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ZEITSCHRIFT
FÜR
KLINISCHE MEDIZIN.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. W. HIS, Dr. F. KRAUS, Dr. a. goldscheider,
Professor der I. ined. Klinik Professor der 2. med. Klinik ord. Hou.-Professor,
Direktor des poliklinischen Instituts
Dr. G. KLEMPERER,
a.o. Professor, dirig. Arzt des Krebsinstituts der Kttnigl. Charitd,
Direktor des stidt. Krankenhauses Moabit
IN BERLIN,
Dr. W. von LEUBE, Dr. B. NAUNYN, Dr. A. von STRÜMPELL,
ern. Professor der roed. Klinik ein. Professor der med. Klinik Professor der med. Kliuik
in WUrzburg, in Strassbnrg, in Leipzig,
Dr. R. STÄHELIN,
- Professor der med. Klinik
in Basel.
Dr. 0. von NOORDEN, Dr. N. ORTNER,
Professor der 1. med. Klinik Professor der 3. med. Klinik
IN WIEN.
REDIGIERT VON W. HIS.
Sechsundsiebzigster Band.
Mit 10 Tafeln, 14 Teitfigoren und (5 Kurven im Text.
BERLIN 1912.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
NW., UNTER DEN LINDEN G8.
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Inhalt.
Seite
I. Aus der medizinischen Universitätsklinik in Kopenhagen. Atonia
ventriculi. Von Knud Faber. (Mit 2 Abbildungen im Text.) .
II. Aus der medizinischen Universitätsklinik in Zürich (Direktor: Prof.
Dr. Herrn. Eichhorst). Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse
bei einem Fall von Milzexstirpation. (Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis
des Eisenstoflfwechsels.) Von Dr. 0. Roth, Sekundärarzt der Klinik.
(Hierzu Tafel I.).
III. Aus der medizinischen Universitätspoliklinik zu Freiburg i. B. Ex¬
perimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie. Von Dr. Georg
Eisner. (Hierzu Tafel II.).
IV. Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider). Ueber Aende-
rungen des Chlorgehalts im Blutserum bei Sekretionsstörungen des
Magens. Von Dr. W. Amol di.
V. Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider). Untersuchungen
zur funktionellen Prüfung des Pankreas. Von J. Wertheimer .
VI. Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider). Ueber den
Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches auf die Ausnützung vegeta¬
bilischer Nahrung. Von Dr. Hans Wolff..
VII. Aus der medizinischen Klinik in Kiel (Direktor: Prof. Dr. Lüthje).
Ueber den Einfluss sympathiko- und autonomotroper Substanzen auf
die eosinophilen Zellen. Von G. Schwenker und H. Schlecht .
VIII. Aus dem Wildbad-Sanatorium Tobelbad b. Graz (Leiter: Prof.
Dr. E. von Düring). Ueber die diätetischo Beeinflussung patho¬
logischer Blutdrucksteigerungen. Von Dr. Victor Hecht, ordinierend.
Arzt und Leiter des physiologisch-chemischen Laboratoriums. (Hierzu
Tafel III und IV.)...
IX. Aus der medizinischen Universitätsklinik Innsbruck (Vorstand: Prof.
R. Schmidt). Ueber das Blutbild bei endemischem Kropf und seine
Beeinflussbarkeit durch Schilddrüsen- und Joddarreichung. Von
Dr. Julius Bauer, Assistenten, und oand. med. Josef Hinter¬
egger, Hospitanten der Klinik.
X. Aus der medizinischen Klinik (Direktor Geh.-Rat Minkowski) und
dem pathologischen Institut (Direktor Geh.-Rat Ponfiok) der Uni¬
versität Breslau. Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
Klinisch-chemischer Teil von Dr. Severin, Assistenten der medi¬
zinischen Klinik. Pathologisch-anatomischer und kritisoher Teil von
Priv.-Doz. Dr. Heinrichsdorff, Assistenten des patholog. Instituts
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IV
INHALT.
Seite
XL Aus der I. inneren Abteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses in
Berlin (Prof. Dr. L. Kuttner). Der diagnostische Wert der Harn¬
pepsinbestimmung. Von Dr. Hermann Tachau, ehern. Assistenz¬
arzt der Abteilung, jetzigem Assistenten der I. med. Klinik der Kgl.
Charitd, Berlin.167
XII. Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker und
ihrer Familien. Von Dr. med. Marie Kaufmann-Wolf . . 176
XIII. Aus der medizinischen Klinik des Bürgerspitals in Basel (Direktor:
Prof. Dr. R. Staehelin). Zur Lehre von der Hämophilie. Von
Dr. E. Gressot, Assistenzarzt der Klinik.194
XIV. Aus der medizinischen Abteilung A des Rigshospitals zu Kristiania
(Prof. Dr. S. Laache). Ueber einige Wirkungen grosser Dosen
Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. Von Olav Hanssen. (Hierzu
Tafel V und VI.).219
XV. Aus der medizinischen Abteilung A des Rigshospitals zu Kristiania
(Direktor: Prof. Dr. S. Laache). Ein Fall von Paralysis agitans
mit bedeutender Vergrösserung der Glandulae parathyreoideae. Von
Dr. G. Gjestland, vormaligem Assistenten der Klinik. (Mit
1 Textfigur.).237
XV1. Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Mainz.
Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes dorsalis und
Bronchialasthma). Von H. Curschmann. (Mit 1 Textfigur.) . . 242
XVII. Aus dem Laboratorium des städtischen Krankenhauses „Elpis“ zu
Athen. Ueber die entgiftende Tätigkeit der Paratbyreoidoa bei der
Nephritis. Von Priv.-Doz. Dr. Melet. Georgopulos, Dirig. Arzt
der med. Poliklinik ..261
XVILI. Aus der III. medizinischen Klinik der Universität in Budapest
(Direktor: Dr. Alexander Baron v. Koranyi, o. ö. Prof.). Ueber
die diagnostische Verwertung der Echinokokken-Komplementbindung.
Von Dr. Theodor Bärsony und Dr. Ernst Egan.269
XIX. Aus der pathologisch-anatomischen Anstalt der Stadt Magdeburg.
Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen und ihrer
regionären Lymphdrüsen. Eine anatomische Untersuchung von Dr.
G. Goerdeler. (Hierzu Tafel VII-IX.).278
XX. Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur. VonDr.G.W. Schiele.
(Mit 10 Textfiguren.).375
XXI. Aus dem chemisch-bakteriologischen Laboratorium von Dr. Stanislas
Mutermilch in Warschau. Untersuchungen über den Gehalt an
Komplement in normalen und pathologischen Flüssigkeiten des Körpers.
Von Stanislas Mutermilch und Richard Hertz .... 404
XXII. Aus der I. medizinischen Klinik der Universität zu Wien. Ueber
ernsthafte Folgezustände der chronischen spastischen Obstipation.
Von Dr. K. von Noorden. (Hierzu Tafel X.).417
XXIII. Pneumonia in Rio de Janeiro und Pneumococciae bastardae. Von
Dr. A Austreges i lo, Prof, der medizinischen Fakultät zu Rio de
Janeiro, Arzt des Krankenhauses von Misericordia, Titular-Mitglied
der medizinischen National-Akademie.423
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INHALT.
V
Seite
XXIV. Aus der therapeutischen Fakultätsklinik der St. Wladimir-Universität
(Vorstand: Prof. W. Obraszow). Zur Frage des diastolischen Herz-
stosses, des diastolischen akzidentellen Tones und des Dikrotismus
des Pulses bei Insuffizienz der Aortenklappen. Von Priv.-Doz. und
Assistent N. D. Straschesko. (Mit 6 Kurven im Text.) .... 441
XXV. Aus dem Laboratorium der ärztlichen Diagnostik an der Kaiser]. Uni¬
versität zu Kasan (Russland). (Dirigierender: Prof. Dr. med. Witold
Orlowski.) Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungs-
fäbigkeit des Pankreas. Von Prof. Dr. med. Witold Orlowski . 460
XXVI. Aus dem Israelitischen Spital zu Odessa. Zur Kasuistik der Erkrankung
des N. ulnaris nach Unterleibstyphus. Von Dr. B. M. Dolgopol . 490
XXVII. Lumbale Hypophysininjektioncn. Von Rudolf Hoffmann in
München ..496
XXVIII. Kleinere Mitteilungen: IX. Internationaler Physiologen - Kongress
Groningen 1913.500
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I.
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Kopenhagen.
Atonia ventriculi.
Von
Knud Faber.
(Mit 2 Abbildungen im Text.)
Früher, namentlich vor Einführung der Magensonde, teilte man die
damals häufig beobachteten grossen Magendilatationen in 2 Hauptgruppen.
Die erste und grösste umfasste die Fälle, die auf einer Stenosis pylori
infolge Ulkus oder Karzinom beruhen, die andere Gruppe umfasste die
Fälle, die auf einer Atonie oder Myasthenie der Magenwand beruhen.
Schon damals verband man einen doppelten Begriff mit der Atonie,
indem man teils an die verspätete Entleerung, die Retention, teils an
die anatomische Dilatation, die Ektasie, dachte, und diese beiden
Resultate einer Atonie versuchte man nicht zu unterscheiden, weil man
glaubte, dass sie notwendigerweise einander folgen müssten. Man hat
später eingesehen, dass das nicht der Fall zu sein braucht und hat
die Bezeichnung Atonie bald in der Bedeutung einer verzögerten Ent-
leernng ohne Stenose, bald in der einer Dilatation ohne Stenose
gebraucht.
In der ersten Bedeutung ist der Begriff wesentlich von Boas und
seinen Schülern beibehalten. Allmählich machte man dann die Be¬
obachtung, als die operative Behandlung der Ventrikelstenosen all¬
gemeiner wurde, dass eine so starke Verminderung der Magenent-
leerung, dass er noch 12 Stunden nach der letzten Mahlzeit Nahrung
enthielt, eine „kontinuierliche Retention“, so gut wie immer auf einer
Stenose des Pylorus, einer organischen oder spastischen, beruhte, und
man beging dann die Begriffsverwirrung, das Wort Atonie für den Grad
motorischer Insuffizienz zu benutzen, der nicht zu kontinuierlicher
Retention, sondern nur zu geringeren Graden von Entlcerungsverzögerung
führte. Abgesehen von der Unlogik ist dieser Gebrauch des Wortes
Atonie aus dem Grunde unberechtigt, als man sehr wohl eine Retention
von sogar mehr als 12 Stunden bei einer reinen Magenatonie haben
kann, wie man das z. B. bei der akuten Atonie sicht.
Zeitsclir. f. k 1 in Medizin. 76. Bd. H. 1 u. 2. i
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2
k. fabeR,
Andere Autoren haben im Gegensatz zu diesem Gebrauch des
Wortes Atonie sich festzustellen bemüht, dass eine motorische Insuffizienz
eine Funktionsstörung ist, die in keiner Weise sieh mit dem Begriff
Atonie deckt. Diese kann sowohl mit als ohne verzögerte Entleerung
bestehen und erweist sich durch eine Schlaffheit der Magenwand, so
dass diese im abnormen Grad bei Füllung und Ausdehnung nachgibt,
was zu Dilatation des Magens führen kann. Stiller tritt besonders für
die Unterscheidung zweier Funktionen der Magenmuskulatur ein, der
peristaltischen, deren Schwächung Entleerungsverzögerung und der
peristolischen, deren Schwächung bewirken würde, dass die Magenwand
ihren Inhalt nicht so fest umschlösse wie gewöhnlich, was wohl am
ehesten als Dilatation aufgefasst werden müsste. Selbst wenn dieses
Stillersche Schema nicht ganz akzeptiert werden kann, ist es sicher,
dass die beiden Begriffe von Atonie sich, klinisch nicht einander decken
und nicht immer aufeinander folgen. Es ist deshalb in der Diskussion
über die Atonie notwendig, sie beide auseinander zu halten. Das lässt
sich jedoch im Augenblick für die akute Atonie schwer durchführen.
Wir wollen in dieser Abhandlung zunächst die atonischc Insuffizienz
und dann die atonische Dilatation berühren.
Die atonische Insuffizienz
kann akut oder chronisch auftreten.
Die akute Atonie des Magens zeigt sich in der Regel unter dem
Bilde einer akuten Dilatation und ist als äusserst gefährliche Krankheit
bekannt; sie ist zuerst von Br inton beschrieben, der in seinem Buch
von den Magenkrankheiten 1859 sie sehr ausführlich als „a mysterious
and fatal disease“ bespricht. Im Norden ist sie besonders durch die
Arbeiten aus der Laach eschen Klinik in Christiania bekannt, die teils
von L. selbst stammen, der 1904 5 Fälle beschrieb, teils von Olav
Hanssen, der gerade jetzt weitere 11 Fälle mitgeteilt hat.
Die Krankheit äussert sich, wie bekannt, durch einen ganz plötzlich
auftretenden, gefahrdrohenden Zustand mit Schmerzen im Unterleib, Er¬
brechen und Kollaps. Der Leib ist aufgetrieben und besonders im
oberen Teil sieht man den Magen prominieren, aber im übrigen hört
man fast am ganzen Abdomen Plätschergeräusch bei Palpation. Oligurie
und Durst vervollständigen das Bild der akuten Ektasie. In einer
grossen Zahl von Fällen tritt der Tod nach wenigen Tagen ein, und
bei der Sektion findet man den enorm ausgedehnten Magen fast den
ganzen Leib einnehmen, während der Darm kontrahiert und in das
kleine Becken heruntergedrängt ist. Ausser der starken Dilatation
findet sich auch aufgehobene oder stark herabgesetzte Entleerungsfähig¬
keit des Magens. Der Magen ist mit alimentösen Massen angefüllt, die
oft mehr oder weniger zersetzt sind. In dem Erbrochenen kann man
gewöhnlich Nahrungsreste erkennen, die mehrere Tage alt sind. So
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Atonia ventriculi.
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entfernte Frankel in einem leichteren Fall bei der Magenausspülung
Erbsen, die 5 Tage vorher gegessen waren.
In den gut 50 Jahren, seitdem die Krankheit bekannt ist, haben
die Anschauungen über sie recht stark divergiert und sie ist Gegenstand
vielfacher Diskussion gewesen. Payer zählt nicht weniger als 21 ver¬
schiedene Benennungen auf, die man der Krankheit im Laufe der Zeit
gegeben hat. Abgesehen davon, dass man sie unter dem Gesichtspunkte
der akuten Dilatation betrachtet hat, hat man sie namentlich oft als
eine Art Magenileus angesehen, und in einer gewissen Zahl von Fällen
hat man geglaubt, als Ursache dieses Ileus ein Passagehindernis am
Uebergang zwischen Duodenum und Jejunum nachweisen zu können,
den sogenannten arterio- mesenterialen Verschluss des Duodenums
(Rokitansky, Albrecht). Zahlreiche Untersuchungen und Experimente
haben gezeigt, dass ein solcher Duodcnalverschluss in vielen Fällen
wirklich stattfinden kann, aber dass dadurch bei weitem nicht alles er¬
klärt wird. Eine besonders gründliche Behandlung hat die Frage neulich
von A. Payer erfahren und die ganze Argumentation seiner Darstellung
scheint überzeugend. Das Primäre im ganzen Zustand ist eine Lähmung,
eine Atonie des Magens, die die starke Dilatation macht und erst
sekundär, als Folge der Dilatation und damit der Verschiebung der
Därme folgend, entsteht in einem Teil der Fälle, aber bei weitem nicht
in allen der Verschluss der untersten Duodenalpartie, der arterio-
mesenteriale Verschluss, der weiterhin zur Ursache der Dilatation des
Magens und Duodenums und der ausgeprägten lleussymptome wird.
Eine Strangulation mit anatomischen Veränderungen des Duodenums
findet sich so gut wie niemals, und deshalb sieht man auch so grossen
Nutzen davon, wenn man die Patienten in Knie-Ellenbogenlage oder
bloss rechte Seitenlage bringt, da die Kompression des Duodenums
dadurch aufgehoben wird. Während man bei einem primären Duodenal¬
verschluss durch Gallensteineinklemmung, Adhärenzen oder Aehnliches
eine starke Magenperistaltik und durchaus nicht immer eine starke
Dilatation sicht, wird der Magen bei der akuten Dilatation häufig als
ganz gelähmt ohne kräftige Peristaltik beschrieben. Das Primäre ist
die Atonie und in vielen Fällen die einzige Ursache der grossen Auf¬
treibung. Laffer hat aus der Literatur 217 Fälle zusamraengestellt,
davon 120 mit Autopsie, und nur in 27 von ihnen hat man eine Dila¬
tation des Duodenums nachgewiesen, die notwendigerweise das Resultat
der arterio-mesenterialen Kompression des Duodenums beim Uebergang
zum Jejunum werden muss. Er zieht deshalb denselben Schluss wie
Payer und die meisten anderen Autoren der letzten Zeit, dass der
Verschluss des Duodenums sekundär, die Atonie primär ist. Obwohl
die Ausdehnung, die Dilatation, eine so grosse Rolle im Krankheitsbilde
spielt, muss man bis auf weiteres die Krankheit zunächst als eine
akute, atonische Insuffizienz betrachten.
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K. FABER,
Wenn man untersuchen will, unter welchen Verhältnissen eine
solche akute Atonie entsteht, kann man mit Laache und Olav
Hanssen die Fälle in vier Gruppen einteilen.
Als erster Ursache begegnet man dabei einer plötzlichen starken
Ueberfüllung des Magens, namentlich wenn diese gleichzeitig mit starker
körperlicher Anstrengung auftritt, z. B. nach heftigem Laufen.
Die 2. Gruppe tritt während oder im Anschluss an eine akute
Krankheit wie Pneumonie oder Typhus auf.
Die 3. Gruppe entsteht bei Pat. mit chronischen, besonders ab¬
zehrenden Krankheiten, wie Lungen- oder Gelenktuberkulose, Spondylitis,
Rückenmarksleiden, Diabetes und Aehnliches.
Die 4. Gruppe umfasst die postoperativen Fälle.
Von Laffers 217 Fällen gehörten 24 zur ersten Gruppe (Dilatatio
ex ingestis), 56 entstanden im Anschluss an andere Krankheiten, und
zwar 6 während einer Pneumonie, 5 bei Typhus, 11 bei Wirbelsäulen¬
deformität mit oder ohne Bandagenanlegung. 17 Fälle entstanden im
Anschluss an ein Trauma und 97 mal entstand eine akute Dilatation
nach Operation, also nicht weniger als 38,2 pCt. der Fälle.
Später waren diese postoperativen Fälle von akuter Magenatonie
besonders Gegenstand des Interesses und der literarischen Behandlung,
und es sind schätzungsweise über 200 solcher Fälle veröffentlicht worden.
Ich kann hier einen Fall postoperativer akuter Atonie hinzufügen, den
Prof. Schal dem ose mir aus dem Reichshospital, Abteil. D, freundlichst
mitgeteilt hat.
Bei einer Patientin, einer 47jährigen Fischersfrau Anna II., mit Cholelithiasis,
wurde 1907 unter Aetbernarkose die Laparotomie gemacht, und dabei 3 grössere Steine
aus der Gallenblase und 5 aus dem Ductus choledochus entfernt. Vor der Operation
war der Magen mit Ewalds Probemahlzeit untersucht, die normale Verhältnisse ergab,
und bei der Bourgetschen Mahlzeit, nach der der Magen sich nach 12 Stunden leer
zeigte, fanden sich einmal einige Preisselbeerkerne, die andern Male nichts.
Die ersten Tage nach der Operation ging alles gut, abgesehen von etwas
Bronchitis; aber am 3. Tage trat einige Male Erbrechen mit Husten auf. Am 4. Tage
erbrach Pat. alles, was sie zu sich nahm. Am 5. und 6. Tage war das Erbrechen
etwas geringer, Flatus gingen ab. Das Befinden war etwas besser. Am 7. Tage wieder
ständiges Erbrechen. Die Magenausspülungen ergaben sehr beträchtliche Stagnation
von einigen Litern, selbst am Morgen. Obwohl die Temperatur jetzt normal war, war
Pat. sehr benommen, Puls 90—100, weich.
Trotz Magenausspülungen, Salzwasserinjektionen, Digalen, Kampfer, und andern
Stimnlantien starb Pat. 10 Tage nach der Operation, also nach 7tägiger Krankheit.
Die Autopsie zeigte den Magen stark ausgedehnt, so dass die grosse Kurvatur fast bis
zur Symphyse reichte, die kleine einige Finger breit unter den Nabel mit ihrem hori¬
zontalen Teil. Keine Stenose oder andere Veränderungen im Magen. In der Bauchhöhle
reichlich dunkelfarbige Flüssigkeit. Das Colon transversum reicht ganz ins kleine
Becken hinein. Keine Peritonitis. Die Wunden in den Gallenwegen reaktionslos.
Auch bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich keine Zeichen von Entzündung
des Peritoneums oder der Gallenwege.
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Atonia ventriculi.
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Man sieht in diesem Falle, dass die Symptome der Magenatonie
3 Tage nach der Operation begannen und in der folgenden Woche trotz
Magenausspülungen Zunahmen. Während vor der Operation konstatiert
wurde, dass keine Stagnation bestand, zeigte sich während der Krankheit
ausgesprochene Stagnation mit kontinuierlicher Retention, und bei der
Autopsie reichte der Magen bis zur Symphyse.
Der Fall ist in seinem Verlauf recht typisch; uur ist er etwas lang¬
samer als gewöhnlich verlaufen, da die Patienten meist nach 2—3 Tagen
sterben, also 5—6 Tage nach der Operation.
Wenn man überlegt, wie man diese postoperativen akuten Atonien
erklären soll, scheint es immer unzweifelhafter, dass man in der Narkose
eine Hauptursache dieser unglücklichen Fälle suchen muss, die so häufig
den Verlauf einer sonst wohlgelungenen Operation kompromittiefen.
Die akuten Dilatationen treten nach allen möglichen Operationen auf,
wenn auch meist nach Laparotomien. Payer hat 146 Fälle gesammelt
und davon traten 98 nach Laparotomien auf, 48 nach Narkosen aus
anderen Gründen, 7 davon nach Operationen an den Extremitäten, 2 nach
einfachen Narkosen ohne Operation. Es scheint eine individuelle Dispo¬
sition bei einzelnen Kranken zur Geltung kommen zu können, bei denen
die Narkose wiederholt solche Anfälle hervorgerufen hat. Payer hat
eine Untersuchung bei einer grösseren Zahl von Narkosierten, ca. 300,
vorgenomraen. Er untersuchte die Patienten vor der Narkose, bestimmte
die Magen-Grösse und -Motilität und konstatierte bei fast allen Patienten,
dass der Magen nach der Narkose erweitert war, wenn auch in ver¬
schiedenem Grade. Im Verlauf der folgenden 24 Stunden hob sich die
Parese in der Regel, aber hielt sich gewöhnlich längere Zeit, besonders
bei den Patienten, die anhaltendes Erbrechen nach der Narkose hatten.
Wenn die Patienten am 3.—5. Tage mit festeren Speisen begannen, zeigte-
der Magen oft Anzeichen von Erweiterung, und besonders Diätfehler
wirkten auf den Magen in der ersten Woche nach der Narkose stark ein.
Bei Patienten mit Enteroptose und Gastroptoso fand Payer die Dilatation
nicht stärker als bei anderen, doch war sie leichter wahrzunehmen. Die
Erweiterung des Magens war besonders bei Kindern ausgesprochen, bei
denen auch eine Reihe Fälle akuter Magendilatation nach Narkose wie
nach Ueberfüllung des Magens beschrieben sind, ja weit in das zarteste
Alter unter einem Jahr sind diese Fälle beobachtet.
Es scheint also, dass die Narkosen vielleicht direkt durch Verschlucken
des Chloroforms oder des Aethers einen paretischen Zustand des Magens
verursachen, eine akute Atonie, die in gewissen Fällen, speziell bei Diät¬
fehlern in den ersten Tagen nach der Operation, sich zu einer starken
akuten Dilatation entwickeln kann, die innerhalb weniger Tage den Tod
herbeiführen kann.
Als ein ursächliches Moment, das unter der Narkose zur Schwächung
des Magens beitragen kann, hat Tissier die bei der Narkose so häufige
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K. FABER,
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Aerophagie hervorgehoben, die gleichzeitig mit dem Herabfliessen des
Speichels oder ohne das zustande kommt. Dass eine solche Aerophagie,
Luftschlucken, wirklich häufig statt hat, kann man daraus schliessen, dass
die Chirurgen den Magen so oft mit Luft ausgedehnt finden, wenn das
Peritoneum eröffnet wird, der Magen springt in der Wunde hervor. Viel¬
leicht öffnet sich auch die Kardia bei Narkotisierten schwerer für Ruktus.
Jedenfalls fand Kelling bei narkotisierten Tieren, dass die Kardia oft
ausserstande war sich zu öffnen, wenn der Magen durch Luft aus¬
gedehnt war.
Auch bei der Dyspepsie, die auf die meisten Narkosen folgt, scheint
die Aerophagie eine Rolle spielen zu können. Mathieu hat dies her¬
vorgehoben und glaubt Fälle beobachtet zu haben, wo die Aerophagie die
Hauptursache der akuten Ausdehnung war und wo eine hiergegen ge¬
richtete Therapie alle Fälle zum Schwinden brachte.
Das ist sicher, dass die akut diktierten Mägen in der Regel sehr
viel Luft enthalten, und es ist wahrscheinlicher, dass sie herabgesunken
sind, als dass sie auf Gärung im Magen beruhen sollte, wie man im all¬
gemeinen angenommen hat. In einzelnen Fällen sieht man die Aus¬
dehnung zurückgehen, wenn man mittels eingeführter Sonde die Luft
heraustreten lässt, wie Laffer das in einem Fall sah, aber gerade der
Umstand, dass die Sondeneinführung in der Regel nur den Kranken Er¬
leichterung schafft, aber die Atonie nicht aufhebt, macht es wahrscheinlich,
dass die Aerophagie nur ein untergeordneteres Glied im Krankheitsbild
ist und dass sie nur in einzelnen Fällen ihre grosse Bedeutung hat.
Die akute Atonie führt in den ausgesprochenen Fällen den Tod am
häufigsten in 2—3 Tagen herbei. Alle von Olav Hanssen beschriebenen
verliefen auf die Art, von Payers 146 postoperativen starben 78 und
von Laffers 217 Fällen starben 135 (63,5 pCt.)
Es besteht jedoch kaum ein Zweifel, dass eine akute Atonie mit
Dilatation in den leichteren Fällen oft verkannt und nur als akuter Magen¬
katarrh, Indigestion oder ähnliches aufgefasst wird und dass sie im ganzen
eine häufigere Krankheit ist, als früher angenommen. Es sind in der
Literatur verschiedene leichtere und mittelschwere Fälle mit guter Prognose
besonders bei Kindern beschrieben. Charakteristisch ist A. Fränkels
früher erwähnter Fall bei seiner eigenen Tochter. Sie war früher immer
gesund und bekam nach dem Genuss einer grossen Portion grüner
Erbsen eine akute Dyspepsie mit Erbrechen und Magenerweiterung, der
am 4. Tage fast bis zur Symphyse reichte. Die Dilatation heilte
durch Ausspülungen im Laufe einiger Tage und nach einem Monat leichter
Diät reichte der Magen nur 2 Finger breit unter den Umbilikus.
Ausser diesen leichten und kurzdauernden Atonien gibt es Fälle sub¬
akut verlaufender Atonie mit Dilatation.
Boas beobachtete einen Fall bei einem 20jährigen Gymnasiasten, der
reichlich Gänsebraten gegessen hatte und die folgenden Tage übelriechendes
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Atonia ventriculi.
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Aufstossen, Diarrhoe und darnach Erbrechen als Zeichen von Stagnation
bekam. 4 Wochen darnach reichte der Magen nach Aufblähung eine
Hand breit unter den Nabel und es bestand kontinuierliche Retention
alter Speisereste. Noch 2 Monate nach Beginn der Krankheit bestand
Morgenretention.
Als einen solchen subakuten Fall kann ich folgende Kranken¬
geschichte anführen. Patient hatte eine chronische Achylie und ist in der
betr. Arbeit von Lange und mir erwähnt.
Patient war ein 58jähriger Mann, der längere Zeit an chronischen Gelenk-
schmerzen, Arthritis und massigem Alkoholismus gelitten hatte. Gr hatte eine fibröse
Lungentuberkulose der einen Spitze, sowie Zeichen von chronischer Nephritis und
Anämio (50 pCt. Haemogl.). 5—6 Wochen vor Aufnahme in das Hospital (Nov. 1906)
hatte er eine linksseitige Pleuritis, und dabei litt er an Appetitlosigkeit, (Jebelkeit und
häufigem Erbreohen. Im Hospital in der ersten Zeit einmal Erbrechen, aber nach
der Punktion — ohne Narkose — und Entleerung von 1300 ccm seröser Flüssigkeit
verschlimmerten sich die Magensymptome, namentlich die Uebelkeit, und er erbrach
fast alles, was er zu sich nahm. Mit der Magensonde wurden eines Morgens 480 ccm
grünlichen, dünnflüssigen Inhalts herausgebracht. Mit Ewald’s Probemahlzeit wurde
Achylie nachgewiesen, bei der Bourget’sehen Probemahlzeit wurden nach 12 Stunden
reichlich Pflaumenstücke und andere Speisereste gefunden.
Die Magenausspülungen schafften dem Patienten etwas Erleichterung, aber der
Zustand mit dem galligen, gewöhnlich übelriechenden Erbrechen blieb unverändert.
Patient war viel schläfrig, verlor die Kräfte und starb ohne eigentliche urämische
Symptome 14 Tage nach Beginn des starken Erbrechens.
Bei der Autopsie fand sich keine Stenose, kein Cancer oder Ulkus. Der Magen
war leioht erweitert, aber keineswegs in dem Grade ausgedehnt, wie man es bei der
akuten Dilatation findet. Die Wand makroskopisch normal, mikroskopisch finden sich
in der Schleimhaut überall Zeichen starker Entzündung mit geringer Atrophie.
Man muss annehmen, dass die vorhandene Gastritis mit Achylie in
Verbindung mit dem allgemeinen Krankheitszustand ein wichtiges ursäch¬
liches Moment für die Entstehung der Atonie war, aber es ist natürlich
nicht zu entscheiden, welche Bedeutung jeder einzelne dieser Faktoren
gehabt hat.
In beiden Fällen finden wir hier also eine motorische Insuffizienz
zweiten Grades mit kontinuierlicher Retention. Der erste dauerte ein paar
Monate, der letzte ungefähr ebensolange, wenn auch die Anfälle, speziell
das Erbrechen, nur die letzten 14 Tage stark war.
Diese protrahierten Fälle akuter Atonie bilden einen Uebergang zu
den chronischen Formen von Atonie, und damit stimmt gut überein, dass
die Ausdehnung des Magens bei diesen Kranken, speziell in meinem Fall,
nicht so bedeutend war und die atonischen Anfälle im ganzen nicht so
heftig.
. Die akuten Atonien verraten sich durch deutlich ausgesprochene
Symptome und die Motilitätsstörung äussert sich durch Erbrechen der
stagnierenden Massen und die starke Ausdehnung des Ventrikels. Anders
sind wir gegenüber der chronisch atonischen Insuffizienz gestellt.
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Es handelt sich hier in der Regel um leichtere Grade von Motilitäts¬
störungen, die nur entdeckt werden, wenn man speziell daraufhin unter¬
sucht. Von den Untersuchungen auf Motilität hat eigentlich nur eine
allgemeine Anwendung gefunden, nämlich die. Abendprobemahlzeit mit
Ausspülung am Morgen. Hierdurch wird die kontinuierliche Retention
nachgewiesen. Von Motilitätsprüfungen, die leichtere Grade von Insuffi¬
zienz erweisen, sind besonders in Deutschland die am allgemeinsten an¬
gewandten Leubes und Riegels Probemahlzeiten, aber die gestatten
nur eine ziemlich grobe Bestimmung der Motilitätseigenschaft und die
Resultate variieren ziemlich. Sie werden deshalb auch nicht in grösserem
Stil gebraucht. Bedeutend genauere Resultate bekommt man mit der
modifizierten Bourgetschen Probemahlzeit, die seit längerer Zeit auf der
Klinik angewendet wird. Sie besteht aus 1 Tasse Hafersuppe, 2 Schnitten
Brot, ca. 50 g gehackten Fleisches, 8 gekochten Pflaumen und 1 Esslöffel
eingemachter Preissei beeren. Mit dieser Probemahlzeit kann man sowohl
eine kontinuierliche 12 Stunden-Retention und die niederen Grade moto¬
rischer Schwäche bestimmen, die wir nach Kemp 5, 6 und 8 Stunden-
Retention zu benennen pflegen, da der Magen sich bei einer grossen
Reihe von Untersuchungen in der Norm nach 5 Stunden als leer er¬
wiesen hat.
Die Absicht bei dieser Probemahlzeit ist, dem Magen eine grössere
Arbeit mit dor Entleerung aufzubürden, als bei den gewöhnlichen Probe¬
mahlzeiten. Bei diesen ist der Magen nämlich imstande, in grösserer
Ausdehnung seinen Inhalt aufzulösen und zu chymifizicren. Das gilt
namentlich von Ewalds Probefrühstück, aber auch von Riegels und
Leubes grösseren Probemahlzeiten. Bei der von uns verwandten Probe¬
mahlzeit wird nur ein Teil des Inhalts chymifiziert, und dieser Teil ver¬
lässt den Magen allmählich, wenn er einen dünnflüssigen Zustand erlangt
hat; aber zurück bleiben die Pflaumen und Preisselbeeren, die im Magen
nur unbedeutend verändert, ja in den Fäzes recht unverändert wieder¬
gefunden werden. Sie werden als letzter Bestandteil des Inhalts aus
dem Magen entleert, und ihre Anwesenheit misst weit schärfer die Ent¬
leerungsfähigkeit des Magens als die anderen. Wir bekommen daher
mit dieser Mahlzeit auch weit genauere Bestimmungen der motorischen
Kraft des Magens und weit konstantere Resultate bei wiederholten Proben
als bei den erwähnten Probemahlzeiten. Die Erfahrung lehrt, dass die
Patienten selbst mit krankem Magen die Probemahlzeit gut vertragen. Nur
bei Patienten mit Neigung zu Diarrhoe kann sie zu Schädigungen führen.
Kemp hat in seiner Arbeit sich des Näheren über den Wert der
Probemahlzeit und die Resultate ihrer Anwendung an einer grossen Zahl
von Patienten geäussert. Die Untersuchungen sind seitdem in der Klinik
fortgesetzt worden.
Da Zweifel rege wurden, ob dor Magen wirklich in normaler Weise
nach 5 Stunden leer ist, hat Kemp seine Untersuchungen erweitert und
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Atonia rentriculi.
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auf im ganzen 26 normale Personen ausgedehnt, 16 Männer und 10 Frauen.
Bei allen war der Magen nach 5 Stunden leer oder enthielt nur einige
Preisselbeerkerne oder kleine Pflaumenstücke. Nur bei einer Frau fanden
sich nach 5 Stunden ca. 20 ccm Nahrungsreste, bei einer folgenden
Probemahlzeit erwies der Magen sich nach 5 Stunden leer. Sie hatte
früher etwas Hypersekretion gezeigt, im übrigen aber war sie gesund.
Im ganzen ist nun die Magen-Motilität mit dieser Probemahlzeit bei
560 Patienten untersucht, und hiervon erwiesen sich 269 normal, 275
zeigten verspätete Entleerung. Von diesen zeigten 36 grosse Retention
nach 12 Stunden (kontinuierliche Retention), 239 zeigten leichtere moto¬
rische Insuffizienz (1. Grades, Boas). Im einzelnen war das Verhältnis
folgendermassen:
36 zeigten
34 „
95
146
7)
i,
nur
ii
ij
12 Stunden-Retention,
n
n
ii
Man sieht also, dass verzögerte Entleerung ein sehr gewöhnliches
Symptom bei Patienten mit Krankheiten in den Verdauungsorganen ist,
da sie bei ungefähr der Hälfte der Patienten (49 pCt.) nachgewiesen
werden kann.
Es erhebt sich nun die Frage: In wieviel Fällen können wir eine
Verengerung des Pylorus, eine organische oder spastische, als Ursache
der Retention vermuten, und wie oft können wir die Ursache in der
atonischen Insuffizienz suchen, die uns hier besonders interessiert? Wenn
man zunächst das Verhalten bei den organischen Magenkrankheiten unter¬
sucht, so könnte die Diagnose einer solchen mit Sicherheit oder Wahr¬
scheinlichkeit in 238 Fällen gestellt werden. Bei den sicher diagnosti¬
zierten fand sich verzögerte Entleerung in folgender Anzahl:
Cancer ventr.unter 29 Pat. bei 27 = 95 pCt.
Ute. ventr. s. duod. . . ,,88 „ „ 69 = 80 „
Gastritis (Aobylie) . . „ 94 „ „ 48 = 52 „
Weiter konnte man aus den Symptomen und der Krankengeschichte
Ulc. ventr. vermuten . . unter 37 Pat. bei 20 = 57 pCt.
im ganzen unter 238 Pat. bei 158 = 66 pCt.
Bei Patienten mit Cancer und Ulkus ist es naheliegend, an eine
Stenose des Pylorus zu denken, und eine solche (organisch oder spastisch)
muss mit Sicherheit in den Fällen als vorhanden angenommen werden,
wo 12 Stunden-Retention bestand, nämlich bei Cancer in 20, bei Ulkus
in 13 Fällen, im ganzen in 33 Fällen. In den meisten Fällen wurde
das durch Operation oder Autopsie bestätigt. Anders ist das Verhältnis
jedoch bei den geringeren Formen motorischer Insuffizienz, die man so
häufig bei Ulkus, seltener bei Cancer antrifft. Der Grad der Insuffizienz,
an der Dauer der Retention gemessen, wies folgende Werte auf:
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5 Std.-Ret. 6 Std.-Ret. 8 Std.-Ret. 12 Std.-Ret. Im ganzen
Cancer ventr. 0 4 3 20 27
Ulcus ventr. (sicher und
vermutet). 43 23 10 13 89
Bei Ulcus ventriculi sehen wir also bei einer grossen Zahl von
Fällen niedrigere Grade motorischer Insuffizienz und es besteht in diesen
Fällen kein Grund, eine beginnende Stenose zu vermuten, denn man sieht
sie sich später nicht entwickeln. Es handelt sich nach allem um Ulcera,
die nicht am Pylorus sitzen, und die verzögerte Entleerung beruht hier
auf einer motorischen Schwäche, einer Atonie, die man als sekundäre
Atonie von der Ulzeration, der Erkrankung der Magenwand hervor¬
gerufen, bezeichnen muss. In der Literatur findet man manchmal Fälle
von Ulkus beschrieben, die zu sehr ausgedehnter Dilatation geführt haben,
ohne dass eine Spur von Stenose vorhanden gewesen, so schon von
Traube und Budd vor 50 Jahren. Die sekundäre Atonie kann also
zu bedeutenden Dilatationen führen, scheint das im übrigen aber selten
zu tun.
Bei der dritten Gruppe organischer Krankheiten, der chronischen
Gastritis, besteht, wie von Kemp näher auseinandergesetzt, kein Grund,
eine Stenose zu vermuten. Die Motilitätsschwäche, die wir hier sehen,
muss als eine Atonie aufgefasst werden, die auch die Benennung sekundäre
Atonie verdient, da sie als eine Folge eines Schleimhautleidens aufzu¬
fassen ist, ohne dass wir im übrigen hier so wenig wie beim Ulkus im¬
stande sind, die Pathogenese genauer anzugeben.
Bei unserem Material zeigte sich das Verhalten in folgender Weise:
5 Std.-Ret. 6 Std.-Ret. 8 Std.-Ret. 12 Std.-Ret. Im ganzen
Gastritis. 22 13 10 3 48
Wie bei der Ulkusatonie sind es die leichteren Grade, die dominieren,
da fast die Hälfte nur 5 Stunden-Retention, also eine ganz leichte Ver¬
zögerung hatte. Besonderes Interesse haben die 3 Fälle von 12 Stunden-
Retention bei chronischer Gastritis, weil sie, wie Kemp betont hat, die
Möglichkeit einer kontinuierlichen Retention zeigen, also Insuffizienz
2. Grades ohne Stenose, nur infolge chronischer Atonie. Wir haben be¬
reits einen Fall subakuter Atonie mit kontinuierlicher Retention bei einem
Patienten mit Achylie näher besprochen. In den chronischen Fällen war
der Allgemeinzustand weniger angegriffen und die Gastritis mit Achylie
deutlicher eine direkte Ursache der sekundären starken Atonie.
Ausser diesen organischen Magenkrankheiten finden sich in unserem
Material 259 andere Patienten mit chronischer Dyspepsie. Hierunter
finden sich 70 Kranke mit sogenannter Gastroptose. Wie in einer
früheren Abhandlung betont, verlangen wir in unserer Klinik zur Stellung
der Diagnose, dass eine am Kranken im Stehen nach dem Genuss der
Riederschcn Wisrautmahlzeit (300—400 g Grütze mit 40 g kohlens. Wismut)
vorgenommene Röntgenaufnahme den horizontalen Abschnitt der kleinen
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Kurvatur des Magens in der Höhe oder unter dem Nabel und den Cristae
ilei zeigt.
Die Untersuchung dieser 259 Patienten mit der modifizierten Bourget-
schen Mahlzeit ergab folgendes Resultat:
Dyspepsie 189; verzögerte Entleerung bei 58 = 31 pCt.
Gastroptose 70; „ „ „ 45 = 64 „
im ganzen 259; verzögerte Entleerung bei 103 = 40 pCt.
Der Grad der motorischen Insuffizienz war folgender:
5 Std.-Ret. 6 Std.-Ret. 8 Std.-Ret. 12 Std.-Ret. im ganzen
Dyspepsie 49 6 3 0 58
Gastroptose 25 13 7 0 45
74 19 10 0 103
In diesen Fällen können wir ganz von einer Stenose als Ursache
der verzögerten Entleerung absehen. Wir haben eine atonische Insuffizienz,
und da wir eine organische Krankheit im Magen als Ursache hierfür
nicht diagnostizieren können, können wir sie als primäre Atonie,
primäre atonische Insuffizienz bezeichnen oder als Atonia siraplex,
einfache Atonie. Wir rechnen vorläufig auch die Gastroptose zu dieser
Gruppe, da wir die weit verbreitete Anschauung von dem intimen Zu¬
sammenhang kennen, der zwischen Atonie und Gastroptose besteht;
davon später.
Im Gegensatz zu der sekundären Atonie handelt es sich bei der
primären immer um niedere Grade von Atonie, keine Retention reichte
an 12 Stunden heran und es war überwiegend nur leichte Atonie von
5 Stunden, die sich vorfand. Nur bei den sogenannten Gastroptosen
zeigte eine grosse Zahl (20 von 45) eine Retention von 6 oder 8 Stunden 1 ).
Bei den Atonien ohne Gastroptose fand sich nur bei 9 von 58 eine
Retention über 5 Stunden.
Ein weiteres Sondergepräge hatten diese primären Atonien dadurch,
dass sie so überwiegend sich bei Frauen fanden. Bei den organischen
Magenkrankheiten werden Männer und Frauen ungefähr gleich häufig an¬
gegriffen, und die Entleerungsverzögerung findet sich hier in eben solchem
Prozentsatz bei den befallenen Männern wie Frauen, ja, wenn man alle
Gruppen zusammenlegt, bekommt man die Entleerungsverzögerung akkurat
bei 66 pCt. Männern und bei 66 pCt. Frauen.
Anders bei der funktionellen Dyspepsie. Zunächst trifft man sie
weit häufiger bei Frauen als bei Männern, und von den befallenen Frauen
1) Bei einer im November 1911 vorgenommenen Aufstellung sind die unter¬
suchten Gastroptose-Fälle der Klinik aui 85 gestiegen; dabei haben sieb folgende
Motilitätsverhältnisse ergeben:
Normale Entleerung 5 Std.-Ret. 6 Std.-Ret. 8 Std.-Ret. 12Std.-Rot. im ganzen
Gastroptose 27 32 16 10 0 85
Verzögerte Entleerung fand sich also bei 58 von 85 oder bei 68,2 pCt.
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zeigt wieder ein weit grösserer Prozentsatz verzögerte Entleerung als bei
den Männern zu finden ist. Wir finden dasselbe bei Dyspepsie mit
Gastroptose wie bei Dyspepsie ohne Gastroptose.
Die Zahlen ersieht man aus folgender Tabelle:
Krankheit
Anzahl
Hiervon
M. Fr.
Verzögerte Entleerung
M. Fr.
pCt.
M. Fr.
1. Cancer v.
. 29
23
6
21
6
91 —
2. Ulcus v. .
. 88
40
48
31
38
78 79
3. Ulcus v.? .
. 37
18
19
10
10
55 53
4. Gastr. ehr.
. 94
39
55
17
31
44 56
1+2+3+5
248
120
128
79
85
66 66
5. Dyspepsie
. 189
70
119
12
46
17 39
6. Gastropt.
. 70
5
65
2
43
66
5+6
259
75
184
14
89
19 48
Es ist natürlich möglich, dass unter den 103 primären Atonien sich
einzelne Ulcera oder beginnende Gastritiden verbergen können, aber das
kann nur bei ganz wenigen von ihnen der Fall sein. In der grossen
Mehrzahl der Fälle handelt es sich um eine motorische Schwäche ohne
anatomische Veränderungen der Magenwand. Die Vorstellungen, die man
früher von einem ev. Leiden der Magenmuskulatur selbst hatte, sind
niemals durch anatomischen Befund bestätigt worden. Wir stehen einem
funktionellen Leiden des Magens gegenüber und müssen zu allernächst
an das Nervensystem denken, das die Bewegungen des Magens reguliert.
Eine Atonie bedeutet ja in Wirklichkeit eine Parese der Magenmuskulatur.
Was die 58 Fälle betrifft, wo der Magen von natürlicher Grösse und
Form war, so wird das kaum Widerspruch erregen, aber inbezug auf die
45 Fälle mit Gastroptose könnte man anführen, dass wir in dieser
Deformität die Ursache der verzögerten Entleerung suchen müssen.
Wenn man die Anschauung akzeptiert, die im nächsten Abschnitt zur
Geltung gebracht werden wird, dass die Gastroptose das Resultat einer
Schwächung der Magenmuskulatur mit daraus folgender Längendilatation
ist, so braucht man diese Fälle nicht von den anderen Fällen primärer
funktioneller atonischer Insuffizienz zu trennen, es ist aber für die folgenden
Betrachtungen über das Entstehen der Atonie im übrigen ohne Bedeutung,
ob man die Gastroptose-Fälle mitrechnet oder sich allein an die primären
Atonien ohne Verlängerung des Magens hält.
Wenn wir nach der Ursache dieser chronischen primären atonischcn
Insuffizienz fragen, so ist es naheliegend, zuerst den Zusammenhang mit
der früher besprochenen akuten zu suchen und zu sehen, ob dieselben
Ursachen, die man da aufgestellt hat, sich hier wiederfinden lassen. Die
akute Atonie muss ja als eine primäre Atonie bezeichnet werden.
Als erstes ursächliches Moment müssen wir da die Nahrungs¬
überfüllung untersuchen, namentlich das schnelle und starke Essen ohne
genügendes Kauen. Lange Zeit hindurch hat man ja diese Art des
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Atonia ventriculi.
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Essens als sehr schädlich für den Magen angeschuldigt, aber es liegen
nur wenige Versuche vor, die das konstatieren. Was die Motilität betrifft,
so kann ich nur eine von Jaquet u. Debat vorgenommene Unter¬
suchung nennen, die durch Röntgen-Untersuchung zu zeigen versuchten,
dass die „Tachyphagie“ grössere Ausdehnung und spätere Entleerung
des Magens bewirkte als die sorgfältige Mundvorbereitung und das Kauen.
Sie verglichen das Schicksal einer Probemahlzeit, je nachdem 12 oder
45 Min. zum Zerkauen und Hinunterschlucken gebraucht waren. Die
Resultate waren jedoch wenig prägnant.
Um die Bedeutung der Tachyphagie näher zu beleuchten, habe ich
Dr. Hallas veranlasst, eine Untersuchung bei Idioten vorzunehmen, bei
denen man ja so häufig ein Hinunterschlingen der Nahrung in besonders
ausgesprochenem Grad sieht. Hallas hat in der Hospitalstidende seine
Untersuchungen mitgeteilt, die das interessante Resultat ergaben, dass er
bei diesen „Fressern“ fast konstant abnorme Verhältnisse im Magen fand.
Bei fast der Hälfte der Untersuchten, nämlich bei 14 von 32, fand er
mehr oder weniger stark herabgesetzte Motilität, doch nicht über 8 Stunden-
Retention und diese nur in 2 Fällen. Die Ursache der Motilitäts-
schwächung muss hier wohl mit Recht in der ausserordentlichen
Schnelligkeit gesucht werden, womit das Essen heruntergeschluckt wird,
so dass der Magen sich plötzlich mit der ganzen Mahlzeit füllt; geringere
Bedeutung hatte hier die Art der Mahlzeit, denn in der Anstalt wurde
diesen Kranken immer Grütze oder gehacktes Fleisch gegeben, das die
Idioten jedoch oft durch Hemdfetzen, Holzstückchen u. dgl. verunreinigten.
Hiernach ist es einleuchtend, dass auch bei Geistesgesunden eine
schlechte Gewohnheit im Hinunterschlingen des Essens dazu beitragen
kann, die motorische Fähigkeit des Magens zu schwächen, namentlich
wenn sie aus anderen Gründen gegen solchen Insult wenig widerstands¬
fähig sind. Welche Rolle als Ursache der Motilitätsschwächung die
Tachyphagie spielt, ist jedoch schwierig zu entscheiden. Als einziges
Moment scheint sie in meinem Material keine grosse Bedeutung zu haben,
da man sie namentlich bei Männern zu treffen erwarten muss, die in der
Regel mehr und mit weniger Ruhe essen als Frauen, und doch sind es
gerade diese, die in unserem Material dominieren. Dahingegen kann das
Hinunterschlingen der Speisen bei dazu im übrigen disponierten Individuen
natürlich ein mitwirkendes Moment bei der Entwicklung der Entleerungs¬
verzögerung sein.
Wie die Motilität sich bei akuten Krankheiten verhält, hatte ich
nicht Gelegenheit zu untersuchen. Das untersuchte Material besteht nur
aus chronischen Dyspeptikern ohne andere hervortretende Krankheiten.
Auch bei den chronischen Krankheiten ist die Sache nicht untersucht,
ausgenommen in einzelnen Fällen mit ausgesprochen komplizierender
Dyspepsie. Im übrigen ist es eine wohlbekannte Sache, dass chronischfe
Dyspepsie mit Atonie und Dilatation sich häufig bei Phthisikern findet.
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14
K. FABER,
Da wir auch von den Narkosen absehen müssen, finden wir wenig
Uebereinstimmung zwischen den Ursachen für die akute und die chro¬
nische atonische Insuffizienz. Eine häufige Ursache der chronischen
Atonie scheint man in einem allgemeinen Schwächezustand bei den
Patienten suchen zu müssen, namentlich wenn er mit einer chronischen
Unterernährung verbunden ist. Es ist vor allem die französische Schule,
Debove und besonders Mathieu, die dieses Moment betont haben.
Patienten mit chronischer Dyspepsie sind in der Regel abgemagert,
wiegen bedeutend unter der Norm und haben im Verlauf ihrer Krankheit
viele Pfund abgenommen, oft im Laufe kurzer Zeit. Der Grund ist
naheliegend. Selbst mit leichten Verdauungsstörungen ist oft ein grosser
Appetitmangel oder Schmerzen und Kardialgio nach dem Essen, eventuell
Uebelkeit und Erbrechen verbunden. Bei einigen nimmt der Appetit¬
mangel den Charakter einer kompletten nervösen Anorexie an mit Unter¬
mischung psychischer Momente. Sehr oft beginnt der krankhafte Zustand
mit einer Obstipation, woran sich dyspeptischo Symptome anschliessen,
nämlich wenn die Obstipation mit Abführmitteln behandelt wird. Der
Dyspepsie folgt so eine stärkere oder geringere Anorexie und Abmagerung
und unter solchen Verhältnissen scheint die Atonie sich besonders leicht
zu entwickeln. Bei anderen Kranken sind die Magensymptome von der
Obstipation unabhängig, führen aber gleichwohl zu Unterernährung. Es
kommt hierdurch wie so oft in der Magenpathologie zu einem Circulus
vitiosus. Dyspepsie und Obstipation machten Unterernährung und Atonie,
die ihrerseits wieder Dyspepsie und eingeschränkte Ernährung bewirken
usw. Eine primäre atonische Insuffizienz sieht man jedoch keineswegs
ausschliesslich unter diesen Verhältnissen. Auch bei normal ernährten
Individuen kann man ausgeprägte Fälle antreffen.
Die leichte Entleerungsverzögerung, um die es sich bei diesen pri¬
mären Atonien in der Regel handelt, kann man sich schwer als direkten
Anlass zu schweren Symptomen denken, sie sind vielmehr zunächst als
ein Zeichen von Schwäche aufzufassen, als ein paretisches Phänomen,
also natürlich als ein Zeichen eines Leidens des Nervensystems, und
diese Kranken haben auch im allgemeinen viele nervöse Symptome
ausser den rein dyspeptischen. Dass die atonische Insuffizienz wirklich
ein zentrales Phänomen in der Krankheit des Patienten ist, darauf
deutet, dass sie bei Besserung und Heilung der Krankheit schwindet.
Die Motilitätsschwäche ist nämlich in hohem Masse der Behandlung zu¬
gänglich und zwar sowohl wenn sie auf einem organischen Magenleiden,
als auch wenn sie auf einer primären funktionellen Atonie beruht. Um
dies zu untersuchen, haben wir bei einem Teil unseres Materials moto¬
rische Prüfungen des Magens vorgenommen, wenn die Pat. entlassen
werden sollten, doch nicht so häufig, wie es wünschenswert gewesen
•wäre, da es für die Pat. unangenehm war, sich auf diese Weise unter¬
suchen lassen zu sollen, wenn sic sich gesund fühlten. Im ganzen
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Atonia ventriculi.
i
15
wurden diese Untersuchungen an 52 Pat. vorgenommen, von denen
15 Ulcus ventriculi, 7 Gastritis mit Achylie, 18 einfache Atonie und 12
Gastroptose mit Atonie hatten.
