wünschen übrig. Die Aluminium-
kessel haben sich nicht bewährt; selbst das hartgewalzte Metall bleibt zu weich.
In der Hauptküche wird im übrigen durchweg mit Dampf gekocht, nur zwei
Tafelheerde zur Bereitung von Braten, Kotelettes etc. für die Kranken sind für
Kohlenfeuerung eingerichtet. Den Dampf erhält die Küche vom Maschinenhause,
und zwar sind die Leitungen durch überall gut gangbare Kanäle geführt, so dass
jederzeit das ganze Rohrsystem leicht kontrolliert werden kann.
Die neben der Kochküche gelegene Bratküche enthält drei grosse Bratöfen mit
Gasheizung, einengrossen Fischkocher, ein grosses Wärmbad (sogenanntes bainmarie)
mit sechs Einsätzen zum Warmhalten grösserer Braten und mehrere Wärmetische
und Schränke.
Bezüglich der Ausstattung der übrigen Räume ist zu bemerken, dass die Spül¬
küche zwei grosse dreitheilige Spültische mit Einsätzen aus Duranametall und einen
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Die Krankenkost und die Küche der Charitg.
13
kleinen Spültisch enthält; in den Gemüseputzräamen sind drei Marmorbecken auf¬
gestellt zur Aufnahme der geschälten Kartoffeln und geputzten Gemüse.
Das Obergeschoss des Küchengebäudes enthält südlich von der durch beide
Geschosse hindurchgehenden Hauptküche die Wohnung des Oekonomieinspektors,
nördlich davon die Wohnung der Oberköchin, ferner Schlafräume nnd Speisesaal mit
Anrichte für 18 Köchinnen und Küchenmädchen. Es verdient noch erwähnt zu
werden, dass in dem Obergeschoss des Maschinenhauses für das Küchen- und
Maschinenpersonal eine kleine Badeanstalt eingerichtet ist.
Der Dienst in der Küche beginnt Sommer und Winter pünktlich früh 5 Uhr.
Zu dieser Zeit erscheinen die Lieferanten von Milch, Brot und Fleisch. Die Milch,
täglich 1100—12001, wird vom Kücheninspektor abgenommen, mit dem Milchprober
geprüft, dann sofort in zwei hierzu besonders mit einer Einrichtung zur Verhütung
des Ueberkochens versehenen 500 1 fassenden grossen und einem kleinen Nickelkessel
gekocht und darauf grösstentheils im Kühlapparat abgekühlt.
Die weisse Backware wird unter Aufsicht des Oekonomieinspektors nach den
einzelnen Inspektionen und Stationen, den Diätverordnungen gemäss, vertheilt, und
mit dem Tags vorher zu Portionen hergerichteten Schwarzbrod pünktlich 5 8 /< Uhr
zur Abholung bereitgehalten. Das Schwarzbrod wird täglich frisch um 6 1 /» Uhr an¬
geliefert und am nächsten Tage ausgegeben. Der tägliche Bedarf beträgt etwa 460 kg
Schwarzbrot, 3000 Schrippen, 175 Portionen Zwieback.
Der Schlächter liefert nach dem täglichen Bedarf Rind- und Kalbfleisch in
ganzen Thieren, Schweinefleisch in Schinken und Rippenstücken, Hammelfleisch in
Keulen. Die Zerlegung der Thiere erfolgt sofort, und die einzelnen Theile werden
gleich sortiert; als Beispiel führe ich einen Tagesbedarf an:
I. Tisch (Aerzte, Schwestern):
Zur Mittagsbrühe.18 kg,
Als Gemüsebeilage.12 »
Mittagsbraten.40 »
Abendtisch. 30 »
II. Tisch (Wärterpersonal):
Mittagstisch.106 »
III. Tisch (Krankenkost):
Schabefleisch.30 »
Suppenfleisch.53 >
Frühstücks- und Mittagsfleisch . 307 »
Summa 596 kg.
Die Grösse der Portionen ist aus den oben angegebenen Diätformen zu ersehen
Die Ausgabe der Speisen erfolgt für den II. und HI. Tisch in grossen Kübeln und
Blechkasten, welche auf Handwagen nach ihrem Bestimmungsort befördert werden,
und zwar mittags 12V< Uhr für die Kranken, l 1 /» Uhr für Diakonissen und
Schwestern, l 8 / 4 Uhr für die Aerzte; abends um 6 beziehungsweise 7 Uhr.
Die hier folgenden, vom Unterarzt Rodenwaldt sehr geschickt angefertigten
Aufnahmen von der Westseite der Küche, auf welcher die Speisenausgabe erfolgt,
und von den Haupträumen geben ein sehr anschauliches Bild, und man sieht auf
den Bildern der Hauptküche, dass diese sühr hell und schön beleuchtet ist, so dass
jeder Winkel in vollem Tageslichte übersehen werden kann.
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H. SdiHppr, Dif* Krankenkost und die Küche der Charite.
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P. Kouindjv, Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc.
II.
Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung
der Nervenkrankheiten. 1 )
Von
Dr. P. Kouindjy in Paris,
Hoepice de la SalpStriöre. Clinique des maladies nerveuses du Professeur Raymond.
Die Extension bildet im Verein mit der »Aufhängung« und »Dehnung« die
gebräuchlichste Anwendungsmethode der Suspension; ihr Studium fällt daher natur-
gemäss mit dem der Suspensionsmethode zusammen.
Nachdem die Suspensionsmethode anfangs stark in Aufnahme gekommen und
selbst von der politischen Presse zum Gegenstand des Tagesgespräches gemacht wor¬
den war, so dass sie bald auch Gemeingut derer wurde, welche sich in der Anwen¬
dung aussergewöhnlicher Heilmethoden gefielen, sanken allmählich ihr Ansehen und
alle mit ihr in Zusammenhang stehenden Maassnahmen; nur bei einigen Nerven¬
krankheiten findet die Suspensionsmethode noch von Zeit zu Zeit Verwendung und
da auch nur in einer durchaus unzureichenden Weise. Dagegen sprach sich vor noch
nicht langer Zeit der berühmte verstorbene Neurologe Charcot folgendermaassen
über diese Methode aus:
»Die mittels Suspensionsmethode erzielten Resultate sind meiner Ansicht nach
derartig ermuthigend und beachtenswerth, dass man die Suspension den besonders
mit Neuropathologie sich beschäftigenden Aerzten ernstlich empfehlen darf. Ich kann
nach meinen Erfahrungen bezeugen, dass ich bei Ataxie unter Anwendung anderer
Behandlungsmethoden niemals so ausgesprochene Besserungen in kurzer Zeit bei einer
so grossen Anzahl von Kranken gesehen habe.«
Wir werden im folgenden zu beweisen versuchen, dass die Suspensionsmethode
durchaus nicht das Loos verdient, zu welchem sie augenblicklich verdammt erscheint.
Die erfolgreichen Anwendungen, welche mit ihr von einer grossen Anzahl hervor¬
ragender Neurologen und von mir an der mir seit drei Jahren unterstellten mechano-
therapeutischen Abtheilung der Klinik meines hochverehrten Chefs, des Herrn Prof.
Raymond, ausgeführt worden sind, haben in mir die Ueberzeugung gefestigt, dass
der Suspensionsmethode unter den Behandlungsweisen der Nervenkrank¬
heiten im allgemeinen und der Tabes dorsalis im besonderen eine hervor¬
ragende Stelle gebührt
Was nun die Methode der Suspension selbst anbetrifft, so haben wir zunächst
eine Modifikation des Sprimon’schen Apparates geschaffen, um hierdurch die Regel¬
mässigkeit der Traktionsausführung nach Lande und R6gnier mit der Bequemlich-
i) Dr. Kouindjy bat vor kurzem im Progrös medical eine ausführliche Abhandlung über die
Suspensionstherapie geschrieben; da diese therapeutische Methode bei uns in Deutschland in eine
unverdiente Vergessenheit gerathen ist, bringen wir mit gütiger Erlaubniss des Autors und der
Redaktion des Progrfes medical nachstehend einen Auszug aus dem interessanten Artikel.
Zeitschr. t diEt u. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 1. •_>
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P. Kouindjy
keit des: S-prhaon sehen -Afipa.ra.tes -zu vereiniget). Ferner schien es ans zweckttSüsig
äh sein, «len Apparat bei sonst gleicher Leistußggfähigkc'it weniger umfangreich zu
konstruieren .als di* Apparate der beiden obeo zitierten Kollegen.; Fig. 7 zeigt den
*Exte»si«ns>t o hl«,-, wie er die .eben angeführten Apparate ersetzen soll. Der Apparat.
setzt sich aa^ zwei vnilig.Vdn: ejanud.nr ge-
F '£- 7 trennt e»- Stahl und Susperi -
sionsap{w:at. Der Sitz des massig liehen
Stuhles, hat- *0: »>ö cm Flache, während die
Co gle
Die Extensu>ii ym e t hüde und ihre AnwenduQg ntc.
Wean io dieser Web.e.' $1# ..Fmeru'ög : erfötgty--' ge&attet’ w&
«Be wirkliche Verlängerung der Wirbelsäule.' zu jbfzi'elen: Da*
Eslensionsschnur ist mit einer Reihe von Haken versehen, an 1
Bedarf verschiedene Gewichte anhäitgeiK hierdurch sind wir im
graduierte und progressiv an wachsende -Zu«*-
wirkung sich entfalten zu lassen. f '*K
Her Stuhl ist leicht und nimmt wenig
Platz weg; ef lässt sich leicht auseinander?-
nehmen «ntt transportieren. Der Extensbas- gl ■-. '■• ’c ; . -
stahl entspricht unserer Ansicht nach dem
Wunsche aller derer, weiche eine unmittel-
hart? Wirkung auf die Vvirbekäuie und hier- ..
durch eine mittelbare auf das Rückenmark
erzielen wollen. Es steht fest, dass durch
Fisiernag des Beckens mittels Gurt und zwei a » S ^ l ^^roK »d
wir die Sicherlifeit haben, durch • *
Schlingen
den Gewiebtszug rückwirkend die Wirbel¬
säule beemtiyssen zu können. Daher wird
jede Verschiebung des Angriffspunktes der
Zugwirknag, 4, h, der Gewichtsreihe der Ex¬
ternsten der Wirbelsäule entsprechen. Wir
beginnen die ExteBsionsbebanfilun^ je nach
der Konsritutiou des Kranken mit 12 kg und
steigen dann auf 2h. 20 und 40 kg. Die
Dauer eißbr SitzuBg variiert zwischen 10
und 10 Minuten, zuweilen dehnen wir die
Sitzung auf 20 Minuten aus. Palls wir uns
der Kinnbandage allein bedienen, beginnen'
wir mit 30 kg und überschreiten selten 24
bis 30 kg. ? • •* :■ V
Vor ihm iL sich bereite Ilämilta»* -
der beweglichen, schiefen Ebtdie zum Zweck der Suspension seiner Patienten. Nur
befestigte er seine Patienten auf der Plates ku den Füssen und stellte dann das Kopf¬
ende tief, sodass also die Patienten stets «ft den'.'Fassen. oufgehängt waren und mit
dem Kopfe tief lagen. Ix» dieser wenig beneidsnswerthen Stellung liessfder ameri¬
kanische Kollege seine Kranken ca. zehn Mioatea lang hängen; er behauptet, gute
Besidtate erzielt zu buben. D o gi;qff’stellte sehr beacljtehswfjrthe Untersuchungen
an über die durch Suspension bewirkten körperlichen Veränderungen, sobald der
Kranke ans horizontaler Lage io di» vertikale gebracht wird, und führte daraufhin
die Saspensionsmethode auf der schiefen Ebene eia, wobei der Kopf hoch und die
Füsse tief zu liege« kamen. Die hierüber von B ogroff .mgesteilten physiologische»
j* Kouindjy
Untersuchungen haben in der SnspenrionsdYage ganz bedeutende Aufklärungen ge¬
zeitigt Mangel flti Raum verbietet e«; atii Einzelheiteu dieser Versuche einziigehen;
jedoch werden wir weiter unten die SehUmfolgerrjngeji dev Versuchsreihen liögföi'f’s
bringen.
Bogrhff verzichtete auf die Ztsgwirkung am Kim* und in (Sen Achselhöhlen;
er ersetzt sie dordv Zug am Ellbogen., ■■ Öet Sa vr e’sebe Apparat ist ersetzt durch
zwei rimjenförnnge Itiemenhiindiiuen, welche, so an der Liegdplatte angebracht sind,
dass sieb der Kränke mit den Ellenbogen. auf sie stützen kann, Anfangs neigt man
die Platte um #><• und vermehrt dann des Winkel um .f»—10",
Ib dieser Lage Man der Kranke eine halbe; eine Stunde rind mehr bleiben,
jedenfalls ein durchaus nicht eingreifendes Verfahren.
Unser Kollege tun! Freund Paul .Licoh') in 'Kortin hat das Verfahre« itagroff’s
b.'igonletrmaRssefi modifiziert: Hie EllbogeascHleiferi sind weggefallen; der Zug erfolgt
einroal durch das Körpergewicht des Patieja».«» selbst, andererseits’durch Gewichi-
gtheke, weiche an einer Schnur angebiuigt werdgtiv die ihrerseits i« der Rinne einer
atft Kopfende det Platte angebrachten Rolle verläuft. Hie am Kopfende der Platte
angebrachte Aushöhlung hat. den Zweck, den Hinterkopf dos Patienten ayfzuuehinen.
Jacob verwendet diese Art der Suspension hei Behandlung der Arthritis deformans,
der Deformitäten der Wirbelsäule, der K'oinpressiousmyelitis, der Tabes dorsalis und
anderer nervöser Krankheiten, ' , - . ,
vt j luv.l.i, Bericht filier <Iic Anwendung der physikalischen lleilmethiHkst etc. rCfniriiJ-.Xtinstcti
Jahrgang) — Jacob, PhysikaJiscbt>.Therapie der Itiickfyimarkvkranblifjte«, au? 0>-M scheide»
mul Jar.M», Santttmtfi• der physikali^lmti ThenpiV Tl»oil 2. BtL 2.
üml Min? AiJWtfhdttni* etc
her Tabes, unter geringer Modifikation der Extensionsart angewendet. Wir Hessen
die Aushöhiuug für eins Hinterhaupt weg und konstruierten unsere Platte ganz glatt,
da hierdurch die Extension direkt auf die Wirbelsäule, inbegriffen den CervikaltheiJ,
wirkt I» den Fällen, «fö tfift Kränken ein geringes KiirpOrgewiebt besitzen, liäoged
wir Eniäiizungsgewichle bah! au die Füsse, bald an den Leibgürtcl; bisweilen wenden
wir auch die Achselschlingea am
Die Figuren y und 1.0 illustrieren m besten das eben geschilderte Behandlungs-
Die schief gestellte Platte hat mit dem Körper des Patienten diae'breite
verfahren
BerahruugsHiiche, sodass die Suspensiun weniger gewaiteruH ist und die gewünschte
ifugversUirkung ganz nach willkürlicher WinkelstelHtag, ohne den Patienten auf*
xaregen, reguliert werden kann- Weiter oben hatten wir bereits erwähnt, dass wir
m den Fall des zu geringen Körpergewichts des Patienten ErgäBzuagsgewiCbte, sei
es an den Füssen oder an dexa Leihgiirtel, anzuhängen plk-geh. Die Gewichte ssml
4—30 kg schwer 'und üben flire Zugkraft in der Zugochse des Körpergewichts aus.
t‘m die Ergäözungsge wichte an den Füssen anzübringott, bedienen wir uns mir Watte
ausgestopfter Binden, welche zur Aufnahme der Gewichte in Stränge aiishHifen. Wollen
wir den Ergänzungszug am Leibgurt an wenden, so bedienen wir uns einer breiten
Binde, welche tun das Becken gesdilungW} wird und deren beide Enden zwischen
den Füssen anslaufen. Die Frgnnzu«gsge\viriite gestatte« die gleiche Xugwirkimg
wie die durch Aufhängung erzielte.
Der Unterschied -zwischen dem Verfahren von MotschukoWsky uud der
Eitension mittels der schielen Ebe.no oht-nso wie mit unserem Evtensioosstuhl oder
G o g le
P. Kouindjy
dem Sprimon’schem Apparat besteht darin, dass in letzterem Falle die Zugwirkung,
allmählich zunehmend, planmässig genau berechnet und kontrolliert ausgeübt werden
kann. Es ist allerdings Thatsache, dass der Anwendung der schiefen Ebene eine
Unannehmlichkeit anhaftet, welche bei der Aufhängemethode ganz fehlt, nämlich der
durch die Berührung des Körpers des Kranken mit der Platte hervorgerufene Reibungs¬
widerstand. Indess hat man durch die Wirkung der Unterstützungsgewichte und die
länger ausgedehnte Extensionsdauer ein wirksames Mittel, diesen Widerstand aus¬
zugleichen. Andererseits rechnen wir mit diesem Widerstand und zwar in seiner
negativen Funktion, indem er die Zugwirkung neutralisiert, in seiner positiven, indem
er sie je nach Bedarf modifiziert. Das Verfahren mittels der schiefen Ebene
soll nun in erster Linie dazu beitragen, der Suspensionsmethode ihren
Platz als ein absolut rationelles Heilmittel in der Therapie der Nerven¬
krankheiten zu sichern. Bei dem Verfahren nach Motschuko wsky erreicht die
Zugwirkung gleich im ersten Moment, sobald dem Kranken der Boden unter den Füssen
schwindet, seine maximale Höhe. Einige Augenblicke später bewirkt das nach unten
ziehende Körpergewicht einen übermässigen ruckweisen und unregelmässigen Zug. Dies
erklärt auch die am Patienten nur zu oft wahrgeuommene Angst und die kurze Dauer,
innerhalb welcher die Anwendung des Aufhängens noch ertragbar ist. Die Aufhängung
darf nie die Dauer von drei Minuten überschreiten, und oft genug sieht man sich ge¬
zwungen, den Patienten schon nach drei Sekunden wieder herunter zu lassen. Gilles
de la Tourette bemerkt hierzu sehr richtig: »Bei der Aufhängung spielen die Achsel¬
schleifen die Rolle der Regulatoren; sie dürfen weder zu kurz noch zu lang in ihrem
Verhältnis zur Kinnschlinge sein. Sind sie zu kurz, so komprimieren sie den Plexus
brachialis, ziehen die Schultern sehr hoch und sind im stände, Einschlafen der
Glieder, Ameisenkriechen, Radialisparalyse etc. hervorzurufen; sind sie sehr lang,
so müssen die Nackenmuskeln die Zugwirkung aushalten, die durch das Körper¬
gewicht resultiert, und die Suspension wird unerträglich.«
Sobald die Suspension sich der schiefen Ebene bedient, spielen die Achsel¬
schlingen nur eine zweite Rolle, denn die Zugwirkung reguliert sich durch die schiefe
Ebene von selbst und gestattet, die Suspension vorzunehmen, ohne dass man sich der
Achselschlingen zu bedienen braucht. Nichtsdestoweniger wenden wir die Achselschlingen
jedesmal an, wenn eine Wirbelsäulendeformität besteht, oder wenn wir es für noth-
wendig erachten, die Zugwirkung, wie z. B. bei Neurasthenie, abzuschwächen. In¬
dem wir die schiefe Ebene allmälich in verschiedene Neigungswinkel bringen, sind
wir im stände, den Angriffspunkt des Zuges in beliebig verschiedene Höhen zu ver¬
legen und auf diese Weise eine gewaltsame Zerrung der Nackenmuskulatur zu ver¬
meiden. Es ist schwierig, zu begreifen, wie unser Kollege Bogroff mit der all¬
einigen Anwendung von Ellbogenschleifen unter Verzicht auf Zug am Halse gute
Resultate erzielen konnte. Dass der mittels Halszug und Achselschleifen erzielte
Zug einmal auf die Wirbelsäule und hierdurch mittelbar auf das Rückenmark,
andrerseits auf Verkrümmungen der Wirbelsäule seine Wirkung ausübt, ist ein¬
leuchtend. Bei der nach Bogroff ausgeführten Suspension wird aber ein Zug auf
die Wirbelsäule überhaupt nicht ausgeübt, und ihre direkte Wirkung auf das Rücken¬
mark ist gleich Null.
Wir wenden uns nunmehr zu dem eigentlichen Verfahren der Suspension
mittels der schiefen Ebene. Die bereits früher gebrachten Photographieen ent¬
heben uns der Beschreibung des Apparates. Sobald sich der Kranke auf der Liege-
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Die Estensionsmethode und ihre Anwendung etc.
platte aasgestreckt hat, legen wir ihm den von Professor Motschukowsky modi¬
fizierten and von C h azol gearbeiteten Sayre’schen Apparat an. Der Kopf des Patienten
ruht entweder unmittelbar auf der Liegeplatte oder auf einem untergeschobenen
kleinen Polster zwischen den hinteren Branchen der Kinnbandage. Es ist dies zwar
nur eine Nebensächlichkeit, hat aber trotzdem ihre Bedeutung. Sobald der Sayre-
sche Apparat angelegt ist, fordern wir den Patienten auf, sich so weit als möglich
herabgleiten zu lassen, um in horizontaler Lage völlig ausgestreckt zu liegen. Ein
mässiger Zug an den Unterschenkeln vervollständigt eine möglichste Streckung des
Körpers. Nun hakt man den Apparat aus und hebt den Kopftheil der Platte bis zu
einem Winkel von 30°; um eine gleichmässige Steigerung, und zwar täglich in dem¬
selben Grade zu erzielen, bedient man sich einer Stütze, welche auf der einen Seite
am Apparat angebracht ist und an der anderen in eine Stellhakenleiste gleitet, die
an der unteren Fläche des Apparates befestigt ist. Die Neigung der Platte entspricht
der Anzahl der eingestellten Zähne resp. dem Abstand der einzelnen von einander.
Wir beginnen die Suspension täglich mit 30 °. Die Dauer der ersten Sitzungen beträgt
10 Minuten. Später variieren wir die Plattenhebung von 5° zwischen je zwei Sitzungen
und die Dauer von 3—5 Minuten. Bisweilen schieben wir eine Sitzung mit erhöhtem
Neigungswinkel zwischen zwei Sitzungen mit gleichen ein. Um den Patienten an
einen Neigungswinkel von 50° zu gewöhnen, lassen wir ihn gleich von Anfang an 3,
später 5 und mehr Minuten liegen. Die Dauer einer Sitzung schwankt zwischen 10 und
20 Minuten; im Durchschnitt beträgt sie 15 Minuten. Bei Fettleibigen und Herz¬
leidenden überschreiten wir niemals einen Winkel von 35°; bei mageren Personen
und solchen, welche die Suspension gut vertragen, erreichen wir selbst einen Neigungs¬
winkel von 60°; niemals aber steigen wir bis 90°.
Das Extensionsverfahren mittels der schiefen Ebene hat uns nie die geringsten
Unannehmlichkeiten selbst bei Herzleidenden und Kindern bereitet. Der Kranke
erschrickt nicht über die Lageveränderung der Liegeplatte und, falls er doch
anfangen sollte, sich ungemüthlich zu fühlen, so kann er sich an den seitlich
angebrachten Handhaben aufrichten. Man hat es nur selten nöthig, zu diesem
Mittel Zuflucht zu nehmen; denn die Dauer einer Sitzung ist eine relativ so kurze,
dass man einer eventuellen Nackensteifigkeit vorbeügt. Die Zahl der Sitzungen
lässt sich nur nach dem Umfang der zu behandelnden pathologischen Symptome
bestimmen. Wie bei der Aufhängung, soll die VornahmederSitzungen so lang als
möglich fortgesetzt werden. Während manche Autoren sich mit 40—50 Aufhänge¬
sitzungen begnügen, haben andere ihre Maassnahmen viel länger fortgesetzt. So
machte Tripier bei einem Tabiker 640 Suspensionen, Ascher ging bis zu 650
Sitzungen, Gaston und Ducop wendeten nur 350 an, Charcot Hess innerhalb von
3 Jahren an einem Tabiker 1000 Suspensionen ausführen, Blondei unterzog einen
Kranken sogar 1200 Sitzungen. Bei einer Patientin der Salpetriere mit Tabes und Mitral¬
fehler haben wir während IV 2 jähriger Behandlung mittels schiefer Lagerung nicht
ein einziges Mal das geringste Zeichen von Ohnmacht erlebt. Im allgemeinen werden
die Sitzungen anfangs täglich vorgenommen. Nach einer mehr oder minder grossen
Zahl von Sitzungen und gemäss der Besserung der einzelnen Symptome werden die¬
selben dann alle 2, später alle 3 Tage, zuletzt zweimal wöchentlich vorgenommen.
Die Extension soll vor den Mahlzeiten, am besten vor der ersten stattfinden. Um
eine gewaltsame Lageveränderung durch das Senken der Lageplatte zu vermeiden,
lassen wir sie langsam, von Zahn zu Zahn, in die horizontale Lage zurückkehren.
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P. Kouindjy, Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc.
Bei all den Suspensionen, welche wir ausgeführt haben, — es sind weit über
3000— haben wir niemals die geringste Störung erlebt, wie sie bei der Aufhängung
und Dehnung gelegentlich einzutreten pflegen. Das einzige Unangenehme bei unserer
Methode ist die Zerrung der Nackenmuskulatur bei fetten Leuten. Dieses Zerrungs¬
gefühl verschwindet jedoch oft nach 2—3 Minuten Ruhe. Die Unschädlichkeit des
Verfahrens erlaubt uns die Anwendung der Suspension auch bei solchen Fällen, wo
die Aufhängung absolut kontraindiciert gewesen wäre. So konnten wir mittels
Suspensionsmethode einen 85 kg schweren Herrn mehrere Wochen lang behandeln,
dem Prof. Spilmann in Nancy nach einer kurzen Reihe von Aufhängungen die
Suspension verboten hatte. Wir thaten schon Erwähnung der Patientin mit Tabes
und Mitralinsufficienz von der Abtheilung meines Chefs, Prof. Raymond, welche
wir einer 1V 2 jährigen Behandlung auf der schiefen Ebene unterwarfen. Um jedoch
die Heilung zu beschleunigen, liess sich die Patientin ohne unser Wissen ausserdem noch
durch Aufhängung und Dehnung behandeln. Bei den beiden letzten Sitzungen blieben
denn auch die Folgen nicht aus, es traten schwere Herzstörungen ein, und man sah
sich gezwungen, die medico-mechanische Behandlung ganz aufzugeben. Dieser Ver¬
lauf ist übrigens sehr charakteristisch; denn er beweist, dass die Kranke, welche
an einer ausgesprochenen Tabes und Mitralinsufficienz litt, die Extension mittels
schiefer Lagerung 1Va Jahre lang vorzüglich vertrug und sich derartig erholte, dass
sie nach einem Jahr allein gehen und ihre Besorgungen in der Stadt ausführen
konnte; es blieb ihr aber nicht die Gefahr einer Herzlähmung erspart, als sie sich
dazu verleiten liess, mittels Aufhängung und Dehnung ihre Besserung beschleunigen
zu wollen. Wir haben absichtlich diesen Fall etwas genauer beleuchtet, da er die
Vorzüge der Suspension mittels schiefer Lagerung gegenüber den Verfahren von
Motschukowsky und Gilles de la Tourette beweist.
(Schluss folgt.)
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W. Cronheim u. Erich MSUer, Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 25
III.
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings
mit besonderer Berücksichtigung des organisch gebundenen Phosphors.
Aus dem thierphysiol. Laboratorium der Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin.
(Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz.)
Von
Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller.
Einleitung.
Die Bedeutung des Phosphors für den menschlichen Körper, speziell für den
sich noch entwickelnden Organismus ist schon seit langer Zeit Gegenstand mannig¬
facher Untersuchungen gewesen. Eingehende Versuche haben uns gelehrt, dass
sowohl die Menge des in der Nahrung vorkommenden Phosphors, als auch die
chemische Verbindung, in welcher er enthalten, von einschneidender Bedeutung für
die Ernährung ist. Besonderer Werth wurde den phosphorhaltigen Eiweisskörpern
zugesprochen.
F. Röhmann und seiner Schule verdanken wir in der Hauptsache die ein¬
gehende Bearbeitung und Erforschung dieser Fragen. In den Jahren 1897 und 1898
wies Röhmann 7 ) durch Stoffwechselversuche an Hunden nach, dass bei Verfütterung
von phosphorhaltigen Eiweisskörpern — Kasein, Vitellin — nicht nur die Phosphor¬
retention, sondern auch der Eiweissansatz erheblich grösser ist, als bei der Dar¬
reichung von phosphorfreiem Eiweiss — Myosin, Edestin — unter Hinzufügung von
Phosphaten in solcher Menge, dass der Phosphorgehalt des Futters dem in der ersten
Gruppe in organischer Bindung enthaltenen Phosphor gleichkommt. Im Körper des
Hundes findet nach Röhmann nur in geringem Maasse eine Synthese aus phosphor-
freiem Eiweiss und Phosphaten statt, vielmehr wird der Ersatz und Zuwachs durch
phosphorhaltiges Nahrungseiweiss in der Hauptsache gedeckt. An diese grund¬
legenden Versuche schlossen sich die Arbeiten seiner Schüler Markuse«), Steinitz»),
Zadik 10 ), Leipziger 11 ), Ehrlich 11 ) und Gottstein 27 ), welche diese Resultate
bestätigten und erweiterten. Die Ueberlegenheit der phosphorhaltigen Eiweisskörper.
über die phosphorfreien war somit durch Röhmann und seine Schule sowie durch
die Arbeit von W. Caspari 14 ) aus unserem Laboratorium nachgewiesen worden.
Streng genommen beweisen freilich diese sämmtlichen Versuche zwar ein Ueber-
gewicht im allgemeinen, aber nicht sicher, dass gerade der Phosphorgehalt die Ur¬
sache dafür sei. Zeigen doch die Arbeiten von Hausmann 11 ), Blum 18 ), Kutscher 19 ),
für die Spaltungsprodukte der verschiedenen hier in Betracht kommenden Eiweiss¬
körper so erhebliche Differenzen in quantitativer, zum theil auch in qualitativer
Hinsicht, dass man auch daraus den verschiedenen Nährwerth ableiten könnte. Weiter¬
hin fehlten bisher alle Anhaltspunkte zur Beurtheilung der so wichtigen Frage, ob
auch die phosphorhaltigen Fette eine besondere Bedeutung als Nahrungsmittel be¬
sitzen oder ob eine passende Mischung von Fetten und Phosphaten resp. phosphor-
haltigen Eiweisskörpern das Gleiche leiste.
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'26 W. Cronheim und Erich Müller
Besonders aussichtsvoll erschien die Anwendung des Lecithins. Hatte doch
schon Brücke 1 ! 1875 versucht eine wissenschaftliche Erklärung für die im Volke
seit langer Zeit vorhandene grosse Werthschätzung des Eidotters zu geben und dabei
speziell auf den Lecithingehalt desselben hingewiesen. Er schreibt: »Es ist jedoch
die Möglichkeit vorhanden, dass die Eier wirklich in einer bestimmten Beziehung
mehr werth sind als das Fleisch, sie enthalten in ihrem Dotter eine beträchtliche
Menge von Lecithin. Nun wissen wir, dass das Lecithin ein wesentlicher Bestand-
theil unserer Blutkörperchen und unseres Nervenmarkes ist; wir wissen aber bis
jetzt nicht, ob wir es in unserem Organismus bilden können oder ob wir es in
Substanz einführen müssen. Sollte das letztere der Fall sein, dann würde man
allerdings dem Eidotter einen besonderen Werth zuschreiben müssen, weil wir mit
ihm eine beträchtliche Menge Lecithin in den Organismus einführen.« Dieser Hin¬
weis war anscheinend in Vergessenheit gerathen, erst in den Jahren 1895 und 1896
zeigten die Gebrüder Danilewsky*) den günstigen Einfluss des Lecithins auf die
Entwicklung und auf das Wachsthum junger Thiere — Kaulquappen, junge Hunde,
Hühnchen. Aus demselben Jahre stammt eine Arbeit von Umikoff 4 ) »zur Biologie
des Phosphors«. Umikoff stellte vier parallele Versuchsreihen mit weissen Ratten
und Tauben an, wobei er ausser Kohlehydraten und Fett 1. Eieralbumin, 2. Eier¬
albumin + anorganischen Phosphor, 3. Eieralbumin + Lecithinphosphor in Form
von Gehirn oder Eidotter, 4. echtes Nuklein (aus Thymusdrüsen dargestellt) verfütterte.
Die Gesammtnahrung war dabei kalorisch gleichwerthig. Bei der Nahrung 1 und 2
starben die Thiere, bei No. 4 blieben dieselben am Leben, nahmen aber nicht an
Gewicht zu. Wachsthum und Zunahme erfolgte nur bei Nahrung 3, d. h. bei
Darreichung von Lecithin als Phosphorträger. Im Jahre 1895 hatte gleichfalls ein
Schüler von Danilewsky, Selensky*) die günstige Einwirkung des Lecithins auf
die Hämatopoese bei Thieren nachgewiesen. Serono*) in Turin wiederholte 1897
die Versuche von Danilewsky bei Hunden und gebrauchte zum ersten Male das
Lecithin in subkutaner Injektion beim Menschen. Er hatte dabei gleichfalls günstige
Resultate zu verzeichnen.
Weitere Veröffentlichungen von Danilewsky aus dem Jahre 1899 bestätigten
und erweiterten die früheren Beobachtungen. Die günstige Wirkung des Lecithins
bestand bei diesen Versuchen hauptsächlich in der Vermehrung der rothen Blut¬
körperchen, in der Erhöhung des Hämoglobingehaltes, Steigerung des Appetites,
Zunahme des Körpergewichtes und des Wachsthums und schliesslich in einer Er¬
höhung des Widerstandes des Körpers — so z. B. einer Verringerung der Körper¬
gewichtsabnahme im Hungerznstande. Bei niederen Lebewesen — Mikroben (Schimmel¬
pilze) und kleine Krustaceen — konnte er direkt eine erhöhte Vermehrung bei
Lecithinzusatz zur Kultur nachweisen. Mehr zufällige Beobachtungen bestätigten
ihm die günstigen Resultate seiner Thierversuche auch für den Menschen und
machten ihm die therapeutische Anwendung des Lecithins bei gewissen krankhaften
Zuständen — allgemeine Ernährungsstörungen, nervöse Schwäche, Kachexie —
empfehlens werth.
E. Wildiers 18 ) hat die Versuche von Danilewsky mit Kaulquappen wieder¬
holt, — bei Säugethieren berichtet er nur über einen unvollendeten Versuch — aber
die Befunde von Danilewsky nicht bestätigt Seine scharfe Kritik der sämmtlichen
Versuche von Danilewsky scheint uns deswegen nicht berechtigt. Die weiteren
*) Citiert bei Gilbert et Fournier22).
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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
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Publikationen stammen, soweit wir die Litteratur übersehen können, fast ausschliess¬
lich aus Frankreich, wo auch neuerdings .Lecithinpräparate zu therapeutischen
Zwecken hergestellt werden. Diese Publikationen bringen sowohl Stoffwechsel¬
versuche an Thieren, wie auch klinische Beobachtungen an Menschen.
In zwei Arbeiten berichten Desgrez und Aly-Zaky 20 ) über Versuche an
Meerschweinchen und Hunden. Sie fanden stets zu Gunsten des Lecithins eine
Gewichtsdifferenz, welche noch bis zu 4*/ 2 Monaten nach Aufhören der Lecithin¬
fütterung bemerkbar war. Im Urin schieden die Versuchsthiere gegenüber den
Kontrollthieren weniger P 2 O s , dagegen mehr N aus. Ein grösserer Theil des ge-
sammten im Urin ausgeschiedenen N findet sich bei den Lecithinthieren in Form von
Harnstoff, woraus die Autoren auf eine grössere Vollkommenheit des Abbaues der
Eiweisskörper schliessen. Klinische Beobachtungen, meist jedoch auch nach vorher¬
gehenden Thierversuchen, theilen mit Gilbert und Fournier 22 ), M. G. Carrifcre 23 ),
Lancereaux«), Lancereaux und Paulesco 18 ), sowie Claude und Aly-Zaky 21 ).
Die Versuche wurden bei Krankheitsfällen verschiedener Art angestellt — Tuber¬
kulose, Diabetes mellitus, Neurasthenie — und hatten im allgemeinen den Erfolg,
dass der Kräftezustand der Kranken sich mit dem Appetit besserte; eine entscheidende
Beeinflussung der primären Erkrankung war nicht zu konstatieren. Carriöre wandte
das Lecithin bei normalen Kindern an. Es zeigte sich bald eine beträchtliche Ge¬
wichtsvermehrung, welche mit zunehmender Gewöhnung des Körpers an das Lecithin
weniger deutlich wurde. Auch die Zusammensetzung des Blutes wurde nach der
Richtung günstig beeinflusst, dass die rothen Blutkörperchen an Zahl vermehrt
waren und ebenso auch die Hämatoblasten, dabei war der Hämoglobingehalt ge¬
steigert.
Aus jüngster Zeit endlich liegt eine Arbeit von Iljin 2 «) (wir verdanken
die Zahlen der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr. Slowtzoff, welcher uns die
wichtigen Theile der Arbeit, ebenso wie diejenigen der Arbeit von Umikoff 4 ) ins
Deutsche übertrug) über den »günstigen« Einfluss organischer Phosphorverbindungen
— Lecithin — auf die Anlagerung von Eiweissstoffen im menschlichen Körper vor.
In derselben berichtet er über einen Stoffwechselversuch am erwachsenen Menschen.
Der Versuchsmensch erhielt innerhalb von 14 aufeinanderfolgenden Tagen und zwar
in 5 Perioden verschiedene Nahrung. In der ersten — 3 Tage — erhielt er ge¬
wöhnliche Kost, in der zweiten — 2 Tage — eiweissarme, in der dritten — 4 Tage —
ei weissreiche, in der vierten — 4 Tage — eiweissreiche + phosphorreiche — Gehirn
resp. am vierten Tage Eidotter —, endlich am letzten wieder die gewöhnliche Kost.
Leider ist die Eiweisseinfuhr an den einzelnen Tagen derselben Periode so ver¬
schieden und der Uebergang von eiweissreicher zu eiweissarmer Kost und umgekehrt
so schroff und unvermittelt, dass wir es nicht für zulässig erachten irgend welche
Folgerungen aus diesen Versuchen zu ziehen.
Nach dieser kurzen Darlegung der bisherigen Veröffentlichungen, welche sowohl
für den Thierversuch als auch die therapeutische Anwendung beim Menschen über¬
einstimmend eine günstige Einwirkung des Lecithins berichten, kommen wir zu
unseren eigenen Versuchen. Wir haben dieselben bereits Ende 1899*) begonnen, also
viel früher als die meisten der erwähnten Untersuchungen. Sie sollten, wie schon
erwähnt, die bisher noch nicht exakt in Angriff genommene Frage behandeln, ob die
*) Vergleiche vorläufige Mittheilung vom September 1000 sub No. 19 unseres Litteratur-
verzeichnisscs.
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YV. Cronheim und Erich Müller
beiden Hauptformen der organischen Bindung des Phosphors, die an Eiweiss und die
an Fett, sich in Bezug auf die Assimilation des Phosphors einerseits, des Eiweisses
andererseits unterscheiden. Da wir an Kindern arbeiteten, konnten wir uns nicht
entschliessen andere Präparate als solche, welche auch sonst bei der Kinderernährung
gebraucht werden, zu verwenden. Wir haben desshalb den phosphorhaltigen Eiweiss¬
körper, Kasein, in Form von Magermilch, das Lecithin — das phosphorhaltige
Fett — in Form von Eidotter verabreicht. Dass der letztere auch eine phosphor¬
haltige Eiweissverbindung, das Vitellin, enthält, konnte insofern nicht als störend
betrachtet werden, als Kasein und Vitellin in ihrer Konstitution wohl einander
sehr nahe kommen. Wir sagten uns ferner, dass, wenn die Versuche eine bessere
Verwerthung der lecithinhaltigen Nahrung ergeben würden, die bisher qualitativ
gefundene Einwirkung des Lecithins auf wachsende Thiere damit quantitativ für
den wachsenden menschlichen Organismus festgestellt wäre. Es lag für uns kein
Grund vor, als Vergleich anorganische Phosphate heranzuziehen, was Keller 28 ) in
seiner Kritik unserer vorläufigen Mittheilung 1 ®) rügt. Nach den wiederholten Unter¬
suchungen von Rohm an n und seiner Schule ist die bessere Verwerthung der phosphor¬
haltigen Eiweissstoffe gegenüber den phosphorfreien unter Zugabe mineralischer Phos¬
phate wohl als thatsächlich anzusehen, wenn auch die Mittheilung von Keller,
nach welcher ihm ein Zusatz von Phosphaten zur Frauenmilch mit die günstigsten
Resultate für den N- und P-Ansatz ergab, interessant genug erscheint. Weiter
hofften wir durch diese Versuche vielleicht einen Beitrag zu der bisher noch un¬
gelösten Frage, welchen Bestandtheilen — in chemischer Beziehung — die Frauen¬
milch ihre Ueberlegenheit in der Säuglingsernährung verdankt, liefern zu können.
Haben doch neuere Forschungen — Heubner 37 ), Bendix 30 ), Schlossmann 2 «)
u. a. — ergeben, dass das Kasein der Kuhmilch annähernd gleich gut vom Säug¬
ling ausgenützt wird, wie dasjenige der Frauenmilch. Mit diesen Befunden stimmt
auch gut überein, dass Kobrak« 7 ) eine grosse Aehnlichkeit in der chemischen
Konstitution beider Kase'ine gefunden hat. Scheinen wir so den Verschiedenheiten,
welche früher den Eiweisskörper beider Milcharten in Bezug auf Konstitution und
Ausnützung zugesprochen wurden, nicht mehr in dem Maasse eine Bedeutung zu¬
schreiben zu dürfen, so gewinnen jetzt um so grössere Wichtigkeit die anderen
phosphorhaltigen Bestandtheile der Frauenmilch, das Nukleon — Siegfried 2 ), das
Lecithin — Stoklasa*) und das Opalisin — Wröblewsky*). Nach Siegfried
und seinen Schülern enthält Frauenmilch mehr als doppelt so viel Nukleon, wie
Kuhmilch, nach Stoklasa 0,17—0,18% Lecithin gegen 0,09 — 0,11 in der Kuh¬
milch. Diese Stoffe sind besonders leicht verdaulich, während das an und für sich
ja auch phosphorhaltige Kasein bei der Verdauung einen Theil des Phosphors im
Pseudonuklein unlöslich zurücklässt. Dazu haben andere Untersuchungen — C am er er
und Söldner 93 ), Backhaus und Cronheim 00 ) die wichtige Thatsache ergeben,
dass bis 10 % der Trockensubstanz der Frauenmilch aus bisher nicht näher ge¬
kannten Stoffen besteht.
Beschreibung der Versuche.
Die Kinder — an Zahl sechs —, welche wir zu unseren Versuchen benutzten,
standen mit einer Ausnahme — Kind 1, welches zweieinhalb Jahre alt war — im
ersten Lebensjahre, 4.—11. Monat. Sie lagen theil weise — Kind II, III und V —
in den Kinderabtheilungen hiesiger Krankenhäuser, zum Theil — Kind I, IV und
VI — wurden sie uns aus der mütterlichen Pflege heraus von den Eltern, welche
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Versuche über den Stoff" und Kraftwechsel des Säuglings.
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um die Versuche wussten und sich mit denselben einverstanden erklärt hatten, über¬
geben und in Privatpflege von speziell dazu angestellten Wärterinnen und uns
selbst dauernd — auch Nachts — beobachtet und wir dürfen wohl sagen, dass die
Beobachtung eine sehr exakte war und die Genauigkeit bei allen technischen
Maassnahmen die weitgehendste war. Die Versuchskinder waren gesund, — be¬
sonders diejenigen, welche wir direkt aus der mütterlichen Obhut bekamen,
während die Krankenhauskinder aus bekannten Gründen doch wohl nur als
annähernd normal zu bezeichnen sind — mit Ausnahme des Kindes III, welches
während des Versuches an Dyspepsie mit dünnen Stühlen erkrankte, weshalb das
Resultat dieses Versuches nicht eindeutig erscheint. Die Dauer der einzelnen Ver¬
suche schwankte zwischen drei und fünf Tagen, betrug jedoch meistens vier Tage.
Jedem einzelnen Versuche gingen einige Tage voraus, während welcher das Kind
die Versuchsnahrung erhielt, aber noch nicht in dem gleich zu erwähnenden Apparate
lag. Das Kind sollte so einerseits an die Nahrung gewöhnt werden, andererseits
sollte die Bekömmlichkeit der Nahrung geprüft werden. In Versuch V und VI
wurde das Kind schon in der Vorperiode stundenweise in den Apparat gelegt, um
es an die neue Lage zu gewöhnen, da in Versuch IV die grosse Unruhe des Kindes
das Resultat getrübt hatte. Während des Versuches lagen die Kinder in dem von
Bend ix und Finkeisteinl 5 ) angegebenen Apparate, welcher sich auch bei uns gut
bewährte und eine genaue, quantitative Trennung und Aufsammlung der Excrete
ermöglichte. Nur das zweieinhalbjährige Kind des Versuches I bewegte sich frei
im Zimmer. Hier konnte jedoch der Urin und Koth bequem getrennt und ohne Ver¬
luste aufgefangen werden, da das sehr reinliche Kind seit längerer Zeit seine Be¬
dürfnisse zu rechter Zeit anzumelden gewöhnt war. Bei der ständigen Beobachtung
ist es uns thatsächlich geglückt, ohne jeden Verlust zu arbeiten. Die Kinder
wurden, je nachdem es die vorhandenen Verhältnisse gestatteten, entweder nur am
Beginne und am Ende jedes Versuches oder täglich gewogen. Die Wägungen fanden
stets in nüchternem Zustande und zur gleichen Tageszeit statt und wurden von uns
persönlich unter Beobachtung aller Vorsichtsmassregeln, um Urin- oder Kothverluste
zu vermeiden, ausgeführt. Die Abgrenzung des Kothes geschah nach dem Vorgänge
von Bend ix durch Chokolade. Die dunkle Farbe dieses Kothes gestattete fast
immer — besonders in Verbindung mit der beim Betupfen mit Salzsäure auf¬
tretenden Rothfärbung — eine deutliche Trennung von dem helleren Mehl- resp.
Milchkothe. Diese Abgrenzungsmahlzeit wurde immer am Vorabend des ersten Ver¬
suchstages gereicht, sodass der nach der ersten Versuchsmahlzeit — 7—8 Uhr
morgens — entleerte erste Urin bereits als zu dieser gehörig angesehen werden
konnte. Die Gefässe, in welchen der Urin resp. der Koth gesammelt wurde, wurden
mit je 5—10 cm* einer 1% Lösung von Thymol + Salzsäure in Alkohol zur
Konservierung beschickt, dabei wurde die gesammte Innenfläche der Kothtöpfe durch
vorsichtige Drehbewegungen mit einer dünnen Schicht dieser Lösung benetzt Für
die W T ahl der Lösung bestimmend war, dass nach den Erfahrungen von Tan gl 4 <) sich
dieselbe im Vakuum bei Zimmertemperatur vollkommen verflüchtigt und somit für
die beabsichtigten kalorimetrischen Bestimmungen nicht störend wirkt. Die durch
die Salzsäure, wie Tan gl gefunden hat, bewirkten Umsetzungen kommen nur in
der Wärme und bei grösserem Ueberschuss von Salzsäure in Betracht; beides wurde
hier vermieden. Die Kothtöpfe wurden nach der jedesmaligen Entleerung gewechselt,
während in den Urinflaschen die 24 ständigen Mengen gesammelt wurden. Bei dem
täglichen Wechsel der Urinflaschen wurde das Urinal mit heissem Wasser aus-
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W. Cronheim und Erich Müller
gespült, im Anschlüsse daran mit der Thymolsalzsäurelösung desinficiert, das ge¬
messene Spülwasser dem Urin beigefügt und bei der Messung der Urinmengen
berücksichtigt. Die Exkrete wurden Sommer und Winter auf Eis resp. Schnee
aufbewahrt, die Untersuchungen selbst wurden möglichst beschleunigt.
Die Ernährungsweise der Kinder war die folgende:
Die Nahrung war ein Kindermehl und bestand aus einem Gemisch von Mager¬
milchpulver, Hafermehl — welches zum Theil schon diastasiert war, zum Theil bei der
Herstellung der trinkfertigen Nahrung vermittelst Diastase (Merck) diastasiert wurde
— und Glykose resp. Rohrzucker. Das für unsere Zwecke nothwendige Lecithin
wurde in Form von trockenem Eidotter zugeführt, im Kontrollversuch wurde der
N- und P-Gehalt des Eidotters durch eine Erhöhung des Gehaltes an Magermilch
ersetzt. Der kürzeren Ausdrucksweise wegen sollen in folgendem die Versuche
mit Eidotternahrung als A-Versuche, diejenigen ohne Eidotter als B-Versuche be¬
zeichnet werden. Es besteht dann jeder Versuch aus einem A- und einem B- oder
Kontrollversuch. Unser Bestreben war, den N- und P-Gehalt beider Nahrungen
möglichst gleich zü gestalten. Die kalorische Gleichwerthigkeit der Nahrungen wurde
durch einen Butter- resp. Zuckerzusatz erreicht. Die Nahrung wurde von uns
selbst jeden Tag gekocht und in trinkfertigen, gleichen Portionen — inklusive aller
Zusätze — in Soxhletflaschen 15—20 Minuten lang im strömenden Dampf sterilisiert,
schnell abgekühlt und auf Eis bis zur Verabreichung aufbewahrt. Um einen
möglichst quantitativen Verbrauch der Nahrungsmengen zu erreichen, wurde jedes¬
mal nach dem Trinken die Flasche mit einer abgemessenen Menge abgekochten
Wassers (10 cm») nachgespült und dem Kinde nochmals gereicht. In nicht ge¬
trunkenen Mengen wurde die Trockensubstanz quantitativ bestimmt und Erbrochenes
— es handelte sich immer nur um wenige cm 3 — wurde möglichst genau abge¬
schätzt, beides wurde bei Berechnung der Nahrungsaufnahme berücksichtigt. Bei
der Festsetzung der täglichen Nahrungsmenge nahmen wir als Nahrungsbedarf des
Kindes 100 Kalorieen pro Tag und Kilo an, bei einigen Versuchen sind wir den
Anschauungen Heubner’s folgend darüber hinausgegangen und haben bis zu
128 Kalorieen gegeben. Eine Ausnahme macht das zweieinhalbjährige Kind, welches
nicht mehr als 70 Kalorieen aufnahm. Die tägliche Nahrungsmenge wurde stets in
sechs Mahlzeiten und in dreistündigen Pausen verabreicht.
Ver sachsmethoden.
Die zur Analyse von Nahrung, Koth und Urin ausgeführten Bestimmungen
wurden nach bewährten Methoden angestellt, die angegebenen Werthe sind das
Mittel von mindestens zwei gut übereinstimmenden Analysen. Der N wurde nach
Kjeldahl — bei Koth und Nahrung unter Beigabe von metallischem Quecksilber als
Kontaktsubstanz nach Wilfarth- Argutinsky — bestimmt, der P nach der sehr
empfehlenswerthen Methode von Neumann 42 ). Von der Genauigkeit derselben
haben wir uns durch eigene Kontrollanalysen überzeugt.
a) Uebliche gewichtsanalytische Bestimmungsmethode mit molybdänsaurem
Ammon.
b) Bestimmung nach Neu mann.
1. in Na, HP0 4
a 0,0544 g | b —0,0547 g
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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
2. in unserer Nahrung
(mit Soda und Salpeter verpufft)
a 1,21 o/o | b -1,23 o/ 0
3. im Urin
beide Mal verbrannt nach Neumann.
a) gewichtsanalytisch, wie üblich i b) titrimetrisch nach Neumann
0,0189 g , 0,0191 g
Im Koth wurde der organische Phosphor nach der neuen Methode von
Knöpfelmacher 1 «) — Behandlung nach vorhergegangener Entfettung mit 20% Salz¬
säurelösung und Zusatz von Tanninlösung — vom mineralischen getrennt. Die ohne
bisherige nähere Begründung von Schlossmann 28 ) geäusserten Bedenken gegen die
bisherigen Bestimmungen des organischen Phosphors können wir natürlich nicht auf
ihre Tragweite prüfen. Sollten aber auch unsere Werthe durch diese Zweifel betroffen
werden, so bleiben sie doch für alle Fälle untereinander vergleichbar. Die Fett¬
bestimmungen wurden nach Soxhlet in der getrockneten Substanz ausgeführt —
mit der in unserem Laboratorium üblichen Modifikation die einmal extrahierte Sub¬
stanz nach einer Vorbehandlung mit Salzsäurealkohol noch einmal zur Bestimmung
des Seifenfettes zu extrahieren. Vielfache Versuche haben ergeben, dass hierbei die
Fette fast ebenso vollkommen, wie nach vorhergegangener Verdauung (Dormeyer 35 )
extrahiert werden. Die ersten Aetherextrakte dienten auch zur Bestimmung des
ätherlöslichen Phosphors.
Die Kohlehydrate in der Nahrung wurden indirekt als Restsubstanz berechnet,
deshalb findet sich auch in unseren Analysen die direkte Bestimmung der Rohfaser
nach König 38 ). Dabei sind wir uns der mit dieser’Art der Berechnung unvermeidlich
verbundenen Fehler bewusst. Die fast immer vollständige Ausnützung der Kohle¬
hydrate liess uns diesen Mangel als nicht bedeutungsvoll gegenüber der sehr um¬
ständlichen Arbeit, welche die Einzelbestimmung der verschiedenen Kohlehydrate
unseres Nahrungsgemisches erfordert hätte, erscheinen. Ausserdem kam für uns
die Kohlehydratbilanz erst in zweiter Linie in Betracht. Zum Nachweis eventuell
im Koth vorhandener Kohlehydrate wurde dieser im Autoklaven nach Märker 30 )
aufgeschlossen und der Zucker nach der Inversion quantitativ nach Allihn be¬
stimmt Zur Kritik hierbei gefundener, kleiner Mengen muss man sich gegenwärtig
halten, dass auch andere Stoffe als Kohlehydrate — wie zum Beispiel Schleim —
die Fehling’sche Lösung reducieren. Für die Wasserbestimmungen wurde die
Substanz im Dampftrockenschrank getrocknet, im getrockneten Koth wurde durch
eine nachträgliche N-Bestimmung nach Kjeldahl ein eventueller N-Verlust be¬
stimmt und in Rechnung gesetzt.
Der Koth der meisten Versuche wurde in einem grossen Vakuumtrockenapparat
bei einer 60° C nicht übersteigenden Temperatur getrocknet, dabei wurde mit der
Heizung erst nach Herstellung des Vakuums begonnen, nachdem die Verbindung
zwischen der Luftpumpe und dem Apparat resp. Kondensator abgestellt war. Eine
im Apparate befindliche Schale mit Schwefelsäure absorbierte [die bei der Trock¬
nung sich verflüchtigenden geringen N-Mengen fast vollständig, wenigstens^ fand sich
nur einmal das im Apparat und Kondensator sich ansammelnde Kondenswasser
alkalisch reagierend. Trotzdem wurden jedesmal die Kondenswässer gesammelt, mit
der Schwefelsäure vereinigt und darin der N bestimmt und berücksichtigt. In den
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W. Cronheim und Erich Müller
beiden Versuchen (V und VI), bei welchen wir äusserer Umstände wegen den
Apparat nicht benutzen konnten, wurde der Eoth auf dem Wasserbade getrocknet,
wobei durch Zusatz von Salzsäure stets eine saure Reaktion unterhalten wurde.
In den wie üblich vorgenommenen Aschebestimmungen wurden Kalk und
Magnesia nach den gewöhnlichen Methoden bestimmt. Hierbei sei erwähnt, dass
wir auf die Wichtigkeit der Magnesiabestimmungen erst durch die Dissertation von
Gottstein**) — loc. cit. — aufmerksam wurden. Deshalb fehlen dieselben in
den Urinen der ersten Versuche, während sie im Koth und in der Nahrung nach¬
geholt werden konnten. Die Asche wurde in Salzsäure gelöst, wobei wir uns
wiederholt überzeugten, dass der geringfügige Rückstand keine Pyrophosphate ent¬
hielt. Die Lösung wurde mit Ammoniak übersättigt und wiederum mit Essig¬
säure angesäuert. Das hierbei unlöslich zurückbleibende phosphorsaure Eisen wurde
durch Filtration getrennt, durch oxalsaures Ammon der Kalk abgeschieden und
in dem wieder ammoniakalisch gemachten Filtrate vermittelst phosphorsauren
Natriums die Magnesia ermittelt Der Salzgehalt des zur Bereitung der Nahrung
verwandten Leitungswassers wurde mit Mittelwerthen — nach uns zur Verfügung
gestellten im Aufträge der städtischen Wasserwerke ausgeführten Analysen — in
Rechnung gestellt. Diese Mittelwerthe betragen pro Liter 50 mg CaO, 6 mg MgO
150 mg gesammte Salze, P,0 5 ist nur in Spuren vorhanden.
Für die kalorimetrischen Bestimmungen in der Berthelot’sehen Bombe
wurden Nahrung resp. Koth in Pastillen gepresst, der Urin nach Kellner»*) auf
Cellulosepflöckchen, deren Verbrennungswerth wir bestimmten, bei Zimmertemperatur
im Vakuum eingedunstet Durch Befeuchten des den Urin enthaltenden Gefässes
mit destilliertem Wasser und durch Auswischen mit den Pflöckchen vermochten wir
die den Wandungen anhaftenden letzten Reste des Urins quantitativ auf die Pflöck¬
chen zu übertragen. Das Eindunsten des Urins wurde in einem mit der Pflüger-
schen Blutgaspumpe verbundenen Exsiccator bei ca. 5—10 mm Quecksilberdruck
vorgenommen, es gelang uns so selbst relativ grössere Urinmengen — 20—30 cm»
— auch im Sommer ohne Zersetzung einzudampfen, was daraus hervorging, dass die
im Exsiccator befindliche Schale mit Schwefelsäure entweder gar keine oder nur
Spuren von N-Verbindungen aufgenommen hatte. Bei der Berechnung der kalori¬
metrischen Bestimmungen haben wir die Verbrennungswärme des zur Zündung
dienenden Eisendrahtes, sowie die der dabei entstehenden Salpetersäure in Abrech¬
nung gebracht. Letztere haben wir allerdings nur durch die Bestimmung der
Säuremenge im Spülwasser der Bombe festgestellt, wobei die eventuell gebildete
Schwefelsäure, sowie Phosphorsäure auch als Salpetersäure gerechnet wurde. Durch
wiederholte direkte Bestimmung dieser Salpetersäure nach Jodlbaur haben wir
uns jedoch überzeugt, dass dieser Fehler vernachlässigt werden darf. Bevor wir
zur Besprechung der Resultate unserer Versuche übergehen, wollen wir kurz zur
besseren Orientierung den Verlauf und die Besonderheiten jedes einzelnen Versuches
beschreiben.
Versuchsergebnisse.
Versuch I (Januar bis Februar 1900). Kind I, in Privatpflege, 2Vs Jahre alt, ist
bei guter Gesundheit, nur für sein Alter etwas zart entwickelt, geringes Gewicht. Das
Kind ist, wie oben erwähnt, absolut reinlich und meldet seine Bedürfnisse rechtzeitig an.
Das bereits an gemischte Kost gewöhnte Kind nimmt die in Form von dickem Brei ge¬
reichte Nahrung nicht immer gern, durch einen erhöhten Zuckerzusatz decken wir das
Kalorieenbedürfniss des Kindes. Der Versuch verläuft sonst ohne Störung, Dauer jeder
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Versuche Ueber den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 33
der 2 Versuchsperioden 5 Tage. Die N-Bestimmung wurde hier ausnahmsweise im frischen,
gut gemischten Kothe ausgeführt.
Die Nahrung verabreichten wir hier in nicht ganz gleichmässigen Portionen, vielmehr
wurde von einem abgewogenen, grösseren Vorrathe des Nahrungsgemisches und von Rohr¬
zucker eine geeignet erscheinende Menge zu jeder Mahlzeit genommen und mit dem ent¬
sprechenden Bruchtheile der für den Tag bestimmten Butter zu Brei gekocht. Auf diese
Weise nahm das Kind in den fünf Tagen der A-Periode (29. Januar bis 3. Februar 1900)
zu sich:
617 g Nahrungsgemisch in 5 1 Wasser.
162,6 g Rohrzucker,
35 g Butter.
Die Analysen ergaben im Nahrungsgemisch 94,0 % Trockensubstanz, 2,46 % N,
8,29 °/ 0 Fett, 0,64 °/o Rohfaser, 67,0% verdauliche Kohlehydrate, 2,67% Asche,
davon 0,41 % CaO und 0,158% MgO, 1,23 % P 2 0 5 = 0,537 % P (davon ätherlöslich
0,041 %). Die Butter wurde in allen Versuchen zu 85 % Fettgehalt gerechnet, ihr
N stets vernachlässigt. Der gut ahgegrenzte Kot der fünf Tage wog frisch 307,0 g —
incl. Waschwasser (destilliertes). Er enthielt 0,80 % N und lieferte nach dem Trocknen
38.0 g lufttrockene Substanz mit 5,71% H a O,. 6,46% N, 14,31% Fett, Rohfaser
10,39%*), andere Kohlehydrate 0 Asche 15,72% (davon 5,32% CaO, 1,11% MgO),
und 7,27 % Pj0 5 = 3,18 % P. AetherlÖslicher P nicht vorhanden, organischer P =
unwägbare Spuren. Aus diesen Daten berechnen wir als absolute Werthe des Umsatzes:
I Trocken-1 ^
' Substanz ;
Fett
Rohfaser Asche
1
Kohle- |
hydrate
Einnahme.
Ausgabe (Koth) |
773,2
33,3
15,193
2,456
80,949
5 438 |
3,949
3,949
1 17,240
1 0,974
576,0
0
j 7,596
2,764
Resorbiert . . 1
Resorbiert in % 1 ,
737,9
! 12,737
75,511
- •
11,266
, 576,0
| 4,832 (2,107 P)
1
(
der Einnahme J
!
96,37
1 83,83
I
93,28
65,35
1
1 100
63,61
Die Untersuchung des Harns ergab:
Datum
Menge
cm 3
1
N in g |
P 2 O 5 in g
29. Januar bis 30. Januar
1 510
f
j 2,526
0,563
30. » »31. »
890
; 1,896
0,465
31. » » 1 . Februar
940
1,750
0,411
1 . Februar » 2 . »
1225
1,784
0,454
2. » » 3. »
1 938
1,612
0,351
Summa
4503
j 9,568
2,244 (P = 0,9797)
Die Differenz der resorbierten und der im Harn ausgeschiedenen Mengen ergiebt
einen Ansatz von:
3,169 g N, 2,588 g P 2 0 5 (1,130 g P),
in % des Resorbierten:
24,88% N, 53,56 % P 2 0 5 .
*) Dabei haben wir für alle Versuche angenommen, dass die Rohfaser im Kothe vollständig
wiedererscheint
Zeitgehr. f. diät. u. phyaik. Therapie Bd. VT. Heft 1. 3
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34 W. Cronheim und Ericl» Müller
Für den Mineralstoffwechsel ergeben sich die folgenden Werthe:
Durch Nah- '
rung+Wasser
eingeführt 1
im Koth
auBgeführt 1
Verdaut
FT
Dasselbe
in o/ 0
Asche
17,240
5,974
11,266
65,35
CaO
2,78
2,021
0,759
27,31
MgO
1,005
0,421 j
0,584
58,11
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
28. Januar 10 860 g
29. > 10 846 g)
30. > 10 680 gl
8 J- ,* 12^-2 g > Mittel der Vcrsuchsdaner 10 673 g.
1. Februar 10 4*2 g[ *
2. » 10 432 g\
3. » 10 600 g 1
6. » 10 860 g
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Kinnahme: 617 g Nahrung k 4,400 Kal. = 2714,80 Kal.
36 g Butter*) ä 8,085 » = 282,98 »
162,5 g Rohrzucker k 3,960 » = 643,50 »
Summa 3641,28 Kal. = 68,23 pro Kilo u. Tag.
Ausgabe im Kothe: 38 g k 4,830 K al. = 183,54 »
also resorbiert = 3457,74 Kal. = 64,79 pro Kilo u. Tilg.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 94,96%.
In den fünf Tagen der B-Periode (12. —17. Februar er.) nahm das Kind zu sich:
555,75 g Nahrungsgemisch mit 5 L. H 2 0,
202,14 g Rohrzucker,
45,90 g Butter.
Im Nahrungsgemisch ergab die Analyse: 93,48 % Trockensubstanz, 2,41% N,
4,465% Fett, 0,52% Rohfaser, 70,51% verdauliche Kohlehvdrate, 2,92 % Asche, davon
0,49% CaO und 0,18% MgO, 1,26% P 2 0 5 = 0,55 % P.
Der gut abgegrenzte Koth der fünf Tage wog inklusive Waschwasser 414 g und ent¬
hielt 0,58% N.
Nach dem Trocknen lieferte er 23,5 g lufttrockene Substanz, darin 2,68 % H 2 0,
10,22 % N, 9,68 % Fett, 12,30 % Rohfaser, andere Kohlehydrate 0, 17,45% Asche,
davon 4,69 % CaO und 1,23 % MgO, 7,62 % P 2 0 5 = 3,33 % P, organischer P unwäg¬
bare Spuren.
Daraus berechnen sich als absolute Werthe des Umsatzes:
Trocken¬
substanz
N
Fett
i
Rohfaser!
_ l
Asche
Kohle¬
hydrate
P a 0 5
Einnahme. . .
761,90
13,393
61,829
2,890 I
16,978
604,64 |
7,002
Ausgabe (Koth)
22,87
2,401
2,275
2,890
4,099
1
1,791
Resorbiert . .
1 739,03 :
10,992
59,554
12,879 j
604,64 1
f>,21l 12,275 P)
Resorbiert in % 1
der Einnahme f
82,07
96,32
i
-
75,86
ioo j
74,42
*) Nach Kubner (Zeitschrift für Biologie 1902. Bd. 42. S. 288):
Butter: 1 g Trockensubstanz = 9,210 Kalorieen.
» (frisch) 1 g (87,73% Trockensubstanz) — 8,085 »
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Versuche über den Stoff- und KraftWechsel des Säuglings.
35
Im Urin sind enthalten:
Datum
1 Menge 1
N
i
p a o 5
i cm» |
12.—13. Februar
948 '
1,801
0,513
13.—14. »
ii85 ;
1,768
0,621
14—15.
980
2,423
0,658
15.—16. »
1076
2,731
0,606
16.—17. »
1195
2,528
0,670
Summa
5384 |
11,251
3,068 (P = 1,339)
Aus der Differenz der resorbierten und im Harn ausgeschiedenen Mengen berechnet
sich ein Ansatz resp. Abgabe von:
—0,259 g N, 2,143 g P 2 0 Ä (0,936 g P),
in °/o des Resorbierten:
-2,36 o/o N, 41,13 o/o p a 0 5 .
Die Werthe für den Mineralstoffwechsel ergeben sich aus der nachstehenden Tabelle
Durch Nah¬
rung + Wasser
! eingeführt
Im Koth
ausgeführt !
Verdaut
Dasselbe
in o/ 0
Asche
1 16,978
4,099
12,879
75,86
CaO
2,973
1,102
1,871
62,94
MgO
1,068
0,290
0,768
72,59
Die
Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
11. Februar 11 455 g
12. :» 11 368 g
13. » 10 900 g
14. )> 10 770 g
15 » 10 741 g
16. » 10 990 gl
17. » 10 565 g]
18. » 10 955 g
Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt:
Hinnahme: 555,75 g Nahrung ä 4,220 Kal. = 2345,3
45,90 g Butter ä 8,085 » = 371,1
202,14 g Rohrzucker ä 3,960 » = 800,48
Mittel der Versuchsdauer 10 962 g.
Kal.
Ausgabe im Kotlie:
Summa 3516,88 Kal. = 64,16 p. Kilo u. Tag.
23,5 g h 4,90 Kal. = 115,15 »
also resorbiert 3401,73 Kal. = 62,06 p. Kilo u. Tag.
Von dem Brcnnwerthe der Nahrung sind dem Körper zu gute gekommen 96,73 °/o.
Versuch U (Mai—Juni 1900). Das Resultat dieses Versuches haben wir bereits in
unserer vorläufigen Mittheilung 19 ) veröffentlicht
Kind II, 11 Monate alt, liegt im Krankenhause, wo es einer äusseren Erkrankung
wegen — Ohrenleiden — aufgenommen war. Zum Beginn des Versuches ist es gesund.
Dauer des A-Versuches 4 Tage, des B-Versuches äusserer Umstände wegen nur 3 Tage.
Während des letzteren wurde als letzte Versuchsmahlzeit Kakao — 7 g — gereicht, dieser
wurde von uns analysiert und bei Aufstellung der Bilanz in Rechnung gebracht. In unserer
Mittheilung hatten wir den Phosphorgehalt des Kakaos nicht berücksichtigt, wir haben jetzt
'liesen, im übrigen geringen, Fehler verbessert, wodurch sich die Zahlen für die Phos-
phorbilanz etwas verschieben. Der Versuch verläuft ohne Störung, nur im Versuch A
erbricht das Kind einmal, die Menge wird schätzungsweise mit 2,5 g in Rechnung gestellt.
Die Nahrung wird gut vertragen. In den vier Tagen der A-Periode (20.—24. Mai 1900)
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36 W. Cronbeim und Erich Möller
erhielt das Kind 600 — 2,6 g Erbrochenes = 597,5 g Nahrungsgemisch mit 4,4^1 H *0.
Die Nahrung war die gleiche wie in Versuch IA.
Der Koth wog lufttrocken 52,5g, er enthielt: 6,04 °/ 0 H 3 0, 6,28 % N,t6,60 °/o Fett,
9,33 °/o Rohfaser, 3,45 % andere Kohlehydrate, 14,71 °/ 0 Asche, darin 3,93 °/ 0 .CaO und
1,44 MgO, 5,80 °/ 0 Pj0 5 = 2,63 °/ 0 P, ätherlöslicher P = 0, organischer P = 0,32 °/ 0 .
Danach sind die absoluten Werthe des Umsatzes:
Trocken¬
substanz
N
Fett
Rohfaser
Asche
Kohle¬
hydrate
p 2 0 3
Einnahme. . .
561,7
14,699
49,533
4,900
16,613
400,445
7,349
Ausgabe (Koth)
49,3
3,298
3,411
4,900
7,723
1,811 |
3,044
Resorbiert . .
512,4
11,401
46,122
—
8,890
398,634
1 4,305 (1,88 ]*)
Resorbiert in o/ 0 1
der Einnahme 1
91,22
77^6
1
93,11
1
I
53,51
99,55
68,58
Die Untersuchung des Harns ergab:
Datum
Menge
N
P 2 O ä
cm*
20 .—21. Mai
1 400
2,093
0,7105
21 .—22. )i
725
2,091
0,7196
22.-23. d
625
2,0865
0,G903
23.-24. »__
783
2,370
0,7450
Summa
2533
8,6405 j
2.865 (P = 1,251)
Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt
einen Ansatz von:
2,7605 g N, 1,440 g P 2 0 5 (0,629 g P),
in °/ 0 des Resorbierten:
24,21 % N, 33,44<>/o P*0 5 .
Die Werthe des Mineralstoffwechsels sind:
Durch Nah¬
rung -(-Wasser
eingeführt
lm Koth
ausgeführt
Verdaut
|
Dasselbe
in o/o
Asche
16,613
8
l
8,890
53,51
CaO
2,67
2,065 ,
0,605
22,66
MgO
0,97
0,756
0,214
22.06
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
20. Mai 6370 gl , . . 4 „ A fl ., A
24. * 6510 gl das Mlttel betrftgt 6440 R-
Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt:
Einnahme: 597,5 g Nahrung ä 4,40 Kal. = 2629 Kal. = 102 pro Kilo und Tag.
Ausgabe im Koth: 52,5 g i\ 4,642 > = 238,46 »
also resorbiert 2390,64 Kal. = 92,8 pro Kilo und Tag.
Ausgeschieden im Urin... 99,01 »
Im Körper verbrannt resp. angesetzt 2291,53 Kal. = 89 pro Kilo und Tag.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 90,93 %.
In den drei Tagen — 30. Mai bis 2. Juni 1900 — der B-Periode wurde gegeben:
425 g Nahrungsgemisch \
7 g Cacao I . _ _ , . _ ^
35 g Rohrzucker ( m,t 3 ’ 3 Llter H * 0,
10 g Butter J
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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
37
Die Zusammensetzung des Nahrungsgemisches war die gleiche wie in Versuch IB.
Der Kakao enthielt: 2,23% N, 1,42% P 2 0 5 , 23,0°/oFett, 5,5°/ 0 Rohfaser (angenommen),
35 °/ 0 verdauliche Kohlehydrate (angenommen); Asche 5°/ 0 , darin 0,1 °/o CaO und
0,4 Mg 0. Die Menge des Kothes betrug (lufttrocken) 44,95 g. Darin 9,6 °/ 0 H 2 0,
6,35% N, 8,36 °/ 0 Fett, 5,77 °/ 0 Rohfaser, 0,97% andere Kohlehydrate, 13,93 % Asche
mit 4,29 CaO und 1,28 % MgO, 6,18 % P 2 0 5 = 2,70 % P, organischer P 0,26%.
Danach betragen die absoluten Werthe des Umsatzes:
Trocken¬
substanz
N
1
Fett
Rohfaser
Asche
Kohle¬
hydrate
P 2 0 5
Einnahme. . .
438,60
10,399
29,086
2,595
13,420
337,12
5,454
Ausgabe (Koth)
40,68
2,854
3,758
2,595
6,260
0,44
2,778
Resorbiert . .
Resorbiert in
397,92
7,545
| 25,328
_
i
9,160
336,68 !
2,676 (1,168 P)
der Einnahme!
90,72
72,56 |
87,09
i
53,35
99,87
i
49,07
Die Untersuchung des Urins ergab:
Datum
Menge
cm 3
N
P 2 O 5
30. Mai bis 31. Mai
820
2,218
0,801
31. » » l.Juni
840
2,411
0,777
1 . Juni » 2. »
840
2,192
! 0,544
Summa
2500
6,821
2,122 (P = 0,926)
Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedeneu Mengen ergiebt
eineu Ansatz von:
0,724 g N, 0,554 g P 2 0 5 (0,242 g P),
in % des Resorbierten:
9,60% N, 20,7 t % P 2 0 5 .
Die Werthe des Mineralstoffwechsels sind die folgenden:
Durch Nah¬
rung-(-Wasser
eingeführt
Im Koth
ausgeführt
Verdaut
I Dasselbe
in "/o
Asche
13,420
6,260
! 9,160
53,35
CaO
2,255
j 1,928
0,327
14,50
MgO
! 0,834
0,575
0,259
31,06
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
3 !?' ^ ai . Mittel der Versuchszeit 6605 g.
3. Juni 6590 g I
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme : 425 g Nahrung k 4,220 Kal. = 1793,5 Kal.
7 g Kakao k 6 » = 35 »
35 g Rohrzucker k 3,96 » = 138,5 »
10 g Butter k 8,085 * = 80,85 »
2047,95 Kal. = 103,35 p. Tag u. Kilo.
Ausgabe im^Kothe: 44,95 g a 4,46 Kal. = 200,5 »
also resorbiert 1847,45 Kal. = 93,24 p. Tag u. Kilo.
Im Urin sind ausgeschieden . . . . . 63,40 »
Im Körper verbrannt resp. angesetzt 1784,05 Kal. — 90,0 p. Tag u. Kilo.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 90,21 %.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
38 W. Cronhcim und Erich Müller
Versuch III (Juli 1900). Kind III, 4 Monate alt, liegt im Krankenhause. In
diesem Versuche beabsichtigten wir, da uns ein günstiger Einfluss des Lecithinphosphors
nach den Resultaten der ersten beiden Versuche deutlich erschien, auch noch die Frage
nach dem Verhalten der verschiedenen Milcheiweisskörper zu prüfen. Wir gaben deshalb
eine etwas anders zusammengesetzte Nahrung — natürlich abgesehen von dem Eidotter —
und zwar im A-Versuche 13,3 % Magermilchpulver und 20 % trockene Molke, im B-Ver-
suche dagegen nur Magermilchpulver — 26,5 % — und keine Molke, d. h. im A-Ver-
suche weniger Kasein und dafür eine wesentlich grössere Menge der in der Molke allein
noch vorhandenen Milchalbumine. Dadurch wurde im A-Versuche das Verhältnis des
Kaseins zum Albumin dem in der Frauenmilch ähnlich gemacht. Die fehlenden Kalorieen
des B-Versuches wurden durch Rohrzucker und Butter ersetzt Infolge dieser differenten
Nahrung ist dieser Versuch mit den übrigen nicht vollkommen in Parallele zu stellen.
Das Kind war wegen eines jetzt abgeheilten Furunkels ins Krankenhaus aufgenommen
worden und erschien normal. Im Beginne des Versuches vertrug das Kind auch die Nahrung
anscheinend gut, doch traten bald dyspeptische, später dünnflüssige und übelriechende Stuhl¬
gänge auf. Es mag dahingestellt bleiben, ob das Befinden des Kindes während der
Vortage wirklich ein ganz normales war. In den nächsten Tagen besserte sich der Zustand
des Kindes, es nahm an Gewicht zu, sodass wir den Kontrollversucb begannen. Jedoch
entleerte das Kind auch jetzt wieder zum Theil sehr dünne und übelriechende Stühle.
Deutet auch die bessere Fettausntitzung während des B-Versuches — siehe Tabelle —
auf eine Besserung im Befinden des Kindes hin, so weisen doch die anderen Zahlen, be¬
sonders die der N-Bilanz, auf ein krankhaftes Verhalten — gekennzeichnet durch die schlechte
Ausnützung — hin- Dieser Versuch nimmt auch deswegen eine Sonderstellung ein. Experi¬
mentell verlief der Versuch ohne Störung.
In den vier Tagen (9. Juli bis 13 Juli 1900) der A-Periode erhielt das Kind
456 —1 g Erbrochenes = 455 g Nahrungsgemisch mit 3,2 Liter H 2 0. Die Zusammen¬
setzung war die folgende: 92,83% Trockensubstanz, 1,97% N, 8,65% Fett, 2,65%
Asche, darin 0,53 % CaO und 0,103% MgO, 0,34% Rohfaser, 68,88 % verdauliche
Kohlehydrate, 1,13% P a 0 5 = 0,49 % P, davon ätherlöslich 0,021%.
Die Menge des lufttrockenen Kothes betrug 73,03 g, darin 4,16 % H 2 0, 5,24 % N,
20,8 % Fett, 2,12 % Rohfaser, 13,25 % andere Kohlehydrate, 12,91 % Asche, darin
3,23 % CaO und 0,53 % MgO, 4,40 % P 2 0 5 = 1,92 % P. Organischer P = 0,1%,
ätherlöslicher P = 0.
Danach berechnen wir die folgenden absoluten Werthe des Umsatzes:
_ _ _ 1
Trocken¬
substanz i
N
1
| Fett
.1 _
1
Asche
| Rohfaser i 1
1 j hydrato |
P 20 ,
Einnahme . . .
Ausgabe (Koth)
422,4
70,0
8,904
3,829
39,358
15,190
1
1 12,538
| 9.426
- 1 "■ 1
1,547 313,404 |
1,547 9,677 ,
5,142
3,214
Resorbiert . .
352,4 f
5,135
24,168
3,112
- | 303,727
1,928 (0,842 P)
Resorbiert in o/ 0 \
der Einnahme 1
83,43 |
57,28
61,41
24,83
! 96,91
i l
37,50
Die Untersuchung des Urins ergab:
Datum
1 Menge
N
1-r
P* 0 ;,
CaO
cm 3
' l
9.— 10 . Juli
500
0,9913
0,294
—
10 . — 11 . »
560
1,0561
' 0,376 !*) !
—
11 .— 12 . »
580
1,0445
1 0,316 1
—
12.—13. »_
490
1,074
1 0,272
—
Summa
| 2190
4,166,
1 1,258 (= 0,549 P) I
0,017
*) Während die N-Werthe an den einzelnen Tagen annähernd gleich sind und auch die P 0 O 5 -
Mengen am ersten, dritten, vierten Tage, besonders, wenn wir das Mittel vom dritten und vierten
läge nehmen, recht gut übereinstimmon, ist die P 2 0 5 -Ausscheidung am zweiten Tage auffallend
hoch. Vielfach wiederholte N- und PoO.rBestimmungen ergaben stets das gleiche Resultat, sodass wir
für diesen hohen Anstieg eine Erklärung nicht geben können.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
39
Versuche über den Stoff- und Kraft Wechsel des Säuglings.
Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt
einen Ansatz von
0,969 g N, 0,670 g P 2 0 5 (0,293 g P),
in % des Resorbierten:
18,87 o/o N, 34,75 °/ 0 P,0,.
Die Werthe für den Mineralstoffwechsel sind:
Durch Nah- 1
rang+Wasser
eingeführt
Im Koth
ausgeführt
Dasselbe
in o/ 0
Resorbiert
| Im Urin
aus¬
geschieden
Retiniert '
Dasselbe
in o/ 0
Asche
12,538 |
9,426
75,17
3,112
4,163
—1,051
—
CaO
! 2,572 i
2,359
91,72
0,213
0,017
0 ,1%
92,0
MgO
0,488
0,387 i
79,30
0,101
nicht bestimmt
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
8. Juli 4005 g
9. $ 4044 g 1 Mittel der
13. a 4014 gl Versuchszeit 4029g.
14. » 4005 g
15. Juli 3990 g
16. » 3958 g
17. » 4000 g.
Der Eraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme: 465 g Nahrung k 4,325 Kal. = 1968 Kal. = 122 Kal. pro Tag u. Kilo.
Ausgabe im Koth 73,07 g k 5,109 » = 373,13 »
also resorbiert 1594,87 Kal. = 99 Kal. pro Tag u. Kilo,
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 81,04 °/ 0 .
In den 4 Tagen (19. bis 23. Juli 1900) des B-Versuches erhielt das Kind 444 g
Nahrungsgemisch mit 3,2 Liter Wasser und 12,9 g Butter. Die Zusammensetzung des
ersteren war die folgende:
94,74 % Trockensubstanz, 2,08% N, 4,32 % Fett, 2,56% Asche, darin 0,446
CaO und 0,158 MgO, 0,60 % Rohfaser, 74,26 % verdauliche Kohlehydrate, 1,22 % PoOr,
(—0,53 % P).
Die Menge des lufttrockenen Kothes betrug 73,36 g, darin 5,90 % HoO, 5,53 % N,
10,57% Fett, 3,63 % Rohfaser, 11,67% andere Kohlehydrate, 13,40% Asche, darin
2,93 % CaO und 0,66 % MgO, 4,78 % P 2 0 5 (1,96 % P), 0,07 % organischer P.
Danach berechnen sich die absoluten Werthe des Umsatzes wie folgt:
Trocken¬
substanz
N.
Fett
Rohfaser
Asche
Kohle¬
hydrate
p,o.
Einnahme. . .
Ausgabe (Koth)
431,96
69,03 |
9,235
4,053
r
30,146
7,754
2,664
2,(164
11,846
9,830
329,714
8,559
5,417
3,286
Resorbiert . .
| 362,93 1
5,182
22,392
_ l
2,016
321,155 '
2,131 (0,93 P)
Resorbiert in % |
der Einnahme f
| 80,02 i
56,11
75,28
17,02
97,41
39,34
Die Untersuchung des Urins ergab:
Datum
Menge
N !
P*O r ,
CaO
cm 3
I_
19.—20. Juli
560
0,966 !
0,229
20 .—21. »
510
1,023 |
0,262
21.—22 i»
475
1,148
0,291
22.-23. »_
520
1,183
0,252
Summa
2065
; 4,320
1,034 (P = 0,451) :
0,013
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
40 W. Cronheim und Erich Müller
Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt
danach folgenden Ansatz:
0,862 g N, 1,097 g P.,0, (0,479 g P),
in % des Resorbierten:
16,63% N, 51,48% P>0 5 .
Die Wertbe des Salzstoffwechsels sind:
Durch Nah¬
rung 4- Wasser
eingeführt
Im Koth
aus geführt
Dasselbe
in o/ 0
Resorbiert
Im Urin 1
aus- 1 Retiniert
geschieden
Dasselbe
in o/o
Asche
! 11,846
9,830
82,96
2,016
4,761 | —2,745
—
CaO
2,140 ,
2,150
negativ
— 0,01
0,013 — 0,023
, —
MgO
, 0,721
0,484
67,13
0,237
Nicht bestimmt
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
18. Juli 4 021 g
19. > 3 916 gl das Mittel der Yersuchszeit
23. » 3 782 g) beträgt 3849 g
24. > 3 682 g
25. » 3 652 g
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme: 444 g Nahrung k 4,223 Kal. = 1 875,0 Kal.
12,9 g Butter k 8,085 K al. = 104,3 Kal.
1 979,3 Kal. = 128,5 Kal. p. Tag u. Kilo.
Ausgabe: 73,36 g Koth ä 4,738 Ka l. =• 347,6 Kal.
also resorbiert 1 631,7 Kal. = 106,0 Kal. p. Tag u. Kilo.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen: 82,44%.
Versuch IV (November bis Dezember 1900). Kind IV, IOV 2 Monate alt, liegt in
Privatpflege, ist für sein Alter gut entwickelt uud vollkommen gesund. Das Kind erhält
eine neue Mischuug, welche der Nahrung von Versuch I und II möglichst ähnlich her¬
gestellt wurde. Das lebhafte und von Hause an vieles Herumtragen gewöhnte Kind er¬
trägt die Lage im Apparate schlecht und ist sehr unruhig. Im Kontrollversuche liegt das
Kind ruhig da, es hat sich inzwischen an die Lagerung gewöhnt. Das Ergebniss des
B-Versuches ist erheblich günstiger als dasjenige des A-Versuches. Da uns die grosse
Unruhe des Kindes während des A-Versuches als Erklärung für die relativ schlechte Aus¬
nützung möglich erschien, schlossen wir einen dritten Versuch C mit lecithinhaltiger Nah¬
rung an. Die Abgrenzung zu Beginn des A-Versuches liess sich — das einzige Mal —
nicht ermöglichen, wir vereinigten deshalb den Chokoladenkoth mit dem Versuchskothe und
zogen ihn für die Kothbilanz in Rechnung. Dabei nahmen wir nach Zuntz und Bend ix
bei der Kraftchokolade für den N eine Ausnützung von 47 %, für das Fett eine solche
von 95 % und für die Kohlehydrate eine vollständige an. Für die Ausnützung der
Phosphorsäure und der Salze in der Chokolade liegen Zahlen nicht vor. Wir rechneten
deshalb für die Phosphorsäure mit den beiden Extremen, dass dieselbe entweder ganz oder
garnicht ausgentitzt wird. Der richtige Werth liegt dann sicher dazwischen. Für den
Urin kamen die aus der Chokolade resorbierten Stoffe nicht in Betracht, da zwischen der
Chokoladenmahlzeit und dem zuerst aufgefangenen Urin des eigentlichen Versuches ein Zeit¬
raum von 12 Stunden lag, in dessen Verlauf die aus der Chokolade resorbierten und die
davon durch den Urin ? wieder ausgeschiedenen Stoffe im wesentlichen den Körper schon
verlassen haben dürften. Der Versuch verlief sonst ohne Störung. Die Nahrung wurde
gern genommen und gut vertragen. Im Aetherextrakte des Kothes von Versuch A fand sich
Phosphor, also ein Zeichen, dass Lecithin unverändert im Koth ausgeschieden war. In
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41
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
allen anderen Versuchen ergab die regelmässig im Kothfett ausgeführte Phosphorbestimmung
ein negatives Resultat
In den 4 Tagen der A-Periode vom 20. bis 24. November 1900 erhielt das Kind
720—6 g Erbrochenes =* 714 g Nahrungsgemisch mit 4,4 Litern H 2 0. Jenes enthielt
94.0% Trockensubstanz, 2,46% N, 8,29 % Fett, 2,67% Asche, darin 0,41 % CaO und
0.158% MgO, 0,82 % Rohfaser, 67,02 % verdauliche Kohlehydrate, 1,23 % P 2 0 5 =
0,537 % P (0,041 % ätherlöslichen Phosphor).
Der lufttrockene Koth wog incl. des Anfangsabgrenzungskothes 53,0 g. Es ist also
für die Stoffbilanz von dem Kothe der auf die Chokolade entfallende Antheil abzuziehen.
Die gegebenen 15 g Chokolade enthalten nach Durchschnittswerthen [1,04% N, 27,3 %
Fett, 1,71% Asche, darin 0,033% CaO und 0,133% MgO, 64,50% Kohlehydrate,
0.51 % P 2 O a (eigene Bestimmung)], 0,15 g N, 4,095 g Fett, 0,267 g Asche, 9,675 g
Kohlehydrate, 0,076 g P 2 0 5 . Nach der oben gegebenen Ausnützung für Kraftchokolade
erscheint davon im Kothe 0,082 g N, 0.205 g Fett, welche von den entsprechenden
Werthen des Gesammtkothes abzuziehen sind. Die prozentuale Zusammensetzung "‘des l!Ge-
samratkothes ist: 6,67 % H 9 0, 6.74% N, 7,75 % Fett, 14,70% Asche, darin 4,12 %
CaO und 1,34 % MgO, 11,05% Rohfaser, 8,53 % andere Kohlehydrate, 5,94 ; %2 t Pa0 5
= 2,59 % P, 0,3 % organischer Phosphor, 0,026 % ätherlöslicher P.
Danach berechnen sich die folgenden absoluten Werthe des Umsatzes,! wobei für N
und Fett im Kothe die entsprechenden Werthe in Abzug gebracht sind, während für die
P^Oj die oben auseinandergesetzte Rechnung durchgeführt wurde. Da wir für die Ver-
werthung der Salzbestandtheile der Chokolade Angaben nicht gefunden haben und die
Mengen absolut kleine, 0,257 g Asche, davon 0,005 CaO und 0,02 Mg 0,7sind, haben wir
dieselben bei der Aufstellung des Mineralstoffwechsels den übrigen Salzen gleichwerthig in
Rechnung gestellt.
Danach berechnen sich als absolute Werthe des Umsatzes:
Trocken¬
substanz
N
Fett
1 Roh-
1 faser
Asche
1 Kohle-
| hydrate
P 2
a
Oö
! b
Einnahme. . .
Ausgabe (Koth)
686,0*)
50,0*)
17,564
3,492
59,191
3,904
5,855
5,855
19,981*)
7,791*)
478,523
4,523
8,1
3,146
’82
3,070
Resorbiert . .
636,0
14,072
55,287
—
12,190
474,000
5,636 (2,46P)
5,712 (2.494P)
Resorbiert in o/ 0 \
der Einnahme 1
92,71
i
80,12
1
93,40
—
01,01
99,05
64,17
05,04
Die Untersuchung des Urins ergab:
Datum
Menge
N
p 2 o 5
CaO
cm 3
20.—21. November
335
2,3295
0,780
21.-22. 5
415
2,534
0,793
22.-23. »
553
2,822
1,047
23.-24. » __
565
I 2,529
0,814
Summa
1868
10,215
3,435 (P = 1,500)
0,194
Die Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen crgiebt
danach einen Ansatz von:
3.857 g N und a) 2,201 g P 2 0 5 = 0,961 g P, und b) 2,277 g P.>0 5 = 0,994 g P,
in % des Resorbierten:
27.41% N und a) 39,06 % P 2 0 5 und b) 39,87 % P 2 0 5 .
') Inklusive Chokolade.
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4*2
W. (’mnheim und Erich Müllor
Die Zahlen des Mineralstoffwechsels ergeben sich aus der folgenden Tabelle:
Durch Nah¬
rung Wasser
Im Koth
Dasselbe
Resorbiert
Im Urin
aus-
1 1
Retiniert
Dasselbe
eingeführt
ausgefühlt
m o/o
geschieden
1
in o/ u
Asche
! 19,981
1 7,791
38,99
12,190
7,077
5,113
41,9.')
CaO
3,152
1 2,184
69,29
| 0,968
0,194
0,774
79,96
MgO
1,174
0,710
60,48
0,464
nicht bestimmt
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
18. November 7443 g
20. » 7458 g
21. » 7474 g
22. » 7499 g
23. » — g
24. » 7597 g
Mittel der
Versuchszeit
7528 g
25. November 7442 g
26. » 7290 g
27. > 7317 g
28. » 7325 g
29. > 7325 g
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme: 714 g Nahrung ä 4,40 Kal. = 3141,6 Kal. = 104,3 Kal. pro Tag und Kilo.
Ausfuhr im Koth: 53 g ä 4, 50 » = 238,5 >
Es sind dem Körper zu Gute gekommen 2903,1 Kal. = 96,4 Kal. pro Tag und Kilo.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 92,42 ° i0 •
In den vier Tagen des B-Versuches vom 30. November bis 4. Dezember 1900 erhielt
das Kind 720 g Nahrungsgemisch in 4,4 Liter Wasser und 24 g Butter. Die Zu¬
sammensetzung des Nahrungsgemisches war 92,24 % Trockensubstanz, 2,47 % N, 5,65 %»
Fett, 2,95% Asche mit 0,352 % CaO und 0,146 % MgO, 0,66 % Rohfaser, 67,55 %
verdauliche Kohlehydrate, 1,28 % P a 0 5 = 0,56 % P.
Der lufttrockene Koth wog 61,75 g und hatte folgende Zusammensetzung: 3,33 %
H 2 O, 6,04% N, 9,46 % Fett, 7,58 % Rohfaser, 11,62% andere Kohlehydrate, 15,76%
Asche mit 4,80% CaO und 1,56% MgO, 5,78% P 2 0 5 = 2,52% P, 0,14% organischer P.
Danach berechnen sich als absolute Werthe des Umsatzes:
I Trocken-
substanz
Einnahme. 685,20
Ausgabe (Koth) 59,69
Resorbiert . . 625.51
Resorbiert in 0 0 |
der Einnahme J 9 ! >29
17,784
3,732
14,052
79,01
Fett : Rohfaser
■ ■ 1
: 61,080 4,68
5,843 4,68
1 55,237
1
Asche
Kohle¬
hydrate
21,900 486,36
9,774 7,178
12,126 479,182
90,43 55,37 98,52
P 2 0,
9,216
3,570 _
5,646 (2,465 P)
61,26
Die Untersuchung des Urins ergab:
Datum
Menge
cm»
N
P„0 5 CaO
30. November bis 1. Dezember
360
2,251
0,672
1 . Dezember | » 2. »
380
2,158
0,628
2. » r. 3. »
605
2,648
0,779
3. » 4. »
540
00
**
0,681
Summa
1885
9,615
2,760 (P = 1,200) 1 0,139
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43
Versuche über den Stoff- und Kraft Wechsel des Säuglings.
Aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen berechnet
sich folgender Ansatz:
4,437 g N, 2,886 g P 2 0 5 (1,260 g P),
in % des Resorbierten:
31,57% N, 51,12% P 2 0*.
Die Werthe für den Mineralstoffwechsel sind:
Durch Nah- j
rung-f Wasser
eingeführt
Im Koth
ausgeführt
Dasselbe
in o/ 0
Resorbiert
Im Urin
1 aus-
• geschieden
l 1
Retiniert
Dasselbe
in o/o
Asche
21,900
9,774
44,63
12,126
7.715
4,411
36,38
Ca 0
2,754
2,964
—
-0,210
0,130
-0,349
negativ
MgO
1,077
0,963
89,45
0,114
nicht bestimmt
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
29. November 7326 g
30. > 7347 g
1. Dezember 7449 g
-• >; 7596 g Mittel der Versuchszeit 7490 g.
3. » 7538 g
4. > 7632 g
5. >: 7555 g
6. » 7286 g
7. >> 7290 g
Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt:
Einnahme: 720 g Nahrung k 4,161 Kal. = 2995,9 Kal.
24 g Butter k 8,085 * = 194,0 >
Summa 3189,9 Kal. = 106,5 Kal. pro Tag u. Kilo.
Ausfuhr im Koth: 61,75 g k 4,441 Kal. = 274,2 >
Es sind dem Körper zu Gute gekommen 2916,7 Kal. = 97,3 Kal. pro Tag u. Kilo.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 91,40%.
In den 4 Togen der C-Periode — 19. bis 23. Dezember 1900 — (lecithinhaltige
Nahrung) nahm das Kind 760,0 g Nahrungsgemisch mit 4,4 Liter H 2 O auf. Darin sind
enthalten: 91,60 % Trockensubstanz, 2,34 % N, 8,34 % Fett, 2,38 % Asche mit 0,268 %
CaO und 0,119% MgO, 1,08% Rohfaser, 65,17 % verdauliche Kohlehydrate, 1,14%
= 0,498% P (0,026% ätherlöslicher P).
Der Koth wog lufttrocken 41,5 g und besass die folgende Zusammensetzung: 3,80 %
Wasser, 5,33 % N, 11,72% Fett, 17,76% Asche mit 5,32 % CaO und 1,58% MgO,
19,78 % Rohfaser, 8,51 % andere Kohlehydrate, 7,06 % P 2 0 5 = 3,08 % P, darin 0,25 %
organischer P.
Danach ergeben sich als absolute Werthe des Stoffumsatzes:
l
Trocken¬
substanz
N
_
Fett
Rohfaser |
Asche
Kohle¬
hydrate 1
p»o 5
Einnahme . . .
Ausgabe (Koth) i
696,2
i 39,9
17,784
2,212
63,384
4,870
1 8,208 '
| 8,208 1
18,154
7,370
i ' i
i 495,292
3,533
8,664
2,930
Resorbiert . .
1 656,3
1 15,572
58,514
| _
10,784
' 491,759
6,734 (2,504 P)
Resorbiert in o/ 0 l
der Einnahme!
94,27
87,ne
92,32
i -
59,41
99,29
1 66,18
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
44 W. Cronheim u. Erich Müller, Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
Im Urin sind enthalten:
IS».—20. Dezember «00 2,462 0,649
20.-21. » 600 2,340 0,603
2t.—22. » 640 2,941 0,842
22.-23. » 585 , 2,845 j 0,754
Summa | 2425 j 10,688 | 2,848 (P = 1,243) 0,109
Danach berechnet sich aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen
Mengen ein Ansatz von:
4,984 g N, 2,886 g P 2 0 5 (1.261 g P,)
in % des Resorbierten:
32,01 o/oN, 60,33% P 2 O 5 .
Die Werthe des Mineralstoffwechsels sind die folgenden:
1
1
Durch Nah- lm Koth
rung -f-Wasser
eingeführt au8 ^ cfuhrt
Dasselbe
in 0/0
resorbiert
Im Urin
aus¬
geschieden
Retiniert
1
Dasselbe
in o/o
Asche !
18,154
7,370
40,59 !
10,784
6,162
4,622
42,86
CaO
2,267
2,208
97,82
0,049
0,109
—0,060
negativ
MgO 1
0,930
0,656
70,54
0,274
—
nicht bestimmt
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
18. Dezember 7287
19. » 71841
20. » 7267
21. » 7413 J Mittel der Versuchszeit 7375 g
22. » 7480
23. » 7666 J
24. » 7380
25. » 7495
26. » 7440
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme: 760 g il 4,314 Kal. = 3278,6 Kal. = 111,1 Kal. pro Tag und Kilo,
Ausfuhr im Koth: 41,5 g ä 4,1 95 » = 174,1 )
Es sind dem Körper zu Gute gekommen 3104,5 Kal. = 105,3 Kal. pro Tag und Kilo.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind so dem Körper zu Gute gekommen 94,69 %.
(Schluss folgt.)
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P. F. Richter, Klinik und physikalische Chemie.
45
IV.
Klinik und physikalische Chemie.
Von
Dr. P. F. Richter,
Assistent der III. med. Klinik in Berlin.
Das Aufblähen der modernen Klinik beginnt mit der Zeit, wo sie Anlehnung
an verwandte Hilfswissenschaften gesucht hat, an die Physik und Chemie. Kein
Wunder, dass auch die Fortschritte, die in jüngster Zeit in beiden Disziplinen gemacht
worden sind und die verbindende Brücke zwischen ihnen geschlagen haben, die Er¬
rungenschaften der sogenannten »physikalischen Chemie« mit Eifer von der klinischen
Medicin aufgegriffen worden sind und für sie bereits reiche Früchte getragen haben.
Sowohl die Diagnostik als die Therapie vermögen bereits nach mancher Richtung
mit Erfolg auf der Grundlage weiter zu bauen, welche die Arbeiten eines van ’t-Hoff,
Arrhenius und anderer Forscher gelegt haben, und die Zeit scheint nicht mehr
allzufem, wo es vielleicht gelingen wird, diese Methoden, die vorläufig noch ver-
hiltnissmässig wenig geübt werden, in die Praxis zu übertragen. Darum muss sich
auch der Praktiker mehr und mehr mit ihnen und ihrer Bedeutung für die Medicin
bekannt machen, und ich bin daher gern der Aufforderung der Redaktion dieser Zeit¬
schrift gefolgt, einen kurzen orientierenden Umriss dessen zu geben, was auf diesem
Gebiete bereits erreicht worden ist, oder was mit Fug und Recht von einer nahen
Zukunft erwartet werden darf. Nur die markantesten Ergebnisse sollen dabei Erwähnung
finden, und alles von der Berichterstattung ausgeschlossen werden, was noch allzu
phantastisch und hypothetisch ist, was für die Praxis vorläufig mehr verwirrend, als
klärend wirkt 1 ).
Die physikalische Chemie gewährt uns einen Einblick in das Wesen der
Lösungen; sie zeigt uns, wie die Eigenschaften von Lösungen abhängen in erster
Reihe von der molekularen Konzentration, d. h. der Zahl, nicht der Art der
in ihnen gelösten Moleküle, und zweitens von der elektrolytischen Dissociation,
d. h. von dem Gesetze, dass in allen wässerigen Lösungen, welche den elektrischen
Strom leiten, die Moleküle sich dissociieren, in zwei Bestandteile zerfallen, die
Jonen, von denen der eine positive, der andere negative Elektrizität gebunden hält
Der molekularen Konzentration parallel geht der osmotische Druck der Flüssig¬
keiten, der selbst wieder auf einfache Weise, durch Bestimmung des Siedepunktes
oder des Gefrierpunktes gemessen werden kann.
Nach zwei Richtungen nun gewinnen diese neuen Theorieen der Lösungen einen
Einfluss auf die Medicin: Erstens, insofern Lösungen auf den Organismus wirken
und zweitens insofern im Organismus ein Austausch von Lösungen statt hat.
Betrachten wir zunächst den ersten Punkt: Dass die physiologische Wirkung
von Stoffen auf den Organismus ihrer chemischen Zusammensetzung parallel geht,
i) ich behalte mir vor, in einem späteren Artikel die Technik und Methodik der physikalischen
Chemie zu besprechen.
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4f5
P. F. Richter
wissen wir seit langem; aber erweitert und noch bedeutend erweiterungsfähig sind
unsere Kenntnisse in dieser Beziehung erst, seit wir in die physikalisch-chemische
Konstitution einen Einblick erhalten haben. So haben wir, um nur einiges hervor¬
zuheben, ganz neue Gesichtspunkte für die Theorie der Desinfektion und
die Wirkjungsweise desinfizierender Mittel erhalten (Paul und Krönig):
Es zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Desinfektionsgrade von
Säuren mit dem Grade ihrer elektrolytischen Dissociation.
Es hat sich weiterhin herausgestellt (His und Paul), dass z. B. für die Lös¬
lichkeit der Harnsäure, für ihre Abscheidung oder die ihrer schwer
löslichen Salze aus Lösungen und für die Wiederauflösung derselben die
neuen physikalisch-chemischen Theorieen ungemein bedeutungsvoll sind.
Dabei hat sich eine Reihe praktisch wichtiger Resultate ergeben: Grosse Mengen
von Natriumbicarbonat machen, selbst wenn es wirklich gelingt, den Gehalt des
Blutes an Alkali zu steigern, die Harnsäure des Blutes nicht leichter, sondern schwerer
löslich. Ebensowenig sind Kalium- oder Lithiumverbindungen im stände, schwer
lösliche harnsaure Salze in leichtlösliche überzuführen. Dasselbe gilt vom Piperazin
und vom Harnstoff. Kurz, soviel ist sicher, die Prüfung von Mitteln auf ihre harn¬
säurelösende Fähigkeit muss in ganz neue Bahnen einlenken, wollen wir uns nicht
irrigen Anschauungen hingeben. Fügen wir noch hinzu, dass die Lehre von der
diuretischen Wirkung, von den Narkoticis u. a. neue Gesichtspunkte aus den
geschilderten Theorieen erhalten hat, so wird der Leser ermessen können, welch’
reiches Arbeitsfeld für pharmako - dynamische Studien hier noch vor
uns liegt.
Bis jetzt ist allerdings für die Klinik die Anwendung der Theorie der
Lösungen auf Vorgänge im Organismus die fruchtbringendere gewesen. Ueberall
wo im Körper ein Austausch von Flüssigkeiten stattfindet, muss derselbe nach den
Gesetzen der Osmose verlaufen, sofern die vitale Kraft, die Lebensthätigkeit der
Zellen, diesen rein physikalischen Vorgängen nicht entgegenwirkt. Aus der Wechsel¬
wirkung dieser beiden Phänomene wird die Grösse der Leistung der Zellen unter
normalen Umständen resultieren Aenderungen in der Thätigkeit der lebenden Elemente
werden sich naturgemäss dann auch in Aenderungen des Effekts der physikalischen
Kräfte verraten, und die zahlenmässige Ermittelung letzterer wird in diesem Sinne
gleichzeitig ein Maass für die funktionelle Zellenleistung sein. Die physikalische
Chemie lehrt also durchaus nicht, wie manche meinen, eine Betrachtungsweise, die
von der Lebensthätigkeit der Zellen völlig abstrahiert und ihnen eine passive, der
toten Substanz zukommende Rolle zuweist. Im Gegentheil, sie legt umgekehrt dar,
wie gerade bei Schädigung dieser lebendigen Elemente die von ihnen geleistete Arbeit
eine andere wird, und lässt uns einen Einblick in die Grösse dieser Arbeit thun.
Es sind besonders die Vorgänge der Resorption und der Sekretion, die
unter dem Einflüsse dieser Betrachtungsweise in einem neuen Lichte erscheinen.
Beginnen wir mit dem Magen-Darmkanal. Wir wissen jetzt (Winter,
Roth und Strauss, Pfeifer und Sommer u. a.), dass wir am Magen verschiedene
Arten von Absonderung zu unterscheiden haben: Eine spezifische, von der Thätigkeit
des Epithels allein abhängige, welche die Fermente und die Salzsäure liefert, eine
andere, die den Gesetzen der Diffusion folgt, und endlich die sogenannte Ver¬
dünnungssekretion, die entgegen den physikalischen Gesetzen den Mageninhalt unter
die molekulare Konzentration des Blutes einstellt. Im Anschluss an diese zunächst
vom Standpunkte der Physiologie aus interessanten Thatsarhen ist bereits einiges
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Klinik und physikalische Chemie. 47
praktisch Wichtige ermittelt : Die Veränderungen der molekularen Konzentration des
Mageninhaltes bei manchen pathologischen Prozessen, die Bedeutung der molekularen
Konzentration von Lösungen, die in den Magen eingeführt werden, für die Motilität
des Magens und dergl. mehr (Strauss). Bis jetzt liegt aber der praktische
Hauptwerth derartiger Untersuchungen wohl in der besseren Einsicht, die sie uns in
den Einfluss der Mineralwässer auf die Magen verdauung verschafft haben
(Strauss und Kostkiewicz): Die Wirkung der Mineralwässer auf die Resorption
und Sekretion im Magen steht in Beziehungen zu dem osmotischen Drucke, den die
in ihnen gelösten Salze ausüben. Sogenannte hypertonische Wässer, d. h. solche,
deren molekulare Konzentration grösser ist als die des Blutes, verweilen lange im
Magen und verzögern die Salzsäureabscheidung; sogenannte hypotonische verschwinden
rasch; die Salzsäureabscheidung beginnt in kurzer Zeit 1 ).
Auf dem Gebiete der Darmresorption ist zwar auch die Wichtigkeit rein
physikalischer Vorgänge neben der lebendigen Thätigkeit der Darmwand durch die
Arbeiten zahlreicher Forscher in ein neues Licht gerückt worden; aber die Klinik
hat bis jetzt greifbare Resultate daraus noch nicht zu ziehen vermocht.
Von grosser Bedeutung ist dagegen die Erkenntniss, die wir neuer¬
dings von dem osmotischen Druck des Blutes gewonnen haben, um so mehr,
als erst durch die neueren Methoden über die Zusammensetzung des Blutes Klarheit
geschaffen ist. Wir haben gesehen, wie die Gesundheit und das Wohlbefinden des
Individuums an eine gewisse Konstanz der molekularen Konzentration des Blutes
geknüpft ist, und wie eine Reihe von Reguliervorrichtungen existieren, die diese
Konstanz anderweitigen Einflüssen gegenüber aufrecht erhalten. Es müssen schon sehr
schwere Störungen sein, die diese RegulationsVorrichtungen unwirksam machen. Aller¬
dings ist damit bereits ausgesprochen, dass eine diagnostische Verwendbarkeit der
Aenderung der molekularen Zusammensetzung des Blutes für derartige Störungen nur
in sehr geringem Umfange möglich ist, wenn sie eben nur in den hochgradigsten Fällen
zum Vorschein kommt. Indessen werden wir doch noch später sehen, dass bei
Versagen des bedeutungsvollsten dieser Regulierapparate sich wichtige Aufschlüsse
auf diesem Wege gewinnen lassen.
Der molekularen Konzentration des Blutes ungefähr gleich ist die der Ex-
und Transsudate. Ob für deren Resorption mehr vitale Thätigkeit der Zellen
oder osmotische Verhältnisse in Betracht kommen, ist zur Zeit noch nicht geklärt.
Jedenfalls erscheinen Versuche noch verfrüht (Hornberger), die moderne Osmoselehre
zu therapeutischen Zwecken für die Aufsaugung von Exsudaten auszunützen und
reichliche Wasserzufuhr zu empfehlen, weil angeblich auf diese Weise das Blut zwar
anfänglich verdünnter, dann aber rasch konzentrierter wird und dadurch dem Ex¬
sudat Wasser entzogen wird.
Wir wenden uns nunmehr einem Gebiete zu, auf welchem die Anwendung der
physikalisch - chemischen Betrachtungsweise nach mehrfachen Richtungen hin auf¬
klärend und fördernd gewirkt hat, nämlich den Nierenkrankheiten. Zunächst ist
es als ein grosser Fortschritt zu bezeichnen, dass die Lehre von der Osmose uns zu
einer klareren Vorstellung von dem Begriffe der Nierenthätigkeit, der Nieren¬
arbeit, verholfen hat und zwar nicht nur zu einer präziseren Fassung dieses Be-
>) Anmerkung bei der Korrektur: Interessant ist auch, dass die Herabsetzung der anti-
M-ptischen Kraft der Magcnsalzslure, wie sie bei Stauungsprozessen durch die Gegenwart von
Kochsalz zu stände kommt, durch die neuen physikalisch-chemischen Theorien ihre Erklärung
findet (Bialt.
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48 p. p. Richter
griffes, sondern vor allem auch zu der Möglichkeit, ihm eine exakte, in Maass und
Zahlen ausdrückbare Unterlage zu geben. Dreser hat als erster gezeigt, dass es
die Aufgabe der Nieren ist, den osmotischen Druck des Blutes zu regulieren, ein
Sekret zu bereiten, das entweder, wie in den meisten Fällen, eine höhere molekulare
Konzentration besitzt als das Blut oder aber das, unter seltneren Bedingungen, eine
geringere osmotische Spannung zeigt. Die Arbeit der Niere berechnet sich nach
Dreser aus der ^Differenz zwischen osmotischer Spannung des Blutes und des ge¬
bildeten Sekretes. Allerdings sind gegen diese Art der Berechnung, wenigstens
gegen die damit erhaltenen absoluten Werthe, durch Pauli gewichtige Einwendungen
erhoben worden. Immerhin hat die Einführung dieses Begriftes der Nierenarbeit in
die Klinik durch A. v. Koranyi uns mit einer Reihe bemerkenswerther und nament¬
lich für die Diagnostik und Therapie der Nierenkrankheiten fruchtbringender That-
sachen bekannt gemacht.
Die wesentlichsten dieser Thatsachen, soweit sie heut durch die überaus rege
Mitarbeit von Forschern fast aus allen Kulturländern festgelegt sind, sind folgende:
Bei Nierenkrankheiten ändert sich die osmotische Spannung beider Faktoren,
welche einen Gradmesser für die Funktion der Niere abgeben, die des Blutes und
des Harnes. Die erstere nimmt infolge der durch die mangelhafte Nierenthätigkeit
veranlasste Aufspeicherung molekularer Zerfallsprodukte zu, die des Harnes nimmt
ab. Leider begegnet die diagnostische Verwendbarkeit dieser Thatsache für den
einzelnen Fall Schwierigkeiten. Am meisten zieht die Klinik der Nierenkrankheiten
noch Nutzen aus der Untersuchung der molekularen Konzentration des Blutes;
denn dieselbe ist unter normalen Verhältnissen eine Standardzahl und wird mit
zäher Festigkeit vom Organismus auf den Werth von etwa 0,56° eingestellt. Erheb¬
liche Vermehrung des osmotischen Drucks spricht häutig, allerdings nicht immer
für Niereninsufficienz. Die höchsten Werthe werden gewöhnlich bei der charak¬
teristischsten Aeusserung der Niereninsufficienz, der Urämie gefunden, ohne dass man
allerdings, wie manche Autoren wollen, auf einen Kausalnexus zwischen Erhöhung
des osmotischen Drucks in Blut und Gewebe und Urämie zu schliessen braucht.
Richtiger ist wohl anzunehmen, dass beide nur nebeneinander hergehende Folgen
derselben Ursachen sind, die in ihren Einzelheiten uns noch unbekannt sind. Nur
so viel ist sicher, dass vermehrter Ei weisszerfall unter ihnen jedenfalls eine erheb¬
liche Rolle spielt.
Der umgekehrte diagnostische Schluss, dass bei einem normalen osmotischen
Drucke im Blut die ungeschwächte Nierenthätigkeit, die Nierensuffic[ienz, garantiert
ist, ist jedoch nicht gerechtfertigt oder darf nur sehr vorsichtig, unter Berücksichti¬
gung einer ganzen Anzahl von Momenten, gezogen werden: Der Organismus ver¬
fügt über so viel Ausgleichs- und Kompensationsvorrichtungen, dass unter Umständen,
beispielsweise bei hochgradiger Anämie, bei Hydrops u. dergl. die Blutkonzentration
normal erscheinen und doch eine schwere Schädigung der Nierenfunktion vorhanden
sein kann.
Ist so die Bestimmung der molekularen Konzentration des Blutes
diagnostisch für Nierenkrankheiten nicht ohne Wichtigkeit, so leistet nur
wenig bis jetzt die Gefrierpunktsbestimmung, die Kryoskopie des Gesammt-
harns. Die Grenzen, innerhalb deren die Werthe bei Nierenkranken schwanken,
sind, wenn auch enger als bei Gesunden, immer noch viel zu weit gesteckt, als dass
ein zahlenmässiger Ausdruck für den Grad der Niereninsufficienz in ihnen zu erkennen
wäre und als dass dafür diese Methode mehr leistete als andere.
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Klinik und physikalische Chemie.
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Der Hauptfortschritt, den die Diagnostik und Therapie der Nierenkrankheiten
aus der Zuhilfenahme der Methoden der physikalischen Chemie zieht, liegt wohl
auf dem Gebiete der einseitigen, dem Messer des Chirurgen anheimfallenden
Nierenaffektionen. Denn hier ist die Frage, ob es uns gelingt, ein Maass für die
Arbeitskraft der Nieren zu finden und ob diese Kraft ausreichend ist, auch nach
Fortnahme einer Niere den Ansprüchen des Organismus zu genügen, von prinzipiellster
Bedeutung für die Vornahme eines operativen Eingriffs und für die Aussichten, die
derselbe bietet. Die bisherigen diagnostischen Hilfsmittel haben uns in dieser Hinsicht
völlig im Stich gelassen; allzu grosses Vertrauen auf sie hat sogar nicht selten den
unglücklichen Ausgang einer Nierenoperation mit verschuldet Es kann heute wohl
nicht mehr geleugnet werden, dass die Anwendung der physikalisch-chemischen
Methoden auf diesem Gebiete erheblich fördernd gewirkt hat: durch Kombination
der Untersuchung des osmotischen Druckes im Blute mit der Kryoskopie des ein¬
seitig von jeder Niere durch Harnleiterkatheterismus aufgefangenen Harnes — also
durch die Bestimmung der Arbeitskraft jeder einzelnen Niere — sind wir im stände,
mit einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit die oben skizzierten Fragen zu be¬
antworten. Die auf diese Weise erzielten diagnostischen und therapeutischen Erfolge
sind nach dem übereinstimmenden Urtheile einer ganzen Reihe von Nierenchirurgen
sehr befriedigende, und es ist jedenfalls ein schöner Beweis für das gedeihliche
Zusammenwirken der einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen in und mit der
Medicin, wenn von einem ursprünglich ihm so fern liegenden Gebiete, wie der
physikalischen Chemie, den grössten Gewinn der Chirurg davonträgt.
Viel näher, sollte man meinen, hätte es gelegen, dass aus der Erkenntniss von
der Bedeutung des osmotischen Druckes für die Nierenthätigkeit die Ernährungs¬
therapie der Nierenkranken Anregungen erhält.
Schon in seiner ersten Publikation hat A. v. Koranyi die Frage aufgeworfen,
ob von einer Anpassung der Diät bei Nierenkrankheiten an den durch den Harnbefund
festgestellten Grad der osmotischen Nierenthätigkeit die Rede sein könnte. Er hatte
diese Frage damals verneint. Inzwischen ist manches in dieser Richtung bekannt
geworden: die Steigerung des osmotischen Druckes im Blute bei Nierenschädigungen
hängt in so hohem Grade von der Kost ab, dass sie beispielsweise bedeutend grösser
bei Ernährung mit Eiweiss als bei Darreichung von Kohlehydraten ist. Die Salz¬
zufuhr beeinflusst unter sonst gleichen Umständen den osmotischen Druck bei kranken
Nieren mehr als bei gesunden. Ob sich derartige, bis jetzt nur am Thierversuch
gewonnenen Erfahrungen auf den nierenkranken Menschen übertragen lassen, ist
allerdings noch zweifelhaft. Immerhin liegt hier für weitere Untersuchungen noch
ein ergiebiges Arbeitsfeld vor, besonders wenn wir einer sehr bemerkenswerthen An¬
regung von His folgen und zunächst einmal die Leistungsfähigkeit der Niere für
ganz bestimmte, in ihrer molekularen Konzentration festgestellte Eiweiss-, Wasser-
und Salzmengen prüfen. His betont mit Recht, dass ein grosser Theil der bisherigen
Untersuchungen, der nur einseitig die Zahl der ausgeführten, aber nicht auch die
der eingeführten Moleküle berücksichtigt, ungefähr auf dem Niveau der alten Stoff¬
wechselversuche steht, wo man auch aus dem blossen Stickstoffgehalt des Urins ohne
Kenntniss der Nahrung weitgehende Schlüsse zog. Sicherlich ist nur auf diesem
Wege ein genauer Einblick in die osmotische Arbeitsleistung beider Nieren zu
gewinnen und damit vielleicht auch den Einfluss der Ernährung auf dieselben fest¬
zustellen.
Ob die Lehre vom Stoffwechsel im allgemeinen aus den modernen An-
Zeil*cbr. f. diät. n. physik. Therapie Bd. VI. Heft 1. 4
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50 P. F. Richter
Behauungen viel Vortheil ziehen wird, erscheint noch nicht geklärt. Es fehlt nicht
an sanguinischen Auffassungen, die meinen, für den feinem Stoffwechsel innerhalb
der Zelle und der Zelle mit den sie umspülenden Flüssigkeiten neue Anregungen
zu gewinnen. Bis jetzt ist nicht abzusehen, wie das mit unseren augenblicklichen
Methoden möglich sein soll. Wenn hier ein Fortschritt überhaupt erzielt worden
ist, so liegt er nach einer anderen Richtung: unter dem Einflüsse einer Betrachtungs¬
weise, die in dem Stoffwechsel hauptsächlich das kraftbildende Moment, die Er¬
zeugung von Wärme, in den Vordergrund stellte, ist die Bedeutung mancher Nahrungs¬
mittel, wie des Wassers und insbesondere der Salze, eine Zeit lang vernachlässigt
worden. Es ist nicht zum geringsten die Erkenntnis gewesen, dass für den Ablauf
osmotischer Vorgänge, für die Resorption organischer Nahrangsmittel die Salze von
höchster Bedeutung sind (Köppe), die diese Lücke in jüngster Zeit ausfüllen lässt
und den Salzen diejenige Bedeutung zuweist, die ihnen in einer rationellen Ernährungs¬
therapie zukommt.
Wir haben nun noch des Einflusses zu gedenken, welchen die Lehren der
physikalischen Chemie auf die Entwickelung mancher Zweige der Therapie gewonnen
haben. Ihrer Bedeutung für die Pharmakotherapie wurde schon oben gedacht.
Besonders gross sind die Anregungen, welche die Balneotherapie durch die
physikalische Chemie erhalten hat. Und zwar nach zwei Richtungen: Erstens durch
die erhöhte Einsicht, die sie uns in die Wirkung der Brunnenwässer geliefert
hat. Wie zuerst die Arbeiten von Köppe gezeigt haben, ist die physikalisch¬
chemische Analyse der Brunnenwässer, die Bestimmung ihrer Gefrierpunktserniedrigung,
sowie ihrer elektrischen Leitfähigkeit eine sehr werthvolle und wichtige Ergänzung
der rein chemischen Untersuchung. Sie giebt uns, wie beispielsweise die molekulare
Zusammensetzung des Liebensteiner Stahlwassers zeigt, Stoffe an, die auf chemischem
Wege nicht nachzuweisen sind und die möglicherweise für die therapeutische Wirkung
von erheblicher Bedeutung sind; sie deckt uns die Unterschiede zwischen künstlichen
und natürlichen Mineralwässern auf und weist nach, wie beide in ihrem pharmako-
dynamischen Effekte nicht identisch sein können und wie die beliebige Ersetzung der
letzteren durch die ersteren, wie sie in der Praxis vielfach geübt wird, nicht gerecht¬
fertigt ist.
Der Bestrebungen, die Wirkung dieser Brunnenwässer auf die Magenverdauung
von neuen physikalisch - chemischen Gesichtspunkten aus festzustellen und ihrer
interessanten Ergebnisse (Strauss, Kostkiewicz) haben wir schon oben gedacht.
Allerdings sind wir auch hier wieder erst am Anfänge unserer Kenntnisse und
es heisst, weit den Thatsachen vorauseilen, wenn jetzt der genauen chemischen
Analyse der Brunnenwässer schon vielfach Angaben über ihre molekulare Zusammen¬
setzung beigefügt werden und damit der Anschein erweckt wird, als bedeute diese
Zahl etwas ganz besonderes für die Heilwirkung. Mit einer derartigen Angabe ist
natürlich noch gar nichts gewonnen und in baineotherapeutischer Beziehung eben¬
sowenig etwas ausgesagt, als mit irgend einer Zahl aus den üblichen ellenlangen
bis auf die kleinsten Bruchtheile eines Milligrammes durchgeführten chemischen
Analysen der Brunnenwässer. Jedenfalls ist aber bereits ein fester Grundstein ge¬
legt, auf dem auch dieser eine Zeit lang etwas vernachlässigte Theil der modernen
Klinik weiter mit Erfolg ausgebaut werden kann.
Auch nach einer anderen Richtung gewähren die Errungenschaften der
physikalischen Chemie der Balneotherapie die Möglichkeit, manche der bisher rein
empirisch gefundenen, vielfach auch wohl etwas skeptisch aufgenomraenen Thatsachen
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Klinik und physikalische Chemie.
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vor dem Richterstuhle einer strengen wissenschaftlichen Kritik zu prüfen, nämlich
hinsichtlich der Bäder und der Badekuren.
Die unleugbare physiologische Wirkung der Bäder ist hinsichtlich ihrer Ursachen
lange Zeit in Dunkel gehüllt geblieben. Weder war eine direkte Resorption der in
ihnen wirksamen Stoffe durch die Haut nachweisbar, noch konnte die Annahme
eines »hautreizenden« Effektes dieser Bäder auf die Dauer befriedigen. Es wird nun
behauptet (Hughes), dass diese Bäder eine Veränderung des osmotischen Druckes
im Blute zuwege bringen, und zwar Süsswasserbäder eine Herabsetzung, Mineralbäder
eine Steigerung desselben.
Freilich steht diese Beobachtung noch vereinzelt da und es wird weiterer
Untersuchungen bedürfen, auch noch mit anderen, als den dort angewendeten
Methoden, um festzustellen, ob sie sich verallgemeinern lässt und ob wirklich eine
Veränderung des osmotischen Druckes im Blute die günstige Wirkung derartiger
Bäder bei Resorption von Infiltraten und Exsudaten erklärt, was a priori noch gar
nicht einzusehen ist.
Auch für die Rolle, die osmotische Verhältnisse bei dem Eindringen gewisser
Substanzen aus derartigen Bädern in die Haut spielen, sucht man bereits nach
exakten Unterlagen (Vollmer an der Kreuznacher Mutterlauge). Jedenfalls erscheint
es verdienstlich, derartige Untersuchungen auf breitester Grundlage und an Bädern
der verschiedensten Konzentration anzustellen, und es ist anzunehmen, dass wir auf
diesem Wege bald klarere Vorstellungen von der pharmako - dynamischen Wirkung
der Badewässer bekommen werden, als bisher.
Physikalisch - chemische Betrachtungsweisen stellen weiterhin die Elektro¬
therapie auf ein gesicherteres Fundament als bisher. Wir sind dadurch (Franken¬
häuser) sowohl im stände, uns eine wissenschaftliche Vorstellung von den Vor¬
gängen bei der Anwendung der Elektrizität auf den menschlichen Körper zu machen,
als auch neue therapeutische Einwirkungen damit zu erzielen. Fügen wir der Voll¬
ständigkeit halber noch hinzu, dass auch daran gearbeitet wird, der Lichttherapie
die ihr noch fehlende physikalisch-chemische Basis zu verschaffen, so wäre damit das
wichtigste, was die Klinik der neuen Lehre zu verdanken hat, skizziert.
Aber ich möchte diesen kurzen Ueberblick nicht schliessen, ohne vor einer
Ueberschätzung der erhaltenen Resultate zu warnen. Es herrscht auf diesem Ge¬
biete jetzt ein reger Eifer und es fehlt leider nicht an Enthusiasten, die in der
Deutung der Befunde viel zu weit gehen. Mit Recht betont His, wie viel noch an
den physiologisch-chemischen Grundlagen zu vervollständigen sein wird, ehe die
Klinik mit Sicherheit weiter auf ihnen arbeiten kann. Dazu kommt, dass auch die
angewandte Methodik noch vielfach zu ungenau ist, um nicht, selbst bei den ein¬
fachen Gefrierpunktsbestimmungen des Harnes (Koppe) in der Hand des Wenig-
geübten zu falschen Ergebnissen zu führen. Nur die schärfste Kritik der erhaltenen
Resultate, verbunden mit einer Vertiefung in die Lehren der physikalischen Chemie
kann zu weiteren Fortschritten führen.
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52
Kleinere Mittheilungen.
Kleinere Mittheilungen.
i.
Heber einen neuen Versuch zur Einführung des Magneten in die Therapie.
Von Dr. F. Frankenhäuser,
Assistenten der medicinischen Universitätspoliklinik zu Berlin.
Mit dem Begriffe und dem Worte »Magnetismus* ist in der Medicin viel Unfug getrieben
worden. Sowohl der Magnetismus Belbst, als auch das, was manche Heilkünstler aus recht frag¬
würdigen Gründen als Magnetismus zu bezeichnen beliebten, musste dazu herhalten, verschieden¬
artige Wunderkuren zu erklären und populär zu machen. Aus der wissenschaftlichen Diskussion
ist der Einfluss des Magneten auf den gesunden und kranken Menschen beinahe vollkommen aus-
geschieden, seitdem L. Hermann (Hat das magnetische Feld direkte physiologische Wirkungen?
Pflügeris Archiv 1888. Bd. 43) nachwies, dass frühere positive Beobachtungen und Behauptungen
unzweifelhaft auf Irrthum beruhten. Sein Gesammtresultat fasst Hermann in die Worte zusammen:
»Selbst unter den günstigsten Umständen ist mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln nicht die
geringste physiologische Wirkung des Magneten auf thierische Gebilde und Organismen nachweisbar.«
Neuerdings ist nun ein von dem Schweizer Ingenieur Müller, genannt Conrad, angegebenes
und auch in Deutschland geschütztes Verfahren aufgetaucht, welches bestrebt ist, dem Magneten
von neuem zu einer Rolle in der Therapie zu verhelfen. Zu diesem Zwecke sind schon eine Reihe
von Instituten (für elektromagnetische Therapie, System Eugen Conrad) gegründet worden, in
welchen das Verfahren unter der Leitung von Aerzten ausgeübt wird. Gleichzeitig hat sich aber die
Unternehmung an wissenschaftliche Kreise gewendet mit dem Ersuchen, das Verfahren zu prüfen
und zu begutachten. In Berlin wurde in erster Linie Herr Geheimrath Professor Dr. Ewald und auf
dessen Veranlassung auch ich darum angegangen.
Es ist ja nun an und für sich eine recht erfreuliche Erscheinung, dass ein von einem Nicht-
mediciner eingeführtes Verfahren freiwillig der Wissenschaft zur Prüfung unterbreitet, und nicht, wie
es schon so oft geschehen, über deren Kopf hinweg der Gunst des Publikums empfohlen wurde.
Dies Vorgehen verdient gewiss Aufmunterung. Aber im vorliegenden Falle gerade werden jedem,
der die Geschichte des Heilmagnetismus kennt, schwere Zweifel auftauchen, ob er es nicht mit der
Wiederholung längst abgethaner Irrthümer zu thun hat.
Um das Interesse der Wissenschaft in Anspruch nehmen zu können, muss das Verfahren nach-
weisen, dass es thatsächlich etwas neues, der Erforschung würdiges zu bieten hat Die Erfüllung
dieser Forderung kann man der neuen Methode meines Erachtens nicht ohne weiteres absprechen.
Von den Aerzten, welche das Verfahren bisher schon ausgeübt haben (P. Rodari, Ueber
ein neues elektrisches Heilverfahren. Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 23 und 24), ist über
zahlreiche Heilerfolge berichtet worden, die gewiss alle Beachtung verdienen und für uns Veranlassung
gewesen sind, der Prüfung des neuen Verfahrens näher zu treten. Trotzdem dürfen wir bei aller
Hochachtung vor der Gewissenhaftigkeit und dem kritischen Sinne der betreffenden Herren Kollegen
nicht vergessen, dass es bei neuen Heilverfahren, ganz besonders bei solchen, die ihre Wirksamkeit
vorwiegend auf die sensible Sphäre erstrecken, ganz ausserordentlich schwierig ist, einen sicheren
Maassstab für ihren objektiven Werth zu gewinnen.
Für verfrüht halte ich es, die Beobachtungen, welche über die Einwirkungen der Apparate
auf das Blut beschrieben wurden (Rodari a. a. 0.) für die Beurtheilung der Methode zu verwerthen.
Da, wie ich höre, zur Zeit von höchst sachverständiger Seite Untersuchungen hierüber stattfinden,
so ist zu hoffen, dass dieser Punkt bald endgiltig aufgeklärt wird.
Den Hauptwerth lege ich beim gegenwärtigen Stande der Dinge auf eine unscheinbare, aber
prinzipiell ausserordentlich wichtige Beobachtung Man sieht nämlich, wenn man seine Schläfe dem
einen Polende des Apparates nähert, in dem betreffenden Auge ein mehrmaliges Aufblitzen (B. Beer,
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Kleinere Mittheilnngen.
53
Ueber das Auftreten einer subjektiven Licbtempfindung im magnetischen Felde. Wiener klinische
Wochenschrift 1902. No. 4.). Dieses Phänomen ist von einer so grossen Zahl sachverständiger Be¬
obachter festgestellt worden, dass eine Täuschung in dieser Beziehung vollständig ausgeschlossen
ist. Auch ist es ausser jedem Zweifel, dass es nicht durch Kontakt, Stromschleifen, Funkenbildung
oder dergleichen entsteht, sondern durch Distanz Wirkung. Wir haben hier also eine thatsächliche
Wirkung des Magneten auf den Körper, welche man früher nicht kannte. Hermann (a. a. 0.) sagt
ausdrücklich: »Bringt man seinen Kopf zwischen beide Pole, in irgendwelcher Lage, so tritt weder
durch die Herstellung des Magnetismus, noch während dessen Dauer irgendwelche Art der Empfindung
auf.« Ferner: »Empfindungen sind im magnetischen Felde meines Wissens nie beobachtet worden,
wenn man von den konfusen Erzählungen der Magnetiseure alter und neuester Schule absieht. Den
zahlreichen Physikern, welche mit den allerstärksten Elektromagneten jahrelang Untersuchungen aus-
gefuhrt haben, den Faraday, Pouillet, Plücker u. a. würden sensitive Wirkungen des Magneten,
wenn sie existierten, nicht entgangen sein.«
Liegt hier nun ein unlösbarer Widerspruch mit den älteren so ausserordentlich gewichtigen
Untersuchungen vor, oder lässt sich unsere positive von der früheren negativen abweichende Be¬
obachtung aus einer neuartigen Anordnung der Versuche erklären? Ich glaube das letztere.
Um uns von der Wirkungsweise des Apparates ein Bild zu machen, müssen wir zunächst
einen Blick auf seine Konstruktion und auf seinen Betrieb werfen.
Der Apparat besteht im wesentlichen aus einem Elektromagneten, d. h. aus einem Eisenkerne,
der von einem vollständig isolierten Drahte vielfach umwickelt ist, durch welchen ein elektrischer
Strom geleitet werden kann. Durch diesen Draht wird nun ein ziemlich kräftiger Strom bis zu
40 Ampere geleitet, weicher in der Sekunde ungefähr 60 Mal seine Richtung wechselt.
Die Folge davon ist, dass der Elektromagnet ebenso oft seinen Pol wechselt, d. h. jedes Ende des
Magneten ist abwechselnd in einer Sekunde 60 Mal Südpol, 60 Mal Nordpol und natürlich beim
Uebergange von einer Polarität zur anderen auch 60 Male unmagnetisch.
Auf die besonderen konstruktiven Eigenschaften des Apparates und die Eigenschaften des
Stromes, der ihn durchfliesst, soll hier nicht näher eingegangen werden. Dieselben sind zwar nicht
ohne Einfluss auf die Leistungen des Apparates aber für die allgemeine Auffassung derselben nicht
noth wendig.
Was nun diese allgemeine Auffassung anbetrifft, so sei zunächst Folgendes hervorgehoben: Wir
brauchen uns dieselbe nicht durch die Vorstellung zu erschweren, dass wir es mit zwei wirksamen
Prinzipien zu thun hätten, die wir von einander trennen müssten, nämlich erstens mit dem die
Drahtwickelung (das Solenoid) durchlaufenden Strome, zweitens mit dem entstehenden und ver¬
schwindenden Magnetismus des Eisenkernes. Ganz dieselbe Fern Wirkung wie mit unserem Elektro¬
magneten könnten wir, theoretisch gesprochen, auch erzielen, wenn wir an seiner Stelle ein ent¬
sprechend kräftig wirkendes Solenoid ohne Eisenkern verwenden oder einen Stahlmagneten ohne
Solenoid und ohne Strom mit der Geschwindigkeit von 60 Umdrehungen in der Sekunde rotieren Hessen.
Die Fernwirkungen von Solenoiden, Elektromagneten und permanenten (Stahl-) Magneten sind im
Prinzip identisch. Halten wir uns also lediglich daran, dass wir es mit einem Magnetstabe zu thun
haben, dessen Pole 60 Mal in der Sekunde positiven Magnetismus zeigen, diesen 60 Mal verschwinden
und 60 Mal in negativen Magnetismus umwandeln lassen.
Von den Fernwirkungen eines solchen Magneten müssen wir prinzipiell zweierlei unterscheiden:
1. Elektromotorische Wirkungen.
In allen Körpern, welche sich im Wirkungsbereiche des Magneten (dem magnetischen Felde)
befinden und im stände sind, Elektrizität zu leiten, entsteht jedesmal beim Entstehen eines Poles
ein Induktionsstrom und ein ebensolcher, aber entgegengesetzt gerichteter beim Verschwinden des
Poles. Diese Ströme sind von sehr kurzer Dauer und in körperlichen Leitern von sehr unregel¬
mässigem Verlaufe (sogenannte Wirbelströme). Der Widerstand, welchen sie in dem Leiter finden,
führt zur Erwärmung. Metallplatten, welche man dem Apparat nähert, erhitzen sich daher.
Unzweifelhaft werden solche Induktionsströme auch in feuchten Leitern nach denselben
Gesetzen, wie sie für Metalle gelten, erzeugt (L. Hermann, Poggend. Ann. 1871. Bd. 142. S. 686),
and auch in thierischen Theilen lassen sich Indukrionsströme erzeugen (L. Hermann, Pflügeris
Arch. Bd. 43. S. 226). Aber am Lebenden, insbesondere am Menschen, hat man noch niemals eine
klare physiologische Reaktion durch Induktion erzielt, sei es nun, dass die Ströme zu schwach sind,
sei es, dass ihr unregelmässiger Verlauf es zu keiner klaren Reaktion kommen lässt. Ist nun vielleicht
das oben erwähnte Aufblitzen im Auge die erste beobachtete physiologische Reaktion im Menschen
auf solche Induktionsströme? Von der Hand weisen lässt sich diese Vermuthung zur Zeit nicht
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54 Kleinere Mittheilungen.
ohne weiteres. Denn wenn auch die Induktionsströme, welche in Frage kommen, nicht stärker
und nicht in ihrer Richtung geordneter sind als die, welche bei früheren Untersuchungen schon zur
Verwendung kamen, so verbinden sie doch eine verhältnissmässig grosse Stärke mit einer Frequenz,
welche eine kumulierende Wirkung haben könnte.
2. Ponderomotorische Wirkungen.
Die mechanischen Wirkungen des Magneten treten bekanntlich am reinsten beim weichen Eisen
hervor, welches von beiden Polen kräftig angezogen wird. Da der besprochene Apparat 60 Mal pro
Sekunde positiven, 60 Mal negativen Magnetismus, 60 Mal gar keinen zeigt, so wirkt seine Anziehung
auf Eisen in entsprechenden Intervallen. Es entsteht hierdurch ein rhythmisches Vibrieren des Eisens
im magnetischen Felde. Dies lässt sich leicht dadurch demonstrieren, dass man ein grösseres Eisen¬
blech in die Nähe des Poles, senkrecht zu den Kraftlinien bringt Das Blech giebt dann einen
unter Umständen sehr lauten Ton von sich.
Nun hat Faraday (Experimental research. Ser. XX Pogg. Ann. Bd. 69) nach gewiesen, dass
nicht nur das Eisen, sondern wohl alle Substanzen dem Einflüsse des Magnetismus unterworfen
sind, wenn auch nicht in gleichem Maasse. In ihrem Verhalten zum Magneten theilen sich die Körper
in zwei grosse Gruppen: in die paramagnetischen Körper, welche, wie das Eisen, von beiden Polen
an gezogen werden, und in die diamagnetischen Körper, welche, wie das Wismuth, von beiden Polen
abgestossen werden. Aber nicht nur die Metalle werden vom Magnetismus beeinflusst, sondern,
wie gesagt, fast alle Körper, Flüssigkeiten so gut wie feste Körper und Gase. Von praktischer
Wichtigkeit ist das Verhalten von Körpern, die in Flüssigkeiten suspendiert sind. Befindet sich
nämlich ein Körper in einer Flüssigkeit, welche in demselben Grade paramagnetisch oder diamagnetisch
ist, wie dieser selbst, so wird er vom Magneten nicht beeinflusst. Dagegen macht sich der Einfluss des
Magneten geltend, wenn die umgebende Flüssigkeit einen anderen Grad von Paramagnetismus oder
DiamagnetismuB besitzt, als der suspendierte Körper. Wie verhalten sich nun die thierischen Sub¬
stanzen zum Magneten? Sie sind, soweit bekannt, alle diamagnetisch (Vergl. hierüber die Litteratur-
augaben bei Hermann, Pflügeris Archiv Bd. 43. S. 217 u. 218). Lebende Thiere, die menschliche
Hand, getrocknetes Fleisch und Blut sind diamagnetisch, sie werden von den Polen abgestossen.
Eine ausserordentlich wichtige Frage ist es, ob die Substanzen der Köiper gleichmässig diamagnetisch
sind oder nicht. Falls sie gleichmässig diamagnetisch sind, so könnte man sich von einer mechanischen
Einwirkung des Magnetismus auf das Körperinnere keinerlei Vorstellung machen, da der Magnetismus
nicht auf Körper wirkt, die in Flüssigkeiten suspendiert sind, deren Diamagnetismus denselben
Grad besitzt, wie derjenige der suspendierten Körper.
Hierüber hat uns nun PI Ücker (Pogg. Ann. 1848. Bd. 73. S. Ö49) ausserordentlich wichtige
Aufschlüsse gegeben. Er beobachtete Blut im magnetischen Felde unter dem Mikroskope. Das
Resultat war folgendes: »In welcher Weise wir auch beobachteten, und gleichviel, ob wir auf das
Glas- oder Glimmerblättchen Frosch- oder anderes Blut brachten, gleichviel ob unverdünnt oder mit
Wasser gemischt, es war unter dem Mikroskope jedesmal eine Abstossung der ganzen Flüssigkeits¬
massen und daneben noch eine besondere Abstossung der Blutkügelchen für sich
wahrzunehmen. Diese Blutkügelchen, in denen die chemische Analyse den Eisengehalt nach¬
gewiesen hat, erscheinen hiernach stärker diamagnetisch als Serum, in dem sie ursprünglich
schwimmen, stärker als Wasser, in das sie gebracht werden. Aehnlich wie das Blut verhielt sich
unter dem Mikroskope Milch mit ihren Fettkügelchen.« Es ist also nachgewiesen, dass kleinste
Elemente des thierischen Körpers vom Magnetismus direkt mechanisch beeinflusst werden.
A priori ist es in Anbetracht des sehr differenten Aufbaues des Gewebes sehr wahrscheinlich,
dass Blutkörperchen und Fettkügelchen durchaus nicht die einzigen Elemente sind, die diesem Ein¬
flüsse unterliegen.
Man kann sich auch ohne weiteres vorstellen, dass die Abstossung dieser Elemente beim
Verschwinden des Magnetpols aufhören, bei seinem Wiedererscheinen wieder auftreten muss, dass
also unter dem Einflüsse eines rhythmischen Polwechsels ebenfalls rhythmische Vibrationen dieser
Elemente eintreten müssen, ganz analog, wenn auch in schwächerem Grade, wie bei Eisen.
Wenn nun auch diese Vorstellung viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, so kann man sie als
den Thatsachen entsprechend nicht eher annehmen, als bis es gelungen ist, solche Vibrationen auch
objektiv, etwa durch das Mikroskop nachzuweisen. Leider sind die bisher (für therapeutische
Zwecke) hergestellten Apparate für solche Untersuchungen ausserordentlich ungeeignet. Doch sollen
besondere Apparate für derartige Untersuchungen hergestellt werden, welche es auch erlauben, die
sehr interessante Frage zu lösen, welchen Einfluss eine grössere oder geringere Polwechselzahl auf
die Wirkung der Apparate hat.
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Es erscheint mir nach diesen Ueberlegungen nicht unwahrscheinlich, dass die beobachtete
Wiiknng des besprochenen Magneten gerade auf seiner Eigenart nämlich seinem eigentümlichen
kontinuierlichen Polwechsel beruht Und hierin sehe ich immerhin einen Fingerzeig, auch die
anderen Wirkungen, welche dem Apparate nachgesagt werden, nicht mit den Eingangs erwähnten
Bedenken kurzer Hand abzuthun, sondern einer wohlwollenden und gründlichen Prüfung zu unterziehen.
Das betreffende Institut hat in loyaler Weise um eine solche Prüfung ersucht und die Mög¬
lichkeit dafür geschaffen. Es bleibt zu hoffen, dass es auch durch sein Verhalten nach aussen hin
den Aereten ermöglicht wird, seinem Verfahren ein dauerndes Interesse zuzuwenden.
II.
Ein fahrbarer Kranhenhebeapparat und eine fahrbare, zusammenlegbare
Badewanne.
Von Dr. Paul Jacob, Privatdozent,
Oberarzt an der I. medicinischen Universitätsklinik in Berlin.
Die Bäderbehandlung erfreut sich im letzten Jahrzehnt einer immer wachsenden Beliebtheit
und ist unter den verschiedensten Indikationen gerade zur Behandlung der allerschwersten Krank¬
heiten eingeführt worden. Bäder kommen zur Anwendung einmal bei den schwer fieberhaften
Krankheiten, um auf die Körpertemperatur, die Herzthätigkcit u s. w. einzuwirken, ferner bei ver¬
schiedenen Krankheiten des Centralnervensystems, den Rückenmarkskrankheiten, Neuritiden u. s. w.
Hier sind dank den Prinzipien, die vor allen Dingen Leyden und Goldscheider für die Benutzung
der kinetotherapeutischen Bäder aufgestellt haben, recht günstige Resultate bei zahlreichen Rücken¬
markskranken etc. neuerdings erzielt worden, viel günstigere, als wir sie bisher noch vor wenigen
Jahren zu erreichen im stände waren. Wenn trotz dieser Vorzüge, welche die Bäderbehandlung
gerade bei den schwersten Krankheitsgruppen und speziell auch bei der Behandlung der Rücken¬
markskrankheiten bietet, dieselbe noch nicht so allgemeine Anerkennung und Einführung in die
Praxis gewonnen hat, wie sie es thatsächlich verdient, so liegt das hauptsächlich an den Schwierig¬
keiten, welche der Transport der Kranken vom Bett in die Badewanne und vor allem der Rück¬
transport von der Badewanne heraus ins Bett zurück bietet. Es giebt eine Reihe von hervorragenden
Klinikern, welche die Vorzüge der Bäderbehandlung unter den verschiedensten Indikationen voll
and ganz anerkennen, welche dieselbe aber perhorrescieren, weil die Gefahren, welche den Kranken
beim Transport aus dem Bett in die Badewanne und aus der Badewanne ins Bett zurück bedrohen,
die Vortheile, welche die Kranken durch die Bäderbehandlung erlangen können, nicht aufwiegen.
Es fehlt bisher durchaus an geeigneten Vorrichtungen, welche diese Gefahren des Transports be¬
seitigen.
Die früher konstruierten Hebeapparate bestanden der Hauptsache nach aus besonders dazu
gefertigten Betten, oder es müsste das den Heberahmen tragende Gestell am Krankenbette befestigt
werden, was in anbetracht der so überaus verschiedenen Konstruktion der Betten nur bei einer
beschränkten Anzahl derselben möglich war. Das Heberahmenfahrgestell des neuen Apparates ist
dagegen in jeder Beziehung vom Bette unabhängig. (Fig. 11.)
Der eigentliche Heberahmen hängt an vier Gurten, von denen er schnell gelöst werden kann;
er bildet ein in sich abgeschlossenes Ganzes ohne jeden Verbindungsstab, so dass er von oben über
den Patienten gelegt werden kann, ohne dass dieser in irgend einer Weise angehoben zu werden
braucht Der obere Theil des Rahmens, welcher die Rückenlehne bildet, kann von der Horizontalen
bis zur Vertikalen in jeder Stellung leicht fixiert werden. Als Unterlage dienen anknöpfbare Trage¬
gurte oder aber, falls der Rahmen zum Bade Verwendung finden soll, ein anknöpfbarer mit Schlitzen
versehener Bezug. Dieser wird vor Beginn des Bades unter den Patienten gelegt in ganz derselben
Weise, wie man ein reines Bettlaken unter einen Schwerkranken bringt.
Soll nun der Patient gebadet werden, so wird das Fahrgestell mit dem Heberahmen direkt
über das Bett des Kranken gefahren, der Stahlrahmen wird so tief gesenkt, dass er auf der Matratze
»fliegt, der Bezug, auf welchen der Kranke vorher gebettet war, wird an die an den Längsleisten
des Heberahmens befindlichen Knöpfe angeknöpft und nunmehr der Heberahmen mitsammt dem
Patienten in die Höhe gekurbelt Dies geschieht durch eine an dem Fahrgestell angebrachte Kurbel,
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Kleinere Mittheüuögön.
und war dmitig leieht mul Hieher. aiU* Erschütterungen und Schwankungen beim ll«ben. ; iimi
■ • vidi&tiindig vermieden werden:. Per Bebeme^animw* sfelb*t
dak* v^ii eilÄ“ Person c». 8(H> Jcg 1 . jrfelit gehoi>€?H werd^ krmueii ; und' die«
Rm>W gleiehmagßi^ auf dm gm itü FfrthffHm \ifei itilheren Mi^deileit war + falls nur aiue Perser* zur
l\iUlkm:3tg' hvj der Band war, nur ein wehadseStigeö Heben da» Ko*j?f- oml J^&gemtes m^gbeti,
onangenebmo. Sebf^jÄgen de» p&tertheh. tuhsraiuien) ße» fe^rdn der
Meeiiifftitfimb* ein .Hubert rnsp. Senken de* Patieiiten i;i j$iier beliebigen Hofe, wobei in alle«
SfoUuugrru fl er Rahmen absoiut teesthfct« Vifee dass es nothtix wäre, die Stellung durch Sperrklinken
oder SebrnnU^b m Itxietenl '> ' ‘
Bereit bevor der Patt ein auf den Ilebei^Jten; gelegt wird; wiiwa neben seitiero Bette eine
fahrbare; mit dem.. Badewaaser. gefüllte WäÄ;. autfgestelU' ä«h; der in die Hohe- gekurbelte Patient
wird nunmehr mit dem Fahtgmell über die Wanne gefahren und daun in .diese schnei! herunter-
Wasser bedeckt ist Tn dem lieberabinen nimmt er eine %o fm^uomr,
riegende BteHtrpg ein, ßa&s er eine halbe Stunde und darüber im Badewunser Vsrblhiimn kanu., ein
Moment, welches siir Behandlung golfünxitor Kranker, mir denen Utluiugexi in dtt Badewanne voi-
geoonmvftö werden sollen« Von grösstem Wert ho i*i Der Mechanismus den .ilebarfthtoena .gestattet
c& ferner, taelirmal» hiiitereinafider' den Kranken für nur einige Augenblicke bi dsw ijladowtmser
dnfäuchert zu lassen und ihn dan.u sofort wieder in die Hobe xti - knfbelD; >3tcrüirfikfe^ f rö^dtiiÄijfi -
empfohlen £ieh taonder* bei boehfleherharten und bei \nüü$m#wn .‘Pattenteß und können in deu
gewöhnlichen Badewannen kanm uusgefüh rt werden.
Nu eh Beendigung des Bades wird der auf dem Heborahineri Hegende iMtieht wieder ii> die
Hohe gekrirheit (wShreaildcm JSaffc durch die in dem Bezüge angebrachten Schlitze das Wäseer
Völlig ab), er wird Migedeckr, das Faj/rgf>STelj wird wieder über das Bett gefahren und der Krankt’ in
sein Beit, 'auf dessei?•Mafrstf*H inzw&teheu bereits eine Gummiunterlage und ein 'Badetuch mbgahttitvA
Wären, heruMm^kürljcJi. Bobabl .er hegt, wird der Bezug vom Heherähmcu if%ekohpTi, letzterer
ü* die Bolio gekurbelt, der nasse Bezog unter dem Körper de? Patienten entfernt und da« Kahr«
Kleinere MHthdluii^ea
!;-uü wxammit dem ffcborahinon zur Seite gerollt. Bor garrceVorgang; Transport des .Patienten
■ •■ 1 ‘ u>: Iw*e in da* Bad uiid vice versa spieltsteh m 2—:t Miauten ab und jst für den Kranken
ti ix deu geringsten Tn au nclwnlickkßiten ve^feuöpft
...TW lleberalitpengjößtcll selbst ist auÄ ^ähi^t\Te« angjBfeitigt und daher vm äusserst ge-
rüp&ith*i$U; wa kann vermöge weniger GandgrtfTv ziisatüßieiigeleg! werden und nimmt daifii
lg iv,'i;igPbJU ein (Fig.12*; dadurch ist es fcrtftbgiieM worden, den gxnzcn Apparat mit Leichtig¬
keit von einem, Zuuukt ta ein anderes z\\ transportieren ;./V J ‘ \
i/er Bcbeapparät $r>U b^'Af^r' öieht- .nur für 'die Zweck* de* I nmsports eines Patienten- aus
Aera Brite Sri die Badewanne und rpn Iber au* zurück ui dm» fern dienen, sondern c«r dient üoeh
iißei Reibe öderer IndikaUoDen SO ist Kkmfced i» m andere* Bett, der
tiw^rt welcher mit Patieutero die in F(*lge der ÜVatVir Buer Krktmvkung miVgliehst wenig er-
knittert werden sollen,, vom Bett auf den Opcrudoitö tusch vorgeimmmen werden muss, die/Uemigtiüg
Ar* unteren Körperflaelie eine? Kranken , jfti»>' vte eie aul bww,
mb de\n Mebeapparat mit lx»mhtigkeit zu bow ^rkj^fcUi
Schliesslich kommen wir nocfi
tgnriehtong,
2>a tp^bt überfdl fahrbare Öadewaim.aDA^uF.tnrf^gnng stehen dieselböft^^ nur sehytar vOö
Wtetn 7dtnxn*?F rn das andere transportiert werden fcönneu und 'selili^Hsfteh meint nicht w gnias
<fe*ä der Patient in ihuebrfine beqbemr d^ende Stellußg cmnWnne-ö kfinn, wm^ eiaet
>mt^*re Transportable und tu sammernlegba^ Bidefexiopc konstruiert. ßrcöoUie ist am
?*^cueh gefertigt «Jttl absolut wuwrdicht •Getragen von einem Staldrohirrubmeo^ 'Aw.^\ek
de* WebcniKtnetis resp der eines prwaeltsenon Menschen duirhaM au; rihd reimcidßt auf
Wfäq jede Rarnnvergeudimg. Es, genügen ca. i$n Liter za. einem ydllbade Das die Bade-
T^3ßir fremde, Gestell, ist fahrbar und besteht aus mnemBrett, welches alr Bodpn dient und un
Ochern gleichzeitig die die •eigentliche Wanne tragenden Stutzen befestigt smd. Diese werden
!*mi >Üfcbt#*braifch lmrtmtergekl&ppL worauf das Gestell M»vne die zn^ürnjimiigolegte Wanne nur
mehr Rauen als ein langes Brett heanspmehem i)k* uansportable EadoMraniie kann daher
Andti in FekBiuärctten. Baracken etc: .mit Vortheil yenv endet werdbin. di* w auf den Gerätb wagen
fr« Leichtigkeit vörpncfei werden kann
Die Appamtß Avurden von der bckaimten Firma Ernst ßerlin NW,, kongruiert
Besprechung der für Sehwerkvanke konstruierten Bade-
Vmehenüich wurde bei der Publikation de* Artikels »Eitie cu;«e Sandi-mloeinricbtung» in
V, Sk?i*. 1 der Zeitschrift die Hissnote vergessen .'’dasa 'dieser •ArtBU'f-.mit. besonderer Trlanbrii^
Ft B^ftak\j<>o der Baineuloglschun Zeitung aus edu-i Nmmuer Organs zum Abdruck gelangt/*,
TSö Vcnäc2i<>.n 7 über welches w ir mt he.Höddereti Wunsch der Redaktion der Brdneologischvn Zelüvog
benohten f ’-V\ ’b . . Red'. •'
Co gle
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
Bericht über die Sitzung der Gesellschaft der Charitdärzte vom 27. Februar 1902.
Von Dr. A. Laqueur in Berlin.
Am 27. Februar d. J. hielt die Gesellschaft der Charitöärzte zum ersten Male eine
Sitzung in der im vorigen Jahre eröffneten hydrotherapeutischen Anstalt der Universität ab. Nach¬
dem der Direktor der Anstalt, Geh. Med.-Rath Professor Brieger die Anwesenden begrüsst hatte,
gab er zunächst einen Ueberblick über die bisherige Thätigkeit des Institutes. Seit dessen
Eröffnung Ende Januar 1901 bis Ende Februar 1902 wurden dort 1890 poliklinische und 128
stationäre Kranke behandelt Von den ersteren wurden im Badepavillon der Anstalt selbst 1084
Patienten behandelt, die anderen wurden mit genauen Anweisungen zur häuslichen Behandlung
versehen oder waren überhaupt nicht zur hydrotherapeutischen Behandlung geeignet Im Bade¬
pavillon wurden während jener Zeit 12 000 Prozeduren verabfolgt, die sich ungefähr zu gleichen
Theilen auf Männer und Frauen vertheilen.
Was die Patienten selbst betrifft, so waren dieselben zu einem Theil von Aerzten der Stadt,
anderen Polikliniken und Abtheilungen der Charitö überwiesen, zu einem nieht geringen Theil aber
waren es solche Personen, die wegen ihrer Leiden überhaupt noch keinen Arzt konsultiert hatten,
sondern bisher bei einem der vielen »Naturheilkünstler« in Behandlung gewesen waren. Deshalb
betonte der Redner, dass die Bedeutung des ihm unterstellten Institutes nicht zum wenigsten darin
beruhe, dass es geeignet sei, der gerade in Berlin so ungeheuer verbreiteten Kurpfuscherei
Abbruch zu thun.
Unter den behandelten Krankheitsformen verdient u. a. die Ischias eine besondere Erwähnung.
Bei ihr hat sich die hydrotherapeutische Behandlung in einer grossen Reihe von Fällen aus¬
gezeichnet bewährt. Zwei Mittel kommen hier hauptsächlich in Betracht, die schottischen
Strahlen und die heissen Vollbäder mit Bewegungen. Die schottischen Strahlen
werden in der Weise angewandt, dass auf die Rückseite des Oberschenkels längs des Verlaufes des
lschiadikus abwechselnd heisse und kalte Strahlendouchen oder heisser Dampfstrahl und kalte
Strahlendouche appliziert werden; die heissen Vollbäder von 38—40o C werden in einer grossen
Badewanne, wie sie auch für kinetotherapeutische Bäder gebraucht wird, gegeben. In dem
Bade macht der Patient nicht nur mit dem kranken Beine Bewegungen aller Art, sondern es
werden auch methodisch aktiv wie passiv verschiedene Streckbewegungen des ganzen
Körpers ausgeführt, welche geeignet sind, eine Dehnung des Nerven herbeizuführen. Ausserdem
wird in dem Bade wie auch nach dem Bade die Ischiasmassage in der bekannten Weise
gemacht. Auch mit der Anwendung der schottischen Strahlen wird stets die Ischiasraassage verbunden.
Der Redner berichtete über eine ganze Reihe von Fällen von Ischias, die oft nach jahre¬
langer anderweitiger vergeblicher Behandlung durch die geschilderte Behandlungsmethode geheilt
worden sind. Dieselbe führte auch da, wo alle möglichen sonstigen inneren und äusseren Mittel versagt
hatten, zu dem gewünschten Ziele. Naturgemäss ist die poliklinische Behandlung von längerer
Dauer als die klinische, wo eine tägliche Ausführung der Prozeduren möglich ist, und die durch
Zurücklegen des Weges zum Badepavillon bedingten immer erneuten schädlichen Einwirkungen
wegfallen. So konnte Redner über eine Frau berichten, die seit zwei Jahren an heftiger Ischias
litt, schliesslich vollständig gehunfähig geworden war, und bei der alle Medikamente versagt hatten,
die aber nach nur zwölftägiger stationärer hydrotherapeutischer Behandlung von ihrem Leiden
befreit wurde.
Der von der Winternitz’schen Schule aufgestellte Satz, dass da, wo die hydrotherapeutische
Ischiasbehandlung, namentlich die mit schottischen Strahlen, versage, es sich nicht um reine Ischias
handle, sondern noch anderweitige Komplikationen vorhanden seien, konnte auch im Berliner Institute
bestätigt werden. So kommt der hydrotherapeutischen Ischiasbehandlung auch eino differential¬
diagnostische Bedeutung zu.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
59
2. Herr Krebs demonstrierte zunächst das in der hydrotherapeutischen Anstalt befindliche
Glüh- und Bogenlichtbad, Apparate zur lokalen Bestrahlung mit Glühlicht und Bogen¬
licht, sowie ein von ihm konstruiertes, für Temperaturmessungen im Lichtbade geeignetes Mast-
darmtherm ometer. Im Anschlüsse daran sprach er über Erfahrungen mit der Lichttherapie.
Im Vordergründe bei der Wirkung der Glühlichtbäder steht deren sch weisstreibende Eigen¬
schaft, ohne dass sich dabei grössere Unterschiede zwischen rothem und farblosem Glühlicht gezeigt
haben. Vortragender erwähnt dabei die theoretisch wohl begründeten Versuche Finsens, durch
rothes Licht den Krankheitsprozess bei Pockenkranken günstig zu beeinflussen, ferner die günstigen
Erfahrungen von Winternitz mit der Anwendung des rothen Lichtes bei Ekzem kranken, und
nimmt dann mit einigen Worten zu den von einigen Seiten gerühmten Erfolgen derselben »Chromo-
tberapie« bei Masern und Scharlach Stellung.
Im allgemeinen werden auf der hydrotherapeutischen Anstalt die Glühlichtbäder angewandt
bei Krankheiten, bei denen man sich von ihrer sch weisstreibenden und hauthyperämisierenden
Wirkung Erfolg verspricht; sowohl der Verlauf des Bades im Glühlichtkasten als auch sein thera¬
peutischer Effekt unterscheide sich nur unwesentlich vom ähnlichen Heissluftbade. Doch habe
ereteres eine Reihe von Vorzügen vor anderen Schwitzprozeduren: Der Schweissausbruch erfolgt
im Lichtbade nach kürzerer Zeit und bei niedrigerer Temperatur ceteris paribus als im Heissluft¬
kasten, und die ganze Schwitzprozedur ‘ist dort für den Patienten angenehmer als hier. Die an
den Glühlichtkisten gleichzeitig angebrachten Bogenlampen hält Krebs für überflüssig; denn
es dauere unverhältnissmässig lange Zeit, ehe der Patient im Bogenlichtbade schwitze, das Herz
werde, entgegen früherer Angaben, dabei auch nicht sonderlich geschont, falls der Patient nur
kräftig schwitze; und eine besondere »leukocytoseerregende, hämoglobinvermehrende, stoffwechsel-
befördernde* Wirkung des Bogenlichtes habe Vortragender bisher nicht nach weisen können. Auch
halte er es nicht für angezeigt, Bogenlichtkastenbäder mit Sonnenbädern auf eine Stufe zu stellen.
Die therapeutischen Erfolge mit dem Bogenlicht-Bestrahlungsapparat — der aus einer
Bogenlampe von 15 Ampöre mit wagrechten Kohlenspitzen, hinter denen sich eine konkave Reflektor¬
scheibe befindet, besteht — führt Krebs im wesentlichen auf Wärmewirkung zurück. Diese
therapeutischen Erfolge unterscheiden sich in nichts von den mit lokalen Heissluftapparaten oder
mit dem Dampfstrahl erzielten; der letztere habe nach Beobachtungen des Vortragenden in den
meisten Fällen besser gewirkt als der Reflektor.
Die von russischen Aerzten mit besonderem Enthusiasmus bei Neuralgien verwendeten
blauen Glühlampen mit reflektierenden Parabolspiegel wirken nach Krebs ebenfalls haupt¬
sächlich durch Wärmentwicklung; ist es doch bekannt, dass die Wärme sowohl schmetzlihdemd
wie resorbierend wirkt; beides Erfolge, die dem blauen Glühlichtc von vielen Seiten als spezifisch
ragesehrieben werden.
Alles in allem könne man die dem Institute zur Verfügung stehenden Mittel der Lichttherapie
wohl als schätzbare Unterstützung in der Therapie, keineswegs aber als spezifisches Allheilmittel
begrüssen.
Diskussion.
Herr Senator hält es für auffällig, dass gerade die chemisch unwirksamen rothen Strahlen
bei der Heilung des Ekzems die Hauptrolle spielen sollen.
Herr Krebs erwidert, nach seinen bisherigen Erfahrungen habe er auch keine besonders
Einstigen Wirkungen gerade des rothen Lichtes bei Ekzem und anderen Hautkrankheiten beobachten
können.
Herr Hoff mann: Bei der Frage der Behandlung des Ekzems käme es ganz darauf an, welche
Art des Ekzems vorliege und ob es sich um akute oder chronische Fälle handle.
Herr Jacob macht zunächst auf die Nothwendigkeit aufmerksam, an allen Lichtkästen, wie
das auch bei dem Lichtbade im hydrotherapeutischen Institut geschehen ist, Oeffnungen anzubringen,
die eine Kontrolle des Radialpulses erlauben. Sodann hebt er hervor, dass auch bei den auf der
von Lev den’sehen Klinik aufgestellten Lichtbädern die Erfahrung gemacht worden sei, dass die¬
selben bei Heiz- und Nierenkranken keineswegs ein ungefährliches Mittel darsleilen, wie das ja
auch der Vortragende ausdrücklich betont habe. Schliesslich macht er auf die von französischer
Seite gemachten Beobachtungen über die beruhigende Wirkung des blauen Lichtes bei un¬
ruhigen Nerven- und Geisteskranken aufmerksam und empfiehlt die Nachprüfung.
Herr Sch aper hofft, dass die bevorstehende Ausrüstung der Charitönervenklinik mit einem
vollständigen physikalisch-therapeutischen Apparat diesbezügliche Versuche bald ermöglichen würden.
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60
Berichte über Kongresse und Vereine.
Herr Henneberg: In einem Zimmer für unruhige Geisteskranke in der psychiatrischen
Charitöklinik sei zeitweise nachts eine blaue Glühlichtlampe angebracht gewesen; einen besonderen
Effekt dieser Maassnahme habe er jedoch nicht beobachten können.
8. Herr Laqueur, Mittheilungen über Blut Veränderungen bei lokalen hydrotherapeu¬
tischen Prozeduren.
Während der Einfluss der den ganzen Körper treffenden hydrotherapeutischen Prozeduren
auf die Blutzusammensetzung seit den grundlegenden Arbeiten von Grawitz, Winternitz und
Rovighi vielfach studiert worden ist, ist die Frage der Veränderung des Blutes bei lokalen
thermischen Einwirkungen noch nicht völlig geklärt Es liegen in dieser Hinsicht hauptsächlich
Untersuchungen von Winternitz und seinen Schülern vor, die im allgemeinen folgendes ergaben:
Lokale Kälteapplikation (Fussbäder, Umschläge um die Waden oder um den Leib) bewirkt
eine erhebliche Zunahme der Werthe für Hämoglobin, rothe und weisse Blutkörperchen und spezi¬
fisches Gewicht des Blutes am Orte der Applikation, dagegen eine bedeutende Abnahme an ent¬
fernten Körperstellen; umgekehrt sei das Verhalten bei lokalen Wärmeapplikationen (heisse Um¬
schläge oder Kataplasmen auf den Leib). Nur bezüglich der Leukocyten bestände hierbei keine
Konstanz.
Die von Laqueur und Löwenthal im hydrotherapeutischen Institute diesbezüglich an-
gestellten Blutuntersuchungen erstreckten sich auf Zählung der rothen undweissen Blutkörperchen,
Bestimmung des Hämoglobingehaltes und des spezifischen Gewichts des Blutes und des Blutserums
bei kalten Fussbädern und Douchen auf die Füsse, Kniegüsson, erregenden (kalten) Um¬
schlägen um die Waden resp. die Unterarme sowie um den Leib, und bei heissen Umschlägen
um diese Theile. Die bisherigen Resultate sind im allgemeinen die folgenden:
Bei kalten Umschlägen um die Waden fanden sich im Ohrläppchen die Werthe für
die Blutbestandtheile nach einer Stunde vermindert, aber nur in geringem Maasse, nur die
Zahl der Leukocyten zeigte eine bedeutende konstante Abnahme. Auch am Orte der Applikation
der kalten (erregenden) Umschläge war die Alteration der Blutzusammensetzung keine bedeutende;
die Werthe für Hämoglobin, Erytrocyten und spezifisches Gewicht des Blutes hatten zwar meist
etwas zugenommen, aber nicht immer. Nur bei den Leukocyten war am deutlichsten und stärksten
die Zunahme ausgesprochen.
Bei kalten Fussbädern oder Douchen auf die Füsse war dagegen eine konstante Ver¬
änderung der Werthe für die Blutbestandtheile im Ohrläppchen überhaupt nicht zu konstatieren
ausser bei den Leukocyten, die fast stets eine Abnahme auf wiesen. Die anderen Werthe waren
theils unverändert, theis zeigten sie nach einem solchen Fussbade sogar eine geringfügige Zunahme,
nur selten eine Abnahme.
Auch erregende kalte Umschläge um den Leib riefen keine konstante Veränderung im Blute
des Ohrläppchens hervor.
Bei heissen Umschlägen um die Waden fanden die Untersucher im Blute des Ohrläppchens,
entgegen den sonstigen Angaben, ein ähnliches Verhalten, wie bei den kalten erregenden Um¬
schlägen. Am Orte der Applikation waren die Leukocyten, wie bei den kalten Umschlägen, nach
einer Stunde vermehrt, die anderen Werthe zeigten wieder meist gar keine Veränderung.
Das spezifische Gewicht des Blutserums fand sich bei allen Prozeduren gar nicht oder nur
unbedeutend verändert.
Es haben also lokale hydrotherapeutische Prozeduren hauptsächlich in der Richtung auf die
Blutzusaramensetzung in den verschiedenen Gefässprovinzen einen Einfluss, dass sie die Zahl der
Leukocyten am Orte der Applikation vermehren, an den entgegengesetzten Körpertheilen deutlich
vermindern. In viel geringerem Maasse werden die anderen Blutbestandtheile alteriert, am kon¬
stantesten noch bei den erregenden kalten Umschlägen, während bei anderen Kälteprozeduren die
Alteration nur ganz unbedeutend und inkonstant ist. Ein prinzipieller Unterschied zwischen der
Wirkungsweise kalter und warmer Umschläge Hess sich bezüglich der Beeinflussung der Blut¬
zusammensetzung von den Untersuchern bisher nicht konstatieren.
Diskussion.
Herr Grawitz weist darauf hin, dass die von ihm zuerst gefundenen Blutveränderungen nach
Kälteprozeduren einen Fingerzeig dafür gäben, einen wie mächtigen Einfluss derartige hydro¬
therapeutische Maassnahmen auf den gesammten Organismus ausübten. Deshalb sei aber auch
andrerseits besondere Vorsicht bei deren Anwendung am Platze, besonders bezüglich der Douchen.
Es sei ein weitverbreiteter Irrthum, dass die Douchen bei jedem Patienten jahraus, jahrein ohne
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Berichte über Kongresse und Vereine.
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Schaden angewandt werden dürften, gerade bei nervösen Personen habe er oft sehr schädliche
Folgen von einem zu lange fortgesetzten Gebrauch der Douchen gesehen.
Herr Jacob: Frägt an, wie lange Zeit nach den betreffenden Prozeduren die Blutunter-
sachungen gemacht worden seien und wie lange die beschriebenen Veränderungen angedauert
bitten.
Herr Laqueur: Die Untersuchungen wurden unmittelbar nach Beendigung der Prozeduren
gemacht; zur Beantwortung der zweiten Frage müssten erst noch weitere Versuche angestellt
werden.
Herr Jacob: Weist ferner darauf hin, dass die vorgetragenen Resultate mit den Ergebnissen
der von ihm und Goldscheider seinerzeit angestellten Versuche über Leukocytenveränderungen
nach Kälteeinwirkung übereinstimmten.
Herr Brieger wendet sich gegen die Ansicht von Grawitz, dass die Reize bei hydrothera¬
peutischen Prozeduren nicht dosierbar seien. Gerade in einer genauen Dosierung des thermischen
and mechanischen Reizes bestehe die Kunst der richtigen hydrotherapeutischen Behandlung. Es sei
eine bekannte Thatsaehe, dass die Anwendung der Douchen nicht übertrieben werden dürfe, und er
pflege seine Zuhörer stets besonders darauf aufmerksam zu machen, dass gerade bei Neurasthenikern
die Douche nur mit grosser Vorsicht angewandt werden dürfe, resp. überhaupt kontraindiziert sei.
Zum Schlüsse demonstrierte Herr Brieger die Einrichtungen des Instituts.
II.
Bericht über die 23. öffentliche Tersammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Stuttgart vom 7. bis 12. März 1902.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Die diesjährige Tagung der Balneologischen Gesellschaft in Stuttgart gestaltete sich sowohl
in wissenschaftlicher wie in gesellschaftlicher Hinsicht zu einer äusserst anregenden und hat wohl
alle Theilnehmer, die in äusseret zahlreicher Menge aus Nord und Süd sich eingefunden hatten, voll¬
auf befriedigt.
In Anwesenheit Sr. Majestät des Königs von Würtemberg, der dem Kongress lebhaftestes
Interesse zuwandte, eröffnete der langjährige Vorsitzende, Prof. Dr. Liebreich, denselben mit einer
Betrachtung über die Bedeutung der Balneologie, die Lehre vom Gebrauch und der Anwendung
der Bäder sowohl zur Heilung von Krankheiten wie zur Förderung der Gesundheit Er weist da¬
bei besonders auf die Heilkraft des Wassers hin, und dass es nothwendig war, die Vorurtheile, die
man der Balneologie entgegengebracht, zu widerlegen. Dazu braucht man aber ausser Theorie auch
das Experiment und die praktische Beobachtung. Für die Entwicklung der Balneologie sind die
physiologische wie die physikalische Chemie von höchster Bedeutung gewesen. Während man in
der physikalischen Chemie vor einem Jahrhundert 35 Elemente zahlte, sind es deren heute schon
72, ja bei genauer Berücksichtigung der chemischen Analysen wird nur wenig an der Zahl 100
fehlen. Die Balneologische Gesellschaft dürfte noch Jahre lang als solche zusammen sein, ehe alle
für sie in Betracht kommenden Fragen gelöst sein werden.
In die wissenschaftliche Tagesordnung eintretend sprachen zuerst
Determann (St. Blasien) und Schröder (Schömberg), Ueber die Wirkungen des Höhenklimas
auf den Menschen.
Ersterer behandelte als Referent im Aufträge der Balneologischen Gesellschaft die allgemeinen
Wirkungen des Höhenklimas, während Schröder als Korreferent über die physiologischen Ein¬
flösse auf die Athmung, das Blut, die Schleimhäute sowie über die Wirkungen bei der Tuberkulose,
da* Skrophulose, den Erkrankungen des Blutes etc. sprach. Früher hielt man sich besonders an
die Untersuchungen im künstlich hergestellten luftverdünnten Raum. Jedoch haben die Höhen-
expeditionen ergeben, dass die Wirkung des Höhenklimas viel umfassender und oft intensiver ist
als die einfache Luftverdünnung. Die Herzaktion wird in der Höhe beschleunigt und oft unregel¬
mässig, besonders bei körperlicher Bewegung. Der Blutdruck nimmt im luftverdünnten Kabinett
ab, jedoch ist dasselbe in grossen Höhen nicht immer der Fall. Die Ursache der Herz- und Gefäss-
erscheinungen liegt nicht allein in der Luftverdünnung, und es reicht auch die mechanische Erklärung
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62 .
Berichte über Kongresse und Vereine.
derselben (Einengung der Lungenstellung, Stauung in den Lungenvenen) nicht aus, sondern es sind
wahrscheinlich, besonders für geringere Höhen Einwirkungen auf das Nervensystem durch die
anderen klimatischen Faktoren der Höhe heranzuziehen. Man kann in streng wissenschaftlichem
Sinne von einer Anregung des Stoffwechsels durch das Höhenklima sprechen, wenn auch viele
Einzelheiten in dieser Beziehung noch nicht untersucht sind. In der ersten Zeit erfolgt besonders
ein Mehrverbrauch von Fetfc^und Wasser der Gewebe, während nach einiger Zeit.Organeiweiss au¬
gesetzt wird. Die Ursache davon liegt nicht in der Luftverdünnung; woran sie liegt, ist noch nicht
ergründet. Tiefgreifende Veränderungen des Stoffwechsels, besonders der Chemie der Athmung
zeigen sich in solchen Höhen, in denen das Blut sich nicht mehr mit Sauerstoff sättigen kann. Bis
in Höhen von ca. 4500 m ist das allerdings noch möglich (»Luxusathmung« bis dahin). Jedoch
kommt in grösseren Höhen eine Erschwerung des Athmungsmechanismus, weiche die Sauerstoff¬
alveolarspannung der Lungen abnehmen lässt. Dann verschiebt sich der respiratorische Quotient
(CO 2 /O).
Das Körpergewicht nimmt meistens im Anfang ab, die Wärmebilanz ist in der Höhe sogar
bei körperlicher Arbeit konstanter als in der Niederung infolge erleichterter Wärmeabgabe. Die
Muskelkraft nimmt in grossen Höhen ab, wahrscheinlich infolge verstärkter Wirkung der Ermüdungs-
produkte auf das Nervensystem. Jedenfalls sind der Sauerstoffmangel und die Verdünnung der
Luft nicht allein Schuld. Appetit und Verdauung werden in mässigen Höhen oft in ganz erstaun¬
lichem Maasse angeregt. In sehr grossen Höhen zeigen sich dyspeptische Erscheinungen: Ver¬
stopfung, Flatulenz etc. Das Nervensystem wird durch die Höhe in vielfachster Weise beeinflusst!
Während in Höhen bis zu 2000 m Energie und Leistungsfähigkeit zunehmen, kommen in grösseren
Höhen Schwindel, Ohrensausen, Kopfschmerz, Schläfrigkeit, StimmungsVeränderungen vor; in den
grössten Höhen sind alle nervösen Funktionen erlahmt. Der Schlaf ist in grossen Höhen schlecht,
in mittleren ist er in der ersten Zeit herabgesetzt, jedoch ist das Allgemeinbefinden dabei merk¬
würdig wenig gestört, in Höhen unter 1000 m pflegt er nach kurzer Zeit gut zu sein.
Die Bergkrankheit tritt auf in Höhen von 4—5000 m — Schwäche, AthmungsVeränderungen,
Herzerscheinungen, Uebelkeit, Erbrechen, Blutungen aus den Schleimhäuten, verzagte Stimmung,
Benommenheit, Bewusstlosigkeit und der Tod können eintreten. Von Bedeutung für Zustande¬
kommen und Schwere der Erscheinungen ist das hygienische und diätetische Verhalten, körperliche
Ruhe, Willenskraft, resp. Sorge, Furcht. Jourdanet’s AnoxyhÖmie bei dauernden Bewohnern der
Höhe (Schwäche, Verdauungsstörungen, Anämie etc.) wird von vielen bestritten. Die Bergkrankheit
entsteht weniger durch den Sauerstoffmangel der Luft, als durch die infolge Luftverdünnuug ein¬
tretende »Einengung« der Lungenstellung und die ungenügende flache Athmung, wodurch eine Ab¬
nahme der Sauerstoffalveolarspannung der Lungen, sowie ein O-Mangel des Blutes und der Gewebe
zu stände kommt. Es handelt sich dann um eine innere »Erstickung«, eine Cyanose der Gewebe,
besonders des Gehirnes.
Die GesammtWirkung des Höhenklimas auf den Gesunden besteht in einer starken An¬
regung sämmtlicher vitaler Funktionen, einer Anregung, welcher der Körper in den grösseren Höhen
nicht gewachsen ist, welche jedoch in Höhen bis 2000 m unter kräftiger Uebung aller Organe in
wohlthätigen Grenzen gehalten wird. Antimetisationsbeschwerden treten auch schon in Höhen von
2000 m und darunter auf. Sie bestehen in gewissen Hautreizerscheinungen, gestörtem Schlaf, Ver¬
änderungen der Athmung und Herzthätigkeit, der Verdauung, des Appetits, ferner in Schwindel,
Kopfschmerz, Ohrensausen etc.; nach 4—5 Tagen tritt Gewöhnung ein und dann beginnt die wohl-
thätige Einwirkung der Höhe. In Trainierung, Konstitution, Verhalten etc. sind Unterschiede in
der Schwere dieser Erscheinungen vorhanden. Bei der Verordnung der Höhe für Krankheits¬
zustände muss vor allem vermieden werden, zu grosse Anforderungen an die Kräfte des betreffenden
Patienten zu stellen; im allgemeinen soll man Kranke nicht höher als 2000 m schicken. Oft ist die
Situation eines Höhenortes mehr zu berücksichtigen wie die absolute Höhenaniage (ersteres bezüg¬
lich Besonnung, Windschutz, Nebel etc.). Mit einem Minimum von Antimetisationsbeschwerden
muss ein Maximum von heilsamer Anregung verbunden sein. Die Dosierung der Höhe und die
Differenzialindikation der verschiedenen Orte und Jahreszeiten müsste noch mehr in den ärztlichen
Verordnungen ausgeprägt sein. Greise sind im allgemeinen von Höhen über 1000 m fernzuhalten,
Kinder vertragen das Höhenklima gut; die Gravidität verläuft in der Höhe normal!
Bei Herz- und Gefässerkrankungen muss das Höhenklima als ein zweischneidiges Mittel an¬
gesehen werden. Schwere organische Erkrankungen soll man nicht höher als 1000 m schicken,
Fälle von Arteriosclerose, Aneurysma der Aorta, fortschreitende Degenerationszustände des Herz¬
muskels sind von der Höhe fernzuhalten. Fettherz, gut kompensierte Klappenfehler etc. kann man
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Berichte über Kongresse und Vereine.
63
in Hohen von 400—1000 m mit grossem Vortheil behandeln. Sehr gut eignen sich für das Höhen¬
klima nervöse Herzerkrankungen, welche oft in überraschender Schnelligkeit sich bessern.
Von den Nervenkranken werden bekanntlich die funktionell Erkrankten, besonders die
Neurastheniker, in grosser Anzahl ins Gebirge geschickt, und sie erfahren dort meistens wesentliche
Besserung unter Zuhilfenahme von Ruhekur oder sportlicher resp. anderer körperlicher Bethätigung
sowie von physikalischen etc. Heilmitteln. Namentlich ist der Winter zur Behandlung von nervös
belasteten jungen Leuten und Kindern geeignet Auch andere funktionelle Nervenerkrankungen
werden besonders zur Besserung des Allgemeinbefindens im Gebirge behandelt. Hervorragende
Erfolge weist dort die Behandlung des morbus Basedowii auf, ebenso die nervöse Schlaflosigkeit.
Organische Nervenerkrankungen und Geisteskrankheiten leichteren Grades sind häufig Gegenstand
der Behandlung im Höhenklima. Für schwerere Erkrankungen des Verdauungskanals kann man
nur geringere Höhen verordnen, damit die geschwächten Verdauungsorgane den gesteigerten An¬
sprüchen nachkommen können. Die funktionellen Leiden des Magens und Darms werden mit
grossem Erfolg im Gebirge behandelt, man sieht den Appetit sich oft in kurzer Zeit erheblich
steigern, und mit der erreichten Gewichtszunahme lassen die Symptome nach. Die Erkrankungen
des Stoffwechsels werden direkt nicht durch das Höhenklima beeinflusst. Jedoch werden immer
Fälle von abnormer Magerkeit, Fettsucht, allgemeiner Plethora, gichtischer Disposition, hamsaurer
Diathese, Phosphaturie, Oxalurie etc., auch leichte Fälle von Diabetes mellitus mit gutem Erfolge
im Höhenklima beeinflusst
In seinem Korreferat führte Schröder folgendes aus: Im Höhenklima tritt zuerst eine Ab¬
nahme der Lungenkapazität ein, die durch erschöpfende Muskelarbeit noch vermehrt werden kann.
Längerer Aufenthalt im Gebirge dagegen steigert die Kapazität. Im höheren Gebirge tritt eine
gewisse ständige Atemgymnastik ein, in minderen Höhen wird bald wieder der normale Zustand
erreicht Die Frequenz der Athemzüge, ferner die Athemgrösse nehmen im Beginn des Aufenthaltes
gleichfalls zu, mehr oder weniger stark je nach geleisteter Muskelarbeit. Später gleicht sich dies
alles durch Akklimatisation wieder aus. Der Chemismus der Athmung kann in den uns interessierenden
Höhen bis 2000 m keine Aenderung erfahren. Aus diesem Grunde ist auch die Theorie von der Neu¬
bildung der rothen Blutzellen im Gebirge in erster Linie unhaltbar. Auch andere Theorieen, wie
stärkere Eindickung des Blutes, andere Verteilung im Kapillarsystem, veränderter Tonus im Arterien¬
system, verminderter Zellenuntergang etc. haben der Kritik nicht standhalten können. Vielmehr
müssen wir annehmen, dass der Fehler der Zählkammer, die sich nach Gottstein und des Referenten
Untersuchungen als vom Luftdruck abhängig erwies, die Erscheinung zunächst am einfachsten deutet.
Pie Schlitzkammer zeigt nicht den genannten Fehler und daher auch nicht die Blutkörperchen¬
vennehrung, wie Starcke und Löwy bestätigten. Das histologische Verhalten des Blutes ist im
Lebirge normal. Die Glockenversuche mitThieren lassen sich aus mancherlei Gründen nicht ohne
weiteres auf den Menschen übertragen. Der vermehrte Hämoglobingehalt kann naturgemäss nicht
schlechtweg durch die Höhe bedingt sein, sondern entsteht in erster Linie durch gesteigerte Er¬
nährung, Anregung des Gesammtstoffwechsels etc. An Thieren fand man nach Entbluten eine Zu¬
nahme der Gesammtblutmenge und des Gesammthämoglobins, ferner soll das Knochenmark der
Bergthiere Veränderungen zeigen gegenüber dem der Thiere der Ebene. Man kennt das Anpassungs¬
vermögen der Thiere an das höhere Gebirge zu wenig, um diese Ergebnisse sofort auf den Menschen
übertragen zu können. Beim Menschen werden individuelle Verhältnisse sicher auch eine gewisse
Rofle spielen und wollen wohl beachtet sein. Auf Haut- und Schleimhäute wirkt das Höhenklima
durch stärkere Verdunstung, Belichtung und intensivere Insolation und Kälte. Die Austrocknungs¬
grösse richtet sich natürlich in erster Linie nach der relativen Feuchtigkeit, die nicht stets im
Gebirge erniedrigt zu sein braucht
In der Phthisisbehandlung spielt das Höhenklima seit alters her eine grosse Rolle. Die
sogenannte relative Immunität ist nicht von der Höhe schlechtweg abhängig, sondern bedingt
1. durch Abnahme der Bevölkerungsdichte, 2. hygienischeres Leben der Gebirgsbewohner, 3. Zu¬
nahme der Kindersterblichkeit im Gebirge. Eine spezifische Einwirkung des Höhenklimas auf
phthisische Prozesse lässt sich weder experimentell noch statistisch beweisen. Ebensowenig ändert
sich im Gebirge im allgemeinen die Symptomatologie dieser Krankheit Das Hochgebirge ist für
manche Lungenkranke nicht geeignet, die sich den veränderten klimatischen Verhältnissen nicht
anpassen können. Für geeignete Kranke ist es sehr nützlich durch die mancherlei günstigen physio¬
logischen und hygienischen Einflüsse; dieselben kommen allen Erkrankungsformen der Athmungs-
organe im Gebirge gleichmässig zu gute. Die letzteren erfuhren eine eingehende Besprechung.
Rekonvaleszenzzustände nach akuten und chronischen Erkrankungen, ferner Malaria und ihre
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64
Berichte über Kongresse und Vereine.
Folgen, sobald die betreffende Gebirgsgegend malariafrei ist, werden im Höhenklima recht günstig
beeinflusst, Anämie und Chlorose heilen im Gebirge oft überraschend. Oftmals dagegen können
sich derartige Kranke schlecht akklimatisieren und verschlimmern ihren Zustand durch den Gebirgs-
aufenthalt. Das Höhenklima ist ein Unterstützungsmittel in der Therapie der Skrophulose; die
kranken Kinder müssen lange in den Bergen bleiben, wo auch für ihre geistige Ausbildung gesorgt
werden muss. Das Sehorgan wird im Höhenklima durch die starke Belichtung in mancher Hinsicht
ungünstig beeinflusst Chronische Katarrhe der oberen Luftwege verschlimmern sich oft durch die
häufigere stärkere Austrocknung im höheren Gebirge. Die Larynxtuberkulose verläuft im ganzen
wie in der Ebene. Die Sekretion der chronischen Mittelohreiterungen vermindert sich im Gebirge
schneller wie in der Ebene; das Hörvermögen der Sklerotiker bessert sich in grösseren Höhen.
Dagegen hönnen in Höhelagen Hautveränderungen entstehen, nämlich Rhagaden, Erytheme,
Exantheme, ja selbst Verbrennungen 2 Grades. Bei Auswahl einer Höhengesundheitsstation für
eine Krankheitsform muss der Arzt zunächst die Individualität seines Patienten stark berücksichtigen,
ferner die meteorologischen und geologischen Verhältnisse, sowie die sanitären Einrichtungen des
zu wählenden Ortes genau kennen.
v. Grfltzner (Tübingen), Ueber den Mechanismus der Magenverdauung«
Die Bewegungen des Magens sowie des Mageninhaltes spielen in der Physiologie des Ver-
dauungstraktus von jeher eine grosse Rolle. Maassgebend für unsere Auffassung war bisher die
bekannte Beobachtung Beaumont's an der Magenfistel eines kanadischen Jägers, und seine
damaligen Angaben, dass die Speisen vom Oesophagus aus eintreten, eine Bewegung an der grossen
Kurvatur machen und zum Pylorus wieder austraten, fanden ungeschmälerte Billigung.
Allein so einfach ist der Prozess nicht, wie man ursprünglich annahm, sondern der Magen ist
hinsichtlich seiner Bewegung ein zweigetheiltes Wesen, dessen linke Parthie andere Bewegungen
macht, als die rechte. Um dies zu erkennen, war die Untersuchung des gesunden Magens noth-
wendig. Kennan fütterte Katzen mit einem Milchbrei, der reichlich mit Bismuthum subnitricum
versetzt war, und untersuchte nun im Röntgenbild den Magen. Man sieht da, dass anfangs die
Bewegungen der linken Magenhälfte sehr schwach vor sich gehen, und dass sie um so energischer
werden, je stärker die Verdauung ist. Allmählich wird diese Parthie entleert und nun beginnt in
der Mitte des Magens eine viel intensivere Thätigkeit. Hier wird zunächst der Speisebrei erweicht,
an der grossen Kurvatur zusammengedrückt, es bildet sich eine Einschnürung; die Flüssigkeit wird
herausgedrückt, die festen Speisen mittels des starken sauren, peptischen Inhaltes durchknetet, vor¬
wärts bewegt, wieder zurück gedrängt zu wiederholten Malen, bis sie endlich durchgehen. Dieser
Modus ist ausserordentlich zweckmässig, er ist direkt eine Sortiervorrichtung, indem die Massen
durchknetet und, was noch nicht durchknetet ist, immer wieder zurückgedrängt wird. Moritz hat
diese Beobachtungen ergänzt, indem er einen Manometer durch den Oesophagus in die linke Magen-
parthie, einen zweiten in die rechte einBetzte und nun fand, dass die Druckhöhen ganz verschieden
sind; also gehen in der rechten Parthie des Magens ganz andere, viel gewaltigere Veränderungen
vor sich, wie links. Grützner hat nun in eigenen Versuchen und Beobachtungen folgendes fest¬
stellen können: Die Schichten und Formen des Mageninhaltes lassen sich am besten erkennen, wenn
man den Magen in eine feste Form bringt. Er fütterte nun die Versuchsthiere mit verschiedenem
Futter, tötete sie und brachte den Magen sofort in eine Kältemischung; dann wurden photographische
Aufnahmen, Schnitte etc. davon gemacht. Die ersten Versuche wurden am Rattenmagen, dessen
Pars cardiaca Oesophagusepithel besitzt, mithin eine rein peptische Parthie ist, angestellt und zwar
in der Weise, dass das Thier mit einem Brei aus Weissbrötchen und Milch, dem als Indikator
Heidelbeerextrakt zugesetzt war, gefüttert wurde. Giebt man nun solch blaugefärbtes Futter der
Ratte und später, nach 1—2 Stunden, weisses Futter, dann sieht man am gefrorenen Magen das
weisse Futter in der Mitte und zwar alkalisch geblieben, während an der Pars pylorica alles von
Säure durchtränkt roth erscheint. Das neue Futter, das eingeführt wird, geräth immer in die Mitte
des alten und weiterhin bleiben die Nahrungsmittel stundenlang liegen, ohne mit den Magenflüssig¬
keiten in starke Verbindung zu kommen, sie werden von diesen nur gleichsam abgewischt. Dies
ist wichtig, weil während dieser Zeit die Wirkung des Speichels vor sich gehen kann. Aehnliches
gilt auch für den Magen der Katze, des Pferdes etc. So ergiebt sich, dass die linke Parthie des
Magens wesentlich als Reservoir dient, indem sie in kleinen Perioden die Nahrung dem Magen zur
Verdauung übergiebt. Das Wasser geht sehr bald ab, es verdünnt also nicht die peptischen
Wirkungen, wie man bei Wassertrinkem zum Essen bisher annahm; anders ist cs dagegen bei den
festen Speisen, bei denen der Pylorus sich von Anfang an nicht öffnet, sondern erst allmählich
auseinandergepresst wird. Die linke Parthie ist also quasi der Vorhof des Magens. Anatomisch
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Berichte über Kongresse und Vereine.
65
muss somit der Magen in 2—3 Abschnitte getheilt werden, die linke Hälfie zeigt bei einer grossen
Reihe von Thieren keine verdauenden Apparate (Drüsen); auch physiologisch ist der Magen nicht
als einheitliches Gebilde anzusehen.
Pariser (Homburg), Zur Lehre von der Atonie des Magens.
Eingangs seiner Ausführungen wendet sich Pariser scharf gegen die von Elsner ent¬
wickelte Anschauung bezüglich der Atonie und der Dignität des Plätschergeräusches, die viel Ver¬
wirrung gestiftet habe. Elsner’a Beweisführung bleibe an der Oberfläche der Dinge. Atonie und
motorische Insufficienz seien an sich zwei verschiedene Dinge. Das Plätschergerausch sei ein
typisches Zeichen der Atonie, Gastroptose sei eo ipso mit Atonio verbunden und sei keineswegs
eiq gleichgültiger Zustand, wie Elsner behauptete.
Pariser will, um aus dem Wirrwarr den Nomenklatur herauszukommen, die Störungen der
muskulären Magenfunktion eingetheilt gissen in Myasthenien und poststenotische motorische In-
sufficienz. Die Myasthenien zerfallen in zwei Untergruppen, die der reinen Atonie und der my¬
asthenisch-motorischen Insufficienz; die praktische Bedeutung der Atonie liege darin, dass sie das
wohl zu beachtende Vorstadium der irreparablen motorischen Insufficienz bilde, ferner erkläre die
reine Atonie viele Züge im Bilde der nervösen Dyspepsie. Gerade die letzteren Fälle lieferten
den deutlichsten Beweis, dass Atonie an sich mit expulsorischer Insufficienz nichts zu thun habe.
Die Atonie sei eine Störung der peristolischen intraorganischen Magenbewegung, die myasthenische
Insufficienz eine Störung der peristaltischen intraorganisch wirkenden Magenbewegung. Atonieen
können erworben sein, mindestens in der Hälfte der Fälle aber sei die Atonie ein Zeichen einer be¬
stimmten Anlage und komme dann besonders bei demjenigen konstitutionellen Degenerationstypus
vor, dessen einzelne Komponenten Stiller zuerst unter dem Bild und Namen der xVsthenia uni¬
versale congenita zusammengefasst hat.
ln der Diskussion traten Rohr (Gurnigel) und Prof. Winternitz (Wien) den Ausführungen
Pariser’s entgegen, ersterer indem er das Plätschergeräusch für kein solch wesentliches Symptom,
wie es Pariser schildert, hinstellcn möchte, letzterer indem er bei schwersten Myasthenien und
Magenerweiterungen, wenn sie auf nervöser Basis beruhen, Heilungen beobachtet haben will.
Koppe (Giessen), Der Salzliunger.
Uralt ist die Erkenntniss der Salzzufuhr zu den Speisen. Das Salz hat zu allen Zeiten einen
der wichtigsten Handelsartikel der Völker gebildet; ebenso bekannt ist auch, dass der Salzhungcr
sich speziell bei den Pflanzenfressern einstellt. Salzhunger ist nicht das Bedürfnis nach Kochsalz
speziell, sondern nach anorgauischen Salzen überhaupt, d. h. also nach Salzen, die im Wasser gelöst,
Jonen bilden können. Wenn beim pflanzenfressenden Organismus sich Salzhunger einstellt, so liegt
die Erklärung darin, dass die Vegetabilicn zu wenig Salz für das Bedürfniss des Menschen haben;
and dabei haben die Vegetabilicn einen hohen Salzgehalt, fast dreimal soviel wie die Auimalien.
Es kommt also auf die Form an, in der die anorganischen Salze in der Nahrung enthalten sind-
Die Pflanzen sind die einzigen Organismen, die ihre Nahrung aus dem Mineralreich decken können;
auch bei jungen grünen Pflanzen findet sich ein hoher Gehalt von mineralischen Stoffen. Asche
und Salzgehalt der Pflanzen sind aber ganz verschiedene Stoffe.
In der Pflanzenasche erhält man alle Mineralbestandtheile, sowohl die organischen wie die
anorganischen; man müsste also annehmen, dass im Pflanzensaft alle anorganischen Bestandtheile
vorhanden sind. Die Differenz der Asche der ganzen Pflanze minus der Asche des Zellsaftes giebt
jedoch nicht die anorganischen Salze. Je mehr anorganische Bestandtheile, d. h. je mehr Jonen im
Pflanzensaft sind, desto besser müsste er den elektrischen Strom leiten. Darüber ergiebt eine Reihe
von ansgeführten Analysen seitens Koppe die nothwendige Klarheit:
Trocken-
sobstaaz
Wasser
Asche
Aschenanalyse
1 aus der '
ganzon Pflanze 1
Aschengehalt
des
Ptlanzensaftes
jWirklicher, Elekt^risclio
1 Salzgehalt, r4hi *' ke it
Salat.
7,7
92,2
0,98
, 1 ,or»
0,60
0,44
58
Kohlrabi ....
8,76
91,2 ;
0,59
0,65
0,55
0,41
53
gelbe Rübe . . .
7,5
92,5
! 0 , 5 t;
0,61
0,41
0,39 52
Blumenkohl . . .
! 11,8
CO
OD
0,99
1,12
0,97
0,60
91
Ganz anders bei der animalen Kost; so ist ira Blutserum der Gesamratgchalt an Salzen in
anorganischer Form enthalten, der Aschengehalt beträgt 0,75'>/<,; die Mineralwässer nehmen eine
gewisse Mittelstellung ein. Im Steinsalz besitzen wir ein chemisch reines Speisesalz, das Seesalz ist
Zeifcjchr. t dilL u. pbyalk. Therapie Bd. VI. Heft 1. 5
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66 Referate über ßücher und Aufsätze.
viel minderwerthiger demgegenüber und trotzdem letzteres sehr, sehr viel thcurer ist, ist der Ver¬
brauch von Siedesalz zu Speisezwecken viel grösser. So ist laut statistischen Mittheilungen der
Verbrauch in Deutschland im Jahre 1898 der gewesen, dass gegenüber 378000 Tonnen Siedesalz
nur 33000 Tonnen Steinsalz verbraucht wurden. Auch der Thierzüchter zahlt lieber das theurere
Siedesalz wie das chemisch reinere und billigere Steinsalz. Kurzum die Nebensalze haben ihre ent¬
schiedene Bedeutung; Salzhunger ist nicht blos allein auf das ungünstige Verhältniss von Kalium
zu Natrium zu schieben, sondern Salzhunger ist Bedürfnis nach anorganischen, das heisst Jonen
bildenden Salzen. In der Diskussion weisen Länderer (Stuttgart) auf die Bedeutung der Salze für
das Zustandekommen der Rhachitis, Vollmer (Kreuznach) auf die günstige Wirkung der Kochsalz-
queilen, die wohl durch die Verbindung von Kochsalz mit anderen Salzen zu erklären ist, hin.
(Fortsetzung folgt.)
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Erwin Voit, Die Bedeutung des Körperfettes ,
für die Ei Weisszersetzung des hungernden
Thieres. Zeitschr. f. Biol. Bd. 41. Heft 4. I
Erwin Voit, lieber die Ursache der Zunahme
der Ei weisszersetzung während des Hungerns. I
Ebenda.
In der ersten Abhandlung berechnet der Ver¬
fasser noch eingehender als in einer vor kurzer
Zeit (Zeitschr. f. Biol. Bd. 41. H. 1) erschienenen j
und hier bereits referierten Arbeit den Einfluss
des Körperfettes auf den Ei weisszerfall des Hunger- j
thieres unter Benutzung eigener und fremder in
der Litteratur vorliegenden Vcrsuchsprotokolle. ,
Aus den am verhungerten Thier direkt bestimmten
Werthen für Gesammteiweiss- und Gesammtfett-
menge einerseits, aus den während des Lebens
beobachteten N-Ausscheidungen und dem (unter |
Beziehung auf die Körperoberfläche) berechneten
Gesammtkaloriecnbedarf andererseits stellt Voit
für jeden Versuchstag fest: 1. das Verhältniss des
Stickstoffbestandes zum Fettbestand und 2. das
Verhältniss des Eiweisszerfalles zum Gesammt-
umsatz.
Er findet nun bei derartiger Analyse einiger
von verschiedenen Autoren an Kaninchen und
Hühnern angestellter Versuche, dass diese beiden
Werthe in bestimmtem Abhängigkeitsverhältniss
von einander sind: so lange der erste Werth
klein ist, d. h. solange der Fettbestand relativ
gross ist gegenüber dem Ei weissbestand (d. h.
dem aktiven Zell material), werden nur 4—10o/ 0
des Gesammtbedarfs durch EiwcissVerbrennung
gedeckt; mit der stärkeren relativen Armuth an
Fett (etwa unterhalb 1/2 des Stickstoffbestandes) \
steigt der Ei weisszerfall, und zwar ganz proportional
der fortschreitenden Fettverarmung, bis er zuletzt
die Hälfte der erforderlichen Kalorieenwerthe
liefert. Die zirkulierende Fettmenge, d. h. das
zur Verbrennung dienende Fett nimmt offenbar
ab, wenn die Fettreservoire beträchtlich zusammen¬
geschmolzen sind. Der Tod des Thieres tritt
schliesslich ein, wenn infolge ungenügenden Brenn¬
materials die lebenswichtigen Organe nicht mehr
genügend Nahrung bekommen.
Der folgende Aufsatz des V erfassers wendet sich
im wesentlichen gegen die unter gleichem Titel
erschienene Entgegnung von Schulz; Voit be¬
ruft sich auf die Resultate der eben besprochenen
Berechnungen und legt an die von Schulz heran¬
gezogenen Versuchsreihen scharfe Kritik. Ver¬
fasser kommt zu dem Schluss, dass alle bis jetzt
bekannt gewordenen Beobachtungen sich nach
der Voit’&chen Anschauungsweise erklären
lassen, während die Sc h ulz’sche Auffassung nicht
erklären könne, weshalb die Grösse des Ehveiss-
zerfalls sich stets nach dem Energiebedarf des
Thieres richte. D. Gerhardt (Strassburg).
C. Binz, Die Wirkung des Destillats von
Kaffee nnd Thee auf Athmung und Herz.
Centralblatt für innere Medicin 1900. No. 47.
Der Verfasser bespricht die Untersuchungen,
die C. Th. Are hangeis ky im Bonner pharma¬
kologischen Institute angestellt hat. Zunächst
wird die bisherige Litteratur angeführt. Die Er¬
gebnisse der Forschungen von Archangelsky
sind folgende: Das koffeinfreie Destillat des ge¬
rösteten Kaffees hatte eine deutlich steigernde
Wirkung auf die Grösse der Athmung beim
Menschen. Sie wurde besonders dann sichtbar,
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UN IVERSITY OF MICHIGAN
Referate über Bacher und Aufsätze. 67
wenn der Mensch mehrere Stunden vorher ohne
Nahrung geblieben; sie war nicht von langer
Dauer; sie war die Folge eines Steigens der
Athemzahl (Frequenz), nicht einer Vertiefung der
einzelnen Zöge. Auch an Hunden, die durch
Weingeist vollkommen gelähmt waren, zeigte
sich die Aufbesserung desAthmcns, wie in den
Binz’sehen Versuchen von 1879. Muskelunruhe
und geringe psychische Erregung waren ebenfalls
die Folge der Aufnahme des Kaffeodestillats.
Die Pulsfrequenz des gesunden Menschen wurde
durch das Kaffeedestillat nicht verändert. Das
Destillat eines guten chinesischen Thees ergab am
Menschen dasselbe, nur weniger stark. Weitere
auf diesen Punkt gerichtete Beobachtungen sind
wünschenswerth. Die Angabe von K. B. Leh¬
mann, dass den aromatischen Bestandteilen des
Kaffeeaufgusses selbst in grossen Gaben eine mit
gröberen Mitteln nachweisbare physiologische
Wirkung auf das Gehirn oder die Muskeln nicht
zukotnme, ist jedenfalls in dieser allgemeinen
Fassung nicht zutreffend. Wir werden also sagen
müssen, dass die erregenden Eigenschaften des
ganzen Xaffee- oder Theeaufgusses vom Koffein
und den im siedenden Wasserdampf flüchtigen
Bestandtheilen abhängen, am meisten aller¬
dings, wenn man die Ergebnisse der alten und
neuen Untersuchungen mit einander vergleicht,
vom Koffein. W. Zinn (Berlin).
J. Flescb, Zar Ernäbnuigstherapie mit
künstlichen Eiweisspräparaten. Klinisch¬
therapeutische Wochenschrift 1900. No. 33.
Verfasser empfiehlt das Plasmon als ein sehr
geeignetes Eiweisspräparat bei der Ernährung in
schweren akuten und chronischen Krankheiten;
er zieht nach seinen Erfahrungen das Plasmon
den ähnlichen Produkten, wie: Somatose, Tropon,
Eukasin, Nutrose, Sanose, Sanatogen entschieden
vor. Das Plasmon stellt einen aus Magermilch
durch Zusatz von etwas Natriumbikarbonat ge¬
wonnenen Eiweisskörper dar, der, auf mechani¬
schem Wege erhalten, die Eiweissstoffe der Milch
unverändert enthält; es ist ein feinkörniges,
weisses Pulver ohne Geruch und Geschmack.
Das Präparat ist in steter Abwechslung zu
reichen bis zu einer Menge von 40 — 80 g in
-4 Stunden. W. Zinn (Berlin).
A'Loewj und M. Pickardt, Ueber die Be¬
deutung reinen Pfl&nzeneiweisses für die
Ernährung. Deutsche raedicinische Wochen¬
schrift 1900. No. 51. •
Die Versuche wurden mit dem aus Pflanzen- |
eiweias hergestellten Getreidesamen Roborat an- |
gestellt, das einen N - Gehalt von 94,2%, auf
Trockensubstanz berechnet, hat. Die Ausnutzung
dieses vegetabilischen Eiweisses im Darm war
genau so gut, wie diejenige des Fleischeiweisses,
und ferner vermochte cs in äquivalenter Menge
das animalische Eiweiss zu ersetzen. Die Ham-
säureausscheidung war während der Roborat-
periode eine erheblich herabgesetzte. An¬
knüpfend an diese Versuche stellen die Autoren
beherzigenswerthe Betrachtungen über Eiweiss¬
präparate an, welche als Massennahrungsmittel oder
als Diätetika verwerthbar sind. Solche Eiweiss-
präparate müssen geschmacklos sein, damit man
sie den verschiedensten Gerichten zusetzen kann,
sic müssen ein mässiges Volumen haben und gut
ausnutzbar sein, und sie müssen billig sein.
Eukasin und Nutrose sind sehr theuer, Tropon
wird schlecht ausgenutzt und ist unlöslich, das
vegetabilische Aleuronat und das animalische
Soson haben einen ausgesprochenen Geschmack.
Die obengenannten Forderungen werden erfüllt
vom Plasmon und vom Roborat. Das eretcre
ist Milcheiweiss und könnte daher pathogene
Keime enthalten. Doch sind solche bisher in
demselben noch nicht gefunden worden.
In einem Falle wurde Roborat acht Tage
lang in Klysmafonn gegeben, ohno dass Reiz¬
erscheinungen von Seiten des Darms auftraten.
F. Voit (München).
L. Baach, Ueber periodisches Erbrechen.
Inaug.-Diss. Berlin 1901.
Verfasser bespricht die Nosologie des perio¬
dischen Erbrechens unter besonderer Berück¬
sichtigung der idiopatischen Form dieser Krank¬
heit, welche als spezielle Art von Neurose durch
v. Leyden zuerst beschrieben wurde, und bringt
einige hierher gehörige Beobachtungen, die er
auf der v. Leyden*sehen Klinik unter Jacob
zu machen Gelegenheit hatte. Zwei dieser Fälle
entsprechen dem Typus der von v. Leyden be¬
schriebenen Neurose; in einem handelte es sich
um gastrische Krisen, welche 6-% Jahre hindurch
das einzige Symptom einer Tabes incipiens bei
gleichzeitiger Magengeschwulst darstellten. In
dem idiopatischen Falle bestand gleichzeitig eine
Aorteninsufficenz, der andere Fall zeigte migrän-
artigen Typus. In Bezug auf die Therapie er¬
scheint bemerkenswerth, dass die Darreichung
von Chloroformwasser in zwei Fällen Linderung
der Schmerzen brachte. Die Dissertation stellt
eine begrüssenswerthe Zusammenstellung unserer
bisherigen Kenntnisse über das periodische Er¬
brechen dar. 11. Strauss (Berlin).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
68
G£za Kövesi, Ueber den Eiweissumsatz im |
Greisenalter. Centralblatt für innere Medicin
1901. No. 5.
Stoffwechseluntersuchungen an zwei Grei¬
sinnen im Alter von 76 und 78 Jahren ergaben
eine bedeutende Herabsetzung des Kalorieen-
bedürfnisses im Senium. In einem Versuch
konnte schon mit 20 Kalorieen pro Tag und
Kilo das Kalorieenbedürfniss gedeckt werden.
Die Versuchsdauer erscheint allerdings dafür,
dass der Gesammtstoffumsatz nur nach N - Ein¬
nahme und Ausgabe und Körpergewicht be¬
stimmt wurde, etwas kurz. Die Resorption der
Eiweissstoffe im Darm erschien normal. Mit
sehr geringen Ei weissmengen (41 g pro Tag) er¬
gab sich noch eine kleine N-Rentention, woraus
der Verfasser den Schluss zieht, das9 selbst
unter günstigen Bedingungen (niedere Kalorieen-
zufuhr) der senile Organismus schon massige
Eiweissmengen nicht bewältigen kann, »da die
eiweissspaltende Fähigkeit des aktiven Zellen¬
materials nennenswerthe Einbusse erlitt«.
F. Voit (München).
A. Schmidt, Einige Bemerkungen über die
Gährnngs- und Verdauungsprobe der Fäces,
sowie über? den Nutzen der Probediät für
die Untersuchung Darmkrnnker. Berliner
klinische Wochenschrift 1900. No. 51.
Schmidt bringt in dem Artikel eine Ver¬
teidigung seiner Gährungs- und Verdauungs¬
probe gegenüber einigen Vorwürfen, welche der¬
selben gemacht worden sind und welche darin
gipfeln, dass dieselben keinen wesentlichen Fort¬
schritt bedeuten und dass sie praktisch nur wenig
brauchbar seien wegen ihrer Umständlichkeit und
Fehlerhaftigkeit. Den Hauptwerth seiner Gäh-
rungsprobe sieht Schmidt darin, dass sie uns
gewisse leichte Störungen der Darmfunktion an¬
zeigt. Fehlerquellen bestehen allerdings, aber sie
sind nicht gross genug, um den Zweck der Me¬
thode in Frage zu stellen. Die Umständlichkeit
beruht fast nur auf der Durchführung der Probe¬
diät. Schmidt giebt die Umständlichkeit der¬
selben zu, hebt aber hervor, dass im Vergleich
hierzu der diagnostische Nutzen ein sehr grosser
ist. F. Voit (München).
L. v. Aldor, Ueber Kohlehydratstoffweclisel
im Greisenalter und iu Verbindung damit
Untersuchungen über Phloridziudiabcte«.
Centralblatt für innere Medicin 1901. No. 21.
Unter 30 alten Individuen trat nach Dar¬
reichung von l-'U) 150 g Traubenzucker im
nüchternen Zustande bei 24 Glykosurie auf, wo¬
nach also die zuckerzerstörende Fähigkeit des
Organismus im Greisenalter geringer wird. Da¬
bei zeigte sich eine auffallende Verspätung im
Auftreten der Glykosurie. Während sonst die
alimentäre Glykosurie innerhalb der ersten
Stunde nach Verabreichung des Zuckers eintritt,
erschien sie hier nur in zwei Fällen am Ende
der ersten Stunde, sonst erst am Ende der
zweiten, in einem Fall erst am Ende der fünften
Stunde. Verfasser ist geneigt, die Verzögerung
im Auftreten der alimentären Glykosurie theil-
weise wenigstens durch senile funktionelle
Störungen der Nierenthätigkeit zu erklären, da
er vielfach bei den alten Leuten nach Injektion
von 5 mg Phloridzin eine auffallende Irregularität
theils betreffs des Zeitpunktes des Auftretens des
Phloridzindiabetes, theils betreffs der Gesammt-
menge des ausgeschiedenen Zuckers konstatieren
konnte. F. Voit (München).
B. Gymnastik.
Heinrich Quinke, Ueber Schlaflage nud
Bettlage überhaupt. Die Krankenpflege 1901.
Heft 1. -
Für die beste Lage des Gesunden hält
Quinke eine horizontale Lage des Körpers auf
nicht zu weicher Matratze, ohne das sogenannte
Kopfkissen, welches bekanntlich in der üblichen
Form eines oder zweier Keilkissen nicht nur
unter dem Kopf liegt, sondern auch den oberen
Brusttheil des Schlafenden in einen durchaus
schädlichen Winkel zum unteren Körpertheil
bringt. Unter den Kopf soll nach Quinke nur
ein schmales, weiches Kissen kommen, welches
bis in den Nacken hineinragt, 25—30 cm breit
und 60—80 cm lang ist. Solche Betten sind in
England, Frankreich und Italien bereits üblich.
Das Rosshaar in diesem Kissen, welch letzteres
aufknüpfbar ist, soll öfters aufgezupft werden.
Statt des Kissens kann auch eine etwa 50—60 cm
lange Rolle genommen werden. In Hotels kann
die Rolle einigermaassen dadurch ersetzt werden,
dass ein zusammengerolltes Federkopfkissen
mittels eines Handtuches und Sicherheitsnadeln
in seiner Lage erhalten wird.
Wer gleichzeitig eine horizontale Kopflage
wünscht, kann Kissen oder Rolle in der Mitte
auf 8 cm Breite absteppen, sodass in der Mulde
Kopf und Nacken ruhen.
Die Umkleidung der Rosshaare soll* um ihr
Reibegeräusch zu dämpfen, mittels eines mit
Watteeinlagc hergcstellten Steppstoffes bewerk¬
stelligt werden.
Des weiteren macht der Autor auf ver¬
schiedene hohe und seitliche Lagerungen in
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Referate über Bücher und Aufsätze. 69
Krankheitsfällen aufmerksam, welche im Original
einzusehen sind. Beherzigenswerth ist der Rath,
Patienten, die lange im Bett liegen müssen,
wiederholt verschieden zu lagern und möglichst
Bett und Zimmer zu wechseln. Quinke ist ein
Gegner der Federdecken: die eigentliche Körper¬
decke soll eine wollene oder Steppdecke sein,
das Federbett mag nur in der kalten Jahreszeit
hinzugefügt werden.
Selbstverständlich ist ein allabendlicher
Wechsel der Kleidung erforderlich; dem einfachen
Nachthemd muss am Tage bei bettlägerigen
Kranken, die sich sitzend beschäftigen, eine
leichte Jacke oder ein Tuch hinzugefügt werden.
H. Rosin (Berlin).
Albert Eulenburg, Ein lenkbares Gehrad.
Die Krankenpflege 1001. Heft 1.
Der um die Erfindung und Verbesserung
von zimmergymnastiseben Apparaten wohlver¬
diente Techniker Sachs aus Berlin ist neuer¬
dings mit einem zugleich als Krankenfahrstuhl
benützbaren lenkbaren Gehrad hervorgetreten,
das den bisher gebräuchlichen Vorrichtungen
gegenüber nach Eulenburg’s Anschauung
einige nicht zu unterschätzende Vorzüge dar¬
bietet. Der ans Stahlrohr gefertigte Apparat ist
sehr leicht und doch von grosser Stabilität, ist
ungemein verwendbar für allerlei Stellungen und
Lagen und überdies ausserordentlich preiswerte
Eulenburg empfiehlt ihn daher für chirurgisch
Kranke und Gelähmte aufs allerwärmste.
H. Rosin (Berlin).
Xax Schneider, Schneeschuh und Rennwolf
and ihr praktischer Gebrauch. Mit 62 Ab¬
bildungen. Berlin 1900.
Die kleine Broschüre giebt für den Anfänger
eine genaue Beschreibung der Erlernung des
Schneeschuh- und des verwandten Rennwolf-
^rts, für schon Kundige Rath und nützliche
Winke bei allen möglichen Vorkommnissen, Vor¬
schläge zu mannigfacher Abwechslung dabei,
Bestimmungen für Rennen u. s. w. Wenn auch
das Erlernen des nicht ganz leichten Sports
sicherlich am leichtesten unter Anleitung eines
geübten Läufers geschieht, so mag es doch auch
nach der hier gegebenen Beschreibung möglich
sein. Vor Allem aber hat das Büchlein Werth
als eifriger Werber von Freunden des Winter¬
sports, der bisher in Deutschland arg vernach¬
lässigt ist, trotzdem gerade zu dieser Jahreszeit
Körperbewegung in freier Luft als Reaktion
gegen die geheizten und oft überheizten Stuben
doppelt noth thut.
Angesichts der dem Arzte so erfreulichen
Tendenz der Broschüre seien einige physiologische
Absonderlichkeiten, wie sie sich im Kapitel
»Training und Hygiene« finden, übergegangen.
Uebrigcns gehört gerade der Schnceschuh-
sport zu den von medicinischer Seite auf ihre
Wirkung hin untersuchten. (Wenschen, Skid-
lauf und Skidwettlauf. Eine medicinische Sport¬
studie). L. Zuntz (Berlin).
y. Brodeu und H. Wolpert, Respiratorische
Arbeitsrersnche bei wechselnder Luft¬
feuchtigkeit an einer fetten Versuchsperson.
Archiv für Hygiene 1901. Bd. 39. Heft 3. S. 298.
Verfasser haben die Wärmeregulierung, ins¬
besondere die Wasserabgabe eines fetten Versuchs¬
individuums bei Ruhe und Arbeit, in bekleidetem
Zustande untersucht. Der Bericht lässt sich im
einzelnen nicht durch einen Auszug ersetzen, und
es mögen deshalb nur die Schlüsse der Verfasser
hier wiedergegeben sein: »Ein Mensch mit reichem
Fettpolster zeigt sich nach unseren Versuchen
hinsichtlich desErtragensvon hohen Temperaturen
in der Ruhe, namentlich aber während der Arbeit,
als minderwerthig. In Luft von Bluttemperatur
war schon während der Ruhe, bei einer relativen
Feuchtigkeit von 66% ein völliges Wärme¬
gleichgewicht nicht mehr zu erreichen. Die Blut¬
wärme stieg. Auch die geringe Arbeit von
5375 mkg pro Stunde vermochte der kräftige
Mann nicht in normaler Weise zu leisten, die
normale Bluttemperatur war nicht zu erhalten.
Noch unhaltbarer waren die Zustände während
der Arbeit in feuchter Luft.« Bei dem fetten
Menschen ist zwischen der Abgabe von ver¬
dampfendem Wasser, das der Wärmeregulierung
zu gute kommt, und des flüssig von der Haut
ausgeschiedenen Wassers zu unterscheiden. Dieses
kann durch seine Menge zu rascher Bluteindickung
führen, die an sich und durch weitere Wärme¬
stauung lebensgefährlich werden kann.
R. du Bois-Revmond (Berlin).
C. Hydro-, Balneo- und Kliniato-
therapie.
C.Gerhardt, Betrachtungen Uber Epidemieen
in Knrorten. Zeitschrift für Krankenpflege
1901. Heft 1.
Der Autor weist darauf hin, dass Epidemieen
in Kurorten, wie Unterleibstyphus, Ruhr, Scharlach,
Diphtherie, nicht selten Vorkommen. Zwar bleiben
diese Epidemieen zumeist klein und gutartig,
allein wünschcnswerth ist es, Mittel und Wege
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Referate über Bücher und Aufsätze.
70
zu finden, die derartige Epidemieen verhindern
können. Hierher gehört es in erster Reihe, die
in den Kurorten vorhandene Neigung zu be¬
kämpfen, eingeschleppte ansteckende Krankheits¬
fälle zu verschweigen. Denn hierdurch wird ver¬
hindert, dass die nöthigen Schutzmaassregeln
rechtzeitig ergriffen werden, sowohl um den
Krankheitsfall zu isolieren, als um örtliche Schäden,
die die Verbreitung begünstigen, abznstellen.
Gerhardt wünscht vor allem eine streng
durchgeführte Anzeigepflicht zum Schutze der
Gesundheit der Badegäste und des guten Rufs
des Badeortes.
Ferner fordert der Autor für grössere
Badeorte die Anfertigung von Listen und Ein¬
zeichnungen, welche die Lokalisation des Er¬
krankungsherdes in den Stadtplan ermöglichen
Er verlangt ferner Baulichkeiten, in welche epi¬
demisch Erkrankte ohne Zeitverlust und kom¬
fortabel untergebracht werden können.
Nöthig ist sodann irgend eine Einrichtung,
um schnell bakteriologische Untersuchungen vor¬
nehmen zu können, sei es durch einen Arzt am
Orte, sei es durch rasche Zuziehung eines dafür
geeigneten Fachmannes.
Schliesslich muss für jeden Badeort verlangt
werden: Tadellose Einrichtung der Kanalisation
oder Abfuhr, einwandsfreies Trink wasser, Institute
zur gründlichen Desinfektion nach ansteckenden
Krankheiten.
Sind alle derartigen Vorrichtungen getroffen,
so wird das sich so oft schädlich erweisende
Vertuschungssystem schwinden und die Infektions¬
krankheit im Keime erstickt werden.
H. Rosin (Berlin).
Legrand, Le bain froid dans nn cas grave
de pneumonie double. Bulletin gönöral de
thörapeutique 1901. 15. Juni.
Verfasser, der nur ein bedingter Anhänger
der kalten Bäder ist, hat bei einem im Zustande
schwerster Asphyxie befindlichen aber herz-
kräftigen Soldaten nach vergeblicher Anwendung
von blutigen Schröpfköpfen, Aderlass und medi¬
kamentösen Reizmitteln das von 36°—230 abge¬
kühlte Bad gegeben. Danach reichlicher Aus¬
wurf aus den doppelseitig fast ganz hepatisierten
Lungen. Nach öfterer Wiederholung der Bäder
vollständige Heilung. Determann (St.Blasien).
E. Aron, Ueber SauerstoffInhalationen. Berl.
klinische Wochenschrift 1901. No. 37—38.
Aron giebt zunächst einen Ueberblick über
die physiologischen Grundlagen der Sauerstoff¬
versorgung des Organismus; seine Auseinander¬
setzungen scheinen dem Referenten nicht voll¬
kommen zutreffend zu sein, auch nichtseine Schluss¬
folgerung: »vom physiologischen Standpunkte
aus scheint mir also die Anwendung von O-In-
halationen zu therapeutischen Zwecken völlig
aussichtslos zu sein«. Diesen an den Eingang
seiner Abhandlung gestellten Satz schränkt Ver¬
fasser allerdings zum Schluss schon erheblich ein,
indem er Sauerstoffinhalationen wenigstens bei
Kohlenoxyd-und Anilin Vergiftungen, sowie gegen
die Wirkungen der verdünnten Luft empfehlen
zu können glaubt. — Er referiert dann eine Reihe
klinischer Erfahrungen, sowie eine grössere Zahl
von Thierversuchen. In letzteren liess er Thiere,
denen er einseitigen Pneumothorax, Zustände von
inspiratorischer und exspiratorischer Dyspnoe er¬
zeugt, oder die er anämisch gemacht hatte, Sauer¬
stoff athmen, ohne Erfolge zu sehen. Referent
kann nur wiederholen, was er bereits in der
Diskussion zu Aron’s Vortrag in der Berliner
medicinischen Gesellschaft ausführte, dass eine
eingehendere allgemein pathologische Analyse
seiner klinischen Fälle, wie der bei seinen Thieren
vorgenommenen Eingriffe Aron hätte zu dem
Schlüsse führen müssen, dass eine wohlthätige
Wirkung des Sauerstoffs bei ihnen von vorn¬
herein kaum zu erwarten war. Diejenigen Er¬
krankungen, bei denen Sauerstoffinhalationen
sich nützlich erweisen können, hat Aron nicht
genügend in Betracht gezogen, und ist infolge¬
dessen den Indikationen für die Sauerstoff¬
behandlung in Krankheiten nicht vollkommen
gerecht geworden. A. Loewy (Berlin).
D. Elektrotherapie.
Karl v. Noorden, Ueber das elektrische
Vierzellenbad (System Schnee). Die Kranken¬
pflege 1901. Heft 1.
Das bisher übliche elektrische Wannenbad
hatte den Nachtheil, unsicher und mit zu geringen
Stromdichten zu arbeiten; auch konnte eine be¬
stimmte Lokalisation des Stromes auf gewisse
Körpertheile in nur wenig zuverlässiger Weise
erzielt werden. Gerade zur Behandlung lokali¬
sierter Leiden, wie Rheumatismus, Lähmungen
und Neuralgieen, hat sich diese Behandlungs¬
methode wegen der Abirrung des Stromes nicht
bewährt, es sei denn als Suggestivmittel.
v. Noorden glaubt nun, nach längerer Er¬
fahrung, das Schnße’sche elektrische Vierzellen¬
bad empfehlen, damit das elektrische Bad wieder
zu Ehren bringen und zugleich seine Anwendungs¬
weise vervielfältigen zu können. Der Patient
sitzt auf einem Holzstuhle und die Extremitäten
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Referate über Bücher und Aufsätze.
71
befinden sich in vier Porzellan wannen, in welche
der Strom gebracht wird.
Auf diese Weise ist es möglich, bis zu 30
Milli-Amperes, auch bei empfindlichen Patienten,
und zwar an den verschiedensten Körperteilen
zu applizieren, je nach der Extremität oder den
Extremitäten, an welchen man den Strom ein-
resp. austreten lässt, v. Noorden hat bei den
schmerzhaften Zuständen der Diabetiker seine
meisten Einfahrungen gesammelt und ist mit den
Erfolgen dort sehr zufrieden; Muskelschmerzen,
Neuralgieen, Schlaflosigkeit, allgemeines Haut¬
jucken und selbst Psoriasis wurden günstig be¬
einflusst. Aber auch bei Nichtdiabetikern er¬
zielte der Autor günstige Ergebnisse; und war
die Auswahl unter den anderweitigen Krank¬
heitszuständen nicht sehr gross, so ermuthigten
doch die Erfahrungen, die er gemacht hat, das
elektrische Vierzelienbad in der ärztlichen Praxis
anzuwenden. H. Ros in (Berlin).
F. Winkler, Die elektrostatische Behandlung
der Hautkrankheiten. Wiener medicinische
Presse 1901. No. 41.
Nach einer Uebereicht über die einschlägige
Litteratur schildert Verfasser in Kürze seine
eigenen Erfahrungen. Nach seiner Meinung
kommt bei der elektrostatischen Behandlung der
Hautkrankheiten ausschliesslich die Wirkung auf
die Gefässnerven in Betracht.
Hiernach theilt Verfasser die Anwendungs¬
weise in drei Gruppen: die Büschclentladung,
welche eine Haut an ätu i c veranlasst, den Morton-
schen Strom, welcher zur Hauthyperämie führt,
und die Funkenentladung, welche zwischen beiden
steht, indem sie bei kurzer Anwendung zur Ent¬
stehung einer Cutis anserina, bei längerer An¬
wendung zu Erythem und sogar zur Blasenbil¬
dung führt.
Für die Büschelentladung kommen daher alle
Stauungshyperämieen der Haut und alle jene Haut¬
krankheiten in Betracht, bei denen Gefasserweite-
rungen vorliegen, also Peraionen und Varicen,
Acne rosacea und kleine Teleangiektasieen. In
ganz eklatanter Weise wird auch das Jucken be¬
einflusst, und zwar in allen den Fällen, in welchen
es (nach Unna) auf einem Missverhältnis zwischen
dem Drucke des Gewebssaftes und dem Gegen¬
druck der Oberhaut beruht. Die antipruriginöse
Wirkung der Franklinisation steht aber wahr¬
scheinlich auch im Zusammenhang mit der viel¬
fach beobachteten anästhesierenden Wirkung der
Bestrahlung. Diese Wirksamkeit lässt sich in der
Permatotherapie vielfach benützen, bei Hyper¬
ästhesien der Haut, z. B. bei universellem Ekzem,
sowie bei allerhand lokalen Schmerzempfindungen
aus den verschiedensten Ursachen. Die schönste
Wirkung zeigt die Franklin’sche Bestrahlung
beim Ekzem; das Jucken verschwindet sogleich,
und die ekzematösen Stellen heilen in der kürzesten
Zeit ab.
Auch eine austrocknende Wirkung auf Ge¬
schwürsflächen und exsudative Prozesse, sowie
auf Hyperhidrosis lässt sich im Zusammenhang
mit der Wirkung auf die Gefässnerven beobachten.
Bei Alopecia areata wird oft in kurzer Zeit
ein neuer Haarwuchs erzielt.
Im Gegensatz zur Büschelentladung werden
die Morton’sehen Ströme dort angewendet, wo
man kräftig hyperämisierend wirken will, also bei
Narbenbildungen und Kcloiden, bei Dupuytren¬
scher Kontraktur, bei anämischer und schuppender
Haut, sowie bei Nachlass des Tonus der Haut,
bei Falten und Runzeln.
Um zu starke Reizwirkungen zu vermeiden,
soll man bei allen Prozeduren die Sitzungen
nicht über fünf Minuten ausdehnen: auch
empfiehlt es sich, an die lokale Prozedur eine
allgemeine beruhigende (Kopfglocke) anzu-
schliessen, um etwaige Reizzustände zu be¬
seitigen.
Zum Schluss spricht Verfasser die Ansicht
aus, dass die Roentgenbehandlung, die Arson-
valisation und die Franklinisation wahrscheinlich
dem gleichen Wirkungsgcbietc angehören: sie
dürften sich nur in der Intensität unterscheiden
und ihre Erfolge in der Dermatotherapie dürften
auf den gleichen Grundlagen beruhen. Eine
nähere Umgrenzung der Indikationen für diese
verschiedenen Behandlungsarten wird die nächste
Aufgabe weiterer therapeutischer Versuche in
dieser Richtung sein. Mann (Breslau).
Jellinek, Elektrizität und Chloroformnnr-
kose. Wiener klinische Wochenschrift 1901.
No. 45.
Bei Gelegenheit seiner Studien über die
Wirkungen hochgespannter elektrischer Ströme
auf den menschlichen und thierischen Organismus
machte Verfasser folgende Beobachtung:
Der hochgespannte Wechselstrom mit bc-
simmter Perioden zahl und Polanordnung, >Rachen-
rcktura«, der Kaninchen im wachen Zustande
tötete oder sie schwer zu verletzen im stände
war, erwies sich bei Thieren derselben Art in
tiefer Narkose als lebensrettend: Die Kaninchen
wurden nicht nur aus tiefster Narkose momentan
auf gerüttelt, es war auch keinerlei schädigende
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72
Referate über Bücher und Aufsätze.
Nachwirkung der Elektrizität in Choroformnar-
kose zu konstatieren.
Während ferner andere Reizmittel bei tief
chloroformierten Kaninchen nicht den geringsten
Effekt hervorzurufen im stände waren, die Cen¬
tre» des Gehirnes und des Rückenmarkes auf
dieselben als ganz unerregbar sich darboten, da
schien der Wechselstrom das Gegentheil be¬
wirken zu können.
Verfasser will sieh vorläufig über die Be¬
deutung dieses Experimentes für die Praxis noch
nicht aussprechen und behält sich weitere Unter¬
suchungen vor. Mann (Breslau).
ging schon am nächsten Tage, gewöhnlich dem
vierten Tage der Krankheit, vom Beginn des
Schüttelfrostes an gerechnet, zur Norm zurück.
Das Allgemeinbefinden wurde gut. Die Puls¬
frequenz geringer. In den übrigen Fällen war
I der Erfolg nicht so deutlich. v. Leyden
I scbliesst, dass die Versuche, die bisher nur an
| Erwachsenen (über 12 Jahre) angestcllt sind, zu
| weiteren Erfahrungen, namentlich bei Kindern
I ermuntern, zumal die Unschädlichkeit des Serums
| sicher erscheint. Bei Kindern würden auch
kleinere Dosen, 5—10 ccm, genügen, um eine
I Wirkung eintreten zu lassen. R.
E. Serum* und Organotherapie.
Ernst t. Leyden, Die Behandlung des
Scharlachs mit Rekonyalescentensemni.
Deutsches Archiv für klin. Mcdicin Bd. 73.
Nachdem v. Leyden einen historischen
Ueberblick über die Entwicklung der Serum¬
therapie gegeben, die bis heute auf solche Krank¬
heiten beschränkt geblieben ist, bei denen der
Infektionserreger bekannt und auf Thiere über¬
tragbar ist, berichtet er von Versuchen auf seiner
Klinik, auch bei solchen Infektionskrankheiten
eine Serumtherapie einzuschlagen, bei denen es
bisher nicht möglich ist, durch Immunisierung
vonThiercnein Heilserum zu gewinnen, v. Leyden
ging von der Idee aus, dass die bei den akuten
Exanthemen nach Ueberstehen der Krankheit er¬
worbene dauernde Immunität beruht auf dem
Gehalt des Blutserums an Antitoxinen oder spe¬
ziell bakteriziden Stoffen, welche nach der Krank¬
heit in der RekonvalesCenz in besonders aus¬
giebiger Weise ins Blut gerathen. War diese
Auffassung, die unserer heutigen Auffassung
über die Bildung erworbener Immunität ent¬
spricht, richtig, so konnte man hoffen, durch
Einführen eines solchen mit Schutzstoffen be¬
ladenen Rekonvalescentenserums in einen kranken
Organismus heilkräftig zu wirken, v. Leyden
machte deshalb am 5.-8. Tage nach völliger
Entfiebrung der Scharlachkranken einen Aderlass
und verwandte das daraus bereitete Serum zu
Heilzwecken bei 15 Scharlachkrankcn. Es wurden
20—40 ccm Serum im ganzen eingespritzt; auf
einmal 20 ccm, eventuell am nächsten Tage noch
einmal dieselbe Dosis. Niemals wurde die ge¬
ringste Unannehmlichkeit nach dem Serum be¬
obachtet, so dass die völlige Unschädlichkeit des¬
selben erwiesen ist. In fünf Fällen war ein
deutlicher Erfolg zu konstatieren. Das Fieber
Berlin, Druck v<
E. A. Schaefer, On certaiu practica! appli-
| cations of extract of suprareual mednlla.
British medical journal 1901. 27. April.
Dan Mc Kenzie, Suprarenal gland extract
In the epistaxis of haemophilia. Ibidem.
W. B. Kemvorthey, The nse of suprarenal
' capsnle in haemoptysis. Medical Record 1901.
No. 11.
Schaefer hat beobachtet, dass Injektion von
Nebennierensaft Uteruskontraktionen hervorruft,
bez. verstärkt, und er schlägt daher vor, die
wirksame Substanz in entsprechenden Fällen, sei
es lokal in der Form intrauteriner Injektion,
sei es vom Blutkreislauf aus, in Anwendung
zu bringen. Sein Vorschlag, intravenöse Injektion
von Nebennierensaft in Fällen von akutem Shok
zur Hebung des Blutdrucks und der Herzkraft
zu versuchen, deckt sich mit einer vom Re¬
ferenten an dieser Stelle (Festnummer für den
Kongress für innere Medicinj gegebenen An¬
regung.
Mc Kenzie hatte einen Erfolg von der
lokalen Applikation von Nebennierensaft in einem
Fall von Epistaxis eines Bluters, bei dem andere
Mittel versagt hatten.
, W. B. Kemvorthey empfiehlt die wirk¬
same Substanz der Nebenniere in Fonn von
j Pulver als eine Art Wundermittel gegen Hämop¬
tyse. Nur in einem Falle dauerte der Blutsturz
noch 15 Minuten nach Eingabe des ersten Pulvers.
I (Die Angaben werden leicht nachzuprüfen sein.
I Theoretisch wäre eine Bestätigung derselben sehr
wichtig, da man bisher einerseits angenommen
hat, dass der Nebennierensaft bei intrastomachaler
Applikation kaum eine Wirkung hat, und man
I selbst im Thierexperiment bei intravenöser In-
j jektion einen Einfluss auf den kleinen Kreislauf
j nicht hat erkennen können. Referent.)
M. Lcwandowsky (Berlin^.
m \V. Rüxcnstcm.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 2 (Mai).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. £• ▼. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldseheider und Priv.-Doe. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original -Arbeiten. seit©
I. Feber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker.
Von Dr. K arl Grube; Arzt in Bad Neuenahr.7f>
II. Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung der Nervenkrankheiten.
Von Dr. P. Kouindjy in Paris, Hospice de la Salpßtriöre. Clinique des maladies
nerveuses du Professeur Raymond. (Schluss) . . ..82
III. Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings mit besonderer Berücksichtigung
des organisch gebundenen Phosphors. Aus dem thierphysiol. Laboratorium der
Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin. (Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz). Von
Dr. W. Cronheim und Dr. Erich Müller. (Schluss).92
IV. Zur Frage der homiplegischen Kontraktur. Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn
Privatdozenten Dr. Ludwig Mann, betreffend meinen Aufsatz auf S. 650ff. Bd. 5
dieser Zeitschrift. Aus der 1. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Paul Lazarus.115
II. Kleinere Mittheilungeii.
I Zur Frage, ob in Gelatinepräparaten Tetanuskeime enthalten sind. Von Dr. Ernst
Lichtenstein, Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin 119
II. Zur Methodik der Nordseeluftkuren. Von Dr. med. Ide, Nordseeinselheim Amrum . . 119
in. Berichte über Kongresse und Vereine.
1 III. Kongress österreichischer Baineologen in Wien vom 20. bis 26. März 1902. Von
Dr. Julian Marcuse in Mannheim.123
II. Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Balneologischen Gesellschaft in Stutt¬
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung.) 125
Keller (Rheinfeldeu), Ueber Soolbadkuren während der Gravidität.125
Winkler (Nenndorf), Ueber den Nutzen der Kombination von Schmierkur und
Schwefelkur bei Behandlung der Syphilis.126
Vollmer (Kreuznach), Dermatologie und Balneologie.127
Grube (Neuenahr), Ueber den Einfluss salzhaltigen Wassers auf die Blut¬
beschaffenheit nach Versuchen am Menschen.127
Engelmann (Kreuznach), Einwirkung der Kreuznacher Quelle auf das Blut . . 12S
Lenne (Neuenahr), Ueber Trinkkuren.128
Frey (Baden-Baden), Die Bedeutung der Venendruckraessungen bei der Behand¬
lung der Kreislaufsstörungen.12s
111 Generalversammlung des Verbandes deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und -Leiter
am 6. März 1902 . 130
Zettochr. f. diät. u. pbyaik. Therapie Bd. VI. Heft 2. ß
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74
Inhalt.
Seite
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Thompson, Bart F. R. C. S., M. B. Lond., Diet in relation to age and activity.130
Möller, Beitrage zur Kenntniss des Mucins und einiger damit verbundener Eiweissstoffe 132
Schulz, Ueber die Ursache der Zunahme der Eiweisszersetzung während des Hungerns . . 132
Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung.133
B. Gymnastik.
Vulpius, Zur Behandlung der Kontrakturen und Ankylosen des Kniegelenkes.133
Sarbö, Zur Behandlung der tabischen Ataxie.133
Zeehuison, Beitrag zur Mechanotherapie.133
Kaufmann, Ueber den Werth methodischer Tiefathmungen, insbesondere bei Seekrankheit 134
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Bi not, Les stations hydro-minerales fran<jaises et leur avenir.134
Buchsbaum, Technik der Wasseranwendungen. Belehrung für Badewärter, Kranken¬
pfleger u. s.w.134
Meffert, Beitrag zur hydriatischen Behandlung der beginnenden Lungentuberkulose im Hause 135
Laumonier, Facteurs de la eure marine.135
Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen.135
D. Serum- und Organotherapie.
Dixon, M. D., The ovary as an organ of internal Sekretion .136
Flockemann, Zur Beeinflussung der Ausfallserscheinungen beiderseitig kastrierter Frauen
durch Ovarialpräparatc.136
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 Va — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen!
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original - Arbeiten,
i.
Ueber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säure¬
ausscheidung beim Diabetiker.
Von
Dr. Karl Grube,
Arzt in Bad Neuenahr.
Im Jahre 1897 wies Geelmuyden 1 ) zuerst nach, dass im Gegensätze zu der
bis dahin bestehenden Ansicht, nach welcher das Aceton ein Zerfallsprodukt des
Eiweisses sei, das Fett als die Quelle des Acetons anzusehen wäre. 1899 folgte
dann die Arbeit von Waldvogel*), in welcher durch zahlreiche Versuche am Menschen
dasselbe Resultat gewonnen wurde, das dann weitere Arbeiten von Schwarz»),
Hagenberg 4 ) und Waldvogel und Hagenberg») bestätigten.
Ich werde noch Gelegenheit haben, auf einzelne Punkte dieser Arbeiten zurück¬
zukommen. Zunächst seien meine Versuche an Diabetikern mitgetheilt. Dieselben
wurden begonnen im Sommer 1898. Ich will aus der Zahl der Untersuchungen
sieben genauer mittheilen, weil sich an diesen die Verhältnisse am deutlichsten dar¬
stellten. Es handelte sich theils um schwere Fälle von Diabetes, theils um solche,
bei denen das Leiden zur Zeit der Beobachtung einen günstigen Verlauf nahm. Sie
sind hier angeführt in der Reihenfolge, in der sie zu meiner Beobachtung kamen.
Zum Nachweis des Acetons habe ich die Legal’sehe (Nitroprussidnatrium). zu
dem der Acetessigsäure die Ger har dt’sehe (Eisenchlorid) Probe angewandt, und
zwar bezeichnet + kleine Spur, + -f- mässig starke Reaktion, -4- + + starke
Reaktion. Wenn man, wie ich, gewohnt ist, sehr viele Harnuntersuchungen zu
machen, kann man sehr wohl aus dem Verlauf der Reaktion den Gehalt an dem
betreffenden Stoff mit genügender Sicherheit beurtheilen. Uebrigens handelte es sich
vielfach nur um den Nachweis, ob die betreffenden Stoffe vorhanden waren oder
nicht. Deutlicher Ausfall der genannten Reaktionen ist immer pathologisch. Die Oxy-
buttersäure wurde stets durch Polarisation (Linksdrehung) des mit frischer Hefe
vergohrenen Harnes bestimmt.
Fall I. Herr B., 87 Jahre alt, am 31. Mai 1898 in meine Behandlung getreten.
Der Diabetes wurde drei Monate zuvor entdeckt, damals 7% Zucker, starke Gewichts¬
abnahme. Eine systematische Behandlung wurde zwar eingeleitet, aber von dem stark
■j »Aceton als Stoffwechselprodukt«. Zeitschr. f. physiol. Chemie 1897. Bd. 23. S. 241.
■) »Zur Lehre von der Acetonurie«. Zeitschr. für klin. Medicin 1899. Bd. 38. S. 606.
■i) »Ueber Acetonausscheidung«. Verhandl. des 18. Kongresses f. innere Medicin 1900. S. 480.
*) »Ueber die Acetonvermehrung beim Menschen etc.« Centralbl. f. Stoffwechsel und Ver-
dauungskrankheiten 1900. No. 2.
»Ueber alimentäre Acetonurie*. Zeitschr. f. klin. Medicin 1901. Bd. 42. S. 443.
6 *
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76
Karl Grube
beschäftigten Herrn nicht befolgt, wenigstens nicht konsequent. Infolgedessen war die Zucker¬
ausscheidung andauernd ziemlich hoch geblieben, und der Kranke stetig*abgemagert.
I. Juni 1898. Harn: spezif. Gewicht 1032 Acetessigsäure + +
Zucker 3,2% Oxybutters&ure 0
Aceton -f" Hh 24sttindige Harnmenge 2600 ccm
Strenge Diät: Fleisch, Fisch und Eier nach Belieben, reichlich grüne Gemüse. 125 g
Butter und V* 1 Rahm. Die Butter theils dem Gemüse zugesetzt oder auf trockenem
Holländer Käse gegessen. Verdauung normal, Appetit gut aber nicht übermässig.
3. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1023 j Acetessigsäure H—|—|-
Zucker 1,2% i Oxybuttersäurc 0
Aceton -f- H—f- 1 24 stündige Harnmenge 2100 ccm
Dieselbe Diät beibehalten.
5. Juni. Harn: spez.Gew. 1020 Acetessigsäure + +
Zucker Spur(unter0,l%) 24stündige Harnmenge 1750 ccm
Aceton + •+• + i
Diät: Butter reduziert auf 60 g; Rahm weggelassen, 30 g Grahambrot.
7. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 , Aceton -f- +
Zucker Spur ! Acetessigsäure +
Patient hat 0,6 kg an Gewicht zugenommen.
Diät: Fisch, mageres Fleisch, Eier nach Belieben, reichlich Gemüse. Butter reduziert
auf 40 g, 15 g Grahambrot.
9. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1019 Aceton 4“
Zucker 0 Acetessigsäure 0
Dieselbe Diät.
II. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1019 Aceton 0
Zucker 0 Acetessigsäure 0
Dieselbe Diät wie vom 9.—11., aber Buttermenge auf 100 g erhöbt.
13. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton —(-
Zucker 0 Acetessigsäure Hr
Dieselbe Diät, Brot auf 30 g erhöbt, Butter ganz fort, dafür 100 g Schinkenfett.
16. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0
Zucker 0 Acetessigsäure 0
Dieselbe Diät, Brot auf 60 g erhöht, 25 g Butter -J- 75 g Schinkenfett.
18. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1020 Acetessigsäure 0
Zucker 0 24 stündige Harnmenge 1600 ccm
Aceton 0
Patient hat 0,5 kg zugenommen, im ganzen 1,1 kg. Er ist freigeblieben während der
folgenden drei Wochen Seine Toleranz stieg auf 120 g Brot, auch Fett wurde später
besser vertragen.
Fall II. K. F., 4 Jahre alt. Diabetes vor acht Monaten entdeckt. Die Eltern
sind gesund, in der Familie kein Diabetes und keine Gicht. Aetiologie ganz unklar. Kam
am 5. August 1898 in meine Behandlung
5. August. Harn: spez. Gewicht 1028 } Acetessigsäure + H —\-
Zucker 3,6% j Oxybuttersäure 0,4%
Aceton H—|—(- , 24 stündige Harnmenge 2300 ccm
Es fällt starker Acetongeruch auf; das Kind ist im übrigen munter, hat guten Appetit
und ist in gutem Ernährungszustand. Leidet an hartnäckiger Verstopfung.
Diät: Reichlich Milch, d. h. so viel der Knabe trinken kann; 40 g Brot, mässig
Fleisch, reichlich Gemüse, fett, mit Butter zubereitet, ausserdem V* 1 Rahm der Milch zu¬
gesetzt. Im ganzen 60 g Butter.
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Ueber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Süureausscheidung beim Diabetiker. 77
7 August. Harn: spezif. Gewicht 1026 Acetessigsäure -|—|—
Zucker 2,7% Oxybuttersäure 0,7 %
Aceton 4” + + I
Dieselbe Diät.
10. August. Harn: spezif. Gewicht 1024 Acetessigsäure + +-)-
Zucker 2,4% ; Oxybuttersäure 0,9%
Aceton 4"4~4“ !
Gewichtszunahme von 0,5 kg seit dem 5. August.
Diät: Milch wie oben; mageres Fleisch, 40 g Brot, Butter und Rahm werden ganz
weggelasscn.
12. August. Harn: spezif. Gewicht 1024 i Acetessigsäure 4 —\-
Zucker 1,9% I Oxybuttersäure 0,1%
Aceton + + !
Diät: Milch wie oben; mageres Fleisch, 40 g Weissbrot, 40 g Schinkenfett.
14. August Harn: spezif. Gewicht 1025 I Acetessigsäure -f-
Zucker 2,1% Oxybuttersäure 0
Aceton 4~ 4” I
Dieselbe Diät, wieder 1 / 4 1 Rahm der Milch zugesetzt.
16. August. Harn: spezif. Gewicht 1024 Acetessigsäure 4~
Zucker 2% Oxybuttersäure: unbedeutende Linksdrehung,
Aceton 4" 4~ | weniger wie 0,1 % •
Dieselbe Diät, Rahm wieder fortgelassen.
19. August. Harn: spezif. Gewicht 1026 Acetessigsäure 4~ 4“
Zucker 2,2% Oxybuttersäure 0
Aceton 4~ 4“ I
Auf diesem Stande hielt sich der Knabe eine Zeit lang. Ende September Vcr-
M'lilimmerung, exitus im typischen Coma
Harn während des Coma: spez. Gew. 1032 Acetessigsäure 4“ 4~ 4"
Zucker 2,6% j Oxybuttersäure 2,5%
Aceton 4—[—I" |
Das Kind erhielt während der ganzen Zeit ein Gemisch von Natr. bicarb., Calc. carb.
4- Falc. j»hosphor, zuerst täglich 3—4 Theelöffel voll, später mehr.
Fall 111. Herr G. H., 50 Jahre alt, kam am 22. Juni 1899 in meine Behandlung.
Diabetes vor fünf Jahren entdeckt. Im letzten Jahre trat im Anschluss au eine mit
kardialen Beschwerden einhergehende Influenza eine Verschlimmerung ein. Seit der Zeit
wird der Harn nicht mehr zuckerfrei. In der letzten Woche Gewichtsabnahme von 6 Pfund:
os besteht hartnäckige Verstopfung und allgemeine Schwäche. Starker Durst; Aceton¬
geruch der Expirationsluft, Herzthätigkeit schwach, Puls klein, 92.
Harn: spezif. Gewicht 1032 Aceton 4—I—b
Zucker 3,5 % Acetessigsäure 4“ 4—b
Eiweiss Spur • ^-Oxybuttersäure 0,8%
Diät: Fisch, Fleisch und Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, V* 2 1 Ketir, % 1 Rahm,
50 g Grahambrot, 80 g Butter.
26. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1024 *| ; Aceton 4—I—b
Zucker 1,6% Acetessigsäure 4 4—b
Eiweiss Spur • Oxybuttersäure 0,6%
Dieselbe Diät.
28. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1021 Aceton 4- 4~ 4"
Zucker 1,2% Acetessigsäure 4 —b 4~
Eiweiss Spur I Oxybuttersäure 0,6%
Diät: Der Rahm wird weggelassen, dafür % 1 Kefir mehr gegeben, die Butter wird
auf 20 g reduziert, die Brotmenge auf 30 g.
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78
Karl Grube
30. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1022 j Acetessigsäure +
Zucker 0,8% | Oxybuttersäure 0
Aceton — j- ,
Diät: Butter ganz weggelassen, dafür 50 g Schinkenfett, sonst gleiche Diät.
2. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1020 j Acetessigsäure +
Zucker 0,9 % ' Oxybuttersäure 0
Aceton + 1
Gewichtszunahme von 0,75 kg seit dem 22. Juni.
Diät: Fisch, mageres Fleisch, Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 50 g Ergon-
brot, % 1 Kefir, keine Butter, dafür 60 g Schinkenfett oder Speck.
5. Juli Harn: spezif. Gewicht 1017 J Aceton 0
Zucker 0,3% Acetessigsäure 0
Eiweiss 0
Diät: wie oben, 40 g Ergonbrot, % 1 Kefir, 60 g Schinkenfett oder Speck, 20 g Butter.
7. Juli. Harn: spez. Gew. 1019 1 Aceton 0
Zucker Spur (unter 0,1%) Acetessigsäure 0
Eiweiss 0 i
Diät: Fleisch etc. wie oben, 60 g Ergonbrot, 120 g Butter, % 1 Kefir.
10. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1028 I Aceton + +
Zucker 0,2% Acetessigsäure -f-
Eiweiss 0
Die Fettmenge wird wieder auf das Quantum vom 5. Juli reduziert, worauf das
Aceton wieder verschwindet.
Fall IV. Fräul. A. P., 44 Jahre alt. Oktober 1899 zuerst Zucker gefunden, 4%, damals
Durst und Abmagerung, sonst keine Beschwerden. Diätetische Behandlung, jedoch Grahambrot
uach Belieben, da ja unschädlich, weil »Diabetikerbrot«. Kommt in meine Behandlung am
3. Juli 1900. Gracile, aufgeregte Person. Zunge trocken, Herzthätigkeit erregt, Puls 100.
Harn: spezif. Gewicht 1036 Acetessigsäure + +
Zucker 4,6% Oxybuttersäure 0
Aceton + + 24 stündige Harnmenge 2300 ccm
Diät: Fleisch, Fisch, Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 30 g Ergonbrot, 120 g
Butter, l U 1 Kefir.
6 . Juli. Ausgesprochener Acetongeruch der Athemluft.
Harn: spezif. Gewicht 1024 | Acetessigsäure -\—\-
Zucker 0,6% Oxybuttersäure 0
Aceton -j-—j~ -f-
Diät: Fleisch etc. wie oben, 50 g Ergonbrot, 40 g Butter, 1 Kefir.
8 . Juli. Harn: spezif. Gewicht 1021 Aceton -f-
Zucker 0,4 % Acetessigsäure +
Diät; wie am 7. Juli.
10. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1019 | Aceton +
Zucker Spur I Acetessigsäure 0
Diät dieselbe.
12. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0
Zucker Spur Acetessigsäure 0
Diät: Dieselbe wie am 8. Juli. 100 g Butter + V 4 1 Rahm.
15. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1019 j Aceton + +
Zucker Spur | Acetessigsäure 0
Diät: wie bisher, Butter und Rahm fortgelassen, dafür 100 g Speck oder Schinkenfett.
IS. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0
Zucker Spur j Acetessigsäure 0
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Ueber den Einfluss des Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker. 79
Fall V. Herr D., 45 Jahre alt. Seit vier Jahren Diabetiker. September 1899
zuerst in meiner Behandlung, trotz anfänglich hoher Zuckerausscheidung bei strenger Diät
bald zuckerfrei. Toleranz = 100 g Brot. 1900 hat sich der Zustand wesentlich ver¬
schlimmert. Zuckerausscheidung auch bei strenger Diät nicht mehr sistiert, vorübergehend
Aceton und Acetessigsäure. Patient ist stark abgemagert.
1H. Juli 1900. Harn: spezif. Gewicht 1033 Aceton + -(-
Zucker 6,9% | 24 stündige Harnmenge 2850 ccm
Diät: Fleisch, Fisch und Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 125 g Butter, V* 1
Ralun, 30 g Ergonbrot.
18. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1026 Aceton + +
Zucker 3,6 % Acetessigsäure + -f-
Dieselbe Diät.
20. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1026 | Aceton + +
Zucker 1,9% ! Acetessigsäure -j- +
Gewichtszunahme von 1 kg seit 15. Juli.
Diät: Rahm wird weggelassen, dafür l U 1 Kefir, Butter auf 50 g reduziert, dafür
50 g Speck, gebraten zum Frühstück, sonst gleiche Diät.
22. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1025 Aceton -}—\-
Zucker 2% Acetessigsäure -j-
Butter ganz weggelassen, dafür 80 g Speck oder Schinkenfett.
24. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1024 Aceton 0
Zucker 1,9% Acetessigsäure 0
Dieselbe Diät beibehalten.
27. Juli. Harn: spezif. Gewicht 1023 Aceton 0
Zucker 1,6% j Acetessigsäure 0
Fall VI. Herr N., 18 Jahre alt. Zucker Oktober 1899 gefunden, damals hatte
Patieut in kurzer Zeit ca. 20 Pfund abgenommen. Nach Angabe des damals .behandelnden
Arztes sollte der Zucker sehr bald ganz verschwunden und nicht mehr aufgetreten sein,
doch konnte der Kranke nicht zu Kräften kommen und litt an starker Polyurie und Durst.
Der betreffende Arzt diagnostizierte Diab. insipid. Da keine Besserung eintrat, konsultierte
der Kranke Anfang Juni 1900 einen anderen Arzt. Derselbe stellte das Vorhandensein
von viel Zucker fest, obgleich nach Angabe des ersten Arztes acht Tage früher kein Zucker
vorhanden gewesen sein sollte. Patient kam am 7. Juni 1900 in meine Behandlung. Grosser
magerer Mensch, klagt über allgemeine Müdigkeit, sonst keine wesentlichen Beschwerden.
Andeutung von Acetongeruch.
8. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1039 Aceton -f-
Zucker 7,8% ; Acetessigsäure eben angedcutet.
Eiweiss 0 ,
Diät: Keine Kohlehydrate ausser in der Form von Milch fl 1), reichlich Gemüse,
mässig Fleisch, 1 U 1 Rahm der Milch zugesetzt. Dem Gemüse wird reichlich Butter zu¬
gesetzt, tägliche Menge l U Pfund.
10. Juui. Harn: spezif. Gewicht 1030 Aceton -\—|-
Zucker 3,1% Acetessigsäure -f-
Dieselbe Diät.
12. Juni. Harn: /spezif. Gewicht 1022 I Aceton + +
Zucker 1,7% | Acetessigsäure -f-
Diät: Fleisch, Fisch und Eier nach Belieben, reichlich Gemüse, 40 g Ergonbrot,
100 g Butter, V 4 1 Rahm, % 1 Milch.
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80 Karl Grube
16. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1026 Aceton -\ —f-
Zucker 2,7% I Acetessigsäure 4-
Diät: Butter und Kahm ganz weggelassen, Milch als Kefir genommen, V 2 1 täglich,
40 g Ergonbrot, 100 g Speck.
18. Juni. Harn: spezif. Gewicht 1024 Aceton 0
Zucker 2,1% Acetessigsäure 0
Seit dem 3. Juni 1200 g Gewichtszunahme.
Fall VII. A. v. R., 13 Jahre alt. Sohn von Vetter und Kousine. Der Knabe soll
Weihnachten 1900 übermässig viel Stissigkeiten gegessen haben, bald nach Weihnachten
sei Durst aufgetreten. Ende Februar Klagen über Wadenkrämpfe, März Klagen über zu¬
nehmende Müdigkeit. Patient wurde gleich in strenge Behandlung genommen und war, als
er in meine Beobachtung kam (16. Mai 1901) seit 28 Tagen zuckerfrei, dagegen bestand
deutliche Gerhard’sche Reaktion.
17. Mai. Harn: spezif. Gewicht 1021 Aceton +
Zucker 0 Acetessigsäure +
Diät: 40 g Ergonbrot, l U 1 Milch, reichlich Gemüse und Fett, letzteres war bis
dahin hauptsächlich als Rahm und Butter gegeben worden, von letzterer täglich ca. 180 g.
Bei dieser Diät war Patient bis auf Spuren Zucker dann und wann, die aber durch Herunter¬
gehen im Brotquantum leicht zu beseitigen waren, sehr wohl und nahm in 12 Tagen 1,6 kg
zu, dagegen blieb die Reaktion für Aceton und Acetessigsäure konstant bestehen Das Fett
wurde hierauf bis auf 30 g Butter zwei Tage lang fortgelassen.
29. Mai. Harn: spezif. Gewicht 1020 Aceton 0
Zucker 0 ( Acetessigsäure 0
Nun wurde Speck zugelegt, ca. 100 g pro die, darnach trat keine Acetonuric auf.
Bei dieser Diät wurde Patient mit Erfolg gehalten. Von weiteren Versuchen wurde auf
Bitten der Mutter abgesehen.
Ich denke die Mittheilung dieser Fälle wird genügen, um den Beweis zu liefern,
dass auch beim Diabetiker, sowohl bei der leichten wie bei der schweren Form, die
Aceton-, Acetessigsäure- und die Oxybuttersäure-Ausscheidung durch den Fettgehalt
der Nahrung beeinflusst wird.
Es zeigte sich ferner, dass Schweinefett in den gegebenen Mengen gar keinen
Einfluss auf diese Ausscheidung hatte, dagegen Butter in bedeutendem Grade und
Rahm ebenfalls deutlich, wenn auch weniger ausgesprochen als Butter. Diese Be¬
obachtung stimmt überein mit der von Hagenberg 1 )? welcher sogar nach der
Zufuhr von Schweinefett eine Verminderung der Acetonausscheidung beobachtete.
Schwarz 2 ) sah ebenfalls nach Butterzufur beim Diabetiker eine Vermehrung der
Acetonausscheidung, und zwar weist er sowohl wie Hagenberg nach, dass diese Ver¬
mehrung auf der Anwesenheit grösserer Mengen von Fettsäuren in der Butter, und
speziell wieder auf der Buttersäure beruht. Hagenberg konnte bei seinen Ver¬
suchen direkt nachweisen, dass die Acetonbildung von der Menge der in den Fetten
vorhandenen niedrigen Fettsäuren abhängig sei.
Wenn nun einerseits beim Diabetiker die Fettzufuhr vermehrend auf die Aceton-
bezw. Säurebildung einwirkt und andererseits das Aceton und seine Muttersubstanzen
(/?- Oxybuttersäure - Acetessigsäure) für die Entstehung des diabetischen Comas ver¬
antwortlich zu machen sind, so erhebt sich für die Praxis die Frage, ob die Fett¬
zufuhr beim Diabetes, wenigstens bei bestimmten Formen der Erkrankung zu be¬
schränken sei oder ob, anders ausgedrtickt, die Fette auch in die Reihe der von
M loc. cit. -) loc. cit.
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Ccber den Einfluss der Fettes auf die Aceton- und Säureausscheidung beim Diabetiker. 81
dem Diabetiker mit besonderer Vorsicht zu gebrauchenden Nahrungsmittel einzu¬
stellen seien.
Die Frage ist von nicht geringer Wichtigkeit.
Der Diabetiker ist schon so schlecht genug gestellt in Bezug auf seine Nahrung;
wenn nun auch noch die Fette, dieses wichtige Nahrungsmittel, für ihn ein noli
me tangere werden, so ist das eine ungeheure Schwierigkeit mehr bei der ohnehin
schwierigen Frage seiner Ernährung.
Ich glaube, man kann die Frage, ob die Fette auf den Index zu setzen seien,
einstweilen ruhig mit »Nein« beantworten.
Wenn auch, wie meine mitgetheilten Versuche zeigen und wie die eingangs
edierten Arbeiten beweisen, die Fette zur Bildung von Aceton etc. beitragen, so ist
doch damit ihre Bedeutung für die Acidosis, d. i. die nach den neuesten Arbeiten >)
dem typischen diabetischen Coma wahrscheinlich zu Grunde liegende Stoffwechsel¬
störung noch nicht genügend festgelegt. Es ist immerhin noch sehr fraglich, ob die
mit der Nahrung zugeführte Fettmenge genügt, um schädlich zu wirken. Es muss
sich auf alle Fälle bei den ernsten d. h. zum Coma führenden Fällen der Acidosis
um eine Zersetzung der im Körper aufgespeicherten oder aus Eiweiss oder Kohle¬
hydraten abgespaltenen bezw. gebildeten Fette handeln. Ja, man könnte die Ver-
muthung aussprechen, ob nicht das Körperfett eher geschont würde, wenn reichlich
von aussen Fett zugeführt wird.
Will man besonders vorsichtig sein, so kann man ja in Fällen, in denen die
Säurebildung hohe Werthe angenommen hat, die Fettzufuhr einschränken, um nicht
noch durch die Nahrung die Säuremenge zu vermehren.
In einem Falle wird es sich empfehlen, die Fettzufuhr in niedrigen Grenzen
zu halten oder ihr wenigstens so viel Beachtung zu schenken, dass man an Fett¬
säuren arme Fette nehmen lässt, also z. B. Schinkenfett anstatt Butter. Doch liegt
der Grund zu dieser Maassnahme mehr auf psychischem Gebiet. Wir haben gesehen .
(z. B. Fall VII), dass die Acetonurie erst verschwand, als die zugeführte Fettmenge
vermindert wurde. Nun hat fast jeder Diabetiker oder wenigstens ein Angehöriger
von Acetonurie und der damit verbundenen Gefahr gehört, ja nicht selten herrschen
itanz übertriebene Anschauungen über die Grösse dieser Gefahr. Wenn man nun
durch Verminderung der Fettmenge in der Nahrung dieses Symptom beseitigen und
dadurch das Gemüth des Kranken und seiner Angehörigen beruhigen kann, so wäre
es meines Erachtens ein Fehler, das nicht zu thun.
Dies ist der einzige Fall, für den einstweilen ein zeitweiliges Fettverbot bezw.
eine Einschränkung aus Gründen der Acetonurie durch Fettzufuhr begründet wäre.
Im übrigen behalten die Fette für die Nahrung des Diabetikers ihren Werth, bis
etwa weitere Untersuchungen uns eines anderen belehren sollten *).
1 Siehe besondere die letzte Arbeit von Magnus-Lew im Arcli. für experim. I’athol. und
Phannak. 1901. Bd. 45. S. 389.
Dass es Fälle giebt, in denen Fette nicht gut vertragen werden, wenigstens nicht in grossen
Mengen, nnd bei denen durch dieselben Verdauungsstörungen und damit selbst ernste Vorsehlimine-
mngen hervorgerufen werden können, habe ich verschiedentlich beobachtet. Das ist aber eine
ranz andere Sache und hat mit der vorliegenden Frage direkt nichts zu thun.
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82
P. Kouindjy
II.
Die Extensionsmethode und ihre Anwendung bei der Behandlung
der Nervenkrankheiten.
Von
Dr. P. Kouindjy in Paris.
Hospice de la Salpfitriöre. Clinique des maladies nerveuses du Professeur Raymond.
(Schluss.)
Worin besteht nun die Wirkung der Suspension auf das Centralnervensystem
im allgemeinen und auf das Rückenmark im besonderen?
Nach Professor Motschukowsky soll die Suspension und besonders die Auf¬
hängung eine Verlängerung des Körpers von 3 —5 cm hervorbringen. Diese Ver¬
längerung lässt sich hauptsächlich im unteren Körperabschnitt konstatieren, wenn
man diesen vom vierten Lendenwirbel bis zur Ferse rechnet. Die Messungen der
durch Suspension bewirkten Verlängerung betrugen in drei Fällen 3, 4 und 4,5 cm.
Diese Verlängerung würde nach Ansicht unseres Kollegen in Petersburg einen Ein¬
fluss auf die Cirkulation in den Meningen ausüben, und zwar eine Hyperämie des
cerebro - spinalen Centrums. Slunine, ein Schüler von Professor Merjeewsky,
stellte anatomisch-pathologische Thierversuche an, um die Einwirkung der Suspension
zu prüfen; er kam zu dem Schluss, dass man sich die durch Suspension hervorgebrachte
Hyperämie des cerebro-spinalen Centrums nicht nur durch Verlängerung des Rücken¬
markes, sondern durch Reiz der Dura mater erklären müsse. Letztere zeigte sich
stets bei seinen Versuchen an Kaninchen und Leichen ausserordentlich gespannt.
Nach Hegar 1 2 ), dem Bahnbrecher der Dehnungsmethode des Rückenmarkes, erfährt
die Wirbelsäule eine Verlängerung von 35 mm und zuweilen noch mehr, sobald man
den Stamm gegen die unteren Extremitäten beugt. Auf Grund seiner mit St'ras’ser
ausgeführten Versuche fand er, dass die Dura mater des Rückenmarkes der Dehnung
der Wirbelsäule folgt und eine Verlängerung von 25—34 mm erfährt. Langenbuch,
Vogt, Gussjenbauer und Braun sind derselben Ansicht, Morton giebt ebenfalls
eine Verlängerung des Rückenmarkes und der Nervenstämme zu.
Nach Alt haus würde die Suspension im stände sein, eine breite Ablösung
der durch chronische Meningitiden verursachten Verklebungen zu bewirken. Die
feinsten Nervenverzweigungen werden hierdurch freier, wodurch eine Besserung des
Leitungsvermögens eintritt. Die nämliche Umgestaltung würde sich auch am Bulbus
geltend machen, wodurch die Veränderung der Respiration und Cirkulation ihre Er¬
klärung finden. Nach Onanoff kann die Suspension »eine deutliche Steigerung der
Patellarreflexe und nach vier oder fünf Suspensionen Schlaflosigkeit, erotische Träume,
häufige Erektionen bewirken«*). Mendel und Eulenburg haben bei der Suspension
nicht immer Athem- und Pulsbeschleunigung eintreten sehen. Nach den Unter-
1 ) A. Hegar, Die Dehnung des Rückenmarkes. Wiener medicinische Blatter 1884.
2 ) Charcot, Lcgons du mardi ä la salpötriöre 1888—1889.
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Die Extensionamethode und ihre Anwendung etc. 83
suchungen von Gilles de la Tourette und Chipaut 1 ) bewirkt die forzierte Beu¬
gung des Stammes über den ausgestreckten unteren Extremitäten eine Verlängerung
der nervösen intraduralen Organe und zwar nur eine wenig geringere als |die
nach dem Verfahren Professor Mötschukowsky’s: die Verlängerung variiert nach
diesen Autoren zwischen 10 und 16 mm und theilt sich zwischen Rückenmark und
Cauda equina; für das erstere kommen die Maasse von 7 bis 9 mm, für letztere
4—11 mm in Betracht »Es ergiebt sich ferner aus unseren Messungen«, sagt Gilles
de la Tourette, »dass die Verlängerung des Rückenmarkes im engeren Sinne sich
nicht in gleichmässiger Stärke auf die verschiedenen Segmente dieses Organes aus¬
dehnt In longitudinaler Richtung liegt sie über dem zweiten dorsalen Wurzel¬
paar mit dem Höhenmaximum der ersten Lendenpaare; in antero-posteriorer Richtung
beträgt die Verlängerung in den hinteren Partieen des Rückenmarkes selbstredend
mehr als in den vorderen Theilen, da der diesen letzteren zukomraende Krümmungs¬
radius der kürzere ist.«
Nach Dujardin-Beaumetz und Brown-S6quard ruft die Suspension eine
relative Anämie des Rückenmarkes infolge der Kompression der Interkostalnerven
hervor. Die meisten physiologischen Studien über diese Frage hat der russische
Neurologe Bogroff angestellt. Nach diesem Autor tritt eine Hyperämie des Rücken¬
markes infolge des negativen Druckes ein, der seinerseits wieder durch die
Suspensionskongestion a vacuo bedingt ist. Der zwischen Schädel und Dura mater
erzeugte leere Raum wirkt nach Bogroff wie ein Schröpfkopf, wodurch eine
Volumenvergrösserung der Hirngefässe, der Meningen und besonders der grauen
Substanz zu stände kommt. »In der grauen Substanz«, sagt Bogroff, »haben
die mikroskopischen Präparate eine Hämorrhagie um den Centralkanal, selbst in dem
Ependvm, um und zwischen den Ganglienzellen der vorderen und hinteren Hörner
sehen lassen, das Ependym war seitlich dilatiert « 2 ). Diese pathologische Veränderung
fand Bogroff Jin der ganzen Länge des Rückenmarkes. »Die Suspension«, sagt
Bogroff weiter, »wirkt durch die Hyperämie und Verlängerung der Neuroglia, d. h.
wie ein mechanisches Mittel, welches in einer speziellen Form die Ernährung des
kranken Gewebes umzustimmen im stände ist. Als mechanisches Mittel würde die Sus¬
pension viel sicherer wirken, wenn sie andauernder und intensiver angewendet würde«.
Nach Professor Bechtereff hängen die durch die Suspension hervorgerufenen
Cirkulationsschwankungen des Hirnes und Rückenmarkes von einem Reflexakt ab,
der durch die Suspensionswirkung auf die Muskeln, Ligamente und Nerven ausgelöst
wird. Was ferner die Wirkung der Suspension auf chronische Erkrankungen des N.
opticus anbetrifft, so erklärt sie der feinsinnige russische Gelehrte durch Hyperämie
der grauen Substanz in der Nähe der Ventrikel und der Hirnoberfläche.
Auf Grund zahlreicher an Kaninchen gemachter Versuche kam Lombroso zu
dem Schlüsse, dass die Suspension infolge der durch sie erzeugten Hyperämie des
Centralnervensystems grosse Vortheile bei der Behandlung nervöser Leiden bilden
dürfte. Die zu Versuchen verwendeten Thiere zeigten bei der Autopsie die An¬
wesenheit kleiner Blutungen der Meningen, der grauen Substanz und in einem Falle
auch des Rückenmarkes. Professor Benedikt vergleicht die Wirkung der Suspension
mit der der Hydrotheiapie; wie diese letztere, wirkt jene auch anregend auf das
periphere Nervensystem und mittelbar auf die Ernährung des nervösen Centrums.
!) GilleSjde la TouVetJte, Le<jons sur les maladies nerveuses 189s.
2 ) A ^Bogjroff, Contributions au traitement des maladies nerveuses par le proctklC du
Dr. Motschukowsky. Wieatnik de psychiatrie et de neurologie 1891. No. 1.
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84 P. Kouindjy
Nach Hirt ruft die Suspension keine anatomisch - pathologische Veränderung im
Rückenmark hervor; sie wirke nur als suggestives Mittel. In gleicherweise sprechen
sich Haushalter, Adam und Bernheim aus.
Mein Kollege Ossankoff hat vor kurzer Zeit eine ganze Reihe von Versuchen
an Hunden angestellt, um die Frage der Wirkungsweise der Suspension auf das
Nervensystem zu klären. Dieser Autor wandte das Verfahren nach Hürthle an.
Bei zehn von Ossankoff angestellten Versuchen wurde das Thier mittels Kinn¬
schlinge langgestreckt, deren Zugleine, über eine Rolle geleitet, eine willkürliche
Modifikation der Zugwirkung zuliess. Das Resultat dieser Untersuchungen ergab,
dass die Suspension oder vielmehr die Streckung der Wirbelsäule folgende Ver¬
änderungen im Gebiete der Hirnblutbahnen hervorzurufen im stände ist:
1. Die Hirnarterien ziehen sich zusammmen.
2. Der arterielle Druck nimmt zu.
3. Der intrakranielle Druck sinkt.
Diese F.rscheinungen verschwinden unmittelbar, nachdem die Extension oder
Suspension zu wirken aufhört; die Hirngefässe erweitern sich, der arterielle Druck
sinkt, während der intrakranielle steigt. Ossankoff erklärt diese Schwankungen
durch Hyperämie des nervösen Centrums, die ihrerseits wieder durch Extension
hervorgerufen ist. Dieser Hyperämie geht die Anämie voraus. »Die Wirkung der
Extension auf die Wirbelsäule findet vielleicht in folgendem ihre Erklärung: die
Suspension resp. Extension ruft eine Streckung der Muskeln, der Bänder, der
peripheren Nerven, der vorderen und hinteren Wurzeln, der Meningen und des
Rückenmarkes hervor. Diese Streckung wirkt reflektorisch auf das vasomotorische
Centrum, welches andrerseits direkt einen Reiz durch die Suspension und durch
diese auf das Rückenmark erhalten hat. Die Erregung des vasomotorischen Centrums
ruft eine Zusammenziehung der Arterien und demgemäss eine Erhöhung des arteriellen
Druckes hervor, wodurch anfangs eine Anämie der Hirngefässe eintritt, welche dann
später einer Hyperämie weicht.
Ausser der Hyperämie und den arteriellen Schwankungen des nervösen
Centrums erfährt auch die Wirbelsäule wichtige intramedulläre Veränderungen. Die
Experimente von Itcid und Sherington sind in dieser Hinsicht höchst interessant.
Diese Autoren untersuchten Leichen, die sie am Kopfe auf hingen. Sie konstatierten,
dass, wenn der Körper sicli in senkrechter Stellung — frei in der Luft aufgehangen
— befand, der Halswirbel - Rückenmarkskanal sein grösstes Volumen zeigte. Zog
man den Körper nur am Kopfe in die Höhe, so verminderte sicli das Volumen nur
sehr wenig. Wenn man dagegen den Körper nach vorn oder hinten krümmte, ver¬
ringerte sich das Volumen ganz bemerklich. Nach diesen Autoren vermehrt sich
das Volumen des Rückenmarkkanals unter diesen Bedingungen um 1 cm s . Nimmt
man als Gesammtkapazität des ganzen Kanals 112 cm 3 an, so würde diese Volumen¬
vermehrung nur */io»o , also fast Null, betragen.
Unter den Autoren, welche die Hypothese von der Verlängerung des
Rückenmarkes bestreiten, müssen wir Cagney nennen. Nach diesem englischen
Autor bewirkt die Suspension keine Verlängerung des Rückenmarkes, sondern
wirkt auf dasselbe durch Geraderichtung der Wirbelsäule. Die Wirkung ent¬
faltet sich nur deutlicher bei der in Angriff genommenen Wirbelsäule an solchen
Stellen, die Abweichungen aufweisen. Cagney fand selbst eine Verkürzung im
Lumbaltheile. Der dorsale Theil verkürzte sich beim Lebenden mehr als an der
Leiche, der cervikale Theil dagegen verlängerte sich etwas. Ebenso wie Althaus
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Die Eztensionsmetbode nnd ihre Anwendung etc.
85
nimmt Cagney die Hypothese von der Ablösung meningitischer Verklebungen und
der danach entstehenden Hyperämie zugleich mit dem Wechsel der Stelluugsphasen
der Wirbelsäule als richtig an. Itauzier 1 ) schliesst sich der Meinung Bogroff’s
an und ist der Ansicht, dass diese Behandlung den Effekt hätte, durch Besserung
der Ernährungsverhältnisse den Tod der erkrankten Nervenelemente aufzuhalten und
die Arbeitsleistung der gesunden zu erleichtern.
Fassen wir Alles zusammen, so ergiebt sich, dass die Suspension
einen unbestreitbaren Einfluss auf das Nervensystem im all¬
gemeinen und auf das Rückenmark im besonderen hat Sic
beeinflusst direkt oder indirekt den Verlauf der Krankheit und leistet so
einen unleugbaren Dienst. Wir selbst haben weder an Thieren noch an Leichen
Versuche angestellt, um anatomisch - pathologische Schlüsse über die Suspensions¬
methode ziehen zu können; denn wir halten diese Art von Versuchen für ein Objekt
freier Diskussion; mögen diese Experimente auch mit der strengsten Objektivität aus¬
geführt sein, immerhin ist es misslich, von ihnen auf den lebenden Menschen Schluss¬
folgerungen zu ziehen. Die Extension der Wirbelsäule an Leichen kann und wird
sicher verschiedene Resultate gegenüber denen haben, die man am lebenden Menschen
erhält, einem Individuum, welches als denkendes, reflektierendes, aktives Wesen im
Vollbesitz aller Elemente des physischen und moralischen Lebens steht. Die Sus¬
pension hat bei der Leiche nicht mit dem Muskeltonus, einer ausserordentlich
wichtigen Eigenschaft des lebenden Körpers, zu rechnen.
Aus diesem Grunde haben wir uns darauf beschränkt, Messungen an unseren
Kranken unmittelbar vor, während und nach der Extension zu machen, um einen
sicheren Schluss über die thatsächliche Wirkung der Extension auf die Wirbelsäule
ziehen zu können. So genau auch unsere Messungen ausgeführt wurden, so können
wir trotzdem ihre absolute Richtigkeit nicht verbürgen, und es ist nicht ausgeschlossen,
dass dabei einige unwillkürliche Irrthümer untergelaufen sind. Es möge hier das Ver¬
fahren unserer Messungen vor, während und nach der Extension eine Besprechung finden.
Sobald der Patient bereit ist, sich auf die Platte zu legen, markieren wir
drei Orientierungspunkte, den Zenithpunkt des Kopfes, die Schultern und die beiden
Fersen. Die beiden ersten Orientierungspunkte sind markiert durch Holzwürfel
— 5 cm 3 —, welche fest an Kopf und Schulter angedrückt werden. Nachdem
die drei vorläufigen Merkpunkte markiert sind, heben wir die Liegeplatte bis zur
gewünschten Höhe; nach 5—10 Minuten zeichnen wir uns in derselben Weise mit
denselben Holzwürfeln an Kopf, Schultern und Fersen die nunmehr resultierenden
Merkpunkte auf. Auf diese Weise legen wir die korrespondierenden Punkte in den
verschiedenen Höhen fest. Wir erhalten durch dieses Manöver die verschiedenen
Längen der beiden wichtigen Abschnitte: des cervikalen Theils, welcher zwischen
Kopfzenithpunkt und Schulter liegt, und des dorsalen Theils, dessen Bereich Schulter
bis Ferse umgreift. Die nachfolgende Tabelle giebt eine Uebersicht verschiedener
Messungsresultate, welche an der Charcot’schen Klinik angestellt wurden.
9. Juli 1901.
Cervikaler Theil
Dorsaler »
Frau G. Tabes.
Vor der
Extension
26,50 cm
130,00 »
lm 111. Zahn
33° .V
27.00 cm
130,50 t
Iiu IV. Zahn
43° 5'
27,75 cm
131,00 »
lm V. Zahn
53° •>'
27,75 cm
131,00 »
>) M. Kauzier, Traitement du tabes. 'l’raite de therapeutique appliquee 1893. Bd. 14.
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86
P. Kouindjy
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24. Mai 1901.
Vor der
Im III. Zahn
lm IV. Zahn
Im V. Zahn
Extension
33° 6*
48“ 8'
53° 3'
Cervikaler Theil
30,50 cm
31,50 cm
31,50 cm
— cm
Dorsaler »
131,00 »
131,75 »
132,00 »
132,50 »
Frl. V. Friedreich’sche Krankheit.
24. Mai 1901.
Im IV. Zahn
Vor der
Im HI. Zahn
Extension
33° 5'
43° 6'
Cervikaler Theil
25,00 cm
25,25 cm
25,50 cm
Dorsaler »
136,00 >
136,00 »
136,50 »
11. Juni 1901.
Vor der
Im ID. Zahn
Im IV. Zahn
Extension
33° 5 #
43° 5'
Cervikaler Theil
29,75 cm
29,75 cm
30,00 cm
Dorsaler »
135,25 »
135,50 »
136,00 >
21. Juni 1901.
Vor der
Im in. Zahn
Im IV. Zahn
Im V. Zahn
Extension
33° 5'
43° 5'
53° 2'
Cervikaler Theil
28,75 cm
29,25 cm
30,75 cm
31,00 cm
Dorsaler »
156,00 >
136,25 »
136,00 »
— >
14. Mai 1901.
Frau
L. Tabes.
Im IV. Zahn
Im V. Zahn
Vor der
Im m. Zahn
Extension
33° 5'
43° 5'
63° 2*
Cervikaler Theil
26,00 cm
26,25 cm
27,00 cm
27,50 cm
Dorsaler »
7. Juni 1901.
143,00 »
144,00 >
144,25 »
144,25 »
Im V. Zahn
Vor der
Im III. Zahn
Im IV. Zahn
Extension
33° 5'
43° 5 '
53° 3
Cervikaler Theil
26,05 cm
27,08 cm
28,00 cm
— cm
Dorsaler »
141,25 >
141,50 »
142,00 »
142,50 >
14. Mai 1901.
Herr
C. Tabes.
Im 1U. Zahn
lm IV. Zahn
Vor der
Extension
33° 5'
43° 5'
Cervikaler Theil
24,75 cm
25,25 cm
• 25,25 cm
Dorsaler »
145,00 »
145,25 »
145,25 »
21. Mai 1901.
Vor der
Im ni. Zahn
Im IV. Zahn
Extension
33° 5'
43° 5'
Cervikaler Theil
24,25 cm
25,00 cm
25,00 cm
Dorsaler »
145,00 »
145,25 »
145,50 >
19. Juli 1901.
Vor der
Im lU. Zahn
Im IV. Zahn
Extension
33° 1<V
43° 8'
Cervikaler Theil
23,50 cm
23,50 cm
24,00 cm
Dorsaler »
156,50 »
157,00 >
— >
27. August 1901.
Vor der
Im UI. Zahn
Im IV. Zahn
Extension
33° 5'
43° 5'
Cervikaler Theil
23,00 cm
25,25 cm
25,50 cm
Dorsaler »
145,25 >
145,50 »
146,25 »
Frau R. Multiple Ski
erose.
6. August 1901.
Vor der
Im UI. Zahn
Im IV. Zahn
Extension
33° 8'
43° 5'
Cervikaler Theil
30,00 cm
30,50 cm
31,00 cm
Dorsaler »
146,00 >
146,50 >
146,50 »
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Die Extensionemethode und ihre Anwendung etc.
87
7. Juni 1901.
Vor der
Extension
Im ELI. Zahn
33° 10*
Cervikaler Theil
Dorsaler »
24,50 cm
149,00 >
25,25 cm
149,50 »
17. September 1901.
Herr Sc. Tabes.
Vor der Im HI. Zahn
Extension 30° 6'
Im IV. Zahn
40° 5'
Im V. Zahn
60° 2'
Cervikaler Theil
Dorsaler >
25,50 cm
149,25 >
26,25 cm
151,00 »
26.75 cm
151.75
27,00 cm
151,75 »
27. Oktober 1901.
Vor der
Extension
Im HI. Zahn
30° 5'
Im IV. Zahn
40° ö'
Cervikaler Theil
Dorsaler »
25,25 cm
150,00 »
25,50 cm
151,00 >
26,00 cm
151,00 >
30. Oktober 1901.
Vor der
Extension
Im HI. Zahn
30° 5'
Im IV. Zahn
40° 6'
Cervikaler Theil
Dorsaler »
25,00 cm
152,10 »
25,75 cm
153,00 »
25,75 cm
154,00 »
Aas obigem geht hervor, dass die Extension eine Verlängerung des Körpers
von ungefähr 1—2 cm hervorzurufen im stände ist, jedoch erreicht sie bei weitem
nicht die von Motschukowsky angegebenen Maasäe von 3—5 cm. Im Durch¬
schnitt fanden wir die Verlängerung von 1,5 cm, ein Ergebniss, welches ziemlich
den von Haushalter und Adam angegebenen Maassen nahe kommt; die letzteren
fanden 1—2,5 cm Verlängerung bei Suspension. Die Orientierungspunkte waren
immer dieselben, die Zugbedingungen unverändert; man hat also, ohne Furcht sich
getäuscht zu haben, anzunehmen, durch unsere Messungsmethode ein Bild von der
ungefähren Kraftwirkung der Suspension auf die Wirbelsäule zu erhalten. Der
cervikale Theil dehnt sich zuweilen mehr als der dorsale; diese Verlängerung kann
2 cm überschreiten. Dagegen ergiebt der dorsale Theil trotz Anbringung von Ver¬
stärkungsgewichten eine kaum 2 cm erreichende Verlängerung. Niemals aber haben
wir eine Verkürzung der Wirbelsäule erlebt, wie sie Cagney angiebt.
Wenn auch die anatomisch-pathologische Wirkung der Suspension ein Gegen¬
stand der Diskussion sein mag, so steht doch ihr symptomatologischer Einfluss ausser
allem Zweifel.
»Von allen Behandlungsmethoden«, sagt unser verehrter Chef, Prof. Raymond,
>welche man bisher gegen die Tabes zur Anwendung gebracht hat, steht die Sus¬
pensionsmethode an der Spitze; von ihr hat man noch das meiste zu erwarten.«
Der Einfluss der Suspensionsmethode auf die Umstimmung der symptomatologischen
Störungen der cerebro-spinalen Erkrankungen ist, wie wir oben gesehen haben, von
einer grossen Mehrzahl von Neurologen beschrieben worden. In jener denkwürdigen
Vorlesung in der Salpetrige am 19. Januar 1889 stellte Charcot 14 Fälle von
Tabes mit 10 deutlichen Besserungen vor. Es waren folgende: In erster Linie steht die
Besserung der Koordinationsstörungen, dann die des Romberg’schen Phänomens, ferner
Besserung der Blasenstörungen, der Impotenz und der lancinierenden Schmerzen. In
seinen Freitags-Vorlesungen sagte Professor Raymond über die Suspension, »dass
sie einen äusserst heilsamen Einfluss auf gewisse Symptome der Tabes auszuüben im
stände sei, in erster'Linie auf die lancinierenden Schmerzen, ferner auf die sexuellen
and Blasenstörungen, endlich auf die Koordinationsstörungen.« Prof.Motschukowsky
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88
P. Kouindjy
gicbt in seinen letzten Vorlesungen über Tabes dorsalis eine Zusammenstellung der
durch Suspension günstig beeinflussten Symptome an, welche von den nachfolgenden,
mit Namen aufgeführten Autoren ihre Bestätigung gefunden haben.
Besserungen der Krankheit im allgemeinen haben beobachtet: Charcot.
Mendel, Eulenburg, Bosenbaum, Gilles de la Tourette, Langoudaki,
Lupine, Andr£ Mayet, Rüssel et Taylor, Erb, Althaus, Rondel und
Vorothynski.
Besserung und Unterdrückung der lancierenden Schmerzen: Charcot, Michel
Clark, Gaston, Ducony, Bonjour, Danillo und Pschikhodsky, Tripier,
Renz und Guttmann.
Besserung der Gehfähigkeit und der Inkoordination: Magnan, Hammond,
Bonjour, Guttmann, Weitzfelder, Bidau, Rondel, Benedikt und Tripier.
Besserung des Romberg’schen Phänomens: M. Clark, Eulenburg, Mendel,
Rosenbaum und Guttmann.
Besserung der Impotenz: Erb, Bölougou, Abadi und Desnos.
Besserung der Schlaflosigkeit: Euleuburg, Mendel, Rosenbaum.
Besserung der Parästhesie und Anästhesie: Bonjour, Guttmann, Michel
Clark.
Besserung der Blasen- und Mastdarmstörungen: Eulenburg, Mendel,
Rosenbaum, Belougou.
Besserung der Störungen der motorischen Nerven der Augen: Bernhardt,
Ladame, Rondel, Moutard-Martin.
Besserung der Sehstörungen: Darier, Eulenburg, Mendel, Abadi,
Desnos, Bechtereff und Vorothynski.
Besserung der Arthropathieen: Revillot.
Besserung des Mal perforant du pied: Teissier.
Besserung des Schwindels: Hammond.
Besserung des Gehörs: Bernhardt.
Besserung der Schlingbeschwerden: Hammond.
Unterdrückung des Morphinismus: Gilles de la Tourette und Lagoudaki.
Rückkehr des Patellarreflexes: Erb, Althaus, Bonjour und Renault.
Unterdrückung des d’Argyl -Robertson’sehen Phänomens: Motschukowsky.
Sonach stimmt die Mehrzahl der modernen Neurologen darin überein, dass
die Suspension als ein positiver Heilfaktor bei Behandlung der Symptome der
Tabes zu betrachten ist. Die Statistik von Ossankoff weist 11#07 mit Sus¬
pension behandelte Ataktiker auf; hiervon wurden gebessert 698, ohne deutlich
wahrnehmbares Resultat blieben 1118, 50 verschlechterten sich, bei 40 war der
Erfolg zweifelhaft. Dieser Statistik kann man noch 14 Fälle von Ataxie des Prof.
Ossankoff hinzufügen; 10 Besserungen, 2 ohne Resultat, 2 Verschlechterungen;
ferner 10 Fälle, die wir mittels Schieflagerung zu behandeln Gelegenheit hatten.
Von diesen 10 Fällen wurden bei 2 Tabikern sämmtliche Störungen ganz bedeutend
gebessert, und zwar gingen zuerst die Koordinationsstörungen, zuletzt die Seh¬
störungen zurück; bei 4 Kranken trat eine wesentliche Besserung der motorischen
Störungen, der lancinierenden Schmerzen, des Romberg’schen Phänomens etc. ein;
im ganzen also von 10 Fällen 7 Besserungen, 2 unbestimmt, 1 ohne Erfolg.
Unter den durch Suspension erfolgten Besserungen seltener Art Anden wir,
dass Althaus sogar Rückkehr der Patellarreflexe konstatierte. Marina publizierte
einen ähnlichen Fall. Renault fand Rückkehr der Reflexe nach 50 Sitzungen,
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Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc. 89
Kirchener sali bei einem Fall von Myelitis das Wiederkehren der Patellarreflexc.
Wir konnten bei einem Tabiker nach dreimonatlicher Extensionsbehandlung — drei¬
mal wöchentlich — Rückkehr des Achillessehnenreflexes konstatieren.
Dohna beobachtete eine Erhöhung der Reflexe nach Suspension bei Tabikern.
Ascher sah bei einem Alkoholiker den Patellarreflex zurückkehren. Clarke
konstatierte eine Vermehrung des nämlichen Reflexes nach Aufhängung bei einem
Ataktiker. Jiaroschewsky bemerkte eine Herabsetzung der Reflexe bei Ilemi-
plegikern. Michel und Vorothynsky fanden eine Verminderung der Reflexe bei
Patienten, welche wegen Kompressionsmyelitis mit Suspension behandelt waren. Doch
bilden die Fälle, in denen die Suspension einen Einfluss auf die Patellarreflexe hat.
nur Ausnahmen, im allgemeinen bessert sich die Tabes durch Suspension, die Patellar¬
reflexe pflegen jedoch nicht zurückzukehren.
Die lancinierenden Schmerzen und das Romberg'sehe Phänomen bilden für
die Suspension zwei fast immer günstig beeinflussbare Symptome; die ersteren
pflegen zuweilen schon nach einigen Sitzungen nachzulassen,^während sich das letztere
nur sehr langsam bessert.
Das Nachlassen der lancinierenden Schmerzen tritt in selteneren Fällen in einer
auffallenden Form auf: sie werden anfangs weniger heftig, weniger allgemein und
endigen dann meist, indem sie sich an einer Stelle des Unterschenkels oder des
Kusses festsetzen. Bald treten sie nur noch im Anschluss an eine stärkere An¬
strengung alle 2 — 3 Tage auf, ohne stechend und bohrend zu sein; schliesslich
'•essieren sie völlig, ln einem Falle schwanden die lancinierenden Schmerzen bereits
nach zweimonatlicher Extensionsbehandlung.
Das Romberg’sche Phänomen wird ebenfalls durch die Suspension günstig be¬
einflusst. Die Besserung tritt langsam, zögernd ein. Oharcot hat in seiner denk¬
würdigen Vorlesung über Tabes die AVirkung der Suspension auf das Romberg’scho
Phänomen und die Inkoordination hervorgehoben. Wir wissen jetzt, dass durcli
die kompensatorische Uebungstherapie, wie sie von Frenkel, Leyden, Gold-
scheider, Jacob und vielen anderen bearbeitet ist, die Koordinationsstörungen der
Tabiker erheblich gebessert werden und dass die Methode allein im stände ist, bei
motorischen Störungen eine Wiederherstellung der Association dessen herbeizuführen,
was unser Chef, Prof. Raymond, Bewusstsein und Wille nennt: »Es ist nöthig,
durch systematische Gymnastik die normalen Beziehungen zwischen bewusster Wahr¬
nehmung und Willensäusserung herzustellen 1 )«- Nichtsdestoweniger fehlt es durch¬
aus nicht an Beobachtungen, welche beweisen, dass die Suspension in zweckmässiger
Weise die kompensatorische Uebungstherapie unterstützt.
Die Suspension nimmt die Aufmerksamkeit der medicinischen Welt besonders
durch die Besserungsresnltate bei den motorischen Störungen der Tabiker in Anspruch.
Bei den 14 von Charcot veröffentlichten Fällen trat allgemein Besserung der Geh-
störungen, der Inkoordination ein. Hammond, Martin, Eulenburg, Mendel,
Clarke, Dujardin-Beaumetz und alle, welche Gelegenheit hatten, die Suspension
bei Tabikern anzuwenden, erklären einstimmig die Suspension für einen begriissens-
werthen Heilfaktor der Ataxie. Pierre Marie sagt in seinem Werk über die
Krankheiten des Rückenmarks: »Es möge die Erwähnung genügen, dass die
Suspension gegen gewisse Symptome, lancinierende Schmerzen, Ataxie und Störungen
im Urogenitalapparat günstig wirkt*).«
C F. Raymond, Cliniquc des maladies du Systeme uerveux 1807,
*) P. Marie, Legons sur les maladies de la moelle S. 330.
Zeiischr. f. Ji&t u. physik. Therapie. Bd. VJ. lieft 2. 7
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90
P. Kouindjy
Zur Besserung des Ro mb erg’sehen Phänomens ist die Suspension ebenso
wirksam wie bei der Ataxie. Wir haben z. B. eine Patientin mit sehr ab¬
geschwächtem Sehvermögen mit Suspension behandelt; die Kranke konnte sich
anfangs mit geschlossenen Augen nicht zwei Sekunden lang aufrecht halten, jetzt
vermag sie, ohne die Augen zu öffnen, eine bis zwei Minuten aufrecht zu stehen.
Bei dem bereits weiter oben zitierten Patienten war das Ro mb erg’sche Phänomen
derartig zum Verschwinden gelangt, dass der Kranke mit geschlossenen Augen rings
durch den Saal und ohne Schwierigkeit rückwärts gehen konnte. Die Statistik des
Professors Motschukowsky zeigt, dass die Besserung des Romberg’schen
Phänomens eine weniger häufige als die der Ataxie ist. Von 207 Fällen hat
Motschukowsky 202 mit Besserung der Ataxie und nur 155 mit Rückgang des
Romberg’schen Phänomens verzeichnet. Diese für das Romberg’sche Phänomen
scheinbar ungünstig lautenden statistischen Daten finden unserer Ansicht nach viel¬
leicht darin ihre Erklärung, dass es schwierig ist, die Grenze zwischen der Anwesen¬
heit des Romberg’schen Phänomens und seinem Verschwinden festzustellen.
Unter den übrigen Symptomen, welche Besserung durch Extension erfahren,
sind die Störungen der Blase, des Magens und der Augen zu erwähnen.
Zwei Beobachtungen an zwei Kranken, welche auf der Abtheilung unseres Chefs
Professor Raymond behandelt wurden, haben uns in dieser Hinsicht einen unwider¬
leglichen Beweis von der Wirksamkeit der Suspension mittels Schief lagerung geliefert.
Eine andere Beobachtung ist interessant in Rücksicht auf die Wirkung der
Extension bei Augenstörungen. Wir müssen allerdings zuvor erwähnen, dass der
Kranke gleichzeitig mit unserer Behandlung eine antisyphilitische Kur brauchte,
und dass der diese letztere anordnende Arzt glaubte, die Heilung des Patienten
hierauf zurückführen zu können. Ohne irgendwie die günstige Wirkung der
spezifischen Behandlung in Abrede stellen zu wollen, welche allerdings in unserem
Falle bis zum Einsetzen der Suspensionsbehandlung und Massage unwirksam
blieb, glauben wir, dass die Besserung der Sehstörungen bei unserem Kranken
grösstentheils durch die Extension erzielt wurde. Prof. Bechtereff 1 ) äussert in
seinem Werk über Suspension die Ansicht, dass in gewissen Fällen die Suspension,
systematisch angewendet, nützlich wirken kann bei atrophischen Störungen und
solchen der Sehnerven, sofern sie cerebro-spinalen Ursprungs sind. »Sie erzielt«,
sagt er, »eine Besserung der peripheren sowie der zentralen Sehschärfe, indem sie
die Weiterentwickelung der Atrophie auf hält und das Vorwärtsschreiten des ganzen
Krankheitsprozesses hinausschiebt.« Die Wirkungsweise der Suspension bei Störungen
des N. opticus erklärt Prof. Bechtereff, wie wir bereits früher sahen, durch Hyper¬
ämie der grauen Substanz der Hirnwindungen und der Nachbarschaft der Ventrikel.
Abadie und Darier haben im Jahre 1889 mehrere Fälle veröffentlicht, wo die
Suspension auf akute Augenerkrankungen der Tabiker wirkte. Darier führt drei
Fälle an, von denen einer, völlig blind, nach mehreren Suspensions-Sitzungen Gegen¬
stände wieder erkennen konnte. 2 ) Desnos, Mendel, Eulenburg und Vorothynsky
erwähnen ebenfalls Besserung von Sehstörungen. Jedenfalls können wir versichern,
dass bei denjenigen unserer Kranken, bei welchen unter doppelter Behandlung die
1) W. Bechtereff, ’Ueber den Einfluss der Suspension auf die Sehstörung bei Affektionen
des Rückenmarks. (Neurol. Centralblatt 1893. No. 7.)
2 ) A. Raoult, Traitement de l’ataxie locomotrice et de quelques autres maladies du Systeme
nerveux par la Suspension. (Progrös mCdical 1889.)
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Die Extensionsmethode und ihre Anwendung etc. 91
Sehstörungen sich besserten, ein gut Theil des Resultats auf Rechnung der Suspension
mittels schiefer Ebene zu setzen ist.
Wir haben schon früher erwähnt, dass wir während der Behandlungszeit mit
Kxtension niemals einen unangenehmen Zwischenfall zu verzeichnen hatten. Nichts¬
destoweniger sind wir aber der Ansicht, dass die Suspension mittels schiefer Ebene
ebenso wie die Extension mittels unseres Extensionsstuhles unter Beobachtung
illgemeiner Vorsichtsmaassregeln vorgenommen werden muss. Unser Chef, Professor
Raymond, hat die Kontraindikationen folgendermaassen formuliert: Die Suspension
ist kontraindiciert — es handelt sich um Aufhängung und Dehnung —
1. bei allen Tabikern mit Störungen des Cirkulationsapparates,
2. bei allen Tuberkulösen und Emphysematikern;
H. bei allen, die an apoplektiformen und epileptiformen Attaquen gelitten
haben;
4. bei allen sfehr Anämischen, die zu Schwindel und Ohnmacht neigen;
5. bei Fettleibigen.
Wir haben durch unsere Auseinandersetzung gesehen, dass mehrere dieser
Kontraindikationen durch die bei der Suspensionsmethode getroffene Vervollkomm¬
nung in Wegfall kommen. Der Sprimon’sche Apparat und unser Extensionsstuhl
gestattet uns die Extension bei Kindern, bei Herzleidenden, ja bei zu Schlagfluss
Zeigenden ohne Gefahr auszuführen. Wir behandeln augenblicklich eine Hemiplektische
vorgeschrittenen Alters mittels unseres Extensionsstuhles; während der drei Wochen,
<lie wir sie mit 20 kg Belastung behandelten, ist noch nicht die geringste Störung
vorgekommen. Die Kranke verträgt die Behandlung vorzüglich. In gleicher Weise
haben wir die Extensionsbehandlung bei einem neunjährigen Knaben angewendet
und haben keinen Grund, uns irgendwie über die Methode zu beklagen.
Die Extensionsbehandlung ist angezeigt bei einer grossen Anzahl von Nerven¬
krankheiten, und alle Kranken, welche Gelegenheit hatten, sie an sich zu erproben,
wissen sie zu schätzen.
Ganz besonders dürfte die Extensionsmethode berufen sein, bei der Behandlung
der Neurasthenie eine hervorragende Rolle zu spielen. Die Platte, welche bei einer
Xeiguug von 15—20» nur einen minimalen Zug entstehen lässt, wirkt wunderbar auf
die sensitive Natur der Neurastheniker und heilt die Patienten schnell von ihrem Un¬
behagen. So haben wir eine junge Dame mit Neurasthenie geheilt, welche bereits acht
Jahre lang wegen ihrer rheumatischen Schmerzen mit allen möglichen Mitteln be¬
handelt worden war. Wir nahmen mit ihr zehn Extensionssitzungen vor und heilten
>ie hierdurch von ihren pseudorheumatischen Schmerzen.
Es ist schwierig für uns, weitere von uns auf der Abtheilung Professor
Raymond’s vorgenommene Extensionsbehandlungen zu beschreiben, da sich dort
nur ein einziger Liegeapparat zu Diensten des Krankenhauses und für mein Sprech¬
zimmer befindet. Wir schliessen daher diese Arbeit mit einem kurzen Resumc über
die Nutzanwendung der Suspension.
Die Extensionsmethode ist die einzige Form der Suspensions-
methode, welche als nothwendiges Heilmittel in der Behandlung von
Nervenkrankheiten angewendet werden soll. Sie muss mit derselben
Klugheit und Vorsicht ausgeführt werden, wie andere anerkannte Heil¬
methoden: spezifische, electro-therapeutische etc. Behandlung. Die
Kxtension- sowie die Suspensionsmethode leistet gute Dienste in der
Behandlung von Krankheiten des cerebro-spinalen Systems. Sie muss
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92 W. Cronhcim und Erich Müller
durch einen die Methode beherrschenden Arzt geleitet, ausgeführt und
gemäss der zu behandelnden Symptomengruppe geregelt werden; dann
wird sich die Extension nützlich und ohne Nebenstörungen bewähren.
Durch den Empiriker oder gar den Patienten selbst ausgeübt, birgt sie
Gefahren.
Von allen Suspensionsmethoden ist die Extension mittels schiefer
Ebene die reizloseste; von anderen wissenschaftlichen Verfahren der
Suspensionsmethode sind die mittels des Sprimon’schen Apparates und
unseres Extensionsstuhls die besten, weil sie gestatten, eine gradweise
und genau bemessene Zugwirkung zu erzielen.
III.
Versuche über den 1 Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings
mit besonderer Berücksichtigung des organisch gebundenen Phosphors.
Aus dem thierphvsiol. Laboratorium der Landwirthschaftl. Hochschule zu Berlin
(Direktor: Prof. Dr. N. Zuntz.)
Von
Dr, W. Gronheim und Dr. Erich Müller.
(Schluss.)
Versuch V (April 1901). Kind V, 4 V 2 Monate alt. liegt im Krankenhause, wo es
wegen einer inzwischen vollkommen abgeheilten Darmstörung aufgenommen war. In diesem
Versuche ersetzten wir das bisher gereichte Nahrungsgemisch durch eine reine Milch¬
nahrung ( 2 /3 Milch). Im Kontrollversuche wurde Eidotter zugefügt und dementsprechend
weniger Milch gegeben. Dabei war der N- und P-Gehalt beider Nahrungen der gleiche
und ebenso der kalorische Nährwerth. Erwähnt sei, dass dieses Mal der B-Versuch —
d. h. mit der lecithinfreien Nahrung — vorangeschickt wurde und dass der A-Versuch —
d. h. mit der eidotterhaltigen Nahrung — als zweiter nachfolgte.
In dem A-Versucbe wurde hier infolge eines Irrthuras die inzwischen erfolgte Ge¬
wichtszunahme nicht berücksichtigt, sodass die dem Kinde zugeführte Kalorieenmenge relativ
geringer war als im B-Versuch. Wir beabsichtigten in diesem Versuche einmal direkt die
Kuhmilch mit dem Eidotter mit Bezug auf ihre Ausnützung zu vergleichen, besonders da
mehr oder weniger verdünnte Kuhmilch die gewöhnliche Nahrung des Päppelkindcs ist.
Andererseits schien es uns interessant, zu sehen, ob vielleicht das Lecithin in dieser relativ
kohlehydratarmen Nahrung eine andere Wirkung zeigte. Die Milch — Kindermilch
aus der hiesigen grössten Molkerei (mit Trockenfütterung) — wurde auf unseren Wunsch
dem gesammten, mehrere hundert Liter enthaltenden, gut durchgemischten Gemelk ent¬
nommen und uns sterilisiert in V 2 Liter Portionsflaschen geliefert. Die Analyse der
Milch, zu welcher zwei Flaschen verarbeitet wurden, ergab, der sorgfältigen Durchmischung
entsprechend, gut übereinstimmende Werthe. Wir beabsichtigten ursprünglich das Eidotter
in frischer Form zu geben, es war jedoch nicht durchführbar, da dasselbe, obwohl es kalt
auf bewahrt wurde, nicht tadellos blieb. Wir mussten es deshalb trocknen und so der Milch
zufügen. Die Trocknung geschah in dünner Schicht und möglichst schnell im Vakuum bei
einer Temperatur, welche 50 ft C. nicht überstieg. Wir gebrauchten den schon erwähnten
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UNIVERSfTY OF MICHIGAN
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 93
Vakuumapparat, nur arbeitete diesmal die Luftpumpe während der ganzen Dauer der
Trocknung, um die Wasserdämpfe abzusaugen. Das getrocknete Eidotterpulver wurde
analysiert ; es roch und schmeckte gut. Es liess sich mit der Milch bequem vermischen
and wurde gut vertragen. Der Versuch verlief ohne Störung.
Das Kind erhielt in den 3 Tagen des zeitlich später liegenden A-Versuches vom
16.— 19. April 1901: 1560,5 cm 3 Milch, 21,0 g trockenes Eidotter, 60 g Milchzucker und
900 cm* Wasser. Die Zusammensetzung der Milch war die folgende: D = 1,02425,
12.19 °/o Trockensubstanz, 0,54 % N, 3,43 °/o Fett, 0,721 °/ 0 Asche mit 0,106% CaO und
0.01% MgO, 4,69 % Milchzucker — direkt bestimmt —, 0,227 % P 2 0 5 = 0,099 % P;
die des Eidotters: 2,06 % H 2 0, 5,44 % N, 50,18% Fett, 3,44 % Asche mit 0,340%
CaO und 0,048 % MgO, Kohlehydrate nicht bestimmt, 2,687 % P 2 0 5 = 1,173 % P, da¬
von ätherlöslich 0,292'.%.
Der Koth wog lufttrocken 25,3 g und enthielt: 4,05% HoO, 5,45 % N, 21,36 %
Fett, 24,20% Asche mit 8,63 % CaO und 0,66 % MgO, Kohlehydrate = O, 6,20% P 2 0,
— 2,71 % P, organischer P nur in Spuren.
Danach berechnen sich folgende absolute Werthe des Umsatzes:
Trocken¬
N
Fett
J Asche
Kohle¬
p 2 0.
_
substanz
hydrate
Einnahme. . .
269,6
9,616
63,720
12,036
132,718
4,084
Ausgabe (Koth)
24,3
1 1,378
5,404
6,123
; —
1,569
Resorbiert . .
245,3
8,138
58,316
5,913
I 132,718
2,515 (1,098 Pi
Resorbiert in % J
der Einnahme I
90,99
85,51
1
91,52
i 49,13
100
61,58
Im Urin sind enthalten:
Datum Menge N P 2 O s CaO i MgO
cm 3 ! !
=— ■ r ~~ i
16. —17. April 650 | 1,844 ! 0,745
17. 18. t> 840 2,262 | 0,801
18. —1 9. » 790 | 2,276 0,877 _
Summa 2280 6,479 2,423 (P =■ 1,058) , 0,070 0,110
Aus der Differenz der resorbierten und der im Urin ausgeschiedenen Mengen ergeben
'ich folgende Werthe des Ansatzes:
1,659 g N, 0,092 g P 2 0, (0,040 g IM,
in % des Resorbierten:
20,39 % N 3,66 % P 2 0,.
Die Werthe des Salzstoffwechsels sind:
Durch Nah¬
Im Koth
1
Dasselbe
Im Urin
Dasselbe
rung -f- Wasser
Resorbiert
aus-
Retiniert
eingeführt
ausgeführt
in o/ 0 *
geschieden
in %
Asche
12,036
6,123
50,87
5,913
4,419
1,494
25,27
CaO
1,768
2,183
negativ
- 0,415
0,070
0,485
negativ
MgO
0,170
0,167
98,24
0,003
0,110
0,107
Difitized
by Google
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
94
W. Cronheim und Erich Müller
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
15. April 5207 g
16. » 5274 g\
!Z* * Mittel der Yersuchszeit 5260 g.
18. > 5211 g (
19. > 5245 gl
Der Kraftwechsel berechnet sich, wie folgt:
Einnahme: 1550,5 cm 8 Milch ä 0,7068 Kal. =
1095,9
Kal
60 g Milchzucker k 3,7 » =
222,0
21 g Eidotter k 7,740 » =
162,5
Summa
1480,4
Kal. = 93,8 p. Kilo u. Tag
Ausgabe: 25,3 g Koth ä 4,634 Kal. =
117,24
»
also resorbiert
1363,16
Kal. = 86,39 p. Kilo u.Tg.
Im Urin sind ausgeschieden.
51,114
Im Körper verbrannt resp. angesetzt 1312,046 Kal. = 83,2 p. Kilo u. Tag.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 92,08%.
In den drei Tagen des B-Versuches vom 11. bis 14. April 1901 erhielt das Kind:
1797,6 cm * Milch, 60 g Milchzucker und 900 cm 3 Wasser. Die Milch war die gleiche.
Der lufttrockene Koth wog 23,45 g und war folgendermaassen zusammengesetzt:
6,96 % H 2 0, 4,94 %N, 28,64 % Fett, 25,50 % Asche, darin 10,77% CaO und 0,90%
Mg 0, Kohlehydrate = 0, 7,48 % P L > 0 5 = 3,26 % P, organischer P nur in Spuren.
Danach sind die absoluten Werthe des Umsatzes:
Trocken¬
substanz
N
Fett
Asche
Kohle¬
hydrate
P 2 O ß
1
Einnahme. . .
279,13
9,707
61,658
13,090
144,307
4,081
Ausgabe (Koth) j
21,82
1,158
6,692
6,980
—
1,753
Resorbiert . .
267,31
8,649
I 44,966
7,116
; 144,307
2,328 (1,010 Pi
Resorbiert in % 1
der Einnahme 1
92,17
1
88,07
00
jO
wT
' 54,34
100
57,04
Die Zusammensetzung des Urins ist:
Datum
Menge
N
P*o*
CaO ! MgO
cm« |
|
11.—12. April
600
2,022
j 0,648
1
12.—13. »
' 830
2,233
0,708
13.—14. v
800
2,513
1 0,864
1
Summa
1 2230
6,768
2,220 (P = 0,969)
0,044 0,080
1 7 , 1
Aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen berechnet
sich ein Ansatz von:
1,781 g N, 0,108 g P 2 O r> (0,04 g P)
in % des Resorbierten:
20,83% N 4,64% P 2 Or,.
hy Goöglc
Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
95
Die Werthe für den Salzstoffwechsel sind:
-1
Durch Nah¬
rung +Wasser
eingeführt
Im Koth
ausgeführt
Dasselbe
in «/„
Resorbiert
Im Urin
aus¬
geschieden
Retiniert
Dasselbe
in o/ 0
Asche
, 13,096
' 5,980
45,66
7,116
5,573
1,543
21,68
CaO
1,961
2,526
negativ
—0,565
0,044
-0,609
negativ
MgO
0,186
| 0,211
negativ
—0,026
0,080
—0,106
negativ
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
11. April 4949 gj
* kcvÜ- ® Mittel der Versuchsdauer 4718 g.
13. » 5275 g &
14. > 5191 gl
14. > 5207 g
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme: 1797,6 cm 8 Milch h 0,7068 Kal. = 1270,6 Kal.
60 g Milchzucker ä 3,7 » — 222,0 »
Summa 1492,6 Kal. = 98,1 pro Kilo u. Tag,
Ausgabe: 23,45 g Koth ä 4,718 Kal. 110,63 >
also resorbiert 1381,97 Kal. = 90,86 p. Kilo u. Tag,
Im Urin sind ausgeschieden. . . 56,78 »
Es sind im Körper verbrannt resp. angesetzt . . 1325,19 Kal. = 87,1 pro Kilo u. Tag.
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 92,52 %.
Versuch VI (Juli 1901). Kind VI, 5 Monate alt, liegt in Privatpflege, es ist voll¬
kommen gesund und gut entwickelt. Die Nahrung war die schon mehrfach verwandte
Mehlnahrung, nur war die Mischung eine neue. Die lecithinfreie Nahrung des Kontroll-
versuches B zeigte einen etwas zu niedrigen N-Gehalt, wir korrigierten diesen Mangel durch
einen kleinen Zusatz von phosphorfreiem — eigene Nachprüfung — Edestin, für dessen
freundliche Ueberlassung wir der Firma Merck zu Dank verpflichtet sind. Das j Kind
vertrug beide Nahrungen sehr gut. Die am ersten Tage des A-Versuches nicht getrunkene
Nahrungsmenge wurde direkt bestimmt. In Anbetracht der geringen Menge des gereichten
Edestins, resp. der Asche (0,041 g gegenüber 10,66 g in der Mehlnahrung) haben wir
CaO und MgO darin nicht bestimmt, die Resorption von CaO und MgO stellt sich also
am eine Kleinigkeit besser, als es unsere Aufstellung ergiebt.
In den vier Tagen des A-Versuches vom 10.—-14. Juli 1901 erhielt das Kind:
420-5,47 (nicht getrunkenes) = 414,53 g Nahrungsgemisch und 20 g Rohrzucker, dazu
3.6 1 Wasser. Die Zusammensetzung des Nahrungsgemisches war: 96,02 % Trocken¬
substanz, 2,24 % N, 4,78 % Fett, 2,60% Asche, darin 0,528 % CaO und 0,072 % MgO,
2.77% Rohfaser, 71,87 % verdauliche Kohlehydrate, 1,10% P 2 0 5 = 0,48 % P, davon
ätherlöslich 0,0235 %. Im lufttrockenen Kothe von 37,0 g Gewicht sind enthalten :
7.95% H 2 0, 5,33 % N, 8,87 % Fett, 31,04 % Rohfaser, 8,81 % andere Kohlehydrate,
14,08% Asche, darin 5,15 % CaO und 0,79 % MgO, 4,80 % P*>0 5 = 2,09 % P, davon
organischer 0,19%.
Danach berechnen sich die folgenden absoluten Werthe:
Einnahme .
Ausgabe (Koth)
Trocken-
substanz
N
Fett
Asche
„ . . Kohle- .
Rohfaser , , ^
hydrate
1
1
**
tc
O
e»
418,03
34,06
9,286
1,972
19,815
3,282
11,318
5,210
11,483 317,92
11,483 3,26
4,560
1,776
Resorbiert . .
1 383,97
7,314
16,533
6,108
1 314,66
2,784 (1,215 P)
Resorbiert in °/ 0 i
1
der Einnahme )
| 91,85
78,70
83,44
53,97
— 98,98 1
61,05
Original from
UNIVERSITf OF MICHIGAN
96 W. Cronheim und Erich Müller
Im Urin wurden ausgeschieden:
Datum
Menge
N
1 p 2 o„
Harnsäure
CaO
m b o
cm'»
1
i
10.—11. Juni
.315
1,209
0,475
11.—12. i»
450
1,249
| 0,472
12. 13. »
j 488
1,371
0,562
13.—14. »
450
1,648
0,606
Summa
j 1903
5,437
1 2,115 (P = 0,923)
0,205
0,065
0,074
Aus der Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen berechnet
sich ein Ansatz von:
1,877 g N, 0,669 g P 3 0 5 (0.292 g P),
in °/ 0 des Resorbierten:
25,67 °/ 0 N, 24,03 o/ 0 P 2 0*.
Die Werthe für den Salzstoffwechsel sind:
Durch Nah¬
rung +'Wasser
eingeführt
' Im Koth
ausgeführt
!
Dasselbe
in °/ 0
Resorbiert
lm Urin
aus¬
geschieden
Retiniert
I Dasselbe
in o/o
Asche
11,318
5,210
46,03
6,108
4,220
1,888
30,91
CaO
2,369
1,906
80,46
0,403
0,065
0,398
85,90
MgO 1
0,320
0,293 |
91,50
0,027
0,074
-0,047
-
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
7. Juli 4692
8 .
9.
10 .
11 .
12 .
13.
14.
15.
16.
17.
4699 g
4601 g
4673 g
4714 g
4705,5 g
4701 g
4663 g
4661 g
4738 g
4719 g
Mittel der Versuchstage 4668 g.
Der Krnftwechsel berechnet sieb wie folgt:
Einnahme: 414,53 g Nahrung ä 4,279 Kal. = 1773,8 Kal.
g Rohrzucker ä 3,96
20
= 79,2
Summa
1853,0 Kal. --
Ausgabe:
37 g Koth ä 3,912 Kal. =
158,43 >
also resorbiert
1094,57 Kal. =
Im Urin
sind ausgeschieden.
32,10 »
im Körper verbrannt resp. angesetzt
1002,41 Kal. =
Von dem Brennwerth der Nahrung sind dem Körper zu (inte gekommen 91,45
In den 4 Tagen des B-Versuches vom 22. bis 26. Juli 1901 erhielt da^ Kind:
420 g Nahrungsgemisch
4X1,35 — 5,4 g Edestin
4x1,5 = 6,0 g Butter
20,0 g Rohrzucker
} in 3.6 1 Wasser.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 97
Das Nahrungsgemiseh bestand aus: 96,52 % Trockensubstanz, 2,03 °/o N, 2,39 %
Fett, 2,54 °/o Asche, davon 0,54 °/o CaO und 0,063°/ 0 MgO, 1,59 °/o Rohfaser, 77,31 % ver¬
dauliche Kohlehydrate, 1,14% P 3 0 5 — 0,50 % P. Das Edestin enthielt: 9,71 % H 2 0,
16,30% N, 0,76% Asche. Butter wie früher. Die 33,775 g lutfttrockenen Kothes ent¬
halten: 6,90% H 2 0, 11,28 % N, 4,87 % Fett, 19,77 % Rohfaser, andere Kohlehydrate
=■* 0, 14,82% Asche, davon 5,50% CaO und 0,702% MgO, 4,66 % P 2 0 5 = 2,04% P,
davon 0,14 % organischer.
Danach sind die absoluten Werthe des Umsatzes:
Trocken-1
Substanz
N 1
Fett
Asche I
1
0 ,, Kohle-
Rohfaser , . i
hydrate ;
P 2 0 Ä
Einnahme. . .
| 415,70
9,406
15,138
. 11,249
6,678
344,70
4,788
Ausgabe (Koth)
31,45 |
1,905 i
1,644
5,005 |
6,678
1,676
Resorbiert . .
384,25
7,501
13,494
6,244
—
344,70
3,213 (1,403 P)
Resorbiert in % |
der Einnahme i
92,44
79,75») |
89,14
55,51
100
67,11
Die Zusammensetzung des Urins ist die folgende:
Datum
Menge
N
P 2 0 , r >
Harnsäure | CaO
MgO
cm»
_ \
22. -23. Juli
23. -24. »
24. -25. »
25. —26. i
510
570
675
! 620
1,371
1,428
1,634
1,471
| 0,478
0,504
0,669
0,604
1
1
1 l
'
!
Summa
2375
5,904
2,255 (P = 0,985) | 0,078 j 0,071 0,108
Die Differenz der resorbierten und im Urin ausgeschiedenen Mengen ergiebt folgende
Werthe für den Ansatz:
1,597 g N, 0,958 g P 2 0 5 (0,418 g P)
in % des Resorbierten:
21,29 o/ 0 N, 29,82 o/o P,<> 5 .
Die Werthe für den Salzstoffwechsel sind:
Durch Nah¬
rung + Wasser
Im Koth
Dasselbe ;
Resorbiert
Im Urin
aus¬
Retiniert
Dasselbe
eingeführt
auBgeführt
in %
geschieden
in <>/o
i
L__ _
Asche 11,249
5,005
44,49
0,244
nicht bestimmt
t'aO 2,448 i
1,858
75,90
0,590
0,071
0,519
87,97
MgO 0,287
0,237
82,58
0,050
0,1 OS
-0,056
-
*j Die etwas bessere Resorption des N der lecithinfreien Nahrung erklärt sich in diesem Falle
wohl durch die Zugabe des Edestins, dessen Verdaulichkeit nach sieben Thierversuchen (Leipziger,
Sieinitz, Zadik) 96% beträgt. Zieht man vom Nahrungs-N den Edestin-N ab, vom Koth-N den
Antheil, der nach der Verdaulichkeit des Edestins ausgeschieden wurde, so berechnet sich die
Resorption des N der Mehlnahrung zu 78,07%.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
98
W. Cronheim und Erich Müller
Die Gewichte an den einzelnen Tagen sind:
19.
Juli
4684
g
20.
4721
g
21.
4690
g
22.
i
4694,5 g
23.
i
4725
g
24.
4753
g
25.
4771
g
26.
4760
g
27.
4759
g
28.
4743
g
29.
>
4801
g
Mittel der Versuchstage 4727 g.
Der Kraftwechsel berechnet sich wie folgt:
Einnahme: 420 g Nahrung ä 4,124 Kal. = 1732,04 Kal.
5,4 g Edestin ä 4,996 » = 26,98 »
6,0 g Butter ä 8,085 > = 48,51 »
20,0 g Zucker ä 3,960 > = 79,20 >
Summa 1886,73 Kal. = 99,79 Kal. pro Kilo u. Tag.
Ausgabe imKothe: 33,775 g ä 3,847 K al. = 129,93 »
also resorbiert 1766,80 Kal. = 92,91 Kal. pro Kilo u. Tag.
Im Urin sind ausgeschiedeu .... _._ 51,73 ?
Im Körper verbrannt resp. angesetzt 1705,07 Kal. = 90,18 Kal. pro Kilo u. Tag.
Von dem Brennwerthe der Nahrung sind dem Körper zu Gute gekommen 93,11 %.
In diesem Versuche haben wir auch in beiden Reihen die Harnsäure nach Wörner 4S )
bestimmt- Die Ausscheidung beträgt in der A-Reihe, d. h. bei Verabreichung des Nuklein
reichen Eidotters 0,265 g, in der B*Reihe 0,078 g in dem Gesammturin. Der Eidotter hat
also die Bildung der Harnsäure erheblich vermehrt. Dieses Ergebniss steht in guter
Uebereinstimmung mit ähnlichen Befunden von Loewi 17 ).
Besprechung der Tersuchsergebnisse.
Nach Darstellung unserer Versuchsbedingungen und der Art und Weise, wie
wir die Versuche durchgeführt haben, kommen wir zur Besprechung der Resultate,
zu den Folgerungen und Schlüssen, welche wir aus denselben zu ziehen uns berechtigt
glauben. Es soll noch vorausgeschickt werden, dass wir den N im Schweisse nicht
berücksichtigen und im Kothe den aus den Darmsekreten und aus Zerfall von Darm-
epithelien herrührenden Antheil des N nicht vom Nahrungsrest trennen konnten. Eine
nennenswerthe Schweissabsonderung fand in keinem unserer Versuche statt, wir können
den darauf entfallenden Antheil des N unbedenklich vernachlässigen. Zur Schätzung
des mit den Darmsekreten dem Kothe beigemengten N könnte man die Hungerver¬
suche von Keller 1 *) verwerthen, welcher angiebt, dass ein Kind von 11 Monaten pro
24 1
Tag einmal 0,0716 - ^ = 0,057, ein zweites Mal 0,0966 • -= 0,0483 g N entleerte.
Da wir aber aus den Versuchen von Rieder, Fr. Müller und anderen wissen,
dass jede Nahrung den N der Darmsekrete erheblich vermehrt, können wir aus
diesen Zahlen weiter nichts folgern, als dass auch in unseren Fällen ein erheb¬
licher Bruchtheil des Koth-N nicht Nahrungsrest ist, dass also die Verdauung des
N eine wesentlich bessere ist, als unsere Zahlen es ergeben.
Zur Erleichterung der Uebersicht geben wir in der nachfolgenden Tabelle die
sämmtlichen Werthe der 6 Versuche auf Tag und Kilo berechnet, nur die entsprechenden
Zahlen des Salzstoffwechsels folgen bei der Besprechung desselben.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 99
Tabelle I.
Ein- und Ausfuhr, bezogen auf Kilo und Tag.
A.
Versuch I.
B.
; n
P. 2 0 5
Fett
Kohle-
Kaloriecn
-1
N
P*0 5
Fett
Kohle-
Kalorieen
hydrate
hydrate
Nahrung .
0,29
0,14
1,52
10,96
68,23
0,24
0,13
1,13
11,03
64,16
Koth . . .
0,05
0,05
0,10
—
3,44
0,04
0,03
0,04
—
2,10
Verdaut .
0,24
0,09
1,42
10,96
64,79
0,20
0,10
1,09
11,03
62,06
Urin . . .
0,18
0,04
—
—
—
0,21
0,056
—
—
—
Retiniert.
0,06
0,05
—
—
—0,01
0,044
—
—
A.
N
^ersuch II.
B.
Nahrung.
0,57
0,285
1,925
15,55
102,0
0,52
0,27
1,469
17,12
103,36
Koth . . .
0,10
0,120
0,14
—
9,2
0,14
0,13
0,190
—
10,12
Verdaut .
0,44
0,165
1,785
15,55
92,8
0,38
0,14
1,279
17,12
93,29
Urin . . .
0,3M5
0,11
—
—
3,8
0,34
0,11
—
—
3,18
Retiniert.
0,105
0,055
_
89,0
0,04
0,03
—
—
90,05
A.
Versuch III
B.
Nahrung .
0,556
0,319
2,442
19,45
122
0,600
0,352
1,958
21,410
128,5
Koth . . .
0,238
0,199
0,942
0,60
23
0,267
0,213
0,504
0,556
22,5
Verdaut .
0,318
0,120
1,500
18,85
99
0,333
0,139
1,454
20,854
106,0
Urin . . .
0,259
0,078
—
—
—
0,281
0,068
—
—
—
Retiniert.
0,059
0,042
—
—
—
0,052
0,071
—
—
—
A.
Versuch IV
B.
Nahrung .
0,583
0,292
1,966
15,89
104,3
Koth . . .
1 0,119
0,105
0,137
0,15
7,9
Verdaut .
0,464
| 0,187 |
1,829
15,74
96,4
Urin . . .
! 0,339
0,114
_
_
Retiniert.
j 0,125
0,073
_
0,594
0,308
2,039
' 16,235
100,5
0,125 ,
0,119 t
0,195
0,240
q *>
C.
0,469
0,189 1
1,844
15,995
97,3
0,321
, 0,092
—
—
—
Nahrung .
0,603
0,294
I 2,149
16,79
111,1
0,148
' 0,097
—
—
—
Koth . . .
0,075
, 0,099
0,165
0,12
5,8
Verdaut .
0,528
, 0,195
i 1,984
16,67
105,3
Urin . . . |
0,359
0,097
-
Retiniert. ,
0,169
0,098
—
—
Versuch V.
Nahrung .
0,603
0,259
4,038
8,411
93,80
0,638
1 0,268
! 4,054
9,487
98,1
Koth . . .
0,087
0,099
0,343
—
7,41
0,076
0,115
0,440
—
7,24
Verdaut .
0,516
0,160
3,695
8,411
86,39
0,562
! 0,153
| 3,614
9,487
90,86
Urin . . .
I 0,411
0,154
—
—
3,19
0,445
0,146
—
—
3,76
Retiniert.
0,105
0,006
—
—
83,20
0,117
0,007
i _
i
i 87,10
Versuch VI
Nahrung . (
0,497 I
0,244
1,061
17,090
99,2
0,498
0,253
j 0,801
1 18,29
99,79
Koth . . . |
0,106
0,095
0,176
0,175
8,45
0,101
0,083
0,087
—
6,88
Verdaut . |
0,391
0,149
0,885
16,915
90,75
0,397
0,170
0,714
18,29
92,91
Urin . . . |
0,291
0,113
—
1,72
0,312
0,122
-
--
2,73
Retiniert. |
0,100 :
0,036
—
89,03
0,085
! 0,048
! —
, —
1 90,18
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100 W. Cronheim und Erich Müller
Bei der Kritik unserer Versuche müssen wir berücksichtigen, dass Versuch V
den übrigen nicht vollkommen gleichgestellt werden kann, da wir hier gegenüber
dem Mehlmilchpulvergemenge frische Milch gegeben haben.
N-Stoffwechsel.
Für die Betrachtung desselben geben wir in der folgenden Tabelle TI die Werthe
für die Resorption und Retention in % des Resorbierten resp. Eingeführten wieder.
Tabelle II.
A-Versuche. B-Versuche.
! Lecithinhaltige Nahrung
j Lecithinfreie Nahrung
Resorption
in o/o der
Nahrung
Retention
| in o/o des
Resorbierten
in o/ 0 des
Kingeführten
Resorption
in o/ 0 der
Nahrung
, Retention
! in o/o des
Resorbierten
iVUltli uuu
in o/ 0 des
Kingeführten
I
83,83
24,88
20,86
82,07
-2,36
—1,98
11
77,56
24,21
18,78
72,56
9,60
7,00
"io 1
80,12
87,56
27,41
32,01 i
21,96
28,08
79,01
31,57
24,95
VI
78,76
25,67
20,21
79,75*)
21,29
16,98
III
57,28
18,87
10,81
56,11
16,63
9,38
V
85,51
20,30
17,44
88,07
20,83
18,35
Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich, dass der N der Nahrung durch¬
gehende mit einziger Ausnahme von Versuch V in den A-Versuchen besser assi¬
miliert wurde als in den entsprechenden Kontrollversuchen, zum Theil sogar ganz
bedeutend besser. I, II, III zeigen es deutlich auch für die Resorption, Versuch IV
nur, wenn wir Versuch C mit B vergleichen und von dem A-Versuche aus den
früher erwähnten Gründen absehen. In Versuch V und VI (vergl. dazu aber die An¬
merkung Seite 97) ist die Resorption bei den A-Versuchen um eine Kleinigkeit
schlechter. Noch deutlicher zeigen sich diese Verhältnisse, wenn wir die ja direkt
vergleichbaren »Werthe pro Tag und Kilo« betrachten unter Berücksichtigung der
anderen zugeführten Nährstoffe und der Gesammtkalorieenmenge. In Versuch I
haben wir im A-Versuche etwas mehr N und Gesammtkalorieen zugeführt, das
Plus an 4,07 Kalorieen erklärt sich annähernd aus dem Plus an Fett, dieses —
0,39 g entspricht 3,63 Kalorieen. Dagegen sind im B-Versuche 11,03 g Kohle¬
hydrate gegen 10,96 im A-Versuche gegeben worden, und wir wissen, dass es be¬
sonders die Kohlehydrate sind, welche den Ansatz von N begünstigen, sodass wir
mindestens die gleiche N-Retention in beiden Versuchen erwarten dürften. Wir
haben aber im B-Versuche eine Abgabe von N im Körper, im A-Versuche einen An¬
satz. Der Differenz von 0,05 N in der eingeführten Nahrung steht eine solche von
0,07 im Ansatz gegenüber. Versuch II ist noch beweiskräftiger. In dem B-Ver-
suche sind absolut mehr Kalorieen eingeführt worden, etwas weniger Fett, dafür
aber etwa 10% mehr Kohlehydrate als im Versuche A. Die Differenz in der X-
Einfuhr beträgt 0,05 g zu Gunsten von A, im N-Ansatz dagegen 0,065 g.
Die Werthe für die N-Ausnützung im Versuche III sind sehr schlechte und
sprechen im Verein mit der schlechten Fettverwerthung, auf welche wir noch
später zurückkommen werden, für den krankhaften Zustand des Kindes. Die
Zahlen — 57,28 im A- und 56,11 im B-Versuche — decken sich sogar mit den¬
jenigen, welche Heubner bei einem atrophischen Kinde hei Ernährung mit Kufeke-
*j resp. 78,07 vergl. Fussnote S. 07.
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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings. 101
melil .'•7,3®/„ — gefunden hat. Die Zahlen für die N-Resorption sowie Re¬
tention in Versuch III:
N-Resorption: A 57,28% 13 56,11 %
N-Retention: A 18,87% B 16,63%
sprechen. wenn auch gewiss nur in geringem Masse, für die lecithinhaltige Nahrung,
allerdings ist dabei zu bedenken, dass wir hier in dem A-Versuche gleichzeitig mit
dem Lecithin eine nicht unbeträchtliche Menge Albumin und in dem B-Versuche
nur Kasein der Nahrung zugesetzt haben, sodass die Frage offen bleibt, welchen
Antheil an dem Resultate wir der einen und welchen Anteil wir der anderen Diffe¬
renz in der Zusammensetzung der Nahrung zuzuschreiben haben. Der erhöhte N-
Ansatz in Versuch A erscheint um so bedeutungsvoller als die von dem Kinde pro Tag
und Kilo aufgenommenen Kalorieen in diesem 122 und im B-Versuche 128 Kalorieen.
also in A ein Minus von 6 Kalorieen, das ist ca. 5%, betragen. Dazu ist auch hier
im H-Versuche die Kohlehydratzufuhr eine reichlichere (ca. 9%) gewesen.
Versuch IV A zeigt eine schlechtere Retention als IV B, was sich aus dem Minus
an N sowohl wie Kohlehydraten und Gesammtkalorieen und der Unruhe des Kindes
in Versuch A erklärt. Das zeigt sich auch deutlich in der N-Ausscheidung im Urin;
denn während wir in der Nahrung des A-Versuches 0,011 N weniger gegeben haben
und dementsprechend auch im Kothe weniger gefunden haben, ist die absolute N-
Ausscheidung im Urin nicht unbeträchtlich erhöht. Vergleichen wir dagegen den
Versuch B und C miteinander, so finden wir wieder eine nicht unerhebliche Retention
zu Gunsten der Lecithinnahrung. Allerdings ist dieses Resultat nicht so beweisend,
da sowohl die kalorische Gesammteinfuhr sowie die der einzelnen Nährstoffe im C-
Versuche eine grössere war. Um so klarer liegen wieder die Verhältnisse inVersuch VI.
bei gleicher N-Einfuhr, etwas geringerer Energiezufuhr und geringeren Kohlehydrat¬
mengen im A-Versuche haben wir eine grössere N-Retention.
Versuch V, in welchem wir, wie erwähnt, nur Milch — resp. Milch und Ei¬
dotter — verdünnt mit Wasser gegeben haben, zeigt sowohl für Resorption als auch
für Retention etwas günstigere Werthe für die lecithinfreie Nahrung. Diese Diffe¬
renzen sind freilich mehr als ausreichend erklärt dadurch, dass sowohl der Eiweiss-
irehalt der lecithinfreien Nahrung um ca. 6% als auch der Kalorieenwerth der-
'elben um ca. 4% % höher war. Der höhere Kalorieenwerth fällt zu Gunsten des
Kiweissansatzes umsomehr in die Wagschale als er durch Kohlehydrate bedingt ist,
deren Menge um mehr als 10% grösser ist als in der lecithinhaltigen Nahrung,
ln anbetracht dessen erscheint der Mehransatz von 0,012 g N pro Kilo und Tag so
unbedeutend, dass er durchaus keinen Gegensatz gegen die anderen Versuche darstellt.
Im übrigen möchten wir darauf hinweisen, dass in diesem Versuche die N-
Ausnützung trotz Milchzuckerzusatz eine gute gewesen ist und die von Bendix 34 ),
l.ange und Berend 36 ) behauptete ungünstige Einwirkung des Milchzuckers auf
die N -Verwerthung gegenüber reiner Milchnahrung sich nicht bestätigt. Von
Hoppe-Sevler, später Laas, Keller, Bendix ist beobachtet worden, dass
bei Zunahme der N - freien im Verhältnis zu den N - haltigen Nährstoffen die
Resorption der letzteren ungünstig beeinflusst wird, während gleichzeitig, wie all¬
bekannt, die Tendenz zum N-Ansatz wächst. Aus unseren Versuchen ergiebt sich
eine Bestätigung dieser ersteren Beobachtung nicht mit Sicherheit.
Die Zahlen für die täglichen N-Ausscheidungen im Urin innerhalb eines Ver¬
suches schwanken in mässigen Grenzen, irgend eine Gesetzmässigkeit — vielleicht.
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102 W. Cronheim und Erich Müller
im Sinne eines regelmässigen An- oder Abstieges mit dem zeitlichen Verlaufe des
Versuches — lässt sich nicht finden. Es ist dies insofern wichtig, als wir daraus
schliessen können, dass sich die Kinder zum Beginn der Versuche im Ernährungs¬
gleichgewicht befanden.
Phosphorstoffwechsel.
Wenn wir jetzt zur Besprechung des Phosphorstoffwechsels übergehen, so lässt
sich im allgemeinen sagen, dass die Zahlen, wie die nachfolgende Tabelle III zeigt,
stark schwanken, und dass sich eine Gesetzmässigkeit oder ein Vortheil zu Gunsten
der lecithinhaltigen Nahrung aus denselben nicht ergiebt..
Tabelle des P-Stoffwechsels No. III.
A-Versuche. B-Versuche.
Lecithinhaltige Nahrung. Lccithinfreic Nahrung.
Retention
1 Retention
Retention
i
Retention
Einfuhr
Resorp-
in o/o des
' in °/ 0 des
Einfuhr
; Resorp-
in % des
in % des
tion in n / 0
Resor-
| Einge-
tion in %
Resor- |
Einge-
1
bierten
führten
bierten
führten
r
7,596
63,6
53,6
84,07
i
7,002 1
74,4
41,1 !
30,61
ii
7,1149
58,6
33,4
19,59
5,454
49,1 !
20,7
10,16
4 Tage
3 Tage 1
1
!
IV a j
8,782
<54,5 |
39,4
25,50
9,216
61,3
51,1
31,32
IV c
8,664
615, '
50,3
83,81
VI :
1 4,560
<51,1
24,0
14,69
4,788
67,1 1
29,8
20,00
III i
5,142
••57,5
34,8
13,03
5,417
39,3
51,5
20,25
V
4,084 |
61,6
3,7
2,25
4,081
57,0
4,6 |
2,65
Auffallend ist die Gleichmässigkeit in den Prozent-Zahlen der Resorption in der
Reihe der A-Versuche, sie schwanken in den relativ engen Grenzen von 58,6 und
66,2 %, nur Versuch III an dem kranken Kinde fällt mit einer Resorptionszahl von
37,5% ganz ausserhalb dieser Reihe. Dagegen finden sich ganz regellose Diffe¬
renzen sowohl innerhalb der Zahlen für die Retention der A-Versuche als auch in
den Zahlen für Resorption und Retention der B-Versuche. Sehr bemerkenswert!!
sind die ausserordentlich geringen Werthe für die Retention in Versuch V — 3,7 %
im A-Versuche und 4,6 % im B-Versuche — gegenüber den entsprechenden Werthen
der übrigen Versuche, welche, wenn auch untereinander sehr verschieden (24,0%
bis 53,6%), doch wesentlich höher liegen. Fragen wir nach der Ursache dieser
auffälligen Differenz, so lässt sich sagen, dass sich die Zahlen für die Phosphor¬
resorption von den übrigen nicht wesentlich unterscheiden, auch die Werthe für die
Ausnützung der übrigen Nährstoffe zeigen keine augenfälligen Besonderheiten, dazu
war auch das Verhalten des Kindes während des Versuches ein gutes, dagegen
unterschied sich in diesem Versuch die Nahrung wesentlich von derjenigen der
übrigen. Das Kind wurde mit Milch resp. mit Milch plus Eidotter ernährt, einer
wesentlich fettreicheren und vor allem kohlehydratärmeren Nahrung als die der
übrigen Versuche, wie dies am besten aus Tabelle I, welche sämmtliche Werthe
auf Tag und Kilo Körpergewicht berechnet enthält, hervorgeht. Ob wir dem
relativ grösseren Fettreichthum oder geringeren Kohlehydratgehalt der Nahrung
oder vielmehr dem Umstande, dass die Milch sterilisiert war, diese Beeinflussung
der Phosphorretention zuschreiben sollen, wollen wir jedoch unentschieden lassen.
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Versuche über den Stoff- und Kraftweohsel des Säuglings. 103
Die Frage, ob die geringe Phosphorretention vielleicht mit der negativen Kalkbilanz
io Zusammenhang zu bringen ist, werden wir bei der Besprechung des Salzstoff¬
wechsels zu erörtern haben.
Die von Keller 15 ) vermuthete Beziehung zwischen Phosphorresorption und
dem Alter des Kindes in dem Sinne, dass dieselbe mit zunehmendem Alter eine
schlechtere wird, lässt sich aus unseren Versuchen nicht erkennen. Dagegen scheint
doch eine gewisse Beziehung zwischen der Menge des eingeführten und der des
resorbierten resp. retinierten Phosphors zu bestehen. Stellen wir die entsprechenden
Zahlen der Versuche I, II, IV, VI — wobei III und V aus den schon erwähnten
Gründen fortfallen — nach der Menge der Phosphorsäureeinfuhr pro Tag und Kilo
zusammen und beginnen wir mit der niedrigsten Einfuhr, so erhalten wir folgende
Reihe:
Tabelle IV.
A-Versuche (P 2 0 5 ). B-Versuche (P 2 O s ).
Einfuhr
Resorption
j Retention
Einfuhr
Resorption j
Retention
I
0,14
0,09
0,05
0,13
0,10
0,044
VI
0,244
0,149
0,036
0,253
1
0,170
0,048
II !
0,285
0,165
0,055
0,270
0,140
0,030
IV
0,292
0,187
0,073
0,308
0,189
| 0,097
j
0,294
0,195
0,098
Im übrigen können wir mit Keller 15 ) und Gottstein* 7 ) nur betonen,
dass,auch unsere Zahlen kein klares Bild der Vorgänge beim Phosphorstoffwechsel
ergeben, auch nicht mit Hilfe der von uns speziell zu diesem Zwecke bestimmten
CaO- und MgO-Bilanz, auf welche wir noch zurückkommen. Sehr bemerkenswerth
und weiteren Studiums würdig erscheint uns allerdings die Thatsache, dass mit
wachsendem Ueberschuss von Phosphor in der Nahrung die Retention dieses für
den Aufbau des Knochengewebes wie der Nervensubstanz unentbehrlichen Stoffes so
erheblich zunimmt. Wir kommen auf die Schlüsse, die man aus der Menge des
retinierten P auf den Antheil der verschiedenen Gewebe am Wachsthnm ziehen kann,
im Anschlüsse an die Kalkbilanz nochmals zurück.
Das Verhalten des organischen P ergiebt sich aus der folgenden Tabelle V,
welche die Menge des eingeführten P und diejenige der Ausfuhr im Koth für den
-resammten und organischen, sowie für den N auf Kilo und Tag bezogen giebt:
Tabelle V.
Koth
1
Koth
Nah-
Ge-
i
Or-
Verhältnis» 1
i
Nah- 1
Ge- ^
Or-
1 Verhältnis»
rung
I>
sammt, ganischer
P P
von
organischen P
N
rung
P
sammtlganischcr
P P
von
organischenP
N
i
_!
_ J
zuGesamratP 1
i
zuGesammtP
1
0,061
0,022
Spuren
1: x
0,050
0,057 |
0,013
Spuren
1 : oo
0,040
II
0,124
,0,052 j
j 0,0066
1 : 7,9
0,130
0,118 |
0,057
0,0055
1 : 12,7
0,140
III
0,139
0,087 '
0,0045 j
1 : 19,3
0,238
0,154 1
0,093
0,0033
1 : 28,2
1 0,267
IV a
0,127
, 0,046 |
0,0053 |
l : 8,7
0,119
0,134
0,052
0,0030
1 1 : 17,3
0,125
c
0,128
0,043
0,0036 i
1:11,9
0,075
VI
o
o
| 0,041
0,0039 |
1 : 10,5
0,106
0,110
0,036
0,0026
1 : 13,6
0,101
V
j 0,113
| 0,043 |
| Spuren |
! i
1 : x
!
,0,087
i
0,117
| 0,050
, Spuren
| 1 : x
0,076
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
104
W. Cronheim und Erich Müller
Während nach Zusammensetzung unserer Nahrung in dieser der organische P
überwiegt, ist im Koth das Gegentheil der Fall. Dabei beobachten wir aber, dass
entsprechend der grösseren Zufuhr von organischem Phosphor in der lecithinhaltigen
Nahrung — abgesehen von Versuch I und V, bei welchen sich überhaupt nur un¬
wägbare Spuren fanden — sich durchgängig mehr organischer Phosphor im Koth
als bei der lecithinfreien Nahrung findet. Für den Gesammtphosphor im Koth lässt
sich nicht das Gleiche sagen, hier schwanken die Zahlen. Die geringere Ausschei¬
dung von organischem Phosphor im Kothe der B-Reihe findet wohl darin seine Er¬
klärung, dass ein Theil des Phosphors in der Milch in sehr leicht freie P 8 0 5 liefernder
Form vorhanden ist. Es liegt nahe, aus der Menge des organischen Phosphors im Kothe
der B-Reihe, da wir den Nahrungs-P hier hauptsächlich im Kasein zugeführt haben,
auf die Verdaulichkeit dieses einen Schluss zu ziehen, wir unterlassen es jedoch in
anbetracht dessen, dass sich dem Kothe aus den Darmsekreten phosphorhaltige Ver¬
bindungen beimischen, über deren Menge wir nichts wissen und welche bei den
verschiedenen Kindern möglicher Weise auch individuell recht verschieden sein
dürften. Trotzdem erscheint ein Vergleich der Reihen A und B interessant; denn
mag nun ein Unterschied in der P-Ausscheidung durch Nichtresorption oder durcli
Sekretion bedingt sein, er bedeutet auf alle Fälle Unterschiede in der Menge des
dem Kinde zum Aufbau seiner Gewebe zur Verfügung stehenden Materiales. Das
Plus an organischem Phosphor in der Lecithinreihe können wir im übrigen nicht
direkt als im Kothe abgeschiedenes Lecithin auffassen; denn in unseren 7 Versuchen
haben wir nur ein einziges Mal — Versuch IV A — im Aethcrextrakte des Kothes Phos¬
phor, und auch da nur eine sehr geringe Menge — siehe diesen Versuch — gefunden,
welchen wir den üblichen Anschauungen folgend als vom Lecithinphosphor her¬
rührend ansehen können. Dabei wollen wir wiederholen, dass dieser Versuch auch
sonst infolge der grossen Uuruhe des Kindes eine Sonderstellung einnimmt.
Es ist von verschiedenen Seiten versucht worden aus dem Verhältniss von
P: N in Nahrung, Koth und Urin Rückschlüsse auf den Stoffwechsel zu ziehen.
Besonders interessant erscheint es, bei verschiedenen Ernährungsweisen die Menge der
im Körper retinierten N-Menge auf den Phosphor als Einheit bezogen zu berechnen.
Wir haben diese Aufstellung bei unseren Versuchen in der nachfolgenden Tabelle VI
durchgeführt.
Tabelle VI. Verhältniss von P : N.
A-Versuchc
I
11
IV
a c
VI
111
V
Nahrung . . .
. . I : 4,58
1 : 4,58
l : 4,58 1 : 4,69
1 :4,67
1 : 4,02
1 :5,34
Koth.
1 : 2,03
1 : -->,48
l : 2,00 l : 1,73
1 : 2,55
1 : 2,73
1:2,01
Resorbiertes . .
l : 0,03
1 : 0,00
1 : 3,57 1 : 6,22
3,52
1 :0,02
1
1 :6,10
1 : 7,4 1
Urin.
I : 0,77
1 :0,01
1:6,81 1:8,52
! 1 :5,89
1 : 7,59
1:6,13
Ketiniertes . . .
1 s 2,80
1:4,3!) 1:4,01 1:3,05
(3,88)
B-Versuche
1 : 6,43
i
1 : 3,31
1 : 41,5
Nahrung . .
1:4 38
1 : 4,37
1 : 4,42
1 : 4,50
1 :3,92
I : 5.10
Koth.
1 : 3,07
1 : 2,35
1 : 2,39
1 : 2,77
1 : 2,82
1 : 1.51
Resorbiertes .
1 :4,83 ;
1 : 6,40
1 :5,70
1 : 5,35
1 : 5,57
1 : 8,41
Urin.
l : 8,40
1 : 7,30
1 : 7,98
1 :0,00 f
1 : 9,58
1 : 0,98
Retiniertes . . .
. . |N negativ
1 : 2,»»
1:3,52
1:3,82
1:1,80
1: 37,98
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105
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
An der Hand dieser Tabelle ist zu ersehen, dass durchweg bei der lecithinhaltigen
Nahrung mehr N im Verhältniss zu 1* vom Körper zurückgehalten worden ist als
hei lecithinfreier Ernährungsweise. Besonders bemerkenswerth ist dies für Ver¬
such V, dessen absolute Werthe für die N-Retention ein geringes Plus zu Gunsten
der lecithinfreien Nahrung zeigen. Was die meisten unserer Versuche schon bei Be¬
sprechung der N-Bilanz allein ergaben, tritt hier mit aller Klarheit und deutlicher
Gesetzmässigkeit hervor, die Kinder haben immer bei lecithinhaltiger Nahrung und
hei annähernd gleicher Gesammtphosphorzufuhr mehr N auf die Einheit Phosphor
bezogen im Körper zurückgehalten als in den Kontrollversuchen mit lecithinfreier
Nahrung; und dieses Verhältniss ist unbeeinflusst geblieben von allen sonstigen
Differenzen in der Nahrung, in dem Verhalten und dem Alter der Kinder.
Eine gewisse Konstanz im Verhältniss von P: N besteht nur im Kothe, wenn
auch in der B-Reihe die Werthe etwas mehr schwanken als in der A-Reihe. Wie
schon früher hervorgehoben, fanden auch wir, dass der Koth verhältnissmässig
weniger N auf P bezogen als die Nahrung enthält, während im Urin stets die
relative Menge des N überwiegt. Die schon früher erwähnte ausserordentlich ge¬
ringe P-Retention im Versuch V — Milcheidotterversuch — im Vergleich zu den
übrigen Mehlversuchen tritt auch hier durch die im Verhältniss zu P sehr hohe
N-Betention sehr markant hervor.
Stoffwechsel der Fette und Kohlehydrate.
Bei (1er Besprechung desselben können wir uns kurz fassen, da die vor¬
handenen Differenzen nicht in einem Sinne sprechen.
Tabelle VII
der Fett- und Kohlehydrat-Resorption in der Einfuhr:
A-Versuche. B-Versuche.
Fett
Kohle¬
hydrate
Fett
Kohle¬
hydrate
I ^
93,28
100,00
90,32 j
100,00
II
93,11
99,55
87,09
00,87
IV a l
0
93,40
92,32
99,05
99,29
90,43 '
98,52
V1 1
83,44
98,98
89,14
100,00
III
Gl,41
| 96,91
75,28
97,41
V ,
91,52
100,00
89,15
100,00
i
Die Fettausnützung zeigt die gewöhnlichen guten Werthe, auch der — freilich
nicht hohe — Zusatz von Butter wurde, selbst von den ganz jungen Kindern — z. B.
Versuch VIB — gut vertragen. Eine bessere Ausnützung des lecithinhaltigen Fettes
— Brücke 1. c. — lässt sich aus unseren Versuchen nicht ersehen. Nur Kind III
zeigt eine abnorm schlechte Fettausnützung in der Reihe A. Die schon besprochene
Besserung des Kindes im Verlaufe des Versuches zeigt sich hier deutlich durch die
zunehmende Fettverdauung, welche von 61,41 °/ n im A-Versuche auf 75,28 n /.i im
R-Versuche stieg.
Die Kohlehydratausnützung war durchweg, trotz der sehr reichlichen Zufuhr,
eine sehr gute und betrug annähernd 100 °/„. Die geringen Verluste sind wohl
Zeus ehr. f. riiäL a. physik. Therapie Bd. VI. lieft 2. £
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Go igle
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100 W. Cronhcim und Erich Müller
mehr dadurch zu erklären, dass andere Bestandteile des Kotlies, wie Schleim, das
Reduktionsvermögen des Kothes verursachten. Hervorzuheben ist noch, dass selbst
das kranke und relativ sehr jugendliche — 4 Monate — Kind III pro Tag circa
SO g Kohlehydrate zu 97 0 / 0 verdaut hat und weiterhin, dass auch in den ersten
Versuchen, in welchen nicht diastasierte Stärke verabreicht wurde, im Kothc mikro¬
skopisch Stärke nicht nachweisbar war.
Kraftbilanz.
Legen wir der Betrachtung des Stoffwechsels die Verbrennungswärme der
Nahrung und der Ausscheidungen zu Grunde, so ist in erster Linie zu bemerken
(siehe nachfolgende Tabelle VIII), dass wir den Kindern 100—1*28 Kalorieen pro Tag
und Kilo zugeführt haben, mit Ausnahme des Kindes I, welches nur 08 resp. 64 Kalorieen
aufnahm. Als wesentliches Moment tritt die durchweg gute Resorption — etwa
90 o/o der eingeführten Energiemenge — hervor. Nur Kind III zeigt auch hier ge¬
ringere Werthe, nämlich 81 resp. 82 °/ 0 . Ein Unterschied zwischen der lecithinreichen
und lecithinfreien Nahrung lässt sich nicht feststellen; die kleinen Differenzen im
Verhältniss des Fettes zu den Kohlehydraten führen zu keinem nachweisbaren Unter¬
schiede in dem Brennwerth des aus der Nahrung Resorbierten; auch Versuch V —
sehr fettreiche Nahrung — zeigt annähernd gleiche Werthe für beide Nahrungen.
Tabelle VIII.
Energietabelle, berechnet auf Tag und Kilo Körpergewicht.
A-Versuche. B-Versuche.
Einge¬
führt in d.
Nahrung
Resor¬
biert
Energie¬
verlust
durch den
Urin
Resor¬
biert
in o/ 0
.
Energie¬
verlust durch
den Urin in
o/o des Resor¬
bierten
Einge¬
fühlt in d.
Nahrung
Resor¬
biert
.
Energie¬
verlust
durch den
Urin
Resor¬
biert
in o/o
Energie¬
verlust durch
den Urin in
% des Resor¬
bierten
I
67,9 L
64,47
94,94
_
63,74
61,60
_
96,64
_
11
| 102,0
92,8
j 3,8
90,98
4,09
103,1 !
92,94
3,18
90,14
3,42
III
122,0
99,0
—
81,15
—
128,0
105,4
—
82,34
—
IV a
VIb
! 104,3
111,1
96,4
105,3
92,43
94,78
—
105,9
■ 96,8
—
91,41
-
V
93,8
86»,39
3,19
92,10
3,69
98,1
| 90,86
3,76
92,62
4,14
VI
99,3 |
90,8
1,70
91,44
1,87
99,6
92,74
2,73
93,11
2,94
Die Zahlen für den Energieverlust im Harn, welche niemals 3,8 % der ein¬
geführten Energie überschreiten, sind geringer, als sie Rubner ™) für den erwachsenen
Menschen angegeben hat. Dieser fand 4,35 und 4,48 % — 1. c. S. 292 — selbst
bei kohlehydratreicher und fettreicher Kost. Für den Säugling giebt Rubner
(S. 306) bei Kuhmilch den Verlust zu 4,2 °/ 0 , für Muttermilch zu 2,60 % an. Unsere
Werthe entsprechen im Durchschnitt etwa dem von Rubner für Muttermilch ge¬
fundenen, was wohl als Beweis angesehen werden kann, dass wir den Eiweissgehalt,
unserer Nahrung den normalen Ernährungsverhältnissen des Säuglings zweckmässig
angepasst haben.
Die im Kothe verloren gegangene Energie ist nicht bedeutend, was sich ans
der vorzüglichen Ausnützung der die Hauptmenge der Nahrung bildenden Kohle¬
hydrate erklärt. Wenn man die Verbrennungswärme des Kothes auf aschefreie,
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Gck igle
Original fro-m
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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
107
organische Substanz berechnet, wie dies Kühner getlian hat — 1. c. S. 298 — so
findet man im Gegensätze zu ihm nicht unerhebliche Schwankungen. Die extremen
Werthe sind 4,9 Kal. pro Gramm organischer Substanz in Versuch VIb und 7,1 Kal.
in Versuch Vb.
Die kalorischen Quotienten (Tangl)«) d. h. die Kalorieenmenge des Harns, be¬
zogen auf den im Urin ausgeschiedenen N als Einheit, sind:
A-Versuche B-Versuche
II 1:11,3 1:9,35
V 1 : 7,76 1 :8,45
VI 1 : 5,84 1 :8,75
Danach scheidet das ältere Kind — Versuch II, 11M. alt — mehr nicht ganz
abgebaute Substanzen als die beiden jüngeren Kinder, Versuch V und VI — 4 resp.
5 M. alt — auf die N-Einheit bezogen aus. Im Versuch II ist die so berechnete
Energiemenge für die lecithinhaltige Nahrung die grössere, dagegen im Versuche V
und VI für die lecithinfreie Nahrung, lieber den Effekt des Lecithingehaltes der
Nahrung auf die Natur der in den Harn übergehenden Stoffe lässt sich aus den
kalorimetrischen Bestimmungen nichts ersehen. Bei Kuhmilch-Nahrung resp. Kuh¬
milch mit Eidotter sind unsere Werthe des kalorischen Quotienten nur wenig höher
als diejenigen von Rubner — 1. c. S. 302. — Dieser fand bei einem Säugling, der
mit Kuhmilch genährt wurde, 6,93, bei einem Erwachsenen bei gleicher Kost 7,71.
Oer Werth 11,3 in unserem Versuche II kommt der Zahl 12,1, welche Rubner
für Muttermilch angiebt, sehr nahe, trotzdem die Kost in unserem Falle eine so
ganz andersartige war. Auffallend ist der bisher nie so niedrig gefundene Werth
in Versuch VIA 1 :5,84. Wir möchten deshalb betonen, dass derselbe auf drei gut
übereinstimmenden Verbrennungen beruht. Nach diesen sind die Werthe für den
Oesammturin: a) 29,30, b) 32,41 und c) 34,78 Kal., die dazu gehörigen kalorischen
Quotienten: a) 5,4, b) 5,9, c) 6,4. Dass so niedrige Quotienten möglich sind, er¬
gebt sich daraus, dass Harnstoff, für sich verbrennend, den kalorischen Quotienten
von 5.4 ergeben würde.
Stoffwechsel der alkalischen Erden.
Die Zahlen für die Bilanz der alkalischen Erden finden sich auf Tag und Kilo
berechnet in der nachfolgenden Tabelle IX. Betrachten wir zunächst die Resorption
der Salze, so finden wir dieselbe scheinbar sehr ungünstig, was sich aber aus der
bekannten Thatsache erklärt, dass die im Stoffwechsel überschüssigen alkalischen
Erden der Hauptmenge nach nicht durch den Urin, sondern durch den Koth aus¬
geschieden werden. Mit ihnen geht aucli ein grosser Theil der überschüssigen P a 0 5
in den Koth und dementsprechend finden wir, dass im allgemeinen einer grösseren
Zufuhr von Kalk resp. Magnesia eine grössere Ausfuhr im Koth entspricht und dass
annäherd die Menge der PjO s im Kothe — siehe Tabelle I — mit derjenigen der
alkalischen Erden parallel geht.
In Bezug auf die Retention ergiebt sich, was ja bei dem wachsenden Organis¬
mus zu erwarten ist, dass diese meist positiv ausfällt, dass Kalk und Magnesia
ebenso wie P 2 0 5 im Körper zurückbehalten werden. Im allgemeinen scheint
die lecithinhaltige Nahrung die Kalkretention begünstigt zu haben, doch sind die
Zahlen wohl noch nicht beweiskräftig genug, um diese günstige Einwirkung mit
8 *
Original fro-m
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108
W. Oronhcim und Erich Müller
aller Sicherheit behaupten zu können Von den wenigen Fällen einer negativen
Kalkbilanz scheiden die mit kleinen Werthen IIIB und IV0 aus, da die absoluten
Mengen hier so gering sind, dass sie noch innerhalb der Fehlergrenzen fallen.
Tabelle IX.
Mineralstoffbilanz bezogen auf Tag und Kilo.
A-Versuche.
Nahrung | Koth | Resorbiert | Retiniert
J
CaO
Mg°
CaO
MgO
CaO |
MgO i
CaO
MgO
0,050
1
0,018
0,036
0,008
|
0,014
1
0,010
Nicht anzugeben, da
II
0,1035
0,038
0,080
0,029
0,0235
0,009
i.Urin nicht bestimmt
III
0,1596
0,0304
0,1444
0,024
0,0152
0,0064
0,0120
—
iv a
c
0,1048
0,039
0,0724
0,0236
0,0324
0,0154
0,0256
—
0,0764
0,032
0,0748
0,022
0,0016
0,010
- 0,002
—
V*)
0,1122
0,0111
0,1320
0,0105
—0,0198
0,0006
- 0,0249
— 0,0065
VI
0,1268
i
0,0168
0,1020
0,0156
0,0248
0,0012
0,0212
— 0,0028
B-Versuche.
I
0,054
0,0193
0,0200
! 0,0054
0,034
0,0139
i
Nicht anzugoben, da
II
0,1137
0,042
0,0972
0,029
0,0165
0,013
i.Urin nicht bestimmt
III
0,139
0,0468
0,1396
0,0314
—0,0006
0,0154
- 0,0014
IV
0,092
0,030
0,099
0,032
—0,007
0,004
— 0,0116
—
V*)
0,129
0,0123
0,1659
0,0138
—0,0369
—0,0015
- 0,0421
- 0,0066
VI
0,1296
0,0152
0,0984
0,0124
0,0312
0,0028
0,0276
- 0,0028
Es bleiben dann nur noch IV B, V A und B übrig, bei welchen wir, da gleich¬
zeitig eine N-Anlagerung stattgefunden hat, die Kalkabgabe nur durch eine Ein-
schmelzung von Knochengewebe erklären können. Wir werden darauf noch später
zurttckzukommen haben.
Um zu sehen, wo im Körper zurückgehaltene Mineralstoffe vorwiegend ihre
Verwendung finden, müssen wir von dem bekannten Verhältniss der Elemente in
den wichtigsten Organen des wachsenden Menschen ausgehen. Es kommen hier
wohl in erster Linie in Betracht die Muskeln, das Blut, die grossen Drüsen, als
deren Repräsentant wir etwa die Leber ansehen könnnen, die Nervensubstanz —
speziell Gehirn und Rückenmark — und die Knochen. Unter diesen Geweben ent¬
halten nur die Knochen erhebliche Mengen von Kalk. Wir können deshalb aus dem
retinierten Kalk die angesetzte Knochensubstanz und die zu ihrem Aufbau ver¬
wendeten Mengen von N und F berechnen. Der nun noch verbleibende Ueberschuss
der beiden letzteren Elemente ist den anderen wachsenden Geweben des Körpers
gut zu schreiben.
Als Basis für diese Berechnung dienen die folgenden bekannten Werthc:
In 100 g frischen Knochen sind enthalten: 3,89 g N, 22,3 g CaO, 10,09 g I’ v O-,.
Ferner bilden sich auf 100 Tlieile Muskel 7 Theile Blut, was bei der Berechnung
für den Ansatz im lebenden Organismus natürlich zu berücksichtigen ist. Nun ent-
' i Nahrung: bestellt aus sterilisierter Milch.
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Versuche über «len Stoff- und Kraftwcchsel des Säuglings. 101)
halten 100 Theile Muskel 3,4 Theile N, 0,008 CaO und 0,49 Theile P,0 M 100 Theile
Blut enthalten 3,25 Theile N, 0,007 CaO und 0,076 P 2 0 8 . Danach enthalten
100 Theile Muskel -f- Blut 3,40 Theile N, 0,008 CaO und 0,46 P 2 0 5 . Wir können
daraus für die Vertheilung der P,0 5 die folgenden Werthe berechnen:
Tabelle X.
A-Versuche. B-Versuche.
\\t-
Gcsamiut-
inengeder
davon geht ab
Es bleibt
Gesammt-
menge der
davon geht ab
Es bleibt
reti¬
nierten
P 2 0.-,
für
Knochen¬
bildung
ander-
I
ander-
Midie
für
Muskel- und
Blutbildnng
weitig
verfügbar
reti¬
nierten
P 2 0 6
für
Knochen- j
bildung
für
Muskel- und
Blutbildung
weitig
verfügbar
111
0,670 g
0,141
0,127
0,402
1,097
kein
0,117
0,980
entsprechend
entsprechend
Knochen-
entsprechend
etwa 1,0 g
etwa 28 g
wachsthum
etwa 25 g
frischen
Muskel- und
Muskel- und
Knochen
Blutsubstanz
Blutsubstanz
a
2,239
0,558
0,504
1,177
IV
entsprechend
etwa 3,5 g
entsprechend
etwa 110 g
2,886
Kalkabgabe
(—0,349)
0,60
entsprechend
1 2,286
c
2,880
kein
0,674
1 2,212
etwa 131 g
Knochen¬
entsprechend
wachsthum
etwa 147 g
!
V ,
0,092
Kalkabgabe
0,224
J negativ
0,108
Kalkabgabc
0,241
negativ
(__0,485)
entspricht
(-0,609)
entsprechend
etwa 50 g
I
i
etwa 52 g
VI
0,W.»
0,287
0,245
<M37
0,958
1 0,375
0,204
0,379
entsprechend | entsprechend
i
1
! entsprechend
| entsprechend
etwa 1,8 g
etwa 53 g
i
etwa 2,3 g
etwa 44 g
Es fällt.auf, dass ausser in Versuch V stets mehr P angesetzt wird, als für
Knochen- und Muskelbildung erforderlich ist, es wird dadurch wahrscheinlich,
dass auch die phosphorreichen Gewebe, wie sie etwa in der kernreichen Thymus¬
drüse, vor allem aber in den Geweben des Centralnervensystems vorliegen, am Wachs-
thnm erheblich betheiligt sind. Wir werden dabei daran denken müssen, dass im
Centralnervensystem nicht nur die gesammte Masse zunimmt, sondern dass die
Bildung der Markscheiden um die zur Zeit der Geburt noch marklosen Nervenbahnen
s ehr erhebliche Mengen von phosphorhaltigen Verbindungen beanspruchen**).
Auffallend gross ist die negative Kalkbilanz in Versuch V A und B, es er¬
scheint dies um so bemerkenswerther, als die eingeführten Salzmengen durchaus den
*) In diesem Versuche genügt die Menge der retinierten P 2 0 5 nicht, um die'Bildung von
Muskel- und Blutsubstanz entsprechend dem retinierten N zu erklären. Gleichzeitig hat aber eine
nicht unbeträchtliche Knochcneinschmelzung stattgefunden, und es ist anzunehmen, dass der Körper
sich aus der hierbei freigewordenen P 2 0 5 (A-Versuch = 0,350, B-Versuch = 0,445 g) die zum Auf¬
bau nothwendige Menge genommen hat.
’*) Vergl. dazu auch die interessante Arbeit von Büro w (Zeitschrift für physikalische Chemie
1900. Bd. 36. S. 496 ff.): Der Lccithingchalt der Milch und seine Abhängigkeit vom relativen Him-
gewiebt des Säuglings.