Bei den 15 Pat. mit Ulkus ergab sich, dass die Motilität, die bei
allen bei der Aufnahme herabgesetzt war, nach der Kur ganz normal
geworden war mit vollständiger Entleerung im Verlauf von 5 Stunden
bei 10 und bedeutend gebessert bei 4, die noch 5 und 6 Stunden-
Retention bei der Entlassung zeigten. Nur bei 1 war keine Besserung
der Motilität eingetreten. Die Motilität, die sich bei der Aufnahme fand,
war bei der Mehrzahl gering, erreichte aber bei anderen 6 und 8 Stunden-,
ja bei zwei 12 Stunden-Retention, selbst wenn sie nicht beträchtlich war
(8 und 15 ccm). Auch diese 12 Stunden-Retentionen schwanden, so
dass der eine bei der Entleerung in weniger als 5, der andere in weniger
als 6 Stunden seinen Magen entleerte und sich beide dabei geheilt fühlten.
Bei den 7 Patienten mit Achylie war das Verhältnis weniger günstig,
da sich die Motilität bei vieren nicht besserte, während drei bedeutende
Besserung der Motilität mit gleichzeitiger Besserung des Allgemein¬
zustands aufwiesen.
Bei 17 Patienten mit einfacher Atonie ohne organisches Leiden war
mit 3 Ausnahmen die Motilität bei der Entlassung in allen Fällen normal
geworden mit leerem Magen nach 5 Stunden (bei 10), oder mit nur ganz
geringem Inhalt zu dieser Zeit (bei 4) im Gegensatz zu dem Verhalten
bei der Aufnahme. Die Besserung in der Motilität ging auch hier gleich¬
zeitig mit Besserung im Allgemeinbefinden und in den dyspeptischcn
Symptomen einher.
Bei 12 Patienten fand sich Gastroptose und verzögerte Entleerung
5, 6 oder 8 Stunden-Retention. Bei der Entlassung war die Motilität
normal bei 7 und gebessert bei 2, dagegen nicht gebessert bei den
Testierenden 3. Gleichzeitig mit der Besserung der Motilität war auch
der Aligemeinzustand und die dyspeptischen Symptome gebessert oder
geschwunden.
Die Behandlung, die die Motilitätsschwäche zum Schwinden gebracht
hat, bestand bei den organischen Krankheiten in der gewöhnlichen kur-
roässigen Therapie und vermutlich war es oft gerade die erstrebte Heilung
des Ulkus, die die Heilung der Atonie bewirkte. Gleichzeitig besserte
sich der Allgemeinzustand und der Ernährungszustand durch die Be¬
handlung. Bei der einfachen primären Atonie hat die Behandlung
namentlich auf 2 Dinge Rücksicht genommen, den Magen durch eine
leicht verdauliche Kost zu schonen und den Allgeroeinzustand der Kranken
durch Ueberernährung in die Höhe zu bringen, die sie gehörig an Gewicht
zunehmen liess, wenn sie abgemagert waren. Ferner eine planmässige
antineurasthenische Behandlung mit Hydrotherapie, eventuell Freiluftkur,
Beseitigung der Obstipation, Insomnie usw.
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16
K. FABER
Die »tonische Dilatation.
Wenn wir nunmehr zur Frage der atonischen Dilatation übergehen,
wollen wir zunächst die akute Dilatation betrachten. In ihren schwersten
Graden ist die akute atonische Dilatation, wie früher erwähnt, manchmal
durch einen Verschluss des Duodenums kompliziert, so dass die Dilatation
in diesen Fällen teilweise auf einer Stenose beruht, aber der Verschluss
tritt wahrscheinlich als Folge der Dilatation ein, die Atonie ist das
Primäre. Wenn man untersucht, welche Form der Magen unter diesen
Verhältnissen annimmt, so stimmen die Beobachtungen und Beschreibungen
Abb. 1
Nach Hilton Faggc.
seines Aussehens ziemlich überein. Er ist in den ausgesprochenen Fällen
so stark ausgedehnt, dass er fast den ganzen Unterleib einnimmt. Wir
finden zunächst eine starke Verlängerung der grossen Kurvatur. Während
Kardia und Fornix ventriculi an ihrer Stelle unter dem Diaphragma liegen
oder dieses etwas nach oben schieben, reicht die grosse Kurvatur fast
ganz bis zur Symphyse und steigt wieder rechts zum Pylorus hinauf;
aber auch die kleine Kurvatur ist häufig verlängert, so dass sie die
Mittellinie unterhalb des Pylorus schneidet. Am klarsten kommt das
vielleicht in Riedels Beschreibung zum Ausdruck: „Zwei gewaltig arm¬
dicke Schläuche liegen neben einander, von der Kardia geht der links¬
seitige bis zum Lig. Poupartii sinistrum herunter um dort unter spitzem
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Atonia ventriculi.
17
Winkel in den rechtsseitigen überzugehen, der fast in sagittalcr Richtung
nach oben zum Pylorus verläuft; zwischen beiden liegt in extremer Weise
angepasst das kleine Netz.“ In anderen Fällen ist überwiegend der
herabsteigende linksseitige Magenabschnitt ausgedehnt, aber auch der
aufsteigende rechte Teil ist in den Abbildungen fast immer stark aus¬
gedehnt. Die beigefügte Abbildung stammt aus Hilton Fagges Ab¬
handlung in Guy’s Hospitals Report 1873 und zeigt das gewöhnliche
Aussehen eines solchen ausgedehnten Magens. Es geht also aus den
Beschreibungen und Bildern hervor, dass sich nicht nur eine quere Aus¬
dehnung des Magens findet, sondern zugleich eine Verlängerung des
Magens, indem beide Kurvaturen weit längere und tiefer gehende Schlingen
als normal bilden. Riedel stellt gleichzeitig fest, dass eine solche
mächtige Dilatation im Laufe von 24—48 Stunden bei Kranken ent¬
stehen kann, deren Magen wenige Tago vorher sich bei der Operation
als von ganz normaler Grösse erwiesen hat. Der unterste Aufhänge¬
punkt der Magenschlinge an der ersten Dünndarmkrümmung giebt nicht
nach, wenn er nicht vorher gelockert ist, dagegen ist das Lig. hepatico-
gastr. minus nicht imstande, ein ernstes Hindernis zu bilden. Nicht in
allen Fällen erreicht die Ausdehnung so hohe Grade, aber in den letal
endenden scheint es sehr oft der Fall zu sein. So reichte in dem von
Prof. Schaldemose mitgeteilten Fall die grosse Kurvatur bis ganz zur
Symphyse, während die kleine unter dem Nabel lag. Gleichzeitig mit
dem Schwinden der Atonie sieht man den Magen wieder kleiner werden,
und in den geheilten Fällen hat man konstatiert, dass der Magen wieder
normale Grösse und Form annahm.
In Wirklichkeit geht die starke Ausdehnung und Dilatation bei der
akuton Atonie in derselben Weise vor sich wie die normale Ausdehnung
eines Magens, der sich füllt, nur natürlich in weit grösseren Dimensionen.
Die Anatomen His und Froriep haben Untersuchungen an frisch
gefrorenen Leichen von Hingerichteten angestellt. Sie kommen zu dem
Resultat, dass der normale Magen, wenn er ganz leer ist, zu einem
darmähnlichen Rohr kontrahiert ist, das jedenfalls bei Männern von der
Kardia zum Pylorus und Duodenum gleichmässig herabsteigt und an
dem der oberste Teil des Magens, der Fundus in dor alten Bedeutung,
eine luftgefüllte kleinere Vorwölbung bildet. Wenn der Magen sich füllt,
nimmt er allmählich mehr und mehr Hufeisen- oder U-Form an. Das
bedeutet, dass der Magen sich normalerweise bei der Füllung nicht nur
in der Quere erweitert, sondern sich auch verlängert, dass speziell auch
die kleine Kurvatur sich bei der Füllung verlängert. Diese Ausdehnung
in der Länge und Quere erreicht bei der akuten Dilatation ihre maximale
Entwicklung.
Die chronische atonische Dilatation war früher als gesicherte
Krankheit anerkannt, aber ist dann wieder eine Zeitlang mit Skepsis
aufgenommen worden. Eins der ältesten bekannten Beispiele ist
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd H. 1 u. 2. o
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K. FABER,
Andrals Obs. 7 in seiner Clinique medicale, Bd. II. Boi einem jungen
Mädchen, das unter starker Abmagerung starb nach l 1 /« jährigem Leiden
an chronischer Dyspepsie mit ständigem Erbrechen, fand er den Magen
bis zur Symphyse herabreichen und den grössten Teil des Abdomens
ausfüllen, ohne dass eine Stenose oder Ulkus im Magen oder andere
bedeutende anatomische Veränderungen in den Organen bestanden. Be¬
kanntlich räumte Bouchard der Magcndilatation später einen sehr
grossen Platz in seiner Pathologie ein und diagnostizierte sie, wenn der
Magen nach einer massigen Mahlzeit unter eine Linio vom Urabilikus
zur Spitze der 11. Rippe reichte. Bouchards Lehre, die eine Zeit in
Frankreich florierte, wurde zum Teil von Glenards Enteroptoselehre
abgelöst. Neben einer grossen Zahl guter Beobachtungen brachte
Glönard jedoch auch mit seiner Lehre von der Gastroptose eine
grosse Verwirrung in die Frage hinein. Er machte die Entdeckung,
dass die grosse Kurvatur nicht nur tiefer als normal hinabreichte, wie
Bouchard das beobachtet hatte, sondern dass auch die kleine Kurvatur
abnorm niedrig lag. Es handelte sich daher nach ihm nicht um eine
Dilatation, sondern um eine Ptose. Dieses Raisonnement ist jedoch
nicht ohne weiteres zulässig, denn wenn beide Magenkurvaturen ver¬
längert sind, wenn mit anderen Worten sich eine Längendilatation des
Magens findet, so muss die kleine Kurvatur länger als normal hinab¬
reichen. Wir sahen auch, dass das bei der akuten Dilatation eintreten
konnte.
In der Tat findet sich in den Fällen, die man im allgemeinen als
Gastroptose bezeichnet, eine Verlängerung des Magens. Ich habe dieses
früher hervorgehoben, wie andere vor mir. Wenn das Röntgenbild des
Magens bei Weibern gewöhnlich eine Länge von 20—24 cm hat, er¬
reichen die „ptotischen“ Mägen oft bis 30 cm, ja ich habe eine Magen¬
länge von 37 cm bei einer mittelgrossen Dame gemessen.
Auf der beifolgenden Abbildung sieht man 3 Mägen nach der
Natur gezeichnet. Sie sind mit Röntgenstrahlen unmittelbar nach einer
aus ca. 400 g Wismutbrei bestehenden Mahlzeit beobachtet. Wenn man
den Nabel als Vergleichspunkt nimmt, so sieht man bei ihnen allen den
obersten Magenabschnitt fast in gleicher Höhe etwas unter der Zwerch¬
fellkuppel liegen. Der Pylorusabschnitt reicht dagegen ungleich tief
herab. Bei dem am meisten links gelegenen Magen reicht die grosse
Kurvatur nicht bis zum Nabel herab; jeder wird diese Magenform für
normal halten. Beim nächsten sieht man die grosse Kurvatur unter
dem Nabel, die kleine über ihm. Diese Grösse findet sich sehr häufig
und kann meiner Erfahrung nach nicht für abnorm gehalten werden.
Ich habe solche Mägen bei einer Reihe von sehr gesunden und kräftig
entwickelten Turnlehrerinnen und anderen sporttreibenden jungen Damen
gefunden, die nimmer Korset getragen haben und nimmer krank gewesen
sind, speziell keine Asthenie jemals gezeigt haben.
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Atonia ventriculi.
19
Dagegen zeigt das am weitesten rechts befindliche Bild, wie der
Magen bedeutend tiefer hinabreicht'; die grosso Kurvatur reicht gegen
die Symphyse heran und die kleine schneidet die Mittellinie unter dem
Nabel. In solchen Fällen spricht man von Gastroptose.
Man wird ohne weiteres einsehen, dass der Name schlecht passt.
Der Magen reicht tiefer in den Leib hinab, aber seine obere Grenze ist
an normaler Stelle. Er ist verlängert, aber man kann nicht sagen,
dass er seinen Platz verändert hat, wie z. B. eine Wanderniere. Hierin
kann sicherlich allgemeine Uebereinstimmung angenommen werden, aber
man kann natürlich den Namen Gastroptose weiter behalten, der nun
einmal Geltung bekommen hat, wenn man nur an der hier gegebenen
Erklärung festhält; man kann ja nicht leugnen, dass der unterste
Magenabschnitt weiter unten im Leib liegt als normal, also insoweit
„ptotisch“ ist.
Abb. 2.
Gleichzeitig mit der Verlängerung des Magens findet sich in der
grossen Anzahl der Fälle eine niedrigere Lage des Pylorus, eine
Pyloroptose; der Magen bewahrt auf eine Weise seine Form an der
Stelle, wo die Passage der Nahrung aus dem Magen heraus vor sich
geht. Damit dies geschehen kann, muss entweder der erste Teil des
Duodenums verlängert oder das ganzo Duodenum zusammen mit dem
Pylorus nach abwärts gesunken sein. Dass letzteres jedenfalls sehr oft
der Fall ist, hat namentlich Blad gezeigt, ln anderen selteneren Fällen
ist der Pylorus nur wenig nach abwärts gesunken, und der verlängerte
Magen bildet dann einen Bogen nach abwärts unter den Nabel und
steigt wieder zum Pylorus hinauf, der wie gewöhnlich über diesem liegt.
Die Frage ist nun, kann man diese Verlängerung des Magens als
2 *
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20
K. FABER,
eine Dilatation bezeichnen. Man war früher dazu geneigt, aber die
moderne Atonielehre hat, namentlich auf Grund der Röntgenuntersuchungen,
diesen Gesichtspunkt in Misskredit gebracht. Die Frage verdient jedoch
erneute Ueberlegung. Man übersieht in seinen Raisonncments in der
Regel die erwähnte Längenvermehrung und hält sich besonders an die
veränderte Form und die abnorme Verteilung des Inhalts, die man bei
diesen Mägen trifft, namentlich bei der Durchleuchtung in stehender
Stellung. So wie der verlängerte Magen auf Fig. 2 abgebildet ist, sieht
man ihn nur unmittelbar nach der Einnahmo des Wismutbreis. 5 bis
10 Minuten später ist der Wismutbrei in den tiefsten Teil des Magens
unter den Umbilikus herabgesunken. Dieser Teil des Magens wird aus¬
geweitet, während der oberste Abschnitt sich, nachdem er leer geworden,
wieder kontrahiert. Man bekommt das übliche Bild eines atonischen
Magens und meist entsteht dies Bild sofort nach der Einnahme des
Breis, so dass cs niemals gelingt, den Magen mit Wismutbrei in seiner
ganzen Länge gefüllt zu sehen.
Schon vor der Zeit der Röntgenuntersuchungen hat man dasselbe
bei Operationen und Sektionen gesehen, ja es wird schon von Morgagni
ein Kranker bei der Autopsie beschrieben, bei dem Valvalva zu Leb¬
zeiten die Diagnose Gastroptoso gestellt hatte (ventriculus ad hypogastrium
prolapsus). Morgagni sah bei der Sektion den Magen bis einige Finger
breit über die Symphyse herabreichen. Sein Hauptteil lag hier unter
dem Nabel, während sein oberer Abschnitt zu einem langen, schmalen
Rohr ausgezogen war, das eine Art Fortsetzung des Oesophagus bildete.
Dies bekannte Bild erklärt man in der Regel ohne weiteres als Folge
von Muskelerschlaffung, abnormer Nachgiebigkeit, aber das ist nicht
immer berechtigt. Es muss ja allerdings darauf beruhen, dass die
Muskulatur im untersten Magenabschnitt sich nicht so stark kontrahiert,
dass der Brei sich in der ganzen Magenlänge verteilt, aber dieses kann
dadurch verursacht sein, dass abnorm grosse Anforderungen an die
vielleicht normal kräftige Muskulatur gestellt werden. Dies geschieht,
wenn die Magenstützung durch Enteroptose abnorm schwach ist,
namentlich wenn der Dünndarmstützpunkt infolge Kontraktion des
Dünndarms und tiefer Lagerung (Unterernährung, Hängebauch u. ähnl.)
fehlt. Ein energisch hebender Unterleibsgurt, z. B. der von Borgbjaerg
und Fischer benutzte Gürtel mit aufblasbarer Pelotte wird dadurch,
dass er dem Magen die nötige Stütze gibt, die atonische Form zum
Schwinden bringen, während gleichzeitig der Magen gehoben wird und
ganz dasselbe kann man durch eine tüchtige Mastkur erreichen, die das
Leibesfett und die Fülle des Dünndarms vermehrt.
Die gleiche Ansammlung aller Nahrung im untersten Magenabschnitt
muss auch stattfinden, wenn der Magen abnorm lang ist, da die Nahrung
dann höher als sonst gehoben werden muss, wenn sie sich über die
ganze Magenlänge verteilen soll, aber das wird sich natürlich namentlich
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Atonia ventriculi.
21
zeigen, wenn gleichzeitig Schwäche der Muskulatur, Atonie und Ver¬
längerung des Magens besteht, wenn eine atonische Dilatation besteht.
Man hat besonders den Unterschied zwischen der gewöhnlichen Ektasie
bei der Pylorusstenose und dem atonischen, ptotischen Magen betont und
nur der ersten den Namen Dilatation einräumen wollen. Der Unterschied
ist auf dem Röntgenbild bekanntlich sehr deutlich. Bei der Pylorus¬
stenose ist der Magen in der Querrichtung dilatiert, reicht nicht viel tiefer
als gewöhnlich herab; nach einer sehr heftigen Peristaltik sieht man den
Wismutbrei als breiten Halbmond mit nach oben horizontaler Abgrenzung.
Der Magen ist nach oben nicht zu der gewöhnlichen schmalen Partie
kontrahiert, sondern ist stark in der Breite vermehrt. Die Ursache ist
in der starken Hypertrophie der Muskulatur zu suchen. Die Dilatation ent¬
steht, weil die Muskulatur trotz ihrer Hypertrophie den Widerstand am
Pylorus nicht überwinden kann; aber die Wirkung, die die Schwere auf
den Magen hat, überwindet sie leicht, ja leichter als ein normaler, nicht
hypertrophischer Magen. Dagegen ist die Schwere der Hauptfaktor bei
der Entstehung der atonischen Dilatation. Die Muskulatur kann hier dem
Einfluss der Schwere nicht genügend entgegenwirken. Diese bewirkt Längen¬
vermehrung, die sowohl die kleine wie die grosse Kurvatur einnimmt,
und diese Längenverraehrung geht nicht zurück, wenn der Magen leer ist.
Deshalb ist man berechtigt, von einer andauernden Dilatation zu reden.
Im Gegensatz zu den Stenosen-Mägen ist der atonisch dilatierte Magen
jedoch andauernd imstande, sich um seinen Inhalt in Querrichtung zu
kontrahieren. Daher bekommen wir den obersten Teil des Magens unter¬
halb der Luftblase zu einem schmalen Rohr kontrahiert und unten den
erweiterten Teil mit Nahrungsinhalt. Bei der zur Zeit etwas zu gering
geschätzten Untersuchung mit Lufteinblasung wird der Magen dagegen
gleichmässig in seiner ganzen Ausdehnung gefüllt. Das Bild ist zunächst
natürlicher und der Magen zeigt sich hierbei in grösseren Dimensionen
als normal sowohl in der Länge als in der Breite. Man kann das am
. besten durch Röntgendurchleuchtung des lichtgefüllten Magens konstatieren.
Man kann chronisch dilatierte Mägen Anden, die bei der Wismutmablzeit
sich als lange, schmale, atonische Mägen präsentieren, aber bei Füllung
mit Luft ähneln sie akut dilatierten Mägen in Form und Grösse. Man
ist daher kaum berechtigt, zu leugnen, dass diese Mägen Sitz einer
chronischen Dilatation sind, selbst wenn ein Wesensunterschied bei dieser
atonischen Dilatation und bei der mit Hypertrophie der Muskulatur ver¬
bundenen Dilatation bei Stenosis pylori besteht.
Die chronische atonische Dilatation ist sehr oft mit einer chronisch-
atonischen Insuffizienz verbunden, aber diese beiden Phänomene folgen
keineswegs einander. Unter 85 Fällen, wo die Diagnose Gastroptose,
also Magenverlängerung, gestellt war, fand sich eine verzögerte Entleerung,
eine atonische Insuffizienz bei 58, also bei 68,2 pCt., und in der Regel
heilte diese EntleerungsVerzögerung recht schnell, ohne dass die Ver-
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22
K. FABER, Atonia ventriculi.
längerung des Magens dadurch verschwand und ohne dass die Lagerangs¬
verhältnisse der Nahrung im Magen deshalb das für die Atonie als
charakteristisch angesehene Aussehen verloren.
Ein Beitrag zum Verständnis dieses Unterschieds im Auftreten dieser
beiden Phänomene bekommt man, wenn man überlegt, dass sie nicht
ohne weiteres 2 Seiten derselben Muskelschwäche repräsentieren, sondern
in Wirklichkeit wohl von 2 verschiedenen Magenabschnitten herrühren
müssen. Die Verlängerung des Magens beruht auf einer Schwäche, Nach¬
giebigkeit der Muskulatur in Korpus und Fundus, während die Leerung
des Magens zunächst auf der Wirkung des Pylorusabschnitts beruht, die
motorische Insuffizienz also am ehesten auf einer Schwäche der Musku¬
latur des Pylorusabschnitts oder richtiger seiner Innervation.
Dass diese beiden Resultate einer Atonie so gewöhnlich sich bei den¬
selben Individuen finden, ist verständlich, denn man muss annehmen, dass
eine genaue Verbindung zwischen der Peristaltik im Korpus und im
Antram besteht. Beide Formen von Atonie scheinen ja von denselben
ursächlichen Momenten hervorgerufen zu werden und sie werden beide
durch dieselbe Behandlung günstig beeinflusst, nämlich eine roborierende,
mästende, physikalisch diätetische Kur.
Literatur.
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asthenische Konstitutionskrankheit. Stuttgart 1907. — 29) Traube, M., Gesammelte
Beiträge z. Path. u. Physiol. II. 988.
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II.
Aus der medizinischen Universitätsklinik in Zürich
(Direktor: Prof. Dr. Herrn. Eichhorst).
Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse bei einem
Fall von Milzexstirpation.
(Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis des Eisenstoffwechsels.)
Von
Dr. O. Roth,
Sekundar&rzt der Klinik.
(Hierzu Tafel I.)
In letzter Zeit hatten wir an der Züricher Klinik Gelegenheit, einen
Patienten zu beobachten, der eine bis dahin in der Literatur kaum be¬
kannte Veränderung der roten Blutkörperchen aufwies. Da die Kranken¬
geschichte dos Patienten auch sonst noch in mehrfacher Hinsicht grösseres
Interesse darbietet, möchte ich dieselbe vorerst kurz anführen:
Es handelt sich um einen 26jährigen Mann, der wegen epileptischer Anfälle die
Klinik aufsuchte.
Anamnese: Grossvater väterlicherseits und Vater litten an Milzgeschwulst und
Gelbsucht. Letzterer ist wegen seines Leidens im Jahre 1883 eine Zeitlang im hiesigen
Spital behandelt worden. Die damalige Krankengeschichte ist leider nicht allzu
genau geführt, immerhin lässt sich daraus mit Sicherheit entnehmen, dass Patient als
Hauptsymptome Anämie, Ikterus und Milztumor aufwies; eine bestimmte Diagnose
wurde damals nicht gestellt.
1899 starb der Vater in einem Krankenasyl, woselbst auch die Sektion vor¬
genommen wurde, die als hauptsächlichste Veränderungen stark vergrösserte Leber,
mächtigen Milztumor (vom Obduzenten als leukämisch aufgefasst) und arteriosklero¬
tische Aortenstenose ergab.
Drei Geschwister des Pat. leben und sind, nach seiner Angabe, völlig gesund.
(Leider hatte ich nie Gelegenheit, eines derselben zur Untersuchung zu bekommen.)
Bei unserem Pat. selbst fiel schon beinahe von der Geburt an die gelbliche Haut¬
farbe auf, auch sei schon sehr früh durch den Hausarzt eine Vergrösserung der Milz
gefunden worden. Die Gelbsucht war bald schwächer, bald stärker ausgeprägt.
Immerhin konnte Pat. ziemlich beschwerdefrei die Schule besuchen und später seiner
Arbeit als Kaufmann nachgehen. Von Zeit zu Zeit jedoch, ca. 10 mal im Jahr, habe
er Schmerzanfälle in der Milzgegend gehabt; während derselben sei der Ikterus
immer am stärksten gewesen, hior und da sei dabei auch Fieber aufgetreten. Im
Alter von 21 Jahren begab sich Pat. nach New York. Während seines Aufenthaltes
in Amerika seien aber die Schmerzanfälle in der Milzgegend so heftig geworden wie
noch nie. Meist seien sic von hohem Fieber und intensivster Gelbsucht begleitet ge¬
wesen. Er liess sich deshalb ins German Hospital aufnehmen und daselbst wurde
ihm die Milz exstirpiert. Laut brieflicher Mitteilung lautete die damalige Diagnose:
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0. ROTH,
„Splenic Anaemia“ und wurde die Exstirpation am 16. Dezember 1900 vorgenommen.
(Irgend etwas Weiteres konnte ioh leider nioht erfahren.)
Ca. '/* Jahr nach der Operation fühlte sich Pat. wieder völlig hergestellt, die
Gelbsucht war verschwunden, Schmerzanfälle in der Milzgegend zeigten sich keine
mehr. Dagegen sollen schon bald nach der Operation epileptische Anfälle aufgetreten
sein (früher will Pat. nie irgendwelche Erscheinungen von Epilepsie gehabt haben).
Da dieselben ziemlich häufig sich einstellten, konnte Pat. seine Arbeit nicht wieder
aufnehmen und kehrte deshalb in seine Heimat zurüok. Daselbst liess er sich in den
verschiedensten Anstalten wegen seiner Epilepsie behandeln, ohne jedoch seine Anfälle
bis jetzt zn verlieren.
Status praesens vom 29. 1. 12: Es handelt sich um einen ziemlich grossen
Mann von gutem Ernährungszustand, zurzeit ohne irgendwelche Beschwerden. Am
Kopf nichts Auffälliges, nur erscheinen die Skleren leicht subikterisch verfärbt. Brust¬
eingeweide ohne Besonderheiten, und auch am Abdomen war, abgesehen von einer
grossen, gut geheilten, dem linken Rippenbogen entlang verlaufenden Narbe, nichts
Auffälliges zu finden. Im Urin ausser geringem (Jrobilingehalt keine abnormen Be¬
standteile.
Unsere Bestrebungen waren nun vor allem darauf gerichtet, über
die Art der früheren „Splenic Anaemia“ ins Klare zu kommen. Denn
bekanntlich verbirgt sich gerade unter dieser Bezeichnung eine ganze
Reihe der verschiedensten Krankheitszustände. Wohl am nächsten lag
die Vermutung, es habe sich um eine hämolytische Anämie (Ictere
hemolytique) gehandelt, denn gerade diese Krankheit zeichnet sich durch
die mit Fieber verbundenen Anfälle von Ikterus, Milzschmerzen (crises
hemolytiques) sowie exquisit familiäres Auftreten aus. Dies letztere findet
sich unter den Splenomegalien fast nur noch bei der Splenomegalie type
Gaucher. Bekanntlich ist aber die Unterscheidung der hämolytischen
Anämie von anderen Splenomegalien ziemlich leicht auf Grund der Unter¬
suchung der osmotischen Resistenzfähigkeit der Erythrozyten zu treffen,
da sich ja die hämolytische Anämie durch meist hochgradige Herab¬
setzung derselben auszeichnet. Unser Patient zeigte auch wirklich bei
mehrmaliger Untersuchung stets eine deutliche Herabsetzung der osmo¬
tischen Resistenz: Beginnende Hämolyse in 0,6—0,58prozentiger NaCl-
Lösung (normal 0,48 pCt.). Damit ist wohl mit grösster Wahrscheinlich¬
keit das Bestehen resp. Ueberstehen einer hämolytischen Anämie sicher-
gestellt, die allerdings infolge der Milzexstirpation in ihren Erscheinungen
hochgradig modifiziert ist. Man könnte höchstens noch etwa daran denken,
dass eventuell die Milzexstirpation auf irgendeine Weise für die Herab¬
setzung der osmotischen Resistenz verantwortlich zu machen sei. Es ist
jedoch in der Literatur nichts davon bekannt, dass Milzexstirpation zu
Herabsetzung der osmotischen Resistenz führt. Eigene Untersuchungen bei
zwei Fällen von Milzexstirpation ergaben völlig normale Resultate. Ferner
wies Pel in einer vor kurzem erschienenen Arbeit (Deutsches Arch. f.
klin. Med. Bd. 106. S. 592) bei cntmilzten Hunden direkt eine Zu¬
nahme der Resistenz der Erythrozyten gegenüber hypotonischen Kochsalz¬
lösungen nach.
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Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse boi einem Fall von Milzexstirpation. 25
Von den weiteren Untersuchungen, die bei unserem Patienten vor¬
genommen wurden, förderte vor allem die hämatologische Untersuchung
einen höchst merkwürdigen Befund zutage. Was vorerst die allgemeinen
hämatologischen Daten anbetrifft, die in der Tabelle I zusammengestellt
sind, so orwies sich die Leukozytenzahl bei allen Untersuchungen als leicht
vermehrt. Die prozenlualischen Verhältnisse der einzelnen Leukozyten¬
formen sind ziemlich normal, einzig die Zahl der Eosinophilen ist konstant
eine etwas geringe. Hämoglobingehalt und Erythrozytenzahl sind eher
etwas vermehrt, der Färbeindex nie höher als 0,9. Mikroskopisch zeigen
die roten Blutkörperchen deutliche Anisozytose mit Vorwiegen der kleinen
Formen (woraus sich wahrscheinlich der etwas niedrige Färbeindex er¬
klärt), keino Poikilozytose; polychromatophile Erythrozyten finden sich
in allen Präparaten in mässiger Anzahl, basophil, granulierte rote Blut¬
körperchen nur ganz vereinzelt und ebenso Normoblasten (am 16. 2. z. B.
ca. 30 pro Kubikmillimeter).
Tabelle I.
Datum
o fl —
es *
W yj bo
pCt.
Erythrozyten
Färbeindex
Leukozyten
2 »
-4-3 — >
® 04
jz;
pCt.
So,
w
pCt.
I
O
'S fl
fl"
fl
pCt.
Gr. Mono-
•ö nukleäre
u. Ueber-
gangsform.
a
Ü
S
N
«M
tn
CG
pCt.
31.1. 12
100
5 668 000
0,86
8 960
57
1,4
33,3
8,1
0,2
25. 2. 12
100
5 752 000
0,85
14 400
72,2
0,5
20,5
7,0
0,8
10. 3.12
114
6 468 000
0,9
16 000
67,2*) ,
0,4
23,3
8,2
0,9
30. 5.12
104
5 044 000
0,88
11 920
87,5
0,2
9,5
2,7
0,1
*) Davon 0,1 pCt. Myelozyten.
Schon im ungefärbten Präparat fiel nun auf, dass ein grosser Teil
der Erythrozyten 1—2 runde, stark lichtbrechende Einschlüsse aufwies,
die innerhalb der Zollgrenzen etwas beweglich erschienen, allerdings nur
in geringem Grade. Die Grösse dieser Einschlüsse war recht erheblichen
Schwankungen unterworfen. Am häufigsten entsprach sie etwa der¬
jenigen eines kleinsten Kokkus, seltener betrug sie etwa Ye der Aus¬
dehnung eines Erythrozyten. Besonders deutlich liessen sich diese Ein¬
schlüsse im gefärbten Präparat nachweisen (s. Abbildung auf Tafel I).
Bei der Färbung nach Giemsa-Romanowski stellten sich die grösseren
Einschlüsse als scharf konturierte, intensiv rot sich färbende, völlig
strukturlose Gebilde dar. Es zeigten dieselben also alle Charakteristika
der sogenannten Jollykörpcr 1 ). Im allgemeinen enthielten die betreffenden
Erythrozyten je nur einen solchen Körper, höchst selten deren zwei,
die dann meist unmittelbar nebeneinander lagen. Aber nicht nur mit
der Giemsaschen Farblösung liessen sich diese Körper nachweisen;
1) Vgl. z. B. Naegeli, Blutkrankheiten, 2. Aufl.
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0. ROTH,
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auch mit May-Grünwald (blaugefärbt) sowie dem Unnaschen poly¬
chromen Methylenblau (rotgefärbt) Hessen sie sich darstellen, und zwar
mit letzterem Farbstoff sowohl bei Vitalfärbung wie nach vorausgegangener
Fixation. (Bei diesen Färbungen handelt es sich bei Giemsa und beim
Unnaschen polychromen Methylenblau wohl um die Färbung mit
Methylenazur, bei May-Grünwald mit Methylenblau.) Diese Jolly-
körper fanden sich bei unserem Falle in ungewöhnlich grosser Anzahl;
bei der Auszählung derselben am 16. 2. 12 wurden solche in ca. 20000
Erythrozyten pro Kubikmillimeter Blut festgestellt.
Ist schon dieser Reichtum an jollykörperhaltigen Erythrozyten etwas
Ungewöhnliches, so ist noch weit auffälliger, dass beinahe die Hälfte der
roten Blutkörperchen (s. Abbildung auf Tafel I) punktförmige, bei Giemsa¬
färbung blau 1 ) gefärbt» (also basophile) Granula enthielt und zwar fanden
sich gewöhnlich diese Einschlüsse in der Einzahl, viel weniger häufig
konnten zwei und nur in ggnz vereinzelten Fällen drei derselben pro
Erythrozyt nachgewiesen werden. Auch ein grosser Teil derjenigen
Erythrozyten, die einen Jollykörper aufwiesen, zeigten in ihrem Innern
ein solches Gebilde, das sich dann meist in der Nähe des orsteren be¬
findet und nur in ganz seltenen Ausnahmen ihm direkt gegen überliegt. 2 )
Beim Durchsuchen der Literatur fand ich nur in einer Mitteilung
von Schur (1) aus dem Jahre 1908 einen Blutbefund angegeben, der
wohl mit demjenigen bei meinem Patienten zu identifizieren ist. Es
handelt sich um eine Patientin mit abgelaufencm Morbus Basedowii, bei
der im Jahre 1905 wegen allgemeiner Lymphdrüsenschwellung eine
Blutuntersuchung vorgenommen wurde. In einem grossen Teil der Ery¬
throzyten fanden sich im Nativpräparat stark lichtbrechende Körperchen
von verschiedener Grösse und zwar jeweilen nur je ein einziges. Im
gefärbten Präparat zeigten diese Körperchen starke Basophilie und färbten
sich mit allen Kernfarbstoffen sehr schön. Nie zeigten diese Einschlüsse
irgendwelche Struktur; meist waren sie punktförmig, konnten aber bis
zu y 4 des Durchmessers eines Erythrozyten anwachsen. Bis zum Jahre
1907 konnte immer derselbe Befund erhoben werden. Im Verlauf dieses
Jahres entwickelte sich bei der Patientin allmählich das Bild der per¬
niziösen Anämie, wobei aber die Erythrozyten auch fernerhin die be¬
schriebenen Einschlüsse beibehielten. Am 10. November 1907: Exitus
letalis. Bei der Sektion zeigte sich im allgemeinen das gewöhnliche
Bild der perniziösen Anämie; der einzige ungewöhnliche Befund war
nur eine hochgradige Atrophie und bindegewebige Umwandlung der Milz.
Histologisch Hessen sich in den Blutgefässen aller Organe Erythrozyten
nachweisen, welche die beschriebenen endoglobulären Körperchen ent-
1) Ebenso sind diese Einschlüsse gefärbt mit Hay-Grünwald und Unna-
schem Methylenblau,
2) Für die Durchsicht meiner Präparate bin ich Herrn Priv.-Dozent Dr. Naegeli
zu grossem Danke verpflichtet.
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Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse bei einem Fall von Milzexstirpation. 27
hielten. (Leider ist nicht angegeben, ob dies auch bei den Erythrozyten
des Knochenmarks der Fall war.)
Schur identifizierte diese Körperchen mit den im normalen Katzen-
und Mäuseblut vorkommenden endoglobulären Einschlüssen und gibt an,
dass dieselben eventuell aus den aufgelösten Erythrozytenkernen ab¬
stammen könnten. Er hält das Auftreten dieser Körperchen für ein
sicheres Anzeichen schwerer degenerativer Veränderungen der roten Blut¬
körperchen. Dabei wird unter anderem auch erwogen, ob nicht die Milz¬
atrophie die Ursache des merkwürdigen Blutbefundes sein könnte; da
aber sonst nach Milzexstirpationen nichts derartiges zu sehen sei, wird
diese Annahme wieder abgelehnt.
Bei dem Versuch, womöglich zu einer Erklärung für unseren Befund
zu gelangen, sind auch die Befunde Weidenreichs (9) und Nissles (10)
zu berücksichtigen. Weidenreich fand zuerst im Blut eines Leukämikers,
nachher aber auch im Blut des normalen Menschen mit einer besonderen
Färbemethode (Osmiumdampffixation, Giemsafärbung) in einem grossen
Teil der Erythrozyten ein dunkel violettes, scharf konturiertes feinstes
Körnchen, das sich in der äussersten Peripherie des Körperchens findet.
Dabei handelt es sich meist um ein Doppelkorn, seltener um ein einzelnes
Körnchen. Weidenreich nennt diese Körperchen Chroraatinstäubchen
und hält sie für den letzten Ueberrest des Kernes. Mit diesem Befunde
Weidenreichs sind die von Nissle (10) im Rattenblut beschriebenen
(mit gewöhnlicher Giemsafärbung rot gefärbten) Doppelkörnchen wohl
zum Teil zu identifizieren. Zu einem grossen Teile handelt cs sich bei
diesen Befunden (vor allem denjenigen Nissles) um nichts anderes als um
kleine Jollykörper. Was aber die Chromatinstäubchen Weidenreichs
anbetrifft, so sind dieselben aus folgenden Gründen nicht mit den bei
meinem Patienten aufgefundenen blaugefärbten Körnchen zu identifizieren:
1. sind diese Chromatinstäubchen zwar auch bei gewöhnlicher
Giemsafärbung (Fixation in Methylalkohol und Färbung in ver¬
dünnter Giemsalösung ca. l / 2 Stunde lang) vor allem bei Anämien
darstellbar, jedoch stets nur in ganz vereinzelten Exemplaren
und zwar erscheinen dieselben deutlich rot gefärbt. 1 ) Sie ver¬
halten sich also tinktoriell völlig verschieden von den Körnchen
unseres Patienten. (Uebrigens habe ich speziell im Hinblick auf
die Weidenreichsche Angabe eine grosse Anzahl Blutpräparate,
die teils von Gesunden, teils von verschiedenen Anämieformen
herstammen, auf in Erythrozyten eingeschlossene Körperchen
untersucht, konnte aber nur Jollykörper und Chromatinstäubchen,
nie jedoch blaugefärbte Granula nachweisen, wie sie sich im
Blute unseres Patienten finden.)
1) s. z. B. Naegeli, Blutkrankheiten. 2. Aufl. Tafel 3.
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0. ROTH,
2. finden sich die blauen Granula meines Patienten gewöhnlich nur
in der Einzahl, während die Körnchen Weidenreichs und vor
allem Nissles meist zu zwei vorhanden sind.
Zurzeit ist es wohl fast allgemein anerkannt, dass die Jollykörper
als Kernreste anzusehen sind; sehen wir doch bei vielen Anämien alle
möglichen Uobergänge vom pyknolischen Kern zum typischen Jollykörper.
Als solche sind wohl auch die Einschlüsse in den roten Blutkörperchen
der Katzen 1 2 ) und Mäuse anzusehen. Wenigstens konnte ich in eigenen
Präparaten im Katzen- und Mäuseblut (weisse und Hausmaus) nur
solche, nie kleine blau gefärbte Körnchen auffinden. Trotz des ver¬
schiedenen tinktoriellen Verhaltens sind aber, meiner Ansicht nach, auch
die basophilen kleinen Einschlüsse unseres Patienten als die letzten
Ueberreste des Kerns anzusehen. Wissen wir doch z. B. aus den Unter¬
suchungen Naegelis (2), dass kleine basophile Körnchen wenigstens
boim Kaninchen, vom Kerne abstamraen können und ich glaube, es ist
nicht allzu gewagt, diese Verhältnisse auch auf den Menschen und
speziell unseren Fall, zu übertragen. Wenigstens lässt, wie ich glaube, an
eine solche Deutung gerade der Umstand denken, dass in den jollykörper-
haltigen Erythrozyten das basophile Granulum sich meist in unmittelbarer
Nähe des Kernrestes sich findet, also wahrscheinlich von demselben ab¬
gesprengt ist. In der überwiegenden Mehrzahl der Erythrozyten wird es
sich allerdings so verhalten, dass sich der Jollykörper allmählich in ein
basophiles Granulum umwandelt. Es ist also die Deutung unserer
Gebilde ähnlich derjenigen, die Weidonreich seinen Chromatinstäubchen
gibt; trotzdem kann aber von einer völligen Identität aus den oben an¬
gegebenen Gründen keine Rede sein. Es handelt sich also nicht, wie
Schur dies annimrat, um cino Degenerations-, sondern um eine Regcnc-
rationsersch ei n ung.
Beim Vergleich mit der Sch urschen Beobachtung fällt aber fernerhin
auf, dass beiden Fällen insbesondere zwei Momente vollständig ge¬
meinsam sind:
1. findet sich bei beiden ein völliger Ausfall der Milztätigkeit, im
Schurschen Falle infolge Milzatrophie, im meinigen infolge
Milzexstirpation;
2. befindet sich in beiden Beobachtungen das Knochenmark im
Zustand vermehrter Tätigkeit*), im Schurschen Fall infolge
einfacher Anämie, die später in perniziöse Anämie ausging, im
meinigen infolge hämolytischer Anämie. In beiden Fällen
1) s. dazu auch Schmauch über endoglobuläre Körperchen in den Erythrozyten
der Katze (Virchows Arch. Bd. 157).
2) Was in meinem Fall durch das Vorkommen von polychromatophilen und
basophil granulierten Erythrozyten sowie vereinzelten Normoblasten ja mit Sicherheit
bewiesen wird.
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Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse bei einem Fall von Milzexstirpation, 29
kommen also noch unfertige, zu einem grossen Teil wohl noch
einen Kern oder einen Kernrest enthaltende Erythrozyten in den
Blutkreislauf.
Daraus folgt aber, dass, im Gegensatz zu der Annahme Schurs,
wohl doch der Ausfall der Milzfunktion für den ganzen Befund ver¬
antwortlich gemacht werden darf, in dem Sinne, dass die Entkernung
der vom Knochenmark ins Blut gelangenden noch kernhaltigen roten
Blutkörperchen nicht mehr vollständig vor sich gehen kann;
Etwa anzunehmen, dass unser Patient immer ein solches Blutbild
gehabt habe, ist wohl kaum möglich, denn gerade die „Anaemia splenica“
ist seit längerer Zeit der Gegenstand genauer hämatologischer Unter¬
suchungen; noch nie wurde aber bis jetzt ein solcher Befund erhoben.
Es wäre nun allerdings verlockend, auf Grund unserer Beobachtung
auch noch einige Fragen aus der Pathogenese der hämolytischen Anämie zu
streifen, da ja die Ansichten in dieser Beziehung noch sehr geteilt sind.
Leider konnte ich aber weder genauere Angaben über frühere Untersuchungen
des Patienten erlangen, noch wurde die Milz histologisch untersucht, so
dass bindende Schlüsse wohl kaum gezogen werden können. Einzig der
Nachweis der verminderten osmotischen Resistenz der roten Blutkörperchen
unseres Patienten scheint mir besonders im Hinblick auf eine Mitteilung
Michelis (3) von Bedeutung zu sein..
Micheli beobachtete einen 22 jährigen Mann mit typischem hämo-
lytisch-splenomegalischem Ikterus, erworbene Form (?), bei dem, da alle
anderen Behandlungsmethoden versagten, mit Rücksicht auf einen ähn¬
lichen Fall von Banti (4) sowie auf den bekannten Uraberschcn Fall
von Splenomegalie (der von Micheli als in die Gruppe des hämolytischen
Ikterus gehörig angesehen wird) die Milzexstirpation vorgenommen wurde.
Schon in kurzer Zeit machte die vorher bestehende Anämie einer normalen
Erythrozytenzahl Platz und der Ikterus verschwand. Vor allem aber
macht Micheli darauf aufmerksam, dass schon kurze Zeit nach der
Operation (etwa nach 10 Tagen) die osmotische Resistenz der roten
Blutkörperchen eine normale war (Hj 0,48 H 8 0,28), während sie vorher
deutlich vermindert gewesen war (H x 0,54 H s 0,34). Darnach lag es
natürlich nahe, die Milz für das Zustandekommen der verminderten
osmotischen Resistenz verantwortlich zu machen. Es ist nun allerdings
nicht ausgeschlossen, dass dies für die erworbene Form des hämolytischen
Ikterus zutrifft, denn es ist, wie ich dies andernorts angeführt habe (5),
sehr wohl möglich, dass die Verbindung irgend eines der Bestandteile
des roten Blutkörperchens mit einem Hämolysin, die selber noch nicht
zum Austritt von Hämoglobin führt, sich in Verminderung der osmotischen
Resistenz der Erythrozyten zeigt. Wenn aber bei gewissen erworbenen
Formen des hämolytischen Ikterus dieses Hämolysin aus der Milz stammt,
so ist der Befund Michelis sehr wohl verständlich. Bei unserm Patienten
dagegen, bei dem es sich sicher um eine angeborene Form des Ictere
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30
0. ROTH,
hemolytique handelt, da ja schon der Vater desselben nachweisbar an
der gleichen Erkrankung litt, zeigte mehrmalige Untersuchung der osmo¬
tischen Resistenz stets deutliche Herabsetzung derselben (Hi 0,58 H 8 0,28).
Es ist also unsere Beobachtung ein guter Wahrscheinlichkeitsbeweis dafür,
dass die Veränderung der Erythrozyten, die wir an der Herabsetzung der
osmotischen Resistenz erkennen, bei der eigentlichen Anaemia hacmolytica
wirklich eine primäre ist und nicht durch irgend ein splenogenes Hämo¬
lysin bedingt; hämolytische Stoffe konnte ich übrigens im Serum unseres
Patienten ebensowenig nachweisen, wie bei einigen andern, daraufhin
untersuchten Fällen von Splenomegalie (5). Trotzdem aber auf Grund
meiner Beobachtung die Veränderung der Erythrozyten wohl kaum eine
splenogene sein kann, hat sich der Zustand des Patienten nach der
Milzexstirpation, wenigstens was Anämie, Ikterus und „Crises hömolytiques“
anbetrifft, soweit dies aus der Anamnese erschlossen werden kann, erheblich
gebessert. Dies beweist, dass die Milz bei den hämolytischen Vorgängen im
Symptomenbild der hämolytischen Anämie eine wichtige Rolle spielt. Wie
man sich jedoch diese Wirkung vorzustellen hat, darauf soll aus den
oben angegebenen Gründen hier nicht weiter eingegangen werden 1 ).
In letzter Zeit wurde auf Grund der Arbeiten Ashers (6) und
seiner Schüler (7) dem Eisenstoffwechsel bei Milzexstirpationen er¬
höhte Aufmerksamkeit geschenkt, wobei cs sich zeigte, dass milzlose
Menschen (und Tiere) eine höhere Fe-Ausscheidung aufweisen als völlig
Gesunde. Ausgehend von den genannten Untersuchungen hat sich von
klinischer Seite vor allem Bayer (8) mit solchen Untersuchungen be¬
schäftigt. Auf Grund dieser Untersuchungen versäumten wir cs nicht,
auch bei unserm Patienten Eisenstoffwechselvcrsuche vorzunehmen und
hatten dabei das Glück kurze Zeit nachher bei einem etwa 1 Monat vor
Beginn des Versuchs entmilzten Mann 2 3 ) zur Kontrolle ähnliche Versuche
vornehmen zu können. Zur Technik unserer Eisenstoffwechselunter¬
suchungen möchte ich nur kurz bemerken, dass bei jedem Patienten
während je einer fünftägigen Periode mit cisenarmer [Milch, Breie,
wenig Fleisch 8 ), eisenarmc Gemüse] und mit eisenreicher Kost (viel
1) Uebrigens ist nicht nur die pathologisch-physiologische Funktion der Milz
bei der hämolytischen Anämie noch nicht aufgeklärt, auch das anatomische Bild der
Milzveränderungen wird von den verschiedenen Autoren in wichtigen Punkten von¬
einander abweichend geschildert; man vergleiche nur z. B. die Angaben Michelis (3)
einerseits und diejenigen von Vaquez und Aubertin (4) anderseits, vor allem in
bezug auf Zytophagie und Pigmentreichtum.
2) 37jähriger Mann, dem am 22. 2. 12 wegen Milzruptur infolge Unfalls die
Milz in der hiesigen chirurgischen Klinik exstirpiert wurde; etwa am 20. 3. hatte sich
Pat. schon völlig erholt und beimBeginn dcrStolTwechseluntersuchungenwarbei ihm, ab¬
gesehen von einer loichten Eosinophilie (6,4 pCt.) die übrigens auch jetzt noch besteht,
nichts Auffälliges mehr nachzuweisen.
3) Etwas Fleisch wurde zugelegt, um keine zu eiweissarme Kost zu geben.
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Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse bei einem Fall von Milzexstirpation. 31
Fleisch, eisenhaltige Gemüse) die Eisenausscheidung untersucht wurde.
Die Eisenbestimmung im Urin geschah täglich; der Stuhl der be¬
treffenden Periode wurde je durch Karmingaben abgegrenzt, ge¬
sammelt und in toto untersucht 1 ). Es wurde nicht, wie dies
Bayer getan hat, jeder Stuhl für sich untersucht, da gerade die
Zahlen dieses Autors deutlich zeigen, dass die Durchschnittszahlen
viel wichtiger sind für die Beurteilung der Eisenausfuhr, als die täg¬
lichen Ausfuhrmengen. Leider liess der Appetit unseres Patienten D.
während des. Versuchs etwas zu wünschen übrig, so dass die Fe-
Zufuhr während der eisenreichen Periode hinter derjenigen der Kon¬
trolle zurückblieb, immerhin sind auch bei diesem Patienten die
Unterschiede der Eisenzufuhr gegenüber der eisenarmen Periode gross
genug. Der Eisengehalt der zugeführten Nahrung wurde nach den Tabellen
von Albu und Neu bürg ausgerechnet.
Tabellarisch zusamroengefasst ergaben unsere beiden Stoffwechsel¬
versuche folgende Resultate:
Patient D. Tabelle II.
Datum
Fe-Einnahme
Fe-Ausfuhr
Gesamt-Fe-Ausfuhr
Bemerkungen
Urin
Fäzes
28. 2.
V
1,81 mg
1,56 „
) total
Total 31,5 mg
25. 2. Hgl. 100 pCt.
29. 2.
f Durchschnittl.
pro die 6,25 „
Erythroz. 5752000
1. 3.
( 0,09 g pro die
1,13 „
> 25,2
pro die und kg
Färbeindex 0,9
2. 3.
0,956 „
i mg
Körpergew. 0,09 mg
Körpergew. am 29.2.
3. 3.
'
0,811 „
69,100 kg
4. 3.
1,0 „
) total
\ 16,73
\ m g
Total 21,58 mg
10.3. Hgl. 114pCt.
5. 3.
6. 3.
7. 3.
( Durchschnittl.
f 0,15 g pro die
0,739 „
0,898 „
1,26 „
pro die 4,316 „
pro die und kg
Körpergew.0,063 mg
Erythroz. 6468000
Färbeindex 0,9
Körpergew. am 8. 3.
8. 3.
0,95 „
69,400 kg
Patient B (Kontrolle).
22. 3.
23. 3.
24. 3.
25. 3.
26. 3.
27. 3.
28. 3.
29. 3.
30. 3.
31. 3.
Durchschnitt!.
0,09 g pro die
Durchschnittl.
0,2 g pro die
0,74 mg
0,53 „
0,65 w
1,15 „
1,13 *
MO „
1,87 „
2,26 *
2,20 „
2,18 „
) total
) 56,77
) mg
Total 60,92 mg
pro die 12,184 „
pro die und kg
Körpergew.0,206 mg
21. 3. Hgl. 70pCt.
Körpergew. am 21.3.
58 kg
1 total
155,72
mg
Total 165,33 mg
pro die 33,07 „
pro die und kg
Körpergew. 0,57 mg
Körpergew. am 30.3.
59 kg
5.4. Hgl. 72pCt.
Ganz im allgemeinen zeigt ein Blick auf obige Tabelle, dass, ganz
wie dies schon Bayer gefunden hat, und im Gegensatz zu früheren
Angaben, die tägliche Fe-Ausscheidung im Urin in ziemlich erheblichem
Masse schwankt, manchmal kaum 1 mg beträgt, manchmal aber beinahe
einen Betrag von 3 mg erreicht.
1) Die Eisenanalysen wurden von Dr. Herzfold, ehern. Assistenten der Klinik
vorgenommen.
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0. ROTH,
Vor allem aber zeigt sich ein ganz gewaltiger Unterschied in der
Fe-Ausfuhr unserer beidon Versuchspersonen. Während der Kontroll-
patient ganz im Sinne der Ashersehen Theorie eine im Vergleich zum
Normalen sehr erheblich gesteigerte Fe-Ausfuhr aufweist, und zwar sowohl
was die Gesamtausfuhr anbetrifft, wie auch auf den Tag und das kg
Körpergewicht berechnet, so geht bei unserem Patienten D. die Eisen¬
ausfuhr nicht über diejenige eines gesunden Menschen hinaus. Ja, in der
eisenreichen Periode wird die Eisenausfuhr sogar etwas geringer als bei
der eisenärmeren Kost, und zwar zeigt sich dies sowohl in den Fäzes
als auch im Urin. 1 ) Es scheint als ob bei unserem Patienten D. die eisen¬
reiche Kost direkt als Stimulans für vermehrte Blutbildung gewirkt hat
und ich bin deshalb geneigt, die Zunahme von Hämoglobingehalt und
Erythrozytenzahl während der Zeit des Stoffwechselversuchs vor allem
auf die eisenreiche Periode zu beziehen (bei gewöhnlicher Kost ist übrigens
später, wie Tabelle I zeigt, der Hämoglobingehalt wieder zurückgegangen).
Es erhebt sich nun die Frage, worauf bei unserem Patienten D. das
Ausbleiben der Vermehrung der Eisenausfuhr wohl beruht. Am nahe¬
liegendsten scheint es mir da zur Erklärung auf die vermehrte Knochen-
roarkstätigkeit zurückzugreifen, die wir ja oben aus dem Blutbefund
nachgewiesen haben. Wegen dieser Knochenmarksreizung sucht der
Körper offenbar möglichst alles dargebotene Eisen zur Hämoglobinbildung
zurückzuhalten und zu verwenden. Ist diese Annahme richtig, so müssen
wir allerdings die Funktion der Milz im Eisenstoffwechsel ähnlich auf¬
fassen, wie, wenigstens beim Gesunden, diejenige der Leber. Dieselbe be¬
steht in der Hauptsache in einer Aufspeicherung des Eisens, welches nach
Bedarf an andere Organe (Knochenmark) abgegeben wird. Es wäre also
auch die Milz nichts anderes als ein der Eisenaufspeicherung dienendes Organ.
Ob aber bei unserem Patienten D. die vermehrte Knochenmarks¬
tätigkeit schon allein die Verminderung der Eisenausfuhr im Vergleich
zu der Kontrolle bewirkt, oder ob im Laufe der Zeit einfach andere
eisenaufspeicherndc Organe, z. B. die lieber, vikariierend für die exstirpiertc
Milz eingetreten sind, lässt sich auf Grund unserer 2 Untersuchungen
leider nicht entscheiden. Jedenfalls ist aber beim Patienten D. auch noch
mit dieser Möglichkeit zu rechnen, da ja die Milzexstirpation schon über
3 Jahre zurückreicht. Um in dieser Frage eine Entscheidung treffen zu
können, müsste man einen mindestens ebensolange Zeit cntmilzten Menschen
mit normalem Blutbefund für Stoffwechselversuchc zur Verfügung haben.
Zosammenfassnng.
1. Bei einem Patienten mit (angeborener) hämolytischer Anämie,
bei welchem vor ca. 3*/2 Jahren die Milzexstirpation vorgenommen
1) Ueberhaupt gehen anscheinend Eisenausfuhr in Stuhl und Urin einander sehr
schön parallel, wie dies z.B. auch ein Vergleich der Zahlen unseres Kontrollpatienten
in der eisenartnen und eisenreichen Periode zeigt.
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Ueber merkwürdige Erythrozyteneinschlüsse bei einem Fall von Milzexstirpation. 33
worden ist, zeigt etwa die Hälfte der Erythrozyten bei Giemsa¬
färbung teils rein basophile, teils mit Methylenazur gefärbte
Einschlüsse Von verschiedener Grösse, die wahrscheinlich als
Kernreste zu deuten sind.
2. Trotz der Milzexstirpation besteht bei diesem Patienten eine deut¬
liche Verminderung der osmotischen Resistenz der Erythrozyten.
3. Im Vergleich mit einem ca. 1 Monat vor der Stoffwechselunter¬
suchung entmilzten Mann mit normalem Blutbefund zeigt unser
Patient D. keine vermehrte Eisenausfuhr.
Literatur.
1) H. Schar, lieber eigenartige basophile Einschlüsse in den roten Blut¬
körperchen etc. Wiener med. Wochenschr. 1908. Nr.9. — 2) Naegeii, lieber basophile
Granulation der Erythrozyten bei Embryonen. Folia haemat. 1908. Bd. 5. — 3)
F. Micheli, Note istologiche su di un caso di splenomegalia etc. Giornale della R.
Accad. di Medicina di Torino. 1909. — 4) Derselbe, Unmittelbare Effekte der
Splenektomie bei einem Fall von erworbenem hämolytischem Ikterus etc. Wiener klin.
Wochenschr. 1911. Nr. 36. — 5) Banti, Ueber Splenomegalia haemolytica. Klinisch
therapeut. Wochenschr. 1912. — 6) 0. Roth, Ueber die hämolytische Anämie.
Deutsch. Aroh. f. klin. Med. 1912. Bd. 106. — 7) Asher, Zentralbl. f. Physiol.
Bd. 22. — 8) Grossenbacher, Biochem. Zeitsohr. Bd. 17. Heft 1, 2, 3; Zimmer¬
mann, ebendas. Bd. 17: Heft 4. — 9) R. Bayer, Untersuchungen über den Eisen¬
stoffwechsel nach der Splenektomie. Greozgeb. der Med. und Chir. Bd. 21 u. 23.
10) Weidenreich, Studien über das Blut etc. IV. (Abschnitt Kernreste). Archiv für
mikroskop. Anatomie. Bd. 69. — 11) Derselbe, Zentrosomen oder Kernreste in den
Erythrozyten etc.? Archiv für Hyg. Bd. 63. — 12) Nissle, Beobachtungen am Blut
mit Trypanosomen geimpfter Tiere. Arch. f. Hygiene. Bd. 53. — 13) Derselbe, Ueber
Zentrosomen etc. in kernlosen Erythrozyten. Aroh. f. Hyg. Bd. 61.
Erklärungen der Abbildungen anf Tafel I.
I. Nicht kombiniertes Uebersichtsbild bei Giemsafärbung.
II. Kombiniertes Bild bei Giemsafärbung.
IIL „ n r> May-Grünwald-Färbung.
IV. „ t) n Färbung mit polychr. Methylenblau (Unna).
Zeitsclir. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 1 u. 2.
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in.
Aus der medizinischen Universitätspoliklinik zu Freiburg i. B.
Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
Von
Dr. Georg Eisner.
(Hierzu Tafel II.)
I. Einleitung.
Nachdem Gilbert (1) im Jahre 1894 die „Autoserotherapie“
als ein neues therapeutisches Verfahren gegen die serofibrinöse Pleuritis
(besonders tuberkulöser Natur) angegeben hatte, ist im Laufe der Jahre
die Methode von vielen Seiten weiter erprobt worden, so dass jetzt be¬
reits eine stattliche Anzahl von Mitteilungen vortiegt (2—17). Ueber die
mit dem Verfahren erzielten Erfolge herrscht jedoch noch keine Einigkeit.
Bei dem an sich schon sehr wechselnden klinischen Verlauf der exsuda¬
tiven Pleuritiden kann die Beurteilung dieser Behandlungsmethode auch
keine sichere sein. Während der grösste Teil der Autoren sie sehr rühmt
und deutliche, günstige Erfolge von ihr gesehen haben will, sind die
Resultate anderer wieder ganz indifferent oder negativ ausgefallen
(Szurck [11], Hochhaus [9], Arnsperger [17] u. a.). Immerhin besteht
doch aber eine ganze Anzahl von Mitteilungen über Erfolge. Ausser
Gilbert (1, 14) berichten Fede (3), Geronzi (4), Nassetti (5),
Schnütgen (6), Enriquez, Durand et Weil (7), Zimmermann (8),
Marcou (10), Sarcinelli (12), Dumitriu (13), Dodal (15), Tschi-
gajew (16) u. a. über günstige Beeinflussungen und Heilungen nach An¬
wendung der Gilbertschen Autoserotherapie, so dass man den Gedanken,
die Methode sei in der Tat brauchbar, nicht ohne weiteres von der Hand
weisen kann. Die Technik ist dabei eine so einfache und gefahrlose,
dass jeder Arzt sie leicht auszuführen imstande ist. Man aspiriert mit
einer gewöhnlichen Spritze einige (1—3) ccm der Pleuraflüssigkeit und
injiziert diese sofort, am besten, ohne die Nadel wieder ganz herauszu¬
ziehen, dem Patienten subkutan. Der Ort der Reinjektionsstelle ist
natürlich, wie auch Schnütgen (6) gezeigt hat, ganz gleichgültig für den
Ausfall des Resultats. Dieses Verfahren wird alle paar Tage wiederholt
(bis 6 mal). Der Erfolg soll in rascher Aufsaugung des Exsudats be-
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Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
35
stehen, ohne dass sich wie bei der Thorakozentese gröbere Schwarten
bilden. Auch sollen irgendwelche unangenehmen Nebenerscheinungen
gänzlich fehlen. Solche Erfolge sind, wie gesagt, nicht von allen Autoren
beobachtet worden. Szurek (11) und kürzlich noch Arnsperger (17)
stehen der Methode skeptisch gegenüber. Teils haben sie überhaupt
keinen sichtbaren Unterschied im Verlauf der so behandelten Fälle gegen
anders behandelte konstatieren können, teils glauben sie nicht daran,
dass die Autoserotherapie in einem kausalen Zusammenhang mit dem
Verschwinden des Exsudates steht, und wollen das „post hoc“ nicht als
gleichbedeutend mit „propter hoc“ ansehen. Nasetti (5) meint, das
Verschwinden des Exsudats sei auch durch die Probepunklion allein, also
durch den mechanischen Reiz, erklärbar. Andererseits liegen aber auch
eine Reihe von Vermutungen und theoretischen Erwägungen vor, wie man
die Heilung der exsudativen Pleuritis unter der Autoserotherapie erklären
könnte. Zimraermann (8) schreibt die Wirkung einer Leukozytose zu,
die nach der Exsudatinjektion auftreten und die Resorption begünstigen
soll. Gestützt ist diese Meinung allerdings nur auf eine einzige Beob¬
achtung. Er hat bei einem Fall eine systematische Leukozytenzählung
vorgenommen und zweimal nach der Injektion eine kurzdauernde Leuko¬
zytose beobachtet. Die Leukozytenzahl stieg von 7500 vor der Injektion
das erste Mal auf 10 312 nach der Injektion; 4 Tage darauf stieg die
Zahl von 7812 auf 15 000. Beide Male fiel die Zahl innerhalb 24 Stunden
wieder zur Norm ab. Gilbert selbst, der Entdecker des Verfahrens,
ging von der Annahme aus, dass im Exsudat bei tuberkulöser Pleuritis
spezifische Giftstoffe des Tuberkelbazillus enthalten seien. Diese Ver¬
mutung findet sich bei mehreren der oben genannten Autoren wieder.
Andere denken an spezifische Antikörper, die sich in den Exsudaten an¬
häufen und bei der Injektion den Organismus so beeinflussen sollen, dass
dadurch die Resorption des Ergusses angeregt und beschleunigt wird.
Tatsächlich ist es nun möglich, in tuberkulösen Exsudaten durch
Komplementbindung und andere Verfahren Antikörper nachzuweisen, wenn
auch meist weniger regelmässig als im Blutserum (Meyer [18], S. Weil [19],
Slatinöanu und Daniölopulo [20], Böhme [21], Schupfer [22],
Livierato und Crossonini [23], Paraskevopoulos [24] und viele
andere). Wieder andere glauben, dass in den Exsudaten sich autolytische
Produkte, also abgebaute Eiweisskörper und Zellstoffwechselprodukte an¬
gesammelt haben (Galdi [25]) und diese bei der Injektion die Aufsaugung
des Exsudats hervorrufen (Senator und Schnütgen [2]). Für diese
letztere Vermutung würde auch eine Beobachtung Zimmermanns [8]
sprechen, der im Anschluss an die oben erwähnte Leukozytenzählung bei
der Autoscrotherapie auch eine Injektion von Peptonlösung machte und
danach ebenfalls eine Leukozytose, nämlich ein Ansteigen von 5940 auf
13 280, sowie vermehrte Harnmenge, wie bei der Autoseroin jektion, be¬
obachten konnte. Sonst fehlen aber für die aufgczählten Theorien noch
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alle Beweise. Die klinischen Beobachtungen, die bekannt geworden sind,
bringen keine wesentlichen Stützpunkte. Ausser der Feststellung, dass
das Exsudat sich nach dem Eingriff vermindert, die Harnmenge dabei
aber gleichzeitig steigt, wird nur hervorgehoben, dass keine unangenehmen
Nebenerscheinungen auftreten. Die Angaben über die Temperaturbeein¬
flussung sind nicht feststehend- und weichen voneinander ab.
Unter diesen Umständen erschien es erwünscht, auch nach experi¬
mentellen Stützen für die Wirkungsweise der Autoserotherapie zu suchen
und zu erforschen, ob überhaupt eine regelmässige Reaktion des Orga¬
nismus eintritt und ob diese Reaktion wohl für den Erfolg, wie er von
verschiedenen Seiten gesehen worden ist, von Bedeutung sein könnte.
Ich wandte mich daher dem Tierexperiment zu. Bei der verhältnismässig
schwierigen Versuchsanordnung — es mussten erst bei den Tieren ge¬
eignete Exsudate erzeugt werden — und bei den ganz anderen Be¬
dingungen, die solche Tierversuche bieten — es wurden Kaninchen und
Meerschweinchen benutzt —, darf man selbstverständlich nicht ohne
weiteres Alles auf die menschlichen Verhältnisse übertragen. Dennoch
aber erschien es lohnend, den Nachweis zu führen, ob überhaupt und
welche Reaktionen bei der Autoserotherapie im Tierexperiment auftreten.
II. Technik.
Es wurden Versuche mit sterilen Exsudaten und solche mit tuber¬
kulösen Exsudaten vorgenommen. Sterile Exsudate erzeugte ich beim
Kaninchen durch intrapleurale Injektion von sterilem Terpentinöl. Für
die Gewinnung tuberkulöser Exsudate erschien mir das Meerschweinchen
geeigneter. Die Technik, die ich dabei anwandte, war folgende (Lit.
s. b. Heinz [26]): Nach Enthaarung und Desinfektion der Brusthaut
wurde in einem Zwischenrippenraum, und zwar stets auf der rechten
Seite, ein kurzer Hautschnitt gemacht, die Muskulatur stumpf durchtrennt
und die mit einer stumpfen Kanüle versehene Spritze durch die Pleura
costalis gestossen. Eine Verletzung der Lunge war auf diese Weise kaum
möglich. Nach Injektion der Flüssigkeit brauchte nur die Haut durch
eine Naht vereinigt zu werden. Beim Kaninchen bildete sich nach der
Terpentinölinjektion im Verlauf der nächsten Tage ein manchmal ziemlich
erhebliches Exsudat, das sowohl perkutorisch und auskultatorisch als
auch am Röntgenschirm nachzuweisen war. Es wurde unter Einhaltung
aller aseptischen Kautelen eine kleine Menge Exsudat aspiriert und dem
gleichen Tier sofort wieder injiziert. Meist geschah diese Injektion intra¬
venös, damit sich eine etwaige Reaktion um so deutlicher zeigen konnte.
Zum Vergleich wurde auch einem artgleichen Tiere, also einem zweiten
Kaninchen, einige Male Exsudat eingespritzt.
Etwas anders musste sich die Versuchsanordnung bei den Meer¬
schweinchenexperimenten gestalten. Hier war das entstandene tuberkulöse
Exsudat klinisch nicht nachweisbar und überhaupt so gering, dass es
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Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
37
durch Punktion nicht gewonnen werden konnte. Es war also zur Fest¬
stellung eines etwa vorhandenen Exsudates nötig, das Tier zu töten.
Meist ergab sich dabei denn auch eine geringe Menge Flüssigkeit. Ein
grösseres Exsudat war nur einmal vorhanden. Da nun aber das ge¬
wonnene Material nicht mehr dem Spender selbst injiziert werden konnte,
musste die Versuchsanweisung soweit modifiziert werden, dass es einem
zweiten tuberkulös gemachten Meerschweinchen injiziert wurde. Zunächst
legte ich die Vena jugularis zur Injektion frei, später erwies sich aber
die intrakardiale Injektion durch die Brustwand hindurch als bedeutend
angenehmer und sicherer. Man geht dabei etwa 1 cm über der untersten,
am Sternum ansetzenden Rippe, gleich links am Sternalrand, mit der
Nadel ein. Man kann an der Pulsation erkennen, ob die Nadel im
Herzen ist. Erhielt ich beim Anziehen des Stempels Blut in die Spritze,
so war jeder Zweifel ausgeschlossen, und ich konnte die Spritze ent¬
leeren. Dies musste langsam geschehen wegen der Gefahr der Herz¬
ruptur. Als Kontrollen wurden Injektionen von tuberkulösem Exsudat
bei normalen Meerschweinchen, Injektionen von normalem Serum und
tuberkulösem Serum und von steriler Ringerlösung angeschlossen. Die
Beobachtung der Tiere bestand darin, dass die Temperatur und Leuko¬
zytenzahl genau kontrolliert wurden. Es wurde zu diesem Zweck durch
mehrtägige, öfters wiederholte Messungen und Leukozytenzählungen 1 ) der
Temperaturstand und die Zahl der weissen Blutkörperchen festgestellt,
und erst, wenn diese Daten ungefähr feststanden, die Injektion vor¬
genommen, und durch weitere Beobachtung der Einfluss dieses Eingriffs
festgestellt. Sonstige Beobachtungen der Tiere in klinischer Hinsicht
waren nicht möglich. -Einige Blutdruckmessungen während und nach
den Injektionen wurden angestellt, bald aber wieder wegen wider¬
sprechender Ergebnisse aufgegeben. Ich werde mich daher bei der Be¬
schreibung der Versuche auf die Mitteilung der Veränderungen von
Temperatur- und Leukozytenkurven beschränken. Weitere Einzelheiten
sind aus den Protokollen, die ich jetzt folgen lasse, zu ersehen.
III. Versnchsprotokolle.
A. Versuche mit sterilen Pleuraexsudaten von Kaninchen.
1. Versuch: Intravenöse Injektion von körpereigenem sterilem
Pleuraexsudat. Erzeugung eines Pleuraexsudates durch intrapleurale Injektion von
sterilem Terpentinöl (0,8 ccm) (nach angegebener Technik. — Kurve 1).
Resultat: Keine wesentliche Aenderung der Temperaturkurve; allmählicher
Anstieg der Leukozytenzahl, nach 3 Tagen schneller Abfall zur Norm.
2., 3., 4. Versuch: Dreimalige intravenöse Injektion von körper¬
eigenem sterilem Pleuraexsudat. Erzeugung eines Pleuracxsudates durch
2 malige Injektion von sterilem Terpentinöl (je 0,2 ccm in 4tägiger Zwischenpause)
in die rechte Pleurahöhle (nach angegebener Technik. — Kurve 2).
1) Es wurde die Breuersche Zählkammer benutzt.
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G. EISNER,
Resultat: Keine wesentliche Beeinflussung der Temperaturkurve durch die
Injektionen. Nach der 1. und 2. Injektion Ansteigen der Leukozytenzahl bis zum
folgenden Tage, dann schneller Abfall zur Norm. Die 3. Injektion (eine kleinere
Menge) macht keine Leukozytose.
5. und 6.Versuch: Subkutane und intravenöse Injektion von körper¬
eigenem sterilem Pleuraexsudat. Erzeugung des Exsudats durch sterile
Terpentinölinjektion (mehrmals 0,3 ccm). (Kurve 3).
Resultat: Kein Einfluss der Injektion auf die Temperaturkurve. Die subkutane
Injoktion zeigt keine ausgesprochene Leukozytose. Die angeschlossene intravenöse
Injektion dagegen macht ausgesprochene Leukozytose. Darauf schnelles Absinken
zur Norm.
7. Versuch: Intravenöse Injektion von sterilem Pleuraexsudat
eines anderen artgleichen Tieres. Einem Kaninchen wird durch intrapleurale
Injektion von 0,8 ccm sterilem Terpentinöl ein Pleuraexsudat erzeugt. 1 ccm dieses
Exsudats wird einem zweiten Kaninchen sofort intravenös injiziert. (Kurve 4.)
Resultat: Keine Beeinflussung der Temperaturkurve und der Leukozytenzahl.
Erst am 4. Tage Steigen der Leukozytenkurve.
8. Versuch: Intravenöse Injektion von sterilem Pleuraexsudat
eines anderen artgleichen Tieres. Einem Kaninchen wird durch intrapleurale
Terpentininjektion in oben angegebener Weise ein Pleuraexsudat erzeugt; von diesem
einem zweiten Tier 1 ccm intravenös injiziert. (Kurve 5.)
Resultat: Keine Beeinflussung der Temperatur- und Leukozytenkurve.
B. Versuche mit tuberkulösen Meerschweinchenexsudaten und
tuberkulösem Meerschweinchenserum.
9. Versuch: Injektion eines tuberkulösen Pleuraexsudats in die
Blutbahn (intravenös) eines tuberkulösen Meerschweinchens. Ein Meer¬
schweinchen wird durch r. intrapleurale Injektion von 0,5 com Tuberkelbazillenauf-
sohwemmung (eine Oese der Reinkultur wird mit 6 ccm Kochsalzlösung aufge¬
schwemmt) infiziert. Nach 5 Wochen wird das Tier getötet und es gelingt, 0,5 ccm
Exsudat aus dem r. Pleuraraum zu gewinnen. 1 ) Hiervon* wird 0,2 ccm einem zweiten
ebenfalls tuberkulös gemachten Meerschweinchen in Urethannarkose in die freigelegte
Vena jugularis injiziert (Kurve 6).
Resultat: Keine Beeinflussung der Temperaturkurve. Steigen der Leukozyten-
zahl nach der Injektion um ca. 3000 und rascher Abfall zur Norm.
10. Versuch: Injektion von tuberkulösem Meerschweinchenexsudat
in die Blutbahn (intrakardinal) eines tuberkulösen Meerschweinchens.
5. 2. 12: Infektion eines Meerschweinchens durch Injektion von 0,2 ccm einer Tuberkel¬
bazillenaufschwemmung (eine Oese der Reinkultur auf 6 ccm Kochsalzlösung) ins Herz
und 0,3 ccm der gleichen Aufschwemmung in die rechte Pleura. Am 28. 2. starke
Abmagerung; Tier liegt in Agone, wird getötet. Sektion ergibt Tuberkulose von
Milz, Leber und Lungen. In der rechten Pleura ca. 6 ccm, in der linken 2 ccm
blutig seröses Exsudat. Dieses wird aufgefangen und zentrifugiert. Die klare seröse
Flüssigkeit wird einem ebenfalls tuberkulös gemachten Tier injiziert (Kurve 7).
Ein 560 g schweres Meerschweinchen wird durch 0,2 ccm Tuberkelbazillen-
aufsohwemmung (s. o.) am 28. 1. 12 intraperitoneal infiziert. Am 4. 3.: tuberkulöse
Drüsen fühlbar. Gewichtsabnahme um 160 g. (Sektion am 15. 3.: Tb. von Milz und
Leber; verkäste Drüsen). Am 7. 3. intrakardiale Injektion von 0,5 ccm Exsudat.
Resultat: Keine Beeinflussung der Temperaturkurve. Anstieg der Leukozyten¬
zahl nach der Injektion um ca. 4000, danach rascher Abfall zur Norm.
1) Tuberkulose der Organe durch Sektion festgestellt.
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Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
39
11. Versuch: Injektion von tuberkulösem Pleuraexsudat in die
Biutbahn (intravenös) eines normalen Meerschweinchens. Erzeugung eines
tuberkulösen Pleuraexsudats beim Meerschweinchen durch r. intrapleurale Injektion
von 0,5 ccm Tuberkelbazillenaufschwemmung (s. o.). Kurz ante exitum wird das Tier
getötet. Milz, Leber und Lunge zeigen deutliche tuberkulöse Veränderung. Es gelingt,
aus dem r. Pleuraraum eine geringe Menge blutig seröser Flüssigkeit zu gewinnen.
Hiervon wird 0,2 ccm einem gesunden Tiere intravenös injiziert. (Kurve 8.)
Resultat: Temperaturkurve bleibt unbeeinflusst. Ansteigen der Leukozytenzahl
nach der Injektion um ca. 5000, danach schneller Abfall zur Norm.
12. Versuoh: Injektion von tuberkulösem Exsudat ins Herz eines
gesunden Meerschweinchens. Erzeugung und Gewinnung des tuberkulösen Ex¬
sudats siehe bei Versuch 9. (Kurve 9.)
Resultat: Die Temperatur bleibt unbeeinflusst, die Leukozytenzahl steigt nach
der Injektion in massigem Grade (ca. 2000) und bleibt mit geringen Intermissionen
auf der Höhe.
13. Versuch: Injektion von tuberkulösem Pleuraexsudat in das
Herz eines gesunden Meerschweinchens. Erzeugung und Gewinnung des
Exsudats siehe bei Versuch 10. (Kurve 10.) Injektion von 0,6 ccm tuberkulösen
Exsudats.
Resultat: Keine Beeinflussung der Temperaturkurve. Steigen der Leukozyten¬
zahl nach der Injektion um ca. 4000, dann rascher Abfall.
14. Versuch: Injektion von tuberkulösem Serum in das Herz eines
tuberkulösen Meerschweinchens. Ein Meerschweinchen wird am 13. 12. 11
durch intrapleurale Injektion von 0,5 ccm Tuberkelbazillenaufschwemmung (s. o.)
tuberkulös gemacht. Am 25. 1. 12 nochmalige Injektion von 0,5 ccm Tuberkelbazillen¬
aufschwemmung intraperitoneal. Am 31. 1. liegt das sehr abgemagerte Tier in
Agone. DeutlicheDrüsenpakete in der Inguinalgegend fühlbar. Entblutung des Tieres.
Das abzentrifugierte Serum wird einem zweiten tuberkulösen Tier injiziert (0,4 ccm).
Ein gesundes Meerschweinchen wird am 5. 2. zwecks schneller Infektion durch
intrakardinale Injektion von 0,2 ccm Tuberkelbazillenaufschwemmung und gleich¬
zeitige intrapleurale Injektion von 0,3 ccm tuberkulös gemacht. (Kurve 11.)
Resultat: Geringer Temperaturanstieg, starkes Emporschnellen der Leukozyten¬
zahl nach der Injektion um ca. 7000. Schneller Abfall zur Norm.
15. Versuch: Injektion von tuberkulösem Serum in das Herz eines
normalen Meerschweinchens. Gewinnung des tuberkulösen Serums siehe bei
Versuch 14. Das abzentrifugierte Serum (0,3 ccm) wird einem gesunden Meerschwein¬
chen injiziert. (Kurve 12.)
Resultat: Geringe Temperaturerhöhung, starke Leukozytenvermehrung (um
ca. 7000) nach der Injektion. Rascher Abfall zur Norm.
16. Versuch: Injektion von normalem Meerschweinchenserum in
das Herz eines tuberkulösen Meerschweinchens. Einem tuberkulös infizierten
Tiere (Tb. durch spätere Sektion bestätigt) wird das Serum eines normalen Meer¬
schweinchens intrakardial injiziert. (Kurve 13.)
Resultat: Kein Einfluss auf die Temperaturkurve und Leukozytenzahl.
17. Versuch: Injektion von normalem Meersohweinchenserum in
das Herz eines zweiten normalen Meerschweinchens. (Kurve 14.)
Resultat. Kein deutlicher Einfluss der Injektion auf Temperatur- und
Leukozytenkurve.
18. Versuch: Injektion von steriler Ringerlösung in das Herz eines
normalen Meerschweinchens. (Kurve 15.)
Resultat: Keine Temperatursteigerung, keine Leukozytenerhöhung naoh der
Injektion.
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G. EISNER,
19. Versuch: Gleiche Anordnung wie bei Versuoh 18. (Kurve 16.)
Resultat: Keine Beeinflussung der Temperatur. Die an sioh unregelmässige
Leukozytenkurve zeigt nach der Injektion keine Tendenz zum Steigen, sondern
fällt zunächst.
IY. Versnchsergebnisse.
Fassen wir nun die Ergebnisse der Versuche zusammen, so lässt
sich folgendes sagen: Eine nennenswerte Beeinflussung der Temperatur¬
kurve ist in keinem der 19 Versuche zu verzeichnen gewesen, weder bei
den Injektionen mit sterilen noch bei denen mit tuberkulösen Exsudaten
oder tuberkulösem Serum. Nur bei Versuch 14 und 15 (Injektion von
tuberkulösem Serum bei tuberkulösem und normalem Meerschweinchen)
Hess sich eine geringe, kurz andauernde Temperatursteigerung erkennen.
Die Ergebnisse stehen also im Gegensatz zu den Angaben einiger Autoren
(Gilbert [14], Fede [3], Marcou [10], Dodal [15] u. a.), die bei der
menschlichen Autoserotherapie meist Temperaturanstieg gesehen haben
und diesen als Reaktion auf die etwa in dem Exsudat enthaltenen
tuberkulinähnlichen Stoffe erklären wollen.
Positive Ergebnisse dagegen hat die Beobachtung der Leukozyten¬
kurve aufzuweisen. Hier konnte ich folgendes feststellen: Bei fast allen
Versuchen mit sterilen Exsudaten zeigt die Leukozytenkurve nach
der Injektion die Tendenz, in die Höhe zu gehen. In einigen Versuchen
ist bereits am folgenden Tage der Höhepunkt erreicht, in anderen aber
erst nach 2, 3 und 4 Tagen. Die Differenz beträgt fast stets ca. 4000.
Nicht ausgesprochen ist der Ausschlag bei Versuch 4, wo allerdings zum
3. Male beim gleichen Tier eigenes Exsudat injiziert wurde und zwar
eine im Vergleich zu den beiden vorausgehenden Injektionen ziemlich
geringe Menge, ferner bei Versuch 8. Hier wurde das Exsudat nicht
dem eigenen, sondern einem artgleichen Tiere injiziert. Der Ausschlag
ist ganz gering im Gegensatz zu Versuch 7 (ebenfalls Injektion bei einem
artgleichen Tier), wo ein Steigen um 4000, wenn auch erst am 4. Tage,
beobachtet ist. Das Ergebnis dieser Versuchsreihe ist also kein klares.
Eindeutiger sind die Versuche mit tuberkulösem Exsudat und
tuberkulösem Serum ausgefallen (Versuche 9—15). Man sieht hier
jedesmal im Anschluss an die Injektion einen ziemlich plötzlichen und
starken Anstieg der Leukozytenzahl, der nur bis zum folgenden Tage
andauert und dann eben so schnell wieder zur Norm zurückkehrt. Einen
besonders starken Ausschlag zeigen die beiden Kurven 14 und 15, bei
denen es sich um Injektionen von tuberkulösem Serum handelt. Hier
beträgt der Anstieg 7000, während er bei den anderen Versuchen
zwischen 3000 und 4000 schwankt. Ein etwas abweichendes Bild zeigt nur
die Kurve 12, wo die Leukozytenzahl nicht wieder zur Norm abfällt,
sondern sich mit geringen Intermissionen auf der Höhe hält. Ein
Unterschied, je nachdem ob das Versuchstier selbst tuberkulös oder nicht
tuberkulös war, hat sich nicht ergeben. Alle Kontrollversuche (Injektion
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Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
41
von normalem Meerschweinchenserum [16 u. 17] und Injektion von
steriler Ringerlösung [18 u. 19J) zeigen keine Beeinflussung der Leukozyten¬
kurve. Es besteht also wohl nach diesen Beobachtungen kein Zweifel,
dass nach Injektionen von tuberkulösem Exsudat und tuberku¬
lösem Serum eine Vermehrung der weissen Blutkörperchen im
Tierexperiment, und zwar unabhängig von einer Temperatur¬
erhöhung, auftritt.
V. Theoretisches.
Wie können wir nun unsere Ergebnisse erklären? Wodurch ist die
Leukozytose verursacht? Zunächst möchte ich einen Augenblick auf den
Ausfall der ersten Serie eingehen, der keineswegs eindeutig und einwands¬
frei ist. Dass auf die Injektionen auch hier eine Reaktion eingetreten
ist, steht fest. Aber es ist doch der Einwand nicht von der Hand zu
weisen, dass die durch Terpentinöl erzeugten sterilen Exsudate auch noch
Terpentinöl enthalten haben, und dass dieses die Leukozytose allein ver¬
ursacht hat. Zeigt doch schon die intrapleurale Injektion von sterilem
Terpentinöl (z. B. bei Versuch 6) deutlich einen Anstieg der Leukozyten¬
zahl. Eine intravenöse Injektion dieser Substanz müsste also, selbst in
ziemlich starker Verdünnung, doch einen erheblichen Ausschlag ver¬
ursachen können. Mit Sicherheit auszuschliessen ist diese Deutung der
Ergebnisse jedenfalls nicht, obwohl durch den Geruch kein Terpentinöl
mehr in den Exsudaten nacbzuweisen war.
Man könnte sonst noch daran denken, dass autolytische Zellstoff¬
wechselprodukte die Reaktion verursacht haben könnten. Bei der kurzen
Dauer des Bestandes der Exsudate zur Zeit der Versuche ist diese An¬
nahme nicht recht wahrscheinlich. Ich möchte jedenfalls nicht wagen,
irgend welche festen Schlüsse aus dem Ergebnis der ersten Versuchs¬
reihe zu ziehen.
Allein kann es der Einfluss solcher, eben angedeuteter Stoffe jeden¬
falls nicht sein, denn sonst müsste auch der Ausfall der zweiten Serie
mit tuberkulösen Exsudaten (bzw. Serum) mehr mit dem der ersten über¬
einstimmen. Der auffallende Unterschied und das klare Ergebnis dieser
Versuche drängt uns vielmehr zu der Annahme, dass hier spezifische
Stoffe im Exsudat und im Serum vorhanden sind, die den Anstieg der
Leukozytenzahl verursacht haben. Ob noch andere Stoffe — etwa auto¬
lytische Abbauprodukte von Zellen — nebenher ebenfalls wirksam sind,
möchte ich dahingestellt sein lassen. Welche spezifischen tuberkulösen
Stoffe in Frage kommen, steht auch wieder nicht fest. Man muss daran
denken, wie schon Gilbert annahm, dass es toxische Stoffe des Tuberkel¬
bazillus selbst sind, also etwa tuberkulinähnliche Substanzen, oder dass
es Antikörper irgend welcher Art sind (Antitoxine, Aggressine, Lysine,
Opsonine), die die Reaktion auslösen. Nachweisbar sind diese ge¬
nannten Stoffe alle mehr oder weniger sowohl im Serum als auch im
Exsudat tuberkulöser Menschen und Tiere. Je nachdem, welche Stoffe
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G. E1SNER,
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man als die wirksamen ansehen will, kann man sich den Einfluss auf
den Organismus entweder als aktiven oder passiven Immunisierungsvorgang
vorstellen. Auch an die Bai Ische Aggressintheorie wäre zu denken.
Gerade in Exsudaten sind von Bail und seinen Mitarbeitern die Aggressinc
gefunden worden [Literatur siehe Bail (27), Sauerbeck (28) und viele
andere Arbeiten). Aber alle diese Fragen sind vorläufig doch noch rein
hypothetischer Natur. Abgesehen von dem Nachweis der betreffenden
Stoffe in den Exsudaten (bzw. im Serum) fehlen noch alle experimentellen
Stützen für die eine oder die andere Annahme.
Wie soll man sich aber nun nach dem Ausfall unserer Versuche
den Mechanismus der Autoserotherapie erklären? Dass es sich um spe¬
zifische Stoffe handelt, ist wohl nach den vorliegenden Versuchsergebnissen
und nach den günstigen Erfolgen der Autoserotherapie gerade bei tuber¬
kulösen Pleuritiden im Gegensatz zu den unsicheren Erfolgen bei anderen
Ergüssen als sicher anzunehmen. Man kann sich nun vorstellen, dass der
günstige Einfluss allein darin besteht, dass der Organismus durch die
injizierten Stoffe dazu angeregt wird, viele weisse Blutkörperchen in den
Kreislauf zu senden, und dass dadurch allein die Resorption des Exsudates
verursacht wird. Die Leukozytose können wir uns sehr wohl als eine
Schutzvorrichtung und Abwehrerscheinung des Organismus gegen Schädi¬
gungen vorstellen [Krehl, pathologische Physiologie (29), Jakob (30).
Andererseits besteht auch die Möglichkeit, dass durch die Exsudat¬
injektion Stoffe injiziert werden, oder dass die Bildung von Stoffen angeregt
wird, die der Wirkung der Toxine, welche die Pleuritis erzeugen, ent¬
gegenwirken und dadurch zur Heilung führen (passive oder aktive Immuni¬
sierung). Auch könnten es beide Faktoren, Leukozytose und spezifische
Antikörper, gemeinsam sein. Zur Klärung dieser Frage müsste zunächst
versucht werden, ob nicht auch durch anderweitig erzeugte künstliche
Leukozytose ein gleicher günstiger Einfluss auf die Resorption des Es-
sudats möglich wäre wie durch die Einspritzung des eigenen Exsudates.
Bei der Autoserotherapie, wie sie in der Praxis gehandhabt wird, müssen
wir uns jedenfalls irgend welche spezifischen Stoffe als letzte Ursache
des Erfolges vorstellen, und je nachdem ob in einem Exsudat viel oder
wenig von diesen Stoffen enthalten sind, wird man ein mehr oder weniger
günstiges Resultat erwarten können. So wäre auch zu verstehen, wenn
eine Reihe von Autoren keinen Einfluss der Autoserotherapie gesehen
hat. Das wären dann Fälle, deren Pleuralexsudat arm an diesen wirk¬
samen Substanzen war.
Aus allen diesen Erörterungen ergibt sich, dass noch recht viele Un¬
klarheiten bestehen, und dass die Frage über das Wesen der Autoserotherapie
noch keineswegs als gelöst bezeichnet werden kann. Hierzu bedarf es noch
einer Reihe weiterer Untersuchungen, die sich sowohl auf das Ticrexperiment
als auch besonders auf Beobachtungen am Menschen erstrecken müssen.
Ist doch das Tierexperiitent nie ohne weiteres auf menschliche Verhält-
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Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
43
nisse zu übertragen. Ich möchte dies inbezug auf meine vorliegenden
Untersuchungen besonders hervorheben, da sich bei diesen die Versuchs-
anordnnng vielfach sehr von der beim Menschen angewandten Autosero¬
therapie unterscheidet 1 ), und Kaninchen wie Meerschweinchen überhaupt
ganz andere Verhältnisse aufweisen, als der menschliche Organismus.
Alle Schlüsse sind daher nur mit grosser Vorsicht und mit Einschrän¬
kungen zu übertragen. Ich bin mir bewusst, dass die Einwände sehr
zahlreich sind, und dass die aus meinen Ergebnissen gezogenen Schlüsse,
auf den Menschen übertragen, nur Vermutungen bleiben können, bis sie
durch Beobachtungen am Menschen auch bestätigt sind.
VI. Schloss.
Immerhin haben die vorliegenden Untersuchungen aber doch ein
Ergebnis geliefert, indem sie zeigen, dass nach Injektion von tuberku¬
lösem artgleichem Exsudat überhaupt eine Reaktion auftritt. Bisher
haben alle Autoren sich nur auf theoretische Auseinandersetzungen über
die Wirkungsweise der Autoserotherapie beschränkt und sich damit be¬
gnügt, immer nur Vermutungen zur Diskussion zu stellen. Das kann
aber nur Anregungen geben, zur Klärung der Frage jedoch nicht viel
beitragen. Die vorliegenden Untersuchungen bilden den ersten Versuch,
der Frage auf experimentellem Wege näher zu kommen. Wenn das Er¬
gebnis, die Feststellung einer regelmässigen Leukozytose im
Tierexperiment, auch bescheiden ist, so ist es doch immerhin eine und
zwar die erste experimentelle Stütze für eine Erklärung der Wirkungs¬
weise der Autoserotherapie, auf die sich weitere Untersuchungen auf¬
bauen können.
Literatürverzeichnis.
1) Gilbert, Gaz. des Höpit. 1894. p. 560. — 2) Senator u. Schnütgen,
Handb. d. Serumther. München 1910. Lehmanns Verlag. — 3) Pede, Rif. roed.
Vol. XXII. 48. Ref. nach Schmidts Jahrb. 1907. Bd. 295. S.247. — 4) Geronzi,
La Mod. IUI. 1907. Vol. II. No. IV. — 5) Nassetti, Rif. med. 1908. No. 39. —
6) Schnütgen, Berl. klin. Wochenschr. 1909. Nr. 3. S. 97. — 7) Enriquez,
Durand et Weil, Soc. mdd. des Höpit. 1904. Söance du 4. Juin. — 8) Zimmer¬
mann, St. Petersb. Wochensohr. 1909. Nr. 34. S. 461. — 9) Hochhaus, Deutsche
med. Wochenschr. 1909. Nr. 42. S. 1819. — 10) Marcou, La presse möd.
1909. No. 71. Ref. nach Pol. serolog. 1909. Bd. 3. S. 487. — 11) Szurek, Med.
Klinik. 1909. Nr. 44. S. 1665. — 12) Sarcinelli, Ref. nach Pol. serolog. 1911.
Bd. 7. S. 99. — 13) Dumitriu, Spitalul. 1910. No. 15. Ref. nach Fol. serolog.
1911. Bd. 7. S. 100. — 14) Gilbert, Revue möd. de Ia Suisse Romande. 1910.
p. 24. — 15) Dodal, Wien. med. Wochenschr. 1910. Nr. 8. S. 455. — 16) Tschi-
1) Auch besonders in quantitativer Hinsicht. Die von mir angewandten Mengen
entsprechen keineswegs der verhältnismässig geringen Menge Exsudat, die man bei der
Autoserotherapie beim Menschen injiziert.
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44 G. E1SNER, Experimentelle Untersuchungen über Autoserotherapie.
gajew, Ref. nach Münoh. med. Wochenschr. 1911. Nr. 17. — 17) Arnsperger,
Ther. d. Gegenw. 1911. Nov. S. 495. — 18) Meyer, K., Deutsche med.Wochenschr.
1908. Nr. 20. — 19) Weil, S., Deutsche med. Wochenschr. 1912. Nr. 2. — 20) Sla-
tinöanu u. Dartiölopulo, Röunion biolog. de Bukarest. 1909. — 21) Böhme,
Deutsches Archiv für klin. Med. Bd. 96. — 22) Sohupfer, II Policiinico Sez. Med.
1908. Vol. 15. Ref. nach Fol. serolog. Bd. 3. S. 374. — 23) Livierato und
Crossonini, Zentralbl. f. Bakt. I. Abt. Orig. Bd. 58. H. 2. — 24) Paraske-
vopoulos, Compt. rend. T. LXX. p. 586. — 25) Galdi, La clin. med. Ital.
No. 2. Ref. nach Zentralblatt f. d. ges. Phys. u. Path. d. Stoffwechsels. Bd. 6.
S. 332. — 26) Heinz, Handb. d. exper. Path. u. Pharm. Bd. 1. S. 242 u.ff.
— 27) Bail, Fol. serol. Bd. 1. H. 2 u. a. — 28) Sauerbeck, Fol. serolog. Bd. 2.
H. 1. —- 29) Krehl, Patholog. Phys. V. Aufl. S. 168. Leipzig. Verlag Vogel. —
30) Jakob, Kongr. f. inn. Med. 1897. S. 395.
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IV.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldscheider).
Ueber Aenderungen des Chlorgehalts im Blutserum bei
Sekretionsstörungen des Magens.
Von
Dr. W. Arnoldi.
Die Aetiologie der Sekretionsstörungen des Magens ist deswegen
kompliziert, weil sie sich aus Veränderungen der sehr verschiedenen
Faktoren zusammensetzt, aus deren Zusammenwirken normaliter die
Salzsäureproduktion resultiert. Es sind dies einmal psychische bzw.
zentrale Reize oder Hemmungen, die in der Bahn des Vagus und Sym¬
pathikus zum Magen verlaufen, sodann ncurochemische, auf das im
Organ selbst gelegene periphere Vagosympathikussystem durch im Blut
kreisende, aus dem Organismus selbst stammende oder bei der Spaltung
der Nahrungsstoffe entstehende Körper, die ähnlich den im pharmako¬
logischen Experiment sowie therapeutisch die Sekretion beeinflussenden
bekannten Alkaloiden (wie z. B. Atropin, Pilokarpin, Nikotin, Muskarin)
wirken oder schliesslich anatomische und funktionelle Veränderungen der
Drüsenzellen selbst 1 )-
Eine Aufklärung ist dann erst zu erwarten, wenn man die Ver¬
änderungen kennt, die eine kleine Stufe vor der eigentlichen HCl-Bildung
durch die Drüsen liegen, nämlich die des materialzuführenden Blutes.
Diese können allerdings auch die Folge der Sekretionsstörungen sein,
immerhin ist die Kenntnis etwaiger Veränderungen in der Blutzusaramen-
setzung ätiologisch wie therapeutisch wissenswert.
Bei der Durchsicht der Literatur fand ich nur von Biernacki 2 )
Angaben über Cl-Analysen des Blutes in den genannten Fällen. Er
fand den Cl-Gehalt des Blutes im allgemeinen konstant, höchstens bei
Ulkus mit Perazidität eine geringe Cl-Verarmung trotz Hydrämie.
1) Näheres siehe bei Ehrmann, Physiologische und klinische Untersuchungen
über die Magensaftsekretion. Internat. Beitr. z. Pathol. u. Ther. d. Ernährungsstör.
Bd. 3.
2) Biernacki, Untersuchungen über die chemische Blutbeschaffenheit bei
pathologischen, insbesondere bei anämischen Zuständen. Diese Zeitschr. 1894.
Bd. 24. S. 460.
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46
W. ARNOLDl,
Seine Untersuchungen beziehen sich vorwiegend auf das Gesanatblut.
Das Serum enthält im Vergleich zu dem Gesamtblut 20—30 pCt. mehr
Chlor [Viola 1 )]. Ferner ist das CI hier in frei diffusibler Form ent¬
halten [Gürber 2 3 ), Rona 8 )] und damit die quantitative Ausfällung doch
wohl leichter und sicherer. Es lässt sich also annehmen, dass aus
diesen Gründen physiologische wie pathologische Ausschläge im Serum
deutlicher hervortreten, als im Gesamtblut.
Dass überhaupt die Salzsäureproduktion auf den Cl-Gehalt des
Blutes von Einfluss ist, beweisen die Untersuchungen von Benrath und
Sachs 4 ) und von Rosemann 5 6 * ) am Hund mit Fistelmagen. Sie fanden
nach Erregung der Salzsäureproduktion eine Verminderung des Cl-Gehalts
des Blutes (0,213 pCt. gegen 0,225 pCt. CI bzw. 0,2369 pCt. gegen
0,2701 pCt. CI).
Einen ähnlichen Versuch, jedoch ohne Anlegung einer Magenfistel machte
auch ich. Zwei ca. 10 Kilo schwere Bulldoggen wurden morgens nach
ca. 12 ständigem Hungern getötet, der eine nüchtern, der andere eine
halbe Stunde nach reichlicher Fleischfütterung. Das Serum des ersten
Hundes enthielt 0,45 pCt. CI, das des zweiten 0,41 pCt. CI; dabei war
der Wassergehalt des Serums von Hund II erheblich geringer. Das
Serum des Hundes zeigt demnach eine deutliche Verminderung des
Cl-Gehalts nach Erregung der Magensaftsekretion.
Ehe ich nun an die Feststellung des Cl-Gehalts des menschlichen
Blutserums bei Sekretionsstörungen des Magens ging, suchte ich durch
einige Analysen den Cl-Gehalt an vorwiegend magengesunden Personen
festzustellen. Die Angaben der Autoren hierüber sind wechselnd 8 ). Die
früheren Untersucher bedienten sich zum Teil einer fehlerhaften Methodik
(wie z. B. Veraschung des Blutes ohne Sodazusatz), später mag u. a.
die Nichtbeachtung des Zustandes der Magensaftsekretion die Ursache
für die abweichenden Werte gewesen sein.
Zur Chlorbestimmung benutzte ich eine Methode von Ehrmann
und Wolff, die gute Werte liefert.
1) Viola, Estrato dal perodio. Rivista Veneta d. sc. med. Anno XVI11.
Fase. VIII. April 1901. Zit. nach Hamburger, Osmot. Druck u. Ionenlehre.
Wiesbaden 1902. Bd. I. S. 503.
2) Gürber, Die Salze des Blutes. Verhandl. d. physikal.-med. Ges. zu
Würzburg 1894.
3) Roüa, Ueber das Verhalten des CI im Serum. Ref. im Biochem. Zentralbl.
1910. Bd. 29. S. 501.
4) Benrath u. Sachs, Ueber die Bildung der Salzsäure im Magen. Arch. f.
Physiol. 1905. Bd. 109. S. 4G6.
5) Rosemann, Die Eigenschaften und Zusammensetzungen des durch Schein¬
fütterung gewonnenen Hundemagensaftes. Arch. f. Physiol. 1907. Bd. 118. S. 467.
6) Mittelwert nach C. Schmidt (4Fälle), Wanach (2 Fälle), A rronet (2Fällc),
0,3467; nach Rumpf, verschiedene Autoren im Mittel 0,353, zit. nach Vierordts
Daten und Tabellen für Mediziner. 1906. 3. Aull.
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Aenderangen d. Chlorgehalts im Blatsoram bei Sekretionsstörungen d. Hägens. 47
Methode der Chlorbestimmung von Ehrmann undWolff 1 ).
10—20 g Serum (nicht über 20 g) werden in einem Erlenmeyer-
Kolben von ca. 300 ccm abgewogen, dazu ca. 0,8—1,0 g, in wenig
H 2 0 gelöstes Silbernitrat zugefügt, ein Trichter’ in den Eolbenhals ge¬
führt, langsam ca. 10 ccm Cl-freie HNO s (spez. Gew. = 1,4) und nach
einigen Minuten 10—15 ccm Cl-freie, rauchende HN0 3 (spez. Gew. = 1,52)
eingegossen. Auf dem Sandbade alsdann vorsichtige Erwärmung, 2 bis
3 Stunden, bis sich in einer klaren gelblichen Flüssigkeit ein heller
Niederschlag abscheidet; erkaltenlassen, aufgiessen von H 2 0, filtrieren
mittels aschefreien Filters und mit H 2 0 auswaschen, Filter trocknen,
im gewogenen Porzellantiegel veraschen, erkalten lassen, einige Tropfen
Cl-freie HN0 8 (spez. Gew. = 1,4) zugiessen, über bedeckter Flamme
eine Zeitlang erwärmen, bis Dämpfe aufsteigen, zufügen von HCl
(spez. Gew. = 0,126—0,127), vorsichtig abdampfen, über bedeckter
Flamme bis zur Trockne, den Rückstand in der Flamme vorsichtig (bei
starkem Glühen kann ein kleiner Teil AgCl durch Verfluchten des CI in
reines Ag umgewandelt werden) zum jSchmelzen bringen. Die in der
Wärme bunt aussehende, in der Kälte graue bis graugelbe Schmelze wird
nach Erkalten im Exsikkator gewogen. Das Gewicht mal 0,247 gibt die
Menge des CI an, die Fehlergrenze bei Verarbeitung von 10 g Serum ist
nach Ehr mann und Wolff nicht grösser als 0,01 pCt.
Rosemann 2 ), der die von v. Morazcwskische 8 ) Methode benutzte,
fand gut übereinstimmende, jedoch etwas zu niedrige Werte. Rose¬
manns Untersuchungen beziehen sich auf das Gesamtblut.
Die später noch ausgeführten Serumtrocken- bzw. Wassergehalts¬
bestimmungen erfolgten in der üblichen Weise (Hoppe-Seyler). An
sich sind die Werte mit der Reserve zu betrachten, dass die Trennung
des Serums von den Körperchen in der Zentrifuge eventuell einen Einfluss
auf den Wassergehalt ausüben können.
Kasuistik.
Zunächst analysierte ich kleinere Mengen (ca. 6—10 g Serum) mit
Kontrollen. Nachdem ich durch zahlreiche Analysen eine grössere
Sicherheit in der Technik erlangt habe, unterliess ich cs, Kontrollen zu
machen und nahm dafür grössere Mengen (10—20 g). Die Fehler
durch die Methodik (Ungenauigkeit der Wagen usw.) verringern sich mit
der grösseren Menge des untersuchten Serums, andererseits wollte ich
bei den ambulant untersuchten Patienten der hiesigen Poliklinik nicht
1) Bisher nicht veröffentlicht.
2) Kosemann, Ueber den Gesamtchlorgehalt des tierischen Körpers. Arch. f.
Physiol.’ 1910. Bd. 35. S. 177.
3) v. Morazowski, Die Mineralbestandteile der menschlichen Organe. Zcitschr.
f. pbysiol. Chemie. 1897. Bd. 23. S. 483.
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UMIVERSITY OF . ALIFORNIA
48
W. ARNOLDI,
zu grosse Mengen Blut entnehmen. So wurden die mit der Straussschen
Kanüle ausgeführten Blutentnahmen von 40—60 ccm Blut anstandslos
gut vertragen.
Tabelle I.
Vorwiegend magengesunde Fälle.
Nach einer Mahlzeit
N Sü
a fl
Nüchtern
r. O
Nr.
Krankheit
im Serum
Es wurde
Zeit
im
u
,<u r/) O
t! v
3 S
pCt. CI
nach dem
Serum
gegessen
Essen
pCt. CI
5 s fl
cö
1
Gesund
0,330 \
0,331 /
—
—
—
—
30 j ähr.
Mann
2
Tabes dorsal is
0,372
Kotelette mit
2 Stunden
0,342
— 0,03
50 j ähr.
Apfelmus
Mann
3
Neurasthenie
0,363 \
Suppe,
0,865\
+ 0,002
30 j ähr.
Lues. — Verdacht
0,363 /
Goulasch
0,368/
+ 0,005
Mann
4
Lues
0,352 \
0,364 /
?
—
0,373
+ 0,015
45jäbr.
Mann
5
Saturnismus chro¬
0,354
1 Liter Milch
1V 2 Stdn.
0,385
+ 0,031
30jähr.
nicus. Lues
Mann
6
Aneurysma aortae
0,380
—
—
0,374
- 0,006
67j. M.
7
Asthma bronchiale.
0,387
—
—
0,379
-0,008
40jähr.
Neurasthenie. Lues.
Mann
Verdacht
8
Gastritis acuta
0,381
—
—
0,359
— 0,022
23j. M.
9
Tumor mediastini
0,337
—
—
—
—
41 j. M.
10
Lues
—
—
—
0,372
—
35j. M.
11
Lues. — Verdacht
—
—
—
0,368
—
ca. 30j.
Frau
12
Lues. — Verdacht
0,338
—
—
—
—
ca. 25j.
Mann
13
Urämie
0,387 \
35jähr.
0,380 /
Mann
ad 1) Am Abend vorher sehr reichliche Mahlzeit.
ad 4) Welche Mahlzeit der Patient genommen hatte, war nicht festgestellt worden.
ad 8) Patient hatte bei einer Sondenuntersnchung keine freie HCl, später entzog
ersieh der Beobachtung. Wassergehalt des Blutes, nüchtern: 78,1 pCt.; nach der
Milch: 71,9pCt.
ad 13) Wassergehalt des Serums: 92,5 pCt. (!).