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110 W. Cronheim und Erich Müller
der übrigen Versuche entsprechen. Dabei möchten wir an die oft aufgestellte Be¬
hauptung erinnern, dass durch die Sterilisation der Milch auch die Verdaulichkeit
der Salze leidet.
Diesen Versuch können wir als eine Bestätigung der vielfach ohne exakte
Unterlagen erhobenen Behauptung hinstellen, dass die Sterilisation der Milch das
Knochensystem ungünstig beeinflusse. Ein sehr interessantes Gegenstück zu diesem
Ergebniss bildet Versuch IIIA, wo trotz einer für die Gesammtheit der Salze negativen
Bilanz doch noch ein nicht unerheblicher Ansatz von Kalk stattfand. Die bei Bereitung
dieses Mehlpräparates angewendete niedrige Temperatur verhütet offenbar jene ihrer
Natur nach unbekannte Schädigung der Milch, welche sich nach dem Sterilisieren
in so prägnanter Weise offenbart. Der schlechten Verwerthung des Kalkes aus der
sterilisierten Milch in Versuch V geht eine ebenso schlechte der P a O s parallel,
welche in auffallendem Gegensätze zum relativ reichlichen Ansatz von N steht.
Wir wiederholen zur besseren Uebersicht noch einmal für Versuch V die Werthe
der Retention in °/ 0 des Resorbierten:
Versuch A Versuch B
‘20,39 o/o N 20,83 «/„ N
3,66 °/o P•>0 5 4,64 o/o Po 0 5
Körpergewicht und Wasserbilanz.
Die GewichtsVeränderungen lassen aus bekannten Gründen — Kürze der Zeit,
Lagerung der Kinder — keine sicheren Schlüsse auf Stoffansatz resp. Abgabe zu.
Nach den Gewichtszahlen der Versuche (siehe diese), in welchen wir über tägliche
Wägungen verfügen, scheint es nicht ausgeschlossen, dass, vielleicht durch die
Lagerung bedingt, eine Wasserretention stattgefunden hat, wodurch eine Beziehung
zwischen Stoffansatz und Gewichtszunahme illusorisch würde. Für Versuch I
trifft dies allerdings nicht zu, da das Kind sich frei bewegte; sehr auffallend ist
hier bei IA die N-Retention von 3,169 g N — etwa entsprechend 100 g Fleisch —
bei einer Gewichtsabnahme von 346 g, in I B eine N-Abgabe von 0,259 g — ent¬
sprechend etwa 8 g Fleisch — bei einem Gewichtsverlust von 793 g. Eine theil-
weise Erklärung ergiebt sich daraus, dass das Kind an den dem Versuche voraus¬
gehenden Tagen reichlich gemischte und dabei wasserreiche und viel Koth bildende
Kost erhielt, der Körper dementsprechend wasserreicher und die Darmfüllung er¬
heblicher war. Während des ersten Versuchstages schied das Kind grosse Mengen
Harn und Koth ab, wodurch sicli der Gewichtsabsturz am zweiten Versuchstage er¬
klärt. Einer Wassereinnahme von 1000cm 3 pro Tag steht in der A-Reihe eine
durchschnittliche Urinmenge von 900 cm 3 , in der B-Reihe eine solche von 1077 cm 3
gegenüber, diese Zahlen genügen, um zu zeigen, dass der Gewichtsverlust im wesent¬
lichen durch Ausscheidung überschüssigen Wassers aus dem Körper bedingt worden
ist. In Versuch VA betrug die tägliche Wassereinnahme 756 cm 3 , die Urinaus¬
scheidung 760 cm 3 . Auch hier muss also ein erheblicher Wasserverlust des Körpers
als Erklärung für die Gewichtsabnahme trotz N-Ansatzes dienen.
Ein Parallelismus zwischen N-Retention resp. dem sich daraus berechnenden
Fleischansatz und der Gewichtsveränderung innerhalb der Versuche lässt sich an der
Hand der nachfolgenden Tabelle XI nicht erkennen, wir finden häufig Gewichtsab¬
nahme bei N-Retention, einmal auch Gewichtszunahme bei N-Abgabe.
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111
Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
Gewichtstabelle XI.
A-Versuche B-Versuche
Gewichts-
Fleisch-
Gewichts-
1 Fleisch-
Veränderung
ansatz
Veränderung
ansatz
1
—346 (—180 g)*)
g
—793 (—335 g)*)
-8 g
II
+ 140 g
83 g
- 30 g
22 g
III
-30 g
30g
-134 g
26 g
IV j*
b
+190 g
+382 g
116 g
149 g
+285 g
133 g
V
-29 g
50 g
+242 g
53 g
VI
-10 g
56 g
+ 65,5 g
-9 g
Tbierversuche.
Im Anschlüsse an unsere Versuche an Kindern haben wir zwei Versuche an
Thieren — männliche und weibliche in gleicher Vertheilung — angestellt, um
eventuell, abgesehen von äusserlich wahrnehmbaren Differenzen — Grösse, Gewicht
ii. s. w. — auch Unterschiede an den inneren Organen und Knochen beobachten zu
können. Die eingangs erwähnten Forscher hatten ihre Lecithinstoffwechselversuche
an Thieren angestellt, uns sollten die Thierversuche mehr eine Ergänzung unserer
Untersuchungen an Kindern bilden.
Versuch I.
Als Versuchsthiere dienten fünf junge Hunde — ca. vier Wochen alt —, welche
angeblich aus demselben Wurf stammten. Als Nahrung diente ihnen gleichmässig
ein Gemenge aus Milch, Reismehl und Butter. Dazu erhielten drei Hunde trockenes
Eidotter und zwar in dem gleichen (G°/ 0 ) prozentualen Zusatz, wie wir es bei den
Kindern gegeben hatten, die anderen bekamen an Stelle des Eidotters eine ent¬
sprechende Zulage von Butter -|- Plasmon. Die sehr geringe Differenz an P bei
diesen wurde durch Natriumphosphat, die an Eisen durch einen Zusatz von wein¬
saurem Eisen ausgeglichen. Die Nahrungszufuhr berechneten wir nach der Ober¬
fläche der Thiere, d. h. proportional dem Quadrate der dritten Wurzel aus dem Ge¬
wichte. Der Versuch dauerte drei Monate, im Laufe derselben starb das eine Thier
der Eidotterreihe, die Sektion ergab als Ursache eine Pneumonie. Augenfällige
Unterschiede traten in der Versuchszeit nicht zu Tage, die Thiere entwickelten sich
im allgemeinen gut, aber in beiden Reihen gleichmässig. Die Thiere wurden dann
durch Verbluten getötet, die inneren Organe gewogen und die grösseren Röhren¬
knochen zur makroskopischen Untersuchung des Markes geöffnet. Es zeigte sich
dabei, dass die Gewichte der einzelnen Organe, Gehirn, Herz, Leber, Milz, Nieren und
ebenso der einander entsprechenden Knochen im Verhältniss zum Körpergewicht der
einzelnen Thiere, annähernd die gleichen waren. Dagegen war ein deutlicher
Unterschied in der Entwicklung der Knochen zwischen beiden Reihen zu erkennen,
und zwar war das Mark der Eidotterhunde gelb, fettreicher, das der Plasmon¬
hunde roth, blutreicher und fettärmer. Da die Umwandlung des rothen Knochen-
*) Bei Abrechnung des Gewichtssturzes am ersten Versuchstage.
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112 VV. Cronheim und Erich Müller
markes in gelbes im Laufe des Wachsthums regelmässig erfolgt, so müssen wir die
Eidotterhunde als in dieser Hinsicht weiter fortgeschritten ansehen. Die Differenz
war so klar, dass an einer weiter vorgeschrittenen Knochenbildung der Eidotter-
thiere nicht gezweifelt werden konnte, dem entsprach, dass die Knorpelschicht an der
Epiphyse bei diesen weniger stark war als bei den Plasmontliieren.
Versuch II.
Dieser auffallende und einheitliche Knochenbefund regte uns zu einem zweiten Ver¬
suche an. Um sicher zu gehen, Thiere desselben Wurfes zu benutzen, verschafften
wir uns trächtige Meerschweinchen, deren Junge — in unserem Laboratorium ge¬
worfen — dann zum Versuche dienten. Der Versuch begann mit den etwa vier
Wochen alten Thierchen. Als Grundlage der Nahrung diente wieder anfangs Milch,
später wurde dieselbe allmählich ganz durch Hafer ersetzt, welchem etwas Mohrrübe
zugefügt wurde. Dabei erhielt eine Reihe trockenes Eidotter, die andere eine ent¬
sprechende Menge Plasmon und Butter und Spuren von phosphorsaurem Natrium.
Die Menge der Nahrung wurde nach dem Gewichte berechnet. Die Ernährung
durch Milch musste nach wenigen Wochen durch die Hafernahrung ersetzt werden,
da die Entwicklung der Thiere zu wünschen übrig liess. Am Anfänge des Versuches
starb ein Thier jeder Reihe, die Sektion ergab Lungenentzündung. Auffällig war
während des Versuches nur die grössere Fresslust der Eidotterthiere. Nach circa
drei Monaten wurde der Versuch abgebrochen, da wieder je ein Thier an Lungen¬
entzündung starb. Die übrig gebliebenen Thiere — zwei Eidotter- und ein Plasmon¬
thier — wurden getötet. Die Organe wurden gewogen, die Knochen zum Theil
herauspräpariert und untersucht. Als auffälliger Befund liess sich konstatieren, dass
die Dotterthiere — auch das gestorbene — eine ausgesprochene Fettleber zeigten,
dabei waren auch die Gewichte der Leber bei annähernd gleichem Körpergewichte
erheblich grösser. Die übrigen Organe zeigten weder in der Struktur noch im Ge¬
wichte nennenswerthe Unterschiede, ebensowenig das Knochenmark der Thiere beider
Reihen. Die Gewichtszunahme dagegen war bei den Eidotterthieren eine grössere.
Während das durchschnittliche Anfangsgewicht der Plasmonthiere 270 g, das End¬
gewicht 315 g betrug, sind die entsprechenden Zahlen für die Eidotterthiere 237,5
und 300 g. In dem einen Palle also eine durchschnittliche Zunahme von 45 g, in
dem anderen eine solche von (52,5 g oder eine Differenz von ca. 19°/ 0 zu Gunsten
der Eidotterthiere. Der prozentuale Phosphorgehalt der Gehirne zeigte keine ein¬
deutigen Unterschiede.
Die Gewichtszunahme bei den Lecithinthieren ist um so bedeutsamer, als sic
die kleineren waren, also pro Kilo Körpergewicht einen grösseren Nährstoffbedarf
hatten. Da nun die Nahrung nach dem Gewicht verabreicht wurde, war sie bei den
Eidotterthieren eine knappere. Wenn die Thiere trotzdem an Gewicht stärker Zu¬
nahmen, so ist das nur entweder durch eine bessere Ausnützung der Nahrung oder
durch einen reichlic heren Ansatz der bei gleichem Kraftwerth mehr wiegenden Ei¬
weisskörper”"?u~"erklären. Es~sei daran erinnert, dass, wenn ein Nahrungsüberschuss
von 100 Kal. zum Fettansatz dient, er nur etwa 11 g Körperfett liefert, während
bei P’leischbildung’etwa 120. g zum Ansatz gelangen. Wenn diese Erwägung richtig
ist, würden die Versuche an- Meerschweinchen in guter Uebereinstimmung stehen mit
den Erfahrungen am'Kinde, wonach die dotterhaltige Nahrung den N-Ansatz fördert.
Es wäre erwünscht, weitere Versuche zu machen, in welchen die Nahrungsaufnahme
der Willkür der Thiere überlassen wird, um zu kontrollieren, wie weit die Angaben
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Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
113
der Autoren über die Anregung des Appetites und der Assimilation durch das
Lecithin zutreffend sind.
Wir können die wichtigsten Ergebnisse unserer Arbeit in folgenden Sätzen
zusammenfassen:
I. Wenn man bei dem wachsenden Säugling aus dem Kalkansatz
das Wachsthum der Knochen berechnet und den über den
Bedarf der Knochen hinaus angesetzten N als zur Fleisch- und
Blutbildung benutzt in Rechnung stellt, so findet man, dass
die Menge des für diese Neubildungen nothwendigen P bei
weitem nicht so gross ist, wie die wirklich angesetzte T-Mengc.
Es müssen also die phosphorreichen Gewebe, Nervenmark und
kernhaltige Drüsen, am Stoffansatz des ersten Lebensjahres
erheblich betheiligt sein.
II. Es ist für die Assimilation nicht gleichgültig, in welcher Form
der P aufgenommen wird. Das Wachsthum der N-haltigen Gewebe
wird ein wesentlich grösseres bei gleicher Zufuhr von Eiweiss¬
körpern und Gesamtnahrung, wenn ein Theil des T in Form von
Eidottjer zugeführt wird. Wahrscheinlich ist es das Lecithin
des Eidotters, welches hierbei bedeutungsvoll ist. Es empfiehlt
sich daher bei der Ernährung des Kindes frühzeitig die Ver¬
wendung des Eidotters.
III. Sterilisierte Milch ist w'eder allein noch in Verbindung mit
massigen Mengen von Eidotter im stände, eine genügende
Knochenbildung zu ermöglichen. Im Gegentheil erwies sich
trotz reichlicher^Zufuhr aller Knochen bildenden Mineralstoffc
die Kalkbilanz bei der Ernährung mit sterilisierter Mich als
negativ. Die praktische Erfahrung findet in diesen Versuchs¬
ergebnissen eine exakte Bestätigung.
Herrn Professor Zuntz, welcher uns bei der Arbeit mit Rath und That. zur
>eite stand, sagen wir für die uns bewiesene Liebenswürdigkeit unseren verbind¬
lichsten Dank.
Mit gebührendem Danke sei gleichzeitig hervorgehoben, dass ein Theil der zu
•liesen Versuchen erforderlichen beträchtlichen Mittel uns vom Kuratorium der
Lnitin von Bose-Stiftung zur Verfügung gestellt worden ist.
Litteratur-Zusammenstellung.
A. Phosphor und Lecithin betreffend
>i Brücke, Vorlesungen über Physiologie 1875. 2. Aufl. Bd. 1. S. 27o.
Siegfried, Zeitschrift für physiologische Chemie 1895. Bd. 21. S. 5(>0.
Danilewsky, Compt. rend. deTAkademie desScienc. 30. Dezember 1895 und 20. Juli 1890 .
4 .» Umikoff, Dissertation. Petersburg 1895
: ') Stoklasa, Zeitschr. f. phys. Chemie 1897. Bd. 23.
Marcuse, Pflügers Archiv 1897. Bd. 67. S. 382.
: ) F. Roh mann, Berl. klin. Wochenschr. 1898. No. 36.
*) Wröblewsky, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1898. Bd. 20.
■•) Steinitz, PflfigeFs Archiv 1898. Bd. 72 S. 75.
lu ) Zadik, ebenda 1899. Bd. 77. S. 1 u. ff.
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114 W. Cronheim u. Erich Müller, Versuche über den Stoff- und Kraftwechsel des Säuglings.
n) Leipziger, ebenda 1899. Bd. 78. S. 402.
12) Caspari, Zeitschr. f. diätet u. physikal. Therapie 1899. Bd. 3. Heft 5.
13) Danilewsky, Wratsch 1899. No. 17. (Ref. in Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie
1900. Bd. 4. S. 418.)
14) Ehrlich, Inaugural-Dissertation. Breslau 1900.
iö) Keller, Archiv f. Kinderheilk. 1900. Bd. 29. Heft 1. S. 1 u. ff.
iß) Knöpfelmacher, Jahrb. f. Kinderkeilk. 1900. Bd. 52 (3. Folge. Bd. 2. Ergänzungs¬
heft). S. 545.
17) 0. Loewi, Archiv f. experim. Path. (Schmiedeberg) 1900. Bd. 44. Heft 1 u. 2.
i3) E. Wildiers, La cellule 1900. Bd. 17. Heft 2.
12) Cronheim und E. Müller, Jahrb. f. Kinderheilk. 1900. Bd. 52 (3. Folge. Bd. 3.). S. 300.
20 ) Desgrez und A. Zaky, Compt rend. de la sociötö de Biologie 1900. Sitzung vom 4. August.
S. 794. 1900. Sitzung vom 15. Juni. S. 647. 1901.
21) Claude et A. Zaky, Gazette des hospit. 1901. No. 113.
22) A. Gilbert et L. Fournier, Compt. rend. de la sociötö de Biologie 1901. Sitzung vom
9. Februar. S. 145.
23 ) Carriöre, Compt rend. de TAcademie des scienc. 1901. Bd. 133. S. 314.
24) Lancereaux >ebenda 1901. Sitzung vom 10. Juni.
25) Lancereaux et Paulesco, ebenda 1901. Sitzung vom 18. Juni.
2ß) IIj i n, Wratsch 1901. No. 22. S. 1132. (Ref. in Chemiker-Zeitung 1901. Repertorium S. 335).
27) Gottstein, Inaugural-Dissertation. Breslau 1901.
2») Keller, Zeitschr. f. diätet. u. physikal. Therapie 1901. S. 697.
2 ü) Schlossmann, Jahrb. f. Kinderheilk. 1901. Bd. 54 (3. Folge, 4. Bd.). Heft 5.
B. Anderweitige Litteratur.
30 ) Bieleru. Schneidewind, Die agrikulturchem.Versuchsstation Halle a S. 1892. (Märker.)
31) Bendix, Therapeut. Monatshefte 1895. Juli.
32) Kellner, Landwirtsch. Jahrb. 1896. S. 297.
33) Camerer u. Söldner, Zeitschr. f. Biologie 1896. Bd. 23. S. 43.
34 ) Bendix, Jahrb. f. Kinderheilk. 1896. Bd. 43.
36) Dormeyer, Pflügeris Archiv 1897. Bd. 65.
ao) Lange u. Be rend, Jahrb. f. Kinderheilk. 1897. Bd. 44.
37) Heubner u. Rubner, Zeitschr. f. Biologie 1898. Bd. 36. S. 1.
36) Camerer u. Söldner, Zeitschr. f. Biologie 1898. S. 277.
32) Koenig, Zeitschr. f. Unters, v. Nahrungs- u. Genussmittcln 1898. S. 1.
40 ) Heubner, Berl. klin. Wochenschr. 1899. No. 1.
41) Hausmann, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1899. S. 95.
42 ) A. Neumann, Vcrh. d. physiol. Ges. zu Berlin. 10. November 1899.
43) E. Wörner, ebenda.
44) Tan gl, Archiv für (Anat. und) Physiol. 1899. Supplementband S. 259.
45) Bendix u. Finkeistein, Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 42. S. 672.
46) Backhaus u. Cronheim, Berichte des landw. Instit. (Königsberg) 1900. No. 5.
47) Kobrak, Pflügeris Archiv 1900. Bd. 80. S. 69.
48) Blum, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1900. S. 36 ff.
42) Kutscher, Zeitschr. f. physiol. Chemie 1901.
56) Rubner, Zeitschr. f. Biologie 1901. Bd. 42. S. 292.
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115
Paul Lazarus, Zur Frage der hemiplegischen Kontraktur.
IV.
Zur Frage der hemiplegischen Kontraktur.
Erwiderung auf die Bemerkungen des Herrn Privatdozenten Dr. Ludwig Mann,
betreffend meinen Aufsatz auf S. 550 ff. Bd. 5 dieser Zeitschrift.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von
Dr. Paul Lazarus.
Ehre und Wahrheit der Wissenschaft gebieten einen Standpunkt zu verlassen,
dessen Haltlosigkeit man erkannt hat. Trotz Hochhaltung dieses Grundsatzes be¬
harre ich bei meiner in der Frage der Entstehung der hemiplegischen Kontraktur
aufgestellten Theorie; denn die Gegengründe des Herrn Privatdozenten Mann sind,
wie mir scheint, mit einer Reihe von Thatsachen nicht vereinbar.
Der genannte, hervorragende Forscher steht auf dem Standpunkte, dass zur
Entstehung der hemiplegischen Kontraktur eine theilweise Intaktheit der
Pyramidenbahn nothwendig ist. In der letzteren sollen eigene Faserzüge für die
Erregung bezw. Erschlaffung der einzelnen Muskelgruppen verlaufen; die erregenden
Fasern für bestimmte Muskeln, z. B. für die Strecker fallen nun mit den Er-
M'hlaffungsfasern für ihre Antagonisten i. e. die Beuger zusammen und umgekehrt.
Bei der Hemiplegie sollen nun nach Mann nur die Erregungsfasern der Agonisten,
z. B. der Armstrecker und folglich auch nur die mit ihnen zusammenfallenden Er-
schlaffungsfasern der Antagonisten i. e. der Armbeuger gelähmt sein; hingegen soll
das zweite Fasersystem: die Erregungsfasern der Armbeuger und die Erschlaffungs¬
fasern der Armstrecker erhalten sein. Das Resultat dieser »theilweisen Intaktheit
der Pyramidenbahn« ist daher eine schlaffe Lähmung der Armstrecker und eine
Kontraktur der Armbeuger.
Gegen die Mann’sche Theorie sprechen nun eine Reihe klinischer, experimen¬
teller und anatomischer Thatsachen.
In klinischer Beziehung sind die Ausbreitung und die Art der hemi¬
plegischen Lähmung mit der Mann’sehen Hypothese nicht in Einklang zu
bringen. In der inneren Kapsel verlaufen bekanntlich die von den entsprechenden
Rindenherden ausgehenden Fasersysteme für Gesicht, Arm, Bein, Zunge und linker¬
seits auch für die Sprache so nahe beisammen, dass ein einziger, relativ kleiner
Blutherd sie alle zusammen lähmen kann. Die typische Ausbreitung der Kapsel-
lähmung auf eine ganze Körperhälfte ist somit der Ausdruck einer Totalzerstörung
der Pyramidenbahn. Die Annahme, dass bei einer typischen Kapselhemiplegie die
Bengefasern für den Arm isoliert verschont und nur die Streckfasern isoliert zerstört
sein sollen, ist — abgesehen davon, dass beide unmittelbar neben einander ziehen
— auch mit der Ausbreitung der Lähmung auf den Facialis und das Bein, deren
Pyramidenfasern in der Kapsel vor bezw. hinter der Armbahn liegen, nicht vereinbar.
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116
Paul Lazarus
Eine zweite, mit der Mann’sehen Theorie kontrastierende Thatsache liefert die
Analyse der Lähmung selbst. Sämmtliche Muskeln der gelähmten Extremitäten
erfahren bei der typischen Hemiplegie eine starke Einbusse ihrer motorischen Kraft.
Niemals sind die Antagonisten von der Lähmung verschont. (Mit Anta¬
gonisten wollen wir die kontrakturierten Muskeln, z. B. die Armbeuger bezeichnen.)
Der schwere Hemiplegiker kann den Arm aktiv weder abbiegen noch ausstrecken.
Wären die Strecker wirklich erschlafft und gelähmt, die Beuger hingegen erhalten
und erregt, so müsste eine maximale, spitzwinklige Kontraktur resultieren. In der
Tiegel überschreitet aber die Kontraktur nicht den rechten Winkel.
Die Antagonisten sind somit nicht nur hypertonisch, sondern gleich¬
zeitig auch paretisch. Aber auch bei den Agonisten geht die Parese mit Hyper¬
tonie einher. Sowohl bei dem passiven Streckungs- als auch Beugungsversuch des
Armes ist ein gewisser Widerstand zu überwinden, welcher in dem letzteren Falle
von dem hypertonischen Triceps herrührt.
Man darf eben zum Studium der Kontrakturentstehung nicht die veralteten
Fälle heranziehen, bei welchen die Agonisten durch Ueberdehnung und Unthätigkeit.
geschwunden sind und die gleichfalls durch die Inaktivität atrophierten Antagonisten
infolge der langdauernden Kontraktur retrahiert sind. Die Finger der alten
Hemikontraktur führt die Sehnen- und Fascienschrumpfung in die Beugestellung
zurück. In dem Vorstadium der Spätkontraktur, welches zwischem dem Ende der
Reaktionszeit der Apoplexie und der Ausbildung der Kontraktur liegt, erweisen sich
gewöhnlich auch die Antagonisten als gelähmt; bei den schwersten Fällen voll¬
ständig, bei den mittelschweren nur geschwächt. Gelingt es, die bereits ausgebildete
Kontraktur vorübergehend zu lösen — nach dem Erwachen oder im warmen Bade,
durch Schüttei- oder atonische Gymnastik —, dann können die Kranken ihre Finger
in geringem Grade aktiv beugen und strecken; bald fallen aber die Finger gegen
den Willen des Kranken rein passiv in die Kontrakturstellung zurück; ebenso ver¬
hält es sich am Arm. Die Rückkehr zur Kontraktur ist somit eine willenlose
Bewegung, welche der Kranke aktiv weder in einer bestimmten Phase aufhalten
noch verstärken kann.
Mit dem Nachweise der Parese der Antagonisten wäre auch eigentlich der Nach¬
weis der Hypertonie der Agonisten erbracht, denn nach Mann’s eigener Anschauung
fallen die Bewegungsfasern der einen mit den Erschlaffungsfasern der anderen Muskel¬
gruppe zusammen.
Die nächste Streitfrage bietet das Verhalten des Muskeltouus und der
Sehnenr.eflexe; gewöhnlich sind beide gleichzeitig gesteigert oder gleichzeitig
abgeschwächt. Der Muskeltonus ist der Muskelreflex. Nur in ganz vereinzelten,
anatomisch noch nicht klar gestellten Fällen geht Atonie mit Erhöhung der Sehnen¬
reflexe einher. In der Regel weist aber die Steigerung der Sehnenreflexe auf eine
Erhöhung des Muskeltonus hin, wie es auch Oppenheim in seinem Lehrbuch der
Nervenkrankheiten 3. Aufl. 1902 beschrieben hat.
Mann negiert nun die Reflexsteigerung der Agonisten bei der
hemiplegischen Kontraktur. Die Sehnenreflexe der agonistischen Muskelgruppen
sind bereits unter normalen Verhältnissen infolge der tiefen Lage der Sehnen
schwerer auszulösen und infolge der geringeren Stärke ihrer Muskeln schwächer
als die der kräftigeren, mit oberflächlichen Sehnen ausgestatteten Antagonisten (Quadri-
eeps, Gastroknemius). Immerhin sind aber die Reflexe der Agonisten im Voistadium
oder bei zeitweiser Lösung der Kontraktur entschieden verstärkt, wovon man sich z. B.
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117
Zur Frage der liemiplegischeu Kontraktur.
am Triceps leiclit überzeugen kann. Im Stadium der Kontraktur der Antagonisten
sind natürlich die Reflexe der überdehnten Agonisten kaum auszulösen, weil ja die Vor¬
bedingung für jede Reflexprüfung der Wegfall der Muskelspannu'ng ist.
Riesen Tunkt hat Mann nicht berücksichtigt, ebensowenig den Umstand, dass
die Agonisten, z. B. die Dorsalflexoren, bei ihrer Kontraktion nicht allein die »Eigen-
schwere des Fusses«, sondern vor allem den mächtigen Widerstand des kon-
traktnrierten Gastroknemius zu überwinden haben, wozu auch seitens des
Untersuchers ein erheblicher Kraftaufwand erforderlich ist. Bei Entspannung der
antagonistischen Muskelgruppen wird man die Reflexe der Agonisten gewöhnlieh
deutlich erhöht Anden.
Mann lässt ferner als Zeichen der Hypertonie nur die Behinderung der
passiven Beweglichkeit gelten, zu deren Nachweise er sich brüsker Bewegungen
bedient Nach meiner Erfahrung verstärken brüske Bewegungen die Kontraktur
oder lösen sie erst aus. Um aber die Kontraktur unbeeinflusst durch äussere Reize
zu prüfen, muss man zart, geradezu sondierend Vorgehen. Bei dieser Prüfung wird
man bei den nicht veralteten und mit Schrumpfungsvorgängen komplizierten Kon¬
trakturen häufig nicht nur bei der Armstreckung, sondern auch bei der Armbengung
eine Erschwerung der passiven Beweglichkeit finden, wobei die Spannung des Triceps
dcht- und fühlbar zunimmt. Diese Spannung tritt im ersten Augenblick der Be¬
wegung ein und fällt dann gewöhnlich fast ruckweise ab.
Aus allen diesen klinisch festgestellten Erfahrungen geht somit hervor, dass die
Parese mit Hypertonie einhergehen kann, dass sowohl die Antagonisten als auch
die Agonisten paretisch sind und dass man daher eine »theilweise Intaktheit« der
Pyramidenbahn ebensowenig annehmen kann, als eine theilweise Intaktheit der von
ihr beherrschten Muskulatur.
Mann hat seiner Betrachtung zum grössten Theile die untere Extremität
zu Grunde gelegt. Ich habe aber ausdrücklich hervorgehoben, dass am Bein die
Verhältnisse wesentlich anders liegen, als am Arm. Die unteren Extremitäten
werden beim Stehen und Gehen synergisch in Aktion versetzt; diejenigen Muskeln
des Beines, welche synchron und synergisch arbeiten (Stehmuskeln), werden von
beiden Hemisphären versorgt; bei einseitigem Hemisphärenherd restituieren sich
daher die Streckmuskeln besser als die Beugemuskeln.
»Am Arm ist jedoch die Sachlage anders; je selbstständiger ein Muskel-
mcchanismus wird, desto mehr wird seine centrale Innervation ausschliesslich in
eine Hemisphäre lokalisiert.« (S. 552 ff. 1. c.) Die Intensität der Lähmung hält Schritt
mit dem Grade der bewussten Selbstständigkeit der Funktion; je automatischer eine
Üowegung erfolgt, desto eher erfolgt ihre Restitution, und je mehr sie dem Willen
unterworfen ist, desto ungünstiger ist die Aussicht auf ihre Wiederherstellung Der
Uestitutionsvorgang verläuft umgekehrt ihrer Lähmungsstärke. Die aufsteigende Stufen¬
leiter der Lähmung bildet die Reihe: Rumpf — Bein — Arm. Selbst am Arm
wächst die Lähmung von der Schulter bis zu den Fingern, welche die voll¬
kommensten Willensbewegungen repräsentieren. Für die doppelseitig innervierten
Maskein übernimmt die andere Hemisphäre die Kompensation; den anderen Muskel-
Gruppen stehen noch eine Reihe von Nebenbahnen ausserhalb der Pyramidenbahn
(extrakapsuläre Bahnen) zur Verfügung, während für die im strengen Sinne bewusst
willkürlichen Bewegungen nur die Pyramidenbahn ausgeschliffen ist.
Die Pyramidenbahn ist somit die Willensbahn der Muskeln und die
llemmnngsbahn der Reflexe. Ihr Ausfall lähmt die von ihr beherrschten
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11S Paul Lazarus, Zur Frage (1er liemiplcgischen Kontraktur.
Muskeln und erhöht deren Tonus. Antagonisten wie Agonisten sind paretisch und
hypertonisch; jene Muskelgruppen, welche bereits unter normalen Umständen ein
Plus an Kraft und Tonus gegenüber ihren Antagonisten haben, werden auch bei der
Restitution besser fahren, als ihre Agonisten. Erstere werden stärker hypertonisch
und weniger paretisch, letztere relativ schwächer hypertonisch und stärker paretisch
sein. In gesunden wie in kranken Tagen bewahren die Antagonisten ihr Plus an Kraft,
und Tonus. Die Kontraktur ist somit ein Ausdruck ihrer physiologischen Majorität.
Die Mann’sche Theorie wird ferner weder durch eine experimentelle noch
eine anatomische Grundlage gestützt. Bei Hunden und Katzen, bei denen
die tiefen Ganglien eine relativ grosse Selbstständigkeit haben und die kortikale
Oberleitung noch nicht voll ausgesprochen ist, führt die Exstirpation der motorischen
Centren nicht zu Kontrakturen. Erst bei den Affen folgt nach Herrmann Munk’s
epochemachenden Experimenten auf die Totalexstirpatio nder Fühlsphären i. e. des
Wurzelgebiets der Pyramidenbahn eine Kontraktur, welche durch Uebung behoben
bezw. verhindert werden kann. Ohne die bewusste Hirnrindenregulation verhalten
sich die Körpermuskeln ähnlich wie die zum Theile von tiefer liegenden Centren
beherrschten, in steter Kontraktion befindlichen Sphinkteren. Der mässigende
Willenseinfluss der Hirnrinde ist verloren gegangen.
In anatomischer Beziehung ist es eine bereits seit drei Decennien bekannte
und vielfach bestätigte Thatsache, dass bei der Hemikontraktur der gekreuzte
Pyramidenseitenstrang und der gleichzeitige Pyramidenvorderstrang degenerieren,
v. Monakow beobachtete sogar Kontrakturen bei vollständigem Ausfälle beider
Pyramiden. Ich selbst verfüge über zwei Fälle von totaler gelber Erweichung der
inneren Kapsel bezw. der Centralwindungen mit der typischen absteigenden totalen
Pyramidendegeneration; in beiden Fällen bestanden Kontrakturen. Es überschreitet
den Rahmen einer Erwiderung, detaillierter auf diese Befunde einzugehen.
Aus der Summe dieser Thatsachen glaube ich somit zu dem Schlüsse berechtigt
zu sein, dass nicht in der partiellen Intaktheit, sondern in der totalen Zerstörung
der Pyramidenbahn die Ursache der Kontrakturen gelegen ist; je aus¬
gedehnter die Läsion, desto stärker ist die Lähmung und gewöhnlich
auch die Kontraktur. Bei Hemiparesen fehlen die Kontrakturen gewöhnlich
oder sind gering.
Mann hat gegen diese Behauptung den Einspruch erhoben, dass bei hoher
Quertrennung des Rückenmarks die Kontrakturen ausbleiben und eine
absolut schlaffe Lähmung erfolge. Dieser Versuch kann meiner Ansicht nach über¬
haupt nicht in Parallele gezogen werden mit der isolierten, einseitigen Zerstörung der
Pyramidenbahn in der inneren Kapsel; denn bei der hohen Quertrennung des Rücken¬
marks werden ja sämmtliche Einflüsse der übrigen Hirnrinde, der subkorti¬
kalen Ganglien, des Hirnstammes, der Brücke, des Kleinhirns und der
anderen Hemisphäre ausgeschaltet. Bei jenen Rückenmarkserkrankungen hin¬
gegen, bei denen nur die Pyramidenbahn erkrankte, z. B. bei der spastischen Spinal¬
paralyse oder der amyotrophischen Lateralsklerose findet sich das Bild der spas¬
tischen Lähmung. Dass es auch ausnahmsweise schlaff bleibende Hemiplegien giebt,
ist bereits lange bekannt, ohne dass die anatomische Ursache aufgedeckt ist.
Möglicherweise handelt cs sich dabei um ausgedehnte Zerstörungen der Kapsel sammt
ihren Nachbarganglien, worauf die absolute Lähmung hinweist.
Schliesslich bedarf noch die sedativ-galvanische Behandlung der kontrakturierten
und die faradisch-erregende der Agonisten einer Erklärung. Ich behandle die
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Kleinere Mittheilungen. 119
kontrakturierten Muskeln sedativ, weil sie ein Plus an Hypertonie besitzen, welches
durch eine erregende Behandlung nur gesteigert würde. Die erregende Behandlung
der zwar gleichfalls hypertonischen, aber nicht kontrakturierten Strecker hat den
/weck die Streckmuskeln zu üben und der Beugekontraktur entgegenzuarbeiten.
Eine sedative Behandlung der Handstrecker würde zu deren Erschlaffung und daher
zur Erhöhung der Beugekontraktur führen. Eine sedative Behandlung der kon¬
trakturierten Muskeln bahnt hingegen die Restitution der Agonisten; deshalb ver¬
binde ich häufig die Anodengalvanisation der Handbeuger mit einer milden Faradi-
sation der Strecker.
Es gereicht mir schliesslich zur Freude, dass ein Forscher von der grossen
Bedeutung und den hohen Verdiensten Mann’s zwar meine Theorie angreift, aber
deren praktischen Folgerungen volle Gerechtigkeit widerfahren lässt. Deshalb kann
ich diesen Aufsatz nicht schliessen, ohne die sachliche Kritik Mann’s anzuerkennen.
Eine objektive Kritik ehrt den Rezensenten, fördert das gegenseitige Verständniss
und klärt auf diese Weise die Streitfrage.
Kleinere Mittheilungen.
i.
Zur Frage, ob in Gelatinepräparaten Tetanuskeime enthalten sind.
Von Dr. Ernst Lichtenstein,
Volontärassistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin.
Nachdem in den letzten Monaten mehrmals über Tetanuserkrankungen nach subkutaner Gelatin-
iojektion berichtet worden war, untersuchten Levy und Bruns*) sechs Gelatineprobcn auf ihren
Gehalt an Tetanuskeimen, wobei sie viermal ein positives Resultat erhielten. Es war nun von
Interesse, zu prüfen, ob ein Gelatinepäparat, das auf der I. medicinischen Klinik für Ernährungs¬
zwecke verwendet wurde, das Gluton, ebenfalls Tetanuskeirae enthielte.
Nach der Methode von Sanfelicc, deren sich auch Levy und Bruns bedient hatten, wurden
von vier aus verschiedenen Apotheken entnommenen Glutonproben je 3 g in 50 cm 3 zweiprozentiger
Zackerbouillon gelost. Diese Losung blieb für 12 Tage im Brutschrank # bei 37° stehen, wurde dann
'lurch Berkefeidfilter filtriert, und mit dem Filtrat wurden Mäuse und Meerschweinchen in der Weise
geimpft, dass erstere je 0,5 cm», letztere je 5,0 cms Flüssigkeit subkutan injiziert bekamen. Diese
Reihe von Thieren blieb ebenso wie eine weitere, die mit den gleichen Mengen einer unfiltrierten
Lösung von 1,0 g Gluton in 10 cm 3 sterilen Wassers gespritzt wurde, völlig frei von jeder Erscheinung
• iner tetanischen Erkrankung.
Somit fand sich im Gegensatz zu den Resultaten der Gelatineuntersuchung bei keiner der
Glutonproben ein Gehalt an Tetanuskeimen.
II.
Zur Methodik der Nordseeluftkuren.
Von Dr. raed Ide, Nordseeinselheim Amrum.
Die ärztliche Rundreise durch die Nordseebäder hat die allgemeine Aufmerksamkeit in er¬
höhtem Maassc auf dieselben gelenkt, und ist in dem darüber in dem Berliner Verein für innere
Medicin gehaltenen A T ortrage von dem Leiter der Rundreise, Herrn Geheimrath Liebreichi, darauf
hingewiesen, dass die Nordseebäder nicht nur als Erholungsstätten für Gesunde, sondeni als wirk-
*) Levy und Bruns, Deutsche medicinische Wochenschrift 1902. No. 8.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
1*20 Kleinere Mittheilungen.
liehe Kurorte anzusehen sind. Es lässt sich daher erwarten, dass in den nächsten Jahren nicht nur
der Zufluss zu den Nordseebädern an sich, sondern auch der von Kranken und Schwachen bedeutend
zunchmen wird. Unter diesen Umständen ist es Pflicht, darauf hinzuweisen, dass zwar der Nord¬
seeaufenthalt ein bisher viel zu wenig gewürdigtes Kurmittel für Schwächezustände verschiedenster
Art ist, dass jedoch die Handhabung der Kur bei denselben eine genaue Kenntniss der einschlägigen
Verhältnisse und richtige Anwendung derselben verlangt, und dass ohne solche damit ebensoviel
geschadet wie genützt werden kann. Ist dies auch bezüglich der Nordseebäder mehr oder weniger
bekannt, so gilt es doch auch schon bezüglich des Nordsceklimas, und ist die Ausbildung einer
Methodik der Nordseeluftkuren eine schon von Bcnekc aufgestellte Forderung.
Von den Faktoren des Nordsceklimas sind es besonders zwei, welche durch ihre stets
wechselnde Intensität einer Schabionisierung der Kur entgegenstehen, nämlich der Temperatur¬
einfluss des Seeklimas und der mechanische Reiz des Windes. Was den Temperatureinfluss an¬
betrifft, so ist derselbe eine Folge der im Vergleich zur Festlandsluft veränderten Temperatur,
Feuchtigkeit und Bewegung der Luft; wir sind zwar nicht im stände, diese Faktoren selbst,
sehr wohl aber die Intensität ihrer Einwirkung auf den Menschen durch ein zweckentsprechendes
Verhalten zu beeinflussen So können wir durch geeignete Kleidung, Aufenthalt im Zimmer, an
windgeschützten Stellen oder auf dem Wasser die Temperatur, Feuchtigkeit und Bewegung der
den Körper direkt umgebenden Luft vermindern oder vermehren, und zeigen uns die seinerzeit von
Benckc angcstellten Flaschcnabkühlungsversuche, wobei sich Unterschiede in der Wärmeabgabe
bis um mehr als das Zwölffache ergaben, bis zu welchem Grade sich der physikalische Temperatur¬
einfluss des Seeklimas durch solche Maassnahmen modifizieren lässt. Ein ebenso wechselnder
Faktor wie die Wärmeabgabe ist die dieselbe mitbedingende Windstärke auch noch bezüglich des
mechanischen Reizes, welchen der Wind auf den Organismus ausübt. Bei schwächeren Personen
wird daher auch dieser genau zu kontrollieren und regulieren sein, und sind wir in der glücklichen
Lage, denselben durch die gleichen Maassnahmen, wie die Wärmeabgabe, nämlich durch Kleidung
und Aufenthaltsort, in seiner Einwirkung auf den Menschen erhöhen oder herabsetzen zu können.
Was die übrigen Faktoren des Seeklimas anbetrifft, nämlich den im Vergleich zur Festlandsluft ver¬
änderten Luftdruck, den Sauerstoff -, Ozon-, Wassergas- und Salzgehalt, die elektrische Leitungs¬
fähigkeit und Lichtfülle der Seeluft, so sind dieselben bezüglich ihrer Einwirkung auf den Menschen
unserem Einfluss nur wenig unterworfen oder ganz entzogen, und mögen daher hier ausser Acht
gelassen werden.
Der Einfluss der obengenannten beiden Faktoren zeigt sich nun besonders nach drei
Richtungen hin, nämlich auf das Nervensystem, den Blutkreislauf und den Stoffwechsel. Bezüglich
des Nervensystems lehrt uns die physiologische Erfahrung, dass schwache Reize beruhigend auf
dasselbe einwirken, stärkere dasselbe anregen und beleben, sehr starke eine erhöhte Reizbarkeit
desselben zur Folge haben, die leicht in Erschöpfung und Ueberrcizung übergeht; und ferner, dass
je nach der Widerstandsfähigkeit die Beurtheilung der Reizintensität einelverschiedene sein muss.
Dies finden wir nun auch für die Kälte- und Windreize des Seeklimas bestätigt. Wie die beim
Betreten des Sccklimas oft sofort eintretende Beruhigung, das Verschwinden von Ncuralgicen, der
Wiedereintritt oft langentbehrten ruhigen Schlafes beweist, wirkt das Secklima an sich beruhigend
auf das Nervensystem ein. Auch leichte Kälte- und Windreize in Form von längerem Aufenthalt
in der bewegten Luft erhöhen in der Regel nur noch das allgemeine Wohlbefinden, verstärken den
Appetit und vertiefen den Schlaf; und recht bezeichnend für die Wirkung der genannten Faktoren
ist die vergnügte, lustige Stimmung, die sich robusterer Personen bei stürmischer Witterung und
ausgedehnterem Aufenthalt am Strande oder auf dem Wasser bemächtigt. Aber auch schon bei
normalen Personen stellt sich nach allzu kräftiger klimatischer Einwirkung eine gewisse Abspannung,
eine Unlust zu geistiger oder körperlicher Bethätigung, verminderter Appetit und unruhiger Schlaf
ein, es sind dies aber nur vorübergehende Erscheinungen, die bald wieder einem normalen Ver¬
halten Platz machen. Bei schwächeren Personen genügen jedoch oft schon sehr leichte klimatische
Einflüsse, um Ueberreizungserscheinungen hcrvorzuiufen und an Stelle der ursprünglichen Beruhigung
Wiederkehr alter Ncuralgicen*, Schlaf- und Appetitlosigkeit und häufig in Weinkrämpfen sich
zeigende allgemeine nervöse Erschöpfung treten zu lassen.
Durch rechtzeitige Regelung der klimatischen Einflüsse lassen sich nun einerseits derartige
Ucberreizungszuständc überhaupt fernhalten. Andrerseits gelingt es bei einer dem Kräftezustand
entsprechenden allmählichen Steigerung der betreffenden Reize, auch den Tonus und die Wider¬
standsfähigkeit eines schwachen Nervensystems sehr zu heben. Dabei ist neben der Fernhaltung
von Ucberrcizcn durch passende Kleidung und Aufenthalt besonders auf die jedesmalige vollständige
Erholung und Beruhigung des Nervensystems nach jeder stärkeren klimatischen Reizung Bedacht
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Kleinere Mittheilungen. 121
w nehmen. Zu diesem Zwecke hat sich mir bei allen stärkeren Schwächezuständen als ein sicheres
Mittel immer die der klimatischen Beeinflussung folgende kürzere oder längere Bettruhe bewährt,
doch wird auch schon eine längere Ruhe unter warmer Bedeckung auf der Chaise longue oder auf
dem Liegestuhl an einer sonnigen, windgeschützten Stelle in vielen Fällen genügen. Nach und
nach werden dann die klimatischen Einflüsse verstärkt und die Ruhezeiten verkürzt werden dürfen,
und gelingt es auf diese Weise, selbst ein sehr schwaches Nervensystem dauernd f zu kräftigen,
wenn auch zur Erreichung eines solchen Zieles nicht nur Wochen, sondern Monate und Vierteljahre
nöthig sind. Eine besondere Vorsicht erfordert noch die nervöse Schlaflosigkeit, die einerseits ja
an sich schon eine Indikation für das Seeklima bildet, andrerseits aber erst durch klimatische
Ceberreizung an der See erworben werden kann. Bei derselben ist nach dem Abendbrot längerer
Aufenthalt an dem Winde ausgesetzten Stellen oder gar am Strande vollständig zu meiden, um
nicht durch die dadurch hervorgerufene Erregung den Eintritt des Schlafes zu verhindern. Im
übrigen bewährt sich auch ihr gegenüber die mehrmalige Ruhe am Tage, und erscheint es dem
Kurgast oft paradox, dass ein gelegentlich dieser Tagesruhe eingetretener Schlaf fast immer auch
ruhigen Schlaf in der Nacht zur Folge hat
Was die Wirkung des Seeklimas auf den Blutkreislauf betrifft, so zeigt sich die an sich be¬
ruhigende Wirkung auf das Nervensystem auch in der Verlangsamung und Vertiefung des Pulses
und der Herzaktion. Von den uns hier beschäftigenden mechanischen und Kältereizen zeigen uns
anderweitige besonders in der Hydrotherapie gemachte Erfahrungen, dass Kältcreize anfangs eine
Kontraktion der Hautgefässe, bei längerer Einwirkung oder grösserer Intensität jedoch eine Er¬
weiterung derselben zur Folge haben, und dass der Hinzutritt von mechanischen Reizen den Eintritt
der Hautfluxion beschleunigt Ferner geht mit der arteriellen Hauthyperämie die kollaterale Anämie
der Innenorgane einher. Ueberstcigen jedoch Kälte- und mechanische Reize eine gewisse Grenze,
so tritt an Stelle der Hauthyperämie die Anämie und an Stelle der Kontraktion der Blutgefässe der
litnenorgane die Blutstauung in den letzteren. Dies können wir nun auch wieder beim Seeklima
beobachten. Während nicht zu starke Kälte- und Windreize dem Kurgast das Gefühl der Wärme
erzeugen, so dass er wohl seinen Rock öffnen möchte, um dem als warm empfundenen Winde die
blosse Brust darzubieten, und die an der See häufig zur Beobachtung kommenden verringerten oder
verspäteten Menses uns auf die geringe Blutfülle der Innenorgane hinweisen, tritt uns nach Ueber-
reizen die Blutstauung in den letzteren in Form von meist sehr hartnäckigen Katarrhen, von
Hämoptoen und üämorrhagien entgegen. Es wird sich also im gegebenen Falle darum handeln,
eine durch Kälte und Windreiz erzeugte Hauthyperämie zu einer möglichst ausgiebigen und
dauernden zu machen. Zu diesem Zweck steht uns nun, wie uns ebenfalls hydrotherapeutische Er¬
fahrungen lehren, in der dem Kältcreize folgenden Erwärmung ein sicheres Mittel zur Verfügung.
An der See lässt sich eine solche einmal in der schon von Beneke vorgeschlagenen Weise da-
dorch erreichen, dass ein wärmender Mantel nicht sowohl beim Aufenthalt am Strande, wo der die
Hautflexion begünstigende mechanische Windreiz dadurch nur abgeschwächt wird, sondern nach
der Rückkehr beim Sitzen im Zimmer oder an einem windgeschützten Orte angelegt wird. Noch
sicherer lässt sich dieselbe jedoch wiederum durch die jeder stärkeren klimatischen Einwirkung
folgende Bettruhe herbeiführen, und wird eine solche eine vielleicht ausgebliebene Hautfluxiou
ooeb nachträglich hervorrufen und eine bereits eingetretene noch weiter verstärken. Durch
methodische Anwendung derselben und allmähliche Steigerung der klimatischen Beeinflussung ge¬
lingt es dann in ähnlicher Weise, wie durch eine methodische Wasserkur, die Blutfülle der Haut
und damit die Entlastung der Innenorgane zu einer anhaltenden zu macheu, den Tonus des Gefäss-
?ystems zu erhöhen und die Gefahr der Erkältung dauernd herabzusetzen.
Bezüglich des Einflusses des Seeklimas auf den Stoffwechsel weist schon Beneke darauf
hin, dass wir in der Vermehrung der Wärmeabgabe durch die Kälte und Bewegung der Seeluft
and in der dadurch hervorgerufenen Beschleunigung des Blutumlaufs und Anregung des Nerven¬
systems die Hauptursache für die im Seeklima beobachtete Stoffwechselerhöhung zu suchen haben.
Dieselbe zeigt sich in der Regel bei normalen Personen in einer von vornherein eintretenden
Gewichtszunahme; bei Personen jedoch, welche an Ablagerungen mangelhaft oxydierter Stoffwechsel¬
produkte leiden, wie dies z. B. bei der torpiden Skrophulose der Fall ist, geht der Zunahme eine
Abnahme des Gewichts voraus und ist die letztere durch die Fortschaffung eben dieser Ablagerungen
verursacht Weiter hängt die Gewichtszunahme aber auch noch von der Leistungsfähigkeit der
Verdauungs- und Assimilationsorgane ab, und wird eine Erhöhung des Stoff Verbrauchs über die
Grenzen des durch jene ermöglichten Stoffansatzes hinaus ebenfalls von einer Gewichtsabnahme
begleitet sein müssen. Es werden also bei allen schwächeren Personen regelmässige Wägungen
Zdit*cbr. f. dlÄt n. physik. Therapie Bd. VI. Heft 2. 9
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122 Kleinere Mittheilungen.
vorzunehmen und bei einer Gewichtsabnahme zu eruieren sein, welche der beiden Ursachen dafür
verantwortlich zu machen ist. Während man bei Skrophulösen und ähnlichen Konstitutionen ruhig
der Sache ihren Lauf lassen kann, wird bei dem relativ zu starken Stoff verbrauch derselbe durch
Einschränkung des Kälte- und Windeinflusses herabgesetzt werden müssen, ln letzterem Fall
kompliziert sich die Sache jedoch meistens noch dadurch, dass dieselben Kälte- und Windreize,
welche den Stoffwechsel anregen, bei nervenschwachen Personen — und um solche handelt es sich
in diesen Fällen in der Regel — den Appetit leicht stören und damit den Stoffansatz noch weiter
herabsetzen. Um nun den hier sich gegenüber stehenden Schwierigkeiten zu entgehen, empfiehlt
es sich, nachdem die Zellthätigkeit durch hinreichende klimatische Beeinflussung in genügender
Weise angeregt ist, dem Organismus durch nachfolgende Femhaltung von allen klimatischen Reizen
Gelegenheit zu vollständiger Erholung zu geben, sodass die Betreffenden wieder völlig frisch und
mit möglichst leistungsfähigen Vcrdauungs- und Assimilationsorganen zu den Mahlzeiten kommen
können. Dies lässt sich nun bei schwächeren Personen wieder am besten durch eine der klimatischen
Beeinflussung folgende jedesmalige ausgiebige Ruhe vor den Hauptmahlzeiten erreichen. Dadurch
gelingt es, alle vorhandenen Kräfte gewissermaassen für den Stoffansatz mobil zu machen, und werden
bei der Erhöhung des letzteren allmählich auch stärkere klimatische Reize vertragen werden. Damit
wird der Stoffwechsel aber wieder verstärkt und so allmählich der Stoffansatz immer weiter erhöht
werden können.
Die richtige Regulierung der Kälte- und mechanischen Windreize ist somit für die Wirkung
des Seeklimas auf das Nervensystem, den Blutumlauf und den Stoffwechsel von wesentlichster
Bedeutung. Erreichen lässt sich eine solche, wie bereits erwähnt, einerseits durch warme Kleidung,
Aufenthalt an windgeschützten, sonnigen Plätzen und Beginn der Kur in der warmen Jahreszeit,
andererseits durch ausgedehnten Aufenthalt an den freiem Winde ausgesetzten Stellen auf der Höhe
der Dünen, am Strande und im Segelboote auf dem Wasser. Bei den für den Arzt in Betracht
kommenden Fällen wird sich in der Regel eine Abschwächung der betreffenden Faktoren ver-
nothwendigen, und von der Ermöglichung einer solchen oft der ganze Erfolg der Kur abhängen.
Alle an Schwächezuständen in den betreffenden Gebieten leidenden Personen sollten daher möglichst
zur warmen Jahreszeit an dio See geschickt werden und ferner an einen Ort, der auch bei stürmischer
Witterung den nöthigen Schutz und damit den Aufenthalt im Freien gestattet. Zu letzterem Zwecke
werden sich besonders vou der offenen See etwas entfernter liegende Ortschaften empfehlen und
wird das Vorhandensein von Wäldern, Anpflanzungen, Gärten, die vor Winden geschützte Spazier¬
gänge bieten, sehr wünschenswerth sein. Zur Wohnung sollten solche Personen immer eine nach
der Sonnenseite hin gelegene wählen, und werden windgeschützte Veranden die Akklimatisation sehr
erleichtern. Als ein vorzügliches Unterstützungsmittel bewährt sich aber in allen solchen Fällen
die der klimatischen Einwirkung folgeude mehrmalige Ruhe am Tage, entweder im Bette oder
unter warmer Bedeckung auf der Chaiselongue oder auch nur auf einem Liegestuhl an einer wind¬
geschützten Stelle im Freien. Bei Innehaltung einer solchen Methodik in der Verwendung der
klimatischen Reize gelingt es, auch hochgradige Schwächezustände der Seeluft zugänglich zu machen
und bei genügender Ausdauer Erfolge damit zu erzielen, wie sic bei diesen oft hoffnungslosen
Fällen kaum durch ein anderes Kurmittel erreicht werden dürften. Als eines illustrativen Beispiels
dafür möge hier eines 21jährigen Studiosus aus Berlin Erwähnung geschehen, bei dem nach mehr¬
maliger Malaria und vorjähriger Influenza ein hochgradig kachektischer Zustand, ein rechtsseitiger
Lungenspitzenkatarrh und eine Neigung zu Diarrhöen zurückgeblieben war. Iu diesem recht ver¬
zweifelten Falle gelang es, durch jene Methodik die durch obige Infektionen geschwächte Zell¬
thätigkeit innerhalb von vier Monaten derart zu heben, dass das Anfangsgewicht von 45 kg auf
51,8 kg stieg, die papierdünne, runzelige, weisse Gesichtshaut wieder zu einer kräftigen und
blutreichen wurde, der mühsame, kurzathmige Gang einer normalen Marschfähigkeit Platz machte
und der Lungenbefund auch nach der Rückkehr seitens seines Hausarztes ein negativer war. Ohne
eine solche Methodik würde der junge Mann das Nordseeklima jedoch überhaupt nicht vertragen
haben und, um Verschlimmerungen seines Zustandes vorzubeugen, sofort wieder haben abreisen
müssen. Die Beobachtung einer solchen Methodik ist darum bei allen derartigen Schwächezuständen
ein unumgängliches Erfordemiss und ist auf die Nichtberücksichtigung derselben zweifellos das
Vorurtheil zurückzuführen, welches bezüglich der Indikation des Nordseeklimas solchen Krankheits¬
zuständen gegenüber bisher noch herrschte.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
III. Kongress österreichischer Baineologen in Wien vom 20. bis 26. Mürz 1902.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
In unmittelbarem Anschluss an den Kongress der Balneologischcn Gesellschaft in Stuttgart
fand die Versammlung österreichischer Balneologen in Wien statt, deren reiche Tagesordnung Ver¬
anlassung giebt, in knapper Skizzierung die einzelnen Vorträge auch an dieser Stelle zu erwähnen.
Der Kongress wurde unter lebhafter Theilnahme weiter ärztlicher Kreise von Prof. Winter¬
nitz (Wien) eröffnet der auf die Entwicklung der Balneologie zur Wissenschaft einen kurzen Rück¬
blick warf und die Beziehungen zwischen den physikalischen Heilmethoden und den Mineralquellen
in ihrer Wechselwirkung eingehend erörterte. Sie sind das exakte Werkzeug der heutigen Balneo¬
logie, welches in Verbindung mit der klinischen Beobachtung die Balneologie und damit die Balneo¬
logen auf einen höheren Standpunkt gebracht hat. Die Berathungen selbst wurden durch ein Referat
von Kolisch (Karlsbad) und Strasser (Wien) über die »Therapie des Diabetes« eröffnet. Erstercr
besprach die Grundlagen der diätetischen Behandlung des Diabetes und legte dar, dass die der
herrschenden Lehre entsprechende Ueberemährung bei Diabetikern nicht nur unberechtigt sei, son¬
dern eine direkte Gefahr bilde. Dasselbe gelte von der einseitigen schablonenhaften Entziehung der
Kohlehydrate, wie sie vielfach geübt werde. Weiterhin besprach er den Einfluss der verschiedenen
Eiweisskörper auf die Zuckerausscheidung und kam zu dem Schlüsse, dass sich die vegetabilischen
Eiweisskörper als die unschädlichsten erwiesen haben. Strasser als Korreferent behandelte die
physikalischen und medikamentösen Heilmethoden des Diabetes. Von den physikalischen Heil¬
methoden leisten vor allem die Wasserkuren und Muskelübungen, selbstverständlich in Verbindung
mit entsprechender Diät, hervorragendes, indem sie den ganzen Kräftezustand heben, den Körper
widerstandsfähiger machen und manche wesentlichen Symptome des Diabetes erfolgreich bekämpfen
lassen. Bei Besprechung der medikamentösen Therapie hebt er hervor, dass eine zuverlässige
Wirkung nur von einer sehr geringen Anzahl von Medikamenten zu erwarten sei, weshalb gegen¬
über der marktschreierischen Anpreisung strengste Kritik am Platze ist. ln der Diskussion betont
Polatschek (Karlsbad), dass die Ausschaltung der Fleischkost, seinen Erfahrungen nach, nicht
am Platze sei, er empfiehlt animalische Kost und Beschränkung von Vegetabilien, unter welchen
allerdings gewisse Gemüse bevorzugt werden müssen. Schlesinger (Wien) ist ebenfalls für die
Einschränkung der Eiweisszufuhr, während Winternitz (Wien) den Nutzen der Milchkuren hcrvoi-
heht Off er endlich sprach über die Vcrwerthung des Eiweisszuckers im Organismus und lobt
die Wirkungen des Salols in Verbindung mit entsprechender Diät.
Biedl (Wien) sprach über »Wesen und Behandlung des Fiebers«, für welches er die
Theorie aufstellt, dass das Fieber eine Vergiftung sei, in welcher eine Veränderung der Einstellung
der Wärmeregulation, sowie sonstige Vergiftungserscheinungen bestehen. Die Behandlung des
Fiebers kann demnach nur eine die Vergiftung bekämpfende sein. In der Debatte konstatieren
Winternitz, Fodor und andere, dass die Bäderbehandlung des Fiebers mit dieser Theorie in
keinem Widerspruch stehe, im Gegentheil, dass dieselbe durch diese Theorie direkt gestützt werde.
Feber die günstigen Wirkungen der elektrischen Zweizellenbäder (System Prof. Gärtner) bei Schlaf¬
losigkeit, Neuralgieen, nervösen Exaltationen etc. referierte Fellner (Franzensbad), unterstützt von
Strasser (Wien>, während Löbl (Dorna) die Wirkung der Kohlensäurebäder als IIerzheilmethoden
näher illustrierte. Nach einer grossen Reihe weiterer Referate — so von Clar (Wien) »Ucber das
österreichische Inselklima«, von Weisz (Pistyan) »Ueber das Arbeiterhospital in Pistyan«, von Stein-
herg und Nenadovics (Franzensbad) »Ueber den Heilapparat von Franzensbad in der Behandlung
Herzkranker«, beziehungsweise »Ueber die Wirkung der Franzensbader Moorbäder auf die physio¬
logischen Vorgänge im menschlichen Organismus«, von Weiss (Karlsbad) »Ueber den normalen
Dickdarm« — wurde in die Behandlung der den diesjährigen Kongress an erster Stelle be¬
schäftigenden Themata eingetreten, nämlich der »Tuberkuloseheilstättenbewegung in Oesterreich«
und der »Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus«. Ueber crstcrcn Gegenstand sprach
«j*
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Prof. v. Schrötter (Wien), der eine bemerkenswerthe Schilderung der gegenwärtigen Verhältnisse
der Tuberkulosebekämpfung in Oesterreich gab. In Wien hat die Heilstättenbewegung vor 30 Jahren
ihren Anfang genommen, hier haben die hervorragensten Aerzte für dieselbe Propaganda gemacht,
und das Resultat ist, dass Oesterreich derzeit eine, Deutschland, auf welches sich diese Bewegung
fortgepflanzt hat, bereits neunzig Heilstätten besitzt. Die Heilstättenbewegung ist nur ein wichtiger
Punkt in den zwei Hauptfragen, wie heilt man Tuberkulose, wie beugt man ihr vor, und während
alle Kulturstaaten dieses ärztlich wie sozial hochwichtige Problem zu lösen begonnen haben, ist
Oesterreich kaum über die Diskussion dieser Frage hinausgekommen; und dabei wäre es infolge
seiner klimatischen Verhältnisse berufen gewesen, an der Spitze dieser Kulturbcwegung zu
marschieren. Die Anstalt Alland bei Wien, eine aus Privatmitteln erbaute Musteranstalt, die nach
jeder Richtung, auch der wissenschaftlichen, produktiv dasteht, repräsentiert vorläufig die gesammte
Heilstättenbewegung in Oesterreich. Zwischen Heilstätten und Asylen für Lungenkranke ist ein
prinzipieller Unterschied zu machen. In erstere gehören alle Fälle, deren Heilung möglich ist, wobei
zu betonen wäre, dass auch bei manchen Schwererkrankten »solide Besserungen«, das heisst Wieder¬
erlangung der Erwerbsfähigkeit, erzielt wurden. In Asyle gehören alle Schwerkranken, bei denen
eine restitutio ad integrum nicht zu erwarten ist, alle Schwerkranken aus den städtischen grossen
Spitälern. Tuberkulöse würden uns so dem Bannkreise entfernt werden, zu ihrem eigenen Wohl,
zum Wohl der anderen Kranken und zum Wohle der Bevölkerung. Wo sollen nun Heilanstalten
errichtet werden? Die prinzipielle Antwort lautet: Ueberall wo gute Luft, gutes Wasser vorhanden,
und wo die Grundprinzipien der Hygiene erfüllbar sind. Hat diese Heilstättenbewegung Berechtigung?
Auch diese Frage ist aufgeworfen worden. Die Heilerfolge sind geradezu überraschend. In Alland
wurden bis 80% »solide Besserungen« erzielt, welche die Kranken wieder erwerbsfähig machen.
Wie geht es den Rekonvalcscenten, wenn sie zu ihrer Familie zurückkehren? Sie haben sich an
Reinlichkeit und an das Spuckfläschchen gewöhnt, so wirken sie erziehlich auf die Umgebung; es
bleiben von ihnen, wie eine Umfrage ergeben hat, noch nach dreieinhalb Jahren 50% erwerbsfähig.
Dies alles'erzeugt die gebieterische Nothwendigkeit, Heilstätten zu begründen, vor allem in Oester¬
reich, das bisher in diesem grossen Kulturwerke hinter den anderen Grossstaaten zurückgeblieben
ist. In der Debatte, die sich an den mit allseitigem Beifall aufgenommenen Vortrag anknüpfte,
führte Winternitz aus, dass die Heilstättenbewegung für Bekämpfung der Tuberkulose als Volks¬
krankheit nicht genüge, da man nur einen geringen Bruchtheil von Kranken in einer solchen Anstalt
unterbringen könne. Er ist ein Feind der Einschränkung der Tuberkulösen in Bezug auf die
persönliche Freiheit. Das Einfangen der Tuberkelbacillen mit Spucknäpfen vermöge die Krankheit
nicht im mindesten aufzuhalten. Der Bacillus gedeihe immer nur dort, wo Disposition vorhanden
sei und diese Dispositionen zu beseitigen, müsste das hauptsächlichste Streben sein. Nothwendig
sei daher die Verbesserung der allgemeinen hygienischen Einrichtungen. In der Erhöhung der
Widerstandsfähigkeit des Einzelnen bestehe die beste Prophylaxis.
Das zweite im Vordergrund des Interesses stehende Thema war die Behandlung des
chronischen Gelenkrheumatismus, über die Wiek (Gastein) undBumm (Wien) als Referent und
Korreferent sprachen. Bumm gruppiert die im letzten Decennium beobachteten 865 Fälle von chro¬
nischem Gelenkrheumatismus nach dem Eintheilungsgrunde des klinischen Befundes. Entsprechend dem
Verlauf der Krankheit gehörte die überwiegende Mehrzahl der Fälle jener Gruppe an, bei welcher
es zu Veränderungen an der Gelenkkapsel und am Bandapparate gekommen ist, Fälle, die fast aus¬
nahmslos mechanische Behandlung mittels Massage und passiven Bewegungen erheischen. Gerade
Gelenkerkrankungen eignen sich für die Behandlung mittels der genannten Methode, welche einer¬
seits die Aufsaugung von flüssigen Krankheitsprodukten in den Gelenken begünstigt und Ver¬
dickungen und Schrumpfungen der Gelenkkapsel wohlthätig beeinflusst, andererseits im stände ist,
Verlöthungen und abnorme Verbindungen der Gelenkenden schonend zu lösen und zu dehnen. Dazu
kommt der Einfluss mechanischer Behandlung auf die Muskulatur der erkrankten Glieder, die bei
länger währender Ruhe dem Untergang verfällt. Man müsse sich endlich von der Ideenassociation
Gelenkerkrankung — Ruhe befreien und die Vornahme zielbewusster, konsequenter Mobilisierung
versteifter oder der Versteifung entgegengehender Gelenke pflegen. Wenn diese Mobilisierung im
Frühstadium der Erkrankung systematisch geübt würde, dann wäre die Zahl jener Fälle eine ver¬
schwindende, bei welcher operative Intervention infolge Zusammenziehung der Muskeln und schwerer
Verwachsungen der Gelenkenden nöthig ist. Eine erhebliche Unterstützung hat die mechanische
Behandlung durch ihre Verbindung mit Heissluftbehandlung, mit warmen Lokalbädem, in einzelnen
Fällen mit Moor- und Fangopackungen, sowie mit der von Bier angegebenen »Stauung« erfahren.
Nach eingehender Besprechung der Resultate dieser Behandlung, des Wesens der bei gewissen
Gelenkcrkrankungen deformierenden Charakters nothwendigen orthopädischen Behandlung mit Stütz-
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Berichte über Kongresse und Vereine.
125
und Zagapparaten, betonte Bumm die Nothwendigkeit entsprechender Kombination der einzelnen
Heilmethoden, welche als ernste und dankbare Aufgabe ärztlicher Kunst zu betrachten ist
»Ueber die Wirkungen konstanter Wärme höherer Temperaturen auf Haut und Gewebe« sprach
Ullmann (Wien). Mit Hülfe eines neuen Apparates, des Hydrothermoregulators kann man Wärme, resp.
Kälte von 0—100° C auf Haut und Organe einwirken lassen. Bei gewissen infektiösen Geschwürs¬
formen und oberflächlichen Eiterungen wurden mit dieser Methode geradezu glänzende Erfolge erzielt.
Eisen b erg (Wien) berichtete im Anschluss daran über seine Erfahrungen bei der Anwendung
von heissen Vaginaldouchen. Es handelt sich dabei um Douchen von 35—50° C in einer Dauer
bis zu 20 Minuten. An der Hand von Krankengeschichten wurde die aufsaugende Wirkung bei
alten Exsudaten und Verwachsungen, sowie der besonders günstige Erfolg bei Kongestionszuständen
und den verschiedenen Beschwerden in den Uebergangsjahren demonstriert. Zum Schluss wies
Eisenberg auf die schmerzstillende und beruhigende Wirkung hin, die bei chronischen Entzün¬
dungen mittels der heissen Douchen zu erzielen ist.
Nachdem noch eine weitere Reihe von Demonstrationen gefolgt war, war die Tagesordnung
des diesjährigen Kongresses erschöpft, die wiederum einen vollgültigen Beweis von dem lebhaften
wissenschaftlichen Streben, das die österreichischen Balneologen beseelt, ablegte.
II.
Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen
Gesellschaft in Stuttgart vom 7. bis 12. M&rz 1902.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
(Fortsetzung.)
Keller (Rheinfelden), Ueber Soolbadkuren während der Gravidität«
Die alte Auffassung, dass die Gravidität alle Soolbadkuren aufheben solle, lässt sich nicht
in Zusammenhang bringen mit der Thatsache, dass die Schwangerschaft durch eine absolute und
relative Herabsetzung der Oxydationsprozesse charakterisiert ist. Dies führte den Vortragenden
dazu, eine Reihe von Versuchen an der Klinik von Pinard in Paris anzustellen, deren Ergebnisse
folgende sind. Die Gravidität erzeugt eine Reihe von Veränderungen, die Blutmenge ist vermehrt,
aber die Bestandteile derselben sind vermindert (physiologische Leukocytose), an die Frucht werden
Salze, besonders Eisen, abgegeben, der Stoffwechsel der stickstoffhaltigen Theile ist vermindert;
Verlangsamung des Stoffwechsels und Verminderung der Oxydation abhängig von der ungenügenden
Leberfunktion. Daher Obesitas, Erbrechen, Ikterus etc. Infolge Einschaltung des Placentarkreis-
laufes steigt die Arbeit des Herzens und der Gefässe, das Herz nimmt an Volumen zu: Herzklopfen,
Schwindel etc., ferner Veränderungen der Hautthätigkeit (Seborrhoe und dergl.), Schwellungen der
Thyreoidea, nervöse Depressionszustände.
Vollbäder haben dagegen einen Einfluss auf die Blutzirkulation, auf die Oxydation, den Stoff¬
wechsel, auf Nieren- und Schweisssekretion, daher Resorption von Exsudaten von Entzündungs¬
produkten, Hyperplasien, Stimulierung der Organe bei Rekonvalescenz. Soolbäder sind also gerade
dazu geschaffen, in der Gravidität als Stimulans zu wirken; eine grosse Anzahl Autoren haben sich
auch dafür ausgesprochen. Die charakteristischen Merkmale der Physiologie der Schwangerschaft
and der physiologischen Wirkung der Soolbäder sind folgende:
Physiologie der Schwangerschaft:
1 Verlangsamung der Cirkulation.
-- Trägheit der Darmthätigkeit, Verlangsamung
der Thätigkeit der Drüsen des Darratraktus.
3. Obesitas.
4. Harnverminderung.
3. Verminderung desGesammtstickstoffes im Urin.
*>• Verminderung des Harnstoffes.
7. Verminderung des Koeffizienten Harnstoff N:
GesammtN (Stickstoff).
8. Verminderte Assimilation.
9. Verminderung des Stoffwechsels, Depressious-
zustände.
I Physiologische Wirkung der Soolbäder
1. Kräftigung der Cirkulation.
I 2. Kräftigung der Darmthätigkeit. Erhöhte Sekrc-
I tion an den Drüsen des Verdauungstraktus.
3. Vermehrter Fettumsatz.
| 4. Harnvermehrung.
5. Vermehrung des Gesammtstickstoffes im Urin.
| 6. Vermehrung des Harnstoffes.
| 7. Vermehrung des Koeffizienten Harnstoff N:
| Gesammt N.
8. Vermehrte Assimilation.
9. Vermehrung des Stoffwechsels, Steigerung der
, Lebensprozesse.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
12 fi
Als Indikationen für die Anwendung von Soolbädem ergeben sich folgende: 1. Die gewöhn¬
liche physiologische Gravidität; 2. zufällige Erkrankungen, wie Schwächezustände, Anämie, Rhacbitis
Osteomalacie, Gicht, Rheumatismus, Cirkulationsstörungen; 3. pathologische Schwangerschaften, ver¬
anlasst durch chronische Metritis, Oophoritis, Salpingitis, Myome etc.; 4. schwächliche, anämische
Fälle, bei denen die Aussicht auf Frühgeburten und auf Erzeugung schwächlicher Kinder besteht.
Bei alledem muss strengste Individualisierung vorgenommen werden, eine noch grössere Vorsicht
wie gewöhnlich Platz greifen. Die Bäder werden 3—5 Mal wöchentlich verabreicht, entweder vor¬
mittags oder abends, der Salzgehalt soll für gewöhnlich 1—4°/ 0 betragen, selten 4—6<>/ 0 , die Temperatur
des Wassers 33—35« C., Dauer des Bades 15—30 Minuten, dann Bettruhe. In bestimmten Fällen
kann eine temperierte Begiessung folgen; kräftige Kost, viel Aufenthalt im Freien sind wichtige
Komponenten. Die Schlussthesen, die Redner aufstellt, sind folgende:
1. Weder die normale noch die pathologische Schwangerschaft sind an und für sich eine
Gegenanzeige für Soolbäder.
2. Es liegt sowohl im Interesse der Mutter als des Kindes, während der Schwangerschaft
Soolbadkuren gebrauchen zu lassen, wenn eine Anzeige dafür besteht.
3. Habitueller Abortus oder Neigung zu Frühgeburt sind eine Anzeige für Sool badkuren.
4. Frauen, welche durch Schwangerschaft und Wochenbett erfahrungsgemäss sehr ge¬
schwächt oder erschöpft werden, sind einer Soolbadkur während der Gravidität be¬
dürftig.
5. Für Frauen, welche bereits schwächliche oder garnicht lebensfähige Kinder zur Welt
gebracht haben, sind Soolbadkuren bei späteren Schwangerschaften indiziert.
Die sehr lebhafte Diskussion, die sich an diese Thesen Kellert 'anschloss, ergab, dass die
grosse Mehrheit der Versammlung denselben nicht beizutreten vermochte. Engelmann (Kreuznach),
Weisz (Pistyan), Kisch (Franzensbad) gaben ihre lebhaften Bedenken dagegen kund und stimmten
darin überein, dass man im allgemeinen schwangere Frauen zu Hause nicht baden lassen soll.
Demgegenüber verwies Keller auf ein Beobachtungsmaterial von über 70 schwangeren Frauen,
die er in 15jähriger Kurthätigkeit in Rhcinfelden mit Soolbäder behandelt habe.
Winkler (Nenndorf), lieber den Nutzen der Kombination von Sclimierknr und Schwefelknr
bei Behandlung der Syphilis«
Redner giebt die chemische Erklärung, wie die Kombination der Schmierkur mit einer
Schwefelwassertrinkkur und dem Gebrauche von Schwefelbädern es möglich macht, enorme Mengen
Quecksilber durch den Körper hindurchzutreiben und so das syphilitische Virus zu vernichten, ohne
den Organismus zu vergiften und ohne dass Salivation oder sonstige Intoxikationserscheinungen
cintreton. Er erklärte die Vorgänge folgendermaassen: Zunächst wird durch Oxydation des Schwefel¬
natriums unterschwefligsaures Natron gebildet, das auf die im Körper angetroffenen Quecksilber¬
verbindungen reagiert, so dass sich ein komplexes Doppelsalz bilden muss, ein lösliches unter¬
schwefligsaures Quecksilberalkali, welches sich nur sehr langsam unter allmählicher Abscheidung
von Schwefel und Schwefelquecksilber und Bildung von saurem schwefelsaurem Natron und saurem
schwefligsaurem Natron zersetzt, worauf die beiden entstandenen sauren Salze durch das Alkali¬
karbonat der Körperflüssigkeiten in neutrale übergeführt werden. Indem Winkler auf die von
Dreser (Tübingen) angestellten Versuche mit Kaliumquecksilberhyposulfit hinweist, das gleich jenem
Natriumdoppelsalz langsam wirkt und wenig reizt, nimmt er an, dass das Quecksilber in den
Lösungen derartiger Doppclsalze grösstentheils nicht als freies Kation Hg, sondern als komplexes
Anion HgS^jO«; vorhanden ist, deswegen werde die Lösung einer solchen Quecksilberverbin düng
den Körper nicht schädigen, nicht vergiften. Kurz die besagte kombinierte Kur imprägniert den
ganzen Körper mit einem verhältnissmässig unschädlichen, löslichen, leicht cirkulierenden, alle Gewebe
durchdringenden, schliesslich langsam zerfallenden komplexen Doppelsalze, wodurch es möglich wird,
sehr grosse Mengen Quecksilber viele Wochen lang mit gleichmässigcr Kraft auf das syphilitische
Virus wirken zu lassen, ohne den Patienten zu schädigen. Angesichts dieser Vorgänge der
kombinierten Kur sollte man alle Fälle von Syphilis maligna, alle Fälle von Syphilis bei skrophu-
lösen, tuberkulösen, kachektischen Individuen und endlich alle Syphilitiker, die das Quecksilber
schlecht zu vertragen scheinen, ohne Zeitverlust in die Schwefelbäder schicken, um ihnen hier eine
kombinierte Kur angedeihen zu lassen, die allein im stände ist, die Krankheit cito, tuto et jucundo
zu heilen.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 127
Vollmer (Kreuznach), Dermatologie and Balneologie.
Die seit langen Zeiten bestehenden Beziehungen zwischen Dermatologie und Balneologie sind
durch mancherlei Umstände in neuerer Zeit verwirrt worden. Einerseits haben Kurorte und Bäder,
Hotelbesitzer und Badeärzte, deren Qualifikation berechtigten Zweifel erregt, bei Aufstellung immer
neuer Indikationen auf Hautkrankheiten ihre Thätigkeit ausdehnen zu müssen geglaubt. Anderer¬
seits haben auch manche Dermatologen und Praktiker einigen seit Jahrhunderten gegen Haut¬
krankheiten verwendeten Bader- und Trinkkuren ihre Wirksamkeit absprechen zu sollen gemeint,
weil sie selbst vielleicht zufällig nicht in der Lage waren, eigene Beobachtungen anzustellen oder
ein besonders unglücklicher Fall der Privatpraxis ein gutes Bad diskreditiert hat. Eine zusammen¬
fassende objektive Darlegung der faktischen Verhältnisse fehlte bislang, und es lohnte sich wohl,
die Beziehungen zwischen den Badeorten und den Hautkrankheiten einmal näher zu betrachten.
Redner ging dann zunächst auf die Beziehungen zwischen den eigentlichen Hautkrankheiten wie
Acne, Furunkulose, Ekzem, Psoriasis, Sklerodermie und allen skrophulo-tuberkulösen Leiden, be¬
sonders der Kinder, und den balneologischen Prozeduren in Badeorten wie Wiesbaden, Kreuznach,
Lenk und Aachen ein, betonte dass gerade Würtcmberg die erste Kinderheilstätte in Jagstfeld als
erstes deutsches Kinderheim in Soolbädera gehabt hätte und erklärte, warum bei den erwähnten
chronischen Krankheiten oft in den geradezu spezifischen Badeorten der Abschluss der Heilung
erfolgte, nämlich durch die günstige Einwirkung auf die Gesammtkonstitution und das erkrankte
Organ durch Bade- und Trinkkuren. Des Weiteren ging der Redner zu den Sexualerkrankungen *
über. Auch hier gilt im allgemeinen der Satz: Die akuten Formen schliessen die Balneotherapie
ans, die chronischen schliessen sie ein. Bei einer akuten Gonorrhoe wird kein Arzt differente Bäder
verordnen, weder bei einer lokalen Gonorrhoe der Harnröhre, noch bei einer gonorrhoischen Gonitis,
Epididymitis, höchstens in beiden Fällen kalte Sitzbäder verwenden. Aber ein weites Feld für
die Balneotherapie eröffnen die durch die Gonokokkeninvasion vielfach geschaffenen chronischen
Folgezustände wie paraurethrale Verdickungen, knotige Auftreibungen des Nebenhodens, Parame-
tridden. Jeder Gynäkologe wird zugeben, dass es für die Beckenexsudate kein besseres Mittel
giebt als Soolbäder mit Soolwasserinjektioncn in die Scheide. Der oft wie eingemauerte Uterus
wird wieder mobil, und die Schmerzen bei der Harn- und Stuhlentleerung verschwinden. Auch
jeder Urologe wird Fälle kennen, wo unleidliche Zustände der Prostata nach Gonorrhoe, wo chronische
postgonorrhoische Schwellungen des Hodens und Nebenhodens durch Bade- und Trinkkuren z. B
in Wiesbaden, Kreuznach, Wildungen auf ein erträgliches Minimum herabgedrückt wurden. Zum
Schluss sprach Redner in eingehender Weise noch über die spezifischen antiluetischen Kuren in
Schwefel- und Soolbädera, über deren wissenschaftliche Berechtigung und praktischen Werth jetzt
wohl einmüthiges Einverständnis zwischen den Klinikern und praktischen Aerzten einerseits, und
den dermatologisch geschulten Badeärzten andererseits bestände. Ob Schwefel- oder Soolbad sei
nicht generell, sondern individuell zu entscheiden.
In der Debatte weist Länderer (Stuttgart) auf die Behandlung des Ekzems und tuberkulösei
Fisteln mittels Sool- und Schwefelbädern, Winternitz (Wien) auf die Wasserbehandlung des Ekzems
unter Beifügung von Heidelbeermus hin, während Liebreich (Berlin) den Kausalnexus des Ekzems
festgestellt wissen will, ehe er sich für Bäder- oder Salbenbehandlung entscheidet.
Grabe (Neuenahr), Ueber den Einfluss salzhaltigen Wassers anf die Blutbeschalfenheit nach
Versuchen am Menschen.
Die Untersuchungen hat Autor an sich selbst angestellt, um den Einfluss zu studieren, welchen
der Genoss einfachen warmen und eines salzhaltigen Wassers — Neucnahror Sprudel — auf die
Blutbeschaffenheit hat. Die Untersuchungen erstreckten sich auf 35 Tage. Es werden nach Be¬
stimmung der Normal Verhältnisse dreitägliche Blutunterauchungen gemacht und zwar wurden unter¬
sucht: 1. der osmotische Druck; 2. der Wassergehalt; 3. die Zahl der rothen Blutkörperchen; 4. der
Hämoglobingehalt. Folgendes waren die Resultate: 1 die Blutbeschaffenheit bleibt unter gleichen
Lebensbedingungen konstant; 2. der regelmässige Genuss einfachen wannen Wassers hat eine Ab¬
nahme des osmotischen Druckes und eine Zunahme der Konzentration des Blutes zur Folge; 3. der
regelmässige Genuss eines wannen alkalischen Mineralwassers (Neuenahrer Sprudel) hat eine Zunahme
des osmotischen Druckes, des Hämoglobingehaltes und der rothen Blutkörperchen und eine Abnahme
des Wassergehaltes des Blutes zur Folge; 4. diese Veränderungen zeigen sich schon sehr bald nach der
Aufnahme des betreffenden Wassere. Sic werden während der folgenden drei Stunden ausgeprägter
und klingen dann allmählich wieder ab. Bei fortgesetztem Genuss des Wassere tritt innerhalb von
24 Stunden keine Rückkehr zur Norm ein, sondern die Blutveränderungen werden dauernd. 5. Sie
sind auch noch einige Tage, nachdem der Gebrauch des Wassers wieder aufgehört hat, naclizuweisen.
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UNIVERSETY OF MICHIGAN
128
Berichte über Kongresse und Vereine.
Engelmaiin (Kreuznach), Einwirkung der Krenznacher Quelle auf das Blut.
Eine parallele Untersuchung mit Grube unternahm Engelm ann, indem er die Frage,
welchen Einfluss die Zufuhr der Kreuznacher Soolquellen auf den Organismus im allgemeinen und
auf das Blut im besonderen ausübe, einer Prüfung mittels der chemisch-physikalischen Untersuchungs-
raethoden unterzog. Nach mehrtägiger Prüfung der normalen Verhältnisse, führte er während
19 Tagen die mittlere Dosis einer Trinkkur — einen halben Liter täglich — dem Körper zu, unter
gleichmässiger Einhaltung von Nahrung, Flüssigkeitszufuhr, Schlaf, Bewegung u. s. w. Nach Schluss
der Trinkkur wurde dreimal täglich, auf einige Tage fortgesetzt, der osmotische Druck des Blut¬
plasma, des Urins festgestellt, ferner der Gehalt an Hämoglobin, Puls und Temperatur, zeitweise
auch die Zahl der Blutzellen. Das Resultat seiner Beobachtungen resümiert Engel mann wie folgt:
Während der 19 tägigen Trinkkur, die einer täglichen Dosis von 8 g Salz entspricht, sank im Durch¬
schnitt der Puls um 8 Schläge, von 78 auf 70, die Bluttemperatur um fast einen halben Grad. Das
Körpergewicht blieb gleich. Es stieg der Hämoglobingehalt um 0,03%, die Zahl der Blutkörperchen
von 6 300 000 auf 6 600 000, die Gefrierpunktsverminderung den Urins um 0,18° C, des osmotische
Druck des Blutplasmas um 0,30o C.
Lenli 3 (Neuenahr), Ueber Trinkkuren.
Für die von den Balneologen stets angenommene spezifische Wirksamkeit der Heilquellen
lag bis in die jüngste Zeit nur die klinische Beobachtung als Beweismaterial vor. Heute dürfte
die physikalisch-chemische Untersuchung im allgemeinen wenigstens den exakten Beweis geliefert
haben, dass diese Beobachtung keine Täuschung war, dass vielmehr die Mineralquellen mit ihrem
Gehalte an Molekülen und dissociierten Jonen eine mässige Einwirkung bei ihrer Einverleibung in
den Organismus ausüben. Des weiteren haben uns die neueren Forschungen gelehrt, dass es die
Gesetze und Kräfte der Osmose sind, die bei dieser Einwirkung jedenfalls eine hervorragende Rolle
spielen. Speziell die Arbeiten Köppes’s haben nach dieser Seite hin ausserordentlich aufklärend
und zu weiteren Untersuchungen anregend gewirkt. Leider dürften die nach dieser Richtung vor¬
genommenen Versuche an Kaninchen für die vorliegenden Zwecke unverwerthbar sein, da die ge¬
wonnenen Resultate sich kaum auf den Menschen übertragen lassen. Den einzig richtigen Weg
dagegen haben Grube und Engelmann, zwar gleichzeitig aber unabhängig von einander ein¬
geschlagen. Sie stellten ihre Untersuchungen an ihrer Person mit Neuenahrer Sprudel resp. Kreuz¬
nacher Mineralwasser an; die gezeitigten Ergebnisse decken sich nicht nur untereinander, sondern
auch mit den Gesetzen der physikalischen Chemie. Sie beweisen, dass diese Wässer eine ganz
energische Einwirkung auf den Organismus, in erster Reihe auf die Konstitution des Blutes aus¬
üben. Mit dieser Erkenntniss ist der Balneologie aber mehr wie je die dringende Aufgabe geworden,
den noch vielfach herrschenden Schematismus bei Verordnungen von Trinkkuren endgültig auf¬
zugeben und auch bei Verordnung dieser Kuren mehr wie bisher den Gesetzen der Pharmako¬
dynamik etc. in gebührender Weise Rechnung zu tragen. Um hierbei richtig Vorgehen zu können,
ist aber die Kenntniss der Minimaldosis jedes Heilwassers, dass heisst der geringsten Gabe, bei
welcher die spezifische Einwirkung auf das Blut und auf den Organismus noch erkennbar und
nachweisbar ist, eine unumgängliche Forderung. Nur auf einer solchen Grundlage wird sich eine
wissenschaftlich begründete, für die Praxis unentbehrliche Trinkkur aufbauen lassen.
Frey (Baden-Baden), Die Bedeutung'der Venendruckmessungen bei der Behandlung der Kreis-
laufsstörungen.
Für die Beurtheilung der nonnalen und besonders der pathologischen Kreislaufstörungen
bietet die Kenntniss der Blutdruckverhältnisse die unerlässliche Unterlage. Aus dem Blutdruck
können wir den direkten Schluss ziehen, mit welcher Kraft das Herz einerseits in die Arterien
treibt, mit welcher Kraft es andererseits dasselbe aus den Venen absaugt; dann können wir mit
Zuhülfenahme des Schlagvolumens, d. h. der Blutmenge, die mit jeder Systole aus dem Ventrikel
ausgestossen wird und aus der Frequenz der Herzaktion uns ein Bild von der Geschwindigkeit
konstruieren, mit der sich der gesammte Kreislauf vollzieht und schliesslich hängt die Energie, mit
der in den einzelnen Organen die intimsten Stoff Wechsel Vorgänge und Funktionen sich vollziehen,
ganz direkt von den wechselnden Blutdruck Verhältnissen in diesen Organen ab. Bei der grossen
theoretischen und praktischen Bedeutung, die darnach der Kenntniss der Blutdruckverhältnisse zu¬
kommt, ist es natürlich, dass das Studium derselben ein bevorzugtes Thema der Physiologen und
Kliniker bildete. Vierordt, Marey, v. Basch, Mosso, Rica, Gärtner und andere haben
vorzügliche Arbeiten über Blutdruckverhältnisse geliefert und eigene Apparate angegeben. Alle
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Berichte über Kongresse und Vereine.
129
die gebräuchlichen Blutdruckmesser jedoch, die auf den verschiedensten Prinzipien aufgebaut sind,
sind nur für ^Arteriendruckraessongen geeignet. Wenn man der Frage der Venendruckmessung
praktisch näher tritt, so kommt'es vor allem darauf an, einen Blutdruckmesser zu konstruieren, mit
dem man im stände ist, ebenso genau die kleinen Werthe des Venendrucks in Zahlen auszudrücken,
ab die beträchtlich höheren Werthe des Arteriendrucks. Der von Frey angegebene Apparat
(erhältlich bei A. Bosch in Strassburg) beruht auf dem Prinzip der Dezimalwaage. Ein vertikal
sich bewegender Druckstift tragt an seinem unteren Ende eine Pelotte, mit der die betreffende
Arterie oder Vene soweit komprimiert wird, bis dem Weiterfliessen des Blutes dadurch ein Hinder¬
nis gesetzt wird. Für die Arterien erkennt man den Moment des ausweichenden Druckes an dem
Verschwinden und Wiedererscheinen der Pulswellen, für die Venen daran, dass die centripetal von
der Pelotte nach der nächsten Klappe ausgestrichene Venenparthie leer bleibt. Die geringste
Belastung, die eben noch dazu ausreicht, gilt als annäherndes Maass für Arterien- und Venendruck,
and ist direkt an der Skala des Druckhebels durch Multiplikation mit dem aufgesetzten Gewichte
festzustellen. Ausser dieser Einfachheit hat dieser Blutdruckmesser den Vortheil seiner breiten
Verwendbarkeit, von 5 g hierüber 500 g Belastung giebt er genaue Werthe, ferner hat der Apparat
keine Kautschucktheile, die steten Veränderungen ausgesetzt sind, und ,schliesslich |giebt er die
gefundenen Druckwerthe in Grammen an, d. h. in einem Gewichte, das für Jedermann ohne irgend
welchen Kommentar verständlich ist. Die Arteriendruckmessungen werden usuell an den Radial¬
arterien vorgenommen und zwar in derselben Weise und unter denselben Voraussetzungen wie mit
den anderen bekannten Blutdruckmessern, die auf dem Prinzipe des tastenden Fingers konstruiert
sind. Für Venendruckmessungen ist jede oberflächlich gelegene Vene mit dichten Klappen geeignet
- im Falle die Klappen nicht dicht sind, kann der Untersuchende durch leichte Kompression die
Schlussfähigkeit derselben herstellen —, zumeist wird aber die vena dorsi manus verwendet; sie
entspricht im Lumen etwa der Radialarterie, dann ist sie aber auch einer der Hauptabflüsse aus
dem Kapillargebiet, für welches die Radialarterie der Hauptblutzufluss ist, damit sind die Anhalts¬
punkte bequem gegeben, um zu beurteilen, ob und in wie weit der Venendruck den physiologischen
Schwankungen des Arteriendruckes folgt.
Bei der Vornahme der Venendruckmessungen hat man noch folgendes zu beachten: Wie jede
Flüssigkeit im Körper, so ist auch das Blut den Gesetzen der Schwerkraft unterworfen, die sich
natürlich dort am meisten geltend macht, wo die treibende Kraft am geringsten ist, also in den
Venen; an einer herabhängenden Hand werden wir höhere Venendruck werthe finden als in einer
erhobenen, an den Beinen wird der Venendruck im Stehen grösser sein als im Liegen. Es ist
deshalb dringend geboten, bei Venendruckmessungen an Hand oder Arm, den Arm leicht gestreckt
horizontal *auf einem Tische aufzulegen, und zwar so, dass die zu messende Stelle genau auf der
Höhe des rechten Vorhofes, als dem Nullpunkte der Messung sich befindet. Weiterhin ist darauf
za achten, dass keine Kleidungsstücke besonders in der Axilla die Venen drücken, dass der zu
Untersuchende gleichmässig ruhig athmet, den Kopf geradeaus hält, so dass die Sternocleidomastoidei
beiderseits den gleichen Winkel mit der Clavicula bilden und dass der Arm möglichst abduziert
gehalten wird. Dass der Venendruck in den Hautvenen, die allein den Messungen zugängig sind,
dem Drucke in den tiefer liegenden Venen gleich sein muss, ergiebt sich bei den zahlreichen
Anastomosen, die zwischen beiden bestehen, aus den hydrostatischen Gesetzen von selbst.
Aus den in den letzten Jahren vorgenommenen Messungen an hunderten von Gesunden und
Kranken ergiebt sich als Resumö, dass der normale Arteriendruck zwischen 250 und 400, der
normale Venendruck zwischen 10 und 15 g schwankt. Arterien- und Venendruckmessungen werden
sieh natürlich nur zu ergänzen haben, da ja gerade die Differenz aus beiden die richtige Grösse
des Gefälles abgiebt, in der man ein Maass erkennt nicht allein für die Geschwindigkeit, mit der
das arterielle Blut durch das Kapillametz hindurch in die Venen kommt, sondern auch für die
Energie mit der sich der gesamrate Kreislauf vollzieht. Bekanntermaassen sind Arteriendruck¬
roessangen mit den verschiedenen Biutdruckmessem nicht schwer auszuführen und verlangen viel
Uebang. Die Arterien liegen tief und die Spannung der umgebenden und bedeckenden Theilc wie
die der Arterienwand selbst sind schwankende und dabei sehr in die Wagschaale fallende Grössen.
Die Höhe der Pulswelle, deren Verschwinden und Wiederauftreten bei verschiedenen Messapparaten
als Kriteriumlgilt, geht besonders in pathologischen Fällen oft garnicht parallel mit dem wirklichen
Arteriendruck; vollends bei den Messungen mit Apparaten, die auf dem Prinzipe des Plethys-
roometer beruhen, werden noch weit differentere Werthe angegeben. Ausser diesen technischen
Schwierigkeiten besteht für die praktische Deutung der gefundenen Werthe ein grosses Hindemiss
•Urin, dass der Arteriendruck bei den verschiedenen Menschen nach Geschlecht, Grosse, Alter, Blut¬
fülle etc. etc. in sehr weiten Grössen schwankt. Wie einfach liegen im Vergleich dazu die Ver-
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Original fro-rn
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130 Referate über Bücher und Aufsätze.
hältnisse bei den Venendruckmessungen, vorausgesetzt dass die oben genannten Kautelen genau
beachtet werden. Die einzige Unbekannte bei der Venendruckmessung ist der Widerstand des
Hautorgans und der der Venenwandung. Bei der oberflächlichen Lage der Vena, bei dem fast
absoluten Fettmangel am Handrücken, bei der anerkannten Dünnwandigkeit der Venen dürfte
diese Unbekannte bei den Venendruckmessungen verschwindend klein sein im Vergleiche mit den
analogen Verhältnissen bei den Arterien. Berücksichtigt man ausserdem, dass die breiten physio¬
logischen Schwankungen im Arteriendruck auf den Venendruck gamicht oder nur minimal ein¬
wirken, so darf man sicher in dem eng begrenzten normalen Venendruck von 10—15 g ein Reagens
dafür erkennen, dass die Kreislauf Vorgänge in richtiger Weise sich abspielen, und schon eine geringe
Steigerung über die angegebene Norm muss Veranlassung geben, nach einer Ursache dieser Druck¬
steigerung zu fahnden (chronische Nephritis, pleuritische Schwielen u. dergl.). Die grösste Bedeutung
haben natürlich die Venendruckmessungen bei der Behandlung von Kreislaufstörungen mit physikalisch-
diätetischen Heilmitteln; sie sind für die richtige Auswahl und Kombination derselben geradezu
maassgebend. Für die Dosierung ist fortlaufende Venendruckmessung vor und nach der einzelnen
Prozedur erforderlich, und gerade in dieser Richtung können Venendruckmessungen richtig gedeutet
den Kranken wie den Arzt vor den peinlichsten Ueberraschungen oft schützen.
(Fortsetzung folgt.)
III.
Am 6. März dieses Jahres hielt im Senkcnberg’schen Institut zu Frankfurt a. M. der Verbaud
deutscher ärztlicher Heilanstaltsbesitzer und -Leiter seihe diesjährige Generalversammlung ab.
Die Ziele und Aufgaben des im vorigen Jahre in Erfurt gegründeten Verbandes wurden in längerem
Vortrage von Sanitätsrath Dr. Kothe, Friedrichroda, dargelegt, der bei der darauffolgenden Wahl
oinstimmig zum Vorsitzenden erwählt wurde. An seine Stelle als Kassenführer trat Dr. Dettmar
Lauterberg. Von den gefassten Beschlüssen, die sicher der Förderung der wirtschaftlichen und
Standesinteressen dienen werden, heben wir als besonders wichtig hervor: den Anschluss an den
deutschen Aerztevereinsbund, Einrichtung provinzieller Verbände, Herabsetzung
dos Vereinsbeitrages, Regulierung des Inseratenwesens, der Stellen- und Verkaufs-
vermittelung, eventuelle Anlehnung an das medicinische Waarenhaus beziehungsweise
deutschen Beamten verein, Stellungnahme gegen das auf dem Gebiete der Anstalts¬
behandlung sich besonders breitmachende Kurpfuscherthum u. a. Als nächstjähriger Ver¬
sammlungsort wurde der Ort des Kongresses für innere Medicin gewählt.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Sir Henry Thompson, Bart F. R. C. S., M. B.
Lond., Diet in relation to age and activity*
London 1891.
Der durch seine ausgezeichneten Leistungen
in der Chirurgie, besonders der Hamorgane, be¬
rühmte Verfasser hat sich auch grosse Verdienste
erworben durch seine intelligenten und durchaus
praktischen Rathschläge über Diät und hygienische
Lebensweise. Einen Theil des vorliegenden Buches
hat er schon im Jahre 1886 veröffentlicht, ein
anderer ist neu und enthält die Schlüsse aus den
Erfahrungen, die er zwischen dem 65. und 82. Jahre
seines Lebens gesammelt hat Jeder der beiden |
Theile hat zwei Kapitel, deren Inhalt wir kurz
andeuten wollen.
ln Bezug auf den Genuss alkoholischer Ge¬
tränke ist Sir Henry Thompson stets ein Ver¬
treter grosser Mässigkeit gewesen, ohne den be¬
schränkten Genuss zu verdammen, und vertritt
in dieser Beziehung die allmählich mehr und mehr
ausgebildeten Ansichten der hervorragendsten
Aerzte. Der Verfasser war aber einer der frühesten
Wegweiser über die Wichtigkeit der Art der
Zubereitung der Speisen. Wir haben in einem
früheren Bande dieser Zeitschrift das in vielen
Auflagen erschienene Werk des Verfassers: *On
food and feeding« besprochen, welches vor
kurzem in der 12. Auflage erschienen ist Ebenso
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Referate über Bücher und Aufsätze.
131
grosses Gewicht legt er mit Recht auf die Menge
and Answahl in der Nahrungsaufnahme, ln der
Jugend und in dem Anfang des Mannesalters
sieht er in den meisten Fällen keinen grossen
Sehaden von dem zu reichlichen Genuss nähren¬
der Speisen, weil sich die Natur meist durch akute
Anfälle von Verdauungsstörungen (die »bilions
attacks« der Engländer) hilft; in zunehmendem
Alter aber, nach 45 und 50 Jahren, führt das
üebermaass von nahrhaften Speisen meistens zu
Anfällen von Gicht oder Rheumatismus, Entartung
der Blutgefässe und anderen chronischen Leiden,
wenn nicht dnreh starke körperliche Anstrengun¬
gen der Verbrauch und die Ausfuhr, welche in
den späteren Lebensperioden unter gewöhnlichen
Verhältnissen abnehmen, sehr vermehrt werden.
Als Beispiel der Nachtheile der übermässigen
Nahrungsaufnahme bei nur geringer körper¬
licher Bewegung führt er die zur Bereitung der
Gänseleberpasteten gefütterten Gänse an, mit
welchem Vorgang wir im täglichen Leben der
wohlhabenden Klassen nicht selten Verwandtes
finden. Die einfache Weisheitsregel, die Ein¬
nahme mit der Ausgabe des Körpers in Harmonie
za bringen, kann nie ohne Schaden vernachlässigt
werden. Man kann sich nicht genug vor Augen
halten, dass mit zunehmendem Alter, besonders
nach dem GO. und 70. Jahre, die Ausgaben des
Körpere und die Erneuerung der Gewebe ver¬
mindert sind und dass die Einnahme der Nahrung,
besondere von Fleisch, ebenfalls vermindert
werden muss. Die Idee vieler Menschen, dass
im Alter mehr Fleisch, Eier und konzentrierte
Speisen, wie starke Suppen, Fleischextrakte und
starke Weine nöthig sind, ist durchaus falsch
und gefährlich, obgleich die natürliche Abnahme
von Kraftgefühl und Leistungsfähigkeit, sowie
die Abnahme des Körpergewichts im Alter diese
Idee zu unterstützen scheinen, aber nur fälschlich.
Zunahme des Gewichts im Alter ist nur in seltenen
Ausnahmefallen günstig, Fettwerden ist schon
deshalb schädlich, weil dadurch die Bewegung
erschwert wird, die für die Erhaltung der Cir-
kulation und der Ernährung der Gewebe so
wichtigist. Mit Recht sagt SirH enry Thompson
»Der typische Mann von 80 oder 90 Jahren,
welcher noch einen achtungswerthen Grad von
Energie des Geistes und Körpers besitzt, ist mager
und dünn und lebt von sehr »lässigen Rationen.«
Im zweiten Kapitel erinnert der Verfasser
an die Schriften von Liugi Cornaro, dem
Zeitgenossen von Titian, welcher mit 83 Jahren
seine erste Arbeit über Diät und Lebensweise
schrieb; noch drei andere folgten, in denen
er die eben erwähnten Grundsätze vertrat, bei
welchen er bis über hundert Jahre lebte uud
dann ohne alle Leiden starb.
Der Verfasser, obgleich Vertreter grosser
Mässigkeit, hält es für ganz unrichtig, bestimmte
Diätregeln als für alle Verhältnisse gültig zu
geben, sondern zeigt, dass dieselben jedem
einzelnen Falle angepasst werden müssen. Dem
Manne, welcher täglich während acht bis zwölf
Stunden schwere körperliche Arbeit thut, giebt
er ein anderes Maass als dem Arbeiter am
Schreibtisch; der ersterc nimmt selten zu viel
und ist frisch und gesund, wenn er nicht trinkt
oder andere Fehler begeht; der letztere, wenn
er seine freie Zeit im Zimmer, in Gesellschaften
und bei grossen Mahlzeiten zubringt, wird meistens
früher oder später von Verdauungsstörungen,
gichtischen Erscheinungen oder anderen Leiden
heimgesucht. Diese Klasse von Menschen, zu
welchen Maler, Schriftsteller und andere geistige
Arbeiter gehören, geniessen viel bessere Gesund¬
heit, wenn sie massige und leicht verdauliche
Mahlzeiten, wie Fisch, Geflügel, Gemüse, Milch
und Brot, nehmen, welche ein geringeres Maass
von Nervenkraft zur Verarbeitung in Anspruch
nehmen. Das sogenannte Metzgerfleisch, wie
Rind-, Hammel- und Kalbfleisch, verbietet er
jedoch dieser Klasse von geistigen Arbeitern
nicht unbedingt, er hält cs aber für sie meist
nicht nöthig und empfiehlt Beschränkung in dem
Genuss desselben. Auch auf Temperatur, Klima
und andere meteorologische Einflüsse nimmt er
Rücksicht und ist für leichtere Nahrung in heissen
Klimaten und im Sommer im Vergleich zu kalten
Klimaten und dem Winter.
Die Verdauungsstörungen, welche gewöhnlich
mit den Worten »Indigestion« und »Dyspepsie«
bezeichnet werden, hält Thompson für in den
meisten Fällen abhängig von unpassenderNahrung
in Menge oder Beschaffenheit und vermeidlich
und heilbar durch richtige Anpassung der Nahrung
an das Individuum. Er weist darauf hin, dass
grosse Verschiedenheiten im gesunden Magen
verschiedener Menschen bestehen, ebenso wie in
der Leistungsfähigkeit des Gehirns, des Herzens
und anderer Organe, und dass diese Verschieden¬
heiten in jedem einzelnen Falle berücksichtigt
werden müssen. Er zeigt auch, dass ein schwacher
Magen gewisse Vorzüge hat, indem er die Ein¬
führung von zu viel oder von unpassenderNahrung
verweigert und so meist zu längerer Erhaltung
des Lebens führt. Auch lehrt er, dass man durch
Einsicht und Kunst eine sehr mässige und leichte
Diät zu einer recht angenehmen machen kann.
Im zweiten Theil der Abhandlung dringt
Sir Henry Thompson nach seiner längeren
Erfahrung noch klarer und bestimmter auf die
im ersten Theil niedergelegten Rathschlägc und
empfiehlt dringend, dass in Schulen ein leicht
fasslicher Kursus über die Physiologie der Er-
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132
Referate über Bücher und Aufsätze.
nährung gegeben wird. Die Wichtigkeit des
gründlichen Rauens, die Vermeidung von viel
Getränken während der Mahlzeiten, die Zahl und
Einrichtung der Mahlzeiten, der Genuss von
Flüssigkeit, entfernt von den Mahlzeiten, in nicht
zu grosser Wärme werden alle kurz besprochen,
ebenso die geistige Arbeit, die körperliche Be¬
wegung, die Nothwendigkeit der Ruhe vor der
Mahlzeit bei vielen Menschen, wenn sie vorher
Anstrengungen gemacht haben.
Auch über Bäder und Hautkultur, über
Wärmung und Ventilation der Wohnungen, über
geistige Ruhe und Thätigkeit giebt der Verfasser
einsichtsvolle Winke, welche zur Verlängerung
des Lebens und zu glücklichem Alter führen
können. Wir möchten noch besonders beifügen
die Wichtigkeit des Vermeidens und der Ent¬
fernung herabdrückender psychischer Einflüsse
und Beförderung von allem, was Freude und
Glück erzeugt. Wir haben auf einige einschlägige
Punkte in einer kleinen Arbeit im ersten Hefte
dieser Zeitschrift »Zur Vermeidung der senilitas
praecox« hingedeutet. .
Hermann Weber (London).
Fr. Müller, Beiträge zur Kenntoiss des
Muclns und einiger damit verbundener
Eiweissstoffe. Zeitschr. f. Biol. Bd. 42.
Müller giebt in der vorliegenden Abhand¬
lung eine ausführliche Darstellung seiner Arbeiten
über die Chemie des Mucins und besonders über
die Natur des daraus abspaltbaren kohlehydrat¬
ähnlichen [Körpers; die Hauptresultate dieser
Arbeiten, dass sich nämlich aus dem Schleim
verschiedener Herkunft ebenso wie aus reinem
Eiweissalbumin der kohlehydratartige Komplex
in Form des Glukosamins abspalten lässt, sind
schon in vorläufigen Mittheilungen veröffentlicht
worden und rasch allgemein bekannt geworden.
In der jetzigen Arbeit berichtet Müller über die
Art und Weise, wie er nach Ueberwinden vieler
Schwierigkeiten (Reindarstellung des Mucins aus
Sputum; Methode der Abspaltung des reduzieren¬
den Körpers; Ausschluss von Pentosen und Lävu-
lose; geringe Vcrwerthbarkeit der Osazonreaktion
zur Identifizierung des Zuckers; Ausschluss vor
Galaktose und von Glykuronsäure; schliesslich
Gewinnung des reinen Präparats mittels Benzoy¬
lierung) zum Nachweis des Glukosamins gelangte.
Weitere Versuche ergaben, dass auch aus anderen
Mucinen und dass auch aus Eiereiweiss Glukosamin
sich abspalten lässt.
Verfasser bespricht im Anschluss hieran ein¬
gehender die Frage nach der Zuckerbildung aus i
Eiweiss im Organismus. Er zeigt, dass die im
günstigsten Fall aus dem Eiweiss abspaltbaren
Glukosaminmengen bei weitem nicht ausreichen
um so grosse Zuckermengen zu liefern, wie sie
thatsächlich nach der gegenwärtig geltenden Auf¬
fassung beim Diabetes aus Eiweiss gebildet werden.
Hier müssen andere Spaltprodukte des Eiweiss das
Material zur Zuckerbildung liefern. Müller hat
früher schon darauf hingewiesen, dass unter diesen
das Leucin sowohl nach seiner Menge als nach
seiner chemischen Konstitution am ehesten hier¬
für in Frage kommt; er vertheidigt diese Vor¬
stellung gegen einige von anderer Seite erhobene
Einwände und kommt zu dem Schluss, dass die
Zuckerbildung aus Leucin zwar noch nicht be¬
wiesen, aber auch nicht widerlegt sei.
Schliesslich behandelt Müller noch die Frage
nach der Natur eines der Spaltungsprodukte des
Mucins, des therischen Gummi. Er zeigt, dass sich -
sowohl aus Eiweiss wie aus Mucinen verschiedener
Herkunft mit verschiedenen Methoden Substanzen
gewinnen lassen, welche im allgemeinen die Eigen¬
schaften des thierischen Gummi, aber ziemlich
weitgehende Schwankungen ihrer chemischen
Zusammensetzung darbieten; vermuthlich handelt
es sich um verschiedene beim Abbau der Grund¬
stoffe entstandene Zwischenprodukte.
Durch die Verwerthung der kürzlich von
Ehrlich angegebenen Farbenreaktion mit
Dimethylamidobenzaldehyd (dieselbe giebt die
charakteristische Rothfärbung mit Schleim und
mit dem einen Präparat des thierischen Gummi
erst nach Kochen mit Kalilauge, mit einer anderen
Art des thierischen Gummi ohne weiteres, mit
Glukosamin nicht, wohl aber mit gewissen Essig¬
säureverbindungen des Glukosamins) kann Müller
es wenigstens wahrscheinlich machen, dass Be¬
ziehungen zwischen dem thierischen Gummi und
dem Glukosamin bestehen.
D. Gerhardt (Strassburg).
Fr. N. Schulz, Ueber die Ursache der Zu¬
nahme der Eiweisszersetzung während des
Hungerns. Zeitschr. f. Biol. Bd 4L Heft 3.
Die Arbeit ist eine Verteidigung der von
dem Verfasser aufgestellten Lehro, dass das An¬
wachsen der N-Ausscheidung beim Hungerthior
in den letzten Tagen des Lebens nicht, wie
Voit u. a. annahmen, durch völlige Verarmung
des Körpers an Fett und dementsprechend ge¬
steigerte Eiweiss Verbrennung bedingt sei, sondern
dadurch, dass bei der zunehmenden Verarmung
an Nährmaterial zuletzt ein Theil der Gewebe
absterbe, zerfalle und so das Material für die
1 Zunahme der N-Zahlen im Harn liefere. Schulz
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133
Referate über Bücher und Aufsätze.
sucht die kürzlich von Kaufmann gegen diese
Anschauung erhobenen Einwürfe zu widerlegen
und stellt fest, dass hei einem Theil der dis¬
kutierten Thierversuche thatsächlich noch grössere
Fettmengen hei der Sektion der Thiere gefunden
wurden. D. Gerhardt (Strassburg).
E. Schreiber, Ueber die Verwendung des j
Arischen Kaseins in der Ernährung, Central- i
blatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrank¬
heiten 1901. No. 5.
Schreiber empfiehlt zur billigen Ernährung
von Kranken und auch grösserer Volksmassen
das aus Magermilch durch Labferment frisch ge¬
fällte Kasein, welches man den verschiedensten
Speisen (Breien, Suppen) zusetzen kann, und aus
welchem sich insbesondere durch Zusatz von
Mehl wohlschmeckendes eiweissreiehes Brot und
anderes Gebäck hersteilen lässt.
F. Voit (München).
B. Gymnastik.
0. Talpius, Zur Behandlung der Kontrakturen
and Ankylosen des Kniegelenkes. Münchner
uedirin. Wochenschrift 1901. No. 49.
Verfasser ist im Gegensätze zu Lorenz ein
Anhänger der blutigen Behandlung der Knie¬
kontrakturen tuberkulöser Natur; er verwirft auch
das von Lorenz aufgestellte Prinzip der absoluten
Schonung des Skelettes auf Kosten der Weich-
theüe. Beim modellierenden Redressement, sei
es nun manuell oder im Lorenz’schenExtensions-
apparate ausgeführt, besteht die Gefahr derUeber-
ddmung oder Zcrreissung von Nerven und Ge-
fisBen; desgleichen besteht die Gefahr der Fett¬
embolie, der Eröffnung abgekapselter tuberkulöser
Herde und der Subluxation der Tibia. Aus
diesen Gründen führt V u 1 p i u s selbst bei jungen,
geringgradigen Kniekontrakturen ohne
Gelenk Veränderung die offene, quere Flexoren-
tenotomie mit nachfolgendem Redressement aus.
(Referent kam bei derartigen Kontrakturen stets
durch Anwendung der Gewichtsextension oder
durch die allmähliche Dehnung in einem nach
dem Prinzip der Schraube ohne Ende konstruierten
Hälsenapparate zum Ziele.) Bei älteren Kon¬
trakturen mässigen Grades führt Vulpius
nebst der Flexorentenotomie noch die supra-
kondyläre Osteotomie aus. In beiden Fällen
bleibt der Fixationsverband in der redressierten
Stellung sechs Wochen liegen. Bei älteren Kon¬
trakturen mit Narbenbildung und einem
Knickungswinkel unter 135<> ist die bogen¬
förmige Resektion (nach Helferich) ange¬
zeigt, desgleichen bei ossären Ankylosen.
Nach der Resektion bleibt der Gipsverband zwölf
Wochen liegen. Verfasser hat nach diesen Prin¬
zipien etwa 100 Kniekontrakturen tuberkulöser
Natur behandelt, ohne jemals einen Misserfolg
oder eine Beugerezidive konstatiert zu haben.
Paul Lazarus (Berlin).
A. y. Sarbö, Zur Behandlung der tabischen
Ataxie. Klinische therapeutische Wochenschrift
1901. No. 26.
In dem vorliegenden Aufsatze beschäftigt
sich der Verfasser mit dem FrenkeT sehen Ver¬
fahren der Behandlung der Tabes, der
kompensatorischen Uebungstherapie. Schon vor
einigen Jahren hatte er auf den Werth der so¬
genannten kleinen Uebungen hingewiesen, welche
in jedem Stadium der Krankheit, schon im
präataktischen, beim Auftreten des Romberg-
schen Symptomes, vorgenommen werden können.
Nunmehr giebt er eine genauere Beschreibung
der Uebungen, nachdem er weitere günstige Er¬
fahrungen mit ihnen gemacht und festgestellt
hat, dass in Zuständen, in denen die grossen
Uebungen (Gehübungen, Treppensteigen u.s.w.)
verboten sind, vor allem im akuten Stadium der
Ataxie, jene kleinen Manipulationen, die rasch
von den Patienten selbst erlernt werden können,
nicht nur unschädlich, sondern von günstigem
Einflüsse auf den Verlauf sind. Verfasser giebt
eine genaue Eintheilung dieser Uebungen in
liegender, sitzender und stehender Stellung,
trennt die Beinübungen von den Rumpfübungen
unter genauer Feststellung der darauf zu ver¬
wendenden Zeit und der Tageseintheilung, über
die man sich im Original genauer orientieren
mag. H. Rosin (Berlin).
H.Zeehaisen, Beitrag zur Mechanotherapie.
Centralblatt für innere Medicin 1901. No. 36.
Verfasser legt den praktischen Aerzten
eine regere Anwendung der mechanischen Heil¬
methoden ans Herz. Er berichtet über die
günstigen Resultate der Schott* sehen Herz¬
gymnastik bei Insufficientia cordis adiposi; des¬
gleichen rühmt er den Einfluss der Widerstands¬
gymnastik bei Rekonvaleszenten nach akuten
Infektionskrankheiten (Typhus, Influenza, Pneu¬
monie, Polyarthritis, Pleuritis). Sein Kranken¬
material bestand zum grössten Theile aus Soldaten.
Auch bei chronischen Erkrankungszuständen
(depressiver Neurasthenie, Hysterie, traumatischer
Neurose, Gicht, Adipositas und manchen Formen
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134 Referate über Bücher und Aufsätze.
von Lungentuberkulose) gelang cs dem Verfasser
durch eine genau dosierte und individualisierte
Anwendung gymnastischer Prozeduren im Ver¬
eine mit den gewöhnlichen Heilagenticn schöne
Erfolge zu erzielen. Paul Lazarus (Berlin).
Kaufmann, Ueber den Werth methodischer
Tiefathmungen, insbesondere bei Seekrank¬
heit« Münchener med. Wochenschrift No. 42.
In No 38 der Münch, med. Wochenschrift war
von Heinz die Anwendung tiefer Athemzüge als
Mittel gegen Seekrankheit empfohlen worden.
Kaufmann theilt mit, dass er diese Methode
gelegentlich einer Seereise bei ungünstigcmWettcr
an sich und einem Mitreisenden mit sehr gutem
Erfolge erprobt habe. Ausser als Mittel gegen
Seekrankheit will er aber methodische Tief-
athmungen auch noch in anderen Fällen an¬
gewendet wissen, so bei Ohnmacht und Nasen¬
bluten. Ueber die Wirkungsweise dieser Methode
giebt Kaufmann an, es handle sich erstens um
die Ablenkung der Aufmerksamkeit, also um ein
rein psychisches Moment, dann aber um eine An¬
regung der Cirkulation durch die starken
Respirationsbewegungen, wodurch beim Nasen¬
bluten z. B. die venöse Stauung vermindert werde.
Schliesslich könne noch durch die ausgiebige
Sauerstoffzufuhr eine centrale Herabsetzung des
Brechreizes erzielt werden. Aus diesen Gründen
tritt Kaufmann warm dafür ein, die Tief-
athmungen häufiger zu therapeutischen Zwecken
anzuwenden und auch das Laienpublikum mit
dieser Methode bekannt zu machen, da sie sich
durch ihre Einfachheit und völlige Gefahrlosigkeit
ganz besonders hierzu eigne.
In Kürze sei noch erwähnt, dass sich Rosen -
bach in No. 4C> obiger Zeitschrift mit demselben
Thema beschäftigt. Auch er empfiehlt die Tief-
athmungen, warnt aber vor forcierter Ausführung
derselben, da sie sonst gerade zum Brechen
reizten. Nach seiner Anschauung handelt es sich
bei der günstigen Wirkung der Tiefathmungen
nur um eine Ablenkung der Aufmerksamkeit, und
er glaubt nicht, dass durch die aktive Athem-
bewegungen Apnoe, und damit Herabsetzung
der Reflexerregbarkeit des Brechcentrums erzielt
werden könne.
Wenn somit auch noch keine völlige Einigung
über die Wirkungsweise der Tiefathmungen erzielt
ist, so steht doch fest, dass wir in ihnen ein
häufig wirksames Hilfsmittel bei der Bekämpfung
der Seekrankheit besitzen, das auch bei den
anderen oben erwähnten Zuständen gute Dienste
leisten kann. Ernst Lichtenstein (Berlin).
C. Hydro-, Balneo- und Klintato-
therapie.
Maurice Binet, Les stations hydro-minerales
frau^aises et lenr avenir. Bulletin gönöral
de thörapeutique 1901. 30. Mai.
Binet stellt eine vergleichende Betrachtung
der französischen und deutschen Bäder und Quellen
an in Bezug auf Wirksamkeit, Einrichtungen, Zu¬
gänglichkeit, Besuch etc. Er findet mit Recht,
dass Frankreich eine grössere Anzahl der ver¬
schiedenartigsten Quellen besitzt, dass jedoch
trotzdem die Frequenz der deutschen Bäder in
den letzten 10 Jahren mehr zugenommen hat als
die der französischen. Die Ursache davon sucht
Verfasser in den besseren Einrichtungen, dem
grösseren Komfort und der besseren Bekannt¬
machung. Jedoch verschweigt er dabei, dass in
Frankreich eben eine Reihe von Grundbedingungen
zum schnellen Emporblühen der Kurorte fehlen.
Die zum theil sehr schlechte Eisenbahnverbindung,
die nicht sehr hervorragende Beschaffenheit be¬
sonders der südfranzösischen Bahnen, die durch¬
aus rückständige Einrichtung der Klosets, der
Beleuchtung, zum theil auch der Bäder, ferner
die mangelnde Kennlniss fremder Sprachen, Ein¬
richtungen, Gebräuche etc. in den Kurorten,
welche trotz der Liebenswürdigkeit der Ein¬
wohnerschaft sich sehr unangenehm bemerkbar
macht, werden einstweilen einen starken Zufluss
von Fremden verhindern. Ein weiterer Umstand,
der dem Besuch der Quellen durch wirklich
Leidende als hinderlich vom Verfasser hingestellt
wird, und zwar mit grossem Recht, sind die
selbst im kleinsten französischen Bade zu finden¬
den Glücksspiele. So lange die Franzosen bei
ihren spezifischen Einrichtungen in den Bädern
beharren und nicht in grösserem Maassstabe Zu¬
sammenhang mit dem Auslande und Kenntniss
von ihm erlangen, werden sich die Hoffnungen
des Verfassers kaum erfüllen.
Detcrmann (St. Blasien).
B. ßuehsbunm, Technik der Wosser-
auwendnngeu. Belehrung für Badewfirter,
Krankenpfleger u. &• w. Mit 30 Abbildungen.
Leipzig 1901. Georg Thiemc.
Der Verfasser hat nach langjähriger Thätig-
keit auf der Winternitz’schen Abtheilung der
Wiener allgemeinen Poliklinik und der damit
verbundenen Badedienerschule, das Bedürfniss
nach einer gedruckten Anleitung zur Technik des
Wasserheilverfahrens erkannt und, wie er sagt,
»der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Triebe«
das vorliegende Büchlein verfasst.
Es enthält in knapper und anschaulicher
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Referate über Bücher und Aufsätze. 135
Weise, durch zahlreiche Abbildungen erläutert,
eine kurze Darstellung derjenigen Maassnahmen,
welche die Hydrotherapie erfordert.
Die Absichten des Autors, ein praktisches
Bach für Krankenpfleger zu geben, müssen als
aufs Beste gelungen bezeichnet werden. Die
wichtigsten hydrotherapeutischen Prozeduren sind
in klarer und fasslicher Darstellung auseinander¬
gesetzt, besonders sind die Applikationen der Um¬
schläge in allen ihrenVariadonen aufs sorgfältigste
dargestellt. Unter den Medicinalbädem vermissen
wir die Moorbäder, und ferner sind die Douchen
gänzlich übergangen. Vielleicht, dass in einer
zweiten Auflage einige Erweiterungen des be¬
arbeiteten Stoffes, sowie ein Index hinzugefügt
werden könnten, wodurch das ohnehin schon recht
brauchbare, auch für Aerzte zu empfehlende kleine
Werk, ein noch vollkommeneres Gewand besitzen
wurde. H. Rosin (Berlin).
Xeffert, Beitrag znr hydriatischen Behänd-
lang der beginnenden Lungentuberkulose
in Hause« Deutsche mcdicinische Wochen¬
schrift 1901. 9. Mai.
Verfasser beschreibt ein einfaches, ganz mildes
hydriatisches Verfahren, welches sich unter häus¬
lichen Verhältnissen ohne besondere Kosten durch¬
fahren lässt und sich bei Lungenkranken als
nützlich erwiesen hat. Er lässt zunächst eine
Trockenpackung vornehmen, wobei der Haut
zunächst sich ein trockenes Betttuch befindet,
darüber je ein besonderes wollenes Laken für
Rumpf und Beine, und um das ganze eine wollene
Decke. Zunächst wird der Patient durch diese
Packung vorgewärmt, dann folgt eine flüchtige
hintereinander am Oberkörper und Unterkörper
vorgenommene Theilabwaschung von ca. 25°,
nach welcher jeder Theil wieder in die besonderen
wollenen Laken eingehüllt wird. Nach vol!-
ständig erfolgter Wiedererwärmung bildet ein
lauer Regen vermittels oiner Giesskanne den
Schluss. Eine zweimal tägliche Anwendung
scheint das Befinden sehr günstig zu beeinflussen,
l*esonders in bezug auf die Mattigkeit, den Schlaf
und die Schweisse. Determann (St. Blasien).
L Lauaonier, Facteurs de la eure marine«
Bullet günöral de thGrapeut 1901. Bd. 142. Heft 7.
Verfasser giebt eine kurze Uebersicht über
die klimatischen Verhältnisse der Seebäder Frank¬
reichs. Er unterscheidet drei Gruppen: von Dün¬
kirchen bis zur Mündung der Loire, von da bis
Bilbassao, nnd die Küste des Mittelmeercs. Das
reinste Sceklima ist nach seiner Meinung in der
ersten Zone vorhanden.
Das Wenige, was Verfasser noch über Meer¬
wasser und Bodenbeschaffenheit sagt, soll vor¬
nehmlich dazu dienen, die Indikationen für die
einzelnen Bädergruppen möglichst scharf zu ge¬
stalten. F. Lots (Friedrichroda i. Th ).
Krebs, Schwitzen iu elektrischen Licht- nnd
Heissluftkfisten. Deutsche medicinischc
Wochenschrift 1901. No. 40.
In einer Zeit, wo die Frage nach der
physiologischen Wirkung des elektrischen Lich¬
tes und speziell auch der elektrischen Glüh-
licht- und Bogenlichtbäder eine der wich¬
tigsten und interessantesten der physikalischen
Therapie bildet, aber, wie leider viele jener
Fragen, aus naheliegenden Gründen die wider¬
sprechendste Beurtheilung erfährt, müssen die
unparteiischen und sine ira et Studio gemachten
Beobachtungen über diesen Gegenstand, wie sie
Krebs in der hydrotherapeutischen An¬
stalt der Berliner Universität anstellte,
mit Freuden begrüsst werden. Es ist nach
diesen Mittheilungen unzweifelhaft, dass in den
elektrischen Glühlichtbädern ceteris paribus
die Patienten früher, leichter und vor allen
Dingen bei niedrigeren Temperaturen
schwitzen als bei anderen Schwitzprozeduren
(Heissluftbädem, Dampfbädern und dergleichen).
Diese Erleichterung des Schweissausbruchs muss
als eine Wirkung der strahlenden Wärme
(Lichtwärmestrahlen) angesehen werden, wäh¬
rend die chemisch wirksamen Lichtstrahlen dabei
offenbar nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Das beweist auch der Umstand, dass das blaue
Bogenlicht, das die chemisch wirksamen Strahlen
in viel grösserem Maasse, als das Glühlicht ent¬
hält, hinter diesem hinsichtlich der sch weisstreiben¬
den Wirkung erheblich zurücksteht Da auch die
baktericide Wirkung der Strahlen der in Licht¬
kästen üblichen blauen Bogenlampen (5Am-
pöre) nicht in Betracht kommt (Untersuchungen
des Gehaltes der Haut an lebenden Keimen vor
und nach einem solchen Lichtbade ergaben keine
nennenswerthen Unterschiede), so hält Krebs
die blauen Bogenlichtbäder für ganz ent¬
behrlich, besonders, da dieselben auch wenig
erwärmende Strahlen enthalten.
Wegen seiner geschilderten Eigenschaften
hat das weisse Glühlicht, etwas weniger das
rothe Glühlicht vor allen anderen Wärmequellen
den grossen Vorzug, dass der dadurch hervor¬
gerufene Schweissausbruch von dem Patienten
besser vertragen und daher angenehmer empfun¬
den wird, als bei anderen Schwitzprozeduren.
Doch wäre es ein Irrthum, anzunehmen, dass die
Lichtbäder das Herz gamicht angreifen. Nach
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136
Referate über Bücher und Aufsätze.
energischem Schweissausbruch konnte Krebs
auch hier fast stets eine Pulsbeschleunigung
und ein Sinken des Blutdruckes beobachten;
nur war die Steigerung der Pulsfrequenz unter
gleichen sonstigen Verhältnissen in den Licht¬
bädern geringer als beispielsweise im Heiss-
luftkasten. Wenn man daher auch herzschwache
Patienten viel eher in ein Lichtbad setzen kann,
als sie einer anderen Schwitzprozedur zu unter¬
werfen, so hält doch Krebs die Anwendung
von elektrischen Lichtbädern bei Kranken mit
organischen Herzfehlern für keine gefahr¬
lose Prozedur.
Bezüglich der Thermometrie bei den
elektrischen Lichtbädern haben die Unter¬
suchungen des Verfassers ergeben, dass die jetzt
meist übliche Messung der Innentemperatur des
Kastens durch ein oben angebrachtes Thermo¬
meter unzureichend sei, da dieses in der Regel
zu hohe Temperaturen anzeige, während die
Temperatur, in verschiedenen Höhen des Licht¬
bades gemessen, erhebliche Unterschiede auf¬
weist. Analoge Beobachtung hat vor kurzem
auch Schreiber (diese Zeitschrift Bd. 5. Heft 2)
an lokalen Heissluftkästen gemacht. Daher
empfiehlt der Verfasser künftighin bei der Kon¬
struktion von elektrischen Lichtbädern diesen
Punkt zu berücksichtigen, und schlägt auch
eine Reihe sonstiger Verbesserungen, welche
theils der Bequemlichkeit der Patienten,
theils der Erleichterung von wissenschaftlichen
Untersuchungen während des Lichtbades (Blut¬
druckmessungen, Pulskurvenaufnahme und der¬
gleichen) dienen sollen, auf Grund seiner reichen
Erfahrung vor. A. Laqucur (Berlin).
D. Serum- und Organotherapie.
Walter E. Dixon, M. D., The oyary as an
organ of internal Sekretion.
Die Arbeit ist ein zusammenfassendes Referat
über die bis jetzt bekannten That&achen betreffend
die angenommene innere Sekretion der Eierstöcke.
In Bezug auf die Extraktivstoffe sei eine ge¬
wisse Analogie mit dem Hodenextrakt vorhanden:
Nukleoproteid, Spermin, Salze etc. Eine gewisse
Einsicht in das Wesen der inneren Sekretion er¬
helle aus den Erfahrungen mit Kastrierten, ln
einigen asiatischen Gegenden wird ein Theil der
Mädchen vor erreichter Pubertät kastriert Die
Entwicklung der Brustdrüsen, des Beckens, die
charakteristischen Pigmentationen und Men¬
struation bleiben aus; die Genitalorgane atro-
phieren. Es können sogar Attribute des hetero-
logen Sexus auftreten, wie Barthaare, eine männ¬
lichere Kehl köpf bildung und Stimme. Kastrationen
nach erreichter Pubertät bewirke Aufhören der
Menstruation, Atrophie von Uterus und Vagina,
Fettansatz und Aendcrungon der Stimme. Ner¬
vöse und psychische Störungen wie Melancholie,
Schwindel, Herzpalpitationen, Hysterie werden
durch die Operationen ausgelöst.
Eine physiologische Beeinflussung der Brust¬
drüsen durch die Ovarien müsse zugegeben werden.
Erfahrungen französischer Forscher hätten gezeigt,
dass Kühe nach der Kastration auf lange Zeit
hinaus eine qualitativ und quantitativ bessere
Milch geliefert hätten als vor derselben.
Aenderungen im Stoffwechsel etc. können
hintangehalten werden, wenn nur ein Theil einer
der beiden Eierstöcko zurückgelassen würde. Auch
die Transplantation des Ovariums an eine andere
Stelle oder sogar die Implantation des Ovariums
eines anderen Individuums könne dies erreichen.
Dixon führt hierfür Kn au er’s Experimente und
eine klinische Mittheilung von Glass an. Dies
alles seien Thatsachen, welche den Gedanken der
inneren Sekretion nahe legten. Dixon berichtet
noch über Curatulo’s und Tarulli’s Beob¬
achtungen an kastrierten Hündinnen, ebenso über
Loewy’s und Richter's Untersuchungen. Die
Resultate zeigten einen Ausfall in der Oxydations¬
kraft der kastrierten Individuen, welche Loewy
und Richter durch Darreichung von Oopborin,
aber nicht durch Injektion von Spermin oder
Hodenextrakt ausgleichen konnten.
Ebenso dokumentierten klinische Erfahrungen
die günstige Wirkung von Eierstocksubstanz bei
Kastrierten, klimakterischen Beschwerden etc.
Dixon hält das Vorhandensein einer inneren
Sekretion des Ovariums für erwiesen, welche
hauptsächlich die Oxydationsvorgänge im Orga¬
nismus beeinflusse. A. H. Weis (Berlin).
Flockemann, Zur Beeinflussung der Aus¬
fallserscheinungen beiderseitig kastrierter
Frauen durch Ovarialpräparate. Münchner
med. Wochenschrift 1901. 26. Nov.
Verfasser gab in Fällen von doppelseitiger
Kastration Ovarialtabletten (Merck), täglich
3 — 6 Stück. Der Erfolg war in einer Anzahl
von Fällen günstig. Die Beschwerden von Seiten
des Cirkulations- und des nervösen Apparates
gingen »hinreichend häufig« zurück. Schädliche
Wirkungen der Medikation wurden nie be¬
obachtet. Ob Suggestion dadurch ausgeschlossen
werden kann, dass der Patientin gesagt wird,
die Tabletten könnten auch ohne Wirkung bleiben,
dürfte allerdings zweifelhaft sein.
M. Lewandowsky (Berlin).
Berlin, Druck von W. Büxenstein.
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Original frorri
UNIVERSITY OF MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 3 (Juni).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. Seite
L Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. Aus dem hygienischen
Institut der Universität Freiburg i. B. Von Dr. Max Schottelius, Professor der
Hygiene. 139
II. Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. Von
Dr. HansRuge, Privatdozenten der inneren Medicin in Berlin. Mit 3 Abbildungen 145
IIL Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie. Vortrag gehalten auf der 23. Versammlung
der Baineologischen Gesellschaft zu Stuttgart (7. bis 12. März 1902). Von Dr. Julian
Marense in Mannheim.158
IL Kleinere Mittheilung-en.
Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion. Von Dr. Maximilian Roth, Chefarzt des Zander-
Institutes in Wien. Mit 1 Abbildung.166
III. Berichte über Kongresse und Vereine.
I. 20. Kongress für innere Medicin in Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1902. Bericht
von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.170
IL Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft in Stutt¬
gart vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung.) 175
C am er er (Urach), Ueber Gicht und Rheumatismus.175
Weisz (Pistyan), Ueber Gicht.176
Winternitz (Wien), Die hydriatische Behandlung der Pneumonie.177
Burwinkel (Nauheim), Chronische Herz- und Lungenleiden in ihren Wechsel¬
beziehungen .178
Kisch (Marienbad), Zur Bäderbehandlung der nervösen funktionellen Herzstörungen 178
Fisch (Franzensbad), Kombinierte Herztherapie.179
v. Baumgarten (Tübingen), Ueber Immunität und Disposition besonders mit
Bezug auf Tuberkulose.181
III. 2. Internationaler Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie.182
IV XI. Congresso nazionale di medicina interna (Pisa 27.—30. ottobre 1901).182
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Möller, Experimentelle Beiträge zur Eisentherapie.. . . . .183
Metzger, Ueber den Einfluss von Nährklysmen auf die Saftsekretion des Magens .... 183
Sanndby, Non diabetic glycosury.183
Svenson, Stoffwechsel versuche an Rckonvalescenten.184
Zetteehr. t dilt u. physlk. Therapie Bd. VI. Heft 3. IQ
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138 Inhalt.
Seit«
Barney, Diabetes melitus with special reference to its treatraent with the double bromide
of gold and arsenic.184
Gaudenz, Ueber die Zerkleinerung und Lösung von Nahrungsmitteln beim Kauakt . . 185
Ko bin, Considörations sur lo rögime des albuminuriques.185
Fornet, Pathologie und Therapie der Obesität.185
B. Gymnastik.
Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik.186
Lorenz, Ueber die Behandlung der Knieankylosen mittels des modellierenden Redressements 186
Schulthess, Bericht über die Behandlung der Rückgrats Verkrümmungen vom 1. Januar 1895
bis 31. Dezember 1900 .• . . 187
Lovett, The mechanics of lateral curvature as applied to the treatment of severe cases . . 187
Deschamps, Un appareil de soutien cardiaque.187
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Ul 1 mann, Ueber die Heilwirkung der durch Wärme erzeugten lokalen Hyperämie auf
chronische und infektiöse Geschwürsprozesse.188
Stifler, Ueber Herzheilbäder.188
Hellmer, Das Sandband (Arönation).188
Behrens, Einfluss der Witterung auf Diphtherie, Scharlach, Masern und Thyphus .... 189
Spiewaczewsky, Die Schwankungen in der Menge der atmosphärischen Niederschläge und
die Morbidität an der Grippe.189
Schwerin, Der Zusammenhang zwischen der Morbidität und den meteorologischen Er¬
scheinungen .189
Perwow, Das Verhältniss der Morbidität an einigen Infektionskrankheiten zu dem Stande
der Boden- und Lufttemperatur.189
Winckler, Ueber Schwefelwasser und Hautkrankheiten.190
D. Elektrotherapie.
Jacobi, Elektrotherapie.'.191
Bordier, Sur le choix du mötal ä employer pour les ölectrodos.191
Freund, Die Verwendung der Spannungselektrizität zur Behandlung von Hautkrankheiten . 192
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3Va— 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original - Arbeiten,
I.
Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung.
Aus dem hygienischen Institut der Universität Freiburg i. B.
Von
Dr. Max Schottelius,
Professor der Hygiene.
Durch Duclaux wurde zuerst experimentell nachgewiesen, dass der Aufbau
der organischen Substanz in den Pflanzen nur unter Mitwirkung von Spaltpilzen
stattfinden kann: Bringt man aseptisch sterilisierte, aber keimfähig erhaltene Pflanzen¬
samen in bakterienfreier, übrigens aber physikalisch und chemisch unveränderter
Gartenerde zum Auskeimen, so findet ein Wachsen der Samen nur soweit statt, als
es durch Ausnutzung der im Samenkorn selbst enthaltenen Nährwerthe und durch
Wasseraufnahme geschehen kann. Die Apposition neugebildeter organischer Substanz,
eine Gewichtszunahme, bleibt aus und die Pflanze stirbt nach 20—25 Tagen ab,
während die unter gleichen Verhältnissen, aber in gewöhnlicher bakterienhaltiger
Erde gewachsenen Kontrollpflanzen um das 2 —3 fache des Samengewichtes zu¬
genommen haben.
Dass die Mitwirkung der Spaltpilze wie für die Ernährung der Pflanzen, so
auch für die der Thiere und für die Ernährung des Menschen nothwendig sei, dafür
sprechen eine Reihe feststehender biologischer Thatsachen und auch allgemeine
wissenschaftliche Ueberlegungen.
Es existiert überhaupt kein Thier, welches nicht ständig ungeheure Mengen
von Bakterien in seinem tractus intestinalis beherbergt, und die entgegenstehende
Behauptung Levin’s 1 ), dass in den arktischen Zonen der Darminhalt der meisten
warmblütigen Thiere absolut bakterienfrei sei, ist inzwischen als unrichtig erkannt
und widerlegt worden*). In der That besteht die Masse des abgesonderten Darm¬
inhaltes — der Dejektionen —, soweit es sich nicht um unverdauliche Stoffe handelt,
zum grössten Theil aus Spaltpilzen; die Zahl und Arten dieser Darmbakterien nehmen
etwa proportional der höher stehenden Art des Wirthes zu. Der Mensch aber weist
die grösste Mannigfaltigkeit und entsprechend seinem Körpergewicht auch eine sehr
grosse Menge von Darmbakterien auf.
Dass dieser Zustand schon seit unabsehbaren Zeiten besteht und sich fort¬
entwickelt hat mit der Entwicklung der Arten, daran ist nicht zu zweifeln. Ebenso¬
wenig kann man verkennen, dass dieser Zustand >erhaltungsmässig< sein muss, denn
es wäre im Sinne der vorwärts gehenden Entwicklung der Arten gar nicht zu ver-
i) Anna!es de l’Institut Pasteur Bd. 13.
J ) Schottelius, Archiv- für Hygiene Bd. 42.
10 *
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
140
Max Schottelius
stehen, dass das stärkere bessere Lebewesen in seinem Inneren ständig niedere
Organismen beherbergen sollte, ohne dass sich im Laufe der Zeiten eine Anpassung
zwischen den Darmbakterien und den Zellen der Darmschleimhaut herausgebildet
haben sollte. Und selbst wenn wir nicht auf ein aktives Zuführen von Nährwerthen
seitens der Bakterien zu den Geweben zurückgreifen wollen, sondern den Darm¬
bakterien nur die Rolle von kämpfenden Antagonisten zu weisen, so müsste das
ständige, seit Urzeiten vorhandene Dasein derselben im Darm dafür sprechen, dass
diese Reizmittel zur Auslösung der Lebensenergie der Körperzellen nützlich und in
»erhaltungsmässigec Beziehungen zu dem Gewebe der Darmwand getreten sind.
Seien es die fermentativ wirkenden Ausscheidungen der lebendigen Darmbakterien,
wie sie in den von Cohnheim 1 ) beobachteten Beziehungen des Bacterium coli
zum Pepton sich äussern, oder seien es die Mykroproteine der sich auflösenden
Leiber der abgestorbenen Darmbakterien: jedenfalls sind diese Stoffe qualitativ
different und quantitativ so bedeutend, dass man dieselben nicht — wie bisher —
bei der Lehre von der Verdauung einfach unberücksichtigt lassen darf. Wenn
wirklich so viel verschiedene Stoffe in den Körpersäften und in den Geweben kreisen,
wie sie mit Namen genannt werden, so werden sich dieselben wohl aus Bezugs¬
quellen ersetzen müssen, unter denen der Darminhalt noch am ehesten in Betracht
kommen dürfte.
Zu diesen allgemeinen Erwägungen, welche die Nützlichkeit und die Noth-
wendigkeit der Darmbakterien erweisen, kommen noch besondere, namentlich für den
Menschen genauer untersuchte Thatsachen. Bekanntlich enthält jedes von der Spitze
einer menschlichen Zunge genommene klare Tröpfchen Speichel sämmtliche Grund¬
formen der Spaltpilzarten: Kokken, Bacillen und Spirillen, und von jeder Grund¬
form mehrere Sorten in zahlreichen Exemplaren. Wie die verschiedenen Mund¬
höhlen hygienisch behandelt werden, ob Jemand gesunde Zähne hat oder kranke, ob
Jemand raucht oder nicht raucht u. s. w., das ist dabei nahezu gleichgültig. Bekannt
ist auch, dass die Züchtungsversuche dieser Bewohner der menschlichen Mundhöhle
durchschnittlich negativ ausfallen: ausser dem Fraen keUschen Spaltpilz der Sputum-
Pneumonie wächst bei Anwendung der gewöhnlichen Kulturverfahren so gut wie
garnichts, und unter Benützung der kompliziertesten Methoden können nur ganz
wenige Arten dieser Spaltpilze ausserhalb der Mundhöhle am Leben erhalten werden,
nicht entfernt in der Mannigfaltigkeit und in der Menge der mikroskopisch differenzier¬
baren Arten.
Diese-Thatsache weist darauf hin, dass sich die Bakterien der menschlichen
Mundhöhle eines ausserordentlich starken Schutzes seitens ihres Mutterbodens er¬
freuen; eines Schutzes, der an Kraft einer Symbiose dieser Spaltpilze mit den Körper¬
zellen der Mundhöhle nahe kommt, so dass die Bakterien anderswo überhaupt nicht
gedeihen können und am Orte ihrer natürlichen Ansiedelung — in der Mundhöhle —
unter allen Umständen vor der Zerstörung geschützt sind.
Da es sich nun mit den Spaltpilzen des übrigen Tractus intestinalis des
Menschen ähnlich verhält wie mit denen der Mundhöhle: insofern als überall eine
grosse Mannigfaltigkeit und Zahl thatsächlich vorhanden ist, und eigentlich nur
das Bacterium coli und der Milchsäurebacillus ausserhalb des Körpers kultiviert
werden kann, so muss daraus der Schluss gezogen werden, dass diese Einrichtung
nicht zwecklos, sondern dass sie nützlich ist. Von einem näheren Eingehen auf die
') Cohnheim, Zeitschrift für physiolog. Chemie 1901.
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Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung. 141
Funktion einzelner Arten von Darmbakterien, besonders auf die des Bakterium coli,
sowie auf eine Betrachtung der pathologischer Weise im Darmrohr auftretenden
Arten glaube ich an dieser Stelle Abstand nehmen zu sollen, und möchte nur darauf
hinweisen, dass auch die nach dieser Richtung hin angestellten Ueberlegungen zu
dem Ergebniss führen müssen, dass das Auftreten ungewöhnlicher, als eigentliche
Parasiten anzusprechender Arten und ihr Konkurrenzkampf mit den physiologischen
Darmbewohnern zu Störungen in der physiologischen Funktion des Tractus intesti¬
nalis führen, unter denen der Gesammtorganismus geschädigt, bedingungsweise zer¬
stört wird.
Der Unterschied zwischen dem Ernährungsmodus der Pflanzen, für welche die
Nothwendigkeit der Bodenbakterien feststeht, und dem der Thiere, bezw. des Menschen
ist auch nicht so gross, als es den Anschein hat. Die »Wurzeln« des thierischen
und des menschlichen Organismus müssen wir eben erkennen in den Darmfalten und
in den Darmzotten, welche in den nahrhaften Boden — in den Speisebrei — hinein¬
hingen und dasjenige resorbieren, was durch die Thätigkeit der Verdauungssäfte
und durch die Thätigkeit der Darmbakterien vorbereitet ist.
Zweifellos geschieht der ganze Umsetzungsprozess der Nahrung im thierischen
und im menschlichen Darmrohr unter dem Einfluss der höheren Temperatur und der
grösseren Lebensenergie aller dabei betheiligten Elemente schneller und intensiver
als bei der Ernährung der Pflanze; aber das ist nur ein quantitativer Unterschied,
kein qualitativer. Im Gegentheil haben die bedeutungsvollen Untersuchungen
K. B. Lehmann’s 1 ) über Fettbildung aus Kohlehydraten bei Warmblütern (Gänsen)
die prinzipielle Gleichartigkeit der Fettbildung bei Thieren und bei den Pflanzen
gezeigt und damit die Aehnlichkeit der Ernährung beider um einen werthvollen
Beleg bereichert. Immerhin war die von Pasteur bereits im Jahre 1886 gestellte
Aufgabe: das von Duclaux für die Ernährung der Pflanzen festgestellte Gesetz auch
für den thierischen Körper experimentell zu prüfen, noch nicht gelöst; denn die
mühevollen Versuche von Nutall und Thierfelder 4 ), denen es gelungen war, ein
steril geborenes Meerschweinchen zehn Tage lang mit steriler Milch zu ernähren,
waren für eine Entscheidung der Frage weder nach der einen noch nach der anderen
Seite hin als beweiskräftig zu verwerthen.
Von der Benutzung befruchteter Hühnereier hatte man aber Abstand nehmen
müssen unter dem Eindruck der Thatsache, dass die Hühnereier bereits im Ovidukt
mit Bakterien infiziert werden, und daher zur Erzielung steril ausgeschlüpfter Hühnchen
nicht zu gebrauchen seien.
Nach einer Reihe diesbezüglicher Vorstudien konnte ich mich indessen doch
davon überzeugen, dass es gelingt, die auf und theilweise auch in der Eierschale
befindlichen niederen Pilze zu vernichten, ohne die Keimfähigkeit des befruchteten
Hühnereies zu stören, bezw. ohne das bereits voll entwickelte sterile Hühnchen im
Innern des Eies zu töten. Damit war dann auch die Möglichkeit gegeben, der¬
artige sterile Hühnchen zum Ausschlüpfen zu bringen und dieselben längere Zeit
unter Ausschluss von Spaltpilzeu am Leben zu erhalten.
Indem ich bezüglich der Einzelheiten dieser Versuche auf meine im Archiv
für Hygiene 8 ) gemachten Mittheilungen verweise, will ich nur kurz hervorheben,
1) Lehmann, Zeitschrift für Biologie Bd. 42.
2 ) Nutall und Thierfelder, Zeitschrift für physiologische Chemie Bd. 21 u. 22.
3 ) Schottelius, Archiv für Hygiene Bd. 34 u. 42.
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142 Max Schottelius
dass sämmtliche im Verlauf der letzten sechs Jahre angestellten Versuche unter
ständiger bakteriologischer Kontrolle der Sterilität aller in Betracht kommenden
Materialien vorgenommen wurden, und dass die diesbezüglichen Präparate bis auf
den heutigen Tag steril aufbewahrt werden konnten. Dahin gehören nicht nur die
in Nährgelatine eingeschmolzenen sterilen Hühnchen selbst, 'sondern auch die
charakteristisch geformten sterilen Dejektionen der Versuchsthiere, einzelne Federn,
dje sterilen Futterstoffe, mit denen junge Hühner aufgezogen werden müssen, Kies
und Sand, Wasser und Eierschalen. Alle diese Materialien mussten fortlaufend auf
Sterilität geprüft werden, denn am Ende des jeweiligen Versuchs hätte ja doch das
in Nährgelatine eingeschmolzene Hühnchen das Misslingen des Versuchs ad oculos
demonstriert.
Während in den ersten Jahren die Versuche jeweils absichtlich unterbrochen
wurden, um thunlichst von Tag zu Tag die Unterschiede zwischen den steril ge¬
züchteten und den normalen Kontrollhühnchen festzustellen, haben wir in den letzten
drei Jahren stets den spontanen Tod der steril gezüchteten Hühnchen abgewartet
und dann erst die Einbettung der abgestorbenen Thiere in Nährgelatine vorgenommen.
Gleichzeitig wurde dann das zugehörige Kontrollhühnchen getötet, die betreffenden
Wägungen gemacht und die Zahlen eingetragen.
In dieser Weise wurden im ganzen 22 Versuche durchgeführt und in allen Fällen
gleichmässig das Resultat erzielt: dass bei steriler Züchtung und steriler Nahrungs¬
aufnahme niemals eine Gewichtszunahme eintritt, sondern dass — wie bei den
Pflanzensamen — das Leben nur auf Kosten der im Körper des neugeborenen
Thieres vorhandenen Stoffe gefristet wird; dass eine fortschreitende Gewichtsabnahme
des sterilen Thieres stattfindet, welche bis zu einem Verlust vo.n 32°/ 0 des ursprüng¬
lichen Körpergewichtes führt, während in der gleichen Zeit bei den normalen Kontroll¬
hühnchen, welche mit nicht steriler Nahrung genährt waren, ein Gewinn von 117 "/o
des ursprünglichen Körpergewichtes zu verzeichnen war.
Länger als 30 Tage konnte ein steriles Hühnchen nicht am Leben erhalten
werden; meistens gehen die Thiere schon nach etwa 14 Tagen ein, leben also nur
wenig länger als ein unter gewöhnlichen Verhältnissen ausgebrütetes Hühnchen am
Leben bleibt, wenn man das Thier verhungern lässt.
Uebrigens bietet das Verhalten der steril gezüchteten Hühnchen während ihrer
Lebenstage mancherlei Interessantes. Ich war anfangs der Meinung, man müsse —
etwa durch eine Glaswand von dem sterilen Hühnchen getrennt — eine Henne mit
einigen gleichaltrigen Hühnchen einstellen, damit die mutterlosen Thiere durch
Imitationstrieb das Aufsuchen und Fressen der Nahrung und des Wassers lernen
könnten. Das ist aber durchaus nicht nothwendig, sondern nachdem das aus¬
geschlüpfte Hühnchen sich, meist am zweiten Tage, auf die Füsse stellen kann,
taumelt es noch einige Zeit unsicher hin und her, fällt wieder nieder und ruht
stundenlang aus; dann aber steht und läuft es sicher auf den Beinen und beginnt
sofort mit dem Schnabel am Boden zu picken und von dort kleinkörnige Gegen¬
stände aufzunehmen. Das Bodenmaterial besteht aus gewaschenem kleinkörnigen
Kies, gemischt mit der für junge Hühnchen geeigneten Nahrung: gequollene Hirse¬
körner, gehacktes hartgekochtes Eiweiss und zerstossene Eierschalen. Man kann
nun beobachten, und auch durch die Untersuchung der Dejektionen feststellen, dass
die Thierchen sehr bald die verschiedenen Körner zu unterscheiden wissenj, ;nur
wenige Steinchen aufnehmen und sich an die Nahrungsmittel halten. Ebenso finden
sie das Wasser und vermeiden es, hineinzufallen. In den allerersten Tagen kommt
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143
Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung.
es wohl einmal vor, dass ein Hühnchen mit den noch ungeschickten Beinbewegungen
über den Rand des Wasserbehälters stolpert und in das flache, etwa 1 cm hoch mit
Wasser gefüllte Becken hineinfällt; aber sofort erhebt es sich und stolpert oder
wälzt sich wieder über den Rand aufs Trockene. Die instinktive Selbstständigkeit
dieser Thiere ist eine ganz eminente!
Eine andere ebenfalls sehr interessante Erscheinung drückt sich darin aus, dass
die steril gehaltenen Hühnchen ständig Hunger haben und eigentlich fortwährend
fressen und verdauen, bezw. Dejektionen absetzen. Das findet bei den sterilen
Hühnchen in ungleich höherem Maasse statt als bei den normal ernährten Thieren.
Auch bei letzteren ist ja — wie man sich auf jedem Hühnerhofe überzeugen kann
— der Darmkanal von einer bewundernswerthen Leistungsfähigkeit, aber diese steril
gezüchteten Thierchen übertreffen in der Fresslust und in der Ausscheidung des
Iiarminhalts die normal genährten Kontrollthiere um das Vielfache!
Die steril gehaltenen sind auch viel unruhiger; sie jagen eben fortwährend
nach Nahrung umher. Wenn eines ein Stückchen Eierschale oder sonst ein Körnchen
ergriffen hat, welches es nicht gleich hinunterschlucken kann, so suchen die Anderen
es ihm mit allen Mitteln abzujagen; dann schlingt es das Erste mit Mühe hinunter,
und Alle fallen aufs Neue über die auf dem Boden verstreute sterile Nahrung her.
Und trotz dieses fortwährenden Fressens und trotz desVerdauens durch
die Körpersäfte wachsen die Thiere nicht, sondern nehmen ständig ab
an Körpergewicht und an Kräften!
Nachdem nun durch diese Versuche im Prinzip feststeht, dass für die Er¬
nährung der Thiere — speziell für die warmblütigen Wirbelthiere — die Thätigkeit
der Darmbakterien nothwendig ist, eine Thatsache, welche nicht nur durch allgemeine
biologische Ueberlegungen und Erfahrungen unterstützt, sondern neuerdings auch
durch die experimentellen Untersuchungen von Mme. 0. Metschnikoff 1 ) an Frosch¬
larven bestätigt wurde, wird es sich zum Verständniss der Physiologie und der Patho¬
logie des Tractus intestinalis um den weiteren Ausbau dieser biologischen Lehre
von der Ernährung handeln.
Bereits haben die im vorigen Jahre im hiesigen Institut angestellten Versuche
ergeben, dass die absichtliche Inficierung der sterilen Nahrung mit einer Aufschwem¬
mung von normalem Hühnerkoth die Kräfte stark heruntergekommener und dem
Absterben naher Hühnchen wiederherstellen und die Thiere dem Leben zurückgeben
kann; auch Reinkulturen des Bacter. coli gallinarum haben denselben unmittelbaren
und drastischen Erfolg. Aber alle diese so bedeutungsvollen Versuche würden natür¬
lich damit erst einen voll befriedigenden Abschluss erreichen, wenn es gelänge, das
Gesetz von der Nothwendigkeit der Darmbakterien für die Ernährung auch durch
•len Versuch am Säugethier zu bestätigen.
Die schönen Versuche von Nutall und Thierfelder haben dazu schon ein
gutes Stück vorgearbeitet und den Weg geebnet. Nach meinen bisherigen Erfahrun¬
gen halte ich wohl für möglich, eine Versuchsanordnung zu treffen, nach welcher
eine längere Beobachtungsdauer steril gezüchteter Meerschweinchen durchführbar ist.
Dabei bin ich mir wohl bewusst, dass solche Versuche am^Säugethier zu einer Ver-
werthung für die Ernährungstheorie bezw. für die Bedeutung der Darmbakterien
erst dann herangezogen werden können, wenn bei den Meerschweinchen an Stelle
der Milchernährung die normale Pflanzennahrung dieser Thiere getreten ist.
') Annales de l’Institut Pasteur Bd. 15.
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144 Max Schottelius, Ueber die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung.
Die Milch, welche bei den Hühnchen durch das Hühnereiweiss im Ei ersetzt
wird, bildet einen für das Junge bestimmten Theil des mütterlichen Organismus,
und das junge Thier steht überhaupt noch nicht auf dem Boden einer eigenen Er¬
nährung, so lange es auf die vom mütterlichen Körper gebildeten Nährwerthe an¬
gewiesen ist, gerade so wenig, wie man beim Hühnchen im Ei von einer selbst¬
ständigen Ernährung sprechen kann, so lange noch das mütterliche Hühnereiweiss
resorbiert wird oder bei einem Pflanzensamen, so lange noch das Amylum des Samen¬
kornes zum Aufbau des Pflanzenkörpers dient.
Dann erst kommt die Bedeutung der Darmbakterien für die Ernährung in Frage,
wenn das Individuum, mag es nun ein Huhn oder ein Meerschweinchen oder sonst
ein Thier oder der Mensch sein, unabhängig vom mütterlichen Organismus sich zu
erhalten hat.
Uebrigens lassen sich auch, abgesehen von den wohl einer späteren Zukunft
vorbehaltenen Versuchen am Meerschweinchen, mittels des Hühnerexperimentes noch
eine ganze Reihe leichter zugänglicher Fragen lösen. Zunächst wird es darauf an¬
kommen, den Versuch mit den Bacillus coli gallinarum mehrmals rein durchzuführen,
derart, dass Hühnchen in einem thunlichst vorgeschrittenen Wachsthumstadium vor¬
liegen, welche ausschliesslich diesen Bacillus coli enthalten. Der Grad der Ent¬
wicklung dieser Hühnchen sollte dann nicht nur mit dem der steril gezüchteten Thiere
verglichen werden, sondern namentlich auch mit den der im Freien aufgewachsenen
Kontrollhühnchen. In dieser Weise müssen jedenfalls die wichtigsten der konstant
im Hühnerdarm vorkommenden Spaltpilzarten einzeln und kombiniert auf ihre Wir¬
kung geprüft werden. Dazu muss sich die histologische und die chemische Unter¬
suchung der steril gezüchteten und der mit Bakterien gefütterten Thiere gesellen.
Sodann bietet gerade das Huhn Gelegenheit, eine Reihe pathogener Spaltpilze zu
studieren, welche vom Darm aus wirken, so dass vielleicht auch für die Pathologie
des Darmrohres aus den Hühnerexperimenten Aufschlüsse erwartet werden können.
Wie dem aber auch sei, soviel steht schon jetzt fest, dass sowohl für das Leben
der Pflanzen als auch für die Ernährung der Wirbelthiere und für den Menschen die
Thätigkeit der Darmbakterien nothwendig ist.
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Hans Rüge, Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeut. Bemerkungen. 145
II.
Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen
therapeutischen Bemerkungen.
Von
Dr. Hans Rage,
Privatdozenten der inneren Medicin in Berlin.
In dem grossen Gebiete der physikalischen Behandlungsmethoden nimmt die
Massage einen hervorragenden Platz ein.
Zusammen mit der Gymnastik bildet die Massage die Mechanotherapie (Bi 11-
roth) im engeren Sinne. »Dieselbe stellt mit der Elektro- und Hydrotherapie die
Trias der physikalischen Behandlungsmethoden dar (Bum).«
Während wir nun durch Klein wissen, dass es bei der Heilgymnastik auf
eine Uebung und Kräftigung der Organe (nicht der Gewebe) ankommt, und dass
wir dieselbe durch Bewegungen (nicht Handgriffe) erzielen, besteht die Massage im
Gegensätze dazu in Handgriffen, welche zu Heilzwecken ausgeübt werden und
ohne Willen des Patienten auf mechanischem Wege die Gewebe des Körpers be¬
einflussen (Buchheim).
Die Richtigkeit des engen Zusammenhanges zwischen. Massage und Gymnastik
für alle praktischen Heileingriffe muss natürlich unbedingt anerkannt werden;
ebenso wie es für uns hier nothwendig ist, beide getrennt zu behandeln, sobald wir
ihre physiologische Bedeutung beurtheilen wollen.
Die Massage ist ursprünglich eine rein empirische, freilich schon sehr lange
bekannte Behandlungsmethode, die, lange Zeit vorwiegend von Laien ausgeübt, sich
mehr und mehr als berechtigte Heilmethode bei den Aerzten einbürgert.
Die Geschichte der Medicin giebt erhebliche Hinweise auf das hohe Alter der
Massage und ihre Verwendung zu Heilzwecken. Ferner ersehen wir auch, dass
schon in den ältesten Zeiten sich gelegentlich hervorragende Männer dieser Heil¬
methode mit Eifer zugewandt haben.
Herodikus und HJippokrates haben sie schon um das Jahr 400 v. Chr. zu
Heilzwecken geübt. Zu den Römern kam sie durch Alklepiades und wurde dort
später durch Celsius und Galenus eifrig gepflegt.
»Im Mittelalter«, sagt Bum, »konnte der von den Aerzten der Kulturvölker
des Alterthums so verheissungsvoll angebahnte Weg mechanischer Therapie keine
Fortsetzung finden. Erst im 16. Jahrhunderte, nachdem Ambroise Parti (1517 bis
1590) den ersten Versuch unternommen, für die Mechanotherapie anatomischen und
physiologischen Boden zu finden, sind Gazi und Fabricius ab Aquapendente
in Italien, Thimothy Bright in England, Champier du Choul und Faber de
Saint Jory in Frankreich und Leonhard Fuchs in Deutschland der Methode
nähergetreten. Der erste aber, dessen Genius auch auf das Gebiet der Massage und
Gymnastik einen Strahl seines Geistes fallen liess, und welcher die physiologische
Wirkung dieser Methoden klaren Auges erschaute, war Bacon von Verulam (1561
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146 Hans Rüge
bis 16*26)«, der hervorragende Philosoph und Zeitgenosse der Königin Elisabeth von
England.
Weitere interessante Einzelheiten aus der Geschichte der Massage und ihrer
allmählichen Weiterentwickelung in unserer Zeit geben Bum und Länderer in
ihren Lehrbüchern. 1
Auch jetzt noch steht eine grössere Anzahl von Aerzten der Massage skeptisch
gegenüber; und dafür scheinen hauptsächlich zwei Ursachen vorhanden zu sein, die
beide an sich im Wesen ärztlicher Auffassung ihren berechtigten Platz haben: Ein¬
mal die natürliche Abneigung gegen alles, was von Charlatanen, Kurpfuschern und
rohen, ungebildeten Heilkünstlern mit Eifer betrieben wird, wozu leider die Massage
— oft freilich nur die Karrikatur der Massage — gehört. Und zweitens die Skepsis
gegen Methoden, deren wissenschaftliche und speziell physiologische Begründung
noch unvollkommen ist.
Die folgenden Zeilen bezwecken, einen auf physiologische Untersuchungen ge¬
gründeten Beitrag zur Klärung dieser Frage zu liefern, und zwar einen Versuch zu
machen, die physiologische Wirkung der Massage besonders auf die Muskeln
selbst zu erklären.
Die eingehenden Untersuchungen, die ich im physiologischen Institute bei
Herrn Professor Engelmann in Berlin angestellt habe, sind an anderer Stelle 1 )
ausführlich niedergelegt worden. Ich möchte dieselben daher nur soweit hier erörtern,
wie es für das Verständniss des Arztes nothwendig ist, dem die speziell physiologischen
Methoden ferner liegen.
Die physiologische Wirkung der Massage ist von den verschiedensten Gesichts¬
punkten aus untersucht und beurtheilt worden. Gross ist die Zahl der Arbeiten,
die sich mit der sekundären Massagewirkung auf den ganzen Organismus be¬
schäftigen, oder die Folgewirkungen der Massage auf Stoffwechsel, Nieren- und Herz-
thätigkeit u. s. w. zu eruieren suchen; nur klein die Zahl der Autoren, welche die
primäre Wirkung der Massage auf die gekneteten Organe (z. B. Muskeln) selbst unter¬
sucht haben.
Die mit Gymnastik und passiven Bewegungen verbundene Massage (steifer
Gelenke u. s. w.) muss in der folgenden Besprechung unberücksichtigt bleiben.
Die primäre Wirkung der Massage, d. h. die direkte Einwirkung auf die
Muskeln, haben besonders Zabludowski, Mosso und Maggiora untersucht.
Davon weiter unten.
Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten haben demgegenüber den Einfluss der
Massage auf den Stoffwechsel und die Harnsekretion zum Gegenstände.
Zabludowski, der wohl zuerst Stoffwechselversuche bei Massage an drei
Personen anstellte, gelangte, seiner unsicheren Methode entsprechend, zu wechselnden
Resultaten, die keine klaren Schlüsse zulassen.
Gopadse fand eine um 1—4% vermehrte Umsetzung der stickstoffhaltigen
Substanzen in Harn und Koth.
Keller’s Untersuchungen zeigten vermehrte Stickstoffabscheidung, nebst
Steigerung der Schwefelsäureausscheidungen, Zunahme der Chloride und der
Phosphorsäure im Harn; dagegen keine Steigerung der Harnmenge durch Massage.
D Rüge, Die physiologische Wirkung der Massage auf den Muskel. Archiv für Anatomie
und Physiologie 1901. Physiologische Abtheilung S. 4C6.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Physiologisches über Muskelmassagc nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 147
Polubinski fand als Wirkung der Massage bei allen seinen zehn Versuchs¬
personen vermehrte Harnabsonderung; die Harnstoffmenge war einige Male vermehrt,
andere Male vermindert.
Erhebliche Steigerung der Harnmenge nach Bauchmassage hatte Hirschberg
schon zwei Jahre vorher festgestellt.
Auch Bum fand (bei kurarisierten Hunden) regelmässige Steigerung der
llarnsekretion, ebenso nach ihm Le Marinei.
Später (1893) konstatierte Bum dasselbe bei zwei Versuchspersonen in ‘20 Tage
andauernden Versuchsreihen. Als Ursache dieser Vermehrung wurden die während
der Massage aus der Muskulatur in den Kreislauf gelangenden Stoffe erkannt. Er
stellte ferner fest, dass »die Vermehrung der Harnmenge durch Expression der
Gewebe« bedingt ist.
Sichere Schlüsse über die Wirkung der allgemeinen Körpermassage auf die
Harnstoffausscheidung konnte er nicht ziehen.
Dunlop u. a. fanden in neuester Zeit bei ihren Untersuchungen, die sich aller¬
dings nur auf einen Fall erstreckten, geringe Vermehrung des Urins nach Massage,
keine Vermehrung der Stickstoffausscheidung, keine Vermehrung der Harn¬
säure, der Sulfate, der Chloride.
Durch sehr sorgfältige Stoffwechseluntersuchungen an drei Personen hat Bend ix
diesen Gegenständ wesentlich gefördert. Er kommt bei allen drei Versuchen zu
demselben Resultate, dass die Harnmenge und die Stickstoffausscheidung
durch Allgemeinmassage des ganzen Körpers zunehmen. Der Eiweissstoffwechsel und
auch die Harnsekretion werden demnach durch Massage günstig beeinflusst. Bei
seinem dritten Versuche an einem Kinde konnte er auch eine Abnahme des Fettes
im Koth feststellen, also eine bessere Resorption des Fettes infolge der Massage.
Des weiteren wurde der Einfluss der Massage auf den respiratorischen Gas¬
wechsel untersucht. Leber und Stüve fanden eine Zunahme des Gasstoffwechsels
durch Muskelmassage, und zwar für den Sauerstoffverbrauch eine Zunahme um
13,tio/o, für die Kohlensäureproduktion eine solche um 12,9 °/ 0 . Aber sie kamen
im Verlaufe ihrer Untersuchungen zu dem Resultate, dass bei der Massage
breiter Muskelmassen, d. h. eines so umfangreichen Muskelgebietes, wie
es von dem Masseur unter Gebrauch beider Hände gleichzeitig be¬
arbeitet werden kann, der Gaswechsel nicht höher steigt, als durch
aktive, ohne Belastung ausgeftihrte Kontraktionen der Fingerbeuger
und Fingerstrecker von gleicher Zeitdauer!
Wenn es also blos darauf ankäme, eine Steigerung des Gesammtstoffwechsels
zu erzielen, dann würde die Massage hinter der aktiven Gymnastik zurückstehen.
Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die »Massage« eines Muskels keinen
vollen Ersatz für »aktive Bewegungen« desselben bilden kann. Auch meine
physiologischen Untersuchungen am Muskel zeigen zur Evidenz, dass »Massage«,
ihrer Wirkung nach, der »Thätigkeit« des Muskels nicht analog ist, in mancher
Hinsicht sogar das Gegentheil dazu darstellt. Denn fortgesetzte Thätigkeit eines
Muskels zeigt zunehmende Ermüdungserscheinungen desselben, eine eingeschobene
Massage (von z. B. fünf Minuten Dauer) aber bringt ihm »Erholung«, und zwar
eine viel vollkommenere Erholung, als eine ebensolange währende Ruhepause.
Die Wirkung der Massage auf den Blutdruck scheint mir noch nicht recht
klargestellt. Nach Colombo soll eine allgemeine Muskelmassage denselben erhöhen
Edgecombc und Bain, die mit Oliver’s Hämadynamometer arbeiteten,
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
148 Hans Rüge
fanden bei sehr ausgiebiger Bauchmassage ebenfalls eine Erhöhung des gesammten
Blutdrucks. Die gewöhnlichen Massageeinwirkungen setzten aber den arteriellen
Blutdruck herab, während der venöse stieg.
Le Marinei konstatierte dagegen nur in der Minderzahl seiner Versuche eine
geringe Blutdrucksteigerung bei Massage der Muskulatur der Hinterbeine.
Brunton und Tunnicliffe äussern sich dahin, dass die Massage einer
grösseren Muskelgruppe zunächst ein leichtes Steigen des Gesammtblutdruckes ver¬
anlasst, dem bald ein erhebliches Sinken des Blutdrucks folgt.
Kl een stellte fest, dass mechanische Muskelreizung stets eine schnell vorüber¬
gehende Herabsetzung des Blutdrucks bedingt.
Nach diesen Versuchen Kl een’s ist es am wahrscheinlichsten, dass Knetungen
der Muskulatur u.s.w. den Blutdruck eher herabsetzen, was Bum ebenfalls annimmt.
Wir kommen nun zu dem eigentlichen Thema, der Wirkung der Massage auf
den Muskel selbst.
Die Litteratur über dies spezielle Thema ist nicht sehr umfangreich.
Zabludowski hat wohl als erster diese Wirkung durch Thierversuche studiert.
In meiner oben citierten Arbeit habe ich dieselben eingehend besprochen. Hier soll
nochmals kurz hervorgehoben werden, dass nach meinen zahlreichen Versuchen am
Froschmuskel (am entbluteten, wie am durchbluteten) Zabludowski mit Unrecht
die »Hubhöhen« der Muskelkontraktionen bei der Prüfung der Massagewirkung zu
Grunde legt. Es ist vielmehr unbedingt nothwendig, den »Verlauf« der Einzel¬
kontraktionen in erster Linie zu berücksichtigen. Ferner ist meines Erachtens die
Anzahl seiner Versuche eine viel zu kleine.
Maggiora untersuchte mit dem Mosso’schen Ergographen den Einfluss der
Massage beim Menschen. Er schrieb mit diesem Apparate eine Bewegungskurve
seines belasteten, bis zur Erschöpfung bewegten Mittelfingers auf. Das war also
auch eine Kurve der Hubhöhen und zwar eine Ermüdungskurve.
Die interessanten Einzelheiten seiner Arbeit sind ebenfalls schon besprochen.
Er kommt zu folgenden Schlüssen:
Die Massage erhöht die Arbeitsfähigkeit des gut ausgeruhten Muskels.
Ohne Massage wurden 4,272 kgm mechanische Arbeit geleistet, dagegen nach
Massage 8,019 kgm!
Die Steigerung der Arbeit besteht nicht in einer Zunahme der Höhe der ersten
Kontraktionen, sondern in einer grösseren Zahl derselben und darin, dass sie lang¬
samer abnehmen.
Der ermüdete Muskel erholt sich, wenn man ihn massiert, weit früher, als
wenn man ihn sich selbst überlässt.
Die besten Resultate konnten durch gemischte Massage (Kneten, Klopfen,
Reiben u.s.w. abwechselnd) erzielt werden.
In einer fünf Minuten lang dauernden Massage (derselben Muskeln) liegt
durchschnittlich der grösste Nutzeffekt, den man durch Massage erhalten kann.
Bei Ermüdung des ganzen Körpers (durch einen Spaziergang von 17 km, durch
eine Nachtwache, durch geistige Anstrengung, durch Fasten und durch Fieber) trat
die stärkende Wirkung der Massage auch an den erst mittelbar ermüdeten
Muskeln zu Tage.
Es wäre noch zu erwähnen, dass Maggiora die Kontraktionen seiner Muskeln
theils willkürlich auslöste, theils durch elektrische Reizung vom Muskel oder vom
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 149
Nerven aas. So ansprechend seine Arbeiten auch sind, so muss doch hervorgehoben
werden, dass den Experimentator solche Versuche an sich selbst leicht zu einer
subjektiven Förderung der gewünschten Resultate verleiten können. Auch wäre es
zweckmässig gewesen, ausser der Hubhöhe auch die Dauer der einzelnen Kontraktionen
zu berücksichtigen.
Mit der nämlichen Methode der Prüfung der Hubhöhen am Lebenden
kommt Brandis zu entgegengesetzten Resultaten. In seinen Versuchen brachte
zwar die Pötrissage »das schmerzhafte Ermüdungsgefühl sofort zum Verschwinden«,
»aber«, sagt er, »der von Maggiora gefundene auffällige, stärkende Einfluss der
Massage konnte in keinem Falle durch meine Versuche konstatiert werden«.
Also bei der Prüfung der Hubhöhen des Muskels das eine Mal positive
Resultate (Zabludowski, Maggiora), das andere Mal negative (Brandis)ü
Schon das beweist, dass diese Methode nicht zum Ziele führen, d. i. den Werth
der Massage für die Thätigkeit des Muskels nicht klarlegen konnte.
Brandis sucht den Fehler der Methode in der subjektiven Beeinflussung der Ver¬
suche bei Maggiora. Dass die Versuche nicht am Objekt (Versuchsthier) angestellt
wurden, sondern am Subjekt (dem Experimentator selbst), war sicher nicht zweckmässig.
Aber Brandis’ Versuche, die diesen Fehler dadurch auszuschalten suchen,
dass er unbefangene Versuchspersonen nimmt, leiden eben an dem anderen Fehler
Maggiora’s, die Hubhöhen des Muskels zum Ausgange der Betrachtung zu wählen.
So kommt Brandis zu der meines Erachtens unrichtigen Annahme, dass
die Ermüdung »vorwiegend im nervösen Gentralorgan ihren Sitz hat, so dass also
eine sofortige restaurierende Wirkung der Muskelmassage nicht zu erwarten ist«.
Durch meine im folgenden zu schildernden Versuche meine ich aber gerade
nachgewiesen zu haben, dass eine restaurierende Wirkung der Muskel¬
massage in erheblichem Maasse vorhanden ist
Die Versuche wurden im wesentlichen nach drei Richtungen ausgeführt, und
zwar wurden untersucht:
1. die Hubhöhen mit und ohne eingeschaltete Massagen;
2. der Zuckungsverlauf ebenso;
3. die Wirkung von eingeschalteten Pausen und Massagen beim durch Tetanus
ermüdeten Muskel.
Die grössere Anzahl der Versuche wurde am blutdurchströmten Muskel an¬
gestellt Nur eine kleinere Zahl von ausgeschnittenen Nerv-Muskel- und Muskel¬
präparaten (letztere von kurarisierten Fröschen) kam zur Untersuchung, wobei die
Muskeln mit Haut bedeckt blieben, um die Austrocknung zu verhindern.
Da es zweckmässig schien, die Versuche hauptsächlich durch Reizung vom
Nerven aus anzustellen, um den natürlichen Verhältnissen näher zu kommen, konnte
nur in einigen Fällen Kurare angewendet werden. Die Mehrzahl der Frösche wurde
durch Chloroformalkohol betäubt. Dann wurde vorsichtig, ohne viel Blutverlust, die
Achillessehne freipräpariert; desgleichen an der Rückseite des Oberschenkels der
Ischiadikus freigelegt und oben durchschnitten.
Der ganze Frosch wurde auf einem Holzbrettchen festgelegt, welches wagerecht
an das Stativ festgeschraubt werden konnte.
Oben wurde der Muskelansatz des Gastroknemius (das Knie) in eine Metall¬
klemme eingeschraubt, die Achillessehne des senkrecht freihängenden Muskels unten
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
I 50 Hans Rüge
durch einE-förmiges Poppelhäkche» »Bit einem Sehrcibheh.ef verbunden. «leisen
■ Drehpunkt ßah.e an der« Stativ lag,; mit welchem auch «iic Känekletnme oberhalb
durch einen festen M-etall^tat* verbunden war.
Der Sdu-eibliebet schrieb auf eine rotierende TVomhh'S jX?fcinzpajuer mit be-
msster Oberfläche)- die Hubhöhen respektive den Verlauf der Zuckungen des Muskels
(verdrössen) auf.
Die ßeisung des Xervus ischiadiees erfolgte durch maximale OeJfi»uugs-
•'i»dufctJMWSschläge. die in Dausen von je 1—2 Sekunden. erfolgten n.
Der Muskel hob jedesmal eia (lewiebc v«u ca. <; g. Er wurde durch fortgesetzte
IDiizeireize ermüdet
Es wurde rmö geprüft, oh kurze ftuhepauseu von. fünf bis zehn Minuten dem
Muskel bessere jEfholühg verschafften oder «heasofeßge datsefhdc Massagen. Massagen
van nur iMhf Minotfen taaghr Dauer wucdfeö bevorzugt, t^^inaeli. Mk&giura fiir
den Muskeleiöea hes'üi$grs guten Nutzeffekt fetibe«, Jeh ffl&jufoite hei dem kleine»»
Froselvmuskel mit Vorliebe die- gemischte Massage (bestehend in Knetungen,
Klopfungen, Reifungen und Streichungen), die ja besonders zweckmässig, gefunden
woräßö ist.
Eine ganze Reihe von Kurven wurden hei sehr langsamer Drehung der he-
rnsaten Tmmmel aafgeiiommen, m 'dass die in Pausen von einer Sekunde erfolgenden
Einzelzuekungen des Muskels im wesefti liehen nur die Hubhöhe.»' anfeeidujeten Da¬
bei konnte das den Physiologen lange bekannte Phänomen der »Treppe« -) beobachtet
werden. Mudich bei gleichem»}■ Reize wurde jede Hubhöhe etwas höher. als die
Vörhergehende. Das ging »ft. biw. zur. •»lreihuB.dertsten,, ja Vierhwiideftsteö Zuckung
des Muskel» «t> forld ädsdann begann der »S-bfall von der’T|ep|m<, ff.1i, die Hubhöhen
nehmen langsam an (JWisse ah. big. ld 4 f bildet ein gutes Beispiel dafür.
% 13.
J. bis :j7. Zuckung,. * 401. bis 4 M». Zuckung.
Theil $ptir t»Trq>pv<. ThoO eines $ Abfalle vorn der Treppt»*.
Bei taaxinialeu gMd^rarken .Uoiicon vs wde« die llubhubeu der f-XtepptM iilliniiiilieJk.-ÄrrÖsserf.
Peiin >* Abfall vor» <b*v w*vd<-n *<»■ illjailKjfcji wiedor kkintot
AVwde nun e)öa- Massig ins erste- Stadium (der »Tre-ppcct Omjr^vhaiiet, so.
wurden die niieMtfö ffubhfilrcu datmrh kleiner alt die vorheiiiejHMid^ii::■.wurde
t*jde ii'oicdie > .Massagejifri Wm tea Studium (de$ * A bfalls vonder■.
so wurden die nächsten nubhujiißB grösser, als dbyomgey yvr der .Massive.
SeliMü m* 'diesen- beiden fteolm« litiingeti» auf deren Inaieniung nn anderer Stelle
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Google
Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 151
eingeg&ngen ist, geht hervor, dass die Hubhöhen keine klare Einsicht in das Wesen
der Muskelmassage ermöglichen können.
Erwähnenswerth ist, dass Rollet schon vor mehreren Jahren darauf hingewiesen
hat, dass frühere Forscher den Hubhöhen fälschlich eine viel zu grosse Bedeutung
für die Beurtheilung der Ermüdung und Erholung des Muskels beigemessen haben.
Wir werden im folgenden sehen, dass der Verlauf der Einzelzuckungen (auf-
geoommen bei schnell rotierender Trommel) uns in ganz entscheidender Weise Auf¬
schluss über die Wirkung der Massage auf den Muskel giebt.
Helmholtz, Funke u. a. haben schon darauf hingewiesen, dass der Verlauf
der Zuckungskurve mit zunehmender Ermüdung immer gedehnter wird; das heisst
also, dass der Muskel mit zunehmender Ermüdung immer langsamer sich zusammen¬
zieht und besonders sich auch viel langsamer wieder ausdehnt. Der ermüdete
Muskel arbeitet träger, als der frische.
Ein Beispiel hierfür giebt Fig. 14. Hier sehen wir drei Kurven vom durch¬
bluteten Gastroknemius:
Fig. 14.
Vw Secunde.
Zuckungskurven vom durchbluteten Gastroknemius.
Die 1. Zuckung läuft ab in etwa 0,14 Sekunden
» 100. » j> » b » 0,28 »
» 200. » » » » * 0,70 »
In Fig. 14 braucht die 100. Kontraktion des Muskels die doppelte Zeit, wie die
erste; die 200. Kontraktion braucht schon das Fünffache an Zeit gegenüber der
1. Kontraktion.
Rollet zeigte dann, dass, wenn man einen Muskel in Pausen von zwei Sekunden
mehrere hundert Male hintereinander durch gleichstarke (maximale) elektrische Reize
zur Kontraktion bringt und dann dem Muskel eine Ruhepause von z. B. fünf Minuten
gönnt, dass sich der Muskel dann erheblich erholt und wieder viel flinker arbeitet.
Rollet’s Versuche habe ich nachgeprüft und durchaus bestätigt gefunden.
Es handelt sich hier und in den folgenden Erörterungen durchweg um durch¬
blutete Muskeln am lebenden (meist chloroformierten) Frosch.
Fig. 15 zeigt die zunehmende Ermüdung eines Muskels von der 1. bis zur
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152
Hans Rage
200. Zuckung. Der Muskel ist hier schon nach 200 Zuckungen ziemlich stark er¬
müdet, wie die flache, lange Kurve zeigt, die fast dreimal so lang ist, wie Kurve 1.
Nun wird eine Pause von 10 Minuten gemacht, wodurch der Muskel sich so
sehr erholt, dass er zu einer Kontraktion und Wiederausdehnung nur halb so lange
Zeit braucht (= Kurve 201), als vor der Pause. Ausserdem ist diese Kontraktion
(No. 201) nach der Erholungspause auch erheblich höher, als die letzte vor der Pause.
Man sieht also daraus den erheblichen Nutzeffekt der Ruhepause für die Er¬
holung des Muskels.
Bei meinen weiteren Untersuchungen stellte sich nun aber heraus, dass man
durch Massagen, die während solcher kleiner Pausen auf den Muskel einwirken, eine
viel bedeutendere Verkürzung der Kontraktionsdauer des Muskels erzielen kann,
als durch einfache Ruhe.
Fig. 15.
Es wurde in dieser Richtung eine ganze Reihe von Versuchen angestellt, die
stets dieselben Resultate ergaben, und zwar ebenso bei direkter Reizung des
Muskels, wie bei indirekter vom Nerven aus.
Kehren wir wieder zu Fig. 15-zurück. Die Kurve 201 nach der Ruhepause
zeigte zwar eine recht gute Erholung des Muskels. Aber nachdem der Muskel
wieder 20 Kontraktionen ausgeführt hatte, fügten wir eine zehn Minuten dauernde
Massage ein. Die nun folgende Zuckung (die 221.) zeigte eine viel gründlichere
Erholung nach dieser Massage, als die (201.) Kurve nach der der einfachen Pause.
Hier hielt die Erholung nach Massage während der folgenden 20 Kontraktionen auch
viel besser an, als die Erholung nach der Pause. (Man vergleiche die 20. Kurve nach
der Massage [s. No. 240] mit der 20. Kurve nach der Ruhepause [s. No. 220]).
Die Dauer der beiden verzeichneten Kurven (in Fig. 15) nach der Ruhepause beträgt
0,18 resp. 0,26 Sekunden, dagegen nach der Massage nur 0,12 resp. 0,16 Sekunden,
ist also viel kürzer nach Massage! Also arbeitet der Muskel nach Massage
flinker, und die gute Massagewirkung ist auch von erheblicher Dauer.
In meiner mehrfach zitierten Arbeit ist ein Versuch abgebildet und dort auf
Seite 479 besprochen, in welchem die erfrischende Wirkung der Massage auf den
Muskel sich über mindestens 110 Kurven deutlich sichtbar erstreckt. Man sieht
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Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 153
daselbst ferner einen Versuch, wo nach 960 Kontraktionen eine Massage von nur
drei Minuten Dauer dem Muskel eine ganz eklatante Erholung bringt. Die Erholung
nach Massage ttbertrifft in ganz ausserordentlich hohem Maasse die Erholung durch
Kuhepausen. Die 961. Zuckung, s. die 1. nach der Massage, läuft viel schneller ab,
als die allererste Kontraktion des Muskels vor jeglicher Ermüdung oder Anstrengung.
Rollet nennt den aufsteigenden Theil der Muskelkurve »Krescente«, den absteigen¬
den »Dekrescente«. Bei meinen Kurvenreihen wurden nun eingehende Messungen an¬
gestellt über die jedesmalige Dauer der Zusammenziehung (Krescente) und Wieder-
ausdehnung (Dekrescente) des Muskels; es wurden ferner die Hubhöhen ausgemessen
and aus diesen Faktoren sowie dem gehobenen Gewicht von etwa 6 g 1 ) die jedes¬
malige Einzelleistung des Muskels hei jeder Kontraktion in Grammmillimetern pro
Sekunde ausgerechnet. Es genügt hier, eine einzige kleine Tabelle mit den wichtigsten
Zahlen zur Erläuterung mitzutheilen. Durch diese Tabellen wurde es ermöglicht,
die Leistungen einzelner Muskeln vor und nach Massage genau zu vergleichen, ferner
auch besonders die Leistungen nach Pausen mit denen nach Massagen zu vergleichen.
Handelte es sich in Fig. 15 um ein und denselben Muskel, so wurden diesmal
zwei verschiedene Muskeln verglichen, aber von gleicher Grösse, nämlich der rechte
und der linke Gastroknemius desselben Frosches. Die nachfolgende Tabelle er¬
läutert diesen Versuch. Während hier der rechte Muskel nur durch Ruhepausen
erfrischt wurde, erhielt der linke gleich lange dauernde Massagen.
Durch die erste Pause von fünf Minuten erholte sich der rechte Gastroknemius
nur von 141 gmm auf 170 gmm (Rubrik 5 der Tabelle), der linke durch die erste
Massage von 196 gmm auf 373 gmm!
Tabelle von zwei durchbluteten Muskeln desselben Frosches.
(Rechts durch Ruhepausen, links durch Massagen erholt)
v.
2.
3 .
4.
5 .
Eingeschobene Pausen
Nummer
Hubhöhe
Krescente
in
Sekunden
Leistung
pro Sekunde
in gmm
oder Massagen
der Kurve
in mm
A. Rechter Gastroknemius.
1 ‘ 1.
2,8
0.08
223
5.
3,0
0,10
0,16
181
100.
3,7
141
Pause von 5 Minuten
101.
2,4
0,09
170
400.
0,8
0,14
36
Pause von 15 Minuten
401.
1,2
0,08
95
405.
1A
0,10
90
414.
1,8
0,13
89
B.
Linker Gastroknemius.
1 .
3,3
0,07
284
5.
3,6
0,10
219
100.
4,0
0,13
196
Massage von 5 Minuten
101.
4,1
0,07
873 !
400.
2,0
0,15
85
Massage von 15 Minuten
401.
4,0
0,09
288 !
405.
4,1
0,13
201 !
414.
3,8
0,13
178 !
') Genauer 6,36 g.
ZaltRchr. f. dlilt. u. physlk. Therapie Bd. VI. Heft 8.
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154
Hans Buge
Also die Pause verbessert links die Leistung um ein Fünftel des
Werthes, die Massage rechts um fast das Doppelte.
Die ganze Tabelle zeigt, dass der massierte Muskel auch jenseits der
400. Kontraktion noch viel leistungsfähiger bleibt mit 283, 201 und 178 gmm, gegen¬
über dem blos durch Buhepausen erholten mit 95, 90 und 89 gmm. Beim massierten
Bein leistet die 401.Zuckung dasselbe, wie die allererste Zuckung (284 und 283gmm);
am rechten nicht massierten Bein ist die Leistung der 401. Zuckung mit 95 gmm pro
Sekunde noch nicht halb so gross, wie die der ersten Zuckung (= 223 gmm).
Der massierte Muskel ist also viel ausdauernder und leistungs¬
fähiger, vor allem aber flinker bei der Arbeit als der nicht massierte.
Es wurden ähnliche Versuche auch beim nicht ermüdeten Muskel angestellt,
die ergaben, dass auch vor jeglicher Ermüdung Massage den Muskel leistungsfähiger
und ausdauernder macht.
Der künstlich ödematös gemachte Muskel lässt denselben günstigen Einfluss
der Massage gegenüber einfachen Buhepausen erkennen. Das Oedem wird offenbar
durch die Massage besonders vortheilhaft beeinflusst. Freilich darf dieser Befund
nicht ohne weiteres auf krankhaft entstandenes Oedem übertragen werden, zumal
wenn letzteres infolge von Herzschwäche aufgetreten ist. Denn in unseren Versuchen
hat die normale Herzthätigkeit und Blutzirkulation einen hervorragenden Antheil an
dem guten Erfolge solcher Massagen. Demnach eignen sich solche Oedeme, die
nichts mit Herzschwäche zu thun haben, für die Massage, also manche entzündlichen
Oedeme, dann ödematöse Schwellungen nach Sehnenzerrungen oder -zerreissungen u.s.w.
Wesentlich anders verhält sich der entblutete Muskel. Zwar verbessern auch
hier anfangs — nach den ersten 10 und 20 Kontraktionen — Massagen die Leistung
des Muskels viel erheblicher als Buhepausen. Aber bei den späteren Zuckungen
tritt ein umgekehrtes Verhältniss auf. Während sich z. B. ein entbluteter, nur
durch Buhepausen erholter Muskel noch bis zur 300. Kontraktion recht leistungsfähig
erhielt, war der massierte Muskel (der anderen Seite desselben Frosches) bei der
300. Kontraktion schon ganz kraftlos, seine Leistung eine sehr kleine.
Also die Abnahme der Leistungsfähigkeit des entbluteten Muskels
nach Massage gegenüber einfachen Buhepausen war sehr auffällig.
Vielleicht ist dies so zu erklären, dass der Muskel durch die Massage schneller
abstirbt. Möglich ist auch, dass durch dieselbe mit den schlechten unbrauchbaren
Substanzen auch die guten Nahrungssäfte aus dem Muskel hinausgepresst werden,
ohne dass andere Nahrung durch die (fehlende) Blutzirkulation zugeführt werden kann.
Die Versuche bilden einen neuen Beweis dafür, dass für einen dauernden Er¬
folg der Massage die Erhaltung der Blutzirkulation unbedingte Voraussetzung ist
Endlich noch einiges über den Einfluss der Massage auf den Tetanus.
Kronecker und Stirling haben nachgewiesen, dass bei trägen oder ermüdeten
Muskeln eine geringe Zahl von Beizen in der Sekunde genügt, um Tetanus zu er¬
zielen, dass dagegen bei flinken und frischen Muskeln eine weit grössere Anzahl von
Beizen nothwendig ist
Meine Untersuchungen ergaben nun durchweg, dass durch die Massage aus
einem ermüdeten, trägen Muskel ein flinkerer wird, der demgemäss eine grössere
Anzahl von Beizen zur Erzielung von Tetanus beansprucht, als vorher im Stadium
der Ermüdung.
Es ist zum Tetanus auch eine grössere Beizfrequenz nöthig nach Massagen,
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Physiologisches Ober Moskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 155
als nach gleichlangen Pausen, eine interessante Erläuterung der Versuche von
Kronecker und Stirling!
Zum Schlüsse soll noch erwähnt werden, dass es nach obigen Untersuchungen
nicht wahrscheinlich ist, dass sich der Werth der Massage für den Muskel mit der
Beförderung von unbrauchbar gewordenen Substanzen (Dissimilationsprodukten nach
Hering) in die Blutbahn erschöpft Die Versuche am entbluteten Muskel zeigen
vielmehr, dass eine direkte Einwirkung auf die kontraktile Substanz noch ausserdem
stattfinden muss, eine Einwirkung auf die inneren Vorgänge im Muskel (Assimilierung
und Dissimilierung).
Maggiora sagt: »Es muss nicht angenommen werden, dass die Massage des¬
halb günstig wirkt, weil sie aus dem Muskel die durch die Kontraktion entstandenen
schadhaften Produkte entfernt; denn wir sehen, dass sich die Energie des Muskels
auch dann steigert, wenn derselbe früher nicht ermüdet wurde«. Dass die Massage
auch auf den nicht ermüdeten Muskel günstig wirkt, zeigt eine ganze Reihe meiner
Versuche.
Aus all diesen Versuchen geht Folgendes hervor:
1. Die Massage macht den Muskel leistungsfähiger und aus¬
dauernder, sowie vor allem flinker zur Arbeit
2. Dies gilt für den ermüdeten sowohl, wie auch für den voll¬
kommen frischen Muskel.
3. Die Massage leistet für den ermüdeten Muskel erheblich mehr,
als blosse Ruhe; und es haben sogar kurze Massagen von
3 — 5 Minuten oft eine grössere Wirkung, als längere Ruhe¬
pausen von 10—20 Minuten.
4. Die Leistungsfähigkeit eines ermüdeten Muskels, in Kilo¬
grammmetern (resp. Grammmillimetern) ausgedrückt, kann
nach einer Massage von nur fünf Minuten das Dreifache, Vier¬
fache, ja Siebenfache betragen, gegenüber seinen letzten
Leistungen vorher.
5. Zur Erzielung von Tetanus ist nach Massage eines Muskels
eine grössere Reizfrequenz nothwendig, als vorher. Dies gilt
für ermüdete Muskeln in noch höherem Maasse als für frische.
Es mag noch kurz darauf hingewiesen werden, welche Schlüsse sich aus diesen
physiologischen Beobachtungen für die Therapie ergeben. Dabei werden manche
längst bekannten Indikationen berührt werden, wie ja überhaupt die Massage schon
in den aUerverschiedensten Fällen praktische Anwendung gefunden hat, oft mit aus¬
gezeichnetem Erfolge. Hier gilt es nur, aus den wissenschaftlichen Erörterungen
and Resultaten die praktischen Konsequenzen kurz zu ziehen.
Nach dem oben Gesagten ist die Anwendung der Muskelmassage naturgemäss
nützlich bei Ringern und Turnern vor ihren Kraftübungen, um sie gelenkiger zu
machen, wie das die Griechen vor ihren Spielen thaten.
Ferner sind Theil- oder Ganzmassagen der Muskeln zweckmässig bei
Rekonvalescenten nach langen Krankheiten (z.B. Typbus, Pneumonie, Pleuritis,
Influenza u.s.w.); besonders gilt dies für ältere Patienten, die durch langes
Liegen besonders schwerfällig und steif werden, um sie behender zu machen. Hier
wäre besonders die Muskulatur der Unterextremitäten zu massieren. Einen gewissen
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156
Hans Rüge
Schutz böte dies sicher gegen Fall und Knochenbruch älterer Leute nach langem
Krankenlager.
Bei allen solchen Patienten, die einige Zeit still im Bett gelegen haben,
wird vor dem ersten Aufstehen eine solche Massage sehr günstig wirken and den
Patienten den Uebergang aus der Ruhelage in die senkrechte Haltung erleichtern.
Nützlich wäre es auch, bei solchen Patienten, die durch Verletzungen
(Frakturen, Luxationen u.s.w.) gezwungen lange stillliegen müssen, die
Muskulatur der gesunden Extremitäten zu massieren, um sie kräftig und gewandt
zu erhalten.
Vielleicht werden auch bei Blutarmen, bei trägen und blassen
Patienten Versuche gemacht werden können, ihnen durch Massage das Müdigkeits¬
gefühl zu nehmen und sie körperlich leistungsfähiger zu machen, auch die Blut¬
zirkulation anzuregen.
Endlich wird man die Massage bei solchen Leuten erfolgreich anwenden, die
durch körperliche Ueberanstrengung (sehr lange Märsche, zu lange an¬
haltendes Rudern, Fechten, Hantieren n. s.w.) übermüdet (Maggiora) und dadurch
gelegentlich auch appetit- und schlaflos werden; man wird die überangestrengten
Muskeln massieren, um das Ermüdungsgefühl (Schmerzen in den Muskeln) zu be¬
seitigen (Brandis) und um sie wieder frisch und leistungsfähig zu machen.
Stets sollte man gemischte Massage anwenden und die einzelnen Muskelgruppen
nicht zu lange, durchschnittlich je fünf Minuten, massieren (Maggiora).
Alles dies glaubte ich im Anschluss an die bei der Massage des Muskels
physiologisch festgestellten Thatsachen hervorheben zu dürfen. Freilich weiss ich,
dass so manches davon schon längst empirisch festgestellt worden ist Aber es
giebt eine gewisse Genugthuung, für empirisch Erprobtes wissenschaftliche Unter¬
lagen zu finden.
Litteratur.
Bum, Handbuch der Massage und Heilgymnastik. Wien und Leipzig 189C>.
Kleen, Ueber den Einfluss mechanischer Muskel- und Hautreizung auf den arteriellen Blut¬
druck beim Kaninchen. Nord. med. Archiv 1888. Bd. 20. Heft 10.
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Physiologie 1901. Physiologische Abtheilung S. 466.
Zabludowsky, Die Bedeutung der Massage für die Chirurgie und deren physiologische
Grundlagen. Langenbeck’s Archiv 1883. Bd. 29.
Derselbe, Physiologische Wirkungen der Massage u.s.w. Langenbecks Archiv 1885. Bd. 31.
Gopadse, Einfluss der Massage auf den Stickstoffwechsel und die Assimilation des Stick¬
stoffs der Nahrung. Dissertation. St Petersburg 1886.
Keller, Einfluss der Massage auf den Stoffwechsel des gesunden Menschen. Korrespondenz
Schweizer Aerzte 1889. Bd. 19. S. 393.
Polubinski, Wirkung der Bauch- und Lendenmassage auf die Urinsekretion. St. Petersburg
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Rubens Hirschberg, Massage de l’abdomcn. Etüde physiologique et thßrapeutique.
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Derselbe, Ueber den Einfluss der Massage auf die Harnsekretion. Zeitschrift für klinische
Mediein 1889. Bd. 15. S. 248.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Physiologisches über Muskelmassage nebst einigen therapeutischen Bemerkungen. 157
Derselbe, Zur physiologischen Wirkung der Massage auf den Stoffwechsel. Wiener
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Dunlop, Pjaton, Stockinan and Maccadam, On the influence of muscular exereise,
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Colombo, Physiologische Wirkung der Massage. Clinica modema 1900. No. 8. Referiert in
der Münchener medicinischen Wochenschrift 1900. S. 909.
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Physiologische Abtheilung.
Derselbe, Contributo allo Studio delTazione fisiologica del massagio. Giomale della R. soc.
ital. d’igiene Bd. 12. No. 11—12. Milano 1890. (Vorläufige Mittheilung zu der folgenden Arbeit)
Derselbe, Untersuchungen über die Wirkung der Massage auf die Muskeln des Menschen.
Archiv für Hygiene 1892. Bd. 15. S. 141. — Archiv per le scienze medichi Bd. 15. No. 4. —
Aich, italiennes de biologie Bd. 16. No. 2—3.
Bran dis, Ueber die Ursachen der Muskelermüdung, nach fremden und eigenen Unter¬
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Bowditsch, Ueber die Eigenthümiichkeiten der Reizbarkeit, welche die Muskelfasern des
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üelmholtz, Archiv für Anatomie und Physiologie. Jahrgänge 1850 und 1852.
Engelmann, Das Prinzip der gemeinschaftlichen Strecke. Pflügeris Archiv Bd.52. S.592.
Funke, Ueber den Einfluss der Ermüdung auf den zeitlichen Verlauf der Muskelthätigkeit.
Pflügeris Archiv 1874. Bd. 8.
Rollet, Ueber die Veränderlichkeit des Zuckungsverlaufes quergestreifter Muskeln bei fort¬
gesetzter periodischer Erregung und bei der Erholung nach derselben. Pflügeris Archiv 1896.
Bd. 64. S. 507.
Kronecker und Stirling, Die Genesis des Tetanus. Archiv für Anatomie und Physiologie
1878. Physiologische Abtheilung.
E. Hering, Lotos 1889. Neue Folge. Bd. 9. S. 36.
Eulenburg, Encyklopädische Jahrbücher der gesummten Heilkunde 1885. Bd. 5. S. 370.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
158
Julian Marcuse
III.
Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie.
Vortrag gehalten auf der 23. Versammlung der Baineologischen Gesellschaft
zu Stuttgart (7. bis 12. März 1902).
Von
Dr. Julian Marcuse
in Mannheim.
In die Reihe der physikalischen Heilmittel ist seit jüngster Zeit ein Verfahren
getreten, das gestützt durch die technischen Fortschritte der Neuzeit und durch die
theilweise exceptionellen Erfolge, die es schuf, zur cause celebre, möchte ich fast
sagen, moderner Therapie geworden ist. Das Lichtheilverfahren, im Alterthum als
Sonnenbad bereits gekannt und geschätzt, hat heute eine Ausdehnung erfahren, wie
sie eine in normalen Bahnen verlaufende wissenschaftliche Errungenschaft kaum je
erreicht hat, nicht zum mindesten dadurch, dass sich der immer geschäftige Tross
von Pfuschern und Charlatanen desselben bemächtigt und es zu einer Panacee in
den Augen der leicht zu bethörenden Menge gemacht hat. Aber das Chaos, das die
Phototherapie angerichtet hat, ist damit noch nicht abgeschlossen; geben sich doch
auch in ernsten wissenschaftlichen Kreisen die widersprechendsten Meinungen kund,
deren Ursache wohl hauptsächlich darin begründet ist, dass wir über die biologische
Seite, worauf die Lichttherapie aufgebaut ist, immer noch mehr über Vermuthungen
als über Thatsachen verfügen. Ohne Sie ermüden und Ihnen das ganze Register
vergangener Forschungen vorführen zu wollen, muss ich dem Zweck meiner heutigen
Ausführungen entsprechend Ihnen einige wenige Resultate und Versuche aus früheren
Zeiten skizzieren. Wir unterscheiden bei der Lichtwirkung eine lokale Wirkung auf
die gesunde Haut und eine allgemeine auf den ganzen Organismus. Was die erstere
betrifft, so ist die 1859 von Charcot 1 2 ) aufgestellte Vermuthung, dass das Sonnen¬
erythem nicht von den Wärmestrahlen, sondern von den sogenannten chemischen
Strahlen, den violetten und ultravioletten, herrühren, durch mannigfache, einwand¬
freie Versuche seitdem vollinhaltlich bestätigt worden. Unna kam durch klinische
Beobachtungen zu demselben Resultat, ebenso Gintrax, indem er ein Spektrum auf
die Haut fallen Hess. 1889 folgten die bahnbrechenden Versuche Widmark’s*) mit
Bogenlicht, wobei es sich herausstellte, dass besonders die ultravioletten Strahlen,
also die am wenigsten kalorisch wirkenden, eine hervorragende Rolle für das Zu¬
standekommen der Hautentzündung spielen. Und 1891 vervollständigte diese That-
sache Hammer dadurch, dass er nachwies, dass der klinische Verlauf einer durch
Wärmestrahlen hervorgerufenen Entzündung verschieden ist von der durch chemische
Strahlen veranlassten. Wärmestrahlen rufen sofort Schmerz und Röthe hervor, beides
verschwindet später, das Lichterythem dagegen erscheint erst mehrere Stunden nach
1) Comptes rendues de la Soe. de biologie 1869.
2) Widmark, Beiträge zur Ophthalmologie. Leipzig 1891. Lief. 16—18.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Der gegenwärtige Stand der Lichtther&pie.
159
der Bestrahlung, ist ganz schmerzlos, nimmt nach ein bis zwei Tagen zu und, wenn
die Röthe verschwunden ist, bleibt eine Pigmentierung zurück.
Dies waren die Anhaltspunkte für Finsen, der diese Verhältnisse näher studierte
und durch den bekannten Versuch mit dem eigenen Arm — er bemalte einen un¬
gefähr zwei Zoll breiten Streifen desselben mit Tusche, setzte ihn dann ca. 3 Stunden
lang sehr starkem Sonnenlicht aus, entfernte dann die schwarze Farbe, und es zeigte
sich, dass die bemalte Haut völlig weiss und normal geblieben, dagegen die beiden
Seiten des Tuschstreifens geröthet waren — nachwies, dass die Pigmentablagerung
einen Schutz gegen die weitere Wirkung der chemischen Strahlen leistet Zugleich
beobachtete er, dass die vom Lichte hervorgerufene Hyperämie erstaunlich lange
Zeit nach der Beleuchtung bestehen bleibt; noch nach Monaten findet man eine
deutliche Dilatation der Blutgefässe, eine, wenn man so sagen darf, latente Hyper¬
ämie. Histologisch haben wir es dabei wohl mit einer Gefässdilatation und einer
davon herrührenden Exsudation, wahrscheinlich auch mit einem lebhaften Zuströmen
von Leukocyten, wie es Bang nachgewiesen hat, zu thun. Wie die nachfolgende
Pigmentation zu stände kommt, ist noch nicht aufgeklärt, wahrscheinlich stammt
das Pigment von den rothen Blutkörperchen selbst her.
Sind somit unsere Kenntnisse über die lokale Wirkung des Lichtes im grossen
und ganzen ziemlich ausgedehnt, so klaffen die Lücken über die allgemeinen Wirkungen
desselben um so tiefer. Empirisch wissen wir wohl, so lange es Leben auf der Erde
giebt, welch’ unendlich weittragenden und tiefen Einfluss das Licht auf alle Organismen
ausübt, und von welch’ schweren Folgen für unser Befinden und Wachsthum, kurzum
für alle unsere Lebensprozesse ein Fehlen oder Mangel desselben begleitet ist. Allein
wissenschaftlich dies auf irgend eine Art nachzuweisen, ist bisher nicht gelungen;
wir müssen uns vorläufig mit einigen wenigen Beobachtungen und Versuchen
experimenteller Art begnügen. So fand Engelmann, dass die Amöbe Pelomyxa
palustris sich unter Lichteinfluss kontrahiert, russische Forscher (Uskow u. a.), dass
das Licht incitierend auf Flimmerzellen wirkt, dass eine vermehrte Karyokinese der
Korneazellen stattfindet und neuerdings Widmark, dass diese Karyokinese haupt¬
sächlich den ultravioletten Strahlen zuzuschreiben ist. Vielfach hat man auch einen
Einfluss auf den Stoffwechsel der höheren Thiere angenommen. Nach Moleschott 1 )
ist die Kohlensäureausscheidung im Licht vermehrt, selbst wenn der Einfluss der
Aagen eliminiert war. Dies beruht jedoch nach Bang wahrscheinlich auf einer
incitierenden Wirkung, die so eigentümlich für die chemischen Strahlen ist und
die namentlich Finsen bei Salamandern und Salamanderembryonen nachgewiesen
bat. Die blauvioletten und noch mehr die ultravioletten Strahlen wirkten als
mächtiger Reiz auf das Nervensystem, auf Blut und Gewebe. Während somit eine
reflektorisch incitierende Wirkung des Lichtes wahrscheinlich ist, wissen wir bisher
fast nichts sicheres über die direkte Wirkung des Lichtes auf biologische Prozesse.
Etwas besser steht es mit unseren Kenntnissen in Bezug auf den indirekten Nutzen
des Lichtes, nämlich seine bakterientötenden Eigenschaften. Downes und Blunt»),
später Duclaux, Arloing und andere wiesen nach, dass es die violetten und ultra¬
violetten Strahlen sind, die bakterientötend wirken, und Finsen konnte auf Grund
seiner zahlreichen, erschöpfenden Versuche zu dem Schluss gelangen, dass eben
diesen Strahlen neben ihrer antibakteriellen noch eine zweite Eigenschaft, nämlich
i) Pflüger's Archiv Bd. 11.
*) Researches on the effect of Light upon bacteria. Proc. of theRoy. Soc. of London 1877. Bd.26
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160
Julian Marcuse
eine hautreizende, innewohnt. Die grundlegenden Resultate hierüber stammen aus
den letzten Jahren, nämlich aus den Versuchen von Dieudonnä, Finsen und seinen
Schülern Bang, Bie und anderen. Nachdem ersterer 1 ) gezeigt hatte, dass Sonnen¬
licht Bakterien erst nach mehreren Stunden, im günstigsten Falle in etwa einer
Stunde, eine gewöhnliche Bogenlampe sogar erst nach 5—8 Stunden zu vernichten im
stände sei, war es wiederum Finsen, der durch Anwendung konzentrierten Bogen¬
lichtes Plattenkulturen schon nach fünf Minuten abtöten und damit die bakterizide
Kraft der chemischen Strahlen der therapeutischen Verwerthung näher führen konnte.
Resümieren wir also die gegenwärtig als feststehenden Untersuchungen, die sich
auf die biologische Wirkung der Lichtstrahlen beziehen, so sind es folgende: Die vio¬
letten und ultravioletten Strahlen rufen 1. eine spezifische Entzündung hervor, die in
ihren Symptomen verschieden von allen anderen Hautentzündungen ist, 2. sie wirken
incitierend auf den Organismus, 3. sie haben eine stark bakterientötende Wirkung.
Die Lichttherapie nun ist ihrem Wesen nach ebenfalls eine lokale und all¬
gemeine, je nachdem es sich um territorial begrenzte oder allgemeine Störungen
des Organismus handelt. Die lokale Lichttherapie und ihre systematische Be¬
gründung und Anwendung knüpft sich an den Namen Niels R. Finsen, dessen
bahnbrechende Versuche in der Behandlung und Heilung des Lupus vulgaris ich
als allgemein bekannt voraussetzen darf*). Nachdem er gefunden hatte, dass es
dieselbe Strahlengattung ist, die auf Haut und Bakterien wirkt, war es für ihn nur
ein weiterer Schritt in der Erkenntniss, dass, wenn man diese Strahlen in genügend
konzentrierter und reiner Form darstellen könnte, man damit >oberflächliche
bakterielle Hautleiden« heilen könnte. Um nun die Lichtwirkung in die Tiefe
dringen zu lassen, sah er sich gezwungen, eine Kompression des belichteten Gewebes
vorzunehmen, theils um das Blut, welches von allen lebenden Geweben das Licht
am stärksten absorbiert, wegzudrücken, theils um die Dicke der zu durchdringenden
Gewebsschicht zu verringern. Souverän ist seine Methode beim Lupus vulgaris ge¬
worden, und wir können heute ohne Uebertreibung die lokale Lichtbehandlung dieser
Affektion als Spezifikum ansehen. Finsen verfügt jetzt bereits über ein Material
von weit über 800 Fällen, von denen die weitaus grösste Zahl als geheilt entlassen
und bei denen kein Recidiv nach theilweise mehrjähriger Beobachtung eingetreten
ist. Die verschiedensten Nachprüfungen durch Glebowsky, Petersen, Lang, Serapin
in Russland, Sabourand, Leredde, Lortet undGenoud in Frankreich, Lassar,
Lesser und anderen in Deutschland haben diese glänzenden Resultate durchaus be¬
stätigen können. Unter Einwirkung von Gefässdilatation und Leukocytose wird der
ganze lupöse Knoten gleichsam absorbiert ohne Affektion des umgebenden gesunden
Gewebes. Es handelt sich also keineswegs um eine ätzende Wirkung hei dieser
Methode, wie irrthümlich von mehreren Seiten behauptet wurde (v. Bergmann u. a.),
sondern vielmehr um eine rein resorbierende. Dadurch ist die Narbenbildung minimal,
und der Effekt auch in kosmetischer Hinsicht ein über alle Erwartungen schöner.
Neben dem Lupus sind eine Reihe anderer Erkrankungen mittels lokaler Bestrahlung
behandelt worden, so die alopecia areata, acne vulgaris, naevus vascularis, Haut-
krankroid etc., ohne dass man jedoch hierbei auf abschliessende Resultate blicken kann.
So gewährt die Finsen’sche Lupusbehandlung eine sichere Wirkung, völlige
i) Dieudonnö, Arbeiten ans dem Kaiserl. Gesundheitsamt 1894.
*) In knapper und doch erschöpfenper Darstellung hat in einer jüngsten Arbeit darüber be¬
richtet Sack (Heidelberg): Ueber das Wesen und die Fortschritte der Finsen’schen Lichtbehandlung.
Münchener medicinische Wochenschrift 1902. No. 13 und 14.
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Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie.
161
Schmerzlosigkeit sowie eine glatte Narbenbildung, während die lange Dauer der
Behandlung, die sich eventuell auf Jahre hinausdehnt, die Umständlichkeit und Kost¬
spieligkeit ihre schwachen Seiten sind. Diese äusseren Gründe begrenzen die Mög¬
lichkeit ihrer Anwendung: Kliniken und öffentliche Institute werden vor der Hand
wohl einzig und allein die Stätten sein, wo sie vorgenommen werden kann!
Der naheliegende Gedanke, die violetten und ultravioletten Strahlen auch zur
Behandlung anderer parasitärer Dermatosen, die mehr oberflächlich gelegen sind, zu
verwenden, hat nun zu einer Reihe von einschlägigen Versuchen geführt, die wir
kurz skizzieren wollen. Vor allem ist es Bang, der langjährige Mitarbeiter Finsen’s,
der eine neue ausserordentlich einfache und handliche Lampe konstruiert hat, die
ich mir gestatte, denjenigen von Ihnen, die sie noch nicht kennen, zu demonstrieren.
Die bisherigen Apparate, die das gewöhnliche Bogenlicht verwenden, litten an dem
gemeinsamen Uebelstand, dass das von ihnen produzierte Licht eine grosse Menge
von Wärmestrahlen und weiterhin leuchtende Strahlen enthielt, während nur ein
ganz kleiner Prozentsatz der verwendeten Energie als ultraviolette Strahlen zum
Vorschein kamen. Das Bang'sehe Licht ist nun sehr reich an ultravioletten Strahlen,
enthält verhältnissmässig wenig sichtbare und noch weniger ultrarothe Strahlen,
entspricht also von vornherein den theoretischen und prinzipiellen Voraussetzungen.
Er verwendet statt Kohlen Eisenelektroden; entspricht doch das Spektrum gewisser
Metalle allen eben geschilderten Anforderungen am meisten. Das Bang’sche Licht
stellt also ein wirkliches kaltes Bogenlicht dar, dass bei 8 Ampfere und 40 Volt in
5 Minuten eine Lichtreaktion von derselben Stärke giebt wie die bisher verwendeten
Apparate mit 60 bis 70 Ampere und 55 Volt in »/« Stunden. Die bakterientötende
Wirkung dieses Lichtes ist derart, dass, während eine gewöhnliche Bogenlampe von
30 Ampere und 55 Volt in 60 cm Abstand den Staphylokokkus pyogenes aureus
in 4V* Minuten abtötet, die Bang’sche Lampe bei 25 Ampfere in 60 cm Abstand
denselben in 4 Sekunden abzutöten vermag. Die hautreizende Fähigkeit dieses
Lichtes ist von entsprechender Stärke. Zwei Minuten Aufenthalt in einer Entfernuug
von 1 m von der Lampe genügt, um ein starkes Erythem im ganzen Gesicht von
mehreren Tagen Dauer hervorzurufen. Dass diese hautreizende Wirkung haupt¬
sächlich von den ultravioletten Strahlen herrührt, lässt sich durch einen einfachen
Versuch nachweisen; bedeckt man nämlich die zu bestrahlende Hautpartie mit einer
z. B. 2 mm dicken Glasplatte, so bleibt die Wirkung fast aus oder kommt jeden¬
falls erst nach sehr langer Bestrahlung zum Vorschein. Hier liegt die Stärke so¬
wohl wie die Schwäche derjenigen Lichtquellen, die hauptsächlich ultraviolettes
Licht produzieren. Je stärker irgend ein Medium ein bestimmtes Licht absorbiert,
um so stärker ist ceteris paribus die chemische Wirkung des Lichtes auf dasselbe.
Weil das Licht der Eisenelektroden schon von den ganz oberflächlichen Schichten
der Haut absorbiert wird, entfaltet es hier eine sehr energische Wirkung. Aber
eine nothwendige Konsequenz hiervon ist die, dass dieses Licht nur wenig in die
Tiefe dringen kann. Diese Eigenthümlichkeit der Bang’schen Lampe begrenzt ihre
Anwendung nur auf intensive Oberflächenwirkungen, so vor allem auf die parasitären
Dermatosen wie herpes tonsurans, favus etc.; für die Behandlung des Lupus ist sie
unbrauchbar. Indikationen hat ihr Erfinder bisher nicht gestellt und zwar mit
klugem Bedacht, da wir in .der Behandlung der Hautkrankheiten, abgesehen vom
Lupus, doch immer noch nicht über die ersten Anfänge hinaus sind. Zu warnen
wäre an dieser Stelle vor den vielen werthlosen Nachahmungen, die uns die ge¬
schäftige Lichtheilindustrie beschert hat und die unter missbräuchlichster Benutzung
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162 Julian Uarcuse
des Namen »Finsen« alle nur erdenkbaren, jeder wissenschaftlichen Voraussetzung
entbehrenden Lampen konstruiert hat. Jedes »Kurpfuschers« oder »Sechswochen¬
spezialisten« Heilbude ziert heute die reklamenhafte Anpreisung »Oertliche Be¬
strahlung mit Finsen-Xampe«, und bewusst wie unbewusst macht sich der wider¬
wärtigste Schwindel auf diesem Gebiete geltend. Spezielle Fabriken von Lichtheil¬
apparaten, die diesen Zweig der modernen Therapie als melkende Kuh betrachten,
haben diesem Unfug Vorschub geleistet, indem sie mehr wie zweifelhafte Produkte
auf den Markt gebracht und mit volltönenden Namen belegt haben. Kein Wunder,
dass Aerzte, denen Ober die theoretischen Voraussetzungen des Verfahrens der
praktische Gewinn steht, darauf hineinfallen und nun mit der sogenannten Finsen-
Lampe als Aushängeschild lustig drauf los heilen! Die Bang’sehe Lampe ist vor¬
läufig nichts anderes als ein grosser technischer Fortschritt, kein prinzipieller, und
es sind uns vor 4er Hand noch alle Indikationen für ihre Anwendung unklar.
Viel stürmischer als Bang, dessen Publikationen ebenso präzis wie ruhig
lauten, hat der russische ArztMinin den Kreis der phototherapeutischen Anwendungen
gezogen und bei seinen vielfachen Versuchen die theoretisch widersprechendsten
Resultate gefunden. Eine seiner ersten, in deutschen Fachzeitschriften erschienenen
Veröffentlichungen!) beschäftigt sich mit der Anwendung der Lichttherapie in der
Chirurgie. Er bedient sich einfacher blauer, mit einem Reflektor versehener Glüh¬
lampen von 10—50 Normalkerzen, die Dauer der Sitzungen ist 10—15 Minuten.
Behandelt wurden auf diese Weise chronische Ekzeme, Blutergüsse nach Kontusionen,
Verbrennungen der Haut und der Schleimhäute, veraltete Lymphome, entzündliche
Infiltrate etc., und weiterhin wurde das blaue Licht direkt als Anästhetikum statt
Schleich’scher Injektionen bei Incisionen, Nähten etc. in Anwendung gezogen. Er
hat es weiterhin und angeblich mit gutem Erfolge bei tuberkulösen Ulcerationen,
traumatischen und akut serösen Gonitiden, bei Lupus, weiterhin bei Lumbago,
Neuralgieen, Gonorrhoe, Ulcus molle etc. etc. angewendet, so dass, nachdem die blaue
Bestrahlung, wie oben erwähnt, auch als lokales Analgetikum wirken soll, kaum
eine pathologische Erscheinung mehr existieren dürfte, die nach ihm nicht günstig
darauf reagieren würde 1 2 ). Ohne sich viel in Theorieen zu verlieren, begnügt er sich
mit der Erklärung, dass das blaue Licht eine hervorragende Wirkung auf die vaso¬
motorischen Nerven ausübe, und formuliert seine praktischen Erfahrungen in folgende
Thesen: 1. Das Licht eines blauen Glasglühlämpchens von 16 Kerzen Lichtstärke
übt eine zweifache Wirkung aus: eine schmerzstillende und eine resorbierende.
2. Hinsichtlich der Intensität und der Raschheit der therapeutischen Wirkung hat
das Licht unter den übrigen gegenwärtig bekannten schmerzstillenden Mitteln kein
Analogon. Allein trotz der mannigfachen Publikationen M inin ’s, die durch zahl¬
reiche Krankengeschichten belegt sind, ist ein solcher Lichtenthusiasmus in deutsche
wissenschaftliche Kreise bisher nicht gedrungen, und nur die »Lichtheilkünstler«
bei uns haben aus naheliegenden Gründen sich dieser umfassenden Anwendung kritik¬
los angeschlossen.
Das Schlagwort von der vasomotorischen Wirkung des blauen Lichts findet
sich vor allem auch in der Empfehlung des sogenannten kombinierten Lichtheil¬
verfahrens, wie der örtlichen Bestrahlung mittels einer Scheinwerfer-Bogenlampe.
Erstere Methode beruht darauf, dass, während der Körper im Lichtbad schwitzt,
1) Medicinische Woche 1901. No. 12 u. 13.
2) Medicinische Woche 1901. No. 36, 37 u. 51.
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Der gegenwärtige Stand der Licbttherapie.
163
eine Verstärkung der Wirkung durch lokale Bestrahlung des besonders afficierten Theiles
erzielt werden soll, letztere in der direkten örtlichen Bestrahlung. Alle für diesen
Zweck in den Handel gebrachten Apparate — und ich habe deren verschiedene ver¬
sucht — genügen nach keiner Seite hin irgend welchen theoretischen Voraussetzungen
nach Herstellung eines an chemischen Strahlen reichen Lichtes. Es sind Bogen¬
lampen von 15—30 Ampfcre mit vorgeschobener blauer Scheibe, die aber absolut
nicht im stände ist, einen bedeutenden Theil der Wärmestrahlen zu absorbieren, so
dass diese letzteren immer in mehr oder minder grösserer Menge und völlig un-
kontrollierbar vorhanden sind und dem Apparat dadurch mehr den Charakter einer
verstärkten Wärme-, wie den einer an chemischen Strahlen reichen Lichtquelle ver¬
leihen. In 14 Fällen von Neuralgieen, die ich zu beobachten Gelegenheit hatte, und
die sich vornehmlich im Gebiet des n. trigeminus, des Plexus bracchialis sowie des
n. cruralis abspielten, blieb die örtliche Bestrahlung trotz ausgedehnter Sitzungen
und längerer Behandlungsdauer mehr oder minder erfolglos; in fünf Fällen von
nissendem Ekzem dagegen erzielte ich damit gute Resultate, in zwei Fällen von
Alopecia areata ermunterungswerthe, wenn auch langsame Erfolge.
Der Vollständigkeit halber sind an dieser Stelle noch zu erwähnen die Versuche
von Winternitz und Hellmer über die Heilung von Ekzemen im rothen Sonnen¬
licht 1 ), sowie die von Gustav Kaiser, mitgetheilt in der Gesellschaft der Wiener
Aerzte, Sitzung vom 7. Februar 1902. Winternitz und Hellmer haben bei pustu-
lösem Ekzem mittels Sonnenbestrahlung und zwar mittels der rothen Strahlen des
Spektrum sehr prompte Resultate erzielt. Kaiser wandte das blaue Licht bei der
Lungentuberkulose und anderen tuberkulösen Erkrankungen an, und will eine bacillen¬
tötende Tiefenwirkung damit erreicht haben. Diese letzteren Versuche sind aber sehr
rasch von Kraus und Holzknecht auf Grund von Nachprüfungen ad absurdum ge¬
führt worden.
Bei allen meinen Beobachtungen konnte ich konstatieren, dass die Patienten
an den bestrahlten Stellen einen deutlichen Wärmeeffekt verspüren, und auf dieses
Konto ist wohl vornehmlich die eventuelle Wirkung zu setzen.
Dieser Gesichtspunkt leitet uns über zu der Frage der Ailgemeinbehandlung
mit elektrischem Licht, wie sie in der Form der Bogenlicht- und Glühlichtbehandlung
gegeben ist. Auch hier stossen wir besonders hinsichtlich der Bogenlichtbäder auf
die kritiklosesten Anwendungen, indem man dieselben gleichsam als Ersatz des
Sonnenlichtes und der Sonnenbestrahlung empfohlen und ihre Indikationen aufs weit¬
gehendste .ausgedehnt hat. Es ist aber durchaus falsch, das Sonnen- resp. Licht-
Luftbad in einen Vergleich zu stellen mit dem Bogenlichtbad und den mächtigen
impulsorischen Reiz der ersteren durch letztere ersetzen zu wollen. Eine rationelle
Verwendung des Lichtes zur Allgemeinbehandlung organischer Störungen ist allein
in dem Sonnenbad gegeben, wie es eben die Alten als Lichttherapeuten so mannig¬
fach angewandt haben. Und wenn wir heute von einer Lichttherapie reden und
uns dabei auf die Historie stützen, so dürfen wir in materieller wie in formeller
Hinsicht nur an die Verwendung des Sonnenlichtes denken. Im Sonnenbad haben
wir die so ausserordentlich wirksame Kombination des Lichtes mit Luftbädern, eine
Abhärtungsprozedur allerersten Ranges. Mit der überaus kräftigen Schwitzwirkung
verbindet sich ein Eindringen der Lichtstrahlen in unseren Körper, dadurch kommt
es infolge Vermittelung des Centralnervensystems zu einer excessiven Anregung der
Blätter.für klinische Hydrotherapie 1900. S. 173, 174 und 1901, Heft 7.
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Zellthätigkeit und weiterhin zu einer Steigerung der Erregbarkeit des Nervensystems
selbst. So ist es einmal ein Prophylaktikum wesentlichster Observanz und weiterhin
ein Heilmittel bei Erkrankungen der Haut sowie bei Stoffwechselkrankheiten, wie
Fettsucht, Gicht, Rheumatismus etc., die mit Verlangsamung der Oxydationsprozesse
einhergehen. Die mächtige Steigerung dieser letzteren durch Einwirkung des Sonnen¬
lichtes war ja der vornehmste Beweggrund, der bereits die Aerzte des Alterthums
zur therapeutischen Anwendung desselben veranlasste.
Man hat nun das Sonnenlichtbad insofern durch das Bogenlichtbad zu ersetzen
gesucht, als man sagte, die chemischen Strahlen des Spektrums seien in letzterem
in erheblichem Maasse vorhanden, es handle sich also um eine spezifische Ein¬
wirkung dieser vor allem auf das Centralnervensystem; und so giebt es kaum eine
periphere oder centrale Erkrankung dieses, wo es nicht in den Bereich der thera¬
peutischen Anwendung gezogen und angeblich Besserungen resp. Heilungen erzielt
hätte. Die Bogenlichttherapie als Allgemeinbehandlung entbehrt jedoch bisher jeder
wissenschaftlichen Grundlage, exakte Untersuchungen über den Einfluss des elektrischen
Bogenlichtes auf den Gesammtorganismus liegen nicht vor. Empirisch habe ich es
vornehmlich in Anwendung gezogen bei der Neurasthenie und der Hysterie, und
nahezu in allen Fällen eine sedative Wirkung konstatieren können. Subjektive Be¬
schwerden, wie der bekannte Kopf- und Magendruck der Neurastheniker wurden
gemildert, theilweise aufgehoben, allgemeine Angstgefühle abgeschwächt Allein
weiter reicht der Einfluss der Bogenlichtbehandlung nach meinen Erfahrungen nicht,
sie ist nichts weiter als eine Suggestionstherapie, die in geeigneten Fällen heran¬
zuziehen, als spezifische Behandlung jedoch kaum anzusehen ist. Der einzige Weg,
den wir gehen müssen, um aus dieser widerspruchsvollen Empirie uns zu retten,
ist von Finsen eingeschlagen worden, indem er ein sehr starkes, unkonzentriertes
Bogenlicht in solcher Entfernung verwendete — 100 — 200 Ampfcre in etwa 3 m
Entfernung —, dass die Wärmestrahlen keine deutliche Rolle mehr spielten, er filtriert
also sozusagen das Licht durch eine genügende Luftschicht. Als Wärmeeffekt ist das
Bogenlichtbad in den dafür verwendeten Lichtkästen absolut nicht zu gebrauchen, eine
Schweisswirkung kommt erst nach sehr langer Zeit (in 1—1 Va Stunden) zu stände.
Die zweite Art der allgemeinen Lichtbehandlung bilden die Glühlichtbäder,
die, wie bekannt, Kellogg in Amerika konstruiert und Gebhard in Deutschland
eingeführt hat, und die in den letzten Jahren eine ungeheure Verbreitung gefunden
haben. Und mit Recht, denn wir besitzen in ihnen zwar kaum eine spezifische
Lichtbehandlung, dagegen ein ganz vorzügliches Mittel, um Wärmestrahlen in Kraft
treten zu lassen, dass heisst also um Schwitzprozeduren einzuleiten. Alle objektiven
Beobachter stimmen darin überein, dass das Glühlichtbad ein Schwitzbad allerersten
Ranges ist, dagegen den Namen Lichtbad mit Unrecht trägt. Die Schweisserzeugung
ist gegenüber anderen Schwitzprozeduren eine viel ergiebigere, viel angenehmere und
viel raschere, Nebenerscheinungen, wie Schwächeanfälle, Schwindel etc., sind zwar
nicht völlig auszuschliessen, jedoch erheblich seltener. Das subjektive Befinden nach
dem Glühlichtbad ist im allgemeinen ein vorzügliches, die Elastizität der Bewegungen
ist vermehrt, der Appetit wird gesteigert, ein allgemeines Wohlbefinden stellt sich
ein; bei einer Reihe von Patienten, besonders Frauen, tritt einige Stunden nach
dem Bad eine starke Müdigkeit ein, die zu einem ruhigen Schlaf führt. Auf
physiologische Einzelbeobachtungen werde ich an anderer Stelle zurückkommen.
Der Platz der Lichtbäder ist — und darin schliesse ich mich vollinhaltlich den
ausgedehnten Versuchen der medicinischen Abtheilung des städtischen Krankenhauses
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Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie.
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Frankfurt a. M. an } ) — vor allem da in der Therapie, wo man Flüssigkeitsentlastung
resp. Ansscheidung giftiger Substanzen und Anregung des Blut- und Säftestromes
erzielen will. So bei den sogenannten Erkältungskrankheiten, besonders Rheuma¬
tismus, ferner bei akuter und chronischer Bronchitis, Asthma bronchiale, bei Influenza,
gewissen Formen von Nephritis — obgleich ich in drei Fällen, die ich behandelte,
einen Rückgang des Albumen nicht konstatieren konnte —, alten Exsudaten, Chlorose,
Ischias etc. Ein Universalmittel ist es auch bei Rheumatismus nicht; neben einer Reihe
schöner Erfolge stehen totale Misserfolge, vor allem da wo arthritische Erscheinungen
in den Vordergrund treten. Eine besondere Erwähnung verdient die Behandlung der
Adipositas mittels Lichtbädern. Zweifellos wird ja im Schwitzlichtbad ein Plus an
Wärme nicht nur zugeführt, sondern auch gebildet, es genügt aber — und darin
schliesse ich mich ganz den Ausführungen Salomon’s an — bei dem Mangel einer
Nachwirkung jener Prozeduren die Steigerung des Stoffwechsels nicht, um von ihr
den Erfolg zu erhoffen, wie er für die Konstitutionsanomalie der Fettsucht von ver¬
schiedenen Seiten behauptet worden ist. Ohne eine strenge Diät, ohne kräftige Muskel¬
arbeit etc. bleibt der Erfolg aus, der ungefähre Schweissverlust von 0,3—0,5 kg pro
Bad ist in kurzem wieder ausgeglichen, zumal das oben erwähnte Müdigkeitsgefühl
mit dem konsekutiven Ruhebedürfniss sowie die Appetitsteigerung Gegengewichte
bilden; in Verbindung mit obigen Faktoren ist es jedoch ein vorzügliches adjuvans.
(Es folgt die Demonstration eines vom Elektrotechnischen Institut in Frank¬
furt a. M. in den Handel gebrachten Lichtbades, das gegenüber den bisher ge¬
bräuchlichen den Vorzug hat, dass es keinen geschlossenen Holzkasten, sondern eine
Art Zelt darstellt. Die Vorzüge dieses Bades bestehen in der völligen Asepsis, in
dem geringen Raum, den es einimmt, der freien Beweglichkeit des Patienten inner¬
halb des Lichtbades, sowie den geringen Kosten gegenüber den Holzkästen. Es
besteht aus vier transportablen Nickelständern, einem Umhang aus weissem Leinen
und einem Mantel aus gleichem Stoffe, den der Patient anlegt.)
Resümieren wir nach diesen gedrängten Ausführungen, so ergeben sich für den
gegenwärtigen Stand der Lichttherapie folgende Thesen:
1. Die Finsen’sche Lupusbehandlung ist ein Specifikum, das, nur erschwert
durch äussereVerhältnisse, einer universellen Anwendung Hindernisse bietet.
2. Die lokale Lichtbehandlung, abgesehen vom Lupus, ein bisher ungelöstes
Problem.
3. Die allgemeine Bogenlichtbehandlung eine Methode, die bei funktionellen
nervösen Erkrankungen als psychische Beeinflussung heranzuziehen ist.
4. Die allgemeine Glühlichtbehandlung eine Wärmeprozedur, die nach dem
augenblicklichen Stand unserer technischen Hülfsmittel als die beste
Maassnahme zur Erzeugung von Schweiss anzusehen ist.
Nachwort.
Nach Niederschrift dieses Vortrages kommt mir der Bericht über die Sitzung
der Gesellschaft der Charitöärzte vom 27. Februar d. J. — wiedergegeben in Heft 1,
Bd. 6 dieser Zeitschrift — zu Händen. Ich ersehe daraus, dass die Ausführungen
von Krebs auf Grund seiner Beobachtungen am hydrotherapeutischen Institut der
Universität Berlin mit den meinen völlig übereinstimmen.
i) Salomon, Ueber die Wirkung der Heissluftbäder und der elektrischen Lichtbäder. Zeit¬
schrift für physikalische und diätetische Therapie Bd. 5. Heft 3.
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Kleinere Hittheilongen.
Kleinere Mittheilungen.
Eine neue Heissluftapparat-Konstruktion.
Von Dr. Maximilian Roth,
Chefarzt des Zand er-Institutes in Wien.
Wenn auch die Wärme in ihren verschiedenen Anwendungsarten der Bäder, Umschläge,
Dünstungen und Einpackungen mit zu dem ältesten Besitze des physikalischen Heilschatzes gehört,
so haben doch erst wissenschaftliche Arbeiten und nicht minder technische Erfindungen, welche
auf diesem Gebiete erst in den letzten fünf Jahren gemacht wurden, die Wärmeanwendung aus der
Empirie in wissenschaftliche Bahnen hinübergeleitet und der so begründeten Thermotherapie im
Rahmen der übrigen physikalischen Heilverfahren jenen Platz errungen, welchen sie mit Recht
verdient.
Die Arbeit Krause’si) und jene von Bier*) über die lokale Anwendung überhitzter Luft
zu Heilzwecken sind im Jahre 1898 erschienen und haben, weil sie eine neue und sehr wirkungs¬
volle Art der Wärmeapplikation gelehrt haben, begründetes Aufsehen in Fachkreisen erregt. Um
dieselbe Zeit wurden aber auch schon ausser den einfachen Behelfen der genannten zwei Forscher
technisch vollendetere Apparate für Heissluftanwendung von verschiedenen Seiten in Anwendung
gebracht Um nur die Bekannteren zu nennen sei an den Heissluftkessel Tallerman’s, an den
Elektrotherm von Lindemann und an jenen von Greville, dann an die lokalen elektrischen Licht¬
bäder Kellogs erinnert
Die letztgenannten Apparate, so vorzüglich sie auch technisch konstruiert sind, erleiden in
ihrer Anwendbarbeit eine Einschränkung dadurch, dass sie nur für die Ex tremit äten geschaffen,
dass sie umfangreich, daher schwer transportabel sind, endlich*dadurch, dassfsie sich auch^im
Preise ziemlich hoch stellen. Aus all diesen Gründen sind diese Apparate mehr für Anstalten
und Sanatorien, wo die nöthigen technischen Vorrichtungen bereit sind und wo sie |einen fixen
Standort einnehmen, zur Verwendung geeignet
Den ursprünglichen, etwas primitiven Bier’schen Kästchen zur lokalen Anwendung von
überhitzter Luft stehen in ihrer Konstruktion am nächsten die nach den Angaben Krause's an¬
gefertigten und von Hamburger und Dresdener Firmen in den Handel gebrachten Heissluftapparate.
Diese stellen bekanntlich je nach den Körperstcllen, für welche sie bestimmt sind, verschieden
geformte Hülsen und Behälter dar, welche aus einem Drahtgerippe, aus einer inneren Asbestaus¬
kleidung und aus einem äusseren Filzüberzug bestehen. Der Verschluss erfolgt mittels Stoff Vorhänge.
Ein Ventil und eine Thermometerhülse sind ausser der Einströmungsdüse für die heisse Luft die
ergänzenden Bestandtheile dieser einfachen Apparate. Die Heizung, von einer beliebigen Wärme¬
quelle, Spiritus, Gas oder Elektrizität genommen, wird mittels eines Quincke’schen Schornstein¬
ofens besorgt.
Diese Apparate haben dank ihrer Anpassungsfähigkeit an die verschiedenen Körperstellen
und Gelenke, dank ihrer Einfachheit, Leichtigkeit und auch Billigkeit von allen Heissluftapparaten
die weiteste Verbreitung gefunden. Ich selbst habe mich im Beginne meiner Beschäftigung mit
dem Heissluftverfahren dieser deutschen Apparate bedient und habe denselben, als erster in Wien
und in Oesterreich Eingang verschafft.
Die ausgedehnte Anwendung dieser Apparate und die dabei gewonnenen technischen wie
mcdicinischen Erfahrungen Hessen mir bald eine Verbesserung derselben nach verschiedenen
1) F. Krause, Die örtliche Anwendung überhitzter Luft. Münchener medic. Wochenschrift
1898. No. 20.
2) A. Bier, Die Behandlung des chronischen Gelenksrheumatismus mit heisser Luft (aktiver
Hyperämie) und mit Stauungshyperämie. Münchener medic. Wochenschrift 1898. No. 31.
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Kleinere Mittheilungen
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Richtungen um so mehr als wünschenswert^ erscheinen, weil die erzielten Heilerfolge sehr er¬
munternd für eine weitere Ausgestaltung des Verfahrens waren.
Zunächst erschien mir die Einrichtung der direkten Heissluftzufuhr in den Innenraum und auf
die eingelagerten Körpertheile bei den deutschen Apparaten nachtheilig, ja geradezu gefährlich;
denn das Entstehen von Brandblasen ist bei dieser Konstruktion allzu leicht möglich und zuweilen
trotz Vorsicht und trotz geschickten Wartepersonales nicht zu vermeiden. Namentlich leicht ent¬
stehen Brandblasen dann, wenn der Verschluss nach aussen nicht ganz luftdicht ist, oder wenn
massigere Körpertheile, wie die von Exsudaten und Oedemen ausgedehnte es sind, der Einströmungs-
Öffnung der heissen Luft allzu nahe kommen.
Ungenügend und unzuverlässig ist bei diesen Apparaten auch die Wärmeregulierung, welche
nicht an den Apparaten selbst, sondern an der Wärmequelle durch Regulierung der Flammenstärke
geschieht Das an der Decke der Apparate befindliche Ventil kann als Wärmeregulator nicht in
Betracht kommen, denn wenn dasselbe während der Heizung geöffnet wird, so dient es als Abzugs¬
rohr für die gesammte Wärme, nachdem die einströmenden heissen Luftströme dann nicht weiter
cirknlieren, sondern durch das offene Ventil entweichen. Und doch wäre bei einem medicinischen
Verfahren die sichere Dosierung des Heilmittels, in diesem Falle also der Wärme, eine Grund¬
bedingung. Diese nicht sichere Regulierbarkeit der Wärmezufuhr hat bei voller Flammenstärke ein
jähes und sprunghaftes Ansteigen der Hitze, besonders in den kleinen Apparaten, zur Folge, und
ehe Arzt und Patient es merken, ist an einer, gewöhnlich der Einströmungsöffnung gegenüber be¬
findlichen Hautstelle eine Brandblase entstanden.
Das allzu rasche Ansteigen der Temperatur fordert auch allzu rasch die Abwehrfunktion der
Raut, die Transpiration heraus, und zwar nicht nur an den im Apparat eingelagerten, sondern auch
an entfernteren Körperstellen heraus. Wenn auch vielfach mit der Heissluftanwendung die An¬
regung einer intensiven Transpiration bezweckt wird, so liegt es doch nicht im Interesse des Ver¬
fahrens, dass der Schweissausbruch zu früh erfolge. Bei anhaltender Wärmezufuhr wird der ab¬
gesonderte, die Haut bedeckende Schweiss auch erhitzt, wirkt wie heisses Wasser und ist so
nicht selten selbst die Quelle von Brandblasen. Dieser Umstand zwingt häufig zum Abbruch der
einzelnen Behandlung, und doch ist im Interesse des Erfolges in den meisten Fällen eine möglichst
lange Dauer der einzelnen Anwendungen erwünscht, was aber in Anbetracht der eben geschilderten
Zufälle nicht leicht durchführbar ist
Für wissenschaftliche Beobachtungen und Versuche völlig unbrauchbar ist die Temperatur-
anzeige an diesen Apparaten. Die Thermometerhülsen stehen nämlich bei fast allen Apparaten über
oder in der Nähe der Eintrittsstelle der heissen Luft. Die unter ziemlich starken Druck ein¬
strömenden heissen Luftströme treffen bei ihrem Eintritt in den Apparat die Quecksilberkugel des
Thermometers und treiben sie natürlich in die Höhe. Bei seinem weiteren Fortschreiten, zumal in
den grösseren Apparaten, steht der heisse Luftstrom nicht mehr unter dem gleich hohen Drucke
wie bei seinem Eintritt und giebt auch naturgemäss viel Wärme an seino Umgebung ab. Daher
kommt es, dass, währenddem der obere Thermometer schon 150 und noch mehr Wärmegrade zeigt,
ein zweiter Thermometer, der am Boden des Apparates gelagert ist, kaum solche von 80 erkennen
Hast Die in verschiedenen Publikationen über Heissluftbehandlung enthaltenen Angaben über
ausserordentliche hohe Temperaturen, die erreicht worden sind, müssen, insofern die Angaben sich
auf die geschilderten Apparate beziehen, mit einiger Vorsicht hingenommen werden. Für den Werth
des Heilverfahrens sind auch nicht die imponierend hohen Hitzegrade, vielmehr die »Möglichkeit
einer andauernden und gleichmässigen Wärmeanwendung« in Anschlag zu bringen. Um
den letztgenannten Bedingungen gerecht werden zu können, habe ich versucht, die deutschen
Apparate, die ich seiner Zeit von Strassacker in Altona bezogen habe, für meine Zwecke umzu¬
gestalten und die geschilderten Mängel derselben bei meinen Apparaten zu eliminieren.
Die wesentlichste Modifikation meiner Konstruktion gegenüber den Krause’sehen und
allen anderen gebräuchlichen Heissluftapparaten besteht in der Neuerung, dass ich die erhitzte Luft
nicht direkt in den Innenraum, in welchem die zu behandelnden Körpertheile eingelagert sind,
sondern um diesen herum leite. Dies erreiche ich so, dass ich anstatt des einfachen Draht-Asbest-
gestelles zwei solche nehme und diese so übereinander lege, dass sie einen Hohlraum, den Heiz-
kanal zwischen sich lassen, in welchem dann die heisse Luft geleitet wird.
Natürlich werden auch hier die Gestelle den Körperregionen, für welche sie bestimmt sind,
angepasst. Nur war ich bestrebt aus Zweckmässigkeitsgründen der Heiznng allen Apparaten eine
möglichst kreisrunde Form zu geben, so dass die Apparate zumeist in sich geschlossene Röhren
and Behälter darstcllen.
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Kleinere Mittheilungen.
Die Heizung ist nach dem Prinzipe der Geburth’sehen Centralluftheizung mit cirkulärer
Luftströmung gedacht. Die Wärmequelle ist auch hier eine beliebige, Spiritus, Gasflamme oder
elektrische Glühlampe. Die erhitzte Luft wird auch da durch einen Quincke’sehen Ofen dem
Apparate zugeleitet, wo sie zunächst in einen erweiterten Vorraum gelangt, und aus diesem wird
sie unter erhöhtem Druck in den schon oben erwähnten Heizkanal getrieben. Am Ende des Heiz¬
kanals — und weil dieser kreisrund ist — also über der Eintrittsstelle und den Vorraum, doch
von letzterem durch eine Zwischenwand getrennt, befindet sich ein nach Graden stellbares Ventil,
welches als energisches Luftzugsventil wirkt, und durch welches die heisse Luft wieder aus dem
Apparat entweichen kann.
Dieses Ventil funktioniert gleichzeitig als Wärmeregulator, denn nach seiner Stellung richtet
sich der jeweilige Wärmegehalt der Apparate. Wird die Heizung bei Vollkraft unterhalten und
ist das Ventil ganz geöffnet, so hat die den Innenraum umkreisende heisse Luft freie Bahn. Während
ihrer Cirkulation im Heizkanal giebt sie aber einen grossen Theil ihrer Wärme an die Asbestwände
und durch diese mittelbar an den Innenraum ab, und das Thermometer zeigt ein fortdauerndes
Steigen in demselben an. Wird das Ventil bei anhaltender Heizung theil weise oder ganz geschlossen,
so wird entsprechend der langsamen Cirkulation der heissen Luft ein mässiges Ansteigen, beziehungs¬
weise Stillstand der Temperatur bei einem bestimmten Grad erreicht. Bei aufgehobener Heizung
tritt bei geschlossenem Ventil ein langsames, bei offenem Ventil ein sehr rasches Abkühlen der
Apparate ein.
Ein zweites Ventil, welches aus dem Innenraum ausgehend den Heizkanal durchsetzt und an
der Decke der Apparate mündet, hat den Zweck, der mit Transpirationsfeuchtigkeit durchsetzten
Luft des Innenraumes als Abzugsrohr zu dienen.
Die Ventile sind an fast allen Apparaten so bequem und handlich angebracht, dass sie im
Bedarfsfälle vom Patienten selbst dirigiert werden können.
Die Thermometerhülse aus Korkholz und Metall gefertigt und an der Decke der Apparate
angebracht, geht durch den Heizkanal in den Innenraum. Das durch dieselbe gesteckte 200° C
theilige Thermometer, welches bis in die Mitte des Innenraumes reicht, und welches auf seinem
Wege durch den Heizkanal durch die Korkhülse gegen die Beeinflussung seitens der dort strömen¬
den heissen Luft geschützt ist, zeigt so die wirkliche Temperatur der Apparate an. Nachdem der
Innenraum durch die um denselben in allen Theilen gleichmässig cirkulierende heisse Luft auch in
allen Theilen eine gleichmässige Erwärmung erfährt, so können die Thermometeranzeigen, wie ich
mich durch vielfache Kontrollversuche überzeugt habe, als richtig und genau angesehen und zu
exakten Messungen verwerthet werden.
Die im Vorangehenden beschriebene neue Konstruktion weist somit folgende Vortheile auf
1. Durch die Anlage des Heizkanals ist die direkte Zufuhr der heissen Luft
auf die in die Apparate eingelagerten Körpertheile beseitigt und hiermit
die Verbrennungsgefahr, das Entstehen von Brandblasen absolut sicher
vermieden.
2. Durch die um alle Theile gleichmässig cirkulierende heisse Luft werden
der Innenraum und die dort eingelagorten Körpertheile überall gleich¬
mässig erwärmt.
3. Durch die mittelbare Wärmezufuhr in den Innenraum steigt die Hitze in
diesem nicht rapid, sondern langsamer und in allen Theilen gleichmässig
und zwar ungefähr um 5° C in der Minute.
4. Infolge des allmählichen Ansteigens der Wärme erfolgt die Transpi¬
ration später, und es gelingt ganz gut, bei anhaltender Heizung durch
öfteres Oeffnen des oberen Ventils den Innenraum soweit trocken zu er¬
halten, dass der abgesonderte Schwciss nicht belästigend empfunden
wird.
i). Die Anlage des Hauptventils gestattet eine absolut siehere und verläss¬
liche Wärmeregulierung.
6. DieTemperaturanzeigen entsprechen stets den wirklichen Verhältnissen.
Nach diesem Prinzipe konstruierte Apparate habe ich für alle Gelenke sowie für ganze
Extremitäten und den Rumpf bauen lassen. Ich habe aber auch einen kombinierten, von mir
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Original fro-m
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Kleinere Mittheilungen
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«üdtcn, sondern auch für praktische Amte, die dieses Verfahre« seihet hin ihrer* Parierten vo»u T
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Pie Appirate /sehr dauerhaft und auch Uösserliclfsehr --^ird^ß'-von dem
Mechaniker Ludwig Walter, Vüßm, &£, B, Wintergueae '38 konstruiert
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12
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ÜERSiTY OF MICHIGAN
170
Berichte Ober Kongresse und Vereine.
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
20. Kongress für innere Medicin in Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1902.
Bericht von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Unter überaus zahlreicher Theilnahme, die wohl nicht zum mindesten darauf zurückzuführen
war, dass in dem Kähmen der Tagung die Feier des 70. Geburtstages Leyden’s, des Schöpfers
der Kongresse für innere Medicin, vorgesehen war, fand die diesjährige Versammlung statt. Eine
Ueberfülle von Vorträgen bildete die Tagesordnung, die nur unter fleissigster Ausnutzung der kurz
bemessenen Zeit erledigt werden konnte. Die wesentlichsten Themen bildeten einmal die Diagnose
und Therapie des Magengeschwüres, Referenten hierfür waren Ewald (Berlin) undFleiner
(Heidelberg), und weiterhin die Lichttherapie, über die Bie (Kopenhagen) das Referat übernommen
hatte. Während Ewald in eingehender klinischer Betrachtung die Diagnose des Ulcus ventriculi
behandelte, beschäftigte sich Flein er mit der Therapie desselben. Ein spezifisches Heilmittel des
Magengeschwürs giebt es nicht Der Arzt soll nur günstige Bedingungen für die Spontanheilung
desselben schaffen, alle Störungen des natürlichen HeilungsVorganges aus dem Wege räumen. Dazu
gehört die Leere des Magens, eine kräftige Kontraktion der Muskulatur zur Verkleinerung der Ge¬
schwürsfläche und die Ausfüllung derselben mittels frischer Granulationen. Die wesentlichste Be¬
dingung dafür ist eine längere Ruhekur, mindestens vier Wochen Die orsten Tage lässt man die
Patienten zweckmässig hungern und führt ihnen nur Flüssigkeit per rectum zu. Dann beginnt man
mit Milchdiät nach vier Wochen weisses Fleisch, nach abermals vierzehn Tagen erst vorsichtig ge¬
mischte Kost. Auch später ist die Vermeidung von allen mechanisch und chemisch reizenden
Nahrungsmitteln durchaus nothwendig; Trinkkuren und Badekuren zur Nachbehandlung haben
keinen Zweck. Bei solch schematischer Behandlung heilen etwa 75 % aller Fälle. Misserfolge sind
auf Fehler der Patienten, namentlich in Lässigkeit in der Durchführung der Kur bestehend, zurück¬
zuführen, zuweilen aber auch auf individuelle Eigentümlichkeiten — fibröser, schwieliger Grund
oder wellenartige Ränder des Geschwüres, welche das ständige Zurückbleiben von Nahrungsresten
auf demselben zur Folge haben, mangelhafte Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur, Tiefstand des
Magens, Gewohnheit des Luftschluckens und dergleichen mehr. Seit langem bekannt ist die Häufig¬
keit der Neigung zu Recidiven. Je älter das Ulkus, desto schwieriger die Heilung, ganz abgesehen
von der sich ständig steigernden Gefahr der Blutungen und der Perforation. Gegenwärtig erscheint
folgende Behandlungsmethode als die rationellste: Ausspülung des Magens zur Entfernung der
Nahrangsreste, aber nur mit geringen Wassermengen und unter niedrigem Druck. Auf die ge¬
reinigte Geschwürsfläche kann man Höllensteinlösung bringen, die schmerzstillend wirkt, die Hyper¬
acidität herabsetzt und die Granulationsbildung anregt; auch Wismuth in grösseren Dosen ist mit
Erfolg zu verwenden. Nach einem weiteren Ueberblick über die chirurgische Behandlung der
Folgen des Magengeschwüres schloss Fl einer seine interessanten Darlegungen, die eine Fortsetzung
in der ausserordentlich lebhaften Diskussion fanden, an der sich Leo (Bonn), Minkowski (Köln),
Sahli (Bern), v. Mehring (Halle) und viele andere noch betheiligten. Die Pathologie des Magens
fand ihren weiteren Ausdruck in den Vorträgen von Adolf Schmidt (Bonn), Zur Pathogenese
des Magengeschwürs, sowie von Hirschfeld (Berlin), Die Beziehungen zwischen Magen¬
geschwür und Magenkrebs. Schmidt, welcher den Heilungsvorgang künstlicher Defekte im Thier¬
versuch studiert hat, gelangte zu der Ueberzeugung, dass dabei die Kontraktion der Magen wand,
welche bewirkt, dass der Defekt durch Ueberdachung mit Schleimhaut ganz gegen das Magenlumen
abgeschlossen wird, von wesentlicher Bedeutung ist. Bleibt diese Reaktion aus, so entwickelt sich aus
dem Defekt durch die verdauende Kraft des Magensaftes ein Geschwür. Im Anschluss daran sprach
Koppen (Norden) über operative Eingriffe beider tuberkulösen Peritonitis. Der Laparo¬
tomie ist keine primäre Heilwirkung auf die tuberkulöse Peritonitis zuzuschreiben. Die Therapie
verlangt zunächst, die Immunisierung des Organismus zu befördern; gelingt dies, so ist die Heilung
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Berichte über Kongresse und Vereine.
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Bicher. Anderenfalls soll der Erguss abgelassen werden und zwar durch die Punktion mit nach¬
folgender ergiebiger Ausspülung mit physiologischer Kochsalzlösung. Auch eitrige allgemeine Peri¬
tonitiden sind, wie eine Beobachtung des Vortragenden beweist, dadurch zur Heilung zu bringen.
Ueber den Parasitismus des Krebses sprach v. Leyden (Berlin) und gab unter dem leb¬
haften Beifall der Versammlung die morphologische Schilderung der von ihm beobachteten parasitären
Zelleinschlüsse, die er für die Erreger des Karcinoms ansieht. Neuerdings ist es ihm gelungen,
Sporangien dieser Parasiten nachzuweisen; dieselben liegen in kleinen Haufen dicht beieinander in
einer Kapsel, welche von der Zellmembran gebildet wird. Diese Körperchen können mit Zell¬
degenerationen oder dergleichen nicht verwechselt werden; sie können kaum anders gedeutet
werden, denn als Keime lebender Wesen.
Heber die Beziehungen zwischen Infektion und der Glykogenreaktion der
weissen Blutkörperchen berichtete Kaminer (Berlin). Diese Reaktion, die Ehrlich bereits
vor 18 Jahren angegeben hat, hat Kaminer dazu benutzt, zu prüfen, wie die weissen Blutkörperchen
sich gegenüber Krankheitsgiften verhalten. Er brachte Kulturen und Toxine von Streptokokken,
Staphylokokken, Pneumokokken, Milzbrand-, Typhusbacillen etc. etc. in den Thierkörper ein und prüfte
dann das Verhalten der weissen Blutkörperchen. Bei allen diesen Versuchsreihen trat die Glykogen¬
reaktion ein, nicht aber bei der gleichzeitigen Anwendung von Tetanustoxin und Hühnercholera-
knlturen. Für die Lehre von der Immunität ist eine Feststellung bei Diphtherie von Werth: Nach
Einverleibung von Diphtherietoxin finden sich jodempfindliche weisse Blutkörperchen Das Auf¬
treten dieser kann aber durch sehr hohe Immunisierung verhindert werden.
Friedrich Müller (München) bespricht die Autolyse bei einigen krankhaften Zu¬
ständen. Von Interesse ist die Frage, auf welchen Wegen derOrganismus sich der abgestorbenen Gewebe
ifibrinöser Exsudate, Infarkte etc.) erledigt Dies geschieht einmal dadurch, dass die Wanderzellen
sich mit dem abgestorbenen Material beladen, oder dadurch, dass eine direkte Resorption durch die
Lymph- und Blutgefässe erfolgt Die Verwandlung der soliden Produkte in gelöste Form stellt
also einen Verdauungsprozess dar. Solche autolytischen Vorgänge lassen sich nun in vielen Organen
experimentell nachweisen; gesunde und von Blut durchströmte Gewebe widerstreben der Selbst¬
verdauung. Die wichtigsten Träger dieses chemischen Vorganges sind die polynukleären Leuko-
cythen. Das ganze Verhältniss beweist die engen Beziehungen zwischen den chemischen und
biologischen Vorgängen.
Klemperer (Berlin) hat eine auffällige physikalisch - chemische Eigenschaft des Urins zum
Gegenstand der Untersuchung gemacht. Der Ham enthält viel mehr Harnsäure in Lösung, als nach
den Thatsachen der physikalischen Chemie zu erwarten war. Es war zu prüfen, ob sich in ihm
nicht chemische Stoffe finden, durch deren Inhalt im Urin die Steigerung der Fähigkeit, Harnsäure
in Lösung festzuhalten, erklärt wird. Die Prüfung der viscösen Körper im Ham, an die zunächst
za denken war, blieb ohne Ergebniss. In Betracht kommen sodann die kolloiden Körper, die der
Harn enthält Bei der Durchmusterung der Bestandtheile des Harns auf kolloide Körper stiess
Klemperer auf einen solchen, der bisher wenig beachtet worden ist. Es ist das derjenige Farb¬
stoff, von dem die gelbe Farbe des Harnstoffs herrührt, das Urochrom. Von ihm liess sich er¬
weisen, dass er die Ursache des starken Lösungsvermögens des Harns für Harnsäure ist
Salomon (Frankfurt a. M.) spricht sodann über Fettstühle. Er verweist auf die Be¬
obachtungen in der Noorden’schen Klinik, wonach nicht blos bei schweren Erkrankungen der
VerdauungsWerkzeuge, sondern auch bei Darmkatarrhen die Fettaufsaugung schwere Störungen er¬
leiden kann.
Hirsch fei d (Berlin) bespricht im Anschluss daran die Beziehungen zwischen den Fett-
stühlcn und der Pankreaszuckerharnruhr.
Rosenfeld (Breslau) berichtet über den Fortgang seiner Untersuchungen zur Begründung der
Anschauung, dass die Fettveränderung der Gewebe nicht als Entartung, sondern als Regeneration
anzosehen ist
S trau SB (Frankfurt a. M.) bringt Beiträge über die sogenannte funktionelle Prüfung der
Nierenthärigkeit
Aus der kaum in einer gedrängten Uebersicht zu erschöpfenden Fülle der Referate seien
noch erwähnt die Mittheilungen von Holländer (Berlin) über die Behandlung des Lupus
erytbemathodes. Er bekämpft die Anschauung, dass der Lupus erythemathodes tuberkulösen
Ursprungs ist; indem er die Ursache dieser Lupusform noch ausser Betracht lässt, hält er als Sitz
der Erkrankung auf Grund seiner Untersuchungen das Drüsengewebe der Haut Seine Behandlung
besteht in der gleichzeitigen innerlichen Darreichung von Chinin und der Bepinselung der erkrankten
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Hautstellen mit Jodtinktur. Holländer illustriert seine Heilerfolge durch die Vorzeigung von
Lichtbildern, die in der That ausserordentlich lehrreich sind.
Nachdem sodann Brat (Berlin) über experimentelle Untersuchungen bezüglich des Ein¬
flusses von Eiweisskörpern auf die Blutgerinnung berichtet hatte, die Aufschlüsse
über die Agglutination gegeben haben, behandelt Hoff mann (Düsseldorf) die Frage: Giebt
es eine akute Erweiterung des normalen Herzens? Die widersprechendsten An¬
gaben, namentlich neuer Beobachter, über das Auftreten akuter Vergrosserungen des normalen
Herzens, welche ebenso rasch wieder verschwinden sollten, veranlassten den Vortragenden,
eine grössere Anzahl von Personen, welche sich den angeblichen Ursachen dieser akuten
Herzerweiterung ausgesetzt hatten, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, die mit
einem von Hoffmann konstruierten Apparat zur Untersuchung des Herzens mit Röntgenstrahlen
ausgeführt wurde. Der Apparat, welcher auf dem Prinzip beruht, dass Lichtquelle und Schreibstift
bei jeder Lage des letzteren einander gegenüber bleiben, und somit, wie der Orthodiagraph von
Moritz, den älteren Apparaten von Grummach und Levy-Dorn, gleiche Vortheile bietet, hat
nebenbei die Einrichtung, dass die Punkte und Linien der Körperoberfläche durch kreuzweise ver¬
schiebbare Metalldrähte direkt auf dem Röntgenbild markiert werden und so gleichzeitig mit der
Herzkontour aufgeschrieben werden können. Die vorgenommenen Untersuchungen haben nun in
keinem einzigen Falle eine irgendwie bedeutende Vergrösserung des Herzens, nach Anstrengung
und Alkoholgenuss ,* sowie bei akuten Krankheiten erkennen lassen. Unter diesen Fällen waren
einzelne von Hoffmann näher mitgetheilte, welche schwere Schädigungen des Herzrhythmus
beobachten Hessen, ohne dass auch die geringste Dilatation während dieser Zeit sich nachwcisen
Hess. Die Fehlerquelle, durch welche eine Dilatation des Herzens vorgetäuscht werden kann,
sieht Hoffmann im Hochstand des Zwerchfells bei Cor mobile, in einer verstärkten Aktion des
angestrengten Herzens und einer damit verbundenen Hyperdiastole. Während Lennhof (Berlin) an
dem Vorkommen akuter Herzdilatationen nach excessiven Anstregungen nicht zweifelt — er ver¬
weist auf seine und Albu’s Beobachtungen bei Ringkämpfern und beim Radrennsport —, schHessen
sich Rumpf (Hamburg) und v. Criegern (Leipzig) mehr oder minder den Ausführungen Hoffmann’s
an. Besonders letzterer hat bei 500 gesunden und kranken Herzen durch Röntgenuntersuchung nie¬
mals eine akute Herzdehnung feststellen können. Es handelt sich nach ihm da wahrscheinlich nur
um einen vermehrten Füllungszustand des Herzens.
Ueber Einwirkung von Arzneimitteln auf den kleinen Kreislauf berichtet Gerhardt
(Strassburg). Thierversuche haben ergeben, dass der Digitalis eine selbstständige Einwirkung auf den
kleinen Kreislauf zukommt, die der Drucksteigerung im grossen parallel geht, also nicht lediglich
Folge eines verstärkten Blutzuflusses ist Dasselbe stellte sich bei Versuchen mit Nebennierenextrakt
heraus, der auch eine Drucksteigerung bis zu 12 mm Hg im kleinen Kreislauf erzeugt Ebenso ent¬
spricht dort die Senkung des Blutdruckes nach Ergotin und Hydrastinin der gleichen Einwirkung
auf den grossen Kreislauf. Physiologie und Pathologie des Kreislaufs behandelten noch eine Reihe
weiterer Vorträge, so von Volhard (Giessen) über Venenpulse, Strubeil (Wien) über Herzgifte,
Albert Fränkel (Badenweiler) über die Kumulativwirkung der Digitaliskörper, Schott
(Nauheim) über Blutdruck bei akuter Ueberanstrengung des Herzens, Hornung (Marbach)
über Orthodiagraphie und die Friktionsmethode bei Bestimmung der Herzgrenzen,Poehl
(Petersburg) über den Ersatz der Einführungen von Kochsalzlösungen in die Venen durch
Eingiessungen von künstlichen physiologischen Salzlösungen. Rohden (Lippspringe)
spricht über die Bedeutung der Kieselsäure im menschlichen Organismus und ihre
Beziehungen zum Lungengewebe. Er misst der Kieselsäure eine wesentliche Bedeutung für
den Organismus bei. Nach ihm hat die Kieselsäure die Kraft, entsprechend ihrer Stellung im Quarz
und Bergkrystall auch im pflanzlichen und animalischen Organismus alle anderen mineralischen Grund¬
substanzen in elektrochemischer Spannung bei einander zu halten. Die Kieselsäure soll gleichsam der
Mörtel sein, der die verschiedenen Mineralien als Mauersteine des Zellsystems vor dem Auseinander¬
fallen bewahrt. Es besteht ein Bedürfniss der erschlafften Gewebe im Organismus nach Kieselsäure.
Eine wesentliche Rolle spielte auf dem diesjährigen Kongress auch der Zucker und seine Stellung
im Organismus. Nachdem zuerst PaulMayer (Karlsbad), welcher auf Grund der Anregungen von
Emil Fischer, dass zwischen der räumlichen Anordnung der Atome in einem chemischen Körper
und seiner physiologischen Wirkung eine Beziehung besteht, Untersuchungen über das Verhalten
der drei stereoisomeren Mannosen im Thierkörper anstellte, berichtet hatte, behandelte
ClemmjDresden) die Bedeutung verschiedener Zuckerarten im Haushalt des gesunden
und kranken Körpers. Er fand, dass bei Speichel Verdauung, weuu sie bis zu drei Tagen ein-
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Berichte Aber Kongresse und Vereine.
zuwirken vermag, nicht der Doppelzucker Maltose, sondern die ihn zusammensetzenden zwei Moleküle
Dextrose das Endprodukt der Diastasierung bilden, weiterhin, dass augenscheinlich die Pankreas-
ptyaline verschiedener Thierarten nicht nur hinsichtlich ihrer quantitativen, sondern auch hinsichtlich
ihrer qualitativen, das ist, bezüglich der aus Stärke von ihnen gebildeten Zuckerarten, sich von einander
unterscheiden. Endlich ergab sich ihm, dass wahrscheinlich bakterielle Einwirkung aus Stärke statt
der Glykose die Galaktose, den Aldehyd des Dulcits, also statt jenes des Glucits entstehen liess.
Ueber den Modus der Glykuronsäureausscheidung sprach Bial (Kissingen). Er hat
diesen bisher biologisch wenig beachteten Körper, ein Zwischenprodukt des Zuckerstoffwechsels, in
dem Darminhalte des Menschen gefunden. Danach kommt die Resorption aus dem Darm bei der An¬
häufung von Glykuronsäuren und ihrer Ausscheidung in den Harn. Der Nachweis der Glykuron-
slure ist wichtig, bedarf aber noch einer genauen chemischen Durcharbeitung, da die bisherigen
Methoden nach BiaPs neuen Feststellungen für die Mengenbestimmung nicht ausreichen.
Es schliessen sich daran Mittheilungen von Vogt (Strassburg) über den weiteren Ausbau der
von ^v. Mering zuerst festgestellten Thatsache, dass durch Phloridzindarreichung künstlich Zueker-
hamruhr hervorgerafen werden kann, von Blum (Frankfurt a. M.), der die Beziehungen der
Nebennieren zur Zuckerharnruhr näher studiert hat. Er ermittelte, dass schon bei Ein¬
bringung ganz geringer Mengen von Nebennieren bei Tbieren Zuckerhamruhr herbeigeführt werden
kann. Aus seinen Thierversuchen leitet er Erwägungen darüber ab, inwieweit wohl Zuckerhamruhr
beim Menschen auf einer Anomalie in der Nebennierenthätigkeit beruhe.
So umfangreich, wie man sieht, die Tagesordnung im allgemeinen war, so dürftig war im
speziellen der den physikalischen Behandlungsmethoden überlassene Raum; was aber an Zahl der
Vorträge ermangelte, dies wurde reichlich eingebracht durch die Art und Behandlung des Stoffes.
Im Vordergründe stehen hier die Ausführungen von Friedländer (Wiesbaden) über die Dosierung
in der physikalischen Therapie. Redner ging davon aus, dass das von R. Arndt auf Grund¬
lage des PflügePschen Zuckungsgesetzes entwickelte biologische Grundgesetz für die physikalische
Therapie nicht minder wie für die medikamentöse Geltung habe. Dieses Gesetz lautet: Kleine
Reize fachen die Lebensthädgkeit an, mittelstarke fördern dieselbe, starke hemmen sie und stärkste
beben sie auf; aber durchaus individuell ist, was sich als einen schwachen oder starken Reiz geltend
macht. Die Gültigkeit dieses Gesetzes für die Pharmakotherapie hat Hugo Schulz in über¬
zeugender Weise nachgewiesen. Dasselbe hat aber auch für die physikalische Therapie Gültigkeit,
nur müssen bei der Behandlung kranker Organe, des kranken Organismus, hier wie in der Pharma¬
kotherapie Modifikationen dieses Gesetzes insofern eintreten, als bei der Dosierung dem Erregbar¬
keitszustand der betreffenden Organe Rechnung getragen werden muss. Es ist ferner in der
physikalischen Therapie nicht nur die Intensität der Reize, sondern auch deren Extensität und Dauer
zu berücksichtigen, da sich aus diesen drei Komponenten die Reizgrösse in der physikalischen
Therapie zusammensetzt. Um eine Erregbarkeitssteigerung hervorzurufen, wie bei Lähmungen,
Anästhesien, chronischen Entzündungen, und gleichzeitig eine Vermehrung der Blutzufuhr und Stoff-
wechselsteigerunng in den erkrankten Organen zu bewirken — denn »bahnende Wirkungen gehen
stets Hand in Hand mit Kongestionierung und Stoffwechselsteigerung« —, werden wir im Prinzip
schwache Reize von geringer Intensität, Extensität und Dauer anwenden. Es wird aber die Reiz¬
grösse dem vorhandenen Grad der Erregbarkeitsherabsetzung angepasst, d. h. vermehrt werden
müssen, und dieser nach den individuellen Verhältnissen schwankende Zusatz zu der Reizgrosse
wird bei der bahnenden Behandlung hauptsächlich der Intensität und Extensität zukommen müssen,
da kurze Reize für die Erzielung von Bahnungswirkungen von besonderem Werth sind. Für die
Hemmungsbehandlung, bei Schmerz, Hyperästhesien, Hyperkinesien, akuten Entzündungen werden
dagegen stärkere und länger dauernde Reize zur Anwendung kommen; doch muss hier je nach
dem Grade der Erregbarkeitssteigerung die Reizgrösse vermindert werden, und zwar auch hier
hauptsächlich die Intensität, da länger dauernde und extensive Reize das Zustandekommen von
HemmungsWirkungen begünstigen. Bei der Hemmungsbehandlung mittels Ableitung (Revulsion)
und dagegen starke und langdauemde Reize auf die Haut angezeigt.
Ueber den Einfluss mechanischer und thermischer Einwirkungen auf den Blut¬
strom und Gefässtonus verbreitete sich Pick (Prag). Die Untersuchungen wurden mittels direkter
Messung der aus den Venen ausströmenden Blutmenge am defibrimierten Thier gemacht Pick fand,
dass die unter dem Namen Massage zusammengefassten Handgriffe an den Extremitäten Beschleunigung
des Blutstromes bei herabgesetztem Gefässtonus, im Unterleibe Verlangsamungzur Folge haben. Bauch-
maasage beschleunigt den Blutstrom im Unterleib, verlangsamt den im Gehirn. Passive Bewegungen
beschleunigen die Cirkulation in den Extremitäten und im Gehirn. Kälte auf den Extremitäten be¬
wirkt Abnahme der Cirkulation in den Extremitäten bei gleichzeitiger Beschleunigung am Unter-
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Berichte über Kongresse und Vereine.
leib, Verlangsamung im Gehirn. Külteeinpackung des Bauches: Verlangsamung im Unterleib, die
bald jedoch einer Beschleunigung Platz machte. Wärme macht Beschleunigung in den Extremitäten,
ebenso im Unterleib, wenn man sie dort appliziert, dabei auch im Jugulargebict. Direkt auf den
Schädel appliziert bewirkt sie keine Beschleunigung an der Jugularis. Die nach Ischiadikusdurch-
schneidung auftretende Beschleunigung bleibt bei starker Kälte; es überwiegt die direkt an der
Gefässmuskulatur einsetzende Wirkung.
Weiterhin sprach Paul Lazarus (Berlin) über die Bahnungstherapie der Hemiplegie.
Die Bahnungstherapie der Hemiplegie und motorischen Aphasie besteht in der kompensatorischen
Ausnutzung der erhaltenen Leitungswege und in der Ausschleifung neuer Bahnen. Sie findet ihre
Grundlage in der anatomisch und physiologisch festgestellten Thatsache, dass die Pyramidenbahn
nicht die einzige motorische Leitungsbahn darstellt. Ausser ihr existieren noch eine Reihe von
Reservebahnen, welche durch die subkortikalen Ganglien, insbesondere durch den Sehhügel und die
Vierhügel zum Rückenmark herabziehen. Ueberdies kann die gesunde Hemisphäre vermittels der
ungekreuzten Pyramidenvorderstrangsbahn für die erkrankte vikariierend eintreten. Alle Ganglien¬
zellen des Gehirns stehen miteinander in direkter oder indirekter Verbindung, welche durch me¬
thodische Uebungen gebahnt werden kann. Die Bahnung besteht in Innervationsübungen; jede
motorische Willenserregung bahnt die Willensbewegung. Man unterscheidet die Pyramidenbahnung,
die Associationsbahnung, die Kommissuren- beziehungsweise Balkenbahnung. Die Uebungs-
behandlung soll möglichst frühzeitig nach Ablauf des Reaktionsstadiums der Apoplexie vor-
genommen werden.
Ueber den Einfluss von Bädern und Douchen auf den Blutdruck beim Menschen
sprach Ottfried Müller (Leipzig). Die Einwirkung aller nicht bewegten Bäder auf den Blutdruck
wird im wesentlichen durch den thermischen Reiz bestimmt. Derselbe bewirkt bei Wasserbädem
unterhalb der mittleren Temperatur der Körperoberfläche eine während des ganzen Bades andauernde
Blutdrucksteigerung von typischer Kurvenform bei Verminderung der Pulsfrequenz. Die Grösse
beider Veränderungen nimmt mit dem Sinken der Temperatur bis zu bedeutenden Werthen zu.
Wasserbäder oberhalb der mittleren Temperatur der Körperoberfläche bis hinauf zu 400 C = 32<>R
veranlassen nach anfänglicher kurzer Steigerung ein Sinken des Blutdruckes unter den Normalwerth,
dem dann ein erneutes Wiederansteigen folgt Die Pulsfrequenz zeigt bei dieser Gruppe bis zu
etwa 380 C = 30 ° R eine Verminderung, von da ab nach aufwärts eine Vermehrung. Bei Wasser¬
bädem oberhalb von 40 ° C = 32 ® R tritt wieder eine andauernde Steigerung des Blutdruckes von
ähnlicher typischer Form, wie bei den kalten Bädern, ein, nur mit dem Unterschied, dass die Puls¬
frequenz hier nicht vermindert, sondern stark vermehrt wird. Bei bewegten Badeformen, also z. B.
bei Halb- und Wellenbädern, tritt nach Maassgabe der Intensität der Bewegung der mechanische
Reiz immer mehr in den Vordergrund, bis er bei den Douchen das Bild vollständig beherrscht Er
bewirkt bei genügender Intensität, stets unabhängig von der Temperatur, Blutdrucksteigerung. Die¬
selbe ist bedeutender, aber von kürzerer Nachwirkung als bei den meisten Bädern.
Eine gewisse piöce de rGsistance endlich des diesjährigen Kongresses bildete das Referat von B i e
(Kopenhagen) über Lichttherapie. In klar umgrenzter und objektiv nüchternerWeise schilderte Bie
die biologischen Gesichtspunkte, auf denen die Lichttherapie aufgebaut ist, sowie ihre therapeutische
Anwendung und Grenzen 1 ). Als Schüler und Mitarbeiter Finsen’s war wohl kaum jemand befugter,
wie gerade Bie, über dieses für die moderne Therapie so ausserordentlich wichtige Thema zu sprechen
und auf der einen Seite kritiklosen Enthusiasmus herabzustimmen, auf der anderen die wirklich brauch¬
baren und durch die Forschung feststehenden Resultate unberechtigtem Misstrauen gegenüber wissen¬
schaftlich zu erhärten. Der warme Beifall und die ausserordentlich lebhafte Debatte, die sich an
Bic’s Ausführungen anschloss, und in der v. Jaksch (Prag), Quincke (Kiel), Rumpf (Hamburg)
und viele andere das Wort ergriffen, bewies das Interesse, das dem Gegenstände wie den treff¬
lichen Ausführungen gezollt wurde.
So hat auf dem diesjährigen Kongress die physikalische Therapie einen, wenn auch äusserlich
bescheidenen, so doch, was die ihr entlehnten Themata anbetrifft, über das gewöhnliche Niveau
weit hervorragenden Antheil gehabt, der sich hoffentlich auf den zukünftigen Tagungen auch dem
Umfange nach vergrössem wird.
i) Da in dieser Nummer an anderer Stelle ein vom Referenten über das gleiche Thema im
März d. J. gehaltenen Vortrag in extenso wiedergegeben ist und derselbe sich in den theoretischen
wie praktischen Schlussfolgerungen mit den Bie*sehen Ausführungen nahezu deckt, so wäre ein
näheres Eingehen auf diese letzteren nur eine unnöthige Wiederholung.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
175
n.
Bericht über die 23. öffentliche Yersammlung der Balneologischen
Gesellschaft in Stuttgart vom 7. bis 12. März 1902.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
(Fortsetzung.)
Camerer (Urach), Ueber Gicht und Rheumatismus.
Die hamsaure Gicht — so benannt zum Unterschiede von Arthritis deformans und chronischem
Gelenkrheumatismus — zeigt eine Reihe von theilweise ihr und theilweise auch anderen Krank¬
heiten eigentümlichen Eigenschaften. Der Urin des Gichdkers lässt Harnsäure in Substanz unter
solchen Umständen ausfallen, wo beim Urin des Gesunden kein Niederschlag entsteht oder höchstens
ürate ausfallend); diese Eigenschaft des Gichturins und des häufig gleichzeitig vorkoramenden Aus¬
fallens von oxalsaurem Kalk schlägt Camerer vor, mit dem Namen »Harnsaure und oxalsaure
Diathese« zu bezeichnen und darunter nichts weiteres als nur diese Urinbefunde zu verstehen.
Derselbe ist zwar nicht pathologisch für Gicht und hamsaure Steine, denn er kommt auch beim
Diabetiker vor und kann durch Weintrinken leicht und sicher beim Gichtiker, schwieriger beim
Gesunden künstlich hervorgebracht werden; doch kann er in zweifelhaften Fällen die Diagnose auf
Gicht unterstützen. Die Harnsäuremengen im 24 ständigen Urin und die Mischung der N- haltigen
Bestandtheile ist beim Gichtiker von der beim Gesunden nicht verschieden. Das Blut und die
Gewebssäfte enthalten bei Leukämie und bei Menschen, die Thymus verzehren, beim Gichtiker und
manchen Nephritikem Harnsäure in quantitativ nachweisbarer Menge. Bei den ersteren ist das die
natürliche Folge davon, dass die Produktion des Stoffes (absolut und relativ) auf das Doppelte bis
Dreifache gesteigert ist, bei den beiden letzteren ist sie nicht gesteigert. Hier muss es sich also
um Hamsäureretention handeln und zwar nach der ganzen Sachlage bei Gicht um eine solche von
minimalen Grossen. Dieselbe ist selbstverständlich durch Stoffwechselversuch und Urinanalyse nicht
nachweisbar. Die Versuche von Freudweiler-His über den Einfluss von Alkoholzufuhr bei der
künstlichen Erzeugung harnsaurer Tophi im Ohr von Kaninchen, die von Glaser über den Einfluss
von Alkoholzufuhr auf die Urinbeschaffenheit des Gesunden (Leukocythen, Cylinder, hamsaure und
oxalsaure Diathese sind die Folge) erklären die klinische Beobachtung, dass die Anfälle des
Gichtikers durch vollständige Abstinenz zum Verschwinden gebracht werden können, und lassen die
Gicht als eine nicht seltene Folge chronischer Alkoholvergiftung (bei Disponierten) erkennen. Be¬
kannt ist, dass sie auch, freilich viel seltener, durch chronische Bleivergiftung verursacht wird.
Von den rheumatischen und verwandten Gelenkkrankheiten ist als erster der akute Gelenk¬
rheumatismus zu nennen, der zweifellos durch Kokken verursacht wird. Dass die Krankheit auch
subakut oder chronisch, dass sie auch als Affektion der Muskeln, anderer seröser Höhlen, der Sehnen
ils.w. verlaufen kann, beweist das alternierende Auftreten der verschiedenen Formen sowohl bei
einzelnen disponierten Individuen, als bei verschiedenen Angehörigen einer disponierten Familie.
Die Diagnose Rheumatismus sollte künftig nur da gestellt werden, wo man Kokkeninfektion an-
nefamen will und muss.
Mit Arthritis deformans bezeichnet man am besten solche chronische Gelenkkrankheiten, bei
welchen Wucherungen in der Peripherie des Gelenkes mit Rückbildungsprozessen im Gelenkende
der Knochen einhergehen. Nach dem klinischen Verlauf hat man zwei Formen zu unterscheiden:
1. Arthritis villosa, es handelt sich hier um primäre starke Zottenbildung von seiten der Synovial¬
membranen mit wenig Exsudat, spätere Schrumpfung derselben, geringe Betheiligung des Knorpels
oder der Knochen. Endresultat ist starke Difformität und partielle Ankylose der Gelenke; Ursache
nach Schüller ein eigener Bacillus, was bisher nicht bestätigt wurde. Der Beginn der Krankheit
macht allerdings den Eindruck einer infektiösen Entzündung. 2. Die gewöhnliche Arthritis deformans,
bei der im Gelenkende der Knochen gleichzeitige Exostosen in der Peripherie, und Erweichungs¬
herde im Centrum die charakteristischen Merkmale sind. Auch bei dieser Krankheit machen die
schwenkten Fälle im Beginn den Eindruck einer infektiösen Entzündung, später mehr den einer
Trophoneurose. Die leichtesten Fälle, auf die Gelenke der Finger beschränkt, nennt man häufig
den Heb erden’ sehen Knoten.
i) Also z. B., wenn Urin vom spezifischen Gewicht 1015 bei Zimmertemperatur (oder darunter)
aufbewahrt wird.
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Berichte über Kongreße und Vereine.
Beim Malum senile endlich ist das Primäre eine Gewebsveränderung im Knorpel, Auffaserung
desselben, sodann Usur von Knorpel und Knochen, endlich sekundäre Entzündung. Nach
Schmiedeberg enthält der normale Knorpel eine Verbindung von Eiweiss und Chondroitin-
schwefelsäure. Durch eine anderweitige Bindung der beiden Komponenten entsteht das Amyloid,
dessen spezifische Reaktion von der Säure herrührt — Viele senile Knorpel enthalten Amyloid, das
als optisch indifferent der Beobachtung bisher entgangen ist, durch mikrochemische Reaktion aber
nachgewiesen werden kann. Derartige chemische Veränderungen im Knorpel dürften die erete Ur¬
sache des Malum senile, ähnliche in der Arterienwand die der Arteriosklerose sein. Ihr präseniles
Vorkommen in Familien und bei einzelnen Individuen kann nicht auffallen.
Gelenkaffektionen mit primären Gewebsveränderungen im Knorpel sind auch die bekannten
trophoneurotischen (bei Tabes, Nervendurchschneidung, bei längerer Fixation des Gelenkes durch
Gipsverband u. s. w.). Da bei langer Dauer der Gelenkaffektionen häufig Mischformen entstehen, ist
eine richtige klinische und sogar pathologisch - anatomische Deutung des Einzelfalles sehr schwer,
wenn er nicht von Anfang an gut beobachtet wurde und alle anamnestischen wichtigen Momente
(Erblichkeit!) beigebracht werden können. Der Röntgenvereuch gestattet bekanntlich, hamsaure
Tophi von Exostosen mit Sicherheit zu unterscheiden, bei Fällen von Subluxation nach Gelenk¬
rheumatismus (die mit Arthritis deformans unter Umständen verwechselt werden können) das Fehlen
der Exostose nachzuweisen.
Weisz (Pistyan), Ueber Gicht.
Vortragender giebt eine übersichtliche Darstellung all jener fehlerhaften Untersuchungs¬
methoden (unverlässliche Bestimmung der Harnsäure und der Blutalkalescenz) und prinzipieller
Druckfehler, die sich in die alten Gichtlehren eingeschlichen haben. Nachdem der Ham kein ein¬
faches physikalisches Filtrat bedeutet und seine quantitativen Verhältnisse weder unter normalen
noch pathologischen Umständen — man denke z. B. nur an den Gehalt von Eiweiss —einen
quantitativen Rückschluss auf das Blutserum gestatten, fehlt für die diagnostische Verwerthung der
Harnsäure bei der Gicht jede theoretische Basis. Thatsächlich haben neuere Untersuchungen ergeben,
dass die Hamsäureproportionen bei dem Gichthame den normalen Verhältnissen ziemlich gleichstehen.
Früher hat man einseitigerweise stets nur an eine Ueberladung des Körpers mit Harnsäure gedacht;
die anderen Bedingungen, die in der Veränderlichkeit des Lösemittels liegen — Anwesenheit oder
Abwesenheit dritter Substanzen — wurden gänzlich vernachlässigt. Bei Leukämie und Nephritis
könne manchmal Harnsäure in einer die Gicht übersteigenden Dimension im Körper kreisen, ohne
auszufallen. Zweifelsohne muss dies die Anwesenheit anderer Stoffe im Körper hindern. Im
menschlichen Körper kreuzen und kombinieren sich nun die verschiedensten Elemente in ver¬
schiedenster Weise, so dass die Löslichkeitsfrage der Harnsäure in den menschlichen Körpereäften
beute geradezu auf noch unüberwindliche Hindernisse stösst. Man bleibt also noch immer mehr auf
allgemeine Betrachtungen angewiesen. Der Organismus verfügt im allgemeinen über verschiedene
Schutzvorrichtungen gegen das Ausfallen fester Körper (Bewegung durch Cirkulation und
molekulare Strömungen, Temperaturunterschiede oberflächlich und tiefer gelegener Organe,
Schwankung der Tagestemperatur etc., Innervationsunterschiede, chemische Prozesse durch
Nahrungsaufnahme und Aufarbeitung derselben, reichliche Wasserbildung als Nebenprodukt
chemischer Transaktionen etc.). Im Wasser schwerlösliche Substanzen, z. B. schwere Metalle,
finden wir assimiliert ans Eiweiss gekettet, was bei der Harnsäure, als einem Stoffwechselprodukt,
nicht der Fall sein könne. Die Harnsäure kreist gewissermaassen herrenlos im menschlichen
Körper. Wenn sich dieselbe trotz alledem selten niederschlägt, müsse man annehmen, die Löslich¬
keit der Harnsäure sei im menschlichen Körper grösser als im Wasser (es besteht im Harne im
Vergleich zum Wasser eine 10—40fache Löslichkeit) und die cirkulierenden Mengen minimal, d.h.
die Hamsäurcbilanz könne durch die Niere auf Null erhalten bleiben (im Blute Gesunder wurde
auch. Harn säure thatsächlich noch nie nachgewiesen). Im Blute des Gichtikere wurde auch nur
relativ wenig Harnsäure — etwa 6 mmg auf 100 cm 3 Blut — gefunden. Dies auf eine gleich-
mässige Vertheilung bei einem 70 kg schweren Gichtiker umgerechnet, würde im ganzen nur 4,2 g
ausmachen. Was die Löslichkeit betrifft, ist das Serum des Gichtikers im stände, hinzugethanene
Harnsäure noch reichlich zu lösen und zu digerieren.(Klemperer). Man wird somit zur Annahme
gedrängt — wie dies ja der spezifische Stoffwechsel der einzelnen Organe mit sich bringen kann
— dass es bei der Gicht nur lokal zu einer relativen Ueberaättigung mit Harnsäure bei ungünstigen
lokalen Löslichkeitsverhältnissen kommen kann und schliesslich zum Ausfallen derselben. Weisz
hebt die Analogie der harnsauren Ablagerungen mit den Kalkablagerungen der Arterien hervor.
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Berichte über Kongresse and Vereine.
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Die Endoarterids ist hauptsächlich eine Erkrankung des Mannesalters wie die Gicht, beide sind
erblich, auch ist die häutige Miterkrankung der Nieren beiden gemeinsam. Da und dort scheinen
aber weniger eine allgemeine Kalk- oder hamsause Diathese als lokale — bisher unergründete Ur¬
sachen die Hauptsache zu sein.
Therapeutisch können harnsäurelösende Mittel auf Grund von Eprouvette 7 su. a. Experimenten
für die menschlichen Körpersäfte nicht in Frage kommen. Empirisch scheint das alte Colchicum
vom Ansturm der neuen Mittel nicht übertroffen. Trinkkuren werden gerühmt, man soll aber von
demselben keine Alkalisierung der Säfte fordern. Die Massage erhält im Lichte der His’sehen
Phagocytose eine erhöhte Bedeutung. Auf den Gebrauch von Bädern — vorzüglich Schwefel-
ichlammbädem — Entlastung der Niere — hat besonders Ebstein in seinem jüngsten Werke nach¬
drücklich hingewiesen. Redner verwirft endlich die lebenslänglichen, starren, schematischen Speise¬
zettel und lässt alle anderen berechtigten Gesichtspunkte, die individuell in Frage kommen, zur
Geltung gelangen. Das Hauptgewicht in der Diätetik ist Schonung der Niere durch Verbot von
Extraktivstoffen, stark reizenden Gewürzen und Alkohol.
Winternlts (Wien), Die hydriatische Behandlung der Pneumonie.
Winternitz hält die Pneumonie gewissermaassen für den Pegel, an dem Werth oder Un¬
werth der wechselnden pathologischen und therapeutischen Systeme geprüft werden kann.
Um nur einen therapeutischen Maassstab anzulegen, wechselt die Mortalität von
70 o/o und mehr auf 4°/ 0 und weniger, so dass der Intemistenkongress in München und auch
v. Leyden in seiner jüngsten, unsere ganze gegenwärtige klinische Erkenntniss umfassenden be¬
deutsamen Arbeit es zugeben mussten, dass wir weder durch ein Heilmittel, noch durch ein Heil¬
serum bisher einen Einfluss auf den Ablauf und Verlauf der genuinen kroupösen Pneumonie haben.
Aber die meisten Kliniker stehen jetzt auf dem Standpunkte, dass die Hydrotherapie bei der
Pneumonie sehr nützlich sei, indem sie die Gefahr des Herzkollapses vermindere, die Pulsspannung
erhöhe, die Pulsfrequenz herabsetze, Respiration und Innervation bessere. Winternitz glaubt,
noch einigen anderen Nutzen von Wasserbehandlung der Pneumonie nach weisen zu können. Gelingt
es — nicht während des Schüttelfrostes, wo nur diätetische und hygienische Maassregeln anwend¬
bar, aber unmittelbar darauf — den Pneumoniker in Behandlung zu nehmen, so wird man gut
thun, ihn sogleich einer energischen hydriatischen Kur zu unterziehen. Ein Halbbad von höchstens
20« C, das auf 16 und selbst bis 12o C im Verlaufe von 10—20 Minuten abgekühlt wird — so
lange muss es dauern, bis eine gute Reaktion erzielt ist Im Bade muss der Patient von zwei bis
drei Wärtern kontinuierlich frottiert und wiederholt über Nacken und Rücken übergossen werden.
Hat man rechtzeitig das Bad in der geschilderten Weise angewendet, so beobachtet man zu¬
meist eine günstige Umgestaltung des ganzen Prozesses, so dass es einem geradezu den Eindruck
macht, als habe man die Pneumonie koupiert, was man jedoch nicht mit Sicherheit zu hehaupten
vermag, weil es Pneumonieen giebt, die auf einen so kurzen Verlauf gewissermaassen eingestellt
find Die Bäderbehandlung der Pneumonie, die auch der so erfahrene Generalarzt v. Vogel
empfiehlt und von der er behauptet, »so angewendet, hat sie gar keine Gefahr für den
Pneumoniker«, dient nicht zur Bekämpfung des Fiebers, sondern hauptsächlich zur Verminderung
der Gefahr des Herzkollapses, Besserung der Innervation, Besserung der Respiration und
Expektoration, Verminderung der Pulszahl, Hebung der Pulsspannung, Ausscheidung von Toxinen
and damit wahrscheinlich auch Verminderung der toxischen Wirkung der Kokken auf die Vaso¬
motoren. Denn nur bei so frühzeitigem Beginne der Bäderbehandlung bei Pneumonie gelingt es
nach jedem Bade, wenn auch vorübergehend, Erscheinungen hervorzurufen, wie sie sich bei dem
Bitfirlichen Abläufe der Pneumonie am fünften bis siebenten Tage nach Eintritt der Krise zu er¬
kennen geben. Es scheint also das Bad auch in Bezug auf die Veränderung der Blutbeschaffenheit
ihnüches, wenn auch weniger intensiv, zu bewirken, wie die natürliche Krisis. Schwererkrankte
Pneumoniker in ein kaltes Bad zu setzen, das muss man auf der Klinik gesehen und gelernt haben.
Ein zu warmes Bad schadet dem Typhösen nicht, während es beim Pneumoniker durch Nicht-
enrielung entsprechender Reaktion geradezu gefährlich werden kann, worüber mich meine eigene
Erfahrung in zwei Fällen zu meinem Schmerze belehrt hat — Weit leichter werden sich die Aerzte
entschliessen, in bereits vorgeschrittenen Stadien der Lungenentzündung oder auch im Anfänge,
wenn die Möglichkeit der Bäderbehandlung nicht vorliegt, mit Theilwaschungen vorzugehen,
die drei- bis viermal täglich, je nach der Heftigkeit der Erscheinungen, vorgenommen werden
können. Wenn auch nicht so mächtig, wie das kalte Bad, so wird man doch auch mit den Theil-
waschnngen, die auch ohne geschultes Wartepersonal überall in der Privatpraxis durchgeführt
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werden können, günstige Resultate erzielen, wie uns ja Stabsarzt Pick dies gezeigt hat, der nur
eine Mortalität von 3,2 % bei 60 kroupösen genuinen Pneumonieen zu beklagen hatte.
Dass man sowohl bei der Bäderbehandlung, als auch bei der Behandlung mit TheilWaschungen,
den Symptomen angepasst, Kreuzbinden, Herzschläuche, eventuell Stammumschläge an wenden wird,
bedarf keiner tieferen Begründung.
Das Streben der Wasserbehandlung bei der Pneumonie besteht also in Hebung der Inner¬
vation, Besserung der Cirkulation, Verminderung der vom Herzen drohenden Gefahr, Verflüssigung
und Resorption des Infiltrates, Erleichterung der Expektoration. Parallel der Veränderung der
klinischen Symptome bewirken die thermischen Reize eine Erythrocytose, eine Hyperleukocytose, eine
Veränderung der Blutvertheilung, eine raschere Ausscheidung von Toxinen durch alle Collateralen.
— Selbstverständlich sind auch nicht alle Pneumoniker durch die exaktest ausgeführte Wasserkur
zu retten; doch scheint es kaum zweifelhaft, dass die Mortalität bei dieser Behandlung eine
niedrigere ist
Burwinkel (Nauheim), Chronische Herz- und Lnngenleiden in ihren Wechselbeziehungen.
Herz und Lunge betheiligen sich gleichmässig an dem Prozess der Arterialisierung des
Blutes, sie können sich gegenseitig nie völlig ersetzen, aber wohl bis zu einem gewissen Grad er¬
gänzen. Bei ungenügender Herzfunktion wird durch gesteigerte Respiration, bei herabgesetzter
Lungenthätigkeit durch Zunahme der Herzkontraktionen der Schaden theilweise ausgeglichen. Die
Prognose einer jeden Lungenerkrankung hängt fast ausschliesslich von der Herzkraft ab, wie um¬
gekehrt der Zustand der AthmungsWerkzeuge von grosser Wichtigkeit für das Wohlbefinden aller
Herzleidenden ist. Die intrathoracischen Druckschwankungen begünstigen die Blutcirkulation im
kleinen Kreislauf und bedeuten ein wesentliches Schonungsmoment fürs Herz. Ein Offenbleiben
des Foramen ovale kommt namentlich bei schwachen Kindern vor, wenn infolge ungenügender
Athmung der Druck im linken Vorhof nicht in dem Maasse steigt, dass das Klappensegel ordent¬
lich an die Vorhofswand herangepresst wird. Beneke undBrehmer haben die »Hypoplasie« des
Herzens und die hieraus resultierende Anämie des Lungenparenchyms für die Entstehung phthisischer
Prozesse in der Lunge verantwortlich gemacht, wie auch Leute mit Pulmonalstenose in eminenter
Weise zur Schwindsucht disponiert sind. Das zuerst von Rokitansky betonte Ausschlussverhältniss
der Lungentuberkulose durch die sogenannten Stauungsklappenfehler am linken Herzen ist sowohl
durch klinische als auch durch patologisch - anatomische Beobachtungen im allgemeinen als richtig
anerkannt Burwinkel möchte die Stauung nicht als einzige Ursache hierfür bezeichnen, da auch
Aortenfehler, bei denen von Lungenstauung nicht die Rede ist, in gleicher Weise wie Mitralfehler
selten mit Lungentuberkulose gepaart Vorkommen. Die meisten Herzfehler finden sich bei Leuten
mit gichtisch-rheumatischer Diathese, deren Blut und Gewebssäfte infolge Säureüberschusses dem
tuberkulösen Virus gegenüber antitoxische Eigenschaften besitzen. Auch Arteriosklerose und andere
Krankheiten, die mit dieser öfters kompliziert sind, wie: Tabes, Bleikolik, finden sich entschieden
seltener bei Tuberkulösen oder bedingen einen Stillstand des phthisischen Prozesses. Beim sub¬
stantiellen Emphysem, beim Keuchhusten und Laryngospasmus der Kinder, bei ausgedehnten Pleura¬
verwachsungen findet eine Widerstandsvermehrung im kleinen Kreislauf statt, woraus eine Hyper¬
trophie und Dilatation des rechten Ventrikels resultieren. Langwierige Katarrhe, wie sie sich bei
Stauungsklappenfehlern ausbilden, können sekundär zum Emphysem führen. Emphysem und
Arteriosklerose werden ungewöhnlich oft bei ein und demselben Individuum beobachtet. Nach
Burwinkel ist die Arteriosklerose Folge von Emphysem, indem infolge der ungenügenden
Stauungsgeschwindigkeit und des verminderten Sauerstoffgehaltes des Blutes die Gefässwände
schlechter ernährt werden. Zum Schluss fordert Redner zu weiteren Untersuchungen auf, nament¬
lich über das Verhältniss der Arteriosklerose zum Emphysem und zur Tuberkulose, sowie der
Tuberkulose zum akuten Gelenkrheumatismus und zur Gicht.
Kisch (Marienbad), Zur Bäderbehandlung der nervösen funktionellen Herzstörungen.
Redner führt zwei Typen von ihm beobachteter Herzalterationen vor, welche öfter das
Objekt der Behandlung in den Kurorten bilden. Die erste Gruppe umfasst eine Anzahl aktiver
Offiziere, die in einer verantwortungsvollen Stellung psychisch sehr angestrengt sind und bei einer
besonderen Steigerung dieser Ansprüche, wie beispielsweise vor den grossen Manövern, plötzlich
unter Anfällen von Herzbeschwerden leiden. Diese Anfälle bestehen in Tachykardie verbunden
mit Herabsetzung des Blutdruckes und subjektiven grossen Beschwerden; Kurzathmigkeit, Präkordial¬
angst, Schwindel, Kopfschmerz, dabei grosse psychische Depression. Die betreffenden Patienten
fühlen sich zur Arbeit unfähig, befürchten einen schweren Herzfehler zu haben und glauben ihren
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Beruf auf geben zu müssen. Der objektive Befund ist am Herzen und den grossen Gefässen ein
negativer; es handelt sich also hier um eine infolge hochgradiger psychischer Anspannung ent¬
standenen Funktionsstörung des Herzens, welche aus einem Insult des Herzhemmungscentrums wie
des vasomotorischen Centrums hervorgegangen ist Den Verlauf betreffend erfolgt bei geeignetem
Verhalten, besonders Loslösung von allen dienstlichen Verhältnissen meistens vollständige Heilung.
Die zweite Gruppe ähnlicher funktioneller Herzstörungen stellen sonst ganz gesunde (nicht chloro-
töche) Mädchen in den Pubertätsjahren dar, deren sonst bisher ganz normale Herzthätigkeit einige
Zeit vor dem ersten Eintritt der Menses eine ernste Störung erfährt, welche Störung die erste
Menstruation überdauert und kurze Zeit nach der regelmässigen Wiederkehr derselben aufhört Auch
hier treten belästigende Anfälle von Hypcrpalpitation auf, Kurzathmigkeit, Schmerzen in der
linken Interkostalgegend. Dabei verlieren die jungen Mädchen ihr bisheriges munteres Wesen,
werden still, in sich gekehrt, leicht gereizt und ängstlich. Auch diese Herzbeschwerden müssen
als nervöse betrachtet werden, deren Grund, wenn auch der reflektorische Zusammenhang mit den
Entwicklungs Vorgängen in den Ovarien und dem Uterus zu berücksichtigen ist, doch zumeist in
den Vorgängen der Psyche liegt, die um diese Zeit der sexuellen Veränderung sich in dem seelischen
Organe abspielen.
Bei diesen von Prof. Kisch eingehend geschilderten Herzstörungen müssen die balneothera-
peutischen Maassnahmen derart geleitet werden, dass ihre Wirkung eine nervenberuhigende ist.
Von Bädern, welche kohlensäurehaltig sind, sind darum nur die mit schwachem Gehalt an kohlen-
sauren Gasen und mässigem Temperaturgrade (32 bis 33° C) zu wählen und nur in sehr kurzer
Dauer, 5 bis 8 Minuten, anzuwenden. Wenn man Sool- und Salzbäder gebraucht, so soll der Gehalt
des Badewassers an Salzen 1 bis lV 2 °/o nicht überschreiten. Nur allmählich und sehr langsam vor¬
schreitend darf eine Steigerung des Kohlensäure- und Salzgehaltes vorgenommen, die Badedauer aus¬
gedehnt, der Uebergang von ruhigen zu bewegten Badeformen angebalmt werden, um die Reiz¬
wirkung dem Einzelfall entsprechend zu dosieren. Beim Gebrauche der Akratothermen werden die
indifferenten warmen den wärmesteigernden Thermalbädern vorzuziehen sein. Von hydriatischen
Prozeduren finden Applikationen feuchter Einpackungen, Leibumschläge, Wadenbinden, auch lokale
Einwirkung massiger Temperaturgrade auf das Herz selbst ihre Anzeige, und nur, wenn eine stärkere
Beizwirkung erwünscht, erscheinen kühle Abreibungen mit nachfolgendem Frottieren indiziert Milde
allgemeine Massage mit passiven Bewegungen, zuweilen auch mit einigen leichten Widerstands¬
bewegungen verknüpft, wirken als Unterstützung der Bäder.
Die mit den Herzbeschwerden häufig einhergehenden Symptome gestörter Magen- und Darm-
tbltigkeit sowie Veränderung der Gesammtemährung des Körpers lassen oft Trinkkuren mit den
dazu geeigneten Mineralwässern indiziert erscheinen. Stets wird mit der methodischen Anwendung
der Bäder und Trinkquellen die nach gleichen Wirkungen hinzielende Ernährungs- und psychische
Therapie verbunden werden. In ersterer Beziehung ist grosses Gewicht auf konsequente, öfter des
Tages vorzunehmende Zufuhr von nicht grossen Mengen kräftiger, leicht verdaulicher Nahrung zu
legen. Kisch lässt solchen Patienten alle drei Stunden eine roborierende Kost geben: Gute Milch,
kräftige Fleischbrühe, frisch ausgepressten Fleischsaft, Lenden, Wildpret, Geflügel, Spargel, Spinat
n.8.w., wobei oft Reizmittel nicht zu entbehren sind. Die psychische Beeinflussung hat nebst
Beruhigung die Aufgabe, die Patienten, welche oft die Empfindung haben, dass Bewegung die
Hetzanfälle steigert, systematisch in schonender Weise und stetiger Zunahme an verschiedene Be¬
wegungsformen zu gewöhnen. Von den bekannten Herzmitteln Digitalis, Strophautus, Convallaria
major y Adonis vera. sind kleine Gaben mehrerer solcher Mittel mit einander und in Verbindung mit
Eisenpräparaten empfehlenswerte
Fisch (Franzensbad), Kombinierte Herztherapie«
Die kombinierte Heiztherapie besteht in der Kombination rationell und systematisch aus¬
geführter Diäto-, Balneo-, Mechano-, Pharmako- und Klimatotherapie. Sie setzt für ihre erfolgreiche
Anwendung eine gewisse Reaktionskraft des Kranken voraus, und zwar muss jeder Herzkranke
zumindest im stände sein, kurzdauernde Reize, wie sie durch die obigen therapeutischen Maass¬
nahmen hervorgerufen werden, mit aktiver Hyperämie zu beantworten. Von der Breite dieser
Beaktionsfähigkeit soll überhaupt abhängen, wie und mit welchem Nutzen man die kombinierte
Heiztherapie verwenden kann und darf. Diese funktionelle Leistungsfähigkeit erkennt man mit
Hilfe des Gärtnerischen Ergostates, dessen methodische Anwendung zur Bestimmung des funk¬
tionellen Herzzustandes Mendelsohn und Gräupner fixiert haben Eine Ergänzung dieser Ergostat-
resultate hat Fisch durch Verwendung des Gärtner’schen Tonometers erhalten, indem er vor und
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nach gymnastischen Uebungen den Blutdruck maass und in dem jeweiligen Blutdruck das fand, was
die oben erwähnten Autoren in der »Erholung« als Maass für die Herzfunktion gefunden batten.
Man erhält also auf diesem Wege eine »funktionelle Herzdiagnostik« und kann die therapeutischen
Maassnahmen der funktionellen Leistungsfähigkeit des Herzens genau anpassen. Denn nach wie
vor bleibt die Hauptsache bei der Behandlung der Herzerkrankungen, dass die Arbeitsleistung des
Herzens in das richtige Verhältnis zu seiner Arbeitsfähigkeit gebracht, dass nicht Ansprüche er¬
hoben werden, die nicht zu befriedigen sind. Bei der Arbeit muss das schwache Heiz von jeder,
wenn auch nur kurzdauernden Ueberschreitung der Grenze seines Vermögens behütet werden. Es
darf nicht wie bei gesunden Herzen ein Auf und Ab in jähen Sprüngen erfolgen, es muss ein
Gleichmaass eingehalten werden.
Was vor allem die Diät anbetrifft, so wird am rationellsten eine gute, leicht verdauliche
gemischte Kost bei steter Berücksichtigung gewisser individueller Momente verordnet werden,
kleine Einzelmahlzeiten, die letzte nicht zu spät vor dem Schlafengehen. Bezüglich der durch Ge¬
wohnheit zum Bedürfniss gewordenen Genussmittel: Thee, Kaffee, Alkohol und Tabak, so muss
hier ebenfalls individualisiert werden, allgemein schematische Vorschriften sind unthunlich. Die
Anwendung von Brunnen in der Herztherapie ist nur dann angezeigt, wenn solche an Stelle anderer
Getränke gegeben werden können und zwar so, dass die Gesammtmenge der aufgenommenen Flüssig¬
keiten das normale tägliche Flüssigkeitsquantum von 2 bis 2 1 nicht überschreitet
Eine bei weitem wichtigere Rolle als den Brunnen kommt der Anwendung der Bäder in
der kombinierten Herztherapie zu. Die Arten dieser Bäder betreffend, können dieselben ebenso
gut natürliche wie künstliche Mineralwasserbäder sein; die Hauptsache besteht nur darin, dass die
nothwendigen Bestandtheile, wie der Gehalt an Salzen (Kochsalz und Chlorcalcium bis zu 3%)
und im schon fortgeschrittenen Stadium der Behandlung ein Gehalt an im Badewasser gebundener
freier Kohlensäure darin enthalten ist Die in der Herztherapie anzuwendenden Bäder sind die
Sool- und Kohlensäurebäder und deren Abstufungen, bezw. Verstärkungen (z. B. Nauheim, Oeyn¬
hausen, Homburg etc., Sool-, Thermal-, Sprudel-, Thermalstrom- und Sprudelstrombäder: Cudova,
Franzensbad, Pyrmont etc., künstliche Sool-, Mineral-, Stahlbäder etc.).
Die Mechanotherapie der Herzerkrankungen besteht in sogenannten heilgymnastischen und
Widerstandsbewegungen und in der Massage. Sowohl die Bewegungen wie die Massage be¬
zwecken, auf mechanischem Wege durch gegebene Reize Störungen des Herzens zu beeinflussen.
Die Heilgymnastik macht es sich zur Aufgabe, 1. eine Entlastung des venösen Kreislaufs durch
Verbesserung der CirkulationsVerhältnisse zu erzielen und damit wieder eine Erleichterung der
Herzarbeit, 2. eine Verbesserung der Herzmuskelbeschaffenheit, da dieselbe durch langsame, sich
steigernde Anforderungen zu verstärkter Thätigkeit angeregt und damit vermehrte Wachsthums¬
energie hervorgerufen wird, d. h. Verminderung der Dilatation und Wiederherstellung kompen¬
satorischer Hypertrophie. Die Anwendung von Digitalis, Tinctura Strophanti wird fast stets bei
gewissen Zuständen von Herzerkrankungen erforderlich sein, und sind diese beiden Arzneistoffe
schwerlich durch ein oder das andere Mittel zu ersetzen. In gewissen Fällen aber wird man auch
Reizmittel heranziehen müssen, um vorübergehend das allzu sehr geschwächte Herz anzufachen, wie
bei drohendem Lungenödem. Als solche Reizmittel sind zu nennen Aether, Kampher, ferner starke
Aufgüsse von heissem Kaffee und Thee mit Rum, Kognak etc.; bezüglich des Weines als Excitans
ist grosse Vorsicht geboten. In Fällen, wo mit dem Herzleiden noch Komplikationen bestehen,
wie z. B. Stauungsödem, wird man zu Diureticis wie Koffein, Diuretin oder ähnlichem greifen
müssen. Auch die Klimatotherapie ist als ein Glied der kombinierten Herztherapie anzusehen; am
besten befinden sich Herzkranko in der Ebene oder in mittleren Höhen bis zu höchstens 1000 m
Erhebung, an Orten, welche windgeschützt und staubfrei sind und zugleich einen nicht geringen
Feuchtigkeitsgrad (wegen der häufigen Komplikation von Bronchitis) haben. Demgemäss ist der
Aufenthalt an der Seeküste bei Vorhandensein der obengenannten klimatischen Faktoren ganz gut,
Seebäder im offenem Meere sind ausnahmsweise erlaubt bei guter kräftiger Herzthätigkeit, d. h.
wenn keine Herzinsufficienz besteht, bei ruhigster See, ziemlich hoher Wassertemperatur und bei
nur kurzem Verweilen im Bade. Als Winterstationen sind geeignet Abazzia, Südtirol, die Riviera
di Levante.
Was die Heilstättenfrage für Herzkranko anlangt, so ist Nauheim als erste Stätte dazu be¬
rufen, als eine spezielle Heilstätte bezeichnet zu werden, aber nicht etwa deshalb, weil die dortigen
natürlichen Sool- und kohlensauren Thermalbäder eine spezifische Heilwirkung haben und spezifische
Heilmittel darstellen, sondern vor allem weil ganz naturgemäss in der Entwicklung der Jahre die
Nauheimer Acrzte zu Spezialisten für Herzkrankheiten geworden sind. Die Heilstättcnfrage ist
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Berichte über Kongresse und Vereine.
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ihrer Lösung insofern etwas näher gerückt, als man heute schon über eine Reihe von Orten ver¬
fügt, die sich im Besitze ähnlich wirksamer Heilfaktoren befinden wie Nauheim, nämlich Kissingen,
Oeynhausen, Marienbad, Homburg, Soden, Tarasp, Driburg, St. Moritz, Pyrmont und andere.
t. Banmgarten (Tübingen), Ueber Immunität nnd Disposition besonders mit Bezug auf
Tuberkulose,
Redner bespricht zuerst die verschiedenen Formen der erworbenen Immunität, die Immunität
durch natürliche und künstliche Immunisierung. Er geht sodann auf die angeborene Immunität
über, die in der Thatsache zum Ausdruck kommt, dass ganze Ordnungen, Geschlechter, Spezies
und Rassen gegen bestimmte parasitäre Krankheitserreger von Natur, von Geburt her vollständig
unempfänglich sind. Diese angeborene Immunität scheint ihm nicht auf denselben Prinzipien zu
beruhen wie die erworbene. Nach Ablehnung der zur Erklärung der angeborenen Immunität auf¬
gestellten Metschnikoff'schen Phagocytentheorie sowie der Buchner’schen Alexintheorie sucht
er seine »Assimilationstheorie« der natürlichen Immunität etwas näher als bisher zu begründen. Er
geht dabei von den Ehrl ich ’ sehen Anschauungen über den physiologischen Emährungsvorgang der
Zelle aus, der durch besondere Receptoren der Seitenketten der Zellen vermittelt wird, welche
Receptoren sich mittels chemischer Affinität nur dasjenige, was für sie passt, aus der cirkulierenden
Slftemasse herausnehmen und in sich verankern. Besondere Receptoren der Seitenketten und ein
rczepdbles Nährmaterial sind für jede Zelle die nothwendigen Bedingungen des Lebens. Da nun
die Bakterien ebenfalls zellige Elemente sind, so müssen wir auch bei ihnen besondere Receptoren
der Seitenketten und ein für sie chemisch passendes Nährmaterial als Bedingungen ihres Lebens
Yoraussetzen. Wo die Bakterien nicht die für ihre Receptoren passenden Nährsubstanzen finden,
da müssen sie zu Grunde gehen. Das trifft nun — so darf man sich vorstellen — für die Körper¬
safte und Körperzellen bestimmter Thierspezies resp. des Menschen bestimmten Bakterien gegenüber
xu; aus diesem Grunde sind sie angeboren immun gegen die betreffenden Bakterien. Ob es ausser
der angeborenen Spezies »Immunität« und »Disposition« auch eine angeborene individuelle Immunität
und Disposition giebt, hält Redner für eine noch offene Frage. Diese Frage führt ihn auf das
Gebiet der Tuberkulose, deren Entstehung und Verbreitung von hervorragenden Autoren auch noch
heute von einer angeborenen oder auch erworbenen individuellen »tuberkulösen Disposition« ab¬
hängig gemacht wird. Baumgarten hält diese Anschauung nicht für erwiesen und auch nicht für
wahrscheinlich. Der Tuberkelbacillus, ohne dessen Einwirkung niemals Tuberkulose entstehen kann,
ist ein echter endogener Parasit und als solcher auf lebende Körpersubstanz in seiner natürlichen
Ernährung angewiesen. Die Erfahrung bat gelehrt, dass er für sämmtliche Warmblüterspezies, inklusive
die species homo, parasitisch angepasst ist. Nach Maassgabe der sehr zahlreichen Thierexperimente findet
sich bei keiner Spezies eine individuelle Disposition resp. Immunität gegen den Tuberkelbacillus aus¬
gebildet Es ist daher wenig wahrscheinlich, dass gerade nur beim Menschen eine solche existieren
soüte. Vielmehr seien höchstwahrscheinlich alle Menschen für den spezifischen Tuberkelbacillus ganz
gleich empfänglich. Dass nur ein bestimmter Prozentsatz der Menschen an Tuberkulose erkrankt und
stirbt, lasse sich auch ohne Annahme einer individuellen tuberkulösen Disposition leicht dadurch
erklären, dass nur eine Minorität der Menschen während ihres Lebens einer wirksamen tuberkulösen
Infektion ausgesetzt werde. Von der eigentlichen »tuberkulösen Disposition«, die den geeigneten
Entwicklungsboden für den spezifischen Bacillus bezeichne, seien zu trennen die Hilfsursachen für
den Invasionsakt, sowie für die Ausbreitung der Tuberkulose innerhalb des Körpers, bei welchen
Hilfsmsachen krankhafte Zustände der Körpergewebe, schwächende Einflüsse, sekundäre Infektionen
mit anderweitigen, namentlich pathogenen Mikroben zweifellos eine mehr oder minder wichtige
Rolle spielen. Die geistvollen Ausführungen v. Baumgarten’s fanden, wenn sie auch die Ver¬
sammlung in höchstem Grade fesselten, in der Bache doch mannigfachen Widerspruch, dem Lieb¬
reich (Berlin) dahin Ausdruck gab, dass er die Frage, ob Disposition oder Infektion, noch für offen
erklärte. Es komme hauptsächlich darauf an, inwieweit der Mensch bei gewisser Erniedrigung der
Zellenkraft für den Bacillus empfänglich wird. Die Kraft der Zellen werde nicht blos durch un¬
genügende Ernährung, sondern auch durch andere Einwirkungen und kulturelle Verhältnisse herab¬
gesetzt; insbesondere die letzteren müsse man bessern, um im Kampf gegen die Ausbreitung der
Tuberkulose Erfolge erzielen zu können. (Fortsetzung folgt.)
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Berichte über Kongresse und Vereine.
in.
2. Internationaler Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie.
Derselbe wird vom 1. bis 6. September 1902 in Bern abgehalten werden.
Die fünf Hauptthemata, welche auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, betreffen folgende
Gegenstände:
1. Der gegenwärtige Stand der Elektrodiagnostik. Ref.: Herr Dr. Cluzet (Toulouse),
Herr Dr. Mann (Breslau).
2. Die chirurgische Elektrolyse. Ref.: Herr Dr. Guilloz (Nancy).
3. Die Radiographie und die Radioskopie der inneren Organe. Ref.: Herr Dr. Böclöre
(Paris), Herr Prof. Grunmach (Berlin).
4. Die von den X-Strahlen verursachten Unglücksfälle. Ref.: Herr Dr. Oudin (Paris
5. Die Gefahren der industriellen Starkströme. Ref.: Herr Dr. Battelli (Genf).
Mit dem Kongress ist eine internationale Ausstellung elektrischer Apparate verbunden. Alle
näheren Mittheilungen werden durch den Schriftführer des Kongresses Herrn Dr. L. Schnyder,
Bern, Bundesgasse 38 bereitwilligst ertheilt R.
IV.
XI. Congresso nazionale di medicina interna (Pisa 27.-30. ottobre 1901).
In der Eröffnungsrede zum 11. Kongress innerer Aerzte Italiens giebt Baccelli ein Resumö
über die von ihm eingeführte Behandlungsweise mit intravenösen Injektionen. Er er¬
innert zuerst an die Erfolge, welche er mit dieser Methode der Chininapplikation bei den schwersten
Formen der Malaria gehabt hätte. Diese intravenöse Einverleibung des wirksamen Medikamentes
hätte eben den Effekt, dasselbe im Körper durch die Blutbahn überallhin, wo es nöthig wäre, hin-
zuschaffen. Auf der beschrittenen Bahn sei er weiter gegangen durch die Einführung der intra¬
venösen Sublimatinjektion bei Fällen schwerer Lues. Die Vorurtheile, die dem Verfahren entgegen¬
gestanden hätten, wären sehr gross gewesen, man hätte Gerinnungen, Infarkte etc. gefürchtet, aber
seine Experimente an Thieren hätten die absolute Ungefährlichkeit dargethan; ebenso sei auch am
Menschen nie eine unangenehme Erfahrung gemacht worden, was schliesslich auch von allen Nach¬
untersuchern, Lew in, Lang etc. anerkannt worden wäre. Die dritte Verwendungsmöglichkeit der
intravenösen Injektionen, und zwar ebenfalls die des Sublimates, hat Baccelli bei der Maul- und
Klauenseuche der Rinder inauguriert. Auch hier standen der Anwendung des Quecksilbers bei
Rindern Bedenken entgegen, die aber, wie Baccelli zeigt, gänzlich unbegründet sind. Baccelli
lässt die Thiere mit folgenden Dosen spritzen:
Kälber mit 0,02—0,04 g Sublimat pro dosi
Rinder » 0,04—0,06 * > ® »
Stiere • 0,06—0,08 » *> » »
Täglich 1—2 Injektionen.
Mit diesem Verfahren hat Baccelli die denkbar glänzendsten Erfolge gehabt, das Fieber der
Thiere sank rasch ab, Allgemeinbefinden, Fresslust, Munterkeit wurden rasch normal. Die lokalen
Geschwüre heilten rasch, sodass die Herstellung in 2—3 Tagen erfolgt war.
Baccelli hat bei dem Verfahren nur gute Erfolge gesehen.
Es folgen die Krankenberichte einiger Thierärzte über 162 Fälle, die so behandelt und her-
gestellt wurden. Die Praktiker verabfolgten die einzelne Injektion in die Jugularis, die Lösung
enthält auf 6 g aqua destillata 0,04—0,06 g Sublimat und 0,75 g Kochsalz.
M. Bial (Kissingen).
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Referate Aber Bücher and Aufsätze.
183
Referate über Bücher und Aufsätze.
L Diätetisches (Ernährungstherapie).
F.Mftller, Experimentelle Beiträge zur Eisen«
theraple. Deutsche medicinischeWochenschrift
1900. No. 51.
Die sehr interessanten, auf die dunkle Frage
der Chlorose und Anämie neues Licht werfenden,
unter der Leitung von Zuntz angestellten Unter¬
suchungen wurden an Hunden angestellt, welche
durch eisenarme Nahrung und Aderlässe anämisch
gemacht worden waren. Bei diesen bewirkte der
Zusatz von anorganischem Eisen zur Nahrung
eine deutliche Zunahme desGesammthämoglobins.
Durch Anlegung einer Ductus thoracicus-Fistel
konnte festgestellt werden, dass in nicht ätzender
Form (als Ferrum oxytartaricum) ein geführtes
anorganisches Eisen nicht auf dem Wege der
Lymphbahn, sondern auf dem Wege der Blut-
bahn zur Resorption kommt Das Knochenmark
der mit eisenhaltiger Nahrung gefütterten Thiere
enthielt viel mehr kernhaltige rothe Blut¬
körperchen, als das der anderen. Daraus schliesst
der Autor, dass das Eisen eine Wirkung auf das
Knochenmark ausübt, die er als formativen Reiz
(gesteigerte Neubildung von Vorstufen der Ery-
throcyteu) bezeichnet. F. Voit (München).
L. Metzger, Ueber den Einfluss von Nfthr-
kljsmen auf die Saftsekretton des Magens.
Aus der medicinischen Klinik in Giessen.
Münchener medicinische Wochenschrift 1900.
No. 45.
Die Versuche wurden angestellt erstens mit
Milcheiklysmen, bestehend aus 125 g Milch, 2 Ei¬
gelb, 2 g Kochsalz, zweitens mit Bouillonroth-
wdnklysmen, bestehend aus 100 g Bouillon, 50 g
Roth wein, 2 g Kochsalz. Zunächst machte Metzger
Vorversuche an Hunden, welchen eine Pawlow-
»che Magenfistel angelegt war. Das Resultat war,
dass nur der Rothwein eine sekretionssteigemde
Wirkung auf den Magen ausübte. Beim Menschen
war die Versuchsanordnung folgende: Nachdem
durch die Sondierung festgestellt war, dass der
nüchterne Magen kein salzsäurehaltiges Sekret
enthielt, wurde ein Wassereinlauf gegeben; war
dann nach einer Stande kein Inhalt im Magen,
so wurde das Nährklysma gegeben und von da
ab i/ 2 stündlich die Sondierung vorgenommen.
Auch bei den Versuchen am Menschen tritt der
Unterschied deutlich hervor, welchen der Zusatz
von Rothwein bewirkt. Metzger hat an ver¬
schiedenen Patienten im ganzen acht Milch-
eierklysmata gegeben und fand dabei gewöhn¬
lich bei der ersten Sondierung ein schleimiges,
salzsäurefreies Sekret, während das Auftreten
der freien Salzsäure, wenn überhaupt, meistens
erst nach anderthalb Stunden erfolgte. Uebri-
gens wurde meistens während des ganzen Ver¬
suches nur schleimiges Sekret oder nur ganz
schwache Kongoreaktion gefunden. Ganz im
Gegensatz hierzu fand Metzger bei den Bouillon-
rothweinklystieren gewöhnlich schon bei der
ersten Sondierung ein stark saures Sekret,
welches dann meistens nach einer Stunde ver¬
schwanden war. Auch beim Menschen hat Metzger
Kontrollversuche angestellt und die sekretions¬
erregende Wirkung des Rothweins bestätigt ge¬
funden. Verfasser ist der Meinung, dass es sich
um eine reflektorische Anregung der Magensaft¬
sekretion handelt. Die Untersuchungen des Ver¬
fassers haben für die Rektalemährung bei Ulcus
ventriculi, insbesondere bei Magenblutungen, prak¬
tische Bedeutung. W. Zinn (Berlin).
Robert Saundby, Non diabetic glycosnry.
British medical joumal 1900. 14. April.
Der auf dem Gebiete des Diabetes rühmlichst
bekannte Verfasser giebt in diesem Vortrag die
Erfahrungen wieder, die er über die Häufigkeit
der nicht diabetischen Glykosurie sowie über die
Diagnose und Prognose derselben gemacht hat
Die Untersuchungen des Verfassers haben einen
besonderen Werth, weil sie sich auf ein sehr
grosses Material eines Arztes beziehen, der ge¬
rade dem Diabetes eine besondere Aufmerksam¬
keit geschenkt hat. Die Erfahrungen des Autors,
die sich wohl mit denen der Mehrzahl anderer
Forscher in diesem Punkte decken dürften, er¬
gaben, dass die nicht diabetischen Formen von
Glykosurie doch recht selten sind. In 15 Jahren
hat er nur 69 solcher Fälle gesehen, und in elf
Fällen fand er eine reduzierende Substanz, die
nicht Zucker war. Er theilt die Fälle von nicht¬
diabetischer Glykosurie ein: in Fälle von Pseudo-
glykosurie, von alimentärer Glykosurie und von
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184
Referate über Bücher und Aufsätze.
pathologischer Glykosurie. Als Ursache für die
von ihm beobachtete nichtdiabetische Glykosurie
nennt Saundby chronischen Alkoholismus,
chronische Hepatitis, dann Gicht, Muskelrheuma¬
tismus , Nervenerkrankungen, Infektionskrank¬
heiten; auch senile Formen hat Saundby be¬
obachtet. Unter den Nervenkrankheiten macht er
fünfmal Neurasthenie und zweimal Gehirnblutung
für Glykosurie verantwortlich. Bemerkenswerth
ist, dass unter den Infektionskrankheiten die
Influenza eine besondere Rolle spielt. Dem
Alkoholismus scheint der Autor nach der An¬
sicht des Referenten vielleicht eine etwas zu
grosse Bedeutung für die Entstehung der nicht
diabetischen Glykosurie beizumessen, da nach
den Untersuchungen des Referenten, die auch
von anderer Seite bestätigt sind, wohl akute Zu¬
stände im Verlaufe des Alkoholismus relativ
häufig alimentäre Glykosurie aufkommen lassen,
während der unkomplizierte chronische Alkoho¬
lismus die Disposition zur alimentären Glykosurie
im allgemeinen nur in geringem Grade erhöht.
Man kann es nur unterschreiben, wenn der Autor
hinsichtlich der Diät bei den hier besprochenen
Fällen recht maassvolle Forderungen stellt Er
warnt vor allem davor, bei alten Leuten mit der
Kohlehydratentziehung irgendwie zu weit zu
gehen. Man soll solchen Leuten nur Zucker und
süsse Weine entziehen, ihnen aber Kartoffel,
Mehl und Brot ruhig überlassen; überhaupt soll
man bei diesen nichtdiabetischen Fällen die Diät
nur gewissermaassen als Experiment zur Auf¬
deckung des Verhaltens der Glykosurie benutzen
und in der praktischen Therapie solcher Fälle
keine rigorose Diätmaassregeln anordnen.
H. Strauss (Berlin).
Syenson, Stoffwechsel versuche an Rekon-
valescenten« Zeitschrift für klinische Medicim
Bd. 43. Heft 1 und 2.
Der Verfasser hat sich bemüht, die Art und
Weise zu bestimmen, nach welcher sich der
Regenerationsprozess in der Rekon valescenz akuter
Krankheiten vollzieht Bei Typhusrekonvales-
centcn konnte er in der ersten Periode nach dem
Fieberabfall subnormale Werthe für den Sauerstoff¬
verbrauch und die Kohlensäureproduktion sowohl
im nüchternen Zustande wie in der Ruhe kon¬
statieren. Nach kurzer Zeit machen diese sub-
normalen Werthe grösseren Platz, und nach und
nach kommen sowohl für den Saueretoffverbrauch
wie für die Kohlensäureproduktion abnorm hohe
Zahlen zum Vorschein. Nach einer Periode der
Akme nehmen diese Zahlen wiederum ab und
kehren allmählich zur Norm zurück. Der respira¬
torische Quotient ist zum Beginn der Rekonvales-
cenz niedrig; mit dem Anwachsen der 0- und
C0 2 -Werthe nimmt er zu und erreicht eine be¬
trächtliche Höhe. Allmählich nimmt auch der
respiratorische Quotient ab und kehrt langsam
zur Norm zurück.
Boi Pneumonierekonvalescenten zeigt der
Gaswechsel die gleichen Eigenthümlichkeiten, nur
viel weniger ausgesprochen wie beim Typhus.
Mit dem Eintritt in die Rekonvalescenz zeigt
der Organismus das Bestreben, Stickstoff an¬
zusetzen ; der Ansatz ist so lebhaft, wie bei keinem
anderen physiologischen Vorgang. Zuerst kann
unter Umständen der N-Ansatz durch vermehrte
N-Ausscheidung infolge von Resorption ent¬
zündlicher Exsudate verdeckt werden. Der Sauer¬
stoffmehrverbrauch bei Muskelarbeit ist beim
Typhusrekonvalescenten bedeutend grösser als
beim normalen Menschen; t beim Pneumonie¬
rekonvalescenten dagegen weicht er nicht er¬
heblich von der Norm ab.
Diese Resultate sind recht überraschend.
Abgesehen von der kurzdauernden Herabsetzung
der Oxydationsvorgänge unmittelbar nach dem
Eintritt der Rekonvalescenz finden wir nirgends
auch nur eine Andeutung einer Reduktion der
Stoff Wechsel Vorgänge. Im Gegentheil, es zeigt
sich sogar, dass sowohl im nüchternen Zustande
wie nach Nahrungsaufnahme und bei Muskelarbeit
ein grösserer 0-Verbrauch als in der Norm statt-
findet. Der Rekonvalescent verbraucht somit
ceteris paribus mehr Spannkräfte als der Gesunde;
und bei der gleichen Nahrungsmenge würde das
Körpergewicht des Gesunden noch stärker zu¬
nehmen, als dasjenige des Rekonvalescenten.
Freyhan (Berlin)
George D. Barney, Diabetes melitus with
special reference to its treatement with
the double bromide of gold and arsenic.
New-York medical journal 1900.
Die Prognose des Diabetes war niemals
günstiger als in der gegenwärtigen Zeit, wo man
den Werth, den die diätetische Behandlung hat,
erkannt hat und bemüht ist, neben der strengen
Durchführung derselben das individualisierende
Moment voll und ganz zur Geltung kommen zu
lassen. Die Monotonie der Kost ist zu vermeiden;
wo Brot zulässig ist, reiche man solches von
feinem Weizenmehl, Milch beschränke man auf
die durchaus nothwendige Ration; körperliche
Gymnastik ohne körperliche Ueberanstrengung,
ebenso geistige Anregungen sind die Behandlung
fördernde Momente. Rationelle Diät in Verbin¬
dung mit einer medikamentösen Behandlung ver¬
sprechen gute Resultate. Was letztere anbetrifft,
so hat man früher Opiate, Secale etc. empfohlen,
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Referate über Bücher und Aufsätze.
185
sie alle aber haben sich als unzuverlässig, theil-
weise sogar als schädlich erwiesen. Dagegen hat
der Nachweis, dass der Diabetes eine schwere
Stoffwechselstörung in sich begreift, die mit einer
unzureichenden Zellenernährung einhergeht, das
Augenmerk auf eine Doppel Verbindung von Brom¬
gold und Arsen gelenkt, in Fachkreisen unter
dem Namen »Arsenauro« bekannt. Diese Ver¬
bindung enthält die kräftigsten Bestandtheile der
beiden Metalle, deren Kombination ausserordent¬
lich günstige Wirkungen auf das Glykogen¬
zentrum, auf die nervösen Elemente, auf Ver¬
dauung und Blutbeschaffenheit auszuüben ver¬
mag. Verfasser will in der Mehrheit der Fälle
rapide Fortschritte bei dem Gebrauch dieses ;
Präparates erzielt haben und belegt dieses durch
Anführung einer Reihe von Krankengeschichten.
Die Menge des Zuckers verminderte sich, das
Dnretgefühl wurde geringer, die psychische De¬
pression schwand, die Ernährung des Körpers
wurde eine bessere. Man giebt Arsenaurum
nach dem Fleisch, und zwar mit fünf Tropfen
beginnend und von Tag zu Tag um einen Tropfen
steigend. Neigung zu Diarrhöen, kolikartige
Sehmerzen, leichte Augenanscbwellungen sind
die Indikation für Aussetzen des Mittels. Die
Grenze der Dosen ist verschieden, einige er¬
reichen dieselbe mit 10 Tropfen, andere wieder
erst mit 30—40. J. Marcuse (Mannheim).
J« U. Gaudenz, Ueber die Zerkleinerung
und Lösung von Nahrungsmitteln beim
laoakt* Archiv für Hygiene 1901. Bd. 39.
Heft 3. S. 230.
Verfasser hat die Einwirkung des Kauaktes
auf die Nahrung exakt zu bestimmen gesucht,
wobei die Kauthätigkeit freilich nur der Zeit
nach gemessen werden konnte. Es wurde ein
Bissen, dessen Grösse für die verschiedensten
Substanzen eine nahezu konstante Grösse dar¬
stellt, so lange gekaut, bis sich der Trieb zum
Schlucken einstellte, dann die gekaute Masse
ausgespült und auf den Grad der Zerthcilung
und Lösung untersucht Verfasser stellt seine
Ergebnisse in Tabellen zusammen, von denen
sich die erste auf ei weisshaltige Stoffe: hart¬
gekochtes Eiweiss, Käse, Fleisch bezieht. Die
grössten Theilchcn, von denen stets nur wenige
gefunden wurden, hatten 7—9 mm Durchmesser,
Stücke von über 12 mm werden beim Schlucken
mückgehalten. Dabei gehen etwa 12—18%
des Gewichts der gekauten Substanz in Lösung.
Die zwei anderen Gruppen von Nahrungsmitteln,
die Verfasser unterscheidet, stärkereiche Vegeta-
büien, wie Makaroni, Kartoffeln, und zucker-
Zdtsehj». t diät u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 8.
reiche, wie Aepfel, gelbe Rübe, Rettig, sind
wesentlich in Bezug auf die Löslichkeit ver¬
schieden, indem bei den ersteren mindestens
27—40%, bei den zweiten 30—60<>/ 0 gelöst
werden. R. du Bois-Reymond (Berlin).
Albert Robin, Conaidlrations sur le rlgime
des albumlnuriqueg. Bulletin glnlral de thöra-
peutique 1901. Heft 6.
Die Frage, welches Regime das geeignetste
bei Albuminurie sei, wird bisher nicht einheitlich
beantwortet. Meist wurde bisher die Milchdiät
empfohlen, in letzter Zeit mehrten sich die
Stimmen für vegetabilische statt animalischer
Kost.
Unter Berücksichtigung der ausgeschiedenen
Ei weissmenge, der Ernährungsweise, des Nieren¬
leidens und des allgemeinen Kräftezustandes des
Patienten kommt Ro bin bei seinen Beobachtungen
zu folgenden Schlusssätzen:
I Die absolute Milchdiät und die lakto-
vegetabile Kost und die lakto-animale
Diät geben gewöhnlich weniger Eiweiss
als Kompositionen, denen Milch fehlt
2. Die Ei weissmenge wächst, wenn Wein an
die Stelle von Milch tritt.
3. Die Ernährung mit Eiern liefert weniger
Albumin als Fleisch regime.
4. Eine aus Eiern und Milch zusammen¬
gesetzte Kost giebt oft weniger Albumin
als absolute Milchdiät
5. Unter den Fleischarten bekommen dem
Patienten Kalb- und Ochsenfleisch besser
als Huhn- und Hammelfleisch.
6. Fisch scheint die Albuminurie stets zu
steigern.
7. Unter den Vegetabilien geben die Kar¬
toffeln, der Blumenkohl und Reis am
wenigsten Eiweiss.
8. Brot hat als Beigabe keinen Einfluss auf
Albuminurie. Schilling (Leipzig).
Eiemir Fornet, Pathologie und Therapie
derObesitttt. Orvosi hetilap 1901. No. 22—24.
Die Obesität ist eigentlich eine anhaltende
Unverhältnissmässigkcit zwischen Fettbildung und
Fettkonsum ption, und zwar auf Rechnung letzterer.
Der Nahrungsüberschuss führt im Verhältnisse der
Kalorieenwerthe zur Fettbildung und Fettnieder¬
lage, und zwar sämmtlicher Nährstoffe, des Ei-
weisses sowohl, wie des Fettes und der Kohle¬
hydrate. Die Fettbildung führen einige (J a q u e t,
Ivenson) auf verminderte Wärmekonsumption
zurück; und faktisch ist der Organismus im stände,
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186
Referate über Bücher und Aufsätze.
in gewissen Fällen wenigstens transitorisch die
Wärmekonsumption zu vermindern und so das
Fettgewebe des Organismus zu schützen, andere
aber führen die Ursache auf verminderten Stoff¬
wechsel zurück und hierauf deuten die Heriditäts-
verbältnisse, die Kastration und gewisse Formen
der Impotenz; hierfür sprechen ferner jene Fälle,
in denen trotz ausserordentlicher Verminderung
der Nahrungsaufnahme kein Resultat zu erzielen
ist. Die Eintheilung der Obesität in anämische
und hyperämische Form hält Verfasser für un¬
richtig; er empfahl schon vor Noorden die Ein¬
theilung in komplizierte und in komplikations¬
freie Krankheitsformen. Die Herzmuskeln sind
oft in schweren Obesitätsfällen frei, ein anderes
Mal wieder erkranken sie früh; zur Erklärung
dieses Umstandes nimmt er eine kongenitale oder
acquirierte schwächere Resistenzfähigkeit seitens
des Herzens an. Das Wesen der Behandlung
ist, den Organismus in Kaloricendefizit zu bringen;
bei dem diätetischen Verfahren legt er das Haupt¬
gewicht auf die ungenügende Wärmeeinführung.
Eine massige Wasserentziehung befürwortet er be¬
sonders bei Zirkulationsstörungen. Dieglauber-
salz- und kochsalzhaltigcn Mineralwässer
heben, den Untersuchungen Zuntz* und Löwy’s
gemäss, mit 20% die Oxydation, ihr Gebrauch
ist besondere in Anbetracht der Komplikationen
höchst indiziert. Die Dosierung von Thyreoidea
hält er für gefährlich; die Wirkung der Bäder auf
das Herz hält er hoch. Die individuelle Arbeits¬
ausmessung ist ein wesentliches Postulat. Er ist
Anhänger der zweckbewusst kombinierten Heil¬
methoden; er warnt vor jeder Uebertreibung;
den häufigeren milderen Einwirkungen giebt er
den Vorzug vor dem drastisch wirkenden Ver.
fahren. J. Honig (Budapest).
B. Gymnastik.
Anton Bum, Handbuch der Massage und
Heilgymnastik. 3. Aufl. Berlin-Wien 1902.
Urban und Schwarzenberg.
Innerhalb eines Lustrums ist von diesem vor¬
trefflichen Handbuch bereits die 3. Auflage er¬
schienen. Der Herausgeber hat es sich abermals
angelegen sein lassen, die ausserordentlichen Fort¬
schritte, welche die physikalische Therapie von
Jahr zu Jahr macht, in eingehender Weise zu
berücksichtigen und das schon in seinen ersten
beiden Auflagen recht umfangreiche Werk durch
Hinzufügung neuer Kapitel bezw. Ergänzung der
bereits vorhandenen zu vervollständigen. — Neu
bearbeitet ist vor allem der Abschnitt, welcher
sich mit der kompensatorischen, der bahnenden
und der hemmenden Uebungstherapie beschäftigt,
ein Kapitel, in welchem der Autor selbst auf
Grund der Behandlung von 52 Ataktikem, die
er während der letzten Jahre ausgeführt hat, hin¬
reichende Erfahrungen sammeln konnte. — ln
sehr eingehender Weise sind auch die Herz’schen
Apparate berücksichtigt worden. Das Litteratur-
verzeichniss, welches am Ende des Bandes bei¬
gefügt ist, darf von Bum mit Recht als »fast
lückenlos« bezeichnet werden.
So wird auch die 3. Auflage dieses Hand¬
buchs dazu beitragen, den Wunsch des Heraus¬
gebers zu erfüllen: »Die Mechanotherapie zum
Gemeingut des praktischen Arztes zu gestalten.«
Paul Jacob (Berlin).
A. Lorenz, Ueber die Behandlung der Knie¬
ankylosen mittels des modellierenden (Re¬
dressements. Aus dem Univereitäts-Ambula¬
torium für orthopädische Chirurgie in Wien.
Wiener klinische Rundschau 1901. Heft 40, 42,
43, 44.
Der um die unblutige Reposition der kon¬
genitalen Hüftluxation hochverdiente Autor tritt
in der vorliegenden Abhandlung auch für die
unblutige Behandlung der veralteten Knie¬
ankylosen ein. Als Indikation für die blutige
Behandlung lässt Lorenz nur die flächenhafte,
knöcherne Ankylose der Gelenkkörper gelten,
wie sie sich in höchstens 5 % aller Knie¬
ankylosen findet
Unter den operativen Eingriffen sind die
suprakondyläre Osteotomie und Osteo¬
klasie, desgleichen die Keilexcision zu ver¬
werfen; eretere verstossen gegen das Priuzip der
1 centralen Korrektur im Scheitel des Deformitäts-
winkels; letztere kann infolge Verletzung der
I Epiphysonknorpel zur Wachsthumshemmung und
infolge ausbleibcnder Synostosierung der Knochen-
I wundflächen zum Recidivieren der Beuge-
I kontraktur führen. Diese Nachtheile entfallen bei
I den konservativen Methoden von Helfe rieh
und Koch: blutige Trennung der retrahierten
Weichtheile, bogenförmige Resektion der Gelenk-
enden unter Schonung der Epiphysenlinie.
Alle übrigen Knieankylosen (95%) sind un¬
blutig zu behandeln. Das Redressement forcö
ist wegen seiner Gefährlichkeit (Zerrcissung der
Kniekehlenweichtheile, Frakturen der Tibia und
des Femur, bcs. der Regio supracondylica, Fett*
embolien) zu verwerfen. An seine Stelle ist das
modellierende Redressement getreten.
In leichteren Fällen kam Lorenz nach
dem Etappen vorgange von Wolff ohne Narkose
zum Ziele; an Stelle des manuellen (Wolff)
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Referate über Bücher and Aufsätze.
187
Redressements verwendete L o r e n z die schonende,
instrnmentelleExtension in seinem bekannten, treff¬
lich regulierbaren Hüftredresseur. ln schwie¬
rigen Fällen verwendete Lorenz seinen
Redresseur-Osteoklasten. In Halbnarkose
wurde das Kniegelenk mittels Schraubenexten¬
sion und eines adressierenden Bindenzugeis
ganz allmählich mit zahlreichen Unter¬
brechungen überstreckt, welcher Eingriff ein bis
zwei Stunden in Anspruch nahm. Die Knie- I
kehlensehnen tenotomierte Lorenz nur ausnahms¬
weise, wenn sie nach vollzogener Streckung
sehr stark vorsprangen. Grosse Vorsicht ist bei
poplitealen Narben erforderlich. Nach dieser
Methode gelang es Lorenz, auch spitzwinklige
Ankylosen in einer Sitzung gerade zu strecken.
Stumpfwinklige Ankylosen wurden nach der
Korrektur sofort in voller Strecklage im Gips-
verbande fixiert; recht- und spitzwinklige
Ankylosen werden auch nach vollkommener
Redression vorerst in leichter Beugestellung
und erst sekundär in den nächsten zehn Tagen
allmählich in die Streckstellung überführt.
Durch diese Vorsichtsmaassregel wird eine
Peroneusparalyso vermieden. Der Fixations¬
verband bleibt mehrere Monate liegen und wird
hierauf durch einen Schienenhülsenapparat ersetzt,
welcher 1 —2 Jahre getragen werden soll. Auch
weiterhin sind tägliche Streckbelastungen des
Kniegelenks mittels Auflegen eines 5—10 kg
schweren Sandsackes vorzunehmen, wodurch der
Neigung zur Beugerezidive entgegengearbeitet
wird. Verfasser hat das modellierende Redresse¬
mentim Laufe des letzten Decenniums an hunderten
von Fällen erprobt ohne jemals einen ernsten
Zwischenfall zu beobachten.
Paul Lazarus (Berlin).
SehultlieBs, Bericht über die Behandlung
der Rückgrats Verkrümmungen vom 1. Ja-
Haar 1895 bis 31. Dezember 1900. Zeitschrift
für orthopädische Chirurgie Bd. 9. Heft 3.
Schulthess beschreibst zunächst seine Fort¬
schritte in der Skoliosenbehandlung, insbesondere
durch Anwendung der von ihm konstruierten
komplizierten Pendelredressionsapparate, deren
Gebrauch durch viele Abbildungen veranschau¬
licht wird.
Vom Stützkorsett wird nur in sehr be¬
schränktem Maasse Gebrauch gemacht.
Die Therapie wird durch wiederholte Mes¬
sungen kontrolliert
Interessant sind die mit grösstem Fleiss und
rühmlicher Selbstkritik zusammengestellten Er¬
folge bei über 600 Skoliosen.
Dass diese Erfolge deutlich erfreulicher ge¬
worden sind, als früher, dafür erblickt
Schulthess den Grund in der verbesserten
Konstruktion seiner Pendelapparate.
Vulpius (Heidelberg).
Lovett, The mechanics of lateral curvature
as appUed to the treatment of severe CAses«
Boston medical and surgical journal 1901. No. 18.
Lovett ist der Ansicht, dass eine habituelle
nicht fixierte Skoliose sich in ihr Spiegelbild ver¬
wandle, wenn die Wirbelsäule aus gebeugter
l Stellung in extendierte Stellung übergeführt
I wurde. Diese Beobachtung will er für die The-
I rapie verwerthen, und zwar will er die Extension
erzeugen durch Abflachung der antero-posterioren
Krümmungen, durch Beseitigung der lumbalen
Lordose.
Von der Wirkung forzierter Extension auf
fixierte Skoliosen verspricht er sich nicht viel,
da das Leichenexperiment ihm ergab, dass Druck
auf den Rippenbuckel Verstärkung der seitlichen
j Biegung und umgekehrt hervorrufe.
' Jedenfalls betrachtet er das Anlegen eines
| redressierenden Verbandes nur als Vorläufer
gymnastischer Behandlung.
Vulpius (Heidelberg).
Deschauipg, Un appareil de soutien car-
diaque. Ceinture hygiönique. Bulletin de la
sociötö de thörapeutique 1901. 8. Mai.
Verfasser beschreibt einen Herzstützapparat,
welcher sich etwas von denen von Abböe und
Hel len dal beschriebenen unterscheidet. Eine
trageförmige Pelotte wird über die Gegend der
linken Mammilla gelegt, in seinem unteren Th eil
durch eine elastische rund um den Thorax ver¬
laufende Binde fixiert und nur locker an seinem
oberen Theile durch ein hosenträgerähnliches
Band vermittels der linken Schulter gehalten.
Diese Pelotte soll die Herzhyperästhesie ver¬
mindern, den Blutdruck steigern und die Herz¬
arbeit erleichtern. Die Indikation zur Benutzung
bildet besonders Herzschwäche bei herabgesetz¬
tem Blutdruck, wie sie namentlich bei gewissen
nervösen Herzaffektionen, Herzmuskelerkran¬
kungen, Rekonvalescenz nach Krankheiten etc.
vorkommt.
Die Pelotte ist bequem zu tragen, und man
gewöhnt sich bald daran. Nur ist es nothwendig,
sie öfters am Tage fortzulassen, auch istesunnöthig,
sie nachts zu tragen. Verfasser denkt sich, dass
die Pelotte durch Reizung des Myokards berz-
kräftigend wirkt. Wenn man sich nicht an die
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188
Referate über Bücher und Aufsätze.
befestigende Thorazbinde gewöhnen kann, so j
kann man auch die Pelotte allein tragen, die I
dann allerdings nur durch die Kleider gehalten
wird. Bei Frauen lässt sich der Apparat wegen
des Korsets nicht anwenden.
Determann (St.Blasien).
C. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Karl Ullmann, Ueber die Heilwirkung der
durch Wärme erzeugten lokalen Hyperämie
anf chronische und infektiöse Geschwürs- I
prozesse. Wiener klinische Wochenschrift 1901. I
No. 1. I
Während die Behandlung hartnäckiger |
ulceröser Prozesse der Haut mittels heisser
Wasserstrahlen und sonstiger lokaler Applikation
von heissem Wasser seit längerer Zeit schon
durch die Arbeiten von Goldscheider, Kind-
ler, Welander, Hebra u. a. bekannt ist, hat
sich U11 mann zum ersten Male in einer
grosseren Reihe von Fällen zu diesem Zwecke
der trockenen, heissen Luft, und zwar in
Form der bekannten lokalen Heissluftbäder be¬
dient. Die heilende Wirkung derselben bei ul-
cerösen Prozessen, speziell bei Ulcus molle,
beruht nicht, wie vorwiegend bei den erstge¬
nannten Behandlungsarten, auf direkter Abtötung
der pathogenen Bakterien, sondern lediglich auf
dem heilsamen Einflüsse der durch die heimse
Luft hervorgerufenen starken Hyperämie und
ödematösen Durchtränkung der Gewebe.
Der Verfasser bediente sich der bekannten ein¬
fachen, nach dem System von Bier und von
Krause konstruierten lokalen Heissluft¬
kästen, und setzte darin den die betreffende
Uleeration tragenden Körpertheil Temperaturen
von 800 C beginnend bis zu 160° C ansteigend ca.
s/ 4 Stunden lang täglich aus. Das Verfahren ist
vollständig schmerzlos und ohne jede schäd¬
liche Nebenwirkung. Ul 1 mann wandte dasselbe
mit bestem Erfolge in einer Reihe von Fällen
von hartnäckigem Ulcus molle, auch bei den
serpiginösen Formen, an; ferner bei ulceriertem
syphilitischem Primareffekt (wobei aller¬
dings der Verlauf der allgemeinen Syphilis
unbeeinflusst blieb) und bei anderen syphiliti¬
schen Hautulcerationen. Einen ebenso guten
Erfolg erzielte er bei schmerzhaften Rhagaden
und Erosionen ad anum, überhaupt bei durch
irgend welche Ursache entstandenen atonischen
und torpid verlaufenden Ulcerationen
der Haut, besonders auch bei Ulcus cruris.
Die Heilerfolge sind durch eine Reihe von
j Krankengeschichten und Abbildungen erläutert,
I aus denen die günstige Wirkung der lokalen
Heissluftbehandlung gerade in den Fällen von
Ulcerationsprozesscn mit sonst schlechterHei-
lungstendenz deutlich hervorgeht.
A. Laqueur (Berlin).
Stifter, Ueber Herzheilbäder. Münchener
medicinische Wochenschrift 1901.
Unter den kohlensäurehaltigen Bädern,
die zur Behandlung von Herzaffektionen zur An¬
wendung kommen, sind zwei Formen nach
Stifler scharf zu unterscheiden: das kohlen-
saure Stahlbad, in dem hauptsächlich die
Kohlensäure allein das wirksame Agens bildet,
und das Thermal - Soolbad, in dem neben
der Kohlensäure noch die Salze, die das Bad
enthält, eine wichtige Rolle spielen. Während
das kohlensaure Stahlbad (Typus: Bad Steben
in Bayern) die Cirkulation direkt, durch pri¬
märe Reizung der peripheren Gefäss-
bezirke (Erweiterung der Kapillaren des grossen
Kreislaufs) in dem gewünschten Sinne be¬
einflusst, geschieht dies bei dem Thermal-
Soolbad (Typus: Bad Nauheim) auf in¬
direktem, reflektorischem Wege, durch Be¬
einflussung der Centren für Heiz- und Gefass-
innervation infolge der Reizung der sensiblen
Hautnerven durch die Soolen. Danach er¬
geben sich auch die Indikationen für die
beiden verschiedenen Bäderarten: das kohlen¬
saure Stahlbad ist da anzuwenden, wo der
Hauptausgleich der Cirkulationsstörungen in dem
Kapillarsystem des grossen Kreislaufes zu suchen
ist, also bei Aortenfehlern und Arterio¬
sklerose; dae Thermal - Soolbad dagegen
bei den übrigen organischen Herzerkrankungen,
Mitralfehlern, Degeneration und Dila¬
tation des Herzens, da hierbei auf das Ka¬
pillarsystem des kleinen Kreislaufs und auf das
Pfortadergebiet hauptsächlich eingewirkt werden
muss. Bei komplizierten Zuständen von Herz-
insufficienz verwischen sich natürlich dieseGrenzen.
A. Laqueur (Berlin).
E. Hellmer, Das Sandbad (Ardnation). Cen¬
tral bl. für die gesammte Therapie 1901. Heft 7.
ln den primitivsten Formen war das Sand
bad schon im Alterthum im Gebrauch, wie auch
jetzt noch bei verschiedenen Naturvölkern: Man
grub am Strande des Meeres in dem von der
Sonne durchwärmten Sande eine Grube, legte
den Kranken hinein und bedeckte ihn bis zum
Kopfe mit einer mässig dicken Sandschicht; nach
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Referate über Bücher und Aufsätze.
189
einiger Zeit nahm dann der Kranke ein Bad in
der See, theils zur Reinigung vom Sande, theils
zur Abkühlung. An dieser Technik hat sich
nicht viel geändert Zur Vermeidung der Kon¬
gestion gegen den Kopf kühlt man diesen fleissig
mit kalten Kompressen. Der Kranke bleibt
20 Minuten bis zu einer Stunde im Sandbade und
bekommt dann eine kalte Prozedur, um die er¬
weiterten und erschlafften Hautgefäese zur Kon¬
traktion zu bringen, die angchäufte Wärme ab¬
zuleiten und eine energische Reaktion herbei¬
zuführen. Es kommen in Betracht: das Laken¬
bad (8—100), das Halbbad (16—18«), das Voll¬
bad (10°) etc. Um die Schweisserregung noch
mehr zu steigern, kann man auch an das Sand¬
bad eine trockene Einpackung von circa einer
Stunde anschliessen und dann erst die kalte
Prozedur folgen lassen. Die Wirkung der Sand¬
bäder, bei denen man Temperaturen von 47 bis
53°, bei lokalen Applikationen sogar bis 63°
verwendet, lässt sich am ehesten mit den heissen
Luftbädern vergleichen. Die Körpertemperatur
steigt um 1 — 1,5°, der Puls beschleunigt sich
um 15—20 Schläge, die Respiration um circa
20 Äthernzüge in der Minute. Der ganze Körper
kann in der Stunde 1—3 kg an Schweiss verlieren.
Indiziert sind die Sandbäder beim chronischen
Gelenk- und Muskelrheumatismus, bei Arthritis
deformans, Ischias, Adipositas universalis, bei
Hydropsieen renaler Provenienz, Lues, torpider
Skrophulose, Metallkachexien, rükständigen Ent¬
zündungsprodukten, Exsudaten und Transsudaten
etc. Gegenanzeigen bilden hauptsächlich or¬
ganische Erkrankungen des Herzens und der
Geflsse, Konsumptionskrankheiten und alle
akuten und entzündlichen Zustände. Die Sand¬
bader werden jeden zweiten Tag appliziert und
in der Zwischenzeit weniger energische Proze¬
duren — feuchte Einpackungen etc. — ein¬
geschaltet Forchheimer (Würzburg).
Behren», Einfluss der Witterung auf Diph¬
therie, Scharlach, Masern und Typhus.
Archiv für Hygiene Bd. 40. Heft 1.
Behrens hat in umfangreichen Tabellen die
von 1888 — 1897 in Karlsruhe allmonatlich zur
Anzeige gelangten Erkrankung»- und Todesfälle
an Diphtherie, Scharlach, Masern und Typhus, sowie
die prozentische Veitheilung derselben auf die
einzelnen Monate nach Temperatur- und Feucbtig-
keitsgruppen und nach Niederschlagsmengen ge¬
ntu registriert, auch die allgemeinen Witterungs¬
beobachtungen für jedes Monatssechstel des be¬
treffenden Dezenniums auf gezeichnet, und sucht
an der Hand des gefundenen Zahlenmaterials
Anhaltspunkte für die Frage zu gewinnen, wel¬
chen Einfluss der Witterungscharakter überhaupt
und gewisse meteorologische Momente (Luft¬
temperatur, Luftfeuchtigkeit, Windstärke, Nieder¬
schläge) im besonderen auf die genannten Affek¬
tionen ausüben. Auch für Berlin, Breslau, Bremen
sind die entsprechenden Zahlenwerthe tabellarisch
zusararaengestellt und zum Vergleich herangezo¬
gen. Da bezüglich der Sonnenscheindauer erst
seit 1895 statistische Notizen für Karlsruhe vor¬
liegen, so konnte der von Ruhemann wieder¬
holt (Zeitschrift für diätetische und physikalische
Therapie 1898. Bd. 1. Heft 4, 1901. Bd.4. Heft 4)
betonte Zusammenhang zwischen diesem Witte¬
rungsfaktor und zwischen Morbidität resp. Mor¬
talität an Infektionskrankheiten keine Berück¬
sichtigung finden. Die Ergebnisse der sorgfälti¬
gen und mühsamen Berechnungen des Verfassers
lassen sich in folgenden Sätzen zusainmenfassen:
Diphtherie wird am häufigsten bei kaltem
und massig warmem Wetter beobachtet, während
eine starke Erhöhung * oder Erniedrigung der
Temperatur auf ihre Ausbreitung hemmend zu
wirken scheint; die höchsten Erkrankungsziffem
fallen zusammon mit hohem Hygrometerstand,
geringen Niederschlagsmengen, wenigen Nieder¬
schlagstagen, rauher und trüber Witterung und
Uebergang von kaltem zu warmem Wetter. Schar¬
lach tritt bei jeder Witterung gleich stark auf,
doch scheint rauhes, massig warmes und trübes
Wetter die Krankheit ebenso zu fördern wie ein
Temperaturwechsel nach oben. Masern erreichen
ihren Höhepunkt bei kaltem Wetter, mittlerer
relativer Luftfeuchtigkeit und reichlichem Regen.
Typhus ist gleich häufig bei warmer wie bei
kühler Temperatur, und wird in seinem Auftreten
durch trübes und regnerisches Wetter ausser¬
ordentlich begünstigt. Hirschel (Berlin).
K. Spiewaczewsky, Die Schwankungen in
der Menge der atmosphärischen Nieder¬
schläge und die Morbidität an der Grippe.
Meteorologitschesky Westnik 1900. No. 5.
T. Schwerin, Der Zusammenhang zwischen
der Morbidität und den meteorologischen
Erscheinungen. Meteorologitschesky Westnik
1900. No. 5.
A. Perwow, Das Verhältnis der Morbidität
an einigen Infektionskrankheiten zu dem
Stande der Boden- und Lufttemperatur.
Medizinskaja Besseda 1901. No. 11.
In seinem Bericht an den XIV. Aerztetag
des Chersson’sehen Gouvernements stellte der
landschaftliche Sanitätsarzt K. Spiewaczewsky
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190
Referate über Bücher und Aufsätze.
in einer übersichtlichen Tabelle die Schwankungen
in der Menge der atmosphärischen Niederschläge
und die gleichzeitige Morbidität an der Grippe
für die Jahre 1889—1896 zusammen. Aus dieser
Tabelle ergiebt sich, dass mit alleiniger Ausnahme
des Jahres 1889 die allergrösste Anzahl der Er¬
krankungen an der Influenza der allergeringsten
Menge der Niederschläge entsprach. Von den
Wintern sämmtlicher Beobachtungsjahre wurde
die geringste Menge von Niederschlägen im
Winter 1893/94 konstatiert; gerade dieser Winter
ragt unter den übrigen durch die grosse Anzahl
der grippösen Erkrankungen hervor. Der Frühling
des Jahres 1895 ist mehr als die übrigen an
atmosphärischen Niederschlägen arm und dabei
ausgezeichnet durch die grosse Anzahl der
Influenzafälle. Ausserdem weist noch der Autor
darauf hin, dass auch einem hohen atmosphärischen
Druck ein Steigen der Influenzamorbidität ent¬
spricht.
Denselben Zusammenhang zwischen der Mor¬
bidität und den meteorologischen Erscheinungen
hat der zweite Sanitätsarzt der Cher8Son , sehen
Gouvernementslandschaft T. Sch wer in auch für
andere Infektionskrankheiten naehgewiesen. Beim
Durchmustem des Ganges der Morbidität an
Diphtherie und Scharlach einerseits und der Menge
der atmosphärischen Niederschläge und ihrer Ver¬
keilung auf die einzelnen Jahre, Jahreszeiten und
auf die einzelnen Kreise des Gouvernements
Chersson andererseits, wobei ein Zeitraum von
zehn Jahren (1887—1896) in Betracht kam, be¬
merkte der Autor einen ausgesprochenen Anta¬
gonismus zwischen beiden Erscheinungen. Im
allgemeinen konnte der Umstand nicht übersehen
werden, dass in jedem Jahre der Steigung der
Niederschlagskurve entsprechend die Morbidität
an der Diphtherie sinkt und umgekehrt. Der
Verfasser spricht den Gedanken aus, dass die
Schwankungen in der Morbidität an der Diph¬
therie im Laufe des Jahres in Zusammenhang zu
bringen seien nicht mit der absoluten Menge der
Niederschläge für das ganze Jahr und auch nicht
mit ihrer relativen Menge in den verschiedenen
Jahreszeiten, sondern einzig und allein mit der
Amplitude der Niederschlagsschwankungen in
den einzelnen Abschnitten eines jeden Jahres.
Zum Schluss meint der Autor, dass der Anta¬
gonismus zwischen der Morbidität und den atmo¬
sphärischen Niederschlägen vielleicht dadurch zu
erklären sei, dass mit der Verringerung der Menge
der atmosphärischen Niederschläge die Quantität
des Staubes sich vergrössere; folglich werde die
Diphtherie vielleicht auch durch die atmo¬
sphärische Luft verbreitet und zwar durch den
in ihr suspendierten Staub übertragen.
A. Per wo w studierte das Verhältniss der
Morbidität an einigen Infektionskrankheiten
(Typhus abdominalis, Diphtherie, Pneumonia
crouposa, Dysenterie) zu dem jeweiligen Stande
der Boden- und Lufttemperatur. Zwischen den
Perioden der Verbreitung des Abdominaltyphus
und denjenigen der Ausbreitung der Diphtherie
zeigte sich ein sehr ausgesprochener Parallelismus,
und zwar erreichen sowohl der Unterleibstyphus
als auch die Diphtherie ihre allergrösste Ent¬
wickelung in dem Zeitraum vom August bis zum
November. Die geringste Entwickelung beider
Krankheiten fällt am häufigsten auf den April,
sodann auf den Mai, Juni und März. Die Zahlen
des geringsten Auftretens der croupösen Pneumonie
fallen auf den Juli, August und September; auf
diese Weise existiert zwischen der Entwickelung
des Abdominaltyphus und dem Auftreten der
Lungenentzündung ein Gegensatz: den Monaten
mit einer niedrigen Entwickelung der Lungen¬
entzündung entsprechen die Monate mit einer
hohen Entwickelung des Typhus. Die Ausbreitung
der Ruhr befindet sich in einem geraden Ver¬
hältniss zu dem Stande der Temperatur der Luft
und der oberflächlichen Bodenschichten. In einem
solchen Verhältniss befindet sich auch die Aus¬
breitung des Typhus und der Diphtherie zum
Stande der Temperatur in der Tiefe des Bodens.
Die Ausbreitung der Lungenentzündung steht
jedoch in einem umgekehrten Verhältniss zu der
Temperaturhöhe in den tiefen Bodenschichten,
wobei die geringste Anzahl von Pneumoniefallen
fast stets in denjenigen mittleren Monat fallt,
welcher zwischen Monaten mit der geringsten
und solchen mit der grössten Mengo von atmo¬
sphärischen Niederschlägen zu stehen kommt;
folglich hängt nach Perwow’s Ansicht die
Morbidität an croupöser Pneumonie am aller¬
meisten von dem Stande der Bodentemperatur ab.
A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
Axel Winckler, Ueber Sehwefelwasser und
Hautkrankheiten. Deutsche Medicinal-Zeitung
1901. No. 28.
Der Verfasser bespricht die Wirkungen der
starken Schwefelquellen, das heisst solcher, die
neben erheblichen Mengen von Schwefelalkalien
mindestens 15 ccm freies Schwefelwasserstoffgas
pro Liter enthalten, auf die verschiedenen Haut¬
krankheiten. Er legt dabei seine mit den Nenn-
dorfer Schwefelquellen gesammelten Erfahrungen
zu Grunde. In allen Stadien des Ekzems ist
die Schwefel wassertrink kur angezeigt und sofort
einzuleiten; hingegen eignen sich die Schwefel¬
wasserbäder mehr für das chronische als für das
akute Ekzem und sind auch bei den einen akuten
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Referate über Bücher und Aufsätze.
191
oder snbaknten Charakter tragenden Nachschüben
des chronischen Ekzems nur mit Vorsicht anzu-
zd wen den. Hier passen die Schwefelgasbäder.
DiePsoriasisvul gar i s wird durch die Schwefel¬
kur (Trink- und Badekur) weniger beeinflusst.
Dauernde Heilungen sind dabei selten, aber Besse¬
rungen bilden die Regel. Dagegen wird die
Furunkulose in den allermeisten Fällen durch
eine Schwefelkur radikal geheilt. Nur die auf
Diabetes mellitus beruhende Furunkulose und jene,
die auf eine Eiterinfektion folgt, widerstehen der
Schwefel kur. Der Verfasser schreibt die von ihm
in Bad Xenndorf beobachteten guten Resultate
dem Schwefelcalciumgehalt der dortigen Schwefel¬
trinkquelle zu. Er hat experimentell mit Milch¬
zucker vermischtes Schwefelcalcium (öCentigr&mm
pro die) dem Körper zugeführt und dadurch die
Entwicklung von Furunkeln hemmen und der
Bildung neuer Furunkel Vorbeugen können. Bei
Acne simples seu vulgaris leistet die
Schwefel kur in Verbindung mit der aus dem
natürlichen Sediment der Nenndorf er Quellen
bereiteten Schwefelseife gute Dienste, bei Acne
rosacea besonders dann, wenn die Patienten
dem Alkoholgenuss entsagen, der nach des Ver¬
fassers Ansicht wohl immer an der Erkrankung
mitschuldig ist. Warme oder gar heisse Voll-
hider sind dabei verpönt, da sie die Kongestion
zum Gesicht steigern. Nur Waschungen der
kranken Partieen mit heissem Schwefelwasser sind
erlaubt. Bei Prurigo und Pruritus werden
Besserungen, manchmal auch Heilungen erzielt.
DieSycosis simplex, non parasitaria wird
häufig durch eine Schwefelkur geheilt Dasselbe
gilt von der Disposition zu Urtikaria. Auch bei
Beingeschwüren, Herpes tonsurans und
bei Pityriasis versicolor wird die gute
Wirkung der Schwefelbäder gerühmt Ichthyosis
wird vorübergehend, bisweilen auf lange Zeit,
durch Kombination von Schwefelbädern, Schwefel¬
schlamm bädem,Sch wefel wasserdouchen undTrink-
kur zum Verschwinden gebracht. Künstliche
Schwefelbäder leisten wenig.