Im allgemeinen lagen zwischen zwei Untersuchungen eines Patienten
4—8 Tage. In diesen willkürlich zusammengestellten Fällen schwankte
der Cl-Gehalt des Serums zwischen 0,330 und 0,387 pCt. Viola fand bei
mehreren Untersuchungen um 11 Uhr 0,32 pCt. CI; um 3 Uhr,
2 1 /* Stunden nach der Nahrungsaufnahme, 0,34 pCt. CI; um 5 Uhr,
4 Stunden nach dem Mittagessen, 0,35 pCt. CI; um Uhr, nach
Trinken von 20 g NaCl in 300 ccm Wasser gelöst, 0,425 pCt. CI (!) im
Serum. Zu bemerken ist, dass nach Aderlässen der Cl-Gehalt des
Blutes steigt. Dass bei den zweimal untersuchten sieben Fällen nur
viermal eine leichte Verminderung des Cl-Gehalts nach der Mahlzeit zu
verzeichnen ist, dreimal sogar eine Zunahme, lag wohl daran, dass die
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Aenderungen d. Chlorgehalts im Blutserum bei Sekretionsstörungen d. Magens. 49
Blutentnahmen zu lange Zeit — 1 1 / 2 bis 2 Stunden — nach der Nahrungs¬
aufnahme vollzogen wurde und dann das CI wahrscheinlich wieder als
NaCl zurückresorbiert worden war. Keinerlei Magensymptome zur Zeit
der Blutentnahme boten Fall 1, 2, 3, 4, 6, 7, 9, 10, 11, 12. Dennoch
ist damit selbstverständlich nicht absolut erwiesen, dass die Salzsäure¬
produktion normal war [vgl. die Beobachtungen von Boas 1 ) u. a. an
magengesunden Personen]. Es ergibt sich daraus die Schwierigkeit für
die Feststellung der Werte in der Norm. Immerhin scheint es mir
wahrscheinlich, dass Schwankungen zwischen ca. 0,33 und
0,38 zur physiologischen Breite zu rechnen sind. Während man
als Mittel 0,358 nüchtern, 0,368 nach Mahlzeit berechnet nach den
Werten von Fall 1, 2, 3, 4, 6, 7, 9, 10, 11, 12 ansehen kann.
Ich gebe nun weiter die Analysen bei Hyperchlorhydrie und An-
bezw. Subazidität wieder.
Tabelle II.
Fälle mit vermehrter Salzsäureabschcidung des Magens.
<u
B
s
m
o
Nüchtern
Nach einer Mahlzeit
Differenz
Dat.
a n
Dat.
Zeit
im Serum
im Serum
3
25
o
w
%ci ! 0 / 0 R 2 O
es wurde gegessen
nach d.
Essen
% ci;
YoHjO
%Cl !
%h 2 0
14
10. 8.12
72:96
0,3433
89,3
14.3.12
ca. 150 ccm Weiss¬
wein u. 5 Zwieback
V 2 St.
0,3438
0,3555 \
0,3572/
89,5
+ 0,2
+ 0,2
15
9. 3. 12
68:88
0,3592
89,9
27.3.12
—
—
90,9
- 0,0037
+ 1,0
16
13. 3. 12
61:75
0,3564:
90,4
16. 3. 12
—
—
0,3449
89,6
-0,0115
-0,8
8. 5. 12
43:61
0,3526;
91.2
91.3
17
17. 3. 12
65:89
0,3505
23. 3. 12
ca. 150 ccm Rot¬
wein u. 5 Zwieback
—
0,3469 :
90,9
— 0,0036
— 0,4
18
29. 4.12
68:80
29. 4.12
Tee u. Schrippe
—
0,3408
90,9
19
2. 5.12
48:68
2. 5.12
—
—
0,3418
91,2
pil
2.3.12
60:70
0.3718
91,7
Durchsebn.
61:78
0,3556
90,6
</ 2 st.
0,3457
90,5
— 0,0099
— 0,1
ohne Fall 20
61:79
0,3524
90,4
—
— 0,0067
+ 0,1
Tabelle 111.
Fälle mit Magenbeschwerden entsprechend einer Superazidität und (scheinbar?) normaler
oder wechselnder Salzsäureabscheidung des Magens.
a>
<n
© .
Nüchtern
Nach einer Mahlzeit
Differenz
2
B
Dat.
im Serum
Dat.
Zeit
im Serum
im Serum
3
z,
__
o
tc
%C1
%h 2 0
es wurde gegessen
nach d.
Essen
%C1
%H*0
%ci
%h 2 0
21
26. 3. 12
40:60
0,3642
90,8
14.5. 12
5:10
14. 5.12
ca. 250 ccm Tee
'/, st.
0,3818
91,5
mit Schrippe
22
WXME
33:52
20. 4. 12
—
—
0,3659
90,7
23
4. 5.12
42:57
0,3821
91,8
9. 5.12
20:37
0,36041
0,3534/
! 91,2
24
17. 5. 12
41:50
0.3506 1
90,7
Durchschn.
39:55
0,3634
91,1
1
12:23
1) Boas, Diagnostik und Therapie der Magenkrankheiten. 1912.
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. I u. 2. 4
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50 W. ARNOLDI,
Tabelle IV.
Fälle mit verminderter oder fehlender Salzsäureabscheidung des Magens.
&
M
Nüchtern
Nach einer Mahlzeit
Differenz
0
g
Dat.
im Serum
Dat.
es wurde gegessen
Zeit
im Serum 1
im Serum
H
%CI
|%h 2 o
nach d.
Essen
% ci
|%h 2 o
%CI
%n 2 o
25
13. 2.12
0:7
0,3737 \
0,3782/
EH
■Mwl
20. 2.12
ca. 150 ccm Weiss¬
wein u. 5 Zwieback
V* st.
0,3794
91,0
91,0
+ 0,0057
+ 0,0012
+ 0,1
ca. 250 ccm Tee,
26
10. 3. 12
0
0,3671
90,1
19. 3.12
nach einer J / 4 St.
150 ccm Rotwein
—
0,3693
91,1
+ 0,0022
+ 1,0
und 5 Zwieback
27
4. 4. 12
0
0,3757
90,9
16. 4.12
ca. 250 ccm Tee
—
0,3609
90,6
— 0,0148;
-0,3
mit Schrippe
28
20. 4.12
0
0,3852
90,6
23. 4.12
0
0,3719
91,0
29
20. 4. 12
0
20. 4.12
—
—
0,3663
91,2
30
1.5.12
8:30
1.5. 12
—
—
0,3617
91,0
31
23. 3.12
0
0,3604\
0,8558/
89,9
82
1.5. 12
0
1.5. 12
—
—
0,3553 |
91,2
33
7.5. 12
0: 10
7. 5.12
—
—
0,3495\!
0,3532/
90,3
14. 5. 12
0:14
14. 5. 12
—
—
0,3494
90,7
Durchschnitt
0,3723
90,6
V» St.
0,3617
90,9
— 0,0106
+ 0,3
ausser Fall 82, 33
0,3675
90,9
— 0,0048
+ 0,3
ad Tabelle II. Pat. W. (Fall 20) wurde nur einmal von anderer Seite mit der
Magensonde untersucht, später entzog er sich der Beobachtung (vergleiche die Kranken¬
geschichte). Seine Zugehörigkeit zu den Fällen der Tabelle II ist daher nicht sicher.
Fall 19 wurde nur kurze Zeit beobachtet.
ad Tabelle III. Die Werte nach der Mahlzeit eignen sich nicht zur Formulierung
eines Mittelwertes, da nur zwei Analysen vorliegen.
ad Tabelle IV. Die Fälle 32 und 33 weichen so auffällig von den übrigen ab,
dass anzunehmen ist, dass hier der Chlorstoffwechsel in anderer Weise gestört ist wie
bei den übrigen Fällen.
ad 14. 30jähriger Sohreiber, war niemals erheblich krank, bekommt bei An¬
strengungen leicht Herzklopfen. Seit etwa einem Jahr anfangs seltener, dann häufiger
Magenbeschwerden, unabhängig vom Essen plötzlicher „Ruck,“ darauf Schmerzen in
der Magengegend, die sich bis zum Halse hinaufziehen, dabei das Gefühl, als wolle
die Luft ausbleiben, Schweissausbruch. Diese Anfälle dauerten V 2 —I Stunde. In
den nächsten Tagen war dann noch ein Druckgefühl vorhanden. Kein Erbrechen oder
Uebelkeit, Stuhlgang regelmässig. Appetit immer gut. Die Nahrungsaufnahme rief
(ausser stark sauren Speisen) keine Schmerzen hervor.
Mittelgrosser Mann, Haut und Schleimhäute blass, leicht erregbare Horztätigkeit,
im übrigen innere Organe 0 . B. Im Stuhlgang kein Blut nachweisbar, Magengegend
druokschmerzhaft.
Freie HCl 72. Gesamtazidität 96. Diagnose: Superazidität und Neurasthenie.
Nach ca. 2 Monaten: freie HCl 28, Gesamtazidität 50, die Gegend des Cocums
wenig druckschmerzhaft, desgl. der Plexus solaris. Fühlt sich wesentlich besser an.
Eine Cl-Untersuchung des Serums konnte leider jetzt nicht mehr gemacht werden.
ad 15. 32jähriger Chauffeur, sah immer sehr blass aus, mit 8 Jahren schon
Magenbeschwerden; Druck in der Magengegend; später Bandwurm, der durch eine
Kur mit Erfolg abgetrieben wurde. Der Druck wurde immer schlimmer, seit 3 bis
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Aenderungen d. Chlorgehalts im Blutserum bei Sekretionsstörungen d. Magens. 51
4 Jahren saures Aufstossen, Sodbrennen. Stuhlgang oft verstopft. Wurde vielfach ohne
dauernden Erfolg behandelt; fühlt sich am wohlsten nach Magenspülungen.
Grosser, kräftiger Mann, leichte Diastase der Rekti, hier, in der Mitte zwischen
Nabel und Sohwertfortsatz, ganz geringe Druckschmerzhaftigkeit, im Stuhlgang kein
Blut. Die Röntgenuntersuchung ergibt einen normalen stehenden Magen, der lebhafte
Peristaltik zeigt. Magen nüchtern ausgehebert enthält ca. 8 ccm saure, schleimhaltige
Flüssigkeit, nach Probefrühstück freie HCl 68, Gesamtazidität 88.
Diagnose: Gastritis acida.
ad 16) 24jähriger Friseur. Vater Trinker. ' Schön als Kind nervös. Mit
17 Jahren viel Kopfschmerzen, oft Samenabgang. Durch Aufenthalt auf dem Lande
nur vorübergehend Besserung. Häufig Unwohlbefinden, keine Arbeitslust, Interesse¬
losigkeit. Seit fünf Jahren Magenbeschwerden: Druck, Völle, später saures Aufstossen,
Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen im Hinterkopf und der Stirn, Zucken in den Gliedern,
Schlaflosigkeit. Infektion verneint. Depressive Gemütsstimmung.
Herz und Lungen o. B. Die Röntgenuntersuchung ergibt dgl. keine Abweichung
der inneren Organe. Im Stuhlgang kein Blut, Wassermann positiv, Leisten- und
Ellbogendrüsen wenig vergrössert, sonst keine Drüsenschwellungen oder Zeichen einer
akquirierten bezw. hereditären Lues. Reflexe nicht gesteigert. Magengegend nioht
druckschmerzhaft. Costa decima fluctuans angedeutet. Später traten noch Plaques
mouqueuses auf und sicherten die durch positive Wassermannsche Reaktion gestellte
Diagnose auf Lues. Probefrühstück: freie HCl 61, Gesamtazidität 88.
Diagnose: Lues, Perazidität, Neurasthenie.
Unter geeigneter Diät und hydrotherapeutischen Massnahmen bessern sich die
Magenbeschwerden, desgl. die Schlaflosigkeit. Nach ca. 2 Monaten freie HCl 43, Ge¬
samtazidität 61 nach Probefrühstück.
ad 17) 26jähriger Maschinenarbeiter. Mit 19 Jahren luische Infektion; eine
Schmierkur. Seit dem 16. Jahre Magenbeschwerden: Schmerzen, die von der Magen¬
gegend zum Rücken und nach oben ausstrahlten, oft Angstgefühl, Brennen vor und
nach dem Essen; sobald er sich legte, Hessen die Schmerzen nach. Aufstossen ohne
Geschmack, bei körperlichen Anstrengungen leicht Atemnot. Leicht erregbar.
Mittelgrosser Mann in mässig gutem Ernährungszustand, Haut und Schleimhäute
blass, Wassermann positiv. Innere Organe ergeben (auch Röntgenuntersuchung) keine
pathologischen Abweichungen. Costa decima fluctuans. Magengegend etwas druck¬
schmerzhaft. Probefrühstück: freie HCl 65, Gesamtazidität 89.
Diagnose: Perazidität, Lues II.
Nach Diät, heissen Umschlägen, Belladonna kein Rückgang der Beschwerden,
nach ca. zwei Monaten Probefrühstück freie HCl 69, Gesamtazidität 83. Der Magen
ist jetzt in der Gegend der kleinen Kurvatur deutlich zirkumskript druckschmorzhaft,
desgleichen in geringerem Grad das Coecum, sowie die Gegend des Plexus solaris.
Pat. gibt an, besonders bei leerem Magen Schmerzen zu haben. Im Stuhlgang Blut
nicht nachweisbar.
ad 18) Mir zur Blutuntersuchung überwiesen, leidet an Druck, Aufstossen und
Brennen in der Magengegend, entzieht sich dann der weiteren Beobachtung, Probe-
frühstüok: freie HCl 48, Gesamtazidität 68.
Diagnose: Perazidität.
ad 19) 53jährige Portierfrau, I Partus, dreimal an schwerer Influenza erkrankt
gewesen, häufig Kopfschmerzen und Trockenheit im Hals. Ein Bandwurm wurde mit
Erfolg abgetrieben. Seit der letzten Influenza, also ca. 1 Jahr lang Magenbeschwerden :
Aufstossen, Druck, Brechreiz. Stuhlgang verstopft.
Mittelgrosse, gut ernährte Frau. Magengegend wenig diffus schmerzhaft.
Röntgendurchleuchtung ergibt keine Abweichungen. Im Stuhl kein Blut. Probe¬
frühstück: freie HCl 48, Gesamtazidität 68.
4 *
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52
W. ARNOLDI,
Diagnose: Perazidität, Molimina climacterii, Obstipatio.
Nach Diät und warmen Umschlägen bessert sich die Darmtätigkeit, auch die
Magenbeschwerden werden etwas geringer.
ad 20) 40jähriger Konditor, vor 6 Jahren Ulcus ventriculi, seitdem Beschwerden.
Grosser, sehr blasser Mann in schlechtem Ernährungszustand, entzieht sich bald der
weiteren Beobachtung. Probefrühstück soll freie HCl 60, Gesamtazidität 70 er¬
geben haben.
Diagnose: Molimina gastrica (Ulcus ventriculi? Perazidität oder Heterochylie?).
ad 21) 22jährige Schlosserfrau, als Kind Scharlach, später oft Schwindelanfälle,
Bleichsucht. Ein Abort. Vor ca. 3 Monaten plötzlich Stiche in der Magengegend,
die aber wieder vergingen. Vor einem Monat traten, wiederum plötzlich, die
Schmerzen auf, nach oben, besonders linksseitig und dem Rücken ausstrahlend.
Einmal saures Erbrechen. Oft Aufstossen, häufig, aber nicht regelmässig und ohne
strikte Abhängigkeit von der Art der Speisen, ca. 10 Minuten nach dem Essen Brennen
in der Magengegend. Stuhlgang regelmässig, Appetit schlecht, Schlaf unruhig. Hat
zuhause viel Aufregungen.
Kleinere schmächtige Frau, Magengegend im ganzen empfindlich, keine aus¬
gesprochenen Druckpunkte, im Stuhlgang schon makroskopisch sichtbar Blut. Probe¬
frühstück freie HCl 40, Gesamtazidität 60. Nach strenger Diät und heissen Um¬
schlägen Besserung. In diesem Stadium Serumuntersuchung auf Cl-Gehalt. Später
treten die Beschwerden von neuem auf. Nach Probefrühstück diesmal freie HCl 5,
Gesamtazidität 10, Blutuntersuchung sofort nach dem Probefrühstüok. Diagnose:
Ulcus ventriculi c. s. q. mit wechselnder Salzsäureabscheidung.
ad 22) 37jähriger Stanzer, als Kind Masern, seit drei Jahren Magenbeschwerden:
Druck, Aufstossen, Schmerzen. Häufig kalte Füsse und Hände, Appetitlosigkeit,
Kopfschmerzen, Schwindelanfälle. Stuhlgang ziemlich regelmässig, im Februar soll
ein Magengeschwür festgestellt worden sein. Diagnose: Ulcus ventriculi?
ad 23) 29jähriger Bureaubeamter, als Kind Keuchhusten, Windpocken, Masern.
Mit 12 Jahren Gehirnerschütterung nach einem Fall vom Reck. Seit einem halben
Jahre anfallsweise Ziehen vom Rücken zur Magengegend, kolikartige Schmerzen, nach
dem Esson Völle. Stuhlgang regelmässig.
Mittolgrosser Mann mit gutem Fettpolster. Haut und Schleimhäute blass. Im
Stuhlgang kein Blut nachweisbar. Magengegend wenig druckschmerzhaft. Probe¬
frühstück: freie HCl 42, Gesamtadizität 57; naoh fünf Tagen freie HCl 20, Gesamt¬
azidität 37. Diagnose: Heterochylie.
ad 24) 27jähriger Metallarbeiter, als Kind Masern, klagt seit 4 Jahren über
Magenbeschwerden. Damals hatte er nach einem Exzess in baccho morgens in einer
Badeanstalt gebadet, dabei beim Verlassen des Wassers häufiger sich mit dem Leib
über eine harte Kante gezogen und in der Folge krampfartige Schmerzen gespürt.
Diese liessen zunächst nach, traten aber nach acht Tagen wieder auf, wobei ihm im
Munde das Wasser zusammengelaufen sein soll und er tagelang kaum etwas gegessen
haben soll. Seitdem Appetitlosigkeit und Schmerzen. Die Beschwerden wurden
besser, setzten aber von neuem in den letzten 6 bis 8 Wochen ein und diesmal hatte
er einige Male Erbrechen von heller Flüssigkeit. Stuhlgang leicht verstopft, Appetit
schlecht, Aufstossen von Luft, Sodbrennen. Regelmässig drei Stunden nach dem
Essen Schmerzen, desgleichen bei schwerer körperlicher Arbeit, die beim Niederlegen
aufhören, dabei Beklemmnng in der Herzgegend.
Mittelgrosser, grazil gebauter Mann in mässig gutem Ernährungszustand. Magen¬
gegend zirkumskript an der kleinen Kurvatur druckempfindlich, desgleichen Colon
ascendens. Stuhl: kein Blut nachweisbar. Probefrühstück: freie HCl 41, Gesamt¬
azidität 50. Diagnose: Ulcus ventriculi?
ad 25) 43jährige Frau. Als Kind Diphtherie. III Partus. Seit ca. einem Jahre
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Aenderungen d. Chlorgehalts im Blutserum bei Sekretionsstörungen d. Magens. 53
Magenbeschwerden: an fallsweise Schmerzen zur Schulter und zumRücken ausstrahlend,
unabhängig vom Essen, auch nachts, einen halben bis ganzen Tag andauernd, Er¬
brechen der Speisen und dann grünlich-gelber, bitterer Flüssigkeit, Aufstossen ohne
Geschmack, Sodbrennen, zuweilen Uebelkeit. Anfälle anfangs seltener, dann häufiger.
Appetit gut, Stuhlgang normal.
Mittelgrosse, blühend aussehende Frau in vorzüglichem Ernährungszustand. Bei
sehr häufigen Untersuchungen des Mageninhalts niemals freie HCl. Diagnose:
Achylia gastrica.
ad 26) 63jähriger Eisenbahnbeamter. Starker Raucher. Seit einigen Jahren
übler Geruch aus dem Munde, oft Erbrechen, Aufstossen, Schmerzen in der Magen¬
gegend. Appetit und Schlaf gut, Stuhl verstopft, Zunge belegt.
Mittelgrosser Mann in schlechtem Ernährungszustand. Häufige Magenunter¬
suchungen ergeben niemals freie HCl. Bei einer von einem Kollegen ausgefühlten
Sondenuntersuchung wurde ein Tumorpartikel gewonnen, dessen mikroskopische
Untersuchung eine polypöse Wucherung vermuten liess. Durch Operation Bestätigung.
Auch einige Wochen nach der Operation keine freie HCl. Diagnose: Achylia gastrica.
ad 27) 48jährige Schneiderin; hatte schon mit 8 Jahren Magenbeschwerden
(soll ein Magengeschwür oder ein nervöses Magenleiden gewesen sein), die sich ge¬
bessert haben. Später zeitweise Kopfkolik mit Erbrechen, Augenschmerzen und
Müdigkeit (Migräne?).
Mittelgrosse Frau in massigem Ernährungszustand. Bei häufigen Untersuchungen
des Magens vereinzelt etwas freie HCl. Diagnose: Gastritis subacida chronica.
ad 28) 18jährige Maschinenarbeiterin. Als Kind Scharlach, Diphtherie, Masern.
Im vorigen Jahr angeblich an akuter Bleivergiftung erkrankt. Erbrechen, Magen¬
schmerzen. Im Krankenhaus drei Wochen (soll dort u. a. Salzsäuretropfen bekommen
haben). Die Magenbeschwerden blieben jedoch bestehen, Sodbrennen, Appetitlosig¬
keit. Stuhlgang regelmässig.
Mittelgrosses, ziemlich gut ernährtes Mädchen. Leib in der Magengegend etwas
druckempfindlich, desgleichen Colon ascendens. Kein Bleisaum. Im Mageninhalt nach
Probefrühstück keine freie HCl.
Am Tage nach der ersten Blutuntersuchung angeblich zu Hause beim Mittag¬
essen plötzlich Kältegefühl in der linken Seite und dann Bewusstlosigkeit. Dabei fiel
sie hin und soll sich am Kopf und der Brust gestossen haben. Kommt nach drei
Tagen wieder zur Untersuchung. Keine Verletzungen am Kopf oder der Brust. Zungen¬
biss! Reflexe überall normal. Diagnose: Achlorhydrie (Saturnismus chronicus?
Epilepsie?).
ad 29) 25jähriger Heizer. Seit ca. zwei Monaten zwei Stunden nach dem Essen
Druck in der Magengegend, Linderung nach Aufstossen. Stuhl oft verhärtet. In letzter
Zeit geringe Besserung der Beschwerden. Diagnose: Gastritis anacida.
ad 30) 28jährige Landwirtsfrau. Als Kind Diphtherie und Masern. Hatte in
8 Jahren 8 Partus. Seit drei Monaten Magenbeschwerden: Druck, Aufstossen, Uebel¬
keit, Schmerzen, die nach dem Rücken ausstrahlten. Die letzte Regel war ausgeblieben.
In der Nacht jetzt häufig Speichelfluss, desgleichen am Tage. Nach dem Essen Uebel¬
keit und Schmerzen bei körperlichen Anstrengungen.
Kleine kräftige Frau, leichte Enteroptose. Diastase der Recti, zwischen den Recti
Druckschmerzhaftigkeit. Probefrühstück freie HCl 8, Gesamtazidität 30. Diagnose:
Graviditas mens. I, Subazidität.
ad 31) 25jähr. Arbeiter. Klagt über Magenbeschwerden, Druck und Schmerzen.
Häufige Sondenuntersuchungen ergeben keine freie HCl. Wird in der Klinik 7 Tage
Cl-arm ernährt. Alsdann Blutentnahme. Diagnose: Achlorhydrie, Acne et Eczema
seborrhoicum dorsi.
ad 32) 30jährige Frau mit Magenbeschwerden. Kein palpatorischer Befund bei
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54
W. ARNOLDI,
der Untersuchung des Leibes, sehr blass. Zweimal keine freie HCl nach Probefrüh¬
stück. Diagnose: Achlorhydrie.
ad 33) 49jähriger Schuhmacher. Als Kind Hüftgelenksentzündung, ein Jahr
später Mittelohrentzündung. Oft verschleimter Hals, Auswurf, Husten, manchmal
Naohtschweisse. In der letzten Zeit Abnahme an Körpergewicht, leidet an kalten
Händen und Füssen, ist wegen Erkrankungen der oberen Luftwege schon lange Zeit
in Behandlung, bekam zuletzt Jodkalium. Lues verneint.
Kleiner, ziemlich schlecht genährter Mann. Haut und Schleimhäute blass, Lungen
und Herz o. B. Chronischer Katarrh des Raohens. Wassermann positiv. Diagnose:
Hernia inguinalis duplex. Status post coxitidem tbc. dx. Achlorhydrie.
Epikrise: Bei den in Tabelle II angeführten Fällen waren klinisch
bei keinen» der Superaziden sichere Anhaltspunkte für ein Ulcus ventriculi
vorhanden, als die Blutuntersuchung vorgenoramen wurde. Die Unter¬
scheidung zwischen Superazidität und Magengeschwür kann indessen
ausserordentliche Schwierigkeiten machen; krampfartige, konstant nach
der Nahrungsaufnahme einsetzende Schmerzen, sowie eine hohe Gesamt¬
azidität (über 80) sind verdächtig auf Ulkus [Elsner 1 )]. Die Beobachtungs¬
dauer war lange genug, um irgend erhebliche geschwürige Veränderungen
bei allen Fällen (ausser Fall 20) auszuschliessen. Der mangelnde Blut¬
gehalt des Stuhlganges spricht ebenfalls dagegen. Pat. U. (Fall 17)
zeigt nach ca. 2 Monaten eher eine Verschlechterung als Besserung
seines Befindens. Auch hier kein Blut im Stuhl, jedoch war jetzt die
früher wenig ausgeprägte Druckschmerzhaftigkeit grösser und mehr
zirkumskript an der kleinen Kurvatur. Es wäre hier also an eine
Erosion bezw. Ulkus zu denken. Die Blutuntersuchung fand früher statt.
Tabelle III enthält Fälle mit wechselnder bezw. (scheinbar?) in der
Norm liegender Azidität des Magensaftes und subjektiven Beschwerden
wie bei Perazidität. Bei diesen Fällen war bei hoher Gesamtazidität
die Menge der freien HCl besonders hoch, trotzdem der prozentuale
Cl-Gehalt des Serums ebenfalls beträchtlich. Ob ein ursächlicher Zu¬
sammenhang zwischen hohem Serum-Cl und zeitweiliger Perazidität
besteht, ist nicht zu entscheiden. Der Unterschied gegen Tabelle II fällt
in die Augen. Während bei Fall 24 die Anamnese auf früher bestehendes
Ulkus hindeutet, ist Fall 21 und 22 sehr verdächtig auf Ulcus, trotzdem
im Stuhl Blut nicht vorhanden war. Ich übergehe die strittige Frage
der qualitativen bezw. quantitativen Sekretionsstörung [Strauss 2 ),
Strauss und Roth 3 ), Pawlow 4 ), Bickel 5 ) u. a.], desgleichen die Er¬
örterung, ob Schädlichkeiten durch die Nahrung oder nervöse Einflüsse
bei den einzelnen Fällen ätiologisch mehr in Betracht zu ziehen sind.
1) Elsner, Lehrbuch der Magenkrankheiten. Berlin 1909. S. 256/7.
2) Strauss. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 29.
3) Strauss u. Roth, Ebenda. Bd. 37.
4) Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898.
5) Bickel, Experimentelle Untersuchungen über die Magensaftsekretion beim
Menschen. Deutsche med. Wochenschr. 1906. S. 1323.
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Aenderungen d. Chlorgehalts im Blutserum bei Sekretionsstörungen d. Magens. 55
In der letzten Gruppe Tabelle IV endlich sind Fall 25, 26, 31
durch vielfache Untersuchungen immer wieder bestätigte Fälle von voll¬
kommener Achlorhydrie. Fall 27 zeigte hin und wieder Spuren freier
Säure.
Fat. V. (Fall 31), der, wie erwähnt, eine Cl-arme Diät sieben Tage
lang bekommen hatte, weist einen verhältnismässig etwas kleineren
CI-Gehalt des Serums auf. Bei Fat. S. (Fall 28) fand sich der hohe
Cl-Gehalt des Serums, wie erwähnt, vor einem (epileptischen?) Anfall. >
Es wäre von grossem Interesse, festzustellen, ob bei Epilepsie, ent¬
sprechend der von Massalonga 1 ) aus Harnanalysen geschlossenen Cl-
Anreicherung, auch im Serum bzw. Blut vor dem Anfall der Cl-Gehalt
absolut oder nur relativ erhöht ist. [Vergl. auch die entgegengesetzte
Ansicht von Jödicke 2 ).]
Weshalb bei den Patienten Fall 32 und 33 der Cl-Gehalt so auf¬
fallend viel niedriger ist, wie bei den anderen, vermochte ich nicht fest¬
zustellen. Eine Salzkrise mit damit verbundenem vorübergehenden Sinken
des Cl-Spiegels des Blutes anzunehmen, geht deshalb nicht ohne weiteres
an, da bei dem einen die Wiederholung der Analyse nach einigen Tagen
denselben geringen Cl-Gehalt ergab. Eine etwa vorhandene starke Koch¬
salzausscheidung im Urin fcstzustellen, wird, wenn möglich, noch nach¬
geprüft werden.
Ueberblicken wir nochmals die Tabellen, so ergibt sich ein Unter¬
schied der Chlormenge im Serum der Anaziden gegenüber den Per¬
aziden von ca. 0,02 pCt. Daneben finden sich Fälle von Anazidität mit
niederem Chlorgehalt des Serums. Es wäre noch festzustellen, ob diese
sich auch sonst von den übrigen nosologisch trennen lassen.
Auffallend ist die Konstanz der Werte bei Perazidität und Ana¬
zidität sowohl nüchtern als nach den Mahlzeiten. Bei Magengesunden
war der Cl-Gehalt bald hoch, bald niedrig (entsprechend der Chloraufnahmc
oder Abgabe).
Stellen wir die Resultate zusammen, so ergibt sich als Mittelwert für:
Perazidität ....
0,3556 (0,3524) % CI
nüchtern
Magengesunde . . .
0,358
do.
do.
Wechselnde HCl-Menge
0,3634
do.
do.
Anazidität.
0,3723
do.
do.
Demnach findet sich eine sehr geringe Verminderung des Cl-Gehaltes
bei Perazidität und eine deutliche Erhöhung des Cl-Gehaltes bei Ana¬
zidität gegenüber den Mittelwerten bei magengesunden Individuen.
Die Werte nach Nahrungsaufnahme sind nicht gut vergleichbar, weil
diejenigen aus Tabelle I durchschnittlich nach 1 1 / 2 —2 Stunden, diejenigen
1) Massalonga, Danio e Zambelli, Epilepsie und Cl-freie Diät. Riv. crit.
di chir. med. Vol. VII. No. 17. Ref. Biochera. Zentralbl. 1907. Bd. VI. No. 1692.
2) Jödicke, Die Bewertung kochsalzarmer und kochsalzreicher Nahrung für die
Therapie der Epilepsie. Zeitschr. f. Neurol. u. Psych. 1911. S. 319.
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56 W. ARNOLDI, Aenderungen des Chlorgehalts im Blutserum etc.
aus den Tabellen II, III und IV nach einer halben Stunde gewonnen sind.
Möglicherweise kann bei den ersteren Rückresorption von NaCl auf die
Werte eingewirkt haben.
Weiterhin ist der Wassergehalt in seiner Beziehung zum Chlor von
Interesse; wie andere Untersucher (Biernacki u. a.) fand auch ich nicht
konstant, aber häufig mit der Cl-Zunahme im Serum auch eine solche
des Wassers. Nach der Nahrungsaufnahme stieg der Wassergehalt bei
einigen Fällen an, bei anderen wurde er etwas geringer. Im allgemeinen
ist jedoch das Blut der Anaziden etwas wasserreicher als das der Per¬
aziden, besonders nach dem Essen; möglicherweise bestehen auch Unter¬
schiede in der Blutmenge.
1. Durch das Einsetzen der Tätigkeit des Verdauungschemismus (Magen¬
saftproduktion) wird der prozentuale Chlorgehalt des Blutserums beim
Menschen verändert.
2. Bei An- und Subazidität enthält das Serum einen prozentual konstant
höheren CI-Gehalt als bei Perazidität, desgleichen ist der Wasser¬
gehalt etwas erhöht.
3. Einzelne Anazide, deren sonstige symptomatologischc Abgrenzung von
den übrigen noch nicht feststeht, haben allerdings einen prozentual
niederen Cl-Wert.
4. Die wenigen untersuchten Fälle mit wechselndem HCl-Gehalt nach
Probefrühstück zeigten einen verhältnismässig hohen prozentualen
Cl-Gehalt des Serums.
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V.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr: Goldscheider).
Untersuchungen zur funktionellen Prüfung des Pankreas.
Von
J. Wertheimer.
Wenn man das Pankreas auf seine Funktionstüchtigkeit prüfen will,
so stehen zwei Wege zur Verfügung. Entweder führen wir Substanzen
in den Digestionstraktus ein, von denen wir wissen, dass und in welcher
Weise sie durch das Sekret des gesunden Pankreas verändert werden und
untersuchen diese Substanzen wieder nach dem Verlassen des Körpers.
Die Wiedergewinnung kann nun einmal aus den Fäzes geschehen oder
man holt sie aus dem Magen mittelst der Sonde zurück, in den sich
ja bekanntlich der Pankreassaft unter gewissen Bedingungen rück¬
läufig ergiesst.
Ein anderer Weg ist der, dass man die im Pankreassekret normaler¬
weise enthaltenen Fermente nachzuweisen sucht. Auch dies kann nach
beiden oben angeführten Weisen ausgeführt werden, entweder in den
Fäzes oder in dem in den Magen zurückgeflossenen Duodenalinhalt.
Diese vier gangbaren Wege einerseits, andererseits aber besonders
die Störung eindeutiger Resultate durch andere Sekrete des Magendarm¬
kanals lassen es begreiflich finden, dass auch eine grosse Reihe von
Methoden angegeben wurden, das Pankreas auf seine Funktionstüchtig¬
keit zu prüfen.
Für klinische Zwecke bedeutungsvoller als die chemischen Aus¬
nutzungsversuche ist der makroskopische und mikroskopische Nachweis
einer Kreatorrhoe, die bei stärkeren Störungen der Pankreassekretion
immer deutlich ist. Es treten dann im Stuhl häufig schon mit blossem
Auge sichtbare Fleischreste auf, die unter dem Mikroskop als quer¬
gestreifte und eckige Fasern oder Faserbündel erscheinen.
Da diese Fasern vereinzelt auch bei Gesunden nach sehr sehr reich¬
licher Fleischnahrung auftreten können und vor allem auch bei be¬
schleunigter Darmpassage, so ist es notwendig, einige Tage lang vor der
Stuhluntersuchung die Menge des Fleisches auf ein niederes Mass zu
reduzieren, etwa 1 / 8 Pfund weichen Filets pro Tag, wie es von Ehrmann
(diese Zeitschr., Bd. 69) vorgeschlagen worden ist. Unter dieser Be-
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58
J. WERTHEIMER,
dingung ist das Vorkommen von solchen Fasern ein sehr wichtiger
Fingerzeig für die Diagnose einer Pankreasaffektion.
Auch die Fettverdauung, ist bei Ausfall bzw. Verminderung des
Pankreassekretes gestört, doch kann sie bei einer fettarmen Nahrung
trotz bestehender Pankreasaffektion der mikroskopischen Prüfung entgehen,
bei zu fettreicher hingegen kann auch normaliter der Eindruck eines
Fcttstuhles entstehen. Daher muss das Organ einer Belastungsprobe unter¬
worfen werden, indem man lOO—^ö g Butter pro Tag verabreicht. Bei
bestehender Pankreasaffektion tritt dann schon bei dieser Fettmengc
makroskopisch und mikroskopisch stark fetthaltiger Stuhl auf, bisweilen
auch die charakteristischen Fettstühle mit obenauf schwimmender Fett¬
schicht. Emulgierte Fette, wie Sahne und Milch, können auch von
anderen Sekreten gespalten werden und sind daher nicht zur Prüfung
zu verwenden.
Diesen Methoden, die Pankreasfunktion nach den in den Fäzes er¬
scheinenden, von Pankreassaft unbeeinflussten Nahrungsmitteln zu be¬
urteilen, stehen diejenigen Methoden gegenüber, die die Fermente selbst
im Mageninhalt oder im Stuhl nachzuweisen und ihre Wirksamkeit
ausserhalb des Körpers alsdann quantitativ zu ermitteln suchen. Es ist
aber sicher physiologisch einwandsfreier und für die tatsächliche Be¬
urteilung von Erkrankungen richtiger, die Pankreas fermen te im Darmkanal
selbst wirken zu lassen und dann aus ihren Wirkungen Rückschlüsse zu
ziehen. Die Bestimmungen des Fermentgehaltes ausserhalb des Körpers
machen aber auch das Arbeiten mit Wage oder Messpipetten notwendig,
ausserdem einen Brutschrank und schliesslich können die Resultate erst
nach längerer Zeit abgelesen werden, aus welchen Gründen sie für
praktische Zwecke wohl weniger in Betracht kommen können.
Diese Nachteile fallen nun weg bei einer von Ehrmann 1 ) angegebenen
Methode, mit der ich an einem grossen Material arbeitete und deren
Resultate ich im folgenden mitteile. Vorausschicken will ich die Methodik
und einige Versuche, die dazu dienen sollen, die Brauchbarkeit zu zeigen.
Die Methode beruht darauf, dass das fettspaltende Ferment des
Pankreassekretes, das bei jeder Magenverdauung wohl in den Magen
zurückfliesst, sicher und vermehrt jedoch nach Einführung von Fett, aus
Neutralfetten Fettsäuren abspaltet. Diese Säuren lassen sich durch eine
Mischung von Petroläther 9 Teilen und Benzol 1 Teil extrahieren und
verbinden sich mit einer 3proz. Kupferazetatlösung zu grünem fettsauren
Kupfer. Da die meisten Fettarten an sich schon freie Fettsäuren ent¬
halten oder nach kürzerem oder längerem Stehen solche abspalten, die
allein schon grünes fettsaures Kupfer bilden, so war eine Fettart zu
finden, die frei von diesen Mängeln und daher in ihrer Azidität und Angreif¬
barkeit nicht inkonstant war. Diesen Anforderungen entspricht das völlig
1) Ehrmann, Berliner klin. Woohenschr. 1912. No. 29.
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Untersuchungen zur funktionellen Prüfung des Pankreas.
59
fettsäurefreie, auch bei sehr langem Lagern nicht zersetzlichc Palmin. Die
freigewordenen Fettsäuren können natürlich durch alle Reagentien, die
mit Fettsäuren charakteristische Färbungen geben, wie Nielblaulösung,
Sudan, Karbolfucbsin usw. kenntlich gemacht werden. Jedoch ergab
die angegebene Kupferazetatlösung die sichersten Resultate, so dass wir
die Anwendung dieser Farbstoffe aufgaben.
Der Patient erhält ein Palminfrühstück, das folgendermassen
hergestellt wird: ca. 30 g Reisstärke werden unter Zusatz von etwas
Kochsalz in ca. 200 ccm Wasser gelöst und etwas erwärmt. Hierauf
werden unter stetem Um? ihren 75 g verflüssigtes Palmin zugegossen.
Anfangs verwandten wir statt Reisstärke Weizengries, doch „bindet“
dieser zu wenig Fett, so dass sich dasselbe auf dem Teller resp. im
Glase, als auch im Magen sehr rasch obenauf abse.tzte. Das hat den
Nachteil, dass die Patienten den Brei, auf dem oben getrennt das Palmin
schwamm, nur ungern assen, ausserdem dass das fettspaltende Ferment
nicht so leicht in Konnex mit dem Fett gelangen konnte, und dass
ferner die deutliche Trennung in 2 Schichten der Ausheberung des
Fettes Schwierigkeiten machte.
Diese Nachteile fallen bei der Verwendung der Reisstärke fort, da
sic viel mehr Fett „bindet“. Die Patienten nehmen den Brei nicht
ungern, da sie den hohen Fettgehalt gar nicht schmecken. Das Fett
kommt ausserdem im Magen leichter in Berührung mit dem Ferment
und lässt sich leicht aushebern.
Nach 2—2y a Stunden wird der Magen ausgehebert. Von dem
Inhalt 1 ) wird etwas in einem Reagensglas mit obiger Petroläther-Benzin¬
mischung gründlich umgeschüttelt, der sich oben absetzende Petroläther-
Benzol abgegossen und mit der 3 proz. Kupferazetatlösung versetzt. Sind
in dem Mageninhalt freie Fettsäuren, so gehen sie in die Petroläther-
Benzolmischung über und färben diese nach Schütteln mit der Kupfer¬
azetatlösung je nach ihrer Menge mehr oder weniger intensiv grün.
Zur quantitativen Bestimmung der durch das Ferment im
Magen abgespaltenen Fettsäuren nahm ich von der Fettschicht des aus¬
geheberten Mageninhaltes, versetzte einen Teil hiervon mit der gleichen
Menge Petroläther-Benzol. Von dem absitzenden Extrakt nahm ich ab¬
steigende Mengen 2,0, 1,0, 0,5, 0,25, 0,12, 0,06 ccm, fügte steigende
Mengen Petroläther-Benzol: 0, 1,0, 1,5, 1,75, 1,88, 1,94 ccm hinzu und
setzte dann je 2,0 ccm Kupferazetatlösung hinzu.
Versuche.
Die folgenden Versuche zeigen, dass andere im Magendarmkanal
vorkommende Fermente Palmin nicht zu spalten imstande sind.
Brachten wir das Filtrat eines ausgeheberten gewöhnlichen Probe¬
frühstücks mit Palmin zusammen 20 Stunden in den Brutschrank bei
1) Selbstverständlich von dem fetthaltigen Teil des Inhaltes.
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60
J. WERTHEIMER,
37°, so war der Ausfall der Reaktion sehr wechselnd, meist aber
negativ, was wohl darin seinen Grund hat, dass entweder die Menge
des zurückfliessenden Pankreassaftes sich nach der Beschaffenheit des
Mageninhaltes richtet, oder aber, dass das Ferment, durch den be¬
treffenden Magensaft geschwächt, resp. völlig zerstört wurde.
Anders war das Resultat, wenn wir statt des Filtrates von einem
gewöhnlichen Probefrühstück dasselbe von einem Palminfrühstück nahmen
und von neuem auf Palmin im Brutschrank einwirken Hessen. Hier fiel
die Reaktion nach 20 Stunden Aufenthalt im Brutschrank bei jeder
Reaktion, bei sehr viel freier Salzsäure vielleicht etwas weniger stark,
stets positiv aus. Die Kontrollen (Palmin allein) blieben auch bei noch
viel längerem Aufenthalt im Brutschrank stets unzersetzt. Wir verwandten
diese Anordnung, d. h. die Wirkung der in dem filtrierten wässerigen
Anteil des Palminfrühstücks vorhandenen fettspaltenden Fermente auf
Palmin eine Zeitlang zur quantitativen Bestimmung, indem wir das
Filtrat in abfallenden Mengen zu je 2 ccm angewärmten Palmins hinzu¬
fügten. Die oben angegebene quantitative Methode durch Bestimmung
der im Ausgeheberten vorhandenen Fettsäuren ist jedoch einfacher und
besser.
Ausser dem Magensaft Hessen wir auch Dünndarm- sowie Pankreas¬
saft vom Fistelhund, dem wir durch Zusatz von Yio Normal-Salzsäure
verschiedene Azidität gaben, um eventuelle Verhältnisse in vivo zu
rekonstruieren, im Reagenzglas bei Brutschranktemperatur z. T. mit
Zusatz von Galle auf Palmin einwirken.
(In den folgenden Versuchsbeispielen bedeutet: a. = alkalisch,
am. = amphoter, n. = neutral, s. = sauer, schw. s. = schwach sauer,
ss. = stark sauer, Congo -f- bis Congo + -}—f- = die einzelnen Grade
der Congoreaktion von schwach bis sehr stark positiv. Geruch -}- = Geruch
nach freien Fettsäuren, sonst Geruch —. Cu -j— bis Cu -)—|—|- = die
einzelnen Grade der Kupforazetatgrünung von schwach bis sehr stark
positiv, während Cu. — den negativen Ausfall bedeutet.)
Verenclisbeispiel über die optimale Spaltung des Palmins.
Das Gemisch von Pankreassaft -j- Galle -|- Darmsaft stammt von dem am
24. 4. operierten Hund III. Zu je 1 ccm des Saftes wurden, nachdem ihm die ge¬
wünschte Azidität erteilt war, 2 ccm Palmin zugesetzt und die Mischung nach gründ¬
lichem Umschütteln 2 Stunden in den Brutschrank bei 37° gestellt.
Pankreassaft Reaktion. Palmin
1,0 a. -j- 2,0
1,0 n. + 2,0
1,0 s. Congo —, +2,0
1,0 s. Congo+, +2,0
1,0 s. Congo ++, + 2,0
Cu
++
+
+
Die Menge der freien Fettsäuren nimmt also mit Zunahme der
Azidität ab, ist am grössten bei alkalischer Reaktion, geringer bei neutraler,
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Untersuchungen zur funktionellen Prüfung des Pankreas.
61
ist bei saurer Reaktion und Congo — noch deutlich positiv, während sie
bei freier Salzsäure negativ ist, infolge der Zerstörung des Steapsins.
Im Magen selbst aber kann, vielleicht durch Schutzwirkung gewisser
Stoffe, die freie Salzsäure das Steapsin nicht ganz zerstören, da ja das
Filtrat des Mageninhalts nach Palminprobefrüstück auch bei vorhandener
freier Salzsäure Palmin im Brutschrank spaltet.
Dass nicht ein vom Magen oder vom Darm geliefertes Ferment
Palmin zu spalten imstande ist, dafür sprechen folgende Versuche.
Versuchsbeispiel mit Magenschleimhaut.
Am 12. 1. und 18. 1. wurde je ein frisch herausgenommener Kaninchenmagen,
der erste (a), nachdem er nach gründlicher Reinigung noch V 2 Stunde in frischem
Wasser gelegen hatte, der zweite (b) nach nur kurzer Reinigung mit Palmin gefüllt
und jener 2 Stunden, dieser 3 Stunden in den Brustschrank bei 37° gestellt.
Geruch Reaktion Congo Cu
Bei (a) . . . — a. — —
Bei (b) . . . — a. — —
Versuehsbeispiele über quantitative Abnahme der Palminspaltung nach
Unterbindung eines oder mehrerer Pankreasgänge.
Hund grau. Am 23. 4. Operation, bei der ein Pankreasgang unterbunden wird.
2 V 2 Stunden nach Einführung des Palminreisstärkebreis mittels Magensonde Injektion
von Apomorphin, kurz darauf Erbrechen.
Vor der Operation: Nach der Operation:
Datum Geruch Reakt. Congo Cu Datum Geruch Reakt. Congo Cu
19. 4. + ? s. - ++ + 26. 4.-S.- +
Quantitativ:+++,++,+, —— 1 ). Quantitativ: +, +—, —, —, —, —.
Hund Spitz. Am 23. 4. Operation, es werden 2 Pankreasgänge unterbunden.
Weitere Versuchsanordnung wie bei III.
Vor der Operation:* Nach der Operation:
Datum Geruch Reakt. Congo Cu Datum Geruch Reakt. Congo Cu
19. 4. ++ s. - ++ 26. 4. + s. — +
Quantitativ: ++, +, +—, —, —, —. Quantitativ: +, +—, —, —, —, —.
Versuchsbeispiel bei völliger Ausschaltung des Pankreas.
Hund III wird am 24. 4. operiert. Es wird eine Gastrojojunostomie gemacht.
Oberhalb dieser Verbindung der Darm unterbunden. Der Pylorus nebst Gallen- und
Pankreasgang nach aussen geleitet und der Magen am Pylorus vernäht.
Bei dem am 27. 4. angestellten Versuch erbricht das Tier V 2 Stunde nach Auf¬
nahme des Palminreisstärkebreis spontan, 2 Stunden darnach erhält es eine Apo¬
morphininjektion, wonach noch mehr Erbrechen. Versuch mit beiden Portionen.
Geruch Reakt. Congo Cu
nach V 2 Stunde hefeartig s. — — 1 das Erbrochene sieht schmutzig braun
„ 2 Stunden „ s. — — / (Blut) aus und ist sehr fetthaltig.
1) Die einzelnen Angaben bedeuten die 6 mit absteigenden oben angegebenen
Mengen des Extraktes angestellten Reaktionen.
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62
J. WERTHEIMER,
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Ein Teil beider Partien wird auf 2 Stunden in den Brutschrank gestellt, bleibt
aber auoh dann negativ.
Besonders dieser letzte Versuch ist beweisend dafür, dass nur mit
Hilfe des Pankreassteapsins das Palmin im Magen gespalten werden
kann, während die vorhergehenden zeigen, dass auch quantitativ aus
der Menge der Fettsäuren ein Rückschluss auf die Funktionstüchtigkeit
des Pankreas gemacht werden kann.
Nun zur praktischen Anwendung der Methode. Um den zur Aus¬
heberung geeignetsten Zeitpunkt zu bestimmen, untersuchte ich eine grössere
Anzahl Patienten mit der von Ehrmann zu therapeutischen, von Ehren¬
reich 1 ) zu diagnostischen Zwecken angegebenen Magenverweilsonde. Ich
gab dieser vor der dicken Sonde den Vorzug, weil bei dem öfteren Ein¬
führen, das bei letzterer nötig ist, infolge der starken Reflexbewegungen
vermehrt Duodenalinhalt zurüekfliesst und dadurch das physiologische
Bild getrübt wird, während wir doch hier gerade unter möglichst physio¬
logischem Bedingungen den geeignetsten Moment der Ausheberung be¬
stimmen wollten.
Im folgenden 2 Beispiele, bei denen die Patienten die Magenverweil-
sonde trugen und halbstündlich mit einem Ballon etwas Mageninhalt
aspiriert wurde.
Versuche über den Verdauungsablsuf der Palminspaltung mittelst der Msgen-
verweilsonde.
Name .
und Diagnose
Ausgehebert
nach
Geruch
Reaktion
Kongo
Cu
Bemerkungen.
14. 3. Frau B.
y 2 Stunde
schw. s.
\ Nur wenig Fett
Achylie
i ,
—
schw. s.
—
+?
/ enthaltend.
IV* n
—
schw. s.
—
f
Oben eineFettschicht.
1 Std. 50Min.
2 , 5 ,
2 „ 30 „
+?
+?
+
schw. s.
schw. s.
schw. s.
—
+
++
14 4
| Sehr fetthaltig.
Massig Fett ent¬
1 4—r
haltend.
29. 3. Herr K.
V 2 Stunde
—
sauer
—
—
| Obenauf sitzt eine
Hyperazidität
1 .
+?
sauer
+
—
> weisse, flockige,
70/86 (Ulkus?)
1 fettarme Masse.
i*/* »
+
sauer
+
++
Ueber grün. Flüssigk.
eine dünne Fettschicht
2 Stunden
+
sauer
++
+++
Oben hohe Fcttsäule.
2*/* .
+
sauer
++
+++
n v n
3 .
+
sauer
+?
+++
n r> n
3 l /2 »
—
sauer
+?
1 —
» V 7)
Aus diesen beiden Beispielen, aus einer grösseren Reihe von Ver¬
suchen ist zu ersehen, dass die Ausheberung am besten nach 2 bis
2 1 / s Stunden erfolgt.
Unklar ist der negative Ausfall der Reaktion in dem letztangeführten
Falle nach 3y 2 Stunden. Das Fett fand sich hier wohl in einer Magen-
1) Ehronroich, Diese Zeitschrift. Bd. 75. 1912.
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Untersuchungen zur funktionellen Prüfung des Pankreas.
63
nische, wo es mit dem Ferment nicht in Berührung kam, wie es ja
auch umgekehrt bei normaler Magensekretion vorkommt, dass das aus¬
geheberte Probefrühstück an manchen Stellen alkalische Reaktion zeigt.
Hier sammelte sich in einer Nische soviel Pankreassaft an, dass er
durch die HCl nicht neutralisiert werden kann, dort ist der Zutritt des
Pankreassaftes zur Nische unmöglich.
Von den nach 2 — 2y 2 Stunden Ausgeheberten gibt die folgende
Tabelle einen Ueberblick über den Ausfall der Reaktion:
Versuche über die Palminspaltung nach einmaliger Anshebernng.
Name
Diagnose
Aus¬
heberung
nach
Geruch
Reaktion
Kongo
Cu
Bemerkungen.
5. 1. Herr W.
Achylie
2‘/ 4
Std.
sauer
_
+++
Ausgehebertes o. B.
5.1. Frl. H.
Subazid.
* v «
w
—
n
+++
„ stark gallehaltig.
5. 1 . Herr G.
6. 1 . Herr L.
Hyperazid.
Nephrit.
2
r>
—
n
+
+
„ 0 . B.
9.1. HerrSch.
chron.
Obstipat.
2
r>
—
—.
+++
» 0 . B.
chron.
2»/o
»
—
alkalisch
—
+
Nur sehr wenig braune Masse.
9. 1. Frau Gl.
Achylie
2 3 /*
V
—
schw. s.
—
+++
Ausgehebertes o. B.
3.2. „ „
2
»
+
schw. a.
+++
Stark gallig. Die alkal. Reaktion
wohl infolge starken Rück¬
flusses, da nur sehr wenig
Speichel sezerniert wird.
15.1. HerrSch.
Obstip.
2»/«
V
—
sauer
+
+
Ausgehebertes o. B.
22.1. „ „
n
23 /„
n
+
+
+
1 , 0 . B.
16. 1. Frau K.
rt
2V<
r>
—
+
+
Wenig, gallehaltiger Inhalt.
20. 1 . HerrSch.
Achylie
2
n
++
schw. s.
—
++
0. B.
22. 1. Herr L.
22. 1. Frl. L.
Leberlues
Gastritis
2
»
+
1
sauer
+
+
Im Ausgeheberten noch Reste
23. 1. Frl. N.
Hyperazid.
Obstip.
23/ 4
*
+
n
+
+
von gestern.
chron.
2‘/4
n
+
n
—
++
Galliger Mageninhalt.
30. 1. Herr B.
Hyperazid.
2 V .
7)
+
V
+
++
Fettreicher, grünlicher Inhalt.
6. 2. Frau B.
Achylie
2
V
+
schw. S.
+++
Breiartige Masse, die an manchen
Stellen auf Lackmus sauer, an
andern alkalisch reagiert.
20. 2. Herr L.
Ca. ventr.
2«/ 2
++
sauer
—
+++
Im Ausgeheberten befinden sich
noch Speisereste.
20. 2. Herr Br.
Achylie
2 «/,
»
+
V
—
++
Ausgehebertes o. B.
1.3. Herr L.
Ca recti
21/2
n
+
n
+
++
Galliger, flüssigkeitsreicher
Mageninhalt.
1. 3. Herr H.
Ulc. ventr.
2 i •/,
>1
+
»
++
Ausgehebertes bluthaltig und
stark schleimig.
4.3. Herr P.
Hyperazid.
21/4
Ti
+
n
+
++
Ausgehebertes grasgrün und
dünnflüssig.
11.4. Frau E.
Gastritis
2 '/*
7)
+
y>
1
++
Ausgehebertes stark schleim¬
haltig.
Ich will nun nicht verfehlen, mitzuteilen, dass in einigen Fällen im
Beginn meiner Untersuchungen die Reaktion auch negativ ausfiel. In
einem Teil dieser Fälle lag dies daran, dass, wie der Anblick des Aus¬
geheberten schon zeigte, kein Fett darin enthalten war. In den übrigen
glaubte ich, dies auf den zu hohen Gehalt des Magens an freier Salz¬
säure zurückführen zu müssen. Ob in diesen Fällen die freie Salzsäure
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64
J. WERTHEIMER,
einen Pylorusschluss herbeiführt und dadurch den Rückfluss von
Duodenalinhalt verhindert, oder ob das Ferment geschwächt bzw. ver¬
nichtet wird, lässt sich mit Bestimmtheit nicht sagen, doch möchte ich
das erstere annehmen, da ja, wie wir oben gesehen haben, das Ferment
auch bei freier Salzsäure im Brutschrank wirksam ist.
Um den schädigenden Einfluss der Salzsäure auszuschalten, gab ich
Patienten mit starker Hyperazidität, die schwache oder negative Reaktion
zeigten, an einem der folgenden Tage den gleichen Palminreisstärkebrei
mit Zusatz eines Teelöffels doppelkohlensauren Natrons, wobei die
Reaktion stets positiv wurde.
Die Unterschiede waren sehr deutlich, wie die folgenden, aus einer
grösseren Zahl ähnlich lautender Resultate herausgegriffenen Beispiele
zeigen mögen.
Zuerst ein Fall, der mit der Verweilsonde untersucht, in einzelnen
Portionen eine negative Reaktion zeigte.
Versuche mit der Magenverwcilsonde ohne nnd mit Natronzusatz.
Name
Diagnose
Ausheberung
nach
Geruch J Reaktion
Congo
Cu
Bemerkungen.
19. 3.
Hyper-
li/ 2 Stunde
Herr P.
azidität
—
a. ?
—
—
Sehr fetthaltig.
2 Stunden
?
s.
+
—
Grün, stark fetthaltig.
2v 2 „
+
v>
++
+
1) y> n
r>
3 „
—
V
++
—
T) » «
V
3«/ 2 *
—
r>
++
+
» » w
20. 3.
Palminreisstärkebrei + NaHC0 3 .
Herr P.
V
35 Min.
—
a.
—
+
Stark fetthaltig.
r>
1 Stunde
+
r>
—
+
» n
V
IStd. 40Min.
s. s.
—
++
r> t
V
2 Stunden
+
s. s.
—
++
r> r»
V
2 V 2 »
—
s.
+
+++
7) »
V
3 „
+
»5
—
+++
5) «
Diese Serie zeigt sehr deutlich, wie der durch die grosse Menge
freier Salzsäure bedingte negative Ausfall sich ändert, wenn die Azidität
im Magen herabgesetzt wird.
Im folgenden nur noch das Resultat einer einmaligen Ausheberung
an 2 verschiedenen Tagen, wobei am ersten Tage infolge der freien
Salzsäure die Reaktion verhältnismässig schwach ausfiel. Es handelte
sich um starke Hyperazidität.
Versuche mit einmaliger Anshebernng ohne und mit Natronzusatz.
Ausheberung
nach
Geruch
Reaktion
Kongo
Cu
Quantitativ.
12. 4. Herr R.
13. 4.
2Std. lOMin.
++
sauer
i
+
++
+ + > +. H -> -1 -! —■
Brei + NaHCOs
2Std. lOMin.
+
T>
—
+++
++-h +++, ++, +. +-
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Untersuchungen zur funktionellen Prüfung des Pankreas. 65
Fällt also die Reaktion bei reinem Palminreisstärkebrei negativ aus,
so ist die Probe unter Zusatz von NaHCO s zu wiederholen. Bei
funktionierendem Pankreas wird das Resultat dann ein positives werden.
Bleibt die Reaktion aber auch jetzt negativ, so ist anzunehmen, dass
kein Pankreassaft zurückfliesst, was, wenn Pylorusverschluss aus¬
geschlossen werden kann, nur auf Versagen des Pankreas beruhen kann,
bzw. auf Verschluss des Ausführungsganges.
Aus dem Geruch des Ausgeheberten lässt sich, wie aus den obigen
Beispielen zur Genüge zu ersehen ist, ein zuverlässiger Schluss auf vor¬
handene Fettsäuren nicht ziehen.
Ergebnisse.
Die von Ehr mann angegebene Methode der Funktionsprüfung des
Pankreas eignet sich infolge ihrer Einfachheit und der Sicherheit des
Resultats für klinische Untersuchungszwecke. Andere im Magendarm¬
kanal vorkommendc Fermente können den Ausfall nicht stören.
Ausserdem konnte ich zeigen, dass man auch quantitative Unter¬
suchungen mit der Methode vornehmen kann.
Zeitsehr. f. klm. Medizin. 76. Hd. H. L u. 2.
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VI.
Aus dem medizinisch-poliklinischen Institut der Universität Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Goldschcidor).
lieber den Einfluss der Extraktivstoffe des Fleisches
auf die Ausnützung vegetabilischer Nahrung.
Von
Dr. Hans Wolff.
Die in folgendem zu schildernden Versuche stellen eine Fortsetzung
bzw. Ergänzung der Untersuchungen über das gleiche Thema dar, die ich
früher in dieser Zeitschrift Bd. 74 mitgeteilt habe. Diese früheren Ver¬
suche hatten, abgesehen davon, dass die Versuchsobjekte Hunde und nicht
Menschen waren, eine Anordnung, die nicht unbeträchtlich von den Ver¬
hältnissen des täglichen Lebens abwich. Wesentlich bestanden diese Ab¬
weichungen darin, dass die gesamte Tagesration auf einmal gegeben
wurde und dass während der Extraktperiode die gesamte Nahrung unter
dem Einfluss des Extraktes stand und weiter darin, dass die Nahrung nur
aus sehr wenig Bestandteilen kombiniert war, von denen einer jedesmal
weitaus den grössten Teil bildete. Es blieb immerhin bei diesen Ver¬
suchen die Möglichkeit, dass bei einer kombinierten vegetarischen Nahrung,
wie sio den Verhältnissen des täglichen Lebens entspricht, die Ausnutzung
an und für sich eine bessere wäre und dass alsdann eine Verbesserung
der Ausnutzung durch den Fleischextrakt nicht mehr deutlich zum Aus¬
druck kommen könnte. Ferner sollte bei diesen Versuchen auch Rücksicht
auf die Verteilung des Stickstoffes im Harn genommen werden. Bei den
früheren Versuchen hatte sich herausgestellt, dass bei den gewählten
Versuchsanordnungen der Gesamtstickstoff des Urins zum Teil keine,
zum Teil nur eine geringe Aenderung und zwar sowohl bei einzelnen
Versuchen nach oben wie nach unten erfahren hatte. Ob nun diese Acn-
derungen direkt dem Fleischextrakt zu verdanken sind, musste ich damals
dahingestellt sein lassen. Es war aber zu erwarten, dass eine Unter¬
suchung des Harns bezüglich des Gehalts an Harnsäure wie an Purin¬
basen einen besseren Einblick in diese Verhältnisse gestatten könnte und
mit Hilfe dieser Bestimmungen zu entscheiden wäre, ob der Extrakt sich
tatsächlich genau so wie Nahrungsstickstoff im Körper verhielte oder ob
er zum Teil oder vollständig wieder ausgeschieden würde.
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Einfluss d. Extraktivstoffe d.Fleisches auf d. Ausnützung vegetabilischer Nahrung. 67
Nach den Versuchen von H. Strauss 1 ) wird durch den Genuss von
Fleischextrakt eine beträchtliche Vermehrung der Harnsäure herbeigeführt.
Strauss arbeitete aber mit ausserordentlich grossen Extraktgaben, nämlich
50 g pro die, einer Menge, die für das tägliche Leben schon des Preises
wegen nicht in Betracht kommen kann. Es war nun durchaus nicht un¬
möglich, dass sich kleine Extraktgaben anders verhalten könnten wie
grosse. Abgesehen davon, dass bei den exorbitanten Mengen, wie sie
Strauss anwendete, durch Einführung nicht unbeträchtlicher Mengen von
Kalisalzen und wirksamen organischen Stoffen in den Organismus ein
Einfluss auf diesen ausgeübt werden könnte, der bei kleinen Dosen ent¬
weder überhaupt nicht auftritt oder so gering ist, dass er durch die Ver¬
änderung auf die Ausnutzung, d. h. Resorption und Ausscheidung der
Nahrungsstoffe völlig verdeckt würde, konnte ich bei meinen früheren
Versuchen konstatieren, dass schon eine relativ geringe Steigerung einer
Fleischcxtraktgabe sich deutlich in der Stickstoffbilanz ausdrückt und zwar
in dem Sinne, dass schon eine Gabe von 10 g eine Mehrausscheidung
von Stickstoff im Harn zur Folge hatte, während unter sonst gleichen
Bedingungen bei einer Gabe von 5 g der Harn eher eine Verminderung
des Gesamtstickstoffs aufwies. Diese Verhältnisse weiter zu studieren
schien deshalb geboten.
Als Versuchspersonen dienten zwei, 53,5 und 60 kg wiegende junge
Männer von 20 resp. 30 Jahren, Sk. und M., von denen Sk. bisher haupt¬
sächlich von Fleischnahrung gelebt hatte, während M. seit ca. 12 Jahren
reiner Vegetarier war. Wenn überhaupt, so durfte bei der Wahl dieser
Personen ein Unterschied in der Ausnutzung der Nahrung erwartet werden.
Ein Unterschied in der absoluten Ausnutzung schien aber deshalb wichtig,
weil eine etwaige Veränderung der Ausnutzung der Nahrung durch Fleisch¬
extraktzugabe, falls sic in gleichem Sinne erfolgte, um so beweiskräftiger
gelten kann, jo verschiedener die absolute Ausnutzung der Nahrung war.
Bei der Auswahl der Nahrung musste auf verschiedene, nicht eigent¬
lich in dem vorliegenden Problem begründete Punkte Rücksicht ge¬
nommen werden. Die Nahrung musste nämlich so gewählt werden, dass
sie beiden Versuchspersonen mundete und dass sic während der ganzen
lOtägigen Versuchsdauer nicht nur ohne Widerstreben, sondern möglichst
ohne Nachlassen des Appetits genommen wurde. Nach einigen Vor-
vcrsuchen wurde folgende Nahrung gewählt:
Morgens wurde ein Haferbrei aus 50 g Haferflocken, 100 ccm Milch,
300 ccm Wasser und 50 g Zucker gegeben, dazu 100 g Weizenschrot¬
brot mit 30 g Butter.
Mittags wurde abwechselnd Kohlrabi und Weisskohl, und zwar
jedesmal 30 g gedörrten käuflichen Gemüses gegeben, das am vorher¬
gehenden Abend mit 300 ccm Wasser übergossen, dann mittags eine
1) H. Strauss, Berl. klin. Woohensohr. 1896.
5*
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68
H. WOLFF,
Stunde lang aufs Feuer gesetzt und schliesslich mit einer Mehlschwitze
aus 2 g Mehl und 40 g Butter (bis zum schwachen Bräunen erhitzt) ge¬
mischt wurde. Dazu wurden 150 g geschälter, aber in der Schale ge¬
kochter Kartoffeln gegeben, die mit 30 g Butter zu eben angebräunten
Bratkartoffeln gebraten wurden und ausserdem 50 g Roggenschrotbrot
mit 50 g Butter 1 ). Während der Extraktperiode wurden zu dem Kohl
noch 5 g Liebigs Fleischextrakt 2 ) gegeben, in 20 ccm Wasser gelöst.
Abends wurde ein Milchreis aus 75 g unpoliertem Reis, der mit
500 ccm Milch 2 Stunden lang im Dampftopf gekocht wurde und dazu
200 g Apfelmus (Konserven) gegeben.
Soweit es angängig war, d. h. soweit das Material sich unverändert
längere Zeit aufbewahren liess, wurde es aus einem Vorrat in Tages¬
rationen abgewogen und in Papierbeutelchen resp. Pergamentpapicr auf¬
bewahrt. Die getrockneten Kohlarten wurden zunächst soweit zerkleinert,
dass eine gleichmässige Zusammensetzung des Gemisches erzielt wurde,
was durch die Analyse einer grösseren Anzahl Probenahmen ermittelt
wurde. Eine vollkommene Zerkleinerung schien nicht angebracht, um
dem Kohl nicht seine Form völlig zu rauben und ein unappetitliches
Aussehen zu vermeiden. Der Vorteil dieses Verfahrens besteht darin,
dass die einzelnen Rationen, da aus ein und derselben (vor dem Aus¬
wiegen der Tagesrationen natürlich sorgfältig gemischten) Partie stammend,
sehr grosse Gleichmässigkeit in der Zusammensetzung aufweisen. Aus
demselben Grunde ist auch die Verwendung getrockneten Gemüses der
von frischem vorzuziehen, da bei letzterem sich eine solche Gleich¬
mässigkeit kaum erzielen lässt. Diejenigen Materialien, bei denen es
nicht möglich war, die Portionen auf einmal abzuwiegen, wurden erst
direkt vor Gebrauch, bei der Morgcnmahlzeit schon abends abgewogen
und bis zum Morgen in Pergamentpapier aufbewahrt. Am ersten Tage
des Versuches war insofern von dem Plan abgewichen, als die Hälfte des
Weizenschrotbrotes erst am Mittag gegessen, also nicht in der Menge,
sondern nur in der Verteilung der Nahrung eine geringe Aenderung bestand.
Die Versuchspersonen, deren Gewissenhaftigkeit mir bekannt und über
jeden Zweifel erhaben war, schliefen in der Klinik und nahmen dort auch
ihre Mahlzeiten ein. Tags über durften sie sich entfernen. Ein dauerndes
Verweilen in der Klinik hätte durch den Mangel an Luftveränderung, Be¬
wegung und nicht zum mindesten durch die psychische Einwirkung des
Gefühls, gewissermassen gefangen zu sein, die Versuche beeinträchtigen
können. Eine Kontrolle, dass die Versuchspersonen fremde Nahrung nicht
zu sich nehmen, bot überdies in ausreichender Weise die mikroskopische
Untersuchung des Kotes. Aus dieser ergab sich auch, dass im Kot des
1) Die Zusammensetzung siehe Tabelle I.
2) Vom dritten Versuchstage an tranken die Versuchspersonen nachmittags (da
sic über Durst geklagt hatten) je ein Glas Wasser.
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Einfluss d. Extraktivstoffe d.Fleisches auf d. Ausnützung vegetabilischer Nahrung. 69
ersten Versuchstages bei beiden Personen fremde Pflanzenzellen und bei
Sk. auch Fleischfasern im Kot zu Anden waren, offenbar noch Reste der
Nahrung des dem ersten Versuchstage vorangegangenen Tages. Auch
während der Versuchsdauer konnte konstatiert werden, dass stets neben
den charakteristischen Zellen, besonders auch den Holzzellen der Nahrung
des betreffenden Tages, Zellen aus der Nahrung des vorhergehenden Tages
zu finden waren, zum Teil ganz dicht nebeneinander. Dies bezieht sich
natürlich nur auf die Kohlarten, da ja nur diese Bestandteile wechselten.
Dieser Befund beweist eklatant, dass eine „Abgrenzung“ der Tages¬
koto nur sehr bedingten Wert hat, da eine teilweise Vermischung des
Kotes aufeinanderfolgender Tage stattflndet, so dass eine vollkommene
Trennung des Tageskotes völlig unmöglich erscheint. Gerade deshalb
erscheint cs unumgänglich notwendig, bei Stoffwechselversuchen längere
Perioden anzuwenden, da bei zwei- oder dreitägigen Versuchen, wie sie
bisweilen angestellt sind, ein Einfluss der vor dem Versuch genossenen
Nahrung nicht sicher ausgeschlossen werden kann.
Dass auch länger als einen Tag Kotreste im Darm verbleiben, bewies
die mikroskopische Untersuchung des Stuhles des Sk. nach Beendigung
der Versuche, da vereinzelte Weisskohlzellcn noch am zweiten Tage nach
Beendigung der Versuche deutlich erkennbar waren, ohne dass Sk. diesen
Kohl inzwischen nochmals zu sich genommen hätte.
Bei der Untersuchung des Kotes wurde von dem üblichen Schema
der Stoffwechseluntersuchungen in ähnlicher Weise wie bei den früheren
Versuchen an Hunden etwas abgewichen, insofern als die Kohlehydrate
in zwei Formen, nämlich Stärke und Zellulose, gesondert bestimmt
wurden. Bei den früheren Versuchen konnte der Rest des Kotes nach
Abzug von Protein, Asche, Fett und Stärke ohne weiteres mit gewisser
Annäherung als „Zellulose“ betrachtet werden. Bei den vorliegenden
Versuchen war das nicht angängig, denn bei der verwendeten Nahrung
setzt sich die Zellulose namentlich bei Brot und bei Kohl aus zwei recht
verschiedenen Substanzen zusammen, nämlich aus Holzsubstanz verholzter
Zellen, deren Zellwandung so gut wie unangreifbar für den Organismus,
wie auch gegen chemische Einwirkungen sehr resistent ist und die
daher für den Stoffwechsel kaum in Betracht kommen und aus den
Zellulosewänden von Zellen mit Inhalt, die weitaus leichter sowohl im
Reagenzglas wie im Organismus gespalten werden. Um nun ein Bild
von der Ausnutzung der leichter spaltbaren Zellulose zu bekommen,
wurde folgendermassen verfahren: Nach Entfernung der Stärke durch
Wasseraufschluss bei 125 bis 130° während 4 Stunden wurde der
filtrierte Rest des Kotes mit 5prozentiger Schwefelsäure im Druckkolben
bei 130° behandelt; der dabei zu Dextrose gespaltene Teil der Zellulose
kann dann wie gewöhnlich bestimmt werden. Es soll natürlich keines¬
wegs behauptet werden, dass diese Methode gerade die vom Organismus
angreifbare Zellulose angibt, immerhin gibt sic ein gewisses Mass für
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70 H. WOLFF,
den Teil Zellulose des Kotes, der chemischer Einwirkung relativ leicht
zugänglich ist. Die eigentliche Holzsubstanz wird dabei nur wenig an¬
gegriffen. Die Versuchsergebnisse finden sich ausführlich in den Tabellen
am Schluss der Arbeit. Für die Diskussion der Versuchsergebnisse
sollen Durchschnittswerte im folgenden dienen. Zunächst in folgender
Tabelle die Ergebnisse des Stickstoff-Stoffwechsels (die ersten beiden
Versuchstage sind aus oben erörterten Gründen aus der Berechnung des
Durchschnitts fortgelassen):
Sk. M.
Vor-
Aufnahme (N in Gr) 9,12
Kot-N. ..... 1,62
Urin-N. 7,61
Bilanz.—0,11
Die beiden Versuchspersonen weisen hiernach nicht unerhebliche
Unterschiede auf. Zwar weicht der Kotstickstoff beider Versuchspersonen
nicht sehr voneinander ab, doch scheidet die Versuchsperson M. mehr
Stickstoff im Urin aus, so dass die Bilanz, die im übrigen bei beiden
negativ ist, bei M. beträchtlich schlechter ist wie bei Sk. Die Extrakt¬
gabe macht sich bei beiden Versuchspersonen durch ein Sinken des
Stickstoffgehaltes des Kotes bemerkbar; cs ist also nicht nur eine dem
Extrakt entsprechende Stickstoff menge resorbiert, sondern eine grössere.
Da nicht anzunehmen ist, dass die Magen- und Darmsekretion sich ver¬
ringert hat, denn bekanntermassen sind ja gerade die Extraktstoffe
Sekretionserreger, kann kaum ein anderer Schluss gezogen werden, als
der, dass in dem Kot in der Vorperiode noch unresorbiertes vegetabilisches
Protein vorhanden war, das zum Teil oder vollständig während der
Extraktperiode resorbiert wurde. Die geringere Stickstoffausscheidung
im Kot während der (aus äusseren Gründen nur 2 Tage dauernden)
Nachperiode bleibt bei M. bestehen. Solch ein Beharrungsvermögen des
Organismus, wie man es nennen könnte, ist aus zahlreichen Beispielen
in der Stoffwechsellitcratur bekannt. Auch bei meinen früheren Hundc-
vcrsuchen konnte ich Aehnlichcs in einzelnen Fällen beobachten. Immerhin
scheint dieses Beharrungsvermögen sehr individuell zu sein, da es bei
vielen Versuchspersonen nicht auftritt, wie z. B. hier die Zahlen der
Nachperiode bei Sk. beweisen. Der Stickstoff des Urins nimmt bei Sk.
während der Ilauptperiode unwesentlich zu und nähert sich in der Nach¬
periode wieder dem Wert der Vorperiode, während bei M. die N-Aus¬
scheidung im Urin in der Hauptperiode (auch in der Nachperiode) trotz
der Mehreinfuhr von Stickstoff in der Hauptperiode merklich gesunken
ist. Dieser Unterschied zwischen den Versuchspersonen ist natürlich nur
ein quantitativer, denn bei der Mehrzufuhr von Stickstoff während der
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Haupt-
Nachperiode
Vor-
Haupt-
Nachperiode
9,12
+0,49
9,12
9,12
9,61
9,12
=9,61
1,34
1,66
1,52
1,34
1.38
7,79
+0,48
7,54
8,28
7,62
7,46
—0,08
-0,68 +0,65
+ 0,28
Einfluss d. Extraktivstoffe d. Fleisches auf d. Ausnützung vegetabilischer Nahrung. 71
Extraktperiode bedeutet die gleichbleibende N-Ausfuhr (bei erhöhter
Resorption) eine relative Verminderung der N-Ausfuhr. Eine Parallele
hierzu bieten übrigens die Versuche von Albertoni und Rossi 1 ), bei
denen die Versuchsperson Pasquall bei einer (Mehr)-Einfuhr von ca. 3,5 g N
in Form von Fleisch zu einer vegetabilischen Nahrung nur dieselbe
Menge N im Harn ausscheidet wie bei letzterer allein (8,085 statt 8,074
vorher) (1. c. p. 15). Die Stickstoffbilanz ist demnach bei beiden Personen
während der Hauptperiode bedeutend gebessert und sinkt in der Nach¬
periode bei Sk. wieder auf den ursprünglichen Wert, während sie bei M.
weniger abnimmt und dem Wert der Hauptperiode näher bleibt als dem
der Vorperiode. Die folgende Tabelle zeigt die Harnsäure und Purin¬
werte pro die berechnet (der Harn wurde von je zwei Tagen zusammen
genommen zur Bestimmung):
Sk.
Vor- Haupt- Nachperiode
Purin-N .... 0,009 0,005 0,007
Harnsäure . . . 0,162 0,439 0,167
M.
Vor- Haupt- Nachperiode
0,008 0,011 0,010
0,152 0,460 0,198
Hiernach hat sich die Menge der ausgeschiedenen Purinbasen nicht
geändert, denn die Differenzen liegen vollkommen innerhalb der nicht
unbedeutenden Fehlergrenzen für die Bestimmung dieser Stoffe. Dagegen
hat die Menge der Harnsäure beträchtlich zugenommen, nämlich ent¬
sprechend einer Stickstoffmenge von 0,092 bzw. 0,103 g pro die. Unter
der Annahme, dass die Harnsäurevermehrung als Stoffwechselprodukt
des zugeführten Fleischextraktes anzusehen ist, ergibt sich aus diesen
Bestimmungen, dass rund 19 bzw. 21 pCt. des Extraktes als Harn¬
säure im Harn wieder erschienen sind, "während der Rest sich wie
Nahrungsprotein verhalten hat und entweder zu Harnstoff verbrannt oder
zu dem beobachteten Eiweissansatz verwendet ist, was zu entscheide»
unmöglich ist.
Ferner geht aus diesen Resultaten hervor, dass nicht nur grosse
Fleischextraktgaben, wie dies z. B. Strauss nachgewiesen hat, die
Harnsäureausfuhr zu steigern imstande sind, sondern auch kleinere Mengen
wie sie der Verwendung im Haushalt entsprechen. Weiterhin ist bei den
vorliegenden Versuchen ein deutlicher Rückgang der Harnstoffausscheidung
zu bemerken, da ja der bei weitem grösste Teil des nicht zur Harnsäure
gehörenden Stickstoffs des Harnes als Harnstoff anzusprechen ist und bei
gesteigerter Harnsäureausscheidung die Gesamt-N-Ausscheidung sich nicht
geändert oder sogar verringert hat. Wenn man davon absieht, dass bei
der Straussschen Arbeit als Grundregime fleischhaltige Kost gedient
hat, während bei meinen Versuchen vegetabilische Nahrung die Grundlage
bildete, so würde der Umstand, dass bei den Straussschen Versuchen
1) Albertoni und Rossi, Ricerohe sul valore comparativo del cibo vegetale
e del cibo animale e sul Bilancio minimo proteno. Bologna 1908.
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72
H. WOLFF,
die N-Ausscheidung im Harn ziemlich genau um den N-Gehalt des zu¬
geführten Fleischextraktes gestiegen ist, während bei meinen Versuchen
dies nicht der Fall war, sondern in dem einen Fall sogar eine Ver¬
minderung stattgefunden hat, die oben geäusserte und aus meinen Hunde¬
versuchen schon wahrscheinliche Ansicht stützen, dass extrem grosse
Fleischextraktgaben eine vollkommen andere Wirkung ausüben können
als normale geringere Mengen. Für die Verwendung im täglichen Leben
sowie in der Krankenkost würde sich daraus die Lehre ergeben, dass
eine massige Fleischextraktgabe wertvoller ist (unter normalen Verhält¬
nissen) als eine übermässig grosse.
Während bei dem Stickstoff-Stoffwechsel ein sicheres Urteil nur über
die Bilanz, nicht aber über die eigentliche Ausnutzung, d. h. die
Resorption der Nahrung gewonnen werden kann, da, wie ich dies bei
meiner früheren Arbeit ausführlich darlegte, nur indirekt und höchst un¬
sicher ein Schluss zu zielieu ist aus dem Stickstoffgehalt und ähnlich aus
dem Fettgehalt des Kotes, der ja Nahrungsprotein und -Fett neben Sekret¬
stickstoff und -Fett enthält oder enthalten kann, ist für die Beurteilung der
Ausnutzung im engeren Sinne besonders massgebend der Gehalt des Kotes
an Stärke, die ja nur aus der Nahrung stammen kann. Nachstehende
Tabelle enthält die Stärkemengen des Kotes (Mittelwerte pro die mit
Ausschaltung der ersten beiden Tage des Versuchs):
Sk.
M.
Vorperiode . . .
. . 3,71
2,81
Hauptperiode . .
. . 2,45
1,94
Nachperiode . .
. . 3,91
4,17
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass deutlich während der Haupt¬
periode die Stärke besser ausgenutzt wurde und zwar finden sich während
der Hauptperiode bei Sk. nur 66 pCt. derjenigen Stärkemenge, die der
Kot in der Vorperiode hatte, während sich bei M. nur 69 pCt. vorfinden.
In der Nachperiode steigt sofort die Stärkemenge an bei M., sogar
merklich über den Wert der Vorperiode, eine Erscheinung, die ich bei
allen über das gleiche Thema mit Hunden angcstelltcn Versuchen be¬
obachten konnte. Auch die Zahlen der Zellulose zeigen eine wenn auch
nicht so deutliche Verminderung während der Hauptperiode.
Es bliebe schliesslich noch eine Diskussion der Fettresorption übrig,
die sich folgendermassen verhält:
Ges.-Fett Fettsäuren 1 ) Ges.-Fett Fettsäuren 1 )
Vorperiodo 4,29 1,08 (=25pCt. d. Ges.-Fettes) 4,77 1,48 (=31pCt.)
Hauptperiode 2,78 1,95 (=70 „ „ „ ) 3,50 1,76 (=50 „ )
Nachperiodo 4,15 1.25 (=30 „ „ „ ) 4,96 2,22 (=45 „ )
1) Dio Bestimmung der Fettsäure geschah in der Weise, dass das gewogene
Kotfett mit völlig neutralem Aether aufgenommen, die Lösung mit Phcnolphtalein und
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Einfluss d. Extraktivstoffe d. Fleisches auf d. Ausnützung vegetabilischer Nahrung. 73
Aus diesen Zahlen geht hervor, dass das Fett während der Extrakt¬
periode besser resorbiert wird und dass die Ausnutzung in der Nach¬
periode sogleich wieder heruntergeht. Trotzdem ist aber auch hier in
der Nachperiode der Versuchsperson M. eme Nachwirkung, wie wir sie
auch bei dem N-StofTwechsel gesehen haben, zu bemerken.
Die Spaltung des Fettes, die aus der Rubrik Fettsäuren zu ersehen
ist, ist nämlich bei M. in der Nachperiode wesentlich grösser als in der
Vorperiode. Bei Sk., bei dem auch im N-Stoffwechsel eine Nachwirkung
nicht zu beobachten war, ist hier eine nur unwesentliche und innerhalb
der normalen Schwankungen liegende Steigerung der Fettspaltung zu be¬
merken. Es scheint also, als ob diese Nachwirkung wesentlich ein
individuelles Moment ist. Ferner geht aus den Zahlen hervor, dass die
Resorption nicht völlig von der Spaltung abhängig ist, denn die Resorption
ist weniger gestiegen als die Spaltung, da ja bei geringerer Fettresorption
die Fettsäuren (das Mass gespaltener Fettmenge) angewachsen ist. Auch
ist in der Nachperiode bei M., wie eben erwähnt, die Spaltung grösser
als in der Vorperiode, während die Resorption nur ebenso gross ist.
Die hier beobachtete Fettverminderung im Kot während der Extrakt¬
periode scheint in Widerspruch mit den Resultaten der mit Hunden an-
gestelltcn Versuche zu stehen, bei denen ich ausnahmslos in der Extrakt¬
periode eine geringe Vermehrung des Kotfettes konstatierte. Dieser
Widerspruch dürfte aber wohl nur ein scheinbarer sein. Bei den Hunde¬
versuchen war die Kost nämlich verhältnismässig fettarm, während sie
hier relativ fettreich ist. Nimmt man nun an, dass das Fett bei den
Hundeversuchen völlig resorbiert war und das Kotfett bei diesen Versuchen
wesentlich als Sekretfett anzusehen war — eine schon damals aus¬
gesprochene Vermutung — so dürfte die Erklärung plausibel sein, dass
hier noch bei reichlicher Fettnahrung unresorbiertes Fett genug vorhanden
war, das durch die gesteigerte Verdauungstätigkeit während der Extrakt¬
periode noch resorbiert werden konnte. Der damals aufgestellte Satz
wird dadurch noch wahrscheinlicher gemacht, dass die Wirkung des
Extraktes wesentlich von dem Verhältnis der Extraktmengc zu der ohne
den Extrakt unausgenutzten Nahrung abhängt.
Ergebnisse.
1. Bei der vorliegenden fleischfreien Grundnahrung, die an und für
sich den Stickstoffbedarf der Versuchspersonen nicht völlig zu decken
imstande war, wurde durch Zugabe von 5 g Liebigs Fleischextrakt die
dann mit alkoholischer Kalilauge bis eben zur Rotfärbung versetzt wurde, durch Zu¬
fügen von Wasser die gebildeten Seifen gelöst, die wässerige abgetrennte Lösung mit
Petroläther extrahiert wurde, um in der Seifenlösung noch gelöstes Neutralfett völlig
zu entfernen. Die abgetrennte wässerige Lösung wurde endlich mit Salzsäure zersetzt
und mit Aetlicr extrahiert. Der Extrakt enthält die Fettsäuren, die im Kot entweder
als freie Fettsäure oder an Alkali als Seifen gebunden vorhanden waren.
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74
H. WOLFF,
Stickstoffbilanz so weit gebessert, dass ein geringer Eiweissansatz stattfand.
Dies geschah zum Teil durch eine erhöhte Ausnutzung des Nahrungs¬
proteins, zum Teil durch eine Herabsetzung der Stickstoffausscheidung.
Letztere blieb bei einer der Versuchspersonen auch während der Nach¬
periode bestehen.
2. Während der Fleischextraktzugabe zeigte der Harn eine starko
Vermehrung von Harnsäure. Unter der Annahme, dass der Stickstoff der
mehr ausgeschiedenen Harnsäure nur aus dem Extrakt stammt, würden
etwa 20 pCt. des Extraktstickstoflfes wieder als Harnsäure ausgeschieden
worden sein.
3. Die Stärke wurde besser ausgenutzt und zwar wurden von den
in der Vorperiode unverdauten Stärkeresten rund 25 bis 30 pCt. noch
resorbiert.
4. Auf den Fett-Stoffwechsel hatte die Extraktzugabe zweierlei
Wirkung: 1. wurde das Fett stärker gespalten und 2. mehr resorbiert,
und zwar ist die Spaltung relativ höher gestiegen als die Resorption.
5. Ein Vergleich der erhaltenen Resultate mit den früher an Hunden
angestelltcn Versuchen über das gleiche Thema stützt die Ansicht
wesentlich, dass eine Verbesserung vegetabilischer Nahrung durch Fleisch¬
extrakt abhängig ist von dem Verhältnis der Ausnutzungsquote und der
Grösse der Extraktmenge, in dem Sinne, dass eine Vergrösserung der
Extraktmenge nur solange eine Verbesserung hervorruft, als noch genügend
unausgenutzte Nahrung vorhanden ist. Wird diese eben von der Aus¬
nutzungsquote der Nahrung abhängige variable Menge überschritten, so
wird die Absonderung von Verdauungssekreten ohne Nutzen vor sich
gehen. Um bei dem anschaulichen Bilde zu bleiben, in dem Pawlow
die Extraktivstoffe des Fleisches mit einem Zünder vergleicht, der das
Pulver (die Nahrung) zur Verbrennung bringt, könnte man sagen, dass der
Zünder nur dann einen Wert hat, wenn genug Pulver vorhanden ist, das
er entzünden kann, und dass anderenfalls der Zünder zwecklos verpufft.
Das Wichtigste in praktischer Hinsicht von den Wirkungen des
Fleischextraktes ist unzweifelhaft der günstige Einfluss auf die Stick¬
stoffbilanz.
Der an und für sich nicht als Nahrung zu betrachtende Fleischextrakt
vertritt die Stelle einer solchen, indem er in zweckmässiger Dosis cin-
geführt das Stickstoffbedürfnis des Organismus hcrabzusetzen scheint und
zwar je nach den Umständen absolut oder relativ zu der durch ihn mehr
eingeführten Stickstoffmenge, auch wird ein Teil seines Stickstoffs wie
Nahrungsprotein verwendet.
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Einfluss d. Extraktivstoffe d. Fleisches auf d. Ausnützung vegetabilischer Nahrung. 75
Tabelle I.
Zusammensetzung der Nahrung (Prozentgehalte).
Wasser
N-Substanz
Stärke (oder Zucker)
Dextrin etc.
Asche
Fett
Haferflocken ....
6,8
17,6
67,2
2,9
2,7
Milch.
88,6
3,2
4,1
0,8
3,8
Butter.
1.0
78
Weizenschrotbrot. . .
36,0
6,2
51,4
1,5
0,1
Roggenschrotbrot. . .
29,8
7,6
56,4
1,1
0,4
Kartoffel.
71,0
3,0
24,2
1,4
0,1
Reis.
15,8
8,6
66,8
4,2
1,8
Apfelmus.
27,5
0,56
Zucker r
u. Stärke) 69 ’ 5
0,3
Liebigs Fleischextrakt l )
9,72
Kohlrabi.
—
22,5
52,8
12,3
2,0
Weisskohl.
—
23,7
49,2
8,5
1,6
Tabelle II.
Versuchsperson Sk. Kotnntersuchung.
Menge
Trocken¬
substanz
N
Asche
Fett
Zellulose
16. 2.
77
24,1
1,49
1,64
3,40 (2,30)
2,41
2,67
64
19,2
1,04
1,57
2,75 (1,01)
2,15
1,80
Vorperiode
130
37,4
2,18
3,14
5,27 (1,84)
4,49
3,56
92
26,2
1,15
2,75
3,80 (0,98)
3,33
3,02
94
27,8
1,58
2,48
3,89 (0,89)
3,53
3,04
100
29,2
1,57
2,68
4,20 (1,11)
3,48
2,85
113
27,0
1,50
2,58
3,30 (2,20)
3,00
2,66
Hauptperiode
96
24,2
1,25
2,24
2,76 (1,94)
2,52
2,64
(5 g Extrakt)
85
23,0
1,38
2,02
2,54 (1,77)
2,14
2,08
86
22,8
1,22
2,16
2,52 (1,89)
2,14
2,91
Nachperiode
96
27,2
1,55
2,36
3,70(1,11)
3,48
3,04
127
32,5
1,77
2,99
4,61 (1,39)
4,35
3,98
1) Ein Vergleich dieser Stickstoffzahl mit den Zahlen, die ich bei den für die
zitierten Hunde-Versuche erhalten hatte (9,80pCt. im Mittel), mit anderen, neuerdings
ermittelten, z. B. von Völtz und Baudrexel = 9,69pCt., zeigt, wie gleichmässig
Liebigs Fleischcxtrakt jetzt zusammengesetzt ist; auch ist offenbar der N-Gehalt
grösser als in früheren Zeiten, denn Analysen aus den 80er Jahren, z. B. in Königs
Nahrungs- und Genussmittel, geben fast ausnahmslos Gehalte unter 9pCt., z. T. recht
erheblich darunter an.
Die zugeführte Nahrung enthielt nach diesen Bestimmungen und den Seite 67 und
68 angeführten Mengen folgende Bestandteile:
N-Substanz (N)
Morgens . . . 16,53
Mittags . . . 16,69 [17,09]*)
Abends . . . 23,57
Summa 56,79[57,19] (9,09[9,14]) 397,6 123,4
*) Die in eckigen Klammern stehenden Zahlen sind die für die Wirsingkohltage
geltenden. Der Unterschied ist praktisch = 0.
Zucker Stärke Fett
19,1 85,0 31,25
—_ 83,9 [82,7 ] 71,2
~~!209,6~" 20,95
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76 H. WO LFF, Einfluss d.Extraktivstoffe d. Fleisch, a. d.[Ausnütz, vegetab. Nahrung.
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Urin.
Menge
N-Gehalt
Harnsäure
16.
17.
550
660
9,09
8,69
J 0,328
18.
560
6,98
} 0,332
19.
900
8,44
20 .
21 .
600
550
7,30
7,72
} 0,316
22 .
540
7,65
} 0,864
23.
600
7,49
24.
25.
580
720
7,75
8,37
| 0,892
26.
880
7,43
| 0,334
27.
870
7,65
Tabelle III.
Versuchsperson M. Kotuntersnchungen.
Menge
Trocken¬
substanz
N
Asche
Fett
Stärke
Zellulose
16.
153
32,2
1,47
3,19
4,76 (2,18)
3,16
2,08
17.
124
27,0
1,30
2,30
4,38 (2,01)
2,56
1,85
18.
76
19,9
0,94
1,87
3,15 (1,23)
2,07
1,66
19.
130
33,4
1,98
1,67
3,11
5,31 (1,56)
2,97
1,64
20 .
166
35,2
3,27
5,60 (1,59)
3,14
1,83
21 .
162
31,5
1,50
2,87
5,01 (1,54)
3,06
1,75
22 .
135
28,7
1,53
2,67
4,08 (2,00)
2,30
1,50
23.
65,5
17,5
0,97
1,44
2,43 (1,56)
1,33
1,03
24.
148
29,1
1,53
2,38
3,93 (1,79)
2,06
1,63
25.
148
25,8
1,31
2,19
3,56 (1,69)
2,09
1,60
26.
138
31,6
1,36
2,89
5,21 (2,27)
3,63
1,69
27.
118
29,4
1,40
2,65
4,71 (2,17)
2,76
1,79
llrin.
Menge
N-Gehalt
Harnsäure
16.
17.
700
720
8,13
7,86
} 0,296
18.
700
8,53
| 0,296
19.
600
7,56
20 .
380
8,04
} 0,312
21 .
750
9,01
22 .
520
7,35
} 0,904
23.
700
8,23
24.
25.
575
485
7,35
7,55
| 0,934
26.
27.
520
660
7,11
7,82
) 0,396
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VII.
Aus der medizinischen Klinik in Kiel (Direktor: Prof. Dr. Lüthje).
Ueber den Einfluss sympathiko- und autonomotroper
Substanzen auf die eosinophilen Zellen.
Von
G. Schwenker und H. Schlecht.
Vor kurzer Zeit konnte Schlecht (2, 3) zeigen, dass fortlaufende
Injektionen von artfremdem Eiweiss im Tierversuch (Hund und Meer¬
schweinchen) eine hochgradige periphere Eosinophilie, sowie eine lokale im
Peritoneum zu erzeugen imstande sind, und dass (4) diese experimen¬
telle Eosinophilie in enger Beziehung zur Anaphylaxie steht. Erholt
sich ein Meerschweinchen vom anaphylaktischen Shock, so tritt eine enorme
periphere Eosinophilie ein. Schlecht und Schwenker (5) wiesen bei
derartigen Tieren eine hochgradige Eosinophilie in der Lunge nach.
Die eosinophilen Zellen sind wallartig um die Bronchien angeordnet, finden
sich weiterhin in dem Bindegewebsgerüst, sowie in der z. T. stark ge¬
fältelten Bronchialschleimhaut selbst und liegen zum Teil mit
neutrophilen Zellen und vereinzelten roten Blutkörperchen frei im Lumen
der Bronchien. In die Alveolen, Alveolarsepten, sowie in das übrige Lungen¬
gewebe sind sie in enormen Mengen eingestreut. Ein grosser Teil dieser
Zellen scheint in den peribronchialen Lymphspalten zu liegen.
Für die allgemeine Eosinophilie bei der Eiweissinjektion und bei der
Anaphylaxie glaubten die Verfasser annehmen zu müssen, dass die
Eosinophilie als eine in ihrer Tendenz günstige Reaktion des Körpers
gegen die bei dem Abbau des Eiweisses auftretenden Toxine aufzufassen
sei. Für die Eosinophilie in der Lunge konnten wir eine bestimmte Er¬
klärung nicht geben, wenn man von rein theoretischen Erörterungen, wie
sic z. B. Stschasnyi (7) bei seinen Versuchen mit hämolytischem Serum
angestcllt hat (Sauerstoffavidität der Eosinophilen), absieht. Am ehesten
glauben wir, dass es sich um eine chemotaktische Reizwirkung durch
die auftretenden Toxine handeln könnte. Die lokale Eosinophilie findet
sich da, wo der Angriffspunkt dieser Toxine zu vermuten ist. Zu dieser
Vermutung glaubten wir uns um so mehr berechtigt, als es uns gelang,
auch bei dem lokal anaphylaktischen, sog. Arthusschen Phänomen der
Haut und bei lokaler Anaphylaxie in den Lungen (durch Inhalation von
den Luftwegen aus nach vorheriger intraperitonealer Sensibilisierung) eine
lokale Eosinophilie zu erzeugen (6); ferner deshalb, weil, wie wir andern-
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78
G. SCHWENKER und H. SCHLECHT,
orts ausführlich berichten werden, auch im Verlauf des anaphylaktischen
Versuchs beim Hunde die Eosinophilie eben da einsetzt, wo die ana¬
phylaktischen Symptome auftreten. So konnten wir bei der Enteritis
anaphylactica [Schittenhelm und Weichardt (8)J eine lokale Eosino¬
philie der Darmschleimhaut beobachten.
Da wir nun wissen, dass eine Reihe von Autoren zur Erklärung des
anaphylaktischen Shocks nervöse Einflüsso zentraler und peripherer Art
hcranziehen, so war die Möglichkeit einer Erklärung vielleicht darin
zu suchen, dass auf einen derartigen durch Nerven vermittelten Reiz der
Anstoss zur Anlockung der Eosinophilen gegeben würde, ln der Tat
haben nun Bcrtclli, Falta und Schwecger (9) jüngst Versuche ver¬
öffentlicht, die auf eine gewisse Abhängigkeit der morphologischen Blut¬
zusammensetzung vom autonomen und sympathischen Nervensystem hin¬
wiesen. Sie konnten an Hunden feststellen, dass Mittel, welche im Sinne
einer Tonuserhöhung sympathischer Nerven wirken, das Blutbild nach
der Richtung der Neutrophilie und Aneosinophilie, und Mittel, welche im
Sinne einer Tonuserhöhung der autonomen Nerven wirken, das Blutbild
vorübergehend in der Richtung einer Mononukleose und Eosinophilie ver¬
schieben. Die Eosinophilie soll dadurch zustande kommen, dass in
solchen Zuständen autonomer Reizungen eine Mehrausfuhr eosinophiler
Zellen aus dem Knochenmark stattfindet. Zu derartigen Reizzuständen des
autonomen Systems gehört auch das Asthma bronchiale und eine Anzahl
von Hautkrankheiten, die andererseits ebenfalls mitEosinophilie einhergehen.
Die Untersuchungen von Bcrtelli, Falta und Schweeger sind
bisher nicht gestützt worden. Stäubli (1), ferner Aschenheim und
Tomono (10), sowie Skorczcwski und Wasserberg (11) konnten ihre
Befunde nicht bestätigen. Die beiden letzten Autoren haben ausser der
Injektion von Pilokarpin und Adrenalin die freigelegtcn Nervenstämmc
direkt elektrisch gereizt, ebenfalls mit negativem Ergebnis.
Es erschien uns nun aus der Zusammcnstelluug dieser Ergebnisse
heraus von Wichtigkeit, festzustellen, ob eine Beeinflussung der eosino¬
philen Zellen des Meerschweinchens durch Reizung des autonomen
Systems möglich sei, und vor allem, ob dadurch in der Lunge eine
lokale Eosinophilie zu erzielen sei, kurz, ob die von uns beschriebene
allgemeine und lokale Eosinophilie im anaphylaktischen Versuch
auf nervöse Reize zurückzuführen sei. Wir haben zunächst die Versuche
am Hunde wiederholt, che wir zum Meerschweinchen übergingen, haben
aber ebenso wie Stäubli, Aschenheim und Tomono und Skorczweski
und Wasserberg die Angaben von Bcrtclli, Falta und Schweeger
nicht bestätigen können 1 ).
1) Die Dosierung war anfänglich pro Kilogramm Körpergewicht der Versuchs¬
tiere entsprechend den Versuchen der genannten Autoren, später aber auch höher
oder tiefer gewählt.
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Ueber den Einfluss sympathiko- und autonomotroper Substanzen usw. 79
I. Adrenalinversuche.
Hund Nr. 2. 2,0 kg schwer.
Zeit
.
B
■
Bemerkungen.
1.12. 3 Std. p. m.
7 400 000
95
13 000
650,0
5,0
0,06
3 * 40Min.
p. m.
—
—
—
—
—
0,005 g Adrenalin subk.
4 „ p. m.
7 200 000
94
11400
456,0
4,0
—
6 „ a. ra.
9 200 000
99
21 800
490,5 !
2,25
—
2 . 12. 10 „ p. m.
6 100 000
94
20 600
0 !
! 0
—
2.12. G „
5 300 000
89
19 000
57,0
; o,3
—
3. 12.
5 800 000
90
16 600
381,0
1 2,3
—
4. 12.
6 800 000
90
I 13 500
378,0
i 2 ’ 8
—
G. 12.
—
—
13 800
69,0
0,5
—
8 . 12.
—
—
12 900
425,7
! 3,3
—
10 . 12.
5 100 000
70
14 000
0
0
12 pCt. kernhaltige Ery¬
throzyten, darunter auch
einzelne Megaloblastcn.
12 . 12.
5 000 000
87
17 000
272,0
1,6
2,5 pCt. kcrnhalt ; gc Ery¬
throzyten.
21 . 12.
—
90
11 800
389,0
1 3,3
Rotes Blutbild: normal.
Wir beobachteten bei diesem Versuchstier den von BertelIi, Falta
und Schweeger beschriebenen Anstieg der Erythrozyten, sowie im ge¬
ringen Grade des' Hämoglobins im unmittelbaren Anschluss an die
Injektion. Bei weiterer Kontrolle des roten Blutbildes zeigt sich aber
in den nächsten Tagen ein Absinken des Hämoglobins und der Erythro¬
zyten. Später treten lebhaftere Rogenerationserscheinungen auf. Es
erscheinen im Blute zahlreiche kernhaltige, rote Blutkörperchen. Be¬
züglich des weissen Blutbildes ist zu bemerken: die von Bertelli, Falta
und Schweeger beschriebene Hyperleukozytose mit starker Neutrophilic
wird bestätigt. Die neutrophilen Zellen steigen von 69,3 auf 88,2 pCt.
bei starker Hyperleukozytose. Auch die Aneosinophilie bzw. Hyp-
eosinophilie ist vorhanden, wie die Tabelle zeigt. (Wir verzichten
Raummangels halber auf die Wiedergabe der gesamten Tabelle der
Leukozyten und verzeichnen nur die Eosinophilen.) Wir konnten eine
Abnahme der grossen Mononukleären nicht feststellcn. Sie bleiben in
den ersten Stunden ziemlich konstant, steigen nach 24 Stunden ent¬
sprechend dem Anwachsen der neutrophilen Leukozyten von 6 auf 11 pCt.
(780—2009). Dagegen fallen die Lymphozyten sowohl relativ wie pro¬
zentual; kurz, es entsteht eine regelrechte neutrophile-Leuko¬
zytose. Es erscheint uns nicht statthaft, wie Bertelli, Falta und
Schweeger cs in ihrer Arbeit teilweise tun, die Lymphozyten und grossen
Mononukleären in eine Rubrik zusammenzufassen, beide Zellarten müssen
unbedingt gesondert gezählt werden.
Bei kleinen Dosen Adrenalin sehen wir beim Meerschweinchen eine
deutliche Hypeosinophilio und bei hohen Dosen eine völlige
Aneosinophilie. Hypcrleukozytosc und Neutrophilic sind vorhanden.
Die Lymphozyten zeigen ausgesprochene Verminderung, die Mononukleären
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80
G. SCHWENKER und H. SCHLECHT,
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Meerschweinchen Nr. 113 (664 g).
Zeit
Gesamtleukozyten
Eosinophile
abs. | proz.
6 . 12. 11 Uhr 40 Min. a. m.
26 800
1956
7,3
6 .12. 12 *
Inj. v. 0,003 g Adr. subk.
—
—
6 . 12. 12 Uhr 20 Min.
29 200
1927
6,6
6 . 12. 4 „ 30 „
21300
639
3,0
7.12.
17 000
561
3,3
8 . 12.
15 100
800
i 5,3
9.12. 11 „ 40 „
15 100
1140
7,6
12 „
Inj. v. 0,01 g Adr. subk.
—
—
—
12 Uhr 25 Min.
15 800
948
6,0
1 „
20 200
1273
6,3
3 „ 45 „
19 100
516
2,7
10 . 12.
21000
0
0
nur leichte Schwankungen ohne besondere Tendenz nach oben oder unten, bei
der Injektion kleiner Dosen, dagegen deutliche Zunahme bei erhöhten Dosen.
Auch das folgende Tier, Meerschweinchen Nr. 119 (625 g), zeigte
ähnliche Verhältnisse.
Zeit
Gesamt-
Eosinophile
leukozyten
abs.
proz.
4
Vor Injektion
15 400
963
6,25
0,0006 Adr. subk.
—
—
—
25 Minuten später
18 400
644
3,5
2 Stunden „
20 000
700
3,5
18 *
21000
254
1,2
Auch hier eine deutlich ausgesprochene Abnahme der Eosino¬
philen und starke Zunahme der spezial granulierten Leukozyten. Die
grossen Mononukleären bleiben konstant, die Lymphozyten nehmen nach
kurzem Anstieg ab. Mikroskopisch finden sich in den Lungen dieser
Tiere eosinophile Zellen, aber keinesfalls mehr als man bei unbe¬
handelten spontan eosinophilen Tieren zu finden pflegt.
Meerschweinchen Nr. 114 (420 g) erhielt 3 mg Adrenalin subkutan.
Bereits nach einer Minute treten lebhafte Krämpfe auf; eineinhalb Minuten
später tritt der Exitus ein. Makroskopisch und mikroskopisch zeigen
die Lungen enorme Blähung und Blutungen. Mikroskopisch findet sich
starke Hyperämie. Die spezialgranuliertcn Zellen sind sehr reichlich
vorhanden. Eine Eosinophilie ist nicht nachzuweisen.
Das gleiche Verhalten zeigt Meerschweinchen Nr. 143 (280 g). Es erhält
5 mg Adrenalin subkutan. Nach 45 Minuten tritt unter lebhaften Krämpfen
der Exitus ein. Die mikroskopische Untersuchung der Lungen ergibt: hoch¬
gradiges Emphysem, starke Hyperämie, enorme Blutung, reichlich spezial-
granulierte Leukozyten, Eosinophile sind nur vereinzelt vorhanden.
Die nächsten beiden normalen Tiere wurden mit kleinen Dosen
Adrenalin behandelt.
Gck igle
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(Jeber den Einfluss sympathiko- und autonoraotroper Substanzen usw. 81
Meerschweinchen Nr. 156 (250 g) erhält 0,2 mg Adrenalin subkutan.
Das Blutbild zeigte vor der Injektion 0,0 pCt. eosinophile Zellen. Nach
24 Stunden war im peripheren Blute 0,7 pCt. vorhanden. Die Lungen
zeigten mikroskopisch geringe Blähung, keine Blutung. Spezialgranulierte
Zellen sind ziemlich reichlich vorhanden, eine Eosinophilie ist nicht
nachzuweisen.