Forchheimer (Würzburg).
D. Elektrotherapie.
Weorg W. Jacobl, Elektrotherapie. Zwei
Bände. Philadelphia 1901.
Die vorliegenden zwei Bände bilden den
Anfang eines grossangelegten von Cohen her-
ausgegebenen Sammelwerkes, welches unter dem
Titel: *A svstem of physiologic therapeutics« in
11 Bänden die gesammte Therapie mit Ausnahme
der Pharmakotherapie zur Darstellung bringen
soll. Das Sammelwerk soll also mehr wie die
physikalische Therapie umfassen, indem auch die
Diätotherapie, Serumtherapie, Prophylaxe und
Suggestionstherapie hineinbezogen wird.
Die vorliegende Elektrotherapie ist nicht
ganz so umfangreich, wie sie nach ihrem statt¬
lichen Aeusseren von zwei Bänden zunächst er¬
scheint, indem Druck und Papier so splendid
ist, wie wir es in Deutschland bei wissen¬
schaftlichen Büchern nicht gewöhnt sind. Immer¬
hin umfassen beide Bände zusammen den an¬
sehnlichen Umfang von 565 Seiten.
Bei der Bearbeitung des Stoffes hat Verfasser
dem physikalischen Theil und der Apparatenlchre
einen sehr breiten Raum eingeräumt Sie füllen
den ersten Band vollkommen aus. Die Dar¬
stellung ist hier so eingehend und durch so zahl¬
reiche Abbildungen amerikanischer und euro¬
päischer Apparate, sowie schematische Illu¬
strationen unterstützt, dass mancher Fachgenosse
diesen Theil als eine werthvolle Ergänzung un¬
serer deutschen Lehrbücher ansehen wird, die in
dieser Hinsicht bei weitem nicht so vollständig
sind.
Die Darstellung ist durchweg klar und ein¬
fach und beansprucht in physikalischer Hinsicht
die allergeringsten Vorkenntnisse.
Die Röntgenstrahlen sind mit einbezogen,
dagegen ist die Arsonvalisation in auffallender
Kürze abgethan.
Der zweite Band beschäftigt sich etwa zur
Hälfte mit Elektrophysiologie und Elektro-
diagnostik. Die zweite Hälfte wird von der
eigentlichen Elektrotherapie eingenommen, die
in der üblichen Weise in einen allgemeinen und
einen speziellen Theil zerfällt Die Bearbeitung
des Stoffes ist auch hier klar und übersichtlich
und zeugt von grosser Erfahrung des Verfassers.
Seinen Ausführungen und therapeutischen Grund¬
sätzen, die hier im einzelnen natürlich nicht
wiedergegeben werden können, kann man im
grossen und ganzen beistimmen.
Mann (Breslau).
! Bordier, Sur le choix du metai a employer
pour leg electrodes. Zeitschrift für Elektro-
I therapic. 4. Jahrgang. No. 1.
j Bordier hat einige für die Elektrotherapie
| praktisch wichtige Versuche über die zweck-
I massigste Beschaffenheit der bei galvanischen
Applikationen (besonders bei den von ihm an¬
gewendeten hohen Stromstärken) zu benutzenden
Elektroden angestellt. Bekanntlich bilden sich
an den Elektrodenoberflächen dort, wo sie von
dem feuchtem Ueberzug bedeckt sind, infolge
der elektrolytischen Vorgänge chemische Um-
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192
Referate über Bücher und Aufsätze.
Setzungsprodukte, die das Metall in dicker Schicht
bedecken, und z. B. bei Kupferelektroden, wie
die Analyse ergab, aus Kupferoxyd und Kupfer¬
karbonat bestehen. Diese das Metall bedeckende
Schicht setzt dem Strom einen grösseren Wider¬
stand entgegen, sie verhindert sein gleichmässiges
Passieren durch die Elektrode und veranlasst an
einigen weniger oxydierten Stellen eine grosse
Dichtigkeit des Stromes, welche zu Anätzungen
der Haut führt und Schmerzempfindungen für
den Patienten zur Folge hat
Aus zahlreichen Versuchen ergab sich, dass
das Platin am allerwenigsten chemisch angegriffen
wird, so dass es das idealste Metall für die Elek¬
troden darstellen würde. Da es aber seines hohen
Preises wegen wohl kaum Verwendung finden
kann, so ist das Aluminium besonders zu em¬
pfehlen, welches in dieser Beziehung die nächste
Stelle einnimmt. In der That scheint, wie Referent
selbst erprobt hat, das Aluminium auch schon
wegen seiner Leichtigkeit und Biegsamkeit sehr
empfehlenswert!! für die Verwendung zu Elek¬
trodenplatten zu sein. Mann (Breslau).
Leopold Freund, Die Verwendung der
Spannungselektrizität zur Behandlung von
Hautkrankheiten. ’ Klinisch - therapeutische
Wochenschrift 1901. No. 37—39.
Freund bespricht in einem ausführlichen,
auf dem VII. Dermatologen-Kongress zu Breslau
gehaltenen Vortrage die physiologischen und
therapeutischen Wirkungen der Spannungs¬
elektrizität, also der von Ruhmkorff* sehen
Induktoren, Influenzmaschinen oder Arsonval-
schen Apparaten erzeugten Elektrizität, für die
immer ein und dieselbe physikalische Er¬
scheinung, nämlich die Funkencntladung charakte¬
ristisch ist. Die äusseren Wirkungen auf die
Haut sind ebenfalls für alle diese Formen die
gleichen: sie bestehen, meist nach vorüber¬
gehender Anämisierung, in einer Hyperämie der
Haut, die unter Umständen bis zur Quaddel- und
Blasenbildung führen kann.
Freund hat nun zahlreiche Untersuchungen
an Bakterienkulturen und an Hautstücken an¬
gestellt, und hat gefunden, dass an Kulturen, die
mit Funkenschlägen behandelt wurden, sich eine
Austrocknung, eine Erwärmung und dadurch eine
Entwicklungshemmung von Bakterien konstatieren
lässt. Sehr wahrscheinlich ist dabei auch eine
elektrolytische und mechanische Wirkung der
Funken mit im Spiele. Auch dürften die
Wirkungen der gleichzeitig produzierten inten¬
siven chemischen Lichtstrahlen und des gleich¬
zeitig entwickelten Ozons mit in Betracht zu
ziehen sein.
Die histologische Untersuchung der Haut
ergab eine kleinzellige Infiltration in den untersten
Schichten der Epidermis, ausgedehnte Blutaus¬
tritte in die Gewebe und schliesslich Vakuolisation
in der Intima der Arterien.
Diesen experimentellen Ergebnissen ent¬
sprechend würde man in erster Linie eine günstige
Wirkung der Spannungselektrizität bei den para¬
sitären Hautaffektionen zu erwarten haben. In
der That sah Freund bei lupösen und anderen
Geschwüren eine austrocknende und reinigende
Einwirkung auf den Geschwürsgrund; aber doch
gelang es niemals durch diese Methode, ein
infektiöses Geschwür völlig zur Heilung zu bringen.
Bei Versuchen am weichen Schanker ergab sich
kein Vortheil gegenüber der üblichen Jodoform¬
therapie.
Die mangelhaften Erfolge liegen wohl daran,
dass die Wirkungen mässig intensiver Funken¬
entladungen sich bald an der Oberfläche er¬
schöpfen und keine genügende Tiefenwirkung
besitzen. Auch bei Alopecia areata, die ja eben¬
falls als parasitäre Hautkrankheit aufzufassen ist,
sah Freund nur minimale, nicht in Betracht
kommende Erfolge.
Das zweite Hauptgebiet stellen die sich durch
Hypertrophien des Kutisgewebes mit fibrösem
Charakter und durch chronische Zellinfiltrate in
der Kutis charakterisierenden Dermatosen dar;
Keloide, Elephantiasis etc. Freund besitzt
hierüber keine eigenen Erfahrungen und kann
nur über die günstigen Erfolge anderer Autoren
berichten.
Die dritte wesentliche Indikation bilden der
Pruritus und die pruriginösen Affektionen, bei
denen der Juckreiz oft ganz auffallend gemildert
wird. Die Erwärmung und der mechanische
Anprall der Funkenentladung spielen hierbei
jedenfalls eine Rolle; vielleicht kommt auch die
lebhaftere Saftströmung und die Irritation der
Hautoberfläche, eventuell auch die Verschorfung
blossliegender Nervenendigungen in Betracht
Alles in allem ist Freund der Meinung, dass
das auf dermatotherapeutischem Gebiet bisher
Erreichte zwar manche günstige Resultate von
der Behandlung mit Spannungselektrizität er¬
warten lässt aber vorläufig zu überschwänglichen
Hoffnungen durchaus keinen Anlass giebt.
Der Vortrag enthält noch nähere Besprechun¬
gen bezüglich der Methodik und mancherlei Be¬
merkungen physikalischer Natur, auf die hier
nicht eingegangen werden kann.
Mann (Breslau).
Berlin, Druck von W. Btixonsteiu.
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UNIVERSITY 0F MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE dnd PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 4 (Juli).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. r. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacoh.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
I. Orlgrinal -Arbeiten. Seite
L Ueber einige praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chronischen Nasen- und
Bachenkatarrhs. Von Dr. W. Freudenthal in New-York. Mit 1 Abbildung .' . 195
IL Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. Aus der III. medici-
nischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Senator).
Von Stabsarzt Dr. Menzer.209
III. Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale hydrotherapeutische
Prozeduren. Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin (Leiter:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Brieger). Von Dr. August Laquenr, Assist, der
Klinik, und Dr. Waldemar Loewenthal.211
IY. Ueber Roborat Aus der L medidnischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-
Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Fritz Rosenfeld, Volontärassistenten der Klinik 223
V. Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. Aus
der L medidnischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor Geh. Med. - Rath Prof.
Dr. v. Leyden). Von Dr. B. Wendriner in Neuenahr.228
IL Kleinere MlttheUungeii.
I. Fleischextrakt und Hefepräparate. Eine wirtschaftliche Betrachtung von Dr. K. Beer¬
wald in Berlin. ..
n. Das Sanatorium Wehrawald im badischen Schwanwald. Von Dr. Julian Marcuse in
Mannheim. Mit 2 Abbildungen. .
HL Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über die 23. öffentliche Versammlung der Baineologischen Gesellschaft in Stuttgart
vom 7. bis 12. März 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim. (Fortsetzung und
Schluss.).237
Länderer (Stuttgart), Die Heilbehandlung und ihre Gegner.237
Rothschild (Soden), Das Heiraten Tuberkulöser.238
Liebreich (Berlin'), Ueber Inhalationsterapie.239
.Köppe (Giessen), Balneologische Studien im Anschluss an die physikalisch¬
chemische Untersuchung des Salzwassers.239
Steiner (Levico), Zur Balneoterapie der Acne vulgaris.239
Länderer (Stuttgart), Theoretische und praktische Grundlagen unserer Mund¬
behandlung .241
Marcuse (Mannheim), Der gegenwärtige Stand der Lichtterapie.242
Röchling (Misdroy), Die Reizbarkeit gegen Gehörseindröcke bei Neurastenie
nebst praktischen Folgerungen für die Kurorte.242
Zangger (Zürich), Der Stand der Volksheilstättenbewegung in der Schweiz. . 243
Zeitachr. t dili. dl phjaik. Therapie Bd. VI. Heft 4 . 14
232
234
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
194
Inhalt.
Seit«
IV. Referate über Bücher und Aufs&tze.
A. Verschiedenes.
Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie.243
Roth, Klinische Terminologie., . . . . 245
Blass, Die Impfung und ihre Technik..245
Meyer, Deutscher Kalender für Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger auf das Jahr 1902 245
B. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Balz, Ueber vegetarische Massenernährung und über das Leistungsgleichgewicht.245
Lupine, La lövulosurie alimentaire dans ses rapports avec les affections du foie.246
Ebstein, Die chronische Stuhl Verstopfung in der Theorie und Praxis.246
Gardner, The dietetic value of sugar.247
Knuth, Einiges über südamerikanische Fleischkonserven.247
Steinhardt, Ueber Magenausspülungen im Kindesalter.247
Gilbert, Diabetesküche. 248
Wegele, Die diätetische Küche für Magen- und Darmkranke.248
Pavy, Ueber experimentelle Glykosuiie.248
Cohen, Vorträge für Aerzte über physikalische Chemie.249
Schlöss, Ueber den Einfluss der Nahrung auf den Verlauf der Epilepsie ....... 249
Bälint, Die diätetische Behandlung der Epilepsie . . . ..250
Schlesinger, Aerztliches Handbüchlein für hygienisch-diätetische, mechanische und andere
Verordnungen.250
C. Gymnastik.
Laumonier, La gymnastique des petits enfants.251
Dagron, Massotherapie.251
Loebel, Prinzipien und Indikationen der maschinellen Heilgymnastik.252
Bramwell, Case of tabes with acutely developed ataxia, in which great and rapid
improvement had resulted from Frenkel’s plan of treatment.252
Schultze, Ein einfacher orthopädischer Tisch.252
D. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Beizer, Ueber die Behandlung mit Frey’s Heissluftdouche.252
Whigtman, Hot air as a therapeutic agent.253
Hellmer, Das Luftbad.. . . . ..253
Carriere, Studienreisen in die französischen Bäder, ihr Zweck, ihr Nutzen für die Aerzte
und Badeorte, ihre Organisation.254
Loewenfeld, Ueber Luftkuren für Nervöse und Nervenkranke.. . 254
E. Elektrotherapie.
Bordier, Traitement öleotrique des nevralgies et en particulier de celle du trijumeau . . . 255
Vernay, Traitement de la növralgie de la face par les courants galvaniques.255
Decker, Ueber die elektrolytische Kraft der statischen Elektrizität.256
Rögnier, Radiotherapie et photothörapie.256
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Original - Arbeiten.
I.
Ueber einige praktische Gesichtspunkte in der Behandlung
des chronischen Nasen- und Rachenkatarrhs.
Von
Dr. W. Freudenthal
in Nöw-York. 1 )
Wenn ich es wage, Ihnen einige neuere Ansichten über den Nasen- und Rachen¬
katarrh heute Abend zu geben, so geschieht es hauptsächlich aus dem Grunde, um
eine gründliche Diskussion dieses Gegenstandes hervorzurufen.
Der chronische Katarrh der Nase und des Rachens ist so häufig, besonders hier
in den Vereinigten Staaten, dass der praktische Arzt denselben wenigstens in seinen
allgemeinsten Zügen kennen soUte. Aber lassen Sie mich gleich hier Sie fragen: Er¬
kennt der praktische Arzt immer diesen Katarrh? Untersucht er immer daraufhin?
Ist er nicht in zu vielen Fällen gar zu schnell geneigt, die Angaben der Patienten
ohne weiteres anzunehmen, ohne Untersuchung eine Nasendouche oder Nasenspray
zu verschreiben und so in vielen Fällen einen Katarrh hervorzurufen, wo früher
keiner existierte? (Defferts.) Wir werden bald sehen, dass der praktische Arzt
gar manches in der Behandlung dieser Katarrhe erreichen kann. Bevor wir jedoch
auf die Details unseres Themas eingehen, welches von dem Präsidenten dieser Ge¬
sellschaft zur Diskussion auserwählt wurde, bitte ich auf einige Minuten um Ihre
Nachsicht, um über die Aetiologie des »Katarrhs« im allgemeinen einige Worte sagen
zu dürfen. Sie werden dann leichter die therapeutischen Maassnahmen, die ich für
so äusserst wichtig halte, verstehen können. Lassen Sie uns die ätiologischen
Faktoren, welche den chronischen Katarrh der Nase, des Rachens und des Nasen¬
rachenraums hervorbringen, zusammen betrachten, da sie nach meiner Ansicht eine
Einheit bilden und zusammen abgehandelt werden sollten.
In fast allen Lehrbüchern über diesen Gegenstand werden Sie die naive Be¬
hauptung finden, dass der chronische Kartarrh die Folge eines oft wiederholten
akuten Katarrhs ist. Wir alle wissen das. Wir lesen ferner, dass wir akute Ka¬
tarrhe verhüten sollten, um. zu verhindern, dass dieselben chronisch würden. Die
widersprechendsten Regeln werden hierfür aufgestellt. Ich habe diesen Gegenstand
und die Verhütung akuter Katarrhe in dieser Zeitschrift 2 ) des Längeren auseinander¬
gesetzt, und es ist nicht meine Absicht, dieselben hier zu wiederholen. Was ich sagen
möchte, ist, dass Sie in der Praxis viel häufiger akute Exacerbationen von chronischen
Katarrhen sehen werden, als frische »Erkältungen«, gleichgültig, ob diese Exacer¬
bationen in einer Koryza bestehen, oder in einer Angina, oder in einer akuten Bron¬
chitis. Es ist meine Aufgabe heute, besonders die chronischen Formen zu diskutieren.
i) Zum TheU nach einem Vortrag, gehalten vor der Medical society of the City of New-York
an 13. Dezember 1901.
*) Ueber das Wesen der sogenannten Erkältungskrankheiten. 1899. Bd. 3.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
196
W. Freudenthal
Lange Zeit hindurch herrschte der Glaube vor, dass die Amerikaner besonders
zu »Katarrhen« disponiert wären. Es käme noch die grosse Feuchtigkeit unserer
Atmosphäre, besonders längs der Seeküste, der ausserordentlich plötzliche Wechsel
in der Temperatur, die staubigen und unsauberen Strassen u. s. w. hinzu. Selbst
Morel Mackenzie betrachtete, nachdem er in diesem Lande gereist war, die Ver¬
änderlichkeit unseres Klimas, die staubigen Strassen und das hastige Essen und
Trinken als die Hauptfaktoren des so häufigen postnasalen Katarrhs in den Vereinigten
Staaten, und seine Ideen machten Jahrzehnte hindurch den Weg durch alle Lehr¬
bücher. Meine Herren! Es giebt viel Staub in anderen Theilen der Erde, es giebt
schmutzige Strassen auch anderswo, obwohl unsere Metropole in den letzten Jahren
einen sehr prominenten Platz in dieser Hinsicht einnahm — es giebt Leute, die
schnell essen und trinken, überall, und doch findet man nirgends eine solche Masse
von Leuten, die an Katarrh leiden, wie in diesem Lande. Was ist die Ursache
hierfür? Ich fand keine genügende Erklärung für diese unbezweifelte Thatsache, bis
ich selbst meine Untersuchungen aufnahm. Ich beobachtete die Art, wie man hier
wohnt und arbeitet, und viele andere Faktoren des amerikanischen Lebens. Und
vielleicht war ich besser geeignet für solche Betrachtungen, als diejenigen von Ihnen,
meine Herren, welche in den Vereinigten Staaten geboren sind, da alles mir im An¬
fang fremd, vieles gerade das Gegentheil von dem, was ich zu sehen gewohnt war,
und auf diese Weise natürlich meine Kritik unwillkürlich hervorrief.
Wenn wir die Art und Weise, wie wir jetzt leben, vergleichen mit dem, wie
man es vor hundert oder zweihundert Jahren that, so müssen wir eingestehen, dass
wir zu einer sehr alten Methode zurückgekehrt sind. Wir sind — mutatis mutandis
— nichts anderes geworden, als Höhlenbewohner, Troglodyten. In einem kleinen
Zimmer verbringt der Durchschnittsmensch hier zu Lande 23 Stunden des Tages oder
mehr. Das Zimmer ist nichts anderes als eine Höhle, mit der einzigen Ausnahme,
dass sie von allen Seiten den grössten Theil des Tages und der Nacht fest ver¬
schlossen ist. Und es ist kein wesentlicher Unterschied, ob wir diese Höhle ein
Zimmer in einem fashionablen Haus nennen, oder eine Schwitzbude. Das Zimmer
ist meistens gegen die Invasion frischer Luft verschlossen. Wenn wir demgemäss
von einem klimatischen Einfluss sprechen, und es existiert ganz entschieden ein
solcher, so ist es das Klima der von uns bewohnten Zimmer, das wir studieren
müssen. Es ist ganz gleichgültig, was die Temperatur oder das Feuchtigkeitsverhält-
niss, was die Winde in Sandy Hock sind: die drei Millionen Einwohner unserer
Stadt wohnen nicht dort, und es ist ohne Belang für sie, ob im Hafen von New-York
sehr viel Feuchtigkeit ist oder nicht. Wenn manche Aerzte behaupten, es gebe so
viel Katarrh in unserer Gegend wegen des grossen Feuchtigkeitsgehaltes der Luft, so
müssen wir eine derartige Behauptung als ganz irrig hinstellen. Von zu viel
Feuchtigkeit entsteht nie und nimmer ein Katarrh, und besonders nicht jene Form des
Katarrhs, welche Sie so sehr häufig sehen, und das ist der sogenannte trockene Katarrh.
Da ich diesen Punkt für ausserordentlich wichtig halte, so werden Sie es mir
verzeihen, wenn ich noch ein wenig länger dabei verweile. Vor mehr als zehn
Jahren fing ich meine Untersuchungen über die Menge der Feuchtigkeit, die in
unseren Hänsern zu finden ist, an, und ich war überrascht von den Resultaten, die ich
erhielt. Es war schon von vielen Autoren festgestellt worden, dass die Atmosphäre
in einem Zimmer im Winter mässig feucht gehalten werden sollte, d. h. sie sollte
etwa zwischen 50 % und 60 % relativer Feuchtigkeit enthalten. Der niedrigste
Punkt sollte nie unter 40°/ o relativer Feuchtigkeit hinuntergehen, während eine
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Racbenkatarrhs. 197
solche von 70®/ 0 noch angenehm empfunden werde; selbst 75 % oder 80 °/ 0 relativer
Feuchtigkeit werden nicht als ungesund betrachtet Nun habe ich im letzten Jahre
von neuem Versuche gemacht, und ich habe niemals eine relative Feuchtigkeit von
50°/« in den Häusern New-Yorks gefunden. Wenn die Aussentemperatur um den
Gefrierpunkt herum sich bewegte, habe ich selbst 40 °/ 0 nie beobachtet. Das höchste
waren 30 %; aber 25 °/ 0 , oder 20 %, oder selbst 18 % relativer Feuchtigkeit waren
nichts Ungewöhnliches, wenn das Wetter sehr kalt war und wenn dasselbe eine ge¬
wisse Zeit hindurch anhielt, d.h. also, wenn die Zimmer garnicht oder sehr wenig
gelüftet wurden. Wie kommt es nun, dass wir von Trockenheit leiden, während eine
Atmosphäre, die mit Feuchtigkeit überladen ist, uns von allen Seiten umgiebt? Ich
habe das in einem Artikel im Jahre 1895 bereits auseinandergesetzt. Heute erlaube
ich mir nur einen Faktor, der sehr gewöhnlich in dieser Beziehung ist, zu erwähnen,
and das ist die Heizung unserer Zimmer.
Wie mir gesagt wird, zieht der mexikanische Bauer, sobald er in seine kalte
Hütte eintritt, einen schweren Bock an. Er heizt seine Hütte nicht, weil er glaubt,
dass dort, wo ein Ofen existiere, auch Tuberkulose erscheine. Vielleicht ist etwas
Wahrheit in diesem naiven Vorgehen. Thatsache ist, dass jede Form künstlicher
Heizung für die Gesundheit schädlich ist, am allerschlimmsten aber ist die Heizung
mit heisser Luft. Sie alle wissen, wie dieselbe in unseren Häusern hier vor sich
geht. Die Luft wird, nachdem sie von aussen her in den Ofen hereingebracht ist,
und zwar meistens aus der Nähe des Bodens von der Küche her, in dem Ofen im
Keller erhitzt und dann in die Zimmer getrieben. Diese unreine Luft wird erhitzt,
d. h. sie wird des grössten Theils oder aller ihrer Feuchtigkeit beraubt, und in
diesem Zustand der Trockenheit erreicht sie die Zimmer, in denen wir wohnen.
Dort hat sie natürlich den Effekt, die vorhandene Luft auszutrocknen, und es ist
ganz klar, dass je kälter die Aussentemperatur ist und je mehr der Ofen geheizt
wird, desto trockener wird die Luft in unseren Zimmern sein. Um Ihnen nur ein
Beispiel zu geben, wie die Trockenheit heruntergedrückt wird, möchte ich hier ein
Hospital anführen, das hygienisch ausserordentlich günstig dasteht. Es befindet
sich ziemlich ausserhalb der Stadt auf einem Hügel und hat alle modernen Vor¬
theile der Ventilation, die man für ein Hospital haben kann. Trotzdem aber und
trotz der Thatsache, dass meine Untersuchungen dort bereits während des milden
Wetters vorgenommen wurden, fanden wir noch immer einen ausserordentlich niedri¬
gen Prozentsatz der relativen Feuchtigkeit vor. Die Verhältnisse waren wie folgt:
Saal E. Acht Betten.
Datum
Tageszeit
Temp
im
Freien
Fahr.
eratur
im
Zimmer
Fahr.
Relative
Feuchtig¬
keit
%
Bemerkungen
11. März
8 Uhr vormittags
53
65
41
12 » mittags
54
65
45
Fenster geöffnet.
4 » nachmittags
58
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45
do. do.
A
A
00
56
68
44 1
do. do.
12. »
8 » vormittags
54
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35
12 » mittags
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361/2
do. do.
4 » nachmittags
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do. do.
i 8 » »
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Saal B. Zwei Betten.
Datum
Tageszeit
Temp
im
Freien
Fahr.
eratur
im
Zimmer
Fahr.
Relative
Feuchtig¬
keit
%
Bemerkungen
14. März
8 Uhr vormittags
54
61 V«
26
Fenster geöffnet.
12 » mittags
50
60
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do. do.
4 9 nachmittags
48
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27
do. do.
8 » 9
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15. »
8 9 vormittags
46
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21
12 9 mittags
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7D/2
25
4 9 nachmittags
48
72V2
28
16. j>
8 9 vormittags
46
68 V 2
34
12 9 mittags
50
70
32
Thür do.
8 9 nachmittags
59
71
3!
do. do.
Rauchzimmer.
14. März
8
Uhr
vormittags
50
79V2
26i/ 2
12
9
mittags
54
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Fenster geöffnet.
8
9
nachmittags
50
78
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15. 9
12
9
mittags
50
7U/2
20
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nachmittags
48
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8
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9
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69
19
10. 9
8
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vormittags
46
78i/ 2
29i/ 2
Thür do.
12
9
mittags
50
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8
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nachmittags
50
78
23i/ 2
Saal A. Acht Betten.
10. März
8 Uhr
vormittags
52
65
401/2
Fenster geöffnet.
12
9
mittags
53
64
371/2
do.
do. drei Stunden lang.
4
9
nachmittags
57
631/2
351/2
8
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9
56
65
34
do.
do.
11. 9
8
9
vormittags
53
67
38i/ 2
do.
do.
des Nachts.
12
9
mittags
54
66 i ' 2
40
do.
do.
4
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nachmittags
68
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do.
do.
8
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»
56
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vormittags
54
66
35
do.
do.
des Abends.
12
9
mittags
59
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do.
do.
4
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nachmittags
60
681/2
25
do.
do.
8
9
9
57
67
29
do.
do.
Saal D. Acht Betten.
10. März
8 Uhr vormittags
52
62
1
39
Fenster geöffnet.
12 9 mittags
53
63
39
4 9 nachmittags
57
65i / 2 1
36
do. do.
89 9
56
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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 199
Saal C. Drei Betten.
Datum
Tageszeit
Tempi
im
Freien
Fahr.
eratur
im
Zimmer
Fahr.
Relative
Feuchtig¬
keit
°/o
Bemerkungen
20. März
8 Uhr
vormittags
54
63
39 V*
Thür geöffnet
. 12
»
mittags
56
61
38
do.
do.
4
»
nachmittags
58
64
35
do.
do.
8
»
»
56
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do.
do.
21. »
8
»
vormittags
55
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37i/ 2
do.
do.
12
»
mittags
58
70
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do.
do.
4
»
nachmittags
60
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351/2
Fenster do.
8
»
56
70
34
do.
do.
23. *
8
»
vormittags
57
70
40
12
»
mittags
60
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45
do.
do.
8
»
nachmittags
59
70
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do.
do.
Saal G. Sieben Betten.
20. März
i 8 Uhr
vormittags
64
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12
»
mittags
56
65
32i/ 2
8
»
nachmittags
56
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21. »
8
»
vormittags
55
70
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*
mittags
58
71
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8
»
nachmittags
57
70
311/2
Thür geöffnet.
22. >
8
»
vormittags
57
69
38
Boden geschrubbti).
12
»
mittags
60
63
57
do. do. aber ober¬
flächlich aufgewischt.
8
»
nachmittags
59
68
27
Saal A. Vier Betten.
8 Uhr
vormittags
57
61
30
4 »
nachmittags
58
Ö 8 V 2
39
8 »
»
57
67
39
8 »
vormittags
53
64
41
12 »
mittags
56
64
46
8 »
nachmittags
57
60
50
8 »
vormittags
44
56
34
12 >
mittags
54
58
33
! 8 »
I
nachmittags
55
60
31
Thür geöffnet,
do. do.
do. do.
do. do.
Regen,
do.
do.
do.
Saal C.
24. März
8 Uhr vormittags
57
4 » nachmittags
58
8 » »
57
25. »
8 > vormittags
53
12 » mittags
56
8 » nachmittags
44
26. ®
8 » vormittags
44
12 » mittags
54
8 » nachmittags
55
Acht Betten.
Fenster geöffnet,
do. do.
do. do.
do. do.
do. do.
do. do. Regen,
do. do.
do. do.
do. do.
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4 U /2
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38
60
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i) Wo die Bemerkung ist: »Boden geschrubbt«, da wurde das Zimmer ganz kurz vor der
angegebenen Zeit feucht aufgewischt.
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200
W. Freudenthal
Saal F. Vier Betten.
Datura
Tageszeit
Tempi
im
Freien
Fahr.
eratur
im
Zimmer
Fahr.
Relative
Feuchtig¬
keit
°/o
Bemerkungen
28. März
8
Uhr
vormittags
40
58
23 >/*
Thür
geöffnet.
12
D
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56
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do.
do.
8
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29. »
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do.
do.
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Fenster do. geschrubbt.
8
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30. »
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do.
do.
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mittags
57
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do.
do.
8
9
nachmittags
58
67
22
do.
do.
Saal B.
Acht Betten.
28. März
8
Uhr
vormittags
40
63
25
12
9
mittags
56
69
251/2
Fenster geöffnet.
8
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nachmittags
58
70
24
do.
do.
29. »
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50
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do.
do.
12
9
mittags
53
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do.
do. geschrubbt.
8
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54
70
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do.
do.
30. »
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48
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do.
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67
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do.
do.
8
9
nachmittags
58
70
32
do.
do.
Diese Zahlen erhielten wir unter verhältnissmässig sehr günstigen Bedingungen.
Gewöhnlich aber ist die Luft viel trockener.
Diese trockene Luft nun müssen wir beständig einathmen, und von dieser Seite
möchte ich die Aetiologie der chronischen Rhinitis, der chronischen Pharyngitis und
des chronischen Retronasalkatarrhs betrachtet wissen. Ich glaube die Wahrheit
dieser Behauptung schon für den Retronasalkatarrh bewiesen zu haben i), und es ist
nur ein Schritt -weiter, die Richtigkeit derselben für den Katarrh der Nase und des
Pharynx zu beweisen.
In einer hervorragenden Versammlung dieser Stadt fand vor einigen Monaten
eine Diskussion über atrophische Rhinitis statt. Alle möglichen Theorieen wurden
vorgebracht, nur die plausibelste von allen wurde garnicht berührt. Das Haupt¬
symptom eines atrophischen oder trockenen Katarrhs ist die Trockenheit, und ist es
nicht natürlich, dass die Trockenheit einer physiologisch feuchten Schleimhaut von
der uns umgebenden Luft herrühren muss? Doch hat niemand daran gedacht. Eine
der Funktionen der Nase ist es ja, wie Sie wissen, die eingeathmete Luft mit
Feuchtigkeit zu sättigen. Dieses trifft nach meinen eigenen Experimenten noch mehr
für den Nasenrachenraum zu. Wenn wir nun solche abnorm trockene Luft einathmen,
so wird die Nase ihre Funktion eine ganze Zeit lang verrichten, bis die .Schleim¬
drüsen keine Feuchtigkeit mehr abzugeben haben. Zuerst wird durch die stärkere
Inanspruchnahme aller Theile der Schleimhaut eine Hyperämie eintreten, dann eine
Hypertrophie, und nach einer langen Zeit wird sich eine Atrophie herausbilden. Dies
1) 1. c.
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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Bachenkatarrhs. 201
trifft auch mit einigen Modifikationen für den Pharynx zu, wenn der Prozess sich
nach unten erstreckt. Diese Atrophie nun affiziert nicht nur die Schleimhaut, sondern
die unterliegenden Knochen- und andere Gewebe, und wir erhalten das Ihnen allen
bekannte typische Bild der atrophischen Rhinitis, das wir hier unzählige Male zu
Gesicht bekommen. Zuweilen erreicht diese Atrophie einen ausserordentlich hohen
Grad. In einem Fall, den ich vor nicht langer Zeit beobachtete, hatte dieselbe solche
Dimensionen erreicht, wie ich sie nie vorher gesehen hatte. Alle mittleren und
unteren -Muscheln der Nase waren zu reinen Rudimenten zusammengeschrumpft.
Von der unteren Muschel links war kaum irgend etwas sichtbar. Und doch war
nach genauer Untersuchung absolut kein Zeichen für eine luetische Infektion zu finden.
Hopmann und Zaufal betrachten die gewöhnliche Atrophie der Nasenmuscheln als
angeboren. Aber dies ist sicherlich nicht der Fall, da Zuckerkandel bei den
25*2 Schädeln von jungen Kindern, die er darauf hin untersuchte, keine fand. Die
Ursache hierfür liegt vielmehr in der Austrocknung der eingeathmeten Luft, ein Ein¬
fluss, der sich jahrelang hindurch geltend macht und der endlich in Atrophie endet
Im Jahre 1896 erschien eine interessante Arbeit von Goodale in Boston 1 ), auf
velche ich Ihre Aufmerksamkeit hinlenken möchte.
In Deutschland scheinen die Bestrebungen der Hygieniker auf die Einrichtung
von sogenannten Zentralheizungen hinauszulaufen, und man beneidet uns hier in
Amerika gewissermaassen um die Fortschritte, die wir in dieser Beziehung gemacht
haben. Von den verschiedenen Zentralheizsystemen, sagt Ervin v. Esmarch in
seinem interessanten Büchlein 2 ), wird die Luftheizung kaum je in Mietshäusern zur
Anwendung kommen, weil sie verhältnissmässig theuer im Betrieb ist und ihr Haupt¬
vorzug, die Räume stets mit frischer Luft zu versehen, vor der Hand wenigstens
noch zu wenig von den Vermiethern wie den Mietern anerkannt wird. Ich glaube,
dass, wenn man in Deutschland mehr Erfahrung mit der sogenannten Luftheizung
haben wird, man dort auch die Schädlichkeiten, die sich hierbei einstellen, sehr bald
herausfinden wird. Theoretisch sollen unsere Oefen auch vorzüglich arbeiten, prak¬
tisch aber haben sie sich absolut nicht bewährt, d. h. was die Gesundheit der Be¬
völkerung anbetrifft.
Wenn ich jetzt von den therapeutischen Maassnahmen, die uns zur Verfügung
stehen, spreche, so werden Sie sehen, dass jeder praktische Arzt, der überhaupt ein
Instrument manipulieren kann, das meiste selbst ausführen kann. Bei der Behand¬
lung dieser chronischen Katarrhe ist der hygienische Theil der bei weitem wichtigste.
Ein Klimawechsel ist oft von grossem Vortheil für diese Patienten. Wo sollen wir
dieselben jedoch hinschicken, und zwar im Sommer? Wenn Sie erwägen, was ich eben
gesagt habe, so werden Sie natürlich zu dem Schluss kommen, dass die Seeküste der
beste Platz hierfür sei. Nun, sie ist es und ist es auch nicht. Baden in der See ist
von grossem Vortheil in den allermeisten Fällen. Ausgenommen sind alte Personen,
besonders solche mit Herzaffektionen, bei denen die wohlthätige Reaktion nach einem
Seebade oft gar nicht eintritt. Es giebt aber andrerseits Leute, welche an die Seeküste
gehen und doch nur in ihrem Zimmer baden. Solche Leute sollten besser zu Haus
bleiben oder lieber in die Berge gehen. Durch das Baden in der offenen See werden
die ganzen oberen Luftwege so gereinigt und stimuliert, dass sehr viele Patienten kaum
r ) An experimental study of the respiratory functions of the nose. Boston medical and
«tfgical Journal 1896. 6. November.
*) Hygienische Winke für Wohnungssuchende. Berlin 1897.
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202
W. Freudenthal
glauben, dass sie je irgendwelche Beschwerden in der Nase und im Rachen gehabt
haben. Selbst Woakes, dessen Ansichten häufig verschieden von den ineinigen sind,
erkennt in seinem ausgezeichneten Buch über »Postnasal Catarrh« an, dass »mit der
Wiederkehr des Sommers und einem Besuch der Seeküste alle diese Symptome sich
vermindern«. Wir können deshalb Schwimmen und Baden den allermeisten Leuten
empfehlen, und ich möchte gleich hier hinzufügen, dass es so etwas wie eine »Kur«
von 20 oder 21 Bädern bei unseren Patienten nicht gieht, ebensowenig gelten be¬
stimmte Regeln für die Dauer eines einzelnen Bades. Eine gesunde Person kann
in dieser Beziehung sehr vieles thun, was für eine geschwächte Konstitution ein
grosses Risiko wäre. Jahrelang habe ich während meines Sommeraufenthaltes an
der Seeküste, welcher beiläufig etwa vier oder sechs Wochen betrug, täglich zwei
Bäder genommen, und an sehr heissen Tagen blieb ich oft eine Stunde oder noch
länger im Wasser, ohne den geringsten Schaden davon gehabt zu haben.
Jedoch giebt es eine Klasse von Patienten, die sich an unserer Seeküste absolut
nicht wohl fühlen. Wenn es heiss ist, fühlen sie sich durch die schreckliche Hitze
bei fast absoluter Windstille und der ungeheuren Feuchtigkeit der Luft so gedrückt,
dass sie kaum athmen können. Diese Verhältnisse sind natürlich in verschiedenen
Gegenden verschieden. So habe ich häufig Patienten an die deutschen Gestade, an
die Nord- und Ostsee, geschickt, wo dieselben sich ausserordentlich wohl fühlten.
Leider können wir nicht alle Patienten dorthin schicken und für diese ist ein
Aufenthalt in unseren Bergen, besonders wo sie zu gleicher Zeit kleine Flüsse
oder Seen zum Baden vorfinden, von ausserordentlicher Wichtigkeit.
Was fangen wir aber im Winter mit diesen Patienten an? Solche, die sich
einen Klimawechsel gestatten können, gehen am besten dort hin, wo sie eine milde,
feuchte Atmosphäre antreffen, und ich freue mich, dass Chiari 1 ) in dieser Beziehung
mit meinen Ideen ganz übereinstimmt. Doch was können wir für die grosse Masse
derjenigen Personen thun, die während des Winters zu Hause bleiben müssen? Da
wir nicht, wie der mexikanische Bauer, in ungeheizten Häusern leben können, so
müssen wir die Trockenheit unserer Zimmer in jeder erdenklichen Weise zu beseitigen
suchen. Dass Fenster in jedem Zimmer, besonders vor dem Schlafengehen und auch
während der Nacht geöffnet sein müssen, brauche ich hier nicht zu erwähnen. Ich
rathe meinen Patienten jedes Mal, wenn sie eine Trockenheit in der Nase, im Hals
oder auf den Lippen fühlen, einen Dampfinhalationsapparat in Thätigkeit zu setzen
und den Dampf 5 — 20 Minuten lang einzuathmen. Ein wenig Salz, dem Wasser
hinzugesetzt, ist sehr angenehm. Da diese Prozedur sicherlich harmlos ist, so kann
man sie nach Belieben häufig wiederholen. Ich lasse es besonders vor dem Schlafen¬
gehen und unmittelbar nach dem Aufstehen machen. Es giebt jedoch Leute, die das
nicht thun, da diese Vorschrift ihnen zu einfach erscheint. In solchen Fällen füge
ich dem Wasser etwas Oleum pini sylvestris hinzu, oder Oleum therebinthae oder
eucalyptol, oder ähnliche Drogen. Der erwartete Effekt liegt selbstverständlich nicht in
den Arzneimitteln, sondern in der Feuchtigkeit, die so in direkte Berührung mit den
Schleimhäuten gebracht und absorbiert wird. — Es wurden viele Apparate bereits em¬
pfohlen, um die heisse Luft, sowie sie aus dem Luftschacht in unsere Zimmer tritt,
anzufeuchten. Jedoch haben dieselben sich praktisch ganz und gar nicht bewährt*).
i) Siebe Heymann's Handbuch der Laryngologie Bd.2. S.281.
*) Die meisten Deutschen, die hier herüberkommen, fühlen sich hier ausserordentlich un¬
behaglich in geheizten Zimmern, ohne aber den Grund hierfür, der eben in der sehr ungewöhnlichen
Trockenheit der Zimmerluft besteht, zu kennen.
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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 203
Baden im Winter. Wie sollen wir im Winter baden, kalt oder warm? Es
ist zweifellos, dass kalte Bäder im Winter sehr erfrischend wirken, und sicherlich
ein Präventivmittel gegen Erkältungen sind. Ausserdem aber tragen dieselben wenig
dazu bei, die unangenehmen Symptome unserer Patienten zu erleichtern. Die Menge
Feuchtigkeit, welche während eines kalten Bades von ein bis zwei Minuten oder
während einer kalten Douche von zwei bis drei Minuten absorbiert wird, ist ver-
hältnissmässig gering. Wenn wir mehr Feuchtigkeit wollen, und mehr ist nothwendig,
so muss ein längeres Bad, und zwar lauwarm, genommen werden. Meine Patienten
entkleiden sich vollständig im Badezimmer, während das heisse Wasser, das hier in
jedem Hause erhältlich ist, von einer Douche in das Bassin hineinläuft. Bevor das
letztere halb mit heissem Wasser gefüllt ist, ist die ganze Atmosphäre des Zimmers
mit Feuchtigkeit saturiert. Wenn wir dann etwas kaltes Wasser hinzufügen, so
können wir mit Leichtigkeit die Temperatur des Bades so regulieren, wie es für
jeden angenehm ist. Nach einem Bade von 10 Minuten bleibt der Patient noch etwa
10, 15 bis 30 Minuten bekleidet oder nackt in dem Badezimmer. Wenn er sich
kalt fühlt, so braucht er nur das heisse Wasser wieder anzudrehen, und in kurzer
Zeit wird das Badezimmer wiederum mit heissem Dampf angefüllt sein. Wenn er
vor oder nach dem Bade leichte gymnastische Uebungen mit Hanteln oder dergleichen
macht, so wird das für ihn sicherlich nur von Vortheil sein. Die unteren Athmungs-
wege werden so gleichfalls mit Feuchtigkeit gesättigt und stellen auf diese Weise
eine Reservezufuhr von Feuchtigkeit dar für die Zeit, wenn die oberen Luftwege
wieder trocken geworden sind. Dies sind Dinge, welche Jeder in seinem eigenen
Hause machen kann, und ohne irgendwelche Extraausgaben.
Schwimmbäder während des Winters, besonders wie sie in einigen Schulen
eingeführt sind, können nur von ausserordentlichem Vortheil für die Kinder sein.
Dass bei unseren Patienten viel frische Luft von der grössten Wichtigkeit ist,
habe ich schon oben erwähnt, und ich möchte nur noch hinzufügen, das Spazieren¬
gehen, Reiten, Radeln, Golfspielen, Blaseball, Tennis und andere Spiele nicht warm
genug selbst für die Winterszeit empfohlen werden können. Wenn Sie Ihre Kinder
gesund erhalten wollen, dann thun Sie dasselbe, was ich mit den ineinigen thue.
Lassen Sie sie gerade dann ausgehen, wenn es schneit und wenn es regnet, und
lassen Sie die Gummischuhe und die Schirme bei den anderen Reliquien des ver¬
gangenen Jahrhunderts. Wenn Ihre Kinder im Schnee und Regen herumlaufen und
warm werden, dann werden sie gesund sein. Wenn Sie sie immer bei solchen Ge¬
legenheiten zu Hause behalten, dann werden sie krank sein, und Sie sind dafür ver¬
antwortlich. »Czika stirbt, wenn Czika nicht in den Regen darf«, sagt das unver¬
fälschte Zigeunerkind (von sich selber) in Spielhagen’s »Problematischen Naturen«,
und es hat Recht! Der Aberglaube, betreffend die NothWendigkeit, Gummischuhe
zu tragen, ist hier so tief in die weitesten Schichten eingedrungen, dass die Vor¬
steherin einer hiesigen Schule eines Tages mich zu sich bitten liess. Eines meiner
Kinder war an einem Regentage ohne Gummischuhe in die Schule gekommen, und
die Dame dachte, dass das gegen die Regeln der Schule wäre. Sapienti sat!
Wir kommen jetzt zur Behandlung des Nasenrachenkatarrhs durch lokale Appli¬
kationen, worüber ich nur sehr wenig sagen möchte. Wenn grosse Hypertrophieen
der Muscheln oder Affektionen der Nebenhöhlen, des lymphoiden Gewebes im Rachen
oder andere pathologische Veränderungen vorhanden sind, die chirurgisch operiert
werden sollten, dann muss dies natürlich .geschehen. Wenn die Hypertrophieen
der Muscheln jedoch nicht so gross sind, dass sie die Athmung behindern, dann
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sollten sie weder abgeschnürt noch kanterisiert werden. Wenn man den immer vor¬
handenen retronasalen Katarrh behandelt, dann sieht man gar zu häufig, wie diese
scheinbaren Hypertrophieen sehr bald schrumpfen, und in vielen Fällen werden Sie
sehen, dass die Hypertrophie hier wirklich nur eine scheinbare war und dass wir be¬
reits hier den Anfang einer Atrophie vor uns hatten. Ich bin in den letzten Jahren
sehr skeptisch geworden in Bezug auf den Werth der Kauterisationen bei hypertrophi¬
schen Muscheln, da ich zu viele atrophische Katarrhe daraus hervorgehen sah. Wenn
das hypertrophische Stadium bereits dem atrophischen Platz gemacht hat, ist unsere
Aufgabe viel schwieriger. Wir müssen da zu allererst die Borken und Krusten aus
der Nase entfernen. Ich lasse zu diesem Zwecke gewöhnlich Tampons einlegen,
welche mit Ichthyol (5—25 «/<,) gesättigt sind, und lasse sie eine Zeit lang darin
liegen. Wenn man dann den Retropharynx mit einer Lugol’schen oder irgend einer
anderen Lösung reinigt, so sind die Patienten sehr leicht im stände, sämmtliche ein¬
getrockneten Sekrete durch Schnauben oder Blasen aus der Nase zu entfernen. Statt
Ichthyol kann man auch eine Menge andrer Medikamente brauchen, die ich hier nicht
weiter anzuführen beabsichtige. Jedoch giebt es manche Fälle, wo man mit diesen
Maassnahmen nicht auskommt und ein Nasenspray oder Nasendouche empfohlen
werden muss. Ich halte im allgemeinen diese Sprays und Douchen für ausserordent¬
lich schädlich, und ich glaube, dass dieselben mehr dazu beigetragen haben, Neben¬
höhlenentzündungen und Empyeme zu verursachen, als irgend etwas anderes. Es
war Bresgen 1 ), der bereits im Jahre 1891 darauf aufmerksam gemacht hat und mit
dem ich darin vollständig übereinstimme. Jedoch, wie ich eben gesagt habe, müssen
wir in manchen Fällen die Nase ausspülen, und hierfür benutze ich gewöhnlich
irgend einen Apparat, ähnlich dem von B. Fraenkel schon sehr lange empfohlenen,
oder den kleinen Doucheapparat von Dessar, oder den von Birmingham, oder
man kann irgend einen Esslöffel oder Theelöffel dazu benutzen. Protestieren möchte
ich aber gegen den kritiklosen Gebrauch von täglichen Waschungen der Nase bei
vollständig gesunden Kindern, wie es von einem hiesigen bekannten Laryngologen
empfohlen wurde. Der Kollege glaubt, dass dasselbe Prinzip der Reinlichkeit schon
seit langer Zeit in der Zahnheilkunde erfolgreich angewendet wurde, warum sollte
der Rhinologe diesem nicht auch Folge leisten? Wenn wir in dieser Weise
argumentieren, so verstehe ich nicht, warum der Kollege nicht tägliche Aus¬
waschungen des Magens empfiehlt. Wir würden sicherlich oft viel unverdaute
Nahrung darin finden. Warum sollten wir nicht auch die Urethra und die Blase
täglich auswaschen, warum nicht die Eingeweide mit einer antiseptischen Lösung
irrigieren, und so weiter ad infinitum? Es giebt wenig Sachen, die, um es milde zu
sagen, so zwecklos sind, wie die Nasendouche von gesunden Kindern mit alkalischen
und ähnlichen Lösungen.
Bei Reinigung der Nase bemerken wir oft einen sehr fötiden Geruch, der häufig
aus dem Retropharynx stammt, wo sich Sekrete ja so sehr leicht ansammeln und zer¬
setzen können. Oft, wenn man einen derartigen Patienten zum ersten Mal sieht, ist
dieser Gestank so markant, dass man geneigt ist, an eine Erkrankung der Neben¬
höhlen zu glauben. Ich habe derartige Massen häufig in allen Theilen der Nase
und des Nasenrachenraums gefunden. Ich habe leider auch gesehen, dass an solchen
Patienten Operationen an den Nebenhöhlen gemacht wurden, welche der operativen
>) Wann ist die Anwendung des elektrischen Brenners in der Nase von Nutzen? Leipzig 1891.
- Gefahren und Unzweckmässigkeiten der Nascnspüiungen. Die Praxis 1890. No. 15.
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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 205
Geschicklichkeit des betreffenden Rhinologen alle Ehre machten, jedoch dem Patienten
absolut keine Erleichterung brachten. Nicht alles, was stinkt, ist eine Nebenhöhlen-
erkrankung oder eine Ozäna. Man sieht häufig einen derartigen Fötor gänzlich ver¬
schwinden, nachdem man die lokale Behandlung der betreffenden Theile einige Zeit
hindurch gründlich durchgeführt hat.
Ich übergehe die grosse Masse der Maassnahmen, die Sie alle kennen, und die
mit mehr oder minder Erfolg bei der lokalen Behandlung des Nasenrachenkatarrhs
angewendet werden. Sie können dieselben in den bekannten Lehrbüchern leicht
finden. Ich möchte nur noch auf zwei andere Methoden hinweisen, die ich in den
letzten Jahren vielfach angewendet habe. Die eine ist die lokale Anwendung der
Kohlensäure. Seitdem Achilles Rose dieselbe vor etwa drei oder vier Jahren
in meiner Klinik zuerst versucht hatte, benutze ich dieselbe, und häufig mit grossem
Erfolg für die Patienten. Ich habe sehr oft beobachtet, dass Kohlensäure, lokal auf
die Schleimhaut gebracht, einen hyperämischen Zustand derselben hervorruft. Ich
lasse dieselben noch in der alten Weise einathmen, indem ich sie jedesmal frisch
mit Natrium bicarbonicum und Acidum tartarum zubereite, und die Patienten sagen
sehr häufig: »Jetzt kann ich zum ersten Mal wieder gut athmen!« In manchen
Fällen hat die Kohlensäure daher einen wirklich ausgezeichneten stimulierenden Effekt
Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass der Retropharynx immer vorher von den
adhärierenden Schleimmassen gereinigt sein muss, damit die Kohlensäure einwirken
kann. Wenn der Retropharynx gereinigt ist, brauchen wir uns um die Nase nicht
weiter zu kümmern, denn die Sekrete werden dann sehr leicht von selbst entfernt.
Die Reinigung des Retronasalraums vor der Anwendung der Kohlensäure ist von der
grössten Wichtigkeit, und da die Patienten dieses gewöhnlich nicht selbst zu Hause
machen können, so ist das ein Grund, weshalb die Kohlensäure, zu Hause an¬
gewendet, für die Patienten meistens nutzlos ist. Ich habe bei meinen sehr zahl¬
reichen Beobachtungen in Bezug auf die Anwendung der Kohlensäure nur einmal einen
toxischen Effekt gesehen. Es betraf einen Herrn von 73 Jahren mit Insufficienz der
Mitralis. Nachdem derselbe etwa zwei Minuten lang das Gas inhaliert hatte, fiel er
rückwärts und wäre vom Stuhl gefallen, wenn ich ihn nicht gehalten hätte. Er kam
jedoch nach einigen Sekunden wieder zu sich, ohne weiteren dauernden Schaden
davon behalten zu haben.
Wie bei allen chronischen Krankheiten, so verliert auch hier ein und dasselbe
Mittel seinen Effekt, nachdem es eine Zeit lang angewendet wurde. Wir müssen
deshalb die Behandlung wechseln, und wir haben noch ein Mittel, um die inaktive
Schleimhaut zu stimulieren, und das ist die direkte Massage der Schleimhaut.
Michael Braun 1 ) aus Triest war der erste, der auf dem Berliner Kongress
weitere Kreise für diese Behandlung zu interessieren suchte. Auch ich fing gleich
nach dem Kongress mit diesen Versuchen an. Zu systematischer Arbeit wurde ich
aber erst veranlasst durch die begeisterte Monographie Laker’s 2 ). Und wiewohl
es mir bei der Lektüre seines Buches manchmal schien, als ob der Verfasser diese
neue Behandlungsweise in etwas zu rosigem Lichte betrachtete, so musste ich mir
1 ) Michael Braun, Massage, beziehungsweise Vibrationen der Schleimhaut der Nase, des
Nasenrachenraums und des Rachens. Verhandlungen des zehnten internationalen medicinischen
Kongresses. Berlin 1890. Abtheilung 12. S. 112.
2 ) Carl Laker, Die Heilerfolge der inneren Schleimhautmassage bei den chronischen Krank¬
heiten der Nase etc. Graz 1892.
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doch sagen, dass selbst bei der strengsten Kritik immer noch genügend znrückbliebe,
um diese Therapie des Versuches zu würdigen. Doch bevor wir auf die Ausübung
derselben näher eingehen, müssen wir die Frage beantworten: Welches ist der
physiologische Effekt der Massage? Sie wirkt, und das ist die Hauptsache,
regulierend auf die lokale Zirkulation des Blutes ein. Durch die Untersuchungen
von Kronecker und Stirling wurde bewiesen, dass die Massage wie eine voll¬
kommene Perfusion (Durchspülung) wirkt, welche nicht nur neueft Nährstoff zuführt,
sondern auch die asphyktischen (unbrauchbaren) Säfte sehr rasch abftthrt. Dies ge¬
schieht dadurch, dass die Massage auch auf den Lymphstrom einwirkt, denn es wird
nicht nur der Lymphstrom beschleunigt, sondern auch der Rückfluss des venösen
Blutes. So wirkt indirekt die Massage auch auf die Resorption normaler und
pathologischer Gewebeflüssigkeiten ein. (Reibmayr.)
Auf Grund dieser theoretischen Erwägungen und der von anderen erreichten
Resultate entschloss ich mich nun im Jahre 1891, die Massage anzuwenden, doch
bot mir die Ausführung derselben mancherlei Schwierigkeiten. Sie alle kennen die
Berichte von Michael Braun, Laker, Herzfeld, Lahmann, Garnault u. a., und
Sie wissen, dass die Erlernung der Vibrationsmassage eine ausserordentlich schwierige
.ist. Sagt doch Laker selbst, dass man bei täglicher Uebung die Methode mit der
Sondenmassage in einigen Monaten wohl erlernen könne.
Wie schwierig dies aber ist und wie das ganze Resultat von der exakten Aus¬
führung derselben abhängig ist, davon giebt Garnault 1 ) eine sehr richtige Be¬
schreibung, indem er sagt: »II est absolument n£cessaire que les vibrations soient
extremement rapides, qu’elles soient r^guli&res et de meme intensitA Ces trois
conditions indispensables sont en meme temps insäparables. S’il n’en 6tat pas ainsi,
on dechirerait la muqueuse, et l’on augmenterait l’inflammation, que l’on prdtend calmer«.
Wenn man also die Methode, nicht richtig ausführt, schadet man mehr, als man
nützt, und um sie richtig ausführen zu können, bedarf es einer täglichen Uebung
•von mehreren Monaten. Dies sind doch Uebelstände, mit denen man sehr zu
rechnen hat. Dies waren auch die Gründe, die mich trotz aller schon im voraus
gemachten Einwürfe daran denken Wessen, als treibende Kraft nicht unsere Arm¬
muskulatur, sondern die Elektrizität heranzuziehen. Zu diesem Behufe konstruierte
ich den elektrischen Vibrator, wie Sie ihn jetzt vor sich sehen.
Der Mechanismus desselben ist in Kürze folgender: Zwei Magnete befinden
sich im Innern des Hauptbestandteiles. Um dieselben läuft ein Draht in vielfachen
Windungen. Die stossenden Bewegungen von hinten nach vorne werden von einem
zwischen den beiden Magneten befindlichen Stabe ausgeführt, an dessen hinterem Ende
eine eiserne Platte befestigt ist, die wiederum eine zweite Metallplatte trägt. An
dem vorderen Ende des Stabes befindet sich ein abschraubbarer Theil, den ich die
Sonde A nennen will. Das Knöpfende derselben, a, ist beweglich. Das Instrument
ruht auf der Hand zwischen Daumen und Zeigefinger. Dabei wird der letztere in
den seitlich angebrachten Halter E so weit vorgeschoben, dass er bequem auf den
am vorderen Ende angebrachten Elfenbeinknopf I drücken kann. Am unteren, resp.
hinteren Ende des Instrumentes sind zwei Schrauben für die elektrischen Drähte
angebracht. Wenn ich nun auf den Elfenbeinknopf drücke, so wird der Strom ge¬
schlossen, die eiserne Platte durch den nun elektromagnetisch gewordenen Magneten
i) Le ma8sage vibratoire et filectrique des muqueuses du nez, du pharynx et du larynx. La
scmaine mgdicale 1892 S. 354.
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Praktische Gesichtspunkte in der Behandlung des chron. Nasen- u. Rachenkatarrhs. 207
nach vorn angezogen und damit der ganze Stab natürlich auch nach vorn getrieben.
Sowie aber die eiserne Platte vorn angelangt ist, ist auch der Strom direkt vor
der Schraube unterbrochen, und die Platte fällt, durch Federkraft getrieben, so
wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück. Kaum ist dies aber geschehen, so ist der
Strom wieder geschlossen und das Spiel beginnt von neuem. Die Qualität und
Quantität der Stösse ist durch die beiden am hinteren Ende befindlichen Schrauben
zu regulieren. Was nun die Handhabung dieses Vibrators anbetrifft, so sind dazu
absulut keine Vorkenntnisse erforderlich. Ich verbinde, wie Braun, die Vibrationen
mit der Effleurage, indem ich den Apparat sehr langsam von einer Stelle zur anderen
fortbewege.
Um die Nase zu vibrieren, erweitere ich mir dieselbe mit einem Spekulum und
benutze Sonde A. Will ich das Septum oder seitlich gelegene Theil berühren, so
drehe ich das Knöpfende a nach rechts oder links; auch kann man dies oft dadurch
umgehen, dass man den Kopf des Patienten durch leichte Seitwärtsdrehung in die
passende Position bringt.
Fig. 17.
Um die Pars oralis des Pharynx zu vibrieren, benutze ich gleichfalls Sonde A
mit gerade gestelltem Endstück. Für den Nasenrachenraum wende ich Sonde B an,
indem ich deren bewegliches Ende gerade und dann nach oben stelle, um so alle
Theile dieses Saumes treffen zu können (Fig. 17).
Jeder, der ein Naseninstrument manipulieren kann, kann auch mit der grössten
Leichtigkeit diesen Vibrator benutzen. Ich wende die direkte Massage jetzt fast aus¬
schliesslich für atrophische Affektionen in der Nase und am Hals an, und ich glaube,
dass es für viele Fälle kein besseres Mittel giebt, um die inaktiven Drüsen wieder
znr Aktivität zu bringen, als die direkte Massage der Schleimhaut. Auf diese Weise
werden die Drüsen wiederum in den Stand gesetzt, Feuchtigkeit aufzunehmen und
aufzubewahren, und wenn wir das allein erreichen, so ist schon viel für den Patienten
geschehen. Ich wende kein anderes Mittel zusammen mit der Massage an, wie
andere es empfehlen, jedoch lasse ich gleich nach der Massage den Patienten aus
irgend einem Dampfapparat inhalieren. Auf diese Weise werden wir allen An¬
forderungen gerecht.
Mit dem chronischen Katarrh der oberen Luftwege ist häufig noch ein Symptom
verbunden, dessen sehr selten in den Lehrbüchern Erwähnung geschieht, das aber
für manche Patienten sehr unbequem ist, und das ist das Schnarchen. Was ist
Schnarchen? Während der normalen Athmung im Schlafe wird der weiche Gaumen
durch den Luftdruck an die Zungenbasis gezogen, und auf diese Weise wird eine
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208 W. Freudenthal, Prakt. Gesichtspunkte in d. Behänd!, d. chron. Nasen- u. Bachenkatarrhs.
offene Passage zwischen der Nase und den Lungen hergestellt. Leute mit normalen
Athmungsorganen sollten daher so ruhig schlafen »wie ein Kindt. Bei sogenannten
Mundathmern jedoch hängt das Velum lose herab und wird mit jeder Athmung
durch den Inspirations- und Exspirationsstrom hin und her bewegt, und auf diese
Weise das bekannte Geräusch produziert. Es giebt jedoch eine Gruppe von Menschen,
bei denen wir keine pathologische Grundlage für das Schnarchen finden. Ich muss
hier wiederum diejenigen, Kinder besonders, ausschalten, bei denen grosse Massen
von adenoidem Gewebe aus dem Nasenrachenraum entfernt worden waren. Der
weiche Gaumen, der zuweilen durch lang anhaltenden Druck dieser aussergewöhnlich
grossen Massen gezerrt worden war, braucht eine gewisse Zeit, zuweilen Monate,
bevor die Restitutio ad integrum eintritt. Dies geschieht am schnellsten durch Berg¬
luft und durch eine im allgemeinen roborierende Diät. Die anderen Patienten aber,
besonders erwachsene Leute, haben häufig diese »Schwäche«, die ich mir bei Ab¬
wesenheit aller pathologischen Ursachen nur auf folgende Weise erklären
kann: Durch oft unbekannte Ursachen wird der weiche Gaumen erschlafft, und zwar
häufig bis zu einem solchen Grad, dass er während des Schlafes nach hinten fällt
und die Passage zwischen Nase und Hals abschliesst, besonders wenn der Patient
auf dem Rücken liegt. Es ist leicht verständlich, wie auf diese Weise derselbe
Effekt des Schnarchens hervorgebracht wird, als wenn irgend eine Masse, sei es ein
Tumor oder eingetrocknete Sekrete, die Passage verstopften. Ich habe in solchen
Fällen abwechselnd den galvanischen und faradischen Strom direkt auf das Velum
appliziert und habe manche ausserordentlich gute Resultate zu verzeichnen. Ich
möchte auch hier wiederum gegen gewisse »Erfindungen« und »Apparate« protestieren,
welche selbst von hervorragenden Laryngologen empfohlen werden, um die Mund-
athmung während des Schlafes bei Kindern zu verhüten. Diese Erfindungen bestehen
gewöhnlich in irgend einer Bandagevorrichtung, welche um den Kopf und das Kinn
herumgeführt werden, und den Zweck haben, den Mund während des Schlafes voll¬
ständig zu verschliessen. Ich halte dieselben für absolut gefährlich. Bei normalen
Personen brauchen wir dieselben sicherlich nicht, denn jeder Mensch mit normaler
Nase und normalem Hals hält den Mund während des Schlafes geschlossen. Mit
anderen Worten, wenn irgend jemand mit offenem Munde schläft, so muss ein
pathologischer Grund hierfür da sein. Entfernen Sie die Ursache, und wir brauchen
keine weitern Erfindungen. Häufig tritt sogar bei Kindern, wie ich das sicherlich
glaube, eine Schwellung der hinteren Theile der unteren Muschel während des
Schlafes ein, und auch dies genügt schon, um die Athmung zu verlegen; wenn Sie
nun dann den Mund eines Kindes auch noch durch irgend einen Apparat verschliessen,
so ist die Gefahr der Erstickung ausserordentlich gross. Die Ursache aber, dass ein
solcher Unfall bis jetzt noch nicht beobachtet worden ist, liegt nur darin, dass die
Kinder es dennoch zustande bringen, die Lippen zu öffnen und durch die Zahnlücken
hindurch zu athmen.
Zum Schluss gestatten Sie mir nur noch zu sagen, dass ich es absolut nicht
versucht habe, ein auch nur annähernd erschöpfendes Bild über den gegenwärtigen
Stand dieser für jeden Praktiker so ausserordentlich wichtigen Frage zu geben. Ich
bin zufrieden, wenn es mir gelungen sein sollte, Sie von der Wichtigkeit einiger
weniger neuer Gesichtspunkte zu überzeugen.
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Jlenzer, Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. 209
II
Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus. 1 )
Aus der III. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin.
(Direktor: Geh.-Rath Prof. Dr. Senator.)
Von
Stabsarzt Dr. Menzer.
Der neuen Behandlungsweise des Gelenkrheumatismus liegt folgende theoretische
Auffassung der Aetiologie zu Grunde. Der akute Gelenkrheumatismus ist ein eigen¬
artiges Krankheitsbild, nicht weil er einen spezifischen Erreger hat, sondern weil er
eine durch besondere äussere und konstitutionelle Einflüsse bedingte Reaktion des
menschlichen Organismus auf eine Allgemeininfektion mit parasitären Bakterien der
oberen Luftwege darstellt. Nach allen neueren Untersuchungen handelt es sich so
gut wie immer um Streptokokkeninfektionen, und dementsprechend ist die Behandlung
diejenige mit einem Antistreptokokkenserum. Letzteres ist nach dem Prinzip Tavel’s
hergestellt Dabei werden die von Menschen gezüchteten Streptokokken nicht durch
Thierpassagen, z. B. bei Kaninchen, in ihrer Virulenz für diese Thiere gesteigert und
dann zur Immunisierung grosser Thiere verwendet, sondern in möglichst origineller
Beschaffenheit zu Massenkulturen auf Nährböden, welche, wie z. B. die Ascitesbouillon,
im stände sind, die ursprüngliche Virulenz zu erhalten, angelegt und in steigenden
Dosen grossen Thieren eingespritzt.
Zur Immunisierung sind nur die von den Tonsillen von Rheumatikern isolierten
Streptokokken in Anwendung gekommen.
Das Serum ist kein antitoxisches, sondern ein antibakterielles. Durch seine Ein¬
verleibung werden dem menschlichen Organismus bakteriolytische Stoffe zugeführt.
Dementsprechend macht die Einführung des Serums bei chronischem Strepto-
kokken-Gelenkrheumatismus frische Entzündungen an kranken (nicht an gesunden)
Gelenken — eine Fähigkeit, die nach Kon troll Untersuchungen normales Thierserum
und auch Marmorek’s Antistreptokokkenserum nicht haben —, und im akuten
Stadium des akuten Gelenkrheumatismus unterstützt das Serum die natürliche Heil¬
reaktion des Organismus. Es wirkt im Anfang entzündungssteigernd und temperatur¬
erhöhend, mit dem Abklingen der Erkrankung fördert es die Entfieberung, erzeugt
bei geheilten Rheumatikern und auch bei Gesunden kein Fieber.
Die Anwendung in etwa 20 akuten Fällen hat gezeigt, dass das Serum durch¬
aus nicht Schmerzen und Fieber zu unterdrücken vermag, wie dies Salicylsäure oft
leistet, sondern nur den natürlichen Heilungsvorgang unterstützt und dadurch wieder
etwas beschleunigt. Es werden nicht schmerz- und fieberfreie Intervalle wie bei
der Salicylbehandlung beobachtet, dagegen treten die Affektionen an Gelenken,
i) Autoreferat nach Vorträgen am 14. Mai 1902 in der Berliner medicinischen Gesellschaft
und am 15. Mai 1902 in der Gesellschaft der Charitäärzte.
Zeitaohr. t dilt u. phyBik. Therapie. Bd. VI. Heft 4 15
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210 Menzer, Serumbehandlung bei akutem und chronischem Gelenkrheumatismus.
Endokard u. s. w. in kontinuierlicher Folge nach einander auf. Die Kranken be-,
finden sich dann aber nach Eintritt völliger Entfieberung in voller Rekonvalescenz, und
es wurden in der Zeit von 4—6 Wochen Recidive nach Eintritt der Heilung nicht
beobachtet.
Die Dauer der Gelenkaffektionen betrug durchschnittlich 5—6 Tage, diejenige
des Fiebers etwa 6—7 Tage, der 14. Tag war durchschnittlich der erste Tag des
Aufstehens.
Auch die Endokarditis schien günstig beeinflusst zu sein. Bei den meisten
Kranken waren im Verlauf der Erkrankung Herzgeräusche beobachtet worden, jedoch
nur bei einem bereits zum dritten Male Erkrankten, welcher Arythmie, systolische
und diastolische Geräusche hatte, blieb ein Klappenfehler zurück.
Durch die Serumbehandlung konnte auch eine grössere Zahl chronischer
Rheumatismen, welche bis zu mehreren Monaten schon nach allen möglichen
Methoden (Salicylpräparate, Hydrotherapie, Massage u. s. w.) ohne Erfolg behandelt
waren, in etwa 2—3 Wochen geheilt, bezw. wesentlich gebessert werden.
Nachtheilige Folgen hatte die Einverleibung des Serums auch in Dosen bis zu
50 ccm nicht, zuweilen trat etwas Röthung und Schwellung in der Umgebung der
Injektionsstelle (Oberschenkel) auf, auch schwollen die Leistendrüsen bei einzelnen
Kranken etwas an. Oefters wurden beim Abklingen des Fiebers Hauterscheinungen,
wie Urtikaria, ferner theils fleckige, theils diffuse Erytheme u. s. w. beobachtet.
Ein Nachtheil der Serumbehandlung ist noch die hohe Dosierung. Anfänglich
waren 100—150 ccm für die Behandlung eines akuten Falles nothwendig. Von den
in letzter Zeit verwendeten stärkeren Immunseren werden 50—75 ccm benöthigt, und
täglich etwa 5—10 ccm eingespritzt.
Die Anwendung des Antistreptokokkenserums gegen die Streptokokkenmisch¬
infektion der Phthise und in einem Falle von chronischer Streptokokkenbronchitis mit
Emphysem hat ebenfalls Lokalreaktionen und Fieber hervorgerufen und in dem letzt¬
genannten Falle Heilung herbeigeführt. Hierin ist ein biologischer Beweis gegen die
Annahme spezifischer Streptokokken als Erreger des Gelenkrheumatismus zu sehen.
Bezüglich der Gewinnung des Antistreptokokkenserums bemerke ich noch, dass
es von Herrn Dr. Landmann, dem Vorstand der bakteriologischen Abtheilung der
Firma Merck in Darmstadt, und mir gemeinsam hergestellt wird.
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Aug. Laqueur u. Wald. Loewcnthal, Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetznng. 211
III.
Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale
hydrotherapeutische Prozeduren.
Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität in Berlin
(Leiter: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Brieger).
Von
Dr. Angnst Laqueur und Dr. Waldemar Loewenthal.
Assist, der Anstalt
Als in der zweiten Hälfte das vorigen Jahrhunderts hauptsächlich unter Vor¬
angang von Winternitz die wissenschaftliche Untersuchung der Wirkung hydro¬
therapeutischer Maassnahmen in Angriff genommen wurde, wandte sich das Interesse
der Forscher zunächst der Beeinflussung des Wärmehaushaltes, der Blutvertheilung,
des Blutdruckes und anderer von vasomotorischen Vorgängen abhängiger Faktoren
durch thermische Einwirkungen zu. Erst verhältnissmässig spät wurde die Verände¬
rung der Blutzusammensetzung durch hydrotherapeutische Eingriffe studiert.
Wenn wir von der Beobachtung absehen, dass nach heissen Bädern, die mit
Schweissau6bruch einhergehen, die Werthe für Hämoglobingehalt und Zahl der
rothen Blutkörperchen infolge der Eindickung des Blutes steigen (Malassez), so
sind als wichtigste Entdeckung auf diesem Gebiete die für die Leukocyten zuerst von
Toeniessen, weiterhin von Grawitz, Winternitz und Rovighi unabhängig von
einander gemachten Beobachtungen zu nennen, dass den ganzen Körper treffende
Kälteprozeduren, wie sie für therapeutische Maassnahmen in Betracht kommen,
den Hämoglobingehalt, das spezifische Gewicht des Blutes, sowie die
Zahl der rothen und weissen Blutkörperchen im Kapillarblut erhöhen.
Diese Befunde sind von einer Reihe von späteren Untersuchern bestätigt worden;
was dagegen die Einwirkung anderer thermischer Einflüsse, wie extremer Kälte¬
anwendung, nicht bis zum Schwitzen fortgesetzter Wärmeprozeduren u. a. auf die
Blutzusammensetzung betrifft, so herrschen hier unter den verschiedenen Autoren
noch manche Widersprüche.
War schon bei diesen Beobachtungen, die bei Einwirkung der Prozeduren auf
die ganze Körperoberfläche gemacht waren, die Einsicht in das eigentliche Wesen
der dabei auftretenden Blutveränderungen schwierig, so wurde die Frage noch mehr
kompliziert durch die zuerst von Winternitz gemachte Mittheilung, dass auch
lokale hydrotherapeutische Maassnahmen die Blutzusammensetzung sehr er¬
heblich beeinflussen, und zwar nicht nur am Orte der Applikation, sondern auch,
uad zwar in entgegengesetztem Sinne, an entfernten Körperstellen. Winternitz
fand nämlich, dass kalte Fussbäder, kräftige Strahlen- und Fächerdouchen auf Füsse
und Unterschenkel und ähnliche lokale Kälteprozeduren eine Verminderung der
weissen und rothen Blutkörperchen in Ohrläppchen und Fingerkuppe bewirken.
Weiterhin theilte er mit, dass bei erregenden (d. h. kalten, sich allmählich unter
Hervorrufung einer Reaktion erwärmenden) Umschlägen um die Waden am Orte der
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212
August Laqueur und Waldemar Loewenthal
Applikation eine bedeutende Vermehrung der Blutdichte und Leukocytenzahl, an
entfernter Körperstelle (Fingerbeere) eine entsprechende Verminderung eintritt Er
fand z. B. nach einem solchen Wadenumschlag in der Wadenhaut eine Zunahme der
rothen Blutkörperchen um fast eine Million, des Hämoglobingehaltes um 10°/ o und
eine Verdoppelung der Zahl der Leukocyten; die Abnahme in der Fingerbeere war
in dem angeführten Beispiele etwas geringer, betrug für die Erythrocyten aber
immerhin noch eine halbe Million. Aehnlich starke Veränderungen fand Winter¬
nitz bei erregenden Umschlägen um den Leib. Umgekehrt fand er, dass im Gegen¬
satz zu den erregenden (d. h. anfangs kalten) Umschlägen bei heissen Umschlägen
respektive Kataplasmen am Orte der Applikation eine sehr erhebliche Verminde¬
rung der Blutdichte zugleich mit Zunahme der Leukocyten eintrat. Diese Verminderung
betrug für das Hb bis zu 22 °/ 0 , für die rothen Blutkörperchen bis zu 2,5 Millionen.
Nebenbei sei erwähnt, dass Winternitz auch ohne jeden thermischen Eingriff
eine Verschiedenheit der Blutzusammensetzung an den verschiedenen Körperstellen
konstatierte, und zwar in dem Sinne, dass die Werthe für die Zahl der rothen Blut¬
körperchen, Hämoglobingehalt und spezifisches Gewicht des Blutes vom Stamm nach
der Peripherie zu abnahmen; z. B. fand er das Blut der Fingerbeere um 1,3 Millionen
rothe Blutkörperchen ärmer als das der Bauchhaut. Angaben über solch auffällige
physiologische Unterschiede in der Zusammensetzung des Blutes der verschiedenen
Körperstellen sind, soweit wir haben finden können, sonst nur von Kosturin ge¬
macht worden, während neuere Untersuchungen mit »einem hohen Grad von Wahr¬
scheinlichkeit das Vorhandensein eines grösseren Unterschiedes in der Zusammen¬
setzung der von verschiedenen Körperregionen untersuchten Blutproben ausschliessenc
(Reinert cit. nach Matthes). Auch unsere eigenen wenigen zur Orientierung über
diese Frage unternommenen Untersuchungen haben keine wesentlichen Unterschiede
in dieser Hinsicht ergeben.
Abgesehen von Winternitz sind Angaben über die Wirkung lokaler hydro¬
therapeutischer Prozeduren auf die Blutzusammensetzung von anderen Autoren nur
nebenher gemacht worden (Grawitz, Friedländer), und so erschien uns eine
spezielle Untersuchung dieses auch theoretisch interessanten Gebietes wohl angezeigt
Wir beschränkten uns bei unseren Versuchen ausschliesslich auf lokale,
nur einzelne Körpertheile treffende Prozeduren.
Untersucht wurde die Wirkungsweise hauptsächlich von erregenden und von
warmen Umschlägen, ausserdem von prolongierten kalten Armbädern, von kalten
Fussbädern, Fussdouchen und Kniegüssen von verschiedener Dauer. Die Blutunter¬
suchung wurde jedesmal vorgenommen unmittelbar vor Beginn und ein zweites Mal
sofort nach Beendigung der Prozedur, oder, wo dies angängig war, noch während
ihrer Anwendung nach Ablauf einer bestimmten Frist. Die Blutentnahme geschah
bei all den lokalen Eingriffen, deren Fern Wirkung geprüft werden sollte, aus dem
Ohrläppchen, in den Fällen, wo die Wirkung am Ort der Applikation der Prozedur
geprüft werden sollte, aus der Fingerbeere. Es wurde bestimmt die Zahl der rothen
und weissen Blutkörperchen, der Hämoglobingehalt (nach Fleischl), das spezifische
Gewicht des Blutes (nach Hammerschlag’s Benzolchloroformmethode) und des in
Grawitz’schen Kapillaren abgesetzten Blutserums (ebenfalls nach Hammerschlag).
Bei der Zählung der weissen Blutkörperchen wurde in drei Kammern des Thoma-
Zeiss’schen Zählapparates das ganze Netz durchgezählt, zur Zählung der rothen aus
drei Kammern je vier, also zusammen zwölf grosse Quadrate zu je 16 Feldern.
Durch Kontrollversuche hatten wir gefunden, dass bei Zählung von weniger Quadraten
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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung.
213
die Fehlermöglichkeit zu sehr wuchs. Den Vergleichsresultaten, die sich bei der
Hb-Bestimmung nach Fleischl ergaben, darf nur bei sehr eklatanten Unterschieden
grösserer Werth beigemessen werden, da die Fehlergrenze hierbei immer mindestens
5®/ 0 beträgt. Auch die Bestimmungen mit dem Gowers’schen Apparat, den wir zum
Vergleich öfters heranzogen, sind nicht genauer. Die Bestimmung des spezifischen
Gewichts des Blutes erwies sich bei Kontrollversuchen als einwandsfrei. Das Blut
wurde zur Untersuchung vor und nach der Prozedur aus demselben Finger ent¬
nommen, bei Untersuchung aus dem Ohr ebenfalls bis auf wenige Male aus dem¬
selben Ohr, und es wurde dazu fast ausnahmslos ein neuer Einstich gemacht; die
Blutentnahme zu den verschiedenen Proben war fast stets nach höchstens fünf Mi¬
nuten beendet. Als Versuchspersonen dienten Gesunde und leichter Kranke aus der
Poliklinik und der stationären Abtheilung des Instituts.
A. Erregende Umschläge.
Die Umschläge wurden in der Weise appliziert, dass um den betreffenden
h'örpertheil (Unterschenkel, Leib, Vorderarm mit Hand) ein in möglichst kaltes
Wasser (9—11 0 C) getauchtes gut ausgewundenes Handtuch umgelegt und mit einem
Flanelltuch gut überdeckt wurde. Nach anfänglichem Kältegefühl erwärmt sich die
Haut und der Umschlag, die Hautgefässe erweitern sich, d.h. es tritt die typische
Reaktion ein. Schon nach wenigen Minuten ist dies gewöhnlich der Fall und thut sich
durch ein angenehmes Wärmegefühl an dem betreffenden Körpertheil kund. Wir Hessen
die Umschläge circa eine Stunde lang liegen und untersuchten bei Umschlägen um
Waden oder Leib nach Ablauf dieser Zeit das Blut aus dem Ohrläppchen, ohne den
Umschlag zu entfernen, während wir bei Blutentnahme aus der Fingerbeere den Um¬
schlag um Hand und Arm nach dieser Zeit natürlich erst entfernen mussten.
I. Erregende Umschläge um die Waden mit Untersuchung des Blutes
des Ohrläppchens.
Tabelle I.
Name
Rothe
Blut¬
körperchen
Leuko-
cyten
Spezif. €
Blutes
lewicht des
Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
l. M.
vorher
4266 500
7180
1053,5
1027
85,5
Umschlag um beide Waden.
nachher
4 216 500
= (-)
6440
1051
1027
82,5
Gute Reaktion.
2. K. M.
vorher
nachher
4 045 000
3900000
i
1057
1056,5
= (-)
1032
1032
99
96,5
Beide Waden. Umschlag nur
wenig erwärmt.
3. Frl. Tr.
vorher
4 935 000
7815
1055
1030
72,5
Eine Wade. Haut massig
nachher
4 445 000
9200
1055
1027
72,5
warm und geröthet.
4. Mo.
vorher
nachher
4 762 500
4 450000
6970
6870
= (-)
1055,5
1052
1031
1033 (Hb)
97.5
92.5
Beidfc Waden. Haut wann.
ö. Ke.
vorher
4 220 800
10800
1051
1027
97
Beide Waden. Sehr gute
nachher
3820800
6440
1048
1028
+
90,5
Reaktion.
6. FrL Tr.
vorher
nachher
4154000
3 995 500
1054
1053,5
= (-)
1028
1028,5
=w
85
81,5
Beide Waden. Ziemlich gute
Reaktion.
i
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214
August Laqueur und Waldemar Loewenthal
Es ergiebt sich also gleichmässig eine Abnahme der Werthe für die ein¬
zelnen Blntbestandtheile im Ohrläppchenblut, die aber zum Theil noch innerhalb
der Fehlergrenze liegt und auch in den anderen Fällen nicht sehr erheblich ist. Die
höchste Differenz beträgt für die rothen Blutkörperchen 490 000, für die weissen
4360, für das spezifische Gewicht 3,5 Tausendstel, für das H b 6,5 °/o • Nur einmal
(Versuch 3) waren die Leukocyten vermehrt, bei gleichzeitiger Abnahme der anderen
Werthe.
II. Erregende Umschläge um den Leib mit Untersuchung des Blutes
des Ohrläppchens.
Tabelle II.
Name
Rothe
Blut¬
körperchen
Leuko¬
cyten
Spezif. G
Blutes
lewicht des
Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
1. Bi. vorher
6 245 000
8220
1055
1029
98,5
Gute Reaktion.
nachher
4 916 000
11330
1052,5
1028,5
91
—
+
—
= (-)
—
2. He. vorher
4 454000
1057
96
Massige Reaktion.
nachher
4 787 000
1056
87,5
+
—
—
3. Bo. vorher
6 640000
8220
1057,5
1025
108,5
Gute Reaktion.
nachher
5 225 000
7600
1056,5
1026
107
—
—
—
+
= (-)
4. Frl. Bö. vorher
4 718 400
5460
1052.5
1027
96,5
Gute Reaktion. Zweite Ent-
nachher
4 634 400
7000
1053,5
1027
92,5
nähme aus dem anderen
= (-)
+
+
=
—
Ohr.
5. Fr. Br. vorher
3 345 500
1047
1028
76,6
Ziemlich gute Reaktion.
nachher
3908000
1051
1028
79
Angst vor Aether und
+
+
=
+
Chloroform.
6. Vo. vorher
4 929 000
1057,5
1028
106,5
Gute Reaktion.
nachher
5400 000
1057,75
1030 (Hb)
110,5
+
=
+
+
7. Fr. Bo. vorher
4 304 150
9060
1050
1027,5
62,5
Gute Reaktion.
nachher
4 078000
6060
1044,5
1024,5
57,5
8. Fr. Bo. vorher
4 879150
6860
1049
1022
62,5
Gute Reaktion.
nachher
4 345 800
6600
1045,5
1022,5
51
—
= (-)
—
=
—
Wie sich aus der Tabelle ergiebt, sind die Resultate bei den erregenden Leib¬
umschlägen schon Weniger konstant als bei den Wadenumschlägen; immerhin ist
auch hier im ganzen eine Abnahme der Werthe für die Blntbestandtheile im Ohr¬
läppchen nach der Prozedur zu konstatieren. Wie wir aus Beispiel 5 sehen, sind
schon geringfügige Einflüsse im stände, das Versuchsresultat zu ändern. Bei der
Versuchsperson erweckte nämlich der Geruch von Chloroform und Aether, die wir
während des Versuches brauchten, unangenehme Erinnerungen an überstandene
Laparatomieen, so dass ihr schon das Oeffnen der betreffenden Flaschen peinlich
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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung.
215
war, und wie aus Grawitz’ Versuchen hervorgeht, sind Schmerz, Schreck und
ähnliche psychische Erregungen sehr wohl geeignet, die Werthe für die einzelnen
Blntbestandtheile zu beeinflussen. Aber auch ohne solche nachweisbare Einflüsse
kann, wie aus Beispiel 6 hervorgeht, bei erregenden Leibumschlägen einmal statt
einer Abnahme der Werthe im Ohr eine geringe Zunahme erfolgen. Noch weniger
konstant als die anderen Werthe wurden die Zahlen für die Leukocyten durch
diese Umschläge beeinflusst.
111. Erregende Umschläge um Vorderarm und Hand mit Untersuchung
des Blutes aus der Fingcrbcerc.
Tabelle III.
Name
Rothe
Blut¬
körperchen
Leuko¬
cyten
Spezif. C
Blutes
Jewicht des
Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
I. Dr.Loe. vorher
4 341500
1059
1027
92,5
Keine gute Reaktion.
nachher
4658000
1059
1027,5
92,5
+
=
= (+)
=
1 Dr. La. vorher
4175 000
5930
1058
1030
91,5
Gute Reaktion.
nachher
4354 000
6970
1058
1029
94,5
+
+
=
—
o. Dr. La. vorher
4650 000
7690
1060.5
1028
95
Gute Reaktion. Bei der ersten
nachher
4 562 000
9065
1060
1028,5
97
Entnahme etwas gedrückt.
= (-)
+
= (-)
(
T
4. Fr. Bo. vorher
4200000
10400
1054,5
Umschlag gut erwärmt; sub¬
nachher
4200000
10400
1054,6
jektiv Kältegefühl.
ö. Gr. vorher
4 750 000
13 060
1055
1031 (Hb)
76,5
Umschlag mit Leinen be¬
nachher
4 854000
14 320
1057
1031
82,5
deckt, wenig erwärmt.
+
+
+
=
+
Geringe Stauung durch
den Rockärmel.
6. Prz. vorher
4 645 800
10400
1052
1025
74,5
Sehr gute Reaktion.
nachher
4800 000
10 600
1055
1030 (Hb)
80
+
= (+)
+
+
+
7. Dr. La. vorher
5116 500
7520
1057,5
1029
95,5
Umschlag ungleichmässig er¬
nachher
4 937 500
8400
1058,5
1030
95
wärmt.
—
+
+
+
= (— )
Es war a priori vorauszusetzen, dass die Befunde bei Blutentnahme am Orte
der Applikation der erregenden Umschläge die entgengesetzten Resultate liefern
müssten, als bei Untersuchung am entfernten Körpertheil. Diese Voraussetzung hat
sich auch im allgemeinen bestätigt; jedoch entsprechen die Zahlen für die Zunahme
der Werthe am Orte der Applikation an Grösse der Differenz nicht der vorher er¬
wähnten Abnahme an entfernten Körpertheilen. Nirgend war die Zunahme am Orte
der Applikation eine sehr bedeutende, oft hielten sich die Veränderungen der Werthe
vor und nach dem Umschläge innerhalb der Fehlergrenzen.
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216
August Laqueur und Waldemar Locwenthal
B. Heisse Umschläge.
Wir haben hier, um jede ungewünschte Abkühlung zu vermeiden, diese Um¬
schläge nicht wie heisse Kompressen ständig gewechselt, sondern haben zwischen
das auf der Haut liegende, mit heissem Wasser getränkte leinene Tuch und das be¬
deckende Flanelltuch Duritschläuche resp. Aluminiumschläuche (nach Vorbild des
Winternitz’schen Magenmittels) eingeschaltet, durch welche dauernd Wasser von
45—49 °C Temperatur cirkulierte; dadurch wurde die Temperatur des Umschlages
konstant hoch erhalten.
I. Heisse Umschläge um die Wade. Blut am Ohrläppchen untersucht.
Tabelle IV.
Name
Rothe
Blut¬
körperchen
Leuko¬
cyten
Spezif. Gt
Blutes
iwicht des
Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
1. St.
vorher
5 450 000
13 441
1061,5
1028
97,5
Umschlag um eine Wade.
nachher
5 154 000
14 067
4-
1057,5
1027
94
Dauer eine Stunde.
2. M.
vorher
4750 000
7908
I
I 1052
1026
93,5
Umschlag um eine Wade.
nachher
4 254 000
7189
1052
1025,5
83
Dauer eine Stunde.
3. N.
vorher
4 416 500
1
1055
i
|
93
Umschlag um eine Wade.
nachher
I
4 258 000
1
1054
i
90
Dauer 50 Minuten.
4. W.
vorher
4 500000
9159
1053
1027
91,5
•
Umschlag um eine Wade.
nachher
4337000
7696
1055
4-
1025
89
Dauer eine Stunde.
5. Nie.
vorher
4123000
7080
1053
1029
78,5
Umschlag um eine Wade.
nachher
4 277 500
5986
1052,5
1027,5
78,5
Dauer eine Stunde.
+ ■
—
1 = l—)
.
=
6. Br.
vorher i
4 087 500
8460
1053
! 1030
87
Umschlag um eine Wade.
nachher
3 770 150
11400
-f
1049
1027
77,5
Dauer eine Stunde.
7. K.
vorher j
4 183 300
7320
1056,5
1026
Umschlag um eine Wade.
nachher ,
3 995 800
7000
1053,5
1026
Dauer eine Stunde.
i
!
,
Wir haben also nach heissen Wadenumschlägen in der besprochenen Form
im ganzen dieselben Resultate bei Untersuchung des Blutes aus der entfernten
Körperstelle bekommen, wie bei den erregenden Umschlägen um die Waden, d. h.
geringfügige Abnahme der Werthe für die einzelnen Blutbestandtheile oder auch
Gleichbleiben derselben. Auch für die Leukocyten ist eine konstant verschiedene
Wirkungsweise der erregenden und der warmen Umschläge aus der Tabelle nicht zu
entnehmen.
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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung.
217
II. Heisse Umschläge um Hand und Unterarm. Blut am Orte
der Applikation (Fingerbeere) untersucht.
Tabelle V.
Name
Rothe
Blut-
| körperchen
Leuko¬
cyten
Spezif. Gc
Blutes
iwicht des
Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
1. Bo.
vorher
4 012 500
9 960
I
1054
1031
76,5 1
Dauer eine Stunde.
nachher
3 993 750
12 720
1056
1030
77
= (-)
+
+
—
= (+)
1 Bo.
vorher
4204 160
9 000
1054
1027,5
75
Dauer eine Stunde.
nachher
4 216 500
11200
1053
1028
73
= (+)
+
—
= (+)
—
3 . F.
vorher
4166 500
9 060
1051
1027
79
Dauer eine Stunde.
nachher
4 195 800
10 260
1052,75
1027
80
1
= (+)
+
+
=
= (+)
4. Dr.Loe. vorher
4 620 800
9030
1060
88,5
Dauer eine Stunde zehn
nachher
4 779 150
9330
1060,5
89,5
Minuten.
+
+
= (+)
= (+)
3. Bo.
vorher
4287 500
5660
1049,5
i
67,5
Dauer 45 Minuten.
nachher
4 412 500
4860
1051,5
62,5
+
+ l
i
—
Hier sind die Werthe im wesentlichen gleich geblieben, nur die Leukocyten
zeigen mit Ausnahme von Versuch 5 eine Zunahme. Wir konnten also auch am
Orte der Applikation ebensowenig wie am entfernten Körpertheil eine direkt ent¬
gegengesetzte Wirkung der heissen und der erregenden Umschläge auf die Blut¬
zusammensetzung konstatieren. Es sei aber hervorgehoben, dass die Einwirkung der
heissen Umschläge in dieser Beziehung noch weniger intensiv ist, als die der erregen¬
den, was besonders bei Blutuntersuchungen am Orte der Applikation hervortrat.
C. Kurze Kälteeinwirkungen auf die F&sse.
Ebenso wie die erregenden Umschläge gehören auch kurze Kälteeinwirkungen
auf die Unterextremitäten (kalte Fussbäder, kalte Douchen auf die Füsse, Knie¬
güsse etc.) zu den Prozeduren, die bei richtiger Anwendung durch Herbeiführung
einer Gefässreaktion Hyperämie des betreffenden Theiles hervorrufen und so »ab-
leitend« von entfernten Körperstellen wirken. Winternitz hatte bei diesen Pro¬
zeduren meistens eine Verminderung der rothen und weissen Blutkörperchen sowie
des Hämoglobingehaltes im Blute des Ohrläppchens konstatieren können.
Für unsere diesbezüglichen Versuche sei nun bemerkt, dass dabei jene erwähnte
ableitende Wirkung selbst bei guter lokaler Reaktion öfters nicht deutlich in Er¬
scheinung trat; denn wir Hessen bei Anwendung dieser Prozeduren zu Versuchs¬
zwecken die sonst dabei zur Vermeidung der »Rückstauungskongestion« gebräuch¬
lichen Kopfkompressen 'meist fort, um nicht durch lokale Kälteeinwirkung auf Kopf
und Füsse gleichzeitig die Verhältnisse noch mehr zu komplizieren.
Bei der Kürze der Prozeduren konnte hier die zweite Blutentnahme aus dem
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218
August Laqueur und Waldemar Loewcnthal
Ohrläppchen nicht während der Anwendung, sondern unmittelbar nach Beendigung
der Prozedur und erfolgter Abtrocknung (ohne Frottieren) geschehen.
Wir gaben die Fussbäder in einer Dauer von V»—2 Minuten mit ca. 11° C
kaltem Wasser, mit und ohne gleichzeitige Friktion der Fasse, sowie Kniegüsse,
fliessende Fussbäder und kalte Sohlendouchen bis zu 10 Minuten Dauer.
Die Resultate der bei diesen Prozeduren von uns angestellten Blutuntersuchungen
waren derart wechselnd und offenbar von geringfügigen zufälligen äusseren Ein¬
wirkungen abhängig, dass wir von einer Mittheilung der ausführlichen Tabellen hier
Abstand nehmen. Wir fanden nämlich unter 15 untersuchten Fällen eine deutliche
Abnahme der Werthe für rothe Blutkörperchen, Hämoglobin und spezifisches Ge¬
wicht nur in zwei Fällen, eine geringe Zunahme dieser Werthe in sieben Fällen, unter
denen bei drei eine deutliche Kongestion nach dem Kopfe während der Prozedur
auftrat; in den anderen Fällen waren jene Werthe, im Blute des Ohrläppchens unter¬
sucht, überhaupt unverändert.
Eine gesetzmässige Beeinflussung der Resultate durch Dauer und Art der Pro¬
zedur oder durch mehr oder minder guten Eintritt der Reaktion liess sich nicht
feststellen. Nur die Leukocyten verhielten sich ziemlich konstant, denn sie zeigten
nur zweimal eine Zunahme, in allen anderen untersuchten Fällen eine, wenn auch
nicht sehr erhebliche Abnahme ihrer Zahl (bis zu 30°/ 0 ) im Blute des Ohrläppchens
nach kurzer Kälteeinwirkung auf die Unterextremitäten. In Bezug auf die weissen
Blutkörperchen stimmen also unsere Resultate mit den von Winternitz bei jenen
Prozeduren gefundenem überein.
Als Beleg für jede dieser drei erwähnten Wirkungen der kurzen Kälteprozeduren
auf die Füsse sei hier je ein Beispiel angeführt.
Kurze kalte Fussbäder. Blut am Ohrläppchen untersucht.
Tabelle VI.
Name
Rothe
Blut¬
körperchen
Leuko¬
cyten
Spezif. Ge
Blutes
wicht des
Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
1. S. vorher
3 960 000
15 000
1056
65
Dauer zwei Minuten. Gute
nachher
3 680 000
11200
1053
62
lokale Reaktion
2. I. vorher
4 648 000
7 320
1055
1029
82,5
Dauer eine Minute. Gute
nachher
4 624 000
6 000
1055
1029
84
Reaktion.
= (-)
—
=
—
= (+)
3. R. vorher
3960 000
10 920
1052
1028
81
Dauer eine Minute. Gute
nachher
4544 000
7 120
1056
1032
90
Reaktion. Versuchsperson
+
—
+
+
+
leidet an leichtem Morb.
Basedowii.
D. Langdauernde lokale Kälteprozeduren.
Obgleich solche Prozeduren nur etwa in der Form der sogenannten »Longetten-
verbände« therapeutisch in Betracht kommen, hielten wir ihre Untersuchung für
wichtig, um die reine Wirkung der lokalen Kälteapplikation* auf die Blutzusammen¬
setzung unter Ausschluss der Reaktion zu prüfen. Solche Versuche sind, ab¬
gesehen von Grawitz, der nach Aufbinden einer Eisblase auf den Leib Blutunter-
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Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung
219
suchungen machte, besonders von Friedländer angestellt worden. Friedländer
beobachtete bei 40 Minuten bis 1 Stunde lang dauernden lokalen kalten Arm- und
Handbädern in der Fingerbeere eine Abnahme der Werthe für rothe Blutkörperchen
und spezifisches Gewicht des Blutes, und eine Zunahme der Zahl der weissen Blut¬
körperchen.
Wir applicierten die Kälte in der Form, dass wir den mit Leinen umwickelten
Unterarm mit der Hand in 7—10® kaltes Wasser brachten und 30—50 Minuten lang
darin hielten. Nur in zwei Fällen nahmen wir statt des Armbades eine Berieselung
des mit Leinen umwickelten Vorderarmes mit ebenso kaltem Wasser lange Zeit hin¬
durch vor. Nach anfänglichem Kälteschmerz trat, besonders bei den Armbädern,
nachher Taubheitsgefühl in Hand und Arm und Hitzegefühl im übrigen Körper auf,
am Schlüsse der Prozedur waren Hand und Arm vor Kälte fast unbeweglich, die
Haut dabei kalt und geröthet. Aus diesen Gründen und wegen der Erkältungsgefahr
konnten wir diese für die Versuchsperson sehr unangenehmen Untersuchungen nur
wenige Male anstellen.
Untersucht wurde die einen Male das Blut aus der Fingerbeere, die anderen
Male aus dem Ohrläppchen.
Langdauernde Kälteeinwirkungen.
Tabelle VII.
1. Blut aus dem Ohrläppchen untersucht.
Nam e
Rothe
Blut¬
körperchen
Leuko-
cyten
Spezif. Gi
Blutes
jwicht des
| Blut¬
serums
Hämo¬
globin
Bemerkungen
1. Fr. vorher
4 760 600
7000
1057,5
1032
80,5
Longettenverband 7—8° C
nachher
ö 163 300
8120
1058*
1030
81,5
50 Minuten.
+
+
= (+)
—
= (+)
2. Dr.Loe. vorher
5 191650
8060
1059,5
• 1032
78,5
Armbad 11 o C 45 Minuten.
nachher
4 495 800
10320
1057,75
1032
73
—
+
—
' =
—
3. Dr. La. vorher
5 570 000
6520
1060,6
1028
87,5
Armbad 10° C 43 Minuten.
nachher
4 854 150
6860
1060
1030
91,5
—
+
= (—*)
+
-f
2. Blut aus der Fingerbeere
untersucht.
1. L. vorher
3950000
8000
1049,5
1027
72,5
Longetten 45 Minuten.
nachher
4100000
8400
1052
1026
74,5
+
+
+
—
+
2. Dr. Loe. vorher
5400000
11060
1061
1029
89,5
Armbad 7<> C 40 Minuten.
nachher
4 862 500
10 860
1059
1032
91
• —
= (-)
—
+
= (+)
3. Dr. La. vorher
4 962 500
7060
1058
1029
91
Armbad 7° C 35 Minuten.
nachher
4208 300
6600
1056,5
1030
89
i
—
—
—
+
—
Es lassen sich aus diesen wenigen Versuchen bindende Schlüsse nicht ziehen,
um so weniger, als die Blutbefunde aus dem Ohrläppchen bei diesen Versuchen den
Befanden am Orte der Applikation nicht entsprechen. Speziell die Leukocytcn
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220
August Laqueur und Waldemar Loewenthal
haben hier, im Gegensätze zn den Friedländer’schen Resultaten, nur einmal eine ge¬
ringe Zunahme am Orte der Applikation gezeigt, an entfernter Stelle dagegen jedesmal
zugenommen. Auffallend ist, dass bei diesen Versuchen die Zahl der rothen Blut¬
körperchen an beiden Untersuchungsstellen sehr stärk alteriert wurde, ohne dass
dem entsprechende Veränderungen von Hämoglobin und spezifischem Gewicht des
Blutes parallel gegangen wären. Hämoglobinämie (Rothfärbung des abgesetzten
Serums) haben wir nach keiner dieser intensiven lokalen Kälteapplikationen beobachten
können. Es erscheint bemerkenswerth, dass die Stichwunden in den stark abgekühlten
Fingern jedesmal stark und lange Zeit hindurch nachbluteten.
Wenn wir nun versuchen, unsere Blutbefunde bei lokalen Applikationen mit
den Theorieen, die zur Erklärung der nach Kälteeinwirkung auftretenden Blut¬
veränderungen bisher gegeben worden sind, in Einklang zu bringen, so muss vor
allem bemerkt werden, dass alle diese Theorieen sich auf die Wirkung allgemeiner,
die gesammte Körperoberfläche treffender Prozeduren beziehen. Selbst die
Grawitz’sche Auffassung, welche die Veränderungen der Blutzusammensetzung von
solchen des Blutdrucks und der Gefässweite abhängig macht, und die besonders
nach der jüngst durch Becker erfolgten Anzweiflung der Cohnstein-Zuntz’schen
Theorie zur Erklärung der Wirkung der Allgemeinprozeduren am meisten ein¬
leuchtend erscheint, reicht zur Erklärung der Aenderung der Blutdichte nach lokalen
Prozeduren nicht aus. Denn wie schon Winternitz hervorhebt, lässt es sich schwer
denken, dass ein lokaler Eingriff den Blutdruck an einer Körperstelle steigern und
an der anderen vermindern solle, sodass das Blut dort eingedickt und an anderer
Stelle verdünnt werde. Aehnliche Ein wände lassen sich gegen jede der gegebenen
Theorieen erheben, solange man in natürlichem Zustande eine gleiche Zusammen¬
setzung des Blutes in den verschiedenen Gefässprovinzen annimmt.
Und an dieser Stelle greifen die Eingangs erwähnten Befunde von Winter¬
nitz über das ungleichmässige Verhalten der Blutdichte in den verschiedenen Gefäss¬
provinzen ein. Diese Befunde aber stehen, abgesehen von Untersuchungen Kosturin’s,
der Litteratur vereinzelt da, und auch uns gelang es in den wenigen zur Orientierung
unternommenen Versuchen nicht, sie zu bestätigen. Ferner widersprechen ihnen
Breitenstein’s Untersuchungen über das Verhalten des Venenblutes verschiedener
Gefässgebiete, und Becker’s Befunde, die im Kapillar- und Venenblute annähernd
gleiche Zahlen sowohl für rothe wie auch für weisse Blutkörperchen ergaben.
Als hervorstechendes Resultat unserer Untersuchungen sei betont, dass wir einen
prinzipiellen Unterschied zwischen der Wirkung erregender und heisser Umschläge
in der von uns angewandten Form auf die Blutzusammensetzung nicht konstatieren
konnten, weder am Orte der Applikation noch an der entgegengesetzten Körperstelle.
Da nun aber die vasomotorische Wirkung erregender und heisser Umschläge offen¬
bar eine verschiedene ist, so geht auch daraus hervor, dass die Beeinflussung der
Blutdichte durch lokale thermische Reize nicht von der vasomotorischen Wirkung
dieser Reize allein abhängig sein kann. 1 )
Alle diese Erörterungen finden auf die Leukocyten, welche eine Sonder-
') Aehnliche Schlüsse hat auch Friedländer aus Versuchen gezogen, die ergaben, dass all¬
gemeine kalte und warme, nicht bis zum Schwitzen fortgesetzte Prozeduren die Blutzusammen¬
setzung nicht in entgegengesetztem Sinne beeinflussen.
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lieber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung.
221
Stellung einnehmen, keine Anwendung. Die Veränderungen der Leukocyten gehen
unabhängig von denen der anderen Blutbestandtheile einher, wie auch aus unseren
Versuchen hervorgeht. Es ist bemerkenswerth, dass bei lokalen hydrotherapeutischen
Prozeduren die Veränderungen der Leukocyten am meisten Konstanz zeigen
und auch quantitativ am bedeutendsten sind. Die Beeinflussung der Leukocyten
durch diese Prozeduren geschieht im allgemeinen in dem Sinne, dass ihre Zahl am
Orte der Applikation des thermischen Reizes, mag derselbe nun in lokaler Kälte
oder in lokaler Wärme bestehen, vermehrt, an den entfernteren Stellen vermindert
ist. (Nur bei protrahierten Kälteeinwirkungen scheint nach unseren Versuchen
das umgekehrte Verhalten stattzuhaben.)
Zur Erklärung des Verhaltens der Leukocyten sind komplizierte Theorieen,
wie sie für die übrigen Blutveränderungen gegeben worden sind, nicht nothwendig,
wenn wir jenen lokalen Prozeduren eine thermotaktische Wirkung zuschreiben,
ähnlich wie sie Friedländer für allgemeine Prozeduren annimmt. Dass von
diesem regelmässigen Verhalten der Leukocyten auch in unseren Versuchen ver¬
einzelte Ausnahmen Vorkommen, darf uns nicht Wunder nehmen; auch Winternitz
fand bei lokalen Prozeduren das Verhalten der Leukocyten nicht immer konstant,
und Goldscheider und Jacob haben gezeigt, dass der Hyperleukocytose nach
einer allgemeinen Kälteprozedur (kühles Bad), wie sie von anderen Untersuchern stets
angenommen wnrde, eine länger dauernde Hypoleukocytose vorausgehen kann.
Fassen wir unsere Ergebnisse nochmals zusammen, so ergiebt sich:
1. Lokale hydrotherapeutische Prozeduren können sowohl am
Orte der Applikation als auch an entfernter Körperstelle eine
Alteration der Blutzusammensetzung hervorrufen, doch hält
sich diese Veränderung in verhältnissmässig engen Grenzen.
Am konstantesten erweist sich diese Wirkung bei den erregen¬
den Umschlägen, während der Einfluss kurzer Kälteapplikatio¬
nen (Fussbäder etc.) auf die Blutzusammensetzung ein viel un-
gleichmässigerer ist.
2. Ein prinzipieller Unterschied zwischen erregenden und heissen
Umschlägen konnte bezüglich der Beeinflussung der Blut¬
zusammensetzung nicht konstatiert werden.
3. Von den einzelnen Blutbestandtheilen werden durch lokale
Applikation hydrotherapeutischer Maassnahmen am meisten
die Leukocyten beeinflusst, und zwar tritt meistens eine Ver¬
mehrung derselben am Orte der Einwirkung des thermischen
Reizes, eine Verminderung am entgegengesetzten Körper
theil ein.
Für die therapeutische Bedeutung der lokalen hydriatischen Prozeduren mag
von diesen Blutveränderungen das geschilderte Verhalten der Leukocyten noch am
ehesten in Betracht kommen. Im übrigen aber bleibt für die therapeutische Wirkung
dieser lokalen Eingriffe weniger die durch sie hervorgerufene meist unbedeutende
Veränderung der Blutzusammensetzung als vielmehr ihr unbestrittener bedeutender
Einfluss auf Blutvertheilung und -Cirkulation das Maassgebende. So bleibt
denn auch der klinische Unterschied zwischen erregenden und heissen Umschlägen
durch unsere Blutbefunde unberührt.
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222 Aug. Laqueur u. Wald. Loewenthal, üeber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung.
Zum Schlüsse erfüllen wir eine angenehme Pflicht, indem wir Herrn Geh. Med.-
Rath Professor Dr. Brieger für die Anregung zu diesen Untersuchungen und das
denselben gewidmete Interesse unseren ergebensten Dank aussprechen.
Litteratur:
Becker, Ueber die Veränderung der Zusammensetzung des Blutes durch vasomotorische
Beeinflussungen, insbesondere durch Einwirkung von Kälte auf den ganzen Körper. Archiv für
klin. Medicin Bd. 70. Heft 1 u. 2.
Breitenstein, Wirkung leichter Bäder auf den Kreislauf Gesunder und Fieberkranker. Archiv
für experim. Pathol. u. Pharm. Bd. 37.
Friedländer, Ueber Veränderungen der Zusammensetzung des Blutes durch thermische
Einflüsse. Blätter für klinische Hydrotherapie 1898. No. 2. (Auch Verhandlungen des XV. Kongresses
für innere Medicin 1897. S. 383.)
G r a w i t z, Klinisch-experimentelle Blutuntersuchungen. Zeitschr. für klin. Medicin Bd. 21 u. 22.
Derselbe, Bemerkungen zu dem Artikel: Neue Blutuntersuchungen etc. von Winternitz.
Centralbl. für innere Medicin 1894. No. 2.
D e rBel b e, Ueber die Beeinflussung der Blutmischung durch kurzdauernde Kälteeinwirkungen.
Centralbl. für innere Medicin 1899. No. 46.
Goldscheider und Jacob, Ueber die Variationen der Lcukocytose. Zeitschr. für klin.
Medicin Bd. 25.
Knöpfelmacher, Ueber vasomotorische Beeinflussung der Zusammensetzung und physika¬
lische Beschaffenheit des menschlichen Blutes. Wiener klin. Wochenschrift 1893. No. 45 u. 46.
Kosturin, Ueber die Verbreitung der rothon Blutkörperchen in den Kapillargefassen der
Haut. Petersburger medicin. Wochenschrift 1880. No. 39.
Matth es, Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie. Jena 1900.
Strasser, Die Wirkung der Hydrotherapie auf Kreislauf und Blut. Wiener medidnische
Presse 1899. No. 14 u. 15.
Toeniessen, Ueber Blutkörperchenzählung beim gesunden und kranken Menschen. Diss.
Erlangen 1881.
Winternitz, Ueber Leukocytose nach Kälteeinwirkungen. Centralbl. für innere Medicin
1893. No. 9.
Derselbe, Neue Untersuchungen über Blutveränderungen nach thermischen Eingriffen.
Centralbl. für innere Medicin 1893. No. 49.
Derselbe, Neue Untersuchungen über Blutveränderungen unter thermischen Eingriffen.
Blätter für klin. Hydrotherapie 1894. No. 4.
Derselbe, Ueber die Wirkungsverschiedenheit erregender und warmer Umschläge. Blätter
für klin. Hydrotherapie 1894. No. 10.
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Fritz Rosenfeld, Ucber Roborat.
223
IV.
Ueber Roborat.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von
Dr. Fritz Rosenfeld,
Volontärassistenten der Klinik.
Eine Geschichte der Nährpräparate an die Spitze einer Arbeit über ein neues
Nährmittel zu stellen, erübrigt sich. Theils hat eine grosse Zahl derselben nur
ephemeren Charakter, so dass man heute sich kaüm mehr daran erinnern kann, was
gestern Mode war, theils haben, zum mindesten in der häuslichen Krankenpflege,
diese Präparate doch nicht das Zauberhafte geleistet, was man von ihnen erwarten
zu können glaubte.
Mit Recht hat G. Klemperer darauf hingewiesen, dass die quantitativen Ge¬
sichtspunkte vor allem die Wichtigkeit der Nährmittel bestimmen. »Nur in den hoch¬
gradigsten Schwächezuständen mögen sie in möglichst koncentrierter Form dem
Kranken eingeflösst werden, und zu Nährklystieren finden sie unter Umständen
nützliche Verwendung.«
Anders verhält es sich wenigstens theoretisch mit den Eiweisspräparaten als
Emährungsmittel. Seitdem die Pflüger’sehen Leitsätze in die Massen gedrungen
sind, dass nur aus dem Eiweiss die Kraft der Muskeln und die Schärfe des Geistes
stamme, sehen alle Fabrikanten und Erfinder von Eiweisspräparaten ihr Ideal darin,
ein Präparat zu liefern, das das Fleischeiweiss möglichst ersetzen soll. Dazu müsste
natürlich ausser der guten Ausnutzung der Preis billig genug sein.
Eine dritte Bestimmung der Eiweisspräparate ist schliesslich die als Ernährungs¬
mittel im engeren Sinne.
Für Armeen, Karawanen etc. wäre diese Art der Verproviantierung, auf einen
möglichst kleinen Raum eine möglichst grosse Menge nährkräftigen Materials zu be¬
schränken, natürlicherweise sehr anzurathen.
Die Zahl der Eiweisspräparate ist heute schon fast eine unendlich grosse.
Ihrem Zwecke, das Nahrungseiweiss zu ersetzen, genügen sie alle mehr minder gut.
Doch liegt ihr Hauptwerth nicht darin. »Es wird sich darum handeln, die Indika¬
tionen der guten und brauchbaren Nährpräparate, je nach dem einzelnen Krankheits¬
fälle, schärfer zu präcisieren« (v. Leyden).
Die Richtung der Eiweisspräparate geht im grossen Zuge von den Peptonen
and Albumosen zu den Kase'fnpräparaten einerseits, als deren fast idealer Typus
wohl das Plasmon gelten darf. Auf der anderen Seite darf als Typus der aus dem
Blot hergestellten Präparate wohl das Fersan gelten. Zwar liegen auch diesen
beiden Präparaten gegenüber tadelnde Stimmen genug vor. Dem einen Autor »war
das Plasmon so unangenehm, dass er es persönlich einen Tag nur mit grosser
üeberwindung zu sich nehmen konnte«. Was das Fersan anbetrifft, so ist es leider
für den allgemeinen Gebrauch zu theuer.
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224
Fritz Rosenfeld
In der letzten Zeit ist nun ein neues Präparat auf den Markt gebracht worden.
Loewy und Pickardt hatten sich die Aufgabe gestellt, die Bedeutung von reinem
Pflanzeneiweiss für die Ernährung zu untersuchen. Es handelte sich dabei um die
Beantwortung zweier Fragen. Es musste untersucht werden, ob das rein dargestellte
Pflanzeneiweiss ebensogut ausgenutzt würde, wie das fhierische, und ob sich iso¬
dynamische Mengen beider Eiweissarten gegenseitig vertreten können. Die Verfasser
konnten diese beiden Fragen auf Grund ihrer Untersuchungen, die sie mit Roborat
angestellt hatten, bejahen. Damit war nun das rein dargestellte Pflanzeneiweiss in
die Debatte gerückt und ich folgte gern der Aufforderung meines hochverehrten
Chefs, des Herrn Geheimraths v. Leyden, das Roborat in der Krankendiätetik und
in Stoflwechselversuchen genauer zu prüfen.
Das Roborat ist ein weissgraues Pulver, das sehr fein zerrieben ist. Es hat
keinen spezifischen Geruch und an und für sich keinen spezifischen Geschmack. Es
kommt sehr auf die Zubereitung an, ob und wie es den Patienten schmeckt. In
Form von Eierkuchen und Backwaare, Reis- oder Griesbrei wird es im allgemeinen
sehr gern genommen. Giebt man'es in Milch oder Bouillon, so drängt sich, wenn
es nicht sorgfältig nach den Angaben bereitet wird, der etwas mehlige Geschmack
des. Präparates vor, da es sich dann in Klumpen zusammenballt, allerdings nicht so
unangenehm, dass sich die Kranken weigern, das Präparat weiter zu nehmen. Es
kommt eben bei dem Roborat alles auf die sorgfältige Zubereitung an. Am ein¬
fachsten verordnet man das Roborat in lauwarmer Milch, sorgfältig bis zur völligen
Zertheilung umgertthrt. Eines besonderen Hinweises bedarf die Verwendung des
Roborats für Backzwecke. In letzter Zeit hat man auch Roboratbrot für Zucker¬
kranke hergestellt. Dieses Brot, das nur 1 % Kohlehydrate enthalten soll, heisst
Anamyl und schmeckt den Kranken, wenn sie vier bis sechs Wochen lang vollständig
kohlehydratfrei gelebt haben, natürlich sehr gut.
Der Eiweissgehalt des Roborats beträgt nach unseren Analysen, die mit dem
Ergebniss von Loewy und Pickardt vollständig übereinstimmen, ca. 83%, die
Ausnutzung desselben liegt zwischen 95 und 96 %. Berechnet man die Menge der
N-haltigen Substanzen auf das Trockengewicht, so finden wir zwischen 94 und 95%;
es steht also nach dieser Hinsicht das Präparat mit den besten Eiweissmitteln auf einer
Linie, und seine Ausnutzung kommt der mittleren Ausnutzung des Fleisches gleich.
Nach den Untersuchungen von Frentzel erwies sich das Roborat dem thierischen
Eiweiss und zwar gerade dem kalorisch-höchststehenden vollkommen isodynam.
Aus der Arbeit von Berju geht hervor, dass das Roborat ausserordentlich
leicht aufgeschlossen wird. Dieser Forscher setzte das Roborat, sowie andere Nähr¬
mittel der künstlichen Verdauung aus. Er fand bei geeigneten Versuchsbedingungen,
dass vom Roborateiweiss nach einer Stunde bereits 99,17 % verdaut waren, während
von Plasmoneiweiss in dieser Zeit 67,06%, von Troponeiweiss 8,12% verdaut wurde.
Natürlich darf, wie übrigens auch der Verfasser ausführt, die Bedeutung dieser Ver¬
suche für die einzelnen Präparate nicht zu hoch geschätzt werden,* da die künstliche
Verdauung den natürlichen Verhältnissen nicht völlig gleichgesetzt werden darf. Aber
es ist daran zu denken, dass ein so leicht aufschliessbares Nährmittel doch von Werth
sein kann bei Ulcus ventriculi, sowie bei Darmerkrankungen, besonders bei Typhus.
Ein besonderer Bestandtheil des Roborats ist das Lecithin, das im Roborat zu
etwa 0,9 % enthalten ist. Seine Bedeutung und Wirkung ist auch heute noch nicht
völlig aufgedeckt. Es ist hier nicht der Ort, diese ganze Frage aufzurollen, zumal, da
in der nächsten Zeit aus der I. medicinischen Klinik darüber berichtet werden wird.
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Ueber Roborat.
225
Es haben das Roborat in den letzten vier bis fünf Monaten etwa 150 Personen
genommen. Die Mehrzahl dieser Patientinnen war anämisch, znm Theil waren es
echte Chlorosen. Diese erholten sich bei der Roboratdiät rasch. Es lässt sich
natürlich hier das post hoc propter hoc schwer umgehen. Doch waren einige Kranke
dabei, bei denen früher alles andere (Eisen, Arsen, warme Bäder etc.) schon ver¬
sucht worden war. In diesem Falle darf der günstige Effekt wohl dem Lecithin zu¬
geschrieben werden. Wenigstens haben Kontrollversuche mit reinem Lecithin den
gleichen Effekt gehabt. In dem einen wie in dem anderen Falle hob sich der Hämo¬
globingehalt sehr rasch. Auch aus der französischen Litteratur liegen genug Be¬
richte vor, nach denen das Lecithin blutbildend wirken soll.
Der andere Theil unserer Kranken bestand aus Rekonvalescentinnen nach Schar¬
lach, Masern, Diphtherie, Angina, Erysipel etc.
Es erübrigt sich, die Krankengeschichten anzuführen, nur auf eine soll kurz
hingewiesen werden.
Fräulein W., 22 Jahre, war am 4. Januar 1902 auf Station 16 der Charitä auf¬
genommen worden. Sie litt draussen an Blutbrechen und Magenbeschwerden und von den
behandelnden Aerzten war die Diagnose auf Ulcus ventriculi gestellt worden. Sie wurde
mit grossen Mengen Opium behandelt und es entwickelte sich ein hochgradiger Meteorismus
des Abdomens nebst Stuhlverhaltung. Dieser Meteorismus hatte wieder zur Folge, dass
Patientin alles brach, was sie zu essen bekam. In diesem Zustande wurde sie in die
Charit4 eingeliefert, nachdem sie vier Tage lang alles, was sie zu sich nahm, gebrochen
hatte. Auch in der Klinik brach sie in den ersten Tagen alles, was man ihr gab, eis¬
gekühlte Milch, Beeftea etc. Am Schlüsse gaben wir ihr Roborat, und das war das eih-
rige, was sie hei sich behielt. Es gelang uns, ihr 30 g Roborat beizubringen. An diesem
Tage schied sie 200 ccm Harn aus. N = 11,2. Damit war der Anfang gemacht zu einer
besseren Ernährung, ganz im Sinne der Erfahrungen, die v. Leyden schon vor 18 Jahren
veröffentlicht hatte. Als es ihr nach einigen Tagen wieder besser ging, schied sie bei einer
Nahrung, die 2200 Kalorieen betrug (Patientin wog damals 72 Pfund), 1200 ccm Urin aus.
N war = 6,6866i).
Es wurden mit dem Präparate sechs Stoffwechselversuche angestellt an Re¬
konvalescentinnen der Station 16 der Charitö. Für die Erlaubniss hierzu spreche ich
Herrn Oberarzt Blumenthal meinen besten Dank aus. Von diesen Patientinnen be¬
fand sich die eine, Fräulein Fo., in der fünften Woche nach der Entfieberung nach
Scharlach. Sie war in der Charitö geblieben, weil sie hysterisch war. Die zweite
Patientin, Fräulein H., war Rekonvalescentin nach Erysipel, die dritte und vierte,
Fräulein S. und Fräulein Fe., nach Scharlach. Der fünfte und sechste Stoffwechsel¬
versuch wurde an Frau H. (50 Jahre alt) vorgenommen, die eines chronischen Ge¬
lenkrheumatismus wegen auf Station 16 aufgenommen worden war, um Lichtbäder
zu bekommen, die aber sonst als gesund bezeichnet werden kann. Da alle sechs
Versuche vollständig gleichsinnig ausfielen, so genügt es wohl, zwei zu veröffentlichen.
Hinweisen möchte ich noch einmal auf die Zunahme des Hämoglobingehalts bei den
einzelnen Kranken (s. oben). Untersucht wurde auf Stickstoff, Harnsäure, Phosphor¬
säure und flüchtige Fettsäuren, sowie auch qualitativ auf Indican. Allerdings wurde
nicht in jedem einzelnen der sechs Fälle auf alle oben angeführten Faktoren unter¬
sucht. Ich lasse die Daten folgen:
Frau H. ist im ersten Versuche vom 28. Februar bis 18. März. In der Vorperiode
vom 28. Februar bis 6. März bekam sie
an Eiweiss an Fett an Kohlehydraten
104,6 g 74,03 g 371,76 g
i) Die genaueren Zahlen sollen an anderer Stelle veröffentlicht werden.
Zeitachr. f. di&t ul phyaüc. Therapie Bd. VI. Heft 4. Iß
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226
Fritz Rosenfeld
Die Zahlen sind theils nach den Klemperer’schen Angaben, theils nach eigenen Analysen
berechnet, die ebenso wie die von Jacob und B er gell (Zeitschrift für klinische Medicin
Bd. 35) mit den Klemperer’sehen auch heute noch hinlänglich übereinstimmen.
In der Versuchsperiode vom 6. bis 14. März (der 11. und 12. fällt weg) werden
eine Portion Kalbfleisch »
2 Eier > zusammen 41,13 g Eiweiss
V 2 1 Milch I
durch 60 g Roborat = 41,5 g Eiweiss ersetzt.
In der Nachperiode vom 15. bis 18. März die Diät der Vorperiode.
Dieser Versuch ist dadurch kompliziert, dass in den letzten drei Tagen der Vor-
periode, sowie in der ganzen Hauptperiode pro Tag 250 g Thymus der Nahrung zugelegt
wurden, um eine Steigerung der Harnsäureausscheidung zu erzielen. Bemerkenswerth ist,
dass diese 250 g Thymus auf die Stickstoffausscheidung keinen wesentlichen Einfluss ausüben.
1. Vorperiode
N . . . . =
Harnsäure . =
do. . =
P a 0 5 . . .=
F 1 ) . . . =
Nachperiode (15. bis 18. Mörz).
N. . . . = 10,126 (ohne Thymus).
Harnsäure . = 0,3981.
P,0 5 . . = 1,952.
F . . . . = 58,5.
(28. Februar bis 5. März).
9,408.
0,398 (ohne Thymus).
0,62642 (unter Thymus).
2,312.
77,16.
2. Periode (6. bis 14. März).
N . . . . = 11,109.
P 2 0 5 . . . = 1,989.
Harnsäure . = 0,5183.
F . . . . = 67,671.
Da sich aus diesen Versuchen keine deutliche Verminderung der Harnsäure ergeben
hatte, wie in den vorhergehenden, und da ebenso wie in allen früheren Stoffwechsel¬
versuchen und bei den Versuchen mit reinem Lecithin eine Zunahme der N-Ausscheidung
während der Versuchsperiode erfolgte, so wurde noch ein weiterer Versuch mit N-Be¬
stimmungen im Kothe unternommen.
Der zweite Versuch wurde vier Tage später mit derselben Person unternommen mit
Sammlung des Kothes, der in der gewöhnlichen Weise abgegrenzt wurde. Die Nahrung war
dieselbe wie beim ersten Versuche. Nach der Roboratperiode wurde noch ein dreitägiger
Versuch mit lecithinfreiem Roborat angestellt, an den sich erst die Nachperiode anschloss.
Vorperiode (22. bis 24. März).
N . . . . = 8,762.
Harnsäure . = 0,376.
Koth-N . . = 0,99.
Periode mit lecithinhaltigem Roborat
(25. bis 28. März).
N . . . . = 11,052.
Harnsäure . = 0,228.
Koth-N . . = 1,141.
Periode mit lecithinfreiem Roborat
(29. bis 31. März).
N . . . . = 9 654.
Harnsäure . = 0,1851.
Koth-N . . = 1,206.
Nachperiode (1. bis 3. April.
N . . . . = 8,4738,
Harnsäure . = 0,387.
Koth-N . . = 1,03.
Das auffallendste bei diesen Versuchen ist, dass in der Roboratperiode die N-
Bilanz negativ wird. Diese Zahlen gelten übrigens auch für Versuche mit Lecithin,
sowohl an Menschen, als auch an Versuchsthieren. Auch in der französischen
Litteratur findet sich nach Lecithindarreichung eine auffällige Steigerung der N-Aus-
fuhr. Hervorzuheben ist, dass nach der überwiegenden Mehrzahl der Versuche, die
in der Litteratur niedergelegt sind, sowie nach den unsrigen, trotzdem mehr N aus-
geschieden wurde, die Kranken an Gewicht Zunahmen 2 ). Erklärlicher wird dieses
1 ) F = flüchtige Fettsäuren.
2 ) Bei einer rein klinischen Beobachtung hatte Kohn dieselben Ergebnisse.
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lieber Roborat.
2*27
Verhalten des N-Stoffwechsels, wenn wir die PjO,-Ausscheidungen betrachten.
Natürlicherweise sind von uns nicht Analysen des Phosphorgehaltes der Nahrung
oder des Kothes gemacht worden. Aber so viel geht aus unseren Zahlen hervor,
dass die gewöhnliche Relation (P 2 O s :N =1:6,5) in der Roboratperiode nicht fest¬
gehalten wird. Es zeigt sich eine ziemlich bedeutende Retention von P 2 0 5 im Ver-
hältniss zu N. Während in dem erst angeführten Versuche in der Vorperiode das
Verhältnis von P 2 0 5 : N = 1:6,6 ist, ist es in der Roboratperiode wie 1:5,6. Die
Nachperiode kann wieder nicht in Betracht kommen, da die Rechnung sich nur auf
die Thymustage erstreckt. Zwar haben in der neuesten Zeit W. Cronheim und
Erich Müller, die diese Untersuchungen am Säugling angestellt haben, diese Re¬
tention von P 2 0 5 für den Säugling nicht bestätigen können. Sie haben im Gegen-
theil eine Retention von N im Verhältniss zu P beim Säugling erhalten 1 ). In
der Retention vonP 2 0 5 scheint uns zum grossen Theil die Bedeutung des Roborats,
resp. des in dem Roborat enthaltenen Lecithins zu liegen.
Damit scheint man der v. Leyden’schen Forderung, für die einzelnen Nähr¬
präparate bestimmte Indikationen aufzustellen, zu entsprechen. Dass die Harnsäure*
bildung herabgesetzt ist, ist leicht zu erklären, da im Roborat, als dem vegetabilischen
Eiweiss, im Gegensatz zu dem animalischen keine Nukleine, die ja Harnsäurebildner
sind, enthalten sind. Das Verhalten der flüchtigen Fettsäuren und der qualitativen
Indikanuntersuchung, die in keinem Falle positiv wurde, als Maassstah der Darm-
f&nlmss genommen, zeigt in Uebereinstimmung mit den Versuchen von Backman,
dass die Ersetzung des animalischen durch vegetabilisches Eiweiss keinen merklichen
Unterschied in der Darmfäulniss hervorruft.
Zum Schlüsse sei es gestattet, die Ergebnisse in einigen kurzen Sätzen nieder¬
zulegen :
1. Das Roborat ist ein leicht bekömmliches Eiweisspräparat; es vermag das
Fleischeiweiss im Stoffwechselversuch annähernd zu ersetzen.
2. Die Bildung von Harnsäure wird durch das Roborat herabgesetzt.
3. Der Gehalt des Roborats an Lecithin bedeutet einen Fortschritt auf dem
Gebiete der Eiweisspnäparate und es ist deshalb in allen Fällen, wo es
zu einer Retention von P 2 0 5 kommen soll, zu empfehlen (Rachitis,
Neurasthenie etc.).
4. Das Roborat wirkt durch seinen Lecithingehalt günstig auf die Blutbildung.
Benutzte Litteratur.
Die Litteratur über Roborat s. bei Schlesinger, Zeitschrift für diätetische und physikalische
Therapie Bd. 5.
Max Heim, Die künstlichen Nährpräparate. Berlin 1901.
Bergell, Die Bedeutung der Phosphorsäure etc. Inauguraldissertation. Berlin 1898.
Jacob und Bergell, Zeitschrift für klinische Medicin Bd.35.
Backmann, Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 44. S. 472.
Cronheim und Müller, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 6. Hier
auch die Litteratur über Lecithin.
S. Kohn, Therapie der Gegenwart 1902. Mai.
G. Klemperer, Ueber Nährpräparate. Handbuch der Emährungstherapie.
E. v. Leyden, Allgemeine Therapie der Ernährung. Sein Handbuch.
E. v. Leyden, Einleitung der deutschen Klinik.
i) Vergl. Jacob und Bergell, 1.c. — Bergell.
10 *
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228
B. Wendriner
lieber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel
des Menschen.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von
Dr. B. Wendriner
in Neuenahr.
Meinen Studien über die »Wirkung des Neuenahrer Sprudels auf die Magen¬
verdauung beim Menschen«lasse ich in vorliegender Arbeit das Resultat meiner
klinisch-experimentellen Beobachtungen über den Einfluss des Neuenahrer Sprudels
auf den Stoffwechsel des Menschen folgen. Hierbei liegt meinen Untersuchungen
die Absicht zu Grunde, für die zweifellos guten therapeutischen Erfolge der Neuen¬
ahrer Kur eine wissenschaftliche Grundlage vermittelst genauer klinischer Be¬
obachtungen zu erbringen. Speziell über die physiologische Wirkung des Neuenahrer
Sprudels waren bisher noch keine Arbeiten veröffentlicht, die dem heutigen Stand¬
punkt der Wissenschaft Rechnung tragen*). Hier galt es eine Lücke auszufüllen.
Ich unterzog mich dieser Aufgabe und bringe damit einen weiteren Beitrag zur
Beurtheilung der Vorgänge im menschlichen Organismus unter dem Einfluss des
Genusses von Neuenahrer Sprudel.
Bei meinen Versuchen habe ich aus praktischen Gründen, wie ich gleich vor¬
ausschicken will, nur den Befund des Harns in den Kreis meiner Beobachtung
gezogen, ohne auf die Chemie der Fäces einzugehen. Aber auch hieraus allein
können wir ein annähernd richtiges Bild von der Wirksamkeit des Sprudels auf den
menschlichen Organismus erhalten.
Drei wesentliche Punkte sind es, denen ich meine ganz besondere Auf¬
merksamkeit widmete:
1. Gesämmtdiurese;
2. Stickstoffausscheidung;
3. Harnsäureausscheidung.
Ausser diesen drei Gesichtspunkten, nach denen ich die Leistungsfähigkeit des
Sprudels und seinen Einfluss auf den Stoffwechsel des Menschen beurtheilte und
bewerthete, beobachtete ich auch das Verhalten der aromatischen Gruppe des Eiweiss¬
moleküls, dessen Abbau wir zum grossen Theil in der Aetherschwefelsäure kennen.
Ich wählte natürlich das Indikan als den am leichtesten nachweisbaren Repräsentanten
der gepaarten Schwefelsäuren. Dasselbe dient uns als Maassstab für die im Darm
sich abspielenden FäulnissVorgänge, soweit deren Endprodukte hauptsächlich durch
1) cf. Berliner klin. Wochenschrift 1898. No. 23.
2) Lennö veröffentlicht auf der 21. Balneologen-Versammlung eine an sich selbst angesteilte
Versuchsreihe, aber unter anderen Gesichtspunkten und mit anderem Resultat.
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Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. 229
den Harn und zwar als Aetherschwefelsäuren eliminiert werden. Wenngleich mir
für die Mengen des Indikan ziffernmässige Belege fehlen, so lehrt doch die Erfahrung,
dass wir bei den Versuchen auch ohne dieselben auskommen können 1 ), wenn
wir nur bei jeder einzelnen Versuchsreihe von dem am Anfang des Versuchs auf¬
tretenden Färbungsgrade (bei der Jaffe’schen Indikan-Probe) ausgehen und diesen
bei jeder Versuchsreihe und bei andauernd gleichmässiger Diurese als eine Art von
Standard annehmen.
Allen mir zum Versuch dienenden Kranken gab ich täglich eine Flasche Neuen¬
ahrer Sprudel (ca. 700 ccm). Davon nehmen die Patienten die eine Hälfte früh¬
morgens nüchtern, die andere Hälfte im Laufe des Nachmittags (5 Uhr) zu sich.
Vor dem Gebrauch wurde der Brunnen auf ca. 30 0 C erwärmt. Einige von den
Patienten lagen beständig zu Bett, andere gingen umher.
Aus der Zahl der protokollierten Fälle, bei denen ich meine Versuche an¬
stellte, wähle ich drei aus, weil bei diesen das Resultat meiner Beobachtungen recht
eklatant war, und weil bei ihnen übrigens niemals jene vorher unberechenbaren
Storungen eintraten, mit denen bekanntlich ein jeder zu rechnen hat, der sich mit
experimentellen Forschungen am Krankenbett befasst.
Ich unterscheide eine Vorperiode, dann eine Periode mit Gebrauch von Neuen¬
ahrer Sprudel und sodann eine Nachperiode ohne denselben.
Diurese
pro die
N -Ausscheidung
pro die
Harnsäure¬
ausscheidung
pro die
1302 ccm
Vorperiode (viertägig)
8,07 g
0,38 g
Fall I
Frau mit chron.
Rheumatismus
2015 ccm
1381 ccm
Neuenahrer Periode
(siebentägig)
10,25 g
Nachperiode
(siebentägig)
9,62 g
0,43 g
0,40 g
Fall II
Rekonvales-
centin nach
Diphtheritis
Fall III 2 )
Rekonyales-
centin nach
Scarlatina
1662 ccm
1973 ccin
1530 ccm
Vorperiode (viertägig)
12,00 g
Neuenahrer Periode
(sechstägig)
12,37 g
Nachperiode (dreitägig)
10,86 g
2746 ccm
1126 ccm
1307 ccm
Neuenahrer Periode
(dreitägig)
13,18 g
Periode ohneNeuenahrer
Sprudel (viertägig)
9,26 g
Neuenahrer Periode
(dreitägig)
8,81 g
0,51 g
0,60 g
0,60 g
0,82 g
0,62 g .
0,80 g
*) cf. Blumenthal, Charitä-Annalen 24. Jahrgang.
2 ) Hier wurde durch ein Versehen schon anfangs Neuenahrer Sprudel gegeben.
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Auffallend ist bei obigen drei Fällen die Zunahme der Diurese beim Genuss
des Sprudels. Hier handelt es sich um eine fast bei allen mineralischen Quellen
beobachtete Thatsache ’)• Ich lasse dahin gestellt, ob bei dem Gebrauch von Neuen-
ahrer Sprudel die Menge des eingenommenen Wassers oder seine Temperatur und
deren Einfluss auf die Vasomotoren die Veranlassung zu der ersichtlichen Zunahme
der Harnausscheidung ist. Beobachtet habe ich auch in der Mehrzahl der Fälle,
dass diese vermehrte Diurese auch nach dem Aussetzen des Sprudels noch einige
Tage lang anhält.
Was das Verhalten der Stickstoffausscheidung anbelangt, so sehen wir,
dass mit der Zunahme der Diurese gleichzeitig eine Vermehrung des N im Harn
auftritt. Dieses Resultat deckt sich mit der Erfahrung maassgebender Autoren.
Jacques Mayer, Oppenheim, v. Noorden und andere sind nämlich der Meinung,
dass diese Stickstoffvermehrung auf einer besseren Auslaugung der Gewebe beruht.
Es handelt sich hierbei also um die Elimination von Eiweiss, das nur schwer
assimilierbar ist und bei stärkerer Anregung des Stoffwechsels aus den Geweben
mUhelos herausgespült wird. Wenn nämlich mit diesem grösseren Eiweissverlust
des Organismus eine dem entsprechende Ernährungsstörung verbunden wäre, so
würden wir wohl regelmässig bei jedem Patienten in Neuenahr während des Ge¬
brauchs des Sprudels einen mehr oder weniger erheblichen Verlust am Körper¬
gewicht zu konstatieren haben. Es zeigt sich aber gerade das Gegentheil. Wohl
die meisten Kurgäste erleiden an ihrem Körper keine Einbusse, sondern verlassen
Neuenahr regelmässig mit einem Plus an Körpergewicht.
Am meisten hervorstechend bei meinen Versuchen ist jedoch die Beeinflussung
der im Harn nachweisbaren Harnsäureausscheidung. Hier zeigt sich, dass dem
Neuenahrer Sprudel eine ganz besondere Rolle in der Reihe der Mineralwässer zu¬
fällt Auch Jul. Glax hat diese Thatsache in der 19. Balneologenversammlung bei
Besprechung der mineralischen Quellen im allgemeinen erwähnt Es kommt eben
»zur Temperaturwirkung noch die den Blutdruck steigende der Kohlensäure und
die osmotische der Salze hinzu im Sinne einer vermehrten Harnsäureausscheidung«.
Wenngleich die Unterschiede der Harnsäureziffern anscheinend nicht sehr gross sind,
so handelt es sich doch, wie Fall II und III erweist, um eine Steigerung von ca.
20% der ursprünglich im Harn konstatierten Harnsäuremenge. Und, was noch be¬
sonders zu betonen ist, es bleibt bei dieser auffälligen Vermehrung der Harnsäure,
selbst von dem Zeitpunkt an, wo in der Nachperiode der Gebrauch des Neuenahrer
Sprudels ausgesetzt ist.
Die Einwirkung auf die Indikanausscheidung habe ich in obigen Tabellen
nicht besonders vermerkt. Obige drei Fälle hatten sämmtlich Indikanurie verschiedenen
Grades. Während der Periode mit Neuenahrer Sprudel liess sich eine deutliche Ver¬
minderung des Indikangehalts im Urin nachweisen.
Am Ende meiner Arbeit untersuchte ich auch den Stoffwechsel einer alten
Diabetica (ohne Eiweiss, Aceton und Acetessigsäure) unter derselben Fragestellung
wie die oben citierten Fälle. Unter dem Einfluss des Neuenahrer Sprudels kam ich
zu folgendem Resultat:
i) cf. Jul. Glax 20. Balneologen-Versammlung und I.enn6 21. Balneologen-Versammlung.
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Ueber den Einfluss des Neuenahrer Sprudels auf den Stoffwechsel des Menschen. 231
Dinreflfl
N-Aus*
Harnsäure¬
Zucker¬
JL/1U1 vuv
pro die
Scheidung
ausscheidung
ausscheidung
pro die
pro die
pro die
Vorperiode (dreitägig)
4236 ccm
22,58 g |
0,77 g
215,15 g
Diabetica
!
Periode mit Neuenahrer
<31 Jahre alt
Sprudel (sechstägig)
4084 ccm
21,61 g
1 0,75 g
219,72 g
Nachperiode (viertägig)
4055 ccm
19,96 g |
0,73 g |
215,65 g
Bei diesem Fall nahm unter der Einwirkung des Neuenahrer Sprudels die
Gesammtdiurese ab. Sie blieb auch geringer, nachdem der Sprudelgenuss aus¬
gesetzt war. Interessant ist auch das Verhalten der Stickstoffabgabe im Urin
und der Harnsäure. Bei beiden ergab sich eine Abnahme der Mengen bei dem
Genuss von Neuenahrer Sprudel.
Ich sehe diese verringerte N-Ausscheidung als eine für den Organismus wohl-
thätige Wirkung des Sprudels an, um so mehr, als die Patientin täglich ein und
dieselbe für sie bestimmte, gemischte Diabetikerkost zu sich nahm. Infolge der an sich
erheblichen Diurese kann es wohl kaum zu einer Anhäufung von schwer assimilier¬
baren Eiweiss in den Geweben kommen. Vielmehr ist ihre tägliche Auslaugung eine
vollkommene. Es ist demnach die Vorbedingung, welche zu einer stärkeren Stick¬
stoffabgabe während der Neuenahrer Periode führt, — wie cs in den oben erwähnten
Fällen zu beobachten war — nicht vorhanden. Wenn sich hier also die N-Abgabe
im Harn während und nach dem Gebrauch des Neuenahrer Sprudels vermindert, so
kann ich diese Folgeerscheinung mit Recht als eine für das Befinden der Patientin
günstige Thatsache besonders hervorheben.
Mit der verminderten N-Ausscheidung geht parallel die verringerte Harn-
säuremenge. Dieses Factum lässt eine vielfache Deutung zu. Vermuthlich wird
weniger Harnsäure im Organismus gebildet. Jedoch lässt sich ein besonderer Schluss
aus der Verminderung der durch den Harn ausgeschiedenen Harnsäuremenge nicht
herleiten, da die Entstehung der Harnsäure doch zu wenig geklärt ist, als dass man
anf irgend einer der heute bestehenden Theorieen über die Bildung der Harnsäure
fassen und von ihr eine Folgerung ableiten könnte.
Eine Indikanreaktion war bei diesem Fall nicht nachweisbar.
Die Zuckerausscheidung wurde im vorliegenden Falle garnicht beeinflusst.
Die Mengen blieben ungefähr dieselben. Eine Herabsetzung der Zuckerausscheidung
Hess sich von vornherein auch nicht erwarten, eben so wenig, als der Genuss von
Karlsbader Wasser zu einer Verminderung der Glykosurie führt. Nur die in Neuenahr
sorgfältig durchgeführte Diät im Verein mit dem Gebrauch des Sprudels kann eine
prompte Herabsetzung der Zuckerausscheidung zu Wege bringen.
Ziehe ich zum Schluss aus meinen obigen Versuchen ein Resum6, so kann ich
wohl mit Recht behaupten, dass der Neuenahrer Sprudel im allgemeinen
1. die Diurese vermehrt,
2. die N-Ausscheidung steigert.
3. Die Harnsäureausscheidung nimmt unter dem Gebrauch von Neuen¬
ahrer Sprudel zu und bleibt auch nach dem Aussetzen des Sprudels noch
eine Zeit lang eine grössere, als sie es vor dem Gebrauch war.
4. Die Indikanurie nimmt ab.
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Kleinere Mittheilungen.
Dagegen konnte ich bei einem Diabetesfall stärkeren Grades mit Polyurie
konstatieren, dass unter der Einwirkung des Neuenahrer Sprudels
1. die Diurese sich verringerte,
2. die N-Abgabe im Urin, und
3. die Harnsäureausscheidung abnahmen.
Diese Verringerung von 2. und 3. hielt auch nach dem Aussetzen des Neuen¬
ahrer Sprudels an.
Es sei mir zum Schluss vergönnt, Herrn Geheimrath v. Leyden für die gütige
Erlaubniss zu danken, meine Versuche an Kranken der I. medicinischen Klinik an¬
stellen zu dürfen.
Kleinere Mittheilungen.
i.
Fleischextrakt und Hefepräparate.
Eine wirtschaftliche Betrachtung von Dr. K. Beerwald in Berlin.
Vor einiger Zeit ist in einem medicinischen Fach blatte ein Artikel überiSiris« erschienen, der
genanntes Hefepräparat als dem Fleischextrakt gleichwertig bezeichnet Vielfach ist dieser Artikel
in der Presse nachgedruckt worden, und gleichzeitig haben auch andere Hefepräparate, »Ovos«, »Wukt,
»Sitogen«, durch eine lebhafte Reklame beim konsumierenden Publikum den Versuch gemacht, als
hervorragende Genussmittel anerkannt zu werden, ja sie wollen daneben sogar als eigentliche
Nahrungsmittel eine sehr wesentliche Bedeutung haben. Es wird daher zur Pflicht, objektiv nach¬
zuprüfen, ob solche Behauptungen durch die Thatsache gerechtfertigt sind; denn auf keinem Gebiete
der Gesundheitspflege haben Irrthümer verhängnisvollere Folgen als auf dem der Ernährung, wobei
es ganz gleichgültig ist, ob diese Irrthümer bewusste oder unbewusste sind.
Das erste künstliche Genussmittel, das uns geboten wurde, war die eingedickte Fleischbrühe
Liebig’s, die als Fleischextrakt in den Handel kam. Wenn ihm auch im Laufe der Jahre manche
Nebenbuhler entstanden, welche bei gleichem thierischen Ursprung bald besser, bald billiger sein
sollten, hat doch bis auf den heutigen Tag der Liebig-Kemmerich’sche Fleischextrakt sich in
seiner Art als der beste bewährt Nur in den letzten Jahren ist seine Alleinherrschaft dadurch
eingeschränkt worden, dass Maggi’s Würze mehr und mehr bekannt wurde, in welchem Produkt
das bisherige Prinzip verlassen und hauptsächlich pflanzliche Bestandteile zur Herstellung des
Genussmittels verwendet worden waren. Daher konnte diese Würze auch zu einem Preise an-
geboten werden, der ihr selbst in die ärmste Hütte Eingang verschaffte, und so wurde bald der
anfänglich scheinbare Konkurrent eine notwendige Ergänzung des Fleischextraktes, dessen hoher
Preis ihn stets von der Küche des armen Mannes ausschliessen wird, und der bei seiner tierischen
Abstammung eine ganz andere Beurteilung finden muss als Maggi’s Würze. Das aber ist
andererseits beiden Produkten gemeinsam, dass sie nur Genussmittel sein sollen und wollen, durch
welche auf die Verdauungsorgane jene Anregung ausgeübt wird, die zu einer genügenden Nahrungs¬
aufnahme und Verdauung erforderlich ist, und beide äussem in dieser Beziehung eine gleich starke
Wirkung.
Arbeiten hervorragender Hygieniker und Chemiker, besonders der beiden Brüder Büchner,
über Hefe führten inzwischen zu dem überraschenden Resultate, dass bei einem gewissen Verfahren
die Hefezellen platzen, ihr eiweissartiges Protoplast austritt, und das gewonnene Produkt schliesslich
an Geruch und Geschmak einen dem Fleischextrakt ähnlichen Charakter erhält. Leider wurde diese
Beobachtung zu früh bekannt, und ohne die weiteren Arbeiten der Forscher abzuwarten und
dieselben zu jenem definitiven Abschluss kommen zu lassen, der den Hefepräparaten einst eine
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Kleinere Mittheilungen.
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berechtigte Stellung in der Ernährung des Menschen anweisen wird, haben kaufmännische Unter¬
nehmer die errungene, noch recht unvollkommene Basis sofort zur Herstellung neuer Genussmittel
benutzt, welche als billige, aus Hefe gefertigte Fleischextrakte den theueren aus dem Fleische selbst
erhaltenen Fleischextrakt verdrängen sollten. Dass künstliche Produkte stets nur eine minder-
werthige Nachahmung, niemals ein vollgültiger Ersatz für die natürlichen sein können, übersahen
jene Industriellen sehr zum Schaden des Publikums und zum Theil dem eigenen, wenn sie nach
kurzer Zeit ihre Präparate als ungenügend wieder zurückziehen mussten; und auch die eingangs
erwähnten vier Hefepräparate dürften trotz der für sie aufgewandten grossen Reklame kaum längere
Zeit vom Publikum benutzt werden, da ihre Nachtheile gegenüber dem Fleischextrakt doch zu
auffällige sind.
Wenn auch kein zu grosses Gewicht darauf gelegt werden soll, dass die Haltbarkeit der
Hefepräparate ganz bedeutend der des Floischextraktes nachstcht, der wochenlang in offener Büchse
stehen kann, ohne die geringste Veränderung zu erleiden, während die ersteren bei der gleichen
Behandlung schon nach wenigen Tagen Pilzrasen zeigen, die zum mindesten ihre Genussfähigkeit
nicht erhöhen, so ist es doch eine recht bedenkliche Behauptung, wenn die Hefepräparate auch
Nährmittel genannt werden und z. B. über Sitogen kühn geschrieben wird, dass es »alle Bestand¬
teile enthält, welche dem menschlichen Körper regelmässig zugeführt werden müssen, wenn er
kräftig und gesund erhalten werden soll«. Stellen wir das Eiweiss des an Eiweiss reichsten dieser
Präparate, des Pflanzenfleisch ex trakt genannten Ovos, in Parallele mit unseren Nahrungsmitteln, so
würden in der Form von Ovos, das 40o/ 0 Eiweiss hat, kosten 200 g Eiweiss M. 3,75,
in magerem Rindfleisch zu 90 Pfg. das Pfund . 205 g » » 1,80,
in Schellfisch zu 40 Pfg. das Pfund.214 g » »1,00,
in Magerkäse zu 60 Pfg. das Pfund. 200 g » » 0,75.
Setzen wir den Tagesbedarf eines Mannes an Eiweiss auf 120 g fest, so bedarf derselbe zu
dessen Deckung
durch Ovos einen Geldaufwand von . M. 2,20,
» mageres Rindfleisch.» 1,05,
» Schellfisch.» 0,57,
» Magerkäse.» 0,45.
Ausserdem darf nicht vergessen werden, dass die drei zum Vergleich herangezogenen
Nahrungsmittel sämmtlich thierisches Eiweiss enthalten, welches für den Körper durch die Verdauung
zu einem viel grösseren Theile ausgenutzt wird, als pflanzliches, wie es Ovos repräsentiert. Doch
wenn selbst dieser sehr wichtige Umstand nicht weiter berücksichtigt wird, würde der Tagesbedarf
eines Mannes an Eiweiss nach den angeführten Werthen in der Form von Ovos zweimal so theuer
bezahlt werden als im Fleisch, viermal so theuer als im Schellfisch und fünfmal so theuer als im
Magerkäse. Ohne weiteres soll nun zugegeben werden, dass es Niemandem einfallen wird, soviel
Ovos zu geniessen, um die durch die Lebensenergie und Arbeitsleistung im Körper verbrauchten
Eiweissmengen allein dadurch zu ersetzen, und dass selbst ein Freund von Ovos dieses Präparat
stets nur in kleinen Mengen mit seinen Speisen vermischen wird. Aber auch für die kleinsten
wirklich verwendeten Mengen behält die aufgestellte Berechnung in proportionaler Reduktion volle
Geltung; ein Verschwender ist, wer durch Zusatz von Ovos oder einem anderen Hefepräparat bei
deren heutiger Zusammensetzung den Nährwerth seiner Mahlzeit vermehren will, und bedeutend
billiger und zweckmässiger ist es, z. B. in einen Teller Suppe zu diesem Zwecke ein Ei zu verquirlen
als ihr entsprechend viel Ovos hinzuzufügen. Das ist mit die beste und vornehmste Empfehlung des
Fleischextraktes, dass er nur ein Genussmittel sein will und seiner reichlich vorhandenen Eiweiss¬
körper nicht weiter gedacht wird.
Wenn also die Hefepräparate als Nahrungsmittel für uns nicht in Betracht kommen können,
so gebührt ihnen bei ihrem reichen Gehalt an Salzen und Extraktivstoffen immerhin eine gewisse
Bedeutung als Genussmittel, obgleich sie auch in dieser Beziehung dem Fleischextrakt an Gewürz¬
stärke um das zwei- bis dreifache nachstehen, da von den einzelnen Hefepräparaten zwei- bis dreimal
so viel genommen werden muss als vom Fleischextrakt, um eine annähernd gleich starke Geschmacks¬
wirkung zu erreichen. Wegen dieser geringeren Würzkraft werden die Hefepräparate also that-
Blchlich zwei- bis dreimal so theuer bezahlt, als der Ladenpreis beträgt, so dass die Behauptung ihrer
Büligkeit gegenüber dem Fleischextrakt nicht aufrecht erhalten werden kann. Dazu kommt aber,
dass die Salze und Extraktivstoffe des Fleischextraktes für den Körper viel werthvoller sind, als
diejenigen der Hefepräparate, was durch die erwähnte Differenz im Geschmackscharakter schon sinn-
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Kleinere Mittheilungen.
fällig hervortritt und bei dem unendlich verschiedenen Herkommen beider Produkte kein Wunder
nehmen kann. Es ist daher auch kaum zu erwarten, dass die Hefepräparate in dieser Beziehung
jemals den Fleischextrakt erreichen werden, was indessen vielleicht für ihre Würzstärke mit der
Zeit eintreten kann. Diesen Zeitpunkt hätten ihre Fabrikanten abwarten sollen, und da sie das
nicht gethan und eigentlich unfertige Produkte in den Handel gebracht haben, sollten sie wenigstens
im Interesse des Publikums in der Anpreisung der Hefepräparate nicht über deren wirklichen
Werth hinausgehen.
II.
Das Sanatorium Wehrawald im badischen Schwarzwald.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Die ungeahnt schnelle und günstige Entwickelung der auf die Bekämpfung der Tuberkulose
hinzielenden Bestrebungen, wie sie nur Dank dem sozialpolitischen Empfinden weitester Kreise sich
Bahn brechen konnten, hat ein ausserordentlich werthvolles Zusammengehen von Wissenschaft und
Technik erzeugt. Dies offenbart sich in erster Reihe an der Anlage und Einrichtung der Lungen¬
heilstätten, wie sie im Laufe des letzten Jahrzehnts vornehmlich in Deutschland erstanden sind und
für Inland wie Ausland den Charakter wahrer Musteranstalten repräsentieren. Jeder neue industrielle
Fortschritt, jede neue technische Erfindung ist in den Dienst der Allgemeinheit getreten und dem
Zwecke, mustergiltige Einrichtungen zu treffen, nutzbar gemacht worden. Hat schon gelegentlich
des denkwürdigen Tuberkulosekongresses im Jahre 1899 Oberstabsarzt Dr. Pannwitz in der Fest¬
schrift »Deutsche Industrie und Technik bei Einrichtung und Betrieb von Sanatorien und Kranken¬
häusern« sowie weiterhin in seinem Referate über »Bauliche Herstellung von Heilstätten« Baurath
Schmieden die Grundprinzipien der Anlage und Einrichtung der Lungenheilanstalten sowie
weiterhin die wesentlichen Fortschritte gegenüber vergangenen Zeiten feststellen können, so ist dies
in viel höherem Maasse noch seitdem geschehen im letzten Jahrzehnt, das in der Tuberkulose¬
bekämpfung als das glorreichste anzusehen ist.
Ein Produkt dieser jüngsten Periode, die sich bomühl, alle auf ernste Forschung und weit¬
gehende Erfahrung basierenden Fortschritte in den Dienst dieses hehren Zieles zu stellen, ist das
Sanatorium Wehrawald im Schwarz wald, das seiner mustergültigen Einrichtungen wegen an
dieser Stelle einer flüchtigen Betrachtung unterzogen werden soll.
Die prinzipiellen Anforderungen, die an jede zur Aufnahme von Lungenkranken dienenden
Anstalten zu stellen sind, sind bei Wehrawald vollauf erfüllt: das Sanatorium liegt in einer völlig
isolierten, windgeschützten Lage, ist von dichtem Wald umschlossen, besitzt ein geeignetes Klima,
eine gleichmässige Temperatur und, da über der Nebelzone gelegen, eine andauernde Insolation.
Sind somit die klimatischen Faktoren aufs glänzendste erfüllt, so zeigt auch die Gesammtanlage
das thatkräftige Zusammenwirken von Wissenschaft und Technik. Aus hygienischen wie therapeu¬
tischen Gründen ist nur der lediglich zur Aufnahme der Patienten bestimmte Mittelbau mit einer
60 m langen Front mehrstöckig, während die sich daranschliessenden Seitenflügel, in denen einerseits
die Bäder und ärztlichen Räume, andererseits die wirtschaftlichen, wie Speisesaal, Küche etc. unter¬
gebracht sind, nur ein Stockwerk besitzen. Auf diese Weise ist, da auch der Mittelbau nur nach
einer Seite, und zwar nach Süden, Zimmer hat, der freie Zutritt der Waldluft von allen Seiten er¬
möglicht und zugleich eine völlige Absonderung der Kranken von dem allgemeinen Betrieb erzielt.
Was nun die Innenräume anbetrifft, so ist als oberster Grundsatz das Prinzip einer völligen Wasch¬
barkeit und Desinfizierbarkcit nicht nur der Bautheile, sondern auch aller Einrichtungsgegenständo
bis zum kleinsten Stück durchgeführt. Um jede Staubablagerung unmöglich zu machen, ist überall
auf zweierlei geachtet, einmal dass sich nirgends Kanten und Ecken, Riefen und Risse finden, und
dass zweitens durch die Art der Ausführung der Möbel wie deren Anordnung dem Dienstpersonal
die Reinhaltung aufs äusserste erleichtert wird. Daher im ganzen Bau nirgends eine Ecke, die
Wände stossen in einem abgerundeten Winkel zusammen, die Decke geht leicht gewölbt in die
Wände über, wo diese mit dem Fussboden Zusammentreffen, ist eine Dreieckleiste eingefügt. Die
Risse, die sich da zu bilden pflegen, wo das Holz der Thüren und der Fenster an die Wände stösst,
sind durch Leinewandbelag überdeckt. Die Wände selbst sind zur Hälfte mit der abwaschbaren
Salubratapete bekleidet, der obere Theil mit Oelfarbe gestrichen. Auch die elektrischen Lampen
und die Heizkörper der Niederdruckdampfheizung sind derart gestaltet, dass nirgends auch nur die
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Kleinere MittheiJungen.
geringste Sta!ib»bljigeni«g stntjtfinden kann; speziell rüo Radiatoren der tatgt&rcn aind soweit von
Hmien und Wmä entfernt, das« eine gründliche Reinhai^ng ddJrebfrihrbar giebf es
m den Zimwltfnj -weder Vorhänge noch Teppiche. Man vermisst aber diese keineswegs: denn durch
die Kunst des .rl^pbd^rcitiuekteii'ist ein vornehmer, behaglicher und ungemi in wohnlicher Eindruck
y^^s.v.i / |i
l \! ei n ere M1 ttli ei 1u ngc« tu
de* Ganzen erzieh worden. : , harmonisch ah^etöwte Farben*
ge.lmög der ganzen Ziromercinriehtum^ stilvolle,B*fnaluijg 4er Decke, Berückiku\ Farben
te *; der Polsterung der Möbel, teppidiairfig wirkender Un<>iei«mbelag t alles die» wirkt ios^'oi«? i.«
%<> dass man die sonst gewobmo Innendekoratiön völlig entbehrlich findet. Die PoUrer dfet Sessel,
dem* Stoff einer bequemen und gründlichen Desinfektion zugänglich ist, sind leicht m ehtfemfen;
sn dass nur das glatte Ilofc&eriin hbrig bleibt Eine besondere Erwähnung vcidkmou die
Fig, 19.
Liegeha116 des Sanatoriimrs.
V endlatioiiseinnclitungifn; Ueber allen Fenstern und Buikout hären sind qu erliegende, leid it in Jod er
Page stellbare KlappdoppelfenHter angebracht. Dieselbe Einrichtung befindet sich auch über den
g^gcriulierliegeftden Ziünnertbüren. Diese? genau regulierbaix», natürliche VentHnttoa übertnfft jede
knnMliehe weit an Wirkung; Ausserdem kennen alle Fcnfttefflügcl und Ba&outhuren beim Deffaen
durch eia leicht regulierbares- Hebchvork in jedem Winkel fixiert werden , -aae .anssemnU^ülcfi
praUtisehi- Ifsndhabung, Fenster* und Balkonthuren haben hulzcme Aussenl-tdefi mit Quertiiv-il^og
tjä briWfungshobe. wodurch eine wehere Regelung der Luftzufuhr ermöglicht wird.
f:0^i 61- fange? Licgehailh t deren Snftcnflilgfel in cin^u twh sditeu offnen;
um etwaige Wintk abzuhaffi'n; eine durumer.'befindliche ebenso lange Waudejbahnh^wi^
|i
Berichte über Kongresse und Vereine.
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zwei kleinere Liegehallen mitten im Wald vervollständigen das Bild der Anstalt. Die Beseitigung
und Vernichtung der Abfallstoffe geschieht mittels des biologischen Reinigungsverfahren, für dessen
Ausführung die Bedingungen in Wehrawald insofern ganz besonders günstig liegen, als ein tiefer
Staaweiher die gereinigten Abwässer aufnimmt, bevor sie — mit dem Wasser dieses Weihers ver¬
mischt und durch dieses ausserordentlich verdünnt — dem Flusslauf der Wehra zugeführt werden.
Alles in allem haben wir in dem Sanatorium Wehrawald eine bis in die kleinsten Einzelheiten
mustergültige Anstalt, deren wesentliche Fortschritte nicht blos in der strengen Durchführung
wissenschaftlicher Prinzipien, sondern vornehmlich auch in dem Nachweis beruhen, dass es möglich
ist, eine vollkommene Hygiene mit allen Anforderungen eines verwöhnten Geschmackes zu ver¬
binden. Und in diesem Komfort des Kranken, wie er sich unter Wahrung aller hygienischen Vor¬
bedingungen in der harmonischen und direkt reizvollen Innengestaltung der Räume darstellt, liegt
meines Erachtens einer der wesentlichsten Verbesserungen des modernen Sanatoriumbaues.
Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über die 23. öffentliche Yersammlnng der Balneologischen
Gesellschaft in Stuttgart Tom 7. bis 12. März 1902.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
(Fortsetzung und Schluss.)
Länderer (Stuttgart), Die Heilbehandlung nnd ihre Gegner.
Die Bekämpfung der Tuberkulose ist zur Zeit das am meisten umstrittene Gebiet der Medicin,
Hier konkurrieren in erster Linie verschiedene bakterio-therapeutische Methoden. Die eine Richtung
— von Koch vertreten — sucht durch Tuberkelbacillenderivate Immunität gegen Tuberkulose zu
erzielen, während die andere Richtung, deren Haupt Vertreter Maragliano ist, antitoxische Stoffe
im Thierkörper heizustellen bemüht ist und sie dem Patienten einverleibt. Dann ist zu nennen:
die Freiluftbehandlung, die durch Verhütung von Schädlichkeiten die Selbstheilung der Tuberkulose
zu fördern und zu sichern sucht. Weiter kommt noch die chemisch-pharmokologische Industrie in
Betracht; sie ist bemüht, durch Variation und Kombination von Mitteln zu wirken, die bei der
Taberkulose als nützlich erkannt sind.
Die Heilbehandlung wird von allen diesen Richtungen bekämpft Redner erwähnt zunächst
eine Anzahl Autoren, die mit Hetol gute, zum Theil glänzende Resultate erzielt haben, wie:
£xaquet, Weissmann, Mann, White, Franck, Guttmann, Lowski, Wassilenko u. a.,
dann bespricht er die Einwände der Gegner im einzelnen. Die Ergebnisse Fränkel’s sind schon
durch Krämer gebührend beleuchtet; die Behauptungen Staub’s, dass das Hetol ein völlig in¬
differenter Stoff sei, so gleichgültig wie physiologische Kochsalzlösung, sind neuerdings von dem
unter ähnlichen klimatischen Verhältnissen arbeitenden Heusser zurückgewiesen worden, der mit
Hetol hervorragende und dauernde Resultate erzielt hat Gidionsen (Falkenstein) sieht dagegen
im Hetol ein sehr differentes Mittel, das Gewichtsverlust und Verschlechterung herbeiführe; dem
entgegen hat Haentjens in einem niederländischen Sanatorium ganz vorzügliche Erfolge erzielt.
Die schwerwiegendsten Einwände hat M. Wolff (Berlin) gegen das Hetol erhoben; er will auch
bei leichten Fällen, und, *was den lokalen Befund betrifft«, keinen Erfolg gesehen haben. Auch
»eine Thierexperimente verliefen völlig negativ. Demgegenüber ist darauf hinzuweisen, dass zur
selben Zeit, am selben Ort und gleichfalls an ambulatorischem, aber zweifellos wesentlich schwererem
Krankenmaterial Guttmann (Krause’sche Poliklinik für Kehlkopfkranke in Berlin) und E. Franck
(Berlin) sehr schöne Erfolge mit Hetol erzielt haben.
Dass bei sehr schweren experimentellen Thierinfektionen Hetol wirkungslos bleibt, soll nicht
geleugnet werden. Wolff hat nun zweifellos mit sehr empfänglichen Thieren (Meerschweinchen)
gearbeitet und die nothwendige intravenöse Injektion des Hetols zum Theil garnicht, zum Theil
nur vorübergehend angewandt Jurjew und Kanzel haben — mit weniger virulentem lnfektions-
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Berichte über Kongresse und Vereine.
material arbeitend — die Angaben Länderer’s über die Heilongsweise der Tuberkel vollinhalt¬
lich bestätigt. Unerschütterliche Beweise zu Gunsten des Hetols hat die Arbeit von Cordes ge¬
bracht; er untersuchte in der Krause’schen Poliklinik für Kehlkopfkranke Gewebsstücke aus den
Kehlköpfen von mit Hetol behandelten Kehlkopftuberkulosen und konnte an ihnen aufeinander¬
folgend die von Länderer angegebenen Wirkungen des Hetols auf den Tuberkel — die Um¬
wallung mit weissen Blutkörperchen, die Abkapselung, die Durchwachsung und Vererbung — nach-
weisen.
Dieselben Prozesse wurden auch auf dem Sektionstisch bei Heilbehandlung nachgewiesen,
z. B. von Ewald u. a. Diese unanfechtbaren positiven Beweise zeigen gegenüber den negativen
Befunden bei Wolff’s Thierexperimenten, dass ein Mittel, welches bei schwerster Impftuberkulose
des Thieres versagt, deshalb noch lange nicht bei der spontan entstandenen Tuberkulose des
Menschen wirkungslos zu sein braucht. Auch die verschiedenen Sera, z. B. das Diphtherieserum,
trifft derselbe Vorwurf.
Bei der Würdigung der Angriffe gegen das Hetol ist zunächst auf die merkwürdige That-
sache hinzuweisen, dass die Einwürfe der Gegner schon untereinander in unlösbaren Widersprüchen
stehen. Im übrigen ist von ihnen die dringende Mahnung Länderer’s nicht befolgt worden, zu¬
erst und vorwiegend leichte und beginnende Fälle der Behandlung zu unterziehen, ausserdem be¬
herrschten sie die Technik nicht genügend, verwandten besonders die subkutane statt der intra¬
venösen Injektion. Ihren richtigen Platz hat die Hetolbehandlung in der Privatpraxis, wo nicht zu
vorgeschrittene Fälle (die »unkomplizierten Tuberkulosen« Länderer’s) längere Zeit unter Beobachtung
bleiben können. Es wäre zu wünschen, dass die Vorurtheile gegen die unschädliche und wirkungs¬
volle Hetolbehandlung allmählich einer genügenden Vertrautheit mit der Methode weichen, um so
mehr, als die Heilstättenbewegung nie im stände sein wird, die enorme Menge der Tuberkulösen
zu versorgen und die Unzulänglichkeit der Freiluftbehandlung allmählich sogar in ihren eigenen
Reihen (Weicker) zugegeben wird.
Rotschild (Sodenj, Das Heirathen Tuberkulöser.
Die Frage nach dem Heirathskonsens ist wenig studiert, sie gliedert sich in drei Unterfragen:
1. welchen Einfluss die Heirath auf den Verlauf des Tuberkuloseprozesses bei bereits erkrankten
Ehegatten gewinnt; 2. wie sich der bis zur Ehe gesunde Gatte verhält; 3. welches das Loos der
eventuellen Kinder ist. Prinzipiell ist der Konsens zu verweigern bei Phthisikern, die fiebern,
reichliche bacillenhaltige Sputa entleeren, zu HämoptoÖ neigen, überhaupt Stigmata eines Fort-
schreitens des Krankheitsprozesses zeigen. Bei stationären Phthisen, den sogenannten einfachen
Spitzenkatarrhen, kann man unter Kautelen die Heirath gestatten. Der tuberkulöse Mann ist hier¬
bei günstiger daran, als die tuberkulöse Frau. Nicht selten tritt bei dem Mann, der durch die Ehe
zu einem hygienisch einwandsfreien Leben gezwungen wird, eine Ausheilung des Prozesses während
oder sogar durch die Ehe ein; die Frau ist durch Gravidität, Wochenbett und Sorge für die Kinder,
insbesondere Stillen gefährdeter. Nicht selten beobachtet man, dass gerade ein bis zur Ehe stationärer
phthisischer Prozess während der Gravidität zu rascher Weiterentwickelung kommt, um vielleicht
kurz nach der Entbindung den Tod der Frau herbeizuführen. Die Frage der künstlichen Beendigung
der Schwangerschaft ist in solchen Fällen nach dem Vorgänge Kaminer’s ernstlich zu erwägen.
Treten weniger bedrohliche Symptome auf, vermehrter Husten und Auswurf, Appetitabnahme, so
ist eine Badekur der Graviden zu empfehlen. Ansteckung zwischen Ehegatten ist selten. Alle
Statistiken beweisen, dass in höchstens 15% von Ehen, wo ein Ehegatte tuberkulös war, auch der
zweite tuberkulös wird. Aber nicht einmal an diesen 15% darf man immer die Infektion für die
Entstehung der Tuberkulose bei dem Gatten heranziehen. Sonstige Ursachen der Aetiologie der
Tuberkulose wirken auch hier mit; es bleiben höchstens 7 % der Ehen, in denen keine andere Ur¬
sache für das Entstehen der Tuberkulose gefunden werden konnte, als Infektion des gesunden durch
den tuberkulösen Gatten.
Dieses ausnahmsweise Vorkommen der Infektion rechtfertigt kein universelles Eheverbot für
Tuberkulöse. Es ist von Fall zu Fall zu entscheiden, ob die äusseren Verhältnisse so sind, dass
durch hygienische Maassnahmen der Entstehung der Krankheit bei dem gesunden Gatten vorgebeugt
werden kann. Auch hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Uebertragung der Krankheit vom
kranken Mann auf die gesunde Frau häufiger ist, als die Uebertragung von der tuberkulösen Frau auf
den gesunden Gatten. Kinder werden nie tuberkulös geboren; durch entsprechende Hygiene, durch
Aufenthalt der Kinder an der See und in Soolbädem, durch roborierende Ernährung und möglichste
Trennung vom Elternhaus lässt sich die Ansteckung verhüten.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 239
Liebreich (Berlin), Ueber Inhalationstherapie.
Der viel geübten und mit Erfolg seit alten Zeiten angewandten Inhalationstherapie fehlt trotz¬
dem die wissenschaftliche Grundlage, wie man sie für eine Reihe anderer therapeutischer Maass¬
nahmen besitzt Zahlreiche Versuche, die man an Thieren mittels Einathmung von Farbstoffen an¬
stellte, führten zu keinem Resultate, die Sektionen ergaben nichts. Die Schlussfolgerung hiervon,
dass die Methode nichts werth sei, ist falsch, denn wenn die praktische Erfahrung seit langen
Zeiten dafür spricht, so ist eben das Experiment nichts werth. Bei der Inhalation werden gas¬
förmige Substanzen ton der Lunge eingeathmet und resorbiert, fein zerstäubte Substanzen können,
in die Lunge eingetreten, pathologische Stoffe völlig beherrschen. Also man muss daran festhalten,
dass die Inhalation ein ganz wichtiges therapeutisches Moment ist Wie gestaltet man nun die
Inhalation am besten? Man muss vor allem die gasförmige Substanz mittels des Mundes ein-
athmen, zur Verhinderung der Nasenathmung eventuell eine Nasenklemme benutzen. Die Thatsache,
dass bei der Staubinhalation wirkliche Infektionen der Lunge eintreten, ist mit ein Beweis, dass
die Inhalationen in die Lunge selbst kommen. Bei der Einathmung von Salzlösungen sind am
besten kalt gesättigte, nicht warme Lösungen zu verwenden; die feineren Theilchen verschwinden
jedenfalls in der Lunge, legen sich an die Schleimhaut an und werden resorbiert. Wenn man
Substanzen in der Lunge nicht nachweisen kann, so liegt dies nicht immer am Fiimmerepithel oder
dergleichen, sondern daran, dass eben die Lunge mit kolossaler Schnelligkeit resorbiert Wenn
auch die experimentellen Untersuchungen hierüber noch nicht völlig abgeschlossen sind, eins steht
jedenfalls fest, dass man einer so bewährten Methode therapeutisch nicht entrathen kann.
K5ppe (Giessen), Balneologische Stadien im Anschlags an die physikalisch-chemische Unter-
sichnng des Salzwassers.
ln der chemischen Analyse eines Mineralwassers kommt das thatsächliche Verhältnis nicht
zum Ausdruck. Die chemisch-physikalische Analyse der Neuzeit hat uns nun einen Schritt weiter
gebracht, denn wenn auch die Ergebnisse der chemischen Analyse an sich durch den Wechsel der
modernen Anschauungen nicht berührt werden, so ergeben doch erst beide Analysen zusammen
einen thatsächlichen Befund und lehren uns, dass jede Mineralquelle an sich studiert und nicht mit
anderen verglichen werden darf. Köppe hat nun eine Reihe von Untersuchungen nach dieser chemisch-
physikalischen Methode über den Gehalt der Mineralwässer an Kalk und Kohlensäure angestellt
und ist auf diesem Wege dazu gelangt, den exakten Nachweis dieser Bestandteile zu führen und
damit die Konstitution des betreffenden Mineralwassers kennen zu lernen.
Steiner (Levico), Zar Balneotherapie der Acne vulgaris.
Die Acne vulgaris ist eine Vegetationsanomalie, bedingt durch eine krankhaft veränderte
Reaktion der Haut und ihrer Drüsen auf äussere . Schädlichkeiten, meistens bei gleichzeitigem Status
seborrhoicus, welcher angeboren oder durch Konstitutionsanomalien (Anämie, Chlorose) bedingt
sein kann. Die in ihrem Tonus erschlafften Talgdrüsen geben mit ihrem qualitativ und quantitativ
veränderten Sekrete für die präexistirenden und neu ein wandernden Mikroorganismen einen günstigen
Entwicklungsboden ab (Kaposi, Vciel, Isaac, Hammer).
Das mit Rücksicht auf seine pathologische Dignität so unbedeutende, aber für die davon
Befallenen lästige und ihre soziale Stellung untergrabende Hautleiden, war seit jeher ein Angriffs¬
punkt für die mannigfachsten therapeutischen Versuche. In der älteren Zeit wurde natürlich, ent¬
sprechend der herrschenden Ansicht von der dyskrasischen Entstehung der Hautleiden, die All¬
gemeinbehandlung in den Vordergrund gestellt: roborierende Diät, Stimulantia, Alkoholgenuss.
Dann hat man angebliche Spezifika gegen Acne angegeben: Schwefelkalcium, Glycerin, Ergotin,
01. therebinthinae und in neuester Zeit das zum Universalheilmittel erhobene Ichthyol.
Da aber alle diese Mittel die in sio gesetzten Hoffnungen mehr oder weniger unerfüllt Hessen,
griff man zu der von Hebra empfohlenen und ausgebildcten örtlichen Behandlungsmethode; diese
besteht darin, dass man a) die die Talgdrüsen verschliesscnden Komedonen ausdrückt, die bereits
vereiterten Follikel zur Entleerung bringt und die Epidermis durch Pflasterpraparate, Pasten
(Resorcin, Naphtol), Spiritus sapon. kal., Schmierseife und b) durch den fettaufsaugenden und aus¬
trocknenden Schwefel zur Abstossung bringt. In England und Frankreich ging man radikaler vor, er-
öffnete die Pusteln mit Stachel und Messer, schabte die Haut mit dem scharfen Löffel, skarifizierte,
äzte selbst mit Karbolsäure. All' den genannten Methoden haftet aber der Nachtheil an, dass sie
»ar auf einer Klinik konsequent durchgeführt werden können und dass sie schmerzhaft, langwierig
und unbequem sind.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Zu gleicher Zeit wurde von einzelnen Männern auch schon der hydrotherapeutischen Be-
handlungsmethode das Wort gesprochen, aber ihre Stimmen verhallten vor der Autorität Hebra’s
und seiner Schule, welche dieser Behandlungsweise schädliche Nebenwirkungen vindizierten. Später
näherten sich zwar Kaposi, Lassar u. a. diesen Bestrebungen, aber erst in neuester Zeit ist es
den Bemühungen eines Winternitz, Polotebnow, Saalfeld und Liebersohn gelungen, der
Wasserbehandlung der Acne vulgaris allgemeine Anerkennung zu verschaffen.
Was nun die letztere betrifft, so haben Bonn und Barlow durch schweisserregende Proze¬
duren (Packungen und Dampfbäder) mit darauffolgender Kälteapplikation eine allgemeine mächtige
Tonisierung des Gesammtkörpers, sowie namentlich der Haut und ihrer Drüsen herbeizuführen ge¬
sucht. Gegenüber dieser allgemeinen Anwendung des Wassers bricht sich in der neuesten Zeit
bei der Behandlung der Hautleiden und speziell der Acne die lokale Applikation des Wassers,
namentlich des heissen, Bahn. Liebersohn hat die physiologische Wirkung bestimmt temperierten
Wassers an sich und an anderen experimentell untersucht und gefunden, dass durch dasselbe ein
verstärkter Blutzufluss zur Haut mit Steigerung der Thätigkeit der Hautdrüsen und bei wiederholter
Anwendung stromenden Dampfes Exfoliation der Haut eintritt. Schädliche Wirkungen wurden nur
bei länger dauernder Einwirkung namentlich hoher Temperaturen gesehen. Bei pathologisch ver¬
änderter Haut kommt es zur Abstossung der aufgelagerten Schuppen und Krusten, zur Resorption
der Infiltrate, sowie zur Abstossung und Ueberhäutung der nekrotischen Stellen.
Was die Technik der Behandlung mit Wasserdampf betrifft, so geschieht sie mittels eigens
hierzu konstruierter Dampfzerstäuber oder mittels Vorrichtungen, welche Inhalationsapparaten ähnlich
sind. Auf letzterem Prinzipe beruhen die für diese Zwecke vom Vortragenden benutzten Apparate*
welche jedoch eine wesentliche Verbesserung dadurch erfahren haben, dass der für das Gesicht be¬
stimmte trichterförmige Hohlraum durch an den Schlauch anfügbare kleinere Glascylindcr ersetzt
ist, welche den verschiedenen Gesichtsantheilen entsprechend konstruiert sind. Vor der Applikation
des Dampfes wird die Haut durch Seifenwaschungen entfettet und nach denselben zur Erhöhung
des Tonus einem flüchtigen Kältereiz ausgesetzt Bei der ersten Sitzung stellt man die individuell
tolerierte geringste Entfernung des Apparates von der Applikationsstelle fest und trachtet, sich
einerseits während der Sitzung, die 10—15 Minuten dauert, andererseits in den nachfolgenden
Sitzungen zu immer stärker werdender Applikadonsweise einzuschleichen. Bei dieser Art der
Anwendung kommt es nie zu Verbrühungen und höchstens bei sehr empfindlicher Haut anfänglich
zu rasch vorübergehender Quaddelbildung. Die Dauer der Kur richtet sich nach der Schwere des
Einzelfalles, und es gilt als Hegel, die Prozedur auch nach dem Verschwinden der letzten Spur von
Infiltration noch einige Zeit fortzusetzen, da sonst erfahrungsgemäss von diesen Infiltrationsherden
aus leicht Rezidive eintreten. Den Apparat dem Kranken zu übergeben, hat sich wegen der dabei
unvermeidlichen Unzukömmlichkeiten als unrathsam erwiesen.
Aber auch diese Art der Medikation ist, selbst wenn man zur Beschleunigung der Heilung
mit dem Dampfe gleichzeitig medikamentöse Stoffe (Seifenspiritus, Essig) auf die Haut verstäubt,
für den Arzt und den Patienten oft sehr zeitraubend. Um diesen Uebelstand zu beseitigen, hat
Vortragender nach zahlreichen sorgfältigen Untersuchungen in seiner Anstalt in Levico eine von
Erfolg gekrönte Behandlungswcise ausgearbeitet, welche wegen ihrer Einfachheit und Bequemlich¬
keit in vielen Fällen alle bisherigen Methoden zu verdrängen geeignet ist. Diese Methode besteht
in örtlicher Applikation von Levicowasser auf die Haut Die Ausführung geschieht in folgender
Weise: Eine Maske aus Flanell oder Leinewand, welche den Gesichtsformen möglichst genau an¬
gepasst ist, wird mit verdünntem Levicowasser getränkt, sorgfältig angelegt, zur Verhinderung des
Austrocknens mit einem wasserdichten Stoff bedeckt und über die Nacht liegen gelassen. Die An¬
legung kann nach der ärztlichen Unterweisung in der Folgezeit natürlich durch den Patienten selbst
geschehen, und der Erfolg gleicht, was Kürze der Behandlungsdauer und Vollkommenheit betrifft,
dem mit Dampfbehandlung; auch können beide Methoden kombiniert werden.
Bei der Anwendung des Levico wassere zur Acnetherapie vereinigen sich vielerlei Faktoren
zu einer gemeinsamen, sich gegenseitig unterstützenden Wirkung. Zunächst handelt es sich um eine
einfache Wirkung eines erregenden Umschlages, bedingt durch Temperaturdifferenz zwischen
Haut und Umschlag, welche zu einer ausgleichenden vasomotorischen Thätigkeit Veranlassung giebt
In zweiter Linie kommt die spezifische Wirksamkeit der in Levicowasser aufgelöst enthaltenen
mineralischen Bestandteile in Betracht, welchen im allgemeinen eine adstringierende,
tonisierende und baktericide Wirkung zukommt Die einzelnen dabei in Betracht kommenden
Komponenten sind: der Schwefel, dessen dermatotherapcutische Bedeutung ja hinlänglich bekannt
ist; das Eisen mit seiner spezifischen Wirkung auf die die Acne begleitende Anämie und Chlorose,
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Berichte über Kongresse und Vereine.
241
und das Arsen, dem eine vortheilhafte Beeinflussung des gesammten Stoffwechsels und eine um-
stimmende Wirkung auf den darniederliegenden Tonus der Gewebe zugeschrieben wird. — Neben
der lokalen Anwendung von Levicowasser haben sich namentlich in Fällen, wo die Acne auch
über den Stamm verbreitet war. auch allgemeine protahierte Bäder mit diesem Wasser und interner
Gebrauch desselben vorzüglich bewährt.
Als ein von vielen Seiten vernachlässigtes und doch sehr berücksichtigenswerthes Hilfs-
verfahren, welches ebenfalls vom Patienten selbst ausgeführt werden kann und deshalb eine Ent¬
lastung des Arztes bei dieser langwierigen Krankheit bedeutet, bezeichnet Vortragender die Gesichts¬
massage, und zwar in der Form, welche ihr der russische Forscher Pospelow gegeben hat.
Pospelow hat mit Berücksichtigung der Verlaufsrichtung der Spaltlinien der Haut, der Gesichts¬
muskulatur und der Hautdrüsen ein Schema entworfen, bei dessen genauer Ausführung der Inhalt
der Talgdrüsen entleert wird und ein Ein treiben von Mikroorganismen in die Lumina derselben
ausgeschlossen erscheint. Die Massage des Gesichtes nimmt der Patient selbst, der das Schema vor
sich liegen hat, jeden Abend mit erwärmten und angefetteten Fingerspitzen vor, wischt am nächst¬
folgenden Morgen das Fett fort und massiert dann durch 10—15 Minuten mittels eines mit Tuch
überzogenen Wattebäusehchens. Bei mehrmonatlicher konsequenter Durchführung dieses Verfahrens
sah Vortragender namentlich bei Acne indurata sehr schone Erfolge. Nur bedient sich Vortragender
in seiner Anstalt zur Gesichtsmassage nicht der Finger, sondern einer elektrisch betriebenen Welle,
an welcher entsprechende Ansatzstücke angebracht werden können, und zum Gebrauche der Patienten
hat der Vortragende ursprünglich kleine geriffte, in einem Gehäuse beweglich angebrachte Holz¬
kugeln bestimmt, denen aber der Nachtheil schwerer Reinhaltung anhaftete; auf seine Veranlassung
wird daher von der Firma Löblich und Dohnal in Wien ein solcher sehr zweckdienlicher Apparat
aus leicht desinfizierbarem Metall hergestellt.
Zum Schlüsse bespricht Vortragender die Prophylaxe der Acne vulgaris. Dabei kommt
zunächst die viel umstrittene Frage der Diät in Betracht, die aber derzeit noch keineswegs spruch¬
reif ist; es dürfte sich jedenfalls empfehlen, alle Nahrungsmittel, welche einen Ueberschuss an Magen¬
saure und Gasentwicklung verursachen, zu vermeiden. Nebenbei ist die Darmthätigkeit durch Gym¬
nastik und Massage anzuregen. Zum Waschen ist am besten abgekochtes Wasser zu verwenden,
zum Abtrocknen ein reines, frisches Handtuch; der Gebrauch von Badeschwämme und Frottieriappen,
welche als wahre Staub- und Bacillenfänger bezeichnet werden, ist direkt verwerflich.
Länderer (Stuttgart), Theoretische und praktische Grundlagen unserer Mnndbehandlnng.
In der modernen Mundbehandlung fliessen zwei Strömungen zusammen: 1. die bakterio¬
logische mit Pasteur beginnend und seinem fundamentalen Versuch, dass in einer fäulnissfähigcn
Flüssigkeit die Fäulniss ausbleibt, wenn dieselbe gekocht und von der Luft abgeschlossen wird.
Lister führte diese Lehre weiter und begründete die Prophylaxe. Obwohl nun die Lister’schen
Leitsätze theoretisch gänzlich unhaltbar waren, haben sie sich in der Praxis glänzend erwiesen, was
den Satz bestätige, dass Theorie und Praxis oft nicht mit einander übereinstimmen Weiter ver¬
danken wir Koch unendlich viel durch seine Forschungen über die accidentellen Mundkrankheiten,
über Nährböden etc. Die chirurgischen Infektionskrankheiten nehmen nun eine ganz besondere
Stellung in der Lehre von den Infektionen ein; man weiss wohl, welche Krankheiten der Pest-,
der Typhusbacillus erzeugt, allein auf dem Boden der chirurgischen Mundkrankheiten hat die
Spezifität der Mikroorganismen ein grosses Loch. Von einem Abscess z. B. kann man fast niemals
vor der Eröffnung sagen, welches Bakterium zu Grunde liegt; derselbe Mikroorganismus kann klinisch
verschiedene Bilder machen, es giebt also hier keine spezifische Erkrankung. Ein weiterer unauf¬
geklärter Punkt ist die Annahme, dass die meisten Infektionen zur Heilung gelangen. Dass der
Körper toxische Stoffe ausscheidet oder immunisierende erzeugt, das ist bei den chirurgischen
nicht der Fall Koch hat ferner gezeigt, dass kochende Hitze, strömender Dampf die sichersten
Desinfektionsmaassregeln sind, viel sicherer als chemische; Bergmann und Schimmelbusch
haben praktisch dies gezeigt, und trotzdem ist die absolute Keirafrciheit der Hände und des
Operationsfeldes noch immer eine ungelöste Frage, wenn wir auch gute praktische Mittel besitzen.
2. Der histologische Standpunkt. In der Zeit der Hochfluth der Antipepsis hat man sich um die
<Tewebe garnicht gekümmert, man hat sie vernachlässigt, zerschnitten etc. etc. Heute wissen wir,
das« wir Gewebe zu schonen, ihre Widerstandsfähigkeit möglichst wenig herabzusetzen haben.
Quetschen wir Gewebe, so wissen wir genau, dass diese geschädigten, malträtierten Gewebe leicht
Bakterien aufnehmen können, ein gesundes, wenig verletztes Gewebe bietet keine Disposition,
ein mechanisch gequetschtes Gewebe besitzt diese Disposition. Durch eigene Fehler kann man
Z*it?chr. f. diät u. physik. Therapie Bd. VI. Hoft 4. 17
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Berichte über Kongresse und Vereine.
eine Disposition schaffen, indem man Wunden ohne genügende Blutstillung verschliesst, Blut¬
gerinnsel auf ihnen lässt etc. Diese Dispositon kann man mikroskopisch nach weisen — Zellen blähen
sich auf, zerfallen. Man weiss ferner, dass chirurgische Infektionen zuerst lokal sind; den Ueber-
gang der lokalen in allgemeine Infektion können wir nur auf dem Wege der alten klinischen Er¬
fahrung bekämpfen, nämlich durch Incision, Entspannung, die die Weiterbildung der Toxine hint¬
anhält Ein weiterer Punkt, wo Theorie und Praxis nicht zusammen stimmen, ist das Verhältniss
der Asepsis zur Antisepsis; erstere ist theoretisch wichtiger, die Praxis hat aber gezeigt, dass beide
in richtiger Kombination zusammen gehören.
Marc use (Mannheim), Der gegenwärtige Stand der Lichttherapie«
Der Vortrag ist in extenso in Bd. VI Heft 3 dieser Zeitschrift erschienen.
Röchling (Misdroy), Die Reizbarkeit gegen GehörseindrUcke bei Neurasthenie nebst prak¬
tischen Folgerungen für die Kurorte.
Die geistige Ermüdung, die Folge der Abnutzung der den höheren Funktionen dienenden
Gehimtheile durch Arbeit und Alter tritt entsprechend deren langsamen Aufbau nur allmählich ein,
aber auch der Ausgleich findet nur zögernd statt, nicht allein weil ausreichend Schlaf zur Fort-
schwemmung der Ermüdungsprodukte durch die Lymphgcfässe erforderlich ist, sondern vor allem
weil die Gehirnzellen die hochstwerthigen chemischen Verbindungen des ganzen Organismus dar¬
stellen. An dem Zustandekommen und an der Fortdauer der geistigen Uebermüdung ist mindestens
eben so sehr als die aktive geistige Arbeit die rezeptive Seite der Gehimthätigkeit betheiligt,
die Aufnahme der Sinnes Wahrnehmungen, und unter diesen sind in erster Linie die unmittelbar
wirkenden Gehörseindrücke von Einfluss. Die empirisch längst bekannte Thatsache der direkten
Einwirkung der Schallwahmehmungen auf die geistige Stimmung lässt sich heute durch eine Reihe
meist neuerer Ergebnisse aus verschiedenen Gebieten der medicinischen Forschung ausreichend und
ungezwungen erklären: Das Gehörorgan und der n. acusticus verhält sich gegen elektrische Reizung
nahezu neutral; die Ermüdung des Gehörs verschwindet wenige Sekunden nach Aufhören der
Ursache spurlos; Hyperästhesie des Gehirns ist einwandfrei nur bei äusseren Ohrenerkrankungen
nachgewiesen: die Empfindung, dass Geräusche wehthun, gilt dem Otologen als ein Symptom
centraler Erkrankung. Die subjektiven akustischen Bilder werden beim doppelseitigen Hören in
den Kopf, nicht ins Ohr verlegt, Gehöreindrücke erregen häufig Sinnesempfindungen im Sehorgan
und umgekehrt Bei dem geistig Ermüdenden werden Gehörseindrücke, die sich nicht direkt an ihn
wenden, als Störung unangenehm empfunden; ihre Häufung macht reizbar, verdirbt die Stimmung
und beeinträchtigt hierdurch die aktive Arbeit Bei Fortdauer der Ermüdung können Schall¬
empfindungen, besonders plötzliche, ein Gefühl körperlichen Schmerzes erregen, während weiterhin
durch Uebung auch während des Schlafes Töne und Geräusche zur Empfindung kommen, wodurch
der Neurastheniker seines besten Heilmittels beraubt wird. Diese Empfindlichkeit gegen Gehörs¬
eindrücke ist ein Attribut der grossstädtischen Neurasthenie; sie fehlt bei der in manchen Gegenden
verbreiteten Nervenschwäche kleiner Landbewohner, die oft durch eine allzu grosse Gleichartigkeit
der ganzen Lebensführung bedingt wird. Doch auch die Grossstädte unterscheiden sich je nach
dem Charakter der Bevölkerung. Prophylaktisch lässt sich auch in der Grossstadt manches er¬
reichen durch richtige Wahl des Arbeitszimmers, durch gute Dielung und Bodenbelag, Doppel¬
fenster, mechanische Thürschlicsser und durch nächtliche Isolierung. Bei einem Erholungsaufenthalt
scheue man sich nicht anfangs Brom, Do welsches Pulver und dergl. anzuwenden. Vor allem aber
ist das Verhalten der Kurorte wichtig, die ja in überaus grosser Zahl die Neurastheniker zum Be¬
suche einladen, die sich der hieraus erwachsenden Pflichten vielfach nur wenig bewusst sind. Die
fast überall durchgeführte Theilung des Kurortes in einen geschäftlichen und in einen Villenthcil
genügt nicht, um den Patienten die nothwendige Ruhe zu verbürgen, die immerhin keine Kirchhofs¬
ruhe sein soll, da auch der Neurastheniker Anregung und Unterhaltung bedarf. Unzweckmässige
und liederliche Bauart der Logierhäuser, ein Ucbermaass von Glockengeläut, öffentliches Ausschellen
zur Unzeit, Strassenpflaster, fehlerhafte Wegüberführangen, schnelles Fahren, Unerzogenheiten von
Kurgästen und Einwohnern, Hühnerställe und manches andere bringt, wie drastische Beispiele
zeigen, erhebliche und schmerzlich empfundene Belästigung. Die meisten Uebelstände lassen sich
leicht abschaffen durch das einfache Mittel des Ortsstatuts. Das Ideal wäre die Einführung einer
Art von Polizeistunde für die Sommers der Ruhe gewidmeten Mittagsstunden von 2—4 Uhr. Wie
die Balneologische Gesellschaft in den letzten Jahren für die Hygiere in den Kurorten erfolgreich
eingetreten ist, so möge sie zu gegebener Zeit die Kurorte für Nervenkranke mahnen: Ruhe ist die
erste Bürgerpflicht.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
243
Zangger (Zürich), Der Stand der Volksheilstättenbewegung in der Schweiz.
Die von Deutschland ausgegangene Bewegung hat auch in der Schweiz einen mächtigen Nach¬
hall gefunden und zur Gründung von Heilstätten geführt, sodass heute auf je 9000 Einwohner ein
Bett kommt (in Deutschland erst auf je 10000 Einwohner). Im Besitze beträchtlicher Mittel konnten
die Schweizer Volksheilstätten schon Ende 1900 jährlich 1240 Patienten den Durchschnittsaufenthalt
von 107 Tagen gewähren. Von den 2677 Patienten, welche eine längere Kur in den Sanatorien
durchmachten, waren 39% im ersten, 32% im zweiten und 29% im dritten Stadium; 82% der
Kranken wurden gebessert entlassen. Redner schlägt vor, für denjenigen Patienten des ersten
Stadiums, welche scheinbar geheilt das Sanatorium verlassen haben, die Bezeichnung »relativ geheilt«
einzuführen, durch Nachuntersuchung nach drei Jahren kann dann wohl die Mehrzahl dieser Patienten
als geheilt registriert werden. Von den im ersten Stadium befindlichen Kranken wurden 87 %
wesentlich gebessert, von den im zweiten Stadium nur 47%, dies beweist also den enormen
Werth möglichst frühzeitiger Sanatoriumsbehandlung, ln Fällen, wo die Ueberführung in ein
Sanatorium aus äusseren Gründen (unüberwindliche Abneigung etc.) unmöglich ist, tritt eine häus¬
liche hydrotherapeutische Kur in Kraft; Redner hat in 16 solcher Fälle in den letzten drei Jahren,
die ausschliesslich hydriatisch behandelt wurden, die gleichen Resultate erzielt wie in den Sanatorien,
und hat die »relative Heilung« von 10 Fällen im ersten Stadium 6 Monate bis 21/2 Jahre Bestand
gehabt. Es handelte sich ausschliesslich um einfache leicht ausführbare Prozeduren wie Abreibungen
und Kreuzbinden, eventuell später noch um Douchen und Halbbäder.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Verschiedenes.
Goldscheider und Jacob, Handbuch der
physikalischen Therapie. Theil 2. Bd. 2.
Leipzig 1902. Georg Thieme.
Dem letzten Bande des grossen Handbuches
ist ein Schlusswort der Herausgeber vorangestellt,
welches in einem Danke an v. Leyden ausklingt.
Der Inhalt dieses letzten Bandes ist ein überaus
reichhaltiger.
Die erste Abtheilung, die Erkrankungen
der Cirkulationsorgane sind: von Litten
und Lennhoff: Herzklappenfehler, Lazarus:
muskuläre Insufficienz des Herzens und Er¬
krankungen des Perikards, Litten: Gefäss-
erkrankungen, bearbeitet worden. Es ist gewiss
nicht leicht, diesem Thema, über das wir gerade
aus jüngster Zeit umfassende und vorzügliche
Monographien besitzen, eine neue Darstellung
zu geben. Man kann aber diesem Kapitel nach¬
rühmen, dass es frisch und anregend geschrieben
ist, wenn auch gewisse Wiederholungen, z. B. die
doppelte Besprechung der kohlensauren Bäder,
sich nicht haben vermeiden lassen. Erwähnens-
werth erscheint, dass Litten mehr der Grödel
und G räup ne r’sche Auffassung, Lazarus mehr
den Scho tuschen Ansichten zuneigt.
Senator hat das folgende Kapitel, die
physikalische Therapie der Nieren¬
erkrankungen, bearbeitet. Es zeichnet sich
seine Darstellung durch eine ruhige Kritik aus.
Die Erkrankungen der tieferen Harn¬
wege hat Posner übernommen, der die physi¬
kalischen Heilbehelfe bei akuter und chronischer
Gonorrhoe, sowie bei den Komplikationen der¬
selben bespricht, der chronischen Cystifls, Prosta¬
titis, den Strikturen u. s. w. besondere Kapitel
widmet, endlich die nervösen Blasenerkrankungen,
die Erkrankungen der Harnleiter und der Nieren¬
becken behandelt. Ueberall findet man ver¬
ständigerweise vor einem Zuviel gewarnt und
die Beziehungen zur allgemeinen Neurasthenie
gebührend hervorgehoben.
Fürbringer, welchem das nächste Kapitel,
die Erkrankungen der männlichen
Geschlechtsorgane, zugefallen ist, behandelt
vorzugsweise die Störungen der Geschlechts¬
funktionen, die sexuelle Neurasthenie in kurzer
aber erschöpfender Weise. Hervorgehoben mag
die Warnung vor dem kritiklosen Gebrauch des
Psychrophors sein.
Die folgenden umfangreichen Kapitel über
die physikalischen Heilmethoden in der
Gynäkologi’e und in der Geburtshilfe sind
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244
Referat© über Bücher und Aufsätze.
von Gottschalk bearbeitet und mit einem I
Anhang über die Störungen der Menopause j
von Kisch versehen. Referent muss sich natur-
gemäss als Nicht-Spezialist eines Urtheils über j
diese Abschnitte enthalten. j
Sehr detailliert und genau hat Riegel die ,
physikalischen Behelfe bei Oesophagus- I
erkrankungen, namentlich die Sondierungen
und Dilatationen und Dauerkanülen beschrieben;
ebenso sorgsam schildert derselbe Autor die
Magenspülung, die Magendouchen, die Anwen¬
dung der Massage und die elektrischen Verfahren,
ferner die hydro- und thermotherapeutischen sowie
orthopädischen Methoden, um dann in einem
ferneren Abschnitt die Anwendung bei den ein¬
zelnen Formen der Magenerkrankungen zu geben.
v. Jacksch bringt die physikalische
Therapie der Erkrankungen des Darmes
und des Bauchfells; er hat sich dabei mit
Recht auf diejenigen Krankheitsformen beschrankt,
in denen die physikalischen Methoden wirklich
etwas leisten. Bemerkenswerth ist sein warmes
Eintreten für die von Winternitz vorgeschlagene
hydriatische Behandlung der Diarrhöen, die mit
Krankengeschichten belegt ist. Auch der Referent
hat in geeigneten Fällen von dieser Methode
gutes gesehen.
Die Erkrankungen der Leber und der
Gallenblase sowie die der Milz haben
Strauss zum Verfasser. Dieser Abschnitt, der
theilweise eigene Untersuchungen bringt, z. B.
Messungen des Druckes in der Gallenblase am
Menschen, giebt namentlich ausführlichere Be¬
sprechungen des Icterus catarrhalis, der Gallen¬
steinerkrankungen, der Lebercirrhosen und ent¬
hält manche nützliche Rathschläge und Erfah¬
rungen des Verfassers. |
Es folgt die Darstellung der physikalischen
Heilmethoden bei Neuritiden und peri- i
pheren Lähmungen von Goldscheider, die
reich illustriert ist und deutlich zeigt, dass Gold- |
schcider über die verschiedenen Methoden der |
Hebungen sowie der Stutz- und Korrektions- <
apparate eine reiche eigene Erfahrung besitzt. j
Die physikalische Therapie der >
Krämpfe und Neuralgien ist von v. Frankl- I
Hochwart kurz aber anschaulich geschildert. |
Sehr ausführlich ist der Abschnitt über die
spinalen Erkrankungen, den Jacob ge- I
schrieben hat. Auch hier sicht man, dass es |
sich um des Verfassers Spezialgebiet handelt und !
dass er sich namentlich mit der kompensatorischen 1
Uebungstherapie sehr intensiv persönlich be¬
schäftigt hat.
Die physikalische Therapie der Ge¬
hirnkrankheiten hat Jollv bearbeitet. Die
kurze, 17 Seiten umfassende Abhandlung lässt
auf jeder Zeile den erfahrenen Kliniker, der Un¬
wichtiges vom Wesentlichen zu trennen weiss,
erkennen. Sehr dankenswerth ist der Anhang
dazu von Goldscheider, der in systematischer
Weise die Uebungstherapie bei den ver¬
schiedenen Formen der Aphasie schildert.
Goldscheider hat dieses viele Geduld und Mühe
erfordernde Feld sichtlich mit Vorliebe bestellt
und giebt klinisch sehr brauchbare Einzel Vor¬
schriften.
DieN eurasthenie und Hy st eriehatD et er¬
mann übernommen, und eine sehr lesenswerthe
Darstellung gegeben. Determann betont wieder¬
holt die Wichtigkeit der psychischen Beeinflussung,
für welche die physikalischen Heilmethoden ein
sehr bequemer Träger sind. Auch er warnt dem¬
entsprechend vor jedem Zuviel und räth zum
strengsten Individualisieren. Durchaus richtig ist
der Standpunkt, den er zum Beispiel den kalten
Abreibungen gegenüber einnimmt.
Strasser hatdiephysikalischeTherapie
der Epilepsie gut und ohne Uebertreibungen
ihrer Leistungsfähigkeit beschrieben.
Hoffa schildert die mechanische Be¬
handlung der Chorea und Athetose in
einer anzuerkennenden Weise. Man findet manches
Neue in dem kurzen Artikel.
Den Schluss des Bandes bilden Laquer’s
Abhandlungen über die physikalische
Therapie der Migräne und der Be¬
schäftigungsneurosen. Der Abschnitt über
die erster© Erkrankung bringt die Methoden,
die man versuchen kann, namentlich eigene
Erfahrungen über Vibration mit dem »Tremolo«
genannten Apparat, sowie über den Lichtheil¬
apparat Heliodor.
Alles in allem ist auch dieser Band eine
Quelle mancherlei Anregung und Belehrung.
Man sieht, dass alle Autoren sich die Mühe ge¬
nommen haben, persönliche Erfahrungen zu
sammeln und zu bringen. Referent möchte zum
Schluss das Urtheil aussprechen, dass Gold-
scheider und Jacob sich gerade dadurch ein
grosses Verdienst erworben haben, dass mit
diesem Handbuch eine Summe von Erfahrungen
kritikvoller Autoren festgelegt ist. In einer
zweiten Auflage wird das ganze Werk vielleicht
einheitlicher ausfallen, jetzt jedenfalls ist in dieser
jungen Disziplin cs durchaus berechtigt und er¬
forderlich gewesen, dass man der Individualität
des einzelnen Autors einen möglichst breiten
Spielraum gelassen hat.
M. Matth es (Jena).
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Referate über Bücher und Aufsätze.
245
Otto Roth, Klinische Terminologie. Sechste
Auflage. Leipzig 1902. Georg Thieme.
Das bekannte, bereits vor 25 Jahren von
Roth herausgegebene Werk hat, nachdem es
inzwischen von verschiedenen anderen Autoren
in mehreren Auflagen bearbeitet worden ist,
nunmehr seine sechste Auflage erfahren; sie ist
vonVierordt in Tübingen herausgegeben. Wie
früher, so erhebt sich auch diesmal das Werk
über den Rahmen einer einfachen Terminologie,
da bei einer grossen Reihe von Namen ausführ¬
liche Erläuterungen didaktischer Natur bei¬
gegeben worden sind. Besondere Aufmerksam¬
keit hat der diesmalige Herausgeber dem
ethymologischen Theile und der Anleitung zur
richtigen Aussprache der einzelnen Worte ge¬
widmet. Viele neue Worte und Begriffe finden
sich in der neuen Auflage vor, ohne dass dabei
eine maassvolle kritische Einschränkung zu ver¬
missen ist. — So wird das Buch Studenten
wie Aerzten, welche bei wissenschaftlichen Ar¬
beiten so oft eines Nachschlagewerkes für
technische Ausdrücke bedürfen, werthvolle Auf¬
schlüsse geben. Paul Jacob (Berlin).
€. Blass, Die Impfung und ihre Technik.
Zweite durchgesehene Auflage. Leipzig 1901.
Naumann’s medicin. Bibliothek No. 2.
Ein sehr brauchbares Büchlein, welches alles
enthalt, was der praktische Arzt von der Impfung
wissen soll. In übersichtlicher und präziser Weise
erörtert Verfasser die Geschichte, Methodik und
die Komplikationen der Impfung. Im Anhänge
findet sich eine Zusammenstellung der Reichs¬
impfgesetze. P. Lazarus (Berlin).
George Meyer, Deutscher Kalender für
Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger
auf das Jahr 1902. Frankfurt a. Main 1901.
Von dem rasch beliebt gewordenen Kalender,
welchem E. v. Leyden ein kurzes Geleitwort
auf den Weg mitgegeben hat, liegt der 4. Jahr¬
gang für 1902 vor. Der Herausgeber hat eine
grössere Anzahl tüchtiger Mitarbeiter für den
wissenschaftlichen Theil neugewonnen; derselbe
enthält Abhandlungen aus der Feder von Frank,
»Ueber die Pflege chirurgisch Kränkere, von
Warnekros, »Die Mundpflege bei Kranken«,
W. Croner, »Die künstlicho Ernährung«, Bern¬
hard »UeberPflege des kranken Kindes«, Abels¬
dorff, »Ueber die Pflege Augenkranker«, Jacob¬
son, »Ueber die Pflege des erkrankten Ohres«,
Cohn-Frankfurt a. M., »Ueber die Ausbildung
der Schwestern vom rothen Kreuz«. Sämmtlichc
Artikel, denen sich die aus früheren Jahrgängen
übernommenen, zum Theil erweiterten Kapitel
von Esmarch (Antisepsis und Asepsis), vom
Herausgeber (erste Hilfeleistung bei Unfällen),
Schlesinger (Bemerkungen zur Krank eu-
emährung), Soltsien (Sanitätskolonnen und
Krankenpflege) hinzugesellen, erfüllen in vortreff¬
licher Weise ihre Aufgabe, das für das Pflege¬
personal Wissenswerthe aus den betreffenden
Spezialgebieten in knapper und leicht verständ¬
licher Diktion zu bringen.
Der erste Theil des Kalenders umfasst Uebcr-
sichten über Körpertemperatur, Puls und Respi¬
ration, Maass- und Gewichtstabeiion, sowie ein
Kalendarium nebst Notizblättem; störend wirkt
bei letzterem die auf jeder Seite sich breit
machende, auf Anpreisung des »Perdynamin«
hinzielende Reklame, welche in einem von ärzt¬
licher Seite herausgegebenen Taschenbuch dem
Referenten recht deplaziert erscheint.
Eine im Beiheft angefügte, von Dietrich
herrührende Zusammenfassung der für das Pflege¬
personal wichtigsten Bestimmungen der deutschen
Reichs- und Landesgesetzgebung stellt eine werth¬
volle Bereicherung des empfehlenswerthen,
schmuck ausgestatteten Büchleins dar.
Hirschei (Berlin).
B. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Bftlz, Ueber vegetarische Massenernährung
and über das Leistangsgleichgewicht. Berliner
klinische Wochenschrift 1901. l.Juli.
In dem sehr interessanten Vortrage theilt
Verfasser die Erfahrungen mit, die er in Japan
gemacht hat, wo das Volk zum grossen Theil,
aus Gewohnheit oder Zwang, aus Vegetariern
besteht. Er weist darauf hin, wie der bekannte
Voit’sche Satz von den 120 g als Eiweiss¬
minimum für die Nahrung des erwachsenen,
arbeitenden Mannes eben nur für die europäische
Lebensweise gilt; der Japaner bleibt bei einer
Kost, die einen viel geringeren Eiweissgehalt
besitzt und dabei überwiegend vegetarisch ist,
völlig arbeite- und leistungsfähig.
Mit besonderem Nachdruck betont Balz —
und das erscheint dem Referenten recht werthvoll
—- wie wichtig es überhaupt ist, die Leistungs¬
fähigkeit dos Organ ismus, »das Leistungs¬
gleichgewicht« als Maassstab für den Werth
einer Nahrung anzusehen und nicht nur einseitig
den kalorischen Werth der Nahrungsmittel in
Rechnung zu ziehen. »Die wahre physiologische
Leistungsprobe sollte an die Stelle des Stickstoff¬
gleichgewichts oder an die Stelle der Chemo-
dynamik und Chemostatik gesetzt werden«.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
246
Referate über Bücher und Aufsätze.
ln dieser Weise hat Verfasser einige Versuche
angestcllt und dabei festgestellt, dass bei aus¬
schliesslicher Pflanzenkost die Leistungsfähigkeit
eine sehr grosso sein kann. Die Fleischnahrung
gestattet wohl für den Augenblick und für kurze
Zeit eine intensivere und grössere Kraftleistung;
der Vorzug der überwiegenden Pflanzennahrung
liegt dagegen in der Ausdauer, die sie verleiht.
Gegenüber den Anschauungen reiner Vege¬
tarier ist bemerkenswerth, dass Verfasser aus¬
drücklich hervorhebt, dass vegetarische Nahrung
durchaus nicht etwa die normale Nahrung ist;
denn es kann nicht jeder Mensch sofort den
Uebergang zur Pflanzennahrung durchmachen.
Ein japanischer Pflanzenesser gewöhnt sich
vielmehr eher an unsere europäische gemischte
Kost, als umgekehrt, so dass also auch bei ihm
der Darmkanal nicht für den Vegetarismus, sondern
für den Omniverismus eingerichtet ist. Aber fest¬
gehalten muss daran werden — so schliesst Ver¬
fasser —, dass man bei reiner Pflanzennahrung,
besonders wenn man viel Bohnen und kon¬
zentrierte Pflanzenstoffe zusetzt, sein ganzes
Leben lang kräftig zu arbeiten und gesund zu
bleiben vermag, und dass diese Lebensweise
ohne Schaden sogar durch verschiedene Gene¬
rationen fortgesetzt werden kann.
P. F. Richter (Berlin).
R. Lupine, La ldvnlosnrie alimentaire dans
ses rapports avec les affections da foie.
La semainc möd. 1901. No. 14.
Die auffällige und von vielen Autoren be¬
stätigte Erscheinung, dass die Lävulose von
vielen Diabetikern besser assimiliert wird als die
Dextrose, während beim Gesunden das umgekehrte
Verhalten Platz zu greifen scheint, findet, wie
Löpine auseinandersetzt, ihre Erklärung in der
Thatsache, dass die Leber des diabetischen
Menschen ebenso wie die des durch Pankreas¬
exstirpation diabetisch gemachten Thieres die
Fähigkeit bewahrt bat, die Lävulose in Glykogen
umzuprägen, während ihr bezüglich der Dextrose
diese Fähigkeit verloren gegangen ist. Intaktheit
der Leber ist demgemäss eine unerlässliche Be¬
dingung für die Toleranz des Organismus gegen
Lävulose, und es ist daher sehr erklärlich, wenn
diese Toleranz, wie Löpine an der Hand zweier
Fälle demonstriert, bei Leberkrankheiten erheb¬
lich beeinträchtigt ist. Unberührt von Affektionen
der Leber ist dagegen, wie Löpine bei Be¬
sprechung der beiden Fälle besonders hervorhebt,
und wie in Deutschland namentlich H. Strauss
betont hat, das Verhalten des Organismus gegen
Dextrose; und die abweichende Meinung einiger
französischer Autoren, die an einen Zusammen¬
hang zwischen alimentärer Glykosurie und Leber-
insufficienz glauben, findet nach Löpinc ihre
einfache Erklärung in dem Umstand, dass die¬
selben zu ihren Experimenten Rohrzucker ver¬
wendeten, der ja bekanntlich ein Gemisch von
Dextrose und Lävulose darstellt. Auf Grund
dieser Erwägungen empfiehlt L6pine die Ver-
i wendung der Lävulose zur Prüfung der Leber¬
funktion und bedauert nur, dass dieselbe im
Preise so hoch steht, und dass es so schwer ist,
sich dieselbe selbst chemisch rein darzustellen.
Plaut (Frankfurt^. M.).
| Wilhelm Ebstein, Die chronische Stnhl-
I Verstopfung in der Theorie and Praxis»
Stuttgart 1901. Enke.
Die vorliegende, 258 Seiten umfassende, Mono¬
graphie des Göttinger Klinikers stellt ein ausser¬
ordentlich verdienstliches Werk dar, dessen Werth
vor allem darin gelegen ist, dass hier ein ebenso
kritischer als erfahrener Kliniker ein Gebiet be¬
handelt, dessen Darstellung gerade dem sub¬
jektiven Ermessen des Autors einen nicht ge¬
ringen Spielraum überlässt Denn wer nur
einige von den zahlreichen, dasselbe Thema be¬
handelnden, Monographieen kennt, weiss recht
gut, wie durchaus verschieden der Werth von
zwei den gleichen Gegenstand bearbeitenden
Abhandlungen ist. Da sich unter der grossen
Anzahl derselben nicht allzuviel befinden,
welche durch exakte Kritik und Originalität
glänzen, so ist die Ebstein’sehe Monographie
besonders willkommen. Treffen wir doch in
ihr nicht nur die bekannte Gründlichkeit ihres
Autors, die fast alle in Betracht kommenden
Fragen an der Hand anatomischer, physiologischer
| und klinischer Erwägungen ebenso eingehend als
i kritisch erörtert, sondern auch zahlreiche persön¬
liche Erfahrungen des Autors diagnostischer und
j therapeutischer Art wiedergegeben,sowie schliess-
i lieh noch eine ganze Reihe von historischen Be¬
merkungen, die nach vielen Richtungen hin ein
Interesse besitzen. Für den Leser ist dabei von be¬
sonderem Werthe, dass sich der Autor nicht nur
von Spekulationen fern hält, sondern auch sich —
was nicht für alle das gleiche Thema behandelnde
Bücher gesagt werden kann — stets auf dem
Boden der Thatsachen bewegt und mit weitem
Blick alle die Fragen behandelt, welche mit dem
Thema in mehr oder minder engem Zusammen¬
hang stehen. Dies gilt nicht blos für die
j diagnostische, sondern auch für die therapeutische
! Seite des Buches, welch letztere einen
ziemlich breiten Raum in dem Werke ein-
1 nimmt. Dadurch, dass Ebstein die Therapie
— insbesondere auch die diätetisch-physikalische
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UNIVERSITf OF MICHIGAN
Referate über Bücher und Aufsätze.
— sehr im Detail schildert und seine persönlichen
Erfahrungen über die Indikationsstellung und
Wirkung der einzelnen therapeutischen Maass¬
nahmen ausführlich mittbeilt, gewinnt das Buch
für den Praktiker eine besondere Bedeutung. Die
Vielseitigkeit der besprochenen Fragen, sowie die
klare objektiv-kritische Diskussion derselben und
die zahlreichen in dem Buche enthaltenen prak¬
tischen Winke geben ihm ein begründetes Recht
darauf, in dem Bücherschatze eines jeden Arztes
eine Stelle zu finden. H. Strauss (Berlin).
H. Willoughby Gardner, The dietetic
valoe of sogar« British medical journal 1901.
27. April.
Die Wagschale des Zuckere ist in den letzten
Jahren erheblich gestiegen. Betrachtete man ihn
früher als Prügelknaben, dem man alle möglichen
Krankheiten zur Last legte, von der Zahnkaries
bis zur Flatulenz und der katarrhalischen Dis¬
position, so haben wir heute das »Zuckertraining«
und den Zucker als Bestandteil der Soldaten¬
ration.
Die Weltproduktion an Zucker betrug im
Jahre 1900 7 933 000 t, 5 523 000 t Rübenzucker
und 2 410 000 t Rohrzucker. Während der letzten
15 Jahre hat sich der Weltverbrauch beinahe
verdoppelt, der Verbrauch in Grossbritannien be¬
trug im Jahre 1700: 10 000 t, 1800: 150 000 t,
1864 : 600 000t, 1885: 1 100 000t und 1900:
1 627 000 t. Pro Kopf der Bevölkerung stieg der
Verbrauch von 1869—1890 von 30 auf 86 englische
Pfund. Es ist behauptet worden, dass der ausser¬
ordentlich hohe Zuckerverbrauch in England, der
nur unter der Herrschaft des Freihandels möglich
ist, die Erklärung sei für die Gesundheit und
Leistungsfähigkeit der englischen Rasse. Aehn-
lich hoch ist der Zuckerverbrauch pro Kopf nur
noch in Amerika, so dass inan mit einigem Recht
die Angelsachsen als die zuckeressende Rasse be¬
zeichnen könnte. In Deutschland z. B. beträgt
der Zuckerverbrauch pro Kopf nur ein Drittel
des englischen, was der Verfasser allerdings durch
den Bier- beziehungsweise Maltosegenuss für
einigermaassen kompensiert erachtet. Auch der
Zuckerkonsum der Buren ist ein hoher, was der
Verfasser offenbar, wenn auch nicht ausdrück¬
lich, bedauert, da sonst wohl der afrikanische
Krieg viel früher beendet worden wäre.
Die wissenschaftliche Entwickelung der
Kohlehydratnahrung, besonders durch die Ar¬
beiten von Pettenkofer und Voit, und Mosso
ist ja bekannt. Jedenfalls spielen die Kohle¬
hydrate eine gewaltige Rolle bei der Erzeugung
der Muskelkraft. Es ist interessant, dass die
japanischen Läufer an Ruhetagen viel Fleisch
247
essen und behaupten, davon kräftige Muskeln zu
bekommen, während der Arbeitstage selbst aber
hauptsächlich von Reis leben. Auch ln den
Tropen soll vielfach eine vorwiegende Kohle¬
hydratnahrung als die gesundeste bezeichnet
werden. Dass die Versuche in der deutschen
Armee günstige Resultate für den Zucker er¬
geben haben, ist bekannt, ebenso, dass viele
Alpinisten und Nordpolfahrer dem Zucker be¬
lebende und kräftigende Eigenschaften zuprechen.
Also: Zucker für die Arbeit!
M. Lewandowsky (Berlin).
Knuth, Einiges über südamerikanische
Fleischkonserven. Zeitschrift für Fleisch-
und Milchhygiene 1901. Juni.
Das südamerikanische Trockcnfleisch wird
ohne weitere Zubereitung in starkem Luftstrome
getrocknet und bildet besonders in Chile einen
Handelsartikel. Die Bereitung des Dörrfleisches,
dort Tasajo genannt, wird von Knuth aus¬
führlich beschrieben. Die Konservierung beruht
im wesentlichen auf Austrocknung mittels Koch¬
salz. Der Tasajo wird hauptsächlich in Brasilien
und auf den Antillen konsumiert; für Europa
kommt er kaum in Betracht, obwohl ein kleiner
Export nach Portugal, Spanien und Italien statt¬
findet. Gotthelf Marcuse (Breslau).
Steinhardt, Ueber Magenansspülongen im
Kindesalter. (Beitrag zur Behandlung der
kindlichen Verdauungsstörungen). Münchener
medicinische Wochenschrift 1901. No. IG.
Die Magenausspülungen haben nach Stein¬
hardt^ Meinung bei der Behandlung von Ver¬
dauungsstörungen des Säuglings- und Kindes-
altere bisher nicht die verdiente Beachtung seitens
der Praktiker gefunden. Er empfiehlt sie an¬
gelegentlichst gegen die verschiedenen Formen
des gastrischen Erbrechens, und zwar bei stür¬
misch und bedrohlich einsetzenden Fällen von
Cholera infantum gleich von Anfang an, bei
leichteren dyspeptischen Störungen dann, wenn
die übliche medikamentöse und diätetische The¬
rapie versagt hat, endlich auch gegen das hart¬
näckige und wiederholte Erbrechen chronisch
magenkranker Kinder; meist werden mittels der
Ausheberung allein oder durch Kombination der¬
selben mit der sonst bewährten Diätetik und Me¬
dikation rasche und dauernde Erfolge erzielt. Als
Spülflüssigkeit benutzt Verfasser reines, körper¬
warmes Wasser, das er in Mengen von je 100 ccm
unter nicht zu hohem Druck einlaufen lässt; die
Magenspülungen sind jedesmal so lange fort¬
zusetzen, bis das Wasser vollkommen klar ohne
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
248
Referate Über Bücher und Aufsätze.
sichtbare Beimengung von Schleim oder Speise¬
resten zurückfliesst. Die Technik bietet selbst
bei ganz jungen Säuglingen keinerlei Schwierig¬
keit, wenn man, um Würgbewegungen und Brech¬
reiz bei den sich sträubenden kleinen Patienten
zu vermeiden, den als Schlundsonde dienenden,
weichen Nölatonkatheter (No. 6—8—10, je nach
dem Alter des Kindes) nicht vom Munde aus,
sondern durch die Nase einführt, und ihn mit
Hilfe des bis zur hinteren Rachenwand vor¬
geschobenen linken Zeigefingers richtig gegen
den Oesophagus hin dirigiert.
Hirschei (Berlin).
W. H. Gilbert, Diabeteskttche. Berlin 1902.
Verlag: Die medicinische Woche.
Das E. v. Leyden gewidmete, 72 Seiten
umfassende, Büchlein stellt eine sehr praktische
Sammlung von Kochrezepten für Diabetiker dar,
von welchen man bekanntlich nie genug haben
kann. Ausser den Küchengeheimnissen, in
welche der Autor uns einführt, giebt er aber
auch in seinen der Rezeptsammlung voraus¬
gesandten »Allgemeinen Bemerkungen« noch
eine Reihe werthvoller Winke, welche sich auf
die Hygiene des Essens im allgemeinen beziehen
und infolgedessen für den Tisch eines Jeden
passen, der seinen Verdauungsapparat schonen
und leistungsfähig erhalten will. Ebenso finden
wir in den am Schlüsse der Sammlung ent¬
haltenen »Bemerkungen über einzelne Speisen
und Nahrungsmittel und ihre Verwendung«
zahlreiche praktische Angaben, unter welchen
vor allem die in der »Gleichwerthigkeitstabelle«
enthaltenen Notizen und die Ausführungen des
Verfassers über den Genuss und die Zubereitung j
der Kartoffeln interessieren. Auch aus dem, |
was der Autor über die Darreichung von Ge¬
müsen, Obst und Kompotten sagt, ersieht man, |
dass wir es hier nicht mit einer am grünen Tisch |
erwachsenen Kompilation, sondern mit den Dar- |
legungen eines auf eigenen Erfahrungen
urtheilenden, und zwar kritisch und maassvoll |
urtheilenden, Therapeuten zu thun haben. Aus
diesem Grunde kann das Büchlein mit gutem |
Rechte einer allgemeinen Benützung empfohlen I
werden. H. Strauss (Berlin). |
C. Wegele, Die diätetische Küche für Magen- I
und Darmkranke. 2. Auflage. Jena 1902.
G. Fischer. I
Bei der Besprechung der zweiten Auflage |
dieses für den praktischen Gebrauch bestimmten
Büchleins dürfen wir mit Freude konstatieren,
dass die günstige Prognose, die wir vor 1 1/2 Jahren
(Bd. IV. S. 426) diesem Buche gestellt hatten,
durchaus — und zwar nach vollem Verdienste —
eingetroffen ist Nicht zum Mindesten war dies
die Folge des Umstandes, dass das Büchlein trotz
seiner kompendiösen Fassung so ziemlich alles
enthält, was praktisch wichtig ist und zwar
in einer Form, der man auf Schritt und Tritt
anmerkt, dass man es hier mit den Rathschlägen
eines erfahrenen Praktikers und eines streng
wissenschaftlich denkenden Arztes zu thun hat.
Wenn auch die zweite Auflage, trotzdem sie
gegenüber der ersten nur wenig verändert ist,
den Fortschritten der letzten zwei Jahre durch¬
aus angepasst ist, so würde Referent doch bei
Besprechung der Behandlung der Motilitäts¬
störungen das Fett gerne etwas mehr gewürdigt
wissen. Indessen es führen viele Wege nach
Rom, und man nennt mit vollem Recht immer
zuerst denjenigen, welchen man selbst genau
ausprobiert hat, namentlich wenn man, wie dies
von Wegele hier ruhig gesagt werden darf,
in den Ruf eines sicheren und zuverlässigen
Führers gekommen ist Für die rasch erfolgende
Beliebtheit des Büchleins war sicherlich auch die
dem Buch beigegebene, von Frau Jose fine
Wegele bearbeitete und zum Theii selbstständig
erweiterte Sammlung guter Kochrezepte von
nicht geringer Bedeutung.
H. Strauss (Berlin).
F. W. Pftvy, Ueber experimentelle Glykosurie.
Wiener medicinische Blätter 1901. No. 44
und 45.
P a vy bespricht in diesem auf der vorjährigen
69. Jahresversammlung der Britisch Medical Asso¬
ciation gehaltenen Vortrag in überaus klarer
Weise die Entstehungsarten der Glykosurie und er¬
örtert des Genaueren die Beziehungen des Zuckers
zum Eiweiss der lebenden Zelle. Bei der Assi¬
milation des Zuckers und seiner Unterbringung
im Körper spielt die Zellfunktion eine grosse
Rolle. Es ist eine allgemeine Eigenschaft des
Protoplasmas, passende Kohlehydratsubstanzen zur
Aufnahme durch seine Lebensvorgänge brauchbar
zu machen. Für das Glykogen hat Pflüger ge¬
zeigt, dass es sich im lebenden Organismus mit
stickstoffhaltigen Substanzen verbindet. Der
Kohlehydratbestandtheil kann von dem stickstoff¬
haltigen leicht abgetrennt werden, weil sich jener
in der labileren Seitenkette befindet, während
dieser dem stabileren Kern des Moleküls an¬
gehört. Pavy dehnt diese Betrachtungsweise
auf die Lagerung der Kohlehydrate im Eiweiss
ganz im allgemeinen aus, und bespricht an der
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Referate über Bücher und Aufsätze.
249
Hand einer solchen Auffassung die auf dem Boden
eines Eiweisszerfalles zu stände kommenden
Glykosuriecn. Bezüglich der Zuckerbildung aus
Fett äussert er sich sehr skeptisch, wie er über¬
haupt eine Reihe noch strittiger Punkte auf dem
Gebiete der Entstehung derGlykosurie mit grosser
Reserve beurtheilt. Man kann ihm nur zustimmen,
wenn er seine kritisch gehaltenen Betrachtungen
mit den Worten schliesst: Gewiss führen nach
unserer heutigen Auffassungsweise ganz un¬
gleichartige Bedingungen zu demselben End¬
resultate. Ein gestörter Stoffwechsel giebt sich
als Quelle der Glykosurie kund. Dieses Be-
kenntniss des hervorragenden Experimental¬
forschers auf dem Gebiete der Glykosurie ist um
so erfreulicher, als es sich mit dem Standpunkt
der Klinik vollkommen deckt.
H. Strauss (Berlin).
Ernst Cohen, Torträge für Aerzte über
physikalische Chemie. Mit 49 Figuren im
Text Leipzig 1901.
Es ist nicht zu verkennen, dass die Aus¬
bildung des Arztes heute, insbesondere auf dem
Gebiete der physikalischen Chemie, viel zu
wünschen übrig lässt. Bei der Wichtigkeit
physikalisch - chemischer Vorgänge für die
Physiologie ist gerade eine gründliche Kenntniss
der Theorie sowohl, wie der Praxis derselben
für den Arzt ein erstrebenswerthes Ziel, und es
ist von diesem Gesichtspunkt aus jedes Werk
mit Freuden zu begrüssen, das dazu geeignet
ist, den Arzt in dieses schwierige und bisher
leider an den Hochschulen allzusehr ver¬
nachlässigte Gebiet einzuführen. Um aber die
Lehren desselben richtig zu verstehen, dazu ist
vor allem Klarheit der Darstellung und eine
äusserst sorgfältige Auswahl des Stoffes mit be¬
sonderer Berücksichtigung der physiologischen
Vorgänge für denjenigen nöthig, der es unter¬
nimmt, ein Werk über physikalische Chemie für
Aerzte zu schreiben. Wir müssen gestehen, dass
von diesem Standpunkte aus der Verfasser seine
Aufgabe nicht gerade glücklich gelöst hat.
Manche Kapitel sind in der Darstellung zwar
vorzüglich gelungen; aber andrerseits wieder
sind in dem Werke viele Gegenstände ab¬
gehandelt, die der Arzt nie braucht, und andere
wieder sind vom Standpunkte der Jonentheorie
aus behandelt, einer Theorie, über die man sich
in chemischen Kreisen noch lange nicht klar ist,
und die bisher nur eine verhältnissmässig geringe
Zahl von Anhängern unter den Chemikern selbst
zählt Der grosse Theil aller in Laboratorien und
physikalischen und physiologischen Betrieben
arbeitenden Chemiker ist ein direkter Feind der
Jonentheorie, und zwar aus dem einfachen Grunde,
weil sich dieselbe für die Praxis als absolut un¬
brauchbar erwiesen hat, so schön auch die
theoretischen Erfolge derselben sind. Auch der
Arzt und der Physiologe sind Praktiker, und
wenn sie auf praktischem Gebiete wirklich
Tüchtiges leisten und sich eine klare Darstellung
über die physikalisch - chemischen Vorgänge im
Körper machen wollen, so müssen auch die
grundlegenden Punkte, von denen ihre Aus¬
bildung ausgeht, allgemein klare und allgemein
anerkannte sein. Von diesem Standpunkte aus
ist es zu verwerfen, dass der Verfasser des vor¬
liegenden Werkes die alten vorzüglich bewährten
Grundsätze von Bercelius, Wöhler, Liebig
und vor allem Rose ganz verlassen hat, um sich
auf die Seite der so problematischen Jonentheorie
zu stellen; und als einziger Grund für diese That
kann nur der Umstand in Betracht kommen, dass
eben der Verfasser aus der Schule Ostwald’s
hervorgegangen, was im übrigen auch leicht
daraus zu ersehen ist, dass sich sein Werk eng
an das Ostwald’sche anlehnt. Auch in der
Auswahl des Stoffes ist der Verfasser nicht
immer glücklich gewesen. Es sei nur darauf
hingewiesen, dass kein Mensch, ausser den in
der betreffenden Abtheilung einer grossen
elektrotechnischen Fabrik, mit der Spezial¬
aufgabe Betrauten oder den Angestellten der
physikalisch - technischen Reichsanstalt, sich ein
Normalolement selbst herstellen wird. Was sollen
also in einem für Aerzte bestimmten Lehrbuch
der physikalischen Chemie ausführliche Ab¬
handlungen Über die Reinigung des Quecksilbers
zur Herstellung von Normalelementen, sowie zur
Füllung des Kapillarelektrometers? Was soll
ferner ein Arzt mit der Entwickelung der Nernst¬
schen und Ostwald*sehen Anschauungen über
die Theorie der galvanischen Elemente u. s. w.
u. s. w. anfangen — Beispiele, die wir noch um
weitere vermehren könnten. Wir können also
dahin resümieren, dass der Standpunkt, von
welchem der Verfasser bei Abfassung seines
Buches ausgegangen ist, kein glücklicher war,
und ebenso die Auswahl des Stoffes. Dennoch
enthält dasselbe eine Anzahl von Kapiteln, deren
Studium wir dem Arzt anzurathen nicht verfehlen
möchten.
Fritz Rosenfeld (Berlin).
H. Schlöss, Ueber den Einfluss der Nahrung
auf den Verlauf der Epilepsie. Wiener kli¬
nische Wochenschrift 1901. No. 46.
Verfasser hat sich der dankenswerten Auf¬
gabe unterzogen, den mehrfach behaupteten Ein-
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250 Referate über Bücher und Aufsätze.
fluss verschiedenartiger Ernährungsweise auf den
Verlauf der Epilepsie durch einwandsfreie Ver¬
suche klarzustellen und kam zu folgenden Er¬
gebnissen: Eine nur aus Milch und Vegetabilien
bestehenden Kost, bei 16 Kranken sechs Wochen
lang durchgeführt, konnte die Zahl der Anfälle
im Vergleich zu einer gleich langen Periode
reiner Fleischnahrung in keiner Weise herab¬
setzen (eher etwas steigern). Bei der Nachprüfung
der Methode von Toulouse und Richet (den
Körper durch Entziehung der Chlorsalze bis auf
ein Minimum für die Bromwirkung empfänglicher
zu machen) ergab sich für fünf Kranke, welche
während sechs Wochen nur ca. 2 g Kochsalz pro
die in der Nahrung entfernten, ein unverkennbar
günstiger Einfluss auf die Zahl der Anfälle,
welche theils völlig sistierten oder nur noch ganz
selten auftraten; dagegen wurden die Patienten
äusserst schwach und hinfällig, und das Körper¬
gewicht nahm (trotz Steigerung des täglichen
Kalorieenquantums über 3500) um 1 - 6 kg in
dieser Zeit ab. Eine schädliche Wirkung säure-
und fettreicher Diät konnte (bei 13 Kranken
während 4 Monate durchgeführt) nicht mit völ¬
liger Sicherheit erwiesen werden. Was die viel¬
umstrittene Alkoholfrage anlangt, so erhielten
12 Kranke während 2 Monate täglich i/ 2 1 und
während V/ 2 Monate 1 1 leichtes Bier, während
sie früher abstinent gehalten waren Es ergab
sich, dass die Anzahl der Anfälle in der Alkohol¬
periode um ein Kleines geringer war, wie vor
der Abstinenzzeit! Wegeie (Bad Königsborn).
Rudolf Bälint, Die diätetische Behandlung
der Epilepsie. Orvosi hetilap 1901. No. 17.
Verfasser berichtet über die Ergebnisse, die
er bei 28 Epileptikern mit der von ihm modi¬
fizierten Toulouse - Rieh et* sehen diätetischen
Behandlung der Epilepsie erreichte. Das eigent¬
liche Wesen der Behandlung liegt bekanntlich
darin, dass der Chlorgehalt der eingeführten
Nahrung wesentlich vermindert wird, wodurch
sich die Bromwirkung in hohem Maasse steigert. I
Dieses Verfahren modifizierte Bälint dermaassen, |
dass er den in den Nährmitteln eingeführten
Chlorgehalt auf 20 g reduzierte und zu diesem
Zwecke folgende Diät verordnete: 1000—1500 g
Milch, 30 — 35 g Butter, 3 Eier und 3 — 400 g
Brot und Obst. Damit das im Brot befindliche
Kochsalz den Chlorgehalt nicht vermehre, salzte
er dasselbe mit Bromnatriura. Nach der Ein¬
führung dieser Diät verminderten sich die An¬
fälle und blieben alsbald ganz au9 oder wurden
vorerst schwächer, eventuell in Form von Vertigo
auftretend. In 80°/ 0 der Fälle wurden die Kranken, ,
vom vierten bis fünfzehnten Tage angefangen r
anfallfrei. Wurde die oben angeführte diätetische
Behandlung genügend lang (drei Monate hindurch)
fortgesetzt, so blieben die Kranken auch nach
dem Aussetzen derselben frei von Anfällen. Die
Behandlung lässt sich am besten in Sanatorien
durchführen, besonders in ihrer oben beschriebenen
chlorarmen Form. Der allgemeine Körperzustand
der Kranken war während der Krankheit zu¬
friedenstellend, schädliche Bromwirkung zeigte
sich nie. Wurde das Brom ausgelassen und blos
die Diät verordnet, so konnten die Anfälle nicht
beeinflusst werden, ebensowenig nützte die Kur
trotz der Diät, wenn Brom und zugleich Koch¬
salz (in Pulver) den Kranken gegeben wurde.
Die streng durchgeführte Kur war auch bei an
inveterierter Epilepsie Leidenden von Erfolg, die
Aufklärung des Sensoriums zeigte sich alsbald.
In den Schlussfolgerungen betont Verfasser:
1. Die chlorarme Diät sei in allen Fällen von
Epilepsie anwendbar und anzuwenden, und zwar
am geeignetsten in Sanatorien. 2. Bis zur völligen
Erkennung der Krankheit sei die Diät in ihrer
streng chlorarmen Form durchzuführen, wobei
schon kleine Dosen von Brom (3 g) genügen.
3. Die Einverleibung des Broms in die Nähr¬
mittel, besonders in das Brot, anstatt des Koch¬
salzes ist schon vom Standpunkte der angenehmen
Dosierung sehr geeignet. 4. Die günstige Wir¬
kung der Behandlungsweise zeigt sich in der
hochgradigen Beförderung der Bromwirkung,
weshalb dieselbe auch bei sonstigen Nerven¬
krankheiten, wo stärkere Bromwirkung erwünscht
wird, zu erproben ist.
J. Honig (Budapest).
H. Schlesinger, Aerztliches Handbüchlein
für hygienisch-diätetische, hydrotherapeu¬
tische, mechanische und andere Ver¬
ordnungen. Göttingen 1902. Deuerlich’sche
Buchhandlung.
Das kleine Handbüchlein, von dem nach kaum
zwei Jahren abermals eine neue Auflage (die
achte) erschienen ist, hat sich einen so allgemeinen
Eingang in die Praxis verschafft, dass es fast
überflüssig erscheint, demselben noch eine
Empfehlung hinzuzugeben. Es sei daher hier
nur darauf hingewiesen, dass auch in der neuen
Auflage der Autor zahlreiche Aenderungen und
I Ergänzungen vorgenommen hat, welche den Fort¬
schritten der Wissenschaft auf hygienisch-diäte¬
tischem Gebiete innerhalb der letzten zwei Jahre
entsprechen. Paul Jacob (Berlin).
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Referate über Bücher and Aufsätze.
251
C. Gymnastik.
Gehen unter Anleitung des Arztes von vorn¬
herein vermieden werden.
Laumonier, La gymnastiqne des petits
enfants. Bulletin gönöral de thörapeutique
1901. Oktober.
Verfasser plädiert dafür, dass man schon
bei vier- bis siebenjährigen Kindern, mehr als
es bisher geschieht, durch systematische, dem
Kräftemaass angepasste Gymnastik eine Stärkung
der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur an¬
streben und die körperliche Entwickelung über¬
haupt befördern sollte. Aufgabe der Eltern sei
es, den Turnunterricht selbst zu leiten und sorg¬
sam zu überwachen, da die Kinder unter diesen
Umständen die Uebungen nicht als lästigen und
ermüdenden Zwang, sondern als angenehmen
Zeitvertreib empfinden und dieselben gleichsam
spielend erlernen würden. In erster Reihe seien
Suspension an Leitern oder am Trapez zu
empfehlen, während Freiübungen, Hantel- und
Stabübungen, Springen etc. als zu anstrengend
in so jugendlichem Alter weniger in Betracht
kommen. Die günstige Einwirkung eines der¬
artigen systematischen Turnens auf Entwickelung
und Wachsthum wird durch eine zweckmässige
allgemeine Körperhygiene, passende Ernährung
und gesundheitsgemässe Kleidung, Bäder, kalte
Waschungen, fleissige Bewegung im Freien
wesentlich gefördert. Hirschei (Berlin).
X. Dagron, M&ssothärapie. Le Bulletin
medical 1901. No. 65, 69.
ln den beiden Abhandlungen bespricht
Dagron die Massage bei Gelenkerkrankungen
und bei frischen Frakturen. Als Beispiel einer
frischen Gelenk Verletzung nimmt er die Ver¬
stauchung des Fussgelcnkes. Er beginnt mit
der Massage des Gelenkes sofort. Sie wird an¬
fangs sehr schwach und vorsichtig, nach einigen
Tagen aber schon kräftig ausgeführt. Sie be¬
fördert den Rückgang der Schwellung und
Schmerzen. Dagron betont besonders, dass bei
der Verstauchung des Fussgelenkes die Muskeln
des Unterschenkels massiert werden müssen. Er
lasst den Kranken bei einer einfachen Ver¬
stauchung 5—6 Tage zu Bett liegen und wickelt
um das Gelenk eine Flanellbinde. An die
Massage knüpft er sofort passive Bewegungen,
und nach einigen Tagen auch aktive. Die ein¬
zelne Massagesitzung dauert ungefähr 20 Minuten.
Wenn der Patient das Bett verlassen hat, muss
man vor allen Dingen darauf achten, dass er
nicht hinkt Nach Dagron's Ansicht kann das
Hinken durch Muskelübung, insbesondere durch
Als eine zweite Gelenkerkrankung bespricht
Dagron den chronischen Hydrops des Knie¬
gelenkes. Er führt an, dass er durch die Massage
eine Reihe Jahre lang bestehender Erkrankungen
definitiv geheilt hätte. Es kommt vor allen
Dingen darauf an, den Quadriceps, welcher fast
immer stark abgemagert ist, durch die Massage
zu kräftigen. Durch eine Flanellbinde wird auf
das Gelenk eine leichte Kompression ausgeübt.
Man soll den Kranken nicht im Bett liegen lassen.
Der Erguss schwindet nachts, tritt aber am Tage
wieder auf. Allmählich aber mit der Kräftigung
des Quadriceps nimmt er ab und schwindet
schliesslich ganz. Die Behandlung soll nur unge¬
fähr einen Monat dauern. Dann soll man den
Kranken sein Bein möglichst viel gebrauchen lassen.
Bei der Massagebehandlung der Frakturen
beschränkt Dagron diese im allgemeinen auf
die Gelenkfrakturen. Es soll kein fester Verband
angelegt werden. Er wendet sich gegen die alte
Ansicht, dass eine Fraktur nur durch Immobili¬
sation heilt. Zum Beispiel ist bei Rippen- und
Schlüsselbeinbrüchen eine völlige Ruhigstellung
der Fragmente auch in einem noch so gut an¬
gelegten Verbände überhaupt nicht möglich, weil
bei der Athmung, bei den Bewegungen des
Kopfes u. s. w. immer eine Bewegung der Bruch¬
stücke eintritt. Dies ist der beste Beweis, dass
eine Ruhigstellung zur Heilung nicht nothwendig
ist. Dagron besitzt Präparate von gebrochenen
Fasanen- und Rebhühnerknochen, welche doch
ohne festen Verband vollständig konsolidiert
sind. Zum Beispiel bei einer Schlüsselbeinfraktur
beginnt Dagron sofort mit der Massage. Diese
befördert die Kallusbildung und vermindert die
Schmerzen. Die Schmerzen werden weniger
durch die Beweglichkeit der Bruchstücke als
durch die starke Kontraktur der Muskeln bedingt.
Durch die Massage erschlaffen die Muskeln und
die Schmerzen schwinden. Man kann schon bald
mit passiven Bewegungen und später auch mit
aktiven beginnen. Diese Behandlung hat vor
allen Dingen den Vortheil, dass Gelenksteifig¬
keiten vermieden werden, dass der Arzt täglich
die Fraktur beobachtet und somit in der Lage
ist, eine Deformität möglichst zu vermeiden.
Dagron empfiehlt sogar den Landärzten diese
Behandlung, wenn die Massage auch nur zwei-
bis dreimal wöchentilch geschieht. Ein Schlüssel¬
beinbruch heilt unter dieser Behandlung in zwei
bis vier Wochen vollständig, ohne dass nach
Ablauf dieser Zeit eine Steifigkeit der Schulter
besteht. Bei Kindern soll man die Umgebung
der Bruchstelle nicht massieren, sondern nur die
Muskeln, weil durch die Massage mitunter eine
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252
Referate über Bücher und Aufsätze.
übermässige Calluswucherung entsteht Bei
Frakturen der unteren Extremität muss man vor
allen Dingen eine Deformität zu vermeiden suchen
und unter Umständen für 10 oder 14 Tage nach
Beseitigung der Deformität einen festen Verband
anlegen. Linow (Dresden).
ArthurLoebel, Prinzipien und Indikationen
der maschinellen Heilgymnastik. Klinisch-
therapeutische Wochenschrift 1901. No. 31, 32
und 33.
In diesem im Verein der Bukowinaer Aerzte
gehaltenen Vortrage giebt Verfasser einen kurzen
Ueberbliek über die Entwickelung der maschi¬
nellen Heilgymnastik, wobei er besonders die
Systeme von Zander und Hertz hervorhebt.
Er geht dann genauer auf die Hertz’schen
Apparate ein, welche nach seiner Ansicht einen
grossen Fortschritt in der maschinellen Heil¬
gymnastik bedeuten Bollen. Hierauf bespricht
er kurz die Behandlung der verschiedenen Krank¬
heitsgruppen durch maschinelle Heilgymnastik,
worauf jedoch nicht näher eingegangen werden
kann, da die Abhandlung nur längst bekanntes
bringt. Wenn Verfasser zum Schlüsse anführt,
dass nach Bum’s Aussage jede Uebertreibung
und Simulation gegenüber den traumatischen
Neurosen mittels der Apparate von Hertz auf¬
gedeckt werden kann, so bezweifelt Referent auf
Grund eigener Erfahrungen solches.
Linow (Dresden).
Byron Bramwell, Case of Tabes with
aentely developed Ataxia, in which great
and rapid improrement had resnlted Crom
FrenkePs Plan of treatment. Medical Press
and Circular 1902. 12. März.
Ein 35 jähriger, verheirateter Mann, der früher
16 Jahre Schiffsteward, nachher 5 Jahre Wirth
war, wurde in die R. Infirmary zu Edinburgh
gebracht, weil er weder stehen noch gehen konnte.
Absolute Negation von jeglicher Geschlechts¬
krankheit und Alkoholismus; er will nur 4 Glas
Bier per Woche, 12 Glas Whisky per annum
genommen und sehr massig geraucht haben.
Nach kurzdauernden Schmerzen in den Beinen,
welche von taubem Gefühl in denselben begleitet
waren, sowie geringfügigen Blasen Störungen, ent¬
wickelte sich plötzlich innerhalb 48 Stunden Un¬
fähigkeit zu gehen und zu stehen. Dieselbe war
bedingt durch Ataxie; keine Lähmungen, Musku¬
latur der Beine gut, Bewegungen ataktisch in
den Beinen, nicht in den Armen; Rombergsches
Symptom, Sehnenreflexe nicht vorhanden. Die
direkte Erregbarkeit der vorderen und hinteren
Schenkelmuskulatur, zeigte sich etwas erhöht,
Cremasterreflex nicht vorhanden, aber Babinski,
Abdominalreflexe schwach. Die Pupillen waren
erweitert, die rechte maass 8, die linke 10 mm,
beide reagierten nur schwach akkommodativ,
nicht auf Lichteinfall. Am Thorax, den Ulnar¬
nervengebieten und den unteren Extremitäten
bestanden Analgesieen und Anästhesieen; keine
gröberen sexuellen Störungen, keine Verände¬
rungen im Gebiete der Kopfnerven.
Nach 15 tägiger Behandlung mit »Kreuzbrett* -
Uebungen nachFrenkel war Patient derart ge¬
bessert, dass er mit Stöcken gehen konnte, und
drei Wochen später waren diese nicht mehr nöthig.
Der Fall ist bemerkenswerth durch: 1. die
Negation von spezifischer Infektion; 2. den plötz¬
lichen Ausbruch der Ataxie; 3. die Beschaffenheit
der Pupillen (Erweiterung); 4. die rasche Besserung
mit der eingeschlagenen Therapie.
R. Block (London).
Schnitze, Ein einfacher orthopädischer
Tisch. Zeitschrift für orthopädische Chirurgie
Bd. 9. Heft 3.
Schultze hat den schon früher von ihm
konstruierten Tisch weiterhin so verbessert, dass
alle orthopädischen Verrichtungen an ihm vor¬
genommen werden können.
Am Kopf- und Fussende befindet sich je
eine Welle zur Aufnahme des extendierenden
Drahtseiles, ferner kann ein vereinfachter Lo¬
renz’scher Osteoklastredresseur und eine soge¬
nannte Kyphosenschaukel angebracht werden.
Letztere dient der Korrektur der Kyphose und
der Hüftkontraktur.
Fabrikant ist die Firma Lütgenau & Cie. in
Crefeld-Berlin. Vulpius (Heidelberg),
D. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Beizer, Ueber die Behandlung mit Frey’s
Heissluftdouche. Berliner klinische Wochen¬
schrift 1901. No. 44.
Den früheren günstigen Berichten über die
Erfolge der Behandlung von neuralgischen und
rheumatischen Leiden der verschiedensten Art
mit der Frey’schen Heissluftdouche reiht
Beizer eine grössere Anzahl von Kranken¬
geschichten an, aus denen die manchmal vor-
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Referate über Bücher und Aufsatze.
253
treffliche Wirkung dieser Behandlungsmethode
hervorgeht. Interessant ist, dass ausser bei den
genannten Krankheiten Beizer auch in zwei
Fällen von Cirkulationsstörungen die Heiss-
luftdouche mit gutem Erfolge in Anwendung
brachte; in dem einen Fall handelte es sich um
Oedeme, die infolge eines Herzleidens aufge¬
treten waren, im anderen Falle waren Anfälle
von Angina pectoris vorhanden; der Ver¬
fasser erklärt hier die Wirkung der Heissluft-
douche durch Erhöhung des Gefäss- und Kapillar¬
tonus im ersten, durch ableitende Hauthyperamie
im anderen Falle. Er deutet an, dass auch schon
erfolgreiche Versuche über die Beeinflussung der
Cirkulado ns Verhältnisse durch dieHeissluftdouche
bei manchen Augenaffektionen im Gange
sind. Auch in einem Falle von Sklerodermie
erzielte Beizer durch die Frey’sche Behand¬
lungsmethode wesentliche Besserung; vor kurzem
ist übrigens von Neumann über die günstigen
Erfolge der lokalen Heissluftbäder bei der¬
selben Affektion berichtet worden (s. Referat in
dieser Zeitschrift). A. Laqueur (Berlin).
Orrin S. Whigtman, Hot alr as a thera-
peutie agent. New-York medical journal 1901.
17. August.
Auch in Amerika erfreut sich die lokale
Heissluftbehandlung bereits einer grossen
Beliebtheit, und zwar bedient man sich dort zu
diesem Zwecke eines von Betz in Chikago an¬
gegebenen Heissluftkastens, der im wesentlichen
eine Nachbildung des bekannten Tallerman-
schen Apparates ist Neben den günstigen Er¬
folgen, die Wight man sowohl bei chronischem
als auch bei akutem Gelenkrheumatismus
mit jener Behandlungsmethode erzielte, ist be¬
sonders hervorzubeben, dass er lokale Heissluft-
blder auch bei akuten Luxationen, Kon¬
tusionen und auch bei Frakturen mit bestem
Erfolge gegen die Schwellung und Schmerz¬
haftigkeit der verletzten Theile an wandte;
speziell als schmerzlinderndes Mittel hat
sich ihm die lokale Heissluftbehandlung in der¬
artigen Fällen vorzüglich bewährt. Natürlich ist
dieselbe, das hebt der Verfasser ausdrücklich
hervor, keine Panacee, sondern sie ist meist in
Verbindung mit anderen therapeutischen Maass¬
nahmen anzuwenden, unter denen die Massage
die Hauptrolle spielt. Als neu sei schliesslich
noch die Angabe Wightman’s erwähnt, dass
die lokale Heissluftbehandlung auch einen
beruhigenden Einfluss auf das Nerven¬
system ausübt, der sich bei langen Sitzungen
bis zum Schläfrigmachen steigert; der Nachlass
der Schmerzen spielt jedenfalls die Hauptrolle
bei dieser bisher wenig beachteten Wirkung; ob
auch die durch Hyperämisierung der behandelten
Theile hervorgerufene Anämie des Gehirns da¬
bei mitwirkt, wie Verfasser meint, mag dahin¬
gestellt bleiben. A. Laqueur (Berlin).
E. Hellmer, Das Luftbad. Centralblatt für
die gesammte Therapie 1901. Heft 10.
Von den drei Hauptfaktoren des physikalischen
Heilverfahrens: Licht, Luft und Wasser wird der
zweite in der Klimatotherapie, bei den Freiluft¬
kuren und sub forma des sogenannten Luftbades
in Anwendung gezogen Die Technik ist die
denkbar einfachste. Die Patienten, mit Schwimm¬
hose oder Lendenschürze bezw. mit einem leichten
Hemd bekleidet, sollen in der freien Luft Be¬
wegungen machen, laufen, turnen, auch Sportspiele
treiben. Die Dauer des Luftbades (10—60 Mi¬
nuten), die Tageszeit, die Temperatur, die Art
und Weise, das Maass der körperlichen Bewegung
sind nach den individuellen Verhältnissen zu be¬
stimmen. Wie bei den Wasseranwendungen
kommen auch bei den Luftbädern zwei Momente
in Betracht: der thermische Reiz des Mediums,
hier der Luft, und der mechanische Reiz (die
Reibung) der bewegten Luft Der Patient darf
unmittelbar nach dem Entkleiden höchstens einige
Sekunden hindurch ein leichtes Frösteln verspüren;
hierauf muss sich ein angenehmes Wärmegefühl
und ein allgemeines Behagen geltend machen
und während der ganzen Dauer des Luftbades
anhalten. Wenn sich das geringste Kältegefühl
zeigt (sekundärer Frost), so sind die Körperübungen
zu steigern; hilft das nicht sofort, so hat sich der
Patient rasch anzukleiden und bis zur vollständigen
Wiedererwärmung Bewegungen zu machen. Das
Charakteristikum der Luftbäder beruht auf
dem gewöhnlich grossen thermischen Reiz bei
geringer mechanischer Erregung. Darin liegt der
Vorzug und die Schwäche der Luftbäder gegen¬
über den hydriatischen Prozeduren: der Vorzug,
dass sie auch von sehr sensiblen Naturen — bei
der richtigen Temperatur — fast ausnahmslos
sehr gut vertragen werden, die Schwäche, dass
sich der thermische Reiz nur in geringem Maasse
willkürlich dosieren lässt. Es kommen noch
andere physikalische Faktoren in Betracht: die
Luftfeuchtigkeit, der bei den Vollbädern vor¬
handene hydrostatische Druck, der hier wegfällt,
und der Einfluss des direkten und zerstreuten
Sonnenlichtes auf die ganze Körperoberfläche.
Indiziert sind die Luftbäder bei Anämie, Chlorose,
Neurasthenie, Retardierung des Stoffwechsels,
gichtischen und rheumatischen Zuständen, Neigung
zu den sogenannten Erkältungskrankheiten: kon-
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Referate über Bücher und Aufsätze.
254
traindiziert sind sie bei vorgeschrittenen Schwebe¬
zuständen, hochgradiger Insufficienz des Herzens
und seines Klappenapparates etc. Wegen der
geringen Fähigkeit, sich genau dosieren zu lassen,
können die Luftbäder nie eine selbstständige Heil¬
methode werden, sie bilden aber eine unter Um¬
ständen recht brauchtbare Erweiterung des physi¬
kalischen Heilschatzes, jedoch nur in der Hand
eines wohlerfahrenen Hydriaters.
Forchheimer (Würzburg).
Carron de la Carri&re, Studienreisen in
die französischen Bäder, ihr Zweck, ihr
Nutzen für die Aerzte und Badeorte, ihre
Organisation. Sociötö d’hydrologic 1899.
0. Februar.
Bekanntlich ist in Frankreich zuerst der Ge¬
danke von Carron ausgesprochen worden, unter
dem Protektorat medicinischcr Autoritäten Reisen I
in die französischen Bäder zu machen, um den |
Aerzten Gelegenheit zu geben, sich mit den be- ,
treffenden Heilwirkungen vertraut zu machen. I
Die erste derartige Reise wurde im Sep¬
tember 1899 ausgeführt, und auch in Deutschland
ist nunmehr eine ähnliche Organisation erfolg¬
reich ins Leben getreten. In dem Protokoll,
welches Carron der hydrologischen Gesellschaft
zu Paris in der Sitzung des oben genannten
Datums vorlegte, sind in ausführlicher Weise
alle jene Gründe auseinandergesetzt, welche die j
beabsichtigten Expeditionen als nothwendig er- i
scheinen lassen, und es ist interessant, aus dem !
Sitzungsprotokoll zu ersehen, eine wie grosse
Majorität sich den Vorschlägen Carron*s an- l
geschlossen hat. H. Rosin (Berlin).
L. Loewenfeld, Ueber Luftkuren für Nervöse 1
und Nervenkranke. Deutsche Praxis 1901.
Bd. 10.
Eine sehr lesenswerthe kleine Abhandlung
über die richtige Auswahl von Kurorten für
Nervenkranke veröffentlicht Loewenfeld. — Er
kennzeichnet in präziser Weise die Verhältnisse
und Faktoren, welche für den Arzt bei der Er¬
ledigung dieser so oft an ihn herantretenden
wichtigen Angelegenheit maassgebend sind, bezw.
sein sollen, und es wäre wünschenswerth, dass
der kleine Aufsatz recht weite Verbreitung fände.
Nicht nur der Mangel persönlicher Kenntniss der
Verhältnisse vieler Luftkurorte verschuldet in I
dieser Beziehung häufig Missgriffe, sondern es 1
unterliegt auch die individuelle Reaktionsweise I
auf gewisse klimatische Faktoren erheblichen
Schwankungen, so dass dieselbe Bich nicht immer
mit Sicherheit vorhersehen lässt.
Persönliche Erfahrungen, welche Verfasser
(im Hochplateau Chur-Tiefenkastel, Oberengadin-
Fexthal, Nauders-Malserhaide) gemacht, bringen
ihn zu dem bestimmten Schlüsse, dass neben der
Höhenlage an sich als wichtiger klimatischer
Faktor der herrschende Grad der Luft¬
bewegung ins Gewicht fällt; er fand diese
Annahme an höher gelegenen Orten mit mangeln¬
der Luftbewegung (Hochpusterthal und Brenner¬
gebiet) bestätigt, indem er hier kühlere Tempe¬
raturen vermisste, während wieder an anderen
Orten (auf bayerischem Gebiet im Innthal zwischen
Brannenberg und Oberaudorf, Täufers im Ahm¬
thal) Lokalwinde zu bestimmten Tages¬
zeiten den Aufenthalt zu einem angenehmen
machten.
Loewenfeld wünscht also, dass sowohl der
Lage eines Ortes im Gebirge überhaupt als speziell
der Höhenlage desselben nicht diejenige Be¬
deutung beigelegt werde, wie dies seitens vieler
Aerzte jetzt noch geschehe, gerade weil nach
dem Gesagten von zwei nahe bei einander ge¬
legenen Orten von verschiedener Höhenlage der
eine, wenn auch niedriger gelegene infolge daselbst
bestehender Luftbewegung ein angenehmeres und
wirksameres Klima besitzen kann als der höher
gelegene.
Die stärkere Luftbewegung bewirkt:
1. Eine gewisse Abhärtung der Haut-
ner von.
2. GrösserenBlutreichthum derHautund
damit Entlastung innerer Organe.
3. Anregung des Stoffwechsels und
Appetites (durch stärkere Verdunstung
und Wärmeentziehung auf der Oberfläche
der Haut).
4. Grössere Kühle, und diese ermöglicht be¬
ständigen Aufenthalt im Freien,
welcher eine kräftige Einwirkung eines
anderen Heilfaktors des Höhenklimas, der
Insolation, bedingt, und infolgedessen
eine ausgiebigereKörperbewegung,
die sämmtlichen Funktionen des Organis¬
mus zu gute kommt.
Sollte, wie dies in den meisten Höhenkur-
! orten Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz
i der Fall ist, erheblichere und andauernde Luft-
| bewegung fehlen, und es trotzdem nöthig sein,
I eine Wahl unter solchen Orten zu treffen, so
müsste dieselbe auf solche mit ausgedehnten und
schattigen Waldungen fallen.
Ebenso abhängig von der Luftbewegung sei
das Seeklima; selbst auf einer Insel könne von
einem solchen nicht die Rede sein, wenn die
Seewinde fehlen (Beispiel: Sylt und Föhr).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
255
Hochgebirgs- und Seeklima veifügen gemein¬
sam über einen sehr wichtigen Faktor, hohen
Ozongehalt.
Bei der Auswahl ist also folgendes zu be¬
achten:
1. Die bei den einzelnen Kurorten gegebenen
klimatischen Faktoren.
2. Die bekannte Reaktionsweise des Indivi¬
duums auf gewisse klimatische Einflüsse.
3. Die Höhendifferenz zwischen der Lage
des ständigen Domicils und derjenigen
des zu wählenden Ortes.
Hervorgehoben sei noch, dass Hochgebirge
kontraindiziert ist bei Neurasthenia vasomotoria
et coidis und bei länger bestehender Agrypnie,
während Erschöpfungszustände infolge geistiger
Ueberanstrengung ohne wesentliche Schlafstörung
für das Hochgebirge geeignet ist.
Auch gegenüber der Ansicht v. Krafft-
Ebings, nach welcher Höhenlagen von 1000 m
für erethische Zustände der Neurastheniker, für
die mit Arteriosklerose und mit Anämie kom¬
plizierten Fälle, sowie für Neurasthenia intestinalis
die oberste zulässige Grenze bilden, betont
Loewenfeld, dass es bezüglich der Höhe auf
ein Mehr oder Weniger nicht so sehr ankomme,
als auf das Vorhandensein oder Fehlen stärkerer
Luftbewegung (ausgenommen sind die mit Arterio¬
sklerose komplizierten Fälle).
Wechsel von Ruhe und Bewegung, Ver¬
pflegung und ein bestimmtes anderweites Regime
sind natürlich wie bei jeder derartigen Kur auch
hier von Wichtigkeit.
Viktor Lippert (Wiesbaden).
E. Elektrotherapie.
H. Bordier, Traitement electrique des ndY-
ralgies et enparticulierdeceUe dutrijumeau.
Journal des practiciens 1901. No. 48.
Verfasser empfiehlt dringend die Behandlung
der Neuralgieen, speziell der Trigeminusneuralgie
mit sehr starken galvanischen Strömen von langer
Dauer. Er verwendet für den Trigeminus eine
Gesichtselektrode aus Aluminium oder platiniertem
Kupfer, welche so geformt ist, dass sie die ganze
Gesichtshälfte mit Ausnahme von Auge und
Mund bedeckt Die Elektrode wird sorgsam mit
wasseraufsaugenden Stoffen (Gaze oder dergl.)
gepolstert, so dass sie der Oberfläche überall
exakt anliegt und mit warmem Wasser getränkt.
Diese Elektrode bildet die Anode, während die
Kathode als grosse Platte von 250—500 qcm auf
eine indifferente Stelle (Rücken, Schenkel, Bauch
etc.) gesetzt wird. Der Kranke befindet sich
während der Behandlung am besten in Rücken¬
lage. Der Strom wird nun vermittels des
Rheostaten bis zu einer Stärke von 30—100M.-A.
gesteigert und eine Stunde lang stabil einwirken
gelassen. Die Sitzungen werden anfangs täglich,
später nach eingetretener Besserung alle zwei
Tage ausgeführt. Sobald die Schmerzen beseitigt
sind und nur noch eine gewisse Hyperästhesie
zurückgeblieben ist, setzt man die Behandlung
ganz aus, um sie bei Wiederkehr der Schmerzen
mit etwas schwächeren Strömen (bis höchstens
50 M.-A.) nochmals aufzunehmen.
Verfasser führt als Beleg zwei Kranken¬
geschichten an: in dem einen Falle bestand eine
sehr heftige Trigeminusneuralgie seit 10 Monaten.
Die Besserung wurde nach der siebenten Sitzung
deutlich; nach einem Monat völlige Heilung, vier
Jahre lang ohne Rezidiv.
Im zweiten Falle bestand die Neuralgie seit
3 V 2 Jahren. Die Schmerzen verschwanden nach
5 Wochen völlig. Nach einigen Monaten geringes
Rezidiv, welches mit wenigen Sitzungen beseitigt
wurde. Von da an anfallsfrei bei einer Beobach¬
tung von über drei Jahren.
Ueber die Wirksamkeit der galvanischen Be¬
handlung macht sich Verfasser im Anschluss an
Bergoniö die Vorstellung, dass der Strom, nach¬
dem er sich in der Haut verbreitet hat, den ge¬
ringsten Widerstand in den Löchern der Kopf¬
knochen (for. supraorbitale, infraorbitale etc.)
findet, in welchen die Aeste des Trigeminus ver¬
laufen. Er verbreitet sich daher gerade entlang
der Nervenstämme bis zum Ganglion Gasseri und
löst ausgiebige elektrolytische Vorgänge in den¬
selben aus. Diese elektrolytische Beeinflussung,
die Jonenverschiebung wirkt nun umstimmend
auf die Ernährung der Nerven und damit heilend
auf den neuralgischen Krankheitszustand ein.
Mann (Breslau).
Yernay, Traitement de la ndyralgie de la face
par les courante galyaniques. Lyon mödical
1901. No. 44, 46 u. 47.
Ebenso günstige Resultate wie in der vor¬
stehend referierten Arbeit werden von Vernay
berichtet. Er verwendet Ströme von 40—60 M.-A.
30—50 Minuten lang. In den mitgetheilten vier
Krankengeschichten handelte es sich stets um
sehr schwere schon lange bestehende Fälle von
Trigeminusneuralgie. Sie wurden in 20 bis 30
Sitzungen geheilt.
Verfasser verwendet nicht wie andere Autoren
in allen Fällen die Anode als differente Elektrode
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UNIVERS1TY OF MICHIGAN
256
Referate über Bücher und Aufsätze.
sondern er benutzt die Kathode in den Fällen,
in welchen trophische Storungen bestehen. Er
empfiehlt jedoch, in jedem Falle mit dem anderen
Pole einen Versuch zu machen, wenn der eine
keinen Erfolg hat.
Als Gesichtselektrode benutzt er eine Elek¬
trode aus Zinn, welche sehr biegsam ist und der
Gesichtshälfte gut angepasst werden kann. Sie
wird mit Kautschukbinden befestigt. Die in¬
differente Elektrode wird, um die Fläche zu
vergrössern, verdoppelt: zwei Elektroden von je
200 qcm werden mit demselben Pol verbunden
und auf dem Sternum und dem Rücken plaziert.
Nach den Erfahrungen des Verfassers ist die
Methode trotz der hohen Stromstärke gänzlich
ungefährlich; natürlich müssen alle VorsichtB-
maassregeln getroffen werden, dass keine plötz¬
lichen Stromesunterbrechungen Vorkommen. Be¬
sonders Arteriosklerotiker bekommen leicht An¬
fälle von Syncope bei etwas raschen Veränderungen
der Stromstärke; bei diesen muss man daher be¬
sonders vorsichtig mit dem Rheostaten ein- und
ausschleichen.
Die Wirkungsweise der galvanischen Behand¬
lung denkt sich Vernay ebenfalls in elektro¬
lytischen Vorgängen begründet
Mann (Breslau).
Adolf Decker, Ueber die elektrolytische
Kraft der statischen Elektrizität. Zeitschr.
für Elektrotherapie und die verwandten physi¬
kalischen Heilmethoden 1902. Bd. 4. No. 1.
Die in Bd. 5 S. 521 dieser Zeitschrift referierte
Arbeit von Schatzkij (Die Grundlagen der
therapeutischen Wirkung der Franklinisation) hat
durch Decker eine Kritik resp. Nachprüfung
erfahren, welche die zuversichtlichen Behaup¬
tungen des Verfassers bedenklich zu erschüttern
geeignet ist. Referent hatte damals in seiner
Besprechung bereits an der Richtigkeit der
Schatzkijachen Aufstellungen gezweifelt. Er
nahm zwar die Versuche Schatzkij’s, da er sie
nicht selbst nachgeprüft hatte, al9 einwandfrei
hin, bezweifelte aber vom physiologisch-thera¬
peutischen Standpunkte aus die Richtigkeit der
Folgerungen, die der Verfasser bezüglich der
Wirkungsweise der Franklinisation daraus gezogen
hatte.
Decker weist nun nach, dass Schatzkij
auch vom physikalischen Standpunkte aus seinen
Experimenten eine falche Deutung gegeben hat.
Vermittels kleiner Abänderungen der Sch atz kij-
sehen Versuchsanordnung zeigt er, dass der
Franklin’sche Funke nicht durch Elektrolyse
die Zersetzung des Jodkaliums bewirkt, sondern
durch die Wirkung des von dem Funken erzeugten
Ozons. Der’Versuch lasst sich nämlich so an¬
ordnen, dass der Funke garnicht die Jodkalium-
8tärkelösung berührt, sondern nur in der Nähe
derselben überspringt. Es tritt auch dann unter
diesen Bedingungen jedesmal die Blaufärbung*
auf, wenn nur die Zerstreuung des sich bildenden
Ozons einigermaassen verhindert wird. Noch be¬
weisender sind Versuche mit Guajactinktur. Diese
wird durch Ozon blaugefärbt, aber nicht elektro¬
lytisch zerlegt, wie sich mit dem konstanten
Strom nach weisen lässt. Bei den vorerwähnten
Versuchen tritt aber auch bei Verwendung von
Guajactinktur Blaufärbung auf.
Auch die Angabe Schatzkij’s, dass der
positive und negative Pol des Franklinischen
Apparates bezüglich der Elektrolyse eine qualitativ
verschiedene Wirkung habe, so dass man beim
statischen Strom ebenso wie beim galvanischen
von einer Anode und Kathode sprechen könne,
widerlegt der Verfasser. Schatzkij hatte den
statischen Wind beider Pole auf einen Jod¬
kaliumstärkekleistertampon geleitet und nur an
der Seite des positiven Poles Blaufärbung be¬
obachtet; Decker giebt dagegen an, dass bei
etwas längerer Fortsetzung des Experimentes
sich auch am negativen Pol Blaufärbung zeigt,
wenn auch in geringerer Intensität. Es besteht
also nur ein quantitativer Unterschied zwischen
beiden Polen.
Als einwandsfrei lässt Decker von den
Schatzkij 'sehen Aufstellungen nur den Satz
bestehen, dass die statische Elektrizität sich nicht
nur an der Oberfläche des menschlichen Körpers
ausbreite, sondern auch die tiefen Gewebe durch¬
dringe. Mann (Breslau).
L. R. Regnier, Radiotherapie et Photo-
thdrapfe. Paris 1902. Bailliöre et fils.
Das kleine Büchlein giebt in gedrängter
Kürze einen guten Ueberblick über die physio¬
logischen Eigenschaften der Licht- und Röntgen¬
strahlen sowie über die verschiedenen Apparate,
welche in den letzten Jahren hierfür erfunden
worden sind. Auch die Anwendung der Licht¬
bäder bei verschiedenen Krankheitszuständen
wird ziemlich ausführlich geschildert, desgleichen
die Anwendung des einfachen Lichts und des
farbigen Lichts.
Wer sich schnell über die einschlägige Materie
informieren will, dem kann die Lektüre dieses
kleinen Büchleins empfohlen werden.
Paul Jacob (Berlin).
Berlin, Druck von W. Büxenstein.
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Original frorri
UNIVERSITY OF MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 5 (August).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. y. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. Seito
I. Heber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. Aus der I. mcdicinischen Klinik dos
Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger *25!)
II. lieber den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexerregbarkeit.
Experimentelle Untersuchungen und kritische Betrachtungen von Dr. Theodor
Büdingen, leitendem Arzte am Kurhause Todtmoos (Schwarz wald).27*2
111- Die Fangokur und deren Indikationen. Von Dr. E. Mory ? Kurarzt in Adelboden (Schweiz) *280
IV. Verwendung älterer Fahrradsystemc zu therapeutischen Zwecken. Von Dr. Alfred
Martin, Assistenten für physikalische Heilmethoden an der medicinischen Klinik
zu Zürich. Mit 6 Abbildungen.*280
V. Ein neuer Zerstäubungsapparat für Allgemeininhalation. Aus der Abtheilung für
physikalische Therapie im Krankenhause München l./I. Von Oberarzt Dr. Rossnitz,
kommandiert zu obiger Abtheilung. Mit 2 Abbildungen.201
II. Kritische Umschau.
Russische Beitrage zur Ernährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. D w o rc tz k v
in Riga-Schrcyenbusch.*200
III. Kleinere Mittheilungren.
Das Konservebrot in den verschiedenen Armeen. Von M. Ball and, Oberapotheker I. Klasse 302
IV. Berichte über Kongresse und Vereine.
Die grossherzogliche Badcanstaltenkommission zu Baden-Baden.303
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Eruähruugstherapie).
Lepine, Le Sucre dans Talimentation. 304
Neumann, Die Wirkung des Saccharins auf den Stickstoffumsatz beim Menschen .... 304
Mayor, La gastßrine.304
Marti ny, Zur Frage der Milch Versorgung grösserer Städte.30"»
Korezyriski, Ueber den Einfluss der Gewürze auf die Magenthätigkcit.305
Berend, Beitrage zur Frage der künstlichen Ernährung im Säuglingsalter.305
Szabö, Ueber dio chemische Reaktion des Mundspeichels.305
Jaijuet und Svenson, Zur Kenntniss des Stoffwechsels fettsüchtiger Individuen .... 300
baumonier, Des laits artificiels. 300
Zeitachr. t diÄt. u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 5. 18
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
258
Inhalt.
Seite
B. Gymnastik»
Hoffa, Die experimentelle Begründung der Sehnonplastik.307
Becker, Zur heilgymnastischen Behandlung der Skoliose. Zwei neue Pcndelapparate ... 307
Hübscher, Scheercnförmigc Redressionsapparate mit elastischem Zug.307
Roth, Vorläufige Mittheilung über Versuche zur Losung der Frage eines portativen
Detorsions- und Redressionskorsetts für Skoliosen aller Arten.307
C. Hydro-, Balneo- nnd Klimatotherapie.
de Vries, The advantages of the pneumatic cabinet or differentiator in the treatmcnt of
phthisis pulmonalis.307
Schmidt, Ueber diaphoretisches Heilverfahren bei Osteomalacie.308
Murat, L’fle de Djerba, Station d’hiver. 308
Cazaux, Sur la prötendue absorption cutanöe dans le bain.309
D. Elektrotherapie.
Ishewsky, Ueber dieWirkung des wechselnden elektromagnetischen Feldes auf den Organismus 309
Cleaver, A bipolar rectal electrode.310
Willi ans, Some cases of cancer treated by the x rays.310
Schiff, Therapeutische Anwendung der Röntgenstrahlen bei Haarerkrankungen.310
E. Verschiedenes.
Blumenthal, Pathologie des Harnes am Krankenbett.310
Szegö, Dispositionskatarrhe der Kinder und deren Behandlung.311
Steiner, Wie die Javanen narkotisieren.311
Meissen, Beiträge zur Kenntniss der Lungentuberkulose.312
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä, 3V2 —4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original - Arbeiten.
I.
Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker.
Aus der I. medicinischen Klinik des Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien.
Von
Dr. Wilhelm Schlesinger.
Der thierische Organismus besitzt in hohem Maasse die Fähigkeit, seinen Be¬
stand an Körpersubstanz zu erhalten. Grössere Arbeitsleistungen, sowie Wärme¬
verluste, beide geeignet, Körpersubstanz zu verbrauchen, führen in der Norm zu
einer regulatorischen Steigerung des Appetits, zu vermehrter Nahrungsaufnahme und
damit zum Ersätze des Verlorenen.
Bei den meisten Krankheiten dagegen ist der eine regulatorische Faktor, der
Appetit, stark beeinträchtigt. So führen im Fieber schon die bedeutenden Wärme¬
verluste allein zur Abmagerung. Anders beim Diabetiker. Hier ist das Bestreben
dieser Regulierung wohl vorhanden, wenn auch in unrichtigen Bahnen sich bewegend.
Diabetiker haben in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle vortrefflichen
Appetit und verzehren ausserordentliche Mengen von Nahrung. Das Missverhältniss
zu der gleichwohl fortschreitenden Abmagerung hat früher zu der Annahme geführt,
dass es sich bei dieser Krankheit um einen besonderen Zerfall von Körpersubstanz
handle. Man dachte dabei gelegentlich an Gifte, die einen solchen Zerfall herbei¬
führen, und noch heute spielt in der französischen Litteratur der Diabete azotc
(Diabetes mit primärem Eiweisszerfall) eine gewisse Rolle. Wissenschaftlich gestützt
hätte eine solche Annahme erscheinen können durch die ersten Respirationsversuche
an Diabetikern von Pettenkofer und Voit 1 ), die scheinbar eine verminderte
Sauerstoffaufnahme und Kohlensäureabgabe ergeben hatten, sowie durch Ebstein’s 2 )
Annahme, dass die Ernährungsstörung bei Diabetes auf einer Verminderung der
Kohlensäurebildung beruhe. In beiden Fällen müssten die verminderten Oxydations¬
vorgänge durch Spaltungen im Organismus ersetzt werden, bei denen weniger Wärme
frei wird, die also fortgesetzt zu einem Defizit an den Körper aufbauenden Substanzen
führen müssten.
Pettenkofer’s und Voit’s Versuche blieben aber nicht unangefochten. Durch
die exakten späteren Untersuchungen von Weintraud 3 ), von diesem und Laves«),
Lusk«), Leo 6 ) wurde wohl mit Sicherheit festgestellt, dass der Verbrauch an
i) Zeitschrift für Biologie Bd. 3.
*) Die Znckerhararahr. Wiesbaden 1887.
*) Bibl.mcd. 1893. Heft 1.
«) Zeitschrift für physiologische Chemie 1894. Bd. 19.
*) Zeitschrift für Biologie Bd. 27.
6 ) Zeitschrift für innere Medicin Bd. 19. Suppl.
IS*
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
260 Wilhelm Schlesinger
Nahrungssubstanz beim Diabetiker nicht grösser ist, als beim Normalen, sofern nur
der Zuckerverlust durch den Harn in Rechnung gezogen wird.
Für die Zwecke der Therapie hat v. Noorden dieser Thatsache durch die
Forderung Rechnung getragen, dass die Kalorieenmenge der Nahrung des Diabetikers
so gross sein müsse, wie die eines Gesunden, vermehrt um jene Kalorieenmenge, die
dem Zuckerverluste durch den Harn entspricht.
Thatsächlich trachten die meisten bei der Diabetesbehandlung, Noorden’s
Postulat gerecht zu werden.
Doch muss bemerkt werden, dass seine Forderung nicht ohne Widerspruch
blieb. So behauptet Kolisch 1 ) erst jüngst ganz allgemein, dass der Diabetiker mit
einer viel geringeren Nahrungsmenge auskommt, und begründet diese Behauptung
mit Weintraud’s Befund, welcher Diabetiker (allerdings nur in kürzeren Be¬
obachtungsperioden) schon bei sehr geringer Nahrungszufuhr Stickstoff zurückhalten
sah, sowie durch die Ueberlegung, dass der Organismus in hohem Maasse die Fähig¬
keit besitzt, sich geänderten Ernährungsbedingungen anzupassen.
Wie verhält sich der Diabetiker zu dem von Rubner nach Kalorieen
berechneten Nahrungsbedürfnisse des Gesunden?
Bevor wir der Beantwortung dieser Frage nähertreten, sei es gestattet, die
wichtigsten Punkte von Rubner’s Lehre, soweit sie für unsere Frage von Belang
sind, hervorzuheben.
Einmal fand Rubner, dass die Zersetzungsvorgänge im Thierkörper, sofern
absolute Ruhe eingehalten wird, eine ganz bestimmte, von der Nahrungszufuhr
unabhängige Grösse besitzen, welche im wesentlichen durch die Wärmeabgabe der
Haut an ihre Umgebung bedingt ist.
Zweitens wurde gefunden, dass die drei Gruppen von Nahrungsmitteln: Eiweiss,
Fett und Kohlehydrat, einander genau nach ihrem Wärmewerthe vertreten können,
wobei es gleicbgiltig war, ob Fett und Eiweiss mit der Nahrung zugeführt, oder
dem Körperbestande entnommen wurden.
Schliesslich wurde durch verschiedene Untersuchungen von ihm und seinen
Schülern für die Ruhe und für verschiedene Typen der Arbeitsleistung ein bestimmter
Durchschnittswerth an Kalorieen ermittelt. Dieser stellt sich für den Ruhenden auf
30 — 35, für den leicht Arbeitenden auf 35—40 Kalorieen pro Kilo Körpergewicht,
für den schwer Arbeitenden um 5 Kalorieen höher.
Inwieweit das Nahrungsbedürfniss des Diabetikers .den von Rubner auf¬
gestellten Sätzen folgt, muss in erster Linie durch Stoffwechseluntersuchungen er¬
mittelt werden, die sowohl den N - Stoffwechsel als auch den respiratorischen Gas¬
wechsel berücksichtigen. Solche Versuche wurden, wie erwähnt, bereits wiederholt
angestellt. Sie können sich naturgemäss nur auf kürzere Beobachtungen und auf
wenige Individuen erstrecken.
Eine zweite und, weil viel einfachere, auf lange Reihen anwendbare Betrachtungs¬
weise ergiebt sich aus dem Vergleiche zwischen Nahrungszufuhr und Körpergewicht.
Wird die Nahrungsmenge festgestellt, bei welcher das Körpergewicht zunimmt, bei
welcher es abnimmt und bei welcher es gleich bleibt, so müssen daraus Schlüsse
auf das Nahrungsbedürfniss des Diabetikers gestattet sein, sofern nur die Beobachtungs¬
perioden lang genug gewählt sind, um zufällige Schwankungen des Körpergewicht«,
wie sie durch äussere unwesentliche Umstände bedingt sein können, auszuschalten.
i) Lehrbuch der diätetischen Therapie Bd. 2. Leipzig und Wien 1900.
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Original fru-m
UNIVERSITY OF MICHfGAN
Debcr das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 261
Diese letztere Art der Beobachtung wird den folgenden Erörterungen zu
Grunde gelegt.
Sie erstreckt sich auf 57 durch Monate und Jahre beobachtete Kranke, die zu
einem Theile meiner Privatpraxis angehören, deren weit grössere Zahl ich jedoch
an der I. medicinischen Klinik beobachten durfte, wofür ich auch an dieser Stelle
Herrn Hofrath Professor Dr. Nothnagel meinen verbindlichsten Dank ausspreche.
Aus therapeutischen Gründen wurde den Kranken ein genau mit der Wage
kontrolliertes Nahrungsquantum vorgeschrieben, welches in vorliegenden Tabellen
nach seinem Kalorieenwertheund nach seinem Eiweissgehalte notiert wurde.
Durch je nach der Lage täglich oder in grösseren Intervallen (zumeist wöchent¬
lich einmal) vorgenommene Harnuntersuchung wurde der wirkliche oder durchschnitt¬
liche Zuckergehalt des Harns ermittelt und gleichfalls in Kalorieen umgerechnet.
Durch Subtraktion von der zugeführten Gcsammtmenge wird die Zahl der dem
Organismus nutzbar gewordenen Kalorieenmenge festgestellt.
Ebenso wurde das Körpergewicht zumeist wöchentlich einmal unter möglichster
Einhaltung aller Kautelen bestimmt. Dem Einwande, dass zumal bei ambulant be¬
handelten Patienten eine Gewähr für die genaue Befolgung der Diätvorschriften nicht
gegeben ist, wurde dadurch Rechnung getragen, dass nur jene Kranken ausgewählt
wurden, die sich bei langer Beobachtung als vertrauenswürdig erwiesen hatten.
Dazu kommt, dass Ueberschreitungen rUcksichtlich der Diätvorschriften gerade
bei Diabetikern leichter festzustellen waren. Sie betrafen im wesentlichen den Genuss
von Kohlehydraten, verriethen sich daher durch die Harnuntersuchung.
Die Art der Ernährung unserer Kränken war zwar in jedem einzelnen Falle
verschieden, folgte aber doch ganz allgemein bestimmten Regeln, die sich aus dem
Bestreben, den Harn zuckerfrei zu machen, von selbst ergaben.
Zuerst wurde eine eiweissreiche Nahrung mit mässigen und mittleren Kohle¬
hydratmengen verabreicht, deren Kalorieengehalt an und für sich kein beträchtlicher
war, und sich durch die dabei zumeist noch vorhandene reichliche Zuckerausscheidung
noch weiter erniedrigte. In einem zweiten Stadium wurden die Kohlehydrate all¬
mählich reduziert bei noch reichlicher Eiweisszufuhr und neuerlicher Fettzulage.
Bei den schweren Fällen musste schliesslich behufs völliger Entzuckerung auch das
Eiweissquantum unter neuerlicher Fettzulage reduziert werden. Später wurde ver¬
sucht, Kohlehydrate und Eiweiss wieder zuzulegen. So konnten die Veränderungen
des Körpergewichtes sowohl bei kaloricenarmer und eiweissreicher als auch bei
kalorieenreicher und eiweissarmer Kost, bei zuckerreichem und zuckerfreiem Harne
studiert werden.
Freilich ist zu bemerken, dass zumindest bei den abgemagerten schweren
Diabetikern von vornherein das Bestreben vorhanden war, das Körpergewicht zu
heben, und damit die Neigung, eher grössere Nahrungsmengen zuzuführen.
Die Frage, ob es gelingt, das Körpergewicht des Diabetikers auch mit einer
viel geringeren Nahrungszufuhr zu erhalten, kann demnach blos durch zufällig dabei
gemachte Beobachtung, sowie an der Hand einiger weniger darauf direkt gerichteter
Versuche erörtert werden.
Sämmtliche erhaltenen Zahlen sind um ein Geringes zu niedrig, da der Nähr¬
werth des schwarzen Kaffees, der Suppe und der rohen Gemüse nicht berücksichtigt
>) Diese Originaltabellen mussten wegen ihrer Ausdehnung fortgelassen werden.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
262 Wilhelm Schlesinger
wurde. Wohl wurde aber die mit den Gemüsen zugeführte Fettmenge sowie der
Alkohol mit in Rechnung gezogen 1 ).
Die grobe Betrachtung der gewonnenen Zahlen gestattet, sämmtliche Fälle in
drei Gruppen zu bringen, je nachdem das aus ihnen abgeleitete Nahrungsbedürfniss
Rubner’s bereits erwähnten Zahlen im allgemeinen, d. h. während der ganzen Zeit
der Beobachtung entspricht, unterhalb dieser Zahlen liegt, oder sie überschreitet.
Dabei ergiebt sich, wie schon jetzt bemerkt werden soll, dass die erste Gruppe
alle schweren und mittelschweren Fälle von Diabetes umfasst, bei denen anderweitige
Rtoffwechselstörungen fehlten.
I.
Es handelt sich um 18 Fälle, die in Tabelle I übersichtlich zusammengcstellt sind.
Der Kaloriecnwerth, bei welchem hier Konstanz des Körpergewichts erzielt
wurde, schwankt im allgemeinen zwischen 30—40 Kalorieen pro Kilo Körpergewicht,
je nachdem die Kranken absolute Ruhe befolgten oder Arbeit leisteten. So gelang
es, den ersten Patienten der Reihe bei der absichtlich niedrig gewählten Zufuhr von
31 Kalorieen durch längere Zeit im Gleichgewicht zu erhalten. Als er dann wieder
Arbeit verrichtete, nahm er bei 34 Kalorieen binnen kurzem um 3 kg ab, während
eine neuerliche Zulage bis auf 42 Kalorieen bereits eine mässige Zunahme des
Körpergewichts bewirkte.
Von besonderem Interesse war die Frage, ob ältere Diabetiker dieser Gruppe,
wie auch sonst bei Gesunden beobachtet, mit einer geringeren Nahrungszufuhr aus-
kommen.
Thatsächlich konnten Fall 13—16, die sämmtlich über 50 Jahre alt waren, schon
bei 30—33 Kalorieen mässige Arbeit verrichten, ohne an Körpergewicht einzubüssen.
Umgekehrt brauchten die beobachteten Kinder (Fall 17—18) 60—70 Kalorieen,
um nicht abzumagern, in Uebereinstimmung mit den auch sonst bei Kindern ge¬
fundenen hohen Werthen, die Rubner auf die mit der relativ grösseren Oberfläche
verbundenen grösseren Wärmeverluste bezieht.
Wie erwähnt, wurde bei den Kranken dieser Gruppe zumeist Zunahme des
Körpergewichtes erstrebt, daher der Werth für das eigentliche Nahrungsbedürfniss
nicht immer mit wünschenswerther Genauigkeit ermittelt.
Andrerseits ist für die Beurtheilung des Nahrungsbedürfnisses nicht blos die
Thatsache der Körpergewichtszunahme, sondern auch ihre Grösse von selbst¬
verständlicher Bedeutung.
Darum wurde der Versuch unternommen, bei einer ganzen Reihe von Fällen
aus der Grösse der Zu- oder Abnahme des Körpergewichtes und der zugeführten
Nahrung für die Zersetzungsgrösse selbst einen zahlenmässigen Ausdruck zu ge¬
winnen.
’) Für die Berechnung nach Kalorieen wurden für die verschiedenen Nahrungsmittel die
folgenden Durchschnittszahlen gewählt:
Fleisch (zubereitet). 200 ° 0 Kalorieen
Schinken.150 »
1 Ei.75 >'
Käse.170 °/o »
Fett. 800 »
Weisswein (österreichischer, zu 7 % Alkohol) . . 50 »
Milch.50 »
Brot. 300 >,
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 263
Auf die Bedenken, die gegen diesen Vorgang erhoben werden können, soll
später eingegangen werden.
Die ganze Zeit der Beobachtung wurde in einzelne Perioden getheilt, oder
einzelne solcher Perioden herausgegriffen.
Für ihre Abgrenzung waren verschiedene Momente maassgebend. Einmal wurden
die Abschnitte so gewählt, dass ihnen eine möglichst gleichmässige Nahrungszufuhr
entsprach. Dann wurde darauf Rücksicht genommen, ob während einer solchen
Periode das Verhalten des Körpergewichtes annähernd das gleiche war, d. h. ob es
sich um eine dauernde und konstante Zunahme, um eine ebensolche Abnahme,
oder um ein Gleichbleiben des Körpergewichts handelte.
Schliesslich wurde die Grösse der Zuckerausscheidung in Betracht gezogen, so
dass Perioden mit ganz grosser, mit mittelgrosser und mit verschwindender Zucker¬
ausscheidung einander gegenübergestellt werden.
Dabei wurde vor der Hand angenommen, dass eine Zunahme oder Abnahme des
Körpergewichtes in dem gleichen Verhältnisse erfolgt, wie sie der Zusammensetzung
der Körpersubstanz aus Eiweiss und Fett auch sonst entspricht.
Ein Beispiel mag den dabei eingehalteren Vorgang erläutern:
Der bereits erwähnte Kranke (Fall 1) nahm — bereits zuckerfrei —, als er
wieder Arbeit leistete, vom 3. November bis 1. Dezember bei einer Nahrungszufuhr,
die einen Werth von 2134 Kalorieen und 131 g Eiweiss im arithmetischen Mittel
repräsentierte, um 2700 g ab. Dies ergiebt für den Tag eine Abnahme von 93 g,
also rund 9,3 (10)% Eiweiss und 18,6 (20)% Fett, die zusammen den Kalorieen-
werth 213 haben würden.
Um die Zersetzungsgrösse während dieser Periode kennen zu lernen, muss
die zu Verlust gegangene Eiweiss- und Kalorieenmenge zu der Nahrungszufuhr
addiert werden. So ergiebt sich, dass er während dieser Periode per Tag im Durch¬
schnitt 2347 Kalorieen (38 pro Kilo) und 140,3 g Eiweiss (2,3 g pro Kilo) zersetzte.
In der darauf folgenden Periode, die 63 Tage umfasste, wurde die Nahrungs¬
zufuhr auf 2500 Kalorieen und 148 g Eiweiss erhöht. Nun erfolgte eine Körper¬
gewichtszunahme von 1200g = 20 g pro Tag, entsprechend 2 g Eiweiss und 46 Kalorieen.
Dieser Werth muss, weil nicht zersetzt, von der zugeführten Nahrungsmenge
subtrahiert werden. So berechnete sich die Zersetzungsgrösse dieser Periode auf
2450 Kalorieen (40 pro Kilo) und 146 g Eiweiss (2,4 g pro Kilo).
Gegen diese Art der Berechnung, wie sie bei verschiedenen Kranken durch¬
geführt wurde, können schwerwiegende Bedenken erhoben werden, da ja eine Gewähr
dafür, dass Zu- und Abnahme im einzelnen Falle wirklich in der der Berechnung zu
Grunde gelegten Weise erfolgte, ohne Stoffwechselversuche durchaus nicht geboten
ist, vielmehr die Möglichkeit besteht, dass Eiweiss und Fett in wechselndem Ver¬
hältnisse zum Ansätze oder zur Zersetzung kommen.
Im allgemeinen wird angenommen werden können, dass die zu Ansatz oder zu
Zerfall gekommenen Mengen an Körpersubstanz einen höheren Kalorieen- und Eiweiss-
wertli besitzen, als der Berechnung zu Grunde gelegt wurde. So gewann Patient T.
in Weintraud’s 1 ) Untersuchungen bei einer Zunahme von 2800 g 49 g N = 307 g
i) I. c. Tabelle XIV, S. 21; Tabelle XI, S. 19: 42,9 g N = 264 g Eiweiss gefunden, 240 g
Eiweiss berechnet; Tabelle V: 32,6 g N = 205 g Eiweiss gefunden, 200 g Eiweiss berechnet. Da¬
gegen ergiebt sich bei dem fettleibigen Diabetiker J. bei einer Körpergewichtszunahme von
500 g ein Eiweissverlust von 577 g (Tabelle VIII). Auf dieses besondere Verhalten soll bei den
Kranken der II. Gruppe zur&ckgekommen werden.
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264 Wilhelm Schlesinger
Eiweiss, während der von uns gewählten Berechnung blos 280 g Eiweiss entsprechen
würden. Aehnliche Verhältnisse bestehen für seine übrigen Versuche. Da in unseren
Beobachtungen ausserdem Fett reichlich zugeführt wurde, so erscheint es zumindest
wahrscheinlich, dass gleichzeitig mit Eiweiss auch dieses in beträchtlicher Menge
zum Ansätze kam. Jedenfalls werden die aus unserer Berechnung gewonnenen
Resultate nur einen vorläufigen Werth besitzen, so lange sie nicht durch exakte
Stoffwechselversuche gestützt sind.
Die gefundenen Zahlen erscheinen für die Kranken dieser Gruppe in der
Tabelle II zusammengestellt.
Dass aber dieser Art der Berechnung, wenigstens soweit es sich um Vcrgleidis-
werthe handelt, nicht jeder Werth abgeht, ergiebt sich daraus, dass die einzelnen
Zahlen am gleichen Individuum im allgemeinen relativ gute Uebereinstimmung zeigen.
Finden wir beim gleichen Individuum bei wechselnder Ernährung die Zer¬
setzungsgrösse zwischen 40 und 44 (Fall 4), oder zwischen 34 und 36 (Fall 5)
schwankend, oder gar, wie bei Fall 2, bei 32 Kalorieen konstant, so ist dieses
annähernde Gleichbleiben der Zersetzungsgrösse bei wechselnder Ernährung, bei
Zunahme, Gleichbleiben oder Abnahme des Körpergewichtes auffallend genug, um
einmal die gewählte Art der Berechnung nicht völlig zu verwerfen, um andrerseits
Uebereinstimmung auch der Stoffwechsel Vorgänge am Diabetiker mit Ru bn er’s Satz
neuerdings festzustellen, dass die Zersetzungsgrösse im thierischen Organismus unter
gleichen Bedingungen der Ruhe und Arbeitsleistung stets die gleiche bleibt und von
der Nahrungszufuhr unabhängig ist.
Fast bei jeder einzelnen Beobachtung fallen einzelne Zahlen aus der Reihe, und
es soll der Versuch gemacht werden, für die fehlende Uebereinstimmung gemeinsame
Ursachen zu finden.
Sie sind in der Tabelle durch auffallende Schrift gekennzeichnet.
Vorerst zeigt sich, dass fast immer zu Beginn der Behandlung trotz ge¬
ringer disponibler Kalorieenmcnge namhaftes Ansteigen des Körpergewichtes
erfolgte, so dass sich rechnerisch eine ausserordentlich niedrige Zersetzungsgrösse
ergiebt.
Einmal war der Kalorieenwerth der Nahrung an und für sich schon in dieser
Periode kein sehr grosser und wurde durch die bestehende grosse Zuckerausscheidung
ganz ausserordentlich erniedrigt. So ergab sich bei Fall 4 eine Zersetzungsgrössc
von blos 30 gegen durchschnittlich 40—42 während der anderen Perioden, bei Fall 5
von 27 Kalorieen gegen durchschnittlich 35.
Bei Fall 6 erfolgte namhafte Zunahme bei einer Zufuhr von blos 1329 Kalorien,
so dass sich hier nur eine Zersetzungsgrösse von 10 Kalorieen pro Kilo ergiebt (gegen
42 im Durchschnitt).
Diese anscheinend geringe Zersetzung wurde kaum je vermisst, wo es sich um
herabgekommene Diabetiker mit grosser Zuckerausscheidung handelte, und befindet
sich in Uebereinstimmung mit Weintraud’s bereits erwähnter Beobachtung.
Zur Erklärung dieser auffallenden Thatsache können verschiedene Momente
herangezogen werden.
Einmal handelte es sich um sehr magere Individuen, bei denen sich das Ver-
liältniss an wirklicher Körpersubstanz gegenüber den Knochen zu Ungunsten der
ersteren verschoben hatte, um Individuen, die ausserdem wegen ihrer augenblicklichen
Körperschwäche übermässige Bewegung peinlich vermieden.
Bekanntlich genügt auch sonst bei herabgekommenen Individuen eine relativ
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Ucber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 265
geringe Nahrnngsznfuhr, um ihr Körpergewicht zu erhalten. Ebenso ist die That-
sache bekannt, dass Rekonvalescenten nach schweren Krankheiten ungemein rasch
wieder zunehmen, ohne auffallend grosse Nahrungsmengen zu konsumieren. Doch
ist zu bemerken, dass unsere Zahlen gelegentlich so niedrig sind, dass diese
Erklärung allein nicht ausreichen könnte. Ebensowenig geht es an, sie auf den
relativen .Hungerzustand dieser Kranken zu beziehen, da weder in Rubner’s Ver¬
suchen am Hungerthiere, noch bei dem Hungerkünstler Cetti eine besonders kleine
Zersetzung beobachtet wurde (bei letzterem durchschnittlich 33,4 Kalorieen). Es sei
denn, dass man mit Kolisch annehmen wollte, es finde eine allmähliche Anpassung
an den Hungerzustand auch rücksichtlich der Wärmeabgabe durch die Haut statt,
für welche Annahme aber der Beweis erst noch zu erbringen wäre.
Schliesslich kann die in diesem Stadium noch bestehende bedeutende Hyper¬
glykämie für das geringe Nahrungsbedürfniss eine Erklärung mit abgeben.
Brennbares Material ist beim Gesunden doch hauptsächlich im Anschlüsse an
die Nahrungszufuhr sofort disponibel, während beim Diabetiker die Gewebe ständig
von einem sehr zuckerreichen Blute umspült werden, ein Umstand, der ihm rück¬
sichtlich der Ernährung zu Statten kommen kann, sofern die Fähigkeit des Organismus,
Zucker zu konsumieren, noch nicht vollständig verschwunden ist, und nutzbares
Material (Fett) wenigstens cinigermaassen reichlich zugeführt wird ’). Thatsächlich
fand sich eine geringe Zersetzungsgrösse auch sonst bei hoher Zuckerausscheidung.
Fall 9, der früher eine Zersetzung von 42 Kalorieen dargeboten hatte, wurde
in der letzten Zeit, wo er Entziehung der Kohlenhydrate nicht mehr durchzuführen
wünschte, wohl aber noch reichlich Fett konsumierte, wieder beobachtet, und es zeigte
sich, dass er bei der kolossalen Zuckerausscheidung von 300 g pro die sein Körper¬
gewicht auf gleicher Höhe erhielt, obwohl er anscheinend blos 27 Kalorieen pro Kilo
täglich aus seiner Nahrung zur Verfügung behielt.
Andrerseits wurde das initiale Ansteigen des Körpergewichts in den aller¬
schwersten Fällen vermisst (Fall 47 und Fall 52 und 53 der Tabelle VI), wo die
Störung im Zuckerverbrauch eine so grosse war, dass auch bei sehr geringer Eiweiss¬
zufuhr noch grössere Zuckermengen ausgeschieden wurden.
Schliesslich sei schon jetzt darauf hingewiesen, dass während der genannten
Anfangsperiode die Eiweisszufuhr eine recht reichliche war.
Eine zweite auffallende Thatsache ist die, dass sich in allen daraufhin unter¬
suchten Fällen eine besonders niedrige scheinbare Zersetzungsgrösse für jene
Periode ergiebt, in welcher der Zucker aus dem Harn verschwand.
Wenn wir von unserer immerhin anfechtbaren Berechnung der Zersetzungsgrösse
absehen, so findet diese Thatsache auch darin ihren Ausdruck, dass während der ge¬
nannten Periode das Körpergewicht plötzlich in die Höhe schnellte, und zwar bei
einer Nahrungszufuhr, die nicht grösser war, als während der vorhergegangenen und
der nachfolgenden Periode.
Auch ist zu bedenken, dass nach dem früher herangezogenen Vergleiche mit
Weintraud’s Zahlen ein Fehler in der Berechnung der Zersetzungsgrösse wohl am
ehesten sich daraus ergeben könnte, dass der Kalorieenwerth der zugewachsenen
Körpersubstanz eigentlich höher zu veranschlagen ist, so dass die durch Subtraktion
!) Vergl. v.Noordcn’sErklärung für das Entstehen der diabetogenen Fettsucht. v.Noordcn'
Die Zuckerkrankheit. Berlin 189S. S. 50.
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266 Wilhelm Schlesinger
dieses Faktors erhaltene Zahl für die Zersetzungsgrösse sich noch weiter erniedrigen
würde.
Diese Zahlen sind aber stellenweise so ausserordentlich niedrig, dass es nicht
angeht, sie als wirklichen Ausdruck der Zersetzung anzusehen.
Man betrachte Fall 1, wo.sie in der Ruhe 16 Kalorieen beträgt, gegenüber
dem Normalwerthe in der Reihe von 31 Kalorieen.
Am auffallendsten ist das Verhalten bei Wimmer (Fall 5), wo in der Woche
der Entzuckerung das Körpergewicht um 7 kg anstieg, so dass die zugeführte
Nahrungsmenge lange nicht ausreichen würde, um den berechneten Ansatz an Körper¬
substanz zu decken, demnach die berechnete Zersetzungsgrösse sowohl rück¬
sichtlich der Kalorieen- als auch der Eiweissmenge einen negativen Werth annimmt.
Aber auch in den meisten anderen nicht in Tabelle II aufgenommenen Fällen
der Tabelle I war der Anstieg des Körpergewichts zur Zeit der Entzuckerung deut¬
lich genug ausgesprochen.
Es liegt demnach sehr nahe, in dem Verschwinden des Zuckers ein Moment
zu suchen, das eine Zunahme des Körpergewichts herbeiführt.
Am ungezwungensten erklärt sich diese auffallende Thatsache durch die An¬
nahme, dass der in den Geweben kreisende Zucker diesen ständig Wasser entzieht,
und dass nach der Rückkehr des Zuckergehaltes zur Norm die Gewebe gierig Wasser
aufnehmen, wodurch eine Zunahme an Körpersubstanz vorgetäuscht wird.
Die Gewebe der zur Sektion kommenden Diabetiker sind erfahrungsgemäss
wasserarm. Auffallend bleibt, dass die angenommene Wasseraufnahme scheinbar
plötzlich, zumeist mit dem Verschwinden der letzten Zuckerspur aus dem Harn,
erfolgt. Doch ist zu bedenken, dass der Zuckergehalt des Blutes und der Gewebe
zum Zuckergehalte des Harnes durchaus nicht in einem einfachen Verhältnisse steht
(vergl. Naunyn’s Bestimmungen) 1 ), und dass es immerhin denkbar ist, dass erst
das Verschwinden der letzten Zuckerspur aus dem Harn auch das völlige Ver¬
schwinden einer namhafteren Hyperglykämie anzeigen kann *). Auch ist es denkbar,
dass das von uns zu Beginn der Behandlung beobachtete Ansteigen des Körper¬
gewichts zum Theile auch mit einer raschen Einschränkung der früher maasslosen
Hyperglykämie und dadurch bedingtem Wassergewinnc mitzuerklären ist, ebenso wie
es möglich ist, dass auch die erwähnte rasche Zunahme von Typhusrekonvalescenten
einer Wasseraufnahme der im Typhus erfahrungsgemäss gleichfalls ausgetrockneten
Gewebe zum Theile ihren Ursprung verdankt. Dass hier sowie bei den Diabetikern
Weintraud’s dabei gleichzeitig Stickstoffretention beobachtet wurde, spricht durch¬
aus nicht gegen diese Annahme, da auch Dennig 3 ) bei seinen Versuchen mit Wasser¬
entziehung bei mageren Individuen auffallenden Eiweisszerfall beobachten konnte,
dem während der Periode neuerlicher Wasserzufuhr eine ebenso rasche Retention
von Stickstoff' entsprach.
Wenn wir uns nun dem Eiweissbedarfe unserer Diabetiker zuwenden, so
verdient vorerst die Frage Erwägung, inwieweit reichliche Eiweisszufuhr geeignet ist,
das kalorieenmässig ausgedrückte Nahrungsbedürfniss der Diabetiker herabzusetzeu.
J) Der Diabetes meiitus. Wien 1898. S. 150.
Mit dieser Annahme stimmt die Erfahrung überein, dass eine Steigerung der Toleranz
für Kohlehydrate häufig erst nach dem Verschwinden der letzten Zuckerspuren aus dem Ilame er¬
zielt wird.
3) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 2.
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Uebcr das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 267
Wohl erscheint durch die Untersuchungen Rubner’s festgestellt, dass sich die
einzelnen Nahrungsmittelgruppen beim normalen Menschen gegenseitig vertreten
können; andrerseits fand aber auch Rubner, dass ein Theil des Eiweisses durch
kein anderes Nahrungsmittel ersetzt werden kann, und es muss im speziellen Falle
des Diabetes die Grösse dieses Quantums ermittelt werden. Beim normalen Menschen
wird diese Grösse wechselnd angegeben. Voit bestimmte sie im Durchschnitt mit
1,5 g pro Kilo Körpergewicht.
Doch wurden für kürzere Untersuchungsperioden auch weit geringere Zahlen
angegeben Q.
Aus Tabelle I ergiebt sich, dass die Diabetiker dieser Gruppe ihr Körpergewicht
bei einer Zufuhr von 1,3—2,2 g Eiweiss konstant erhalten konnten.
Die höheren Zahlen gehören im allgemeinen den arbeitenden Diabetikern an,
ausserdem naturgemiiss den leichteren Fällen, weil ja nur bei solchen mit Rücksicht
auf die Zuckerausscheidung eine so hohe Eiweisszufuhr auf die Dauer gewählt wurde.
Es wurde bereits bemerkt, dass das während des Beginnes der Behandlung be¬
obachtete geringe Nahrungsbedürfniss mit hoher Eiweisszufuhr zusammenfiel und
durch sie mitbedingt werden konnte.
Aber auch sonst kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass eine
grössere Eiweisszufuhr das Erhalten des Körpergewichts im allgeneinen erleichtert 2 ).
Sofern das aus Eiweiss abgespaltcne Kohlehydrat wenigstens zum Theile noch
verwerthet werden kann, mag es die Ernährung erleichtern, da es bekanntlich leichter
gelingt, mit Kohlehydrat als mit Fett den Bestand des Organismus zu sichern 3 ).
Für die untere Grenze des Eiweissbedürfnisses scheinen sich aus unseren
Tabellen einige Anhaltspunkte zu ergeben.
So blieb bei Fall 4 während der letzten Periode eine Körpergewichtszunahme
aus, obwohl die Kalorieenzufuhr nicht wesentlich niedriger war, als während der
vorhergehenden Perioden mit bedeutender ständiger Zunahme.
Die Eiweisszufuhr dieser Periode betrug aber nur 1,2 g pro Kilo, und es liegt
die Annahme nahe, dass damit die untere Grenze jener Eiweissmenge erreicht war,
die der Organismus für seinen täglichen, nicht anderweitig ersetzbaren Bedarf an
Eiweiss benöthigte, sodass Eiweiss zum Ansätze nicht mehr übrig war.
Daraus ergiebt sich gleichzeitig, dass es schwer gelingt, Fett allein zum Ansatz
zu bringen, sofern nicht Eiweissansatz gleichzeitig ermöglicht ist *). Ueber die Schick¬
sale des auf diese Weise sozusagen überflüssig gewordenen Fettes (44 Kalorieen!)
könnten wohl nur Ausnützungs- und Respirationsversuche Auskunft geben, wobei
i) Ich selbst beobachtete einen Diabetiker, der durch lange Zeit seinen Körperbestand mit
nur 1,3 g Eiweiss pro Kilo — allerdings bei reichlicher Fettzufuhr — erhalten konnte. Archiv für
experimentelle Pathologie und Pharm. Bd. 42.
*) Deutlicher noch erhellt dieses Verhalten aus Tabelle III (fettleibige Diabetiker).
3 ) Rubner in v. Loyden’s Handbuch der Emährungsthcrapie. Leipzig 1897. Bd. 1. S. 43.
4 ) Diese Annahme steht in Uebcrcinstimmung mit den auch sonst bei Mastkuren und seitens
der Viehzüchter gemachten Erfahrungen. Damit soll natürlich nicht gesagt werden, dass bei reich¬
licher Fettzufuhr und gleichzeitig noch angebotenem Eiweissüberschusse ersteres nicht in besonders
hohem Maasse zum Ansätze gelangt. Solche Bedingungen bestehen z. B. bei Fall 6, 5. Periode,
wurden aber bei der Berechnung der Zersetzungsgrössc nicht berücksichtigt. Der dort erhaltene
hohe Zcreetzungswerth (49!) müsste entsprechend dem höheren Brennwerthe des zum Ansätze ge¬
kommenen Fettes erniedrigt werden. Andrerseits könnte, sofern dieser Werth in Uebereinstimmug
mit den vorhergehenden Perioden mit 42 angenommen wird, die Differenz einen Maassstab für den
Umfang abgeben, in welchem ein solcher Fettansatz thatsächlich stattgefunden hat.
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268 Wilhelm Schlesinger
die Möglichkeiten vermehrter Muskel- und Herzarbeit einerseits, einer verminderten
kompensierenden Fettresorption im Darm andrerseits ins Auge zu fassen wären.
Von besonderem Interesse ist die Frage, inwieweit bei ganz schweren Fällen
die Entwerthung des Eiweissmoleküles durch Zuckerbildung für die Ernähruug in
Betracht kommt.
Fall 47 kann, obwohl streng genommen zu einer anderen Gruppe gehörig
(Patient war ursprünglich fettleibig), hier herangezogen werden.
Bei diesem ganz schweren Diabetiker wurde weder zu Beginn der Behandlung
bei Zufuhr von 24 Kalorieen und 1,8 g Eiweiss, noch auch später bei Steigerung der
Kalorieenzufuhr auf 36 und ähnlicher Eiweisszufuhr eine Zunahme erzielt, wohl aber
blieb das Körpergewicht mit ganz geringen Schwankungen auch zuletzt bei
31,5 Kalorieen und 1,5 g Eiweiss konstant. Bei dieser letzten Nahrung mit einem
Gehalte von 91 g Eiweiss im Ganzen schied er während eines Zeitraumes von 23 Tagen
1258 g Zucker aus, so dass nach Abzug der geringen, in Form von Troponbrot und
kleinen Mengen von Milch zugeführten Kohlehydratmengen (im Ganzen 141 g), die
ja voraussichtlich vollständig im Harn als Zucker wieder ausgeschieden wurden,
1117 g Zucker = 46 g pro Tag übrig blieben, die aus dem zugeführten Eiweiss ent¬
standen sein mussten.
Dabei wird aus dem Gleichbleiben des Körpergewichtes geschlossen, dass nicht
noch Körpereiweiss in grösserer Menge zu Zerfall kam. Da aus 91 g Eiweiss
theoretisch etwa 41 g Zucker gebildet werden können, hat dieser Kranke thatsächlich
zumindest das gesammte zugeführte Eiweiss durch Zuckerbildung entwerthet. Wenn
gleichwohl das Körpergewicht während dieser Zeit nicht abnahm, so darf man
schliessen, dass auch dieses durch Zuckerbildung entwerthete Eiweiss geeignet war,
das Eiweissbedürfniss des Organismus zu decken, während es andrerseits — wenn
auch im Ueberschusse angeboten — nicht geeignet war, einen Ansatz an Körper¬
substanz zu bewirken 1 ).
Schliesslich ist die Bedeutung von Kohlehydratzufuhr für die Ernährung der
Diabetiker noch kurz zu berühren. Wie schon gelegentlich der Besprechung höherer
Eiweisszufuhr erwähnt, schützt nach Rubner und seinen Schülern die Zufuhr von
Kohlehydrat etwas mehr als die von Fett den Eiweissbestand des normalen
Organismus. Auch bei nicht allzuschweren Diabetikern wäre demnach ein solcher
Unterschied zu erwarten, sofern die Fähigkeit, Kohlehydrat überhaupt zu verwerthen,
nicht völlig abhanden gekommen ist. Bei dem leichteren Fall 2 (Gangler, letzte
Periode) wurde indessen eine Herabsetzung der Zersetzungsgrösse unter Milch- (300 g)
und Brotzufuhr (30 g) vermisst. Freilich ist zu bemerken, dass die zugeführten
Mengen hier wie bei den übrigen Fällen dieser Gruppe nie sehr gross waren. Auf¬
fallend war ihr Einfluss im Sinne einer Erniedrigung der Zersetzung im Fall 6 (Bös,
37 Kalorieen gegen 43 vorher). Hier bestand aber hochgradige Accidose, die durch
Kohlehydrate bekanntlich beeinflusst wird; darum findet dieser Fall an anderer Stelle
(Fälle der dritten Gruppe) Besprechung.
] ) Dass unter diesen Umständen trotz reichlicher Fettzufuhr eine Zunahme des Körper¬
gewichtes ausblicb, ist ein weiterer Beweis für den oben (Fall 4) gezogenen Schluss, dass isolierter
Fettansatz ohne gleichzeitigen Eiweissansatz kaum zu stände kommt.
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lieber das Nahrungsbediirfniss der Diabetiker.
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270
Wilhelm Schlesinger
Tabelle II. Diabetiker ohne
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Fall
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Periode
Körpergewicht
Körpergewichts-
Zucker
Zunahme
Abnahme
g
18./2.—2G./2. 99
52,5-54,0
166
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200—80
4
Mayer, F., 26 J.
27-/2.—10./3.
54,0—56,3
191
—
80—31
Landarbeiter.
11./3.-24./3.
56,3—60,3
286
—
Entzuckerung
Diabetes gravis (Acidose).
25./3.— 2./4.
60,3 -60,6
40
Spuren
3./4.-12./4.
60,6-61,1
45
—
Spuren
13./4. —19./4.
61,1
—
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Sp.—O
11./2.—17./2. 99
64,6-66,3
245
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40#—50
5
Wimmer, Peter, 45 J.,
18./2.-26./2.
66,3-67,8
187,5
80
Tagelöhner.
27-/2.— 4./3.
67,8—68,0
133
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40
Diabetes gravis (Acidose).
5./3.-10./3.
11./3.—29. 3.
68,6—75,7
75,7
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Entzuckerung
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5./10.--23. 10. 01
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Hmceck, Albert, 30 J.,
24./10.—26./10.
62,2 63,5
433
Entzuckerung
Eisengiesser.
27./10 - 2./11.
63,5—63,7
28,5
—
0
Mittelschwer.
3./11.— 1.12.
63,7-61,0
—
93
0
2./12.— 2. 2. 02
61,0—62,2
20
0
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55,5—56,5
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55—11
0
W., Paul, 36 J., Musiker.
Schwer.
19./10.— 2./12.
ll./l.—19./1.02
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56,5-57,0
58
10
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Spuren
300
13
K., Regine, 54 J., <
1./4.—30./5. 98
55,3—59,5 1
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31. 5. - 7-/6.
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Mittelschwer. 1
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59,5—60,7
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3
H., Jos., 29 J., Buchhalter.
Erat leicht (207 g Zucker),,
1. 4. 9-/6- 00
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Bös, Ferdinand, 46 J.,
3./10.—16./10.
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Geschäftsdiener,
17./10 -23. 10.
47,5 48,0
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Schwer (Acidose).
24./10.—30. 10.
48,0—48,6
86
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idem
7-/11.-13/11.
48,8-49,9
157
—
70
14./11.—20./11.
49,9-49,4
--
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70--90
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Gangler, Stefan, 28 J.,
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Sattler. ,
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20-Sp.
Mittelschwer.
16./2.-22./2.
1 56,9-58,0
164
—
Entzuckerung
23./2.— 1./3.
58,0-58,5
71
—
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Cziep, 35 J., Schneider,
Sehr schwer (Coma diab.). *
|
1./10.—19./10. 00
20./10.—28./11.
18./1.31-/1. 01
70
70
67
—
1 130
! 60
30
20./4.—21./5.
59
—
-
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Ueber das Nahrungsbcdörfniss der Diabetiker.
271
anderweitige Stoffwechselstörung.
Kalorieen-
Kalorieen zersetzt
Eiweiss-
Eiweiss zersetzt
zufuhr
g
zufahr
Menge
per Kilo
Menge
per Kilo
1993
1603
30
151,3
136,3
27
•2601
•2164
39,3
147,6
128,5
2,3
2649
1994
34,2
117
88,4
1,5
27*24
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98
1.6
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2590
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82,6
78
1,3
2620
2620
44
71,5
71,5
1,2
2327
1766
27
155
160,5
2,0
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2347
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169
150
2 °
2754
2449
36
134
120,7
1,8
2534
fehlen 175
—
105,1
fehlenl3,2
—
2 .'86
- 2586
34,2
100,5
100,5
1,3
Schwankungen von 31,6— 38,5 Kal. per
Kilo und 1,20 1,5 g Eiweiss.
1754
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Arbeit
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81
1,4
am 1600
am 27
117
2,0
Neben Eiweiss und Fett reichlich
Kohlehydrate.
1803
1643
28,6 !
103,4
09,4
1,7
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Massige Arbeit im Hause.
1*113
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80,5
89 1
1,5
Ein Hungertag eingeschoben.
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207* *
2070
43
! 116
110
2,0
218*5 1
2024
42
100
93
1,9
2571
2374
49
100
91
1,9
Reichlich Fett.
2177 1
1 1806 *
37
108
92
i 1,9
I
1044
1806
37
125
132
1 2!o i
j Kohlehydratznfiilir (weniger Fett).
194G
1784
32
i 127
120
2,1
|
11*18
1804
32
118
113
2,0
, Kein Kohlehydrat.
1882
1506
• 26
112
95
1,65
1949 j
1790
i . i
32
116,5
109
1,9
1
Kohlchydratzufuhr.
1700
^ 1700
24
127
127
i,8 ;
| Arbeit.
25**0
, 2500
36
95
95
1,3
2500
2500
36
111
111
!,6
I. Spitalsaufnahme.
1830
1 1830
31,5
91
91 !
1,3
II. Spitalsaufnahme.
(Schluss folgt.)
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27-2
Theodor Büdingen
II.
Ueber den Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat
und die Reflexerregbarkeit.
Experimentelle Untersuchungen und kritische Betrachtungen
von
Dr. Theodor Büdingen,
leitendem Arzte am Kurhause Todtmoos (Schwarzwald).
Die Frage, ob Lichtstrahlen Bewegungsreize sind, wird jeder unbedenklich
bejahen zu können glauben, der weiss, dass es sich im Lichte, sagen wir eines milden
Frühjahrstages, besser und freudiger arbeiten lässt, als im Dunkel eines Bergwerks
zur selben Jahres- und Tageszeit. Dass das Licht auf die Psyche und indirekt auf
den motorischen Apparat fördernd einwirkt, ist ja eine allgemein anerkannte Hypo¬
these, die freilich des strikten Nachweises noch harrt. Abgesehen von diesem
psychischen Einflüsse des Lichtes auf höhere Organismen haben die Botaniker be¬
kanntlich durch das Licht direkt ausgelöste Bewegungen der Blätter gewisser Pflanzen
beobachtet und die Zoologen haben durch Lichteinfall hervorgerufene Kontraktionen
einzelliger Lebewesen nachgewiesen. Diese Beobachtungen würden vom naturwissen¬
schaftlichen Standpunkte allein es rechtfertigen, Versuche darüber anznstellen, wie
sich aus Zellen zusammengesetzte kontraktile Gebilde, also Muskeln, gegen Licht¬
reize verhalten. Ich habe nun derartige Versuche im physiologischen Institut der
Universität Freiburg i. Br. angestellt. Für die Erlaubniss hierzu und für die gütige
Ueberlassung der für meine Zwecke erforderlichen Hilfsmittel Herrn Geh. Hofrath
Professor v. Kries auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank zu sagen, ist
mir eine angenehme Pflicht.
Veranlassung zu den nachfolgenden Untersuchungen gab mir ausser dem
biologischen vor allem auch das praktische Interesse, das in jedem Arzte durch die
von Kellogg und Finsen angeregte Lichttherapie wachgerufen wurde, und das Be-
dürfniss nach physiologischer Durchforschung dieses Gebietes.
Bekanntlich können Kontraktionen der Muskeln durch direkte Reize und auch
indirekt durch den motorischen Nerven treffende Reize hervorgerufen werden. Im
letzteren Falle sind Zuckungen der Muskulatur das Reagens, leider das einzige
Reagens 1 ), das wir besitzen, für im Nerven ablaufende durch den Reiz verursachte
Thätigkeitsvorgänge.
Es war daher auch zu untersuchen, ob Licht vielleicht auf dem Wege der
Nervenleitung Bewegungen veranlassen könne, wodurch wir Aufschluss über die
Anspruchsfähigkeit des peripheren und bei geeigneter Versuchsanordnung auch des
centralen Nervensystems für Lichtstrahlen erhielten. Demgemäss lautete die experi¬
mentelle Fragestellung: Ist Belichtung auf den Muskel direkt oder vermittels des
i) Biedermann, Pfliigcr’s Archiv 1900. Bd. 80.
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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexcrregbarkeit 273
motorischen Nerven auf das Nervmuskelpräparat wirksam, ferner, können reflek¬
torische Zuckungen durch Bestrahlung der Haut angeregt werden? Um den
psychischen Einfluss — durch das Auge aufs Gehirn — auszuschalten, müssen
Experimente, die sich mit dieser letzteren Frage beschäftigen, am entgrosshirnten
Thiere oder an Thieren, bei denen die Nervenverbindung zwischen Hirn und Rück¬
mark durchtrennt ist, vorgenommen werden. Bei meinen Versuchen nahm ich Durch¬
trennungen mit nachfolgender Zerstörung des Gehirns vor und bezeichne im folgen¬
den die auf solche Weise operierten Thiere als entgrosshirnte.
Bei dieser Versuchsanordnung ist also die Frage ausgeschieden, ob Lichtstrahlen
durch Vermittlung des Gehirns d. h. cerebral wirksame Bewegungsreize sind. Das
Resultat würde nur Antwort auf die Frage sein, ob Licht ein durch Vermittlung
des Rückenmarkes d. h. spinal wirksamer Bewegungsreiz ist. Selbstverständlich
erhielten wir damit auch gleichzeitig Aufschluss über eine etwaige Beeinflussung der
Reflexerregbarkeit durch Lichtstrahlen.
Die Rücksicht auf therapeutische Beobachtungen veranlassten mich anfangs nur
mit blauem oder rothem konzentriertem Lichte unter möglichster Ausschaltung der
Wärmewirkung zu arbeiten.
Wollen doch einige Irrenärzte einen beruhigenden Einfluss des blauen Lichtes
auf Maniakalische und eine anregende Wirkung des rothen auf Melancholische wahr¬
genommen haben. Mehr als diese Wahrnehmungen, die ins Gebiet der psychologischen
Probleme fallen, geben die Erfahrungen von Niels Finsen und Winternitz zur
Ergründung einer vielleicht bestehenden physiologischen Wirksamkeit verschieden¬
farbigen Lichtes auf das Nervensystem Anlass. Finsen will bekanntlich Heilungen
des Scharlachs, der Masern und der Blattern durch rothe Belichtung der betreffenden
Kranken veranlasst haben, und Winternitz konstatierte einen günstigen Einfluss
derselben Lichtart auf hartnäckige Ekzeme. Beide Forscher führen die Heilungen
auf die Ausschaltung der chemisch wirksamen Strahlen, welche die Haut reizten,
zurück. Nun kommen aber diese sogenannten erregenden Strahlen unter der Bett¬
decke, unter der sich die Patienten bei der bisherigen Behandlung befunden haben,
kaum in Betracht, d. h. nur insoweit, als sie Gesicht und Hände treffen. Ausserdem
lassen die geschlossenen Fenster eines Krankenzimmers die ultravioletten Strahlen,
welche konsequenter Weise als die Hauptübelthäter anzusehen wären, zum grossen
Theil nicht durch. Wenn also thatsächlich ein Einfluss des rothen Lichtes auf den
Ablauf dieser Krankheiten zu konstatieren ist — was übrigens von anderen Aerzten
bestritten wird, — so liegt es nahe, das Nervensystem als eventuellen Ausgangs¬
punkt dieser therapeutischen Erfolge in erster Linie zu berücksichtigen und experi¬
mentelle Belege hierüber zu sammeln. Als Heilfaktoren kämen hierbei etwaige
durch verschiedenfarbige Belichtung bedingte Erregbarkeitssteigerungen oder -herab-
setzungen im centralen oder peripheren Nervensystem in Betracht.
Ich beginne mit der Erläuterung und Schilderung der Versuche am Nerv¬
muskelpräparat.
Von vornherein war nicht zu erwarten, dass Nerv und Muskel, die ohne weitere
Kautelen dem rothen oder blauen Lichte ausgesetzt wurden, in Zuckung gerieten.
Das wäre jedenfalls längst schon konstatiert worden. Auch ruft ja diffuses Tages¬
licht, dieser Inbegriff verschiedener Lichtarten, niemals eine Zuckung des Muskel¬
präparates, geschweige denn einen Tetanus hervor. Es konnten also lediglich Kon¬
trastwirkungen in Frage kommen, plötzliche Uebergänge von der Dunkelheit zu dieser
oder jener farbiger Belichtung und zwar zu einer Belichtung in konzentrierter Form.
Zeitechr. L diftL u. phyaik. Therapie Bd. VI. Heft 5. ]9
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274 Theodor Büdingen
Auch davon versprach ich mir nichts. Ich machte die Versuche, um in der Versuchs¬
reihe keine Lücke zu lassen.
Das Versuchsthier war der Frosch, weniger deswegen, weil ich glaubte, dass
etwaige Resultate sich ohne weiteres auf den Menschen übertragen Hessen, als weil
die grundlegenden Versuche der Nerven- und Muskelphysiologie an ihm gemacht
wurden und er in dieser Beziehung jedenfalls das am besten gekannte Thier ist
Höhere Wirbelthiere sind für Lichtversuche deswegen ungeeignet, weil ihr Fell zu
viele der das Integument treffenden Strahlen absorbiert. Dies sei nebenbei bemerkt
Die Frösche wurden vor jedem Versuche ] /j— 1 Stunde in der Dunkelkammer
auf Eis gehalten. Nach ihrer Tötung wurde das Nervmuskelpräparat (musc. gastro-
cnemius mit nerv, ischiadicus) in bekannterWeise bei rothem Glühlicht 1 ) hergestellt,
das Präparat an einem Myographion befestigt, der mit dem Muskel verbundene
Schreibhebel an die berusste Ludwig’sche Trommel, die in langsame.Rotation ver¬
setzt wurde, angelehnt. Nun wurde konzentriertes blaues oder rothes Licht auf das
Präparat, das im Fokus der Lichtquelle stand, fallen gelassen. Als Lichtquelle
diente eine Bogenlampe von 18 Ampere Stromstärke, die in einem mit Ausschnitt
versehenen schwarzen Kasten stand. Im Ausschnitt befand sich eine Metallhülse, in
dieser gegen einander verschieblich zwei plankonvexe Linsen, deren jede einen Durch¬
messer von 10 cm hat. Vor dem Linsensystem war lichtdicht ein auswechselbarer
Wasserkasten angeschlossen, in dem je nach Bedarf eine wässerige Methylenblau¬
lösung oder eine 3 y 2 % rothe Fuchsinlösung — mit Eis gekühlt — war. Der Wasser¬
kasten stand in einem Blechkasten, welcher rundliche dem Lumen der Metallhülse
entsprechende Ausschnitte an der Vorder- und Hinterseite hatte. Mit dem vorderen
Ausschnitt war eine kurze Blechröhre verbunden, die durch einen Deckel mittels
elektrischer Vorrichtung geschlossen und geöffnet werden konnte, sodass das Präparat
entweder im Dunkeln stand oder belichtet wurde.
Das Ergebniss dieser Versuche war, wie schon oben angedeutet, negativ. Nie
konnte eine Zuckung beobachtet werden.
Ich legte mir nun die Frage vor, ob Licht vielleicht eine durch andere Reize
hervorgerufene Zuckung zu modifizieren im stände sei. Die Lichtwirkung könnte
ja an sich zu schwach sein, um Muskelthätigkeit hervorzurufen, dennoch aber in den
Ablauf der Thätigkeitskurve des Muskels — diese verzögernd oder verkürzend oder
auf andere Weise ändernd — eingreifen.
Ich liess also im Dunkel eine isotonische Zuckung, worunter man bekanntlich
die Zuckung eines Muskels bei gleicbbleibender Spannung versteht, auf die Gewichts¬
trommel, deren Konstruktion ich als bekannt voraussetze, aufschreiben, danach von
demselben Ausgangspunkt der berussten Fläche die isotonische Kurve des entweder
blau oder roth (konzentriertes Licht) beleuchteten Nervmuskelpräparates zeichnen.
Entweder fielen die Kurven in einander, oder es zeigten sich so geringe, zudem nicht
gleichsinnige Unterschiede, dass hieraus nicht auf eine Einwirkung der Belichtung
geschlossen werden konnte. Die Versuche wurden häufig wiederholt, die Dauer der
Belichtung verkürzt oder verlängert, nie wurden positive für Lichteinfluss sprechende
Resultate erzielt.
Ebenso verhielt es sich mit den 'isometrischen Kurven, worunter die Kurven des
thätigen Muskels bei gleichbleibender Länge zu verstehen sind, welche Kurven be¬
kanntlich über die innere Arbeit des gereizten Muskels Auskunft geben.
') Nach Herstellung des Präparates wurde die Glühlampe ausgeschaltct.
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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die ßeflexerregbarkeit. 275
Bei allen diesen Versuchen fiel der Nerv derart über den faradisch gereizten
Muskel, dass er mit diesem im Fokus der Lichtquelle war. In der Annahme, dass
vielleicht die Fascie des Muskels die Lichtwirkung verhindere, wurden verschiedene
Muskeln in der Längsrichtung angeschnitten und die Schnittfläche unter den ge¬
schilderten Versuchsbedingungen belichtet. Abgesehen davon, dass Ermüdungs¬
erscheinungen früher auftraten, konnte keine spezifische Aenderung der Kurven
konstatiert werden.
Aus diesen Experimenten darf geschlossen werden, dass blaues und rothes
konzentriertes Licht, welches keine ultravioletten Strahlen enthält, keinen direkten
Einfluss auf das Nervmuskelpräparat ausübt.
De Parville will nachgewiesen haben, dass das rothe Ende des Spektrums
die Nerven erregt, während das entgegengesetzte Ende mit den Farben grün, blau
und violett"sie beruhigt. Dafür konnte ich aus den bisherigen Versuchen keinen
Anhaltspunkt gewinnen.
Mit um so grösserem Interesse sah ich daher dem Ausfälle der Versuche, welche
sich mit der Frage der Beeinflussung der Reflexerregbarkeit entgrosshirnter Thiere
durch Licht beschäftigen sollten, entgegen. Ich will in Kürze die Momente zusammen¬
stellen, die dafür sprechen, dass Lichteindrücke mit motorischen Folgen für den
Organismus nicht nur durch das Auge vermittelt werden. In erster Linie sind die
Erfahrungen an augenlosen Thieren hervorzuheben, bei denen W. Nagel 1 ) eine
ausserordentlich grosse Lichtempfindlichkeit konstatierte. Scheuen doch die meisten
Würmer das Licht und leben in der Dunkelheit! Die Auster schliesst bei Ver¬
dunkelung plötzlich die Schale etc. Engelmann*) wies bei Fröschen nach, dass
Belichtung der Haut auf reflektorischem Wege Verkürzung der Zapfeninnenglieder
in der Netzhaut der vor Lichteinfall ausreichend geschützten Augen bedinge.
Nach Justus Gaule 3 ) schwinden während der Winterszeit die bei Fröschen
neben den Sexualorganen liegenden Fettkörper am Tage und bilden sich wieder
während der Nacht. Da dies Phänomen auch bei blindgemachten Fröschen sich
zeigt, so muss der Einfluss des Lichtes auf die Fettkörper auch durch die Haut
vermittelt werden können.
Ob die Reflexerregbarkeit durch verschiedenfarbiges Licht gesteigert oder herab¬
gesetzt werden kann, prüfte ich in folgender Weise: Die zuvor entgrosshirnten Frösche
wurden 5—10 Stunden lang in der Dunkelkammer auf Eis gelegt, wodurch die Reflex¬
erregbarkeit bekanntlich günstig beeinflusst wird, dann mit dem Oberkiefer mittels einer
Klemme an einem Stativ befestigt und dem Lichte (rothem oder blauem konzen¬
triertem Lichte) ausgesetzt. Weder bei raschem Wechsel von Dunkel und Licht,
von blauer und rother Belichtung, noch bei länger andauernder Bestrahlung wurde
je eine Zuckung, die hierauf sich zurückführen liess, beobachtet. Absterbende oder
zu bald nach der Operation verwendete Frösche zucken bisweilen und geben dadurch
zu falschen Deutungen Anlass, vor denen man sich bei allen derartigen Versuchen
hüten muss.
Analog, wie bei dem Muskelpräparat, dessen durch andere Reize veranlassten
Thätigkeitserscheinungen bei verschiedenfarbigem Lichte untersucht wurden, prüfte
ich bei dem Reflexfrosche, ob eine Einwirkung des Lichtes auf den zeitlichen Ab-
Biologisches Ccntralblattt 1894. Bd. 14. S. 385.
*) Pflfigcr’s Archiv 1885. Bd. 35. S. 498.
3) Centralblatt für Physiologie 1900. Bd. 14. S. 25.
19*
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276 Theodor BQdingen
lauf der durch chemische Reize verursachten Reflexe sich konstatieren liesse. Zu
diesem Zwecke wurden zehn verschieden starke Lösungen von Normalschwefelsäure
hergestellt, deren stärkste jedoch keine nachweisbare Aetzwirkung ausübte. Die
Pfote des aufgehängten entgrosshirnten Frosches wurde nun bis zu einer durch einen
Eisenring markierten Höhe alle zwei Minuten (durch Metronom bestimmt) für je
zwei Sekunden in die Lösungen — von den stärkeren zu den schwächeren fort¬
schreitend — getaucht, bis bei gleichbleibender Belichtung diejenige Lösung gefunden
wurde, auf welche innerhalb 20 Sekunden keine Reaktion (Zuckung) erfolgte. Diese
Lösung wurde alsdann mehrere Male in gleicher Weise gebraucht und nach gleichem
negativen Resultate das Licht gewechselt. Darauf wurde versucht, mit der bisher
wirkungslosen Lösung eine Reaktion herbeizuführen; glückte dies nicht, so wurden
stärkere Lösungen angewendet. Die Versuche wurden beim rothen Glühlicbt, wie
bei blauem und rothem konzentrierten Bogenlicht gemacht.
Auf diese Weise erhielt ich mehrere Tabellen, aus denen hervorzugehen schien,
dass bei rother Belichtung, da hierbei immer stärkere Lösungen zur Erzielung von
Reflexen nothwendig waren, die Reflexerregbarkeit eine Herabsetzung erlitten habe,
und dass bei blauer Belichtung in Rücksicht auf die Rcizerfolge durch schwächere
Lösungen die Reflexerregbarkeit erhöht worden sei. Doch bekam ich bald dem
widersprechende Tabellen.
Ich nahm dann verschiedene Modifikationen an der Versuchsanordnung vor.
10 Minuten wurden für die Einwirkung der jeweiligen Lichtart auf den Reflex¬
frosch festgesetzt, bevor mit den Reizversuchen begonnen wurde; dann wurde je
sechs- bis achtmal in Abständen von zwei Minuten nach jeder Zuckung mit den
Schwefelsäurelösungen gereizt, die Lösung bis zum Reizerfolg, jedoch nicht länger
als zwei Minuten, gebraucht, worauf die Pfote, wie auch früher, abgespült, nachher
aber mit Fliesspapier getrocknet wurde.
Auf diese Weise konnte ich keinen Einfluss der beiden Lichtarten in obigem
Sinne feststellen. Bei den früheren Versuchen war möglicher Weise die Beobachtungs¬
zeit von 20 Sekunden nach der Reizung zu kurz; auch musste eine Verdünnung
häufiger gebrauchter Lösungen dadurch, dass nach der Abspülung die Pfote nicht
abgetrocknet worden war, eintreten, wodurch es zu Fehlerquellen gekommen sein
mochte.
Von Misstrauen gegen die Methode selbst erfüllt, der vor allen Dingen der
Einwurf zu machen ist, dass trotz der Abspülung die Empfindlichkeit der Haut
durch häufigere Anwendung der Schwefelsäurelösungen abgestumpft werden könne,
probierte ich es mit einem anderen Verfahren: Ich vergiftete bei rothem Glühlicht
in der Dunkelkammer zuvor entgrosshirnte, auf Eis gelagerte Frösche durch Injektion
von 4 /ioo Milligramm Strychnin in den Lymphsack unter der Rückenhaut und wartete
den Beginn des Vergiftungsstadiums ab, wo spontane Bewegungen nahezu oder über¬
haupt ausgeschlossen waren, der Frosch aber auf geringe Erschütterung, leise Be¬
rührung, ja schon durch einen Lufthauch in Streckzuckung bezw. Tetanus gerieth.
Der Frosch sass in einer doppelwandigen Blechröhre, die einen seinem Rücken ent¬
sprechenden, dem Lichteinfall zugekehrten Ausschnitt hatte, auf einer an der unteren
Deffnung der Röhre befestigten Stange dergestalt, dass die Beine zu beiden Seiten
derselben herunterhingen. Der Raum zwischen beiden Wänden der Röhre war mit
Eis gefüllt, damit nicht durch die während der Versuche eintretende Erwärmung der
Frösche, die zuvor schon auf Eis gelegen hatten, eine Herabsetzung der Reflexerreg¬
barkeit eintreten könne.
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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexcrrcgbarkeit. 277
Bei der Verwerthung der Versuchsresultate ist auch hier grösste Vorsicht und
längere Beobachtung nothwendig, damit man nicht durch spontane Bewegungen des
Thieres getäuscht wird, und diese als Effekte der Bestrahlung ansieht. Dies ist mir
anfänglich wiederholt passiert. Zahlreiche Beobachtungen aber lehrten mich, dass
selbst bei diesen hoch erregbar gemachten Thieren konzentriertes blaues oder rothes
Bogenlicht zu keinem Reflexe Veranlassung giebt.
Bei zwei Fröschen kombinierte ich diese Methode der Erregbarkeitssteigerung
mit der oben erwähnten chemischen Reizmethode und fahndete nach Aenderungen
in der Zeit des Eintrittes der Reflexe bei verschiedenfarbigem Lichte. Trotzdem
diese Frösche auch - «/ioo Milligramm Strychnin erhalten hatten und bereits eine Stunde
seit der Einspritzung vergangen war, waren sie noch nicht im Stadium der Streck¬
krämpfe, sondern zogen auf die chemischen Hautreize hin die Beine prompt an den
Leib!). Auch bei diesen Experimenten erhielt ich insofern negative Resultate, als
die Reflexzuckungen bei beiden Lichtarten in denselben zeitlichen Abständen — vom
Beginn des Eintauchens der Pfote in die Schwefelsäurelösung gerechnet — eintraten.
Nach dem Ausfälle dieser und der oben geschilderten Versuche an ca. 60 Fröschen
darf ich mir wohl den Schluss erlauben, dass eine Einwirkung des
konzentrierten blauen und rothen Bogenlichtes auf Nerv und Muskel,
sowie auf die Reflexerregbarkeit nicht zu erkennen ist.
Meine letzten Versuche beschäftigten sich mit dem etwaigen Einflüsse des
Sonnenlichtes auf die Reflexerregbarkeit. Eine vollkommene Trennung der Licht-
von den Wärmeslrahlen ist der Natur der Sache nach leider nicht durchführbar.
Schalten wir zwecks Eliminierung der Wärmestrahlcn zwischen Lichtquelle und
Untersuchungsobjekt eine Wasserschicht, so verändern wir die Qualität des Lichtes.
Ein Theil der ultravioletten Strahlen wird unfehlbar absorbiert. Setzen wir in
gleicher Absicht die zu bestrahlende Haut des Versuchsthieres einer kontinuierlichen
Benetzung aus, so greifen wir mechanisch und eventuell auch thermisch in den be¬
stehenden Erregungszustand ein, was besonders bei vorausgegangenen Strychnin¬
vergiftungen zu beachten ist. In Rücksicht hierauf verzichtete ich auf die sonst
üblichen Versuchsanordnungen und Hess Sonnenlicht mittels eines Momentverschlusses,
dessen Oeffnung von V 20 —1 Sekunde variiert werden konnte, auf den Rücken des
entgrosshirnten mit Strychnin vergifteten Frosches fallen, der in der oben beschriebenen
Kühlröhre in der Dunkelkammer sass. Eine rothe Glühlichtlampe stand in einiger
Entfernung, sodass etwaige Reflexe der Beobachtung nicht entgehen konnten. Jeder
zur Untersuchung kommende Frosch lag mehrere Stunden vor dem Versuch auf dem
Eis. Der Versuch begann mit dem Eintritt der Streckzuckungen auf taktile Reize hin.
Auch diese Versuche ergaben kein Resultat, das für eine Lichtwirkung sprechen
konnte. Bei der kurzen Dauer der Belichtung dürfte die damit verbundene äusserst
geringe Erwärmung nicht als Hemmung des Lichtreizes in Betracht kommen. Auch
rasch aufeinander folgende Belichtungen, bei denen immerhin eher daran gedacht
werden konnte, führten trotz der hochgradigen Erregbarkeit der Thiere zu keinem
anderen Resultat.
Uebcrblicken wir die Gesammtheit der Versuche, so lassen sich daraus folgende
Schlüsse ziehen: 1. Eine direkte Erregung der Nerven und Muskeln durch
1 ) Das Ausbleiben der für Strychninvergiftung charakterischen Erscheinungen dürfte vielleicht
in diesen Fällen auf die Eiskühlung in der Blechrohre zurückzuführen sein. Bei den anderen Ver¬
suchen zeigte es sich nicht. .
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278 Theodor Büdingen
konzentriertes rothes oder blaues Licht lässt sich ebensowenig fest¬
stellen, wie eine Thätigkeitsänderung des durch andere Reize in Thätig-
keit versetzten, der betreffenden Lichtart dabei exponierten Muskels.
2. Die Reflexerregbarkeit des Rückenmarks wird durch die Haut
treffende Lichtstrahlen nicht beeinflusst.
Auf die Thätigkeitsprüfung des Nervmuskelpräparates bei Sonnenlicht habe ich
in Rücksicht auf die dabei nicht zu vermeidende Erwärmung verzichtet.
Daraus, dass die Reflexerregbarkeit des entgrosshirnten Frosches durch Belich¬
tung keine offenkundige in Zuckungen oder in deren Ablauf sich äussernde Ver¬
änderung erfährt, können wir entweder schliessen, dass das Licht keine Reize enthält,
welche auf centripetalen Nervenbahnen des entgrosshirnten Frosches fortgeleitet
werden, oder dass das Licht derartige Reize, jedoch von einer auf das Rückenmark
unwirksamen Stärke, besitzt, dass mithin der zur Erregung centrifugaler Nervenfasern
erforderliche Schwellenwerth der Reize nicht erreicht wird. Aus folgendem Grunde
neige ich der letzteren Ansicht zu.
Bekanntlich hat Engelmann, auf dessen Versuchsanordnung ich hier nicht
eingehe, nachgewiesen, dass Frösche lediglich auf Belichtung der Rückenhaut — der
Lichteinfall in die Augen war durch die Versuchsanordnung unmöglich gemacht
worden — mit einer Kontraktion der Zapfeninnenglieder der Netzhaut reagieren.
Damit ist nicht nur der Nachweis gebracht, dass der Sehnerv gleichzeitig ein
centrifugal leitender Nerv ist, sondern auch, dass der Lichtreiz auf centripetalen
Bahnen — nicht nur des nervus opticus — zum Gehirn gelangt und von dort aus
motorische Erscheinungen veranlassen kann. Diese centripetalen Bahnen führen
entweder durch das Rückenmark oder auf anderem Wege zum Gehirn. Im ersteren
Falle würden wir aus Engelmann’s und meinen Versuchen weiterhin erfahren, dass
es durch Licht bedingte Hautreize giebt, die auf das Gehirn einen motorische Er¬
scheinungen auslösenden Einfluss haben, während sie das Rückenmark zu keiner
Thätigkeitsäusserung veranlassen können. Das Rückenmark wäre also für durch
Licht verursachte Hautreize Durchgangsstation, das Gehirn Empfangs- und Umschalt¬
apparat
Diese Hypothese, die nur bedingt ausgesprochen sein soll, gilt allenfalls für
den Frosch. Analogieschlüsse auf den Menschen sind unzulässig. Denn es lässt
sich in der Thierreihe eine fortschreitende Differenzierung in der Empfänglichkeit
der nervösen Organe für Lichtreize nicht verkennen.
Während niedrig stehende Organismen, wie z. B. Pelomyxa palustris durch
Belichtung zu Gestaltsveränderung und Fortbewegung veranlasst werden, sehen wir
schon beim Frosche die Anspruchsfähigkeit der nervösen Apparate für Lichtreize,
welche die Haut treffen, auf wenige zum und vom Gehirne gehende Nervenbahnen
beschränkt Auf den Menschen lässt sich bis jetzt nur ein durch den Sehnerven
vermittelter psychischer Einfluss des Lichtes nach weisen, der mit Wahrscheinlichkeit,
aber nicht mit Nothwendigkeit auf die motorische Sphäre übergreift. Eine gesetz-
mässige Reaktion der nervösen Centralorgane beim Menschen auf Belichtung der
Haut ist bis jetzt in keiner Weise festgestellt. Die Annahme eines spezifischen Licht¬
einflusses auf die Nervenendigungen in der menschlichen Haut, wie sie u. a. auch
von Professor Rieder 1 ) in seiner anregend geschriebenen zusammenfassenden Ueber-
v l So sagt Rieder (S. 499 des Goldscheider-Jacob'sehen Handbuches der physikalischen
Therapie Theill. Bd. 1): »Bei den Sonnenbädern ist aber ausser der schwoisscrzeugonden noch eine
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Einfluss des Lichtes auf den motorischen Apparat und die Reflexerregbarkeit. 279
sicht über Lichtbehandlung getheilt wird, ist bis jetzt durch kein einwandfreies
Experiment gestützt. Analogieschlüsse aber sind, wie ich nochmals betonen möchte,
angesichts der klar und deutlich erkennbaren fortschreitenden Differenzierung in der
Lichtempfindlichkeit der Thierreihe — entwicklungsgeschichtlich betrachtet — unhalt¬
bar. Gleichfalls nicht nachgewiesen ist ein Einfluss des Lichtes auf den respira¬
torischen Stoffwechsel des Menschen. Feststehende Thatsache ist die Lichteinwirkung
auf das menschliche Auge, auf die Stimmung des Menschen, auf die menschliche
Haut — Pigmentierung und eventuell Dermatitis hervorrufend — und auf einige
für den Menschen pathogene Mikroorganismen. Nachgewiesen ist ferner durch die
interessanten Versuche Quincke’s 1 ) eine Steigerung der Sauerstoffzehrung in den
Zellen des Eiters, des leukämischen Blutes und zerkleinerter menschlicher Organe.
Ob aber diese durch Licht bedingte Erhöhung der Oxydation auch unter der be¬
lichteten Haut bei strömendem Blut im lebenden menschlichen Körper erfolgt, dafür
sind bis jetzt keine Beweise erbracht.
Wenn daher von einem durch Sonnenlichtbäder und elektrische Lichtbäder
verursachten spezifischen Lichteinflüsse auf den Stoffwechsel 2 ) und das Nervensystem
gesprochen wird, so ist dies nach dem heutigen Stande unseres Wissens eine un-
erwiesene Behauptung. Als Anstaltsarzt habe ich bei häufiger Anwendung elektrischer
Lichtbäder niemals einen Heilerfolg gesehen, der nicht auch durch andere Schwitz¬
bäder zu erzielen gewesen wäre — von den Suggestivwirkungen natürlich abgesehen.
In Uebereinstimmung mit anderen Beobachtern sah ich nur einen gelegentlich
früher d. h. bei niederer Temperatur eingetretenen Schweissausbruch im Bogenlichtbade.
Mit diesen Ausführungen soll selbstverständlich der Werth der Lichtbäder in
technischer,, ökonomischer und suggestiver Beziehung nicht herabgesetzt werden, noch
weniger soll damit die freudig zu begrüssende mächtige Heilwirkung des Lichtes
auf Hautkrankheiten verkannt oder geleugnet werden. Meine Kritik wendet sich
lediglich gegen einen Enthusiasmus, der sich nicht mehr auf dem Boden gesicherter
Thatsachen bewegt.
spezifische Wirkung der Lichtstrahlen anzunehmen, es erfolgt Anregung des Nervensystems und des
Stoffwechsels«. Vielleicht hat Rieder die im Sonnenbade erfolgende Erwärmung der Körperobcr-
fläcbe als causa movens im Auge? Dass thermische Einflüsse aber das Nervensystem und den
Stoffwechsel anregen, ist nichts neues, nichts »spezifisches«.
i) Pflüger’s Archiv Bd. 57.
*) Nach den Untersuchungen von Salomon aus dem städt. Krankenhause zu Frankfurt a. M.
(Prof. v. Noorden) haben Glühlichtbäder keinen anderen Einfluss auf den Stoffwechsel wie die
sonst üblichen Schwitzbäder. S. Zeitschr. f. diät. u. physik. Therapie 1901. S. 205. Weitere Unter¬
suchungen im Bogenlichtbade, das ja weit mehr chemisch wirksame Strahlen wie das Glühlicht¬
bad enthält, sind im Interesse einer endgültigen Entscheidung der Frage sehr wünschenswerte
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•280
E. Morv
III.
Die Fangokur und deren Indikationen.
Von
Dr. E. Mory,
Kurarzt in Adelboden (Schweiz).
Von den mehr oder weniger bekannten Formen der physikalischen Therapie
ist in der vorliegenden Zeitschrift bis dato über die Fangokur nur in referierender
Weise die Rede gewesen. Meine dreijährigen Erfahrungen als Leiter der Fango¬
anstalten in Thun und Zürich berechtigen mich, an der Hand eines grossen Kranken¬
materiales ein bestimmtes Urtheil über diese neue und doch so alte physikalische
Heilmethode abzugeben.
Abgesehen vom therapeutischen Erfolg einer Methode kommt wohl in zweiter
Linie deren bequeme und leicht ausführbare Anwendungsweise und absolute Gefahr¬
losigkeit in Betracht, denn mit einem zweischneidigen Schwerte dürfen wir nicht
vorgehen: Nihil nocere steht als Grundsatz für den gewissenhaften Arzt noch immer
oben an. Das Experiment gehört nicht in das Krankenzimmer, sondern in das
physiologische Institut.
Um für die Fangotherapie alle diese Punkte zu besprechen, beginnen wir mit
der Provenienz des Heilmittels und der Entstehung der Methode.
Hierüber referierte zuerst W. F. C. Müller (München) in einem Vortrag vor
dem allgemeinen deutschen Bäderverbande in Salzungen 1890. Den Gebrauch des
Fango di Battaglia zu Heilzwecken erwähnen schon Plinius, Galen, Joh. de Dondis,
Savonarola u a. In Battaglia (Provinz Padua) bestehen natürliche Fangoquellen
in Form kleiner Seen, welche auf ihrem Grunde den aus dem Erdinnern mit Thermal¬
wasser vermischten Schlamm ablagern lassen. Die römischen Kaiser hatten sich hier
schon prächtige Marmorbäder gebaut, welche während der Völkerwanderung zerstört
und von Theodorich dem Grossen wieder hergestellt wurden. Der Kurort Battaglia
hat sich nicht nur bis zum heutigen Tage als solcher seinen Ruf bewahrt, sondern
sendet sein Produkt, den Fango di Battaglia, als das heilsame Agens seiner Thermen
in alle Welt hinaus.
Nachdem Oeffinger und Obkicher im Grossherzoglichen Landesbad und
Friedrichsbad in Baden-Baden klinische Versuche mit dem importierten Fango di
Battaglia gemacht hatten, die die besten Resultate ergaben und Fangoheilanstalten
in Wien, Berlin, Zürich etc. etc. entstanden, welche in wissenschaftlicher Weise die
Fangotherapie weiter ausbildeten, ist die Ausdehnung derselben unaufhaltsam fort¬
geschritten und wird der Fango di Battaglia bis nach den Vereinigten Staaten
expediert.
Sehen wir uns nun die Anwendungweise näher an.
So einfach die Fangoapplikation an und für sich auch ist, so bedarf es
doch einer zu erlernenden Fertigkeit seitens der Applizierenden, die nicht aus einer
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Die Fangokur und deren Indikationen.
gedruckt vorliegenden Gebrauchsanweisung, leicht aber durch Anschauungsunterricht
zu erlangen ist
Dasselbe lässt sich von der Massage sagen, und jeder, der Laienmasseure an
der Arbeit sah, wird die Behauptung, die Hoffa in der Einleitung seiner »Technik
der Massage« (Stuttgart 1900) aufstellt, gut heissen:
»Ich behaupte, dass jeder Laienmasseur, der selbstständig die Massage ausübt,
ein Pfuscher ist und bleibt, und strebe demgemäss das völlige Verbot der Laien-
massage an.«
Es liegt mir nun ferne, aus diesen Auseinandersetzungen ableiten zu wollen,
dass bei der Fangotherapie conditio sine qua non sei, dass der Arzt jede Packung
mache, und dass eine Fangobehandlung nur in einer Fangoheilanstalt möglich sei;
jedoch ist als Postulat aufzustellen, dass die erste Applikation in Anwesenheit des
behandelnden Arztes ausgeübt werde, dass der Applizierende ein gewissenhafter Wärter
sei, der nicht im Wickel die Hauptsache der ganzen Prozedur sieht, sondern der
sich genau an die ihm ordinierte Temperatur des Fango hält und der natürlich eine
Packung lege artis zu machen versteht.
Die Patienten sollen öfters vom Arzt während und insbesondere nach der
Applikation besucht und befragt werden, da ja bei keinem die Reaktion nach vor¬
auszusehender Schablone eintritt. Dies gilt bei der Fangotherapie gerade so wie bei
der Hydrotherapie und anderen physikalischen Methoden, und gerade darin sehe ich
einen grossen Vortheil dieser Methoden für die Patienten.
Ueber die Applikationsweise kann ich kurz hinweggehen. Nehmen wir als
Beispiel eine Ischias. Wir legen den vollständig ausgezogenen Patienten auf das
zum Fangobett hergerichtete Lager, bestehend aus einer Matratze, zwei Wolldecken,
ein Wachstuch, ein Leintuch. Die betreffende Extremität von der Hüfte bis zur
Zehe wird nun mit dem auf die gewünschte Temperatur erwärmten Fango eingehüllt,
und die vier Schichten (Leintuch, Wachstuch, erste Wolldecke, zweite Wolldecke)
werden eng darüber zum Wickel, wie er in der Hydrotherapie gebräuchlich ist, ge¬
schlossen. Je nach Jahreszeit oder Individualität können noch weitere Wolldecken
die Packung vervollständigen.
Hat man es auf eine allgemeine Schwitzwirkung abgesehen, so macht man einen
ganzen Wickel, kommen nur schmerzstillende Absichten (Gicht an der Zehe, Distor¬
sionen, schmerzstillende Callusbildupg an den Extremitäten etc.) in Frage, so können
Theilwickel genügen.
Nach Stunde, je nachdem, wird der Patient »ausgepackt«, oder photo¬
graphisch gesprochen »ent—wickelt«, und zu Reinigungs- und Abkühlungszwecken
in ein Vollbad oder eine Douche gesteckt.
Ob und wie nachher Massage noch angewendet werden soll, darüber später bei
Besprechung der einzelnen Indikationen.
Die Häufigkeit der Anwendung und die Dauer der einzelnen Applikation hängt
ganz vom speziellen Fall ab; es muss von Fall zu Fall individualisiert werden.
Dasselbe, gilt für die Temperaturgrade, auf welche der Fango zu Applikationszwecken
gebracht wird. Als niedrigste Temperatur giebt v. Aufnaiter (Wien) 46°C an,
als höchste 58° C; es entspricht dies den von mir gemachten Erfahrungen, wiewohl
ich diese Grenze nach unten auf 48 0 C, nach oben auf 56 0 C gezogen wissen möchte.
Je nach dem Verlauf des Falles, frühzeitig oder spät, oder garnicht eintretenden
Reaktionsschmerzen ist auch hier'die Temperatur zu regeln.
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282 E. Mory
Man hat es vollständig in der Hand, die Fangopackung allgemein oder lokal
wirken zu lassen, indem man dieselbe als ganze oder als Theilpackung ordiniert Auch
da wo eine ganze Packung der Natur des Leidens wegen (Polyarthritis) indiziert ist,
kann man dieselbe in ihrer Wirkung auf den Gesammtorganismus steigern oder ab¬
schwächen, indem man dieselbe sehr fest und ergiebig oder lose und leicht macht
wodurch man in letzterem Falle die schweisstreibende Wirkung eliminiert falls sie
kontraindiziert oder nicht gewünscht wird.
Kontraindikation für die Fangotherapie, um das hier gleich abzumachen,
kenne ich keine. Nie bin ich in den Fall gekommen, eine Packung unterbrechen
zu müssen oder die Gcsammtkur wegen durch die Therapie selbst bedingte Ver¬
schlimmerung des Subjektivbefindens aufgeben zu müssen. Ich habe Patienten mit
schweren unkompensierten Klappenfehlern, alte dekrepide Rheumatiker mit stark
vorgeschrittener Arteriosklerose eben so gut und ohne Störung mit Fangoapplikationen
behandeln können wie Schwangere und Phthisiker.
Ich setze dabei allerdings eine genaue Beobachtung des Patienten während der
Kur durch den Arzt selbst voraus.
Bei der Fangotherapie benöthige ich nichts, als den leicht erhältlichen Fango,
ein Bett, ein Wachstuch und — den Patienten.
In Bezug auf physiologische Wirkung der Fangopackung kann ich mich
kurz fassen; ich halte sie für eine thermisch-mechanische.
Im vulkanischen Fango di Battaglia haben wir eine Masse, die das Ideal eines
Kataplasma darstellt; seine feine Homogenität, seine butterweiche Konsistenz, seine
Eigenschaft als schlechter Wärmeleiter und seine für die menschliche Haut vorzüglich
passende Adhäsion (die der Fango in ähnlicher Weise wie der Modelliergyps besitzt)
verleihen ihm diese Vorzüge.
Der auf 50« C oder darüber erhitzte Fango behält im Fangowickel die ihm
gegebene Temperatur stundenlang und wirkt so kataplasmatisch in die Tiefe der
Gewebe auf lange Zeit. Experimentell wurde die Tiefenwirkung von äusserlich appli¬
zierter Wärme durch Heinz (Erlangen) nachgewiesen (19. Kongress für innere Medicin),
und zwar wurden diese Experimente vermittels thermo-elektrischer Nadeln an Thieren
angestellt und ergaben, dass sich eine Tiefenwirkung äusserlich applizierter Wärme
in der Pleura von Hunden und Kaninchen nachweisen lässt. Salaghi (Bologna)
erklärt diese Tiefenwirkung »durch eine Erweiterung der kutanen und subkutanen
Blutgefässe und gleichzeitige Erschlaffung der Haut,* die sich in analoger Weise wie
sie sich bei Kälteanwendung zusammenzieht, bei der Hitze ausdehnt und in erheb¬
lichem Maasse nachgeben kann, wegen des welligen gekräuselten Verlaufes der Binde¬
gewebsfasern, sowie der Hyperextendibilität der glatten Muskeln und der elastischen
Fasern«. Durch die Tiefenwirkung erklären wir uns die Verflüssigung eingedickter
Exsudate, dass allmähliche Weichwerden rheumatischer Schwielen und schliessliche
Resorption derselben, die Fortschaffung gichtischer Ablagerung u. s. w. Durch lokale
Wärmeapplikation wird, wie bekannt, aber nicht nur auf das Gefässsystem gewirkt,
sondern auch auf die Nervenbahnen und zwar erzeugt man dadurch, wie Winter¬
nitz dargethan, Reflexvorgänge in den Nervenbahnen, die zu Schmerzlinderung und
Schmerzaufhebung führen.
Da der Fango ein dichteres Medium ist, sich dem Hautbezirk intensiver und
fester anschmiegt als Wasser und zudem die Temperaturen viel höher genommen
werden können als bei Bädern, so muss dieser Reflexreiz ein intensiverer und wirk-
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Die Fangokur und deren Indikationen. 283
samerer sein. Die Fangoapplikation wirkt also wärmespendend auf dem Reilexwege
und, wie oben gesehen, durch Kontiguität.
In zweiter Linie ist die mechanische Wirkung des Fango von Werth; die
breiige homogene Masse wirkt auch durch ihre Schwere wie eine Massierkugel.
Nehmen wir z. B. die Behandlung eines Beckenexsudates an, so legen wir 5—6 kg
warmen Fango auf die Bauchdecken und wickeln fest; durch die respiratorischen
Exkursionen des Diaphragma entsteht nun zwischen Fangobelag und Abdominaldecken
eine beständige Selbstmassage, die nicht intensiv, aber darum nicht minder wirksam ist.
Bei akutem Gelenkrheumatismus ist es die Regel, dass die blosse Berührung
eines akut geschwollenen Gelenkes nicht einmal die Belastung mit dem Leintuch
verträgt und Bettbogen zum Schutz der Gelenke verwendet werden müssen. Ich
habe die Erfahrung gemacht, dass derartig empfindliche Gelenke sich in eine Fango¬
umhüllung schmerzlos einpacken lassen und sich darin wie suspendiert fühlen; der
Wickel darüber kann ganz fest gemacht werden. Der Fango vertritt hier die Stelle
von Watte und wirkt zudem sofort schmerzstillend. Ebenso verhält es sich bei dem
akuten Gichtanfall.
Auf eine Besprechung der chemischen Wirkung des Fango und Resorption seiner
Metallsalze verzichte ich aus dem einfachen Grunde, weil ich nicht daran glaube.
Ebenso ergeht es mir mit den negativ elektrischen Strömen, die sich während der
Applikation zwischen menschlicher Haut und Fango entwickeln und heilend wirken
sollen. Es genügt mir vollkommen, durch mehrjährige Erfahrung brillante Resultate
durch die Fangobehandlung bei Krankheiten erzielt zu haben, auf die ich im Folgenden
noch zu sprechen komme. Man wird es mir heutzutage nicht mehr als Ober¬
flächlichkeit auslegen, wenn ich mir zur Richtschnur gemacht, alle Dinge in der
Medicin nach ihrer Wirkung zu beurtheilen und nicht nach dem Wieso? und Wodurch?
Die wissenschaftlichen Hypothesen sind ja schön und recht, wenn sie nur längere
Lebensdauer hätten.
Die Indikation der Fango therapie ziehe ich nicht so weit, wie es heutzutage
für jede neue oder alte physikalische Heilmethode nachgerade Sitte geworden ist zu
thun; sie ist begrenzt, feiert aber gerade da bisweilen ihre Triumphe, wo Chemie,
Elektrizität, Mechanotherapie und Hydrotherapie umsonst ins Treffen geführt wurden.
Die Fangokur hat sich bei den rheumatischen Affektionen der Gelenke
als eine angenehme und rasch wirkende Methode glänzend bewährt.
Anfangs hielt ich die Anwendung von warmem Fango (50—55°C) bei akuter
Polyarthritis rheumatica für kontraindiziert, weil Gründe, die von anderer
Seite dagegen vorgebracht wurden, mir einleuchteten, wiewohl es nur theoretische
Raisonnements waren. Als ich trotzdem den Versuch machte, fiel derselbe vollständig
befriedigend aus.
Solange Fieber vorhanden, habe ich nie Ganzpackungen gemacht, sondern nur
einzelne Gelenke abwechselnd gewickelt und kam dennoch schneller zum Ziel als
mit Salicyl etc. Ich hatte dazu nicht die unangenehmen Nebenwirkungen dieser
Medikamente. Der Schmerznachlass tritt immer schon im Beginn der Packung ein.
Zu beachten ist dabei nur, dass das betreffende Gelenk nicht in einer gezwungenen
unbequemen Lage fixiert wird. Wie ich oben erwähnt, wirkt die Schwere des auf¬
gelagerten Fango nicht etwa schmerzend, da natürlich die untere Fläche des Gelenkes
ebenfalls auf einem Fangopolster ruht. Ich habe immer beobachtet, dass solche
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284 E. Mory
Patienten eine Verlängerung der Applikation wünschten, weil sie sich subjektiv eben
wohl befanden — immerhin vorausgesetzt, dass die Packung eine korrekte war.
Ein besonders prägnanter Fall sei hier kurz skizziert:
Frau P., 35 Jahre alt. Polyarthritis rheumatica acuta. Seit sechs Wochen alt¬
wechselnde Schwellung und Röthung der Fuss-, Knie-, Hand-, Ellbogen- und Schultergelenke.
Trotz 60 g Salicyl und nachherigem Gebrauch von Salol, Salophen und Aspirin ist noch
keine Besserung zu konstatieren. Die Patientin verbringt schlaflose Nächte und ist sehr
heruntergekommen.
Nach der ersten Fangoapplikation auf alle empfindlichen Gelenke, schläft dieselbe
vier Stunden; die Schmerzparoxysmen treten seltener und wenig intensiv auf. Nach der
fünften Applikation nur noch Schmerzen beim Gehen; nach der elften Applikation sind
sämmtliche Gelenke abgcschwollen und schmerzlos; nach der fünfzehnten Applikation macht
Patientin zweistündige Spaziergänge, ohne Schaden 2 u nehmen. Die Applikationen wurden
täglich ausgeführt und bis zu 1V* Stunden ausgedehnt.
Weniger prompt tritt die Wirkung beim chronischen Gelenkrheumatismus
ein, und insbesondere gilt dies von der deformierenden Form derselben.
Wo schon ankylotische Fixierung der Gelenke und Atrophie der Muskeln in
hohem Grade vorhanden, ist nicht mehr viel zu hoffen>); aber da wo die Gelenkenden
noch nicht in ihrer Form verändert, sondern die abnorme Stellung des Gelenkes nur
durch einen chronischen, die Gelenkkapsel prall spannenden Erguss bedingt ist, erzielt
man noch schöne Resultate. So habe ich bei einem alten Ehepaar vom Lande,
wovon der Mann sich beklagte, dass er mit seinen verkrümmten Fingern die Tabaks¬
pfeife nicht mehr stopfen und den zum Gehen nothwendigen Stock nicht mehr halten
könne, und die Frau nur noch wünschte wieder stricken zu können, da ihr die Zeit
sonst zu lange werde, es durch eine mehrwöchentliehe Kur dazu gebracht, dass beider
Wünsche in Erfüllung gingen.