Meerschweinchen Nr. 144 (250 g) erhielt 0,3 mg Adrenalin subkutan
und wurde nach 24 Stunden getötet. In der Lunge fanden sich einzelne
auf Tuberkulose verdächtige Infiltrationen, aber keine Eosinophilie.
Im peripheren Blute waren vor der Injektion 0,3 pCt., 24 Stunden später
0,0 pCt. eosinophile Zellen vorhanden.
Die Adrenalininjektionen rufen also nach unseren Versuchen,
wie Bertelli, Falta und Schweeger gefunden haben, eine Zunahme
des Hämoglobins und der Erythrozyten hervor. Sie bestätigen auch die
Angabe, dass das weisse Blutbild, im Sinne einer echten Leukozytose
mit Vermehrung der Neutrophilen und Abnahme oder völligem
Schwinden der eosinophilen Zellen beeinflusst wird.
Mit Skorczewski und Wasserberg glauben wir, dass wir hierin
nicht eine spezifisch negativ chemotaktische Wirkung des Adrenalins auf
die Eosinophilen zu sehen haben, sondern dass die Verminderung der
eosinophilen Zellen gleichzusetzen ist der Erscheinung, die wir bei jeder
Injektion körperfremder Substanzen auftreten sehen (Stäubli).
In den Lungen konnten wir eine Verschiebung des zellulären Blut¬
bildes zugunsten oder ungunsten der eosinophilen Zellen nicht feststellen.
n. Pilokarpinversuche.
Hund 1. 2,5 kg.
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82 G. SCHWENKER und H. SCHLECHT,
Hund 3. 2,0 kg.
Zeit und Bemerkung
Gesamtleukozyten
Eosim
abs. i
Dpbile
proz.
21. 12. 10 Uhr 50 Min.
11800
271
3,3
11
>
—
—
—
Inj. v. 0,002 Pilok. subk.
11 Uhr 15 Min.
14 800
444
3,0
1
12 900
258
2,0
6
Tt
11000
220
2,0
22. 12. 10
Ti
11 500
264
2,3
11
, 30 „
15 800
568
3,6
11
* 10 *
12 100
266
2,2
1
. 30 „
10 200
367
3,6
5
. 30 ,
10 500
273
2,6
Der Versuch bietet bezüglich der Neutrophilen, der grossen Mono¬
nukleären und Lymphozyten die gleichen Verhältnisse wie der vorige
dar. Die Eosinophilen zeigen eine halbe Stunde nach der Injektion
einen kleinen Anstieg, der aber bei seiner geringen Höhe nicht als
Hypereosinophilie gedeutet werden kann. Jedenfalls ist eine Ab¬
nahme oder Aneosinophilie nicht zu verzeichnen.
Meerschweinchen Nr. 115 (320 g).
Zeit und Bemerkung
Gesamtleukozyten
Eosim
abs.
ophile
proz.
11 Uhr 55 Min.
9 900
277
2,8
12 „
—
—
—
0,01 Pilok. subk.
12 Uhr 15 Min.
9 000
315
3,5
12 , 30 „
9 200
326
3,S
1 b 30 „
9 700
223
2,3
6 »
11600
267
2,3
Bei diesem Versuch findet sich keine Beeinflussung der eosino¬
philen Zellen. 6 Stunden nach der Injektion tritt eine Hyperleuko¬
zytose mit starker Vermehrung der Neutrophilen und Abnahme der
Lymphozyten ein. Die Mononukleären zeigen eine geringe Zunahme.
Das Tier wurde 24 Stunden nach der Injektion getötet. Die Lungen
zeigten normale Verhältnisse. Emphysem oder Blutung waren nicht
nachzuweisen. Die eosinophilen Zellen waren in normaler Zahl
vorhanden. Leber, Milz, Niere, Knochenmark und Drüsen zeigten
normale Verhältnisse, die Eosinophilen waren nicht vermehrt.
Meerschweinchen Nr. 116 (450 g).
Zeit und Bemerkung :
Gesamtl eukozy ten
Eosinophile
abs. | proz.
14. 12. 10 Uhr 15 Min.
15 000
450
3,0
»-»
o
a
©
—
—
—
0,006 Pilok. subk.
10 Uhr 40 Min.
12 000
72
0,6
11 „ 15 „
14 800
89
0,6
12 „
13 000
260
2,0
4 , 30 „
11 000
55
0,5
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Heber den Einfluss sympathiko- und autonomotroper Substanzen usw. 83
In diesem Falle tritt eine ausgesprochene Eosinopenie mit Ab¬
nahme der Gesamtleukozytenzahl ein. Am Abend macht sich eine Zu¬
nahme der Neutrophilen bemerkbar. Das Tier wurde 8 Y 2 Stunden nach
der Injektion getötet. Die Lungen waren nicht gebläht, und zeigten
keine Blutung, das Herz und die übrigen Organe zeigten makroskopisch
und mikroskopisch normale Verhältnisse. Mikroskopisch fanden sich in
den Lungen einzelne kleine perivaskuläre Infiltrate, wie man sie
gelegentlich auch am normalen Tier beobachten kann. In deren Um¬
gebung waren die Eosinophilen vermehrt. Eine derartige geringe Ver¬
mehrung der Eosinophilen kann man bei normalen Tieren beobachten,
wenn sich die erwähnten Infiltrate in den Lungen vorfinden. Eine Ver¬
wechslung dieses gelegentlichen Befundes mit der Lungeneosinophilie im
anaphylaktischen Versuch ist [vgl. 1. c. (5)] kaum möglich, zumal im
Vergleich zu der von uns beobachteten Eosinophilie in der Lunge
anaphylaktischer Tiere diese Vermehrung der Eosinophilen sehr gering ist.
Meerschweinchen Nr. 117 (320 g).
Zeit und Bemerkung
Gesamtleukozyten
Eosin«
abs.
ophile
proz.
10 übr 10 Min.
11500
82
0,8
10 , 15 ,
—
—
—
Inj. y. 0,001 Pilok.
10 Uhr 40 Min.
16 000
80
0,5
11 , 40 „
15 000
150
1,0
1 » 15 .
21000
0
0
Im Anschluss an die Pilokarpininjektion trat keine Eosinophilie
auf. Im Gegenteil war proz. eine geringe Senkung der eosinophilen
Zellen zu konstatieren. Zum Schluss bestand eine ausgesprochene
neutrophile Leukozytose. Das Tier wurde zur Untersuchung der
Lungen 3y 4 Stunde nach der Injektion getötet. Die Lungen zeigten
hochgradige Blähung und zahlreiche kleinere und grössere Blutungen.
Mikroskopisch waren in den Lungen zahlreiche Blutungen nachweisbar.
Eosinophile Zellen waren nur in äusserst geringer Anzahl vorhanden,
dagegen pseudoeosinophile Zellen sehr reichlich. Da auch bei den
weiteren Versuchen das periphere Blutbild keine nennenswerten Ver¬
änderungen aufwies, können wir auf die Wiedergabe der Bluttabellen
verzichten.
Meerschweinchen Nr. 121 (550 g) erhielt ein Milligramm Pilokarpin
subkutan. Die eosinophilen Zellen zeigten bei Zunahme der
Gesamtleukozytenzahl keine nennenswerte Beeinflussung. Acht Stunden
nach der Injektion waren sie gänzlich aus dem Blute ver¬
schwunden und machten einer neutrophilen Leukozytose, die schon
eine Stunde nach der Injektion nachweisbar war, Platz. Das Tier
wurde 24 Stunden nach der Injektion getötet. Es fand sich an den
Organen makroskopisch und mikroskopisch normaler Befund. Ein Aus-
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84
G. SCHWENKER und H. SCHLECHT,
strich aus dem Kapillarblut der Lungen wies die gleiche Zahl der
eosinophilen Zellen wie das periphere Blut auf. Lungeneosinophilie
bestand nicht.
Meerschweinchen Nr. 122 (460 g) zeigte von vornherein eine aus¬
gesprochene neutrophile Leukozytose. Die eosinophilen Zellen
waren schon 1 / 2 Stunde nach der Injektion von 1 mg Pilo¬
karpin gänzlich aus dem peripheren Blute verschwunden.
Sämtliche Organe wiesen normalen Befund auf. Das Kapillarblut
der Lungen zeigte keine Eosinophilie, ebensowenig auch das
Lungengewebe.
Meerschweinchen Nr. 141 (380 g) erhielt 0,006 g Pilokarpin sub¬
kutan. Es traten nach Verlauf von 1 / i Stunde lebhafte Krämpfe und
Speichelfluss auf. Das Tier erholte sich rasch und wurde 16 Stunden
nach der Injektion getötet. In den Lungen fand sich mikroskopisch
starke Vermehrung der spezialgranulierten Zellen, aber keine
Vermehrung der eosinophilen Zellen.
Meerschweinchen Nr. 163 (250 g) erhielt 0,003 g Pilokarpin sub¬
kutan. Nach 20 Minuten traten Krämpfe, Dyspnoe und Speichelfluss
auf. Die eosinophilen Zellen, die vor der Injektion 1,3 pCt. der Gesamt¬
leukozyten ausmachten, waren nach 24 Stunden aus dem Blute ver¬
schwunden. Das Tier wurde nach 24 Stunden getötet; in den Lungen
waren die pseudoeosinophilen Zellen stark vermehrt, die
Eosinophilen in normaler Zahl vorhanden.
Meerschweinchen Nr. 157 (250 g) erhielt 0,002 g Pilokarpin sub¬
kutan. Unter lebhaftesten Erscheinungen tritt nach 4 Stunden der
Exitus ein. Mikroskopisch findet sich in den Lungen starkes
Emphysem mit Zerreissung der Alveolarsepten, stellenweise
enorme Blutung. Die ganze Lunge ist sehr hyperämisch, die
spezialgranulierten Zellen sind sehr reichlich vorhanden, die Eosino¬
philen nicht vermehrt.
Wir fügen noch 2 Tiere an, bei denen mehrere Pilokarpininjektionen
gemacht wurden.
Meerschweinchen Nr. 93 (350 g) erhielt am ersten Tage 2 mg,
1V 2 Stunden später y 2 m S- Als die Eosinophilen auch jetzt noch nicht
anstiegen, wurde noch 1 mg Pilokarpin injiziert. An diesem wie am
nächsten Tage trat keine Vermehrung der Eosinophilen auf. Das
Tier erhielt 2 mg Pilokarpin und am nächsten Tage 0,3 g Pilokarpin.
Die eosinophilen Zellen wurden dadurch nicht beeinflusst. 5 Stunden
nach der letzten Injektion wurde das Tier getötet. Die Lungen zeigten
keine Eosinophilie, keine Blähung, kein Oedem, wohl aber reichlich
neutrophile Zellen und eine ganz geringe kleinzellige Infiltration.
Meerschweinchen Nr. 124 wurde 7 Tage lang mit je 0,002 g Pilo¬
karpin injiziert. Es trat weder peripher im Blute, noch lokal in
den Lungen eine Eosinophilie auf.
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lieber den Einfluss sympathiko- und aatonomotroper Substanzen usw.
85
Meerschweinchen Nr. 123 (420 g) erhält 0,002 g Pilokarpin sub¬
kutan. Es tritt keine periphere Eosinophilie auf. Ebensowenig eine
sekundäre (reparatorische) Eosinophilie. Eine Reinjektion nach 10 Tagen
erzeugte weder im peripheren Blute noch in den Lungen eine Eosinophilie.
Oie Pilokarpinversuche lassen sich dahin zusammen fassen: Bei
Hunden tritt nach Pilokarpininjektion eine nennenswerte Veränderung
des eosinophilen Blutbildes nicht auf. Es erfolgen leichte Schwankungen
nach oben und unten, die jedoch die normalen Grenzen keineswegs über¬
schreiten. Eine Hypereosinophilie, wie sie von Falta, Bertelli und
Schweeger gefunden wurde, konnten wir nicht beobachten. Beim
Meerschweinchen trat nach der Injektion kleiner und grosser
Pilokarpindosen eine periphere Eosinophilie nicht auf. Wir beobachteten
in den meisten Versuchen ein völliges Verschwinden der eosinophilen
Zellen. Die Lungen zeigten ebenfalls sowohl bei der Injektion grosser
wie auch kleiner Dosen keine Anhäufung von eosinophilen Zellen,
wohl aber war stets eine Vermehrung der spezialgranulierten Leukozyten
zu verzeichnen.
in. Physostigminversuche.
Meerschweinchen Nr. 176 (300 g) erhielt 0,0015 g Physostigmin
subkutan. Bereits nach anderthalb Stunden trat unter Krämpfen und
fortschreitender Lähmung der Exitus ein. Die Lungen waren stark gebläht,
zeigten enorme Blutung. Mikroskopisch waren die eosinophilen
Zellen nicht vermehrt, wohl aber die spezialgranulierten.
Meerschweinchen Ni. 171 (210 g) erhält subkutan 1 mg Physo¬
stigmin. Nach 10 Minuten treten Krämpfe und Speichelfluss auf. Nach
3 1 /* Stunde tritt der Exitus ein. Der Lungenbefund gleicht makroskopisch
und mikroskopisch vollkommen dem vorigen Tier.
Meerschweinchen Nr. 173 (350 g) erhält 0,0015 g Physostigmin
subkutan. Nach kurzer Zeit stellen sich schwerste Erscheinungen ein
(Abgang von Urin und Kot, Speichelfluss, starke Krämpfe, Paresen der
hinteren Extremitäten und starkes Zittern der quergestreiften Muskulatur).
Nach einer Stunde hat sich das Tier vollkommen erholt und wird
24 Stunden später getötet. Die Lungen zeigten keine Eosinophilie,
dagegen starke neutrophile Leukozytose, Hyperämie, geringe Blutung
und ganz geringe Blähung. Stellenweise war eine geringe zeitige Infiltration
vorhanden, in der die Eosinophilen vermehrt waren. Sie war perivaskulär
lokalisiert. Peribronchial und im Lungengewebe fanden sich nur ganz
vereinzelte Eosinophile.
Meerschweinchen Nr. 199 (320 g) erhielt 0,0005 g Physostigmin
subkutan. Das Tier zeigt die beschriebenen Erscheinungen und wird
nach 24 Stunden getötet. In der Lunge finden sich reichliche neutrophile
Leukozyten, aber keine Vermehrung der eosinophilen Leukozyten.
Meerschweinchen Nr. 172 (190 g) erhält 0,00025 g Physostigmin
subkutan. Es treten keinerlei Erscheinungen auf. Die mikroskopische
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86 G. SCHWENKER u. H. SCHLECHT, Ueber den Einfluss usw.
Untersuchung der Langen des 24 Stunden später getöteten Tieres ergibt
normale Verhältnisse.
Die Physostigminversuche führten also zu gleichen Ergebnissen
wie die Pilokarpin versuche: Sowohl peripher wie lokal in den Lungen
konnte eine Eosinophilie nicht erzielt werden.
Fassen wir unsere Untersuchungen kurz zusammen, so ergibt sich
für das Verhalten der eosinophilen Zellen folgendes:
1. Adrenalin erzeugt peripher eine Abnahme oder völliges Sch winden
der Eosinophilen.
Pilokarpin und Physostigmin haben entweder keine
nennenswerte Beeinflussung der Eosinophilen im Blute
zur Folge oder sie führen zu Abnahme bzw. völligem
Verschwinden derselben.
2. Eine lokale Eosinophilie im Sinne der früher von uns
beschriebenen Eosinophilie in der Lunge und in den
Bronchien beim anaphylaktischen Versuch konnte
weder durch Injektion von Adrenalin noch von Pilo¬
karpin noch auch von Physostigmin erzeugt werden.
Ebensowenig wurden in Leber, Milz, Niere, Drüsen
und Knochenmark die Eosinophilen vermehrt gefunden.
3. Zur Erklärung der erwähnten lokalen Lungeneosino¬
philie anaphylaktischer Meerschweinchen kann also
eine Reizung des autonomen oder des sympathischen
Nervensystems allein nicht herangezogen werden.
Literatur.
1) Stäubli, Die klinische Bedeutung der Eosinophilie. Ergehn, d. inn. Med. u.
Kinderheilkd. 1910. Bd. 6. — 2) Schlecht, Ueber die Einwirkung von Serum¬
injektionen auf die Eosinophilen und Mastzellen des menschlichen und tierischen
Blutes. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1910. — 3) Schlecht, Ueber experimentelle
Eosinophilie. Verhandlg. d. Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1910. — 4) Sohl echt,
Ueber experimentelle Eosinophilie nach parenteraler Injektion artfremden Eiweisses
und über die Beziehungen der Eosinophilie zur Anaphylaxie. Aroh. f. exp. Path. u.
Pharm. 1912. Bd. 67. — 6) Schlecht u. Schwenker, Ueber lokale Eosinophilie
in der Lunge anaphylaktischer Meerschweinchen. Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 1912.
Bd. 68. — 6) Schlecht, Ueber lokale Eosinophilie beim anaphylaktischen Versuch.
Verhandlg. d. Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1912. — 7) Stschasnyi, Zieglers
Beitr. z. pathol. Anatomie. 1905. — 8) Schittenhelm u. Weichardt, Deutsche
med. Wochenschr. 1911. — 9) Bertelli, Palta u. Schweeger, Ueber die Wechsel¬
wirkung der Drüsen mit innerer Sekretion. 3. Mitteilung: Ueber Chemotaxis. Zeitscbr.
f. klin. Med. 1910. Bd. 71. — 10) Aschenheim u. Tomono, Ueber die Einwirkung
von Pilokarpin auf das Blut, insbes. auf die Eosinophilen. Monatsschr. f. Kinderheilk.
Bd. 10. — 11) Skörozewski u. Wasserberg, Zeitsohr. f. exp. Path. 1912.
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VIII.
Aus dem Wildbad-Sanatorium Tobelbad b. Graz
(Leiter: Prof. Dr. E. von Düring).
Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer
Blutdrucksteigerungen.
Von
Dr. Victor Hecht,
ordinierend. Arzt und Leiter des physiologisch-chemischen Laboratoriums.
(Hierzu Tafel III u. IV mit 27 Kurven.)
I. Theoretischer Teil.
Im folgenden sind die praktischen Ergebnisse der Versuche mitge-
tcilt, auf vorzugsweise^ diätetischem Wege eine Erniedrigung
pathologischer Blutdrucksteigerungen herbeizuführen.
Die Tatsache, dass es mit den weiter unten beschriebenen Mass¬
nahmen gelingt, in allen Fällen erhöhten Blutdrucks eine Vermin¬
derung desselben zu bewirken, sowie die Eigenart des Kranken¬
materials, wie es sich aus dem Betrieb eines Sanatoriums ergibt und
von dem der Kliniken wesentlich unterscheidet, dürften die nachstehenden
Mitteilungen auch einem weiteren Kreise interessant erscheinen lassen.
Da wir Blutdrucksteigerung nicht als Krankheit an sich, sondern als
kompensatorischen Vorgang aufzufassen haben (v. Krehl), so müssen wir
unseren Standpunkt bezüglich der zielbewussten Erniedrigung des Blut¬
drucks auf diätetischem Wege dahin präzisieren, dass eine derartige The¬
rapie als eine kausale angesehen werden muss, da „man mit diesem
Mittel ja die Ursache der kompensatorischen Blutdrucksteigerung, die
Retentionstoxikose, bekämpft und somit auch die Notwendigkeit der na¬
türlichen Kompensation verringert“ (Strauss). — Die Therapie hat sich
also gegen diese Grundursache zu richten und die Herabminderung des
Blutdrucks gewissermassen als Kontrolle des therapeutischen Erfolges an¬
zusehen. Das gilt insbesondere für jene Früh- und Vorstadien der
Gefässklerose, in denen an den Gefässen noch nichts Abnormes grob¬
anatomisch nachweisbar ist und dennoch schon Mehrarbeit und Druck¬
steigerung im Zirkulationssystem vorhanden ist („Präsklerosc“
Huchards, latente Angiosklerose v. Baschs). — In der Frage der
Bekämpfung pathologischer Blutdrucksteigerungen muss man sich demnach
auf den Standpunkt der Teleologie stellen, wenn man sich die durch
hyperkompensatorische Hypertonie entstehenden Nachteile für den Orga¬
nismus vor Augen hält.
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88
V. HECHT,
Die zentral und peripher angreifenden (z. T. unten angeführten) Reize wirken
auf alle Faktoren, aus deren Gleichgewichtszustand der jeweils herrschende
Blutdruck resultiert. Der anatomische Zustand der Gefässe lässt sich natürlich nicht
beeinflussen, wohl aber einerseits Herzenergie (Sohlagfrequenz, -Volumen), und
anderseits die anderen peripheren Widerstände (Tonus, Kapillarwiderstand, Kon¬
sistenz und Gesamtmenge des Blutes) (Nicolai). — Für praktische Zwecke kommt
nun in erster Linie die Bestimmung des systolischen Druckes in Betracht, der bei An¬
wendung der gewöhnlichen Methoden dem Aortendruck am nächsten kommt, denn
absolat Exaktes können wir mit den uns gegenwärtig zur Verfügung stehenden Mitteln
über die Entstehung pathologischer Blutdrucksteigerungen beim Menschen nicht aus-
sagen, da wir uns weder über Gefässtonus, feinere Gefässverhältnisse, noch über kom¬
plette Herzleistung sicher orientieren können. Physikalische Gesetze dürfen daher bei
der Kompliziertheit der Verhältnisse an den lebenden Gelassen auf diese nicht ohne
weiteres übertragen werden (Hasebroek).
Die Ursachen, die bei unseren Patienten zur pathologischen Blut¬
drucksteigerung führten, decken sich nur z. T. mit denen von Kraus
zitierten.
Für das Gros unseres Patientenstandes kämen als Ursachen der
pathologischen Blutdrucksteigerung, die oft mit denen der Arteriosklerose
und Präsklerose zusammenfallen (soweit sie nicht mit renalen oder kar¬
dialen Ursachen im Zusammenhänge stehen), folgende in Betracht:
1. Luxusernährung;
a) quantitativer Ueberschuss,
b) qualitativ. „Alimentäre Intoxikationen“ (Huchard): durch
zu weit gehende Ernährung mit Fleisch und Extraktivstoffen
des Fleisches.
2. Chronischer Gebrauch blutdrucksteigernder Reizmittel;
a) Alkohol,
b) Koffein,
c) Gewürze,
d) Nikotin.
3. Psychische Momente (Erregungen, Exzesse in venere, Schmerz);
4. Darmmeteorismus, herbeigeführt durch üble Angewohnheiten
(rasches Essen,reichliches Trinken, besonders während der Mahlzeit);
5. Neurasthenie;
6. Körperliche Ueberarbeitung.
Ein Blick auf diese Zusammenstellung zeigt, dass es sich dabei um
jenen Komplex von Momenten handelt, den man im allgemeinen als „un¬
zweckmässige Lebensweise“ bezeichnet.
Die Richtschnur für die allgemeine Therapie dieser Art von patho¬
logischen Blutdrucksteigerungen ist demnach gegeben: „Zweckmässige“
Lebensweise.
Sehr wesentlich ist bei der Eigenart unseres Krankenmaterials
die Berücksichtigung des Berufes. Wie dies bei einem Sanatorium aus
äusseren Gründen selbstverständlich ist, handelt es sich bei unseren Pa-
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Ueber die diätetisohe Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 89
tienten gewöhnlich um Leute aus gutsituierten Ständen, die aber trotz
oder gerade wegen dieses letzteren Umstandes mitten in einem aufregen¬
den oder erregenden Konkurrenzkampf stehen: Kaufleute, Gelehrte, Offi¬
ziere, Beamte, Politiker, Bankfachleute, Aerzte, Advokaten, Ingenieure
etc. etc. oder deren Frauen sind es, mit einem Wort die Träger der
geistigen und wirtschaftlichen Kultur der Gegenwart. Gerade die bis zu
einem gewissen Grade aufreibende Tätigkeit an sich und der da¬
durch bedingte Gebrauch von Reizmitteln aller Art zur künst¬
lichen Verstärkung der Leistungsfähigkeit im Kampf ums Dasein
ist für die Aetiologie der pathologischen Blutdrucksteigerungen von grosser
Bedeutung. Wir müssen darum auch Laqueur zustimmen, der ähnlicher
Ansicht bezüglich der Bedeutung des Krankenmaterials ist, „denn in
einem Krankenhaus, wohin die Arteriosklerosekranken doch meist erst
bei prononzierteren Erscheinungen kommen, sieht man zweifellos viel
seltener ßlutdruckerhöhung bei fehlender Albuminurie, als sie z. B.Huchard
und andere französische Autoren in der Konsiliar- und Badepraxis bei
gutsituierten Patienten beobachteten.“
Für die Erklärung der Entstehung der ßlutdrucksteigerungen in
solchen Fällen nun müssen wir, wie bei so vielen physiologischen und
pathologischen Vorgängen das „Gesetz von der Summation der
Reize“ als von allergrösster Bedeutung heranziehen.
Gerade jene Stoffe und Momente, welche durch Hervorbringung einer
Blutdruckschwankung (vorübergehende Steigerung und nachfolgende
Senkung) das Gefässrohr zu schädigen imstande sind, werden im Ver¬
laufe des Lebens durch langsame aber stetige Einverleibung bei gewissen
Individuen zu einer dauernden Erhöhung des Blutdrucks führen müssen.
In einem Circulus vitiosus führt Blutdruckssteigerung unter Umständen
aber wieder zu einer weiter fortschreitenden Degeneration der Gefässwand,
wie dies weiter unten ausgeführt wird.
Die Luxuskonsumption bildet demnach den wichtigsten ätiolo¬
gischen Faktor für die ßlutdrucksteigerung bei unseren Patienten, wes¬
halb auf diesen Punkt genauer eingegangen werden muss. Die Ueber-
ernährung bezieht sich hierbei auf Nahrungs- und Genussmittel, auf
Qualität und Quantität derselben, sowie auf die Flüssigkeitsaufnahme.
Auf der Höhe der Verdauung ist bekanntlich die Hyperämie der abdominellen
Organe im Bereich des Splanohnikus- und Vagusgebietes deutlich ausgesprochen.
Hasebroek nimmt noch überdies eine aktive Tätigkeit der arteriellen Mesenterial-
gefässe während der erhöhten Funktion an. Derselbe Autor führt auch in seiner aus¬
gezeichneten Monographie des Blutdruoks aus, dass wir auf einen selbständigen Kreis¬
laufbetrieb der Organe der Nahrungsaufnahme und Blutbereitnng aus dem doppelten
Kapillarsystem derselben, aus dem Muskelreichtum der Arterien im Magendarmtrakt
und dem speziellen Innervationsmechanismus, sowie aus den von Rössle konstatierten,
auffallenden, isolierten Hypertrophien der Darmarterien, sohliessen müssen.
Untersuchten wir den Blutdruck unmittelbar nach einer nicht opu¬
lenten, reizlosen Hauptmahlzeit, so fanden wir fast immer entweder ein
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90 V. HECHT,
Herabgehen oder Gleichbleiben der Blutdruckhöhe, manchmal allerdings
ein Höherwerden derselben.
Edel konstatiert dagegen nach Hnngerperioden eine Steigerung, nach reichlichen
Mahlzeiten eine Senkung, während Hess auch nach reizloser Mahlzeit unter Ver¬
meidung aller Exzitantien (die Versuchsperson war aber in Körperbewegung!) eine
Zunahme des Brucks findet; insbesondere steigen systolischer Druck und Amplitude an.
Die Frage Hasebroeks: „Ob wir aus derartigen, wenn auch geringen Druok-
steigerungen nach gewöhnlicher Nahrungsaufnahme eine pathologische, dauernde
Drucksteigerung bei sogenannter üppiger Lebensweise herleiten können, ist zu be¬
jahen,“ um so mehr als eine solche Beanspruchung des Verdauungstraktes erfahrungs-
gemäss zugleich mit der Einverleibung von Alkohol und anderen Genussmitteln
einherzugehen pflegt, die schon an sich drucksteigernd wirken.
Ob es nun, wie Traube meint, bei unmässiger Lebensweise das Gefässsystem
direkt treffende Schädlichkeiten sind, ob sitzende Lebensweise mit Pfortaderstauung
und Fettansatz im Mesenterium mit mechanischem Druck auf die Venenstämme schuld
an der Blutdrucksteigerung ist; ob man mit Fraentzel abnorm hohe Widerstände im
Aortensystem annimmt, dio sich aus primär hohen Spannungen der Gefässe der
Unterleibsorgane fortsetzen, die wieder als Folge der venösen Hyperämie auftreten;
oder ob man mit Hasebroek die arterielle Hyperämie der Untcrleibsorgane als eine
Folge von Eigenarbeit der Organe mit Geschwindigkeitserhöhung des Blutstromes
ansieht, bei deren Nachlassen die erwähnte „korrelative pressorische Drucksteigerung
im rückwärtsliegenden System“ eintritt; jedenfalls ist die Erhöhung des Blut¬
drucks bei Luxusernährung eine feststehende Tatsache.
Bei der Ueberernährung werden überdies „durch exzessive Inanspruchnahme des
Verdauungsapparates dem interorganischen Verkehr eine Zeitlang zuviel Betriebskräfte
entzogen“ (Rosenhach). Der Hyperämie im Abdomen entspricht dann eine Anämie
anderer Regionen und Organe und so entstehen abnorme hohe und schnell wechselnde
Spannungen, von denen der Organismus keinen wesentlichen Nutzen hat.
Ein quantitatives Uebermass von Speisen und Getränken, gleich¬
gültig ob gewürzt oder reizlos, ist für die Pathogenese der Blutdruck¬
steigerung auch aus anderen Gründen von Bedeutung, ist doch die
Einführung voluminöser Nahrungsmittel schon deshalb schädlich, weil sie
zu einer meteoristischen Aufblähung von Magen und Darm
führt. Bekannt sind ja die namentlich bei Sklerose der Gefässe nach
opulenten Gastmählern nur auf abnorme Blutdrucksteigerung zurück¬
zuführenden Zufälle.
Kommt noch dazu, dass Vielessen und Schn eil essen zwei oft bei
demselben Individuum parallel laufende Eigenschaften sind, die zu dem
charakteristischen, übrigens auch bei nicht korpulenten Menschen weit
über das Thoraxniveau erhabenen „Schlingerbauch“ führen müssen. Der
dabei vorhandene Zwerchfellhochstand und die „relative Thoraxengc“
(M. Herz) in kraniokaudaler Richtung bewirken wieder, namentlich beim
Neurastheniker, eine Reihe von Herzbeschwerden, die ihrerseits auf
psychogenem Wege zur vorübergehenden Blutdrucksteigerung führen, und
dann den bekannten neurasthenischen Circulus vitiosus auslösen müssen.
Die Frage der Bedeutung der reichlichen Flüssigkeitszufuhr,
wie sie in der Diätetik der Arteriosklerose aufgerollt wurde — wir denken
Gck igle
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 91
hier zunächst nur an indifferente Flüssigkeiten — ist nicht endgültig
entschieden.
So hat Huchard für das primäre Stadium der Präsklerose eine exklusive
Milchkur, für das „kardioektatische Stadium, d. h. das Stadium der schweren Herz-
mnskelinsuffizienz“ eine Flüssigkeitsreduktion empfohlen. Da die Blutdrucksteigerung
im präsklerotischen Stadium von Huchard auf eine Ernährungsintoxikation zurück¬
geführt wird, „die sich in mangelhafter Ausscheidung von StofFwechselprodukten be¬
merkbar macht“ — durch Störung der Nierenfunktion — „so legt er auf eine reichliche
Milchzufuhr grossen Wert, sowohl wegen der hiermit erfolgenden Zufuhr einer grossen
Flüssigkeitsmenge als auch wegen der Abwesenheit von Reizstoffen in der Milch.“
Strauss nimmt nun für die präsklerotischen Blutdrucksteigerungen in der Mehrzahl
der Fälle, wie dies auch von Romberg tut, auf Grund von klinisohen und patho¬
logisch-anatomischen Befunden eine beginnende arteriosklerotische Nieren¬
störung ohne Albuminurie an, eine Ansicht, die wir nicht absolut teilen. Die
Hypertension käme demnach auf „nephro-toxischem“ Weg zustande. Die Nahrung
entfaltet ihre Giftwirkung durch Retention von Stoffen seitens der insuffizienten Niere.
Vermehrte Wasseraufnahme während der Mahlzeiten hat sowohl Vor-
wie Nachteile, von denen die letzteren namentlich dann in die Augen springen, wenn
die abnorm reichliche Flüssigkeitszufuhr mit Luxuskonsumption Hand in Hand geht,
bzw. ihr Vorschub leistet. „Denn dann verwandeln sich die Vorteile des Wasser¬
konsums“ — Erleichterung der ersten Akte der Verdauung — „in Nachteile, die in
der abnorm starken Belastung des Organismus für Verarbeitung von Energiematerial,
für das kein Bedürfnis besteht, resultieren. Gutgelöste, kräftige Nahrungs¬
mittel haben also, in übermässiger Menge aufgenommen, eine ähnliche Wirkung wie
die spezifischen Reizmittel, und daher rührt bei vielen Personen die besondere Er¬
regung nach dem Essen, die sich in Herzklopfen, Völle, Atemnot äussert, ohne dass
man eigentlich schon von einer abnormen mechanischen Belastung des Verdauungs¬
apparates sprechen kann“ (Rosenbach). —
Die Frage des Trinkens während der Mahlzeit muss schon
deshalb hier genauer erörtert werden, weil hierdurch zweifellos dem
Schnellessen, dem mangelhaften Kauen Vorschub geleistet wird. Denn
es werden bei einem solchen Vorgänge mit den Flüssigkeitsmengen die
Speisen halb gekaut hinuntergespült, während bei mehr halbtrockener
Nahrung der Kau- und Vorverdauungsprozess viel intensiver vorsichgehen
muss. Nun wird zwar auch durch Flüssigkeitszufuhr die Magensaft¬
sekretion angeregt, und der Speisebrei verdünnt, andererseits lässt sich
doch ebenso bestimmt vermehrte Sekretion von Mund- und Magendrüsen
durch gründliches Kauen nachweisen (vergleiche die bekannten Experimente
von Pawlow). Die Zufuhr allzugrosser Flüssigkeitsmengen ist übrigens
auch wegen massiger Dilatation des Magens nicht zuträglich.
Eine Wirkung auf die Viskosität des Blutes im Sinne der Herab¬
setzung kann für die Blutdruckverhältnisse insofern nicht von Vorteil sein,
als ja die vermehrte Flüssigkeit wieder vermehrte Herzarbeit
erfordert.
Steigerung der Viskosität kann unter Umständen den Blutdruck erhöhen, obwohl
ja ein bestimmter Zusammenhang zwischen Viskosität und Blutdruck bisher noch nicht
aufgefunden worden ist. (Determann.)
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92 V. HECHT,
Nur dort, wo bei Gleichbleiben oder Verminderung der Blutflüssigkeit die
Viskosität heruntergeht, können wir uns djen Einfluss auf Blutdruckerniedrigung vor-
stellen; nicht aber dort, wo durch vermehrte Flüssigkeitszufuhr dem Herzen noch über¬
dies vermehrte Arbeit erwäohst. (Hess.)
Direkte Aufnahme von Flüssigkeit (IV 2 1 Wasser von 10 Grad C. Temperatur)
hat nicht zu direkter und immer beobachteter Steigerung geführt. (Strauss).
von Noorden hat bei einem Dutzend von Fällen bei Flüssigkeitsreduktion Ab¬
sinken des Blutdruckes beobachtet. (Bei Diabetes insipidus sprechen noch andere
abnorme und pathologische Verhältnisse mit, die hier nicht erörtert werden können.)
Für die Viskosität glaubte man die Menge der Eiweissstoffe verantwortlich
machen zu müssen. Hat doch der Tierversuch bei fleischfressenden Tieren eine Er¬
höhung, bei Hunger und Ei Weissentziehung ein Sinken des Viskositätskoeffizienten er¬
geben (Burton-Opitz), was bei Versuchen an Menschen nicht ganz bestätigt werden
konnte (Stähelin, Bence, Breitner, Deterraann), ebensowenig wie Determann
eine regelmässige Abhängigkeit zwischen Viskosität und genossenen Eiweisswerten
bei Vegetariern nach weisen konnte. —
Eine weitere den Blutdruck schädigende Ursache — nicht nur bei
allgemeiner Luxusernährung — scheint die Fleischüberernährung
zu sein.
Lu barsch gelang es nachzuweisen, dass bei Kaninchen nach Fütte¬
rung mit Leber, Nebenniere oder Pferdefleisch deutliche sklerotische
Veränderungen an der Media und Intima der grösseren und kleineren
Gefässe, sowie Verkalkungen an den übrigen Organen auftraten.
Die brüske Aenderung in der Ernährungsweise schädigte durch Bildung giftiger
Abbauprodukte in erster Linie die glatte Muskulatur und die elastischen Gewebe der
Arterien. In weiterer Folge kommt es zu einer Einschmelzung der Knochensubstanz
und Verkalkung der Gewebe.
Wir können diese Versuche natürlich nioht direkt auf menschliche Verhältnisse
übertragen. Wissen wir doch zunächst, dass Kaninchen schon normalerweise zu
sklerotischen Veränderungen leichter disponiert sind und dass es auch durch viele
andere Eingriffe gelungen ist, Arteriosklerose hervorzurufen (Staphylokokken- und
Toxininjektionen z. B. Saltykow, Klotz u. a., Adrenalin, chemische Noxen,
analog den Infektionskrankheiten beim Menschen). Beim Kaninchen aber bedeutet
der Uebergang zur Fleischkost eine so radikale Aenderung, wie sie bei dem an die
verschiedensten Eiweissarten gewöhnten Menschen ja kaum vorkommt.
Lubarsch spricht sich nun entschieden dagegen aus, dass Arteriosklerose eine
„Abnutzungskrankheit“ und die Folge von Blutdruckschwankungen sei, während
andere Autoren (Aschoff und seine Schüler) diesem Umstand grosse Bedeutung bei¬
messen. Wenn Arteriosklerose so als physiologischer Vorgang erscheint, „so liegt das
daran, dass der Kulturmensch so viele Schädlichkeiten auf sich wirken lässt, dass
eben diese zusammen mit der Belastung durch den Blutdruck meist zu einer Schädi¬
gung der Media mit anschliessender Intimawucherung führen. Aber es gibt auch
Ausnahmen und man findet gar nicht so selten bei recht alten Leuten (80—100 Jahre)
auf dem Seziertisch überraschend gesunde Schlagadern“.
Wir möchten nun die Ansicht aussprechen, dass das mechanische
Moment für die Blutdrucksteigerung von ebenso grosser Bedeutung ist,
wie der chemisch-toxische Faktor, der zur Hypertension führt.
Bei jugendlichen Arteriosklerotikern spielen chemische Noxen sicher¬
lich die grösste Rolle (Infektionen [Wiesel u. a.], Alkohol und Nikotin).
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 93
Der Begriff „Disposition zur Arteriosklerose“ fällt zusammen mit
„Anlage zu einer abnormen Stoffwechselrichtung“ (Lubarsch).
Dass chemische Stoffe, die sich im Nahrungsstoffwechsel bilden,
tatsächlich an der Blutdrucksteigerung schuld sein können, mögen die
im folgenden angeführten Versuche von William Bain zeigen 1 ).
Dieser Autor fand im Harn gewisse basische Substanzen, welche — Tieren
injiziert — den Blutdruck steigern (das Leucinderivat Isoamylamin und p-Hydro-
phenyläthylamin, ein Tyrosinderivat). Obst und vegetabilische Nahrung bewirken
eine Verminderung, Milch, Kaffee, Tee, insbesondere aber Fleisch eine Vermehrung
der Basen; der zugeführten Eiweissmenge parallel geht der Gehalt an diesen Basen.
Bei Fällen mit hohem Blutdruck fehlten die Basen oder waren nur in geringen
Mengen im Harne nachweisbar. Es folgt daraus, dass sich die Blutdrucksteigerung
einerseits auf die Diät, insbesondere vermehrte Eiweisszufuhr, anderseits auf
die Retention der blutdrucksteigernden Basen zurückführen lässt, da
Patienten mit normalem Blutdruck normale Basenmenge im Harne ausscheiden.
Interessant ist in dieser Hinsicht auch die Tatsache, dass auch der Harn von
Arteriosklerotikern — Tieren injiziert — erhöhte Toxizität aufweist (Experimente von
Huchard und Tournier). Die Dyspnoe bei Arteriosklerotikern, die sich insbesondere
bei interkurrenten, akuten Erkrankungen der Lunge deutlich zeigt, ist auch mehr
toxischer als mechanischer Art und mit eine Ursache der in diesem Stadium sich
findenden Schlaflosigkeit. —
Was die Bedeutung des chromaffinen Systems an der Ent¬
stehung der essentiellen Hypertonie des Menschen betrifft, so wird diese
von Frank geleugnet. Immerhin muss aber eine Ueberfunktion der
Nebenniere imstande sein, Hypertonie hervorzurufen. Es sei hier auf
den von uns beschriebenen Fall echter kompensatorischer Nebennieren¬
hypertrophie hingewiesen, wobei bei vollkommen fehlender Nebenniere
der einen Seite die andere Druse dreimal grösser als das Maximum von
menschlichen Nebennieren war; da es sich dabei also um eine Ueber-
kompensation (mit Ueberproduktion des inneren Sekretes) handelte,
so liess sich auch mit dieser Beobachtung, die den Wert eines Experimentes
hat, die gleichzeitig vorhandene Hypertension erklären.
Schur und Wiesel haben die Ansicht vertreten, dass gesteigerter Adrenalin¬
gehalt des Blutes für den erhöhten Blutdruck von Bedeutung sei (Nachweis mit der
Ehrmann sehen Pupillenreaktion und mit Eisenchlorid), eine Ansioht, die an
Reicher, Goldzieher und Molnar, Eichel Anhänger, an Pal, Schlayer,
Bittorf aber Gegner gefunden hat. —
Von den Genussmitteln sind insbesondere Alkohol und Kaffee
wichtig für unsere Frage.
Alkohol wirkt auf Blutdruok und Gefassweite in verschiedenen Körperregionen
verschieden. — So wissen wir, dass neben der bekannten Erweiterung der Hautgefasse
durch kleine Gaben sich eine Wirkung auf das Splanchnikusgebiot bemerkbar macht,
indem sich in den Anfangsstadien seiner Wirkung die Eingeweidegefasse verengen.
1) Schon früher hat Mey darauf hingewiesen, dass mangelhaft ausgeschiedene
Produkte des Stickstoffwechsels in Beziehung zur Entstehung des erhöhten Blutdrucks
stehen.
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V. HECHT,
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Nach intravenöser Injektion riohtig bemessener Gaben kann die Gefassveränderung im
Splanchnikusgebiet aber stark genug sein, um den Karotisdruok ansteigen zu machen
(Haskovec, Kochmann, Dixon, Gottlieb und Mayer).
Alkohol erhöht den Sauerstoffverbrauch der aktiven Muskulatur; — Arbeit ist
daher anstrengender; — Anstrengung erhöht aber wieder den Sauerstoffverbrauoh:
daher summieren sioh die korrelativen Drucksteigerungen (Hasebroek).
Alkohol wirkt übrigens (Poiseuille, Burton-Opitz) ebenso wie das gleich
zu besprechende Koffein (Blunschy) auch den Viskositätsgrad erhöhend, was übrigens
auch die anderen Reiz- und Genussmittel bewirken (D et er mann).
Denken wir noch überdies daran, dass der Alkohol ein wichtiges Glied in dem
Circulus vitiosus der Luxuskonsumption bildet, so ist ja seine blutdruoksteigernde
Wirkung klar.
Die Wirkung des Koffeins ist im allgemeinen (analog der des Strychnins)
daroh Erregung der Gefassnervenursprünge eine blutdruoksteigernde. — Gerade durch
mittlere Koffeindosen, wie es im gewöhnlichen Leben mit dem Kaffee eingenommen
wird, wird der Blutdruck erhöht, was sich auch durch das Tierexperiment nachweisen
lasst, während hohe Gaben infolge von Verminderung der Herzleistung den Blutdruck
nicht weiter erhöhen (H. Mayer und Gottlieb). Sehr grosse Gaben, sowie die
direkte Injektion von Koffein, erzeugen sogar Druckabfall. Nun kommen ja für
alimentäre Zwecke nur kleine Dosen in Betracht, die sich allmählich erst zu mittleren
summieren. —
Bei Arteriosklerose wird Blutdrucksteigerung bis zu 64pCt. der Fälle an¬
gegeben. Dass hoher Druck für die Aetiologie der Arteriosklerose in Betracht käme,
ist nach den Untersuchungen von Lubarsch, Jores, Biedel und Braun unwahr¬
scheinlich, vielmehr kommen Druckschwankungen, entsprechend den Verhältnissen
bei physiologischer Arbeit, als Ursache für die Hypertrophie der Media und Intima
mit subsequenter Bindegewebsneubildung und Sklerose in diesen Gefassschiohten in
Frage.
Hypertrophie der grossen Gefässe muss nicht immer zur Hypertrophie des Herzens
führen, sondern durch Mehrarbeit kann es zu Hypertrophie der grossen Gefässe allein
kommen. Immerhin sind die Druckschwankungen sicher von ganz anderer Wirkung
auf intakte Gefässe, als auf hypertrophierende oder bereits sklerotische. Andererseits
ist die im gewissen Alter auftretende Blutdrucksteigerung das erste
klinische Anzeichen beginnender Arteriosklerose. Diese präsklerotische
Drucksteigerung geht nach Huohard mit latenten Läsionen einher und ist
gerade deshalb von Wichtigkeit, weil sie heilbar ist, während die mit deutlichen
Läsionen einhergehende Periode der ausgesprochenen Arteriosklerose unheilbar ist.
Diese für uns wichtige erste Periode charakterisiert sich durch 1. Intoxikations¬
erscheinungen, 2. Niereninsuffizienz, 3. Drucksteigerung, welche letztere nur die Folge
der beiden ersteren ist. „Die Behandlung muss also für den Anfang und für die Dauer
die Bekämpfung dieser beiden Ursachen ins Auge fassen, wenn man ihre Wirkung
aufheben will“ (Huchard). — Die Intoxikation entsteht aus der Ernährung und
wirkt gefässverengernd, was an und für sich schon die Neigung zur Erhöhung des
Blutdruckes erklärt. „Es macht oft durchaus den Eindruck, als wenn das System bei
der Arteriosklerose nur auf die Notwendigkeit einer grösseren, physiologischen Breite
des Blutdruckes nach oben eingestellt ist . . . Für das gesamte, diätetisch-alimentäre
Moment, das zweifellos eine gewisse Rolle spielt, würden die Beziehungen einer rela¬
tiven Insuffizienz der Organgewebe zu der Menge der an sich physiologischen Stoff¬
wechselprodukte genügen“ (Hasebroek). Die grosse Bedeutung der Luxusernäbrung
zugleich mit Ueberanstrengung der Niere würde auf diese Weise klar erscheinen.
Dass sicher noch andere ätiologische Momente für die Arteriosklerose in Betracht
kommen, ist ja bekannt. Huchard fand bei 1980 Arteriosklerotikern: Gicht 393,
Go gle
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 95
Rheumatismus 254, Syphilis 237, Diätfehler 205, Tabak 188, Infektionen 57, Diabetes
51, Malaria 23, Menopause 21, nervöse Zustände 19 Fälle, — und 501 Fälle „ohne
Ursache“. Auch Strauss findet bei einer Reihe nicht mehr ganz jugendlicher Per¬
sonen Steigerung des Blutdrucks, oft als Nebensymptom bei Gicht, Darmailektionen,
allgemeiner Adipositas, Diabetes und Lithiasis. Speziell bezüglich der Gicht dürfte
es sehr wahrscheinlich sein, dass die für diese charakteristische Noxe die Alteration
der Gefässwand herbeiführt. —
Noch einiger Momente muss bei unserem Patientenkreis gedacht werden.
Zunächst der körperlichen und geistigen Arbeit. Muskelarbeit
bewirkt zuerst Steigerung und dann Senkung des Blutdrucks; passive
Bewegungen lassen ihn unverändert, bei trainierten Sportleuten tritt
allerdings Senkung ein, denn je leistungsfähiger die Muskulatur ist, je
automatischer sie arbeitet, desto geringer ist die Blutdrucksteigerung.
Willensimpuls und psychische Anstrengung bewirken dagegen bei dem
Ungeübten Blutdrucksteigerung, die dabei hauptsächlich auf Kosten der
Gefässmitarbeit geschieht (vgl. Klemperers Experiment der Druck-
steigerufig bei einem Hypnotisierten auf die Vorstellung von schwerer
Arbeit). — Bei Ueberanstrengung tritt fast immer Steigerung ein.
Geistige Arbeit führt, soweit sie nicht gerade psychisch auf¬
regend wirkt, an sich nicht zur Blutdrucksteigerung. Für gewöhnlich
sind aber bei Geistesarbeitern Luxusernährung und Bewegungsmangel,
oft relativer Nikotin- und Alkoholmissbrauch (mit Störungen im
Splanchnikusgebiet) vorhanden. —
Die Tätigkeit der Niere ist bei Luxuskonsumption sicher gesteigert.
Nimmt man mit Hasebroek eine gesteigerte Aktivität der peripheren
Organarterien an — einen Vorgang, den man übrigens phylogenetisch
in der Tierreihe nach abwärts verfolgen kann —, so versteht man auch
die Hypertrophie an den Arterien der Niere, z. B. bei Schrumpfniere,
und die Hypertrophie der Malpighisehen Knäuel.
Bei künstlicher Plethora (Hess) sollen auch die Glomeruli vergrössert
sein, bei Fettsucht fand Kisch die Nieren verändert, von Hyperämie bis
zu Granularatrophie. Israel nimmt an, dass für das grosse Quantum
harnfähiger Substanzen die Sekretionsfläche der Niere insuffizient sei und
für die fehlende Sekretionsfläche eine Kompensation durch Mehrbelastung
des Gefäss-Systems eintrete. —
Methodik.
Ehe wir auf den klinisohen Teil unserer Untersuchung eingehen, sei bezüglich
der Methode kurz folgendes erwähnt. Die Blutdruckmessung bietet uns einen
objektiven Masstab für ein bestimmtes pathologisches Symptom; insbesondere gestattet
sie uns, therapeutische Massnahmen in ihrem Erfolg zu kontrollieren.
Wir verwenden den Blutdruckmessapparat naoh Riva-Rocci (in der Modifi¬
kation von Deneke) in Verbindung mit der Armmanchette nach v. Recklinghausen
und bestimmen jenen Grad (in mm Queoksilber), bei dem eben der Radialpuls — unter
Kompression der Arteria brachialis mit Hilfe des Gummiballons — verschwindet. Die
Durchschnittszahl aus mehreren, rasch hintereinander vorgenommenen Messungen wird
verwendet. Gewöhnlich ist die erst-erhaltene Zahl, offenbar infolge der wenn auch
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V. HECHT,
geringen psychischen Erregung bei der ersten Blutdruckuntersuchung noch etwas mehr
erhöht. Es empfiehlt sich nun, um diesen Fehler zu vermeidon, den Patienten kurz
mit dem ja immerhin fremdartigen Apparat vertraut zu machen, oder einige Zeit
(Va Stunde) nach den ersten Messungen noch eine Messung vorzunehmen.
Die neuere Methode mit dem Apparat von Reoklinghausen (mechanischer
Tonometer mit Pumpe) gibt wohl exaktere Masse, doch räumt dieser Autor selbst ein,
dass die palpatorische Methode gegenüber der oszillatorischen den Vorzug hat, rasch
ausgeführt zu werden, niemals zu versagen und so für die meisten Zweoke Näherungs¬
werte zu geben, deren Genauigkeit für klinische Zweoke ausreichend erscheint
(0. Müller).
Erhöhte Spannung im Arteriensystem zeigt sich auch, wenn nioht gerade in
messbaror Weise, so doch recht deutlich im Sphygmogramm. Dessen klinische
Verwertbarkeit liegt ja in erster Linie, wie Sahli bemerkt, darin, dass es der Aus¬
druck der Form ist, welche die Pulswelle unter den bestehenden Strömungs-, Druck-
und Widerstandsverhältnissen annimmt. Die sphygmographischen Kurven bieten uns
bei derVerfolgung des Zirkulationszustandes einen Ausdruck der veränderten Funktion
und erlauben uns so, insbesondere therapeutische Erfolge sichtbar darzustellen.
n. Klinischer Teil.
Die im folgenden wiedergegebenen Auszüge von Krankenge¬
schichten, sowie die Blutdruck-, Gewichts- und Pulskurven be¬
ziehen sich auf die Beobachtung der letzten zwei Jahre und sind aüs ca.
1200 Krankengeschichten verschiedener Art ausgcwählt.
Auf die Eigenarten des Krankenmaterials, auf das sich unsere
Beobachtungen erstrecken, wurde bereits oben hingewiesen.
Als gemeinsames, klinisches Zeichen der Hypertonie findet sich
in allen Fällen Verstärkung des zweiten Aortentones, als Zeichen ver¬
stärkten Aortendruckes, manchmal auch sichtbare Pulsation der peripheren
Arterien. Selbstverständlich muss, wie erwähnt, bei der ersten Unter¬
suchung namentlich bei Neurasthenikern die auf die „Aufregung“ ent¬
fallende Komponente berücksichtigt werden; hat doch Roemheld z. ß.
Anstieg auf 200 mm auf diesem rein funktionellen Wege gefunden.
Von subjektiven Symptomen werden oft Dyspnoe-, Druck- und
Schmerzgefühle in verschiedenen Organen (Leber-, Milz- und Präkordial-
gegend) Schlafstörungen und Kongestionen angegeben.
Eine gewisse Uebereinstimmung im äusseren Gesamthabitus bei
der ersten Gruppe von Patienten, bei denen Hypertonie mit Korpulenz
infolge von Luxuskonsumption gepaart ist, ist oft nicht zu verkennen:
„Es handelt sich um robuste, nicht selten auffallend kräftige Menschen
mit lebhaft gerötetem Gesicht, vielem Bauchfett bei fassförmigem Thorax,
die über Druck in der Lebergegend klagen und bisweilen bereits Statfungs-
erscheinungen in Lungenkatarrh, Hämorrhoiden und leichten Oedemen
zeigen,“ das ist das, was ältere Kliniker als apoplektischen Habitus be-
zeichneten.