Ich muss freilich beifügen, dass hier jeder Applikation eine Massagesitzung mit
Bewegungsübungen angeschlossen wurde, die ich selbst ausführte, da nach meinen
Erfahrungen ein Drauflosmassieren in solchen Fällen mehr schaden als nützen kann.
Darum halte ich die maschinelle (schwedische und andere) Behandlung von Gelenk¬
steifigkeiten infolge Rheumatismus nicht nur für eine gefährliche, sondern auch für
eine rohe; denn eine Maschine hat weder Gefühl noch Tastsinn, noch anatomisch'
physiologische Kenntnisse a ).
Die Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus resp. deren Resultate
sind ein prägnantes Beispiel für die Vortheile, welche oft die Kombination zweier
verschiedener physikalischer Heilmethoden bieten. Durch die kataplasmatische Tiefen¬
wirkung des Fango werden die zähen Ausschwitzungen und Schwarten dünnflüssiger
und weicher, und somit durch die Massage der Resorption leichter zugänglich.
Ueber die Aetiologie des chronischen Gelenkrheumatismus, insbesondere des
deformierenden, herrschten in der Litteratur ein unentwirrbares Chaos und zahlreiche
Theorieen; Thatsache aber ist, dass die ärztliche Kunst gegen dieses Leiden sehr
wenig vermag, und dass namentlich interne Medikation hier ganz umsonst ist. Ich
glaube, dass die Fangotherapie hier mit grossem Erfolge in die Lücke treten kann.
i) Trotzdem habe ich völlige Lösung einer sehr festen Ankylose und Wio'’erbcwcglichkeit
des Gelenkes in mehreren Fällen nach längere Zeit dauernder Fangokur gesehen. Dasselbe bestätigt
v. Aufschnaitor (Wien). Vide dessen Methodik der Fangobehandlung.
-) Je nachdem Reaktionschmerzen auftreten oder nicht, ist die der Applikation nachfolgende
Massage mehr oder weniger intensiv zu gestalten, eventuell temporär auszusetzen.
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Die Fangokur und deren Indikationen.
Die Schmerzen, die beim chronischen Rheumatismus ja weit geringer sind als
beim akuten, können immerhin neben der Funktionsstörung sehr unangenehm sein;
von den Fangoapplikationen werden sie sehr günstig beeinflusst.
Die Beeinflussung der typischen Gicht durch Fangoapplikationen, insbesondere
des typischen akuten Gichtanfalles, der bekanntlich punkto Schmerz es mit
dem schönsten Zahnweh aufnimmt, kann geradezu als überraschend bezeichnet
werden.
(Wer, nebenbei bemerkt, eine meisterhafte Beschreibung eines akuten Gicht¬
anfalles und die typische Krankengeschichte eines Gichtikers lesen will, wie kein
medicinisches Lehrbuch sie prägnanter geben kann, der nehme Zolas bekannten Roman
>.Joie de vivre< zur Hand.) Auch hier hatte ich wie beim akuten Gelenkrheuma
aus theoretisch-technischen Gründen Bedenken, einem vor Schmerz schreienden
Patienten, dessen Fuss nicht die leiseste Berührung vertragen konnte, eine Fango¬
applikation vorzuschlagen, und es war gerade ein solcher Patient, der seit Jahren
Gichtiker und seit Jahrzehnten Bonvivant, die Gichttherapie der letzten 20 Jahre
besser kennt wie mancher Medikus, kategorisch nach diesem ultimum refugium ver¬
langte. Der Erfolg war brillant.
Gerade dieser eben citierte Patient war es, der mich darauf aufmerksam machte,
dass er nicht nur keinen unangenehmen Druck auf dem affizierten Gelenk spüre,
sondern vielmehr das Gefühl habe, als sei der Fuss suspendiert und werde ganz
sachte und sanft wie mit einem Sammethandschuh gerieben, und doch lasteten
ca. 3 kg Fango, ein Leintuch, eine Gummihülle und zwei Wolldecken auf dem Fuss.
Nach drei Tagen war Patient soweit, dass er seinen Schuh wieder anziehen und
herumgehen konnte. Seither habe ich natürlich ohne Zögern bei jedem akuten
Gichtanfall sofort eine lokale Applikation von einer Temperatur bis zu 55 0 C gemacht,
und immer mit demselben überraschenden Erfolg. Aeitere Gichtiker, die schon die
ganze Pharmakopoe durchgekostet und ein kleineres Vermögen in Piperazin angelegt
haben, singen das Lob des Fango.
Aber nicht nur beim akuten Gichtanfall, sondern auch bei allgemeiner gichtischer
Diathese und deren Lokalisation in Gelenken oder Sehnen, waren die Resultate der
Fangobehandlung sehr schöne, bessere und raschere als ich sie von anderen
Behandlungsmethoden sah. Je nach dem Fall wurden auch Ganzpackungen gemacht,
und durch Auflegen von Fango am Stamme eine kräftige Diaphorese erzeugt.
Der Begriff Muskelrheumatismus ist nicht leicht abgrenzbar; da wo man
sogenannte rheumatische Schwarten oder Schwielen mit Sicherheit palpieren kann
und dieselben nach einigen Applikationen mit darauffolgender Massage zum Ver¬
schwinden bringt, kann man zweifelsohne von Muskelrheuma sprechen. Die Fango¬
applikationen wirken auch hier sehr rasch schmerzlindernd; es genügen oft zwei
bis drei Applikationen, um solche rheumatischen Schmerzen zum Verschwinden zu
bringen.
Die Schmerzlosigkeit und freie Funktion der Lendengegend bei Lumbago durch
Fangoapplikationen tritt sehr rasch ein. Es werden auch hier Massagemanipulationen
der Applikation angeschlossen. Ein Beamter, der seit sechs Jahren alljährlich im
Frühjahr drei bis fünf Wochen an Lumbago zu Bette lag oder doch nur mühsam
sich im Zimmer bewegen konnte, stellte sich bei seiner sechsten letztjährigen Attake
zur Fangokur. Nach fünf Tagen (täglich eine Applikation von ®/ 4 Stunden) war er
schmerzfrei und nahm seine Büreaustunden wieder auf.
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286 E. Mory
Sind Nierenaffektionen oder Wirbelkaries die Ursachen von Rückenschmerzen,
so kann von einer Heilung durch Fango keine Rede sein, doch habe ich immer
Milderung der Schmerzen gesehen.
Neuralgieen im Gebiet peripherer Nerven stellen neben Rheumatismus das
Hauptkontingent der Fangopatienten, und hier ist es insbesondere die Ischias, von
der ich behaupte, alle Fälle mit einer regelrechten Fangokur zu heilen, die nicht im
Zusammenhang mit Wirbelkaries oder Beckentumoren stehen.
Die Entzündung des grossen Hüftbeinnerven und seiner ausgedehnten Geflechte
ist eine nicht nur überaus häufige, sondern auch äusserst merkwürdige und in zahl¬
reichen Varianten entstehende Affektion, und die Einführung der Fangotherapie in
unseren modernen Arzneischatz ist insbesondere geheilten Ischiaspatienten zu ver¬
danken, welche dieselbe als ultima ratio noch versuchten und damit aufs Vortreff¬
lichste reüssierten.
Aetiologisch spielt bei Ischias für den Laien die »grosse Unbekannte«: die
sogenannte »Erkältung« wohl eine Hauptrolle, dann Traumen verschiedenster Art,
Lues, Diabetes, Wirbelkaries, Tumoren und die Gravidät. Nach meinen speziell
darauf hinzielenden Recherchen spielt der Stiefsohn der Erkältung — der Rheuma¬
tismus — hierbei eine ziemlich unbedeutende Rolle; viele meiner Ischiatiker waren
vorher nie von einem ausgesprochenen typischen Rheumatismus heimgesucht. Bei
schwangeren Ischiaspatientinnen sah ich mehrmals ein eigenthümliches Verhalten.
Während in der Regel Schwangere, die gegen Ende der Gravidität eine Druckischias
acquirierten, dieselbe post partum los waren, beobachtete ich vereinzelte Fälle, wo
die ischiatischen Schmerzen im Beginn der Gravidität sehr stark waren, in der zweiten
Hälfte derselben bedeutend abnahmen oder ganz verschwanden, um im Wochenbett
mit erneuter Vehemenz aufzutreten. Da wirkte also der gravide Uterus durch
Kompression schmerzstillend, statt schmerzfördernd, ähnlich wie bei Supra- und
Infraorbitalneuralgien ein fester Fingerdruck auf den austretenden Nerven den
Schmerzanfall oft abkürzt. In diesen Fällen ist die Ursache der Ischias also kein
Druck, sondern wohl eher ein von der Innenfläche des Uterus ausgelöster Reiz per
continuitatem oder auf dem Reflexwege.
Noch verschiedener als in ihrer Aetiologie erscheint uns die Ischias in ihrem
Auftreten. Die Schmerzen sind insofern charakteristisch, als sie zu den intensivsten
gehören.
In ihrer Lokalisation bieten sie ein sehr verschiedenes Bild, je nachdem, dass
diese oder jene Bahnen dieses Nerven affiziert sind, oder die Schmerzempfindung
durch Irradiation von Patienten an einer Stelle empfunden wird, wo in der Regel
keine Schmerzen gefühlt werden.
Auch die sogenannten Schmerzpunkte sind nicht konstant; am häufigsten finden
sie sich in der Glutäalfalte, in der fossa poplitea, im unteren Drittheil der Wade,
am Malleolus und auf dem Fussrücken; seltener an der Tibia, an der Innenseite des
Oberschenkels oder am Rand des Os sacrum.
Inkonstant ist ebenfalls das sogenannte Ischiasphänomen, d. h. die Unmöglich¬
keit, bei Rückenlage das affizierte Bein bei gestrecktem Knie hoch zu heben. Das
von W. Berger beschriebene paradoxe Ischiasphänomen, welches darin sich äussert,
dass das affizierte Bein leicht gehoben werden kann, dagegen das scheinbar gesunde
nicht, habe ich ebenfalls öfters konstatiert.
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Die Fangokur und deren Indikationen.
*287
Während bei Ischias sowohl die Elektrizität als auch die Schwefelthermen
recht lückenhafte Resultate aufweisen, von der medikamentösen Behandlung, die nur
palliativ wirkt und oft nur schadet (Ischias liefert einen grossen Prozentsatz Morphi¬
nisten) garnicht zu reden, habe ich, wie oben schon gesagt, mit Fangoapplikationen
frische und sehr alte Fälle in relativ kurzer Zeit heilen sehen.
Einem Ingenieur, der seit 15 Jahren derart an Ischias litt, dass er drei- bis
viermal des Jahres auf je zwei bis vier Wochen arbeitsunfähig war, habe ich vor
zwei Jahren *25 Applikationen gemacht, und derselbe hat seither nie mehr die leiseste
Spur von Ischias gefühlt. Für wochenalte Fälle genügen in der Regel zehn bis fünf¬
zehn Applikationen.
In der Mehrzahl der Fälle tritt die Reaktion schon nach fünf bis acht Appli¬
kationen ein, d. h. es exacerbieren die Schmerzen, und dann ist es ein Gebot der
Nothwendigkeit, wie v. Aufschnaiter ganz richtig angiebt, und worauf ich von
ihm aufmerksam gemacht wurde, sowohl Applikationsdauer, als deren Frequenz und
namentlich die Temperatur des Fango herabzusetzen.
v. Aufschnaiter erwähnt noch die Vortheile, die bei sehr heftiger Ischias die
Kombination von Kohlensäure mit Fango bietet; er stellt sogenannten kohlensauren
Fango her, indem er doppelkohlensaures Natron und Weinsäure mit Fango kurz vor
dem Gebrauch mischt.
Da sich schöne Kohlensäurebäder durch den Keil er’sehen Apparat erzeugen
lassen, so habe ich auf einfachere Weise dieser Indikation genügt, indem ich ab¬
wechselnd eine Fangoapplikation und ein C0 2 -Bad ordinierte 1 ).
In derselben Weise wie Ischias lassen sich die Neuralgieen der Rippen, der
Extremitäten und selbst des Kopfes beeinflussen. Am Kopf ist die Technik der
Applikation eine etwas schwierige, bei Männern aber doch auszuführen. Eine Occipital-
neuralgie, die bis in die Galea aponeurotica ausstrahlte und den Patienten infolge
ihrer Hartnäckigkeit und Vehemenz ganz heruntergebracht hatte, heilte ich mit zwölf
Applikationen; ich Hess den Patienten mit der Tondeuse die Haupthaare ganz kurz
schneiden, belegte den Nacken, die Schultern und den ganzen behaarten Kopf mit
Fango und umhüllte denselben turbanähnlich mit den nöthigen Schutzdecken. Der
Patient empfand gar keine Kongestionen oder Wallungen, wiewohl er ein 56jähriger
Mann mit ausgesprochener Arteriosklerose war.
Auch bei Gesichtsneuralgieen verwende ich Fango. Die Augen werden mit
Schutzbrille oder Wattetampon geschützt, Nase und Mund freigelassen. Hier ist eben
die modelliergypsartige Konsistenz des Fango di Battaglia von grossem Vortheil, da
er nicht abtropft oder verläuft. Wer zudem den ächten vulkanischen Fango di
Battaglia sich einmal näher besehen hat, wird nicht mehr von »unappetitlicher«
Prozedur sprechen. Fango di Battaglia als vulkanisches Thermalprodukt aus dem
Erdinnern entströmend und nirgends mit der Erdoberfläche in Berührung kommend,
ist so rein und frei von Verwesungsprodukten wie jedes Quell- und Trinkwasser.
Von Neuritiden und Beschäftigungsneurosen, die nach meinen Erfahrungen
der Fangokur ein dankbares Feld eröffnen, erwähne ich die multiple Alkoholneuritis, den
Schreibkampf und die Bleineuralgie. Bei letzterer machte ich stets Ganzpackungen,
um durch die Fangoapplikation zugleich allgemein diaphoretisch auf den Stoffwechsel
zu wirken.
*) Ich wende bei der Behandlung der Ischias stets noch eine ergiebige Massage nach jeder
Applikation an.
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288 E. Mory, Die Fangokur und deren Indikationen.
Beckenexsudate, Metritiden, Oophoritis und Salpingitis habe ich eben¬
falls in zahlreichen Fällen mit gutem Erfolg behandelt; selbst bei Eiterherden und
durchgebrochenen Abscessen bewirkt Fangowickel eine rasche Verflüssigung und er¬
leichterte Entleerung nach aussen. Ein derartiger Fall bewog mehrere Gynäkologen,
die Fangotherapie hoffähig zu erklären. Die Patientin hat acht Monate das Bett ge¬
hütet, fieberte fast beständig, eine begonnene Soolbadkur musste unterbrochen werden,
der herbeigezogene Chirurg widerrieth einen operativen Eingriff wegen Multiplizität
der Eiterherde und aus ätiologischen Gründen (Gonokokken). Der Ehemann verlangte
in seiner Verzweiflung eine Fangokur, während deren Durchführung sehr abundante
Eiterentleerung stattfand, das Fieber verschwand. Patientin stand nach drei Wochen
auf. Nach zwei Monaten wieder Recidiv, das nach sechs Applikationen wieder
verschwand.
Auf den Rath eines Gynäkologen habe ich in derartigen Fällen vermittels Heiss¬
wasserspekulum die Vagina mit 60° C heissem Fango ausgefüllt, zugleich von aussen
Fango appliziert und bin mit dem Resultat dieser Maassnahme sehr zufrieden.
Bei Ovarialneuralgie auf hysterischer Basis mag immerhin auch das Neue
der Prozedur und damit Autosuggestion eine Rolle spielen; in solchen Fällen, wie
übrigens in allen gynäkologischen, wird die Patientin in eine Art von Neptunsgürtel
aus Fango, der vom Rippenrand bis zur Mitte der Oberschenkel reicht, gehüllt.
• Erwähnen will ich noch die hervorragend rasche Wirkung der Fangoapplikation
bei Gallensteinkolik, wo ich manchmal schon zehn Minuten nach Beginn des
Wickels Relaxation des Duktus und damit Ausstossung des Steines konstatierte.
Schmerzen, die nach Distorsiorien und Frakturen Zurückbleiben, bieten eben¬
falls günstige Angriffspunkte, sowie Gelenkentzündungen verschiedenster Pro¬
venienz, nicht ausgeschlossen die gonorrhoischen Gelenkaffektionen, die sehr vor-
theilbaft beeinflusst werden.
Dem denkenden Arzt wird noch manche Affektion begegnen, die sich durch
eine unschädliche und nicht unangenehme Prozedur, welche wie die Fangoapplikation
allgemein und lokal zu wirken im stände ist, beseitigen lässt.
Die Methode hat sich eingebürgert und wird in Deutschland, Oesterreich, Frank¬
reich, England und der Schweiz bereits ausgeübt.
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Alfred Martin, Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken. 289
IV.
Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken.
Von
Dr. Alfred Martin,
Assistent für physikalische Heilmethoden ah der medicin. Klinik zu Zürich.
Wer die Geschichte des Fahrrades verfolgt, wird finden, dass des öfteren der
Versnch gemacht wurde, an Stelle der kreisenden Bewegung der Fasse eine andere
zu setzen. Für die Fortbewegung des Bades kommt nur die Kraftrichtung von oben
nach unten in Betracht. Bei der Bewegung des Pedals vom oberen zum unteren
toten Punkte kommt sie nur einmal voll zur Geltung und zwar in der Mitte zwischen
beiden Punkten, an den übrigen Stellen nur theilweise. Zerlegt man an diesen die
Kraftrichtung nach dem Parallelogramm der Kräfte, so wird nur eine Komponente
Trieb Vorrichtung an Goldings hohem Claviger Sicherheitszweirade.
als wirksame Kraftrichtung resultieren, deren Grösse bis zur Mitte zwischen den
toten Punkten von oben nach unten zu-, dann wieder abnimmt Es war daher ein¬
leuchtend, ein Bad zu konstruieren, bei dem die Bewegung der Pedale möglichst
senkrecht von oben nach unten geschah. Bei den sogenannten Sicherheitsfahrrädern
englischen Fabrikates mit Hebel Vorrichtung war dies der Fall. Bei Goldings Claviger
safety-bicycle der Claviger Cycle Co. in Manchester geschah der Trieb in einer Weise,
die am besten durch Fig. 20 veranschaulicht wird. A ist die Achse, um die sich
die Kurbel K dreht, wodurch das Pedal P die angegebene Bewegung macht. Die
Fahrung geschieht durch einen Schlitten S, der in doppelter Schiene läuft Das
Rad ist durch den Rover bald verdrängt worden. Es soll weiter unten darauf zu¬
rückgekommen werden.
Vom sportlichen Standpunkt muss es als eine verfehlte Idee bezeichnet werden,
wenn Ingenieur Vietor in Osnabrück 1890 ein Rad auf den Markt brachte, bei dem
Zeitachr. f. dltt u. physlk. Therapie. Bd. VI. Heft 6. 20
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ÄifttUt. Marti«
die unwirksame Konijiouente noch viel grösser ist als bei «lern Uaii mit kreisender
J'eilaHit'wegiuig. Vjetor. be'/eichmi seine Kurbeln tils KHipseukorlml^ ich entnehme
darüber dem Werke von Wolf, Irtlirniil mrd itadfabrer ') (nadt -desse« 'Abbildungen
ich S-’m. 'io-?} duuefertigt habe), folg, tun ies.
■-•Von der Voraussetzung fiusgehgiulv dass die an sieh naturgowässeiieWrsaing
deP'Fö&fiß nicht die kreisförmige, gondero die voir Kindesbeinen m gewohnte, in
-einer Ar! langgestreckter Ellipsen vor sich geltend'- Gelibetyegrai£ sei, dass also hoi
' , • • ; i . -Faiirräderö rtigjgBrgs Trethewegung dfe
l1 ^ berte sein Ä, wejrhe dieser (iehhewcv
gtiag eutsjrteclie, hat Victor Kurbeiu hwv
gestellt, 'AvcIoÄiß .'Tret«»' ofeli t pßs-
förtnig, sötuicm efliptmtli »mhnifro. Jede
tieF'iMtle^ltto^Ä'-hesitelft.' dämlich aut
zwei Armen, eitteui kroisfatabg wie ,d5e
gewohnVihheaj^tifbcfh tihifaufehdiut fisuid^
und einem in diesem gelagerten Nuhen-
anvi, weit her den Treter trägt. .-Diese
beiden Kur bei atme jeder Kurbel Bind
durch Zalrtit'ad' und Kettenwirkumt der¬
art xwanghttdtg m einander,: dass dqr
Nebenarm stets mit derselben Oeschwin-
dtgfc«it ;i alter/in'-'ehtge'gcBgesetztemTDre-
IfuJlgiisißiie aurthiilft wie der riauptarm.
iMtnlet- «lieser Zwanglaudgkeit bewegen
Heft <Kö Tiitibols'en tu elliptischen Bahnen
um die Kauptkurbfelaehser. Dabei kifnaen
die Ellipseti sowohl ihrer Gestalt als auch
hinsichtlich der Dichtung ihrer Achsen
iiftch leicht und schnell verstellt werden,
so ihm* mau die nach Länge uadTlifthtitag
vgrschiedenen, Schi 1 ilt.lte\venuu,uen ausfödi-
reis kaum. .. y>.
&ai i’igi :2t.-,uud '22- ist der Mo-hu-
»nvftiMS der Kurbeln zu ersehen, in Fig. lSf:
sebr deutlich dfe- Ößhlis^^Kag..
$au sollte glauben, der Erfinder hätte seine Kurbeln zu ther&pevrtiachen
Zwecken konstruiert, von den isportsleuteü siml sie «ubeaebtet gobüetit 1 «.
Die beide.« genannte« Systeme sind bisher beim Bah \ött Apparaten zu therspeuti-
scheu Zwecken wnlteriicksiebtigt geblieben. Ich möchte auf den Wörth beider hin weisen,
weit sie 'vor sämtntlielien Maschine« Geh- und Steigheweguiigen tun besten naclnthtne«;
Die bisher gcbrAuebiicheu Dergfetcigapparaie gestatten eine l!»yreguiig> die ent¬
weder m gerader Linie oder in kreisender (wobei - »1er Kuss hei«r AbwürtSfc.‘€lm.u rück¬
läufig die Dahn des Aufstiegs beschreibt) auf- uihI niedergellt. Kein Apparat bringt
de« steigenden Schritt nach vorn zur Geltung Man betrachte Fig ‘20 (wobei das
1 «e-beht des Patienten der Achse des Hades /.ugewäiidt ist) und wird zugeben müsset,,
dass dies ihiivfi; die npeeföbrto Vorrichtung erreicht, ist. Mit einem Sebwungrade
Vi ct (t r’fiirtit: Eliigs.cn knriiclu
Vietor’scbe Kuibolit in Anwcinfoti,
)\ betrzii- ss-io sgamer
Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken. 2!)1
in Verbindung gebracht und mit den gebräuchlichen Widerstandsvorrichtungen ver¬
sehen, würde ein Bergsteigeapparat zu stände kommen, der wenigstens annähernd
das ist, was sein Name sagt.
Versieht man die Kurbel KA mit einem Längsschlitz, macht man die Länge
des Hebels zwischen SK und KP verstellbar, so erhält man bei Verstellung ver¬
schiedene Pedalbahnen, kann also die Länge und die Höhe des Schrittes, auch beide
zugleich beliebig gestalten (Fig. 23). Auf einen anderen wichtigen hierher gehörigen
Punkt soll unten eingegangen werden.
Der Werth des zweiten Apparates ist selbstverständlich.
Siegfried') betrachtet mit Hecht die Radübung in Bezug auf die Beinbewegung
als Vorübung für den mittels der Leyden-Jacob’schen Apparate vorzunehmenden
eigentlichen Gehunterricht. Unter Verwendung der Vietor’sehen Kurbeln am Sieg-
fried’schen oder Jacob-Lazarus’schen Rade würde dies noch mehr der Fall sein.
Pedalbahnen von Goldings modifiziertem hohen Claviger Sicherheitszweirade.
_Bahn mit Hebel S P, mit der Kurbel A K in K verbunden.
-Bahn bei Verkürzung des Hebels zwischen K und P.
_Bahn bei Verkürzung des Hebels zwischen K und S.
. Bahn bei Verkürzung der Kurbel KA.
Zwischen Gehübungen auf der Erde und sitzendem Fahren würde ich noch —
wo es der Zustand des Patienten erlaubt — das stehende Fahren einschieben, wo¬
durch auch der Bewegung im horizontalen Bogen (parallel der Bewegungsebene)
beim Gehen, bei dem sich das Becken um den als Drehpunkt fungierenden Ober¬
schenkelkopf dreht 2 ), Rechnung getragen, also eine weitere Annäherung an den
natürlichen Gang des Menschen erreicht würde. Aus dem letzteren Grunde möchte
ich auch die Spurweite verstellbar wissen, wodurch eine Verlängerung der bisher
üblichen Pedale nöthig würde, bei denen durch eine Schraubvorrichtung die Schuhe
oder Sandalen nach Bedürfniss der Mitte des Rades genähert oder von dieser ent¬
fernt werden. Die Bahnkurven liegen nach v. Mayer, Braune und Fischer mit
Belastung in horizontaler Richtung weiter auseinander als ohne Belastung. Bei
Menschen mit schwerem Körpergewicht muss man deshalb diesen Umstand berück-
1) Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Zeitschrift für
diätetische und physikalische Therapie 1901/02. Bd. 6. Heft 2.
2 ) v. Meyer cit. bei Fuchs, Der Gang des Menschen. Biolog. Centralblatt 1901. Bd 21. No. 22
u. 23. Auch die späteren Angaben über den Gang des Menschen sind dieser Arbeit entnommen.
20 *
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292 Alfred Martin
sichtigen, und wenn das Bad als Vorübung zum eigentlichen Gehen dienen soll, die
Radübungen mit entsprechender Spurweite vornehmen.
Für die Nachahmung eines natürlichen Ganges ist es erforderlich, dass die
Pedale nicht niedergetreten, sondern emporgezogen werden, wie dies von Siegfried
bereits praktisch durchgeführt wurde 1 ). Noch mehr wie Siegfried möchte ich hervor¬
heben, dass das Vorwärtsbewegen des Beines nicht nur eine Pendelbewegung, sondern
auch aktive Muskelthätigkeit ist, wie dies von v. Mayer, Duchenne, Garlet und
Vierordt betont worden ist Daraus würde die therapeutische Maassnahme zu
folgern sein, das Emporheben der Pedale durch Widerstände zu erschweren, was
durch Anhängen von Gewichten oder besser Anschrauben (eventuell Einschieben mit
Halt durch Federdruck) erreicht würde. Diese Gewichte könnten auch am Fersen -
theile des Schuhes (z. B. zur Beseitigung von Spitzfussstellung) angeschraubt werden.
Im letzteren Falle wendete Siegfried Federkraft an, der vielleicht Gewichte wegen
der besseren Dosierbarkeit vorzuziehen sind.
Beim Bergsteigen wird das Vorwärtsbewegen des Beines noch viel mehr als
beim Gehen auf ebener Erde durch Muskelthätigkeit bewirkt, weshalb bei der Nach¬
ahmung dieses Vorgangs die Pedale des Bergsteigeapparates nicht getreten, sondern
emporgehoben werden müssen, unter Gewichtsbelastung je nach Bedürfniss.
Für den Handbetrieb ist die Vonhausen’sche Vorrichtung am Siegfried’schen
Dreirade 2 ), sobald es sich um ein selbstständiges Fahren auf öffentlichen Strassen
handelt, die beste, weil beide Handgriffe zu gleicher Zeit niedergedrückt werden
und dadurch ein bald Rechts- bald Linksausweichen des Vorderrades vermieden wird,
wie das bei kreisender Bewegung geschieht, weshalb die Räder dieser Art meist mit
den Oberschenkeln gesteuert werden, eine Verbindung von Fuss- und Handbetrieb
also nicht möglich ist
Anders, wenn der Patient im Garten auf geradem Wege fährt oder auf dem
Zimmerfahrrade. Hier ist das gleichzeitige Hinabbewegen von rechtem und linkem
Handgriff nicht nöthig, weil die Steuerung wegfällt bezw. festgestellt werden kann.
Da die Armbewegungen für das Gehen nicht gleichgültig sind, so ist für das
Vorüben zum Gehen auf dem Rade nöthig, diese zu berücksichtigen. Die Lazarus-
sche Verbesserung des Jacob’schen Rades 3 ) genügt, soweit es sich um Antrieb und
Unterstützung der Beinbewegung handelt, vollkommen. Für die kompensatorische
Uebungstherapie müssten jedoch die Handkurbeln in ihrer Stellung verändert werden.
Fig. 91 zeigt rechten Treter und rechten Handgriff hochgestellt. Da wir jedoch beim
Gehen rechtes Bein und linken Arm zu gleicher Zeit heben, so müsste der rechte
Treter und der linke Handgriff zu gleicher Zeit nach oben zeigen.
Die Kreisbewegung für die Arme hat einen Nachtheil. Man ist auf kleine Kreise
angewiesen. Verwendet man Kurbeln von 25 cm Länge, so ist bei horizontaler
Stellung der Kurbeln der eine Arm übermässig gestreckt, die Faust des anderen
steht dicht vor der Brust. Der Höchstdurchmesser von 40 cm der Kreisbewegung
am Lazarus’schen Rade ist schon höchst unbequem, zumal beide Handgriffe nahe
dem oberen Ende der Gabel liegen. Aus diesem Grunde eignet sich die Bewegung
1) Man muss den Patienten wiederholt auf das Emporziehen aufmerksam machen; denn un¬
willkürlich verfällt er in das Treten, was namentlich bei Patienten, die früher Radfahrer waren, der
Fall ist
2 ) Siegfried, Die Dreiradgymnastik im Dienste der Bewegungstherapie. Zeitschrift für
diätetische und physikalische Therapie 1901/02. Bd. ö. Heft 3.
s) Lazarus, Der Cyklostat, eine Modifikation des Jacob’schen stationären Fahrrades. Zeit¬
schrift für diätetische und physikalische Therapie 1901/02. Bd. 5. Heft 8.
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Verwendung älterer Fahrradsysteme zu therapeutischen Zwecken.
293
in einer ellipsenähnlichen Bahn besser für den Handbetrieb. Bei ihm kommt bei
flachen Kurven auch noch eine Annäherung an die normale Bewegung der Arme
beim Gehen in Betracht.
Der Mechanismus erhellt aus Fig. 24. Der obere Theil der Gabel ist bei Gi
von oben nach unten, bei G 2 von vorn nach hinten verstellbar. Die Form der Kurve
lässt sich durch Verkürzung oder Verlängerung zwischen SKi, KiH 2 und A 1 K 1 , die
Lage der Kurve durch Drehen in A a verändern.
Stellt man die ganze Handbetriebsvorrichtung hoch, bringt sie nahe an den
Körper und dreht den oberen Theil in der Bichtung des Pfeiles um A 2 , dass H a in
der Nähe der Gabel zu liegen kommt, so wird beim stehenden Fahren mit den
Vietor’schen Kurbeln (selbstverständlich mit Verbindung der Kurbeln des Hand- mit
denen des Fussbetriebes) annähernd die Bewegung des Körpers beim Gehen nach¬
geahmt. Dabei ist die Spurweite der Hände zu berücksichtigen, was durch dieVor-
Fig. 24.
Handbetriebsvorrichtuug mit
ellipsenförmiger Bewegung,
ist die Neigung der Gabel
zur Horizontalen.)
M
Fig. 25.
Der an den Hebel Hj (Fig. 24)
nach aussen angesetzte Theil
der Handbetriebs-
vomchtung.
ricbtung in Fig. 25 erreicht wird. Der Abstand von V von der Medianlinie M ent¬
spricht der halben Spurweite, die verstellbar ist. Auch ist V um H a verstellbar je
nach Bequemlichkeit. Die Querstange H a ist mit dem Hebel H a (Fig. 24 u. 25) durch
ein Lager verbunden, also in diesem beweglich. Der steigbügelförmige Handgriff
Hj ist mit V durch ein Kugelgelenk verbunden, wodurch die Bewegung der Hand
bei Supinations-, Pronations- und Mittelstellung des Vorderarms ausführbar ist
Für die oben erwähnte Nachahmung der Armbewegung beim Gang wäre der
Patient anzuhalten, die Handgriffe von unten hinten nach oben vorn durch Muskel-
thätigkeit zu führen und eine Mittelstellung des Vorderarmes zwischen Pronation
und Supination (Daumen nach oben) inne zu halten.
Falls der Handbetrieb nicht benutzt werden soll, ist die Verbindung mit dem
Fussbetrieb auszuschalten. Die Handgriffe sind in möglichster Annäherung zu ein¬
ander festzustellen und die Hände auf die Querstange HiH a aufzulegen. Die Ent¬
fernung beider von einander würde bedeutend kleiner sein als bei den Handkurbeln
mit kreisender Bewegung, falls man überhaupt nicht vorzieht, eine einfache feste
Lenkstange aufzustecken.
Für die kompensatorische Uebungstherapie würde sich demnach am besten ein
Rad eignen, dass mit Vietor’schen Fusskurbeln und dem Handbetrieb in Fig. 24 u. 25
ausgerüstet wäre.
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294
Rossnitz
V.
Ein neuer Zerstäubungsapparat für Allgemeininhalation.
Aus der Abtheilung für physikalische Therapie im Krankenhause München l./I.
Von
Oberarzt Dr. Rossnitz,
kommandiert zu obiger Abtheilung.
Während die für Einzelinhalationen gebräuchlichen Apparate im grossen und
ganzen ihrem Zwecke entsprechen, gehen die Ansichten über Konstruktion und Wirk¬
samkeit der Apparate, welche der Allgemeininhalation zerstäubter Flüssigkeiten
dienen, noch auseinander. Im wesentlichen sind es zwei Momente, welche bei der
Leistung dieser Apparate besonders in Betracht kommen:
1. Die Inhalationsflüssigkeit muss so fein vertheilt werden, dass die Möglichkeit,
in die tieferen Partieen der Luftwege einzudringen, gegeben ist, und
2. der Aufenthalt im Inhalationsraum darf für die Patienten in keiner Weise
von schädlichen Folgen sein, bedingt durch übergrossen Feuchtigkeitsgrad, unzweck¬
mässige Temperatur oder Luftverbrauch und Kohlensäureanhäufung infolge von
Anwesenheit zahlreicher Personen im Inhalationsraum.
Diese Thesen, welche schon Bull in g der Beschreibung seines Apparates 1 ) zu
Grunde gelegt hat, dürfen wohl mit Recht als die wichtigsten Bedingungen einer
rationellen Zerstäubung angesehen werden.
Emmerich 2 ) hat nun die zur Allgemeininhalation bisher gebräuchlichsten Systeme
einer vergleichenden Prüfung unterworfen. Zu diesem Zwecke hat er sowohl die
Beschaffenheit der zerstäubten Flüssigkeit nach Zahl und Grösse der Tröpfchen und
somit deren Eindringungsfähigkeit in die tieferen Partieen des Respirationsapparates
festzustellen gesucht als auch die Beschaffenheit der Luft in den Inhalatorien einer
eingehenden Untersuchung unterworfen.
Die Resultate sind nicht unangefochten geblieben, wie überhaupt die ganze Frage
der Zerstäubung in Inhalatorien noch nicht als abgeschlossen zu betrachten ist
Es dürfte daher von Interesse sein, auf einen neuen Apparat hinzuweisen, der
seit Wochen inV Krankenhause München l./I. im Betriebe ist und in technischer Be¬
ziehung sehr befriedigende Resultate geliefert hat. Was die Untersuchungen über
Zahl und Grösse der Tröpfchen betrifft, so werden zur Zeit noch Versuche darüber
angestellt, die demnächst zur Veröffentlichung kommen werden; hier möge zunächst
nur eine Beschreibung des Apparates folgen:
>) Ein neuer Zerstäubungsapparat für Inhalatorien. Münchener medicin. Wochenschrift 1901.
No. 26.
2 ) Vergleichende Untersuchungen über die Leistungen verschiedener Inhalationssysteine.
Münchener medicin. Wochenschrift 1901. No. 20.
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Ein neuer ZtT&tiiuhung&apparat für AI) tfoit»wiiinliiiiati mi
Dbr Apparat (Fig. 2$), welcher.-rnn dem döri iielrf.
konstruiert und aus Weissmetall gefertigt ist setzt- sieh aus tröge, (ujenj'heiieii (Fig. 27)
zusammen. ; •
Aus einem .tassea förmige» Ouhäuse mit cvjißdrteidieni Aufsatz :&
Duröturigsscbeihe 6 uml ebner Klomnischrruröe c, wn-
mit die Scheibe an das Gehäuse luftdicht, ängepresst wird. Fig. 26.
Der Apparat \\ird wie der Ciar'sehe mit körn-
priniierter Luft betrieben und kann deshalb aurb mit .
Leichtigkeit au die Clar’sche Vomchtuäg migeschtoxseii . ' ****
werden. Die Druckluft tritt durch die Oriftuiflg il in •
des Uehäu-e «• ei« und drängt sich durch die Sparkaeitk 1
t.e (durch l'feil markiert) in die Veitheilungskamme!
von wo sie durch die Zerstäubungssihlitze <jtj ausfriU. V uRe.
Die medikamentöse Flüssigkeit, welche vom Behälter aus i«
durch die «chlauchveiirrndurtg (Fig. 20) irr die .fasse h
il'ig. 27) eingeleitet wird, lliessi durch die Yerthcilimgv
spalten iß aus derselbeu ans um) wird dort,, wo sie. an
den Zerstäuhmiesschlitzei! r/e mit der Dressluft zusammen- . X-
trifft, iu zerstäubtem Zustande mit. ftiilgorKsets. Dadurch. ’ g^8
dass die [gilt an den Zerstäub ungsscliliUeii mit mindestes^ jotalaHswlit.
eiuer Atmosphäre. Druck ans»ritt, entsteht eine natürliche
Luftströmung- J.run,. wo die Druckluft mit der ZerstäubmigsHitssigkoit, z. B. Suoie,
welche infolge ihrer natnrllehen Setuvere riflgSum langsam »bfliesst, /Jisnmmentrlfft,
nimmt sie dieselbe ip feinster Zerstäubung mit und vertheilt die Flüssigkeit, da die
Zerstüubiing allseitig erlulgt, gleichmüssig im ganzen luhaiatinnsiauro. Schon nach
kurzer Zeit ist das löhftlätermm in dichten Nebel gehüllt, weicher aus
feinsten Tröpfchen besteht, ohlte dass der Feiichtigkeitsgrad ein ufian- * -b
genehmer wird. Auch hier kann man Ah «lick wie beim Bulii.ßg’sehe.ii Tgfji
Apparat durch DegulieriUig sowohl der zugefübrten Pressluft, als auch der eji i
Fltissigkeitazufuhr bestimmend auf die Zerstfiuiuiwgsmasse d. h. auf Zahl ; Vj
und Qrüsse der Tröpfeheß wirkeh- Ibizu lmnimeii noch mannigfache
andere Vorzüge de* Apparates. Sowohl Konstruktionauch Bedienung : : ■
ist eine inisserst .einfache.'' Die Ausehaffutigskosteu sind massig, die Be- \Tj tT
fliebkosten sehr gering. Ausserdem arbeitet der Apparat schon hei
.einer .Umo?jdnire Druck und kann..bei..Verwendung von zwei br- drei
Atmosphären dtindi die m dem Windkessel ioifgespeicherrö Luft allein
— ohne dass die l.uftpuiwpe •.veitcriu'beitet. 'betrieben werde», was.
Dem B uili/ig'sehen ZennHubor gogeniltier. welcher eite grossere Betrieb^-
kraft erfordert, einen vcesdbiiichen Vürthoil bietet, / Ferner ist eine iröterbreehuug
der Zerstilubmig durch Verstopfung vor, Düset), wie dies bd den Systemen Olur
und Reit/, der Fall ist, vollständig aasgcrö’uliyssen.
einer
VDoris* *t:)Di
de* /»?••-
>tinil»uHgS-
.fippar.ltftM.-.
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Go gle
296
A. Dworetzky
Kritische Umschau.
Russische Beiträge zur Ernährungstherapie.
Zusammenfassender Bericht
von
Dr. A. Dworetzky
in Riga-Schreyenbusch.
In dem Bestreben, die chemische Zusammensetzung der Kuhmilch derjenigen
der Frauenmilch möglichst nahe zu bringen, wird bekanntlich die Hauptaufmerksam¬
keit der Verringerung der Eiweissstoffe gewidmet, was am einfachsten durch die
Verdünnung der Kuhmilch mit Wasser erreicht wird. Setzen wir der Kuhmilch
Wasser zu gleichen Theilen zu, so erhalten wir ein Gemisch, das hinsichtlich des
Eiweissgehaltes der Frauenmilch ähnlich ist. An Zucker und Fett jedoch ist dieses
Gemisch um mehr als um die Hälfte ärmer als die Frauenmilch, und dieser Nach¬
theil wird bekanntlich durch den Zusatz von Zucker wieder gut gemacht Ausgehend
von der Erwägung, dass auch die Verdünnung der Kuhmilch mit einer 6—7®/ 0 igen
Milchzuckerlösung dennoch nicht im stände ist, den Mangel an Fett in dem Milch¬
gemisch zu ersetzen, dass partieller Fetthunger immer noch fortbestehen bleibt, und
dass der Zusatz einer stärkeren (12 0 / 0 igen) Zuckerlösung von den Säuglingen nicht
vertragen wird und Durchfälle und Gewichtsverlust hervorruft, nahm A. Romanow 1 )
zu dem Rahmgemenge als Mittel, den Fettgehalt in der Milch zu ver-
grössern, seine Zuflucht. Die Zubereitungsmethode des Biedert’schen Rahm¬
gemenges, welche vielleicht unter hervorragend günstigen Bedingungen zugänglich
ist, erweist sich aber als entschieden ungeeignet bei seiner Anwendung für die Massen¬
ernährung, z. B. in den Findelanstalten.
Romanow ersann deshalb ein neues Verfahren, um das Rahmgemenge
erst nach der Sterilisation der Milch zu erhalten, und geht zu diesem
Zwecke auf folgende Weise vor. Frische Milch wird zu gleichen Theilen mit Gersten¬
schleim, der 4 % Milchzucker enthält, verdünnt, in Saugflaschen von 180 g gegossen
und im Soxleth’schen Apparate 10 Minuten lang gekocht. Sofort werden die
Fläschchen aus dem Kessel genommen und auf Eis gestellt. Nach Verlauf von
2—3 Stunden ist die Milch fertig. Bevor man diese Milch den Kindern reicht,
werden die Saugflaschen vorsichtig, ohne jegliche Erschütterung aus dem Eiskeller
gebracht, und dann wird mit Hülfe eines Syphonapparates, welcher fast bis zum
Boden der Saugflasche durch die Rahmschicht hindurch eingetaucht wird, der untere
Theil der Milch bis zur Hälfte derselben aufgesogen, während die in dem Fläschchen
nachbleibende Milch nach starker Durchschüttelung und Erwärmung dem Kinde zum
Trinken dargeboten wird. Zahlreiche Untersuchungen sowohl der in dem Fläschchen
Testierenden, als auch der mit dem Syphon entfernten Milchportionen erwiesen, dass
in dem Saugfläschchen drei- und viermal mehr Fett vorhanden ist, als in der ent¬
fernten Portion. Wiederholte Messungen mit dem Apparate von Conrad ergaben
in dem auf die eben beschriebene Weise dargestellten Rahmgemenge 2,9—3,6 °/ 0 Fett.
Rücksichtlich des Fettgehaltes steht also dieses Gemenge der Frauenmilch sehr nahe,
und auch der Menge der Eiweissstoffe und des Zuckers nach ist es der letzteren
ähnlich, sodass es für die Zwecke der künstlichen Ernährung bei weitem geeigneter
ist als die einfach verdünnte oder die Vollmilch. In der Findelanstalt zu Woronesh
hat Romanow mit der Anwendung dieses Gemisches sehr gute Resultate erzielt,
über die er noch ausführlicher zu berichten verspricht.
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Russische Beiträge zur Ernährungstherapie.
297
Diesen Bericht lieferte Romanow 3 ) in der Sitzung der Sektion für Kinder¬
heilkunde des Vni. Allrussischen Aerztekongresses zum Andenken an N. Pirogoff
zu Moskau vom 7. (20.) Januar 1902. Die Sterblichkeit in dem Findlingsasyle der
Gouvernementslandschaft von Woronesh sank im Laufe des Jahres 1901, während
welches die vom Referenten angegebene Methode der künstlichen Ernährung an¬
gewendet wurde, in ganz beträchtlichem Grade: in den früheren Jahren erreichte
die Mortalität der Pflegebefohlenen 52,2 und 48,8%, in dem genannten Jahre betrug
sie jedoch nur 13,6%. Angesichts dessen, dass alle übrigen Verhältnisse in dem
Asyle die alten geblieben und keine sonstigen Veränderungen eingetreten waren,
schreibt Romanow die auffallende Herabsetzung des Sterblichkeitsprozentsatzes eben
der neuen Ernährungsweise der Säuglinge zu. — Die Sektion billigte folgende
Thesen des Referenten: 1. Das Verfahren der Milchverdünnung mit 2—3 Theilen
Wasser unter Zusatz von Milchzucker muss fallen gelassen werden, da es für die
Ernährung der Säuglinge durchaus ungenügend ist. 2. Die Verdünnung der Milch
mit Wasser ohne Einbusse ihrer Nahrhaftigkeit ist nur zu gleichen Theilen zu ge¬
statten und dann nur unter der Bedingung, dass der Fettgehalt der verdünnten Milch
dem normalen Gehalte an Fett in der Frauenmilch sich möglichst nähere. 3. Der
Mangel an Fett kann nicht durch den Zusatz von Zucker genügend ersetzt werden,
und der Prozentgehalt des Zuckers in dem Milchgemisch darf 6 % nicht über¬
steigen. 4. Die Vermehrung des Fettes in der verdünnten Milch wird am einfachsten
erreicht durch das Stehenlassen der Milch in der Saugflasche und durch die Ent¬
fernung der unteren (fettarmen) Hälfte des Flascheninhaltes mit Hülfe einer Syphon-
vorrichtung.
Die Anschauungen M. Saussailow’s 3 ) widersprechen in einigen wichtigen
Punkten recht auffallend den Ansichten und den Erfahrungen Romanow’s.
Saussailow verbreitet sich über die Veränderungen in der sterilisierten
Milch, welche in Abhängigkeit von dem Aufbewahrungsmodus derselben
auftreten. Nach seinen Beobachtungen vermag die sterilisierte Milch Veränderungen
zu erleiden bei völliger Abwesenheit irgend welcher Bakterieneinwirkung, wobei
diese Veränderungen die Eiweisskörper und die Fette der Milch betreffen. Der
Rahm der sterilisierten Milch scheidet sich beim Stehen derselben von ihr ab, und
beim Durchschütteln vermischt er sich nur äusserst schwer mit der Milch wieder
(Romanow ist der entgegengesetzten Anschauung und findet, dass der Rahm beim
Schütteln sich gleichmässig in der gesammten Milchmenge vertheilt). Die sterilisierte
Milch kann in Abhängigkeit von dem Aufbewahrungsmodus auch bei Abwesenheit
von Bakterien derartige Eigenschaften annehmen, welche bei dem Gebrauche dieses
Nahrungsmittels krankhafte Erscheinungen bei gesunden Personen hervorzurufen ver¬
mögen; die nicht bakteriellen Veränderungen befinden sich im Zusammenhänge mit
der Einwirkung des Lichtes, der Luft und der Temperatur des Aufbewahrungsortes.
Diese Veränderungen in dem Chemismus der Milch treten schneller auf und sind
deutlicher ausgeprägt bei gleichzeitiger Einwirkung von Licht, Luft und höherer
Temperatur (37 0 C) auf die Milch. Mit der Beseitigung der Lichteinwirkung, aber
bei Zutritt von Luft und bei einer Temperatur von 37 0 C gehen die Veränderungen
in der Milch sehr langsam und in sehr geringem Grade vor sich. Bei Verhinderung
des Luftzutrittes allein zu der Milch gewinnt diese nicht den schmalzigen Geruch
und gewisse sonstige schädliche Eigenschaften. Wird die sterilisierte Milch bei
völligem Luftabschluss und ohne Lichtzutritt an einem kühlen Orte aufbewahrt, so
bleibt sie unbeschränkt lange Zeit hindurch von jeglichen Veränderungen verschont.
Hinsichtlich des Einflusses der sterilisierten Milch auf den allgemeinen Ernährungs¬
zustand und speziell auf die Funktionen des Magendarmkanals ergaben die Be¬
obachtungen Saussailow’s an 265 Kindern, dass gesunde Kinder in einem Alter
von einem Monat und darüber diese Milch gut assimilieren und sich bei ihr in sehr
befriedigender Weise entwickeln; Magendarmstörungen wurden bei dieser Ernährungs¬
methode nicht öfter angetroffen als bei der Brustnahrung (diese Ansicht steht im
Widerspruch mit den Erfahrungen vieler kompetenter Autoren und Kinderärzte,
welche besonders in jüngster Zeit die Schattenseiten und die pathogenen Eigen¬
schaften der sterilisierten Milch recht eindringlich hervorheben). Werden bei der
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298 A. Dworetzky
Brustnahrung erkrankte Säuglinge auf sterilisierte Milch gesetzt, so erholen sie sich
allerdings in einigen Fällen dabei, öfters jedoch werden Besserungen der Verdauugs-
anomalien bei diesem Uebergange nicht beobachtet. Die sterilisierte Milch wird am
besten vertragen und verdaut in der kühlen Jahreszeit; in den heissen Monaten wird
sie merklich schlechter vertragen, wobei die Säuglinge in der heissen Zeit die Milch
nicht in einer solchen Menge zu verdauen im stände sind, in welcher sie dieselbe
während der kühleren Jahreszeit zu vertragen vermögen.
Zum Schluss giebt Saussailow folgende Fingerzeige für die Sterilisation und
Aufbewahrung der Milch. Zum Sterilisieren muss eben erst gemelkte Milch genommen
werden: die sterilisierte Milch muss vollständig von Luft befreit sein und in solchem
Zustande bis zum Gebrauche konserviert werden; sie muss auch unbedingt vor Licht¬
zutritt bewahrt werden, denn unter diesen Bedingungen allein verändert sie ihre
chemische Zusammensetzung ausserordentlich langsam. Am allerbesten wird die
sterilisierte Milch vertragen, wenn sie zur Hälfte mit einer wässerigen Lösung von
10—12 o/o Zucker verdünnt wird (einen solch hohen Prozentgehalt an Zucker findet
Romanow für unbedingt den Verdauungsorganen schädlich). Für Neugeborene und
für besonders schwächliche Säuglinge, welche die mit Wasser verdünnte Milch zu
verdauen unfähig sind, ist es nothwendig, das Wasser durch die gleiche Menge
künstlichen Magensaftes zu ersetzen.
Trotz der günstigen Meinung, welche Saussailow über die Bekömmlichkeit
der sterilisierten Milchnahrung hegt, ist es doch jetzt unzweifelhaft nachgewiesen
und durch viele experimentelle und klinische Untersuchungen erhärtet worden, dass
bereits beim einfachen Aufkochen und noch mehr beim Sterilisieren die Milch tief¬
gehende chemische Veränderungen erleidet. Diese Alterationen dokumentieren sich
durch die Gerinnung einiger für die Ernährung wichtiger Eiweisskörper, durch die
Abspaltung des mit ihnen organisch verbundenen Phosphors und durch die Bildung
des in Wasser unlöslichen basisch phosphorsauren Calciums, durch die Zersetzung
des Milchzuckers, durch die gröbere Emulgierung des Rahmes und durch die Ver¬
langsamung oder vollkommene Aufhebung der Gerinnbarkeit des Kaseins unter der
Einwirkung des Labferments. Dazu kommt noch die Zerstörung der in der Milch
enthaltenen Lipase, eines fettspaltenden und darum für die Verdauung des Rahmes
überaus wichtigen Fermentes, bei einer Temperatur von über 70« C. Ein sehr grosser
Theil der von Saussailow beobachteten und von ihm den Einwirkungen von Licht,
Luft und Temperatur bei der Aufbewahrung der Milch zugeschriebenen Veränderungen
des Chemismus derselben sind m. E. als direkte Folgen des Sterilisationsprozesses
zu betrachten. Alle diese eingreifenden Modifikationen setzen nicht nur die Ver¬
daulichkeit, sondern auch den Nährwerth der Milch bedeutend herab. Deswegen
besitzt auch die rohe Milch eine grössere Nahrhaftigkeit und eine bessere Verdaulich¬
keit als die gekochte oder gar sterilisierte. Andererseits gehen die sporentragenden
Bakterien bei den in der Praxis üblichen Methoden des Sterilisierens nicht zu Grunde.
Von diesen Gesichtspunkten aus erweist sich als die trefflichste Methode der Milch¬
desinfektion diejenige, bei welcher man sich mit der Einwirkung für den Chemismus
der Milch indifferenter Temperaturen begnügen kann, die aber die Milchsäure¬
bakterien und die übrigen möglicherweise in der Milch enthaltenen pathogenen
Mikroben abzutöten vermögen. Dieses Ziel ist vollkommen erreichbar durch die
Pasteurisation der Milch.
Ausgehend von der Ueberzeugung, dass die Pasteurisation zu Hause, in dem
gewöhnlichen Haushalte, der Vornahme dieses Prozesses im Grossen unbedingt vor¬
zuziehen sei, konstruierte nun A. Hippius 4 ) einen einfachen, billigen Apparat,
welcher seiner Bestimmung: erstens auf eine bequeme Weise eine solide Pasteurisation
der Kindermilch zu erzielen und zweitens die Möglichkeit zu gewähren, diese Milch
bei einer für die Ernährung des Säuglings geeigneten Temperatur aufzubewahren,
in vorzüglichster Weise zu entsprechen imstande ist. Das Prinzip des von Hippius
angegebenen Apparates beruht auf einer Kombination von Warmwasser- und Heiss¬
luftbad. Fünf mit Milch gefüllte Soxhletflaschen (das ausreichende Tagesquantum
an Säuglingsnahrung) werden in einem mit Wasser gefüllten Kessel, der mit einem
Thermometer versehen ist, solange erwärmt, bis das Wasser eine Temperatur von
Digitized b)
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Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. 299
TU 1 ' C erreicht. Der Kessel hat eine doppelte Wand, aber nur einen einfachen
Boden. Die äussere Wand überragt die innere nach unten um 1 cm. Nach dem
Erwärmen wird der Kessel auf einen Dreifuss gestellt, dessen obere Fläche aus einer
in der Mitte mit einem kleinen Loche versehenen Platte besteht. Diese Platte bildet
nun mit der längeren Aussenwand des Kessels eine dessen Innenwände umschliessende
Kammer, in welcher sich Luft befindet. Durch eine kleine, unter den Dreifuss
gestellte Petroleumlampe wird diese Luft erwärmt, wodurch die Temperatur des
Wassers dauernd auf 60—70, die der Milch auf 60—65 0 C gehalten wird. Man
kann den Apparat ununterbrochen bis zur Verabreichung der Milch über der Flamme
belassen, oder die Milchflaschen nach zwei Stunden entnehmen und zunächst kalt
stellen. Der Apparat vereinigt also in sich die Vorzüge eines Pasteurisators im
engeren Sinne des Wortes mit denen eines Thermophors.
Was die physikalischen Eigenschaften der in dem Hippius’schen Apparat
bearbeiteten Milch betrifft, so unterscheidet sie sich weder der Farbe nach, noch in
Bezug auf den Geruch oder den Geschmack von der rohen. Sie gerinnt auch bei
Zimmertemperatur im Laufe der ersten 24 Stunden nicht. Zahlreiche Prüfungen der
Wirkungsweise des Apparates in chemischer und bakteriologischer Beziehung und
wiederholte Untersuchungen der Milch vor und nach der Pasteurisation ergaben
folgende Resultate. Die im Verlaufe einer halben Stunde oder zwei Stunden lang
bei einer Temperatur von 65« pasteurisierte Milch zeigt hinsichtlich ihrer chemischen
Konstitution fast gar keine Unterschiede von der rohen. Nach zweistündiger
Pasteurisation in dem Apparate von Hippius verringert sich die Anzahl der lebens¬
fähigen Keime in der Milch annähernd in demselben Grade wie bei der Sterilisation
nach Soxhlet; in der Folge dagegen, beim längeren Verweilen der Milch im
Apparate, sinkt nicht selten die Zahl der Mikroorganismen bis auf Null, d. h. sämmt-
liche vegetative Bakterienformen gehen endgültig zu Grunde. Speziell Tuberkel¬
bacillen bewahren ihre Virulenz (bei Versuchen an Meerschweinchen) bei einer
Temperatur von 65 0 noch 5 Minuten lang, nach 15 Minuten dagegen sind sie gänzlich
vernichtet. Das tuberkulöse Toxin wird nach der 5 Minuten langen Einwirkung
einer Temperatur von 65 0 im Apparate beträchtlich abgeschwächt und bei derselben
Temperatur nach Verlauf von 15 Minuten völlig zerstört. Auch rücksichtlich des
Diphtheriebacillus ergab sich das Resultat, dass er in der Milch bei 65° C nach
Ablauf von 15 Minuten vollständig zu Grunde geht. Auf diese Weise kommt
Hippius zu dem Schluss, dass in dem von ihm konsumierten Apparat die Milch
vollkommen sicher desinfiziert wird. Dabei bewahrt sie fast ohne die geringsten
Veränderungen die chemische Zusammensetzung der rohen Milch und repräsentiert
sich infolge dieses Umstandes als ein nahrhaftes und leichtverdauliches Nahrungs¬
mittel. Als kein geringer Vorzug muss auch die Thatsache betrachtet werden, dass
für die Säuglinge zu jeder Zeit, besonders aber des Nachts, die Milch im Apparate
trinkfertig ist.
In der Sektion für Kinderheilkunde des VIII. Allrussischen Pirogoff'sehen
Aerztekongresses in Moskau berichtete A. Hippius 5 ) am 7. (20.) Januar 1902 über
seine praktischen Erfahrungen mit der Anwendung der in seinem
Apparate pasteurisierten Milch in der Kinderernährung. Sämmtliche
Beobachtungen, welche einen Zeitraum von 6—10 Monaten umfassen, waren 59 an
der Zahl. Von diesen betreffen 38 Fälle Brustkinder und 21 Fälle Kinder höheren
Alters (von 1—6 Jahren). Die Beobachtungen an den Kindern im Säuglingsalter
dienten als Kriterium für die Beurtheilung der pasteurisierten Milch als Nahrungs¬
mittel, während ihre Anwendung bei den älteren Kindern zur Prüfung ihrer Heil¬
wirkung herangezogen wurde. Im allgemeinen ist Hippius mit den von ihm bei
der Pasteurisation der Milch im Hause erzielten Resultaten sehr zufrieden, und dabei
nicht nur rücksichtlich der Verdaulichkeit der pasteurisierten Milch, sondern auch
hinsichtlich ihrer therapeutischen Wirkung in einigen Fällen von gestörter Darm¬
funktion und allgemeiner Ernährungsstörung.
Zur Bewerthung der Nahrhaftigkeit und der leichten Verdaulichkeit der
pasteurisierten Milch wendet sich Hippius vor allem zu der Gruppe der Kinder in
der Säuglingsperiode, welche ausser dieser Milch keine andere Nahrung im Laufe
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300 A. Dworetzky
der ersten 6 Lebensmonate erhielten. Solcher Fälle hatte der Autor 20 in seiner
Beobachtung. Die Zahlen, welche sich bei der Wägung der Säuglinge in wöchent¬
lichen Intervallen ergaben, entsprachen durchaus der von W. Camer er festgestellten
Norm der Gewichtszunahme für künstlich ernährte Kinder, in einigen Fällen über¬
trafen sie sogar diese Norm. Die Kinder hatten meistentheils 1—3 Ausleerungen
täglich. Bei keinem einzigen der Fälle dieser Gruppe kamen Darmkatarrhe zur
Beobachtung. Die leichte Verdaulichkeit der pasteurisierten Milch konnte besonders
deutlich an denjenigen Kindern verfolgt werden, welche von der ersten Lebens¬
woche an die Milch unverdünnt und ohne jegliche Beimengungen bekamen. Hippius
verfügt über sieben derartige Fälle: in zwei von ihnen wurde die Vollmilch den
Kindern in sterilisiertem Zustande gereicht, in einem Falle einfach aufgekocht, und
in den übrigen vier Fällen wurde die Nahrung in des Verfassers Apparate pasteurisiert
Obgleich alle Säuglinge sich gut entwickelten, so litten doch diejenigen, welche die
Milch in gekochtem oder sterilisiertem Zustande erhielten, an Verstopfung und
häufigem Erbrechen, was an denjenigen, welche mit pasteurisierter Milch gefüttert
worden, nicht konstatiert werden konnte.
Die übrigen 18 Beobachtungen an Kindern des Säuglingsalters betreffen nicht
mehr Neugeborene, sondern solche Säuglinge, welche anfänglich entweder an der
Mutterbrust oder auf irgend eine Weise künstlich ernährt und sodann erst auf
pasteurisierte Milch gesetzt wurden. Zu einem solchen Uebergang nahm Hippius
dann seine Zuflucht, wenn die Ernährung an der Brust erfolglos vor sich ging und
man dabei mit der Unmöglichkeit oder mit dem Widerstreben eine Amme zu
engagieren rechnen musste, oder wenn irgend eine Verdauungsstörung bei einem
nach dieser oder jener Methode künstlich ernährten Kinde den üblichen therapeutischen
Maassregeln nicht weichen wollte. Der Erfolg des Ueberganges zur pasteurisierten
Milch war fast immer ein guter, in einigen Fällen sogar ein glänzender. Unter
diesen 18 Fällen waren 13, in denen bereits frühzeitig von der Mutterbrust zur
pasteurisierten Milch übergegangen worden war, und kein einziges Mal sah Hippius
davon einen Verfall des Ernährungszustandes, sondern im Gegentheil ein regelmässiges
Ansteigen des Körpergewichtes in sämmtlichen Fällen entsprechend den Camerer-
schen Tabellen. Als etwas schlechter repräsentieren sich die Ergebnisse in 5 Fällen
von chronischem Darmkatarrh, welcher sich entweder bei künstlich mit sterilisierter
Milch (4 Fälle) oder mit Lahmann’scher Pflanzenmilch (1 Fall) ernährten Kindern
entwickelt hatte. Nach Ersatz dieser Ernährung durch die pasteurisierte Milch er¬
holten sich die Kranken nur langsam von ihrem Darmleiden und nahmen bei dem
neuen Regime etwa einen Monat lang an Körpergewicht nicht zu. Nach der Genesung
jedoch fingen alle 5 kleinen Patienten sich in völlig normaler Weise zu entwickeln an.
Was die Kinder höheren Alters, von 1—6 Jahren, betrifft, so wurde ihnen die
pasteurisierte Milch vorzüglich zu diätetischen oder therapeutischen Zwecken ver¬
ordnet. Hier stand auf dem ersten Plane die Behandlung der habituellen Obstipation,
die bei Kindern nach Ablauf des ersten Lebensjahres so häufig beobachtet wird.
Unter den 21 Fällen dieser Gruppe litten 10 Kinder an chronischer Verstopfung.
Bei allen erwies sich der Uebergang zur pasteurisierten Milch als sehr nutzbringend.
In der Mehrzahl der Fälle allerdings wurde die günstige Wirkung der pasteurisierten
Milch nach einem oder zwei Monaten gewisserraaassen schwächer: die Neigung zur
Verstopfung kehrte wieder, wenn auch nicht in dem Grade wie früher. In weiteren
11 Fällen wurde von Hippius empfohlen, die Milch nicht aufzukochen, sondern zu
pasteurisieren, wo es sich um rhachitische oder anämische, appetitlose Kinder handelte.
Auch hinsichtlich dieser Krankengruppe gewann der Autor einen günstigen Eindruck:
die Kinder erholten sich mit besserem Erfolge als bei gekochter Milch aus dem
Grunde, weil die pasteurisierte Milch ihnen besser mundete und sie die letztere in
bedeutend grösseren Quantitäten tranken als die erstere.
Zum Schluss macht noch Hippius darauf aufmerksam, dass die pasteurisierte
Milch zu therapeutischen Zwecken sowohl bei Durchfällen wie auch bei leichter
Neigung zu Verstopfung als diätetisches Heilmittel angewendet werden könne, und
zwar stehe die stopfende und die abführende Wirkung in direkter Abhängigkeit von
der Dauer der Pasteurisation. Bei Neigung zu Durchfällen dauert die Pasteurisation
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Russische Beiträge zur Emährungstherapic. 301
volle zwei Stunden, und die Milch wird im Apparate bei Thermophortemperatur
noch längere Zeit hindurch aufbewahrt. Bei Konstipation dagegen wird die Milch
Vs — 1 Stunde lang pasteurisiert und dann aus dem Apparat entfernt.
Die Frage der künstlichen Säuglingsernährung wurde auf dem VIII. All¬
russischen Pirogoff’schen Aerztekongress zu Moskau nochmals diskutiert, und zwar
anlässlich eines Vortrages von M. Blauberg 6 ) in der vereinigten Sitzung der
Sektionen für Hygiene und für Kinderkrankheiten vom 9. (22.) Januar 1902. Blau¬
berg sprach über den gegenwärtigen Stand der Frage von der künstlichen
Ernährung der Kinder im Säuglingsalter. Referent hat die behufs der künst¬
lichen Ernährung der Säuglinge am meisten gebräuchlichen Surrogate, welche in
ununterbrochener Reihenfolge, von dem Lärm einer wenig gewissenhaften und auf¬
dringlichen Reklame begleitet, in fast unübersehbarer Zahl den Markt überschwemmen,
einer allseitigen Untersuchung und genauen Prüfung unterworfen und ist zu dem
wenig tröstlichen Ergebnisse gelangt, dass fast kein einziges dieser Surrogate und
Ersatzmittel in der einen oder anderen Beziehung seiner Bestimmung Genüge leistet.
Auf Grund dieses traurigen Ergebnisses seiner Nachprüfungen stellte der Referent
die Thesis auf, dass die künstliche Ernährung ein Uebel sei, das mit allen Mitteln
bekämpft werden müsse. Zur Ausarbeitung von Maassregeln im Kampfe mit der
künstlichen Ernährung und zur möglichsten Verringerung des Schadens seitens der
Surrogate schlug der Referent vor, eine besondere Kommission einzusetzen. Ausser¬
dem seien spezielle Institutionen von Nöthen, deren Aufgabe darin bestehe, die Frage
von der Massenernährung überhaupt und von der Kinderernährung im besonderen
zu beleuchten. Da die Ernährungsphysiologie des kindlichen Organismus noch sehr
wenig aufgehellt ist, so sei es überhaupt wünschenswerth, zur Entscheidung und
Aufklärung der einschlägigen Fragen Experimente und Versuche in den Findel¬
anstalten und Krippen anzustellen, da derlei Untersuchungen s. E. für die betreffenden
Kinder unschädlich seien.
Dieser letztere Vorschlag des Referenten, nämlich ernährungsphysiologische Ver¬
suche an den Insassen der Kleinkinderbewahranstalten vorzunehmen, stiess in der
Sektion auf den heftigsten Widerspruch seitens der Anwesenden. Ebenso wenig
Sympathie fand auch die zweite Proposition des Referenten, eine besondere Kommission
zur Untersuchung der Milchsurrogate einzusetzen; mit Recht wurde von der Mehrzahl
der Mitglieder darauf hingewiesen, dass eine derartige Kommission ewig werde tagen
müssen, da die Anzahl der Milchersatzmittel mit jedem Jahre immer wachse. Voll¬
ständige Einmüthigkeit trat in der Frage der künstlichen Ernährung zu Tage, insofern
als die Sektion die künstliche Ernährung als Uebel anerkannte, das bekämpft
werden müsse.
Alle diese unzähligen Methoden der künstlichen Säuglingsernährung, all dieses
endlose Suchen nach neuen und vervollkommneteren Verfahren, all diese fruchtlosen
Bemühungen und immer wieder neuen Enttäuschungen wären natürlich gänzlich
überflüssig, wenn sämmtliche Mütter, wie es von der Natur vorgeschrieben ist, ihre
Kinder an der eigenen Brust nähren würden. Es kann kein Zweifel darüber be¬
stehen, dass die allerwirksamste Maassregel zur beträchtlichen Herabsetzung der
enormen Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahre die möglichst weite Verbreitung
der Ernährung der-Kinder an der Mutterbrust sei. Leider aber stillen sehr viele
Mütter ihre Kinder nicht an der Brust, und zwar in der Mehrzahl der Fälle ohne
zwingenden, hinreichenden Grund. Schuld daran sind zum Theil auch die Aerzte,
welche nicht selten leichten Herzens ihre Erlaubniss dazu geben, das Kind nicht an
die Brust zu legen; schuld daran sind auch die Hebammen, schuld auch so manche
populär-medicinische Schriften. (Schluss folgt.)
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Kleinere Mittheilungen.
302
Kleinere Mittheilungen.
Das Konservebrot in den verschiedenen Armeen 1 )'
Von M. Ball and, Oberapotheker I. Klasse.
Frankreich« Seit 25. November 1894 wurde statt des früheren »Biskuit« das »Kriegsbrot«
in die Armee eingeführt; dasselbe wird aus feinem Roggenmehl, Wasser, Salz und Hefe dargestellt
und unterscheidet sich somit von dem »Biskuit«, welches weder Salz noch Hefe enthielt. Die
Scheiben sind kleiner, jedoch auf der Oberfläche mehr gewölbt und zahlreicher gelocht; sie wiegen
nur 60 g und haben ungefähr eine Länge von 7 cm, eine Breite von 6,5 cm und eine Dicke von
2.5 cm. Jede Scheibe trägt sowohl den Namen seines Fabrikationsortes als auch die Zeitangabe
seiner Fabrikation (Monat und Jahr). Die Kruste ist ein wenig härter, während die weisse, sehr
poröse Brotkrume sich ausserordentlich schnell in Kaffee oder Bouillon einweichen lässt. Das Mehl
muss mindestens auf 30% gebeutelt sein; das Gewicht der Friedensration beträgt 550 g, das der
Kriegsration 600 g (12 Scheiben).
Deutschland« Das »Konservebrot« stellt sehr kleine, rechteckige Scheiben dar: 2,3 g schwer,
3,7 cm lang, 2 cm breit, 0,7 cm dick. Die Scheibchen lassen sich infolge ihres geringen Umfanges
unbeschadet in Säcken transportieren. Jedes Brödchen weist zwei Durchstichslöcher auf, während
es im übrigen äusserlich ganz dem französischen Kriegsbrote gleicht Die Krume ist weiss und
porös und ausserdem noch mit einigen Kümmelkörnern gewürzt. Der Hauptbestandteil ist reines
Weizenmehl und scheint auf 30—35% gebeutelt zu sein.
Ausserdem giebt es noch Brödchen von der nämlichen Form, welche jedoch mehr Stickstoff
enthalten, stärker gezuckert und lockerer gebacken sind; sie sind aus Mehl, Wasser, Zucker und Eiern
dargestellt. Sie enthalten keinen Kümmel, ähneln mehr trockenem Kuchen und sind mehr dem
Ranzigwerden und dem Angriff der Insekten ausgesetzt als die erstbeschriebenen Brotscheiben.
Oesterreich-Ungarn« Das Konservebrot bildet eine mit zwei queren Stanzfurchen versehene
Scheibe im Gewicht von 150 g, 13 cm lang, 10 cm breit und 2 cm dick. Jede dieser Scheiben, in
einer dreitheiligen Form gegossen, besteht aus drei kleinen durch zwei Furchen von einander ge¬
trennten Theilstücken, welche sich durch geringen Druck abbrechen lassen. Jede einzelne Bruch¬
scheibe misst demgemäss 10 cm in der Länge und 4,5 cm in der Breite und wiegt 50 g; jede ist mit
zwölf durchgehenden Lochungen versehen. Die Kruste ist sehr hart und sieht wie glasiert aus,
ähnlich der in der Backofenhitzc mit Wasser bestrichenen Brotteigkruste. Die Krume zeigt Spuren
von Hefe und ist mit einigen Kümmelkörnern gewürzt. Das Mehl ist im gleichen Prozentsätze ge¬
beutelt wie das in der französischen Armee verwendete. Die Beimengung von Kümmel erhöht
übrigens weder die Haltbarkeitsdauer, noch vermag er die Insekten fernzuhalten.
Belgien. Das Konservebrot bildet 150g schwere, flache Scheiben, welche, mit 40 durch¬
gehenden Lochungen versehen, eine Länge von 15 cm, eine Breite von 10 cm und eine Dicke von
1.5 cm besitzen. Das Mehl ist schlecht gebeutelt und scheint mit Eiern und Zucker angemacht zu
sein. Das frische Brot besitzt einen angenehmen Geschmack nach Kuchen, wird jedoch nach wenigen
Monaten ranzig. Sein doppelter Nachtheil besteht darin, dass es eine grosse Anziehungskraft für
Insekten besitzt und sehr brüchig ist.
Italien« Das Konservebrot gleicht dem alten französischen Biskuit; quadratische Scheiben
(15 cm breit und 2 cm dick) mit 36 Lochungen versehen; es besteht aus einer Mischung von feinem
und grobem Roggenmehl, 25% gebeutelt. Das Ausbacken des Brotes scheint erzielt zu werden
durch ein längeres Verweilenlassen im Backofen bei einer niedrigeren Temperatur, als man für ge¬
wöhnlich anzu wenden pflegt. Hierdurch erzielt man eine dickere, gleichmassig glatte und sehr harte
Kruste, welche sowohl;'gegen Bruch als auch gegen Insekten widerstandsfähig ist.
Rumänieu« Das Kriegsbrot, wie es auf der Allgemeinen Ausstellung 1900 vorlag, weist alle
Die nachfolgende übersichtliche Zusammenstellung, welche das Interesse vieler Leser der
Zeitschrift erregen dürfte, entnehmen wir der Zeitschrift Le Caducee 1902. No. 2.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 303
Eigenschaften des französischen Kriegsbrotes auf, dasselbe Gewicht, dieselbe Grösse, sogar dasselbe
prozentuale Verhältniss der Beutelung, 30%.
Russland Ein spezielles Kriegsbrot existiert nicht. Die »Sukhari«, welche anstatt Biskuit
Verwendung findet, besteht aus kleinen Stückchen gewöhnlichen Brotes, welches im Backofen ge¬
röstet wird. Um es genussfähig zu machen, wird es in Thee aufgeweicht.
Schweiz. Man verwendet als Konservebrot frisches Brot, welches in gelindem Backofen¬
feuer geröstet wird, nachdem es vorher in entsprechende Stücke geschnitten ist. Die Scheiben, wie
sie von langen rechteckigen Broten mittels Stanzmaschinen geschnitten werden, sind sehr gleich-
massig; sie sind quadratisch, 9 cm breit; ihre Dicke beträgt 2 cm, ihr Gewicht 50 g. Diese Brot¬
scheiben sind zu je fünf Stück in Schachteln aus Kartonpapier verpackt. Allerdings sind sie bei
gleichem Gewicht viel voluminöser als alle bereits besprochenen Konservebrote. Das Mehl dürfte
auf 40% ausgebeutelt sein. Die Backofenhitze hat den Brotscheiben eine schöne goldgelbe Farbe
verliehen; die Krume iBt sehr weiss, sehr porös, ein Beweis für sorgfältige Hefegährung.
Türkei. Die Armee führt runde Brotscheiben von 15 cm Durchmesser, jedoch unregelmässiger
Form und wechselnder Dicke, welches seinen Grund darin hat, dass die Herstellung ohne Press¬
maschinen erfolgt; das Gewicht ist auch nicht gleichmässig, ungefähr 200 g. Die Löcher, welche
die Trocknung erleichtern und die Blasenbildung während des Backens verhindern sollen, sind wenig
zahlreich und in ,der Mitte in willkürlicher Form vertheilt. Die Kruste ist braun und sehr dick;
die Brotscheiben sind sehr hart. Der innere Bruch gleicht dem italienischen Biskuit, das Mehl ist
zwischen 20—30% gebeutelt
Die Konservebrote, soweit sie in den letzten Jahren von den verschiedenen Armeevor-
waltungsbehörden angenommen wurden, sind im grossen Ganzen alle aus Roggenmehl dargestellt,
dessen Ausbeutelungsprozentsatz durchschnittlich über 20% steht
Das Konservebrot der belgischen Armee, dessen Darstellung aus den am wenigsten gebeutelten
Mehlen stattfindet, ist auch von allen in Betracht gezogenen Produkten dasjenige, welches die
meisten unausnützbaren Stoffe (Cellulose) enthält. Zwar vermehren die bei der Fabrikation mit
verwendeten Eier etwas die Nährkraft, jedoch stellen sie andererseits die Konservationsfahigkeit
umsomehr in Frage, als gerade die Fettsubstanzen in Berührung mit den Kleie- und Stärkemehl¬
haltigen Bestandtlheilen des Brotes sehr schnell ranzig werden. — Um das Ranzigwerden zu ver¬
meiden, fordert die französische Armee Verwaltungsbehörde Mehle, die mindestens auf 30% aus¬
gebeutelt sind, da diese bekanntlich viel weniger fettstoffhaltig sind als die nur zu 20 — 25% aus¬
gebeutelten. Das französische Kriegsbrot, wie es unter genauster Beobachtung der hierüber
bestehenden Vorschriften dargestellt wird, steht in keiner Weise gegen ein gleiches Produkt des
Auslandes zurück. Die abfällige Beurtheilung desselben stützt sich auf folgende zwei wichtige
Faktoren: entweder war das Konservebrot länger als zwölf Monate, d. h. über die laut ministerieller
Vorschrift erlaubte Frist im Magazin auf bewahrt gewesen, oder es war nicht mit hinreichend gebeutel¬
tem, mithin einem dem reglementmässigen Vorschriften nicht entsprechendem Mehle dargestellt.
Die Ansicht aller Sachverständigen, welche vom Kriegsministerium beauftragt waren, den
Streit zwischen der Armeeverwaltungsbehörde und den Fabrikanten zu schlichten, war über diese
beiden Punkte stets eine ungetheilte *).
Berichte über Kongresse und Vereine.
Die grossherzogliche Badeanstaltcnkommission zu Baden-Baden
hat, wie wir aus sicherer Quelle erfahren, beschlossen, auch in diesem Jahre die im vergangenen
Herbst eingerichteten und so rege besuchten theoretisch - praktischen' Kurse der physikalisch¬
diätetischen Heilmethoden und der Balneotherapie für Aerztc und Studierende der Medicin wieder
abzuhalten.
Der Beginn der auf ca. 8 Tage berechneten Kurse ist auf den 13. Oktober gelegt.
Die Bekanntgabe aller Einzelheiten erfolgt duryh spätere Veröffentlichungen. R.
i) Annales d’hyg. publ. et de med. 16g. 1901. Juni.
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304
Referate über Bücher und Aufsätze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
B. Lupine, Le Sucre dans l’alimentation.
Semaine mödicale 1901. No. 27.
Neuerdings hat Bunge in einem Artikel:
»Der wachsende Zuckerkonsum und seine Ge¬
fahren« ausgeführt, dass ein Uebermaass von
Zucker in der Ernährung deswegen von Nach¬
theil ist, weil derselbe weder Eisen noch Kalk
enthält, die Gefahr also vorhanden ist, dass
diese, namentlich dem wachsenden Organismus
unumgänglich nothwendigen Bestandteile der
Nahrung in zu geringen Quantitäten dem Körper
zugeführt werden, wenn der Zucker sich über
Gebühr in dem Kostmaass vordrängt
Löpine wendet sich gegen diese An¬
schauung; er hält den Zucker in der Volks¬
emährung für ein so wichtiges Mittel, dass er
im Gegensatz zu Bunge sogar für eine weit
häufigere Verwendung des Zuckers als Nährstoff
eintritt. P. F. Richter (Berlin).
Neumann, Die Wirkung des Saccharins anf
den Sückstoffumsatz beim Menschen. Mün¬
chener medicin. Wochenschr. 1901. No. 26.
Bornstein war bei Ausnützungsversuchen
mit Saccharin (Zeitschr. f. klin. Medicin 1900) zu
der Anschauung gelangt, dass durch Beigabe von
Saccharin zur Nahrung die Ausnützung des Stick¬
stoffs etwas schlechter werde. Gegen diese An¬
gabe wendet sich Verfasser vorliegender Mit¬
teilung. In einem 30tägigen, an sich selbst
vorgenommenen Stoffwechsel versuch kommt er
zu dem Resultat, dass die Einfuhr von Saccharin
in ansteigenden Dosen von 0,1 bis 3,5 g den
Ei weisszerfall in keiner Weise beeinflusst und
das Stickstoffgleichgewicht nicht im mindesten
gestört hat. Der Stuhl war stets normal, während
Bornstein öfter Diarrhöen angegeben hatte.
Die Ursache des Born st ein* sehen Ergeb¬
nisses sucht Neu mann in ungenügender Analyse
der von Bornstein genossenen Nahrungsmittel.
Bornstein hatte von seiner Nahrung nur das
Fleisch, Zwieback und Kakes analysiert, während
er den in den übrigen Nahrungsmitteln (Butter,
Zucker, Schokolade, Kaffee, Sahne, Aepfel) ent¬
haltenen N schätzungsweise mit 1 g in die Rech¬
nung einstellte. Das war gewiss nicht exakt;
aber es handelte sich hierbei nur um unwesent¬
liche Stickstoffmengen, und ausserdem wurde
der Fehler in den Vergleichsperioden gleichmäsaig
gemacht, sodass das Verhältnis der Bilanzen zu
einander, auf das es ja hierbei allein ankam, da¬
durch nicht alteriert wurde. Anders steht es mit
der Frage, ob Bornstein berechtigt war, aus
den kleinen Differenzen, die er fand, so schwer¬
wiegende Schlüsse zu ziehen. Die Berechtigung
hierzu kann man bestreiten, und es wäre viel¬
leicht gut, wenn Born stein durch einen noch¬
maligen Versuch die Ergebnisse seiner Arbeit
nachprüfte. Gotthelf Marcuse (Breslau).
A. Mayor, La gastdrine. Revue möd. de la
Sui&se romande 1901. No. 1.
In den Jahren 1895 und 1898 hatte Frömont
Mittheilung gemacht (Bull, de la Soc. de thöra-
peutique de Paris 1899) von einem Verfahren,
funktionelle Magenstörungen motorischer und
sekretorischer Natur mit reinem thierischen Magen¬
saft zu behandeln, den er in der Weise gewann,
dass er bei Hunden das Duodenum an den
Oesophagus unter Schonung der Magennerven
annähte, den also isolierten Magen an beiden
Enden verschloss und durch eine Fistel mit der
Bauch wand verband. Das derart gewonnene Medi¬
kament nannte er »gastörine«.
Mayor (Genf) prüfte die Frömont’schen
Angaben an zwei Patientinnen mit Enteroptose
und Darniederliegen der Magenfunktion nach. Der
Erfolg war ein guter: Der Magen entleerte
sich rascher, die Schmerzen schwanden, der
Schlaf wurde gut, der Appetit besserte sich, das
Körpergewicht nahm zu; und das alles, trotzdem
die Enteroptose als solche sich nicht wesentlich
änderte. Die »Gastörine« scheint, abgesehen von
ihrer chemischen Wirkung bei Verdauung der
Speisen, auch die Motilität des Magens, direkt
oder indirekt, günstig zu beeinflussen.
Bei vorübergehenden Dyspepsien, z. B. im
Laufe Fieberhafter Erkrankungen, wird der Magen¬
saft am besten mit Milch (25 ccm : 75 ccm Milch)
stündlich oder zweistündlich gegeben. Bei chro¬
nischen Dyspepsien wird er bis zur Maximaldosis
von 500 ccm pro die, ebenfalls in Milch, oder
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305
tieferate Über Bücher und Aufsätze.
in Wein, Wasser, Bouillon, während der Mahl¬
zeiten in kleinen Portionen getrunken.
Wenn das Mittel die damiederliegende Magen-
funktion nicht nur ersetzt, sondern sie auch all¬
mählich wieder weckt, so muss es als bedeut¬
samer Fortschritt in der Therapie der Magen¬
krankheiten begrüsst werden. Eis bleibt abzu¬
warten, ob weitere Nachprüfungen das günstige
Resultat bestätigen.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
Martinj, Zar Frage der Milchrersorgang
grösserer Städte. Zeitschr. f. Heisch- u. Milch¬
hygiene 1901. Juni.
Eine Berliner Polizei verordnung gestattet den
Milehhändlera den Verkauf von Vollmilch (2,7%
E’ett), Halbmilch (1,5%) und Magermilch, und
schreibt vor, dass die Verkaufsgefasse mit einer
den Inhalt entsprechend angebenden Aufschrift
versehen sein müssen. Im Anschluss nun an ein
gerichtliches Urtheil, durch das ein Händler, der
Vollmilch zu dem dafür üblichen Preise aus einem
die Aufschrift »Halbmilcht tragenden Gefäss ver¬
kauft hatte, freigesprochen worden war, setzt
M artiny auseinander, wie das Publikum vor
Verfälschung der Milch geschützt werden könne,
und kommt zu dem Schluss, dass dies, so lange
die grossstädtische Milch Versorgung Sache eines
ungeregelten Kleinhandels sei, nicht in jeder Be¬
ziehung möglich sei; von dem kleinen Händler
könne nicht vorausgesetzt werden, dass er seine
Milch stets unmittelbar von zuverlässigen Land-
wirthen beziehe, oder selbst die Milch auf ihre
Zuverlässigkeit prüfen könne. Der Grossbetrieb
in irgend einer Form sei die einzige Art, durch
die das Publikum vor Schädigung bewahrt werde.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
Korcxynski, Ueber den Einfluss der Gewürze
auf die Magenthätigkeit. Wiener medicinische
Presse 1901. No. 12.
Korczy nski ist in der mcdicinischcn Klinik
in Krakau mit Versuchen beschäftigt über den
Einfluss der Gewürze auf die motorische und
sekretorische Thätigkeit des Magens. In vor¬
liegendem Aufsatz macht er eine kurze Mit¬
theilung über die Erfahrungen, dio er in dieser
Richtung an einem Kranken mit Myelitis chronica
gemacht hat, bei dem die Sondenuntersuchung
eine geringe sekretorische und motorische Magen¬
schwäche ergeben hatte. Nach jeder der üblichen
Probemahlzeiten war in dem ausgeheberten Magen¬
inhalt der Säuregrad immer niedriger, die freie
HCl immer spärlicher nach den Gewürzen,
als ohne dieselben.
Zeitoohr. t di*k u. pbyaik. Therapie Bd. VI. Heft 5.
Es scheinen also, nach dieser Erfahrung des
Verfassers, die Gewürze nicht in jedem Falle
sekretionsbefördernd zu wirken. Dass die Aus¬
nutzung der Speisen thatsächlich durch die Ge¬
würze nicht wesentlich erhöht wird, hat schon
Flügge im Jahre 1879 nachgewiesen.
Die motorische Kraft des Magens schien in
dem Korczyriski’schcn Versuche günstig be¬
einflusst zu werden.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
NikolAas Berend, Beiträge zur Frage der
künstlichen Ernährung im Säuglingsalter.
Gyögyäszat 1900. No. 23—24.
Verfasser erörtert kritisch alle Präparate, die
zum Ersätze der Muttermilch empfohlen werden,
welche aber nicht immer brauchbar, ja überhaupt
ganz überflüssig sind Bei einfacher Anwendung
von Milch, Milchrahm und Zucker, sowie einer
gehörig bereiteten Verdünnuugsflüssigkeit, werden
wir diese Präparate bei gesunden Säuglingen
überhaupt nicht benöthigen, wenn wir mit Be¬
achtung der Wage und des Stuhles die künst¬
liche Ernährung individualisieren. Bei kranken
Kindern aber ist es die schwierigste und — leider
— am wenigsten kultivierte Aufgabe der Kinder¬
heilkunde zu beurtheilen, welche von den ange¬
führten Präparaten angezcigt sind. Es darf aber
nie vor Augen gelassen werden, dass es höchst
gefährlich ist, die zur Entwicklung des Säuglings
eben genügende minimale Menge des Nahrungs¬
quantums zu überschreiten. Sind wir aber infolge
einer chronischen Verdauungsstörung dennoch
gezwungen, cinE'abrikpräparat zu Hilfe zu nehmen,
so ist dio Menge desselben mit zunehmender
Besserung des Zustandes des Säuglings allmählich
zu vermindern und langsam zur einfachen nicht
komplizierten Nahrung zurückzukehren.
J. Honig (Budapest).
JosephSzabö, (Jeher die chemische Reaktion
des Mnudspeichels. Orvosi hetilap 1900. No. 32.
1. Statistische Daten. Die chemische Reaktion
des Mundspeichels war in der überwiegenden
Mehrzahl der untersuchten Fälle alkalisch, saure
Reaktion fand sich kaum in 1—2 Fällen vor.
Doch in der Intensität der Alkalität fand Ver¬
fasser den einzelnen Zahnkrankheitsprozessen ent¬
sprechend ganz bestimmte Unterschiede. Während
bei gaugränösen Erkrankungen der Zähne der
Mundspcichel in 39% der Fälle stark alkalische
Reaktion bcsass, war bei Pulpitis nur in 20%
und bei blosser Karies sogar nur in 4,8 % der
Fälle eine ähnliche Intensität der Reaktion vor¬
handen. 2. Hängt die Alkalität des Mund-
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306
Referate über Bücher und Aufsatze.
Speichels von dem Verlaufe der Magen¬
sekretion ab? Im Anschlüsse an drei Ver¬
suchsreihen, bei gewöhnlicher Ernährung, während
des Hungers, sowie bei Uebcrfutterung untersuchte
Verfasser die Reaktion des Mundspeichels und
fand, dass dieselbe mit der Magensekretion in
keinerlei Zusammenhang steht; ja ihre Intensität
(durch Titrierung festgcstcllt) ist sogar auffallend
konstant, so dass die Beziehungen, welche zwischen
der Magensekretion und Urinreaktion bestehen,
auf der Mundspeichelreaktion keine Anwendung
findet. J. Honig (Budapest).
A» Jaquet und N. Svenson, Zar Kenntniss
des Stoffwechsels fettsüchtiger Individuen.
Zeitschr. f. klin. Medicin No. 41. S. 375.
In der Ruhe fanden sich keine Unterschiede
im öaswechsel gegenüber der Norm. Dagegen
war die durch Nahrungsaufnahme bedingte Steige¬
rung des Verbrennungsprozesses eine bedeutend
geringere und weniger lang andauernde als beim
normalen Menschen. Aus dieser Ersparnis an
Verbrennungsmaterial lässt sich wenigstens theil-
weise der Fettansatz erklären. Bei Muskelarbeit
waren in einem Fall die Verhältnisse normal, im
andern trat bei geringer Arbeitsleistung eine sehr
starke Steigerung des Sauerstoffverbrauches auf.
Die Gewichtsabnahme nach Thyroidcabehandlung
ist in manchen Fällen allein durch den Wasser¬
verlust bedingt, ln anderen Fällen tritt dazu
noch eine Steigerung der VerbrennungsVorgänge,
was aber Jaquet und Svcnson nur nach Nah¬
rungsaufnahme, nicht im nüchternen Zustand be¬
obachteten. F. Voit (München).
J. Laumonier, Des laits artiflciels. Bulletin
genöral do thörapeutiquo 1901. Heft 23.
Der Artikel Lauraonicr’s bildet ein zu¬
sammenfassendes Referat über die zahlreichen
Milchpräparate, die zur künstlichen Ernährung
der Säuglinge angegeben worden sind. Da die
wesentlichsten Unterschiede zwischen Kuh- und
Frauenmilch in dem grösseren Kasein- und Salz¬
gehalt der ersteren bestehen, bei geringerem
Zuckergehalt, so ist die nächstliegende Methode
zum Ausgleich dieser Verschiedenheiten — und
einen solchen streben ja alle diese Präparate an
— die Verdünnung mit Wasser mit nachfolgendem
Milchzuckerzusatz. Uffclmann, Escherich und
Marfan haben hierfür besondere Vorschriften
gegeben, je nach den verschiedenen Lebens¬
monaten. Aber alle diese]Methoden haben nach
dem Urtheil des Verfassers den Nachtheil, dass ;
sie leicht zu einer Flüssigkeitsüberlastung des
kindlichen Magens führen, dass sie ferner eine |
Verminderung des Fettgehaltes der Milch be¬
wirken, und dass sie schliesslich, worauf
Laumonier besonderes Gewicht legt, die Milch
der Gefahr der Verunreinigung aussetzen. Nament¬
lich aus letzterem Grunde ist man daher dazu
fibergegangen, die Bereitung geeigneter Mileh-
präparate nicht mehr den Haushaltungen zu über¬
lassen, sondern dieselben auf industriellem Wege
herzustellen und trinkfertig in den Handel zu
bringen. Von derartigen Präparaten erwähnt
Laumonier zunächst die von F 6 c a m p und E u r v,
deren Herstellung sich im wesentlichen in der
Weise gestaltet, dass man die Milch abrahmen
lässt, einen Theil der Magermilch durch eine Milch¬
zuckerlösung ersetzt, eventuell noch etwas Rahm
hinzufügt und sterilisiert. Recht originell er¬
scheint die folgende von Vigier angegebene
Methode. Man theilt die frisch gemolkene Milch
in zwei Theile, a und b. Theil b lässt man an
einem kühlen Ort abrahmen und giebt den Rahm
zu a. Dann unterwirft man b der Labgerinnung,
lässt den Kaseinkuchen sich absetzen und giesst
die überstehendc Flüssigkeit ebenfalls zu a. Die
so entstehende Mischung enthält demzufolge nur
die Hälfte des Kaseins der ursprünglichen Milch,
während Fett, Zucker und Salze nur eine unbe¬
deutende Verminderung erfahren haben. In den
mannigfachen Manipulationen erblickt jedoch der
Verfasser eine Gefahr für die »Asepsis« der
Milch. Daran reiht sich eine Besprechung der
Gärtner’schen Milch, die nach Laumonier’s
Ansicht den Nachtheil hat, dass das Fett, seines
natürlichen Emulsionszustandes beraubt, an den
Wanden der Flaschen hängen bleibt und dadurch
dem Säugling entzogen wird. Die in Amerika
gebräuchlichen Präparate von M e i gs (Philadelphia)
und Morgan Rotch (Boston), die ebenso wie
die Gärtnerische Milch vermittels Centrifu-
gierung hergestellt werden, sind im wesentlichen
Mischungen von Rahm, Magermilch und Zuckcr-
lösung, eventuell unter Zusatz von Kalkwasser.
Die mit denselben erzielten Resultate sollen nach
Laumonier's Angaben nicht sehr ermuthigend
sein. Auch rügt Laumonier den geringen
Eiweissgehalt (1%) des Rotch*sehen Präparates.
Von deutschen Präparaten folgen dann die
Rieth’schc Albumosenmilch, die Lchmann’sche
Milch, die Lahmann*sehe und Löflund’schc
Peptonmilch und schliesslich Biedert’s Rahm¬
gemenge. Das Gcsammturtheil, das Laumonier
über alle diese Präparate abgiebt, ist recht un¬
günstig. Die Bestrebungen, die Kuhmilch der
Frauenmilch gleich zu machen, scheitern seiner
Meinung nach von vorne herein an den qualita¬
tiven Verschiedenheiten der beiden Milcharten,
die sich natürlich durch keinerlei Verfahren aus-
gleichen lassen. Weiterhin bewirkt jede Ver-
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Referate über Bücher und Aufsätze. 307
Minderung des KaseTngehaltes auch eine Ver¬
minderung des Salzgehaltes, und zwar besonders
der so wichtigen Phosphor- und Eisensalze. Und
die zur Ausgleichung des durch die Verdünnung
entstandenen Nähr werth Verlustes empfohlenen
Zusätze von Milchzucker oder Rahm können, wie
Laumonier ausführt, für die Säuglinge, speziell
für verdauungskranke, durchaus nicht gleichgiltig
sein, wie ja auch Esche rieh nachgewiesen hat,
dass in solchen Fällen gerade die Fettsubstanzen
der Milch schlecht ausgenutzt werden. »Cette
rovue rapide nous conduit donc ä dire, . .. qu’il
faut pröförcr aux laits artificiels — le lait störilisö
industriellement, qui n’exige aucune manipulation,
est beaucoup inoins couteux, et a conservö une
grande partie de ses propriötös physiologiqucs
primitives ou en a acquis de nouvelles au point
de vue de la digestibilitö, h la condition toute-
fois qu’il soit administre möthodiquement,
conformöment aux indications de l’ctat, de Tage
et du poids«. Plaut (Frankfurt a. M.).
B. Gymnastik.
A. Hoffa, Die experimentelle Begründung
der Sehnenplastik. Vortrag am Naturforscher-
kongress in Hamburg 1901. Münchener medicin.
Wochenschr. 1901. No. 51.
In gewohnter Meisterschaft entwirft Verfasser
ein klares Bild von dem gegenwärtigen Stande
der Sehnenplastik. Zum Studium ihres Heilungs-
vorganges hat nun Hoffa an einer Reihe von
Hunden und Katzen die verschiedenartigsten
Sehnenoperationen ausgeführt und sodann die
Vernarbungsstadien aufs genaueste untersucht.
An der Bildung der Schnennarbe betheiligen sich
hiernach nicht nur die bindegewebigen Sehnen-
hullcn, sondern auch das Sehnengewebe selbst.
Echte Sehncnfibrillen ersetzen mit der Zeit die
ursprünglich bindegewebige Narbe. Diese ideale
Sehnenregcncration tritt nur bei exakter Blut-
stillungund aseptischem Verlaufe der Operation ein.
Paul Lazarus (Berlin).
W. B ec k e r, Zur heilgyinnastischen Behandlung
der Skoliose. Zwei neue Pendelapparate.
Hoffa’s Zeitschr. für orthop. Chirurgie 1902.
Bd. 10. Heft 1.
Das Problem der Skoliosenbchandlung ist
noch nicht endgültig gelöst, was auch aus der
grossen Zahl der verschiedenartigsten Skoliosen¬
apparate hervorgeht. Bei dem ersten vom Ver¬
fasser konstruierten Pendelapparate kann durch
eine sinnreiche Vorrichtung die maschinelle Dc-
torsion der Wirbelsäule mit aktiv adressierenden
Muskelübungen verbunden werden; bei dem
zweiten »Detorsionspendek kann ausserdem die
Wirbelsäule durch Zug an Kopf, und Schultern
bei gleichzeitiger Fixation des Beckens gestreckt
werden. Paul Lazarus (Berlin).
0. Hübscher, Scheereuformlge Redressions¬
apparate mit elastischem Zug. Hoffa’s Zeit¬
schrift f. orthop. Chirurgie 1902. Bd. 10. Heftl.
Diese Apparate können leicht aus zwei,
sebeerenartig sich kreuzenden Eisenschienen im¬
provisiert werden, deren Chamiere an beide
Seiten des Gelenkes zu liegen kommen. Die
Schienen finden durch drei Halbrinnen aus Fiber-
material ihren Halt an der Extremität, während
die Enden durch dickwandige Drainschläuchc
nach Bedarf genähert werden können. Die Rc-
dression geschieht somit durch Hebelwirkung,
welche durch entsprechende Verkürzung der
Drains beliebig dosiert werden kann.
Paul Lazarus (Berlin).
A. Roth, Vorläufige Mittheilung über Ver¬
suche zur Lösung der Frage eines portativen
Detorsious- und Redressiouskorsetts für
SkoUosen aUer Arteu. Hoffa’s Zeitschr. f.
orthop. Chirurgie 1902. Bd. 10. Hoft 1.
Verfasser konstruierte ein neues Skoliosen¬
korsett und wählte als Angriffspunkt für die
Redressionspelotten nicht nur die Gegend des
Rippcnbuckels, sondern auch die diagonal gegen¬
über liegende Thoraxstelle vom Pektoralis bis
zum Hypochondrium. Die Redressionspelotten
sind nicht an den Armkrücken, sondern an drei
eigenen Stahlmasten angebracht. Prof. Hoffa
bestätigt in einer Nachschrift die gute Wirksam¬
keit des Roth’sehen Korsctt’s.
Paul Lazarus (Berlin).
0. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Carlisle de Vries, The advantages of the
pneumalic cabinet or differentiator in the
treatment of phthisis pulmonalis. New-York
medical journal 1900. Juni.
Die Behandlung der Lungentuberkulose
vermittels des pneumatischen Kabincts ist
in Amerika zwar schon vor vielen Jahren
empfohlen worden, jedoch gerieth diese Be¬
handlungsart dort bald wieder in Vergessenheit,
I nach der Ansicht des Verfassers sehr mit Uu-
21 *
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308
Referate über Bücher und Aufsatze.
recht Der Apparat, dessen sich seit längerer
Zeit de Vries mit bestem Erfolge bediente, be¬
steht aus einem grossen, luftdicht abgeschlossenen
Kasten; in diesen wird der Patient gesetzt,
darauf wird die Innenluft des Kastens allmählich
verdünnt. Ist dies bis zu einem gewissen Grade
geschehen, so wird der Patient angewiesen, nun¬
mehr durch eine mit der Aussenluft kommuni¬
zierende, mit einem besonderen Mundstück ver¬
sehene Rohre tief ein- und auszuathmen. Diese
Athmungsbewegungen sind viel ausgiebiger als
die gewöhnlichen, da der auf dem Thorax
lastende Luftdruck vermindert ist, während der
Druck der eingeathmeten Luft demjenigen der
atmosphärischen Luft gleich ist. Aus diesem
Grunde erfordern diese ausgiebigeren Athmungs¬
bewegungen von dem Patienten keine grössere
Anstrengung, als das gewöhnliche Athmen; über¬
haupt verspüren die Patienten während der Be¬
handlung (die jedesmal von 5 bis zu 40 Minuten
lang andauert) keinerlei Beschwerden bei Be¬
obachtung der nöthigen Vorsichtsmaassregeln.
de Vries lässt nun die Patienten durch die
erwähnte Röhre ausser der atmosphärischen Luft
noch Dämpfe antiseptischer Substanzen
einathmen (Kreosot, Ozon, Karbol, Jodoform etc.);
da das Athmungsvolumen dabei um 50—75<Y 0
gegen gewöhnlich vergrössert ist, so können
diese Medikamente eine stärkere Wirkung als i
sonst entfalten, besonders da sie an Stellen der
Lungen hingelangen, an die sie bei gewöhnlicher
oberflächlicherer Respiration nicht kommen.
Die Resultate, die de Vries bei dieser i
Behandlungsmethode, dio allerdings sowohl von |
Seiten des Arztes, als von Seiten des Patienten
viel Geduld erfordert, erzielt hat, sind sehr
günstige, sowohl in Fällen von beginnender
Lungentuberkulose, als auch bei fortgeschrittener
Phthise. Besonders hebt der Verfasser den oft
überraschend günstigenEinfluss hervor, den
die im pneumatischen Kabinet veränderten Druck¬
verhältnisse bei Hämoptoe ausüben. Nach
seinen Erfahrungen reicht kein anderes Mittel
gegen Hämoptyse in seiner Wirkung an das
pneumatische Kabinet heran. Es muss dabei
hervorgehoben werden, dass der Verfasser sich
sichtlich bemüht, Uebertrcibungen zu vermeiden,
so dass seine Angaben es wohl verdienen, auch
bei uns an einem grösseren Material einmal nach¬
geprüft zu worden. A. Laqueur (Berlin).
Rudolf Schmidt, üeher diaphoretisches
Heilverfahren hei Osteomalacie. Wiener
klinische Wochenschrift 1901. 4. Juli.
In der Annahme, dass intra- und periostale
Cirkulationsanomalien im Sinne entzündlich - hv-
perämischer Vorgänge die pathologisch-anatomi¬
sche Grundlage der Osteomalacie bilden, hat
Verfasser, um durch intensive Oberflächcn-
| hyperämio eine Gefässentlastung tiefergelegener
Theile zu bedingen, in zwei Fällen eine grössere
Reihe von Heissluftbädern im Bette mittels
Phönix ä Fair chaud angewandt Im ersten Fall
lag eine leichtere Krankheitsform vor. Besserung
des Ganges schon nach neun Heissluftbädem,
nach circa einem Monat ist Treppensteigen mög¬
lich. — Im zweiten Fall, der erfolglos mit
Phosphor behandelt war, wurde in hoffnungs¬
losem Zustande mit Heissluftbädem begonnen.
Dieselben haben schon nach einem Monat
den Erfolg, dass Patientin ohne Schmerzen
niesen kann und nach drei Monaten ist selbst¬
ständiges Gehen auch auf Treppen möglich. —
Ob neben der Erzeugung einer intensiven dif¬
fusen Hauthyperämie und damit Entlastung der
hyperämisch gestauten Gefässbezirke des Periosts
und Knochenmarkes noch die reichliche Aus¬
scheidung organischer Säuren bei der Wirkung
der Heissluftbäder in Betracht zu ziehen ist,
lässt Verfasser unentschieden.
Determann (St. Blasien).
Louis Murat, L’ile deDjerba, Station d’hiver.
Archives gönörales de Mödecine 1901. September.
Die Insel Djerba, vor der Küste von Tunis
gelegen, ist als Winterstatiou für Lungen¬
kranke sowohl innerhalb wie ausserhalb Frank¬
reichs noch fast unbekannt, trotzdem sie sich
in hohem Maasse dafür eignet Das Klima ist
dort ein sehr mildes, die mittlere Temperatur
in den Wintermonaten noch höher als in Algier
und Tunis, auch die übrigen klimatischen Ver¬
hältnisse sind sehr günstig, Regentage und Tage
mit starkem Sirokko sind hier seltener als irgend¬
wo anders an der nordafrikanischen Küste. Die
Lage im Mittelmeer einerseits, die Nähe der
Wüste andererseits bedingen eine Reinheit und
Milde der Luft, die den französichen Schriftsteller
Flaubert zu dem Ausspruch in Bezug auf die
Insel Djerba veranlasste: »L’air est si doux quäl
erapöche de mourir«. Mehr kann man füglich
von einem Kurort für Lungenkranke nicht ver¬
langen. Die subtropische Vegetation auf der
Insel ist eine sehr reichliche, die Verhältnisse
bezüglich Wohnung und Verpflegung der Kur¬
gäste sind befriedigend, wie Murat versichert,
und haben, worin sie sich von denen ähnlicher
Winterkurorte unterscheiden, vor allem den Vor¬
zug der Billigkeit. Ob das so bleiben wird,
wenn die Insel erst einmal »entdeckt« worden
ist, ist freilich eine andere Frage; eine Zeit lang
wird sie wohl noch deshalb davor geschützt
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Referate über BQcher und Aufsätze. 309
bleiben, weil sic erst in einer 6tägigen Seefahrt
von Marseille aus zu erreichen ist Diese See¬
fahrt bietet aber, da sie für viele Phthisiker
schon Selbstzweck ist, keine Kontraindikation
dafür, nicht allzu Schwerkranke nach jener Insef
für den Winter zu schicken, die aus den an¬
geführten Gründen die Konkurrenz mit Corfu,
Madeira, Algier und ähnlichen Winterstationen
wohl anfnehmen kann.
A. Laquour (Berlin).
Cazinx, Sur 1a prltendne Absorption cutanee
dans 1© bain. Annales d’hydrologic et de
diraatologie mödicales Bd. 6. No. 9.
Cazaux schliesst sich der heute allgemein
gültigen Auffassung an, dass eine Resorption
medikamentöser Bäderzusätze durch die un¬
verletzte, unveränderte Haut nicht er¬
folgen kann, es sei denn, dass di eso Chemikalien
an sich schon Veränderungen, wenn auch gering¬
fügiger Art, an der Epidermis bewirken (wie
z. B. die keratolytisch wirkenden: Salicylsäure,
Karbolsäure, Phenol). Trotzdem glaubt Cazaux
an eine spezifische Wirkung der Medikamente
enthaltenden Badewässer, speziell auch der
Mineralwasser, und lässt es dahingestellt, ob
man sich dieselbe durch Reizung, oder Ab¬
leitung, oder durch Entstehung von elektrischen
Strömen erklären will. A. Laqueur (Berlin).
D. Elektrotherapie.
P. Ishewsky, Ueber die Wirkung des
wechselnden elektromagnetischen Feldes
auf den Organismus. Nachrichten der kaiser¬
lichen militärmedicinischen Akademie 1901.
No. 3. März.
Ishewsky studierte an gesunden Menschen
den Einfluss des durch Wechselströme von starker
Frequenz und hoher Spannung erhaltenen elektro¬
magnetischen Feldes auf den Organismus, wobei
er seine Aufmerksamkeit nur denjenigen physio¬
logischen Funktionen des Körpers zuwendetc,
welche durch ziffermässige Daten zum Ausdruck
gebracht werden können. Es wurden also unter¬
sucht die Pulsfrequenz, die Häufigkeit der Athera-
züge, die Hautsensibilität, die Kraft der Hände,
die elcktrokutane und elektromuskulärc Reizbar¬
keit dem induzierten Strome gegenüber. Ausser¬
dem wurden Beobachtungen aufgenommen über
die Veränderungen der Lungenkapazität während
der Sitzung im Magnetfcldc und über die
Alterationen der Puls- und Respirationsqualität
unter dem Einflüsse der Sitzung. Alle diese
Untersuchungen fanden an 52 jungen Leuten
von fast demselben Alter (22—25 Jahren) statt;
die Versuchspersonen waren hauptsächlich
Studierende der militärmedicinischen Akademie
von älteren Semestern. Ausser diesen Versuchen
wurden noch die Schwankungen des Blutdruckes
an Menschen und an Hunden registriert. Auch
die Luft wurde in den Bereich der Untersuchungen
gezogen, und zwar wurde die Menge des in der
Luft enthaltenen Ozons bestimmt, welches unter
dem Einflüsse der hochgespannten Wechselströme
sich entwickelt. Auf Grund seiner sorgfältigen
Experimente kommt der Autor zu dem Schluss,
dass das wechselnde elektromagnetische Feld auf
unmittelbarem Wege Veränderungen in dem
Organismus hervorruft. Der grösste Effekt tritt
in den am meisten peripher gelegenen Theilcn
des Körpers, d. h. in der Haut, zum Vorschein.
Im allgemeinen aber machen sich folgende
Alterationen in dem Verhalten des Organismus
unter dem Einflüsse des elektromagnetischen
Feldes der hochgespannten und starkfrequenten
Wechselströme bemerkbar: 1. der Pulsschlag
wird langsamer und voller; 2. die Respiration
wird seltener und tiefer; 3. die Hautsensibilität
wird in Bezug auf den Raumsinn (mit dem
Web er*sehen Tasterzirkel gemessen) gesteigert;
4. die elcktrokutane Sensibilität dem Induktions¬
strome gegenüber wird erhöht; 5. die elektro-
muskuläre Kontraktilität durch den induzierten
Strom wird nicht verändert; 6. die Kraft der
Hände bleibt ebenfalls ohne Veränderung; 7. die
Lungenkapazität wird um ein Unbedeutendes ver¬
ringert; 8. der Blutdruck steigt.
Ausser den eben beschriebenen Wirkungen
der Sitzungen in dom elektromagnetischen Felde
konnte der Autor noch nachweisen, dass sie nicht
ohne Einfluss auch auf andere Funktionen des
Organismus blieben. Am meisten in die Augen
fallend ist der Effekt auf die Steigerung der
Lebhaftigkeit und Beweglichkeit und der
schnellere Eintritt von völliger Erholung nach
anstrengender geistiger Beschäftigung. Während
der Sitzung empfinden die Versuchspersonen ge¬
wöhnlich nichts besonderes; nur wenn sie
15 Minuten überdauert, zeigt sich bei ihnen ein
leichtes Ermüdungsgefühl. Nach der Sitzung
dagegen, besonders Dach einer solchen von 5 bis
10 Minuten Dauer, tritt eine geringe Aufregung
auf, welche sich durch eine gehobene Gemüths-
stimmung und durch Zufluss von Energie
dokumentiert. Müde, schlaffe Personen, die es
besonders unter dem Einflüsse der Fettleibigkeit
geworden sind, werden wieder lebhafter, be¬
weglicher. Wenn man alles eben auseinander¬
gesetzte in Betracht zieht und dazu noch die
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310
Referate über Bücher und Aufsätze.
Angaben über die Steigerung des Gaswechsels,
die Erhöhung des Stoffwechsels und das An¬
steigen des Blutdruckes im Auge behält, so muss
man nach der Meinung des Verfassers zu dem
Schlüsse gelangen, dass wir in der Behandlung
mit dem wechselnden elektromagnetischen Felde
ein mächtiges therapeutisches Mittel gegen solche
Leiden erworben haben, welche durch ein all¬
gemeines Sinken des Ernährungszustandes des
Organismus bedingt werden.
A. Dworetzky (Riga-Schreyenbusch).
Margaret A. Cleayer, A Bipolar Rectal Elec-
trode. Tho Journal of physical therapeutics
1902. Bd. 3. No. t.
Verfasser empfiehlt zur Behandlung lokaler
Kongestionen im Rektum die Anwendung alter¬
nierender (sinuoidaler oder inducierter) Ströme
mittels einer bipolaren Rektalclektrode. Eine Ab¬
bildung der Elektrode ist der Abhandlung bei-
gegeben. F. Frankenhäuser (Berlin).
F. H. Will lang, Some cases of cancer treated
by the X-Rays. Boston med. and surg. journ.
Bd. 145. Heft 11.
Will ians erläutert an der Hand von vier
Autotypien, die zwei Fälle inoperablen Epithelioms
des unteren Augenlides vor und nach der Heilung
darstellen, eine Reihe von ähnlichen Fällen, ver¬
säumt jedoch ihre Anzahl anzugeben. Die Be¬
strahlungen wurden fast immer mehrere Wochen
hindurch je einige Minuten zwei- bis dreimal
wöchentlich fortgesetzt. In leichten Fällen ge¬
nügten zehn oder noch weniger Bestrahlungen.
Cowl (Berlin).
E. Schiff, Therapeutische Anwendung der
Röntgenstrahleu bei Haarerkrau klingen.
Wiener medicin. Blätter 1901. Heft 40.
In einer gemeinsamen Sitzung der Ab¬
theilungen für Dermatologie, Chirurgie und
Röntgenologie der Naturforscherversammlung in
Hamburg erstattete Schiff ein Referat über die
Röntgentherapie der Haarerkrankungen, nament¬
lich über diejenigen Fälle, wo eine Epilation als
Kur oder als Mittel zur Kur auch sonst Verwendung
findet, in erster Reihe Hypertrichosis, Sykosis
und Favus. Er beschrieb ferner seine Behand¬
lungsmethoden und berichtete über äusserst
günstige Frfolge. Dass die Ausheilung beim
Favus nicht allein der von den Röntgen-
stiahlen bewirkten Epilation zuzuschreiben war,
könnte man daran erkennen, dass schon bevor
die Haarstümpfe ausfielen, der Ausschlag ab¬
trocknete. Er fügte noch hinzu, dass Albers-
Schönberg, Gassmann und Schenkel, Hahn
und Kienböck ähnliche Erfolge erzielt batten.
Eine Heilung von Alopecia arcata, wie von
letzterem Autor berichtet wurde, hat der Verfasser
noch nicht verzeichnen können. Technisch-klinisch
und mit Rücksicht auf die Vermeidung von un¬
erwünschten Entzündungen zieht er die weniger
intensiv wirkenden harten den weichen Strahlen
vor. Er unterbricht die Sitzungen beim Auftreten
von Hyperämien, die von den etwa schon be¬
stehenden abstechen. Cowl (Berlin).
E. Verschiedenes.
F. Blumenthal, Pathologie des Harnes am
Krankenbett. Berlin-Wien 1902. (Urban &
Schwarzenberg.)
An ausführlichen Monographien, die sich
mit der Pathologie des Harnes beschäftigen, ist
gerade kein Ueberfluss. Gewöhnlich wird der
Gegenstand in den zahlreichen Werken, die w'ir
über mikroskopische und chemische Diagnostik
überhaupt besitzen, etwas kursorisch abgehandelt
und von der an und für sich schon nicht grossen
Zahl von Büchern, die sich eingehender mit der
Semiotik des Harnes befassen, entsprechen die
meisten nicht mehr dem heutigen Stande unserer
Kenntnisse. Mit um so grosserer Freude ist es
daher zu begrüssen, dass der Verfasser, der ja
selbst vielfach auf diesem Gebiete erfolgreich
mitgearbeitet, sich der Mühe unterzogen hat,
in dem vorliegenden Buche für den Arzt und
für den Studierenden zu zeigen, wie gross die
Hilfsmittel der klinischen Chemie sind und wie
werthvolle Fingerzeige sic, richtig und mit Kritik
angewendet, dem Arzt in der Klinik und am
Krankenbett geben. Es ist eine fast erdrückende
Fülle von Stoff, dio der Verfasser auf den 400
Seiten verarbeitet hat; aber mit besonderer Freude
kann Referent anerkennen, dass es sich nicht um
eine blos referierende Aneinanderreihung einzelner
Befunde und Thatsachen handelt, sondern dass
bei jedem Kapitel der Leser das Gefühl hat, dass
der Autor über dem Stoff steht und dass die
etwas spröde Materie mit grossem Geschicke und
interessant dargestellt ist.
Das Buch zerfällt in zwei Theilc: In dem
ersten sind die einzelnen chemischen Substanzen
des Harnes abgehandelt; der zweite schildert die
Veränderungen des Harnes in den verschiedensten
pathologischen Zuständen. Es ist wohl kaum
eine wichtigere Arbeit der letzten Jahre, die
nicht ihre Würdigung gefunden hätte; und nicht
blos dem Studierenden, den es in die Materie ein-
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311
Referate über Bücher und Aufsätze.
führt, nicht blos dem praktischen Arzt, dem es I
die Bedeutung der klinischen Chemie vor Augen
führt, auch dem, der auf dem Gebiete der 1
Harnchemic wissenschaftlich arbeitet, wird,
namentlich durch die Fülle der Litteratumach-
weise, das Buch ein zuverlässiger Führer sein.
Wir sind überzeugt, dass es in kurzer Zeit weite
Verbreitung finden und sich in der Bibliothek
des Arztes, der in seinem diagnostischen Können
auf der Höhe bleiben will, einen dauernden Platz
erobern wird.
Die Ausstattung des Buches, das v. Leyden
zu seinem 70. Geburtstage gewidmet wurde, ist,
wie dies bei dem bewährten Ruf der Verlags¬
buchhandlung natürlich, eine vorzügliche.
P. F. Richter (Berlin).
Szegft, Dispositionskatarrhe der Kinder und
deren Behandlung. Klinisch - therapeutische
Wochenschrift 1001. 17. Februar.
Bei vielen Kindern besteht eine auf einer
ererbten Disposition basierende oder im Gefolge
schwerer, den Organismus schwächender Infek¬
tionskrankheiten erworbene, durch geistige Ueber-
anstrengungen, allzu rasches Körperwachsthum
und schlechte, hygienische oder soziale Ver¬
hältnisse begünstigte Neigung zu häufig
recidivierenden Erkältungskatarrhen der Nase,
des Rachens, Kehlkopfes und der Bronchien;
meist handelt es sich um schwächliche und
anämische Individuen, bei denen torpide
Schwellungen der ccrvikalen Drüsen, Hyper¬
trophie der Tonsillen, adenoide Vegetationen
das bekannte Bild der lymphatisch-skrophulösen
Konstitution vervollständigen. Szegö räth, der¬
artige Kinder nicht zu verzärteln, wie es von
ärztlicher Seite und vor allem durch übertrieben
ängstliche Mütter noch vielfach geschehe, warnt
jedoch auch vor dem anderen, in allzu rigorosen
Abhärtungsprozeduren gipfelnden Extrem und
plaidiert dafür, in zielbewusster Weise die kleinen
Patienten durch geeignete Mittel abzuhärten und
sie systematisch an die äusseren schädlichen Ein¬
wirkungen zu gewöhnen. Eine allgemeine
Kräftigung des Organismus und damit zugleich
eine Verminderung oder gänzliche Beseitigung
der katarrhalischen Disposition lässt sich schnell
und völlig gefahrlos am Meeresstrande erzielen,
wo die klimatischen Verhältnisse ihre machtvolle
Unterstützung bieten und die stimulierende
Wirkung der Seeluft, die Reinheit, der Ozon¬
reichthum und hohe Feuchtigkeitsgehalt derselben,
die durch die Nähe des Meeres bedingte mildere
Temperatur, die starke Insolation, welche den
ganzen Winter hindurch, wenigstens an ge¬
schützten Stellen, einen Aufenthalt im Freien
ermöglicht, als höchst wirksame Faktoren für
die Abhärtung sich kombinieren. Eine be¬
sondere, bisher unbeachtet gebliebene Eigen¬
heit des Seeklimas ist die mit der stimulierenden
Wirkung der Seeluft zusammenhängende Ver¬
minderung der Empfindlichkeit gegen niedere
Temperaturen der äusseren Atmosphäre; die
Temperatur von 10° R, die im Binnenlande
schon unangenehmes Frösteln hervorruft, lässt
am Meeresstrande ein Kältegefühl überhaupt
nicht auf kommen.
Die Abhärtungskuren in dem von Szegö
geleiteten Kindersanatorium zu Abbazia variieren
je nach der Jahreszeit. Die Kinder nehmen im
Sommer im Freien ein kurzes, wenige Minuten
dauerndes Seebad und tummeln sich den grössten
Theil des Tages auf dem nächst dem Strande
angelegten Spielplatz, wo sie barhäuptig und
barfüssig in dem vom Seewasser durchtränkten
Sande spielen; nur ganz schwache und blutarme
Patienten, die schon auf geringe Bewegungen
mit Herzklopfen und Ermüdung reagieren,
werden in der ersten Zeit statt der Behandlung
mit Bädern zu völlig ruhigem Liegen angehalten.
Im Winter erhalten die Kinder in der hydro-
pathischen Abtheilung der Anstalt anfangs jeden
zweiten bis dritten Tag, später allabendlich vor
dem Nachtessen in erwärmtem Seewasser (von
26 ü abwärts gehend) ein Halbbad von drei bis
fünf Minuten Dauer mit intensiver Frottierung
und nachfolgender abkühlender Bespritzung oder
Uebergiessung des ganzen Körpers. Neben
dieser allgemeinen Behandlung wird manchmal
auch eine lokale erforderlich, welche z. B. bei
chronischem Nasenkatarrh in Ausspülungen mit
Seewasser, Einpinselungen etc., bei Mandel¬
hyperplasie und adenoiden Wucherungen in
chirurgischen Eingriffen besteht; medikamentöse
Behandlung der tieferen Luftwege lässt sich in
der Regel vermeiden.
Die bei Dispositionskatarrhen und Schwäche¬
zuständen aller Art vom Verfassscr in relativ
kurzer Zeit erreichten Heilerfolge und Besserungen
sind aus einer der Arbeit beigefügten Tabelle
zu erkennen, in welcher die einzelnen (57) Fälle
nach Alter und Geschlecht, Summe der in der
Anstalt verbrachten Tage, GewichtsVerhältnissen,
Lokalisation der katarrhalischen Dispositionen
und ätiologischen Momenten übersichtlich rubri¬
ziert sind. Hirschel (Berlin).
L. Steiner, Wie die Javanen narkotisieren.
Archiv für Schiffs- und Tropenhygieno 1901.
Bd. 5. No. 12.
Von den javanischen Hcilkünstlem wird die
Kompression der Karotis (Tarik Urat Tidor =
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Referate über Bücher und Aufsätze.
312
Schlafader ziehen) ausgeübt, um eine momentane
Müdigkeit und Schlaf zu erzielen. Verfasser hat
eich von der Wirksamkeit und relativen Unge¬
fährlichkeit der Methode sowohl an den Ver¬
suchen der eingeborenen Mcdicinmänner, im be¬
sonderen eines Spezialisten darin, Namens Pa
Saitan, als auch durch eigene Beobachtungen
an 30 Javancn überzeugen können. Vor dem
Patienten sitzend umfasst er beiderseits die Seiten
des Halses und versucht mit den Daumen hinter
und etwas über den Karotiden diese gegen die
Wirbelsäule zu drücken, und zwar in nicht über¬
mässig starker Weise. Vier der Personen, an
denen das Verfahren vorgenommen wurde, wollen
keine Wirkung verspürt haben; bei den übrigen
wurde folgendes beobachtet:
Sobald mit dem Drucke begonnen war,
wurde die Person unruhig, athmete tief und
häufig; nach kurzer Zeit, oft schon nach einer
halben Minute, fiel der Kopf nach rückwärts und
Schlaf schien sich cinzustellen. Sobald Bewusst¬
losigkeit cingetreten war, wurden die Karotiden
wieder losgelassen. Die Leute reagierten nicht
mehr auf Zuruf, auch nicht auf Kneifen oder
Nadelstechen; eine Hautfalte konnte getrost durch¬
stochen, einmal auch eine eitrige Drüse geöffnet
werden, ohne dass die Betreffenden etwas davon
merkten oder hinterher noch eine Erinnerung
hatten. Licss man die Eingeschlafenen, nachdem
der Druck nachgelassen, ruhig sitzen, so blieben
sie einige Minuten in diesem Zustande. Rief
man sie an oder schüttelte sie, so erwachten sic
bald, sahen verwundert um sich und wussten
erst gar nicht, was mit ihnen geschehen war.
Einige Leute behaupteten, einen Traum gehabt
zu haben.
Der Puls blieb während der Prozedur un¬
verändert, manchmal verlangsamte er sich etwas.
Die Gesichtsfarbe veränderte sich meistens nicht
merklich (cs handelte sich zumeist auch um In¬
dividuen mit magerem Halse), nur bei Leuten mit
stärkerem Halse trat leichtcCyanose ein.DiePupillen
blieben meistens unverändert, manchmal wurde
Hippus beobachtet. Die Reaktion auf Lichtcin-
fall war stets erhalten. Bemerkenswerth ist nur,
dass in den meisten Fällen mehr oder weniger
ausgeprägte, über den ganzen Körper sich kaum
erstreckende Muskeizuckungen sich einstcllten,
die manchmaal sehr leicht, ab und zu aber auch
sehr heftig und bedenklich sich ausserten; je
mehr Uebung Steiner in dem Drücken der
Karotiden bekam, um so seltener und leichter
schienen ihm die Zuckungen zu sein. Nach dem
Erwachen hatten die Leute keinerlei Beschwerden
oder Missempfindungen. Auch der Umstand,
dass niemand zögerte, sich immer wieder der
Prozedur zu unterziehen, lässt darauf schliessen,
dass man keine unangenehmen Nebenerscheinungen
beobachtet haben kann. Verfasser dehnte seine
Versuche auch nur auf wenige Minuten aus.
Unter der Voraussetzung, dass man es mit ge¬
sunden Menschen zu thun hat, hält er die Kom¬
pression derKarötis für ungefährlich und angebracht
zur Anästhesie bei kleineren Operationen, ferner
gegen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Störungen
des Gehirns u. a. ra. Die Schnelligkeit, mit der
die Unempfindlichkeit eintritt und wieder auf¬
gehoben worden kann, das Fehlen der Nach-
wehen und der Umstand, dass die Anästhesie
hervorgebracht wird, ohne ein Gift in den Körper
zu bringen, kann dieser Methode als Vorzug
dienen. Buschan (Stettin).
Ernst Meissen, Beiträge zur Kenntnis» der
Lungentuberkulose. Wiesbaden, J. F. Berg¬
mann. 1901.
Während der letzten Jahre ist die Anzahl
eingehender Berichte, welche die Besitzer von
Heilanstalten für Lungenkranke veröffentlicht
haben, immer mehr und mehr angewachsen.
Wenngleich die Litteratur der Tuberkulose für
den Einzelnen kaum mehr zu bewältigen ist, —
beziffert sich doch ein kurzer Jahresbericht, in
welchem die während des letzten Jahres auf dem
Gebiete der Tuberkulose erschienenen Arbeiten
zusammengestellt wurden, auf über 700 Nummern,
so ist cs doch dankbar zu begrüssen, wenn so
hervorragendePhthiseotherapeuten wie Meissen,
die Ergebnisse aus den reichen Schätzen ihrer
Erfahrung kritisch zusammcnstellcnd, berichten.
Meissen’s und seiner Mitarbeiter Arbeiten sind
bisher grösstcntheils nur in einzelnen Aufsätzen
veröffentlicht worden, während liier dieselben
nach dem Vorgang der früheren B re hm er¬
sehen Veröffentlichungen in zwangloser Weise
ancinandergcrciht sind. Im ganzen handelt cs
sich um 12 verschiedene Kapitel, die wir hier
nicht einzeln referieren können, da sie sich mit
den Zielen unserer Zeitschrift nicht decken. Als
besondere werthvoll möchten wir aber wenig¬
stens einzelne erwähnen; so das Kapitel: »Wie
können die Fachärzte zur Bekämpfung der Tuber¬
kulose beitragen?«, ferner über die »Verbreitungs-
weisc der Lungenschwindsucht«, über »die Misch¬
infektion der chronischen Lungenschwindsucht«
(G. Schröder), »Uebcr das frühe Erkennen und
über den Begriff Heilung der Lungentuberkulose«,
über »Hcirath und Tuberkulose« und schliesslich
über »die vermeintlichen Blutveränderungen im
Gebirge«. Paul Jacob (Berlin).
Berlin, Druck von W. Büxenstein.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 6 (September).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. y. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. seit«
I. Ucber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. Von Geh. Med.-
Rath Prof. Dr. Albert Hoffa in Berlin. Mit 22 Abbildungen. 315
II. Ucber die Behandlung der Enuresis. Aus der inedicinischen Klinik des Professors
R. v. Jak sch in Prag. Von Karl Walko, klinischem Assistenten.328
III. Ucber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 1. Mittheilung: Einfluss auf den
osmotischen Druck und den Wassergehalt. Von Dr. Karl Grube in Neuenahr.
Mit 1 Abbildung.334
IV. Ucber das Nah rungsbedürf niss der Diabetiker. Aus der I. medicinischen Klinik des
Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien. Von Dr. Wilhelm Schlesinger
(Schluss).339
V.' Zur Therapie der Barlow ; schen Krankheit. Von Dr. C. Bolle in Berlin.354
II. Kleinere Mittheilungren.
Ucber die Diät Friedrichs des Grossen. Von Dr. Gotthold Ludwig Mamlock, Volontär-
assistenten der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-
Rath Professor Dr. v. Leyden).357
III. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Biernacki, Beobachtungen über die Glykolyse in pathologischen Zuständen, insbesondere
bei Diabetes und funktionellen Neurosen.
Sachs, Ucber das Verhalten der Glykogenbildung ausserhalb der Leber nach Lävulosezufuhr
Cohnheim, Die Undurchlässigkeit der Wand der Harnblase.
v Bange, Ueber ein Kochsalzsurrogat der Negerstämme im Sudan.
Bielfeld, Zur Frage über die amylolytische Wirkung des Speichels.
Moreigne, Ueber die Wirkung der Abführmittel auf die Ernährung.
Tittel, Versuche über die Verwendbarkeit des Fleischsaftes Puro.
Gerhardt, Ueber Entfettungskuren.
Cremer, Ueber die Verwerthung der Rhamnose im thierisehen Organismus und einige damit
zusammenhängende Fragen der Physiologie der Kohlehydrate.
Strass er, Zur Frage der Milchkuren bei Diabetes.
Cohnheim, Die Heilwirkung grosser Dosen von Olivenöl bei organischen und spastischen
Pylorus- und Duodenalstenosen und deren Folgezuständen (Gastrektasic) . . . .
Zeitechr. t dlÄi n. pbyslk. Therapie Bd. VI. Heft 6.
301
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
314
Inhalt.
Seite
B. Gymnastik.
Reich ard, Funktionsherstellang durch Sehnen Verpflanzung.363
Judson, Ueber Stützapparate bei Rückgratsverkrümmung.363
Rost’s Vibrationsapparat für Heilgymnastik.364
Laquer, Bemerkungen zur physikalischen und suggestiven Behandlung der nach Unfällen
auftretenden Neurosen.364
C. Hydro-, Balneo- and Klimatotherapie.
Loewenthal, Ueber Wärme als Heilmittel.364
Munter, Die Hydrotherapie der Lungentuberkulose.364
Dctermann, Das Höhenklima im Winter und seine Verwendbarkeit für Kranke .... 365
D. Elektrotherapie.
Bang, Der gegenwärtige Stand der biologischen Lichtforschung und der Lichttherapie . . 365
Brautlecht, Ueber den Nachweis anorganischer Gifte, speziell des Arsens, mittels Röntgen-
strahlen.366
Beck, On a case of sarcoifla treated by the Röntgen rays.306
Rieder, Nochmals die bakterientötende Wirkung der Röntgcnstrahlen.366
Jellinek, Animalische Effekte der Elektrizität.366
E. Serum- and Organotherapie.
Cattle, Remarks on the relation of human and bovine tuberculosis.307
Thomas, Notiz über den Gebrauch grossor Dosen von Diphtherieserum.367
Walger, Therapie mit spezifischem menschlichem Rekonvalescentenblutscrum bei akuten
Infektionskrankheiten.367
Hedou, Sur la transfusion, aprös les hömorragies, de globules rouges purs en Suspension
dans un sörum artificiel.368
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 J /2— 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Kleiststrasse 6 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Original - Arbeiten.
I.
lieber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung 1 ).
Von
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Albert Hoffa
in Berlin.
Meine Herren! Wenn ich mir als Vortragsthema für den heutigen Abend die
orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmungen gewählt habe, so geschah
dies deshalb, weil es mir gerade hierbei möglich sein wird, Ihnen die Fortschritte
vor Augen zu führen, die sowohl die mechanische als die operative Orthopädie in
in den letzten Jahrzehnten gemacht haben.
Das Krankheitsbild der spinalen Kinderlähmungen ist Ihnen allen, meine Herren,
ein wohl geläufiges. Sie wissen, dass die Erkrankung meistens Kinder in den ersten
Lebensjahren befällt, dass sie meistens ganz plötzlich einsetzt, dass die Lähmung in
der Regel zunächst mehrere Körpertheile befällt, dass sie sich dann an einzelnen
Theilen zurückbildet, und dass sie schliesslich, wo sie bestehen bleibt, zur Ent¬
wickelung von Schlottergelenken oder Kontrakturen führt. Schlottergelenke erhalten
wir dann, wenn alle ein Gelenk bewegenden Muskeln einer vollständigen Lähmung
verfallen sind. Die Kontrakturen entwickeln sich dagegen, wenn ein Theil der
Muskeln funktionsfähig geblieben ist, und zwar sind bestimmend für die Art der
entstehenden Kontraktur einmal die willkürliche Kontraktion der nicht gelähmten
Antagonisten, und zweitens die eigene Schwere des Gliedes und die Belastung des¬
selben durch das Körpergewicht.
Wir treffen die paralytischen Kontrakturen an allen Körperstellen an. Wir
haben die Torticollis paralytica, wir haben die paralytischen Lordosen, Kyphosen und
Skoliosen, die paralytischen Kontrakturen oder Schlottergelenke der Schulter, an
der Hand und den Fingern, die paralytischen Kontrakturen, Schlottergelenke und
Luxationen an der Hüfte, die paralytischen Deformitäten des Kniegelenks und
schliesslich die mannigfachen Deformitäten des Fusses in Gestalt des Spitz-, Klump-,
Platt-, Hacken- und Hohlfusses.
Jede dieser einzelnen Deformitäten kann für sich bestehen; vielfach sind sie
aber auch kombiniert und nicht nur an einer, sondern an beiden Körperhälften vor¬
handen. Die unglücklichen Kinder sind dann nicht im stände, sich aufrecht zu er¬
halten, sondern vermögen oftmals nur auf allen Vieren sich mühsam fortzubewegen.
Genauer auf die einzelnen Krankheitsbilder einzugehen, verbietet mir die kurze,
mir zugemessene Zeit. Die einzelnen Deformitäten sind ja auch so häufig, dass sie
Ihnen allen wohl bekannt sind. Die Kürze der Zeit verbietet mir aber auch, alle
die therapeutischen Maassnahmen zu besprechen, welche zur Behandlung der spinalen
Kinderlähmungen angegeben worden sind. Ich will nur erwähnen, dass wir in der
i) Nach einem im Verein für innere Mcdicin zu Berlin gehaltenen Vorträge.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
31 fi Albert Hoffa
elektrischen Behandlung der gelähmten Muskeln, in der Massage, Gymnastik, in
redressierenden Manipulationen, in warmen Bädern, in der Applikation heisser,
trockener Wärme und in reizenden Abreibungen genug Mittel und Wege haben, die
vitale Energie der gelähmten Theile nach Möglichkeit zu kräftigen. Jedenfalls
empfiehlt es sich, die Behandlung der spinalen Kinderlähmung so frühzeitig als
möglich zu beginnen. Es ist ja bekannt, dass diese Lähmungen im ersten Stadium
ihres Bestehens eine grosse Neigung zur Spontanheilung zeigen, indem ein Theil der
ursprünglich bestehenden Lähmungen zurückgeht, um sich dann auf ein bestimmtes
Gebiet zu beschränken. In diesem Gebiet aber soll man sich die Lähmungen mit
ihren Folgen nicht festsetzen lassen, sondern soll vielmehr von Anfang an die Natur
in ihren Heilbestrebungen unterstützen; namentlich soll man von vornherein durch
geeignete Maassnahmen die Entstehung paralytischer Kontrakturen verhüten. Haben
sich nun aber solche Kontrakturen entwickelt, so tritt nunmehr die eigentliche ortho¬
pädisch-chirurgische Behandlung in ihr Recht, indem sie die möglichst vollkommene
Herstellung der normalen Form und Funktion der Glieder zu erreichen strebt.
Das erste Hilfsmittel der eigentlich orthopädischen Behandlung der Kontrakturen
ist die Redression derselben. Diese Redression der paralytischen Kontrakturen
gelingt im allgemeinen viel leichter, als die der angeborenen Deformitäten. Man
versucht sie zunächst allein durch die Händekraft zu erreichen. Gelingt dies nicht
oder nur unvollkommen, so wirkt vielfach unterstützend die subkutane Tenotomie
oder die offene Durchschneidung aller der Weichtheile, welche sich der Gerade¬
richtung des Körpertheiles entgegensetzen. Am Knochen zu operieren hat man nur
sehr selten nöthig. Nach vollendeter Redression wird das Glied gewöhnlich zunächst
im Gipsverband in der gewünschten Stellung fixiert. Nimmt man die Gipsverbände
dann nach einigen Wochen ab, so ist der gewünschte Zweck meistens erreicht. Das
Glied hat seine normale Gestalt, doch tritt, da ja die ursprüngliche Lähmung
weiterbesteht, sehr bald ein Rccidiv auf, wenn man nicht die geeigneten Maass¬
nahmen trifft, um dq,s erzielte Resultat dauernd zu erhalten. Diese geeigneten
Maassnahmen haben wir nun in der Verordnung geeigneter orthopädischer Apparate
oder in der Verwerthung spezieller Operationen an den Muskeln und Sehnen.
Ich möchte nun die Gelegenheit benutzen, Ihnen zunächst die Verbesserungen
zu schildern, die die Anfertigung der bezüglichen orthopädischen Apparate in den
letzten Jahrzehnten gemacht hat. Als Heine in Würzburg im Jahre 1840 seine
berühmt gewordene Mittheilung über die von ihm so genannten essentiellen Kinder¬
lähmungen machte, beschrieb er gleichzeitig Stützvorrichtungen für die gelähmten
Glieder, die derart gebaut waren, dass seitliche, in gewissen Abständen mit Ringen
versehene Schienen an die gelähmten Extremitäten angelegt wurden. Seit Heine
sind derartige Schienen vielfach in Gebrauch genommen und sind es auch noch
heute, obgleich ihnen viele Mängel anhaften. Zunächst üben die Ringe auf die
unterliegenden Weichtheile einen zu einseitigen Druck aus und bewirken darum
gerade an diesen Stellen eine stärkere Atrophie. Zudem geben sie nie einen wirk¬
lich verlässlichen Halt, wenn sie nicht fest angeschnürt werden, in welch’ letzterem
Falle sie wieder durchaus ungünstig auf die Cirkulation des betreffenden Gliedes
einwirken. Es war daher ein grosser Fortschritt, als man diese Ringe durch Hülsen
ersetzte, welche einen gleichmässigen, auf grössere Partieen wirkenden und darum
die Cirkulation viel weniger beeinträchtigenden Halt am Körper ermöglichen.
Hatte man nun auch schon vorher solche Hülsen verwerthet, so war es doch erst
llessing, welcher uns die Hülsen in vollendeter Form zu bauen lehrte. Es ist
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 317
»
Hessing’s unbestreitbares Verdienst, uns gezeigt zu haben, dass sich wirklich zweck¬
entsprechende Hülsen nur über einem ganz exakt gearbeiteten Modell des be¬
treffenden Gliedes hersteilen lassen. Hessing selbst benutzte Holzmodelle; ich
zeigte dann, dass es leicht möglich ist, auch brauchbare Gipsmodelle zu verwerthen,
indem man nur das ursprüngliche Gipsmodell mit Stärkebinden überzieht. Dadurch
wird es zur Herstellung der Hülsen völlig geeignet. Ueber diesen Modellen, welche
die Körperkonturen absolut genau wiedergeben, werden also Hülsen gearbeitet.
Diese Hülsen können aus den verschiedensten Materialien, aus Gips, Wasserglas,
Celluloid, Hornhaut u. s.w. gemacht werden; am besten eignet sich aber das Leder
dazu, das, über die Modelle gewalkt und dann getrocknet, eine ausserordentlich
haltbare und dabei doch sehr leichte Hülse erzielen lässt. Die einzelnen für den
betreffenden Fall nothwendigen Hülsen werden nun durch seitliche, entsprechend den
Gelenken mit Scharnieren versehene Schienen verbunden. So entstehen aus Schienen
und Hülsen bestehende und darum als Schienenhülsenapparate bezeichnete
Apparate. Diese Schienenhülsenapaarate stellen das Vollendetste dar, was wir zur
Zeit in der Apparattechnik besitzen. Zur Behandlung der Kinderlähmungen lassen
sie sich in der mannigfachsten Weise verwerthen. Einmal vermögen sie, wie
gesagt, die nach der Redression einer Kontraktur hergestellte normale Form
eines Gliedes dauernd festzuhalten in einer für den Patienten möglichst be¬
quemen und ihn am wenigsten belästigenden Form. Die Apparate werden nämlich
unter den Kleidern getragen. Ueber den Apparat wird eventuell ein Strumpf ge¬
zogen und ein besonderer Schuh angefertigt, so dass der Apparat selbst gar nicht
auffallend zu Tage tritt.
An den Apparaten lassen sich nun sehr gut die verschiedensten Hilfsmittel der
orthopädischen Technik anbringen, um irgend einen gewünschten Zweck zu erreichen.
So verwenden wir sehr oft Gummizüge zum Ersatz der paralytischen
Muskeln. Ich zeige Ihnen hier zunächst einmal einen zur Behandlung des
paralytischen Spitzfusses dienenden Apparat mit sogenannten Vorfusszügeln
(Fig. 28), welche die gelähmten Muskeln an der Streckseite des Unterschenkels er¬
setzen sollen. Die Zügel sind beiderseits an dem vorderen Theil des Fussbleches
angeschraubt und werden in der gewünschten Spannung kreuzweis an Knöpfen der
Seitenschienen befestigt. So halten sie den Fuss in Dorsalflektion fest. Hier sehen
Sie ferner einen Calcaneusapparat (Fig. 29). An ihm ist die fehlende Waden¬
muskulatur durch einen Gummizug ersetzt, der, am Fersentheil des Fussbleches
inserierend, bei seiner Anspannung den Fuss dauernd in Spitzfussstellung hält.
Sehr häufig sind wir genöthigt, einen künstlichen Quadriceps an den Apparaten
anzubringen. Dieser besteht aus einem Bügel, der an den Kniegelenksscharnieren
des Apparates befestigt wird und auf seiner Höhe kreuzweise übereinander befestigte
Gummibänder trägt. Diese Gummibänder werden je am Ober- und Unterschenkel
beiderseits an den Schienen in der nothwendigen Spannung festgeknöpft (Fig. 30).
Beugt der Patient das Knie, so ziehen die elastischen Bänder den Unterschenkel
gleich wieder in Strecksteilung zurück. Sie spielen also die Rolle der defekten
Streckmuskulatur. Schliesslich zeige ich Ihnen noch einen Apparat zur Behandlung
des paralytischen Klumpfusses (Fig. 31). Sie sehen hier auf der Innenseite
des Apparates in der Höhe des Fussgelenks zwei Scharniere über einander liegen.
Diese beiden Scharniere gestatten einmal die Dorsalflektion und zweitens die Pro¬
nation des Fusses. Die Dorsalflektion erreichen wir wiederum durch die schon vorher
genannten Vorfusszügel, die Pronation dagegen durch einen Gummizug, den wir von
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
318 Albert Hoffa
der Aussenseite des Fussbleches nach dem oberen Ende der Unterschenkelschiene
verlaufen lassen. Verlegen wir die doppelten Scharniere an die Aussenseite des
Apparates und lassen den seitlichen Gummizug ebenfalls an der Innenseite des
Apparates in die Höhe gehen, so eignet sich der Apparat sehr gut auch zur Be¬
handlung des paralytischen Plattfusses.
Haben wir in den bisher geschilderten Vorrichtungen die Gummibänder zum
Ersatz paralytischer oder paretischer Muskeln verwerthet, so benutzen wir in anderen
Fällen den elastischen Zug direkt als redressierende Kraft. So benutzen wir
z. B. zur Beseitigung von Beugekontrakturen des Hüftgelenkes ein starkes, breites
Gummiband, welches einerseits am hinteren Theil der Oberschenkelhülse befestigt,
anderentheils am oberen Bügel des Beckengürtels angeknüpft, den Oberschenkel stark
nach hinten zieht (Fig. 32). Oder aber wir bringen den Gummizug auf der vorderen
Seite des Apparates an. Dann bedienen wir uns folgender Vorrichtung: An dem
die Spina ilei ant. sup. umfassenden Theil des Beckengürtels ist ein gerade nach
abwärts verlaufender Stahlstab angebracht, welcher an seinem unteren Ende einen
Knopf trägt. An diesen Knopf wird nun das untere Ende eines Gummizuges an¬
geknöpft, dessen oberes Ende an einen Knopf befestigt wird, der in der Mitte
eines am oberen Ende der Oberschenkelhülse angebrachten Bügels befestigt wird.
Das Anknüpfen des Gummibandes geschieht unter starker Anspannung des Gummis.
Das Gummiband hat dann das Bestreben, sich auf seine ursprüngliche Länge zurück¬
zuziehen. Damit drängt es aber die beiden vorher genannten Knöpfe auseinander,
und drängt damit einmal den Beckengürtel nach oben, andrerseits die Oberschenkel¬
hülse und damit den Oberschenkel nach unten und hinten. So geschieht die
Korrektur der Beugestellung des Oberschenkels unter gleichzeitiger Extension des¬
selben (Fig. 33).
Ist bei einer spinalen Kinderlähmung ein Bein völlig gelähmt, so vermögen
die Patienten dasselbe zum Gehen nur so zu gebrauchen, dass sie durch Beckenhebung
das Bein vorwärts schleudern, dass sie dann mit der Ferse auf den Boden auftreten
und nun durch starke Üeberstreckung des Knies einen Halt zu finden suchen. Diesen
Patienten kann man das Gehen nun ausserordentlich erleichtern, ja vielfach erst er¬
möglichen, wenn man ihnen einen das ganze Bein umfassenden Stützapparat ver¬
ordnet. Ein solcher Stützapparat muss in besonderer Weise gebaut sein. Er muss
bis zum Tuber ischii reichen, so dass die Patienten auf dem gut gepolsterten Sitz¬
ring reiten. Die Körperlast wird dann von dem Fussblech aus direkt auf das Becken
übertragen. Dazu müssen die Kniegelenke natürlich fixiert sein. Stellt man nun aber
das Kniegelenk von vornherein fest, so ist das sehr unbequem für den Patienten, denn
er muss das Knie geradeausgestreckt halten, sobald er sich hinsetzt. Das geht noch,
wenn nur ein Bein gelähmt ist, wird aber äusserst unbequem, wenn beide Beine von
der Lähmung betroffen sind, so dass Stützapparate für beide Beine nothwendig werden.
In solchen Fällen muss man die Apparate so einrichten, dass sie das Knie in ge¬
rader Stellung festzustellen erlauben, gleichzeitig aber auch das Sitzen
mit gebeugtem Knie gestatten. Solcher Vorrichtungen, welche das Kniegelenk
zeitweise in gestreckter Stellung festzuhalten, zeitweisezu beugen gestatten, kennen
wir eine ganze Reihe. Am einfachsten sind Schieber- oder riegelartige Vorrichtungen
in der Weise, dass ein auf der einen Schiene laufender kleiner Stahlriegel in ein
bügelartiges Stück der zweiten Schiene hereingeschoben wird, in gleicherweise, wie
man eine Thür verriegelt. Ferner benutzt man vielfach das Prinzip der ein¬
springenden Feder, indem durch einen Federmechanismus ein Zapfen der einen
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 319
Schiene zum Einschnappen in ein Loch der anderen Schiene gebracht wird. Alle
diese Vorrichtungen besitzen den gleichen Nachtheil: Mangel der Haltbarkeit. Ich
habe sie daher alle verlassen, und es ist mir nach vielen Versuchen gelungen, schliess¬
lich zwei automatisch wirkende Sperrvorrichtungen zu konstruieren, welche
einfach und absolut haltbar sind und ihren Zweck sicher erfüllen.
Die erste dieser Vorrichtungen (Fig. 34a und 34b) benutze ich dann, wenn es
möglich ist, das Knie ganz zu strecken und wenn gleichzeitig kein Genu valgum
besteht Ich benutze in diesem Falle einen federnden Stahlbügel, der an der hinteren
Seite des Oberschenkels von der Aussenschiene zur Innenschiene reicht, ein wenig
oberhalb der Kniegelenkslinie angebracht ist und beweglich in der Oberschenkel¬
schiene steckt. Die Schenkel des Bügels stehen parallel zu den Seitenschienen und
enden beiderseits mit kleinen, einwärts gerichteten Zapfen. Entsprechend den
Schenkeln dieses Bügels sind an den Oberschenkelschienen kleine Fortsätze in Form
schiefer Ebenen angebracht. Die Erhöhung derselben geht beiderseits nach aussen.
Die Unterschenkelschienen reichen zu beiden Seiten blattförmig einige Centimeter über
die Scharniergelenke hinaus. An ihrem oberen Ende sind Löcher eingebohrt, in
welche die Bügelzapfen einschnappen. Ist das Bein gestreckt, so greifen die Zapfen
des Bügels durch die Löcher der Unter- und Oberschenkelschiene und fixieren so das
Gelenk (Fig. 34a). Die Wölbung des Bügels ruht dabei dicht an der Wölbung des
Oberschenkels, während der Winkel des Bügels nach vorn von der Oberschenkel¬
schiene steht. Die Schenkel des Bügels stehen dann garnicht in Berührung mit der
Oberschenkelschiene, ausser dort, wo die Zapfen einschnappen. Wird nun der Bügel,
den man mit der Hand durch die Kleider hindurch dirigieren kann, gesenkt, so gleiten
die Schenkel auf den obengenannten, an den Obersckenkelschienen angebrachten schiefen
Ebenen in die Höhe, sodass die Schenkel der Bügel parallel mit der Oberschenkel¬
schiene zu liegen kommen. Dadurch werden die Zapfen aus den Löchern der Unter¬
schenkelschienen herausgehebelt, und die Beugung des Kniees ist nun ermöglicht
(Fig. 34 b). Soll das Kniegelenk beim Aufstehen der Patienten wieder fixiert werden,
so genügt ein leichter Druck auf das Kniegelenk, um den Bügel in die Höhe gleiten
und die Zapfen in die Unterschenkelschienen eingreifen zu lassen; damit ist dann
das Kniegelenk wieder festgestellt.
Die eben geschilderte Vorrichtung benutze ich wie gesagt nur dann, wenn sich
das Knie ganz gerade ausstrecken lässt. Ist dagegen, wie es oft der Fall ist, ein
leichter Grad von Genu valgum vorhanden, so benutze ich eine andere Sperr¬
vorrichtung, die auch vortrefflich wirkt (Fig. 35 a u. 35 b). Ein das Knie hinten um¬
greifender Stahlbügel artikuliert hinten und aussen an der Oberschenkelschiene direkt
oberhalb des Kniescharniers. Von der Mitte dieses Bügels geht hinten ein Gummi¬
band nach abwärts zum unteren Theil der Unterschenkelhülse. Wird das Knie¬
gelenk gestreckt, so spannt sich dieser Gummizug fest an und lässt zwei an den
Bügelschienen angebrachte Vorsprünge in den hinteren Absatz des Kniescharniers
einspringen, damit ist dann das Kniegelenk fest fixiert. Will sich der Patient setzen,
so greift er von hinten in die Kniekehle hinein, hebt den Bügel etwas in die Höhe,
bringt damit die Vorsprünge aus den Kniescharnieren wieder heraus, giebt damit
die Kniebeugung frei.
Seitdem wir diese geschilderten Sperrvorrichtungen verwenden, d. h. seit jetzt
etwa drei Jahren, haben wir in Verbindung mit gut sitzenden Schieneuhülsenapparaten
unsere Patienten wirklich erhebliche Erleichterungen in der Fortbewegung verschafft.
Sie gestatten mir wohl, Ihnen einige Patienten zu demonstrieren, welche derartig
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Albert Iloffa
320
ausgestattete Apparate tragen, und Sie werden mir zugeben, dass sicli etwas voll¬
kommeneres kaum denken lässt. (Demonstration.)
Handelt es sich um die Ermöglichung des Gehens bei starkem Genu recur-
vatum so erhalten die Patienten Apparate, deren Kniescharniere man einfach so
arbeitet, dass eine Ueberstreckung unmöglich ist. Die Patienten können dann in
solchen Apparaten recht gut stehen und gehen (Fig. 36 a u. 36 b).
Sind beide Beine gelähmt und erstreckt sich'die Lähmung gleichzeitig
auch auf die Rückenmuskulatur, so fertigt man für solche Kranken am besten
ein gut sitzendes Stoffkorsett an, und bringt dann die Schienenhülsenapparate durch
Scharniere in Verbindung mit den Bügeln des Korsetts. Man kann auch an den
Hüftgelenksscharnieren ohne grosse Schwierigkeit Sperrvorrichtungen nach dem
Prinzip der springenden Feder anbringen, doch lässt sich auch ohne solche Sperr¬
vorrichtung eine gute Feststellung der Hüfte erreichen durch ein breites von dem
unteren Ende der Oberschenkelhülse nach dem Hüftbügel des Korsetts ziehendes
Gummiband (Fig. 37 a). Es ist für den Orthopäden eine der grössten Freuden, wenn
es ihm gelingt, solche Patienten, die bisher auf den Rollstuhl oder auf Krücken an¬
gewiesen waren, wieder im wahrsten Sinne des Wortes auf die Beine zu bringen,
und zwar mit solchem Erfolge, dass sie oft im stände sind, selbst ohne Hülfe von
Stöcken zu gehen (Fig. 37 a, b u. c).
Das bisher Gesagte sollte Ihnen, meine Herren, einen Begriff geben von der
Leistungsfähigkeit der modernen Orthopädie auf dem Gebiete der Apparattechnik.
Es ist damit natürlich lange nicht alles erschöpft, was auf diesem Gebiete gearbeitet
worden ist. Ich könnte Ihnen noch zahlreiche andere Vorrichtungen schildern, auch
solche, welche bei den paralytischen Deformitäten der oberen Extremitäten in Ver¬
wendung kommen und Ihnen zeigen, wie man durch Verbindung der Apparate mit
Hebeln, Federn und Spiralen irgend einen gewünschten Zweck zu erreichen gesucht
und auch erreicht hat. Das würde mich aber hier viel zu weit führen. Jedenfalls
hoffe ich, Ihnen gezeigt zu haben, dass sich gerade in der Hand des denkenden
Arztes die Apparatbehandlung der Lähmungen recht segensreich verwerthen lässt.
So grosse Fortschritte nun auch die Apparatbehandlung der paralytischen
Deformitäten gemacht hat, für den Einzelnen, der verurtheilt ist, einen Apparat,
womöglich Zeit seines Lebens tragen zu müssen, hat auch der vollkommenste Apparat
seine grossen Schattenseiten. Die Apparate selbst müssen doch von Zeit zu Zeit
erneuert werden, das macht mehr oder weniger grosse Kosten; ferner ist nicht zu
bezweifeln, dass bei ständigem Gebrauch eines Apparates eine beträchtliche Atrophie
der betreffenden Glieder eintritt. Wir kämpfen allerdings gegen die Entstehung
einer solchen Atrophie nach Möglichkeit an, indem wir empfehlen, täglich eine
energische Massage der atrophischen Muskeln vornehmen zu lassen. Das wird aber
der Bequemlichkeit wegen sehr oft unterlassen, und so tritt die Atrophie doch ein.
Bei diesem Stand der Dinge nimmt es nicht Wunder, dass man bei dem Auf¬
blühen der antiseptischen Wundbehandlungsmethode bald auf den Gedanken kam,
ob es nicht möglich sein würde, den armen gelähmten Patienten auf operativem
Wege Hilfe zu bringen.
Albert in Wien war der erste, der diesen Gedanken verwirklichte. Im Jahre
1877 führte er seine erste Arthrodesenoperation aus. Diese Arthrodesenoperation
hat die Absicht, eine künstliche Versteifung der paralytischen Gelenke
herbeizuführen. Die unteren Extremitäten sollten durch diese Operation gewisser-
maassen in lebendige Stelzen umgewandelt werden, so dass die Patienten unabhängig
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und physik. Therapie. Bd. VI. Heft 6.
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Zeitschrift für diät, und physik, Therapie. Bd. VI, Heft. 6.
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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 321
von Apparaten sein würden oder doch wenigstens mit ganz einfachen Stütz¬
vorrichtungen auskommen könnten. Die Albert’sche Idee wurde bald von vielen
Seiten aufgegriffen, und es wird heutzutage die Arthrodese, d. h. die künstliche
Ankylosierung eines paralytischen Gelenkes in geeigneten Fällen vielfach geübt.
Man macht sie aber nicht nur an der unteren, sondern auch an der oberen Extremität,
indem man z. B. den Oberarm an das Schulterblatt anheftet. Die durch die Arthro¬
dese gewünschte knöcherne Ankylose lässt sich nur durch eine blutige Er¬
öffnung der Gelenke, Anfrischung der Gelenkenden und direkte Ver¬
einigung derselben durch die Naht mit Silberdraht, durch Einschlagen von Nägeln
oder durch Einführung von Elfenbeinstiften in die Markhöhlen erreichen. Des öftern
erzielt man namentlich am Fussgelenk keine völlige Ankylose, aber auch eine straffe
fibröse Verwachsung der Gelenkenden giebt brauchbare Resultate.
Die Arthrodese ist an sich eine ungefährliche Operation. Ich habe selbst wieder¬
holt z. B. beide Kniegelenke in einer Sitzung mit Erfolg ankylosiert. Deshalb soll
man sich aber doch nicht verleiten lassen, die Arthrodese zu früh auszuführen.
Sie ist vielmehr erst dann angezeigt, wenn man alle Hilfsmittel der Therapie
mindestens Va — 1 Jahr lang vergeblich angewendet hat und die Lähmung trotz aller
Mühe keine Spur von Besserung zeigt. So ist und bleibt die Arthrodesenoperation
nur ein ausnahmsweise vorzunehmender Eingriff.
Glücklicherweise hat uns nun die letzte Zeit eine Operationsmethode geschenkt,
die dazu bestimmt ist, die Arthrodesenoperation noch mehr als bisher einzuschränken,
eine Operation, welche es uns heute ermöglicht, früher ganz ungeahnte Erfolge zu
erzielen und die uns vielfach gestattet, die früher gelähmten Patienten so herzustellen,
dass sie gar keiner orthopädischen Apparate mehr bedürfen. Es ist dies die so¬
genannte Sehnentransplantation.
Die Sehnentransplantation bezweckt bei sonst unheilbaren Muskellähmungen
auf operativem Wege die Sehnen gesunder, aber wenig bedeutender Nachbar¬
muskeln auf die funktionsuntüchtigen Sehnen zu überpflanzen und so die
Thätigkeit der gesunden Muskeln auf diese letzteren zu übertragen. Die Sehnen¬
transplantation ist eine Erfindung Nicoladoni’s. Derselbe führte sie zuerst aus
zur Heilung eines Pes calcaneus mit Lähmung der Wadenmuskulatur, indem er die
Musculi peronei hinter dem Mallcolus externus durchschnitt, dann ebenso die Achilles¬
sehne über der Ferse durchtrennte und nun die centralen Enden der Peronealsehnen
mit dem Stumpf der Achillessehne vernähte. Die Verwachsung trat ein, und der Er¬
folg war ein guter.
Die Operation Nicoladoni’s wurde in den letzten Jahren sehr häufig wieder¬
holt und empfohlen, namentlich Drobnik, Franke, Vulpius, Hoffa und Lange
in Deutschland, Goldwhait in Amerika, Codivilla in Italien haben sich um ihre
Verwerthung und Vervollkommnung verdient gemacht. Heutzutage wird sie nicht nur
in dem ursprünglichem Sinne Nicoladoni’s ausgeführt, dass man die Funktion
eines gesunden Muskels auf einen gelähmten zu übertragen sucht, man übt vielmehr
auch noch die Theilung der Funktion eines Muskels, indem man dessen Sehne
nur theilweise an den gelähmten Muskel annäht.
Sehen wir zunächst zu, in welcher Weise der kraftspendende Muskel mit dem
gelähmten in Verbindung gebracht werden kann, so kommen hier wesentlich vier
Methoden in Betracht:
1. kann man die Sehne eines noch vollkommen funktionstüchtigen Muskels
durchtrennen, um seinen centralen Stumpf der Sehne des gelähmten Muskels ein-
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322 Albert Hoffa
zuverleiben und dadurch der letzteren neue Kraft zuzuführen; diese Methode wird
nur ausnahmsweise verwerthet, und zwar dann, wenn der betreffende gesunde Muskel
für seinen ursprünglichen Zweck entbehrlich ist. Denn nur so ist ja seine voll¬
kommene Ausschaltung ohne Schädigung der Aktionsfähigkeit des betreffenden Gliedes
gerechtfertigt. Als Beispiel möchte ich die Ueberpflanzung des gesunden Flexor
carpi ulnaris auf den gelähmten Extensor digitorum communis anführen.
2. Die zweite Möglichkeit der Sehnenüberpflanzung ist die, dass man die Sehne
des gelähmten Muskels durchschneidet, dass man das centrale Ende derselben ganz
ausser Acht lässt, das periphere Ende dagegen möglichst centralwärts an den kraft¬
gebenden Muskel annäht. Denken wir uns z. B. einen paralytischen Pes equinus,
bei dem der Musculus tibialis anticus gelähmt, der Extensor digitorum communis
longus dagegen erhalten ist. Man durchtrennt dann in solchem Falle die Sehne des
Tibialis anticus, bringt den Fuss in möglichst starke Dorsalflexion und näht nun
das pheriphere Ende des Tibialis anticus möglichst centralwärts an die Sehne des
Extensor digitorum longus an. Man erreicht damit einmal, dass das Fussgelcnk
durch die vorhandene Spannung in dorsal flektierter Lage bleibt, dann aber, dass
nach eingetretener Verwachsung der Sehnen jede Kontraktion des Extensor digitorum
den peripheren Tibialistheil mit sich emporzieht und so einen der Tibialiskontraktion
ähnlichen Effekt hervorbringt.
3. Die dritte Modifikation der Sehnentransplantation gestaltet sich derart, dass
man von der Sehne eines vollkommen erhaltenen Muskels einen Theil, etwa die
Hälfte, abzweigt und diesen abgezweigten Theil dann in der nothwendigen Korrektions¬
stellung des Gelenkes mit der Sehne des gelähmten Muskels fest vernäht. Am
häufigsten wird in dieser Weise ein Theil der Achillessehne verwerthet, um die
Kraft der Wadenmuskulatur für die Thätigkeit der gelähmten Musculi peronei, des
gelähmten Tibialis anticus oder der gelähmten Zehenstrecker in Anspruch zu nehmen.
4. Neuerdings hat Mainzer die Sehnenplastik auf einem indirekten Wege
ausgeführt, indem er wegen zu grosser Kürze der zu überpflanzenden Sehnen ein
Stück gesunder Sehne zwischen die beiden zu kurzen Sehnenenden einpflanzte.
Ich habe vorgeschlagen die Operation, bei der die Sehne eines gelähmten
Muskels oder ein Theil derselben an die Sehne eines funktionsfähigen Muskels an¬
genäht wird, eine passive, die Operationen dagegen, bei der die funktionsfähige
Sehne, oder ein Theil derselben auf die gelähmte Sehne transplantiert wird, eine aktive
Ueberpflanzung zu nennen; denn im ersten Fall wird eine nichtthätige, passive Sehne
an eine kraftgebende angenäht, während im zweiten Fall die Sehne eines aktiven
Muskels auf einen gelähmten Muskel übertragen wird. Die Kombination beider
Methoden würden wir dann als aktiv-passive Transplantation bezeichnen.
Eine besondere Form der Sehnentransplantation ist schliesslich die von Lange
angegebene periostale Sehnenverpflanzung. Der kraftspendende Muskel wird
in diesem Falle nicht mit dem gelähmten Muskel, sondern direkt mit dem Periost
vernäht. So schafft man neue Muskelansätze an den Knochen, die normaler Weise
gar nicht existieren, und hat es dadurch in der Hand, die gewünschte Funktion
möglichst günstig zu gestalten. Bei einer Lähmung des Extensor digit. pedis würde
man beispielsweise eine abgespaltene Partie des Tibialis anticus mit der Dorsalseite
des Os cuboideum vernähen. Die Methode hat ihre entschiedenen Vorzüge, nament¬
lich auch deshalb, weil bei der Bildung des neuen Muskels keine atrophische Sehne
verwendet wird.
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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 323
Hand in Hand mit der geschilderten aktiven, passiven oder aktiv-passiven
Sehnentransplantation übt man nun zur Erreichung brauchbarer Resultate noch
Operationen an den Sehnen, die man als Sehnen Verkürzung und Sehnen¬
verlängerung bezeichnet, und ich muss nach meiner Erfahrung sagen, dass man
gerade durch die Kombination der genannten Methoden die besten Erfolge
zu erzielen vermag.
Die Sehnenverkürzung kann man entweder so ausführen, dass man die Sehne
durchschneidet, die Sehnenenden gegeneinander verschiebt und sie dann unter mög¬
lichster Anspannung der beiden durchschnittenen Enden vernäht, oder man verkürzt
die Sehne durch Faltenbildung, indem man die Sehne mit einem starken Seiden¬
faden durchflicht und die beiden Enden des Seidenfadens dann stark anzieht und
fest verknüpft.
Wie ich schon öfters betont habe und wie dies Lange auch neuerdings wieder
hervorgehoben hat, spielen die Sehnenverkürzungen eine grosse Rolle beim
Zustandekommen guter funktioneller Resultate. Die gelähmten Muskeln sind
vielfach infolge der auf sie einwirkenden Schwerkraft oder infolge der
auf sie ’einwirkenden Belastung zu lang geworden; sie sind passiv ge¬
dehnt und haben dadurch ihre normale, zu ihrer Funktion nothwendige
Spannung verloren. Diese normale Spannungsfahigkeit muss nun wieder her¬
gestellt werden, und das erreichen wir durch die Verkürzung der betreffen¬
den Sehnen.
Soll ich Ihnen einen derartigen konkreten Fall schildern, so wollen wir den Pes
valgus paralyticus als Beispiel nehmen. Bei dieser Deformität besteht eine passive
Dehnung des Musculus tibialis posticus. Legen wir uns nun die Sehne dieses Muskels
bloss, ziehen die Sehne aus ihrer Scheide bei möglichster Supination des Fusses hervor,
durchschneiden sie, verschieben die Sehnenenden gegen einander und vernähen sie
unter möglichsterAnspannung mit einander, so erreichen wir eine beträchtliche
Verkürzung des Musculus tibialis posticus, und geben ihm so die Möglichkeit, seine
Funktion, die er wegen seiner passiven Verlängerung nicht ausüben konnte, wieder
aufzunehmen.
Die Sehnenverlängerung macht man nach Bayer derart, dass man die
Sehne treppenförmig spaltet, die beiden Enden der Länge nach verschiebt und die
Querschnitte vernäht.
Auf die Technik der eigentlichen Sehnentransplantation näher einzu¬
gehen, ist hier nicht der Platz. Selbstverständlich ist, dass man sich, bevor man
an die Operation herangeht, einen genauen Operationsplan macht, wofür eine
genaue elektrische Untersuchung der Muskulatur des Patienten unerlässlich
ist Ist man trotzdem nicht im stände zu unterscheiden, ob der betreffende Muskel
ganz oder nur theilweise gelähmt ist, so kann man während der Operation durch
die Farbe des Muskels Klarheit gewinnen; der kräftige funktionstüchtige Muskel
ist dunkelroth, der gelähmte infolge seiner fettigen Degeneration gelblichweiss, der
paretische mehr oder weniger rosaroth gefärbt.
Ist die Sehnentransplantation ausgeführt, so wird das betreffende Glied in über¬
korrigierter Stellung durch einen Gipsverband fixiert. Die Hautnähte entfernt man
nach 3—5 Tagen durch ein Fenster im Verbände. Nach 4—8 Wochen wird der
Verband entfernt und nun die Nachbehandlung mittels Massage, Gymnastik und
Elektrizität einige Wochen hindurch geübt.
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Albert Hoff»
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Es ist nun sehr interessant, dass oft schon nach wenigen Wochen, nach Ab¬
nahme des ersten Verbandes, der Erfolg der Transplantation sichtbar ist, so dass
z. B. nach Ueberpflanzung eines Theiles der Achillessehne auf die gelähmten Peronei
der Patient im stände ist, mittels der Wadenmuskulatur die gewünschte Pronations¬
bewegung des Fusses, die vor der Operation ganz unmöglich war, auszuführen.
In anderen Fällen stellt sich die erstrebte Bewegung erst nach und nach ein. Wieder
in anderen Fällen muss man zufrieden sein, wenn man nur die abnorme Gelenk¬
stellung beseitigt und eine dauernde Korrektion der Deformität erreicht hat.
Die Frage, in welcher Weise der kraftspendende Muskel zu seiner neuen Thätig-
keit angeregt wird, ist physiologisch sehr interessant, aber noch nicht definitiv ent¬
schieden und auch wohl in den verschiedenen Fällen verschieden zu beantworten.
In einigen Fällen, namentlich in denjenigen, wo der Erfolg der Operation schon nach
wenigen Wochen deutlich in die Erscheinung tritt, glaube ich dies darauf zurückführen
zu müssen, dass die betreffenden Muskeln infolge der Lähmung den zu ihrer Wirkung
nothwendigen Spannungszustand verloren hatten. Durch die Operation wurde
ihr, wie ich sagen möchte, normaler Spannungsgrad wieder hergestellt, und
dadurch wurde ihnen ihre Funktion wieder ermöglicht. Ich habe in dieser Beziehung
wiederholt sehr schöne Beobachtungen gemacht. So habe ich z. B. gelegentlich ein¬
mal bei einer seit 14 Jahren bestehenden kompleten Facialislähmung die Entstellung
des Gesichtes durch eine Keilresektion aus der Wange behoben. Merkwürdigerweise
stellte sich nun bei dieser Patientin nach der Operation die Beweglichkeit der vorher
total gelähmten Wange, wenn auch nur in gewissen Grenzen, wieder her. Ich kann
mir das nur so erklären, dass vor der Operation die gelähmten Theile durch die
Schwere der Wange passiv so gedehnt waren, dass selbst durch den elektrischen
Strom keine Zuckung mehr ausgelöst werden konnte. Erst als durch die Operation
die gedehnten Muskeln verkürzt waren und sie gewissermaassen ihre normale Länge
wieder erhalten hatten, kehrte ihre Kontraktionsfähigkeit wieder zurück. Meine
Annahme von dem Einfluss der Wiederherstellung des normalen Spannungsgrades
auf die Wiederkehr der Funktion hat, wie ich schon hervorgehoben habe, sicher
nur für eine Reihe von Fällen Gültigkeit. In den anderen, und zwar in der Mehr¬
zahl der Fälle muss wohl, wie dies zuerst Drobnik und Eulenburg betont haben,
durch die Transplantation gewissermaassen ein neues Muskelindividuum entstehen,
welches durch Anpassung der Gehirnrinde allmählich eine gewisse Selbstständigkeit
der Innervation und Funktion erlangt. Die Anpassung der Koordinationscentren
an die veränderte Wirkungsweise der Muskeln entsteht jedenfalls durch immer wieder¬
holte centripetale sensible Erregungen aus dem Gebiete der verlagerten Muskeln.
Zweifellos ist es hochinteressant, dass man zur Kraftübertragung nicht nur solche
Muskeln benutzen kann, die vermöge ihrer Funktion den gelähmten Muskeln nahe¬
stehen, dass man vielmehr ganz entgegengesetzt wirkende Muskeln zur Kraftüber¬
tragung benutzen kann, und trotzdem ein gutes funktionelles Resultat erzielt.
Um Ihnen, meine Herren, nun einen Begriff über die Resultate zu geben, die
wir mittels der geschilderten Operationen an den Sehnen erzielen können, will ich
mir erlauben, Ihnen einige von mir operierte Fälle vorzustellen, die ich gerade zur
Hand habe. Ich habe bisher nahezu 100 Sehnentransplantationen vorgenommen. Wie
bei allen anderen Operationen geht es auch hier. Je grösser die Erfahrung des
Einzelnen wird, desto besser werden die*Resultate. Man lernt, wie man im gegebenen
Fälle die noch erhaltenen Muskeln am zweckmässigsten verwerthen kann. Des öfteren
lässt es sich nicht umgehen, zweizeitig, zu operieren. Will man z. B. einen para-
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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung.
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lytischen Klumpfuss heilen, so thut man gut, zunächst die Adduktion und Supination
des Fusses zu korrigieren und in einer zweiten Sitzung erst den Spitzfuss zu be¬
heben. Ich stimme darin ganz mit Schanz überein. Ganz besonders will ich noch¬
mals hervorheben, dass stets der richtige Spannungszustand an den operier¬
ten Muskeln hergestellt wird, denn sonst bleibt der gewollte Effekt aus.
Ich will Ihnen nun zunächst an einem ganz interessanten Beispiel die Wirkung der
Sehnenplastik demonstrieren. Sie sehen hier ein Kind, das an einem doppelseitigen Pes
ealcaneo-valgus gelitten hat. Die rechte Seite ist operiert worden, die linke nicht. Es ist
rechts die Achillessehne verkürzt und der Peroneus longus auf die Achillessehne aufgenäht
worden; es ist ferner der Tibialis post, verkürzt worden. Legt man nun den Jungen auf
den Rücken und hält beide Beine senkrecht in die Höhe, so sehen Sie, wie auf der linken
nicht operierten Seite der Fuss sofort in seine Calcaneovalgusstellung fällt, der rechte
operierte Fuss bleibt dagegen in völlig rechtwinkliger guter Mittelstellung stehen. Durch
die Sehnenplastik hat er also wieder eine vollständig normale Stellung erhalten. Dieses
eben gezeigte Kind soll ihnen nur den unmittelbaren Effekt der Sehnenplastik vor Augen
fahren.
Um Ihnen nun aber zu zeigen, dass die Sehnenplastik nicht nur unmittelbare
gute Erfolge aufweist, sondern dass wir wirklich im stände sind, mittels der¬
selben sehr gute dauernde Heilresultate zu erzielen, will ich Ihnen eine
Reihe von Fällen demonstrieren, bei denen die Operation schon vor längerer Zeit —
theilweise vor zwei Jahren — ausgeführt wurde, so dass Sie hier wirklich die End¬
resultate vor sich sehen. Ich beginne mit den Operationen an der oberen Extremität,
und zeige Ihnen zunächst einen Fall von paralytischem Schlottergelenk der
Schulter.
Es handelt sich um ein 17jähriges Mädchen, welches in seinem zweiten Lebensjahre
die Kinderlähmung acquirierte. Es blieb, wie Sie aus der Photographie (Fig. 38 a) ersehen,
ein typisches paralytisches Schlottergelenk der rechten Schulter zurück mit hochgradigster
Atrophie der ganzen Oberarmmuskulatur. Der Oberarm war vollständig funktionsunfähig.
Ich habe in diesem Fall den Muse, cucullaris von seinen Ansatzstellen an der Clavicula
und am Schulterblatt abgelöst und habe ihn dann auf den ganz atrophischen Muse, deltoides
aufgenäht. Trotzdem sich im Verlaufe der Heilung einige Seidenfäden ausstiessen, ist das
funktionelle Endresultat ein gutes geworden (Fig. 38 b). Wie Sie sehen, vermag die Patientin
nun mit ihrem Cucullaris den Oberarm kräftig in die Höhe zu heben (Fig. 38 c). Der Ober¬
armkopf wird dabei bis in die Höhe des Akromion emporgehoben. Die Patientin ist sehr
zufrieden mit der Gebrauchsfähigkeit ihres Armes; während sie vor der Operation ganz
hilflos war, ist sie jetzt ohne jede Schwierigkeit als Verkäuferin in einem Modewarengeschäft
thätig.
Ich zeige Ihnen ferner einen schönen Fall geheilter Radialislähmung. Der jetzt
14 jährige Knabe hatte die Lähmung seit seiner frühesten Kindheit. Die Hand hing in der
bekannten typischen Stellung herab und konnte absolut nicht dorsal flektiert werden. Ich
habe in diesem Falle den Flexor carpi radialis und Flexor carpi ulnaris auf die Extensoren
der Hand aufgenäht und gleichzeitig diese Extensoren durch Faltung verkürzt. Sie sehen
nun, dass wir ein geradezu ausgezeichnetes Operationsresultat erreicht haben. Der Junge
kann nunmehr seine Hand in nahezu normalen Grenzen dorsal- und volarwärts flektieren
und kann die Finger kräftig beugen und strecken. Aehnlichc Fälle habe ich bereits früher
veröffentlicht und abgebildet. Dieser Junge ist leider vor der Operation nicht photographiert
worden.
Von den Sehnenplastiken der unteren Extremität zeige ich Ihnen zunächst zwei Fälle,
in denen ich den gelähmten Quadriceps nach der von Lange und Fedor Krause zuerst
ausgeführten Operationsweise durch die Beugemuskeln an der hinteren Seite des Ober¬
schenkels ersetzt habe. In beiden Fällen ist die Operation so ausgeführt worden, dass
durch zwei Längsschnitte an der hinteren Seite des Oberschenkels der Musculus biceps und
semimembranosus von ihrem Ansatz am Unterschenkel abgelöst wurden; beide Muskelenden
wurden dann nach vorn geführt und von einem vorderen Längsschnitt aus an den inneren
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Albert Hoffa
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respektive äusseren Rand der Patella fest angenäht Hier der erste Knabe ist 5, der
zweite 9 Jahre alt. Wie Sie nun sich überzeugen können, vermögen beide Knaben ihre
früher ganz gelähmten Beine ohne jede Schwierigkeit in völlig gestreckter Stellung von der
Unterläge zu erheben und in gestreckter Lage hochzuhalten. Ebenso können sie jetzt wieder
nahezu völlig normal herumgehen.
Kommen wir nun zu den Sehnenplastiken an den Füssen, so kann ich Ihnen auch
hier vortreffliche Dauerresultate vorstellen:
Fräulein E. P. kam mit einem rechtsseitigen hochgradigsten paralytischen Plattfuss und
linksseitigem paralytischen Klumpfuss vor zwei Jahren in unsere Behandlung (Fig. 39a). An
beiden Füssen sind eine Reihe von Operationen vorgenommen worden. Zunächst wurde an
dem rechten paralytischen Plattfuss die Achillessehne gespalten und der abgespaitene Zipfel
mit dem peripheren Ende der durchschnittenen Tibialisanticussehne vernäht, der Tibialis
posticus verkürzt und der Rest der Achillessehne verlängert. Am linken Fuss wurde nur
der Tibialis anticus verkürzt Später wurde dann an diesem linken Fuss in einer Nach¬
operation ein Theil der Achillessehne auf die Peroneen verpflanzt und die Streckmuskulatur
verkürzt. Das Endresultat ist nunmehr das, dass der linke Fuss völlig normal steht, während
am rechten Fuss noch eine leichte Valgusstellung vorhanden ist (Fig. 39 b). Während aber
vor der Operation das Gehen nur mit Hilfe von zwei Stöcken und Stützapparaten für beide
Füsse möglich war, geht Patientin jetzt ohne jegliche Stützvorrichtung stundenlang spazieren,
ebenso wie sie auch sehr gut tanzen gelernt hat.
In dem folgenden Fall handelte es sich ebenfalls um einen paralytischen Plattfuss.
Der Junge ist 12 Jahre alt und litt seit frühester Jugend an einem hochgradigen paralytischen
Plattfuss, der ihm das Leben sehr schwer machte. Es wurde in diesem Falle ein Theil der
Achillessehne abgespalten, der Rest nach Bayer verlängert, der abgespaltene Theil auf den
Tibialis posticus genäht, der dann noch verkürzt wurde. Sie sehen jetzt, dass der Fuss voll¬
ständig normal steht und dass sich die Wölbung des Fusses sehr schön wiederhergestellt
hat. — Auch in den beiden folgenden Fällen handelte es sich um paralytische Plattfüsse.
Bei diesem 3 jährigen Kinde wurde die Operation in derselben Weise und mit gleich gutem
Erfolge wie in dem vorigen Falle ausgeführt. Bei diesem 13jährigen Mädchen wurden eben¬
falls die gleichen Selmenverlagerungen ausgeführt, da aber der Fuss gleichzeitig noch ein starker
Knickfuss war, wurde noch die Sehne des Peroneus longus von einem äusseren Schnitt aus
durchtrennt, unter der Achillessehne nach der inneren Seite des Fusses herübergeführt und
hier, am inneren Rande des Cnlcaneus angenäht. Wie Sie sehen, ist der Erfolg auch hier
ein recht guter, sowohl was die Stellung des Fusses, als auch seine Funktion betrifft.
Weiter zeige ich Ihnen einen Fall von hochgradigem Pes calcaneo-valgus, der zu
seiner Heilung eine ganze Reihe von Eingriffen nöthig machte. Zunächst wurde der Tibialis
posticus mit dem Extensor digitorum communis vereinigt, der Tibialis anticus verkürzt und
ein Theil der Achillessehne auf das. Os naviculare aufgenäht. Später wurde dann noch die
Achillessehne verkürzt und, um die Knickstellnng des Fusses zu beseitigen, die Sehne des
Peroneus longus durchschnitten, unter der Achillessehne durchgeführt und am inneren Rande
des Calcaneus angenäht. Schliesslich wurde noch ein starker Seidenfaden einestheils an
das Os naviculare befestigt, anderntheils unter starker Spannung mit dem Tibialis posticus
vernäht. Dank aller dieser Operationen hat der Fuss nicht nur seine richtige Stellung,
sondern Patientin vermag den Fuss jetzt nicht nur plantar und dorsal zu flektieren, sondern
auch zu pronieren und zu supinieren, bei dem vorher ganz haltlosen, unbrauchbaren Fuss
gewiss ein ausgezeichnetes Resultat.
Zum Schluss zeige ich Ihnen noch einen geheilten paralytischen Klumpfuss. Bei dem
14jährigen Mädchen wurde innen und aussen ein Theil der Achillessehne abgcspalten; die
stehengebliebene Partie wurde nach Bayer verlängert, die beiden seitlichen Zipfel wurden
nach vorn durchgeführt und mit den verkürzten Sehnen des Tibialis anticus und Extensor
digitorum communis vereinigt. Der Fuss hat jetzt vollständig normale Stellung und kann
aktiv im Sinne der Plantar- und Dorsalflektion bewegt werden (Fig. 40a und 40b).
Soviel, meine Herren, über die durch die Sehnenplastik erreichbaren Resultate.
Während nun in all den angeführten Fällen, ebenso wie in den bisher in der Litte-
ratur mitgetheilten Fällen die Ansatzstellen der Muskeln verlängert wurden, möchte
ich Ihnen jetzt noch ein Kind vorstellen, bei dem ich nicht die Ansatzstellen, son-
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Ueber die orthopädische Behandlung der spinalen Kinderlähmung. 327
dern den Ursprung eines Muskels verlagert habe. Es ist .dies eine neue
Operation, welche ich jetzt in fünf Fällen stets mit demselben guten Resultat aus¬
geführt habe. Es handelt sich in diesem hier vorgestellten Fall, ebenso in den vier
anderen um eine cerebrale Kinderlähmung. Bei diesen cerebralen Kinder¬
lähmungen steht der Arm im Ellenbogengelenk gebeugt und die Hand stark proniert.
Jedem Streckversuche des Ellenbogens sowie jeder Supination der Hand setzt sich
ein oft kaum zu überwindender Widerstand von Seiten der Muskulatur entgegen.
Ich habe nun, um diesen Muskel widerstand zu beseitigen, einmal den Lacertus
fibrosus und die Bicepssehne in offener Wunde durchtrennt, dann aber habe ich, um
das Uebergewicht der Pronatoren über die Supinatoren zu beheben, den
Musculus pronator teres von seinem Ursprung am Epicondylus int.
humeri losgelöst, ihn nach der anderen Seite des Armes herübergezogen,
zwischen dem Supinator brevis und der Beugemuskulatur durchgezogen
und an den Epicondylus ext. oberhalb des Supinator brevis angenäht.
So wurde also aus dem Pronator teres gewissermaasen ein zweiter Su¬
pinator brevis! Wie sie nun sehen, ist durch die. Operation die früher bestandene
Supinationsbehinderung, ebenso wie die Beugekontraktur des Ellenbogengelenkes
vollständig beseitigt Das Kind beugt und streckt den Arm ohne jede Mühe und
supiniert aktiv auch fast in normalen Grenzen. Das gleich gute Resultat ist wie
gesagt auch bei den andern vier Operierten erzielt worden.
Zum Schluss möchte ich Ihnen noch zeigen, meine Herren, in welcher Weise
wir heutzutage starke Verkürzungen der Extremitäten, wie sie uns gelegentlich bei
paralytischen Beinen zur Behandlung kommen, ausgleichen. Anstatt der eisernen
Gestelle, die man früher anwandte, oder der unschönen hohen Stiefel gehen wir jetzt
so vor, dass wir den Fuss in extremer Spitzfussstellung in einer Lederhülse fassen.
Durch ein entsprechend geformtes Korkstück geben wir dann der Lederhülse die
gewünschte Länge und bringen unten am Kork einen einfachen künstlichen Fuss an.
Der Patient zieht dann über den so hergestellten Apparat einen gewöhnlichen Stiefel
an, und wie Sie bei dieser kleinen Patientin sehen, ist es dann schwer, überhaupt
etwas von einer bestehenden Deformität zu entdecken.
Wie ich schon eingangs erwähnte, lag es nicht in meiner Absicht, Ihnen das
gesammte Kapitel der Behandlung der spinalen Kinderlähmungen vorzuftthren. Ich
wollte Ihnen nur zeigen, dass die moderne orthopädische Chirurgie über eine ganze
Reihe von Hilfsmitteln verfügt, um in einem gegebenen Falle das denkbar beste
Resultat zu erreichen. Dass aber diese Resultate wirklich befriedigende, selbst in
schweren Fällen zu sein vermögen, davon haben Sie sich, meine Herren, wohl zur
Genüge selbst überzeugen können.
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Karl Walko
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XI.
Ueber die Behandlung der Enuresis.
Aus der medicinischen Klinik des Professors R. v. Jaksch in Prag.
Von
Dr. Karl Walko,
klinischem Assistenten.
Die Behandlung der Enuresis hat in den letzten Jahren mehrfache Wandlungen
erfahren, bei welchen immer deutlicher das Bestreben zu Tage trat, den ursächlichen
Verhältnissen gerecht zu werden. Im allgemeinen ist aus der Methodik der Be¬
handlung zu ersehen, dass die medikamenteile Therapie zu Gunsten der mechanischen,
allgemein hygienischen und psychischen zurücktritt, insbesondere bei allen jenen
Fällen, wo die Harninkontinenz keine symptomatische — durch centrale, spinale,
periphere, reflektorische Reize bedingt —, sondern eine funktionelle ist. Von der
physiologischen Enuresis im Säuglingsalter und den erwähnten symptomatischen
Formen abgesehen, ist die Enuresis eine Erkrankung, welche in der frühesten Kind¬
heit ihren Beginn und mit der Pubertät ihr Ende findet Ein späterer Beginn, nach
dem ü. Lebensjahre, sowie eine längere Dauer, bis zum 20. Lebensjahre oder darüber
hinaus, gehört zu den selteneren Erscheinungen. Es ging daher die Auffassung der
Erkrankung bei sonst körperlich und geistig normal entwickelten Individuen dahin,
die Ursache in dem Fortbestehen des infantilen Zustandes der Innervation, der
mangelhaften Innervation des Schliessmuskels der Blase zu finden. Bereits Bohn 1 )
fasst die Krankheit als lokale Neurose auf, deren nervöser Charakter sich schon
durch den Einfluss des Willens und Gemüthsaffektes offenbart. In gleichem Sinne
ist die Auffassung Trousseau’s und Bretonneau’s, Ultzmann’s 2 ) gehalten,
welche die Enuresis als Neurose bezeichnen, bei welcher ein Missverhältniss in der
Innervation des Sphinkters und Detrusors in der Art bestehe, dass der erstere
mangelhaft innerviert sei. Auch von den meisten der späteren Beobachter wird die
Enuresis, sei sie eine nocturna oder diurna, als Neurose ohne irgendwelche bestehende
anatomische Veränderung gedeutet. Von anderen wird die angeborene oder später
hinzugekommene Schwäche des Schliessmuskels in der behinderten Entwickelung
des Schliessmuskelapparates als Ursache für die verminderte Funktionsleistung der
Blase angenommen (Mendelsohn 3 )). Einen eigenen Standpunkt vertritt Thiemich«),
welcher die Enuresis nicht als lokale, sondern als allgemeine Neurose auffasst und
sie als eine Erscheinungsform der dem Kindesalter eigenen monosymptomatischen
Hysterie bezeichnet.
Um nun bezüglich der Auffassung der als idiopathisch bezeichneten Form der
Enuresis einen Aufschluss zu gewinnen, sind in erster Linie die Ergebnisse der
i; Bohn, Jahrbuch für Kinderheilkunde 1869. Heft 3. S. 46.
*•*) Ultzraann, Die Krankheiten der Harnblase. Stuttgart 1890.
») Mendelsohn, Berliner klinische Wochenschrift 1895. Bd.32. S. 1026.
*) Thiemich, Berliner klinische Wochenschrift 1901. Bd. 38. S. 808.
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lieber die Behandlung der Enuresis. 329
therapeutischen Maassnahmen zu berücksichtigen. Bei einem Vergleich der ungemein
zahlreichen Methoden ist es immerhin auffallend, dass bei Anwendung der ver¬
schiedensten und divergentesten Methoden oft gleich gute Erfolge zu Tage traten.
Man könnte schon a priori daraus den Schluss auf eine funktionelle Erkrankung ziehen.
Ohne nun früher auf die einzelnen vorgeschlagenen Behandlungsmethoden einzugehen,
will ich zuerst an der Hand einzelner selbst beobachteter Fälle das Ergebniss der
Therapie kurz mittheilen, welche ich nach verschiedenen Gesichtspunkten durchprüfte.
I. Fälle reiner idiopathischer Enuresis.
1. Fall. B. J., 15 jähriger Lehrling, leidet seit dem 12. Jahre an nächtlichen Bett¬
nässen, zeitweilig auch am Tage. Anamnestisch werden keine weiteren Erkrankungen an¬
gegeben. Der somatische und Nervenstatus ergeben einen normalen Befund. Der Patient
wurde mehrmals faradisiert mit Applikation der einen Elektrode auf das Perineum, der
anderen oberhalb der Symphyse.
Nach geringer Besserung trat, allerdings nur während der Nacht, neuerdings öfters
spontane Harnentleerung auf. Nach kombinierter Massage vom Rektum aus trat nach zwei¬
maliger Sitzung Heilung ein. Patient blieb von der Zeit ab gesund; Beobachtungszeit ca.
ein halbes Jahr.
2. Fall. S. Fr., 15 jähriger Schuhmacherlchrling, seit mehreren Jahren nächtliches Bett¬
nässen; somatisches und psychisches Verhalten normal; Stuhlentleerung regelmässig, ohne
Störung; nach dreimaliger Massage vom Rektum aus sistierte die Enurese völlig, während
vier Monaten kein Rückfall.
3. Fall. L. A., 14 V 2 jähriger Gymnasiast, kräftiger junger Bursche ohne Zeichen
nervöser Störung, seit einem halben Jahre nächtliche unwillkürliche Harnentleerung. Vibrations¬
massage der Blasengegend als des Peritoneums durch je 2—3 Minuten; nach drei Sitzungen
Besserung, nach sechs weiteren keine Inkontinenz mehr, nach drei Monaten kein Rückfall.
4. Fall. H. A., 16jähriger Lehrling, seit zwei Jahren sowohl während der Nacht
als während des Tages unwillkürliche Harnentleerung. Ausser einem chronischen Ekzem
am Hodensack und an der Innenfläche der Oberschenkel keine Zeichen einer somatischen
oder nervösen Erkrankung. Nach mehrmaliger Vibrationsmassage trat geringe Besserung
ein; darauf kombinierte Massage vom Rektum aus; nach einmaliger Sitzung sistiert der
Harndurchbruch während des Tages, nächtlich noch zeitweilig erfolgend, zwei Wochen nach¬
her durch dreimalige kombinierte Massage völliges Aufhören der unwillkürlichen Harn¬
entleerung (spätere Beobachtungszeit sechs Wochen ohne Recidiv).
5. Fall. S. W., 9jähriger Schüler, seit Kindheit Bettnässen, sonst völlig gesund,
Therapie anfangs täglich kurzdauernde kalte Sitzbäder mit Beckenhochlagerung; kein bleiben¬
der Erfolg; später kombinierte Massage, nach vier Sitzungen völliges Auf hören der Er¬
krankung, nach einem Monat kein Recidiv.
6. Fall. Sch. K., 8 jähriger Schüler von sehr schwacher Konstitution. Seit mehreren
Jahren nächtliches Bettnässen. Bei Faradisation öfters Recidive, nach sechsmaliger kom¬
binierter Massage völlige Heilung, innerhalb der nächsten zwei Monate kein Recidiv.
7. Fall. Br. W., 12jähriger Schüler, kräftig entwickelter Knabe, seit einem Jahr
nächtliches Bettnässen; nach viermaliger kombinierter Massage völlige Heilung, nach acht
Wochen kein Recidiv.
8. Fall. B. A., 16 jähriger Fleischerlehrling, kräftiger junger Mann ohne nervöse
Erscheinungen, ausser öfteren Harndrang; geringe Hyperacidität. Seit dem 4. Jahre nächt¬
licher Harnabgang. Nach einmaliger leichter Hypnose sistiert die unwillkürliche Harn¬
entleerung sowie der Harndrang, nach drei Monaten kein Recidiv.
9. Fall. B. H., 24 jähriger Uhrmacher, hatte in seiner Jugend Blutsturz. Seit der
frühesten Kindheit leidet er an nächtlicher unwillkürlicher Harnentleerung, seit dem 6. Lebens¬
jahre auch während des Tages, bis in die letzte Zeit. Der Harndrang tritt immer plötzlich
ein, und Patient ist dann nicht im stände, denselben zurückzuhalten. Die körperliche Unter¬
suchung ergab nur eine abgelaufene Spitzenaffektion. Patient wurde bereits mehrmals
medikamenteU behandelt, ohne dass jedoch die Enuresis damit wesentlich besser geworden wäre.
Zeitechr. t diät u. physik. Therapie Bd. VL Heft 6. 23
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330 Karl Walko
Auch hier wurde die bimauuclle Massage angewendet. Nach dem ersten Male sistierte
die Enuresis während des Tages, die nächtliche Inkontinenz erst nach dreimaliger Massage.
Gleichzeitig wurden die Harnentleerungen seltener, drei- bis viermal im Tag; während der
nächsten neun Wochen zeigten sich keine Inkontinenzerscheinungen.
10. Fall. B. K., 12 jähriger Schüler, kräftiger Bursche, seit der Jugend zeitweilige
unwillkürliche Harnentleerung bei Tage und bei Nacht, angeblich nach einem Schreck ein¬
getreten. Körperlich und geistig völlig normale Verhältnisse.
Kalte Abreibungen der Lumbalgegend und kalte Sitzbäder führten innerhalb von
14 Tagen zu keinem befriedigenden Resultat. Nach dreimaliger Massage sistierte die
Enuresis völlig, ohne sich in den nächsten zwei Monaten zu wiederholen.
Bei den bisher beschriebenen Fällen handelt es sich durchwegs um Individuen,
welche keinerlei Erscheinungen einer cerebralen, spinalen oder somatischen allge¬
meinen oder lokalen Erkrankung darboten. Epilepsie, Hysterie, Helminthen etc.
Hessen sich nirgends nachweisen. Es sind demnach neun Fälle von Enuresis nocturna
respektive diurna, von denen die einen durch das relativ späte Auftreten (Spät-
enurese), die anderen durch die lange Dauer der Erkrankung erwähnenswerth sind.
II. Fälle von symptomatischer Enuresis.
1. Fall. B. V., 11 jähriger Schüler, litt vor sieben Jahren an öfters auftretenden
Krämpfen mit Bewusstlosigkeit, welche durch ca. ein Jahr anhielten, dann durch ent¬
sprechende Behandlung allmählich sistierten. Seit 1 1 U Jahren besteht nächtlich unfreiwillige
Stuhl- und Harnentleerung. Die Untersuchung ergab derzeit keine anderen nervösen und
somatischen Störungen. Nach zweimaliger bimanueller Massage vom Rektum sistierte die un¬
freiwillige Stuhl- und Harnentleerung. Obwohl nach achttägiger Pause kein Rückfall eintrat,
wurde die Massage noch dreimal wiederholt. Innerhalb der nächsten sieben Wochen erfolgte
die Harnentleerung völlig normal, und bei Tage weniger häufig, wie Patient selbst angab.
In diesem Falle bestand kein Zusammenhang zwischen den Inkontinenz¬
erscheinungen und den Krämpfen, wie dies meistens namentlich im Beginne des
epileptischen Anfalles der Fall ist.
Trotz genauester Beobachtung konnten auch des Nachts keine Konvulsionen
oder epileptische Aequivalente konstatiert werden; doch unterliegt es keinem Zweifel,
diese Inkontinenz als epileptische aufzufassen, indem entschieden die vorausgegangenc
Epilepsie eine gewisse Disposition für das spätere Auftreten der Enuresis hinterliess.
2. Fall. B. S., 60 jähriger Kaufmann, leidet seit zwei Monaten an Schmerzen in der
Blasengegend und Inkontinenz der Harnentleerung bei Tage und bei Nacht. Die Unter¬
suchung ergab eine geringe Prostatahypertrophie und die Zeichen einer Cystitis. Der
enleertc Harn ist trübe, im Sedimente zahlreiche Leukocyten mit Blasenepithelien. Der
Patient soll früher von einem Arzte mehrfach katheterisiert worden sein.
Da die Erscheinungen der Cystitis nicht sehr hochgradig waren, wurde von Blasen-
sptilungen abgesehen und nur 3 g Salol pro die verabreicht. Gleichzeitig wurde durch
zwei Wochen jeden zweiten Tag die bimanuelle Massage ausgeftihrt. Nach dieser Zeit ver¬
minderten sich die Beschwerden zusehends, auch war Patient im stände, durch längere
Zeit den Harn zu halten, das Harn träufeln sistierte fast ganz. Die Erscheinungen der
Cystitis dauerten in sehr geringem Maasse noch drei Wochen an, um dann allmählich zu
verschwinden. Schmerzen in der Blasengegend, Harninkontinenz bestanden nicht mehr und
erneuerten sich innerhalb eines Jahres nicht mehr.
Die Ursachen der Inkontinenz in diesem Falle war wohl die bei Cystitis öfters
vorhandene Anästhesie der Blasenschleimhaut. Die günstige Wirkung der Massage
zeigte sich hier auffallend.
3. Fall. N. J , 12jähriger Schüler, fiel infolge eines Stosses auf den Rücken, worauf
Schmerzen im Kreuz, dann Schwäche in den Beinen und unwillkürlicher Abgang des Harnes
eintraten. Der Kranke stand vor der Spitalsaufnahme schon sechs Wochen in ärztlicher
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Ucber die Behandlung der Enuresis. 331
Behandlung, ohne dass eine wesentliche Besserung erfolgte. Die Untersuchung ergab neben
einem normalen somatischen Status eine Paraparese mit totaler Anästhesie für taktile Reize
(Nadelstiche) und Temperaturunterschiede. Die Reflexe gesteigert. Der Patient konnte
nur unterstützt gehen, wobei er die Beine in merkwürdiger Weise nach der Seite hin
schleudert. Koordinationsstörungen sind nicht vorhanden. Der Harn enthält keine abnormen
Bestandteile. — Die Annahme einer funktionellen Lähmung wurde durch den Erfolg der
Therapie bestätigt, nach einmaliger Hypnose war die Anästhesie verschwunden, auch der
Gang bedeutend gebessert. Es wurde auch vom Rektum die Blase massiert, worauf die
Inkontinenz aufhörte und die Harnentleerung völlig normal erfolgte.
Nach einmaliger Wiederholung der suggestiven Behandlung, trat eine fortschreitende
Besserung ein, sodass der Patient drei Tage nach eingeleitctcr Therapie ohne Unsicherheit
zu gehen und zu laufen vermochte und beim Stehen mit geschlossenen Augen auf schmaler
Basis nicht das geringste Schwanken auftrat.
Die hysterische Natur der Inkontinenz steht hier ausser allem Zweifel, da eine ana¬
tomische Läsion des Lumbalmarkes oder eine Blutung in die Rttckcnmarksbäute durch den plötz¬
lichen Rückgang der Erscheinungen nach sechswöchentlicher Dauer wohl unwahrscheinlich ist.
In einem Falle von Tabes dorsalis konnte eine mehrwöcbentliche Massage¬
behandlung das Harnträufeln nicht zum Stillstand bringen, während in einem Falle
von Tabes, bei welchem durch ca. ein halbes Jahr nächtliches Bettnässen bestand,
die Massage von sehr gutem Erfolge begleitet war und die Inkontinenzerscheinungen
um ein Beträchtliches einschränkte.
Bei der Behandlung wurden vornehmlich die mechanischen Methoden berück¬
sichtigt und zum Vergleich auch einige andere in Anwendung gebracht. Es zeigte
sich dabei, dass namentlich die kombinierte Massage vom Rektum an, wie sie
schon Thure-Brandt für die Blase empfahl, bei der funktionellen Enuresis aus¬
gezeichnete Resultate lieferte und durchschnittlich bei drei- bis fünfmaliger Anwendung
zu einer dauernden Beseitigung des Leidens führte. Dasselbe Verfahren hatte auch
bei Fällen symptomatischer Inkontinenz einige Male sehr gute Erfolge. Die Massage
wurde derart ausgeführt, dass der Patient entweder in Rückenlage oder in Knieellen¬
bogenlage gebracht wurde, dann die eine Hand oberhalb der Symphyse dem in das
Rektum eingeführten Zeigefinger der anderen Hand entgegengedrückt. Nun wurden
durch ca. 4 — 5 Minuten eine leichte Massage des Blasenhalses durch kreisende
Bewegung oder längs- und querverlaufende Streckung ausgeführt.
Es ist diese Methode der Behandlung nicht allein der Enuresis, sondern auch
der Harninkontinenz durch andere Ursachen, z. B. Spinalleiden, dem praktischen
Arzte am meisten zu empfehlen, da sie leicht auszuführen ist, keine grösseren Behelfe
bedarf und in relativ kurzer Zeit von günstigen Erfolgen begleitet ist. Gleichwohl
wird dies Verfahren im Vergleich zu anderen nur wenig in Anwendung gebracht;
doch zeigen die einzelnen Beobachtungen, so von Czillag 1 ) und Herbsmann 2 ),
die relativ rasche und gute Wirkung; allerdings sind die Beobachtungszeiten Czillag’s
zu kurz, um daraus auch den dauernden Effekt zu ersehen.
In einzelnen Fällen verwendete ich auch die Vibrationsmassage bei reiner
Enuresis und symptomatischer Inkontinenz sowohl am Perineum sowie an der Blasen¬
gegend oberhalb der Symphyse in der Dauer von 2—5 Minuten gleichfalls mit gutem
Erfolge, doch giebt sie nicht bessere Erfolge wie die weit einfachere kombinierte
Massage.
Ein Vergleich der Statistiken der einzelnen Beobachter ergiebt, dass die Kur
der Enuresis im allgemeinen bei sehr häufiger in der Regel vier bis fünf Minuten
1) Czillag, Archiv für Kinderheilkunde 1891. No. 12. S. 260.
2 ) Herbsmann, Münchener mcd. Wochenschr. 1901. No. 48. S. 80.
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332
Karl Walko
dauernden Sitzungen mindestens vier bis fünf Wochen dauert. Diese Zeit nimmt
z. B. Oberländer 1 ) bei Anwendung operativer Behandlung oder stärkerer Dehnung
der hinteren Harnröhrenpartie an. Die lokale Behandlung durch Einführung dicker
Sonden, Gebrauch des Psychrophors (Preyer 2 )), Instillation von Adstringentien er¬
fordert erfahrungsgemäss immer einen längeren Zeitraum.
vanTienhoven 3 ) erzielte durch Hochlagerung des Beckens bei 14 Kindern im
Durchschnitte nach 42 Tagen Heilung, darunter ein Recidiv.
Am meisten von allen Methoden wurde bisher die elektrische angewendet und
durchgeprüft, doch werden die Wirkungen ungleich angegeben.
Nach der Statistik Olivier’s 4 ) wurde durch direkte Faradisation des Sphinkters
nach Guyon von 20 Kindern 7 geheilt, 9 gebessert gewöhnlich nach 12—15 Sitzungen.
Mendelsohn 5 ) giebt bei lokaler Behandlung des Blasensphinkters mit dem schwachen
faradischen Strom vier bis fünf Wochen unter täglicher Behandlung von fünf bis
zehn Minuten Dauer an, während z. B. Köster«) durch Anwendung des modifizierten
Seeligmüller’schen Verfahrens — Anwendung hoher Stromstärken mit Applikation
in die Harnröhre von zwei bis drei Minuten Dauer unter An- und Abschwellen des
Stromes — durchschnittlich nach zwei Sitzungen bei 20 Fällen in 85 °/ 0 Heilung sah.
Auch Thiemich erzielte gute Erfolge mit stärkeren elektrischen Strömen auch
ohne direkte Einwirkung auf den Sphincter vesicae.
Die Hydrotherapie — Anwendung kurz dauernder kalter Sitzbäder, kalter
Waschungen an den unteren Partieen des Rückens vor dem Schlafengehen, des
Psychrophors etc. — erfordert gleichfalls längere Behandlungsdauer.
Die medikamentelle Therapie mit Belladonna, Atropin, Rhus aromatica
etc. ist in den meisten Fällen eine ebenso unsichere wie ungenügende, die in an-
betracht der langen Dauer noch die Gefahren einer Intoxikation des kindlichen
Organismus in sich schliesst. So verwendet Mac Alister 1 7 ) bei Kindern Atropin in
hohen Dosen (6—8 mg täglich) bei einer Behandlungsdauer von circa sechs Wochen,
wobei in den meisten Fällen Sehstörungen eintraten. Glücklicherweise wird diese
Behandlungsart nur wenig mehr in Anwendung gebracht.
In Berücksichtigung des funktionellen Charakters der in Rede stehenden Er¬
krankung wäre es also von vornherein ungerechtfertigt, das eine Verfahren oder das
andere ausschliesslich zu empfehlen oder zu verwerfen, da der grösste Heilfaktor bei
allen angewendeten Methoden in der psychischen Beeinflussung des Individuums
beruht. Henoch leugnet im Grunde den Werth irgendwelcher Methode ausser der
suggestiven und behauptet, dass auch der faradische Strom nur durch den psychischen
Eindruck oder durch den erregten Schmerz auf den Kranken einwirke. Henoch ver¬
wendete momentan intensiv psychische Eindrücke mit gutem Erfolge. Diese An¬
schauung Henoch’s ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man auch sonst gute
Resultate durch die merkwürdigsten Mittel eintreten sieht. So bei der Behandlung
mit Glüheisen in der Lumbalgegend (Gross 8 )), durch Applikation von Schröpf köpfen,
i) Oberländer, Berliner klinische Wochenschrift 1888. Bd. 25. S. C09.
*) Preyer, Centralblatt für innere Medicin 1891. Bd. 12. S. 143.
■■») van Tienhovcn, Centralblatt für innere Medicin 1891. Bd. 12. S. 143.
*) Olivier, Schmidt’s Jahrbücher 1891. Bd.219. S. 92.
5 ) Mendelsohn, 1.c.
«) Köster, Deutsche medicinische Wochenschrift 1896. Bd.22. S.364.
7) Mac Alister, Ceutralblatt für innere Medicin 1894. Bd. 15. S. 1024.
8 ) Gross, Schmidt’s Jahrbücher 1866. Bd. 130. 8.259.
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Ucber dio Behandlung' der Enuresis. 333
Blasenpflastern auf den Nacken nach Harkin 1 ), Swan 2 ), Duvelliß 3 ), welch letztere
Autoren auf Gmnd dieser Wirkung die Enurese mit einer erhöhten Reflexempfind¬
lichkeit der Medulla oblongata infolge von Hyperämie in Zusammenhang brachten
Es ist wohl unzweifelhaft, dass diese sämmtlichen Mittel, wie auch die Entfernung
von adenoiden Vegetationen aus der Nase, wie sie von Schmaltz und Körner 1 )
beschrieben wurden, ihre Erfolge allein der Suggestiv Wirkung verdanken.
Für diese Anschauung tritt auch Thie mich ein. Seine Auffassung der Enuresis
als Erscheinungsform der Hysterie ist sicher für einen Theil der Fälle berechtigt,
namentlich für Individuen neuropathischer Abstammung.
Doch ist es andrerseits unwahrscheinlich, dass die hysterische Disposition sicli
bis in höhere Altersstufen, so bis zum 20. Jahre oder darüber hinaus, blos auf die
Enuresis beschränken wird, ohne auch in anderen Symptomen ihren Ausdruck zu
finden. Andrerseits liessen auch die von mir beobachteten Fälle von Spätenuresis
irgendwelche anderweitige nervöse oder psychische Störungen vermissen. Auch
konnte eine neuropathische Abstammung, soweit dies zu eruieren war, nicht
konstatiert werden. Bei einigen Fällen wurde angegeben, dass die Erkrankung nach
heftigen Gemütlisbewegungen, Schreck aufgetreten und stationär geblieben sei. In
diesem Sinne wäre die Enuresis als ein durch verschiedene accidentelle Ursachen ein-
getretenesHemmungsphänomen eines an sich früher normal funktionierenden
Organes zu betrachten. Derartige Erscheinungen sind einer suggestiven Behandlung
sehr leicht zugänglich, doch ist damit noch keineswegs ausgesprochen, dass deren Aus¬
fallssymptom psychischer Natur direkt auf hysterischer Basis beruhe. Der Organismus
besitzt Einrichtungen, mit deren Hülfe er eine Funktion plötzlich aufheben oder im
Gegentheil steigern kann, was Brown-S6quard als Inhibition oder Dynamogenie
bezeichnet hat.
Diese hemmende und bahnende Fähigkeit kommt sehr vielen Theilen des
Nervensystems zu und kann sowohl durch direkte Reizung als auf reflektorischem
Wege hervorgerufen werden (Bernheim 5 )).
In diesem Sinne erklärt sich zum grossen Theil die Wirkung der verschiedensten
Behandlungsmethoden der Enuresis, wenn man dieselbe als einfache Hemmungs¬
erscheinung beobachtet. Durch die Suggestion gelingt die Beseitigung einer Ausfalls¬
erscheinung um so leichter, als nach Bernheim die Hypnose sowohl eine Steigerung
der ideomotorischen als ideosensitiven und ideosensoriellen Reflexerregbarkrit besitzt.
Durch die einzelnen Methoden wird nun vornehmlich eines bewirkt, der Nerven¬
erregung einen schnelleren und leichteren Ablauf zu schaffen. In einem von mir
mit Hypnose behandelten Falle gelang die Heilung in einer Sitzung, wiewohl die
Enuresis durch 12 Jahre bestand.
Wie weit der Effekt der Massage mit der Suggestionswirkung zusammenfällt,
lässt sich schwer bestimmen. Doch ist es immerhin auffällig, dass der Erfolg sich
verhältnissmässig rasch einstellt und im Verlauf der Heilung, namentlich der vernach¬
lässigten Fälle mit Enuresis nocturna und diurna, nach ein-oder zweimaliger Massage
immer zuerst der Harndurchbruch bei Tage sistiert und erst später während der
!) Harkin, Centralblatt iür innere Medicin 1887. Bd. 8. S. 816.
2 ) Swan, ibidem.
3 ) DuvelliC, ibidem 1892. Bd. 13. S. 974.
4 ) Körner, ibidem 1891. Bd. 12. S. 417.
®) Bernheim, Die Suggestion und ihre Heilwirkung. Wien und Leipzig 1896. S. 130.
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334 Karl Grube
Nacht. Es spricht dieses Verhalten doch zum Theil für eine suggestive Beeinflussung
des Patienten. Der Umstand, dass selbst von der frühesten Jugend bis weit über
die Pubertätszeit hinausreichende Enuresis geheilt werden kann, und der Sphinkter
von da ab normal funktioniert, beweist, dass es sich bei dieser Erkrankung that-
sächlich nur um eine Hemmungserscheinung psychischer Natur eines an
sich normal entwickelten Organes und nicht um Entwickelungsstörung
oder Muskelschwäche handelt.
III.
Ueber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut.
1. Mittheilung:
Einfluss auf den osmotischen Druck und den Wassergehalt.
Von
Dr. Karl Grube
in Neuenahr.
Die Versuche, die im folgenden mitgetheilt werden sollen, hat Verfasser an
sich selbst angestellt. Ihr Zweck ist, den Einfluss festzustellen, den der Genuss von
Mineralwasser auf die Blutbeschaffenheit hat, und zwar soll der Versuch gemacht
werden, sowohl physikalisch-chemischen wie chemischen Veränderungen nachzugehen.
In dieser ersten Mittheilung ist nur der Einfluss auf den osmotischen Druck und
den Wassergehalt dargethan, in weiteren Arbeiten hoffe ich auch über andere Punkte,
wie Hämoglobingehalt, Zahl der Blutkörperchen, N - Gehalt etc. Aufschluss geben
zu können.
Die Dauer des Versuches erstreckt sich über ca. vier Wochen. Ehe der Ein¬
fluss des betreffenden Wassers gefunden werden konnte, musste deijenige gewöhn¬
lichen Wassers festgestellt werden, und dieser Feststellung musste selbstverständlich
eine Darstellung der Normalverhältnisse vorhergehen. Somit zerfällt jede Versuchs¬
reihe in drei Perioden:
1. einer 5 —7 tägigen Periode genau geregelter Lebensweise mit zwei
täglichen Blutbestimmungen;
2. einer 5—7 tägigen Periode einfachen Wassergenusses mit drei täglichen
Blutbestimraungen;
3. einer ca. dreiwöchentlichen Periode des Genusses von Mineralwasser mit
ebenfalls drei täglichen Blutbestimmungen.
Diät, tägliche Flüssigkeitsmenge, sonstige Lebensweise, Menge der täglichen
körperlichen Bewegung etc. blieben in allen drei Perioden vollkommen gleich.
Ueberiden Einfluss, des Wassertrinkens auf die Dichtigkeit des Blutes ist eine
grosse Litteratur vorhanden. Sie ist eingehend zusammengestellt in der bekannten
Balneotherapie von'Glax (I. S. 28).
Ueber den Einfluss von Salzlösungen auf das Blut ist weniger bekannt. Von den
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Uebcr den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut. 335
darüber erschienenen Arbeiten sind die von Hay 1 ), Grawitz 2 ) und Dünschmann 3 )
hervorzuheben. Die beiden ersten Arbeiten beschäftigen sich mit dem Einfluss auf
den Menschen, während Dünschmann die Frage nur am Thier (Kaninchen) studierte.
Hay fand, dass konzentrierte Salzlösungen beim innerlichen Gebrauch eine
schnell auftretende Zunahme der Dichtigkeit des Blutes und eine Vermehrung der
Zahl der rothen Blutkörperchen verursachten, während verdünnte Lösungen keinen
unmittelbaren Einfluss auf das Blut erkennen Hessen, wohl aber einen sekundären.
Grawitz stellte fest, dass Salzlösungen, welche direkt in die Blutbahn gebracht
wurden, eine Zunahme des Wassergehaltes des Blutes, Lösungen, welche innerlich
genommen wurden, eine Zunahme der Blutdichte zur Folge hatten.
Dünschmann kam bei seinen Thierexperimenten zu folgenden Resultaten:
der Wassergehalt des Blutes war vermehrt,
der N-Gehalt war vermindert,
der osmotische Druck nahm zu.
Doch ist zu dieser Arbeit folgendes zu sagen: Die Wahl des Versuchsthieres
war keine günstige, die Zahl der Versuche war spärlich (3), und von diesen dreien
wurde nur in einem Falle eine vollständige Blutanalyse vor und nach der Anwendung
des Mineralwassers (Homburger Elisabethquelle) gemacht; die Applikation des Wassers
war aber in diesem Falle nicht einwandsfrei, indem dasselbe in das Peritoneum ein¬
gespritzt wurde. Allgemeine Schlüsse und Anhaltspunkte für den Einfluss der
Mineralwässer auf die Blutbeschaffenheit lassen sich aus Dünschmann’s Arbeit
nicht gewinnen, und die Ansicht, die derselbe von der weittragenden Bedeutung
dieser spärlichen Versuche hegt, ist wohl etwas weitgehend, wenn auch ein Zeichen
schönen Selbstbewusstseins.
Ueberhaupt ist die Frage aufzuwerfen, ob das Thierexperiment bei derartigen
Untersuchungen angebracht ist, deren Zweck es ist, den Einfluss der Mineralquellen
als therapeutischer Agentien festzustellen. Ich bin der Ansicht, dass solche Unter¬
suchungen in der Weise anzustellen sind, dass sie in dem Gebrauch dieser Wässer
ein Analogon haben. Nur dann lassen sich ihre Resultate auch auf den kranken
Menschen übertragen, und selbst dann nur mit Vorsicht. Solche Versuche müssen
am Menschen selbst angestellt werden unter Innehaltung gleichmässiger Bedingungen
und unter Ausdehnung auf eine genügend lange Zeit.
Ich versuchte nach diesem Gesichtspunkte zu verfahren. Ich habe zunächst
das mir am bequemsten zu beschaffende und stets in beliebiger Menge frisch zu
erhaltende Neuenahrer Wasser verwendet. Dasselbe enthält im Liter ca. 2 g feste
Bestandteile, von denen die Hälfte doppeltkohlensaures Natron, der Rest in der
Hauptsache Salze der Erdalkalien und kohlensaures Eisen ist. Das Wasser ist
warm (36° C) und enthält freie Kohlensäure. Um den Einfluss der Wärme auszu-
schliessen, musste in der Voruntersuchung ebenfalls warmes Wasser getrunken werden.
Die Lebensweise war folgende:
7 Uhr nüchtern 250 g warmes Wasser bezw. Neuenahrer Sprudel,
7 » 15 Min. dasselbe,
8 » Frühstück,
9 » 30 Min. erste Blutuntersuchung,
i) »The action of salinc cathartics«. Journal of anatomy and physiology 1882. lieft 16. S. 286.
-) »Klin. experim. Blutuntersuchungen«. Zcitsclir. f. klin. Medicin 1893. Heft 22. 8.411.
3) »Einfluss des Salzgehaltes der Trinkquellen etc.« ibid. 1902. Heft 44. S- 91.
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336 Karl Grube
11 Uhr 250 g warmes Wasser bezw. Neuenahrer Sprudel,
11 » 15 Min. dasselbe,
12 » zweite Blutuntersuchung,
1 » Mittagessen,
4 » 30 Min. Tasse Thee,
6 » dritte Blutuntersuchung,
7 » 30 Min. Abendessen.
Die Diät war denkbar einfach, sie entsprach etwa derjenigen, die mau einem
Gallensteinkranken verordnen würde, also möglichst reizlos; Alkohol wurde, abge¬
sehen von 1 .Glas Moselwein und 1 U 1 leichtem Bier täglich nicht genommen.
Die Blutuntersuchung erstreckt sich in dieser Versuchsreihe
1. auf die Bestimmung des osmotischen Druckes,
2. auf den Wassergehalt des Blutes,
3. auf die Zahl und den Hämoglobingchalt der rothen Blutkörperchen.
Die letzte Bestimmung fällt in dieser Mittheilung weg, weil ich die Resultate
nachprüfen will. Ich halte die Methode der von mir angewandten Hämoglobiu-
bestimmung (von Fici sch l’s Apparat) für zu wenig ein wandsfrei.
Ueber die andere Methode ist folgendes mitzutheilen.
Die einfachste Art, den osmotischen Druck und Lösung zu bestimmen, besteht
darin, ihren Gefrierpunkt festzustellen und denselben mit dem Gefrierpunkt vou
destilliertem Wasser zu vergleichen. Die Differenz zwischen den beiden oder die
Gefrierpunktserniedrigung (J) giebt den Werth für den osmotischen Druck der be¬
treffenden Lösung. Diese Methode war natürlich für meine Untersuchungen aus¬
geschlossen, aus dem Grunde, weil ich mir nicht vier Wochen lang täglich zwei- bis
dreimal die zur Gefrierpunktsbestimmung nothwendige Blutmenge entziehen konnte.
Ich musste deshalb den osmotischen Druck mit Hilfe des Hämatokriten bestimmen.
Wegen der Einzelheiten dieser Methode verweise ich auf das bekannte Buch von
II. Koeppe 1 ).
Man bestimmt mit dem Hämokriten das Volumen der Blutkörperchen; dasselbe
ist abhängig von der Konzentration i. e. dem osmotischen Druck der Flüssigkeit, in
welcher sie sich befinden. Durch Vergleichung des Volumens der Blutkörperchen
in einer Flüssigkeit von bekanntem osmotischen Druck mit dem Volumen, das sie
in dem zu bestimmenden Blute haben, lässt sich daher der osmotische Druck des
letzteren selbst finden. Das Volumen der Körperchen wurde von mir in zwei
Lösungen von Magnesiumsulfat von verschiedener Konzentration bestimmt. Diese
Konzentration war auf Grund einiger Vorbestimmungen so gewählt, dass die Werthe
für das Volumen der Blutkörperchen im Blute selbst zwischen den beiden mit den
Magnesiumsulfatlösungen gefundenen Werthen lag. Betrug z. B. das
Volumen der Blutkörperchen in der MgSO.»-LösungI (= 0,223gmol.%o) 51,8°/ 0
und in der Mg S0 4 -Lösung II (= 0,243 g mol. .47,7 %
und im Blute selbst.48,8 %
so war die Lösung I zu schwach und die Lösung H zu stark; es musste also die
Lösung, in welcher die Blutkörperchen dasselbe Volumen haben sollten als im Blute
selbst, zwischen den beiden Lösungen liegen. Durch Interpolation konnte ihre Kon¬
zentration berechnet werden. Für das gewählte Beispiel ergab sich, dass die Blut-
’) «Physikalische Chemie in der Modi (“in« 1000.
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lieber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut.
337
knrperchen in einer Magnesiumsulfatlösung von 0,238 g mol. %o dasselbe Volumen
hatten wie im Blut. Diese Lösung war also isosmojtisch dem untersuchten Blute;
der osmotische Druck des letzteren also betrug 0,238.
Die Bestimmung des Wassergehaltes bezw. der Veränderungen im Wassergehalt
des Blutes wurden nach der vonStintzing 1893 angegebenen Methode ausgeführt 1 ).
Diese Methode giebt keinen absoluten Werth für den Wassergehalt, sie giebt aber
konstante relative Werthe und kann daher zu Vergleichsbestimmungen verwendet
werden. Das zu untersuchende Blut wird der Fingerbeere durch Einstich entnommen
und in kleinen Glasschälchen aufgefangen, welche bis zum Versuch im Warmofen
verwahrt werden. Diese Schälchen haben die nebenstehende Form; sie sind mit
einem genau aufgeschliffenen Deckel versehen. Die Höhlung a fasst ca. 0,4 g Blut.
Es wird zunächst das Gewicht des vollkommen trockenen Schälchens -f- Deckel
genau abgewogen, darauf lässt man aus der Fingerbeere
41 ___ 7—g Tropfen Blut in die Höhlung a tropfen, bringt sofort den
ßt' M3KM Deckel darauf und wiegt wieder genau ab. Hierauf wird das
Schälchen 4- Deckel in den Warmofen gebracht, der Deckel
abgenommen und daneben gelegt und nun bei einer Temperatur
von 75—80° C über Schwefelsäure, die sich in flachen Schalen auf dem Boden des
Ofens befindet, 6—7 Stunden lang gehalten. Diese Zeit genügt, wie ich mich durch
Kontrollversuche überzeugt habe, um alles Wasser, das bei dieser Temperatur zur
Verdunstung gebracht werden kann, auszutreiben. Nach Ablauf dieser Zeit wird der
Deckel wieder aufgelegt und das ganze gewogen. Es wurden stets zwei Proben des¬
selben Blutes nebeneinander bestimmt; die Differenz zwischen beiden durfte '/io Milli¬
gramm nicht übersteigen.
Blutuntersuchung am 31. Dezember 9 Uhr 30 Min. morgens.
Erstes Schälchen.= 4,1750 g) „ ,
» » + Blut . . = 4,4373 g} Gewicht des Blutcs = °’ 2623 g
Gewicht nach sieben Stunden . = 4,2339 g
Verlust = 0,2034 g = 77,5 °/ (l .
Kontrollbestimmung:
Zweites Schälchen.= 4,2612 gv
» » + Blut . . = 4,5790 g} GewicI,t (,cs Blutes = °’ 3178 g
Gewicht nach sieben Stunden . = 4,3324 g
Verlust = 0,2466 g = 77,5 %.
Der Wassergehalt betrug demnach 77,5 % •
Resultate:
1. Periode des Vorversuches. In dieser betrug der Wassergehalt meines Blutes
im Mittel (aus 5 Tagen) 78,3%. Der osmotische Druck — ebenfalls im Mittel aus
5 Tagen — war gleich demjenigen einer MgS0 4 -Lösung von 0,233 g mol. im Liter
= 5,8 % Lösung.
2. Periode des warmen Wassers. Durchschnitt von 5 Tagen: Der Wassergehalt
erlitt eine Verminderung, er betrug 77,88 %; der osmotische Druck ging herunter
] ) »Verhandlungen des medicin. Kongresses in Wiesbaden« 1893.
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338 Karl Grube, lieber den Einfluss der Mineralwässer auf das Blut.
auf 0,213, d. h. er war gleich demjenigen einer MgS0 4 -Lösung von 0,213 g mol. im
Liter = 5,3 % Lösung.
3. Periode des Neuenahrer Sprudels. Durchschnitt von 17 Tagen: Der Wasser¬
gehalt des Blutes ging weiter zurück auf 77,76%, dagegen stieg der osmotische
Druck auf 0,242, d. h. er war gleich demjenigen einer MgS0 4 -Lösung von 0,242 g
mol. im Liter = 5,07 % Lösung.
Betrachten wir nun, wie sich die Verhältnisse im Laufe eines Tages gestalteten.
Zunächst fand sich folgendes: Wurde die Blutuntersuchung unmittelbar nach dem
Genuss des Wassers vorgenommen, etwa 10 — 15 Minuten, und ehe die Diurese be¬
gonnen hatte, so zeigte dieses Blut stets einen grösseren Wassergehalt und einen
geringeren osmotischen Druck; wartete ich dagegen mit der Bestimmung bis zu einer
Zeit, in der die Diurese begonnen hatte, also von % bis zu einer Stunde nach dem
Wassergenuss, so waren die Verminderung des Wassergehaltes und bei dem Mineral¬
wasser die Erhöhung des osmotischen Druckes bereits zu konstatieren. Auf der am
Schlüsse beigegebenen Tabelle sind nur die letzteren Bestimmungen berücksichtigt
worden, da ich mich damit begnügt habe, dieses verschiedene Verhalten des Blutes
direkt und einige Zeit nach dem Wassergenuss einige Male festzustellen. Die Ver¬
minderung des Wassergehaltes und die Steigerung des osmotischen Druckes nach
dem Genuss des Mineralwassers beginnen sehr bald nach der Aufnahme desselben,
schreiten dann bis zu einem gewissen Punkte fort, um dann allmählich wieder ab¬
zuklingen, ohne aber bei fortgesetztem Genüsse des Mineralwassers wieder bis zur
Norm zurückzukehren. Dies ergiebt sich deutlich aus den Untersuchungen: die
ca. 1 Stunde nach dem Wassergenuss angestellte Untersuchung zeigte schon einen
höheren Werth für den osmotischen Druck und einen niedrigeren für den Wasser¬
gehalt, die ca. 2 Va Stunden nach dem Wassergenuss vorgenommene Untersuchung
gab den höchsten Werth für den osmotischen Druck und den niedrigsten für den
Wassergehalt, während die ca. 7 Stunden nach dem Wassergenuss vorgenommene
Untersuchung Werthc ergab, die dem Normalwerth am nächsten kamen.
So ergab z. B. am 31. Dezember die Untersuchung:
um 91/2 Uhr i. e. 2*/a Stunden nach dem Wassergenuss für den osmot. Druck 0,247,
für den Wassergehalt 77,5%,
um 12 Uhr i. c. 1 Stunde nach dem Wassergenuss für den osmot. Druck 0,243,
für den Wassergehalt 77,85%,
um 6 Uhr i. e. 7 Stunden nach dem Wassergenuss für den osmot. Druck 0,239,
für den Wassergehalt 78%.
Das giebt einen Durchschnitt für den Tag:
osmot. Druck = 0,243, Wassergehalt = 77,7%.
Fasse ich zusammen, so ergiebt sich:
1. Unter gleichen Lebensbedingungen bleiben der osmotische Druck und der
Wassergehalt des Blutes konstant.
2. Der regelmässige, einige Zeit lang fortgeführte Genuss einfachen w'armen
Wassers hat eine Abnahme des osmotischen Druckes sowie eine Abnahme
des Wassergehaltes zur Folge.
3. Der regelmässige, längere Zeit fortgeführte Genuss eines warmen Mineral¬
wassers hat eine Zunahme des osmotischen Druckes und eine Abnahme
des Wassergehaltes des Blutes zur Folge.
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Wilhelm Schlesinger, Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 330
4. Diese Veränderung der Blutbeschaffenheit zeigt sich schon sehr bald nach
der Aufnahme des betreffenden Wassers. Sie wird während der folgenden
drei Stunden ausgeprägter und klingt dann allmählich wieder ab. Bei
fortgesetztem Genuss des Mineralwassers tritt aber innerhalb 24 Stunden
keine Rückkehr zur Norm ein, sondern diese Veränderung des Blutes
wird dauernd.
Periode vor dom
Versuch; Mittel aus
2 tagl. Bestimmungen
Mittel
aus
5 Tagen
Periode des einfachen warmen
Wassers (40 o C);
Mittel aus 3 tagl. Bestimmungen
Mittel
aus
5 Tagen
1
Datum.
12./12.
13./12.
14./12.
10.-14./12.
15./12.
16./12.
17./12.
18/12.
19-/12.
; 15.-19./12.
Osmot. Dmck .
—
0,233
0,233
0,233
—
0,224
0,225
0,199
0,215
0,213
Wassergehalt . j
78,4
78,3
78,3
78,3
77,8
78,1
77,7
78,0
77,8
77,88
Periode des Neuenahrer Sprudels (36 o C);
Mittel
aus
Mittel aus 3 täglichen Bestimmungen
17 Tagen
Datum.'
i
i 20./12.
21./12.
23./12.
24./12.
27./li
2.
28./12.
. 29./12.
31-/12.
2-/1*
I
4-/1.
20./12.-6./1.
Osmot. Druck .
I 0,243
0,244
0,238
—
—
—
0,243
0,244
0,240
0,242
0,242
Wassergehalt .
178,1
77,8
77,65
77,5
77,2
78,0
77,65
77,7
78,26 i
.
77,8
i
77,70
IV.
Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker.
Aus der I. medicinischen Klinik
des Hofrathes Professor Dr. Nothnagel in Wien.
Von
Dr. Wilhelm Schlesinger.
(Schluss.)
H.
Die Ernährungsverhältnisse bei der ersten Gruppe unserer Fälle wurden aus¬
führlicher behandelt, weil hier bei Fehlen anderweitiger Stoffwechselstörungen Gelegen¬
heit geboten war, die dem Diabetes als solchem zukommenden Eigenthümlichkeiten
zu studieren.
Einzelne von ihnen, wie das besonders geringe Nahrungsbediirfniss bei noch
vorhandener hoher Zuckerausscheidung finden sich auch bei den Fällen der anderen
Gruppen mehr oder minder ausgesprochen.
Die zweite Gruppe, der wir uns jetzt zuwenden, umfasst fettleibige Diabetiker;
ihnen allen ist gemeinsam, dass das Nahrungsbedürfniss dauernd auffallend gering ist.
Dabei war es gleichgiltig, ob es sich um leichte Fälle oder um ganz schwere
Fälle mit Acidose und Uebergang in diabetisches Coma handelte (z. B. Fall 21,
Tabelle III).
Eine Unterscheidung zwischen diabetogener Fettsucht (v. No’orden), d. h. von
Diabetesfällen, wo die Zuckerausscheidung im Anschlüsse an ganz plötzliches Fett-
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Wilhelm Schlesinger
340
werden des Individuums auftrat (Fall 20, 41), und Fällen von Diabetes bei Fett¬
leibigen, d. h. solchen Individuen, wo die Fettleibigkeit den Diabetes blos begleitet,
ohne ihn zu verursachen, wurde nicht getroffen, da sich für die Fragen der Er¬
nährung keine wesentlichen Verschiedenheiten für die beiden Arten ergeben. Schon
jetzt mag bemerkt werden, dass hier auch jene Fälle aufgenommen wurden, die, früher
fett, im Verlaufe des Diabetes abmagerten, oder doch wenigstens ein beträchtliches
Fettpolster nicht mehr aufwiesen.
Tabelle III führt 28 solche Fälle gedrängt vor. Sie umfasst jene ausserordent¬
lich wichtigen, weil zahlreichen Fälle, wie sie für gewöhnlich zur Beobachtung
kommen; und der Umstand, dass gerade bei ihnen ein niedriges Nahrungsbedürfniss
festgestellt wird, mag mit die Ursache sein, warum ein solches dem Diabetiker ge¬
legentlich ganz allgemein zugeschrieben wird.
Zumeist handelt es sich um Individuen an der oberen Grenze der mittleren
Jahre, bei denen, wie wir gesehen haben, das Nahrungsbedürfniss auch sonst niedrig
ist. Wenn wir aber sehen, dass die meisten mit einer durchschnittlichen Kalorieen-
zufuhr von 25, viele aber mit 20 Kalorieen ihr Körpergewicht konstant erhielten,
und dass sich diese Zahl nur bei arbeitenden Individuen (Männern) bis auf 28,
höchsens 30 Kalorieen erhöht, so kann das höhere Alter der Patienten allein keine
genügende Erklärung für das niedrige Nahrungsbedürfniss abgeben. Zudem wies
auch ein jugendlicher Kranker dieser Gruppe (Arie, Akromegalie) eine Zersetzungs¬
grösse von nur 19 Kalorieen auf.
Verschiedene Ursachen wurden für das geringe Nahrungsbedürfniss Fettleibiger
überhaupt verantwortlich gemacht.
Magnus-Lewy 1 ), der bei ihnen 0-Einnahme und C0 2 -Abgabe niedriger als
beim Normalen fand, kommt zu dem Schlüsse, dass ihre Zersetzungsgrösse nicht
besonders klein ist, wenn man berücksichtigt, dass ein grosser Theil ihrer Körper¬
substanz aus Fett, also einem toten Einschlüsse besteht, der bei der Berechnung auf
das Kilo eigentlich nicht mit berücksichtigt werden dürfte.
Ein Blick auf unsere Tabelle lehrt aber, dass auch die absoluten Zahlen für
die Kalorieenzufuhr in einzelnen unserer Fälle ganz besonders niedrig sind (1200 bis
1500 Kalorieen).
Freilich ist zu bemerken, dass es sich — entsprechend dem gewöhnlichen Typus
der Fettleibigen — zumeist um kleine Individuen handelte, bei denen ein recht
niedriges Körpergewicht als normal angenommen werden müsste. Andrerseits betnig
alier die Zahl der nutzbar gewordenen Kalorieen auch bei den sehr gross und kräftig
gebauten Patienten 29 und 30 blos gegen 2000, trotz angestrengter Arbeit.
Im Sinne der Rubner’schen Theorie kann man auch die sich der Tonne
nähernde Körperform solcher fettleibigen Patienten für ihr geringes Nahrungs¬
bedürfniss mit verantwortlich machen, da unter solchen Verhältnissen die Oberfläche
im Verhältniss zum Körpergewichte klein, also auch die Wärmeabgabe durch die
Haut weniger gross ist. Diese Annahme besonderer Körperform trifft aber für jene
bereits erwähnten Kranken, die infolge ihres Diabetes wieder abgemagert waren,
nicht zu.
Schliesslich könnte man annehmen, dass das Fettpolster als solches und die
mit ihm einhergehenden Cirkulationsstörungen in der Haut bei Fettleibigen eine
grössere Wärmeabgabe verhindern, dass demnach bei ihnen die Grösse der Zer-
!) Berliner klinische Wochenschrift 1895. Heft 30.
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Ucber das Nahrnngsbedürfniss der Diabetiker. 341
setzang im Gegensätze zum Normalen im wesentlichen durch die von ihnen ge¬
leistete Muskelarbeit beeinflusst wird, so dass bei ihnen thatsächlich bei Hinzutreten
eines Diabetes eine Anpassung an die geringere nun zur Verfügung stehende Nahrungs¬
menge eintreten kann.
Dort wo intensive Arbeit geleistet werden muss (Fall 25 und 41), gelingt es
nicht so leicht, Körperansatz zu erzielen. Dabei mag das leichtere Schwitzen des
Fettleibigen bei Arbeitsleistung und der dadurch bedingte nun erfolgende Wärme-
vcrlust mit maassgebend sein.
Eine auffallende Erscheinung bei den Kranken dieser Gruppe bildet die Er¬
fahrung, dass sie ihr Körpergewicht bei sehr verschiedener Nahrungszu'fuhr
konstant erhielten, was wieder im Sinne einer Anpassung gedeutet werden könnte.
In Tabelle III wurden zumeist blos die niedrigsten Werthe eingetragen, bei denen das
Körpergewicht während langer Beobachtung gleich blieb. Es gelang hier nur selten,
das eigentliche Nahrungsbedürfniss durch Abgrenzung jener Werthe zu bestimmen,
bei denen Zunahme oder Abnahme erfolgte.
Andrerseits wurden geringere Schwankungen des Körpergewichts (1—2 kg) viel
häufiger beobachtet als bei Gruppe I, ohne dass sie durch geänderte Ernährungs¬
bedingungen direkt zu erklären wären. Besonders auffallend war der Einfluss
psychischer Erregung auf die Abnahme des Körpergewichts.
Gegenüber solchen inkonstanten Schwankungen mag daran erinnert werden,
dass das Fettgewebe bis 30% Wasser enthält, dass dieser Wassergehalt aber
schwankt und sicher vasomotorischen Einflüssen unterworfen ist. In manchen Fällen
mag für dieses Verhalten beginnende Arteriosklerose, ein bei dieser Gruppe von
Kranken häufiger Befund, auch dort von Belang sein, wo eigentliche Oedeme noch
nicht vorhanden sind.
Man vergleiche z. B. Fall 19 der Tabelle IV, wo an einigen wenigen Fällen der
Versuch gemacht wurde, die Zersetzungsgrösse, ähnlich wie in Tabelle II der ersten
Gruppe, zahlenmässig zu bestimmen.
Dabei ergaben sich für den genannten Fall so ausserordentlich grosse schein¬
bare Schwankungen |der Zersetzungsgrösse, dass wechselnder Wassergehalt der Ge¬
webe auch zu einer Zeit angenommen werden musste, wo sichtbare Oedeme noch
nicht nachweisbar waren 1 ).
Dass Wasserverlust allein bei Fettleibigen im Gegensätze zu Gesunden grössere
Gewichtsabnahme ohne Eiweisszerfall herbeiführen kann, beweisen die Versuche
Dennig’s mit Wasserentziehung.
Da Gruppe II reichlich Fälle von leichteren Diabetikern umfasst, bei denen
dauernde therapeutische Erfolge zu erzielen waren, so konnte hier häufig genug ein
grösseres Eiweissquantüm zugestanden werden. Aber auch die schweren Fälle dieser
Gruppe erhielten mit einer Eiweisszufuhr von 90—100 g ihr Körpergewicht auf
gleicher Höhe.
Freilich ist zu bemerken, dass, wie die von vielen Autoren bei Entfettungs¬
kuren gemachten Beobachtungen beweisen, gerade bei Fettleibigen ein Gleichbleiben
■>) Mit dem Auftreten von Oedemen wird eine Beurtheilung der Zersetzungsgrösse aus dem
Verhalten des Körpergewichtes natürlich unmöglich. Ein gutes Beispiel bietet Fall 5 auf Tabelle VI
(letzte Periode) mit scheinbarem Abfalle der Zersetzungsgrösso.
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342 Wilhelm Schlesinger
des Körpergewichts noch keine sichere Gewähr dafür bietet, dass Eiweiss nicht zu
Verlust gegangen ist 1 ).
Andrerseits scheinen aber nach Hirschfeld’s 2 ) Untersuchungen gerade Fett¬
leibige die Fähigkeit zu besitzen, sich bei längerer Dauer beschränkter Eiweisszufuhr
dieser anzupassen.
Nach dem Gesagten begegnet die Ernährung solcher fettleibiger Diabetiker
keinerlei Schwierigkeiten.
Eine Eiweisszufuhr von 120 g, entsprechend 250 g Fleisch, 3 Eiern, etwas Käse,
reicht wohl für alle Fälle aus, und kann bei schwerer Glykosurie noch weiter er¬
niedrigt werden. Darf man etwas Kohlehydrate geben, so wird man durch Zulage
von 60—80 g Fett fast stets in der Lage sein, nicht blos das Körpergewicht, sondern
auch den Eiweissbestand des Organismus zu erhalten. Möglicherweise empfiehlt cs
sich aber gerade bei diesen Fällen, die N-Bilanz gelegentlich zu kontrollieren, da
hier das Körpergewicht allein ein weniger sicherer Wegweiser ist, als bei den Fällen
der ersten Gruppe.
III.
An der Hand des Falles Cziep (47) wurde bereits erläutert, dass es, sofern von
dem Zuckerverluste durch den Harn abgesehen wird, auch in jenen Fällen gelingt,
das Körpergewicht zu erhalten, wo die Störung im Zuckerhaushalte so bedeutend
ist, dass sogar die geringen, durch keine anderweitigen Nahrungsmittel ersetzbaren
zugeführten Eiweissmengen durch Zuckerbildung entwerthet werden. Freilich gelingt
cs in solchen Fällen auch nicht, durch Zufuhr noch so bedeutender Nahrungs¬
quantitäten eine Zunahme des Körpergewichtes zu erzielen, so dass ein erhöhtes
Nahrungsbedürfniss vorgetäuscht werden kann.
Eine weitere wesentliche Störung in der Nahrungsverwerthung könnte in der
Bildung abnormer Säuren (Acetessigsäure, /9-Oxybuttersäure) gesucht werden. That-
sächlich haben Münzer und Strasser») im Coma diabeticum einen besonderen
Eiweisszerfall festgestellt. Man braucht zu seiner Erklärung durchaus nicht, wie es
von anderer Seite geschehen ist, auf die eiweisszerstörende Wirkung von Organgiften
zurückzugreifen. Denn die Menge abnormer Säuren, die unter diesen Umständen,
wenn auch nicht ausgeschieden, so doch gebildet und im Körper retiniert werden,
ist nach den Untersuchungen von Magnus - Lewy<) sehr bedeutend. Entgehen
diese Substanzen, wie es im Coma anscheinend der Fall ist, der Verbrennung, so
ergiebt sich daraus allein ein ganz bedeutendes Deficit an Wärmeeinheiten, das der
Organismus durch vermehrte Eiweisszersetzung in dem Maasse zu decken trachtet,
als er ja nicht in der Lage ist, seine durch Wärmeabgabe bedingten Ausgaben zu
verringern.
Bios ganz hypothetisch soll auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass die
Unfähigkeit des Organismus, bei plötzlich eintretender Acidose seine Ausgaben rasch
genug durch Ei weisszerfall zu decken, allein schon Lebensgefahr bedingen könnte.
Jedenfalls war ausserhalb des Comas der durch Nichtverbrennung solcher
Vergl. Weintraud’s fettleibigen, 80 kg schweren, Patienten J. (1. c. S. 15). In fünfWochen
erfolgte hier eine Zunahme des Körpergewichtes um !/ 2 kg. Gleichwohl weist die N - Bilanz ein
Deficit von 91,5 g auf, entsprechend 577 g Eiweiss.
-) Zeitschrift für klinische Medicin Bd. 22. — Berliner klinischo Wochenschrift 1894.
3) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmak. Bd. 32.
*) Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmak. Bd. 42.
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Ucber das Nahrungsbcdürfniss der Diabetiker. 343
Substanzen für den Organismus sich ergebende Ausfall an Wärmeeinheiten bei einer
Reihe von Fällen mit schwerer Acidose (Mayer, Wimmer, Bös) nicht gross genug,
um namhafte Zunahme des Körpergewichtes zu verhindern. So sei bemerkt, dass bei
der der zweiten Gruppe angehörigen Patientin Schneck (Tabelle III) noch wenige Tage
vor dem Eintreten des Koma eine Körpergewichtszunahme um 2 kg konstatiert
wurde, obwohl sie schon seit Monaten die Erscheinungen schwerster Acidose darbot.
Andrerseits muss aber festgestellt werden, dass gerade bei den oben genannten Kranken
der Tabelle II, verglichen mit den Kranken ohne Acidose, eine recht hohe Zer¬
setzungsgrösse berechnet wurde (40—44 Kalorieen), zumal, wenn berücksichtigt wird,
dass es sich um Spitalskranke handelte, die eine nennenswerthe Arbeit nicht zu
leisten hatten; es liegt nahe, die hier gefundenen hohen Zahlen durch Entwerthung
eines Theiles der Nahrung (Fett?) durch unvollständige Oxydation (Oxybuttersäurc)
zu erklären. Durch Kohlehydratzufuhr wird die Bildung solcher abnormer Säuren
bekanntlich behindert oder ihre Verbrennung gefördert 1 ). So ging anscheinend unter
ihrem Einflüsse im Falle Bös (Fall 6 der Tabelle II) mit dem Abnehmen der Eisen¬
chloridreaktion auch die Zersetzungsgrösse von 42—43 bis auf 37 Kalorieen herunter.
Die nun folgenden Erörterungen gelten jenen Fällen von Diabetes, wo im Zu¬
sammenhänge mit anderweitigen Stoffwechselstörungen ein besonders hohes
Nahrungsbedürfniss festgestellt wurde, und zwar handelt es sich dabei einmal um
eine direkte Steigerung der Oxydationsvorgänge im Organismus, zum anderen um
Entwerthung der zugeführten Nahrung durch gestörte Resorptionsverhältnisse.
1. Gesteigerte Oxydationen, deren Annahme früher in der Pathogenese ver¬
schiedener Krankheiten eine grosse Rolle spielten, wurden durch exakte Respirations¬
versuche blos beim Morbus Basedowii nachgewiesen 2 ). Sie sind demnach auch bei
kombiniertem Auftreten von Diabetes und dieser Krankheit von vornherein zu erwarten.
In der Litteratur findet sich über eine ganze Reihe solcher Fälle berichtet, bei
denen der Diabetes zumeist später als die Basedow’sehen Erscheinungen auftrat.
Gewöhnlich wurden dabei auch ganz bedeutende Grade der Abmagerung beobachtet,
doch fehlen exakte Angaben über die zugeführte Nahrung, so dass diese Fälle für
die Beurtheilung unserer Frage nicht direkt verwendet werden können.
Ich selbst hatte Gelegenheit, einen derartigen Fall zu beobachten:
Katharina H. (Fall 48), 51 Jahre, Agentensgattin, erkrankte vor 12 Jahren unter den
typischen Erscheinungen eines Morbus Basedowii mit schwankender Zu- und Abnahme des
Körpergewichtes. Vor einem Jahre trat plötzlich auffallend grosses Hunger- und Durst¬
gefühl, sowie Harndrang auf, die eine Harnanalyse veranlassten, welche die Gegenwart von
reichlich Zucker ergab. Bei einer einen Monat vorher vorgenommenen Harnuntersuchung
wurde kein Zucker gefunden.
Bei der Aufnahme fand sich ausser Struma, Exophtalmus, 120 Pulsschlägen, sehr
lebhaften Reflexen, ein Zuckergehalt des Harns von 40 g bei niässig strenger Diät, der
wohl bei strenger Fleischfettdiät verschwand, ohne dass indessen eine Steigerung der
Toleranz erzielt worden wäre. Vielmehr rief schon die Zufuhr kleiner Mengen von Kohle¬
hydrat neuerliche Zuckerausscheidung hervor. Dabei wurde zu Beginn ein allmähliches
Ansteigen des Körpergewichtes bei sehr reichlicher Nahrungszufuhr erzielt. Doch ist zu be¬
merken, dass auch während dieser Periode das Gewicht unter den gleichen Ernährungs¬
bedingungen oft durch Wochen blos eben konstant erhalten werden konnte. Als dann
') Für die Oxybuttersäure nachgewiesen von Gerhardt und Schlesinger. Archiv für
experimentelle Pathologie und Pharmak. Bd. 42.
*) Magnus-Lcwy, Berliner klinische Wochenschrift 1895. — Stüvc, Festschrift des Frank¬
furter Krankenhauses zur 08. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerztc 189G.
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344 Wilhelm Schlesinger
nach dreimonatlicher Behandlung heftigere Erregungszustände mit vermindertem Appetit
auftraten, sank das Körpergewicht rasch um 9 kg. Wenige Monate später erfolgte nach
mündlicher Mittheilung Exitus an Entkräftung.
Auf Tabelle V wurde der Versuch gemacht, die Zersetzungsgrösse für diesen
Fall zu berechnen. Die dort gefundenen Werthe von 42 — 45 Kalorieen und 2 g
Eiweiss sind mit Rücksicht auf das geringe Körpergewicht der Patientin und die
von ihr geleistete sehr geringe Arbeit (während der letzten Periode zumeist Bettruhe)
wohl abnorm hoch zu nennen und werden am ungezwungensten auf den bestehenden
Morbus Basedowii mit gesteigerter Oxydation zurückgeführt, zumal für Resorptions¬
störungen keinerlei Anhaltspunkt vorhanden war.
Robert Breuer 1 2 ) hat vor zwei Jahren Fälle von Jodismus beschrieben, die
unter dem Bilde des Thyreoidismus respektive Morbus Basedowii verliefen.
Für Fall Kress (22), der auch in Breuer’s Arbeit Aufnahme fand, sind auf
Tabelle V die Zersetzungsgrössen berechnet, desgleichen für Fall 23. In beiden
Fällen waren nach Joddarreichung Herzklopfen und Aufregungszustände aufgetreten,
gleichzeitig Abnahme des Körpergewichtes. Letztere erfolgte im Falle 23 trotz reich¬
licher Nahrungszufuhr, so dass sich für die Jodperiode eine Zersetzungsgrösse von
30 Kalorieen gegenüber von 24 in den Vor- und Nachperioden ergiebt.
Fall Kress hatte vorher sein Körpergewicht bei 20 Kalorieen und 1,4 g Eiweiss
pro Kilo lange konstant erhalten (sehr fetter Mann). Unter Jod erfolgte bei nur
wenig geringerer Nahrungszufuhr eine Abnahme um 12 kg, so dass sich die Zer¬
setzung auf 27 Kalorieen und 1,8 g Eiweiss berechnet. Während des zweiten
Monates dieser Periode wurde Jod überhaupt nicht mehr genommen. Aber auch
während der nachfolgenden Periode von sechs Wochen, wo der Kranke sich wieder
vortrefflichen Appetites und Wohlbefindens erfreute, stieg das Körpergewicht trotz
sehr reichlicher Nahrungszufuhr (33 Kalorieen) nicht mehr an. Später erfolgte
wieder Zunahme mit allmählichem Abfall der Zersetzungsgrösse. Ein Einfluss dieses
Zustandes auf die Zuckerausscheidung wurde nicht beobachtet. Es liegt nahe,
dieses Ansteigen der Zersetzungsgrösse unter dem Einflüsse der Jodintoxikation mit
Breuer unter dem gleichen Gesichtspunkte zu betrachten, wie die beim Morbus
Basedowii gefundene Steigerung der oxydativen Vorgänge.
Für ihre Erklärung sind in beiden Fällen verschiedene Momente heranzuziehen*).
Erstens eine gesteigerte Herz- und Muskelaktion. Doch ist bezüglich ersterer zu be¬
merken, dass mit der Zunahme der Pulsfrequenz gewöhnlich ein niedriger Druck
im Arteriensystem einhergeht, so dass eine direkte Zunahme der Herzarbeit nicht
ohne weiteres anzunehmen ist. Die bei beiden Affektionen vorkommenden Auf¬
regungszustände, sowie der Tremor sind wohl geeignet, die Sauerstoffzehrung zu ver¬
mehren. Doch wurde gesteigerte 0-Aufnahme von Magnus-Lewy auch bei
ruhenden Basedowkranken beobachtet. Am wahrscheinlichsten ist es, dass die beim
Morbus Basedowii beobachteten vasomotorischen Störungen, sowie die in ihrem Ge¬
folge auftretenden Schweisse zu einer gesteigerten Wärmeabgabe durch die Haut
führen, so dass auch hier blos eine pathologische Modifikation der Rubner’schen
Gesetze nachzuweisen wäre. Schliesslich könnte für die Abmagerung der Basedow¬
kranken allgemeiner die von den meisten dabei angenommene Vergiftung ver-
1) Wiener klinische Wochenschrift 1000. Heft 28 und 29.
2) Die sonst bei Basedow die Ernährung störenden Diarrhöen waren in unseren Fällen
nicht vorhanden.
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Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker. 345
antwortlich gemacht werden. Möglicherweise erfolgt unter ihrem Einflüsse primärer
Eiweisszerfall. Doch wird zugestanden werden müssen, dass Abmagerung infolge
solcher Gifte ungezwungen auf dem Umwege der berührten, durch Gifte hervor¬
gerufenen vasomotorischen Störungen erklärt werden kann.
2. Eine besondere Schwierigkeit, das Körpergewicht der Diabetiker zu erhalte^
ergiebt sich, wenn die Resorption der Nahrungsmittel vom Darm aus gestört ist.
Solche Fälle finden sich auf Tabelle VI vereinigt.
Fall 49 — 54 stellen schwerste Fälle von Diabetes dar, bei denen sämmtlich
dauernd oder in einem späteren Stadium der Erkrankung ausgesprochene Fettstühle
beobachtet wurden. Dieselben waren zumeist schon makroskopisch durch ihre
lehmgraue Farbe als solche erkennbar, waren ungemein massig und enthielten
mikroskopisch ganz ausserordentlich grosse Mengen von Fett in der Form von Fett¬
säurenadeln und Seifen, sowie anscheinend abnorm grosse Mengen von quergestreiften
Muskelfasern. Rücksichtlich der Ernährung war ihnen gemeinsam, dass nur unter
Zufuhr ganz grosser Nahrungsmengen anfangs das Körpergewicht zunahm (Fall 49,
51, 53), während im weiteren Verlaufe Abmagerung erfolgte. In einzelnen Fällen
(Fall 52, 54) konnte schon von Beginn an die Abnahme des Körpergewichts nicht
verhindert werden.
Wenn auf Tabelle VI der Versuch gemacht wurde, für diese Fälle die Zer¬
setzungsgrösse zu berechnen, so sind die gewonnenen Zahlen selbstverständlich nicht
der Ausdruck der wirklichen Zersetzung, sondern sollen blos den Grad und die Zu¬
nahme der Resorptionsstörung versinnbildlichen. Sie übertreffen an Grösse, sowohl
was das Kalorieenbedürfniss als die Eiweisszufuhr betrifft, beträchtlich alle von uns
früher gefundenen Werthe.
Auch sonst erwiesen sich diese Fälle klinisch als sehr schwer, betrafen zumeist
jugendliche Individuen, zeigten rapiden Verlauf und endeten zumeist im Coma. Auch
die Glykosurie war immer sehr schwer. Doch gelang es im Falle 49 und 51,
wenigstens vorübergehend, den Zucker zum Verschwinden zu bringen, die Toleranz
für Kohlehydrate zu heben und die Kranken durch 1 beziehungsweise 1 ’/* Jahre
vollständig arbeitsfähig zu erhalten. Die Zuckerausscheidung selbst zeigte an ver¬
schiedenen Tagen trotz gleicher Nahrungszufuhr nicht selten namhafte Schwankungen.
Sie war bei Fall 52 von Anbeginn an nicht sehr bedeutend (um 40 g), konnte aber
auch durch Einschränkung der Eiweisszufuhr nicht so entschieden wie sonst beein¬
flusst werden — wohl sämmtlich Erscheinungen, die auf die gleichzeitig gestörte
Eiweissresorption bezogen werden müssen. Indikan war in sämmtlichen Fällen
trotz bestehender Stuhlverstopfung nicht nachweisbar (Obermayer’s Reaktion).
Solche Fälle wurden vor mehreren Jahren von Hirschfeld 1 ) beschrieben, und
zu Pankreas Veränderungen in Beziehung gebracht. Naunyn 2 ) macht dagegen geltend,
dass gestörte Fettresorption sich wohl auch sonst finden könne, wo an den Darm
rücksichlich ihrer auf die Dauer zu grosse Anforderungen gestellt werden.
Eine solche Erklärung wäre vielleicht für Fall 54 heranzuziehen, wo der Stuhl
ausser Fett- und Muskelfasern noch ausserordentlich grosse Mengen von Darm-
epithelien enthielt. Zudem bestanden Darmkoliken und Stuhlverstopfung seit vielen
Jahren, desgleichen Magenbeschwerden (Ueblichkeiten), während sich bei den übrigen
9 Zeitschrift für klinische Mcdicin Bd. 10.
*) I. c. S. 248.
Zeitschr. t dlÄt n. physlk. Therapie. Bd. VI. Heft 6. 24
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346 Wilhelm Schlesinger
Kranken die Störung der Fett- und Eiweissresorption gerade, wie in Hirschfeld’s
Fällen, durch keinerlei subjektive Symptome bemerkbar machte.
Störung der Darmfunktion könnte auch für den Fall Wimmer in Anspruch ge¬
nommen werden, bei dem die Störung der Resorption erst gelegentlich seines letzten
Spitalaufenthaltes konstatiert wurde, und bei dem die Autopsie ausser Pankreas¬
atrophie auch noch einzelne tuberkulöse Geschwüre im unteren Ileum ergab. 1 )
Dagegen fehlten bei den gleichfalls zur Autopsie gekommenen Fällen 49 und
52 entscheidende Veränderungen am Darme.
Wohl aber fand sich bei beiden, ebenso wie bei Fall Wimmer, ausgesprochene
Atrophie des Pankreas, bei Fall 49 ausserdem noch umfängliche Fettnekrosen.*)
Wenn noch bemerkt wird, dass bei den übrigen zur Autopsie gelangten schweren
Fällen der Tabelle I (Fall 6, 11, 17 und 18) grobe Pankreasveränderungen vermisst
wurden, so muss bei aller Vorsicht, die der Kleinheit des Materiales gegenüber am
Platze ist, doch hervorgehoben werden, dass Steatorrhoe und Azotorrhoe, zumal, wenn
sie, wie im Falle 52, schon von anbeginn und bei Zufuhr geringer Fettmengen beobachtet
werden, einigermaassen für Pankreasaifektion sprechen.
Fall 55 betrifft eine 64jährige Frau, bei der Fettstühle blos gelegentlich
beobachtet wurden:
M. P., 64 Jahre, erkrankte vor fünf Jahren plötzlich unter den Erscheinungen des
Ileus mit heftigen Schmerzen in der linken Oberbauchgegend. Nachdem die ersten
stürmischen Erscheinungen vorübergegangen waren, wurde in der Gegend der früheren
Schmerzen bald ein Tumor gefunden; weiter reichlich Zucker im Harn, sowie gelegentliche
Fettstühle. Die Untersuchung ergicbt eine etwas abgemagerte Frau, bei der ein walzen¬
förmiger horizontal gestellter Tumor von anscheinend Apfelsinengrösse, quer über den
Nabel, mehr nach links zu, gefunden wird, der respiratorisch wenig verschieblich ist, nach
links hin sich unter dem Rippenbogen verliert, und nach rechts von der handbreit unter
dem Rippenbogen fühlbaren Leber abzugrenzen ist.
Mit Rücksicht auf die Anamnese wurde eine Apoplexie des Pankreas mit nach¬
folgender Cystenbildung oder Peripankreatitis angenommen.
Der Diabetes erwies sich trotz fünfjährigen Bestehens blos als mittelschwer.
Fettstühle wechselten mit normalen Stühlen ab. Dabei wurde im ganzen eine
namhafte Zunahme des Körpergewichtes erzielt. Der Einfluss der einzelnen Perioden
von Fettstühlen auf das Körpergewicht ist aus der Berechnung der scheinbaren Zer¬
setzungsgrösse ohne weiteres ersichtlich.
Schlieslich sei bemerkt, dass ich in letzter Zeit Gelegenheit hatte, einige Fälle
von leichter Glykosurie bei älteren Leuten zu beobachten, bei denen trotz nam¬
hafter Nahrungszufuhr, und trotzdem es sich um fettleibige Individuen mit sonst ge¬
ringem Nahrungsbedürfniss handelte, die erwartete Zunahme des Körpergewichtes
ausblieb. Klinisch zeichneten sie sich durch das gelegentliche Auftreten von
Diarrhöen aus, die aber, weil selten, nicht geeignet erschienen, das grössere
Nahrungsbedürfniss dieser Kranken zu erklären (Fall 56).
Dagegen fanden sich auch in den festen Stühlen reichlich Fett und quer-
') Für die gütige Mittheilung der Leichenbefunde bin ich Herrn Hofrath Professor Weichsel-
bäum zu besonderem Danke verpflichtet.
2 ) In Fall 49 wurde massiger Dünndarmkatarrh gefunden, der aber vermuthlich erst durch
kürzere Zeit bestand, während die Störung der Resorption schon zu Beginn der Beobachtung fest-
gestellt wurde.
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
347
Ueber das Nahnmgsbedürfnfss der Diabetiker.
gestreifte Muskelfasern. Da eine Autopsie in keinem Falle vorliegt, dieselben auch
ihrer ganzen Natur nach eine andere Deutung wohl zulassen, sei nur ganz hypothetisch
darauf hingewiesen, dass auch bei diesen Fällen geringfügiger Glykosurie die Möglich¬
keit einer Pankreaserkrankung (etwa Verfettung im Sinne Hansemann’s oder
partielle Nekrosen) mit in Betracht zu ziehen ist.
Ein besonderes Verhalten bot Fall 57 (Diabetes gravis). Für die Thatsache,
dass es hier auch bei sehr reichlicher Nahrungszufnhr nicht gelang, das Körper¬
gewicht zu heben, ist wohl der Umstand verantwortlich zu machen, dass der Kranke
an Infiltration beider Lungenspitzen mit abendlichen Temperatursteigerungen litt.
In den Stühlen wurde trotz reichlicher Zufuhr kein Fett, wohl aber wurden un-
gemein reichlich unverdaute Muskelfasern gefunden. Möglicherweise vermittelte
ausser der Temperatursteigerung auch der Umstand der isoliert gestörten Eiweiss¬
resorption, wie er auch sonst dem Fieber eigenthümlich ist, die Störung in der Er¬
nährung.
Die günstigen therapeutischen Erfolge, die auch bei einzelnen der genannten
Fälle mit gestörter Resorption, wenigstens für eine gewisse Zeit erzielt wurden,
mahnen dazu, auch bei diesen prognostisch ungünstigen Fällen einen Versuch mit
strenger Diät nicht zu unterlassen. Dort, wo dieser Versuch fehlschlägt, oder im
vorgeschrittenen Stadium wäre freilich der Hauptwerth auf eine reichlichere Eiweiss¬
zufuhr zu legen, wobei lösliche Eiweisspräparate mit in Betracht kämen. Daneben
wäre zumindest der Versuch am Platze, durch Zufuhr kleinerer Kohlehydratmengen
die Resorptionsverhältnisse zu bessern (v. Noorden). Die Milch stellt in solchen
Fällen — weil emulgiertes Fett enthaltend — sicher ein empfehlenswerthes
Nahrungsmittel dar, sofern durch sie nicht die Glykosurie excessiv gesteigert wird.
Ausserdem wäre nach Vorschlag der meisten Autoren Pankreas in Substanz zu ver¬
suchen. Pankreatintabletten hatten auch nach unseren Beobachtungen keinen deut¬
lich nachweisbaren Einfluss auf die Resorptionsvorgänge.
Wenn ich die gewonnenen Erfahrungen über das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker
in wenigen Worten zusammenfassen darf, so ergab sich für den unkomplizierten
Diabetes blos eine Thatsache, die sich mit Rubner’s Lehre nicht ohne weiteres in
Uebereinstimmung bringen lässt: das ist das auffallend geringe Nahrungsbedürfniss
der Diabetiker mit hoher Zuckerausscheidung, obwohl auch hier der Versuch ge¬
macht wurde, für die scheinbar fehlende Uebereinstimmung das Verständniss anzu¬
bahnen.
Eine Reihe anderer auffallender Thatsachen, die durch die gewählte Methode
der Berechnung der Zersetzungsgrösse aufgedeckt wurden und die mit Rubner’s Sätzen
von der Konstanz der Zersetzungsgrösse, sowie mit seinen absoluten Zahlen für das
Nahrungsbedürfniss normaler Individuen in scheinbarem Widerspruche stehen, lassen
sich schon durch theoretische Ueberlegungen befriedigend erklären, die der Nach¬
prüfung durch den Stoffwechselversuch wohl stand halten dürften.
Doch erscheint Diabetes nicht so selten mit anderen Stoffwechselanomalien ver¬
knüpft, denen allein eine pathologische Modifikation der Rubner’schen Ernährungs¬
gesetze zukommt. Zum Theile handelt es sich um zufällige Komplikationen, zum
anderen Theile um Zustände, die mit der Krankheitsursache direkt verbunden sind.
In jedem Falle sind sie geeignet, das Nahrungsbedürfniss des Diabetikers nach
verschiedenen Seiten abzuändern.
24 *
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
348
Wilhelm Schlesinger
Tabelle III.
Beob-
Gewichts-Zunahme bei
Körper¬
gewicht
Fall
Name
Diabetes
achtet
Zucker
Kalorieen
Eiweiss g
Monate
I e
Menge
p. Kilo
» Menge p. Kilo
19
K., Bertha, 51 J.
schwer
3
83-87
_
Gutsbesitzerin
(Acidose)
20
Arie, Isaak, 33 J.
leicht
2
81
30-80
1524
19
142
1,7
Fleischhauer
(Akromegalie)
21
M—k, Sal., 54 J.
schwer
3
59-64
60
1563
26
125
2,0
Kaufmann
(Coma diab.)
22
Kress, 63 J.
leicht
12
82
—
_
_
_
Beamter
(Struma)
23
Fr., Marie, 48 J.
Wirthschafterin
mittelschwer
50
83
30-0
2028
25
99
1,2
24
Korab, 33 J.
Uhrmacher
leicht (5,5 o/o)
6
68
0
2150
32
136
2,0
25
Rs., 61 J.
mittelschwer
5
61
—
_
_
_
_
Ehefrau
!
20
B—sch, 49 J.
leicht
11
76
—
_
__
_
__
Beamter
27
T-ff, 42 J.
mittolschwer
2
89
—
_
_
__
_
Advokat
28
Markussohn, 46 J.
mittelschwer
8
06—75,4
60
2100
30
160
2,3
Arbeiter
(Akromegalie)
29
Zöpfcl, 55 J.
leicht (3 o/ 0 )
10-
80-75
—
_
_
_
_
Bläser
30
Masaryk, 43 J.
Händler
leicht
15
84
—
—
—
-
31
P—k, Mina, 59 J.
mittelschwcr
3
67
—
_
_
Geschäftsfrau
32
St., Karoline, 63 J.
leicht
12
70
—
_
_
_
__
33
Geschäftsfrau
Tauber, 59 J.
leicht (5,6%)
5
63
0
1850
30
127
2,0
Ehefrau
1
34
Utz, 51 J.
leicht (4,2%)
5
82
_
_ _
_
_
Köchin
35
D—ger, 44 J.
Brand weinschänk er
schwer (Coma)
12
74—70 '
60
2300
33
112
1,6
3G
Wcilubek, 55 J.
schwer
12
91-65 |
1
_
_
_
_
Magd
i
37
Wozelka, 146 J.
leicht (4%)
2
70
0
2000
29
_
_
Ehefrau
38
Schneck, 41 J.
schwer (Coma)
11
04-68
80
1850
27
90
1,3
Händlerin
39
B k, 53 J.
in ittelschwer
14
74—78
0
2400
32
126
1,7
Beamter
40
Mährischl, 43 J.
schwer
50
70-78
30
2000
26
80
1,1
Händlerin
41
Dr. R., 32 J.
schwer
5
79
_
__
_
_
_
Chemiker
42
Popper, 53 J.
mittelschwcr
3
88
0
2000
23
125
1,4
Ehefrau
43
His, 48 J.
mittelschwcr
10
80
0
1700
21
90
1,1
Ehefrau
44
Hagelbauer, 47 J.
leicht
8
91
_
_
_
_
_
1
Musiker
(Albumen)
45 |
Robiesek, 60 J.
leicht
12
63
_
_
_
_
_
Händlerin
40 '
Alvinski, 60 J.
mittelschwer
11
80
_
_
_
_
_
1
Ehefrau 1
(Osteo malacie)
J
1
i
i
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
lieber das NahrnngsbedOrfniss der Diabetiker.
349
Fettleibige Diabetiker.
Gewichts'Konstanz bei
Gewichts-Abnahme bei
Zucker
Kalorieen
Eiweiss g
Zucker
Kalorieen
Eiweiss g
*
Menge
p. Kilo
Menge
p. Kilo
g
Menge
p. Kilo
Menge
p. Kilo
60
1992
23
115
1,3
—
—
—
—
—
Wenig Bewegung.
30
1510
19
132
1,6
—
—
-
—
—
Zumeist Bettruhe.
—
—
—
—
—
i
—
—
—
—
Wenig Bewegung.
0
1600
20
116,5
1,4
—
-
—
—
—
D
0
1900
23
99
1,2
0
1857
22
93,5
1,2
Arbeit.
0
1950
29
137
2,0
0
1820
27
140
2,0
»
Spur
1700
28
107
1,7
—
—
—
—
—
Arbeit (früher 70 kg).
Spur
1700
28
107
1,7
—
—
—
—
Leichte Arbeit
30
2100
23
104
1,2
30
1950
20
150
1,7
Mässige Bewegung
(früher 106 kg).
80
1950
28
160
2,3
—
—
—
—
—
Zumeist Bettruhe
(Durchfälle).
Spur
2000
25
126
1,5
—
—
—
—
—
Arbeit.
Spur
1900
22
130
1A
—
—
—
—
—
Arbeit (grosser, kräfti¬
ger Mann).
20
1500
22
132
2,0
40
1000
15
150
2,2
Mässigo Arbeit (klein,
fett seit 9 Jahren).
Spur
1200—1400
17—20
130-140
1,9
—
—
—
_
Wenig Bewegung.
Spur
1600
25
132
2,1
—
—
—
—
Mässige Arbeit
(früher fett).
0
2000
25
102
1,3
—
—
—
—
—
Arbeit.
50
2150
30
112
1,6
100
2100
28
107
1,4
»
50
1800
21
88
1,1
60
1500
17
95
1,2
»
0
1200—1500
17—21
90—125
1,3—1,8
—
—
—
—
—
Mässige Arbeit.
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
Mässige Bewegung.
—
—
—
—
_
—
—
—
—
—
Mässige Arbeit.
—
—
—
—
—
ü\
©
1
o
1700
22
80
1,1
»
Spur
2500
32
130
1,9
Spur
2200
28
90
1,1
Arbeit
(grosser Mann).
0
1700
19
120
1,3
—
—
—
—
—
Geringe Arbeit.
60
1550
19
110
1,4
—
—
—
—
—
j>
Spur
2400
27
105
1,2
—
—
—
—
—
Arbeit
Spur
1200
19
135
2,2
—
—
—
—
—
Mässige Arbeit
(früher fett).
50
1700
21
122
1,5
j —
—
—
—
—
Mässige Arbeit
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Original frorn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Wilhelm Sc-hlcsingcr
Tabelle IV.
Name
19 K, Bertha, 64 J.,
Gutsbesitzerin.
Diabetes gravis, Acidose
(Arteriosklerose).
21 ‘ M — k, 54 J , Kaufmann. J
Diabetes gravis, Acidose. j
Arie, Isaak, 33 J ,
Fleischbeschauer.
Diabetes levis
(Akromegalie).
| Periode
Körper-
| gewicht
i
Pro die Gramm
Körpergewichts-
Zunahme | Abnahme
i " .
Zucker
£
12./11.—27./11. 01
©
00
1
3
—
108
00—70
28/11.— 4./12.
84,0—85,9
204
90
i 5./12.—11./12.
86,9—85,8
!
GO
12./12.—20./12.
85,8—83,3
—
271
•15—60
21./12.—30./12.
i
83,3-87,1
aso
\
40—70
1
12./4.—20./4. 00
58,7-00,3
\
178
; _
60-90
21 ./4.— 1,6.
00,3-01,9 j
U4
—
70
2./6.—21.6. |
1__ _ J
01,9-04,0
| 106
1
Go
j 18./1.—26/1. 02
78,7—80,7 j
280
20—80
| 2G./I.— 2 2.
80,7-81,0 1
60
--
80 40
3./2.— 9. 2. i
81
~ !
7—30
10,2.-22,2.
81,0 81,7
i
w i
1
13-0
Tabelle V. Diabetes mit Morbus
Name
Periode
Körper¬
gewicht
Pro die Gramm
Korpcrgewichts-
I Zunahme j Abnahme
| Zucker
i £
II n, 61 J., Ehefrau.
Diabetes mit Morbus
Basedow».
26 Fr I., Marie, IS .1.,
i Wirthschafterin.
I Mittelschwer.
22 Kress, 03 J , Beamter.
! Diabetes levis (Struma).
1 10/12.99-
-22./1.00
43,0-46,7
1 73
40-0
23/1-
- 1,3.
46,7-47,0
’ 34
i
0
2./3. -
-27,3.
47,0 -47,6
19
—
0-12
28. 3.
-28 /6.
47,6 -38,3
100
1 um 00
i
1
11, 12. 97-
- 2 3. 98
1
79,9 82,8
39
28—0
3/4.
I0./6.
82,8 79,7
—
31
0
13,3.-
-30./3. !)t)
86,6—81,6
OO»)
, 16
1
10./4. -
20./4. 00
1
82 1
Sp.—0
27/4.
26./O.
81,8 -09,6
2< )8
0
20.0.-
-13.8.
09,6 ;
—
0
28./1 1.
09,6-72,6 '
38,4
-
0
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Original ffom
UNIVERSETY OF MICHIGAN
351
Ucber das Nahrungsbcdürfniss der Diabetiker.
Fettleibige Diabetiker.
Kalorieen-
Kalorien zersetzt
Eiweiss-
znfuhr
Eiweiss zersetzt
zufuhr
Menge
per Kilo
g
Menge
per Kilo
\m
2097
25
113,5
124
i
1,5
IW7
1323
15,0
112
85,0
1,0
199*2
2031
23,5
115
117
1,4
i m
2504
29,0
101
128
1,5
Theilweise Bettruhe.
2081
1231
14,4
125
87
1,0 [
Einen Monat spater Oedeine.
1
1G9:>
1283
21,C
1
105 |
i
87 |
1,5
Wenig Bewegung.
1563
1231
20 ;
125
in i
1,8
1650
1410
22,4
140 j
130
2,0
Einen Monat spater Tod im Coma;
keine Autopsie.
1781
1540
19,3
145
135
1,7
1524
1410
17,4
142,5
137,5
1,7
1510
1510
18,0
132
132
1,0
1555
! 1131
i 1
17,4
129
123,0
1,5 ,
Basedowii uud Thyreoidismus.
Kalorieen-
Kalorieen zersetzt
Eiweiss¬
zufuhr
Eiweiss zersetzt
zufuhr
Menge
per Kilo
S
Menge
per Kilo
2042
1874
42,t
94
80,7
1,9
J Massige Bewegung.
2151
2073
44,7
90
80,0
1,9
2108
2065
43,7
92
90
1.9
1
um 1500
um 1730
I
um 41
um 95
um 105
um 2,5
Zumeist Bettruhe.
2028
1939
23,8
99
95
i
i
1,2
1.857
1928
23,7
39,5
96,0
1,2
2004
2512
30
97
119
1,4
Jod.
1G00
| 1600
| 20
116,5
110,5
1,4
1555
20.35
i 27
140
140
1
Jod bis20./5.; Herzklopfen, Aufregung.
2.300
1 2300
j 33
147
147
2,1
Guter Appetit, Wohlbefinden.
1077
1890
i
1
26,0
1
153
153
i 2,2
1
i
1
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
352
Wilhelm Schlesinger
Tabelle VI. Diabetiker mit
Pro die Gramm
Zucker
Fall
Name
Periode
Körpergewicht
Körpergewichts-
Zunahme! Abnahme
g
49
ß., Viktor, 19 J.,
20. 0.—28./10. 99
54,0—57,3
25,2
265—0
Student. -
30./9.—25./10.00
47,5
—
40—70
Diab. gravis (Coma diab.).
15./3.—30./3.00
55,0-54,0
—
62,5
17-0
50
H., Marie, 42 J., Ehefrau.
, 30./10.— 3./11.99
66
_
00—14
Diab. gravis.
;
i
I 10./3.—23.'3. 98
47,7-49,3
123
270—32
51
P., Karl. 33 J.,
j 24. 3.-27 /7.
49,3-54,0
37
0
Fabrikant. ^
1
0—Sp.
Diab. gravis (Coma. diab.).
28.Z7. — 31./1 99
54
29.;'12.—27.; 6. 00
50,8—45,1
—
32
30 40
52
Vogt, Hugo, 32 J., Fischer, j
1-/4.—15. 4.00
53,10
—
40
Diab. gravis (Coma diab.). 1
17./7.—28./7.
42
—
—
15—40
53
Janowski, Marie, 23 J.,
1./6.— 15. 0. 01
51,0-51,6
40
_
80-50
Dienstmädchen.
14.,'7.—21.'7.
53,6-54,7
138
—
Entzuckerung
Diab. gravis.
54
P., Marie, 35 J., Ehefrau. J
7./10.—21.,10. 98
40,0-44,0
0
133
100
Diab. gravis. 1
1
1
f 17-/2. —2G./2.99
| 00,3—67,8
187,5
_
1 80
:
27./11.— 2./12. 99
70.8—68,8
—
333
108-60
5
Wimmer.
1 3./12.— 9./12.
1 08,8—66,0
—
400
40
10./12.—17./12.
1 06,0—07,7
212
—
i 40-70
15./2.—25./2. 00
i 73,0—79,5
582
—
20—30
1
fj 19. 12.— 27/12.01
57,8—58,0
25
—
30-10
, 28./12.— 3./1.02
58,0-59,2
171
—
10-0
;k>
P., Mina, 64 J., Ehefrau.
4./1. - 10-/1.
59,2-58,9
—
45
0
Mittelschwcr.
ll./l. —31./1
58,9-59,7
38
_
einige Tage 30,
Pankreascyste.
1./2. —21./2.
59,7-61,8
105
—
sonst 0
0
22.'2. — Ö./4.
61,8—63,2
32,5
—
0
6./4. —13./4.
63,2—62,0
—
171
0
50
P., Julius, 52 J.,
17./1.—15./2.02
72,3-70,5
—
00
10—0
Kaufmann.
Diab. levis.
16./2.—22./2.
70,5—71,5
145
—
0
23-/2.— 3-/4.
71,5
—
I
0
57
Zwirina, 21 J., Binder. J
5./0. —5./9. 00
um 49
~~
100
Diab. gravis. 1
l
i
j
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Ueber das Nahrungsbedürfniss der Diabetiker.
353
Störungen der Resorption.
Kalorieen-
zufuhr
Kalorieen zersetzt
Eiweiss-
zufahr
ff
Eiweiß8 zersetzt
Menge
per Kilo
Menge
per Kilo
2635
2578
46,3
122
119,5
2,15
2247
2247
47,3
86
86
1,8
2010
2754
50,5
66,5
72,8
1,3
Autopsie: Fettnekrosen des Pankreas;
Pankreasatrophie.
2400
2400
36
90
90
1,3
Früher sehr fett; 1 Jahr später Tod im
Coma; keine Autopsie.
2686
2406
49,5
126,5
114
2,4
2600
2575
50
105
101,6
1,9
2402
2492
46
94
94
1,7
2779
2852
60
85
88,2
1,85
Keine Autopsie.
2300
2300
43
71,5
71,5
1,4
2940
2940
71
96
96
2,3
Autopsie: Pankreas schmal, stark gefurcht,
Bindegewebe stark vortretend.
2230
2140
41,5
125
121
2,3
2400
2078
38,4
60
46
0,85
2 Monate später Exitus im Coma; keine
Autopsie.
2500
2830
63
140
150
3,1
Im Stuhle ausser Fett und Muskelfasern
massenhaft Darmepithelien; 2 Monate
später Tod im Coma; keine Autopsie.
2775
2347
! 35
169
150
2,2
Erste Aufnahme s. Tabelle II.
2127
2883
41,3
107
137
2,0
Autopsie: Atrophie des Pankreas, einzelne
tuberkulöse Geschwüre im Ileum.
2841
3757
55
85,5
135,5
1,9
3251
2770
41,4
108,5
87,5
1,3
3235
! 1902
I
25
81
23,8
—
Oedeme.
2020
1964
35,8
118
115,5
2,0
Fettstühle.
1827
1435
24,5
93
76
1,3
1963
2066
35
95,7
102
1,7
1932
1845
31,1
91
87,2
1,5
Normale Stühle.
2212
1972
32,5
.115
104
1,7
2144
2068
33
114,5
111
1,8
.
2130
2519
40,3
116,5
i
133,5
2,1
Fettstfihle.
2100
2234
31,3
133
139
1,9
Gelegentlich reichlich Fett und Muskel-
fasern im Stuhle.
2294
1962
27,6
134
119,5
1,7
2264
2264
31,6
135
135
1,9
2500
2500
50
130
130
2,6
Tub. pulm. mit Fieber; im Stuhle kein
Fett, aber massenhaft quer gestreifte
Muskelfasern.Autopsie: Pankreas normal.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
354
C. Bolle
V.
Zur Therapie der Barlow’schen Krankheit.
Von
Dr. C. Bolle
in Berlin.
In der letzten Zeit tauchen in der medicinischen Fachlitteratur sehr häufig
Berichte über die Bar low’sehe Krankheit auf, und hört und liest man oft über
diese theilweise noch ziemlich räthselhafte Erkrankung die verschiedensten Vor¬
schläge betreffs deren Therapie. Zur Klärung der Frage dürfte der Krankheits¬
bericht eines kürzlich von mir beobachteten und behandelten Falles beitragen:
Es handelt sich um das 2 V 2 jährige Kind einer besser situierten Familie. Die Eltern
sind beide gesund, eine ältere Schwester lebt und ist auch gesund. Die Leute leben in
guten sozialen Verhältnissen und haben an der Pflege des Kindes nichts fehlen lassen. Das
Kind ist bis zum Januar d. J. mit den verschiedensten Milchsorten uud Nährpräparaten
ernährt. Das was die Eltern schon seit etwa IV 2 Jahren beunruhigte, waren andauernde
Durchfälle, die jeder Behandlung trotzten. Seit Januar d. J. erhielt das Kind Kindermilch
von Kühen mit Trockenfüttcrung aus einer renommierten Berliner Meierei. Die Milch wurde
15 Minuten im Soxhletapparat gekocht und auf ärztliche Verordnung in geeigneter Ver¬
dünnung ohne Milchzuckerzusatz verabreicht. Das Kind behielt jedoch die Durchfälle und
nahm zusehends ab.
Seit Februar d. J. schleppt das Kind den linken Fuss nach, die Durchfälle mehren sich.
Im März stellt sich wackeliger Gang ein. Im April läuft das Kind nur noch ungern und
mit Widerwillen. Der konsultierte Kollege stellt englische Krankheit fest und ordiniert
zweimal wöchentlich Stassfurter Salzbäder. Seit Mai d. J. läuft das Kind überhaupt nicht
mehr. Die anamnestische Aufnahme war sehr genau zu erheben, da die Mutter ein Tage¬
buch über das Befinden des Kindes geführt hatte, worin alles in gewissenhaftester Weise
notiert und niedergelegt war und für mich dadurch zu einer werthvollen Fundgrube bei der
Anamnese wurde. Das Kind soll nie gefiebert haben. Der zuletzt konsultierte Kollege
glaubte jedoch neben der bestehenden englischen Krankheit wegen der grossen Schmerz¬
haftigkeit der Glieder des Kindes an das Bestehen eines rheumatischen Leidens und richtete
seine Behandlung hauptsächlich darauf.
Am 28. Juni d. J., abends 6 Uhr sah ich das Kind zum ersten Male. Die Diagnose
war unzweifelhaft auf Barlow’sche Krankheit zu stellen. Es war geradezu ein Schulfall
dieser immerhin ziemlich seltenen Erscheinung. Patient liegt theilnahmslos im Bett, wimmert,
schreit und zeigt nicht für das Geringste irgendwelche Theilnahme. Die Eltern be¬
haupten, dass dies bereits seit mehreren Tagen Tag und Nacht anhalte, .dass das Kind
höchstens einmal eine Stunde schläft, um mit einem lauten Aufschrei nach irgend einer
Bewegung aus dem Schlummer zu erwachen.
' Der Körper ist annähernd proportional gebaut, der etwas stark gebaute Kopf fällt
jedoch auf. Die unteren Extremitäten des Kindes erscheinen verdickt, jedoch ist eine
genaue Untersuchung wegen der grossen Schmerzhaftigkeit, die namentlich am linken Bein
dicht unterhalb des Knies am stärksten erscheint, nicht möglich. Auf die leiseste Berührung
hin reagiert das Kind mit gellendem Schrei. Grosse Schmerzhaftigkeit an den Rippenbögen
lässt sich bei dem Versuch des Herausnehmens konstatieren, auch leidet das Kind unter
lästigen Schweissen. Unterhalb des rechten Knies ist eine Berührung des geschwollenen
Beines möglich, und hat dort der palpierende Finger das Gefühl, als ob es in der Tiefe
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
355
Zur Therapie der Barlow’schcn Krankheit.
knistert und schnurrt. Die Handgelenke sind leicht aufgetrieben, jedoch nicht knisternd.
Am Zahnfleisch des Unterkiefers blutige Sugillationen; das gesammte Zahnfleisch der Mund¬
höhle befindet sich »in einem Zustande hämorrhagischer Schwellung«.
Ich liess sofort an die schmerzenden Gelenke Priessnitzumschläge mit Essigwasser
machen, ordinierte viermal täglich einen Theelöffel Weissbierhefe und als Nahrung
pasteurisierte Kindermilch eigener Kuhhaltung, so wie sie geliefert wird, zur Hälfte mit
Haferschleim verdünnt; den Haferschleim liess ich erhitzen und die Milch so ungekocht
zusetzen. Als Getränk wurde Mohrrübensaft gestattet.
Am 29. Juni, tags darauf, ist frühmorgens ein fester Stuhl erfolgt, und das Kind scheint
im grossen und ganzen ruhiger geworden zu sein. Trotzdem an diesen Tagen mittags
12 Uhr eine Temperatur von 22 °R im Schatten war, also ein relativ heisser Tag, scheint
das Kind nicht mehr so unter den Schweissen zu leiden Sonstiger Befund unverändert.
Als ferneres Getränk wird Rindfleischwasseraufguss 1:4 ungekocht verordnet.
30. Juni. Das Kind macht einen bedeutend besseren Eindruck, giebt auf Fragen
deutliche und klare Antwort und lässt sich willig untersuchen. Zum ersten Male sind
mehrere festere Stühle von hellbrauner Farbe erfolgt; der Befund an den Füssen ist genau
noch ebenso wie am ersten Tage der Behandlung, doch scheint die Schmerzhaftigkeit nach¬
gelassen zu haben. Die Milch soll jetzt nur noch mit Vs Haferschleim verdünnt werden.
1. Juli. Besserung ist bedeutend vorgeschritten, abends wird ein lauwarmes Bad mit
Kamillen verordnet; das Kind soll jetzt täglich viermal reine Milch trinken, so wie sie von
der Meierei geliefert wird, ungekocht, und zweimal noch mit etwas Haferschleimzusatz.
3. Juli. Die Füsse des Kindes lassen sich bewegen, ohne Schmerzen zu verursachen.
5. Juli. Das Kind soll zum ersten Male während des Badens die Füsse selbstständig
bewegt haben und setzte auch, im Bettchen liegend, die Füsse auf.
9. Juli. Das Kind macht die ersten Stehversuche im Bettchen. Es isst alles mit,
was es am elterlichen Tische zum Mittag giebt, namentlich viel Kartoffeln und Gemüse.
Vom ersten Tage der Krankheit an habe ich jeden Mittag schon etwas Gemüse essen lassen,
doch hatten die Eltern aus Furcht, dem Kinde den Magen zu verderben, ihm nur 1—2 Thee¬
löffel frisches Gemüse gegeben; jetzt ist jedoch die Angst der Eltern geschwunden, sie geben
dem Kinde alles, was es verlangt. Es tritt täglich zwei- bis dreimal spontan ein fester
Stuhl ein; das Kind sitzt und spielt im Bett, ohne Schmerzen zu zeigen. Die Schmerzen
an den Rippenbögen, die sich namentlich dann stark zeigten, wenn man das Kind aufheben
wollte, sind vollständig geschwunden; man hat den Eindruck, dass die Macht der
Krankheit vollständig gebrochen sei. Das Kind, welches am 4. Juli 9390 g wog, wiegt
am 12. Juli 9700 g, hat also in 9 Tagen 310 g zugenommen, was für ein 2 V 2 jähriges Kind
immerhin in so kurzer Zeit als eine ganz gute Zunahme zu bezeichnen ist.
Am 15. Juli sah ich das Kind zum letzten Male. Es läuft ohne irgend welche
Schmerzhaftigkeit umher, bewegt obere und untere Extremitäten gleichmässig frei. Im Mund
ist keine Veränderung mehr zu sehen; der Appetit ist ausgezeichnet, das Kind isst alles,
was auf den Tisch kommt gern; keine Verdauungsbeschwerden; täglich etwa drei feste
Stühle; wird als geheilt aus der Behandlung entlassen.
Im ersten Augenblick erscheint es merkwürdig, dass bei einer 17tägigen
Behandlung ein derartiger Erfolg erzielt ist. Ich hatte schon mehrmals Ge¬
legenheit, Fälle Barlow’scher Krankheit zu beobachten, und habe jederzeit die
gleich günstigen Erfahrungen gemacht. Die Hauptsache ist und bleibt, wie auch der
vorliegende Fall lehrt, dass bei Barlow’scher Krankheit sofort mit der bisherigen
Ernährung zu brechen und das Kind möglichst mit roher Milch zu ernähren ist.
Ich bin nun allerdings in der glücklichen Lage, dafür Sorge tragen zu können, dass
in solchen Fällen den Kindern eine Milch gereicht wird, die als absolut einwands¬
frei roh getrunken werden kann. Darin scheint mir der Hauptwerth der Behandlungs¬
methode zu liegen, wie ich auch der Ansicht bin, dass für das Entstehen der
Barlow’schen Krankheit lediglich eine zu lange Sterilisation der Milch
verantwortlich zu machen ist. Ein ein-bis zweimaliges Aufwallen der pasteurisiert
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356
C. Bollo, Zur Therapie der Barlow’schcn Krankheit.
gelieferten Milch im Milchkocher oder ein ein bis zwei Minuten langes Kochen derselben
Milch im Soxhletapparat (die Milch muss mit dem Wasser im Soxhletapparat erwärmt
werden) genügt vollkommen, um pathogene Keime abzutöten. Aengstliche Gemüther
mögen immerhin die Milch noch etwas länger kochen, doch möchte ich sieben Mi¬
nuten als die höchste Grenze bezeichnen. Fütterungsversuche, die ich bereits vor
einer Reihe von Jahren angestellt habe, haben zur Evidenz erwiesen, dass mit
sterilisierter Milch ernährte Meerschweinchen unweigerlich an Bar low’scher Krank¬
heit eingehen.
Ich liess eine Serie von Thieren mit sterilisierter Milch füttern, und Milch
hersteilen, die 5, 10, 15 etc. Minuten bis zu 2 Stunden sterilisiert war. Es wurde
eine ganze Serie von Meerschweinchen mit dieser Milch gefüttert und zwar so, dass
ein Thier während der Dauer des Versuchs nur 5 Minuten lang sterilisierte Milch
bekam, das zweite Thier nur 10 Minuten lang sterilisierte Milch und so weiter bis
zu den Thieren, die mit 2 Stunden lang sterilisierter Milch gefüttert wurden.
Kontrollthiere wurden in Nachbarkäfigen mit derselben Milch, die jedoch entweder roh,
oder nur einmal aufgekocht war, gefüttert. Es ergab sich das überraschende Resultat,
dass nach etwa zwei Wochen bereits die Thiere, die mit der hochsterilisierten Milch
gefüttert waren, eingingen, während die Sterblichkeit im umgekehrten Verhältnisse
zur Dauer der Sterilisation abnahm, sodass die Meerschweinchen, welche mit
5 Minuten sterilisierter Milch gefüttert wurden, nach einem Vierteljahre noch ebenso
munter und gesund waren, wie die Kontrollthiere, während die mit 10 Minuten
sterilisierter Milch gefutterten Thiere bereits klinische Erscheinungen der Krankheit
zeigten 1 ). •
Die zur Autopsie kommenden Thiere wiesen übereinstimmend eine grosse
Knochenbrüchigkeit auf, bei einem Thiere waren in der Skapula grosse Löcher, wie
mit der Laubsäge ausgesägt. Die langen Röhrenknochen zeigten sich brüchig und
spröde, und an den Epiphysengrenzen Knochenabsprengungen. Die sämmtlichen
Kontrollthiere blieben gesund, und die zu Vergleichszwecken geschlachteten Thiere
zeigten normalen Knochenbau und keine Veränderungen.
Die veränderten Knochen der Thiere wurden von mir seinerzeit einem Assistenten
der thierärztlichen Hochschule vorgelegt, der mir diese Erscheinung nicht erklären
konnte; jedoch kam auch er zu der Ansicht, dass diese Veränderungen auf das Ver¬
füttern von sterilisierter Milch zurückzuführen seien.
Dadurch ist für mich der Beweis erbracht, dass das Entstehen der Barlow-
schen Krankheit lediglich auf Verfütterung zu stark sterilisierter Milch zurück¬
zuführen ist, und dürfte in der Vermeidung dieses Faktors ein Hauptheilmittel zur
Bekämpfung der Barlow’schen Krankheit zu suchen sein.
i) Ein genau gloicher Versuch zwecks Feststellung des Wcrthcs pasteurisierter Milch ist be¬
reits angeordnet und werden die Erfolge später veröffentlicht
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Kleinere Mittheilnngen.
357
Kleinere Mittheilungen.
lieber die Diät Friedrichs des Grossen.
Von Dr. Gotthold Ludwig Mamlock,
Volontärassistcnt der I. medicinischcn Universitätsklinik zu Berlin (Direktor: Geh. Med.-Rath
Professor Dr. v. Leyden).
Aus meiner demnächst im Verlage der Königlichen Hofbuebhandlung von Alexander Dunker
zu Berlin erscheinenden Schrift über »Friedrichs des Grossen Beziehungen zur Medicin« sei im
Folgenden einiges über die Diät des grossen Königs mitgetheilt:
Die beiden Leiden, an denen Friedrich Zeit seines Lebens krankte, die Verdauungsstörungen
sowie die Gicht, Hessen ihn frühzeitig den Werth einer zweckmässigen Diät erkennen. In ihr sah
er »ein souveränes Heilmittel, erhaben über alle Medicin und Mediciner« 1 * ). Letzteren, sowie ihrer
Kunst stand er stets sehr skeptisch gegenüber, jedoch ging er, wie er Voltaire 2 ) schreibt, in seinem
Unglauben nicht so weit, den Werth einer guten Diät zu bozweifeln. Als sein Bruder, der Prinz
Ferdinand, von einer fieberhaften Lungenerkrankung in Breslau ergriffen war, verlangte Friedrich
strengste Innehaltung der von dem berühmten französischen Arzte Tronchin vorgeschriebenen Diät.
Zuweilen pflegte er selbst seiner nächsten Umgebung diätetische Maassregeln zu geben. Besonders
interessant ist, dass er seine Nichte, die Prinzessin von Oranien, ermahnt, während ihrer Schwanger¬
schaft sich zu »menagieren«, »pour ne pas trop nourrir le frut qu’ellc portera« 3 4 ). Dem Präsidenten
der Akademie der Wissenschaften, Maupertuis, der schwer lungenleidend war und Blut auswarf, rieth
Friedrich den Genuss von Frauenmilch; zu vermeiden wäre jedoch Fleisch, Kaffee, Wein und
Likör*). Ebenso zweckmässig wie letztere Verordnung sind die Rathschläge, die Friedrich dem
ihm besonders nahestehenden Grafen Suhms), sächsischem Gesandten in Petersburg, sowie dem
italienischen Schöngeist Grafen Algarotd«) giebt: Beide litten an Magenbeschwerden und Ver¬
dauungsstörungen, und so, meint Friedrich, dürfen sie kein Gemüse, kein geräuchertes Fleisch,
keine blähenden und erhitzenden Gerichte essen. Er fügt hinzu: »Ich habe dies alles selbst erprobt«.
Bedenken wir, dass Friedrich der Grosse fast ständig von Verdauungsstörungen, Hämorrhoidal- und
Gichtbeschwerden belästigt war, und dass er in den drei schlesischen Kriegen zu einem Verzicht auf
eine regelmässige Lebensführung gezwungen war! Wie er selbst Voltaire schreibt, habe er all seine
Anstrengungen nur ertragen, weil er sich einer strengen Diät unterwarf. In einem Briefe aus
späterer Zeit, der ebenfalls an Voltaire») gerichtet ist, heisst es: »Ich bin unpässlich und krank,
heile mich aber selber durch Diät und Geduld. Tronchin selbst wird nicht leugnen, dass es
wenig spezifische Mittel giebt; und dass alles wohl überdacht, Kräuter und zerstossene Mineralien,
die Federn, die von der Zeit abgenutzt und halb zerstört sind, weder ganz machen noch an¬
spannen kann. Die geschicktesten Aerzte geben den Kranken Medicin, um seine Imagination zu
beruhigen und heilen ihn dann durch Diät Da ich Finde, dass Elixiere und Tränkchcn mir, seitdem
ich krank bin, nicht die geringste Hilfe geben, so unterwerfe ich mich einer strengen Diät und
habe mich bis jetzt recht wohl dabei befunden«.
1 ) An Graf Rothenburg 1751 (P).
2 ) 28. April 1759. (Briefstellen ohne nähere Angabe sind der Quartausgabe der Werke
Friedrichs des Grossen von Preuss [Berlin 1846—1857. Bd. 31] entnommen und im folgenden durch
[P] bezeichnet.)
3) An Prinz Wilhelm von Oranien 9. April 1769 (P Bd. 27.)
4 ) Koser, Briefe Friedrichs des Grossen an Grumbkow und Maupertuis. Publikationen
aus den Staatsarchiv. Leipzig 1898. Bd. 72.
Ä ) Correspondance famiHöre de Frödöric le Grand avcc le comte de Suhm. Berlin 1787.
Supplement aux oeuvres posthumes Bd. 2. S. 391. (7. Juli 1739.)
«) Förster, Friedrichs U. Briefwechsel mit Algarotti. Berlin 1837. (I. Oktober 1719.)
7) 28. April 1759 (P).
») 1. Januar 1765 (P).
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Kleinere Mittheilungen.
358
Nach alledem wie Friedrich über den Werth einer guten Diät dachte, sollten wir nun von
ihm eine besondere zweckmässige Lebensweise erwarten; zu unserem grössten Erstaunen finden wir
jedoch einen auffallenden Gegensatz zwischen Theorie und Praxis bei ihm.
Schon als Kronprinz, wo sich bei ihm bereits Störungen der Verdauung von grösster Hart¬
näckigkeit cinstellteni), liebte er, wie Augenzeugen 2 ) übereinstimmend berichten, pikante, scharf ge¬
würzte und schwer verdauliche Speisen. »Les haut-gouts«, schreibt der Graf Schulenburg, »hat er
besondere gern; Forellen und Bouillon waren nicht nach seinem Geschmack«. Friedrich ist zwar
nicht ein starker Esser gewesen; dass er sich aber auf Delikatessen ausgezeichnet verstand, ent¬
nehmen wir seinen Briefen an König Friedrich Wilhelm I., dem er die ausgesuchtesten Leckerbissen
regelmässig aus Ruppin und Rheinsberg übersandte 1 * 3 4 ). Friedrich selbst äussertc sich mit Bezug auf
seine vortreffliche Küche 4) seinem Geheimen Kämmerer Fredersdorf gegenüber wörtlich folgender-
maassen: »Ich versichere dier, das unser Frass nicht kostbahr, aber nur delikat ist«. Wir geben ab¬
sichtlich diese Stelle in Friedrichs Ausdrucksweise wieder, weil sie einem der wenigen deutsch ge¬
schriebenen Briefe des grossen Königs entstammt 5 ). Den Tafelfreuden hat Friedrich auch später sich
nicht gern entzogen, und selbst hei Revüen und Paraden dauerten die Mahlzeiten zuweilen drei
Stundend). Es hat gewiss Interesse, einige Menus von Friedrichs berühmten Diners mitzutheilen;
man erhält so eine Vorstellung von seinem Geschmack, zumal besondere bevorzugte Gerichte, wie
das hier in der Wiedergabe auch geschehen ist, von ihm mit einem Kreuz versehen wurden.
Menu vom 6. Mai 1784.
1. Soupe ä la faubonne. +
2. Boeuf au pannais.
3. Asperges en cardons etpoulcts grillös et farcis.
4. Tourte Kevenhiller. f
Menu vom 6.
1. Soupe aux choux ä la Fouqu6. +
2. Du boeuf au pannais et carottcs.
3. Des poulcts en cannelon aux concombrcs
farcis au blanc ä Tanglaise (Friedrich setzte
dafür: Des cotelettes dans du papier).
4. De petits patez ä la romainc.
5. Gebratene junge Kolennen.
6. Du saumon h la Dessau.
5. Le vaux.
6. Concombres ä la Pompadour.
7. Des roulades d’anguilles.
8. Crachins ä Panglaisc. Houblon. f ")
August 1786.
7. De filös de volaillc ä la Pompadour avcc
langue de boeufs et croquets.
8. Portugieser Kuchen (Friedrich setzte dafür:
Des gauffres).
9. Grüne Erbsen. +
10. Frische Heringe. +
11. Saure Gurken«).
Beide Menus müssen durch die Fülle schwerer Gerichte im höchsten Maasse auffallen; zumal
das zweite, welches nur zwölf Tage vor dem Tode des Königs angcrichtet wurde. Nach den weiter
unten folgenden Mittheilungen des Leibarztes Hofraths Zimmermann, haben wir allen Grund, an¬
zunehmen, dass Friedrich die besagten Speisen nicht verschmäht hat. Friedrich pflegte, wie wir
aus zeitgenössischen Berichten») ersehen, zu Tisch »eine Boutcille Sekt« zu trinken, und zwar eine
Marke, die Oeil de perdrix hiess. Ausserdem liebte er besondere Ungarwein 10 ) und Bergerac, auch
1 ) Mamlock, Friedrichs des Grossen Beziehungen zur Medicin. Berlin 1902. S.2ff.
2 ) Zi mm ermann, Uebcr Friedrich den Grossen und meine Unterredungen mit ihm. Leipzig
1788. — Schöning, Friedrich II., König von Prcussen. Ueber seine Person und sein Privatleben.
Berlin 1808. — Vehse, Geschichte des preussischen Hofes und Adels. Hamburg 1851. Bd. 4. S. 33
und 35. S. 152. —■ Lavisse, Le grand Fredcric avant l’övönement. Paris 1893. S. 93.
3) Briefe Friedrichs des Grossen an Friedrich Wilhelm 1. Berlin, Posen, Bromberg 1732 bis
1739. (10. Februar 1736.)
4) Vehse, Geschichte des preussischen Hofes und Adels. Hamburg 1851. Bd. 3. S. 195.
5 ) Vehse, l.c. Bd.4. S. 33-35.
ft) Der Bär, Zeitschrift für die Geschichte Berlins Bd. 24. S. 203. Lafayctte an Washington
8. Februar 1786.
“) PreuBS, Friedrich der Grosse, eine Lebensgeschichte. Berlin 1832. 4 Bände.
*) Vehse, l.c. Bd.4. S. 33.
») Schöning, l.c. — Grünhagen, Zeitschrift für preussischc Geschichte und Landeskunde
1875. Bd. 12. S 608.
i°) An Suhm s. oben l.c. eorrespondance. 7.Juli 1739 (P).
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Kleinere Mittheilungen.
359
Moselwein, den er meist mit Wasser vermischt nahm. Rheinwein trank er gamicht, hielt ihn sogar
für schädlich und führte seines Vaters Gicht auf zu starken Rheinweingenuss zurück i).
Ausser für schweren Wein hatte Friedrich eine Vorliebe für starken Kaffee. Der französische
Botschafter am Berliner Hofe, Marquis Valori, bemerkt in seinen Erinnerungen mit Bezug auf
Friedrichs Lebensgcwohnhcitcn: »Son rögime ordinaire ne contribuo pas peu ä onflammer son saug«.
Ein gewiss berechtigter Ausspruch, wenn wir hören, dass Friedrich morgens 7—8 Tassen Kaffee
nahm, denen er zuweilen noch Senf zusetzte* 1 2 3 * ). Gewöhnlich trank er vorher mchrcro Glas Wasser
rein oder mit Fenchel wasser vermischt*).
Die im Vorstehenden mitgetheilte Lebensweise Friedrichs des Grossen kann bei seinen er¬
wähnten Beschwerden eine zweckmässige nicht genannt worden*). Besonders, da er an ihr auch
in kranken Tagen im wesentlichen festhiclt. Zwar kehrt in seinen Briefen immer wieder, dass er
durch «‘rögirae et patience« seine Gicht sowie die Verdauungsstörungen zu beseitigen gedenke 5 6 ),
allein wirklich durchgreifende Aenderungen seiner Lebensweise, sowie etwa systematische Inne-
haltung einer bestimmten Diät scheint er nie unternommen zu haben. Einige kürzere Badereisen
können hier nicht in Betracht kommen ö). Fast die einzige Beschränkung, die sich Friedrich auf¬
erlegte, bestand im Verzicht auf das Abendessen; er theilt dies Voltaire 7 * 9 10 11 ) ausdrücklich mit, und als
der Dichter später einen leichten Schlaganfall erlitt, räth ihm Friedrich, die Abendmahlzeit aufzu¬
geben **). Darauf scheint er grossen Werth gelegt zu haben. Seit dem siebenjährigen Kriege haben
für Friedrich die Soupers aufgehört#). Während des Krieges selbst hat er oft genug, durch die
Verhältnisse gezwungen, sich mit den allereinfachsten Speisen begnügen müssen. An Marschtagen
bestand, wie er der Oberhofincistcrin Gräfin Camas meldet, sein Mittagessen nur aus einer Tasse
Schokolade io). Kurz nach dem siebenjährigen Kriege sah er sich wegen seiner angegriffenen Ge¬
sundheit genöthigt, grösseren Diners fernzubleiben w), und als er sich einst beim Grafen Fouquö zum
Essen ansagt, bittet er nur um »etwas gute Suppe« und »ein Gericht Spinat« u).
Diese Genügsamkeit im Essen machte jedoch im Laufe der Jahre allmählich der Gewohnheit
Platz, in grosser Menge die schwersten und unverdaulichsten Speisen zu gemessen. Schöningi' 2 ) hat
uns gewissenhaft aufgezeichoct, welche Gerichte der König bevorzugte: stark gewürzte französische
und italienische Speisen, Polenten, Kuchen, Pasteten, Mehlspeisen, Käsespeisen, Schinken, Sauerkohl,
Grünkohl u. s. w. Friedrich selbst sagte von sich »und bin ich wie die schwängern Weiber, die un¬
ordentliche Lüste haben« i3). Gegen diese seine Gewohnheiten im Essen namentlich in dem letzten
Drittel seines Lebens waren die Aerzte absolut machtlos. Der Breslauer Arzt Dr. Jagwitz, den
Friedrich der Grosse wegen anhaltender Magen- und Darmverstimmung konsultierte, vcrordnctc u. a
als Getränk für den König dünnen Gerstenschlcim, einfache Bouillon mit feiner Graupe und Ei, und
eine Orgadc aus Perlgraupe. Er gestattete weiter gewürzfreie Schokolade, Wasser rein oder mit etwas
Pontak oder Ungaiwein und geröstetes Brot. Er empfiehlt eine »solide nourriturc«, und bemerkt be¬
sondere: »Bei schlechter Verdauung ist sehr hoher goüt der Speisen schädlich« i**). Hierzu konnte sich
Friedrich jedoch nicht verstehen und liess durch seinen Lcibchirurgcn Schlauch wenige Tage darauf
dem Dr. Jagwitz mittheilen, »er tränke Moselwein und Bcrgerac mit drei Thcilen Wasser« u). Eine
1) An Voltairo 27. Januar 1739.
2 ) Valori, Memoires des nögociations ä la cour du roi de Prasse. Paris 1820 (juin 1740).
3) Schöning, 1. c. S.6.
Waldeyer, Festrede. Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1900.
5 ) An Alembert 11. März 1774 und 17. Mai 1770. — An Voltaire 15. Dezember 1775. —
An Prinz Heinrich 1775. cfr. Preuss, Oeuvres. 4. Ausgabe. — An Prinz August Wilhelm
28. Juli 1776. Geheimes Staatsarchiv, Berlin.
6) Mamlock, 1. c. S. lff.
7) 31. Juli 1767 (P). cfr. auch an Algarotti 1. Oktober 1849 bei Förster 1. c.
«) 4. Dezember 1775. 10. Januar 1776 (P).
9) Schöning, 1. c. — Zimmermann, I. c. S. 166.
10) Lettres inödites de Frödöric II avec monsieur et madamc Camas. Berlin 1802. (I l November
1760.) (2. Juni 1763.)
n) FouquG, Memoires: Berlin 1788. Bd. 2.
12 ) Schöning, 1. c.
13) Burchardt, Friedrichs II. Briefe an Fredersdorf. Leipzig 1834. (14. Dezember 1745,
nach Preuss* 4. Ausgabe der Oeuvres)
11) Graf Lippe, Friedrich der Grosse im Kampfe mit seinem Seelenfutteral Zeitschrift für
preussische Geschichte und Landeskunde Bd. 14.
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360 Kleinere Mittheilungen.
andere Gewohnheit Friedrich’s, nämlich den reichlichen Genuss von Obst versuchte Jagwitz auch
vergeblich zu bekämpfen; Friedrich hatte eine grosseVoriiebe für ausgewählte Fruchte'). Diese pflegten
in grossen Körben auf den Kommoden und Tischen seines Vorzimmers zu stehen. Am meisten scheinen
ihm Kirschen, Feigen, Pfirsiche und Muskatellertrauben zugesagt zu haben d). Von den ihm lieb¬
gewordenen Genüssen war Friedrich nicht abzubringen; er konsultierte die verschiedensten Aerzte,
hoffend, dass sich ihre Verordnungen mit seinen Wünschen vereinigen Hessen. Als der Berliner
Arzt Dr. Muzel mit Erfolg seine Magenbeschwerden behandelt hatte, zog sich Friedrich durch zu
reichlichen Genuss einer Mehlspeise einen Rückfall zu»). Der durch seine gelehrten Schriften be¬
kannte Dr. Möhsen, Friedrich’s Leibarzt im bayrischen Erbfolgekriege, wurde entlassen, weil er
dem König den Genuss von Parmesankäse untersagt hatte 1 * 3 4 * * * 8 * 10 ). Welche Bedeutung für den grossen
König der Küchenzettel hatte, geht vielleicht am besten aus einer Ode hervor, die er an seinen
Koch Noel richtete, als dieser für ihn ein neues Gericht »Bombe ä la Sardanapale« hcrgcstellt hatte,
ln dem langen Gedicht heisst es u. a.:
»Was für Filets Dein Denken schon erfand,
Was für Pasteten formte Deine Hand,
Was für Hachis und Farcen zum Entzücken,
Die unserm Gaumen, recht ein Wonneschmaus,
Ihn kitzelnd fein, behagten überaus« 0 ).
Diesen Koch Noel rühmt Friedrich* wiederholt seinen Freunden gegenüber, namentlich scheinen
seine Pörigord-Trüffeln des Königs Beifall gehabt zu haben»). Während des siebenjährigen Krieges
Hess er ihn sich nach Balkenhayn nachkommen, um auf die gewohnten Genüsse nicht verzichten zu
müssen7). Die grosse Rolle, die Noel spielte, war für Friedrichs Aerzte ein Gegenstand steter Sorge»).
In besonderem Maasse war das nun in des Königs letzter Krankheit der Fall. Obwohl immer
wiederkehrendes Erbrechen und schwere Verdauungsstörungen bei Friedrich vorhanden waren, hören
wir von Zimmermann , der ihn in den letzten Lebenswochen behandelte, dass der König bei seinen
Mahlzeiten gerade die schwersten Speisen bevorzugte. Er pflegte zur Suppe einen grossen Ess¬
löffel voll von gestossenen Muskatblüthen und Ingwer zu nehmen; ferner Rindfleisch in Branntwein
gekocht, in Butter gebackenen türkischen Weizen mit Parmesankäse und Knoblauchssaft, und
schliesslich ass er noch Aalpastete, »die so heiss und würzhaft war, als ob sie in der Hölle gebacken
schien«»). Wir hören weiter, dass der König gelegentlich morgens schon die verschiedensten,
seinem geschwächten Magen wenig zuträglichen Dinge ass: ausser Kaffee und kaltem Fleisch nahm
er Erdbeeren, Kirschen, sogenannte Diablotins — ein Schokoladckonfckt —, sowie Meringues, ein
aus Zucker, Eiweiss und Rahm bestehendes Gebäck»).
Dass Friedrich noch in seinen letzten Lebenstagen sich so wenig schonte, ist offenbar auch
weiteren Kreisen nicht unbekannt geblieben. Vier Wochen vor dem Tode des grossen Königs, schreibt
Mirabeau, der damals in Berlin war, an den Abbö Pörigord mit Bezug auf Friedrichs Gewohnheit
im Essen: »II ötait incorrigible sur rinsobriötö«»). Diese Worte entbehren insofern einer gewissen
Tragik nicht, als Friedrich selbst viele Jahre früher dem todkranken Mampertuis schreibt: »Avec
la sobriötö vou8 rötablirez« 10 ).
Bei Friedrich wäre allerdings damals kaum mehr etwas zu ändern gewesen, selbst bei der
vorsichtigsten Lebensführung. Trotz aller Missgriffe im Essen und der daraus sich ergebenden
mannigfachen heftigen Beschwerden hat er sich doch bis zum letzten Augenblick mit eiserner
Willenskraft aufrecht erhalten.
1 ) Zimmermann, 1. c. S. 166 und 167.
*) An Alembert 12. August 1781 (P).
3) Graf Lippe, 1. c. s. Schlauch’s Bericht Dezember 1767 oder 1768.
4 ) Preuss, 1. c. Bd. 4. S. 234.
ß) Vulpinus, Fridcricus redivivus. Berlin 1886. Ode an Noel 1772.
») Fouquö, 1. c. 19 und 20. Oktober 1764.
?) An Marquis d’Argens 4. April 1759.
8) Zimmermann, 1. c. S. 113 und 29. S. 72. S. 101.
ö) Welschingcr, La mission secröte de Mirabeau ä Berlin 1786 -1787. Paris 1900. Brief
vom 12. August 1786.
10 ) Koscr, 1.c. Brief an Maupcrtuis 12. April 1752.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
361
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
E. Biernacki, Beobachtungen über die Gly¬
kolyse in pathologischen Zuständen, ins¬
besondere bei Diabetes nnd funktionellen
Neurosen. Zeitschr. f. klm. Medicin No. 41.
S. 332.
In pathologischen Zustanden zeigt die glyko-
lytische Kraft des Blutes nur geringe Unterschiede
gegenüber der Norm. Doch giebt es Ausnahmen.
Zu diesen gehört der Diabetes mellitus, bei welchem
Biernacki ausserordentlich niedrige Werthe fand.
Es hangt aber der Grad der Glykolyse von der
Konzentration der angewandten Zuckerlosungen
ab. In 2% Losungen wurde vom diabetischen
Blut absolut und relativ mehr Zucker zersetzt als
in 0,5%igen. Bei Neurosen pflegt entgegen dem
gewöhnlichen Verhalten das defibrinierto Blut
starker zu oxydieren als das nicht defibrinierte.
F. Voit (München).
H. Sachs, Ueber das Verhalten der Glykogen-
bildnng ausserhalb der Leber nach Lftriilose-
zufuhr. Zeitschr. f. klin. Medicin No. 41. S. 434.
Sach8 konnte durch Versuche an Fröschen
zeigen, dass bei diesen nur die Leber die Fähig¬
keit besitzt, aus Lävulosc Glykogen zu bilden,
die Muskeln und-sonstige Glykogendepots da¬
gegen nicht F. Voit (Münchenj.
O. Cohnheini, Die Undurchlässigkeit der
Wand der Harnblase. Zeitschrift für Biologie
Bd. 41. Heft 3.
Die entgegengesetzten Ansichten früherer
Autoren über dies Thema erklären sich nach
Cohnheims Versuchen dadurch, dass die in¬
takte Blasenschlcimhaut absolut 'undurchgängig
ist, dass sie aber durch ätzende Substanzen und
sogar schon durch hohen Diffusionsdruck an sich
indifferenter Körper (Dextrose schon in 10°/ 0
Lösung) wesentlich geschädigt wird und
nun dem gegenseitigen Austausch des Blasen¬
inhalts und des vorbeifliessenden Blutes an ge¬
lösten Stoffen kein Hindemiss mehr setzt Trotz¬
dem theoretisch die Wandung absolut undurch-
Zeltsehr. f. dfHt. n. phyalk. Therapie Pd. VI. Heft 6.
lässig ist, können in praxi doch viele Gifte eben
wegen der leichten Schädigung der Epithel Schicht
von der Blase aus resorbiert werden.
D. Gerhardt (Strassburg).
G. v. Bunge, Ueber ein Kochsalzsnrrogat
der Negerstämme im Sudan. Zeitschrift für
Biologie Bd. 41. Heft 4.
Verfasser konnte durch eigene Analyse die
Angabe der Afrikareisenden prüfen, dass gewisse
Negerstämrae, die sich kein Kochsalz verschaffen
können, die Asche gewisser auffallend natron¬
reicher Pflanzen statt des Salzes ihren Speisen
zufügen.
Bei der Untersuchung solcher Aschenproben
fand v. Bunge thatsächlich sehr hohe Natron-
werthe (fast 20%); während bei den natron¬
reichsten der europäischen Pflanzen auf 1 Th eil
Kali V 2 Theil Natron treffen, ist in jenen von
den Negerstämmen instinktiv gefundenen Ge¬
wächsen (Salsolacccnarten) dieses Verhältniss 1:6.
D. Gerhardt (Strassburg).
P. B i el f el d, Zur Frage über die amylolytische
Wirkung des Speichels. Zeitschrift für
Biologie Bd. 4L Heft 3.
Verfasser folgert aus seinen Versuchen, dass
die Menge des Ptyalins ohne Einfluss sei auf
die Menge des entstehenden Zuckers, dass letztere
auch nicht von der relativen, nur von der ab¬
soluten Quantität des Amylums abhängc.
D. Gerhardt (Strassburg).
H. Moreigne, Ueber die Wirkung der Ab¬
führmittel auf die Eruährnng. Archiv de
mödecine experimentale et d’anatomic patho-
logiquc 1900. Bd. 12. No. 4.
Verfasser machte an sich selbst Unter
suchungen über die Wirkung der Abführmittel,
er beschäftigte sich besonders mit Aloe und
Podophyllin. Nachdem er sich in Ernährungs¬
gleichgewicht gebracht hatte, nahm er Aloe 0,25,
Podophyllin 0,02 ein; er untersuchte die
248tündigen Urinausscheidungen am Tage vor
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362
Referate Über Bücher und Aufsätze.
der Einnahme des Abführmittels und an diesem
Tage selbst Er folgert aus den quantitativen
Bestimmungen des stickstoffhaltigen und der
stickstofffreien Substanzen, dass durch das Ab¬
führmittel eine Steigerung des gesammten Stoff¬
wechsels und eine vermehrte Oxydation hervor¬
gebracht würde. Gesammtstickstoff, Harnstoff,
Gesammtschwefel, Phosphorsäurc u. s. w. erfuhren
eine Zunahme im Ham des Einnahmetages. Ver¬
fasser stellt weitere Untersuchungen in Aussicht,
mit denen er eine wissenschaftliche Erklärung
der zahlreichen therapeutischen Verwendungs¬
arten der Abführmittel zu geben hofft.
W. Zinn (Berlin).
C. Tittel, Versuche über die Verwendbarkeit
des Fleischsaftes Puro. Allgemeine medi-
cinische Centralzeitung 1900. No. 39.
Die Versuche hat der Verfasser angestellt
an der Abtheilung des Professors Frühwald
für Kinderkrankheiten in Wien. Mit dem Präparat
Puro wurde fast ausnahmslos zunächst eine rasche
und bedeutende Verbesserung des Appetites er¬
zielt, womit natürlich Hand in Hand bei herunter¬
gekommenen und anämischen Kindern auch eine
direkte günstige Einflussnahme auf die Blutbildung
möglich war. Ausser dieser stimulierenden
Wirkung auf die Verdauungsorgane besitzt das
Präparat vor anderen Erzeugnissen ähnlicher Art
noch den Vorzug, dass es zufolge seiner 20%
Eiweiss einen beachtenswerthen Nährwerth in
sich birgt Dadurch und durch die neuerliche
Steigerung des sinkenden Appetits wird dieser
Fleischsaft auch in Fällen angewendet werden
können, wo durch die fortgesetzte Darreichung
hochwerthiger Eiweisspräparate dem Kranken die
Nahrungsaufnahme fade und eklig zu werden
beginnt. Das Präparat hält sich infolge seiner
hohen Konzentration sehr lange selbst im offenen
Glase. Der gute Geschmack kommt seiner Ver¬
wendung in der Kinderpraxis und der Möglich¬
keit seiner verschiedenen Darreichung sehr zu
statten. Mit mehreren Krankengeschichten belegt
der Verfasser seine Ausführungen.
W. Zinn (Berlin).
C. Gerhardt, Ueber Entfettungskuren.
Therapie der Gegenwart 1902. Juni.
Die Ausnutzung der Nahrungsmittel wird
durch Einnahme von borsaurem Natrium ge¬
schädigt. Von dieser Beobachtung ausgehend
prüfte nun Gerhardt den Einfluss des Natrium
biboraeicum auf Fettsüchtige. Bei drei Versuchs¬
personen wurde nach entsprechender Regelung
der Diät und nach rochrmonatlichcm Borax¬
gebrauch eine Abnahme des Körpergewichtes
von 3 — 13 Pfund erzielt Von besonderem
Interesse ist der erste Fall, bei welchem nach
34tägigem Boraxgebrauch die Herzbeschwerden
sich besserten, und das Körpergewicht um
8 Pfund sank, trotzdem die tägliche Nahrungs¬
aufnahme (vorzugsweise Stickstoffdiät) ungefähr
2900 Kalorieen entsprach. Unter dem Einflüsse
des Borax scheint namentlich die Ausnutzung der
Fette herabgesetzt zu werden. Am zweck-
mässigsten reicht man das Mittel dreimal täglich
0,5 g. Grössere Dosen werden schlecht vertragen.
Paul Lazarus (Berlin).
M. Crem er, Ueber die Verwerthung der
Rliamnose im thierischcn Organismus und
einige damit zusammenhängende Fragen der
Physiologie der Kohlehydrate. Zeitschrift
für Biologie Bd. 42.
Crem er verfütterte einem Hund und vier
Kaninchen grössere Mengen Rhamnose und fand
regelmässig, dass nur ein kleiner Theil dieses
Zuckers unverändert im Harn ausgeschieden wird;
die Hauptmenge verschwindet im Organismus,
wird also offenbar verbrannt. Aus der Unter¬
suchung der Athemluft und des Urins zeigt
Crem er nun, dass Eiweisszersetzung und Gc-
sammtkaloriecnproduktion an den Rhamnosetagen
keine wesentlichen Aenderungen aufweisen, dass
dagegen die Fettzersetzung ganz entsprechend
den aus der Rhamnose gelieferten Kalorieen ein¬
geschränkt wird.
Die bisher über das Verhalten der Pen tosen
ira Thierkörper veröffentlichten Untersuchungen
sprechen, wie Crem er darlegt, durchweg in
demselben Sinne, und Crem er bestreitet speziell
die Berechtigung einer von v. Jaksch auf Grund
eigener Versuche erhobenen Behauptung, dass
die Pentosen vom Diabetiker nicht verwerthet
werden.
Im Anschluss an die mitgetheilten Versuche
erörtert der Verfasser die Frage, ob die Pentosen
Glykogenbildner seien; er hält die in einer
früheren Arbeit begründete Ansicht, dass aus
Pentosen kein Glykogen gebildet werden könne,
aufrecht, lässt aber zu, dass sie die Glykogcn-
bildung aus Eiweiss begünstigen können. Die
Lehre, dass im Thierkörper aus Eiweiss Kohle¬
hydrat gebildet werde (nicht nur durch Ab¬
spaltung vorgebildeter Kohlchydratkoraplexe aus
dem Eiweissmolekül),vertheidigt er lebhaft gegen
Zweifel, die besonders von der Pf lüge r'sehen
Schule erhoben wurden.
D. Gerhardt (Strassburg).
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Referate über Bücher und Aufsätze.
363
Strasser, Zur Frage der Milchkuren bei
Diabetes« Blätter f. klin. Hydrotherapie 1901.
No. 2.
Strasser veröffentlicht in der vorliegenden
kurzen Mittheilung einen Fall von Diabetes, in
dem er die von Winternitz und ihm empfohlene
Milchkur (Blätter f. klin. Hydrotherapie 1899.
No. 10) angewandt hatte. Da es sich um einen
jugendlichen Patienten handelte, der auf Ent¬
ziehung der Kohlehydrate mit Steigerung der
Zuckerausscheidung (bis 7,9%) und Aeetonurie
reagierte, so war der Fall als bösartig aufzufassen.
Es wurde eine dreitägige absolute Milchdiät
angeordnet. Der Patient trat mit 4,6% in die
Milchkur ein und war nach 3 Tagen zucker¬
frei; ca. 8 Monato nachher ist er noch
zuckerfrei gewesen. Mit der Milchkur war
eine leichte Wasserkur verbunden, feiner zwei¬
mal am Tage 100 g Karlsbader Mühlbrunnen.
(Wasserkur und Karlsbader Kur allein, ohne
Milchdiät, hatten, wie vorhergegangene Versuche
lehrten, keine Wirkung gehabt.) Nach der drei¬
tägigen Milchkur wurde erst eine Fleischmahi-
zeit täglich eingeschoben, und vom achten Tage
an wurde folgende Diätordnung cingchalten:
morgens Theo ohne Zucker, 2 Eier, etwas Schinken;
mittags eine Suppe, 2 Fleischspeisen, grünes Ge¬
müse und Käse; nachmittags % 1 Milch; abends
kaltes Fleisch, Oelfische und Käse; auf den ganzen
Tag vertheilt ein Stück Grahambrot im Ge¬
wichte von 200g. Ich vermisse eine Angabe
über die Milchmengen, die in den Tagen der
absoluten Milchdiät gegeben wurden.
Da seit der Veröffentlichung der Methode
erst eine einzige Arbeit erschienen ist, die sich
mit dem Thema beschäftigt (Berger, Ueber den
Einfluss reiner Milchdiät bei Diabetes mellitus
Wiener klin. Rundschau 1900. No. 31), so wären
weitere Nachprüfungen sehr wünschenswerth.
Ucbrigens hat bereits 1898 Hoffmann in
Leyden’s Handbuch der Emährungstherapie
(Bd. 1. S. 683) eine kurze Bemerkung über die
Anwendbarkeit der reinen Milchdiät bei Diabetes
gemacht Gotthclf Marcusc (Breslau).
P.Cohnheim, Die Heilwirknng grosser Dosen
von Olivenöl bei organischen and spastischen
Pylorns- und Dnodeualstenosen und deren
Folgezustfiuden (Gastrektasie). Therapie der
Gegenwart 1902. Heft 2.
Der Verfasser erzielte in elf Fällen, bei denen
es sich um die obengenannten Leiden handelte,
durch Gaben von grossen Dosen von Olivenöl
(100—250 g täglich) sehr gute, zum Theil über¬
raschende Erfolge, auch da, wo alle sonstigen
therapeutischen Maassnahmen versagt hatten. Er
erklärt sich die günstige Wirkung des Olivenöls
in Fällen von spastischer Pylorusstenose (infolge
von Ulkus oder Fissur am Magenausgang) durch
die kr ampf stil len de Eigenschaft dieses Mittels,
die ja auch schon bei reflektorischem Oesophago-
spasmus und bei Gallensteinkoliken vielfach er¬
probt ist; die Erleichterung der Beschwerden, die
der Verfasser auch bei organischer (narbiger)
Pylorusstenose durch grosse Gaben von Olivenöl
erzielte, führt er auf Verminderung des Reibungs¬
widerstandes durch das Oel zurück.
In Anbetracht der guten Erfolge dieser Therapie
räth der Verfasser, in allen Fällen von Pylorus¬
stenose, wo als ultimum refugium ein operativer
Eingriff in Erwägung gezogen wird, vorher noch
einen Versuch mit Oelbehandlung zu machen.
Dieselbe hat insofern auch eine differential¬
diagnostische Bedeutung, als sie bei rein
hysterischen Magenleiden versagt.
A. Laqueur (Berlin).
B. Gymnastik.
Reichard, Funktionsherstellung durch
Sehnenverpfianzung« Berliner klinische
Wochenschrift 1902. No. 7.
In scharfen Umrissen skizziert Verfasser die
Technik, die Indikationen und Heilerfolge der
Tenoplastik bei der spinalen und cerebralen
Kinderlähmung, bei der Little’sehen Krankheit
und dem kongenitalen Klumpfuss, sowie der
reci di vierenden Flexionskontraktur des Knie¬
gelenks. Aus der grossen Reihe der vom Ver¬
fasser mit Erfolg ausgeführten Sehnon¬
verpflanzungen verdient ein Fall von infantiler
posthemiplegischer Lähmung der Daumenbeuger
hervorgehoben zu werden; durch Einpflanzung
der Sehne des Extensor pollicis longus in die
Beugesehne wurde ein vortreffliches funktionelles
Resultat erzielt. Paul Lazarus (Berlin).
A. B« J udson, Ueber Stützapparate bei Rück-
gratsverkrümmung. Hoffa’s Zeitschrift für
orthopädische Chirurgie 1902. Bd. 10. Heft 1.
Verfasser demonstriert an einem Gummi¬
modell der Wirbelsäule die bereits von
Harrison, Albert u.a. am Skelett erwiesene
Thatsache, dass die skoliotische Wirbelsäule
nebst der seitlichen Beugung noch eine
Rotationsbewegung beschreibt. Die Anwendung
des seitlichen Druckes auf den Rippenbuckel
muss nun nach des Autors Anschauung die
Rotation der Wirbelsäule vermehren. Nur durch
direkten Druck auf die skoliotischen Wirbelkörper
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364
Referate über Bücher und Aufsatze.
könnte man die Scitcnkrümmung sammt der
Rotation korrigieren, eine bisher unausführbare
Aufgabe. Paul Lazarus (Berlin).
Rost’s Vibrationsapparat für Heilgymnastik«
Der Apparat wiegt 500 g, so dass er vom
Arzte in der ambulanten Praxis mitgeführt werden
kann. Er wird wie eine Scheere gehandhabt. Er
dürfte aber kaum weitere Verbreitung und An¬
wendung finden. Linow (Dresden).
L. La quer, Bemerkungen zur physikalischen
und suggestiven Behandlung der nach Un¬
fällen anftreteuden Neurosen« Therapie der
Gegenwart 1902. Juni.
Die Behandlung der traumatischen Neurose
stellt an die Erfahrung und Diplomatie des Arztes
die höchsten Anforderungen. Mit Nachdruck tritt
La quer in seinem sehr lesenswerthen Aufsatze
für eine unmittelbar nach dem Unfall einsetzende
physikalische und psychisch - suggestive Be¬
handlung ein. Rühmenswerth ist die humane
Auffassung des Autors: Der elektrische Apparat
ist keine Daumenschraube zur Erpressung von
Geständnissen. Aus diesem Grunde verbannt
Laquer den faradischen Pinsel. Am zwcck-
mässigsten erweisen sich milde hydro¬
therapeutische und gymnastische Prozeduren,
schwache Faradisation der Schmerzpunkte oder
parctischer Muskeln, zarte Galvanisation des
Kopfes, des Sympathikus und des Rücken¬
markes, elektrische Theil- und Vollbäder und
dergleichen. Mit Entschiedenheit tritt Laquer
für die Einweisung von Unfallverletzten in be¬
sondere Unfällnervenklinikcn ein und verweist auf
die Erfolge einer derartigen unter Wind scheid^
Leitung in Stötteritz stehenden Anstalt, in welcher
physikalisch-thcrapcutischeUebungen mit Arbeiten
iu eigenen Tischler-, Schlosser- und Lackierer¬
werkstätten verbunden werden.
Paul Lazarus (Berlin).
C. Hydro-, Balneo- und Kliniato-
therapie.
L. L o e w e n t li a I, Ueber Wärme als Heilmittel.
Monatsblatt für öffentliche Gesundheitspflege
1902. No. 7.
In übersichtlicher, prägnanter Weise schildert
Locwenthal die verschiedenen therapeutischen
Anwendungsformen derfeuchten und dertrockenen
Wärme, und deren physiologische Wirkung. Als
besonders bemerkenswerth sei erwähnt, dass auch
L o ew e n th a 1 gefunden hat, dass die Wänne-
vcrtheilung iu den lokalen Heissluftkästen
eine sehr ungleichmässige ist, und dass speziell
die Temperatur der die Haut des behandelten
Gliedes umgebenden Luft nicht über 48—50 ü C
steigt, auch wenn die Temperatur oben im Heiss-
luftkästen 150° beträgt.
A. Laqucur (Berlin).
S. Munter, Die Hydrotherapie der Lungen¬
tuberkulose« Berliner klinische Wochenschrift
1902. No. 10.
Für die hydrotherapeutische Behandlung am
meisten geeignet ist nach Munter das Stadium
der Lungentuberkulose, in dem noch keine Misch-
infektion eiugetreten, und wo es zur eigent¬
lichen Phthisis pulmonum noch nicht gekommen
ist. Die Hauptaufgaben der hydriatischen Therapie
sind hier Hebung des Allgemeinbefindens,
der Ernährung, des Appetits u. s.w., und andrer¬
seits Abhärtung gegen Erkältungen, welche zu
der so gefürchteten Mischinfektion führen könnten.
Jenen beiden Indikationen genügen kurzeKältc-
reize, sei es nun in Form der die Gefässe mehr
schonenden kalten Theil- oder Ganzwaschungen
(10 — 20 0 C), Begiessungen oder Halbbäder,
oder der mehr übenden Abreibungen, Brausen etc.;
speziell zur Abhärtung empfiehlt der Verfasser
die Wechsel warmen Brausen. Im übrigen lassen
sich aber bestimmte allgemein gütige Rezepte, wie
überhaupt in der Hydrotherapie, so auch hier nicht
geben. Die Hauptsache bleibt bei allen bei Lungen¬
tuberkulose in Frage kommenden Kälteprozeduren,
dass dabei eine W ä r ui e n t z i e li u n g durch vorher¬
gehende Anwärmung (im Bett, in einer feuchten
Packung, im Licht- oder Heissluftbad) v c r m i e d e n,
und stets für eine gute Gefässreaktion (durch
ebendiese Vorwärmung und eventuell nach¬
folgenden mechanischem Reiz, Bewegungen etc.^
gesorgt wird. Unter diesen Kautelen lässt sich
die hydrotherapeutische Behandlung der reinen
Tuberkulose in allen Fällen durchführen: nicht
überflüssig erscheint es, dass Munter auch hier
wieder dem noch vielfach verbreiteten Irrthum
entgegentritt, dass die Anwendung von lau¬
warmen Prozeduren für den Patienten schonender
sei als kurz.e Kälteanwendungen mit Sorge für
gute Reaktion.
Zur lokalen hydriatischen Behandlung der
Lungentuberkulose dienen die Lungenpackungen
(Kreuzbinden). Sie bewirken nicht nur eine
Besserung der Cirkulationsverhältnisse in den
Lungen, Erleichterung der Expektoration und
Verminderung des Hustenreizes, sondern wirken
durch Verlangsamung der Pulsfrequenz und Er¬
höhung des Blutdruckes auch auf das ganze
Cirkulationssysteiu des Kranken günstig.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
365
Im Stadium der vorgeschrittenen
Tuberkulose will Munter alle eingreifenderen
Prozeduren vermieden wissen; doch rühmt er
die günstige Wirkung von partiellen kühlen
Abwaschungen bei Phthisis pulmonum, da¬
neben kann man auch hier noch die Kreuzbinden
mit gutem Erfolge anwenden. Zur Bekämpfung
des Fiebers können milde Prozeduren (Theil-
waschungen, Abreibungen, Abklatschungen) ver¬
wandt werden; eine eingreifende antipyretische
Wasserbehandlung ist hier selbstverständlich
kontraindiziert. A. Laqueur (Berlin).
Determann, Das Höhenklima im Winter und
seine Verwendbarkeit für Kranke. Sammlung
klinischer Vorträge 1901. No. 308.
Während eine Reihe von Höhen orten in den
Schweizer Alpen werthvolle und vielbesuchte
Winterstationen darstellen, haben sich Winter¬
kuren in den Kurorten der deutschen Mittel¬
gebirge noch nicht einbürgern können. Auch
liegt für sie kein genügend zusammcngestelltes
und gesichtetes meteorologisches Material vor,
auf Grund dessen genügeud sichere Indikationen
aufgestellt werden könnten. Determann hat
deshalb die meteorologischen Daten der letzten
zehn Jahre für eine Reihe von Höhenstationen
der Alpen, des Schwarzwaldes, desRicscngcbirgcs,
Thüringer Waldes und Harzes gesammelt uud
giebt in vorliegender Arbeit zunächst eine
klimatologische Beschreibung der verschiedenen
Gebirge und ihrer Stationen. Er bespricht das
Verhalten des Luftdruckes, der Sonnenstrahlung,
des Ganges der Temperatur mit tabellarischer
Angabe der Monatsmittel, der Temperaturraaxima,
der Tcmperaturschwankungen; der Luftfeuchtig¬
keit, die ja besonders bei der Auswahl eines
Kurortes gewürdigt werden muss, da der Umfang
der Bewölkung und der Niederschläge mit ihr
verknüpft sind; der Sonnenscheinhäufigkeit und
Dauer.
Es folgen Betrachtungen über die An¬
forderungen, die an das Winterhöhenklima aus
ärztlichen Gesichtspunkten gestellt werden müssen^
reine, staubfreie Luft, Exposition nach Süden,
Windschutz und lange Besonnungsdauer, geringer
Feuchtigkeitsgehalt, lange Dauer der Schneedecke.
— Gegenüber den Alpen haben die Stationen der
Vogesen, des Riesengebirges, des Schwarzwaldes
keine so hohe Gleichmässigheit und Schönheit
des Winterwetters, die Schneedecke ist keine so
sichere und langanhaltende. — Nach einer kurzen
Besprechung der Wirkungen des Höhenklimas
.auf Gesunde und Kranke folgt eine Angabe der
Indikationen für seine Benutzung. Neben der
Tuberkulose führt Verfasser die nervösen Herz¬
erkrankungen auf (während Arteriosklerose und
Herzmuskelerkrankungen, inkompensierte Herz¬
fehler ausgeschlossen sind), Neurasthenie,
chronische Verdauungsstörungen, Anämie und
Chlorose, Neigung zu Erkältungen.
Endlich giebt Determann Aufschluss über
die Art des Winterlebens in den einzelnen Kur¬
orten und schliesst mit einer Beschreibung der
bekannten, schon jetzt mehr oder minder be¬
nutzten Orte der Schweiz und der deutschen
Mittelgebirge.
Diese letzteren Ausfährungcn, nicht weniger
aber auch das beigebrachte statistische Material
machen die Arbeit Determann’s werthvoll zur
Orientierung für den Praktiker, der die Heil¬
faktoren des Winterhöhenklimas sich zu Nutze
machen will. A. Locwy (Berlin).
D. Elektrotherapie.
S. Bang, Der gegenwärtige Stand der
biologischen Lichtforschnng und der Licht¬
therapie. Berliner klinische Wochenschrift
1901. No. 49 und Monatshefte für praktische
Dermatologie Bd. 34. No 8.
Die photobiologischen Untersuchungen haben
bisher gelehrt, dass die brechbarsten Strahlen
(violett und ultraviolett) eine spezifische Haut¬
entzündung hervorrufen, incitierend auf den
Organismus, wohl hauptsächlich durch reflek¬
torische Vorgänge, wirken, und eine starke
bakterientötende Wirkung haben. Die Licht¬
therapie lässt sich in positive und negative
theilen. Die negative geht darauf aus, alles
Licht, oder doch den chemisch wirksamen Theil,
von dem Patienten abzuhalten und hat sich gegen
lokale Hautleiden (Variola) bewährt. Die positive
Lichttherapie verwendet theils das Licht für All-
gcmeinbehandlung, theils lokalen Leiden gegen¬
über, und zwar hauptsächlich gegen Hautleiden.
Die Allgeraeinbehandlung verwendet theils
Sonnenlicht, theils elektrisches Bogenlicht oder
Glühlichtbäder, jedoch ist ihr Werth noch nicht
festgestellt. Der einzige Zweig der positiven
Lichttherapie, der sowohl wissenschaftlich wie
praktisch wohl begründet erscheint, ist die lokale
Lichttherapie, so wie sie von Finsen ausgebildet
ist und besonders bei Lupus vulgaris, Alopecia
arcata, Acne vulgaris, Naevus vascularis u. s.w.
mit grossem Erfolg angewandt wurde. Leider
sind die jetzigen Apparate noch recht theucr;
doch wird die Lichttherapie sicher eine grosse
Zukunft haben, zumal die Technik stets bestrebt
sein wird, billigere gleichwerthigc Apparate zu
schaffen. Auch der Verfasser hat einen neuen
Original fro-m
UNIVERSITf OF MICHIGAN
Referate über Bücher und Aufsätze.
366
Apparat konstruiert, der schnell und billig gute
Resultate erzielt. Für die lokale Hautbehandlung
benutzt er eine ganz kleine Lampe, die er näher
beschreibt. Forchheimer (Würzburg).
C. Brautlecht, lieber den Nachweis an¬
organischer Gifte, speziell des Arsens
mittels Röntgenstrahlen. Fortschritte auf
dem Gebiete der Röntgenstrahlen Bd. 4. Heft 6.
S. 253.
Von der Thatsache ausgehend, dass das
Areen ein viel höheres Atom- wie auch spezi¬
fisches Gewicht hat als die Hauptkörperbestand-
theilo sie besitzen, stellte Verfasser eine Reihe
röntgographischor Versuche an Thiercn von kleiner
Grösse sowie an der menschlichen Leiche an, die
für die ereteren das Ergebniss lieferten, dass auch
von Mengen bis zu 1 cg bezw. 1 mg der areenigen
Säure herunter ein deutliches Bild der einver-
leibten Sustanz erhalten werden könnte, während
erst die cxcidierten Eingeweide der Leiche die
Areenikablagerungen erkennen Hessen, indessen
mit schärfster Lokalisation. Da ferner nach
den Gerichtsannalen der überaus empfindliche
chemische Nachweis des Arsens zuweilen infolge
unreiner Reagenticn fälschlicherweise als positiv
angeführt worden ist, wird darauf aufmerksam
gemacht, dass das Röntgen verfahren es einem an
die Hand giebt, dem Richter ein Bild der Ein¬
lagerungen der sonst chemisch nachzuweisenden
Substanz vorzuführen. Cowl (Berlin).
Carl Beck, On a case of sarcoma treated bj
the Röntgen-Rays. New-York medical journal
1901. IG. November.
Beck beschreibt einen interessanten Fall
theilweiser Rückbildung von Melanosarcomata
infolge Röntgenbestrahlung, die am Unterschenkel
und Malleolus ext. zur dauernden Vernarbung
gebracht, dagegen in der Inguinalbeuge nicht
mehr wesentlich beeinflusst werden konnten. Die
Primärgeschwulst entstand in einem Muttermal
(mole, Ref.) am Fussgelenk etwa ein Jahr vor
dem Schluss des Berichts, wuchs zuletzt nebst
infizierten Inguinaldrüsen äusserst schnell an und
wurde wie diese zweimal innerhalb sechs Wochen
excidiort. Um die Strahlen besser wirken
lassen zu können, wurden letztere ein drittes
Mal excidiert, jedoch ohne Erfolg, während viele
kleine Metastasen am Unterschenkel wie auch
das krankhafte Gewebe am Situs primär, ver-
hältnissmässig rasch ausheilten.
Cowl (Berlin).
Rieder, Nochmals die bakterientötende Wir¬
kung der Röntgenstrahlen. Münchener me-
dicinische Wochenschrift 1902. No. 10.
Rieder hatte bereits im Jahre 1898 die Er¬
gebnisse von Versuchen über die bakterientötende
Wirkung der Röntgenstrahlen veröffentlicht. Er
war damals zu dem Resultat gekommen, dass die
Röntgenstrahlcn die Bakterien in ihrer Entwick¬
lung hemmen. Zur Bekräftigung dieser Behaup¬
tung wurden neuerdings von ihm Versuche an¬
gestellt mit genau demselben Ergebniss. Da alle
Faktoren, die, abgesehen von den Röntgenstrahlen
selbst, noch als event. wirksam in Betracht kamen,
wie das Fluorescenzlicht der Röhre, Wärme, Ozon¬
bildung, elektrische Wirkungen, eine etwaige Ver¬
änderung des Nährbodens, durch geeignete Ver¬
suchsanordnung entweder ausgeschaltet oder als
unwirksam nachgewiesen wurden, so sprechen
die Versuche für eine spezifisch-baktericide
Wirkung der Röntgenstrahlen. Die Ab¬
tötung bereits voll entwickelter Kolonieeu gelang
indessen nicht; nur bei in der Entwickelung be¬
griffenen Kulturen war eine Wirkung der Rönt¬
genstrahlen ersichtlich.
Die Frage, ob das Resultat der Versuche
eine praktische Anwendung zur Bestrahlung in-
ficierter Thiere und Menschen gestatte, wird vom
Verfasser, ebenso wie früher, verneint.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
S. Jellinek, Animalische Effekte der
Elektrizität. Vortrag in der k. k. Gesellschaft
der Aerzte in Wien vom 14. März 1902. Wiener
klinische Wochenschrift 1902. No. 16 und 17.
Verfasser versteht unter animalischen
Effekten der Elektrizität Arbeitsleistungen, welche
die Elektrizität durch Nah- oder Fernwirkungen
am menschlichen oder thierischen Körper hervor¬
ruft, ohne Präjudiz über (Jas Wesen dieser
Wirkungen. Sein Bericht enthält zahlreiche
Citate der einschlägigen Litteratur. Inbetreff
der Frage nach der Grösse des Widerstandes
des lebenden Gewebes bringt Verfasser eine
# grosse Menge Daten aus fremden und eigenen
Beobachtungen, um zu zeigen, von wie vielen
Faktoren die Widerstandsziffer thierischer Gewebe
und des menschlichen Körpere abhängig ist. Daran
anschliessend wird die Frage besprochen, welchen
Weg der Strom im menschlichen Körper nimmt,
und ob und wie die elektrische Energieform im
lebenden Gewebe in andere Energieformen umge¬
wandelt wird. Insbesondere derBildung der Jo ule¬
schen Wärme wendet der Verfasser seine Aufmerk¬
samkeit zu. Zur näheren Erläuterung werden eine
Reihe von Beobachtungen bei Unglücksfällen durch
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Original fro-rn
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Referate über Bücher und Aufsätze.
Starkstrom und Blitzschlag, sowie bei einer nord¬
amerikanischen Hinrichtung mitgetheilt und be¬
sprochen. Eine wesentliche Ergänzung erfahren
diese mehr oder minder zufälligen Beobachtungen
durch eine Reihe von Thierexperimenten, welche
u. a. auch eine ausserordentlich verschiedene
Toleranz der einzelnen Thierarten für den
elektrischen Strom ergaben.
Besonders dankenswcrth sind die Abbildungen
von Nerven- und RückcnmarkBpräparaten, welche
die zerstörende Wirkung von Starkströmen nach
des Verfassers eigenen Beobachtungen zeigen.
F. Frankenhäuser (Berlin).
E. Serum- und Organotherapie.
C. H. Cattle, Remark« on the relation of
human and bovino tnbercnlosis. British
medical joumal No. 2147.
Auf Grund umfangreicher Studien und
statistischer Untersuchungen von S. Martin, Sir
Thorne, Mac Fadyean, Still, Shennan,
Carr kommt Cattle zu folgenden Schlüssen:
Die Möglichkeit der Infektion durch Milch kann
nicht geleugnet werden, aber nicht alle Kinder¬
tuberkulosen haben diese Aetiologie; eine
exklusive Milchtbeoric, die das häufigere Be-
fallensein der Lunge im Vergleich zum Darm
unberücksichtigt lässt, fehlt eben deshalb, weil
sie die anderen Infektionsquellen nicht beachtet.
Es steht ausser Zweifel, dass gewisse Kinder¬
krankheiten (Morbilli, Tussis, Bronchitis,
Bronchopneumonie) mächtige prädisponierende
Ursachen für die Tuberlosesterblichkeit ab¬
geben; sie hinterlassen eine Schwäche der All¬
gemeinkonstitution, Katarrh der Athemwege und
häufig auch des Intestinaltraktus. Unter diesen
Bedingungen gewinnt der weit verbreitete
Tubcrkelbacillus einen Nährboden in den
empfindlichsten Organen. Die Milch mag für
manche Fälle verantwortlich sein, allein die
Thatsache, dass die Schwindsucht im Thorax im
jugendlichen Alter so häufig ist, lässt den Schluss
zu, dass der menschliche Tuberkelbacillus (im
einen Fall eingeathmet, im anderen verschluckt),
vermischt mit den Körpersekreten, oder mit der
Nahrung, die Ursache ist einmal vom Brustleiden,
das andere Mal von der Darmerkrankung. Koch’s
Behauptung, dass die primäre Danntuberkulose
ausserordentlich selten sei, steht nicht im Ein¬
klang mit britischen Erfahrungen bei Kindern,
was wohl zum Theil darauf zurückzuführen ist,
dass in Deutschland das Kochen der Milch, mit
englischer Sitte verglichen, die Regel ist.
Zura Schluss vergleicht Cattle unsere An-
367
schauungen über die Ausbreitung der
Tuberkulose mit denjenigen über die des
Typhus. Wie wir früher annahracn, Fälle der
persönlichen Ansteckung seien sehr selten, und
jetzt glauben, diese Infektion komme doch jeden
Augenblick vor, so kommen wir langsam bei der
Tuberkulose zu der Idee, dass bei Erwachsenen
die Infektion von Fall zu Fall beinahe die Regel
sei. Und ob es bei Kindern — trotz der Milch
— nicht ebenso ist? Block (Koblenz).
Thomas, Notiz Ober den Gebranch grosser
Bosen von Diphtherieserum. Revue mödicale
de la suisse romande 1901. September.
Verfasser hat mit dem von Roux hergestellten
Diphtherieserum gearbeitet, das etwa dem hoch¬
wertigen Heilserum von Behring entspricht.
Während Vallette und Aubin mit 5—10—15 ccm
dieses Serums keine besonders günstigen Resultate
erzielten, gelang es Verfasser, durch Einspritzung
von 40 ccm als Maximaldosis die Statistik sehr zu
verbessern. Am Tage nach der Injektion wird
der Kranke beobachtet, um eventuell am dritten
Tage noch eine aber schwächere Injektion zu er¬
halten. Schädliche Folgen sah Thomas nie. Doch
mahnt er zur Vorsicht bei reichlicher Albuminurie.
Fritz Rosenfcld (Berlin).
Walger, Therapie mit spezifischem menscli-
llchemRekonTalescentenblutserumbei akuten
Infektionskrankheiten.
Verfasser macht cs sich in dem summarisch
gehaltenen Artikel zur Aufgabe, die von Weiss,
Weissbecker, Blumenthal und Huber und
ihm selbst beobachteteThatsachc, dassRckonvales-
centensera nach akuten Infektionskrankheiten bei
der Behandlung derselben günstige Resultate
zeitigen, auf seine Weise zu erklären.
Während die Symptome der akuten Infektionen
(wie z. B. Exanthema und schenonische Infiltration)
als Ausscheidungsbestrebungen des Organismus
gegenüber den Toxinen von ihm aufgefasst werden,
erklärt er das Fieber auf drei verschiedene Arten:
Durch die Bildung der Toxine von Seiten der Er¬
reger wird zunächst ein Fieber erzeugt, welches als
Prodromalfieber in Erscheinung tritt, während die
im Laufe der Krankheit sich zeigende Temperatur-
Steigerung hervorgerufen wird sowohl durch den
Abbau der Toxine vermöge der vermehrten Zellen-
thätigkeit des erkrankten Organismus als auch
durch die Ausscheidung dieser umgebildeten
Toxine. Den Anreiz zu diesem energischen Vor¬
gehen des Körpers liefern die krankmachenden
Mikroben selbst, welche dadurch selbst die Heilung
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
368
Referate über Bücher und Aufsätze.
herbeiführen. Denn dieses umgebildeto Toxin allein
hemmt durch seine Anwesenheit im Körper jede
weitere Toxinbildung. Nur im Falle, dass diese
Umbildung gelingt, ist eine Genesung möglich.
Für die in dieser Hinsicht ungünstigen Fälle
empfiehlt Verfasser, das Rekonvalescentenserum
in die Behandlung einzuführen, da diese geheilten
Fälle eben umgebildctes Toxin in sich tragen und
dieses bei subkutaner Einführung in dem anderen
Falle ebenfalls sofort die weitere Toxinbildung
hemmt. Da in dem behandelten Falle keine Um¬
bildung des Toxins erfolgt, so ist auch das Serum
desselben nicht wieder für Heilzwecke zu ver¬
wenden.
Aus demselben Grunde sind die auf natür¬
lichem, quasi activem Wege geheilten Fälle selbst
immun, während die auf passivem Wege, d. h.
durchs Injektion von Rekonvalescentenserum zur
Genesung geführten Kranken diesen Schutz nicht
besitzen. Der wesentliche Punkt in diesen etwas
zu theoretischen, mit Eh rlich ’s Ansichten vorerst
wenig vereinbarlichen Ausführungen liegt darin,
dass das umgebildete Toxin, welches nicht etwa
zum Antitoxin wird, nicht bindend auf das ferner¬
hin gebildete Gift wirkt, sondern nur durch seine
Anwesenheit eine Hemmung in der Giftbildung
bedeutet.
Mit einer Injektion von Rekonvalescenten¬
serum werden dem Körper demnach nicht Schutz-
stoffe im hergebrachten Sinne, als Antitoxine oder
baktericide Körper, beigebracht, sondern ein Stoff
verwendet, welcher die Bildung der Gifte im
kranken Körper sofort aufhebt, eine Anschauung,
für welche der Verfasser bisher die Begründung
noch schuldig geblieben ist
Fritz Meyer (Berlin).
Hedou, Sur la transfnsion, npr&s les
liemorragies, de globales ronges purs en
Suspension dans un sdrnm artiflciel.
Archives de medecine expörimentalo et
d’ematourie pathologique 1902. No. 3. S. 297.
Hedou untersuchte, ob die Transfusion rother
Blutkörperchen in physiologischer Kochsalzlösung
suspendiert, im stände wäre, die Folgczustandc
ausgedehnter Blutentziehung zu beseitigen.
Hedou entnahm zu dem Zweck Kaninchen
bezw. Hunden durch einen Aderlass zunächst 70
bis 80 ccm Blut, injizierte alsdann intravenös eine
gleiche Menge physiologischer NaCl- Lösung,
wiederholte nach ein bis drei Stunden den Ader¬
lass und entzog nun 30 -50 ccm Blut, bis Zuckungen
eintraten und die Korneareflexe der Thiere
schwanden; sofort transfundierte er jetzt 30 bis
50 ccm physiologischer NaCl, in der rothe Blut¬
körperchensuspendiert waren, in einer dem zweiten
Blutverlust entsprechenden Menge. Die Trans¬
fusionsflüssigkeit wurde wie folgt hergestellt:
Dem Versuchsthier oder einem anderen derselben
Gattung wurde eine Quantität Blut entnommen,
dasselbe wird defibriniert, über Glaswolle filtriert
und dann so lange mit physiologischer NaCl-
Lösung zentrifugiert, bis allein die rothen Blut¬
körperchen übrig bleiben. Ihnen wird so viel
NaCl-Lösung zugefügt, bis die zu injizierende
Menge erreicht ist. Schliesslich wird, um
Leukocyten und Fibrinreste zurückzuhalten, das
Ganze durch Papier filtriert. Wurde die
Prozedur innerhalb derselben Thierspezies vor¬
genommen, so beobachtete Hedou nach vor¬
übergehender Athcmverlangsamung und leichter
Temperaturschwankung regelmässig völlige
Wiederherstellung der Thiere, selbst wenn ihnen
so viel Blut entzogen war, dass Transfusionen
mit reiner physiologischer Na CI-Lösung oder nur
definibriertem Blut absolut wirkungslos war. Die
in physiologischer NaCl - Lösung suspendierten
Normocyten nehmen sphärische und Stechapfel¬
formen an, kehren jedoch alsbald zur gewöhn¬
lichen Form zurück und erhalten sich sehr lange.
Hämoglobinurie und Albuminurie werden nach
diesen Transfusionen nie beobachtet. Die Er¬
holung der Thiere erfolgt ziemlich schnell, wenn
die Menge der transfundierten Erythrocyten ge¬
ringer ist, als die der durch Aderlass entnommenen.
Nach der Transfusion tritt zunächst Hyper-
I leukocytose auf, und die Zahl der rothen Blut¬
körperchen schwankt sehr beträchtlich, um all¬
mählich zur Norm zurückzukehren. Rothe Blut¬
körperchen aus Thromben sind in gleicher Weise
verwendbar. Der Aderlass wurde in zwei Ab-
: sätzen vorgenommen, weil sich auf diese Weise
viel mehr Blut entziehen lässt. Wird in der be¬
schriebenen Weise eine Transfusion unter ver¬
schiedenen Thierspezies gemacht, so tritt nach
etwa vier Tagen eine völlige Zerstörung der
injizierten Erythrocyten ein, und die Thiere gehen
mit Hämoglobinurie und Lungeninfarkten zu
Grunde; ebenso wirkt Transfusion mit dc-
! finibriertem Blut meist ungünstig, wenn vorher
eine tötlichc Blutentziehung statt hatte: während
Transfusionen mit rothen Blutkörperchen, in
NaCl-Lösung suspendiert, stets das Leben er¬
halten. Die globulicide und hämolytische Eigen¬
schaft des Serums einer bestimmten Thierart für
eine andere hindern auch die Uebcrtragung der
| Versuche auf den Menschen: da Thierblut nicht
I im stände ist, lebensfähig im menschlichen Kreis-
| lauf zu bestehen. G. L M am lock (Berlin).
Berlin, Druck von W. BUxcnstein.
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Original frorri
UNIVERSITY 0F MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 7 (Oktober).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. y. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider and Priv.-Doc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original -Arbeiten. seit«
I. Blutbefund bei Schwitzprozeduren. Aus der hydrotherapeutischen Anstalt der Universität
Berlin (Leiter: Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Brieger). Von Dr. Walter Krebs,
Stabsarzt an der Kaiser Wilhelms - Akademie, kommandiert zum Institut, und
Dr. Martin Mayer.371
II. Ueber die tägliche Wägung als diagnostisches Hilfsmittel, besonders bei Herzkrankheiten.
Von Dr. H. Iacobäus, dirigirender Arzt am Finsen-Sanatorium in Kopenhagen. Mit
11 Abbildungen.385
UI. Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen auf Grund von Blut¬
druck- und neuramöbimetrischen Messungen. Von Dr. Arthur Locbel, Kais. Rath,
K. K. Bade- und Brunnenarzt in Wien-Doma.398
II. Kritische Umschau.
Russische Beiträge zur Ernährungstherapie. Zusammenfassender Bericht von Dr. A. D w o re tz k y
in Riga-Schreyenbusch (Schluss).407
III. Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische Elektrologie und Radiologie
zu Bern (1.—6. September 1902). Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann zu Breslau 413
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Schule, Die Bestimmung der motorischen Thätigkeit des menschlichen Magens.417
Wittgenstein, Physikalisch-diätetische Behandlung der Magenkrankheiten in der Praxis . 417
Burwinkel, Herzleiden und Ernährung.418
Weisz, Ueber die Gicht.418
Weiss, Ueber den Einfluss von Alkohol und Obst auf die Ilamsäurebildung.418
Hirschler und v. Terray, Lehrbuch der Diätetik.. 418
B. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Jaquet, Höhenklima und Blutbildung.420
Koväcs, Experimentelle Beitrage über die Wirkung von Sauerstoffinhalationen.420
Campbell assistcd by Uoagland, The blood count at higt altitudes.420
Zeitsohr. f. dUM. n. phyalk. Therapie Bd. VI. TToft 7 oft
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Seite
370
Inhalt.
C. Elektrotherapie.
Schürmayer, Die Photographie bezw. Mikrophotographie in der ärztlichen Praxis .... 421
Foveau de Courmelles, Die Lichtbehandlung .421
Zanictowski, Versuche über Voltaisation .421
Rügnier und Didsburg, Nouveau proc6d6 d’analgösie des dents ä l’aide de TCdectricite . 422
D. Serumtherapie.
v. Behring, Beiträge zur experimentellen Therapie.422
Rahner, Zur Epidemiologie und Aetiologie des Keuchhustens.42:3
Schroeder, Zum Vorkommen der Eutertuberkulose bei der Ziege.423
E. Verschiedenes.
Reichs-Medidnal-Kalender 1903 423
Kulisch, Ueber Kystrokopie.424
v. Notthaft und Kollmann, Die Prophylaxe bei Krankheiten der Harnwege und des
Geschlechtsapparates (des Mannes).424
Zuschrift von Dr. Anton Bum.424
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 Va—4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Original - Arbeiten.
I.
Blutbefimd bei Schwitzprozeduren.
Aus (1er hydrotherapeutischen Anstalt der Universität Berlin.
(Leiter: Oeh. Med.-Rath Prof. Dr. ßrieger.)
Von
Dr. Walter Krebs und Dr. Martin Mayer.
Stabsarzt an der Kaiser Wilhelms-Akademie,
kommandiert zum Institut.
Ueber die Beeinflussung der Blutmischung durch Schwitzprozeduren existiert
bereits eine grössere Reihe von experimentellen Arbeiten. Bei der Durchsicht der
betreffenden Litteratur fällt es jedoch auf, wie sehr die Befunde und die Ansichten
der einzelnen Untersucher von einander abweichen. Es erschien deshalb nicht un¬
wichtig, durch Anstellen einer grösseren Versuchsreihe, wenn möglich, eine Klärung
in dieser Frage herbeizuführen. Da gerade in letzter Zeit von Seiten einzelner
Lichttherapeuten eine hochgradigere Einwirkung der verschiedenen Lichtschwitzbäder
auf das Blut bezüglich einer Vermehrung des Hämoglobins und der Leukocyten
gegenüber den älteren Schwitzmethoden (Heissluftbad, heisses Wasserbad) betont
wurde, empfahl es sich, diese verschiedenen Schwitzprozeduren in parallelen Versuchs¬
reihen zu studieren, um eventuell dadurch einen Anhalt zu therapeutischem Vorgehen
zu gewinnen.
Es wird vortheilhaft sein, ehe wir auf unsere eigenen Untersuchungen näher
eingehen, die Befunde und Ansichten der früheren Autoren kurz anzuführen. Wir
beschränken uns dabei im wesentlichen auf diejenigen Arbeiten, die sich auf all¬
gemeine Wärmeprozeduren mit dem Endziele des Schwitzens beziehen, so¬
weit nicht zur Erklärung der Phänomene auch andere Arbeiten herangezogen werden
müssen. Eine besondere Schwierigkeit des Vergleiches der einzelnen Befunde ent¬
steht daraus, dass ein Theil der Untersucher überhaupt keine näheren Versuchs¬
protokolle anführt, andere wieder Angaben über die Zeit der vorgenommenen Blut-
untersuchung (ob noch im Schwitzbade oder nach vorgenommener Nachprozedur),
sowie besonders über die Schwitzdauer vermissen lassen. Es ist daher natürlich,
dass ein Theil der sich widersprechenden Befunde sehr wohl auf verschiedene Ver¬
suchsanordnung zurückgeführt werden kann.
Betrachten wir zunächst die Ergebnisse der einzelnen Untersucher (chronologisch)
in Bezug auf spezifisches Gewicht, Hämoglobin, rothe Blutkörperchen, Leukocyten und
Sernmgewicht, um auf einzelne Formen der angewandten Schwitzprozeduren später
noch genauer einzugehen. Wo nichts anderes angegeben, haben die Autoren Kapillar¬
blut (Finger oder Ohr) untersucht.
Ueber das Verhalten des spezifischen Gewichtes finden wir brauchbare Angaben
bei Lloyd Jones, Hammerschlag, Grawitz, Ivnöpfelmacher, Löwy, Ziegel-
roth uud Friedländer.
2C*
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
372
Walter Krebs und Martin Mayer
Lloyd Jones erzielte Schweiss durch Muskelarbeit und türkisches Bad, and
fand dabei eine rasch eintretende, wenn auch nicht hochgradige Zunahme des
spezifischen Gewichtes.
Desgleichen fand Hammerschlag eine Zunahme des spezifischen Gewichtes in
vier Versuchen, wovon zwei Dampfbäder von halbstündiger Dauer, ein heisses Wasser¬
bad (ohne Angabe der Dauer, Untersuchung P/a Stunden nach Eintritt) und ein vier¬
stündiger anstrengender Marsch.
Grawitz stellte in einer Reihe von 18 heissen Wasserbädern (30—32° R und
15 Min. Dauer) zwölfmal mit zunehmendem Schwitzen allmählich steigende Blutdichte
fest, manchmal erst in der nachfolgenden, zweistündigen, trockenen Ganzpackung;
— in sechs Fällen fand er eine Abnahme des spezifischen Gewichtes. Er konnte
ferner bei Menschen, die nach einem heissen Bade und Genuss von heissem Thee
in starken Schweiss gebracht waren, am Ende des Schwitzaktes, bei dem durch¬
schnittlich 1—2 kg Schweiss abgeschieden wurden, eine Erhöhung des spezifischen
Gewichtes des Blutes von 1040—51 konstatieren, der nach sehr kurzer Frist, sobald
die Haut durch energisches Reiben mit wollenen Tüchern getrocknet war, ein Ab¬
sinken auf das Anfangsgewicht nachfolgte.
Bei Knöpfelmacher, der heisse Bäder von 36—42° C anwandte, finden sich
Schwankungen nach oben und unten, doch hat er zu verschiedenen Zeiten nach der
Prozedur untersucht.
Ziegelroth fand keine nennenswerthe Beeinflussung bei zehn Heissluftbädern
von 38—40° R, woraus er schloss, dass der Schweiss kein Blutwasser ist, sondern
lediglich Gewebesaft.
Löwy experimentierte mit Kaninchen im Kasten von 60—70° C bei kurzer
Dauer ('/a—15 Min.), und erreichte eine Zunahme der Blntdichte in den Ohrkapillaren,
eine Abnahme in den grossen Gefassen.
Auch Friedländer fand bei verschiedenen Schwitzprozeduren (warmen Wasser¬
bädern, heissen Luft- und Sandbädern, Dampfkasten) eine Zunahme des spezifischen
Gewichtes um 3 °/ 0 im Mittel.
Nach der Mehrzahl der Untersucher nimmt also die Blutdichte beim
Schwitzen durch künstliche Prozeduren, gleichgiltig, ob Heissluft-, Dampf¬
oder Wasserbad, zu.
Ueber die Beeinflussung des Hämoglobingehaltes durch Schwitzprozeduren
findet sich die älteste Angabe bei Leichtenstern, in seinen »Untersuchungen über
den Hämoglobingehalt des Menschen«. Er gab an sechs Tagen ein heisses Wasserbad
von 31—33° R und l U— 3 U Stunden Dauer, danach wollene Trockenpackung für
zwei Stunden. Bei dieser etwas forcierten Methode ergab sich viermal eine Zu-,
zweimal eine Abnahme des Hämoglobingehaltes. Leichtenstern hält danach eine
grössere Konzentration des Blutes an Blutfarbstoff durch reichliches Schwitzen für
wahrscheinlich.
Nach Wiek (citiert nach Hammerschlag) lässt sich durch Schwitzen der
Hämoglobingehalt um 10 °/ 0 erhöhen.