Hierzu sei noch hinzugefügt, dass das vorgetriebene, weit über
das Thoraxniveau erhabene Abdomen, mit Hochstand des Zwerch-
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Uober die diätetisohe Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 97
felis kombiniert, der sogenannte „Schlingerbauch“ des Schncllessers,
sich nicht allein bei den mit Adipositas komplizierten Fällen findet )
sondern auch bei sonst mageren Hypertonikern.
Bezüglich der Stauungserscheinungen, die ohne Albuminurie ein¬
hergehen, sei erwähnt, dass dieselben in kürzester Frist unter geeigneter
Behandlung zurückgehen (vergl. z. B. No. 662) und in der Regel nur
die unteren Extremitäten betreffen.
Was das Alter der in Betracht kommenden Patienten betrifft, so
handelt es sich um Erwachsene, die über die ersten 35 Jahre hinaus sind.
Als normale Spannung ist — bei Anwendung des Apparats von
Riva-Rocci-Recklinghausen — eine solche von 105—115 mm Queck¬
silber anzusehen. Ueber 120, bei älteren Personen 130 mm, beginnt
jedenfalls die Steigerung. Sawada fand bei 12,3 pCt. von Arterio-
sklerotikern einen erhöhten Blutdruck von 130—160 mm; bei Werten
über 160—170 mm besteht schon Verdacht auf interstitielle Nephritis
(auch ohne vorderhand nachweisbares Eiweiss). Ebenso erscheinen Strauss
alle Patienten mit einer Blutdrucksteigerung von 170—180 mm suspekt
auf schon vorhandene, analbuminurische Nierensklerose.
A. Hypertonie und Adipositas. (15 Fälle.)
Allen Fällen gemeinsam ist eine mehr minder ausgesprochene Adi¬
positas. Aetiologisch kommen in Betracht neben einer allen gemeinsamen
Luxusernährung: Alkohol, Lues, Nikotin, Neurasthenie.
Charakteristisch ist ein Parallelismus der Blutdruck- und Ge¬
wichtskurven; dieses gleichzeitige Abfallen der Kurven erleidet nur
durch besondere Zufälle oder Unterbrechungen der Kur eine Abänderung
(vergl. Protokollnummer 557, 662), sonst aber erscheinen die Kurvon
eben durch diesen Parallelismus pathognostisch interessant. Die obere,
punktierte Kurve zeigt die Gewichtsverhältnisse, die untere, ausgezogene
Kurve markiert die Blutdruckhöhen. In den ersten beiden Wochen ist
der Verlauf der Kurve gewöhnlich steiler als in den darauffolgenden. Die
näheren Daten finden sich bei den einzelnen Krankengeschichten, von
denen einige auszugweise wiedergegeben sind.
1. Protokoll-No. 662. J. S., 54 Jabre alt, Architekt.
Anamnese: In der Familie Fettsucht erblich, Eltern sowie drei seiner Kinder
wiegen je über 100 kg. — Lebt in sehr guten Verhältnissen, Viel- und Schnellesser,
Fleisch und Gewürze bevorzugt; täglich 1—2 1 schweren Wein, viel Nikotin, wenig
Bewegung.
Status: Sehr korpulenter, „vollblütiger“ Patient, 119,2 kg. — Herz: Nach
rechts verbreitert, 2. Aortenton verstärkt. — Lungen: Verschiebliche Grenzen,
Bronchialkatarrb. — Bauch: Enorm aufgetrieben, Striae, dicke Fettschicht; Milz¬
gegend druckempfindlich; Leber 3 Querfinger über den Hippenbogen reiohend,
kein Aszites, Hämorrhoiden. — Oedeme der Füsse. — Tremor der Extremitäten. —
Kein Albumen.
Therapie: Korpnlenten-Diät, „verschärft“ durch 3mal wöchentlich „Obsttage“
(früh Tee ohne Zuoker, als übrige Mahlzeiten je 150—250 g frisches Obst). — Ausser-
Zcitsehr. f. klin. Medizin. 70. Bd. H. 1 u. 2. 7
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V. HECHT,
dem Schwitzkasten mit heissem Vollbad alternierend, Massage, Zandergymnastik,
Luftbad mit Atmungsgymnastik, viel Bewegung.
Dekursus: Gewichtsabnahme 9200 g, Blutdruck um 33 mm heruntergegangen;
Oedeme nach vier Tagen geschwunden; ah einigen Obsttagen etwas schwächer gefühlt
und Koliken (vgl. den Druckanstieg in der 4. Woche). Hierauf Milch- statt Obsttage
(5mal täglich je 250 g Milch), wird besser vertragen; allgemeines Befinden
besser. (Kurve 1, Tafel III.)
3. Protokoll-No. 575. B. v. G., 63 Jahre alt, Staatssekretär.
Anamnese: Seit 4 Jahren Dysbasie, mässiger Trinker und Raucher. Schwindel,
Gehen nur am Stock möglich.
Status: Gut genährt; breitspuriger, schwerfälliger Gang; Tremor der
Extremitäten; Patellarreflexe gesteigert; Thoraxdurchleuchtung ergibt normale Herz¬
grösse; Aortenschatten verbreitert und vertieft bes. Arcus aortae; enorm hoher Zwerch¬
fellstand; Radialispuls gut, Tibialispuls nioht oder kaum fühlbar, geringes
Extremitätenödem, kein Albumon.
Therapie: Normaltisch, Atmungsgymnastik im Luftbad und am Boghean-
schen Atmungsstuhl, Massage, Liegekur, Dampfduschen, Wechselfussbäder.
Dekursus: In der 4. Woche, nach Anstieg des Drucks auf 152 (Anfangsdruck
180) erniedrigt ein Aderlass den Druck auf 127; Nachlass des subjektiven Schwindel¬
gefühls; in der 5. Woche 5tägiger Singultus; (Besserung auf Morphium und Veronal) in
der 6. Woche Blutdruckdifferenz 60 mm; Gewichtsabnahme 4000 g, Dysbasie un¬
verändert, subjektives Befinden sehr gehoben. (Kurve 2, Tafel III.)
4. Protokoll-No. 597. H. K., 58 Jahre alt, Privatier.
Anamnese: Vor 20 Jahren Typhus, immer korpulent gewesen; leidet an
Kongestionen, Angstzuständen, Ohrensausen, Schwindel, Herzklopfen, Herzdruok,
Uebelsein, Obstipation, Kopfschmerzen. Mässiger Raucher, leichtes Potatorium, viel
Fleischnahrung.
Status: Sehr korpulent, Gewioht 102,5 kg; etwas zyanotisch; normale Herz¬
grenzen; leise, aber reine Herztöne; Art. rad. geschlängelt; enorme Tympanie des
Bauches; kein Eiweiss.
Therapie: Korpulenten-Diät, Teilabreibungen, Dampfduschen, warme Voll¬
bäder, Wechselfusshandbäder, Herz- und Bauch Vibration, Massage, Luftbad (ohne
Gymnastik).
Dekursus: Blutdruok in 2 Wochen auf die normale Höhe gebracht (von 152
auf 122), auf der er sich erhält. Die Zacke in der 2. Woche fällt mit einem akuten
Magenkatarrh zusammen. Gewichtsabnahme 5000 g; subjektives Befinden viel besser,
Schlaf gut. (Kurve 3, Tafel III.)
9. Protokoll-No. 329 und 847. S. A., 58 Jahre alt, Universitätsprofessor.
Anamnese: Geistig stark überarbeitet (12—14 Arbeitsstunden), Schlaf gestört,
Kongestion zum Kopf; Gefühl der Spannung und Schwerfälligkeit in den Füssen; all¬
gemeine Erregbarkeit; hastiger Esser; schlechter Kauer.
Status: blass, müdes Aussehen; Korpulenz, Gewicht 86,2 kg. Herzgrenzen und
Töne normal; verstärkter 2. Aortenton; Puls rhythmisch, äqual, 78; Art. rad. derb,
gerade; Bronchialkatarrh, „aufgetriebener Schlingerbauch tt , Hochstand des Zwerch¬
fells, kein Albumen, Sphygmogramm regelmässig, Typus des Pulsus tardus mit
niedriger Elevation und breitem Plateau.
Therapie: Korpulenten-Diät, Massage, 1.—2. Woche Liegekur, 3. Woche leichto
Zandergymnastik.
(Im Vorjahre mit ähnlichen Erscheinungen zur Kur mit gleicher Therapie in Be¬
handlung, gewesen. Darnach V 2 Jahr sehr gut befunden, bis die geistige Ueber-
arbeitung Bewegungsmangel usw. die neurasthenischen und arteriosklerotischen
Erscheinungen wieder zum Vorschein brachten. Blutdruckkurve ähnlich wie heuer.)
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 99
Dekursus: Gewichtsabnahme 3000 g, Blutdruck um 20 mm heruntergegangen,
Sphygmogramm unverändert. (Kurve 4, Tafel III.)
10. Protokoll-No. 853. P. R., 60 Jahre alt, Grossindustrieller.
Anamnese: Bis auf rheumatische Beschwerden angeblich immer gesund ge¬
wesen; 2—3 Glas Bier, 4 Zigarren täglich.
Status: Muskulöser, etwas überernährter, strotzend aussehender Mann. Herz:
2. Aortenton verstärkt, Art. rad. gerade, weich; Puls rhythmisch, äqual; hier und da
Parästhesien im rechten Arm; Varizen an den Unterschenkeln; Urin frei.
Therapie: Korpulonten-Tisch, abwechselnd Sauerstoff- und Dampfbeinbad,
Luftbad, Liegekur vor dem Essen, Zandergymnastik.
Dekursus: Allgemeines Wohlbefinden, Gewichtsabnahme 5000 g, Blutdruck¬
abnahme 22 mm.
Typischer Fall von beginnender Arteriosklerose („Präsklerose“). (Kurve5,TafelIU.)
11. Protokoll-No. 542. M. M., 46 Jahre alt, Bankiersgattin.
Anamnese: Seit jeher Korpulenzbeschwerden, Neuralgie, Herzklopfen, Magen¬
drücken, Knieschmerzen, psychische Depressionen.
Status: Sehr fettreiche Hautdecken, Gewicht 89,5 kg; Herz nach allen Seiten
dilatiert, Töne matt und leise, Bradykardie, Oedem der Beine, kein Albumen.
Therapie: Korpulenten-Diät, Bürst- und Thermalschwimmbäder, Massage,
Luftbad, Zandern, Vibration.
Dekursus: Dilatation in wenigen Tagen zurückgegangen; Blutdruck nach der
ersten Woche normal, Gewichtsabnahme 4500 g. (Kurve 6, Tafel III.)
12. Protokoll-No. 539. C. S., 47 Jahre alt, Opernsängerin.
Anamnese: Aufregender Beruf, unregelmässige Lebensweise, viel Alkohol in
letzter Zeit wegen Schlaflosigkeit, Nervosität, Obstipation, rheumatische Beschwerden.
Status: Blass, korpulent, aufgeschwommt; Herz: normale, reine Töne, Leber
nioht palpabel, Urin frei.
Therapie: Korpulenten-Diät, Abstinenz, elektrischer Schwitzkasten, Schwimm¬
bad, Luftbad, Massage, Zandern.
Dekursus: Subjektiv viel besser, Stuhl geregelt, Blutdruck von 145 auf 118
heruntergegangen, Gewichtsabnahme 1800 g. (Kurve 7, Tafel III.)
14. Protokoll-No. 387 und 775. A. H., 65 Jahre alt, Verl'egerswitwe.
Anamnese: Immer gesund und korpulentgewesen, Kurzatmigkeit. Rheumatismus,
Herzklopfen.
Status: 1910: Adipositas, Hängebauch, Enteroptose, Gew. 99,5 kg, Herz¬
dämpfung vergrössert, Töne hart, Arhythmie, Extrasystolen, Blutdruck 210, kein
Albumen. — 1911: Gewicht 88,3 kg, Herzbefund unverändert, subjektiv viel besser.
Patientin hat inzwischen zuhause dieselbe Lebensweise fortgesetzt.
Therapie: Korpulenten-Diät, Bürst-Dampfbeinbäder, Dampfdusche, Massage,
Luftbad, Herz Vibration.
Dekursus: Herzbeschwerden beide Male gebessert; Gewichtsabnahme 1910
5500 g, Ende der Kur 1911 (gegen 1910) 13200 g abgenommen. Blutdruck 1910 von
210 auf 145, 1911 von 180 auf 165 parallel der Gewichtsabnahme heruntergegangen.
(Kurve 8, Tafel III.)
15. Protokoll-No. 854. K. R., 53 Jahre alt, Fabrikdirektor.
Anamnese: Vor 25 Jahren Lues, jetzt Atembeschwerden, Knieschmerzen; vor
6 Monaten im Urin Albumen und hyaline Zylinder; sehr angestrengter Beruf.
Status: Abgespannter, aufgeschwemmter Patient; Herz nach links verbreitert.
Töne rein, aber leise; Urin eiweissfrei; Plattfüsse.
Dekursus: Urin dauernd eiweissfrei ohne pathologisches Sediment, Blutdruck
geht leicht auf die Norm hinunter, Gewichtsabnahme 4300 g, Herzdämpfung etwas
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verkleinert. (Nach sechs Monaten, in denen Patient zuhause ähnlich weiter gelebt
hat, subjektives Befinden sehr gut, Blutdruck normal!) (Kurve 9, Tafel III.)
B. Hypertonie mit Nierensklerose und Albuminurie. (8 Fälle.)
Auch einige dieser Fälle sind mit Adipositas kombiniert und zeigen
dabei gelegentlich der Kur den charakteristischen Parallelismus zwischen
Blutdruck- und Gewichtskurve. Für die Fälle der früheren Gruppe sind
wir nicht in der Lage, klinisch ausser durch die Blutdruckerhöhung auf
eine Nierensklerose schliessen zu können. Der Eiweissgehalt bei den mit
Albuminurie verbundenen Fällen beträgt zwischen „Spuren“ bis zu
0,5—1,0 pro Mille Esbach. Eiweiss-Spuren verschwinden nach reizloser
Diät zuweilen, grössere Mengen bleiben konstant.
Es gelingt nur sehr selten (vgl. z. B. 541), die Blutdruckhöhe bei
derartigen Fällen ganz aufs Normale zu bringen; doch finden sich
Differenzen nach mehrwöchiger Kur bis zu 40 bis 50 mm Queck¬
silber, bei einer länger fortgesetzten Kur bis zu 60 mm.
17. Protokoll-No. 541. P. G., 41 Jahre alt, Fabrikbesitzer.
Anamnese: Chronischer Bronchialraucherkatarrh; starker Raucher und
Weintrinker.
Status: Gross, korpulent, Gewicht 115 kg, zyanotisch, Herz nach rechts ver¬
breitert, erster Ton Unrein, akzentuiert, Leber etwas vergrössert, Bronchialkatarrh,
Albumen 0,5 pM. Esbach.
Therapie: Korpulenten-Diät ohne Fleisch, viel Milch, Abstinenz, Schwitzkasten,
Schwimmthermalbad, Luftbad, Atemgymnastik, viel Bewegung.
Dekursus: Urin nach 14 Tagen eiweissfrei, Druckdifferenz 43 mm, Gewichts¬
differenz 5700 g. (Kurve 10, Tafel III.)
19. Protokoll-No. 678. J. T., 54 Jahre alt, Notarsgattin.
Anamnese: Vor 20 Jahren Pleuritis; seit 10 Jahren Herzklopfen, krampfartige
Schmerzen in Herz-, Darm- und Lebergegend, chronische Obstipation; 4 gesunde
Kinder, eine Frühgeburt.
Status: „Kongestioniertes Gesicht“, kalte Füsse, Gewicht 68,6 kg; Lunge:
Pleuritis sicca; Herz nicht vergrössert, 2. Aortenton nicht verstärkt; Puls 80, klein,
äqual, rhythmisch; Art. rad. hart, schwer unterdrückbar; Sphygmogramm zeigt stark
gespannten regelmässigen Puls mit breitem Plateau, Pulsus tardus; Harnbefund:
Spuren Albumen; spez. Gew. 1006; Röntgen: Herz klein, Aortenschatten normal.
Therapie: Vegetarische Diät, Milch, Sauerstoff- und Bürstbad abwechselnd mit
Massage, Luftbad ohne Gymnastik.
Dekursus: Blutdruck um 60 mm heruntergegangen, Krämpfe nur an einigen
Tagen beobachtet, subjektiv besser. — Albumen schwindet und kommt wieder; spez.
Gewicht 1016—1031, Körpergewicht unverändert.
Diagnose: Schrumpfniere, allgemeine Arteriosklerose, bes. der Abdominal¬
arterien. (Kurve 11, 12 und 13, Tafel III.)
20. Protokoll-No. 874 und 421. M. F., 49 Jahre alt, Minister.
Anamnese: Seit einiger Zeit Schlaflosigkeit, Unfähigkeit zur Arbeit,
Obstipation; im Vorjahre ähnliche Kur.
Status: Etwas ermüdetes Aussehen, leichte Adipositas, Herz etwas nach rechts
verbreitert, 2. Ton akzentuiert; Urin: Spuren Albumen.
Therapie: Korpulenten-Tisch, Obst, Dampfbäder, Dampfdusche, Massage,Luft¬
bad, Zandergymnastik.
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Heber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 101
Dekursus: Urin (im Vorjahre auch hyaline Zylinder) wird nach 3 Wochen
eiweissfrei; Gewichtsabnahme 3000 g. Blutdruck (im Vorjahre 180) geht jetzt auf
130 mm herunter. (Kurve 14, Tafel III.)
21. Protokoll-Nr. 857 und 3CI. T. J., 46 Jahre alt, Advokat.
Anamnese: Vor 20 Jahren Lues; Hämoptoe vor 30 Jahren; seitdem systema¬
tische Ueberernährung, die zur Korpulenz führte; jetzt Beklemmungen in der Herz¬
gegend; Atemnot.
Status (1910): Korpulent; enormes Abdomen; Herzdämpfung nach links stark
verbreitert; Töne unrein; 2. Ton akzentuiert (Aorteninsaffizienz); Urin: Albumen
0,3 pM. Esb.
Dekursus: Nach 2 Wochen Urin eiweissfrei; Druck um 45 mm, Gewicht um
4000 g vermindert; Herzdämpfung kleiner; Geräusche unverändert; Subjektiv sehr gut.
Status (1911): Herzdämpfung kleiner, fast normal; Geräusche unverändert; 2. Ton
akzentuiert; Urin: Albumen in Spuren; Subjektiv viel besser.
Therapie: 1910 Korpulenten-, vegetarische Diät (einmal wöchentlich Fleisch).
1911 Korpulenten-Diät (zweimal Milchtag pro Woche), Dampfduschen, Vollbad, Mas¬
sage, Luftbad (ohne Gymnastik). (Kurve 15 u. 16, Tafel IV.)
C. Hypertonie ohne Adipositas und ohne Albuminurie (8 Fälle).
In dieser Gruppe haben wir eine Reihe von Fällen zusammengefasst,
bei denen sich weder Ueberernährung, noch Albuminurie nachweisen lässt.
Anamnestisch finden sich neben Lues und jüngst durchgemachten Infek¬
tionskrankheiten noch Neurasthenie, Alkoholmissbrauch, Ueberanstrengung,
die wohl als ätiologische Faktoren in Betracht kommen. Selbstverständ¬
lich findet sich bei diesen Fällen kein Kurvenparallelismus; während aber
die Blutdruckkurve bei der früheren Gruppe (Albuminurie) sich durch
eine gewisse „Unruhe“ charakterisiert, d. h. ein fortwährendes Schwanken
und leichtes Beeinflusstwerden, zeigen die Blutdruckkurven dieser Gruppe
einen mehr ruhigeren Verlauf.
Charakteristisch ist für diese Gruppe auch die Deutlichkeit, mit der
sich die Besserung der Blutdruck- und Pulsverhältnisse im sphymogra-
phischen Kurvenbild zum Ausdruck bringen lässt (vergl. Fall 26 u. 29).
24. Protokoll-Nr. 600. P. B., 39 Jahre alt, Bankbeamter.
Anamnese: Vor 18 Jahren Lues akquiriert; Schlaflosigkeit; Angstgefühle; nach
dem Essen Herzklopfen; hastiger Vielesser (bes. Fleisch); viel Alkohol; viel Nikotin.
Status: Grosser, kräftiger Patient; Herzbefund normal; Lunge etwas gebläht;
hoher Zwerchfellstand; Urin: kein Albumen.
Therapie: Normalkurtisch (abends wenig!); Luft-, Voll- und Schwimmbad;
Dampfdusche; abends ganze Packung; Liegekur; Zander-Gymnastik.
Dekursus: Schlaf wesentlich besser; Angstgefühle ab 2. Woche geschwunden.
Bei diesem Fall Häufung von Ursachen der Hypertonie: Lues, Alkohol, Nikotin, Fleisch¬
überernährung und Neurasthenie. Trotzdem durch zweckmässige Lebensweise relativ
leicht zu beeinflussen. Ab 2. Woche auf 120, dann wieder leichter Anstieg. (Patient
hält sich nicht in der letzten Woche an die Kur und beginnt wieder sein Pota-
torium!) (Kurve 17, Tafel IV.)
26. Protokoll-Nr. 665. F. D., 58 Jahre alt, Fabrikbesitzer.
Anamnese: Bis zum vorigen Jahre immer gesund und sehr rüstig gewesen.
Seit einem Jahre Anfälle von Angina pectoris; Potator strenuus; starker Raucher;
hastiger Esser.
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Status: Sehr abgemagert, blass, sehr muskulös dabei. Herz: Dämpfung nicht
verbreitert; diastolisohes Geräusch an der Basis, daneben klappernder 2. Aortenton;
Lunge: Bronchialkatarrh; Urin: kein Eiweiss.
Therapie: Normaler Kurtisoh; Abstinenz; Luft- und Sauerstoffbäder; Liegekur;
Massage; Herzvibration.
Dekursns: Abstinenz leicht ertragen; andauernd subjektives Wohlbefinden;
Blutdruckerniedrigung auf die Norm; die Aenderung kommt sehr deutlioh auch im
sphygmographischen Pulsbild zur Darstellung. Aus dem flachen Puls mit breitem
Plateau wird naoh 3—4 Wochen eine der normalen sehr ähnliche Kurve, an der nur
die sekundären Schwankungen im katakroten Schenkel auf vermehrte Wandspannung
hinweisen. (Kurve 18—21, Tafel IV.)
29. Protokoll-Nr. 904. A. Z., 64 Jahre alt, Privatier.
Anamnese: Früher sehr angestrengter Beruf, seit 13 Jahren Nichtstun mit
Hypochondrie. Seit 25 Jahren Magenbeschwerden; allgemeine Erregbarkeit; mässiger
Raucher, mässiger Alkoholgenuss; im letzten Jahre mehrere Kilogramm abgenommen.
Status: Schwerer Hypochonder; Herz normal, 2. Aortenton mässig verstärkt;
beginnendes Lungenemphysem.
Therapie: Magendiät; Sauerstoffbäder; Dampfkompressen auf den Magen;
Massage; Luftbad.
Dekursus: Hypochondrie unverändert, Gewichtszunahme 1000 g; Blutdruck¬
abnahme 30—40 mm. Sphygmogramm: Die Pulskurven zeigen auch hier deutlich
die Abnahme der Spannung in allmählicher, pro Woche steigender Zunahme der Puls¬
wellenhöhe. (Kurve 22—26, Tafel IV.) (Die sekundären Schwankungen sind auf
dem CI ich 6 etwas übertrieben.)
30. Protokoll-Nr. 547. C. T., 58 Jahre alt, Gutsbesitzer.
Anamnese: Seit vielen Jahren Potator(vor einigen Monaten Erregungspsychose).
Status: Gut genährt, kräftig, blass; universelles Ekzem; Herztöne rein, Grenzen
normal, 2. Aorten ton verstärkt; Urin: kein Eiweiss.
Therapie: Vier Wochen vegetarische, 4 Wochen gewöhnliche, reizlose Diät;
Abstinenz; Sonnen- und Luftbad; Kleienbäder; Zander-Gymnastik; Liegekur.
Dekursus: Auffallend rasches Absinken des Blutdruckes bei Abstinenz und
vegetarischer Diät; in der 5. Woche leichter Anstieg der Kurve, aber noch innerhalb
der normalen Grenzen nach Einsetzung der Fleischkost. In den letzten 3 Wochen
wieder normaler Blutdruck. Allgemeines Befinden gebessert; Gewichtszunahme 1400 g;
Blutdruckabnahme 60—70 mm; keine Abstinenzerscheinungen. (Kurve 27, Tafel IV.)
III. Allgemeine nnd diätetische Therapie.
Ehe wir auf die näheren Details der diätetischen Therapie eingehen,
erübrigt es noch, einige Punkte der allgemeinen Therapie zu berück¬
sichtigen, wobei wir zum Teil der Darstellung Hasebroeks folgen wollen,
dessen Anschauungen mit den unsrigen übereinstimmen.
Die Therapie der pathologischen Blutdrucksteigerung kann eine
kausale und symptomatische sein:
1) Kausal, wenn wir die Hypertonie als KompensationsVorgang, als
„Abwehrreaktion“ auffassen, und die Herstellung absoluter und relativer
Funktionstüchtigkeit aller Organe durch Abhaltung von Schädlichkeiten
erstreben. Hierauf beruht es, dass sich nirgends bei pathologischen Vor¬
gängen so sehr die physiologischen Massnahmen einer sogenannten
zweckmässigen Lebensweise bewährt haben, als bei Behandlung der Blut-
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 103
drucksteigerung. Weil die ursprünglichen Schädlichkeiten oft in nichts
anderem bestehen als in der durch das moderne Kulturleben hervorge¬
rufenen Entfernung des Körpers aus der Sphäre der Reizwirkung allge¬
meiner Naturkräfte, eben deswegen erreichen wir so viel, wenn wir dem
Körper wiedergeben, was des Körpers ist: eine naturgemässe Lebensweise
mit allem, was daran hängt, mit funktionellen Reizen, wo sie nötig sind,
mit sparsamer Beanspruchung, wo sie angebracht ist. Wir gehen oft
therapeutisch denselben Weg rückwärts, den die korrelative Mehrarbeit im
System nehmen musste, iudem wir resp. Organtätigkeit wieder in ihre
Rechte einsetzen. Dann fällt allmählich die Notwendigkeit, dass das Organ
zu früh an das rückwärts liegende System um Hilfe appellieren muss, fort.
2) Symptomatisch, wenn wir die Blutdrucksteigerung als Krank¬
heitseffekt bei primär gesteigertem Reizzustand des Zentralnervensystems
auffassen (Neurasthenie, Herz- und Gefässneurose). Somit kommen zwei
Momente für die allgemeine Therapie in Betracht, nämlich allgemeine
Schonung neben einer Forcierung einer anderen Organtätigkeit, um
durch deren aspiratorische Eigenarboit (besonders Haut und Muskulatur)
auf die Blutdrucksteigerung in senkendem Sinne zu wirken (Hasebroek).
Es ist aber daran festzuhalten, dass, mit Ausnahme lang fortgesetzter
Uebungstherapie, alle mechanischen Mittel nur zeitweise den Blut¬
druck herabsetzen können, wenn nicht gleichzeitig durch lakto-vege-
tabilische und salzarme Diät die Wirkung dieser Mittel unterstützt wird
(Huchard).
Ebenso müssen wir uns der Meinung Laqueurs anschliessen, dass
die durch physikalische Prozeduren erzielbare Blutdruckerniedrigung eine
momentane, im besten Falle einige Stunden anhaltend sein kann. Prak¬
tisch wichtig ist aber die Dauerwirkung einer Kur, d. h. in diesem
Falle Kombination eine Reihe von blutdruckerniedrigenden oder wenigstens
nicht erhöhenden physikalischen Anwendungen mit entsprechender Diät.
Gymnastik und Massage zielen auf Inanspruchnahme der Körper¬
muskulatur. Passive Widerstandsbewegungen gestatten bei möglichst
grosser aktiver Eigenleistung die relativ geringste Gehirnarbeit. Massage
und Gymnastik in einfachster Form sind für Blutdruck und Gefäss-
zirkulation auch deshalb günstig, weil der respiratorische Quotient
steigt (Claude Bernard), indem durch Gefässerweiterung periphere
Kreislaufbeschleunigung die Arbeit des Zentralorgans erleichtert wird.
„Denn wie die Gefässe die Hilfstruppen des zentralen Herzens sind, so
sind die Muskeln durch ihre Kontraktion die Hilfstruppen der Gefässe.“
Uebrigens hat bei allgemeiner Adipositas und Körperträgheit infolge von
Luxusernährung die beschleunigte Blutgeschwindigkeit und der gesteigerte
Sauerstoffbedarf den Effekt einer Erniedrigung des Viskositätsgrades.
Atmungsgymnastik ist aus demselben Grunde imstande, vorüber¬
übergehend den Blutdruck herabzusetzen (Herz, Hasebroek). Passive
Atmungsgymnastik im Bogheanschen Atmungsstuhl wirkt bei hyperto-
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Original fram
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nischen Asthmatikern blutdrucksenkend (v. Schrötter, Laqueur, eigene
Erfahrung).
Hydro- und Thermotherapie kommt als Bewegungstherapie für
die peripheren Hautgefässe und somit als Schonungstherapie für das Herz
in Betracht: Hydrotherapie in Form von Einpackungen, milden Prozeduren
(Halbbäder, Teilabreibungen); von thermischen Einflüssen wirken sehr kalte
Applikationen fast immer blutdrucksteigernd (Tschlenoff, Matthes)
und werden deshalb von uns vermieden. Ueber den Wert heisser An¬
wendungen gingen die Meinungen auseinander. — Die widersprechenden
Angaben über die Wirkung heisser Prozeduren auf den Blutdruck hat
0. Müller durch genauere Untersuchung an Gesunden zu klären versucht.
Er fand bei Bädern unter 35 Grad C. Steigerung; zwischen 35—40 Grad
erst Steigerung, dann Senkung, dann wieder massige Steigerung; bei
Temperaturen über 40 Grad (Schwitz- und Hitzebädern) Steigerung.
Unter pathologischen Verhältnissen am Herzen aber zeigt sich ein
anderes Verhältnis. Nach den Müllerschen Untersuchungen kann der
primäre Blutdruckanstieg sehr kurz sein (Muskeltätigkeit, mechanischer
und thermischer Reiz). Die sekundären Senkungen — bei Heiss- und
Kaltreizen nur relative, bei Warmreizen (35—40 Grad) aber absolute —
sind schwer zu erklären. Nach Kaltreizen ist der Blutdruck auch
während des Stadiums der relativen Erweiterung der Hautgefässe erhöht;
bei Warmreizen kann der Blutdruck, während die Hautgefässe weit sind,
sich unter dem normalen halten (Matthes).
Die Wirkung der Elektrizität in ihren verschiedenen Anwendungen
ist gleichfalls eine vorübergehende. Hochfrequenzstrom-Anwendung
(D’Arsonvalisation) wird namentlich von französischen Autoren favorisiert.
— Nach unserer Erfahrung bewirkt Galvanisation des Herzens vorüber¬
gehend eine Herabsetzung (auch bei Schrumpfnicre um 10—12 mm);
doch ist die Wirkung nach kurzer Zeit wieder verschwunden.
Es geht somit aus diesen kurzen Ausführungen hervor, dass das
wichtigste Moment für die Therapie neben allgemeiner Schonung die
Diät ist.
Es seien nun im folgenden jene Momente zur Darstellung gebracht,
die sich uns praktisch in der diätetischen Behandlung der Ursachen
pathologischer Blutdrucksteigerungen bewährt haben. Es ist
dabei natürlich, dass jegliches Schematisieren, wie bei jeder therapeutischen
Massnahme, nur schädlich ist, weshalb auch hier nur die Grundzüge
unserer Diät wiedergegeben erscheinen. Jeder einzelne Fall erfordert
selbstverständlich genaues Individualisieren und ev. Variieren inner¬
halb der gegebenen Prinzipien.
Wenn wir an eine „geraischto“ Diät denken und von einer monotonen
Ernährungsform, wie es etwa die mit allgemeiner Körperruhe verbundene
Care 11 sehe Milchkur ist, absehen, da eine solche ja nur vorübergehend
durchzuführen ist, so wird den meisten Anforderungen, die wir an eine
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 105
blutdruckerniedrigende Ernährungsweise stellen müssen, eine
einfache, reizlose Kost gerecht, wie sie hier kurz geschildert wird.
Die dabei in Anwendung kommenden Prinzipien sind folgende:
1. Reizlosigkeit der Kost.
2. Verminderung der Fleischzufuhr.
3. Vermehrte Berücksichtigung der vegetabilischen Kost (mit ver¬
mehrter Mineralsalzzufuhr durch entsprechende Kochweise).
4. Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr..
ä. Beschränkung der Kochsalzzufuhr.
6. Einschränkung oder Aufhebung der Alkoholzufuhr.
Auf den Ausgangspunkt der Aufstellung dieser Prinzipien (chemische
Analyse der Frauenmilch in einer für Erwachsene gedachten Quantität)
soll hier nicht näher eingegangen werden.
Bei obiger Aufzählung decken sich einzelne Punkte zum Teil, oder
sie gehen in einander über, da ja z. B. Fleisch in reichlicher Menge in
seinen Extraktivstoffen ebenfalls Reizstoffe enthält.
Im wesentlichen werden sich nun zwei Gruppen von allgemeinen
Diätformen ergeben, je nachdem es sich — wie so häufig — um
Komplikationen mit allgemeiner Korpulenz oder um magere oder normal
entwickelte Patienten handelt. Desgleichen werden Magen- und Darm¬
beschwerden, sowie Erkrankungen des Stoffwechsels eine Modifikation der
Kostform bedingen müssen. Auf effektive Nierenaffektionen wollen wir
hier keine spez. Rücksicht nehmen, da die entsprechende Diät sich nur
wenig von der allgemein üblichen unterscheidet.
ad 1. Reizlosigkeit oder besser Gewürzlosigkeit ist durch Weg¬
lassen der die Niere reizenden Gewürze (Pfeffer, Paprika, Senf usw.) in
der Kost herbeizuführen.
Um diesen Wegfall an Appetitanregung wett zu machen und eventuelle
träge und ungenügende Magensaftsekretion anzuregen, ist es Sache wahrer
Kochkunst, durch Variation der Zubereitung und appetitliches Anrichten
psychisch eine reflektorische Beeinflussung zu erzeugen. In Fällen an¬
dauernder Appetitlosigkeit sind von Anregungsstoffen am ehesten noch
Amara empfehlenswert (in der bekannten Anwendung etwa: Tinct. chinae
comp. 3mal täglich 15 Tropfen vor den Hauptmahlzeiten). Gewöhnlieh
kommt man aber mit den stoffwechselsteigernden physikalischen Prozeduren
aus; oft wirken einige Tage Unterernährung mit Körperruhe später wieder
appetitanregend. Dies gilt für Fälle, in denen eine Ueberernährung
erwünscht ist. Für die mit Korpulenz komplizierten Fälle von Blutdruck¬
steigerung liegt aber gerade in der Reizlosigkeit der Kost ein erwünschter
Faktor, um praktisch die Neigung zur Luxuskonsumption und zum Alkohol¬
genuss zu unterdrücken.
ad 2. Bei der Fleischüberernährung kommen zwei Faktoren in
Betracht: Einmal die Eiweissüberernährung, dann die in der Zufuhr von
Fleisch enthaltenen sog. „Extraktivstoffe“.
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Es ist selbstverständlich, dass man bei der Aufstellung der Kost¬
ordnung unter ein gewisses Mindestmass der Eiweisszufuhr nicht hinaus¬
gehen darf. Wir wissen aber heute, dass wir weit unter die früher
gültigen Voitsche Eiweissmengen (1,5 g pro kg Körpergewicht) gehen
können, ohne das Stickstoffgleichgewicht zu stören. Es haben dies die
bekannten Versuche Chittendens gezeigt, sowie u. a. Stoffwechsel¬
bilanzen bei Gichtikern, wonach ein normaler Mensch von ca. 70 kg
Gewicht mit einer täglichen Eiweissmenge von ca. 60 g (0,7—0,9 g
Eiweiss pro kg Körpergewicht) in Gleichgewicht und in Leistungsfähigkeit
sich erhalten kann (Umber).
Auf die Versuche von Lubarsch, auf alimentärem Weg sklerotische
Prozesse hervorzurufen, wurde oben hingewiesen. Wenn bei diesen
Experimenten auch keine Angaben über Blutdruckverhältnisse gegeben
sind, so können wir doch nach den anatomischen Verhältnissen der
Gefässe per analogiam auf erhöhten Blutdruck intra vitam seiner Versuchs¬
tiere schliessen. Jedenfalls scheinen dabei abnorme Produkte des Ei¬
weissstoffwechsels im Spiele zu sein, entweder Ptomaine oder ptomain¬
artige Stoffe, oder Derivate von Leuzin und Tyrosin (nach den neueren
Untersuchungen von Bain).
Die blutdrucksteigernde Wirkung der Extraktivstoffe ist ja auch den
Laien in Form der Bouillon als tonisierendes Mittel bekannt. — Praktisch
wird sich demnach eine Verminderung der gewöhnlichen in unseren
Zonen üblichen Fleischeiweiss-Ueberernährung empfehlen, etwa in
der Weise, dass im allgemeinen nur während der Hauptmahlzeit Fleisch
gereicht wird, während am Abend höchstens 1—2mal wöchentlich
Fleisch (einmal kalt, einmal gebraten) zur Anwendung gelangen darf.
Es erfolgt auf diese Weise schon eine Verringerung der allgemein üblichen
Fleischmenge um fast die Hälfte.
Was die Einzelquantitäten betrifft, so können auch diese niedriger
als das Normalmass gehalten werden. — Es seien hier als Beispiel
einige Fleischrationen, wie sie während der Hauptmahlzeit sich bewährt
haben, in ihrem Nährwert — nach Atwater und Bryant berechnet —
angegeben. Daneben sind auch Daten für die anderen 3 wichtigsten
Eiweissspender verzeichnet: Milch, Eier, Käse (s. nebenstehende Tabelle).
Die angegebenen Masso sind selbstverständlich nur Durchschnitts¬
masse und innerhalb kleiner Grenzen variabel. Als einfachstes Mittel,
sowohl um den Eiweissgehalt als auch Fett und Kohlenhydrate der
Nahrung nach Wunsch zu regulieren, ist die Milch anzusehen, mit welcher
man auch den Flüssigkeitsgehalt der Nahrung in beliebiger Weise ein¬
stellen kann. Wo sich die Befriedigung eines erhöhten Eiweissbedürfnisses
als notwendig erweist, kann dies in leicht übersehbarer Weise in Form
von Käse, besonders in Form des gut verdaulichen, frisch zu bereitenden
Topfens oder Quarks geschehen.
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 107
Tabelle I.
Beispiele von Rationen der wichtigsten Eiweissspender.
Menge
roh
Menge
fertig
Un verwert¬
en bare Nähr¬
stoffe
H 2 0
%
.0
CO
CO
.23
s 5
hfl<
fl
O
g
Eiweiss
g
Fett
g
Kohlen- !
w hvdrate |
Brennwert
in Kalorien i
Rindfleisch (fertig) .
(200)
100
2,7
38,1
_
25,4
33,2
_
425
Filet (fertig) . . .
(200)
100
2,4
48,2
—
21,6
27,2
—
310
Roastbeef (fertig) .
(140)
80
1,7
41,3
—
19,9
14,4
—
224
Zunge (roh) . . .
130
(100)
1,3
70,8
26,5
18,3
8,7
—
163
Kalbskotelett (roh) .
150
(BO)
1,9
106,1
5,1
29,1
10,9
—
234
Kalbsschlögel (roh).
180
(100)
2,0
127,6
36,8
36,0
14,3
—
293
Schweinskarree (fert.)
(HO)
100
3,1
33,6
—
24,1
35,7
—
445
Huhn (gebraten)
(150)
100
1,0
74,8
41,6
20,9
2,4
—
115
Indian (gebraten) .
(150)
100
1,3
67,5
—
17,1
10,9
—
118
Zwei Eier ....
(120)
100
1,2
73,2
11,2
12,8
11,4
—
166
Vollmilch, l U Liter .
250
—
1,25
217,0
8,0
9,5
12,5
170
» V 2 „
500
—
2,5
435,0
—
16,0
19,0
25,0
340
* 3 /< , •
750
—
3,7
652,0
—
24,0
28,5
37,5
510
» 1 „ .
1000
—
5,0
870,0
—
32,0
38,0
50,0
680
Sahne .
100
—
1,1
74,0
—
2,4
17,6
4,5
190
Käse.
50
—
1,7
17,1
—
12,6
16,0
1,2
207
Einen Unterschied zwischen „schwarzem“ und „weissein“ Fleisch zu
machen, ist im allgemeinen irrelevant, vorausgesetzt gute Magen- Darm-
Verdauung. Ersteres ist reicher an Extraktivstoffen, von denen fast frei
das sog. ausgekochte Rinds-, Kalbs- oder Hühnerfleisch ist. Wo also
der Nachteil der Extraktivstoffe umgangen werden soll, ist Fleisch in
dieser Form zu reichen (also in gekochter Form).
ad 3. Vegetabilien: Ausschliesslich vegetarische Kost bzw. lakto-
vegetabilische Kost wird sich nur in ganz besonderen Fällen als not¬
wendig erweisen. Die gewöhnlichen, unkomplizierten, analbuminurischen,
präsklerotischen Blutdrucksteigerungen werden auch bei der im früheren
Punkte angedeuteten Art der Fleischdarreichung in kurzer Zeit (8 bis
10 Tagen und früher) auf die Normalhöhe gebracht werden können. Wo
es sich um Komplikationen von seiten der Niere (Schrumpfniere) handelt,
vermag auch die laktovegetabilische Diät keineswegs immer eine Ver¬
minderung bis auf die Norm herbeizuführen, immerhin aber doch den
Blutdruck zu erniedrigen.
Dagegen hat sich vegetarische Kost bei den Fällen von Blut¬
drucksteigerungen bewährt, wie sie mit schwerer Neurasthenie,
insbesondere depressiven Stadien verbunden sind. Diese Fälle,
offenbar mit Stoffwechsel-Anomalien im Zusammenhang, werden hierdurch
bei zunehmendem Körpergewicht in günstigem Sinne beeinflusst. In
gleicher Weise führt bei Kombination von Blutdruckerhöhung mit all¬
gemeiner Unterernährung vegetarische, kohlehydratreiche Kost zu einer
Reduktion des Blutdruckes bei Körpergewichtszunahme und Steigerung
des subjektiven Wohlbefindens. — Endlich können gewisse Formen
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108
V. HECHT,
chronischer Obstipationen durch die voluminöse Kost vorteilhaft
therapeutisch beeinflusst werden. Für die übrigen Fälle pathologischer
Blutdrucksteigerung hat sich aber eine Bevorzugung vegetabilischer
Speisen, in geeigneter Art aufgeschlossen und zubereitet, trefflich bewährt.
Zunächst fehlen den landläufigen Gemüsen jegliche Reizstoffe (Spinat,
Erbsen, Kraut, Kohl, Karfiol, Bohnen, Fisolen u. a. m.). Dann enthalten
Gemüse, Zerealien und Obst die für den Stoffwechsel und den Zellaufbau
nötigen Mineralsalze in entsprechender Menge, vorausgesetzt, dass bei der
Herstellung gekochter Gemüse diese fortwährend im Kochwasser, in das
ein Teil der Salze übergeht, verbleiben (Lahmann). Ein Wegschütten
des Gemüsekochwassers ist deshalb als „Kochkunstfehler“ anzusehen.
Auf diese Weise zubereitet, erfordern die Gemüse auch keinen wesent¬
lichen weiteren Kochsalzzusatz 1 ). Die Dosierung geschieht in der Weise,
dass zum Fleischgang zwei Gemüse gereicht werden und zwar ein Koch¬
gemüse und abwechselnd Reis und Kartoffeln in verschiedenen Formen;
Bouillon erscheint nur einmal wöchentlich auf dem Programm, an den
6 übrigen Tagen dienen unter Heranziehung von Vegetabilien bereitete
Mehlspeisen als Vorspeise. Des Abends werden viermal wöchentlich
entweder reine Gemüsegänge oder mit Kohlehydratkost kombinierte
Gemüse oder Kerealien oder Kohlehydratkost allein als Hauptgang gegeben.
Salat (nicht mit Essig, sondern mit Zitrone und wenig Oel bereitet)
erscheint sowohl bei der Haupt- wie bei der Abendmahlzeit und hat bei
grossem Wassergehalt neben seiner durststillenden Wirkung seine Haupt¬
bedeutung als Spender der in den Vegetabilien enthaltenen Mineralsalze.
Einem ähnlichen Zwecke entsprechen die Radieschen, deren Genuss
aber bei Magendarmzuständen oder Verdacht auf Nierenaffektion in
grösserer Menge besser unterlassen wird.
Obst ist in frischem Zustande regelmässig nach der Abendmahlzeit,
in gekochtem bei der Hauptmahlzeit zu reichen. Doch wird sich hier
und da auch als Nebenmahlzeit (10 und 4 Uhr) namentlich während der
heissen Sommermonate Obst empfehlen. Kompott beim Frühstück (be¬
sonders Backpflaumen oder passiertes Obst, bes. Pflaumen) bewährt sich
oft als unschuldiges Mittel bei Obstipationen.
Hier seien wieder kurz die einzelnen Rationen, nach ihrem Nähr¬
wert umgerechnet, beispielsweise angegeben (s. nebenstehende Tabelle).
Bezüglich der mit Korpulenz kombinierten Fälle ist zu erwähnen,
dass es sich bei deren Diät natürlich in erster Linie um eine Einschränkung
der Kohlehydrate und Fette in der Ernährung handelt.
Praktisch werden also die kohlehydratreichsten Speisen (Mehl¬
speisen, Brot, Kartoffeln) sehr restringiert werden. Es wird für die
1) Aus Geschmacksgründen erfordern gewisse süsslich schmeckende Gemüse
(Karotten, Möhren, Süsskraut [Rohkraut], Kohl, Kohlrüben) einen Kochsalzzusatz von
Vioo — 'Im o Teilen des Rohgewichts; die übrigen Gemüse viel weniger oder gar nichts.
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Ueber die diätetisohe Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 109
Tabelle II.
Beispielsweise Angabe von Gemüse- nnd Obst-Rationen für Erwachsene.
Gewicht
S 73
8 > o
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p rt
g
Wasser
in g
Unverwert-
w bare Nähr¬
stoffe
Eiweiss
g
Fett
g
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o
o
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g
Kalorien
roh
g
fertig
g
Spargel . .
_
100
30
91,6
1,0
1,7
3,0
2,1
0,04
43
Bohnen . .
—
100
—
95,3
0,5
0,6
1,0
1,9
0,09
20
Kohl . . .
75
—
12,0
69,0
0,6
0,9
0,2
4,4
0,15
24
Karotten . .
100
—
20,0
88,2
1,0
0,7
0,4
8,9
0,06
44
Blumenkohl.
—
100
—
92,3
0,7
1,3
0,5
4,7
0,10
30
Erbsen . .
—
50
—
37,8
1,3
2,6
0,9
7,2
0,028
54
Kartoffel . .
—
100
—
75,5
1,7
1,9
°,1
20,0
0,016-0,078
91
Spinat . .
—
80
—
75,0
0,8
1,2
0,3
2,1
0,16
40
Kohlrüben .
100
—
30,0
69,6
0,8
1,0
0,2
7,8
0,072
39
Tomaten . .
50
—
—
47,2
0,2
0,4
0,2
1,9
0,11
11
Radieschen .
30
—
30,0
30,6
0,2
0,3
1,8
0,025
10
Aepfel . .
150
_
37,0
106,9 i
2,4
0,4
0,7
18,4
_
84
Kirschen . .
100
—
5,0
80,9
2,0
0,8
0,7
15,1
—
70
Trauben . .
150
—
37,0
115,4
3,6
1,6
2,1
26,3
—
129
Orangen . .
150
—
40,0
129,0
2,1
0,9
0,3
15,7
—
69
Pflaumen
150
—
9,0
119,6
3,1
1,0
—
25,6
—
108
meisten Fälle sich folgendes durchführen lassen: Süsse „Mehlspeisen“
sind ganz zu streichen, Kartoffeln ein- bis zweimal wöchentlich in kleinen
Mengen, Brot in Form von Toast oder Zwieback (20—40 g). Reis
täglich (30 g roh, d. i. 80 g gekocht). Fette Speisen werden gemieden,
Butter etwa 10—15 g des Morgens, fettreiche Käseformen werden nicht
gereicht. Bezüglich Fleisch und Gemüse tritt keine Aenderung gegenüber
den früher angegebenen Prinzipien ein (Gemüse aber ohne Mehlzusatz be¬
reitet). Tee oder Kaffee wird zuckerfrei gegeben. Ebenso geschieht die
Kompottbereitung ohne Zuckerzusatz. Wo bei dieser Diät sich Befriedi¬
gung des Durstgefühls oder Hungers nötig erweist, kann durch reichlichere
Bemessung von Salat, Kompott und Obst dem subjektiven Gefühl
Rechnung getragen werden. Auch bei dieser sogenannten „Korpulenten-
Diät“ hat man es in der Hand, mit ein oder zwei Glas Milch (ä 250 g)
das Niveau des Kohlehydrat-, Fet't- und Eiweissbudgets beliebig in leicht
übersichtlicher Weise einzustellen. Ein Glas Vollmilch (250 g) entspricht
217 g Wasser, 8 g Eiweiss, 9,5 Fett, 12,5 Kohlenhydrate (ist gleich
170 Kalorien Brennwert) (vgl. Tabelle III).
Bei dieser Diätform tritt aber nur dann eine beträchtlichere Ab¬
nahme des Körpergewichtes ein, wenn durch gleichzeitige
energische Körperbewegung für einen vermehrten Abbau gesorgt
wird. Bei Körperruhe führt diese Diät zu keiner wesentlichen oder zu
nur langsam fortschreitender Gewichtsabnahme. Man kann daher
bei Anstaltsbehandlung durch Dosierung aktiver und passiver Bewegung,
sowie anderer stoffwechselsteigernder Massnahmen (Terrainkuren, Mechano-
therapie, Zandern, Vibrationen, aktive und passive Atmungsgymnastik,
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110
V. HECHT,
Tabelle III.
Beispiel einer sog. „Korpnlenten-Diät“ (80 Kilo Körpergewicht).
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1,6
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100
25
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0,3
0,5
12,8
0,2
57
,
Spargel ....
100
—
91,6
1,0
1,7
3,0
2,1
0,6
43
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i (Keule frisch) /' *
150
21,4
105
■
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29,1
12,9
—
1,2
253
gl
Panierung \
f Semmelbrösel > *
1 u. Butter j * *
10
5
—
3,5
0,5
0,3
0,25
0,7
0,05
0,1
4,0
5,2
0,08
0,1
26
32
1 Reis. |
(30 roh)
75 gek.
—
54
0,9
1,8
0,07
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0,15
84
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Pfirsich-Kompott .
100
—
88
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0,5
0,1
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70
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—
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[ 2 Eier, gekocht . .
110
12,3
80
1,3
1,4
12
—
0,6
182
1377,6
82,35
70,37
123,7
1636
-1500
Wasser
Eiweiss
Fett
Kohle¬
hydrate
Kalor.
Bei nur 250 Milch pro Tag:
c. 1000
| 58,35
42,37
87,7
1126
Luft- und Sonnenbad), die bei Ueberernährung erwünschte Ab¬
magerung in langsamem oder beschleunigtem Tempo erzielen.
Kollapse, Zustände von Herzschwäche wurden bei dieser An¬
wendungsform, die bei jedem einzelnen je nach dem Allgemeinzustand
auf Grund eingehender Organuntersuchung genau zu bestimmen ist, nie
beobachtet. Eine Eiweissüberernährung wird auch bei dieser Diätform
gemieden; die geringen Mengen von absichtlich gereichten Kohlehydraten
und Fett sollen einem allzu starken Wärmeverlust, wie er z. B. namentlich
während der Luftbadkur eintritt, Vorbeugen. Jedenfalls hat diese Art
der „Abmagerungsdiät“ neben ihrer blutdruckerniedrigenden Wirkung eine
Dauerwirkung auf Gewichtserniedrigung, wenn insbesondere der Patient
auch nachher, d. h. nach der mehrwöchentlichen Anstaltsbehandlung,
wenigstens halbwegs nach den angegebenen Regeln zu leben sich bemüht.
Darin liegt entschieden ein Vorteil gegenüber anderen, oft radikal
wirkenden Kuren, nach denen aber rasch wieder der Status quo ante
eintritt, insbesondere bei Abmagerungskuren, die in Fleisch- und Eiweiss-
überernährung mit vollkommener Entziehung der Kohlehydrate besteht.
ad 4. Auf die Bedeutung der Flüssigkeitseinschränkung wurde
im theoretischen Teil hingewiesen. Obst, Kompott, der durststillende,
frische Salat werden neben den Gemüsen in so grosser Menge und
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 111
Mannigfaltigkeit in die Diät eingestellt, dass es bei dem Wassergehalt
dieser Speisen vollkommen überflüssig erscheint, während der Mahlzeiten
noch separat Flüssigkeiten zu reichen. Die Reizlosigkeit der Kost wirkt
gleichfalls durstvermindernd, insbesondere die relative Armut an Koch¬
salz, Gewürzen und Extraktivstoffen.
Selbst pathologische Durstarten, wie beim Diabetes, zeigen bei
reizloser Kost eine wesentliche spontane Einschränkung der Wasserzufuhr.
Zur Abendmahlzeit kann hier und da Limonade oder ein Glas Milch
(süss, sauer oder Yoghurt) gereicht werden. Bezüglich des Kaffees wird
man sich an den koffeinfreien Kaffee halten; den Tee lässt man durch
ganz kurzen Ueberguss kochenden Wassers auf das im Sieb befindliche
Kraut hersteilen, wobei ein leichtes, aromatisches Getränk entsteht
(japanische Art). Allzu grosse Hitze aller Getränke und Speisen ist
wegen eventuell eintretender Blutdruckschwankungen schon aus diesem
Grunde zu meiden.
Auf spezielle nähere Erörterung unserer Ernährung bei Diabetes,
Gicht usw. kann hier nicht näher eingegangen werden, da dies den Rahmen
unseres Themas überschreitet und einer Publikation an anderer Stelle
Vorbehalten bleibt.
ad 5. Die Kochsalzzufuhr ist auf ein Minimum eingeschränkt
und mir dort gestattet, wo sie entweder aus küchentechnischen Gründen
nötig ist oder als Geschmackskorrigens erforderlich erscheint (z. B. Eier).