Knöpfelmacher fand bei seinen schon erwähnten heissen Wasserbädem (36
bis 42 ° C) zweimal Zunahme um 5 %, viermal Abnahme um im Mittel 5 °/ 0 und
einmal Gleichbleiben; Befunde, auf die wir noch zurückkommen.
Sehen wir einstweilen von den letzteren Resultaten ab, so fanden die Vor-
uutersucher bei ergiebigem Schwitzen durchweg eine ziemlich betracht-
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Blutbefand bei Schwitzprozeduren.
373
liehe Zunahme des Hämoglobingehaltes, und zwar bei den verschiedensten
Schwitzmethoden.
Viel widersprechendere Befunde ergaben sich bei der Untersuchung des Ver¬
haltens der Formelemente des Blutes, der Erythrocyten und Leukocyten.
Betreffs der rothen Blutkörper stellte M&lassez fest, dass sie beim Schwitzen,
sei es durch intensive Muskelarbeit, sei es durch kflnstliche Prozeduren (Dampfbäder
von 45° [R?] und 15—20 Min. Dauer) eine Zunahme zeigen.
Knöpfelmacher giebt an, dass nach Einwirkung sehr heisser Wasserbäder und
darauf folgendem intensiven Schwitzen eine Zunahme der Erythrocyten erfolge; nach
der seiner Arbeit beigegebenen Tabelle erfolgt nach den Bädern allein jedoch in
der Mehrzahl der Fälle (sieben von zehn) eine Abnahme.
Löwy fand bei seinen oben geschilderten Versuchen kurzer Erwärmung bei
Kaninchen in den Ohrkapillaren eine Zunahme der geformten Elemente. (Versuche,
die eigentlich nicht hierher gehören, aber aus theoretischen Gründen mit in den Kreis
der Betrachtung zu ziehen sind.)
Friedländer erzielte bei verschiedenen thermischen Prozeduren (Heissluft,
Sandbädern, Wasserbädern, Dampf kästen) in sieben Fällen eine Vermehrung der
rothen Blutkörperchen um 10,93 % im Mittel; bei zwei Fällen (Dampfbädern von
38 0 C und 20 Min. Dauer) eine Abnahme von 4 bezw. 12%.
Wir sehen somit ein Schwanken im Verhalten der Erythrocyten, indem wohl
meist eine Zunahme konstatiert wurde, aber bei verschiedenen Autoren
(Knöpfelmacher, Friedländer) immerhin in einzelnen Versuchen unmittel¬
bar nachher eine Abnahme eintrat.
Am interessantesten und aus theoretischen wie praktischen Gründen am
wichtigsten erscheint das Verhalten der Leukocyten, da der Leukocytose vielfach be¬
sondere Aufgaben in der Pathologie und Therapie zugeschrieben werden.
Rovighi hat (nach Winternitz) angegeben, dass bei Kaninchen Wärme¬
einwirkung die Zahl der Leukocyten um etwa zwei Drittel herabsetze, Kälte sie auf
das Doppelte vermehre.
Knöpfelmacher erzielte eine relativ viel höhere Zunahme der Leukocyten,
als der Erythrocyten; in seiner Tabelle zeigt sich allerdings kurz nach dem heissen
Wasserbade meist eine Abnahme der Leukocyten (sechsmal weniger, dreimal mehr,
einmal Gleichbleiben).
Sehr eingehend hat sich Friedländer mit dem Verhalten der Leukocyten be¬
schäftigt; er fand eine ganz hochgradige Zunahme, und zwar um 17,68 % im Mittel
und bis 27 % in maximo; selbst bei zwei Dampfbädern, bei denen er Abnahme der
Erythrocyten sah, stieg die Zahl der Leukocyten um 17 bezw. 27%. Unmittel¬
bar nach der Einwirkung der Wärme konstatierte er häufig eine Verminderung
der Leukocyten, die erst später in starke Hyperleukocytose überging. Er giebt
ferner an, dass die Leukocytose keine vorübergehende war, sondern oft recht lange
(24 Stunden) anhielt; in einer Versuchsreihe von drei Tagen (täglich ein Dampfbad)
stieg die Zahl von 6500 auf 9500, und zwar täglich um je 1000.
Bohland machte bei Untersuchungen über Hidrotika und Antihidrotika auch
Versuche mit heissen Wasserbädern und kam zu dem Ergebnisse, dass sowohl
chemische als mechanische Schwitzmittel eine bedeutende Leukocytose erzeugen, ein
Befund, den auch Horbaczweski (nach Bohland) gemacht hat.
Hannes experimentierte an Kindern über die Wirkung des Schweissausbruches
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374 Walter Krebs und Martin Mayor
auf die Leukocytenzahl. Ein Theil der Kinder (29) schwitzte spontan, bei 15 wandte
er den Heissluftapparat an. Er ersah aus seinen Versuchen, dass bei Gesunden und
Kranken — von schwer kachektischen Individuen abgesehen — mit dem Auftreten
eines Schweissausbruches überhaupt, mag er spontan entstehen, oder durch
medikamentöse oder thermische Reize ausgelöst sein, zugleich Leukocytenbewegungen
(starke Vermehrung im Kapillargebiete) stattfinden. Er fand — im Gegensatz zu
Friedländer — schon sehr bald nach Unterbrechung des Schweiss¬
ausbruches ein Absinken der Zahl zur Norm (in der Regel innerhalb von
einer halben Stunde).
Die meisten Voruntersucher nehmen also unter dem Einflüsse des
Schwitzens eine ziemlich starke Zunahme der Leukocytenzahl, eine
Hyperleukocytose, an.
Bezüglich des spezifischen Gewichtes des Blutserums findet sich nur bei
Friedländer eine Angabe, und zwar will er im Mittel eine Zunahme von 3,37 «/o,
entsprechend dem Wasserverluste des Blutes, gefunden haben.
Hätten wir somit die Ergebnisse der Voruntersucher, soweit sie sich zum Ver¬
gleich mit den unseren eignen, erschöpft, so erübrigt noch, die Erklärungen, die
die einzelnen für die Phänomene fanden, anzuführen:
Dass ein grosser Theil der Befunde auf vasomotorische Beeinflussungen zurück-
zuführen ist, erkennen wohl alle Untersucher an. Für die Vermehrung der Form¬
elemente konnte solche Einflüsse Löwy bei seinen Untersuchungen direkt nach-
weisen. Er sagt: »Durch die Erweiterung grosser Gebiete des Kapillarsystems treten
eine mehr oder weniger grosse Zahl von körperlichen Elementen in Gefässe ein, die
zuvor nur Plasma führten (Vasa serosa), oder nur für wenige Blutkörper Raum
boten. Die in den durch die Wärme erweiterten Kapillaren in grösserer Zahl
cirkulierenden Blutkörperchen werden den grösseren Gefässen entzogen, ihr Blut wird
ärmer an geformten Elementen, die Dichte dieses Blutes ist vermindert Das Plasma
weist keine Veränderung auf«. Er fand thatsächlich in den grossen Gefässen eine
Abnahme der Formelemente und Dichte, in den Ohrkapillaren eine Zunahme.
Cohnstein und Zuntz reizten die Vasomotoren direkt vom Rückenmark aus;
sie konnten am durchsichtigen Theil des Frosches direkt beobachten, dass bei künst¬
lich herbeigeführter Gefässerweiterung die Kapillaren mehr Blutkörperchen führten;
bei entgegengesetzter Reizung mit Gefässkontraktion sahen sie mehr Vasa serosa
entstehen durch die Verhinderung des Durchtritts von Blutkörperchen (Versuche,
deren Beweiskraft neuerdings von Becker auf Grund eigener Untersuchungen stark
angezweifelt wurde).
Winternitz nahm als Ursachen an: Veränderungen der Cirkulation, der Herz¬
aktion, des Tonus von Gefässen und Geweben. Aus Organen, in denen unter ge¬
wöhnlichen Bedingungen Stauungen, Stasen, stattfinden, werden nach seiner Ansicht
die Zellen unter günstigen Cirkulationsverhältnissen in den allgemeinen Kreislauf
geworfen. Diese Annahme weist besonders Becker zurück.
Die meist hochgradiger befundene Zunahme der Leukocyten halten
die meisten Autoren (besonders Friedländer) für eine aktive Leukocytose,
eine der Chemotaxis ähnliche Thermotaxis, d. h. eine »Anlockung« der Leuko¬
cyten zur Peripherie.
Weniger einhellig ist die Auffassung der verschiedenen Autoren bezüglich des
Verhaltens der Blutdichte.
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Blutbefund bei Schwitzprozeduren. 375
Grawitz nimmt einen Austausch von Flüssigkeit zwischen Blut und Gewebe
an: »Bei Kontraktion der Gefässe und Steigerung des Blutdrucks findet ein Austritt
von Flüssigkeit und dadurch eine Koncentration statt; bei Dilatation durch Er¬
wärmung und dem Sinken des Blutdrucks tritt Flüssigkeit vom Gewebe ins Blut
über, also tritt eine Abnahme der Koncentration ein. Wie dann durch das Schwitzen
bei dieser Erklärung eine Zunahme des spezifischen Gewichtes (trotz der Dilatation
im Kapillargebiete) zu stände kommt, spricht er nicht deutlich aus, doch nimmt er
wohl direkt einen Wasserverlust des Blutes dabei an, wie auch Friedländer, der
dies durch Zunahme des spezifischen Serumgewichtes direkt für bewiesen ansieht.
Ziegelroth sieht im Schweisse nur Gewebswasser und sagt: »Wenn der
Schweiss Blutwasser wäre, müsste das spezifische Gewicht intensiv steigen«. Er hält
ihn daher lediglich für Gewebswasser und beweist es dadurch, dass nach einer
methodischen Schwitzkur das spezifische Körpergewicht höher ist. Allerdings setzt
er hinzu: »Selbst wenn das Blutwasser dabei betheiligt sein sollte, dass mittels der
Schweissdrüsen zunächst aus den Kapillaren Blutwasser ausgeschieden wird, so wird
dieser Verlust doch sofort wieder durch Gewebswasser aus den Geweben ersetzt«.
In diesem Nachsatze erkennt er also doch wohl die Grawitz’sche Ansicht an.
Soweit die Ergebnisse und Theorieen der Voruntersucher. Lassen wir nun
unsere eigenen Untersuchungen folgen, um unter Berücksichtigung der früheren
Forschungen ein Urtheil zu gewinnen über die Beeinflussung des Blutes durch
Schwitzprozeduren; vor allem aber, was wichtiger wie Theorieen, die Schluss¬
folgerungen für praktisches, therapeutisches Vorgehen zu ziehen. Auf den einen oder
anderen der früheren Untersucher müssen wir dabei später noch bei Betrachtung
unserer Resultate näher eingehen.
Bei unseren Untersuchungen beobachteten wir folgendes Vorgehen: Die Blut¬
entnahme erfolgte durchgängig an den Ohrzipfeln, wobei wir die bekannten Kautelen
— vor allem Vermeidung alles Drückens — auf das Strengste wahrten. Für die
Bestimmung des Hämoglobingehalts benutzten wir das Fleischl’sche Hämometer - ;
die Ablesung erfolgte durch uns beide, so zwar, dass der erste Untersucher dem
zweiten keine Mittheilung von dem Resultat seiner Untersuchung machte, damit der
letztere in seinem Urtheil nicht beeinflusst werden sollte. Ferner machten wir es
uns zur Gewohnheit, sofort auf die bewegliche Zahlenskala den Finger zu halten, um
auch auf diese Weise eine etwaige Beeinflussung zu verhindern. Wir erreichten
schon sehr bald eine derartige Uebereinstimmung unserer Resultate, dass sie fast
niemals über 5 % auseinandergingen. Für die Zählung der weissen Blutkörperchen
benutzten wir den Thoma-Zeiss’schen Zählapparat, als Verdünnungsflüssigkeit mit
Essigsäure versetztes Wasser. Von der Zählung der rothen Blutkörperchen glaubten
wir im Hinblick auf die Bestimmung des Hämoglobingehaltes und des spezifischen
Gewichts — in ßenzolchloroform (nach Hammerschlag) — Abstand nehmen zu
dürfen.
Wir entnahmen das Blut, wogen den Patienten, worauf er sein Bad
erhielt. Ara Schlüsse der Schwitzprozedur, meist nach 20 — 25 Minuten,
entnahmen wir wieder Blut, während der Patient noch im Bade war,
kühlten ihn dann kurz mit einer Douche oder einem Wasserbade ab und wogen
ihn sodann wieder. Wir Hessen also genau denselben Prozess von den Untersuchten
durchmachen, welcher bei der Vornahme von Schwitzprozeduren zu Heilzwecken bei
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370
Walter Kr*')»* u«»l Martin Mnvw
uns in der Kegel vorgeschriebe« wird, um auf diese Weise: zu erfahret}, wie das- Blut
beschaffen wäre naeh oder ioMtge der gebräuchlichen Schwitzbäder. Wir legteti gerade
Werth darauf, nicht nach -excessiven, zu .• Versuchszwecken besonders lange aus-
gedehoto« SchwH.>:pro7.cMlnrc& den lilothcfund zu erheben, sondern, wie schon
gesagt, »ach sulchen, wie sie von uns zu Heitzweckeri in der liege) vor-
ordnet werden, Penn wenn es auch vor. Interesse ist, zu erfuhren, in welcher
Weise die Blatjoisr.iiaog u. *, w. durch beVoftders energisches Schwitzen beeinflusst-
wird» su xuuss doch vor allein darauf geachtet werden, mit dem Schwitze» inner¬
halb -.gewöhnlicher Pn-nzen zu -. Metbeo, falls man dherhftupt eise praktische Nutz¬
anwendung aus den Ergebnissen ziehen will. Erhält rast« zum Beispiel eine atia*
gesprochene Leukocvtose nach .einen). Gewiditsverlust von' 'i— 2- kg und einer Dauer
des Schwitzen^ von «hör eine bis zwei Stunden, so hat dfts für die etwaigst Ver-
werthuBg bei der Behandlung., falls man siel; eben berechtigt, glauben wollte, aus
tfer Vermehrung der Leukocyten sogleich therapeutische KoDseriueBzen ziehen m
dürfen, nur bedingten Werth., Itenn wie viel Patienten vertragen solch eingreifende
Wtederhüieu dürfen, da sowohl Nferr'en- wie
sehe Kuren aufs stSrkste alteriert werdenv
lli« nachstehendst Tabelte ergioht eine »Jcbersicht ■•über die in lleKslöftkästen
gewönnen«« Resultate. Die Temperas wen iin After wurden in alten FSH«» mit dem
Rektiint-MaxUiiaRhcmotucter \u»t Krebs gemessen.
Heissluft kästen.
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Wir sollen in deu 10 Füllen:
Gnwl (00 %) Vermehrung der Leitkoeyten...
4 mal (40';»> Vf iTftuiderufig -
5 mal (SO 'v,,} Steigerung dos spezitisuheft Gewichtes,
2 mal. <;20 •'/,/> Sinken %• »
7 Bijkl («7 »/.i» Steigerung s Ml» - (ielntlfos,
I mal <J’jf */,,") Bihkeu >.-' . .D '
. Ti mitljniehf-untersucht.)
iby
Go gle
W; v.'vprigir-al frorr
Blutbefund bei Schwitzprozeduren. 377
Ein gleichartiges Verhalten aller Faktoren wurde in 4 von den 8 vergleichbaren
Fällen, also in 50 °/ 0 , konstatiert;
ein gleichartiges Verhalten von Hb und spezifischem Gewicht in 6 der 8 ver¬
gleichbaren Fälle, also in 75 °/ 0 ;
von Leukocyten und spezifischem Gewicht in 6 der 10 vergleichbaren Fälle,
also in 60°/ 0 ,
und von Leukocyten und Hb in 5 von 8 vergleichbaren Fällen, also in 62 %•
Bei den elektrischen Glühlichtbädern, welche stets mit rothen Glühlichtbirnen
verabfolgt wurden, und bei denen die Lufttemperaturen, gleichwie bei den Bogen¬
lichtbädern nur ausnahmsweise die obere Grenze des Schweissoptimums (70 0 C) er¬
reichten, zeitigten wir folgende Ergebnisse;
Glüblichtkasten.
iHb-Geh<l
d
d
60
60 «- o .
Leukocyten
vor j nach
dem Schwitzen
Spez. Gewicht
vor | nach
dem Schwitzen
vor j nach
dem
i- 9
8 §
Schweiss-
dauerin Mi
t
3 0
A
■2S
© Z
3 0 0*
© . _
g ©-o g
6o2
5-4 fl >*
►iS 0
Bemerkungen
Schwitzen
•o
° >
Dr. M. . . .
5200
10700
1056,5
1058,0
85
100
15
10
_
+105,7
Starker Schweiss.
Frau K. . .
4400
5900
1055,5
1060,0
80
94
—
—
100
+34,1
Unterarzt E. .
6700
7200
1057,0
1057,5
80
89
23
18
+7,5
• R. .
9800
11000
1057,0
1059,0
96
95
25
15
400
+ 12,2
Puls von 66 auf 182 ge-
stiegen.
Fraulein W. .
5100
5200
1056,0
1056,0
80
75
22
11
—
+ 1,9
Mässiger Schweiss.
Dr. B. . . .
10100
10400
1065,5
1062,0
85
90
25
19
400
+2,9
Herr R. . .
Unterarzt Me.
11100
8500
1061,5
1060,0
72
67
21
17
300
i
t
—23,4
Ohrllppchen nach dem
Schwitzen bei Blutent¬
nahme etwas gedrückt.
6800
6500
1057,5
1061,0
95
94
20
15
350
-4,4
i Ma.
7600
5100
1057,5
1061,0
105
107
22
13
400
—28,9
Herr Gr. . .
11700
13500
1058,5
1059,5
93
97
20
15
300
+ 15,4
cand. med. Z.
6800
6300
1058,5
1059,5
88
84
22
15
—
-7,3
Keine Gewichtsabnahme.
Fräulein T. .
8400
11800
1058,0
1061,0
81
94
22
14
350
+40,4
* »
5100
5500
1057,5
1058,5
I 81
87
19
12
350
+7,8
Herr T. . .
5200
5600
1061,5
1062,5
91
98
24
16
400
+7,7
Spez. Gewicht dos Serums
1037-1036.
Es traten also in den 14 beobachteten Fällen ein:
10 mal (71,5%) Vermehrung der Leukocyten,
4 mal (28,5 %) Verminderung » »
11 mal (78,5 »/„) Steigerung des spezifischen Gewichtes,
3 mal (21,5%) Sinken bezw. Gleichbleiben des spezifischen Gewichtes,
9 mal (64 %) Steigerung des Hb - Gehaltes,
5 mal (36 %) Sinken * >
In letzterem Falle betrug jedoch die Verminderung nie über 5 % des Gehaltes.
Ein gleichartiges Verhalten aller Faktoren wurde in 8 Fällen, also in 57,1%,
festgestellt, 7mal (50%) Steigen, 1 mal (7,1%) Sinken;
desgleichen von Hb und spezifischem Gewicht in 9 Fällen, also 64%;
von Leukocyten und spezifischem Gewicht ebenfalls in 9 Fällen, also auch 64 %;
von Leukocyten und Hb in 11 Fällen, also 78,5%.
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378 Walter Krebs und Martin Mayer
Die blauen Bogenlichtbäder, welche in denselben Kästen wie die Glühlichtbäder
verabfolgt wurden, und bei denen die Wärme durch vier je 8 Ampere starke Bogen¬
lampen erzeugt wird, führten zu folgenden Ergebnissen:
Blaues Bogenlichtbad.
Hb-Gehalt
d
Leukocyten
vor | nach
Spez. Gewicht
vor | nach
•
vor
fo
nach
i
s*
0.2
g u
iS
*3 d
Gewichts¬
verlust in
n •ö ^
2 p
Bemerkungen
dem Schwitzen
dem Schwitzen
dem
Schwitzen
© ®
og
T3
•8 g
00 3
■o
© • a
►3 2«
Dr. M. . . .
6100
5800
1059,0
1065,0
80
98
25
20
200
-5,0
Dr. M. wiegt 100 kg.
cand. med. K.
8100
7000
1061,0
1059,0
—
—
20
15
—
— 13,5
Massiger Schweiss.
Frau K. . .
4900
5200
—
—
80
88
37
25
—
+ 6,1
Wenig Schweiss.
cand. med. Z.
5700
4500
1059,0
1067,0
79
90
26
18 1
—
—21,0
Massiger Schweiss.
Unterarzt Me.
5000
0400
1057,5
1060,5
86
94
23
20
200
+28,0
Unterarzt R..
8300
10800
1058,0
1061,0
80
80
25
19
—
+30,1
Starker Schweiss.
Dr. B. . . .
5300
7200
1060,0
1061,0
87
99
—
20
250
+35,9
Fräulein T. .
9200
9200
1057,0
1058,0
85
87
—
20
200
+0,0
Herr T. . .
8700
8600
1069,0
1060,0
94
103
40
20
300
-1,2
T. wiegt 85 kg; spez. Ge¬
wicht des Serums 1088
bis 1061.
Unterarzt Ma.
7900
7100
1053,5
1058,0
96
100
31
16
300
-1,1
Auch bei dieser Zusammenstellung springt wieder in die Augen, wie geringe
schweisstreibende Wirkung die Bogenlichtbäder, so wie sie meist konstruiert werden,
besitzen 1 ). Es darf dabei gleich bemerkt werden, dass die Personen nicht in den
ausgekühlten Kasten stiegen, sondern erst, nachdem dieser vorher auf eine Temperatur
von 45 0 C erwärmt worden war, sodass der weitaus grösste Theil der Zeit bei einer
Wärme zugebracht wurde, welche wohl im stände ist, Schweiss hervorzurufen.
Wir beobachteten bei den 10 Untersuchungen:
4 mal (40 %) Vermehrung der Leukocyten,
1 mal (10 %) Gleichbleiben » »
5 mal (50 %) Verminderung a> »
8 mal (88,8 %) Steigerung des spezifischen Gewichtes,
1 mal (11,2 °/ 0 ) Sinken » » »
(1 mal wurde das spezifische Gewicht nicht geprüft)
8 mal (88,8 %) Steigerung des Hb - Gehaltes,
1 mal (11,2 o/o) Sinken » »
(1 mal wurde der Hb - Gehalt nicht untersucht).
Ein gleichartiges Verhalten aller Faktoren wurde in 3 der 8 vergleichbaren
Fälle (nur Ansteigen), also in 37,5 % bemerkt;
desgleichen von Hb und spezifischem Gewicht in 7 Fällen, — 87,5%;
von Leukocyten und spezifischem Gewicht in 4 Fällen, — 44 %;
von Leukocyten und Hb-Gehalt in 3 Fällen, — 33,3%.
') Krebs, Schwitzen in elektrischen Licht- und Heissluftkästen. Deutsche medicinischo
Wochenschrift 1901. No. 40. — Lichttherapeutische Erfahrungen. Monatsschrift für orthopädische
Chirurgie und physikalische Heilmethoden 1902. No. 4.
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ßlutlfcfmul bei S.'liv, »tzpnaodnrCiU 370
Hie Wasserbäder wurden so verabreicht, Anm der Patient in Wasser v«n -iS * ||
hineiosüeg und dann' sofort heisses Wasser bis zu 10" € hin/ulaufoo lies«. ftas
Wasser bedeckte den ganzen Körjier bis zum Hake; 4er Kopf war, wie hei aUen
andereu Schwitzbädern »»ich, mit kühler Kmnpres.se versehen.
Wassert» »der von 40” 0.
Jjfökfiüiifrti j
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Aflsserordentlich anffalleufl erscheinen hier die Htssu.lt/de. Während in den drei
bisher beschriebenen .Hadern sich »4 Aber der Hälfte der Fälle stets eine Vermehrung
der-t.eukucvten, eine Steigerung des if o-iieSmites und spezifischen Gewichtes zeigte/
ergiebt. sich bei den heissen W’usserbndew &0F genaue Gegentheil, wie nächsteheude
Zusammenfassung beweist. Wir fanden in den 14 Fällen :
Oma) eine Vermehrung der Keukocyten,
14 mal (400 •/,.) eine Venoimlernug der Leukoryten •»1 mal nicht gezahlt!,
. 4mal (21 u „i eine Steigerung des spezifischen Gewichtes,
Ti mal (Tb " ; Vl ein tHeicbbleibcn bezw Sinken des spezifischen Gewichtes,
2 mal flsK'-d eine Steigerung des 11b - Gehaltes,
II mal »8'* ein tsiaken > • i (1 mal nicht/»mtGvsufht».
Hin 'gleichartig©?. Verhalten — und zwar nur Sinken — aller Faktoren wurde
in 7 — also in $$.% — voo 1*2 vergleichbaren Füllen bemerkt;
desgleichen von IJb und sperifiseheTW (ieWii^i;'f^ 'tvyri;Hinke‘n — in ■%- also
in ßl,5 '•/„ — von den 14 vergleichbaren Fälle»« ;
v«.»n Leukocyt.en und Spezifischen» Gewicht ~ nur Sinken — in 10 - also
io 77 •’:« — von den 14 vergleichbaren Fülle«,
von Leukoevten und [Ib-Gcholt in 1(1 — «Is»* «:> *!■„ — von den \% vergleich-
baren Fällen - ebeulhlls nur Sinket».
Di gi tta«i, : Go gle
380
Walter Krebs und Martin Mayer
Vergleicht man nun die Resultate der einzelnen Bäder unter- und miteinander,
so sieht man:
I
Vermehrung der Leukocyten:
a) in Heissluftbädern in 60 %
b) y> elektr. Glühlichtbädern. > 71 ,5% j
c) » » Bogenlichtbädern > 40 %
d) » heissenWasserbädern. . » 0 °/o I
Verminderung der Leukocyten:
a) in Heissluftbädern.in 40 • / 0
b) > elektr. Glühlichtbädern. » 28,5 °/ 0
c) » » Bogenlichtbädern » 50 n / 0
d) »heissenWasserbädern. . » 100 %
II.
Steigerung des spez. Gewichtes:
a) in Heissluftbädern.in 80 °/o
b) » elektr. Glühlichtbädern. » 78,5 %
c) » > Bogenlichtbädern » 88,8 %
d) » heissenWasserbädern. . j> 21 %
Abnahme des spez. Gewichtes:
a) in Heissluftbädern.in 20 »/„
b) » elektr. Glühlichtbädern. » 21,5 °/ 0
c) » » Bogenlichtbädern » 11,2 ®/ 0
d) » heissenWasserbädern. . » 79 °/ 0
III.
Steigerung des Hb - Gehaltes:
a) in Heissluftbädern.in 87 %
b) » elektr. Glühlichtbädern. > 64 °/o
c) » » Bogenlichtbädern » 88 «/ 0
d) » heissenWasserbädern. . » 15 # / 0
Sinken des Hb-Gehaltes:
a) in Heissluftbädern.in 13 %
b) » elektr. Glühlichtbädern. » 36 %
c) » » Bogenlichtbädern » 12 %
d) » heissenWasserbädern. . » 85 °/ 0
Heissluftbäder — unter denen auch Glühlicht- und Bogenlichtbäder zu ver¬
stehen sind — zeigen also nach Schwitzprozeduren, wie sie gewöhnlich bei uns, und
voraussichtlich auch in'anderen Anstalten vorgenommen werden, in über 80% aller
Fälle eine Steigerung des spezifischen Gewichtes, in über 75% aller Fälle eine solche
des Hb-Gehaltes, und eine Vermehrung der Leukocyten in nicht 60% aller Fälle.
Wir können also wohl sagen, dass bezüglich dieser Bäder unsere Ergebnisse im grossen
und ganzen Ubereinstimmen mit denjenigen der Mehrzahl der bisherigen Untersucher.
Freilich ist die im Archiv für Lichttherapie oftmals so stark betonte Wirkung des
Bogenlichtes auf die Hervorrufung und Beschleunigung der Leukocytose nach unseren
Untersuchungen in der Mehrzahl überhaupt nicht vorhanden, und auch bei den anderen
beiden Heissluftbädern jedenfalls eine starke Leukocytose — einige Autoren belieben
sie mit dem Namen Hyperleukocytose zu belegen — nicht zu erweisen. Wenn man
nun glaubt, diese Erscheinung seitens der weissen Blutkörperchen therapeutisch, z. B.
bei chronischen und akuten Infektionskrankheiten, verwerthen zu können, so ist doch
wohl der Einwurf berechtigt, dass die gemeinhin bei den Heissluftbädern gefundenen
Werthe viel zu geringe sind, als dass man sie als Retter und Helfer bei den oben¬
genannten Krankheiten in Betracht ziehen kann. Bedenken wir z. B. bei Lungen¬
entzündung den um das Zwei-, ja Drei- und Vierfache gesteigerten Leukocytengehalt
des Blutes, der dazu noch tagelang anhält, und vergleichen damit die nur vorüber¬
gehend — nach unseren Untersuchungen im Höchstfälle um das Doppelte — ver¬
mehrten Leukocyten, eine Vermehrung, die dazu noch nicht einmal in allen Fällen
eintritt, so müssen wir doch sagen, dass die Heranziehung der Phagocytentheorie zur
Begründung der Heilwirkung von Schwitzbädern keine ernsthafte Unterlage besitzt.
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Blutbefund bei Schwitzprozedmen.
381
Um einen Einblick zu gewinnen, ob bestimmte Leukocytenformen in höherem
Maasse als andere an den Schwankungen der Zahl betheiligt seien, wurden mit
Eh rlieh’schem Triacid gefärbte Bluttrockenpräparjite angefertigt, in denen jedesmal
100—150 weisse Blutkörperchen gezählt wurden. In 25 unserer Fälle erfolgte diese
Untersuchung, wobei als Gruppen unterschieden wurden: 1. Neutrophile, 2. Ueber-
gangsformen und grosse Lymphocyten, 3. kleine Lymphocyten, 4. Eosinophile. —
Die Schwankungen des Prozentverhältnisses der einzelnen Formen zu einander waren,
wie auch unter normalen Verhältnissen, nicht unbeträchtlich. Immerhin ergiebt sich
bei Betrachtung derjenigen Fälle, in denen besonders starke Leukocytenvermehrung
und ausgiebige Schweissabsonderung nach Ausweis unserer Tabellen zu konstatieren
war — und das trat vorzüglich in den 13 daraufhin untersuchten Glühlichtbädern
ein —, dass 11 mal bei ihnen sich eine Zunahme der Neutrophilen fand, und zwar in
6 Fällen hauptsächlich auf Kosten der kleinen Lymphocyten, in den anderen 5 auf
Kosten der Uebergangsformen, grossen Lymphocyten und Eosinophilen; es ist also
der Schluss wohl berechtigt, dass die nach, starkem Schwitzen in Heiss¬
luftbädern anftretende Leukocytose hauptsächlich auf die Betheiligung
seitens der Neutrophilen zurückzuführen ist. Dieser Befund würde sich auch
mit den früheren Erfahrungen decken, dass in der überwiegenden Menge der Leuko-
cytosen sich die Neutrophilen am ehesten vermehrt erweisen. So fand Ekgren
neuerdings bei allgemeiner Massage des Körpers eine Leukocytenvermehrung, die fast
nur die Neutrophilen betraf.
Ob es sich in unseren Fällen um eine Thermotaxis (Anlockung der im Knochen¬
mark stets in grosser Zahl aufgespeicherten Polynukleären) handelt, analog der
Chemotaxis (Ehrlich) möchten wir auf Grund der doch nicht eindeutigen Zunahme
der Neutrophilen nicht als erwiesen ansehen.
Wesentlich stärker als die Leukocyten werden spezifisches Gewicht und
Hb-Gehalt durch Heissluftbäder beeinflusst, jedenfalls zeigten sie in allen drei
Heissluftbäderarten in mehr als zwei Dritteln derselben eine Zunahme, während die
weissen Blutkörperchen bei Glühlicht- und Heissluftbädern wohl eine solche in der
Mehrzahl, bei den Bogenlichtbädern aber nur in zwei Fünfteln der Falle aufwiesen.
Ferner ergab sich, dass spezifisches Gewicht und Hb-Gehalt in weit höherem
Maasse durch die obengenannten drei Bäderarten gleichartig verändert, d. h. gleich¬
zeitig vermehrt oder vermindert wurden im Durchschnitt in 72,2 % der Fälle,
während ein gleichartiges Verhalten von Leukocyten und Hb nur in 57,9%, von
Leukocyten und spezifischem Gewicht in 56 % im Durchschnitt zu beobachten war.
Das spezifische Gewicht des Serums, welches gleichfalls nach Hammerschlag
untersucht wurde, war in allen drei untersuchten Fällen (1 mal Heissluft, 1 mal
Bogen-, 1 mal Glühlicht) um ein Geringes vermindert nach dem Bade und zwar be¬
trug diese Verminderung im Höchstfälle 2 % 0 . (Schwankungen, wie sie beim Serum¬
gewicht durch geringe Hämoglobinbeimengung öfters Vorkommen.)
Ueber die Ursache dieser Beeinflussung des Blutes nach Schwitzen in Heiss¬
luftbädern eine völlig befriedigende Erklärung zu geben, ist bisher noch nicht ge¬
lungen. — Wenn auch Hyperämie und Schweissabsonderung in keinem direkten Zu¬
sammenhänge stehen, so ist doch die Ernährung der Schweissdrüsen durch das Blut
bedingt. Je mehr also die Drüsen thätig sind, um so mehr muss seitens des Blutes
für Unterhaltung der Zellen beigetragen werden, wodurch eine Eindickung desselben
erfolgt. Es dürfte dies als der eine Grund der obengefundenen Erscheinungen an-
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382
Walter Krebs und Martin Mayer
Zusehen sein. Als zweiter ist von manchen Seiten die Thatsache angenommen worden,
dass nach längerer Wärmeeinwirkung sich die Hautgefässe bis zu den kleinsten Kalibern
— den Kapillaren — erweitern, welch letztere somit den körperlichen Blutbestand-
theilen weniger Widerstand leisten, und ihnen in grösserer Anzahl als in normalen
Verhältnissen die Passage gestatten. Andrerseits ist wiederum zuzugeben, dass mit
der Erweiterung der Blutgefässe in der Haut und der Herabsetzung des Blutdruckes,
wie sie nach energischem Schwitzen fast stets beobachtet wird, ein Rückschuss von
Gewebssaft in das Gefässsystem ermöglicht, ja herbeigeführt werden kann, sodass
dieser Umstand jedenfalls bis zu einem gewissen Grade geeignet erscheint, die Ver¬
mehrung der Blutkörperchen in der Raumeinheit und Steigerung des spezifischen
Gewichtes zu vereiteln.
Einen völligen Gegensatz, vor allem bezüglich der Leukocyten, zu diesen Er¬
gebnissen nehmen, wie bereits oben angedeutet, die heissen Wasserbäder ein: zeigten
doch in allen 14 untersuchten Fällen die Leukocyten eine Venninderung, waren doch
auch spezifisches Gewicht und Hb-Gehalt in der Mehrzahl herabgesetzt Wie ist
diese auffallende Thatsache, die bisher unseres Wissens ausser von Grawitz —
spezifisches Gewicht — noch niemals -- gerade im Vergleich mit den Heissluft¬
schwitzbädern — betont worden ist, zu erklären? Ist es möglich, dafür den durch
das Wasser auf den Körper und in erster Stelle auf die Haut ausgeübten Druck
heranzuziehen, oder soll man annehmen, dass die in diesen Bädern stets ziemlich
beträchtliche Steigerung der Körpertemperatur auch die inneren Gefasse erweitert,
die bei Heissluftbädern unter gewöhnlicher Innenwärme unbehelligt bleiben, sogar
vielmehr sich im Gegensätze zu den sehr erweiterten Hautgefassen möglicherweise
kontrahieren, um zu grossen Blutdruckschwankungen ein Gegengewicht zu bieten? 1 )
Wir vermögen nicht diese Frage zu entscheiden, möchten jedoch nicht ver¬
absäumen, darauf hinzuweisen, dass voraussichtlich besonders die Vertheilung der
Leukocyten in den Blutgefässen, wie schon oben ausgeführt, mit bedingt ist durch die
Weite dieser, beziehungsweise durch die Widerstände, welche sie den Leukocyten
durch ihre Kontraktion oder Dilatation leisten, und dass somit die vorhin angegebenen
Gründe wohl im stände sein könnten, einen Einfluss auf die Zahl der weissen Blut¬
körperchen in der aus dem Kapillarblut entnommenen Stichprobe auszuüben.
Grawitz, welcher unter 18, bei heissen Wasserbädern und nachfolgenden
Trockenpackungen, angestellten Untersuchungen sechsmal eine Abnahme des
spezifischen Gewichtes feststellte, erklärt diese Erscheinung damit, dass in den
Fällen der Abnahme der vasodilatatorische Einfluss soweit überwiegt, dass trotz Ab¬
gabe von Schweiss eine Verdünnung des Blutes durch Gewebssaft eintritt. Nun ist
aber zu beobachten, dass gerade in heissen Wasserbädern eine Hyperämie der Haut
— also Dilatation der Hautgefässe — in viel geringerem Maasse in die Erscheinung
tritt, als bei Heissluftbädern: eine Thatsache, die dem Grawitz’schen Erklärungs¬
versuche widersprechen würde. Knöpfelmacher sagt zwar: »Nach Einwirkung sehr
heisser Bäder und darauffolgendem intensiven Schwitzen erfolgt eine Zunahme der
rothen Blutkörperchen und eine relativ viel höhere Zunahme der Leukocyten«. Be¬
trachtet man nun aber an der Hand seiner Tabelle diejenigen Fälle, bei denen die
Blutentnahme ganz kurz — bis höchstens drei Minuten — nach dem heissen
Wasserbade erfolgte, so ergiebt sich, dass in den vier in Betracht kommenden
dreimal Abnahme (um 1 , 8 und 14%), einmal Gleichbleiben der Leukocyten,
i) S. auch Matth es.
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Blutbefand bei Schwitzprozeduren.
383
dreimal Abnahme der rotben Blutkörperchen (um 7, 8 und 11 °/ 0 ), einmal Zu¬
nahme (2%); dreimal Abnahme, einmal Zunahme des spezifischen Gewichtes,
zweimal Abnahme, einmal Zunahme — bei drei einschlägigen Fällen — des
Hb-Gehaltes eintraten. Es sind dies also Ergebnisse, welche sich nicht viel
von den unseligen unterscheiden. Wenn Knöpfelmacher, sowie auch andere
Autoren, andere Ergebnisse gefunden, beziehungsweise aus den Befunden ihrer
Untersuchungen nach Schwitzen in heissen Wasserbädern andere Schlussfolgerungen
gezogen haben, so liegt dies zum grossen Theil daran, dass das Blut nicht direkt
nach den heissen Bädern, beziehungsweise noch während derselben, wie bei uns,
entnommen wurde, sondern meist in einem späteren Stadium der Behandlung (Nach¬
schwitzen in Trockenpackung, oder auch Abkühlung). Die Angabe Friedländer’s in
seiner letzten Arbeit, dass häufig unmittelbar nach Einwirkung der Wärme — also
doch wohl im Beginn der Schwitzprozedur — eine Verminderung der Leukocyten
erfolge, die erst später in Hyperleukocytose überginge, ist zu unbestimmt, um hier
zu einer genaueren Vergleichung herangezogen zu werden.
Dürfen wir aus unseren Untersuchungen Schlussfolgerungen für die Therapie
ziehen? Unsere Befunde sind nicht geeignet, grosse Hoffnungen auf die Heilwirkung
der weissen Blutkörperchen und auf die Vermehrung des Hb-Gehaltes in oder nach
Schwitzbädern zu erwecken, da die in der Mehrzahl der Heissluftbäder wohl be¬
obachtete Vermehrung beziehungsweise Steigerung desselben, wie schon erwähnt,
aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf einer vermehrten Bildung von Blutkörperchen,
sondern vielmehr auf einer Eindickung des Blutes und auf einer andersartigen, durch
vasomotorische Einflüsse bedingten Blutzusammensetzung in der Peripherie beruhen
dürfte. Dazu kommt, was bis auf Friedländer von allen Seiten zugegeben wird,
und was wir bestätigen können, dass nämlich diese Blutbefunde nur vorübergehender
Natur sind.
Und schliesslich und vor allem: Welchen therapeutischen Werth könnte es
haben, wenn die Zunahme der Blutkörperchen im peripheren Kapillargebiet zu stände
kommt, einzig auf Kosten der inneren Gefässbezirke? Es fehlt deshalb jeder Anhalt,
aus den Ergebnissen unserer Blutuntersuchungen an und für sich nach irgend einer
Richtung hin therapeutische Konsequenzen zu ziehen.
Wir dürfen als Resultat unserer Untersuchungen folgende Sätze ansehen:
1. Schwitzen von 15 — 25 Minuten in Heissluftbädern bedingt in
der Mehrzahl der Fälle massige Leukocytose (hauptsächlich
erfolgt Vermehrung der neutrophilen Leukocyten), mässige
Zunahme des Hb-Gehaltes und des spezifischen Gewichtes;
2. Glüh- und Bogenlichtbäder nehmen unter den Heissluftbädern
keine Sonderstellung ein;
3. Schwitzen in heissen (40° C) Wasserbädern — 15 —25 Minuten—
verursacht keine Zunahme der weissen Blutkörperchen, eher
eine Abnahme, welche auch spezifisches Gewicht und Hb-Gehalt
in der Mehrzahl zeigen;
4. Die therapeutischen Erfolge der Schwitzkuren sind jedenfalls
nicht auf Rechnung irgendwelcher qualitativer und quanti¬
tativer Veränderungen des Blutes zu setzen (soweit die jetzt vor¬
handenen Untersuchungsmethoden Schlüsse zu ziehen gestatten), sondern
werden vielmehr in einer Beeinflussung der Gewebe selbst
bezw. der Cirkulationsverhältnisse zu suchen sein.
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384 Walter Krebs und Martin Mayer, Blutbefund bei Schwitzprozeduren.
Litteratur.
Becker, Ueber die Veränderung der Zusammensetzung des Blutes durch vasomotorische Ein¬
flüsse etc. Archiv für klinische Medicin 1901. Bd. 70.
Bohland, Ueber die Einwirkung von Hydrotika und Antihydrotika.
Cohnstein - Zuntz, Untersuchungen über den Flüssigkeitsaustausch zwischen Blut und
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Bd. 42. S. 303.
Ehrli ch - Lazarus - Pinkus, Die Anämie. Nothnagel's Handbuch.
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Grawitz, Klinisch-experimentelle Blutuntersuchungen, Zeitschrift für klinische Medicin 1892.
Bd. 21. — Klinische Pathologie des Blutes 1902. 2. Auflage.
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Knöpfelmache r, Ueber vasomotorische Beeinflussung der Zusammensetzung und
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schrift 1901. S. 40. — Lichttherapeutische Erfahrungen. Monatsschrift für orthopädische Chirurgie
etc. 1902. No. 4.
Laqueur und Löwenthal, Ueber die Beeinflussung der Blutzusammensetzung durch lokale
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Leichtenstern, Untersuchungen über den Hämoglobingehalt des Blutes. Leipzig 1878.
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Malassez, Sitzungsbericht. Gazette mödicale de Paris 1874. S. 673.
Matth es, Lehrbuch der klinischen Hydrotherapie. Jena 1900.
Rieder, Beitrag zur Kenntniss der Leukocytose. Leipzig 1892.
Rovighi, Prager medicinische Wochenschrift 1892.
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Winternitz, Neue Untersuchungen über Blutveränderungen nach thermischen Einflüssen.
Centralblatt für innere Medicin 1893. S. 1017.
Ziegelroth, Das spezifische Gewicht des Blutes nach starkem Schwitzen. Virchow’s
Archiv 1896. Bd. 146.
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H. Iacobäus, Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 385
ix
Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel,
besonders bei Herzkrankheiten.
Vortrag, gehalten in der medicinischen Gesellschaft zu Kopenhagen am 17. Dezember 1901.
Von
Dr. H. Iacobäus,
dirigirender Arzt am Finsen-Sanatorium in Kopenhagen.
Meine Herren! Es ist ja eine alte Sache, dass Veränderungen des Körper¬
gewichtes ein sehr wichtiges Symptom ist, und ich brauche nur an die Bedeutung
zu erinnern, die man dem Sinken oder Steigen des Gewichtes während Phthisis
pulmonum oder Diabetes mellitus zuschreibt. Man hat deshalb auch schon seit
langer Zeit bei diesen und anderen Krankheiten in reichem Maasse sich der Wägungen
bedient, wenn sie auch nicht gerade jeden Tag vorgenommen werden.
Wenn uns die Veränderung im Gewichte während einer Lungentuberkulose oder
eines Diabetes wichtige Schlüsse zu ziehen erlaubt, so kommt das davon, dass die
Krankheit stark auf den allgemeinen Ernährungszustand einwirkt; schreitet die Krank¬
heit vorwärts, geht die Ernährung zurück, so zeigt sich dies durch das Sinken des
Körpergewichtes. Umgekehrt steigt das Gewicht, wenn sich der Krankheitszustand
etwas bessert. Diejenigen Aufklärungen, die uns die Wägungen bei den genannten
sowie bei den meisten anderen Leiden gewähren, erhalten wir, wenn ich so sagen
darf, auf indirektem Wege, indem wir vom Gewichte auf den Ernährungszustand
schliessen und von diesem wiederum auf den krankhaften Zustand. Es ist indessen
auch möglich — wie ich es heute Abend zu zeigen versuchen werde —, direkte,
unmittelbare Aufklärungen über das Zunehmen oder Abnehmen pathologischer Ab¬
lagerungen mittels häufiger, am liebsten täglicher Wägungen zu erhalten.
Wenn ein hydropischer Patient mittels passender Behandlung eine sehr reich¬
liche Diurese bekommt, wobei die Oedeme schwinden, dann liegt es ja auf der Hand,
dass auch das Gewicht sinken muss. Zuweilen hat man zwar einen bedeutenden Ge¬
wichtsverlust konstatiert, wenn die Wägungen nur ab und zu unternommen wurden;
über eine methodische Anwendung der Wageschale bei derartigen Krankheitszuständen
dagegen findet man in der Litteratur nur sehr wenig, jedenfalls so weit ich dieselbe
zu übersehen im stände bin. Ich habe nämlich nur eine einzige, vom bekannten
französischen Kliniker Chauffard geschriebene Arbeit finden können. Sie heisst:
»De la möthode des pes6es quotidiennes pour l’6valution quantitative des 6panche-
ments du p^ritoine et de la plövrec. Verfasser erwähnt hier zwei Fälle von Ascites,
bei denen er das Steigen und Sinken der Unterleibsflüssigkeit mittels täglicher
Wägungen zu erforschen versucht; ausserdem nennt er vier Fälle von exsudativer
Pleuritis. Er hebt scharf hervor, dass die täglichen Wägungen leicht ausführbar
sind, und zuverlässige Aufklärungen über das Zunehmen und Abnehmen des Exsudats
geben; es ist dies ja eine sehr wichtige klinische Frage, die man unter Anwendung
ZeJtechr. f. diät u. ptaysik. Therapie Bd. VL Heft 7. 27
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386
H. Iacobäus
Kurve 42.
recht difficiler Untersuchungsmethoden, wie z. B. die Gefrierpunktsbestimmung der
Pleuraflüssigkeit und des Blutes, zu beantworten versucht hat.
Die Abhandlung Ghauffard’s ist in »La semaine mödicalec vom 17. Juli 1901
erschienen. Schon seit mehreren Jahren hat indessen unser bekannter Kollege Pro¬
fessor Finsen sich der täglichen Wägungen bedient, um dadurch einen Maassstab
für das Abnehmen und Zunehmen der Ascitesflüssigkeit und so eine Hilfe für die
Therapie seiner eigenen Krankheit zu bekommen. Auf dem hiesigen Sanatorium für
Herz- und Leberkrankheiten sind diese täglichen Wägungen in weitem Maasse aus¬
geführt worden, und es sind die dabei erzielten Resultate, die ich heute gern mit¬
theilen möchte.
Bezüglich der Technik ist zu bemerken, dass wir eine Wage benutzten, die
schon mit 10 g Ausschlag zeigt. Es wäre selbstredend das beste gewesen, das Wägen
in nacktem Zustande zu unternehmen. Dies haben wir jedoch nicht durchführen
können; indessen haben wir stets sorgfältig darauf geachtet, dass die Patienten immer
in derselben Kleidung gewogen wurden, und da
die Kranken, fast alle, diesen Wägungen ein zu
Zeiten sogar zu regesinteresse entgegenbrachten,
kann man dieselben wohl als völlig zuverlässig
betrachten.
Um die Resultate, die eine Untersuchungs¬
methode bei pathologischen Zuständen giebt, völlig
beurtheilen zu können, muss man sie im voraus
unter physiologischen Verhältnissen versucht haben.
Wir haben deshalb auch eine Anzahl täglicher
Wägungen gesunder Individuen gemacht, und als
Probe werde ich Ihnen, meine Herren, Kurve 42
und 43 vorzeigen, die von einem gesunden Manne
und von einem gesunden Kinde herrühren. Diese,
sowie die übrigen Kurven sind derart konstruiert,
dass der Zwischenraum zweier kleiner Striche der
Vertikale 200 g und der Horizontale einen Tag
entspricht. Fünf der erstgenannten Zwischenräume entsprechen also 1 kg, sieben der
letztgenannten einer Woche.
Es fällt nun gleich auf, dass das Gewicht, von Tag zu Tag untersucht, einige
Schwankungen aufweist. Es ist ja längst bekannt, dass das Gewicht, selbst bei ge¬
sunden Individuen, und wenn die äusseren Lebensbedingungen konstant bleiben,
etwas variiert, was wahrscheinlich davon kommt, dass sich der Wassergehalt des
Organismus innerhalb gewisser, übrigens enger Grenzen verändert, auch unter physio¬
logischen Verhältnissen. Die Gewichtskurve wird indessen sicher in hohem Grade
davon beeinflusst, ob Vesika und Rektum beim Wägen leer oder voll sind. Es bietet
nun für gewöhnlich keine besondere Schwierigkeiten, sich beim täglichen Wägen von
der völligen oder der annähernden Leere der Vesika zu überzeugen. Etwas anders
verhält es sich mit dem Rektum, und dies spielt eine Rolle, wie uns Kurve 42 zeigt.
In der ersteren Periode wurden die Wägungen ohne Rücksicht auf eventueller Ab¬
führung ausgeführt, in der letzteren immer nachdem das Rektum entleert worden
war; man sieht leicht, dass die Schwankungen im ersteren Abschnitt viel grösser
und mehr unregelmässig sind als im letzteren.
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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel.
387
Es entsprechen ebenfalls die Spitzen der Kurve 43 denjenigen Tagen, an welchen
die Wägungen vor der Entleerung des Rektums unternommen wurden. Diese nor¬
malen Gewichtskurven haben ihr hauptsächliches Interesse, wenn wir sie mit den
pathologischen vergleichen. Es ist jedoch noch ein Punkt, den ich eben gern be¬
rühren möchte. Die Kurve 43 zeigt uns eine Veränderung des Körpergewichtes von
einem Tag bis zum andern bis auf 600 g. Es kommt sehr häufig vor, dass ein
Phthisiker oder ein Diabetiker entweder übermässig froh oder tief geknickt ist, weil
die wöchentlichen Wägungen ein Steigen, bezw. ein Sinken von 1—2 Pfund des
Gewichtes zeigen. Wenn man indessen bedenkt, dass die Wägung in der grossen
Mehrzahl der Fälle ohne Rücksicht auf den Füllungsgrad der Vesika oder des Rektums
unternommen wurde, und zumal mit Hilfe einer bedeutend gröberen Wage als die¬
jenige, die wir benutzt haben, dann ist es höchst wahrscheinlich, dass das, wenn
ich so sagen darf, reelle Gewicht oft unverändert ist, und dass also keine besondere
Ursache zur Freude oder Trauer vorliegt.
Kurve 43. Kurve 44.
Wenn ich nun dazu übergehe, Ihnen, meine Herren, einige Gewichtskurven zu
zeigen, die von pathologischen Fällen herrühren, muss ich die Bemerkung voraus¬
schicken, dass ich von den Krankengeschichten nur so viel mittheilen werde, wie
eben nöthig, um eine Idee der Natur und der Intensität des betreffenden Krankheits¬
falles zu bekommen.
Die Kurve 44 rührt von einem 56 jährigen Weibe her, die am 6. Mai 1901 nach dem
Sanatorium kam. Sic litt an Morbus cordis mitraiis nach wiederholter Febris rhcumatica.
Es waren bedeutende Oedeme, etwas Ascites, starke Cyanose und Dyspnoe. Nach zwei¬
tägiger Observation wurde Bettlager verordnet und die medikamenteile Behandlung cingeleitet.
Die Diurese nahm stark zu, Oedeme und Ascites schwanden völlig, und nach 12 Tagen
stand sie wieder auf. Das Gewicht war von 73,7 kg bis 65,125 kg gefallen, also ein Ver¬
lust von etwas über 8,5 kg.
Diese Zahl hat zweifelsohne einiges Interesse. Das insufficiente Herz -kann
bekanntermaassen nur schwierig denjenigen Anforderungen nachkommen, die ihm
27*
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388 H. lacobäus
jede Körperbewegung stellt. Es ist durchaus nicht gleichgültig, ob das Gewicht,
das bewegt werden soll, 8,5 kg mehr oder weniger ist, und man versteht, dass die
Patientin selber merken kann, dass sie viel leichter geht, nachdem sie von diesen
8,5 kg oder, was dasselbe ist, beinahe 1 2°/ 0 des ursprünglichen Gewichtes befreit
worden ist. Hierzu kommt nun ferner, dass diese Betrachtungsweise, die aus¬
schliesslich auf die groben mechanischen Verhältnisse zielt, wohl einige Wahrheits¬
momente enthält, jedoch aber durchaus nicht völlig die Wohlthat darlegt, die‘man
einem Patienten dadurch erweist, dass man ihm von Hydropsieen befreit. Diese be¬
dingen an und für sich ein grosses Hinderniss für die Cirkulation. Wieder und
wieder hat man ja gesehen, dass die Patienten lange Zeit hindurch mit schweren
Oedemen und elender Diurese liegen können, bis die Haut berstet oder punktiert
wird. Wenn nun ein Theil der transsudierten Flüssigkeit entleert wird, steigt oft
die Urinabsonderung, und die Cirkulation bessert sich, auch wenn sonst keine andere
besondere Behandlung instituiert wird. Dies
kann nur derart gedeutet werden, dass die
Oedeme in hohem Grade den peripheren Wider¬
stand vergrüssern. Dass die mechanischen Ver¬
hältnisse überhaupt eine grosse Rolle bei hy-
dropischen Zuständen spielen, geht auch aus
Erfahrungen hervor, die von Patienten mit
Ascites herrühren. Hier bei uns hat besonders
Finsen, nach eigener persönlicher Erfahrung,
alle die Qualen hervorgehoben, die ein be¬
deutender Ascites verursacht, und gleichzeitig
zeigt er, wie dieselben abnehmen, sobald der
Ascites in der einen oder anderen Weise ab¬
nimmt. Das Resultat dieser Betrachtungen
muss also sein, dass wir immer die für Herz¬
kranke so verhängnissvolle Bildung von Hy¬
dropsieen zu verhindern suchen müssen; in dieser
Beziehung können wir sicher etwas machen.
Da dieser Patient so stark angegriffen
war, wurden 11 Tage keine Wägungen unternommen, weshalb der Gewichtsverlust
durch eine gerade Linie repräsentiert wird. Wenn aber eine Wägung jeden Tag ge¬
macht worden wäre, hätte man jedoch sicher einen successiven gleichmässigen Ge¬
wichtsverlust konstatieren können. Ich bin nämlich im stände, Ihnen, meine Herren,
einige Kurven vorzuzeigen, die ebenfalls sehr bedeutende Schwankungen des Körper¬
gewichtes zeigen.
Kurve 45 rührt von einem 66jährigen Manne her, der nach dem Sanatorium am
28. Juli kam. Er litt seit einem Jahre an Herzklopfen und Kurzathmigkeit; zeigte un¬
zweifelhafte Zeichen eines Mitralleidens; die Leber war ziemlich geschwollen, kein nach¬
weisbarer Ascites, grosse, aber ziemlich schlaffe Oedeme der Unterextremitäten. Während
der medikamentellen Behandlung sinkt das Gewicht, wie die Kurve zeigt, zunächst plötzlich,
später langsam im Laufe von 14 Tagen von 66,7 kg bis 60 kg oder beinahe 5,5 kg.
Wie ausserordentlich rasch das Gewicht infolge eines rapiden Zunehmens der
Oedeme steigen kann, zeigt die Kurve 46.
Der Patient war ein 52 jähriger Mann, der am 12. August aufgenommen wurde. Im
Februar fing er an, an Verdauungsstörungen zu leiden, nach kurzer Zeit stellten sich Kurz-
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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel.
389
Kurve 46.
athmigkeit, Herzklopfen und leichte Oedeme ein. Von Men bei passender Behandlung hervor¬
gerufenen Remissionen abgesehen, verschlechterte sich der Zustand im Laufe der folgenden
Monate. Bei der Aufnahme zeigten sich Symptome von Nephritis mit 1—3°/oo Albumen und
einige Cylinder im Harn; ferner excessive Dilatation
und Hypertrophie des linken Ventrikels. Den Iktus
fühlte man im sechsten Interkostalraum in der
mittleren Axillarlinie; die Töne rein. Während
der medikamentelien Behandlung fiel das Gewicht
etwas, die Oedeme nahmen ab, schwanden aber
nicht völlig; nachdem die Medikamente seponiert
waren, fing das Gewicht an, rapid zu steigen, wie
die Kurve zeigt Im Laufe von 10 Tagen steigt
es von 62,5 kg bis 69,9 kg, oder ungefähr 7,5 kg.
70.190
€ 9.10 9
€8,100 -j
Die Kurve 47 zeigt sowohl ein starkes Ab- 61 > m
nehmen als auch ein bedeutendes Steigen des
Gewichtes.
Der Patient, ein 48jähriger Mann, fing zur
Osterzeit an, an Herzklopfen und Kurzathmigkeit
zu leiden. Bei der Aufnahme am 9. August zeigten
sich sowohl Symptome eines Morbus cordis mitralis,
sowie einer Nephritis (ca. lVs°/oo Albumen und
einige Cylinder im Harn). Kurz bevor war er mit
Strophantus und digitalis behandelt worden. Wie
die Kurve zeigt, fängt das Gewicht gleich an zu
steigen; es wurde dann wieder eine medikamenteile Behandlung instituiert, und es sinkt
jetzt das Körpergewicht stark, im Laufe von neun Tagen von 87,6 kg bis 80 kg. Sobald
die Medikamente seponiert werden, geht das Gewicht in die Höhe, und erreicht im Laufe
von 3—4 Wochen dieselbe Höhe,
wie vorher. Ein einzelner Tag Kurve 47.
zeigt , eine Gewichtsvermehrung
von 2 kg.
Die Kurven zeigen ja, wie
Sie, meine Herren, leicht er¬
sehen werden, einige Unregel- S5
mässigkeiten, indem das Ge¬
wicht an einzelnen Tagen sta¬
tionär sein kann, oder auch
etwas zunehraen in einer Pe¬
riode, wo es sonst stark sinkend
ist, während es auf der anderen
Seite ab und zu sinkt in Pe¬
rioden, wo es sich in starker
Steigung befindet; dies hängt
nun theils damit zusammen,
dass das Gewicht auch unter
pathologischen Verhältnissen
dieselben eigenthümlichen Schwankungen zeigt, die wir im normalen Zustande ge¬
funden haben; teils, und ganz besonders, rühren diese Unregelmässigkeiten von dem
Einflüsse der Abführung her. Man schätzt das Gewicht der täglichen Abführung
auf 170 g; dies ist jedoch eine reine Durchschnittszahl; bei vegetabilischer Nahrung
steigt es bis auf 400—500 g, und bei Diarrhöe, gleichgültig ob sie von einem Darm-
1 1 111 r 1 1 1 1 1
IDag R r ge
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390 H. lacobäus
leiden oder von Abführungsmitteln herrührt, kann das Gewicht der täglichen Aus¬
leerungen bis auf 1200—1300 g steigen. Welchen Einfluss die Abführung auf eine
im übrigen aussergewöhnlich regelmässige Kurve ausüht, geht u. a. auch aus der
Kurve 48 hervor.
Die Patientin war ein 72jfthriges Weib, das am 2. Mai aufgenommen wurde. Während
der letzten Jahre litt sie ein paarmal vorübergehend an Ikterus; keine Schmerzen. Ein
Jahr vor der Aufnahme hatten sich plötzlich Symptome eines schweren Heparleidens ge¬
zeigt. Das Organ war geschwollen, es war Ikterus und zugleich hohes unregelmässig re¬
mittierendes Fieber. Das Allgemeinbefinden war selbstredend sehr mitgenommen. Die febrile
Periode dauerte sechs Monate; noch ehe das Fieber ganz verschwunden war, fing ein
Ascites an, welcher gleichmftssig zunahm und wiederholter Punktur bedurfte; die letzte
Punktur wurde am 25. April unternommen. Bei der Aufnahme war die Patientin in gutem
Ernährungszustände; die Funktion normal, die Diurese jedoch nur sehr gering, 300 bis
400 ccm. Es war ein bedeutender Ascites; Hepar reichte ungefähr bis zur Umbilikaltrans-
versale, war sehr fest und hart und mit höckeriger Oberfläche.
Kurve 48.
Ich habe diese Krankheitsgeschichte etwas ausführlicher referiert, weil es sich
hier um einen sehr seltenen Fall handelt; jedenfalls habe ich in den kasuistischen
Mittheilungen über Leberkrankheiten, die ich studiert habe, nichts Entsprechendes
finden können. Die Deutung bietet jedoch kaum unüberwindliche Schwierigkeiten.
Nachdem die Patientin ein paar Anfälle von leichter Infektion der Gallenwege gehabt
hat, die nur einen vorbeigehenden Ikterus verursachten, hat sie einen sehr schweren
Anfall mit langwierigem hohen Fieber bekommen. Die Infektion ist zwar zur Ausheilung
gekommen, hat aber starke schrumpfende Prozesse im Bindegewebe der Leber hinter¬
lassen mit konsekutiver Pfortaderstauung und Ascites. Die Höcker^ die man auf
der Oberfläche der Leber deutlich fühlen konnte und die man eine Zeit lang als
Kancer fürchtete, sind vielleicht theilweise von der fibrösen Retraktion bedingt, zum
Theil aber rühren sie jedenfalls von einer Neubildung von Lebergewebe in Form
von Adenomen her. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich bei fast allen
Formen von Hepatitis regenerative Prozesse finden, besonders eine Neuformation der
Gallenkapilläre, jedoch aber auch der Leberzellen, zuweilen in so hohem Grade,
dass sich veritable Knoten bilden. Diese Form von Hepatitis ist u. a. von franzö-
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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 391
sischen Autoren unter dem Namen von »Höpatite nodulaire« beschrieben. Mit dieser
Annahme, wonach also eine reichliche Menge funktionsfähigen Lebergewebes vor¬
handen sein sollte, bekommen wir eine acceptable Erklärung des auffallend guten
Ernährungszustandes, den die Patientin, der schweren Cirkulationsstörungen im
Unterleibe zum Trotze, besass. Denn der äusserst schlechte, zuweilen beinahe
kachektische Zustand, den man in manchen Fällen von Hepatitis findet, hängt gewiss
in erster Reihe von der Läsion der Leberzellen ab, deren Funktion, wie von Chauf-
fard in seiner bekannten Darstellung der Leberleiden in »Traitö de m^decine« hervor¬
gehoben, äusserst mannigfaltig, und deren Bedeutung für den Gesammtorganismus
ausserordentlich gross ist. Die Patientin wurde mittels Diät, welche nur eine relativ
geringe Menge flüssiger Stoffe enthielt, behandelt, und diese Diät scheint auch ihre
Wirkung zu thun; während der Ascites in den Wochen vor der Aufnahme unzweifel¬
haft in Steigung war, blieb jetzt das Gewicht und der Umfang des Unterleibes un¬
verändert. An vereinzelten Tagen zeigte das Gewicht ein ziemlich plötzliches Sinken,
verursacht durch eine reichlichere Abführung. In der dritten Woche trat z. B. ein
interkurrenter, übrigens sehr moderater Durchfall ein, wobei in drei auf einander
folgenden Tagen bezw. 710, 310 und 210 g entleert wurden, welches sich, wie Sie,
meine Herren, sehen, in der Kurve deutlich bemerkbar macht Anfangs der fünften
Woche des Aufenthalts punktierte man und entleerte 5 1 seröser Flüssigkeit, und
man hegte nun die Hoffnung, durch Anwendung derselben Behandlung den Ascites
zurückhalten zu können. Dies misslang indessen; wie die Kurve zeigt, stieg das
Gewicht von Tag zu Tag, und es vergrösserte sich der Umfang des Unterleibes. Die
Ursache dieses in seiner Weise ungünstigen Resultats ist wahrscheinlich die, dass
die Schrumpfungsprozesse der Leber und somit die Stauung im Pfortadergebiete in
derselben Periode Zunahmen; gleichzeitig mit dem Zunehmen des Ascites wurden die
Venen der Bauchdecken mehr hervortretend und gespannt, und auch während des
früheren Krankheitsverlaufs stieg der Ascites in gewissen Perioden rasch, in anderen
langsam.
Diese Beobachtung, die ja nach mehreren Richtungen hin Interesse bietet, hat
auch Bedeutung für die Beantwortung der für die Brauchbarkeit der Methode über¬
aus wichtigen Frage: Inwiefern können wir schliessen, dass ein Zunehmen des Ge¬
wichtes ein präziser Ausdruck für die Vermehrung der Flüssigkeitsmenge des Körpers
ist, und umgekehrt. Man sieht gleich, dass der nach einer Punktur eintretende Ge¬
wichtsverlust ziemlich genau dem Gewichte der entleerten Flüssigkeitsmenge ent¬
spricht. Ebenfalls muss man auch der genauen Uebereinstimmung, die sich zwischen
dem Zunehmen und dem Abnehmen des Gewichtes und dem Umfang des Unterleibes
findet, einige Bedeutung zuschreiben. Sie tritt sehr deutlich in der Kurve 49 hervor,
welche von einem 40jährigen Mann, der seit vielen Jahren an Morbus cordis und
einer Leberkrankheit gelitten hat, herrührt; seit ca. 10 Jahren leidet er an Ascites,
während es durch eine durchgeführte diätetische Behandlung möglich war, die Bildung
von Oedemen so zu sagen völlig zu verhindern. Das Gewicht ist bei dieser wie bei
den übrigen Kurven durch eine grade Linie, die Maasse des Unterleibes durch eine
gebrochene repräsentiert, und Sie sehen ja, wie genau sie einander folgen. Ferner
wirkt eine stark wasserhaltige Abführung beträchtlich auf die Gewichtskurve ein,
wie es aus der Kurve 48 hervorgeht. Noch prägnanter zeigt sich diese Wirkung auf
der Kurve 50, die vom letztgenannten Patienten stammt; ca. vier Wochen lang wurde
jeden dritten Tag ein starkes salinisches Abführungsmittel gegeben, und Sie sehen,
wie hierbei ein konstanter Gewichtsverlust Yon etwa 1 kg hervorgerufen wird.
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392
11. lacobäus
Theoretisch kann eine Vergrösserung, bezw. eine Verminderung des Körper¬
gewichtes ein Zunehmen, bezw. ein Abnehmen theils der festen Bestandteile des
Körpers, theils der Wassermenge desselben bedeuten, und selbstredend kann man in
gewissen Fällen im Unklaren sein, ob das eine oder das andere stattgefunden hat
Hat man indessen Wägungen, wenn auch nur für einige Tage, wird man sich jedoch
selten irren. Die sehr bedeutenden Schwankungen des Gewichtes, die verschiedene von
diesen Kurven zeigen, findet man gewiss nur bei den hydropischen Zuständen, und
hierzu kommen als sehr werthvolles Hilfsmittel die begleitenden Umstände. Wenn die
Hydropsieen zunehmen, vermindert sich in der Regel der Appetit, und der allgemeine
Zustand wird im ganzen schlechter; es ist nun mehr als unwahrscheinlich, dass die festen
Bestandteile des Körpers sich unter diesen Umständen vermehren, und wenn das
Gewicht steigt, kann man sicher schliessen, dass dies auf ein Zunehmen des Wasser¬
gehalts zurückzufUhren ist; umgekehrt findet man gewöhnlich einen besseren Appetit,
und im ganzen ein besseres Befinden mit einem oft starken Gewichtsverlust zusammen.
Kurve 49.
Auf der Kurve 44 , um ein konkretes Beispiel zu nehmen, wurde der Appetit schlecht
zu derselben Zeit, wo das Gewicht zu steigen anfing und besserte sich bedeutend,
sobald es wieder fiel.
Ich glaube deshalb, dass man bei Fällen von Herzkrankheiten mit Hydropsieen
und Leberaffektionen mit Ascites in den täglichen Wägungen ein Mittel besitzt, wo¬
durch wir bestimmen können, ob eine pathologische Anhäufung von Flüssigkeit in
dem angegriffenen Organismus vor sich geht oder nicht, und ich glaube zugleich,
dass dieses Mittel recht empfindlich ist. Bei der Patientin, deren Kurve mit 44 be¬
zeichnet ist, kam z. B. eine Periode vor, wo das Gewicht zweifellos eine abnorme
Retention von Wasser zeigte, ohne dass man Ascites oder Oedeme der Unterextre¬
mität nachweisen konnte. Dies zeigt ja, was man übrigens im voraus erwarten
konnte, dass die abnorme Wasserretention recht beträchtlich sein muss, ehe man im
stände ist, ihre Folgen, die Hydropsieen, nachzuweisen. Wenn die Diurese fällt, dann
ist es wohl wahrscheinlich, dass eine Wasseranhäufung im Organismus stattfindet
Die tägliche Urinmenge wird indessen von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst,
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Uebcr das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 393
wie z. B. dem Genüsse flüssiger Stoffe, der Hautfunktion u. a., so dass die Grösse
der Diurese allein immer nur einen unzuverlässigen Maassstab dafür bietet, ob sich
Wasser im Körper anhäuft.
Jede Diagnose zielt ja zunächst auf die Therapie, und die Frage isF nun die,
ob diese täglichen Wägungen dem Arzte bei seiner wichtigsten Aufgabe', der Be¬
handlung der Patienten, helfen können. Ganz im allgemeinen gilt die Regel, dass
wir eine Therapie instituieren auf Grundlage unseres Wissens vom Wesen und von
der Natur der Krankheit und von der biologischen Wirkungsweise der angewandten
Mittel mit dem Resultate zahlreicher klinischen Beobachtungen zusammen gehalten,
indem wir zugleich die Behandlung nach den speziellen Erforderungen des vorliegen¬
den Falles einzurichten versuchen. Wir müssen indessen gestehen, dass eine insti-
tuierte Behandlung durchaus nicht selten als ein Versuch — der gelingen oder miss¬
lingen kann — aufzufassen ist, und die Reaktion des Krankheitsfalles ist dafür ent¬
scheidend, ob wir die Behandlung seponieren oder fortsetzen, verstärken oder ab-
Kurve 50. Kurve 51.
schwächen sollen. Eine Methode, die uns gestattet, einigermaassen genau den Ver-
änderungen im kranken Organismus während der Behandlung zu folgen, muss des¬
halb selbstredend einige Bedeutung für die Therapie besitzen. Es sind indessen
nicht nur derartige theoretische Betrachtungen, die für die Brauchbarkeit derjMethode
sprechen, sondern diese lässt sich auch in mehreren Punkten direkt nachweisen.
Wie Sie sich vielleicht erinnern, meine Herren, stammt Kurve 44 von einer
Patientin mit einer sehr weit vorgeschrittenen Herzkrankheit. Während es nun keinem
Zweifel unterworfen ist, dass die Kohlensäurebäder gut, zuweilen sogar vorzüglich
wirken bei Fällen, wo die Kompensation zu versagen anfängt, stellt sich die Sache
etwas anders bei denjenigen Patienten, die Zeichen schwerer Kompensätionsstörungen
darbieten oder dargeboten haben. Die Frage von den Indikationen für Kohlensäure¬
bäder, auf die ich übrigens jetzt nicht näher eingehen werde, gehört überhaupt zu
den sehr streitigen. Was den vorliegenden Fall anbelangt, so meinte „ich, dass
man einen Versuch mit Kohlensäurebäder machen konnte, besonders weil wir in der
Weise, die wir bei der Bereitung der Bäder verwenden, im stände sind, die Stärke
sehr genau zu bestimmen ; es ist ja ausserdem ein grosser Vortheil, dass der Patient
unter fortwährender täglicher Observation gehalten wird. Wie es aus der Kurve
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394 H. lacobäus
hervorgeht, fing das Gewicht an zu sinken, nachdem die Patientin einige Bäder
genommen hatte, und es wurde deshalb die Behandlung fortgesetzt; wenn das Ge¬
wicht dagegen fortwährend gestiegen wäre, und besonders wenn die Steigung stärker
geworden wäre, hätten wir selbstredend die Bäder in diesem Falle seponiert.
Die wesentlichste Hilfe durch die Wägungen bekommen wir indessen bei der
Entscheidung des sehr wichtigen Problems: Die Ernährung des Patienten. Ich gehe
auf die schwierige Frage nicht ein, welche Bedeutung es für den gesunden und
kranken Organismus hat, ob ihm eine grössere oder geringere Menge flüssiger Stoffe
zugeführt wird. Ich mache nur darauf aufmerksam, dass Oertel in seinem sehr
bekannten Buche: »Allgemeine Therapie der Kreislaufstörungen«, die Rolle hervor¬
gehoben hat, die eine Einschränkung der flüssigen Stoffe für die Herzpatienten spielt,
eine Anschauung die heutzutage als allgemein anerkannt anzusehen ist. Hier bei
uns hat Finsen in einer Abhandlung: »Ueber die Behandlung und die Vorbeugung
von Ascites« die grosse Bedeutung hervorgehoben, die eine mildere oder strengere
Trockendiät unzweifelhaft besitzt für die Behandlung von Transsudaten im Unter¬
leibe. Für gewöhnlich sagt man dann auch den Herzpatienten: Sie dürfen
nicht zu viel trinken. Die richtige Ausführung dieser Ordination bietet indessen oft
besondere Schwierigkeiten dar. Es leuchtet ja zunächst ein, dass die Einschränkung
in der Zufuhr flüssiger Stoffe von dem Grad der Girkulationsstörung abhängen muss;
leichte Fälle können ohne Schaden mehr Flüssigkeit geniessen, schwere müssen sich
mit weniger begnügen. Ausserdem sind aber die Patienten in der Regel nicht darüber
klar, wie viel sie überhaupt trinken, und sie sind sehr geneigt, Getränke, die man
von ihrer Diät ausschliesst, mit stark wasserhaltigen Nahrungsmitteln zu ersetzen.
Wenn man, wie es in dem Sanatorium geschieht, eine Reihe von Tagen alles wägt,
was der Patient im Laufe des Tages geniesst — welches ja ausserdem eine genaue
Berechnung theils der Menge von Trockenstoff in der Nahrung, theils ihres Inhalts
von Kalorieen möglich macht —, dann zeigt es sich, dass das Gewicht von Nahrungs¬
mitteln, welche in einem Tage von einem Menschen eingenommen werden, im
weitesten Sinne des Wortes sehr variiert. Um unter den vielen Zahlen, die zu
meiner Verfügung stehen, einige zu nennen, nahm eine Frau, die 55 kg wog, in fünf
Tagen 5600 g oder 1120 g pro Tag ein, ein Mann, der 66 kg wog, in derselben Zeit
11510 g oder ca. 2300 g pro Tag, ein Mann, der 115 kg wog, 15490 g oder ca.
3100 g pro Tag. Alle ohne Ausnahme erklärten, dass sie nur sehr wenig tranken
oder jedenfalls viel weniger wie früher. Man wird leicht verstehen, dass man Glück
haben muss, um das richtige Maass flüssiger Stoffe, welches einem Herzpatienten
zulässig ist, zu bestimmen, wenn die Ordination sich darauf beschränkt: Sie dürfen
nicht so viel trinken. Wenn man indessen bloss einige Zeit hindurch bestimmt, was
der Patient nach eigenem Gutdünken zu sich nimmt und gleichzeitig mit Hilfe der
Gewichtskurve eine gewiss recht zuverlässige Abschätzung darüber bekommt, ob
Wasserretention im Organismus vorhanden ist oder nicht, kann man selbstredend
ohne besondere Schwierigkeit finden, was im gegebenen Falle am besten passt.
Welchen Einfluss eine etwas rigorose Durchführung einer Trockendiät auf eine patho¬
logische Wasseransammlung ausüben kann, bin ich im stände, Ihnen durch das fol¬
gende Beispiel zu zeigen.
Die Kurve 51 rührt von dem schon wiederholt erwähnten Patienten mit Morbus
cordis und Leberleiden mit schwerem Ascites, nicht aber Oedemen her. Der auf-
steigende Theil der Kurve zeigt eine Periode, wo der Patient eine, jedenfalls für
ihn zu grosse Menge flüssiger Stoffe zu sich nahm. Das Resultat war nämlich ein
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Ueber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 395
starkes Steigen des Gewichtes mit Vergrösserung des Umfanges des Unterleibes und
mit dem GefQhl peinlichen Druckes und Spannung. Drei Tage lang wurde nun
Trockendiät in Verbindung mit salinischen Abführungsmitteln verordnet In derZeit
ist die gesammte Einnahme von Nahrungsmitteln 2520 g, das Gewicht des Urins und
der Abführung zusammen 4260 g, und der gesammte Gewichtsverlust 3205 g. Ein
noch grösserer Gewichtsverlust, durch Trockendiät verursacht, ist in der Kurve 52,
die ebenfalls vom obengenannten Patienten herrührt, graphisch dargestellt.
Es steht hiernach für mich als sicher und unzweifelhaft, dass die täglichen
Wägungen Hilfe leisten können bei der Diagnose und der Behandlung von Herz¬
krankheiten mit Hydropsieen und Leberleiden mit Ascites. Eine Frage ist es noch, ob
sie nicht in Verbindung mit einigen anderen quantitativen Untersuchungen als kli¬
nische Untersuchungsmethode benutzt werden können, auf einem Gebiete, wo man
in hohem Grade einer solchen bedarf.
Wägt man einen Menschen auf zwei oder mehr aufeinander folgenden Tagen
und wägt man ferner alles, was der Betreffende zu sich nimmt, sowie den entleerten
Urin und die Abführung, so entsteht dadurch
ein solches Minus in der Bilanz, dass das durch
die Haut und die Lungen abgegebene Wasser und
Kohlensäure das Gewicht des aufgenommenen
Sauerstoffs bedeutend überschreitet.
Diese sogenannte Perspiratio insensibilis
ist im Durchschnitt für Erwachsene 1200 g. Es
ist indessen eine Grösse, die von vielen Fak¬
toren, wie z. B. das Verhalten der Luft, Be¬
wegung und Ruhe, die Art der Ernährung, be¬
einflusst wird, und es ist deshalb schwierig,
-wenn auch nicht gerade unmöglich, mit ihr zu
rechnen. Die Grösse der Diurese ist bekannter-
maassen von vielen verschiedenen Momenten
abhängig, jedoch bezweifelt wohl niemand, dass
Diuresemessungen ihre unzweifelhafte klinische
Bedeutung besitzen. Viel deutet nun darauf
hin, dass die insensible Perspiration bei ge¬
wissen Krankheitszuständen herabgesetzt wird-
Es ist ja allgemein bekannt, das ödematöse Patienten oft genug nicht durch solche
Mittel zum Schwitzen gebracht werden können, die sonst bei Gesunden eine reich¬
liche Schweissabsonderung bewirken; sicher, wenn auch weniger bekannt, ist es,
dass auch chronische Leberleiden die Fähigkeit zum Schwitzen herabsetzen oder
völlig aufheben. Diese partielle oder völlige Aufhebung der Schweisssekretion ist
ja zweifelsohne kein isoliertes Phänomen, sondern der am leichtesten nachweis¬
bare Ausdruck für die Herabsetzung der Hautfunktion im ganzen; wenn die Haut
die Fähigkeit, Wasser in Tropfenform abzugeben, verloren hat, liegt es ja nahe
anzunehmen, dass sie ebenfalls nur ungenügend vermag, Wasser in Dampfform ab¬
zugeben. Einzelne Untersuchungen, die wir angestellt haben, zeigen auch nach dieser
Richtung hin. Eine Patientin wog 55,9 kg, drei Tage später 55,87 kg; die Nahrung,
sowohl die flüssige wie die feste, wog für diese drei Tage 3634 g, Urin und Fäces
1454 g. Wäre nun das Körpergewicht unverändert geblieben, so würden 2180 g
durch die Lungen und durch die Haut verloren sein; es ist aber jetzt ein Gewichts-
Kurve 52.
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396 H. Iacobäus
Verlust von 30 g vorhanden, sodass wir also 2210 g bekommen oder eine Perspiratio
insensibilis von ca. 730 g pro Tag; für einen anderen Patienten zeigte eine in der¬
selben Weise angestellte Berechnung nur 410 g pro Tag.
Eine Herabsetzung der funktionellen Fähigkeit der Haut spielt zweifelsohne
eine höchst prekäre Rolle bei vielen Krankheiten. Die Haut ist ja ein überaus
mächtiges Organ mit einer komplizierten Funktion; u. a. ist es ja keinem Zweifel
unterworfen, dass der Organismus auch durch die Haut einen Theil der Toxine, die
sowohl bei der normajen wie bei der abnormen Lebensthätigkeit gebildet werden,
ausscheidet. Was speziell Herz- und Leberleiden mit Disposition zu Hydropsieen
anbelangt, so wird eine Herabsetzung der Fähigkeit, Wasserdämpfe abzugeben, noth-
wendigerweise die für derartige Patienten so verhängnissvolle Wasserretention im
Organismus fördern.
Diese Betrachtungsweise führt ja ganz natürlich dazu, dass man durch thera¬
peutische Maassregeln die Hautfunktion zu verbessern versucht. Bekanntermaassen
benutzt man auch eine grosse Anzahl von Behandlungsmethoden, die in erster
Reihe auf die Haut einwirken; es lässt sich aber nicht leugnen, dass die nähere
Erkennung der Wirkungsweise dieser Methoden verschiedene Schwierigkeiten dar¬
bietet. Es breiten sich in der Haut die sensitiven Nervenenden aus, und un¬
zweifelhaft können wir durch Incitation dieser Nervenenden, z. B. durch Kaltwasser¬
behandlungen, auf verschiedene innere Organe, wie z. B. das Centralnervensystem und
das Herz, einwirken. Ob der eine oder der andere Eingriff durch seine Besserung
der Hautfunktion zugleich oder in erster Reihe von Vortheil ist, können wir in der
Regel nicht entscheiden, weil wir einen Maassstab für die funktionelle Thätigkeit der
Haut vermissen, und aus derselben Ursache ist es schwierig, den Eingriff zu gradieren.
Wenn wir bei Fällen von Herzkrankheit, um ein praktisches Beispiel zu nennen,
Kohlensäurebäder a ';verwenden, dann ist die Besserung der Herzarbeit wohl dem
reflektorischen}Reize, • der von den incitierten Hautnervenzweigen ausgeht, zu ver¬
danken; möglich ist es jedoch auch, dass die starke und nicht immer vorbeigehende
Erweiterung der Hautgefässe einen besseren Funktionszustand, speziell eine grössere
Fähigkeit Wasserdampf abzugeben, bedingt; und in anbetracht der grossen Bedeutung
der Wasserretention bei vielen Fällen von Herzkrankheiten würde man in dem Falle
eine Hilfe zur Erklärung der oft genug unzweifelhaften guten Wirkung der Kohlen¬
säurebäder bekommen. Auch für die Untersuchung der therapeutischen Eigenschaften
der modernen Lichtbäder kann eine Methode, die uns, wenn auch nur approximativ,
den funktionellen Zustand der Haut zu beurtheilen erlaubt, von grosser Bedeutung
sein; möglich ist es ja jedenfalls, dass man durch Bestimmungen der insensiblen
Perspiration bei demselben Individuum vor, während und nach der Behandlung, und
wenn man^selbstredend zugleich dafür sorgte, dass alle die anderen Verhältnisse, die
auf die Grösse derselben einwirken können, unverändert blieben, Aufklärung über
die Wirkung des Eingriffes bekommen würde.
Zu welchem Resultat man bei etwaigen diesbezüglichen Untersuchungen ge¬
langen wird, kann ich selbstverständlich nicht sagen; dass man auf grosse Schwierig¬
keiten stossen wird, ist sicher, dass dieselben sich als unüberwindlich zeigen werden
ist möglich, jedoch nicht ganz unzweifelhaft. In jedem Falle wird ein Versuch,
eine klinisch brauchbare Methode zur Bestimmung des Funktionszustar.des der Haut
in guter Uebereinstimmung mit denjenigen Wegen sein, auf welchen man in der
modernen Medicin ^vorwärts zu kommen versucht hat. Früher legte man ein ab¬
solut entscheidendes Gewicht auf die pathologisch-anatomischen Veränderungen, die
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Ucber das tägliche Wägen als diagnostisches Hilfsmittel. 397
man bei den verschiedenen chronischen Krankheiten findet, und dies führte u. a. zu
dem nihilistischen Standpunkte: Es ist unmöglich, dass ein jedes der zu unserer Ver¬
fügung stehenden Mittel wesentlich günstig auf diese Veränderungen influieren [kann,
und ergo ist bei diesen Krankheiten nichts zu thun. Der erste Satz ist richtig, der
andere dagegen nicht. Denn wir wissen nun, dass es möglich ist, ein chronisch er¬
kranktes Organ zu schonen, sodass die Folgen der anatomischen Läsion so gering
wie möglich für den Organismus werden; ferner kann man die ganz ■oder theilweise
gesunden Elemente, die immer vorhanden sind, derart aufüben, dass sie eine grössere
Arbeit leisten. Mit diesen Prinzipien für die Behandlung chronischer Krankheiten
wird ja selbstredend die Bestimmung der Funktion von der grössten Bedeutung, und
wie die Verschiebung in der theoretischen Auffassung auf die Praxis eingewirkt hat,
geht u. a. aus den Anschauungen der Vorzeit und der Jetztzeit über die Indikationen
der herztonisierenden Medikamente hervor. Früher nahm man besonders auf das
anatomische Leiden Rücksicht, ein Umstand, der dazu führte, dass einige gute Be¬
obachter behaupteten, dass Digitalis gut bei Stenosen, schlecht bei Insufficienzen,
vorzüglich bei Mitralfehler, schlecht bei Aortaleiden wirkte, während andere, ebenso
gute Kliniker zu dem gerade entgegengesetzten Resultat gelangten. Heutzutage einigen
sich wohl die meisten Forscher auf diesem Gebiete darin, dass Herztonica ganz im
allgemeinen indiciert sind, wenn das Herz in nicht befriedigender Weise fungiert.
Es ist ferner dasjenige Prinzip: Zu schonen und zu üben, welches dazu geführt hat,
dass man eine funktionelle Ventrikeluntersuchung ausarbeitet, und ferner versucht
hat, eine Methode zur Bestimmung der Funktion des Darms zu finden, sowie durch
recht verwickelte und zum Theil nicht ganz unbedenkliche Mittel, wie subkutane
oder interne Applikation von Methylenblau und Phloridzin oder durch die Be¬
stimmung des Gefrierpunktes des Blutes, ein Maass für die Nierenfunktion zu ge¬
winnen. Wenn wir also den funktionellen Zustand der Haut untersuchen, um dadurch
Indikationen für Eingriffe zu fördern, die aller Wahrscheinlichkeit nach einen grösseren
oder geringeren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit derselben ausüben, dann ist der
Versuch jedenfalls rationell; denn eine funktionelle Therapie erfordert als fast noth-
wendige Voraussetzung eine funktionelle Diagnostik.
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398
Arthur Loebel
111 .
Beitrag zur Wirkung ^der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen
auf Grund von Blutdruck- und neuramöbimetrischen Messungen.
Von
Dr. Arthur Loebel, Kais. Rath,
K. K. Bade- und Brunnenarzt in Wien-Dorna. ’)
Der eigentliche Aufschwung, den die Herztherapie genommen, ist kaum viel
älter als zwei Decennien und datiert aus der Zeit, da die pathologische Anatomie
nicht minder wie die experimentelle Pathologie und Physiologie uns mit zahlreichen
bis dahin unbekannten Einzelheiten der Herzkrankheiten vertraut gemacht und im
Gegensätze zu der bis dahin landläufigen Anschauung, die alle Aufmerksamkeit den
Klappenfehlern zuwendete, die grosse Bedeutung des Herzmuskels selbst für die
Störungen im Kreisläufe zur Werthschätzung gebracht hat, sowie dessen Fähigkeit
automatisch in rythmischer Weise zu pulsieren zufolge Ausflusses seiner Erregungs¬
fähigkeit und Reizleitung.
Parallel mit diesen Erkenntnissen wurde auch unsere Einsicht geklärt, dass
nebst den physikalisch nachweisbaren Symptomen, die bereits das Vorhandensein
irreparabler Gewebsveränderungen feststcllen, namentlich die Störungen in der
Funktion, Ernährung und Innervation des Muskels zu berücksichtigen bleiben. Sie
mussten den therapeutischen Fortschritt begründen, welcher die Vortheile erschloss,
einerseits die Vorgänge frühzeitiger zu erkennen und andererseits die destruktiven
Prozesse zu verlangsamen, eventuell aufzuhalten.
Rosenbach, der durch gediegene Beiträge, einen erschöpfenden Grundriss und
das anerkannteste Handbuch diese Umkehr zumeist gefördert hat, erklärt daher als
Aufgabe einer genauen Diagnose nicht die subtile Konstatierung der Gewebs¬
veränderungen, auch nicht die exakte Feststellung des Sitzes der Erkrankung an
einer bestimmten Klappe, sondern die genaue Unterscheidung der wichtigen Formen
der geänderten Herzarbeit, die strenge Trennung der ungenügenden Anpassungs¬
fähigkeit des Herzens von der absoluten Insufficienz des Herzmuskels.
Wenn wir uns aber auch auf dem Wege befinden, den funktionellen Störungen
ernsteres Gewicht beizumessen als jenen texturellen Erkrankungsphasen, die sich erst
durch Geräusche, Hypertrophie und Dilation bemerkbar machen, so sei damit keines¬
wegs gesagt, dass die physiologische Diagnose berufen sei, die anatomische irgendwie
zu ersetzen. Vielmehr muss ausdrücklich betont werden, dass das gesammelte Material
unserer Altvorderen von uns nicht hoch genug gewürdigt und nicht oft genug benutzt
werden kann, dass aber gerade die Herzerkrankungen uns unbewusst in das Fahr¬
wasser der funktionellen Untersuchuugsmethoden treiben, wo uns erst recht die ana-
*) Auszug aus dem Vorträge gehalten am 22. März 1902 in der dritten wissenschaftlichen
Versammlung des Central Verbundes der Balneologen Oesterreichs.
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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen. 399
tomischen Erfahrungssätze, wie ein Kompass, auf den richtigen Weg weisen. Denn
da, wo die Symptomatologie der Störungen durch Abnahme der Herzkraft eingeleitet
und unterhalten wird, hört jede Schabionisierungsliebhaberei 'auf, beginnt das Indi¬
vidualisierungsgeschick, und da wird es gleichgiltig, ob ein nicht mehr genügend
kompensierter Klappenfehler oder eine anatomische, relative, bezw. muskuläre In-
sufficienz des Herzens die Krankheitsbilder liefert.
Jede Heilmethode strebt dann prinzipiell die Erhöhung der Herzkraft und den
Wiederausgleich der Gleichgewichtsstörungen an und berücksichtigt nur mehr die
funktionell bestimmten Widerstandsgrade des Herzens und die bestehende Reaktions¬
fähigkeit der Gesammtkonstitution. Die Methoden ergänzen sich eben, und so werth¬
voll auch die eine oder die andere an und für sich sein mag, vollwerthig wird jede
einzelne erst durch Berücksichtigung der anderen.
Die Herzschwäche, als Ausdruck verminderter Herzarbeit, ist die Folge eines
Missverhältnisses zwischen der Kraft des Herzmuskels und den zu überwindenden
äusseren Widerständen. Dem Eintritte von Herzinsufficienz muss demnach ein Stadium
vorausgehen, in welchem die Reize vorerst die Reservekraft des Herzens aufbrauchen,
um dann die Phase einer aktiven Dilatation einzuleiten, während welcher die
Kontraktionsfähigkeit des Herzens intensiver in Anspruch genommen wird, und
schliesslich entsprechend der ausgiebigeren Arbeit und der damit zusammenfallenden
besseren Ernährung zu einer Hypertrophie des Herzmuskels zu führen.
Dyspnoe, Oedem und gewisse Veränderungen am Pulse, bezw. in der Intensität
der Herztöne sowie in der Dämpfungsfigur des Herzens vermögen uns nun gewisse
Aufschlüsse über die Leistungsfähigkeiten des Herzmuskels zu verschaffen.
Mittels der funktionellen Untersuchungsmethoden sind wir auch derzeit in die
Lage gebracht, aus dem veränderten Charakter der Respiration bedeutungsvolle
Signale für die initialen und terminalen Phasen des Herzleidens zu konstruieren,
ferner in dem Verlaufe der hämostatischen Gleichgewichtsstörung jene Grenzlinie ab¬
zustecken, an denen die labilen, besserungsfähigen Zustände in aussichtslose progre¬
diente Verhältnisse Umschlagen; andererseits setzt uns ebenso die funktionelle Diagnostik
in den Stand, aus den Pulsvariationen und Intensitätsdifferenzen der Herztöne die
tonometrischen und stethophonometrischen Messungen zu gewinnen, welche uns die
Beurtheilung gestatten, ob wir es mit einer stabilisierten oder labilen Herzdynamik
zu thun haben, mit einer Herzhypertrophie oder einer Stauungsdilatation.
Die Zunahme der Muskelmasse ist doch nur eben solange Ynöglich, als die
Coronararterien das erforderliche Nährmaterial den Herzhöhlen zu entnehmen ver¬
mögen, und früher oder später muss ja endlich zufolge Ueberfüllung der Herzventrikel
mit gestautem Blute die gefürchtete Verminderung des Herztonus und gleichzeitige
Herabsetzung der Kontraktionsfähigkeit sowie der stetige Rückgang der Herzernährung
eintreten.
Da wird allgemein als eines der wichtigsten differentialdiagnostischen Hilfsmittel
und Heilmittel die Schott’sche Selbsthemmungsgymnastik anerkannt, und als
milderer und wirksamerer Eingriff die Beklopfung oder Erschütterung des Herzens.
Die schwedischen Gymnastiker behaupteten wohl mit der Hartnäckigkeit einer
fast hundertjährigen Propaganda, in ihrer Methode ein sicheres Heilmittel für Herz¬
leidende zu besitzen, aber erst dem genialen Zander in Stockholm gelang es, unter
der Kontrolle hervorragender Kliniker die unzweideutigen Heilwerthe seiner Behand¬
lungstechnik auch bei Herzkranken zu erproben. Derselben zu durchschlagender An¬
erkennung verholfen zu haben, ist erst Schott gelungen, indem er die Frage dahin
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400 Arthur Loebel
formulierte, dass die Insufficienz des Herzmuskels durch die Gymnastik nach doppelter
Richtung hin bekämpft werde. In erster Linie nehme die Herzkraft, dann die
Muskelsubstanz bis zur kompensatorischen Hypertrophie zu, bei Einengung der be¬
stehenden Dilatation durch die verstärkte Kontraktionskraft des Herzens, und in
zweiter Linie werden die zufolge der Kraftabnahme' des Herzmuskels gesetzten
Störungen im Girkulationsapparate reguliert.
Sowohl Oertel als Schott konstatierten nach den gymnastischen Maassnahmen
eine Einengung der Herzdämpfung bis auf wenige Centimeter bei Vorhandensein eines
kräftigen Pulses und Herzstosses, ein Steigen des Blutdruckes um 30—40—60 mm,
ein Sinken der Pulszahl von 120—90, bczw. 96—72, wobei die Qualität derselben
normaler wird, und eine Reduktion der Athemztlge bei Vertiefung derselben von
32 auf 24. Hydrops und Stauungsalbuminurie schwanden.
Das unkontrollierbare, dem Ermessen des Patienten anheimgegebene Bergsteigen
Oertel’s wurde schon von Schott nur auf die leichteren Krankheitsfälle beschränkt
und für die komplizierten Zustände nur die genau dosierbare Methode der Bewegungs¬
kuren im Uebungssaale unter Leitung eines Sachverständigen gewählt.
Die willkürliche Empirie von den ihr anhaftenden Fehlern im vollkommensten
Grade losgeschält zu haben, ist das Verdienst des Dozenten Herz, dessen Apparate
derart differenziert sind, dass sie der Equilibrierung der verschiedenartigen Funktions¬
störungen dienstbar gemacht werden können.
Liegt aber auch der Schwerpunkt der Mechanotherapie darin, dass sie, wie es
schon Frey betont, den Rückfluss des Venenblutes befördert und die Aspirations¬
kraft des Herzens unterstützt, so kann sie erst dann von Erfolg gekrönt werden,
wenn die zur Regulierung des ganzen Kreislaufes erforderliche Druckenergie noch
vorhanden ist oder durch sie wieder hergestellt werden kann.
Wo diese Propulsivkraft des Herzens fehlt, wo die unvermittelten Blutdruck¬
steigerungen, wie sie die intensiveren Muskelanstrengungen der Heilgymnastik mit
sich bringen, keinen genügend widerstandsfähigen Herzmuskel treffen, kurz, wo vor¬
erst durch Umstimmung die Reservekräfte des Herzmuskels angesammelt und durch
Stoffanbildung die effektive Leistungsfähigkeit desselben gehoben werden müssen,
rücken die balneo- und hydrotherapeutischen Methoden in ihre Vorrechte als die
milderen Kurbehelfe.
Die Kohledsäurebäder, die infolge der unermüdlichen Arbeiten von Beneke,
der Brüder Schott, der Cudower Aerzte Scholz und Jacob, von Groedel,
Gräupner u. v. a. heute als die Herzheilbäder par excellence anerkannt werden,
rufen nach den auf den Kliniken Romberg’s und Curschmann’s von Hensen
angestellten Versuchen die bereits von Schott festgestellten Thatsachen hervor. Bei
64 Kranken mit Herzinsufficienz, als Folge von Klappenfehlern und Myokard¬
erkrankungen, wurden in den überwiegenden Fällen Blutdrucksteigerungen kon¬
statiert, die selbst noch eine Stunde nach dem Bade 20—30—36 mm betrugen,
ferner verschiedentliche Verkleinerungen der Herzdämpfung bis 1 und 1 V» cm nach
dem Bade bei unveränderten Lungengrenzen. Die Verminderung der Pulsfrequenz
bewegte sich zwischen 10 bis 20 Schlägen, während die Urinmenge nicht selten an
Badetagen vermehrt erschien.
Diese Angaben schlichten den heftigen Streit, ob die kohlesäurereichen Bäder
die Herzdämpfungsgrenzen beeinflussen oder nicht, und ob sie den Blutdruck steigern
oder vermindern. Sie bestätigen vor allem meine eigenen Beobachtungen, die bei
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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmnskelerkrankungen. 401
einem Kohlensäuregehalte der Bäder von 20—30 Volumeinheiten des Reichert’schen
Schüttelapparates gemacht wurden, und die praktische Regel, die ich mir hieraus
abgeleitet, dass der Herzkranke mit der labilen Leistungsfähigkeit seines kreislauf¬
regulierenden Centralorganes gerade dem Bade gegenüber, welches im ausgiebigsten
Maasse die Umlagerung der Blutmengen und die Geschwindigkeit des Blutstromes zu
beeinflussen vermag, in der verschiedenartigsten Weise reagieren müsse, wenn auch
die thermischen, chemischen und mechanischen Reize des Bades zuverlässig dieselben
bleiben.
Fühlt sich der Patient im Bade wohl und nach demselben erfrischt bei ver¬
tiefter, beruhigter Athmung, dann erhalten wir eben in der Ziffer des Blutdruckes
den funktionellen Maassstab für die jeweilige Leistungskraft des Herzens und für die
nach jeder Untersuchung indizierte Verordnung.
Je nachdem sich gerade der erkrankte Herzmuskel mit der mangelhaften und
geschwächten Arbeitsfähigkeit zur Erfüllung seiner Aufgabe aufzuraffen vermag, wird
er die tonischen und trophischen Agentien des kohlensäurehaltigen Bades in der
Sammlung seiner Reservekräfte, in der Erleichterung seiner Arbeit, kurz in der
Erholung und Schonung suchen, und alles vermeiden, das die erschöpften Energieen
noch mehr zu reduzieren vermag. Er wird aber umgekehrt in dem Anpassungs¬
bestreben seiner inneren Lebensvorgänge an die äusseren Reize, wenn es seine Hülfs-
mittel noch gestatten, seine verfügbaren Widerstandsfähigkeiten mobilisieren und
durch eine angemessene und wiederholte Uebung dieser Vitalimpulse der Anbildung
kontraktiler Elemente Vorschub leisten. Dieses wird selbstverständlich auch der
Fall sein, wenn sich durch den Erfolg der Bäderwirkung das Herz bereits zur Er¬
füllung dieser anspruchsvolleren Arbeit genügend gestärkt hat.
Hält man sich an diese Erscheinungen, dann erkennt man erst den vollen
dynamischen Werth der Kohlensäurebäder und den erziehlichen Umfang ihrer
steigerungsfähigen, abwechselungsreichen Skala auf den Herzmuskel, je nachdem
man sie als gasarme Mineralbäder, als kohlensäurehaltige Thermalbäder oder als
kohlensäurereiche Sprudelbäder im stehenden, beziehungsweise fliessenden Zustande
zur Anwendung bringt.
Während die Heilgymnastik und die Kohlensäurebäder bei Behandlung der
Herzkrankheiten immer weitere Kreise- und immer wichtigere Positionen eroberten,
wurde die Hydrotherapie unter den entmuthigenden Misserfolgen Priessnitz’ als
ernste Kontraindikation bis in die jüngste Zeit hinein betrachtet und die Anwendung
von Kaltwasserprozeduren geradezu als Kunstfehler angesehen, selbst nachdem die
Wirkungen der thermischen Reize auf jede einzelne Phase der Cirkulationsvorgänge
genau erforscht waren.
Erst vor einem Dezennium brachte Winternitz eine Arbeit, die diesen Bann
brach, und seitdem haben namentlich seine Schüler Strasser, Buxbaum,
Pospischil u. a. eine Reihe von verdienstvollen Arbeiten publiziert, welche erweisen,
dass der Hydrotherapeut ohne Zagen an die Behandlung der schwersten Cirkulations-
störungen herantreten darf.
So vermag bereits der Hcrzschlauch die Zahl und die Irregularität der Pulse
nach Silva und Winternitz zu vermindern, den Blutdruck zu erhöhen, die Herz¬
aktion und den zweiten Aortenton zu verstärken, weshalb Winternitz diesen Kur¬
behelf als hydriatische Digitalis bezeichnet. Die Theilwaschung wiederum verlangsamt
und vertieft den Respirationstypus, so dass man beim Alternieren dieser zwei
Zeltachr. f. diät n. Physik. Therapie. Bd. VI. Heft 7. 28
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402 Arthur Loebcl
Prozeduren bald eine milde Lungengymnastik mit Erweiterung der peripheren Strom¬
bahnen, somit eine sichtbare Herabsetzung der Widerstände, die vom Lungen¬
kreisläufe dem rechten und vom arteriellen Stromgebiete dem linken Herzen ent¬
gegengesetzt werden, bald eine systematische Herzmuskelgymnastik erreicht, die zu
einer Ausbildung kontraktiler Elemente führt und mit der Steigerung der Leistungs¬
fähigkeit eine Potenzierung der kardialen Aspirations- und Propulsivenergieen erzielt
Die Binden und Umschläge übernehmen bei Oedemen nebst der ausgiebigen
Gefässdilatation der eingewickelten Hautpartieen und der hiermit verbundenen Er¬
leichterung der Blutzirkulation die Wasserausscheidungen der entsprechenden Krank¬
heitsherde durch Transpiration. Bei hartnäckigeren, ausgebreiteteren Hydropsieen mit
Albuminurie kommen die Dampfbäder in Betracht. Indem sie den Geweben Flüssig¬
keit entziehen, vermindern sie mit dem Wassergehalt im Organismus auch dessen
Blutquantum und erleichtern mit der Entwässerung des Blutes und der Entlastung
im Venengebiete dem Herzen einen Theil der mit dem Blutdurchtriebe zu über¬
windenden Last.
Bei der Hydrotherapie gelingt es uns also, gerade wie bei den anderen Heil¬
methoden, mit der Behebung der Herzschwäche, der Pulsanomalieen und mit dem Aus¬
gleiche der hämostatischen Gleichgewichtsstörungen, die ominösen Symptome der
Dyspnoe im kleinen Kreisläufe oder die hydropischen Ansammlungen und die Harn¬
stauung im grossen Kreisläufe zum Verschwinden zu bringen.
Sie hat der Mechanotherapie und den Kohlesäurebädern den unschätzbaren Vor¬
theil voraus, auch grössere hydropische Ansammlungen zum Schwinden bringen zu
können durch Mitbetheiligung der gesammten Hautoberfläche an der vermehrten
Wasserabgabe bei gleichzeitiger Entlastung der Niere.
Hingegen vermögen die kohlensäurereichen Bäder mit der mechanischen Wirkung
des Gases eine unvergleichlich mildere Art des Reizes zu entfalten, als die Frottierungen
der Badediener. Dieser Reiz kann noch potenziert werden durch den chemischen
Einfluss der die Haut in Millionen Bläschen Ubersäenden Kohlensäure, welche die
zarten Protoplasmawände der kontraktilen Kapillaren trifft. Der Vortheil steigt in
dem Grade, als die erhöhte Reizbarkeit eines erkrankten Herzens alle unvermittelten
Einwirkungen seitens des Athmungsapparates und der Nervenreflexe mit einer
empfindlicheren Gleichgewichtsstörung beantwortet, und je empfindlicher es sich
etwaigen, allzu energischen Wärmeentziehungen gegenüberstellt.
Umgekehrt gebührt den passiven Bewegungen und der Massage der Hydro¬
therapie gegenüber das Uebergewicht in jenen Fällen von Herzschwäche, die sich
mit den anämischen Formen von Fettleibigkeit vergesellschaften und wegen ihrer
hochgradigen Dyspnoe nicht mehr im stände sind, durch freie Bewegungen den Ein¬
tritt der Reaktion zu befördern.
Die Gymnastik, die Kohleusäurebäder und nicht minder die Kaltwassertherapie
erfüllen die Aufgabe in allen Zuständen von drohender oder eingetretener Herz-
insufficieuz, die Kontraktionsfähigkeit des Herzmuskels zu fördern: sei es durch An¬
passung seiner kontraktilen Masse an die Bedürfnisse des Organismus und an die
ausgiebigeren Volumsschwankungen der Lebensprozesse, sei es durch Vermehrung
oder Zunahme seiner kontraktilen Elemente zufolge Mehraufnahme eines nähr¬
reicheren Blutes. Sie vermögen demnach jene Dilatationszustände zu beheben,
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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelerkrankungen. 403
welche sich bei einem Klappenfehler oder nach einer Myokarddegeneration als so¬
genannte aktive Dilatation einstellen im Momente, da die ganze Reservekraft des
Herzens aufgebraucht erscheint. Weniger Erfolg verspricht dagegen deren Anwendung,
wenn bei bereits vollentwickelter Hypertrophie das Herz seine Akkomodationsfahig-
keit an die vitalen Anforderungen verliert und in diesem Stadium eine Kompensations¬
störung auftritt. Da ist keine Aussicht mehr vorhanden, durch die Förderungsmittel
der Gymnastik mit der Fortschaffung der gestauten Blutmassen den Blutdurchtrieb zu
bessern, weil die Betriebskraft des Herzmuskels versagt bezüglich seiner Aspirations¬
kraft. Es ist aber auch jede Aussicht illusorisch, durch die hydriatischen oder
Kohlensäurereize die Herzenergie soweit zu steigern, dass ihr Propulsivkoefficient
noch die aufgestauten Widerstände überwinde. Die terminale Phase der Herzhyper¬
trophie nimmt eben ihren Anfang.
Von diesem Standpunkte aus muss man mit Rosenbach bekennen, es sei nicht
immer gut, das Herz zur höchsten Leistung anzuspornen, seine Hypertrophie zu be¬
günstigen, und es auch mit Oertel als gefährlichen Irrthum erkennen, wollte man
glauben, dass ein Kranker mit gut kompensiertem Klappenfehler nur einer gewissen
Schonung seines Kräftezustandes und seiner Kreislaufsverhältnisse bedürfe.
Eine Heilmethode, welche nun, ähnlich der Meclianotherapie, direkt anregend
auf die Gewebsthätigkeit und durch mechanische Beeinflussung des Muskelprotoplasmas
den Blutumlauf beschleunigt und dabei den Blutdruck herabstimmt, besitzen wir in
den Moorbädern, die diesen Vortheil auch den kalten und kohlensäurereichen Bädern
gegenüber behaupten.
Die Moorbäder bei Behandlung der Herzkrankheiten als berücksichtigenswerthen
Kurbehelf erörtern zu wollen, mag bei dem unausrottbaren Vorurtheile, das gegen
dieselben noch besteht, als Wagniss erscheinen. Aber so wie den lange Zeit arg
verpönten Prozeduren der Hydrotherapie wird auch dieser Heilpotenz nach und nach
der angedichtete Respekt eines hochgradigen Erregungsmittels abgestreift werden
müssen.
In der originellen Arbeit über Herzkrankheiten bei Arteriosklerose giebt v. Basch
derselben Ansicht unverhohlenen Ausdruck, indem er auf den Vortrag zurückkommt,
der am letzten Wiener Baineologenkongresse von mir über die Behandlung der
Arteriosklerose mit Moorbädern gehalten wurde. Ich halte, schreibt er, die Moor¬
bäder in Fällen von hoher Blutspannung für indiciert, mache aber aus Traditions¬
gründen, d. i. deshalb, weil sie im Rufe stehen, aufregend zu wirken, nur selten
bei der Herzinsufficienz Gebrauch davon. Möglich, dass im Laufe der Zeit ihr Ruf
sich ändert, wie ja der Ruf von Bädern überhaupt — Nauheim ist ein Exempel
hierfür. Dann werden Moorbäder vielleicht als ein Spezifikum gegen Arteriosklerose
gepriesen und angewendet werden.
Die Moorbäder sind baineologische Behelfe, die rücksichtlich ihrer Einflüsse
auf den Puls, den Blutdruck und die Respiration, sowie den Stoffwechsel des Be¬
handelten denselben Gesetzen unterliegen wie die einfachen Wasserbäder. Worin
sie jedoch von denselben differieren, sind die Temperaturverschiebungen des Bade¬
mediums. Die breiigen Massen, die der Abkühlung durch die Luft grössere Schwierig¬
keiten entgegensetzen als die flüssigen Medien, ändern ihre Wärmeleitungs- und
Wärmekapacitätsverhältnisse je nach dem wechselnden Absorptionsvermögen ihrer
Moorerde, die je nach ihrem hygroskopischen Koefficienten bald die mehr, bald die
minder dichte Konsistenz des Bades bestimmt.
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404 Arthur Locbcl
Bei Beurtheilung der Wirkung eines Moorbades auf Herzkranke müssen wir
darum von allen chemischen und physikalischen Theorieen absehen, und uns blos
auf die strikte Berücksichtigung der ziffermässigen Beobachtungen beschränken, die
wir nach Gebrauch desselben in der Puls- und Athemfrequenz, sowie im Blutdrucke,
bezw. in den Temperaturveränderungen des Organismus notieren können. Wir dürften
sonst mit Rücksicht auf die herrschenden Dissonanzen zwischen den Balneologen
bezüglich der differenten Qualitäten der Moorbädersubstrate den Werth dieser Be¬
obachtungen sogar nur auf den jeweiligen Untersucher und Untersuchungsort be¬
schränken.
Ich konnte in meinen bisherigen Abhandlungen aus diesem Kapitel nach den
30—35°C Moorbädern meines Kurortes vor allem auch die von Abel und Stifler
bestätigten Blutdruckreduktionen verzeichnen, ferner die in gleichtemperierten Bädern
auch von Fellner beobachteten Rückgänge der Puls-und Athemfrequenz feststellen.
Um endlich auch dem Märchen von der erregenden Wirkung der Moorbäder
näher zu rücken, habe ich unmittelbar vor und nach jedem Bade Messungen mit
Exners Neuramöbimeter vorgenommen. Es sei mir gestattet, aus meinen Beob¬
achtungen hier zwei typische Fälle herauszugreifen.
In einem Falle von Stenokardie mit Hypertrophie des linken Ventrikels und verstärktem
zweiten Aortenton bei einer 58jährigen Frau, in dem nach einem 35° C Moorbadc von
20 Minuten Dauer der Blutdruck von 190 auf 110 mm, der Puls um sechs Schläge und die
Respiration um vier Athmungen zurückgegangen war, konnte ich eine Reduktion der Re¬
aktionszeit, d. i. jenes Intervalles, das erforderlich ist, bis ein den Hörsinn treffender Ton
eine anbefohlene Muskclbewegung auslöst, von 25 auf 11 Schwingungen im Mittel notieren.
In einem anderen Falle von Cor adiposum mit normalen Herztönen, arythmisekem
Pulse, dyspnoischer Athmung und häufigen, gegen den linken Arm ausstrahlcnden Schmerzen
in der Herzgegend, bei einer 60 jährigen Matrone, wurde in einem glcichtemperierten Moor¬
badc nach gleicher Applikationsdaucr eine Reduktion des Blutdruckes von 190 auf 135 mm
nach dem zweiten Moorbadc, und auf 120 mm nach dem sechsten Moorbade bei massiger
Besserung der Athmungs- und Pulsfrequenz, sowie der Nervenreizbarkeit von 26 auf
16 Schwingungen beobachtet.
Da die Untersuchten die Aufgabe hatten, die beim Neuramöbimeter in Schwingun¬
gen versetzte Metallplattc von der Schreibtafel, auf welcher sie 100 Oscillationen in
der Sekunde notierte, in dem Momente abzuheben, da sie ihr singendes Schwirren
wahrnahmen, hat die erste Patientin zur Umsetzung ihrer Sinnesperccption in eine
Muskelaktion vor dem Bade V* Sekunde, und nach dem Bade nur Vj> Sekunde be¬
ansprucht. Desgleichen hat sich bei der zweiten Patientin das Nervensystem zufolge
der Benutzung des Moorbades soweit beruhigt, dass sich der Zeitraum, der von der
Umsetzung des Gehöreindruckes in eine Muskelinnervation erfordert wurde, um
10 Schwingungen, d. i. um 10 Sekunden vermindert.
Es geht hieraus hervor, dass wir nach den Moorbädern der Indifferenzzone, die
sich um 35 »C bewegt, in erster Reihe eine retardierte Schlagkraft des Herzens
unter Verringerung des Blutdruckes und Verlangsamung, sowie Vertiefung der Ath¬
mung mit erhöhter Oxydation des Blutes verzeichnen. Es sind dies werthvolle
Einzeleflfekte, welche auch in ihrer Gesammtwirkung eine Schonung der Herzenergieen
bewerkstelligen.
Wir erzielen mit denselben Moorbädern aber gleichzeitig in zweiter Reihe eine
Verkürzung der Reaktionsdauer für die Umbildung der sensitiven Reize in moto¬
rische Willensäusserungen, eine promptere Transformation von Sinneseindrücken in
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Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei Herzmuskelcrkrankungen. 405
intendierte Muskelbewegungen, das sind Werthschwankungen, welche auf die funk¬
tioneile Hebung der Thätigkeit des Centralnervensystems hindeuten.
Derart hat Grebner, der Untersuchungen über die mechanotherapeutische Beein¬
flussung der Reaktionsfähigkeit der Nervencentren angestellt hat, gefunden, dass nicht
nur neurasthenische Beschwerden, sondern auch depressive Gemüthsaffekte und
angestrengte geistige Arbeit die Reaktionszeit verlängern. Auch Exner und Ober¬
steiner, die sich gleichfalls mit dieser Frage beschäftigt haben, sind darüber einig,
dass Ermüdung die Reaktionszeit erhöhe. Zu dem gelten ja Ermüdungs- und Unlust¬
gefühle, wie die Schmerzempfindungen, nicht als Ausdruck der Funktionsschwäche,
sondern blos als Verminderungs- oder Erschwerungsgrad der Funktion. Man kann
demnach mit Berechtigung aus der Herabsetzung der Reaktionszeit auf die Beseitigung
der Ermüdungsstoffe aus dem Nervensystem und auf eine regenerative Umstimmung
seiner Energieen schliessen, ähnlich wie wir in der Hydrotherapie den schmerzlindernden
Prozeduren beim chronischen Rheumatismus die Deutung geben, dass sie die Neutrali¬
sierung bezw. raschere Fortschwemmung der abgelagerten Rückbildungsprodukte be¬
wirken, die wir auch als Ermüdungsstoffe ansprechen und für das Auftreten der
schmerzhaften Krankheitssymptome verantwortlich machen.
Wie also die Moorbäder eine Erleichterung der Herzarbeit nach sich ziehen,
sehen wir sie auch eine günstige Beeinflussung . der Erregbarkeit im Centralnerven¬
system veranlassen. Wir schliessen daher, dass sich eine systematische Badekur mit
denselben ebenso zur Schonung des erschöpften Herzmuskels summieren wird, überall
wo sich derselbe in dauernder Ueberanstrengung befindet, wie sie zur Heilung des
Herzleidens führen muss, wo dasselbe als funktionelle Erkrankungsform infolge des
veränderten Erregungszustandes der Hirnrinde und aller anderen Nervencentren zur
Erscheinung kommt.
Bei Neurosen und Arteriosklerose des Herzens, bezw. beim Cora-
diposum mit den Begleiterscheinungen von hohem Blutdrucke halte ich
demnach Moorbäder für angezeigt. Ich betrachte jedoch die hydro-
pischen Kompensationsstörungen als Grenze dieser Behandlungsmethode
wegen des niedrigen Blutdruckes, der meist bei diesen Zuständen Platz
greift, und wegen der Ueberlegenheit der kohlensäurehaltigen Bäder
oder der hydriatischen Kurbehelfe.
Auf die Bedeutung der Moorbäder bei Arteriosklerose habe ich wiederholt auf¬
merksam gemacht. Deren Komplikationen mit Herzfehlern lassen mich die
Empfehlung der Moorbäder aus dreifachem Grunde bevorzugen.
Die den Blutdruck herabstimmende Eigenschaft derselben führt ebensowohl
zur Milderung der im nothleidenden Gefässsysteme obwaltenden Spannungsverhältnisse,
als es dem hypertrophierten Herzen den Yortheil schafft, mit der Reduktion der
Ueberdruckverhältnisse die übermässige Kraftanspannung zu verringern und mit der
Besserung der Ernährung die Gefahr zu beseitigen, dass die kontraktilen Muskel¬
elemente degenerieren und zu Grunde gehen. Demnächst liegt der Werth der Moor¬
bäder in der spezifischen Eigenschaft der Bademasse, durch ihre mechanischen Effekte
auf das System der Kapillargefässe wie eine mächtige Vis a tergo auf die Blut¬
zirkulation zu wirken und als namhafter Unterstützungsfaktor für die Herzthätigkeit
den Blutstrom aus den Kapillaren und den Venen hinauszupressen, also derart die
an der Peripherie eingenisteten Cirkulationshindernisse durch Einschaltung einer
frischen Propulsivkraft zu verringern. Als drittes maassgebendes Moment kommt
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40(5 Arthur Loebel, Beitrag zur Wirkung der Moorbäder bei llerzmuakclerk rank liegen
das Phänomen der erhöhten Fluxiori zu den tieferliegenden Hautschichten, das von
Jacob durch das erhebliche Steigen der Hauttemperatur gegenüber dem Fallen der
Achselhöhlentemperatur selbst in Bädern von 32,5 0 C und von Fellner im dünn¬
flüssigen 35 0 C Moorbade durch das Absinken der Temperatur in den Körperhöhlen
nachgewiesen wurde: als eine Erwärmung der Körperoberfläche bei Abkühlung des
Körperinnern.
Bei arteriosklerotischen Herzerkrankungen der höheren Jahre erfordert die Prognose
Rücksichtnahme auf den progressiven Charakter, den die Erkrankungsform in diesen
Fällen zu bekunden pflegt. Der Umstand aber, dass der Herzmuskel, wie v. Leyden
angiebt, das einzige Organ ist, das im Alter an Masse und Leistungsfähigkeit zu¬
nimmt, erklärt uns, warum arteriosklerotische Greise die gefürchteten Moorbäder so
gut vertragen.
Die gleichen Gründe veranlassen mich, auch die Fälle von Fettherz und Herz¬
neurose, sobald sie das Symptom des hohen Blutdruckes ausweisen, mit Moorbädern
zu behandeln, mögen Luxusernährung, Intoxikationen mit Alkohol, Nikotin, Thee
oder Kaffee, bezw. körperliche und geistige Ueberanstrengung oder das Klimakterium
als Kausalmomente sich aufdrängen. Der hohe Blutdruck ist in diesen Fällen ge¬
wöhnlich von einer verstärkten oder beschleunigten Herzthätigkeit, seltener von
arythmischen und dyspnoischen Störungen begleitet oder von heftigen, pseudoanginösen
Schmerzen in der Herzgegend.
Hochhaus und Lehr, die durch eingehende Studien dieses Kapitel bereichert
haben, unterscheiden auch hier das Reizungsstadium von den Lähmungserscheinungen
und schildern Herzmuskelinsufficienzen, die im Anschlüsse auftreten und nur schwer
von der Angina pectoris zu unterscheiden sind. Rosenbach und v. Basch halten
solche Zustände für Vorläufer der Arteriosklerose und Herzinsufficienz und mahnen
zur Vorsicht in der Prognose.
Erfordert aber bereits die Applikation der Kohlensäurebäder im allgemeinen
grosse Vorsicht und peinliche Individualisierung, so erheischt die Verwendung von
Moorbädern eine noch viel gewissenhaftere Ueberwachung der Blutdruckschwankungen,
will man nicht von einem Anfall von Herzschwäche überrascht werden. Ich pflege
sie bei einem Blutdrucke von 130 mm und darunter nicht mehr zu verordnen und
ebenso zu unterlassen, wo aus äusseren Gründen die Kontrolle der Wirkung eines
jeden einzelnen Bades nicht durchführbar ist.
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A. Dworotzky, Russische Beitrüge zur Ernäliruugsthcrapic.
407
Kritische Umschau.
Russische Beiträge zur Ernährungstherapie.
Zusaramenfassender Bericht
von
Dr. A. Dworetzky
in Riga-Schreyenbuscli.
(Schluss.)
Auf Grund eines genauen Studiums des Stillungsgeschäftes bei 300 intelligenten
Frauen streift N. Strzelbicky 7 ) in seiner Mittheilung in der Sektion für Kinderheil¬
kunde des VIII. Allrussischen Pirogoff’schen Aerztekongresses zu Moskau am
7. (20.) Januar 1902 die (nach den Aussagen der Mütter selbst) häufigste Ursache
der Unmöglichkeit, die ausschliessliche Ernährung mit der Mutterbrust
bis zu einem halben Jahre durchzuführen, nämlich die ungenügende Milch¬
absonderung und die geringe Milchmenge in den Brüsten bei der Stillenden. Nach
den Untersuchungsergebnissen des Referenten haben von 300 Müttern blos 91
(30,3 °/o) ihre jüngsten Kinder bis zu einem halben Jahre ausschliesslich an der
Brust ernährt, 154 (50,3%) haben das ausschliessliche Stillen an der Mutterbrust
nicht bis zum Ablauf der ersten Jahreshälfte durchgeführt, und 55 Mütter (18,3%)
haben ihren Kindern überhaupt nicht Brustnahrung gereicht. Klagen über ungenügende
Milchabsonderung in den Brüsten wurden vom Referenten in 81 Fällen verzeichnet.
Bei der genaueren Untersuchung dieser letzteren zeigte es sich, dass in 40 Fällen
als Grund für die Klagen über eine ungenügende Milchmenge in den Brüsten in der
Wirklichkeit die sich durch das Schreien und durch die Unruhe der Kinder
dokumentierende Dyspepsie der Säuglinge diente, wobei die Mütter dieses Geschrei
fälschlicherweise als den Ausdruck des unbefriedigten Hungergefühles deuteten.
Viele von diesen 40 Müttern verloren thatsächlich mit der Zeit ihre Milch, aber
nicht etwa deswegen, weil ihre Brustdrüsen nicht im stände waren, die für ihr Kind
genügende Milchquantität abzusondern; die Sekretion versiegte bei ihnen einzig und
allein aus dem Grunde, weil infolge der frühen Gewöhnung des Kindes an andere
Nahrung die Milchabsonderung nicht in genügendem Maasse sich entwickeln konnte,
da der mit anderen Speisen gefütterte Säugling nicht so saugen will und kann, wie
er es thäte, wenn er nicht ausserdem künstlich gefüttert würde. Auf Grund seiner
Untersuchungen kommt der Referent zu dem Schluss, dass ein wirklicher Milch¬
mangel in den Brüsten der Stillenden in der Praxis bei weitem seltener angetroffen
wird, als es nicht nur die Mütter, sondern auch viele Aerzte wähnen. Zahlreiche
Fälle dieser Kategorie müssen als solche angesehen werden, wo die potentielle
Energie der Brustdrüse in Abhängigkeit von physischen (z. B. schlechte Brustwarzen,
Schwäche des Säuglings) und auch von psychischen Ursachen in ungenügender Weise
ausgenutzt wurde.
Wenden wir uns nun von dem dunklen Gebiete der künstlichen Säuglings¬
ernährung, wo noch so viele Aufgaben der Lösung harren und so viele Fragen der
Entscheidung bedürfen, zu einem andern Gebiete der Diätetik, in welches die Arbeiten
des berühmten Petersburger Physiologen J. P. Pawlow und seiner zahlreichen
Schüler so viel Licht hineingetragen haben. Nur die genaueste Kenntniss der
physiologischen Funktionen des Magendarmkanalcs und der verschiedenen Modi¬
fikationen seiner Leistungen unter verschiedenen Ernährungsbedingungen vermag uns
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408 A. Dworetzky
die besten Hinweise für die rationellste Anwendung der diätetisch-therapeutischen
Prinzipien zu liefern. Insofern haben die unter der Leitung des Prof. J. Pawlow
im Institut für Experimentalmedicin zu St. Petersburg meist an Thieren angestellten
detaillierten Untersuchungen und Forschungen über die Physiologie der Verdauungs¬
organe und ihrer Sekrete einen hohen Werth für die Therapie.
J. Lintwarew*) beschäftigte sich unter Prof. Pawlow’s Leitung mit der
Frage über den Einfluss verschiedener physiologischer Bedingungen
auf den Zustand und die Menge der Fermente in dem Pankreassaft. Die
Resultate seiner Versuche an Hunden sind kurz folgende. Bei Hunden mit einer
beständigen Pankreasfistel ergiesst sich auf der Höhe der Fleischdiät das Eiweiss¬
ferment des Bauchspeicheldrüsensekretes in den Darm ganz in Form des Trypsins
und bedarf zu seiner Verstärkung durchaus nicht des Darmsaftes, welcher bei dieser
Diätform die Kraft des reinen trypsinhaltigen Pankreassaftes sogar herabsetzt;
anders verhält sich der zweite Gehülfe des pankreatischen Saftes, die Galle, welche
zu derselben Zeit die eiweiss-fermentative Fähigkeit des Bauchspeicheldrüsensekretes
bedeutend verstärkt. Im Gegentheil, bei der entgegengesetzten" Diätform, bei Milch-
Brot-Nahrung, wird der Pankreassaft in zymogenem Zustande ergossen, und die
Rollen der beiden Hilfsmittel des Sekretes wechseln in völlig umgekehrtem Sinne:
hier zeigt eine stark aktivierende Wirkung der Darmsaft, die Galle dagegen drückt
manchmal die eiweissverdauende Kraft des Pankreassaftes herab. Bei der Fleisch¬
diät ist zwar die absolute Kraft des Eiweissfermentes grösser als die bei einem
Regime von entgegengesetzter Natur; bei chronischem Fieichessen jedoch schränkt
die Bauchspeicheldrüse in bedeutendem Maasse ihre Thätigkeit ein, giebt ihren
Antheil an der Verdauungsthätigkeit allmählich auf, sodass die Eiweissnahrung bei
ausschliesslicher Fleischkost wahrscheinlich ganz von dem Magensafte bearbeitet
wird. Das Studium des diastatischen Fermentes des pankreatischen Saftes
zeigte, dass es in qualitativer Beziehung bei verschiedenen Kostformen in keiner
Weise merklich verändert wird und im Sekrete stets in der Form des Amylopsins
enthalten ist, während seine Quantität den Bedürfnissen des Organismus entsprechend
in Abhängigkeit von der Schnelligkeit der Ausscheidung variiert, und zwar ist der
relative Gehalt an Amylopsin der Schnelligkeit der Saftsekretion umgekehrt pro¬
portional. Was schliesslich das Fettferment betrifft, so ist es bei Kohlehydrat-Fett¬
nahrung im zymogenen Zustande in dem pankreatischen Safte enthalten und wird
sowohl durch den Darmsaft wie auch speziell durch die Galle in die aktive Form
übergeführt. Bei ausschliesslicher Eiweissnahrung dagegen ist meistentheils weder
die Galle noch der Darmsaft in aktivierender Weise auf dieses Ferment einzuwirken
im stände, und es ergiesst sich auf den Speisebrei in Form des Oleopsins.
Die Rolle der Fette bei dem Uebertritt des Mageninhaltes in den
Darm studierte ebenfalls unter der Leitung Prof. J. Pawlow’s im Institut für
Experimentalmedicin S. Lintwarew 9 ) mit Hilfe einer ganzen Reihe (mehr als 150)
von Versuchen an Hunden, wobei sowohl reine Fette und fetthaltige Nahrungsmittel
als auch Spaltungsprodukte der Fette der Untersuchung unterworfen wurden.
S. Lintwarew fand, dass Fette, die in den Darm übergetreten oder unmittelbar
dahin beim Versuche hineingebracht sind, selbstständig einen reflektorischen Schluss
des Pylorus und eine Kontraktion der Pförtnermuskulatur hervorrufen, sodass jedes
Eintreten von neuer Flüssigkeit aus dem Magen in den Darm beträchtlich erschwert
oder ganz unmöglich gemacht wird; während dessen geht in dem Duodenum die
Bearbeitung des Fettes durch die Galle und durch den pankreatischen Saft vor sich,
sodass der reflektorische Pylorusschluss dazu vorhanden zu sein scheint, um diesen
beiden Sekreten ihre schwierige Aufgabe der Fettemulgierung ungehindert zu gestatten.
Dieser Reflex von Seiten der Fette steigt rasch an, ebenso wie der Reflex infolge
des Uebertrittes des sauren Mageninhaltes oder überhaupt von Säuren (s. meinen
voraufgehenden Bericht, diese Zeitschrift 1901, Bd. 5, Heft 6, Seite 497); aber während
dieser letztere nach Maassgabe der Neutralisierung der Säuren durch die alkalischen
Darmsäfte ebenso schnell auch sinkt, hält sich der erstere sehr lange, bis zu 1 bis
3 Stunden, je nach der Menge des übergetretenen oder des eingeführten Fettes. In
dieser Richtung wirken die verschiedenen Fettarten im allgemeinen gleichartig, ein
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Russische Beiträge zur Ernährungstherapie.
400
Unterschied ist nur in der Abhängigkeit von der Menge des eingeführten Fettes zu
konstatieren; der Effekt ist bei der gleichen Fettmenge, einerlei ob eine fettige
Speise oder ob reines Fett, wie z. B. Eidotter und Rahm, in den Darm hinein¬
gebracht ist, ein und derselbe. Stoffe, welche den Fetten nur der Konsistenz nach
ähnlich sind, wie Stärkekleister, Hühnereiweiss, Gummilösung, ergaben nicht diesen
Reflex auf den Pylorus, wenigstens nicht dann, wenn sie direkt in den Dünndarm,
ohne vorher vom Magensaft bearbeitet worden zu sein, eingeführt wurden. Im
Gegensatz zu ihnen bewirkten die Seifen in sehr ähnlicher Weise reflektorischen
Pylorusschluss, wobei die Stärke des Reflexes von der Konzentration der benutzten
Seifenlösung in Abhängigkeit zu bringen war.
Da der durch die Fette bedingte reflektorische Pylorusschluss bei Einführung
von Fett in den Darm auch in kleinen Mengen hervorgerufen wird, so kann diese
Erscheinung nicht im Sinne der »Ueberfüllung des Darms« gedeutet werden Auf
diese Weise kommt zu der bereits bekannten Eigenschaft der Säure, den Uebertritt
der Speisen aus dem Magen in den Darm zu regulieren, ein neues Moment in Form
der Fette hinzu, welche mit dem gleichen Vermögen ausgestattet sind. Folglich
nimmt das Duodenum den sauren Speisebrei und die Fette nur in einer derartigen
Quantität auf, welche es zu verarbeiten im stände ist, und gestattet nicht den Ueber¬
tritt neuer Mengen aus dem Magen bis zu dem Zeitpunkte, wo es seine vorläufige
Aufgabe bewältigt hat. Eine ganze Reihe von krankhaften • Symptomen, die bei so
manchem »launenhaften« Patienten zur Beobachtung gelangen, wenn ihm dieses oder
jenes diätetisches Regime angeordnet wird, findet unschwer ihre Erklärung bei der
aufmerksamen und eingehenden Untersuchung des Zustandes der verschiedenen Organe
des Verdauungstraktus.
In das Grenzgebiet der Physiologie und der Diätetik gehört auch der Vortrag
über den Einfluss der Alkalien auf die Ausscheidung der Harnsäure und
über die Zersetzung derselben im Organismus, welchen L. Subkow 10 ) in der
Sektion für Pharmakologie und Balneologie des VIII. Allrussischen Pirogoff’schen
Aerztekongresscs zu Moskau im Januar 1902 gehalten hat. Die biologische Be¬
deutung der Harnsäure ist, nach Subkow’s Meinung, bis jetzt noch nicht in ge¬
nügendem Grade klargelegt worden. Die frühere Anschauung, dass die Menge der
zur Ausscheidung gelangenden Harnsäure bei den verschiedenen Thicrarten durch den
Unterschied in der Intensität der in ihrem Organismus sich abspielenden Oxydations¬
prozesse zu erklären sei, ist unbefriedigend und hält der Kritik nicht stand, da bei
den Vögeln, die ja eine grosse Menge Harnsäure ausscheiden, die Oxydationsprozesse
äusserst energisch vor sich gehen, bei den Reptilien dagegen ausserordentlich lang¬
sam. Die neuesten Untersuchungen sprechen dafür, dass die Harnsäure in der Leber
der Vögel auf dem Wege der Synthese ihren Ursprung nimmt, während die Leber
der Säugethiere im Gegentheil als Ort für die Zerstörung der Harnsäure dient. Was
den Einfluss der Alkalien auf den Ausscheidungsprozess der Harnsäure betrifft, so
fand Subkow bei seinen diesbezüglichen Untersuchungen, dass kleine Mengen von
Natrium bicarbonicuin das Gesammtquantum des zur Ausscheidung gelangenden Stick¬
stoffs um 4—6 % verringern, die Harnsäuremenge um 6—9 % verkleinern, die absolute
Menge des Harnstoffes um 2—3,5% herabsetzen und die relative Quantität des
letzteren um 1,5—3,8% vergrössern. Dosen von 3,0—6,0 Soda wirken im entgegen¬
gesetzten Sinne.
Ueber die Zersetzung der Harnsäure im Organismus spricht der Referent den
Gedanken aus, dass bei den Säugethieren sich bedeutend mehr Harnsäure bildet als
nachher zur Ausscheidung gelangt, und dass dieser Ueberschuss mit Hilfe eines
fermentativen Prozesses zersetzt wird. Dieser Vorgang ist durchaus kein Oxydations-,
sondern ein Hydratationsprozess. Das in Frage kommende Ferment befindet sich
hauptsächlich in der Leber. Bei Vögeln und Reptilien ist dieses Ferment entweder
garnicht vorhanden, oder wenn es auch vorhanden ist, so fehlen doch die Bedingungen
für seine Wirksamkeit, unter denen das Fehlen des Temperaturoptimums die Haupt¬
rolle spielt. Da eine Synthese im Organismus nur durch Vermittelung der lebenden
Zelle vor sich gehen kann, so muss jegliche Reizung des Zellprotoplasmas sich durch
eine Vermehrung der Harnsäuremenge dokumentieren, einerlei ob dieser Reiz ein
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410 A. Dworetzky
physiologischer oder pathologischer, ein thermischer oder chemischer ist. Auf diese
Weise erklärt sich die Vermehrung des Harnsäurequantums im kindlichen Alter und
nach dem Essen, bei fieberhaften Prozessen, bei Herabsetzung oder Steigerung der
Blutalkalescenz u. s. w. Eine Herabsetzung der Funktion der Leber muss in noch
einschneidenderem Grade auf die Menge der Harnsäure im Sinne einer Vermehrung
derselben aus zwei Gründen einwirken: erstens wird die Zersetzung der Harnsäure
in der Leber abgeschwächt, und zweitens ergiebt sich aus der eintretenden Auto¬
intoxikation eine gesteigerte Reizbarkeit sämmtlicher Zellen (bei Leberkrankheiten,
Leukämie, harnsaurer Diathese). Die Leukocytose, welche ja mit der Vermehrung
der Menge der Harnsäure in Zusammenhang gebracht wird, ist nur der Ausdruck für
die Lebensfähigkeit des Organismus und tritt ebenfalls als eine Folge der Reizung
des Zellprotoplasmas auf. Alle physiologischen, pathologischen und chemischen Ein¬
wirkungen, welche die Lebensfähigkeit und die Vitalität des Protoplasmas der Zellen
herabsetzen, müssen auch die Quantität der Harnsäure vermindern, wie das höhere
Alter, Kachexie und dergl. Zustände.
Ueber die hervorragende Bedeutung der im Lecithin enthaltenen organischen
Phosphorverbindungen für den Haushalt des pflanzlichen und thierischen Organismus
und über die merkwürdige Rolle des Lecithins im menschlichen Körper ist in dieser
Zeitschrift bereits mehrfach die Rede gewesen (s. mein Referat über die Arbeit von
Prof. A. Danilewsky* Zeitschr. f. diät u. physik. Therapie 1900. Bd. 4. Heft 5.
S. 418 und den Sammelbericht von A. Keller, 1901. Bd. 4. Heft 8. S. 669). Jüngst
erschien aus dem Laboratorium für physiologische Chemie an der Militär-medicinischen
Akademie zu St. Petersburg eine unter der Leitung Prof. A. Danilewsky’s ausgeführte
experimentelle Arbeit von M. Iljin 11 ) über den Einfluss der organischen
Phosphorverbindungen, d. h. des Lecithins, auf die Fixation des Stick¬
stoffs und den Ansatz der Eiweisskörper im menschlichen Organismus.
Sämmtliche Experimente mit dem Lecithin wurden bisher von den über diese Frage
arbeitenden Autoren ausschliesslich an Thieren vorgenommen, es war indess im
höchsten Grade interessant, die von ihnen gewonnenen äusserst werthvollen und
überraschenden Resultate auch am Menschen zu bestätigen. Angesichts dessen unter¬
nahm es Iljin auf den Vorschlag des Prof. A. Danilewsky, wenn auch nur einige
Stoffwechselversuche am Menschen bei ungenügendem und. überschüssigem Gehalt
an organischen Phosphorverbindungen, eigentlich an Lecithin, in der aufgenommenen
Nahrung anzustellen. Der Stoffwechselversuch wurde an einem gesunden Laboratorinms-
diener zur Ausführung gebracht und dauerte 14 Tage, welche in fünf Perioden zer¬
fielen. Dabei wurden folgende Bedingungen streng beobachtet: Alle Arten der auf¬
genommenen Nahrungsmittel wurden sorgfältigst gewogen. Alltäglich wurde auch
die Versuchsperson gewogen. Der Harn wurde in sorgfältiger Weise im Laufe von
24 Stunden gesammelt, seine Menge wurde genau gemessen, und in den einzelnen
Urinportionen wurden der Gesammtstickstoff des Harns nach Kjeldahl in dem
Borodin’schen Apparate und der Gesammtphosphorgehalt durch Titrierung mit
essigsaurem Uranyl bestimmt. Die Gewichtsmengen des mit den Speisen in den
Körper gelangenden Phosphors und Stickstoffs wurden nach einer besonderen Tabelle,
welche der Verfasser mittheilt, berechnet. Die Quantitäten des aus dem Körper
ausgeschiedenen Stickstoffs und Phosphors wurden nach den bei der Harnanalyse
gewonnenen Zahlen bestimmt; derKoth wurde einer analytischen Untersuchung nicht
unterzogen; infolge dessen wurden zu den bei der Harnuntersuchung gewonnenen
Zahlen der neunte Theil des mit dem Harn ausgeschiedenen Gewichtsquantums Stick¬
stoff und Phosphor hinzuaddiert, da bekanntlich mit dem Harn im Mittel 90% des
gesammten vom Organismus ausgeschiedenen Stickstoffs und etwa 80% des bei ge¬
mischter und 94 % des bei ausschliesslicher Fleischnahrung ausgeschiedenen Phosphors
aus dem Körper entfernt wird.
Die von Iljin angeführten Stoffwechseluntersuchungen ergaben nun im ein¬
zelnen folgendes:
In der ersten Periode, welche den 1., 2. und 3. Tag dauerte, nahm die Ver¬
suchsperson gewöhnliche Nahrung, aber in nicht genügender Menge zu
sich, und zwar im ganzen durchschnittlich 19,23 g N und 3,07 g P a 0 6 , und befand
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Russische Beiträge zur Emährungstherapie.
411
sich bei einer täglichen Ausscheidung von 24,56 g N und 3,52 g P 2 O s nicht im Stick¬
stoff- und Phosphorgleichgewicht, sondern verlor täglich 5,23 g vom eigenen N und
0,45 g P 2 O s . Auf diese Weise verarmte der Körper während dieser Zeitperiode an
N (Eiweissstoffen) und P.
In der zweiten, an Eiweiss und Phosphor armen Periode, welche zwei Tage,
den 4. und 5., dauerte, bekam die Versuchsperson wenigEiweiss und Phosphor,
im Mittel 4,83 g N und 1,15 g P 2 0 s . Hier wai* der Verlust an eigenem Eiweiss
und Phosphor noch bedeutender, denn am 4. Tage (vom Beginn des ganzes Versuches)
verlor sie 14,97 g an Organstickstoff und 2,0 g P 2 0 6 , am 5. Tage 6,65 g N und
0,834 g P*0 S .
Die dritte Periode, welche vier Tage dauerte, und zwar den 6., 7., 8. und
9. Tag, war sehr reich an Eiweiss, aber arm an Phosphor. Hier wurde
bereits ein Theil des eingeführten Eiweisses angesetzt (fixiert): in der ersten Hälfte
dieser Zeitperiode bekam die Versuchsperson 27,20 g N und 1,76 g P 2 0 5 täglich
und setzte 4,73 g N an, während sie sich in Bezug auf den P im Stoffwechselgleich¬
gewicht befand. In der zweiten Hälfte dieser Periode, am 8. und 9. Tage, wo die
Versuchsperson im Durchschnitt 37,59 g N und 2,36 g P 2 0 5 erhielt, wurden je 6,13 g N
und 0,89 g P 2 0 6 fixiert.
Die vierte Periode, welche ebenfalls vier Tage dauerte (den 10., 11., 12. und
13. Tag), war reich an Eiweiss und sehr reich an Phosphor, besonders an
Lecithinphosphor (Eigelb, Hirn). In dieser Periode wurde der Versuchsperson eine
täglich sich stets verringernde Menge N zugeführt, und zwar am zehnten Tage 30,23 g,
am elften 25,82 g, am zwölften 24,72 g und am dreizehnten 22,16 g N. Die ent¬
spechenden Zahlen des dargereichten organischen Phosphors betrugen am zehnten
Tage 3,011 g, am elften 1,65 g, am zwölften 5,577 g und am dreizehnten 3,26 g P.
Dank den grossen Mengen der zugeführten organischen Phosphorverbindungen verlor
die Versuchsperson nur an den ersten Tagen, d. h. am 10. und 11. Tage, eine kleine
Menge des eigenen Stickstoffs, und zwar am zehnten Tage 1,81 g und am elften
1,18 g N, und befand sich fast im Phosphorgleichgewicht, verlor aber dafür am 12.
und 13. Tag, besonders am 12., wo 5,577 g P 2 0 5 in den Organismus eintraten, nicht
nur nichts vom Organeiweiss, sondern hatte sogar die Möglichkeit, trotz des kleineren
Quantums des zugeführten Eiweisses (24,72 g N) fast Vs davon (2,91 g) und ausser¬
dem noch 1,74 P 2 0 5 zu fixieren; am folgenden (13.) Tage, wo die dargereichte
Eiweissmenge noch kleiner war (22,16 g N), verlor die Versuchsperson dank den
3,26 g P 2 Oj ebenfalls nicht nur nichts, sondern fixierte sogar noch 0,92 g N und
0,15 g P a Oj.
Die fünfte Periode dauerte aus vom Verfasser unabhängigen Gründen blos
24 Stunden und zeigte, dass der präventiv mit Eiweiss und Phosphor einmal ge¬
sättigte Organismus hartnäckig an seinem Organeiweiss festhält und nur ganz gering¬
fügige Mengen N verliert, wenn er hinterher eine auch ganz geringe Menge von
Eiweissstoffen dargereicht bekommt.
Aus diesem Stoffwechselversuche des Autors erhellt, dass die Phosphor¬
verbindungen (Lecithine) die Fixation des Stickstoffs, speziell den Ansatz von Eiweiss¬
körpern begünstigen.
Ueber den Ersatz der Weintraubenkur in Russland durch den fabrik¬
mäßig hergestellten pasteurisierten Traubensaft hatte ich in dieser Zeit¬
schrift bereits die Gelegenheit mitzutheilen (s. meinen Bericht: Diätetisches aus
Russland. 1901. Bd. 5. Heft 6). E. Jwanow 11 ) wendete diesen pasteurisierten Saft
aus den zu therapeutischen Zwecken in Betracht kommenden Weintraubensorten mit
dem besten Erfolge an bei chronischer Bronchitis, Atonie des Darmes, chronischen
Nierenleiden und Leberaffektionen, zugleich auch als Tonikum und als Nährmittel
nach Typhus abdominalis und schwerer Grippe. In zwei Fällen von Herzfehlern und
in einem Falle von Aortenaneurysma, welche von Stauungsniere, starken Oedemen der
Beine und von Ascites begleitet waren, wies der Traubensaft eine sehr kräftige
diuretische Wirkung auf. Diese Fälle ermuntern nach Jwanow’s Ansicht zu ferneren
und ausgedehnteren Beobachtungen über die pharmakologische Wirkung des Trauben-
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412 A. Dworetzky, Russische Beitrage zur Ernährungstherapie.
saftes. Die Behandlung mit dem ausgepressten und konservierten Saft ersetzt voll¬
kommen die Traubenkur, die ja aus leicht begreiflichen Gründen nicht zu jeder Zeit
und nicht für alle Kranken zugänglich ist. Ausserdem ruft das andauernde Kauen
der Trauben bei vielen Personen in Kürze eine Reizung der Mundhöhle und sogar
die Bildung von Geschwürchen auf der Mundschleimhaut, besonders an der Zungen¬
spitze, hervor; bei manchen tritt infolge des Traubengenusses eine starke Blähung
des Leibes auf, was von dem Verschlucken der Gährungserreger abhängig ist, welche
der Schale sogar der gewaschenen Weintrauben dicht aufsitzen. Der pasteurisierte
Traubensaft wird, wie ich schon berichtet habe, von der Firma Eynem in Simferopol
fabriziert. Das Präparat wird gewöhnlich auf den nüchternen Magen verordnet, eine
halbe bis eine Stunde vor dem Morgenthee, vor dem Frühstück oder vor dem Mittag¬
essen, weil dann eine abführende, expektorierende und diuretische Wirkung am
besten zum Vorschein kommt. Die Dosis beträgt ein viertel bis ein halbes Glas,
was einem halben bis einem Pfund Trauben entspricht und wird zwei- bis dreimal
täglich wiederholt. Vor dem Trinken muss der Saft zur Beschleunigung und Ver¬
stärkung seiner Wirkung in heissem Wasser erwärmt werden. Nach dem Trinken
ist es nützlich, etwas umherzugehen. Die entkorkte Flasche muss liegend an einem
kühlen Orte auf bewahrt werden, da der Weintraubensaft bei Zimmertemperatur nach
Verlauf von drei Tagen in der geöffneten Flasche fast stets verdirbt.
Litteratur.
1) A. Romanow, Eine Methode zur Vermehrung der Fettmenge in der verdünnten und
Bterilisierten Kuhmilch bis zum normalen Prozentsätze des Fettes in der Frauenmilch. Wratsch
1901. No. 35.
2 ) A. Romanow, Die Methode der künstlichen Ernährung, welche in dem Asyle für Find¬
linge der Gouvemementslandsehaft zu Woronesh im Jahre 1901 angewandt wurde. Vortrag, ge¬
halten auf dem VIII. Allrussischen Aerztekongress zum Andenken an N. Pirogoff zu Moskau am
7. (20.) Januar 1092. Russky Wratsch 1902. No. 11.
3) M. Saussailow, Ueber die in Abhängigkeit von dem Aufbewahrungsmodus der sterilisierten
Milch in ihr auftretenden Veränderungen. Bolnitschnoja Gaseta Botkina 1901. No. 16—18.
4) A. Hippius, Ein Apparat zur Pasteurisation der Milch im Haushalt. Djetskaja Medizina
1901. No. 1.
5) A. Hippius, Ueber das Pasteurisieren der Milch in der Kinderpraxis. Vortrag, gehalten
auf dem VIII. Allrussischen Pirogoff ’ sehen Aerztekongress zu Moskau am 7. (20.) Januar 1902.
Medizinskoje Obosrenie 1902. No. 2.
6) M. Blauberg, Der gegenwärtige Stand der Frage über die künstliche Ernährung der
Kinder im Säuglingsalter. Vortrag, gehalten auf dem VIII. Allrussischen Pirogoff’Bchen Aerzte¬
kongress zu Moskau am 9. (22.) Januar 1902. Wratschcbnaja Gaseta 1902. No. 10.
U N. Strzelbicky, Beitrag zur Frage über die Ernährung der Säuglinge mit der Mutter¬
brust. Vortrag, gehalten auf dem VIII, Allrussischen Pirogoff’ sehen Aerztekongress zu Moskau
am 7. (20.) Januar 1902. Russky Wratsch 1902. No. 11.
s) J. Lintwarew, Der Einfluss verschiedener physiologischer Bedingungen auf den Zustand
und die Menge der Fermente im Paukreassafte. St. Petersburger Dissertation 1901.
o) S. Lintwarew, Ueber die Rolle der Fette beim Uebcrtritt des Mageninhalts in den Dann.
St. Petersburger Dissertation 1901.
10) L. Subkow, Ueber den Einfluss der Alkalien auf die Ausscheidung der Harnsäure und
über die Zersetzung der letzteren im Organismus. Vortrag, gehalten auf dem VHI. Allrussischen Aerzte¬
kongress zum Andenken an N. Pirogoff zu Moskau im Januar 1902. Russky Wratsch 1902. No. 8.
11) M. II j in, Der Einfluss der organischen Phosphorverbindungen (dos Lecithins) auf die Fixation
des Stickstoffs (den Ansatz der Eiweissstoffe) im menschlichen Körper. Wratsch 1901. No. 37.
12) E. Jwanow, Der konservierte Traubensaft als Heilmittel. Therapewtitschesky Westnik
1901. No. 25.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
413
Berichte über Kongresse und Vereine.
Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische
Elektrologle und Radiologie zn Bern (I.—6. September 1902).
Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann zu Breslau.
Der zweite internationale Elektrologenkongress war nur von einer vcrhältnissmässig geringen
Zahl von Theilnehmem (etwa 100) besucht, was in Anbetracht der zahlreichen interessanten Themata,
die zur Diskussion standen, sowie auch der sehr lehrreichen und reichhaltigen, mit dem Kongress
verbundenen Ausstellung lebhaft zu bedauern war.
Besonders auffallend war die geringe Betheiligung von deutschen Fachleuten, eine Thatsache,
aus der man wohl auf eine Abnahme des Interesses für elektrotherapeutische Bestrebungen in
Deutschland schliessen darf, wie sie meiner Empfindung nach übrigens auch in unserer Fachlitteratur
der letzten Jahre zum Ausdruck kommt.
Jedoch bezieht sich diese Bemerkung nur auf die ärztlichen Fachmänner, während die Elektro*
technik gerade von deutscher Seite zahlreiche und vortreffliche Vertreter gestellt hatte.
Es standen sieben grosse Referate und 61 Vorträge auf der Tagesordnung, an die sich zum
Thcil sehr anregende Diskussionen anschlossen. Für das ausserordentlich geschickte Arrangement
und die umsichtige Leitung des Kongresses werden alle Theilnehmer dem Präsidenten, Herrn
Dr. Dubois, den lebhaftesten Dank wissen.
Der erste Verhandlungstag wurde wesentlich von Themata allgemein - theoretischen
sowie diagnostischen Inhaltes eingenommen. An der Spitze stand das Referat von CI uz et (Tou¬
louse), Sur l’ötat actuel de Uölectrodiagnostic, welches, da der Referent am persönlichen Er¬
scheinen verhindert war, von dem Präsidenten verlesen wurde.
Der Verfasser erwähnt in seinem Referat zunächst, dass unsere elcktrodiagnostischen Unter-
sucliungsmethoden in der letzten Zeit besonders durch die Benutzung der Entladungen von
Kondensatoren eine Bereicherung erfahren haben.
Diese Untersuchungsmethode gestattet eine genaue quantitative Feststellung der Reizgrösse
(nach dem Gesetz von Wciss) und giebt viel präzisere Resultate wie alle bisher üblichen Methoden.
Verfasser giebt sodann einen Ucberblick über die Krankheiten, bei denen man eine Veränderung
des elektrischen Lcitungswiderstandes hat finden wollen, ohne sich über diese (zum Theil recht
zweifelhaften!) Befunde näher zu äussem, und geht sodann zu einer Beschreibung der an den
motorischen Nerven und Muskeln gefundenen Reaktionen über. Er schliesst sich hier der Dar¬
stellung Do um er’s an, welcher einzelne anormale Eiemcntarreaktionen unterscheidet und für jeden
pathologischen Zustand ein bestimmtes Ensemble von derartigen Reaktionen finden will, welches
das elektrische »Syndrom« der betreffenden Krankheit darstellt. Die Eiemcntarreaktionen sind
1. quantitativer Art, nämlich Ucber-, Unter- und Unerregbarkeit, und 2. qualitativer Art, nämlich
Veränderungen in der relativen Grosse der galvanischen Zuckungen, Veränderungen der Zuckungs¬
form und die Verschiebung des motorischen Punktes.
Vortragender erwähnt sodann das Vorkommen der elektrischen Elementarreaktionen bei den ver¬
schiedenen pathologischen Zuständen, wobei man übrigens nicht in allen einzelnen Punkten mit ihm
einverstanden sein kann. Er beschreibt ausführlich zwei elektrische Syndrome, das der traumatischen
Nervendegeneration und das der Facialislähmung, welch letzteres besonders von Wertheim-Salo¬
mo nson auf gestellt worden ist. Vortragender hofft, dass sich noch eine Anzahl von anderen Krank¬
heiten durch ihre elektrischen Syndrome werden charakterisieren lassen, giebt aber zu, dass man
in diesen Bestrebungen noch nicht weit vorgeschritten ist. Er hofft, dass die Anwendung der
Kondens&tormethöde weitere Fortschritte in der Feststellung der elektrischen Reaktionen mit sich
bringen wird.
Das zweite Referat über dasselbe Thema (über den gegen wärtigen Stand dorElektro-
diagnostik) erstattete Mann (Breslau). Der Vortragende beschäftigt sich in erster Linie mit der
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414
Berichte über Kongreese und Vereine.
Methode der quantitativen Feststellung der Erregbarkeit. Er hebt hervor, dass der galvanometrischen
Bestimmung der galvanischen Reizgrösse nach Intensitätseinheiten, der man vor einigen Jahren noch
eine so grosse Exaktheit zuschrieb, grobe Fehlerquellen anhaften. Diese Fehlerquellen sind theils
physiologischer Natur, d.h. wir besitzen kein exaktes Normalmass der Erregbarkeit, weil letztere offen¬
bar individuell in ziemlich erheblichen Grenzen schwankt, und theils liegen sie an technischen Mängeln
unserer Untersuchungsmethoden. Am meisten aber ist die Exaktheit unser Methoden in Frage ge¬
stellt worden durch die wichtigen Untersuchungen von Dubois, nach welchen die Bestimmung
der Reizgrösse in Intensitätseinheiten überhaupt fehlerhaft sein und die Spannung des Stromes
das richtige Maass abgeben soll. Dubois wies bekanntlich nach, dass sich der menschliche Körper
in der »variablen Periode« des Stromes, d. h. während des die Zuckung erregenden Stromschlusses
nicht wie ein elektrolytischer Leiter, sondern wie eine Kapazität verhält. Er ladet sich wie ein Kon¬
densator, und bei dieser Ladung trifft der Strom auf einen viel geringeren Widerstand, wie dem
(in der konstanten Periode festgestellten) Ohm’sehen Widerstande entspricht. Er stellt einen kleinen
fixen Widerstand dar, der in seinem Werthe nur wenig schwankt und etwa zwischen 400 und
900 Ohm liegt, während der Widerstand in der konstanten Periode bekanntlich viel grösser ist und
Schwankungen in ausserordentlich weiten Grenzen zeigt. Da nun die Zuckung schon vor Beendi¬
gung der variablen Periode zu stände kommt, und der Widerstand in derselben stets annähernd
konstant ist, so kommt einzig und allein die Spannung für die Grösse der Stromwirkung in Be¬
tracht. Man muss deswegen (nach Dubois) das Voltmeter und nicht das Milliamperemeter als
Maassinstrument benutzen.
Diese Anschauungen Dubois 1 sind von einigen bestätigt, von anderen bestritten worden.
Vortragender selbst konnte sich nicht davon überzeugeu, dass unter den praktischen Bedingungen
der Elektrodiagnostik die Messung nach Volt gonauere Resultate giebt, wie die nach Milliampere.
Er vermuthet, dass diese Abweichung von den Erfahrungen Dubois , durch die Veränderungen
bedingt ist, welche die Leitfähigkeit der Haut durch die Einwirkung des Stromes erfährt. Wenn
einige etwas länger dauernde Stromschlüsse stattgefunden haben, wird die Haut in ihrer Leitfähigkeit
den feuchten Geweben immer ähnlicher und der Körper nähert sich nunmehr viel mehr der Be¬
schaffenheit eines elektrolytischen Leiters, wie der eines Kondensators, entspricht also nicht mehr
den von Dubois angenommenen Bedingungen. Es empfiehlt sich deswegen, bei den Untersuchungen
stets möglichst kurze Stromschlüsso anzuwenden, und es scheint von diesem Gesichtspunkte die
Untersuchung mit Kondensatorentladungen, wie auch mit Einzelinduktionsschlägen besonders be-
aebtenswerth. Jedenfalls aber befinden sich infolge der Duboisuchen Befunde unsere quantitativen
Erregbarkeitsbestimmungen gegenwärtig in einem Stadium der Unsicherheit.
Vortragender überblickt nunmehr die diagnostischen Schlüsse, die wir aus quantitativen Ver¬
änderungen der Erregbarkeit ziehen können und kommt zu dem Resultat, dass wir in dieser Be¬
ziehung seit längerer Zeit keine wesentlichen Fortschritte gemacht haben, trotz mancherlei Einzel¬
befunden, die von verschiedenen Seiten mitgetheilt worden sind.
Was die qualitativen Veränderungen anbetrifft, so sind wir bezüglich der wichtigsten derselben,
der EAR, in manchen Punkten entschieden vorwärts gekommen.
Die Frage nach der Ursache der Umkehr der Zuckungsformel scheint durch die schönen Unter¬
suchungen von Wiener definitiv gelöst, ebenso ist eine befriedigende Erklärung für die »Ver¬
schiebung des motorischen Punktes« gegeben. Dagegen harren andere wichtige Fragen, wie diejenige,
ob man die träge Zuckung einfach als die Reaktion der »entnervten« Muskelfaser anzusehen hat,
wie ferner die nach der Ursache des verschiedenen Verhaltens des entarteten Muskels den beiden
Stromesarten gegenüber, noch der definitiven Lösung.
Die Untersuchung des Leitungswiderstandes ist noch immer zu den praktischen Zwecken der
Diagnose wenig verwendbar. Wir haben, wie schon erwähnt, nach Dubois, den Widerstand der
variablen Periode von dem der konstanten zu unterscheiden. Ersterer stimmt mit dem faradischcn
Leitungswiderstand überein und repräsentiert einen ziemlich fixen Werth, der in Krankheitszuständen
nur wenig charakteristische Veränderungen zeigt. Letzterer variiert schon normaler Weise in so
weiten Grenzen, dass seine diagnostische Verwerthung nur mit grösster Vorsicht versucht werden kann.
Immerhin ergeben sich bei einzelnen Krankheitszuständen in einer Anzahl von Fällen von
der Norm abweichende Werthe.
Vortragender schliesst mit der Bemerkung, dass die elektrodiagnostischen Arbeiten der letzten
Jahre mehr theoretisch interessante wie praktisch verwerthbare Resultate zu Tage gefördert haben.
ln unmittelbarem Anschluss an diese beiden Referate wurde eine Mittheilung von Sudnik
(Rio de Janeiro): Les decharges du condensateur chargö ä la pile dans Uölectro-
diagnostic verlesen.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 415
Verfasser hat ausgedehnte Untersuchungen mit Kondensatoren angestellt. Er benutzt sie
theils in Form von direkten Entladungen, theils von »alternativen« Entladungen, d. h. die Entladungen
werden durch eine induzierende Spirale geschickt, und eine induzierte Spirale wird zur Reizung
verwendet. Mit dieser Methode konnte Verfasser viel genauer, wie mit irgend einer anderen die
geringsten quantitativen Veränderungen der Erregbarkeit feststellen. Auch konnte er gewisse
qualitative Veränderungen, auf die hier nicht näher cingegangcn werden kann, konstatieren und
dadurch auch prognostische Schlüsse auf den Verlauf einer Affektion ziehen.
Hierauf bringt Dubois (Bern) in einem äusserst klaren Vorträge (lo dosago du courant
excitatcur) nochmals seine Lehre, nach welcher die Voltspannung das exakte Maass des galvanischen
Reizes bildet, zur Darstellung und verteidigt dieselbe in glänzender Weise gegen die erhobenen
W iderspröche.
Dieses Thema bildet auch den Hauptpunkt der sich an die vorstehenden vier Vorträge
gemeinsam anschliessenden Diskussion, jedoch kann auf diese theoretische Frage wegen der
Unmöglichkeit einer knappen Darstellung derselben hier nicht eingegangen werden.
Aus der übrigen Diskussion sei nur eine Mittheilung von Läduc (Nantes) erwähnt, welche
sieb auf das Verhalten des Leitungswiderstandes bezieht. Er hat gefunden, dass die Durchfeuchtung
der Haut durch langes Auflegen von feuchter Watte den Widerstand nicht merklich verändert;
ebenso hat die Temperatur keinen Einfluss: der Widerstand ist derselbe, ob das die Elektroden be¬
feuchtende Wasser eine Temperatur von 50° oder 0° hat.
Bezüglich der von ihm gebrauchten Methode erwähnt Läduc, dass sie empfindlich “genug
war, um die Vermehrung des Widerstandes zu konstatieren, welche durch die*Anämie bei Muskel¬
kontraktion entsteht. Der Leitungswiderstand hängt nach Läduc von der Zahl undjder Natur der
Jonen ab, welche die Haut enthält. Durch Einführung von Chlorionen aus Chloriden hat er den
Widerstand in 15 Minuten von 8000 auf 1000 Ohm abfallen sehen. Durch Substitution der Chlorionen
durch Calciumionen konnte er den Widerstand in weniger als 5 Minuten von 1000 auf 4000 Ohm
steigern. Diese Verhältnisse sollen ganz regelmässig und sicher nachweisbar sein. Sie müssen
natürlich bei jeder Widerstandsmessung und ihrer Verwerthung zu diagnostischen Zwecken genau
berücksichtigt werden.
In der Diskussion äussem mehrere Redner ihre Verwunderung über diese Befunde Läduc’s
welche in der That, was die Unabhängigkeit des Widerstandes von der Durchfeuchtung der Haut
und der Temperatur der Elektroden anbetrifft, den alltäglichen, praktischen, elektrotherapeutischen
Erfahrungen zuwiderzulaufen scheinen. Jedoch soll die Zuverlässigkeit der Experimente natürlich
nicht bestritten worden.
Die weitere Diskussion muss hier übergangen werden.
Die Nachmittagssitzung des ersten Tages brachte 1. einen für die Theorie der Elektrotherapie
höchst wichtigen Vortrag von Schnyder (Bern), Influence du courant galvaniquo sur la
force musculaire.
Vortragender hat nach dem Vorgänge von Capriati Untersuchungen über den Einfluss des
galvanischen Stromes auf die Muskelkraft vermittels eines von Dubois modifizierten Ergographen
angestellt, und kommt zu folgenden Resultaten:
Die Galvanisation des Rückenmarkes übt auf die Muskelkraft einen günstigen Einfluss
ans, welcher weniger in einer Vermehrung der kilogrammmetrischen Arbeit, wie einer Veränderung
der Ermüdungskurve (grössere Zahl von Ordinaten und weniger steiler Abfall derselben) zum Aus¬
druck kommt. Aber dieser günstige Einfluss auf die Muskelkraft stellt keine besondere und eigen¬
tümliche Wirkung der elektrischen Erregung dar. Andere auf die Haut applizierte Reize, wie etwa
ein Senfpflaster, bringen ungefähr dieselbe Einwirkung auf die Muskellcistung hervor.
Vortragender will auf weitergehende theoretische Schlussfolgerungen aus seinen Versuchen
sich nicht einlassen. Er will nur darauf hinweisen, dass dieselben die Ansicht erschüttern, nach
welcher die Einwirkung der Elektrizität auf die Muskelkraft eine direkte und spezifische Wirkung
derselben darstellen soll. Vielmehr führen die Versuche darauf hin, an ein allgemeines biologisches
Gesetz zu denken, nach welchem dio Bewegung das Endresultat jedes Reizes darstellt und demnach
jede sensible Reizung sich schliesslich in eine Steigerung der Muskelkraft umsetzt.
2. Ein Vortrag von Albert Weil (Paris) beschäftigte sich mit: Electrothärapic et
Orthopädie, und rühmt die erstere als ein höchst wirksames Unterstützungsmittel der letzteren.
Vortragender verwendet die Elektrotherapie an dem grossen Material der chirurgischen Kinder¬
klinik (Hospital Trousseau) in allen Fällen von spinaler und cerebraler Kinderlähmung, Litt la¬
scher Krankheit, Skoliosen auf rhachitischer Basis und dergleichen mehr.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
416
Seine Erfahrungen bei frühzeitig begonnener und lange Zeit konsequent fortgesetzter Be¬
handlung sind sehr günstige. Er verwendet am meisten stabile Galvanisation der gesammten
Extremität mit mässigen Stromstärken (nicht über 10 M-A), indem er die betreffende Extremität in
ein Wasserbad stellt, welches den negativen Pol enthält, während der positive auf den entsprechenden
Abschnitt der Wirbelsäule appliziert wird; ferner lokale Faradisationen und Galvanisation der
paretischen Muskeln und faradische Hautreizung.
Bei Rhachitis wird neben entsprechender Diätetik die stabile Galvanisation des Rückenmarkes
(Kathode am Nacken, Anode in einem Fussbad, 10 M-A) als tonisierender Faktor herangezogen.
3. Laquerriöre und Delherm (Paris), Action motrice des difförents modes
ölectriques sur Pintestin gröle.
Die Vortragenden stellten ihre Versuche an Kaninchen, Meerschweinchen und Hunden an und
fanden bei allen Thierspezies im wesentlichen die gleichen Resultate: der konstante Strom erzeugt
eine Kontraktion an beiden Polen, aber an beiden verschieden. Sie präsentierte sich nicht in Form
einer Zuckung, sondern einer mehr oder weniger rasch an wachsenden Retraktion. Dieselbe hängt
nicht von der Stromschliessung, sondern von dem stabilen Zustand ab, und es ist ganz gleichgiltig,
auf welche Weise derselbe erreicht wurde.
Der positive Pol erzeugt eine energische, prompte Kontraktion, welche sich auf die ganze
Cirkumferenz des Organes erstreckt, während der negative eine schwächere, langsamere und
lokalisierte Kontraktion hervorruft.
Die Kontraktion kann noch nach Unterbrechung des Stromes zunehmen, oder wenn der Strom
von kurzer Dauer war, sogar erst nach der Oeffnung erscheinen, sodass man eine wirklich verlang¬
samte Kontraktion sieht.
In der interpolaren Strecke treten Kontraktionen erst bei Stromstärken über 20 M-A auf. Eine
Erregung der longitudinalen Fasern konnte durch den konstanten Strom niemals erreicht werden.
Der faradische Strom erzeugt an beiden Polen gleichmässige Kontraktionen, welche während
der ganzen Dauer des Stromschlusses unverändert bleiben und sich in der Form einer ringförmigen
immer obcihalb des Ansatzpunktes der Elektroden liegenden Striktur äussern. In der interpolaren
Strecke sieht man pcristaltische Kontraktionen; bei starkem Strom eine Kontraktur en masse der
zwischen den Elektroden liegenden Schlinge. Die Faradisation erregt auch deutlich die longitudi¬
nalen Fasern; die Wirksamkeit ist um so grosser, eine je höhere Spannung der Strom besitzt
Der kombinierte (WattevilPsche) Strom theilt die Eigenschaften der Galvanisation und
Faradisation; man kann den Unterschied der Pole wie bei der ersteren beobachten, und die inter-
polaren Reaktionen wie bei der letzteren.
Boi Reizung durch die Bauchdecken hindurch vermittels des konstanten Stromes findet man
dieselben Strikturen an den den Elektroden anliegenden Darmschlingen. Faradische Reizung ergiebt
eine starke Wirkung auf die Peristaltik, wenn nur eine Elektrode auf die Bauchdecken appliziert
wird. Setzt man beide Elektroden auf, so ist die Wirkung viel schwächer, und man konstatiert die
polaren Strikturen an den den Elektroden anliegenden Stellen.
Die motorischo Wirkung der Elektrisation durch die Bauchdecken erscheint nicht so stark,
wie man anzunehmen gewöhnt war.
Die Experimente beziehen sich allein auf die Motilität und geben durchaus nicht für alle
klinisch beobachteten Erscheinungen eine Erklärung, Erscheinungen, die man auf sekretorische,
vasomotorische, Reflcxwirkungcn etc. beziehen muss, und die wahrscheinlich bei gewissen
Prozeduren, wie der elektrischen Darmausspülung, eine wichtige Rolle spielen. Diese Reflex¬
erscheinungen können natürlich an narkotisierten und operierten Thieren nur sehr unvollkommen
studiert werden.
Grosses Interesse erregte eine Mittheilung von Sticker (Giessen) über gal vanoskopische
Untersuchungen am Gesunden und Kranken.
Die von der Haut abzuleitendcn galvanischen Phänomene sind bisher zu diagnostischen
Zwecken wenig benützt worden. Wenn man von zwei nicht symmetrischen Hautstellen zu einem
Galvanometer ableitet, so findet man drei Phänomene:
1. den Ruhestrom, welcher gewöhnlich aufsteigend verläuft und sich in seiner Stärke je
nach dem Zustande des Individuums etwas verschieden verhält.
2. Kleine Schwankungen des Ruhestromes, die um so geringer sind, je ruhiger sich das In¬
dividuum körperlich und geistig verhält.
3. Den Tarchanoff’sehen Erregungsstrom, eine sehr starke Stromschwankung, welche sofort
auftritt, wenn irgend eine Hautstelle gereizt, oder ein plötzlicher Sinneseindruck oder auch irgend
welche Vorstellungen erregt werden.
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Referate Ober Bücher and Aufsätze.
417
Vortragender dachte anfangs daran, den Erregungsstrom, respektive sein Fehlen zum objek¬
tiven Nachweis von Sensibilitätsstörungen zu benutzen; aber es zeigte sieh, dass derselbe auch bei
Ausschaltung der sensiblen Bahn (z. B. traumatische Zerstörung der Nerven) bestehen bleibt Zur
Erklärung musste daher angenommen werden, dass er nicht nur von der durch den sensiblen Nerven
zu den Schweissdrüsen gehenden Reflexleitung abhängig ist, sondern dass das ganze Kapillarsystem
der Haut dabei betheiligt ist Man muss annehmen, dass, wenn irgend eine Hautstelle gereizt wird,
sich die Reizung über das ganze Kapillarsystem fortpflanzt.
Für den Nachweis von Sensibilitätsstörungen ist daher das Erregungsphänomen nur dann
verwerthbar, wenn die Reaktion des Kapillarsystems ausgeschaltet wird, was durch starke Ab¬
kühlung oder Ueberhitzungjder Haut geschehen kann.
Vortragender hat nun versucht, den Erregungsstrom zu einem anderen diagnostischen Zwecke
zu verwerthen. Er hat durch denselben feststellen wollen, ob die hysterischen Amnesieen thatsäch-
lich eine Auslöschung der Erinnerung bedeuten oder ob sie, wie sich Jan et ausdrückt, nur subjektiv
sind. Die Versuche sind zu Gunsten der letzteren Annahme ausgefallen. Dem hysterischen Indi¬
viduum wurden eine Reihe von Worten gesagt oder Bilder oder Personen oder dergleichen gezeigt.
Der Erregungsstrom blieb aus, solange die betreffenden Gegenstände kein Interessejfür das Indi¬
viduum hatten, er trat aber sofort auf, wenn sie mit den Erlebnissen, die den hysterischen Anfall
und die Amnesie hervorgerufen hatten, in irgend welcher Beziehung standen. Es ist dadurch be¬
wiesen, dass die Erlebnisse während des Stadiums der Amnesie nicht völlig aus der Erinnerung
ausgelöscht sind.
In der Diskussion warnt Benedikt (Wien) davor, diese Untersuchungsmethode nicht etwa
in forensischen Fällen verwenden zu wollen, besonders nicht etwa bei den häufigen Angaben der
Hysterischen über Kohabitationsversuche von seiten des Arztes während der Hypnose. Die Er¬
wähnung eines derartigen Vorfalles wird einen Erregungsstrom hervorrufen können, auch ohne dass
der Vorfall thatsachlich stattgefunden hat. (Fortsetzung folgt)
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Schüle, Die Bestimmung der motorisehen
Thitigkeit des menschlichen Magens. Fort¬
schritte der Medicin 1901. No. 18.
Verfasser benutzt zur Bestimmung der mo¬
torischen Thätigkeit des menschlichen Magens
ein Verfahren, welches eine Modifikation der
Leu benschen Methode darstellt und folgender-
maassen beschaffen ist: Eine Stunde nach einem
Probefrühstück (1 Tasse Thee, 1 Stück Zucker,
50 g Zwieback) oder drei Stunden nach einer
Probemahlzeit (230 g Schleimsuppe, 250 g [rohes],
sorgfältig geschabtes und angebratenes Fleisch
und 150gKartoffelbrei) entnimmt man den Magen¬
inhalt und spült nach. Das gesammte, theils
durch Expression, theils durch Nachspülung ge¬
wonnene Material wird zusammengegossen, de¬
kantiert und auf ein vorher gewogenes Filter
gebracht Grössere Schleimmengcn sind zu ent¬
fernen. Der Filterrückstand bleibt einige Tage
stehen, bis er vollständig lufttrocken geworden
ist und wird dann gewogen. Das Gewicht minus
dem Filtergewichte giebt dann einen Anhalts-
Zeiteohr. t dllt u. physüc. Therapie B<L VI. Heft 7.
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punkt fün die Menge des nicht in den Darm be¬
förderten Materials. Schüle fand bei magen¬
gesunden Personen für Probefrühstück Werthe
zwischen 1 und 5,5 g, und für Probemahlzeit
Rückstandswerthe, die zwischen 1,5 und 4,5 g
schwankten. Bei pathologischen Fällen war der
Wechsel in den gefundenen Zahlen bedeutend
grösser. Denn es fanden sich einerseits Werthe,
die unter 1 lagen, andrerseits Werthe bis zu
18,0. Wenn man die Tabelle Schüle’s durch¬
sieht, so sind hohe Werthe besonders bei
Karcinom gefunden worden. Doch ist das
Material von Schüle vorerst zu klein, um
bindende Schlüsse zuzulassen, aber gross genug,
um zu einer weiteren Prüfung mit diesem Vor¬
gehen anzuregen H. Strauss (Berlin).
Alb. Wittgenstein, Physikalisch-diätetische
Behandlung der Magenkrankheiten in der
Praxis. Leipzig 1901.
Dieses kleine Büchlein will dem Praktiker
eine Anleitung zur physikalischen und zur diäte¬
tischen Behandlung Magenkranker geben und
29
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418 Referate über Bücher und Aufsätze.
zerfallt in einen allgemeinen und speziellen Theil,
sowie in einen Anhang, welcher Kochrezepte
enthält. Das Büchlein dürfte weder auf Originalität
noch auf Vollständigkeit Anspruch machen und
sich damit begnügen, die landläufigen Prinzipien
der physikalisch-diätetischen Behandlung Magen¬
kranker in Form eines kurzen Abrisses zusamracn-
zustellen. H. Strauss (Berlin).
Burwinkel, Herzleiden nnd Ernährung.
Monatsschrift für hygienische Aufklärung und
Reform Bd. 14. Heft 10.
Der auf der 22. Versammlung der balncologi-
schen Gesellschaft zu Berlin gehaltene Vortrag
wendet sich in einleuchtender Weise gegen das
moderne Schlagwort, man müsse Herzkranke
»kräftig ernähren«, damit das Myokard leistungs¬
fähig bleibe. Verfasser bespricht die nach¬
theiligen Folgen, welche zu viel Flüssigkeits-
aufnahmc und übertriebene Fleischnahrung haben;
es werde dadurch die Viskosität des Blutes höher
und damit die Anforderung an das Herz grösser.
Er plädiert für kleinere, wenn auch häufigere
Mahlzeiten und zwar für einen gemässigten
Vegetarianismus, namentlich sollen die stark ge¬
würzten und an Extraktivstoffen reichen Floisch-
sorten (rohes Fleisch, Gulasch, Kagout, Wild und
dergleichen) gestrichen werden.
Buttersack (Berlin).
Edmund Weisz, Ueber die Gicht. Orvosi
Hetilap 1901. No. 22—26.
Die biologischen Fehler der alten Gicht-
theorieen forschend, weist Verfasser darauf hin,
dass nach den Daten der neuesten Untersuchungen
aus dem Hamsäuregchalt des Urins die Diagnose
der Gicht nicht feststellbar ist, da die Harnsäure
im Urin nicht einmal während des Anfalls ver¬
mehrt ist und da das Serum der Gichtkranken von
der zugefügten Harnsäure einen Theil noch zu
lösen vermag und schliesslich, da die Alkalcscenz
des Blutes in nichts von den normalen Verhält¬
nissen abweicht. Uebrigens ist die im mensch¬
lichen Organismus kreisende Harnsäuremenge so
gering, gewöhnlich im normalen Blut nicht ein¬
mal nachweisbar, dass schon ^Anbetracht dieses
Umstandes von einer Harnsäurediathese nicht ein¬
mal gesprochen werden kann. Verfasser sieht
in den Niederlagerungen der Harnsäure einen ge¬
wissen biologischen »error loci«, demzufolge in
pathologischen Verhältnissen nicht nur die Nieren,
sondern auch die Gelenke den Organismus von
der im Blute sich befindenden Harnsäure zu be¬
freien im stände sind, welche infolge ihrer schweren
Lösbarkeit sich früher oder später dort zu kiys-
tallisieren gezwungen ist Die an Tauben voll¬
führten Versuche scheinen ebenfalls die wichtige,
ja sogar entscheidende Rolle der lokalen Verhält¬
nisse zu beweisen gegenüber der bisher ange¬
nommenen »Diathesis«-Theorie.
| J. Honig (Budapest).
| Weiss, Ueber den Einfluss von Alkohol nnd
I Obst anf die Harnsänrebildnng. Münchener
| mcdicin. Wochenschr. 1901. No. 26
Weiss fand in seinen Versuchen (am
Menschen) in Uebereinstimmung mit Leber und
v. Noorden keine Beeinflussung der
Harnsäureausscheidung durch Alkohol.
Ebenso konnte er die Angaben von His, Leber,
Dauber über die diesbezügliche Unwirksam¬
keit der Citroncnsäurc bestätigen. Wenn
bei der Citronenkur eine Verminderung der Harn-
säureausscheidung vorkommt, so könnte das die
Folge davon sein, dass der Magen nach der Ein¬
führung der kolossalen Mengen von Citronensaft
die Aufnahme von Fleisch und andern Eiweiss¬
stoffen verweigert. — Der Genuss von ge¬
schälten Acpfeln hatte keinen Einfluss auf die
Harnsäuremenge; dagegen sank die letztere be¬
trächtlich, wenn die Schalen mitgenossen
wurden, was Weiss auf einen etwaigen Gehalt
der Schalen an Chinasäure zurückführt.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
August Hirschler und Paul v. Terra?,
Lehrbuch der Diätetik. (Ungarisch)
Im letzten Dezennium wandte sich in er¬
höhtem Maasse die Aufmerksamkeit der ärztlichen
Kreise der Diätetik zu; hauptsächlich die zahl¬
reichen Fragen, welche im Laufe der Stoffwechsel-
Untersuchungen auftauchten, erhöhten das Inter¬
esse, und rastlos wurde an dem Aufbau der
rationellen Diätetik gearbeitet, an deren Zustande¬
kommen die deutsche medicinische Schule grosse
Verdienste sich erwarb. In der ungarischen
medicinischen Litteratur war es bisher eine be¬
deutsame Lücke, dass man kein auf wissenschaft¬
licher Grundlage aufgebautes Lehrbuch der Diätetik
besass; demzufolge betraute die Ungarische wissen¬
schaftliche Akademie die Verfasser mit der Aus¬
arbeitung einer Diätetik. Die Verfasser entledigten
sich ihrer Aufgabe mit grossem Geschicke, denn
einerseits ist die Physiologie der Ernährung in leicht
fassbarer und klar durchsichtiger Art dargestellt,
andererseits findet der Praktiker all’ die diäte¬
tischen Methoden darin, welche man bei den
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Referate über Bücher und Aufsätze.
verschiedenen pathologischen Zuständen an wendet.
Es muss hervorgehoben werden, dass die vor¬
liegende Arbeit nicht nur als Lehrbuch im
strengsten Sinne des Wortes zu betrachten sei,
sondern sie enthält auch die subjektiven Ansichten
der Verfasser über einzelne strittigen Fragen der
Diätetik, welche nur das Interesse an dem Buche
erhöhen.
In dem ersten Theile wird die Bedeutung
der einzelnen Nährstoffe dargcstellt; bei der Be¬
sprechung des Nährwerthes der Salze ist deren
Bedeutung, als Quelle der osmotischen Energie
im Organismus, berücksichtigt. In ausführlicher
Art ist das Verhalten der einzelnen Nährstoffe
zur motorischenThätigkeit des Magens besprochen,
welcher Umstand eben bei der Bestimmung der
Schwerverdaulichkeit ausschlaggebend sein sollte.
Für den Praktiker enthält der Abschnitt über
die zeitliche Eintheilung der Speisenäufnahme
sehr zahlreiche auf grosser Erfahrung beruhende
Anweisungen. In den folgenden Kapiteln ist die
chemische Zusammensetzung der einzelnen Nähr¬
stoffe ausführlich dargestellt, bei den allgemein
gebräuchlichsten vollzogen die Verfasser selbst
die mühevollen Analysen. Eine eingehende Be¬
sprechung wird der in letzter Zeit von neuem in
den Vordergrund getretenen strittigen Alkohol¬
frage gewidmet; die Verfasser nehmen den Stand¬
punkt ein, dass der Alkohol keine eiweiss-
ersparende Wirkung besitzt, und nur den Fett¬
verbrauch herabsetzt, demzufolge ist der Nährwerth
des Alkohols ein minimaler, hingegen ist er als
stimulierendes Mittel zu verwenden. In der Dar¬
stellung air der verwickelten Fragen des normalen
Stoffwechsels bewährte sich die fachkundige Hand
der Verfasser; hauptsächlich muss die klare und
ausführliche Darstellung der verschiedenen Aus¬
sichten über den Ei weissbedarf und -Umsatz des
gesunden Menschen hervorgehoben werden; daran
anschliessend findet man auch praktische An¬
weisungen für die Ausführung von Stoffwechsel¬
versuchen. Sehr lesenswerth ist der Abschnitt
über die künstlichen Nährpräparate; in der Zeit,
wo die irrthümlichsten Ansichten über die
Anwendung und den Werth der verschiedenen
Nährpräparate herrschen, ist der strenge kritische
Ton, der hier angewendet wird, sehr am Platze;
nach Durchsicht dieser kritischen Besprechung
wird der praktische Arzt in der verwirrten Frage
der künstlichen Nährmittel sich ein klares Urtheil
bilden können. Die Darstellung der Indikationen
and der Anwendungsweise der künstlichen Er¬
nährung beschliesBt denjersten Theil.
Im zweiten speziellen Theile wird die diäte¬
tische Therapie der einzelnen Krankheitsformen
behandelt; auf all die Einzelheiten näher einzu¬
gehen, möchte den Umfang dieses Referates
419
i ungebührlich vergrössem, sodass der Inhalt nur
I in kurzen Umrissen dargestellt werden kann. Mit
! besonderer Sorgfalt behandelten die Verfasser
die diätetische Behandlung der fieberhaften Krank-
I heiten, in erster Reihe des Typhus abdominalis;
in der Fieberperiode wird ausschliesslich flüssige
Diät angerathen, hinwieder in der Rekonvalescenz
dem Ueberwiegcn der ei weissreichen Kost das
Wort gesprochen.
Aus dem umfangreichen Abschnitte über die
! diätetische Behandlung der Magen- und Darm¬
krankheiten soll nur der Standpunkt, den die
Verfasser in einzelnen strittigen Fragen behaupten,
angefühlt werden. In der Streitfrage, ob eiweiss-
oder kohlehydratreiche Kost bei der Ilypcrchlor-
hydrie dargereicht werde, nehmen sie einen ra¬
tionellen vermittelnden Standpunkt ein und stellen
eben nur dieses Erforderniss auf, dass man die
Kohlehydrate womöglich in leicht resorbierbarer
Form verwenden soll. Die schematische Ein¬
schränkung der Flüssigkeitsaufnahmc bei der mo¬
torischen Insufficienz des Magens wird strenge
verurthcilt, und nur vor der reichlichen Aufnahme
der keinen Nahrungswerth besitzenden Flüssig¬
keiten wird gewarnt. Zahlreiche zweckmässige
Diättabellen ergänzen diesen Abschnitt. Die Diäto-
therapie der Lungenschwindsucht ist in allen ihren
Einzelheiten am ausführlichsten dargestellt; die
physiologische Grundlage der Methode und die
Veränderungen in der diätetischen Behandlung
bei etwa bestehenden Komplikationen sind ent¬
sprechend ihrer Bedeutung gewürdigt. Der um¬
fangreichste Theil des Buches ist die Diätetik
der Stoffwechselanomalieen. Bei der Behandlung
der Fettsucht wird an den verschieden bekannten
Kostformen strenge Kritik geübt und die Be¬
deutung der zeitweiligen Kontrolle des Stoff¬
wechsels im Laufe der Behandlung betont; denn
sehr richtig wird hervorgehoben, dass der Erfolg
der Behandlung nicht von der strengen Durch¬
führung der einzelnen angegebenen Methoden
abhängt, sondern von der zweckmässigen An¬
passung der Therapie an die vorhandene Krank¬
heitsform. Auf grund eingehender patho-physio-
logischcr Betrachtungen ist die diätetische Be¬
handlung der Zuckerkrankheit entwickelt; sorg¬
fältige Beachtung wurde den einzelnen Diabetes¬
formen zugewendet, und der Vortheil der
kombinierten Eiweiss - Fettdiät hervorgehoben.
Eingehende Würdigung wurde der Diätetik der
harnsauren Diathese, der Chlorose, sowie der
Nierenkrankheiten zu theil. Die WeirMitchell-
und die Play fair’sehe Kur haben eine er¬
schöpfende Darstellung erfahren; es war schräm
Platze, dass die Indikationen der Anwendung
streng umschrieben wurden; besonderen Werth
verleiht diesem Abschnitte die angeführte reiche
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420
Referate über Bücher und Aufsätze.
persönliche Erfahrung der Verfasser. Anhangs¬
weise enthält die Arbeit eine lichtvolle Darstellung
der künstlichen Ernährung der Säuglinge und der
Grundzüge der Diätetik des kranken Kindes.
G. Kövesi.
B. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
A. Jaquet, Höhenklima nnd Blntbildnng.
Archiv für experimentelle Pathologie und
Pharmakologie Bd. 45. Heft 1.
Nachdem^ Jaquet in einer gemeinschaftlich
mit Suter*ausgeführten Versuchsreihe zu dem
Resultat gekommen, dass die Gesammtblut-
resp. Hämoglobinmenge unter dem Einflüsse
des Höhenklimas zunimmt, so dass die Ver¬
mehrung der Zahl der Blutkörperchen und des
Hämoglobingehaltes als Ausdruck einer that-
sächlichen Vermehrung des Blutfarbstoffes und
nicht etwa bloss einer veränderten Blutmischung
aufzufassen ist, untersuchte er in der Folge
systematisch die verschiedenen im Gebirge in Be¬
tracht kommenden Faktoren auf ihre eventuelle
Wirkung auf blutbildende Apparate. Die Unter¬
suchungen erstrecken sich auf den Einfluss von
Temperatur, Licht, Lufttrockenheit und Luftdruck
und sind am Kaninchen in der Weise angestellt,
dass am Ende der Versuchszeit der gesammte
Hämoglobingehalt nach vollständiger Durch¬
spülung des Körpers mit 1 % Kochsalz im
Fleischl-Miescher’schen Apparate bestimmt
und mit demjenigen von Kontrollthieren ver¬
glichen wurde. Die Resultate sind folgende:
Thiere, die sechs Wochen lang bei einer
Temperatur von 2—5° C gehalten worden waren,
zeigten pro Kilogramm Körpergewicht denselben
Hämoglobingehalt, wie die Kontrollthiere, die in
Temperaturen von 13— 16 o C untergebracht waren.
Der Lufttemperatur kommt demnach ein Einfluss
auf die Blutbildung im Gebirge nicht zu.
Um den Einfluss des verminderten Luft¬
druckes zu studieren, konstruierte sich Jaquet
einen besonderen luftdicht abgeschlossenen Kasten
in der Grösse der gewöhnlichen Thierkäfige und
setzte darin — imter Garantie ausreichender
Lüftung — mittels einer Säugpumpe den Luft¬
druck konstant (durch ein Differentialmanometer
kontrolliert) auf 6640 mm herab. Unter dem
Einflüsse des heruntergesetzten Luftdruckes, dem
die Thiere vier Wochen lang ausgesetzt waren,
konstatierte eT regelmässig eine bedeutende Zu¬
nahme sowohl der Zahl der Blutkörper als des
prozentigen Hämoglobingehaltes, in voller Ueber-
einstimmung mit seinen früheren Versuchen am
Menschen und am Thiere. Eine Herabsetzung des
atmosphärischen Druckes um 100 mm genügt, um
künstlich eine Erhöhung des Hämoglobingehaltes
des Blutes um mehr als 20 o/ 0 des ursprünglichen
Werthes hervorzurufen. Die Druckdifferenz er¬
klärt also ohne weitere Mithilfe eines anderen
Faktors die im Hochgebirge eintretende Blut¬
veränderung zur Genüge.
Da in den Thierkasten die Luft dauernd sehr
feucht war, so erhellt daraus, dass die Luft¬
trockenheit, der man im Hochgebirge einen Ein¬
fluss auf die Blutbildung zusprechen wollte,
gegenüber der Luftdruckverminderung nicht in
Betracht kommt. Ebensowenig möchte Jaquet
der intensiveren Belichtung, wie sie im Hoch¬
gebirge wohl statt hat, eine maassgebende Ein¬
wirkung auf die daselbst beobachtete Blut¬
veränderung zusprechen.
Weintraud (Wiesbaden).
Josef Koväcs, Experimentelle Beiträge über
die Wirkung von Sanerstoffinhalationon.
Berliner klin. Wochenschr. 1902. No. 16.
Die Untersuchungen des Verfassers sollen
einen neuen objektiven Befund für die Heil¬
wirkung von Sauerstoffinhalationon in Krank¬
heiten bringen. Leitet man Kohlensäure in
Blut, so sinkt dessen Gefrierpunkt; dasselbe
ist am cirkulierenden Blut der Fall, wenn
es durch Erkrankungen am Cirkulations- oder
Respirationssystem zu Kohlensäureüberladung des
Blutes kommt. Leitet man durch Kohlensäure
überladenes Blut Sauerstoff, so kehrt der Gefrier¬
punkt zur Norm zurück. Lässt man Kranke, die
an Herz- oder Lungenaffektionen leiden, Sauer¬
stoff athmen, und der Gefrierpunkt ihres Blutes,
der abnorm niedrig war, kehrt danach zur Norm
zurück, so soll dies ein Beweis sein, dass mehr
Sauerstoff als bei Athmung athmosphärischer Luft
ins Blut übergetreten ist und eine bessere Sauer-
stoffvereorgung des Blutes und der Gewebe er¬
zielt worden ist.
Koväcz hat diesen Effekt erzielen können
bei Lungenemphysem, Kapillarbronchitis und einer
Zahl von Herzklappcnfchleru. Der Gefrierpunkt
stieg um 3 /ioo“ 6 /ioo° nach 0 - Inhalationen. Die
günstige Wirkung der Saueretoffinhalationbn wäre
danach objektiv im Blute in seinen Fällen er¬
wiesen. A. Loewy (Berlin).
W. A. Campbell assisted by H« W. Uoagland,
The blood count at high altitudes. The anuric.
joum. of med. Sciences 1901. Bd. 122. S. 654
Die Verfasser nahmen Zählungen der Blut,
zellen vor bei Kaninchen und an Personen, die
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Referate über Bücher und Aufsätze.
sich zunächst am Fusse des Pikes Peak in Colo¬
rado Spring aufhielten (6000 Fuss Höhe) und
dann mit der Bahn auf die Spitze fuhren (14147
Fuss). Hier wurden sogleich und nach längerem
Verbleiben wieder Zählungen vorgenommen. Es
fand sich eine Zunahme der Zahl gleich nach der
Auffahrt, die allmählich weiter wuchs. Die Zu¬
nahme betrug ca. 50000 pro tausend Fuss An¬
stieg. — Die Verfasser wurden nun aufmerksam
auf die Wirkung vasomotorischer Einflüsse auf
die Blutzellenzahl und stellten selbst den Effekt
fest, den Muskelthätigkeit und Abkühlung auf
die Zeilenzahl hat. Sie kamen dadurch zu dem
Schluss, dass auch die plötzliche Zunahme in der
Höhe nur durch solche Effekte bedingt ist, dass
sie keine reelle, sondern nur eine scheinbare ist
Sie wurden in dieser Annahme bestärkt durch
den Befund, dass bei ihren Kaninchen nach dem
Aufstieg auf 14000 Fuss zwar die Blutzellenzahl
in den Ohrgefassen zu-, dagegen die in den
MesenteriaJgefässen gegen unten a b genommen hat.
Als bedeutsam für diese Aenderung der
Blutzellenvertheilung betrachten sie auch die
Aenderung, die die Herzthätigkeit und damit die
Cirkulation auf der Höhe erleidet.
Erst die nach längerem Aufenthalt sich
findende gesteigerte Blutzellenzahl in der Höhe
soll eine wirkliche, auf Vermehrung beruhende
sein. A. Loewy (Berlin).
C. Elektrotherapie.
B. Schürmayer, Die Photographie hezw.
Mikrophotographie in der ärztlichen Praxis.
München 1901.
In der für Aerzte, die sich eingehend mit
der Photographie beschäftigen, geeigneten Ab¬
handlung befindet sich fast eine Ueberfülle feuilleto-
nisdsch niedergeschriebener Anweisungen haupt¬
sächlich von speziellem bezw. technischem Inter¬
esse zusammengestellt, aus denen Einiges hervor¬
gehoben werden mag; zunächst die Bemerkung,
dass man nur selten in die Lage kommt, Gegen¬
stände im Freien zu photographieren. Hieran
knüpft der Verfasser eine Besprechung der
schwierigen Kunst, in einem Wohnzimmer zu¬
friedenstellende Aufnahmen zu machen, unterlässt
es aber darauf hinzuweisen, dass im Freien alle
Umständlichkeiten, welche das Fensterlicht be¬
dingt, mit einem Male fortfallen. Auf Kabitz’
Methode, Trichinen durch Mikroprojektion in
rascher, bequemer und sichererWeise zu suchen,
weist Verfasser hin. Bezüglich der Mikrophoto¬
graphie mit apochromatischen Objektiven wird
die durch das sehr gewölbte Gesichtsfeld bedingte
4*21
Kleinheit der Bilder notiert Der Rath, eine
photographische Dunkelkammer schwarz an¬
streichen zu lassen, erscheint Referent etwas weit¬
gehend, da man bekanntlich auch abends im
Wohnzimmer beim ungeschwächten Licht einer
Kerze bezw. eines Wachsstocks, das die Platte
nicht in nächster Nähe oder nur gegen das Ende
der Bildhervorrufung trifft, gut entwickeln kann.
Cowl (Berlin).
Foveau de Courmelles, Die Lichtbehand¬
lung. Mödecine orientale 1901. No. 23 und
Monatshefte f. prakt. Dermatologie Bd. 34. No. 8.
Der Verfasser berichtet über einen Fall von
ausgedehntem Lupus der Nase und des Gesichts,
der durch sehr oft wiederholte Bestrahlungen mit
Röntgenstrahlen (nahezu 150 Sitzungen) zur Heilung
gebracht wurde. — Im Anschluss daran erwähnt
der Verfasser kurz die Anwendung des elek¬
trischen Lichts in Form von Glühlichtbädem,
wofür er den Namen »artefizielle Heliotherapie«
vorschlägt, und die Finsen’scheLichtbehandlung.
Letztere hat den grossen Nachtheil, dass der
nöthige Apparat sehr umfangreich, kompliziert
und kostspielig ist (Jetzt nicht mehr! Der Referent)
Der Verfasser hat im Jahre 1900 für die Licht¬
behandlung nach Finsen’schen Prinzipien einen
einfachen, kleinen und billigen Apparat kon¬
struiert, den er »chemischen Radiator« nannte
und damals eingehend beschrieb und demon¬
strierte. Der Apparat, der nicht patentiert und
infolgedessen vielfach nachgemacht wurde, ist
ohne Assistenz zu handhaben; er ergiebt bei Lupus
mindestens ebenso gute Resultate wie der grosso
Finsen’sche Apparat
Forchheimer (Würzburg).
Zanictowski, Versuche über Voltaisatioii.
Neurologisches Centralblatt 1902. No. 1.
Anschliessend an die wissenschaftliche Kontro¬
verse zwischen Dubois und Hoorweg, darüber,
ob die Voltspannung oder die Stromintensität
wesentlich als Maass für die Erregbarkeit zu be¬
trachten sei, hat Verfasser aus rein praktischen
Gründen die Resultate seiner eigenen Versuchs¬
reihen zusammcngestellt. Seine Erfahrungen führen
ihn zu dem Schlüsse, dass für den praktischen
Arzt der einzige Weg, konstante Resultate zu
erhalten, in dem »kurzen Stromschlusse« sich
findet Was die Frage anbetrifft, ob der praktische
Arzt den Reiz nach Dubois in Volts oder nach
der alten Methode in Ampöres ausdrücken soll,
so empfiehlt Zanictowski einen mittleren Weg:
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
422
Referate über Bücher und Aufsätze.
während der Vcrgleichsvcrsucho an ein und dem¬
selben Kranken immer denselben fremden
Widerstand einzuschalten, oder bei derselben
Spannung, nicht aber, wie üblich, bei der ersten
beliebigen die Intensität abzulesen.
F. Frankenhäuser (Berlin).
!»• R. Rdgnier und Henry Didsburg,
Nouveau procedd d’aualglsie des dents h
Paide de P^lectricitd. Le Progrös mödieal
1902. No. 13. Le Bulletin mödieal 1902. No. 13.
Die Verfasser verwenden Strome von hoher
Spannung und hoher Frequenz nach d’Arsonval,
um bei zahn chirurgischen Operationen lokale
Anästhesie zu erzeugen. Das Verfahren soll
nach den Erfahrungen der Verfasser häufig den
Schmerz vollkommen aufheben, immer wenigstens
stark vermindern; sie sehen daher in demselben
ein höchst empfehlenswerthes Anästhetikum.
F. Frankenhäuser (Berlin).
D. Serumtherapie.
L. v. Behring, Beiträge zur experimentellen
1 herapie« Heft 5. Tuberkulose. Einleitung
von E. v. Behring. I. Thcil von E. v.Behring,
P. Römer und W. G Ruppel. Marburg 1902.
Selbstverlag von E. v. Behring. In Kom¬
mission der N. G. El wcrt'schen Verlagsbuch¬
handlung.
Seitdem v. Behring in Stockholm seinen
»Nobel« -Vortrag über die Bekämpfung der Tuber¬
kulose gehalten hat, wurden in der gesammten
medicinischen Welt mit grösster Spannung die
genaueren Mittheilungen über die Ergebnisse der
Versuche erwartet, auf Grund deren v. Behring
zu seinem zuversichtlichen Urtheil über die
günstigen Aussichten einer Tuberkulosebekämpf¬
ung, zunächst beim Rind, gekommen ist. Diese
Mittheilungen sind jetzt erschienen. Sie stellen
dem Referenten die ausserordentlich schwierige
Lage, aus der Fülle des Thatsachenmateriales,
welches die Mittheilungen enthalten, das Wesent¬
lichste und Wichtigste zu entnehmen. Denn zum
Vcrständniss der Behring'schen Versuche und
ihres weiteren Ausbaues sind fast alle in der
vorliegenden Publikation enthaltenen Angaben
wesentlich und wichtig. Die Interessenten seien
daher auf das Original verwiesen. An dieser
Stelle mögen nur die grundlegenden Feststellungen
und die leitenden Gesichtspunkte, welche
v. Behring für die Tuberkulosebekämpfung
beim Rind aufgestellt hat, skizziert werden.
i v. Behring hat durch seine bisherigen Unter-
| suchungen die Ucberzcugung gewonnen, dass es
möglich ist, durch intravenöse Injektion von
: Tuberkelbacillen Rinder gegen künstliche und
natürliche Tuberkuloseinfektion immun zu machen.
In der landwirthschaftlichen Praxis soll zur Schutz¬
impfung zunächst folgendes Verfahren eiprobt
werden: 0,001 g einer 4—6 Wochen alten Serum-
Tuberkelbacillenkultur, welche aus Sputum ge¬
wonnen und durch zahlreiche Generationen fort¬
gezüchtet wurde, wird einem auf Tuberkulin
nicht reagierendem Rinde von 5—7 Monaten
intravenös injiziert; 4 Wochen später bekommt
dann das Rind eine 25mal grössere Dosis, also
0,025 g derselben Kultur. Diese Art der Immuni¬
sierung nenntv.Behring Jenn erisation, da sic
eine isopathiache Immunisierung vorstcllt wie die
Jenner’sche Pockenimpfung und die Pasteur¬
sche Milzbrand- und Rotlaufschutzimpfung,
v. Behring hebt hervor, dass im Prinzip sowohl
die von menschlicher Tuberkulose wie die von
perlsüchtigen Rindern herstammenden Tuberkel¬
bacillen dazu dienen können, ein Rind soweit
tuberkuloseimmun zu machen, dass es die für die
nicht vorbchandelte Kontrollerinder tödliche In¬
fektion mit Tuberkulosevirus übersteht Für die
Praxis handelt es sich aber darum, die Schutz¬
impfung gegen die Tuberkulose so ungefährlich zu
machen wie die Schutzpockenimpfung. Ein
solches Verfahren glaubt v. Behring zu besitzen.
Die Erfahrung soll nun darüber entscheiden, ob
die nach der v.Behring'sehenMethode geimpften
Rinder auch der natürlichen Infektion Stand zu
halten vermögen. Zu diesem Zweck werden jetzt
schon unter Mitwirkung beamteter Thierarzte
Impfungen in landwirthschaftlichen Betrieben aus¬
geführt.
Auf das engste verknüpft mit der Behring-
schen Schutzimpfung gegen die Tuberkulose ist
die Frage der Identität der Erreger der Menschcn-
und Rindertuberkulose, v. Behring ist durch
seine Versuche, wie er bereits in Stockholm be¬
richtet hat, zu dem Schlüsse gekommen, dass
die Erreger der Menschen- und Rinder¬
tuberkulose identisch sind. Er hat ins¬
besondere festgestellt, dassdiemenschlichen
Tuberkelbacillen mit positivem In¬
fektionserfolg auf das Rind übertragen
werden können, und dass es möglich ist, dem
Menschentuberkclbacillus durch geeignete Thicr-
passageeine hoheRindervirulenz zu verleihen,
v. Behring hebt hervor, dass seine Instituts¬
experimente durch die auf dem Londoner Tuber¬
kulosekongress bekannt gewordenen Arbeiten
von R. Koch über die Virulenz unterschiede der
vom Menschen und der vom Rinde herstammenden
Tuberkulosekulturen eine sehr einschneidende
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423
Referat© über Bücher und Aufsätze.
Acndcrung und eine wesentliche Förderung er¬
fahren haben. Denn die Marburger Instituts-
vereuchc waren auf einem toten Punkt angelangt,
weil cs mit den ausschliesslich verwendeten
Tuberkelbacillen menschlicher Herkunft nicht
möglich war, gesunde Kontrollrinder absolut
sicher und in vcrhältnissmässig kurzer Zeit an
Tuberkulose sterben zu lassen, v. Behring be¬
stätigt, dass es Tuberkulosekulturen giebt, welche
mit aller Sicherheit bei jeder Art der Einver¬
leibung und in verhältnissmässig geringer Menge
Rinder wenige Wochen nach der Infektion durch
akute Miliartuberkulose der Lungen und Bauch¬
organe töten. Diese Kulturen ermöglichen nun¬
mehr die Prüfung, ob die schutzgeimpften Rinder
thatsächlich eine Immunität gegen eine Tuber¬
kuloseinfektion besitzen oder nicht
Uebcr die praktische Bedeutung der
v. Behring’schen Schutzimpfung für die Be¬
kämpfung der Rindertuberkuloso ein Urtheil ab¬
zugeben, wäre heute verfrüht, v. Behring
würdigt selbst eingehend die Unterschiede
zwischen einer künstlichen und der natürlichen
Tuberkuloseinfektion. Es ist aber zu hoffen,
dass die ins Werk gesetzen praktischen Schutz¬
impf ^versuche in dieser zunächst für die Land¬
wirtschaft ausserordentlich wichtigen Frage in
nicht allzu ferner Zeit die Entscheidung bringen
werden. Ostertag (Berlin).
Rahner, Zur Epidemiologie und Aetiologie
des Keuchhustens, Aus dem hygienischen
Institut der Universität Freiburg i. B. Archiv
für Hygiene Bd. 40. Heft 1.
Eine Keuchhustenepidemie, welche im
Februar 1900 ganz unvermittelt nach längerer
Pause in einer ziemlich isoliert gelegenen
Scbwarzwaldortschaft ausbrach, bot Rahner
Gelegenheit zu Studien über die Epidemiologie
und Aetiologie der Pertussis. Es gelang mit
Sicherheit die Einschleppung der Krankheit durch
ein von ausserhalb zugezogenes Kind nachzu¬
weisen; die Ausbreitung auf die Nachbargemeinde
erfolgte wahrscheinlich dadurch, dass die Insassen
beider Dörfer, respektive deren Kinder, beim
Besuch einer gemeinsam benutzten Kirche in
nähere Berührung kamen. Die Jahreszeiten sind
ohne Einfluss auf das Auftreten des Keuchhustens,
doch üben ungünstige meteorologische Ver¬
hältnisse, namentlich schroffe Temperatur- und
Feuchtigkeitswechsel, die in jeder Jahreszeit, be¬
sonders jedoch im Winter, auftreten können, eine
Einwirkung auf die Krankheitsdauer und durch
Begünstigung etwaiger Komplikationenauch auf
die Mortalität aus. Geschlecht und Konstitution
der Kinder spielen für die Empfänglichkeit keine
Rolle, dagegen ist im Altersunterschied bezüglich
der Mortalität stets eine gewisse Proportion zu
erkennen, insofern, als die Sterblichkeit von
Kindern unter einem Jahr zu derjenigen von
älteren Kindern sich wie 2:1 oder 3:1 verhält
Die Mortalität pertussiskranker Kinder unter
einem Jahr beläuft sich auf l,ö —2,6% aller
anderen Sterbefälle in dieser Altersklasse.
Was die Frage nach der Aetiologie der
Krankheit betrifft, so hält Verfasser den exakten
Nachweis eines spezifischen Keuchhustenerregers
auch durch die neuesten Arbeiten (Koplik,
Zusch, Czaplewski, Hensel, Vincenzi,
Luzzato, Buttermilch etc.) nicht für erbracht
und die in dieser Richtung angestellten Unter¬
suchungen deshalb für äusserst schwierig, woil
trotz sorgfältigster Waschung dem Auswurf
immer noch zahlreiche, das bakteriologische Bild
trübende Keime aus der Mundhöhle, der Nase
und dem Rachen beigemengt sind; auch in
seinen 30 Fällen konnte er einen morphologisch
und biologisch charakteristischen Mikroorganismus
nicht auffinden. Das Keuchhustenvirus sei mög¬
licherweise garnicht unter den Bakterien, sondern
in der Gruppe der Protozoen zu suchen.
Hirschei (Berlin).
Schroeder, ZnmVorkommen der Eutertuber-
kulose bei der Ziege. Zeitschr. f. Fleisch- u.
Milchhygiene 1901. Juni.
Schroeder publiziert in dieser Arbeit einen
Fall von Tuberkulose bei einer Ziege: Lunge,
Leber, Mesenterium, Lymphdrüscn zeigten die
typischen Zeichen der Tuberkulose. Die rechte
Euterhälfte war in einen Tumor mit zahlreichen
Tuberkelknötchen verwandelt, deren Inhalt theils
verkäst, theils verkalkt war. Der Fall lehrt, dass
auch beim Genuss der Ziegenmilch dieselbe Vor¬
sicht beobachtet werden muss, wie bei der Rinder¬
milch, dass vor allem auch Ziegenmilch nie
ungekocht getrunken worden darf; ausser¬
dem wäre zu wünschen, dass die Besitzer von
Ziegenhccrden ihre Bestände regelmässig auf
Tuberkulose untersuchen Hessen, um so die krank¬
heitsverdächtigen Thiere frühzeitig ausmerzen zu
können. Gotthelf Marcuse (Breslau).
E. Verschiedenes.
Reichs -Medicinal- Kalender 1903. Begründet
von Dr. Paul Börner. Verlag von Georg
Thieme, Leipzig.
Auch in diesem Jahre ist das vortreffliche
Buch, welches für jeden praktischen Arzt ein un-
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424
Referate über Bücher and Aufsätze.
entbehrliches, übersichtliches Notizbuch und ein
überaus werthvoller Rathgeber geworden ist, mit
gewohnter Pünktlichkeit erschienen. Da die in
den Beiheften enthaltenen kurzen Aufsätze sich
im wesentlichen nicht von den im vorigen Jahr¬
gange des Kalenders enthaltenen unterscheiden,
so mochten wir diesmal uns darauf beschränken,
die Leser unserer Zeitschrift auf das Erscheinen
des Buches hinzuweisen. R.
Kuligeh, Veber Kystrokopie. München 1900.
Ein recht lesenswerther Vortrag, der in ob¬
jektiver Weise dem Praktiker die Fortschritte
schildert, die dieses erst seit einem Vierteljahr¬
hundert bebaute Gebiet der Medicin für die
Blasen- und Nierenkrankheiten, sowohl in dia¬
gnostischer, als therapeutischer Hinsicht, gebracht
hat. Je mehr die Kenntniss davon in die Kreise
der Aerzte dringt, wie durch derartige technisch
vervollkommnet« Untersuchungsmethoden, die
bei richtiger Handhabung absolut ungefährlich
sind, die Frühdiagnose einer Reihe von Affek¬
tionen gefördert wird, um so seltener werden
verschleppte Erkrankungen, die jeder Therapie
trotzen, in unsere Hände gelangen, und um so
erfolgreicher wird namentlich das operative Ein¬
schreiten sein. Wir müssen daher dem Ver¬
fasser Dank wissen, dass er sich in geschickter
Weise der gestellten Aufgabe entledigt hat, in
klarer und anschaulicher Darstellung dem Arzte,
der bisher keine Gelegenheit gefunden hat, sich
durch Lektüre oder eigene Thätigkeit über die
Technik und die Bedeutung der Kystrokopie ein
Urtheil zu bilden, einen Ueberblick darüber zu
geben. P. F. Richter (Berlin).
v. Notthaft und Kolluiann, Die Prophylaxe
bei Krankheiten der Harnwege und des
Geschlechtsapparates (des Mannes). Aus
Nobiling-Jankau, Handbuch der Prophylaxe.
München 1901.
Es sind etwas heterogene Dinge, die in der
Darstellung der beiden auf ihrem Spezialgebiet |
bekannten Autoren zusammengefasst werden: 1
die Prophylaxe des Diabetes mellitus unter dies |
Kapitel zu subsummieren, erscheint wohl ge- j
zwungen, und wenn schon diese Eintheilung ge- |
wählt wurde, hatte dies so wichtige Kapitel j
nicht in ganz unvollständiger Darstellung auf j
einer(!) Druckseite abgehandelt werden dürfen.
Auch sonst wird man über die Ausdehnung
des »Begriffes Prophylaxe« mit den Autoren
rechten dürfen: Wenn z. B. die Prophylaxe der
chronischen Gonorrhoe als eine Prophylaxe durch
die Behandlung der akuten Gonorrhoe aufgefasst
und letztere ziemlich eingehend geschildert wird,
so möchte Referent auch die Meinung vertreten,
dass das nicht gerade in den Rahmen des Buches
passt, wie denn die Verfasser selbst erklären,
»es wäre nicht ihre Aufgabe, die Behandlung
der Gonorrhoe in erschöpfender Weise darzu¬
stellen«. Andrerseits gehört doch zur »Prophylaxe
der Harnkrankheiten« eine sorgfältige Des¬
infizierung der nothwendigen Instrumente,
namentlich des Katheters, und gerade eine Dar¬
stellung dieses so eminent wichtigen Kapitels
vermisst Referent.
Wenn sich somit Referent mit der gewählten
Eintheilung des Stoffes — er will es an den
beiden Beispielen genügen lassen — gar nicht
befreunden kann, so enthält das Büchlein doch
eine reiche Anzahl von praktischen Winken, die
es dem Arzte immerhin empfehlcnswerth er¬
scheinen lassen. P. F. Richter (Berlin).
Wir erhalten folgende Zuschrift:
Geehrte Redaktion!
Im 4. Hefte des VI. Bandes Ihrer geschätzten
Zeitschrift findet sich ein Referat Linow’s über
eine Arbeit des Dr. A. Loebel, in welchem der
Referent ein Citat des genannten Autors aus
meinem »Handbuche der Massage und Heil¬
gymnastik« anführt und mit Recht skeptisch be-
urtheilt Loebel schreibt nämlich:
»Viel verlässlicher ist dies (nämlich die
Differentialdiagnose), wie Bum bemerkt,
traumatischen Neurosen gegenüber, wo
jede Uebertreibung und Simulation durch
die ziffermässigen Aufschlüsse bezüglich
der Muskelfunktion aufgedeckt werden
können. (Klin.-therap. Wochenschrift 1901.
S. 1089.)«
Die betreffende Stelle in meinem Handbuche
(I. u. II. Aufl. S: 135, III. Aufl. S. 138) lautet
dagegen wörtlich:
»Der sog. traumatischen Neurose gegen¬
über ist die maschinelle Heilgymnastik
insofern diagnostische Dienste zu leisten
im stände, dass sie einerseits bezüglich der
Muskelfunktion genaue, ziffermässig belegte
Aufschlüsse zu geben, andererseits jeder
Uebertreibung und Simulation in dieser
Richtung entgegenzutreten vermag.«
Mit der Bitte, dieser Richtigstellung Raum
zu gewähren ergebenst
Dr. Anton Bum.
Berlin, Druck von W. Büxenstein.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 8 (November).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und PrivtDoc. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. seit©
I. Ucber den Unterricht in der Diätetik. Von Prof. Dr. Moritz in Greifswald.427
II. Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. Von Dr. Max Weinberger,
leitendem Arzt der Dr. Rcnner’schen Wasserheilanstalt in Budapest.429
111. Zur Physiologie und Technik der Heissluftbchandlung. Aus dem Institute für Mechano-
therapie des Dr. A. Bum in Wien. Von Dr. Robert Grünbaum, Assistent des
Institutes. Mit 8 Abbildungen.439
EL Kritische Umschau.
Ueber Nahrung und Ernährung. Von Dr. B. La quer in Wiesbaden.453
III. Kleinere Mittheilungen.
Eine alte diätetische Behandlung des akuten Schnupfens. Von Privatdozent Dr. Maximilian
Sternberg in Wien.457
IV. Berichte über Kongresse und Vereine.
I. Aus der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad.
22.-28. September 1902. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.459
II. Bericht über den zweiten internationalen Kongress für mcdicinische Elektrologie und
Radiologie zu Bern. 1.—6. September 1902. Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann
in Breslau. (Fortsetzung und Schluss).466
V. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Crem er und Henderson, Ein experimenteller Beitrag zur Lehre vom physiologischen
Ei weissminiraum.477
Lusk, Ueber Phloridzindiabetes.477
Krüger, Zur quantitativen Pepsinwirkung.477
Krüger, Weitere Beobachtungen über die quantitative Pepsinverdauung.478
Neuburger, Die Anschauungen über den Mechanismus der spezifischen Ernährung (das
Problem der Wahlanziehung).478
Schilling, Taschenbuch über die Fortschritte der physikalisch-diätetischen Heilmethoden . 478
Mladejovsky, Ueber eine neue Entfettungsmethode.178
Zeitscbr f. diüi. u. phyaik. Therapie Bd. VI. Heft 8 «o
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Inhalt.
426
Seit«
B. Gymnastik,
Morris, The Symptoms and treatment of moveable kidney.479
Königstein, Ueber Belastungstherapie.480
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Jaquet und Stähelin, Stoffwechselversuche im Hochgebirge.481
Erb, Winterkuren im Hochgebirge.481
Hamm, Die Behandlung des chronischen trockenen Mittelohrkatarrhs durch Sitzungen in
der pneumatischen Kammer.482
Alter, Versuche mit zellenloser Behandlung und hydrotherapeutischen Maassnahmen . . . 483
D. Elektrotherapie.
Speck, Abkühlung, Lichtwirkung und Stoffwechselbeschleunigung.483
Kraft, Die Röntgenuntersuchung der Brustorgane.484
Krukenberg, Ueber die Behandlung des Ersysipels im rothcn Zimmer.484
Cleaves, Betton Massey, Beck, Greenleaf, A Symposium on the treatment of cancer
by Röntgen rays, light and electricity.485
Krebs, Elektrisches Glühlicht und innere Infektion.485
Sack, Ueber das Wesen und die Fortschritte der Einsen’sehen Lichtbehandlung .... 480
E. Serum- und Organotherapie.
Fi bi n ge r und Jcnsen, Ucbertraguug der Tuberkulose des Menschen auf das Rind . . . 486
Heller, Ueber die Tuberkuloseinfektion durch den Verdauungskanal.486
Schottelius, Versuche über Fütterungstuberkulose bei Rindern und Kälbern.486
F. Verschiedenes.
Schreiber und Hagenberg, Zur Lehre vom Aderlass.487
Roth, Zöllnergedanken über lleilkunst — auch für Pharisäer.487
Simon, Eine neue rationelle Methode zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht .... 488
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 1 /a — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn
Privatdocent Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Original - Arbeiten.
I.
Ueber den Unterricht in der Diätetik.
Von
Professor Dr. Moritz
in Greifswald.
Der zur Zeit übliche Unterricht in der Diätetik entspricht nicht der ganz un¬
bestrittenen Bedeutung, die der Ernährungslehre für die Therapie zukommt, geschweige
denn, dass er mit der Ausführlichkeit wetteifern könnte, mit der diätetische Dinge
heutzutage in der Litteratur behandelt werden. Wenn man bedenkt, wie viel werth¬
voller für eine grosse Reihe von Erkrankungen eine richtige Ernährung als eine
medikamentöse Therapie ist, und wie nur bei wenigen Krankheiten auf eine besondere
Gestaltung der Diät ganz verzichtet werden kann, so ist es gewiss nur logisch und
nothwendig, dass dem Unterricht in der Diätetik nicht geringere Sorgfalt zugewandt
werde, als dem Unterricht in der Arzneimittellehre. Es genügt nicht, dass in der
Klinik gelegentlich Hinweise auf diätetische Regeln gegeben werden, ebensowenig
wie in solcher Weise der pharmakologische Unterricht genügend ertheilt werden
könnte. Es muss vielmehr dem Studierenden Gelegenheit gegeben werden, sich in
zusammenhängenden Vorlesungen über diätetische Dinge zu unterrichten. Solche
Vorlesungen werden jedoch nur an einer Reihe unserer Universitäten gehalten; wo
sie aber stattfinden sind sie — und das ist meines Erachtens der wundeste Punkt —
fast ausschliesslich theoretischer Natur, obwohl die Diätetik einer demonstrativen
Behandlung durchaus zugänglich ist.
Das wissenschaftliche Fundament der Ernährungslehre wird den Studierenden im
ganzen wohl ausreichend gegeben. Dafür sorgen die Vorlesungen über die Physiologie
des Stoffwechsels und der Ernährung und die Klinik der Stoffwechselkrankheiten.
Damit allein ist aber dem Arzte nicht gedient. Der Arzt braucht ebensosehr Kennt¬
nisse über die praktisch-technische Seite der Diätetik. Die wissenschaftliche Er-
nährungs- und Stoffwechsellehre befasst sich mit dem Schicksal der einzelnen
Nahrungsstoffe, der Eiweisskörper, Fette, Kohlehydrate u. s. w. im Körper. Unter
diesem in gewissem Sinne nivellierenden Gesichtspunkt verflüchtigt sich aber die
Individualität der einzelnen Nahrungsmittel und erst recht die Individualität ihrer
Produkte, der Speisen. Gerade die Individualität der Speisen aber, ihre so ver¬
schiedene Bewerthung für den kranken Körper nach Nährwerth, Bekömmlichkeit und
Nebenwirkungen ist es, mit der der Arzt auf das Genaueste vertraut sein muss.
Man muss es von ihm verlangen können, dass er über die Zulässigkeit ganz be¬
stimmter Speisen bei einer Erkrankung ein begründetes Urtheil habe. Ein solches
lässt sich aber nicht gewinnen ohne Kenntniss von der Zusammensetzung der be¬
treffenden Speise aus bestimmten Nahrungsmitteln und ohne Verständniss für die bei
der Bereitung der Speise erfolgenden Vorgänge. In dieser Beziehung darf bei den
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428 Moritz, Uebcr den Unterricht in der Diätetik.
Studierenden nichts vorausgesetzt werden. Es fehlen ihnen häufig auch die ein¬
fachsten Kenntnisse über die Zusammensetzung und Beschaffenheit der Nahrungs¬
mittel und die Veränderungen, die sie durch ihre Zubereitung zu Speisen erfahren.
Und es wäre eine Illusion, wollte man annehmen, dass die Studierenden solche
Kenntnisse sich privatim durch eine doch meist trockne Lektüre aneignen würden.
So kommt es, dass die Aerzte nicht aussterben, deren diätetisches Glaubensbekenntniss
mit »gebratenes Fleisch, nichts Saures und nichts Fettes« erschöpft ist, die einer
konkreten Feststellung eines Speisezettels möglichst aus dem Wege gehen, und bei
jeder diätetischen Schwierigkeit zu einem »Nährpräparat« ihre Zuflucht nehmen.
Man sollte, wie ich glaube, dem hier vorliegenden Unterrichtsbedürfniss dadurch
zu genügen suchen, dass man für die Studierenden »Kurse der praktischen Diätetik«
einrichtet, in denen dieselben auch etwas zu sehen bekommen. Solche Kurse
würden eine Vereinigung theoretischer Ausführungen über diätetische Grundfragen
mit demonstrativen Vorführungen darstellen, welch’ letztere sich nicht nur auf die
originäre Beschaffenheit der wichtigsten Nahrungsmittel und Nährpräparate, sondern
auch auf ihre Umformung zu Speisen zu beziehen hätten. Es wäre den Studierenden
also geradezu etwas vorzukochen, ihnen die Herstellung der für die Krankenernährung
wichtigsten Speisen zu zeigen, die Prinzipien ihnen darzulegen, nach denen eine Speise
gelockert, weicher und dadurch »leichter verdaulich« gemacht werden kann, und
andererseits ihnen zu demonstrieren, wie bei gewissen Zubereitungsarten aus denselben
Ingredienzien, aus denen man »leichte« Gerichte machen kann, »schwere« werden,
ihnen anzuführen, wie man wenig nahrhafte Speisen, z. B. Suppen, in zweckmässiger
Weise anreichert, wie man mit gewissen einfachen Nahrungsmitteln, wie z. B. Milch
und Eiern, durch eine passende Form der Darreichung dasselbe und mehr ausrichtet,
als mit den industriellen Nährpräparaten, und vieles andere mehr. Es ergiebt sich
dabei beständig Gelegenheit, bei bestimmten Speiseformen auf die Krankheitszustände
hinzuweisen, bei denen sie in Anwendung zu bringen sind, und umgekehrt auch von
dem Gesichtspunkte bestimmter Krankheitszustände aus die diätetischen Regeln zu
erörtern, die bei ihnen in Frage kommen, und die Speisen anzuführen, die dabei
besonders indiziert oder kontraindiziert sind. So werden herüber und hinüber
Brücken von der Küche zur Klinik und von der Klinik zur Küche geschlagen und
damit die beiden Gebiete fest verbunden. Dem Studierenden wird auf diese Weise
der Kurs, weil abwechselnd, interessant und unterhaltend. Besser wäre freilich
noch, wenn man dem Studierenden selbst den Kochlöffel in die Hand geben könnte.
Wer chemisch arbeiten gelernt hat, dem ist die Technik des Kochens schon halb
vertraut, und es ist deren Beherrschung bis zu einem gewissen Grade sicher für den
Arzt ein nicht zu unterschätzender Vortheil. Es ist damit ebenso, wie mit der
Dispensierkunde, zu deren technischer Erlernung man dem Studierenden ja auch
Gelegenheit giebt. Indessen wird ein solches Unternehmen in der Regel an unzu¬
länglichen Einrichtungen sowie daran scheitern, dass die Studenten für einen Kurs,
in dem sie selbst Hand anlegen, die nöthige Zeit kaum erübrigen werden. Eine
Veranstaltung aber, wie ich sie soeben zu skizzieren versuchte, beansprucht nicht
allzuviel Zeit. Ich habe im Wintersemester 1901/02 in München einen derartigen
»Kurs der praktischen Diätetik« gehalten. Es wurde im Hörsaale auf einem kleinen
transportabeln Gasherde mit einer ad hoc beschafften einfachen Kücheneinrichtung
gekocht. Dank dem verständnissvollen Entgegenkommen der Oberin des Rothen
Kreuzes in München, Clementine von Wallmenich, konnte ich zu diesem Zwecke
über die Küchenschwester des Rothen Kreuzes verfügen. Wenn mir gelegentlich der
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Original fro-m
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Max Weinberger, Uebcr die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. 4 2!)
Gedanke gekommen war, dass der Versuch, die Küche in den Hörsaal zu verpflanzen,
sich deplaziert ausnehmen könnte, so bewies der Erfolg, dass diese Besorgniss un¬
begründet war. Der Kurs erfreute sich eines regen Besuches und anhaltenden
Interesses sowohl seitens der Studierenden als auch seitens einer Reihe von Aerzten,
und ich glaube annehmen zu dürfen, dass durch ihn etwas Nützliches geleistet wurde.
Im ganzen wurde der Lehrgang eingehalten, wie ep meinen »Grundzügen der Kranken¬
ernährung« zu Grunde liegt. Es zeigte sich, dass wöchentlich l'/a Stunden (zusammen¬
hängend) genügten, um einen Ueberblick über das ganze Gebiet zu geben.
XI.
Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis 1 ).
Von
Dr. Max Weinberger,
leitendem Arzt der Dr. Renner’schen Wasserheilanstalt in Budapest.
Kaum 22 Jahre sind verflossen, seitdem Beard’s grundlegendes, in englischer
Sprache geschriebenes Werk erschien, in welchem er die in Folge nervöser Ermüdung
und Hyperästhesie auftretenden kaleidoskopartigen Symptome zusammenfasste, und
sie als selbstständiges Ganzes von anderen, mit ähnlichen Symptomen einhergehenden
Nervenkrankheiten (Hysterie, Hypochondrie) absonderte, und so den Begriff der
Neurasthenie schuf.
Nach Beard befasste sich ein ganzes Heer der Forscher mit der Neurasthenie;
fast unübersehbar ist die Zahl der Publikationen, die die Fachlitteratur in den letzten
Jahren auf diesem Gebiete produzierte, und die in immer gesteigertem Maasse auch
jetzt produziert wird. Man suchte die Veränderungen, die im stände wären, die
Symptome dieser Krankheit zu erklären, und fand sie nicht. Man -stellte Hypothesen
auf, die diese ohne jede anatomische Veränderung zustandekommenden funktionellen
Störungen erklären sollten, und war nicht im stände, eine andere annehmbare Er¬
klärung zu finden, als die Annahme der Ermüdung, mit welcher sich im Haushalt
des menschlichen Organismus eo ipso gewisse chemische Prozesse abspielen. Die
Wirkung dieser Prozesse auf das Nervensystem, so stellte man sich die Sache vor,
löst dann die neurasthenischen Symptome aus.
Obzwar uns diese Erklärung nicht vollauf befriedigen kann, und obzwar die
riesige Verbreitung der Neurasthenie es sehr wünschenswerth erscheinen lässt, dass
man ihr Wesen gründlicher erkenne, können wir doch mit Zufriedenheit auf jene
Erfolge zurückblicken, die wir dem erwähnten vielseitigen wissenschaftlichen Interesse
verdanken; ich verstehe hierunter die Zunahme der Erkenntniss auf dem Gebiete der
Aetiologie, des Verlaufes und der Therapie der Neurasthenie. Kennen wir die Krank¬
heitsursachen, so wird es leichter sein, sich gegen sie zu vertheidigen, und die Pro¬
phylaxe tritt zur rechten Zeit in ihre Rechte. Kennen wir die Krankheitssymptome
i) Vortrag, gehalten im 12. ungarländischcn Baineologenkongress in Budapest.
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430 Max Weinberger
und den Verlauf, so werden wir uns in der Diagnose durch das Prävalieren einzelner
Symptome nicht beeinflussen und irreführen lassen, wie das, um nur ein Beispiel zu
erwähnen, sehr häufig geschah, bevor Stiller das Wesen der Dyspepsia nervosa er¬
kannte und beschrieb. Was schliesslich die Therapie der Neurasthenie anbelangt,
so konnte ich schon auf dem vor zwei Jahren gehaltenen Kongresse über meine dies¬
bezüglichen Erfahrungen Bericht erstatten, und schon damals habe ich hervorgehoben,
dass wir mit Benutzung physischer, sowie diätetischer, hydriatischer Hilfsmittel, wie
speziell heimischer Kurorte, über genügende Mittel zur Heilung der Neurasthenie
verfügen, wenn die moralische und materielle Möglichkeit der Anwendung derselben
gegeben ist.
Nun gehe ich zur Besprechung einer Abart der Neurasthenie, der Neurasthenia
sexualis über, insofern dies der enge Rahmen der für die Vorlesung zugemessenen
Zeit erlaubt.
Die Benennung »Neurasthenia sexualis« findet sich schon im ersten Werke
Beard’s. Doch gruppierte und behandelte Beard unter dieser Benennung nicht
die gegenwärtig unter diesem Sammelnamen zusammengefassten Krankheiten, sondern
wies nur im allgemeinen darauf hin, dass auch im Geschlechtsleben jeder anatomischen
Grundlage entbehrende, rein funktionelle Störungen auftreten. Diese können als
Krankheitsursachen der allgemeinen Neurasthenie oder als begleitende Symptome
auftreten, sind aber mit dieser nicht zu verwechseln, weil sie eine von dieser ganz
selbstständige Krankheit darstellen; sowie zum Beispiel die Neurasthenie von der
Hysterie, oder der Hypochondrie, oder von anderen, schon mit organischen Ver¬
änderungen einhergehenden Erkrankungen des Nervensystems strenge abzusondern ist
Nach Beard befassten sich viele hervorragende Forscher mit dem Studium der
Neurasthenia sexualis, jedoch ist deren Ansicht über Ursprung und Wesen der unter
diesem Namen zusammengefassten Krankheiten nicht immer übereinstimmend. Krafft-
Ebing z. B. stellt die Formen der Neurasthenia sexualis in eine gewisse Reihenfolge,
und als erste derselben nimmt er die durch geschlechtliche Abusus — Onanie —
hervorgerufene gesteigerte Reizbarkeit des Ejakulationscentrums an, als Grundlage der
sich entwickelnden lokalen Neurose. Treten nun die hiermit einhergehenden lokalen
Parästhesieen und die gesteigerten Pollutionen in noch höherem Maasse auf, gesellen
sich zu diesen Symptomen auch schon vom lumbalen Theile des Rückenmarkes aus¬
gehende Störungen hinzu, welche in Form von Ejaculatio praecox, Spermatorrhoe,
nervöser Impotenz auftreten, dann haben wir es mit dem zweiten Stadium zu thun,
welches Krafft-Ebing als Spinalneurose bezeichnet. Als drittes Stadium bezeichnet
er die Corebrospinalneurose, bei welcher die weitausgebreiteten cerebralen und
spinalen Symptome der Neurasthenie gemeinsam auftreten, und welcher Krankheits¬
prozess nur bei belasteten Individuen vorkommt. Während Krafft-Ebing also das
schwerste Stadium der Neurasthenia sexualis nur bei nervös belasteten Individuen
in Begleitung von anderen neurasthenischen Symptomen (nervöse Dyspepsie, kardiale,
cerebrale und spinale Symptome) auftretend auffasst, sondert Bouveret die Neurasthenia
sexualis strenge ab mit der Begründung, dass hierher nur solche Fälle zu zählen
sind, deren Grundlage in den Genitalien aufgetretene Krankheiten oder Störungen
sind. Er bestreitet also die Existenz einer als Theilerscheinung der allgemeinen
Neurasthenie auftretenden sexualen Neurasthenie. Im Gegensätze zu ihm finden wir
Fürbringer, welcher erklärt, dass die sexuelle Neurasthenie eine Form der Neuro¬
pathie sei, die meistens, wenn auch nicht immer, die Folge pathologischer sexueller
Zustände ist, und bei welcher die sexuellen Störungen und Symptome über die anderen
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Ueber die physikalische Therapie der Nenrasthenia sexualis. 431
nervösen Symptome prävalieren, ja manchmal als die einzigen Symptome der be¬
stehenden Neuropathie auftreten.
Aehnlich wie Fürbringer definiert Eulenburg die Neurasthenia sexualis, indem
er jene neurasthenischen Zustände hierher zählt, bei welchen die beiden Kardinal¬
symptome der Neurasthenie: die Reizbarkeit und die rasche Erschöpfung, primär
oder hauptsächlich in der Sphäre der Genitalnerven auftreten.
Sehr treffend ist die Definition Löwenfeld’s, nach welcher das Krankheitsbild
der Nenrasthenia sexualis entweder blos durch sexuelle Störungen zu stände kommt,
oder diese wenigstens unter den anderen Symptomen vorherrschen; doch giebt er zu,
dass die Neurasthenia sexualis nicht ausschliesslich eine Folge von in der Geschlechts¬
sphäre aufgetretenen Störungen oder Krankheiten sein muss. Andrerseits erklärt er
sehr richtig, dass die sexuellen Störungen andere nervöse Störungen verursachen
können, so z. B. im Magen, am Herzen, und so wieder die Grundlage einer all¬
gemeinen Neurasthenie bilden können.
Bins wanger erklärt in seinem über die Pathologie und Therapie der Neurasthenie
geschriebenen grossen Werke, dass die in der Geschlechtssphäre auftretenden Störungen
den anderen zum Krankheitsbilde der allgemeinen Neurasthenie gehörigen funktionellen
Störungen gleichwerthig, und in der grössten Zahl der Fälle sekundären Ursprungs
sind. Er hebt also unter der Benennung Neurasthenia sexualis nur jene kleine Gruppe
aus der allgemeinen Neurasthenie hervor, wo man ohne Rücksicht auf die gegen¬
wärtigen Klagen des Kranken beweisen kann, dass die ersten Symptome der Er¬
krankung in der Genitalsphäre aufgetreten sind, und dass der neurasthenische All¬
gemeinzustand eine Folge der »lokalen Genitalneurose« ist.
Diese Abgrenzung halte ich meinerseits für zu enge; es gelingt auch nicht
immer, zu bestimmen, dass thatsächlich die Genitalneurose die Grundlage der
Neurasthenia sexualis war. Denn wenn sich der Patient dem Arzt mit Sperma-
torrhoe, oder Ejaculatäo praecox, oder mit der Klage über Impotenz vorstellt, findet
man in sehr vielen Fällen noch viele andere Symptome der allgemeinen Neurasthenie,
bezüglich deren der Kranke anerkennt, dass sie schon seit langer Zeit bestehen,
deretwegen er aber es nicht für »der Mühe werth« hielt, sich an einen Arzt zu
wenden. Hingegen hatte ich unter meinen Patienten Fälle von Spermatorrhoe, bei
denen ich von Charcot’s sieben Kardinalsymptomen der Neurasthenie blos dieses
eine als für eine Störung des Genitalsystems charakteristische Symptom finden konnte,
und kein zweites finde, wenn ich die durch das Bestehen der Spermatorrhoe hervor¬
gerufene Niedergeschlagenheit nicht etwa hierherzählen wollte. Doch musste ich die
Diagnose auf Neurasthenia sexualis stellen, weil weder lokale anatomische Veränderungen
oder Krankheiten, noch konstitutionelle Erkrankungen vorhanden waren, welche die
Insufficienz der Ductus ejaculatorii aus anderen Ursachen, als aus Ursache der
Neurasthenie, erklären hätten können.
Solche Fälle sind jedoch selten, wenigstens kommen sie in meiner Praxis nur
sporadisch vor. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle von Störungen in der
Genitalsphäre finden wir auch die anderen Symptome der Neurasthenie. Bildete nun
aber die primäre lokale Genitalneurose die Grundlage der vorhandenen Neurasthenie,
oder treten die sexuellen Störungen erst später, im Krankheitsbilde der schon vor¬
handenen Neurasthenie, auf, — gleichviel, ich verbuche alle jene Fälle, bei denen
die sexuellen Symptome über die anderen nervösen Symptome prävalieron, mit der
Diagnose der Neurasthenia sexualis.
In den letzten vier Jahren fanden sich in der Dr. Renner’sehen Wasserheil-
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Max Wcinbergw
432
anstalt unter 1326 nervösen Kranken 410 solche, in deren Krankheitsbild die
sexuellen Störungen so dominierten, dass man sie direkt wegen derselben zu uns
schickte, oder sie — in unvcrhältnissmässig geringer Zahl — spontan die Heil¬
anstalt aufsuchten.
Selbstverständlich befanden sich unter diesen keine solchen Fälle, in welchen
eine noch bestehende Erkrankung der Genitalien die Ursache der Spermatorrhoe
oder der Impotenz war, weil wir solche als ins Wirkungsgebiet des Urologen oder
Chirurgen gehörend zur Behandlung nicht annahmen; so zählten auch jene Fälle von
Impotenz nicht hierher, deren Krankheitsursache Tabes oder Diabetes war.
♦ •
♦
Nun gehe ich zur Besprechung der Krankheitsformen der Neurasthenia sexualis
über. Zwischen diesen strenge Grenzen zu ziehen, wie das Krafft-Ebing thut, ist
gewöhnlich undurchführbar, da ja häufig eine Krankheitsform ohne jede Abgrenzung
in eine andere übergeht oder mit ihr gemeinschaftlich auftritt. Aber einer gewissen
Reihenfolge zu Liebe und schon ihrer grössten Häufigkeit halber will ich mich zu¬
erst mit den pathologischen Samenverlusten beschäftigen. Sie treten in zwei
Formen auf: in der Form der zu häufigen Pollutionen und in Form der Spermatorrhoe.
Betrachten wir zuerst die zu häufigen Pollutionen. Bis zu welcher^Grenze die
Pollutionen normal sind, und wann wir sie als pathologisch aufzufassen haben, dies¬
bezüglich brauchen wir wohl keine Bestimmung aufzustellen. Thatsache ist, dass
manche Neurastheniker schon dann mit der Klage über pathologische Pollutionen
kommen, wenn sie in 1 — 2 Wochen einmal eine Pollution haben. Und hier kann
ich durch meine eigene Erfahrungen nur bestätigen, was Cur sch mann behauptet,
dass solche Individuen vor dem Arzte nur darum so sorgsam ihre pathologischen
Pollutionen hervorheben, weil sie hiermit genügende Daten behufs der einzuschlagen¬
den Therapie zu liefern glauben, ohne einzugestehen, dass sie selbst durch Onanie
die pathologischen Samenverluste hervorriefen. Solche Patienten kennen fast aus¬
wendig den Inhalt des »Selbstschutzes« oder eines anderen populären Rathgebers,
ihre ganze Gedankenwelt ist erfüllt von dem Bewusstsein der begangenen Sünde, und
die Furcht vor den Folgen treibt sie zum Arzte. Gewöhnlich ist bei ihnen die
allgemeine Neurasthenie schon entwickelt, und ich bin viel eher geneigt, als Ursache
derselben durch Lektüre solcher Reklamelitteratur hervorgerufene Gemüthsein-
wirkungen und die ewigen Gewissensbisse anzunehmen, als die durch die Onanie
hervorgerufene allgemeine Schwäche.
Ich kenne einen Mann von 49 Jahren, der mir gestand, schon im 11. Lebens¬
jahre mit der Onanie begonnen zu haben, er trieb sie in »schrecklichem Maasse«
sechs Jahre hindurch, ging dann zum normalen Coitus über; excedierte auch hierin
immer, ohne (trotz seines verhältnissmässig hohen Alters) an seiner Potenz bisher
etwas eingebüsst zu haben, ja er war nicht einmal neurasthenisch zu nennen.
Mit diesem Beispiele will ich jedoch durchaus nicht die schädlichen Folgen
der Onanie leugnen, denn nicht jeder Organismus ist Schädlichkeiten _ gegenüber
gleich widerstandsfähig; ich will hier nur darauf hinweisen, wie sehr psychische
Schädlichkeiten (z. B. die Lektüre solcher Reklamebücher) im stände sind, aus der
Onanie-Neurose eine allgemeine Neurasthenie zu machen.
Die vom Patienten angegebene Zahl der Pollutionen wird uns um so weniger
in der Beurthcilung der Schwere des Falles beeinflussen, als ja der nervöse Kranke
gewöhnlich übertreibt, um grösseres Mitleid zu erwecken oder um seinen Arzt da-
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lieber die physikalische Therapie der Neurasthenia scxualis. 433
durch zu sorgsamerer Behandlung anzuspornen. Viel wichtiger ist zu eruieren, unter
welchen Umständen die Pollutionen auftreten. Die unschuldigsten, und oft als
physiologisch anzusehen sind diejenigen, welche nach etwas reichlicherem Nachtmahl
früh zu Bette Gegangene heimsuchen, oder nach abendlichem reichlichem Genüsse
geistiger Getränke auftreten, endlich diejenigen, wo der Patient bei Eintritt der
Pollution mit dem Bewusstsein erwacht, einen aufregenden Traum mit Erektion
gehabt zu haben. Diese Fälle sind nur dann als pathologisch zu betrachten, wenn
sich die Pollution innerhalb einer Woche trotz Ausübung des Coitus öfter wiederholt.
Bedenklicher sind schon die während des Nachmittagsschläfchens auftretenden
Pollutionen, die oft nicht vom Bewusstsein der Erektion begleitet sind; noch schwerere
Fälle sind jene, bei welchen im wachen Zustande, während Unterhaltung oder
Scherzens mit einem Weibe, oder gar bei Lektüre pikanter Bücher die Pollution
auftritt; diese letzteren Fälle jedoch bin auch ich geneigt, für Bemäntelung der
Onanie anzusehen. Nicht selten sind jedoch auch solche Klagen, dass die Pollution
beim Fahren auf der Eisenbahn oder auf anderen Wagen, mit geringer oder ganz
fehlender Erektion auftritt. Ich behandelte einen jungen Mann, welcher angab, dass
bei ihm beim Fahren im Omnibus ohne Erektion, mit geringem Orgasmus, Pollutionen
auftreten. Dass in solchen Fällen die Neurasthenia sexualis mit einer Myelasthenie
kombiniert ist, ist selbstverständlich und bedarf keiner Erklärung; diese Fälle ge¬
langen schon mehr in Folge der hier immer vorhandenen Impotenz höheren oder
niedrigeren Grades in Behandlung.
In der Aetiologie der pathologischen Pollutionen — andere, zu Pollutionen
führende Krankheiten sind hier natürlich ausgeschlossen — steht die Onanie an
erster Stelle. Sie ruft Ermüdung und Ueberempfindlichkeit sowohl des cerebralen
als des spinalen Nervensystems hervor. Diese Ermüdung kann jedoch auch infolge
der allgemeinen Neurasthenie eintreten, ob nun dieselbe eine angeborene, oder er¬
worbene Grundlage haben mochte. Dass auch Excessus in venere Ermüdung und
Ueberempfindlichkeit des Genitalcentrums und so sekundäre pathologische Samen¬
verluste hervorrufen kann, wird blos von Gyurkovechky geleugnet. Aber ob nun
die Onanie, ob Excesse in venere die primäre Ursache der Erschöpfung waren, oder
ob die pathologischen Samenverluste Folgen der primären allgemeinen Neurasthenie
sind, immer ist es in erster Reihe die Neurasthenie, die wir behandeln müssen. Be¬
züglich der Behandlung der Neurasthenie will ich nicht wiederholen, was ich hier
vor zwei Jahren darüber gesprochen; darum will ich nur kurz erwähnen, dass unser
Vaterland reich ist an solchen Kurorten, wohin wir derartige Kranke schicken können.
Die Tiitra, mit ihrer herrlichen Luft, ihren Gebirgsspaziergängen, mit ihren nüchtern
angewendeten diätetischen und hydriatischen Kuren; der Plattensee mit seinem
milderen Klima, mit seinen vortrefflichen, stärkenden Bädern; unsere Kohlensäure-
und Eisenbäder mit ihren Trinkkuren und ihren nervenstärkenden Badekuren sind
alle segensreiche Heilfaktoren in der Behandlung solcher Kranker. Jene Kranken
jedoch, die im Sommer keinen Badeort aufsuchen können, sind in den Wasserheil¬
anstalten durch Anwendung der entsprechenden Prozeduren mit Erfolg zu behandeln.
Bei weniger aufgeregten Individuen werden wir von kalten Leintuchabreibungen
guten Erfolg sehen, während es bei schwächeren, sensibleren Personen angezcigt ist,
die Kur mit Halbbädern von 32—28° C einzuleiten, und erst dann zu den Leintuch¬
abreibungen überzugehen Einer sehr ausgebreiteten Anwendung erfreuen sich auch
kühle (25 —20" C) Sitzbäder von kurzer Dauer, welche ich in jedem solchen Falle
nebst den früher erwähnten Prozeduren mit Erfolg anwendete.
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434 Max Weinberger
Ein wirksames Heilmittel der Pollutionen ist auch der W intern itz 'sehe
Psychrophor; bei Anwendung desselben ist es jedoch sehr angezeigt, Brick's
Weisungen zu beherzigen. Br ick empfiehlt in den Fällen, in denen eine hoch¬
gradige lokale Empfindlichkeit besteht, den kalten Psychrophor von 18° C absteigend
10—15 Minuten lang anzuwenden; wo hingegen vollständige Unempfindlichkeit be¬
steht, dort lässt er Wasser von 38° C 5 Minuten hindurch durch den Psychrophor
fliessen. Bei einem solchen Verfahren können wir ohne weiteres und mit gutem
Erfolge zur Heilung pathologischer Samenverluste den Psychrophor anwenden. Eine
Ausnahme bilden die bei den sogenannten »Tripperneurasthenien« bestehenden Pollu¬
tionen, weil ja hier eben die übertrieben langwährende und energische intraurethrale
Behandlung die Ursache der Neurasthenie ward. Abwechselnd mit dem Psychrophor
können wir auch den Atzberger’schen Kühlapparat benutzen, den wir in den Mast¬
darm einführen. Seine Wirkung ist besondere in solchen Fällen augenscheinlich,
wo häufige Pollutionen mit Priapismus abwechselnd Vorkommen.
Was die diätetischen Vorschriften anbelangt, so will ich als selbstverständlich nur
kurz erwähnen, dass stark gewürzte Speisen, reichliche Nachtmähler, starkes Rauchen
sowohl den an Pollutionen als auch den an Spermatorrhoe Leidenden zu verbieten
sind. Alkoholika sind in recht beschränktem Maasse (und nicht abends!) zu erlauben.
Was die Bewegungstherapie betrifft, sind Schwimmen, viel Spaziergänge anzurathen,
jedoch dürfen diese nicht bis zur Erschöpfung getrieben werden. Schädlich ist:
das Rudern und das Fahrrad, sowie das Reiten, da dieselben die überempfindlichen
Genitalien noch mehr reizen. Am zweckmässigsten ist, die Bewegungskur in einer
Anstalt für schwedische Heilgymnastik unter Aufsicht von Spezialärzten vornehmen
zu lassen.
Die zweite Art der bei der Neurasthenia sexualis auftretenden pathologischen
Samenverluste ist die Spermatorrhoe, der ohne Erektion und Orgasmus auftretende
Samenverlust, welcher durch Erweiterung und Schlaffheit des Schliessapparates des
Samenausführungsganges entsteht
Diese Schlaffheit kann ihre Erklärung finden in einem vorgeschrittenen Ent¬
zündungszustand dieser Theile (Urethritis posterior chronica), jedoch auch — wenn
auch seltener — in der durch die Masturbationsneurose selbstständig hervorgerufenen
Erschlaffung. In den im Gefolge der chronischen Genorrhoe auftretenden Fällen von
Spermatorrhoe werden wir auch nicht immer Symptome neurasthenischer Natur
finden, und nach meiner Erfahrung heilen diese Fälle viel schwerer als diejenigen,
welche durch die Masturbationsneurose hervorgerufen wurden.
Nebst der Urethritis posterior, sowie der Masturbationsneurose kann auch noch
der Coitus interruptus oder reservatus entweder primär oder durch Erzeugung all¬
gemeiner Neurasthenie sekundär diese Schlaffheit erzeugen.
Diese Ansicht sind zwar so hervorragende Autoren wie Fürbringer, Gyur-
kovechky nicht sehr geneigt zu acceptieren, Payer, Eulenburg, Finger und
andere sehen jedoch diese unzweckmässige Art des Coitus als Ursache pathologischer
Pollutionen und der Spermatorrhoe mit Bestimmtheit an. Ich schliesse mich der
letzteren Ansicht auf Grund mehrerer Beobachtungen an, bei welchen man als Ursache
der bestehenden Spermatorrhoe nichts anderes eruieren konnte, als den Coitus inter¬
ruptus. Es sei mir erlaubt, diesbezüglich ein Beispiel anzuführen:
Ein 39 Jahre alter, seit sieben Jahre verheiratheter, der intelligenten Bevölkc-
rungsklasse angehörender Mann wurde wegen beginnender Impotenz zu uns in Behand¬
lung geschickt. Seit einem Jahr bemerkt er, dass sich bei hartem Stuhle »rotzähnliches«
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Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis. 435
spärliches Sekret aus seiner Harnröhre entleert, welchem Umstande er keine be¬
sondere Bedeutung zuschrieb. Vor drei Monaten begann er zu merken, dass seine
Erektionen nicht mehr so intensiv sind wie früher und sich immer seltener einstellen;
in den letzten zwei Wochen hatte er trotz der direkt gesuchten sinnlichen Reize
überhaupt keine Erektion. Onanie hatte er in nennenswerthem Maasse nicht ge¬
trieben, ein venerisches Leiden nie gehabt. Nervös fühlt er sich blos in der letzten
Zeit, seitdem er sich über seinen Zustand Sorgen macht. Sein Leiden führt er sehr
richtig darauf zurück, dass er, um die Geschlechtslust seines Weibes zu steigern,
später schon »zu befriedigen«, wenn er das Herannahen der Ejakulation verspürte,
im Coitus innehielt und nachher denselben wieder derart vornahm, dass er jetzt
schon längere Zeit hindurch denselben fortsetzte bis Ejakulation eintrat. Manchmal
macht er diese Unterbrechung zwei- bis dreimal, weil sich mit der Zeit die Ejaku¬
lation auffallend rasch einzustellen begann. Die Verhinderung der Ejakulation un¬
mittelbar vor ihrem Eintritt, wo das ganze Nervensystem im Aufregungszustande ist,
ist unbedingt von sehr schädlicher Rückwirkung sowohl auf den Schliessapparat des
Ductus ejaculatorius, als auf das ganze Nervensystem. In diesem Falle ist es daher
unmöglich, den ätiologischen Einfluss des Coitus interruptus zu leugnen; dieser ver¬
ursachte der Reihe nach Spermatorrhoe, Ejaculatio praecox, Impotenz und mittelbar
auch allgemeine Neurasthenie.
Neben der Spermatorrhoea defaecationis und mictionis besteht' noch die be¬
ständige Spermatorrhoe — die Spermaturie —, der ich in meiner Praxis noch nie¬
mals begegnet bin, welche jedoch auch Praktiker mit sehr ausgebreiteter Praxis nur
sehr selten bei neurasthenischen Kranken beobachtet haben.
Die Behandlung der Spermatorrhoe stimmt im allgemeinen mit der der patho¬
logischen Pollutionen überein, sowohl was die Badeorte, als was die Wasserbehandlung,
die Diät und Gymnastik anbelangt. Eine Abweichung besteht nur in der lokalen
Behandlung, indem wir hier neben dem Psycbrophor und dem Atzberger’schen
Mastdarmkühler auch Sondenkuren und Elektrizität sowohl in Form des galvanischen
als des faradischen Stromes mit Erfolg anwenden.
Der galvanische Strom wird selten angewendet, schon darum, weil man die
eine Elektrode durch den in die Harnröhre eingeführten Spiegel hindurch unter
strenger Kontrolle — mit sehr schwachen Strömen — anwenden muss, um die sehr
empfindliche Schleimhaut nicht zu versengen. Einfacher ist die bei uns durch Porosz
eingeführte Faradisation der Prostata per rectum, von der auch ich in vielen Fällen,
sowohl bei der Spermatorrhoe als bei Impotenz, recht gute Erfolge gesehen habe.
In der Anwendungsweise weiche ich jedoch von der durch ihn inaugurierten Methode
ab, darum will ich hier die von mir geübte Modifikation beschreiben, und erlaube
ich mir, sie zur Erprobung anzuempfehlen.
Porosz lässt den Patienten sich mit einem Arme auf einen Sessel stützen,
während er mit der anderen Hand die eine Elektrode an den Bauch hält, gleich¬
zeitig wird die andere Elektrode mittels des von Porosz konstruierten Instrumentes
durch das Rektum hindurch auf die Prostata appliziert So zusammengekrümmt
ermüdet der Kranke, da er sich nur auf eine Hand stützt, während der 10 bis
15 Minuten lang dauernden Behandlung sehr, darum lasse ich ihn auf dem Ruhe¬
bette, mir den Rücken zugekehrt, liegen, lasse ihn die Kniee beugen, und während
er die eine, nämlich die positive Elektrode auf den Bauch hält, führe ich die andere
Porosz’sche Elektrode bequem per rectum ein. Am Bauche lasse ich die Elektrode
jedoch nur 5 Minuten lang liegen, dann verlege ich sie auf die Gegend des ersten
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436 Max Weinberger
bis zweiten Lendenwirbels, während die andere Elektrode im Rektum bleibt. So
leidet der Patient unter den unangenehmen Erschütterungen des Bauches nur kürzere
Zeit hindurch, andrerseits wird das genitospinale Centrum vollständig in den Kreis
der Faradisation einbezogen, was einerseits durch das in der Harnröhre auftretende
Ameisenkriechen, andrerseits durch die lebhafte wurmförmige Bewegung der Hoden
bewiesen wird. Da der Patient bei uns entkleidet zur Behandlung kommt, hatte
ich Gelegenheit, manchmal bei der Faradisation auch an den Ober- und Unter¬
schenkeln vibrierende Muskelzuckungen als Zeichen dessen zu sehen, dass auch der¬
jenige Theil des Rückenmarkes in den Strombereich gelangt, der die untere Extremität
mit Nerven versieht. Das ist jedoch hauptsächlich bei Anwendung stärkerer Ströme
zu sehen. Die Kraft des Stromes steigere ich, wie das Porosz empfiehlt, langsam
ansteigend, dann schwäche ich nach einiger Zeit wieder ab, und steige dann wieder an.
Diese Faradisationsmethode wende ich jedoch nicht täglich an, sondern ab¬
wechselnd mit anderen Methoden, mit dem Psychrophor und der Sondenkur kombi¬
niert, und sah von dieser abwechselnden Behandlung sowohl bei Behandlung
der Spermathorrhoe, als bei der Impotenz die besten Erfolge; dieses Verfahren ist
schon darum zweckmässig, weil es nicht angezeigt ist, täglich den Psychrophor oder
die Sonde anzuwenden, und in den-Zwischentagen leistet uns die oben beschriebene
Prostatafaradisation gute Dienste.
Ich gehe nun zur Besprechung der wichtigsten Art der Neurasthenia sexualis,
der Impotentia coeundi über. (Einen Kranken, der über Impotentia generandi
geklagt hätte, habe ich noch nicht gesehen.)
Diejenigen Arten der Impotentia coeundi, welche als Folgezustände von Ent¬
wickelungsfehlern oder Krankheiten der Genitalorgane, oder von konstitutionellen
Allgemeinerkrankungen auftreten, können hier nicht den Gegenstand der Besprechung
bilden. Diese Fälle sind jedoch auch viel seltener, als die im Gefolge der Neurasthenie
auftretenden. Als Beispiel will ich anführen, dass in Röna’s Fällen 83,3% der
Fälle von Impotenz nervösen Ursprungs waren und nun 16,7°/ 0 anderen Ursprungs.
Eine Unterart der nervösen Impotenz ist die Ejaculatio praecox, oder jene
Form, bei welcher vor der Friktion, ja oft noch ante introitum, sich die Ejakulation
einstellt. In diesen Fällen ist die Erektion oft noch genügend, jedoch tritt infolge
einer Uebererregbarkeit des Ejakulationscentrums, rein auf cerebralen Reiz schon
Ejakulation auf. Diese Fälle stehen im engsten Zusammenhänge mit den Pollutionen,
die während des Tages auftreten, sie können Folgezuständc derselben bilden, und
können ätiologisch auch gleichen Ursprungs sein, also ebenso von Onanie oder all¬
gemeiner Neurasthenie hervorgerufen werden. Die Ansicht Gyurkovechky’s, dass
die Impotenz niemals infolge von Onanie, sondern nur als Folge von Excessen in
venere auftritt, kann ich mit vielen meiner Fälle widerlegen. Darunter befinden
sich zwei Fälle, wo der Patient infolge von Onanie pathologische Pollutionen, später
Ejaculatio praecox, schliesslich totale Impotenz bekam, ohne jemals einen regel¬
rechten Coitus ausgeübt zu haben. Dass solche Individuen, die niemals coitiert
haben, auch keine Excesse in venere ausgeübt haben konnten, liegt auf der Hand.
Bei der Ejaculatio praecox ist noch Libido vorhanden, ja manchmal in ge¬
steigertem Maasse, und bei der Ejakulation ist auch Orgasmus vorhanden. Trauriger
sind schon jene Fälle, in denen keine Erektion mehr auftritt, oder wenn sie auftritt,
nur sehr kurze Zeit hindurch bestehen bleibt, und vor Beginn des Coitus oder während
desselben aufhört, bevor noch Ejakulation eintritt. Diese Fälle sind häufig genug.
Unter 410 Fällen von Neurasthenie sexualis hatte ich 186 solcher Fälle, d. h. 45,4°/ 0 .
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lieber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis.
437
Ausser der im Rahmen der Neurasthenie sexualis auftretenden Impotenz kann
noch auf rein psychischer Grundlage Impotenz auftröten, wie auch auf hypo¬
chondrischer Basis, z. B. bei Furcht vor Ansteckung. Einen typischen Fall von
psycho-neurasthenischer Impotenz beobachtete ich bei einem 23jährigen Manne; dieser
verliebte sich mit 17 Jahren in ein Mädchen, und befriedigte seine Begierde durch
Onanie. Im Alter von 23 Jahren heirathete er den Gegenstand seiner Liebe, konnte
jedoch in Folge der Aufregung und Ungeübtheit keinen regelmässigen Coitus aus¬
üben, seine Frau nicht deflorieren. Er versuchte Wochen hindurch täglich mehrmals
den Coitus, bis er sich plötzlich, verzweifelt über seinen Zustand, impotent fühlte.
Das klagte er seinem Arzte, der ihn zu uns behufs Behandlung wies. Ein anderer
ebenfalls typischer Fall ist folgender: ich behandelte einen aus allgemeiner Neurasthenie
entspringenden Fall von Impotenz, bei welchem die früher mangelhaften Erektionen
befriedigend wurden, und nach 12—15 Friktionen bei normalem Orgasmus Ejakulation
eintrat. Der Patient warf bei diesem Zustande die Frage der Heirath auf, von der
ich nicht abrieth. Seine Hochzeitsreise beginnend, drängte sich ihm der Gedanke
auf, dass er möglicherweise nicht im stände sein werde, den Coitus zu vollziehen,
und dieser Gedanke beherrschte ihn so sehr, dass selbst auf gesuchten sinnlichen
Reiz keine Erektion eintrat. Er befasste sich schon mit Selbstmordgedanken, als er
erfuhr, dass bei seiner Frau Menstruation eingetreten war. Während der Dauer
derselben, nachdem er begonnen, sich an die Situation zu gewöhnen, beruhigte er
sich, und vollzog nach Auf hören der Menstruation gleich beim ersten Versuche einen
regelmässigen Coitus, und hatte seither, das ist seit drei Jahren, keine Ursache über
seine Potenz zu klagen; er ist heute Vater zweier Kinder, und erzählt seinen Fall
gerne seinen Bekannten als lehrreiches Exempel.
Zu den psychischen Impotenzen muss ich auch jene Fälle relativer Impotenz
zählen, wo der Patient nur gegenüber gewissen Frauen oder nur unter gewissen
Umständen impotent ist; manche zählen auch jene Fälle von Impotenz hierher, die
bei Lüstlingen Vorkommen, die gegen den normalen Coitus ganz abgestumpft sind,
also impotent sind, und eben deshalb auf widernatürlichem Wege Befriedigung ihres
Geschlechtstriebes suchen. Diese Fälle gehören schon in den Kreis der Psycho¬
pathie, trotzdem die vorhergegangenen Exzesse immer Neurasthenie hervorbrachten.
Gehen wir nun zur Therapie der nervösen Impotenz über. Dass man hier die
Neurasthenie nicht als nebensächlich betrachten darf, ist zweifellos, ja wir müssen
sogar in erster Reihe ihr unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Bei in geistiger Arbeit
Ermüdeten empfehlen wir Aussetzen der Arbeit und eine Reise in interessante, schöne
Gegenden, wobei wir längeren Aufenthalt an einzelnen Orten vorschreiben; bei anderen
empfiehlt sich die Anwendung von Wasserkuren an Höhenkurorten; kohlensäure-
haltige Bäder; Seebäder — die wir auch durch den vermöge seines Wellenschlages
wirksamen Plattensee ersetzen können — sind gleichfalls nützliche Mittel zur Be¬
handlung der Impotenz.
Bei körperlich erschöpften, mageren Personen ist nebst genügender Ruhe gute
Ernährung, eventuell Ueberernährung in Form von Mastkuren angezeigt, diese sind
jedoch nicht unbedingt schablonenmässig bei Bettruhe durchzuführen; bei meinen
ambulanten Kranken gelingt es mir oft, eine Gewichtszunahme von 5 —6 kg während
der Kur zu erreichen, wenn sie die vorgeschriebene Diät einhalten.
Können wir die Kranken nicht in einen Badeort schicken, so wenden wir zu
Hause eine entsprechende Wasserbehandlung an, welche aus lauwarmen Halbbädern,
kalten Leintuchabreibungen, kühlen Sitzbädern und aufsteigenden, sowie in die Gegend
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438 Max Weinberger, Ueber die physikalische Therapie der Neurasthenia sexualis.
des Nackens und des Kreuzes applizierten kalten Douchen besteht, je nach der
Körperkraft und Empfindlichkeit des Individuums.
Unser Prinzip bei Anwendung der Wasserbehandlung ist, dass dieselbe beim
Patienten kein unangenehmes Gefühl hervorrufen darf. Lieber steigen wir allmählich
bis zur Applikation der heilenden Kälte herunter, als dass wir dem Kranken Un¬
annehmlichkeiten bereiten.
Ich kann nicht umhin, hier zu erwähnen, dass Wärme, besonders Schwitz¬
prozeduren, von sehr nachtheiliger Wirkung auf Impotente sind. Ich beobachtete
zwei Fälle, wo die vom Hausarzte gegen Rheumatismus sehr richtig angeordneten
schweisstreibenden Lichtbäder bei dem Kranken, dessen Potenz bereits geschwächt
war, vollständige Impotenz verursachten.
Eine ausgezeichnete Wirkung müssen wir bei Behandlung der nervösen Impotenz
den kohlensäurehaltigen Bädern zuschreiben, welche wir, da wir die Erfolge nur der
reflektorisch wirkenden nervenstärkenden Einwirkung der Kohlensäure zuschreiben
können, auch künstlich hergestellt mit Erfolg anwenden werden. Ich beobachtete
mehrere leichte Fälle, wo ausschliesslich künstliche kohlensäurehaltige Bäder die Kur
bildeten und der Erfolg ein sehr zufriedenstellender war; damit will ich jedoch
keinesfalls den Werth der natürlichen kohlensäurehaltigen Bäder herabsetzen, da hei
diesen noch die ausgezeichnete Luft, Ruhe und Zerstreuung als Heilfaktoren den
Erfolg erhöhen. Diese jedoch können nur im Sommer in Anwendung kommen,
während uns die künstlichen Kohlensäurebäder auch im Winter zur Verfügung stehen.
Die Lokalbehandlung ganz von der Hand zu weisen, wie das viele thun, halte
ich für unrichtig. Allenfalls unterstützen die lokalen Heilmethoden die bisher er¬
wähnten Heilfaktoren in der Erreichung des Erfolges. Sowohl äusserliches
Elektrisieren, als Faradisation der Prostata auf die schon beschriebene Art, der
Psychrophor, der Atzberger’sche Kühlapparat, letzterer besonders in mit
Pollution einhergehenden Fällen, Sondenkuren, mit einander abwechselnd, wirken
sehr gut auf den Kranken.
Zabludowsky empfiehlt die Massage zur Heilung der Ejaculatio praecox und
der Impotenz. Ich versuchte seine Methode in mehreren Fällen nach seiner Vor¬
schrift; jedoch steht der Erfolg durchaus nicht im Verhältnisse zu der Mühe, welche
die ausgebreitet vorzunehmende Massage verursacht.
Schliesslich noch einige Worte über die medikamentöse Behandlung. Ebenso¬
wenig wie wir die Neurasthenie medikamentös heilen können, haben wir ein Medi¬
kament zur Heilung der Impotenz. Ein Aphrodisiakum im wahren Sinne des Wortes
haben wir bis heute nicht; besser als alle bekannten Mittel wirkt oft eine kleine
Dosis Alkohol, besonders bei in Heilung Begriffenen. Von Yohimbin, dem Poehl-
schen Spermin, Arsen und Phosphor sah ich niemals Wirkung eintreten. Viele Fälle
kamen in meine Behandlung, die nach Einnahme der erwähnten Medikamente nicht
gebessert waren, hingegen wurden sie durch diätetische, hygienische, lokale und
hydriatische Behandlung geheilt.
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Original fro-m
UNIVERS1TY OF MICHIGAN
Robert Grünbaum, Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 439
III.
Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung.
Aus dem Institute für Mechanotherapie des Dr. A. Bum in Wien.
Von
Dr. Robert Gr&nbaum,
Assistent des Institutes.
Erst seit wenigen Jahren dem Heilschatze der physikalischen Heilmethoden
eingefügt, hat die Heissluftbehandlung in kurzer Zeit allgemeine Verbreitung ge¬
funden, und alle Publikationen darüber berichten einstimmig über die guten Re¬
sultate, die man mit dieser Methode bei den verschiedensten Erkrankungen erzielt.
Diese günstigen Resultate, welche weit besser seien als die mit jeder anderen Art
von Wärmeapplikation erzielbaren, sollen vor allem dadurch bedingt sein, dass
dabei exorbitant hohe Temperaturen therapeutisch angewendet werden können. Man
beginnt mit »niedrigen Temperaturen« von 80—90° C, um die Empfindlichkeit des
Patienten zu prüfen, und steigt dann allmählich bis zu 140, 150° und selbst noch
darüber. Trotz dieser excessiven Temperatur komme es bei entsprechender Vorsicht
kaum je zu Verbrennungen der Haut. Dabei wird Jeder, der sich mit Heissluft¬
therapie beschäftigt, oft genug erfahren haben, dass die Patienten angeben, lokal
das Gefühl angenehmer, behaglicher Wärme zu haben, während das Thermometer des
verwendeten Apparates schon Temperaturen von 100 oder 120° anzeigt. Diesen ver¬
blüffenden Kontrast suchen einzelne Autoren in verschiedener Weise zu erklären.
Roth 1 ) erinnert daran, dass die Wärmekapazität der Luft 25mal geringer sei, als
die des Wassers, zieht daraus aber folgende uns unverständliche Schlussfolgerung:
»Sie (die Luft) beansprucht demnach 25 mal so viel Wärmeeinheiten, als das Wasser,
um mit letzterem gleich warm zu sein. Die Luft vermag demnach bei gewöhnlichem
Feuchtigkeitsgehalt auch 25 mal mehr Wärme von unserem Körper aufzunehmen, als
das Wasser«.
Auch die angeführte »Vertrautheit und Angewöhnung« an excessive Hitze sind
keine gnügenden Erklärungsgründe.
Mendelsohn*) findet die Erklärung wieder darin, dass es unter dem Einflüsse
dieser Temperaturen zu einer ausserordentlichen Schweissabsonderung kommt, und
durch die Verdunstung des Schweisses zu einer konstanten Erniedrigung der Haut¬
oberflächentemperatur. »Das ist der einfache Vorgang, welcher es ermöglicht, diese
exorbitanten Temperaturen nicht nur auszuhalten, sondern sogar ohne besonders ge¬
steigertes Wärmegefühl über sich ergehen zu lassen.«
Schreiber 3 ) (Königsberg) hat zur Klarlegung dieser Verhältnisse eine Reihe
’) Wiener medicinische Wochenschrift 1900.
*) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1898.
3 ) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1901.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
440 Robert Grfinbaum
einfacher Versuche angestellt, die zu ganz anderen Resultaten führten. Er stellte
dieselben in der Weise an, dass er im Innenraume verschiedener Heissluftapparate
neben7dein gewöhnlich zur Temperaturmessung dienenden Kastenthermometer noch
mehrere kleine Maximalthermometer an verschiedenen Stellen aufhing. Nun wurde
die Behandlung wie gewöhnlich vorgenommen, dann der Kasten geöffnet und an
den Maximalthermometern die erreichten höchsten Temperaturen abgelesen. Da
zeigte es sich, dass die Angaben der Thermometer im Innern sehr bedeutend
von den Anzeigen des Kastenthermometers differierten. Um auch den Einwand zu
entkräften, dass diese bedeutenden Differenzen durch die infolge der starken Schweiss-
verdunstung des eingeschlossenen Körpertheiles erzeugte Verdunstungskälte verursacht
seien, wiederholte Schreiber diese Messungen, ohne eine Extremität einzuhängen,
und erhielt prinzipiell dasselbe Resultat, nur, dass die erreichten Innentemperaturen
jetzt etwas höher waren. Den Beweis, dass die niedrigeren Zahlen der ersten Versuchs¬
reihe nicht auf den behaupteten abkühlenden Einfluss der behandelten Extremität
zurückzuführen sind, erbrachte er dadurch, dass, wenn man statt dieser einen Gips-
fuss einhängt, die erreichten Temperaturen sich wieder den erst erhaltenen Zahlen
nähern. Aus diesen Versuchen geht mit Sicherheit hervor, dass in den Heissluft¬
apparaten von Krause und anderen ähnlich konstruierten die Innenwärme ganz
ungleichmässig vertheilt ist, dass das Kastenthermometer, welches mit seiner Queck¬
silberkugel in den Deckenwärmestrom eintaucht, erheblich höhere Temperaturen an¬
zeigt, als in den Schichten vorhanden sind, in denen die zur Behandlung eingehängten
Körpertheile lagern, dass also die Behauptungen von der Toleranz der menschlichen
Haut gegen Lufttemperaturen von 120—150 °, soweit dieselben aus den Ablesungen
der in der üblichen Weise angebrachten Kastenthermometer erschlossen wurden, als
bis jetzt nicht bewiesen angesehen werden müssen.
Es schien mir der Mühe werth, diese Behauptungen, die den Angaben aller
anderen Autoren widersprachen, nachzuprüfen. Ich verwendete bei meinen Versuchen
die Apparate: System Reitler (Wien) und System Odelga (Wien). Die Heissluft¬
apparate System Reitler sind modifizierte »Krause«-Apparate, in ihren Dimensionen
etwas grösser gehalten wie diese. Um zu vermeiden, dass die einströmende
heisse Luft die Haut direkt treffe, befindet sich im Innern des Apparates,
von der äusseren Wand ungefähr 2 cm entfernt, eine zweite, etwas geneigte Asbest¬
wand, die vom Boden bis nahe an die Decke reicht. »In diesem dadurch gebildeten
spaltförmigen Zwischenraum muss sich die einströmende heisse Luft erst möglichst
gleichmässig vertheilen, bevor sie in den innersten Raum zu dem erkrankten Körper-
theil gelangen kann«'). In diesen Raum ragt bei den meisten Apparaten die Quecksilber¬
kugel des Kastenthermometers hinein. Der wesentlichste Fortschritt gegenüber allen
übrigen Systemen soll in der Verwendung pulverisierten Chlorkalciums zur Trocknung
der Innenluft bestehen. Dasselbe wird auf einer flachen Steinguttasse in einem
kästchenartigen, aufklappbaren Vorbau aufgestellt, der mit dem Behandlungsraum
durch einen mehr oder minder breiten Spalt in Verbindung steht. Reitler erwartet,
dass dieses, von der feuchten heissen Luft gar nicht direkt bestrichene Chlorkalcium
genüge, um die Innenluft »thatsächlich trocken« zu machen, und glaubt das Recht
zu haben, seine Apparate, im Gegensätze zu den »alten« Systemen, als alleinige
»Trockenheissluftapparate« zu bezeichnen. Eine einmalige Verwendung derselben
muss Jeden vom Gegentheil überzeugen. Dass sie für praktische Zwecke ebenso
Rudolf Reitler, Die TrockeDheissluftbehaudlung. 1900.
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Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 441
brauchbar sind, wie die meisten anderen Systeme, und dass man mit ihnen dieselben
therapeutischen Effekte erzielen kann, bedarf keiner weiteren Auseinandersetzung.
Die Apparate von Odelga, und zwar dessen neue Typen, bestehen aus ver¬
schieden grossen, entsprechend geformten Kästen aus vielen auf einander geklebten
Asbestlamellen. Die Zuführung der heissen Luft erfolgt von unten her, vom Boden
des Apparates, welcher, um eine gleichmässige Vertheilung der heissen Luft nach
allen Richtungen hin zu bewirken, ganz besonders konstruiert ist. Der Quincke’sche
Schornstein, in welchem die heisse Luft durch eine Spirituslampe oder ein Gasrechaud
erzeugt wird, ist unterhalb des Bodens des Apparates angeordnet und mündet in
senkrechter Richtung in einen Blechkasten (Fig. 53 c), der in den Boden des Apparates
eingelassen ist. Die Ausströmung nach oben erfolgt durch eine grössere Anzahl
kleiner Oeffnnngen. Damit die heisse Luft nicht direkt in die Höhe streiche, ist über
dem Blechkasten eine fast den ganzen Boden des Apparates bedeckende, niedrige,
heraushebbare Biechklappe (a) von muldenförmigem Querschnitte als Luftvertheiler
eingesetzt. Dieselbe hat eine grosse Anzahl seitlicher kleiner Oeffnungen, und erst
Kg. 63. Fig. 64.
durch diese tritt die heisse Luft von allen Seiten, in der Richtung von unten nach
oben streichend, in den Behandlungsraum. Um zu vermeiden, dass die von der Blech¬
kappe ausstrahlende Hitze unangenehm fühlbar werde, ist dieselbe mit Asbest derart
überzogen, dass zwischen diesem und der Blechmulde eine Luftschicht (b) als
schlechter Wärmeleiter eingeschaltet ist. Der Kastendeckel besitzt einige zur Auf¬
nahme der Thermometer dienende Ausschnitte.
Um zunächst über die Wärmevertheilung in diesen Kästen Aufschlüsse zu er¬
halten, wiederholte ich die Versuche von Schreiber, indem ich neben dem ge¬
wöhnlichen Kastenthermometer an verschiedenen Stellen des Innenraumes Maximal¬
thermometer anbrachte.
Versuch I. Apparat für beide Füsse (System Reitler [Fig. 54]).
Die Thermometer zeigten:
nach
10
Minuten a 172° i
Differenz
I nach 40 Minuten
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| Differenz
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Zoiütchr. f.
diät u. physik. Therapie Bd. VI.
Heft 8.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
442 Robert Grfinbanm
Versuch II. Apparat für beide Füssc (System Rcitler [Fig. 65]).
Die Thermometer zeigten:
nach
5
Minuten
a 137° |
nach
40 Minuten
a 2110 |
b 157° Differenz
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b 780
Differenz
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»
—950
f 121®
»
—890
Ich will mich auf die Anführung dieser beiden Versuche beschränken, die ich
ohne Wahl einer grösseren Serie ganz gleicher Versuche entnahm. Es geht aus ihnen,
zusammengehalten mit den im Prinzip glei¬
chen Ergebnissen Schreiber’s, mit ge¬
nügender Sicherheit hervor, dass auch bei
den Apparaten des Systems Reitler inner¬
halb des Behandlungsraumes ausserordent¬
lich grosse Temperaturdifferenzen bestehen,
und dass sich aus den Angaben des Kasten¬
thermometers (a) keine irgendwie verläss¬
lichen Schlüsse über die wirkliche Innen¬
wärme ziehen lassen. Die Differenzen in
den Temperaturangaben schwanken ja in
dem Kasten für beide Füsse zwischen 54
bis 126®. Steigert man die Hitze des Luft¬
stroms, den Angaben des Apparatthermo-
meters nach, so steigt die Temperatur auch
an den übrigen Stellen im Innern, aber ohne
dass sich irgend eine gesetzmässige Abhängigkeit finden Hesse. Sicher ist, dass die
Wärme von oben nach unten abnimmt. Aber selbst in derselben Horizontalschicht
bestehen erhebliche Unterschiede.
Es genügt, wie Versuch 2 zeigt (Fig. 55 e, urtd e 2 ), bereits eine Verschiebung
der Quecksilberkugeln in derselben Ebene nach vorn oder hinten, um Differenzen
von 20° und auch noch mehr aufzuweisen.
Dass ich bei meinen Versuchen noch erheblichere Differenzen gefunden, als
Schreiber, erklärt sich ohne weiteres daraus, dass bei den Rcitler’schen Apparaten
das Indikationsthermometer, wie bereits erwähnt, direkt in den Heissluftstrom ein¬
taucht.
Die Ursachen für diese ungleiche Wärmevertheilung liegen, wie Schreiber in
seiner Arbeit näher ausführt, vor allem in den Gesetzen der Wärmeverbreitung und
Wärmefortführung, denen zu folge die Luft mit zunehmender Erwärmung sich aus¬
dehnt und den obersten Schichten zuströmt. »Jeder im Innenraum des Apparates
befindliche tote oder lebende Körper wirkt auf die Wärmeströmung, indem er je
nach Form, Grösse und Lage die Ausbreitung des heissen Luftstromes wesentlich
Fig. r>r>.
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Zur Physiologie and Technik der Heissluftbehandlung.
alteriertc. Schreiber hat auch nach dieser Richtung entscheidende Versuche an¬
gestellt, indem er rings um die Einströmungsöffnung für die heisse Luft vier Maximal¬
thermometer auf hing und nun einmal ohne den Asbestschirm, der die direkte
Bestreichung der zu behandelnden Körpertheile mit dem Heissluftstrom verhindern
soll, die erreichten Maximaltemperaturen bestimmte, das andere Mal mit demselben.
Ans den sich ergebenden Differenzen lässt sich die Ablenkung des Luftstromes ohne
weiteres beweisen. Auf dieselbe Weise kann man die angebliche »regulierende«
Wirkung der an den Kästen angebrachten Klappen und Ventile prüfen. Bei den
Apparaten von Reitler kam ich zu gleichen Resultaten. Eine Serie ähnlicher Ver¬
suche stellte ich mit den Apparaten von Odelga an.
Versuch III. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 56]).
Die Thermometer zeigten:
Differenz +4°
» +lo
Differenz + 40
» + 1 °
nach 10 Minuten a 66°
nach 40 Minuten a 102® i
b 67o
► Differenz + 1 0
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Fig. 56.
Fig. 57.
Versuch IV. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 57]).
Die Thermometer zeigten:
nach 10 Minuten a 75° \ I nach 40 Minuten a 108° \
b 800 l Differenz + 5 ft b 11:1° > E
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> Oo
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Original from
UNIVERSETY OF MICHIGAN
444 Robert Grünbaum
Die grössten Differenzen, die ich zwischen den an den verschiedensten Stellen
des Innenraumes angebrachten Thermometern gefunden habe, betrugen hier 6—8®.
Durch die eigenthümliche Art und Weise, die heisse Luft in den Behandlungsraum
einströmen zu lassen, ist also bei
diesen Apparaten das Problem einer
gleichmässigeren Vertheilung der
Wärme in befriedigender Weise ge¬
löst. Man kann, ohne einen erheb¬
lichen Fehler zu begehen, die An¬
gaben des Kastenthermometers (a)
als verlässlich und der wahren Innen¬
temperatur nahezu entsprechend an-
sehen, natürlich nur für den Fall,
dass die heisse Luft, wie in diesen
Versuchen, ungehindert von unten
nach oben strömen kann.
Nach den Experimenten Sch rei¬
be r’s war es naheliegend, zu ver-
muthen, dass die Wärmeverhältnisse
im Innern durch die eingehängte Extremität, die wie ein ablenkender Schirm in den
Luftstrom eingeschaltet ist, wesentlich modifiziert werden würden. Ich stellte des¬
halb eine Reihe diesbezüglicher Versuche an.
Fig. 68.
Versuch V. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 58]). D. B., rechten
Fuss eingehängt.
Die Thermometer zeigten:
nach 5 Minuten
a 530 *
nach 15 Minuten
a 72® j
b 48° > Differenz
— 50
b 67® > Differenz
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Versuch VI. Apparat für beide Füsse (System Odelga [Fig. 59]). M. Kr., beide
Füsse eingehängt.
Die Thermometer zeigten:
nach 5 Minuten
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» — 5 0
d 90® j
» + 80
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 445
Es zeigte sich in diesen, ebenso wie in einer ganzen Reihe ähnlicher Versuche,
dass die behandelte Extremität an den Ergebnissen der ersten Versuchsreihe im
Prinzipe nichts ändert. Auch hier betrugen die grössten Differenzen zwischen den
Angaben des Kastenthermometers und der in der Umgebung des betreffenden Körper-
theiles aufgehängten höchstens 6 — 8 0 . Es zeigt also das Indikationsthermometer
thatsächlich ziemlich genau jene Temperatur an, die in der Umgebung des be¬
handelten Gliedes herrscht.
Diese Thatsache gewährte mir die Möglichkeit, die Frage zu entscheiden, welches
die höchsten Temperaturen seien, die die menschliche Haut bei Verwen¬
dung heisser Luft als Wärmeträger verträgt, ohne Schaden zu nehmen, und ob
dieselbe, wie die meisten Autoren, die sich mit Heissluftbehandlung beschäftigen,
behaupten, wirklich eine so grosse Toleranz gegen excessiv hohe Lufttemperaturen
besitzt. Mendelsohn 1 ) nahm an, dass die infolge der hohen Temperatur eintretende
kontinuierliche Hautperspiration allein das Ertragen derselben ermöglicht, und eine
Schädigung der Hautoberfläche hint¬
anhält. »Sobald diese Perspiration F>g- f» 9 -
herabgesetzt wird, empfindet ja auch
subjektiv der Patient sogleich un¬
angenehm die Temperaturwirkung.
Der Organismus hilft sich auch hier,
wie überhaupt hohen Temperaturen
gegenüber, dadurch, dass er starken
Schweiss produziert, und dass dieser
Schweiss nun, wenn er von der Haut¬
oberfläche in die umgebende Luft
verdunstet, auf diese Körperober¬
fläche dabei eine derartige Verdun¬
stungskälte produziert, dass die hohe
Aussentemperatur hierdurch ausge¬
glichen wird«. Ais Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung führt Mendel¬
sohn folgenden Versuch an: Hält der Patient, während seine Hand und Arm sich
im Heissluftapparat befinden, ein Thermometer während der ganzen Dauer der Ein¬
wirkung zwischen den Fingern, so dass die Quecksilberkugel der Hautoberfläche
innig anliegt, so zeigt dieses Thermometer jedesmal bei der Herausnahme nur un¬
bedeutende Steigerungen bis höchstens 38,7 wobei noch die unmittelbare Ein¬
wirkung der sehr heissen Luft auf die frei im Innern des Apparates befindliche
Quecksilbersäule in Abrechnung gebracht werden muss. Diese letztgenannte Ein¬
wirkung ist indes ganz bedeutungslos. Hält man ein Thermometer so über eine
Spiritusflamme, dass die Quecksilberkugel zwischen den Fingern vor der unmittelbaren
Berührung der Flamme geschützt ist, so kann der übrige Theil des Thermometer¬
glases glühend erhitzt werden, ohne dass die Quecksilbersäule steigt (Schreiber).
Das Quecksilbergefäss des Thermometers war bei den Versuchen Mendelsohn’s
durch die umschliessenden Finger des Patienten dem Einflüsse der heissen Innenluft
entzogen, denn sonst müsste der frei herausragende Theil des Quecksilbergefasses
allmählich die Temperatur der Umgebung annehmen, glühend heiss werden und das
Festhalten des Thermometers unmöglich machen. Der bei diesen Versuchen beob-
>) 1. e.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
446 Robert Gr&nbaura
achtete Anstieg der Quecksilbersäule entspricht ausschliesslich nur dem Anstiege der
lokalen Körpertemperatur unter dem Einflüsse der Heissluftbehandlung. Der Beweis
lässt sich leicht erbringen: Schliesst man die mit dem Quecksilber bewaffnete Extre¬
mität nur bis zur Mitte des Oberarmes in den Heissluftkasten ein und legt ein
zweites Maximalthermometer in die freie Achselhöhle derselben Seite, dann ent¬
sprechen die Steigerungen der Achselhöhlentemperaturen annähernd genau dem An¬
stiege des im Innern befindlichen Thermometers.
Der positive Beweis dafür, dass in den Regionen, in denen sich die zu be¬
handelnden Körpertheile in den üblichen Heissluftkästen befinden, eine viel niedrigere
Temperatur herrscht, als allgemein angenommen wird, geht aus Schreiber’s und
meinen Versuchen vollständig klar hervor.
Ebensowenig vermag auch die Angabe Frey’s 1 ), dass er bei seiner Heissluft-
douche Temperaturen bis 150° verwende, ohne Verbrennungen der Haut zu bewirken,
einer ernsten Kritik stand zu halten. Das Thermometer, an dem die Ablesungen
vorgenommen werden, befindet sich nicht an der Ausströmungsöffnung des abführenden
Schlauches, sondern vor dem Abgänge desselben. Die heisse Luft muss also noch
den 1—1 »/a m langen Schlauch passieren und sich schon dadurch etwas abkühlen.
Wesentlicher aber ist, dass Frey den heissen Luftstrom aus einer Distanz von 5 bis
10 cm auf die Haut einwirken lässt. Dass aber in einer solchen Entfernung von der
Ausströmungsstelle der Luftstrom eine ganz andere Temperatur hat, geht aus folgenden
Zahlen hervor, die ich bei Versuchen mit der heissen Kohlensäuredouche von Herz
(Wien) 2 3 ) gefunden habe. Wenn die erhitzte Kohlensäure bei der Verwendung eines
Druckes von 2 1 /*—3 Atmosphären unmittelbar an der Ausströmungsöffnung eine
Temperatur von 155° hat, so beträgt die Temperatur des Gasstromes in einer Ent¬
fernung
von 2 cm und mehr 105—115° von 8 cm und mehr 74—84°
» 4 » » > 90—100° » 10 » » > 70—80°
» 6 » » » 80—90 0
Ich glaube keinen Fehlschluss zu machen, wenn ich behaupte, dass Aehnliches
auch für die Frey'sehe Heissluftdouche gilt. Bei einer Distanz von 5 —10 cm von
der Haut würde die wirkliche Temperatur des Luftstromes also zwischen 70—90«
schwanken. Die Gründe, weshalb auch den Angaben Clado’s*), Temperaturen von
110° therapeutisch ohne Schädigung stundenlang verwendet zu haben, keine Beweis¬
kraft zukommt, hat Schreiber 4 ) zur Genüge auseinandergesetzt.
Dies alles zusammengehalten, ergiebt sich, dass die vielfach behauptete Toleranz
der menschlichen Haut gegen sehr hohe Lufttemperaturen bisher durch nichts be¬
wiesen ist.
Die Frage, welches die höchsten noch ohne Schädigung der Haut er¬
träglichen Temperaturen sind, die man bei der Heissluftbehandlung verwenden
kann, lässt sich mit den Apparaten von Tallermann, Bier, Krause, Reitler und
ähnlich konstruierten nicht mit genügender Sicherheit entscheiden. Selbst wenn
man von den ganz unverlässlichen Angaben des Kastenthermometers abstrahiert, zur
i) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1900.
ü) Wiener medicinische Presse 1901.
3) Bericht des französischen Chirurgenkongresses vom Jahre 1891 (citiert nach Bier).
*) I. c.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zar Physiologie und Technik der Heisslnftbehandlung. 447
Prüfung der Innentemperatur an verschiedenen Stellen Maximalthermometer aufhängt
und nun untersucht, bis zu welchen Graden man die Hitze steigern kann, bis sie
unerträglich gefühlt wird, so sind doch bei der ganz ungleichmässigen und irregulären
Vertheilung der Wärme die gefundenen Zahlen nicht absolut beweisend. Sie werden
bei verschiedenen Stellungen der Thermometer bald zu hohe, bald zu niedrige, in
einzelnen Fällen auch richtige Temperaturen anzeigen. Ich habe daher die ent¬
scheidenden Versuche auf die Apparate System Odelga beschränkt, und bei einer
grösseren Anzahl von Gesunden und Kranken zu ermitteln gesucht, wo die oberste
Grenze der Toleranz gegen hohe Lufttemperaturen gelegen ist. Es war mir nur
darum zu thun, die Frage nach dem Maximum zu entscheiden; wo das Optimum
gelegen sei, liess ich vorläufig un¬
berücksichtigt. Obwohl aus den oben
angeführten Untersuchungen hervor¬
geht, dass bei diesen Apparaten die
Vertheilung der Innenwärme ziem¬
lich gleichmässig ist, habe ich doch,
um etwaigen Einwänden zuvorzu¬
kommen, neben dem Kastenthermo¬
meter an den verschiedensten Stellen
stets noch einige Thermometer an¬
gebracht. Bei den diesbezüglichen
Experimenten zeigte es sich, dass
die höchsten Temperaturen,
die man noch ertragen kann,
zwischen 75—85 °C schwanken.
Nur in einzelnen Fällen konnte ich
mit der Temperatur bis 90—92°
steigen. Bei diesen Temperaturen hat man lokal das Gefühl starken Brennens, das
sich bis zu intensiven stechenden Schmerzen steigert, die uns zwingen, mit der
Temperatur herunterzugehen. Versucht man, diese obere Grenze zu überschreiten,
so kommt es zur Bildung von Brandblasen, zuweilen zu tiefergehenden Verbrennungen.
Versuch VII. K. B. Beide Füsse im Kasten (System Odelga [Fig. 60]).
Fig. 60.
Die Thermometer zeigten:
nach 5 Minuten
a
550
b
52°
c
610
>» lü
»
a
80»
b
770
c
750
» 15
i»
a
820
b
790
c
760
» 18
»
a
840!
b
810
c
780
Brennen an der
Fussspitze
Brennen an beiden
Füssen
starkes Brennen
am ganzen Beine
nach 20 Minuten a 84 c ! i unerträgliches
b 82° I | Brennen an beiden
c 79° J Beinen
»25 “ a 82® | ß rennen am Unter-
^ 810 [ schenket
c 79° I
»30 » a 77°
b 79°
c 76°
d 78°
e 73°
In gleicher Weise verliefen eine Reihe ähnlicher Versuche bei anderen Per¬
sonen. Auf Grund aller dieser Thatsachen möchte ich als obere Grenze der
Toleranzwerthe für Lufttemperaturen 80—90° C erklären. Wenn man auch die
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448
Robert Grünbaum
bei der Heissluftbehandlung erreichbaren Wärmegrade nach meinen Versuchen einer
entsprechenden Korrektur unterzieht, so steht diese Applikationsart in Bezug auf
die Höhe der erreichbaren Temperaturen immer noch an erster Stelle, und damit
könnte die Thatsache, dass man mit dieser Applikation von Wärme vielfach bessere
therapeutische Resultate wie mit jeder anderen erzielt, zum Theil ihre Erklärung finden.
Erreichbare
Medium Maximaltemperaturen
Wasser 40—50 0
Moor, Fango 45—55°
Wasserdampf 50—60°
Erreichbare
Medium Maximaltemperaturen
Sand 55-65 “
Heisse Luft 80—90 °
Das Verhalten der Körpertemperatur.
Ueber das Verhalten der lokalen Körpertemperatur bei Erwärmung liegen ver-
hältnissmässig wenige Untersuchungen vor. Peters liess eine mit Wasser von 61 °
gefüllte Wärmeflasche an die Hohlhand anlegen; nach 10 Minuten war die Hand¬
rückentemperatur um 4° gestiegen. Winternitz wiederholte diese Versuche in der
Weise, dass er die Hohlhandtemperatur bei Erwärmung des Handrückens durch eine
mit Wasser von 50 ° gefüllten Kautschuckblase mass. Innerhalb von 40 Minuten
stieg die Temperatur der Hand von 33,8 auf 37,3“. Salomon 1 ) mass als Effekt der
Erwärmung durch heisse Kataplasmen von 55—59 ® in verschiedenen Fistelgängen
für eine Tiefe von 1—2 cm 1,2°, für 3—4 cm 0,2—0,4 ° als Temperatursteigerung.
Im Munde gemessen, betrug diese durchschnittlich 0,75—1,2°, in der Hohlhand
bei Erwärmung des Handrückens bis 0,3°. Quincke 2 ) konstatierte bei äusserer
Erwärmung in der männlichen Harnröhre Anstiege bis zu 41 ®. Ich fand bei meinen
Versuchen direkte lokale Temperaturerhöhungen von 2,5 — 4° bei Anwendung von
Lufttemperaturen von 70—90° durch 30—40 Minuten. Die Hautoberflächentemperatur
betrug dabei 39 — 40“, häufig selbst 40,5°, gemessen mit einem gewöhnlichen
Maximalthermometer in einer nach Aufhören der Heissluftbehandlung rasch ge¬
bildeten Hautfalte. Schreiber 3 ) fand bei gleichen Messungen in zwei Fällen 40,5
und 41 °; bei diesen kam es aber unter der Einwirkung der Luft zu schweren Ver¬
brennungen. Noch höhere Zahlen (42° und darüber) fand Frey 4 ) bei Anwendung
seiner Heissluftdouche und Messen der Temperatur mittels des Hautthermometers
nach Galante.
Ebenso schwankend sind die Angaben über die Veränderungen der allgemeinen
Körperwärme bei lokaler Erhitzung eines Körpertbeiles. Lindemann 8 ) beobachtete
entweder gar keine Veränderung oder nur geringfügige Erhöhungen bis höchstens
0,3 °. Messungen der Rektumtemperatur bei Behandlung mit dem lokalen Elektro-
thcrm ergaben sogar Erniedrigungen um mehrere Zehntelgrade. Grawitz“) fand im
heissen Sandbade Zunahmen von durchschnittlich 0,5°. Frey und HeiligenthaD)
i) Berliner klinische Wochenschrift 1897.
*) Berliner klinische Wochenschrift 1897.
3 ) 1. c. 1. c.
■>) Münchener medicinische Wochenschrift 1898.
«) Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie 1898,
~) Citicrt nach Goldscheider, im Handbuch für physikalische Therapie von Goldscheider
und Jacob. Leipzig 1901. Georg Thieme.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
449
Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung.
konstatierten im Dampfraume von 45 0 nach 25 Minuten ein Ansteigen (1er Körper¬
temperatur um 2,7°. Mendelsohn 1 ) behauptet, dass die Allgemeintemperatur
während des Heissluftbades, wie hoch auch die lokal einwirkende Hitze gewählt
werden möge, höchstens um Bruchtheile eines Grades, niemals um erheblichere
Differenzen ansteigt, gleichgiltig, ob man sie unter der Zunge, in der Achselhöhle,
oder an anderen Körperstellen misst.
Ich habe bei einer grossen Anzahl von Patienten (23) während ihrer Behandlung
systematisch Messungen der Körpertemperatur an verschiedenen Stellen (Achselhöhle,
Inguinalfalte, Hand, Ellenbeuge) vorgenommen und gefunden, dass es selbst bei Be¬
handlung kleiner Körpertheile, wie Hände oder Ftisse, zu einem deutlichen Ansteigen
der Allgemeinwärme kommt. Dieser Anstieg beträgt bei mittleren Temperaturen von
70—80 0 mehrere Zehntel eines Grades bis zu 1 bei hohen Temperaturen (80—90 # )
1—1 Vj°, selbst 2°. Mehrmals habe ich Temperaturen von 38,3—38,7 0 in der Achsel¬
höhle gemessen. Bei einem Patienten (Tabes dorsalis) habe ich zweimal — freilich
bei gleichzeitiger Behandlung fast der halben Körperoberfläche — 39,5 und 39,6°
in der Achselhöhle gemessen. Die Steigerung erfolgte innerhalb dieser Grenzen
bei einem und demselben Patienten ziemlich proportional dem Anstiege der Luft¬
temperatur. Von wesentlichem Einflüsse ist auch die Grösse der Oberfläche des
behandelten Körperabschnittes.
Der Abfall erfolgt langsamer als der Anstieg. Auch noch einige Zeit nach be¬
endeter Behandlung besteht die Temperaturerhöhung, um allmählich zur Norm zurück¬
zukehren.
Das Verhalten von Puls, Blutdruck und Respiration.
Die Frequenz des Herzschlages wird im allgemeinen durch Wärmereize ge¬
steigert. Lindemann 2 ), Mendelsohn 3 ) u. a. fanden bei der lokalen Anwendung
heisser Luft Steigerungen der Pulsfrequenz um 10—20 Schläge. Etwas höhere
Zahlen (20—30 und noch mehr) habe ich bei meinen Versuchen gefunden, aus
denen ich zwei als Beispiele herausgreife:
Versuch VIII. Marie Kr., 27 Jahre. Gonitis chron. rheum, bilat. Beide Beine bis
zur Mitte der Oberschenkel im Kasten (System Odelga). Puls 84. Respir. 24.
Zeit
| Temperatur
| im Kasten
Puls
Respir.
9 Uhr
10 Min.
480
00
X
20
9
»
15
»
580
«4
28
9
»
20
040
86
28
9
»
25
»
700
92
28
9
*
30
740
93
28
9
»
35
»
78«»
99
30
9
T»
40
»
800
104
30
9
»
45
»
820
108
30
Höchste Temperatur in der linken Achselhöhle 38,1°.
1) I. C. *) I. C. s) 1. C.
Original from
UEIVERSITY OF MICHIGAN
450 Robert Grünbaum
Versuch IX. Ferdinand Gr., 29 Jahre. Polyarthritis chron. rlieum. Beide Beim;
bis über das Hüftgelenk im Kasten (System Rcitler). Puls 68. Respir. 20.
Zeit
Temperatur im Kasten
Puls
Respir.
10 Uhr 15 Min.
130° (51°)
68
21
10 » 20 »
1700 ( 5 ßo)
74
24
10 » 25 »
190° (62°)
78
24
10 » 30 »
2000 (690)
87
24
10 » 35 » |
2050 (750)
91
27
o
o
2100 (780)
102
28
Schluss der Behandlung
10 Uhr 45 Min.
HO® (680)
84
22
10 » 50 »
800 ( 550 )
84
21
10 »55 »
650 (480)
80
21
Höchste Temperatur in der linken Achselhöhle 37,6°.
Ob direkt auf die Herzgegend applizierte Wärmereize einen besonders starken
Einfluss auf die Pulsfrequenz ausüben, darüber fehlen mir eigene Beobachtungen,
hingegen kann ich die von Winternitz gefundene Thatsache, dass Wärmereize am
Nacken zunächst die Pulszahl herabsetzen und erst nach längerer Einwirkung be¬
schleunigen, nicht bestätigen. Ich habe bei meinen Versuchen diesen prinzipiellen
Unterschied gegenüber anderen Körperstellen nicht finden können. Auch bei Be¬
handlung der Nackengegend stieg die Pulsfrequenz allmählich an, ohne vorausgehendc
Erniedrigung.
Versuch X. Karl Th., 42 Jahre. Torticollis rheumat. Nackenapparat (System Reitler).
Puls vorher 69. 69. 69.
Puls während der Behandlung 69. 69. 72. 72. 75. 75. 78. 75. 81. 84. 81. 81. 81. 81. 84.
84. 87. 87. 88. 90. 90. 90. 87. 90. 90.
Temperatur der RQckcnhautoberfläche nach beendeter Behandlung 40,9°.
Höchste Temperatur in der linken Hohlhand 37,4°.
Ueber das Verhalten des Blutdruckes unter dem Einflüsse von Wärmeprozeduren,
zumeist untersucht während der verschiedenen Warmwasserapplikationen, liegen die
widersprechendsten Angaben vor. Die einen (Kunigama, Grefberg) fanden hierbei
Erhöhung, die anderen (Winternitz, Schweinburg, Colombo) Herabsetzung, die
dritten (Zadek) gar keine Veränderung. Tschlenoff 1 ) hat diese Beziehungen einer
neuerlichen gründlichen Nachprüfung unterzogen und kam zu folgenden Schlüssen:
»Indifferente Vollbäder von 34 — 35 0 beeinflussen den Blutdruck auf keine Weise,
oder haben eine ganz geringe Herabsetzung des Druckes zur Folge. Heisse Voll¬
bäder von 38 — 40° setzen den Blutdruck etwas herab (um 5 —10 mm) oder lassen
ihn unverändert«. Tschlenoff betont aber ausdrücklich, dass die gefundenen Ver¬
änderungen noch in die Fehlergrenze der verwendeten Messapparate (Basch, Mosso)
fallen, andererseits in den Bereich der physiologischen Blutdruckschwankungen, dass
es also nicht angeht, aus ihnen irgend welche weitgehenden Schlüsse über die Wirkung
der verwendeten Prozeduren zu ziehen.
Ueber das Verhalten des Blutdruckes bei den Heissluftapplikationen fehlen noch
i) Diese Zeitschrift 1898.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung. 451
alle Angaben. Ich habe zu meinen Messungen das Tonometer von Gärtner verwendet,
über dessen Gebrauch mir aus meinen früheren Untersuchungen 1 ) reichlich Er¬
fahrungen zur Verfügung standen, unter Berücksichtigung aller nothwendiger Weise
zu beobachtenden Vorsichtsmaassregeln. Ich sorgte dafür, dass die Hand der Ver¬
suchsperson stets in der Höhe des Herzens auf einer festen Unterlage bequem, unter
Vermeidung jeglichen Druckes, aufruhte, und mass stets an demselben Finger mit
einem Ringe, der dem Kaliber des Fingers genau entsprach. Nachdem der Patient
die Lage eingenommen, die er auch während der Behandlung einhielt, machte ich
zunächst eine grössere Anzahl von Messungen, bis das Niveau des Blutdruckes sich
annähernd konstant erwies. Dann erst wurde die Behandlung begonnen, und während
derselben und noch einige Zeit nachher ohne Lageveränderung des Patienten die
Messungen kontinuierlich fortgesetzt.
Versuch XI. Ferd. Gr., 29 Jahre. Polyarthritis rheum. Beide Beine und linke Hand
im Kasten. (System Reitler).
Blutdruck vorher 135.
138. 134. 135. 136. 135. 133. 132. 134.
Zeit
Blutdruck
Temperatur
(nach Angrabe
des Kasten¬
thermometers)
9 Uhr 5 Min.
j 950
9 » 10 »
120. 118. 116. 115.
HO«
9 » 15 x
115. 112. 109. 110. 115.
1300
9 » 20 »
112. 109. 108. 110. 112.
1380
9 » 25 »
110. 108. 110. 110.
1460
9 » 30 »
107. 106. 105. 109.
1500
9 » 35 »
107. 109. 108. 107.
Schluss der Behandlung.
1520
9 Uhr 40 Min.
108. 108. 108.
—
9 » 45 »
110. 110. 111. 110.
—
9 » 50 »
110. 112. 112. 111. 115.
—
Versuch XII. Fried. K., 42 Jahre. Arthritis deform. Beide Beine im Kasten
(System Reitler).
Blutdruck vorher: 125. 125. 123. 123. 125. 123.
Zeit
Blutdruck
Temperatur
(nach Angabo
des Kasten¬
thermometers)
10 Uhr 5 Min.
125. 125. 120. 120.
130°
10 » 10 »
120. 115. 115. 114. 115.
1700
10 i» 15 »
115. 115. 110. 110.
1900
10 » 20 »
115. 115. 110. 110. 112.
2000
10 » 25 »
110. 110. 108. 109.
2050
10 x 30 »
107. 107. 106. 106. 105. 105. 106.
Schluss der Behandlung.
2100
10 Uhr 35 Min.
108. 110. 108. 108. 108. |
—
10 a 40 »
109. 107. 108. 109. 107.
—
10 » 45 »
111. 115. 111. 110. 110. !
1
—
>) Wiener medicinische Presse 1899.
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452 Robert Grünbaum, Zur Physiologie und Technik der Heissluftbehandlung.
Versuch XIII. Johann St., 49 Jahre. Omarthritis chron. dextr. Rechter Arm im
Kasten (System Reitler).
Blutdruck vorher: 140. 135. 138. 140. 139. 140.
Temperatur
Zeit
Blutdruck
(nach Angabe
des Kasten¬
thermometers)
0 Uhr 45 Min.
134. 130. 135. 129. 127.
1050
9
B 50 »
130. 130. 129. 126. 126.
HO«
9
» 55 » j
126. 123. 124. 119. 116.
1170
10
7)
115 115. 117. 125! (Gefühl des
| 1400
Brennens)
10
» 5 »
120. 125. 125. 120.
1300
10
» 10 »
125. 123. 124. 119. 117.
1370
Versuch XIV. Gustav W., 27 Jahre. Gonitis gonorrhoica dextr. Das rechte Bein
im Kasten (System Reitler).
Blutdruck vorher: 115. 118. 115. 116. 115. 116. 116.
Temperatur
Zeit
Blutdruck
(naoh Angabe
des Kneten-
thermometers)
9 Uhr
15 Min.
108. 107. 110. 113. 110.
700
9 »
20
114! (Brennen an den Zehen) 105.
1100
107. 105. 104.
1
Zehen mit Watte
1 abgedeckt
9 »
25
98. 98. 96. 97. 103. 96
1 1400
9 »
30
»
98. 103. 102. 102.
1520
9 >.
35
»
104. 101. 103. 99.
1550
Schluss der Behandlung
9 Uhr 40 Min. | 104. 106. 105. 103. 101. |
9 » 45 » | 100. 102. 104. 105. 104.
<1 » 50 » ' 107. 105. 107. 108. 105. J -
9 » 55 » 106. 107. 106. 106. '
I l
Es zeigte sich bei allen Versuchen unter dem Einflüsse der Heissluftbehand¬
lung eine Herabsetzung des Blutdruckes, die im Durchschnitt 10—20 mm, in
einer ganzen Reihe von Fällen bis 30 mm betrug. Diese Differenzen sind zu be¬
trächtlich, als dass man sie nur auf Untersnchungsfehler und auf die physiologischen
Schwankungen, die fast niemals grösser wie 5—15 mm sind, beziehen könnte.
Ausserdem erfolgt dieser Abfall ziemlich gleichmässig ohne Unterbrechungen bis
zum Schlüsse der Behandlung. Der erniedrigte Blutdruck bleibt auch nach Sistieren
derselben noch durch längere Zeit hindurch bestehen und kehrt sehr langsam zur
Norm zurück, vorausgesetzt, dass Patient noch weiter ruhig in derselben Lage ver¬
bleibt und nicht seinen Blutdruck durch Lagewechsel oder andere Muskelanstrengungen
in die Höhe treibt. Bei mehreren Versuchen beobachtete ich während des Abfallens
ein plötzliches, unvermitteltes Ansteigen um 5—10 mm (Versuche XIII und XIV).
In fast allen Versuchsprotokollen findet sich an diesen Stellen der Vermerk, dass
Patient an irgend einer Stelle das Gefühl intensiven Brennens hatte. Wurde der
Temperaturanstieg gemässigt, oder diese Stelle durch Watteauflage vor allzustarker
Erhitzung geschützt, so fiel der Blutdruck weiterhin konstant. Ich möchte diese
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B. Laquer, Ueber Nahrung und Ernährung.
453
plötzlichen kleinen Anstiege auf die Schmerzempiindungen der Patienten beziehen,
wie ja ganz allgemein starke sensible Reize blutdrucksteigernd wirken.
Den geringsten Einfluss üben die Heissluftapplikationen auf die Respiration
aus. Die Athemfrequenz erhebt sich während derselben nur um wenige Athemzüge
(4—8), und diese Zunahme verschwindet sehr rasch mit dem Absinken der Kasten¬
temperatur.
Ueber die praktischen Erfahrungen, die wir mit der Heissluftbehandlung ge¬
macht haben, und über die therapeutischen Resultate derselben werde ich an anderer
Stelle ausführlich berichten.
Kritische Umschau.
Ueber Nahrung und Ernährung.
Von
Dr. B. Laquer
in Wiesbaden.
In Form der Besprechung dreier jüngst erschienener Vorträge wollen wir die
Art und Weise schildern, in der biochemische, insbesondere Ernährungsprobleme
neuerdings betrachtet werden.
Das Ziel aller Ernährung ist die Aufrechterhaltung der Organisation unserer
Zellen, von den vitalen Vorgängen, die dabei in Frage kommen, handelt der Vortrag
von F. Hofmeister (Die chemische Organisation der Zelle. Braunschweig 1002).
Die bioenergetischen Umsetzungen verlaufen in der Zelle weit komplizierter
als in der Dampfmaschine; das beiden, der Zelle und der Lokomotive, zugeführte
Heiz- und Brennmaterial unterliegt verschiedenen energetischen Veränderungen; die
Kohle hat nur die Aufgabe, die Maschine zu heizen; die Nahrung dient zugleich als
Baustein der Zelle, sie befördert Wachsthum, ergänzt Defekte. Den verschiedenen
Leistungen der Drüsen-, der Muskel- und Nervenzellen entsprechen differente
chemische Zwischenstufen, in welche die eingefühlte Nahrung sich erst verwandelt.
Die Vereinfachung dieser Zwischenstufe z. B. bei der Amoebe ist nur eine schein¬
bare in folge der Zusammendrängung der beim Thiere breit vertheilten Funktionen
auf einen kleinsten Raum. — Die tinctorielle Differenzierung der Zelle führt nur zu
unklaren physikalisch - chemischen Differenzen, noch dazu an stark verändertem
Material. Hingegen ergiebt die rein chemische Untersuchung der Gewebselemente,
selbst wenn sie zertrümmert sind, wichtige Befunde, nur im Organbrei gelingt oft
erst der Nachweis von vitalen Agentien, z. B. von Fermenten. Ja die struktur¬
chemische Auffassung lässt Verhältnisse erkennen, die unter der Grenze der Sichtbar¬
keit liegen (z. B. in den Arbeiten Ehrlich’s und seiner Schüler. Ref.)
Vortragender will aber nicht von der Struktur ausgehend das Zellleben schildern,
sondern von den Leistungen her, also gewissermaassen a tergo fragen, wie muss
die Zelle, etwa die der Leber höherer Thiere gebaut sein, um diese grossartigen
Leistungen zu ermöglichen und zu vollbringen. In der Leberzelle spielen sich
Synthesen, Analysen, Paarungen, Erzeugung von Verbindungen, Verankerung und
Neutralisierung von Giften, ferner Assimilation bezw. Hydrierung und Oxydation der
zugeführten Nährstoffe ab; eine Theilung der Arbeit in getrennten Räumen und Be¬
hältern der Leber als solchen wie im Laboratorium ist nicht wahrscheinlich; alle
Leberzellen sind in dieser Hinsicht gleichwerthig befähigt und eingerichtet, es spielen
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454
B. Laquer
sich also in der nur mikroskopisch sichtbaren Zelle zehn und mehr chemische Vor¬
gänge neben- oder nacheinander ab.
Was ist dazu an Material und Einrichtungen nöthig? Vor allem das
sogenannte Ausgangsmaterial, und zwar in gelöstem Zustande, sodann der reagierende
Körper selbst, das Reagens, ferner Wärme, unangreifbare Behälter, die auch zur Unter¬
bringung der sich anhäufenden Reaktionsprodukte dienen. Das, was den Zellchemismus
gegenüber der Werkthätigkeit im Laboratorium auszeichnet, sind die Einfachheit
und Zweckmässigkeit der angewandten Mittel und die Raum- und Kraftersparniss;
prinzipiell giebt es keinen Unterschied zwischen Zellen- und Laboratoriumsarbeit. Nur
jene katalytisch wirkenden Reagentien von kolloidaler Beschaffenheit sind es,
welche die verhältnissmässig grossen Leistungen ohne wesentliche Selbstabnutzung
vollbringen; ihre Konstitution verhindert sie auch, die Zelle mit ihren ebenfalls
kolloiden Wänden zu verlassen.
Für jede vitale chemische Funktion wird man dereinst ein spezifisch auf sie
abgestimmtes intracelluläres Ferment finden; Millionen hiervon haben in der kleinsten
Zelle, die sie alle beherbergt, genügenden Spielraum.
Wie aber das eine Pepsin verschiedene Eiweisskörper spaltet, so vermag manches
intracelluläres Ferment abwechselnd auch auf Stoffe gemeinsamen Baues zu wirken;
auch die »reversible Fermentwirkung« gehört in diese Betrachtungen. Für den
Moment der Gefahr (Infektion, Vergiftung) stehen in gleicher Weise Fermente zur
Verfügung, auch die sogenannte Autolyse (Selbstverdauung), eine Art von »Toten¬
gräberarbeit«, muss herangezogen werden; die mit ihr einhergehende Bildung bakterizider
Stoffe schützt den Gesammtorganismus vor den Gefahren der Autolyse.
Mathematische Gesetzmässigkeit, wie etwa bei rein mechanischen Konstruktionen,
Auslösungs-Hemmungsvorrichtungen, Automatismus und Selbststeuerung (Reversibilität)
fehlen auch in der Organisation der Zelle keineswegs, wie an Beispielen gezeigt
wird, so z. B. an dem Problem der Befruchtung. Kolloide Scheidewände (Bütschli’s
Schaumstruktur) ermöglichen getrennte Lokalisation der chemischen Zellarbeiten;
dafür sprechen auch a priori Gründe, z. B. die nothwendige Annahme des Neben-
und des Nacheinanders ganz entgegengesetzter chemischer Reaktionen, mit denen
auch noch die Unangreifbarkeit der Zellwände bedinglich verknüpft ist Analogieen
der Zellstruktur im einzelnen mit unseren künstlichen Spül- und Trichter- und
Filtriervorrichtungen liegen ebenfalls im Rahmen der Wahrscheinlichkeit.
Vortragender betont den trotz aller waghalsigen Ausflüge in unbekannte Gebiete
heuristischen Werth seiner Erörterungen und stellt sich in Bezug auf die allgemein
biologischen Anschauungen in die Mitte zwischen du Bois (Ignorabimus) und
Bunge (Neovitalismus!).
Aus den feinen vielverschlungenen Pfaden der Zellbiologie führt der zweite
Vortrag auch eines Strassburger Dozenten Prof. Jos. Försters zu höheren- wirthschafts-
hygienischen Ein- und Ausblicken. »Warum und was essen wir?« ist das Thema
der Kaiser-Geburtagsrede (Strassburg 1901. J. H. Heitz). Mit einem seltener ge¬
hörten Homerischen Citat beginnend setzt der Vortragende in der Einleitung den
Wechsel der Ansichten auseinander, welche im Zeitenlauf über die »alltäglichste aller
täglichen Handlungen«, die Speiseaufnahme gehegt wurden. Im 18. Jahrhundert
spukte das Phlogiston, ein ubiquitärer Wärmestoff; Lavoisier bestimmte zuerst
scharf den chemischen Verbrennungsbegriff; das Leben ist ein fortwährender Ver¬
brennungsprozess; wir essen verbrennungsfähige, Sauerstoff durch die Athmung bezw.
in dem Gewebe aufnehmende Stoffe, die dementsprechend wasserlöslich sein müssen,
oder es durch die Verdauung werden; Liebig und Wöhler begründeten die organische
Chemie; des ersteren Anschauungen galten jahrzehnte lang. Pettenkofer, Voit,
Pflüger lehrten die Bedingungen, die quantitativen und qualitativen, unter denen
die Nahrungsaufnahme bei Arbeit und Ruhe, bei Krankheit und Rekonvalescenz, in
der Jugend und im Alter vor sich geht. Hierbei ist die Lehre von der Erhaltung
der Energie der Mittelpunkt, die Nabe; der Kaloriebegriff entsteht, d. i. 437 mkg,
d. i. der zehnte Theil der Arbeit, die ein Mann von 70 kg leistetj falls er die GO m
hohe Plattform des Strassburger Münsters besteigt; 1 g Eiweiss liefert bei der Ver¬
brennung im lebenden Körper 5,7 Kalorieen, d. i. 2500 mkg, 1 g Fett 4000 mkg, 1 g
Zucker 1750 mkg.
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Ueber Nahrung und Ernährung. 455
Nun berechnete Malthus in Cambridge vor 100 Jahren, dass die Bevölkerung
unserer Erde in geometrischer, die Produktionsfähigkeit an Nahrungsmitteln nur in
arithmetischer Reihe zunehme; dieser Prophetie von Hunger, Elend und Untergang ist
nun neuerdings der englische Physiker Crookes entgegengetreten; die kaukasische
Race, so führt Crookes aus, verdankt dem Genuss von Weizen-Roggenbrot ihrUeber-
gewicht gegenüber den Reis und Hirse essenden Völkern.
Wie könnte nun dem Boden der zum Aufbau unserer Brotfrüchte nöthige Stick¬
stoff in stärkerem Maasse dargeboten und so die Ertragsfähigkeit des Bodens ge¬
steigert werden?
Den gebundenen Stickstoff liefert der Chemiker; als Quelle desselben imponiert
uns vor allem die Atmosphäre, die ihn allerdings nur frei mit sich selbst zu Stick¬
gas vereinigt enthält; der Niagara vermag diejenige Energie, die diesen freien N
bände, abzugeben, ohne an Fallkraft einzubüssen. Diese von Crookes postulierten
Maschinen sind, wie die Tagesblätter berichten, an den Fällen kürzlich erbaut und
von Lord Kelvin (W. Thompson) dem englischen Physiker besichtigt worden.
Der so der Ackerkrume zugeführte N verdoppelt und verdreifacht die Brotfrucht¬
ernte. Ferner könnten die Broteiweissstoffe, die unserer Nahrung dienen, aus niederen
Stoffen aufgebaut werden; Alkohol, Süssstoffe sind synthetisch gewonnen worden.
Fett und Eiweiss werden folgen. Oder ist das alles doch ein Ikarischer Flug? so
fragt der Vortragende und weist auf Grund von Untersuchungen seines Schülers
Saltet auf die Unsicherheit statistischer Berechnung hin und weiterhin auf die kulina¬
rische Geschmacksverschlechterung, die von den künstlichen Nährpräparaten droht.
Und auch die Frage, ob die aus dem Laboratorium des Chemikers stammenden
Nährmittel hinsichtlich der Bewerthung als Kraftquelle den Nährmitteln, die uns
die Natur liefert, völlig gleichstehen, ist noch eine offene; die Bedeutung der Salze,
die Zerstörung gewisser Substanzen durch die Temperatur beim Backen und Kochen
spielen hier eine grosse noch unerforschte Rolle.
Tauben mit kalkarmer Nahrung gefüttert erkranken; ebenso zuweilen Kinder,
die nichts als abgekochte Milch erhalten; in Weizenbrotländern nimmt die Karies
der Zähne Ueberhand — angeblich wegen Mangels der Fluorspuren, die in der
Roggenasche vorhanden sind; die Bedeutung des Jods für den Stoffwechsel des
Menschen erkannt zu haben, ist erst eine Errungenschaft des letzten Jahrzehntes.
Die Beri-Beri-Krankheit der Indier — in Japan Kakke genannt — eine Art
peripherer Neuritis wurde durch interessante Thierversuche von Eijkmann-Batavia
auf den Genusss von geschältem Reis zurückgeführt; das Silberhäutchen des Reises
enthält einen Stoff, der dem Organismus unentbehrlich ist. Die synthetische Her¬
stellung künstlicher Nahrung wird dem Forscher sowohl als den Regierungen, die über
das Wohl ihrer Unterthanen zu wachen haben, neue und schwierige Probleme stellen.
In die Verhältnisse des Stoffwechsels beim kranken Menschen, also in klinische
Verhältnisse, führt die Abhandlung von F. Müller-Basel ein: Ueber einige Fragen
des Stoffwechsels und der Ernährung (Volkmann’s Vorträge. Leipzig 1900. No. 272).
In der Einleitung werden die normalen physiologischen Gesetze und ihre Anwendung
als diagnostisches Hilfsmittel bei Krankheiten erörtert; die Feststellung der Unter¬
ernährung, d. h. Verbrennung und Aufnahme des Nährmateriales, lässt den Schluss
auf Bestehen eines konsumierenden, zehrenden Faktors irgendwo im Körper zu.
Das Gesetz der Isodynamie, d.i. der Vertretbarkeit von Eiweiss, Fett und
Kohlehydraten im Verhältniss ihrer Heizwerthe, hat eine Ausnahme; eine bestimmte
Menge Eiweiss (60 g) ist als Erhaltungsminimum stets zuzuführen; grössere Mengen
als 60 g kommen unserer Leistungsfähigkeit nicht als direkte Kraftspender zu Gute,
denn die Handarbeiter müssten sonst in ihrer Muskulatur den wohlhabenden Klassen
nachstehen, während das Entgegengesetzte der Fall ist; die Zunahme arbeitender
Muskeln ist eine Folge ihrer Uebung und vollzieht sich nicht in Form von Ver¬
mehrung, sondern in qualitativem Dickenwachsthum der an Zahl gleichbleibenden
Muskelbündel in gleicher Weise, wie bei der Leber und bei den Nierenzellen.
Abundante Eiweisszufuhr steigert den Stoffwechsel höchst unökonomisch und
weit über sein Bedürfniss; sie führt zur Vermehrung der Wärmebildung, zu Steigerung
der Herzaktion. — Die Hindus weisen ebenso wie die Chinesen, weil sie weniger
Fleischeiwciss und mehr Pilanzeneiweiss (Reis) essen, weit seltener die bei uns häufige
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B. Laquer, Ueber Nahrang und Ernährung.
Arterienverkalkung, und ebenso selten chronische Nierenleiden auf, abgesehen davon,
dass sie auch alkoholabstinent sind.
Nur in der Rekonvalescenz nach langdauernder Unterernährung bedarf der
Körper der Zufuhr grösserer Eiweissmengen, die er im Körper zurückhält und zum
Ansatz bringt. Ebenso verfährt das gesunde Kind, dessen Wachsthumsenergie nicht
durch Krankheiten geschädigt worden ist. »Die Pflanze treibt nur dann, wenn
ihre Zeit gekommen ist.« Diese Affinitätsgier junger, wachsender Zellen hat in
einem klassischen Beispiel der zu früh verstorbene Baseler Physiologe W. Mi es eher
an den Hoden und Eierstöcken von Rheinlachsen erwiesen; für das Wachsthnm ihrer
Generationsorgane entreissen sie ihrer geschwollenen Seitenmuskeln das Eiweiss; ähn¬
lich bauen trächtige Hündinnen aus eigenem Eiweiss den Embryo auf; Krebs¬
geschwülste verzehren so den Wirthsorganismus, auf dem sie wuchern.
Mithin ist der Eiweissansatz vielfach abhängig von physiologischen Reizen
(Uebung, Befruchtung), sowie von dem Wachsthumsreiz jugendlicher und avider
Elemente.
Den Verbrauch von Fetten und Kohlehydraten entscheidet der Bedarf; über¬
schüssiges Fett wird im Körper deponiert, und zwar im Innern lebender Zellen, wahr¬
scheinlich besorgt dies die Leber; im Blute giebt es bestimmte im Plasma gelöste,
wenn auch noch nicht chemisch aufgeklärte Fettlecithinverbindungen mit Eiweiss;
die lebende Thätigkeit des Zellprotoplasmas, wie sie uns Hofmeister schildert,
führt sich auf chemischen Wegen das Fett zu.
Tritt Fettmangel oder Fettbedarf ein, so vollzieht sich in gleicher Weise eine
Fettabgabe an oft weit entfernte Organe; die Leber dient hierbei als Stapelplatz,
vielleicht unter Mitwirkung der Nerven, sie verwandelt das Fett aber nicht in Zucker,
wie dies die Pflanze leistet; letztere vermag auch Eiweiss synthetisch zu bilden, was
das Thier nicht im stände ist.
Ein Ueberschuss von Kohlehydraten (Zucker) führt ebenfalls zum Fettansatz;
fette Leute haben langsame Verbrennung, sie erwärmen sich leichter, sie kühlen sich
langsamer ab; die Kugelgestalt, der sich Fettwänste und Falstaffe nähern, bietet die
geringste Oberfläche im Verhältnis zum Inhalt dar, d. h. also auch die geringere Ver¬
brennung, da diese direkt von der Körperoberfläche abhängt. Mässige Anfettung ist
allein zu empfehlen; jeder stark Fettleibige ist gefährdet Andrerseits verweist
Müller auf die Bedeutung der Mastkuren, ja selbst einer kräftigen Einzelmahlzeit
als Nervenstärkungen, und auf die Verschiedenheit der Temperamente von Mageren
und von Dicken.
Der Nahrungsverbrauch ist vermindert bei absoluter Muskelruhe, bei Bettlage,
er wird gesteigert b£i Kälte, z. B. im kühlen Bade, ferner durch Muskelarbeit, also
auch beim jugendlichen, tonisch angeregten Körper, beim Marschieren und Berg¬
steigen; Fette magern daher nicht nur in Marienbad, sondern auch in Zermatt ab.
— Andrerseits ist Muskelthätigkeit gerade den wohlhabenden zur Fettsucht Neigenden
zu empfehlen; sie übt und kräftigt auch das Herz, sie schützt bedingungsweise vor
Gicht, Zuckerkrankheit, oder mindert ihre Gefahren.
Der Appetit sagt uns, wieviel und was wir essen sollen, er reguliert die Nahrungs¬
zufuhr, so auch in der Rekonvalescenz; bei Gesunden herrscht in Bezug auf Nahrungs¬
zufuhr ein gewisses Gleichgewicht, welches eben zu erstreben ist.
Die Besprechung der Vorträge, die Skizzierung ihres Inhaltes soll natürlich zur
eingehenden Lektüre anregen, die um so genussreicher ist, als alle drei in klarem
Deutsch und von einem umfassenden, aus allen Wissenskreisen Beispiele heranziehenden
Standpunkte aus geschrieben sind.
Wie Nahrungsprobleme in scheinbar ganz abseits gelegene Gebiete hineinragen,
beweist auch eine Abhandlung des Breslauer Nervenarztes H. Kureila 1 ), der auf
Grundlage jener oben oft erwähnten Standardzahlen für Eiweiss, Kohlehydrate, Fette
die Unmöglichkeit zu erweisen sucht, agrarische Zölle in der von der »Rechten« ge¬
forderten Höhe aufrecht erhalten zu können.
M Handelspolitische Flugschriften 1902. Heft 3. Berlin. Springer.
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Kleinere Mittheilongen.
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Kleinere Mittheilungen.
Eine alte diätetische Behandlung des akuten Schnupfens.
Von Privatdozent Dr. Maximilian Stern berg in Wien.
Die Zahl der gegen Schnupfen empfohlenen Mittel ist Legion, und täglich werden neue zur
lokalen Behandlung von einer lauten und aufdringlichen Reklame angepriesen. Ich habe vor
mehreren Jahren, gelegentlich von Litteraturstudien, die zu einem ganz anderen Zwecke unter¬
nommen wurden, in den ausgezeichneten Vorlesungen von Williams über die Krankheiten der
Brust — der Williams’sche Trachealton trägt von ihm den Namen — eine Behandlungsweiso
dieser lästigen Erkrankung gefunden, welche, wie ich mich überzeugt habe, mit Sicherheit das
Leiden koupiert und meist auch die Entwickelung eines »descendierenden Katarrh es« verhindert.
Da diese Methode gänzlich in Vergessenheit gerathen ist, sollen folgende Zeilen in Kürze darauf
aufmerksam machen. Ich gebe die Darstellung von Williams*) mit Auslassung einiger neben¬
sächlichen oder nicht zum Thema gehörigen Sätze wörtlich wieder, wiewohl manches ein wenig
altfränkisch klingt:
>Einen Katarrh hält man gewöhnlich für eine unbedeutende Krankheit, und obgleich der
damit Behaftete oft mehr daran leidet und mehr von derselben belästigt wird, als von einer Krank¬
heit, die einen ernsteren Namen führt, so bleibt es doch immer »nur eine Erkältung«. Man be¬
dauert den Kranken gewöhnlich etwas, und er nimmt einige Hausmittel, die weder Gutes noch
Böses stiften. Allein diejenigen unter Ihnen, meine Herren, welche zu Katarrhen geneigt sind,
werden mir gewiss beipflichten, wenn ich sage, dass diese Klasse von Krankheiten durch ihr
häufiges Vorkommen, durch ihre eigenen Leiden und durch die vielen Schmerzen und Unannehm¬
lichkeiten, welche sie mit sich führen (als Kopfschmerz, Ohrenschmerz, Taubheit, Schlingbeschwerden,
schwache Augen, rheumatische Schmerzen, Indigestion, Verstopfung u. s.w.) sehr viele Individuen
mehr belästigen, und sie mehr in ihren Geschäften stören, als alle anderen Krankheiten zusammen¬
genommen. Es verlangt daher der Katarrh sicherlich mehr Aufmerksamkeit, als ihm gewöhnlich
geschenkt wird. ...
Nun haben aber viele Leute nicht die Zeit, auf ihrem Zimmer eine Erkältung abzuwarten,
und sie lassen die Krankheit entweder ihren Verlauf durchmachen, oder sie bleiben — was noch
schlimmer ist — einen Tag zu Hause und schwitzen tüchtig, und den anderen Tag gehen sie
wieder aus, wo sie sich von neuem und noch stärker erkälten. Wir müssen also eine Methode aus¬
findig machen, die auch für diejenigen passt, welche wegen einer blossen Erkältung nicht das
Zimmer hüten können oder nicht wollen, wozu hauptsächlich die Aerzte gehören. . . .
Die Methode, einen Katarrh schnell zu beseitigen, besteht in der Austrocknung desselben,
wie ich sie nennen möchte. Ich versuchte diese Methode zuerst an mir selbst, und welchen Erfolg
sie hatte, will ich Ihnen mittheilen. In früherer Zeit litt ich häufig an heftigen katarrhalischen
Affektionen des Kopfes, welche, nachdem sie acht bis zehn Tage gedauert hatten, gemeiniglich mit
einem Husten endeten, der, noch so sorgsam abgewartet, kaum früher als nach 14 Tagen ver¬
schwand, und, wenn er vernachlässigt wurde, mich noch einmal so lange quälte. Als ich vor un¬
gefähr 12 Jahren von einer solchen Affektion befallen wurde, bemerkte ich, dass ich, wenn ich
Thee trank, oder eine andere Flüssigkeit zu mir nahm, obgleich ich mich zur Zeit sehr wohl be¬
fand, eine Schwere, eine Verstopfung im Kopfe fühlte, die von einem Ausflusse einer brennenden
reizenden Flüssigkeit aus Nase und Augen begleitet war. Ich beschloss daher, zu versuchen, ob
ich nicht diese Exacerbationen durch Abschneidung der Zufuhr, durch Vermeidung des Trinkens
nämlich, verhindern könnte. Ich nahm 24 Stunden lang auch nicht einen Tropfen irgend einer
Flüssigkeit zu mir, und zu meiner angenehmen Ueberraschung entging ich nicht nur jenen Exacer-
*) M. J. B. Williams, Vorlesungen über die Krankheiten der Brust. Deutsch bearbeitet
unter Redaktion des F. J. Behrend. S. 156ff. Leipzig 1841.
Zeltsohr. t dilt u. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 8.
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458 Kleinere Mittheilungen.
bationen, sondern auch die Verstopfung des Kopfes und der Ausfluss Hessen merklich nach, und
ich brauchte lange nicht so häufig wie früher zum Schnupftuch meine Zuflucht zu nehmen. Ich
setzte dieses noch 24 Stunden lang fort, und ich war von meinem Schnupfen befreit; nur dann und
wann sammelte sich noch etwas gelatinöser, undurchsichtiger Schleim in der Nase und im Halse
an, ohne Schwere im Kopfe oder Irritation, ganz so wie am Ende eines Katarrhes. Was aber noch
weit wichtiger war, es erfolgte kein Husten wie früher, und das ganze katarrhalische Leiden schien
verschwunden zu sein. . . . Die Hauptwirkung der Entziehung von allem Getränke besteht in der
Abnahme der Masse der cirkulierenden Flüssigkeiten. Die natürlichen flüssigen Sekretionen dauern
fort, obwohl in geringerer Menge. Nicht so die krankhafte Sekretion aus einem gereizten Membran.
Mit der abnehmenden Vollheit der Blutgefässe wird auch die Irritation herabgestimmt, der krank¬
hafte Fluss hört auf, indem die sparsamer cirkulierende Flüssigkeit für die nothwendigen Ex¬
kretionen in Anspruch genommen wird, und die kranke Membran, nicht länger mehr durch ihr
eigenes Sekret gereizt, nimmt bald wieder ihre gesunde Beschaffenheit an. . . .
Wesentlich ist es für das Gelingen dieser trocknenden Behandlung (Methodus exsiccans), dass
die katarrhalische Affektion sich noch in ihrem früheren irritativen Stadium befindet, in welchem
sie gemeiniglich die Nasal- und Trachealschleimhaut ergreift. . . .
Brot oder eine andere konsistente Mehlspeise mit etwas Butter, Vegetabilien, Weissfische und
weisso oder gelatinöse Fleischnahrung, leichte Puddings und getrocknete Früchte werden zur
trockenen Diät sich eignen. Ich habe oft sogar die Diät nur darin verändert, dass ich keine
Flüssigkeiten gemessen Hess; und, was diesen letzteren Punkt betrifft, so ist zwar eine totale Ab¬
stinenz am wirksamsten, allein ich habe erst vor kurzem ermittelt, dass ein Theelöffel voll Thee
oder Milch zum Frühstück oder Abendbrot und ein Weinglas voll Wasser beim Schlafengehen den
Erfolg der Kur nicht beeinträchtigt. Ein grosser Vorzug dieser Methode ist aber, dass sie den
Kranken in seinen gewöhnlichen Beschäftigungen nicht stört, und er das Zimmer nicht zu hüten
braucht. Wenn man sich nur warm kleidet und vor Erkältung schützt, so unterstützt Bewegung
in freier Luft die Kur, indem sie die natürlichen Sekretionen befördert Als mittlere Zeit kann
man 48 Stunden annehmen, während welcher man sich jedwede Flüssigkeit entziehen muss. Oft
waren schon 36 Stunden hinreichend, während einige wenige heftige Fälle drei Tage brauchten.
Die katarrhalische Affektion ist gewöhnlich schon am Ende des ersten Tages bedeutend gemildert
und fällt nur zu Zeiten beschwerlich, allein die Kur ist nicht eher vollendet zu nennen, als bis alle
sogenannte Verstopfung in den Luftwegen verschwunden ist, und sich in den Nasal- uud Bronchial¬
röhren nichts weiter bildet, als ein konsistenter Schleim ohne Irritation.«
Diesen Angaben von Williams habe ich nur weniges hinzuzufügen. Ich habe diese Be¬
handlungsmethode in mehreren Jahren an mir selbst, meiner Familie und einigen Freunden und
Klienten — die meisten konsultieren ja wegen Schnupfens keinen Arzt — erprobt, stets mit voll¬
ständigem Erfolge. Es verschwindet nicht blos sofort der lästige Ausfluss aus Nase und Kon¬
junktivs, der den Patienten gesellschaftsunfähig macht, und namentlich dem Arzte äusserst
hinderlich ist, sondern diese Behandlung ist zweifellos auch die beste Prophylaxe gegen die ge¬
fährliche Komplikation der Otitis media, die sicherlich in vielen Fällen nicht durch Uebergreifen
der Entzündung per contiguitatem, sondern durch Hineinschleudern des Sekretes in die Paukenhöhle
beim gewaltsamen Schneuzen erzeugt wird. Aehnlich verhält es sich wohl öfters mit den Neben¬
höhlen der Nase. Unbedingt nötliig ist, dass man sofort, im Beginne des Leidens, die Flüssigkeits¬
entziehung durchführt. Es bleibt alsdann auch der Durst aus, der sonst die Koryza begleitet.
Temperaturerhöhung ist keine Kontraindikation. Die spezielle Diät kann jeder leicht zusammen¬
stellen. Ich lasse gewöhnlich zum Frühstück Rühreier mit einer Semmel nehmen, mittags wird
einfach die Suppe weggelassen, ein kleines Weinglas voll Wasser oder Rothwein gestattet, ebenso
abends ein Löffel voll. Da der Appetit ohnedies vermindert ist, kommt man zwei Tage lang mit
diesen drei Mahlzeiten aus, am dritten Tage kann man in der Regel zu seiner gewöhnlichen Nahrungs¬
weise zurückkehren, und die Sache ist beendet Eine Kontraindikation bildet chronische Nephritis.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
Aus der 74. Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte in Karlsbad.
22.-28. September 1902.
Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.
Der glänzende äussere Verlauf der diesjährigen Naturforscherversammlung steht nicht ganz
im Einklang zu den wissenschaftlichen Ergebnissen desselben) wenigstens insoweit diese die medi-
cinischen Gruppenarbeiten betreffen, die in diesem Jahre entschieden gegenüber den allgemeinen
Naturwissenschaften zurücktraten. Dies dokumentiert sich vor allem in den Vorträgen der allgemeinen
Sitzungen, deren piöces de rösistance die Ausführungen von Prof. Koch (Göttingen) über den Kreis-
1 auf des Stickstoff s sowie von Prof. v. Wettstein (Wien) über den Neo-Lamarckismus bildeten,
aber auch weiterhin in den Versammlungen der einzelnen Gruppen, deren Arbeit wesentlich den
experimentellen wie deskriptiven Naturwissenschaften zu gute kam. Für die Therapie, insbesondere
die physikalische, ist die Ausbeute nicht gross, und wir müssen uns darauf beschränken, die
wesentlichsten in den Verhandlungen zum Ausdruck gelangten Gesichtspunkte ihrer selbst wie der
Grenzgebiete und der allgemeinen physiologischen und klinischen Themen wiedercugeben.
In der Gesammtsitzung der beiden Hauptgruppen standen die Vorträge von Suess (Wien)
über das Wesen der Quellen und Meyerhoffer (Berlin) über die chemisch-physikalische
Beschaffenheit der Heilquellen im Vordergrund des Interesses. Von den vulkanischen Er¬
scheinungen an der Oberfläche des Erdballs ausgehend kommt Suess auf die Quellen zu sprechen,
die häufig da zu Tage treten, wo man ihr Vorhandensein a priori gamicht erwarten sollte. So ist es
von vornherein schwer verständlich, dass in einem auf granitischem Untergrund gelegenen Gebiet,
wie es die nähere und fernere Umgebung von Karlsbad darstellt, solche Thermen zu Tage treten, wie
sich der berühmte Kurort derselben rühmen kann. Nach Suess hat man zwischen der sogenannten
Vadose (das ist die Gesammtheit des an der Erdoberfläche angesammelten, in Flüssen, Strömen,
Bächen sowie im Meer enthaltenen Wassers) und dem »juvenilen Wasser«, d. h. demjenigen Wasser,
das aus dem Erdinnem stammt und vermuthlich den Jugendzuständen unseres Planeten seine Ent¬
stehung verdankt, streng zu unterscheiden. Das Pulsieren (stossweise Emporwallen) heissen Wassers,
wie es für eine beträchtliche Anzahl von Quellen charakteristisch ist, kommt in zweierlei Weise zu
stände, nämlich einerseits durch den wechselnden Grad der Erhitzung, wie dies bei den Geysem in
Island der Fall ist, andererseits durch die treibende Kraft des Kohlensäurcdruckes. Quellen wie
die Gcyser kommen nur in rein vulkanischen Gebieten vor. Bezüglich der kohlensäurehaltigen
Quellen unterliegt es keinem Zweifel, dass der Kohlensäure eine gewisse Selbstständigkeit gegen¬
über dem Wasser zukommt; bezüglich der Vulkane liegen zahlreiche Thatsachen vor, die beweisen,
dass das eigentliche Agens der Eruption in dem Druck des Wasserdampfes zu erblicken ist. Neben
anderen Thatsachen deuten die ausgeworfenen Schlammmassen, sowie die gleichzeitig mit der Lava
ausgestossenen Wasserdämpfe in dieser Richtung. Ebenso wie in den Quellen hat man auch in der
Thätigkeit der Vulkane regelmässige rhytmische Pulsationen beobachtet, Eruptionen, die durch
Ueberführung des Wassers in Wasserdampf zu stände kommen.
Bezüglich der Lage der Karlsbader Quellen erschien es, wie schon bemerkt, zuerst unfasslich,
wie die grossen Mengen von kohlensaurem Kalk und sonstigen Mineralsalzen, welche die Wasser
enthalten, mit Rücksicht auf den aus Granit bestehenden Untergrund zu erklären seien. Indessen
haben neuere Untersuchungen dargethan, dass zwischen den Erzgängen des sächsischen Erzgebirges
und den heissen Quellen in Böhmen einige Beziehungen bestehen. Zur Auflösung der in jenen
Erzgängen enthaltenen mineralischen Substanzen muss natürlich das Wasser bezw. der Wasserdampf
eine sehr hohe Temperatur erreichen, wie man sie für Wasser bezw. WäSserdampf in bedeutenden
Tiefen überhaupt anzunehmen hat Wenn man mit Rücksicht auf die Temperatur der Karlsbader
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Berichte über Kongresse und Vereine.
Quellen auch darauf schliessen könnte, dass dieselben aus einer ungefähren Tiefe von 2000 Metern
stammen, so liefern doch andererseits die in ihnen aufgelösten Bor- und Fluorsalze den unzweideutigen
Beweis dafür, dass der Ursprung derselben in viel grösseren Tiefen zu suchen ist, wo eine so be¬
deutende Temperatur herrscht, wie sie für die Auflösung jener Salze im Wasser erforderlich ist
Jedenfalls aber kann über den »juvenilen«, das heisst in das tiefe Erdinnere zu verlegenden Ursprung
der Karlsbader Thermen ein Zweifel nicht obwalten.
Im Anschluss an diese mehr geologischen Ausführungen sprach Mcyerhoffer vom chemisch¬
physikalischen Standpunkte aus. Nachdem er die osmotischen Vorgänge und die Beziehungen der
Zellen des menschlichen Organismus zum osmotischen Druck eingehend erörtert, führte er des
weiteren aus, dass die früher allgemein übliche Gewohnheit, Wirkung und Werth der Quellen nach
der rein prozentualen Zusammensetzung zu beurtheilen, nicht den thatsächlichen Verhältnissen
Rechnung tragt. Vielmehr sind die dynamischen Verhältnisse, wie Druck und Temperatur der
Quellwässer nicht nur für die Beurtheilung des chemischen Zustandes, sondern auch des physio¬
logischen Verhaltens von entscheidender Bedeutung. Die allgemein bekannte Thatsache, dass das
versandte Wasser der Heilquellen hinsichtlich seiner heilenden Wirkung dem direkt an der Quelle
getrunkenen Mineralwasser nicht völlig gleichkommt, ist zuweilen wohl auf den Umstand zurück¬
zuführen, dass durch den Versand bezw. die längere Aufbewahrung der Mineralwässer der modifi¬
zierende Einfluss, den dieselben auf den osmotischen Druck ausüben, verändert wird, und dass
gewisse Substanzen, die im Mineralwasser in ganz minimalen Mengen enthalten sind, unter den ver¬
änderten Verhältnissen im menschlichen Organismus nicht zur Geltung kommen. Vielleicht handelt es
sich auch um Umlagerung von Atomgruppen, die sich einstweilen noch unserer Kenntniss entziehen,
da die quantitative Analyse hierüber kaum Aufschlüsse liefert und das prozentuale Verhältniss der
in den versandten Wässern enthaltenen Bestandteile dabei keine Veränderung zu erleiden braucht-
Dass die elektrische Leitungsfähigkeit des Wassers grossen Schwankungen unterworfen ist, unter¬
liegt keinem Zweifel. So haben Ludwig und Mauthner durch eine Anzahl von Untersuchungen
festgestellt, dass das reine Quellwasser eine Leitungsfähigkeit von nur 0,38, dagegen das durch
Destillation gewonnene eine solche von 40,2 besitzt. Je nach dem Grade der Konzentration — die
natürlich bei den zum Versand kommenden Mineralwässern durch theilweise Verdunstung der
Flüssigkeit verändert wird — ändern sich nun die Verhältnisse des osmotischen Druckes. Hoffent¬
lich werden spätere Untersuchungen über die Verhältnisse, über die wir zur Zeit noch nicht genügend
unterrichtet sind, weitere Aufschlüsse liefern.
Die Osmose stand weiterhin im Mittelpunkt eines Vortrages von Strauss (Berlin), über
Osmodiätetik. Ziel- und Angelpunkt jeder osmotischen Arbeit des gesunden Organismus läuft
darauf hinaus, den osmotischen Druck des Blutes konstant zu erhalten. Möglich wird diese Konstant¬
erhaltung des osmotischen Druckes des menschlichen Blutes dadurch, dass wir ausgezeichnet
funktionierende Regulationen voraussetzen müssen, die in der Weise wirken, dass sie einmal einen
rapiden Zutritt grosser Mengen osmotisch wirksamer Moleküle zum Blute verhindern, und zweitens
den Austritt osmotisch wirksamer Moleküle aus dem Blute in dem Maasse veranlassen, als es der
Art und Menge des Zuflusses entspricht. Diesen Gesichtspunkten entsprechend zeigt der normal
arbeitende Magen das Bestreben, blutisotonischo und bluthypertonische Lösungen hypotonisch zu
machen, bis eine im Verlauf weiteren Verweilens der Ingesta im Magen nicht mehr veränderliche Zone
der »Gastroisotonie« erreicht ist, weshalb hypertonische Lösungen ceteris paribus länger im Magen
zurückgehalten werden, als molekular niedriger konzentrierte. Aus einer Reihe von Versuchen
schliesst Strauss, dass der Resorptionsakt im Gegensatz zum rein osmotischen Molekülaustausch
im Magen gerade bei osmotisch hochwerthigen Lösungen besonders stark und auch besonders rasch
wirksam ist So verlässt eine Kochsalzlösung den Magen rascher, als eine gleichkonzentrierte Zucker¬
oder Magnesiumsulfatlösung, der Vorgang der Verdauung stellt eine Vorarbeit für den Darm dar,
welche einerseits die Darmwand vor dem schädlichen Kontakt mit zu konzentrierten Lösungen
schützt, andrerseits die Resorption im Darme, die ihrerseits eine Mischung vitaler und osmotischer
Vorgänge darstellt, erleichtert und unterstützt. So wird man im Sinne einer osmodiätetischen
Schonung handeln, wenn man — soweit flüssige Nahrungsmittel in Betracht kommen — eine
möglichst »gastroisotonisehe« Nahrung verabreicht. Interessant ist nach dieser Richtung, dass die
von der Natur fertig gebotenen und als besonders leicht verdaulich geltenden flüssigen Nahrungs¬
mittel, wie die Milch, das Eiereiweiss und der Fleischsaft, im Gegensatz zu Bier, Wein etc. die Zone
der »Gastroisotonie« nur wenig überragen, indem sie blutisotonisch sind. Der Gesichtspunkt, eine
möglichst gastroisotonische Konzentration der flüssigen Nahrungsmittel zu wählen, ist besonders
wichtig für die Diätbehandlung der motorischen Insufficienz des Magens. Hier wird man nicht blos
ein Uebermaass in der Zufuhr von Flüssigkeit, sondern auch das Zustandekommen einer hohen
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Berichte über Kongresse und Vereine.
osmotischen Konzentration des Mageninhaltes durch eine Verminderung in der Zufuhr von osmotisch
hochwerthigcn Substanzen, wie Alkohol, Salzen, Zucker etc. zu vermeiden suchen. Für derartige
Fälle empfiehlt sich auch die Wahl eines reichlichen Fettquantums, da das Fett keine osmotischen
Ansprüche an die Magenwand stellt, und den motorisch insufficienten Magen im Vergleich zu
anderen Nahrungsstoffen nicht mehr belastet, als seinem Kalorieengehalt entspricht.
Den Zielen einer osmodiätetischen Reizung — so bei Apepsia gastrica und ähnlichen Zuständen
— dürfte die Wahl osmotisch hochkonzentrierter Flüssigkeiten dienen, wenn auch die Konzentrations-
Verminderung eines resorptionsfähigen, osmotisch hochwerthigen Materiales zunächst durch eine Ver¬
stärkung des nicht osmotischen Resorptionsaktes eingeleitet zu werden scheint. Eine weitere Frage
ist die, inwieweit man bei Storungen des Austrittes osmotisch wirksamer Moleküle aus dem Blute
in der Lage ist, osmodiätetisch zu wirken. Das hierfür in Betracht kommende wichtigste Organ ist
die Niere, bei der einheitliche Versuchsreihen einmal ergeben haben, dass der an der Gefrierpunkts¬
erniedrigung gemessene osmotische Druck in ausserordentlichem Grade von der Grosse der gleich¬
zeitig vorhandenen Wasserausscheidung abhängt, und weiterhin, dass die Polyguric bei vielen
Nephritikern einen kompensatorischen Zweck erfüllt Es giebt Nephritiker, die zur Aus¬
schwemmung einer normalen Valenzmenge eines grösseren Wasserquantums bedürfen, als Gesunde.
Man findet ein derartiges Verhalten bei der Mehrzahl der sogenannten chronisch - interstitiellen
Nephritiden, in der Rekonvnlescenz von akuten Nephritiden auch bei schweren Anämieen mit
Nieren Verfettung. Pei Polyurie muss deshalb unter dem Gesichtspunkte der Herzschonung ein
Ucbermaass in der Flüssigkeitszufuhr vermieden werden, aber nur das Uebermaass, nicht die
Flüssigkeitszufuhr an sich, die namentlich bei den Formen der chronischen interstitiellen Nephritis
zur dauernden Ausscheidung normaler Valenzmengen durchaus nothwendig ist.
Eine sichere Herabsetzung der osmotischen Nierenarbeit ist durch Herabsetzung des Eiweiss¬
stoffwechsels zu erreichen. Man wird also den auch schon in der Praxis erprobten Grundsatz be¬
folgen, die Eiweissration des Nephritikers bei ausreichendem Kalorieengehalt der Diät nicht höher
zu gestalten, als es zur Erhaltung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit (Herz!) nothwendig ist.
Von den Verhandlungen der medicinischen Hauptgruppe des Kongresses verdienen noch be¬
sonderer Erwähnung die Vorträge von Leube (Würzburg) über physiologische Aljbuminurie,
und von Eiselberg (Wien) über die Bedeutung der Schilddrüse für dejn Haushalt der
Natur. Leube führte folgendes aus: Die bisher allgemein verbreitete Annahme, dass der Urin
des gesunden Menschen niemals Albumen enthält, hat sich als unzutreffend erwiesen. Die an
Soldaten und anderen gesunden Menschen seit einer Reihe von Jahren vorgenommenen Massen-
untereuchungen haben vielmehr ergeben, dass der Urin bei 4% der Untersuchten in allen Proben
Eiweiss enthält, in 16°/ 0 , wenn der Harnabscheidung Muskelanstrengungen, ein Dauermarsch und
ähnliches vorangegangen waren. Damit war der ersterc sichere Nachweis erbracht, dass Eiweiss-
ausscheidung im Urin nicht immer pathologisch ist, sondern noch in den Rahmen des physiologischen
Verhaltens fallen kann. Neben dieser manifesten physiologischen Albuminuriej kommt noch eine
latente physiologische Albuminurie vor, worunter man solche Fälle zu verstehen hat, wo die ge¬
wöhnlichen Eiweissreaktionen zwar kein Albumen im Urin erkennen lassen, wo aber doch nach
Vorbehandlung des zu untersuchenden Harnes und bei Anwendung feinster Ei weisareagen tien* Spuren
von Eiweiss erkennbar sind.
Unter den physiologische Albuminurie begünstigenden Umständen spielen Muskelanstrengungen,
die Zufuhr von Nahrung, ferner kalte Bäder, geistige Anstrengungen und Geraüthserregungen eine
gewisse Rolle, als wichtigster Faktor für das Auftreten bezw. die Steigerung dor physiologischen
Albuminurie ist jedoch die aufrechte Körperstellung anzusehen. Bei gewissen gesunden'Menschen
erscheint regelmässig Eiweiss im Harn, wenn sie kürzere oder längere Zeit stehen, während die
Albuminurie ausbleibt, wenn die Betreffenden in liegender Stellung verharren und ebenso wenn
sie sitzen. Bei Muskelanstrengungen wird Eiweiss ausgeschieden, aber nur, wenn die Be¬
treffenden dabei auf den Füssen standen und erschöpft wurden; nervöse Einflüsse spielen bei
gewissen Individuen bezüglich der Provozierung der physiologischen Albuminurie ebenfalls eine
wichtige Rolle. Der Genuss weniger roher Eier kann Albuminurie provozieren, aber bemerkens-
werther Weise nur dann, wenn dieselben im Stehen genossen werden, wobei dann erst Serum¬
albumin, später Eieralbumin in grösserer Menge von den Nieren ausgeschieden J wird. Die Dis¬
position zum Uebertritt von Eiweiss in den Urin bei gesunden Menschen erklärt sich am besten
durch die Annahme einer angeborenen grösseren Durchlässigkeit der Filtrationsmembran der
Niere, wofür auch das Vorkommen eklatanter physiologischer Albuminurie bei mehreren Gliedern
derselben Familie spricht Nach Leube giebt es 1. Individuen, welche unter völlig «normalen
Verhältnissen auch ohne Einwirkung der geschilderten, die Albuminurie begünstigenden Faktoren
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in jedem (auch im Nachturin) Eiweiss entleeren. Es sind dies gesunde Menschen mit absolut
undichtem Nierenfilter; 2. Individuen, welche nur, wenn sie ausser Bett sich befinden und die
genannten Faktoren wirksam sind, Eiweiss im Harn entleeren (gesunde Menschen mit relativ
undichtem Nierenfilter); 3. Individuen mit relativ dichtestem Nierenfilter, deren Urin unter allen
Umständen eiweissfrei ist. Die Pubertätsalbuminurie (Albuminurie im Jünglingsalter; ist, ebenso
wie die Fälle ausklingender oder initialer Nephritiden, von der physiologischen Albuminurie
prinzipiell zu trennen. Sie ist eine Entwicklungskrankheit mit woblcharakterisiertem Krankheitsbild;
die Ursachen dieser Krankheitserscheinungen sind theils schlechte Beschaffenheit des Blutes, theils
ein leichter Grad von Herzinsufficienz mit Neigung zur Stauung.
Das Auftreten von Eiweiss im Harn ist bei Menschen mit physiologischer Albuminurie eine
harmlose Erscheinung und deswegen kein Gegenstand der ärztlichen Behandlung; dagegen kann
die Pubertätsalbuminurie gebessert oder ganz geheilt werden durch Verbesserung der Blut¬
beschaffenheit (kräftige Ernährung, Aufenthalt in frischer Luft, Eisen) oder der Herzthätigkeit
(Terrainkuren, Hydrotherapie etc.).
In seinem Vortrage über die physiologische Bedeutung derj Schilddrüse weist
Prof, von Eyselsberg (Wien) darauf hin, wie man erst in neuerer Zeit zu der Erkenntniss
gelangte, dass die Schilddrüse ein nicht nur höchst wichtiges, sondern ein durchaus unentbehrliches
Organ ist, dessen Fehlen schwere Wachsthumshemmungen, geistige Verblödung, ja sogar Starrkrampf
und raschen Tod zur Folge hat. Diese Kenntniss verdanken wir einerseits dem Thierversuch,
andererseits den zahlreich vorgenommenen Kropfoperationen. Solange die Entfernung des Kropfes
sich auf einen Bruchtheil, bis etwa höchstens drei Viertel der ganzen vergrösserten Druse erstreckt,
sind bedenkliche Erscheinungen nicht zu befürchten, sofern überhaupt nur noch ein normal
funktionierender Rest der Drüse vorhanden ist. Ist aber alles entfernt, so leidet! der Organismus
schwer und zwar gleich sehr bei Mensch und Thier. Verschieden ist aber das Verhalten von
Fleisch- und Pflanzenfressern. Fleischfresser beantworten die völlige Beseitigung der Schilddrüse
mit tötlichen Starrkrämpfen, die meist schon sehr rasch nach der Operation .eintretan, Pflanzen¬
fresser dagegen mit chronischer Kachexie, körperlicher und geistiger Verkümmerung. So führt
auch die krankhafte Entartung der Schilddrüse selbst zum Kretinismus, sobald die ganze Masse
funktionsunfähig wird. Mit einem Ueberblick über die Voraussetzungen, die man an die Schild¬
drüsentherapie knüpfte, und über die tbatsächlichen Erfolge, die damit erzielt wurden, schloss
Eyselberg seine klaren und präzisen Ausführungen.
Aus den Abtheilungsvorträgen sind zu nennen die resümierenden Darlegungen von Eulen-
burg (Berlin) über einige neuere elektrotherapeutische Methoden. Er erwähnt kurz die
Arsonvalisation und als deren Ersatz die Anwendung der sogenannten monodischen Voltströme von
Jodko-Narkiewicz. Es kommen hierbei Ströme zur Benutzung, die von einem Ruhmkorff-Induktor,
der durch eine Akkumulatorbatterie angetrieben wird, erzeugt werden. Die lokale Anwendung
der monodischen Voltströme kann theils in Form punktförmiger Reizung, theils auch in der der
Massage oder Friktion geschehen, und scheint sich namentlich bei rheumatischen Schmerzen,
Analgesieen und Anästhesieen Hysterischer als nützlich zu bewähren.
ln einem gewissen Gegensatz zu den Tesla-ArsonvalWchen Methoden steht [die elektro¬
magnetische Therapie System Könrad; denn während die Arsonval- und Tesla-Apparate mit
Strömen von enorm hoher Spannung und von enormer Wechselzahl arbeiten, hat man es dagegen bei
dem Konrad’schen System mit Strömen von zwar hoher Intensität aber nur geringer Spannung und von
relativ geringer Wechselzahl zu thun. Es handelt sich hierbei überdies nicht um Verwendung elektrischer
Energie im engeren Sinne, sondern vielmehr um eine eigenartige Erzeugung einer elektromagnetischen
Strahlung und deren Benutzung zu Heilzwecken in Form eines wellenförmigen Magnetfeldes. [Als
physiologische Beobachtungen der Einwirkung der Apparate sind beschrieben worden ein plötzliches
Aufleuchten des Gesichtsfeldes und eine Steigerung des Oxyhämoglobingehaltes des Blutes um an¬
geblich 5—25%; therapeutisch ist ein beruhigender (sedativer und antineuralgischer), ermüdender und
direkt schlafmachender Effekt konstatiert worden. Endlich erwähnt Eulenb,urg das Schneewehe
Vierzellenbad, bei dem bekanntlich die vier Extremitäten als Angriffspunkte des Stromes dienen
und zu diesem Zwecke in vier getrennten Einzelwannen untergebracht werden.
Ueber Fettumsatz im Organismus berichtet auf Grund eigener ausgedehnter Studien
Leo (Bonn). Er hat zunächst die Rolle des Glycerins im Stoffwechsel .verfolgt und gefunden,
dass ein Theil des im Magen und Darm abgespaltenen Glycerins gleichzeitig mit den bei der Fett¬
spaltung entstandenen Fettsäuren von der Darmwand resorbiert wird, um innerhalb derselben sich
wieder zu Fett zu regenerieren. Ein Theil aber wird allein resorbiert,* dies folgt aus der viel
schnelleren Resorption des Glycerins. Hieraus erklärt sich auch der konstante Gehalt der Fäces
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Berichte über Kongresse und Vereine. ’ 463
an Fettsäuren, während Glycerin darin niemals vorkommt. Auch die Untersuchung pathologischer
und selbst ganz flüssiger Stühle von Kindern und Erwachsenen auf Glycerin war ausnahmslos
negativ. Um der Art der Fettzersetzung innerhalb der Gewebe nachzugehen, wurden die ver¬
schiedenen Organe auf Glycerin untersucht, aber ebenfalls mit negativem Erfolg. Aus dem
gleichen Grunde untersuchte Leo, ob und wieviel Glycerin, wenn es per os aufgenommen wird,
den Körper unresorbiert wieder verlässt. Der Grenzwerth, welcher hierbei gefunden wurde, wider¬
sprach nicht der Möglichkeit, dass die Spaltung in Fettsäuren und Glycerin den ersten Akt der
Fettzereetzung bildet.
Zur Mechanotherapie chronischer Herzmuskelkrankheiten (machte Lewinsohn
(Soden) einige beiläufige Bemerkungen. Gegenwärtig wird die Mechanotherapie und Widerstands-
gymnastik vielfach bei der Degeneration angewendet. Infolge der veränderten biologischen Vor¬
gänge innerhalb des diffus erkrankten Herzmuskels und durch eine Steigerung der Herzarbeit und
Vermehrung der Kontraktionen wird der Nutzeffekt der letzteren herabgesetzt, die Emährungsbedin-
gungen geschädigt und der degenerative Zerfall beschleunigt. Nur die rein nervöse Herzschwäche
und die einfache Fettauflagerung sollto die einzige absolute Indikation für die Mechanotherapie
bilden, dagegen muss das Prinzip der Schonung und Ruhe neben Digitalis und Kohlensäurebädern
die Hauptsache bei Herzmuskelerkrankungen bleiben.
Die Pathologie und Therapie der Verdauungsorgane fand in einer grossen Reihe
von Themen eine eingehende Würdigung; an dieser Stelle seien [erwähnt die Ausführungen von
v. Noorden.über Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus, von Wal|ko (Prag) über
Superacidität, von Singer (Wien) über spastische Obstipation, v. Noorden wendet sich
von vornherein gegen die neuerdings vielfach üblich gewordene übermässige Eiweisszufuhr in der
Nahrung des Diabetikers, da sic die Zuckerausscheidung steigert und die Toleranz für die Kohlo-
hydratassimilation herabdrückt. Unterschiede der einzelnen Eiweissarten hinsichtlich ihres Einflusses
auf die Glykosurie sind noch nicht bekannt; nach Beobachtungen an ca. 20 Patienten stellt sich am
günstigsten das Hühnereiweiss, dann Pflanzeneiweiss, Kasein und zuletzt Muskcleiweiss. Aber viel
ausschlaggebender ist die Individualität des Kranken. Ein einzelner Eiweisskörper scheint die
Glykosurie günstiger zu beeinflussen als die Vereinigung mehrerer. Von den Nahrungsfetten erhöht
die Butter am meisten die Acetonausscheidung, wahrscheinlich infolge ihres Gehaltes an Butter¬
säure, dennoch verdient sie in der Praxis den Vorzug, zumal durch Auswaschen die Fettsäuren ent¬
fernt werden können. In vielen, besonders schweren Fällen wird der Hafer doppelt so gut ver¬
tragen, wie entsprechende Mengen von Brot, doch gilt dies nicht allgemein.
Zur Behandlung der Superacidität empfiehlt Walko Olivenöl in Dosen von 150—300 g
täglich durch Schlundsonde oder per os. Er hat nach mehr wöchentlicher Behandlung wesentliche
Besserung und selbst Heilung gesehen. Keine Beeinträchtigung der Magenverdauung, die Salzsäure-
abscheidung wird vermindert und verzögert. Auch bei spastischen Stenosen des Verdauungskanalcs
hat sich diese Behandlungsmethode bewährt, ferner auch bei frischem Ulcus ventriculi, wo das Oel
einen Schutz gegen die AetzWirkung des übersauren Magensaftes bildet. Das Oel ist dem Atropin
und Natrium bicarbonicum in diesen Fällen weit überlegen.
Bei der spastischen Obstipation unterscheidet Singer eine symptomatische und eine
idiopatische Form. Erstere kommt bei Frauen mit Genitalerkrankungen vor, bei Männern infolge
von Prostataaffeklionen, ferner bei Mastdarmerkrankungen, Analfissuren,» Hämorrhoiden u. dergl.
schliesslich auch bei Nierensteinkoliken. Das Hauptkontingent der zweiten Form wird von Neu¬
rasthenikern gebildet. Neben dyspeptischen Beschwerden bestehen Klagen über Schmerzen in der
Gegend des Nabels, des Coecum und im linken Hypochondrium. Der Dickdarm ist in toto oder
an einzelnen Stellen strangförmig zu tasten, der krankhafte Spasmus des Sphinkter kann durch die
Digitalexploration festgestellt werden. Die Fäces sind schafkothartig oder bandförmig, oft mit
Schleimauflagerungcn und Blutbeimischungen. Therapie: Warme Sitzbäder und Umschläge, warme
0elkiy8ticre und Mastdarmbougierung, eventuell Narcotica in Form von^Suppositorien.
In der Abtheilung für Kinderheilkunde wurden eine Reihe sehr bemerkenswerther Vorträge
gehalten. Zuerst behandelte Siegcrt (Strassburg) die Ernä;hrungstherapi,c des kranken
Säuglings. Er vertritt den Standpunkt, dass man neben dem bisher beinahe allein verfolgten
Prinzip, die Nahrung des kranken Säuglings dem jeweiligen Stande der Leistung seiner Verdauungs¬
drüsen anzupassen, auch noch versuchen soll, bei unveränderter Nahrung durch Anregung der Ver¬
dauungssekrete und Zugabe von Verdauungsfermenten (Pankreas, Pepsin etc.) eine der normalen
adäquate Verdauung zu erhalten. Auch die erregende Bedeutung der Säure auf die Thätigkeit der
Dünndarm Verdauung, ferner des Fleischextraktes, der dextrinierten Mehle wird noch nicht genügend
gewürdigt Durch genaue Ueberwachung der Verdauungsstörungen auf Grund der zuerst von
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464 Berichte über Kongresse und Vereine.
Biedert angeregten Fäcesuntersuchung erhält man die Indikationen zur Verwendung der Sekretions¬
erreger und Regulatoren.
Hecker (München) sprach interessant, aber in vielen Punkten anfechtbar über die sogenannte
Abhärtung der Kinder. Wenn er vor der systematischen Abhärtung der Kinder als unzweck¬
mässig und direkt gesundheitsschädlich warnt, so ist das weit über das Ziel geschossen und dem Prinzipe
etwas vindiziert, was nicht dieses, sondern die schablonenmässige Ausführung trifft. Die kritiklose,
schematische Anwendung verdient Bekämpfung, nicht aber das System als solches. Eine merk¬
würdige Statistik diente ihm zur Unterlage seiner Ausführungen. Von 50 Kindern seiner Klientcle,
über die er Nachforschungen anstellte, waren 25 im 1. Lebensjahre, 7 nach dem 1. Lebensjahre und
18 garnicht systematisch abgehärtet. 1. Wirkung der Abhärtung auf die Disposition zu Erkältungs¬
krankheiten. Von 16 nicht abgehärteten waren 5 = 31%, von 13 mild abgehärteten 5 = 38%,
von 21 streng abgehärteten 13 = 62% ausgesprochen empfänglich für Erkältungen. Von 15 streng
abgehärteten Säuglingen waren 11=73% empfänglich. 2. Wirkung auf das Nervensystem. Bei
milder Abhärtung dreimal günstige und viermal ungünstige, bei strenger Abhärtung viermal günstige
und achtmal ungünstige Wirkung. 3. Wirkung auf die Psyche. Von 15 streng abgehärteten über
zwei Jahren waren 7 abnorm reizbare, nervöse Kinder, unter den nicht abgehärteten war keines
übertrieben lebhaft oder abnorm reizbar. 4. Einfluss auf den allgemeinen Gesundheitszustand und
die allgemeine Krankheitsdisposition. Von 15 nicht abgehärteten blieben 8 = 53% im ersten Lebens¬
jahre vollständig gesund, von 13 mild abgehärteten 7 = 53%, wogegen von 21 streng abgehärteten
nur 4 = 19% als gesunde Kinder sich entwickelten, 14 davon = 66% machten schwere Erkrankungen
durch. 5. Abhärtung und adenoide Vegetation. Adenoide Vegetationen finden sich bei nicht ab¬
gehärteten in 20%, bei mild abgehärteten in 30%, bei streng abgehärteten in 40% der Fälle. Er
schliesst hieraus: Die übertriebene Abhärtung kann zu schweren Schädigungen führen, und zwar
findet man schwere Anämiecn, ferner Erkrankungen des Gesammtnervensystems, wie Neurasthenie,
Anorexie, Clamon noctumus, psychische Reizbarkeit etc. Sie gewährt nicht nur keinen Schutz vor
Erkältungen, sondern erhöht sogar die Disposition hierzu; sie führt zu allen möglichen chronischen
Darmerkrankungen und bewirkt bei interkurrenten Krankheiten einen schweren Verlauf derselben.
Körperliche Abhärtung ist nothwendig, nur geschehe sie durch natürliche adäquate Mittel, dies ist
in erster Linie Luft (Blossliegen im Bett, Nackt- und Barfusslaufen etc.), ferner richtig angepasste
Kleider, nicht aber sportmässig betriebene kalte Güsse und Waschungen. Säuglinge sind überhaupt
nicht abzuhärten, sondern warm zu halten Anämische und nervöse Kinder dürfen nicht im ge¬
wöhnlichen Sinne abgehärtet werden.
Ueber Tuberkulose im frühen Kindesalter stellte Schlossmann (Dresden) eine Reihe
von Thesen auf, so unter anderen: Die Häufigkeit der Tuberkulose im frühen Kindesalter, besonders
im Säuglingsalter, schwankt innerhalb beträchtlicher Grenzen nach den Mittheilungen, die von den
verschiedenen Autoren und aus verschiedenen Orten stammen, doch scheint es, als ob bei einem
und demselben Material grosse Unterschiede in Bezug auf die Häufigkeit der tuberkulösen Affek¬
tionen im Säuglingsalter Vorkommen. Im Säuglingsalter überwiegt die reine Tuberkulose, die mit
anderen Infektionen nicht vergesellschaftet ist. In weitaus der Mehrzahl aller Fälle vermag man
im Sputum bezüglich in dem durch Aus wischen oder Ansaugen gewonnenen Schleime bei Säug¬
lingen Tuberkelbacillen nicht mikroskopisch nachzuweisen. Das einzige diagnostische Hilfsmittel,
um die Tuberkulose im Säuglingsalter mit Sicherheit festzustellen, ist das Tuberkulin. Primäre
„ Tuberkulose des Verdauungstraktus ist von Schlossmann nie beobachtet worden, sie dürfte ein
äusserst seltenes Vorkommen sein, wenn sie überhaupt je einwandfrei festgestellt ist. Der Verdauungs¬
traktus des Säuglings erscheint nur schwer infizierbar. Die Erfahrung lehrt, dass auch häufiges
Verschlucken von Tuberkelbacillen (Speichel der Mutter) nicht zu einer primären Darm- oder
Mesenterialdrüsen tuberkulöse führt. Erst massenhafte Einführung von Tuberkelbacillen ergiebt
Tuberkulose des Magens, des Darms und der Mesenterialdrüsen. Charakteristisch für die Tuber¬
kulose des Säuglingsalters ist die frühzeitige intensive Erkrankung der Bronchialdrüsen, zumal der
an der Bifurkation. In jedem Falle von Tuberkulose im Säuglingsalter gelingt es, bei genügender
Nachforschung festzustellen, dass das Kind in enge Berührung mit einer tuberkulösen Person ge¬
kommen ist. Die tuberkulöse Infektion durch Milchgenuss spielt in der Aetiologie der Säuglings¬
tuberkulose in Deutschland keinerlei Rolle.
Auch die Alkoholfrage nahm, wie auf allen Kongressen der Gegenwart, einen bemerkens-
werthen Raum in den Verhandlungen ein; es sprachen Frick (Zürich) über die Behandlung
fieberhafter Krankheiten ohne Alkohol undKassowitz (Wien) über Nahrung und Gift
Nach allgemeinen Ausführungen über das eigentliche Wesen des Alkohols als£ Narkotikum, über
seine die Widerstandsfähigkeit des thierischen Körpers gegen Infektionsstoffe herabsetzende Eigen-
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Berichte über Kongresse und Vereine. 465
schäften fasst Frick die Vortheile der Behandlung Fiebernder ohne Alkohol in folgende Sätze zu¬
sammen: Viel weniger Delirien, viel weniger Schwierigkeiten mit der Ernährung und wesentlich
abgekürzte Rekonvalescenz. Kollaps kommt dabei viel seltener vor, die Mortalitätsverhältnisse sind
wesentlich günstiger, als wenn die Patienten Alkohol bekommen. Besonders schädlich wirkt der
Alkohol bei solchen Fieberhaften Krankheiten, die das Herz schädigen, wie die Diphtherie oder
die die Anforderungen an das Herz steigern, wie die Lungenentzündung. Auch bei Blutvergiftungen
und Puerperalfieber ist ein Nutzen des Alkohols nicht nachgewiesen. Beim Scharlach liegt ein
Hauptgrund zur Verwerfung des Alkohols darin, dass der Alkohol notorisch die Nieren schädigt.
Besonders ausführlich bespricht Frick die Resultate in der Behandlung der Pneumonie. Diese
verläuft nach ihm ohne Alkohol viel besser und führt dabei auch bei Trinkern viel seltener zum
Tode, als wenn Alkohol gereicht wird.
Kassowitz ging in seinem Vortrage von der Lehre Robert Mayer’s aus, die da lautete,
der Werth der Nahrung liegt in ihrer Brennbarkeit. Die Stärke, der Zucker und das Fett haben
einen bedeutenden Brennwerth und sind in gleichem Verhältnisse auch nahrhaft. Das Gleiche gilt
insbesondere auch von den durch Gährung aus Zucker entstehenden Spirituosen. Damit war die
Lehre von der nährenden Fähigkeit des Alkohols auf rein theoretischem Wege zum wissen¬
schaftlichen Dogma erhoben, indem man bei der Bemessung der Kostmaasso für Gesunde und
Kranke die Verbrennungseinheiten des Alkohols gleich setzte mit denen von Zucker, Fett oder
Eiweiss. Auf der anderen Seite ist aber der Alkohol ein narkotisches Gift, der auf chemischem Wege
die lebenden Theile des Organismus angreift und ertötet. Dieser Widerspruch der Nähr- und der
Giftwirkung in einem Stoffe wird allein dadurch gelöst, dass man nur von solchen Stoffen eine
nährende Wirkung erwarten darf, welche zum Aufbau der lebenden Substanz verwendet werden,
niemals aber von einem giftigen Körper, welcher diese lebende Substanz durch seine chemische
Wirkung zerstört. Von jeder wirklichen Nahrung weis 9 man, dass sie uns nicht nur in den Stand
setzt, Arbeit zu verrichten, sondern dass sie ausserdem, in genügender Menge verabreicht, unseren
Körper auf seinem Stande erhält Wäre der Alkohol eine Nahrung, wie man auf Grund der
Heiztheorie angenommen hat, dann müsste es möglich sein, einen Theil der nothwendigen Kost¬
ration durch Alkohol zu ersetzen, wie man zum Beispiel ein Thier, das man mit einer bestimmten
Menge von Fleisch und Zucker ausreichend ernährt hat, auch dann auf seinem Körperbestande
erhalten kann, wenn man den Zucker ganz oder theil weise durch Fett ersetzt. Ausserordentlich
instruktive Versuche des Physiologen Chauveau haben nun gezeigt, dass der Alkohol diese Rolle im
Haushalt nicht zu spielen vermag, dass er nicht nur nicht ausser stände ist, den Zucker als Nahrungs¬
stoff zu ersetzen, sondern im Gegentheil durch Zersetzung des lebenden und arbeitsfähigen
Protoplasmas an dem Körper der Versuchstbiere zehrt. Der Alkohol nimmt also keine singuläre Aus¬
nahmestellung ein, er wirkt nicht zugleich nährend und giftig, sondern er greift die lebende
Substanz des Körpers an und wirkt dadurch- noch besonders verhängnisvoll, dass er, wie alle
narkotischen Stoffe, eine besondere Affinität zum Protoplasma der Nervenelomcnte besitzt und
daher ausser der Schädigung der Einzelorgane auch noch die Leistungsfähigkeit des Gesammt-
organismus durch seine lähmende Wirkung auf das Nervensystem herabsetzt. Die praktischen
Konsequenzen aus dieser total geänderten Auffassung von der Wirkung des Alkohols auf den
lebenden Organismus ergeben sich von selbst; sie bestehen in einer völligen Eliminierung des
Alkohols aus der Klasse der Nahrungsstoffe und dem Fallenlassen der Irrlehre, als sei derselbe
ein Kräftigungs- und Nahrungsmittel.
Von hydrotherapeutischen Ausführungen wären noch anzuführen die Mitteilungen von Baruch
(New-York) über Förderung der Reaktion nach Kaltwasserkuren. Er wies nach, dass das Gespenst
des Shoks bei kalten Bädern durch Abstufung der Temperatur und der Dauer beseitigt werdeu kann.
Er selbst hat schon grosse Kälte selbst bei heruntergekommenen Organismen mit gutem Erfolg an¬
gewandt. Durch Bcsprengungen mit kaltem Wasser wurden fiebernde Patienten mit durchaus
günstigem Resultat behandelt. Die Faktoren, mit denen ein heilbringender Erfolg erzielt werden
kann, sind thermische, mechanische und chemische Reize, und es soll ohne mechanische Reize
(Frottieren) kein kaltes Bad verordnet werden. Die Wirkung des kalten Reibebades bei Fiebernden
erklärt sich durch Erhöhung des Widerstandes in ihren Hautgefässcn.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
h.
Bericht über den zweiten internationalen Kongress für medicinische
Elektroiogie und Radiologie zu Bern. I.—6. September 1902.
Von Privatdozent Dr. Ludwig Mann in Breslau,
f Fortsetzung und Schluss.)
Von Vorträgen theoretischen Inhaltes ist noch eine Mitthcilung von WoiBS (Paris), Sur
Punifcation des möthodes employöcs en Physiologie et cn mödecine, zu erwähnen, in
welchem auf den Mangel an Uebereinstimmung in den von Physiologen und Klinikern gebrauchten
Maassmethoden hingewiesen und die Aufstellung einheitlicher Normalmaasse und Methoden
empfohlen wurde.
Ferner ein Vortrag mit Demonstration von Wertheim - Salomonson (Amsterdam) über
eine neue Methode, nicht gedämpfte, sehr schnelle Wechselströme (courants alter-
natifs non-amortis de frequencc trös elevöe) zu erzeugen.
Wird ein Lichtbogen zwischen mehreren Kohlenspitzen mittels einer Sclbstinduktionsspirale
und einem Kondensator passender Grösse kurz geschlossen, dann bemerkt man die Erscheinung des
»pfeifenden Lichtbogens«. Derselbe entsteht, indem Wechselströme in der Kondensatorncben-
schliessung hervorgerufen werden, die sich alsdann auf den konstanten Strom superponieren. Die
Schwingungszahl ist eine sehr hohe, sie beträgt bis 50 000 in der Sekunde. Durch Anbringung
einer sekundären Spirale Hess Vortragender von diesen Wechselströmen einen induzierten Strom
erzeugen, und prüfte denselben auf seine physiologischen Eigenschaften. Er erwies sich dem ge¬
wöhnlichen faradischen Strome ganz ähnlich, jedoch erzeugte er bei partieller EAR eine etwas
schnellere Erschöpfung des Muskels, wie dieser. Auch konnte Wertheim - Salomonson bei
einigen Fällen von Lähmung mit diesem Strom einen Tag früher Herabsetzung der Muskelerregbar-
keit nach weisen, wie mit dem faradischen.
Eigentümlich ist die ausserordentlich geringe Schmerzhaftigkeit der Applikation.
Therapeutisch zeigte er sich bei der Behandlung von Lähmungen dem faradischen Strom
deutlich überlegen.
Grosses Interesse erregte eine Mittheilung von Löduc (Nantes), betitelt: Production du
sommeil et de Panesthösie gönörale et locale par les courants ölectriques.
Löduc demonstrierte folgenden Versuch: In einem Gleichstrom von schwachem, innncrcm
Widerstand wurde ein Unterbrecher eingeschaltet, der 150 — 200 Unterbrechungen in der Sekunde
gab. Auf den von Haaren befreiten Kopf eines Hundes wurde eine grosse Kathodenplatte auf¬
gesetzt, während die Anode auf dem Rücken ruhte. Wenn man nun rasch die elektromotorische
Kraft im Stromkreise steigert, so treten allgemeine krampfartige Muskelbewegungen auf, der Hund
fällt auf die Seite und die Athmung steht still. Dann wurde der Strom nachgelassen, bis die
Athmung sich wieder einstellte. Bei einer bestimmten Stromstärke verblieb das Thier in einem
ruhigen und regelmässigen Schlaf mit vollkommen gleichmässiger Athmung und normalem Heiz¬
schlag, während nur die Gehirnthätigkeit völlig unterdrückt war. Es konnte am Fell in die Höhe
gehoben, geschnitten und gestochen werden, ohne Abwehrbewegungen zu zeigen. Die Dauer des
Schlafes wurde in einigen Versuchen bis zu zwei Stunden verlängert. Das Erwachen erfolgte
plötzlich bei Unterbrechen des Stromes; es blieben keinerlei Gesundheitsschädigungen zurück.
Der Versuch beweist also, dass man durch elektrische Ströme ohne wahrnehmbares Schmerz¬
gefühl die Thätigkeit_des|Gehimcs völlig zum Stillstand bringen kann, ohne dass die Bewegungen
der Athmung und des Blutkreislaufes beeinträchtigt werden. Man erhält auf diese Weise einen
ruhigen, anhaltenden Schlaf und eine vollständige allgemeine Unempfindlichkeit des Körpers.
In der Diskussion fragt Kronecker (Bern), ob die anfangs auftretouden Kontrakturen nicht
von der gleichzeitigen Durchströmung des Rückenmarkes herrühren.
Löduc glaubt dies nicht; er führt sie auf Reizung der motorischen Zonen zurück.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 4(>7
Einen sehr ^breiten Raum nahm in den folgenden Sitzungen die Lehre von den Röntgcn-
slrahlen, die Radiologie, ein, die auch in der Ausstellung in einer ganz hervorragenden Weise
prädominierte. Jeder, der nicht selbst mitten in diesen Arboiten steht, wird mit Erstaunen die
eminenten Fortschritte betrachtet haben, die die Technik und die klinische Verwerthung des
Röntgen Verfahrens in wenigen Jahren gemacht hat Wohl selten hat sich eine Methode in so
kurzer Zeit zu einer so ausgedehnten, abgeschlossenen Spezialität entwickelt.
Die Vorträge wurden eingeleitet durch ein sehr ausführliches Referat von
1. Oudin (Paris), Sur les accidents dus aux rayons x.
Oudin erwähnt eingangs in Kürze die Gesundheitsschädigungen allgemeiner Natur, die
gelegentlich bei der Anwendung von Röntgenstrahlen auftreten, wie Erbrechen, Herzklopfen,
Zittern etc., und beschreibt dann ausführlich die »akute Radiodermitis«, deren Stadien er als
Erythem, Vesicelbildung, oberflächliche Ulceration, Schorfbildung, tiefe Ulceration und Narben¬
bildung IJabgrenzt. Diese unerwünschten Erscheinungen setzen oft erst sehr spät nach der Be¬
strahlung ein, nehmen immer einen höchst langsamen Verlauf und trotzen allen Heilungsversuchen.
Als zweite Form beschreibt er die »chronische Radiodcrmitisa, die er auch »Radiodermitis
der Operateure« nennt. Sie entsteht durch häufig wiederholten Kontakt mit den Röntgenstrahlen,
also fast stets an den^Händen, und besteht in langsam fortschreitenden trophischen Veränderungen
der Haut und der tieferen Gewebe. Gewöhnlich ist sie mit einem Tremor der Hände vergesellschaftet.
Die Entstehungsweise der Radiodermitis sieht Oudin in einer Reizung der kutanen Nerven¬
zellen, die sich als ascendierende Neuritis auf die Nervenfasern fortsetzt, und auf diesem Wege zu
trophischen Störungen führt.
Die Methode, die Vortragender anwendet, um die Radiodermitis zu vermeiden, ist folgende:
Die ersteh Sitzung dauert nur 30 Sekunden, die zweite, 48 Stunden später, 1 Minute, die dritte,
wieder 48 Stunden später, V/ 2 Minuten, und so wird die Dauer alle 2 Tage um V 2 Minute bis zu
3 Minuten vermehrt. Dann werden die Sitzungen 8 Tage lang ausgesetzt, und, wenn sich dann
nicht das geringste Reizsymptom zeigt, wird mit 3 Minuten begonnen und allmählich auf 5 Minuten
gestiegen. Diese Dauer wird bis zum Schluss der Behandlung niemals überschritten.
Um bei dieser kurzen Bohandlungszeit möglichst intensive Wirkungen zu erzielen, wird die
Ampulle so weit der Haut genähert, wie es ohne Funkenübergang möglich ist, gewöhnlich etwa 5 cm.
Bei dieser Methode hat Vortragender niemals mehr unangenehme Erscheinungen beobachtet.
In der Diskussion erwähnt Schiff (Wien), dass auch er unangenehme Begleiterscheinungen
dadurch vermeide, dass er die Behandlung sofort bei der geringsten Reizung aussetzt. Die Erfolge
sind vorzüglich, wenn auch die Behandlung etwas länger dauert. Im übrigen wird in der Diskussion
hauptsächlich der Begriff der »Idiosynkrasie« besprochen.
*2. Schiff (Wien), Ueber eine neue Methode zur Konstanterhaltung von Röntgen¬
strahlen.
Zu therapeutischen Zwecken kann man nur solche Röhren verwenden, deren Strahlung eine
geringe chemische Wirkung auf die lichtempfindliche Platte ausübt, weil die Bestrahlung mit wirk¬
sameren (weichen) Röhren unangenehme reaktive Entzündungen hervorrillen kann. Dabei ergiebt
sich der Ucbelstand, dass die Röhre schon nach wenigen Minuten heiss und dadurch weicher wird,
bo dass sic wieder chemisch wirksamere Strahlen ausschickt, die man gerade vermeiden will.
Schiff hat eine Methode gefunden, um diese Uebelstände zu umgehen, und eine weiche Röhre zu
Behandlungszwecken in der Weise einzustellen, dass sie wie eine harte wirkt, ohne deren Nach¬
theile zu zeigen.
Die Methode besteht darin, dass man vor der betreffenden Röhre zwei andere ganz harte
Röhren hintereinander einschaltet. Diese Vorschaltröhren wirken ganz anders, wie irgendwelche
anderen eingeschalteten Widerstände, sie bewirken eine völlige Konstanz der Strahlung selbst bei
cinstündigem Betriebe.
Die vorgeschalteten Röhren, die einzeln noch ein ganz brauchbares Bild liefern, zeigen die
merkwürdige Eigenschaft, dass sie bei der Serienschaltung nicht die geringste Zeichnung des ex¬
ponierten Objektes liefern, sondern eine vollkommene Schwärzung der Platte bewirken. Es handelt
sich hier um eine eigentümliche Modifikation der X-Strahlen, auch dichte Gewebe (Knochen) voll¬
kommen zu durchdringen, also eine gewisse Aehnlichkcit mit den Bequerelstrahlen.
Zwei ausführliche Referate wurden über die Radioskopie und Radiographie der
inneren Organe erstattet. Das erste von
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4 68 Berichte über Kongresse und Vereine.
3. Grunmach (Berlin). Der Vortragende giebt einen Ueberblick über die Methoden und die
bisher erhobenen Befunde, und zeigt eine Serie von vorzüglichen Radiographieen vermittels des
Projektionsapparates. Unter diesen sind besonders die Krankheiten des vasomotorischen Systeme»
zu erwähnen: Aneurysmen, Arteriosklerose, Verlagerungen des Herzens, Perikarditis etc.
Grunmach verwendet stets kurze Expositionen, sehr grosse Induktorien von 80—100ein
Funkenlänge und Tuben mit wassergekühlter Antikathode.
Das zweite Referat erstattet 4. Böclöre (Paris). Vortragender betont, dass die radiologischc
Diagnostik der inneren Organe in der letzten Zeit eine grosse Bedeutung angenommen habe und
jedem Arzt zugänglich werden müsse. Die grösste Wichtigkeit beansprucht in dieser Beziehung
die Diagnostik der Brustorgane. Der Radiographie muss stets eine radioskopische Untersuchung
vermittels des Schirmes vorausgehen. Vortragender demonstriert dabei ein von ihm konstruiertes
Stativ, welches eine allseitige Beweglichkeit der Röhre, Stellungsänderung des Patienten, Ver¬
änderung der Grosse des Diaphragmas etc. mit grösster Leichtigkeit ermöglicht.
Vortragender bespricht sodann die Grundsätze der Diagnostik der Thoracal- und der Ab¬
dominalorgane. Letztere zerfällt in die Untersuchung des Magendarmtraktus und der Konkremente,
speziell der Blasensteine. Die Diagnostik der letzteren hat sich in neuerer Zeit sehr vervollkommnet.
— Die Untersuchung des Schädels und der Wirbelsäule hat vorläufig nur eine indirekte Bedeutung
für die Diagnostik der Nervenkrankheiten, indem sie Knochenveränderungen auf deckt, die den
Ausgangspunkt für Nervenkrankheiten bilden können.
Resümierend spricht Vortragender der Röntgenuntersuchung nur eine indirekte und gelegent¬
liche Bedeutung für das Nervensystem zu, dagegen eine sehr wichtige für die Diagnostik der
Abdominalerkrankungen, und eine ganz hervorragende für die Thoracal Organe. In letzterer
Beziehung verdient sie immer mehr in die allgemeine Praxis eingeführt zu werden, und eine
wichtige Stellung neben der Perkussion und Auskultation einzunehmen.
In der Diskussion kritisiert Holzknecht (Wien) sehr abfällig das Grunmach’sche Referat,
welches nicht einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Frage, sondern nur über die eigenen
Leistungen des Vortragenden dargestellt habe.
Es entspinnt sich über einzelne Punkte eine zum Theil ins Persönliche spielende Debatte, an
der sich ausser Grunmach und Holzknocht noch Benedikt und Kronecker betheiligen.
Im Anschluss hieran spricht
ö. Benedikt (Wien), Sur le diagnostic des maladics du ccrveau et de la moelle par les
rayons de Röntgen.
Er erwähnt einige Fälle von Jackson’scher Epilepsie, bei denen er Verdickungen uud
Exostosen im Schädelinnem mittels der Radiographie hat nachweiscn können, und legt die be¬
treffenden Bilder vor. Da er bei der forensischen Beurtheilung dieser Fälle Widerspruch erfahren
hat, so ersucht er den Kongress, eine Kommission zur Prüfung seiner Negative einzusetzen.
Löduc schlägt trotz aller Hochachtung und Sympathie für Benedikt vor, diesem Wunsche
nicht zu willfahren, und findet damit das Einverständniss der Versammlung.
('). Förster (Bern), Ueber den Einfluss von Röntgenstrahlen auf den elektrischen
Widerstand des Selens.
Vortragender hat vergleichende Versuche darüber angestellt, mit welcher Geschwindigkeit
sich der elektrische Widerstand des Selens ändert, wenn es einerseits den Röntgenstrahlen, und
andrerseits dem gewöhnlichen Licht ausgesetzt ist. Er fand, dass sich der Widerstand bei Be¬
strahlung mit Röntgenstrahlen langsamer ändert.
7. Kienböck (Wien), Radiotherapeutische Fragen.
Er führt u. a. aus, welche Fälle von Bartwuchs der Frauen zur Radioepilation geeignet
sind und welche nicht. Es entwickelt sich nämlich allmählich durch die wiederholten Bestrahlungen
selbst bei Vermeidung von stärkeren Entzündungen Hautatrophie, zugleich mit der Atrophie der
Haarpapillen. Vor anderthalb bis zwei Jahren kann meist die Behandlung nicht als vollendet an¬
gesehen werden, dann aber bleibt der Haarwuchs im wesentlichen ganz aus. Es sind ferner Vor¬
kehrungen nöthig, dass sich das Gebiet der Hautatrophie nicht durch eine Stufe von der umgebenden
normalen Haut das Gesicht scharf abgrenze. Leichte Fälle von Hypertrichosis faciei mulieris sollen
nicht mit Röntgenstrahlen behandelt werden, da die konsekutive Atrophie der Kutis ein grösseres
Uebcl darstcllt, als die Haare.
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469
Berichte über Kongresse und Vereine.
Gewisse Fälle von Alopecia areata capillitii werden durch Röntgenbestrahlung geheilt
Teleangiektasieen, die in der atrophierenden Haut nach Röntgen belieb tung so häufig auf-
treten, kommen nicht nur nach heftiger Radiodermatitis vor, sondern zuweilen, ohne dass jemals
Gxkoriation stattgefunden hat, selbst nach einer einzigen nicht zu intensiven Bestrahlung. Die
Veränderung pflegt sehr spät aufzutreten, und dürfte nicht mehr zum Schwinden zu bringen sein.
Ueber Technik der Radiotherapie brauchte Kienböck nicht viel zu sprechen, da seine
Rathschläge zum grössten Theil von Oudin acceptiert und in dem Referat desselben mitgetheilt
wurden. Nur verdient noch hervorgehoben zu werden, dass der Grad der arteficiellen Radio¬
dermatitis im allgemeinen proportional zur Menge des von der Haut während der Exposition ab¬
sorbierten Röntgenlichtes ausfällt.
Das von Holzknecht auf Grund dieser Erkenntniss konstruierte Chromoradiometer
gestattet die Bestrahlungsdose zu messen, und so wird man leichter als bisher, wie Kienböck es
bereits vorgeschlagen hat, durch eine einzige Sitzung die erforderliche Reaktion hervorrufen
können.
8. Holzknecht (Wien), Ueber Chromoradiometer.
Vortragender erinnert daran, dass die Entstehung der Röntgeudermatitis von der Menge der
von der Haut absorbierten Strahlen abhängt. Es ist daher wichtig, diese Quantität zu messen, und
dies ist durch einen von dem Vortragenden konstruierten einfachen Apparat möglich. Er besteht
aus einer Komposition von Salzen, die sich durch die chemische Wirkung der X-Strahlen blaugrün
färben. Aus dem Grade der Färbung, der an einer Skala abgelesen werden kann, kann man ein
Maass für die Menge der absorbierten Strahlen gewinnen und im einzelnen Falle die zu applizierende
Quantität danach dosieren.
9. Weinberger (Wien), Ueber die bei der Erweiterung der Pulmonalarterie im Röntgen¬
bilde entstehende Schattenform.
Vortragendem ist es gelungen, an einer wesentlichen Vergrösserung des Schattens im zweiten
Intcrkostalraume eine Erweiterung der Pulmonalartcrie zu erkennen. Die Ursache dieser Erweite¬
rung kann, wie die Obduktion mehrerer Fälle ergab, eine sehr verschiedene sein (Offenbleiben des
ductus Botalli, verschiedene Klappenfehler etc.).
Derselbe Autor spricht ferner 10. Ueber die Untersuchung der Brustkrankheiten mit
Röntgenstrahlen und theilt seine Methoden und Grundsätze der Untersuchung mit, bei denen sich
einige Differenzen mit Holzknecht ergeben, der sich in der Diskussion hierüber äussert.
11. Bade (Hannover), Die Bedeutung der Radiologie für die Orthopädie.
Vortragender weist auf die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Orthopädie hin und
erläutert sie an zwei Beispielen, der angeborenen Hüftluxation und der Skoliose. Besonders die
erstere habe aus der Radiologie wissenschaftlich und praktisch Nutzen gezogen in Bezug auf Aetio-
logie, Diagnosenstellung und therapeutisches Handeln.
12. Kienböck (Wien), Ueber Knochenveränderung bei gonorrhoischer Arthritis.
In bisher ungeahnter Häufigkeit, Raschheit und Intensität tritt an den Gelenkabschnitten der
Knochen bei akut beginnender gonnorrhoischer Arthritis eine kariesähnliche Erweichung auf. Im
Röntgenbild erscheint dort der Schatten der Knochen hell und seine Umriss- und Strukturzeichnung
verschwommen, also Veränderungen, die bisher meist als Inaktivitätsatrophie angesehen wurden, aber
besser mit Sudeck als akute Knochenatrophie oder als akute porotische Atrophie zu bezeichnen
sind. So lässt sich auch frühzeitig die Usur des Gelenkknorpels und die beginnende Synostose
erkennen (Demonstration der Radiogramme).
13. Henrard (Bruxelles), Lösions osseuses rares suites do contusions multiples unique-
ment diagnostiquöes par la radiographie.
Vortragender zeigt die Radiogramme von vier Fällen, bei denen sich nach einem Trauma
eine Hyperpfodnktion von Knochen entwickelt hatte. Besonders bei einem siebenjährigen Kinde,
welches einen Sturz auf eine Hand erlitten hatte, ist die Ueberproduktion an den Karpusknochen
sehr deutlich im Radiogramm zu demonstrieren. In der Diskussion erwähnen Laqucrriere und
Bcrgonniö ähnliche Beobachtungen.
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470 Berichte über Kongresse und Vereine.
14. Decref (Madrid), Appareil de Chabaud pour la radiographie störeoscopique.
Vortragender giebt eine Boschreibung des Chabaud’schen stereoskopischen Röntgenapparates
und der damit erreichten Resultate.
15. B. Walter (Hamburg), Uebcr Röntgenstereoskope.
Während bei der bisherigen stereoskopischen Röntgentechnik verkleinerte Diapositive an¬
gefertigt werden mussten, die vermittels eines gewöhnlichen Stereoskopes betrachtet wurden, hat
Vortragender in Verbindung mit der optischen Anstalt von A. Krüss (Hamburg) Apparate ange¬
fertigt, bei welchen die Originalaufnahmen direkt betrachtet werden können. Diese »Stereoskope
für grosse Bilder« haben drei verschiedene Formen, die als Spiegel-, Prismen- und Linsenstereo¬
skope unterschieden werden.
10. Eid (Cairo), Radiographies obtenues avec la courant alternatif redresse par la
soupape Nodon.
Vortragender zeigt sehr gute Radiogramme, die mit dem im Titel angegebenen Instrumentarium
aufgenommen sind.
17. Luraschi (Mailand), Nouvelle bobine pour rayons X ä chariot.
Luraschi beschreibt ein neues lnduktorium, dessen Vorzüge hauptsächlich in Regulierbark eit
der Kapazität des Kondensators, in Regulierbarkeit der Autoinduktion der primären und der In¬
duktion der sekundären Spule bestehen.
18. Espina y Capo (Madrid), fitude de rectification de Faire cardiaque au moyen des
rayons X.
Die radiographischen Untersuchungen des Herzens haben den Vortragenden zu dem Er-
gebniss geführt, dass die Schattenzone kleiner ist, wie die Zone der absoluten Dämpfung und tiefer
als diese liegt (Demonstration).
19. Sala (Pavia), Actions des rayons X sur la peau.
Vortragender hat in Thierversuchen feststellen wollen, ob die bei Röntgenbestrahlungen be¬
obachteten Veränderungen der Haut und der Haare auf Alterationen der Nerven zurückzuführen sind
Er fand keine Veränderungen an den peripheren Nerven und am Rückenmark.
20. Destot (Lyon), Nouvelle möthode de radioscopie abdominale.
Die Methode besteht in Aufblähung des Magens mittels der Fauchö’sehen Tube. Dabei ent¬
faltet sich der Magen, wenn er gesund ist, ganz gleichmässig, während in Krankheitszuständen, in
denen die Elastizität der Magenwände verändert ist, seine Entfaltung und seine Form verändert ist.
21. d’Arman (Venedig), Sul miglior modo di render graduabili li rochette per la
radiografia.
Vortragender beschreibt ein lnduktorium, welches eine sozusagen universelle Benutzung er¬
möglicht für Faradisation, Arsonvarsche Ströme, Hydroelektrische Bäder und Röntgenstrahlen.
Die Vorträge von 22. Dessauer (Aschaffenburg), Eine neue Röntgenröhre und von
22. Rosenthal (München), Ueber eine neuo regulierbare Röhre (Voltohm-E-Röhrc) seien
liier nur erwähnt, ohne dass auf ihren sehr interessanten, aber rein technisch-physikalischen Inhalt
hier näher eingegangen werden könnte.
Gehen wir nunmehr von der Radiologie zu der Elektrotherapie im engeren Sinne über, so
sind folgende Mittheilungen zu erwähnen:
1. Laquerriöre et Delherm (Paris), Influence sur la constipation des traitements
ölectriques gynöcologiques.
Der Mittheilung liegen 28 Fälle von hartnäckiger Obstipation zu Grunde bei Kranken, welche
einer gynäkologischen Elektrotherapie unterworfen wurden.
Heilungen oder beträchtliche Besserungen wurden in 50°/ 0 der Fälle beobachtet, und es machte
dabei keinen grossen Unterschied aus, ob die Störung durch ein mechanisches im Becken sitzendes
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Berichte über Kongresse und Vereine. 471
Hinderniss zu erklären war, oder ob sie eine andere Ursache hatte. Es ist daher in Fällen von
schwerer Obstipation, wenn nicht irgend eine bestimmte Kontraindikation besteht, auf jeden Fall
die gynäkologische Elektrotherapie zu versuchen.
2. Dieselben, A propos du traiteme’nt de rentero-colite muco-racmbraneusc par la
mSthode du professeur Doumer.
Die Do um ergehe Methode (konstanter Strom von 50—100 M.-A., die beiden Elektroden in
den Fossae iliacae, Dauer 10 Minuten, jede Minute eine Strom Wendung) wurde nur bei sicher
diagnostizierten Fällen, nach Versagen der üblichen Therapie angewendet Die Erfolge siud vor¬
züglich: es treten spontane regelmässige Stühle auf, die Membranen verschwinden etc. Unter 25
Fällen nur ein völliger und zwei theilweisc Misserfolge, die hauptsächlich auf Nebenumstände zurück¬
zuführen waren.
Dieselben, Traitement de la constipation chronique opiniätre et plus parti-
culiörement de la constipation spasmodique par le courant de Watteville.
Bei den spasmodischen Formen der Konstipation versagen diejenigen Methoden der El'cktri-
sation, welche nur anregend auf die Kontraktilität wirken. Der Watteville’sche Strom gab da¬
gegen sehr gute Resultate: unter 30 Fällen nur zwei Misserfolge. Methode: 10 Minuten Dauer,
grosse Kathode vorn, grosse Anode in der Lendengegend, 50—100 M.-A., sehr schwacher fara-
discher Strom.
Bei Enterocolitis wurde diese Methode auch versucht, gab aber viel schlechtere Resultate
wie die Do um er’sehe.
4. Bloch (Paris), ä propos du traitement ölectrique de la constipation.
Vortagender bespricht die verschiedenen Methoden der Elektrotherapie der Konstipation. Er
giebt der Methode von Doumer (konstante Ströme von hoher Intensität) den Vorzug bei hart¬
näckiger veralteter Obstipation. Den Watteville’schen Strom verwendet er nur in frischen Fällen.
Die Behandlung muss noch einige Zeit nach dem Wiederauftreten des normalen Stuhles fortgesetzt
werden.
In der Diskussion betont Laquerriöre, dass beim Wat tevi Ile'sehen Strom der Induktions¬
strom einer dünndrähtigen Spirale angewendet werden muss. Die Spirale von groben Draht giebt
nicht dieselben Erfolge.
5. Schatzkij (Moskau), Donnees biologiqucs au traitement des inflammations par 1c
courant continu.
Vortragender betrachtet die Entzündung als die Gesammtheit derjenigen Affektionen, welche
auf einer akuten Störung in der Verthcilung der Emährungssubstanzen beruhen. Die Ursache der
Entzündung ist eine durch ein schädliches Agens hervorgerufene Alteration des physiologischen
Gleichgewichtes zwischen dem Protoplasma und dem Kern der Zelle, welche zu einer anormalen
Funktion führt.
Der wichtigste Faktor dabei ist ein Mangel an Sauerstoff, welchen der Entzündungserreger
dadurch erzeugt, dass er entweder die Aktivität der Zellen steigert oder für sich selbst Sauerstoff
verbraucht.
Durch den konstanten Strom entsteht in der entzündeten Region eine vermehrte Zufuhr von
freiem Sauerstoff, und die Zellen können dadurch ihre normale Funktion wiederherstellen.
Der Strom bewirkt ferner auf seinem ganzen Wege eine elektrolytische Zersetzung der Flüssig¬
keiten und der Salze der Gewebe, und indem er die Jonen nach den Polen transportiert, vermindert
er das entzündliche Oedem und lässt dadurch die Blut- und Lympheirkulation wieder normal werden.
Indem der konstante Strom also die normale Vertheilung der Ernährungsubstanzen in den Geweben
herstellt, verhindert er auch die progressiven Phänomene der Entzündung (die gesteigerte Proliferation
des Bindegewebes und des Endotheliums).
Auf dieser theoretischen Basis hat Schatzkij die galvanische Behandlung der Entzündungen
praktisch erprobt. Er setzt stets die Anode auf den locus morbi und die Kathode möglichst in
die Nähe, bei Gelenken etwa auf die gegenüberliegende Seite. Als Elektroden benutzt er Leinen¬
tücher, die durchfeuchtet und je nach der Region zusammengefaltet und mit einer biegsamen
Elektrodenplatte bedeckt werden.
Vortragender hat das Verfahren bei Periostitis, Adenitis, Angina, Phlegmone und rheumatischer
Arthritis mit ausgezeichnetem Resultat angewendet. Er erwähnt zwei Fälle: ein taubeneigrossor
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472 Berichte über Kongresse und Vereine.
Abscess am Unterkiefer wurde 15 Minuten mit einem Strom von 20 M.-A. behandelt. Am nächsten
Morgen war der Schmerz geschwunden und der Abscess kaum mehr zu fühlen.
Bei einer luetischen Periostitis der Clavicula verschwanden alle Symptome in drei Sitzungen
ohne anderweitige Behandlung.
In der Diskussion theilt Luzenberger ebenfalls günstige Resultate bei luetischer Periostitis
mit Mann hat das Gegentheil gesehen. Im übrigen schweift die Diskussion vom Thema ab und
beschäftigt sich hauptsächlich mit der differenten therapeutischen Wirkung der beiden Pole, welche
Benedikt im Gegensatz zu anderen Rednern absolut leugnet.
G. Schatzkij (Moskau), Der konstante Strom als Heilmittel der Tuberkulose.
Aus den im vorsthehenden Vortrag angeführten Erwägungen heraus hat Schatzkij den
konstanten Strom auch bei Tuberkulose, sowohl Gelenk-, wie Lungen- und Kehlkopftuberkuluse
angewandt und berichtet über sehr günstige Erfolge.
7. Delherm (Paris), Traitement de Farthrito blennorrhagique ä la periode aigue par
le courant continu ä dose ölövöe.
Vortragender hat beobachtet, dass in Fällen von gonnorrhoischer Hydarthrose, Arthralgie oder
Arthritis der kleinen oder grossen Gelenke die Galvanisation bei weitem bessere Resultate liefert,
wie alle anderen Behandlungsmethoden. Er wendet sie so zeitig wie möglich an in einer Stärke
von 20—60 M.-A. und mehr, wenn es irgend möglich ist. Die Sitzungen finden ein- bis zweimal
täglich statt; um die Anwendung der hohen Stromstärken zu ermöglichen werden Elektroden aus
Thon gebraucht Alle Versteifungen, Ankylosen und Atrophieen werden durch diese Methode
sicherer wie durch irgend eine andere verhindert.
8. Laquerriöre (Paris), Affcctions pöriutörinos et Fölectricitö.
Vortragender weist darauf hin, dass cirkulatorische nervöse Störungen bei den periuterinen
Affektionen oft von grossem Einfluss sind, betont die günstige Einwirkung der Elektrizität bei
denselben. Kontraindikation bilden nur Eiteransammlungen und akute infektiöse Erscheinungen; in
allen anderen Fällen kann die Elektrisation, wie Vortragender nach dem Vorgänge seines Lehrers
Apostoli erpropt hat, versucht werden und giebt oft bemerkenswerthe Besserungen selbst bei
anatomischen Läsionen, chronisch infektiösen Zuständen u. dcrgl. Bei nervösen und cirkulatorischen
periuterinen Erkrankungen bildet sie die spezifische Behandlungsmethode. /
9. Laquerriöre (Paris), Les contraindicationa au traitement ölectrique des myomes
utörines.
Man hat mit Recht allerhand Kontraindikationen für die elektrische Behandlung der uterinen
Fibromyome aufgestellt. Man muss aber die verschiedenen Prozeduren genau unterscheiden und
darf nicht alle Kontraindikationen, die für die Methode von Apostoli gelten, auch den anderen
Methoden zuschreiben, wenngleich die ausserordentlich wirksame und energische Ap ob toi Fache
Methode nicht, wie man allgemein annimmt, die Methode der hohen Intensitäten, sondern die des
»Maximums der Toleranz« darstellt.
Es giebt absolute und relative Kontraindikationen. Ueber erstere darf man sich niemals
hinwegsetzen, die letzteren können unter gewissen Umständen vernachlässigt werden, wenn der
Behandelnde genügende Erfahrungen in der Elektrotherapie besitzt.
Ausser den Fällen in denen die Elektrotherapie die spezifische Behandlung darstellt und
denjenigen, in denen sie leicht von einem jeden Arzt angewendet werden kann, giebt es viele
andere, bei denen die Resultate weniger rasch und vollständig sind, und in denen die Anwendung
eine besondere Geschicklichkeit von Seiten des Operateurs erfordert. Diese Fälle bilden aber keine
wirklichen Kontraindikationen.
10. Hornung (Schloss Marbach), Die Elektrotherapie der Herzmuskelinsufficienz.
Vortragender berichtet an der Hand von 560 Fällen über die Erfolge der Elektrotherapie bei
Herzmuskelinsufficienz. Die Therapie versagt selbst in den schwersten Fällen nicht, solange noch
der grössere Thcil des Gefässsystems elastisch und im stände ist, durch seine Arbeit das Herz zu
entlasten. Nicht geeignet für die Behandlung sind Fälle von fortgeschrittener Arteriosklerose.
Die Elektrizität wird angewandt in der Form der sinusoidalen Wechselströme, der faradischen
Ströme und der Franklinisation. Die Anwendung der einen oder anderen Form ergiebt sich nach
dem Zustande des Kranken und kann im allgemeinen so präcisiert werden, dass muskelstarkr
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Berichte Über Kongresse und Vereine.
473
Kranke mit den am stärksten wirkenden Wechselströmen und zwar in Form der elektrischen Bäder
behandelt werden, während die mildere faradische und statische Behandlung in verschiedene Ab¬
stufungen im Beginn der Kur bei empfindlicheren Kranken angewandt wird.
Die Erfolge dieser Behandlung, bei der schon nach der ersten Anwendung sich ein ganz
bedeutendes Zurückgehen der Herzerweiterung zeigt, sind glänzende. So sind z. B. in diesem Sommer
am Ende der Kur drei Kranke im stände gewesen, den Säntis (2400 m) ohne die geringste
Schädigung zu besteigen.
Vortragender empfiehlt zum Schlüsse seiner Ausführungen an Stelle der mindestens sehr un¬
angenehmen kalten Bäder bei Infektionskrankheiten, wärmere faradische zu setzen, wenigstens in den
Fällen, wo die Gefahr einer GerinselVerschleppung nicht vorliegt, um dadurch einmal die Herzkraft
während der Dauer der akuten Erkrankung zu erhalten, sodann aber durch Fortsetzung der Be¬
handlung in der Rekonvalescenz zu gleicher Zeit prophylaktisch zu wirken, weil nach seiner Er¬
fahrung der grösste Theil der zur Behandlung kommenden Herzmuskelinsufficienzen sich an fieber¬
hafte Krankheiten anschliesst
11. Bergoni6 (Bordeaux), De l'excritation intra-rachidienne chez l’homme dans un but
thörapeutique.
Vortragender hat in drei Fällen im Anschluss an Lumbalpunktionen eine faradische Reizung
des Rückenmarkes vorgenommen und hat gefunden, dass dies ohne Gefahr und ohne Schmerz
möglich ist Aus den resultierenden Muskelkontraktionen ergab sich, dass theils das Rückenmark
selbst, theils die Wurzeln gereizt wurden. Verfasser glaubt, dass man diese Methode vielleicht bei
manchen Rückenmarkskrankheiten versuchen könne.
12. Libottc (Bruxelles), Röle de Pölectricitö dans le traitement des fractures.
Vortragender verwendet bei der Behandlung der Frakturen den galvanischen Strom. Während
das Glied im Verbände liegt, werden die Nervonstämme der Einwirkung der Galvanisation aus¬
gesetzt. Dieselbe erregt die Motilität, die Sensibilität und die Vasomotoren, und bewirkt dadurch
eine Resorption des Exsudates, eine Verminderung der Schmerzen und eine Beschleunigung der
Reparation. Es ist gewissermaassen eine Mobilität während der Immobilität
13. Thiel 16 (Rouen), Un cas d'ictöre traitö par la voltaisation sinusoTdale ondulatoire.
Der Inhalt des Vortrages ergiebt sich aus dem Titel.
* *
*
Schliessen wir nunmehr die Mittheilungen über die Arsonral’schen Hochfrequenzströme an,
die im Gegensatz zu dem Pariser Kongress vor zwei Jahren auffallend gering an Zahl waren.
1. Bergoniö (Bordeaux), Traitement des angiomes plans ou taches angiomateuses par
les courante de haute fröquence.
Während bei den grossen Angiomen die Elektrolyse die wirksamste Methode ist, bildet bei
den angiomatösen Flecken, die die Hautoberfläche nicht überschreiten, die Anwendung der Arsonvali-
sation das sicherste Mittel. Bergoniö wendet sie an in Form von Ausstrahlungen aus dem
sekundärem Solenoid. Die rothblaue Haut wird sofort nach dieser Applikation weiss, es tritt eine
reaktive Entzündung und eine subkutane Heilung mit mehr oder weniger entfärbter Epidermis ein.
Die Intensität der Bestrahlung muss sich nach der Empfindlichkeit der Haut richten.
In der Diskussion berichten Guilloz und Luraschi ebenfalls über günstige Erfolge mit
dieser Methode. Beel Öre fragt, ob nicht die Wirkung zum Theil von ultravioletten Strahlen herrührt,
was von Laquerriöre und Kurella bestritten wird.
2. A. Moutier (Paris), Rösultats thörapeutiques de la d’Arsonvalisation.
Nach dem Vortragenden setzt die Autokonduktion den Blutdruck herab und ist deshalb die
beste Behandlung der prämonitorischen Periode der Arteriosklerose und ihrer Folgezustände.
Andererseits steigert die direkte Anwendung der Hochfrequenzströme den Blutdruck, weswegen
sie bei fieberhaften Krankheiten (Pleuritis, Perikarditis, Lungentuberkulose) ein Mittel von grosser
Bedeutung darstellt. Ferner soll nach Moutier die Autokonduktion bei Gallen- und bei Nieren¬
steinen den Austritt bereits gebildeter Steine erleichtern und die Bildung neuer Steine verhindern.
In der Diskussion wird die Methode der Blutdruckmessung besprochen, ferner bestätigen
Laquerriöre und Kurella die günstigen Erfolge, letzterer besonders bei Migräne, depressiven
Zuständen und Stoffwechselerkrankungen.
Zeftftchr. f. diät u. physfk. Therapie Bd. VI. lieft 8. 33
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474 Berichte über Kongresse und Vereine.
3. Billinkin (Epemay), Anesthesic locale par les courants de haute fröquence dans
la eure des hömorroides.
Vortragender benutzt Arsonvarsche Bestrahlungen (vermittels des Oudin’schen Resonators),
um eine Anästhesie zur galvanokaustischen Entfernung der Hämorrhoiden zu erzeugen.
4. M. Neumann (Wien), Hochgespannte Elektrizität in der Medicin.
Vortragender berichtet über die therapeutischen Erfahrungen, die er mit der hochgespannten
Elektrizität in ihren verschiedenen Formen (Franklinisation, Areonvalisation, Röntgenstrahlen, mono¬
discher Voltastrom, ultraviolette Strahlen) gemacht hat
Von Allgemeinwirkungen rühmt er besonders die schlafmachende und sedative, von lokalen
die anästhesierende und analgesierende, welche sich bei Myalgieen, Neuralgieen etc. vortheilhaft ver¬
wenden lässt Bezüglich der Wirkungen auf den Blutdruck hat er widersprechende Resultate er¬
halten, bei Stoffwechselerkrankungen sah er keinen Erfolg.
Die Röntgenstrahlen wandte er besonders bei Hautaffektionen (Lupus, Sycosis, Favus, Ekzem,
Hypertrichosis etc.) mit gutem Erfolge an.
f>. Guilleminot (Paris), Emploi et röglage du rösonateur en spirale pour les appli-
cations des courants de haute fröquence.
Guilleminot beschreibt eine Vorrichtung zur Regulierung der Resonatorwirkung, welche
in der Einschaltung einer kleinen Spirale von regulierbarer Seifinduktion besteht.
Schliesslich ist ein Vortrag über die neueste Methode der Elektrotherapie zu erwähnen:
Müller (Zürich), üeber das Prinzip der Permea-Elektrotherapie (Elektromagnetische
Therapie).
Vortragender schildert die Prinzipien seiner neuen Behandlungsmethode 1 ) und demonstriert
in der Ausstellung seine Apparate. Er theilt verschiedene Beobachtungen mit, auf Grund deren
er zu dem Schlüsse kommt, dass die bisher wissenschaftlich negierte Eigenschaft der magnetischen
Kraft, organische, lebende Körper direkt nachweisbar zu beeinflussen, thatsächlich besteht und dass
die beobachteten Erscheinungen (insbesondere die subjektiven Lichterscheinungen) nicht auf die
Induktion elektrischer Ströme zurückzuführen sind. Es ist ihm trotz mannigfaltiger Versuche nicht
gelungen, nachzuweisen, dass in Flüssigkeiten und organischen Körpern elektrische Ströme durch
das magnetische Feld induziert werden.
Ferner hat er eine Fähigkeit des magnetischen Feldes, auf organischo und anorganische
Lösungen und Flüssigkeiten einzuwirken, konstatieren können, eine Eigenschaft, wie sie in ähn¬
licher Art der Elektrizität in allen ihren bekannten Formen nicht eigen ist.
Ueber Lichttherapie lagen folgende Mittheilungen vor:
l. Strebei (München), Lichtgeneratoren in der Lichttherapie.
Vortragender schildert verschiedene von ihm angegebene Neuerungen in der Konstruktion
der Lampen für die Lichttherapie. Die Eisenlampe hat er dadurch verbessert, dass der Voltabogen
nicht mehr wie früher zwischen wassergekühlten Eisenröhren, sondern zwischen massiven Eisen¬
stäben erzeugt wird, die in doppelwändige vom Wasser durchflossene Röhren eingelegt sind. Sie
haben den Vortheil, dass sich der abbrennende Eisenstift während der Behandlung durch eine
Schraube leicht nachschieben lässt. Sie liefern ferner ein konzentriertes Ultraviolett und gewähr¬
leisten dadurch eine deutlichere Tiefenwirkung, als sich mit dem einfachen Ultraviolett der bisherigen
Eisenlampen erzeugen lässt Dem Eisenlicht fehlt im allgemeinen die (z. B. für die Lupusbehand¬
lung nöthige) Tiefenwirkung, weil es keinen bedeutenden Gehalt an chemisch wirksamen permeablen
Farbstrahlcn hat. Vortragender bemühte sich deshalb Elektroden herzustellen, welche neben viel
Ultraviolett auch viel Farbstrahlen zu liefern im stände sind, und dies gelang ihm durch Herstellung
einer Mischung von Ferrum reductum mit Kohle; er erzielte ferner eine Verstärkung der Wirkung
durch Hintereinanderschaltung zweier Lampen im gleichen Stromkreise, die vermittels Reflektoren
ihr Licht auf eine Stelle werfen.
l ) s. diese Zeitschrift Bd. f». S. 011 und Bd. 0. S. ö‘2ff.
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Qrigiral frem
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Berichte Über Kongresse und Vereine.
475
Schliesslich erwähnt Vortragender die Verwendung des im luftleeren Raume erzeugbaren
elektrischen Glimmlichtes für therapeutische Zwecke. Er verwendet dieses Licht zur Behandlung
der männlichen chronischen Gonorrhoe. Das Licht wird in einem röhrenartigen Instrument erzeugt,
welches in die Harnröhre eingeführt wird und etwa eine Stunde bis zur Erzielung einer schwachen
Schleimhautreaktion liegen bleibt.
2. Curchod (Basel), La lampe dermo et le traitement du lupus.
Vortragender hat Versuche mit der Lampe »Dermo« (Eisenelektroden mit Wasserkühlung)
angestellt und hat sehr gute Erfolge bei Lupus erzielt. Er stellt eine seit 2 1/2 Monaten in Behandlung
befindliche Patientin vor und hofft, dass dieser Apparat dazu dienen wird, der Lichttherapie, die
bisher auf einzelne Institute beschränkt war, eine grössere Verbreitung zu geben.
Schiff bemerkt in der Diskussion, dass er zwar ebenfalls Erfolge von der Lampe Dermo
gesehen hat, dass dieselbe aber die Methode von Finsen nicht werde ersetzen können.
3. Leuillicux (Nantes), Emploi de la cathode du tube de Geissler pour la production
de rayons vjiolets et ultraviolets. Applications cliniques.
Vortragender hat phototherapeutische Versuche mit den Ausstrahlungen von Geissler’schen
Röhren gemacht. Auf gesunden Hautflächen verursacht die Bestrahlung eine kaum merkliche
Empfindung und ganz geringe Röthung. Bei der Applikation auf Naevi verringert sich bald die
rothblaue Färbung. Er erwähnt zwei Fälle, in denen die Resultate sehr gut waren.
Löduc giebt in der Diskussion der Hoffnung Ausdruck, dass die Verwendung der Geissl er¬
sehen Röhren sich als eine Vereinfachung in der Lichttherapie bewähren wird.
4. Foveau (de Courraclles), La photothörapie.
Vortragender schildert hauptsächlich den von ihm selbst konstruierten Apparat, den »Radiator
Foveau«, welcher, wie aus der Diskussion hervorgeht, auch von anderen Therapeuten (Michaud)
allen anderen Apparaten vorgezogen wird.
ö. Tonta (Mailand), Le bain de lumiöro perfectionnö avec aspirateur.
Vortragender beschreibt eine verbesserte Konstruktion des Glühlichtbades, welches mit einem
Ventilator versehen ist und auch sonst noch einige kleine Neuerungen enthält.
Die zwei letzten Sitzungstage brachten noch zwei ausführliche Referate:
Guilloz (Nancy), Sur Pölectrolyse et lo galvanocaustic chirurgicales.
Vortragender bespricht zunächst die Theorie der elektrolytischen Vorgänge und kommt zu
dem Schluss, dass es sich bei der chirurgischen Elektrolyse meistens um eine mehr oder minder
intensive Galvanokaustik handele. Stets ist dies der Fall in der Nähe metallischer Elektroden. Die
interpolaren Wirkungen in der Nachbarschaft der Elektroden rühren von dem elektrolytischen
Transport der sekundären Produkte her.
Die Gewebe reagieren auf die galvanokaustische Reizung mit Bindegewebsproliferation, deren
Produktion nach Ort und Quantität durch die Bedingungen der Elektrolyse reguliert werden kann.
Dieser histologische Prozess führt die Modifikation und die Heilung der Blutgeschwülste herbei.
Ausser diesen galvanokaustischen Wirkungen giebt es auch interpolare Wirkungen. In diesen inter-
polaren Wirkungen liegen wahrscheinlich die »resolvierenden« Eigenschaften des konstanten Stromes
zum Theil begründet.
Vortragender bespricht sodann ausführlich die Applikationsweise der Elektrolyse bei den
einzelnen Krankheitsformen.
Batelli (Genf), Les dangers des courants ölectriques industriels.
Während die Ströme von hoher Spannung den Tod durch Hemmung der nervösen Centra
herbeiführen, töten die Ströme von niedrigerer Spannung durch Herzlähmung. Die letzteren führen
zu fibrillären Zuckungen des Herzens, und der Tod erfolgt.
Bei Anwendung hochgespannter Ströme schlägt das Herz weiter, aber die Athmung steht still
Ein Strom von hoher Spannung kann ein Herz, welches durch einen niedriger gespannten
Strom in fibrilläres Zittern gerathen ist, wieder zu rythmischen Schlägen bringen (Demonstration
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476
Berichte über Kongresse und Vereine.
eines Thiervereuches!), im übrigen aber tritt stets Herzstillstand und Tod ein, wenn erst fibrilläres
Zittern vorhanden war.
Diese durch das Thierexperiment gewonnenen Erkenntnisse erklären die anfänglichen Miss¬
erfolge der elektrischen Hinrichtungen. Man verwendete einen hochgespannten Strom und erhielt
Lähmung der Centren, aber die Exekutierten kehrten zum Leben zurück, weil das Herz weiter schlug.
Man muss zunächst einen hochgespannten Strom einleiten, um die Centra zu lähmen, dann
die Spannung verringern, um Herzzittern zu erzielen, und der Tod wird unabwendbar eintreten.
Sobald das fibrilläre Zittern eingetreten ist, nützt keines von den üblichen Wiederbelebungsmitteln.
Vortragender geht dann auf die Verbrennungen und die sonstigen durch den Strom hervor¬
gebrachten Schädigungen ein (Lähmungen, Kontrakturen etc.), und bespricht schliesslich den Ein¬
fluss des Hautwiderstandes, der Grösse und des Ortes der Berührungsfläche, und die zu versuchenden
Mittel zur Abwendung der Gefahr. Die Gefahren der industriellen Ströme beginnen bei Wechsel¬
strom bei etwa 400—500, bei Gleichstrom bei 1500 Volt.
An den Vortrag und die Demonstration schliesst sich eine lebhafte Diskussion an, an der
sich besonders Kronecker, Asher, Jellinek betheiligen.
Letzterer weist auf die Aehnlichkeit der von Batelii demonstrierten herzbelebenden Wirkung
des Starkstromes mit seinen Beobachtungen über Chloroformnarkose i) hin.
Im Anschluss an dieses Referat hält Jellinek (Wien) seinen Vortrag über histologische
Veränderungen im menschlichen und thierischen Nervensystem, hervorgerufen
durch Elektrizität
Die durch atmosphärische und technische Elektrizität verursachten Gesundheitsstörungen
weisen grosse Aehnlichkeit, mitunter Identität auf. Um nichts zu präjudizieren, sollten die
letzteren als »animalische Effekte der Elektrizität« bezeichnet werden. Für deren Entstehung ist
der Uebergangswiderstand von Bedeutung.
Wir unterscheiden Lokal- und Allgemeinsymptome.
Zu den ersteren gehören: Haut- und Haarverbrennungen, Blutaustritte, schussförmige Durch¬
löcherungen der Haut, Blitzfiguren.
Die Allgemeinsymptome sind ausserordentlich mannigfaltig: Vorübergehende Bewusstseins¬
störungen, Koma, Psychosen, Lähmungen, Schwerhörigkeit bis Taubheit, Sensibilitätsstörungen,
Störungen der Herz- und Lungenthätigkeit, Oedeme, Gelenkschwellungen etc.
Die histologische Untersuchung menschlicher und thierischer Nervensysteme ergab frische
und alte Veränderungen.
Zu den ersteren gehören mikroskopische Blutaustritte, Zerreissungen der Kapillaren, Zellver¬
änderungen.
Die Veränderungen älteren Datums (bei überlebenden Thieren) bestanden in frischen
(Marchi) und älteren (Weigert) Degenerationen des centralen und peripheren Nervensystems.
Diese Befunde sind die ersten dieser Art.
! ) s. diese Zeitschrift Bd. G. S. 71.
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Referate Aber Bücher und Aufsätze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährnngstherapie).
X. Cremer und M. Henderson, Ein
experimenteller Beitrag zur Lehre vom
physiologischen Eiweissminimum. Zeit¬
schrift für Biologie Bd. 24. Neue Folge.
E. Voit und Korkunoff hatten gezeigt,
dass die geringste zur Erhaltung des N- Gleich¬
gewichts nöthige Ei weisem enge beim Hund um
etwa 11 o/o grösser ist, als die Eiweissmenge,
die im Hunger zersetzt wird. Sivön hat da¬
gegen für den Menschen weit geringere relative
Eiweisswerthe als zur Erhaltung des Körper¬
bestandes noch ausreichend gefunden.
Die Verfasser theilen nun zwei an Hunden
angestellte Beobachtungsreihen mit; in beiden
bekamen die Thiere noch etwas höhere Eiweiss¬
mengen, ^als nach jenen E.Voit’sehen Versuchen
unter Berücksichtigung der vorher bei Inanition
ausgeschiedenen N- Zahlen eben hinreichend ge¬
wesen wären (daneben noch im einen Fall vier
Fünftel, im anderen den ganzen durch Respirations¬
versuche festgestellten Kalorieenbedarf in N-freier
Kost), ln beiden Versuchen reichte die verabfolgte
Eiweissmenge jedoch nicht aus, die Thiere im
N-Gleichgewicht zu halten.
Die Verfasser theilen diese Versuche als
statistischen Beitrag mit, ohne einstweilen ver¬
allgemeinernde Schlüsse daraus ziehen zu wollen.
D. Gerhardt (Strassburg).
G. Lnsk, lieber Phloridzindiabetes« Zeit¬
schrift für Biologie Bd. 24. Neue Folge.
Lusk wendet sich gegen die aus den letzten
Jahren stammenden Arbeiten von Rumpf und
v. Noorden und/deren Schülern, die zeigen
sollen, dass beim* Diabetes des Menschen und
beim experimentellen Phloridzindiabetes auch
aus Fett Zucker gebildet werden könne. In
jenen Arbeiten wurde das Verhäliniss des Zuckers
zum Stickstoff im Harn (D: N) grösser gefunden
(3,6 bis 5,2: 1), als es nach den bisher geltenden
Regeln hätte ausfallen können, wenn der Zucker
lediglich dem Eiweiss entstammen sollte. Lusk
erinnert aber daran, dass er selbst in früheren
Versuchen beim Phloridzinhund schon Werthe
von ca. 3,6:1 beobachtet hat, und berichtet über
neue Versuche, in welchen dies Verhältniss tage¬
lang ebenfalls zwischen 3 und 4:1 schwankte.
Beim Phloridzindiabetes scheint also die Quelle
der Zuckerbildung umfangreicher zu sein als
beim Pankreasdiabetes, bei welchem Minkowski
jenes Verhältniss regelmässig 2,8:1 fand. Bei
mit Phloridzin vergifteten Ziegen, Kaninchen
und Katzen fand übrigens auch Lusk nur 2,8:1.
Dies Verhältniss kann noch grösser werden
im Beginn der Phoridzinwirkung dadurch, dass
zunächst aller im Körper vorhandene Zucker im
Harn ausgeschwemmt wird.
Lusk sucht ferner durch zwei längere Be¬
obachtungsreihen an Hunden (darunter auch ein
sechsstündiger Respirationsversuch) darzulegen,
dass im Phloridzindiabetes für den nicht zur Ver¬
brennung gelangenden Zucker entsprechende
Mengen von Eiweiss eintreten, und dass diese
gesteigerte Eiweisszersetzung durch Fettzufuhr
nicht eingeschränkt werden könne.
Endlich theilt er Beobachtungen über
Phloridzinwirkung bei Milchziegen mit Er fand,
dass durch Phloridzin ebenso wie durch einfache
Inanition die Menge der Milch zwar sehr ver¬
mindert, ihr prozentischer Fettgehalt aber be¬
deutend (aufs 2 — 2i/2^ ac be) gesteigert wird; die
Ursache ist offenbar der reichliche Fettgehalt des
Blutplasmas, der bei Hunger wie bei Phloridzin¬
vergiftung gefunden wird.
D. Gerhardt (Strassburg).
Fr. Krüger, Zur quantitativen Pepsin¬
wirkung. Zeitschrift für Biologie Bd.41. Heft 3.
Die vielfach variierten Versuche des Ver¬
fassers zeigen zunächst, dass vermehrter Zusatz
von Pepsin vermehrte Eiweissspaltung bedingt,
dass aber die Menge des gespaltenen Eiweisses
weniger zunimmt als die Menge des zugesetzten
Pepsins. (Die Arbeiten von E. Schütz,
Borissow, J. Schütz, wonach die zersetzten
Eiweissmengen sich verhalten wie die Quadrate
der Pepsinmengen, bleiben unberücksichtigt,
übrigens liegen die angewandten Konzentrationen
ausserhalb der von J. Schütz angegebenen
Grenzen.) Ferner zeigten Krüger’s Versuche,
dass die Menge der Verdauungsprodukte um so
grösser ist, je geringer die Konzentration der
Eiweisslösung. Bleiben prozentischer Gehalt an
Eiweiss und Salzsäure gleich, wächst aber
(natürlich unter Vermehrung des Flüssigkeits-
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478
Referate über Bücher und Aufsätze.
quantums) die absolute Eiweissmengc, dann wird
von einer gewissen Grenze ab nur ein gewisser
und für die gegebenen Bedingungen konstanter
Prozentsatz der weiteren Ei weissmengen
peptoniaiert Im allgemeinen liefern grossere
Eiweissmengen bei gleichen Pepsinmengen wohl
absolut mehr, aber relativ weniger Verdauungs¬
produkte als kleinere.
D. Gerhardt (Strassburg).
Fr. Krüger, Weitere Beobachtungen über die
quantitative Pepsinverdaunng. Zeitschrift
für Biologie Bd. 41. Heft 4.
Die Arbeit sucht für die in der vorigen Ab¬
handlung beobachtete Erscheinung, dass die
Pepsinwirkung mit der Grösse der Ei weissmengen
relativ geringer wird, eine Erklärung zu geben.
Durch Versuche mit Zusatz präformierter
Peptone kann Kröger zeigen, dass die An¬
wesenheit grösserer Mengen die entstandenen
Verdauungsprodukte auf die Fermentwirkung
beeinträchtigend wirkt und dass dieser hemmende
Einfluss ein zweifacher ist, erstens bedingt durch
die Gegenwart der Albumosen und Peptone an
sich, und zweitens bedingt durch das Salzsäure-
bindungsvermögen derselben.
D. Gerhardt (Strassburg).
M. Neuburger, Die Anschauungen über den
Mechanismus der spezifischen Ernährung
(das Problem der Wahlanziehung). I^eipzig
und Wien 1900.
»Eine Hypothese, die durch neue Fakta ver¬
drängt wird, stirbt eines ehrenhaften Todes; hat
sie gar die Thatsachen, durch welche sie ver¬
nichtet wurde, selbst zu ihrer Prüfung herauf¬
berufen, so verdient sie ein Monument der
Dankbarkeit«. An diese Stelle aus J. Hcnle’s
genialer, nur leider viel zu wenig bekannten
rationellen Pathologie wurde ich bei der Lektüre
von Neuburg er 1 s historischer Studie über die
Vorstellungen von der Ernährung erinnert. Die
Geschichte ist in derThat wie ein Friedhof; hier
ist alles zeitliche Ringen zur Ruhe gekommen,
und nur die Monumente, die Erinnerungszeichen
ragen als stumme Zeugen heute kaum mehr be¬
griffener und damals doch so weltbewegender
Ideen und geistiger Kämpfe.
In souveräner Beherrschung des Stoffes und
mit meisterlicher Klarheit zeichnet der Verfasser
den alten Zwist zwischen Vitalismus und mecha¬
nischer Auffassung und zeigt, wie diese letztere
allemal in einem den jeweiligen physikalisch¬
chemischen Kenntnissen entsprechenden Gewände
auftrat. Die Fabel blieb dieselbe, nur die Kostüme
wechselten, wenn Hippocrates die Aufnahme
der Nährstoffe nach dem^Typus des Schröpf¬
kopfes, ErasistratuB nach dem des Blase¬
balges, Epicur nach dem des Magneten, Car-
tesius als Durchsieben, van Helmont als
Filtration, Reil als thierische KryBtallisation,
Prochaska als Wirkung einer supponierten
Voltasäule erklärten. Es ist interessant und
lehrreich, zu sehen, wie alle diese Auffassungen,
auch wenn sie momentan noch so befriedigend
erscheinen mochten, jedesmal vom Vitalismus
abgelöst wurden, und wie auch heute wieder
vitalistisches Denken sich an Stelle der exklusiv
mit Filtration und Osmose arbeitenden Schule
Ludwig’s schiebt. Wie ein Pendel fliegt der
Zeitgeist bald nach rechts und bald nach links.
Nur ein untergeordneter Geist, an seine Scholle
und an sein Dezennium gefesselt, kann diesen
Wechsel bedauern, als ob nur Eine Richtung
richtig wäre. Wiederum sind wir in der Nähe
eines Umschwungs angelangt; lassen wir uns
durch die Vergangenheit belehren, dass die Uhr
der Geschichte nur richtig geht, w T enn das Pendel
frei nach beiden Seiten schwingt.
Buttersack (Berlin).
Schilling, Taschenbuch Uber die Fort¬
schritte der physikalisch-diätetischen Heil¬
methoden. 2. Jahrg. Leipzig. Verlag Konegen.
Das kleine Büchelchen, dessen 2. Jahrgang
hier vorliegt, setzt sich wiederum aus einer
grossen Reihe von Referaten, welche über Auf¬
sätze aus dem Gebiete der diätetischen und
physikalischen Heilmethoden erstattet werden,
i zusammen. Der Verfasser war bemüht, nur
solche Arbeiten des letzten Jahres zu referieren,
| die einmal Neues, zweitens aber wirklich Werth-
I volles gebracht haben. Der Praktiker wird daher
in dem Büchelchen manches finden, was er mit
I Vortheil für seine Patienten benutzen kann.
R.
I Mladejovsky, Ueber eine neue Entfettung*-
I methode. Vorläufige Mittheilung. (Wien. Medic.
I Blätter 1901. No. 4.)
Während die Behandlung der Fettleibigkeit
I mit Schilddrüsenpraparaten in der letzten Zeit
1 fast von allen Autoren als unzweckmässig, über-
I flüssig und gefährlich verworfen # worden ist, hat
Mladejovsky von einer besonderen Modifikation
I der Thyreoideabehandlung in einer Anzahl von
Fällen gute Erfolge gesehen. Er verabreichte
kleinere Dosen als die anderen Autoren, nämlich
I höchstens 2 Tabletten Merck ä 0,3 täglich, und
gab das Mittel auf nüchternen Magen , f um die
Wirkung mit derjenigen des Marienbader Wassers
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Referate über Bücher und Aufsätze.
479
zu kombinieren. Um den bekannten üblen Neben¬
wirkungen des Mittels zu begegnen, verabreichte
er ferner gleichzeitig mit demselben 0,1 Chinin,
mur. und eine eben solche Dosis Theobromin.
Von diesen beiden Medikamenten soll nach der
uns freilich etwas kühn erscheinenden Kalkulation
des Verfassers das Chinin der fieberähnlichen
Wirkung des Thyreoidins entgegenarbeiten, vor
allem dem grosseren Stoffzerfall, während das
Theobromin die schwächende Wirkung des
Thyreoidins auf den Herzmuskel paralysieren
soll. Referent kann hier die Frage nicht unter¬
drücken, ob nicht durch den supponierten, den
Stoffwechsel hemmenden Einfluss des Chinins
die Wirkung der an sich kleinen Thyreoidin-
gabe illusorisch wird, oder ob das Chinin etwa
bloss dem unerwünschten Eiweisszerfall entgegen¬
arbeitet, während die gesteigerte Fettverbrennung
ungehindert vor sich geht. Der Verfasser em¬
pfiehlt seine Methode zunächst für solche Fälle
von Fettsucht, die mit Cirkulationsstörungen
kompliziert sind und giebt auch eine genaue
Krankengeschichte eines solchen erfolgreich be¬
handelten Falles. Da er jedoch neben der in
Rede stehenden Medikation auch eine erhebliche
Diät- und Flüssigkeitsbeschränkung eintreten liess
und ausserdem kohlensaure Bäder und Massage
anwandtc, so kann der Fall nicht als Beweis für
die Wirksamkeit der Thyreoidinbehandlung gelten.
Ausserdem wandte Mladßjovsky seine Methode
bei Patienten an, die entweder nicht im stände
waren, sich im Essen Beschränkungen aufzuerlegen,
oder bei denen die körperliche Bewegung durch
irgend eine Ursache erschwert oder unmöglich
gemacht war. Auch die hier erzielten Erfolge
jedoch gestatten kein Urtheil über den Werth
der Methode, da bei den Fällen der ersten Kate¬
gorie zweckmässige Körperbewegungen, bei den
der zweiten Diätbeschränkungen neben der kom¬
binierten Thyreoidin-Mineralwasserkur verordnet
wurden. Ein abschliessendes Urtheil wird sich
daher wohl erst nach den weiteren von dem
Verfasser in Aussicht gestellten Mittheilungen
abgeben lassen. Plaut (Frankfurt a. M.).
B. Gymnastik.
H. Morris, The Symptoms and treatment of
moveable kidney. Lancet 1901. 30. November.
Ein gewisser Grad von Beweglichkeit ist
jeder Niere eigen: bei tiefer Inspiration entsteht
ein beschranktes Verschieben nach unten, bei
der Exspiration nach oben. Bei bimanueller Unter¬
suchung ist diese Verschiebung nicht immer nach¬
zuweisen, wohl aber kann sie beim Operieren
fast stets gesehen werden; häufig ist der Unter¬
sucher übrigens im stände, ein Verrücken des
unteren Poles festzustellen, ohne aber berechtigt
zu sein, deshalb von ungenügend fixierter (oder
Wanderniere) zu sprechen. Wir dürfen nach
Morris eine aborm bewegliche Niere annehmen,
wenn das ganze Organ während tiefer
Inspiration bei bimanueller Palpation
unter die Finger des Untersuchers ver¬
schobenwird, oder wenn das ganze Organ
oder sein grösster Theil derart nach
unten geräth, dass es zwischen den
Fingern beider Hände gefühlt werden
kann, oder wenn die untere Hälfte in
dieser Weise während der Einathmung
fühlbar ist. Soweit decken sich die Begriffe
mit dem, was Glönard als »rein mobile
nouveau« bezeichnet hat Zu einer anderen
Gruppe gehören diejenigen Fälle, in welchen
die Niere bei gewöhnlicher Athmung oft
aus ihrer Lage geräth, in extremen Fällen
mit einem Blick auf das Abdomen sichtbar oder
mit einem Griff fühlbar, die »rein flottant«
Glönards. Endlich nach Morris beinahe die
wichtigste Form, ein Lagewechsel des Organs,
bei dem dasselbe auf dem Planum der hinteren
begrenzenden Partieen gleitet oder sich median-
wärts und nach hinten senkt, nicht ganz oinwands-
frei gesagt »fällt« (Nephroptosis); dabei finden
nämlich rotierende Bewegungen statt um die
transvorsale oder vertikale Axe.
Die grossen Verschiedenheiten in den An¬
sichten der Autoren bezüglich der Häufigkeit
des Vorkommens der Krankheit (Glönard
fand 14%, Senator und Guttmann 1—*3%,
nach Autopsieen 1 °/oo•) sicht Morris in folgenden
Gründen: viele Fälle sind bei Sektionen über¬
sehen worden, noch mehr werden täglich nicht
beachtet oder nicht erkannt, weil die richtige
Palpationsmcthode nicht genügend bekannt ist.
andererseits werden viele Nieren als lose be¬
zeichnet von solchen Aerzten, welche jedes mit
der Athmung fühlbare Verschieben des Organs
als pathologisch bezeichnen; endlich lässt sich
auch verstehen, dass Kur- % und Badeärzte, deren
Klientel sich oft mehrCntheils aus dyspeptischen,
nervösen oder hysterischen Patienten zusammen¬
setzt, bei systematischer Palpation der enteropto-
tischen Organe einen höheren Prozentsatz von
Wandernieren finden können.
In der Beschreibung der Morris’schen
Methodik der Untersuchung auf Wander¬
niere finden wir die meistenteils von deutschen
Aerzten in gleicher Weise geübte bimanellc Palpa¬
tion wieder. Ein guter Wink scheint mir der Vor¬
schlag zu sein, den Patienten zuerst in Rücken¬
lage zu untersuchen, wobei der Untersucher auf
der Seite des zu palpiorenden Organs steht,
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480
Referate über Bücher und Aufsätze.
sodann ihn in gleicher Position beider Hände auf
die andere Seite rollen zu lassen, so dass er in
Bauchlage kommt, die eventuell noch in Knie-
Ellbogenlagc umgewandelt wird.
•* Zum Grundsatz macht Morris eine mehr¬
malige Untersuchung; er empfiehlt stets nach
folgenden Symptomen zu forschen: Schmerzen
in der Nierengegend, im Rücken, in den Seiten
und im Unterleib, . Störungen des Ver¬
dauungsapparates, wie Brechen, Obstipation,
seltener Diarrhöen (nach Edebohls ist auch
chronische Appendicitis häufig mit Ren mobilis ver¬
gesellschaftet!), Neurasthenie und Hysterie,
endlich, wenn auch seltener, Polyurie und
Anomalieen des Urins sowie gastrische
Störungen.
Die Diagnose der Wanderniere stützt sich
einmal auf die absolut sichere Palpation des
Organs und die Feststellung der erwähnten
Störungen, die ein solches verursacht, und dann
auf die Ausschliessung der differentialdiagnostisch
in Betracht kommenden Erkrankungen anderer
Organe: Schnürlappen der Leber, vergrösserte
Gallenblase, Wandermilz, Carcinom des Coecum
und des Magens, intraperitoneale Abscesse,
Ovarialkystome, Uterusmyome und Tumoren des
Netzes.
In der Behandlung empfiehlt Morris zu
individualisieren nach dem Grade der subjektiven
Beschwerden und je nach den begleitenden
Komplikationen. In leichteren Fällen ist im all¬
gemeinen nichts zu thun, in schwereren ist die
Nephropexie vorzuschlagen. Ziemlich abfällig
spricht sich der Autor über Bandagenapparate
aus, die oft mehr schaden als nützen, diätetische
Vorschriften und Ruhelage bringen nur vorüber¬
gehende Erleichterung. Die Nephrektomie für
Wanderniere ist unzulässig, die Nephropexie hilft
in den meisten Fällen und ist als ein ganz un¬
gefährlicher Eingriff zu bezeichnen, ihre Mortalität
etwa 1%; rechnet man Schmerz, gastrointesti¬
nale und nervöse Störungen mit ein, so dürfte
man auf 90% radikale Heilungen kommen. Drei
verschiedene Meth odenIt önnen angewandt werden,
die von Vulliet, Morris und Tuffier an¬
gegebene Operation.
Morris* Schlussfolgerungen in der Behand¬
lung der Wanderniere sind in Kürze folgende:
1. Bei Komplikation mit Enteroptose
keine Operation, medicinisch-diäte-
tischc und orthopädische Behand¬
lung.
2. Dasselbe gilt bei dem Zusammen¬
treffen mit Ptose der Leber und der
Niere der anderen Seite; bestehen
aber im letzteren Falle von beiden
Nieren lebhafte Beschwerden, so
sollen beide in einem Intervall von
einer Woche operativ fixiert werden.
3. Hysterische oder Neurastheniker
mit Wanderniere müssen zuerst
palliativ behandelt werden; nur aaf
besonderen Wunsch kann die Nephro¬
pexie gemacht werden (50<>/o Heilung).
4. Bei unkomplizierten Fällen: Nephro¬
pexie.
5. Renale Krisen erfordern ebenfalls
die Operation.
0. Wandernieren,dieohneBeschwerden
für denPatienten bestehen, bedürfen
weder operative noch orthopädische
Behandlung. R. Block (London).
J. Königstein, Ueber Belastungstherapie«
Centralblatt für die gesammte Therapie 1902.
März.
Nach der operationslustigen Epoche hat die
Gynäkologie in den letzten Jahren wieder in
konservativere Bahnen eingclenkt. Gerade die
Entzündungen und deren Produkte sind das
Punctum saliens bei der Behandlung der chronisch
entzündlichen Erkrankungen der weiblichen Ge¬
schlechtsorgane. Das Bestreben der Therapie
muss einerseits dahin gerichtet sein, das Weiter¬
greifen der Entzündung zu verhindern, anderer¬
seits bereits gesetzte Entzündungsprodukte zur
Aufsaugung zu bringen. Letzteres geschieht durch
die Resorptionsmethoden. Zu diesen ist in den
letzten Jahren ein neues gekommen, das von
W. A. Freund angegeben wurde. Das Wesent¬
liche des neuen Verfahrens besteht in der Aus¬
übung eines konstanten Druckes auf die Becken¬
organe von der Vagina und vom Abdomen aus.
Durch je einen aussen auf dem Abdomen und
innen in der Vagina angebrachten Schrotbeutel
wird das innere weibliche Genitale einer ständigen
Belastung, mithin Kompression ausgesetzt.
Schauta modifizierte die Applikadonsweise da¬
durch, dass er statt des Schrotbeutels einen mit
Quecksilber gefüllten Kolpeurynter zur Anwen¬
dung brachte. Dies hat den Vorzug der be¬
quemeren Applikation. Durch das höhere
spezifische Gewicht des Quecksilbers ist es auch
möglich, einen grösseren Druck auszuüben. Es
können mit Leichtigkeit 1000 g Quecksilber in
den Kolpeurynter eingegossen werden. Da zu¬
meist der Douglas’sche Raum anzugreifen ist,
so wird der Kolpeurynter hinter die Portio ge¬
führt und als Gegengewicht ein Schrotbeutel über
! der Blasengegend angebracht. Ist man genöthigt,
1 die eine oder die andere Seite mehr zu belasten,
I so muss man die Patientin in die entsprechende
i Seitenlage bringen; dann wirkt, nach dem Gesetz
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Referate über Bücher und Aufsätze.
481
der Schwere, der Kolpeurynter auf die betreffende
Seite ein. Man beginnt mit 1/2 kg m der Vagina
und steigt von Sitzung zu Sitzung. Die Dauer
der Einwirkung schwankt von einer Stunde im
Minimum bis zu einem ganzen Tag. Indiziert ist
das Verfahren bei chronischer Para- und Peri¬
metritis, bei Adnexschwellungen, bei schwer
reponiblen Retroflexionen, bei narbiger und infantil
enger Vagina. Eine strikte Kontraindikation
bilden die akuten Entzündungen. Besonders bei
jenen Affektionen, die sich am Beckenboden ab¬
spielen, bewährt sich die Belastungsmethode,
während bei Erkrankungen am Fundus Uteri die
manuelle Massage cinzugreifen haben wird. Um
eine durch plötzliche zu starke Belastung be¬
dingte Komprcssionsanämie und andererseits eine
durch zu starke Entlastung entstehende schranken-
reaktivo Fluxionshyperämie zu vermeiden, hat
Pincus einen »Quecksilber-Luft-Kolpeuryntero
konstruiert, mit denen man die intravaginale Ent¬
lastung und Belastung allmählich graduell steigern,
respektive mindern kann. Der Apparat ermög¬
licht ferner durch rasches Füllen, respektive Nach¬
lassen des Druckes eine Form der Massage, die
Pincus als »Kolpeuryntermassage« bezeichnet.
Sie hat den Vortheil, dass jede Friktion und
Reizung des weiblichen Genitales ausgeschlossen
ist, weshalb sie besonders bei hysterischen,
erotischen und erethischen Frauen zu empfehlen
ist. Die »Kolpeuryntermassage« hat sich bei
Reizungszuständen in der Beckenmuskulatur
(Myodynia intrapelvica sexualis), den Vorstufen
des Vaginismus, den Folgen des Coitus inter-
ruptus, bei Erschlaffungszuständen im Genital¬
schlauche (Myasthenia intrapelvica sexualis et
stercotralis), bei mangelhaftem Tonus in der Wand
der Vagina und ihrer Umgebung, endlich bei
schlechter Involution des Uterus mit erhalten
gebliebener Kontraktilität bewährt. Zur Anregung
und Verstärkung von Geburtswehen wirkt sie
besser als die Anwendung von W asserkolpeurynter.
Forchheimer (Würzburg).
C. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Jaquet und Stfthelin, Stoffwechselversuchc
im Hochgebirge. Archiv für experimentelle
Pathologie und Pharmakologie 46. S. 274.
Wenn der Uebergang von der Ebene ins
Hochgebirge, wie Jaquet in früheren Versuchen
erwiesen, mit einer erheblichen Vermehrung der
Blutkörperchen und des Blutfarbstoffes einher¬
geht, so durfte man erwarten, dass ein solcher
Neubildungsvorgang störend auf das Stoffwechsel¬
gleichgewicht einwirken müsse, indem der
Organismus zum Aufbau der neugobildeten
Zellen Stoffe braucht, welche er wahrscheinlich
von der zugeführten Nahrung entnimmt. Ein
exakter Stoffwechselversuch, der neben der Kon¬
trolle der Nahrungszufuhr und der Ausscheidung
im Urin und im Koth auch die Produkte des
respiratorischen Stoffwechsels berücksichtigte,
sollte darüber Aufschluss geben.
Zu diesem Zweck übersiedelten die Verfasser
nach entsprechenden Vorversuchen in Basel nach
dem Chasseral, der 1600 m hoch, einer der höchsten
Gipfel der Jurakette ist Der dortselbst vor¬
genommenen Versuchsreihe folgte eine Nach¬
periode in Basel.
Als wesentlichstes Ergebniss der Gegenüber¬
stellung der bei absolut gleicher Kost in der
Ebene und auf der Höhe gewonnenen Zahlen¬
reihen sieht man eine deutliche Stickstoffretention
während der Gebirgsperiode. Parallel mit der¬
selben geht auch ein Herabsinken der P 2 0 Ä -Aus¬
scheidung. Nach der Rückkehr ins Tiefland
steigen Stickstoff und P 2 0 5 -Ausscheidung im Urin
alsbald wieder an. Die Stickstoffretention beträgt
mehr als zur Neubildung des Blutfarbstoffes in
dem thatsächlich konstatierten Umfange erforder¬
lich gewesen wäre, so dass die Vermuthung nahe
liegt, dass im Gebirge nicht nur die Blutbildung
reger wird, sondern dass daneben auch noch eine
mehr oder weniger intensive Neubildung anderer
Gewebselemente statthat. Die Gaswechselanalysen,
welche gleichzeitig während der Versuche aus¬
geführt wurden, ergaben für die Athmuugs-
mechanik, dass die Athmungsthätigkeit im Höhen¬
klima in der Ruhe ungefähr die gleiche ist wie
im Tieflande. Doch wenn man das Athmungs-
volum auf 0<> und 760 ccm reduziert, so erscheint
die im Hochgebirge in der Zeiteinheit aus-
geathmete Luftmenge deutlich herabgesetzt Der
Athmungschemismus zeigt sich in der Weise ver¬
ändert, dass im Höhenklima Kohlensäureaus¬
scheidung und Sauerstoffaufnahme in der Ruhe
gesteigert waren und der respiratorische Quotient
erhöht war. Nach der Rückkehr in das Tiefland
blieben Kohlensäureausscheidung und Sauerstoff¬
aufnahme noch eine Zeit lang erhöht und kehrten
nur langsam und allmählich auf den ursprüng¬
lichen Werth zurück.
Weintraud (Wiesbaden).
Wilhelm Erb, Winterkuren im Hochgebirge.
Sammlung klin. Vorträge. Neue Folge No. 271
und Therapeutische Monatshefte 1902. März.
ln vielen Kreisen existieren noch grosse
Vorurtheile gegen den Winter im Hochgebirge
(d. h. in einer Meereshöhe von über 1500 m oder
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482 Referate über Bücher und Aufsätze.
mindestens 1000 in), den man sich als besonders
rauh, wild und wegen schwierigen Verbindungen
als ungastlich vorstellt Die speziellen Erfahrungen
des Verfassers beziehen sich auf St. Moritz (1820
bis 1860 m) und Davos (1540 m), welches letztere
Spengler auf Grund der Erfolge Brehmers
in Görberedorf zunächst als Sommer-, dann aber
auch als Winteraufenthalt für Phthisiker seit An¬
fang der 70 er Jahre empfahl und einführte. Es
giebt noch andere, später entstandene und auf¬
blühende Winterkurorte, so z. B. Les Avants
oberhalb Montreux (1000 m), Mont de Caux ebenda
(1100 m), Leysin (1450 m), Arosa (1856 m). Die
Eigenthümlichkeitcn des Winterklimas im Hoch¬
gebirge bestehen einmal in der niedrigen Tempe¬
ratur der Luft, die vom Anfang November bis
Ende März am Tage in der Nähe oder unterhalb
des Gefrierpunktes liegt und in der Nacht nicht
Belten auf 22—300 C unter Null sinkt. Die gegen¬
über dem Tieflande reichlichere und anhaltendere
Besonnung jedoch, die im Verhältnis zur Armuth
der Luft an Wolken und Nebenbildung steht,
ergiebt nicht nur eine wesentliche Erhöhung der
täglichen Sonnenstunden in den Wintermonaten,
sondern ermöglicht auch während dieser den
dauernden Aufenthalt im Freien, sogar in Sommer¬
kleidung. Von noch grösserer Bedeutung als die
Dünne der Luft ist ihre Trockenheit, durch die
Abnahme des Wasserdampfgehaltes der Atmo¬
sphäre mit wachsender Höhe bedingt. Die Luft
ist ferner, sobald nach den ersten Schnccfällcn
im November Berg und Thal konstant mit einer
1 cm hohen Schneelago bedeckt ist, vollkommen
staubfrei. Schliesslich ist die Bewegung der Luft
eine sehr geringe, und dieses Moment ist es neben
dem Feuchtigkeitsgehalt, welcher die Kälte so
wenig empfindlich macht. Das Zusammenwirken
aller dieser Faktoren aber ergiebt die allseitig
gerühmte wunderbare Schönheit und Beständig¬
keit des Wetters. Gegenüber den südlichen Kur¬
orten , die bis vor wenigen Dezennien fast aus¬
schliesslich als Winterstationen in Betracht kamen,
ergeben sich wesentliche Vortheile für die Kranken.
Das frühlingsmässige Klima der letzteren mit
ihrer mehr oder weniger erschlaffenden, nicht
selten feuchten Luft, ihren häufigen Winden, den
Regenperioden, der unangenehmen Kälte und
dem fast überall lästigen Staub, giebt weit weniger
Gelegenheit zu Spaziergängen und tüchtiger Be¬
wegung, wenn man von Sport und Amüsement
oft recht aufregender Art absieht. Demgegen¬
über geben auch die Höhenkurorte Gelegenheit
zu ausgedehntem Wintersport (Schlittschuhlaufen,
Schlitteln, Skilaufen, Ilockcyspiel — einer Art
Fussballspiel auf dem Eis —, Curling (einer
Art von Eiskegeln oder Bocciaspiel) sowie ab¬
wechslungsreichen Vergnügungen (abgesehen von
gesellschaftlichen Zerstreuungen, Schlittenfahren
nach allen Richtungen auf den stets gebahnten
Poststrassen), die, mit Maass und unter ärztlicher
Kontrolle betrieben, ausser dem foitwährenden
Genuss der frischen Luft zum grössten Theil auch
ein schätzon8werthe8 Maass von körperlicher An¬
strengung, verbunden mit Vergnügen und Wett¬
eifer mit sich bringen, so dass die Vorzüge der
Winterkuren im Hochgebirge sehr hoch anzu¬
schlagen sind.
Unter den Indikationen für die letzteren ist
die für die Lungenphthise die älteste, am sichersten
begründete und erprobteste. Dann aber sind es
die sogenannten Prophylaktiker, d.h. dicphthisisch
belasteten Individuen, die Schwächlinge aus be¬
lasteten Familien, die Skrophulösen, die Rekon-
valescenten von Pleuritis, welche mit geradezu
erstaunlichen Resultaten Winterkuren im Hoch¬
gebirge machen. Die Gefahr der Infektion
kommt selbst in den speziellen Schwindsuchts¬
kurorten (Davos, Arosa) nach Erb trotz aller
Bedenken der »reinen« Bakteriologen und Kon-
tagionisten gegenüber der Disposition nicht in
Betracht Unter den Nervenkranken, die nicht
nur im Sommer sondern auch im Winter in den
Höhenkurorten Erfrischung, Hebung dcrEmäh rung,
Kräftigung und Heilung ihrer Leiden finden, sind
Hysterische, leicht Verstimmte, »Minderwertige«,
»Degenerierte«, Leute mit Zw^angsvorstellungen
und Grübelsucht, vielleicht auch in leichteren
Fällen an Cyklothymie Leidende hervorzuheben.
Neben Anämie, Chloroso und Malariakachexie
sah Verfasser auch bei gewissen Fällen von
Asthma, namentlich auch beim Morbus Basedowii
glänzende Erfolge. Schliesslich kann allen Er¬
holungsbedürftigen und Rekonvalescenten von
schweren Krankheiten, allen Ueberarbeiteten und
den durch Aufregungen, Sorgen, Kummer her¬
untergebrachten — kurz allen den Menschen, die
im Sommer einige Wochen ins Gebirge oder an
die Sec gehen, der Rath gegeben werden, und
zwar mit noch grösserem Nutzen, für einige
Wochen oder Monate Aufenthalt im Hochgebirge
zu nehmen. Forchheimer (Würzburg).
Hamm, Die Behandlung des chronischen
trockenen Mittelohrkatarrhs durch Sitzungen
in der pneumatischen Kammer. Münchener
medieinische Wochenschrift 1902. No. 5 und
Centralblatt für die gesammte Therapie 1902.
März.
Der chronische Mittclohrkatarrh, die Sklerose
des Mittelohrs ist von jeher eine crux medicorum
gewesen. Es hat nicht an Bemühungen gefehlt,
die durch die Krankheit verursachten Beschwerden
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Referate über Bücher und Aufsätze.
zur Heilung zu bringen. Neuerdings hat man
sich mit Vorliebe der Troihmelfellmassage zu¬
gewandt, nachdem die medikamentöse und chirur¬
gische Therapie vollständig im Stiche gelassen
hat. Die Ursachen des Misserfolges der bisherigen
derartigen Behandlungsmethoden haben nach des
Autors Meinung ihren Hauptgrund in der zu
schwachen mechanischen Einwirkung. Der an¬
gewandte Druck muss starker sein. Die Dauer
des jedesmaligen Druckes muss verlängert werden,
da mit den kurz dauernden Druckstossen der
Massage nichts erreicht worden ist. Der Druck
muss langsam ansteigen, da die öfter zu be¬
obachtende Schmerzhaftigkeit der Massage wahr¬
scheinlich darauf zurückzuführen ist, dass Druck¬
erhöhung und Drucknachlass zu schnell aufein¬
ander folgen und so akute Zerrungen eintreten.
Ein solches »Instrument«, das diese Vorzüge auf¬
zuweisen hat, ist die pneumatische Kammer.
Hamm berichtet über seine Erfahrungen an
acht Patienten, die er lediglich mit Luftdruck
behandelt hat. Eine vorübergehende Besserung
zeigte sich in allen Fällen. Irgend welche nach¬
theiligen Folgen sind nicht zur Beobachtung ge¬
kommen, lassen sich auch jedenfalls bei vorsich¬
tigem Ansteigen und Abnehmen des Luftdruckes
vermeiden. Die Dauer der Sitzung betrug
D /2 Stunden, von denen 2ö Minuten auf das An¬
steigen und 40 Minuten auf das Heruntergehen
verwendet wurden. Ein grosser Vorzug des Ver¬
fahrens ist, dass es auch bei grossen Perforationen
oder Fehlen des Trommelfelles angewendet werden
kann. Vielleicht wird sich nach Radikalopera¬
tionen, wenn die Eiterung beseitigt und noch ein
Reet Gehörvermögen vorhanden ist, eine Luft¬
druckbehandlung empfehlen. Jedenfalls sei das
pcumatischo Kabinett den bisherigen Methoden
überlegen, da es in mehreren Fällen geholfen
hat, wo jene versagten. Die Dauer einer Kur
schwankt zwischen 2ö und 40 Sitzungen. An¬
fänglich hat Hamm die Patienten unter einem
Ueberdrucke von 1/2» später 1/1 und zeitweilig
n /2 Atmosphären sitzen lassen, am günstigsten
scheint 1 Atmosphäre zu wirken. Es scheint, als
ob in den dauernd beeinflussten Fällen noch eine
günstige Nachwirkung eintritt
Forchheimer (Würzburg).
W. Alter, Versuche mit zellenloser Be¬
handlung und hydrotherapeutischen Maass¬
nahmen. Contralblatt für Nervenheilkunde und j
Psychiatrie 1902. No. 146.
Die Versuche, welche Verfasser in der
Provinzial-Irrenanstalt zu Leubus gemacht hat,
um die Isolierung von Geisteskranken zu be¬
seitigen, beruhen, wie derselbe hervorhebt, nicht
483
1 auf einem vermehrten Gebrauche narkotischer
Mittel, sondern im Gegenthcil in erster Linie auf
einem in möglichst grossem Umfange durch¬
geführten Ersatz der medikamentösen Behandlung
durch protrahierte Bäder und Packungen.
Die guten Erfolge, über welche Verfasser
berichten kann, sind auch für Nichtpsychiatcr
höchst beachtenswerth, als eine unter den er¬
schwerendsten Umständen angestellto Probe auf
die sedative Wirkung dieser hydrotherapeutischen
Maassnahmen. Es handelte sich zunächst um
16 Kranke, von denen 10 dauernd mehr oder
weniger gewaltthätig, zerstörungssüchtig und
höchst unsauber waren. Als Sedationsmittcl
dienten früher neben der Isolierung fast aus¬
schliesslich Medikamente. Verfasser liess die
Patienten mit täglich zwei bis drei je IV 2 bis
2 Stunden ausgedehnten Bädern von 34—66° C,
! nach dem Vorgehen Kräpelins behandeln. »Der
Erfolg der Bädor war ausgezeichnet — bei den
Paralytikern wie bei den alten Fällen. Ich konnte
beinahe augenblicklich mit der Darreichung von
Medicin aufhören. Die Nächte wurden gut,
Nahrungsaufnahme und Körpergewicht hoben sich,
die aggressiven und destruktiven Tendenzen
schwanden, die Unsauberkeit, das Schmieren mit
Koth etc. hörte auf.« Diese Erfolge ermuthigten
Verfasser zu weiteren Versuchen, welche eben
so glückten, sodass zur Zeit in der Pensionanstalt
kein Patient mehr isoliert ist, und arzneiliche
Beruhigungsmittel nur ganz ausnahmsweise ver¬
wendet werden. Einpackungen von 33 — 35° C
waren auf den Schlaf und den Appetit oft von
noch günstiger Wirkung als die Bäder.
F. Frankenhäuser (Berlin).
D. Elektrotherapie.
C. Speck, Abkühlung, Lichtwirkung und
Stoffwechselbeschleunigung. Therapie der
Gegenwart 1901. Heft 11.
Wie in seinen früheren Arbeiten so tritt auch
hier wieder der Autor der Ansicht namhafter
Forscher wie Liebermeister, Rubner u. a.
entgegen, dass durch die Abkühlung im kalten
Bade die Oxydationsvorgänge im Körper ge¬
steigert würden. Nach seiner Ansicht erfolgt
die Wärmeregulation bei der Abkühlung fast
ausschliesslich auf physikalisch e t m W ege; über¬
all da, wo nach kalten Bädern oder anderen ab¬
kühlenden Prozeduren Steigerung der Ver¬
brennungsvorgänge beobachtet wurde, ist dieselbe
auf erhöhte Muskelthätigkeit zurückzu¬
führen. Aber diese Muskelbewegongen, die als
Begleiterscheinungen der abkühlenden Prozeduren
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484
Referate über Bücher und Aufsätze.
die Versuchsresultate nach jener Richtung hin
beeinflussten, haben, wie Speck betont, nichts
regelmässiges, gesetzmässiges an sich, wie z. B.
Winternitz annimmt, sondern sie sind rein zu¬
fällig, sie können nach des Autors Ansicht unter
denselben Bedingungen bald auftreten, bald fehlen.
Eine Steigerung der Oxydations Vorgänge erfolgt
nicht in kalten, sondern eher noch in heissen
Bädern, und Speck stellt den Satz auf, dass das
Steigen und Fallen der Oxydationen im Körper
parallel mit dem Steigen und Fallen derKörper-
temperatur geht
Ebensowenig wie die Abkühlung vermag
auch die Licht Wirkung die Verbrennungs¬
vorgänge im Körper zu steigern. Speck wendet
sich mit grosser Schärfe gegen die heutzutage
von gewisser Seite propagierten übertriebenen
Vorstellungen über den Einfluss des Lichtes auf
die Vorgänge im Körper; er hält vor allem auch
den beliebten Vergleich mit der Wirkung des
Lichtes auf den Stoffwechsel der Pflanze des¬
halb für unzulässig, weil es sich hier um
Reduktionsvorgänge handelt, während ja im
thierischen Körper das Licht im Gegentheil
die Oxydationen angeblich fördern soll. Da
wo nach Angaben anderer Autoren Versuche an
Menschen oder Thieren eine Steigerung der
Oxydationsprozesse durch das Licht ergeben haben,
führt Speck diese Steigerung ebenso wie bei
den Abkühlungsversuchen auf begleitende
Muskelbewegungen zurück, speziell bei Thier¬
versuchen kommen hier die oft unvermeidlichen
Abwehrbowegungen in Betracht. Eigene Ver¬
suche des Autors über Stoffwechselbeeinflussung
durch Lichtwirkung auf dem Wege der Reizung
des Sehorgans ergaben negative Resultate.
Nach Speck giebt es hiernach nur ein
Mittel, das zur Regulierung und Steigerung der
Oxydationsprozesse therapeutisch in Betracht
kommen kann, das ist die Muskelthätigkeit.
Selbst die künstlichen Drüsenpräparate wirken
nach des Autors Ansicht nur auf dem Wege der
indirekten Steigerung der Muskelthätigkeit oxy¬
dationsbefördernd.
Die interessanten Ausführungen Speck’s
haben zweiffellos das grosse Verdienst, über¬
triebene Vorstellungen von der Wirkung mancher
Faktoren der physikalischen Therapie, speziell
auch des Lichtes, einer ernsten wissenschaftlichen
Kritik zu unterziehen. Doch muss man sich auch
hier hüten, das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Speziell über die Lichtwirkung und ihre Be¬
ziehung zum Stoffwechsel ist noch nicht das
letzte Wort gesprochen, auch die Versuche
Speck’s vermögen diese Frage nicht völlig zu
lösen. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass
bei der heute häufigsten therapeutischen An¬
wendungsform des Lichtes, bei den Licht¬
bädern, hauptsächlich die Wärme Wirkung,
wenn auch in modifizierter Form, in Betracht
kommt Da nun hohe Temperaturen auch nach
Speck’s Ansicht die Stoffwechsel Vorgänge zu
beschleunigen im stände sind, und die Unter¬
suchungen zahlreicher anderer Autoren eine
Steigerung des Zerfalls sowohl von Eiweiss als
auch von N-freiem Material nach heissen Proze¬
duren unzweifelhaft ergeben haben, so entbehrt
auch jetzt schon die Lichttherapie in der ge¬
schilderten Form nicht mehr völlig der theo¬
retischen Begründung, und wird da, wo sie
rationell angewandt wird, ihren Platz zu behaupten
wissen. A. Laqueur (Berlin).
H. K r af t, Die Röntgennntersn chung der Brust-
Organe. Strassburg 1901.
Unter obigem Titel giebt Kraft einen im
allgemeinen lesenswerthen Ueberblick des patho¬
logisch - diagnostisch bisher Erzielten auf dem
speziellen Gebiete der Röntgenuntersuchung des
Thorax, der nur nicht betreffs des Anatomisch¬
physikalischen — auf das zwar besonderes Ge¬
wicht gelegt wird — nicht ganz empfeblenswerth
erscheint Es ist jedenfalls nur ein Versehen, das
dem M. latissimus dorsi einen gleichen Verlauf
mit den Rippen giebt. Ein »umgekehrtes Gesetz
der Perspektive« erscheint schwer vorstellbar,
wie ebensowohl ein Gesetz der umgekehrten
Perspektive sich nicht leicht vertheidigen Hess.
Ausser einem ziemlich flüchtig durchgearbeiteten
Litteraturvcrzeichniss zeichnet sich die Broschüre
jedoch durch anerkennendes Eingehen auf bis¬
herige Feststellungen dieses lange nicht ganz be¬
herrschten äusserst mannigfaltigen Gebietes aus.
Aus der Fülle der durch die Röntgenunter¬
suchung der Brustorgane erhaltenen diagnostischen
Gewinne, die sich erst bei einer Zusammenstellung
wie der vorliegenden voll würdigen lassen, dürfte
die objektive Unterstützung insbesondere der
Diagnostik von Kavernen, Centralpneumonien
und Lungenhernien angeführt werden.
Cowl (Berlin).
Krukenberg, Ueber die Behandlung des
Erysipels im rothen Zimmer. Münchener
medicinische Wochenschrift 1902. No. 13.
Angeregt durch die Publikationen Bie’s
über die Behandlung akuter exanthematischer
Infektionskrankheiten mittels rothen Lichtes hat
Krukenberg 18 Fälle von Erysipel mit rotbein
Licht behandelt, und den Eindruck gewonnen,
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Referate über Bücher und Anf&Itze.
485
dass die Krankheit dadurch in ausserordentlich
günstiger Weise beeinflusst wird. Die durch¬
schnittliche Fieberdauer stellte sich im rothen
Zimmer auf nur zwei Tage, schwere Allgemein-
erscheinungen haben in allen Füllen gefehlt. Eine
lokale oder innerliche Behandlung fand, abgesehen
von drei Füllen, wo noch Alkoholumschläge ge¬
macht wurden, nicht statt. Von den 18 be¬
handelten Füllen waren 15 Gesichtserysipele,
3 Erysipele an anderen Körpertheilen. Für die
Mehrzahl der Falle benutzte Krukenberg ein
Zimmer, in dem nicht nur die Wände und Decken
roth gestrichen und die Fenster mit rubinrothem
Glas versehen waren, sondern auch die Vorräume,
Kloset, Bad und Korridor rothe Fenster ent¬
hielten. Die Frage, worin die Heilwirkung be¬
steht, ist vorläufig nicht zu beantworten. Richtiger
wohl wird die Fragestellung sein, worin der
schädliche Einfluss des Lichtes zu suchen ist,
dessen Eliminierung die Heilungsvorgänge be¬
günstigt Und da können wir uns wohl, wie
Finsen es thut, vorstellen, dass bei gewissen
Erkrankungen die Empfindlichkeit gegen die
Sonnenstrahlen ungemein gesteigert wird, oder
dass umgekehrt die Sonnenstrahlen die Haut für
das schädliche Agens einer infektiösen Dermatitis
zu einem besonders empfindlichen Nährboden
machen. Man könnte wohl annehmen, dass der
eigenthümlich kriechende Fortschritt des Erysipels
durch die Einwirkung des Lichtes befördert wird,
dass das Erysipel seine Neigung zum spontanen
Erlöschen bei Ausschaltung des Lichtreizes be¬
sonders häufig hervortreten lässt.
J. Marcuse (Mannheim).
ST. Cleaves, S. Betton Masse/, Carl
Beck, Clarence A. Greenleaf, A Sym¬
posium on the treatment of cancer by Rönt¬
gen rays, light and electricity. The journal
of physical therapeutics 1902. Bd. 3. No. 2.
Cleaves führt zunächst (Introduktion) aus,
dass es bei bösartigen Neubildungen sehr er¬
wünscht sei, die rein chirurgischen Maassnahmen
durch die in neuerer Zeit sich mehr und mehr
ausbildenden physikalischen Methoden dei Be¬
strahlungen und des elektrischen Stromes zu er¬
gänzen, welche im stände seien, weiter zu
reichen, als das Messer der Chirurgen.
Darauf berichtet Massey (Destruction and
regional Sterilisation of cancerous growths by
mercuric cataphoreris) über eine von ihm viel¬
fach zu seiner Zufriedenheit erprobte Methode
der Vernichtung von Krebs (und Sarkom) durch
den elektrischen Strom. Der Patient wird in
der Narkose eine Stunde und mehr einem
Strome bis zu 800 M.-A. ausgesetzt. Die aktiven
Elektroden sind Röhren von Gold, frisch mit
Quecksilber amalgamiert; sie werden in die Ge¬
schwulst eingeführt, und können beliebig mit
Quecksilber gefüllt und nachgefüllt werden.
Gleichzeitig kommen auch amalgamierte Zink¬
elektroden zurVerwendung. Die aktivenEloktroden
dienen als Anode. Als indifferente Elektrode
wird die Kathode verwendet, die sehr gross und
mit Essigwasser befeuchtet ist Der Patient liegt
auf ihr.
Durch das elektrolytische Eindringen des
Quecksilbers wird die Geschwulst zerstört.
Ausserdem soll aber die Umgebung des Zer¬
störungsherdes durch das im Gewebe entstehende
Quecksilberchlorid desinfiziert und eine sehr
glatte Heilung der Wunde erzielt werden.
Ausser dieser »grösseren Methode« hat Ver¬
fasser noch eine ganz ähnliche »kleinere Methode«,
welche unter lokaler Kokainanästhesie operiert.
Verfasser hat die Methode in 50 Fällen an¬
gewendet, wovon 16 geheilt wurden, 7 während
oder kurz nach der Operation, 27 später an
schon vorher bestehenden Metastasen starben.
Von den geheilten Fällen sind 8 Fälle neun bis
drei Jahre, 8 Fälle noch nicht zwei Jahre nach
der Behandlung in Beobachtung. Verfasser giebt
zwei Abbildungen von nach seiner Methode be¬
handelten Mammakarcinomen.
Beck (On Röntgen therapy) berichtet
über die erfolgreiche Behandlung eines Lupus
erythematodes und eines Karcinoms mit Röntgen¬
strahlen. Auch bei Sarkomen hält er sie nach
seinen Erfahrungen für wirksam.
Greenleaf (Report of a case of sarcoma of
the thyroid treated by the x rays) konnte bei
seinen Patienten ein Schwinden der Geschwulst
und vor allem der unerträglichen Schmerzen er¬
zielen, so dass er denselben wenigstens Euthanasie
verschaffte.
Die berichteten Fälle verdienen jedenfalls alle
Beachtung und eine gründliche und vorsichtige
Nachprüfung. F. Frankenhäuser (Berlin).
Krebs, Elektrisches Glühlicht und innere
Infektion. Berliner klinische Wochenschrift
1902. No. 2.
Krebs hat sich der dankenswerthen Arbeit
unterzogen, die Frage nach den bakteriziden
Eigenschaften des elektrischen Glühlichts durch
den Thierversuch nachzuprüfen. Die Versuche
von Gebhardt und Aufrecht hatten anschei¬
nend — und es war dies ein Schiboleth für alle
Lichttherapeuten — ergeben, dass mit Milzbrand-,
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486 Referate über Bücher und Aufsätze.
Eiter-, Diphtherie- und Tuberkelbacillen geimpfte
Thiere, wenn sie nach der Infektion dauernd mit
elektrischem Glühlicht beleuchtet wurden, sich
im Gegensatz zu den nicht belichteten, gleichfalls
infizierten Kontrollthieren als gegen die Infektion
widerstandsfähig erwiesen., Der naheliegende
Schluss auf den menschlichen Körper wurde mit
Emphase gezogen und bildete in jeder weniger
objektiv angelegten Arbeit ein Grundprinzip.
Allein schon Bö der wiese 1900 mit Evidenz
nach, dass die Strahlen des elektrischen Lichtes
keinen irgendwie erkennbaren Einfluss auf den
Verlauf von akuten wie chronischen Allgemein¬
erkrankungen besitzen. Die Versuche von Krebs
führten zu demselben Resultat. Weder bei Mäusen
noch bei Meerschweinchen, die mit Typhus- und
Milzbrandbacillen infiziert und theilweise bestrahlt,
theilweise nicht bestrahlt wurden, resultierte aus
der Bestrahlung irgend ein Vortheil, die bei
gleichen Temperaturen gehaltenen infizierten
Thiere starben fast stets gleichzeitig oder doch
nur mit geringen Zeitunterschieden und zwar bald
im Lichtgefass, bald im Wärmeschrank, früher.
Krebs resümiert dahin: Der thierische Körper
verhält sich wesentlich anders als die künstlichen
Nährböden der Bakterien, und die im Körper
vorhandenen Bakterien sind nicht so leicht
schwächenden oder abtötenden Einflüssen zu¬
gängig als Reinkulturen. Ein irgendwie aus¬
sichtsreiches Eingreifen mit der Lichttherapie —
abgesehen von der Schwitzwirkung — bei der
Behandlung innerer, mehr oder minder akuter
bacillärer Krankheiten ist nicht zu erwarten,
und nach den Erfahrungen am Thiere ist eine
Beeinflussung von aussen durch künstliche Licht¬
strahlen bei den gleichen Krankheiten als vor¬
handen nicht zu erweisen.
J. Marcuse (Mannheim).
A. Sack, (Jeher das Wesen and die Fort¬
schritte derFlnsen’sehen Lichtbehandlung.
Münchener medicinischo Wochenschrift 1902.
No. 13.
In einem sehr klaren und eingehenden Ex¬
pose schildert Sack die Entwickelung und den
augenblicklichen Stand der Finsen’schen Licht¬
behandlung. Die physikalischen wie biologischen
Gesichtspunkte werden knapp und anschaulich
erörtert, Wesen und Hilfsmittel dieses Verfahrens
durch Lichtbilder und Demonstrationen — Sack
behandelte den Gegenstand ursprünglich in einem
im naturhistorisch-medicinischen Verein zu Heidel¬
berg gehaltenen Vortrag — veranschaulicht Von
besonderem Interesse war die Vorführung der
Lortet 1 sehen und Genoud’schon Bogenlampe,
die nicht blos eine bedeutende Vereinfachung des
Fi n s c n 9 sehen Instrumentariums darstellt,sondern
auch wegen ihrer tadellosen Bauart und Handlich¬
keit den Vorzug verdient. Mit dieser Lampe hat
Sack bisher sechs Lupusfälle behandelt, and
trotzdem einige sehr schwer sind, und trotz der
verhältnissmässig kurzen Behandlungsdauer zwei
anscheinend schon geheilt, während die übrigen
ganz auffallend gebessert sind. Auch ist es ihm
gelungen, einen Fall von Hautkarcinom mit
Lort et der Heilung entgegenzuführen.
J. Marcuse (Mannheim).
E. Serum- und Organotherapie.
Fibinger und Jensen, Uebertragung der
Tuberkulose des Menschen auf das Rind.
Berliner klin. Wochenschr. 1902. No. 38.
Heller, Ueber die Tuberkuloseinfektion
durch den Verdauungskanal. Deutsche
medicinische Wochenschrift 1902. No. 39.
Schottelius, Versuche über Fütterungs¬
tuberkulose bei Rindern und Kälbern.
Münchener medicin. Wochensehr. 1902. No. 39.
Drei wichtige Arbeiten sind während der
letzten Wochen erschienen, deren Ergebnisse in
starkem Widerspruch zu den Resultaten und
den daraus gezogenen Schlüssen stehen, welche
Koch auf dem Londoner Tuberkulosekongress
mitgetheilt hatte und die wohl noch Allen in
frischer Erinnerung sind. Fibinger und Jensen
ist cs gelungen, von drei Fällen von Kinder¬
tuberkulose, bei denen als Locus infectioni9 mit
grosser Wahrscheinlichkeit der Darratraktus an¬
gesehen werden musste, durch Impfung die Tuber¬
kulose bei Kälbern zu erzeugen. Auch von zwei
Fällen von Tuberkulose Erwachsener konnten
die beiden Autoren die Tuberkulose auf Kälber
übertragen; in den beiden letzteren Fallen er¬
wiesen sich aber die Tuberkelbacillen als viel
weniger virulent als die von den drei Kindern
stammenden Bacillen. Die Autoren wagen aus
ihren Versuchsergebnissen nicht ohne weiteres den
Schlu99 zu ziehen, dass die Tuberkelbacillen des
Menschen und Rindes identisch sind; sondern sie
meinen, dass es ihnen deshalb gelungen wäre,
speziell durch Verimpfung der von den drei
Kindern stammenden Tuberkelbacillen bei den
Kälbern Tuberkulose zu erzeugen, weil die Kinder
sich ursprünglich, wahrscheinlich durch vom
Rinde stammende Tuberkel bacillen infiziert hätten.
Dem Referenten erscheint diese Deutung etwas
zweifelhaft; wir meinen, dass ebenso, wie der
Mensch durch die Tuberkelbacillen des Rindes
eine Tuberkulose acquiricren kann, der umge¬
kehrte Weg der Infektion gleich möglich ist
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Referate Aber Bücher und Aufsätze.
Dieser Rückschluss wird auch bestätigt durch
eine ganze Reihe von Arbeiten, welche wäh¬
rend des letzten Jahres im Anschluss an die
Roch*sehe Mittheilung erschienen sind, und
unter denen als neueste die von Schottelius
zu nennen ist.
Dieser hat das von Koch auf dem Londoner
Tuberkulosekongress gestellte Desiderat, bei
Rindern durch Verfütterung eines vom Menschen
stammendenTuberkclbacillenmaterials eine Tuber¬
kulose zu erzeugen, erfüllt. Als Infektionsmaterial
diente das Sputum einiger schwerkranker Phthisi¬
ker, welches den zwei Versuchskälbern in die
Milch, der Versuchskuh unter das Grünfutter ge¬
gossen wurde. Die Thiere erhielten in einem Zeit¬
räume von drei Monaten 24 derartige Fütterungen,
in welchen stets ca. 50 g Sputum enthalten waren.
Während dieser Zeit boten die drei Thiere keine
nennenswerthen Krankheitserscheinungen dar.
Dagegen ergab die Sektion folgenden Befund: Bei
der Kuh tuberkulöse Enteritis und starke Schwel¬
lung der Mesenterialdrusen, ausserdem tuberkulöse
Verkäsung und Verkalkung der Mediastinal- und
Bronchialdrüsen und eine verkäste tuberkulöse
Pneumonie nebst vereinzelten Miliartuberkeln in
der Pleura. Bei beiden Kälbern stark geschwollene
tuberkulöse, verkäste und verkalkte Submaxillar-
drüsen und einzelne tuberkulöse Mesenterial¬
drüsen.
Bei allen drei Thieren waren sämmtliche
Lymphdrüsen des ganzen Körpers, auch die
Muskellymphdrüsen, geschwollen, theilweise
marmoriert geröthet, mit blassen — wio nekrotisch
erscheinenden — Einsprengungen durchsetzt Die
mikroskopisch-bakteriologische Untersuchung er¬
gab in allen drei Fällen das Vorhandensein von
Tuberkelbacillen in den erkrankten Theilen.
Schliesslich ist noch die kurze Mittheilung
von Heller in Kiel bemerkenswerth, welcher
über die Häufigkeit der primären Darm- bezw.
Mesenterialdrüsentuberkulose eine eigene Sta¬
tistik, ferner die von Councilman, Mallory
und P e a r c e, und schliesslich die von A.Baginsky
zusammen stellte. Die in diesen drei Statistiken
mitgetheiltcn Fälle sind sämmtlich Diphtheriefälle,
welche zur Sektion kamen und bei denen die
Tuberkulose zufällig gefunden wurde. Die Zahlen
sind folgende:
Kiel
Ba-
ginsky
Diphtheriefälle.
714
220
806
Darunter Tuberkulosefälle . .
140
35
144
= o/ 0 der Diphtheriefälle .
Darunter Tuberkulose durch
19,0
io
17,8
die Verdauungsorgane .
53
13
6
= o/ 0 der Diphtheriefälle .
7,4
5,9
0,7
= % der Tuberkuloscfällo
37,8
37,1
4,1
487
Heller’s und die englische Statistik unter¬
scheiden sich demnach bezüglich des Vorkommens
von Darmtuberkulose sehr wesentlich von der
Baginsky’schen. Heller führt dies auf die
unzweckmässige Technik der Darmsektion zurück,
deren sich wahrscheinlich Baginsky bedient
hätte. Jedenfalls bezeugen seine sowie die
englischen Befunde, dass die Darm- bezw.
Mesenterialdrüsentuberkulose der Kinder keines¬
wegs ein so seltenes Vorkommniss ist, wie Koch
dies behauptet hatte. Paul Jacob (Berlin).
F. Verschiedenes.
E. Schreiber und J. Hagenberg, Zur Lehre
vom Aderlass. Vorläufige Mittheilung. Central¬
blatt für Stoffwechsel- und Verdauungskrank¬
heiten 1901. No. 11.
Die beiden Verfasser haben Versuche über
den Einfluss des Aderlasses mit darauf folgender
Kochsalzinfusion an drei Patienten und an Hunden
angestellt. Das Ziel ihrer Untersuchungen war,
festzustellen, in wieweit durch diese Maassnahmen
die molekuläre Konzentration und die Viskositäl
des Blutes verändert wird. Bezüglich der mole-
kulären Konzentration konnten sie keinen
i nennenswerthen Einfluss des Aderlasses konsta¬
tieren, während sie hinsichtlich der Viskosität zu
dem Schlüsse kamen, dass diese nach dem Ader¬
lass und der Infusion sinkt; allerdings ist dieser
Abfall beim Serum auch nicht konstant. Sie
glauben die Wirkung des Aderlasses und der
Kochsalzinfusion bei Urämie so erklären zu müssen,
dass die Arbeit des Herzens duich die Herab¬
setzung der Viskosität erleichtert wird und dass
eine Ausschwemmung von giftigen Stoffen statt-
findet. Da bei den Versuchen auch eine Ver¬
mehrung der Erythrocyten nach Vornahme des
Aderlasses und der Kochsalzinfusion beobachtet
wurde, so glauben die Autoren, dass auch diese
infolge einer besseren Blutversorgung des Organis¬
mus, speziell des Gehirns, bis zu einem gewissen
Grade mit an dem Erfolge der beobachteten
Wirkung des Aderlasses und der Kochsalzinfusion
betheiligt sei. H. Strauss (Berlin).
Carl Roth, Zölluergedaukeu über Hellkuust
— noch für Pharisäer. Stuttgart 1901.
Schon der Titel deutet an, dass das Buch
abseits von der Heerstrasse sich bewegt; aber
mit welcher Heftigkeit es mit unseren heutigen,
sozusagen offiziellen Anschauungen Ins Gericht
geht, ahnt der Leser zu aufang gar nicht Ver-
I fasscr haut so sehr nach allen Seiten um sich,
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
488
Referate über Bücher und Aufsfitze.
dass es nicht leicht ist, herauszufinden, was er
eigentlich positives denkt. Das Wesentliche und
Verdienstvolle seiner Ausführungen dürfte unge¬
fähr dieser Gedankengang Bein: Das Leben ist
nicht eine mysteriöse Kraft, ein i/ipurov r«, das
nun einmal als etwas gegebenes, nicht weiter
diskutables, in der lebendigen Materie hin¬
genommen werden muss; es ist vielmehr eine
Reaktion, die nur im Quantum, nicht im Quäle,
von den sonst bekannten chemischen und physi¬
kalischen Umsetzungen ab weicht. Das Reagierende
ist das Plasma, der Organismus; der Reiz das
Milieu, Luft, Licht, Wärme, Nahrung u. s. w.; und
unter deren Einfluss entwickelt sich der Organis¬
mus in einer ganz bestimmten Weise. Die un¬
gestörte und zweckmässige Umsetzung kosmischer
Kräfte in organische Gestaltungsenergie nennen
wir Gesundheit, ihre Störungen Krankheit. Eine
rationelle Therapie fasst nicht am Organismus
an, sondern am Milieu, und sucht in bewusster
Weise den »Lebensraum« d. h. die genannten
Lebensmedien zu korrigieren. »Künstlicher
Zonenwechsel«, »künstliche Tropenräume« will
er an Stelle der Apothekenmedicin setzen und
führt auch aus, wie das z. B. für Tuberkulose¬
behandlung praktisch durchzuführen wäre.
Mit seinen Angriffen gegen die moderne
Serumchemie, gegen das Ueberwiegen der mikro¬
skopischen Denkweise u. s. w. hat Verfasser ge¬
wiss Recht. Aber er irrt mit der Annahme, dass
die Druckerschwärze der Zeitschriften und Kon¬
gressberichte das Evangelium für die gesammte
Aerztewelt darstelle. Es sind ihrer nicht die
schlechtesten, die sich die Freiheit nehmen,
anders zu denken, die aber nach dem Satze La
Bruyöre’s handeln: la gloire et le möritc
de certains hommes est de bien ficrire;
et de quelques autres, c’est de n’öcrire
point. ln ihnen lebt noch die naive Natur
hetrachtung, wie sie einst schon Timäus der
Lokrier ausgesprochen hat: »Auch die Gewohn¬
heiten vermögen ziemlich viel, in denen man in
einer Stadt oder in einem Hause erzogen wird,
und die tägliche Lebensweise, wodurch die Seele
entweder verweichlicht oder kräftig und stark
gemacht wird. Denn der Aufenthalt unter freiem
Himmel, einfache Kost und körperliche Uebungen
und die Sitten derer, mit denen wir Zusammen¬
leben, haben den grössten Einfluss auf unsere
Tüchtigkeit und Schlechtigkeit«.
Die Schüler der Lama rck, Laplace, Hum¬
boldt, Goethe sind nicht alle degeneriert; aber
Verfasser wird, wenn er konsequent ist, selbst
einsehen, dass in dem gährenden Milieu unserer
Tage noch keine Existenzbedingungen für eine
abgeklärte Naturphilosophie gegeben sind. Er
mag sich trösten; in der nächsten Periode werden
wieder die grossen Fragen in den Vordergrund
treten, und die grossen Fragen werden wieder
itrosse Männer zeitigen. Als Vorläufer dieser
Periode werden C. Roth’s Zöllnergedanken
immer ihren Werth behalten.
Buttersack (Berlin).
Richard Simon, Eine nene rationelle Me¬
thode zur Bekämpfung der Lungenschwind¬
sucht. Göttingen 1901.
»Pacatis rumoribus bacteriologorum novi
motus (in medicina) exdtati sunt a tot novis
philosophis. ... Itaque praxeos principia tanto-
pere turbata sunt, ut inter peritissimos hodie non
facile constet, quid tenendum, cui credendum,
qua dem um via progrediendum sit.«
Diese leicht variierte Stelle aus G. Bagli vPs
Opera omnia medico - practica (edit. nona. Ant-
werpiae 1715. pag. 121) passt auch auf unsere
heutige Zeit wieder, und ein Jeder wird in den
tot novi philosopbi die modernen Wasser-, Licht-,
Massage-, Ernährung»- n.s.w.Therapeuten wieder¬
erkennen.
Verfasser setzt gewiss an einem ebenso
naheliegenden wie wichtigen Punkt ein, wenn
er schreibt: wir dürfen die ungenügende Ath-
mung als den bei weitaus den meisten Fällen
Avichtigsten und nächstliegenden Faktor bei der
Entstehung der Schwindsucht ausgeben, oder
Avenn er die Athmungsgymnastik für ebenso
Avichtig erklärt als die Lignosulfitinhalation. Wer
erkannt hat, mit welch* erstaunlich geringer
Lungenlüftung viele Leute auskommen, und wie
zahlreiche Menschen auch auf energische Auf¬
forderung hin nicht tief ein- und ausathmen kön¬
nen, der wird dem Verfasser sicherlich beistim¬
men; ja er wird noch weiter gehen und in An¬
lehnung an Diesterweg’sche Vorstellungen,
Avonach der Respiration eine grosse Bedeutung
für die Bewegung des Blutes zukommt, eine
Reihe von anscheinend verschiedenartigen Stö¬
rungen auf dieses Moment einer mangelhaften
Athmung zurückführen.
Es scheint mir ein Verdienst von Simon zu
sein, diese Gesichtspunkte wieder in den Kreis
der Betrachtungen gerückt zu haben; auch was
er über die Schattenseiten der Liegekuren sagt,
ist beachtenswerth.
Daneben empfiehlt er aufs wärmste die
Lignosulfitinhalationen; über ihren Heilwerth
Avage ich kein Urtheil; Schaden können sie wohl
kaum viel anriebten. Buttersack (Berlin).
Berlin, Druck von W. Büxensteiu.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 9 (Dezember).
Redaction:
Geb. Med. - Rath Prof. Dr. E. y. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Prof. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. seit*
I Beitrage zur Kcnntniss der Heissluftbehandlung. Aus der Königlichen medicinischen
Univereitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber.) Von
Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 8 Abbildungen.491
II. Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst und Winter therapeutisch ver¬
wenden? Von Dr. M. Edel, Badearzt in Wyk auf Föhr. Mit 3 Abbildungen . . 502
III. Zur Kcnntniss der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht während der Heil-
stättenbehandlung. Mittheilung aus dem Königin Elisabeth - Sanatorium bei Buda¬
pest. Von Dr. D. Kuthy, Privatdozent, dirig. Chefarzt.513
II. Kritisch© Umschau.
Zusammenfassende Ucbcrsicht über das Adrenalin. Von Dr. G. L. Mamlock in Berlin . . 520
III. Kleinere Mittheilungen.
Analyse zweier essbaren Erdarten aus Centralafrika. Von M. E. Heiberg, Mag. scientiarum
in Kopenhagen.52G
IV. Berichte über Kongresse und Vereine.
I. Sitzung des Vereins für innere Medicin am 14. Oktober 1902. Von Dr. L. Michaelis
in Berlin.528
II. Jahresversammlung des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger Getränke vom
13—15. Oktober 1902 in Stuttgart. Von Dr. Waldschmidt in Charlottenburg-
Westend...530
V Referate über Bücher und Aufs&tze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Lehmann und Voit, Die Fettbildung aus Kohlehydraten.535
Oppenheimer, Ueber das Verbältniss des Nahrungsbedarfes zu Körpergewicht und Körper¬
oberfläche bei Säuglingen.535
Waldvogel, Der Stoffwechsel im Gichtanfall.535
Asher und Jackson, Ueber die Bildung der Milchsäure im Blute nebst einer neuen Methode
zur Untersuchung des intermediären Stoffwechsels.536
Zeitschr. I dilt. u. phynlk. Therapie Bd. VI. Heft 9 . 34
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490
Inhalt.
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
Seit»
v. Schenckendorff und Schmidt, Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele.536
Murphy, Körperliche Uebung bei der Behandlung der Lungentuberkulose.537
Para viel ni, Selbstmassage im lauen Bade.537
Kennedy, Ueber die Wiederherstellung koordinierter Bewegungen und Nervendurchschneidung 537
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Weiner und Matt, Praktische Hydrotherapie.537
Weber und Hinsdale, Health resorts — Mineral springs ..538
Silber, Zur therapeutischen Verwendung der Wärme mit besonderer Berücksichtigung der
Fangobehandlung.538
D. Elektro- and Röntgentherapie.
Frankenhäuser, Das Licht als Kraft und seine Wirkungen.540
Strebei, Die praktische Ausübung der Lichttherapie und das lichttherapeutische Instru¬
mentarium .540
Foveau de Courmelles, Les lumiöres froides et refroides en thörapeutique.540
E. Verschiedenes.
Jacob und Pannwitz, Entstehung und Bekämpfung der Lungentuberkulose.541
Jürgensen, Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie, mit besonderer Berücksichtigung
der Therapie.542
Eppler, Haushaltungskunde.542
Zibell, Warum wirkt Gelatine hämostatisch?.543
Haläsz, Ueber den Werth einiger neuerer Heilverfahren in der Ohrenheilkunde (Pneurno-
massage, Hydropneumomassage, Lucae’sche pneumatische Sonde).543
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege.544
Festschrift zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte.544
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3 x /a — 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn
Prof. Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original - Arbeiten
I.
Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbehandlung.
Aus der Königlichen medicinischen Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P.
(Direktor: Professor Dr. Schreiber;.
Von
Dr. E. Rautenberg,
Assistenzarzt.
Es ist unzweifelhaft Bier's Verdienst, der Behandlung mittels heisser Luft in
den therapeutischen Schatz Eingang verschafft zu haben; denn obgleich Quincke
dieselbe schon mehrere Jahrzehnte vorher empfohlen hatte, war die von ihm an¬
gegebene Methode, das sogenannte Quincke’sehe Schwitzbett, doch nur in massigem
Umfange in Aufnahme gekommen. Erst seitdem Bier besonders spezialisiert ge¬
baute Apparate konstruiert hatte und über gute Heilerfolge berichten konnte *), fand
die genannte Therapie grössere Verbreitung 2 ). Als weiterhin sichtbares Zeichen für
dieses durch Bier geweckte allgemeine Interesse darf vielleicht der Umstand be¬
trachtet werden, dass Bier auf dem vorjährigen Kongresse für innere Medicin be¬
auftragt war, ein Referat: »Ueber die Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie zu
Heilzwecken«*) zu erstatten.
Wenn aber trotz alledem die Heisslufttherapie bisher in der allgemeinen Praxis
noch nicht die Anwendung gefunden hat, die ihr dem Anschein nach gebührt, so
liegt das wohl hauptsächlich daran, dass ihre Anwendung in der Praxis, im Kranken¬
hause sowohl als namentlich im Hause des Patienten auf ziemlich erhebliche Schwierig¬
keiten stösst.
Zwar hatte Bier von vornherein das Bestreben, seiner Methode gerade in der
allgemeinen Praxis eine grosse Verbreitung zu sichern, und stellte deshalb seine
Heissluftkästen möglichst einfach, man kann sagen roh her, damit ihr Preis niedrig
und ihre Herstellung leicht sei. Aber da zur Behandlung aller Körpertheile eine
grössere Anzahl von solchen Heissluftkästen nothwendig ist, — was namentlich bei
Gelenkleiden, die sich für diese Behandlung besonders eignen sollen, zutrifft — so
ist das zur Behandlung nöthige Instrumentarium doch ziemlich unbeholfen und
schwerfällig.
Bei den später von anderen Autoren konstruierten Heissluftapparaten sind diese
Uebelstände nicht beseitigt. Dieselben sind zwar eleganter gebaut, und — was die
i) v. Esmarch’s Festschrift S. 63. Kiel und Leipzig 1893. — Münchener medicinische Wochen¬
schrift 1899. No. 48 f.
*) Ueber die Priorität in der Anwendung der Heisslufttherapie, s. Bier 1.c. im Gegensatz
zu Mendelsohn (Kongress für innere Medicin 1898), der Tallerman die Priorität zuschreibt,
aber fälschlich, denn Bier begann seine Versuche 1891, Tallerman erst 1893.
*) Verhandlungen des 19. Kongresses für innere Medicin zu Berlin 1901.
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492 E. Rautenberg
Heizung betrifft, — zum Theil technisch vollkommener; aber einmal sind sie schon
ihrer Kostspieligkeit wegen für die allgemeine Praxis nicht geeignet, und ebenso ist
der für viele Apparate nothwendige Anschluss an eine elektrische oder Gascentrale
ein Hinderniss für ihre Verbreitung.
Der Grund für diese Uebelstiinde der Heissluftapparate ist zu suchen in der
Schwierigkeit, die die heisse Luft bietet bei dem Versuche, sie als wärmeführendes
Agens zu benutzen. So sehr einzelne ihrer Eigenschaften sie als für die Wärme-
therapie geeignet erscheinen lassen, so sehr bieten andere grosse technische Schwierig¬
keiten.
Einmal hat die heisse Luft das Bestreben, sich in der niedriger temperierten
Umgebung schnell zu vertheilen, und zwar hauptsächlich in der Richtung nach oben,
und ferner nimmt sie begierig Feuchtigkeit aus der Umgebung auf, ein Missstand,
welcher noch vermehrt wird durch die starke Schweisssekretion der Haut des mensch¬
lichen Körpers bei hoher Lufttemperatur. Die erste Eigenthümlichkeit bereitet dem
Bestreben einer guten Wärmeapplikation insofern Schwierigkeiten, als es schwer ist,
dem ganzen exponierten Körpertheil gleichmässige Wärme zu applizieren, d.h. die
Temperatur und Strömung der Luft in seiner Umgebung gleichmässig zu erhalten;
die zweite Eigenschaft erfordert hingegen eine beständige Erneuerung der Luft in
der Umgebung des zu behandelnden Körpertheils, eine genügende Ventilation; denn
eine Stagnation derselben würde zur Folge haben, dass sie sich zu sehr mit Feuchtig¬
keit sättigt, und damit eine der Eigenschaften verliert, die sie als ein zur Wärme¬
applikation dienendes Vehikel so geeignet erscheinen lässt, ihre relative Indifferenz
gegenüber dem menschlichen Körper.
So widersprechen sich bei den Heissluftapparaten als Ausdruck der Schwierig¬
keit ihrer Konstruktion einerseits das Prinzip, die Luft auf bestimmter Temperatur¬
höhe zu erhalten, andrerseits die Forderung, sie zu erneuern.
Fast alle Autoren haben diese technische Schwierigkeit in der Weise zu über¬
winden gesucht, dass sie Kastenapparate konstruierten, welche die heisse Luft so¬
zusagen festhalten, und innerhalb welcher der kranke Körpertheil der heissen Luft
exponiert wird. Sie wird theils im Innern der Apparate selber (Tallermann 1 ),
Lindemann 2 )), oder aussen erhitzt, und dann in den Kasten hineingeführt (Bier 3 )
und die Modifikationen von Krause*) u. a.). Für Erneuerung der Luft wird bei den
Apparaten gesorgt durch an der Decke angebrachte Abzugsöffnungen, so dass die
heisse Luft innerhalb des Kastens an dem hineingelagerten Gliede mehr oder weniger
intensiv vorbeiströmt Da diese Apparate sich der Form und Grösse des zu be¬
handelnden Körpertheiles anpassen müssen, so sind — ein unvermeidbarer Uebel-
stand — immer ihrer viele für die Behandlung des ganzen Körpers, respektive aller
Körpertheile nothwendig, z. B. bei Bier und den verwandten Kästen vier bis sechs,
ein ganzes Inventarium.
Im Gegensatz zu dieser Form der geschlossenen Apparate benutzt Frey*) die
strömende heisse Luft und lässt sie douchenartig gegen den Körper strömen. Er
hat dabei den Vortheil, mit Hilfe eines Apparates alle Körperstellen beliebig lange
1) Mendelsohn, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1. —
Salaghi, ebenda Bd. 3. Heft 5.
2 ) Lindemann, Münchener medicinische Wochenschrift 1898. No. 46.
») Bier, 1. c.
*) Krause, Münchener medicinische Wochenschrift 1898. No.20.
5 ) Frey, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 3. Heft 8.
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Beiträge zur Kenntniss der Hcissluftbehandlung. 493
und stark der heissen strömenden Luft exponieren zu können. Leider hat diese
Methode u. a. den Fehler, dass sie sehr starke Heizquellen braucht (elektrischen
Strom, Gas), um die durchströmende Luft auf die erforderliche hohe Temperatur zu
bringen, und dass eine sehr aufmerksame Bedienung nothwendig ist 1 ).
Wir sehen also, dass die genannten Nachtheile der Heissluftapparate, nämlich
Umständlichkeit der Applikation, voluminöse Form, Bedarf starker Heizquellen,
kaum vermeidbare Uebelstände sind, bedingt durch die Natur des benutzten warmen
Mediums, der Luft.
Was die Eigenschaft dieser Apparate betrifft, so waren bis vor kurzem alle
Autoren einig in dem Lobe ihrer ausserordentlich vortrefflichen Funktion; ihre gute
Konstruktion erlaubte angeblich, dass der menschliche Körper die exorbitant hohen
Temperaturen bis 150 °C ertragen könne, ohne Schaden zu nehmen. Erst in letzter
Zeit hat sich in dieser Beziehung eine Aenderung vollzogen, nachdem J. Schreiber*)
auf die Fehler hingewiesen hatte, die bei den Beobachtungen über die vermeintlich
ertragenen hohen Temperaturen offenbar gemacht worden sind, und auf die Ursache
dieser fälschlichen Beobachtungen, auf die Differenz der in den (Krause’schen)
Heissluftapparaten an den verschiedenen Stellen herrschenden Temperaturen. Die
bisherigen Mittheilungen über Temperaturen von 130—150°, die angeblich stunden¬
lang ertragen wurden, sind demnach nicht zu verstehen als Temperaturen, die im
Innern der Heissluftkästen in der Umgebung des Körpertheiles herrschten, sondern
als Temperaturen, die sich an der Decke des Apparates stauten.
Obgleich diese Verschiedenheit der Temperatur den einfachen physikalischen
Gesetzen entspricht, und den Autoren, die sich mit der Anwendung der heissen Luft
beschäftigten, nicht hätte entgehen dürfen, ist Schreiber thatsächlich der erste ge¬
wesen, der sie erkannte, und auf die thatsächliche Verbreitung der Temperaturen im
Innern der Wärmekasten genauer hinwies. Alle anderen Autoren bezeichneten bisher
mehr oder weniger ausdrücklich die vom Deckenthermometer angezeigte Temperatur
als die im Innern des Apparates befindliche, respektive als die vom Körper ertragene
Temperatur.
In seiner neuesten Abhandlung 8 ) macht nun Bier die ganz kurze und mehr
beiläufige Bemerkung: »Die Temperatur ist natürlich in den verschiedenen Ab¬
schnitten des Kastens verschieden hoch, im allgemeinen oben viel höher als unten.
So grosse Unterschiede, wie sie Schreiber neulich beschrieben hat, sind bei meinen
Apparaten auch nicht im entferntesten vorhanden, insbesondere dann nicht, wenn
man Gas als Heizquelle braucht.< Diese Bemerkung ist geeignet, in mehrfacher
Beziehung Missverständnisse hervorzurufen; ich betone daher ausdrücklich, dass die
von Bier als »natürlich« angegebene Erscheinung eben bisher von ihm und den
anderen Autoren übersehen worden ist und infolgedessen zu falschen, mindestens zu
bisher unerwiesenen physiologischen Anschauungen geführt hat.
Wenn Bier zweitens bei dieser Gelegenheit behauptet, dass bei seinen Apparaten,
namentlich wenn sie mit Gasflammen erhitzt werden, nicht so hohe Temperatur¬
differenzen Vorkommen, wie sie Schreiber an den Krause’schen Apparaten be¬
schrieben hat, so sei darauf hingewiesen, dass Bier diese Apparate als mit den
!) Als eine nicht ganz unzweckmässige Modifikation darf der kleine Apparat von Vorstädter,
»Kalorisator« (Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 48) bezeichnet werden. Er entspricht
jedoch allgemeineren Anforderungen — soweit ich mich überaeugt habe — nicht.
J. Schreiber, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 5. Heft 2.
8 ) Therapie der Gegenwart 1902. Februar.
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G. Rautenberg
494
seinigen im Prinzip übereinstimmend anerkannt hat, und dass Bier und Krause
zur Heizung ihrer Apparate eine Spirituslampe empfehlen. Schreiber hat sich
also bei seinen Versuchen dieser Erwärmungsart bedient und musste sich ihrer be¬
dienen, wenn seiner Nachprüfung ein vergleichender Werth zuerkannt werden sollte.
Wenn nun Bier nachträglich die Bemerkung macht, dass die Temperaturdifferenzen
der einzelnen Schichten in seinem Wärmekasten nicht so hohe seien, wenn man die
Luft durch Gasflamme erhitze, so hat diese Bemerkung mit den Angaben Schreiber’s
gewiss nichts zu thun. Immerhin sah ich mich ihr gegenüber veranlasst — obgleich
sie mir erst bei der Niederschrift dieser Arbeit zur Kenntniss kam — Kontroll-
versuche anzustellen. Ich habe hierbei einen Bier’schen Kasten für Hand und Fass
benutzt, und denselben durch Gas erhitzt. Aber auch so habe ich bei scheinbaren
Erwärmungen des Kastens auf 100—110° (Deckenthermometer) zwischen den obersten
Theilen des Kastens und der mittleren Höhe, in welcher sich die eingelagerte Extremität
befand, doch Temperaturunterschiede von 30 — 40° gefunden. Einen wesentlichen
Unterschied zwischen der Erwärmung der Kästen mit Spiritus oder Gasflamme
möchte ich hiernach wenigstens für die therapeutisch in Betracht kommenden
Temperaturen und Zeitverhältnisse trotz jener nachträglichen Angabe Bier’s nicht
anerkennen.
Schliesslich darf auch nicht übersehen werden, dass Schreiber’s Angaben sich
nicht nur auf die verschiedene Vertheilung der Luft in den einzelnen Höhen der
Wärmekästen beziehen, sondern auch auf die in den einzelnen Tiefen der gleichen
Höhe, nämlich vorn, hinten, rechts, links u.s.w. von der eingelagerten Extremität,
so dass z. B., wie Schreiber zu demonstrieren versuchte, bei Behandlung des Fuss-
gelenkes unter Umständen einzelne Theile der Extremität überhitzt, das Gelenk selbst
stellenweise kaum erwärmt zu werden braucht.
Bezüglich der Funktion der Bier’schen und verwandten Heissluftapparate sei
nur darauf aufmerksam gemacht, dass die natürliche Temperaturdifferenz in denselben
dadurch begünstigt wird, dass die Luft an einer Stelle (seitlich) eingeführt wird,
und dass nur eine Abzugsöffnung, und zwar an der Decke des Apparates, angebracht
ist. Durch diese Einrichtung wird die Tendenz der Luft zu ungleicher Temperatur-
vertheilung nur begünstigt, und der exponierte Körpertlieil wird dabei durch den
entstehenden Heissluftzug mehr oder weniger immer nur an der einen Seite getroffen.
Demgegenüber scheint mir eine ältere Konstruktion der Bier’schen Kästen insofern
zweckmässiger, als in ihnen »ganz nach Bedarf an verschiedenen Stellen« Abzugs¬
löcher angebracht werden»), und der Luftstrom im Apparate mehr vertheilt wird.
Doch scheint Bier von dieser Konstruktion wieder abgekommen zu sein, denn bei
den späteren Abbildungen der Kästen sieht man immer nur eine Abzugsöffnung,
nämlich an deren Decke 3 ).
Bei längerem Gebrauche dieser Apparate bemerkt man ausserdem den Uebel-
stand, dass man die heisse Luft nicht genügend auf kleinere Körperpartieen
lokalisieren kann, da man auf die vorhandene Form des Kastens angewiesen ist.
An dieser Stelle sei zugleich einer Angabe in der Litteratur bezüglich des
Tallerman’schen Apparates Erwähnung gethan. Wer sich viel mit Erzeugung
aktiver Hyperämie beschäftigt hat und weiss, wie intensiv dieselbe bei direkter
>) Münchener medicinische Wochenschrift 1899. No 48.
2 ) Münchener medicinische Wochenschrift 1899. No. 49.
3 ) Therapie der Gegenwart 1902. Februar.
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495
Beiträge zur Konntniss der Heissluftbehandlung.
Einwirkung hoch temperierter Luft ist, dem muss es auffallen, wenn Mendelsohn 1 )
von dem genannten Apparate sagt: >Nach der Herausnahme war die Hautoberfläche
der betreffenden Extremität feucht, und an den nicht umhüllten Körperstellen ein
wenig, jedoch ganz unerheblich geröthet, zeigte aber sonst keinerlei Beeinträchtigungen
oder Veränderungen.« Wir müssen aus dieser Beschreibung schliessen, dass die Haut
kaum von heisser Luft berührt sein dürfte, und werden deshalb Salaghi 2 ) beistimmen,
wenn er auf das Missverhältniss aufmerksam macht, welches zwischen der Grösse
dieses Apparates und der zur Heizung nöthigen Wärmemenge gegenüber der thatr
sächlich auf den Körper einwirkenden Temperatur besteht (da derselbe nach Vorschrift
mit Binden umhüllt werden muss). Auch werden wir uns dem Bedenken nicht ver-
schliessen können, dass diese Einhüllung des Körpers eine genügende Luftventilation
verhindert und eine Zurückhaltung der Feuchtigkeit begünstigt. Kurz gesagt, scheint
bei dem Tallerman’schen Apparate eine direkte Einwirkung der heissen Luft
nicht stattzufinden.
Derartige Ueberlegungen veranlassten meinen Chef, Herrn Professor J. Sch reib er,
der Frage näherzutreten, ob es nicht möglich sei, handlichere Apparate zu konstruieren,
welche zunächst den Bedingungen der poliklinischen Behandlung angepasst wären.
Die Heisslufttherapie hatten wir bis dahin in der Form des Quincke’schen Schwitz¬
bettes in Gebrauch, und versuchten zunächst dieses in eine zweckentsprechende Form
zu bringen. Um eine möglichst gute Vertheilung der heissen Luft herbeizuführen,
schien uns die Zuführung der heissen Luft von unten her, etwa durch einen durch¬
lochten Boden, die natürlichste zu sein, doch gaben wir derartige Konstruktions¬
versuche bald auf, da die Herrichtung eines solchen Bodens zu umständlich war und
die Konstruktion der Apparate komplizierte 3 ). Wir blieben schliesslich, wie die Ab¬
bildungen zeigen, im grossen und ganzen, wie Bier, Krause u. a., bei dem Prinzip
des Quincke’schen Apparates, d.h. es wurde an der Zuführung der heissen Luft
vermittels eines Metallrohres festgehalten. Im übrigen wurde der Apparat durch
viele andere Einrichtungen so gestaltet, dass er wohl schliesslich als ein an sich
eigenartiger und neuer Apparat bezeichnet werden kann, der sich, wie gezeigt werden
wird, durch seine Einfachheit und mannigfache Verwendbarkeit wie kein anderer
Apparat auszeichnet.
Er besteht (s. Fig. 61) in der Hauptsache aus dem winklig geknieten Heissluft¬
rohr (r), dessen horizontaler Theil mit einer nicht metallischen Verlängerung (p)
versehen ist und mit einer nicht metallischen Kappe (Ara) armiert werden kann. Das
ganze Rohr ist vermittels eines breiten Ringes (ri) an einem festen eisernen Statif
befestigt, dessen Höhe vermittels einer Schraube (bei h ) verstellbar ist.
Das Heissluftrohr ist aus Eisenblech gefertigt und gekniet; die bei ähnlichen
Apparaten bestehende Krümmung bewährt sich in der Praxis nicht. Der vertikale
Theil des Rohres ist 55 cm., der horizontale nur 15 cm lang, der Durchmesser be¬
trägt 7 cm.
Zur Regulierung der Intensität des Heissluftstromes respektive der zugeführten
Temperaturhöhe ist im Innern des horizontalen Rohres eine Klappe angebracht,
■) Hendelsohn, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1.
2 ) Salaghi, 1.c.
3) ln neuester Zeit hat S. Löwenthal (s. Zeitschrift »Die Krankenpflege 1901/02. S. 527 und
Katalog von Mehn-Braunscbweig) nach dem genannten Prinzip einen Heissluftapparat konstruiert.
Der dnrchlocfate Boden ist aus Asbestpappe verfertigt. Ueber die Funktion des Apparates besitze
ich leider keine Erfahrung.
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K ftautgnburg
deren "Qrflf aussen lieraiisfl'agt- Nach Arb einer Ofenklappe kann sje nach Bedarf
m» gestellt werden, dass sie das Lumen des Rohres tlieilwfetse oder auch ganz sehlles:-:.
An den Coden des Öriffes. befindet sie!) eine ca. I in lange Doppidkette (r/A*), oft
deren Hilfe der die therapeutische .Prozedur .Beaiifsifhtigeöde • resp. der Kranke,
selbst die Temperatur in getvtinsriiter Weise regulieren kann.
Am unteren Theil des vertikalen Rohres billigt ein Teller (f), ihn die zur
Heizung nhHuge Splri)r^;lbmpg trügt- Oer Teller lässt sieti beben «ad senken, so
dass aueh dadurch die Temperatur gferngelfc werden kau», jedoch nur in ungedStirer
Weist'; die genauere Regul.ieruttg g«.-
Tig, OL schiebt mit de? erwähnten Klappt*
\,v . : ma 8 ** ißr: A'wwög erwäh r. t
»verden, dass der Vortheil der T?m-
poratiaTegulierntig ihr den Krankes
$$&$*?** .•'•' ein ausserordentlich grosser ist. Ah-
fl§ f:I gesehen davon, dass dnbeiAerlt«?nmia-
•' ** | gen naturgemiiss viel .seltener. statt-
£}■ „, !;;;; finden. ist der TJwstnnd besonders
. i.:; erwäbnenswertU y. dass die Bedienung
und-Beaufsichtigung während der Pro-
■ zodur eine weit einfachere ist. Jio AB-
: ; .-. Idn-ri hieran will ich gleich hervor-
jv. •; fv jF .L^s*. heben, dass wir von jeher an? ein
ständiges- Thermometer, welches dem
; : : sich uU die •a.lli.nu.blidi .äßktergende
Temperatur schnell gewöhnt und oft trotz, weiterer Steigerung diese»', namentlich
»her bei Konstanz derselben ein Sinken zu bemerken glaubt,. — fiebrigem ädnünt
sieb in letzter Zeit, seitdem Schreiber auf die ITizuvetTiisssightdt der bisher üblichen
Thermomctrie. aufmerksam gemacht, hat, in dieser Beziehung eine Aendemng zu'.voll*
.-.nÜHti. So betont 2. B. Titer, in seiner letzten Arbeit ausdrücklich, dass das. ob¬
jektive. Befinde» • »der einzige Maassstah für die Hohe def Hitzes sei, und. .in den
Abbildungen seiner neue« Hei.ssiuftkäßteö «ad denn auch Dcckenthmmometer nicht
abgebildet.
hbt horizontale T'hoü des TJeissluftrcthres ist. mit der acl-on erwähnten V<-r-
langcrnfig vürseltea. Sie besteht nicht ans Metall.■ da bei Benutzung dos Apparates
gerade mit diesem Tbeile desselben fieckeu,. Betten, eventuell sogar der exponierte
Kdcporflicif in Berührung kuimnen .und leicht verbrenne«-'. Wir hatten anfangs als
Material für diese Verlängerung Asbestpappe gewählt, wiche sich «her nicht halt¬
bar zeigte, da sie ieicht zerfaserte. Dsnin vernichten wir einfache fiste Pappe und
Hessen uns in einer Kartonfabiik; diese, rohrförmige Ve.vli<ngernhg- (/>) -bersteilen. Sie
passt genau auf das Kisenrohr and ■ bildet, nachdem sie einige Genüumter weit auf
Beitrage zur Kcnntuiss der Heissluftbchandlung.
497
Die
be-
dasselbe hinaufgesehoben ist, ein einheitliches festes Ganzes mit demselben.
Länge des ganzen horizontalen Theiles ist ca. 40 cm. Kurz vor der Mündung
findet sich noch an der Unterseite des Papprohres eine
rechteckige Oeffnung ( 0 ), 8 cm lang, 6 cm breit, so dass ^ 62>
also zwei Ausmündungsstellen vorhanden sind, eine vordere
kreisförmige und eine untere rechteckige (Fig. 62). Auf
das horizontale Rohr lässt sich je nach Bedarf eine ca.
30 cm lange, vorne geschlossene Kappe ( kä) heraufschieben,
die an der Unterseite eine Oeffnung ( 0 ) hat, und zwar
in einer, dem vorher genannten unteren Ausschnitt ent¬
sprechenden Grösse (6x8 cm). Wenn der Apparat mit dieser Kappe armiert ist,
ist die vordere Ausmündungsstelle geschlossen, und es besteht dann nur eine, nach
unten gerichtete Oeffnung (s. Fig. 63).
Die Kappe setzt uns in den Stand, einmal das horizontale Rohr beliebig zu
verlängern, und ferner ermöglicht sie es, in dieser verlängerten Stellung der Aus¬
strömungsöffnung eine beliebige Richtung nach unten, seitlich, oben zu geben, indem
man die Kappe um ihre Längsachse auf dem horizontalen Rohr dreht.
Hg. 63.
LQu
Fig. 64.
Qu
Qu = Querschnitt.
Diese Vorrichtung hat den Zweck, die Richtung des austretenden Heissluftstromes in
bestimmter Weise zu beeinflussen. Wenn wir uns darüber orientieren wollen, inwieweit
dieses möglich ist, so gehen wir am besten von den Verhältnissen aus, die die heisse Luft
darbietet, wenn sie aus dem nicht mit der Kappe versehenen Heissluftrohre ausströmt
(Fig. 62). Obgleich hier eine untere und eine vordere Oeffnung vorhanden ist, so tritt die
Luft vermöge der Strömung, die bei der Erhitzung des Apparates entsteht, nur aus der
vorderen Oeffnung und zwar in einem kompakten Strahle heraus. Sie nimmt in der kühleren
Umgebung schnell eine vertikal aufsteigende Richtung an.
Einen ganz anderen Weg muss der Heissluftstrom nehmen, falls die vordere Oeffnung
verschlossen ist, und nur eine, nehmen wir zunächst an nach unten gerichtete Oeffnung
vorhanden ist (Fig. 63 u. 64). Der Strom wird dadurch gezwungen, zunächst eine Strecke
weit nach unten seinen Weg zu nehmen, und dann erst nimmt die Luft, vermöge ihrer
spezifischen Leichtigkeit gegenüber der Umgebung wieder eine aufsteigende Richtung an.
Der grössere Theil der heissen Luft strömt dabei schräge aufwärts nach vorne, andere
Theile strömen seitlich in die Höhe (s. Querschnitt). Gegenüber dem vorher erwähnten
Verhalten ist die Luftströmung hierbei eine geringere, da die Kraft der Strömung sich in
diesem Falle bricht, und die Vermischung mit der umgebenden Luft eine schnellere.
Je mehr die nach unten gerichtete Oeffnung in eine seitlich oder nach oben gerichtete
umgewandelt wird, desto mehr findet in der Richtung der Luftströmung ein Uebergang nach
den in Fig. 62 beschriebenen Verhältnissen statt.
Da wir bei der Heissluftbehandlung viel mit geschlossenen Räumen, den >Heissluft-
kasten« operieren, so sei hier vorweg erwähnt, dass die Strömungsverhältnisse der heissen
Luft stark beeinflusst werden, wenn sie nicht in die freie Umgebung, sondern in einen
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498
E. Rautenberg
geschlossenen Ranm ausströmt. Es kommt dabei vor allem auf die Lage der im Kasten
befindlichen Ventilationsöffnung an, da diese den Heissluftstrom zu sich »hinzieht«. Man
könnte demnach in einem solchen Falle die in Fig. 68 und 64 geschilderten Verhältnisse
unterstützen, wenn man die Ventilationsöffnungen an den unteren Partieen anbringt (Fig. 66).
Durch Drehung der Ausströmungsöffnung nach der Seite müsste man auch hier die Luft¬
strömung und Temperaturvertheilung beherrschen können (Fig. 66).
Die Applikation der heissen Luft nehmen wir gewöhnlich, namentlich da, wo
es sich um Behandlung der Extremitäten handelt, in geschlossenen Räumen vor;
doch ermöglicht es die Konstruktion unseres Apparates, dass wir in bestimmten
Fällen davon unabhängig sind, wie wir unten sehen werden.
Zur Herstellung geschlossener Räume benutzen wir denkbar einfachste Mittel,
nämlich dicke Pappe, wie man sie im Papierladen oder beim Buchbinder in der
Grösse 80 x 70 cm erhält. Dieselbe lässt sich leicht, nachdem sie angefeuchtet ist,
bogenförmig krümmen und behält diese Form dauernd, wenn man sie in derselben
erhält (z. B. mit einem Bindfaden entsprechend umschnürt) und- so trocknen lässt
kan erhält auf diese Weise Bogen von ca. 30 cm Höhe, 70 cm Länge und einer
offenen Basis von 40 x 70 cm. Je nachdem man einen grösseren oder kleineren
geschlossenen Raum braucht, kann man zwei oder einen derartigen Pappbogen
nehmen, respektive auch nur einen halben (s. z. B. Fig. 67).
Fig. 65. Fig. 66.
Der durch die Pappbögen gebildete Raum wird durch einfach darüber gebreitete
dünne, wollene oder halbwollene Decken verschlossen; in denselben wird von dem
einen Ende her der zu behandelnde Körpertheil, von dem anderen oder von der
Seite durch eine kreisförmige Oeffnung der Pappe der Heissluftapparat hineingeführt,
und zwar meist mit abwärts gegen den darunter liegenden Körpertheil gerichteter
Oeffnung, in einer durchschnittlichen Entfernung von 15 cm. Im allgemeinen gilt
die Regel, dass, je grösser die zu behandelnde Körperfläche ist, desto grösser die
vertikale Entfernung, der Ausströmungsöffnung sein muss.
Nehmen wir z. B. an, dass ein oder beide Unterschenkel behandelt werden
sollen, so ergiebt sich eine ähnliche Anordnung, wie sie aus Fig. 67 ersichtlich ist,
mit dem Unterschiede, dass ein grosser Pappbogen dazu nöthig ist Man kann
in diesem Falle nach Belieben das Heissluftrohr von der Seite oder vom Ende
her einführen. Eine ähnliche Anordnung ergiebt sich für Behandlung des Kniees
und des Armes, die in gestreckter Stellung in den Raum eingeführt werden, das
Heissluftrohr seitlich. Doch kann man diese Stellung ganz nach Bequemlichkeit des
Patienten modifizieren, z. B. für Behandlung des Ellenbogens und der Schulter in
der Weise, dass der Ellenbogen sich in rechtwinkliger Stellung befindet und die
Hand durch einen seitlich angebrachten Ausschnitt hinausgeführt wird, damit die
Stellung den Patienten auf die Dauer nicht ermüdet. Der Patient sitzt dabei neben
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Beiträge zur KühntnW ü«r Hfe'isftluftbHhanrtinng
einem Tische, auf den er deri erkrankten Ami lagert Bei Behänd lang 4er Iiand
»na des Fasses ersieht, sich eine ähnliche Steilung Wie in Fig. 6* fftr das Knie
(s. auch Kig. 88 schematisch). Zur Behandlung des Rumpfes, der unteren Extremitäten
oder des gäözer, Körpers Mellen- wir ein oder zwei grosse Papphogeu über den
Körper Wild \fQhre%'s^|l^|iV>»3eip vog* Ende aus die heisse Luft hi»e«i. ( ganz so. wie
es sich lör d«tt Patienten am bequemsten arrangieren lässt, wenn er io seiner Häus¬
lichkeit im Sette .oder auf eioer Matratze liegend behandelt wird. Sollte eine Flamin«
nicht genüge«, so kann man einen zweiten Heissluftapparat auf derselben oder
entgegengesetzten Seite einsehälten, doch sind wir bisher nicht dazu genöthigt
gewesen.
Fig. 67,
Ich will besonders hervorlieben, dass wir keine besonderen Abzngsöffnungen
an diesen geschlossenen Bäumen angebracht haben. Wir benutzen möglichst dünne
Decken (FlaneHstoffj und legen sie möglichst lose herum, so dass die uaturgemäss
sich ergebenden kleinen Spalten und Lücken der heissen Luft genügenden Spielraum
zur Ventilation lassen, Es handelt sich also hier nicht um völlig abgeschlossene
Räume, eotidetn (entsprechend dem Beispiel io Fig. 65) gewisssrmaässen um Räume
mit vielen kleinen seitjidißn VentUatioDsöffnüngenv
Wenn man zu dicke Decken nimmt, wird die Ventilation leicht, insofern un¬
genügend, als die Feuchtigkeit (Schweis*, hei der Spiritusverbremiung entstehendes
Wasser) nicht genügend itinweggeführt Wird; durch Lüftung der vevschllessenden
Decke kann man diesem Fehler atihelfea. Allerdings; sind manche Patienten leicht
geneigt, die starke Sdiweissbihlung. welch« meist mit, geringer Hyperämie einher¬
geht, als das wünschenswert}!« Resultat der Behandlung z\i betWcbteg,
gfjj ffgSSiM
500 E. Rautenberg
Die Vertheilung der Lufttemperatur ist bei dieser Art der Applikation in der
Umgebung des exponierten Körpertheils eine verhältnissmässig gleicbmässige, wie
wir uns durch zahlreiche Messungen überzeugten. Einige Beispiele seien im folgenden
angeführt:
H. S., Ulcus cruris, Heissluftbad des rechten Unterschenkels, 1 Stunde lang, 16. März
1901. Vier Maximalthermometer, 1 cm von der Haut entfernt über dem dorsnm pedis, der
Mitte des Unterschenkels, rechts und links vom Gelenke zeigen:
61°, 60°, 56°, 68°.
H. D., Chorea minor, Heissluftbad der unteren Körperhälfte, von den Hüften abwärts,
1 Stunde lang, am 11. und 12. März 1901. Vier Maximalthermometer, 1 cm von der Haut
entfernt an Fuss- und Kniegelenk des rechten und linken Beines zeigen:
am 11. März 97«, 102«, 106«, 95«
» 12. > 81®, 92«, 91«, 88«.
Die vermittels der Maximalthermometer erhaltenen Zahlen geben die Höhe der
ertragenen Hitze an. Wenn dieselben, wie ersichtlich, nicht nur bei den verschiedenen
Individuen, sondern auch bei derselben Person variieren, so hat das ausser der jedes¬
maligen individuellen Verschiedenheit seinen Grund darin, dass die Temperaturhöhe
nicht allein das einwirkende Moment darstellt; dieses setzt sich bei der Heissluft¬
applikation vielmehr aus zwei hauptsächlichen Faktoren zusammen, aus der Höhe
der Lufttemperatur und aus der Geschwindigkeit der Strömung. Diese letztere aber
genauer zu bestimmen, hat seine grossen Schwierigkeiten.
Natürlich ist nicht zu verhindern, dass an der Decke des Raumes die Tempe¬
ratur höher steigt als in der Umgebung des Körpers. Diese Temperaturdifferenz,
im Durchschnitt 20—30« betragend, ist ohne Belang, da der exponierte Körpertheil
immer horizontal gelagert ist und in einer gleichmässig temperierten Luftschicht
liegt. (Da, wo einzelne Theile des Körpers in höhere Luftschichten ragen, z. B.
bei Behandlung der Unterschenkel und des Fusses, können wir, wie schon be¬
schrieben (Fig. 66), durch leichte Drehung der Kappe von dem Fusse hinweg mit
Leichtigkeit die Temperatur so regulieren, dass sie an den Zehen nicht höher ist
als am Unterschenkel.) Verursacht wird die günstige Temperaturvertheilung offenbar
dadurch, dass die Luft beim Austritt aus dem Heissluftrohr gewissermaassen nach
unten gedrückt wird (wie oben schon ausgeführt ist). Der Heissluftstrom vertheilt
sich dann, in dem Bestreben in die Höhe zu steigen, gleichmässig nach allen Seiten,
und begünstigt wird die Vertheilung noch durch die Lage der Abzugsöffnungen
(d. h. Spalten und Oeffnungen der abschliessenden Decke) an den seitlichen Theilen
des Heissluftraumes. Die Luft streicht also von oben herabsteigend und sich ver¬
breitend über den horizontal gelagerten Körpertheil hinjweg. Auf diese Weise —
diesen Umstand halten wir für sehr wesentlich zur Erzielung einer gleichmässigen
Wärmeapplikation — wird die Bildung eines kompakten Heissluftstromes vermieden,
der etwa nur einige Stellen des Körpertheiles intensiv trifft, während der grössere
Theil nur mit niedrigen Temperaturen in Berührung kommen würde.
Andererseits kann man leicht je nach Bedarf innerhalb des Heissluftstromes be¬
stimmte Körperstellen besonders stark dem Heissluftstrom exponieren, indem man
die Ausströmungsöffnüng gegen die gewünschte Stelle richtet resp. ihr nähert. Man
kann also den Luftstrom auf bestimmte Stellen, falls der Ausdruck erlaubt ist,
lokalisieren.
In besonders einfacherWeise lässt sich dieses erreichen, wenn kleinere Körper¬
stellen mit der Hyperämie behandelt werden sollen, nehmen wir z. B. an die Patellar-
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♦reijrf. (Der Deutlichkeit halber ist das hmibhäiigende Tuch wo def rechten Seite
des l’atieutcn in die Hohe geschlagen.! (Seidu** folgt.)
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502
M. Edel
II.
Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst und Winter
therapeutisch verwerthen?
Von
Dr. M. Edel
Badearzt in Wyk auf Föhr.
Seit mehr als einem Jahrhundert dienen unsere deutschen Nordseeinseln als
anerkannte und erfolgreiche Kur- und Heilorte. Fast zufällig war beobachtet worden,
dass eine Anzahl von Krankheiten durch einen Aufenthalt auf einer Nordseeinsel zur
Heilung gelangte, und als diese Beobachtungen sich mehrten, ging man daran, die im
Nordseeklima offenbar vorhandenen heilenden Wirkungen den Kranken systematisch
nutzbar zu machen, und gründete Seebäder. Norderney darf sich rühmen, das älteste
deutsche Nordseebad zu sein. Seine Gründung fällt noch in das Ende des 18. Jahr¬
hunderts. Erst 20 Jahre später, im Jahre 1819, wurde als das zweite deutsche Nordsee¬
bad das Bad in Wyk auf der Insel Föhr eröffnet. Diesem folgte sieben Jahre später die
Gründung des Bades auf der Felseninsel Helgoland, die damals zu England gehörte.
Jahrzehnte lang blieben Norderney, Wyk und Helgoland die einzigen Inselbäder
in der Nordsee. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts treten allmählich auch
die benachbarten Inseln in die Reihe der Seebäder ein, so dass jetzt wohl auf allen
Nordseeinseln, die über einen brauchbaren Strand verfügen, ein Seebad besteht
Die Zahl der Besucher dieser Bäder, der alten wie der alleijüngsten, ist in
schneller Entwicklung zu einer bedeutenden Höhe gestiegen, aber die Zeit, in welcher
sie aufgesucht werden, hat sich seit der Gründung des ersten Nordseebades nicht
geändert Im Sommer sind alle mit Badegästen überfüllt, aber im Herbst, der all¬
gemein und mit vollem Recht als die schönste Jahreszeit an der Nordsee gilt, und
vollends im Winter sind die Inseln von Fremden verlassen, nur ganz vereinzelt
treffen wir dort Wintergäste an.
Für die grosse Menge der Gesunden, die im Seebad nur eine angenehme Er¬
holung von ihren Berufspflichten, ein kühles Bad an heissen Tagen und ein amüsantes
Badeleben suchen, wird der Aufenthalt an der See stets durch, die Hauptreise- und
Ferienzeit, die sogenannte Saison, bestimmt bleiben. Viel grösser ist aber die Zahl
derjenigen, welche aus therapeutischen Gründen von ihren Aerzten an die Nordsee
geschickt werden. Sollen auch diese nur im Sommer die Nordseeinseln aufsuchen,
oder können sie dort auch im Herbst und Winter Heilung und Genesung erwarten?
Solange man die Heilerfolge der Nordsee einzig dem Baden im offenen Meere
zuschrieb, war die Kurzeit auch für die Kranken auf die wenigen Wochen beschränkt,
in denen die Temperatur des Meeres das Baden darin gestattet, also im grossen
und ganzen auf die Monate Juli, August und September. Nachdem aber erkannt
war, dass mehr noch als das Baden im Meere der Aufenthalt in der Seeluft die
Heilerfolge hervorbringe, musste die Frage entstehen, ob es nicht möglich sei, auch
nach Beendigung des Sommers, im Herbst und im Winter, diese unschätzbaren
Naturkräfte den Kranken dienstbar zu machen.
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UNjVERSITY OF MICHIQAN
Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen? 503
Beneke, der als erster mit grossem Nachdruck darauf hingewiesen >) hatte,
dass »an dem Nordseegestade die Meeresluft unter den heilenden Faktoren die erste
und das Bad im offenen Meere die zweite Stelle einnehme«, suchte auch diese Frage
zuerst zur praktischen Lösung zu bringen. Es war ihm bekannt, dass öfter Kranke
auf der einen oder der anderen Nordseeinsel überwintert hatten, und dass diese ver¬
einzelten Ueberwinterungen stets gute Resultate ergeben hatten.
Daher beschloss er 3 ), 'mit einer grösseren Anzahl von Kranken einen Herbst
und Winter auf einer Nordseeinsel zuzub'ringen und wählte hierzu die Insel Norderney.
Mit unermüdlicher Ausdauer und bewunderungswürdiger Energie besiegte er mancherlei
Hindernisse, die sich der Ausführung seines Planes entgegen stellten, und ver¬
sammelte während des Winters 1881/82 über 50 Kranke in Norderney. Der Erfolg
war glänzend, so dass Beneke »den verlängerten Aufenthalt auf den deutschen
Nordseeinseln« für die dazu geeigneten Kranken warm empfahl.
Zwanzig Jahre sind jetzt gerade seit dieser ersten grösseren Ueberwinterung
Kranker auf einer Nordseeinsel verflossen, aber noch immer sieht man bei uns nur
ganz vereinzelte Wintergäste, noch immer begegnet man ungläubigen oder spöttischen
Gesichtern, wenn man von Winterkuren auf den Nordseeinseln spricht. Die Wirkungen
der Seeluft wagt niemand zu bestreiten, niemand behauptet, dass etwa die Seeluft
im Winter von einer anderen physikalischen Beschaffenheit sei als.im Sommer, aber
die meisten zweifeln an der Möglichkeit, dass überhaupt ein Kranker an der Nordsee
überwintern könne. Es halten eben noch allzuviele, wie auch Hill er 3 ) erwähnt und
bedauert, an dem Aberglauben von der »kalten« Nordsee fest, an der »der Herbst
und Winter furchtbar kalt sein müsse«, da »schon der Sommer so kühl ist«.
Zur Bekämpfung dieses Aberglaubens habe ich in einer Tabelle die Temperatur¬
zahlen von neun aufeinanderfolgenden HerbBten und Wintern (zehn Jahren) für das
Nordseebad Wyk auf Föhr zusammengestellt. Da es nicht möglich ist, die Tempe¬
raturen jedes einzelnen Tages zu geben, was gewiss den genauesten Einblick in die
Temperaturverhältnisse gestatten würde, habe ich für jeden einzelnen Monat die drei
wichtigsten Zahlen angegeben, nämlich die absolut höchste, die absolut niedrigste
und die mittlere Temperatur des Monats. Meine Tabelle enthält nebeneinander diese
Zahlen für die Herbst- und Wintermonate vom Oktober des einen bis zum März des
nächsten Jahres, und untereinander die entsprechenden Zahlen für die einzelnen
Winter vom Winter 1887/88 bis zum Winter 1895/96. Die Zahlen habe ich den
vom Königl. Preussischen Meteorologischen Institut herausgegebenen »Ergebnissen der
Beobachtungen an den Stationen zweiter und dritter Ordnung« 4 ) entnommen. Da
das Jahr 1896 das letzte ist, über welches die Beobachtungen bis jetzt erschienen
sind, musste ich mit dem Winter 1895/96 auf hören. Ich habe es vermieden, aus
diesen neun Jahren die Mittelzahlen zu geben, sondern für nöthig gehalten, für jedes
Jahr und jeden Monat die Zahlen einzeln anzuführen, weil ich die Ueberzeugung
erhalten habe, dass solche Mittelzahlen nur wenig sagen können, sondern meistens tote
Begriffe bleiben. Mir liegt aber vorzüglich daran, ein klares Bild von der Herbst-
i) F. W. Beneke, Die erste Ueberwinterung Kranker auf Norderney. Aerztlicher Bericht
2. Ausgabe. S. 2. Norden und Norderney 1886.
*) F. W. Beneke, Die sanitäre Bedeutung des verlängerten Aufenthaltes auf den deutschen
Nordseeinseln, insonderheit auf Norderney. Ebendaselbst 1886.
aj Hiller, Kap. Thalassotherapie in Goldscheider-Jacob’s Handbuch der physikalischen
Therapie Bd. 1. S. 409. Leipzig 1901.
<) Beobachtungen än den Stationen zweiter und dritter Ordnung im Jahre 1887 etc. bis 1896.
Berlin 1891—1901.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Tabelle I.
504
M. Edel
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UNIVERSETY 0F MICHIGAN.
Lässt sich das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen ? 505
und Wintertemperatur der Nordseeinseln entstehen zu lassen. Ich will hier bemerken,
dass die auf der einen Insel gewonnenen Temperatur-, Niederschlags- und anderen
klimatischen Zahlen ohne grosse Fehler für alle anderen als richtig angesehen werden
können. Denn wenn auch zwischen den einzelnen Inseln in Boden und Vegetation,
in Windwirkung und Wellenschlag gewisse Verschiedenheiten bestehen, so sind doch
die klimatischen Eigentümlichkeiten auf allen dieselben. Die Wasserstrasse, die
die Nordseeinseln vom Festlande trennt, so schmal sie auch ist, genügt doch vollauf,
um auf ihnen ein echtes Inselklima hervorzubringen.
Zur deutlicheren Demonstration der Unterschiede zwischen Festlands- und
Inselklima habe ich unter die Zahlen von Wyk die entsprechenden Zahlen der auf
dem gegenüberliegenden Festlande ziemlich in derselben Höhe wie die Insel Föhr
gelegenen Stadt Husum gesetzt. Ferner gebe ich zum Vergleich auch die entsprechenden
Zahlen von Wiesbaden, das wegen seines milden Winters berühmt ist, und endlich
noch dieselben Zahlen für Berlin, dessen Klima im Sommer sowohl wie im Winter
den meisten aus Erfahrung bekannt sein und daher ein passendes Vergleichsobjekt
abgeben dürfte» (Siehe Tabelle I.)
Ich habe zu dieser Tabelle nur die beiden Extremzahlen des Monats und die
mittlere Monatstemperatur benutzen können. Der Verlauf der Temperatur lässt sich
aber noch besser an den aus je fünf aufeinanderfolgenden Tagen gewonnenen Durch¬
schnittszahlen, den sogenannten Pentaden, demonstrieren. Ich habe aus diesen
Pentadenzahlen Kurven konstruiert, in denen die Zahlen für Wyk, Berlin und Wies¬
baden eingezeichnet sind, Husum liess ich, um die Uebersichtlichkeit nicht zu stören,
fort. Da es zu weitläufig wäre, diese Temperaturkurven für alle neun Winter wieder¬
zugeben, wählte ich hierzu den Winter, welcher nach Tabelle I für Wyk, und den, welcher
für Wiesbaden der wärmste war, und endlich den kältesten Winter. (Fig. 69, 70 u. 71.)
Die Tabelle und die Kurven sind ohne jeden Kommentar verständlich. Die Tabelle
lässt klar erkennen, dass die Temperaturverhältnisse eine Ueberwinterung Kranker in
Wyk auf Föhr ganz besonders begünstigen, da die mittleren Temperaturzahlen das
Klima vom Oktober bis Februar noch milder erscheinen lassen als in Wiesbaden, wo
nach Glax 1 ) >Magnolie, Edelkastanie und Mandelbaum im Freien überwintern«.
Wenn wir nur die Temperaturminima ins Auge fassen, so sehen wir, dass es
auch in der kältesten Zeit niemals zu den extremen Kältegraden kommt, wie sie in
der gleichen Zeit auf dem Festlande beobachtet sind. Von Oktober bis Januar sinkt
das Thermometer in Wyk nie so tief wie in den anderen Orten, erst im Februar
hat Berlin einmal und Wiesbaden zweimal einen kleinen Vortheil vor Wyk, während
sich in den anderen Monaten die Minima öfter um 5 0 und sogar 10 0 zu Gunsten
Wyks unterscheiden. Auf das Fehlen dieser extremen Kältegrade möchte ich be¬
sonders hinweisen, da vor allem dadurch der Winter an der Nordsee so angenehm
und milde wird. Von viel geringerer Bedeutung sind die Temperaturmaxima, denn
es ist für das Wohlbefinden total gleichgültig, ob vielleicht an einem Januartage als
höchste Temperatur 3° oder 5,6° (90/91) oder auch 7,3° und 11,5 0 (89/90) gemessen
wird. Daher ist der Nachtheil für Wyk, welcher sich bei Betrachtung der Temperatur¬
maxima ergiebt, nur ein scheinbarer und wird durch die erreichten geringen Kälte¬
grade mehr als aufgehoben. Dieser Umstand dokumentiert sich deutlich in den
mittleren Monatszahlen und erhellt am besten aus den Temperaturkurven. Diese,
welche ja nur eine Ergänzung und eine Art Uebersetzung der entsprechenden Zahlen
i) Glax, Lehrbuch der Balneotherapie 1900. Bd. 2. S. 560.
Zeitachr. f. diät u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 9.
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506
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der Tabelle sind, und die Taliejie selbst lassen ein ganz bestimmtes kOKstantes Yer-
liiiltDiss der Temperaturen der einzelnen Monate crk-emien.
Der Oktober ist. für Wyk stets ein waruiei Monat nftd kantr ebne Bedenken
mit de» Souii.yermoisivfeß gleichgestellt werden.
Ich juöebte an dieser Steife bervorheben, dass der Herbst infolge der besonders
klaren Luft und durch das Wunderbare Farheiispiel des Meeres die Sotnmernmnate
an- Schönheit bei weitem übertrifft.
Fif?. 71.
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Wyk auf Föhr
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Iin November macht sich schon überall die winterliche Abkühlung bemerkbar.
Trotzdem bleibt es in .Wyk noch Ziemlich wann, und seine Tcxu.perat.ur iibertrifft die
von Berlin fast ausnahmslos «ntl die Temperatur von Wiesbaden sehr häufig an
Hobe. Viel ausgesprochener und estwhiedener. wird die grössere Wärme auf den.
loselu in den mgeniHchen Wintermönaten- Sie haben in der grossen .Wassermasse
ei« nösttedebaies IVävnteresm'voir. so. dass Dezember und Januar in Wyk bedeutend
Jk&ntec sind als in Wiesbaden -«twi Berlin. ; .im Februar- -sind die. Verhältnisse wieder
ähnlich wie im Növeniher, die mittleren Temper« tureu gleich«« neuen voff Wiesbaden.
lu> Mary beginnt dort schon der .Frühling mit milden warmen Tagen. Das Meei
aber erwärmt sich lanasniu, -so dass es auf den Jfiselii später .Frühling wird eis auf .1
d em Kontinent.. - ■/ ,' ■ ' “• . . • /•
Der Winter fängt •bIbo'. :»»f '.dtöjt' jf»i^neinsdlit spül AÖ utid ist diäiä«; milder als
in Wiesbaden .und'bedeutend Würmer als- in Berlin. . Aber auf diesen wanne« Winter
folgt ein später, kühler Frühling. Hieraus ergie-ht sich .für die Benutzung m Wioter-
kgren die fteggl, dieX>eberwint«rnaig^xl^^aGfaägdd.-fasse« und sie spätestens
iftt Mürz, zu beendige«.
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508 M. Edel
Es bleibt mir noch übrig, die in der Tabelle enthaltenen Zahlen von Husum
mit denen von Wyk zu vergleichen. Das absolute Minimum ist dort schon ganz
erheblich niedriger als auf der nahegelegenen Insel, das absolute Maximum ist aber
erst im März höher als in Wyk. Die Mittelzahlen erreichen daher fast ohne Aus¬
nahme in Wyk eine grössere Höhe als in der gegenüberliegenden Küstenstadt,
während Husum seinerseits im Durchschnitt wärmer erscheint als Berlin mit seinem
Binnenklima. Das Meer, das im Sommer wie im Winter die Temperaturextreme
ausgleicht und das Inselklima zu einem so gemässigten macht, kann eben diese
Wirkungen bei den Küstenorten nur zum Theil ausüben. Hierdurch wird das klima¬
tische Uebergewicht der Inselbäder den Küstenbädern gegenüber bewiesen, mögen
sie an der Nord- oder Ostsee gelegen sein.
Ich habe bisher nur von den Temperaturextremen und den mittleren Monats¬
temperaturen gesprochen. Sehr wichtig für die Beurtheilung eines Klimas ist aber
noch die Veränderlichkeit der Temperatur innerhalb eines Tages und von einem
Tage zum anderen. Ein gleichmässiges, wenig veränderliches Klima wird stets als
viel angenehmer empfunden als ein ungleichmässiges, stark veränderliches Klima.
Selbst bedeutende Kältegrade werden ohne Störungen des Wohlbefindens auch von
Kranken und Schwachen ertragen, wenn sie allmählich entstanden sind, und nichts
macht ein Klima unangenehmer als häufige und grosse Temperatursprünge. Die
Veränderlichkeit der Temperatur von einem Tage zum anderen habe ich nach den
für das Königl. Preussische Meteorologische Institut von dem hiesigen Beobachter
desselben, Herrn Badedirektor G. Weigelt gemachten und mir gütigst zur Verfügung
gestellten Aufzeichnungen für die Jahre 1896 bis einschliesslich 1901 berechnet und
in der folgenden kleinen Tabelle zusammengestellt.
Tabelle II. Temperaturveränderung in Wyk auf Föhr.
Die Temperatur änderte sich von einem Tag zum andern:
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um
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1
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6 mal
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Lässt sieb das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen ? 509
Diese Zahlen beweisen, dass genau, wie es vom Seeklima im Sommer gerühmt
wird, die Temperatur auch im Winter eine grosse Beständigkeit hat und nennens-
werthe Temperatursprünge zu den grössten Seltenheiten gehören.
Die Differenz der Temperaturextreme eines Tages ist hier in Wyk im Herbst
und Winter noch viel niedriger als in den Sommermonaten, wie mir ebenfalls die
Durchsicht der oben genannten Aufzeichnungen ergehen hat. Es dürfte aber unnöthig
sein, auch hierfür die genauen Zahlenangaben zu machen, da diese Erscheinung voll¬
kommen mit dem von van Bebber 1 ) folgendermaassen formulierten allgemeinen
Gesetz übereinstimmt: »Die Grösse der Temperaturunterschiede der wärmsten und
kältesten Tagesstunden (Amplitude) wächst mit zunehmender Tageslänge«, ist also in
den kurzen Wintertagen am geringsten. Es kommt hier garnicht selten vor, dass
die Amplitude im Winter nur 1—2° beträgt, und niemals ist sie so gross, dass sich
abends eine fühlbare Abkühlung bemerkbar macht. Daher können die Wintergäste
auch nach. Sonnenuntergang noch Spaziergänge im Freien machen, ohne irgendwie
unter der Kälte zu leiden. Diese grosse Gleichmässigkeit der Temperatur kann als
ein bedeutender Vorzug des Inselklimas betrachtet werden.
Wenn wir nun Kranke in diesem relativ warmen, überaus gleichmässigen Klima
überwintern lassen wollen, müssen wir auch wissen, ob die Wind- und Regen¬
verhältnisse ihnen den Aufenthalt im Freien gestatten.
An der Nordsee ist die Luft niemals ruhig, ein mehr oder weniger heftiger
Wind weht vielmehr fast ununterbrochen und ist als eine der Ursachen zu betrachten,
denen man die Heilerfolge des Nordseeklimas zuschreiben muss. Der Neuankömmling
ist zu Anfang gegen die beständige Luftbewegung empfindlich, gewöhnt sich aber in
zwei bis drei Tagen an den Wind und empfindet ihn dann als anregend und wohl-
thuend. »Es ist eine ganz gewöhnliche Erscheinung in Nordseebädern, die Reise¬
gefährten, welche bei der Hinfahrt auf dem Schiff sich noch die Ohren vermummten,
nach einigen Tagen in einfacher leichter Kleidung am Strande bei gleicher Wind¬
stärke spazieren gehen zu sehen«, sagt Hiller*).
Was hier vom Sommer gesagt ist, gilt ohne Einschränkung auch vom Winter,
da die durchschnittliche Windstärke wenigstens für Wyk in den Wintermonaten nur
ganz unbedeutend höher ist, als in den Sommermonaten. Ein Wind von derselben
Windstärke wirkt aber auf den Organismus ganz verschieden, je nach der Richtung,
aus welcher er kommt. Die West- und Südwestwinde, die meistens feucht sind, gelten
als weich und milde, während die im allgemeinen trocknen Ost- und Nordwinde
als hart und rauh erscheinen.
Wenn man nun die vier Himmelsrichtungen und die vier Hauptnebenrichtungen
durch acht von einem Punkte ausgehende Linien darstellt, so dass die entstehenden
Winkel sämmtlich die Grösse eines halben rechten haben, kann man durch die
Länge dieser Linien die Häufigkeit der aus den betreffenden Richtungen wehenden
Winde leicht und übersichtlich angeben.
Herr Badedirektor Weigelt hat für die zehn Jahre von 1891—1900 die mittlere
Windvertheilung für die einzelnen Monate berechnet und auf die beschriebene Art
dargestellt. Ich bin in der angenehmen Lage, diese bisher nicht veröffentlichten
Daten hier wiedergeben zu können, beschränke mich aber hierin, dem Zwecke meiner
Arbeit entsprechend, auf die Herbst- und Wintermonate.
') van Bebber, Hygienische Meteorologie. Stuttgart 1900. S. 79.
*) Hiller, 1. c. S. 361.
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510
M. Edel
Während des ganzen Winters überwiegen die Südwest- und Westwinde, während
die harten und scharfen Ostwinde ungemein selten sind. Einzig im November stehen
die Südwestwinde an zweiter Stelle. Aber auch in diesem Monat werden sie nicht
von den Ost-, sondern den doch etwas gemilderten Südostwinden in der Häufigkeit
übertroffen. — Durch seine geographische Lage ist Wyk gegen den direkten Anprall
der westlichen und südwestlichen Winde geschützt, so dass diese schon an und für
sich milden Winde hier ganz besonders angenehm wirken.
Januar
Fig. 72.
Nord
Oktober
West
Februar
Sftd
Windveitheilung in Wyk auf Föhr nach dem zehnjährigen
Durchschnitt 1891—1900.
In der nächsten Nähe des Strandes finden sich in Wyk auch genügend Stellen,
an denen der Fremde bei massigem Ostwind gut geschützt promenieren kann. Bei
der dominierenden Stellung der südwestlichen Winde können daher die wenigen
Tage mit heftigem Ostwind absolut nicht ins Gewicht fallen, wenn man die Möglich¬
keit der Ueberwinterung abwägt. Es kann sich gewiss in ganz seltenen Fällen er¬
eignen, dass der Wintergast durch einen Oststurm auf einen Tag ans Zimmer gefesselt
wird, aber die Zahl dieser Tage während des ganzen Winters ist so klein und un¬
bedeutend, dass sie auf den Erfolg der Kur oder das Wohlbefinden des Fremden
völlig ohne Einfluss bleiben.
Die Winde aus Südwesten und Westen verdanken ihre Weichheit und Milde
zum grössten Theil der bedeutenden Feuchtigkeit, welche sie mit sich führen. Daher
regnet es auch im Winter häufiger an der Nordsee als im Sommer, wiewohl die
Niederschlagsmengen immer noch mittlere bleiben. Der Regen dauert aber meistens
nur kurze Zeit, und sofort, nachdem es zu regnen aufgehört hat, kann wieder heller
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Gck igle
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Lässt sieb das Klima der Nordseeinseln auch im Herbst u. Winter therapeutisch verwerthen? 511
Sonnenschein sein. Den Aufenthalt im Freien beeinträchtigt der Regen fast garnicht,
da man mit geeigneter Kleidung trotz Regen spazieren gehen kann. Sehr viele
rühmen, dass gerade während und nach dem Regen die Luft überraschend weich
und angenehm ist. Beneke erwähnt in seinem Bericht über die erste Ueberwinterung,
dass seine Patienten auch an Tagen mit starkem Regen im Freien promenieren.
Nachdem ich nun das Klima der Nordseeinseln im Herbst und Winter näher
betrachtet habe, möge es mir gestattet sein, das Resultat meiner Betrachtungen kurz
zusammen zu fassen.
1. Der Herbst ist die schönste Jahreszeit auf den Nordseeinseln, der Oktober
ist ein besonders warmer Monat.
2. Der Winter ist nach der Höhe der Temperatur milder als in Wiesbaden
und wärmer als in Berlin.
3. Der März ist verhältnissmässig kalt, der Frühling^kommt spät.
4. Die Temperatur ist überaus gleichmässig, Temperatursprünge gehören zu
den grössten Seltenheiten.
5. Die mittlere Windstärke ist im Winter wenig grösser als im Sommer.
G. Die milden Südwest- und Westwinde sind die herrschenden Winde.
7. Der Regen dauert meistens nur kurze Zeit und hindert fast nie den
Aufenthalt im Freien.
Die Höhe der Temperatur und ihr Verlauf, die Art des Windes und die Form
der Niederschläge, alle diese klimatischen Faktoren machen den Winter an der
Nordsee angenehm und milde. Es kann unter diesen Umständen keinem Zweifel
unterliegen, dass die Patienten vom Ende des Sommers bis Ende Februar sich sehr
viel im Freien aufhalten und dem heilenden Einfluss der Seeluft und des Seeklimas
aussetzen können. Damit dürfte die therapeutische Verwendbarkeit des Klimas der
Nordseeinseln im Herbst und Winter bewiesen und das Vorurtheil gegen die »kalte Nord¬
see« als völlig unbegründet dargethan sein. Wir haben also keinen Grund, den reichen
Schatz an heilenden Kräften, welche das Nordseeklima enthält, im Winter brach
liegen zu lassen, und können mit der sicheren Erwartung eines guten Erfolges
geeignete Kranke auf Nordseeinseln überwintern lassen. Natürlich muss man bei
der Auswahl der Kranken auf die besonderen Eigenthümlichkeiten des Klimas bedacht
sein. Der Kräftezustand der Patienten muss auf alle Fälle das Unternehmen von
Spaziergängen gestatten, sie müssen auch den Wärmeverlust ertragen können, der
heim Aufenthalt in der bewegten Seeluft unvermeidlich ist.
Trotz dieser Beschränkung bleibt noch eine Menge von Leidenden übrig, denen
eine Ueberwinterung an der Nordsee Heilung bringen kann. Die Patienten von
Beneke waren zum allergrössten Theil Tuberkulöse, und erst vor kurzer Zeit
empfahl ein angesehener und bekannter Berliner Kliniker mit warmen Worten das
Nordseeklima bei der Behandlung Tuberkulöser. Ich kann es mir nicht versagen,
diesen Ausspruch von Prof. Litten hier zu citieren, den er bei Gelegenheit einer
Diskussion über Tuberkulose im Verein für innere Medicin in Berlin gethan hat 1 ):
y> .Der Vortragende hat . . . bei den Vorschlägen,, die er gemacht hat, eines
Heilfaktors keine Erwähnung gethan: der Seeluft und des Aufenthaltes in derselben.
Er hat . . . gerathen, die Heilstätten für die Phthisiker vorzugsweise in die Nähe
*) Vereins beilag e No. 20 der Deutschen medicinischen Wochenschrift vom 27. Juli 19<>1.
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512 M. Edel, Lässt sich das Klima der Nordseeinseln etc.
der grossen Städte zu verlegen, während ich es für sehr zweckmässig halten würde,
ein so erprobtes und allgemein annerkanntes Heilmittel für Lungenkrankheiten, wie
es gerade die Seeluft ist, in vollstem Maasse für die Tuberkulösen auszunützen und
die Heilstätten in möglichst grossem Umfange an die Seeküsten zu verlegen, wie
das ja auch in einer Reihe von Fällen geschehen ist. Die friesischen Inseln, die
nur zum geringen Theil solche Anstalten besitzen, würden sich für derartige Ein¬
richtungen ganz besonders eignen; ich selbst habe mehrere Jahre hintereinander ]
Gelegenheit gehabt, die glänzenden Heilerfolge der Heilstätte in Westerland auf Sylt
zu kontrollieren, und ich darf wohl sagen, dass es überraschende Erfolge waren, die
dort lediglich durch den Aufenthalt in der Seeluft produziert worden sind.«
Ich brauche kein Wort darüber zu verlieren, wie wichtig Winterkuren gerade
bei der Tuberkulose sind, möchte aber hier noch besonders betonen, dass es sich
nur um das Anfangsstadium der Krankheit handeln kann. Fiebernde Tuberkulöse
gehören im Winter so wenig wie im Sommer an die Nordsee. Aber in der Rekon-
valecenz und zur Nachkur nach anderen fieberhaften Krankheiten werden sich die
Winterkuren an der Nordsee vorzüglich empfehlen, wenn gleichzeitig die Prophylaxe
vor der Tuberkulose ins Auge gefasst werden muss. Gerade zur Verhütung der
Tuberkulose sehe ich die Winterkuren als besonders werthvoll an. Wenn ein Kranker
im Herbst eine Pleuritis überstanden hat oder sich bei einem Kinde im Anschluss
an Masern eine schwere Bronchialaffektion entwickelt, sollen diese den Winter über
den Schädlichkeiten der Stadtluft ausgesetzt werden und dann erst an die See gehen;'
Wird der Erfolg nicht viel grösser und nachhaltiger sein, wenn der Patient den
Winter in der reinen, staub- und bakterienfreien Seeluft verlebt?
Ich will diese Beispiele nicht häufen, sondern nur noch hinzufügen, dass
dieselben Indikationen, welche für den Gebrauch des Seeklimas im Sommer gelten,
mit geringen Modifikationen auch im Winter maassgebend sind. Je sorgfältiger die
Auswahl der Kranken nach den vorhin angeführten Grundsätzen geschieht, desto
günstiger werden die Resultate der Winterkuren sein.
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D. Kutby, Zur Kenntnis» der Teinperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht 513
III.
Zur Kenntniss der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht
während der Heilstättenbehandlung. 1 )
Mittheilung aus dem Königin Elisabeth-Sanatorium bei Budapest.
Von
Dr. D. Kuthy,
Privatdozent, dirig. Chefarzt.
Die intermittierende Fieberkurve des Tuberkulösen erweckt in dem Beobachter
unwillkürlich Interesse für die täglichen Schwankungen der Temperatur desselben.
Es ist bekannt, dass die Differenz zwischen Minimal- und Maximaltemperatur an ein
und demselben Tage beim gesunden Menschen ungefähr 1»C beträgt. Somit wird
durch diese Ziffer die Tagesschwankung der Körpertemperatur beim normalen
Organismus gegeben. In der Klimatologie hat man viel mit Schwankungen der
Luftwärme zu thun, und dort wird diese Spielweite der täglichen, monatlichen etc.
Wärmegradwerthe »Amplitude« genannt. Wir können diese Bezeichnung wohl
auf den Schauplatz der klinischen Beobachtung übertragen, und mit der »Ampli¬
tude« die tägliche Temperaturschwankung des lebenden Organismus
bezeichnen.
Wie bekannt, überschreitet bei kontinuirlichem Fieber die Amplitude 1 0 C
nicht, dagegen ist sie bei Febris remittens schon beträchtlicher, ohne dass jedoch
die untersten Temperaturwerthe die Norm erreichen würden, während bei der Febris
intermittens par excellence die Eigenschaft besteht, dass bedeutende Tagesschwankungen
der Körperwärme sich zeigen, d. h. grosse Amplituden Vorkommen, mit der Rück¬
kehr der Temperaturkurve in gewissen Tageszeiten zur Norm. Das Fieber der
Lungenschwindsucht zeigt, wie wir wissen, meistens diesen Charakter, und die hohen
Amplitudewerthe der Phthisiker werden dadurch noch vergrössert, dass die zumeist
auf die Morgenstunden fallende Intermission oft subnormale Tiefen erreichen kann.
Wir haben bei denjenigen Kranken, welche in die »Königin Elisabeth-Heilstätte«
bei Budapest mit Fieber aufgenommen wurden, nicht selten hohe Amplituden be¬
obachtet. In den fünf Fällen, deren Temperaturtabelle zuerst vorgezeigt wird, war
die tägliche Temperaturschwankung 1,6—2,3—2,7—2,8 und 3,2 \C, nach der Reihe
mit einem Maximum von 38,1 — 38,0 — 38,7 — 39,4 und 38,4° C, und mit einem
Minimum von 36,5—35,7—36,0—36,6 und 35,2° C (sublinguale Messungsresultate).
Als das Fieber nachlässt, die täglichen Maxima niedrigere Werthe erlangen, wird
auch die Amplitude kleiner, da die obere Grenze des täglichen Temperaturganges
1 ) Vortrag in der Tuberkulosesektion des Königl. ung. AerzteVereins zu Budapest am
12 . März 1902. (Vorsitzender: Prof. Friedrich v. Koränyi).
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sich zur unteren nähert. Wenn wir aber die Temperaturkurve aufmerksam betrachten,
so wird es bald ersichtlich, dass die Amplitude sich oft auch durch das Steigen
der Minima verkleinert. Von den erwähnten fünf Fällen sind drei gleich solche,
wo das Sinken der täglichen Maxima durch das gleichzeitige Erscheinen höherer
Minima begleitet war. Bei einem derselben (17 Jahre alter Mann, II. Stad.) betrug
das absolute Maximum in den ersten 12 Tagen des Austaltsaufenthalts 38,3 0 C, das
absolute Minimum 35,4 »C. Von dem 13. bis zum 21. Tage zeigten sich nie mehr
höhere Werthe als 37,8 0 C und nicht niedrigere als 36,8 0 C. Wir sehen also, dass
indem die schwach febrile Temperatur bei dem Manne sich zur Schwelle des 37 0 C
mit 0,5 °C näherte, kam das Minimum zu derselben mit 1,4° C näher. In einem
zweiten Fall (43 Jahre alter Mann, I. Stad.) war in den ersten Zeiten das absolute
Maximum 38,7° C, die niedrigste Temperatur 35,5 0 (■; im zweiten Zeiträume seines
Anstaltaufenthaltes war die höchste Körperwärme 37,8 0 C, die niedrigste 35,8 0 C
gewesen. In einem dritten Falle (20 Jahre alter Mann, I. Stad.) fanden wir bei
38,8 0 C absolutes Maximum, 35,1 o C als absolutes Minimum, und während die höchste
Temperaturziffer sich mit 0,5 <>C erniedrigte (38,3° C), stieg das absolute Minimum
bis 36,0° C, d. h. um 0,9° C.
Kommt eine Exacerbation des Fiebers vor, so zeigen sich oft, wie es eben
auch der letzterwähnte Fall demonstrierte, wieder subnormale Minima, ohne dass
der Kranke einen bemerkbaren Nachtschweiss gehabt hätte. Der betreffende 20 jährige
Jüngling zeigte in der fünften Woche seines Heilstättenaufenthaltes von neuem einen
etwas erhöhten Temperaturgang: das absolute Maximum betrug 38,6 0 C, und das
absolute Minimum sank in demselhen Zeiträume bis 35,7 ® C, d. h. die Amplitude
des Kranken hatte eine Zunahme nach beiden Richtungen hin erlitten. Im Gegen-
theil: je mehr der Kranke stufenweise afebril wird, umso deutlicher tritt die Ver¬
minderung seiner Amplitude zum Vorschein. Was dann noch interessanter gewesen
ist und mir als eine neue Beobachtung galt, war folgendes: während der schon
völlig fieberlosen Zeit fand noch eine weitere Abnahme der täglichen
Temperaturschwankung statt, und es zeigten sich beim Heilstättenleben sub¬
normale, ja sogar weniger als die Hälfte des Normalen betragende Amplituden
(0,4—0,3—0,2° C), wie es die vorgeführten Tabellen demonstrieren. Derjenige Kranke,
welcher am 28. Dezember 1901 eine Temperaturschwankung von 1,6 0 C hatte
(36,5—38,1° C), liess am 16. Januar 1902 nur 0,4° C (36,3—36,7 0 C), am 21. Januar
0,3 °C (36,5—36,8° C) Amplitude beobachten. Jener 43 Jahre alter Mann, der am
19. Dezember 2,7 0 C Temperaturschwankung zeigte, vollführte seine Messungen am
4., 5. und 6. Februar stets gleichmässig mit einer Amplitude von 0,6 ° C. Diese
auffallende Verkleinerung des täglichen Temperaturschwankens wird durch einen
Blick an die Minimal-Maximal-Tabelle sofort ersichtlich; noch instruktiver ist aber
diejenige graphische Abbildung der Verhältnisse, wenn wir einerseits die absoluten,
andererseits die durchschnittlichen Minima und Maxima der betreffenden Zeiträume
der Anstaltsbehandlung an der Fiebertabelle mit geraden Linien von zwei ver¬
schiedenen Farben verbinden. Die Konvergenz der Striche gewährt uns eine auf¬
fallende Uebersicht über das Minderwerden der täglichen Temperaturschwankung
während des Heilstättenlebens.
Wenn wir nun die Beobachtung weiter führen, so erfahren wir, dass die Ampli¬
tude der subfebril ankommenden Kranken sich mit der Zeit auch ziemlich stark
verkleinert, hier später oft ausschliesslich durch das Steigen der Minima. Ein
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Zur Kenntoiss der Temperaturechwankungen bei Lungenschwindsucht. 515
28 Jahre alter Patient (III. Stad.) zeigte im ersten Monat seines Hierverweilens 37,8 ® C
als das höchste Maximum und 36,0 0 C als die niedrigste Temperatur, somit eine
absolute maximale Amplitude von 1,8° C. Für den zweiten Monat sind die be¬
treffenden Zahlen: 37,5—36,2 = 1,3° C, im dritten Monat: 37,4—36,4 = 1,0° C. Die
durchschnittliche Amplitude war im letzten Monat nur mehr 0,7 °C, und die detaillierte
Besichtigung der Fiebertabellen lässt erkennen, dass der Patient in den letzten
Wochen seiner Anstaltsbehandlung an manchen Tagen nicht mehr als 0,5 0 C
Temperaturschwankung hatte. Der Durchschnitt der täglichen Maxima ist bei dem¬
selben binnen zwei Monaten auf einer Höhe geblieben (37,2 0 C), dagegen hat sich
der Mittelwerth der Minima von 36,3 0 C bis 36,5 0 C gesteigert.
Jedoch verdienen die Beobachtungen, welche an schon von Anfang völlig
fieberlosen Kranken gemacht werden können, das meiste Interesse. In allen
Stadien der Lungentuberkulose kommen absolut afebrile Patienten zur Beobachtung,
deren Temperaturschwankungen dennoch unregelmässig gross sind. Die Temperatur¬
kurve zeigt einen ausgesprochen intermittierenden Charakter, wobei aber sämmtliche
Oscillationen der Körperwärme unter 37,5 0 C verlaufen, welche Schwelle auch durch
die absoluten Maxima nicht überschritten wird. Solche Fälle — in ihrer klassischen
Form — haben wir in den ersten vier Monaten der Thätigkeit unserer Anstalt zwei
gesehen. Der eine Fall betraf ein 22jähriges Mädchen (III. Stad.), der andere einen
20jährigen Jüngling (I. Stad.).
In beiden Fällen konnten wir mittels der geordneten, ruhigen Lebensweise und
der beigefügten Behandlung erreichen, dass die hypernormale Amplitude sich ver¬
minderte und später auf subnormal kleine Werthe sank. Die erwähnte Patientin
wurde am 4. Januar 1902 versuchsweise aufgenommen mit einer ausgebreiteten In¬
filtration an der linken und mit einer ziemlich grossen Dämpfung an der rechten
Seite. In den ersten neun Tagen war das absolute Maximum 37,5 0 C, das absolute
Minimum 35,1 °C, im Durchschnitte ergaben die Maxima 37,2 °C, die Minima 35,4 °C.
Im Zeiträume zwischen dem 10. und 22. Tage war das absolute Maximum 37,3 0 C,
das absolute Minimum aber schon 35,8 0 C; durchschnittliches Maximum 37,2 0 C,
durchschnittliches Minimum 36,2 0 C. Somit betrug die durchschnittliche
Amplitude in den ersten neun Tagen der Heilstättenbehandlung 1,8 0 C, von dem
10.—22. Tage nur mehr 1 0 C. In der vierten Woche des Anstaltsaufenthalts ver¬
kleinerte sich die Amplitude noch mehr und zwar durch die Annäherung der Minima
zur Schwelle des 37 0 C. In dieser Zeit war das durchschnittliche Maximum 37,2 0 C,
das durchschnittliche Minimum 36,6 ° C, die Amplitude also im Mittel 0,6 0 C, beinahe
die Hälfte des Normalen. Während also der Temperaturgang der Patientin in den
ersten Zeiten sozusagen eine »febris hectica subnormalis« vorgespielt hat, nahm
derselbe schon zu Ende des ersten Monats der Behandlung einen mit ganz kleinen
Schwankungen um 37,0 0 C oscillierenden Charakter an. Der zweite Fall war ganz
analog. In einer weiteren Serie von Temperaturtabellen, welche wir der geehrten
Versammlung vorzuführen im stände' sind, ist die ähnliche, wenn auch nicht so
äusserst augenfällige Veränderung des Temperaturganges ersichtlich.
Im allgemeinen kommt eine Verminderung der Amplitude unter die Norm
während der Heilstättenbehandlung sehr oft zum Vorschein, ja es giebt Fälle, wo wir
gleich von Anfang an eine ganz kleine Tagestemperaturschwankung wahrnehmen, und
letztere haben meistens eine gute Prognose, während der zweiterwähnte klassische
Fall (20jährige Jüngling) der fieberlosen grossen Amplitude nebst ganz geringem
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516 D. Kuthy
Lungenbefunde eine ziemlich protrahierte Besserung zeigte und auch während fünf¬
monatlicher Anstaltsbehandlung nicht »emporblühen« wollte. — Ein Fall von
denjenigen, welche gleich ab ovo kleine Amplituden hatten, liess trotz interkurrenter
Magenbeschwerden in 2 1/2 Monaten 6,2 kg Zunahme erkennen, ein anderer hatte in
2 1 /« Monaten, ein dritter hinnen 9 Wochen die stattliche Körpergewichtszunahme
von 11 kg erreicht.
Wir halten somit die Verminderung der Amplitude für eine günstige Er¬
scheinung, nicht nur deswegen, weil dieselbe anfangs gleichzeitig das Fieberlos werden
der Kranken bedeutet, sondern auch an und für sich als ein erwünschtes Phänomen.
Je mehr es uns gelingt, die tägliche Temperaturschwankung einzuschränken, umsomehr
sind wir mit dem Erfolge unserer Behandlung zufriedengestellt. Wir kämpfen nicht
nur gegen das auffallendste Symptom des Fiebers, gegen die erhöhten Temperaturen,
solange sie da sind, sondern auch, wenn das Fieber schon verschwunden ist, gegen
die hypernormalen Tagesschwankungen der Körperwärme, weil wir erfahren haben,
dass die Verminderung der Amplitude in der Mehrzahl der Fälle auch mit anderen
Besserungserscheinungen einhergeht.
Derjenige 20jährige männliche Patient, welcher am 30. Dezember 1901 uoch
eine Amplitude von 1,6° C zeigte, offenbarte von seiner Aufnahme (14. November)
bis zu dem erwähnten Termin nur eine mässige Besserung. Obwohl er an Körper¬
gewicht im allgemeinen zugenommen hatte, zeigte die Gewichtskurve doch auch ein
nicht unbedeutendes Schwanken; der Appetit hat sich gebessert, doch die Nacht-
schweisse blieben nicht ganz aus; zeitweise störten auch arge Hustenanfälle die
Euphorie des Kranken. Bis zu dem 20. Januar 1902 war die Amplitude auf 0,5 °(
gesunken, und der Patient zeigte nunmehr eine ungestörte Zunahme an Gewicht, der
Nachtschweiss blieb aus, Allgemeingefühl und Kräftezustand besserten sich; und als
der Jüngling am 10. Februar die Anstalt mit konstant kleinen Amplituden und einen)
Plus von 6,5 kg an Gewicht verliess, konnten wir die Aufzeichnung in die Kranken¬
geschichte einführen, dass sich in den letzten drei Wochen auch das Husten stark
vermindert hat. — Bei einem anderen Patienten, ein Jüngling mit 17 Jahren, im
zweiten Stadium der Krankheit, war nur dann erst Gewichtszunahme vorhanden, als
seine ursprünglich im Durchschnitt 1,6«C grosse Amplitude auf 0,7 0 C gesunken
ist; gleichzeitig besserten sich Appetit und Kräftezustand, die Menge des Auswurfs
wurde geringer, Dyspnoe zeigte sich nicht mehr. — Ein 40 Jahre alter Sicherheits¬
beamter ist mit einer Infiltration an der Supra- und Infraklavikulargegend, mit
konsonierendem Rasseln und mit einem Fieber von über 39 0 C aufgenommen worden.
Am dritten Tage war er bereits afebril und hatte normale (ca. 1 «C)Tagesschwankungen;
vom sechsten Tage seines Anstaltslebens kamen schon 0,5« C Amplituden vor, und
die Zeichen der allgemeinen Besserung blieben auch nicht aus. Die Gewichtszunahme
betrug in der ersten Woche 1,2 kg, in der zweiten 2,5 kg (bis die vorliegende Arbeit
zur Uebersetzung in das Deutsche gelang, hatte der betreffende Patient binnen neun
Wochen 16,2 kg zugenommen). — Ein 20jähriger Setzer ist uns mit rechtseitiger
Spitzenaffektion zugekommen. Er hatte in den ersten zwei Wochen, wo seine Ampli¬
tude im Mittel 2,0° C gewesen ist, nur 0,8 kg Zunahme; während der dritten und
vierten Woche sank die Amplitude auf 1,2° C, und das neuerrungene Plus an Körper¬
gewicht betrug 2,5 kg. Die fünfte und sechste Woche seines Anstaltsaufenthaltes
brachte wieder grössere Temperaturschwankungen (1,6° C im Durchschnitt), in dieser
Periode nahm der Kranke nicht zu, und erst dann zeigte die Gewichtskurve einen
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Zur Kenntnis» der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht. 517
bedeutenden Fortschritt von mehr als 4 kg, als in den späteren Wochen die durch¬
schnittliche Amplitude sich bis 0,6 0 C stufenweise verminderte. Der Zustand des
Patienten besserte sich gleich mit der ersten Abnahme seiner Amplituden. Bei der
Aufnahme bestanden Nachtschweisse, hohe Pulszahl (stehend 128), viel Auswurf
(tagsüber zwei bis drei grosse Dettweiler-Flaschen). Nach vier Wochen beträgt
Pulsfrequenz (stehend) 100, Nachtschweisse wurden selten, Auswurf auf ein Drittel
des ursprünglichen verringert, Appetit sehr gut, Allgemeingefühl gebessert, Kräfte¬
gefühl merklich gehoben.
Die vorgeführten Fälle sind deshalb nicht genügend beweiskräftig, weil bei
diesen im Zeiträume der grossen Amplitude anfangs mehr oder weniger fieberhafte
Temperaturbewegungen vorhanden waren (der Reihe nach: 37,8—37,7—39,2 [während
zwei Tage] —38,0 °C durchschnittliche Tagesmaxima). Völlig demonstrativ ist der
Verlauf von jenen Fällen, wo die hohen Amplitudewerthe bei total afebrilem
Zustande des Kranken zur Beobachtung gekommen sind.
Bei jener 22 Jahre alten Patientin, welche anfangs 1,8° C durchschnittliche
Amplitude (Minima im Mittel 35,4 » C) zeigte, traten schon Symptome der Besserung
in den Vordergrund, als die stufenweise sich vermindernden Tagesschwankungen
1,0° C erreicht hatten. Bis die Amplitude auf 0,6 °C gesunken ist, war bei der
Kranken (schwerer Fall) 4,6 kg Körpergewichtszunahme zu konstatieren, der Appetit
besserte sich in hohem Maasse, der Kräftezustand wurde gehoben, der Auswurf an
Quantität geringer, die früher andauernde Athemnoth war nur mehr sporadisch vor¬
handen. Dieselbe Patientin besass in der siebenten Woche der Behandlung nur
mehr eine Durchschnittsamplitude von 0,4° C, und sie erreichte in der neunten
Woche ihres Anstaltsaufenthaltes eine Gewichtszunahme von 8 kg, obwohl bei der
Aufnahme manche Bedenken laut wurden, ob die sanatorielle Therapie ihr nocli
Nutzen bringen wird.
Selbstredend wird die Amplitudengrösse bei febrilen Kranken durch Anti-
pyreticis beeinflusst. Bei dem schon erwähnten 20jährigen Buchdrucker haben wir
die durchschnittliche Höhe seiner Tagesmaxima anfangs mit ('hinin, später mittels
Pyramidondosen von 38 0 C auf 37,6 ® C herabgesetzt. Auf täglich zweimal 0,30
Pyramidon verminderte sich die 1,5 «C hohe Amplitude schon am zweiten Tage auf
0,5 0 C, dadurch, dass das Maximum näher zu 37,0° C rücken musste; sofort aber
als wir täglich nur einmal 0,30 Pyramidon reichten, kam gleich an dem ersten Tage
der neuen Regime eine Tagesschwankung von 2,0 0 C zur Beobachtung, und auch die
späteren gaben stets höhere Werthe. Nachdem die medikamentöse Therapie aus¬
gesetzt wurde, vergrösserte sich die Amplitude durch verschieden intensive febrile
Steigerungen zusehends, bis wir sodann dem Patienten absolute Bettruhe ver-
ordneten und ihn mit kleinen Unterbrechungen drei Wochen bei derselben verbleiben
Hessen. Im Bette bekam der Kranke morgens partielle kalte Abreibungen; später,
nachdem nach Ablauf der dritten Woche das Bett gänzlich verlassen wurde, bestand
die hydriatische Behandlung in ganzen Leintuchabreibungen mit kaltem Wasser
(8—10° C). Mittels der die Körperbewegung reduzierenden Kurverordnung liess sich
der Durchschnitt der Maxima auf 37,5 0 C, die der Amplituden auf 1,1 «C herab¬
setzen. Das Verlassen des Bettes hatte dann für zwei Tage höhere Temperatur¬
schwankungen zur Folge (Amplitude 1,5° C mit subfebrilem Temperaturgange), welche
sich später bei den auf einem Trakte der Heilstätte beschränkten Bewegungen des
Kranken langsam verkleinerten (1,3 — 1,2 —1,0° C), wobei die Tagesmaxima (selbst-
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redend ohne Antipyreticis) 37,6« C nicht mehr überschritten. Eine interkurrente
Hämoptyse fesselte den Kranken nochmals vier Tage lang zum Bette, in dieser
Periode kamen Tagesschwankungen von 0,4—0,3—0,2° C zur Beobachtung; als der
Patient nun diesmal das Bett verliess, zeigten sich nochmals grössere Amplitude-
werthe (1,1 —1,2 —1,3 0 C), doch dieselben erreichten 1,5« C nicht mehr, und nach
einer für drei Tage eigens deshalb wiederholten Bettruhe blieb die Tagesschwankung
der Körperwärme dauernd klein, derart, dass sie bei dem steten Aufsein des Kranken
(nur das Stiegensteigen wurde ihm verboten, Lift) bereits unter dem normalen
Werthe geblieben ist (im Mittel 0,6 0 C).
Aehnlicherweise, jedoch viel rascher, schon am zweiten Tage der Bettruhe
wurde das mässige Fieber behoben bei einem anderen Kranken (20 jähriger
Jüngling), bei welchem während neun Tage fortgesetztem Bettliegen die anfangs
1,3—1,6« C grossen Amplitudewerthe auf 0,9—0,7—0,6—0,5—0,4—0,3® C gesunken
sind und auch später beim Aufsein der Kranken (endlich auch mit Treppensteigen)
nicht höhere Ziffern erreicht hatten. In der Periode der Bettruhe wurden hier
ebenfalls partielle kalte Abreibungen angewendet
Bei dem 40 Jahre alten Sicherheitsbeamten hatten Bettruhe und die öfters
gewechselten kalten Stammumschläge das 39« C überragende Fieber schon am dritten
Tage der Behandlung eingestellt. In der zweiten Hälfte des zehntägigen Bettliegens
dominierten schon kleine Amplituden von 0,5 0 C. Als der Patient aufgestanden,
hatte er am ersten Tage eine Temperaturschwankung von 1,6« C, am zweiten 0,8« C,
am dritten 0,3«C, und die Amplitudewerthe blieben nunmehr stets die erwünschten
subnormalen (kein Treppensteigen, Aufzuggebrauch). — In einem anderen Falle
(43jähriger Mann) konnte die physische Ruhe (Bettruhe während zwölf Tage) die
Temperaturschwankungen nur mit ungenügender Intensität einschränken. Als der
Kranke das Bett verliess, zeigten sich von neuem 1,5® C und noch grössere Ampli¬
tuden (Maxima 38—38,4« C). Wir verordneten nun abermals Bettruhe und ausser¬
dem täglich über eine Woche — Herzkühlung. Auf diese Weise konnte man
erreichen, dass die Amplitude gegen Ende der genannten Woche unter 1«C herab¬
sank und die Maxima 37,6« C nicht mehr überschritten haben. — Beider erwähnten
22 Jahre alten Patientin, welche die grossen Amplitudewerthe bei völlig afebrilem
Temperaturgange zeigte, hatten wir zwar die Körperbewegungen eingeschränkt,
doch keine Bettruhe verordnet, sondern wir liessen der morgens applizierten kalten
Theilabreibung wochenlang stets Herzkühlung folgen. Wie wir gesehen haben, hat
sich die Amplitude konsequent verkleinert, trotzdem wir später mit der subjektiven
Besserung der Kranken der Körperbewegung immer mehr Platz geben konnten.
Es ist seit langem bekannt, dass die physische Ruhe das Erlöschen des Fiebers
bei der Lungenschwindsucht befördert, in der vorliegenden Arbeit wollten wir auch
nicht dies hervorheben, sondern die Aufmerksamkeit der klinischen Beobachtung auf
die besondere Wichtigkeit der Temperaturschwankungen des Phthisikers auch bei
völlig afebrilem Zustande hinlenken.
Nach unserer Auffassung kann die Thatsache, dass die Amplituden der Lungen¬
kranken sich während der sanatoriellen Behandlung subnormal klein gestalten, als
ein Dokument dafür dienen, dass es uns gelungen ist, den kranken Organismus in
einem Stoffe sparenden Zustand zu versetzen.
Die normale Wärmeproduktion unseres Körpers, sowie die aller homoiothermen
Organismen, richtet sich zu dem Zwecke der konstanten Aufrechterhaltung der
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Zur Kenntnis» der Temperaturschwankungen bei Lungenschwindsucht. 519
normalen Temperatur ein und wird im allgemeinen durch die wechselnde Grösse
des Wärmeverlustes beeinflusst. Der tagsüber thätige Mensch produziert aber während
des Tages mehr Wärme als er ausgiebt, daher zeigt sich beim gesunden Individuum
in den Abendstunden eine relativ erhöhte Temperatur, eine physiologische Temperatur¬
steigerung, weshalb wir beim gesunden Menschen eine normale Amplitude von 1 0 C
finden können. Diejenige Menge von Wärmekalorieen, welche der physiologischen
Temperaturerhöhung der Abendstunden ungefähr entspricht, ist als eine Folge der
tagsüber geleisteten physischen und psychischen Thätigkeit, d. h. ein Nebenprodukt
der bei der Arbeit stattgehabten Energieumwandlung, aufzufassen. Während in dem
Zustande des Wachseins am Tage die chemische Energie der Körpersubstanzen sich
in geistige Arbeit und Bewegung umbildet, wird auch Wärme erzeugt. Ein Theil
dieses Wärmeplus kann in der Form der normalen abendlichen Temperatursteigerung,
noch instruktiver in der Form der normalen Amplituden beobachtet werden und
als Indikator des Energieverbrauchs, d. h. Stoffekonsums seitens des Körpers
an dem betreffenden Tage, dienen. Wir wissen aus den Beobachtungen Krieger’s,
dass, wer bei Tag schläft und bei Nacht arbeitet, bei dem auch der Temperaturgang
der 24 Stunden völlig entgegensetzt ist, indem die Maxima sich morgens, die Minima
sich abends zeigen.
In diesem Sinne halte ich die Verkleinerung der Amplitude des Lungenkranken
im Laufe der Sanatorienbehandlung für sehr bedeutungsvoll. Wenn es uns gelingt,
mit der vorgeschriebenen Lebensweise und Kurverordnung die tägliche Temperatur¬
schwankung von 1 0 C auf die Hälfte oder noch mehr zu vermindern, so zeigt uns das
ein wichtiges Resultat an. Es deutet darauf hin, dass der kranke Organismus, dessen
Einnahmen wir durch unsere roborierende Kur zu erhöhen suchen, nunmehr in
seinen Ausgaben sparsam wird, an chemischer Energie, welche in seinen Körper¬
substanzen aufgespeichert liegt, weniger verbraucht, in einem Zustande der Stoffe¬
apposition gelangen kann und so aus der Dekadenz, welche ihm theilweise die
ätiologischen Momente, theilweise die Tuberkulose selbst, bereiteten, sich langsam
retten wird.
Von diesem Standpunkte aus beobachteten wir eingehend die Tagestemperatur¬
schwankungen unserer sämmtlichen Kranken, und aus diesem Grunde trachten wir
stets die Amplitude, auch bei ganz Fieberlosen, möglichst zu verkleinern.
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520
G. L. Mamlock
Kritische Umschau.
Zusammenfassende Uebersicht über das Adrenalin.
Von
Dr. 0. L. Mamlock
in Berlin.
Im fünften Band dieser Zeitschrift hat Lewandowsky *») in einem kritischen
Aufsatz über die Organtherapie sich auch besonders über die Behandlung mit Neben¬
nierenpräparaten ausgesprochen; er hat in mustergiltiger Weise unter eingehender
Berücksichtigung der Nebennierenpathologie die verschiedenen Prinzipien der Therapie
erörtert, und zum Theil auf Grund eigener experimenteller Studien eine Reihe neuer
wichtiger Gesichtspunkte festgelegt. Trotzdem bleiben, wie der Autor auch selbst
erklärt, noch genug Fragen auf diesem Gebiete ungelöst, und so würde an sich schon
eine erneute Prüfung des Themas geboten sein. Des weiteren kommt nun aber hinzu,
dass durch eine Reihe neuer Mittheilungen aus dem Gebiete der Nebennierenpathologie
und Therapie die ganze Frage in ein anderes Licht gerückt wird. Nicht nur die
übergrosse Zahl der Publikationen, sondern namentlich eine Reihe zunächst nicht
immer in Einklang zu bringender physiologischer und pharmakologischer Thatsachen
fordern dazu auf. Dieselben knüpfen sich zumeist — wenn auch nicht alle —
an das neueste Nebennierenpräparat, das Adrenalin, an, in dem offenbar das wirk¬
same Prinzip der Nebenniere in Form einer Base vorliegt.
Das Adrenalin wurde von dem amerikanischen Chemiker Dr. Takamine 44 )
durch folgendes Verfahren zuerst dargestellt:
Man lässt die Nebennieren mehrere Stunden macerieren, fügt zu dem Macerations-
wasser Bleiacetat, filtriert, konzentriert die Lösung durch Eindampfen und behandelt
mit Alkohol. Nach Verjagung desselben macht man die Lösung durch Ammoniak
oder Natronlauge alkalisch, wodurch das Adrenalin gefällt wird. Darauf filtriert
man, wäscht den Niederschlag mit Alkohol und Aether, und trocknet ihn an der Luft
und im Vakuum. Battelli 4 ) hat dies Verfahren in wesentlichen Punkten verbessert
Einmal verwendet er nur die Marksubstanz, da in der Rinde, wie Taramasio 45 ),
Lewandowsky und Mr. und Mme. Christiani») gezeigt haben, die eigentlich wirk¬
same Substanz nicht enthalten ist. Zweitens fällt Battelli vor dem Verdunsten des
Alkohols mittels Sublimat noch verschiedene indifferente Substanzen, die bei der
oben genannten Behandlung zusammen mit dem Adrenalin ausfallen würden. Ausser¬
dem ersetzt er die Filtration durch Centrifugieren, um zu vermeiden, dass sich das
Adrenalin an der Luft oxydiert, was namentlich bei Gegenwart von Alkali leicht ge¬
schieht, und wodurch sich nach Taramasio ein inaktiver Körper bildet. Gerade
beim Adrenalin ist eine genaue Kenntniss der chemischen Eigenschaften durchaus
nöthig, da ohne eine solche ein Verständniss der Wirkung des Mittels nicht möglich ist.
Nach dem mitgetheilten Verfahren erhält man das Adrenalin als gelblichweissen
Körper, von schwach alkalischer Reaktion, bitter schmeckend, leicht in warmem,
schwer in kaltem Wasser löslich, und in verschiedenen Formen krystallisierend.
Takamine fand für das Adrenalin die Zusammensetzung C l0 H, 5 NO s , während
Aldrich 1 ) die Formel C ? H 13 NOj angiebt. Adrenalin wird nicht gefällt durch Jod¬
quecksilberjodkalium, Pikrinsäure, Gerbsäure, Phosphorsäure, Phosphormolybdän¬
säure , Quecksilberchlorid, Kaliumchromat und Platinchlorid. Eine wässrige
Adrenalinlösung mit Eisenchlorid behandelt giebt eine Grünfärbung, die auf Zusatz
von Alkali in Roth übergeht. Hierauf beruht eine Methode, den Gehalt einer
Adrenalinlösung kolorimetrisch zu bestimmen.
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521
Zusammenfassende Uebcrsicht über das Adrenalin.
Man hat es also im Adrenalin mit einer wohlcharakterisierten, einheitlichen
Substanz zu thun; es bedeutet dies einen erheblichen Fortschritt. Denn wenn bisher
die Erfolge der Nebennierentherapie hinter den Erwartungen zurückblieben, so lag das
zum grossen Theil daran, dass die verschiedenen im Handel befindlichen Präparate in
ihrer Wirkung nicht konstant waren. Darauf sind auch die ungünstigen Erfahrungen
und widersprechenden Angaben von Kinneir 21 ), Kühn 2 «) und Kirchner 2S ) zurück¬
zuführen. Während z. B. Rosenberg 38 ) mit dem Extract. glandul. supraren. gute
Resultate erzielte, konnten sich Moure und Brindel 81 ) nicht davon überzeugen.
Ein weiterer Vorzug ist der, dass man nun in der Lage ist, genaue Dosierungs¬
vorschriften zu geben und die physiologische Wirkung der wirksamen Substanz in
der Nebenniere zu studieren.
Bezüglich der physiologischen Eigenschaften der Nebennierensubstanz überhaupt
und des Adrenalins im besonderen sind von den verschiedensten Forschern eine
grosse Reihe von Beobachtungen gemacht, die jedoch bisher noch nicht zu einem
vollen Verständniss seiner Wirkung genügen. Nur soviel steht fest, dass Adrenalin
eine Kontraktion der peripheren Gefässe bewirkt, dadurch einmal styptisch und
andrerseits blutdruckerhöhend wirkt. Betreffs des Zustandekommens der letzteren
Wirkung entstehen nun schon Schwierigkeiten in der Erklärung, indem von Gottlieb 18 )
z. B. eine direkte Einwirkung auf das Herz angenommen wird, während die Mehrzahl
der anderen Forscher, wie auch Lewandowsky, meint, die glatte Muskulatur werde
direkt erregt durch die wirksame Substanz, und so käme eine Kontraktion der
Kapillaren zu Stande; dieselbe führe zu Blutdruckerhöhung und wirke damit gleich¬
zeitig günstig auf das Herz.
Nun ist jedoch zu bedenken, dass nach Lewandowsky verhältnissmässig
enorme Mengen von Nebennierensubstanz schon in kürzester Zeit im Organismus
zerstört, bezw. ihrer blutdruckerhöhenden Fähigkeit beraubt werden; so macht z. B.
eine Instillation von Nebennierensubstanz in das Auge zwar die Konjunktiva blass,
zu einer Wirkung auf die Pupille kommt es jedoch nicht, da das wirksame Prinzip
zu labil ist. Es ist daher schwer zu verstehen, dass bei einer offenbar so rasch vor¬
übergehenden Wirkung auf die Gefässwandung sich eine Blutdrucksteigerung bemerk¬
bar machen sollte. Weiter müsste bei einer solchen ja auch der styptische Effekt
ein viel geringerer sein.
Bekanntlich kommt es selbst bei Unterbindungen beider Nierenarterieen, wie
Senator 13 ) bemerkt, nicht zu einer Erhöhung des Blutdruckes; zum Zustandekommen
eines solchen bedarf es einer weit länger dauernden Beeinflussung des Gefässsystems,
als das bei Nebennierensubstanzanwendung der Fall ist. Sowohl bei innerlicher wie
subkutaner Darreichung von Adrenalin würden ja immer zunächst nur die unmittel¬
bar betheiligten Gefässbezirke konstringiert, und zahlreiche Kollateralbahnen wären
gangbar. Eine nennenswerthe Blutdruckerhöhung könnte ja nur zu Stande kommen,
wenn auf das gesammte Cirkulationssystem gleichzeitig die vasokonstriktorische
Wirkung ausgeübt wurde; man würde dann, ähnlich der von Senator angenommenen
Erklärung bezüglich der Entstehung der Blutdruckerhöhung bei Nierenaffektionen,
sich die Verhältnisse bei der Adrenalinanwendung erklären können. Jedoch wirkt
letzteres viel zu kurze Zeit im Gegensatz zu der Retention von Harnbestandtheilen bei
Nierenleiden, die ja erst eine ziemliche Weile dem Steigen des Blutdruckes vorangeht.
Die Annahme, dass der Blutdruck nach Anwendung von Nebennierenpräparaten
gesteigert werde durch Kontraktion der Kapillaren, genügt also nicht zu einer be¬
friedigenden Erklärung. Dazu kommt, dass, wie Bukofzer 8 ) gezeigt hat, keineswegs
sich die gefässverengernde Wirkung des Adrenalins auf die Kapillaren beschränkt,
sondern sich auch bei direkter Berührung auf Arterieen und Venen erstreckt.
Vielleicht ist daher die Annahme gerechtfertigt, dass die Nebennierensubstanz
bezw. Adrenalin durch Reizung der Gefässnerven auf die von Schiff 11 ) entdeckte
rythmische Verengerung und Erweiterung der Gefässe wirke; eine Störung dieser
»periodisch-regulatorischen Gefässbewegung« (Landois 27 ) würde sich nun auch mit
einigen anderen Beobachtungen bei Nebennierentherapie vereinigen lassen. Zunächst sei
noch bemerkt, dass nach Lewandowsky allerdings gerade bei Addison’scher Krankheit
Cirkulationsstörungen im Hintergrund stehen; allein die Pigmentierung bei Addison
Z«ltsohr. f. di»t u. phyülk. Therapie. Bd. VI. Heft 9 3 g
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522 G. Ii. Mamloek
ist nach Riehl 37 ) und Tizzoni 48 ) eine Folge von Gefässveränderungen, und diese
letzteren können nach Untersuchungen von Nothnagel 32 ) und Recklinghausen 35 )
sehr wohl bedingt sein durch Aenderung der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes.
In besonderem Maasse ist die bemerkenswerthe Entdeckung von Blum«), wonach
sich bei Nebennierensaftinjektionen Glykosurie einstellen soll, geeignet, die Wirkung
der Nebennierenpräparate in einer Beeinflussung der vasomotorischen Nerven zu
sehen. Die Abhängigkeit des Zuckergehalts vom Blutreichthum der Leber (Landois),
die nach Aorten- oder Pfortaderkompression eintretende Glykosurie sind längst be¬
kannte Thatsachen, die ja für einen Zusammenhang vasomotorischer Störung mit
Diabetes sprechen. Ferner findet die merkwürdige Thatsache, dass nach Durch¬
schneidung der Nn. splanchnici eine vorhandene Melliturie aufgehoben werden kann
(Landois), vielleicht eine Analogie in dem Zurückgehen des Zuckergehalts bei Diabetes
nach Nebennierensubstanzbehandlung, was neuerdings von Osborne 33 ) berichtet ist
Vielleicht würden auch mit der hier ausgeführten Störung in der rythmischen Gefäss-
bewegung nach Adrenalinanwendung die von Frisch 13 ), Goldschmidt 17 ) u. a. be¬
obachteten heftigen Nachblutungen sich erklären.
Was die Ursache der schnell vorübergehenden Wirkung der Nebennieren¬
präparate betrifft, so ist schon bemerkt, dass das Adrenalin sich sehr leicht durch
Oxydation verändert. Am wenigsten ist dies wohl bei intravenöser Injektion möglich,
daher denn auch nach Angaben von Lewandowsky, Taramasio, Amat*), Fürth,
Umber 49 ) u.a. die letztere Anwendungsform die wirksamste, zugleich aber auch wegen
der Intoxikationsgefahr die gefährlichste ist. Bei der Darreichung selbst sehr grosser
Mengen von Nebennierensubstanz per os konnte Blum keine Glykosurie nach weisen.
Auch bei subkutaner Anwendung soll, nach Langlois 28 ), die wirksame Substanz
durch Oxydation zerstört werden; möglicher Weise wird bei dieser Anwendung aber
infolge des vasokonstriktorischen Einflusses die Cirkulation und mit ihr die Resorption
ungünstig beeinflusst Sehr merkwürdig ist allerdings, dass sowohl bei intravenöser
wie subkutaner Injektion in gleicher Weise Glykosurie eintritt, während sich die
beiden Anwendungsarten bezüglich der Blutdruckerhöhung verschieden verhalten, eine
Schwierigkeit, die noch vergrössert wird durch Blum’s Angaben, dass die zucker¬
treibende Substanz 1 mit der blutdrucksteigernden identisch ist.
Der Hauptgrund, dass die Nebennierenwirkung nur eine kurzdauernde ist, sieht
Lewandowsky, Huismans 20 ) und Umber 49 ) darin, dass die beständige Sekretion der
Nebenniere nicht durch vereinzelte Injektionen des wirksamen Prinzipes zu ersetzen
ist. In dieser Erkenntniss hat auch Battelli durch kontinuierliche intravenöse
Adrenalininfusion versucht, bessere Resultate zu erzielen; jedoch starben ihm seine
Versuchsthiere nach 10 bis 20 Stunden. Daraus folgt, dass selbst bei einer dauern¬
den Zuführung des wirksamen Bestandtheils der Nebenniere 'dieselbe nicht entbehrlich
ist, und dass es daher, wie Huismans u. a. meinen, unmöglich ist, die Nebenniere
organotherapeutisch zu ersetzen. Der Körper bedarf eben der lebensfähigen Drüse.
So fielen denn auch Versuche, Addison’sche Krankheit mit Adrenalin zu behandeln,
absolut negativ aus.
Sieht man sich nun die Fälle, in denen durch Nebennierenpräparate bezw.
Adrenalin wirklich therapeutische Erfolge erzielt sind, genauer an, so sind doch das
ausnahmslos solche, bei denen die Nebennieren vorhanden und funktionstüchtig waren;
es handelte sich also im Grunde garnicht um eine Organtherapie im eigentlichen Sinne.
Die von den meisten Autoren gemachte Beobachtung, dass Adrenalin schon in
minimalen Dosen wirkt, erfordert in jedem Einzelfalle bei der Dosierung strengste
Kritik, da ja das Mittel keineswegs indifferent ist. Fürth 74 ) sah bei einem 4 Kilo¬
gramm schweren Hunde nach 0,6 —1,2 Milliontelgramm Adrenalin pro Kilo Körper¬
gewicht den Blutdruck um 16 —18 mm steigen. Nach Takamine wirkt das
Adrenalin 625 Mal so stark wie die bisher gebräuchlichen Präparate.
Taramasio hat in einer grossen Reihe von Experimenten an Fröschen, Meer¬
schweinchen und Kaninchen die Eigenschaften und die Wirkungsweise genau
demonstrieren können. Frösche verhielten sich ziemlich indifferent gegen Adrenalin.
Bei Dosen von 0,0005—0,004, die subkutan beigebracht wurden, trat vorübergehend
Dyspnoe, leichte Parese der Extremitäten und Mydriasis ein. Diese Symptome waren
verstärkt, bei Gaben von 0,01—0,02, führten jedoch nur in wenigen Fällen zum Tode.
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Zusamroenfasscnde Uebereicht über das Adrenalin. 523
Bei Meerschweinchen genügten schon Dosen von 0.00025 — 0,0005 Adrenalin,
um Pulsbeschleunigung und vorübergehend Temperaturnerabsetzung zu erzeugen.
Ferner entstand jedesmal an der Injektionsstelle eine Mortifikation des Gewebes, die
unter Zurücklassung einer Narbe heilte. Wandte man Dosen an, die über 0,004
betrugen, so stellte sich sehr beschleunigte Athmung ein, die Sensibilität wurde
herabgesetzt, und unter Konvulsionen gingen die Thiere zu Grunde.
Kaninchen vertrugen ohne erhebliche Störungen des Allgemeinbefindens 0,0031
bis 0,0045. Bei Gaben von 0,008 g Adrenalin gingen sie unter denselben Er¬
scheinungen zu Grunde wie die Meerschweinchen, nur waren die Zuckungen noch
stärker. Auch hier bildete sich jedesmal an der Einstichstelle ein brandiger Schorf.
Taramasio kommt zu dem Schluss einmal, dass die tötliche Dosis ziemlich
konstant ist, sie schwankt um 0,007, liegt in der Mehrzahl der Fälle noch tiefer und
nur in. ganz wenigen Fällen über 0,008. Die Todesursache ist bei Fröschen Lähmung
der nervösen Centren. Bei Warmblütern führen Dyspnoe, Lähmungen der willkür¬
lichen Muskulatur, Teraperaturherabsetzung, Verlust der Sensibilität zum Tode. Man
findet dann die Lungen stark kongestioniert und mit blutigem Schaum gefällt.
Die therapeutische Anwendung des Adrenalins ist noch verhältnissmässig
selten bei inneren Erkrankungen versucht.
Benedikt«) giebt bei chronischen Herzerkrankungen tropfenweise von einer
l°/ 0 igen Lösung von Adrenalin, sodass immer nur 0,00025 g genommen werden.
Diese Dosis entspräche also von der im Handel befindlichen Adrenalinlösung
1:1000 etwa 3 — 5 Tropfen, die 0,00015 — 0,00025 g Adrenalin enthalten. Ebenso
wandte dieser Autor das Adrenalin bei Magenblutung mit Erfolg an. Er empfiehlt
es nach dem Essen zu geben, damit die Verdauung nicht gestört werde. Ein
weiterer Grund wäre noch der, dass ein Mittel, welches so intensiv anämisierend
wirkt, offenbar leicht zu nekrotischen Schleimhautveränderungen führen kann.
Thomas 4 «) wandte das Adrenalin in Gaben von 3 bis 6 g der Lösung 1:1000 bei
Hämophilie an. Er Hess diese Menge vierstündlich innerlich nehmen, sodass also
jedesmal 0,003 — 0,006 g Adrenalin eingeführt wurden; es sind dies schon ziemlich
hohe Dosen, die keineswegs als ungefährlich gelten können. Allerdings will Thomas
damit selbst erhebliche Blutungen zum Stehen gebracht haben.
Viel ausgedehnter ist bisher die äusserliche Anwendung des Adrenalins
gewesen, z. Th. wohl, weil man seine Wirkung dabei besser kontrollieren kann.
Namentlich ist es benutzt zur Anämisierung von Schleimhäuten und Stillung von
Blutungen, v. Frisch 1 ») hat wiederholt bei blutigen Eingriffen an der Harnröhre und
Blase von Adrenalin Gebrauch gemacht. Es ist das Verdienst von Fürth, darauf
hingewiesen zu haben, dass diese Behandlung sehr grosse Gefahren haben kann, und
man, wenn nicht sehr vorsichtig verfahren wird, oft die schwersten Intoxikations¬
symptome, wie Ohnmächten und Zuckungen, bekommt.
Daher sind zur Zeit wohl auch nur geringe Aussichten, das Adrenalin bei aus¬
gedehnteren blutigen Operationen zu verwenden, zumal wenn es sich um Organe
mit grösserer Resorptionsfähigkeit als die Blase handelt. Ganz verbieten wird sich
der Gebrauch des Adrenalins bei Blutungen post partum, sowie solchen aus Varicen,
wegen der grossen Gefahr, die beim Eindringen des Mittels in das Venensystem be¬
steht Dass man überhaupt bei Uterusblutungen mit Adrenalinanwendung weit
kommen wird, ist bei der schnell vorübergehenden Wirkung des Präparates fraglich.
In Fällen vesikaler Hämaturie liess Frisch 100— 150 cm» einer Lösung von
Adrenalin 1:10000 drei bis vier Minuten in der Blase und brachte so die Blutung
zum Stehen. Ebenso füllt man behufs endoskopischer Abtragung von Papillomen
die Blase mit Adrenalinlösung 1:10000. Bei der Operation von Blasentumoren
durch Sectio alta betupft man nach Eröffnung der Blase die Tumoren und deren
Umgebung mit Watte, die in Adrenalinlösung 1:1000 getaucht ist. Dies genügt, um
die Exstirpation der Tumoren in dem anämischen Gewebe fast ganz ohne Blutverlust
ausführen zu können. Allerdings ist eine Neigung zu oft erheblichen Nachblutungen
vorhanden, sodass man die Wunden entweder durch die Naht schliessen, oder die
Blase tamponieren muss. Schwierigkeiten beim Sondieren oder Kathetcrisieren in¬
folge Strikturen oder Prostatahypertrophie werden oft beseitigt, wenn man vorher
1—2 cm» einer Adrenalinlösung 1:1000 instilliert, wodurch die Schleimhaut wenigstens
36 *
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524 G. L. Mamlock
vorübergehend zur Abschwellung gebracht wird. Auch Baratrina 8 ) empfiehlt ganz
neuerdings auf Grund klinischer Beobachtungen Adrenalininstillationen bei Spasmen,
sowie Schwellungen und Kongestion der Harnröhre.
Die weiteste Anwendung fanden bisher die verschiedenen Nebennierenpräparate
in der Laryngologie und Rhinologie; Bukofzer, der an 21 Patienten bezügliche
Versuche anstellte, kommt zu bemerkenswerthen Resultaten, die vielleicht die Indi¬
kation strenger umgrenzen. Er fand, dass die äusserliche Anwendung von Adrenalin
bei habituell gewordener Hyperämie der Schleimhaut keinen nennenswerthen Erfolg
giebt. Auf die Kehlkopf- und Nasenschleimhaut wirkt Adrenalin energisch anämisierend.
Sehr bewährte es sich auch bei Behandlung von Heiserkeit, die ausschliesslich auf
einer Hyperämie beruht; allerdings ist die Wirkung nur eine vorübergehende.
Adrenalin wirkt dabei gleichzeitig anästhesierend; schädliche Nebenwirkungen hat
Bukofzer nicht wahrgenommen.
In der Ophthalmiatrie ist ebenfalls ein weitgehender Gebrauch von Adrenalin
gemacht worden. Kirchner berichtet über gute Resultate, die er mit Einträufelungen
von Adrenalinlösungen bei den verschiedensten Affektionen, namentlich beim
katarrhalischen Randgeschwür, Bindehautentzündungen, Glaukom, bei Operationen an
stark entzündlich gereizten Augen erzielte. Er wandte eine Adrenalinlösung 1:1000
an, bezw. verdünnte er dieselbe noch auf das Zehnfache mit physiologischer Kochsalz¬
lösung, oder destilliertem Wasser. Diese Mittheilungen werden bestätigt durch Er¬
fahrungen Darier’s 10 ). Er giebt für die Adrenalinbehandlung die folgenden Vorschriften:
Für Anämie und Anästhesie bei Fremdkörperextraktionen, Kauterisationen u.s.w.:
Adrenal. hydrochloric. (1:1000) 0,5 gtt. X
Cocain hydrochloric. 0,1
Aq. sterilis. 10,0
Bei Episkleritis und Frühjahrskatarrh:
Adrenal. hydrochloric. (1 :1000) gtt. L
Mydrargyr. cyanat. (1 : 2000) 10,0
Dosis: Sechs- bis achtmal einträufeln.
Bei Glaukom:
Adrenal. hydrochloric. (1 : 1000) 1,0
Pilocarginin hydrochloric. 0,1
Eserin salicyl 0,02
Aq. destill. sterilis. 10,0
Dosis: Zwei- bis achtmal täglich einträufeln.
Als Adstringens, besonders bei Diplobacillenkonjunktivitis:
Adrenal. hydrochloric. (1 : 1000) 1,0 gtt. XX
Cocain hydrochloric. 0,2
Zinc. sulf. 0,2
Aq. destill. 10,0
Bekanntlich hatte Takamine selbst schon mit einem Tropfen einer Adrenalin¬
lösung (1 :10000) eine völlige Anämie der Konjunktiva erzielt.
Die von vorgenannten Autoren zur Anwendung benutzte Adrenalinlösung hat
folgende Zusammensetzung:
Adrenal. hydrochloric. 0,1
Natr. chlor. 0,7
Chloretou 0,5
Aq. destill. 100,0
Es entspricht dies also einer Lösung von 1:1000. Das salzsaure Salz ist ge¬
eigneter, weil sich die Base selbst zu leicht oxydiert. Der Zusatz von Chloreton,
eines Reaktionsproduktes von Chloroform, Aceton und Alkali, soll die Haltbarkeit
des Präparates erhöhen, sowie gleichzeitig eine antiseptische und anästhetische
Wirkung erzeugen. Fabriziert wird diese Lösung von der Londoner Firma Parke,
Davis & Co. nach Angaben des Chemikers Dr. Jokichi Takamine. In Berlin kommt
das Präparat durch die Kaiser Friedrich-Apotheke in den Handel, in Flaschen zu
30 g. Ebenso ist Adrenalin in Krystallen erhältlich.
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Zusammenfasscndc Uebersicht über das Adrenalin. 525
Litteratur.
1) Aldrich, Americ. Journ. of Physiol. 1901. Bd. 5. S. 57.
2 ) Amat, Bulletin gßnßral de Therapeutic 1902. Bd. 143. S. 888. 23. Juni.
3) Bartrina, Bulletin mädical 1902. 16. annüe. No. 88. 5. November.
4 ) Battelli, C. R. de la Society de Biologie 1902. S. 1138. 24. u. 31. Mai und 18. Oktober.
5) Benedikt, Therapeutical gazettc 1901.
6) Blum, Deutsches Archiv für klinische Medicin Bd. 71. Heft 2 und 3. — Verhandlungen
ries Kongresses für innere Medicin 1902. Bd. 20. S. 503. — Pflüger’s Archiv 1902. Bd. 90.
7) Braden Kyle, The Therapeutic gazette 1902. 15. Juli.
*) Bukofzer, Allgemeine medicinische Centralzeitung 1902. No. 44. — Archiv fürLaryngo-
logie Bd. 13. Heft 2. S. 241.
») M. H. Christiani et Mme. A. Christiani, Soc. de Biologie 1902. S. 1124 18. Oktober.
i°) Darier, Ophthalmologischc Klinik 1902. Bd. 4. No. 13 und Bd. 6. No. 17. 5. September,
ii) Edel, Münchner medicinische Wochenschrift 1900. No. 52.
w ) Farlane, Canad. Journ. Med. and Surg. 1901. Mai.
13) Frisch, Wiener klinische Wochenschrift 1902. No. 31.
u) Fürth, Deutsche medicinische Wochenschrift 1902. 23. Oktober. — Zeitschrift für phvsiolog.
('heraie Bd. 26 und 29. — Hofmeisters Beiträge zur chemischen Physiologie Bd. 1.
13) Gazette des höpitaux 1902. No. 113. 7. Oktober.
iß) Gerhardt, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie 1902. Bd. 44.
17) Goldschmidt, Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1902. Bd. 34. No. 9. September.
16) Gottlieb, Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie Bd. 38. S. 99.
i6) Harm er, Wiener klinische Wochenschrift 1901. No. 19.
*») Huisinans, Therapie der Gegenwart 1902. S. 341 ff. August.
•-'i) Hultgren u. Anderson, Studien zur Physiologie u.Anatomie der Nebennieren. Leipzig 1899.
22 ) Internationales Centralblatt für Laryngologie 1902. Januar, April, Juli.
23) lngals, St. Paul Med. Journ. 1901. Mai.
24) Kinncir, Brit. med. Journ. 1902. 8. März.
25) Kirchner, Ophthalmol. Klinik 1902. No. 12.
26 ) Kühn, Therapie der Gegenwart 1902. S. 347. August.
27) Landois, Lehrbuch der Physiologie des Menschen 1896. S. 831.
26) Langlois, Archiv de Physiol. 1898.
») Lewandowskv, Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 5.
-*w) Mayer, Phil. med. Journ. 1901. 27. April.
31) Moure u. Brindel, Revue hebdora. de Laryngol. 1901. No. 52.
32) Nothnagel, cit. nach Landois S. 831.
33) Osborne, New York med. News 1902. 12. Juli.
34) Radzych, Allgemeine medicinische Centralzeitung 1902. Jahrg. 71 No. 84 u. 85. Oktober.
35) Recklinghausen, cit. nach Landois S. 831.
36) Reynolds, Am. Med. 1901. 6. Juli.
37) Riehl, cit. nach Eulenburg Realcncyklopädie Bd. 1. S. 244 siehe Addison.
36) Rosenberg, citicrt nach Radzych.
3») Samberger, Wiener klinische Rundschau 1902. Bd. 16. No. 29. 20. Juli.
40) Schweinitz, The Therapeutic gazette 1902. S. 433. 15. Juli.
41) Schiff, cit. nach Landois S. 831.
42) Semons, Centralblatt für Laryngol. u. Physiol. 1902. S. 307.
43) Senator, Die Erkrankungen der Nieren. Wien 1896. S. 98.
44) Takaminc, Journ. of Physiol. 1901. Bd. 27. S. 29. — The Therapeutic gazettc 1901. 15. April.
Scottish med. and surg. journ. 1902. No. 2.
45) Taramasio, Revue m&licalc de la Suisse Romande 1902. Bd. 22. No. 8. 20. August.
46) Thomas, Therapeutische Monatshefte 1902. Marz. Referate S. 154.
47) The Therapeutic gazette 1902. cf. S. 474 und 641. 15. Juli und 15. September.
4*) Tizzoni, cit. nach Eulenburg Realencyklopädic Bd. 1. S. 244 siehe Addison.
49) Umber, Therapie der Gegenwart 1902. S. 364—366. August.
’“) Wil son, Laryngoscope 1901. Juli.
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52(i
Kleinere Mittheilungen.
Kleinere Mittheilungen.
Analyse zweier essbaren Erdarten aus Centralafrika.
Von M. E. Heiberg, Mag. scientiarum in Kopenhagen.
Das Erdessen — die Geophagie — ist von alten Zeiten her gekannt und über die ganze
Erde verbreitet. 1 ) Ob es die Ursache verschiedener Krankheiten ist, weiss man nicht, trotzdem die
Litteratur hierüber recht gross ist; denn die Pflanzer an den Antillen und anderen Stellen waren
seiner Zeit sehr interessiert, die krankhaften Zustände, die von dem Erdessen herrühren oder dieses
Phänomen hervorrufen, und welche die Arbeitskraft ihrer Neger sehr herabsetzen, kennen zu lernen.
Die Neger selbst geben an, dass sie in ihrer Hcimath ohne Nachtheil verschiedene Erdarten ge¬
messen können.
Gewöhnlich wird die Art der Erde, die gegessen wird, nur in ganz unbestimmten Ausdrücken
erwähnt: Thon, kalkhaltiger Thon, weisser Lehm etc. Selten findet man eine so genaue Bestimmung
wie: »ein Gemisch von Lehm und kohlensaurem Kalk, von Eisenoxyd gefärbt« 2 ). (Zwei Abhand¬
lungen, in welchen eine Analyse einer essbaren Erde, soweit man aus dem Titel schliessen kann,
sich findet, kann ich hier nicht haben)*).
Ehrenberg 1 ) hat zwei essbare Erdarten aus China untersucht, eine weisse Art, welche nach
der chemischen Analyse kieselsaures Aluminiumoxyd ist, und eine gelbe, die nur mikroskopisch
untersucht ist und für eine Thonart gehalten wird.
Eine essbare Erdart aus Java hat Ehre nberg^) inderseiben Weise untersucht; er bezeichnet
sie als feinen plastischen Lehm von gelb-rother Farbe.
Die Untersuchungen Ehrenbcrg’s gehen hauptsächlich darauf aus, festzustellen, ob Ein¬
mischungen organischen Ursprungs, w odurch die geologische Stellung dieser Erdschichten festgestellt
werden könnte, sich finden oder nicht, ln der weissen Erde aus China findet er keine solche Ein¬
mischung, in der gelben giebt er an, eine Polygasterart, neun Phytolithariearten und eine Poly-
thalamieart gefunden zu haben. In der Erde aus Java findet Ehrenberg drei Polygaster- und
dreizehn Phytolithariearten.
Da jede theoretische Erwägung des Vor- oder Nachtheils eines solchen Erdessens, die mecha¬
nische Wirkung ausgenommen, nutzlos ist, so lange man nicht weiss, welche Stoffe in der Erde, die
gegessen wird, enthalten sind, so theile ich hier das Resultat einer chemischen Analyse zweier Proben
essbarer Erdarten mit, die Herr Dr. Hans Müller; medecin de Iiöre cl. aus l’fitat Independant du
Congo, zu diesem Zwecke nach Europa mitgebracht hat.
Das Acussere der zwei Erdarten ist ganz verschieden. Die eine ist ein gelber (ockergelber),
poröser, sehr bröckeliger Körper, der sehr leicht zu einem feinen Pulver derselben Farbe zertheilt
wird. Die andere Art ist ein dichter grauschwarzer Körper, ganz wie gewöhnlicher Thon. Wenn
man kleinere Stücke davon nimmt, kann man sie ziemlich leicht zu einem feinen grauen Pulver von
derselben Farbe wie die grösseren Stücke zertheilen. In dem Mörser lässt sich die schwarze Erde
zu einer fettglänzenden Masse, die mit einem Spatel gelöst werden muss, zusammendrücken; aber
sie sitzt ebensowenig wie die gelbe an den Wänden eines Reagensgläschens fest.
M C. F. Heusinger, Die sogenannte Geophagie oder tropische Chlorose als Krankheit aller
Länder und Kliinate dargestellt. Kassel 1852.
2 ) D. Mason, Edinburgh med. und surg. Journal 1833. Bd. 31).
a ) J. J. Alt he er, Scheidekundig onderzoek der delfstof etc. Tijdschr. d. Ver. t. Bevord. d.
gen. Wetensch. in Nederl. Indie. Batav. 1853. S. 187—196. — J. R. Cotting, Analysis of a species
of clay etc. The South, med. and surg. Journal Augusta 1837. S. 288 -292.
4 ) Monatsberichte der Berliner Akademie 1851. S 735.
'0 Berichte der königl. preuss. Akad. der Wiss 18 *8. S. 22<).
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UMIVE R5ITY OF MICHIGAN
Kleinere Mittheilnngen. 527
Die gelbe Erde enthält Kieselsäure, Aluminiumoxyd, Natron und ein wenig Eisen.
Die graue Erde enthält Kieselsäure, Aluminiumoxyd und Spuren von Eisen.
Beide Erdarten geben, wenn sie erhitzt werden, Wasser und alkalische Dämpfe ab, und geben,
mit Natronkalk erhitzt, Ammoniakreaktion. Wird die Erde erst geglüht, so giebt die gelbe mit
Natronkalk keine Ammoniakreaktion, die graue dagegen giebt sie noch. In der gelben Erde ist
eine bedeutende Menge freies Quarz in Gestalt von feinen Sandkörnern enthalten, in der grauen
dagegen findet man keinen freien Quarz. Das Silikat der gelben Erde wird von Salzsäure zertheilt,
das Silikat der grauen Erde dagegen nicht.
Beide Erdarten haben denselben eigentümlichen ganz angenehmen Geruch, der stärker wird,
wenn sie mit Wasser benetzt werden. Sie enthalten beide in geringer Menge einen organischen
stickstoffhaltigen Stoff, der mit Wasser ausgezogen werden kann. Dampft man diese Lösung, die
neutral reagiert, in dem Wasserbade ein, so nimmt man immer den aromatischen Geruch wahr. Der
Rest von der Eindampfung ist sehr gering. Er schmeckt salzartig und giebt,’ mit Natronkalk er¬
hitzt, Ammoniakreaktion. Wird er für sich erhitzt, so verkohlt er.
Wie man aus der Analyse sieht, sind für den Organismus brauchbare Stoffe nur Eisen, und
in der einen Erdart Natrium zugegen. Der organische Stoff findet sich nur in ganz minimalen
Mengen — einige Milligramm in 3—4 g des Stoffes — und geht, was die gelbe Erde betrifft, fort,
wenn man sie röstet; wenigstens wird er in beiden Erdarten bei diesem Prozess verkohlt
Herr Dr. Müller erzählt folgendes von diesen essbaren Erdarten: Die gelbe Erdart wird in
den Kaffeepflanzungen hinter Nouvel Anvers (Bangala) gefunden; man glaubt, dass sie ein Ver¬
witterungsprodukt einiger Felsen ist, die aus einer Steinart bestehen, welche man ihres Aussehens
halber französisch Limonit und deutsch Ocher nennt; beide Namen sind, wenn man die Analyse
berücksichtigt, nicht gut brauchbar. Diese Felsen liegen theils an dem Ufer des Flusses, theils über
das ganze Terrain zerstreut; dementsprechend kommt die gelbe Erde dort überall vor.
Die graue Erde, die mehr beliebt ist, wird zuweilen von den Eingeborenen nach Nouvel
Anvers gebracht und ist dort eine stark begehrte Waare, deren Preis wohl fünf Centimes pro Kilo
beträgt Wo die graue Erde gefunden wird, weiss man nicht; wahrscheinlich wird sie am Ufer
gesammelt, da die Neger seewärts den Kongofluss entlang kommen.
Die gelbe Erde wird so gegessen, wie sie ist; die graue wird vorher leicht geröstet.
Die Sitte, Erde zu essen, ist besonders unter den Frauen sehr verbreitet, die Eingebomen
sind fest davon überzeugt, dass der Genuss der Erde für die Gesundheit zuträglich ist.
Zum Schluss will ich noch erwähnen, dass eine mikroskopische Untersuchung, die Herr
Dr. C. J. Wolff die Güte gehabt hat, für mich auszuführen, das Resultat giebt, dass die gelbe
Erde aus scharfeckigen Quarzkömem besteht, welche ein Drittel bis drei Viertel so gross sind wie
gewöhnliche Sandkörner und von einem sehr feinen gelben Pulver in verhältnissmässig geringer
Menge umgeben sind. Man sieht keine Spur von organischen Bestandteilen (Diatomeen;.
Die graue Erde enthält keinen Quarz. In der untersuchten Probe war eine Pflanzenfiber;
da die Probe aber aus der Mitte eines grösseren Stückes genommen war, so war das untersuchte
Material vielleicht doch leicht geröstet, ln dieser Erde wurden einige Spongolithen, wahrscheinlich
von Süsswasserschwämmen herrührend, gefunden.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
528
Berichte über Kongresse und Vereine.
i.
Sitzung des Vereins für innere Medicin am 14. Oktober 1902.
Von Dr. L. Michaelis in Berlin.
Herr Wassermann hält seinen Vortrag: üeber biologische Mehrleistung des
Organismus bei der künstlichen Ernährung von Säuglingen gegenüber der Er¬
nährung mit Muttermilch.
Durch die von Tchistovitch und Bordet entdeckten Präcipitine sind wir in die Lage ge¬
setzt, zwischen verschiedenen Eiweisskörpern, welche früher mit Hilfe der rein chemischen Methoden
als völlig identisch erschienen, sicher charakterisierte Unterschiede zu machen. Diese neue Methode
gestattet uns, z. B. die Blutsera oder die Milcharten verschiedener Thierspezies genau zu unter¬
scheiden. Die Präcipitine werden dadurch erzeugt, dass man einen Ei weisskörper, der von irgend
einer Thierart stammen mag, wiederholt einem Thiere einer anderen Spezies injiziert, sei es subkutan
oder intraperitoneal. Das Blutserum dieses injizierten Thieres gewinnt dann die Eigenschaft, mit
jenem zur Injektion verwendeten Eiweisskörper im Reagensglas einen kräftigen Niederschlag zu er¬
zeugen. Diese Reaktion ist mit gewissen, für die vorliegenden Ausführungen nicht in Betracht
kommenden Einschränkungen streng spezifisch, d. h., wenn man einem Kaninchen Menschen¬
milch injizierte, so giebt das Serum dieses Kaninchens später im Reagensglas ganz allein mit
Menschenmilch einen Niederschlag, nicht z. B. mit Kuh- oder Ziegenmilch. So reagiert jedes Thier
auf ihm nicht angehörigc Eiweisskörper mit der Bildung eines Präcipitins. Nur seine eigenen
Ei weisskörper lösen diese Reaktion in seinem Organismus nicht aus. Auf diese Weise kann man
mit Bezugnahme auf eine Thierspezies die Ei weisskörper in die diesem homologen und in die
heterologen Eiweisskörper eintheilen. Homolog ist nur das der Thierspezies selbst angehörige
Eiweiss.
Die Thatsache, dass ein heterologer Eiweisskörpei von einem Thier nur unter Entstehung
einer bedeutsamen Reaktion ausgelöst wird, zeigt uns an, dass ein heterologer Eiweisskörper nicht
ohne weiteres für den Stoffwechsel denselben Werth haben kann, wie ein homologer Ei weisskörper.
Es muss diejenige Arbeitsleistung, welche der Organismus bei der Einführung des heterologen
Eiweisskörpers leistet, von dem eigentlichen Nährwerth dieses Eiweisses abgezogen werden, wenn
man zu einer richtigen Vorstellung üher die Bedeutung einer gewissen Quantität von heterologem
Eiweiss für den Stoffwechsel des Versuchsthieres kommen will.
Diese Mehrleistung des Organismus demonstriert der Redner durch folgenden Versuch näher:
Er injizierte einem Kaninchen sein homologes, einem zweiten ein heterologes Eiweiss in die Bauch¬
höhle. Nach einer gewissen Zeit infizierte er die Bauchhöhle der Thiere mit gleichen Mengen einer
pathogenen Bakterienkultur und fand, dass stets das zweite, mit heterologem Eiweiss injizierte Thier
die Infektion besser überstand als das andere. Daraus folgt, dass die baktericiden Stoffe in der
Bauchhöhle des heterolog behandelten Thieres schon vor der Infektion allein durch den Reiz des
heterogenen Eiweisses lokal gebildet worden waren. Ihre Herkunft ist von den Lcukocyten, welche
auf die Injektion des^heterologen Eiweisses hin in die Bauchhöhle reichlich auswandern.
Das heterolog behandelte Thier hatte also auf den blossen Reiz des injizierten Eiweisses hin
eine Arbeit mehr geleistet als das andere Thier: die Bildung einer Substanz, welche sich z.B.
durch die ihr ebenfalls zukommende Baktericidie erkennen Hess. Die zur Bildung dieser Substanz
nothwendige Arbeit geht also von dem absoluten Nährwcrth des injizierten Eiweisses ab.
Auf diese Weise wird es verständlich, weshalb ein Säugling eine grössere Menge von Kasein
in Form von Kuhmilch, als in Form von Muttermilch braucht, um die gleiche Stickstoffbilanz zu
erreichen.
Im Anschluss an diesen Vortrag fand eine lebhafte Diskussion statt.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
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Leonor Michaelis: Obgleich die Thatsache nicht anzuzweifeln ist, dass die Kuhmilch für
den Säugling der Muttermilch nicht ganz gleichwerthig ist, so reichen doch die von Wassermann
angeführten Thatsachen nicht aus, um diesen Unterschied zu erklären.
Zur Erzeugung von Präcipitinen ist es nämlich nothwendig, dass die heterologen Eiweiss¬
körper so wie sie sind, ohne durch die Verdauung verändert worden zu sein, in die Gewebe des
Thieres gelangen. Man injiziert das Eiweiss daher in die Bauchhöhle oder subkutan. Das sind aber
Verhältnisse, wie sie in natura nicht Vorkommen. Der natürliche Weg führt alle Eiweisskörper
zunächst in den Magen, wo sie auf das Pepsin stossen.
Redner hat nun in einer früheren Untersuchung festgestellt, dass die Eiweisskörper durch die
experimentelle Pepsinverdauung sowohl ihrer Präcipitin erzeugenden Eigenschaft wie auch ihrer
Reaktionsfähigkeit gegenüber einem auf sie eingestellten Präcipitin verlustig gehen. Man könnte
das so ausdrücken: Das Pepsin beraubt die Eiweisskörper ihrer Spezifizität. Das geht
sogar so weit, dass durch die Pepsinverdauung die Spezifizität schneller vernichtet wird als die
Koagulierbarkeit beim Erhitzen, so dass man bei vorsichtiger Pepsinverdauung konstant ein sehr
frühes Stadium der Verdauung findet, auf welchem das Verdauungsgemisch noch kräftig durch Hitze
koaguliert werden kann, wo es aber absolut nicht mehr auf das entsprechende Präcipitin reagiert.
Das Trypsin des Pankreas vernichtet zwar auch die Spezifizität des Eiweisses, aber langsamer und
parallel der Abnahme der Koagulierbarkeit durch die Hitze.
Es ist also eine besonders zweckmässige Einrichtung, dass gerade das erste Verdauungsenzym,
welchem die Eiweisskörper auf ihrem Wege durch den Verdauungstraktus begegnen, die Spezifität
der Eiweisskörper vernichtet.
Das weitere Schicksal des Eiweisses ist, dass es vom Pepsin, später vom Trypsin immer
weiter gespalten wird, und dass diese Spaltungsprodukte in der Darmwand wiederum zu Eiweiss
aufgebaut werden, wie aus den bekannten älteren Arbeiten von Neumeister, Heidenhain etc.
hervorgeht. Aber das Eiweiss, welches jetzt in der Darm wand gebildet wird, das ist ein für das
Thier homologes Eiweiss.
Das heterologe Eiweiss wird also durch die Verdauungsenzyme in indifferente Körper
gespalten, und diese werden durch die Thätigkeit der lebenden Darm wand zu homologen Eiweiss¬
körpern aufgebaut.
Wenn man somit den ganzen Vorgang der Eiweiss Verdauung als eine Schutzvorrichtung gegen
das Eindringen von körperfremdem Eiweiss in die Gewebe betrachten kann, so muss doch zugegeben
werden, dass diese Schutzvorrichtung unter gewissen Umständen nicht vollkommen funktioniert.
Wenn man s. B. einem Kaninchen grosse Mengen Eiereiweiss oder Rinderserum häufig mit
der Schlundsonde in den Magen cingiebt, so kann ein Theil dieses Eiweisses in völlig unverändertem
Zustande im Harn wiedererscheinen, wo man seine Spezifizität noch durch die Präcipitinreaktion nach-
weisen kann, wie Ascoli gezeigt hat ln solchen Fällen entsteht auch ein Präcipitin im Blute des
Thieres. Mit anderen Worten: ein Theil des in übergrosser Menge eingeführten Eiweisses ist ins
Blut resorbiert worden, bevor das Pepsin seine Wirkung entfalten konnte. Die Schutzvorrichtung
war also mangelhaft.
Ein derartiger Vorgang, die Bildung eines Präcipitins durch Fütterung, ist aber bisher nur mit
Eiereiweiss und Blutserum gelungen, dagegen nicht z. B. mit heterogener Milch. Bei der Milch ist offen¬
bar die vorzeitige Resorption des Kaseins nicht möglich, weil das Labferment im Magen das Kasein
zunächst einmal ausfällt und bewirkt, dass die Resorption nicht eher stattfinden kann, als bis die Kasein-
flocken durch Pepsin (bezw. Trypsin) verflüssigt und daher in niederen Produkten aufgebaut sind.
Gegenüber der Milch ist also die Schutzvorrichtung des Körpers noch raffinierter als gegen
andere Eiweisskörper. Wenn also Wassermann die Spezificität der Milch heranzog, um daraus
die Mehrleistung des kindlichen Organismus zu erklären, so muss man einwenden, dass die Eiweiss¬
körper der Milch — gleichviel, ob homologer oder heterologer Milch — stets zu unspezifischen
Körpern abgebaut und auf jeden Fall zu homologen Eiwcisskörpem wieder aufgebaut werden
bevor sie in die Gewebe gelangen.
Nun ist aber die Thatsache nicht zu bezweifeln, dass es für den Stoffwechsel des Säuglings
nicht gleichgiltig ist, ob er Muttermilch oder Kuhmilch bekommt. Und das könnte sehr wohl daran
liegen, dass beim Neugeborenen der Verdau ungs Vorgang der Ei weisskörper anders ist als beim Er¬
wachsenen. Darüber wissen wir aber gar nichts hierin Gehöriges, und cs wäre somit die Aufgabe
des Experimentes, diesen möglicherweise vorhandenen Unterschied aufzudecken, und dann erst hätten
wir die theoretische Begründung jener an sich nicht zu bezweifelnden Thatsache, welche Wasser¬
mann zu begründen die Absicht hatte.
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6. Klemperer bestreitet die Beweiskraft des Wassermann’schen Versuches vollkommen.
Es sei durchaus etwas anderes, das Eiweiss auf dem natürlichen Wege durch den Magendarmkanal
zu geben, als, wie in dem Wassermann'sehen Versuch, direkt in die Bauchhöhle. Nach den
neueren physiologisch - chemischen Untersuchungen werden die Eiweisskörper im Darm sogar noch
viel weiter abgebaut, als man früher annahm. Sie zerfallen bis zu den einfachen Amidosäuren, und
es hat sich herausgestellt, dass der thierische Organismus sogar aus diesen Endprodukten der Ver¬
dauung wieder Eiweiss aufbaut. Es ist aber unmöglich, dass diesen Endprodukten der Eiweiss¬
verdauung noch irgend welche Spezificität anhafte, und deshalb sind die Resultate der intra-
peritonealen Ei weissinjektion durchaus nicht auf die Ei Weissfütterung zu übertragen.
v. Leyden fragt nach den mikroskopisch sichtbaren Vorgängen während der Resorption von
Eiweiss, im besonderen von Milch vom Peritoneum aus.
Dazu sprechen Wassermann und L. Michaelis. Letzterer beschreibt die Vorgänge, w'elche
bei der Resorption von Rinderserum in der Bauchhöhle des Kaninchens vor sich gehen. Bei einem
nicht vorbehandelten Thier findet diese Resorption unter Erzeugung eines Leukocytenexsudates statt,
aber ohne spätere Hinterlassung einer Spur. Dagegen findet bei schon gegen Rinderserum immunen
Thieren die Resorption derart statt, dass sich kuchenähnliche solide Eiweissmassen in der Bauch¬
höhle bilden, welche mikroskopisch in der Peripherie eine dichte Leukocyteninfiltration erkennen
lassen; mehr nach aussen grosse mononukleäre Zellen, Metschnikoff’s »Makrophagen«, weiter
innen polynukleäre Leukocyten, Metschnikoff’s »Mikrophagen«. Auch das ganze Mesenterium
ist mitunter von feinsten tuberkelähnlichen Knötchen durchsetzt, welche mikroskopisch reine
Leukocytennester sind.
Injiziert man einem gegen Kinderserum immunisierten Kaninchen Rinderserum ins Blut, so
entstehen nicht, wie im Reagensglas, Niederschläge im kreisenden Blut, sondern es entsteht nur
eine äusserst lebhafte Hy perl eukocy tose Offenbar nehmen die Leukocyten die Verbindung zwischen
Präcipitin und Rinderserum in statu nascendi auf. Besonders weist Redner auf die Inkongruenz
der sichtbaren Wirkungen des Präcipitins im Reagensglas und im Thierkörper hin.
A. Baginsky verlangt eine Aufklärung des Widerspruches, der darin liegt, dass mit
heterogenem Eiweiss genährte Kinder ein Ucbermaass von baktericiden Substanzen produzieren,
während sic doch bekanntlich Infektionen leichter anheimfallen als mit Muttermilch genährte Kinder.
Wassermann (Schlusswort) erklärt das daraus, dass cs sich bei jenen Versuchen nicht um
eine allgemeine Vermehrung der Komplemente, sondern nur um eine lokale Anhäufung handelt.
Gegenüber den ihn gemachten Einwendungen, dass die Spezificität durch die Magenverdauung
vernichtet wird, führt er die Versuche von Ehrlich an, welche beweisen, dass Immunität durch
die Milch von der Mutter auf die saugenden Jungen übertragen werden könne.
(Ein kritisches Referat über diese Frage wird in der nächsten Nummer dieser Zeitschrift
erfolgen.)
II.
Jahresversammlung des Deutschen Vereins gegen den Missbrauch geistiger
Getränke vom 13.—15. Oktober 1902 in Stuttgart.
Von Dr. Waldschmidt in Charlottenburg-Westend.
Die Verhandlungen wurden eingeleitet durch die dritte Kouferenz der Vorstände von Trinker¬
heilanstalten des deutschen Sprachgebietes. Diese Konferenz erfreute sich eines ausserordentlich
starken Besuchs und hatte zum ersten Mal den Vorzug, Vertreter hoher Staats- und Kommunal¬
behörden begrüssen zu dürfen, ein Beweis dafür, dass man der praktischen Trinkerfürsorge eine
grössere Aufmerksamkeit zu widmen beginnt und ihr, wie zu hoffen steht, etwas von dem Inter¬
esse zuwendet, welches in so überreichem Maasse der zweckentsprechenden Versorgung und Be¬
handlung Tuberkulöser geschenkt wird.
An Stelle des erkrankten Vorsitzenden, Pastor Dr. Martius, eröffnetc Dr. med. Waldschmidt
die Sitzung mit einem Hinweis auf die Schwierigkeiten, welche sich überall der Behandlung der
Alkoholfrage entgegensetzen; er erinnerte an eine ähnliche Erscheinung vor 100 Jahren, als man
der praktischen Psychiatrie den Weg zu bahnen suchte und gab der Hoffnung Raum, dass die Er¬
kenntnis, für die Alkoholkranken wie für die Geisteskranken fgeeignete Fürsorge zu treffen, all-
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mählich in immer weitere Kreise dringen und bei den maasgebenden Körperschaften den nöthigen
Rückhalt finden möchte, um auf diese Weise für unzählige Familien helfend und schützend eingreifcn
zu können.
Nachdem sich das Bureau konstituiert, Oberregierungsrath Fa Ich-Stuttgart den Vorsitz über¬
nommen und die verschiedenen Vertreter der Behörden die Versammlung begrüsst hatten, nahm
Dr. Waldschmidt das Wort zu seinem Referat: »Weshalb ist ein Trinkerfürsorgegesetz in Deutsch¬
land nöthig und welche Bestimmungen muss es enthalten?« (Der Vortrag ist gedruckt im 4. Heft
1902 der Vierteljahrsschrift »Der Alkoholismus«, Verlag 0. V. Böhmert in Dresden.) Der §6 Abs. 3
des B. G. B., so führte Referent aus, bildet einen der Bausteine, welche der Deutsche Verein gegen
den Missbrauch geistiger Getränke zusammengetragen hat, um einen starken Damm gegen die immer
stärker werdende Alkoholgefahr zu errichten. Der Wortlaut desselben, dass entmündigt werden
kann, »wer infolge von Trunksucht seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag oder sich oder
seine Familie der Gefahr des Nothstandes aussetzt oder die Sicherheit anderer gefährdet«, lässt
deutlich erkennen, dass der Gesetzgeber solch schwere Störungen bei dem betreffenden Individuum
voraussetzt, dass man sich unwillkürlich fragt, ob in solchen Fällen nicht eine Entmündigung ein-
treten muss. Der Antrag auf Entmündigung kann von den Angehörigen oder auch im Falle von
Bedürftigkeit von der Annenbehördc, nicht aber vom Staatsanwalt (wie bei Geisteskranken) gestellt
werden. Bedenkt man nun, wie schwer ein Angehöriger, z. B. die Ehefrau sich dazu cntschlicsst,
bezw. wie weit das Familienoberhaupt wirthschaftlich heruntergekommen sein muss, bevor die
Armenbehörde eintritt, so kann es nicht wimder nehmen, dass seit Einführung des B. G. B. Ent¬
mündigungen wegen Trunksucht überhaupt wenig stattgefunden haben. Bedenkt man weiter, dass
der Amtsrichter, § 681 der C. P. 0. gemäss, den Entmündigungsbeschluss aussetzen muss, sofern
Aussicht auf Besserung besteht, so darf man behaupten, dass die Erwartungen, welche man an den
§6, 3 B. G. B. geknüpft hat, sich überhaupt nicht verwirklichen werden, sofern man hoffte, durch
seine Einführung ein Abnehmen oder eine Beeinträchtigung des Alkoholismus selbst zu erwirken.
Es folgt aber auch hieraus, dass man die Entmündigung für die unheilbaren Alkoholisten ein¬
gerichtet hat (sofom keine »Aussicht vorhanden, dass der zu Entmündigende sich bessern werde«,
muss der Beschluss ausgesetzt werden), dass man für die heilbaren Fälle aber nichts anderes als
den Druck besitzt, den der Entmündigungsrichter auf das betreffende Individuum ausüben kann,
sofern der Entmündigungsantrag gestellt ist. Ob man aber mit diesem einzigen Mittel auskommt,
um Alkoholkranke zu heilen, muss mehr wie zweifelhaft erscheinen; und da es sich doch in erster
Linie darum handelt, Kranke einer Heilbehandlung und nicht einer Entmündigung zuzuführen, so
ist es erforderlich, auch für diese Möglichkeit gesetzliche Maassnahmen zu treffen. Bekommen wir
keine gesetzlichen Handhaben, einem Trunksüchtigen auch gegen seinen Willen, zwangsweise einer
Spczialbehandlung zuzuführen — ohne ihn entmündigen zu müssen —, so kann sich die Trinker¬
fürsorge immer nur auf einen kleinen Theil der Alkoholisten beschränken, sie wird nie verall¬
gemeinert werden, d. h. es wird alles beim alten bleiben. Deshalb ist in der Einführung des B. G.B.
nur ein kleiner Anfang für ferner zu treffende Maassnahmen für die Alkohol kranken zu erblicken,
und es ist anzustreben, auch für sie wie für Geisteskranke Gesetze zu schaffen, die sie mit Gewalt
aus ihrer Einsichtslosigkeit herausreisson und sie zwangsweise einer geeigneten Versorgung und
Behandlung zuführen lassen. Gewiss giebt es Alkoholkranke, welche einsichtig und ernstlich ge¬
willt sind, sich als solche behandeln zu lassen, aber meistens dürfte es hierzu der Ueberredungs-
kunst und langjährigen Vorstellungen seitens der Umgebung bedürfen. Und ist der immer wieder
hinausgeschobene Entschluss endlich ausgeführt und eine Heilstätte aufgesucht, so kommt sogleich
der zweite wichtige Faktor, die Ausdauer, in Betracht.
Meist werden die Kranken in mangelhaftem Ernährungszustand aufgenommen, nach wenigen
Tagen stellt sich ein kräftiger Appetit ein, die körperlichen Kräfte heben sich schnell und verleiten
den Kranken zu einem trügerischen Selbstgefühl. In euphorischem Zustande, im Vertrauen auf sich
selbst, verlassen sie vorzeitig die Heilstätte, um sehr bald wieder rückfällig zu werden. Andere
warten die natürliche Reaktion, die sich als Reizbarkeit, Unzufriedenheit und psychische Depression
kundthut, noch ab und gehen, keiner vernünftigen Vorstellung zugänglich, ebenfalls von dannen,
um sehr bald das Opfer ihrer GemüthsVerstimmung zu werden; und wieder andere, die Quartals¬
und Periodentrinker, sind nicht über den betreffenden Zeitpunkt, welcher für sie einen unwider¬
stehlichen Drang zum Alkohol bildet, hinaus zu halten, auch sie nehmen keinen Rath an, sie scheitern
im nächsten Wirthshaus. Und von all diesen Patienten weiss man, dass ihnen bei zwangsweiser
Zurückhaltung geholfen werden könnte. Wollte man nun nach Art der Irrenanstalten Trinkcrheil-
und Pflegeanstalten einrichten, so müsste man für beide Arten das Dctentionsrecht beanspruchen.
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Berichte über Kongresse und Vereine.
um im Nothfalle bei aussichtslosen, charakterschwachen, wankelmüthigen aber heilbaren Personen
den Zwang ausüben zu können, der zur wirksamen Durchführung einer Kur erforderlich ist Da
sich Indess Heil- und Pflegeanstalten nicht wohl strikte unterscheiden lassen, da ferner die mit
Dententionsrecht versehenen Anstalten nach Ansicht des Referenten öffentliche Anstalten sein
müssen, freiwillig eintretende Kranke indess meist nur ungern öffentliche Anstalten aufsuchen, so
möge man offene und geschlossene Anstalten für Alkoholkranke schaffen Und gesetzlich fest¬
legen, dass für Bau, Einrichtung und Betrieb solcher Anstalten die Bestimmungen Platz greifen,
welche für die allgemeinen Krankenanstalten (offene) und für die Irrenanstalten (geschlossene) be¬
reits gesetzlich sind. Alle diese Anstalten, ob offen, ob geschlossen, sind konzessionspflichtig, was
merkwürdigerweise bei den heute vorhandenen Trinkerheilanstalten in Deutschland nicht für nöthig
befunden wurde. Wie die offenen Heilanstalten den Charakter von Sanatorien oder Volksheil¬
stätten tragen sollen, und ihre Errichtung und Unterhaltung der freien Liebesthätigkcit zugesprochen
werden darf, Bind die geschlossenen Anstalten unbedingt nur als öffentliche (staatliche, provinziale
oder kommunale) zu denken. Eine reichsgesetzliche Regelung des Irrenwesens möge
nicht mehr zu lange auf sich warten lassen und die Trinkerfürsorge mit unter ihre
Fittiche nehme*n! Demgemäss möge auch Klarheit darüber herbeigeführt werden, wer für die
Behandlung Trunksüchtiger kostenpflichtig iot; auf alle Fälle hat ausser der Gemeinde auch der
Staat unbedingt ein grosses Interesse an der Bekämpfung der Trunksucht sowohl als auch an der
rationellen Behandlung des Einzclindividuums, und es sei hier die Frage am Platz, ob nicht ähnlich
wie in der Schweiz durch das sogenannte Alkoholzehntel auch in Deutschland durch Zolleinnahmen,
Branntweinsteuer etc. ein Staatszuschuss zu fordern sei.
Nach kurzer Debatte brachte die Versammlung durch einstimmige Annahme einer eingcbrachten
Resolution zum Ausdmck, dass sie die Nothwendigkeit eines Trinkerfürsorgegesetzes anerkenne,
indem sie den Vorstand ersuchte, für die Verwirklichung desselben entsprechende Schritte zu thun.
Pastor Haacke-Rickling verbreitete sich in einem längeren Referat über »die Hilfe der Ab-
stinenz vereine« bei der Nachpflegc der als geheilt Entlassenen, indem er die einzelnen Institutionen,
wie den Guttempler-Orden, das Blaue Kreuz, den Alkoholgcgner-Bund gegeneinander abwog, ihre
Tendenz und ihre Arbeit eingehend besprach und schliesslich die Wichtigkeit hervorhob, den aus
einer Trinkerheilanstalt zu Entlassenden einer solchen Vereinigung zuzuführen, um sich selbst durch
rege Vereinsarbeit immer mehr zu befestigen und in der Abstinenz zu bestärken.
Pastor Kruse-Lintorf besprach »die Arbeit der Anstalt selbst« bei den Entlassenen; er
befürwortete einen engen Anschluss der entlassenen Pfleglinge unter sich als auch mit der Heilstätte,
sei es, dass ein reger fortlaufender Briefwechsel gepflegt werde, sei es, dass — wie sich dies z. B.
in der Schweiz bewährt hat — unter den Anstaltspfleglingen ein besonderes Vereinsleben den
ständigen Zusammenhang bilde. Referent regte an, eine Zeitschrift für entlassene Pfleglinge zu
gründen (wie Dr. Liebe den »Hcilstättcnboten« für seine entlassenen Lungenkranken ins Leben
gerufen hat), ein Korrespondenzblatt, in welchem Beispiele aus dem täglichen Anstaltsleben vor¬
geführt werden und ein Austausch der ehemaligen Patienten stattfinden könnte.
Pastor Bovet-Bern sprach sodann an Stelle des verhinderten Hausvaters Steffen über »die
Selbsthilfe der Geheilten«, die er in die Worte zusammenfasstc: Wenn die Pfleglinge die Anstalt
verlassen, sollen aus Rekruten Soldaten geworden sein, die gewillt sind, einzustehen für die Sache
der Enthaltsamkeit, die die Parole ins Volk hineinzurufen wagen: Heraus aus dem Wirthshaus, hin¬
ein in die Enthaltsamkeitsvereine! Im ferneren wünsche er eine Förderung des eigenen Familien¬
lebens und Pflege des religiösen Sinns, auf alle Fälle offenes Bekennen der persönlichen Enthaltsamkeit.
Pfarrer Neumann-Mündt tritt bei dem nächsten Punkte der Tagesordnung für eine Betheili¬
gung der Trinkelheilstättcn - Leiter auf dem im Frühjahr 1903 in Bremen tagenden internationalen
Kongress gegen den Alkoholismus ein und hofft dadurch einen Ucberblick darüber zu gewinnen,
was in den einzelnen Kulturstaaten nach dieser Richtung hin geleistet worden ist.
Dr. med. Col la-Finkenwalde bespricht sodann die Aufgaben,.welche den Versammlungen der
Anstaltsleiter erwachsen, er befürwortet eine festere Gliederung der bisherigen Konferenz, indem
er ihre Uebcrleitung in die Vereinsform beantragt. Es wird demgemäss beschlossen und ein »Ver-
e in der Vorstände der Trin kerheiianstalten des deutschen Sprachgebietes« konstituiert,
und sein Vorstand wie folgt gewählt: Vorsitzender Oberregierungsrath F a 1 c h - Stuttgart, stellver¬
tretender Vorsitzender Dr. med Waldschmidt-Uharlottcnburg, Beisitzer Dr. med. Colla-Finken¬
walde, Pastor K ruse-Lintorf und Pfarrer Neu mann-Mündt.
Nach dieser ausserordentlich anregenden und interessanten Sitzung fand am nächsten Morgen
die Sitzung der Verwaltungsaussehussmitglieder statt, welchen eine reiche Tagesordnung zu Theil
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Berichte über Kongresse und Vereine.
wurde, von der nur einzelne Berathpngsgegenstände, wie der Bericht des Geschäftsführers (welcher
erfreulicherweise eine nicht unwesentliche Vermehrung der Mitgliederzahl (auf 15000) und der
wachsenden Vereinsthätigkeit aufwies — es regt sich eben allerorten!), Berathung der in Aussicht
genommenen neuen Arbeiten, Ausnutzung der durch den bekannten Antrag des Grafen Douglas
geschaffenen günstigen Lage, Petition zur Begründung einer Landes- bezw. Reichskommission zur
Bekämpfung der Trunksucht, Referate für die nächste Mitgliederversammlung, Internationaler Kon¬
gress in Bremen etc. Erwähnung finden mögen.
Am Abend fand der sogenannte Begrüssungsabend im Konzertsaal der Liederhalle unter
Leitung des Professors v. Grützner-Tübingen statt. Der Vereins Vorsitzende, Senatspräsident
Dr. v. Strauss und Torney-Berlin, begrüsstc die zahlreiche Versammlung mit herzlichen Worten
des Dankes und meinte im Süden wie im Norden des deutschen Reiches ein tapferes Vorwärts¬
schreiten im Kampfe gegen die Trunksucht konstatieren zu können. Ein guter Beweis hierfür sei
u. a. die günstige Aufnahme des Antrages Graf Douglas im preussischen Landtage, die vor fünf
Jahren noch nicht möglich gewesen sei, jetzt aber hoffentlich zu weiterer Arbeit in allen betheiligten
Kreisen anspornen und reiche Früchte tragen werde.
Professor v. Grützner gab einen Ueberblick über die Vereinsthätigkeit in Württemberg;
obwohl auch hier ein Fortschreiten in der Erkenntniss der Alkobolgefahr zu konstatieren sei, begegne
man doch vielfach falschen Auffassungen und Irrthümern, die mit aller Macht bekämpft zu werden
verdienten. Referent suchte dies von seinem physiologischen Standpunkte aus an verschiedenen
Beispielen überzeugend darzuthun und äusserte, dass, wenn wir die Alkoholpest nicht los werden,
wenn sie immer weitere Kreise infiziere, unser Volk trotz Kultur, trotz Kanonen und Maschinen¬
gewehren dem Untergänge geweiht sei.
Oberjustizrath Sch wand n er — Direktor des Landesgefängnisses in Schwab. Hall — entfaltete
recht interessante Bilder aus seiner kriminalistischen Praxis. Obwohl die ihm unterstellte Anstalt
keine eigentlichen Alkoholdelinquenten aufnehme, seien nach seinen statistischen Aufzeichnungen
doch 50% aller Fälle auf Alkohol zurückzuführen, und zwar seien fast alle Sittlichkeitsverbrechen
dem Alkohol zu verdanken. Eine ständige Redensart bildeten die entschuldigenden Worte der
Betreffenden, »betrunken gewesen zu sein«. Die Vercinschriften, die Aufklärung und Belehrung
habe schon manch gutes gewirkt: es müsse in dem Sinne immer weiter gearbeitet werden.
Frau Staatsrath v. Göz-Stuttgart sprach in hervorragender Weise über die sozialen Schäden
der Trunksucht, welchen die Frau als Gattin und Mutter in aller Stille zu begegnen vermöchte; sie
solle die Kinder vom Alkohol femhalten, die heranwachsenden Söhne ans Haus fesseln, mittelbar
und unmittelbar gegen die Trinksitten auftreten.
Obcrkonsistorialrath Dr. v. Braun-Stuttgart hob die Nothwendigkeit der Einwirkung seitens
der Geistlichkeit hervor, besprach die Trinkerrettung durch das Blaue Kreuz, die Erfolge der Volks-
kaffeehäuscr, und bemängelte das feuchtfröhliche Studententhum, dem er edlere, reinere Genüsse
und Freuden wünschte, um Körper und Geist gesund zu erhalten und zu pflegen.
Dr. phil. Lutz-Stuttgart geisselt mit Recht den Alkoholmissbrauch bei der Jugend; unzählige
Kinder würden frühzeitig an Alkohol gewöhnt und zeigten die Folgen in der Schule. Es sollten die
Eltern über die dadurch entstehenden Gefahren besser aufgeklärt werden, und ein Schulkind über¬
haupt vorAlkoholgenuss bewahrt bleiben.
Gewerbeinspektor F u c h s - Karlsruhe endlich legte dar, welche Verheerungen der Alkohol¬
missbrauch in der. arbeitenden Bevölkerung bringe. Die 10—20% des Lohnes, die der Arbeiter in
Alkohol anlege, gehen der Ernährung verloren, und zwar nicht nur seiner selbst, sondern auch
seiner Familie. Es müsse eine wirksame Sozialreform getrieben, für gute Wohnungen, geordnete
Lohnverhältnisse, Möglichkeit der Fortbildung und edler Gastlichkeit gesorgt werden; es sei nicht
nur ein Arbeiten für die Arbeiter, sondern mit den Arbeitern noth wendig.
Dieser sehr interessanten Abendsitzung folgte am anderen Vormittag die Hauptversammlung;
dieselbe war ebenfalls gut besucht; eine ganze Reihe Vertreter von Behörden sowohl Württembergs
wie Preussens überbrachten ihre Grüssc und Sympathiebezeugungen, nachdem der Vorsitzende mit
warmen Worten der Freude und des Dankes, aber auch der Mahnung, im Kampfe gegen den Miss¬
brauch geistiger Getränke rüstig vorwärts zu schreiten, die Sitzung eröffnet hatte. Unsere Vereins¬
versammlungen, äusserte er, zeichneten sich vor manch anderen Vereinigungen dadurch aus, dass
Festgelagc nicht die Hauptsache bildeten, vielmehr sei ernstliche Arbeit der Zweck der Zusammen¬
künfte; so sei cs auch diesmal, und er hoffe, dass diese Jahresversammlung in Stuttgart sowohl
für die Stadt und das Land als auch für das Reich von Segen sein möchte. Es wurden üuldigungs-
tclegramme an den Kaiser und an den König von Wüttemberg gesandt, und, nach Erledigung ge-
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534 Berichte über Kongresse und Vereine.
schäftlicher Mittheilungen, zunächst der Vortrag des Pfarrers Gonser-Heilbronn über: Verein und
Wirthshaus entgegengenommen.
Redner schildert das Vcreinsleben und die Geselligkeit in den grosseren Städten, welche den
kleineren Ortschaften mit dem nöthigen Beispiel vorangingen. Sicherlich bilden in den Gressstädten
die Vcreinsvcrsammlungen die einzige Möglichkeit zur Besprechung und Wahrung gemeinsamer
Interessen, sie seien das Bindeglied zwischen Stadt- und Landbewohnern, sie befriedigten das Ver¬
langen nach Geselligkeit. Immerhin könne nicht geleugnet werden, dass der Verlust oft grosser sei.
als der Gewinn, die Vereine seien durchweg auf die Wirthshäuser angewiesen, und hierdurch von
den Schankwirthen abhängig. Vereine würdiger Art wie Tum-, Gesang-, Krieger vereine etc. Hefen
bei den gegebenen Verhältnissen leicht Gefahr, zu Trink vereinen zu werden. Komme es doch vor,
dass Wirthe ihre Lokale den Vereinen zur Benutzung entzögen, sofern nicht ein genügende»
Quantum alkoholischer Getränke konsumiert würde; man sei dank der heutigen Sitte und Gewohn¬
heit, dem geltenden Trinkzwang, verpflichtet, beim Betreten eines Wirthshauses etwas zu trinken,
mag dafür ein Bedürfnis vorhanden sein oder nicht. Mithin sei eine Gasthausreform durchaus
geboten, wie* sie nebenbei von einer Anzahl gerade der besseren Wirthe selbst angestrebt werde.
Die Verbindung zwischen Verein und Wirthshaus müsse gelockert, das Trinken innerhalb der Vereine
gehemmt werden. Vereine sollten möglichst eigene Lokale besitzen, wie die Förderung von Volka-
häusern, Volksheimen ohne Trinkzwang nicht warm genug empfohlen werden könne. Die Frage
der edlen Volkserholung sei eine der grössten und schwersten Arbeiten der Jetztzeit, und harre
allerorts der Lösung; statt durch Denkmäler möge man das Andenken grosser Männer durch Errichtung
von Volkshallen, Kaffeehäusern, Volksbibliotheken und Lesehallen ehren. Bei alledem dürfe aber
die Familie nicht vernachlässigt werden, die Pflege der Geselligkeit innerhalb derselben stehe obenan,
und dies gelte für alle Schichten der Bevölkerung, man solle nicht nach unten Mässigkeit predigen
und dabei oben Bacchus und Gambrinus unbeschränkt herrschen lassen.
Pfarrer Schwarz-Warthausen theilte als Mitberichterstatter den Standpunkt des Referenten
vollkommen; auch er sprach sich sehr bestimmt für die Nothwendigkeit einer Gasthausreform aus,
und empfahl, dass der Deutsche Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke die Initiative hierzu
ergreifen möge, um über das ganze Reich eine Einheitlichkeit herbeizuführen. Gerade die werth¬
volleren, volkstümlichen Vereine, wie Turn- und Kriegervereine, sollten, als im ganzen Reich zu¬
sammenhängende Organisationen, mit dazu beitragen, überall in den Wirtschaften, auf die sie an¬
gewiesen, statt der alkoholhaltigen auch alkoholfreie Getränke zu verlangen; so würde schon eine
Aenderung eintreten. Es müsse überhaupt das Vorhalten von alkoholfreien Getränken, und zwar zu
billigen Preisen, für die Wirthe gesetzlich sein. In Wien habe sich bereits der Gastwirthsvcrband
bereit erklärt, diesem Wunsche Rechnung zu tragen, ein Beweis, dass man in Wirtskreisen wohl
geneigt sei, billige Forderungen des Publikums zu berücksichtigen.
Dr. med. Beck-Mengen, Vorsitzender des Vereins württembergischer Bahnärzte, referierte alsdann
über das Thema: Was lässt sich zur Trinksittenreform bei den Öffentlichen Verkehrs¬
einrichtungen thun? Referent verbreitete sich zunächst über den Alkohol als Genuss- und
Nahrungsmittel, wies auf die Grossindustrio hin, welche bestrebt sei, die Getränke so billig wie
möglich herzustellen, um dadurch einen grösstmöglichen Absatz zu erzielen. Mit dem Genuss mehre
sich der Durst, sobald aber die Wirkung des Alkohols beginne, höre die ruhige Ueberlegung auf;
so sei es gerade für Angestellte im Eisenbalindienst bei ihrer hohen Verantwortlichkeit von aller¬
grösstem Interesse, die Alkoholgefahr zu beseitigen. Der Grund zum Alkoholismus werde bei den
niederen Beamten häufig während der Militärdienstzeit, bei höheren Beamten auf den Hochschulen
gelegt. Eine Umfrage bei den deutschen Bahnverwaltungen habe ergeben, dass nur einige Ver¬
waltungen Verordnungen nach dieser Richtung erlassen haben. Der Eisenbahnbeamte solle während seiner
Dienststunden keinerlei alkoholischen Getränke zu sich nehmen, höchstens abends nach dem Dienst.
Eine völlige Abschaffung des Alkohols halte er für eine Utopie; deshalb möge man nicht mit gänz¬
lichem Verbot und Strafen gegen die Trinksitten vorgehen, sondern diese zu reformieren suchen.
Hierzu gehöre u. a. Abhaltung von Versammlungen der Eisenbahner in Lokalen ohne Speisen- und
Getränkeverabreichung, Kocheinrichtungen in den Packwagen, gutes Trinkwasser auf den Bahn¬
höfen, daselbst Verabreichung alkoholfreier Getränke zum Selbstkostenpreise an die Beamten.
Wünschenswerth wäre ferner, dass die Bekämpfung des Alkoholmissbrauches bei der Handels- und
Kriegsmarine eingeführt würde; die neue Seemannsordnung enthalte indess keinerlei derartige Be¬
stimmungen. Redner plädierte für grössere Aufklärung und Belehrung, und meinte, dass von dem
einzelnen Beamten und seiner Behörde erst dann etwas Eingreifendes zu erwarten sei, wenn sieb
das Volk allgemein gegen die Trinksitten erklärt und die Bekämpfung gegen den Missbrauch
geistiger Getränke aufgenommen haben würde.
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Referate über Bücher und Aufsätze. 535
In der Diskussion brachte Dr. med. Gaye-Stettin interessante Bestimmungen von ausser-
rieutschen Eisen bahn Verwaltungen betreffend das gänzliche Verbot alkoholischer Getränke für alle
Angestellten; er befürwortete als Bahnarzt dringend die völlige Durchführung der Abstinenz bei
den Eisenbahnbeamten und deren Anschluss an den vom Eisenbahndirektor de Terra-Stolp ge¬
gründeten »Verein enthaltsamer deutscher Eisenbahner«. — Mehrere Herren sprachen sich in ähn¬
lichem Sinne aus, indem sie auf die Untersuchungen Kräpelin’s, betreffend die protrahierte Nach¬
wirkung des Alkohols, verwiesen.
Zum Schluss dieser sehr werthvollen Berathungen wurde auf Vorschlag des Vorsitzenden der
Geheime Medicinalrath Dr. Baer-Berlin, der verdienstvolle Förderer der Alkoholfrage, zum Ehren¬
mitglied des Vereins ernannt.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie). I
K B. Lehmann und E.Volt, Die Fettbildung !
aus Kohlehydraten. Zeitschrift für Biologie 1
Bd. 24. Neue Folge. j
Die Verfasser theilen ausführlich eine Ver¬
suchsreihe mit, die sie im Jahre 1884 im C. Voit-
schen Laboratorium ausführten, und die zeigt,
dass Voit damals schon, lange vor den Pflüger-
schen Einwänden, die Entstehung von Fett aus
Kohlehydraten klar erkannte.
Die Versuche sind an Gänsen ausgeführt,
die mit Reis ernährt wurden. Da, wie die Ver¬
fasser zeigen, die Schätzung des ursprünglichen
Fettgehaltes nach den Bestimmungen gleich¬
genährter Kontrollthiere kaum genügend sichere
Resultate liefert, suchten die Verfasser die sämmt-
lichen Einnahmen und Ausgaben der Thierc
während der gangen 8—17 Tage dauernden
Vereuchszeiten (inklusive ausgeathmete C0 2 )
exakt zu bestimmen. Drei verschieden an¬
geordnete Versuchsreihen zeigen übereinstimmend,
dass bei reichlicher Zufuhr von Kohlehydrat in
der That grössere Mengen von Kohlenstoff (bis
zu 113 g in vier Tagen) im Thierkörper zurück¬
gehalten werden. Ueber die Form, in welcher
der Kohlenstoff im Körper verbleibt, werden
die Verfasser in einer späteren Arbeit berichten.
D. Gerhardt (Strassburg).
K. Oppenheimer, Ueber das Verhältnis»
des Nahrnngsbedarfes zu Körpergewicht
nnd Körperoberfläche bei Säuglingen.
Zeitschrift für Biologie Bd. 24. Neue Folge.
Ein von Oppenheimer genau beobachtetes
frühgeborenes Kind mit einem Anfangsgewicht
von 1970 g hatte nach 20 Wochen sein Anfangs¬
gewicht auf das 2,28 fache gesteigert (normale
Kinder wiegen zu dieser Zeit genau doppelt so
viel wie bei der Geburt), während »normal« sich
entwickelnde frühgeborene Kinder relativ mehr
an Gewicht zunehmen (2,89: l).
Durch Vergleich mit einem normalen Säugling
und mit einem von Hahn er ähnlich genau be¬
obachteten Frühgeborenen (Geburtsgewicht 1620)
kann Oppenheimer zeigen, dass der normal
sich entwickelnde Frühgeborene pro Kilo Körper¬
gewicht mehr Nahrung aufnimmt als der normale
Säugling, und dass sein Kind bei derselben
Nahrungsaufnahme (pro Kilo) wie der normale
Säugling im Wachsthum zurückblieb. Die Er¬
klärung für diese Widersprüche liefert das
Rubner’sche Gesetz, dass nicht Körpergewicht,
sondern Körperoberfläche den Nahrungsbedarf
bestimmen: Pro Quadratmeter Oberfläche nahmen
der normale Säugling und der Frühgeborene mit
normaler Entwickelung gleich viel Milch auf, das
vom Verfasser beobachtete Kind dagegen circa
14<>/ 0 weniger.
Oppenheimer sieht demgemäss in seiner
Beobachtung eine Bestätigung jenes Rubner-
schen Gesetzes (wobei er allerdings Zusammen¬
setzung und Ausnutzung der Nahrung bei den
verschiedenen Kindern als gleich voraussetzen
muss). D. Gerhardt (Strassburg).
Waldvogel, Der Stoffwechsel im Gicht¬
anfall. Centralblatt für Stoffwechsel- und
Verdauungskrankheiten 1902. No. 1.
Verfasser hat auf der Ebstein'sehen Klinik
zu Göttingen bei einem an einem Gichtanfall
leidenden Patienten Blut- und Stoffwechselunter¬
suchungen nach verschiedenen Richtungen hin
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536 Referate über Bücher und Aufsätze.
augestellt. Es ergab sich hierbei, dass der Harn-
säuregehalt des Blutes etwas vermehrt (23 mg
auf 1000) und die Gefrierpunktserniedrigung des
Blutes während des Gichtanfalls erhöht war. j
Letzteren Befund hat Referent selbst einmal be¬
obachtet und auch in seiner Monographie über
die chronischen Nierenentzündungen mitgetheilt.
Doch fand Referent in zwei anderen Fällen, in
welchen er während des Anfalls gleichfalls die I
Gefrierpunktserniedrigung bestimmte, dies Ver¬
halten nicht wieder. 1
Bei den Stoffwechseluntersuchungen, bei
welchen Waldvogel den Stickstoffgehalt der !
Nahrung und des Kothes leider nicht bestimmt
hat, ergab sich bei dem — nur wenig Nahrung
zu sich nehmenden — Patienten eine geringe
Stickstoffausscheidung im Urin. Der Harnsäure- j
werth im Urin war leicht erhöht, dagegen war
die Phosphorsäureausscheidung vom Beginn des
Anfalls an vermindert Die Acidität des Urins j
schwankte in normalen Grenzen. Verfasser zieht I
aus diesen Beobachtungen eine Reihe von
Schlüssen bezüglich deren Details auf das Original
verwiesen werden muss. Er ist nicht der Meinung,
dass die in seinem Fall während des Anfalls j
vorhanden gewesene Steigerung der molekularen |
Konzentration des Blutes durch eine Nieren- j
insufficienz zu Stande gekommen ist, sondern er |
deutet sie als die Folge einer Mehraufnahme |
(von Harnsäure) aus den Geweben, indem er sich
vorstellt, dass die Harnsäure aus den Gelenk-
depöts so rasch gelöst wird, dass die Nieren¬
ausscheidung der Lösung nicht das Gleichtgewicht
halten kann. Das Verhalten der Phosphorsäure
ist er geneigt, im Sinne eines verminderten i
NukleTnumsatzes beim Gichtanfall zu deuten. I
H. Strauss (Berlin). >
i
L. Asher und H. Jackson, Ueber die
Bildung der Milchsäure im Blute, nebst
einer neuen Methode zur Untersuchung des
intermediären Stoffwechsels. Zeitschrift für
Biologie Bd. 41. Heft 3. j
Zur Entscheidung der Frage, ob die im
cirkulicrenden Blut entstehende Milchsäure aus
Zucker oder aus Eiweiss herstammt, prüften die
Verfasser an künstlich durchströmten Muskeln,
ob Zuckerzusatz zum Durchströmungsblut Ein- |
fluss auf die Milchsäurebildung ausübe. Die (
Versuche ergaben übereinstimmend, dass ein |
solcher Einfluss nicht besteht; dagegen zeigte i
sich, dass die Menge derjenigen N - haltigen |
Körper, welche durch Eiweisskoagulation (durch
Alkohol oder Eisenchlorid) nicht gefallt werden '
und die jedenfalls als Zerfallsprodukte des
Eiweisses anzusehen sind, deutlich zunahm.
Da bei der künstlichen Durchströmung ein¬
zelner Organe immerhin durch die zeitweilige
völlige Blutleere und andere Umstände tiefer¬
greifende Veränderungen der Gewebe möglich
waren, ersannen die Verfasser eine andere Me¬
thode der Durchströmung unter mehr natürlichen
Verhältnissen: sie unterbanden sämmtliche Ein¬
geweide, (inklusive Nieren-JGefässe und durch¬
trennten (zur Vermeidung von vasomotorischen
Einflüssen) die Medulla oblongata. Auch in
diesen Versuchen nahm sowohl die Milchsäure
wie der »Zerfallstickstoff« während der Be¬
obachtungszeit zu, auch hier erwies sich ge¬
ringerer oder grösserer Zuckergehalt des Blute?
ohne Einfluss auf die Milchsäurebildung.
Die Verfasser halten es demnach für sehr wahr¬
scheinlich, dass die Milchsäure nicht aus Kohle¬
hydraten, sondern aus Eiweiss gebildet werde;
Einfluss von Sauerstoffmangel auf ihre Entstehung
konnten sie (im Gegensatz zuAraki’s bekannten
Versuchen) nicht feststellen.
Einzelheiten über die Anordnung der Ver¬
suche, interessante Ausführungen über gewisse
Differenzen in der Menge der erzeugten Milch¬
säure bei beiden Versuchsarten, sowie hieraus
abgeleitete Vermuthungen über den Ort der
Milchsäurebildung und ihre Beziehung zur Leber
müssen im Original eingesehen werden.
D. Gerhardt (Strassburg).
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
E. y. Schenckendorff und F. A. Schmidt,
Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele.
Leipzig. R. Voigtländeris Verlag.
Bei uns in Deutschland wird leider noch
immer viel zu wenig Gewicht auf die körper¬
liche Ausbildung der Jugend gelegt Die zwei
Turnstunden, welche im allgemeinen wöchentlich
in den Schulen gegeben w r erden, genügen selbst¬
verständlich nicht, um die vielen Schädigungen
auszugleichen, welche der stundenlange Aufenthalt
in den Schulräumen, und die oft noch un¬
gesundere Lebensweise in den schlecht venti¬
lierten Wohnungen der Eltern mit sich bringen.
Es ist daher lebhaft zu begrüssen, dass die
Bestrebungen des Centralausschusses zur Förde¬
rung der Volks- und Jugendspiele in Deutsch¬
land immer mehr an Boden gewinnen.
Zeugniss hiervon legt der vorliegende 11. Jahr¬
gang des Jahrbuches für Volks- und Jagendspiele
ab, in welchem sich eine Reihe bedeutungvoller
Aufsätze über das Wesen und die Aufgabe der
Volks- und Jugendspiele befinden, Aufsätze, die
auch für die Aerzte von grösstem Interesse sind.
Wir nennen darunter nur: 1. den Aufsatz von
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537
Referate über Bücher and Aufsätze.
Schmidt (Bonn): Körperpflege und
Tuberkulose; 2.’ von Burgersten (Wien)
über: Einige Punkte der Schulgesund¬
heitspflege; 3. von Stabsarzt Matthes: Die
Bedeutung der Volks- und Jugendspiele
für die nationale Wehrkraft etc.
Der zweite Theil des Buches ist der Praxis
der deutschen Spielbewegungen gewidmet. Aus
ihm möchten wir das Kapitel besonders hervor¬
heben, in welchem in vier verschiedenen Auf¬
sätzen über dasWandern der Jugend berichtet
wird.
Das Jahrbuch für Volks- und Jugendspiele
sollte von jedem praktischen Arzte gehalten
werden, welcher der körperlichen Ausbildung
der Jagend seiner Klientel das Maass von Be¬
deutung beimisst, das ihr thatsächlich zukommt
Paul Jacob (Berlin).
Parker Murphy, Körperliche Uebung bei
der Behandlung der Lungentuberkulose« The
Dietetic and Hygienic Gazette Bd. 16. No. 12.
Verfasser betont den hohen Werth der Lungen-
gymnastik für die Prophylaxe und Behandlung der
Tuberkulose. Er lässt die Patienten, wenn mög- ;
lieh im Freien, ^systematisch tief athmen unter
gleichzeitigem Heben und Senken der Arme bei j
der Inspiration resp. Exspiration. Es gelingt da¬
durch ausnahmslos, bei beginnender Phthise die
Lungenkapazität zu vergrössem und die Cirku- |
lationsVerhältnisse in den Lungen zu verbessern.
Dasselbe Verfahren ist angezeigt bei Rekon-
valescentcn von Pneumonie und Pleuritis. Die
Intensität und Dauer der Uebung muss dem
Kräftezustand der Patienten sorgfältig angepasst
werden. Bei entsprechendem Kräftezustand kön¬
nen mit Erfolg auch die verschiedenen für diesen
Zweck empfohlenen Apparate (Exerciser) ver¬
wendet werden. Wenn die Uebungen im Zimmer
vorgenommen werden, so ist für entsprechende
Ventilation der Räume zu sorgen. 1
R. Friedlaender (Wiesbaden).
Paravicini, Selbstmassage im lauen Bade.
Korrespondenzblatt der Schweizer Aerzte 1901.
No. 2.
i
Verfasser empfiehlt mit der Applikation ther- j
mischer Reize eine mechanische Selbstbehandlung !
mittels Massage und Gymnastik zu verbinden.
Eine solche Selbstmassage im lauwarmen Bade |
kommt namentlich bei chronischer Obstipation in
Betracht Muskel Übungen und Selbstmassage im
Bade sind ferner als Ersatz für Schwimmbäder
oder als begleitende Prozeduren einer Terrain-
Zeitachr. t diät u._phy»ik. Thorapia Bd. VI. Heft 9.
kur anzuwenden. Die Massage des Bauches und
der Extremitäten kann der Patient selbst sehr
wohl im Wasser vornehmen, dazu werden aus¬
giebige Bewegungen in allen Gelenken ausgeführt
R. Friedlaender (Wiesbaden).
Robert Kennedy, Ueber die Wiederher-
stellung koordinierter Bewegungen nach
Nervendurchschneidung. The Lancet 1900.
Februar.
Verfasser hat bei drei Hunden den Ischiadicus
durchschnitten, die Schnittenden durch Naht ver¬
einigt und die Wiederherstellung der Funktion
beobachtet. Dabei wurden einmal die Schnitt¬
enden bei der Naht möglichst genau in ihrer ur¬
sprünglichen Lage aufeinander gepasst, während
bei den beiden anderen Hunden das peripherische
Segment vor der Vereinigung halb um seine
Achse gedreht wurde. Diese Versuche ergaben,
dass die Wiederherstellung der Funktion gleich
schnell erfolgt, ob nun die beiden Enden des
durchschnittenen Nerven genau aufeinander ge¬
passt werden, um die korrespondierenden Nerven¬
fasern möglichst aneinander zu bringen oder ob
das peripherische Segment so gedreht wird, dass
nicht korrespondierende Fasern aufeinander zu
liegen kommen. Die mikroskopische Untersuchung
der wiederverheiltcn Nerven ergab, dass die
Wiedervereinigung im wesentlichen durch neu ge¬
bildete Nervenfasern erfolgte, und Hess es zweifel¬
haft, ob diese in der Narbe sich vielfach kreuzen¬
den jungen Nervenfasern den Zusammenhang
zwischen früher korrespondierenden Nervenendi¬
gungen vermittelten oder Fasern vereinigten, die
vorher nicht korrespondiert hatten, sondern nur
vor der Naht aneinander gelegt waren.
R. Friedlaender (Wiesbaden).
C. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Weiner und Matt, Praktische Hydrotherapie.
Frankfurt am Main 1901. Johannes Alt
In vorliegendem Buche handelt es sich um
eine freie Bearbeitung der DuvaTschen ®La
pratiquede l’hydrothörapie«, einem preisgekrönten
Werk aus dem Jahre 1891, das die während
30 Jahren gesammelten Erfahrungen eines her¬
vorragenden Praktikers enthält Im Vordergründe
der Duval*sehen Hydrotherapie stehen die
Douchen, die nach der französischen Auffassung
alle anderen Prozeduren zu ersetzen im stände
sind, selbst bei der Behandlung chronischer Er-
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538
Referate über Bücher and Aufsätze.
krankungen. Er verwendet bei der Douchen-
applikation Wasser von 8° C, verwirft im
grossen und ganzen warme Douchen, auch die
Werthschätzung der alternierenden schottischen
Douche ist bei ihm nicht gross. Jedenfalls regt
die eigenartige Verwendung der Douche, wenn
sie auch manchmal übertrieben einseitig erscheint,
in dem DuvaTschen System zum Nachdenken
an, und eröffnet eine Reihe in der bei uns ge¬
übten Hydrotherapie weniger streng zum Aus¬
druck kommenden Ausblicke. Die Verfasser, die
neben den Erfahrungen und Beobachtungen des
französischen Praktikers ihre eigenen, sowie die
Lehren von Winternitz zu Worte kommen
lassen, haben jedenfalls das Verdienst, dieses zeit-
gemässeWerk, aus dem eine Summe praktischer
Erlebnisse spricht, den deutschen Aerztcn zu¬
gänglich gemacht zu haben.
J. Marcuso (Mannheim).
Parkes Weber (London) with the collaboration
for America of Guy Hinsdale, Health
resortB — Mineral sprlngs. In two books.
London 1901. Rebman Limited.
Von dem grossen Sammelwerk, welches
Cohen über die gesammte diätetische und
physikalische Therapie herausgiebt, sind Bd. 3
und 4 von Weber unter Mithilfe von Hinsdale
bearbeitet worden. Es liegt hier ein Werk über
die Klimatologie und Balneologie vor, welches
besonders in Bezug auf die umfassende Gründ¬
lichkeit, mit der die Kurplätze der ganzen Welt
beschrieben werden, kaum seinesgleichen auf¬
weisen dürfte. Aber noch nach vielen anderen Rich¬
tungen hin bieten die beiden Bände vorzügliches:
In den ersten Kapiteln werden die klimatischen
Faktoren, die Zusammensetzung der Atmosphäre,
die Beziehungen der Besonnung, Vegetation, des
Wasserreichthums etc. zu dem Klima erörtert;
dann werden die Klimata in fast sämmtlichen
aussereuropäischen und europäischen Ländern
besprochen, wobei nicht nur die klimatischen
Verhältnisse der eigentlichen Kurplätze, sondern
auch die der Länder, Inseln etc. und der grossen
Städte kritisch beleuchtet werden. Weiterhin
werden in zwei allgemeinen Kapiteln die all¬
gemeinen Indikationen, welche au einen Kurort
gestellt werden müssen, und die therapeutischen 1
Hilfsmittel, die hier zur Verfügung stehen, er- j
läutert; und schliesslich werden in eiuer Reihe I
von Spezialartikeln die Kurorte, welche für die !
einzelnen Krankheitsgruppen am meisten in j
Betracht kommen, kritisch aufgezählt. j
Das Werk ist somit der werthvollste
»ärztliche Bädeker«, den wir besitzen. Mit
ruhiger Objektivität, und unter Benutzung der i
reichen Erfahrungen seines Vaters, des be¬
kannten und berühmten Sir Hermann Weber,
mit welchem gemeinschaftlich derAutor bereits vor
mehreren Jahren ein ähnliches kleineres Werk:
»The mineral waters and health resorts of
Europe* herausgegeben hat, hat er hier das
gewaltige Material gesichtet, welches — wir
möchten beinahe sagen — die ganze Welt mit
ihren unerschöpflichen Naturkräften uns Aerzten
zur Bekämpfung und Heilung der Krankheiten
bietet.
Wohl zum ersten Male erfahren wir
europäischen Aerzte durch das Studium dieses
Werkes von den immensen Heilscbätzen, welche
auch in der »neuen Welta enthalten, aber zum
grossen Theile bisher noch nicht gehoben sind.
Auch den Hygienikern, den Behörden,
welche bei der modernen Ausbreitung der
Kolonieen sich mit den klimatischen Fragen der
aussereuropäischen Länder eingehend beschäftigen
müssen, wird das Werk ein werthvoller Rath¬
geber sein.
Ein vorzügliches Sachregister, ein grosses
Kartenmaterial erleichtern seine Benutzung ganz
wesentlich.
So erscheint eine Empfehlung dieser beiden
von P. Weber herausgegebenen Bände durch
den Referenten überflüssig; sie empfehlen sich
jedem von selbst, der sich die Mühe nimmt, sie
zu studieren. Mögen dies recht viele thun!
Paul Jacob (Berlin).
Max Silber, Zur therapeutischen Verwendung
der Wärme mit besonderer Berücksichtigung
der Fangobehandlung. Vortrag, gehalten in
der medicinischen Sektion der schlesischen Ge¬
sellschaft für vaterländische Kultur am 31. Januar
1902. Allgem. medicin. Centralzeitung 1902.
No. 16 u. 17.
Bei der therapeutischen Verwendung der
Wärme ist es für die Auswahl der Methode von
Wichtigkeit, ob man im gegebenen Fall lediglich
eine Wärmezufuhr oder auch gleichzeitig dabei
eine Wärmestauung beabsichtigt. Während bei
der ersteren Maassnahme nur eine vorübergehende
Hauthyperämie cintritt und die Vermehrung der
Blutkörperchen und des Hämoglobingehaltes in
dem aus der Hautoberfläche gewonnenen Blut¬
tropfen nur auf einer Aenderung in der Biut-
vcrtheilung beruht, wird bei Anwendung von
Wärmestauung ein mehr oder weniger intensiver
Einfluss auf den Stoffwechsel des Organismus
ausgeübt, was sich klinisch schon in der erhöhten
Körpertemperatur und gesteigerten Pulsfrequenz
bemerkbar macht. Dieser prinzipielle Unterschied
bleibt auch bestehen, wenn nicht der ganze
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Referate über Bücher und Aufsätze.
539
Körper, sondern nur einzelne Theile der erhitzen¬
den Prozedur ausgesetzt werden.
Die Auswahl des Badematerials richtet sich
einmal nach der beabsichtigten Höhe der Tempe¬
ratur und ferner danach, ob man neben der aus¬
schliesslich thermischen Wirkung noch eine
mechanische oder chemische erzielen will.
Die höchsten Hitzegrade bis zu 150° C lassen
sich durch Heissluftbäder und die ihnen im all¬
gemeinen gleich werthigen elektrischen Lichtbäder
erzielen, wobei sich allerdings herausstellt, dass
die excessiven Hitzegrade — abgesehen von der
grossen Gefahr der Verbrennung — nicht im
Einklang stehen mit dem gewünschten Effekt, im
Gegentheil weniger gute Resultate liefern als die
massigere Wärme der Moor- und Schlammbäder.
Die Heissluft- bezw. elektrischen Lichtbäder, deren
Wirkung lediglich eine thermische ist, also auf
Wärmezufuhr beruht, sind bei gewissen patho¬
logischen Verhältnissen am Platze, wo man eine
Entlastung der inneren Organe anstrebt. Voraus-
setzungistallerdings, dass keine arteriosklerotische
Entartung im Gefässsystem besteht, damit das¬
selbe die veränderten Druck Verhältnisse aushalte.
Wenn auch die genannten Prozeduren nicht
ohne jeden Einfluss auf den Stoffwechsel sind,
so stehen sie doch in ihrer oxydationssteigernden
Wirkung hinter der der heissen Wasserbäder er¬
heblich zurück. Diese gehören bereits zu den
Methoden der Wärmestauung und sind infolge
dessen im stände, pathologische Produkte zum
Zerfall und zur Resorption zu bringen (Winter¬
nitz). Bekannt ist die Behandlung der Bleich¬
sucht mit heissen Bädern durch die Untersuchungen
von Rosin, der entsprechend dem gesteigerten
Stoffwechsel eine absolut vermehrte Ausscheidung
der festen Harnbestandtheile feststclltc; doch ist
der Heileffekt der heissen Wasserbäder beschränkt
durch die Höhe der Temperatur, die kaum über
40° C vertragen wird. Will man einen intensiveren
fleilcffekt durch höhere Temperaturen erzielen,
so muss man zu Moor- oder Schlammbädern greifen
Noch höhere Hitzegrade werden anstandslos bei
der Fangopackung bis zu 55° C vertragen und
beim Sandbadc, das man bei allmählicher Steige¬
rung bis auf 60° C und darüber bringen kann.
Aber trotz dieser intensiven Wärme erreichen
die heissen Sandbäder, deren Erfolg bei der
Resorption alter entzündlicher Produkte in den
Gelenken u. s. w. unbestritten ist, nicht die Er¬
gebnisse der Moorbäder und der Fangoappli¬
kationen.
Besonders instruktiv sind in dieser Hinsicht
die vergleichenden Untersuchungen von Thime
in Kottbus mit Fango-, Sand-, Heissluft-, örtlichem
Dampfbad und Thermophoren, der bei Unfall¬
erkrankungen die Wirkung des Fango an eiste
Stelle stellt. Diese vorurtheilsfreien Untersuchungen
weisen darauf hin, dass ausser der Wärme noch
andere Qualitäten und besonders dem mechanischen
Einfluss der Medien eine hervorragende Bedeutung
zukommen muss: je dichter das Medium, desto
stärker der Effekt. Daher kann Sand, dessen
Körnchen immer noch mit Luft angefüllte Lücken
zwischen sich lassen, nie den gleichen mecha¬
nischen Reiz hervorrufen wie Moor und besonders
Fango, der sich aufs innigste an die Körperhaut
anschmiegt und durch seinen Druck geradezu als
eine Art Massage wirkt. Dazu kommt als weiterer
Vorzug, dass kein anderes Material vermöge der
geringen Wärmeleitungsfähigkeit stundenlang so
gleichmässig warm erhalten werden, ja während
der Applikation durch geeignete Vorkehrungen
noch weiter gleichmässig in seiner Temperatur
erhöht werden kann als der Fango. Und will
man den chemischen Bestandteilen, wie das
von einzelnen geschieht (Foss), eine besondere
Bedeutung bei der Heilwirkung der Moor- und
Schlammbäder beilegen, so kann auch diese
mit vollem Recht für den Fango in Anspruch
genommen werden, da er alle wesentlichen Be¬
standteile des Moores enthält (Liebreich)
Schliesslich verhindert der Feuchtigkeitsgehalt
der Moor- und Fangoapplikationen noch mehr
wie beim trockenen Sandbade die Regulation
mit der Aussenluft und erhöht dadurch die an
und für sich beträchtliche Wärmestauung.
Diesen Eigenschaften des Fango entspricht
die intensive Alteration des Stoffwechsels und
macht die hervorragenden Hcileffekte bei Ex¬
sudaten, pathologischen Ablagerungen und ähn¬
lichen Abnormitäten erklärlich; wird doch die
Eigenwärme bei Applikationen mit Einpackung
des ganzen Körpers um 1—1,500 erhöht. Dabei
steigert sich die Pulsfrequenz nur unbedeutend,
im Durchschnitt um 10—12 Schläge und die
Athmung um ca. sechs Athemzüge ln der
Minute. Infolgedessen werden auch die Fango¬
packungen durchwegs gut vertragen. Dieselbe
Wärmestauung zeigt sich auch bei isolierter
lokaler Applikation ohne Einpackung des ganzen
Körpers in dem gerade behandelten Bezirk, wie
Verfasser an zahlreichen Messungen und Beobach¬
tungen hat feststellen können, so dass es durchaus
rationell ist, lokale Erkrankungen gewisser Art
mit lokaler Anwendung von Wärme zu behandeln.
Verfasser berichtet über seine eigenen Er¬
fahrungen, die sich auf über 200 Fälle mit ca.
3000 Anwendungen erstrecken. Die besten Er¬
folge wurden erzielt bei Lumbago, akutem und
subakutem Gelenkrheumatismus, Muskelrheuma¬
tismus, Residuen von Entzündungen der Bauch¬
organe, entzündlichem Plattfuss und Stauungen
in den unteren Extremitäten. Sehr zufrieden-
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
540 Referate über Bücher und Aufsätze.
stellend waren die erzielten Resultate bei Residuen
nach Verletzungen, Knochenbrüchen, Kontusionen,
Luxationen etc., Ischias, Gicht, odcmatösen Ver¬
dickungen, Periostitiden etc. Selbst bei den trost¬
losen Formen schwerer Arthritis deformans wurde
in so weit ein günstiger Einfluss konstatiert, als
die Schmerzen beseitigt und die Bewegungs¬
fähigkeit gebessert wurden. Am ungünstigsten
waren die Erfolge bei veralteten Affektionen
der Kniegelenke, die schon Jahre lang, manche
über zwei Dezennien, bestanden. In Zahlen aus¬
gedrückt waren es 60°/ 0 geheilte, 32% gebesserte,
8% ungeheilte Fälle. Noch besser erweist sich
der Erfolg der Kuren im allgemeinen in der
Fangokuranstalt in Berlin. Das Ergebniss würde
sich noch günstiger gestalten, wenn die Fango¬
behandlung nicht mit Vorliebe als ultima ratio
bei inveterierten Leiden in Anwendung gezogen
würde.
»Das günstige allgemeine Urtheil, das über
die Heilwirkung des Fango gefällt wird, muss
in Zukunft immer weniger Einschränkung erfahren,
je mehr sich der einzelne Arzt für seine Anwen¬
dung interessiert. Ein vereinzelter Erfolg be¬
rechtigt eben so wenig zu überschwenglichem
Lobe, wie ein Misserfolg zur Ablehnung, besonders
wenn er zufällig mit dem ersten Versuche zu¬
sammenfällt. Ein Kurmittel, welches in tausen¬
den von Krankkeitsfällen in über 200000 An¬
wendungen so selten im Stich gelassen hat, ver¬
dient zum mindesten die ernsthafte und wohl¬
wollende Prüfung der Fachgenossen«.
Bein (Berlin).
D. Elektro- und Röntgentherapie.
Fritz Frankenhäuser, Das Licht als Kraft
und seine Wirkungen. Berlin 1902.
Die erhöhte Bedeutung, die das Licht im
letzten Jahrzehnt für die Medicin gewonnen, die
überraschenden Resultate, die es in der Therapie
gezeitigt, haben allenthalben die Forschung auf
die Wirkungen desselben in der belebten wie
unbelebten Natur gelenkt. Diesem systematischen
Streben, Klarheit in einer so wichtigen biolo¬
gischen Frage zu gewinnen, verdankt auch die
vorliegende Arbeit ihren Ursprung, in der der
Verfasser sich bemüht hat, ein möglichst orga¬
nisches Bild von den gesetzmässigen Wirkungen
des Lichtes zu geben. In der richtigen Erkennt¬
nis, dass die Bedeutung des Lichtes für Gesund¬
heit und Kranksein nur erfasst werden kann auf
der gesicherten Grundlage der Erkenntnis des
Lichtes als Kraft, seiner physikalischen Eigen¬
schaften, seiner chemischen Energie, schildert
Frankenhäuser in knapper und klarer Dar-
l Stellung die heutigen wissenschaftlichen An¬
schauungen über die Photophysik, Photochemie
J und Photophysiologie, um in dem letzten Theil
I des Werkchens -die allgemeinen Gründzüge der
j Phototherapie zu entwickeln. Das frisch und
I anschaulich geschriebene Büchlein kann allen
denen, die der Lichttherapie wissenschaftliches
[ wie praktisches Interesse entgegenbringen, warm
I empfohlen werden. J. Marcuse (Mannheim).
|
Strebei, Die praktische Ausübung der Licht¬
therapie und das lichttherapeutische Instru¬
mentarium. Deutsche Praxis 1902. No. 3.
In einer durchaus kritischen und objektiven
Darstellung giebt der auf dem Gebiete der Licht¬
therapie wohlbekannte Verfasser eine Schilderung
der verschiedenen Behandlungsmethoden mit Licht
und eine Anzahl praktischer Winke für deren
Anwendung. Ira zweiten Theil seiner Aus¬
führungen geht er auf die zuerst von ihm ge¬
machten Wahrnehmungen, dass der kondensierte
Funke des Hochspaunungsstromes eine sehr starke
bakterientotende Kraft besitzt und bezüglich
dieser mit dem Kohlen bogenlicht zu rivalisieren
im stände ist, näher ein. Zur Herstellung dieses
Lichtes dient ein Funkeninduktor von 10—15 cm
Schlagweite. Das Licht ist ganz kalt, der
Apparat dient zur Behandlung des Lupus und
anderer Hautaffektionen parasitären Ursprungs.
Unabhängig von Bang und gleichzeitig mit ihm
hat Strebel weiterhin den Voltabogen zwischen
! Metallen durch Konstruktion einer Eisenbogen-
1 lampe therapeutisch in Anwendung gebracht
t J. Marcuse (Mannheim),
j
i
| Foveau de Courmelles, Les lumi&res
| froides et refroides en thdrapeutique.
I Bulletin officicll de la soci£t6 mödicale des
I praticiens. Söance du 21 mars 1902.
i Verfasser hat seit Jahren sich bereits mit der
| Anwendung des Lichtes in der Therapie be-
! schäftigt, und dasselbe sowohl bei infektiösen
i Hautexanthemen (Scharlach, Pocken, Ruleole etc.)
| wie bei Nervenerkrankungen in Anwendung ge-
I zogen. Vor zwei Jahren hat er einen Radiator
für chemische Strahlen konstruiert, der aus einer
i Bogenlampe mit Quarzlinsen und Wasserspülung
i besteht, und des Autors Mittheilungen nach an
( Einfachheit der Konstruktion, leichter Handlich¬
keit und Kostenersparniss alle ähnlichen Apparate
| übertrifft Damit will er u. a. sehr glückliche
! Resultate bei tuberkulösen Erkrankungen der
| Haut, der Knochen und selbst der Lungen er-
; zielt haben. Die als analog günstige Erfolge
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Referate über Bücher und Aufsätze. 541
angeführten Versuche von Kaiser (Wien) sind
um deswillen nicht besonders glücklich gewählt,
als ja inzwischen, wie bereits an anderer Stelle
erwähnt, Krause und Holzknecht auf Grund
von Nachprüfungen die Richtigkeit der Kais er¬
sehen Versuche bestritten haben. Auch die von
Minin’schem Geiste beeinflussten Perspektiven
auf die Wirkung des Lichtes als Heilmittel bei
den verschiedensten Läsionen in der Tiefe, und
die bakterientötende Wirkung des blauen Lichtes
daselbst erscheinen bei kühler Betrachtung nicht
einwandfrei. J. Marcuse (Mannheim).
E. Verschiedenes.
Paul Jaeob und Gotthold Pannwitz, Ent¬
stehung und Bekämpfung der Lungentuber¬
kulose. Band H. Bekämpfung dor Lungen¬
tuberkulose. Leipzig 1902. Georg Thicrae.
Von dem gross angelegten Werk, dessen
erster Band 1901 erschienen i), ist zur rechten Zeit,
im Augenblicke, wo die erste internationale
Tuberkulosekonferenz in Berlin zusammen trat, der
zweite »Die Bekämpfung der Lungentuberkulose«
herausgegeben worden. Hatten wir schon bei der
Besprechung des ersten Theiles — der Entstehung
der Tuberkulose — Gelegenheit, die mustergiltige
Darstellung seitens der Verfasser, die übersicht¬
liche Anordnung des gewaltigen und in seiner
Beschaffung und Zugrundelegung vorbildlichen
Materiales zu kennzeichnen, so trifft unsere
damalige Beurtheilung vollinhaltlich auch auf den
vorliegenden zweiten Band zu. Die Bekämpfung
der Lungentuberkulose ist weit mehr wie die
Entstehung dieser Volkskrankheit ein Problem
nicht nur der medicinischen Wissenschaft, sondern
auch der einzelnen Organe unseres weitver¬
zweigten sozialen Organismus; und damit erhält
dieser Band den Charakter eines sozial-hygie¬
nischen Werkes vornehmster Art. Als solches
ist das Studium desselben nicht allein für den
Arzt, sondern für jeden, der sich mit der I
brennenden Frage, wie die moderne Kultur das
Umsichgreifen dieser verderblichsten aller Volks¬
seuchen zu bekämpfen hat, beschäftigt, von er-
spriesslichstem Werthe uud als erstes er¬
schöpfendes sozial - hygienisches Werk über die
Tuberkulose von hervorragender Bedeutung.
Der Standpunkt der Verfasser hinsichtlich
des Zustandekommens tuberkulöser Infektion und
Erkrankung ist der der überwältigenden Mehr¬
zahl der Praktiker: Die Tuberkulose wird durch
*) Besprochen in Heft 4. Bd. f> dieser Zeit- j
schrift. D. Ref.
| den von Robert Koch'entdeckten Tuberkelbacil-
lus verursacht; dieser bedarf indess zu seiner An¬
siedelung im menschlichen Körper einer gewissen
Disposition ^(Anlage, Empfänglichkeit). Diese
fundamentale Anschauunglist der rothe Faden,
der steh durch die gesammte wissenschaftliche
Bearbeitung des vorliegenden Themas hindurch¬
zieht und das weitschichtige und umfassonde
Material anordnet So werden im Abschnitt A
I zunächst die allgemeinen Lebensbedingungen und
| Lebensgewohnheiten in ihren Beziehungen zur
| Disposition und zur Uebertragung des Krankheits-
j erregers einer Betrachtung unterzogen. Dabei
! galt als Richtschnur die Anschauung, dass der
Tuberkelbacillus nicht überall vorhanden, sondern
dass seine leider so reichlich fliessende Quelle
immer wieder beim unreinlichen Schwindsüchtigen
zu suchen ist, welcher rücksichts- und gewissenlos
seinen giftigen Auswurf in seiner Umgebung
verstreut. Auch ist mit vollem Recht bei der
Erwägung der Uebertragungsgefahren die Auf¬
fassung abgelehnt worden, als ob die Empfäng¬
lichkeit für den Tuberkelbacillus praktisch soweit
ginge, dass durch zufälliges vereinzeltes Ein-
athmen verstäubter oder in Speicheltröpfchen ver¬
sprühter Tuberkelbacillen die Krankheit ausgelöst
zu werden pflege. Vielmehr wird dem Tuberkel¬
bacillus je nach dem Grad der vorhandenen
Disposition früher oder später die Ansiedelung
dadurch ermöglicht, dass gesunde Menschen mit
den ebengenannten Infektionsträgern in
geschlossenen Räumen ständig Zu¬
sammenleben und fortgesetzt Krank¬
heitserreger, die von jenen in Wohnungen,
Werkstätten u. s. w. der gemeinsamen
Athmungsluft beigemischt werden, in
sich aufnehmen. Damit ist der übertriebenen
Bacillophobie, der ängstlichen Scheu vor jedem
Schwindsuchtskranken ein Riegel vorgeschoben,
zugleich aber durch richtige Belehrung von dem
Wesen der Krankheit die Vorbedingung für eine
wahrhafte Volksaufklärung erfüllt. — Eheschlies¬
sung und Familienleben,Wohnung und Ernährung,
Kleidung und Hautpflege, das Kindesalter in
seinen verschiedenen Stadien, das gesammte
Erwerbsleben, das Verkehrswesen, der Militär¬
dienst werden in diesem Abschnitt einer ein¬
gehenden Erörterung in ihren Beziehungen zur
Verhütung der Tuberkulose bei Gesunden unter¬
zogen und durch die den einzelnen Kapiteln bei¬
gefügten kurzen Schlusssätze knapp und scharf
präzisiert.
ImAbschnittB »Fürsorge für die an Tuber¬
kulose Erkrankten« wird an erster Stelle die Er¬
mittlung, an zweiter die Unterbringung der
Kranken besprochen. Die Anzeigepflicht, die
Mitwirkung der Aerzte bei der Krankenermittlung
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Referate über Bücher und Aufsfitze.
542
werden in ihrer wesentlichen Bedeutung und Durch¬
führung geschildert und in den weiteren Kapiteln
der Differenzierungsprozess verfolgt, der sich auf
dem Gebiete der Krankenfürsorge unter dem
Einfluss der Bestrebungen des letzten Jahrzehnts
vollzieht resp. bereits vollzogen hat. Dies be¬
zieht sich auf Krankenhäuser, Genesungshäuser,
Erholungsstätten, die Spezialheilanstalten und
ländlichen Kolonien für Lungenkranke, die Pflege-
Stätten für vorgeschrittene Tuberkulose.
Abschnitt C, D und E zeigen den Stand
der Tuberkulosebekämpfung in Deutschland und
im Ausland bezw. die internationalen Bestrebungen
zur Bekämpfung der Tuberkulose ; ein sehr um¬
fangreicher Anhang giebt eine überaus wichtige
Zusammenstellung der wichtigsten gesetzlichen
und behördlichen Bestimmungen, soweit sie mit
der Prophylaxe und Bekämpfung der Tuberkulose
Zusammenhängen.
So bringt das von autoritativster Seite ver¬
fasste Werk, — denn beide Autoren gehören seit
Jahren zu den wissenschaftlichen Vorkämpfern
der Tuberkulosebewegung, — dem Arzte wie dem
Hygieniker, ja selbst auch dem Verwaltungs-
beamten, Politiker etc. ein unschätzbares Material,
dessen vorzügliche Sichtung und Bearbeitung
das Studium dieser Frage zu einem ebenso an¬
regenden wie nutzbringenden macht
J. Marcuse (Mannheim).
Jftrgensen, Lehrbuch der speziellen Patho¬
logie nnd Therapie, mit besonderer Berück¬
sichtigung der Therapie« Für Studierende
und Aerzte. Leipzig 1902. Veit & Co.
Als Jürgensen vor fast 15 Jahren es
unternahm, in einem einheitlichen Werke selbst¬
ständig das gesamintc grosse Gebiet der speziellen
Pathologie und Therapie zu bearbeiten, war diese
Aufgabe keine zu schwere; denn es hatte die
Medicin noch nicht die ungeheueren Fortschritte
gemacht, welche sie während der letzten zwei
Jahrzehnte erfahren hat. Wenn der Autor aber |
jetzt abermals dieses gewaltige Gebiet allein, j
ohne die Hilfe von Mitarbeitern, monographisch 1
behandelt, so legt dies ein Zeugniss von seinem !
bewundernswerthen Fleissc und seiner Gründ- j
lichkeit ab. In unserer Zeit, in welcher die Ge¬
pflogenheit immer mehr und mehr sich ausbildet,
sich für ein nur kleines Gebiet zu spezialisieren,
ist eine unbedingte Gefahr dafür vorhanden, dass
in diesen Fächern eine gewisssc Einseitigkeit
allmählich entsteht. Der klinische Lehrer der i
Jugend — darin stimmen wir Jürgensen bei
— und der Autor, welcher ein Buch für praktische
Aerzte schreibt, müssen über diesem Spezialisten¬
thum stehen. Ein Werk der speziellen Phathologie
und Therapie kann aber nur dann aus einem Gusse
entstehen, wenn ein Einziger mit umfassendem
kritischen Blick das gesammte Gebiet bearbeitet
und in rieh tiger W eise ab wägt, was für den Studenten
und praktischen Arzt wissenswerth, was über¬
flüssig erscheint. Nach dieser Richtung hin muss
das vorliegende Werk von Jürgensen als ein
hervorragendes bezeichnet werden. Nicht an allen
Stellen ist es vielleicht den neuesten Forschungs¬
ergebnissen gerecht geworden; aber dies sind
kleine Mängel, welche den Werth des Werkes
nicht herabsetzen können, und welche namentlich
für die Leser, für die das Buch bestimmt ist,
überhaupt nicht in Betracht kommen. Es sei
daher Studenten und Aerzten angelegentlichst
empfohlen. Paul Jacob (Berlin).
A. Eppler, Haushaltungsknnde. Ein Lehr¬
buch für Frauen und Mädchen, besonders zum
Unterricht an höheren Mädchenschulen, Haus-
haltungspensionaten und Fortbildungsschulen.
Wolfenbüttel 1902.
Der Verfasser ist wissenschaftlicher Lehrer
an der höheren Mädchenschule in Detmold und
hält auf Veranlassung seines Direktors Lange
sowohl in der Mädchenschule als auch in Fort¬
bildungskursen für Damen Vorträge über Haus-
lnltungskunde, deren Inhalt er in vorliegendem
Buche niedergelegt hat. Das kleine Werk ver¬
dient Beachtung, und es ist zu wünschen, dass es
in weiteren Kreisen Aufnahme findet. In äusserst
lebendiger Sprache mit klaren, schematischen
Zeichnungen bietet der Verfasser eine populäre
Hygiene, der sich eine kurze Darstellung der
Hilfeleistung bei plötzlichen Erkrankungen und
Unglücksfällen und der Krankenpflege anschliesst
Auch Zeitfragen, wie die des Alkoholismus und
Vegetarismus zieht er in die Besprechung und
behandelt sie leicht verständlich mit Geschick.
Energisch macht er gegen das Kurfuscherthum
Front.
Den breitesten Raum des Buches nimmt die
Nah rungsmittel künde ein. Hier geht der Ver¬
fasser vielleicht über den Rahmen des Buches
hinaus. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkte
aus verlangt er eine grössere Verwendung der
Hülsenfrüchte und sieht in der Fettbohne (Soja
hispida) das zukünftige Ideal der Volksnahrung.
»Vor ca. 25 Jahren hat Professor Haber¬
land in Wien, begeistert durch den ausser¬
ordentlich hohen Gehalt an Stickstoffsubstanz
und Fett, versucht, die Fettbohne bei uns ein¬
zuführen , doch hatte er nicht die richtigen
Varietäten, hatte wenig Kenntnisse in Bezug auf
die Verwerthung und starb zu früh, so dass sein
mit grossem Eifer begonnenes Werk unvollendet
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Referate über Bücher und Aufsätze.
blieb, auch wusste man damals noch nichts von
den Bakterienarten, mit denen die Hülsenfrüchtc
zusammen leben. Seit einigen Jahren hat der
Verfasser dieses Buches die Arbeiten Haber¬
land’s wieder aufgenommen und ganz in der
Stille Versuche angestellt; er besitzt jetzt mehrere
Sorten, die selbst in Norddeutschland sehr gut
gedeihen, er hat den zur Fettbohne zugehörigen
Bacillus seinen Kulturen eingeirapft und vor
allem eine Reihe Koch versuche angestellt, die zu
den günstigsten Ergebnissen geführt haben. Wenn
auch unter den Stickstoffsubstanzen der Fett-
bohnc noch etwas mehr unverdauliches Eiweiss
ist als bei den Bohnen, so bleibt doch noch so
viel, um alle anderen Hülsenfrüchte weit zu über¬
treffen. Der hohe Fettgehalt macht sic geeignet,
unseren arbeitenden Klassen neben einer eiweiss¬
reichen Nahrung das so theure Fett in reichem
Maasse zu liefern, und deshalb ist es schon der
Mühe werth, alles zu versuchen, um dieser
Leguminose Eingang bei uns zu verschaffen. Sie
muss im Verein mit anderen Hülsenfrüchten ver¬
suchen, von der Kartoffel das Feld zurück-
zuerobem, das man dieser Pflanze zum grossen
Schaden der ganzen Volksemährung so bereitwillig
eingeräumt hat; vielleicht ist die Fettbohne dazu
bestimmt, zu diesem Kampfe Hilfstruppen zu
zu werben.«
Verfasser fordert dann zur Mitarbeit an dieser
Frage auf. Nach der von Eppler gegebenen
Tabelle hat die Fettbohne 341 / 4 % Eiweiss (die
Linse 26%), 17%% Fett (die Linse und die
Gartenbohne 2%), Kohlehydrate 28 1 /2°/o* Ref-
ist weniger optimistisch als der Verfasser. Ein¬
mal gehört, wenigstens in Norddeutschland, bei
der arbeitenden Bevölkerung zur Kartoffel der
billige Hering, der neben dem Fett auch noch
eine Menge gut verdaulichen Eiweisses enthält.
Dann kommt der bald eintretende Wider¬
wille gegen fortgesetzte Leguminosennahrung in
Betracht, was sich von der Kartoffel nicht sagen
lässt, wie der Verfasser auch selbst angiebt.
Immerhin sind die Versuche des Verfassers ihm
hoch anzurechnen und ist ihm aller Erfolg zu
wünschen, wenn auch der von ihm erhoffte kaum
eintreten wird. Alfred Martin (Zürich).
Zibell, Warum wirkt Gelatine hftmostatisch t
Aus dem pharmakologischen Institut in Greifs¬
wald. Münchener medicinische Wochenschrift
No. 42.
Nach einer kurzen Uebcrsicht über die In¬
dikationen für die Anwendung der Gelatine als
Hämostatikum und nach Angabe der Methode zur
subkutanen Injektion des Mittels, die besonders
von französischer Seite ausgebildet wurde, geht
543
Verfasser zu seinem engeren Thema über. Er
führt aus, wie sich verschiedene Anschauungen
über die Wirkungsweise der Gelatine entgegen¬
stehen. Zunächst die von Lanceraux, welcher
annimmt, die Gelatine gehe in gelöster Form in
den Blutstrom über und könne nun hier zu
Koagulationen führen. Allerdings trete dies
letztere nur an solchen Stellen der Intima ein,
die pathologisch verändert seien, während eine
Thrombenbildung an gesunden Stellen der Gefäss-
wand ausgeschlossen sei. — Im Gegensatz hierzu
glaubt Labor de, die Gelatine nur suspendiert
annehmen zu dürfen und fürchtet demzufolge die
koagulierende Wirkung dieses »Fremdkörpers«
auch an unerwünschten Stellen. — Während diese
Theorieen nicht darauf eingehen, was der eigent¬
lich wirksame Bestandtheil in der Gelatine sei,
meinen Cannis und Gley, ihn in den Säuren
der Gelatine gefunden zu haben. Nach ihren
Versuchen soll Gelatine unwirksam werden, wenn
deren Acidität durch Alkali abgestumpft wird,
und andrerseits durch Säurezusatz zunehmen.
Zibell stellt nun die Theorie auf, in der
Gelatine wirksam wären die anorganischen Salze,
besonders der Kalk, und begründet seine An¬
schauung mit Versuchen einiger Forscher, wie
Hammarsten u.a., die gefunden haben, dass
zwischen Blutgerinnung und Kalk ein enger Zu¬
sammenhang besteht. Zum Beweise für seine
Annahme nimmt Zibell ausgedehnte Analysen
verschiedener Gelatinearten auf ihren Kalkgehalt
hin vor (die Methode wird genau angegeben)
und findet im Durchschnitt 0,6 °/ 0 . Dass eine
so geringe Menge Kalk wirksam sei, glaubt Ver¬
fasser einmal durch die leicht resorbierbarc Form
des gelösten Stoffes erklären zu können, dann
aber führt er Tabellen an, die darthun, dass die
wegen ihres Kalkgehaltes therapeutisch benutzten
Quellen auch keine wesentlich anderen Werthe
aufweisen Aus allen diesen Gründen glaubt
Zibell annehmen zu dürfen, dass die hämosta-
tische Wirksamkeit der Gelatine hauptsächlich
auf ihrem Kalkgehalt beruht.
Ernst Lichtenstein (Berlin).
Heinrich Haläsz, lieber den Werth einiger
neuerer Heilverfahren in der Ohrenheil¬
kunde (Pneuniomassage, Hydropnenmo-
massage, Lucae’sche pneumalische Sonde).
Centralblatt für die gesammte Therapie 1901.
Heft 8 und 9.
In der Ohrenheilkunde machte als erster
Cleland Are hi bald im Jahre 1741 Versuche
mit der Mechanotherapie, indem er die Tuba
Eustachii katheterfeierte und so massierte. Lucae
konstruierte die Drucksonde, um das fixierte Ge-
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Referate über Bücher und Aufsätze.
544
lenk der Gehörknöchelchen in Bewegung setzen
zu können. Die vollkommenste Vorrichtung ist
die mittels eines Elektromotors in Betrieb gesetzte
Breitung’schc Luftpumpe. DiePneumomassage
besteht darin, dass man die im Gehörgange be¬
findliche Luftsäule in schneller Aufeinanderfolge
in Bewegung setzt, welche Luftbewegung ihre
Stösse dem Trommelfell und dieses den Gehör¬
knöchelchen mittheilt. Durch diesen Vorgang
wird das krankhaft fixierte Gelenk der Gehör¬
knöchelchen in Bewegung gebracht, beginnt zu
fungieren, erlangt die Fähigkeit, die Stösse der
Schallwellen an die Stapesplatte weiter zu geben;
und diese, wenn nicht knöchern fixiert, befördert
sie an den Nervenendapparat mit Hilfe der im
Labyrinth befindlichen Flüssigkeit. Andererseits
lässt sie dem krankhaft blutlosen, eventuell ver¬
dickten Trommelfelle reichlicher Blut zukommen
und dient also zur Verbesserung und Beförderung
der Ernährung. Sic lockert die an die Wand
der Trommelhöhle angewachsenen Adhäsions¬
bündel des Trommelfelles, und indem sie in der
rigid-atrophischen Schleimhaut eine stärkere Blut-
fluxion hervorbringt, wird der ganze schallleitcnde
Apparat behufs Aufnahme und Leitung des
Schalles brauchbarer. Die Krankheitsformen, bei
denen die Pneumomassage angewandt wurde,
sind im allgemeinen jene, die mit Schwerhörig¬
keit und Ohrgeräuschen einhergehen: Myringitis
chronica sicca, Sklerosis, Catarrhus cavi tympani
chronicus und die Residuen des akuten Mittel-
ohrkatarrhs. Der Zweck der Pneumomassage ist,
dass bei jedem einzelnen Bestandteile des schall¬
leitenden J Apparates die Schwingungsfahigkeit
durch schnell aufeinander folgende Vibrationen
hergestellt werde. Die Vibrationsfähigkeit des
Trommelfelles ist nur zu erreichen, wenn die
Produkte des chronischen Katarrhs, welche die
Schwingungsfähigkeit des Trommelfelles nach¬
teilig beeinflussen, vorher mittels entsprechender
medicincller Behandlung zur Absorbierung ge¬
bracht werden, z. B. durch Acid. socojodol. 0,5;
Alcohol. absolut. 2,0; Ol. ricini 20,0. Breitung
lässt die Pumpe so lange fungieren, bis längs
des Hammergriffes keine bestimmte Injektion
auftritt, St etter massiert durchschnittlich eine
Minute lang. Um die Wirkung der Ohrmassage
zu erhöhen und von der Auffassung ausgehend,
dass wir auf den schallleitenden Apparat inten¬
siver einwirken können, wenn wir zwischen das
Trommelfell und den Luftleitungsschlauch ein
nicht zusammendrückbares Medium setzen, be¬
nutzte Lucae als solches am wenigsten unan¬
genehmes einfachstes Medium das Wasser. Durch
die bei seinen Versuchen gewonnenen Kurven
lässt sich nachweisen, dass die Schwingungen
des Trommelfelles während der Hydropneuino-
massage stärker sind als während der Pneumo-
massage. Objektiv ist eine Auflockerung des
äusseren Gehörganges und des Trommelfelles
wahrnehmbar. Die Massage kann 1—3, in seltenen
Fällen 4—5 Minuten lang dauern. Der Verfasser
empfiehlt die Massage aufs wärmste und spricht
die Ueberzeugung aus, dass frühzeitige oder
noch nicht lange bestehende Schwerhörigkeit
geheilt werden kann und, wenn die Erfolge zur
allgemeinen Kenntniss gelangen, die Kranken
auch frühzeitiger den Arzt aufsuchen, so dass
es gelingen wird, die das Bewusstsein der Mensch¬
heit so sehr niederdrückende Taubheit zu sanieren,
eventuell zu lindem.
Forchbeimer (Wüxzburg).
Yierteljahrsschrift für öffentliche Gesund¬
heitspflege. Bd. 3. Supplement. Heraus¬
gegeben von Geheimrath Dr. A. Pfeiffer
Braunschweig. Verlag Vieweg & Sohn.
Der vorliegende Band, welcher als Jahres¬
bericht über die Fortschritte und Leistungen auf
dem Gebiete der Hygiene erscheint, wird auch
diesmal von allen Interessenten freudig auf¬
genommen werden; denn infolge der Gründlich¬
keit, mit welcher alle einschlägigen Fragen der
Hygiene auf Grund der Jahreslitteratur von den
einzelnen Referenten behandelt werden, ist^das
Werk auf dem Gebiete der Hygiene eine werth-
volle Fundgrube. Paul Jacob (Berlin).
Festschrift zur 74. Versammlung dentsoher
Naturforscher und Aerzte. Gewidmet von
der Stadt Karlsbad.
In einem Prachtwerke von über 800 Seiten
hat die Stadt Karlsbad den deutschen Natur¬
forschern und Acrzten einen Willkommensgruss
zugerufen. In geradezu glänzender textlicher wie
illustrativer Ausstattung wird in diesem dick¬
leibigen Buche von den berufensten Federn
Karlsbad in seiner historischen, balneologischeu
und allgemein sozialen Entwicklung geschildert,
und ein überaus farbenreiches Bild von der
gegenwärtigen Bedeutung dieses Weltkurortes
entworfen. Es ist nicht blos ein Vergnügen,
das vornehm ausgestattete Werk zu durch-
blättern, das mit seinen künstlerischen Beigaben
immer von neuem fesselt, sondern es bringt vor
allem auch in wissenschaftlicher Hinsicht so
reiche Ausbeute, dass es als eine balneologische
Monographie werthvollster Art betrachtet werden
kann. J. Marcuse (Mannheim).
Berlin, Druck von W. Büxensteiu.
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Original frorri
UNIVERSETY OF MICHIGAN
ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 10 (Januar).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t, Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Prof. Dr. P. Jacob.
Verlag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten, Seite
I. Ein Rückblick auf das erste Lustrum der Zeitschrift für diätetische und physikalische
Therapie. Von Dr. Julian Marcuse in Mannheim.Ö47
II. Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. Von Dr. Felix Block in Hannover 561
III. Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer neuen Gährungs-
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger Methode
hergestellte (Salus-)Fabrikat im besonderen. Von Dr. Wilhelm Bauermeister,
Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig . . . 504
IV. Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbehandlung. Aus der Königlichen medicinischen
Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P. (Direktor: Professor Dr. Schreiber.) Von
Dr. E. Rautenberg, Assistenzarzt. Mit 3 Abbildungen. (Schluss.).671
n. Kritische Umschau.
Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Eraährungsphysiologie. Von Dr. Leonor
Michaelis, Assistent an der 1. medicinischen Klinik in Berlin.577
III. Kleinere Mittheilungren.
Seekrankheit und Tiefathmen. Eine Selbstbeobachtung von Dr. F. Paravicini, Albisbrunn 686
IV. Berichte über Kongresse und Vereine.
Sitzung der Hufeland’schen Gesellschaft am 11. Dezember 1902 . 587
V. Referate über Bücher und Aufsfitze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Grub er, Einige Bemerkungen über Ei weissstoff Wechsel .588
Prausnitz, Ueber das Verhalten von Fleisch und Fleiscbpräparaten im menschlichen Organismus 588
Moritz, Studien über die motorische Thädgkeit des Magens.589
Starke, Ueber den Einfluss des Milieus, insbesondere der anorganischen Substanzen, auf
Eigenschaften von Eiweisskörpem.589
Rjansom, F. R. C. P., Should milk be boiled?.589
Kalmar und Bagarus, Versuche über die Heilung der Epilepsie nach T oulose und Richet 590
Hartogh und Schümm, Zur Frage der Zuckcrbildung aus Fett.590
Zeilschr. t diät. u. physik. Thorapie Bd. VI. Heft 10 3g
Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
546
Inhalt.
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
Seit«
Cautru, Influence du massage abdominal dans le traitement de la diarrh£e chronique . . 591
Co rnelius, Druckpunkte, ihre Entstehung, Bedeutung bei Neuralgieen, Nervosität, Neurasthenie,
Hysterie, Epilepsie und Geisteskrankheiten sowie ihre Behandlung durch Nervenmassge 591
Lazarus, Die Bahnungstherapic der Hemiplegie.592
Edson, Ueber die Wichtigkeit der Ruhe für Tuberkulöse.592
v. Mikulicz undTomasczewski, Orthopädische Gymnastik gegen Rückgrats verkrümm ungen 592
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Parts ch, Seekrankheit und was dagegen zu thun.593
Munter, Die Hydrotherapie der Lungentuberkulose.593
Salvant, Kaltwasserbehandlung des febrilen Delirium tremens.593
Winternitz, Ueber die Wirkung verschiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder, Kohlensäure¬
bäder u. s. w.) insbesondere auf den Gas Wechsel .594
D. Elektro- nnd Röntgentherapie.
S wales, Two cases of lupus vulgaris succesfully treated with urea pura and the x rays. . 594
Sjögren et Sederholm, Valeur thGrapeutique des rayons de Röntgen dans les dermatoses 595
Beck, The pathological and therapeutie aspects of the effects of the Röntgen rays . . 595
Laquerriöre, De Timpuissance sexuelle et de son traitement ölectrique.595
Cohn, Leitfaden der Elcktrodiagnostik und Elektrotherapie für Praktiker und Studierende . 596
Lancashire, The therapeutie employment of x rays.597
Walsham, On the ultra - violet light from a rapid oscillation high tension arc, for the
treatement of skin diseases.597
Morris und Dove, Further remarks on Finsen light and x ray treatement in lupus and
rodent ulcer...597
E. Verschiedenes.
Larger, Faits nouveaux relatifs ä Taction de l’höreditö et de la dögßnörescence en obstetrique 597
Bonne, Ueber die Suggestionsbehandlung in der täglichen Praxis.598
Raymond, Hysterie und Delirien. Gefahren des Hypnotisierens durch Laien.598
Hamburger, Osmotischer Druck und Jonenlehre in den medicinischen Wissenschaften . . 598
Zikel, Lehrbuch der klinischen Osmologie als funktionelle Pathologie und Therapie . . . 598
Stern, Some observations on the relation of the alkalescence of the blood to the urinary reaction 599
Riegl er (Jassy), Eine einfache gasvolumetrische Bestimmungsmethode der Chloride und
Phosphate im Harne.599
Lepine, Sur Texistence de leucomaines diabötogönes.600
Lüthje, Ueber die Wirkung von Salicylpräparaten auf die Hamwege, nebst einigen Be¬
merkungen über die Genese der Cylinder und Cylindroide.600
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Original - Arbeiten.
I.
Ein Rückblick auf das erste Lustrum
der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
Von
Dr. Julian Marcuse
in Mannheim.
Fünf Jahre sind verflossen, seitdem die physikalischen Heilmethoden eine Heim¬
stätte in der medicinischen Wissenschaft gefunden, seitdem v. Leyden, als erster
der deutschen Kliniker, in Gemeinschaft mit Goldscheider und Jacob, durch Be¬
gründung der »Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie« die
Basis geschaffen, von der aus ihre wissenschaftliche Weiterentwicklung und Förderung
angebahnt werden konnte. An der Neige dieses Quinquenniums, als des ersten Zeit¬
abschnittes des Werdeganges der physikalischen Therapie, drängt sich mit Macht der
Blick zu den verflossenen Jahren zurück, und sucht an Gegenwart und Vergangenheit
die Fortschritte der Entwickelung zu messen.
Aus der rohen Empirie heraus, die mitten im pharmakotherapeutischen Sieges¬
zuge ihre Triumphe feierte und der wissenschaftlichen Bewegung eine Volksbewegung
entgegenstellte, wurden die physikalischen Heilmethoden geboren, brandend schlug
die Welle überschäumenden Fanatismus an die festgefügten, aber altersgrauen Mauern
des wissenschaftlichen Gebäudes. In der Medicin, die in sich einen Doppelbegriff
involviert, den des Wissens und den der Kunst, durfte ein solch ungestümer Appell
nicht verhallen, und wäre es auch nur zu dem Zwecke gewesen, um falsche Vor¬
spiegelungen ihres blendenden Scheines zu entkleiden, um übertriebene Voraus¬
setzungen einzudämmen und sie auf eine reale Basis zurückzuführen. Je mannig¬
faltiger diese Begleiterscheinungen einer unklaren Reaktion gegen die souveräne
Pharmakotherapie auch waren, je leidenschaftlicher dieser Ansturm, oft von den
zweifelhaftesten Elementen geführt, unternommen wurde, desto dichter hüllte sich
die Wissenschaft in die Toga ihrer geläuterten Erkenntniss und war und blieb un¬
nahbar. Und so geschah es, dass, anstatt dieser übermässigen Ausbreitung einer
Lehre, welche in ihrem Kerne so vieles Gute und Richtige enthielt, freiwillig ent¬
gegenzutreten und durch eine wissenschaftliche Begrenzung ihren frechen Heraus¬
forderungen wie übertriebenen Lobpreisungen ein Ende zu bereiten, man unbekümmert
den Laien die Sache überliess, bis endlich die öffentliche Meinung mit ihrer immer
siegreichen Stimme die Aerzte zur Betrachtung und Entscheidung zwang. Dies war
der Moment, wo v. Leyden seine gewichtige Autorität in die Wagschale warf, und
durch Begründung eines Organes für physikalische Therapie diesen Disciplinen das
Bürgerrecht in Klinik und Therapie verlieh. Unter seiner Aegide und seiner kraft¬
vollen Unterstützung wurden die physikalischen Behandlungsmethoden von der Wissen-
38*
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MICHIGAN
548 Julian Marcuse
Schaft in die Hand genommen, gelenkt und gefördert, um in das Arbeitsfeld and den
Lehrplan der Kliniken aufgenommen und damit zum Allgemeingut der Aerzte zu
werden. Diesen letzteren ein auf eigene Anschauung beruhendes Wissen, ein sicheres
Urtheil in der Anwendung zu verschaffen, der Wissenschaft eine objektive, anf
Forschung und geprüfter Erfahrung beruhende Erkenntniss zu bringen, war eine der
wesentlichsten Aufgaben, die sich die neue Zeitschrift stellte, als Pionier eines neuen
Zweckes sollte sie voranschreiten. Die Freude, mit der ihr Erscheinen begrüsst
wurde, die Freunde, welche sie sich im Laufe der fünf Jahre ihres Bestehens
erworben, sind das markanteste Zeichen für die Nothwendigkeit ihrer Geburt ge¬
wesen.
Aber nur als Mittel zu höheren Zwecken war sie gedacht und schwebte sie
ihren Begründern vor: Eine Zeitschrift kann wohl Anhänger der Sache sammeln,
kann Ideen propagieren, aber weiter reicht ihre Tragweite nicht. Und so musste
der entscheidende Schritt der Einfügung der physikalischen Therapie in den Lehr¬
plan der Kliniken vom Staate aus erfolgen, und er geschah erstmalig durch Kreirung
eines hydrotherapeutischen Institutes an der Universität Berlin. Ausser Berlin be¬
sitzen München, Leipzig, Heidelberg, Bonn, und in jüngster Zeit meines Wissens nach
auch Breslau und Halle an die medicinische Klinik angegliederte hydrotherapeutische
Institute, den übrigen Lehranstalten fehlt bislang jede derartige Einrichtung; dürftige
und von Dozenten wie Studenten nur als nebensächlich angesehene Lehraufträge
bilden das einzige Requisit des Unterrichts in den physikalischen Behandlungs¬
methoden. Zu einem Allgemeingut der Aerzte sind diese Disciplinen nach wie vor
nicht geworden, trotzdem sie scheinbar das Bürgerrecht in den Kliniken sich erkämpft
haben. Woran liegt dies, welche Mittel zur Abhilfe sind einzuschlagen? Unbestreit¬
bar lastet das alte Odium der Ueberschätzung und Unwissenschaftlichkeit des Wassers
als Heilmittel — und die Hydrotherapie bildet ja den Kern der physikalischen
Therapie, um den sich alle anderen Disciplinen dieser Gattung erst gruppieren —
noch immer auf demselben; und so einwandfreie physiologische Thatsachen auch
vorliegen, die subjektive Antipathie, genährt durch Jahrtausende nicht minder wie
durch die Gegenwart mit dem frechen Vordringen halbgebildeter Laienärzte, ist in
diesem Falle stärker als die wissenschaftliche Forschung; denn jenes Gefühl hindert
die Erkenntniss, Erfahrung zu sammeln, Beobachtungen anzustellen, die Technik zu
erlernen, kurzum der Frage eingehende Aufmerksamkeit zu schenken.
Ein zweiter Beweggrund, der in der Natur der Sache selbst liegt, ist die an¬
scheinend mühselige Vornahme hydrotherapeutischer Prozeduren gegenüber der Ordi¬
nation medikamentöser Stoffe. Es ist im Erziehungsgange des Mediciners wie in
der gesammten Organisation der Klinik alles so eingedrillt auf die Rezeptur
— äusserlich wie innerlich —, dass es thatsächlich eine gewaltsame Veränderung
bestehender und gleichsam liebgewordener Verhältnisse bedeutet, will man an Stelle
des Althergebrachten neue Formen therapeutischer Hilfsmittel anwenden. In der
Thätigkeit des praktischen Arztes spiegeln sich die gleichen Gesichtspunkte der Ab¬
lehnung des Wasserheilverfahrens, nur etwas nüchterner, wieder. Nächst der mangel¬
haften Kenntniss der Wirkung und Anwendung ist es die Unbequemlichkeit der
Ordination und Ausführung, die der allgemeinen Anwendung im Wege stehen. Man
macht wohl hier und da Konzessionen, aber im allgemeinen bleibt das Schema das
gleiche I In erster und vornehmster Reihe die Pharmakotherapie, in zweiter Reihe
als eventuelles Adjuvans das Wasser. Und in Wirklichkeit sollte es für jeden Arzt
als minister naturae die absolute Pflicht sein, als wesentlichste Aufgabe der Therapie
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549
Ein Rückblick auf das erste Lustrum etc.
die Steigerung der natürlichen Schutzkräfte des Organismus zu betrachten, das heisst
mit anderen Worten die physikalischen Heilmethoden anzuwenden, und erst dann,
wenn diese nicht zum Ziele führen sollten, auf pharmakodynamische Mittel zu
rekurrieren. Um dies zu erreichen, um die vor fünf Jahren in so zukunftsreiche
Bahnen gelenkten Schritte zum Ziele zu führen, bedarf es der prinzipiellen Ein¬
reihung der Hydrotherapie und ihrer verwandten Fächer in die Organisation des
medicinischen Unterrichtes. Man hat in der Geschichte dieses immer die Erfahrung
gemacht, dass die offizielle Aufnahme eines Faches in die Prüfungsgegenstände, der
Nachweis des Besuches dieser Vorlesungen von wesentlichstem Einfluss auf die Ent¬
wicklung des Faches selbst gewesen ist. Denn einmal setzt diese Aufnahme eigene Lehr¬
kräfte und eigene Institute voraus, die allein die Basis für eine vertiefte und methodische
Forschung abgeben, und weiterhin zwingt sie die Lernenden sich mit dem Gegen¬
stand als einem der Hauptfächer zu beschäftigen. Die medicinische Prüfungsordnung
hat im Laufe des letzten Jahrzehnts eine bedeutende Zunahme erfahren, die durch
die Ausbildung früher mehr als enfants gät6s angesehener Fächer zu erklären ist.
Nichtsdestoweniger ist im Interesse der fundamentalen Bedeutung der physikalischen
Methoden für die Therapie wie für die ganze soziale Stellung des Arztes die weitere
Ausdehnung derselben in diesem Sinne zu verlangen. In dem Zeitalter der Hygiene,
deren leitende Gedanken unsere ganze wissenschaftliche Forschung, unser wissen¬
schaftliches Streben durchsetzen, ist eine hygienische Therapie, wie sie die physika¬
lischen Methoden darstellen, als souveräne anzusehen und eine gebieterische Pflicht,
ihr diese Stellung einzuräumen. Dieses Postulat kann nur erfüllt werden durch Kreirung
eigener Professuren und eigener Institute, sowie durch einen in Konsequenz hieraus
erfolgenden obligatorischen Unterricht, über dessen Resultate die Staatsprüfung Auf¬
schluss zu geben hat. Und weiterhin ist zu verlangen, dass an allen grösseren
Krankenhäusern hydrotherapeutische Abtheilungen unter der Leitung geschulter Aerzte
errichtet werden, die in zweifacher Hinsicht zu wirken geeignet sind, einmal in rein
therapeutischer und ferner in Hinsicht auf die Popularisierung des Wasserheilverfahrens
unter den Aerzten selbst. Gerade die Krankenhäuser der mittleren und grossen
Städte sind mit den am gleichen Orte ansässigen Aerzten meist viel enger verbunden
wie die mehr oder minder entfernten Universitäten, und üben mittelbar einen weit¬
gehenden Einfluss aus. Für die Erziehung der Aerzte in der Hydrotherapie ist
somit die Einfügung derselben in die bestehenden Krankenhäuser unumgänglich
nothwendig.
Im Novemberheft dieser Zeitschrift hat Professor Moritz die Linien vor¬
gezeichnet, die für einen erspriesslichen Unterricht in der Diätetik verlangt werden
müssen, jener Lehre, die heute in der Therapie eine geradezu klassische Bedeutung
erlangt hat, und er hat mit vollem Recht gefordert, dass dem Unterricht in der
Diätetik nicht geringere Sorgfalt zugewendet werde, als dem Unterricht in der
Arzneimittellehre. Voll und ganz sind seine Argumente zu acceptieren, und sie
sind weiter auf die physikalischen Behandlungsmethoden im allgemeinen auszudehnen,
zu denen die Diätetik ja als ein wesentliches Glied gehört, um so mehr, als das
letztvergangene Jahr uns in dem Handbuch der physikalischen Therapie zum ersten
Mal im Entwicklungsgänge der medicinischen Wissenschaft eine geradezu klassische
Darstellung dieser Disciplin auf breitester wissenschaftlicher Grundlage gebracht
und damit den gesicherten Boden für Lehr- und Lerngang geschaffen hat.
Die physikalische Therapie hat auf eine wechselvolle Geschichte zurückzublicken.
Bald stieg sie, wie ein Meteor, alles mit sich ziehend, am Firmament empor, bald
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550 Julian Marcuse, Gin Rückblick auf das erste Lustrum etc.
wieder blühte sie wie ein Veilchen im Verborgenen, von wenigen nur gesehen und
erkannt. Psychologisch leicht erklärbare Umstände raubten ihr zu alten wie in
neueren Zeiten Gunst und Werthschätzung der Wissenschaft, sie verblieb in den
Händen von Laien und Afterärzten, und wurde zur Panacee. Die Gegenwart hat
dank dem unermüdlichen Streben der Winternitz’schen und v. Leyden’schen
Schule den physikalischen Behandlungsmethoden die wissenschaftliche Stellung, die
ihnen gebührt, geschaffen, sie hat ihre Wirkung nach den Gesetzen der Physiologie,
ihre Benennung nach den Normen der Pathologie und Therapie erklärt, ihre Stellung
und ihren Werth unter den übrigen Heilmitteln fixiert, Dosis, Form und Anwendungs¬
weise wissenschaftlich bestimmt.
Im Wasser speziell haben wir das eigenthümliche Phänomen, dass ein und das¬
selbe Mittel als Diätetikum und Therapeutikum gebraucht und mit dem vorzüglichsten
Erfolge in beiden Fällen angewandt werden kann; in dieser Beziehung steht das
kalte Wasser einzig da. Es ist also nicht blos ein Heilmittel in Krankheitsfällen,
sondern auch das hervorragendste Schutzmittel für die Pflege der Gesundheit. Beide
Attribute verlangen gebieterisch die regste Aufmerksamkeit der Aerzte. Es wäre
Verblendung, wollte man die vulgäre Begeisterung für die Wasserbehandlung als
»Mode« oder als »ephemere Doktrin« ansehen; die Geschichte der Heilkunst weist
für den, der sie kennt, Warnungstafeln genug auf, nicht in die alten, oft genug zum
Verhängniss der Aerzte gewordenen Fehler zurückzufallen. Pflicht und Selbst¬
erhaltungstrieb des Aerztestandes gebietet es, sich der Lehre zu bemächtigen, sie zu
prüfen, ihre Grenzen festzustellen und sie als erkannte Wahrheit in das Leben ein¬
zuführen, Pflicht des Staates aber im Interesse der Volksgesundheitspflege wie der
Salubrität des Medicinalwesens, den breitesten Boden für Lehre und Anwendung
dieser Wissenschaft zu schaffen.
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Felix Block, Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. 551
ii.
Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung 1 ).
Von
Dr. Felix Block
in Hannover.
Dem Grundsätze, dass nicht die Krankheit, sondern der kranke Mensch
der Gegenstand der ärztlichen Behandlung sein soll, droht nirgends so grosse
Gefahr missachtet zu werden, als bei einem Leiden, gegen das sicher wirkende
spezifische Heilmittel vorhanden sind. Von den chronischen Krankheiten ist das
allein die Syphilis. Leider nur zu leicht lässt sich mancher Arzt durch die That-
sache, dass die Symptome der Lues auf Quecksilberanwendung rasch und sicher
zurückgehen, verleiten, die Anwendung dieses Mittels, sowie die des Jods gegen
Erscheinungen der Spätsyphilis für ausreichend zur Behandlung Syphiliskranker zu
halten*). Und doch ist ein derartiges einseitiges Vorgehen durchaus verfehlt. Hat
denn der Kranke von der Syphilis nichts weiter zu befürchten als einige Flecke und
Papeln auf Haut und Schleimhäuten, die an und für sich doch völlig bedeutungslos
sind oder allenfalls noch gummöse Haut-, Muskel- und Knochenaffektionen, die auf
Jod und Quecksilber rasch verschwinden?
Dass dem nicht so ist, wird durch die Beobachtungen von Klinikern wie
Pathologen von Jahr zu Jahr mehr erkannt. Die Gefahr der Syphilis liegt vor¬
nehmlich in ihrer Lokalisation in lebenswichtigen Organen und ihren Nach¬
krankheiten, Affektionen, die, selbst richtig erkannt, doch dem Quecksilber und
Jod kaum mehr weichen, weil es sich um irreparable Degenerationen handelt.
Gemeint sind nicht die gummösen Eingeweideerkrankungen, deren Gefahr vornehm¬
lich in der Schwierigkeit ihrer rechtzeitigen Diagnose liegt, während sie geeigneter
Behandlung keinen grossen Widerstand leisten.
Vielmehr ziele ich vor allem auf die Schädigung der zwei wichtigsten
Systeme des Körpers, des Gefässsystems und des Nervensystems durch die
Syphilis. Hier handelt es sich keineswegs, wie man wohl früher annahm, um späte,
tertiäre Prozesse, dieselben reichen vielmehr mit ihren Ursprüngen bis in die erste
Frühzeit der Syphilis herauf. An den Leichen von Syphilitischen beobachtet man einen
eigenartigen interstitiellen Entzündungsprozess der Arterienwandungen,
der zum Schwund ihrer charakteristischen Elemente, zur Erschlaffung oder
zur Sklerosierung führt. Es ist längst bekannt, dass derartig degenerierte Hirn¬
arterien häufig schon in den ersten Jahren nach der Infektion Gehirnblutungen ver-
t) Vortrag, gehalten im ärztlichen Verein zu Hannover am 21. Mai 1902.
*) So sagt z. B. Möbius (üeber den Kopfschmerz. Halle a. S. 1902. C. Marhold): »Wüssten
wir in jedem Falle, welcher Stoff Hilfe bringt, wie wir es bei der Malaria, bei der Syphilis, bei der
Diphtherie und manchen anderen Krankheiten wissen, so wäre cs reine Zeit- und Kraftverschwendung,
ausser der Arznei noch andere Kuren zu verordnen«. In seiner Polemik gegen die Ucberschätzung
der »physikalischen Therapie« und für die alte chemische schiesst er hier arg über das Ziel.
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552 Felix Block
anlassen, dass sich infolge derartiger mesarteritischer EntzUndungsprozesse bei noch
jungen Individuen Aneurysmen der Aorta bilden. Neuerdings werden neben fibrösen
und verrucösen Endokarditiden syphilitischer Herkunft auch bei frisch Luetischen
klinisch beobachtete funktionelle Herzstörungen, meist durch Schwächung der Herz¬
muskulatur veranlast, angeführt 1 ). Wie viele Herzerkrankungen des späteren Lebens¬
alters mögen auf solche Weise ihren Ursprung in der längst anscheinend spurlos ver¬
schwundenen und vergessenen Syphilis der Jugend haben? Auch diffuse Entzündungs¬
prozesse verschiedener Organe, z. B. akute gelbe Leberatrophie, Lebercirrhose, inter¬
stitielle Nephritis, Gehirn- und Rückenmarksdegenerationen werden in neuerer Zeit
immer mehr auf luetische Gefässalterationen zurückgeführt. — Man muss aus alle¬
dem mit Sicherheit schliessen, dass die leider noch immer nur hypothetischen
Syphilistoxine von Anbeginn an die Arterienwandungen überall im Körper
zu schädigen geneigt sind.
Dabei ist nun höchst bemerkenswerth, dass diese syphilitischen Arterien¬
erkrankungen denen ungemein ähnlich sind, die vom Alter (auch von dem durch
zu intensives Leben bedingten verfrühten), sowie von der chronischen Alkohol¬
vergiftung hervorgerufen werden. Auf diesen wichtigen Umstand ist noch zurück¬
zukommen.
Das andere System, das Nervensystem, finden wir ebenfalls bereits von der Aus-
brnchsperiode der sekundären Syphilis an affiziert, und zwar zunächst nur funktionell
in Gestalt der Neurasthenie, der melancholischen, hypochondrischen Gemüths-
depression, seltener als Hysterie. Jeder sorgfältig beobachtende Arzt kann die
bekannten Symptome der Neurasthenie, vor allem Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit,
bei einer grossen Anzahl frisch infizierter Patienten oft schon vor Ausbruch des
Exanthems feststellen. Diese »syphilogene« Neurasthenie, wie man sie nennen
könnte, ist wohl kaum verschieden von der durch andere Ursachen, z.B.
geistige Ueberanstrengungen, Sorgen, Excesse in Baccho et Venere und
ähnliche Schädlichkeiten entstandenen, was wiederum zu beachten ist. — Dass Tabes
und Dementia paralytica Folgen von Lues, parasyphilitische Affektionen sind, wird
immer mehr allgemein anerkannt 2 ). Was aber früher von allen, von den Gegnern
der Syphilisätiologie auch heute noch, als Ursachen dieser Krankheiten angeführt
wurde: Alkoholismus, Erkältung (besonders Durchnässung), Traumen, körper¬
liche und geistige, vor allem sexuelle Ueberanstrengungen sind auch ganz
gewiss als solche anzuerkennen, aber eben nur für syphilitisch durch¬
seuchte Individuen. Darum kommt, beiläufig bemerkt, auch — was zu Unrecht
!) Karl Grassmann, Untersuchungen an den Kreislauforganen im Frfihstadium der Syphilis.
Deutsches Archiv für klinische Mcdicin 1901.
*) Wenn, wie zuverlässige Autoren angeben, mindestens (50—80% Tabeskrankc (bei
Paralytikern ist natürlich die Anamnese weit unzuverlässiger) anamnestisch Syphilis aufweisen, so
ist das ohne weiteres 100 % glcichzusetzen. Ganz abgesehen von absichtlichem Verschweigen (vor¬
nehmlich der Ehemänner) entgeht weit häufiger als viele glauben die primäre und sekundäre
Syphilis der Beobachtung des Kranken. Wenn man die Anamnese bisher unbehandelter tertiär
Syphilitischer auch noch so sorgfältig aufnimmt, wird man kaum in einem höheren Prozentsatz als
dem oben angeführten FrühByphilis fcststellen können. In meiner Privatpraxis kam ich zwar auf
82%, bei Krankcnhausmatcrial aber Lang z.B. nur auf 63,5%. Hat deshalb aber schon einmal
ein Kliniker behauptet, es gäbe eine gummöse Syphilis, der keine Frühsyphilis vorausgegangen sei?
— Die bekannte »paralytische Virgo« von Möbius würde kein Gegenbeweis sein. Abgesehen von
hereditärer Lues giebt es extragenital infizierte Virgines intactae, deren ich beispielsweise zur Zeit
zwei in Behandlung habe.
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Hygiene und Diätetik bei der Syphylisbehandlung. 553
als Grund gegen ihre parasyphilitische Natur angeführt wird — Paralyse hei minder
civilisierten Völkern trotz ausgebreiteter Lues kaum vor. Deren Gehirn ist nicht
nur ab origine') widerstandsfähiger als das unsere, sondern wird auch nicht so viel
in Anspruch genommen und der Abnutzung ausgesetzt. Jene Krankheiten werden
eben keineswegs von der Syphilis allein hervorgebracht, etwa wie eine Papel, sondern
es bedarf zu ihrer Entstehung auf syphilitischem Boden gewisser Schädigungen
und Schwächungen des Centralnervensystems.
Aehnliche, aber jetzt wohl von allen Neurologen unterschiedene, Affektionen des
Centralnervensystems wie die Syphilis, vermag auch für sich allein der Alkohol
hervorzurufen. Ebenso giebt es traumatische Spinalaffektionen und schwere
Erkrankungen als Folge sexueller Ausschweifungen.
Aus alledem ergiebt sich, dass eine Anzahl von Schädlichkeiten:
Alkoholmissbrauch, geschlechtliche Excesse, körperliche, mehr noch
geistige Ueberanstrengungen, daneben wohl auch noch Traumen und heftige
Erkältungen, zumal häufig wiederholte, auf das Gefäss- und Nervensystem
in ähnlicherWeise krankmachend einwirken, wie die Syphilis, und dass eben
dieselben Schädlichkeiten sich einem syphilitisch durchseuchten Organismus
gegenüber, wie a priori klar, doppelt verderblich erweisen müssen.
Wir wissen noch nicht, durch Schädigung welcher Zellen des Körpers es ge¬
schieht, aber die Erfahrung lehrt uns, dass die Syphilis auch zur Tuberkulose,
lokaler (manchmal direkt auf syphilitischen Affektionen papulöser wie gummöser
Art entstehend) und besonders allgemeiner, sowie zum Diabetes mellitus 2 ), viel¬
leicht auch zu anderen sogenannten Stoffwechselkrankheiten disponiert, wie dies
allerhand den Körper schwächende äussere Schädlichkeiten ebenfalls thun.
Endlich muss der Eigenthümlichkeit der Syphilis gedacht werden, auf irgend
eine Reizung an der betroffenen Stelle mit einem spezifischen Ausbruch,
respektive der Verstärkung eines solchen zu antworten. So finden wir beispiels¬
weise an der durch Schweissmaceration und Ekzeme gereizten Genito- Analgegend
Syphilitischer wuchernde Papeln in grösserer Zahl. Man kann auch künstlich durch
Dunstumschläge und reizende Pflaster ähnliches erzeugen. Wer raucht und viel
scharfe Speisen geniesst, hat mehr unter syphilitischen Mund- und Rachenaffektionen
zu leiden als andere. Und wir haben keinen Grund zu zweifeln, dass diese lokale
Verschlimmerung der Syphilis durch Reiz, die sich vor unseren Augen auf Haut
und sichtbaren Schleimhäuten abspielt, nicht ebenso in gereizten inneren
edleren Organen vor sich geht. — Von der Ursache dieser Erscheinung können
wir uns folgende Vorstellung machen: Der Reiz erzeugt aktive Hyperämie, d.h. Er¬
weiterung der zuführenden Blutgefässe, also Verlangsamung des Blutstromes. Ist
nun, wie wir annehmen müssen, das Blut zu Zeiten von dem Syphilisvirus durch¬
setzt, so hat dieses hier Gelegenheit sich aufzuhäufen, festzusetzen und zunächst die
Gefässwände, dann das umliegende Gewebe spezifisch zu schädigen, also eine
syphilitische Manifestation hervorzubringen.
J ) Die Widerstandskraft aller Organe nimmt mit der höheren Rasse und Kultur ab, wie schon
im Tbierrciche mit der höheren Stellung auf der Stufenleiter der Entwickelung.
2 ) Vorher nicht vorhandenen Diabetes mellitus habe ich mehrmals bei zum Theil erblich dazu
veranlagten Patienten ln den ersten Monaten der Syphilis auftreten sehen.
* *
*
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Felix Block
Für die Praxis der Syphilisbehandlung folgt aus diesen theoretischen Er¬
wägungen, dass es nothwendig ist, alle die Schädlichkeiten auszuschalten,
welche geeignet sind, einmal bereits für sich allein ähnliche Erkrankungen
lebenswichtiger Organe hervorzurufen, wie die Syphilis, die also mit dieser gleichsam
an einem Strange ziehen, zweitens durch Reizung syphilitische Erkrankungen
an edleren Organen zu provozieren. Es ergiebt sich mit einem Worte die Noth-
wendigkeit einer hygienischen und diätetischen Behandlung der Syphilis.
Um Missverständnissen vorzubeugen, soll hier betont werden, dass die Haupt¬
sache bei der Syphilisbehandlung auch für mich eine recht gründliche Queck¬
silberbehandlung ist, gemäss dem Ausspruche Ricord’s: »II fait bon, de se bien
porter quand on prend la Syphilis, mais — — cela ne suffit pasc. Ja, beiläufig be¬
merkt, begnüge ich mich mit einer nur symptomatischen Anwendung dieses Heilmittels
nicht, sondern wende die chronisch-intermittierende Kur nach den Grundsätzen
von Fournier und Neisser an, und zwar mit vorzüglichem Dauererfolge. Denn
dass auch gegen die unerwünschten Nebenwirkungen reichlicher Quecksilber¬
anwendung eine sorgfältige Diätetik erfreuliches leistet, ist nicht zu verkennen.
Die Hygiene und Diätetik der Syphilis wird in unseren Lehrbüchern leider fast
durchweg recht kurz abgethan. Dies scheint seit der Zeit zu geschehen, etwa der
Mitte des 19. Jahrhunderts, da durch Sigmund in Wien eine im Gegensatz zu den
bis dahin üblichen und mit Recht verhassten »Salivationskuren«, die die Patienten
absichtlich in ihrem Ernährungszustände herunterbrachten und auch sonst schädigten
und quälten, die moderne rationelle Methode der Einreibungskur geschaffen wurde.
Mit dieser im wesentlichen noch heut allgemein üblichen Behandlung erzielte man
vorher nicht gekannte ausgezeichnete Heilerfolge und neigte daher seit dieser Zeit
zu dem Glauben, mit der Inunktionskur oder anderen neueren brauchbaren An¬
wendungsformen des Quecksilbers alles Nothwendige zur Bekämpfung der Syphilis
gethan zu haben. — Freilich Sigmund selbst war noch anderer Meinung und
schreibt in der Vorrede zu seinem maassgebenden Aufsätze über »seine« Kur 1 ):
»Doch kann ich nicht nachdrücklich genug darauf hinweisen, dass es sich bei dieser
Kur keineswegs blos um die einseitige und willkürliche Anwendung von Ein¬
reibungen der grauen Salbe allein, sondern um deren unzertrennliche Ver-
bindung-mit dem Einzelfalle angepassten hygienischen und diätetischen
Maassregeln, allenfalls auch dem Gebrauche anderer Arzneimittel handelt.« Nur
dieser Verbindung schreibt er seine grossen praktischen Erfolge zu und betont auch,
dass jene hygienischen und diätetischen Vorschriften nicht nur während der Kur
selbst Geltung haben sollten. — Seine Nachfolger, wie erwähnt, waren trotzdem ge¬
neigt, sich auf das Quecksilber allein zu verlassen, vielleicht weil die Erfindung und
Erprobung zahlreicher neuer Einverleibungsarten des alten Mittels, sowie der noch
fortdauernde Streit über symptomatische oder chronisch-intermittierende Behandlung
ihre Aufmerksamkeit zu sehr in Anspruch nahm. Und es ist nicht nur die Litteratur
in der Hygiene und Diätetik der Syphilis zu kurz gekommen, es ist, da der Schüler
dem Lehrer zu folgen pflegt, nach meinen Erfahrungen und Eindrücken vor allem
auch die Praxis.
Um nunmehr auf die Einzelheiten der hygienisch-diätetischen Maassregeln ein-
zugehen, so wirft sich zuerst die Frage auf: Darf der an frischer Lucs Erkrankte
i) O. L. Sigmund, Die Rinreibungskur bei Svphilisfonnen. 3. Auflage. Wien ISOfi. Diese
Worte gaben mir bereits seit Jahren Anlass, mich mit dem vorliegenden Thema zu beschäftigen.
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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. 555
seiner bisherigen Berufsthätigkeit nachgehen, insbesondere während seiner ersten
energischen Kur? — Im allgemeinen wird man diese Frage bejahen, schon weil
man es muss. Denn die grosse Mehrzahl der Syphiliskranken besteht aus jüngeren
Männern, die garnicht daran denken können ohne die zwingendsten Gründe ihre
Berufsthätigkeit, von deren Ertrage allein sie leben, zu unterbrechen und überdies
noch erhebliche Kosten auf sich zu nehmen ’). Ein anderer Grund gegen das Auf¬
geben der gewohnten Thätigkeit ist psychologischer Natur und soll später erörtert
werden. — Keineswegs will ich leugnen, dass in geeigneten Krankenanstalten bei
völliger körperlicher wie geistiger Ruhe durchgeführte Quecksilberkuren wirksamer
sind, als zu Hause gemachte, und dass die nothwendige Erziehung der Patienten zu
hygienischer Lebensweise nirgends besser als in solchen Anstalten erfolgen kann.
Man kann diese Wohlthat aber doch nur einer verhältnissmässig kleinen Zahl von
begüterten Kranken zu Theil werden lassen, bis etwa einst staatliche oder andere
Behörden in der Erkenntniss der Wichtigkeit der Syphilisbekämpfung durch Er¬
richtung von Volksheilstätten für-diese Kranken helfend eintreten. Den Kranken¬
hausaufenthalt wird man für Mitglieder der Arbeiterkrankenkassen wählen, zumal
solche, deren Berufsthätigkeit anstrengend und ungesund ist. Er verhindert auch
am sichersten die Weiterverbreitung der anfangs so überaus infektiösen Krankheit.
— Stets ist darauf zu halten, dass der Syphilispatient vor jeder körperlichen und
geistigen Ueberanstrengung bewahrt bleibe, und vor allem auch sich genügend
Zeit zum nächtlichen Schlaf lasse, mindestens acht Stunden, damit vor allem das
Centralnervcnsystem geschont werde. Zu recht frühem Zubettegehen soll man
daher seine Kranken auf das Dringendste anhalten, auch um sie von Ausschreitungen
aller Art abzuhalten. Bei Patienten, die in diesem Punkte recht folgsam sind, er¬
zielt man die besten Heilungsresultate.
Was die Erholungszeit unter Tags anlangt, deren nicht zu knappe Bemessung
sehr wünschenswerth ist, so sollte sie für Kranke, die körperlich arbeiten müssen,
natürlich in körperlicher Ruhe bestehen, während die geistigen Arbeiter und Stuben-
sitzer auf mässige Bewegung in frischer Luft Bedacht zu nehmen haben. Für die
letzteren ist das Betreiben gesunder Sports durchaus zu billigen. Niemals jedoch
dürfen diese bis zur völligen Ermüdung betrieben werden, die bei unseren Kranken,
worauf sie hinzuweisen sind, viel leichter als in gesunden Tagen eintritt. Streng
zu verpönen ist alles sportliche Trainieren sowie die Betheiligung an Wettkämpfen,
auch wenn solche nur scherzweise veranstaltet werden, wie es oft zu geschehen pflegt.
In den Ansichten über die Ernährung Syphiliskranker hat sich in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts eine völlige Umkehrung vollzogen. Bis dahin hielt man
Einschränkung der Nahrung, selbst Hungerkuren, für einen nothwendigen, ja für den
wichtigsten Faktor der Syphilistherapie. Heut existiert dergleichen wohl nur noch
in dem berüchtigten Lindewiese und nach diesem Vorbild in einigen »Natur«heil-
anstalten in Gestalt der Schroth’schen trockenen Semmelkur, auch Regenerations¬
kur benamset. Sie entstand offenbar als Konkurrenz und Gegensatz gegen den
Lindewiese benachbarten erfolgreichen »nassen« Priessnitz in Gräfenberg, und be-
') Die Kurpfuscher, die bekanntlich ihre reichlichste Ernte auf dem Felde der Behandlung
der Geschlechtskrankheiten einheimsen, wissen sehr wohl, warum sie mit Vorliebe ihre Kuren »ohne
Berufsstörang« ankundigen, und dadurch den Schein erwecken, als gelte das von der ärztlichen Be¬
handlung nicht. Häufig haben mich ihre Opfer versichert, dass es gerade dieser Köder sei, auf den
sie angebissen hätten.
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556 Felix Block
steht darin, dass nur trockenes, altes Weissbrot und einige Arten Brei genossen und
möglichst wenig dabei getrunken werden darf. Also eine kombinierte Hunger- und
Durstkur, die sich zwar durch grosse Wohlfeilheit für die Anstaltsbesitzer auszeichnet,
aber skorbutartige Erscheinungen, Fieber und Herzschwäche hervorzurufen geeignet,
und für schwächliche Patienten zweifellos gefährlichi) ist. Dass sie, wie die bei
Aerzten früherer Zeit üblichen Entziehungs- und Schwitzkuren, im stände ist,
leichtere Syphilissymptome zum Schwinden zu bringen, wenn auch viel langsamer
als eine Quecksilberkur, wird von einigen Autoren angegeben. Man wird an gewisse
Erfolge symptomatischer Art auch glauben müssen, weil sonst derartige Kuren nicht
in vergangenen Tagen auch von Aerzten, die auf der Höhe ihrer Zeit standen, empfohlen
worden wären. Dass sie trotzdem nach unseren heutigen Anschauungen und Er¬
fahrungen verwerflich sind, ist klar. Wir glauben nicht mehr, dass kräftige Kost
»die Krankheit nährt, nicht den Kranken«, wie die alte Lehre besagte; wir wissen
vielmehr, dass der Organismus selbst die eingedrungenen Parasiten und die von
diesen erzeugten Gifte unschädlich zu machen, bestrebt ist, und suchen ihm dabei
zu Hilfe zu kommen, indem wir ihn kräftigen, nicht noch mehr schwächen. Sehen
wir doch auch fast immer die Syphilis bei gutgenährten, kräftigen Personen
milder und rascher ablaufen als bei schwächlichen und schlechtgenährten. Ueber-
dies nehmen während der ersten Monate nach der Ansteckung die Kranken durch¬
weg an Gewicht, Körperkräften und Widerstandsfähigkeit gegen alle Schädlichkeiten
mehr oder minder ab 1 2 ). Wie sollten wir es danach für angemessen halten, solchen
Patienten die Nahrungsmenge herabzusetzen? Wenn wir sie dagegen in dieser Zeit
in geeigneter Weise mit Quecksilber behandeln und dabei gut nähren, so bemerken
wir bald eine erhebliche Zunahme des Körpergewichtes wie der Kräfte; und
das muss doch das Ziel unserer Therapie sein. Man soll auch nicht versäumen,
diesen Erfolg der Behandlung durch regelmässige Wägungen zu kontrollieren.
Im allgemeinen gilt also der Grundsatz, wenn die bisherige Ernährungs¬
weise des Kranken einigermaassen vernünftig ist, so belasse man sie ihm. Dass
man überernährte Patienten mit schwelgerischen Gewohnheiten dagegen auch zu
knapperer Kost anhalten muss, enthält zu dem eben angeführten keinen Wider¬
spruch, denn Ueberanstrengungen irgend eines Organes sind bei Syphiliskranken stets
zu vermeiden. Sehr fette Leute scheinen auch die Quecksilberkuren (Inunktionen
wie Injektionen) häufig minder gut zu vertragen als normal genährte. — Bei Patienten
mit bereits kranken Yerdauungsorganen und solchen, bei denen Quecksilber ungünstig
auf diese Organe einwirkt, was man nicht selten beobachten kann, hat der Arzt be¬
sondere individuell verschiedene Anordnungen wegen einer recht leicht verdaulichen,
dabei aber nahrhaften Kost zu treffen, und kann sich hier oft mit Nutzen reich¬
lichen Milchgenusses, sowie eines der zahlreichen neueren Nährpräparate (ich
habe von Somatose gutes gesehen) bedienen. — Mehrfach wird Entziehung von Ge¬
würzen, Kaffee, Thee und dergleichen empfohlen. Ich kann, Missbrauch ausgeschlossen,
dem nicht zustimmen. Frische Syphilitiker neigen gar nicht selten zu Appetitlosig¬
keit; warum ihnen die Nahrung unschmackhaft machen und sie unnütz deprimieren ?
1) Mracek, Ein Beitrag zur Behandlung der Syphilis mit dem sogenannten Naturheil verfuhren.
Wiener klinische Wochenschrift 1898. No. 26.
2 ) Radaeli (Lo specimcntale ßd. 64. Heft 3. Referiert im Archiv für Dermatologie und
Syphilis Bd. 59. Heft 1.) stellte durch ausführliche Stoffwechsel untersuch ungen fest, dass in dieser
Zeit die Stickstoffbilanz des Organismus negativ ist, auch wenn keine Temperatursteigerung stattfindet.
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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbehandlung. 557
Neigung zu Stomatitis und Leukoplacie dagegen schliesst scharfe und harte (Brot¬
kruste) Speisen aus.
So konciliant sich der Ar# den Essgewohnheiten seiner Syphilispatienten gegen¬
über meist verhalten darf, so streng muss er oft ihrem Trinken geistiger Ge¬
tränke gegenübertreten. Gründe hierfür wurden bereits angeführt Aber es sind
nicht nur pathologische Studien und theoretische Erwägungen, die uns zum Ein¬
greifen veranlassen sollen, sondern schon die Krankenbeobachtung selbst. Fast regel¬
mässig nehmen wirwahr, wie bei Trinkern die Syphilis von Anbeginn in schwereren
Formen auftritt. Bereits Primäraffekte kann man bei ihnen in ganz ungewöhnlicher
Heftigkeit sich entwickeln sehen; das erste Exanthem ist häufig nicht makulös, sondern
papulös und pustulös, erheblich dichter als sonst, und befällt das Gesicht mehr als
bei Massigen. Desgleichen erscheinen oft schon in den ersten Jahren und häufiger
als bei anderen tertiäre Symptome, und alle syphilitischen Manifestationen neigen
zu raschem Zerfalle. Von Nieren- und Lebererkrankungen, arteriosklerotischen
Affektionen aller Art, die dem Zusammenwirken von chronischem Alkoholismus und
Syphilis ihre Entstehung verdanken, ist bereits die Rede gewesen.
Vielfach, besonders von englischen, skandinavischen und amerikanischen Aerzten,
ist deshalb für alle Syphiliskranke völlige Enthaltsamkeit gefordert worden.
Dagegen ist anzuführen, dass eine solche Anordnung, vorausgesetzt, dass sie über¬
haupt durchgesetzt werden kann, sehr geeignet ist, die Gemüthsverfassung der
Kranken, die ohnehin anfangs eine sehr düstere zu sein pflegt, herabzustimmen.
Uebrigens herrscht bei den genannten Völkern die Unsitte, recht starke Alkoholika,
und diese meist gleich im Uebermaass zu geniessen, wenn sie sich ein derartiges
Vergnügen machen wollen, während der Deutsche, von den eigentlichen Säufern ab¬
gesehen, zwar regelmässig, aber ein nur massiges Quantum, und auch lieber leichtere
Getränke zu sich zu nehmen pflegt. — Für Kranke mit derartiger Gewöhnung
scheint mir die Verordnung zu genügen, ihren Konsum an geistigen Getränken
möglichst einzuschränken, schwere durch leichte Biere und Weine (Apfel¬
wein) zu ersetzen. Bezüglich der Quanten kann man individualisieren. Streng zu
widerrathen ist das Theilnehmen an Zechereien aller Art, das meist recht schlecht
vertragen wird. Auf das entschiedenste zu verbieten sind starke Alkoholika:
Schnäpse, Liköre, Grog, gespritete Südweine und dergleichen, und zwar am besten
gleich für alle Zeit. — Bei echten Gewohnheitssäufern, bei denen Mässigkeit-
predigen bekanntlich vergeblich ist, bleibt nichts übrig als sie, am besten wohl in
einer geeigneten Anstalt, zu totaler Abstinenz zu erziehen. Gelingt dieses nicht,
so ist die Prognose ihrer Syphilis recht ungünstig, wie vielfache Erfahrung lehrt.
Was das Rauchen anlangt, so fällt gegen das völlige Verbot derselbe Grund
in das Gewicht, wie beim Trinken. Gewohnheitsraucher auch massigen Grades tragen
die Entsagung oft recht schwer. Dass bei Rauchern während der Frühperiode der
Syphilis häufiger Papeln der Mund- und Rachenschleimhaut auftreten als bei Nicht¬
rauchern, ist zweifellos, aber vielleicht bei der raschen Heilbarkeit dieser Affektion
nicht sehr erheblich. Dass es bei ihnen während der Quecksilberkuren leichter zu
Salivation und Zahnfleischlockerung käme, wie behauptet wird, kann ich nicht be¬
stätigen. Die hauptsächlichste Veranlassung des Rauchverbotes ist die
Leukoplacia oris, bekanntlich ein ungemein lästiges, nur in frischen Fällen heil¬
bares und wegen der Neigung zur Karcinombildung gefährliches Leiden. Seine
Aetiologie ist zwar noch nicht ganz aufgeklärt, zweifellos aber, dass es ganz über¬
wiegend bei syphilitischen oder syphilitisch gewesenen starken Rauchern auftritt.
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Starkes Rauchen ist daher unter allen Umständen zu verbieten. Doch habe
ich die Leukoplacie auch mehrmals bei Syphilispatienten erscheinen sehen, die glaub¬
haft versicherten, das von mir gestattete Maass von zwei Cigarren täglich nicht über¬
schritten zu haben. Wenn es daher irgend angeht, empfehle ich doch, dem Rauchen
ganz zu entsagen. Zumal bei solchen Charakteren, denen völlige Enthaltsamkeit
leichter gelingt als Einschränkung ihrer Gewohnheit, hat das stets zu geschehen.
Das Verbot des Geschlechtsverkehrs Syphiliskranker wird, so lange
sie sich in ansteckendem Stadium befinden, schon in Rücksicht auf die Gefahr
der Weiterverbreitung gefordert. Der Arzt hat die unabweisbare Pflicht, den
hierüber oft sehr leicht denkenden jungen Männern diesen Umstand recht eindring¬
lich vorzustellen. — Leider wird er dabei im Deutschen Reiche nicht (wie z. B. in
Dänemark) durch eine besondere Gesetzgebung unterstützt, die jeden Beischlaf eines
Geschlechtskranken unter Strafe stellt. Eine solche wäre im Interesse der Ein¬
dämmung der venerischen Krankheiten dringend zu wünschen. — Am meisten wird
der Kranke auf die Vorstellung von der Gefahr einer schweren Gehirn- und
Rückenmarkserkrankung für ihn selbst achten, die aber natürlich nur mit Vor¬
sicht und nicht bei Hypochondern gemacht werden darf. — In den ersten Monaten
ist die geschlechtliche Enthaltsamkeit bei der meist vorhandenen allgemeinen
Depression leicht durchzusetzen. Je mehr sich aber der Kranke vom ersten Schreck
erholt und je mehr er seine Körperkräfte wieder wachsen fühlt, desto schwerer.
Deshalb ist es bei vielen Patienten vielleicht politischer, etwa vom zweiten Krank¬
heitsjahre an ein wenig durch die Finger zu sehen und einen recht seltenen Ge¬
schlechtsverkehr zu gestatten, jedoch die grösste Vorsicht in Bezug auf Ansteckung
(Kondom) wie Ueberanstreugung dringend zu empfehlen. Die Gefahr, dass durch
übermässige Inanspruchnahme der genitalen Centren bei Syphilitischen,
auch solchen, die bereits seit Jahren symptomfrei sind, Tabes und Paralyse ent¬
stehen, ist sehr gross. Bemerkenswerth ist die Häufigkeit der ersten Symptome
dieser Leiden bei jungen Ehemännern, deren Infektion soweit zurückliegt, dass
ihre Frau und Kinder gesund befunden werden. — Den bereits verheiratheten, durch
ausserehelichen Koitus infizierten Patienten ist im Hinblick auf die Gefahr der An¬
steckung der Gattin wie der Zeugung syphilitischer Früchte auf vier bis fünf Jahre
hinaus, wenn Enthaltung nicht erreichbar, der Gebrauch des Kondoms anzurathen M.
Auch muss hier auf die Möglichkeit extragenitaler Infektion besonders aufmerksam
gemacht werden.
Wenn die sogenannte »Naturheilkunde« behauptet, Syphilis allein durch
Wasseranwendungen verschiedener Art, je nach dem besonderen Bekenntnisse
ihres Apostels, heilen zu können, so wissen wir u. a. durch zahlreiche Beobachtungen
an den mit derartigen Methoden ausschliesslich vorbehandelten Syphiliskranken, die
ungeheilt in ärztliche Beobachtung kamen, dass dem nicht so ist*). — Dagegen
i) Erfahrungen in meiner Praxis machen es mir wahrscheinlich, dass ein Mann beim Koitus
auch infizieren kann, ohne sichtbare syphilitische Manifestationen am Genitale zu haben. Ob es
durch Sperma geschieht oder auf noch unbekannte Art, kann ich nicht sagen.
*) Die Herren »Natur«ärzte wissen es natGrlich ebenfalls und scheuen sich mitunter auch gar
nicht, sehr im Widerspruche zu ihren Theoricen, Syphilispatäenten, ganz wie wir anderen, mit Queck¬
silber zu »vergiften«. Ich behandle z. B. zur Zeit einen Patienten, dem zuvor ein bekannter ärzt¬
licher Leiter einer sächsischen Naturhcilanstalt eine ganz richtige Schmierkur verordnet hatte. Auch
die »Homöopathen« machen es ähnlich und geben ganz normale Dosen spirituöser Sublimatlösung
innerlich, die den Kranken als homöopathische Tropfen imponiert, ihnen aber meistens den Magen
verdirbt.
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Hygiene und Diätetik bei der Sypbilisbehandlung. 559
werden von Alters her mit Recht Bäder verschiedener Art neben der Quecksilber¬
behandlung als ein werthvolles Unterstützungsmittel der Syphilis¬
behandlung geschätzt. Während der Kuren und wohl überhaupt während des
ersten Krankheitsjahres sind warme Bäder den kalten als die milder wirkenden
vorzuziehen, da zu berücksichtigen ist, dass die Patienten in diesen Zeiten sehr zu
Erkältungen geneigt zu sein pflegen. Kühle Bäder und kalte Douchen nach den
warmen Bädern erlaube man im ersten Jahre nur solchen Kranken, die bereits daran
gewöhnt sind. Bei Einreibungskuren verordnet man Bäder zur Reinigung und Er¬
holung der Haut gewöhnlich nach jedem vier- bis sechstägigen Turnus. Bei täglichen
Bädern mit folgender Einreibung darf man nicht übersehen, dass das Quecksilber
nicht einfach mechanisch durch die Haut gerieben in den Körper eindringt, wie man
früher allgemein glaubte, sondern entweder ausschliesslich oder doch hauptsächlich
in gasförmigem Zustande theils von der Haut, theils (zum kleineren Theile) von den
Lungen aufgenommen wird ’). — Daher auch die Wirksamkeit der Quecksilbersäckchen-
und Merkolintbehandlung. — Sonach findet die Resorption keineswegs nur während
der Einreibung, sondern noch viele Tage nachher statt, so lange die graue Salbe auf
der Haut und an der Wäsche haftet. Wenn man also aus irgend welchen Gründen
täglich baden lassen will, muss man die Dosis der einzureibenden Salbe vergrössern,
um gleiche Wirkung wie .bei selteneren Bädern zu erzielen. — Bei Einspritzungen
unlöslicher Quecksilbersalze leisten einige Stunden später genommene warme Bäder
gute Dienste zur Verminderung der dann eintretenden Beschwerden. — Nach den
Quecksilberkuren sind die Bäder mit Nutzen fortzusetzen, und vor allem Schwitz¬
prozeduren, wie Dampf-, Heissluft- und Lichtbäder, sowie Schwitzeinpackungen,
besonders bei gut- und überernährten Patienten von Nutzen für den rege zu haltenden
Stoffwechsel wie für die Hautpflege. Bei subkutaner Quecksilberanwendung kann
man diese Behandlung auch während der Kuren selbst vornehmen. Die Zeiten
zwischen den Kuren wird man auch wählen zur hydriatrischen Behandlung
der syphilogenen Neurasthenie, für die sich, da Wärmeentziehung thunlichst
zu meiden, recht leichte Prozeduren mit nicht zu kaltem Wasser empfehlen, z. B.
die aus England stammenden »Schwammbäder« 2 ), die ich häufig mit vielem
Nutzen brauchen lasse, und die jedermann ohne Hilfe im eigenen Schlafzimmer
machen kann.
Wodurch die vielfach beobachtete günstige Wirkung von Bädern und Schwitz¬
prozeduren auf Syphiliskranke sich erklärt, ist uns freilich noch völlig unbekannt;
’) Juliusborg, Experimentelle Untersuchungen über die Quecksilberresorption bei der
Schmierkur. (Aus der königlichen dermatologischen Universitätsklinik zu Breslau.) Archiv für
Dermatologie und Syphilis 1901. Bd. 56. Heft 1.
2 ) Der Patient stellt sich in einen flachen, etwa 1 m im Durchmesser haltenden Zuber (als
»Stehbadewanne« käuflich). Daneben wird in handlicher Höhe eine Waschschalc mit lauem und
ein Krug mit kaltem Wasser gefüllt gestellt Der Patient taucht wiederholt einen grossen Bade¬
schwamm in die Schale und drückt ihn über Kopf und Schultern aus. Es soll dabei nur das Ge¬
fühl angenehmer Kühle, kein Frieren entstehen. Das Wasser wird durch Zugiessen von kaltem
allmählich abgekühlt, die Prozedur etwa drei bis fünf Minuten fortgesetzt. Danach tupft der Patient
ganz flüchtig das Wasser mit einem Handtuch von der Haut (nicht frottieren), steigt rasch ins Bott
und deckt sich warm zu, wonach er die Füssc noch gründlich abtrocknet. Es erfolgt rasche Er¬
wärmung, die nach 15 — 20 Minuten wieder normaler Temperaturempfindung weicht. Nimmt man
das Schwammbad morgens, so muss man vor dem Ankleiden das Verschwinden der Hitzeempfindung
im Bett abwarten. Am Abend wird der Kopf nicht mitbenetzt, da dieses den Schlaf hemmt, den
das Bad sonst befördert. Im Winter muss das Zimmer geheizt sein.
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560 Felix Block
dass die Wiederausscheidung des Quecksilbers oder die Lockerung von irgendwo fest¬
gelegten Depots von Syphilisgift durch sie befördert werde, ist völlig hypothetisch >).
Das gleiche gilt von einer spezifischen Wirkung verschiedener Heilquellen.
Mit Recht macht Ne iss er 2 ) darauf aufmerksam, dass Schwefelbäder, die doch be¬
sonderen Ruf als Antisyphilitika geniessen, das nach einer Einreibung noch auf und
in der Haut befindliche Quecksilber in gänzlich (selbst subkutan) unwirksames
Schwefelquecksilber umwandeln. Unzutreffend ist daher die Auffassung mancher
Autoren, welche sagen, der Gebrauch der betreffenden Schwefelbäder gestatte die
Anwendung weit grösserer Dosen grauer Salbe ohne Schädigung des Patienten;
nein, er verlangt sie zur Erzielung des gleichen antisyphilitischen Effektes, weil
er einen sehr erheblichen Theil der eingeriebenen Salbe nachträglich unwirksam
macht. Deshalb wäre es eigentlich rationeller, gerade in Schwefelthermen Injektions¬
kuren zu machen. Auch Kochsalzbäder mit und ohne minimalen Jodgehalt haben
ganz gewiss keine spezifische Wirkung. Neben ihrer durch die Erfahrung, wenn
auch nicht durch die Theorie, gelehrten günstigen Wirkung auf das Allgemein¬
befinden der Kranken kann die Indikation aller Heilquellen nur darin gefunden
werden, dass an einem Badeorte der Kranke Ruhe und Zeit hat, sich ausschliess¬
lich und recht sorgfältig der Behandlung seiner Syphilis zu widmen, wodurch natür¬
lich, zumal wenn recht energische Kuren nothwendig waren, bessere Resultate als
zu Hause erzielt werden können. Nicht selten auch ist die Entfernung aus ihrer
Berufsthätigkeit, aus ihrer Familie und ihrem Umgangskreise für frisch erkrankte
Syphilitische wünschenswerth, und man wird sie dann gern einem Badeorte zuweisen,
wo, gleichgiltig welcherlei Quelle dort fliesst, eine gründliche Queck¬
silberbehandlung und angemessene Beaufsichtigung zu finden sind. Was
letzteren Punkt anlangt, so herrschen freilich nicht allerwärts in den Kurorten die
geeigneten Zustände. Nach Schilderung mancher Patienten, die denn auch in recht
üblem Zustande zurückkehrten, geht es hie und da viel lustiger zu, als es wünschens¬
werth ist: da finden Festlichkeiten aller Art, Kneipereien bis tief in die Nacht
hinein, wo nicht^noch ärgeres statt. Auch über unärztlichen Schematismus der
Kuren, ja darüber, dass die einreibenden Badediener die eigentlichen Leiter der Be¬
handlung seien, ist geklagt worden. Der Arzt, der einen Syphiliskranken nach einem
Badeort schickt, wird daher gut thun, sich darüber zu unterrichten, wie es daselbst
zugeht, und, zumal bei leichtlebigen Charakteren, vorziehen, ihn an die Anstalt
eines ihm als tüchtig und sorgsam bekannten Kollegen zu empfehlen. — Wenn keine
Nothwendigkeit besteht, die Kur selbst in einem Badeorte vornehmen zu lassen, ist
es von bester Wirkung, den Patienten nach grösseren Kuren zu geeigneter Jahres¬
zeit in Kurorte und Sommerfrischen zu senden, deren Auswahl sich nach der
sonstigen Körperbeschaffenheit, der Neigung und dem Geldbeutel des Patienten richtet
Oft habe ich mit grossem Nutzen meine von der Krankheit wie von der Behandlung
angegriffenen und nervös gewordenen Syphilispatienten in das waldige Mittel¬
gebirge, besser noch Hochgebirge, oder an die See geschickt (vom zweiten
Krankheitsjahre an kann man meist auch Seebäder empfehlen), wo sie frei von
den Quälereien einer Quecksilberkur sich weit vollkommener erholen konnten, als
wenn sie während dieser Zeit merkuriell behandelt worden wären. Winter-
i) A. Noisser, Syphilisbehandlung und Balneotherapie. Berliner klinische Wochenschrift
1897. No. 10.
'-) a. a. 0.
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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbchandlung.
561
aufenthalt in südlichem Klima dürfte für Syphiliskranke als solche kaum je¬
mals nöthig sein, ausser vielleicht wo die Indikation des Ortswechsels behufs Hebung
psychischer Depression besteht.
Dieser Umstand leitet über auf die psychische Behandlung Syphiliskranker,
deren Wichtigkeit nicht zu unterschätzen ist, die aber leider oft gänzlich versäumt
wird. Nicht etwa von Suggestion oder dergleichen ist die Rede, sondern von dem
Einflüsse, den der Arzt auf die Psyche jedes seiner Patienten zu gewinnen hat, um
auch von da aus helfend einzugreifen. Man kann in der Wirkung, die eine Syphilis¬
infektion auf das Gemüth des Befallenen ausübt, meist deutlich zwei Stadien unter¬
scheiden: ein erstes der Depression und ein zweites der Gleichgiltigkeit, ja
des frivolen Leichtsinnes der Krankheit gegenüber. Der erstere Zustand dürfte
wohl fast ausnahmslos eintreten, zuweilen, wohl bei prädisponierten Individuen und
wenn besondere Umstände, z. B. Heirathsabsicht, Verheirathetsein u. a. dazukommen,
in recht schwerer Form bis zur völligen Muthlosigkeit und Selbstmordgedanken.
Auch ausgeführte Selbstmorde kommen sicherlich, in grösserer Zahl als festzustellen
ist, auf Rechnung frischer syphilitischer Infektionen. Die durch die Krankheit selbst
hervorgerufene oder verstärkte Neurasthenie hypochondrischen Charakters, auf welche
Quecksilberkuren meist wenig günstig wirken, ist nicht geeignet, den seelischen Zu¬
stand des Kranken zu bessern. Dass Gemüthsverstimmungen solcher Art auf den
Stotfwechsel, die Funktionen der lebenswichtigen Organe und damit die Abwehr-
thätigkeit des Körpers gegen das Gift der Parasiten hemmend einwirken müssen,
sieht jeder ein, der den grossen Einfluss der Psyche auf die rein vegetativen
Funktionen kennt. — Hier leistet nach beendeter erster Kur Ortsveränderung, wenn
sie sich ermöglichen lässt, das beste. — Späterhin, besonders bei leichtem Verlaufe
der Krankheit, kehrt sich — nicht immer — das Bild oft völlig um, und der Kranke
ist von seiner völliger Heilung und der Ueberflüssigkeit weiterer Kuren und vor¬
sichtiger Lebensweise so überzeugt, dass er entweder einfach aus dem Gesichtskreise
seines Arztes verschwindet, oder doch dessen Anordnungen wenig oder gar nicht
mehr nachkommt — zuweilen sehr zu seinem Schaden. Mancher äussert wohl gar:
»Jetzt bin ich einmal mit der Syphilis hereingefallen, nun brauche ich mich um
nichts mehr zu sorgen!« und lebt dann entsprechend darauf los, bis Tabes oder
Paralyse Halt gebieten. — Wie sollen wir uns diesen beiden so sehr verschiedenen
Indikationen gegenüber verhalten? Sie scheinen es mir vor allem nothwendig zu
machen, den Kranken von Anbeginn an über die Natur seiner Krankheit und
deren nothwendige medikamentöse wie hygienische Behandlung eingehend zu
belehren. Das widerspricht, wie mir wohl bewusst ist, dem landläufigen ärztlichen
Grundsätze, dass der Patient von seiner Krankheit nichts zu wissen brauche, sondern
blindlings Vertrauen zu seinem Arzte und dessen Verordnungen haben solle. Schon
seit einiger Zeit aber mehren sich die Stimmen derer, die diesem Grundsätze über¬
haupt, der auch in verschiedenen anderen Ländern längst ausser Geltung zu sein
scheint, Fehde ansagen: er trage erhebliche Mitschuld daran, dass die Kurpfuscherei,
approbierte wie unapprobierte, so ungeheuerlich überhand genommen habe. Das
Publikum unserer Zeit, auch das minder gebildete, wolle eben wissen, worum es
sich bei seinen Krankheiten und deren Bekämpfung handele, und wende sich deshalb
von den hochmüthig schweigenden wissenschaftlichen Aerzten zu den um so ge¬
sprächigeren Pfuschern. Darum laufe es scharenweise zu deren populären Vorträgen,
und kaufe massenhaft ihre unglaublich elend zusammengeschmierten Bücher für
theures Geld. — Vor allem scheint mir eine eingehende Belehrung über die Krank-
Zeltaehr. f. diat n. pliyaik. Thorapin Rd. VI. Heft 10 . 39
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heit und ihre Behandlung gerade bei der Syphilis nothwendig. Die Gemüths-
depression der kürzlich Infizierten wird häufig verstärkt durch die Lektüre der
nicht auf die Aengstlichkeit der Kranken Rücksicht nehmenden Artikel der
Konservationslexika und populär-medicinischer Werke, die fast jeder Syphiliskranke
nachschlägt. Weit verderblicher noch wirkt die bereits erwähnte überall verbreitete
Schundlitteratur der Annonzierärzte, Kurpfuscher, Geheimmittelschwindler und
spekulativen Buchhändler, die in der unverantwortlichsten Weise die kranken Leser
in die grösste Angst vor der Syphilis und dem Quecksilber hineinhetzt, natürlich in
ganz bestimmter eigennütziger Absicht. Andere Machwerke wiederum verkünden im
Gegentheil, dass die Syphilis eine ganz leichte, rasch durch die einfachsten »natur-
gemässen« Mittel zu heilende Krankheit sei, und die schweren Erscheinungen nur
Folge von »Quecksilbervergiftung«. Dem allen gegenüber ist der Arzt geradezu ge¬
zwungen, seinen Syphilispatienten (und wenn möglich auch dem Publikum überhaupt)
die Wahrheit, soweit sie Wissenschaft und Erfahrung uns hat erkennen lassen, in
thunlichst eindringlicher Weise und in nicht zu knapper Form^darzulegen. Ist doch
die richtige Kenntniss des Wesens der Syphilis wohl geeignet, zweckmässig vor¬
getragen, sowohl den Verzweifelnden Muth wie den Leichtsinnigen Besonnenheit ein-
zuflössen. Dieses nur mündlich zu thun, ist kaum möglich, ganz abgesehen von der
Zeit, die es jedesmal dem Arzt kostete. Ich halte es daher für empfehlenswerth,
den Syphilispatienten, wenn auch nicht einem jeden, ein kurzgefasstes Büchlein 1 )
mit Belehrungen in die Hand zu geben über die Natur seiner3Krankheit, c ihre Heil¬
mittel und die nothwendigen hygienisch - diätetischen Vorschriften, letztere am aus¬
führlichsten behandelt und begründet. Einfache Verhaltungsmaassregeln ohne
Motivierung, wie sie vielfach üblich sind, erscheinen mir für die bessere Praxis
mindestens als nicht genügend. Der Nachtheil des gedruckten Wortes vor dem ge¬
sprochenen, dass man es dem Charakter des Patienten, den^man anfangs übrigens
doch meist gar nicht kennt, nicht anpassen kann, ist durch anschliessende münd¬
liche Belehrungen und Erläuterungen des Gedruckten, die niemals unterbleiben
sollten, wettzumachen.
Um noch auf einige Einzelheiten einzugehen, muss man dem durch den ersten
Ausbruch der Syphilis oder auch durch hartnäckig wiederholte Symptome deprimierten
Patienten vor allem die sichere, wenn auch längere Zeit erfordernde, Heilbarkeit
seiner Krankheit recht eindringlich vorstellen. Es ist für viele solcher Kranken
besser, sie in der gewohnten Thätigkeit zu belassen, da der Müssiggang sie
noch mehr verführt, unaufhörlich über ihr Leiden und dessen mögliche Folgen nach¬
zugrübeln und sich dem Lesen der erwähnten Bücher zu widmen. Diese Lektüre
muss man natürlich durchaus verbieten und versuchen, die Vorstellungen der Kranken
in andere Bahnen zu lenken, etwa durch angenehme Beschäftigung in den Musse-
stunden und dergleichen. Bei den schwersten syphilitischen Hypochondern mit be¬
reits getrübtem Intellekt wird man freilich wenig Erfolg haben; sie lassen sich,
selbst wenn sie bereits symptomfrei geworden sind, von jener Lektüre nicht ab¬
bringen, wechseln auch häufig den Arzt, suchen noch mehr'Naturheilanstalten und
Schwindelinstitute auf, da sie kritiklos auf alles Neue und Reklamehafte hineinfallen.
Sie enden wohl nicht selten im Irrenhause. — Besser wird man schon mit den
Leichtherzigen fertig, deren Verstand eben nicht gelitten hat, und die geeignetem
') Für meiuen Privatgebrauch habe ich ein solche» drucken, aber nicht im Buchhandel er
scheinen lassen.
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Hygiene und Diätetik bei der Syphilisbchandlung. 563
Zuspruche, dem einige Drohungen nicht fehlen dürfen, doch meist zugänglich sind.
Der Arzt thut gut, solche Patienten in nicht zu langen, regelmässigen
Zwischenräumen, auch wenn ihnen nichts fehlt, zu sich zu bestellen, theils
um dem Uebersehen von Syphilissymptomen, wozu sie sehr geneigt sind, vorzu¬
beugen, theils um sie immer wieder daran zu erinnern, dass sie an einer ernsten,
langwierigen Krankheit leiden, und ihnen die nothwendigen Lebensregeln immer
wieder einzuschärfen. Für diese Klasse von Patienten ist daher die Behandlung der
Syphilis nach dem chronisch-intermittierenden Typus auch in psychischer Hinsicht
werthvoll. Man braucht nicht zu fürchten, einen hypochondrisch zu machen, der
nicht von Natur dazu veranlagt ist.
Es erübrigt noch, wenn es auch streng genommen nicht zu unserem Thema
gehört, der Medikamente zu gedenken, die sich, abgesehen von den Antisyphilitika,
bei der Behandlung Syphiliskranker mit Nutzen anwenden lassen. Sehr häufig, be¬
sonders im ersten Krankheitsjahre, findet man bei den Syphilitischen Anämie.
Meist weicht dieselbe dem Quecksilber, das, wie man mit Recht sagt, bei ihnen
wirkt, wie Eisen bei Chlorotischen. Doch ist das nicht immer der Fall, und dann
empfiehlt sich auch hier das Eisen, am vortheilhaftesten mit ein wenig Arsen in
Form Blaud’scher Pillen zwischen den Quecksilberkuren gereicht Dasselbe Mittel,
eventuell mit Extractum strychni kombiniert, eignet sich zur medikamentösen
Behandlung der Neurasthenie. Gutes sieht man bei Schwächezuständen
während oder nach energischen Kuren von Chinin ( 0,2 — 0,3 pro die), das auch
mit Ferrum zugleich gegeben werden kann. Nervöse Appetitlosigkeit, meist
als Begleitung der allgemeinen Depression bei Beginn der Syphilis auftretend, wird
mit Orexinum tannicum 0 , 5 — 1,0 zweimal täglich eine bis zwei Stunden vor der
Mahlzeit gereicht, erfolgreich behandelt. Bei bösartigen Formen von Syphilis,
wo Quecksilber und Jod anfangs schlecht vertragen werden oder gänzlich versagen,
z. B. bei bestehender erheblicher Albuminurie, wendet man seit langem mit Vortheil
diuretische Kuren in Form des Zittmann’schen Dekoktes oder der billigeren
Holztränke an, neben äusserst sorgfältiger Diätregelung mit reichlichem Milch¬
genuss. Danach werden Quecksilber und Jod besser vertragen.
Alle hygienischen und diätetischen Vorschriften gelten vornehmlich für die erste
Zeit der Krankheit, solange noch häufigere Symptome irgend welcher Art auftreten
und das Allgemeinbefinden noch gestört ist. Wie die Syphilis unter richtiger Be¬
handlung allmählich erlischt, so darf auch der Kranke von den ihm vielfach lästigen
Verordnungen und Einschränkungen sich allmählich emanzipieren. Doch niemals
ganz. Der Arzt muss ihm gegenüber betonen, dass, auch wenn er sich nach etwa
vier bis fünf Jahren als geheilt betrachten kann, er doch nicht jetzt mit verdoppeltem
Eifer alle ihm so lange versagten oder beschränkten Genüsse nachholen dürfe. Zu¬
nächst giebt es ja leider bei der Syphilis keine absolute Gewissheit der Heilung
(ausser durch Reinfektion), dann aber müssen wir berücksichtigen, dass die Wider¬
standskraft eines einmal von Syphilis durchseucht gewesenen Körpers in
sämmtlichen Organen, vor allem im Gefäss- und Nervensystem dauernd
herabgesetzt ist. Wenn wir daher auch einem von Syphilis Genesenen erlauben
dürfen, sich wie ein Gesunder zu verhalten, so sollen wir ihm doch dringend an-
rathen, wie ein Vernünftiger zu leben und in Anstrengungen wie in Ge¬
nüssen lebenslang weises Maass nicht aus den Augen zu lassen.
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564
Wilh. Bauermeister
XII.
Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer
neuen Gährungstechnik und über Diabetikerbrote im allgemeinen,
wie über das nach obiger Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat
im besonderen.
Von
Dr. Wilh. Bauermeister,
Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig.
Ohne anderweitigen Veröffentlichungen vorgreifen zu wollen >), gestatte ich mir im
folgenden meine Erfahrungen über Verwendung natürlichen Kaseins zu Backzwecken
mitzutheilen, umsomehr als sie in mehrjährigen Bemühungen gewonnen und nunmehr
zu feststehenden Erfolgen gediehen sind. Den Anlass bildete die allbekannte Er¬
fahrungssache aller, die sich intensiver mit der Behandlung von Diabetikern befassen,
dass im allgemeinen auf die sogenannten Diabetikerbrote nicht bedingungsloser Ver¬
lass ist. Im günstigsten Falle ist der Kohlehydratgehalt schwankend, fast durch¬
schnittlich erhebt er sich in mehr oder weniger starkem Prozentsatz über die Begleit¬
analysen, wovon auch die anerkanntesten Fabrikate zuweilen keine Ausnahme machen,
oft aber ist der Stärkegehalt ein derartiger, dass das Fabrikat überhaupt nicht den
Namen eines Diabetikerbrotes verdient. Was soll man dazu sagen, wenn solche
Brote, die 47 ®/ 0 (statt der angekündigten 30 °/ 0 ), 45 °/ 0 , 50 % Stärkestoffe enthalten,
im Gegensatz zu dem ca. 55 — 60 % enthaltenden gewöhnlichen Brotarten als be¬
sondere Diabetikerbrote bezeichnet werden? In unfreiwilligem Zugeständniss dieser
Mangelhaftigkeit wird dann namentlich auf den starken Eiweissgehalt dieser Fabrikate
hingewiesen, als ob der Eiweissgehalt eines Gebäckes das Charakteristische und Werth¬
volle an der Sache wäre. Jeder Eingeweihte weiss, dass das von ganz nebensächlicher
Bedeutung ist. Der Diabetiker braucht im Prinzip kein eiweisshaltiges Brot 2 ) (das
nöthige Eiweiss können wir ihm meist in viel angenehmerer Form zuführen), und
zudem ist es gar kein Kunststück, Eiweiss in ein Brot hineinzubekommen; was er
aber braucht, ist ein kohlehydratarmes Brot, und in der Entziehung der Stärkestoffe
aus dem Brote liegt der ganze Schwerpunkt der Fahrikation. Wie bekommt man
die Stärkestoffe aus dem Brote heraus? das ist die brennende Frage bei der Her-
') Vergl. Schreiber, Ueber die Verwendung des frischen Kaseins in der Ernährung. Central¬
blatt für Stoffwechsel- etc. Krankheiten Bd. 2. Heft 5.
2 ) Anmerkung während der Korrektur: Dass die oft beliebte, planlos bemessene Eiweisszufuhr
unter Umständen nicht nur gleichgiltig, sondern, weil sie nicht selten zur Vermehrung der Zucker¬
ausscheidung etc. führt, für den Diabetiker direkt schädlich ist, darauf hat jüngst wieder v. Noorden
auf der letzten Naturforschcrversammlung zu Karlsbad mit Nachdruck hingewiesen. Vergl. Referat
in dieser Zeitschrift Bd. C. Heft 8. S. 4<W.
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lieber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc. ; >65
Stellung derartiger Gebäcke. Die Schwierigkeit der Lösung derselben ergiebt sich
aus der Thatsache, dass eben die Kohlehydrate, das Mehl, der Träger der Backfähig¬
keit eines Teiges überhaupt sind. »Brot ohne Mehl« giebt es nicht.
Unter Backfähigkeit eines Teiggemisches verstehen wir einmal, dass dasselbe
vor dem eigentlichen Backprozesse einer zweckdienlichen Gährung fähig ist und sich
lockert (der Teig muss gehen), und dass es nach dem stattgefundenen Backprozess
locker bleibt, sein Gefüge behält (das Brot muss stehen). Beides geht vor sich unter
Bindung einer bestimmten Wassermenge, die bei gutem Ausfall des Produktes sich
auf einem konstanten Betrage hält, so dass gut ausgebackene Waare immer einen be¬
stimmten Prozentsatz Wasser (35—45 °/ 0 ) und einen bestimmten Prozentsatz Kohle¬
hydrate (55—65 o/o) enthält.
Das Diabetikerbrot soll sich nun durch einen geringeren Gehalt an Kohle¬
hydraten auszeichnen; es wird erst dadurch zu dem, was es vorstellen soll. Als
der einfachste Weg, dies zu erreichen, könnte die einfache Vermischung des Teiges
mit kohlenwasserstofffreien Substanzen erscheinen, aber der ist nur bis zu einem
gewissen Grade beschreitbar. Nehmen wir Tropon, Plasmon, Eukasin, ausgewa¬
schenes pulverisiertes Kasein, so können wir durch Einführung gewisser Mengen
derselben — prozentualiter des Zusatzes — den Kohlehydratgehalt herabdrücken.
Das wird aber immer nur in einem beschränkten Grade der Fall sein können, weil
mit der Grösse des Zusatzes die Backfähigkeit des Teigzusatzgemenges leidet. Der
Zusatz ist für den Teig eine tote Masse, die durch die lebendige Kraft der Kohle-
hydratgährung mit gehoben werden muss. Es ist klar, dass bei Ueberlastung mit
derartigem Material die Kraft der Teiggährung unterliegt, unter Umständen die
Gährung direkt erstickt wird: die prozentualiter herabgedrückten Kohlehydrate
können den Teig nicht mehr heben, es giebt kein poröses, stehendes Gebäck mehr,
sondern das Endprodukt ist eine kompakte, schwere Masse, die nach dem Backen
vollends wieder zusammensinkt. Und wenn wir uns an dieser Formlosigkeit nicht
stossen würden, würden statt dessen meist andere Umstände der dauernden Ver¬
wendung wenigstens im Wege stehen, sei es, dass bei einigermaassen beträchtlichen
Zusätzen unser Geschmackssinn, wie beim Tropon und anderen denaturierten, un¬
löslichen Substanzen, rein mechanisch beleidigt würde, sei es, dass die löslichen
Präparate, wie z. B. Kasein Verbindungen, eben wegen dieser Eigenschaft chemisch
auf unsere Geschmacksnerven bis zur Unausstehlichkeit abstossend wirken. Das wird
jeder bestätigen können, der in diesem Fache länger gearbeitet und sein Fabrikat
auch selbst gegessen hat. Ja selbst der Geruch kann einem die Sache schon ver¬
leiden, namentlich wenn man versucht hat, die Gebäcke für längere Zeit in einem
geschlossenen Behälter zu verwahren. Dem natürlichen Brotgeschmack und dem
natürlichen Aroma kann auf die Dauer kein Mensch entrathen. Aus diesen Er¬
fahrungen heraus ist für mich die conditio, sine qua kein ansprechendes Brot ge¬
backen werden kann, die: 1. der Zusatz muss unschmeckbar, id est unlöslich, sein,
und darf auch mechanisch nicht beleidigen, 2. der Zusatz muss sich am Aufbau
des Brotes aktiv betheiligen.
Vor Jahren gemachte Versuche, das unlösliche Tropon, das lösliche, daher in
grösseren Mengen schmeckbare Plasmon, Eukasin, ausgewaschenes natürliches oder
getrocknetes und pulverisiertes Kasein durch Beigabe von Alkohol, Ammoniak, \Back-
pulver etc. backfahiger zu machen, sind als gescheitert zu betrachten: wenn der Teig
vor dem Backen auch »ging«, nach dem Backen fiel das Brot bei einigermaassen
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566
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stärkerem Zusatz zusammen. Durch jeden stärkeren Zusatz, wie er bei Diabetikerbrot
in Anwendung kommen muss, biisste das Teiggemisch, je nachdem bis zu gänzlicher
Unbrauchbarkeit, an Backfähigkeit ein: das Tote erstickt das Lebendige. Auf der
Suche nach einem solchen Zusatz, der die Backfähigkeit des Gemenges womöglich
nicht nur nicht hemmte, sondern womöglich noch seinerseits unterstützte, blieb mir
nichts anderes übrig, als nach Präparaten zu greifen, die selbst kohlehydrathaltig
waren: Herstellung eines kohlehydratarmen Brotes durch Zusatz kohlehydrathaltiger
Stoffe in grosser Menge: eine contradictio in adjecto auf den ersten Blick, die um
so befremdender erscheinen konnte, als man ja bei allen in Betracht kommenden
Präparaten früher die Befreiung von Kohlehydraten, sei es durch Auswaschen, Aus¬
fällen, durch Vergähren etc. der natürlichen Stoffe, sei es im Verlauf eines ein¬
geleiteten Denaturierungsprozesses vor Verwendung zum Backen sorgfältig erstrebt
und ausgeführt hatte. Ich selbst hatte früher den natürlichen Käsequark zum Backen
benutzt und ihn ebenfalls (zum Theil wenigstens) ausgewaschen, hatte ihn auswaschen
müssen, weil anderenfalls der Milchzucker in der Analyse des Diabetikerbrotes prompt
in Erscheinung trat, und so auf der einen Seite an mehr gefährlichen Kohlehydraten
wieder einzuholen drohte, was auf der anderen an weniger gefährlichen abgedrängt
war. So schien die Verwendung grösserer Mengen noch milchzuckerhaltigen Kaseins
daran zu scheitern, dass er in der Teiggährung nicht in hinreichender Menge mit
unterging. Wenn es aber gelang, Mittel und Wege zu finden, grössere Milchzucker¬
mengen im Teig mit zu vergähren, so fiel einmal damit die Gefahr einer neuerlichen
und zwar verhältnissmässig schädlicheren Kohlehydratanreicherung des Brotes fort,
andrerseits konnte damit die Milchzuckergährung direkt in den Dienst der Brotberei¬
tung gestellt werden: es konnte dadurch eventuell die Gährung im Teig eine derartig
intensive werden, dass nicht nur die gesammte Teigmasse gehoben wurde, sondern
man konnte aus dem teigmilchzuckerhaltigen Quarkgemenge sogar noch, proportional
dem zugeführten Milchzucker, Mehl fortlassen, ohne für ein genügendes »Gehen«
fürchten zu müssen, falls es eben gelang, grössere Milchzuckermengen, wie sie
grössere natürliche Quarkmengen in sich schliessen, während] der Teigbereitung zu
vertilgen, und zwar auf dem Wege der Gährung.
Die Gährung einer gährfähigen Substanz kann je nachdem durch chemische
Körper (ungeformte) oder durch organisierte Lebewesen (geformte Fermente) bewirkt
werden.
Im allgemeinen hat jede Zuckerart ihren eigenen Gähruugserreger; andrerseits
giebt es Gährungserreger, die auf verschiedene Zuckerarten zersetzend wirken. Zu
letzteren gehört z.B. der Bacillus coli. Manche Fermentorganismen bedürfen, um
gährungserregend zu wirken, der Anwesenheit bestimmter Bedingungen, wie ebenfalls
der Bacillus coli. Der Kolibacillus vermag sowohl — im Gegensatz zum Typhus¬
bacillus — Milchzucker zu vergähren, als er auch Traubenzucker vergährt; das
letztere unter bestimmten Umständen. Bekannt ist, zu dem Zwecke Traubenzucker
in Bouillon aufzulösen. Verfasser selbst liess vor zwei Jahren lange gekochten
eiweisshaltigen Diabetikerharn — aus Mangel an anderem Material — ebenfalls
prompt vergähren. Der Bacillus coli vergährt auch — im Brutschrank bei ent¬
sprechender Temperatur — den Milchzucker der Milch in einem, zwei oder
mehreren Tagen, je nach den Bedingungen. Der Verfasser fand seinerzeit ebenfalls,
dass bei Zusatz von sterilisiertem, neutralisiertem Magensaft zur Milch, bei An¬
wesenheit des Bacillus coli, die Gährung, welche vorher nach Tagen eintrat, jetzt
fast nach ebensoviel Stunden vollzogen war. Es waren also Wege bekannt, wie man
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Original fro-m
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lieber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc.
567
einerseits den Widerstand verschiedener Zuckerarten gegen einen bestimmten Bacillus
brechen, und wie man andrerseits eine vor sich gehende langsame Gährung in eine
schnell stattfindende verwandeln konnte. Bei dem Bacillus coli brauchte man den
Zusatz von Substanzen, die in der Bouillon, dem gekochten, neutralisierten Magen¬
saft, dem sterilisierten, albuminhaltigen Diabetikerharn vorhanden waren. Um zu
entscheiden, ob auch die Milchzuckergährung durch den Bacillus acidi lactici, einem
Seitenverwandten des Bacillus coli, im Quark auf ähnliche Weise beeinflusst werden
konnte, wurden folgende Laboratoriumsversuche angestellt:
Erster Versuch:
Es werden Reagensgläser von 30 cm» Inhalt als Gährungsröhrchen armiert und auf
folgende Weise gefüllt:
Glas A mit 24 cm 3 dickbreiiger Quarkaufschwemmung und 6 cm» Wasser;
» B » 24 j » » 3 cm» Wasser und
3 cm» Leimpeptonlösung;
» C mit 24 cm» dickbreiiger Quarkaufschwemmung, 3 cm» Wasser und
3 cm» Hefeaufschwemmung;
> D mit 24 cm» dickbreiiger Quarkaufschwemmung, 3 cm» Hefe und
3 cm» Leimpeptonlösung.
Nach zwölfstündigem Aufenthalt im Wärmeschrank bei 37 0 C ist:
Glas A durchsetzt mit Gasblasen, aber bis zur Kuppe mit Quark gefüllt;
» B » » » die Kuppe in l'/a cm Höhe nur Gas;
» C » » » »»»1»»»»
» D » » » » » > 4 » » » »
Zweiter Versuch.
Es werden angefüllt:
Glas Aj mit 24 cm» wässerigem, sterilisiertem Quarkauszug und 6 cm» Wasser;
> B, » 24 » > » d 3 cm» Wasser und
3 cm» sterilisiertem, neutralem Magensaft;
» C, mit 24 cm» wässerigem, sterilisiertem Quarkauszug, 3 cm» Wasser und
3 cm» Hefeaufschwemmung;
> D, mit 24 cm» wässerigem, sterilisiertem Quarkauszug, 3 cm» Hefeauf¬
schwemmung und 3 cm» Magensaft.
Nach zwölfstündigem Aufenthalt im Wärmeschrank bei 37—40° C zeigt:
Glas A, in der Kuppe ein kleines Gasbläschen;
> B,- desgleichen;
» C t in der Kuppe eine Gassäule von 1 cm Höhe;
> D, » s> > » » > 4 » >
Dritter Versuch.
Es werden angefüllt:
Glas A 2 mit 19 cm» sterilisierter Milch -I- 1 cm» Wasser;
» B 2 >19 cm» > » + 1 » » dann geimpft mit
einer Platinöse Quark;
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5(58 Wilh. Bäuerineister
Glas C a mit 19 cm 3 sterilisierter Milch + 1 cm 3 Wasser, dann geimpft mit
einer Platinöse saurer Milch;
» D 2 a mit 19 cm» sterilisierter Milch -f- 1 cm 3 Purofleischsaft (Lösung:
1:10), dann geimpft mit einer Platinöse Quark;
;; D 2 /9 mit 19 cm 3 sterilisierter Milch -|- 1 cm 3 Purofleischsaft (Lösung:
1:10),'dann geimpft mit einer Platinöse saurer Milch;
D 3 7 - mit 19 cm 3 sterilisierter Milch -f- 1 cm» sterilisierten Magensaftes,
dann geimpft mit einer Platinöse Quark.
Nach zwölf Stunden zeigt sich in:
GlasAjj gleichmässige Gerinnung, keine Gasbläschen;
» B 2 über dem mit Gasblasen durchsetzten Gerinnsel eine 4
» »
» »
> »
D,?- » »
D n U
» 1 »/*
> 9
» 6 1 /*
» 11
cm hoheGassäule;
> » *
» > »
» » »
» » »
In demselben Sinne sind folgende Versuche zu deuten:
Es werden zwei gleich grosse Gläser gefüllt mit derselben Lösung von Rüben¬
saft (bekanntlich sämmtliche vorkommende Disaccharide enthaltend) und Zuckern, die
aus einer Brotanalyse stammten; dieselben nach Herzfeld armiert und mit Fall¬
rohren verbunden, in denen sich die durch Gährung gebildete Kohlensäure sammelt
und quantitativ abgelesen werden kann. Glas A ; , wird ohne weiteres, B 3 nach Zusatz
von thierischer Gallerte, mit der gleichen Menge derselben Hefe versehen, in ein
Wasserbad von 40° C gesetzt mit folgenden Resultaten:
Vierter Versuch.
11 Uhr abends angesetzt A s ohne Glutoidlösung B s mit Glutoidlüsung
11,10
»
»
Gassäule von 0 cm
6 cm Höhe
11,30
»
» » 3 >
11 > »
11,40
»
» » 5 >
14 J>
Fünfter Versuch.
In gleicher Weise werden angesetzt je 100 cm» Milch mit Quark vermischt um:
4
Uhr nachmittags
A 4 ohne Glutoidlösung
B 4 mit Glutoidlösung
8
»
abends
Gassäule von 9 cm
12 cm» CO s im Steigrohr
10,30
>
»
» y> 17 >
22 » » > 2»
9
»
vormittags
» » 38 »
36 » V >
Sechster Versuch.
Es werden angesetzt in drei Gläsern (A 5 , B s und C s ) eine 2 °/ 0 ige Milchzucker¬
hefequarkaufschwemmung um:
7 Uhr abends A s ohne Glutoidl. B s mit Glutoidl. C 5 mit Purofleischsaft
11 » » Gassäule von 2 1 /* 4 cm» CO s
8 » vorm. » » 1V* 6 l /> 7 > >
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Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc.
569
Siebenter Versuch.
Ebenso werden angesetzt Hefequarkaufschwemmung mit Rohrzucker um:
9,45
Uhr vormittags A e ohne Glutoidl.
B s mit Glutoidl.
c 6
mit Puro
10
i Gassi, von 0
2V*
3Va
cm
10,20
»
y> » » V 4
4 V«
43/4
»
12
>
» » * 1 V 2
6 1 /*
6
»
1
nachm. » » 3V*
8 V 2
7
»
3
»
» » » 4
11
8
cm 3 C 0 3
Achter Versuch.
Ferner werden ca. 50 g Milchzucker in 1 1 Wasser gelöst, mit ca. 20 g Käse¬
quark durchschüttelt und in Gläsern angesetzt um :
3 Uhr nachmittags A 7 ohne Glutoidl. B 7 mit Glutoidl. C 7 mit Puro
6 » » Gassi, von 0 10 cm® C0 3
7» » » > 1 3 1 > »
<3 » > » » 4 7 5</z » »
9 » » > 8 10 9 » >
Diese Laboratoriumsversuche, wie auch die vorerwähnten, den Bacillus coli be¬
treffenden, lehren, dass es in der That möglich ist, eine unter Umständen bis zum
Ausbleiben langsame Milchzuckervergährung in augenfälliger Weise zu beschleunigen.
Wie das hier für sterilisierten Magensaft, Albumosepeptonlösung (Puro), thierische
Leimlösung, die durch mehrstündiges Kochen thierischen, leimhaltigen Gewebes theils
im einfachen Kochtopf, theils unter mehrfachem Atmosphärendruck gewonnen wurde,
nachgewiesen ist, kann man zu demselbeu Zwecke, wie bereits Bendix 1 ) festgestellt
hat, auch andere Substanzen, wie ausgepresste Organsäfte, oder getrocknete Organ¬
substanzen u. s.w. benutzen, falls sie, wie Bend ix hervorhebt, Albumosen und
Peptone, oder, wie ich hinzufüge, die entsprechenden Derivate der Albuminoide ent¬
halten. Wie die Wirkung eintritt, ob auf die geformten oder ungeformten Fermente,
mag dahin stehen; die Thatsache steht nach dem Ausfall obiger Versuchsreihen fest.
Diese Thatsache nun, diese Methode, den Widerstand schwer vergährbarer Kohle¬
hydrate gegen mehr oder weniger fakultative Gährungserreger durch Zusatz ge¬
nannter Albumin- und Albuminoidsubstanzen zu brechen, kann man auch auf
obligatorische Gährungserreger übertragen, mit dem Erfolg, dass auch hier theils
der Eintritt der Gährung durch entsprechende Zusätze bedeutend beschleunigt, theils
die stattfindende Gährung selbst dadurch bedeutend verstärkt wird. Dafür spricht
folgendes:
In der oben angezogenen Herz fei d'sehen Anordnung werden drei Flaschen
mit einer gleichen Hefequarkaufschwemmung und 5 g Rohrzucker angesetzt:
um 9,45 Uhr No. 1 ohne Puro No. II mit Puro No. III mit Glutinlösung;
es hat entwickelt:
um 10 Uhr 0 3 1 /* 2 1 / 2 cm®C0 3
>12 » 1 U 4®/ 4 4 » »
» 1 » 1 */ 2 6 8 1 /* »
> 3 » 4 8 11 » .
>) Diese Zeitschrift Bd. 3. Heft 7. S. 587.
Original from
UMIVERSITY OF MICHIGAN
570 Wilh. Bauermeistcr, Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzweeken etc.
Ferner wird in vier Flaschen eine gleiche Zuckerlösung, in gleicher Menge, mit
derselben Hefemenge angesetzt; dazu kommt in:
um
10,45
Uhr
No. I
20 cm s Wasser
No. II
20 em 3 Tropon-
pepton
No. III
20 cm* Gelato-
pepton
No. IV
20 cm* Glutin¬
lösung >)
»
10,50
»
15
50
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20 cm» CO.
»'
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48
250
105
85 s »
11,80
»
108
270
200
220 » »
»
12
165
365
300
340 > )»
2>
1
»
200
488
430
494 » »
Ferner wird eine Lösung von Rübensaft in gleichen Portionen in vier Flaschen
mit gleichen Hefequanten angesetzt:
um
12,15
Uhr
No. I
ohne
No. II
mit Tropon-
pepton
No. III
mit Gelato-
pepton
No. IV
mit Glutin
cs entwickelt
bis 12,30
30
30
?2)
30 cm» CO
12,40
»
115
120
90
125 » >
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12,50
»
210
225
195
250 » »
1
»
300
310
290
350 » >
»
2
»
750
810
800
900 » j
2,30
900
1060
990
1240 » 2>
Um nun zu.dem eigentlichen Thema, der Verwendung des Rohkaseins zu
Backzwecken, zurückzukommen, so glaubte Verfasser in diesen Vorversuchen die
Mittel und Wege gefunden zu haben, den vollmilchzuckerhaltigen Quark in grosser Menge
zum Brotteig mischen zu können, ohne den Milchzucker im fertigen Brote wieder¬
finden zu müssen. Denn da die Laboratoriumsversuche mit demselben Material
arbeiteten, wie es bei der Brotbereitung verwendet werden sollte, so war es von
vornherein wahrscheinlich, dass dasjenige, was im Brütschrank, im Reagensglas,
respektive in der Gährflasche gelang, auch in der Backstube, im Backtroge gelingen
musste. Der Erfolg gab der Annahme Recht. Es konnten in das Brot auf Grund
obiger Auseinandersetzungen Kaseinmengen verbacken werden, die den Teig ohne
dies früher vollständig erstickt hätten, und die bisher von keiner anderen Seite ver¬
wandt werden konnten. Wenn z. B. Schreiber an obengenannter Stelle schon mit
Genugthuung hervorhebt, ein Brot aus zwei Theilen Mehl und einem Theil Kasein
backen zu können, so ergiebt das, wie man leicht ausrechnen kann, ein Produkt von
ungefähr 45% Kohlehydraten und ca. 6—8 % Eiweissgehalt, während in unseren Pro¬
dukten sich das Eiweiss in mehr als doppelter, unter Umständen in drei- und vierfacher
Menge findet. Doch davon später. Als ein objektives Zeichen von der durch ge¬
nannte Zusätze in der That gesteigerten Gährung sei vorerst einfach erwähnt, dass
ein Brot, unter sonst gleichen Bedingungen nach dem von mir ersonnenen Verfahren
i) Diese von mir so benannten Körper wurden gewonnen durch Kochen von Tropon resp.
thierischen Leimes unter mehrfachem Atmosphärendruck; alle Lösungen No. 13, III und IV waren
vor dem Gebrauch auf einen N-Gehalt von 0,5 % eingestellt
a ) Flasche in war anfänglich nicht luftdicht verschlossen.
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E. Kautonberg, Beiträge zur Kenntnis» der Hcissluftbehandlung. 571
gebacken, 1,8 —2,8% kaltwasserlösliche Kohlehydrate hat, während dasselbe Brot,
früher sogar mit theilweisem Auswaschen des Quarkes, 3,5—4,6 % davon aufwies.
Es ist dies in der That ein Zeichen, dass, unter dem Zusatz nicht nur die Milch-
zuckervergährung sehr ausgiebig ist, sondern dass, wie auch die Laboratoriums¬
versuche gezeigt haben, auch die gewöhnliche Teighefegährung eine bedeutende An¬
regung erfahren hat. Diese beiderseitige aussergewöhnlich starke Vergährung er¬
möglicht nun ihrerseits wieder eine ganz bedeutende Reduktion des Mehlgehaltes
des Brotes; denn je stärker (neben einer starken Hefegährung) die Milchzucker-
gährung ist, desto mehr kann man auf die Mehlteiggährung verzichten, desto mehr
kann man also dem Teige Mehl entziehen, ohne für das Lockerwerden fürchten zu
müssen; umsomehr, als durch passende Auswahl der Peptone auch ein Stehenbleiben
des Brotes nach dem Lockern erzielt wird.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen sei es gestattet, auf die nach obiger
Methode hergestellten Gebäcke, die von dem Bäckermeister Otto Meiners in
Braunschweig unter dem Stichwort »Salusfabrikate« hergestellt werden, des Näheren
einzugehen mit besonderer Berücksichtigung der Faktoren, welche den Gradmesser
für den Werth eines Diabetikergebäckes als solchem überhaupt bilden.
(Schluss folgt.)
IV.
Beiträge zur Kenntniss der Heissluftbehandlung.
Aus der Königlichen medicinischen Universitätspoliklinik zu Königsberg i. P.
(Direktor: Professor Dr. Schreiber).
Von
Dr. E. Rautenberg,
Assistenzarzt.
(Schluss.)
Wir kommen hiermit auf eine zweite Methode der Applikation der
heissen Luft, die uns in einfacher Weise durch die Konstruktion unseres
Apparates ermöglicht ist, und deren wir uns in unserer Poliklinik sehr gerne be¬
dienten. Es handelt sich bei der letztgenannten Art der Applikation gewisser-
maassen um eine Art von Heissluftdouche, nämlich der Art, dass wir unter
Verzicht auf einen allseitig geschlossenen Raum die Luft direkt aus dem Apparat
gegen den Körper strömen Hessen, und zwar allein mit Hilfe der im Heissluft¬
apparat entstehenden Strömung, ohne Zuhilfenahme eines Motors, wie ihn z. B.
Frey 1 ) nöthig hat Diese Anwendungsform benutzen wir hauptsächlich dann,
wenn es sich darum handelt, Partieen des Rumpfes, des Rückens, der Brust,
der Kreuzgegend der heissen Luft zu exponieren, am besten in sitzender Stellung
des Patienten. Der Heissluftapparat wird zu diesem Zwecke mit seiner Mündung
i) Frey, 1. c.
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572
E. Hautonberg
— nach Abnahme der Kappe — gegen den betreffenden Kürpertheil gerichtet, nicht
zu weit, ca. 30—40 cm, von ihm entfernt. Die heisse Luft strömt dann, ihren Lauf
schräge aufwärts nehmend, gegen den Körper. Da sie aber die Tendenz hat, sehr
bald nach dem Austritt aus der horizontalen Richtung in die vertikale überzugehen,
so spannt man zweckmässig ein Tuch (a, b in Fig. 73) von dem Körper (oberhalb
der Applikationsstelle) nach dem Apparat hin, so dass der Heissluftstrom vermittels
des Tuches gleichsam nach der gewünschten Stelle hingeleitet wird.
Fig. 74, 75 veranschaulichen eine derartige Stellung. Damit das Tuch sich
nicht etwa vor die Mündung des Rohres legt, ist ein schirmartiger Aufsatz auf
dasselbe hinaufgeschoben; in Fig. 75 ist es (bei Sch ) sichtbar gemacht Manchen
Patienten ist übrigens der direkte Luftstrom zu intensiv; in diesem Falle armiert
man das horizontale Rohr einfach mit der Kappe, Oeffnung nach unten gerichtet.
Der Effekt der Applikation wird dabei nicht beeinträchtigt.
Für die Applikation gegen Rücken- und Kreuzbeingegend haben wir uns, wie
in den Abbildungen sichtbar, besondere schleppenartige Mäntel konstruiert. Ver¬
mittels dieser ist es möglich, die heisse Luft in gewünschter Weise genau zu lokali¬
sieren; und falls es z. B. nothwendig ist, nur
Kiff. 7:s. eine Rückenhälfte mit heisser Luft zu be¬
handeln (bei Pleuritis), so bringt man in
der Mitte der Schleppe ein senkrecht herab-
fiängendes Tuch als Scheidewand an; auf
diese Weise gelingt es sehr vollkommen,
nach Bedarf gegen die rechte oder linke
Seite isoliert den Heissluftstrom zu führen.
Für den Patienten ist diese Methode
der Wärmeapplikation sehr bequem, und der
Effekt der Applikation ist wegen der starken
Strömung der heissen Luft der einer ausser¬
ordentlich starken Hyperämie. Auch bei
dieser Applikation kann der Patient vermittels der Klappe und der daran befestigten
Kette die Temperatur seinem Gefühle nach selber regulieren.
Wir haben in den letzten Jahren bei unseren poliklinischen Kranken die Heiss¬
luftbehandlung in weitgehender Weise angewandt, und zwar so, dass die Kranken
in der Poliklinik selbst, nicht in ihrer Häuslichkeit behandelt wurden; im Durch¬
schnitt Hessen wir die heisse Luft eine Stunde lang, täglich einmal einwirken. Da
die Kranken die Temperatur selber regulieren konnten, bedurften sie nur geringer
Beaufsichtigung, und so konnten sie während der Sprechstunde, natürlich in be¬
sonderen Räumen, behandelt werden. Die Fälle, bei denen wir besondere Be¬
obachtungen und Messungen anstellten, bedurften natürlich besonderer Stunden. In
einzelnen Fällen haben wir die Apparate auch nach Hause mitgegeben.
Im allgemeinen haben wir die Heisslufttherapie angewandt bei den Erkrankungen,
die auch sonst von den Autoren als besondere für diese Behandlung geeignet genannt
sind, nämlich 1 ) bei rheumatischen und arthritischen Affektionen, Neuritiden (Ischias),
] ) Die 120 Krankheitsfälle, über die ich berichte, wurden in einem Zeitraum von 1>/ s Jahren
(bis Fierbst 1901) von uns in der Poliklinik unter meiner speziellen Beobachtung behandelt.
35 arthritischc Affektionen, darunter 1 gichtische, 4 wurden als geheilt, 23 als gebessert
8 (darunter 1 Gicht) als ungcbcsscrt entlassen. 10 fteuralgieen: 5 geheilt, 9 gebessert, 2 ungeheilt
15 Myalgieeu: 12 geheilt, 1 gebessert, 2 mit zweifelhaftem Erfolg. 1 Tic convulsif: wesentlich ge-
Orifinal from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
WmM
i&wM
zur Kcm.tmss »in* noi^I'ufrb^hnndlun,
•Original fram
Dtglji^efl b>
UfJIVERgFTY
574 E. Rautenberg
traumatischen Folgezuständen (Kontusionen, Distorsionen), entzündlichen Prozessen
(Tendovaginitis, Bursitis), bei Geschwürsbildungen (namentlich Unterschenkel¬
geschwüren) u. s. w. Ferner haben wir sie angewandt in einzelnen Fällen von
Neurasthenie und Hysterie, bei Ulcus ventriculi, bei Chorea minor, in je einem Falle
von Tic convulsif, von skrophulösen Lymphdrüsen, von konstitutioneller Syphilis.
Endlich haben wir vermittels der direkt strömenden Luft die Behandlung der serösen
Pleuritiden unternommen und gerade diese Erkrankungen sehr gerne der Behandlung
unterzogen.
Was die Erfolge betrifft, so sind diese — entsprechend der Natur der zuerst
genannten meist langwierigen und zum Theil verschleppten Krankheitsfälle — schein¬
bar nur sehr massige, da dauernde Heilungen nur sehr selten erzielt wurden. Doch
sind es nur sehr wenige Fälle, in denen gar keine Besserung eintrat; meist waren
die Patienten sehr zufrieden mit dieser Behandlung, die ihnen in ihrem langwierigen
Leiden oft genug über Erwarten grosse Erleichterung brachte.
Bei den Neurasthenikern hatte die Heisslufttherapie im ganzen einen sehr guten
Erfolg, ebenso in zwei Fällen von Ulcus ventriculi. Es darf allerdings dabei nicht
ausser acht gelassen werden, dass gleichzeitig die sonst noch üblichen therapeutischen
Mittel zum Theil angewandt wurden.
Der Tic convulsif wurde mit strömender heisser Luft behandelt, indem in
das horizontale Rohr eine konische Verlängerung eingesetzt wurde mit einer V* cm
weiten Oeffnung. Der Apparat wurde nur 5—10 cm entfernt von der Wange auf¬
gestellt. Die Patientin gab schon nach einigen Sitzungen an, grosse Erleichterung
zu verspüren und war mit diesem Erfolge sehr zufrieden. In der That waren die
Kontraktionen seltener geworden.
Bei dem Falle mit skrophulösen Lymphdrüsen wandten wir neben Alkohol¬
umschlägen die direkt strömende heisse Luft mit gutem Erfolge an; bei der konsti¬
tutionellen Lues war wegen Neigung zu starker Stomatitis die erneute Anwendung
von Quecksilber.kontraindiziert; deshalb behandelten wir sie mit allgemeinen Heiss¬
luftbädern, jedoch war der Erfolg vollkommmen negativ.
bessert. 4 Fälle von akuter Bursitis und Tendovaginitis: geheilt entlassen. 7 Fälle von Periostitis
resp. Veränderungen nach Frakturen: 2 geheilt, 1 gebessert, 3 nicht gebessert. 5 wegen erlittener
Kontusion: 2 geheilt, 3 (darunter 2 Simulanten) nicht geheilt. 5 mit zum Theil sehr ausgedehnten
Unterschenkelgeschwüren: 1 geheilt, 4 gebessert. 4 Fälle von Neurasthenie resp. Hysterie: 3 ge¬
bessert, 1 nicht gebessert. 2 Fälle von Chorea minor: 1 geheilt, 1 gebessert 2 Fälle von Ulcus
ventriculi: gebessert. 1 Fall von Lues: nicht gebessert 1 Fall mit multiplen Lymphdrüsen: wesentlich
gebessert. 1 Fall Nephritis mit Oedemen: mit zweifelhaftem Erfolge. Endlich 21 Fälle von Pleuritis,
darunter 1 Fall von ausgesprochener Pleuritis sicca (die Krankheit bestand seit ca. i/ 2 Jahr); 8 Fälle
(Pleuritis exsudativa) wurden vollkommen geheilt; bei 2 Fällen blieb eine Dämpfung bestehen, und
zwar handelte es sich um Schwartenbildung, wie der negative Ausfall der nachträglichen Probe¬
punktion zeigte; 6 Fälle, die schon nach kurzer Zeit subjektiv und objektiv erheblich gebessert
waren, blieben aus der Behandlung fort, so dass der weitere Verlauf nicht beobachtet werden
konnte; bei 2 Kranken war die Besserung nur gering, bei 1 Patient trat keine Besserung ein; es
musste in diesen 3 Fällen die Punktion vorgenommen werden. — Auffallend war die rasche Heilung
der erwähnten Pleuritis sicca mit lautem Reibegeräusch über einem grossen Theil der linken vorderen
Brustwand. Der Anamnese nach hatte das Leiden vor 1/2 Jahr begonnen, war ärztlich auch so
lange nachgewiesen worden, und der Kranke selbst konnte das »sägenden Athemgeräusch in seiner
Brust fühlen. Während achttägiger Behandlung mit der heissen Luft nahm die Deutlichkeit des
Reibegeräusches ab, um an den nächsten 3 Tagen vollständig zu verschwinden. Hand in Hand
mit dem Verschwinden des Rcibegeräusches ging die subjektive Besserung des Kranken, der durch
das »sägende« Athmen nicht mehr beunruhigt wurde.
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Beiträge zur Kenntnis» der Heissluftbehandlung. < r >75
Die Chorea minor glaubten wir mit gutem Rechte in den Bereich der Heiss¬
luftbehandlung ziehen zu können, da sie doch mit den rheumatischen Affektionen in
enger Beziehung steht, und diese sich für unsere Behandlungsart so gut eignen. Der
Erfolg entsprach unseren Erwartungen aber nicht, da die Behandlung der schon
einen Monat lang bestehenden Erkrankungen noch 1—2 Monate hindurch fortgesetzt
werden musste, ehe Besserung respektive Heilung eintrat. Der Verlauf der Chorea
war also durch die Heissluftbäder nicht sichtlich beeinflusst worden, doch fühlten
die Kranken sich bei dieser Art der Behandlung sehr wohl, und bei der sonstigen
Machtlosigkeit der Therapie schien sie uns sehr willkommen.
Dagegen hatten wir bei der Behandlung der serösen pleuritischen Exsudate
sehr gute Erfolge. Obgleich wir verschiedene Fälle in Behandlung bekamen, die
vom Arzte zu Hause mit den üblichen Mitteln, ein Fall selbst mit Punktion ver¬
geblich behandelt waren, so trat bei allen eine prompte, oft überraschend schnelle
Resorption ein, so dass in längstens 3—4 Wochen das Exsudat ganz verschwunden
war, respektive nur eine geringfügige, nicht auf Flüssigkeitsreste zu beziehende
Dämpfung restierte. In ungefähr der Hälfte der Fälle, die übrigens fast alle vor,
während und nach der Behandlung in der poliklinischen Vorlesung demonstriert
wurden, war die Restitution so vollkommen, dass weder eine Dämpfung, noch eine
auskultatorische Veränderung zurückblieb, und die Verschieblichkeit der Lungen¬
grenzen vollkommen normal wurde. Wir gewannen den Eindruck, dass keins der
gebräuchlichen Mittel im stände sei, die Resorption des Exsudates in dieser Weise
relativ rasch und vollkommen zu beeinflussen.
Beim Beginne der Resorption, nach den ersten Applikationen, trat verschiedene
Male, als ein Zeichen der Abnahme des Exsudates, pleuritisches Reiben auf, das sich
in einigen Tagen verlor. Die Stelle desselben lag meist in der Axillarfläche.
Die Behandlung nahmen wir in der Weise vor, dass zunächst durch eine Probe-
punktion festgestellt wurde, dass es sich in der That um ein seröses Exsudat
handele. Falls Verdrängungserscheinungen bestanden, wurde zunächst punktiert,
mindestens bis zur Beseitigung derselben.
Die Applikation der heissen Luft dauerte gewöhnlich eine Stunde, und wurde,
wenn möglich, täglich vorgenommen.
Wir sind weit entfernt davon, diese Erfolge der Pleuraexsudatbehandlung allein
der Heisslufttherapie zuschreiben zu wollen; denn es ist ja z. B. bekannt, dass bei
verzögerter Resorption gelegentlich der Reiz einer Probepunktion genügen kann, um
die Aufsaugung anzubahnen. Da die Resorption aber in den beobachteten Fällen
sehr rasch eintrat und so vollkommen wurde, wie nur selten nach den üblichen
Medikationen, so glauben wir der Heisslufttherapie einen jedenfalls sehr günstigen
Einfluss zuschreiben zu müssen. Die Erklärung für diesen Effekt ist nicht schwierig,
wenn man die starke Hyperämie betrachtet, welche durch die strömende heisse Luft
auf der dem Krankheitsherde entsprechenden Stelle der Thoraxwand hervorgerufen
wird, und sich erinnert, dass Bier, ferner Quincke und Salomon 1 ) nachgewiesen
haben, dass Wärmeapplikationen der Haut in 1—2 cm Tiefe Temperatursteigerungen,
d.h. tiefgehende Hyperämieen hervorrufen. Ferner hat Heinz 4 ) auf thermoelektrischem
Wege nachgewiesen, dass äussere, Hyperämie hervorrufende Applikationen der Brust¬
wand (z. B. Alkoholumschläge) in der Pleurahöhle Temperatursteigerungen bis 1 0 C
’) Beiliner klinische Wochenschrift 1807. No. 49 und '>0.
'*) Kongress für innere Medicin. Berlin 1901.
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576 E. Rautenberg, Beiträge zur Kenntnise der Heissluftbehandlung.
hervorrufen. Da die Hauttemperatur bei der Heissluftapplikation auf 40 — 41 “ ('
steigt 1 ) (um 3—4® über die Körpertemperatur, viel höher also, als bei den von
Heinz angestellten Versuchen), so werden wir nicht fehlgehen in der Annahme, dass
diese hohe Temperatursteigerung respektive Hyperämie entsprechend stärkere Ver¬
änderungen in der Pleura hervorruft, welche ihrerseits in höherem Grade geeignet
sind, die Desorption anzuregen.
Wenn wir zum Schlüsse noch einmal die Hauptpunkte zusammenfassen, durch
die sich der in der hiesigen medicinischen Poliklinik zur Anwendung gebrachte
Heissluftapparat*) von den bisherigen Apparaten unterscheidet, so sei hervorgehoben,
dass er vor allem einfach konstruiert ist, und mit einfachen Mitteln für alle Körper¬
teile eine leichte und bequeme Lokalisation zulässt. Ferner können wir in aus¬
giebigerer Weise im geschlossenen Raum die Luftströmung beherrschen, und ausser
der üblichen >Kastenbehandlung< auch freiströmende heisse Luft applizieren. Endlich
sei noch einmal hervorgehoben, dass wir in keiner Weise an die Art der Applikation
gebunden sind; in diesem Sinne sind die beigefügten Abbildungen auch nur zu ver¬
stehen als Vorschläge, wie die Applikation uns am zweckmässigsten erschienen ist.
Durch geringe Aenderungen kann man die vorgeschlagenen Stellungen nach Belieben
und Bequemlichkeit verändern.
Für die Praxis ergiebt sich nach unseren Erfahrungen, dass die Heisslufttherapie
einzelnen Erkrankungen gegenüber ein erfolgreiches, zuverlässiges Mittel ist, anderen
gegenüber ein vollkommenes Unterstützungsmittel. Jedenfalls wird es von allen Kranken
gern entgegengenommen, und verdient somit als eine beachtenswerthe Bereicherung
unseres therapeutischen Schatzes angesehen zu werden, mit welcher sich eingehender
zu beschäftigen für den Praktiker verlohnen möchte.
>) Schreiber, I.c.
-) Die Firma C.J. Hehn. Braunschweig, ist mit der Herstellung unserer Apparate (D.R.G.M.
X«. 17(1442) beauftragt woidcn.
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Leonor Michaelis, Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Emährungsphysiologie. »>77
Kritische Umschau.
Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungs¬
physiologie.
Von
Dr. Leonor Michaelis,
Assistent an der I. tnedicinischen Klinik in Berlin.
Wenn man einem Thiere irgend eine, seinem Körper fremde Eiweiss¬
art wiederholt injiziert, so gewinnt allmählich das Blutserum dieses
Thieres die Eigenschaft, mit jener injizierten Eiweissart im Reagens¬
glase einen Niederschlag zu geben.
Diese in einem so einfachen Satze enthaltene, allgemein gütige Thatsache
wurde auf recht sonderbaren, verwickelten Wegen gefunden.
Die ganze hierher gehörige Lehre, welche ihrer Natur nach in die Physiologie
gehört, ist aus der Bakteriologie hervorgegangen.
Es war nach der Entdeckung der krankheitserregenden Bakterien ein nicht
gar fern liegender Gedanke, die schädlichen Wirkungen der Bakterien auf Gifte
zurückzuftthren, welche in den Bakterienleibern enthalten oder von ihnen secerniert
würden. Schon Pasteur, Koch hatten diesen Gedankengang, und Brieger bemühte
sich, aus den Bakterienkulturen dieses Gift chemisch zu isolieren. Das erste
Bakterientoxin, welches wir, wenn auch nicht in reinem Zustand, so doch völlig von
den Bakterien, die es erzeugt hatten, isoliert kennen lernten, war das von Roux
und Yersin gefundene Diphtherietoxin. Es erzeugt beim Thier dieselben Krank¬
heitserscheinungen wie der Diphtheriebacillus selbst, und auch darin decken sich
die Wirkungen des Toxins und der Bacillen, dass das Ueberstehen einer einmaligen
Intoxikation bezw. Infektion einen gewissen Grad von Immunität gegen dieses Gift
hinterlässt.
Diese längst bekannte Thatsache, dass eine überstandene Infektion oder Intoxi¬
kation in gewissen Fällen eine Immunität hervorruft, wurde dann durch die be¬
rühmte Behring’sche Entdeckung dahin erweitert, dass das Serum solcher immunen
Thiere die Immunität auch auf andere nicht immune Thiere überträgt. Hier war zum
ersten Mal ein »Antikörper« gefunden, und zwar ein Antitoxin.
Die Wirkungsweise des Antitoxins dachte man sich zunächst entweder derart,
dass es das Gift zerstöre, also etwa fermentartig in kleinere ungiftige Moleküle
abbane, oder aber derart, dass es gar nicht auf das Gift wirke, sondern einen gift¬
festigenden Einfluss auf die Zelle ausübe.
Aber diese beiden Anschauungen erwiesen sich als unhaltbar. Ehrlich war es,
der zum ersten Mal Klarheit in den Mechanismus der Antitoxinwirkung brachte 1 ).
Er wies an der Hand eines anderen, und zwar eines pflanzlichen Giftes, des Ricins,
welches ebenso wie die Bakteriengifte eine spezifische Immunität gegen sich erzeugt,
in überzeugender Weise nach, dass die Wirkung des Antitoxins auf einer chemischen
Bindung an das Toxin beruht, welche etwa der neutralisierenden Wirkung einer
Base gegen eine Säure vergleichbar ist, um so mehr vergleichbar, als ein n-faches
Multiplum des Toxins genau durch das n-fache Multiplum des Antitoxins neutra¬
lisiert wird.
Aber es stellte sich heraus, dass nicht nur die Bakterientoxine und die diesen
in ihrer Wirkungsweise nahe verwandten Gifte wie das Ricin und das Schlangengift
Zeitsobr. f. diät a. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 10. jq
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Leonor Michaelis
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derartige Antikörper im Organismus hervorlocken, sondern dass auch geformte
Elemente eine entsprechende Reaktion im Körper auslösen. Ich will hier nur der
von Pfeiffer 2 ) gefundenen Eigenschaft des Serums gegen Cholera immunisierter
Meerschweinchen gedenken, unter gewissen Bedingungen einen spezifischen Einfluss
auf Choleravibrionen auch im Reagensglas auszuüben, welcher in einer Auflösung
dieser Bakterien besteht.
Auf der anderen Seite stellte es sich heraus, dass durchaus nicht alle Gifte
im stände sind, Antikörper zu erzeugen, vor allem nicht die Alkaloide und die
metallischen Gifte. Als befähigt zur Antikörperbildung haben sich die echten
Bakterientoxine, die ihnen nahestehenden pflanzlichen Gifte Ricin und Abrin, die
Schlangengifte, und schliesslich ein grosser Theil der ungeformten Fermente (Lab,
Pepsin etc.) erwiesen.
Alle diese Stoffe waren längst als Gifte erkannt. Auch als man durch Bordet*)
die Thatsache kennen lernte, dass die rothen Blutkörperchen einer fremden Thierart
spezifische Antikörper zu erzeugen im stände sind, wurde die überraschende Neuheit
dieser Entdeckung dadurch dem Verständnis näher geführt, dass man aus älteren
klinischen Versuchen, Hammelblut dem Menschen zu transfundieren, die hohe Giftig¬
keit einer fremden Blutart kennen gelernt hatte.
Ganz und gar unerwartet kam aber die Entdeckung, dass auch gelöste Eiweiss¬
substanzen, die einer fremden Thierspezies entstammen, im stände sind, bei ihrer
Injektion einen spezifischen Antikörper hervorzurufen, welcher seine Wirkung auf
jenes Eiweiss durch eine Niederschlagsbildung in demselben anzeigt
Dass ein Antikörper seine Wirkungsweise im Reagensglase durch das Entstehen
eines Niederschlages bemerkbar machen könne, wurde zum ersten Mal von Kraus 4 )
beobachtet. Ein Serum, welches Typhusbacillen agglutiniert, giebt in dem keim¬
freien Filtrat einer Typhuskultur einen Niederschlag. Mit einem Serum injizierte
Tchistovitch«) zuerst Thiere. Er benutzte Aalserum, welches er Kaninchen ein¬
spritzte. Das Serum dieser Kaninchen gab dann mit Aalserum im Reagensglas einen
Niederschlag. Aber er bezog diese Reaktion nicht im allgemeinen auf das Serum,
sondern hielt es naturgemäss für eine spezielle Eigenschaft des seit langem als giftig
bekannten Aalserums. Wiederum war es Bordet 6 ), welcher diese Reaktion als eine
den Eiweisskörpern allgemein anhaftende Eigenschaft erkannte. Er konnte dieselbe
Reaktion durch Injektion von Milch und von Blutserum verschiedener Thiere beim
Kaninchen erhalten. Durch die nunmehr folgenden Arbeiten von Wassermann 7 )
und Schütze 8 ) 9 ), Myers 10 ), Nolf 11 ), Uhlenhut 12 ) und vielen anderen wurde
gezeigt, dass die Reaktion für die Eiweissart spezifisch ist. So zeigten Wasser¬
mann und Schütze, dass das Präcipitin, welches man durch Injektion von Ziegen¬
milch beim Kaninchen erhält, nur auf Ziegenmilch, nicht auf Kuh- oder Menschen¬
milch wirkt und umgekehrt.
Nur flüchtig streifen kann ich in diesem Aufsatz die gleich von Anfang an
von Wassermann gezogene Nutzanwendung der Präcipitine, um für forensische
Zwecke Menschenblut von Thierblut zu unterscheiden. Nach der ersten Mittheilung
Wassermann’s erschien eine diesbezügliche Arbeit von Uhlenhut, und die Litteratnr
über diesen Gegenstand ist schon heute gewaltig angewachsen.
Welcher chemischen Natur sind nun diese Präcipitine? Solange es
nicht gelingt, die Präcipitine in reinem Zustand aus dem Serum zu isolieren, solange
wird eine exakte Beantwortung dieser Frage nicht möglich sein, und auch dann noch
kaum. Aber immerhin sind doch einige wichtige Eigenschaften der Präcipitine be¬
kannt. Zunächst gelingt es, die Präcipitine von einem grossen Theil der Eiweiss¬
körper des Serums zu isolieren. Wenn man nämlich Blutserum bis zur halben
Sättigung mit Ammoniumsulfat versetzt, so entsteht ein voluminöser Niederschlag,
welcher nur das Serumglobulin enthält, während das Serumalbumin in Lösung bleibt.
Wenn man den durch Filtrieren gewonnenen Niederschlag wieder in Wasser löst, so
hat man eine vom Albumin gänzlich befreite Globulinlösung. Es zeigt sich nun, das
die präcitierende Fähigkeit stets an diejenige Fraktion des Serums gebunden ist,
welche das Globulin enthält. Man kann nun durch Abstufungen in der Sättigung
mit Ammonsulfat das Globulin wiederum in zwei Fraktionen zerlegen, welche Hof-
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Die Bedeutung der Präeipitinreaktion für die Ernährungspbysioiogic. 579
meister als Euglobulin und Pseudoglobulin unterscheidet. Nach meinen Ver¬
suchen findet sich das Präcipitin stets in derjenigen Fraktion, welche das Euglobulin
enthält. Doch scheint dieses Verhalten nicht ganz konstant zu sein. Leblanc 15 )
hat seine Präcipitine gerade im Pseudoglobulin gefunden, und es ist ein solcher
Wechsel in dem Verhalten wohl denkbar. Als Analogon dafür führe ich an, dass
E. P. Pick 1Ä ) das Diphtherieantitoxin im Pferdeserum unter den Pseudoglobulinen,
im Ziegenserum unter den Euglobulinen fand.
Eine andere Eigenschaft des Präcipitins ist die, dass es durch Erhitzen zerstört
wird; nicht so leicht wie die Hämolysine, welche schon bei 55° eine gewisse Ver¬
änderung erfahren, wohl aber bei 68°, also durchaus unterhalb der Koagulations¬
temperatur der gewöhnlichen Eiweisskörper.
Das Präcipitin diffundiert ferner nicht durch Pergamentpapier und erweist sich
damit als ein hochmolekularer Stoff.
Ferner wird das Präcipitin durch kurze Einwirkung von Pepsinsalzsäure (Ober¬
meyer und Pick; Verf.) rasch zerstört. Durch energische Einwirkung von Trypsin
wird es nach meinen Erfahrungen ebenfalls, wenn auch langsamer vernichtet.
Aus diesen wenigen Eigenschaften können wir freilich über die wahre Natur
des Präcipitins noch nichts bestimmtes aussagen. Die naheliegende Annahme, es
sei ein Ei weisskörper, in Anbetracht seiner Verdaulichkeit durch eiweissspaltende
Fermente, ist nicht ohne weiteres gerechtfertigt, da auch andere nicht zu den Eiweiss¬
körpern gehörende Stoffe, wie einige Fermente, leicht durch Verdauungsfermente
zerstört werden.
Einem Missverständniss möchte ich jedoch Vorbeugen. Einen Stoff, der in der
Milch einen Niederschlag erzeugt, wie auch das Labferment, ist man von vornherein
geneigt, als ein »Ferment« zu betrachten. In dem gewöhnlichen Sinne ist aber das
Präcipitin kein Ferment. Denn wie schwankend auch der Begriff des Fermentes noch
bis vor kurzem gewesen sein mag, so gehört doch zu diesem Begriff zum mindesten die
Eigenschaft, dass ein echtes Ferment bei der Reaktion, welche es einleitet, nicht
verbraucht wird. Das ist nun bei den Präcipitinen ganz anders. Wenn eine gewisse
Menge präcipitinhaltigen Serums eine gewisse Menge des auf dasselbe eingestellten
Eiweisses ausgefällt hat, so ist es nunmehr aus dem Serum verschwunden. Es ist
also während der Reaktion quantitativ verbraucht worden. Dagegen lässt es sich
in dem Niederschlag unter gewissen Bedingungen wieder nachweisen. Wie nämlich
P. Th. Müller 22 ) gezeigt hat, zerfällt der Niederschlag, den Kasein mit seinem
Präcipitin erzeugt, durch Aufschwemmen in reichlichem Wasser wieder in die Kom¬
ponenten: Kasein und Präcipitin. Jede dieser beiden Komponenten lässt sich dann
durch Hinzufügen der anderen im Ueberschuss wiederum durch Niederschlagsbildung
erkennen. Ferner hat Eisenberg 20 ) diese Verhältnisse an Serumpräcipitinen studiert.
Er stellte in eingehender Weise Untersuchungen an über die quantitativen Verhält¬
nisse, welche zum Zustandekommen des Niederschlages nothwendig sind. Ohne auf
die interessanten Einzelheiten hierüber eingehen zu können, kann ich aus diesen
Untersuchungen nur hervorheben, dass auch er zu dem sicheren Resultat kommt,
dass das Präcipitin nicht etwa wie ein Ferment die Entstehung des Niederschlages
nur auslöst, sondern dass das Präcipitin bei der Niederschlagsbildung verbraucht
wird und in dem Niederschlag enthalten ist.
Welche Stoffe sind nun im stände, bei ihrer Injektion in den Thierkörper ein
Präcipitin zu erzeugen? Die einfachste Antwort nach den obigen Darlegungen ist:
die Eiweisskörper. Das ist aber bestritten worden. Obermeyer und Pick, ferner
Landsteiner und Calvo glaubten Grund zu der Annahme zu haben, dass das
eigentliche Präcipitin erzeugende Prinzip nicht der Eiweissstoff als solcher, sondern
eine in ihrer chemischen Natur noch unbekannte Beimengung der in natura vor¬
kommenden Eiweisskörper ist. Der Hauptgrund, der Obermeyer und Pick zu
dieser Annahme bewog, war, dass nach ihren Versuchen Eierklar, welches durch die
tryptische Verdauung völlig aufgespalten worden war, doch noch bei der Injektion ein auf
Eierklar wirkendes Präcipitin hervorrief. Dieses Resultat konnte aber von Oppen¬
heimer und mir für das Rinderserum nicht bestätigt werden. Keineswegs bin ich
der Meinung, dass die Resultate von Obermeyer und Pick auf irgend einer gröberen
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Fehlerquelle beruhen. Ich glaube vielmehr, dass die Ursache für die Differenz der
Meinungen sich im weiteren Verlauf der Untersuchungen aufklären werden, und dass
hierbei noch unbekannte Faktoren mitgespielt haben. Nur möchte ich die Versuche
dieser Autoren wegen der Divergenz der Resultate nicht als einen unbedingten Be¬
weis dafür gelten lassen, dass jener hypothetische Stoff die Präcipitinbildung anrege,
und nicht das Eiweiss. Ich kann keinen Beweis dafür anführen, dass die Präcipitin
erzeugende Eigenschaft wirklich im Eiweissmolekül selbst steckt; ich möchte nur die
bisherigen Beweise, welche dagegen sprechen, nicht als stichhaltig anerkennen.
Im Grunde ist aber diese Meinungsdiflferenz nicht von so einschneidender Be¬
deutung, wie sie auf den ersten Blick scheinen möchte. Jeder Stoff, der einen Anti¬
körper erzeugt, muss eine »haptophore Gruppe« (Ehrlich) enthalten, welche an
einen entsprechenden »Rezeptor« im Organismus passt. Also müssen wir noth-
gedrungen auch im Eiweissmolekül einen solchen Komplex annehmen, der ein
spezifisches Bindungsvermögen für einen auf ihn eingestellten Rezeptor hat. Der
ganze Streit dreht sich bei dieser Auffassung um die Entscheidung, ob, wie
Oppenheimer und ich in Anlehnung an die überkommene Auffassung wollen,
dieser bildungsfähige Komplex einen Theil des grossen Eiweissmoleküles darstellt,
oder ob er, wie Obermeyer und Pick wollen, ein vom Eiweiss zu trennender,
selbstständiger Stoff sei, welcher im Organismus in Mischung mit dem Eiweiss
vorkommt. Für die Schlussfolgerungen, welche wir am Ende dieses Aufsatzes
ziehen wollen, ist also diese Meinungsdiflferenz nicht belangreich.
Wenn wir also in diesem Sinne sagen, dass es die Eiweisskörper sind, welche
die Bildung von Präcipitinen hervorrufen, so fragt es sich jetzt, ob denn alle
Eiweisskörper im stände sind, Präcipitine zu erzeugen. Darauf muss man zunächst
antworten, dass die Eiweisskörper in dem Zustand, in dem sie im thierischen oder
pflanzlichen Organismus gebildet werden, so weit sie untersucht sind, alle die Eigen¬
schaft der Präcipitinerzeugung haben. Es sind bisher untersucht worden die Sera
der verschiedensten Thiere; die verschiedensten Milcharten, eiweisshaltige, peritoneale
und pleuritische Exsudate, ei weisshaltiger Harn; Harn mit Bence-Jones’schem
Eiweisskörper (Rostoski), alle mit demselben Resultat. Es sind dies alles die
sogenannten genuinen Ei weisskörper.
Durch sehr wenig eingreifende Manipulationen, welche die Ei weisskörper auch
sonst nicht denaturieren, wie Fällung durch Neutralsalze, werden die Eiweisskörper
ihrer Präcipitin erzeugenden Eigenschaft nicht beraubt. Daher konnte man auch die
durch fraktionierte Ammonsulfatfällung nach Hofmeister isolierten Eiweissstoflfe des
Serums, des Eierklaren u. s.vv. einzeln untersuchen. Dabei zeigte sich, dass durch
die Injektion einer Eiweissart, z.B. des Albumins, oft ein Präcipitin entsteht, welches
auch auf eine andere Eiweissart derselben Thierspezies wirkt, z. B. Globulin. Jedoch
ist es durchaus nicht der Fall, dass man durch Injektion irgend einer beliebigen
Eiweissart stets ein Präcipitin erhielte, welches gegen jedes beliebige Eiweiss der¬
selben Thierart wirkte. Die hierhin gehörigen Einzelheiten aufzuzählen, würde einen
grossen Raum beanspruchen, ohne dass man sichere allgemeine Schlüsse aus den
vielen einzelnen Thatsachen ziehen könnte. Es genügt deshalb, zu betonen, dass man
durch Injektion einer Eiweissart in gewissen Fällen ein Präcipitin erhält, welches
auch auf manche andere Eiweissarten derselben Thierart einwirken kann, aber nicht
auf alle Eiweissarten dieser Spezies, und auch nicht immer.
Anders ist es, wenn man die genuinen Eiweisskörper durch Hitze oder chemische
Agentien denaturiert oder sie durch Verdauungsfermente spaltet. Hier bestehen
nun wieder Meinungsverschiedenheiten, indem die einen Autoren angeben, auch mit
so denaturierten Eiweisskörpern Präcipitine erhalten zu haben, andere dies leugnen.
Schon Myers wollte ein Präcipitin für Witte’s Pepton erhalten haben. Schütze
berichtet von einem Präcipitin, das er durch einen in der Hitze koagulierten und
durch Lauge wieder in Lösung gebrachten Muskelpresssaft gewonnen hat; derselbe
Autor hat auch durch Injektion von »Peptonen« Präcipitine erhalten, von denen er
sogar angiebt, dass sie für das Pepton der angewandten Thierspezies spezifisch sind.
Demgegenüber stehen die absolut negativen Resultate von Büchner und Geret,
Oppenheimer und mir, und, ganz neuerdings, P. Th. Müller. Büchner und
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Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungsphysiologie.
581
Geret konnten für Witte’s Pepton kein Präcipitin erhalten; Oppenheimer und
ich injizierten stets mit negativem Erfolg: Riedel’s »Pepton«; Albumosengemische
aus Eierklar, beides also peptische Spaltungsprodukte; ferner durch Trypsin ver¬
dautes Rinderserum; durch Kochen koaguliertes und in Lauge gelöstes Rinderserum.
Müller erhielt bei den Jodverbindungen des Kaseins zwar noch Präcipitine, nicht
aber bei den peptischen und tryptischen Spaltungsprodukten des Kaseins. Hier steht
also zunächst Meinung gegen Meinung, und es ist mir, um weitere Schlüsse zu ziehen,
nicht mehr möglich, wie bis hierher, objektiver Referent zu sein, sondern ich muss
mich auf den Standpunkt stellen, dass denaturierte oder gespaltene Eiweisskörper
keine Präcipitine erzeugen, indem ich erwarte, dass die Meinungsdifferenzen in dieser
Frage sich noch auf klären werden.
Freilich ist es noch kein abgeschlossenes Gebiet, welche Manipulationen die
Eiweisskörper nun überhaupt vertragen, ohne ihrer Fällbarkeit durch das Präcipitin,
bezw. der immer damit koincidierenden Fähigkeit, Präcipitine bei der Injektion zu
erzeugen, verlustig zu gehen. Eintrocknen, nicht zu lange andauernde Wirkung des
Alkohols, Ausfällen mit Neutralsalzen, nach Müller sogar die Jodierung, beraubt
die Eiweisskörper der in Frage stehenden Eigenschaft nicht. Im allgemeinen aber
kann man sagen, dass der den physiologischen Chemikern schon lange gebräuchliche
Begriff des »genuinen Eiweisskörpers« nach den bisher vorliegenden Erfahrungen die
Fähigkeit der Präcipitinbildung in sich schliesst, während die als »denaturiert« be-
zeichneten Eiweissstoffe diese Eigenschaft nicht mehr besitzen.
Die Versuche, aus denen die bis hierhin geschilderten Beobachtungen hervor¬
gingen, wurden in der Weise angestellt, dass den Thieren, meist Kaninchen, das
Eiweiss subkutan, intraperitoneal, oder wohl auch intravenös injiziert, jedenfalls also
auf eine unnatürliche Weise dem Körper einverleibt wurde. Es fragt sich nun, ob
sich nicht ein ähnliches Verhalten bei der natürlichen Einführung der Eiweisskörper
durch den Magendarmkanal bemerkbar macht. Im allgemeinen kann man sagen, dass
bei der Aufnahme selbst genuiner Eiweisskörper vom Magen aus kein Präcipitin ge¬
bildet wird. Das war auch von vornherein anzunehmen, denn sonst müsste z. B. jedes
Menschenserum ein Präcipitin für Kuhmilch enthalten, da ja jeder Mensch Kuhmilch
in grossen Mengen aufgenommen hat. Normales Menschenserum enthält aber kein
derartiges Präcipitin. Jedoch ist es beim Kaninchen gelungen, durch wiederholte ge¬
waltsame Einführung von grossen Mengen genuiner Eiweissstoffe durch die Schlund¬
sonde schliesslich doch ein Präcipitin zu erhalten. Das hat Uhlenhut mit Eier-
eiweiss, ich mit Rinderserum erreicht. Ascoli bestätigte den Versuch von Uhlenhut
und stellte zugleich die nach älteren Beobachtungen nicht unerwartete Thatsache
fest, dass ein Theil des in übergrosser Menge aufgenommenen Eierklares in un¬
veränderter, auf biologischem Wege nachweisbarer Form im Harn ausgeschieden
wird. Da nun aus den Versuchen von Obermeyer und Pick, Oppenheimer und
mir, sowie von P. Th. Müller hervorgeht, dass die peptischen Spaltungsprodukte
keine Antikörper erzeugen, und da in der That ein Theil des Eiweisses unverändert
im Harn wiedererschien, so folgt daraus, dass ein Theil des in den Magen ein¬
geführten Eiweisses resorbiert worden sein muss, bevor es durch das Pepsin ge¬
spalten worden ist. Das kann entweder daran liegen, dass die Resorption dieses
Eiweisses schon im Magen vor Beendigung der peptischen Spaltung stattgefunden
hat, oder, was noch wahrscheinlicher ist, dass ein Theil des Eiweisses vor Beendigung
der peptischen Verdauung durch den Pylorus in den Darm gelangt und hier resorbiert
worden ist. Gelegentlich meiner Versuche konnte ich nämlich konstatieren, dass
genuine Eiweisskörper, vor allem Blutserum, durch das Trypsin des Pankreas äusserst
schwer angegriffen werden, wenn sie nicht vorher durch die Pepsinverdauung oder
auf andere Weise denaturiert worden sind. Wenn also einmal das vom Pepsin ver¬
schont gebliebene Eiweiss in den Darm gelangt, so wird es in erheblichem Maasse
vom Trypsin nicht weiter verdaut, sondern in unverändertem Zustande resorbiert werden.
Es besteht demnach wohl die Möglichkeit, vom Magen aus ein Präcipitin zu
erzeugen, jedoch wird dieser Fall spontan nie eintreten. Handelte es sich doch in
den positiv ausgefallenen Versuchen um das Kaninchen, einen Pflanzenfresser, dem
mit Gewalt übergrosse Mengen eines animalischen Eiweisskörpers eingeführt worden
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582 Leonor Michaelis
waren. Das ist kein harmloser Eingriff, und, obwohl Versuche darüber noch nicht
vorliegen, so zeigt doch die Natur, dass Fleischfresser enorme Mengen genuinen
Muskelfleisches fressen, ohne dass bisher der Nachweis eines Präcipitins in ihrem
Serum gelungen sei.
Wir können also trotz der Magenversuche beim Kaninchen daran festhalten,
dass bei naturgemässer Aufnahme der Eiweisskörper kein Präcipitin entsteht.
Da die Wirkung des Präcipitins im Reagensglas sich in einer Niederschlags¬
bildung äussert, so könnte man annehmen, dass auch in dem Organismus eines
Thieres, das ein Präcipitin in seinem Blute enthält, nach intravenöser Einspritzung
des passenden Eiweisskörpers Niederschläge entständen. Das gegen den Eiweiss¬
körper »immunisierte« Thier wäre durch diesen schädlichen Vorgang dem nicht
immunen Thier nicht nur nicht im Vorth eil, sondern im Nachtheil. Es müssten
Embolien entstehen. Aber das ist nicht der Fall. Es besteht hier eine eigenartige
Divergenz der Erscheinungen im Reagensglas und im Thierkörper. Injiziert man
nämlich einem immunisierten Thier das Eiweiss ins Blut, so entsteht nichts weiter
als eine sehr starke Hyperleukocytose, aber keine Niederschlagsbildung. Man könnte
zunächst meinen, dass die Ursache darin läge, dass das Präcipitin im lebenden Thier
nicht frei im Blutplasma, sondern nur innerhalb der Leukocyten enthalten und erst
bei der Gewinnung des Serums durch Zerfall der Leukocyten frei würde. Ich habe
mich aber durch rasches Abcentrifugieren der Blutkörperchen vor Beginn der Blut¬
gerinnung davon überzeugt, dass das Präcipitin frei im Blutplasma gelöst enthalten
ist. Wenn wir also den Thierversuch deuten wollen, so müssen wir annehmen, dass
die Leukocyten das Ausfallen des Niederschlages verhindern, indem sie die Ver¬
bindung des Eiweisskörpers mit seinem Präcipitin in statu nascendi in sich aufnehmen.
Was lehren uns die Präcipitine?
Der Umstand, dass körperfremde Eiweissstoffe bei ihrer Injektion die oben be¬
schriebene Reaktion des Organismus, die Bildung eines Präcipitins auslösen, lehrt
uns, dass die Eiweissstoffe im genuinen Zustande nicht schlechtweg als Nähr¬
stoffe zu bezeichnen sind, deren Brennwerth man nach Kalorieen, deren Ansatz¬
fähigkeit als Eiweiss man nach dem Stickstoffgehalt schlechtweg messen könnte.
Die Assimilation eines körperfremden, auf unnatürlichem Wege eingeführten Eiweiss¬
stoffes erfordert vielmehr eine erhebliche Mehrleistung des Organismus, welche sich
in der Entstehung des Präcipitins kund giebt. Körperfremde Eiweissstoffe haben
eine Doppelnatur; sie sind nicht nur Nährstoffe, sondern gleichzeitig, und beim
nicht immunen Thier sogar überwiegend, Gifte.
Zweitens lehrt uns die Erscheinung der Präcipitine eine bisher nicht gekannte
Funktion der Eiweissverdauung kennen. Die Verdauung durch Pepsin und Trypsin
vernichtet jene Gifteigenschaft des körperfremden Eiweisses und spaltet sie in
indifferente Bruchstücke, aus welchen sich der Organismus nun wiederum ein
»genuines« Eiweiss aufbaut, und zwar ein körpereigenes, direkt für ihn assimi¬
lationsfähiges, nämlich das körpereigene Serumalbumin und Serumglobulin.
Es war ein ausserordentlich glücklicher und fruchtbringender Gedanke von
Ehrlich, den Toxinen und in gleicher Weise den Nährstoffen haptophore Gruppen
zuzuschreiben, welche die Fähigkeit haben, sich an bestimmte, auf sie abgestimmte
»Rezeptoren« des Protoplasmamoleküls chemisch zu binden. Nach Ehrlich müssen
wir daher als eine Vorbedingung für die Assimilation eines Eiweissstoffes seine Bin¬
dung an einen solchen Rezeptor annehmen. Während aber die Bindung des körper¬
eigenen Serumalbumins ein physiologischer Prozess ist, welcher unmittelbar zur
Assimilation des gebundenen Eiweisses führt, ist die Bindung des körperfremden
ivvais^ s ein ungewohnter Reiz für das Protoplasma, und hat, statt einer glatten
Assimilation des Eiweisses, in der hinlänglich bekannten, von Ehrlich gelehrten
Art und Weise eine erhebliche Ueberproduktion und Abstossung jener Rezeptoren
zur Folge. Diese abgestossenen, in die cirkulierenden Säfte gelangenden Rezeptoren
sind eben das Präcipitin.
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Die Bedeutung der Präcipitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. 583
Die fruchtbare Hypothese von Ehrlich, dass die Assimilation der Eiweiss-
körper auf einer vorherigen Bindung an das Protoplasma beruhe, lässt sich jedoch
bisher nur eben für die genuinen Eiweisskörper experimentell stützen.
Die genuinen Eiweisskörper haben sicherlich ein derartiges Bindungsvermögen
an das Protoplasma. Da ja alle eingeführten Eiweissstoffe auf dem Wege der Ver¬
dauung und Resorption in genuines, körpereigenes Eiweiss (Serumalbumin und
-globulin) übergeführt werden, so ist damit in der That nahe gelegt, dass die Assi¬
milation des Eiweiss auf dem Wege der Bindung an Rezeptoren geschieht.
Bei allen anderen Nährstoffen, den Kohlehydraten und Fetten, ist eine solche
Bindung experimentell in keiner Weise bewiesen. Ja nicht einmal bei den denatu¬
rierten Eiweissstoffen oder bei den Abbauprodukten der Eiweissstoffe hat sich die
Bindung an Rezeptoren erweisen lassen. Die Spaltungsprodukte der Eiweissstoffe,
die Albumosen, sind zwar seit langem als Gifte erkannt, wenn man sie direkt
injiziert. Aber ein Gift ist durchaus noch nicht identisch mit einem toxinartigen
Körper, d. h. einem solchen Gift, welches sich an einen auf ihn abgestimmten
Rezeptor zu binden vermag, einem »Haptin« nach Ehrlich. Denn es giebt Gifte
von chemisch so indifferenter Natur, dass a priori ein Bindungsvermögen an einen
Rezeptor ausgeschlossen ist, wie z. B. Aether, Chloroform. Dieser Unterschied
zwischen den toxinartigen, spezifisch bindungsfähigen Giften und den einfach, nicht
spezifisch bindungsfähigen Giften ist ebenfalls von Ehrlich zuerst erkannt worden.
Man könnte daher die Frage aufwerfen, ob diejenigen Nährstoffe, welche nach
den vorliegenden Erfahrungen keine Thierspezifizitüt aufweisen und welche keine
Präzipitine oder sonstigen Antikörper bei der Injektion erzeugen, zu den spezifisch
bindungsfähigen Stoffen gehören oder nicht: ob ihre Verarbeitung im Organismus
ebenfalls durch eine Bindung an bestimmte Rezeptoren eingeleitet werde oder nicht.
Mit Recht nimmt Ehrlich an, dass der negative Ausfall von Immunisierungs¬
versuchen nicht gegen das Vorhandensein der passenden Rezeptoren spricht; denn
zur Immunisierung gehört nicht nur der Rezeptor, sondern auch die Eigenschaft des
Rezeptors, locker am Protoplasma zu haften, und unter Umständen abgestossen
werden zu können. Ehrlich bezeichnete jene anderen, nicht abstossbaren Rezeptoren
als »breitbasig aufsitzende Rezeptoren«, ein Ausdruck, welcher ein treffendes, grob¬
sinnliches Bild von der Eigenschaft dieser Rezeptoren giebt
Eine experimentelle Entscheidung, ob Kohlehydrate und Fette an solche
Rezeptoren gebunden werden könnnen oder nicht, ist zur Zeit in so exakter Weise,
wie bei den genuinen Eiweissstoffen noch nicht möglich. Es sei aber nicht unter¬
lassen zu erwähnen, dass Ehrlich geneigt ist, allen Nährstoffen eine solche spezi¬
fische Bindungsfähigkeit zuzuschreiben. Legt man diese Anschauung zu Grunde, so
besteht also der Unterschied in der Assimilation der verschiedenen Nährstoffe darin,
dass die genuinen Eiweissstoffe an locker haftende Rezeptoren, die anderen Nähr¬
stoffe an »breitbasig aufsitzende« Rezeptoren gebunden werden. Die andere An¬
schauung wäre, dass überhaupt nur die Eiweissstoffe spezifisch bindungsfähig sind,
und alle anderen Stoffe ohne eine spezifische Bindung an das Protoplasma verbrannt
oder aufgespeichert werden. Da eine Entscheidung zwischen diesen beiden Möglich¬
keiten experimentell bisher nicht möglich ist, so wird man vorläufig auf eine defini¬
tive Entscheidung verzichten müssen.
Auf jeden Fall stehen die Erfahrungen der Präcipitinforschung in einem guten
Zusammenklang mit den Erfahrungen der Ernährungsphysiologie; sie zeigen wiederum
den Gegensatz zwischen Eiweissstoffen einerseits, und Fetten und Kohlehydrate
andererseits. Fette und Kohlehydrate werden in jedem Thierkörper in gleicher
Weise verbrannt oder aufgespeichert; es giebt keine für eine Thierart spezifische
Glukose; keine für eine Thierart spezifische Stearinsäure*); wohl aber hat jede Thier¬
art ihr spezifisches Serumalbumin und Serumglobulin. Kohlehydrate und Fette werden
von den Verdauungsfermenten in relativ einfache Repräsentanten ihrer Gruppen ge-
*) Die Spezifität der verschiedenen Fettarten beruht nur auf einen wechselnden Mengen-
verhältniss an sich gleichartiger Fette.
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584
Leqnor Michaelis
spalten, wenn sie nicht schon als solche in der Nahrung aufgenommen worden sind,
und werden als solche resorbiert. Die Eiweissstoffe werden dagegen, nachdem sie
zunächst einmal durch die Verdauung abgebaiit worden sind, schon während ihrer
Resorption wieder zu höchst komplizierten Eiweissstoffen, den Serumeiweissstoffen,
aufgebaut und erst als solche dem Körper nutzbar gemacht.
Die Präcipitinreaktion lehrt uns aber noch mehr. Hamburger und Wasser¬
mann haben nämlich darauf hingewiesen, dass diese Reaktion ein Schlaglicht auf die
Säuglingsernährung wirft. Sie legten dar, dass es dem Säugling nicht gleichgültig
sein könne, ob er das ihm angepasste Eiweiss in Form der Muttermilch oder das körper¬
fremde, »heterologe« Eiweiss der Kuhmilch als Nahrung erhält. Die alte Erfahrung,
dass gerade die Muttermilch am besten vom Säugling vertragen wird, und die Er¬
gebnisse der modernen Stoffwechseluntersuchungen am Säugling, dass nämlich die
Ansatzfähigkeit des mütterlichen Kaseins grösser ist als die des Kuhkaseins, mit
anderen Worten, dass bei Zufuhr von Muttermilch das Stickstoffgleichgewicht schon
durch geringere Stickstoffeinnahme erreicht wird als bei Zufuhr von Kuhmilch, finden
in der That eine wesentliche theoretische Stütze durch die Ergebnisse der Präcipitin-
forschung. Wassermann versuchte auch den experimentellen Nachweis, dass der
Organismus bei der Verarbeitung fremder Eiweisskörper eine grössere Arbeit leisten
müsse, als bei Zufuhr von »homologen« Eiweissstoffen. Allerdings stehen diese
Behauptungen in einem Widerspruch zu den obigen Darlegungen, welche zeigten,
dass die Eiweisskörper durch die Verdauung ihrer Spezifizität beraubt werden.
Trotzdem sind die Wassermann’schen Angaben nicht einfach zu verwerfen, denn
es liegen gewichtige Gründe dafür vor, dass der Magendarmkanal sich beim Säugling
anders verhält als beim Erwachsenen. Dafür liegen sogar schon experimentelle Anhalts¬
punkte vor. Ehrlich hat gezeigt, dass durch die Milch von Thieren, die gegen
Abrin, Ricin und Tetanusgift immunisiert waren, die Jungen passiv gegen diese Gifte
immunisiert werden. Die in der Milch enthaltenen Antitoxine sind also im Magen
der Säuglinge nicht zerstört worden. Behring® 7 ) hat sogar den Satz ausgesprochen:
»Antitoxische Eiweisskörper werden von neugeborenen Individuen auf stomachalem
Wege ebenso resorbiert, als wenn wir sie in die Blutbahn oder unter die Haut
gespritzt hätten, während bekanntlich ausgewachsene Individuen per os und per
rectum antitoxische Eiweisskörper normalerweise garnicht als solche zu resorbieren
im stände sind.«
Behring führt dies darauf zurück, dass nach einer Untersuchung von Disse
die Epithelzellen des Magens noch nicht, diejenige Struktur zeigen, welche die sekre¬
torisch thätigen Zellen des Erwachsenen erkennen lassen. Wenn aber »antitoxische
Eiweissstoffe« die Darmwand unzersetzt passieren, so können Nahrungseiweissstoffe
das auch wohl thun. Es ist nun zwar nach den vorliegenden Erfahrungen
nicht bekannt, dass das Serum der Neugeborenen unverändertes Kasein enthielte;
irgend eine Veränderung, die dieses in Serumalbumin und -globulin umwandelt, muss
auch schon beim Säugling stattfinden. Aber diese Veränderung kann ja weniger
eingreifend als beim Erwachsenen sein. Wenn daher zum sicheren Beweis der An¬
schauung von Wassermann die direkten experimentellen Untersuchungen noch aus¬
stehen, so sprechen doch die bekannten Thatsachen dafür, dass die Wassermann-
sche Auffassung berechtigt ist, und dass in der That der Organismus des Säuglings
zur Verarbeitung körperfremder Eiweissstoffe eine Mehrarbeit gegenüber der Ver¬
arbeitung der Muttermilch leisten muss; nur ist die dem Experiment durchaus
zugängliche Beweisführung hierfür von Wassermann noch nicht einwandsfrei
erbracht.
Schon vorher hatte Hamburger dieselbe Frage durch das Experiment zu lösen
versucht. Jedoch sind auch seine Versuche im wesentlichen negativ ausgefallen,
d. h. der klinisch sicherstehende Unterschied zwischen Muttermilch und Kuhmilch
wurde durch biologische Versuche nicht geklärt. Zunächst zeigte das Serum von
künstlich mit Kuhmilch ernährten Säuglingen keine Präcipitinreaktion gegen Kuh¬
milch. Aber auch neugeborne Hündchen, die mit Kuhmilch gefüttert wurden, und
zum Theil sogar subkutane Injektionen von Kuhmilch erhalten hatten, zeigten kein
Präcipitin für Kuhmilch in ihrem Serum.
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Die Bedeutung der Praci pitinreaktion für die Ernährungsphysiologie. 585
Aus alle dem sieht man, dass es heute noch verfrüht ist zu behaupten, dass
die Präcipitinforschung einen klaren Einblick in die Frage der künstlichen Säuglings¬
ernährung gebe, und dass man sich zunächst auf die für den erwachsenen Organis¬
mus gültigen Schlussfolgerungen beschränken muss.
Litteratur.
1 ) Ehrlich, Experimentelle Untersuchungen über Immunität. I Ucber Ricin. II. Ueber
Abrin. Deutsche medicinische Wochenschrift 1891.
2 ) Pfeiffer, Weitere Untersuchungen über das Wesen der Choloraimmunität und spezifisch
baktericide Prozesse. Zeitschrift für Hygiene 1894 u. a.
3) Bordet, Sur l’agglutination et la dissolution des globules rouges par lc sörum d’aniraaux
injeetös de sang döfi bring. Ann. Pasteur 1897.
4 ) R. Kraus, Ueber spezifische Reaktion in keimfreien Filtraten etc. Wiener klinische
Wochenschrift 1897.
fi) Tchistovitch, Etudes sur l’immunisation contre lc sörum d’anguilles. Ann. Pasteur
'899. S. 406.
6 ) Bordet, Le möcanisme de l’agglutination. Ann. Pasteur 1899. S. 225.
7) Wassermann, Kongress für innere Medicin 1900. S. 501.
») Wassermann und Schütze, Ueber eine neue forensische Methode zur Untersuchung
von Menschen- und Thierblut. Berliner klinische Wochenschrift 1901.
») Schütze, Ueber ein biologisches Verfahren zur Differenzierung verschiedener Eiweissarten
anf biologischem Wege. Zeitschrift für Hygiene 1901. S. 5; ferner ebenda S. 487 und Festschrift
zum 70. Geburtstag von v. Leyden.
10) Myers, Ueber Immunität gegen Proteide. Centr. Bakt. 1900. S. 237.
11) Nolf, Contr. ä l’gtude des sörums antihömatiques. Ann. Pasteur 1900. S. 237.
12 ) Uhlenhut, Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. S. 734. 1901. S. 82, 260 u. 499.
13) L. Michaelis, Untersuchungen über Eiweisspräcipitine. Deutsche medicinische Wochen¬
schrift 1902. No. 41.
h) Michaelis und Oppenheimer, Ueber Immunität gegen Eiweiss. Archiv für Anatomie
und Physiologie. Suppl. 1902.
i3) Leblanc, Contr. ä l’ötude de l’immunitg acquise. Cellulg 1901. S. 3:55.
iß) E. P. Pick, Zur Kenntniss der Immunkörper. Hofmeisters Beitrage 1901/02.
17) Obermeyer und Pick, Biologisch * chemische Studie über das Eiklar. Wiener klinische
Rundschau 1902. No. 15.
18) Landsteiner und Calvo, Zur Kenntniss der Reaktionen des normalen Pferdeserums.
Centr. Bakt. 1902. S. 701.
18) Ehrlich, Schlussbetrachtungen. Nothnagel’s Handbuch der speciellen Pathologie und
Therapie 1901. Bd. 8.
2°) Eisenberg, Beiträge zur Kenntniss der spezifischen Präcipitationsvorgänge. Bull. acad.
des sc. de craesovie 1902. Mai.
21) Büchner und Geret, Ueber ein krystallinisches Immunisierungsprodukt. Münchener
medicinische Wochenschrift 1901. S. 1163 und 1275.
22 ) P. Th. Müller, Vergleichende Studien über die Gerinnung des Kaseins durch Lab und
Lactoserum. Münchener medicinische Wochenschrift 1902. S. 7 und Centralblatt 1902.
23 ) Hamburger, Biologisches über die Ei weisskörper der Kuhmilch und über Säuglings¬
ernährung. Wiener klinische Wochenschrift 1901.
M ) Ascoli, Ueber den Mechanismus der Albuminurie etc. Münchener medicinische Wochen¬
schrift 1902. S. 398.
23) Behring, Zustandekommen und Bekämpfung der Rindertuberkulose etc. Berliner thier¬
ärztliche Wochenschrift 1902. No. 47. S. 10,
26) Ehrlich, Ueber Immunität durch Vererbung und Säugung. Zeitschrift für Hygiene 1892. S. 183.
27) Rostoski, Habilitationsschrift. Würzburg 1902.
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586
Kleinere Mittheilungen.
Kleinere Mittheilungen.
Seekrankheit und Tiefathmen.
Eine Selbstbeobachtang
von
Dr. F. P a r a v i c i n i, Albisbrunn.
Bei einer ziemlich stürmischen Ueberfahrt von Rotterdam nach London hatte ich Gelegenheit,
an mir selber die Seekrankheit in einer sehr merkwürdigen Form kennen zu lernen. Ich fuhr mit
einem Kollegen. Wir befanden uns schon einige Tage auf der Reise und hatten die Nacht vor der
Abfahrt von Rotterdam im Eisenbahnwagen zugebracht. Ich erwähne dies, weil Unregelmässig¬
keiten, Reisen, schlaflose Nächte bekanntlich die Disposition für die Seekrankheit erhöhen. Unsere
Plätze waren auch ungünstig, nämlich weit von der Schiffsmitte abliegend und zudem gerade gegen¬
über dem Abort, der während des stürmischeren Theils der Fahrt lebhaft besucht wurde. Mein Kollege,
ein ruhiger, starker Mann, wusste sich der Seekrankheit unterworfen, und sie setzte denn auch bei
ihm trotz Tiefathmen, Cerium oxalicum und Orexinum tannicum abends 11 Uhr, ca. eine Stunde nach
der Abfahrt von Hoek von Holland in der üblichen Weise ein und hielt an bis zur Einfahrt in die
Themsemündung. Die Mehrzahl der übrigen Passagiere, auch der Stewart, war schon vor meinem
Kollegen erkrankt. Ich, zum erstenmal auf See, hatte mich beim Beginn höheren Wellenganges
hingelegt und angefangen, meine ganze Aufmerksamkeit auf ruhiges, möglichst tiefes Athmen zu
konzentrieren. Zur Zeit, als meine sämmtlichen nicht seefesten Mitpassagiere schon schwer litten,
fühlte ich mich noch völlig wohl und fähig, der Sache die humoristische Seite abzugewinnen. Nur
ein leises Ameisenkribbeln in den Fingerspitzen fiel mir schon da auf. Zwischen 11 und 12 Uhr
nachts kam dann dic^erste Anwandlung von Uebelkeit, der ich durch energisches Tiefathmen leicht
Herr wurde. Sowie sie aber nachüess, verstärkte sich die erwähnte Parästhesie in den Händen, ich
hatte das Gefühl eingeschlafener Arme. Nach einigen Minuten wich es. und es trat für ca. eine
Viertelstunde vollständige Euphorie ein. Dann wiederholte sich derselbe Cyklus: Gefühl von Uebel¬
keit, Brechreiz, Ueberwindung desselben und gleichzeitiges Auftreten der Parästhesie, hierauf wieder
Wohlbefinden. Die Symptome verschärften sich nach und nach. Das Kribbeln trat auch in den
Füssen auf, Grösse und Form und hauptsächlich Zahl der Finger schien verändert, es schienen für
das Gefühl eine Menge Finger an jeder Hand zu sein, das Kribbeln verstärkte sich zur Empfindung
eines starken faradischen Stromes, und schliesslich traten auch motorische Störungen, tetanische
Spannung der Strecker und Beuger, Starre der Glieder hinzu. Ich wiederhole, dass diese sensiblen
und motorischen Störungen zuweilen den durch Tiefathmen mit Aufbietung aller Energie gewaltsam
unterdrückten Brechreiz ablösten, um dann nach wenigen Minuten ihrerseits einer längeren eupho¬
rischen Pause Platz zu machen. Der ganze Cyklus lief jeweilen in ca. 15 — 20 Minuten ab. Ich
machte ihn vier- oder fünfmal durch. Dann ermüdeten die respiratorischen Hilfsmuskeln, die ich
beim Tiefathmen ausgiebig angestrengt, auch hatten die peripheren nervösen Störungen zuweilen
eine peinliche Stärke erlangt. Ich beschloss während eines Stadiums des Wohlbefindens dem
nächsten Brechreize nachzugeben und meine Athmung nicht länger zu* forcieren. |Wie ich gehofft,
stellte sich dann auch nach dem Brechen sofort längeres Behagen, sogar Schlaf ein, ohne die
Uebergangsphase der unangenehmen Empfindungen und Spannungen in den Extremitäten. In
längeren Abständen trat dann noch zweimal Vomitus leichteren Grades auf. Die sensiblen und
motorischen Störungen blieben gänzlich aus. Mit Tagesanbruch betrat ich das Deck, ass in der
Folge mit gutem Appetit und kam nachmittags 2 Uhr, 22 Stunden nach Betreten des Schiffes, völlig
wohl in London an.
Erscheinungen! von Seiten des peripheren Nervensystems und von dem hier beschriebenen
Grade finde ich in der mir zugänglichen Litteratur über Seekrankheit nicht erwähnt
Rosenbjach in seiner umfassendsten, ein grosses literarisches Material bearbeitenden Mono¬
graphie über den Gegenstand spricht wohl (S. 23 u. 24) von einer »eigentümlichen maskenartigen
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Berichte über Kongresse und Vereine.
587
Starre des Gesichts*, die er aber nicht von »eigentlicher Kontraktur, sondern von Veränderung der
Oberflächenspannung der Muskeln« herleitet. An einem anderen Orte (S. 62) führt er Fälle an, »in
denen die regelmässigen Stösse der Schraube und die dadurch bedingte rhytmische Erschütterung
des Schiffes, die sich dem Körper der Schiffsbewohner mittheilt, als ein unangenehmer Reiz auf
das Nervensystem wirkt, oder eine Reihe von besonders empfindlichen Personen in einen eigen¬
tümlichen Zustand veränderter Erregbarkeit, besonders Hyperästhesie oder Anästhesie versetzt«.
Da ist ein Bindeglied, wenn auch diese Fälle nicht identisch mit dem meinigen sind, in dem es
sich nicht nur um Stösse der Schiffsschraube als Ursache und nicht um blosse sensible Störungen
als Folge handelt Auch habe ich auf einer späteren Fahrt konstatieren können, dass ich für Schiffs¬
bewegungen nicht besonders empfindlich bin. Wohl aber fiel mir sonst schon bei der Reaktion auf
psychische und Intoxikationseinwirkungen eine Lokalisation vorzugsweise im Nervensystem der
Extremitäten auf.
Wenn einmal das im letzten Jahrgang der »Münchener medicinischen Wochenschrift« von
zwei Seiten empfohlene Tiefathmen prophylaktisch und therapeutisch mehr gegen Seekrankheit an¬
gewendet wild, mögen sich Erfahrungen ähnlich der meinigen mehren. Man muss wohl nach dem
ganzen Verlauf der Erscheinungen die sensiblen und motorischen Störungen als Ersatz, gleichsam
als »Aequivalent« des unterdrückten Brechens auffassen. Dass dann das Leiden in einer von seiner
klassischen Erscheinungsweise verschiedenen, alternierenden Form sich äussem kann, erscheint mir
als eine Stütze der Rosenbach’schen Theorie, wonach die Seekrankheit als eine »allgemeine Störung
der gewerblichen Energetik, eine Veränderung der Molekularmechanik, eine Allotropie, Anisotropie
des Gewebes« aufzufassen wäre.
Berichte über Kongresse und Vereine.
Sitzung der Hufeland’schen Gesellschaft am 11. Dezember 1902.
HerrA.Loewy spricht über die Wirkung der Sauerstoffinhalation auf den osmotischen Druck
des Blutes. Loewy geht von der Beobachtung v. Koväc’s aus, wonach die abnorm gesteigerte
osmotische Spannung des Blutes bei Zuständen, in denen das Blut mit Kohlensäure überladen ist,
durch Sauerstoffinhalation zur Norm zurückgeführt wird. Diese Thatsache wird der analog ange¬
sehen, dass die durch Kohlensäureeinleitung abnorm gesteigerte osmotische Spannung von Blut in
vitro durch Sauerstoffdurchleitung normal gestaltet werden kann. — Loewy weist darauf hin, dass
durch keine von beiden Thatsachen etwas für eine spezifische Sauerstoff Wirkung auf die Blutkohlen¬
säure bewiesen wird. Diese ist bis heute überhaupt nicht sicher erwiesen und im allgemeinen nicht
angenommen. Trotzdem geht aus neuen Versuchen des Vortragenden hervor, dass sie doch vor¬
handen ist: der Sauerstoff vermag die Kohlensäure aus dem Blute energischer auszutreiben als
andere Gase.
Bei Sauerstoffinhalation kommt aber neben dieser Wirkung noch ein weiterer Vorgang
hinzu, durch den die in abnormer Menge angesammelte Kohlensäure des Blutes ausgetrieben, seine
osmotische Spannung vermindert wird, das ist die AthmungsVertiefung. Loewy setzt ausführ¬
lich deren Einfluss auf das Blut auseinander und kommt zu dem Schluss, dass bei den Sauer¬
stoffinhalationen, wie sie heute ausgeführt werden, als der wesentlichere Faktor
eintretender Besserung die Verstärkung der Athmung, als unterstützender die durch seine
Versuche erwiesene spezifische Sauerstoffwirkung auf das Blut anzusehen sei. Besondere Unter¬
suchungen werden noch genauer die quantitative Betheiligung des letzten Faktors an der Gesammt-
wirkung festzustellen haben.
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588
Referate über Bücher und Aufsätze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
DL Gr über, Einige Bemerkungen über den
Eiweissstoffwechsel. Zeitschrift für Biologie
Bd. 42.
Verfasser weist hin auf den grossen Gegen¬
satz, der im Organismus besteht zwischen der
grossen Stabilität des Organ ei weisses und der
raschen Verbrennung des Nahrungsei weisses. Er
glaubt, dass sich die rasche Zersetzung des
Nahrungseiweisses nur erklären lasse unter der
Annahme, dass nicht das ganze Eiweissmolekül
sogleich bis zu den Endprodukten verbrannt
werde, dass vielmehr nur die sticksoffhaltenden
Theile bis zum Harnstoff oxydiert, stickstofffreie
Gruppen aber noch unverbrannt, etwa als Fett
im Körper retiniert werden. Zum Beleg führt
Grub er zwei eigene Versuchsreihen am Hunde
an, die zeigen, dass bei sehr reichlicher Eiweiss¬
nahrung thatsächlich erheblicheKohlenstoffmengen
(bis zu 20 g täglich) im Körper retiniert werden.
Noch wahrscheinlicher wird dies beim Betrachten
der stündlichen N-Ausscheidung. In den ersten
Stunden nach der Fütterung steigt die N-Aus-
scheidung so stark, dass die Kalorieenbildung
mehr als das Doppelte des Tagesmittels betragen
müsste, falls wirklich die entsprechenden Eiweiss¬
mengen vollkommen verbrannt würden.
Ferner sucht Grub er eine Erklärung zu
geben für die bekannte merkwürdige Thatsache,
dass trotz der grossen Konstanz, mit welcher
der Körper seinen, Eiweissgehalt auf gleicher
Höhe hält, doch bei Steigerung wie bei Ver¬
minderung der Eiweisszufuhr erst nach einigen
Tagen wieder Stickstoffgleichgewicht eintritt,
bis dahin aber im ereteren Fall mehr Stickstoff
retiniert, im letzteren mehr Stickstoff abgegeben
wird. Durch eine Reihe von Gründen kann
Gruber zeigen, dass der im ersteren Fall
retinierte* Stickstoff wirklich in der Form von
Eiweiss, nicht etwa in der eines Abbauproduktes
retiniert wird. Trotzdem glaubt Grjuber nicht,
dass es sich hierbei um eine wahre Vermehrung
des Eiweissbestandes handele; er glaubt viel¬
mehr, eine solche sei nur vorgetäuscht durch die
Art, wie die resorbierten Eiweissstoffe überhaupt
im Körper verbrannt werden. Ob grosse oder
kleine Eiweissmengen zugeführt sind, immer
steigt die stündliche N - Ausscheidung rasch auf
ein Maximum)und .fallt nur ganz langsam, im
Lauf von fast 24 Stunden, wieder zum Nüchtern¬
werth ab. Verfasser vermuthet, dass dies etwa
dadurch bedingt sein könne, dass die ver¬
schiedenen bei der Verdauung entstehenden
eiweissähnlichen Substanzen nicht mit gleicher
Leichtigkeit im Organismus zerlegt werden
können. Wenn sich nun die Ausscheidung der
Eiweissreste normaler Weise nicht nur auf den
einen, sondern auch auf den zweiten und dritten
Tag noch erstreckt, dann würde natürlich auch
an den ersten Tagen geringerer Stickstoffzufuhr
noch Reste der reichlicheren Stickstoffmenge des
letzten Tages der Vorperiode ausgeschieden
werden, und,dies Moment giebt in derThat die
einfachste Erklärung für die scheinbar langsame
Art der Anpassung des Organismus an grössere
oder geringere Eiweisszufuhr.
D. Gerhardt (Strassburg).
W. Prausnitz, Ueber das Verhalten von
Fleisch und^Fleischpr¶ten im mensch¬
lichen Organismus. Zeitschrift für Biologie
Bd. 42.
Prausnitz hat unter allen erforderlichen
Kautelen vergleichende Ausnutzungsversuche an¬
gestellt mit gebratenem Fleisch, Pökelfleisch und
einem von der Kompagnie Licbig gelieferten
Fleischmehl. Das Ergebniss ist, dass frisches
Fleisch und Pökelfleisch etwa gleich gut aus¬
genutzt wurden (von ersterem erscheint 2,9'9,
von letzterem 3°/ 0 der organischen Substanz im
Koth), dass das Fleischmehl etwas weniger voll¬
ständig resorbiert wird (3,78 o/ 0 organischer Sub¬
stanz im Koth). Der Unterschied ist so gering,
dass er praktisch keine Bedeutung hat; theoretisch
ist es interessant, dass Prausnitz die etwas
schlechtere Ausnutzung des Fleischmehls auf
langsamere Einwirkung des Pepsins und Trypsins
zurückführen konnte: frisches Fleisch löst sich in
künstlichem Verdauungsgemüse viel rascher als
die Fleischtrockenpräparate.
Aehnlich wie Fleischmehl wird auch (laut
Untersuchungen von Neumann) das ähnlich be¬
schaffene »Soson« etwas schlechter resorbiert als
Fleisch, während die Pflanzeneiweisspräparate,
so Tropon, wesentlich schlechter resorbiert werden-
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589
Referate über Bücher und Aufsätze.
Es ist zu hoffen, dass das bei der Fleisch¬
extraktfabrikation als Nebenprodukt gewonnene
Fleischeiweiss als relativ billiges, leicht zu kon¬
servierendes Eiweisspräparat grossere Verbreitung
findet. D. Gerhardt (Strassburg).
Mo ritz 9 Studien über^die motorische Thätig-
keit des Magens« Zeitschrift für Biologie Bd.42.
Verfasser zeigt zunächst an Thierversuchen,
dass (wie Verfasser selbst, v.Mering u.a. schon
früher fanden) in den Magen eingeführtes Wasser
alsbald ins Duodenum abfliesst und nach circa
einer Viertelstunde bereits völlig den Magen ver¬
lassen hat; dass die Entleerung des Magens er¬
heblich langsamer verläuft, wenn statt des Wassers
breiige oder feste Stoffe in den Magen gebracht
werden, dass aber Milchgcrinnsel und gehacktes
Fleisch doch auch zum Theil im breiigen, nicht
nur im verflüssigten Zustand denPylorus passieren.
Zahlreiche Versuche am Menschen bestätigen
die Abhängigkeit der Schnelligkeit der Magen¬
entleerung von der Konsistenz der Ingesta. Auch
hier wird reines Wasser am raschesten entleert
(von i/ 2 1 innerhalb der ersten zehn Minuten 60<>/ 0 ,
innerhalb einer halben Stunde fast die ganze
Menge), übrigens noch wesentlich rascher beim
Herumgehen als beim ruhigen Sitzen; warmes
Wasser wird etwas rascher entleert als kaltes.
Schwache Kochsalzlösung verschwindet ebenso
rasch, kohlensäurehaltiges Wasser etwas lang¬
samer, schwache Salzsäurelösung erheblich lang¬
samer aus dem Magen; Bier wird noch viel lang¬
samer (nach 30Minuten nur 45<Y 0 entleert), Bouillon
fast ebenso rasch wie Wasser, Milch wieder lang¬
samer (64% in einer halben Stunde) entleert.
Schon bei Milch- und bei Biergenuss enthält
der Magen, wenn die Hauptmenge entleert ist
noch reichliche Flüssigkeit, die grösstentheils aus
Magensaft besteht; dasselbe tritt in noch höherem
Maasse auf nach Genuss von dickflüssigen Suppen
und Breien; nach einer Stunde ist die Suppe
zwar fast völlig verschwunden, aber der Magen
enthält bis zu 200 cm 3 fast reinen Magensaft
Im ganzen zeigen die Mo ritz 7 sehen Ver¬
suche die grosse Bedeutung der Konstistenz der
Nahrung für die Schnelligkeit der Magen¬
verdauung; aber daneben kommt auch ein
chemischer Reiz auf die Magenschleimhaut in
Betracht; es ergiebt sich, dass die Ingesta um
so längere Zeit im Magen verweilen, eine je
stärkere Sekretion des Magens sie veranlassen.
Daneben kommt allerdings wohl auch dem
Füllungszustand des Darms eine gewisse Be¬
deutung für die Schnelligkeit der Magen¬
entleerung zu. D. Gerhardt (Strassburg).
J« Starke, Ueber den Einflusslos^Milieus,
insbesondere der anorganischen Substanzen,
auf Eigenschaften von Eiweisskörpern. Zeit¬
schrift für Biologie Bd. 42.
Aciditäts-, respektive Alkalescenzgrad, sowie
der Salzgehalt des Lösungsmittels 1 beeinflussen
die Eigenschaften gelöster Eiweissskörper, speziell
deren Gerinnbarkeit in hohem Grade.
Starke zeigt nun zunächst, dass der Salz¬
gehalt (so lange er unter der Grenze der zum
eigentlichen Aussalzen nöthigen Konzentration
bleibt) wesentlich dadurch die Löslichkeit des
Eiweisses beeinflusst, dass er den Alkalescenz¬
grad ändert: Verdünnte Säuren verlieren durch
Salzzusatz an Acidität, verdünnte Alkalien ge¬
winnen durch Salzzusatz an Alkalescenz; dadurch
werden natürlich die Lösungsbedingungen für
das Eiweiss geändert; das Eiweiss selbst erleidet
aber keine chemische Aenderung.
Auch die Koagulierbarkeit durch Hitze wird
durch Salzzufuhr zu den Eiweisslösungen wesent¬
lich beeinflusst; so gerinnt alkalische Albumin¬
lösung in der Hitze erst bei Salzzusatz. Starke
sucht nun zu zeigen, dass derartige Verschieden¬
heiten der salzhaltigen und salzfreien Albumin¬
lösung nicht einfach auf einer Aenderung des
Milieus beruhen, sondern dass hier diese
Aenderung des Milieus chemische Aenderung
des Eiweisskörpers und dadurch erst die ver¬
schiedene Koagulierbarkeit bewirkt habe.
Ob auch das Globulin in seinen Eigenschaften
durch den Salzgehalt des Lösungsmittels nur des¬
halb geändert werde, weil es dabei in einen anderen
chemischen Körper übergeführt werde, scheint
Starke nicht ganz so sicher, aber doch wahr¬
scheinlich (er hält für möglich, dass das Globulin,
das er als ein Alkalieiweiss ansieht, dann, wenn
es koaguliert wird, als einfaches Eiweiss gerinne).
Eine Erklärung dafür, dass die Koagulations¬
temperatur von Eiweisslösungen durch Salzzusatz
erhöht wird, lässt sich nach Starke einstweilen
noch nicht geben; nur das eine lässt sich fest¬
stellen, dass die Erhöhung des Koagulutions-
punktes um so leichter eintritt, wenn die zu¬
gesetzte Substanz sich in Wasser dissociiert.
Das Wesen der Koagulation im chemischen
Sinne sucht Starke in Abgabe von Krystall-
wasser, für welche Deutung er eine Reihe von
Beobachtungen als Beleg anführt.
D. Gerhardt (Strassburg).
W. B. Ransom, F. R.C. P., Should milk be
boUed? British medical journal No. 2147.
Ransom stellt folgende Sätze auf: Milch,
auf ihren Siedepunkt (110 0 C) erhitzt oder bei
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500
Referate Über Bücher und Aufsätze.
100 0 C für 10—15 Minuten gekocht, leidet nicht
in ihrem Nährwerth; dass bei diesem Gebrauch
oder nach dem von pasteurisierter Milch (auf 80
bis 85 0 erhitzt) Kinderskorbut auftreten kann, ist
ganz unwahrscheinlich.
Die genannten Verfahren machen die Milch
nicht absolut keimfrei, aber sie töten die meisten
pathogenen Bakterien (Tuberkel-, Cholera-,
Diphtherie-, Typhusbacillen) ab, und, wenn diese
Milch kühl aufbewahrt (und dann getrunken) wird,
finden sich keine Sporen zu Bacillen entwickelt.
Pasteurisieren eignet sich aus medicinischen und
ökonomischen Gründen weniger gut als viertel¬
stündiges Kochen, das mit passenden Apparaten
(Soxleth,Aymard,Hawksley) in jedem Haus¬
halt zweckmässig vorgenommen werden kann.
In Zeiten von Sommerdiarrhoen soll das
Kochen auf eine halbe Stunde ausgedehnt
werden, und die Milch in einigen Stunden ver¬
braucht sein, oder einen neuen Sterilisations¬
prozess durchmachen, da die Sporen des Enteritis¬
bacillus sehr widerstandsfähig sind. Immer soll
rohe und »sterilisierte« Milch so frisch als mög¬
lich getrunken werden, aber Kinder, die aus¬
schliesslich davon leben, sollen nicht den durch
das Nichtkochen gesetzten Gefahren preisgegeben
werden. Block (Koblenz).
J. Kalmar und A. Bagarus, Versuche über
die Heilung der Epilepsie nach Toulouse
und Richet. Ungarische med. Presse 1902.
No. 6.
Es wurden 15 Epileptiker in der psychia¬
trischen Abtheilung des allgemeinen Kranken¬
hauses des Komitats Bökös, nachdem ihnen zwei
Monate vorher das Brom entzogen worden war,
nach dem von Toulouse und Richet ange¬
gebenen Verfahren (täglich 2 Liter Milch, 2 Eier,
ca. 3 g Brom in der Erlenmeyer'sehen Lösung
und 750 g salzloses Brot bei den Männern, 500 g
bei den Frauen) behandelt. Unter dieser, einen
Monat lang durchgeführten Kur nahmen bei sieben
Kranken die Anfalle an Zahl ab, bei sechs je¬
doch wurden sie häufiger und zwei Eiranke starben
dabei. Die Gesammtzahl der Anfälle belief sich
in diesem Versuchsmonat auf 273, was nur die
Hälfte weniger bedeutet, als während der Brom¬
entziehung. Einen wesentlichen Werth können
die Verfasser dieser Kur indessen nicht zuschreiben,
denn bei der normalen Diät und Brombehandlung
zehn Monate hindurch war sechsmal die Zahl der
Anfälle noch kleiner als 273 gewesen. Als die
gewöhnliche Kost mit Bromtherapie wieder ein¬
geleitet wurde, stieg anfänglich bei den noch
am Leben gebliebenen 13 Kranken die Zahl ihrer
Anfälle auf 324, fiel dann aber bei fünf derselben,
trotz Aussetzens des Broms, auf 219—109. Be-
achtenswerth ist ferner, dass die herabsetzende
Wirkung des Broms während der kocbsalzarmen
Diät sich in nicht unbedenklicher Weise äosseite:
Die Kranken wurden nicht blos ruhiger und
weniger empfindlich, sondern bei einzelnen zeigten
sich förmlicher Stupor und Delirien; bei zwei
stellte sich Herzschwäche, Oedeme, Kollaps und
Exitus ein. Zur Entscheidung der Frage, ob in
den beiden letzten Fällen etwa die Bromintoxi¬
kation an sich oder aber die Entziehung des
Kochsalzes an dem unglücklichen Ausgange die
Schuld getragen haben, Hessen die Verfasser zwei
nichtepileptische Kranke chlorarme Milchdiät
gemessen: Bei beiden stellten sich innerhalb
zweier Tage bereits so unangenehme Erscheinungen
(Schwäche etc.) ein, dass die Kranken energisch
ein Aussetzen verlangten. Wenngleich sich eine
gesteigerte Wirkung des Broms bei oligochlorer
Diät nicht in Abrede stellen lässt, so ist doch
wegen der damit verbundenen schweren Brom¬
intoxikation davor zu warnen.
Buschan (Stettin).
Hartogh und C. Schümm, Zar Frage der
Zackerbildang aas Fett. Archiv für
experimentelle Pathologie und Pharmakologie
Bd. 45. S. 11.
Die zur Lösung der vorstehenden Frage
unternommenen Versuche, über welche die Ver¬
fasser hier berichten, sind an Hunden angestellt,
die mit Phlorrhizin vergiftet wurden, nachdem
zuvor durch länger dauernde anstrengende Ar¬
beitsleistung bei möglichst eiweissarmer, fett¬
reicher Nahrung der Glykogenbestand des Kör¬
pers auf ein Minimum herabgesetzt worden war.
Neben der Zuckerausscheidung wurde auch
der Stickstoffgehalt des Harnes, ferner Aceton,
Linksdrehung nach dem Vergährcn, und in
einigen Versuchen auch Phosporsäure, Schwefel¬
säure und Ammoniak bestimmt.
Das Hauptinteresse beansprucht das Ver¬
hältnis» von Hamstickstoff zu Harnzucker, das
seiner Zeit von Minkowski auf Grund seiner
Untersuchungen am pankreasfreien Hunde als
1:2.8 angegeben worden war, wenn die Zucker¬
bildung allein aus dem Eiweiss herrührt.
Im Gegensatz dazu ergaben die Versuche,
dass der Faktor von N und Zucker bei den
phlorrhizinvergiftcton Hunden ein grösserer ist,
als der von Minkowski bei seinen Versuchen
gefundene, er beträgt in einem Versuche im
Durchschnitt 5, gegen Ende eines Versuches in
einer fünftägigen Periode 9, in zw^ei aufeinander¬
folgenden Tagen 10,6 und an einem Tage sogar J3.
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Referate Aber Bücher und Aufsätze. 591
Da trotz der sehr geringen Eiweisszufuhr
die Thiere unter dem Einfluss der Phlorrhizin¬
vergiftung sehr bedeutende Mengen N im Urin
ausschieden (infolge des Eiweisszerfalles) und
diese N-Ausscheidung auch in den letzen Tagen
vor dem Tode nicht abnahm, so ist es nicht an¬
gängig, eine Zurückhaltung von N im Körper
anzunehmen und das hohe Verhältniss von N:D
darauf zurückzuführen. Auch die Menge der
ausgeschiedenen Phosphorsäure war während der
Phlorrhizinvergiftung nicht in dem Maasse ver¬
mehrt, dass es zulässig wäre, die Abstammung
der gefundenen Zuckerraengen aus der Nuklein¬
säure herzuleiten. Vielmehr sind die Verhältniss-
zahlen so gross, dass die Entstehung des Zuckers
durch Abspaltung aus dem Eiweiss nach allen
anderen Beobachtungen als ausgeschlossen be¬
trachtet werden kann. Es bleibt also nur noch
die Möglichkeit, dass der Zucker sich entweder
aus Fett gebildet hat, oder dass der Kohlenstoff
der Zerfallsprodukte des Eiweissmoleküles für die
Zuckerbildung verwendet worden ist Letzteres
ist aber eine Hypothese, welche den Verfassern
noch weit weniger begründet erscheint, als die
Annahme, dass der Zucker aus Fett entsteht.
Weintraud (Wiesbaden).
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
Cautru, Influence du massage abdominal
dans le traitement de 1a diarrh^e chronique.
Bulletin gönöral de thörapeutique 1902. April.
Die Bauchmassage leiste in der Behandlung
der chronischen Diarrhöen in einer grossen An¬
zahl von Fällen thatsächliche Dienste. Sie bringe
im allgemeinen und ziemlich schnell die Diarrhöen
der Konstipierten und solche Diarrhöen, die durch
gastrointestinale Gährungen bedingt würden, zum
Verschwinden. Diese Formen kämen hier weniger
in Frage. Es handle sich mehr um die idio¬
pathischen Formen. Es erscheine ihm aber frag¬
lich, ob es sich nicht auch dabei meist um
Diarrhöen handle, die bedingt würden durch
eine Magenstörung, eine latente Dyspepsie, ln
den Fällen von Hyperchlorhydrie trete der
Chymus sehr sauer aus dem Magen in den Darm
über; werde er dann nicht genügend durch
alkalische Galle neutralisiert, so bleibe er
sauer, und werde so aus dem Darm aus-
gestossen. In den Fällen von Apepsie träten die
Nahrungsmittel meist schnell und immer schlecht
verdaut aus dem Magen in den Darm über;
hilft dann Galle und Bauchspeichel der Magen¬
verdauung nicht noch nach, so wirkten die
Trümmer der Nahrungsmittel wie ein Fremd¬
körper und würden so schnell ausgestossen.
Die grosse Mehrzahl der Fälle von Hyper¬
chlorhydrie und chloro - organischer Hyperpepsie
sei eher zu Verstopfung als zu Durchfall geneigt.
Die Bauchmassage wirke besser in Fällen von
Apepsie als in solchen von Hyperchlorhydrie.
Aber auch in diesen könne sie gute Dienste
leisten, man müsse sie eben nur anzuwenden
verstehen. Sie solle beruhigend auf das Nerven¬
system und zugleich anregend auf die eventuell
erschlaffte Magenmuskulatur wirken, diesen
Zweck erfülle allein eine Vibrationsmassage; die
Wirkung dieser sei dieselbe wie die langer Eisen¬
bahnfahrten, wie sie Trousseau angerathen
habe. Bei der Apepsie dagegen regele die Bauch¬
massage den Chemismus des Magens und rege
die Sekretion der Leber und der Bauchspeichel¬
drüse an, wie es so wichtig sei, um die mangel¬
hafte Magenverdauung zu ergänzen oder zu er¬
setzen. In diesen Fällen müsse die Massage an¬
regend sein, oberflächlich und tief (Knetungen,
Hackungen u. s.w.). Cautru belegt seine Aus¬
führungen mit den Krankengeschichten von vier
einschlägigen Fällen. Er meint, die Bauchmassage
dürfe nicht zurückgewiesen werden bei der Be¬
handlung der chronischen Diarrhöen. Sie wirke
wunderbar gut bei den infektiösen Diarrhöen
gastrischen Ursprunges und bei den Diarrhöen
der Konstipierten. Ihre Wirkung sei schnell und
sicher. Langsamer führe sie auch zum Ziel bei
den Diarrhöen der Apeptischen, vorausgesetzt
natürlich, dass keine schwereren Läsionen der
Leber oder der Magcndarmschleimhaut vorlägen.
Endlich könne in den Fällen von Hyperchlorhydrie
die Vibrationsmassage versucht werden, die ihm
in ungefähr der Hälfte der Fälle Erfolge gehabt
zu haben scheine. Lemke (Dresden).
Cornelius, Druckpunkte, ihre Entstehung,
Bedeutung bei Neuralgieen, Nervosität,
Neurasthenie, Hysterie, Epilepsie und
Geisteskrankheiten sowie ihre Behandlung
durch Nervenmassage. Berlin 1902.
Cornelius schreibt den Druckpunkten eine
bedeutende Rolle in der Aetiologie und Therapie
verschiedener Neurosen, darunter der Epilepsie
zu. Als ihr Substrat sieht er eine »bindegewebige
Umklammerung der feinsten sensiblen Nerven-
fäserchen« an. Die pathogene Narbenbildung sei
das Produkt rheumatischer, traumatischer, entzünd¬
licher Schädlichkeiten. Die von den Druck¬
punkten ausgehende Ueberreizung des Central¬
organes führe zu pathologischer Reizbarkeit
desselben.
Bei der Aufsuchung des Druckpunkts be¬
ginnt Verfasser so,* dass er mit dem Zeige- und
Mittelfinger der rechten Hand schnell vibrierend
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592 Referate über Bücher and Aufsätze.
und leise druckend die ganze Gegend abtastet,
und so den ersten Bchmerzpunkt aufsucht in
dem er hier etwas starker vibriert, fragt er nach
Ausstrahlungen und Enden der Schmerzen. So
gelangt er zur Auffindung neuer Schmerzpunkte.
Auch die reaktiven Schmerzen, die im Gefolge
der Massage auftreten, zeigen weitere typische
Druckpunkte an.
Prophylaktisch soll man schon bei der Be¬
handlung jeder einfachen Wunde regelmässig
leichte Vibration ausführen, um Einklemmung
sensibler Fasern zu verhindern. Operative Be¬
handlung der Neuralgieen schafft nur neue
Gelegenheit zum pathogenen Druck auf die Nerven
und ist deshalb zu verwerfen.
Die Erfolge sind bemerkenswerth, wie die
fast jeder konsequent betriebenen Therapie, und
mahnen zur sorgfältigen Lektüre der Schrift
0. Kohnstamm (Königstein i. T ).
P. Lazarus, Die Bahnungstherapie der Hemi¬
plegie. Verhandlungen des 20. Kongresses
für innere Medicin S. 337. Wiesbaden 1902.
Auch nach vollständiger Zerstörung einer
inneren Kapsel sind die ursprünglichen Lähmungs¬
erscheinungen einer weitgehenden Restitution
fähig, besonders wenn eine methodische Uebungs-
therapie eingreift Zur anatomischen Erklärung
dieser Möglichkeit zieht Lazarus vor allem das
»vikariierende Eintreten der gesunden Hemi¬
sphäre für die erkrankte« heran. Des weiteren
denkt er an die Neubildung motorischer Centren
in der Nachbarschaft der erkrankten Rinden-
theile und schliesslich an die Restitution auf dem
Wege der tiefen Hirnganglien, die durch extra¬
pyramidale Wege mit der Rinde in Verbindung
treten oder sich unter Umständen bei rein
subkortikaler Innervation funktionell vervoll¬
kommnen können bis »zur Höhe der willkür¬
lichen Innervationsfähigkeit«. Dabei fasst er ins¬
besondere den Sehhügel ins Auge, der ja in viel¬
facher Weise centripetal und centrifugal mit dem
Rückenmark verbunden ist. — Die Eintheilung
der Uebungstherapie in Associations- und Kommi-
surenbahnung erscheint cinigermaassen künstlich.
Denn die »Associationsübung«, eine vorgezeigte
Bewegung nachzuahmen, und die »autopassive«
Kommisurcnübung, das gelähmte Glied von dem
symmetrischen gesunden mitnehmen zu lassen,
unterscheidet sich doch wohl wesentlich dadurch,
dass im ersteren Fall ein Eindruck des Gesichts¬
sinnes, im zweiten ein solcher des Muskelsinnes
innervatorisch wirksam werden soll. Auf Er¬
regungen des Muskelsinnes beruhen wohl auch
die bahnenden Wirkungen der kinetotherapeuti-
schen Bäder, der peripheren Faradasation, der
Erleichterung der Bewegungsaufgaben durch
Aequilibrierung der gelähmten Gliedmaassen etc.
Auf die Wiedergewöhnung des Muskelsinnes an
normale Sensationen läuft nach Ansicht des Ref.
(diese Zeitschrift Bd. 4. Heft 2) auch die Be¬
handlung der Kontrakturen hinaus, deren völlige
Uebergehung an dieser Stelle um so mehr auf¬
fällt, als sie vor kurzem durch den Vortragenden
eine so vortreffliche Darstellung gefunden hat
(diese Zeitschrift Bd. ß. Heft 7).
0. Kohnstamm (Königstein i. T.).
Oaroll E. Edson, Ueber die Wichtigkeit der
Ruhe für Tuberkulöse. The dietetic and
hygienic gazette Bd. 16. No. 12.
Wie jedes entzündliche Organ, müssen auch
die tuberkulös erkrankten Lungen möglichst ruhig
gestellt werden. Lange fortgesetzte körper¬
liche Ruhe in Liegestellung bei gleichzeitigem
Aufenthalt in der frischen Luft ist für Tuber¬
kulöse dringend nothwendig. Es wird dadurch
die Frequenz des Pulses herabgesetzt und das
Herz gekräftigt, das Fieber vermindert und Ge¬
wichtszunahme bewirkt Nur wenn kein Fieber
vorhanden ist, darf mässige Körperbewegung ge¬
stattet werden, die aber auch dann sorgfältig
kontrolliert werden muss.
R. Friedlaender (Wiesbaden).
t. Mikulicz und Valesca Tomasczewski,
Orthopädische Gymnastik gegen Rückgrats-
Terkrttmmungen.
Das Büchlein will Aerzten und Erziehern
die Durchführung des orthopädischen Turnens
erleichtern.
Die von v. Mikulicz geschriebene Einleitung
giebt in kurzer und klarer Darstellung eine
Schilderung von Ursachen und Wesen der seit¬
lichen Rückgratsverkrümmung, von der Prophy¬
laxe, der Therapie, insbesondere von Zweck und
Werth des orthopädischen Turnens.
Die Beschreibung der Technik des Turnens
hat Frau Tomasczewsky, die Leiterin einer
orthopädischen Turnanstalt in Breslau, über¬
nommen. Es kann hier auf die grosse Zahl der
Frei- und Gerätheübungen natürlich nicht genauer
eingegangen werden. Es sei nur rühmend die
Deutlichkeit und Sachlichkeit des Textes, die
Reichhaltigkeit der*Illustrationen betont.
Jeder am orthopädischen Turnen Interessierte
wird die Schrift mit Interesse und Gewinn studieren.
Vulpius (Heidelberg).
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593
Referate Über Bücher und Aufsätze.
C. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Hermanu Partsch, Seekrankheit und was
dagegen za than. Medical Record 1900. Juni.
Verfasser, der sich als Autor über die See¬
krankheit bereits einen Namen gemacht hat, giebt
auf Grund seiner langjährigen Erfahrung als
Schiffsarzt praktische Rathschläge für die Be¬
kämpfung dieser Krankheit. Die Anämie des
Gehirns, die durch Erschlaffung der peripherischen
Gefässe, besonders im Splanchnikusgebiet hervor¬
gerufen wird, bildet eine wesentliche Ursache der
Nausea. Der Patient soll möglichst viel liegen,
ohne dass der Kopf wesentlich erhöht wird.
Nahrungsenthaltung ist unzweckmässig, weil
durch die infolgedessen entstehende allgemeine
Anämie die Neigung zur Seekrankheit begünstigt
wird. Verfasser empfiehlt oft am Tage, aber
nicht viel auf einmal zu essen, und sich unmittel¬
bar nach jeder Mahlzeit nieder zu legen. Bei
Stuhlverstopfung sind Abführmittel zu vermeiden
und Wasserirrigationen oder Glycerineinspritzun¬
gen vorzuziehen. Von Medikamenten ist Brom
am Besten geeignet, die Beschwerden zu er¬
leichtern. R. Friedlaender (Wiesbaden).
Manter, Die Hydrotherapie der Lungentuber¬
kulose. Berliner klinische Wochenschrift 1902.
No. 10.
Von allgemeinen Grundprinzipien über Wesen ,
und Behandlungszweck der Tuberkulose ausge¬
hend, charakterisiert Autor den Werth der Hydro¬
therapie, das heisst der methodischen individuellen
Verwerthung des thermischen Reizes in fast allen
Stadien der Lungentuberkulose. Da man bei
der Lungentuberkulose es meist mit einem
crethischen Stoffwechsel zu thun hat, so wird
man thermische Reize anwenden müssen, die dem
kranken Körper weder Wärme entziehen noch
die Eigenwärme erhöhen. Man erzielt einmal
eine Besänftigung des erethischen Stoffwechsels
durch Erhöhung der Oberflächenwärme, also reiz-
abhaltend, das andere Mal eine Erhöhung der
Oxydation mit vergrösserter Assimilation durch
den nachfolgenden Kältereiz. Die Methoden be¬
hufs Erhöhung der Oberflächentemperatur sind:
Die Bettwärme, die trockene Einpackung, die
partielle feucht© von 2—5 Stunden und die totale
feuchte von »/ 4 — D/ 4 Stunden, ohne Erhöhung der
Eigentemperatur, das laue Vollbad von 35—38»C
von 1/4 Stunde, die warme Brause von 38—42^C,
das Heissluft- oder das elektrische Lichtbad von
ö—10 Minuten, das Sonnenbad. Als Kältereize
verwendet man die Theilwaschung, Abklatschung, ,
Zeitsohr. f. diät. u. phjrsik. Therapie Bü. VI. Heft 10.
Begiessung, Brause, das Halbbad, Vollbad. Eine
Hauptbedingung für alle kälteren Prozeduren ist
die Erzielung einer Reaktion, d. h. einer schnellen
Wiedererwärmung, die bei Schonungsbedürftigen
passiv also durch die Bettwärme, bei den In¬
dikationen der Uebung aktiv, also durch Be¬
wegung, erreicht wird. Symptomatisch wird die
Tendenz zur Heilung wirksam unterstützt durch
die Lungenpackung (Kreuzbinde), der Auswurf
löst sich leichter, der Husten wird seltener. Die
Packung ist zugleich die beste Vorerwärmung
für nachfolgende Kältereize. Bei schlechter
Reaktion geht ihr eine kurze kalte Theilwaschung
mit nachfolgender Frottierung voraus. Die Packung
bleibt eventuell die ganze Nacht liegen, ihr folgt
je nach Indikation eine Regenbrause von 20 bis
30°C, ein Halbbad oder eine Abreibung. Wechsel¬
warme Brausen können in der Anstaltsbehandlung
an deren Stelle treten. Auch die häufig auf¬
tretenden Bronchialkatarrhe werden durch diese
Behandlungsart mit Lungenpackungen, vorherigen
und nachfolgenden kalten Waschungen, wechsel-
warmen Brausen ausserordentlich günstig beein¬
flusst. In jedem Falle ist die Erzielung einer
Reaktion ob aktiv oder passiv ein Hauptpostulat
für die günstige Wirkung jedes Kältereizes und
von nie zu unterschätzender Bedeutung.
J. Marcuse (Mannheim).
Salyant, Kaltwasserbehandlung des febrilen
Delirium tremens. Gazette des eaux 1901.
No. 230.
Als Maassstab für die Einleitung der Be¬
handlung dient die Körpertemperatur. Konstatiert
man im Beginne des Anfalles eine Rektal temperatur
von melirals 39°, so sind sofort Bäder anzuwenden,
und zwar von 18» C; bei schlechter Herz- und
Arterienbeschaffenheit, oder wenn der Kollaps
auch nur angedeutet ist, wählt man eine Temperatur
von 25—28° C. Während des Bades soll der
Kopf des Patienten fortwährend mit dem Bade¬
wasser übergossen werden; es ist auch angezeigt,
wanne Getränke und Stimulantien zu geben.
Die Dauer des Bades variiert von fünf bis zehn
Minuten. Es ist besser, die Bäder öfter zu geben,
etwa alle drei Stunden, als sie allzu lange aus¬
zudehnen. Man setzt die Bäder so lange fort, bis
die Hyperthermie und das Delirium aufhört.
Schon nach einigen Bädern zeigen sich die
günstigen Wirkungen. Der Arzt muss diese Be¬
handlung persönlich leiten, er darf während des
ganzen Bades keinen Augenblick den Puls un¬
beachtet lassen. Wenn der Kranke das Bad ver¬
lässt, muss er in sein Bett zur Wiedererwärmung
gebracht werden, wobei auch warme Getränke
und alkoholfreie Stimulantien gute Dienste
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594
Referate über Bücher nnd Aufsätze.
leisten. Sind die Anfalle geschwunden, so wird
die Rekonvalescenz in gewöhnlicher Weise be¬
handelt. In leichteren Fällen, oder wenn die
Temperatur unter 39° bleibt, genügen meistens
laue Bäder; letztere erweisen sich auch dann als
zweckmässig, wenn kalte Bäder kontraindiziert
sind, also bei schweren Komplikationen seitens
des Herzens, Endopcrikarditis, Myokarditis,
Arteriosklerose, Diabetes etc.; in allen diesen
Fallen geben laue Bäder ausgezeichnete Resultate.
Die Kollapssymptorae, die manchmal im Anschluss
an prolongierte kalte Bäder auftreten, behandelt
man mit Tomeis, Aether etc.
Forchheimer (Würzburg).
H. Winternitz, Ueber die Wirkung ver¬
schiedener Bäder (Sandbäder, Soolbäder,
Kohlensäurebäder n. s. w.) insbesondere auf
den Gaswechsel« Deutsches Archiv für kli¬
nische Medicin Bd. 32. Heft 3 und 4.
Zu Beginn dieser sehr eingehenden Arbeit
bestätigt H. Wintern itz durch Mittheilung
neuerlicher Versuche die schon früher von ihm
und anderen gefundene Thatsache, dass heisse
Wasserbäder von 39—40° C Temperatur eine
sehr erhebliche Vermehrung desO-Ver-
brauches und der C0 2 - Produktion her-
vorrufen, und dass diese Steigerung des
respiratorischen Gaswechsels selbst die bei hoch¬
fieberhaften Prozessen vorkommende bedeutend
überschreitet. Eine fast gleiche oxydations¬
steigernde Wirkung rufen auch die heissen
Sandbäder hervor, worin H. Winternitz
einen Beweis dafür sieht, dass der haut¬
reizenden Wirkung dieser Bäder hauptsächlich
jener Effekt zuzuschreiben ist; denn die höher
temperierten Licht- und Heissluftbäder steigern
die Oxydationen, wie Salomon fand, nur un¬
bedeutend. Vor den heissen Wasserbädem haben
die Sandbäder den grossen Vorth eil, dass sie
trotz ihrer starken Einwirkung auf den Gas¬
wechsel Puls und Athmungsthätigkeit viel
weniger alterieren als jene, und auch die
Körpertemperatur nur wenig erhöhen.
Soolbäder von indifferenter Temperatur
(34,5 — 35,8 ° C) beeinflussen dagegen den
respiratorischen Stoffwechsel nur unbedeu¬
tend, und zwar ergaben sowohl 3—4% Koch¬
salzbäder, wie auch Bäder mit Stassfurter Salz
und solche mit Chlorkaliumzusatz dasselbe
negative Resultat; eine wesentliche hautreizende
Wirkung muss daher der Verfasser den Sool-
bädem absprechen. Hingegen fand er bei den
zweifellos hautreizend wirkenden Senfbädern
wieder eine deutliche Oxydationssteigerung, wenn
dieselbe auch nicht den bei Sandbädern un«l
heissen Wasserbädem beobachteten Grad erreicht.
Sehr beachtenswerth sind die Resultate des
Verfassers bei Versuchen mit Kohlensäure¬
bädern; er fand nämlich im Gegensätze zu allen
früheren Autoren bei seinen mit grosser Exakt¬
heit ausgeführten Versuchen (jede direkte Ein-
athmung von C0 2 während des Badens war aus¬
geschlossen), dass im Kohlensäurebad that-
sächlich eine Resorption der C0 2 durch
die Haut stattfindet; das äussert sich u.a.
auch darin, dass der C0 2 -Gehalt der Exspirations¬
luft in einem solchen Bade stetig zunimmt, ohne
dass dem eine entsprechende Vermehmng des Sauer¬
stoffverbrauches parallel geht. Die Wirkung eines
Kohlensäurebades besteht hauptsächlich in einer
bedeutenden Vermehrung des Athmungs-
volumens infolge von Steigerung der Athem-
thatigkeit und in dementsprechender
Oxydationssteigerung. Jene Steigerung
der Athmungsthätigkeit kommt auf zwiefachem
Wege zu Stande: 1. durch direkten Reiz der
resorbierten Kohlensäure auf das Athmungs-
centrum; 2. auf reflektorischem Wege durch
Reizung der sensiblen Nervenendigungen
der Haut durch die Kohlensäure. Zusatz von
2 — 3% Kochsalz oder Stassfurter Salz zum
Kohlensäurebad begünstigt die Resorption der
C0 2 und damit die therapeutische Wirkung des
Bades.
Schliesslich untersuchte H.Winternitz noch
die Wirkung- von Schwefelbädern auf den
Gaswechsel und fand dabei, dass dieselben eine
Aenderung der oxydativen Vorgänge nicht
hervorrufen. A. Laqueur (Berlin).
D. Elektro- und Röntgentherapie.
E. SWales, Two cages of lupus vulgaris
succesfuUy treated with urea pura and the
X-Rays. The Lancet 1902. 8. März.
Veranlasst wurde der Verfasser zn der
innerlichen Anwendung von Urea purea in
den zwei beschriebenen Fallen von Lupus
vulgaris durch die Resultate Harper’s bei
Phthisis pulm.; doch führt er auch einen von
Buck veröffentlichten Fall von Lupus an, der
durch Urea, Leberthran und Malzextrakt ohne
Röntgenbestrahlung geheilt wurde. In seinen
beiden Fällen handelte es sich um 30jährige
Frauen mit weit ausgedehntem, ulcerierendem
Gesichtslupus, bedeutender Körperschwäche und
Stumpfsinn, in dem einen mit Ergriffensein der
Nasenschleimhaut, in dem anderen mit Entropium
und eitriger Konjunktivitis. Die Röntgen-
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595
liefe rate über Bücher und Aufsatze.
bestrahlungen dauerten täglich sieben Minuten ohne
Schatz der gesunden Haut bis zum fast völligen
Schwund des Lupus und zwar fünf bezw. sechs
Monate, die Einnahme der Urea pura dagegen
länger. Die Dosis fing mit 1,25 g an und wurde
innerhalb sechs bezw. neun Monaten bis 8 g täg¬
lich gesteigert.
Am Ende eines Jahres vom Behandlungs¬
beginn an waren in beiden Fällen nur weisse
Narben vorhanden, daneben war die Aufmerk¬
samkeit der Patienten auf ihre Umgebung wesent¬
lich grosser.
Im Ham soll sich der Harnstoff nicht über
das Normale hinaus vermehrt haben. (Ob die
grossen Meegen Harnstoff wirklich dauernd ein¬
genommen wurden? Ref.) Cowl (Berlin).
T. Sjögren etE, Sederholm, Yaleurthöra-
peutique des rayons de Röntgen dans les
dermatoses« Ber. in La semaine mödicale 1902.
8. Januar.
Sjögren und Sederholm kombinierten bei
der Behandlung des Lupus vulgaris die Galvano-
punktur und Röntgenbestrahlung mit dem Erfolg,
dass in 27 Fällen 18 Heilungen, durchschnittlich
innerhalb sechs Monaten, — in einigen Fällen
nach wenigen, in anderen erst nach 200—250
Sitzungen — erzielt wurden. Lupus erythematosus
erwies sich in sechs Fällen der Behandlung
weniger zugänglich, dagegen in fünf Fällen von
Hauttuberkulose waren die Resultate überaus
günstig. Chronisches Ekzem bedurfte in elf
Fällen durchschnittlich nur 15 Bestrahlungen zur
Kur. Von Psoriasis wurde in zwei Fällen, von
Pruritus ano-vulvae in vier Fällen Heilung erzielt.
Acne vulgaris und hartnäckige Geschwüre
besserten sich oder heilten aus. Hypertrichosis
trat zwar immer zunächst nach erfolgreicher Be¬
strahlung wieder, jedoch jedesmal in vermindertem
Maasse auf. Ulcus rodens s. Epitheliom liess sich
in allen von fünf Fällen ganz beseitigen.
Cowl (Berlin).
!
Carl Beck, The pathological and therapeotic j
aspects of the effects of the Röntgen rays.
Medical Record 1902. 18. Januar.
Ohne Bezug auf die bisher veröffentlichten i
Beobachtungen über die Pathogenität der Röntgen- |
strahlen beschreibt Verfasser in einem mit drei
Autotypien von schwereren und leichtercnRöntgen-
läsioncn erläuterten Aufsatz deren Bedingungen
und Behandlung, und vergleicht sie mit gewöhn¬
lichen Brandwunden, von denen sic sich in erster
Reihe dadurch unterscheiden, dass ihnen immer
erst ein ausgeprägtes Stadium incubationis, das
bis 14 Tage betragen kann, vorausgeht. Jo nach
der Dauer bezw. Intensität der Bestrahlung treten
auf: 1. Hyperämie und Pruritus, Verdickung von
Epidermis und Kutis nebst Haarausfall, 2. Bullae
nebst Schmerzen, 3. Trockener Brand mit nach¬
folgenden äusserst langsam heilenden Geschwüren.
Der Brand ist dem »Gletscherbrand« ähnlich-
An den Händen vonPersonen, die viel im Röntgen¬
licht arbeiten, ist eine kumulative pathogenische
Wirkung mit Sicherheit zu konstatieren. Blonde
Personen erweisen sich besonders empfindlich.
An sich selbst hatVerfasser Sistierung der Schweiss-
sekretion mit beträchtlichem Unbehagen in der
verdickten Haut der Hand beobachtet. Schon
das Erythem allein kann eine Pigmentbildung
hinterlassen.
Bedeutendere chronische Veränderungen sind
Verdickung und verminderte Elastizität der mit
rauher, errötheter Oberfläche behafteten Haut und
anomales Wachsthum der Nägel.
Den therapeutischen Erfolgen Anderer bei
Favus, Sykosis, Hypertrichosis, Psoriasis, Rosacea,
Acne, Prurigo und Lupus reiht Verfasser seine
eigenen Kuren an. Zunächst einen schon ver¬
öffentlichten Fall von Lupus vulgaris, der nun¬
mehr drei Jahre hindurch dauernd geheilt geblieben
ist. Bei Lupus erythematosus dauerte die Be¬
handlung noch länger als bei Lupus vulgaris.
Epitheliome Hessen sich zwar erfolgreich be¬
handeln, jedoch ist es vortheilhafter, die Be¬
strahlung für die Behandlung post operationem
zu reservieren. In hoffnungslosen Fällen von
Sarkom schrumpften die Geschwülste nach der
wiederholten Bestrahlung um etwas ein.
Durchweg ist die Bestrahlung sofort zu unter¬
brechen, sobald ein Brennen in der Haut auftritt
(und wohl auch vorher. Ref.). Es ist empfehlens-
werth, die erste Bestrahlung nur fünf Minuten
andauem zu lassen und erst wieder nach
acht Tagen zu wiederholen. Die Zwischenzeit
lässt sich bald bis auf 24 Stunden vermindern
und zwar bei Bestrahlungsdauer zwischen 10 und
45 Minuten, je nach der Tiefe und Hartnäckigkeit
der Läsion. Bei Hautkrankheiten im allgemeinen
genügen 5—10 Minuten bei 10 cm Abstand der
Röntgenröhre, die weiche Strahlen geben soll.
Cowl (Berlin).
A. Laquerrifcre, De Pimpuissance sexueHe
et de son Traitement ölectrique. Le Progrös
möd. 1902. 31. Jahrg. 3. Serie. Bd. 14. No. 19.
Verfasser bespricht kurz die verschiedenen
Arten der Impotenz und ihre elektrischen Be¬
handlungsmethoden. Der eigentliche Kern der
Abhandlung gilt der Behandlung nach A p o s t o 1 i,
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596 Referate; über Bücher und Aufsätze.
welcher folgendermaassen verfährt: Er benutzt
zwei grosse Elektroden aus Topf ertön, ganz von
der Art seiner indifferenten Elektrode zur gynäko¬
logischen Elektrolyse. Die Anode liegt der Kreuz-
und Gesässgegend, die Kathode der Nacken- und
Schultergegend auf. Es werden sehr starke Ströme
von 100—175 M.A. täglich 10 Minuten lang an¬
gewendet und gut vertragen.
Das Ergebniss war je nach der Natur der
Krankheit verschieden, doch wurde immer,
wenn nicht ein organisches unheilbares
Leiden zu Grunde lag, nach den ersten Sitzungen
eine Vermehrung, fast immer eine Verstärkung
der Erektionen erzielt, welche freilich manchmal
später wieder nachliessen. Verfasser sieht in der
beschriebenen Behandlungsmethode ein Mittel,
welches damiederliegcnde Erektionen verstärkt,
und welches man in geeigneten Fällen versuchen
muss, gleichgiltig, ob man darin ein eigentliches
Heilmittel erblicken will, oder nur ein Mittel,
welches dem Patienten dazu hilft, das verlorene
Selbstvertrauen wiederzugewinnen.
F. Frankenhäuser (Berlin).
TobyCohn, Leitfaden der Elektrodiagnostik
and Elektrotherapie für Praktiker nud
Studierende. Mit 6 Tafeln und 39 Abbildungen
im Text. Zweite vermehrte und verbesserte
Auflage. Berlin 1902. Verlag von S. Karger.
Die Neubearbeitung des vortrefflichen Leit¬
fadens ist mit Erfolg von demselben Gesichts¬
punkte aus vorgenommen worden, von dem aus
die erste Ausgabe entstanden ist. Es galt, den
praktischen Bedürfnissen der Aerzte und der
Studierenden eine solide und übersichtliche Grund¬
lage zu bieten. Von den meisten Leitfäden,
welche denselben Gegenstand behandeln, unter¬
scheidet sich der vorliegende dadurch, dass er
allem Theoretischen nur gerade in sofern Raum
giebt, als es die Praxis dringend erfordert. So
gehtVerfasser gleich in medias res vor. Nach einigen
Worten über das galvanische Element wird ein
Apparat für galvanischen und faradischen Strom
demonstriert und seine Verwendung erläutert.
Es folgt eine kurze und übersichtliche Darstellung
der Zuckuugsgesetze als Einleitung zu dem
wichtigsten Kapitel der Elektrodiagnostik, welches
den Gang der Untersuchung behandelt. Hier
wird die Technik der Untersuchung in anschau¬
licher und direkt praktisch verwerthbarer Weise
geschildert, werden die erregbarsten Punkte der
Nerven und Muskeln an der Hand guter Tafeln
dargestellt, und schliesslich wird die zweck-
mässigste Art der Protokollierung an Beispielen
erläutert. Im vierten Kapitel kommen daran
anschliessend die Veränderungen der Reaktion
der Muskeln und motorischen Nerven zur Dar¬
stellung. Der Verfasser bedient sich hierbei in
zweckmässiger Weise der Neuronentheorie, um für
den Leser diese Vorgänge übersichtlich zu machen,
ohne ihn jedoch in den Streit der Meinungen über
diese Theorie zu verwickeln. In den zwei folgen¬
den Kapiteln werden die elektrische Untersuchung
der Sinnesorgane und die Veränderungen des
Leitungswiderstandes kurz beschrieben.
Es folgt der zweite Theil: Elektrotherapie.
Gegenüber den weit auseinandergehenden An¬
sichten der Autoren über den Heilwerth der
Elektrizität hält sich Verfasser auf einer ge¬
mässigten mittleren Linie. Der psychischen
Wirkung elektrotherapeutischer Maassnahmen
lässt er zwar volle Gerechtigkeit widerfahren.
Er verficht jedoch auch energisch den Standpunkt
der spezifischen Heilwirkung der Elektrizität auf
Grund der vorliegenden Thatsachen und An¬
schauungen. Zugleich erkennt er an, dass der
Forschung auf diesen Gebieten noch sehr viel
zu thun übrig bleibt. Was die Methode anbetrifft,
so warnt Verfasser mit Recht den Anfänger, dem
Schema, das er sieh einprägen muss, allzu grossen
Werth bcizulegen; »der beste Therapeut wird auch
hier der sein, der am wenigsten schematisiert«.
In dem Absätze, welcher vom Lokalisieren
der Behandlung auf den Ort der Krankheit
handelt (S. 103), würde es dem Referenten nützlich
erscheinen, wenn einiges über die Strom vertheilung
in Kürze gesagt wäre. In Bezug auf die Dosierung
empfiehlt Verfasser dem Anfänger, »sich in der
Praxis von beiden Extremen fern zu halten bis
grössere Erfahrungen gesammelt sind«. Hierin
kann man ihm nur Recht geben — Es folgen eine
Anzahl aus der Praxis gewonnener werthvoller
Winke in Bezug auf die Einzelheiten der Technik.
Der spezielle Theil behandelt die Erkrankungen
gruppenweise nach ihrem Sitze im Rückenmarke,
Gehirn etc. Die Besprechung der Methoden der
allgemeinen Faradisation und Galvanisation, der
elektrischen Bäder (S. 120) etc., wären nach
Ansicht des Referenten besser im allgemeinen
Theile untergebracht.
Erst jetzt, gewissennassen anhangsweise, be¬
spricht Verfasser die verschiedenartigen
Apparate für Galvanisation und Faradisation.
Und schliesslich widmet er noch ein Kapitel der
Franklinisation, eines der Teslaisation und eines
den »neueren Anwendungsformen der Elektrizi¬
tät«: dem magnet-elektrischen, dem sinusoldalen
Strom, den monodischen Voltstrom, der Konden¬
satorentladungen und der Permcaelektrizität
Alles in Allem hält dieses Buch, was es
verspricht, und ist Praktikern und Studierenden
zu empfehlen. _ _ . . . „ .
F. Frankenhauser (Berlin).
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397
Referate über Bücher und Aufsätze.
G. H. Lancashire, The therapeutic em-
ployment of x rays. The british medical jour-
nal 1902. Mai.
Verfasser theilt seine Erfahrungen in der
Röntgenbehandlung folgender Affektionen mit:
Hypertrichosis, Sykosis, Lupus vulgaris, Ulcus
rodens.
Bei kleinen cirkumskripten Fällen von Hyper¬
trichosis gebührt der Elektrolyse der erste Platz,
bei ausgedehnteren ist die Röntgentherapie die
einzig mögliche.
Ebenso sind ausgedehnte und besonders
ulcerierte Lupusfälle sehr geeignet für die
Röntgenbehandlung, die in manchen Fällen nur
eine Vorbehandlung für die Bestrahlung nach
Finsen ist.
Sykosis heilt prompt nachRöntgenbestrahlung.
Auch bei Ulcus rodens sind die Erfolge dieser
Behandlungsmethode gut; Verfasser hat zwei Fälle
sechs Monate beobachtet, ohne dass ein Recidiv
eingetreten ist. Schmidt (Berlin).
Hugh Wal sh am, On tlie ultra - violet light
from a rapid oscillation high - teusion arc,
for the treatmeut of skin diseases. The j
Lancet No. 4092. S. 285. \
Die Arbeit enthält ausführliche Angaben über
verschiedene Untersuchungsniethoden, welche zum
Nachweise der in einer Lichtquelle enthaltenen
kurzwelligen, besonders der ultravioletten Strah¬
len dienen. Ferner beschreibt Verfasser eine
handliche Lampe, an welcher dicht vor den schräg
gestellten, in einem Tubus befindlichen Kohlen ;
an Stelle der üblichen Quarzplatte als Kom- j
pressorium eine Eisplatte angebracht wird. Es
handelt sich hier also nicht um konzentriertes,
sondern um diffuses Licht. Die Lampe brennt
mit 10 Ampfcre.
Nach den in zwei Monaten gemachten Be¬
obachtungen bei der Behandlung Lupöscr glaubt
Verfasser, mit den erzielten Resultaten zufrieden ■
sein zu können. Schmidt (Berlin). j
|
Malcolm Morris und S. Ernest Dove, |
Further remarks on Finsen light and
x ray treatment in lupus and rodent ulcer.
The british medical joumal 1902. Mai.
Die Verfasser vergleichen die Finsen- und
Röntgenbehandlung, ihre Vortheile und Nach- |
thcile. Beide Methoden sollen nicht die einzigen
sein, sondern mit anderen (kaustischen, chemischen)
Mitteln kombiniert angewendet werden. DerFinsen-
behandlung dürfte unter gleichzeitiger unter¬
stützender chemischer, respektive kaustischer t
Behandlung der erste Platz in der Lupustherapie
zukommen. Vorzüge und Nachtheile der Methode
sind bekannt Ein Vortheil der Finsentherapie
vor allen anderen Behandlungsweisen ist darin
zu sehen, dass durch sie auch die tiefen zunächst
nicht sichtbaren Knötchen allmählich sichtbar ge¬
macht werden, während das bei anderen Methoden
wegen der nach Zerstörung der oberflächlichen
Lupusinfiltrate cintretenden mehr oder weniger
derben Narbenbildung nicht möglich ist. Uebcr
die Dauer der Behandlung lässt sich im allgemeinen
nichts sagen. Recidivc können auf treten. Dann
müssen diese wiederum der Behandlung unter¬
zogen werden. Die Intervalle zwischen den
Recidiven werden immer länger, bis die
Recidive schliesslich ganz ausbleiben, so dass
auch in diesen recidivierenden Fällen schliess¬
lich eine Dauerheilung zu erzielen ist. Die
Dauerresultate sind nach Finsenbehandlung
häufiger als nach Röntgenbestrahlung. Letztere
Methode hat folgende Nachtheile: 1. Schwierig¬
keit in der Dosierung und daher auch der Be-
urtheilung der Frage, ob die erst spät auftretende
Reaktion zu schwach oder zu stark sein wird.
2. Weniger schönes kosmetisches Resultat.
3. Häufig Residuen von Lupus oder Recidive
in der Narbe.
Die Vorzüge der Röntgenbehandlung sind
darin zu suchen, dass man grössere Bezirke be¬
lichten, die Schleimhäute behandeln und ulcerierte
Fälle schneller zur Ueberhäutung bringen kann,
als das durch Finscnlicht möglich ist.
Beim Ulcus rodens leistet die Röntgen¬
behandlung sehr viel. Auch in den sehr aus¬
gedehnten Fällen tritt rasch Ueberhäutung der
Geschwürsflächen ein. Schwierigkeit macht mit¬
unter der wallartige Rand — also das eigentliche
Kancroid —, der dann noch chirurgisch zu be¬
handeln ist. Schmidt (Berlin).
E. Verschiedenes.
M. R. Larger, Falts noureanx relatifs a
Paction de Phdrdditd et de la dlg£n6rescence
en obstetrique. AcadömiedemSdccine. S6ance
du 31 döcember. Le bullctin mödical 1902. No. I.
Vortragender berichtet über zwei Fälle, die
ihm geeignet erscheinen, seine in früheren
Nummern der gleichen Zeitschrift veröffentlichte
merkwürdige Theorie zu stützen, dass die meisten
Abweichungen von der Norm in der Schwanger¬
schaft, Geburt und im Wochenbett Zeichen einer
ererbten Degeneration eines der bcidenErzeuger sei.
Fall 1. Nach einer ersten Entbindung in
normaler Lage wird eine Frau vom Moment der
zweiten Befruchtung an von hysterischen Krisen
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598 Referate über Bücher und Aufsätze.
ergriffen, die sich während der ganzen
Schwangerschaft wiederholen. Zweite Ent¬
bindung in anormaler (Steiss-)Lage.
Fall 2. Nach drei normalen Entbindungen
wird eine Frau zum vierten Male während der
Belagerung von Paris schwanger. Geburt eines
Knaben in Gesichtslage mit Armvorfall. Dessen
erstes Kind wird ebenfalls in Gesichtslage mit
Arm Vorfall geboren! L. Zuntz (Berlin).
G. Bonne, lieber die Suggestionsbehandlung
in der täglichen Praxis. Wiener medicinische
Presse 1901. No. 45.
Der Verfasser tritt dafür ein, dass die me¬
thodische Psychotherapie nicht Spezialeigenthum
der Nervenärzte bleibe, sondern in das tägliche
Armamcntarium des praktischen Arztes aufge¬
nommen werde. — Er bespricht die Indikationen
und die Methoden der Suggestivbehandlung und
empfiehlt sie speziell bei Alkoholikern. Selbst
bei tobenden Deliranten will er mit Erfolg
Müdigkeit und Schlaf suggerieren, indem er sich
unter der Firma des »besten Freundes« in das
entgleiste Bewusstsein des Kranken einschleicht
und den jeweiligen Hallucinationen angepasste
Suggestionen zur Erzielung des angestrebten
Effektes in Anwendung bringt.
Obersteiner (Wien).
Raymond, Hysterie und Delirien. Gefahren
des Hypnotisierens durch Laien. Le Bulletin
müdical 1902. No. 44.
Raymond berichtet über eine schwer hyste¬
rische junge Frau, die in den Anfällen von wilden
Thieren gebissen zu werden und noch tagelang
nach den Anfällen die Bisse schmerzhaft zu
empfinden meinte. Bereits vor zwei Jahren
waren leichte hysterische Symptome aufgetreten;
in seiner ganzen Schwere entwickelte sich aber
das Krankheitsbild durch folgendes eigentüm¬
liches Zusammentreffen: Vor einem Jahre fing sie
ein Licbesverhältniss mit einem Unteroffizier an,
welcher stark eifersüchtig war, und um sich von
ihrer Treue zu überzeugen, sie wiederholt hypno¬
tisierte. und im hypnotischen Schlafe ausfragte.
Da erschien ein Rivale auf der Bildfläche, welcher
zu dem gleichen Mittel griff, sich von der »Treue«
der jungen Frau zu überzeugen. So zwischen
zwei hypnotisierenden Liebhabern hin- und her¬
geworfen fing sie bald an, immer schwerere
Anfälle darzubieten, bis sich das beschriebene
Bild entwickelte. In der Salpötriöre gelang es
rasch ebenfalls auf hypnotischem Wege, die
Kranke zu beruhigen und die Erinnerung an die
beiden Liebhaber auszulöschen; leider wussten
diese letzteren Mittel und Wege, ihr Liebesbriefe
zukommen zu lassen; sie verliess das Spital und
war bald wieder in dem früheren Zustand.
Obersteiner (Wien).
Das grosse Interesse, das augenblicklich für
die Ergebnisse der physikalischen Chemie herrscht,
soweit sie verschiedene Zweige der medicinischen
Wissenschaften berühren, dokumentiert sich nicht
nur in der täglich steigenden Anzahl von Einzel¬
arbeiten auf diesem Gebiete, sondern vor allein
darin, dass sich das Bedürfniss herausgestellt
hat, diese Ergebnisse auch einem grösseren
Kreise von Acrzten in zusammenfassender Dar¬
stellung bekannt zu machen.
Glänzend erscheint diese schwierige Aufgabe
gelost in dem Werke von
Hamburger, Osmotischer Druck und Jonen-
lehre in den medicinischen Wissenschaften.
Zugleich Lehrbuch physikalisch - chemischer
Methoden. Wiesbaden 1902. J. F. Bergmann.
Wie kaum ein zweiter war allerdings gerade
der Verfasser dazu prädestiniert, der ja selbst
auf diesem Gebiete so grundlegendes und hervor¬
ragendes geleistet.
Das gross angelegte Werk gliedert sich in
zwei Theile. In dem ersten bisher erschienenen
werden die physikalisch-chemischen Grundlagen
und Methoden besprochen, sowie ihre Beziehungen
zur Physiologie und Pathologie des Blutes; der
zweite soll dann die praktisch wichtigen Förde¬
rungen beleuchten, welche die Lehre von der
Sekretion und Resorption, die Pharmakologie,
die Bakteriologie etc. bisher der physikalischen
Chemie zu danken haben.
Eine ungemein klare und fassliche Dar¬
stellung zeichnet das Werk aus. Wer sich in
die schwierige und dem Arzte theilweise recht
fern liegende Methodik einarbeiten will, wird
leicht an seiner Hand zum Ziele kommen. Da¬
bei ist es mit einer umfassenden Beherrschung
der Litteratur geschrieben, so dass es auch als
Orientierungswerk für den schon mehr mit dem
Stoff vertrauten vollauf seinen Zweck erfüllt.
Wir stehen nicht an, es als ein »Standard
work« im besten Sinne des Wortes zu bezeichnen
und sehen mit grossem Interesse dem Erscheinen
des zweiten Bandes entgegen. Es sollte in der
Bibliothek keines Arztes fehlen, der sich mit ein¬
schlägigen Fragen beschäftigt.
H.Zikel, Lehrbuch der klinischen Osmologie
als funktionelle Pathologie iiud Therapie.
Berlin 1902. Fischeris medicin. Buchhandlung,
nennt sich die zweite Neuerscheinung auf diesem
Gebiete. Das Buch erscheint unter günstigen
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Referat© Über Bücher und Aufsätze. 599
Auspizien: v. Leyden zu seinem 70. Geburt»- j
tage als Festschrift gewidmet und von Senator i
mit einer inhaltsreichen Vorrede versehen, die
das Verdienstvolle des Unternehmens, die Kennt-
niss der klinischen Bedeutung der »Osmologie«
in weitere Kreise zu tragen, hervorhebt
Das Buch ist, wie das beigegebenc Litteratur-
verzeichniss zeigt, mit einem ausserordentlichen
und rühmenswerthcn Fleisse zusammen gestellt.
Freilich können wir die Bemerkung nicht unter¬
drücken , dass »weniger« manchmal vielleicht
»mehr« gewesen wäre; unbeschadet der Wirkung
des Ganzen könnten eine Reihe hypothetischer
Dinge, ebenso zahlreiche Formeln und Berech¬
nungen in einer Neuauflage in Wegfall kommen.
Dann wird das hohe Ziel, welches sich Verfasser
gesetzt hat, ein Lehrbuch zu schreiben, das ein
getreues Bild des gegenwärtigen Standes der
Osraoselehre darbietet, noch mehr erreicht werden.
P. F. Richter (Berlin).
Stern, Some observations onthe relation of
the alkalescence of the blood to the urinary
reaction. New-York medical joumal 1901.
In einer grösseren Reihe von Selbstversuchen
hat Stern die Alkalescenz des Blutes und
gleichzeitig die Acidität des Urins zu ver¬
schiedenen Tageszeiten bestimmt. Er fand, dass
im allgemeinen diese beiden Faktoren im umge¬
kehrten Verhältnis» zu einander stehen, d. h. dass
mit dem Steigen der Blutalkalesccnz meist ein
Sinken der Urinacidität verbunden ist und um¬
gekehrt, jedoch ist dieses Verhältnis» nicht immer
ein konstantes. Bemerkenswerth ist, dass in den
Versuchen Stern’» in den Nachmittags¬
stunden die Blutalkalescenz fast stets gesteigert,
der Säuregehalt des Urins dementsprechend ver¬
mindert war; es liegt nahe, hier an eine Analogie
mit den Verhältnissen der Leukocytose zu den
verschiedenen Tageszeiten zu denken, eine Zählung
der Leukocyten hat der Verfasser jedoch leider
nicht angestellt. Die Quantität der Nahrung
hat auf die Blutalkalescenz keinen Einfluss, der
Einfluss der Qualität der Nahrungsmittel ist
ebenfalls ein ganz unerheblicher.
Von grossem Interesse, auch in therapeu¬
tischer Hinsicht, ist der Umstand, dass eine Reihe
von Medikamenten (Natron salicylicum, Kalium¬
bitartrat, Natriumacetat u. a.), welche die Acidität
des Urins herabsetzen auch dann, wenn sie den
Urin selbst deutlich alkalisch machen, die
Alkalescenz des Blutes nicht vermehren.
Zugleich dient diese Beobachtung als ein weiterer
Belag dafür, dass Verminderung der Acidität des
Urins nicht immer mit Steigerung der Blutalkales¬
cenz einherzugehen braucht.
Die Ursache dafür, dass bei Nacht die Acidität
des Urins normaler Weise höher ist als bei Tage
und besonders Nachmittags, ist nach Stern nicht
in der Art der Nahrung, sondern in der Art und
Weise der Kohlensäureausscheidung zu
suchen. Stern nimmt an, dass die Umwandlung
des Dinatriumphosphats des Blutes in das sauer-
rcagierende Mononatriumphosphat des Urins, wo¬
rauf ja dessen sauere Reaktion hauptsächlich
beruht, in erster Linie dadurch hervorgerufen
wird, dass die im Blute retinierte C0 2 dem
Dinatriumphosphat ein Na-Atom entzieht. Da
nun in der Nacht trotz geringerer Kohlensäurc-
produktion mehr C0 2 im Blute retiniert und
weniger C0 2 durch Lungen und Haut ausge¬
schieden werde als bei Tage, und besonders
Nachmittags, wo nach der Nahrungsaufnahme die
Funktionen der Cirkulation und Respiration ge¬
steigert sind, so fände die im Blute cirkulierende
freie C0 2 Nachts mehr Gelegenheit zu jener Um¬
wandlung des Dinatriumphosphat in das sauere
Salz als tagsüber. A. Laqueur (Berlin).
Riegler (Jassy), Eine einfache gas volu¬
metrische Bestimmung»methode der Chloride
und Phosphate im Harne. Wiener medicinische
Blätter 1901. No. 30.
Das Prinzip, das Riegler seiner Methode zu
Grunde legt, ist folgendes: Wenn man Chlorsilber
mit Hydrazinsulfat (N 2 H 4 H 2 S0 4 ) und Natron¬
lauge behandelt, so scheidet sich Silber aus und
Stickstoff wird frei; aus dem Volumen des in
einer Messröhre aufgcsammelten Stickstoffes kann
man das Gewicht des demselben entsprechenden
AgCl resp. Na CI berechnen: 1 mg N entspricht
8,23 mg Na CI. Der Apparat, der zu dieser Be¬
stimmung benutzt wird, ist das Azotometer von
Knop-Wagner. In ähnlicher Weise werden die
Phosphate bestimmt, indem sie zunächst als
Magnesium-Ammonium-Phosphat gefällt w erden;
dieses wird in Silberphosphat und das letztere
durch Versetzen mit H CI in Ag CI übergeführt,
welches wiederum, wie oben angegeben, auf gas¬
volumetrischem Wege bestimmt wird: 1 mg N
entspricht 3,34 mg P 2 0 5 . Ausführlich wird
Riegler darüber in »Fresenius’ Zeitschrift für
analytische Chemie« berichten.
Die Methode der Phosphatbestimmung er¬
scheint mir ziemlich umständlich, jedenfalls nicht
weniger umständlich als die bisherigen gewichts¬
analytischen Methoden.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
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r>00 Referate über Bücher und Aufsatze.
R. Lepine, Sur l’existence de leucoraaines
diabdtogeneB. Berliner klin. Wochenschr. 1902.
No. 16.
Von verschiedenen Seiten ist die Anwesen¬
heit toxischer, Glykosurie erzeugender Substanzen
im Blute von Diabetikern zu erweisen gesucht
worden, so von Leo, der durch Injektion eines
Extraktes aus diabetischem Harn Hunde
glykosurisch machen konnte. Lüpine konnte
nun mitBoulud konstatieren, dass Extrakte aus
diabetischem Blute, in geringer Menge Meer¬
schweinchen injiziert, mehr oder weniger lange
dauernde Glykosurie erzeugen. Ebenso entsteht
diese durch Injektion von alkoholischem Blut¬
extrakt pankreasloser Hunde, während Blutextrakt
normaler Hunde nur eine ganz flüchtige Zucker¬
ausscheidung hervorruft. Das scheint dafür zu
sprechen, dass das Pankreas Glykosurie-erzeugende j
Substanzen im Blute zerstört, und dass bei seinem
Fehlen sich diese im Blute aufhäufen. |
A. Loewy (Berlin).
HugoLüthje, Ueber die Wirkung yon Salicyl-
pr¶ten auf die Harnwege nebst einigen
Bemerkungen über die Genese der Cylinder
und Cylindroide. Archiv für klinische Medicin
1902. S. 163—206.
Verfasser beschreibt 33 Fälle in denen Salieyl-
praparate gegeben wurden; Eiweiss zeigte sich
insbesondere bei Gelenkrheumatismus, während
Cylinder verschiedener Art und Cylindroide
konstant beobachtet wurden. Pleuritis, Kopf¬
ekzem, chronische Bronchitis, Migräne, Cerebellar¬
tumor, tertiäre Syphylis zeigten schwächere
Reaktion als Gelenkrheumatismus. Mit dem
Aussetzen der Salicylpräparate sah Verfasser
regelmässig nach 2—3 Wochen Rückkehr zu |
normalen Verhältnissen. Verunreinigung der Prä¬
parate war ausgeschlossen — salicyl sau res Natron,
Aspirin, Salipyrin und Salol aus verschiedenen i
Quellen bezogen, verhielten sich alle gleich; *
die Dosis von salicylsaurem Natron war 5 g pro
die, von den übrigen Präparaten 3—4 g pro die. ,
ln allen Fällen schied sich sehr viel Calcium¬
oxalat aus, und Verfasser meint, es könne dieser
Befund von dem gleichfalls oft massenhaft im '
Harn auftretenden Leukocyten herrühren.
Cylinder beobachtete Verfasser bei den be¬
schriebenen 33 Fällen 204 mal; dabei konnte nur
96 mal von einer Albuminurie im klinischen Sinne
die Rede sein. j
Verfasser untersuchte 49 Harne gesunder
Personen und fand niemals Cylinder, woraus
Berlin, Druck voi
| er die beobachtete Cylindrurie als von der
Salicvlsäure herrührend beweist Die Cylinder
| selbst waren überwiegend hyaline und granulierte
Cylinder; Wachscylinder wurden nie gesehen,
j Cylindroide jedoch kQnnte Verfasser häufig auch
im Harne gesunder Personen und namentlich bei
Frauen feststellen, doch verschwand die Zahl
I derselben im Vergleiche zu der Menge in Salieyl-
hamen. Auch Epithelien aus den unteren Harn¬
wegen erschienen massenhaft, so dass man von
einem desquamativen Katarrh der Blase sprechen
I konnte, welche auch bei cystoskopischer Unter-
1 suchung sich entzündet erwies.
! Nachdem Verfasser noch die These einer
Nephritiserregung durch Salicyl aufstellt, be¬
schreibt er Versuche an Hunden, denen er Salicyl¬
präparate gab, um dann die Nieren anatomisch
zu untersuchen. Es fand sich makroskopisch
Hyperämie, Trübung der gewundenen Harn¬
kanälchen und Fettmetamorphose der Mark¬
substanz. Mikroskopisch waren Koagulationen
zw ischen der Kapsel und den Schlingen, Blutungen,
die erwähnte Fettmetamorphose und Cylinder in
den geraden, sowie Trübung in den gewundenen
Kanälen zu sehen.
Dass Nephritis nach Salicylgebrauch wenig
bekannt wurde, führt Verfasser auf ein starres
Festhalten des Satzes, dass zu Nephritis Eiweiss
ira Urin gehört, zurück. Verfasser w'arnt vor
langem Gebrauch der Salicylpräparate, wendet
sich dann zur Genese der Cylinder und bildet
einen Cylinder ab, an dem ein Uebergang von
der epithelialen zur homogenen Form zu sehen
ist. Verfasser stellt auch die Entstehung von
Vacuolen, sow-ie Konglonerate von Nieren-
epithelicn, die in hyaline Massen eingebettet sind,
sehr schön dar. Verfasser glaubt nicht, dass die
Ausscheidung homogener Massen in der Zelle
und die Umwandlung derselben in homogene
Substanz von der Bildung der hyalinen Cylinder
in den Kanälen, verschiedene Prozesse seien,
da, falls die hyalinen Cylinder nur transsudiertem
geronnenem Eiw'eiss ihren Ursprung verdankten,
man doch im Salicylharne immer Eiweisss finden
müsste in Gegenwart von Cylindem.
Dass Cylindroide oberhalb der Blase entstehen
können, beweist Verfasser dadurch, dass er den
Ham direkt aus den Ureteren entnahm und dann
Cylinder unter dem Mikroskope sah, wie auch
Nierenepithelicn, die direkt cylindroidale Aus¬
läufer hatten, direkt in Cylindroide übergingen,
und giebt Verfasser davon zwei Abbildungen,
womit die Arbeit unter dem Hinweise, dass die
exklusive Entstehung der Cylindroide durch
Gerinnung aufzugeben sei, abschliesst.
F. Blumenthal (Berlin).
W. Büxeustein.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 11 (Februar).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider und Prof. Dr. P. Jacob.
Jährlich 12 Hefte Mk. 12.—.
Vertag von Georg Thieme in Leipzig.
INHALT.
I. Original-Arbeiten. Seite
I. Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme (mit besonderer Berücksichtigung der
venerischen und Hautaffektionen). Beschreibung eines Präzisionsapparates »Hydro-
thermoregulator« zur Erzeugung konstanter Wärme. Von Privatdozent Dr. Karl
Ul 1 mann in Wien. Mit 3 Abbildungen.603
II. Die klimatischen Kurorte. Vortrag gehalten in der Niederrhein. Gesellschaft für Natur-
und Heilkunde in Bonn. Von Sanitätsrath Dr. W. Velten in Bonn.618
III. Die Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. Von Sanitätsrath Dr. L. Fürst
in Berlin. 623
IV. Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer neuen Gährungs-
technik und über Diabetikerbrote im allgemeinen, wie über das nach obiger Methode
hergestellte (Salus-)Fabrikat im besonderen. Von Dr. Wilhelm Bauermeister,
Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig. (Schluss) 628
II. Kritische Umschau.
Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. Aus der 1. mediciniscben Universitäts¬
klinik zu Berlin (Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden). Von Dr. Fritz
Meyer, Assistent der Klinik.634
IIL Berichte über Kongresse und Vereine.
Bai neologische Kurse zu Baden-Baden vom 13. bis 21. Oktober 1902. Von Dr. Julian
Marcuse in Mannheim.645
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Rubner, Ueber die Wirkung der Borsäure auf den Stoffwechsel des Menschen.648
Prochownik, Ueber Ernährungskuren in der Schwangerschaft.648
Ehrlich, Die Reinigung des Obstes vor dem Genüsse.648
Neumann, Die Wirkung des Alkohols als Eiweisssparer.649
Oppenheimer, Ueber Säuglingsernährung durch unverdünnte Milch.649
Cohnheim, Die Umwandlung des Eiweisses durch die Darmwand.650
Hensay, Ueber die Speichelverdauung der Kohlehydrate im Magen.650
Heim, Die Behandlung der kroupösen Pneumonie im Kindesalter.650
Zeitsohr. t dillt u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 11. 42
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Original from
UNIVERSITY OF MICHIGAN
602
Inhalt.
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
Seite
Jacob, Gymnastik.661
Krikortz, Le massage.•.651
Ekgren, Der Albumengehalt des Harnes der Nephridker unter dem Einfluss der Massage . 662
Dagron, Le massage dans les maladies nerveuses.652
Krause, Ersatz des gelähmten Quadriceps femoris durch die Flexoren des Unterschenkels . 653
C. Hydro-, Balneo- and Klimatotherapie.
Machtzum, Zur Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus.663
Bier, Ueber praktische Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie.664
Loimann, Ueber die lokale Anwendung von Kohlensäure bei Menstruationsstörungen . . 654
Löwy, Ueber die therapeutische Anwendung erhitzten Kohlensäuregases.664
D. Serum- und Organotherapie.
Hirsch, Beitrag zur Organotherapie. Sperminum Poe hl.655
Goebel, Zur Serumbehandlung der Basedowschen Krankheit.655
Müller, Heilung eines Falles von Tetanus nach Duralinfusion von Tetanusantitoxin ... 656
Wood, The serura test for blood.656
E. Verschiedenes.
Börner’a Reichs-Medicinal-Kalender 1903 . 656
Aerztliches Jahrbuch 1903 . 656
Jährlich erscheinen 12 Hefte (ä 3V2— 4 Bogen) in regelmässigen 4 wöchentlichen
Zwischenräumen zum Preise von 12 Mark p. a.
Original-Arbeiten und Referate werden mit gleichem Betrage honorirt; die grössere
Schrift mit 60 Mark, die kleinere mit 80 Mark pro Druckbogen.
Bestellungen werden durch alle Buchhandlungen entgegengenommen.
Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, die gewünschte Anzahl von Sonderabzügen
ihrer Arbeiten auf der Korrektur zu vermerken; 40 Sonderabzüge werden den Verfassern
von Original-Arbeiten gratis geliefert.
Einsendungen werden an Herrn Geheimrath Prof. Dr. v. Leyden, Berlin W., Bendler-
strasse 30, Herrn Prof. Dr. Goldscheider, Berlin W., Lutherstrasse 7—8 oder an Herrn
Prof. Dr. Paul Jacob, Berlin NW., Reichstagsufer 1 portofrei erbeten.
Die zu den Arbeiten gehörigen Abbildungen müssen auf besonderen Blättern (nicht
in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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UNIVERSITY OF MICHIGAN
Original - Arbeiten,
I.
Zur Thermotberapie mittels konstanter Wärme
(mit besonderer Berücksichtigung der venerischen und Hautaffektionen).
Beschreibung eines Präzisionsapparates »Hydrothermoregulator < zur Erzeugung
konstanter Wärme.
Von
Privatdozent Dr. Karl Ullmann
in Wien*).
Nirgends so sehr, als im Bereiche der Dermatologie und Syphilidologie ist in
den letzten Jahren der Werth der physikalischen Heilmethoden gegenüber den ge¬
bräuchlichen chemischen Mitteln zur Anerkennung gelangt. Waren noch vor wenigen
Jahren operativer Eingriff, die Behandlung mit Pflastern, Salben, Pulvern, medika¬
mentösem Spray und innere Medikation die hauptsächlichen Behelfe der Dermato-
therapie, so kann man heute wohl schon sagen, dass für viele Affektionen nunmehr
an deren Stelle und mit weit besserem Erfolge die physikalischen Heilmethoden
getreten sind, so die Verwendung von Licht, X-Strahlen und, wie im folgenden gezeigt
werden wird, auch die Wirkung lokaler Wärmeapplikationen.
Und gerade das Territorium der Haut und der zugänglichen Schleimhäute er¬
scheint uns ganz besonders geeignet zur Applikation physikalischer Agentien. Diese
letzteren haben gegenüber der medikamentösen Therapie, ähnlich wie operative Ein¬
griffe, den Vorzug der exakten Dosierbarkeit, und sie gewähren, richtig angewendet,
auch sicheren Schutz vor üblen Nachwirkungen. Sie ermöglichen ein Lokalisiert¬
bleiben der beabsichtigten Heilwirkung, sie lassen es viel leichter vermeiden, während
der Behandlung von Kranken von sogenannten ldiosynkrasieen unangenehm über¬
rascht zu werden.
So ist bei zahlreichen Affektionen, wie Gelenkerkrankungen, chronisch entzünd¬
lichen Infiltrationszuständen, Acne indurata, Neuralgieen u. a. die Bedeutung der
Anwendung von Wärmeprozeduren, bei anderen, z. B. Lupus, Psoriasis vulgaris,
Eczema tyloticum und anderen Affektionen wieder der überlegene Werth der Licht-
und Radiotherapie, also durchwegs physikalischer Agentien gegenüber allen bisher
angewendeten Heilmethoden bis zur Ueberzeugung der objektiv Denkenden bereits
dargethan worden, trotzdem die Erfahrungen mit diesen Agentien bei den verschiedenen
Erkrankungen erst seit relativ kurzer Zeit datieren, bei anderen Affektionen noch sehr
spärlich sind, wieder bei einzelnen anderen hierzu geradezu herausfordernden Leiden
Versuche damit überhaupt noch nicht gemacht worden sind.
Die Wichtigkeit der physikalischen Heilfaktoren für die gesammte Medicin,
nicht nur für das obenerwähnte Spezialgebiet, erhellt am besten aus den praktischen
*) Referat nach mehreren in verschiedenen öffentlichen Versammlungen gehaltenen Vorträgen
und Demonstrationen.
42*
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604 Karl Ullmann
Erfolgen und aus dem Schwergewicht, das in hervorragenden medicinischen Schulen
wie in der unter Führung des Geheimrathes v. Leyden stehenden Berliner medicinischen
Klinik auf dieselben schon seit Jahren gelegt wird, und ganz besonders gilt dies von
der Thermotherapie, welcher Goldscheider 1 ), Bier»), Mendelsohn 3 ) u. a. auch
wissenschaftliche Grundlage gegeben haben, und über die hier eingehender ge¬
sprochen werden soll.
In früheren Jahren wurden thermische Reize nur insoweit zur Heilung von
Affektionen verwendet, als dieselben durch hydrotherapeutische, balneologische
Prozeduren, ganze oder lokale Bäder, Schlamm-, Fango-, Sandbäder und dergleichen
verabreicht werden konnten. Und man kann schon mittels dieser mehr primi¬
tiven Prozeduren zweifellos mitunter bemerkenswerthe Resultate erzielen, so durch
Dampfkompressen (Winternitz 4 )), heisse Umschläge (Quincke 5 ), Salomon«),
Wilms 7 )), Irrigationen in der Gynäkologie (Skutsch 9 )), heisse Douchen (Arning*),
Balzer 10 ), Goldscheider”) u. a.). Doch erweist sich diese historisch eingelebte
Art der Therapie für eine Anzahl der hier in Betracht kommenden Affektionen er-
fahrungsgemäss als nicht genügend wirksam und rationell, abgesehen davon, dass
sich dieselben, z. B. Lokalbäder, Umschläge etc., an gewissen Lokalisationen gar
nicht verwenden lassen.
In dem letzten Jahrzehnt sind von verschiedenen Seiten, theils auf empirisch¬
klinischem, theils auf experimentellem Wege, Thatsachen zu Tage gefördert worden,
welche beweisen, dass die Steigerung von Wärmereizen auf die Haut, sei es durch
Prolongation der Wärmezufuhr, sei es durch Erhöhung der Temperatur bis nahe an
die Grenze der Zellschädigung am Orte der Applikation in der Haut selbst oder in
tiefer darunter liegenden Organen Veränderungen hervorruft, welche man als
arterielle oder gemischte Hyperämie (Bier in Greifswald), oder schlechtweg
als künstliche Hyperämie bezeichnet hat (Büchner”)), und welchen eigentlich nichts
anderes zu Grunde liegt, als jene Gefässalterationen, wie sie ja vor vielen Jahren durch
Cohnheira 13 ), Samuel 14 ), Stricker 15 ) und deren Schüler an Kalt- und Warmblütern
studiert und beschrieben worden sind und die eigentlich die verschiedenen Anfangs¬
phasen der »Entzündung« darstellen.
Die Thermotherapie im engeren Sinne des Wortes, d. h. soweit sie nicht einen
Theil der Balneotherapie darstellt, und auch nicht als Kaustik zum Zwecke der
Gewebszerstörung angewendet wird, sondern soweit sie dosierbare Wärmereize pure
et simple, losgelöst von allen Neben- und Kombinationswirkungen benutzt, ist somit
eigentlich nichts anderes, als die Setzung von verschiedenen Entzündungsphasen zur
radikalen und methodischen Behandlung funktioneller Störungen und aller jener patho¬
logischen Veränderungen der Gewebe gröberer oder feinerer Natur, wie sie theils
durch pathogene Mikroben, theils durch Stoffwechselanomalieen, auf traumatische
oder unbekannte Ursachen hin, zur Entstehung gelangen.
Aetiologische Momente ähnlicher Art sind es ja auch, aus welchen sich die
grosse Reihe der venerischen und Hautaffektionen ableiten lassen, mit deren Be¬
handlung wir uns hier vornehmlich, wenn auch in kurz zusammenfassender Weise
beschäftigen wollen.
Die wichtigsten der bisher bekannten Methoden der praktischen Thermotherapie,
welche für unsere Zwecke in Frage kommen, sind: einfache, trockene Wärmeanwendung
(Thermophore, Thermophorkompressen), ferner die Benutzung heisserLuft, welche
sowohl mittels der bekannten Heissluftkästen verschiedener Systeme (Bier, Taller-
man 1fl ), Lindemann 17 ), Krause 13 ) u. a.) als auch in Form heisser Luftströme, Luft-
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Zur Thermotherapie mittelB konstanter Wärme.
605
douchen, wie sie bisher durch Apparate von Vorstädter 19 ), Taylor« 0 ), Reich« 1 ),
Max Herz«*) u. a. in Anwendung gebracht werden. Eine ähnliche Wirkung, wie die
Heissluftdouchen, haben auch die von Audry* 8 ), Krösing* 4 ) und mehreren anderen
empfohlenen Hitzebestrahlungen, bei denen die strahlende Wärme von glühenden
Metallstäben ebenfalls Reaktionen schafft, welche im Sinne der künstlichen Hyperämi-
sierung zur Geltung kommen und so dem gedachten Heilzwecke dienen.
Auch feuchte Wärme in Form von heissen Umschlägen, Breiumschlägen, lokalen
Schwitzbädern, Dampfdouchen oder heissen Lokalbädern wurden hierzu häufig ver¬
wendet, nur ist man bis jetzt noch auf Schwierigkeiten gestossen, eine gewisse Genauig¬
keit und Konstanz der Temperatur bei allen diesen Applikationen, insbesondere bei
solchen auf längere Zeit berechneten, aufrecht zu erhalten. Gerade aber die Konstanz
der Temperatur ist es, durch welche erfahrungsgemäss werthvolle therapeutische
Effekte erzielt werden können, da man die dem Falle entsprechenden Maximal¬
temperaturen verwenden kann, ohne dass es zur Verbrennung kommt.
In den letzten Jahren hat die Frankfurter Elektrizitätsgesellschaft nach dem
Prinzipe Salaghi’s*®), durch Einschaltung rheostatartiger Widerstände in den
elektrischen Stromkreis dosierbare, regulierbare warme Kompressen hergestellt. Ich
habe auch diese zur Applikation feuchter warmer Kompressen zu verwenden gesucht,
bin aber davon wieder abgekommen, weil:
1. die angebliche Dosierbarkeit dieser Wärmezuleiter eine nur fictive, un¬
genügende ist, die selbst auf mehrere Grade hin ungenau bleibt und sich so für
feinere Einstellungen (Ulcusbehandlung etc.) nicht eignet;
2. die Applikation speziell feuchter Umschläge damit grossen Schwierigkeiten
begegnet;
3. die betreffenden, Drahtgeflechte darstellenden Thermoden überhaupt nur für
.plane und grössere Körperflächen, weniger gut oder überhaupt nicht für kleine, ge¬
wölbte (Kopf-) und eingesunkene (Achselhöhle, Vagina, Rektum etc.) Körperregionen
verwendbar sind;
4. die Gesetze der Antisepsis bei Inanspruchnahme solcher Thermalkompressen
nicht aufrecht zu erhalten sind.
Wohl haben von diesem Gesichtspunkte verschiedene Forscher und Aerzte, so
Professor Welander*®), mit ihm Dr. ßerlien* 1 ) (Stockholm) zur Behandlung von
Ulcerationen, Professor Quincke* 8 ) (Kiel) für allgemein therapeutische Zwecke bereits
in früheren Jahren Apparate konstruiert, welche es gestatten, trockene oder auch
feuchte Wärme in beliebiger Temperatur und ziemlicher Konstanz zu liefern; doch
sind die Apparate der genannten Forscher weder für die tägliche, noch für die Spitals¬
praxis völlig zweckentsprechend, wie ich an anderen Orten (1. c.) ausführlich dar-
gethan, um es auch hier kurz zu sagen, theils wegen ihrer besonderen Kompliziert¬
heit und derNothwendigkeit einer eigenen Wasserleitung (ThermoregulatorWelander’s,
Berlien’s), theils wieder wegen des Mangels der nöthigen Präzision zur längeren
Beibehaltung konstanter Temperaturen (Quincke’s Cirkulationsofen zur Wärmung
von Kataplasmen).
Ich selbst habe an einem reichen Krankenmateriale der syphilitischen und
chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Ed. Lang und des Herrn Primarius
Dr. Frank im Wiener allgemeinen Krankenhause, und aus eigener Praxis mit
mehreren dieser Apparate und Methoden vielfache, darunter auch vergleichende Ver¬
suche gemacht, und meine Erfahrungen hierüber zu wiederholten Malen und unter
Demonstration des entsprechenden Krankenmateriales öffentlich kundgegeben. Auch bin
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60t! Karl Ullmann
ich in ähnlicher Weise, wie Professor Bier, der Wirkung verschiedenartiger Wärme-
applikationen unter verschiedenen Versuchsbedingungen in Thierexperimenten näher
getreten. Obwohl die ausführlichen Mittheilungen und Protokolle über diese letzten
Versuche erst nach Abschluss derselben veröffentlicht werden sollen, habe ich doch
einiger sich aus diesen und aus den Versuchen anderer Autoren bereits ergebender
Thatsachen Erwähnung gethan.
Das Zusammenhalten der klinischen Erfahrungen mit den Resultaten der er¬
wähnten Thierversuche führt unter anderen zu folgenden Sätzen:
1. Die lokale Einwirkung hoher Temperaturen, also der Hitzegrade von etwa
38—46« C, sowohl in Form der trockenen, als der feuchten Wärme auf die mensch¬
liche Haut, beziehungsweise die Schleimhaut bewirkt eine schon mechanisch wirk¬
same flexionäre Hyperämie, welche in beliebiger Weise einerseits bis zur Oedembildung
und hämorrhagischen Entzündung gesteigert, andrerseits durch Prolongierung der An¬
wendung zu einer chronischen Hyperämie gebracht werden kann.
2. Unter dieser Hyperämie vollziehen sich gewisse physiologische Effekte,
durch deren Steigerung weiterhin auch Theilwirkungen auf krankhafte Gewebe aus¬
geübt werden, und zwar vornehmlich im Sinne einer Lockerung und Resorption
fixer und flüssiger Exsudationsbestandtheile.
3. Weiterhin intensive chemische lokale Umsetzungen, z. B. Oxydationsprozesse,
welche durch das bei der Hyperämie erfolgende raschere und reichlichere Zuströmen
sauerstoffhaltigen Blutes in die betreffenden Gewebe, zu stände kommen. Auf die¬
selben Vorgänge müssen wir auch wohl die Tötung und Abschwächung (Avirulisierung)
gewisser pathogener Bakterien zurückführen, wie letztere unter Zufuhr konstanter
Wärme in den betreffenden Gewebsabschnitten bereits nachgewiesen wurde.
4. Auch dem während dieser Prozesse entstehenden künstlichen Oedem ist
höchstwahrscheinlich eine gewisse chemische Wirkung im Sinne einer Art von Auto¬
serotherapie zuzuschreiben.
5. Die Blutgefässe werden hauptsächlich im durchwärmten Gebiete, aber auch
reflektorisch, durch den Wärmereiz in abseits liegenden kollateralen bezw. regionären
Gebieten zur Erweiterung gebracht, und dadurch wird eine Aenderung des lokalen,
wie sogar des gesammten Stoffwechsels herbeigeführt
6. Experimentell sehr wahrscheinlich gemacht (Lassar*»), Kowalski»*»)) ist
eine analog wie bei den Blutgefässen so auch bei den Lymphgefässen stattfindende
Beeinflussung im Sinne einer Wanderweiterung durch intensive und prolongierte
Wärmezufuhr.
7. Die hier angeführten physiologischen Vorgänge können unter entsprechender
Variation der angewendeten Temperaturgrade und Zeitdauer durch die verschiedensten
Arten von Wärmeanwendungen zu stände kommen.
Schon aus dieser kurzen Aufzählung und Zusammenfassung wichtiger, durch
verschiedene Forscher mehr oder weniger sichergestellten Thatsachen erhellt es wohl
zur Genüge, wie sehr rationell betriebene Wärmeanwendungen geeignet sind, die
Bedingungen zur Einleitung und Durchführung einer rationellen physikalischen Lokal¬
therapie zu erfüllen.
Unter den verschiedenen im Vorstehenden angeführten Methoden der Wärme-
applikation zu therapeutischen Zwecken sind einzelne, bei denen mehr die Reiz¬
wirkung der Temperaturdifferenz, andere, bei denen die Temperaturerhöhung
selbst infolge fortgesetzter Wärmezufuhr das vorwiegend wirksame Agens darstellt.
Wieder bei anderen Wärmcapplikationen sind diese beiden Arten von Wirkungen in
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Zur Tbermothorapio mittels konstanter Wärme. 607
mannigfacher Kombination unter einander oder mit anderen physikalischen Agentien
(Massage, Elektrisation etc.) thätig.
Eine relativ grosse Reizwirkung kommt beispielsweise den Heissluftdouchen,
Dampfdouchen, schottischen Strahldouchen, den heissen Begiessungen, Irrigationen
etc. zu.
Verhältnissmässig geringe Reizwirkung übt hingegen die Applikation konstanter
Wärme in Form von Lichtbädern, Schwitzkästen, heissen Umschlägen, Dunst- und
Breiumschlägen etc. aus, zumal, wenn das betreffende Wärmeverfahren rationell
durchgeführt wird.
Beiläufig in der Mitte zwischen den eben genannten Arten von Wärme¬
applikationen steht die Methode der Wärmezufuhr mittels sog. Heissluftkästen nach
Bier, Tallerman u. a., bei denen stets mehr oder weniger der Reiz von Luft¬
strömungen, strahlender Wärme neben der konstanten Wärme wirksam ist.
Ob nun im konkreten Krankheitsfalle die eine oder die andere Methode der
Wärmeapplikation zur Anwendung gelangen soll, dürfte nicht nur nach Maassgabe
der verschiedenen erforderlichen oder indizierten physikalischen Effekte, sondern
gewiss oft auch durch äussere Umstände bedingt werden.
So ist es ja zunächst von vornherein klar, dass sehr reizbare und vulnerable
Körper- resp. Hautpartieen eine weniger reizende und, was die Höhe der Temperatur
betrifft, möglichst exakt dosierbare Wärmeapplikation erheischen.
Weiterhin aber, dass auch bestimmte Oertlichkeiten der Erkrankungen, z. B. ver¬
steckter Sitz derselben in Körperhöhlen, so im Rektum, Vagina, Urethra, Achselhöhle,
auch wohl Lokalisationen an heikein Regionen im Gesicht, am oder im Auge, am Ohr
oder im äusseren Gehörgang, in der Nasenhöhle, die besonders reizenden Wärmeproze¬
duren ausschliessen und nur die Applikation von Wärmeleitungskörpern mit sehr
geringem Volumen und sehr präziser Dosierbarkeit gestatten, wenn überhaupt das
Wärme verfahren keine Beschwerlichkeit oder selbst Schädigung für den Patienten
nach sich ziehen und so Anspruch auf allgemeine Anwendbarkeit erheben können soll.
In einzelnen Fällen der letzten Gruppe können wohl auch vielleicht kurz
dauernde Heissluftdouchen, heisse Kohlensäuredouchen etc. Anwendung finden, doch
ist die Wirkung der letzteren eine eminent reizende und im Verhältniss zur Appli¬
kation, z. B. konstanter Wärme, welche ja durch viele Stunden und Tage angewendet
werden kann, eine verschwindend geringe.
Aus dem Gesagten folgt, dass bespielsweise die für Behandlung von
gonorrhoischen, syphilitischen und rheumatischen Gelenkaffektionen so vielfach
benutzten Heissluftkästen, die ich ja selbst in meinem erst zitierten Vortrage für
die Behandlung gewisser Affektionen angelegentlichst empfohlen habe, zunächst
schon für alle diese früher genannten delikaten Behandlungen, und zwar aus tech¬
nischen Gründen, nicht verwerthbar sind. Selbst der von mir (1. c.) angegebene
Heissluftkorb zur Behandlung von Affektionen am Genitale, Ulcera venerea,
Epididymitis etc., den ich schon 1899 auf dem Pariser Kongresse demonstriert habe,
leidet an dem Nachtheile,
1. dass die Antisepsis eines solchen für viele Patienten zu benutzenden, aus
Filz und Tuchstoff verfertigten Apparates nicht einwandfrei durchzuführen ist;
2. dass die Möglichkeit des Entstehens von Brandwunden bei nicht genügender
Ueberwachung gerade am Genitale leicht gegeben ist;
3. dass bei der Behandlung gewisser Affektionen, beispielsweise der Epididymitis
oder Orchitis acuta, in solchen Kästen durch das längere Herabhängen des durcli
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608 Karl Ullmann
kein Suspensorium gestützten Scrotums Schmerz und Stauungserscheinungen ent¬
stehen, welche dem gewünschten Nutzeffekt entgegenwirken und denselben mitunter
geradezu illusorisch machen.
Für manche der oben genannten heiklen Partieen der Körperoberfläche sind
Heissluftapparate überhaupt nicht anwendbar, und würde auch nur die Herstellung,
die Instandhaltung und Aufbewahrung aller solcher Apparate selbst für eigene
Anstalten, natürlich noch mehr für den einzelnen praktischen Arzt oder Spezialisten,
unverhältnissmässig und ungerechtfertigt grosse materielle Opfer erlteischen.
Alle diese Momente sprechen also für die Nothwendigkeit, in der Praxis über
ein bequemes Verfahren der Wärmeapplikation verfügen zu können, das allen diesen
Anforderungen Genüge leistet, und das bisher mangels eines passend konstruierten
Wärme spendenden Apparates nicht vorhanden war.
Es ist mir nun gelungen, einen Apparat für diese Zwecke zu konstruieren,
der, wie mich die nun schon durch längere Zeit gewonnenen Erfahrungen überzeugt
haben, thatsächlich ziemlich allen diesen Anforderungen entspricht.
Ich habe diesen Apparat bereits in der Sitzung vom 4. Dezember 1901 in der
gynäkologischen, ferner in der vom 13. Januar 1902 in der dermatologischen und
in der Sitzung vom 4. April 1902 in der K. K. Gesellschaft der Aerzte in Wien,
auf dem dritten wissenschaftlichen Kongresse des Centralverbandes der Balneologen
Oesterreichs, 21.—25. März 1902, ausserdem in einzelnen anderen ärztlichen Vereinen
öffentlich, zuletzt auf dem 73. Kongress deutscher Naturforscher in Karlsbad 1902
demonstriert und bei einigen dieser Gelegenheiten auch eine Reihe von Kranken,
die mittels dieses Verfahrens behandelt und geheilt wurden, vorgestellt.
Indem ich auf die diesbezüglichen Sitzungsprotokolle verweise, begnüge ich
mich damit, an dieser Stelle bloss in Kurzem das Prinzip des Apparates zu
resümieren sowie die wichtigsten Indikationen zu dessen Verwendung mitzutheilen.
Der Apparat, den ich Hydrothermoregulator nenne, weil er auf demselben
hydraulischen Prinzip fusst, das auch schon früher in mehr oder weniger primitiver
Weise zur Konstruktion ähnlicher Apparate (Leiter 31 ), Quincke, Kraus 32 )) an¬
gewendet wurde, benutzt einen cirkulierenden, warmen resp. auch eiskalten Wasser¬
strom als Wärmequelle. Er besteht im wesentlichen aus einem Röhrensystem,
welches an einer Stelle zu einem Wärmegefäss kesselartig erweitert ist und an der¬
selben Stelle auch durch eine automatisch sich regulierende Flamme bezw. durch
Elektrizität (elektrische Widerstände in der Kesselwand) erwärmt und auch auf der
beliebig zu wählenden Temperatur konstant erhalten wird.
Von dem höchsten Punkte der Seitenwand dieses Wärmegefässes (siehe
Fig. 76) führt ein Rohr nach abwärts zum Krankenbett, wo der heisse Wasser¬
strom durch beliebig eingeschaltete Thermokörper, Thermoden — ich wählte diesen
Ausdruck nach Analogie mit Elektroden — fliesst, dieselben erwärmt und je nach
der Oberflächenausdehnung der zu behandelnden Stellen verschieden grosse Wärme-
respektive Kältemengen abgiebt. Vom Kranken aus wird das Wasser nun wieder
durch ein rückläufiges Röhrensystem in den Apparat zurückgeleitet, d. h. zurück¬
gepumpt oder nach Umlegung eines Komutators in entgegengesetzter Richtung
zurückgesaugt.
Um nämlich den durch die Niveaudifferenzen entstehenden hydrostatischen Druck
sowie auch den gesammten Widerstand, den die ganze Wassersäule bei ihrer fort¬
währenden Bewegung im Röhrensystem, insbesondere innerhalb der mitunter ganz
eng kalibrierten Thermoden selbst findet, zu überwinden, habe ich die Kraft eines
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Zur Thp4iutither$fl>k» mitttd» totigOßittf WSmu-
die äussere
kleinen Motors*) in den Strom uuii zwar derart eingeschaltet-/ da?:
St.erapolstange, weiche unf und ab getrieben wird, an einer Stelle des rückläufige»
Kidnensptems dieses letztere durchbohrt, und so durch den Hub eine theils saugende,
theils treibende Wirkung auf den Wasserstrnm im Sinne der Fortbewegung desselben
ausübt .Durch diese Kraft ist es weiterhin auch möglich, bei entspreclrfmler
flvilrOtliermüregulsitor mit einfapjiem Deppelticiilsw-Ii und ibfgewd<a|o*v
BktirolirtheniuxU' für Gäsbetricb
graden ist nur die Eiskalte .■ möglich, zu welchen* Zwecke <«>e Wävmeflaromc
abgedreht, hißgegeit der Deckel des Ueservoir* abgehoben und moe Fisstücke in
den Apparat gegeben werden, bis zu deren völligem Zers* hmeizen eine, dem Gefrier¬
punkt »nhs Tetupetatur U» ganzen Rdhrcnsystom herrscht. 'Von den Wärmegraden
ist es mdylii'i]. Jeden beliebigen bis i#. Siedetemperatur konstant. boizubehaUcn.
'*’i i*e k.'Uiu dirs srlbt>tverat?.ndlicli jede Art vou Motor. R’i.'.kc?o»*li'tgj>» »1* tMzh'ö'de tot
«sijpg, ife jpjuft iüVtov, Ofei Vorbamk'iisei« v# jrdpkti;is<ri>t>it* Cdemhdroiit -oder .Wptiaekteurt''di«.
rnw|»rcelM-ndor Elektromotor sein- Boi 4?»' .Ajisetinl'ftißü dc#.Api»arat«.*s ist do*Mh V(li- A n.cd.-
öbfcr 'ilie .An; der vcifilgUiii;* 11 Hetzkucile für den Mutov.uöiJHg, ’’ ■ ’ ' ,y :
610 Karl UUmann
In praxi kommen einerseits nur die Eiskälte für Psychrotherapie, für Warm¬
behandlungen vorzüglich die Temperaturen von 36 bis in maximo 50 ° C in Betracht.
Durch zwei bis drei in den Strom eingeschaltete und an passender Stelle des
Apparates angebrachte Thermometer ist man jederzeit in der Lage, die jeweilige
Temperatur resp. Wärmeabgabe des cirkulierenden Wasserstromes in beliebigen
Punkten des Röhrensystems abzulesen und sich so über die jeweilige Temperatur
an der Oberfläche der zu behandelnden Partieen in präzisester Weise zu informieren.
Die Konstanz der Temperatur bei Applikation von höheren Wärmegraden wird
durch einen in dem oben genannten Wärmereservoir in passender Weise eingefügten,
aber modifizierten und zwar aus Metall gefertigten Thermoregulators nach dem
Prinzipe von Meyer-Soxhlet ermöglicht.
Die Verwendbarkeit des Verfahrens für den Gebrauch in Anstalten und Privat¬
wohnungen ist seit der Adaptierung des Hydrothermoregulators für elektrischen
Betrieb des Motors, zugleich aber auch für elektrische Reizung und Regulierung
natürlich beträchtlich vermehrt worden. Mit dieser technischen Vervollkommnung
ist auch die Möglichkeit gegeben, Operationstische, Couveusen, Betteinlagen dauernd,
nach Belieben erwärmt zu erhalten, da die Triebkraft der elektrisch betriebenen
Apparate eine weit stärkere und zu allen diesen Zwecken ausreichende ist Ich habe
einen derartigen durchaus auf elektrischem Wege betriebenen Apparat bereits auf
dem letzten Naturforschertag 1902 in Karlsbad demonstriert
So gestaltet sich dieser Apparat nicht nur vom theoretischen, sondern auch
vom praktischen Standpunkt zu einem Präzisionsapparat für Thermotherapie
für alle Zweige der praktischen Medizin, der sowohl an Kliniken wie im Hause
bequem zu verwerthen ist
Mit Hilfe des Hydrothermoregulators und entsprechend formierter, theil starr-
wandiger, röhren- oder plattenförmiger, aber auch aus Weichgummi hergestellter,
elastisch dehnbarer Thermoden ist es nun möglich, jeder Körperregion in
örtlich beliebig scharf begrenzbarer Weise dauernd konstante Wärme zuzuführen.
Mit Hilfe dieser einfachen Vorrichtungen ist es auch leicht möglich, die Wärme¬
applikation als Präzisionsverfahren an jedem Krankenbette zu installieren. Er¬
forderlich hierzu ist bloss eine Gasleitung resp. jeder elektrische Strassenstrom
(Wechsel- und Gleichstrom), alles Uebrige an Nebenapparaten sowie der Apparat selbst
ist leicht transportabel und in wenigen Minuten in Bereitschaft und Betrieb zu setzen.
Die Erfahrungen, die ich mit Hilfe dieses Verfahrens an Kranken selbst
gewonnen, erstrecken sich auf dermatologischem und dessen Grenzgebieten, haupt¬
sächlich auf die abortive Behandlung des Ulcus venereum, der Arthritis
gonorrhoica und syphilitica verschiedener Stadien, darunter auch auf recentere
Ankylosenbildungen, auf syphilitische Knochen- und Gelenksaffektionen, auf die Be¬
handlung der Epididymitis und Funiculitis gonorrhoica, seröser und
blutiger, auch traumatischer Ergüsse in die Scheidenhaut des Hodens und
Samenstranges, ferner auf Behandlung von Periostitis und Ostitis verschiedenen
Ursprungs, traumatischen Distorsionen, Gewebshämorrhagien, endlich auf
Fälle von Prostatitis follicularis und diffusa.
Diese Affektionen konnten meist in relativ sehr kurzer Zeit (gegenüber anderen
gebräuchlichen Behandlungsmethoden) der Besserung beziehungsweise der Heilung
zugeführt werden und dies regelmässig unter ausgesprochener Euphorie der Kranken.
Auch einzelne Dermatosen im Gesicht, so die überaus hartnäckige Acne
indurata faciei auf anämischer Grundlage, Furunculosis, Dermatitis
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?;or Xherratitii
nnd Tricliopkitia capillitii im»! Andere, xut» Titelte infektiöse Prozess?, die
mit chronischer EntztoduutJ einhergehe-n zur Eiterung tendieren, Hessen sich
mittels dieses Wiirmeverfalireus in erfolgreicher Weise beeinflussen. Itez «glich der
Abortmhewtpte des Ulcus venereum koniHe» mit Hilfe des ffydrothennoregulators
il3ß glänzenden Erfolge, die Wal ander schon seit mehreren Jahren mittels kon-
WÖffltö" Wärme erzielt, hat
umfassender Weise bestätigt- werden Es gelingt.
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IlvilrotbonDürBgulator in der Praxis, mit SrlmrageMu^
Beschadigmig^n, Htanb eie. rersehem.
diesen sjritiSfi&sb meist, ..bläuen 48 Stunden, mitunter sogar .nöc-b
rascher, zn koujiieim und dm 'Geschwüre:: in eine reine granulierende Wunde zu
verwandeln. IJiese Ikohechlutig habe ich bisher schon an zahlreichen Fällen aus
der Ab'flfnHBHg des Herrn i!risöiirhntes v l?rbfesst)r E.. Lang und an Kranken, in eigener
Praxis, die ich. «» diesem /'wecke -in .vfitm-biede'itön Sanatorien aber auch. in deren Haus
behandelt habe, machen können. Die 'abortive Wirkung'dev Wärme ist in solchen
Fällen jedoch nur insoweit eine absolut .verlässliche, als es auch gelingt, die ganze
Fläche des Ulcus trmukgen und dem Win aievertahreii; aumtsetze«. Manchmal. /.. Ii,
hoi <iu 'der' Ukcrn im jdimtte tallieit Vorlm« backe. sind; iicnifeiibijrtrhvüd.. York*
612
Karl Ullmann
kleine chirurgische Yoroperationen, Spaltungen, Freilegungen etc. nothwendig. Bei
der Epididymitis ist die konstante Wärmebehandlung geeignet und geradezu berufen,
manche älteren Behandlungsmethoden mittels Salben und Umschlägen, ganz besonders
aber das früher und auch jetzt noch häufig angewendete Verfahren der kon¬
tinuierlichen Kälteapplikationen auf das Scrotum zu ersetzen. Gegenüber dieser
letzteren, welche ich trotz einer gewissen nicht zu leugnenden Bequemlichkeit und
Annehmlichkeit für den Patienten als nicht ganz einwandfrei betrachte, da meinen
Erfahrungen entsprechend gerade unter dem Einflüsse der kontinuierlichen Kälte¬
wirkung jene bekannten harten Bindegewebsverdickungen an der Grenze zwischen
Nebenhoden und Samenstrang zu entstehen pflegen, welche zumal bei beiderseitigem
Befallensein für die Potentia generandi nicht gleichgiltig sind, aber auch durch
die lange bleibende Empfindlichkeit, durch die Neigung zur Tuberkulinisation und
auch durch psychische Belästigungen Schaden bringen, hat die Wärmebehandlung,
besser gesagt Hitzebehandlung,'gewisse Yortheile ergeben.
Unter den 24 älteren Fällen und weiteren 12 Fällen recenter Stadien*) der
Epididymitis gonorrhoica konnte ich derartige nennenswerthe Residualinfiltrate, wie ich
sie eben erwähnt, nicht beobachten, ja im Gegentheil ist es mir wiederholt gelungen,
derartige schon bestehende Infiltrationen verschiedenster Dauer ihres Bestandes in
auffallend kurzer Zeit und dabei in einer für die Kranken höchst angenehmen
Weise zur Verkleinerung bezw. zum Verschwinden zu bringen. Diese Thatsacbe
bildet an sich wohl einen Beweis für die Tiefenwirkung der konstanten Wärme.
Bei der Behandlung der Epididymitis, sowie anderer entzündlicher Affektionen
überhaupt ist die Erzielung einer gewissen Reaktion, Röthung, Schwellung durch
allmähliches Steigen der Temperatur nothwendig. Bemerkenswerth ist die Euphorie
der Kranken bei dieser Behandlung, selbst während der mehr akuten Stadien der
genannten Affektionen. Die Behandlungsdauer, bezw. der Spitalsaufenthalt solcher
Kranken wird beim Ulcus venereum, bei Gelenksprozessen und der Epididymitis
aller Grade wesentlich, ja bis weit über die Hälfte der unter anderen Behandlungs¬
methoden zu beobachtenden Zeitdauer herabgedrückt, und verdient dieses Verfahren
demgemäss die Einführung in die Spitäler. Diese Thatsachen haben bei der Häufig¬
keit des Vorkommens solcher Affektionen (Ulcus, Arthritis, Epididymitis) eine her¬
vorragende, nosokomiale Bedeutung. Die guten Erfolge in der dermatologischen
Praxis, sowie die zuerst von Prof. Bier experimentell festgestellten Thatsachen der
reflektorischen Tiefenwirkung der Wärme sind ausserdem geeignet, konstante Wärme
auch zur Behandlung schwerer und ausgedehnter exsudativer Entzündungen im Be¬
reiche des Abdomens und Thorax, so in der internen Praxis bei manchen Fällen
exsudativer Peritonitis, Perityphlitis, Pleuritis, in der Gynäkologie, hauptsächlich
auf dem Gebiete der gonorrhoischen Perimetritis und zwar schon im Interesse
der Schmerzstillung aber auch behufs Beschleunigung des natürlichen Resorptions¬
prozesses heranzuziehen,wie dies ja bereits J a c o b i»»), G o 1 d s ch e i d e r, Jaco b und noch
andere Autoren mit Hilfe anderer technischer Mittel in erfolgreicher Weise bewerkstelligt
haben. Die direkte bakterizide Tiefenwirkung konstanter Wärme, hoher Temperaturen
innerhalb lebender Gewebe der Haut und selbst der Schleimhaut erstreckt sich wohl
nur auf eine relativ geringe Tiefe (Welander), hingegen ist die Hauptwirkung als eine
auf reflektorischem Wege im Bereiche der Gefässnerven sich fortpflanzende anzusehen,
*) Audi bei weiteren Fällen dieser Art, die seit Abschluss dieser Arbeit im Frühjahre 1002
in meine Behandlung kamen, hatte ich Gelegenheit, dieselbe Beobachtung zu machen.
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Zur Therraotherapie mittele konstanter Wärme. 613
wie dies aus zahlreichen Feststellungen verschiedener Autoren, sowie auch aus meinen
eigenen hervorgeht. Es ist vornehmlich das cirkulierende Blut, welches eine Durch¬
wärmung des lebenden Gewebes bis auf beträchtlich höhere (als die Körpertempe¬
ratur) Temperaturen und insbesondere in beträchtliche Tiefen hinein verhindert und
durch die Absorption der zugeführten Wärmemengen die Temperatur der Gewebe
nicht zu einer solchen Erhebung über die Bluttemperatur gelangen lässt, die noth-
wendig wäre, um dadurch auch in der Tiefe eine bakterizide Wirkung hervorzurufen.
Die Thatsache hat sich mir unter anderem bei Durchwärmung der Prostata vom
Mastdarm aus und bei gleichzeitiger Messung der Temperatur von der Urethra aus
deutlich gezeigt. Die höchste Temperaturdifferenz vom Beginn bis zur Höhe der
Durchwärmung bei maximalen vom Rektum aus angewendeten Temperaturen (44 bis
45° C) betrug in einem Falle nur 2,2», die höchst erzielbare Temperatur in der
Pars posterior urethrae überhaupt in demselben Falle 39« C, in mehreren anderen
Fällen war sie noch geringer und erhob sich nur wenige Zehntelgrade über die Blut¬
temperatur. Ich bin auch geneigt, die geringe Erhöhung der Temperatur weniger
auf die Dickenausdehnung der Organe, hier des zu durchwärmenden Prostatagewebes,
als vielmehr auf die Menge des diese Gewebe durchströmenden Blutes zurückzuführen.
Durch dauernde Kompression (Zusammendrücken beider Metallinstrumente) der Mast-
darmtbermode und des katheterförmig gekrümmten, eigens hierzu angefertigten
Thermometers, konnte beispielsweise die Harnröhrentemperatur noch etwas (um 0,2 0 C)
erhöht werden.
Bezüglich der Technik des Verfahrens ist hervorzuheben, dass es sich vor¬
wiegend um die Applikation feuchter Wärme handelt, wobei das Feuchtbleiben
der Haut nach Welander durch viele Stunden am einfachsten und zweckmässigsten
durch eine Zwischenlage feuchter Watte zwischen Thermode und Haut und über die
Thermode noch eine Lage impermeablen Stoffes mit einigen Bindezügen fixiert, er¬
reicht wird. Oefteres Befeuchten bei längerer, auf viele Stunden oder über eine
Nacht sich hinziehende Behandlung ist selbstverständlich nothwendig. Die Anwendung
trockener Wärme hat sich mir als weit mehr reizend, leichter blasenziehend und
oberflächlicher wirkend erwiesen und ist ausserdem auch von geringerer Wirkung
geblieben. Sie empfiehlt sich noch am besten bei neuralgieformen Zuständen, wo
sie unter besonderer Vorsicht angewendet und auf 40° in maximo gesteigert werden
kann. Bei Anwendung feuchter Wärme lässt sich die Temperatur der Haut stunden-
bis tagelang weit höher beibehalten als bei trockenerWärme. Auf der Genital- und
Gesichtshaut konnte ich Temperaturen bis 42» C, auf der behaarten Kopfhaut bis
44» C, auf den Schleimhäuten der Vagina und des Rektums 45 0 C ohne jeden Schaden
viele Stunden lang anwenden. Die Behandlung mittels konstanter Wärme erfordert
ausser dem Hydrothermoregulator als Wärmeerzeugungsapparat nur noch eine Reihe
von Thermoden (Wärmezuleitungskörper), die theils aus Bleiröhren, theils Weichgummi¬
röhren oder Gummiblasen bestehen und um weniges Geld leicht zu beschaffen sind *).
Empfehlenswerth und als wesentlicher Fortschritt gegenüber den weniger wirk¬
samen und bequemen Heissluftkasten, Heissluftdouchen etc. ist die Methode der
konstanten Wärmeapplikation mit Hilfe des Hydrothermoregulators nach meinen
bisherigen Erfahrungen ganz besonders bei folgenden Erkrankungen:
*) Die metallenen Thermoden hat mir bis jetzt die Firma J. Leiter, Wien IX, Mariannen¬
gasse 11, die aus Weichgummi die Vereinigten Fabriken vormals Reithofer in Harburg-Wimpassing
N. Oe., ebenfalls durch J. Leiter beziehbar, geliefert. — Der Hydrothermoregulator selbst wird
von der Firma J. Rohrbcck’s Nachfolger, Wien, Kämthnerstr. 59, angefertigt.
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Karl Ullmann
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1. Bei der grossen Gruppe aller schmerzhaften, dem Kranken am Gehen und
sonstiger Bewegung hindernden Affektionen überhaupt. Es gilt dies auch von
Gelenkerkrankungen mehr akuter Natur.
2. Infektiöse und fortschreitende Entzündungen, insbesondere venerische
Ulcerationen, aber auck kokkogene, z. B. furunkulöse, phlegmonöse, erysipela-
töse Prozesse. Für diese letztere scheint die Wärme, rechtzeitig und richtig an¬
gewendet, manchmal geradezu abortiv zu wirken.
3. Das Gebiet der Epididymitis, Funiculitis, Spermatocystitis und
Prostatitis gonorrhoica aller Stadien.
4. Verschiedenartige Abscesse, ganz besonders torpide Infiltrationen, z. B. Acne
anaemica, Follikulitis schwerer Form, z. B. schwere Formen von medikamentösen
Ausschlägen (Bromacne), Trichophytie, vielleicht noch andere mykotische Er¬
krankungen der Kopfhaut.
Ich hatte wohl noch nicht genügend Zeit und Gelegenheit, über alle diese
Affektionen ausreichende Erfahrungen zu sammeln. Bei der Trichophytia capillitii
genügte nach einer bereits von mir an einer kleinen Patientin gemachten Erfahrung
schon eine 2—3 tägige, allerdings nahezu kontinuierliche, nur von kleinen Pausen zur
Erholung der Patientin unterbrochene Wärmebehandlung der gesammten, von der
Mykose ergriffenen Partieen des behaarten Kopfes, und zwar bei Temperaturen von
42—44° C unter der Wärmehaube an der Haut über dem nicht geschorenen Kopf¬
haar gemessen, um die Pilze abzutöten, die dann nur noch mechanisch durch
Waschungen mit Seifenspiritus etc. abgestossen zu werden brauchten. — Es scheint,
dass diese Methode die gewiss nicht gleichgültige Epilation des gesammten Kopf¬
haares bei den mit hartnäckiger Trichophytie behafteten Kindern, zumal Mädchen
durch Röntgenbestrahlung überflüssig machen wird.
Für die Behandlung des Favus scheint das Wärmeverfahren hingegen nicht
auszureichen, da der Favuspilz selbst bei durch längere Zeit applizierten Tempe¬
raturen von 44° C, welche von der Haut eben noch durch längere Zeit ohne
Schädigung vertragen werden, nicht völlig abgetötet wird. Wohl aber wird dadurch
seine Virulenz verringert und es wäre dann vielleicht auch möglich im Sinne
Zinsser’s 34 ) und Welander’s 32 ), die durch eine kontinuierliche Wärmeapplikation
von 44 °C in ihrer Resistenz geschwächten Favuspilze ohne radikale Epilation, aber bei
nachheriger Anwendung der sonst gebräuchlichen antiseptischen Mittel, wie Schwefel¬
präparate, schwefelige Säure, Calciumbisulfit etc. gänzlich abzutöten.
5. Ausser auf dem dermatologischen Gebiete sind es, wie schon früher hervor¬
gehoben wurde, noch verschiedene akute, sowie chronische exsudative Prozesse, so
manche Formen von cirkumskripter Peritonitis, Perityphlitis, Pleuritis, Peri¬
karditis, die vielleicht durch reflektorische Gefässerweiterung infolge der in un¬
mittelbarer Nachbarschaft etablierten Wärmeapplikation im Sinne einer raschen
Resorption der gesetzten Exsudate günstig beeinflusst werden können.
6. Dasselbe gilt für eine ganze Reihe von neuralgieformen Zuständen selbst
schwerster Art, mit Ausnahme der durch Malaria hervorgerufenen. Das Temperatur¬
optimum für derlei Affektionen beträgt 39—41 0 an der Haut gemessen.
7. Für die Behandlung der Para- und Perimetritis gonorrhoica. Zu diesem
Zwecke werden längere Zeit hindurch mehrere Stunden täglich Applikationen von
kolpeuryntherförmigen Vaginalthermoden gemacht, auch gleichzeitig oder abwechselnd
über der Unterbauchgegend gelegte Metallplatten appliziert, endlich (bei retro-uterinen
Exsudationen) können auch vom Rektum aus eingeführte Blasen mit Vortheil verwendet
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Zat I’horWdtberipM' mittel* konstanter Wärme
werden. Es wäre das Verfahren selbstverständlich auch hei Epudahionsprodttkten
nicht spezifischer Art am «4#r- m weiblichen Genitale zu Versuches. Als Temperaturen
können in der 'Vagina oder iitt Rektum gemessen diejenigen ton 4ö ft C, steigend bis
44-' € gewählt mul je nach der Art, Chronizität der Fälle, der Affektioneu und der
subjektiven EmjdjndHrhkeit variiert werden.
Ich habe bereits in einigen wenigen Fällen im VereiM mit anderen gyta'lknltsgischßn
Fachkollege» unter dem Einflüsse derartiger Anwendungen bemetkeimvertho. Var(heile
inv Sinne der Schmerzstillong mid raschen ResörptiaB iflterer Edikte ringsubi den
Uterus, andrerseits niemste Nachtiteile von diesem Wämetrerfhbren gesehen.
Auch bei der Behandlung von Augenaffdktionen, sowohl im Bereiche des
Ivoujuüktivalsackes (torpide Katarrhe, tJicorationefth ganz besonders- aber bei Iritis,
Cykliüs. Glaukom etc. dürften, sich durch ein derartiges, genau prüzisierbares und
dosierbares Whrmevfiriähren betr ädhiiicke therapeutische Föftsch ritte etVebenk' JÖxö
durch dauernde .^d^^PPi^tioe den intraokularen Bruck hmlF
zusetzen, liegt gewiss nahe. FXa Regen bezüglich einzelner hier genannter Augen-
erkranküngön schwerster Art bereits konkrete günstige Itesultate vor. die ■ von'zu¬
ständiger Seite verüffentHcbt werden sollen,
Zuro Schlüsse seien hier noch einig« jener wichtigsten Thenuoden (Fig, 78) an¬
gegeben, diebis jetzt zur Behändfttßg verschiedener Erkrankungen der Haut und der
Schleimhäute «dt Erfolg in Anwenduog gezogen worden sind.
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«5«
Karl Ullmann
616
1 . Bleiplattenthermode für beide Wangen, in der Mitte durch einen über das Kinn zu legen¬
den Schlauch verbunden, mittels Bändern über Stirne und Kopf bis zum engen Anschluss zu fixieren.
Verwendet bei Acne, Furunkulose, Rosacea und ähnlichen Prozessen im Gesichte; ähnliche Platten
bestehen für die Stirne.
2 . Plattenförmige Thermode, aus dünnem, biegsamem Blei für den Thorax, verwendet bei
Pleuritis, Lumbago, Muskelrheumatismus, Neuralgieen und anderen Prozessen. Die
Metallplatte erhält einen stets feucht zu haltenden Wollstoffüberzug und wird durch Bänder befestigt
3. Plattenförmige Thennoden in verschiedenster Grösse zur Applikation auf das Abdomen,
die Magen- oder Herzgegend.
4 . Sternförmige Metallthermode zur Behandlung distinkter, kleiner Hautpartieen in ver¬
schiedenster Grösse.
5 . Dieselben für Nacken- und Halsgegend in verschiedenster Breite und Länge.
6 . Konvolut biegsamer Bleiröhren, nach Erforderniss für eine bestimmte Körperpartie, Penis,
Finger, Vorderarm zu formieren.
7. Bleiröhren etwa 1/2 m lang und an den beiden Enden mit olivenförmigen Ansätzen ver¬
sehen. Sie. werden in cylindrischer oder halbcylindrischer Form angewendet. Die halb plan- halb
cylindrisch geformten haben den Vorzug, mit der planen Fläche an der Haut besser anlegbar zu
sein. Verwendung vornehmlich zur Behandlung venerischer Affektionen, Ulcera am Penis, Pana-
ritien etc.
8 . Dieselben Röhren in bereits gebogenem Zustande.
9. und 10. Thennoden aus Neusilber, System double courant zur Einführung ins Rektum
behufs Behandlung von Entzündungen der Prostata, der Vesiculae seminales, der Urethra posterior
und Perimetritis.
11 . Kautschukblase für dieselben Zwecke, zur Einführung ins Rektum bestimmt (Wärme¬
zufuhr mittels Kautschuk blase wird von den Patienten zumal in der empfindlichen Gegend des
Sphincter ani weniger unangenehm empfunden.
12 . Double courant-Rohr zu 11. Der Zufluss durch Hähne regulierbar.
13. Urethralthcrmoden für die gesammte Länge der männlichen und weiblichen Urethra und
Thermode für das Urethralsystem allein.
14. Metallkorb zur Behandlung späterer, chronischer Stadien der Epididymitis.
15. Gummisuspensorium zur Behandlung der akuten und noch schmerzempfindlichen Epidi¬
dymitis und Orchitis gonorrhoica und luetica von der Fläche abgebildet mit Zu- und Abflussrohr.
Die beiden Wände, sowie Zu- und Abflussrohr werden von einem kontinuierlichen Röhrensystem
dargestellt.
16. Wärmesuspensorium aus Weichgummi, aus einem in Kommunikation befindlichen System
von grösseren Kammern bestehend, durch welche der heisse Wasserstrom getrieben wird. Die
Thermoden 15 und 16 für die ersten Stadien der stärkeren Schwellung und Empfindlichkeit be¬
sonders geeignet.
17. und 19. Kolpeuryntherartige Thermode aus Weichgummi zur Behandlung der Peri- und
Paramitrids.
18. Double courant-Rohr dazu.
20 . Metallschleife, einem von Gummi überzogenen Konduktor, zur Behandlung von ülcera-
tionen an der Vaginalpordon.
21 . und 22. Wärmehauben aus Weichgummi und Metallröhren zur Behandlung der Kopfhaut
Seit dem Abschlüsse dieser Arbeit sind von mehreren Fachärzten selbstständig
praktische Thermoden zur Behandlung von Erkrankungen der Haut, des Auges,
Ohres, Warzenfortsatzes, Halses und solcher für veterinäre Zwecke angegeben worden,
welche die Firma Leiter in W T ien angefertigt hat.
Litteratur.
1) Vergleiche A. Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Leipzig
1901. Georg Thieme. Kapitel Tbermotherapie, in welchem auch auf einzelne grundlegende Arbeiten
des erstgenannten Autors Bezug genommen ist.
2 ) Bier, Die Behandlung des chronischen Gelenkrheumatismus mit heisser Luft etc. Münchener
medicinische Wochenschrift 1898. No. 30 und 1899. No. 48 u. 49. — Virchow’s Archiv Bd. 147.
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Zur Thermotherapie mittels konstanter Wärme. Gl7
S. 5. — Ueber die Anwendung künstlich erzeugter Hyperämie zu Heilzwecken. Verhandlungen des
19. Kongresses für innere Medicin in Wiesbaden.
J») Martin Mendelsohn, Ueber die therapeutische Verwendung sehr hoher Temperaturen.
Verhandlungen des 15. Kongresses für innere Medicin. Wiesbaden 1898. — Ueber Heissluft¬
behandlung mittels überhitzter trockener Luft nach Tallerman’s Methode etc. Zeitschrift für
diätetische und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1.
4 ) W. Winternitz, Ein neues hydriatisches Magenmittel. Blätter für klinische Hydro¬
therapie 1891. No. 1.
5 ) Quincke, Ueber therapeutische Anwendung der Wärme. Berliner klinische Wochen¬
schrift 1896. No. 16 und 1897. No. 49.
ö) Salomon, Ueber die lokale Wirkung der Wärme. Berliner klinische Wochenschr. 1897. No.60.
7) M. Wilrns, Forzierte Wärmebehandlung bei Gelenkerkrankungen mittels eines einfachen
Apparates. Deutsche medicinische Wochenschrift 1898. No. 23.
8 ) F. Skutsch, Die Anwendung der Hydrotherapie in der Gynäkologie. Jena 1900.
®) Ajrning,* Bericht über die Verhandlungen des 6. Kongresses der Dermatologischen Gesell¬
schaft in Strassburg.
10) Balz er, Die Behandlung des phagedänischen Schankers mittels dauernder Irrigation mit
einer heissen Losung von Kalium hyperm. Monatshefte für praktische Dermatologie Bd. 23. S. 570.
11) A. Goldscheider, Ref. Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie Bd. 2.
12) H. Büchner, Natürliche Schutzeinrichtungen des Organismus und {deren Beeinflussung
zum Zwecke der Abwehr von Infektionsprozessen. Münchener medicinische Wochenschrift 1899.
No. 39 u. 40.
13) J. Cohnheim, Meine Untersuchungen über die Entzündung. Berlin 1873 und Lehrbuch:
Vorlesungen über allgemeine Pathologie. Berlin 1877—80.
i<) S. Samuel, Das Gewebswachsthum bei Störungen der Blutcirkulation. Virchow’s
Archiv Bd. 58. Heft 1.
13) Stricker, Salomon, Vorlesungen über allgemeine Pathologie 1877.
io) Martin Mendelsohn, The Tall,erman Treatment. Note by the Inventor S. 173.
London 1898. Bailliöre Tindall & Co. und Mendelsohn-Tallerman, Zeitschrift für diätetische
und physikalische Therapie Bd. 1. Heft 1.
i7) E. Lindemann, Münchener medicinische Wochenschrift 1898. No. 46 und Bericht über
die Anwendung der physikalischen Heilmethoden auf der ersten medicinischen Klinik von v. Leyden
und Jacob (Charitö-Annalen, 25. Jahrg.j, .ferner Berliner Klinik 1901. Heft 151, Neuere Behandlungs¬
methoden des chronischen Gelenkrheumatismus.
1») F. Krause, Die örtliche Verwaltung überhitzter Luft. Münchener medicinische Wochen¬
schrift 1898. No. 20.
i®) Vorstädter, Ueber Luftdruckmassage pPneumo-Thermomassage«. Centralblatt für innere
Medicin 1894. — Deutsche medicinische Wochenschrift 1900. No. 49.
20) William Taylor (Edingburgh) citiert im Artikel Technik der Thermotherapie von Dozent
Friedländer. Handbuch der pysikalischen Therapie. Leipzig 1901.
20 ) Nikolaus Reich» Der Thermo-Aerophor. Verhandlungen des Kongresses für innere
Medicin 1899. S. 628.
22) Max Herz, Ueber die therapeutische Verwerthung der Kohlensäure und der heissen Luft.
Wiener medicinische Presse 1900. S. 742.
23) Ch. Audry, Zur Behandlung des einfachen Schankers. Monatshefte für prakt. Dermatol.
Bd. 22. S. 516.
w) Rudolf Krösing, Ueber Behandlung des Ulcus molle mit Hitzebestrahlung. Festschrift
gewidmet F. J. Pick. Wien 1898. Verlag bei Braumüller.
23) S. Salaghi, Ueber die neuen Methoden für die örtliche Anwendung der Wärme mit be¬
sonderer Berücksichtigung eines elektrischen Thermophors. Zeitschrift für diätetische und physika¬
lische Therapie 1900. Bd. 3.
26) Eduard Welander, Versuche weichen Schanker Drittels Wärme zu behandeln. Nordiskt.
medicunikt Arkiv. Jahrg. 1893. Sep -Abdr. S. 10 u. 11.
27) Berlien-Welander, Wiener klinische Rundschau 1895. No. 9—11.
20) Quincke, Berliner klinische Wochenschrift 1896. No. 10.
20) 0. Lassar, Vircbow’s Archiv 1873. Bd. 76.
Zeitechr. f. diät u. physik. Therapie Bd. VT. Heft 11. 43
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618
W. Velten
3°) E. v. Kowalski, Ueber den Einfluss thermischer Reize auf die Lytnphbewegung u. *. w.
Klinische Blätter für Hydrotherapie 1901. No. 1 u. 2.
;n ) Josef Leiter, Neukonstruierte Wärmeregulatoren aus Metall zur Wärmeentziehung und
Wärmezufuhr für den erkrankten Körper. Wien 1886. Im Selbstverlag.
32 ) Rudolf Kraus, Demonstration eines sich automatisch regulierenden heizbaren Objekt¬
trägers in der Mai-Sitzung 1901 des physiologischen Klubs. Bericht darüber bisher nicht gedruckt
33) Jacobi, Verhandlungen des Kongresses für innere Medicin. Wiesbaden 1896 und Münchener
medicinische Wochenschrift 1897. No. 8 u. 9.
34) F. Zinsser, Ueber Behandlung des Favus mit Wärme. Archiv für Dermatol, u Svph. 1894
1. Bd. 29. Heft
II.
Die klimatischen Kurorte.
Vortrag gehalten in der Niederrhein. Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Bonn.
Von
Sanitätsrath Dr. W. Velten
in Bonn.
Die Bestrebungen der zeitgenössischen Heilkunde gehen immer mehr darauf
hinaus, die von der Natur gebotenen Heilkräfte, die natürlichen Heilmittel im wahren
Sinne des Wortes eingehend kennen zu lernen und der leidenden Menschheit mehr
als bisher zugänglich zu machen. Die diätetisch-physikalische Heilmethode gewinnt
immer mehr an Ausdehnung und Bedeutung und ist zu grossen Erfolgen berufen.
Es giebt bekanntlich mächtige natürliche Hilfsquellen, die wohl im stände sind,
auch in so gut wie verzweifelten Krankheitsfällen noch radikale Kuren einzuleiten
und zu einem glücklichen Ende zu führen.
Unsere angelsächsischen Vettern und Rivalen im Kampfe um die Güter der
Welt haben es seit Menschengedenken verstanden, diese Hilfsquellen für ihre
Kranken und Invaliden nutzbringend und erfolgreich zu verwerthen. Ich meine die
wahren klimatischen Kurorte und die weiten Seereisen, von denen die englischen
Kollegen Generationen hindurch ausgiebigen und höchst befriedigenden Gebrauch
gemacht haben und noch machen. Ich habe auf den Kordilleren Perus und Boli¬
viens, in Santa Fe de Bogota, auf dem Hochlande Kolumbias, in Alta Guatemala,
in Quito, Ekuador, auf Jamaika, auf der Hochebene von Mexiko ganze Kolonieen
englischer Rekonvalescenten getroffen, auch in den transatlantischen Häfen manche
englische Yacht gesehen, die mit Patienten an Bord auf grossen Seereisen begriffen
war. Die Engländer hatten freilich früher allein die erforderlichen Transport¬
mittel zur Verfügung, die englische Handelsflotte verkehrte mit allen Welttheilen;
Passagierdampfer und Vergnügungssegler, die erwähnten Privatyachten, standen den
Genesungsuchenden in grosser Auswahl zur Verfügung und wurden und werden noch
eifrig benutzt, und Genesende ohne Zahl kehren wohlgemuth und leistungsfähig nach
Hause zurück. Seereisen auf Segel- und Dampfschiffen nach dem Kap der guten
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619
Die klimatischen Kurorte.
Hoffnung, häufig in Verbindung mit einem Aufenthalte auf der Hochebene von Trans¬
vaal, um dieses Kap herum nach Australien und Neuseeland, nach Westindien, durch
das Mittelmeer sind für englische Patienten an der Tagesordnung.
In dieser Beziehung ist es nun zu Deutschlands Gunsten anders geworden.
Unsere Handelsmarine ist der englischen wenigstens ebenbürtig, in mancher Be¬
ziehung, wie Unterkunft, Beköstigung, Behandlung der Passagiere und ärztliche Für¬
sorge derselben bedeutend überlegen. Ist es doch in dieser Hinsicht sehr bezeichnend,
dass Engländer und Amerikaner für ihre Reisen nach den Vereinigten Staaten, Ost¬
asien und Australien die prächtigen deutschen Schiffe ihren eigenen vorziehen. Wir
haben also jetzt das Eheste Transportmaterial zur Verfügung, und es ist deshalb an
der Zeit, dass wir deutsche Aerzte den englischen Kollegen das Privileg streitig
machen, nur ihren Patienten jene unschätzbaren natürlichen Heilkräfte zur Ver¬
fügung zu stellen. Bei der internationalen Bekämpfung der Tuberkulose, jener Geissei
der Menschheit, ist dieser Faktor von nicht zu unterschätzender Bedeutung.
Vor wenigen Wochen bin ich von einem ideal schönen Winteraufenthalt zurück¬
gekehrt, aus dem Wunderlande Algerien, wo ich meine seit Jahren erschütterte
Gesundheit vollständig wieder hergestellt habe.
Ehe ich versuche, dieses prächtige Land zu beschreiben, möchte ich hier eine
vergleichende Uebersicht geben über die klimatischen Kurorte der Welt, wovon ich
die meisten aus ^ eigener Anschauung und persönlicher Erfahrung kenne. Während
meiner 18jährigen Thätigkeit im tropischen und subtropischen Spanisch-Amerika
(Süd- und Centralamerika, Mexiko und Südstaaten der Union) habe ich die ungemeine
Wichtigkeit des Klimas der Hochebenen dort kennen und schätzen gelernt. Beson¬
ders die peruanische und bolivianische Hochebene bieten klimatische Verhältnisse
dar, wie sie sich wohl kaum irgendwo anders in der Welt, mit Ausnahme der
mexikanischen Hochebene, wieder finden.
In Lima, der früher so schönen, von den rohen Chilenen arg verstümmelten
und geplünderten Hauptstadt von Peru, ist Tuberkulose und Skrophulose nichts Un¬
gewohntes. Aber wenn die Patienten, selbst schon im Stadium der Kavernenbildung,
von einem tüchtigen Arzte, deren es dort manche giebt, nach den Hochländern von
Jauja oder Huancayo gebracht werden, so sind sie ihrer Wiederherstellung sicher,
selbst ausgedehnte Kavernen verheilen dort, und andauernder Stillstand des krank¬
haften Prozesses, gutes Allgemeinbefinden, Leistungsfähigkeit, selbst blühendes Aus¬
sehen sieht man häufig in Lima bei Personen, die fast hoffnungslos auf die Hoch¬
lande hinauf gebracht wurden. Jauja und Huancayo, ausgedehnte Thalsenkungen
auf der Hochebene der Kordilleren, 2500—3000 m über dem Meere, haben eine
gleichmässige Temperatur im Mittel 14 — 18° das ganze Jahr hindurch, eine reine,
der bedeutenden Höhe entsprechend verdünnte Luft, und waren schon zur Zeit der
Inkas berühmt als unfehlbare Heilorte für Phthisiker.
Die physiologischen Wirkungen des Höhenklimas kommen dort so recht zur
Geltung: 1. Tiefe Athcmzüge. 2. Kräftigung der Athemmuskeln. 3. Kräftigung des
Herzens und der Cirkulation. 4. Verbesserung der Hautthätigkeit. 5. Vermehrung
des Appetits und der Nahrungsaufnahme, Hebung der Verdauung. 6. Verbesserung
der Blutbildung und Organernährung. 7. Anregung der Nerventhätigkeit.
Andere berühmte Kurorte sind in Peru: Arequopa, 2100 m mit ewigem Früh¬
ling; Puno am Titicacasee, 3400 m, wo unsere Obstbäume herrlich gedeihen.
Von Santa Fe de Bogota, der Hauptstadt der leider jetzt von Revolutionen
zerfleischten Republik Kolumbia habe ich schon gesprochen; 4000 m hoch, nahe am
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W. Velten
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Aequator gelegen, erfreut es sich eines sehr gleichmässigen Klimas und reiner er¬
frischender Höhenluft, und ist ein Lieblingsplatz englischer Invaliden.
Jamaika, die herrliche englische Insel Westindiens, von den Engländern mit
Recht als »peaceful and delightful« gerühmt, bietet in seinen sehr abwechselnden
Höhenlagen über dem Meeresspiegel vorzügliche für manche Krankheiten je nach
Jahreszeit und Meereshöhe passende Aufenthaltsorte.
Kalifornien und Florida werden beide von den Amerikanern sehr gerühmt und
empfohlen. Das mittlere und südliche Kalifornien mit seiner ausgedehnten Meeres¬
küste zwischen 32 und 38« N. Br. kann sich wirklich eines sehr schönen, äusserst
gleichmässigen Klimas rühmen; San Diego (mittlere Temperatur im Winter 16°, im
Januar 12°), Los Angeles, Santa Barbara, Monterey, Santa Cruz und selbst San
Francisco (mittlere Temperatur im Winter 13°, Januar 9°) sind die dort am meisten
besuchten Orte. Und auf der anderen Seite des Kontinents Florida, der Orange¬
garten der Union, die ganze Halbinsel auf Korallenriffen aufgebaut, zwischen 25
und 31 0 N. Br., von grosser landschaftlicher Schönheit, mit den Städten Jacksonville,
Orange, Baldwin, Leesburg, wird im Winter von Lungenleidenden stark besucht. Aber
beide Länder haben ihre grossen Uebelstände: in beiden herrscht die Mosquitoplage,
Kalifornien leidet viel unter Nebel, Staub, Wind und Erdbeben, Florida hat sumpfige
Strecken und ist nicht frei von Malaria.
Nun zu der äusserst wichtigen mexikanischen Hochebene. Sie ist auf zwei
Wegen leicht und bequem zu erreichen, entweder zur See über Vera Cruz oder von
New-York mit der Eisenbahn, in den herrlichen Pulman Care, die im Tage einen
bequem eingerichteten Salon bilden und Nachts sich in geräumige Schlafsäle um¬
wandeln.
Nach Dr. Lombardo, einem in der Hauptstadt Mexiko prakticierenden be¬
kannten Arzte und Klimatologen, dessen Erklärungen auf dem Berliner Tuberkulose¬
kongress meine persönlichen Erfahrungen bestätigen, kann man die grosse Hochebene
von Mexiko in drei Zonen eintheilen: 1. Die Orte, wo Schwindsucht unbekannt ist;
der Typus dieser Orte ist die grosse Silberstadt Zacatecas, unter 23 0 N. Br., 2500 m
über dem Meere, mit einer mittleren Jahrestemperatur von 12—14°. Regen ist nicht
häufig, es herrscht eine trockene, stimulierende und tonisierende Luft; im Winter
kein Tag ohne Sonne. Die in Zacatecas erzielten Heilerfolge sind grossartig; der
Ort verdient es, besser bekannt und von wohlhabenden Patienten dauernd besucht
zu werden. Die bekanntesten Aerzte in Zacatecas sind Brena und Prevost. Die
zweite Zone begreift diejenigen Orte, wo zwar keine absolute Immunität herrscht,
wo aber Schwindsucht sehr selten; sie begreift alle Punkte des Centralplateaus mit
trockener, stimulierender Luft; z. B. Oaxaca, unter 17° N. Br., 1560 m über dem
Meere, und viele andere, wie Fresnillo, Aguas Calientes, Guanajuato, Querätaro, Sau
Miguel de Allende, San Luis Potosi, Morelia, Toluca u. a. Die dritte Zone hat als
Typus die Hauptstadt Mexiko mit ihrer wundervollen Umgegend; hier findet sich
die Schwindsucht unter den Bewohnern, aber das Klima ist erfahrungsgemäss sehr
vortheilhaft für alle von der heissen Küste, den Vereinigten Staaten und Europa
kommenden Patienten. Die Stadt Mexiko liegt unter 19° N. Br., und 2280 m über
dem Meere; die mittlere Jahrestemperatur beträgt 15°, die höchste während 13jähriger
Beobachtung war 29°, die tiefste 2,1°. Es ist ein grosser Vortheil für die nach
Mexiko reisenden Patienten, dass sie in all den angeführten Städten tüchtige, in
Europa ausgebildete Aerzte, auch manche deutsche, finden, denen sie sich vertrauens-
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Die klimatischen Kurorte.
621
voll in die Hand geben können. In der Hauptstadt Mexiko ist der deutsche Kollege
Dr. Fichtner seit vielen Jahren thätig.
Die Hochlande Südafrikas, genauer gesagt Transvaals, haben den hohen Er¬
wartungen als klimatische Stationen nicht entsprochen; die Höhenunterschiede sind
so gross, dass es ungemein schwierig ist, die richtige Lokalität für einen bestimmten
Fall festzustellen. Doch sind in Blömfontain, Alliwal North, Kimberley, Pretoria
und anderen Orten in Höhen von 1300—1500 m manche Heilungen erzielt worden,
und es ist gewiss, dass jetzt nach dem Friedensschlüsse mit den Buren jene Orte
wieder das Ziel vieler Genesungsuchenden sein werden.
Wir nähern uns jetzt dem Mittelmeere. Auf dem Wege dorthin liegen die
bekannten Inselgruppen: die spanischen Kanarischen Inseln und das portugiesische
Madeira. Die Kanarischen Inseln haben das Klima von Nordafrika, von welchem
später. Madeira, unter 32—35° N. Br., hat eine mittlere Jahrestemperatur von
18,8°; die niedrigste Temperatur ist 6,5°; mittlere Temperatur im Januar 15,9°,
im April 17,1°, im Juli 22,7°, im Oktober 20,7°. Die mittlere Jahresextreme sind
28,7° und 10,3°; die tägliche Abweichung etwa 5°.
Es ist also ein wundervoll gleichmässiges Klima und wird mit Recht von vielen
Leidenden während des Winters aufgesucht; ein Uebelstand für Madeira und die
Kanarien ist die unbequeme Dampferverbindung und die mangelhafte Qualität der
Dampfer, wo die von Seekrankheit befallenen Passagiere viel zu leiden haben.
Von der vielgerühmten Riviera habe ich nicht viel zu sagen; sie ist ja wohl-
bekannt sowohl in ihren Vorzügen als ihren Nachtheilen; sie theilt mit Ajaccio und
Sicilien die schönen sonnigen, aber auch die recht häufigen schlechten Tage, wo
Ausgehen und Bewegung in freier Luft nicht möglich sind. Die zunehmende
Theurung, ja Ausbeutung der Fremden ist ein sehr ins Gewicht fallender Umstand.
Viele Leidende gehen dorthin in Ermangelung von etwas besserem. Ich habe hier
besseres zu empfehlen.
Zuerst Algier. Diese herrliche Stadt liegt unter 36,7 ° N. Br. im Grunde einer
nach Osten offenen Bai. Mit den Vorstädten St. Eugene im Westen und Mustapha
im Osten bietet die Stadt eine Meeresfront von 8—10 km und steigt amphitheatralisch
die sanft geneigten Hügel hinan, die das prachtvolle Bild einsäumen; eine üppige,
fast tropische Vegetation, Gärten und ausgedehnte Parkanlagen, ausgedehnte schattige
Spaziergänge nach allen Richtungen. Das Klima im Winter und Frühling ist aus¬
gezeichnet; die mittlere Wintertemperatur, 12,5®, ist höher als die an der Riviera,
auf Korsika und Sicilien. Die mittlere Divergenz zwischen Maximum und Minimum
ist hier weniger hoch, sie beträgt weniger als 10°. Hieraus ergiebt sich ein Klima,
das dem tropischen nahe kommt, aber sich sehr vortheilhaft von diesem unter¬
scheidet durch geringere Luftfeuchtigkeit und auch viel geringere atmosphärische
Niederschläge. Die regenreichsten Wintermonate Dezember und Januar geben eine
mässige Menge von Niederschlägen; selbst nach den wolkenbruchartigen Güssen der
eigentlichen Regenzeit, Oktober und November, bricht die Sonne wieder mächtig
durch, der Kalkboden trocknet rasch, und Strassen und Spaziergänge sind bald wieder
passierbar. Die mittlere Jahrestemperatur 18,9° ist auch höher als an der Riviera;
das Minimum im Winter beträgt 8°, in den strengsten Wintern fällt das Thermo¬
meter nur ganz ausnahmsweise unter -(- 4 °.
Algier verdient die wärmste Empfehlung als Winterstation für Lungenkranke,
Skrophulöse, Bleichsüchtige, Bronchitiker; bei atonischen Verdauungsstörungen und
besonders bei Neurasthenie. Die berühmte Schwefeltherme Hammam d’Irha ganz
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622
W. Velten, Die klimatischen Kurorte.
in (1er Nähe von Algier verdient noch besonderer Erwähnung; sie ist von grosser
Wichtigkeit in spezifischen Krankheitsfällen, und ihr grossartiges Kurhaus wird viel
besucht.
Algier ist leicht und bequem zn erreichen; Schnellzug ohne Wagenwechsel über
Basel, Genf, Lyon nach Marseille: von dort fährt fünfmal die Woche ein grosser
Post- und Passagierdampfer der ('o. Transatlantique in 20 Stunden nach Algier.
Das Leben in Algier ist äusserst billig; man kann in erstklassigem Hotel für 10 bis
12 Francs, alles einbegriffen, herrlich leben. Die Hotels haben meistens deutsche
oder deutsch-schweizerische Leitung, überall giebt es deutsche Bedienung. Tüchtige
Aerzte stehen den Winterkurgästen zur Verfügung.
Von Algier gelangt man nach lSstündiger Eisenbahnfahrt an den Rand der
Sahara, nach der bekannten Oase Biskra, unter 34,8° N. Br.; sie ist heute die
äusserste bedeutende Militärstation der französischen Besitzungen und besteht aus
einem hübschen französischen Städtchen von etwa 1200 Einwohnern, und dem so¬
genannten Altbiskra, einem Palmenwald von 5 Kilometer Durchmesser, in dessen
Schatten fünf ruinenhafte Araberdörfer mit 70000 Einwohnern labyrinthartig sich
ausdehnen. Landschaftlich wunderbar schön, ebenso wie die nahe gelegene berühmte
Oase El Kantara, bietet Biskra nicht, wie Helouan bei Kairo, das richtige Wüsten¬
klima, dafür liegt der schneegekrönte Atlas noch zu nahe. Biskra wird als Touristen¬
station wohl immer bedeutender, es bietet gute und billige Unterkunft in zahlreichen
Hotels, aber ein klimatischer Kurort kann es nicht werden; es regnet sehr selten.
Staub und Wind vorherrschend. Nach 10jährigen Beobachtungen beträgt die Regen¬
menge im Dezember 17, Januar 11, Februar 24, März 26, April 30, Mai 31 mm.
Die Tage sind ja überwiegend schön und in der Sonne sehr warm, aber die Abende,
Nächte und Morgen recht empfindlich kühl; während meines mehrwöchigen Aufent¬
haltes dort sank das Thermometer in der Nacht regelmässig auf 0° und darunter,
während bei Tage in der Sonne 30—35° waren. Die mittleren Temperaturschwankungen
zwischen Maximum und Minimum betragen: Dezember 20°, Januar 22°, Februar 22°,
März 24°, April 27», Mai 27,6°. Also für Kranke und Rekonvalescenten sehr ge¬
fährliche Schwankungen, auch mitten im Tage zwischen Sonne und Schatten.
Und nun komme ich endlich zu der Perle unter den uns leicht und bequem
erreichbaren klimatischen Kurorten, nämlich der südlichen Mittelmeerküste von
Spanien, besonders dem einzigen Malaga, nebst den anderen an jenem priviligierten
Küstenstriche gelegenen Orten: Almeria, Murcia, Alicante mit Elche, Valencia.
Dr. Cortezo aus Madrid hat auf dem Berliner Tuberkulosekongress mit vollem
Rechte die grosse Wichtigkeit dieser Orte für die Errichtung grosser Sanatorien
hervorgehoben. Obwohl alles weit übertreffend, was sonst auf europäischem Boden
an klimatischen Kurorten existiert, ist jene Gegend noch viel zu wenig gekannt und
ausgenutzt. Die Spanier haben in der Nähe von Alicante das Sanatorium Basot,
und in der Nähe von Valencia das von Ara Coeli, einem früheren Kloster, errichtet,
aber es fehlt dort an Unternehmungsgeist und Kapital, und es ist zu hoffen, dass
deutsche Kollegen, die über das nöthige Kapital verfügen, die Sache in die Hand
nehmen und dort, besonders in Malaga, Sanatorien errichten, die j Erfolge erzielen
werden, wie sie die Welt noch nicht gesehen. Malaga liegt unter 36,6 0 N. Br., also
noch etwas südlicher als Algier, ist gegen Norden und Osten durch die Sierra
Nevada und die Bergkette von Granada geschützt, und hat ein herrliches, gleich-
mässiges Klima, wie es in Europa seines Gleichen nicht findet. Malaga kann sogar
mit Kairo wetteifern; in Malaga wird Zuckerrohr gebaut wie in Aegypten, und wo
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L. Fürst, Dir Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. 0-3
Zuckerrohr gedeihen soll, da darf die Temperatur nie selbst bis auf 4 0 sinken.
In der That ist die niedrigste Wintertemperatur in Malaga 8 °. Die Zahl der Regen¬
tage in den sechs Wintermonaten beträgt 29; eine üppige, fast tropische Vegetation
wird durch künstliche Bewässerung nach bewährtem arabischem System, wie auch
in Valencia, unterhalten. Sechs Wintermonate hindurch können die Kranken und
Rekonvalescenten mit dem grössten Nutzen in Malaga verweilen und täglich mit sehr
wenig Ausnahmen viele Stunden im Freien zubringen. Zur Weihnachtszeit sitzt man
in Malaga bei offenem Fenster wie bei uns im Sommer! Und dann ist Malaga mit
der Bahn zu erreichen, also keine Seereise und obligate Seekrankheit zu Uberstehen!
Zum Schluss möchte ich noch einen Umstand zur Sprache bringen, der wohl
im stände ist, den wohlbegründeten Ruf eines klimatischen Kurortes zu erschüttern.
Es kommt leider zu häutig vor, dass Patienten, die ein kundiger Arzt nach den
ihrem speziellen Leiden am besten angepassten Kurort geschickt hat, dort einen
Misserfolg erleben, sogar Verschlimmerung ihres Zustandes zu beklagen haben. Diese
Kranken haben eben geglaubt, dass das Klima Alles mache, sie begehen Diätfehlcr
und erlauben sich Excesse im Spazierengehen, Ausflügen, Gesellschaften, Sport¬
leistungen, Ausgehen bei der Abenddämmerung u. a. Es ist selbstverständlich, dass
der Kranke bei Ankunft im Kurorte sich sofort einem tüchtigem Arzte anvertraut
und dessen Anordnungen in Bezug auf Lebensweise streng befolgt; nur dann kann
das Klima auch seinen wohlthätigen Einfluss ausüben.
III.
Die Bedeutung der Lävulose fiir die Kinderdiätetik.
Von
Sanitätsrath Dr. L. Fürst
in Berlin.
Obwohl man von jeher die den Fettansatz begünstigende Wirkung des Zuckers
kannte, theils dieselbe fürchtete und zu verhindern suchte, wenn abnorme Fettbildung
vorlag, theils sie benutzte, um eine Unterernährung auszugleichen, hat doch erst die
moderne diätetische Therapie, wie sie durch v. Leyden, Goldschehder, v. Noorden,
Jacob u. a. eingeleitet wurde, dem Zucker seinen gebührenden Platz als diätetisches
Mittel gesichert. Schon die werthvollen Versuche von Heubne’;r und Hofmann, das
mangelnde Fett in der Säuglingsmilch durch Milchzucker zu substituieren, um dem
Kinde den entsprechenden Kalorieenwerth zuzuführen, hatten die Aufmerksamkeit auf
die Bedeutung des Zuckers für die Ernährung hingelenkt. Hat sich auch später her¬
ausgestellt, [dass der Säugling nur ein gewisses Quantum von Milchzucker verträgt,
ohne durch Diarrhoe darauf zu reagieren, so war doch deshalb das Verdienst der
genannten Autoren um die systematische Verwendung des Zuckers für die Diätetik
kein geringeres.
Gerade jetzt, wo das Gesetz gegen die künstlichen Süssstoffe deren allge¬
meinere Verwendung als Zusatz zu Nahrungsmitteln verboten und ihnen nur noch
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624
L. Fürst
der Weg ärztlicher Verordnung zu Heilzwecken und des Vertriebes durch die Apo¬
theken offen gelassen hat, wendet sich das Interesse wieder den natürlichen Süss¬
stoffen zu. So ist es denn erklärlich, dass man sich aufs neue mit dem sogenannten
»Rohrzucker« und seinen Derivaten beschäftigt, und zwar, da der importierte, aus
den Stengeln des Zuckerrohrs gewonnene ursprüngliche Rohrzucker durch den che¬
misch gleichwertigen Rübenzucker vollständig ersetzt, und überhaupt im täglichen
Leben, sowie in der wissenschaftlichen Sprache, dieser gewohnheitsgemäss als Rohr¬
zucker bezeichnet wird, dies Produkt heimischer Industrie wieder mehr ins Auge fasst.
Theils ist es der aus der Zuckerrübenstärke durch Behandlung mit Kalkhydrat
gewonnene Zucker an und für sich, der gegenwärtig als Diätetikum (neben der üb¬
lichen Verwendung als Geschmackskorrigens) in den Vordergrund tritt, theils der aus
der Zuckerlösung durch Behandlung mit verdünnten Säuren hergestellte Invertzucker,
oder, richtiger gesagt, das aus diesem gewonnene Derivatenpaar (C 6 H I2 0 8 ). Diese
beiden bekannten Zuckerarten, Dextrose und Lävulose, welche gemeinsam als
präformiertes Glukosid in vielen Früchten-, sowie im Honig Vorkommen, wo sie an
organische stickstofffreie Extraktivstoffe von spezifischer Eigenart, die Fruchtsäuren,
gebunden sind, lassen sich nicht schwer durch Kalkbehandlung von einander trennen.
Die so gewonnene von Dextrose befreite »Lävulose«, der sogenannte Fruchtzucker,
eine weisse, krystallinisch-krümelige, leicht wasserlösliche Substanz, ist den Volks¬
kreisen durchaus nicht unbekannt. Auch der Laie schätzt diesen Fruchtzucker, der
sich z. B. auf der Schale getrockneter Feigen, Pflaumen, Rosinen etc. als eine dem
Auge sichtbare weisse, süssliche Schicht ablagert. Wenn der russische Bauer statt
des Zuckers eine Rosine in den Mund nimmt, um sich den Thee zu versüssen, wenn
der Schweizer sein Frühstück durch Honig vervollständigt, der Genuss dick einge¬
sottener Fruchtmarmeladen und Gelees zum Kaffee im Orient etwas ganz Gewöhn¬
liches ist, Obst- und besonders Traubenkuren von jeher beliebt waren, so deutet dies
alles schon auf eine instinktive Werthschätzung des Fruchtzuckers hin.
Dennoch ist die Lävulose, chemisch rein dargestellt, bisher eigentümlicher
Weise als Diätetikum und Heilmittel für chemische Ernährungsstörungen noch durch¬
aus nicht genügend, ihrem Werthe entsprechend, gewürdigt worden. Es ist dies
um so befremdender, als sie von Ebstein, v. Leyden, v. Hebra, H. Strauss,
Fr. Voit u. a. zur Ernährung des Diabetikers, von H. Weber für die Kost des
Phthisikers sehr warm empfohlen worden ist. Vielleicht ist gerade ihre Schlichtheit
und Einfachheit daran schuld. A. Jacobi’s treffender Ausspruch: »Die Diätetik
soll sich mit einfachen Stoffen abfinden«, wird in unserer viel zu sehr dem Ge¬
künstelten und Komplizierten zugeneigten Zeit noch lange nicht genug beachtet und
befolgt.
Es ist'schon von vielen Seiten anerkannt, dass dies Kohlehydrat, dessen Rein¬
darstellung der Chemischen Fabrik auf Aktien (vormals E. Schering) in Berlin ge¬
lungen ist, ausserordentlich viele, auch für den Pädiatriker höchst werthvolle Vorzüge
hat. Ich hielt es deshalb gerade jetzt, wo die Süssstofffrage akut geworden ist, für
angezeigt, mich intensiver mit diesem Präparate zu beschäftigen und eine kleine
Reihe von Versuchen, welche ich seit Jahresfrist damit an gesunden und kranken
Kindern angestellt habe, den Fachgenossen mitzutheilen. Es galt mir hauptsächlich,
festzustellen, £ inwieweit die Lävulose einen zweckmässigen Ersatz des Rohr- und
Milchzuckers in der Kinderdiätetik bildet.
Zur Verwendung gelangte die Lävulose theils rein, theils in syrupöser Form
(Satrap genannt), theils in Verbindung mit Kakao als Lävuloseschokolade, welche
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Die Bedeutung der Lävulose für die Kinderdiätetik. 625
Präparate von Gebrüder Stollwerck zu Köln am Rhein hergestellt werden. Ein aus¬
reichendes Versuchsmaterial in diesen drei Formen wurde mir von den Genannten
auf meinen Wunsch bereitwilligst gratis zur Verfügung gestellt, wofür ich hierdurch
pflichtschuldigst meinen Dank ausspreche.
Die 17 poliklinischen Patienten, bei denen ich die Lävulose anwendete, ge¬
hörten durchweg ärmeren Volksklassen an. hei denen die Ernährungs- und Lebens¬
bedingungen von Haus aus keineswegs sehr günstig waren. Um so erfreulicher war
das — wie ich vorausschicke — völlig befriedigende Ergebniss. Es gehörten an:
dem 1. Jahre 5 Kinder, dem 2. Jahre 4, dem 3. Jahre 4, dem 5. und 8. je 2 Kinder.
8 waren gesund, aber dürftig genährt; 3 litten an allgemeiner (Drüsen-)Skrophulose,
ohne dass Verdacht auf Tuberkulose bestand; 3 waren tuberkuloseverdächtig, und
zwar je 1 nach Influenza, nach Masern und nach Keuchhusten wegen chronischer
Bronchitis und Bronchiolitis, sowie starker Körperabnahme in Behandlung; 2 litten
an Anämie; 1 konnte sich von einer schweren Bronchopneumonie nicht recht erholen.
Bei allen liess sich nach mehrwöchentlicher Lävulosebehandlung, unter gleichzeitiger
sorgfältiger Berücksichtigung günstigerer hygienisch - diätetischer Bedingungen, sicht¬
liche Besserung des Aussehens, des subjektiven Befindens und der Gewichtsverhält¬
nisse konstatieren.
Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Lävoluse sehr gern genommen, von
keinem der Kinder zurückgewiesen wurde, in keinem Falle störende Nebenwirkungen,
speziell seitens des Gastrointestinalkanals, im Gefolge hatte. Sie erwies sich als die
typische Vereinigung eines Genuss- und Nährmittels, wie wir sie meines Wissens
noch nicht besitzen, wie sie aber gerade in der Diätetik des normalen und in der
Ernährungstherapie des erkrankten Kindes sehr erwünscht ist.
Meine Versuchskinder könnte ich in folgende Kategorieen sondern:
1. Kleine, noch vorwiegend mit Kuhmilch genährte, aber in Unter¬
ernährung befindliche Kinder.
Hier gab ich die Lävulose pur, theils als Geschmackszusatz zu der Milch
fbezw. zum Milchgriesbrei und Milchzwiebackbrei), theils mit der Tendenz, den
Nährwerth der Milch zu erhöhen. Am populärsten ist bei uns noch der Rohr¬
zucker, der aber oft, als Puderzucker, gefälscht in den Handel kommt, und der,
obwohl er (nach Beilstein) ca. 1353 Kalorieen auf 1 Molekül entwickelt, doch ge¬
wisse klinische Nachtheile hat. Denn er verursacht gerade ) beim Säugling nicht
selten Dyspepsie oder intestinale Gährungsprozesse, eine trübe Erfahrung, deren
sich mancher noch aus der Zeit erinnern wird, in welcher die kondensierte Milch
aufkam.
Der von Vielen befürwortete Milchzucker süsst in kleinen Quantitäten zu wenig,
in ausreichend grossen reizt er aber den Darm und veranlasst Diarrhöen, die gerade
im Säuglingsalter und besonders in der wärmeren Jahreszeit durchaus nicht gleich-
giltig sind. Auch kommt er, wenn er nicht aus einer zuverlässigen Fabrik stammt,
keineswegs immer keimfrei in den Handel, was mit seiner recht oft primitiven Her¬
stellungsart zusammenhängt. Hier erweist sich nun die Lävulose als dasjenige Kohle¬
hydrat, welches wesentliche Vorzüge besitzt. Schon ihre dem Milchzucker gleiche
Molekularform, der wohl annähernd gleiche Kalorieenwerth (670 pro Molekül) und
der angenehme Geschmack, den sie der Milch verleiht, lassen die Lävulose als ge-
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G26 L. Fürst
eigneten Ersatz für ihn erkennen. Sie verursacht nach meinen Erfahrungen selbst
bei monatelangem Gebrauch keine Magen- und Darmstörungen, wird sehr leicht und
schnell assimiliert. Die Assimilation ist eine so vollständige, dass, wie schon Worm-
Müller betonte, im Harn nichts davon nachgewiesen werden kann. (Eine Ausnahme
machen, nach Strauss, nur Leberkranke, bei denen, was differential - diagnostisch
gegenüber den Diabetikern wichtig ist, eine Lävulosurie entsteht.) Bei künstlich ge¬
nährten Säuglingen kommt es ja in erster Linie auf reichlichen Fettansatz an, und
dieser Indikation genügt die Lävulose ganz ausgezeichnet, meines Erachtens voll¬
kommener als andere Kohlehydrate. Denn mit der totalen Verbrennung zu Kohlen¬
säure, auf die H. Weber seine Phthiseotherapie begründet, geht bei der Lävulose-
einfuhr eine reichliche Fettablagerung einher, infolge deren die Kinder sehr bald so
rund und voll aussehen, wie man es für dieses Alter wünscht. Dass aber nicht blos
eine Fettaufspeicherung erfolgt, sondern wirklich auch eine Zunahme der Muskcl-
und Nervenenergie, geht aus der grossen Munterkeit der betreffenden Kinder —
einem untrüglichen Zeichen subjektiven Wohlbefindens — und aus deren kräftigen
Bewegungen hervor.
2. Gesunde, aber ungenügend ernährte Kinder nach dem zweiten
Lebensjahre.
Manche Kinder werden mit dem Nachlasse der Milchnahrung, die ja oft eine
Art von Mästung darstellt, etwas magerer und anämischer; sie nehmen nicht mehr
genug zu sich, wenn man ihnen nicht sehr zuredet. Hierzu gesellt sich bisweilen,
sobald der Schulbesuch beginnt, eine gewisse Nervosität. Vermehrte Muskelbewegung
und*Wachsthum mögen wohl zu dieser an und für sich bedeutungslosen, aber doch
unwillkommenen Abnahme des Fettpolsters beitragen. Hier kommt die Lävulose,
zunächst in Kombination mit Kakao, als Lävuloseschokoladje sehr ,zur Geltung.
Gerade bei Kindern kommt es darauf an, dass ihnen die zweckmässige, rationelle
Kost in angenehmer Form gereicht wird; denn nur dann wird sie gern und in aus¬
reichendem Quantum genommen. Der Nährwerth muss dem Kinde unter der Flagge
des Genussmittels eingeschmuggelt werden, und dazu eignet sich dieses Präparat sehr
gut, ganz abgesehen davon, dass Kakao schon an sich einen hohen Nährwerth reprä¬
sentiert, also weit mehr als ein Geschmackskorrigens ist. In den von mir beobach¬
teten Fällen erwies sich die Lävuloseschokolade als ein schätzbares Nähr- und Kräf¬
tigungsmittel, welches bei täglich zweimaligem Genuss derjjin V« 1 Vollmilch ge¬
kochten Schokolade sehr bald wieder eine Gewichtszunahme herbeiführt.
Die durch leichtere Herstellung billigere, dennoch aber 80—90 »/ 0 Lävulose ent¬
haltende Syrupsform (Satrap) Hess ich auf Weissbrotscheiben streichen, ganz wie
dies mit Syrup oder Honig geschieht. Die Kinder betrachteten derartige Kost als
grosse Delikatesse und hatten auch völlig Recht darin. Jedenfalls ist dies Präparat
bekömmlicher und nahrhafter, als ein nur zu oft gefälschter Honig. Lävulose stei¬
gert, wie experimentell erwiesen ist, die Magensekretion, setzt durch Bindung der
Salzsäure die Acidität herab und befördert die Verdauung. Ich konnte dies bei
grösseren Kindern, welche die Lävulose in den beiden letztgenannten Formen er¬
hielten, konstatieren. Der Appetitmangel hob sich, und die bisweilen träge Darrn-
funktion wurde lebhafter angeregt.
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Die Bedeutung der Lävulose für die Kimlerdiätctik.
(i-27
3. Kranke oder rekonvalescente Kinder.
Hier interessierte mich besonders die Einwirkung auf chronische Lymphadenitis
univcrsalis (Skrophulose), auf gesunkenes Nahrungsbedürfniss, Nachlass der Assimi¬
lationsfähigkeit und gesteigerten Fettschwund. Die Lävulose wirkte hier überraschend
schnell im Ersatz-von Körpersubstanz und in Verbesserung des Ernährungszustandes.
Die Drüsenintumescenzen,^zumal auch die sonst so schwer therapeutisch zugängigen
Mesenterialdrüsenschwellungen, gingen mindestens ebenso schnell zurück, wie nach
Leberthran, ohne dass die übliche, lästige Leberthrandyspepsie eintrat. Sie erwies
sich als ein reizloser, eiweisssparender Zusatz zur Krankenkost, der eine ungemein
vielseitige Verwendung gestattet, indem sie zu Kaffee, Milch, Kakao, Kompott, Frucht¬
säften (Limonaden), zu Brei- und Mehlspeisen gefügt werden kann.
Die Frage, ob wir bei Kindern eine cnterogene, alimentäre Phthise kennen, die
etwa auf den Genuss der Milch perlsüchtiger Kühe zurückgeführt werden könnte, ist
ja noch nicht endgiltig entschieden. Die Seltenheit primärer Darmtuberkulose spricht
dagegen. Angesichts der häufigen primären Darmdrüsenschwellungen ist aber die
Möglichkeit einer bacillären Invasion vom Darm aus nicht von der Hand zu weisen.
Bei der ausserordentlich leichten Assimilation der Lävulose in syrupöser Form be¬
sitzen wir jedenfalls in dieser ein Hilfsmittel, um die Rückbildung dieser Drüsen
nach der alten Horaz’schen Formel: »Miscere utile dulci« zu begünstigen und zu
beschleunigen. Ueber den Werth der Lävulose bei der Behandlung des Diabetes und
der Tuberkulose Erwachsener fehlen mir eigene Erfahrungen. Was aber die Dis¬
position zu Tuberkulose bei Kindern betrifft, so leistet das Präparat, in Verbindung
mit einer sonstigen zweckentsprechenden Kost, nicht wenig, vielleicht gerade, weil
es ein so einfaches, ungekünsteltes, der Natur entnommenes Diätetikum ist.
Die Lävulose bessert das objektive und subjektive Befinden durch Steigerung
der Kohlensäureproduktion, durch vollkommene Ausnutzung, Hebung des Stoffwech¬
sels, Vermehrung des Fettansatzes, und leistet damit so viel, wie man von einer
nicht spezifischen Behandlung verlangen kann. Jedenfalls erhöht sie mit der ver¬
besserten Ernährung auch die Widerstandskraft des kindlichen Organismus gegen
schädigende Einflüsse.
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628
Willi. Bauermoistor
IV.
Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken vermittels einer
neuen Gährungstechnik und über Diabetikerbrote im allgemeinen,
wie über das nach obiger Methode hergestellte (Salus-)Fabrikat
im besonderen.
Von
Dr. Willi. Bauermeister,
Spezialarzt für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten in Braunschweig.
(Schluss.)
Ein Diabetikerbrot verdient erst diesen Namen, wenn es bestimmte, gerade
für die Ernährung des Zuckerkranken zweckmässige Eigenschaften besitzt. Dahin
gehört neben Wohlgeschmack vor allen Dingen Kohlehydratarmuth, die oft zweck¬
mässig mit einem grösseren Gehalt an Eiweiss verbunden (nicht etwa durch diesen nur
vorgetäuscht) wird, und geeigneten Falles von stärkerem Fettreichthum begleitet ist.
Ferner muss das Brot — und dieser Punkt wird trotz seiner eminenten praktischen
Bedeutung m. E. viel zu wenig berücksichtigt — gegenüber den landläufigen Sorten
bestimmte ernährungstechnische Vortheile besitzen. Zu diesen nothwendigen kommen
dann noch wünschenswerthe für die Zwecke der Diabetikerernährung u. U. auch sehr
wichtige Attribute, die den Werth des Brotes für den speziellen Fall erhöhen.
Was den Geschmack der verschiedenen Diabetikerbrote anlangt, so ist der den
natürlichen Gebäcken gleichende selbstverständlich der beste. Und wenn der
Diabetiker bei dem Worte Brot im allgemeinen gegen den Geschmack desselben
von liebevoller Rücksicht ist, so wird ihm doch unter Umständen selbst auch nur
ein geringer Beigeschmack auf die Dauer zuwider: .mit unwiderstehlicher Gewalt
zwingt es ihn zum Aroma des natürlichen Brotes zurück, namentlich) wenn er in
irgend welchem körperlichen Unbehagen, wie z. B. schwerem Stuhlgang bei ver¬
schiedenen Diabetikerbroten, eine weitere Selbstentschuldigung findet. Deshalb ist
es nöthig, dass das tägliche Brot des Diabetikers die Würze des natürlichen besitzt,
und in dieser Beziehung ist das Rohkase'in, wie auch Schreiber 1 ) hervorhebt, in
keiner Beziehung störend. Es liegt das einmal an seiner Unlöslichkeit gegenüber
anderen zu Diabetikerbroten gebrauchten Beimengungen, wie Konglutin-, Aleuronat-,
Ergon-, Plasmon- etc. Präparaten, und andererseits darin, dass es trotz dieser Un¬
löslichkeit bei der Innigkeit des Verbackens mit Mehl nicht die mechanisch störende
Eigenschaft z. B. des unlöslichen Tropons zeigt.
Was die Kohlehydratarmuth anbetrifft, so wäre bei der Selbstverständlichkeit
derselben kein Wort darüber zu verlieren, wenn man nicht immer wieder auf
Fabrikate stiesse, die an 45—50—55°/ 0 Stärkestoffe enthielten bei Mangel jedweder
kompensatorischer Eigenschaften. Ein derartig hochprozentiges Brot bietet, wie de>
>) I. c.
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Ueber die Verwendung des Kaseins zu Backzwecken etc. 629
ferneren genau ausgeführt werden wird, gegenüber den gewöhnlichen Brotarten dem
Diabetiker nicht nur; keinen Vortheil, sondern es ist sein Gebrauch direkt ver-
hängnissvoll, da der Diabetiker bei diesen Broten seine Assimilationsgrenze fast
konstant über- und damit einer steten Verschlimmerung seines Leidens entgegen¬
schreitet — unbesorgt; der Name Diabetikerbrot allein verschafft ihm ein ruhiges
Gewissen. Der Diabetikeramateur im Kleingewerbe der Bäckerei liefert natürlich
ein viel gefährlicheres Gebäck als der Grossbetrieb, der immerhin nach festen Sätzen
arbeitet und sich von Zeit zu Zeit durch eine Analyse kontrollieren lässt. Allein
auch hier erlebt man, dass die Begleitanalyse von einem ganz anderen Fabrikate
stammen muss, als dem begleitenden Gebäck. Die eigene Kontrolle versetzt auch
da oft in unmuthiges Erstaunen — an die 43—50 °/ 0 Kohlehydrate findet man ab und
zu selbst im Diabetikerbrot renommierter Herkunft.
Sind diese hochprozentigen Brote für die Ernährung des Diabetikers von gar
keinem Vortheile gegenüber den gewöhnlichen Brotarten, so giebt es auch gering¬
prozentige Brote, mit denen man dem Diabetiker für den allgemeinen Gebrauch auch
nichtjbesonders dienen kann. Das sind namentlich die pumpernickelartigen Brote,
die den Vortheil ihres geringen Stärkegehaltes durch ein zu geringes Volumen
wieder wett machen. Denn das Volumen ist für die Beurtheilung eines Diabetiker¬
brotes ebenso wichtig'wie der Kohlehydratgehalt, und beide zusammen erst liefern
den richtigen Maassstab für die Beurtheilung seines Werthes.
Der Diabetiker soll das Brot nie um dessen selbst willen essen 1 ); es soll ihm
immer dienen als Mittel und Unterlage für möglichst viel Zukost wie Fleisch,
Fett etc. Je grösser bei gleich geringem Kohlehydratgehalt die Brotscheibe, desto
besser und geeigneter ist das Brot für seinen Gebrauch. Vom Standpunkt der
Grnährungstechnik ist das von höchster Bedeutung, und demgemäss schien es mir
zweckmässig, aus dem Volumen und dem Kohlehydratgehalt des Brotes einen direkten
zahlenmässigen Gradmesser für die Güte eines Diabetikerpräparates aufzustellen.
Folgendes diene zur Erläuterung:
Wenn ich das hiesige'gewöhnliche Weissbrot mit ca. 58% Kohlehydratgehalt
(eigene Analyse) mit Paraffin überziehe und in ein vollgefülltes Gefäss tauche, so
fliessen (nach Abzug der Paraffinmenge) bei 100 g Weissbrot über den angefetteten
Gefässrand 400 ccm Wasser ab. Das Gewichtsvolumen des Weissbrotes ist also
i) In diesem Sinne sehe ich in den gewinnsüchtigen Anleitungen und Aufforderungen einiger
Fabriken zur Fabrikation von Torten, Napfkuchen etc. mit Hilfe »unschädlicher« Präparate direkt
eiu Verbrechen gegen das Leben. Gerade die Vorspiegelung der Unschädlichkeit verleitet die
Patienten zu ganz zwecklosen überflüssigen, durch nichts als ihre Naschhaftigkeit motivierten Kohle¬
hydrateinnahmen. Seit Abfassung der Arbeit kam mir ein 16 jähriger junger Mensch mit schwerem
Diabetes und halbkomatös unter die Hände, der ausserhalb seiner Diätvorschriften täglich ca. 160 g
Konglutintopfkuchen, von der thörichten Mutter ihm als Zuspeise zum Kaffee bereitet, verzehrte;
das machte pro die eine unnütze Zufuhr von ca. 60 g Kohlehydraten, denn die Analyse des »un¬
schädlichen« Gebäckes ergab nahezu 40% Kohlehydrate. Allein nach Fortlassen dieses Kuchens
ging trotz Zugabe von 1 1 Milch der Zucker von 4% in einigen Tagen auf D/ 2 % zurück, was nicht
hinderte, dass der Patient nach ungefähr 14 Tagen einem typischen Koma erlag. Ihm folgte nach
einigen Tagen ein anderer 45 jähriger mit tub. pulm. behafteter Diabetiker, der seit Jahren nie
weniger als 2 1 / 2 — 3% ausgeschieden haben wollte »trotz der strengsten Lebensweise«. Darunter
verstand er, dass er von Kohlehydraten nur das »erlaubte« Aleuronatbrot (hiesiger Provenienz) in
Mengen von durchschnittlich 400—500 g, d. i. = 180 —220 g Kohlehydrate pro die verzehrt hatte.
Hätte er statt dessen täglich 6— 7 V 2 Weissbröte gegessen, so wäre er bei demselben Effekt billiger
davongekommen.
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630
Willi. Bauermeister
wuT = 4. Die in 100 g Brot enthaltenen 58 g Stärke nehmen also einen Raum
IUU
von 400 cm 3 * * 6 ein; lg Kohlehydrat nimmt in dem Weissbrot also den Raum von
4^ = 6,9 ein. Der Kohlehydratgrammvolumquotient im gewöhnlichen Weissbrot
ist also = 6,9.
Dementsprechend ist folgende Tabelle aufgestellt 1 * ):
Kohle-
Gewichts-
Kohle¬
hydrat-
Ei weissgeh alt
Fett
hydrat
volum
grainm-
= N X 6,25
rt /o
1
volum
°/° 1
°o
Weissbrot.i
58,0
4,00
6,9
nicht bestimmt
| _
Aleuronatbrot (hiesiges).
48,0
2,84
r q
I
10,50 1
—
Aleuronatbrot (Günther, Frankfurt)
1 38,0
3,05
8,0
17,90
' —
|
36,8
3,06
8,3
nicht bestimmt
—
Diabetikerbrot (Rademacher, Frankf.) {
38,1
2,95
7,6
— |
—
l
43,0
—
—
nicht bestimmt
1 —
Diabetikerbrot (Gericke, Potsdam). .
34,0
2,10
6,2
16,40 i
—
|
36,9
2,97
8,0
12,54
—
Konglutinbrot. \
38,4
2,91
7,6
14,60
—
l
41,0
—
l —
nicht bestimmt
—
Salusschrotbrot (Mciners, Braunschw. |
28,1
33,8
2,30
1 2,90
8,7
8.6
14,80
13,45
2.9
do. do. drei Tage alt
34,2
2,93
1 8,6
14,60
1
do. do. Extrabrot. .
(13,6!)
(1,92)
1 (14,1!)
—
Salusweissbrot (Heiners, Braunschw.)
36,8
1 3,15
1 8,7
11,80
10,0
42,0
i 4,3
! 10,4
14,80
—
do. do. alt . . <
34,0
| 4,12
1 12,8
12,88
—
l
42,6
1 4,38
10,4
12,47
—
do. do. Extrabrot .
(22,4!)
, (4,12)
j 07,7!)
1 _
13,7
Korn-Vollbrot (Braunschw.) ....
43,0
l 1,32
1 3,07
--
---
Simonsbrot (Hannover).
j 43,7
f 1,4
3.2
-
Knökebrot (Schweden).
70
!
1 —
—
-
Diese Tabelle ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Der Kohlehydratgraram-
volumquotient lehrt, dass der Diabetiker von gewöhnlichem Weissbrot eine grössere
l ) Die Analysen wurden folgendemaassen ausgeführt: Das Fett wurde durch ca. 24 stündiges
Ausziehen der Trockensubstanz mit Aether nach Soxhlet gewonnen. Der Eiweissgehalt nach
Kjeldahl als Stickstoff ermittelt und mit 6,25 multipliziert. Behufs Bestimmung der Kohlehydrate
wurde (eventuell nach Kaltwasserauszug der löslichen Zucker) die Substanz 3—6 Stunden im Auto¬
klaven bei 125—130% gekocht; dann mit entsprechenden Mengen HCl im Wasserbad fernere 3 bis
6 Stunden im Kochen erhalten. Die Prozentzahl des so gewonnenen Zuckers wurde nach Meissl
All ihn bestimmt, wobei der Eintritt der vollständigen Reduktion durch die Gegenprobe mit Essig¬
säure - Ferrocyankali pcinlichst kontrolliert wurde. Die hiernach erhaltenen Zahlen stimmten denn
auch mit den von Nahrungsmittelcheinikem gefundenen Werthen gut überein. — Bemerkt werden
muss, dass ich zur Analyse nicht eine Probe des Gesammtbrotes nahm, sondern dass ich (hei
allen Untersuchungen!) Scheiben aus dem vollen Brote schnitt. Das ist dadurch begründet, dass ich
meine Patienten auch nur solche essen lasse. Die Enden (Knüste) der Brote dürfen sie deshalb
nicht essen, weil sie namentlich bei in Kastenform gebackenen Broten fast nur aus Rinde bestehen.
Die Rinde ist aber bekanntlich einmal bedeutend wasserärmer als die Krume, und sodann enthält
sie vor allen Dingen die zuckerartigen Bestandteile des Brotes. Die Rinde ist also für den Diabetiker
viel gefährlicher als die Krume, und die Gewohnheit mancher Zuckerkranker, vor dem Genuss eines
Weissbrotes letztere zu entfernen, ist in dieser Betrachtung geradezu widersinnig.
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631
Ueber die Verwendung de» Kaseins zu Backzweckcn etc.
Portion essen darf, als von schlechtem Diabetikerbrot. Und daraus ersehen wir
zweitens, was allerdings jedem, der sich eingehender mit der klinischen Behandlung
und der Speisezubereitung für Diabetiker befasst, wohl bekannt ist, dass rein er¬
nährungstechnisch die bisher bekannten Diabetikerbrote keine so grossen Vortheile
bieten, als man allgemein annehmen möchte, z. B.:
Bei einer Zugabe von 60 g Kohlehydraten in Brotform würde man angenommener¬
weise bei’V 2 cm Dicke 1 ) geben können:
Von
gewöhnlichem Weissbrot
eine
Scheibe
von
828 cm
>
Aleuronatbrot (hiesigem)
>
»
708
»
» (Frankfurter)
>
>
960
»
»
Diabetikerbrot >
»
996
>
Aleuronatbrot (Potsdamer)
»
740
»
Konglutinbrot
7>
>
>
912—960
»
3»
Salusschrotbrot *)
»
984-1035
»
Salusweissbrot *)
»
»
»
1044-1530
Kornvollbrot
»
y>
y>
369
»
Simonsbrot
384
>
Knöckebrot
»
456
>
Diese Zahlen lehren uns also:
Bei vorsichtiger Eintheilung und zweckmässiger Aufmachung kommen wir im
Prinzip mit dem gewöhnlichen Weissbrot fast ebensoweit, wie mit den bis dato be¬
kannten Diabetikerbroten. Nur die Gefahr, dass der Kranke bei ersterem erfahrungs-
gemäss fast ausnahmslos zum Ueberschreiten des Maasses geneigt ist, was beim
Diabetikerbrot durch das mit dem Gebrauch verbundene stete Erinnern an seine
Krankheit (oft auch infolge des Geschmackes) weniger leicht der Fall ist, wie die
Rücksicht auf Abwechslung, zwingt, in der freien Behandlung zu einem besonderen
Gebäck zu greifen. Da der Diabetiker viel lieber mit dem Auge als mit der Wage
misst, wird ein Brot mit grossem Kohlehydratgrammvolumen sein besonderes Wohl¬
gefallen finden, und trotzdem, respektive gerade bei letzteren, das eventuelle Ueber¬
schreiten des Maasses leichter vermieden, respektive in relativ engeren Grenzen ge¬
halten, als bei einem dichteren Brote.
Ein wirklicher dann allerdings in die Augen springender Vortheil wird tech¬
nisch der Ernährung des Diabetikers nur geboten bei Gebrauch eines Brotes mit
>) Brote, die sich nicht in so dünne Scheiben schneiden lassen, bedeuten gegenüber anderen
einen Nachthei), und aus diesem Grunde ist cs wichtig, dass das Brot trotz grossem Volumen ein nicht
zu bröckliges Gefüge hat. Das letztere macht die Aufmachung in dünnen Scheiben so gut wie
unmöglich.
«) Die niedrige Volumzahl stammt aus der Lehrzeit des Fabrikanten; nach genügender Uebung
liefert er ein Brot von geringerem Kohlehydratgehalt und grösserem Volumen, respektive einem
Kohlehydratgrammquotienten, wie es die Endzahlen anzeigen. Als Probe seiner Leistungsfähigkeit
und der Leistungsfähigkeit der Methode lieferte er jüngst jene durch Einklammerung bezcichncte
Ware, wovon das Salusweissbrot einen Stärkegehalt von 22,4 °/ n ! und ein Kohlehydratgrammvolumen '
von 17,07 (= 2050 cm«), das Salusschrotbrot einen Stärkegehalt von 13,6%! und ein Kohlehydrat¬
grammvolum von 14,1 (= 1632 cm«) aufwies. Die Fabrikate waren in jeder Beziehung vorzüglich;
insbesondere hatte das cellulosereichc Schrotbrot ganz den Charakter eines Brotes (nicht Pumper¬
nickels) bewahrt. Allein die technische Einrichtung der Bäckerei erschwert einstweilen die Her¬
stellung grösserer Mengen derselben, so dass diese exquisit kohlehvdratarmcn voluminösen Brote
erst nach Erweiterung des Betriebes in den Verkehr treten werden.
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632 Willi. Bauermeister
derartig hohem Kohlehydratgrammquotienten, wie ihn z. B. die Endzahlen der Salus-
fabrikate aufweisen.
Dass man nebenbei in der Grösse des Kohlehydratgrammquotienten einen An¬
halt für die Verdaulichkeit eines Brotes hat, wird nur der bezweifeln, der in dem
Aberglauben lebt, dass die löslichen Bestandtheile eines Brotes vor allen Dingen in
dieser Frage entscheiden. Der oft angepriesene Satz, dass infolge Zumischung lös¬
licher Substanzen ein Brot leicht verdaulich sei, ist nicht nur unbewiesen, sondern
direkt falsch. Nicht die Löslichkeit der Backsubstanzen macht ein Brot verdaulich,
sondern'die? Zugängigkeit für die Verdauungssekrete ist das Ausschlaggebende. Die
auch das Kolehydratgrammvolumen mitbedingende Lockerheit und Porosität des Brotes
ist ein sehr wesentliches Kriterium der Verdaulichkeit; und je feiner porös das Brot
ist, desto leichter ist es im allgemeinen verdaulich; daher ist auch aus diesem
Grunde bei den Diabetikerbroten ein feinporöses einem grobporösen oder direkt
groblochigen Fabrikat vorzuziehen, falls man auf die Verdaulichkeit Werth legt.
Ein sehr einfaches, aber instruktives Verfahren, sich in gewisser Beziehung ein
Urtheil über die Verdaulichkeit eines Gebäckes zu bilden, liefert folgender Versuch:
man schneide von den betreffenden Broten mit einem scharfen Messer scharfkantige
Stücke heraus, meinetwegen in Oktäderform, und stelle sie in Wasser oder noch
besser in Magensaft im Brütofen an. Ein leicht verdauliches Brot wird sich bald
vollsaugen, zerfallen oder wenigstens durch geringe Berührung auseinandergehen,
während andere kaum eine Quellung eingehen, ihre absolut scharfen, gradlinigen
Ränder behalten, gar keine Neigung zum Zerfall haben, und noch nach Tagen in
toto z. B. auf einer Stricknadel aus dem Wasser genommen werden können. Dahin
gehören z. B. gerade die als Diabetikerbrote kat exochen reklamierten Produkte.
Es ist klar, dass sie der der eigentlichen Assimilierung vorausgehenden mechanischen
Zerkleinerung im Magendarmtraktus ebenfalls einen relativ grossen Widerstand ent¬
gegensetzen werden.
Nach diesen Betrachtungen über die nothwendigen Eigenschaften, sei.es ge¬
stattet, noch auf einige Punkte hinzuweisen, die für die Beurtheilung eines Diabetiker¬
brotes im speziellen Fall von Werth sein können: Dahin gehört vor allen Dingen
der Cellulosereichthum'eines Brotes (bei Salusschrotbrot ca. 3—4%). DerJDiabetiker
ist durchschnittlich in der Aufnahme von Erzeugnissen des Pflanzenreiches be¬
schränkt. Da diese in |der gewöhnlichen Ernährung die Hauptträger des für den
Darm nöthigen Ballastes sind, leidet er meist Mangel an diesem die Darmbewegung
anregenden Füllmaterial. Daher (neben der Austrocknung durch Polyurie etc.)
unter anderem die Neigung zur Verstopfung, die sich oft bei und oft gerade durch
den Genuss ungeeigneten Diabetikerbrotes zur Unerträglichkeit steigert. Mit einem
cellulosereichen Brot wird ihm daher oft gedient sein: es füllt bei ihm im bildlichen
wie im wörtlichen Sinne jeweilig eine störende Lücke aus. Noch ein anderer Gesichts¬
punkt verdient dabei hervorgehoben zu werden. Nach Rubner 1 ) werden die Kohle¬
hydrate der verschiedenen Brotarten nicht alle gleichmässig resorbiert Vielmehr
gehen unverdaut von der Stärke des feinen Weizenbrotes 1,1—2,6%, von groben
Weizen- und Roggenbrot 7,4—7,9 o/ 0 , von ganz groben aus ganzem Korn bereiteten
Brot 10,9—14% ab. Von einem Brote, dass, wie z. B. das Salusschwarzbrot, zwischen
der zweiten und dritten Gruppe rangiert, dürfte demgemäss auch ein entsprechender
Theil seiner Kohlehydrate unresorbiert bleiben. Diese vom allgemein physiologischen
i) v. Leyden 7 » Handbuch der Ernährungstherapie.
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Ueber die Verwendung des KaseTns zn Backzwecken etc.
633
und ökonomischen Standpunkte als Mangel zu bezeichnende Thatsache bedeutet für
den speziellen Fall der Diabetikerernährung einen Vortheil: einmal werden die
Kohlehydrate nicht alle'resorbiert, und zweitens helfen diese liegen gebliebenen Reste
neben der'Cellulose den Darm mit ausfüllen und ihn anregen. Bei der Zumessung
der Kohlehydratmenge dürfte dieser Faktor mit Vorsicht verwerthet werden können.
Zum Schluss sei es erlaubt auf eine Besonderheit aufmerksam zu machen, die
den Salusfabrikaten gegenüber allen anderen Diabetikergebäcken zukommt. Bei
den meisten Diabetikerbroten etc. wird mit mehr oder weniger Erfolg ein geringerer
Kohlehydratgehalt durch Zumischung von Eiweisssubstanzen zu erzielen gesucht.
Diese Zuführung an sich ist zweckmässig. Der Diabetiker ist in seinem Stickstoff-
bestande von Gefahren umdroht. Die Eiweisszufuhr im Brot wird dieser Gefahr des
Eiweissverlustes entgegen wirken. Aber auch in dieser Beziehung sind nicht alle
Sticktoffsubstanzen gleichwerthig ’).
Gegenüber solchen, die, wie das Albumin, Kasein, Aleuronat, Plasmon etc. als
Kalorieenträger den Verbrauch des cirkulierenden Eiweisses einschränken, respektive
das verlorengegangene Organeiweiss gemäss ihres N-Gehaltes ersetzen können, giebt
es noch eine Gruppe von N - Substanzen, die neben dieser kalorischen noch eine
förmlich dynamische Rolle im Körperhaushalte spielen. Voit u. a. 1 ) haben in
jüngster Zeit namentlich darauf hingewiesen, dass die Albuminoide nicht nur im
stände sind, den N-Verlust an Körper- und cirkulierenden Eiweiss quantitativ zu er¬
setzen und den Körper im Stickstoffgleichgewicht zu halten; vielmehr haben die Leim¬
stoffe noch die ganz besondere Eigenschaft, auf den N-Umsatz des Körpers an sich
in günstigem Sinne einzuwirken: sie schützen das Organ- und Cirkulationseiweiss
direkt vor dem Zerfall; sie wirken in diesem Sinne direkt eiweisssparend.
Dass diese schon für den normalen Stoffwechsel bedeutsame Thatsache bei dem
pathologischen Eiweisszerfall, zu dem der Diabetiker erfahrungsgemäss neigt, von
besonderer Bedeutung ist, erscheint einleuchtend 3 ). Die Salusfabrikate, die neben
echten Eiweissstoffen noch beträchtliche Mengen von den eiweisssparenden Albumi-
noiden enthalten, erscheinen nach obigen Auseinandersetzungen damit für die Ernährung
des Diabetikers als besonders zweckmässig zusammengesetzt und doppelt werthvoll.
Diese Zusammensetzung lässt übrigens die Salusfabrikate auch bei anderen
Krankheitszuständen, wie Gicht, harnsaure Diathese 4 ), Nierenkrankheiten, Fettsucht
mit Vortheil verwenden; ebenso bei Störungen des Magendarmtraktus. Hervorzuheben
wäre der Gebrauch des schlackenreichen Schrotbrotes namentlich bei mit Verstopfung
einhergehenden Affektionen, während das milde Salusweissbrot bei gegenteiligen
Verhältnissen indiziert ist. Namentlich bei dem sogenannten schwachen Magen und
den mit Hyperacidität einhergehenden Magenkrankheiten hat sich mir letzteres stets
bewährt, ein Erfolg, der nach der Analyse wohl verständlich ist.
i) Von dem im Kasein organisch an das Eiweiss gebundenen Phosphor, der, nach Röhmann,
im wesentlichen allein den Aufbau resp. die Regeneration phosphorhsltigen Gewebes gewährleistet
resp. nur in Spuren durch Zufuhr von Phosphaten ersetzt werden kann, von dieser Ueberlegenheit
des KaseTns gegenüber anderen in diesem Sinne phosphorfreien Eiweissstoffen sehen wir hier ganz ab.
3) Deutsche mcdicinische Wochenschrift 1902. No. 2. Referiert im Verein für innere Medicin.
3 ) Von Interesse wäre auch festzustellen, welchen Einfluss die Zufuhr von Leimstoffen bei
den Diabetikern ausübt, bei denen die Zufuhr echter Eiweissstoffe in grösseren Mengen eine ver¬
mehrte Zuckerausscheidung im Harn zur Folge hat.
4 ) Weil weder die Kaseine noch die Albuminolde im Gegensatz zu anderen Ei weissstoffen
die Harnslurebildung vermehren.
Zeltschr. f. diät u. physik. Therapie, üd. VI. Heft 11.
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Kritische Umschau
Die Serumbehandlung- der Streptokokkeninfektionen.
Aus der I. medicinischen Universitätsklinik zu Berlin
(Direktor Geh. Med.-Rath Prof. Dr. v. Leyden).
Von
Dr. Fritz Meyer,
Assistent der Klinik.
Die spezifische Behandlung der Streptokokkeninfektionen mit dem Blutserum
vorbehandelter Thiere ist in jüngster Zeit durch Aronson’s Mittheilungen wieder in
den Vordergrund getreten, nachdem sie jahrelang unverdientermaassen geschlummert
hatte. Es ist heute, wo wir in dem Aronson’schen Serum einen theoretisch
fundierten und experimentell geprüften Heilfaktor besitzen, vielleicht nicht unange¬
bracht, einen Blick auf die Entwicklung der Streptokokkensera zu werfen, wie sich
dieselbe in den letzten 10 Jahren gestaltet hat.
1. Die Antistreptokokkensera, ihre Herstellung und klinische
Anwendung.
Auch auf diesem engeren Gebiete, wie so manchem anderen der modernen
Bakteriologie, begegnen wir, abgesehen von einer älteren französischen Arbeit,
Behring's klangvollem Namen an führenderstelle. Es ist jene Zeit, da man schon
nicht mehr nach dem bakteriellen Erreger allein suchte, sondern daran dachte, die
von ihm verursachten Krankheiten durch ihn selbst, respektive seine Stoffwechsel¬
produkte, zu heilen. Das Diphtherietoxin und Antitoxin war entdeckt worden und
das Tetanusheilserum hatte seine ersten vielbestrittenen Erfolge gefeiert. In der
gleichen Zeit begann Behring gemeinsam mit seinen Schülern Boer, Knorr und
v. Lingelsheim mit der Immunisierung von kleineren Thieren gegen den Strepto¬
coccus longus, indem er die von ihm und Emmerich entdeckte Methode der Vor¬
behandlung mit abgeschwächten und später virulenten Bakterienkulturen für die
Streptokokken durchführen liess 1 ). Schon im Jahre 1892 stellte er die Immunisierung
von Pferden zur Herstellung eines Heilserum in Aussicht. Es ist interessant, dass
zu diesem Zeitpunkte, als die Unterschiede zwischen antitoxischen und antibakteriellen
Sera noch nicht so klar waren wie heute, Behring in dieser Frage auf rein bakteri¬
zidem Wege vorwärts strebte. Während es in Deutschland über diesen Gegenstand noch
lange Zeit still blieb, bearbeiteten in Frankreich Charrin, Roger 2 ) und Mironoff s )
denselben mit dem gleichen Erfolge, wie die deutschen Forscher. Es gelang ihnen,
kleinere Thiere mit dem Serum vorbehandelter Kaninchen zu schützen. Alles das
waren aber nur geringfügige Vorläufer des Jahres 1895, in dem durch die grosse
Energie und den rastlosen Eifer Marmorek’s 4 ), von der klassischen Stelle des Pariser
Pasteur-Institutes, das erste bekannte Serum seinen Einzug in die wissenschaftliche
Welt hielt. Die Freude, ein Heilmittel für eine Anzahl sonst desperater Krank¬
heiten zu besitzen, war eine aufrichtige, die Erwartung, mit der man ein solches
ersehnte, eine wohlbegreifliche.
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635
Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen.
In dieser seiner ersten ausführlichen Publikation giebt Marmorek, dem un¬
streitig das Verdienst gebührt, als erster in grossem Maassstabe trotz zahlreicher
Misserfolge die Frage der Streptokokkenimmunität durchgeführt zu haben, eine ge¬
naue Beschreibung seiner Methode. Ausgehend von der, für ihn feststehenden Ein¬
heit aller Streptokokkenarten, behandelt er seine Pferde mit einem Scharlachstrepto¬
kokkus, welcher noch heute in seinem Besitze ist, und durch fortlaufende Kaninchen¬
passagen (wöchentlich zweimal) in hoher Virulenz erhalten wird. Mit allmählich
steigenden Dosen dieser Kultur werden Pferde geimpft, deren Serum nach mehreren
Monaten, drei bis vier Wochen nach der letzten Injektion, zu Heilzwecken Ver¬
wendung findet. Das heute im Handel befindliche Mittel setzt sich zu gleichen
Theilen aus dem Serum zweier Sorten von Pferden zusammen. Während die eine
derselben mit den lebenden Bakterien vorbereitet wird, erhält die andere lediglich
filtrierte Streptokokkenkulturen, somit nur die Bakterientoxine. Das heutige Mar¬
mor ek'sehe Serum ist also ein kombiniert antitoxisch — antimicrobielles. Die
klinischen Resultate, welche mit ihr erzielt wurden, waren naturgemäss zunächst in
Frankreich gewonnen und lauten daselbst in den ersten Jahren meistens günstig.
Marmorek selbst heilte 46 Erysipele, Charrin, Jost und Hermany Puerperal¬
fälle, Baginsky») Scharlachkranke und Lignieres 0 ) fand in ihm ein vortreffliches
Heilmittel gegen das Anasarka der Pferde.
Wir dürfen nicht verhehlen, dass zu gleicher Zeit gegnerische Stimmen laut
wurden, welche bei der Prüfung des Serums zu absolut negativen Ergebnissen ge¬
langten. Waren auf klinischem Gebiete vor allem Josias 7 ) häufig, und Charpentier 8 ),
Bar 9 ), Budin 10 ) und Monti 11 ) die Erfolge stets versagt geblieben, so sind im Expe¬
rimente vor anderen Petruschky 1 *) (in Mitarbeit mit Robert Koch), Schenk 13 )
und Bornemann«) zu völlig negativen Resultaten gekommen. Neben den Forschern,
welche dem Serum jede Schutzwirkuug absprechen, stehen gleichsam in der Mitte
andere Autoren, welche einzelnen Stämmen gegenüber eine Wirkung fanden, während
andere völlig unbeeinflusst blieben Wenn wir hier Courmont 16 ) und Ligniferes
nennen, so sind das, wie es bei der grossen Litteratur überhaupt nur möglich ist,
nur einige Namen aus der Reihe aller derjenigen, welche sich mit zahlreichen und
umfangreichen Arbeiten an der Lösung dieser Probleme betheiligten. Von deutschen
Klinikern ist eigentlich nur Haeberlin 10 ) und Blumberg 17 ) in der letzten Zeit
noch einmal für Marmorek’s Serum eingetreten, ohne damit allerdings allzusehr die
herrschende Meinung zu Gunsten des Pariser Serum zu beeinflussen. Wir können uns
nicht verhehlen, dass im Augenblicke in Deutschland die Stimmung hinsichtlich seiner
Anwendung zu Heilzwecken keine günstige ist, ganz zu schweigen von einer solchen
im präventiven Sinne. Kaum einer unserer deutschen Geburtshelfer würde sich, wie
z. B. Pinard, dazu verstehen, jede Schwangere vor der Entbindung präventiv zu
injizieren. Und doch liegt in dieser Maassregel ein sehr richtiger Grundgedanke.
Ist das Serum wirksam, so liegt der Nutzen auf der Hand, ist es unwirksam und
zwar weil es zu schwach ist, so ist die Aussicht, mit einer Dosis, welche zur Heilung
zu schwach ist, Schutzwirkung auszuüben, ausserordentlich gross. Lediglich der
Fall, dass das Serum überhaupt keine Einwirkung haben kann, weil prinzipielle
Fehler bei seiner Herstellung gemacht werden, ein Punkt, auf den wir später noch
vielfach zu sprechen kommen werden, macht diese Maassregel überflüssig, niemals
schädlich. Das Gesammtresultat der in den verschiedenen Jahren über Marmorek’s
Serum erschienenen Publikationen, soweit dieselben in der Litteratur auffindbar
waren, ergiebt folgende Zahlen:
Es erschienen seit 1895 51 Publikationen, welche klinisch beobachtete, scrum-
bebandelte Fälle betrafen. Unter diesen erwies sich das Serum 38 mal erfolgreich,
während es den anderen 13 Autoren vollständige Misserfolge brachte. Da gerade
die weitaus grösste Anzahl derselben sich auf deutsche Arbeiten bezieht, so erklärt
sich, warum man sich in Deutschland, obwohl wir seither keine besseren Sera er¬
halten haben, in der Therapie der Streptokokkenkrankheiten wieder den alther¬
gebrachten medikamentösen und diätetischen Faktoren zuwendete und das einst mit
so viel Hoffnung und Erwartung begrüsste Antistreptokokkenserum Marmorek,
vielleicht allzu schnell, in Vergessenheit gerathen Hess.
44*
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636
Fritz Meyer
Diese wechselnden Ergebnisse eines von maassgebender Stelle ausgehenden
Mittels legten den Gedanken nahe, dass die mangelnde Wirksamkeit nicht so sehr
in einer unzureichenden Stärke, als vielmehr in prinzipiellen Fehlern der Dar¬
stellung ihre Ursache haben könnten. Die zwei am meisten ins Auge fallenden
Punkte waren die Thatsachen, dass Marmorek zur Herstellung seines Serums nur
einen einzigen Streptokokkenstamm verwendet hat, und somit, wenn es differente
Arten dieser Bakterien giebt, nur gegen diesen allein einen wirksamen Schutzkörper
produzierte. Die übrigen Varietäten, wie die des Erysipels, der Sepsis und anderer
Infektionen müssen dann unbeeinflusst bleiben. Für diese Auffassung scheinen nicht
zum wenigsten die Thierversuche Courmont’s zu sprechen, der mit Marmorek’s
Serum Kaninchen gegen die Bakterien der Scharlachangina, nicht aber des Erysipel
zu schützen vermochte. Die zweite Erklärung jener Misserfolge wurde in der That-
sache gesucht, dass die ursprünglich für den Menschen virulenten Mikroben nicht
mehr die gleiche Schädigungsmöglichkeit für diesen in sich bergen, sobald sie durch
jahrelange Thierpassage für irgend eine besondere Thierspezies das Maximum ihrer
Virulenz erreicht haben. Ein Versuch Petruschky’s beleuchtet diese Möglichkeit
und macht sie wahrscheinlich. 10 ccm der Originalkultur Marmorek’s, welche
in der Dosis von Vioooooo ccm ein Kaninchen in 12 Stunden tötet, war, in der Menge
von 10 ccm einem Menschen beigebracht (zur Karcinomheilung), nicht im stände,
die geringsten Krankheitserscheinungen bei diesem auszulösen. Mit diesen Kulturen
wird das Marmorek’sche Serum seit dem Jahre 1895 hergestellt.
Eine jede dieser beiden Möglichkeiten in Rechnung ziehend, hat eine Reihe
von Forschern eigene Sera publiziert und fabrikmässig herstellen lassen, welche die
vorerwähnten Missstände zu vermeiden suchten. Der erste, welcher auf den lang¬
dauernden Aufenthalt der zur Immunisierung verwendeten Streptokokken ausserhalb
eines menschlichen Körpers hinwies und gleichzeitig bei seinem Serum nur frische, wenn
auch virulent gemachte Stämme benutzte, war Denys. Sein in Louvain dargestelltes
Serum ist nicht sehr bekannt geworden, obwohl die auf dem Kongress 1897 in
Moskau mitgetheilten Resultate nicht schlecht zu nennen waren. Nicht mehr Auf¬
sehen erregte das von ihm und seinem Schüler van der Velde nicht lange darauf
publizierte Serum polyvalent, van der Velde tritt in weiterer Ausführung der
Denys’schen Ideen energisch für die Verschiedenheit der menschlichen Strepto¬
kokken ein und postuliert damit logischer Weise auch verschiedene Sera. Da aber
die Ausführung dieser Theorie in praxi aus technischen Gründen kaum durchführbar
ist, so immunisiert er ein und dasselbe Pferd mit möglichst verschiedenartigen,
virulenten Stämmen. Auf diese Weise findet sich, so schliesst er, wohl sicher auch
derjenige Schutzkörper im Serum vor, welcher in dem betreffenden Falle mensch¬
licher Erkrankung verlangt werden muss. Trotz dieser nicht von der Hand zu
weisenden Schlussfolgerung haben die Erfolge doch im Stich gelassen. Weder die
experimentellen noch die klinischen Erfahrungen haben einheitlich günstige Resultate
gezeitigt. Das Prinzip der polyvalenten Immunisierung mit thierpathogenen Strepto¬
kokken hat sich nicht so viel Anerkennung verschafft, um die Russen, Amerikaner
und Engländer, welche selbstverständlich bald darauf in ihren neuerrichteten Instituten
an die Herstellung eines Antistreptokokkenserums gingen, zu dieser Methode zu be¬
kehren. Bokenham 1 «), Bulloch 19 ) und Nestjadimenko*«) in Russland haben die
entsprechenden Sera (British Instit. of praevent. med. und Borrough u. Wellcome)
nach dem alten, klassischen Prinzip mit thierpathogenen Streptokokken hergestellt.
Dabei sind, um dieses vorweg zu nehmen, die erzielten Erfolge recht gute zu nennen.
Bei flüchtigem Ueberblick erschienen in den letzten Jahren mehr als 20 günstig
lautende englische und amerikanische Krankengeschichten.
Wir wollen an dieser Stelle nicht versäumen zu erwähnen, dass ein russischer
Forscher Sieber-Schumow 81 ) schon früher ein Versuch gemacht hat, eine Anzahl
hochvirulenter Streptokokkenstämme zur Immunisierung eines Thieres zu verwenden,
ohne dass dieses, eigentlich erste Serumpolyvalent durch seine Erfolge bekannt ge¬
worden wäre. Damit nähern wir uns den letzten Jahren, nachdem, um chronologisch
vorzugehen, eigentlich eine Entmuthigungsperiode während der Jahre 1899 und 1900
in dieser Frage zu verzeichnen wäre. Alle vorerwähnten Serumsorten, univalente,
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Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen.
637
wie polyvalente hatten sich die allgemeine Anerkennung nicht erwerben können und
der Wunsch, diesem Missstande abzuhelfen, veranlasste den Berner Forscher Ta vel 41 )
von einem neuem Gesichtspunkte an diese Frage heranzutreten. Seine Methode be¬
stand in der Immunisierung grosser Thiere mittels möglichst vieler, direkt vom
Menschen stammender Bakterienstämme. So wurde ein polyvalentes, möglichst den
menschlichen Verhältnissen entsprechendes Serum geschaffen, über dessen Anwendung
vorerst nur Schweizer Berichte vorliegen. Doch weder die von Ta vel im Korrespondenz¬
blatt für Schweizer Aerzte, noch die in den Wiener therapeutischen Monatsheften
gegebenen Daten können grosse Begeisterung und Hoffnung erregen. Einerseits
sind die Resultate und die Art der Einwirkung nicht sehr einleuchtende, andrerseits
macht es keinen vertrauenerweckenden Eindruck, wenn der Verfasser sein Serum
auch bei Staphylokokkenerkrankungen empfiehlt. Strenge Spezifität aller Heilsera
ist, wenigstens bisher, das Fundament unseres darauf bezüglichen Denkens gewesen,
welches in seiner jetzigen Form auch durch die Tavel’schen Erfolge nicht verändert
wird. Ganz in gleicher Weise, angeregt durch die Tavel’schen Erfolge, liess Menzer 44 )
in jüngster Zeit ein Serum anfertigen, welches mittels Anginastreptokokken von
frischen Gelenkrheumatismen hergestellt wurde. Die Erfolge, welche bisher von ihm
allein publiziert wurden, beziehen sich auf entsprechende Fälle von akuten und
chronischen Rheumatismen, welche, wie man in der letzten Zeit mehr und mehr
findet, auf Streptokokkeninfektion beruhen.
Damit sind wir in unserem kurzen historischen Ueberblick zu dem am Ein¬
gänge erwähnten Serum gelangt, welches Aronson 4 *) im Juli 1902 bekannt gab und
welches seiner Werthigkeit und exakten Darstellung nach, zweifellos die werthvollste
Errungenschaft der Streptokokkenheilserum - Arbeiten bis heute bildet. Dasselbe,
welches einen Vorgänger in dem 1896 von Aronson 48 ) publizierten Serum hat, wird
nach der alten, schon von Marmorek beschrittenen Methode mittels eines hoch¬
virulenten (Vioooooo ccm tötet eine Maus in 24 Stunden) Scharlachstreptokokkus her¬
gestellt. Es wurde zunächst für dasselbe, auf Baginsky’s Anregung, das Scharlach¬
fieber als Anwendungsgebiet in Aussicht genommen. Da aber nach Aronson’s
Ansicht, der in diesen Fällen gefundene Streptokokkus sich in keiner Weise von
den gewöhnlichen Arten unterscheidet, so haben wir es hier wiederum mit einem
neuen Antistreptokokkenserum zu thun. Bisher liegt über seine Anwendung nur
der Bericht Baginsky’s 45 ) vor, welcher nach mehreren ungünstigen Erfahrungen, in
letzter Zeit, wenn auch keine eklatanten Erfolge, so doch ermuthigende Resultate
gesehen hat (sichere allmähliche Entfieberung, geringere Sterblichkeit etc.). Erwähnt
sei übrigens an dieser Stelle, dass der Bericht des gleichen Klinikers 1896 über die
Anwendung des Marmorek'scheu Serums kaum ungünstiger gelautet hat. Es ist
auffallend, dass bei dem von Aronson hergestellten Serum trotz frappierender Thier¬
versuche nicht annähernd so eklatante Erfolge im klinischen Gebrauche erzielt
werden. Mehr denn je treten bei dieser Betrachtung die schon mehrmals geäusserten
Bedenken in Kraft, ob auch die Verwendung eines für Mäuse so virulenten Stammes
das geeignete Immunisierungsmaterial zur Herstellung eines Menschenheilserums ist.
Dieser Gedanke wird durch die Thatsache noch gestützt, welche Verfasser 4 «) für die
Bildung der Streptokokkenagglutinine fand, die trotz ihrer sicheren Nichtidentität mit
den Immunkörpern doch Vergleiche anzustellen erlauben. Fast wie eine Antwort
auf diese noch nicht spruchreifen Fragen berühren uns die in Karlsbad mitgetheilten
Erfolge Mosers”) welcher eine Reihe von Pferden mit Scharlachstreptokokken, die
nie einen Thierkörper passiert haben, immunisierte, und so ein Gegenstück zum
Aronson'sehen Serum auf dem schon oft besprochenenen zweiten Wege schuf.
Entsprechend unseren Anschauungen waren die Erfolge dieses, vorläufig noch in
grosser Dosis (150 ccm) verabreichten Mittels nach dem Urtheil gewiegter und
kritischer Kliniker so eklatante, wie sie bisher bei der Anwendung des Aronson-
schen Serum nicht hervorgetreten sind. In allerjüngster Zeit hat schliesslich Pior-
kowski 48 ) nach gleichen Prinzipien ein Heilserum gegen die Pferdedruse, gleichfalls
eine Streptokokkeninfektion, dargestellt und gute Resultate damit erzielt.
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638
Fritz Meyer
2. Die experimentelle Bearbeitung der Streptokokkenimmunität.
Sind dieses in kurzen Zügen die über die klinische Anwendung der Anti¬
streptokokkensera erschienenen Arbeiten, so liegen noch eine Anzahl hochinteressanter
Publikationen vor, welche sich auf experimentellem Wege Einblick in den kompli¬
zierten Prozess der durch Serumwirkung erfolgten Heilung zu verschaffen suchten.
Es sei uns gestattet an dieser Stelle kurz die Theorieen zu rekapitulieren, wie sie,
vor und nach der klassischen Bearbeitung der Immunitätsfrage durch Ehrlich, für
die Wirkung der antibakteriellen Sera aufgestellt worden sind.
Nach dauernden, allmählich steigenden Injektionen von Bakterien treten im
Blute so behandelter Thiere Stoffe auf, welche sowohl im Beagensglase, wie auch
im Thierkörper bestimmte Einwirkung auf diejenige Bakterienart haben, welche zur
Vorbehandlung verwendet worden ist. Im Reagensglase beobachtete man Zusammen¬
ballung und Auflösung derselben, im Thierkörper zeigte sich eine Schutz- und Heil¬
wirkung, je nachdem die Infektion voraufging oder nachfolgte. Schon Richet
und H6ricourt hatten im Jahre 1888 diese Thatsachen an dem heilenden Einflüsse
des Blutes solcher Thiere beobachtet, welche vorher eine gleiche Infektion glücklich
überstanden hatten. Während Behring in Deutschland seine glänzende Entdeckung
des Diphtherieheilserums machte und auch der Streptokokkenimmunisierung eine
günstige Prognose stellte, hatte man naturgemäss unter dem Eindrücke so über¬
wältigender Thatsachen in Deutschland die Tendenz, in der Wirkung eines gegen
Streptokokken hergestellten Serum einen rein antitoxischen Effekt zu sehen. In
diesem Sinne beurtheilte man Richet und Höricourt’s Experimente 2 »), obwohl die
im Jahre 1890 veröffentlichten Immunisierungsversuche Behring’s 30 ) gegen den
Vibrio Metschnikoff eine andere Deutung nahe legten. Es ist um so mehr anzu¬
erkennen, dass in Frankreich zu gleicher Zeit Roger 31 ) diese Frage von einem Ge¬
sichtspunkt bearbeitete, welcher durch die aufgewendete Schärfe des Urtheils und
der Beobachtung weit über das wissenschaftliche Niveau der Zeit hinausgeht. Er
immunisierte Kaninchen erfolgreich mittels abgeschwächter Kulturen, und erzielte
so ein Serum, welches andere Thiere gegen eine tötliche Infektion zu schützen ver¬
mochte. Doch ohne sich damit zu begnügen, schritt er weiter zur Beantwortung der
Frage, wie sich der Heilungsprozess im Körper vollzöge, und welchen Faktoren das
Ueberleben der geschützten Thiere zuzuschreiben sei. Er fand, dass die eingeführten
Bakterien durch die im Körper kreisenden Schutzstoffe abgeschwächt werden, um
dann durch die natürlichen Schutzorgane des Körpers, vor allem durch die Leuko-
cyten, vollkommen überwunden zu werden. Diese Mitbetheiligung der letzteren ent¬
spricht den Anschauungen des zweiten genialen Bearbeiters dieser Frage, Elias
Metschnikoff 32 ), welcher im Jahre 1884 seine erste Publikation über die seither
vielumstrittene Leukocytentheorie veröffentlicht hatte. Wenn man vor dieser Zeit
in den Leukocyten einen Verbreitungsweg, gleichsam ein Vehikel der Bakterien ge¬
sehen hatte, so sprach er damals zum ersten Male die Ansicht aus (vor ihm hatte
nur Roser 33 ) 1881 etwas ähnliches geäussert), dass diese Zellen den eindringenden
Schädlichkeiten in der Mehrzahl der Fälle durch Phagocytose mit Erfolg entgegen¬
zutreten berufen seien. An Widerspruch hat es ihm begreiflicherweise nicht gefehlt,
und klangvolle Namen, wie Baumgarten und Ziegler sind unter seinen Gegnern
zu finden. Es strebte damals alles auf der Basis der in den Körpersäften gelösten
antitoxischen Schutzstoffe zum Ideale der Immunität, und erst die an das Auftreten
der Cholera 1892 geknüpften Untersuchungen über Vibrionen brachten Licht in
diese Frage. Als Vorläufer dieser letzteren sind Behring und Nissen’s Unter¬
suchung über den Vibro Metschnikoff aufzufassen, welche ein Serum mit bakteri-
ciden Eigenschaften zeitigte, und Behring zu der Ueberzeugung brachte, dass die
erworbene Immunität gegen Bakterien auf dieser Baktericidie der Körpersäfte beruhe.
(Humorale Theorie). Erst 1894, als Pfeiffer 31 ) eine Erscheinung beobachtete, welche
unter dem Namen des Pfeiffer’schen Phänomens bekannt ist, vollzogen sich grosse
Umwälzungen in diesem Kapitel der Immunität. Pfeiffer hatte gesehen, dass bei
Einspritzung einer Mischung von Immunserum und Choleravibrionen in die Bauch-
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Die Serumbehandlung der StreptokokkeninfektioneD. 639
höhle eines normalen oder einer Kultur allein in diejenige eines immunisierten
Thieres, die Vibrionen auf bestimmte Weise geschädigt und schliesslich zerstört werden.
Er erklärt diese Thatsache damit, dass die im Immunserum enthaltene spezifische
Substanz erst unter dem Einfluss der Körperzellen wirksam genug werde, um die
Bakterien zu zerstören. Mit dieser Erklärung hat man sich jedoch nicht begnügt,
und ist beim genaueren Studium dieser Frage, vor allem durch Bordet 35 ), zu dem
Resultate gekommen, dass es sich bei der Wirkung der antibakteriellen Sera um die
Zusammenarbeit zweier Substanzen handelt. Die erste derselben ist thermostabil
(substance sensibilatrice Bordets), und nur im Immunserum enthalten, die zweite
ist thermolabil (alexine) und kreist in dem Körper eines jeden normalen Thieres.
Die zweite greift nur nach vorheriger Einwirkung der ersten den Bakterienleib an
und vernichtet ihn. Eine weitere Bestätigung dieser Auffassung wurde bald darauf
gelegentlich der Entdeckung der anticellulären Sera (Hämolysine) gegeben. Ehrlich
und Morgenroth 36 ), welche diese Frage in ähnlicher Weise an den Hämolysinen
bearbeiteten, fanden ebenfalls die Mitwirkung zweier Körper nothwendig, um den
Schutz- und Heilungsprozess zu vollenden. Der eine derselben, der Immunkörper,
im Immunserum enthalten, wird durch das in dem normalen Thierkörper enthaltene
Komplement zum heilkräftigen Faktor ergänzt. Der durchgreifende Unterschied in
den Folgerungen Ehrlich’s und Bordet’s liegt also darin, dass nach Ansicht des
französischen Forschers das Alexin direkt an die fremde Zelle (Bakterien oder Blut¬
körperchen) nach Einwirkung der substance sensibilatrice angreift, während Ehrlich
nur eine Bindung zwischen Bakterium und Immunkörper einerseits und letzteren mit
dem Komplement andrerseits anerkennt, um den Heilungsprozess zu vollenden.
Diese Thatsachen, unter den Bakterien vornehmlich für Choleravibronen und
Typhusbacillen gefunden, wurden naturgemäss nach dem Bekanntwerden der Strepto¬
kokkenimmunität auch auf diese Bakterien zu übertragen gesucht, und es sind eine
Reihe von Arbeiten erschienen, welche sich auf experimentellem Wege diese Vor¬
gänge klarzulegen versuchten und gleichzeitig die im ersten Theile dieser Arbeit
erwähnten Heilsera auf ihre Wirksamkeit prüften.
Betrachten wir unter diesen experimentellen Arbeiten zunächst diejenigen, welche
sich mit dem Mechanismus der durch Seruminjektionen mitgetheilten Immunität be¬
schäftigen, so ist es interessant, diese Reihe ausnahmlos für die Wichtigkeit der
Phagocyten als Schutzorgane eintreten zu sehen. Abgesehen von der schon früher
erwähnten Roger’sehen Arbeit, welche als erste zu diesem Resultate kam, sind, um
chronologisch vorzugehen, die Arbeiten von Denys-Leclef 37 ) (1895), Denys-
Marchand 33 ) (1896), Bordet 39 ) (1897), Salimbeni 40 ) und Marchand 41 ) (1898),
Lingelsheim 42 ) und Wallgren 43 ) (1899) an dieser Stelle zu besprechen.
Die ersterwähnte Publikation von Denys-Leclef beschäftigt sich mit dem
Einflüsse des Blutserum immunisierter Kaninchen, in welchem sie deutlich bakterizide
Eigenschaften gefunden haben. Durch dieses werden Streptokokken, sowohl im
Reagensglase, wie im Thierkörper abgetötet. Die hinzutretende Thätigkeit der Leuko-
cyten ist demnach eine rein sekundäre, und besteht lediglich in dem Fortschaffen
der vernichteten Bakterienleiber. Zu ganz anders lautenden Resultaten gelangten
jedoch Denys-Marchand, als sie ein Jahr später sich dem Studium des Serum
hochimmunisierter Pferde zuwendeten.
Das Serum derselben wies, im Gegensätze zu frühereu Befunden an Kaninchen,
nicht die geringsten bakteriziden Fälligkeiten auf, denn die von ihm geleistete Schutz¬
wirkung beruht lediglich im Met sehn iko ff'sehen Sinne auf eine Stimulisierung des
Leukocytenapparates. Sie konnten gleich einer Anzahl anderer Forscher eine deut¬
liche Phagocvtose in der Bauchhöhle der krank gemachten und später geheilten
Thiere beobachten, und so die allmähliche Vernichtung der Streptokokken sich voll¬
ziehen sehen. Viel genauer, wenn auch nicht wesentlicli anders, ist Bordet diesem
Problem nachgegangen, und hat in seiner Veröffentlichung über das Serum Marmoreks,
als erster fundamentale Grundsätze über die Wirkung antibakterieller Sera aufgestellt.
Er fand neben einer vortrefflichen Heil- und Schutzwirkung vor allem eine regel¬
mässig wiederkehrende Reihe von Thatsachen, welche den Krankheitsprozess in der
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Bauchhöhle des infizierten Thieres begleiten. Im Reagensglase konnte er keine
Bakterizidie des Serums konstatieren, ebenso war die makroskopisch sichtbare
Agglutination der Bakterien durch Serumzusatz nur sehr gering ausgesprochen
(Verhältniss 1:3).
In der Bauchhöhle der Kaninchen sah er stets bei geringer infizierender Dosis,
sowohl beim Kontrollthiere, wie auch dem durch Serum geschützten Kaninchen geringe
Phagocytose. Während diese bei dem ersteren bald aufhört, setzt sie sich bei dem
letzteren bis zur vollständigen Vernichtung der Bakterien und gleichzeitiger Heilung
des Thieres fort. Wählt man die Dosis der Bakterien grösser, so sieht man zunächst
eine deutliche Phagocytose sich etablieren, welche jedoch nicht hindert, dass sich so¬
wohl die im Innern der Zellen befindlichen ebenso, wie die wenigen extracellularen
Bakterien weiter entwickeln. Erst nach einigen Stunden setzt ein, geschützte und nicht
geschützte Thiere deutlich differenzierender Prozess ein, den Bordet mit dem Namen
crise phagocytaire bezeichnet. Es bemächtigen sich plötzlich die mononukleären
und mehrkernigen Leukocyten mit grosser Schnelligkeit bei dem durch Serum ge¬
schützten Thiere aller Streptokokken und bedingen so die Heilung, während dieses
Phänomen bei dem Kontrollthiere ausbleibt. Der durchgreifende Unterschied wird
nach Bordet dadurch bedingt, dass die hochvirulenten Streptokokken, welche sich
übrigens durch eine Kapsel vor den avirulenten auszeichnen, chemotaktisch negativ
gegen die Leukocyten wirken. Diese Eigenschaft wird ihnen durch die Wirkung
des Marmorek’schen Serum genommen und in positive Chemotaxis umgewandelt
und so, da die Leukocyten nun ihre Thätigkeit entfalten können, Thier oder Mensch
gerettet.
Gleich ihm sieht auch Marchand in einer solchen Thätigkeit der Zellen die
Einwirkung des Serum und unterscheidet sich von Bordet nur in der Erklärung des
phagocytären Phänomens. Nicht die Chemotaxis, sondern bestimmte physikalische
Eigenthümlichkeiten der Bakterien sind es nach ihm, welche diese bedingen.
Salimbeni, gleich Bordet ein Schüler Metschnikoff’s, nähert sich diesem
in seinen Versuchen, welche sich mit dem Schicksal der Streptokokken unter der
Haut eines von Marmorek hochimmunisierten Pferdes beschäftigen. Auch hier ist
es eine starke Phagocytose, welche das durch die Injektion entstehende Oedem
bald zum Verschwinden bringt und die Bakterien vernichtet. Auch Wallgren
schwört zur Fahne dieser Theorie, und auch v. Lingelsheim, welcher sich von
Deutschen als einer der ersten dem Studium der Streptokokken gewidmet hatte, hält
die Thätigkeit der Phagocyten für sehr bedeutsam. Daneben fand er allerdings das
Serum hochimmunisierter Pferde schwach bakterizid und im allerschwächsten Masse
agglutinierend. Eine Auflösung, wie man sie z. B. bei Typhus- oder Cholerabacillen
in ihrem Immunserum beobachtet, fand er nicht. Geht aus diesen Arbeiten neben
ihren wichtigen theoretischen Ergebnissen mit Sicherheit hervor, dass diese Sera
auch im Thierexperiment wirksam waren, so wäre schliesslich noch über eine Reihe
von Arbeiten zu berichten, welche es sich aus klinischem Interesse angelegen sein
Hessen, die im Handel befindlichen Sera auf ihre Stärke und Schutzkraft zu prüfen. Es
ist hier vielleicht an der Zeit mit einem Worte auf den eventuellen Werth eines in dieser
Hinsicht günstigen Thierversuches hinzuweisen, und sich zu fragen, welche Folgerungen
sich aus der Thatsache, dass eine Maus oder ein Kaninchen durch Seruminjektion
gerettet wird, hinsichtlich eines Erfolges am Krankenbette ziehen lassen. Die Antwort
auf diese in letzter Zeit mannigfach aufgeworfene Frage ist noch nicht mit voller
Bestimmtheit zu geben. Aus vielen Versuchen weiss man, dass das Serum stets für
diejenige Thierspezies am heilkräftigsten wirkt, für welche die zur Immunisierung der
Pferde verwendeten Bakterien am höchsten virulent gemacht worden sind. So wirkt
z. B. das mit dem für Mäuse hochpathogenen Streptokokkus hergestellte Aronson’sche
Serum am kräftigsten ein Mäuseversuch, während man unverhältnissmässig viel grössere
Dosen zur Heilung eines Kaninchens gebraucht. Für dieses ist derselbe Streptokokkus
fasst in gleichem Maasse weniger virulent als das Serum schwächer wirkt. Da wir
aber aus Petruschky’s Versuchen wissen, dass der von Marmorek zur Immuni¬
sierung seiner Pferde gebrauchte Streptokokkus, welcher in der Menge eines
Millionstel Kubicentimeter ein Kaninchen tötet, in der Gesammtheit von 10 ccm beim
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Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen. 641
Menschen keine Reaktion auszulösen im stände war, kann man sich mit Fug und
Recht fragen, ob die von diesem Mikroben ausgelösten Schutzstoffe wirklich für die
Menschenpathologie von Werth sein werden oder nicht vielleicht ebenso unwirksam
sind, wie ihre Gifte. Aus diesen Gründen ist im Jahre 1901 Tavel’s Serum, wie oben
besprochen, geschaffen worden. Trotzdem glauben wir, dass auch zur Prüfung der
mit menschenpathogenen Streptokokken geschaffenen Sera der Thierversuch einen,
wenn auch bedingten Werth hat. da die zur Herstellung verwendeten Bakterien
auch ohne Thierpassage, für Thiere eine gewisse Virulenz besitzen. Es wird demnach
sowohl für das neue Moser’sche Scharlachserum, wie Tavel’s verschiedene Mittel
eine Prüfung im Thierversuch am Platze sein. Um so mehr lag es nach den vorhin
erläuterten Anschauungen im Jahre 1895 nahe dem Marmorek’schen Serum auf
seine Thierheilfähigkeit zu prüfen, und manches Kaninchen ist in diesem Für und
Wider dem Versuche unterworfen worden, ohne dass bis heute völlige Einmüthigkeit
in dieser Frage herrscht. Gleichwohl kann man, was die experimentelle Bearbeitung
des Marmorek’schen Serums anlangt, doch sagen, dass sich, in Deutschland wenigstens,
die Waage mehr zur ungünstigen Seite neigt. Am meisten zu dieser Beurtheilung
hat die im Koch’schen Institut im gleichen Jahre noch vorgenommene Untersuchung
von Petruschky beigetragen, welcher nicht die geringste Schutzfähigkeit des Serum
gegen einen beliebigen Streptokokkenstamm, ja nicht einmal gegen den von Marmorek
zur Immunisierung verwendeten, konstatieren konnte. Er geht soweit, auf Grund
seiner Experimente dem Serum jedweden Werth abzusprechen. Nicht viel anders
lauten die von Schenk und Aronson 1896 publizierten Berichte über den
Werth dieses und des Lyoner Serum. Der letztgenannte Autor fand im Gegensatz
zu einem von ihm selbst hergestellten, dass die beiden genannten Fabrikate, so¬
wohl präventiv, wie auch nach der Infektion eingespritzt, nicht die geringste
Aenderung der tätlichen Erkrankung hervorzubringen im stände waren. Den Ueber-
gang zu denjenigen Arbeiten, welche sich günstig über die mit Marmorek’s Mittel
angestellten Thierversuche aussprechen, bildet der Aufsatz von Bornemann, welcher
manchmal durch Injektion des Pariser Serum Thiere retten konnte. Ausnahmslos
vortrefflich war dagegen die Wirkung der Pariser, wie Lyoner Sera, in den Thier¬
versuchen von Merieux-Niemann 44 ) und denjenigen mehrerer Franzosen. Sowohl
Bordet wie auch Courmont und Lemoine 44 ), Mery 46 ) u. a. sahen eine vortreff¬
liche Wirkung, im besonderen gegen den von Marmorek selbst gezüchteten Strepto¬
kokkus. Interessant ist vom Standpunkte der Frage, ob es mehrere Streptokokken¬
arten giebt, die Thatsache, dass z. B. in Courmont und Mery’s Versuchen es nicht
gleichmässig gegen alle Stämme zu schützen, vielmehr bei anderen Arten den Krank¬
heitsprozess eher zu verschlimmern schien. In dieser letzterwähnten recht wichtigen
Frage der Streptokokkeneinheit ist die Serumwirkung recht verschiedenfach herangezogen
worden. War es z. B. möglich mit einem, durch Sepsisstreptokokken hergestellten
Serum Thiere gegen die Infektion mit anderen Streptokokken verschiedener Art zu
schützen, so war damit erwiesen, dass es sich überall um die gleiche Art handelt.
Während, wie schon erwähnt, Courmont, M6ry, und nach ihnen Paltauf, Paras-
condolo, Ligni&res, Tavel, Piorkowski sich auf Grund ihrer Versuche dieser An¬
sicht zu neigen, treten vor allem in jüngster Zeit Aronson und Menzer für die ent¬
gegengesetzte Auffassung, derjenigen der absoluten Einheit, ein. Vor allem Aronson
konnte auf Grund seiner Erfahrungen an Mäusen konstatieren, dass sein Serum auf
alle, den verschiedenartigsten menschlichen Erkrankungen entstammende Arten gleich¬
mässig agglutinierend und schützend wirkt, sofern dieselben durch zahlreiche Mäuse¬
passage einen hohen Virulenzgrad für diese Thiere erreicht hatten. Wieweit diese
Versuche für diese Frage beweisend sind, ist an anderer Stelle ausführlicher erläutert
worden. Hier sei nur hinzugefügt, dass auch die weiteren Versuche nichts ergeben
haben, welches die erwähnte Annahme stützen kann. Als Kuriosum sei noch erwähnt,
dass auch von anderer Seite (Marmorek und Bernheim 4 ») der Versuch gemacht
wurde, das gleiche Pferd gegen Streptokokken und Diphterie zur gleichen Zeit zu
immunisieren, umso den septischen Diphtheriefällen wirksamer entgegentreten zu
können, doch haben die wenigen praktischen Versuche kaum so günstige Erfolge ge¬
liefert, dass dieses Verfahren sich weiteren Eingang verschafft hätte.
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Fritz Meyer
ß 42
3. Die praktische Anwendung der Streptokokkensera zu Schutz-
und Heilzwecken, ihre Nebenwirkungen.
Um nun auch die praktische Seite der Streptokokkenserumbehandlung kurz zu
berühren, so wäre zunächst zu erwägen, welche Fälle sich nach dem heutigen Stande
der Frage für eine solche eignen. Wir wollen an dieser Stelle, ohne uns von unserer
Ansicht, dass diese Therapie eine grosse Zukunft hat, abbringen zu lassen, dahin
äussern, dass wir für viele Krankheiten medikamentöse Mittel haben, welche ihre
Schuldigkeit zu gut erfüllen, um sie zu Gunsten einer noch unsicheren Behandlungs¬
art anfzugeben. Wir rechnen z. B. zu diesen Fällen den akuten Gelenkrheumatismus,
bei dem auch das Menzer’sche Serum die Salicylpräparate noch nicht zu verdrängen
im stände ist. Wir reden auch nicht der Erysipelbehandlung auf serothera¬
peutischem Wege das Wort, da weitaus die grösste Mehrzahl der Fälle gutartig ver¬
läuft, treten aber energisch für die Anwendung der Sera in denjenigen Fällen ein,
welchen man bisher noch rein exspektativ gegenüber stand. Es liegt kein Grund
vor, in Fällen von puerperaler Sepsis, Endokarditis ulcerosa, postoperativer
Pyämie etc. thatenlos zuzuschauen, wenn alle operativen Eingriffe erschöpft sind
und mit der so häufig gehörten Bemerkung »es nützt ja doch nichts« von einer
Serumtherapie Abstand zu nehmen. Gegen diese Art der Betrachtung sprechen zu
laut jene vorerwähnten Fälle, in denen selbst ungläubige Kollegen von der Wirkung
der ohne jede Erwartung gemachten Einspritzungen überrascht waren. Um so mehr
sollten wir uns zu dieser Anschauung bekehren, als diese Behandlung aller anderen
Hilfsmittel, wie die Anwendung der Digitalis und anderer Herzmittel, die diätetischen
Verordnungen, ja selbst die operativen Eingriffe in keiner Weise ausschliesst. Dem
letzt erwähnten Modus, nämlich der Anwendung des Serum vor operativen Ein¬
griffen, möchten wir an dieser Stelle eindringlichst das Wort reden, d. h. den prä¬
ventiven Gebranch der Antistreptokokkensera betonen. Nach den glänzenden
Resultaten, welche die Schutzimpfung bei Diphtherie in den Händen hervorragender
Kliniker, wie Heubner und Netter, geliefert hat, brauchen wir uns nicht zu
scheuen, dieselbe auch für die Streptokokkeninfektionen zur Sprache zu bringen.
Giebt es doch gerade unter diesen eine Reihe von Fällen, welche einen nur allzu
traurigen Ausgang nehmen. Der septische Verlauf kleinster Rachen- und Nasen¬
operationen, ebenso wie fortdauernde Infektionsperioden in der geburtshilflichen
Praxis vielbeschäftigter Landärzte rücken diesen Vorschlag in das Bereich vollster
Berechtigung. Um so mehr ist eine solche Maassregel ins Auge zu fassen, als bei
einem antibakteriellen Serum die Chance des Präventivschutzes, d. h. die Steigerung
der Abwehrvorrichtungen gegen Infektionserreger eine bedeutend bessere ist, als
wenn sich die eingedrungenen Bakterien bereits innerhalb des Körpers angesiedclt
haben. Diese Art der Anwendung wird bei den Streptokokkensera wahrscheinlich
viel früher z.u guten Resultaten führen, als Heilbestrebungen bei schon bestehen¬
der Sepsis. Erwähnt sei an dieser Stelle, dass diese Schutzimpfung mitMarmorek-
schem Serum seit 7 Jahren in einer der ersten geburtshilflichen Kliniken von Paris
mit gutem Erfolge durchgeführt wird.
Die heute im Handel befindlichen und für den Praktiker anwendbaren Sera
sind gemäss dem ersten Theile unserer Zusammenstellung somit die folgenden:
1. Marmorek’s Serum, fabriziert im Institut Pasteur - Paris,
2. Lyoner Serum, fabriziert in Lyon-Vaise,
3. das polyvalente Serum, Denys van der Velde, fabriziert in Louvain,
4. das Serum des British Institut of praeventiv Medicine,
5. das Serum Borrough-Wellcome,
6. das Serum Tavel, fabriziert in Landsberg a. W.,
7. Serum Menzer, fabriziert bei Merk in Darmstadt,
3. Serum Aronson, fabriziert in Berlin bei Schering,
!t. Serum Moser, fabriziert im Wiener Institut für Serotherapie.
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Die Serumbehandlung der Streptokokkeninfektionen.
ß43
Die Art der Anwendung ist bei allen die gleiche. Alle werden in grossen
Dosen (10—20 ccm), je nach der Schwere des Falles verabreicht, ja selbst Mengen
von 100—200 ccm für unschädlich und oft nothwendig gehalten. Die Injektion
wird mit einer grösseren Injektionsspritze nach gründlicher Sterilisation derselben
und milder Desinfektion der Haut, am besten am Oberschenkel, Bauch oder Brust
gemacht. Man thut gut, äusserst vorsichtig mit der Injektionsstelle zu verfahren,
da oft mehr als 20 Einspritzungen im Verlauf schwerer Fälle nothwendig werden
und grössere Strecken des Körpers durch eventuelle Entzündungen für den Gebrauch
ausgeschaltet werden. Die intravenöse Anwendung scheint noch nicht in Betracht
gezogen zu sein, wahrscheinlich würde dieselbe wegen der häufig dem Serum zu¬
gesetzten Konservierungsflüssigkeiten (Chloroform und Kresol) Schwierigkeiten be¬
gegnen. Nach vollendeter Einspritzung ist das vom Verfasser seit langem geübte
Verfahren eines feuchten antiseptischen Verbandes zu empfehlen, durch welchen man
ausnahmslos die häufig eintretende schmerzhafte Infiltration vermeidet.
Zum Schluss noch ein Wort über die Art der günstigen und ungünstigen Ein¬
wirkung dieser Behandlung. Tritt eine günstige Beeinflussung des Krankheits-
verlanfes ein, so kennzeichnet sich dieselbe stets durch sofortiges Heruntergehen der
Temperatur und des Pulses, bei gleichzeitiger Hebung des Allgemeinbefindens. Allein
Menzer hat, wie vor ihm schon Boucheron 50 ), nach Anwendung seines Serum
Temperaturerhöhung mit Schmerzen in den erkrankten Gelenken und häufige Ery¬
theme gesehen. In der theoretischen Erklärung dieser unangenehmen Fakta, in denen
er gerade die Heilreaktion des Organismus sieht, ist man noch nicht einig, denn
sowohl Blumenthal* 1 ) wie Aronson äusserten die Anschauung, dass sich in seinem
Serum wahrscheinlich noch die Toxine der zur Immunisierung verwendeten Bakterien
befänden und auf diese Weise die sogenannte Reaktion ausgelöst würde.
Von ungünstigen Nebenwirkungen der anderen Sera sind kaum andere als
Serumexantheme beschrieben worden. Dieselben treten als Spät- oder Frühexantheme,
nesselartig und stark juckend, 3—4 oder 14—20 Tage nach der Injektion an Haut
und Schleimhäuten auf. Häufig sind sie von Fieber und Gelenkschmerzen, seltener
von Eiweissausscheidung begleitet und verschwinden in der Regel nach 4—5 Tagen.
Eine besondere Behandlung derselben ist nicht nothwendig. Will man dieselbe aus
äusseren Gründen einleiten, so hat sich Mentholspiritus und Puder im äusserlichen,
Salipyrin im innerlichen Gebrauche stets gut bewährt.
Damit stehen wir am Schlüsse dieser heute wieder modernen und wichtigen
Frage. Die Resultate in klinischer, wie in experimenteller Beziehung sind noch
keine eindeutigen. Weder die Statistik, noch das Urtheil hervorragender Kliniker
haben hier ihr gewichtiges Wort gesprochen, wie es in der Behandlung der Diph¬
therie mit Behring’schem Serum so glücklich geschehen ist. Ferner ist bisher noch
keine exakte Werthigkeitsbestimmung eines Streptokokkenserums möglich gewesen,
wie überhaupt bei den Streptokokkeninfektionen die Verhältnisse andere sind, als
bei der Diphtherie. In einer Reihe leichter und günstig verlaufender Erkrankungen
scheuen wir uns vor der Anwendung eingreifender Mittel, in den Fällen grösserer
Eiterung spricht das Messer des Chirurgen das erste Wort. So bleibt also nur
jene allerdings noch grosse Zahl desperater Erkrankungen übrig, für welche das
Wort »exspektative Therapie« geradezu gefunden zu sein scheint. Nennen wir hier
noch einmal die Sepsis nach Wochenbett und Operation, maligne Scharlachfieber, Endo¬
karditiden, Wandererysipele und verzweifelte Fälle schon vergeblich operierter Peri¬
tonitis, so ist damit noch ein ausreichend grosses Feld für die Anwendung der Anti¬
streptokokkensera gegeben. Wenn wir daneben noch einmal der Präventivimpfungen
unter bestimmten, vorher erwähnten Verhältnissen gedenken, so werden sich, wie es
in anderen Ländern nicht mehr selten ist, auch bei uns eine Reihe von Fällen finden,
in denen der Arzt die Anwendung des Antistreptokokkenserums nicht zu bedauern
haben wird.
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644
Fritz Meyer, Die Serum behänd lang der Streptokokkeninjektionen.
Litteratu
1) Behring, Gesammelte Abhandlungen 1892.
2) Roger, Gäzette m6d. de Paris 1895.
3) Mironoff, Semaine möd. 1893.
*) Marmorek, Annal. de Tinst. Pasteur 1895.
3) Baginsky, Berliner klin.Wochenschrift 1896.
o) Ligniöres, Bulletin de la sociGtä centrale de
m£d. vßterin. 1895.
7) Josias, Bulletin de thärapie 1896.
*) Sitz. d. französ. Geburtshelfer 1896. 10. April,
o) Ibid.
10) Ibid.
11) Monti, Wiener med. Zeitung 1897.
12) Petruschky, Zeitschrift für Hygiene und In¬
fektionstherapie Bd. 22.
13) Schenk, Wiener klin. Wochenschrift 1897.
14) Bornemann, Wiener klm. Wochenschr. 1896.
13) Courmont, Congrös de Montpellier 1898.
1«) H a e b e r 1 i n, Corresp. f. Schweizer Acrzte 1899.
i7) Blumberg, Berliner klin. Wochenschrift 1901.
No. 5 u. 6.
i 8 ; Bockenham, Brit med. joura. 1896. Bd.2.
io) Bulloch, Lancet 1896. Bd. 1.
20 ) Nestjadimenko, Arch russe de pathol.1900.
21) Tavel, Korresp. f. Schweizer Aerzte 1901. ,
22 ) Menzer, Zeitschrift für klin. Mcdicin 1902. '
23j Aronson, Berliner klin.Wochenschrift 1896. |
24) Aronson, Berliner klin.Wochenschrift 1902.
23) Baginsky, Berliner klin.Wochenschrift 1902.
26 ) Meyer, Deutsche medicinische Wochenschrift
1902.
27) Moser, Naturforsch.-Versamml. Carlsbad 1902*
rübersicht.
! «) Piorkowski, Beil. klin. Wochenschrift 1902.
2i*) Riebet und Hßricourt, C. rend. de l’aca-
demie des Sciences 1888.
30) Behring, Zeitschrift für Hygiene 1890.
u) Roger, Revue de mSdecine 1892.
32) Metschnikoff, Virchow’s Archiv 1884.
33) Roser, Beiträge zur Biologie niederster Or-
j ganismen 1881.
i4) Pfeiffer, Zeitschrift für Hygiene 1894.
35 ) Bordet, Annal. de Tinst. Pasteur 1896.
36) Ehrlich Morgenroth,Berliner klin. Wochen¬
schrift 1899.
37) Denys- Leclef, La Cellule 1895.
j 38) Denys-Marchand,Bull.deTacad.Beige 18%.
39) Bordet, Annal. de l’inst. Pasteur 1897.
40) Salimbeni, Annal. de Tinst. Pasteur 1898.
j 4i) March and, Arch. de m6d exper. 1898.
| 42) v. Lingelsheim,Beitr.z. exper.Therap. 1900.
i 43) Wallgren, Ziegler’s Beiträge 1899.
' 44) M5rieux - Niemann, Berliner klin. Wochen¬
schrift 1896.
45) Lemoine, Soci6t5 de biologie 1867.
40) Mery, Soci6t6 de biologie 1896.
*7) Paltauf, Gazette höbd. de med. 1897. No. 54.
48) Parascandolo, Wien.klin. Wochenschr. 1895.
49) Bern heim, Archiv für Hygiene Bd. 33.
30) Boucheron, Semaine m5d. 1900.
5 ‘) Blumenthal, Verhandlungen der Cbarittf-
gesellschaft 1902.
I 32) Sieber-Schoumov, Archive des Sciences
biolog. 1896.
□ igitized
b v Google
Original from
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Berichte über Kongresse und Vereine.
645
Berichte über Kongresse und Vereine.
Balneologische Kurse zu Baden-Baden vom 13. bis 21. Oktober 1902.
Von Br. Julian Marcuse in Mannheim.
Die im Jahre 1901 von den Badener Aerzten ins Leben gerufenen balneologischen Kurse, eine
Idee, die lebhafte Zustimmung allerseits fand, haben auch im eben vergangenen Jahre wiederum
eine grosse Reihe von Hörern in der lieblichen Bäderstadt’an der Oos versammelt, und haben da¬
mit den Beweis ihrer Lebensfähigkeit und des Anspruches, zu einer dauernden Institution zu werden,
erbracht.
Als einführender wissenschaftlicher Vortrag sind an erster Stelle die Ausführungen Bäum-
1 er’s'(Freiburg i. B.) zu nennen, der das Verhältniss der Balneotherapie zur Gesammt-
medicin seinem Thema zu Grunde legte. Nach einer kurzen historischen Einleitung über die Be¬
nutzung des Wassers, insbesondere von heissen und von Mineralquellen zu Heilzwecken, geht der
Vortragende zur Beantwortung der Frage über, in welcher Weise die so mannigfach zu modifizie¬
rende äusserliche Anwendung des Wassers, und wie systematischer innerlicher Gebrauch, namentlich
von Mineralwässern auf den menschlichen Körper wirken, und wie diese Wirkungen sich als ge¬
sundheitsfördernd und heilsam erweisen könnten. Was die Wirkungen balneotherapeutischcr Maass¬
nahmen im engeren Sinne anbetrifft, so sind als die zunächst in Betracht kommenden Angriffs¬
punkte das Nervensystem und der Cirkulationsapparat zu nennen. Die Beeinflussung der nervösen
Centralorgane durch Einwirkung von Wärmeunterschieden im Vergleich zur Hautwärme, für sich allein
oder in Verbindung mit anderen (chemischen, mechanischen, elektrischen) Reizen, können je nach
ihrer Art beruhigende oder erregende Wirkungen hervorbringen. Weitaus am mächtigsten aber ist
die Wirkung von Bädern verschiedener Art auf den Kreislauf. Abwechselnde Füllungszustände
grösserer äusserer und innerer Gefässgebiete mit entsprechender sekundärer Wirkung auf das nicht
direkt von dem thermischen Reiz betroffene Gebiet bringen je nach Umständen vermehrte Zufuhr
von Emährungsmaterial, vor allem auch von Sauerstoff, zu den Geweben, bewirken eine raschere
Zufuhr der Stoffwechselprodukte aus denselben, wie durch Vermehrung der Ausscheidungen aus
dem Körper überhaupt, und fördern dadurch die Ernährung der Organzellen und deren Funktion.
Was die Verwendung der Balneotherapie im weitesten Sinne anbetrifft, so stehen im Vordergründe
die Wirkungen hydrotherapeutischer Maassnahmen bei akuten fieberhaften Krankheiten. Gerade
diese Form der Balneotherapie gehört zu den am besten studierten, aber der Standpunkt, von dem
aus fiebernde Kranke mit Wasser behandelt werden, ist ein anderer geworden, als zu Zeiten Cur-
ries, Brand’s und Liebermeister's: nicht mehr die Herabsetzung der fieberhaft gesteigerten
Körperwärme um jeden Preis ist jetzt das Vorgesetzte Ziel, sondern die Beeinflussung der Central¬
organe des Nervensystems, der Kreislaufsorgane, der Ausscheidungsorgane, die Anregung des Stoff¬
wechsels und die Erregung der Organzellen zu erhöhter Thätigkeit, wodurch dieselben in ihrem
Kampfe gegen Intoxikation und Infektion gestärkt werden. Ein grosses Feld der Wirksamkeit
kommt der Balneotherapie in Form verschiedenartiger Bäder bei chronischen Krankheitszuständen
und Kreislaufsstörungen in den verschiedensten Organen zu, namentlich der Haut, den Knochen,
Gelenken u. a. Derartige Kuren können unterstützend wirken iür chirurgische Maassnahmen, an¬
dererseits kann eine Badekur wesentlich unterstützt werden durch gleichzeitigen innerlichen Ge¬
brauch von Mineralwässern oder durch anderweitige arzneiliche oder diätetische Behandlung bei
Diabetes, Gicht, Fettsucht, Syphilis, Krankheiten der Verdauungsorgane etc. Bei chronischen Er¬
krankungen des Nervensystems wird die Balneotherapie für sich oder in Verbindung mit elektri¬
scher Behandlung und Massage häufig mit grossem Nutzen angewendet, vor allem bei organischen
heilbaren Erkrankungen peripherer Nerven und der davon abhängigen Muskelstörungen, sodann
hauptsächlich bei funktionellen Störungen, bei denen neben der Badekur die seelische Beeinllussung
durch dieselbe, der Einfluss der Umgebung, die suggestive Wirkung einzelner Verordnungen, eine
wichtige, oft sogar die Hauptrolle spielt. Durch organische Veränderungen in den Centralorganen
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64:6 Berichte über Kongresse und Vereine.
zerstörtes Nervengewebe kann zwar nicht wieder ersetzt werden, aber ein derartiger Krankheits¬
herd ist oft viel kleiner, als es anfänglich den Anschein hat Unter dem Einfluss einer vorsichtigen
Badekur, welche auf die Gesammtemährung günstig ein wirkt, gehen häufig die Erscheinungen bis
auf einen zurück bleibenden Rest zurück, der dem wirklich zerstörten Theil entspricht. Auch für
diesen Ausfall könnnen unter Umständen benachbarte oder entferntere gesund gebliebene Bezirke
des Centralorganes bis zu einem gewissen Grad cintreten und für diesen Zweck durch gesteigerte
Uebungen (Uebungstherapie) eingeübt werden. Mit einer Skizzierung der Bedeutung Baden-Badens
als eines Erholungs- und Kurortes schloss Bäumler seine allgemeinen Ausführungen.
Im Anschluss daran sprach Heiligenthal (Baden-Baden) über die physikalische The¬
rapie der funktionellen Neurosen. Er betonte die Nothwendigkeit strenger Individualisierung
sowohl in der Beurtheilung der Krankheit wie hinsichtlich der anzuwendenden Maassnahmen. Dies
trifft sowohl für die Wahl der Kurorte, wie vor allem für die Wahl der hydriatisclien Prozeduren
zu, für welche die Dosierung des thermischen und mechanischen Reizes nach Stärke und Dauer
maassgebend ist. Danach wird sich die Verordnung und Anwendung der einzelnen Prozeduren
und die Dosierung der einzelnen Komponenten zu richten haben, je nachdem man erregend oder be¬
ruhigend wirken will, je nachdem es sich um erethische oder torpide Formen der Neurosen handelt
Von diesen Gesichtspunkten aus ist die Verwendung der Ganzhaibbäder, Douchen, Abreibungen,
Einpackungen etc. anzuordnen. Auch die Elektrizität kommt in Anwendung entweder als lokale
Applikation, wie z. B. Galvanisation des Kopfes und Rückenmarkes, oder als allgemeine Anwendung
in Form der elektrischen Bäder. Der Massageheilgymnastik fällt hauptsächlich die Aufgabe zu, die
Cirkulation, den Stoffwechsel und Ernährung zu fördern. Es zeigen jedoch die Untersuchungen
Grebner’s, dass bestimmten Uebungen, die Herz als Förderungsseibsthemmungsbewegungen be¬
zeichnet, insofern bestimmte Wirkungen auf kortikale Funktionen zukommen, als dieselben die Re¬
aktionszeit verkürzen und verlängern können. Was nun im allgemeinen die Dosierung der physi¬
kalischen Heilagentien anlangt, so handelt es sich dabei um die Applikation von Reizen. Bestehen
schon beim Gesunden sehr viele Schwankungen in der Reizempfänglichkeit, so um so mehr bei der
Neurose, wo die Erregbarkeit sowohl gesteigert wie herabgesetzt sein kann. Um in dieser Bezie¬
hung sicher zu gehen, empfiehlt es sich, stets mit weniger eingreifenden Prozeduren zu beginnen,
und nur langsam, tastend zu stärkeren vorzuschreiten.
In seinem Vortrag: Diätetik in der Balneotherapie und diätetische Heilmethoden
giebt Gilbert (Baden-Baden) einen kurzen Ueberblick der Geschichte und Entwicklung der Bal¬
neotherapie, darauf folgt eine Liste der verschiedenen allgemeinen Regeln der Zubereitung der
Speisen und Getränke, sowie Vorschriften für die normale Ernährung des Menschen, der zu seiner
Existenz Eiweisskörper und leimgebende Stoffe, Fette, Kohlehydrate und Salze nöthig hat. Die
Flüssigkeitsaufnahme bei den Mahlzeiten soll mässig sein, ausser der Suppe braucht man nicht viel
mehr, denn die Verdauungssäfte werden dadurch allzusehr verdünnt, der Magen selbst wird über¬
füllt und lässt wenig Raum für die konsistente wirkliche Nahrung. Die neuesten-Versuche Ewald'a
haben dargethan, dass, ausser bei Magenerweiterungen, es nicht darauf ankommt, ob man vor,
während oder nach dem Essen trinkt, doch soll, je nach den einzelnen Fällen, die Menge des Ge¬
tränkes genau bestimmt werden. Eine Reihe allgemeiner Grundsätze hinsichtlich der Aufnahme
wie der Zubereitung von Speisen — letztere wurden in praxi dargestellt —, sowie Wesen und Natur
der diätetischen Maassrcgeln während einer Trink- und Brunnenkur wurden des weiteren von Gil¬
bert erörtert.
Ueber die Chemie der Mineralquellen sprach Rössler (Baden - Beden) und erläuterte
durch zahlreiche Versuche seinen Vortrag. Er schildert, wie eine Mineralwasseranalyse entsteht,
und wie aus den erhaltenen Säure- und Basenarten die Analysen entweder nach dem Vorschläge
Bunsen’s oder nach der Jonentheorie berechnet werden. Einer eingehenden Besprechung werden
die Quellsalze unterworfen und an der Hand der Analysen gezeigt, dass durch Abdampfen der
Heilquellen nichts besseres geschaffen werden kann, als was man im stände ist, ebensogut, aber
weit billiger durch Mischen von Salzen und eventueller Karbonisierung derselben herzustellen. Löse
man aber gar im Glauben, das ursprüngliche Mineralwasser wieder zu erhalten, diese sogenannten
natürlichen Quellsalze im Wasser auf, so erhalte man eine Lösung, die weder die chemische Zu¬
sammensetzung, noch den Geruch und Geschmack des Mineralwassers habe, das man durch diese
Auflösung herstellen wollte. Eine Nachahmung eines Wassers, das aus grösserer Tiefe stamme, sei
unmöglich, da es ganz labile Gemische seien, deren chemische Zusammensetzung mit dem Austritt
der Quelle aus dem Schosse der Erde beginne. Mit einer detaillierten Besprechung der Mineral¬
wässer des Handels schlossen diese Ausführungen.
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Berichte über Kongresse und Vereine. 647
Ueber Thermotherapie sprach Neumann (Baden-Baden), der dirigierende Arzt des dor¬
tigen Landesbades. Neu mann betont eingangs seiner Ausführungen, dass durch die modernen
Formen der Thermotherapie ein grosser Fortschritt schon dadurch gegeben ist, dass eine lokale
Verwendung von Wirme und Hitze sich leicht ermöglichen lasse. Infolgedessen sind Temperaturen
bis zu 1600 C zur Verwendung zu bringen und dadurch auch lokale Heilwirkungen denkbar ge¬
worden, die früher in keiner Weise erreichbar waren. Für diese Zwecke in Anwendung gezogen
wurde im Landesbad Fango, Tallerman und das elektrische Glüh- und Bogenlicht, und zwar
ereteres in 3900 Applikationen, der Tallerman in 3500 Fällen (beides innerhalb eines Zeitraumes
von drei Jahren), das elektrische Glüh- und Bogenlicht 2200mal innerhalb zweier Jahre. Auf Grund
der gewonnenen Erfahrungen wurde aber dem Bogenlicht der Janduslampe (Hochspannung und
3 cm langer Lichtbogen) entschieden der Vorzug gegeben. Nach diesen verschiedenen Prozeduren
treten Erscheinungen auf, welche sämmtlichen Methoden gemeinsam sind: Einmal starke Vaskula¬
risation der betreffenden Körperpartie, meistens leichte allgemeine Temperaturerhöhung, energische
Schweisssekretion, massige Steigerung der Pulsfrequenz. Gemeinsam ist ferner die Thatsache, dass
lokal hoebgesteigerte Temperaturen vom Herzen meist gut vertragen werden, ferner, dass wohl
durch die angeregte Ausscheidung von Toxinen das Allgemeinbefinden sich eher hebt, der Appetit
sich steigert, das Herz vielfach kräftiger wird und beträchtliche Gewichtsabnahmen nicht eintreten.
0ertlich finden infolge der energischen arteriellen Hyperämie in der Tiefe Resorptionsvorgänge
statt. Interessant ist auch die schmerzstillende Wirkung auf lokal behandelte Theile. Eine Haut¬
reizung kam nie zur Beobachtung, und Verbrennungen können bei gutem Wartepersonal von halb¬
wegs verständigen Patienten sicher vermieden werden. Interessant ist die Thatsache, dass im elek¬
trischen Bogenlichtbade manchmal schon während des Bades eine Pulsverlangsamung cintritt Die
lokale Schweisssekretion, der ja immer eine allgemeine folgt, scheint zweifellos am intensivsten bei
trockener überhitzter Luft zu erfolgen, wie auch die Blutfüllung der Haut am deutlichsten und
nachhaltigsten nach Anwendung des Ta 11 er manschen Apparates sichtbar wird. Drückt man
nach längerer Anwendung desselben eine Glasplatte auf die Haut, so ist es nicht möglich, die tie¬
feren Schichten derselben vollständig blutleer zu machen. Ferner nimmt nach ThermoanWendungen
der Umfang der betreffenden Glieder ansehnlich zu. Welche Anregung für Resorption und Lymph-
bewegung damit gegeben ist, geht aus der arteriellen Hyperämie hervor, umsomehr, als auffallender
Weise die Venen an dieser Hyperämie nicht betheiligt sind, sondern variköse Erweiterungen eher
kleiner werden. Gemeinsame Indikationen für alle Arten von Thermotherapie sind Gelenkerkran¬
kungen subkutanen und chronischen Charakters, zweitens Neuralgieen und Neuritiden, drittens
Muskelatrophieen peripheren Ursprungs. Auffallend ist, dass solche Fälle neuritischen Ursprunges
besonders unter dem Gebrauch des Bogenlichtes mit der Janduslampe rasch zur Besserung und zur
Heilung gelangen, wie man es von sonstigen Behandlungsweisen, insbesondere von monatelangem Gal¬
vanisieren, nie sieht. Hohe Hitzegrade wirken auch auf erschlaffte und erkrankte fibröse Gewebe, wie
sie bei der rheumatischen Schwiele, dem entzündlichen Plattfuss und der Versteifung der Wirbelsäule
in Erscheinung treten. Besonders in Verbindung mit Gymnastik lassen sich geradezu glänzende Er¬
folge erzielen. Von internen Krankheiten eignen sich für Thermotherapie, inbesondere für Fango¬
anwendung chronische Exsudate der Bauchhöhle (puerperale Exsudate, Gallensteinerkrankungen und
deren Folgen etc ). Ganz eigenartige und vorzügliche Eifolge erzielte Neumann bei aus den ver¬
schiedensten Ursachen zu Stande gekommenen Ankylosen von Gelenken (mit Ausnahme derer tuber¬
kulösen Ursprunges, die nie zur Behandlung mittels thermotherapeu tisch er Prozeduren gezogen
wurden), indem er dieselben in tiefer Narkose brach und dann sofort der Wirkung des Fangos und
abwechselnd des Tallerman’sehen Apparates aussetzte Auf diese Weise kann man im vollsten
Gegensatz zu den bisherigen Behandlungsmethoden sehr bald mit maschineller Gymnastik beginnen
und in vielen Fällen den Zustand des Kranken ganz ausserordentlich bessern.
Es sprachen weiterhin noch Frey (Baden-Baden) über Hydrotherapie, ihre Methodik
und Anwendungsformen; Obkircher (ebendaselbst) über Thermen, ihre Anwendungs¬
weise und Indikation; Steinmann (Freiberg) über die geologischen Beziehungen der
Therm en, und trugen auch ihrerseits zu dem wissenschaftlich-regen Verlauf der diesjährigen Kurse bei.
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648
Referate Qber Bücher und Aufsätze.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
M. Hübner, Ueber die Wirkung der Borsäure
anf den Stoffwechsel des Menschen. Hygie¬
nische Rundschau 1902. No. 4.
Die Borsäure, welche ganz allgemein als gutes
und unschädliches Konservierungsmittel den ver¬
schiedensten Nahrungs- und Genussmitteln zuge¬
setzt wird, erweist sich nach den Untersuchungen
Rubner’s als ein verschiedene Körperfunktionen
wesentlich beeinflussender Stoff. Die schon früher
von Förster beobachtete schlechtere Ausnützung
der Nahrung nach Zusatz von Borsäure konnte
auch Rubner bestätigen. Ausserdem fand er
eine beträchtliche Steigerung der Kalorieen-
produktion, wobei die N-Ausscheidung fast gleich
blieb, während die CO*-Ausscheidung anstieg,
sodass also der Mehrverbrauch auf Kosten der
N-freicn Stoffe stattfand. Gleichzeitig wurde
eine Mchrausscheidung von Wasserdampf in der
Borperiode beobachtet. Infolge dieses starken
Einflusses auf die Fettzersotzung ist die Borsäure
entschieden unter die gesundheitsschädlichen
Mittel einzureihen. Möglicherweise lässt sich von
der Borsäure als Entfettungsmittcl etwas erwarten*
F. Voit (München).
Procbownik, Ueber Ernährnngskuren in
derSchwaugerschaft. Therapeutische Monats¬
hefte 19)1. August/September.
Der Verfasser hat sich seit vielen Jahren mit
praktischen Untersuchungen darüber beschäftigt,
ob ein Zusammenhang zwischen Kräfte- bezw
Ernährungszustand der Frau und dem Verlauf
von Geburt, Wochenbett und Stillgeschäft be¬
steht, und ferner, ob ein Zusammenhang zwischen
der Ernährung der Mutter und der Beschaffenheit
des Kindes zu eruieren ist. Zu seinem Versuchen
wurden ausschliesslich Schwangere benutzt, die
in ihrem Ernährungszustand keine normalen Ver¬
hältnisse darboten, und zwar einerseits über¬
ernährte, fette Individuen, und andrerseits schlecht
genährte, anämische. Bei der ersten Kategorie
wurde die völlige Enthaltung von Suppen, Spi¬
rituosen und Süssigkeiten zur Pflicht gemacht,
die Menge des Wassers und der Kohlehydrate
genau vorgeschrieben und daneben ein bestimmtes j
Maass von Bewegung verordnet Die Wahl zwi¬
schen Fleisch, Fisch, Gemüsen und Fetten wurde
dem subjektiven Empfinden der Einzelnen über¬
lassen. Bei dieser Diät, die in den ersten Mo¬
naten der Gravidität begonnenn wurde, gestalteten
sich die Geburten überraschend leicht, während
die ersten Geburten stets schwere und kom¬
plizierte gewesen waren Betreffs des Stillens
war eine wesentliche Aenderung gegen früher
I nicht festzustellen. Was die Kinder anlangte, so
blieb das Gewicht gegen das der vorausgegange¬
nen Kinder zurück, obwohl man nach der Ge-
■ burtenzahl das umgekehrte Verhalten hätte er-
I warten müssen.
Bei den unterernährten Schwangeren wurde
die Behandlung mit einer mehrwöchigen, lokalen
Ruhelage begonnen, unter gleichzeitiger Appli¬
kation von hydriatischen Prozeduren und Mas¬
sage. Die Flüssigkeitszufuhr war eine reichliche;
in der Kost wurde das Hauptgewicht auf Zufuhr
von Eiweiss und Fetten gelegt. Daneben wurden
dauernd kleine Mengen von Eisen gereicht. Auch
hier waren ausgezeichnete Erfolge zu verzeichnen;
die Bauchpresse und die Uterusmuskulatur zeigten
! weit bessere Kontraktionsfähigkeit wie früher,
! und die Kindergewichte stiegen bedeutend an.
I Die Zahl der Beobachtungen, über die der
Verfasser verfügt, ist nach seiner eigenen Ansicht
l eine viel zu kleine, um aus ihr allgemein gütige
| Schlüsse abzuleiten; immerhin hält er seine Re¬
sultate für wichtig genug, um auf diesem Wege
fortzuschreiten. Freyhan (Berlin).
Ehrlich, Die Reinigung des Obstes vor dem
Genüsse. Archiv für Hygiene Bd. 41. Heft 2.
So wenig man im allgemeinen daran zweifelt,
dass das zum Genüsse bestimmte Obst oft einer
Verunreinigung mit allerlei Substanzen ausgesetzt
ist, so hat man doch noch nicht versucht, an
Stelle einer allgemeinen Vorstellung die konkrete
Thataehe zu setzen. Und doch ist die Kenntniss
dieser Verhältnisse nothwendig, um eine zweck¬
mässige Reinigung des Obstes vor dem Genuss
durchzuführen. Der Verfasser hat nun experi¬
mentell festgestellt, dass dem Obste Bakterien
anhaften, deren Zahl im allgemeinen sich in massi¬
gen Grenzen hält. Die verschiedenen Obstsorten
zeigten sich in ungleichem Maasse beschmutzt:
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Referate über Bücher and Aufsätze.
649
am wenigsten Bakterien fanden sich bei den
Heidelbeeren, am meisten bei den Kirschen.
Jedenfalls erweisen die Tabellen des Verfassers
klar, dass eine Beschmatzung der verschiedenen
Obstsorten regelmässig vorkommt, und ferner,
dass dieselbe nicht etwa allein während des
Transportes geschieht, sondern dass auch Stoffe
allerlei Art mit den Strauchfrüchten in Berührung
kommen und an ihnen haften bleiben.
Was die Reinigung des Obstes betrifft, so
abstrahiert Ehrlich aus seinen Untersuchungen
folgendes Verfahren als das zweckmässigste: Bei
frischem Obst genügt eine einmalige gründliche
Waschung, am besten unter strömendem Wasser,
wobei das Obst etwas durcheinandergeschüttelt
werden muss. Mehrfaches Waschen ist nur bei
solchem Obst nöthig, das längere Zeit dem Ein¬
trocknen ausgesetzt gewesen ist, weil hier die
Keime fester haften. Durch zu langes Waschen
wird das Aroma und der Geschmack mancher
Obstsorten, wie z. B. der Erdbeeren und Him¬
beeren, nachtheilig beeinflusst, sodass hier dem
geringen Vortheil einer gründlichen Reinigung
der grössere Nacbtheil eines verringerten Ge¬
nasses gegenübersteht. Wenn Birnen und Aepfel
mit der Schale genossen werden, so ist es zweck¬
mässig, sie zuerst mit einem sauberen und trocke¬
nen Lappen abzureiben und dann in strömendem
Wasser abzuspülen. Auf diese Weise lassen sich
die anhaftenden Verunreinigungen in ausreichen¬
dem Maasse entfernen. Uebrigens ist bei allen
diesen Maassnahmen im Auge zu behalten, dass
feucht gewordenes Obst rasch Gährungserscliei-
nungen und Schimmelwachsthum zeigt; cs sind
daher nur die zum unmittelbaren Konsum be¬
stimmten Früchte der Waschung zu unterziehen.
Freyhan (Berlin).
Reumann, Die Wirkung des Alkohols als
Eiweisssparer. Archiv für Hygiene Bd. 21.
Heft 2.
Die vorliegende Arbeit ist in der Hauptsache
eine Entgegnung auf eine Kritik, die Rosemann
an einem früheren Alkohol versuch des Verfassers
geübt hat. Neumann war in dieser früheren Ar¬
beit zu dem Resultat gekommen, dass der Alkohol
als Eiweisssparer aufzufassen ist, und da seine
Schlussfolgerungen als nicht beweiskräftig ange¬
griffen worden sind, so sucht er durch neue Ver¬
suche seine Behauptungen zu stützen. Aus dem
Vergleich des jetzigen mit dem früheren Versuch
geht zunächst hervor, dass beide Male trotz An¬
wendung einer verschiedenen Methode doch das
gleiche Ergebniss erzielt worden ist. So wurde
einmal bei Unterernährung und Alkohol fast genau
N - Gleichgewicht erzielt, und andrerseits bei ge-
Zeitaohr. t dilt u. phjsik. Therapie Bd. VI. Heft 11.
nügender Nahrung und Alkohol N-Zus&tz erreicht.
Der N-Ansatz war allerdings geringer, als wenn
an Stelle des Alkohols Fett gereicht wurde. Ueber-
einstimraend in beiden Versuchen war ferner in
der Alkoholperiode eine geringe Erhöhung der
Urinmenge und die Beobachtung, dass sich der
Organismus in sehr kurzer Zeit an grosse Alkohol¬
dosen gewöhnen kann. Beide Male gelang die
Gewöhnung in der kurzen Zeit von fünf bis sechs
Tagen, einmal nach Ueberwindung einer Intoxi¬
kation, das andere Mal unter Vermeidung der¬
selben. Jedenfalls stimmen die erzielten Ergeb¬
nisse im Punkt der Eiweisssparung vollständig
mit einander überein; sie sind um so wichtiger,
als sie an ein- und derselben Person gewonnen
sind, zu ganz verschiedenen Zeiten und bei ganz
anders eingerichteter Nahrung, aber sonst unter
gleichen Bedingungen und Verhältnissen. Natür¬
lich ist der Verfasser weit entfernt davon, aus
der Thatsache, dass der Alkohol ein Eiweiss¬
sparer ist, eine praktische Nutzanwendung ziehen
zu wollen; im Gegentheil verwahrt er sich da¬
gegen, dass der Alkohol etwa in der Praxis als
ei weisssparendes Mittel empfohlen werden könnte
Freyhan (Berlin).
0ppenheimer, Ueber Säuglingsernährung
durch unverdünnte Milch« Archiv für Kinder¬
heilkunde. Bd. 31. Heft 5/6.
Verfasser tritt auf das Lebhafteste für die
Vollmilch als Säuglingsnahrung ein, welche, na¬
mentlich von französischen Kinderärzten, neuer¬
dings angelegentlichst empfohlen, in Deutschland
seither nur vereinzelte Fürsprecher gefunden hat
Seine Versuche erstrecken sich auf ca. 90 theils
gesunde, theils magendarmkranke und atrophische
Kinder; dieselben wurden meist längere Zeit, von
vier Wochen bis zu mehreren Monaten, mit pas¬
teurisierter, unverdünnter Kuhmilch ernährt, und
wiesen in der Mehrzahl der Fälle tägliche Ge¬
wichtszunahmen auf, welche (mit 23—25g pro
die) die von Camerer und Biedert für künst¬
lich genährte Säuglinge überhaupt (auf 19,7 g)
berechneten Durchschnittswerthe übertrafen; da¬
bei wurde ein sehr guter Allgemeinhabitus, na¬
mentlich straffes Fettpolster und derbe Musku¬
latur, erzielt, und selbst unter elf stark atrophi¬
schen Kindern gediehen vier bei Vollmilch recht
gut Der jüngste mit Vollmilch aufgezogene
Säugling war erst neun Tage alt. Als unerläss¬
liche Kautelen bezeichnet Oppenheimer all¬
mählichen Uebergang zur Vollmilch und genaue
Dosierung der Einzelmahlzeiten und der Tages¬
quanten; er giebt am ersten Tage 1/2 Milch, 1/2
Wasser, oder eventuell noch stärkere Verdün¬
nungen, dann jeden zweiten Tag um 100 g Milch
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Referate über Bücher and Aufsätze.
650
mehr and um 100 g Wasser weniger, bemisst die
Tagesmengen auf 500 g im ersten Monat, 750 im
zweiten, 1000 im dritten bis vierten, und berech¬
net die Zahl der täglichen Mahlzeiten auf acht in
den ersten zwei bis drei Wochen, sieben im
zweiten bis vierten Monat, und fünf oder höch¬
stens sechs in späterer Zeit.
Zahlreiche Tabellen und graphisch dargestellte
Kurven demonstrieren die Erfolge des vom Ver¬
fasser befürworteten Ernährungsregimes mit Voll¬
milch, welche durch ihre Bekömmlichkeit und
nicht minder auch durch die einfachere Herstel¬
lung vor den bisher beliebten, diversen Milch¬
verdünnungen den Vorzug verdiene. Allerdings
bezeichnet Oppenheimer die pasteurisierte,
reine Kuhmilich nur als die beste »künstliche«
Nahrung und betont ausdrücklich ihre Inferiorität
gegenüber der Muttermilch.
Hirschei (Berlin).
Otto Cohn heim, Die Umwandlung des Ei-
welsses durch die Darm wand« Zeitschrift für
physiologische Chemie Bd. 33. Heft 5 und 6.
S. 451.
Im Jahre 1880 hat Salvioli, 1881 Hof¬
meister gefunden, dass die überlebende Darm¬
schleimhaut Pepton verschwinden lässt, d. h. es
in einer Weise verändert, dass es mit den üblichen
Reaktionen nicht mehr nachgewiesen werden
kann. Hofmeister zog daraus den Schluss,
dass die Peptone bei der Resorption von den
Leukocyten der Darmwand assimiliert würden,
und durch diese als Eiweiss und sogar als Zell¬
ei weise den Organen zugeführt würden.^ Diese
letztere Hypothese wies Heidenhain zwar zu¬
rück, aber auch er nahm eine Rück vor Wandlung
der Peptone in Eiweiss an, nur sollte diese schon
in den Epithelien der Darmwand statthaben.
Thatsache ist, dass in den Geweben, im Blut und
in der Lymphe auch verdauender Thiere kein
Pepton vorkommt Aber ein positiver Beweis für
die Restitution des Eiweiss war nicht erbracht,
vielmehr hatte schon Neumeister gezeigt, dass,
wenn man überlebende Dannschleimhaut mit
Peptonen in Berührung bringt, das Pepton zwar
verschwindet, an seiner Stelle aber kein Eiweiss,
sondern umgekehrt vielmehr Spaltungsprodukte
der Peptone, nämlich Leucin und Tyrosin
auf treten.
Verfasser hat nun diese Neumeister’sche
Beobachtung weiter verfolgt Auch ihm gelang
es in keiner Weise, eine Restitution der Peptone
in Eiweiss nachzuweisen, vielmehr fand sich der
ganze Stickstoff in dem enteiweissten Filtrat
wieder, aber weder als Pepton noch als Eiweiss,
sondern als Spaltungsprodukte des Peptons, wie
schon Neumeister angegeben hat, hauptsäch¬
lich als Leucin und Tyrosin (ausgefällt durch
Phosphorwolframsäure). Dieses Resultat erhielt
der Verfasser nun auch, wenn er nicht über¬
lebende Darmschleimhaut, sondern das Extrakt
der Darmschleimhaut verwendete. Es folgt dar¬
aus, dass die Spaltung der Peptone nicht an die
lebende Zelle geknüpft ist sondern ein fermen¬
tativer Prozess ist. Dieses Ferment nennt der
Verfasser Erepsin (von ipeinu» ich zertrümmere).
Es unterscheidet sich von dem Trypsin des Pan¬
kreas dadurch, dass es nur auf Peptone und
einen Theil der Albumosen, nicht auf genuines
Eiweiss einwirkt. Als der Ort seiner Bildung
ist die Darmwand anzusehen.
M. Lewandowsky (Berlin).
Hensay, Leber die Speiehelverdanung der
Kohlehydrate im Magen* Münchener medi-
cinische Wochenschrift 1901. No. 30.
Verfasser suchte einen Einblick in die im
Mund und Magen des Menschen stattfindende
Amylolyse dadurch zu gewinnen, dass er bei
seinen Versuchspersonen eine gewisse Zeit nach
einer kohlehydratreichen Mahlzeit im ausgeheber¬
ten Mageninhalt das Verhältnis der gelösten zu
den ungelösten Kohlehydraten bestimmte, ln
seinen Versuchen fand er durchweg sehr grosse
Mengen von Stärke durch Speichelwirkung gelöst,
und schliesst daraus, dass die chemische Funktion
des Speichels ganz hervorragend wichtig ist. Die
gelösten Kohlehydrate bestanden grössten theils
aus Maltose und der Maltose sehr nahestehenden
Dextrinen. Die Acidität des ausgeheberten Breies
war meist eine sehr niedrige, was Verfasser auf
den Fettgehalt des Breies schiebt, da Fett be¬
kanntlich die H C1 - Sekretion verlangsamt. Man
könnte vielleicht auf diesen Umstand das günstige
Resultat bezüglich der Amylolyse zurückführen;
allerdings war in einem Versuche 0,13% freie
HCl vorhanden, und trotzdem fand eine starke
Amylolyse statt.
Verfasser versuchte auch festzustellen, wie¬
viel der gelösten Kohlehydrate von der Magen¬
wand resorbiert würde; indess waren infolge der
Unzulänglichkeit der Methode die diesbezüglichen
Resultate unklar, so dass diese Frage offen ge¬
lassen werden musste.
Gotthelf Marcuse (Breslau).
Heim, Die Behandlung der kronp&sen Pneu¬
monie im Kindesalter* Therapeutische Mo¬
natshefte 1901. November.
Die vom Verfasser geübte Pneumoniebehand¬
lung — Sorge für gute, nicht zu trockene Luft
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Referate über Bücher and Aufsätze.
651
im Krankenzimmer, reichliche Ernährung der Pa- I
tienten durch Milch oder Kefir, Mehlpräparate, [
weich gekochte Eier und leichte Fleischspeisen,
Bekämpfung des Hustenreizes, des Fiebers und
der bei Säuglingen häufigen Konvulsionen, sowie
Verhütung der Herzinsufficienz und Hebung des
Sensoriums durch geeignete Medikamente und
hydrotherapeutische Prozeduren — deckt sich im
wesentlichen mit den allgemein üblichen Maass¬
nahmen. Bemerkenswerth ist die wohl von den
meisten Kinderärzten anerkannte Empfehlung des
Alkohols als Stimulans, gegen dessen Darreichung
selbst in kleinen Dosen neuerdings Kassowitz
(Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. 54. Heft 4)
sehr energisch Front macht, und die Anwendung
von Sauerstoffinhalationen und Venaesektionen
bei drohendem Lungenödem.
Hirschei (Berlin).
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
P. Jacob, Gymnastik. Aus: Die deutsche
Klinik am Eingang des zwanzigsten Jahrhun¬
derts. Bd. 1. Urban und Schwarzenberg.
In dem gross angelegten Werke, das bekannt¬
lich von v. Leyden inauguriert ist und in der
Form akademischer Vorlesungen die gesammte
spezielle Pathologie und Therapie der Klinik der
Gegenwart umfasst, ist als eine der letzten Liefe¬
rungen die vorliegende Abhandlung erschienen. In
knapper, anschaulicher Form behandelt der Autor,
dessen fruchtbringende Thätigkeit auf dem Ge¬
biete der physikalischen Heilmethoden ja allge¬
mein bekannt ist, das Thema, und versteht es,
durch seine frische, klare Darstellung des an sich
so spröden Materiales zu fesseln. Nach einer
kurzen historischen Einleitung werden Turnen,
Turnspiele und Sport, Heilgymnastik und ihre
therapeutische Anwendung bei den einzelnen
Krankheitsgruppen skizziert, wobei der Haupt¬
werth auf ihre praktische Verwendbarkeit gelegt
wird. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die
grossen Lehrbücher der Heilgymnastik auf ein
sehr schwaches Interesse bei Aerzten wie Stu¬
dierenden stossen, dagegen Abhandlungen im
Sinne der Jacobesehen von vornherein durch
ihre nie ermüdende, zusammenfassende Darstel¬
lung einen dankbaren Boden finden. Kommt
nun hinzu, dass hier nicht bloss der Theoretiker,
sondern auch der geübte Praktiker, der sich
selbst mit den Fragen der Begründung neuer
physikalischer Heilmethoden, mit den Neukon¬
struktionen, Verbesserungen von Apparaten etc.
seit langem beschäftigt, seine Erfahrungen offen- ,
bart, so gewinnt die Arbeit wesentlich an Werth, j
Eine Reihe von Figuren, die die Haupttypen der
Apparatotherapie in scharfer Form wiedergeben,
trägt zur Veranschaulichung des Textes bei.
J. Marcuse (Mannheim).
Krikortz, Lemassage. Journal des Practiciens
1901. No. 37.
Verfasser bespricht die Bewegungstherapie
bei Herzkrankheiten, besonders die Anwendung
von aktiven und passiven Bewegungen. Er theilt
die aktiven Bewegungen in Hemmungs- und
automatische Bewegungen. Erstere werden sehr
langsam ausgeführt. Der Kranke muss mit Zu¬
hilfenahme der Antagonisten seine ganze Auf¬
merksamkeit darauf richten, dass die vorge¬
schriebene Geschwindigkeit nicht überschritten
wird. Dieses erfordert eine hohe Inanspruch¬
nahme der Willenskraft, wodurch eine Reizung
der Gehirnrinde eintritt Diese psychische Er¬
regung beeinflusst das Gefässsystem und erhöht
den arteriellen Blutdruck, was an der Pulskurve
nachzuweisen ist. Die 1 Hemmungsbewegungen
wirken somit als Tonikum auf das Herz und
werden in solchen Fällen angewandt, wo das
Herz noch zu einer methodischen Trainierung
fähig ist, z. B. bei gut kompensierten Klappen¬
fehlern oder im ersten Stadium der Inkompen¬
sation, bei geringer Dilatation, wenn der Herz¬
muskel gesund ist u. s. w.
Die automatischen Bewegungen entlasten im
Gegensätze hierzu die Gehirnrinde, wodurch deren
tonisierender Einfluss auf das Gefässsystem fort¬
fällt. Hierdurch beruhigen sie das Herz und
finden daher bei seinen funktionellen Störungen
Anwendung. Ausserdem üben sie dadurch, dass
sie oft und lange ausgeführt werden können,
einen günstigen Einfluss auf die venöse Blut-
cirkulation aus, indem durch die Muskelbewegungen
der Abfluss des Venenblutes erleichtert wird.
Weil aber hierdurch dem Herzen eine grosse
Menge venöses Blut zugeführt wird, muss man
mit diesen Bewegungen vorsichtig sein, wenn
der rechte Ventrikel erweitert ist.
In diese beiden grossen Bewegungsgruppen
lassen sich nach Verfassers Meinung alle aktiven
Bewegungen, auch die Widerstandsbewegungen
einreihen; je nachdem die Willenskraft bei ihnen
mehr oder weniger zur Geltung kommt, # nähern
sie sich der einen oder der anderen Gruppe.
Krikortz weist dann noch auf das bekannte
Schwann’sche Gesetz hin, dass der Widerstand
in den verschiedenen Phasen der Bewegung ein
wechselnder ist. Die Apparate von Herz er¬
füllen nach seiner Ansicht diese Forderung in
vollkommener Weise.
Ein zweites Mittel, um auf das Herz ein¬
zuwirken, sind forzierte Inspirations- und Ex¬
spirationsbewegungen. Forziertc Inspirationen
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652
Referate über Bficher and Aufsätze.
erhöhen den Blutdruck, während forzierte Ex¬
spirationen , d. i. die Kompression des Thorax
bei der Exspiration ihn herabsetzen. Daher sind
bei Ueberfüllung des Lungenkreislaufes forzierte
Exspirationen am Platze. Besonders empfiehlt
Krikortz noch die Rückenmassage, bestehend
in Friktion der Interkostalnerven.
Ein drittes Mittel ist die Massage der Herz¬
gegend, welche direkt auf das Herz wirkt. Das
Tapotement erregt das Herz und erhöht den
arteriellen Blutdruck, während die Erschütterungen
beruhigend wirken.
Schliesslich erwähnt Krikortz als weitere
Hilfsmittel bei der Behandlung von Herzkranken
noch die Baachmassage, die Erschütterung der
Lenden- und Kreuzgegend and die Massage der
Extremitäten.
Zum Schlüsse meint er, dass die schwedische
Methode, welche nur auf die venöse Cirkulation
einzuwirken suche, wie auch die deutsche von
Schott, welche nur das Herz stimulieren wolle,
einseitig seien. Er will diesen die französische
Methode gegenüberstellen, welche er eine aus¬
wählende, sich den Indikationen genau anpassende
Methode nennt
Er ist der Ansicht, dass die Apparate von
Herz den Zander’schen überlegen seien, was
wohl darin seinen Grund hat, dass er die Be¬
handlung von Herzkranken mit letzteren nicht
aus eigener Erfahrung kennt. Er giebt zu, dass
er seine Erfahrungen über die Bewegungstherapie
bei Herzkranken in Bourbon - Lancy, wo sich
Herz* sehe Apparate befinden, gesammelt hat.
Linow (Dresden).
Erik Ekgren, Der Albumengehalt des
Harnes der Nephritiker unter dem Einfluss
der Massage. Aus der III. medicinischen
Universitätsklinik in Berlin.
Es ist erwiesen, dass der normale Urin Spu¬
ren von Albumen enthält. Namentlich ist solches
nach starken Muskelanstrengungen beobachtet.
Bei pathologischer renaler Albuminurie hat Se¬
nator wiederholt gesehen, dass starke Muskel¬
bewegungen die Albuminurie steigern. Solche
Kranke sollen demnach aktive Bewegungen spe¬
ziell der unteren Extremitäten, wie Gehen, Berg¬
steigen , Radfahren u. s. w. möglichst vermeiden.
Eine andere Frage ist nun aber, wie es sich
bei diesen Kranken mit passiven Bewegungen
oder mit Massage verhält. Verfasser hat nun
zwei Fälle von Granularatrophie und einen Fall
von subakuter parenchymatöser Nephritis mit
allgemeiner Körpermassage, insbesondere mit Ef-
fleurage und Pötrissage behandelt, indem er das
Tapotement der Nierengegend und die Nieren¬
erschütterung vermied. Der eine Fall wurde im
ganzen fünfmal, der andere sechsmal und der
dritte Fall dreimal mit Massage behandelt.
Die Versuche haben zunächst ergeben, dass
die Massage auf die Urinmenge und das spezifi¬
sche Gewicht keinen besonderen Einfluss hatte.
Der Eiweissgehalt ist nach der Massage vier¬
mal derselbe geblieben oder gesunken, während
er sich zehnmal beträchtlich vermehrt hat.
Bei einem Fall wurden Widerstandsbewe¬
gungen der unteren Extremitäten hinzugefugt,
nach denen der Eiweissgehalt stieg. Aber auch
Bewegungen der oberen Extremitäten steigerten
den Eiweissgehalt.
Subjektiv wurde die Massage gut vertragen.
Auch nahmen die Oedeme ab.
Das Resultat der Untersuchungen gipfelt
demnach darin, dass Widerstandsbewegungen
oder allgemeine Körpermassagc bei Nierenkran¬
ken zu vermeiden sind; cs deckt sich mit den
Erfahrungen der Mechanotherapeuten, für welche
jede Nierenerkrankung eine strikte Kontraindi¬
kation für Massage und Heilgymnastik bildet
Linow (Dresden).
Dagron, Le massage dans les maladies
nerveuses. Le bulletin mödical 1902. No. 19.
Es sei schon seit Langem massiert worden
in Fällen von Nervenkrankheiten. Die Massage
sei ausgeführt worden in der Form von Friktionen,
in jedem Fall in derselben Weise, und von Leuten,
die kein Verstandniss für den Einzelfall hatten,
und so manchmal direkt schadeten. Es sei nöthig,
dass die Friktion durch Maassnahmen ersetzt
werde, die ihrer Form und der Intensität ihrer
Anwendung nach den pathologischen Verhält¬
nissen des Einzelfalles angepasst wären, und es
sei weiter nöthig, dass der Arzt selbst massiere,
oder doch wenigstens die Ausführung seiner An¬
ordnungen durch eine geschulte Assistenz über¬
wache, um jede Schädigung des Patienten zu
vermeiden. Selbstverständlich könne die Massage
eingetretene pathologisch - anatomische Verände¬
rungen nicht rückgängig machen, oder ihren
Verlauf irgendwie beeinflussen. Sie könne nur
ihre Symptome mildern und die Atrophie einzelner
Muskeln oder Muskelgruppen hintanhalten, bezw.
sie schnell kräftigen, wenn sie ihre Funktionen
wieder aufnehmen. In ihrer Ausführung müsse
sich die Massage den Verhältnissen des Einzel¬
falles, seiner Art und seinem Entwickelungs¬
stadium anpassen. In jeder Nervenkrankheit
fänden sich drei Symptomenformen mehr oder
weniger stark ausgeprägt: Lähmungen,Neuralgieen
I Kontrakturen; gegen sie müsse je nachdem vor-
[ gegangen werden. Die Behandlung der Lähmungen
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653
Referate über Bücher und Aufsätze.
wird besprochen an dem Beispiel einer Radialis-
lähmung mit dem Hinweis darauf, dass hier eine
Massagebehandlung schneller und sicherer wirkt
wie die elektrische Behandlung. Es werden zu¬
erst leichte Streichungen im Verlauf des Nerven
ausgeführt, die bezwecken, die Cirkulation in den
Venen, die den Nerv begleiten, zu unterstützen,
die Resorption von Exsudaten, die sich in seinem
Verlauf finden können, zu begünstigen, und den
Nerv selbst, der manchmal empfindlich ist, fu
anästhesieren. Dann werden alle von dem ge¬
lähmten Nerv innervierten Muskeln mit sanften
Streichungen massiert, um das Eintreten einer
Atrophie zu verhüten in der Erwartung, dass
der Nerv wieder leistungsfähig werden wird.
Diese Massage muss eventuell lange fortgesetzt
werden, auch wenn die Centren des Nerven
affiziert sein sollten in der Hoffnung, dass
eventuell benachbarte Nerven für den gelähmten
eintreten werden. Dann folgen nach einigen
schnelleren und kräftigeren Streichungen der
Antagonisten, die, da sie nicht arbeiten, auch
eine Tendenz zur Ermüdung und Degeneration
haben, passive Bewegungen der Gelenke, später¬
hin aktive Bewegungen und Uebungen der
Muskulatur. Die Behandlung der Neuralgieen
wird an dem Beispiel einer Ischias besprochen
mit dem Hinweis darauf, dass bei Neuralgieen
eine Heilung selten die Regel, aber eine Besserung
häufig ist. Der kranke Nerv wird in seinem
Verlauf massiert; die Streichungen müssen sanft
und nicht schmerzhaft sein; sie befördern die
Cirkulation und anästhesieren den Nerven. Dann
folgt eine Massage der Muskeln, die bezweckt,
die grossen Gelenke zu entspannen. Erst später
— vom dritten bis vierten Tage ab — folgen
Bewegungen in den Gelenken und leichte
Dehnungen des Nerven. Die Behandlung der
Kontrakturen wird besprochen an dem Beispiel
eines Tortikollis. Es kommt hierbei l darauf an,
die gespannten Muskeln sanft zu massieren und
zu dehnen, die gedehnten Muskeln kräftiger zu
massieren, um sie zu kräftigen. In vielen Fällen
werden die Kontrakturen so wenigstens*gemildert
werden können, in manchen Fällen sogar wesent¬
lich gebessert werden, wenn der. pathologische
Prozess, der sie bedingte, noch zurückgeht, und
die Leitungsbahnen sich zum Theil wiederher¬
stellen. Lemke (Dresden).
P« Krause, Ersatz des gelähmten Quadriceps
fetnorisj[durch^ die Flexoren desj Unter-
Schenkels, Deutsche medicinische Wochen¬
schrift 1902. No. 7 und 8.
Es handelte sich J um eine vollständige Pa-
^ysc der rechten Kniestrecker nach spinaler j
Kinderlähmung. Krause ersetzte den vollstän¬
dig atrophischen und wachsartig degenerierten
Quadriceps durch die Kniebeuger (Biceps, Gra-
cilis, Semimembranosus und Semitendinosus).
Die genannten Muskeln wurden von ihren An¬
sätzen am Schien- und Wadenbein losgelöst, bis
zur Mitte des Oberschenkels frei präpariert und
hierauf der Biceps durch einen Schlitz im Vastus
extemus, und die übrigen Muskeln durch einen
Schlitz im Vastus internus nach vorn verlagert
Der Biceps wurde hierauf am oberen, äusseren
Rand der Kniescheibe, und die übrigen drei
Muskeln sammt dem Sartorius an deren oberen,
inneren Rand festgenäht. Das Resultat dieser
ostalen Sehnenplastik war ein vortreffliches.
Gegenwärtig, vier Jahre post Operationen}, kann
der nun 19jährige Mann das Knie aktiv strecken,
und mit Hilfe des Gastroknemius und Popliteus
auch beugen. Er geht ohne Stock, auch über
Treppen. Dieser Fall stellt nicht nur ein chi¬
rurgisches Meisterstück, sondern auch ein inter¬
essantes physiologisches Experiment dar. Wie
Geheimrath Jolly’s Untersuchung zeigte, war
der Quadriceps in diesem Falle vollständig atro¬
phisch, und auch durch elektrische Reizung des
Nervus cruralis keine Wirkung zu erzielen. Fa-
radische Reizung des Ischiadikus führte hingegen
infolge der Verlagerung der Kniebeuger zur Knie¬
streckung Mit der Umpflanzung der Kniebeuger
auf die Streckseite ist die Kompensation noch
nicht abgeschlossen; es muss auch in der Hirn¬
rinde eine Umschaltung der Funktion eintreten.
Das Centrum für die Kniebeugung muss im anta¬
gonistischen Sinne der Kniestreckung innerviert
werden, was der Patient bereits vier Wochen
post Operationen} erlernte, ohne dass er sich des
Wechsels der Innervation bewusst wurde.
Schliesslich sei noch auf die Ersetzung gelähmter
Muskelfunktionen durch elastische Zuge hinge¬
wiesen, wie sie speziell bei ungleicbmässiger An¬
ordnung der Lähmung, z.B. bei der posthemi-
phlegischen Lähmung der Kniebeuger und Fuss-
heber vom Referenten empfohlen wurde.
Paul Lazarus (Berlin).
C. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Machtsum, Zur Behandlung des chronischen
Gelenkrheumatismus« Therapie der Gegen¬
wart 1902. Juni.
Verfasser rühmt den schmerzstillenden Ein¬
fluss der thermischen Hyperämie auf chronisch
entzündete Gelenke. Oertlich kamen in erster
Reihe der Dampfstrabi, sodann auch Dampf-
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654
Referate über Bücher und Aufsätze.
Umschläge, heisse Sandsäcke, Heissluftapparate
und Heisswasserbäder von 40 —45° C zur An¬
wendung. Bei Erkrankungen mehrerer Gelenke
wurden Lichtschwitzbäder oder heisse Vollbäder I
(36—42° C) verabfolgt. Die durch die Hitze ver- |
ursachte Hyperämie führt zur serösen Durch- |
tränkung der Gelcnkschwarten und zur Auflösung I
der Entzündungsprodukte, welche durch nach¬
folgende Massage und Bewegungen schmerzlos
entfernt werden können. |
Paul Lazarus (Berlin).
A.Bier, Ueber praktische Anwendung künst¬
lich erzeugter Hyperämie. Therapie der
Gegenwart 1902. Heft 2.
Wenn auch in den letzten Jahren viel über
die lokale Heissluftbchandlung von den
verschiedensten Seiten publiziert worden ist, so
erscheint cs doch als dankenswerth, wenn Bier,
der das Hauptverdienst um die Einführung und
Verbreitung dieser therapeutischen Methode hat,
dieselbe hier nach der theoretischen wie nach
der praktischen Seite hin systematisch bespricht.
Bekanntlich wirkt nach Bier die lokale Heiss-
luftbehandlung hauptsächlich durch die arteri¬
elle (aktive) Hyperämie, die sie hervorruft;
diese aktive Hyperämie hat eine auflösende, re¬
sorbierende und schmerzstillende Wirkung, und
deshalb bedient man sich ihrer zur Lösung
von Gelenksteifigkeiten, Resorption von Gelenk¬
ergüssen etc. und ferner zur Bekämpfung von
Neuralgieen. Neu ist, dass Bier die Eigenschaft
der heissen Luft, auf erkrankte Gefässe er¬
regend und übend zu wirken, zur Behand¬
lung von varikösen Erkrankungen mit Heiss¬
luftbädern mit gutem Erfolg verwerthete.
Die praktische Verwerthbarkeit der ant.i-
bakteriellcn Wirkung der aktiven Hyperämie
hält Bier für fraglich; zu diesem Zwecke wendet
er vielmehr die passive venöse Stauungs- j
hyperämie an, vor allem, wie bekannt, bei Ge- ,
lenktuberkulose, dann auch bei gonorrhoi¬
schen und zuweilen bei pyämischen Gelenk¬
erkrankungen und bei beginnenden phlegmo¬
nösen Prozessen. Aber auch bei rheuma- |
tischen Gelenkaffektionen empfiehlt der Ver- 1
fasser in manchen Fällen statt der arteriellen die !
Stauungshyperämic anzuwenden, die ebenfalls
schmerzstillend und auflösend wirkt Die Tech¬
nik der Stauungshyperämie (Anlegen einer Stau-
ungsbindo zentralwärts von dem zu behandelnden
Gelenke) ist nur’scheinbar sehr einfach, und es
mag zum Theil an Fehlem in dieser Technik
liegen, wenn Andere bei Behandlung von go¬
norrhoischen und rheumatischen Gelenkleidcn
mit venöser Stauung nicht so günstige Erfolge
erzielten, als sie Bier aufzuweisen hat. Erwähnt
sei noch, dass der Verfasser auch bei anämischen
Kopfschmerzen durch eine vorsichtig um den
Hals angelegte Stauungsbin de sehr günstige
Erfolge erzielte. A. Laqueur (Berlin).
G. Loimann, Ueber die lokale Anwendung
von Kohlensftnre bei Mengtruationsstömn-
gen. Wiener klinische Wochenschrift 1901.
No. 15.
Kohlensäuregasbäder und Gasdouchen sind
schon seit längerer Zeit bei gewissen
Menstruation sstörungen, wie Dysmenorrhoe,
Oligomenorrhoe und Amenorrhoe, ferner bei so¬
genannter Frigidität u. a. mit unzweifelhaftem
Erfolg und grossem Nutzen angewandt worden
Zur Applizierung der Gasdouche auf die inneren
Genitalien bediente man sich bisher eines ge¬
wöhnlichen Mutterrohres, respektive des Holzer-
schen Spiegels. Diese allerdings einfache Methode
hat jedoch den grossen Nachtheil, dass sie die
wichtige Kontrolle über das richtige Funktionieren
der Gasdouche nahezu ausschliesst. In Erwägung
dessen hat Hirschl einen Apparat konstruiert,
der es ermöglicht, die Gasdouche in rationeller
Weise anzuwenden. Derselbe besteht aus einem
Röhrenspekulum, dessen äussere Mündung mit
einer Scheibe gasdicht verschlossen werden kann.
Dieses Verschlussstück lässt durch eine grössere
centrale Bohrung das Gaszuleitungsrohr hindurch¬
treten, und trägt in einer kleineren peripheren
Bohrung ein kurzes Abflussrohr, welches mit
einem Tonerzeuger montiert ist, der so beschaffen
sein muss, dass schon beim schwächsten Gas¬
strome ein deutlich wahrnehmbarer Ton entsteht
In der systematischen Anwendung der Gas¬
douche besitzt man daher ein sehr wirksames
Emenagogum, das sich sowohl bei Oligomenorrhoe
als vollständiger Amenorrhoe trefflich bewährt.
Vor allem eignen sich für diese Behandlung
solche Fälle, wo keinerlei anatomische Ver¬
änderung der Genitalorgane angetroffen, und dis
bestehende Leiden auf Störungen der Innervation
oder des Stoffwechsels zurückgeführt wird, daher
auch die vielseitig anerkannten Erfolge bei
fehlenden oder zu spärlichen Menses fettleibiger
Frauen. J. Marcuse (Mannheim),
Robert Lowy, Ueber die therapeutische
Anwendung erhitzten Kohlensfturegases.
Wiener inedicinische Presse 1901. No. 14.
Von den Apparaten für Heissluftbehandlnng
und den damit im Zusammenhang stehenden
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Referate über Bücher and Aufsätze.
655
Heissluftdouchen ausgehend, konstruierten Löwy
und Bernstein einen Apparat, bei dem als vis
a tergo statt des durch einen Motor betriebenen
Turbinengebläses der durch Anwendung eines
Reduzierventils beliebig zu modifizierende Druck,
unter welchem flüssige Kohlensäure in Gasform
ausströmt, benutzt wurde. Gleichzeitig ver¬
banden die Autoren damit die Idee, an Stelle
der indifferenten atmosphärischen Luft ein Gas
zu verwenden, das gegenüber der Luft eine Reihe
von Vorzügen besitzt. Die Kohlensäure ist ein-
und einhalbmal so schwer als die Luft, sie führt,
auf den gleichen Temperaturgrad erhitzt, eine
bedeutend grössere Wärmemenge der Haut zu.
Sie ist ferner absolut trocken, sie übt schliesslich
eine spezifische Wirkung aus. Ihre physiologischen
Effekte bestehen — lässt man kalte Kohlensäure
auf die Haut strömen — anfangs in Prickeln
und Jucken, später in einem intensiven Wärme-
gefühl und schliesslich in einer ausgesprochenen
Anästhesie der betreffenden Stelle. Wird er¬
hitzte Kohlensäure angewendet, so kommt es zu
einer Kontraktion der glatten Muskelfasern, zu
intensiver Röthung, gleichzeitig zu einem Er¬
müdungsgefühl in den Muskeln. Mittels des von
Herz angegebenen Apparates — derselbe besteht
aus einem flüssige Kohlensäure enthaltenden
Eisencylinder und aus einem elektrischen Ofen —
wurde diese Kohlensäuredouche nun in einer
Reihe von rheumatischen, traumatischen Affek¬
tionen angewandt und zwar mit sehr gutem Er¬
folg. Besonders in Verbindung der Douche mit
Massage wurden sehr gute Resultate erreicht, so
dass Autor zu dem Schluss gelangt, dass die
erhitzte Kohlensäure in ihrer therapeutischen
Wirkung ähnlichen Methoden im Effekte gleich¬
kommt, oft sogar noch da Erfolge hat, wo andere
Mittel versagt haben.
J. Marcuse (Mannheim).
D. Serum- und Organotherapie.
0. Hirsch, Beitrag zur Organotherapie.
Sperminnm P o e h 1. Petersburger medicinische j
Wochenschrift.
Das von Professor A. P o e h 1 dargestellte und
in die ärztliche Praxis eingeführte Spermin ist
besonders in Russland viel angewendet und steht
in grossem Ansehen. Auch in Deutschland und
in Frankreich wird es viel und mit Erfolg an¬
gewendet Dasselbe wird theils in Form hypo-
dermatischer Injektionen, theils als Essentia
spermin. innerlich verordnet. Der Verfasser, Leib¬
arzt Dr. Hirsch theilt in dieser Schrift aus seiner
reichen Erfahrung seine Beobachtungen über dieses
Mittel, welches zur Gruppe der Organotherapie ge- j
hört, mit. Er verwendete es mit wesentlichem Nutzen
in mehreren Fällen von Anämie und Chlorose, in
Fällen von Migräne und Schwäche, besonders
wirksam war es bei Zuständen von Herzschwäche
und Unregelmässigkeit des Pulses. Vielfach an¬
gewendet wurde das Spermin zu subkutanen In¬
jektionen bei Tabes. Nach mehrwöchentlichem
Gebrauche wurde fast immer der Gang sicherer,
die Patellarreflexe kehrten zum Thcil wieder, die
lancinierenden Schmerzen Hessen nach. Auch in
einigen Fällen von Arteriitis obliterans sah Hirsch
guten Erfolg.
Das Spermin hat, nach der Erfahrung von
Hirsch, keine spezifische Wirkung bei bestimm¬
ten Krankheiten, scheint aber ein physiologisch
organisches Agens zu sein, welches die Intra¬
organoxydation reguliert und damit das Nerven¬
system von Zerfallsprodukten entlastet
E. v. Leyden (Berlin).
Wilhelm Goebel, Zur Serumbehandlnng der
Basedowschen Krankheit. Münchner med.
Wochenschrift 1902. No. 20.
Nach kurzer Betrachtung der früher gang¬
baren Methoden wendet sich Verfasser in dieser
Arbeit der neuesten Therapie der Basedowschen
Krankheit zu und erörtert die von Moebius und
Lanz eingeführte Behandlung mit Serum und
Milch thyreoectomierter Ziegen. Während die
genannten Autoren ihre therapeutischen Versuche
mit der Theorie eines sogenannten Antitoxins,
welches im schilddrüselosen Körper entsteht und
das Gift der Basedowschen Krankheit neutrali¬
sieren soll, begründen, giebt Goebel seinerseits
eine neue Erklärung der so erzielten günstigen
Wirkung. Auf diese Weise sucht er sich die
Priorität seiner Methode gegenüber Moebius
und Lanz zu sichern, während er die ersten iu
diesem Sinne von Blumenthal und Burkhart
in Berlin angestellteb Versuche überhaupt nicht
erwähnt. Ausgehend von der Anschauung, dass die
BasedowSche Krankheit auf einer Hyperfunktion
der Schilddrüse und der dadurch bedingten
grösseren Produktion der Thyrojodins beruhe,
sucht er diesen Missständen dadurch abzuhelfen,
dass er die Jodzufuhr in den Nahrungsmitteln be¬
schränkt. Wenn nämlich, so folgert er, die Ver¬
arbeitung des Jods in Thyrojodin eine besondere
Funktion der Schilddrüse ist, so darf in der Milch
der thyreoectomierter Ziegen kein organisch ge¬
bundenes Jod enthalten sein. Durch Verab¬
reichung dieser Milch ist den Patienten also nicht
die Möglichkeit geboten, das für sie schädliche
Thyrojodin zu bilden.
Mit einer kurzen Betrachtung über den neu-
rothyreogenen Ursprung der in Rede stehenden
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656
Referate über Bücher und Aufsitze.
Krankheit und der detaillierten Beschreibung eines I
nach seiner Methode behandelten Falles schliesst
Verfasser seine interessante Arbeit
F. Meyer (Berlin).
W. Müller, Heilung eines Falles von Tetanus
nach Dnralinfnsion ron Tetanusantitoxin.
Deutsche Aerztezeitung 1902. Heft 18.
In dem herzoglichen Krankenhausein Braun-
schweig gelangten in den letzten Jahren sechs
Tetanusfälle zur Beobachtung, von denen fünf
trotz frühzeitiger, allerdings nur subkutaner An¬
wendung des Tetanusantitoxins letal endeten; erst
der sechste Fall wurde durch die im Jahre 1898
von Paul Jacob begründete Methode der Du¬
ralinfusion des Antitoxins, welche nach den Er¬
fahrungen v. Leyden 1 s der subkutanen An wen- |
düng überlegen ist, geheilt. Es handelte sich i
hierbei um eine sehr schwere Wundinfektion bei |
einem 10jährigen Knaben, welchem durch eine '
Rübenschneidmaschine der Daumen abgetrennt I
wurde; die Wunde war reichlich mit Erdschmutz
infiziert. Der Fall bietet mehrere Besonderheiten.
Trotz der 10 Tage langen Inkubationsdauer und
der frühzeitigen kunstgemässen Wunddesinfektion i
nahm der Tetanus einen äusserst schweren, dabei I
fieberfreien Verlauf. Die Zahl der Anfälle betrug |
in den beiden ersten Tagen 40—50 pro Stunde,
und sank regelmässig nach den Duralinfusionen
des Antitoxins. Im ganzen wurde letztere vier¬
mal zu je 5 cm 3 mittels Lumbalpunktion vorge¬
nommen. Nach Ablauf des Tetanus — am 20.
Tage nach der Verletzung — trat erst Fieber
von remittierendem Charakter, Schüttelfröste,
ferner ein scharlachartiges Exanthem, allgemeine
indolente Drüsensch wellungen und Milzschwellung
auf. Diese Erscheinungen sind auf eine primäre
Mischinfektien des Tetanus mit Sepsis zu be¬
ziehen, welch letztere gleichfalls eine auffallend
lange Inkubationsdauer hatte. Der Patient genas
vollständig und machte schliesslich zur Behebung
der restierenden Rumpfsteifigkeit erfolgreich eine
medicomechanische Behandlung durch.
Paul Lazarus (Berlin).
S.E.Wood, The sorum test for blood. Boston
medical and surgical Journal 1902. No. 17.
In einer kurzen Arbeit über die Herstellung
des spezifischen präcipitierenden Blutserums, wie
es nach Uhlenhuth’s und Wassermann^ Ar¬
beiten in der gerichtlichen Medicin verwendet
wird, giebt Verfasser eine gedrängte geschicht¬
liche Uebersicht dieser neuen Methode. Er rühmt
den auch von den deutschen Forschem an¬
gegebenen Weg, Thiere durch 6—8 malige intra-
peritoneale Blutinjektionen voreubereiten und
dann das Serum dieser Thiere auf die lOOfacbe
Verdünnung des zu bestimmenden Blutes, in der
Menge von 2—3 Tropfen, einwirken zu lassen.
In einem zweifelhaften Falle gelang es so, durch
exakten Nachweis eines Blutfleckens als von
menschlichem Blute herrührend, den Mörder des
Verbrechens zu überführen.
Im Anschluss an diesen Artikel giebt Dr.
Whitney in derselben Nummer des Boston
Journal eine kurze Uebersicht der Operations¬
technik und beschreibt die von ihm geübte Me¬
thode, ohne etwas wesentlich Neues zu liefern.
F. Meyer (Berlin).
E. Verschiedenes.
Paul Börner’» Reichs-Medicinal-Kalender
1903. H.Theil. Herausgegeben von Professor
Dr. Julius Schwalbe. Verlag von Georg
Thieme, Leipzig.
Mit gewohnter Pünktlichkeit ist auch im
letzten Jahre der H.Theil des Reichs-Medicinal-
Kalenders erschienen; wesentliche Neuerungen
sind diesmal nicht zu verzeichnen. Mit Dank
hebt der Herausgeber hervor, dass das Personal-
verzeichniss der Aerzte infolge der Unterstützung
seitens der Kollegen, in diesem Jahre besonders
sorgfältig ausgeführt werden konnte.
Paul Jacob (Berlin).
Aerztliches Jahrbuch 1908. Herausgegeben
von Dr. v. Grolmann. Frankfurt am Main.
Verlag von Johannes Alt.
Der neue, vierte Jahrgang des ärztlichen
Jahrbuches enthält, wie seine Vorgänger, in ge¬
drängter Kürze ein reiches wissenschaftliches wie
praktisches Material. Sehr schätzenswerth sind
die prägnanten, alles wesentliche enthaltenden
Referate über den neuesten Stand der Tuberkulin¬
frage, Lichttherapie, Röntgenuntersuchungen,
Heissluftbehandlung etc. Das Verzeichniss der
neueren Heilmittel ist sehr umfangreich, und ent¬
hält eine grosse Zahl brauchbarer Dosierungs-
Vorschriften. Besonders willkommen ist in dem
Verzeichniss der Heilstätten die Aufführung der
Anstalten für minderbemittelte Kranke an grossen
Badeorten, wovon der Arzt ja oft genug Gebrauch
machen muss. Für die täglichen Eintragungen
liegen dem Jahrbuch vier Quartalshefte bei.
G. L. Mamlock (Berlin).
Berlin Druck von W. Büxcnatein.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
DIÄTETISCHE und PHYSIKALISCHE THERAPIE.
1902/1903. Band VI. Heft 12 (März).
Redaction:
Geh. Med.-Rath Prof. Dr. E. t. Leyden,
Prof. Dr. A. Goldscheider and Prof. Dr. P. Jacob«
Jährlich 12 Hefte Mk. 12.—.
Verlag von Georg Thleme in Leipzig.
INHALT,
I. Original-Arbeiten. seit©
I. Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe. Von Sanitätsrath Dr. Friedrich
Engel mann in Kreuznach.609
II. Ein Vorgänger Brand’s. Beitrag zu den Anfängen der klinischen Typhushydriatik.
Von Dr. J. Sa dg er in Wien - Gräfenberg.672
III. Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft Von Dr. Nicolaus
Reich, dirigierendem Arzt des Budapester medico - mechanischen Zanderinstitutes 680
II. Kritische Umschau.
Feber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete der Hypnose. Von Dr. A. D woretzky
in Moskau.687
IIL Kleinere Mitthellungren.
Beckenexsudate — kühle Sitzbäder. Von Dr. Diehl, Badearzt in Bemeck (Oberfranken) . 690
IV. Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernfthrangsth erapie).
Schumann-Lcclcrq, Ueber die Ausscheidung der Aetherechwefelsäure bei konstanter Kost
unter dem Einfluss von Karlsbador Wasser, Karlsbader Salz, Wasser, Bier . . . 693
Albu, Die vegetarische Diät. Kritik ihrer Anwendung für Gesunde und Kranke .... 694
Lebbin, Der Nährwerth der Hühnereier.695
Siegert, Erfahrungen mit der nach v. Düngern gelabten Vollmilch bei der Ernährung des
gesunden und kranken Säuglings.695
Orlowsky, Die Bedeutung der Lehre von der Selbstvergiftung des Körpers für die innere
Pathologie und insbesondere für die Pathogenese der Urämie.695
Derselbe, Die Blutalkalescenz unter physiologischen und pathologischen Verhältnissen . . 695
Krawkow, Ueber das Vorkommen von Pentosen im thierischen Organismus und über den
Ursprung der Pentosurie.696
Simon, Beitrag zur Kenntniss der Ei weisskörper der Kuhmilch.698
Schilling, Die Verdaulichkeit der Speisen.698
Preise, Zur Frage über die Beschaffenheit der sibirischen Kuhbutter vom chemisch¬
hygienischen Standpunkte.699
Benaroya, Die künstlichen Nährpräparate, ihr Werth und ihre Bedeutung für die Kranken-
und Kinderernährung. 699
Prevost und Batelli, Einfluss der Ernährung auf die Wiederherstellung der Herzkraft. . 700
Czerny, Rohmilch als Säuglingsnahrung.700
Ztitflchr. f. di*t u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 12. 40
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Inhalt.
«58
B. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
Herz, Handbuch der Heilgymnastik.
Schmidt, Unser Körper.
Seite
701
701
C. Hydro-, Balneo- und Klimatotherapie.
Bruck, Ucber den Einfluss kalter hydriatischer Prozeduren auf den Blutdruck.7<>2
All butt, The Sanatorium in the treatment of phthisis.702
Ide, Ueber den Aufenthalt von nervenschwachen Personen im Xordsccklitua.7 ü:j
Potts, Ankylotic rigidity of tho spine (Rhizomöliquc spondylosis) much improved by the
use of hot air.704
Baum garten, Hydriatisches Jahrbuch, Band II.705
Munter, Die Hydrotherapie der Tabes..705
D. Elektro- and Röntgentherapie.
Immclmann, Ucber die Verwendung der Rontgenstrahlcn in der Medicin.706
Bishop, Employment os occupation neuroses-treatment by elektricity.706
Walsham, Das von einem Hochspannungsbogen mit schnellen Schwingungen erzeugte Licht
zur Behandlung von Hautkrankheiten. .707
Hart, The curative effect of the x rays on callous sinuses of the abdominal wall .... 707
Strebei, Die Verwendung des Lichtes in der Therapie.707
Einsen, Die Bekämpfung des Lupus vulgaris. 700
Török und Schein, Die Radiotherapie und Aktinotherapie der Hautkrankheiten .... 709
E. Verschiedenes.
Baginsky, Ueber die Indikationen und Kontraindikationen des Aderlasses bei Kindern . .710
Bourget, Die medieinale Behandlung der Perityphlitis.710
Kelynack, The relation of alcoholism to tuberculosis.710
Kruse, Krebs und Malaria.710
Grenet und Piquand, Traitement des anövrysmes du tronc brachiocöphalique par la methode
dcBrasdoret des anövrysmes en genöral par les injections sous-cutanees de gölatine 711
Heim, Die nervöse Schlaflosigkeit, ihre Ursachen und ihre Behandlung.711
Fournier, Etiologie du tabes d’aprös un millier d’observations.712
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in das Manuscript eingezeichnet) und in sorgfältigster Ausführung eingesandt werden.
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Original - Arbeiten.
I.
Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Köppe.
Von
Sanitätsrath Dr. Friedrich Engelmann
in Kreuznach.
Zu der Erforschung der Lebensvorgänge im thierischen Organismus werden in
steigendem Maasse die physikalisch-chemischen Untersuchungsmethoden
herangezogen. Zahlreich sind die wissenschaftlichen Arbeiten, welche in den letzten
Jahren auf diesem Gebiete veröffentlicht wurden.
Vielversprechend sind die Resultate für die Zukunft, in der Gegenwart aber
noch recht beschränkt.
Nur über einzelne Punkte der Lebensvorgänge vermögen die physiologisch-che¬
mischen Methoden Auskunft zu geben. Die altbewährten Methoden werden durch
sie nicht verdrängt werden, nur in einzelnen, freilich sehr wichtigen Punkten er¬
gänzt. Es ist ihr Werth ein grosser, aber doch ein beschränkter. Die Beschränkung
ist durch die Natur der Methoden gegeben. Sie vermögen nur Antwort zu geben
auf die Frage nach der Anzahl der in der Lösung enthaltenen Moleküle, nicht aber
über die Natur derselben.
In dieser Beschränkung und mit klarer Erkenntniss ihrer Leistungs¬
fähigkeit angewandt werden die Methoden sicher wichtige Resultate ergeben.
Es ist vorwiegend die Bestimmung des Gefrierpunktes nach Beckmann,
die den meisten bisherigen Untersuchungen!) zu Grunde gelegt ist, nur bei einer
kleinen Zahl ist auch die elektrische Leitfähigkeit herangezogen worden.
Das erstere Verfahren ist das einfachere, bedarf aber doch zu seiner Ergänzung
nothwendig des letzteren, falls man vollkommene Resultate erzielen will.
Meistens waren es die Vorgänge der Resorption und Sekretion, und in
erster Linie der Urin, welche den Gegenstand der Untersuchung bildeten.
An die wichtigste Salzlösung im thierischen Körper, an das Blut, sind
weniger Forscher herangetreten; über das menschliche Blut besitzen wir nur
sehr wenig Untersuchungen.
Und doch ist gerade die Bestimmung des Salzgehaltes des menschlichen Blutes
von ganz hervorragender Bedeutung, nicht allein für die Kenntniss des Blutes selbst,
sondern auch zum Vergleich mit den anderen Salzlösungen des Körpers.
Es muss betont werden, dass alle Untersuchungen der letzteren nur einen
sehr beschränkten Werth haben, wenn sie nicht verbunden sind mit solchen
des Blutes.
!) Man findet die Litteratur in: Köppe, Physikalische Chemie in der Medicin, 1900, und in ,
dem soeben erschienenen Buche von Hamburger, Osmotischer Druck und Jonenlehrc in den me-
dicinischen Wissenschaften 1902, die für den Forscher auf diesem Gebiete unentbehrlich sind.
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H60 Friedrich Engelmann
Dies haben auch verschiedene Forscher erkannt und darum sich auf das Thier¬
experiment beschränkt. Dieses ist aber gerade hier recht wenig geeignet, den Ver¬
such am Menschen zu ersetzen, besonders wenn es sich um die Erforschung patho¬
logischer Vorgänge handelt.
Es ist allerdings bei Benutzung der besprochenen Methoden nicht
leicht, sich menschliches Blut in hinreichender Menge zu beschaffen, man
muss schon zu einer Venaesektion schreiten. Das ist lästig und bei Reihenunter¬
suchungen kaum durchführbar. Und doch sind gerade länger fortgesetzte
Reihenuntersuchungen zunächst allein geeignet, Klarheit in das Dunkel
zu bringen.
Einzelne Untersuchungen sind fast werthlos.
Bei dieser Lage der Dinge ist es geradezu unverständlich, dass ein
kleiner Apparat nicht weiter Verbreitung gefunden hat, der allen Anforderungen
in vollem Maasse genügt, der Hämatokrit, wie er von Koppe angegeben ist.
Der Gedanke des Instrumentes stammt ja von Hedin; dasselbe war aber in
seiner ersten Form unbrauchbar. Erst durch Koppe wurde es so verbessert, wie
es heute ist, und zwar bereits im Jahre 1893! Die erste Beschreibung findet sich
in der Münchener medicinischen Wochenschrift 1893.
Seit jener Zeit hat Koppe und mit ihm andere mit dem Instrumente gearbeitet
und bemerkenswerthe Erfolge erzielt.
Trotzdem ist das Instrument verhältnissmässig unbekannt; ich konnte nur
wenige Arbeiten in der Litteratur finden, die mittels desselben ausgeführt sind.
Das Instrument ist in seiner Art vollkommen und giebt sichere Resul¬
tate in bestimmten Grenzen.
Die relative Unvollkommenheit theilt es übrigens mit den anderen
physikalisch-chemischen Methoden. Auch die Gefrierpunktsbestimmung,
wenigstens in der gewöhnlichen Weise nach Beckmann ausgeführt, giebt nicht
genaue Resultate, in geringerem Maasse auch die Bestimmung der elek¬
trischen Leitfähigkeit.
Die Grenzen, in denen das Instrument mit Sicherheit arbeitet, hat
Koppe in seinem Buche genau festgestellt.
Gerade bei den Versuchen, bei welchen es in erster Linie Verwendung
finden soll, bei Reihenuntersuchungen, handelt es sich weniger um absolute
Genauigkeit, als um sichere Vergleichszahlen.
Sein Hauptvorzug vor den anderen Methoden besteht darin, dass die
Blutmenge, die es bedarf, eine sehr kleine ist. Dadurch giebt es die Möglich¬
keit, die Versuche am Menschen selbst anzustellen, und zwar auch täglich
längere Zeit hindurch wiederholte, und, was besonders wichtig ist, auch an dem
kranken Menschen. Denn nicht um Erforschung physiologischer Vorgänge
allein handelt es sich, viel wichtiger wird diejenige pathologischer sein.
Weiter giebt es die Möglichkeit, die Versuche an sich selbst anzustellen,
was nicht ohne Bedeutung ist.
Es ist der Einwand gemacht worden, dass das Instrument nicht sicher
arbeitet.
Koppe hat durch zahlreiche Arbeiten den Gegenbeweis geliefert. Ein
jeder kann sich leicht von der Richtigkeit desselben überzeugen. Ich kann mich
in allen Punkten Koppe anschliessen, nachdem ich während sechs Monaten an-
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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Köppc. (561
haltend mit dem Instrumente gearbeitet habe. Dem Geübten giebt es sichere
Resultate.
Köppe hat vorwiegend sich darauf beschränkt, physiologische Vorgänge
zu studieren.
Es ist jedem, der mit dem Instrument arbeiten will, anzurathen, für den An¬
fang sich ebenfalls auf solche zu beschränken, um Kenntniss zu erhalten über
die normalen Verhältnisse. Erst dann soll man an die Erforschung krankhafter Vor¬
gänge herantreten.
Und gerade in der Erforschung derselben glaube ich den grössten Werth
des Apparates zu finden. Ist doch die Erkenntniss der genauen Verhält¬
nisse des Blutes von der grössten Bedeutung.
Eine Anzahl noch nicht abgeschlossener Versuchsreihen auf diesem Gebiete
berechtigen mich zu der Ansicht, dass hier wichtige Resultate zu erzielen sind.
Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass unser Instrument eine nothwen-
dige Ergänzung der anderen physikalisch - chemischen Untersuchungs¬
methoden ist, ja dieselben an Wichtigkeit überragt. Für die Untersuchung der
Blutverhältnisse ist es unentbehrlich. Kein Forscher, der sich mit einschlä¬
gigen Untersuchungen beschäftigt, wird sich der Kothwendigkeit entziehen können,
mit seinem Gebrauche sich vertraut zu machen.
Wenn dem nun in der That so ist, woher kommt es, dass das Instrument
so wenig Anwendung gefunden hat?
Ich sehe den Hauptgrund darin, dass die Arbeit mit demselben, d. h. die
exakte, sichere Arbeit schwer ist.
Ich denke mir, dass die absprechenden Urtheile, die man hören kann, von
solchen herrühren, die Versuche mit demselben angestellt und, wie es im Anfang
nicht anders möglich ist, unsichere Resultate erhalten haben, und daraus den
Schluss zogen, dass die Methode überhaupt unbrauchbar ist.
In der That bedarf es längerer Uebung, bevor man diejenige Sicherheit
in der Handhabung des Apparates erlernt hat, die unbedingt nothwendig ist.
Ich habe es selbst erfahren, wie schwer es ist, und wie viel Zeit vergeht, ehe
man sicher arbeitet, wie viel Punkte zu beachten, wie zahlreich die Fehlerquellen
sind. Wochen von Misserfolgen sind vorangegangen, bevor ich zu ein¬
wandfreien Resultaten gelangte.
Da scheint es mir denn nicht überflüssig, wenn jemand diese verheissungs-
volle Methode neuerdings genau beschreibt, der sie mühsam erlernt hat, und
dem die vielen Schwierigkeiten und Fehler noch recht frisch im Gedächt-
niss sind.
Es ist dies um so mehr geboten, da Köppe in seinen Veröffentlichungen
seine Methode zwar klar, aber für den Lernenden zu kurz beschrieben hat.
Ich nehme an, dass der Kollege, der sich mit solchen Arbeiten beschäftigen
will, die Vorkenntnisse besitzt durch Studium der betreffenden Kapitel der physi¬
kalischen Chemie, dass ihm die einschlägige Litteratur bekannt ist, dass er
das Buch von Köppe, das in gedrängter Kürze ziemlich alles enthält, was wir über
den Gegenstand kennen, studiert hat. Darum darf ich auf dasselbe verweisen auch
in Betreff dessen, was über die Apparate, ihre Bezugsquellen u. s. f. gesagt ist.
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662 Friedrich Engelmann
Ich beschränke mich darauf, die Methode selbst recht eingehend — denn
dies ist nothwendig — zu beschreiben und auf die Fehlerquellen aufmerksam
zu machen, damit sie leichter vermieden werden können.
Zunächst sind die Instrumente passend aufzustellen, bequem zur Arbeit
Hei den anderen ergiebt es sich von selbst, eine Besprechung bedarf jedoch
die Aufstellung der Centrifuge.
Ich nehme an, dass mit der Kreiselcentrifuge gearbeitet wird: sie giebt
hinreichend sichere Resultate, bessere nach Koppe wie die anderen Centri-
fugen mit Handbetrieb, und hat den Vorzug der Billigkeit. Ist es möglich,
eine mechanisch getriebene Centrifuge zu benutzen, um so besser, die Arbeit wird
dann rascher und bequemer vor sich gehen, die Resultate genauer werden ’)• Die
Centrifuge muss derart aufgestellt sein, dass sie möglichst fest und unbeweglich
mit ihrem Lager verbunden ist. Das kleine Konsol, welches dem Apparate bei¬
gefügt ist, muss tief und sicher in die Wand eingelassen sein, am besten eingegypst
werden. Die Platte muss vollständig horizontal sein. Unter die Bügel werden
dicke Filz platten gelegt, um das Geräusch möglichst zu dämpfen. Die Axe der
Centrifuge muss vollkommen senkrecht sein. Jeder tüchtige Schlosser ist im
Stande, die Aufstellung richtig vorzunehmen.
Bei richtigem Schmieren muss der Lauf beinahe ganz geräuschlos sein.
Alle acht Tage, wenigstens bei fleissigem Gebrauche, soll man das Instrument
schmieren. Das Oel, welches für Fahrräder benutzt wird, hat sich mir bewährt.
Zum Auseinandernehmen des Apparates benutzt man die beiden Schrauben¬
zieher, und zwar dreht man in entgegengesetzter Richtung. Mit dem einen
löst man die Stellschraube, mit dem andern fixiert man die Mikrometerschraube,
welche zur Befestigung der Axe der Centrifuge dient Hat man die Stellschraube
entfernt, so dreht man die Mikrometerschraube nach oben und kann dann leicht die
Centrifuge herausnehmen. Nach dem Reinigen und Schmieren befestigt man wieder
die Schraube und fixiert sie durch die Schraubenmutter, indem man sich der beiden
Schraubenschlüssel bedient.
Den richtigen Sitz der Axe erkennt man daran, dass sie sich nur ganz un¬
bedeutend seitlich bewegen lässt.
Man hüte sich, während des Ganges die Centrifuge zu berühren, Will man
dieselbe zum Stehen bringen, so legt man zwei Finger der linken Hand an die
Axe, die wie eine Bremse wirken.
Die Centrifuge läuft, gut geölt und aufgezogen, etwa 10 Minuten lang. An¬
fangs macht sie sicher über 2000 Umdrehungen in der Minute. Da wir hohe Ge¬
schwindigkeit nothwendig haben und dieselbe sehr bald nachlässt, so ist es rathsam,
die Centrifuge nach Ablauf von l>,a bis *2 Minuten anzuhalten und neu auf-
zuzieilen. Man erspart auf diese Weise Zeit.
i' Neuerdings hat Koppe eine elektrische Centrifuge angegeben und demonstriert, welche
allen Anforderungen genügt. Ich habe mich selbst von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugt. Pie
Resultate sind tadellos. Nach !."■ Minuten erfolgt kein Sinken der Blutkörperrhensäule mehr; hier¬
mit ist der l'ebelstand beseitigt, den Hamburger gerügt hat Pie Grenzen sind besonders scharf.
Ihr Gebrauch erspart viel Zeit und Mühe, nur ist der Preis ziemlieb hoch. Da sie jedoch überall,
wo ('entrifugieren in Frage kommt, benutzt werden kann, so wird für klinische Institute der Preis
kein Hinderniss für ihre Anschaffung sein. Mechaniker \Y. Petzold-Loipzig fertigt sie an
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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von II. Koppe. 663
Mit dem Apparat wird eine Feder mitgegeben, die um die Axe läuft und den
Deckel beim Oeffnen selbstthätig in die Höhe halten soll. Sie ist zu entfernen, da
sie ihren Zweck doch nur unvollkommen erfüllt und stört.
Beim Einbringen, respektive Herausnehmen der Pipetten legt man den
Deckel über eine an dem Metallbügel angebrachte Schraube. Dieselbe würde übri¬
gens besser 2 cm höher angebracht werden, um mehr Raum zu lassen.
Die Kapseln der Pipetten sollen sicher und unbeweglich in den Metall¬
klammern ruhen, doch sollen sie nicht derart festgehalten werden, dass man zum
Herausnehmen Gewalt anwenden muss. Nach Oeffnen des Deckels fixiert man die
Centrifuge mit der linken Hand und entfernt mit der andern die Holzhülse vor¬
sichtig unter leichter Drehung aus der Klammer, wobei man trachtet, das innere
Ende zuerst zu befreien. Beim Einbringen verfährt man ähnlich.
Manchmal kommt es vor, dass die Schraube, welche den Deckel befestigt, durch
Spannung des letzteren derart fixiert wird, dass es dem Finger nicht mehr gelingt,
die Verbindung zu lösen. Es erleichtert das Aufdrehen wesentlich, wenn man sich
dazu einer Zange bedient, wie sie Gasarbeiter beim Befestigen der Röhren benutzen.
Der Bindfaden, mit dem die Centrifuge aufgezogen wird, ist doppolt ge¬
dreht. An dem Ende wird er mit feinem Draht umwickelt. Er muss die passende
Länge haben. Beim Aufziehen entferne man die Manschetten der linken Hand, da
man leicht an denselben hängen bleibt und Verletzungen des Nagels entstehen können.
* *
♦
Zum Reinigen der Pipetten bedient man sich am besten einer Spritz¬
flasche, aus der destilliertes Wasser direkt durchgespritzt wird. Dann braucht
man weiter Kali causticum, Alkohol, Aether zum Reinigen, am besten in Tropf¬
gläsern. Eine Flasche mit Karbollösung und Kollodium dient zum Behandeln der
kleinen Wunden. Das Cedernöl, welches man für die Oelpipetten verwendet,
muss rein sein und nicht zu dünnflüssig, da es sonst leicht aus der Pipette
ausfliesst. Am besten hat sich mir eine Mischung von gewöhnlichem Oel mit
dem eingedickten, wie es bei Oelimmersion benutzt wird, und zwar zu gleichen
Theilen, bewährt.
Von besonderer Wichtigkeit ist die Reinigung der Pipetten, da von ihr zu
nicht geringem Theil der Erfolg des Versuches abhängt. Minutiöse Reinlichkeit
ist erste Bedingung beim Arbeiten mit dem Hämatokriten.
Man mache es sich zur Regel, stets nach Beendigung eines jeden Versuches
die Pipetten zu reinigen. Man entfernt zunächst den Inhalt durch Blasen, und
wenn dies bei den Oelpipetten schwer gelingt, führt man einen Messingdraht, am
besten übersponnenen, durch, nachdem man vorher einige Tropfen Aether zum Lösen
des Oeles eingebracht hat. Nun spritzt man aus der Spritzflasche destilliertes W'asser
durch, bläst aus und füllt in jeden Trichter einen Tropfen Kali causticum, reinigt
mittels einer Wicke aus Mullgaze letztere, spritzt nochmals, reinigt die Pipette
äusserlich mit einem Tuche und überzeugt sich, dass dieselbe vollständig rein ist;
dann noch einige Tropfen Alkohol und schliesslich Aether, jedes Mal bläst man
Luft durch, nach dem Aether zieht man dieselbe von der Mündung aus an.
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664
Friedrich Engelmann
Es ist nothwendig, dass die Pipetten genau gearbeitet sind und in gutem
Zustande erhalten bleiben. Der Verschluss oben und besonders unten muss ein
vollkommener sein, sie muss im Gestell liegen, ohne Spannung der Stahl¬
bügel. Letzterer muss ohne Druck doch ziemlich fest in den Holzhülsen liegen.
Der Verschluss des Instrumentes ist ein sehr zweckmässiger und vollkom¬
mener, wenn er in gutem Zustand erhalten wird. Die Gummiplatten halten Jahre
lang, lockern sich nur bisweilen und müssen neu befestigt werden. Dies geschieht
am zweckmässigsten mit Schellak, den man in heissem Wasser in Stäbchen formt,
dann etwas über der Flamme erwärmt und auf die gewärmte Platte bringt. Dann
drückt man die Gummiplatte fest auf die flüssige Masse und beachtet, dass die
Ränder besonders gut haften.
Will man die Korkplatten erneuern, so schneidet man sich eine Anzahl
dünner Scheiben aus einem fehlerlosen, weichen Kork, mittels eines scharf¬
schneidenden Rasiermessers. Die Schnittflächen müssen ganz glatt sein und keine
Sprünge zeigen. Dann formt man die Scheiben nach Wunsch, am besten rundlich,
da bei viereckigen die Ecken sich leicht lösen.
Diese Korkplatten werden einfach auf die gelöste Gummiplatte auf¬
geklebt. Ich benutze dazu ein Klebemittel, das man unter dem Namen »Syndeti¬
kon« in Drogerien bekommt. Eine kleine Menge Klebestoff genügt. Ist Kork und
Gummiplatte fest vereinigt, so befestigt man letztere in der oben angegebenen Weise
auf der Metallplatte des Bügels.
Es ist nothwendig, die Korkverschlüsse öfters zu erneuern, auch wenn
sie scheinbar noch untadlich funktionieren. Sie trocknen ein und verlieren ihre
Elastizität. Am besten ist es, beim täglichen Arbeiten die Erneuerung regelmässig
alle acht Tage vorzunehmen.
Hat man die Pipetten frisch armiert, so drückt man zunächst mittels derselben
eine Delle in das Centrum der Korkplatte, damit die Lage der Pipette gut centra-
lisiert ist.
Ein Zeichen des richtigen Verschlusses ist es, wenn nach dem Versuche
sich im Centrum des Korkes nun ein ganz kleiner Blutfleck zeigt, entsprechend
der unteren Oeffnung der Pipette. Die untere Metallscheibe soll wenig be¬
weglich sein im Charniere, jede unnöthige Bewegung desselben ist zu vermeiden,
da sonst das Einbringen der Pipetten erschwert wird. Die obere Platte dagegen
soll leicht beweglich sein.
Die Pipetten sind noch verbesserungsfähig:
Zunächst habe ich unangenehm empfunden, dass die Trichter nicht bei allen
gleichmässig gearbeitet sind. Es erschwert dies die sichere Verbindung mit der
Spritze. Dann aber ist es nicht leicht, die gleiche Menge von Verdünnungsflüssigkeit
nachzuziehen, wie es doch erwünscht ist.
Die Skala derselben wäre etwas feiner herzustellen und solide zu färben. Das
Ablesen wird durch das rasche Verschwinden der Schwarzfärbung recht erschwert
Ein Wort möchte ich hier einfügen über die Bereitung der Verdünnungs¬
flüssigkeit (Testflüssigkeit).
Selbstverständlich wird man Lösungen von solchen Stoffen wählen, die
nicht oder nur in geringem Grade dissociieren. Auch solche sind ausgeschlossen,
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665
Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe.
deren Moleküle, wenn auch nur in beschränktem Maasse, durch die wirkliche oder
supponierte Wand der Blutzellen diffundierten. Am besten wären Lösungen von
Rohrzucker geeignet, da derselbe nicht dissociiert, und meistens wird er auch in
Anwendung gezogen. Doch haben sie den Nachtheil rasch sich zu zersetzen,
so dass sie häufig erneuert werden müssen. Dies ist bei Reihenuntersuchungen
sehr lästig.
Auf den Rath Köppe’s habe ich Lösungen von Magnesiumsu'lfat benutzt,
das nur in geringem Grade dissociiert. Dies stört bei unseren Untersuchungen nicht.
Am zweckmässigsten ist es, die Testlösungen, um die Nachprüfungen zu
erleichtern, nicht wie es meist geschieht in Prozenten der Konzentration anzugeben,
sondern stets das A, die Gefrierpunktserniedrigung, derselben. Hierdurch werden
auch die Missverständnisse, ob es sich um Lösung nach Raoult oder Arrhenius
handelt, vermieden.
Man bereitet sich zwei Lösungen, deren J 0,10° C von einander liegt. Am
besten für unseren Zweck die eine mit J = 0,50° C, die zweite mit J = 0,60° C.
Zwischen beiden Zahlenwerthen liegt meistens das J des Plasma.
Man bereitet sich zunächst eine Normallösung, welche ein Grammmolekül
in (ad) einemLiterWasser enthält. Und zwar muss das destillierte Wasser frisch
bereitet sein. Man verdünnt diese Lösung nun beliebig und bestimmt dann den
Gefrierpunkt. Aus demselben kann man dann leicht die Konzentration berechnen,
welche einem J von 0,50° C respektive 0,60» C entspricht. Die Lösung hält sich
lange Zeit, ohne sich zu verändern. Ich habe über zwei Monate mit der gleichen
gearbeitet, und dieselbe zeigte schliesslich genau denselben Gefrierpunkt wie zu
Anfang. Doch ist dies nicht immer der Fall, wie ich ebenfalls erfahren habe. Daher
ist cs rathsam, in nicht zu langen Zwischenräumen die Lösung zu prüfen.
Oefters muss dieselbe auch filtriert werden, da sich Pilzkörper in ihr bilden.
Dieselben stören nur insofern, als sie eine Verunreinigung der Pipetten bedingen,
sie ändern die Zusammensetzung der Lösung nicht.
Auf einen Punkt muss ich noch aufmerksam machen. Bei Bestimmung des J
destillierten Wassers, welches wiederholt gefroren und wieder aufgethaut wird,
ebenso wie auch der Testflüssigkeit darf nur wenig gerührt werden. Denn
hier handelt es sich nicht darum, möglichst genaue Resultate zu erhalten für die
Flüssigkeit selbst, sondern um Vergleichszahlen. Rühre ich stark, so entferne ich
die Luft, dieselbe wird sich aber wieder rasch beim Stehen in die Flüssigkeit
einfügen. Das J derselben wird dann um 1 bis 2 Hundertstel Grad höher sein als
das der stark gerührten Flüssigkeit; es ist also bei unseren Verfahren nicht ab¬
solut richtig, es ändert sich aber auch nicht mehr. Und dies ist bei Reihen¬
untersuchungen das Wichtigere.
Beim Gebrauche der Testflüssigkeit sind einige Kautelen zu beachten. Man
muss stets die Flüssigkeit in der Flasche umschütteln, bevor man sie verwendet,
um das Kondenswasser mitzunehmen. Nach dem Gebrauche muss der Hals der
Flasche sowie der Kork abgewischt werden, da sich sonst Salze niederschlagen,
die sich^bei späterem Gebrauche wieder lösen und die Lösung konzentrierter machen.
Auch ist Sorge darauf zu verwenden, dass die Uhrgläschen, in welche die Lösungen
zum Gebrauche gebracht werden, stets sehr rein sind. Auch das Tuch, welches
zur Reinigung dient, muss rein sein und häufig gewechselt werden.
Alle diese Dinge klingen kleinlich, ihre Beachtung ist aber doch von Be¬
deutung.
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666 Friedrich Engclmann
Die Spritze zum Aufziehen der Flüssigkeit ist eine gewöhnliche Pravaz'sche
Der Gebrauch derselben, besondere wenn es sich um Versuche an eigenem Blute
handelt, ist nicht ganz einfach. Die Haltung der Finger am Kolben wird sich
e praxi ergeben. Beim Heraufziehen des Stempels wird eine leicht drehende
Bewegung die beste sein.
Um mit den Fingern an der Glasröhre der Spritze besseren Halt zu be¬
kommen, habe ich dieselbe mit einer Gummiröhre überzogen. Der Stempel muss
leicht beweglich sein, aber auch nicht zu leicht. Man erreicht dies am sichersten,
wenn man stets nach dem Gebrauche die Spritze mit Wasser voll saugt und
so aufbewahrt. Nur muss man dann beachten, vor dem Gebrauche das Wasser voll¬
ständig zu entfernen.
Die Verbindung der Spritze mit der Pipette wird durch ein kurzes Gnmmi-
rohr vermittelt. Dasselbe muss die richtige Länge haben. Der Trichter soll
etwa zur Hälfte in derselben eingeschoben werden. Es ist darauf zu achten, dass
das Rohr feste Wände hat, damit ein leichter Druck auf dasselbe, wie er gelegent¬
lich vorkommt, nicht eine Volumenveränderung zur Folge hat und aufsaugencl
auf den Inhalt der Pipette wirkt
Die Nadel zum Umrühren der Verdünnungsflüssigkeit muss stets vollständig
rein und glänzend sein. Oefteres Wechseln ist gerathen. Trotz aller Sorgfalt
hatte ich Anfangs häufig Gerinnselbildung an der Nadel. Erst als ich darauf kam,
unmittelbar vor dem Gebrauch die vorher bereits sorgfältig gereinige Nadel
nochmals fest abzureiben, bekam ich tadellose Resultate. Ob hierbei die Er¬
wärmung der Nadel mitspielt, wage ich nicht zu entscheiden. Das Stilet, welches
durch eine Feder vorgetrieben die kleine W T unde für die Blutentziehung bewirkt,
ist nach dem Gebrauche mit Karbolsäurelösung und Wasser zu reinigen. Ueber die
Entnahme des Blutes selbst einige Worte. Man wählt die Länge des Stilets
der Art, dass man einen hinreichend grossen Tropfen Blut erhält. An ver¬
schiedenen Stellen desselben Fingers und an den verschiedenen Fingern, ebenso bei
verschiedenen Personen ist dies sehr abweichend. Das Blut soll leicht einen hin¬
reichend grossen Tropfen bilden bei leichtem Druck oder Streichen der Finger.
Der letztere soll die Umgebung der Wunde vermeiden, da man sonst leicht Gewebs¬
flüssigkeit dem Blute beimischt.
Als Stelle des Einstiches wählt man die Fingerbeere und zwar am be¬
quemsten bei Versuchen am eigenen Körper die Daumen Seite. In diesem Falle
kann man auch nur die der vierten und fünften Finger bequem zur Blutentziehung
benutzen, da man die anderen zum Manipulieren mit der Pipette braucht.
Ist das Blut in die Pipette aufgesogen, so habe ich es für zweckmässig ge¬
funden, so zu verfahren:
Der Blutstropfen, der sich auf der Fingerbeere findet, wird abgewischt
und letztere mit einer schmalen Mullbinde umwickelt, um das weitere Heraus-
fliessen des Blutes zu verhindern. Besondere ist dies nothwendig, wenn man an
sich selbst experimentiert und daher die Finger nothwendig hat. Ist die eine Pipette
versorgt, so löst man die Binde und reibt mit trockenem Tuche einige Mal fest
über den Finger nach der Spitze. Hierdurch wird alle Feuchtigkeit entfernt und
zugleich das Blut nach der Fingerbeere zu gedrängt. Ein leichter Druck genügt dann,
um einen hinreichend grossen Tropfen Blut zu erhalten.
Sind alle Pipetten gefüllt, so befeuchte ich die Binde mit etwas Karbolsäure¬
lösung, lasse sie noch einige Minuten am Finger und streiche dann nach dem Ab-
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Dio Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe. 667
trocknen Kollodium auf. Kommt man später mit septischen Stoffen in Berührung,
so zieht man einen Gummifinger über.
In dieser Weise vorgehend habe ich bei vielen hunderten von Stichen, die
ich bei mir und anderen Personen machte, nie Schaden gesehen. Nur zu Anfang, als
ich bei mir selbst längere Zeit hindurch täglich jeden Finger mehrmals in Anspruch
nahm, trat in der Hand und dem ganzen Arm ein eigenthilmliches Gefühl von
Schwere, zugleich mit Ameisenkriechen und Kribbeln auf, das recht unangenehm
war und besonders beim Herabhängen des Armes sich bemerkbar machte. Dies
dauerte ca. 14 Tage und verlor sich dann vollständig, trotzdem ich die
Arbeit gleichmässig fortsetzte.
Koppe theilte mir mit, dass bei ihm an den überangestrengten Fingern (von
Juli 1894 bis November 1895 ca. 900 Stiche) die Sensibilität etwas herabgesetzt
wurde, und Schweissausbruch an denselben vor jeden Einstich erfolgte, sodass
die Versuche für einige Zeit ausgesetzt werden mussten. Alle Erscheinungen schwanden
allmählich.
* *
*
Ich füge nun eine systematische Beschreibung der Methode bei. Ge-
rathen ist, mit der Untersuchung bei einem Dritten zu beginnen, da dieselbe
leichter ist als am eigenen Körper. Um Uebung in Handhabung der Pipette zu
erlangen, ist es gerathen, einen gefärbten Wassertropfen auf die Fingerbeere zu
bringen und denselben in die Pipette aufzusaugen.
Wenn der Versuch seinen Anfang nimmt, überzeugt man sich zunächst, dass
alles in Ordnung ist. Alle Gegenstände liegen bereit, und zwar sollen dieselben
stets auf derselben Stelle und in derselben Lage sich befinden, damit man sie im
Notbfalle mit geschlossenen Augen greifen kann. Jede Bewegung muss gleichfalls
automatisch erfolgen.
Die Centrifuge ist offen, der Bindfaden liegt bereit.
Die Pipetten sind in Reih und Glied geordnet nach den Nummern, etwas
schräg, um sie bequem zu fassen, hinter jeder liegt die Spange, die obere Platte
flach aufliegend, die untere senkrecht, hinter einer jeder die zugehörige Holzkapsel.
Man überzeugt sich nochmals, ob alle Nummern stimmen.
Links derselben stehen zwei Uhrgläschen, reichlich gefüllt mit der Test¬
flüssigkeit.
Daneben die Rührnadel, die Spitze frei in der Luft, um Verunreinigungen zu
vermeiden, und die leicht angefeuchtete fingerbreite ca. 15 cm lange Mullbinde.
Auf der rechten Seite des Tisches findet sich handgerecht die Spritze?
von deren leichten Gang und Trockenheit man sich überzeugt hat; daneben das
Stilet, richtig eingestellt.
Seitwärts das Notizbuch, bereits mit dem Schema für den Versuch versehen,
dabei Bleistift und Lupe.
Zunächst reinigt man das Operationsfeld durch Abreiben mit Wasser (nicht
Karbolsäurelösung oder dergleichen) und Aether unter starkem Aufdrücken, um
Hyperämie der Fingerspitze zu erzielen.
Nun wird das Instrument fest auf die gewählte Stelle aufgesetzt und auf
der Feder gedrückt. Gewöhnlich folgt ein kleines Tröpfchen Blut, das sich langsam
vergrössert. Manchmal kommt anfangs kein Blut, besonders wenn das Ver-
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Friedrich Engelinann
068
suchsobjekt etwas ängstlich ist, doch nach kurzer Zeit fliesst es reichlich. Daher
mit einem zweiten Einstich sich nicht übereilen.
Vorher hat man bereits die Oelpipetten mit Oel versehen, durch Aufsaugen
mit dem Munde, das anhaftende Oel mittels eines reinen Tuches abgewischt. Die
Menge des Oel ist gleichgiltig, doch soll der Trichter nicht gefüllt sein.
Man ergreift nun die eine Oelpipette und saugt sie, ebenfalls mit dem Munde,
voll Blut, bis in die Nähe des 100. Punktes, entfernt das übrige Blut durch Ab¬
streichen der Pipetten auf dem Ballen der Hand und bringt sie unmittelbar in
die Spange, indem man Sorge trägt, dass kein Blut ausfliesst. Dies erreicht man
am besten, indem man die Pipettte möglichst horizontal hält und fest gegen die
Korkplatte andrückt, bevor man die obere Platte über den Trichter schiebt. Man
kontrolliert nun, ob die Pipette richtig senkrecht an der Spange liegt, bringt dann
letztere in die Holzhülse und zwar der Art, dass die Spangen nach dem Aus¬
schnitt im Holze gerichtet sind. Dann verfährt man mit der zweiten Oelpipette
in gleicher Weise und beeilt sich, beide in die Centrifuge zu bringen, und letztere
in Bewegung zu setzen. Natürlich müssen beide sich gegenüber liegen.
Alle Manipulationen sollen möglichst rasch und ohne Zögern und Zeit¬
verlust, aber auch ohne jede Uebereilung gemacht werden. Allzu ängstlich
braucht man nicht zu sein. Das wesentliche ist, dass das aufgesaugte Blut ganz
frisch ist und die Centrifuge von anfang an möglichst intensiv einwirkt.
Anfangs hatte ich grosse Schwierigkeiten mit den Oelpipetten und bekam
schlechte Resultate, da ich nach Vorschrift letztere bei Schluss des Versuches in
Angriff nahm. Ich schob die Ursache auf alles mögliche, die Centrifuge, das Oel u. s. f.
und machte vielerlei Versuche, bis ich auf den Gedanken kam, die Oelpipetten
zunächst zu behandeln, solange das Blut noch leicht aus der Stichöffnung
fliesst. Seitdem hatte ich vortreffliche Resultate und kam nicht mehr in die Lage,
eine Pipette verwerfen zu müssen. Vollkommen ist das Resultat nur dann, wenn
sowohl die Blutkörperchen, wie auch die Plasmasäule scharf und horizontal
abschneidet und letztere vollkommen frei von Bluttheilchen ist.
Die beiden Pipetten müssen gleiche Volumprozente.zeigen, die Abweichung
darf keinesfalls 0,5 eines Grades überschreiten 1 ).
Man tritt hierauf an die Füllung der ersten Pipetten. Der kleine Verband
wird gelöst, nachdem man zuvor die Pipette mit der Spritze armiert hat. Man achte
hierbei darauf, dass der Stempel der letzteren unten steht und dass der Trichter
nur zur Hälfte vom Gummischlauch bedeckt ist.
Ein Blutstropfen wird zum Austreten gebracht und in die Pipette aufgesogen.
Der Theilstrich 100 soll nicht überschritten werden, da beim Zurückschieben
der Spritze stets etwas Blut an der Wand kleben bleibt und das Resultat trübt.
Man versteife sich nicht darauf, am wenigsten bei Beginn der Versuche, den
100 Punkt möglichst nahe zu kommen oder denselben gar einzuhalten. Es hat
nur geringen Vortheil und giebt Ursache zu manchen Unkorrektheiten. Wünschens-
werth ist es allerdings, die Blutsäule möglichst hoch zu erhalten, da die Resultate
richtiger werden. Aber es genügt vollkommen, wenn man die Zahl 80 überschreitet.
') Bei starker Leukocytose, auch der alimentären, ist die Grenze zwischen Blutkörperchen-
säule und Plasma nicht ganz scharf, da die weissen Blutzellcn als leichte Körper sich oben an¬
sammeln und schlecht centrifugieren.
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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von H. Koppe.
ßfif)
Ist das Blut in die Pipette aufgesaugt, so wischt man sorgfältig alles aussen-
haftende Blut ab. Bleibt noch aussen etwas haften, so wird dasselbe leicht in die
Pipette eingezogen und macht das Resultat unrichtig.
Ich lege nun die Pipette mit Spritze auf dem mit dem Tuche bedeckten
Tisch und zwar möglichst horizontal. Hierdurch wird das Ablesen wesentlich
erleichtert. Denn so gelingt es leicht, das Auge genau in einem rechten Winkel
zu stellen. Dies ist aber durchaus nothwendig, besonders beim Ablesen mit der
Lupe. Man kann sich leicht davon überzeugen, dass das Resultat sich um Va bis
1 Grad der Skala verändert, wenn man das Auge etwas seitwärts bringt oder gar
das Centrum der Lupe verschiebt. Die drei Tunkte Auge, Centrum der Lupe,
Höhe der Blutsäule müssen genau in einer geraden Linie liegen, recht¬
winklig zur Pipette.
Dies Verfahren hat mir sicherere Resultate gegeben als das Ablesen der senk¬
recht gehaltenen Pipette.
Auch hier muss die Uebung das beste thun.
Ist die richtige Zahl festgestellt (bei einiger Uebung lassen sich noch
0,2 Grad der Skala abschätzen), so wird dieselbe in das Protokoll eingetragen.
Dann nimmt man die Pipette auf, zieht den Stempel zurück, damit die Blut¬
säule etwas in die Höhe steigt und kein Blut direkt mit der Flüssigkeit, die nun
aufgesaugt wird, in Berührung kommt.
Beim Aufsaugen macht man mit dem Stempel der Spritze leichte Drehbewegungen
und saugt eine nicht zu kleine Menge Flüssigkeit ein. Man soll etwa das zehn¬
fache der Blutmenge mit derselben vermischen. Es sollte von dem Verfertiger
eine Marke angebracht sein, die für vollständige Füllung der Pipette die Grenze
für die nothwendige Mischungsflüssigkeit angiebt. Man kann sich dieselbe
übrigens auch ohne Schwierigkeiten selbst herstellen.
Es ist nicht gleichgiltig, ob mehr oder weniger Flüssigkeit mit dem Blut ver¬
mischt wird, bei stärkerer Verdünnung wird die Dissociation grösser.
Ist die Flüssigkeit aufgesaugt, so darf auf der Oberfläche derselben im Uhr¬
glas keine Spur von Blut sichtbar sein. Uebrigens muss dieselbe zu jedem Ver¬
suche, auch wenn dieselben sich rasch folgen, erneuert werden und darf selbst¬
verständlich nicht in die Flasche zurückgegossen werden.
Die Pipette wird nun durch Streichen auf dem Tuche von dem Tropfen
Flüssigkeit, der ihr anhängt, befreit und hingelegt. Dann reibt man nochmals
die Rührnadel fest ab, befeuchtet die Spitzen der drei Finger, welche die Spange
ergreifen, und zwar Daumen und Mittelfinger seitlich die Spangen, der Zeige¬
finger ruht auf der Platte, den Kork verschliessend.
Man ergreift nun die Spritze mit der rechten Hand (man hüte sich hierbei,
das Gummirohr, welches die Verbindung herstellt, zu drücken) und führt von oben
her die Spitze der Pipette an die Korkplatte, drückt sie leicht dagegen, wäh¬
rend der Zeigefinger der linken Hand einen leichten Gegendruck ausübt. Gleich¬
zeitig verlassen die anderen Finger die Spange, fassen die Pipette fest in der
Mitte etwa und drücken sie gegen die Korkplatte.
Die Pipette ruht nun in der Spange, gehalten durch die drei Finger, die durch
ihren kombinierten Druck dieselbe an der Korkplatte festhalten und jedes Ausfliessen
von Flüssigkeit verhindern.
Unter leichtem Drehen wird dann die Spritze von dem Trichter befreit.
Hierbei ist es gut, die Pipette möglichst horizontal, leicht nach unten geneigt,
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fi7Ü Friedrich Engclmann
/» halten. Man ergreift die Nadel, führt sie vorsichtig in den Trichter und
rührt mit ihr Flüssigkeit und Blut tüchtig durch einander, wobei man beachtet, dass
die Nadel etwas in die Röhre selbst eindringt, um auch hier eine Vermischung
zu vermitteln. Mit der feuchten Nadel soll man nicht die Wände des Trichters
oberhalb der Flüssigkeit berühren.
Man legt dann die Nadel bei Seite, schiebt den oberen Verschluss über den
Trichter, indem man gleichzeitig die Pipette fest gegen die untere Korkplatte presst.
Alle diese kombinierten Bewegungen müssen fleissig geübt werden. Man wird
erst sichere Resultate erzielen, wenn dieselben gleichsam automatisch erfolgen.
So lange man noch überlegen muss, was nun kommt und was dann, wird der Erfolg
mangelhaft sein.
Die in der Spange befindliche Pipette wird nun auf richtige Lage geprüft
und in die Holzhülse gebracht.
Die Beschreibung der Manipulation ist lang, sehr viel länger als die Aus¬
führung. Bei einiger Uebung gelingt es leicht, sämmtliche Pipetten in circa fünf
Minuten herzurichten.
Während die Pipette No. 3 gefüllt wurde, hat sich der Lauf der Centrifuge be¬
reits verlangsamt, und dieselbe muss neu aufgezogen werden. Dann begiebt man
sich an die Füllung der letzten Pipette, die ganz in gleicher Weise vorgenommen
wird. Die Rührnadel ist natürlich unmittelbar nach dem Versuche zu reinigen.
Beide Pipetten werden dann in die Centrifuge gebracht
Hat man letztere fünfmal neu aufgezogen, so wird sie geöffnet und nach¬
gesehen, ob alles in Ordnung ist, und zugleich eine jede Holzkapsel um 180° ge¬
dreht, damit oben kommt, was unten war, um hierdurch eine gleichmässige Ober¬
fläche der Blu'tsäule zu erzielen.
Ein 12—15maliges Aufziehen der Centrifuge soll genügen. Doch wird dieses
bei Jedem verschieden sein. Man muss es eben ausprobieren. Sinkt das Niveau
der Blutsäule nicht mehr, so ist der Versuch beendet, und man kann die Pipetten
herausnehmen und ablesen. Hierbei sind dieselben Kautelen zu beachten wie oben
bemerkt.
Ich lege die Pipette auf weisser Unterlage vor mich hin, horizontal.
Die Oelpipetten verlangen dunkeln Hintergrund und helles, am besten seitlich ein¬
fallendes Licht, um die obere Grenze des Plasmas deutlich zu erkennen.
Nachdem die Zahlen in das Protokoll eingetragen und das Resultat berechnet,
ist der Versuch beendet.
Zum Schluss möchte ich noch einige Worte über die Leistungsfähigkeit
unseres Instrumentes, sowie seine Fehler anfügen.
Koppe hat eingehend in seinem Buche die Grenzen der Leistungsfähigkeit be¬
sprochen. Ich will einzelnes hervorheben.
Die Natur des Instrumentes bedingt es, dass mit demselben nicht absolut
genaue Resultate erzielt werden können. Die Gestalt der Blutzellen, welche
immer noch einen gewissen Raum zwischen sich lassen, auch wenn sie fest auf¬
einander liegen; der wenn auch geringe Dissociationskoefficient, der bei Mi¬
schung mit dem Plasma sich noch vergrössert, sind Hindernisse einer absoluten Ge¬
nauigkeit. Daher stimmen die mit ihnen gewonnenen Resultate nicht ganz genau
mit den durch andere physikalisch-chemische Methoden erzielten überein.
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Die Arbeit mit dem Hämatokriten von II. Koppe. <*71
Dazu kommt noch die bereits erwähnte Schwierigkeit beim Ablesen der
Skala und die Breite der Skalastriche. Letztere sind im Verhältniss zu dem
freien Raum recht reichlich breit. Man stellt daher unwillkürlich das Auge auf
dieselbe ein und bemerkt nur stärkere Abweichungen als solche.
Ueber den Missstand, dass am Trichter keine Marke ist, habe ich bereits
oben gesprochen. Ihm ist leicht abzuhelfen. Man saugt bis Theilstrich 100, zieht
dann etwas Luft in die Pipette und zieht von neuem bis zu derselben Höhe, und
so fort, bis man 11 mal Flüssigkeit eingesaugt hat. Dann erhält man die Grenze
der lOmaligen Vermischung, die man durch einen Feilstrich markiert.
Ein Uebelstand liegt weiter in der Centrifuge.
Die Kreiselcentrifuge erfüllt nach Koppe alle Erfordernisse und hat ihm
genaue Resultate gegeben. Dies ist wohl richtig, aber bei meinen Versuchen genügte
ein 12 —15 maliges Centrifugieren nicht. Noch nach 24 mal veränderte sich die
Blutkörperchensäule, und zwar ziemlich regelmässig bis 2° der Skala. Hamburger
hat dieselbe Erfahrung gemacht, wie er in seinem Buche betont. Bekanntlich lässt
sich reines Blut leicht centrifugieren, mit Salzlösungen vermischtes recht schwer.
Dies lässt sich leicht feststellen. Die Oelpipetten ändern sich nach 12—15maligem
Centrifugieren nicht mehr, wohl aber die andern bis 2° und mehr.
Will man sichere Resultate haben, so muss man dementsprechend recht lange
centrifugieren. Dies ist unbequem, besonders bei Reihenuntersuchungen. Nun kommt
es bei letzteren aber nicht so sehr auf absolut richtige Werthe an, sondern nur auf
relative, die durch gleiche Methoden gewonnen sind. Es genügt daher bei allen
Versuchen, mit derselben Kraft und Zeit zu centrifugieren, um verwendbare Zahlen
zu bekommen. Durch die elektrische Centrifuge werden alle diese Uebelstände Ab¬
stellung finden.
Die Ausstellungen sind, wie man sieht, geringfügiger Natur und können den
Werth des Instrumentes nicht herabsetzen.
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<>72
J. Sadgcr
II.
Ein Vorgänger Brand's.
Beitrag zu den Anfängen der klinischen Typhusbydriatik.
Von
Dr. J. Sadger
in Wien - Gräfenberg.
Das Jahr 1861 gilt als das Geburtsjahr der klinischen Hydrotherapie. In diesem
Jahre erschien nämlich die erste Monographie Ernst Brand’s über die Wasser¬
behandlung des Typhus, die Jürgensen den Anstoss zu eigenen hydriatischen Studien
gab. Dem letzteren aber und später noch Ziemssen gebührt das Verdienst, dass
sich zur Stunde viele Kliniker mit der Wasserbehandlung des Typhus befassen.
In der obcitierten Monographie war nach dem stolzen Worte des Autors »zum
ersten Mal, so lange die wissenschaftliche Medicin existiert, eine Therapie für
eine lebensgefährliche Krankheit gefunden, welche den Anforderungen entsprach, die
man an eine Behandlung stellen kann«. Und wenn dann auch Jürgensen erfolg¬
reiche Vorgänger entdeckt haben wollte, war doch Ernst Brand anscheinend im
Recht, als er mit allem Nachdruck erwiderte: »Die Litteratur der Wasserbehandlung
des Typhus beginnt, wie ich glaube, nicht mit Hippokrates, sondern mit dem
Jahre 1861, d. h. mit dem Erscheinen meiner Monographie«. So blieb es bis zum
heutigen Tage, und Deutsche wie Franzosen pflichteten jenem Satze von Brand ein-
müthig bei. Eine einzige Ausnahme bliebe zu nennen. Wilhelm Winternitz hat
nämlich bereits im Jahre 1869, dann nochmals in seinem grossen Lehrbuch für einen
in der Aerztewelt Unbekannten eine Lanze gebrochen. Es war dies Dr. med. Leo¬
pold von der Decken, der zwei Jahre vor Brand schon eine ganz detaillierte Me¬
thode beschrieb, wie der Typhus mit Wasser zu behandeln sei, und der ausserdem
noch die wichtigsten Erkenntnisssätze von Brand mit ausdrücklichen Worten vor¬
weggenommen hatte. Da aber kein Kliniker sich seiner Ideen annehmen wollte, ist
er noch zur Stunde so gut wie verschollen.
Für diesen einen Vorgänger Brand’s trat aber doch wenigstens Winternitz
ein. Ich will aber heute von einem reden, der lange vor Brand und von der
Decken systematische Typhushydriatik übte, und den kein einziger Sammler nennt,
so viele auch über den Typhus geschrieben. Ich meine da nicht etwa Vincenz
Priessnitz, obwohl mit dessen ureigenstem Kalb selbst Brand noch pflügte, wohl
ohne es zu wissen. Ich spreche vielmehr von einem Arzt, dem späteren Physikus
und Medicinalrath Dr. Pingier, der unter Priessnitz selbst noch gelernt, und dann
seine eigene Typhushydriatik ausgebildet hatte. Im Jahre 1854 erschienen im
13. Bande der »Medicinischen Jahrbücher für das Herzogthum Nassau« (Wiesbaden,
Christian Wilhelm Kreidel) amtliche Berichte über zwei grössere Typhusepidemieen
in den ersten Semestern 1851 und 1853, sowie über eine kleinere Epidemie von
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673
Ein Vorgänger Brand s.
26 Fällen im Jahre 1850. Im zweiten Semester des letzteren Jahres war durch den
damaligen Medicinalassistenten Dr. Georg Pingier in Königstein zum ersten Male
die ausschliessliche Behandlung mit kaltem Wasser eingeführt worden. Der thera¬
peutische Effekt (2 Todesfälle auf 26, also 7,6 °/ 0 Mortalität) war immerhin günstig,
zumal wenn man noch in Rechnung zieht, woran und wieso die beiden gestorben.
Der erste Fall ist eigentlich kein Sterbefall durch Typhus zu heissen, »indem der
Patient von der vierten bis sechsten Woche fieberlos war, guten Appetit hatte und
sich zu erholen schien, dann aber von akuter Lungentuberkulose befallen wurde, an
welcher er starb«. Bei dem zweiten jedoch wurde fast kein kaltes Wasser, wohl
aber viele Arzneien ](Aq. oxymuriat., Rheum, Ipecac., Alumen, Arnica) angewendet.
Schon damals vermochte Georg Pingier in seinem Berichte den Ausspruch zu
wagen: »Soll ich meine Meinung äussern über den Nutzen des kalten Wassers im
Typhus, so kann ich nicht anders, als der Priessnitz’schen den Vorzug vor allen
andern Behandlungsweisen einzuräumen, was sich besonders dann herausstellt,
wenn die Kranken noch mit voller Reaktionskraft zur Behandlung kom¬
men«. Und weiter den interessanten Satz: »Ich bin überzeugt, dass man im
Vorläuferstadium fast immer diese Krankheit abhalten kann, was auch
Priessnitz mit aller Bestimmtheit behauptet«.
Der glückliche Ausgang der Kuren Pingler’s bewirkte zunächst, dass im
nächsten Jahre sein Amtskollege Dr. Küster sich gleichfalls der Hydriatik des
Typhus zuwandte, allerdings nur schüchtern und in nur allzubescheidenem Maass.
Aber gleichwohl bekennt er in seinem Bericht: »Kalte Abwaschungen, kalte Kom¬
pressen auf den Kopf, Uebergiessungen desselben, und, wo die häuslichen Verhält¬
nisse es gestatteten, das Einschlagen in ein nasses Leintuch, erquickten die Kranken
nicht nur sehr, sondern verlangsamten und hoben den Puls, während gleichzeitig die
Fieberhitze auf kürzere oder längere Zeit in einem solchen Grade gemässigt wurde,
wie es durch kein anderes Mittel zu erzielen ist.«
Im Jahre 1851 erprobte Pingier seine Methode in einer grösseren Typhus¬
epidemie zu Königstein und Umgehung. Von 95 Kranken verlor er nur einen armen
Knaben am 52. Tage an Meningitis, und von der weniger zu überwachenden Land¬
klientel »ein durchaus skrophulöses Kind nach glücklich bestandener Krise infolge
vieler Abscesse«. Das gäbe also eine Mortalität von 2,1 °/ 0 . Mit Ausnahme jener
zwei wurden alle gerettet, ja »in anderer Beziehung fühlten sich die meisten der Be¬
fallenen nach überstandener Krankheit wohler als früher«.
Noch glänzender waren die Erfolge im Jahre 1853. Selbst Dr. Küster starben
bei seiner reservierten Hydriatik, bestehend ausschliesslich in kalten Abwaschungen
und höchstens Abreibungen, stehend oder liegend, blos 11 Patienten unter 200, also
5 1 /*°/o, bei einer nichts weniger als gutartigen Epidemie; Dr. Pingier aber gar nur
2 Patienten von 128 (Mortalität 1,6 °/ 0 ), und beide unter ganz besonderen Umständen.
Der erste betraf nämlich einen jungen, kräftigen Mann, der sich erst lange ohne
ärztliche Hilfe herumgeschleppt hatte, dann eine Zeit lang arzneilich behandelt,
hierauf in siebentägiger hydriatischer Behandlung bis zur kritischen Entfieberung
geführt worden war, um endlich durch Aerger und häuslichen Zwist, sowie durch
unvorsichtigen Genuss von Gurken einen Rückfall schlimmster Art zu bekommen.
Nun verordnete ein fremder Arzt hinter Pingler’s Rücken Opiumtinktur gegen die
Diarrhoe, was sofort zur Betäubung und Somnolenz führte, und als trotzdem das
Wasser noch alles überwinden zu wollen schien, kam es plötzlich zu eitriger Paro-
Zeitsohr. t diät u. physik. Therapie. Bd. VI. Heft 12. 47
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674 J. Sadgcr
titis und retropharyngealer Phlegmone, an welch letzterer der Kranke suffokativ zu
Grunde ging. Der zweite Exitus endlich betraf eine Frau von 53 Jahren, bei der
Fingier die Bäderbehandlung, wie mich bedünkt, alzu vorzeitig eingestellt hatte,
weil sich am ganzen Körper Bläschen bildeten, die platzten und »eine entzündete
Grundfläche zeigten, wie nach Verbrennungen dritten Grades«.
Rechnet man sämmtliche Typhuskranke Pingler’s in diesen drei Epidemieen
zusammen, so ergeben sich 249 Kranke mit nur 6 Toten, d. h. im ganzen einer Mor¬
talität von 2,4<»/o, gewiss ein glänzendes Resultat. Und zwar um so glänzender, als
die genannten drei Epidemieen in unhydriatisch behandelten Fällen nichts weniger
als milde und glimpflich verliefen.
Was war nun die Behandlungsmethode Pingler’s, die solche Erfolge zeitigen
konnte? Wie er in einem späteren Buche erzählt, ward Pingier im Jahre 1850
durch die Noth zu Vincenz Priessnitz getrieben. Damals übte er nämlich seine
Praxis in einer Gegend aus, wo die meisten Gemeindebürger in der allergrössten
Dürftigkeit lebten. Das Bedürfniss nach einer Pharmacopoea pauperum, die bei
möglichster Wirksamkeit doch möglichst wenig Kosten verursacht, bewog ihn, zu
Vincenz Priessnitz zu reisen. Als er dem grossen schlesischen Bauer die Gründe
seines Kommens dargelegt hatte, liess dieser alles Misstrauen fahren, das er sonst
infolge sehr übler Erfahrungen gegen sämmtliche Aerzte mehr weniger nährte. In
den 100 Tagen, die Pingier nun auf dem Gräfenberg weilte, hat er gar vieles
Merkwürdige gesehen, und, wie ich aus späteren Privatbriefen weiss, jenen Aufent¬
halt stets als das grösste Glück seines Lebens betrachtet >) Dort war ihm auch der
Anstoss zu seiner Methode der Typhushydriatik geworden.
Als er Priessnitz um die Behandlung des Typhus fragte, gab dieser folgenden
Bescheid: »Vor allen Dingen sorgen Sie, dass der Kopf klar werde und bleibe; so¬
bald ich dieses erreicht habe, halte ich den Kranken für gerettet«. Man wird nicht
umhin können, dem Scharfsinn des Mannes Anerkennung zu zollen. Denn that-
sächlich wird eine Hydriatik, die beim Typhus abdominalis die cerebrale Störung
dauernd beseitigt, auch fast jede andere Gefahr beheben. Um dies zu erzielen,
ging Priessnitz nach Pingier folgendermaassen vor: »Der Kranke wird mit
einem kalten Kopfumschlag versehen, in der abgeschreckten Wanne bis zur Ab¬
kühlung frottiert, muss dann in der kalten Wanne untertauchen, in die abgeschreckte
zurücksteigen, nimmt ein Luftbad und begiebt sich zu Bette, in dem er bis zur Er¬
wärmung frottiert oder feucht eingeschlagen wird. Bei jeder folgenden Exacerbation
folgen feuchte Leintücher (oft 20—30 in einem Tage), aber nie bis zum Schwitzen,
Halb- und Vollbäder. Der Sinn des Verfahrens ist wohl der: Durch das Frottieren
im Halbbade werden die Hautnerven erregt, das Blut von den Centraltheilen ab¬
geleitet, eine grosse Wärmemenge wird entzogen. Lungen- und Herzthätigkeit werden
im abgeschreckten Halbbade in fast ganz beliebiger Weise herabgestimmt, wie dieses
durch kein anderes Mittel möglich ist. Die Einleitung der Reaktion, in Verbindung
!) So schrieb er noch wenige Jahre vor seinem Tode: ». . . Wenn ich Ihnen etwas zu em¬
phatisch erscheine, so wollen Sie solches meinem Alter, insbesondere aber dem Umstand zusebrei-
ben, dass ich mein ganzes Glück seit fast 40 Jahren meinem Aufenthalte auf dem Gräfenberge zu
verdanken habe. Ich verstehe hierunter weit weniger die übrigens nicht zu verachtende materielle
Ausbeute > sondern das spezifisch ärztliche Glück, indem von den mehr als 30 000 rein hydriatisch
von mir behandelten Kranken hunderte Heilung fanden, die nach der medicinischen Methode nicht
zu heilen gewesen wären«.
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Ein Vorgänger Brand’s. 675
mit dem reichlichen Genüsse von Wasser, regt die kritische Thätigkeit des grössten
Ausscheidungsorganes an. Vor Vollendung des Bades lässt Priessnitz den Kranken
in der kalten Wanne untertauchen und in die abgeschreckte zurücksteigen; ein Ver¬
fahren, das meines Wissens von keinem Schriftsteller erwähnt und gebührend ge¬
würdigt wird. Es wird aber durch das momentane Eintauchen in die grosse Wanne
eine enorme Beizung der Hautnerven herbei geführt, und ein neuer Zufluss des Blutes
zu der Haut hervorgerufen, die es möglich macht, die Ableitung von den inneren
Organen und die Wärmeentziehung bis zum äussersten Grade fortzusetzen. Der aus
dem Vollbad in die abgeschreckte Wanne zurückgebrachte Kranke, der in letzterer
vorher schon Frost fühlte, glaubt nunmehr, sich in heissem Wasser zu befinden, und
der zweite Frost wird weiter hinausgeschoben«.
Ich kann nicht umhin, den Bericht Dr. Pingler’s richtig zu stellen. So wenig
an dessen Wahrheitsliebe zu zweifeln ist, geht doch aus einer Reihe ganz unverwerf¬
licher Zeugnisse hervor, dass die obengenannte Typhushydriatik nicht ganz die ge¬
wöhnliche Priessnitz’ war. Zumal der Wechsel von Halbbädern und Vollbad, den
Pingier einfach als Regel nimmt, wurde nur in der Minderzahl der Fälle geübt,
wenn auch vielleicht in seinen 100 Tagen besonders häufig. Gemeinhin war Priess¬
nitz’ Methode so: Ganz im Anfang, so lange das Krankheitsbild wenig markiert
hervortrat, triefende Abreibung zweimal am Tage, mit Luftbad, Leibbinde, Spazieren¬
gehen und reichlichem Wassertrinken. War die Hyperthermie schon ausgesprochen,
drei- bis viermal in 24 Stunden vielfach gewechselte feuchte Einpackungen mit fol¬
gendem hochtemperierten Halbbad und stündlich gewechselte Leibumschläge. Bei
starker Diarrhoe ferner kleine Klystiere und bei heftigen Cerebralphänomenen Kopf¬
umschläge, Fussbäder und Wadenbinden. Im Stadium der Entfieberung endlich zwei¬
mal am Tage eine einzige Einpackung von halbstündiger Dauer mit einem ab¬
schliessenden kühleren Halbbad.
Im Gegensatz zu Priessnitz behandelte Pingier den Typhus so: »Im ersten
Stadium ohne Unterschied: Abortivmethode, auch selbst noch im Anfänge des zweiten.
Für ihre fast untrügliche Wirksamkeit sprechen die Erfahrungen fast aller Schrift¬
steller über Wasserheilkunde. Ich vollführte sie mittels Regen-, Wellen-, Giessbäder
und Douchen, mit Wasser von 8—11 °R. Das Resultat war folgendes: Alle Ge¬
sunden, die die Fallbäder brauchten, blieben von der Krankheit verschont. Von
15 Kranken — der Bericht stammt aus dem Jahre 1851 — aus der Stadt und meh¬
reren vom Lande, die in evidenter Weise im ersten oder zweiten Stadium des Typhus
litten, kam nur einer, der nur eine Douche hatte nehmen können, zum Liegen; bei
den übrigen wurde die Krankheit koupiert. Aber auch jener war nach 5 Tagen
wieder hergestellt.
Zweites Stadium. Indikationen: 1. Der Heilkampf muss frei entfaltet werden.
2. Er muss in gewissen Schranken gehalten werden, d. i. das Fieber ist auf den
Grad des Erethismus zurückzuführen. 3. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass der
Typhusprozess grosse Neigung zu passiven Zuständen im Gefäss- und Nervensystem
involviert. 4. Die Krise ist vorzubereiten und einzuleiten.
Ich verfahre folgendermaassen: Der Kranke wird bis zur Abkühlung in der
abgeschreckten Wanne frottiert, dabei die kalten Kopfumschläge fleissig erneuert,
darauf bei nicht vollends klarer Gehirnthätigkeit mit einer Giesskanne von einiger
Höhe herab absatzweise mit kaltem Wasser übergossen und die stete Erwärmung
der Haut durch Reiben erwirkt. Nur da, wo dieses Verfahren zur Erregung des
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J. Sadger
Centralnervensystems sich nicht genügend erweist, wird der Kopf unmittelbar absatz¬
weise übergossen. Der Kranke wird abgetrocknet, mit dem Kopfumschlage versehen
zu Bette gebracht. Der Kopf darf nicht auf Federn nihen, das Zimmer muss zwischen
10—14° R erwärmt sein. Von der grössten Wichtigkeit ist die Einleitung der Reaktion.
Viele Wasserärzte schlagen den Kranken in die feuchte Einhüllung, ich lasse ihn bis
zur Erwärmung frottieren und gut bedecken. Als beständige Ableitung dient ein
feuchter Leibumschlag und gewöhnlich ein Klystier. Nach starker Abkühlung muss
das Reaktionsverfahren wiederholt werden, da die Extremitäten unter zunehmender
Kopfkongestion leicht wieder kühl werden. Dieses Verfahren ist ebenso gefahrlos,
als wirksam, dennoch war ich genöthigt, es mehrmals zu wiederholen. Ein Kind
von vier Jahren lag in so tiefem Sopor, dass es erst im neunten Bade zu sich kam,
sich wehrte und die Augen aufschlug.
Ist hierdurch das Gehirn vom Druck befreit, dann schlafen die Kranken ruhig
ein; dabei sind die Augen vollständig geschlossen und die Respiration ruhig und
leicht Neue Fieberstürme kommen aber bald nach, und dann ist die zweite Indi¬
kation zu erfüllen.
Man entspricht ihr durch das kühlende, beruhigende und ableitende Verfahren
in seiner ganzen Ausdehnung. Es wird dieses repräsentiert durch Einwickelungen
in feuchte Leintücher, Halb-, Sitz- und Fussbäder, kühlende und erwärmende Um¬
schläge und Klystiere. Welche von diesen Operationen in den einzelnen Fällen in
Anwendung zu ziehen ist, das richtet sich nach dem Charakter des Fiebers und den
konstitutionellen Verhältnissen des Kranken. Ein Missgriff richtet hier aber keinen
so grossen Schaden an, als die Wahl einer unpassenden Arznei. Bei erethischem
Fieber halte ich ein passives Verhalten für schlecht, sondern erstrebe durch milde
Anwendung des Wassers Belebung des Nervensystems, Ableitung von dem Central¬
organe zu erwirken und kritische Ausscheidungen durch die Haut vorzubereiten. Bei
synochalem Charakter des Fiebers passen die fieberstillenden,' abgeschreckten Halb¬
bäder und feuchte Einpackungen, nebst der entsprechenden Lokalbehandlung. Dem
torpiden Charakter des Fiebers, der übrigens nach einstimmendem Urtheile der
Wasserärzte nie bei von Anfang der Krankheit richtig geleiteter Behandlung vor¬
kommt, und der nur dann sich zeigt, wenn die Centralorgane des Nervensystems za
lange der Tummelplatz der krankhaften Vorgänge waren, begegnet man durch eine
reizende Behandlungsweise: Abreibung, Vollbäder, Giessbäder, Wellenbäder und selbst
die Douche ist schon angewendet worden. Die Wahl der Form eines Bades ist der
leichtere Theil des hydriatischen Verfahrens. Schwieriger und wichtiger sind die
Bestimmungen a) für die Temperatur, b) für die Dauer, c) für die Wiederholung
und Aufeinanderfolge der einzelnen Badeoperationen. Sobald sich der Arzt klar
bewusst ist, ob er gelind erregend, heftig reizend, kühlend oder beruhigend ein¬
wirken will, so richtet sich die Wahl der Temperatur des anzuwendenden Wassers
nach dem Grade der Reizbarkeit des Individuums, dessen Hautnervensystem in den
beabsichtigten Grad der Reizung versetzt werden soll. Sowohl Alter, Geschlecht,
Konstitution, sowie auch der Umstand ist zu berücksichtigen, ob der Kranke an den
Genuss kalter Bäder gewohnt ist oder nicht; ja selbst die Temperatur der Luft darf
nicht ausser Acht gelassen werden. Die Grenze für beruhigende Halb- und Sitz¬
bäder kann demnach zwischen 12 und 24®R liegen, für reizende Badeoperationen
zwischen 6 und 14° R. Als ziemlich allgemeine Richtschnur kann man sich des
Instinktes der Kranken bedienen, da fast ausnahmslos jedes richtig vorgenommene
Bad eine fühlbar wohlthuende Einwirkung hervorrufen muss. Hat aber ein Kranker
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Ein Vorgänger Brand’s. 677
schon viel Wärme verloren, so muss zum Zweck der Beruhigung bei jedem nach¬
folgenden Bade eine höhere, zum Zweck der Reizung eine niedere Temperatur ge¬
wählt werden, da mit der Abnahme der Wärme zugleich die Reizbarbeit und
Reaktionskraft sich mindert.
Die Dauer der reizenden Bäder muss um so kürzer sein, je grösser die Reiz¬
barkeit, bei beruhigenden um so grösser, je mehr Wärme entzogen werden muss.
Rücksichtlich der Aufeinanderfolge der Bäder befolge ich die Regel, dass kein Ganz¬
bad vorgenommen wird, ehe die Haut an allen Theilen gleichmässige Wärme zeigt;
desgleichen nie, wenn Frost da ist. Sonst lasse ich nie eine lokale Wasseranwendung
stattfinden, ohne vorausgegangene allgemeine. Bei heftigem Fieber werden täglich
gemeiniglich drei Bäder genommen; bei gelinderem zwei eder eins. Kein Bad darf
bereitet werden, ehe die Reaktion des vorhergehenden vorüber ist.
ad 3. Hat man sich unter dem beschriebenen Verfahren dem Momente der Krisen
mehr und mehr genähert, dann ist zu berücksichtigen, dass die Krankheit beständige
Neigung zeigt, einen adynamischen Charakter anzunehmen. Ausser der Rücksicht¬
nahme auf kräftigere Diät, suche ich diesem durch folgendes Verfahren zu begegnen:
Der Kranke wird ein- bis zweimal täglich bis zu seiner Erwärmung in ein feuchtes
Tuch eingeschlagen, dann in einem fast lauen Halbbade mässig abgekühlt und zum
Schlüsse mit kühlem Wasser (von etwa 12° R) übergossen.
ad 4. Das beschriebene Verfahren ist sehr geeignet zur Vorbereitung der
Krise, die, wie gesagt, nur beim Nachlasse der Fieberzufälle eintreten kann. Es ist
Tollheit, diese erzwingen zu wollen, wie dies von vielen Wasserärzten gelehrt wird.
Mein Verfahren ist folgendes: Der Kranke trinkt fleissig in kleinen Portionen Wasser,
und wird zur Nachtzeit in ein feuchtes Leintuch geschlagen, das von der Achsel¬
höhle bis zu den Knieen reicht. Ein besseres Mittel, um Schlaf und Transpiration
zu fördern, kann es wohl kaum geben. In der Zeit des Eliminationsprozesses liebe
ich bei erschöpften Kranken den Gebrauch des Weines sehr und sah die herrlichsten
Erfolge hiervon«.
Vergleichen wir nun die Methode Pinglers mit jener von Priessnitz, so sind
die Unterschiede zwischen den beiden wirklich gering, ja stellenweise mit freiem
Ange überhaupt nicht erkennbar. Die wichtigste Abweichung war noch die, dass
Pingier zu Beginn nicht abreiben lässt, sondern Regen-, Wellen-, Giessbäder oder
Douchen benutzt Da aber muss ich sagen, sind, von den Giessbädern abgesehen,
die sämmtlichen Prozeduren privat weit schwerer durchführbar, als Vincenz Priess¬
nitz’ Ganzabreibungen. Was die übrigen kleinen Differenzen betrifft, so gewahrt
man bei Pingier schon das Zurücktreten der gewechselten Packungen gegenüber
dem blossen längeren Halbbad, genau wie es später Brand — erfand. Auch die
Begiessung im Halbbade mit einer Giesskanne ist weder eine Erfindung Kneipp’s
noch eine Ernst Brand’s, da Priessnitz bereits jede Art von Begiessung in Anwen¬
dung brachte, doch freilich ohne diese zur allein seligmachenden Methode zu erheben.
Auch in der häufigeren Nutzung des Vollbades zeigte sich Pingier als deutlicher
Vorgänger Brand’s und Jürgensen’s. Er ist das unverkennbare Mittelglied in der
Entwicklung von Priessnitz zu Brand.
Das tritt noch besonders in den Erkenntnisssätzen zu Tage, die Pingier lehrte,
wie später Ernst Brand. Schon in dem Berichte von Dr. Küster, dem Amts¬
kollegen Pingler’s und schüchternen Hydropathen, sind folgende bezeichnende
Stellen zu lesen: »Die unmittelbare Wirkung der Abwaschungen und besonders der
Einhüllungen ist Verlangsamung des Pulses, Verminderung der Temperatur, Be-
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678 J. Sadger
freiung des Sensoriums, sodass selbst die Delirien nachlassen, und ein allgemeines
Gefühl von Wohlbehagen. Diese Verbesserung des Zustandes ist so fühlbar, dass
die Kranken, welche sich anfangs nur mit Widerstreben den Einhüllungen unter¬
warfen, dieselben bald selbst verlangten. Dekubitus trat bei keinem einzigen Kranken
ein, was ich umsomehr als einen glücklichen Erfolg der regelmässigen Abwaschungen
rühmen muss, da viele Kranken viele Wochen lang in den höchsten Graden der
nervösen Depression darniederlagen, und zwar in kleinen, niedrigen, überfüllten
Lokalen mit schlechten Lagern und trotz der reichen Gaben ohne die Möglichkeit,
für genügende Erneuerung der Wäsche sorgen zu können«. Und Pingier vollends
spricht es mit klaren Worten aus: »Der ausgebildete Typhus wurde von mir nur
dann beobachtet a) wenn die Kranken im Stadium der Vorläufer und des Ausbruchs
vollständig vernachlässigt worden waren, b) bei solchen, die zuerst arzneilich be¬
handelt worden waren und dann die hydriatische Behandlung nachsuchten, c) bei
rezidiv gewordenen Kranken. Nie aber wurde vollkommener Typhus beobachtet, wo
die Kranken sich im Stadium der Vorläufer und des Krankheitsausbruches dem
hydriatischen Heilverfahren überliessen«. Und weiter, nachdem er das volle
Typhusbild trefflich gezeichnet: »Die hier entworfene Schilderung ist das Resultat
ausschliesslich der Beobachtung an Kranken, die vordem noch keiner hydriatischen
Behandlung unterworfen worden waren, auf welche Bemerkung ich aus dem Grunde
einen besonderen Nachdruck legen muss, weil durch einen oder einige
hydriatische Eingriffe der ganze Ausdruck der Krankheit so geändert
werden kann, dass das frühere Bild nicht mehr zu finden war«. Klingt
dieser Satz nicht, als hätte ihn Ernst Brand geschrieben? Auch andere Dinge
sind nicht erst durch Brand der Aerztewelt verkündet worden. So erklärt schon
Pingier, man könne adynamische Typhusfieber durch Wasserprozeduren sichtbar
anfachen, woraus der Patient trotz einer gesteigerten Hyperthermie ganz unverkenn¬
baren Vortheil zöge. Er sagt es ferner mit deutlichen Worten, dass im Stadium
decrementi die feuchte Einpackung und das abgeschreckte Halbbad »so merkwürdig
auf die Beruhigung des Blutkreislaufes und gleichzeitig in einer so wohlthätigen
Weise wirken, dass es fast stets in der Hand des Arztes steht, in diesem Stadium
dem Pulse eine beliebige Frequenz zu geben, ja ihn durch eine Badeoperation um
30—40 Schläge fallen zu machen«; die Remissionen würden freier, die Exacerba¬
tionen verlören von Tag zu Tag an Heftigkeit, worauf unter leichten Schweissen
und erquickendem Schlafe die Krisis cintrete. Auch Pingier legt als echter Schüler
von Vincenz Priessnitz den »Krisen« die allergrösste Bedeutung bei, nicht etwa
erst Brand. Er bezeichnet als Krisen »die exanthematischen Hautausscheidungen,
die in pruriginösen, ekzematösen Eruptionen, meistens in Furunkeln, oft in Abscessen
grösserer Art bestehen«, in zweiter Linie die Ausscheidungen durch den Stuhl (»mehr
reichliche als häufige Durchfälle, wobei galligte und fötide Stoffe ausgeleert werden«),
die Harnniederschläge und selbst den Auswurf nach katarrhalischen Brustaffektionen.
Am verblüffendsten aber ist das Resume des Nassauer Arztes: »Fasse ich liier die
Vorzüge des hydriatischen Heilverfahrens kurz zusammen, so ergiebt sich: 1. Durch
die Abortivmethode wird im ersten und im Anfänge des zweiten Stadiums der Typhus
meistens vollständig abgeschnitten. 2. Der Arzt hat einen ausserordentlichen Ein¬
fluss auf die Lenkung des Fiebers. 3. Die komplizierenden Kongestionen und Ent¬
zündungen werden mit Leichtigkeit und ohne Gefahr beseitigt. 4. Der leicht ge¬
fährlich werdenden Lokalisation der Krankheit wird gewöhnlich vorgebeugt. Die
äussere Haut wird zu dem Organ, worauf sich der Heilkampf hauptsächlich entfaltet.
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Ein Vorgänger Brand’s.
679
5. Jedes richtig geleitete Bad wirkt erquickend und kräftigend auf das Gesammt-
nervensystcm. 6. Innere Ruhe und Schlaf kann durch kein Mittel der Welt in so
einfacher und natürlicher Weise herbeigeführt werden. 7. Die Krise ist leicht ein¬
zuleiten und durchzuführen. 8. Nachkrankheiten kommen hierbei sehr selten vor.
9. Die ganze Kur stimmt mit dem Instinkte des Kranken überein. Manche Kranken
klammerten sich an die Badewanne, sodass man sie mit Gewalt daraus entfernen
musste. 10. Die Rekonvalescenzzeit wird stets sehr abgekürzt. 11. Die Bildung
und Entwicklung des Kontagiums wird gewiss sehr gemindert. 12. Neben diesen
positiven Vorzügen ist zu erwähnen, dass so manche unangenehme Nebenwirkungen
des medicinischen Heilverfahrens, namentlich der Blutentziehungen, Quecksilbermittel,
der Hautreize u. s. f. vermieden werden«. Das ist dem Sinne nach beinahe identisch
mit jenen Schlusssätzen, die Brand 1887 in seiner letzten Typhusarbeit in der
»Deutschen medicinischen Wochenschrift« aussprach. Nach all dem Vorstehenden
wird man es vollauf begründet linden, dass Pin gier seinem Nachfolger in einem
späteren Büchlein vorhält: »Auffallend war es-mir zu sehen, dass Herr Dr. Brand
in Stettin in seiner sonst ausgezeichneten Schrift über die Natur des Typhus Aus¬
züge aus jenem Hefte (der »Nassauer medicin. Jahrbücher«) mittheilt, meines Auf¬
satzes aber mit keiner Silbe erwähnt, als sei er der erste gewesen, der den Typhus
rationell mit Wasser behandelt habe«.
Das bisher Gesagte nochmals resümiert, ergeben sich folgende Resultate: 1. Eine
ärztlich ausgebildete hydriatische Methode der Typhusbehandlung bestand schon
lauge vor Brand und von der Decken, und wurde schon sieben, respektive fünf
Jahre vor deren Veröffentlichungen publiziert. 2. Dieselbe brachte glänzende Er¬
folge, welche durchaus nicht kleiner sind, als die der beiden späteren Aerzte. 3. In
Pingler’s Berichten sind die wichtigsten Erkenntnisssätze von der Decken’s und
später Ernst Brand’s vorweggenommen. 4. Pin gier war voll berechtigt, Brand
des Todschweigeverfahrens zu bezichtigen.
Nachdem ich vorstehend einen Beitrag zu dem Satze geliefert, dass in der Me¬
dicin jede Wahrheit drei-, viermal neu entdeckt werden muss, will ich noch zwei
bemerkenswerthe Punkte aus den Berichten Pingler’s anführen. Zunächst die Be¬
obachtung, die übrigens schon Priessnitz’ Badediener machten,~dass bei der Hy-
driatik akuter, fieberhafter Krankheiten oft schlummernde Krankheitsstoffe aus¬
geschieden und veraltete Uebel gleich mitgeheilt werden. So wurden z. B. in der
Typhusepidemie von 1851 »zwei Knaben von 13 und 14 Jahren, die an hartnäckiger
Incontinentia urinae nocturna litten, von diesem Uebel vollkommen befreit. Bei
einem Mädchen gingen in zwei Tagen 35 Spulwürmer ab. Eine Frau, die seit meh¬
reren Jahren an fieberhaften Zufällen einen grossen Theil des Winters zu Bette zu¬
bringen musste, wurde nach überstandenem Typhusleiden von einer Intermittens be¬
fallen, oder, besser gesagt, das in ihr schlummernde Intermittensleiden wurde ge¬
weckt und geheilt. Gleiche Bewandniss hatte es bei einer anderen Frau und einem
Mädchen. Ein junger Bursche, welcher ein Jahr vorher an einer Lungenentzündung
erkrankt und mit Merkurialmitteln behandelt worden war, erlitt eine Rekrudescenz
jenes Uebels mit starkem, sicherlich mit Ausscheidung jenes Metalles verbundenem
Speichelfluss, nach dessen Heilung er sich gesunder fühlte, als vor der Krankheit«.
Auffallender als dies wird manchem eine Behauptung Pingler’s bedünken, die
Dauer des Krankheitsprozesses betreffend. Neben Heftigkeit der Erkrankung, Alter,
Konstitution und rechtzeitiger Einleitung der Hydriatik. bedingen dieselbe nach
Pingier vornehmlich die allgemeinen Heilungsbedingungen. »Hierzu rechne ich«,
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Nicolaus Reich
heisst es im Bericht, »die Höhe und Grösse des Krankenzimmers, die Möglichkeit
der Durchlüftung, die Beschaffung der erforderlichen Temperatur und Verpflegung,
das Auflegen von Umschlägen und die Isolierung der Kranken. Demgemäss konnte
bei Reicheren und Gebildeteren die Dauer der Krankheit im allgemeinen wesentlich
abgekürzt werden, so dass bei neun Kranken dieser Art die Krankheit in der ersten
siebentägigen Periode vorüberging, während sie bei armen und nachlässigen Personen
sich weit mehr in die Länge zog«. Da es sich damals um eine schwere Epidemie
handelte und doch wohl nicht anzunehmen ist, dass nur bei den Reichen und den
Gebildeteren die Fälle besonders milde gewesen, es ferner noch unwahrscheinlicher
ist, dass blos bei den letzteren die Diagnose verfehlt worden sei, so müssen wir wohl
an einen besonderen therapeutischen Effekt der Hydriatik glauben. Ich bemerke
übrigens, dass auch von der Decken, nach dem Zeugniss von Winternitz, »ein
tüchtiger, erfahrener, geistreicher, und, was noch mehr sagen will, redlicher Arzte,
wenige Jahre später gleichfalls zu dem Schlüsse kam: »Wo bis dahin gesunde In¬
dividuen vom Typhus befallen und alsbald der Behandlung mit kaltem Wasser etc.
unterworfen werden, gelingt es fast stets, binnen acht bis zehn Tagen der Krankheit
Herr zu werden, und das Stadium der Rekonvalescenz herbeizuführen; häufig gelingt
dies sogar in sechs Tagen.«
III.
Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft.
Von
Dr. Nicolaus Reich,
dirigierendem Arzt des Bndapester medico-mechanischen Zandcrinstitutcs.
Schon in meiner, den Thermo-Aerophor betreffenden ersten Mittheilung 1 )
gab ich der Vermuthung Ausdruck, dass eine Sterilisation der Hautdecke,
einschliesslich der behaarten Theile mittels trockener überhitzter Luft
wahrscheinlich leicht und mit Erfolg durchführbar wäre.
Die Luft erweist sich eben, vermöge ihres eigenthümlichen physikalischen Ver¬
haltens, als besonders passende Wärmeträgerin, wenn es gilt, auf die Körperober¬
fläche Hitzegrade zu applizieren, welche die Blutwärme um ein Mehrfaches
übertreffen, ohne doch destruktive Wirkungen zu verursachen.
Zunächst ist die Toleranz für hohe Lufthitzegrade durch den Umstand bedingt,
dass die Luft eine bedeutend geringere Wärmekapazität besitzt, als die Mehrzahl aller
sonst üblichen Bademedien. Sie beträgt z. B. nur 0,003 des Wassers. Wollen wir
also einem Körper mittels überhitzter Luft Wärme zuführen, so müssen wir uns
zum Verständniss der auffallend hohen Temperaturen, welche noch ertragen werden,
vergegenwärtigen, dass die Wärme, welche von der Luft in der Zeiteinheit abgegeben
wird, in Hinsicht der Menge 3000mal geringer ist, als diejenige eines gleich¬
temperierten Wassers von demselben Volum.
') Nicolaus Reich, Der Thermo-Aerophor. Vorläufige Mittheilung über eine neue Form
der Ilcissluftbchandlung. Verhandlungen des XVII. Kongresses für innere Medicin. Wiesbaden 1809.
Bergmann.
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Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft.
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Das dargelegte physikalische Verhältniss zwischen überhitzter Luft und anderen
Wärmeträgern wird zu Gunsten der Ersteren verschoben durch dasVerhalten der
Regulationsmechanismen des Organismus, welche in dem Medium der Luft
einer Wärmestauung über das physiologisch erträgliche Maass hinaus wirksamst zu
begegnen vermögen.
Ein Hauptantheil an dieser Regulation kommt selbstverständlich der Ver¬
dunstung zu, deren Koeffizient sich umso grösser gestaltet, je trockener, je
wärmer, je bewegter die Luft ist 1 )-
Aus eben diesem Grunde (nämlich der gesteigerten Verdunstung und hierdurch
erzeugten Verdunstungskälte) verzögert sich aber eine schichtweise Durchwärmung
der Gewebe von der Hautdecke aus, was übrigens nur therapeutisch erwünscht sein
kann, wenn wir auf die Haut intensiv einwirken wollen, ohne gleichzeitig die
centrale Temperatur wesentlich zu alicinieren.
Dies vorausgeschickt, wird es einleuchten, warum es mir im Verfolge der
Eingangs ausgesprochenen Vermuthung daran lag, die Prüfung der Wirksamkeit der
heissen Luft zunächst an der Furunkulose zu versuchen, deren Ursprung auf
Kokkeninvasion beruht, welche einerseits oberflächlich genug ist, um durch
das Agens erreicht zu werden, welche andrerseits pathologische Veränderungen
setzt, die schon makroskopisch erkennbar sind, so dass eine Kontrolle mittels des
Gesichtssinnes genügt, um uns in der beregten Frage zu orientieren und für die
Praxis brauchbare Schlüsse zu gestatten.
Ich nahm von vornherein an, dass ein auf die infizierten Hautpartien gerichteter
Luftstrom von 100—120» C die Virulenz des hier in Frage kommenden Staphylo-
coccus pyogenes aureus herabzumindern vermag. Hauptsächlich rechnete ich
aber auf die durch den Heissluftstrom in beliebiger Ausdehnung und Intensität zu
erzeugende aktive Hyperämie, welche zum Zwecke einer rascheren Aufsaugung
starrer Infiltrate geeignete Cirkulationsverhältnisse schafft (Derivation), eventuell auch
die Kampffähigkeit der Gewebe gegen die Mikroben, den supponierten Phago-
cytismus, steigert. Endlich glaube ich, dass eine Reinfektion erschwert würde
durch die Möglichkeit des Sterilisierens ausgedehnter Hautgebiete in der Umgebung
der Furunkel.
Beobachtungen.
I. Der erste Fall von Furunkelbildung, bei welchem ich die Wirksamkeit der
strömenden, trockenen Luft versuchte, war mein eigener.
Im Oktober 1901 schossen mir auf dem Halse resp. Nacken im Verlaufe von zwei
Tagen drei schmerzhafte Furunkel auf, von welchen zwei etwa hellergrosse, lebhaft geröthete,
harte Zellgewebsinfiltrate, die dritte eine erbsengrosse, konisch sich zuspitzende, follikuläre
Entzündung darstellten. Die eine unterhalb des rechten Unterkieferwinkels sitzende In¬
filtration zeigte zwei, fast konfluierende Eiterpunkte, während der benachbarten ein ver¬
eiternder Follikel aufsass.
Das Ausflussrohr meines Thermo-Aörophors wird in der Entfernung eines Gentimeters
gegen die Efflorescenzen und ihre Umgebung gerichtet. Die Temperatur der unter dem
Drucke von 0,1 Athmosphäre strömenden Luft beträgt 100—120°C. Das Lumen der
Düse ist auf ein Quadratcentimeter eingestellt. Die Menge der ausströmenden Luft ist
etwa auf 3 Liter pro Sekunde zu stellen.
Die Mündung des Ausflussrohres wird, um stärkeres Brennen zu verhüten, rasch
pendelnd und kreisförmig über die affizierten Partien geführt, die allmählich sich heiss an-
i) Alle diese Momente fanden bei Konstruktion meines Thcrmo-Aerophor entsprechende Be¬
rücksichtigung. Vergl. 1. c. und weiter unten.
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fühlen, ohne jedoch subjektiv lästige Empfindungen von Brennen zu erregen. Als nach
etwa 5 Minuten die Prozedur unterbrochen wird, sind die Hautgefässc auf dem bestrichenen
Areal lebhaft injiziert, die Haut intensiv geröthet, heiss und trocken.
Wiederholte Furunkeleruptionen, die ich im Laufe der Jahre hatte, traten bei mir
stets in ihren abortiven Formen auf, d. h. ohne nennenswerthe Eiterung und Gewebs¬
zerfall, so dass der Heissluftversuch in diesem Falle nicht als vollgültiger Beweis für
seine Abortivwirksamkeit anzusehen ist.
Immerhin fiel mir im Vergleich mit früheren Eruptionen gleichen Charakters auf, dass
unmittelbar nach der Heisslufteinwirkung die Schmerzhaftigkeit nachliess und die Infiltrate
weder auf Druck noch durch das Reiben des Hemdkragens irgendwie empfindlich waren.
Anderen Tages sind die grösseren Infiltrate nahezu verschwunden.
Hervorzuheben finde ich überdies den Umstand, dass alle drei Eiterblasen zu trockenen,
kreidigen Massen einschmolzen und nach ihrem Abfallen kaum einen Substanzverlust hinter-
Hessen. Auch die Zertheilung der Infiltrationen ging verhältnissmässig rasch vor sich und
gründlicher als in früher von mir beobachteten Fällen. Die Stellen blieben dauernd reizlos,
während mir sonst das Auflodern bereits abgelaufener Entzündungen nach Tagen, selbst
Wochen oft genug passierte.
Wichtiger war die Erledigung der Frage, wie sich wohl der Heissluftbehandlung
gegenüber Fälle von allgemeiner Furunkulose verhalten, bei denen der Ausgang in
Eiterung und Gewebszerfall ausnahmlos eintrat.
Zur Prüfung eines solchen Falles bot sich zum erstenmale Gelegenheit am 15. No¬
vember 1901, als sich mir Dr. med. E. zum Zwecke eines Heilversuches mittels heisser
Luft anbot.
II. Seit Mai 1901 entstanden auf Armen, Beinen und im Gesicht des sonst gesunden
Dr. E. in kurzen Intervallen 12 Furunkel, welche sämmtlich abscedierten. Von diesen
Abscessen fand nur bei einem Spontaneröffnung statt, alle übrigen mussten in der üblichen
Weise eröffnet werden. Die letzte Operation fand im August statt. Von da ab trat eine
Pause ein bis zum 13. November, an welchem Tage auf der Dorsalflftche der linken Hand
ein Furunkel sich zu entwickeln begann, welcher am Tage der Aufnahme (15. November)
eine prallgespannte dunkelrothe Infiltration von Zweihellergrösse darstellte, in deren Mitte
eine Eiterkuppe von der Grösse einer Linse sichtbar war. Seit Beginn des Prozesses ist
die Schmerzhaftigkeit eine so bedeutende, dass sie dem Patienten den Schlaf raubt. Patient
ist nach seinen bisherigen Erfahrungen überzeugt, dass der Furunkel, wie die vorher¬
gegangenen ihren Ausgang in Abscedierung und Gewebsnekrose nehmen werde. Auch hält
er die Incision für unvermeidlich.
1901. 15. November. Applikation strömender Luft von 120° C aus dem Thermo-
Aörophor zweimal je 3 Minuten lang im Verlauf einer halben Stunde.
16. November. Befund: die Eiterblase zur Grösse eines Steknadelkopfs eingeschrumpft,
von einem noch immer lebhaft rothen Hof umgeben. Die Schmerzhaftigkeit hörte nach der
gestrigen Behandlung auf.
Wiederholung der Heissluftdouche durch 5 Minuten. Der Eiterpfropf fällt als kleines
trockenes Krüstchen ab. Konischer Substanzverlust, an dessen Spitze das Korium roth
durchschimmert.
Die heutige Behandlung war bereits überflüssig, da der abortive Verlauf durch die
erste Sitzung gesichert erschien.
III. Frau F. R, an Arthritis urica leidende, 48jährige, kräftige Adiposa, welche seit
zwei Jahren die Wintermonate hindurch in meinem Institut gegen dieses Uebel Heissluft¬
bäder und Zandergymnastik gebraucht. Zucker im Harn bisher nicht vorhanden gewesen.
Patientin bekommt im November 1901 ihren ersten Furunkel in der rechten Ellenbeuge,
welcher nach 8 Tagen, vom Beginne gerechnet, durch den Operateur Dr. Ihrig eröffnet.wird.
Die zweite, an der Innenseite des rechten Oberarmes entstandene Blutschwär öffnete
sich spontan. Gleichzeitig entwickelt sich oberhalb derselben ein Furunkel, welcher
operiert wurde.
Es entstanden noch in rascher Folge am rechten Oberschenkel, in der rechten Achsel¬
höhle je ein umfänglicher Furunkel mit tiefgehenden Infiltrationen des Unterhautgewebes.
Diesen folgen im Verlaufe von 4 Wochen noch weitere drei in der rechten Achselhöhle,
welche Dr. Ihrig operierte, den letzten am 25. Dezember.
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Abortivbehandlung der Furunkulose mittels Überhitzter trockener Luft. 683
Als Frau R. am 17. Januar 1902 die Institutsbehandlung wieder aufnimmt, zeigt sich
in der rechten Achselhöhle ein neuer Furunkel, an welchem ich mit Einwilligung des Ver¬
trauensarztes die Heissluftbehandlung versuche.
1902. 17. Januar. Derbe, blassrothe, schmerzhafte Infiltration von der Grösse und
Form einer Haselnuss, die mit ihrem längeren Durchmesser sich in die Tiefe erstreckt.
Weisslicbgraue, stecknadelkopfgrosse Eiterkuppe. Applikation eines Heissluftstrahles von
120° C aus dem Thermo-Aörophor in der Dauer von 5 Minuten.
18. Januar. Da9 Infiltrat zeigt sich weniger derb und gespannt, verursacht keinen
Schmerz, hat aber von seinem Umfange nichts eingebüsst. Eiterkuppe unverändert. Thermo-
Aörophor durch 5 Minuten.
19. Januar. Die Infiltration verbreiteter. Der Eiterpunkt hat sich bis zur Linsen¬
grösse entwickelt, ist von weisser Farbe.
In der Meinung, dass das Koupieren des Prozesses misslungen ist, unterlasse
ich die Heissluftanwendung. Im Einverständniss mit dem Operateur halte ich eine Incision
für angezeigt. Diese ist für den nächsten Tag (20. Januar) in Aussicht genommen.
20. Januar. Der Eiterfollikel ist eingetrocknet und abgefallen, der ent¬
sprechende, sehr geringfügige Substanzverlust nahezu überhäutet. Das Infiltrat
hat an Ausdehnung um die Hälfte abgenommen und ist absolut schmerzlos.
An der Apertura septi nariuin rechterseits entwickelt sich ein Furunkel,
welcher auf knorpelig harter, unnachgiebiger Unterlage fussend, infolge der Spannung grosse
Schmerzen verursacht.
Nach Einschiebung eines Wattetampons in die Nasenöffnung, richte ich den Heiss¬
luftstrom auf die erkrankte Stelle in der Dauer von 3 Minuten.
Wiederholung der Prozedur am 22. Januar.
Am 22. Januar ist diese Efflorescenz spurlos verschwunden. An das Inlfiltrat
in der rechten Achselhöhle erinnert noch eine minimale Bindegewebsinduration.
Seither hat sich bis zum heutigen Tage (10. März) keine neue Eruption gezeigt.
Wenn wir berücksichtigen, dass bis zum Beginne der Heissluftbehandlung alle Furunkel
unserer Patientin vereiterten, ferner, dass die am 17. Januar in Behandlung genommene
Patientin am 19. Januar an der Schwelle der Operation stand, so wäre es schwer, den
kausalen Zusammenhang zwischen der Restitution und dem angewandten Heilverfahren zu
leugnen. Ob wir das Cessieren — namentlich in der rechten Achselhöhle —, wo die
Furunkel gehäuft auftraten, als Ergebniss der mittels Heissluft bewirkter Sterilisation zu
betrachten haben, ist nicht leicht zu entscheiden.
Einen mehr eindeutigen klinischen Beweis für die *«r e&r/rp sterilisierende
Wirkung des Heissluftstromes liefert meiner Ansicht nach der folgende Fall:
IV. M. Str., 34 Jahre alt, Gutsbesitzer, leidet seit etwa drei Jahren unausgesetzt
an Acne und Furunkeln, deren mehrere vereitern. Den Tummelplatz dieser überaus zahl¬
reichen Eruptionen bildet — wie so oft — der Nacken hart an der Grenze des behaarten
Kopfes in Querdaumenbreite.
Bei Beginn der Heissluftbehandlung am 30. Januar 1902 ist der Status der folgende:
die beschriebene Nackenpartie stellt eine einzige derbe bindegewebige Induration dar, von
höckerig unebener Beschaffenheit. Auf diesem Grunde zähle ich 13, in verschiedenen
Stadien theils der Rückbildung, theils der Entwicklung begriffene Acnepusteln und Furunkel,
einige konfluieren. Unter dem rechten processus mastoideus eine in Heilung begriffene,
von einem Kreuzschnitt herrührende Wunde mit frischen Granulationen. Weiterhin sind
zwei ältere Narben zu sehen, die den üblichen Kreuzschnitt noch erkennen lassen.
Durch 8 Minuten wird ein Luftstrom von 120 0 C aus dem Thermo-Aörophor auf die
befallene Hautpartie geleitet.
Diese Prozedur wiederhole ich achtmal im Verlaufe von 11 Tagen.
Am achten Tage der Behandlung sind die Eiterfollikel abgetrocknet, die Induration
der umgebenden Haut erscheint nicht mehr diffus, sondern insulär, zwischen sich normale
Hautpartieen einschliessend, und ist nirgends schmerzhaft, ja nicht einmal empfindlich.
10. März. Patient stellt sich heute vor. Neue Eruptionen bisher nicht entstanden.
3—4 bindegewebige Knoten, über welchen die Haut von normaler Farbe ist.
Die lange Dauer (3 Jahre) und die rasche Wendung in Betracht gezogen, welche mit
dem Beginn der Heissluftbehandlung zusammenfällt, kann der Verlauf des beschriebenen
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684 Nicolaus Reich
Falles nur so gedeutet werden, dass die infizierenden Potenzen mittels der heissen Luft
vernichtet wurden. Was die Aufsaugung der alten Bindegewebsindurationen bis auf geringe
Reste betrifft, glaube ich als Ursache dieses Ergebnisses die aktive Hyperämie an¬
sprechen zu sollen, welche durch den Heissluft ström erzeugt, die Cirkulationsverhältnisse zu
verbessern geeignet ist.
Schlussfolgerungen.
Von den rechtzeitig, d. h. vor Entstehung der Gewebsnekrose und der
Eiteransammlung im Unterhautzellgewebe zur Behandlung gekommenen
Furunkulosen ist es in keinem der von mir untersuchten Fälle zu Vereiterung
und Gewebszerfall gekommen. Sämmtliche Furunkel konnten also, allem
Anscheine nach, in ihrer Entwicklung koupiert werden.
Infiltrationen bei abortiven Formen schienen sich zeitlich rascher zurückzubilden,
als ich dies in solchen Fällen wahrnahm, welche nicht nach meiner Methode be¬
handelt wurden.
Auch ältere bindegewebige Schwarten, Residuen abgelaufener Furunkel sind
noch durch das Heissluftverfahren im Sinne einer Rückbildung beeinflussbar. Auf
den die Furunkel umgebenden Hautgebieten kam Reinfektion kein einziges Mal zur
Beobachtung.
Meine bisherigen Beobachtungen erbringen den klinischen Beweis für die abortive
Wirksamkeit der überhitzten trockenen Luft in der Behandlung der Furunkulose.
Zu wiederholten Malen gelang es mir, in seit lange bestehenden Fällen die
Neigung zur Reinfektion (III. und IV. Fall) zu vermindern. Die Abortivbehandlung
mittels Heissluft führte nach meinen bisherigen Erfahrungen verhältnissmässig rasch
— in 1—8 Sitzungen — zu dauerndem Erfolge.
Diese Heissluftprozedur selbst ist kaum schmerzhaft, wohl aber lassen das
schmerzhafte Spannungsgefühl und sonstige unangenehme Sensationen in dem in¬
filtrierten Hautgebiet sofort nach einer 5 Minuten währenden Sitzung wesentlich nach.
Die Heissluftbehandlung bietet kaum technische Schwierigkeiten, sie ist einfach,
reinlich und ungefährlich.
Die Untersuchungen bedürfen, was die Wirksamkeit meiner Methode betrifft,
noch einer Ergänzung in Hinsicht solcher Fälle von Furunkulose, welche auf Dys-
krasien basieren. Es ist ja bekannt, dass Arthritiker, an Diabetes und Syphilis
Leidende neben erhöhter Vulnerabilität der Gewebe einen schlechten Heiltrieb
aufweisen.
Es lässt sich ein günstiger Effekt der Heissluftbehandlung auch in solchen
Fällen vermuthen, welche in diese Gruppe gehören, wie meine III. Krankengeschichte
und ein früherer Fall meiner Beobachtung 1 ) beweist, in welch letzterem es sich um
eine nach Schmierkur aufgetretene allgemeine Furunkulose handelte. Um aber
ein abschliessendes Urtheil fällen zu können, ist eine grössere Reihe einschlägiger
Fälle nothwendig, vor allem aber die Beobachtung dessen, wie sich die Furunkulose
der Diabetiker unserem Verfahren gegenüber verhält
Wenn auch hier, bei der bekannten »schlechten Heilhaut« der Diabetiker, ein
positives Ergebniss erzielt werden könnte, so wäre das nachgerade ein Experimcntum
crucis für die Wirksamkeit meiner Methode.
r ' Nicolaus Reich, Indikationen und Methoden der Ueissluftkur. Vorgt'tragon im un£.
Balueolojfen-Kongress 1900.
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Abortivbehandlnng der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft. (>85
Die Methoden der Furunkulosebehandlung mittels Heissluft.
Ich bediene mich zur Herstellung strömender, trockener, überhitzter Luft eines
nach meinen Angaben konstruierten Apparates, den ich Thermo-Acrophor 1 ) ge¬
nannt habe.
Dieser Apparat besteht im wesentlichen aus einer mittels Elektromotors be¬
wegten Luftpumpe und einem Heizcylinder, aus welchem die mit Bunsenflamme bis
200 °C erhitzbare Luft durch ein biegsames Metallrohr auf den zu behandelnden
Körpertheil unter regulierbarem Drucke strömt.. Mit Hilfe einer Düse, deren Mün¬
dung bis zu 1 cm 2 erweitert werden kann, vermag ich den Durchmesser des Luft¬
stromes zu regulieren. Der Vortheil dieser Düsenvorrichtung liegt aber in der Luft¬
pressung, welche stark genug ist, um an der vom Pressstrahl getroffenen Haut¬
fläche eine sichtbare Delle zu erzeugen, wodurch erst eine genaue Lokalisation
auf umschriebene Stellen ermöglicht wird. In dem Apparat passend angebrachte
Thermo- und Manometer, sowie Mischventile dienen der Präcision von Temperatur
und Druck. Den momentanen Bedürfnissen entsprechende Temperaturveränderungen
sind durch Annähern oder Entfernen der Düsenmündung vom Körper raschestens zu
erzielen.
Mein Apparat, der eigentlich zum Zwecke der streng lokalisierten Behandlung
von Neuralgieen und rheumatischer, gichtischer Affektionen kleiner Gelenke kon¬
struiert wurde, eignet sich seiner Komplexität, sowie seines hohen Preises wegen
hauptsächlich für Institute.
Für die alltägliche Praxis genügt der kleine, sehr handliche Kalorisator von
Vorstädter 2 ), welcher aus einer kleinen Spirituslampe mit Vorgesetztem Asbestrohr
besteht, durch welches die bis zu 160—170°C erhitzbare Luft mittels Kautschuk¬
gebläses getrieben wird.
Was nun die Art, Dauer und Häufigkeit des Heissluftverfahrens bei
den geschilderten Zuständen betrifft, so gehe ich folgendermaassen vor: Zunächst be¬
streiche ich mit dem Heissluftstrom ringartig die Umgebung der Furunkel. Ich be¬
absichtige hiermit einen hyperämischen Gürtel im Umkreise der Infiltration zu er¬
zeugen, den ich mit Rücksicht auf Zweck und supponierte Wirkung dieses präpara¬
torischen Verfahrens als Zona derivatoria bezeichnen möchte. Je ausgebreiteter
die Infiltration ist, in desto grösserem Umkreise wird das hyperämische Band mittels
kreisförmiger Bewegung des Ausflussrohres angelegt.
Hierauf gelangt das Infiltrat und die Eiterkuppe des Furunkels bei stetem
Pendeln des Schlauches unter den Heissluftstrom.
Die ganze Prozedur nimmt drei bis acht Minuten in Anspruch.
Es ist zweckmässig, die Sitzung zwei- bis dreimal am ersten Tage, dann täglich
einmal bis zum Abtrocknen vorzunehmen.
Um Kombustionen zu vermeiden, ist ein zeitweiliges Prüfen des Heissluftstromes
mit den zwischen Körper und Rohr eingeschobenen Handrücken geboten. Fühlt man
ein Brennen, so entfernt man die Schlanchmündung um 1 —2 cm weiter von der
1 ) 1.c. — Goldscheider und Jacob, Handbuch der physikalischen Therapie. Leipzig 1002.
— Strasser, Hydrotherapie. Eulenburg’s Rcalencyklopädie.
2 ) Im Berliner medicinischen Waarenhaus für 15 Mark erhältlich.
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Ö36 Nicolaus Keich, Abortivbehandlung der Furunkulose mittels überhitzter trockener Luft.
Ilautoberfläche. Die Herabminderung des Hitzegrades beträgt in diesem Falle 10
bis 35 «C.
Nach der Sitzung bleibt der Furunkel unbedeckt. Nur an Stellen, wo stärkerer
Druck oder Reibung unvermeidlich, lege ich einen Wattebausch auf, der mit einigen
Mullbindentouren oder einem Heftpflasterstreif fixiert wird.
Die Dauer der Behandlung richtet sich nach dem Fall. Handelt es sich um
solitäre Formen und kommt die Efflorescenz im Frühstadium ihrer Entwicklung oder
im Entstehen zur Behandlung, so genügen in der Regel eine bis zwei Sitzungen, um
das Uebergehen in Abscedierung und Gewebsnekrose zu verhindern. Allgemeine Fu¬
runkelbildung erheischt eine längere Reihe von Sitzungen. Auch ist es in solchen
Fällen zweckmässig, von Zeit zu Zeit — etwa jeden anderen Tag — Heissluft¬
vollbäder, am besten die sogenannten >elektrischen Lichtbäder«, mit nachfolgender
Douche oder Halbbad einzuschieben.
Nachschrift. Seitdem ich vorstehende Untersuchungen abgeschlossen, sind
mir zwei Fälle zur Beobachtung gekommen, in welchen es sich um scheinbar im
Frühstadium der Entwicklung begriffene Furunkel handelte. Trotz der sofort ein¬
geleiteten Heissluftprozedur ging die Vereiterung im Unterhautzellgewebe ungehindert
vor sich. Besonders die Beobachtung des zweiten dieser Fälle belehrte mich, dass
das Versagen meiner Methode vermutblich durch die tiefe Lage des Infektions¬
herdes bedingt und das Gebilde dadurch der Thermophorwirkung entzogen war.
In beiden Fällen waren es nicht Furunkel, sondern Cellulitiden, die ich auch
vom Standpunkte meiner Therapie auseinander halten möchte. Die Haut oberhalb
der fraglichen Gebilde erscheint unverletzt und bleibt während des Eiterungsprozesses
lange Zeit hindurch von Entzündungserscheinungen verschont. Eine scharfumgrenzte
Eiterkuppe — wie im Frühstadium der Furunkulose — ist überhaupt nicht zu
sehen, sondern kurz vor Durchbruch des Eiters ein diffuses Ergriffensein der Haut.
Diese Merkmale sind bei Eruptionen gemischten Charakters besonders zu beachten.
Cellulitiden werden von der Anwendung meines Verfahrens auszu-
schliessen sein, während bei wirklicher Furunkulose innerhalb der oben ab¬
gestreckten Grenzen ein Misserfolg kaum zu gewärtigen ist.
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A. Dworetzky, Ucbcr einige neuere russische Arbeiten auf dem Gebiete der Hypnose. <>87
Kritische Umschau.
Ueber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete
der Hypnose.
Von
Dr. A. Dworetzky
in Moskau.
Th. Rybakow, Die Formen des hypnotischen Schlafes in ihrem Ver¬
hältnis zur Therapie. Wratsch 1901. No. 36. — R. Peters, Ueber die An¬
wendung der Psychotherapie im kindlichen Alter. Wratsch 1901. No. 22. —
Th. Rybakow, Die Behandlung der Trunksucht mit hypnotischer Sug¬
gestion. Wratsch 1901. No. 45. — A. Preiss, Die Hypnose als Heilmittel.
Medizinskaja Besseda 1901. No 21.
Angesichts der Thatsache, dass die Anwendung der Hypnose in der letzten Zeit
immer mehr nnd mehr sich das Bürgerrecht in der Therapie erwirbt, bietet die
nähere Bekanntschaft mit den hypnotischen Erscheinungen ein ausserordentlich grosses
Interesse für den praktischen Arzt dar. Vom praktischen Standpunkte ist es vor
allem wichtig, die Frage zu entscheiden, ob die therapeutische Wirksamkeit der
Suggestion von der Tiefe, oder aber auch von der Form des hypnotischen Schlafes
in Abhängigkeit zu bringen sei.
Der Moskauer Privatdozent Th. Rybakow sucht auf Grund seiner eigenen
überaus zahlreichen Beobachtungen der Lösung dieser Frage nach Möglichkeit näher
zu kommen. Nach Aufzählung der vier Arten oder Stufen des hypnotischen Schlafes,
den Lehren der Schule von Nancy entsprechend, welche die Schläfrigkeit oder den
Schlummerzustand, die Hypotaxie, die hypnotische Amnesie und den hypnotischen
Somnambulismus oder Automatismus unterscheidet, hebt der Verfasser hervor, dass
der Hauptunterschied zwischen diesen Formen in der Tiefe des hypnotischen Zustandes
oder Schlafes besteht. Die Stärke des therapeutischen Elfektes steht aber nicht im
Zusammenhänge mit der Art und folglich auch nicht mit der Tiefe des hypnotischen
Schlafes, sondern der Grad des therapeutischen Einflusses entspricht direkt
dem Grade der Suggestibilität der betreffenden Person. Die Suggestibilität
setzt sich ihrerseits aus zwei psychischen Hauptfaktoren zusammen: a) aus der
Fähigkeit der betreffenden Person einen fremden Gedanken zu appercipieren (der
Suggestibilität im engeren Sinne des Wortes), und b) aus ihrer Fähigkeit den auf¬
gefassten Gedanken sich völlig zu eigen zu machen (der Fähigkeit der psychischen
Assimilation). Der Grad der angeborenen, natürlichen Suggestibilität befindet sich
in keiner physiologischen Abhängigkeit von der intellektuellen Entwicklung oder
von der natürlichen Willenskraft der zu behandelnden Person; im Gegentheil, sie ist
bis zu einem gewissen Grade einem jeden psychisch gesunden Menschen eigentümlich,
und ein angeborenes Fehlen jeder Suggestibilität dient als Hinweis auf eine gewisse
Stufe der psychischen Degeneration. Die Wahrscheinlichkeit eines günstigen thera¬
peutischen Effektes wird nun, abgesehen von den Eigenschaften der Krankheit selbst,
durch den Grad der natürlichen Suggestibilität des zu Hypnotisierenden
und durch den Grad seiner Fähigkeit zur dauernden Assimilation des
suggerierten Gedankens bedingt. Folglich steht die Grösse der Chancen auf den
Erfolg der Behandlung, unter gleichen sonstigen Bedingungen, in direktem Verhält¬
nisse zu dem Grade der natürlichen Suggestibilität. Der hypnotische Schlaf dient
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G88 A. Dworctzky
nur dazu, um zeitweilig diese natürliche Suggestibilität des Patienten zu vergrössern;
er soll das Gehirn dem suggerierten Gedanken gegenüber aufnahmefähiger machen.
Hervorzuheben ist noch, das zwischen der Tiefe des hypnotischen Schlafes und dem
Grade der Suggestibilität nicht immer ein gerades Verhältniss besteht: bei Personen,
welche über eine sehr stark ausgesprochene natürliche Suggestibilität verfügen, kann
der hypnotische Schlaf schwach ausfallen, und umgekehrt. Von der Tiefe des hypno¬
tischen Schlafes befindet sich daher der Grad der therapeutischen Wirkung nur in
indirekter und inkonstanter Abhängigkeit.
In vollkommener Uebereinstimmung mit Rybakow, welcher die stark ver¬
ringerte Suggestibilität oder ihre gänzliche Abwesenheit als ein Zeichen psychischer
Minderwertigkeit betrachtet, hebt auch Privatdozent R. Peters (St. Petersburg)
hervor, dass es viel schwieriger ist, Kinder in Hypnose zu versetzen als Erwachsene.
Je kleiner das Kind ist, desto schwerer ist es, zu hypnotisieren; je
schwächer seine psychischen Fähigkeiten entwickelt sind, je mehr es sich dem Typus
der Stumpfsinnigen und Idioten nähert, desto unvollkommener gelingt die Hypnose.
Zu therapeutischen Zwecken wurde die Hypnose von Peters in zwei Formen an¬
gewandt: 1. als Einschläferung ohne jegliche Suggestion; dieser Form bediente er
sich verhältnissmässig selten, und zwar nur dort, wo einfache Beruhigung der Psyche
bei hysterischer Aufgeregtheit wünschenswerth war; 2. die zweite Anwendungsweise
der Hypnose, und zwar die Einschläferung mit nachfolgender Suggestion, wurde als
die klassische Methode am häufigsten benutzt. Bei kleineren Kindern, die der echten
Hypnose nicht zugänglich sind, wurde noch eine dritte Methode in Anwendung ge¬
zogen, nämlich Suggestionen noch vor dem Eintritt des völligen Einschlafens. Eine
gänzlich selbstständige Stellung, die nach Peters’ Ansicht nichts Gemeinschaftliches
mit der eigentlichen Hypnose hat, nimmt diejenige psychotherapeutische Methode
ein, welche als Wachsuggestion bezeichnet wird. Die Suggestionen im Wachzustände
wurden dort benutzt, wo die echte Hypnose nicht herangezogen werden konnte,
z. B. bei sehr kleinen Kindern, oder wo von der Hypnose ein schädlicher Einfluss
zu erwarten war, oder wo ihre Erfolglosigkeit vorauszusetzen war, z. B. in Fällen
mit »falschen Vorstellungen« nach Moebius. Bei der Wachsuggestion wurde die
Suggestibilität durch verschiedene Umstände künstlich erhöht, z. B. durch eine streng
angeordnete systematische Kur, durch eine äusserst sorgfältige und eingehende Unter¬
suchung, durch das imponierende Auftreten des Arztes. Manchmal wirkte durchaus
günstig auf die Suggestibilität der Kinder eine für den Kranken neue Behandlungs¬
methode, vielleicht auf die Weise, dass während ihrer Anwendung eine Ablenkung
der Aufmerksamkeit von der Krankheit, eine Beseitigung der Autosuggestionen und
ein Aufleben neuer Hoffnung auf Genesung erzielt wurden. Auch die übrigeu Modi¬
fikationen und Unterstützungsmittel der psychotherapeutischen Kuren werden nicht
vernachlässigt, so Versetzung in eine andere Umgebung, Bettbehandlung in Verbindung
mit Mastkur, Hydrotherapie und Gymnastik, Uebung des Willens u. dergl.
In den Jahren 1898 und 1899 wurden von Peters im ganzen 79 hypnotische
Sitzungen in 40 Krankheitsfällen bei Kindern vorgenommen. Das Verhältniss der
Mädchen zu den Knaben betrug wie 7:4. Zur Beobachtung kamen: 1 Fall von
hysterischer Aphonie, 6 Fälle von Enuresis nocturna, 3 Fälle von Hystero-Epilepsie,
13 Fälle von einfacher Hysterie, 2 Fälle von hysterischer Chorea, 1 Fall von hyste¬
rischer Zwerchfellslähmung, 1 Fall von genuiner Epilepsie, 2 Fälle von habitueller
Obstipation, 1 Fall von traumatischer Neurose und 10 Fälle von Charcot’scher
Chorea. Die Resultate der Psychotherapie waren natürlich nicht in allen Fällen
günstig zu nennen.
Zum Schlüsse macht Peters noch darauf aufmerksam, dass die Hypnose bei
Kindern in zwei von einander vollständig verschiedenen Formen in die Erscheinung
tritt, welche mit einander nichts Gemeinschaftliches haben, ausser der erhöhten
Erregbarkeit des Centralnervensystems. Bei der einen Art, die nur selten, im ganzen
dreimal unter den 40 Fällen, beobachtet wurde, und zwar an Mädchen von 12 bis
14 Jahren mit schwerer Hysterie, konnte der hypnotische Schlaf ganz leicht in die
übrigen Stufen des hypnotischen Zustandes, d. h. in die Katalepsie, die Lethargie
und in den Somnambulismus übergeführt werden, ebenso wie bei Erwachsenen.
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L'eber einige neuere russische Arbeiten aus dem Gebiete der Hypnose. (>80
Diese Form der Hypnose ist identisch mit demjenigen Zustande, welchen die Schule
der Salp^triere als den gewöhnlichen beschreibt, welcher jedoch als eine durch die
Versuche hervorgerufene und ausschliesslich an kranken Personen erzeugte Neurose
aufzufassen ist. Die andere Form der Hypnose, in welcher sich der hypnotische
Zustand bei Kindern kund giebt, besteht in einem leichten Schlafe, der zwar als
hypnotischer bezeichnet wird, der aber eigentlich etwas Besonderes darstellt, wie der
Autor meint. Dieser hypnoseähnliche Schlaf entspricht der Auffassung, welche die
ärztliche Schule von Nancy sich über die Hypnose gebildet hat. Der Autor lässt sich
aber auf eine weitere Verfolgung der von ihm angeregten Frage nicht ein, sondern
verschiebt die Entscheidung derselben auf eine spätere Zeit, wenn sich ein grösseres
Material angesammelt haben wird.
In einem früheren Berichte (s. diese Zeitschrift 1901. Bd. 4. Heft 8. S. 681)
hatte ich bereits Gelegenheit, von den neueren russischen Versuchen zur Behandlung
des Alkoholismus mittels der Hypnose ausführlich zu reden. Einen weiteren Beitrag
zu dieser Frage liefert der oben erwähnte Moskausche Privatdozent Th. Rybakow.
Seine Beobachtungen betreffen die nicht geringe Anzahl von 250 Patienten. Seine
sämmtlichen Kranken theilt der Autor in drei Gruppen: in die zufälligen Trinker,
in die Gewohnheitssäufer und in die Dipsomanen. Die zufälligen Trinker rekrutieren
sich aus solchen Personen, welche bei jeder sich ihnen darbietenden günstigen
Gelegenheit übermässig sich betrinken, welche jedoch ohne unangenehme Sensationen
zu empfinden sich des Trunkes enthalten können; hier steht die Trunksucht auf der
Grenze zwischen Laster und Krankheit; diese Personen gehen im Laufe der Zeit
mit Leichtigkeit in die Kategorie der Gewohnheitssäufer über, besonders bei dem
Vorhandensein einer hereditären Disposition. Bei den Gewohnheitstrinkern besitzt
der Hang am Schnapsgenuss den stabilen Charakter eines unüberwindlichen Dranges,
die Alkoholzufuhr ist für sie unumgänglich nothwendig zur Aufrechterhaltung ihres
physischen und psychischen Gleichgewichtszustandes; in der Mehrzahl der Fälle sind
hier bereits die Anzeichen der chronischen Alkoholvergiftung zu konstatieren. Bei
den Dipsomanen tritt der Drang zum Schnapsgenuss periodisch auf, in gewissen
Zeitintervallen, und in diesen kritischen Minuten ist kein Hinderniss im stände, ihnen
Halt zu gebieten; in der freien Zwischenzeit fühlen die Quartalssäufer sogar einen
Widerwillen gegen den Alkoholgebrauch. Ausserdem existiert noch eine vierte
Kategorie von Säufern: die gemischte oder Uebergangsform. Von einem anderen
Gesichtspunkte aus theilt der Verfasser seine Fälle in drei andere Gruppen: in
Trinker ohne hereditäre Disposition'(in Rybakow’s Fällen betrugen sie 28,07% der
Gesammtzahl), in Säufer mit erblicher Belastung (57,4 0, 0 ) und in Degeneranten,
d. h. Trunksüchtige mit deutlichen Anzeichen der psychischen Entartung. Die grösste
Anzahl von Degenerierten wird unter den Dipsomanen beobachtet, und die grösste
Anzahl von Personen mit erblicher Veranlagung unter den Gewohnheitstrinkern; die
geringe Zahl von Entarteten unter den Gewohnheitstrinkern lässt sich dadurch er¬
klären, dass sie leicht von der zufälligen Trunksucht zur Dipsomanie übergehen.
Die Alkoholiker sind nach Rybakow’s Erfahrungen sehr leicht der Hypnose
zugänglich; diese wurde anfangs jeden zweiten Tag, dann zweimal in der Woche,
darauf einmal monatlich u. s. w. vorgenommen. Was die Resultate betrifft, so tranken
nicht im Laufe der ersten Woche vom Beginn der Behandlung an 92%, im Laufe
des ersten Monats 66,8 %> im Laufe von drei Monaten 88,4%, von sechs Monaten
25,6% und im Laufe eines ganzen Jahres 20,8%. Aus diesem ungleichmässigen
Sinken des Prozentsatzes (schnelleres Abfallen während der ersten Jahreshälfte) ist
zu ersehen, dass mit der Fortsetzung der Behandlung die Aussichten auf Erfolg
wachsen; dabei ergaben die allergünstigsten Resultate die zufälligen und die Gewohn¬
heitstrinker, während die Dipsomanen bedeutend weniger günstige Erfolge aufwiesen.
Bei den nicht erblich Belasteten war ein bei weitem grösserer Prozentsatz von
Geheilten zu verzeichnen als bei Trunksüchtigen mit hereditäter Disposition. Die
psychisch Entarteten trotzten am allermeisten der Behandlung, und eine dauernde
Genesung ist unter ihnen nur äusserst selten zu erreichen. Aus all seinen Be¬
obachtungen und Erfahrungen zieht der Autor den Schluss, dass bei der Behandlung
der Trunksüchtigen die hypnotische Suggestion zur Zeit als eines der besten Heil-
ZeitAchr. I diät u. physik. Therapie Bd. VL Heft 12.
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6^0 Kleinere Mittheilungen.
mittel betrachtet werden kann und dass ihr der erste Platz in der Kur des Alkoholis¬
mus angewiesen werden muss.
Einen 43jährigen Alkoholiker aus neuropathischer Familie hatte auch A. Praiss
(Smolensk) zu behandeln. Der Kranke hatte in einem Alter von 22 Jahren Schnaps
zu trinken angefangen, und mit 30 Jahren begann er an Dipsomanie zu leiden, wobei
er sich mehrmals bis zum Delirium tremens betrank. Periodisch traten bei ihm
Geschmacks- und Geruchshalluzinationen auf, Gemüthsdepression etc. Der Autor
unterzog den Kranken der Behandlung mittels Hypnose: zweimal wurden die Sitzungen
in einem Zwischenraum von zwei Wochen vorgenommen, die folgenden drei Sitzungen
in Zeiträumen von einem Monat. Vom Beginne der Kur an empfindet der Kranke
nicht nur nicht keinen Wunsch nach Schnaps mehr, sondern der Schnaps flösst ihm
den grössten Widerwillen ein. Leider giebt der Verfasser nicht an, wie lange dieser
bemerkenswerthe Erfolg angedauert hat. Gleich günstige Resultate erzielte Praiss
bei einem 10jährigen Knaben mit nächtlichem Bettnässen und bei einer 40jährigen
Frau mit schwerem nervösem Husten. Bei einem psychisch degenerierten Knaben
dagegen mit Moral insanity blieb die suggestive Behandlung, entsprechend den Be¬
obachtungen von Peters und Rybakow, ohne jeglichen Erfolg.
Kleinere Mittheilungen.
Beckenexsudate — kühle Sitzbäder.
Von Dr. Diehl, Badearzt in Berneck (Oberfranken).
Die Behandlung parametraner Exsudate ist in den neuesten Auflagen von Fritsch, Hof*
meier, Runge und im Handbuche der physikalischen Therapie von Goldscheider und Jacob
(1902) keine einheitliche.
Die eitrigen Exsudate sind baldigst zu operieren.
Die nicht eitrigen, nicht infizierten Exsudate des Parametriums, die Schwielen, Infiltrationen,
Bandverdickungen und Verkürzungen, die Parametritis anterior, lateralis und posterior mussten schon
entgegengesetzte Therapie über sich ergehen lassen. Sind einige der obigen Autoren Anhänger
warmer Sitzbäder, so hat Pin gl er seinerzeit die Kälte gepriesen.
Die aufstrebende Massage der 80er Jahre wollte das Feld im Sturm nehmen; viele heutige
Aerzte halten an unbedingter Ruhe fest. Wo liegt die Wahrheit? Beleuchten wir einige der
neuesten Ansichten näher. Fritsch lässt Sitzbäder zu, nicht unter 26# R, nicht über 30° R. Bei
frischen Exsudaten kühlere, bei alten wärmere Bäder. Von heissen Scheidenirrigationen sah er und
Runge nicht blos gute Erfolge. Runge zieht die Vollbäder vor, doch trotzten ihnen einzelne Ex¬
sudate lange. Hof meier widmet der Perimetritis längere Betrachtungen, die Parametritis ist nicht
therapeutisch abgehandclt. Wollte er vielleicht nicht Stellung nehmen in einer Sache, die ihm noch
nicht geklärt schien? Gottschalk empfiehlt Sitzbäder im subakuten Stadium, da sie im akuten
zur eitrigen Einschmelzung des Exsudates führen könnten. Aetiologisch halten diese Autoren,
ausser Hof meier, der traumatische Entstehung einräumt, an der Infektion fest. Stehen wir nicht
zu sehr im Banne der Bakteriologie? Warum vereitern eine ganze Reihe von Parametritiden nicht
trotz jahrelangen Bestehens, trotz interkurrenter Geburten, trotz der behaupteten weiteren Ein¬
wanderung von Gonokokken, bei latenter Gonorrhoe des Mannes?
Wir sollten dem mechanischen Momente mehr Aufmerksamkeit zuwenden. Vergegenwärtigen
wir uns die Venengeflechte des Uterus und seiner Umgebung, gedenken wir der häufigen Blut¬
zufuhren durch die Menses und der mangelhaften Körperthätigkeit gerade derjenigen Frauen, bei
denen wir solchen Leiden am meisten begegnen. Bieten diese drei Momente nicht Gründe genug
zu dauernden Hypcrämicen im parametranen Bindegewebe, besonders wenn noch weitere mecha¬
nische Läsionen, ohne die keine Geburt abgehen kann, hinzukommen?
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Kleinere Mittheilungen 691
Die vielerlei Ansichten und Meinungen lassen erkennen, dass das physiologische Moment der
Parametritis noch unklar ist Um ihm, das wir als einheitliche Grundlage der Exsudatbehandlung
anzusehen hätten, näher zu kommen, beginnen wir mit der Aetiologie. Die Ursachen der Exsudat¬
bildung sind verschiedene: Eine normale aber schwere Entbindung, künstliche Entbindung, Kürette¬
ment, Tubenschwangerschaft, eitrige Prozesse der Beckenorgane, nicht minder solche des Blind¬
darmes; alle diese in lokaler, technischer, thermischer, septischer Hinsicht so verschiedenen Ursachen
bewirken dasselbe; bewirken eine Ausschwitzung von Blutwasser iu das Becken. Warum die Natur
so reagiert, ob zum Schutze, ob aus Schwächezuständon, Erschlaffungen der Gefässmuskulatur her¬
aus, wissen wir nicht. Giebt uns so die Aetiologie keinen Fingerzeig für die Behandlung, so lässt
sie, indem sie uns das einheitliche Resultat verschiedener Ursachen zeigt, den Gedanken einheitlicher
Rückbildung auf kommen.
Noch mehr Boden gewinnt dieser Gedanke aus der Betrachtung der pathologischen Anatomie.
Was ist, pathologisch - anatomisch betrachtet, das Exsudat? Eine normale Flüssigkeit, die sich an
falschem Platze befindet, der aber selbst normal ist. Das Ganze ist mehr physiologisch als patho¬
logisch. Das wird deutlicher, wenn wir den obigen Vorgang mit einem anderen pathologischen ver¬
gleichen. Nehmen wir als Vergleichsobjekt eine beginnende Lungenphthise. Wir beobachten in
der Praxis oft genug, dass die Resorption eines gewöhnlichen Beckenexsudates vier bis fünf Monate
braucht, dieselbe Zeit also, die bald hinreicht, eine beginnende Phthise zur Heilung zu bringen, an¬
nähernd die gleiche Zeit für die extremsten Erkrankungen; dort für die Resorption normaler Körpor-
säfte — ein physiologischer Vorgang, der in der Rückbildung des post partum entleerten Uterus
sein Analogon hat, welch letztere um so prompter vor sich geht, je früher die Frauen tüchtig
arbeiten müssen, — hier für die Beseitigung drei schwerer pathologischer Vorgänge. Der Körper
hat die Tuberkelbacillcn einzukapseln. Er hat das eingeschmolzene Gewebe durch neues zu ersetzen
und hat gleichzeitig die Stoffwechselprodukte der Bakterien, die Ptomaine, unschädlich zu machen.
Dies alles leistet ein kräftiger Körper in vier bis fünf Monaten, während wir in gleicher Zeit
nicht jedes Exsudat beseitigen können, ja schwielige Verdickungen jahrelang bestehen sehen. Noch
mehr! Wer hat nicht erlebt, dass durch heisse Sitzbäder Exsudate gewachsen sind? Ich hatte Ge¬
legenheit, drei solcher Fälle zu verfolgen; und gerade diese führten mich zur Beobachtung des phy¬
siologischen Momentes, das, meiner Anschauung nach, als Grundlage der zukünftigen Behandlungs¬
weise dienen sollte.
Der erste Fall war ein Exsudat nach Kurettement; letzteres war nach geplatzter Tuben¬
gravidität für nÖthig erachtet worden. Herr Kollege Dr. Wittmer, Basel, der mit mir die Be¬
handlung leitete, war gleich mir sehr erstaunt, als unsere 35°C-Sitzbäder das Exsudat vergrösserten.
Herr Professor Bumm, damals noch in Basel, verordnete Salzwasserumschläge und Bettruhe für
einige Monate. Drei Monate Bettruhe und eine sechswöchentliche Soolbäderkur in Rhcinfclden
brachten dann das Exsudat zum Schwinden. Ein Jahr später kam der zweite ähnliche Fall in Be¬
handlung. Fran Finchen, eine sehr energische, junge Dame, protestierte lebhaft gegen einen drei¬
monatlichen Haus- und Bettarrest und begrüsste meinen Vorschlag einer aktiven Therapie aufs freu¬
digste.
Hier muss ich einschalten, dass ich damals seit einem Jahrzehnt an Hämorrhoiden litt, die
ich als Disposition vom Vater ererbt, mir durch allzugrosse Flüssigkeitsquanta erworben hatte, um
sie zu besitzen. Jahrelang ward ich sie nicht los. Hantelpessare, Salben, Kurellapulver, Anusol
und Karlsbader Salz wirkten ebensowenig wie fleissiges Reiten, Radfahren und die strengsten Diät¬
kuren. Das Leiden brachte mich sehr herunter, es musste geholfen werden. Vor der Radikal¬
operation schreckte ich zurück. Nicht blos wegen der Schmerzen und Gefahr, vielmehr noch im
Bewusstsein, durch die Operation werden die Knoten, nicht aber die zuführenden erweiterten Veuen
beseitigt. Ich wendete mich dann an Herrn Kollegen Dr. Lahmann, und seinen Verordnungen,
insbesondere den kühlen Sitzbädern, habe ich meine Heilung zu verdanken.
Lag der Gedanke nicht nahe, die kühlen Sitzbäder, 25°C, gegen das Exsudat anzuwenden?
Die kühlen Sitzbäder hatten die Blutüberfüllung des Unterleibes zum Schwinden gebracht. Mussten
sie nicht auch Exsudate zur Resorption bringen? Der Gedanke lag um so näher, als die warmen
Bäder die Exsudate vergrössert hatten. Die Patientin war geneigt, den Versuch zu wagen. Die
ersten zehn Bäder brachten keinerlei Veränderungen. Wir gingen herunter auf 22°C, badeten zwei¬
mal täglich, und nun schwanden die kleinen, subjektiven Beschwerden rasch. Die Resorption setzte
kräftig ein. Nach weiteren zwölf Badetagen war nichts mehr zu fühlen. Unter zweitägiger Kon¬
trolle durfte Patientin aufstehen, nach weiteren acht Tagen entliess ich sie aus der Behandlung,
nachdem Spazierengehen und Hausarbeit ihr keinerlei Beschwerden verursachten.
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C)92 Kleinere Mittheilungen.
In der Anwendung kühler Temperaturen, wie ich es durch Lahm an n kennen lernte, glaube
ich das physiologische Moment der Therapie erblicken zu müssen. Ich versuche jetzt, es näher zu
begründen. In seinem Buche: »Ueber die natürlichen Schutzmittel des Organismus, mit besonderer
Berücksichtigung des Entzündungsvorganges« zwingt uns March and, den Begleiterscheinungen der
Entzündung ein erhöhtes Interesse zuzuwenden. Es wird uns daraus klar, dass die Hyperämie in
vielen Fällen eine ebenso wichtige Rolle spielt, als die Entzündung selbst. Ja, bei vielen Prozessen
der weiblichen Scxualorgane ist die Entzündung überhaupt nur noch eine Hyperämie. Es erhellt
dies aus dem anatomischen Bau und dem physiologischen Vorgänge der Menstruation. Ist beispiels¬
weise nach einer schweren Geburt oder nach zu lange dauernden Menstruationen irgend ein Venen¬
strang in einem Theile des Parametriums stark erweitert und prall gefüllt, so wird er sich noch
nicht genügend geleert und verengert haben, bis die nächste Periode eintritt. Die noch schlaffen
Wandungen geben nach, und abermals tritt eine Hyperämie ein. Ohne richtige Maassnahmen bleibt
dieser Circulus vitiosus jahrelang bestehen. Ichthyol in allen Stärken, Massage, Gymnastik, nichts
bringt den leichten Schmerz, das dumpfe Gefühl zum Schwinden, das die armen Trägerinnen be¬
ständig plagt und sich zur Zeit der Menstruation bis zu kolikartigen Anfällen steigern kann. Viele
joner kleinen cirkumskripten Parametritiden, Perisalpingitiden und Perioophoriden sind keine Ent¬
zündungen; sie sind nur Hyperämieen, und, wie jede andere Unterleibshyperämie, durch kühle Tem¬
peraturen zu bekämpfen. Veraltete Fälle mit Verhärtungen der Bänder verlangen natürlich vorher
eine Auflockerung; dies leistet Wärme und Massage. Von vielen nur eine kurze Krankengeschichte:
Im vorigen Sommer war eine junge Frau wegen Blutarmuth und Nervenschwäche hierher gekommen,
um Fichtennadelbäder zu nehmen. Nach dem sechsten Bade fühlte sie sich elender wie je. Sie
kam zur Konsultation, erwähnte aber anfangs ihr Unterleibsleiden nicht. Erst auf eingehendes
Examen erzählte sie, sie sei seit zwei Jahren hoffnungslos unterleibsleidend; alle möglichen spe¬
ziellen Behandlungen — zum Theil sehr schmerzhafte und eingreifende — seien erfolglos gewesen,
ebenso Soolbäder; zumeist hätten die Schmerzen unter der Behandlung sogar zugenommen. Die
Untersuchung zeigte in dem den Mastdarm umfassenden Theile des Parametriums eine stark hyperä-
mische Stelle, die druckempfindlich war. Eine Reihe kühler Sitzbäder, einige gelinde Massagen
brachten so guten Erfolg, dass die nächste Periode völlig schmerzfrei verlief, seit Jahren wieder
das erste Mal. Bei grösseren Spaziergängen und Laufspielen konnten wir uns von dem Dauererfolge
überzeugen. Gerade diese Fälle kommen jedem Herrn Kollegen oft unter die Hände und eignen
sich zur Prüfung der besprochenen Methode.
Zum Schlüsse wollen wir noch einen in zweifacher Hinsicht interessanten und lehrreichen Fall
heranziehen, eine Perityphlitis. Am zehnten Tag wurde wegen plötzlicher Eiterbildung die Ope¬
ration nöthig. Zur raschen Entleerung des Eiters und baldigen Ausstossung des vermutheten Koth-
steins Hess ich die zwölfjährige Patientin heisse Bäder nehmen; dieselben wurden bis zum 22.Tage
nach der Operation gut vertragen. Am genannten Tage war Patientin nach dem Morgenbade noch
sehr munter, aus dem Abendbad verlangte sie bald heraus; sie klagte über Leibschmerzen und
empfand gegen 10 Uhr heftiges Schneiden beim Urinieren. Eine Erklärung fand sich am anderen
Morgen. Unterhalb der Bauchwunde beginnend, zog sich quer über die Symphyse ein Exsudat, das
bis zur linken Darmbeinschaufel reichte, rechts drei, links zwei Finger hoch nach oben fühlbar. Ich
stehe nicht an, die Aetiologie zu erklären: Ich halte es für eine Folge der vielen heissen Bäder bei
dem schon geschwächten und gereizten Unterleib. Die Eiterung war in den letzten Tagen minimal
geworden, die Wunde am Verheilen, der Verdacht auf Kothstein weggefallen. Die Behandlung setzte
nun umgehend mit kühlen Bädern ein: dadurch schwanden die subjektiven Beschwerden zusehends.
Vom vierten Tage ab ging das Urinieren leichter; in IG Tagen hatte sich das ganze Exsudat zurück-
gebildet. Dass dies sehr grosse Exsudat in so kurzer Zeit zurückging, verdankte ich nicht nur den
kühlen Bädern. Ich hatte in diesem Falle die Patientin schon am sechsten Tage aufstehen lassen,
als ihre Hauptschmerzen vorüber waren. Und gerade auf diesen Punkt möchte ich das Augenmerk
der Herren Kollegen besonders richten. Die Bettruhe beim Exsudat! Warum eigentlich diese un¬
selig lange Bettruhe? Sollte sic und die mangelnde Bewegung der Extremitäten nicht gerade die
Resorption verhindern? Hier fesselt eine übergrosse Aengstlichtigkeit der Aerzte die Patientinnen
unnützer, ja schädlicher Weise zu lange ans Bett! Unterziehen wir die Zeit der Bettruhe beiin Ex¬
sudat einer näheren Betrachtung. Warum haben wir seither so lange zu Bett liegen lassen? Doch
nur aus Angst, jede Bewegung könne das Exsudat vergrössern. Das warme Sitzbad macht eine
starke aktive Hyperämie zum Unterleib, ohne dass dieselbe von einem kräftigen, venösen Rückflüsse
gefolgt wäre. Durch Umhergehen im Zimmer bewirken wir letzteres und unterstützen so das resor¬
bierende Moment, das kühle Sitzbad.
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Referate über Bücher und Aufsätze.
693
Unsere Zeit strebt einer einheitlich in sich begründeten Heil weise zu; deren grosser und
erster Fundamentalsatz dürfte lauten: Akute Erkrankungen werden mit Ruhe, chronische mit Be¬
wegung behandelt. Daher die Erfolge der physikalischen Therapie bei chronischen Leiden. Wir
haben demnach das Exsudat im akuten Stadium mit Bettruhe, im chronischen mit Bewegung zu
behandeln. Wie lange dauert aber das akute und wann beginnt das chronische Stadium? Wir
haben keinen fieberhaften, keinen Entzündungsprozess vor uns. Das akute Stadium kann also nur
so lange dauern, bis die Grundursache behoben ist. Ist die Grundursache geschwunden, so ist das
akute Stadium vorbei. Die Grundursachen aller nicht infizierten Exsudate haben etwas Gemein¬
sames, nämlich Gewebs-, respektive Gefässläsionen. Die Läsion kann durch Quetschung bei
schwerem, normalem Geburtsverlauf, durch Quetschung bei Anwendung von Kunsthilfe, durch Zer¬
störung des Gewebes beim Kurettement, durch Zerreissung der Tubenwandung entstehen und die
Ursache des Exsudates sein. Aber in allen Fällen ist die Gewebsläsion schnell repariert und daher
das akute Stadium ein sehr kurzes. Meistens wird es fünf bis sechs Tage nicht überdauern. Zum
Beweis diene noch das frühe Aufstehen der meisten Wöchnerinnen. Mehr als die Hälfto der Wöch¬
nerinnen auf dem Lande bleibt keine Woche zu Bett. Ich sehe das akute Stadium nicht länger als
eine Woche dauernd an, und werde künftig keinerlei Bedenken tragen, nach Verlauf der ersten
Woche mit den kühlen Bädern und der Bewegungstherapie zu beginnen. Die letztere wird anfangs
dreimal täglich die Patientin ein Stündchen im Zimmer herummarschieren lassen. Fühlt sic sich
kräftiger, so kann Treppensteigen, Unterschenkel kreisen und Kniebeuge hinzukommen. Die Er¬
nährung sei kräftig und reichlich, denn die kühlen Sitzbäder erheischen kräftige Blutbildung. Die
Stuhlentleerungen sind durch reichlichen Obstgenuss und einige kleine, kühle Einläufe zu unterstützen.
Diese Mittel dürften unsere seitherige Ohnmacht gegenüber den Exsudaten beseitigen und uns
befähigen, — prophylaktisch angewendet — die kostbare Gesundheit unserer Frauenwelt zu fördern.
Referate über Bücher und Aufsätze.
A. Diätetisches (Ernährungstherapie).
Schnmaii-Leclercq, Ueber die Ausschei¬
dung der Aetherschwefelsäure bei konstan¬
ter Kost unter dem Einfluss von Karlsbader
Wasser, Karlsbader Salz, Wasser, Bier.
Berliner klinische Wochenschrift 1901. No. 40
Welchen Einfluss Laxantien auf die Darm-
faulniss haben, ist noch Gegenstand der Diskus¬
sion. Morax hat zuerst die Meinung ausge¬
sprochen, dass Laxantien die Darmfäulniss stei¬
gern; Rovighi erklärte dies dadurch, dass in¬
folge der Vermehrung der im Darm enthaltenen
Flüssigkeit die Thätigkcit der Darmbakterien ge¬
steigert wird; da aus demselben Grunde auch die
Absorption der Fäulnissproduktc erleichtert ist,
tritt eine Vermehrung der Aetherschwefelsäure
im Harn auf. Albu bestritt die Morax’sehe
These in einer Arbeit über den Einfluss ver¬
schiedener Ernährungsweisen auf die Darmfäul-
niss (1897;: da mit der Entleerung grosser Men¬
gen fäulnissfähigen Materiales aus dem Darm die
Eiweissfäulniss in demselben beschränkt wird,
wirken alle diejenigen Abführmittel, welche die
Peristaltik beeinflussen, vermindernd auf die
Darmfäulniss; im Gegensatz freilich zu den Ab¬
führmitteln, welche durch seröse Transsudation
im Darm wirken und den Darminhalt verflüssigen.
Einen Beitrag zu dieser Frage liefert vor¬
liegende Abhandlung von Schuman-Leclercq.
Verfasser machte seine Versuche an sich selbst;
er bestimmte die absolute Menge der im Harn
ausgeschiedenen Aetherschwefelsäure bei Zugabe
von Karlsbader Sprudelwasser (in zwei Versuchs¬
perioden), von Kalsbadcr Sprudclsalz, von Trink¬
wasser und von Münchener Bier (je eine Periode)
zu einer konstanten Versuchsdiät. Zwischen je
zwei Versuchsperioden wurde eine Kontrollperiode
mit alleiniger Normalkost eingeschaltet. In der
Sprudelsalzperiode trat eine Verminderung
der Ausscheidung der Aetherschwefel¬
säure ein, in der Sprudel wasser-, Trinkwasser-
und Bierperiode eineErhöhung. Die Sprudel-
salzperiodo war durch häufige Defäkation
charakterisiert; und diese schnelle Beförderung
der Kothmassen aus dem Darm wird wohl auf
die Verminderung der Aetherschwefelsäure einen
Einfluss gehabt haben.
Nothwendig wären N-Bestimmungen im Koth
gewesen, um die Resorptionsverliältnissc der ein-
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694
Referate über Bücher und Aufsätze.
geführten Nahrung, respektive die Menge des
fäulnissfähigen Materiales im Darm festzustellen.
Die einzelnen Perioden hätten dadurch in ein
klareres Verbältniss zu einander gesetzt werden
können. Ausserdem wäre wohl dadurch die Ur¬
sache der Gewichtsabnahme des Verfassers wäh¬
rend des Versuches (nahezu 2 kg) aufgedeckt
worden, die Verfasser auf Wasserverlust bezog.
Da nur fünf gelegentliche N - Bestimmungen im
Urin gemacht wurden, so'bleibt es zweifelhaft,
ob wirklich N - Gleichgewicht bestand, oder ob
nicht doch der Organismus N abgegeben hat
GotthelfJMarcuse (Breslau).
A. Albu, Die vegetarische Diät. Kritik ihrer
Anwendung für Gesunde und Kranke. Leip¬
zig 1902. Georg Thieme.
Die vornehme Ignoranz, die die wissenschaft¬
liche Mcdicin seit Jahrzehnten allen der zünftigen
Schulmeinung zuwiderlaufcnden Theoriecn und
Argumentationen gegenüber, zur Schau getragen
hat, hat den Bann der Phrase und des Schlag¬
worts erzeugt, dem unzählige zum Opfer gefallen
sind. So ging es mit dem Wasserheilverfahren,
so mit den physikalischen Methoden überhaupt;
und auch der Vegetarianismus, dieses seit un¬
denklichen Zeiten immer wieder in der Geschichte
des Menschen hervortretende Problem, konnte
von seinen Gläubigen als Panacee gepriesen, von
den Wissenschaften mit einem mitleidigen Achsel¬
zucken belächelt, unwiderlegt nach allen Rich¬
tungen des menschlichen Lebens und Denkens
kreisen und zu einer blindlings anerkannten
Theorie werden. Wenn auch seine Wellen die
streng exakte Wissenschaft wenig berührten, um
so heftiger schlugen sie an das leicht empfäng¬
liche Gcmüth des Volkes an und schufen mit
Hilfe einer geräuschvollen Propaganda und ober¬
flächlichen Beweisführung Anhänger in allen
Kreisen und Schichten der Gesellschaft. Es ist
daher ein anerkennenswerthes Verdienst von
Albu, dieser Frage zum ersten Mal in einer er¬
schöpfenden , abgerundeten Darstellung näher
getreten zu sein und nächst der Kritik und Ab¬
weisung unerwiesener und von Generation zu
Generation nachgesprochener Allgemeinbehaup¬
tungen die Indikation der Anwendung des Vege¬
tarianismus als diätetisches Heilmittel streng
methodisch fixiert zu haben. Sein Buch, dass
ausserordentlich frisch und anregend geschrieben
ist, zerfällt demgemäss in zwei Theile: Im ersten
werden nach einer Betrachtung der Geschichte
des Vegetarianismus, des Begriffes und der
Definition dieser Weltanschauung — denn eine
solche stellt sie im Grunde genommen dar, nicht
blos ein diätetisches Prinzip — die Beweismittel,
die diese Lehre für sich in Anspruch nimmt,
einer kritischen Würdigung unterworfen, die nicht
blos von medicinischen Gesichtspunkten aus ge¬
schieht, sondern eine viel umfassendere Basis
hat Die Wechselbeziehungen zwischen dem
Vegetarianismus einerseits und der Hygiene, der
Aesthetik, der Ethik, Religion und Volkswirtk-
schaft andrerseits werden festzustellen gesucht
und damit auch zugleich die verwirrenden Ein¬
flüsse der verschiedensten Art und von den ver¬
schiedensten Seiten aus näher beleuchtet; ver¬
wirrend insofern, als die heterogensten Faktoren
zusammentrafen, um eine Weltanschauung zu
erzeugen. Der umfassende Blick, der dem Ver¬
fasser zu eigen, lässt ihn aller dieser Gesichts¬
punkte gerecht werden, und das vorzüglich ver¬
arbeitete Material giebt ein abgerundetes Bild
von dem Vegetarianismus als physiologisches, philo¬
sophisches und nationalökonomisches Problem.
Der zweite Thcil behandelt den Werth der vege¬
tarischen Diät für die Krankenernährung, hier
tritt die Kritik gegenüber der praktischen Ver-
werthbarkeit zurück. Eigene Erfahrungen sowie
die anderer gewissenhafter Beobachter lassen
die vegetarische Diät in einer grossen Reihe
pathologischer Veränderungen als durchaus in¬
diziert erscheinen, so vor allem bei der Neu¬
rasthenie, den nervösen Magen- und Darmkrank-
heiten, den katarrhalischen Affektionen des
Magendarmtraktus (hier ist es wesentlich die
laktovegetabile Diät, die in Betracht kommt),
weiterhin bei Neurosen, der Arthritis urica, der
Fettleibigkeit, dem Diabetes, Basedow, Nieren¬
krankheiten, chronischen Hauterkrankungen etc.
Gerade dieses Gebiet, das ja von wissenschaft¬
licher Seite aus bisher fast ganz unbeackert da¬
lag, bedarf, wie auch Albu hervorhebt, weit
mehr eingehender Beobachtungen, ehe man zu
völlig sicheren Schlüssen gelangt. Die Entwick¬
lung der Diätetik als Wissenschaft berechtigt zu
der Hoffnung, dass auch eine umfassendere, sorg¬
fältige Prüfung des Werthcs der vegetarischen
Diät bei den verschiedenen in Betracht kommen¬
den Formen akuter wie chronischer Erkrankungen
angebahnt werden wird. Mit Albu’s Schluss¬
sätzen können wir uns voll und ganz einver¬
standen erklären, sie lauten: »Die wissenschaft¬
liche Kritik macht jetzt das unumwundene Zu¬
geständnis, dass die vegetarische Ernährungs¬
weise als eine physiologisch mögliche und aus¬
reichende erwiesen ist, [und dass auch ihre bio¬
logische Daseinsberechtigung erhärtet ist durch
den Nachweis einer damit erreichbaren gleichen
körperlichen Leistungsfähigkeit. Nicht mehr aber
ist erwiesen, als dass die pflanzliche Ernährung
im besten Falle der gemichten Kost ebenbürtig
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Referate über Bücher und Aufsätze. 695
ist. Die aus animalischen und vegetabilischen
Nahrungsmitteln möglichst gleichmässig gemischte
Kost ist die einzig richtige Ernährung des ge¬
sunden Menschen. Für den gesunden Menschen
machen sich nur die Nachtheile der vegetarischen
Diät geltend, ihre Vortheile kommen nur für den
Kranken in Betracht«.
J. Marcuse (Mannheim).
Leb bin, Der Nähr werth der Hühnereier«
Therapeutische Monatshefte 1901. Novomber.
Nach Leb bin’s Untersuchungen beträgt das
mittlere Gewicht eines Hühnereies 50,5 g, wovon
5,5 g = 10,89% auf die Schale, 29,5 g = 58,42%
auf das Eiweiss, 15,5 g = 30,69% auf das Ei¬
gelb entfallon; durch fünf Minuten langes Kochen
erfolgte fast ausnahmslos eine mittlere Gewichts¬
zunahme um 0,326 g (0,61 %). Für die prozenti¬
sche Zusammensetzung des Dotters und des Weis-
sen ergiebt sich:
Was-
Pro-
Fett
Asche
Von der Asche
ser
teYne
P« 0» FeiOa
Weissei.
Gelbei .
86,61 !
47,53 |
10,93
17,45 |
0,14
33,32
0,71
! 1.67
0,22 0,006
1,43 0,037
Diese Zahlen, sowie die für die chemische Zu¬
sammensetzung eines schalenfrcien Hühnereies
berechneten Werthe — 32,92 g Wasser, 5,92 g
Eiweissstoffe, 5,2 g Fett, 0,47 g Aschenbestand-
theile, 0,28 g P 2 0 5 , 0,0074 g Fe^a — entsprechen
im wesentlichen den von J. König, Rubner,
Munk und Ewald angegebenen, und zeigen,
dass die Eier ein äusserst werth volles Nahrungs¬
mittel darstellen. Bei einem mit 22 Eiern an
einer gesunden Versuchperson vorgenommenen
Ausnützungsversuch erwies sich der Nährwerth
der Hühnereier als ein sehr hoher. Besonders
bemerkenswerth war die günstige Ausnützung
der im Dotter enthaltenen Lecithine, welche die
Möglichkeit eröffnet, durch Darreichung von
Eiern dem nervös erschöpften Körper schnellen
und guten Ersatz seiner Nervensubstanz zu ver¬
schaffen. Hirschel (Berlin).
Siegert, Erfahrungen mit der nach r. Dün¬
gern gelabten Vollmilch bei der Ernährung
des gesunden und kranken Säuglings.
Münchener medicin. Wochenschr. 1901. No. 29.
Auf Grund eigener sechsmonatlicher Versuche
bezeichnet Verfasser die nach v. Düngern’s Vor¬
schrift (cfr. Referat in dieser Zeitschrift Bd. V.
Heft 7) mit Lab versetzte Kuhmilch als ein
werthvolles Nahrungsmittel für gesunde und
kranke Säuglinge; er empfiehlt sie beim Säug¬
ling sowohl als ausschliessliche Nahrung wie
beim AU&itement mixte, ferner für ältere Kinder
und Erwachsene, wenn gewöhnliche Kuhmilch
Druck im Magen oder Erbrechen verursacht, auch
bei katarrhalischen Zuständen und bei Ulcus ven-
triculi. Säuglingen ist die unverdünnte Milch in
entsprechend kleiner Menge zu verabreichen,
schwer oder chronisch magendarmkranken Kin¬
dern in Einzelportionen von nur 60, selbst 30 g.
Die Labung der Milch geschieht nach Siegert
folgondermaassen: Die nach Förster krankheits¬
keimfrei gemachte oder die sterilisierte Vollmilch
— in sehr bedenklichen Fälleu vorübergehend
ungekochte, frisch gemolkene Milch — wird bei
Körpertemperatur in der Trinkflasche durch Zu¬
satz von Pegnin, dem an Milchzucker gebundenen
sterilen Labferment, gelabt (eine Messerspitze
Pegnin genügt für 200 g Milch); nach einmaligem
Umschüttcln wird die Flasche in warmes Wasser
von 400 c zurückgestellt bis zur Gerinnung in
etwa 5—10 Minuten; hierauf wird je nach Er-
fordemiss Wasser, Schleim, Rahm, Eigelb etc.
hinzugefügt, und das Gerinnsel durch kräftiges
Schütteln derart beseitigt, dass Flocken makro¬
skopisch kaum noch sichtbar sind, dann die Milch
bei Körpertemperatur verabfolgt. Pausen von
3 —3V2 Stunden zwischen den einzelnen Mahl¬
zeiten sind dringend zu empfehlen, 1 1 pro die
soll vor dem achten Monat nicht gegeben und
bis zum Ende des ersten Lebensjahres nicht über¬
schritten werden. Nach vierwöchentlichem Ge¬
brauch gelabter Vollmilch wird meist auch die
ungclabte Vollmilch schon gut vertragen. Die
in den ersten Lebensmonaten bei Ernährung mit
unverdünnter Milch öfters auftretende Neigung zu
Obstipation lässt sich durch Zusatz von Rahm
oder Milchzuckerlösung, noch sicherer durch die
Bauchmassage beseitigen.
Hirschei (Berlin).
W. Orlowsky, Die Bedeutung der Lehre von
der Selbstvergiftung des Körpers für die
innere Pathologie und insbesondere für die
Pathogenese der Urämie. Wratsch 1901. No. 30.
Derselbe, Die Blntalkalescenz unter physio¬
logischen und pathologischen Verhältnissen.
Daselbst 1901. No. 39 u. 40.
Zur Entscheidung der Frage, wodurch die
Herabsetzung der Blutalkalescenz bei Urämie
bedingt wird, nahm Orlowsky eine Reihe von
Untersuchungen vor. An Hunden mit Unter¬
bindung beider Ureteren und an urämischen
Kranken an gestellte Experimente zeigten vor
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Referate über Bücher und Aufsätze.
696
allem) dass die Blutalkalescenz bei Urämie that-
sächlich um 40—50% sinkt. Weitere Versuche
an Hunden ergaben, dass diese Erscheinung
hauptsächlich durch die Ansammlung von sauren
Produkten im Blute verursacht wird. Ein aus¬
gesprochenes Sinken der Blutalkalescenz tritt je¬
doch nicht gleich zu Beginn der Krankheit auf,
sondern nur kurz vor dem Tode; im Anfänge
dagegen weicht, ungeachtet der vollkommen aus¬
geprägten urämischen Symptome, die Alkalescenz
des Blutes nur unbedeutend von der Norm ab.
Dieser Umstand veranlasst den Verfasser, die
Sättigung des Körpers mit sauren Stoffwechsel¬
produkten nicht für die effektive Ursache der
Urämie zu halten, sondern sic nur als Begleit¬
erscheinung derselben zu betrachten, welche durch
die eingreifende Störung des Stoffwechsels her¬
vorgerufen wird.
Ferner studierte Orlowsky das Verhalten
der Blutalkalescenz unter physiologischen und
pathologischen Bedingungen überhaupt. Durch
Experimente an Hunden konnte er feststcllen,
dass auf den Grad der Blutalkalescenz die je¬
weilige Anzahl der rothen Blutkörperchen und
ihr Resistenzvermögen einen entscheidenden Ein¬
fluss ausübt. Weitere überaus sorgfältige Unter¬
suchungen an 08 Kranken zeigten, dass der Grad
der Blutalkalescenz bei verschiedenen Krankheiten
und bei einer und derselben Krankheit verschie¬
dener Personen nicht der gleiche ist. Stellt man
jedoch die Werthe der Alkalescenz des Blutes
mit dessen Gehalt an rothen Blutkörperchen zu¬
sammen, so bemerkt man unschwer, dass sic ein¬
ander völlig parallel gehen: mit der Verringerung
der Zahl der rothen Blutkörperchen sinkt auch
die Blutalkalescenz, bei normaler Anzahl von
Erythrocyten steht auch der Grad der Alkalescenz
auf normaler Höhe. Die Alkalescenz des Blut¬
plasmas hingegen erweist sich bei den ver¬
schiedensten krankhaften Zuständen als voll¬
ständig normal, und wenn sie auch hin und
wieder von der Norm abweicht, so doch jeden¬
falls sehr unbedeutend. Es giebt aber einige
Affektionen, bei denen eine beträchtliche Herab¬
setzung der Alkalescenz auch des Blutplasmas
zu konstatieren ist, nämlich Diabetes mellitus,
Krebskachexie und Urämie (in ihrem Endstadium).
A. Dworetzky (Moskau).
N. Krawkow, Ueber das Vorkommen von
Pentosen im thierfschen Organismus und
über den Ursprung der Peutosurie. Wratsch
1901. No. 30 und 31.
Als Ausgangspunkt für die Untersuchungen
Professor Krawkow’s (an der miütär-
medicinischen Akademie ln Petersburg) diente
folgende von ihm entdeckte Thatsache: Kocht
man ein Stückchen Kaninchenmuskel mit Salz¬
säure in Gegenwart einer kleinen Menge von
Phlorogluein, so tritt nach kurzer Zeit eine
rosige Färbung der Flüssigkeit auf, — eine Re¬
aktion, die für Pentose charakteristisch ist. Diese
Färbung verliert sich schnell beim weiteren Kochen
Eine ebensolche charakteristische Reaktion auf
Pentose erhält man beim Kochen eines Muskel-
stückchens mit Salzsäure in Gegenwart von
Orcin. Im letzteren Falle beobachtet man eine
prächtige blauviolettc, in smaragdgrün über¬
gehende Färbung. Bei Bearbeitung einer solchen
Lösung mit Amylalkohol geht die Farbe in
diesen über und tritt dann um so deutlicher
hervor. Das Spektrum dieser Lösung zeigt die
für die Pentosen charakteristischen Absorptions¬
linien. Zur Isolierung der Pentose versuchte
Krawkow, ihr entsprechendes Osazon auf dem
üblichen Wege darzustellen, was ihm auch ge¬
lang. Um die Muskel Substanz von den in ihr
enthaltenen freien Kohlehydraten, wie: Glykogen,
Glykose u. a. zu befreien und dadurch von dem
entstehenden Pentosazon Beimengungen von
Glykosazon nach Möglichkeit fernzuhalten, wurde
das in einer gewöhnlichen Fleischmahlmaschine
aus Metall fein zerkleinerte Fleisch zuerst längere
Zeit in kaltem Wasser ausgelaugt, dann wieder¬
holt mit Wasser aufgekocht, bis die Spülflüssig¬
keit endlich keine Spuren einer Reaktion auf
Glykogen oder auf Zucker mehr darbot. Oder
es wurde ein Thier so lange im absoluten
Hungerzustande gehalten, bis es 60% seines
Anfangsgewichtes verloren hatte. Infolge eines
so lange durchgeführten Hungernlassens ent¬
hielten die Muskeln des Versuchstieres w’eder
Spuren von Glykogen, noch von Zucker. Auf
diese Weise konnte die die Pentosereaktion
liefernde Substanz in Form ihres Osazons rein
gewonnen werden, wobei kein Zweifel darüber
obwalten kann, dass der von Professor Krawkow
dargestellte Körper sowohl hinsichtlich seiner
physikalischen Eigenschaften, als auch seiner
elementaren chemischen Zusammensetzung nach
das Pentosazon repräsentiert. Es zeigte sich also
zur Evidenz, dass das vom Glykogen und vom
Zucker vollständig befreite Muskelgewebe Vor-
räthe eines Kohlehydrates mit fünf Kohlenstoff¬
atomen enthält. Die Vorräthe dieses Kohle¬
hydrates in den Muskeln werden im Gegensatz
zum Glykogen und zum Zucker auch beim an¬
dauernden absoluten Hungern des Versuchstbieres
in bedeutenden Mengen vor dem Verbrauche be¬
wahrt. Demnach ist die Annahme berechtigt,
dass das Muskelgewebe die Hauptquelle
der Pentose im Organismus darstellt und
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Referate über Bücher and Aufsätze. 697
dass dieses Gewebe in der Pathogenese
der Pentosurie eine hervorragende Rolle
spielen muss.
Nachdem Professor Krawkow einen be¬
deutenden Gehalt an der Pentosengruppe in der
Muskcisabstanz gefunden hatte, wendete er sich
der Frage über das Vorkommen dieser Gruppe
in den verschiedenen anderen Organen des Thier-
korpors zu. Die qualitativen Untersuchungen
über den Gehalt an Pentose wurden von ihm mit
Hülfe von Phlorogiucin oder Orcin in Gegenwart
von starker Salzsäure vorgenommen, und die
Flüssigkeit nach dem Erkalten mit Amylalkohol
geschüttelt. Es wurde Pentose nachgewiesen
beim Kaninchen in den Muskeln, im Herzfleisch,
in der Leber, in der Darmwand, in den Nieren,
im Gehirne, in den Knochen, im Glaskörper des
Auges; bei einem jungen Hunde im Knorpel, in
den Muskeln (?); bei einem Frosche in den Muskeln,
in der Darm wand; bei einem Hechte in den Muskeln,
im Herzen, in der Leber, im Darm, im Eierstock;
bei einem Krebse in der Muskulatur. Die Bauch¬
speicheldrüse von Hunden und Kaninchen gab
stets eine ausgesprochene positive Pentosc-
reaktion Der Autor kommt also zu dem
Schluss, dass die Quellen der Pentosen-
bildung im thierischen Organismus sehr
verbreitet und überaus mannigfaltig
sind, dass aber in dieser Beziehung das Muskel¬
gewebe eine ganz besondere Beachtung verdient.
Wenn auch das Pankreas im Vergleich mit der
Muskulatur eine nicht geringere relative Menge
von Pentose enthält, so ist doch die absolute
Menge dieses Stoffes zweifellos in dem Muskel¬
gewebe grösser, da ja dem Gewichte nach dieses
in dem Organismus das Hauptgewebe darstellt.
War einmal die Pentosengruppe in den ver¬
schiedensten Organen des Körpers gefunden
worden, und zwar höchstwahrscheinlich als
integrierender Bestandteil komplizierter Eiweiss-
moleküle, so war es auch interessant, zu erfahren,
ob die Pentose sich ebenso wie die anderen be¬
kannten Zuckerarten physiologischerweise in dem
Organismus bildet. Profosser Krawkow ist
geneigt, diese Frage im bejahenden Sinne zu be¬
antworten, da seine Beobachtungen mit grosser
Wahrscheinlichkeit zu Gunsten dieser Anschauung
sprechen. Die daraufhin gerichteten Unter¬
suchungen des Verfassers ergaben, dass bei
der fermentativen Bildung von Zucker
in der dem Körper entnommenen Leber
gleichzeitig mit verschiedenen anderen
Zuckerarten sich auch Pentose bildet.
Die Quellen der Pentosenbildung unter solchen
Bedingungen sind anscheinend dieselben, wie
für die Bildung des Traubenzuckers in der Leber,
d. h. die Eiweissstoffe und das Glykogen.
Was das Wesen der Pentosurie betrifft, so
betrachtet sie Professor Krawkow als eine
besondere Form der Glykosurie. Er ist
überzeugt, dass beim genaueren Studium des
Charakters der im Organismus vorhandenen
Kohlehydrate noch andere Abarten der
Glykosurie werden aufgedeckt werden, d. h.
dass an Stelle der Glykose oder der Pentose
noch Zuckerarten mit einem anderen Gehalt an
Kohlenstoffatomen an das Tageslicht werden ge¬
fördert werden.
Bei der Klarlegung der Erscheinungen der
Pentosurie muss man ausser der vermehrten
Produktion von Pentose auch den verhältniss-
mässig geringfügigen Verbrauch desselben seitens
des Organismus im Auge behalten. Die Fähig¬
keit des Thierkörpers, die Pentose zu zersetzen
und zu assimilieren, ist eine äusserst unbedeutende
im Vergleiche mit seiner Fähigkeit zur Assimilation
der Glykose. Um den Unterschied im Verhalten
des thierischen Organismus der Pentose gegen¬
über einerseits und der Glykose andrerseits klar-
zustellen, nahm Verfasser zu einigen Parallel-
veisuchen an Kaninchen seine Zuflucht Aus
diesen Experimenten erhellte es zur Genüge, dass
bei subkutaner Applikation der Verbrauch des
Organismus an Arabinose (einer Pentose) un¬
vergleichlich kleiner ist als der Verbrauch an
Glykose. Ausserdem ruft die subkutane Zufuhr
von Glykose Polyurie hervor, was bei der Ver¬
abreichung von Arabinose nicht zur Beobachtung
kam. Es fragte sich aber, ob die Pentosen im
Organismus nicht unter derartigen physiologischen
und pathologischen Bedingungen zerstört werden
könnten, unter welchen die Oxydationsprozessc
oder die Vorgänge des Stoffzerfalles überhaupt
verstärkt sind. Von diesem Gesichtspunkte aus
war es interessant, das Verhalten des Vogel¬
organismus der Pentose gegenüber zn eruieren,
da bekanntlich die Vögel normalerweise eine
Körpertemperatur von über 40 o C besitzen, und
auch das Verhalten des fiebernden Organismus
zu beobachten. Zu Versuchen in dieser Richtung
dienten dem Autor Tauben und unter der Ein¬
wirkung der Infektion mit dem Staphylokokkus
pyogenes aureus fiebernde Kaninchen. Die diesen
Thieren unter die Haut in solchen Mengen bei¬
gebrachte Arabinose, in welchen die Glykose
ihrerseits vollständig verbraucht wurde, kam in
bedeutenden Mengen durch die Nieren zur Aus¬
scheidung. Auch bei dem durch Strychnin-
vergiftung hervorgerufenen Tetanus der Frösche
enthielt der Harn immer noch beträchtliche
Quantitäten von Pentose. Auf diese Weise ge¬
lang es auch nicht, durch langandauernde, tetanische
Muskelkontraktionen den Verbrauch an Pentose
zu steigern. Folglich hat man die Ursache
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Referate über Bücher und Aufsätze.
698
der Pentosurie nicht so sehr in dem
herabgesetzten Oxydationsvermögen der
Gewebe zu suchen, als vielmehr in ihrer
vermehrten Produktion von Pentose.
Im thierischen Organismus befindet sich stets
ein der Pentose chemisch verwandter Stoff: das
ist die Glykuronsäure. Angesichts der nahen
chemischen Verwandtschaft der Glykuronsäure
mit der Pentose hält der Verfasser die Annahme
für berechtigt, dass auch die Bildungsquellen
dieser beiden Stoffe ganz dieselben sind, nämlich
fast alle Gewebe des thierischen Körpers, haupt¬
sächlich aber die Muskelsubstanz. Das Auftreten
der Glykuronsäure unter dem Einflüsse ver¬
schiedener Gifte giebt andrerseits zu der An¬
nahme Veranlassung, dass auch die mit
dieser Säure verwandte Pentose sich
unter dem Einflüsse irgendwelcher
Giftwirkung auf don Organismus
bilden könne. Diese Giftstoffe brauchen
nicht nur pharmakologische oder mikrobielle
zu sein, es können auch irgendwelche ähn¬
liche toxische Substanzen in Betracht kommen,
die sich im Organismus selbst bilden (Auto¬
intoxikation mit Leukomamen). Da nun Professor
Krawkow die Pentosurie als eine bestimmte
Abart des Diabetes oder richtiger dernGlykosurie«
betrachtet, so glaubt er auch die Anschauung
aussprechen zu dürfen, dass auch die Ursache
einiger Formen des echten Diabetes
mellitus auf der Vergiftung des
Organismus mit irgendwelchen Toxinen,
man chmal sogar mit solchen mikrobieller
Natur, beruhe.
A. Dworetzky (Moskau).
G. Simon, Beitrag zur Kenntnis» der Ei¬
weisskörper der Kuhmilch« Zeitschrift für
physiologische Chemie Bd. 33. Heft 5 und 6.
S. 466.
Verfasser hat die Methode zur Bestimmung
und Trennung der Eiweisskörper der Kuhmilch
einer minutiösen Prüfung unterworfen, und dann
die Milch zweier Kühe fortlaufend während der
Laktationsperiode untersucht Das Kolostrum ist
ein im Verbältniss zu gewöhnlicher Milch wasser¬
armes Sekret von hohem spezifischem Gewicht
und hohem Trockensubstanzgehalt. Die Summe
der im Kolostrum enthaltenen Eiweisskörper
kann die der Milch um das Sechsfache übertref¬
fen. An dieser Höhe ist sowohl das Kasein, wie
das Albumin betheiligt, in den ersten Gcmelken
aber namentlich das Albumin (vielleicht auch
das Globulin), das um das Zwei- bis Dreifache
höher ist, als das Kasein, während es in ge¬
wöhnlicher Milch nur den fünften bis sechsten
Theil des Kaseins ausmacht Die Menge der
Eiweissstoffo nimmt von Gemelk zu Gemelk ab,
und zwar das Albumin bedeutend schneller als
das Kasein, so dass sich allmählich das in der
Milch herrschende Verbältniss herausstellt; dies
ist nach ungefähr drei Tagen der Fall Die
stickstoffhaltigen, nicht ei weissartigen Extrak¬
tivstoffe — deren Vorkommen überhaupt in
der Milch Verfasser noch einmal genau geprüft
und bestätigt hat — sind auch in gesteigerter
Menge vorhanden, bis zu 90 mg in 100 cm *, der
doppelten Höhe des gewöhnlichen Betrages. Der
Fettgehalt ist anfangs niedrig. Gegen Ende der
Laktation erreicht der prozentische Fettgehalt
eine Höhe, wie nie im Beginn. Die Summe der
Eiweissstoffe nimmt allmählich ab, um sich gegen
das Ende der Laktation wieder stark zu erhöhen,
und zwar wächst das Albumin stärker als das
Kasein (2 :1 statt 4—5:1).
M. Lewandowsky (Berlin.)
F. Schilling, Die Verdaulichkeit der Spei¬
sen. Wiener klinische Rundschau 1901. No. 30.
Für die Beurtheilung der Verdaulichkeit der
Speisen kann nach Schilling’s Anschauung
nur die Resorbierbarkeit maassgebend sein Die
Beobachtung der Verweildauer der Speisen im
Magen, auf Grund deren Leubc und Pentzoldt
eine Klassifizierung der Speisen vorgenommen
haben, besitzt für die vorliegende Frage nur
untergeordneten Werth, da ja die Resorption im
Magen nach v. Mering’s Untersuchungen nur
gering ist. Was ferner die durch Kothanalysen
gewonnenen Ausnutzungszahlen betrifft, so leiden
dieselben an dem Nachtheil, dass nicht aller Stick¬
stoff und Kohlenstoff der Fäces als Rückstand der
Nahrung angesehen werden darf, und dass ausser¬
dem, wie v. Oefele nachgewiesen hat, nicht aller
Stickstoff als Eiweiss, und nicht aller Aether-
extrakt als Fett betrachtet werden darf. Zudem
hat man bei solchen Versuchen oft eine Speise
in übermässigen Mengen, wie sie normaler Weise
nie in Betracht kommen, eingeführt, wodurch cs
zu ungenügender Ausnutzung und zu einem fal¬
schen Bild der Verdaulichkeit kommen musste.
Schilling empfiehlt demgegenüber die mikro¬
skopische Untersuchung der Fäces, eine Methode,
die er schon längere Zeit übt, und deren Resul¬
tate er in einer vor kurzer Zeit erschienenen
Schrift genauer veröffentlicht hat. Er hat die bei
gemischter Kost entleerten Totalmengen einer
jeden Defäkation bei gesunden Kindern und Er¬
wachsenen monatelang untersucht und macht zu¬
nächst darauf aufmerksam, dass sich der kind¬
liche Organismus in der Ausnützung weniger
Stoffe stärker zeige als der des Erwachsenen.
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Referate über Bücher und Aufsätzo.
f>99
Rohe und Arbeit sind auf die Ausnutzung ohne
Einfluss. Fleisch und Fisch werden warm besser
ausgenutzt als kalt. Alle Fleischarten hinterlassen
grobe mit blossem Auge sichtbare Reste, Fisch¬
fleisch jedoch nicht, und gewiegtes Filet nur dann,
wenn es mit Schwarzbrot verzehrt wird. Fette
Gans und Gänsebrust liefern, viele grobe Stück¬
chen. Das Fett des Aales oder der Oelsardinen
erschwert die Verdauung nicht. Die Haut von
Fischen und Geflügel geht unverdaut ab. Kalb¬
fleisch hinterlässt als Puröe keine Rückstände,
wohl aber als Suppenfleisch. Mehr oder weniger
Residuen hinterlassen Milch und Ei, besonders
Spiegelei. Weiterhin enthält jeder Stuhlgang als
Folge unseres täglichen Brotgenusses Reste in
Gestalt brauner Kruste oder Frucht- und Samen¬
schale von Weizen und Roggen. Sehr gering ist
die Fäccsmenge nach Reis, Bisquit, Mehlbrei,
Milchmehlsuppe und Aufläufen. Junges und zartes
pflanzliches Gewebe verfällt grösstentheils der
Verdauung. Stärkezellen finden sich selbst nach
Genuss aufgeschlossener Stärke wieder. Bezüg¬
lich des Turnus der Entleerung der aufgenom¬
menen Speisen bemerkt Schilling, dass die
Rückstände bei regelmässigem Stuhlgang 36 bis
48 Stunden post coenam entleert werden, sofern
in der Kost nicht besondere, die Peristaltik an¬
regende Stoffe enthalten sind.
Plaut (Frankfurt a. M ).
Meyer Preise, Zur Frage über die Be¬
schaffenheit der sibirischen Knhbutter vom
chemisch-hygienischenStandpnnkte. Inaug.-
Diss. Berlin 1901.
Sibirien ist, wie der Verfasser berichtet, un¬
gemein reich an natürlicher Kuhbutter, Produk¬
tion und Export derselben nach dem Ausland
nehmen von Jahr zu Jahr zu, und es steht zu
hoffen, dass dieselbe in der nächsten Zeit auf
dem Weltmarkt eine bedeutende Rolle spielen
wird. Der Mangel einer eingehenden wissen¬
schaftlichen Untersuchung derselben musste daher
als eine empfindliche Lücke gelten, und der Ver¬
fasser hat sich mit grosser Gründlichkeit der Auf¬
gabe unterzogen, dieselbe auszufüllen. Er be¬
schreibt zunächst die verschiedenen Zubereitungs¬
formen der Butter, wie er sic in sibirischen Dör¬
fern selbst beobachtet hat, und schildert dann
die nach Herstelltung und Provenienz verschie¬
denen Qualitäten, wie sie in den Handel kom¬
men. Von Verfälschungen kommt vor allem die
Beimischung von Margarine in Betracht, was na¬
mentlich dann bedenklich erscheint, wenn zur
Herstellung derselben nicht frisches Rinderfett
von bester Qualität verwandt wird, sondern Darm-
fett, das fast immer verunreinigt ist, oder Fett
von Thieren, die an einer Infektionskrankheit ge¬
storben sind. Von der Regierung gegen diese
Verfälschungen erlassene Gesetze sind bisher er¬
folglos geblieben, jedoch erfährt die Butter an¬
drerseits eine wesentliche Verbesserung durch
das in Sibirien vielfach geübte Umschmelzen der
bei den Bauern aufgekauften Butter, wodurch
Schmutz und unreine Zusätze entfernt werden.
Daran anschliessend bespricht der Verfasser den
Einfluss von Verpackung und Transport auf die
Qualität der Butter und hebt dabei hervor, dass
in Westsibirien die Verpackung der Exportbutter
auf gehörige Weise erfolgt, und dass auch der
Transport in neuerer Zeit mehr auf die Höhe der
Zeit gebracht worden ist. Die chemischen Unter¬
suchungen, die der Verfasser an 18 Buttersorten
angcstellt hat, und deren Methodik er eingehend
beschreibt, erstreckten sich auf Bestimmung des
Eiweiss-, Fett-, Wasser- und Salzgehaltes, Er¬
mittlung des Grades des Ranzigscins und des
Schmelzpunktes und Bestimmung der Menge der
flüchtigen Säuren. Auf Grund dieser eingehen¬
den Prüfung kommt der Verfasser zu dem Re¬
sultat, dass die sibirische Butter ihrer chemischen
Beschaffenheit nach besser ist als andere Butter,
und daher wohl die kollossale Nachfrage verdient,
die sich nach ihr in der letzten Zeit im Ausland
bemerkbar macht Plaut (Frankfurt a. M.).
Molise Benaroya, Die künstlichen Nähr¬
präparate, ihr Werth und ihre Bedeutung
für die Kranken- und Kinderernährung.
Inaug.-Diss. Berlin 1901.
Die Hochfluth von Nährpräparaten, die uns
die letzten Jahre gebracht haben, hat auch gleich¬
zeitig einen ansehnlichen Strom von Litteratur
mit sich geführt, in der Wirkungkreis und — Art
der Mittel im allgemeinen und im besonderen so
eingehend und von so mannigfachen Gesichts¬
punkten aus diskutiert worden sind, dass cs un-
gemein schwer erscheint, auf diesem Gebiete
etwas Neues zu bringen, oder auch dasselbe er¬
schöpfend zu behandeln. Der Verfasser der vor¬
liegenden Arbeit hat sich daher naturgemäss
darauf beschränken müssen, neben einer Aufzäh¬
lung und Charakterisierung der wichtigsten Prä¬
parate das Indikationsgebiet derselben unseren
heutigen Anschauungen entsprechend zu um¬
grenzen. Er vertritt demgemäss den Standpunkt,
dass den künstlichen Nährpräparaten nur ein vor¬
übergehender, mässig unterstützender Werth in
der Ernährung des Kranken zuzuschreiben ist.
Das gilt zunächst besonders für die Eiweiss¬
präparate, da wir ja wissen, das9, wo es sich
darum handelt, Eiweissansatz zu erzielen, den
N-freien Nahrungsstoffen die Hauptrolle zufällt,
Original from
UNIVERSITf OF MICHIGAN
Referate über Bücher und Aufsätze.
700
und da sich ausserdem gezeigt hat, dass der Vor¬
theil, den man durch Verabreichung vorverdautcr
Präparate zu erzielen hoffte, illusorisch ist. Achn-
lich steht es, wie der Verfasser weiterhin be¬
merkt, mit den vorverdauten, i. e. dcxtrini-
sierten Kohlehydratpräparaten. Auch ihnen kann,
wenigstens beim Erwachsenen, ein Vorzug vor
den natürlichen feinen Mehlsortcn nicht cin-
geräumt werden. Von Eiweisspräparaten kommen
dem eben Gesagten zu Folge im wesentlichen die
KaseTnpräparate in Betracht, unter denen der Ver¬
fasser mit Recht dem Plasmon den Vorzug giebt.
Das Tropon eignet sich wegen seiner Unlöslich¬
keit und seines sandigen Geschmackes wenig zur
Verwendung bei den au sich schon meist empfind¬
lichen Patienten. Mehr anregend als nährend
wirken die Fleischextraktc, namentlich der Lic-
big'sche. Nur dem Fleischsaft »Puro« kommt
neben der anregenden eine, wenn auch geringe,
nährende Wirkung zu. Von Fettpräparaten er¬
wähnt der Verfasser Lipanin und Kraftschokolade,
während er den Butterersatz »Sana« unberück¬
sichtigt lässt. Auch bezüglich der Eiweisspräpa¬
rate muss bemerkt werden, dass über Roborat
und namentlich über Fersan doch eine Anzahl
klinischer Erfahrungen vorliegen. Ferner sei der
Verfasser auf die gemischten Nährpräparate, wie
Alkarnose, Eulaktol, Enterorose und Mutase hin¬
gewiesen, die doch immerhin eine Erwähnung
verdienen. Bei der Besprechung der Bedeutung
der Nährpräparate für die Kinderernährung stellt
der Verfasser mit Recht den ökonomischen Stand¬
punkt in den Vordergrund und betont daher, dass
das Soxbletverfahren, so segensreich es sich auch
erwiesen hat, doch nur für die einigermaassen
besser situierten Bevölkerungsklassen in Betracht
kommt, und dass ebendasselbe für die Kinder¬
mehle gilt (Theinhardt, Mufflcr), zumal diese
ebenso wie die neuerdings von Keller wieder
empfohlene Liebig’sehe Suppe immer nur als
Korrigenden der Kuhmilch betrachtet werden
dürfen. Billiger und darum von grösserer all¬
gemeiner Bedeutung als die Kindermehle sind die
reinen Milchpräparato (Biedert, Gärtner, Löf¬
lund), die jedoch möglicherweise, wieHeubner
vermuthet, bei monatelangem Gebrauch chroni¬
sche Blutkrankheiten verursachen können.
Plaut (Frankfurt a. M.).
Prevost und Batellf, Einfluss der Ernäh¬
rung auf die Wiederherstellung der Herz¬
kraft. Aus dem physiologischen Laboratorium
der Universität Genf. Revue mödicale de la
suisse romande 1901. September.
Die Verfasser haben an 59 Hunden und Kaizen
\ ersuche über den Einfluss der Nahrung auf die
Wiedererregbarkeit der Herzkraft durch künst¬
liche Athmung und Herzmassage angestellt. Sie
fanden, dass das Herz am leichtesten zu rhyth¬
mischen Kontraktionen gebracht wurde, wenn
das Thier vor der Narkose bezw. der Abklem¬
mung der Trachea eine aus Eiweiss, Fett, Kohle¬
hydraten gemischte Nahrung bekommen batte.
Nach ausschliesslicher Eiweiss- oder Fettnahrung
kam es nur zu fibrillären Kontraktionen des Herz¬
muskels. Nach Zuführung von Kohlehydraten in
Form von Zucker kam es in einigen Fällen wieder
zu rhythmischen, in den anderen dagegen zu fi¬
brillären Kontraktionen. Bei subkutaner Injektion
von Zucker dagegen vermochte das Herz sich
nicht mehr zu erholen.
Bei der künstlichen Athmung, die mit der
Herzmassage verbunden ist, sind es zuerst die
Athembowegungen, welche wieder erscheinen.
Im Anfang sind sie schwach und langsam, doch
nehmen sie an Tiefe und Frequenz zu. Sie sind
von vornherein regelmässig. Die Reflexbewe¬
gungen erscheinen erst einige Minuten später.
Zuerst beginnt die Pupille sich zu verengern.
Dann folgt der Präpatellarsehnen-, dann der Kor-
nealreflex. Fritz Rosenfeld (Berlin).
A. Czerny, Rohmilch als Säuglingsnahrung.
Centralblatt für Stoffwechsel- und Verdauungs¬
krankheiten 1902. No. 4.
Als Beitrag zu Mittheilungen von Palmer-
Chikago und Monrad - Kopenhagen, nach wel¬
chen Palmer im Hochsommer 700 Kinder mit
roher Kuhmilch ernährte und dabei nur drei
Todesfälle erlebt und Monrad ähnliches be¬
obachtet hat, berichtet Czerny über die Er¬
fahrungen, die er in seiner Klinik mit roher
Ziegenmilch gemacht hat. Czerny hält in seiner
Klinik zu Breslau einige Ziegen, welche »vor
jeder einzelnen Mahlzeit der Säuglinge von einer
Wärterin nach vorausgegangener sorgfältiger Rei¬
nigung des Euters gemolken werden«. Die Milch
wird den Kindern sofort als Nahrung verabreicht.
Mit dieser Milch ernährte er im Sommer 1901 15
atrophische Säuglinge im Alter von 2 —IS Mo¬
naten längere Zeit hindurch. Die Ziegenmilch
wurde mit Wasser-, Schleim- oder Mehlabkoehun-
gen in gleicher Weise verabfolgt, wie das sonst
unter denselben Verhältnissen mit gekochter Milch
geübt wurde. Die Ergebnisse derVereuche zeigten
keinen Vortheil gegenüber einer Ernährung mit
gekochter Ziegenmilch, und sie waren so wenig
befriedigend gegenüber den Resultaten, die man
mit Frauenmilch erhält, dass Czerny es vor¬
erst nicht beabsichtigt, die Versuche zu wieder¬
holen. Die guten Erfolge, die Monrad mit un¬
gekochter Milch im Vergleich zu denjenigen, die
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Referate über Bücher und Aufsätze.
701
er mit gekochter Milch beobachtete, glaubt
Czerny darauf zurückführen zu dürfen, dass
Monrad seinen Patienten eine durch zu langes
Kochen denaturierte Nahrung gab, die den Kin¬
dern schlechter bekam als die rohe Milch.
H. Strauss (Berlin).
R. Gymnastik, Massage, Orthopädie.
Max Herz, Handbuch der Heilgymnastik.
Mit 209 Abbildungen. Berlin und Wien 1903.
Urban und Schwarzenberg.
Der Verfasser dieses Handbuches hat sich
durch die zahlreichen Publikationen, welche er
während der letzten Jahre auf dem Gebiete der
Heilgymnastik erscheinen Hess, einen bekannten
Namen verschafft und hat nach mancherlei Rich¬
tungen hin durch Begründung neuer heilgym¬
nastischer Prinzipien und Erfindung zahlreicher
heilgymnastischer Apparate diese wichtige the¬
rapeutische Methode wesentlich ausgebaut Das
vorliegende Lehrbuch stellt eine Zusammenfas¬
sung all dieser einzelnen Publikationen dar. Es
ist begreiflich, dass hier der Autor mit manch
alten Prinzipien der Heilgymnastik gebrochen
und an Stelle derselben das von ihm begründete
neue System eingesetzt hat. Dabei hat er aber
nie die zulässigen Grenzen überschritten, sondern
überall versucht, seine Ideen mit denen anderer
Autoren in Einklang zu bringen.
Das Buch gliedert sieh in zwei llauptthcile:
In dem ersten Theil, welcher wieder in vier Ab¬
schnitte zerfällt, wird die Physiologie der Heil¬
gymnastik und die Technik der einzelnen heil-
gymnastischen Prozeduren abgehandelt. Beson¬
ders ausführlich werden dabei die Widerstands¬
bewegungen besprochen. Der Autor legt seinen
Betrachtungen seine bekannten Analysen der
Muskelarbeit und seine Studien über die Mechanik
der Gelenke zu Grunde. Wie sehr die Zand er¬
sehe Schule die von Herz aufgestellten Lehren
bekämpft, ist bekannt; aber es muss doch an
dieser Stelle rühmend bemerkt werden, dass
Herz bei seinen Untersuchungen bestrebt war,
nach Möglichkeit alle die Umstände zu berück¬
sichtigen, durch welche Veränderungen der Be¬
wegungskraft bewirkt werden, und dass gerade
auf diesen Berechnungen das System der von ihm
begründeten gymnastischen Methoden beruht
Der zweite Theil seines Lehrbuches beschäf¬
tigt sich mit den Wirkungen der heilgymnasti¬
schen Prozeduren. In den einzelnen Abschnitten
wird die Anwendung der heilgymnastischen Pro¬
zeduren bei den verschiedenen Krankheitsgruppen
besprochen; überall zeigt sich, dass Herz die
Gymnastik keineswegs für die allein wirksame
' Therapie bei den einzelnen Krankheiten hält,
| sondern er weist vielmehr den heilgymnastischen
I Prozeduren überall die richtige Stelle in dem
I Gesammtgebiet der Therapie zu.
I So kann das Buch allen, welche sich prak¬
tisch mit der Ausübung der Heilgymnastik be¬
schäftigen, warm empfohlen werden. Es wird
I aber auch für diejenigen, welche nicht selbststän-
( dig die Gymnastik zu betreiben im stände sind,
sondern die sich nur über deren Indikationen und
| Kontraindikationen genau orientieren wollen, ein
werthvoller Rathgeber sein.
Paul Jacob (Berlin).
F. A. Schmidt, Unser Körper. Handbuch
der Anatomie, Physiologie und Hygiene der
Leibesübungen. 2. Auflage mit 557 Abbil¬
dungen. Leipzig. R. Voigtländer’s Verlag.
Auf S. 536 des Dezemberheftes dieser Zeit¬
schrift hatten wir rühmend den 11. Jahrgang des
Jahrbuches für Volks- und Jugendspiele, welches
von v. Schenckendorf und Schmidt heraus¬
gegeben wird, besprochen. Von dem zweiten
dieser beiden Autoren uud in dem gleichen Ver¬
lage ist nun das vorliegende umfassende Hand¬
buch erschienen, und zwar bereits in zweiter
Auflage. Auch von diesem Handbuch können
wir wohl mit Recht behaupten, dass es das
regste Interesse, besonders der Aerzte, erregen
muss. Wenn auch, namentlich in den ersten
beiden Theilen, das meiste dem Mediciner aus
der Anatomie und Physiologie bekannt und ge¬
läufig sein dürfte, so ist die Darstellung der be¬
treffenden Fragen doch originell und von Werth,
weil durch allo Kapitel die anatomisch-physio¬
logischen Betrachtungen in ihren Beziehungen
zur Gymnastik besprochen werden. Völlig Neues
dürfte aber für die meisten Aerzte der dritte
Theil dieses Werkes, in welchem die Bewegungs¬
lehre der Leibesübungen abgehandelt wird, bieten.
557 zum Theil vorzügliche Abbildungen
dienen zur Erläuterung der theoretischen Aus¬
führungen. Am Schlüsse des Werkes findet sich
ein Verzeichniss der vorzugsweise eingesehenen
Bücher, sowie ein recht ausführliches Sachregister.
Wenn der Referent sich noch für die nächste
Auflage, welche der zweiten wohl sicher bald
folgen wird, einen Wunsch erlauben darf, so ist
es der, dass hier nicht nur Rudern, Schwimmen
und Radfahren, sondern auch das Schlittschuh-
und Schneeschuhlaufcn, das Reiten, sowie ein¬
zelne Bewegungsspiele mitberücksichtigt werden.
Paul Jacob (Berlin).
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702 Referate über Bücher und Aufsätze.
C. Hydro-, Balneo- und Klimato-
therapie.
Carl Brack, Veber den Einfluss kalter
hydrlaUscher Prozeduren auf den Blut¬
druck« Inaug.-Diss. München 1902.
Wenn auch über Blutdruck Veränderungen
nach hydrotherapeutischen Prozeduren schon
eine Reihe von Mittheilungen vorliegen, so sind
dieselben doch noch vielfach widersprechend,
und die Resultate sind wenig einheitlich. Ins¬
besondere gilt dies auch für kalte Prozeduren,
und es sind daher die umfangreichen exakten
Blutdruck untersuch ungen mit Freuden zu be-
grüssen, die Bruck bei verschiedenen Kälte¬
anwendungen an einem grossen Material
(125 Fällen) der Rieder’schen Abtheilung für
physikalische Therapie zu München ausführte.
Der Verfasser benutzte zu diesen Blutdruck¬
untersuchungen den Riva RoceF sehen
Sphygmanometer, den er insofern modifiziert
hat, als er dabei das Quecksilbermanometer durch
ein handlicheres und ebenso exaktes Metall¬
manometer ersetzte.
Die Resultate Brucks sind kurz die fol¬
genden: Extrem kalte Vollbäder (8° C)
bringen schon nach einer halben Minute Dauer,
Vollbäder von ca. 13—16 o erst bei einer Minute,
noch höher temperierte (20 — 22°) erst bei zwei
Minuten und längerer Dauer eine Druck¬
steigerung hervor. Dagegen erfolgt bei Bädern
von 10—19° und einer Dauer von einer halben
Minute, sowie bei solchen von 20—22° und
einer Minute Dauer eine beträchtliche Druck¬
herabsetzung. Nach allmählich abgekühlten
Ziemssen'schen Halbbädern von fünf Minuten
Dauer konstatierte Bruck fast immer eine
Druckherabsetzung, nur in einzelnen Fällen,
in denen die Patienten das Bad schlecht ver¬
trugen, war der Druck nachher erhöht. Nach
Abreibungen und Abklatschungen war
der arterielle Druck gleichfalls mit Konstanz er¬
niedrigt, Regen-, Fächer- und Rücken¬
brausen von 15—20° C Temperatur führten bei
kürzerer Dauer (2 — 3 Minuten) zu einer Blut¬
druckherabsetzung, erst bei längerer
Dauer trat eine Drucksteigerung ein. Diese
Druck Steigerung erfolgte in schon kürzerer
Zeit respektive sofort nach eingreifenderen
Prozeduren (Staubbrausen, Kapellcnbrausen,
heissen Strahlendouchen), während die Wechsel -
warmen Douchcn den Blutdruck überhaupt un¬
beeinflusst Hessen. Mit Ausnahme der letzt¬
genannten Prozeduren sowie des extrem kalten
Vollbades (8°) bewirken also milde hydriatische
Prozeduren, wie sie therapeutisch am häufigsten
angewandt werden, bei kurzer Einwirkung
konstant eine Blutdruckherabsetzung»
während sie bei längerer Dauer eine Blut¬
druckerhöhung hervorrufen.
Bemerkenswerth ist, dass Bruck eine
Konstanz in der Grösse der Druck¬
steigerung oder -Senkung nicht beobachten
konnte, und dass die gleichzeitig vorgenommenen
Puls- und Temperaturmessungen ergaben,
dass diese Werthe sich unabhängig von dem
Blutdruck bei Kälteprozeduren verändern. Des¬
halb sowie wegen der verhältnissmässig kurzen
Dauer der Blutdruck Veränderungen (wenig mehr
als eine Stunde) kommt Bruck zu dem Schlüsse,
dass die therapeutischen Wirkungen hydria-
tischer Prozeduren am wenigsten auf Verände¬
rungen des allgemeinen Blutdruckes zurückzu¬
führen sind; doch geben diese bezüglich der In¬
dikationen der Prozeduren manchmal werth-
volle Aufschlüsse. A. Laqueur (Berlin).
T« Clifford Allbutt, The Sanatorium in
the treatmeut of Phthlsis. Lancet 1901.
9. November.
Trotz der verschiedenartigsten Bestrebungen
und Versuche individualisierender Behandlungs¬
methoden für die Lungentuberkulose hält A11 b u 11
an der prophylaktischen und der Brehmer’schen
Sanatorienbehandlungsweise als der richtigen,
stabil gewordenen fest Spezifika giebt es nicht,
nicht einmal im Klima; höchstens ist für skrophu-
löse Kinder die See vorzuziehen, während Er¬
wachsene im dritten und vierten Decennium
besser ins Gebirge zu schicken sind.
Das Sanatorium soll nach Südosten, auf
trockenem Grunde erbaut und in Entfernung
von mindestens 200 Meter von Kieferwald um¬
geben sein; es hat möglichst nur Einzelzimmer
zu enthalten, ein jedes mit einer Veranda in der
Front, welche den ständigen Aufenthaltsort des
Patienten bildet und reichlich Raum für ein Bett
oder Sopha und einen Tisch bat, gedeckt werden
kann und mit bequemer elektrischer Beleuchtungs¬
einrichtung versehen ist Alle Zimmcrthüren
sollen doppelte sein, die Wände und Flure ohne
Winkel, in den Wänden die Garderoben ein¬
gebaut. Der Fussboden wird mit Filz bezogen
und Linoleum darüber gelegt; ein grosses Fenster
nimmt den Hauptthcil der Südmauer ein und bat
Vorrichtungen zum Verdunkeln des Raumes des
Patienten und zum Schutze gegen die Unbilden der
Witterung. Passende Ventilatoren sind nützlich
und je nach der Heizungsart cinzurichten; eine
praktische Kaminfeuerung hält der Autor für das
Beste (!), zumal wenn auf die nöthige gleich-
massige Korridorheizung gesehen wird. Besondere
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Referato über Bücher und Aufsätze.
703
Aufmerksamkeit verdient die Speisesaal frage —
denn die Kranken sollen nicht in ihren Zimmern
grössere Mahlzeiten einnehmen —; die Speise¬
zimmer dürfen nicht zugig sein, müssen aber doch
gute Lüftung und jeden Komfort für die Patienten
haben.
Eine Bettenzahl von über 50 verlangt einen
im Hause wohnenden Arzt, und je weitere
50 Patienten sollen einen eigenen Arzt haben,
gleichviel ob Centralsystera oder Baracken-
Pavillonsystem vorliegt; letzteres ist vorzuziehen.
Allbutt legt wenig Werth auf die Anwesenheit
der Sonne, hält im Gegentheil mit Gabrilowitsch
das Winterklima eher für besser, wenigstens für
kräftige Personen unter 40 oder 45 Jahren mit
wenig bronchialer Reizung, da eine ruhige, klare,
kalt-trockene Luft stimulierend und appetit¬
anregend wirkt. (Dabei wird anscheinend mehr
ein Höhenklima wie Davos berücksichtigt.) Das
Moment des Appetits darf nicht unterschätzt
werden; Abwechselung in der Nahrung und vor
Allem gute Zubereitung sind sehr wichtig und
von dem Hausarzte, der »etwas vom Kochen
veretehen und ein Gourmet sein sollte*, fleissig
zu überwachen. Dieser hat eine in praktischer
und wissenschaftlicher Hinsicht keineswegs leichte
Aufgabe; er soll sich nicht allzuziel mit Bacillen¬
zählungen aufhalten, aber Blutuntersuchungen
machen, die Beschaffenheit der Blutzellen,
Hämöglobingehalt, Serum, Agglutination, Tuber¬
kulinreaktion prüfen, Infektion durch Toiletten¬
gegenstände, Verschlucken von Sputum, Ver¬
dauungsapparat und Urin kontrollieren etc. An
alle Acrzte richtet All butt die ernste Auf¬
forderung, nicht nachzulassen im Streben der
Erkcnntniss der Frühdiagnose, alle uns zu
Gebote stehenden Mittel der physikalischen (und
chemischen) Untersuchungsmethoden mit pein¬
licher Selbstkritik so oft als möglich zu ver-
werthen, um die Zahl der vorgeschrittenen Fälle
immer kleiner werden zu lassen.
Was die Dauer des Sanatoriumaufenthaltes
betrifft, so sind drei Stadien ins Auge zu fassen:
Aufhalten des Krankheitsprozesses, Stillstand und
Restitutio ad integrum; für sie alle ist noth-
wendig, die Kranken mindestens zwei Winter
und einen Sommer, also etwa 18 Monate unter
Augen zu haben. Doch fallen hier die indivi¬
duellen Verschiedenheiten in Konstitution und
begleitenden Dispositionen der Patienten sehr ins
Gewicht, Ficberverhältnisse in den ersten Monaten,
Nahrungsaufnahme, Alter, Temperament, Be¬
schaffenheit des Urins, etwaige Schwanger¬
schaften u. s. f., nicht zuletzt die lokalen Zeichen.
Erbliche Belastung kann im Gegensatz zu Sir
William Broadbent’s Meinung prognostisch
nicht absolut verwerthet werden.
Eine Hauptaufgabe der individuellen Be¬
handlung ist in der Diät gelegen; der Magen
spielt eine grössere Rolle als wir gewöhnlich
glauben, und gar oft braucht er — Ruhe. Die
Fleischnahrung ist besonders wichtig, zu grosse
Milchzufuhr häufig vom Uebel, wegen der Ueber-
ladung mit Flüssigkeit und der dadurch bedingten
Mehrarbeit des Cirkulationsapparates.
In der Frage der Alkohol gäbe ist Allbutt
ganz der Meinung B e n n e t s: »selbst in Mcdicinal-
dosen verordnet ist immer die Gefahr des Miss¬
brauches da, er ist ein zweischneidig Schwert.«
Hydropathie, Douche und nasse Packung
sind vortheilhaft, Gymnastik nur mit grosser
Vorsicht anzuwenden, Medikamente, wenn es
auch kein Spezifikum giebt, oft nicht zu ent¬
behren, im allgemeinen häufig mit der Freiluft¬
kur zu verbinden. Fieberfreie Patienten sollen
leichte geistige und körperliche Beschäftigung
haben. R. Block (London).
Ide, Ueber den Aufenthalt yon nerven¬
schwachen Personen im Nordseeklima. The¬
rapeutische Monatshefte 1901. Oktober.
Verfasser hebt hervor, wie unzweckmässig
es sei, wenn Kurbedürftige während ihres Aufent¬
haltes an der See nach wio vor ihre Geschäfte
erledigen wollen oder ohne bestimmte ärztliche
Verhaltungsmaassregeln an die Küste geschickt
werden. Es resultieren daraus oft Schädigungen,
die dann verständnislos dem Seeklima zur Last
gelegt werden. Dasselbe verfügt eben, wie die
vielgelobte und vielgeschmähte Wasserbehand¬
lung sowohl über erregende, wie über beruhigende
Wirkungen, und nur deren richtige gegenseitige
Abwägung und individuelle Dosierung verbürgt
eine erfolgreiche therapeutische Verwerthung.
Zunächst werden Beweise für beruhigende Wir¬
kung des Secklimas angeführt: Verschwinden
von Tics, Herzklopfen, Neuralgien, Besserung der
Beschwerden beim Morbus Bascdowii, Eintreten
allgemeiner Beruhigung und guten Schlafs, Ver¬
langsamung und Vertiefung der Athmung. Die
Ursache dieser auffallenden Erscheinungen ist die
in der ozonreichen Seeluft vermehrte Sauerstoff¬
aufnahme des Organismus, die durch klinische
Versuche bestätigt und als beruhigend und
krampfstillend dargcstellt wird. Unterstützend
wirken die verminderte therapeutische Reizung
durch Wärmeverdunstung, die gleichmässige
Temperatur, die leichtere Ausgleichung elek¬
trischer Spannungsdifferenzen zwischen Körper
und Umgebung, geringere Austrocknung der
Haut und der in ihr liegenden Nervenendigungen,
Ruhe der Umgebung und Gleichmässigkeit der
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Original fro-rn
UNIVERSITY OF MICHIGAN
704 Referate über Bücher und Aufsätze.
Sinneseindrüoko. Allerdings weist das Secklima
auch ganz entgegengesetzt wirkende Reize auf.
Vermehrung der Wärmeabgabe durch die stärkere
Leitung und Bewegung der Seeluft, Zunahme
des mechanischen Hautreizes durch den Wind,
durch Reflexion des Lichtes vom Wasser und
weissen Dünensand und durch Sturm und Bran¬
dung erhöhte Gesichts- und Gehörsreize. Diese
erregenden Faktoren wirken nur bei widerstands¬
kräftigen Naturen günstig. Im allgemeinen zeigt
sich aber an der See eine Abnahme körper¬
licher und geistiger Leistungsfähigkeit, erklärlich
durch die erhöhten Ansprüche, welche eben
diese erwähnte Reizung der Haut und Sinnes¬
organe, ferner die Erhöhung des Stoffwechsels
und die dadurch hervorgerufene vermehrte
Thätigkcit der Verdauungs- und Assimilations-
organc an die Nervonkraft stellen. Ueber-
anstrengungen führen deshalb an der See be¬
sonders leicht zu Ueberreizungserscheinungen. Bei
Nervösen zeigt sich oft im Beginn Beruhigung,
nachher Aufregung, wohl infolge Reizsummation.
Doch erweist sich der Gewinn an Widerstands¬
kraft auch bei solchen, die an der Küste nur
eben leidlich durchgebracht werden, oft erst in
der Nachkur beim Wegfall der Reize. Körper¬
liche und geistige Anstrengungen haben daher
auch nach dem Küstenaufenthalt noch einige Zeit
zu unterbleiben. Es giebt freilich auch eine
Beruhigung durch klimatische Ueborreize; so ist
ein Verschwinden hartnäckiger nervöser Reiz¬
zustände nach sehr ausgedehntem Strandaufent¬
halt bei stürmischer Witterung oder nach längeren
Segelpartieen mitunter beobachtet worden. Doch
lässt sich damit im allgemeinen nicht rechnen.
Die genaue Dosierung der Reize ist für den
Heilplan das Wesentliche, und hier bieten uns
z. B. für die Regulierung der Wärmeabgabe
schon die Wahl des Aufenthaltsortes, die Um¬
gebung mit mehr oder minder guten Wärme¬
leitern, die Bestimmung der Jahreszeit sehr ein¬
greifende Handhaben. Die Beucke’schen Flaschen¬
abkühlungsversuche liefern hier sichere Anhalts¬
punkte. An der See ist übrigens für die Wärme¬
abgabe weniger die Temperatur als die Bewegung
der Luft von Belang. Die Monate Juli und
August bieten auch hierin die günstigsten Aus¬
sichten. Der Kältereiz und der mechanische
Hautreiz durch den Wind gehen übrigens an
der See parallel, was für den Eintritt einer
richtigen Hautreaktion von Werth ist und auch
in der kälteren Jahreszeit und für schwächere
Personen einen Küstenaufenthalt ermöglicht, vor¬
sichtige Dosierung der Reize vorausgesetzt. Die
Gesichts- und Gehörsreize können natürlich durch
die Wahl des Aufenthaltsortes in ziemlich um¬
fassender Weise modificiert werden. Verfasser
empfiehlt für nervös reizbare Kranke etwa fol¬
genden Kurplan: Zeit Juli oder August, Aufent¬
haltsort von der See etwas entfernt, freundlich,
sonnig, windgeschützt. Anfänglich Ruhe und
Aufenthalt im Freien und an geschützten Stellen.
Nach 3—4 Tagen bei nicht stürmischer Witte¬
rung mehrmals täglich Strandpromenadc mit
Sorge für darauf folgende Erholung und Haut¬
reaktion durch Ruhe und Bedeckung. Bei Ueber-
reizung event. Bettruhe. Der Stoff verbrauch darf
nicht über die Kraft der Verdauungs- und Assi-
railationsorgane hinaus angeregt w T erdcn. Ab¬
solute Ruhe vor den Hauptmahlzeiten und dem
Schlafengehen. Steigerung der Ansprüche mit
Zunahme der Kräfte, so dass schliesslich 4 bis
6 Stunden des Tages am Strand zugebracht werden.
Für Phthisiker gelten ähnliche Vorschriften.
Zum Schluss weist Verfasser auf die Analogie
zwischen Behandlung im Seeklima und Hydro¬
therapie in Bezug auf deren Wärme entziehende
und Haut reizende Wirkungen hin, möchte aber
für erstere als Vorzug die erleichterte Sauerstoff¬
aufnahme vindiciercn. Dem werden wohl die
Hydrotherapeuten die weitaus grössere Stufen¬
leiter der ihnen zur Verfügung stehenden Reize
und die Möglichkeit der Lokalisierung derselben
entgegenhalten. Den Grund dafür, dass das See¬
klima bisher in der Behandlung nervöser Stö¬
rungen nicht die Rolle gespielt hat, wie andere
Heilmethoden, sieht Verfasser im Mangel eigent¬
licher Ncrvensanatorien an der Küste.
Paravicini (Albisbrunn-Zürich).
C. S. Potts, Ankylotic rigldity of the spine
(Rhizom£liqne spondylosis) much improved
by tbe nse of hot air. The therapeutic
gazettc 1902. Bd. 18. S. 375.
Der 36jährige Farmer bemerkte die ersten
Spuren seines Leidens vor vier Jahren; es be¬
gann in dem Metatarsalgelenk der grossen Zehe,
ergriff dann weiter die Kniee, Hüftgelenke und
schliesslich die untere Partie^ der Wirbelsäule,
sodass der Patient nicht mehr im stände war,
aufrecht zu stehen und nur mittels Unterstützung
eines Stockes zu gehen. Verfasser versuchte
neben der innerlichen Darreichung von Eisen,
Kalomcl und Arsenik noch Heissluft von 300® F
auf die Hüften und die untere Rückenpartie,
und zwar mit augenspringendem Erfolge. Die
Schmerzen begannen sehr bald zu verschwinden,
der Schlaf wurde wieder gut, und im Verlaufe
von einem Monat'konnte sich der Kranke wieder
in seinem Bette uradrehen, was ihm vordem ab¬
solut unmöglich gewesen war. Nach zwei Monaten
war er im stände, eine nahezu aufrechte Haltung
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Referate über Bücher und Aufsätze.
wieder einzunehmen (der Unterschied wird an
zwei Abbildungen sehr deutlich gezeigt) und
beträchtliche Strecken Weges zu Fuss ohne Zu¬
hilfenahme eines Stockes zurückzulegen.
Buschan (Stettin).
Alfred Baumgarten, Hydriatisches Jahr¬
buch, Band II. Worishofen 1902.
Der zweite Band des von Dr. Baumgarten,
dem Wörishofener Arzte und offiziellen Nach¬
folger Kneipp’s herausgegebenen Jahrbuches
ist erschienen. Der Hauptzweck dieser Schrift
ist, wie der Herausgeber in der Einleitung her¬
vorhebt, in weitere Aerztekreise authentische Auf¬
klärungen über Worishofen und das dort geübte
Kneipp’sehe Heilverfahren zu bringen. An erster
Stelle findet sich eine kurze Biographie Kneip p ’s.
Dann folgen zwei Abhandlungen Baum garten’s
über Worishofen, seine topographische Lage,
Klima, Frequenz etc., die dortigen Kurhäuser,
die ärztlichen Verhältnisse und vor allem über
das Kneipp’sche Heilverfahren selbst und
die Art der dortigen Anwendung; die Artikel
sind mit reichlichen und guten Abbildungen ver¬
sehen, und geben ein anschauliches Bild von
dem Wörishofener Kurleben. Bemerkenswerth er¬
scheint, dass die Krankenbehandlung in Wöris-
hofen, soweit sie unter Baum garten’s Verant¬
wortlichkeit steht, ausschliesslich von Aerzten
z. Zt ausgeübt wird, was Baumgarten aus¬
drücklich hervorhebt und wofür er stets mit
Nachdruck eingetreten ist; wie er sagt, handelt
er damit auch im Sinne von Kneipp selbst.
Ferner verwahrt der Autor sich und die »Kneipp-
ärztec überhaupt gegen den Vorwurf der Un¬
wissenschaftlichkeit; die Kneipp’sche Schule
stände durchaus auf dem Boden der klassischen
Medicin und befolge nur bezüglich der schwanken¬
den Fragen der Therapie ihre eigenen Wege,
ohne jedoch auf Medikamente rim Falle der
Nothwendigkeit« gänzlich zu verzichten.
Nach diesen Erkläruugen darf aber auch er¬
wartet werden, dass die einseitigen Ueber-
treibungen und die Angriffe auf die »Schul-
medicin«, wie sie sich in den Publikationen der
Kneipp’schen Aerzte und auch in diesem Bande
vielfach finden, künftig mehr und mehr ver¬
schwinden.
Auf den von Baum garten selbst verfassten
Theil folgt noch eine Abhandlung von Heisig,
in der auf Grund umfangreicher Quellenstudien
der Beweis zu führen gesucht wird, dassPriess-
nitz seine Wasserheilmethode nicht selbstständig
erdacht, sondern von dem bekannten Schweid-
nitzer Arzte Johann Siegmund Hahn indirekt
übernommen hat. Den Beschluss des Jahrbuches
Zeltschr. f. diät. u. physik. Therapie Bd. VI. Heft 12.
705
bildet ein Artikel von F. Kleinschrod, Zur
Physiologie der Krankheit. Es wird hier
auf Grund des Satzes, dass nicht die Krankheit,
sondern der kranke Mensch zu behandeln ist,
der Vorzug der Hydrotherapie und speziell des
Kneipp’schen Verfahrens vor der medikamen¬
tösen Therapie auseinandergesetzt, und ferner in
geschickter und origineller Weise der gewiss
nicht unberechtigte Standpunkt vertheidigt, dass
die Therapie nicht allein auf die pathologischen
Veränderungen, sondern auch auf empirische
Grundlagen sich stützen müsse, und dass ihre
Hauptaufgabe die Unterstützung der Heilkraft
der Natur sei. Zu bedauern bleibt nur, dass auch
hier der Autor sich von einseitigen Ueber-
treibungen nicht frei hält.
A. Laqueur (Berlin).
Munter, Die Hydrotherapie der Tabes. Deutsche
mcdicinische Wochenschrift 1902. No. 21.
Ausgehend von der wohl heute allgemein
anerkannten Ley den’schen Auffassung von der
Tabes als eines fortschreitenden degencrativen
Prozesses des sensorischen Neurons und der
experimentell gefundenen Thatsache, dass zwei
Momente das Neuron trophisch beeinflussen: die
normale Blutzufuhr und die gewohnte Durcli-
strömung durch die Nervenerregung, wirft Munter
die Frage auf, wie sind wir im stände, die Ncrven-
elemente funktionell und nutritiv durch den
thermischen Reiz und mit Hilfe der Methodik
durch die Hydrotherapie zu beeinflussen. Das
Grundgesetz des thermischen Reizes ist: Kälte
erniedrigt und Wärme erhöht die funktionelle
Leistung. Nun zeigt aber der thierische Organis¬
mus scheinbare Abweichungen von diesem Ge¬
setz, die als Abwehrbewegungen durch Ver¬
mittlung des Nervensystems auf gefasst werden
müssen. So zeigt der kurze Kältereiz eine Er¬
höhung sämmtlicher sensorischer Empfindungen,
als Sensibilität, Tast-, Wärmegefühi etc., also eine
Erhöhung aller Reizqualitäten (Goldscheider)
unter Verringerung für die Kälteempfindung.
Man wird ihn also anwenden können, um die
sensorischen Funktionen im allgemeinen zu er¬
höhen und wird so das sensorische Neuron stärken,
einzelne eventuell ausgefallene Nervenfasern und
Leitungen durch Bahnung anderer Nervenclementc
und Aufhebung von Hemmungen vikariierend
ersetzen können und hiermit eine Hauptindikation
der Tabestherapie erfüllen.
Hinsichtlich der Beeinflussung der Symptome
ist eine wesentliche Indikation die Beseitigung
der lanzinierenden Schmerzen, des Gürtelgefühls,
der Krisen, ferner die Beeinflussung der Ataxie
und schliesslich der paretischen Zustände der
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706
Referate über Bücher und Aufsätze.
Skelett-, Blasen- und Dannmnskulatur. Zur Be¬
einflussung des Schmerzes haben sich die in¬
differenten Temperaturen als reizabhaltend und
schmerzhemmend bewährt — 1% Soolbäder von
27—28° R bis zur Dauer von 3 / 4 bis einer Stunde.
Will man jedoch den Tabesprozess selbst beein¬
flussen, so wird je nach Lage des Falles eine Kom¬
bination verschiedener Reize eintreten müssen.
Ist die Schonung mehr indiziert, so folgt den
indifferenten Soolbädem von 10—20 Minuten ein
Kältereiz von kurzer Dauer, z. B. ein Halbbad,
das allmählich von 27° R bis auf 24 und 20° R
abgekühlt wird und zwar unter fortwährender
Bespülung seitens zweier Diener, Abtrocknung,
und eine kurze kalte Abwaschung der ergriffenen
Extremitäten mit nochmaliger Trocknung be¬
endet die Prozedur, der Bettruhe folgt. Ist bei
noch nicht so weit vorgeschrittenem Prozess die
Anwendung intensiverer Reize möglich, so wird
man mehr übend vorgehen. Denselben Prozeduren
— Soolbad und Halbbad — folgt als Ucbungs-
mittel eine Brause von 18° von 1—2 Minuten
Dauer, Abklatschung und entweder aktive Be¬
wegung oder Bettruhe, je nach beabsichtigtem
Effekt Der kurze Kältereiz wirkt nächst der
Beseitigung der Schmerzempfindungen auch vor¬
züglich auf die Parästhesien, bewirkt eine bessere
Blutcirkulation, beseitigt die dem Tabeskranjten
so lästige Kälte in Füssen und Knieen und schafft
ihm das behagliche Gefühl der natürlichen Wärme¬
empfindung. So günstig die C0 2 - Bäder bei
richtiger Anwendung wirken, so muss man doch
bei den dolorösen Tabesformen mit kälteren
Temperaturen als 26° R sehr vorsichtig sein, da
sie schmelzsteigernd sind. Munter lässt auch
nach dem C0 2 -Soolbad die betreffenden Extre¬
mitäten schnell mit kaltem Wasser von 6—10° R,
aber nur 5—10 Sekunden, ab waschen. Bei den
Krisen der Hoden, Vulva, des 'Anus sind oft
protrahierte Sitzbäder von 27—30° R von längerer
Dauer bis zu 1 / 2 — 1 Stunde, bei welchen man
mit dem Wärmereiz allmählich einschleicht, von
guter Wirkung, bei lanzinierenden Schmerzen
neben den lauen, protrahierten Vollbädern auch
erregende Umschläge, letztere jedoch mit Vor¬
sicht wegen mangelnder Reaktion, trockene
Wärme etc. Bei Paresen der Blasenmuskulatur
die innere direkte Elektrisierung; gegen Schmerzen,
Ataxie, Parästhesien und sonstige nervöse Er¬
scheinungen das elektrische, faradische Wasser¬
bad mit langsam einschleichendem Strom. Ist
bei Tabeskranken eine Schwitzprozedur indiziert,
so kommt nach Munter allein das trockene Heiss¬
luftbad in Betracht. Wenn auch alle diese Maass¬
nahmen ihre Hauptwirkung bei der Tabes in-
cipiens, im ernten Stadium der Krankheit, in der
präataktischen Periode haben, so wird man sie
doch auch in dem ataktischen und paretischen
Stadium bei genauer individueller Berücksichti¬
gung unter Vermeidung einer Hyperfunktion an¬
wenden können. Mit einer kurzen Betrachtung
der Formen von Pseudotabes und ihrer Behand¬
lung schliessen die ausserordentlich instruktiven
und physiologisch durchgeführten Ausführungen
des Verfassers. J. Marcuse (Mannheim).
D. Elektro- und Röntgentherapie.
Immelmann, Ueber die Verwendung der
Röntgenstrahlen ln der Medlcin. Berlin 1901.
Anlässlich des fünfjährigen Bestehens des
von ihm geleiteten Röntgenkabinettes hat Ver¬
fasser eine kleine schön ausgestattete Festschrift
herausgegeben, welche in Wort und Bild auf den
hohen Werth der Radioskopie für die Anatomie,
Chirurgie und interne Klinik, für Unfallbegut¬
achtung und gerichtliche Medicin hinweist. Auf
24 Tafeln sind in hervorragender Schönheit und
Deutlichkeit eine Reihe instruktiver Photogramme
aus denjenigen Gebieten wiedergegeben, auf wel¬
chen die Röntgenstrahlen als diagnostisches Hilfs¬
mittel sich eines unbestrittenen Bürgerrechtes er¬
freuen. Tafel I stellt einige Kinderhände mit den
Anlagen der Knochenkerne dar, Tafel II—XIX
Anomalieen und Missbildungen am Skelett, Frak¬
turen, angeborene und traumatische Luxationen,
syphilitische und tuberkulöse Knochenerkrankun¬
gen, in den Körper eingedrungene Projektile etc,
auf Tafel XX—XXU sind eine tuberkulös er¬
krankte Lunge, ein Aortenaneurysma und eine
steinhaltige Harnblase im Röntgenbilde reprodu¬
ziert, auf den beiden letzten Thorax und Abdo¬
men eines totgeborenen Kindes und eines solchen,
das einige Stunden gelebt hat. Mit einem kurzen
Hinweis auf die erfolgreiche, therapeutische Ver-
werthung der X-Strahlen bei Lupus, Psoriasis,
Favus und Sykosis schliesst das Schriftchen,
dessen Bildertafeln in trefflicher Weise die in re¬
lativ kurzer Zeit erreichte Vervollkommnung der
Röntgentechnik illustrieren.
Hirschei (Berlin).
Francis B. Bishop, Employment os oecn«
pation neuroses • treatement by elektricity.
The Journal of physikal therapentics 1902.
Bd. 3. No. 1.
Verfasser macht sich von den Beschäftigungs¬
neurosen, welche dem Typus des Schreibkrampfcs
entsprechen, die Vorstellung, dass ihnen eine durch
Ueberanstrengung bedingte Degeneration der
entsprechenden sensiblen Nervenbahnen einerseits.
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Referate über Bücher and Aufsätze.
707
der entsprechenden Muskulatur mit ihrer Inner¬
vation andererseits zu Grunde liege. Er hat auch
in einigen seiner Fülle Entartungsreaktion fest-
gestellt; statt durch die degenerierten motorischen
Bahnen werde der Willensimpuls durch andere,
mit diesen anastomosierenden Nervenbahnen ge¬
leitet, wodurch unter Mitwirkung reflektorischer
Gegcnirapulse die Spasmen, oder bei tieferer
Affektion der motorischen Centren die Parese
der in Frage kommenden Muskelgruppen zu stände
kommen. Dieser Hypothese entsprechend wären
die peripheren Enden der Hautnerven und die
beim Schreiben angestrengten Muskeln zunächst
betheiligt, sekundär dann die sensorischen und
motorischen Centren des Rückenmarkes, vielleicht
auch die Centren der Hirnrinde. — Auf Grund
dieses Bildes glaubt Verfasser, dass die richtigste
Behandlung solcher Neurosen in folgendem Ver¬
fahren bestehe: Eine grosse Anode wird auf den
unteren Theil des Nackens und den oberen Theil
des Rückens gebracht. Der Unterarm, eventuell
auch der Oberarm wird in ein mit warmem
Wasser gefülltes Gefass gesteckt, welches die
Kathode bildet. Der Strom wird dann auf 30
bis 50 M.-A. sehr sorgfältig eingeschlichen und
nach 30 Minuten wieder eben so ausgeschlichen.
Verfasser lässt es dahingestellt, ob seine Hypo¬
these vom Wesen dieser Neurose richtig sei
oder nicht; von seiner Methode habe er noch
keinen Misserfolg gesehen. Mässige Arbeit sei
dabei zu erlauben.
F. Frankenhäuser (Berlin).
H. Walsbam, Das von einem Hochspannuogs-
bogen mit schnellen Schwingungen erzeugte
Licht zur Behandlung von Hautkrankheiten«
Lancet 1902. 1. Februar und Monatshefte für
praktische Dermatologie Bd. 34. No. 8.
Bekanntlich haben die verschiedenen Kom¬
ponenten des Sonnenspektrums verschiedene
Wellenlängen. Bezeichnet man mit mp den
millionstel Theil eines Millimeters, so haben die
rothen bis grünen Strahlen mit 698—500 mp die
grösste Länge, während die ultravioletten weniger
als 392 mp i haben. Mit dem elektrischen Bogen¬
licht erhält man Wellenlängen von nur 160 bis
190 mh, die aber schon, wie Lenard nachweist,
durch eine Luftschicht von 2 cm absorbiert
werden. Wahrscheinlich enthält das Sonnenlicht
auch Strahlen von viel geringerer Länge als die
angegebenen, doch werden dieselben jedenfalls
von der Atmosphäre absorbiert; hierdurch er¬
klärt sich die grössere chemische und bakterizide
Wirksamkeit des künstlichen Lichtes. Um das
Durchdringungsvermögen der kurzen Wellen
(unter 200 mp) zu prüfen, bedient sich Wal sh am
des Goldblattelektroskops, dessen Verwendung
auf dem Prinzip beruht, dass Gase, durch welche
die kurzen Wellen passieren, LeitungBvermögen
annehmen. Die in einer Glasglocke aufgehängten
Goldblättchen werden mit negativer Elektrizität
geladen, bis sie divergieren. Alsdann werden
sie der Einwirkung des Bogenlichtes ausgesetzt
unter Zwischenschaltung von verschiedenen
Medien (Quarz, Eis, Wasser, Gelatine) und die
Zeit notiert, bis das Zusammenfallen der Gold¬
blättchen die erfolgte Herstellung der Leitung
anzeigt Es ergab sich, dass Eis den Strahlen
kaum mehr Widerstand entgegensetzt als Luft,
während eine Schicht von durchsichtiger Gela¬
tine, 0,04 mm dick, alle Strahlen absorbiert und
Quarz (2 Stücke von je 2,2 mm) 60% derselben
zurückhält. Auf Grund dieser Beobachtungen
verwendet Wal sh am mit Vorliebe Eisstücke
zum Kühlen und zur Kompression auf den Lupus¬
gebieten. Er hat sich eine kleine, nur etwa einen
Fubb lange, tragbare Bogenlampe für hohe
Spannung und Schwingungen konstruieren lassen,
mit der er bei Beleuchtungen von 10—15 Minuten
sowohl bei Lupus vulgaris, wie auch, obgleich
nicht so prompt, bei Lupus erythematodes, gute
Erfolge erzielt hat.
Forchheimer (Würzburg).
D. Berry Hart, The curative Effect of the
x rays on caUous slnuses of the abdominal
waU« The british medical journal 1902. Mai.
Verfasser berichtet über zwei Fälle von sehr
hartnäckigen, nach gynäkologischen Operationen
zurückgebliebenen Fisteln der Bauch wand, die
nach Röntgenbestrahlung auffallend rasch geheilt
sind. Schmidt (Berlin).
H« Strebet, Die Verwendung des Lichtes in
der Therapie« München 1902.
Der Verfasser unterscheidet bei der Licht¬
behandlung zwischen der kalorischen und der
photochemischen Wirkung des Lichtes. Wäh¬
rend die meisten Lichttherapeuten als eigentlich
spezifische Lichtbehandlung nur die Applikation
der chemisch wirksamen Strahlen gelten lassen,
weist der Autor auch den Wärmestrahlen ihren
Platz in der Phototherapie an; für die Anwendung
der »Lichtwärme« kommen die bekannten von
Kellog eingeführten Glühlicht- und Bogen¬
lichtschwitzbäder und der zur lokalen Wärme¬
applikation dienende Bogenlichtreflektor
(eine in einen Metalltubus horizontal einmontierte
Bogenlampe, deren Licht durch einen Parabol¬
spiegel auf die zu behandelnde Stelle reflektiert
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708 Referate über Bücher und Aufsätze.
wird) in Betracht Der minimale Gehalt an
chemisch wirksamen Strahlen kommt therapeutisch
nicht in Frage.
Sowohl kalorische, als photochemische
Wirkung spielt bei den Sonnenlichtbädern
eine Rolle.
Rein chemische Lichtapplikation ist die
Anwendung des koncentricrten Bogen¬
lichtes der Finsenlampe, des Eisen¬
lichtes der Bang’schen Lampe, und des
vom Verfasser in die Lichttherapie cingeführten
hoch gespannten Induktionsfunkens.
Bei der Belichtung des ganzen Körpers
(Sonnenlichtbad, Glühlichtbad) ist die Steigerung
der Hautthädgkeit und sekundär des Stoffwech¬
sels im allgemeinen — mag diese Steigerung nun
durch kalorische, chemische oder durch beide
Arten von Strahlen hervorgerufen sein —
therapeutisch von Bedeutung, während als Heil¬
faktoren bei der lokalen Bestrahlung der Haut
mit chemisch wirksamem Lichte die ent¬
zündungserregende und die baktericide
Wirkung des blauen, violetten und ultravioletten
Theiles des Spektrums in Betracht gezogen wer¬
den müssen. Sehr wichtig für den Erfolg der
lokalen Lichtapplikation ist die Tiefenwirkung
des Lichtes. Die ultravioletten Strahlen, auf die
man zuerst das Hauptgewicht legen zu müssen
glaubte, dringen nun leider gamicht in die Tiefe,
sondern werden von den alleroberflächlichsten
Epidermisschichten absorbiert.
Referent kann daher in der Einführung des
an ultravioletten Strahlen sehr reichen Eisen¬
lichtes und des Induktionsfunkens in die Dermato-
therapie keinen wesentlichen Fortschritt sehen.
Denn für den Lupus vulgaris, der doch in erster
Linie in Frage kommt, eignet sich die Anwendung
dieser Lichtquellen wegen der mangelnden Tiefen¬
wirkung nicht, und die vom Referenten bei anderen
oberflächlichen Dermatosen parasitärer Natur
(Pityriasis versicolor, Herpes tonsurans) an-
gestellten Behandlungsvcrsuchc mit der Bang-
sehen Eisenelektrodenlampe sind in jeder Hinsicht
entmuthigend ausgefallen. Ausserdem stehen dem
Arzte für derartige oberflächliche Affektionen
genug andere wirksame und billigere Mittel zur
Verfügung.
Der vom Verfasser angegebene Apparat zur
Applikation des Induktionsfunkenlichtes besteht
im wesentlichen aus einem Ebonitrohr, an dessen
einem Ende ein als Reflektor dienender
Magna li um Spiegel angebracht ist, während
sich am anderen Ende eine als Kompressorium
fungierende Quarzplatte befindet. Im Innern des
Rohres sind zwei Alumin iumelektroden be¬
festigt, zwischen denen der Induktionsfunke über¬
springt. Nach einer Belichtungszeit von 30—40
Minuten tritt eine entzündliche Reaktion ein.
Ausserdem hat der Verfasser, um das Induktions¬
funkenlicht auch auf schwer zugängliche Schlcim-
hautflächen wirken lassen zu können, sonden¬
förmige, mit Quarzfenstem versehene Instrumente
konstruiert, die in Uretha, Vesika, Vagina, Uterus
etc. eingeführt 'werden.
Der Autor empfiehlt theils die allgemeine,
theils die lokale Lichtbehandlung bei den ver¬
schiedenartigsten Krankheiten,
Das geeignetste Objekt zur Behandlung mit
»Lichtwärmc<* im Glühlichtkasten ist die Fett¬
leibigkeit; mit Leichtigkeit lässt sich »ohne
subjektive Beschwerden und objektive Schädi¬
gung« eine Gewichtsabnahme von 20 — 25, ja in
vielen Fällen bis 40 Pfund erzielen.
Herzleiden organischer oder funktioneller
Natur hält der Verfasser nicht für eine Kontra¬
indikation, vorausgesetzt, dass keine Kompcn-
sationsstörungen vorhanden sind.
Nicht sehr ermuthigend sind die Erfolge der
Lichtschwitzbäder bei Diabetes, Gicht und
Rheumatismus.
Ferner ist die Lichtschwitzbehandlung an-
gezcigt bei katarrhalischen Zuständen der
Bronchien, womöglich mit gleichzeitiger lokaler
Bestrahlung.
Anämische, Chlorotische, Neurasthe¬
niker und Phthisiker im Frühstadium sind
sehr geeignet für das Sonnenlichtbad, dagegen
ungeeignet für das Lichtschwitzbad.
Die Syphilis glaubt der Autor durch eine
Kombination der Hg mit einer Lichtschwitz¬
behandlung günstiger beeinflussen zu können, als
durch Hg allein. Harte Schanker und
tertiäre Ulcera sollen auf Ultraviolett¬
bestrahlung (Eisenlicht, Funkenlicht) rasch ab¬
heilen, desgleichen ulcera mollia, »auch phage¬
dänische Formen innerhalb weniger Tage«.
Weiterhin sind durch die lokale Bestrahtung bei
Favus, Svkosis, Trichophytia capitis,
Naevus vasculosus, Acne, Furunkulose,
Acne rosacea günstige Resultate zu erzielen.
Ausserdem giebt der Verfasser an, mit dem
Induktionsfunkenlicht zwei Fälle von Lupus
vulgaris, zwei Fälle von tertiär-syphi¬
litischen Ulcerationen, einen Fall von
Herpes tonsurans, einen Fall von Svkosis
und einen Fall von nässendem Ekzem geheilt
zu haben, ferner Ulcus cruris, Alopecia
areata, akute und chronische Gonorrhoe.
Referent besitzt Erfahrungen nur über die
Finsenbehandlung und die Behandlung mit der
Bang 7 sehen Eisenlichtlampe und kann daher
ein Urtheil über den Werth der vom Verfasser
empfohlenen allgemeinen photochemischen und
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Referate über Bücher und Aufsätze.
709
kalorischen Lichtbäder und der lokalen Be¬
strahlung mit dem Induktionsfunkenlicht nicht
abgeben, mochte aber doch vor einem allzu
grossen Optimismus in der Phototherapie warnen.
Schmidt (Berlin;.
Niels R. Finsen, Die Bekämpfung des Lupus
vulgaris. Jena 1903. Verlag von Gustav Fischer.
In dieser kleinen Monographie veröffentlicht
Finscn den Vortrag, welchen er bei der Herbst¬
konferenz im »Internationalen Centralbureau zur
Bekämpfung der Tuberkulose«, Berlin 1902, ge¬
halten hatte. Er giebt zunächst eine kurze Sta¬
tistik über die 804 Patienten mit Lupus vulgaris,
welche vom November 1895 bis Januar 1902 im
Finseninstitut behandelt wurden. Sie ergiebt fol¬
gende Zahlen:
I. Geheilt.412
a) Recidivfrei in 2—6 Jahren . . . 124
b) Observationszcit unter 2 Jahren 288
II. Annähernd geheilt (nur unbedeutende
Reste des Krankheit ührig).192
III. Unter Behandlung.117
a) Wesentlich in Besserung oder
theilweise geheilt. 91
b) Von der Behandlung wenig oder
vorübergehend beeinflusst ... 26
IV. Unterbrochene Behandlung (unvollendete
Kur. 83
a) Nicht zufriedenstellendes Re¬
sultat . 16
b) Gestorben (31) oder an anderen
schweren Krankheiten leidend
(13). 44
c) Aeusscre Umstände . 23
Zusammen 804
Diese Resultate sprechen für sich selbst. Es
braucht keineswegs als eine zu optimistische
Hoffnung des Verfassers ausgesprochen werden,
wenn er meint, dass in kurzer Zeit in Dänemark
der Lupus vulgaris eine seltene Krankheit dar¬
stellen und Bchon in kurzer Zeit auf eine ver-
hältnissraässig geringe, leicht heilbare Haut¬
affektion reduziert werden wird.
Die hervorragenden Resultate, welche durch
diese Bchandlungsweise erzielt worden sind,
kommen aufs schönste in den 24 Tafeln zur An¬
schauung, welche der Monographie beigegeben
sind, und die in der Weise angeordnet wurden,
dass auf je einer Tafel derselbe Patient vor und
nach der Behandlung abgebildet ist.
Es mag noch erwähnt werden, dass die Geld¬
mittel , welche zur Erreichung der eben geschil¬
derten grossartigen Resultate erforderlich waren,
keineswegs als übermässig hoch bezeichnet wer¬
den können. Ausser der Privatunterstützung
einzelner begüterter Männer, ‘hat der Staat eine
Unterstützung von 20 000 Kronen, ein zinsen-
freies Darlehen von 40 000 Kronen und seit
einem Jahre eine jährliche Beihilfe von 25 000
Kronen geleistet.
Auch wir möchten mit Finsen der Hoff¬
nung Ausdruck geben, dass andere Staaten dem
Beispiele Dänemarks folgen mögen, so dass nicht
nur in diesem Lande, sondern möglichst in ganz
Europa der Lupus vulgaris, diese für den Träger
nach vielen Richtungen hin so fürchterliche
Krankheit, ganz oder völlig ausgerottet wird.
Paul Jacob (Berlin).
L. Török und M. Schein, Die Radiotherapie
und Aktinotherapie der Hautkrankheiten«
Wiener medicinischo Wochenschrift 1902.
No. 18/23.
Török und Schein haben umfassende
therapeutische Versuche mit Röntgenstrahlen bei
einer grossen Zahl von Hautkrankheiten an¬
gestellt, so bei Hypertrichose, Favus, Sycosis
Simplex, Acne vulgaris, Lupus vulgaris, Lupus
erythematodes, Urticaria pigmentosa etc. Sie
betonen vor allem die wesentliche Bedeutung
der Kenntniss der Reaktion, deren Uebersehen
die unangenehmsten Folgen nach sich ziehen
kann. Reaktive Symptome sind: Jucken oder
Brennen, Hyperämie, leichte Schuppung,
Pigmcntation, Lockerung der Haare, endlich
Ekzematisation. Die Behandlung soll sofort
unterbrochen werden, sowie derartige Er¬
scheinungen auftreten. Als Röhren wurden
ausschliesslich regulierbare, weiche Müller’scho
Köhren benutzt, die Spannung des induzierten
Stromes entsprach einer Funkenlänge von 30 cm;
die Umgebung der bestrahlten Stelle wurde durch
dicke Bleiplatten geschützt. Relativ günstige
Resultate gab die Behandlung der Hypertrichosis
bei Frauen, wenn auch Rccidive in einer Reihe
von Fällen nach mehr oder minder langen Zeit¬
räumen wieder auftraten. Bei ausgebreiteter
Hypertrichose empfehlen die Verfasser die Radio¬
therapie, bei umschriebener das elektrolytische
Verfahren. Die Behandlung des Favus, des
Herpes tonsurans mittels Röntgenstrahlcn halten
die Verfasser als die rationellste, einzig zu
empfehlende Behandlungsmethode, denn es ist
die einzige, welche unter der Voraussetzung, dass
der ganze infizierte Bereich auf einmal behandelt
wird, in sehr kurzer Zeit zu sicherer Heilung
führt; dasselbe gilt ceteris paribus auch für die
Sycosis simplex, während die behandelten Fälle
von Acne vulgaris und Lupus erythematodes
noch nicht spruchreif sind.
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710
Referate über Bücher und Aufsätze.
Die lichttherapeutischen Versuche der Ver¬
fasser wurden mit der von Lortet und Genoud
angegebenen Lampe ausgeführt, und zwar
wurden damit behandelt: Lupus vulgaris, Lupus
erythematodes und Alopecia areata. Ein ge¬
radezu eklatanter Heilerfolg wurde bei einem
Lupus der Schleimhaut der Oberlippe und des
harten Gaumens erzielt, sehr günstige Resultate
bei drei Fällen von Alopecia areata.
J. Marcuse (Mannheim).
E. Verschiedenes.
Baginsky, Ueber die Indikationen und Kon¬
traindikationen des Aderlasses bei Kindern.
Archiv für Kinderheilkunde Bd. 31. Heft 5 u. 6.
Baginsky lässt für den Aderlass bei Kin¬
dern nur zwei strikte, vitale Indikationen gelten:
1. lebensbedrohende, den Blutkreislauf des Her¬
zens hemmende Zustände, besonders die mit Er¬
stickungsgefahr verknüpfte Ueberfüllung des
rechten Herzens, und 2. Ueberladung des Blutes
mit chemischen Zerfallsprodukten des Organis¬
mus, welche als Giftstoffe wirken und vor allem
die Funktionen des Centralnervensystcmes zu
schädigen geeignet sind. Die hier ursächlich in
Betracht kommenden Affektionen sind lobuläre
und lobäre Pneumonieen, kapilläre Bronchitiden
mit Stauungserscheinungen, chronische Herzfehler,
von Gehimhyperämieen ausgehende Konvulsionen,
schwere Nephritiden mit urämischen Symptomen.
Ais Kontraindikationen bezeichnet Verfasser chro-
nisch-hydrämische Zustände bei Tuberkulose und
Lues, ernste Digestionsstorungen, sowie akute
Infektionskrankheiten, selbst wenn hochgradige
cerebrale Störungen, eklamptische Attacken und
Delirien durch die Hyperpyresis veranlasst sind.
Schwere Chlorose, deren Behandlung mit Blut-
entzichungcn von verschiedenen Autoren erst in
den letzten Jahren wieder warm empfohlen wurde,
ist eine im kindlichen Alter seltene Krankheit.
Die Technik der Venacsektion gleicht derjenigen
beim Erwachsenen, nur bei Kindern mit sehr
reich entwickeltem Fettpolster ist es rathsam, die
zu öffnendo Veno mittels Hautschnittes vorher
frei zu präparieren. Hirschel (Berlin).
Bourget, Die medicinale Behandlung der
Perityphlitis. Therapeutische Monatshefte
1901. Juli.
Der Verfasser bekennt sich als einen ent¬
schiedenen Gegner der Peritvphlitisbehandlung,
wie sie jetzt zumeist geübt wird; vor allem zieht
er gegen ein frühzeitiges chirurgisches Eingreifen
zu Felde. Von Eis und Opium will er nichts
wissen, weil durch diese Mittel das Leiden nur
verdeckt, aber nicht gehoben wird. Er empfiehlt
ein Verfahren, das ihm angeblich ausgezeichnete
Resultate geliefert hat, das aber allen sonstigen
Erfahrungen stracks zuwiderläuft und kaum an¬
derswo Anklang finden dürfte. Er giebt nämlich
beim Einsetzen des akuten Anfalles sofort Ricinus-
öl, und setzt diese Medikation mehrere Tage hin¬
durch fort. Daneben macht er Magen- und Dann¬
ausspülungen, alles Eingriffe, die sonst streng
verpönt sind und von den meisten Praktikern
wohl als Kunstfehler bezeichnet werden dürften.
Der Verfasser selbst freilich will damit glänzende
Resultate erzielt haben, giebt aber keine dc-
talliertcn Daten, sodass seine Angaben nicht
kontrollierbar sind. Frey han (Berlin).
T. N. Kelynack, The relation of alcoholism
to tubereulosis. Edinburgh medical Journal
1901. September. S. 251.
Verfasser erörtert die drei Anschauungen,
welche über die Beziehungen des Alkoholismus
zur Tuberkulose sprechen, die erste, dass der
Alkoholismus der Tuberkulose entgegen wirkt,
die zweite, dass überhaupt kein Vcrhältniss zwi¬
schen den beiden Erkrankungen bestände, die
dritte, dass der Alkoholismus zur Tuberkulose
prädisponiere. Verfasser schliesst sich der letzten
Anschauung an, besonders auf Grund seiner Be¬
obachtungen über die Komplikation der Neuritis
alcoholica mit Tuberkulose. Dieser Anschauung
entsprechend erhofft er von der Bekämpfung der
Trunksucht auch einen Einfluss auf die Verbrei¬
tung der Tuberkulose.
M. Lewandowsky (Berlin).
Kruse, Krebs und Malaria. Münchener me-
dicinische Wochenschrift 1901. No. 48.
Verfasser wendet sich gegen den Vorschlag
Locffler’s, den Krebs durch Impfung von Ma¬
laria bessern oder heilen zu wollen. Er stellt
zunächst fest, dass in Italien prozentualiter eben
soviel Personen an malignen Geschwülsten zu
Grunde gehen, wie in Preussen (4,2 auf 10000
Einwohner), trotzdem in Preussen die Malaria¬
sterblichkeit = 0, in Italien 5,81 auf 10 000 ist,
d. h. ungefähr 580 von 10 000 Einwohnern jähr¬
lich an Malaria erkranken. Auch aus der italie¬
nischen Statistik geht hervor, dass Krebs und
Malaria in keinem gegensätzlichen Vcrhältniss zu
einander stehen. Vielmehr wird dieses Verhält-
niss zum Theil durch die Dichtigkeit der ße-
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Referate über Bücher and Auf Bitze.
711
völkerung, bezw. ihre Anhäufung in städtischen
Centren bestimmt. Vor allem aber glaubt der
Verfasser eine Rassendisposition für den
Krebs annehmen zu müssen, in dem Sinne, dass,
je geringer die mittlere Statur der Bevölkerung
ist, um so geringer auch die Krebssterblichkeit
ausfällt. In Italien stehen an der Spitze die
Landschaften Toscana und Emilia mit der
grössten Krebssterblichkeit und den grössten
Leuten, dann folgen Ligurien, die Lombar¬
dei, die Marken, Latium und Umbrien.
Jetzt kommt ein ziemlich plötzlicher Sprung zu
den Landestheilen mit niedriger Krebsziffer und
kleineren Leuten, aber auch hier bleibt die Regel¬
mässigkeit der Reihenfolge, die von den Abruz¬
zen, Apulien undCampanien über Sizilien
zu Calabrien, schliesslich Sardinien. Der
Verfasser schliesst also auf eine Immunität der
tropischen Rassen gegen denKrebs.
M. Lewandowsky (Berlin).
Henry Grenet und G« Piquand, Traite-
ment des andvrysmes da tronc brachio-
cdphalique par la mdthode deBrasdor et
des andvrysmes en gdndral par les injecti-
ons sous - catandes de gdlatine. Arch. gön.
de mddecine 1901. Mai und Juni.
Die Verfasser haben einen Fall von grossem
sackförmigen Anemysma der Anonyma dextra
auf der Abtheilung des Professors Tillaux auf
doppelte Weise behandelt. Zuerst mit der Unter¬
bindung der Carotis communis und axillaris, ober¬
halb des Aneurysmas, nach der Methode von
Brasdor, und, als diese Operation nur wenige
Tage erfolgreich blieb, noch mit subkutanen Ein¬
spritzungen von Gelatine, ohne auch damit helfen
zu können, da der Patient bald starb.
Dieser Fall hat nun den beiden Autoren zu
einem sorgfältigen historischen und kritischen
Studium der beiden Methoden Veranlassung
gegeben, in denen wohl die gesammte inter¬
nationale Litteratur berücksichtigt worden ist.
Einige ihrer Schlussfolgerungen dürften von be¬
sonderem Interesse sein:
Die Brasdor’sche Operation ist die einzige
empfehlenswerthe Operation für die Aneurysmen
der Anonyma. Nur muss man einige Kontra¬
indikationen berücksichtigen, welche unter ge¬
wissen Umständen bedingt sein können durch die
Thrombose der linken Carotis, oder durch die
Insufficienz der Aortenklappen. Aber auch wenn
diese beiden Hinderungsgründe fehlen, muss die
Operation möglichst früh vorgenommen werden,
weil die kollatcralen Gcfässc sonst schon zu weit
ausgedehnt sind und so durch dieselben der Blut¬
strom allzu langsam fliesst; nur bei genügender
Schnelligkeit der Strömung durch die Kollateralen
lässt sich aber ein »aspiratorischer Effekt auf das
Aneurysma selbst« erwarten (?). Auch kompri¬
miert andrerseits ein allzu grosses Aneurysma
diese Kollateralen meist gänzlich und verhindert
so überhaupt den Eintritt des Blutes in dieselben.
Was die Gelatineeinspritzungen betrifft, so
sollte man dieselben nach Lancereaux nur bei
sackförmigen Geschwülsten anwenden, freilich
nach Bourdillon nützen sie auch bei cylindri-
schen. Ihre Wirkung, die mit Schmerz und Fieber
oft verbunden ist, während die Gefahr der Em-
bolieen gering zu sein scheint, ist auf Grund der
Statistik recht unsicher. Man weiss noch gar
nicht, ob die Gelatine als solche in den Kreis¬
lauf kommt. Trotz der zahlreichen Beobachtungen
bedarf es noch weiterer klinischer und experi¬
menteller Studien und auch jedenfalls der grössten
Vorsicht bei der Anwendung des Mittels, welches
unter Umständen auch höchst gefährliche Blut¬
drucksteigerungen erzeugen kann.
H. Rosin (Berlin).
Max Heim, Die nervöse Schlaflosigkeit, ihre
Ursachen and ihre Behandlung. Bonn 1902.
In kurzer, übersichtlicher Form behandelt
Verfasser in seiner Broschüre, die, nach den in
Klammer beigefügten Erklärungen einiger Fach¬
ausdrücke, auch für Laien bestimmt scheint, das
Thema der nervösen Schlaflosigkeit.
In dem ersten Kapitel bespricht er an der
Hand der Arbeiten verschiedener Physiologen das
Wesen, den Zweck und die Dauer des normalen
Schlafes. — Indem er dann zur Schlaflosigkeit
übergeht, beschäftigt er sich eingehend mit den
Ursachen derselben. Als eine der wichtigsten
hebt er wohl mit Recht das Hasten und Jagen
der heutigen Zeit hervor, das nicht nur im Er¬
werbsleben des Mannes, sondern auch für Frauen,
besonders der begüterten Stände, im gesellschaft¬
lichen Leben zum Ausdruck kommt
Den folgenden Abschnitt widmet Verfasser
der Pathologie der Schlaflosigkeit. In der Mehr¬
zahl der Fälle glaubt er dieselbe als eine funk¬
tionelle Störung des Nervensystems, als eine
Theilerscheinung der Neurasthenie auffassen zu
dürfen. Die abnorme Erregbarkeit der an dieser
Krankheit leidenden Patienten mache es unmög¬
lich, die zum Schlafe nothwendige Ausschaltung
aller Sinnesreize herbeizuführen.
Nach diesen Ausführungen geht Verfasser
zur Therapie der Schlaflosigkeit über.
Als ersten wichtigsten Punkt fordert er die
Feststellung der Ursachen, die zur Agiypnie ge¬
führt hatten. Sobald diese vermieden würden,
besserten Bich viele Fälle von selbst. Des wei-
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Original fro-rn
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712
Referate über Bücher und Aufsätze.
teren giebt er allgemeine, für jeden Fall passende
Regeln, wie: stets in kühlem, luftigem Zimmer
zu schlafen, sich leicht zuzudeckcn, Abends nur
leichte Kost zu nehmen, aufregende Gespräche
und Lektüre zu vermeiden, für regelmässige Ver¬
dauung zu sorgen etc.
Dann weist Verfasser auf die Hilfsmittel hin,
welche die physikalische Therapie bei Behand¬
lung der Schlaflosigkeit bietet. Für leicht erreg¬
bare Patienten empfiehlt er die beruhigende Wir¬
kung feuchter Packungen von längerer Dauer
entweder auf den ganzen Körper oder nur par¬
tiell angewendet
In anderen Fällen, die durch Obstipation und
Kongestionen zum Kopfe verursacht waren, sah
er günstige Erfolge von methodisch fortgesetzter
Vibrationsmassage.
Weiter empfiehlt er dringend die Anwendung
des elektrischen Stromes, besonders des faradi-
schen. Zwar handle es sich hierbei wohl haupt¬
sächlich um eine suggestive Wirkung, doch sei
der Erfolg ein unzweifelhafter. — Für viele Fälle
räth Verfasser Klimawechsel und Aufsuchen eines
Badeplatzes, der nach dem allgemeinen Befinden
des Patienten zu wählen sei. Besonders günstige
Erfolge Hessen sich häufig durch die beruhigende
Wirkung der Akratothermen erzielen. Ausdrück¬
lich warnt Heim davor, schlaflose Patienten in
die eleganten unruhigen Luxusbäder zu schicken.
Für Ausnahmefälle wird dann noch die
Hypnose erwähnt.
Zum Schlüsse giebt Verfasser noch einige
Medikamente an, wie Dormiol, Iledonal und Bro¬
midin. Doch erziele man durch diese nur eine
Narkose und keinen Schlaf. Daher sei ihr Ge¬
brauch auf die Ausnahmcfälle zu beschränken.
Im allgemeinen könne man durch die physikali¬
sche Therapie die besten Resultate erzielen.
Da Heim in seiner kaum 60 Seiten umfas¬
senden Arbeit die wichtigeren physikalischen
Prozeduren nicht nur erwähnt, sondern genau die
Art und Weise ihrer Ausführung beschreibt, so
dürfte sich sein Buch für den Gebrauch des prak¬
tischen Arztes empfehlen, dem die Zeit fehlt,
grössere Spezialwcrke zu studieren.
Ernst Lichtenstein (Berlin).
A. Fournier, Etiologie du tabes d’apres un
milUer d’observations« Le bulletin mödical
No. 95. 15. Jahrgang.
In einem längeren Aufsatze beschäftigt sich
Fournier mit dem Zusammenhang zwischen
Lues und Tabes, einem Thema, das er seit vielen
Jahren aufs eifrigste studiert hat. Er schildert,
wie er als erster im Jahre 1875 einen Zusammen¬
hang zwischen diesen beiden Krankheiten ange¬
nommen habe, aber nur sehr langsam und nach
harten Kämpfen mit seiner Anschauung habe
durchdringen können. Als Schlussstein seiner
Arbeiten wolle er nur noch an Hand eines gros¬
sen statistischen Materials nachwcisen, dass ein
Zusammentreffen von Lues und Tabes kein zu¬
fälliges sei, sondern dass ein ätiologischer Zu¬
sammenhang zwischen beiden Krankheiten be¬
stehe.
Sein Material setzt sich aus 1000 Tabesfällcn
susammen, die, sorgsam ausgewählt, mit grösster
Sicherheit Lues entweder annehmen oder aus-
schliessen lassen. Unter ihnen finden sich nun
925 mit Zeichen einer früheren Lues, während
nur bei 75 solche vermisst werden. Auf Grund
dieser Zahlen nimmt Verfasser Lues als häufigste
Ursache der Tabes an, ohne indessen andere,
vorläufig noch ungenügend bekannte Momente
auszuschliessen.
Des weiteren theilt Fournier mit, dass sich,
wie einige seiner Fälle deutlich erweisen, auch
auf Grund einer kongenitalen Lues Tabes ent¬
wickeln könne. Dies ist um so wichtiger, als es
erlaubt, Fälle von Tabes, bei denen jede syphi¬
litische Infektion auszuschliessen ist, noch als
luetisch anzusehen, sofern sich in der Ascendenz
Gründe für eine Lues ergeben.
Wissenswerth ist auch folgende Beobachtung
des Verfassers: Gerade auf die leichtesten, schein¬
bar gutartigsten Fälle von Lues pflegt am häu¬
figsten Tabes zu folgen, und daher ist die An¬
sicht vieler Aerzte irrig, die meinen, eine leichte
Lues gebe eine durchaus günstige Prognose für
die Zukunft.
Auf Grund seiner Statistik nimmt Fournier
auch eine gewisse Disposition zur Tabes an, in¬
dem er sagt, dass diejenigen Personen besonders
häufig an Tabes erkranken, die entweder ihr
Nervensystem überanstrengen, ohne ihm genü¬
gende Erholung zu gönnen, oder aber erblich
nervös belastet sind, sofern sie eine Lues durch-
gemacht haben.
Schliesslich weist Fournier darauf hin, wie
häufig sich gerade unter den Tabikern Patienten
befinden, die ihre Lues gamicht oder ungenügend
haben behandeln lassen.
Aus diesem Grunde tritt Verfasser für gründ¬
liche, über lange Zeit ausgedehnte Behandlung
jeder Lues ein, und schliesst seinen Aufsatz mit
der Ermahnung an Aerzte und Behörden, heute
mehr denn je an der Bekämpfung und Verhütung
der Lues mitzuarbeiten, seitdem wir in der Tabes
eine furchtbare Folge derselben kennen gelernt
haben. Ernst Lichtenstein (Berlin).
Borlin Druck von \V. Büxenstein.
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Mt _ • :_werden angenommen bei der Axmonoen-Bzpeditlon Rudolf Koue, Berlin 8W.,
Mjk ff 37 AI fj fm n Breslau. Cöln a. Rh., Dresden, Düsseldorf, Frankfurt a. M., Hamburg, Leipzig, München,
mmm I I Nürnberg, Prag, Stuttgart, Wien, Zürich. Insert onspreia nach besonderem Tarif
Auszug aus dem Bericht von PROFESSOR D£ LANCEREAUX
Vice-Präsident der Akademie der Medizin in Paris
„De mes observations, il rtsulte qne l’Eau „APENTA“ constitue an
,#xcellent purg atif, tris acttu et rigpureusemerit dost. Sön action est
,/iouce ei constante; eile purge ä la dose d’an verre ou d’un demi-verre
„sans dtterminer_ni_coliques, ni malaises. Cest VEaa qai convient
,4ans le traitement de la consti£ation habituelle. De plus, par sä
„composition spiciale ei cönstääte, cette £q b.- me parait mtnter ane
„place ä £art dans la thtrapeutique hydrologiqae."
- Om „APENTA'-BITTER WASSER wird in >/i Liter- und Liter-FUschen gefallt.
ElgenthUmerln der Quellen und Brunnendlrectlon
„APENTA“ ACTIEN-GESELLSCHAFT, BUDAPEST.
Analyse und ausführliche fachmännische Berichte auf Wunsch in den Apotheken und Mineralwasser-Handlungen.
Institute für elektromagnetische Therapie
(System Eugen Konrad)
W ir machen hierdurch bekannt, dass wir vollständige Apparaturen
(System Eugen Konrad) an Aerzte, ärztlich geleitete Sanatorien,
Kliniken u. s. w. mit dem Recht der ausschliesslichen Ausübung
und Anwendung innerhalb eines bestimmten Arbeitsgebietes (Stadt,
Landbezirk u. s. w.) abgeben; Voraussetzung: vorhandener oder
zu beschaffender Wechselstrom, Aufstellung der Station in einem
gesonderten Raum, sowie Führung selbständiger Krankenberichte
bezw. Berechnung.
Nähere Bedingungen, Literatur, sowie jeden weiteren gewünschten
Aufschluss erteilt bereitwilligst
Die Verwaltung, Berlin W., Augsburgerstr. 62 .
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Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie. Band VI. Heft 12.
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Autoriläton aller LHftder ?nerj<ai«n1&a Aind Vsmüfititen
Arsen-Eisenquellen
earbattsu in lt», 0 U 0 Tefteirt
£$ts Koastaos der Qu£Uen
Das Bad Lövico-Vötnolo ist m |p i$?8inlcf jiSffiiet
Lti'icnst&Thva'&aAf und l^ 4 g»^c> 5 g/f¥^«^^Ä
dir.
ly*£ 3 ß'.M*U Ute ä&i&» 3 &ctio<t
scsin? - !
S*«H 5 <»irtfor &’j*cr.ii*t».f>ut»ef B(»enbahft ji v «w %-5». 8»t. a'ta'aH<>E't»«n
Verhln^Hg Ml «fkw grasr-eifteh .Städtexi a<t«t, CenUnantou Sc.hMVf-W?
v >>a»««*äiH»' (Ofl*>i*-C Kftru«<,t»i> P«^i» -Cloi»8.toVi4)nn«»e'»j Oltaiicf
;r Cmd. a»il/-*.{h<t»;■ i
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QÖÄriol*i&* • i«*s* *Ui *« eic
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d*rZeitschrift /. diätetische und physikc/mhe Therapie.
*) Zur Anfertigung van Beilagen* Circularen, gr/sefcmackYollen Drucksachen
alter Art halte ich meine OFricia bestens tmipfohlen. Ein Hinweis auf die
Beilage erfolgt in der betreffenden Nummer gratis.
RUDOLF MÜSSE f Annoncen-Administration
der Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie.
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Ttledieinischer Verlag von Georg Thieme in Leipzig,
Deutsche
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Redaktion:
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1903 (XXIX. Jahrgang). Vierteljährlich 6 Mark.
Biologisches Centralblatt
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Professoren In München,
herausgegeben von
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Prof, der Physiologie ln Erlangen.
XXIII. Band 1903.
Jährlich 24 Nummern M. 20.—.
(Bd. I-XXII M. 260.-.)
— Centralblatt =====
ftlr die Krankheiten der
Barn- und Sexnai-Organe
Herausgegeben von
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Redigiert von
F. M. Oberlaender.
XIV . Band 1903.
Jährlich 12 Hefte M. 20.-.
(Bd. I-XlII M. 180.-.
Internationale Monatsschrift
Beiträge
für
Anatomie n. Physiologie Geburtshilfe und Gynaekologie
Herausgegeben von
E. A. Schäfer L. Testut
(Edlnburg) (Lyon)
und
Fr. Kopsch
(Berlin)
Bd. 1-XV1II M. 900.—.
Bd. XIX (1902) M. 50.-.
Redaktion:
Prof. Dr. A. Hegar
Geh. Med.-Rath In Freiburg.
Bd. I. M. 27.60 (Subscr.-Preis M. 20.40.)
II. ff 27.80. (
III. „ 27.80. (
IV. ^ 28.-. (
V. * 28.80. (
20.60.)
20.60.)
20.60.)
20.80.)
21.60.)
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