Nach älteren Untersuchungen von Ambard und Benjard bringt Koch¬
salzzufuhr eine Steigerung des Blutdrucks, während nach Horner und
Löwenstein, Bittorf und Strauss dieselbe ohne Einfluss ist. Strauss
empfiehlt chlorarme Diät (bei latentem oder manifestem Hydrops, bei
Arteriosklerose und zur Verminderung des Durstgefühls).
ad 6. Der Alkoholgenuss ist im allgemeinen zu verbieten und
insbesondere dort ganz zu untersagen, wo er eine Rolle in der Aetiologie
der pathologischen Drucksteigerung spielt. Höchstens wird man bei
Patienten, die jahrzehntelang dem Abusus gefröhnt haben, hier und da
ein bis zwei Glas Wein gestatten, um Abstinenzerscheinungen vorzubeugen
(1—2 mal wöchentlich).
Es wurde von uns die Beobachtung gemacht, dass es bei dieser Art
von reizloser Diät selbst schweren Potatoren leicht fällt, dem Alhohol
zu entsagen; jedenfalls viel leichter als dem Nikotinabusus, bei dem doch
leicht Rückfälle eintreten.
Was die Art des Essens betrifft, so muss noch kurz darauf hin¬
gewiesen werden, dass auch auf die Einteilung der Mahlzeiten sowie
auf richtiges Kauen zu achten ist. Es werden ausser den beiden
Hauptmahlzeiten die drei Nebenmahlzeiten unbedingt einzuhalten sein.
„Grosse Esspausen lassen ausserdem ein quälendes Hungergefühl —
mitunter mit Schwächezuständen — aufkommen und verleiten oft zu
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112
V. HECHT,
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hastigem Essen mit mangelhaftem Kauen und zu Magenüberladungen bei
den Hauptmahlzeiten.“ (Strauss.) Die einfache Abendmahlzeit soll
etwa um 7 Uhr genommen werden und frugal sein, um Schlafstörungen
zu vermeiden, ln manchen Fällen von Schlafbeschwerden hat sich
allerdings bei Gefühl von „Magenleere“ ein vor dem Einschlafen ge¬
nossenes halbes Glas Milch oder etwas Cakes bewährt.
Es sei noch darauf hingewiesen, dass in speziellen Fällen, wo eine
Komplikation der Blutdrucksteigerung mitHerzmuskelinsuffizienz, Nephritis,
Diabetes vorliegt, besondere Sorgfalt auf die spezielle Diät gelegt
wird. Für arteriosklerotische Drucksteigerungen im hohen Alter
sind brüske Aenderungen der Kost im Interesse des subjektiven Befindens
möglichst zu vermeiden; hier genügt eine Einschränkung der Fleischkost,
eine Bevorzugung der vegetarischen Küche. „Man vermeide vor allem
Nahrungs- und Genussmittel, kohlensäurehaltige Getränke, die Meteorismus
hervorrufen können. Der Meteorismus führt zum Hochstand des Zwerchfells,
und zur Verdrängung des Herzens nach links.“ (Hirsch.) — Auf die
daraus resultierenden Beklemmungen und Atembeschwerden wurde schon
früher hingewiesen.
Wir wollen nicht verkennen, dass wesentlich mitunterstützend
bei der blutdruckerniedrigenden Wirkung der Diät auch die allgemeine,
sorgenlose Ruhe eines mehrwöchentlichen Sanatoriums¬
aufenthaltes anzurechnen ist.
Es handelt sich dabei weniger um die körperliche als um die
geistige Ruhe, das Fernhalten von aufregenden Momenten, insbesondere
des Geschäfts- und Familienlebens. Denn die Körperbewegung inner¬
halb der Kurzeit ist bei den meisten Patienten eine wesentlich
grössere, als sie sie bei ihrer sonstigen, in der Regel sitzenden Lebens¬
weise gewohnt sind. Der Einwand, dass die Körperruhe also bei der
beschriebenen Kur zur Blutdruckerniedrigung allein führt, ist demnach
zurückzuweisen. Werden doch z. B. die Patienten, bei denen Adipositas
neben der Hypertonie vorhanden ist — je nach dem Grad derselben —
angehalten, 3—5 Stunden am Tag in der Ebene oder leicht hügeligem
Terrain zu gehen. Ueberdies wird ja noch während der Zandergymnastik,
sowie bei dem hygienischen Turnen im Luftbad reichlich Körperbewegung
gemacht. Nur in sehr wenigen der angeführten Fälle hat sich die Ver¬
ordnung von „Liegekur“ (bei allgemeiner Körperschwäche oderNeurasthenie)
im Ausmass von 1—4 Stunden als notwendig erwiesen.
Wir konstatieren nun, dass alle die angeführten Fälle Patienten in
mehrwöchentlicher Anstaltsbehandlung betreffen. Fälle, die die angeführte
Diät unter den gewohnten sonstigen Verhältnissen ihres privaten Lebens
anwendeten, stehen unserer Beobachtung nicht in grösserer Zahl zur Ver¬
fügung. Dass körperliche Ruhe nicht die Blutdruckerniedrigung in unseren
Fällen veranlasste, wurde ja oben auseinandergelegt. Der Faktor der
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Ueber die diätetische Beeinflussung pathologischer Blutdrucksteigerungen. 113
psychischen Hohe und Sorglosigkeit, das Fernhalten äusserer, aufregender
Momente spielt sicher eine grosse, aber nicht allein ausschlaggebende
Rolle bei der Sanatoriumsbehandlung. Beweis hierfür bilden jene an¬
geführten Fälle, wo neben der Blutdruckerhöhung schwere Neurasthenie
und Hypochondrie vorhanden waren (vgl. Fall No. 700). Dass schwere
Neurastheniker oder Hypochonder in zwei bis drei Wochen nicht geheilt
oder wesentlich gebessert werden, ist ja selbstverständlich. Derartige
Patienten stehen aber bei ihrer Hypersensivität unter konstanten, aus
ihren körperlichen Zuständen hervorgehenden Angst- und Aufregungs¬
vorstellungen; und trotz dieser psychischen Unruhe wurde bei derartigen
Fällen ein deutliches Herabgehen der Hypertension beobachtet. —
Ehe ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen zusaramenfasse, sei
mir an dieser Stelle gestattet, Herrn Professor von Düring für das
fördernde Interesse, das er allezeit diesen Untersuchungen entgegen¬
gebracht hat, sowie für die zahlreichen Anregungen, die ich hierfür bei
dem Arbeiten unter seiner Leitung empfangen habe, meinen wärmsten
Dank auszusprechen.
Schlnssergebnisse.
1. Nach unseren Erfahrungen bewirkt eine eigenartige Lebensweise mit
besonderer Berücksichtigung der Diät in kurzer Zeit in allen Fällen
pathologischer Blutdruckerhöhung regelmässig eine Herabsetzung,
in vielen Fällen bis zur Norm.
2. Regelung der Diät und der allgemeinen Hygiene (physische und
psychische Ruhe) sind als die wichtigsten Faktoren in der Behand¬
lung der bei Erwachsenen im vorschreitenden Alter auftretenden Blut¬
drucksteigerungen, insbesondere der der manifesten Arteriosklerose
vorangehenden Hypertonie („Präsklerose“ Huchards) anzusehen.
3. Die Eigenart der Diät besteht einerseits in einer Beschränkung
der Fleisch-, Flüssigkeits-, Alkohol- Kochsalz- und Gewürz- y
zufuhr, andererseits in einer Bevorzugung frischer und eigen¬
artig aufgeschlossener Vegetabilien.
4. Als unterstützender Heilfaktor kommt eine Reihe von physi¬
kalischen Heilmethoden in Betracht.
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Arteriosklerose. Wiener klin. Wochenschr. 1909.
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IX.
Aus der med. Universitätsklinik Innsbruck (Vorstand: Prof. R. Schmidt).
Ueber das
Blutbild bei endemischem Kropf und seine Beeinfluss-
barkeit durch Schilddrüsen- und Joddarreichung.
Von
Dr. Julius Bauer, und cand. med. Josef Hinteregger,
Assistenten Hospitanten der Klinik.
Seitdem Caro 1 ) und insbesondere Kocher 2 3 ) auf eine charakteristische
Beschaffenheit des Blutbildes bei Morbus Basedowii und dessen un¬
vollkommenen Formen aufmerksam gemacht hatten, sind durch eine grosse
Reihe von Arbeiten die Resultate dieser Forscher bestätigt worden. Nach
Kocher ist das Blutbild des Basedow und seiner Formcs Trustes durch
zweierlei charakterisiert. Erstens durch eine Verminderung der absoluten
Zahl der weissen Blutkörperchen bis 5000 und darunter („Lcukanämie“),
die zustande kommt durch eine Abnahme der polynukleären neutrophilen
Leukozyten: neutrophilo Leukopenie. Zweitens durch eine relative
oder absolute Zunahme der Lymphozyten: relative oder absolute
Lymphozytose.
Die Lymphozytose ist nach der übereinstimmenden Ansicht der
zahlreichen Nachuntersucher in der Tat ein konstantes Vorkommnis bei
Morbus Basedowii [Caro 8 ), Gordon und v. Jagic 4 ;, di Giovine 5 ),
Kurloff 6 ), ßühler 7 ), Michailow 8 ), Brasch 9 ), Carpi 10 ), Käppis 11 ),
1) Caro, Berl. klin. Wochenschr. 1907. No. 17 und 190S. No. 39.
2) Kocher, Th., Arch. f. klin. Chir. 1908. Bd. 87.
3) 1. c.
4) Gordon u. v. Jagic, Wiener klin. Wochenschr. 1908. S. 1589.
5) di Giovine, Giorn. internat. delle scienze med. 1908. No. 21.
6) Kurloff, zit. nach Borchardt, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1912.
Bd. 106. H. 1 u. 2.
7) Bühl er, Münch, med. Wochenschr. 1910. S. 1001.
8) Michailow, zit. naoh Borchardt.
9) Brasch, zit. nach Borchardt.
10) Carpi, Berl. klin. Woohenschr. 1910. S. 2059.
11) Käppis, Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1910. Bd. 21. S. 729.
8 *
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116
JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
Kostlivy 1 ), Roth 2 ), Turin 8 ), van Lier 4 ), Marafion 6 ), Capelle und
Bayer 9 ), Sudeck 7 ), Belajew 8 ), Schridde 9 ), Determann 10 ), Collins
und Kaplan 11 ), Baruch 12 ), Starck 18 ), Rehn 14 ) Klose, Lampö und
Liesegang 16 ), Ledoux 16 ), Borchard 17 )]. Weniger konstant wird die
neutrophile Leukopenie bei Basedow bestätigt (vgl. z. B. Gordon und
v. Jagic, Buhler, Käppis, Klose, Lampd und Liesegang). Was
die übrigen Zeitformen der Leukozyten anlangt, so divergieren die An¬
gaben der Autoren vielfach. Gordon und v. Jagic, Roth und auch
Borchardt finden häufig auch die grossen Mononukleären und Uebergangs-
formen vermehrt, Zappert 18 ), Ciuffini 19 ) und Starck die eosinophilen
Leukozyten.
Kocher 20 ) schreibt nun dem Nachweis des von ihm beschriebenen
typischen Blutbildes eine ausserordentliche klinische Bedeutung zu, einer¬
seits diagnostisch, da dasselbe für Basedow und seine Formes frustes
charakteristisch sei, bei gewöhnlichen Kolloidstrumen aber fehle (Turin),
andererseits prognostisch, da sowohl die Schwere des Falles nach dem
Grade der absoluten Leukopenie beurteilt, als auch die postoperative
Rückkehr des Blutbildes zur Norm als Kriterium der Heilung angesehen
werden könne.
Diese Anschauungen sind allerdings nicht unwidersprochen geblieben.
Einmal hat es sich trotz der gegenteiligen Ergebnisse Garo’s an 6,
Turin’s an 14 Kolloidkröpfen gezeigt, dass auch gewöhnliche un¬
komplizierte Strumen nicht selten eine mehr minder ausgesprochene
Lymphozytose aufweisen. Käppis fand unter 12 Fällen dreimal leichte,
viermal hochgradige Lymphozytose, die auch nach der Operation be-
1) Kostlivy, Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1910. Bd. 21.
2) Roth, Deutsohe raed. Wochenschr. 1910. S. 258.
3) Turin, Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1910. Bd. 107. S. 343.
4) van Lier, Bruns’ Beiträge z. klin. Chir. 1910. Bd. 69. S. 201.
5) Marafion, zit. nach Borchardt.
6) Capelle und Bayer, Bruns’ Beiträge z. klin. Chir. 1911. Bd. 72. H. 1.
7) Sudeck, Deutsohe med. Wochenschr. 1911. S. 814.
8) Belajew, ref. Zeitschr. f. d.ges.Neur.u.Psyoh. 1912. Bd.4. H. 10. S. 1131.
9) Schridde, Deutsche med. Wochenschr. 1911. S. 1103.
10) Determann, ebenda.
11) Collins und Kaplan, Americ.Joum.ofthemed.society. 191 l.Vol.57. p.702.
12) Baruch, Bruns’ Beiträge z. klin. Chir. 1911. Bd. 75.
13) Starck, Deutsche med. Woohenschr. 1911. S. 2168.
14) Rehn, ebenda. S. 2177.
15) Klose, Lampl und Liesegang, Bruns’ Beiträge z. klin. Chir. 1912.
Bd. 77. S. 683.
16) Ledoui, zit. nach Borchardt.
17) Borchardt, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1912. Bd. 106. H. 1 u. 2.
18) Zappert, Zeitsohr. f. klin. Med. 1893. Bd. 23. S. 266.
19) Ciuffini, ref. Deutsche med. Woohenschr. 1906. No. 38.
20) Kocher, 1. c. und Arch. f. klin. Chir. Bd. 96. H. 2. S. 403. Ergehn, d.
Chir. u. Orthopäd. 1911. Bd. 3.
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Endemischer Kropf, seine Beeinflussbarkeit durch Schilddrüsen- u. Joddarreichung. 117
stehen blieb. Zweimal fand er auch eine Leukopenie. Charlotte
Müller 1 ) sah bei 59 von 100 untersuchten gewöhnlichen endemischen
Strumen eine oft sogar recht erhebliche Lymphozytose und häufig eine
Verminderung der polynukleären neutrophilen Leukozyten. Auch Krecke 2 3 ),
Kostlivy, Carpi, Belajew, Marafion und Borchardt betonen das
Vorkommen der gleichen ßlutveränderung bei Basedow und Struma
colloides und Mc. Carrison 8 ) hatte schon im Jahre 1906 bei endemischen
Kröpfen in Indien eine ganz regelmässige wesentliche Vermehrung der
lymphozytären Zellen im Blute nachgewiesen. Daneben fand dieser Autor
nicht selten eine Eosinophilie. Wenn auch von den genannten Forschern
vielfach quantitative Differenzen des Blutbildes zwischen Basedow und
Kolloidkropf zugegeben werden, so erfährt doch jedenfalls die diagnostische
Verwertbarkeit dieses Symptoms eine beträchtliche Einschränkung.
Ebenso steht es aber mit dem prognostischen Werte des Kocher-
schen Blutbildes. Während van Lier und auch Kostlivy im Einklang
mit Kocher die Prognose der Operation desto ungünstiger stellen, je
stärker die Lymphozytose resp. je grösser das Missverhältnis zwischen
Lymphozytose und Leukopenie ist, halten Klose, Lampö und Liese-
gang diese prognostische Verwertbarkeit des Blutbefundes nicht für
sichergestellt und Belajew legt dem Blutbefund keine prognostische
Bedeutung bei. Im strikten Gegensatz zu' Kocher und van Lier
kommen schliesslich Klose, Lampö und Liesegang zu dem Resultate,
dass durch interne wie operative Behandlung des Morbus Basedowii das
Blutbild nicht oder nur gering im Sinne einer Besserung geändert wird.
Es erscheine völlig ungerechtfertigt, das Verschwinden der Lymphozytose
als Kriterium für die Heilung anzusehen. Aehnliche Befunde hatten
übrigens auch Sudeck und Baruch erhoben. Diese Feststellung führte
Klose, Lampö und Liesegang zu der prinzipiell wichtigen Annahme,
dass das lymphozytäre Blutbild, nicht wie Caro und Kocher glauben,
direkt von der Schilddrüse, sondern von einem anderen Organ* (dem
Thymus) abhängig sei. Doch soll auf diese Frage vorläufig nicht weiter
eingegangen werden.
Unsere Untersuchungen sind an Tiroler endemischen Kröpfen aus¬
geführt worden. Es handelte sich um Individuen, die wegen differenter
geringfügiger anderweitiger Beschwerden die medizinische Klinik auf¬
gesucht hatten, zum Teil auch um Patienten, die uns von der chirurgischen
Klinik (Prof, von Hab er er) vor der Operation in liebenswürdigster
Weise zur Verfügung gestellt worden waren. Es bedarf kaum der Er¬
wähnung, dass die Blutuntersuchungen unter den üblichen Kautelen (Ver¬
dauungsleukozytose, fieberhafte Erkrankungen u. ä.) ausgoführt wurden.
1) Müller, Ch., Med. Klin. 1910. No. 34.
2) Kreoke, Münch, med. Wochenschr. 1909. No. 1.
3) Mac Carrison, The Lancet. 1906. Vol. 2. p. 1570.
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118
JULIUS BA.UER und JOSEF HINTEREGGER,
Der erste Blutbefund wurde stets an unvorbehandelten Patienten erhoben.
Die Differentialzählung der Leukozyten wurde an Leishman-Präparaten
vorgenommen. Wir zählten grosse Lymphozyten, grosse Mononukleäre
und Uebergangsformen zusammen, da eine Differenzierung dieser Zell¬
formen für unsere Zwecke überflüssig schien.
In der am Schluss der Arbeit angefügten Tabelle sind die ersten
44 Fälle mit Ausnahme von Fall 8 (Myxödem forme fruste) durchwegs
endemische Kröpfe von verschiedener Grösse und Beschaffenheit. Die
nachfolgenden letzten 6 Fälle (I—VI) sind keine Strumen und wurden
daher auch nicht in der Reihe weiternummeriert.
Wenn wir zunächst das leukozytäre Blutbild der 43 Kröpfe über¬
blicken, so ergibt sich, dass die absolute Leukozytenzahl in 7 Fällen
10 000 überschreitet, dass also in diesen 7 Fällen eine Leukozytose
vorliegt, dass ferner in 10 Fällen die absolute Leukozytenzahl unter 6000,
in 5 von diesen Fällen sogar unter 5000 gesunken ist, dass in diesen
10 Fällen also eine Leukopenie besteht. 6000 nimmt auch Borchardt
als Grenzwert für eine Leukopenie an.
Wenn wir von 65 pCt. abwärts eine relative, von 4500 abwärts eine
absolute, neutrophile, polynukleäre Leukopenie annehmen — nach Sahli
liegen die normalen Werte bei 70—72 pCt., bzw. zwischen 4900 und
5040 —, so konnten wir in 29 von den untersuchten 43 Fällen eine
relative, in 21 eine absolute, neutrophile, polynukleäre Leuko¬
penie feststellen. Dabei liegen die relativen Werte der Polynukleären
in 5 Fällen unter 45 pCt., in einem Falle zwischen 50 und 45 pCt., in
5 Fällen zwischen 55 und 50 pCt., in 8 Fällen zwischen 60 und 55 pCt.
und in den übrigen 10 Fällen zwischen 65 und 60 pCt. Die absoluten
Zahlen der Polynukleären liegen in 5 Fällen unter 3000, in 7 Fällen
zwischen 3500 und 3000, in 5 Fällen zwischen 4000 und 3500 und
schliesslich in den übrigen 4 Fällen zwischen 4500 und 4000.
Wenn wir den Grenzwert für eine relative Lymphozytose bei 25 pCt.,
für eine absolute bei 2000 festsetzen — dabei zählen wir im Gegensatz
zu einer Reihe von Autoren nur die kleinen Lymphozyten — so ergibt
sich in 33 von den 43 Fällen eine relative, in 22 auch eine absolute
Lymphozytose. In einem Falle betragen hierbei die Lymphozyten
über 45 pCt., in 4 Fällen zwischen 40 und 45 pCt., in 6 Fällen zwischen
35 und 40 pCt., in 10 Fällen zwischen 30 und 35 pCt. und in 12 Fällen
schliesslich zwischen 25 und 30 pCt. Die absoluten Lymphozytenzahlen
liegen in einem Falle über 4000, in 3 Fällen zwischen 3500 und 4000,
in 5 Fällen zwischen 3000 und 3500, in 3 Fällen zwischen 2500 und
3000 und endlich in 10 Fällen zwischen 2000 und 2500.
Wenn wir eine „Mononukleose“ von 10 pCt. der Summe der
grossen Lymphozyten, grossen Mononukleären und Uebergangsformen
aufwärts annehmen, so liegt eine solche in 9 Fällen vor. Eine Ver-
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Endemischer Kropf, seineBeeinflussbarkeit durch Schilddrüsen-u. Joddarreichung. 119
raehrung der Eosinophilen über 5 pCt. ist in 4 Fällen, eine Ver¬
mehrung der Mastzellen über 0,5 pCt. in 2 Fällen vermerkt.
Wir bestätigen somit die Angaben der oben zitierten Autoren gegen¬
über Caro, Turin und vor allem Kocher, indem auch wir zu dem
Schluss kommen, dass das Kochersche Blutbild nicht für
Basedow und seine unvollkommenen Formen spezifisch ist,
sondern ausserordentlich häufig auch bei gewöhnlichen
Kröpfen vorkommt.
Kocher äusserte sich zu den seinerzeit schon vorliegenden Unter¬
suchungen folgeiidermassen: Man hat dieselben Veränderungen des Blut¬
bildes wie bei Basedow auch bei gewöhnlichen Kröpfen finden wollen.
Das will gar nichts besagen, wenn nicht darauf geprüft wurde, ob der
Kropf mit Hyper- oder Hypothyreoidismus einherging und wenn nicht
der histologische Befund erhoben wurde 1 ).
Angenommen, es wäre möglich, hyper- und hypothyreotische Kröpfe
mit einer gewissen Sicherheit auseinanderzuhalten oder aus dem histologischen
Befund bindende Schlüsse auf den Funktionszustand der Schilddrüse zu
ziehen, so würde dies dennoch an der Sachlage nichts ändern, da be¬
kanntlich bei Myxödem ganz analoge Veränderungen des leukozytären Blut¬
bildes Vorkommen wie bei Basedow [Esser 2 ), Fonio 8 ), Borchardt u. a.].
Dass aber hyper- und hypothyreotische Kröpfe im Sinne Kocher’s
klinisch durchaus nicht immer auseinandergehalten werden können, konnte
von dem einen von uns 4 ) bereits dargelegt werden. Bestehen ja häufig
bei den endemischen Kröpfen die verschiedensten Kombinationen der
„hyperthyreotischen“ und „hypothyreotischen“ Symptome an ein- und
demselben Individuum nebeneinander. Uebrigens unterscheiden sich nicht
einmal jene Fälle, welche im Sinne Kocher’s noch am ehesten als
Hyperthyreosen aufgefasst werden könnten (Tremor, Tachykardie,
Schweisse, Gräfe, Dalrymple usw.) von den mehr torpiden, wenig
toxischen Kröpfen durch ein quantitativ stärker ausgeprägtes typisches
Blutbild; in einzelnen der erstgenannten Fälle wurde sogar der typische
Blutbefund gänzlich vermisst (vgl. Fall 12 und 15).
Als ein Mittel, um hyper- -von hypothyreotischen Zuständen zu
differenzieren, kann nach Kocher und auch Falta, Newburgh und
• 1) Nachtrag in der Korrektur: In allerletzter Zeit nimmt nun Kocher
(A. Kocher, Deutscher Kongress f. Chirurgie, 1912; Th. Kocher, Deutsche med.
Wochenschr., 1912, Nr. 27 u. 28) einen abweichenden Standpunkt ein, indem er das
Vorkommen des „Basedowblutbildes“ bei gewöhnlichen Strumen zugibt, jedoch hinzu-
fiigt, dass diese Blutveränderung stets eine Unterfunktion der Schilddrüse anzeige,
da sie unter Schilddrüscndarreichung zurückgehe.
2) Esser, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1907. Bd. 89. S. 576.
3) Fonio, Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1911. Bd. 24. 11. 1.
4) Bauer, 29. Kong. f. inn. Med. Wiesbaden 1912. Deutsche med. Wochenschr.
1912. (Im Druck.)
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120
JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
Nobel 1 ) die Verabreichung von Schilddrüsenpräparaten dienen. Die
Lymphozytose resp. Mononukleose des Hyperthyreoidismus wird unter
Schilddrüsendarreichung noch stärker, diejenige des Hypothyreoidismus
nimmt dagegen unter diesen Umständen ab, das Blutbild nähert sich der
Norm [Esser, Fonio 2 )].
Unsere diesbezüglichen Untersuchungen ergaben keine Bestätigung
dieser „Regel“, wie sich aus der beigefügten Tabelle ergibt.
Wir verabreichten in der Regel 3 Thyroid-gland-tabloids ä 0,3 g
(Burroughs, Wellcome Co.) pro Tag, meist 3 Tage hindurch und 1 Tablette
am 4. Morgen, nicht selten gaben wir das Thyreoideapräparat auch
länger. Jod wurde stets als Natrium jodatum 5,0 auf Aqua destill. 150,0
3 Esslöffel täglich verordnet. Die Jodversuche wollen wir jedoch vorderhand
übergehen.
Vor allem zeigte es sich, dass bei der Wiederholung des gleichen
Versuches an ein- und demselben Individuum nicht immer die gleiche
Reaktion des Leukozytenapparates eintrat. So reagierte z. B. Fall 3 das
erstemal mit starker absoluter Leukozytose bei abnehmenden Lymphozyten,
das zweitemal auf die gleiche Quantität Thyreoidin in derselben Zeit mit
Abnahme nicht nur der Lymphozyten, sondern auch der polynukleären
Leukozyten. Schon diese Tatsache stellt die diagnostische Verwertbarkeit
der Schilddrüsendarreichung zur Differenzierung der Hyper- und Hypo¬
funktion der Schilddrüse sehr in Frage.
Wenn wir die Thyreoidin fütterungsversuche resümieren, so ergibt
sich, dass in 13 Versuchen an 11 Personen die absolute Lymphozyten¬
zahl unter der Thyreoidindarreichung abnahm, dabei nahm 9 mal auch
die Zahl der polynukleären neutrophilen Leukozyten ab, 4 mal nahm sie
zu, dabei 2mal um so beträchtliche Werte, dass trotz der Abnahme der
Lymphozyten eine erhebliche absolute Zunahme der Gesamtleukozytenzahl
resultierte (Fall 3 und 10). In jenen 9 Fällen, wo sowohl Lymphozyten
als auch polynukleäre neutrophile Leukozyten abnahmen, resultierte dann
3mal eine relative Lymphopenie, 2mal eine relative Lymphozytose.
3 mal wurde gleichzeitig eine Vermehrung der grossen Lymphozyten,
Mononukleären und Uobergangsformen, einmal eine Verminderung derselben
konstatiert.
Eine Zunahme der Lymphozyten trat in 7 Fällen ein, 2 mal nahmen
die Polynukleären dabei gleichfalls zu, viermal nahmen sie ab. In einem
Falle nahmen sie zuerst zu, dann ab (Fall 8). In den 3 Fällen, wo
auch die Polynukleären zugenomraen haben, resultiert 2 mal eine relative
1) Falta, Newburgh und Nobel, Zeitschr. f. klin. Med. 1911. Bd. 72.
2) Nachtrag in der Korrektur: W. Stähelin (Med. Klinik, 1912, Nr. 24,
S. 994) findet eine Reduktion der Gesamtleukozytenzahl unter Thyreoidinbehandlung
bei vorher normalem Blutbild. Dabei nehmen die Lymphozyten, mitunter auch die
grossen Mononukleären, Eosinophilen und Mastzellen zu.
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Endemischer Kropf, seine Beeinflussbarkeit durch Schilddrüsen* u. Joddarreichung. 121
Lymphopenie, einmal eine relative Lymphozytose. Dort, wo bei zu¬
nehmender Lymphozytose die Polynukleären abnehmen, überwiegt trotz
der ganz regelmässig gleichzeitig erfolgenden Zunahme der grossen
Mononukleären und Uebergangsformen die Abnahme der Polynukleären,
so dass eine absolute Leukopenie die Folge ist. Es scheint, als ob
zunächst eine Vermehrung, dann eine Verminderung der polynukleären
neutrophilen Leukozyten unter der Schilddrüsendarreichung erfolgen würde
(vgl. Fall 1 und 8). Eine relative Vermehrung der neutrophilen Zellen
als „paradoxe Wirkung“ aufzufassen (Falta, Newburgh und Nobel),
geht wohl nicht an.
Von Wichtigkeit erscheint es nun, das klinische Zustandsbild jener
Individuen, deren absolute Lymphozytenzahl unter Schilddrüsendarreichung
zunahm, mit dem Zustandsbild der Individuen zu vergleichen, welche mit
Abnahme der Lymphozyten reagierten. Von den 7 Fällen ersterer Kategorie
konnte man allenfalls 5 im Sinne Koch er’s als Hyperthyreosen, besser
als toxische Kröpfe gelten lassen (Fälle 13—17), im Falle 8 handelte
es sich aber um ein Individuum mit Myxödem fruste ohne deutlich
nachweisbare Schilddrüse. Ein Fall von Myxödem, dessen Lymphozytose
unter Thyreoidinfütterung zunahm, findet sich übrigens auch unter den
Versuchsprotokollen Turin’s. Auch Fonio’s Myxödem reagierte einmal
auf Darreichung eines Schilddrüsenpräparates mit Verminderung der
Prozentualzahl der Polynukleären und Vermehrung jener der Lymphozyten.
Fonio vermutet hier eine momentane Insuffizienz des Knochenmarks
nach einer allzustarken Reizung desselben im vorhergehenden Versuch
durch ein sehr jodhaltiges Präparat. Unter jenen Fällen, welche dem¬
gegenüber mit einer Abnahme der Lymphozyten reagierten (Fälle 1—11),
finden wir jedoch gleichfalls die Symptome, welche einer Thyreotoxiko.se
zugeschrieben zu werden pflegen, wie weite Lidspalten, Glanzaugen, Gräfo-
sches, Dalrymplc’sches, Möbius’sches Symptom, Haarausfall, Diarrhoen,
Schweisse, Tremor. Es ergibt sich daraus, dass sich aus der
Reaktion des leukozytären Blutbildes auf Schilddrüsen¬
darreichung eine Schlussfolgerung auf den Funktionszustand
der Schilddrüse bei endemischem Kropf nicht ziehen lässt.
Dieses Ergebnis bestätigt die von dem einen von uns 1 ) schon dar¬
gelegte Anschauung, dass eine Einteilung der endemischen Kröpfe
in hypo- und hyperthyreotische im Sinne Kocher’s nicht all¬
gemein durchführbar ist und deutet darauf hin, dass eine qualitative
Funktionsstörung der Schilddrüse (Dystbyreose) der weitaus
überwiegenden Mehrzahl der endemischen Kröpfe zugrunde
liegt, die einerseits zu toxischen Effekten, andererseits zu
Ausfallserscheinungen infolge mangelnden normalen Schild¬
drüsensekretes im Organismus führt.
1) Bauer, J., 1. c.
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122 JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
Fonio 1 ) kam bei seinen Untersuchungen an zwei Fällen von Myxödem
zu dem Resultat, dass die Verschiebung der Prozentzahlen der poly¬
nukleären neutrophilen Leukozyten und der Lymphozyten gegen das
normale Blutbild hin parallel geht mit dem Jodgehalt der verabreichten
Schilddrüsenpräparate. Ueber die Einwirkung von anorganischem Jod
auf das Blutbild scheint nun unseres Wissens bisher wenig bekannt zu
sein. Nur Wilkinson 2 ) gibt an, dass subkutane Injektionen von Jod¬
kali ebenso wie Pilokarpin, Atropin, Digitalin, Karbolsäure, Terpentin u. a.
zu Verminderung der Leukozyten führen, die dann von einer viel
deutlicheren Vermehrung gefolgt wird. Hierbei sollen die Polynukleären
relativ stärker vermehrt sein als die Mononukleären.
Unsere Untersuchungen über die Beeinflussung des Blutbildes Kropfiger
durch anorganisches Jod (meist 7 Tage hindurch 3 Esslöffel NaJ 5 : 150)
zeigen vor allem, dass die Wirkung des Jods nicht immer der des
Schilddrüsenpräparates gleichsinnig ist. So war im Falle 16 eine
absolute und relative Zunahme der Lymphozyten und Abnahme der
polynukleären neutrophilen Leukozyten unter Schilddrüsendarreichung
eingetreten, während das anorganische Jod ein rapides Absinken der
Lymphozyten und eine starke Zunahme der Polynukleären zur Folge hatte.
Bei 16 Versuchen, die wir an 14 kröpfigen Individuen Vornahmen,
trat 9mal eine Abnahme der Lymphozyten, 7mal eine Zunahme derselben
ein. Von den ersteren 9 Fällen mit abnehmenden Lymphozyten betraf
die Abnahme 4mal auch die grossen Lymphozyten, Mononukleären und
Uebergangsformen sowie die Eosinophilen, während diese Zellarten ebenso
oft vermehrt waren. Die Polynukleären scheinen, wie sich z. B. aus dem
Falle 20 deutlich ergibt, zunächst anzusteigen, dann abzunehmen. Nach
7 Tagen sind die Polynukleären in 5 Versuchen noch vermehrt, in 4 Ver¬
suchen bereits vermindert. Dass die Veränderung des Blutbildes auch
tatsächlich mit der Jodzufuhr in ursächlichem Zusammenhang steht,
ergibt sich besonders deutlich aus dem Falle 9, in welchem 10 Tage
nach Aussetzen des Jods der Blutbefund genau dieselben Werte ergab
wie vor der Jodmedikation.
Von den 7 Versuchen, in welchen wir eine Vermehrung der Lympho¬
zyten infolge der Joddarreichung beobachteten, wurden 3 unmittelbar
nach einer Thyreoidinkur angestellt, welche in 2 Fällen eine Abnahme
der Lymphozyten verursacht hatte (Fall 3 und 7). Es scheint in diesen
Fällon trotz der Jod Wirkung das durch das Thyrcoidin beeinflusste Blut¬
bild die Tendenz zu haben, zu den Ursprungswerten zurückzukehren.
Jedenfalls zeigen auch diese Fälle, dass, wie wir das schon oben hervor¬
gehoben haben, die Jodwirkung der Thyreoidinwirkung nicht immer
gleichsinnig ist. Bei den übrigen Fällen, in welchen die Jodzufuhr keine
1) 1. c.
2) Wilkinson, G., British med. Journ. 1896. Vol. 2. p. 836.
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Endemischer Kropf, seine Beoinflussbarkeit durch Schilddrüsen-u. Joddarreichung. 123
Abnahme, sondern sogar eine leichte Zunahme der Lymphozyten zur
Folge hatte, sind vielleicht die auffallend hohen Werte der grossen
Lymphozyten, Mononukleären und Uebergangsformen bemerkenswert
(Fall 18, 19, 21). Ein irgendwie plausibler Grund für das differente
Verhalten dieser Individuen lässt sich nicht anführen. Auch die Jod¬
versuche an nicht strumösen Patienten (Fälle I—V) gaben hierüber keinen
Aufschluss. In 2 Fällen war auch hier eine Abnahme der Lymphozyten,
in den übrigen 3 Fällen dagegen eine Zunahme derselben zu konstatieren.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass dem Jod eine direkte
Wirkung auf das lymphatische System zukommt, wenn man sich
der bekannten Volunfsverminderung skrophulöser und anderweitiger Drüsen¬
schwellungen unter Jodeinfluss erinnert. Dass daneben die durch das Jod
bedingte Funktionsänderung der Schilddrüse eine Veränderung des Blutbildes
mitbedingt, soll durchaus nicht geleugnet werden. Vielleicht ist gerade
in der differenten Ansprechbarkeit einerseits des lymphatischen Apparates,
andererseits der Schilddrüse auf Jod, ferner in dem verschiedenen
Fonktionszustand der letzteren der Grund für die wechselnde Wirkung
des anorganischen Jods auf die Lymphozytenzahl zu suchen.
Besonders hervorgehoben zu werden verdient noch einerseits die
mitunter beobachtete Vermehrung der Mastzellen und anderer¬
seits das Auftreten von Myelozyten unter Jodeinwirkung.
Eine auffallende Vermehrung der Mastzellen unter dem Jodeinfluss
wurde in den Fällen 10, 18, 21 und insbesondere IV konstatiert. Im
Falle IV (Chlorose) wurde unter der Jodwirkung ein Mastzellenwert von
3,4 pCt. erreicht. Eine geringe Vermehrung der Mastzellen findet sich
übrigens auch nach Thyreoidin mitunter vermerkt.
Myelozyten sahen wir nach Joddarreichung im Falle 18 und V.
Durch diese Beobachtung veranlasst, suchten wir Myelozyten auch bei
anderen Patienten, die sich einer längeren Jodkur unterzogen hatten und
fanden dieselben einigemal. Offenbar kommt dem Jod eine Reiz¬
wirkung auf das Knochenmark zu, die sich zunächst in einer
stärkeren Ausschwemmung reifer, polynukleärer, neutrophiler
Leukozyten, nach Erschöpfung des Vorrates im Knochenmark
aber in einer Abnahme der neutrophilen Leukozytenzahl und
dann eventuell Ausschwemmung unreifer Formen äussert. Eine
Reizwirkung des Jods auf das Knochenmark wird ja auch von Fon io
angenommen.
Wenden wir uns nunmehr der Ursache der Blutveränderung bei
endemischem Kropf zu. Wir haben bereits oben erwähnt, dass Klose,
Lampö und Liesegang auf Grund des von ihnen erhobenen Befundes,
dass die Lymphozytose der Basedowiker nach der Operation nicht ver¬
schwindet, zu der Anschauung gelangten, dass das lymphatische Blut¬
bild, nicht wie es Caro, Kocher und Turin annahmen, direkt auf eine
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124
JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
Einwirkung des in abnormer Mengo produzierten Schilddrüsensekretes
zurückgeführt werden könne, sondern dass es von einem anderen Organ
abhängig sein müsse. Klose, Lampe und Liesegang sind der An¬
schauung, dass das Produkt der dysfunktionierenden Schilddrüse, das
„Basedowjodin“ die interstitielle Substanz der Keimdrüsen schädigt.
Dementsprechend treffe man bei Basedow nicht selten den klinischen und
histologischen Befund einer Genitalatrophie an. Infolge des Ausfalls oder
der Reduktion des inneren Sekretes der Geschlechtsdrüsen komme es zu
einer Reviviszenz, zu einer Hyperplasie des Thymus. Von dem Thymus
aber sei die Lymphozytose abhängig. Dies würde durch folgende Tat¬
sache erwiesen. Während sich durch einmalige oder wiederholte intravenöse
Injektion von Basedowstrumapressaft oder gewöhnlichem Strumapressaft
sowie durch Injektion von Jodalkalien keine einwandfreie Lymphozytose
erzeugen lasse, trete nach Injektion von Thymuspressaft, insbesondere
bei oväriektomierten Tieren eine ideale experimentelle Lymphozytose auf.
Bei oväriektomierten Hündinnen entstehe auch spontan in kurzer Zeit
eine Lymphozytose. Capelle und Bayer 1 ) sahen bei einer Patientin mit
Basedow und hyperplastischem Thymus nach Thyraektomie die Lympho¬
zytose von 39,3 pCt. verschwinden und Klose, Lampö und Liesegang
fanden bei 3 Kindern, die wegen Thyraushyperplasie operiert wurden,
eine absolute Abnahme der Lymphozyten nach der Thymusresektion.
Wenn auch die Theorie von Klose, Lampö und Liesegang in einer
für eine solche denkbar exaktesten Weise gestützt erscheint, so muss ihr
gegenüber doch die wichtige Feststellung Borchardts angeführt werden,
dass eine Verminderung der Neutrophilen und Vermehrung der ein¬
kernigen Zellen nicht nur nicht für Basedow charakteristisch ist, sondern
ganz auffallend häufig bei den verschiedensten Erkrankungen der Drüsen
mit innerer Sekretion angetroffen wird, wie Myxödem, Struma colloides,
Hypophysentumoren, Erkrankungen der Nebennieren 2 ). In diesen Fällen
wäre der Weg über Hypoovarie und Thymushyperplasie wohl erst zu er¬
weisen. Borchardt führt nun die Lymphozytose der ßlutdrüsen-
erkrankungen ganz allgemein auf einen Status thymicolymphaticus zurück,
eine Anschauung, die wir für die Lymphozytose der endemischen Kröpfe
am diesjährigen Kongress für innere Medizin bereits ausgesprochen haben,
die übrigens auch Roth vorschwebte. Konnte ja von dem einen von
uns gezeigt werden, dass Stigmen einer allgemein degenerativen hypo¬
plastischen Konstitution ganz auffallend häufig bei endemischen Kröpfen
anzutreffen sind. Inzwischen weist nun auch Borchardt darauf hin,
dass die klinischen und anatomischen Zeichen von Status thymico¬
lymphaticus in sehr vielen Fällen von Schilddrüsen-, Hypophysen- und
Nebennierenerkrankungen festgestellt wurden. Als Beleg dafür, dass das
1 ) 1. o.
2) Nachtrag in der Korrektur: Diese Tatsache wird in jüngster Zeit auch
von Falta bestätigt (Deutsches Arch. f. klin. Med., 1912, Bd. 107, H. 1).
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Endemischer Kropf, seine Beeinflussbarkeit dnroh Schilddrüsen- u. Joddarreichung. 125
Koch ersehe Blutbild durchaus nicht für Schilddrüsonerkrankungen
charakteristisch ist, sondern vielmehr, wie Borchardt annimmt, bei
Blutdrüsenalterationen verschiedenster Art vorkommt und als Ausdruck
einos Status hypoplasticus anzusehen ist, möge hier noch auf die in der
Tabelle zum Schluss angeführten Fälle ohne Kropf (I—VI) verwiesen
sein, von denen 3 zweifellose Blutdrüsenerkrankungen betreffen (Fall II,
IV und VI). 5 von den 6 Fällen zeigen gleichfalls mehr oder minder
ausgesprochen das Koch ersehe Blutbild. Bei den kürzlich von
R. Schmidt 1 ) beschriebenen Fällen von „konstitutioneller Achylie“
findet sich ja gleichfalls häufig Lymphämie als Ausdruck eines Status
lymphaticus.
Nach Borchardt entwickeln sich die Erscheinungen des Status
thymicolymphaticus bzw. der hypoplastischen Konstitution (Borchardt
verwendet beide Termini promiscue) meistens erst im Verlaufe der Er¬
krankung, sie bedeuten demnach auch gar keine Konstitutionsanomalie,
sondern sind ein erworbener Zustand. Borchardt übersieht aber, dass
er mit dieser Auffassung nur eine Unbekannte (wie ist die Lymphozytose
zu erklären?) ^lurch eine andere (wie ist das Auftreten des Status
thymicolymphaticus zu erklären?) ersetzt hat, wenn er im Status
thymicolymphaticus keine kongenitale Konstitutionsanomalie erblickt.
Andererseits wird man nicht leugnen können, dass gewisse bei endemischen
Kröpfen sehr häufig vorkommende hypoplastische Stigmen 2 3 ) wie Lingua
plicata (seu scrotalis), Asymmetrie des Rachens, steiler Gaumen,
exzentrische Pupillen, auffallend kleine oder entrundete Corneae, Pigment¬
flecke in der Iris, angewachsene Ohrläppchen, Tubercula Darwini, Ueber-
streckbarkeit in den Metakarpophalangealgelenken, Synophris u. ä. an¬
geborene Konstitutionsanomalien darstellen.
Wir möchten daher eher zu der Annahme hinneigen, dass es sich
bei den endemischen Kröpfen und offenbar auch bei den anderen Er¬
krankungen der Blutdrüsen um einen Status hypoplasticus im Sinne einer
weithin reichenden kongenitalen Konstitutionsanomalie handelt, in welcher
Konstitutionsanomalie als abnorm labiler Einstellung des Blutdrüsen¬
systems gerade die Disposition für die Blutdrüsenerkrankung zu suchen
ist. Der Status hypoplasticus muss nicht a priori mit einer Lympho¬
zytose einhergehen, sondern er involviert lediglich die Tendenz des
hämatopoetischen Systems auf irgendwelche Gleichgewichtsstörungen im
Organismus ebenso wie auf exogene Reize mit einer Lymphozytose zu
reagieren [vgl. v. Neusser 8 )]. Kommt es bei so einem Individuum zu
einer Erkrankung des Blutdrüsensystems — schliesslich führt ja jede
Funktionsstörung einer einzelnen Blutdrüse zu einer Veränderung im
1) R. Schmidt, Med. Klinik. 1912. Nr. 15.
2) vgl. Bauer, 1. c.
3) v. Neusser, Zur Diagnose des Status thymicolymphaticus. Wien 1911.
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126
JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
ganzen System, zu einer „Perturbatio glandularum“, wenn wir diese
Störung der Wechselwirkung, der Zusammenarbeit, die veränderte Ein¬
stellung des gesamten Systems so bezeichnen dürfen —, dann kommt
auch die Lymphozytose zum Vorschein. Wenn aber in solchen Fällen
die hyperplastischen Erscheinungen des Thymus sowie die regressiven des
Genitales erst im späteren Leben entstanden sind, so sind sie wohl nicht,
wie Borchardt ausführt, als Ausdruck eines Status hypoplasticus,
sondern als Folge der Perturbatio glandularum, der gestörten Wechsel¬
beziehungen im Blutdrüsensystem aufzufassen. „Erworbener Status
hypoplasticus“ bedeutet ja in einem gewissen Sinne eine Contradictio
in adjecto. Schliesslich wäre es auch nicht a limine abzulehnen, wollte
man das lymphatische System gleichfalls als Bormonorgan, als Blutdrüsc
auffassen [Kraus und Friedcnthal 1 ), Shurly 2 )] und für seine Hyper¬
funktion gleichfalls die Perturbatio glandularum verantwortlich machen.
Zum Schluss noch einige Worte über die Erythrozyten und den
Hämoglobingehalt des Blutes bei den Tiroler endemischen Kröpfen. Es
muss wohl gleich beim ersten Blick auflallen, dass sich ^ie Werte der
Erythrozyten durchwegs an der oberen Grenze des Normalen
halten, nicht selten aber auch darüber hinausgehen. Der
Hämoglobingehalt (nach Fleischl bestimmt) ist im Verhältnis zu der
Polyglobulie stets herabgesetzt, wenn auch in der Regel keine besonders
niederen Werte gefunden werden. Unter 22 untersuchten Fällen von
endemischem Kropf hatten 4 Fälle über 6 000 000 Erythrozyten im
emm, 7 Fälle über 5 000 000, 7 Fälle zwischen 4 500 000 und 5 000 000
und nur 4 Fälle unter 4 500 000. Bemerkenswert ist, dass mit Aus¬
nahme eines einzigen Falles (Fall 30) alle weiblichen Geschlechts waren,
bei dem bekanntlich die Erythrozytenzahl im allgemeinen niedriger ist
als beim Mann. Die 3 Fälle, bei welchen die Hämoglobinwerte ganz
besonders niedrige waren (Fall 5, 10 und 44) unterscheiden sich auch
klinisch von den übrigen (Chlorose, Myoma uteri).
Wenn wir nun der Frage nachgehen, ob und in welchem Zusammen¬
hang diese Beschaffenheit des „roten“ Blutbildes mit einer Funktions¬
störung der Schilddrüse steht, so müssen wir vor allem auf Grund der
in der Literatur vorliegenden zahlreichen Angaben feststcllen, dass bei
Morbus Basedowii die Erythrozytenzahl in der weitaus überwiegenden
Mehrzahl der Fälle nicht herabgesetzt, nicht selten sogar erhöht ist
(Kocher, Roth, Klose, Lampe und Licscgang u. a.). Der Hämoglobin¬
gehalt scheint dagegen häufiger in geringem Grade herabgesetzt zu sein
(Roth). Bei Myxödem findet sich demgegenüber nach der überein¬
stimmenden Ansicht einer ganzen Reihe von Autoren herabgesetzte
1) Kraus und Friedenthal, Berl. klin. Wochenschr. 1908.
2) Shurly, The Laryngoscope. March 1911.
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Endemischer Kropf, seine Beeinflussbarkeit durch Schilddrüsen- u.Joddarreiohung. 127
Erythrozytenzahl und verminderter Hämoglobingehalt [Bencc und
Engel 1 ), Esser, Fonio u. a.]; auch bei thyreopriven Tieren tritt diese
Blutveränderung auf [Formanck und Haskovec 2 ), Albertoni und
Tizzoni 3 4 )].
Wenn wir unsere Fälle mit Hyperglobulie von diesem Gesichtspunkt
aus überblicken, so zeigt sich auch wieder die Undurchführbarkeit einer
Abgrenzung hyperthyreotischer und hypothyreotischer Typen des
endemischen Kropfes. Individuen mit verschiedenen „hypothyreotischcn
Symptomen“, wie z. B. Fall 2 und 7, ja sogar der Fall von Myxödem
fruste (Fall 8) haben über 6 000 000 Erythrozyten, also ein Blutbild,
wie es höchstens bei einer basedowartigen Funktionsstörung der Schild¬
drüse zu erwarten wäre. Hingegen ist eine Aehnlichkeit des roten Blut¬
bildes der endemischen Kröpfe mit der von Hammer, Kirch und
H. Schlesinger*) unlängst beschriebenen Blutveränderung im Senium
unverkennbar. Diese Autoren erblicken in der senilen Hyperglobulie
einen kompensatorischen Vorgang, der zu den Schutzeinrichtungen des
alternden Organismus gehört, um dessen Sauerstoffavidität zu befriedigen.
„Die von den (vielleicht verschieden rasch) gealterten Blutdrüsen (Keim¬
drüsen?) abfliessenden Reize sind nicht mehr imstande, eip vollkommen
harmonisches Zusammenarbeiten aller Faktoren für eine normale Blut¬
bildung zu bewirken. Daher fehlerhafte Blutbildung, deren Korrektur
durch Ueberproduktion oder durch Hyperglobulie versucht wird.“ An
dieser Stelle sei auch der geistreichen Ausführungen Horsley’s gedacht,
der auf Grund der im Senium eintretenden Atrophie der Schilddrüse
sowie auf Grund der weitgehenden Analogie der Erscheinungen des
Greisenalters mit den Symptomen des chronischen Myxödems die Ansicht
aussprach, dass die Senilität zum Teil wenigstens auf eine Degeneration
der Schilddrüse zurückzu führen sei, ebenso wie umgekehrt das Myxödem
als prämatures Senium angesehen werden könne.
Jedenfalls scheint aus all dem das eine hervorzugehen, dass mit der
einfachen Einteilung in hyper- uud hypofunktionierendc Schilddrüsen die
Tatsachen nicht befriedigend erklärt werden können. Die verschiedensten
qualitativen Funktionsstörungen einerseits, die mannigfaltige Mit¬
beteiligung der übrigen Blutdrüsen andererseits dürfen bei der Beurteilung
der komplizierten Fragen der inneren Sekretion nicht ausserachtgelassen
werden.
1) Bence und Engel, Wiener klin. Wochenschr. 1908.
2) Formanek und Haskovec, zit. nach Fonio.
3) Albertoni und Tizzoni, zit. nach Bircher.
4) Hammer, Kirch und II. Schlesinger, Med. Klin. 1912. No. 4. S. 140.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
128
JULIUS BAUER and JOSEF HINTEREGGER,
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Laufende Nr. I|
Fall und Behandlung
Leuko¬
zyten
Pol
kle
pCt.
ynu-
äre
absol.
KI.
phos
pCt.
liym-
iyten
absol.
Gr. Lj
xjrten,
nuklel
Ueber
for
pCt.
rmpho-
Mono-
Ire and
gange-
raen
absol.
Eos
ph
pCt.
ino-
ile
absol.
1.
Weibl., 41 J. 11. 3. 1912.
Vom 12.—15. u. 18.—19.3.
tagt. 3 Thyreoid.-Tabl.
8550
51
4360
42
3591
5
427
2
171
15. 3.
8625
57,9
4994
36,9
3183
5
431
—
—
20. 3.
5080
54,8
2784
So,3
1793
8,6
437
1
51
2.
Weibl., 16 J. 7. 3. 1912.
Vom 9.—21. 3. tagt. 3 Thyr.
13 000
66,8
8684
25,6
3328
6,2
806
1,4
182
12. 3.
8370
67,5
5650
22,7
1900
8,3
695
1,2
100
17. 3.
6020
60,5
3642
30,2
1818
6,8
409
2,2
132
21. 3.
8170
71,4
5833
20
1634
6,7
547
1,9
155
3.
Weibl., 37 J. 17. 2. 1912.
Vom 18.—20. 2. tägl. 3 Thyr.
5800
54,2
3144
84,2
1984
7,7
497
3,9
226
21. 2.
Vom 22.-26. 2. NaJ
11 200
81,3
9106
11,9
1333
5,7
638
1,1
123
27. 2.
Vom 27. 2. bis 11. 3. nihil.
11800
68,6
8095
24,4
2879
6,4
755
0,6
71
9. 3.
Vom 12.—14.3. tägl. 3 Thyr.
9870
54,8
5409
35,6
3514
6,8
671
2,8
276
15. 3.
6650
53,6
3564
35,3
2348
8,3
552
2,6
172
4.
Weibl., 69 J. 17. 3. 1912.
Vom 18.—23. 3. tägl. 3 Thyr.
6900
73,9
5199
17,3
1194
7,6
524
1,2
83
21. 3.
5450
74
4033
16,6
905
6
327
2,5
137
23. 3.
Vt)m 23.-28. 3. nihil.
5250
66,3
3481
17,9
940
15
787
0,8
42
28. 3.
6000
81,5
4890
12,9
774
5,2
312
0,4
24
5.
Weibl., 39 J. 13. 2. 1912.
Vom 14.-22. 2. NaJ
8750
60
5250
32,4
2835
4,3
376
2,7
236
23. 2.
Vom 25.—27. 2. tägl. 3 Thyr.
7080
69,4
4914
23,4
1657
5,7
404
1,5
106
28. 2.
8600
71
6106
18,4
1584
8,8
757
1,6
138
9. 3.
Vom 12.-14. 3. tägl. r 3 Thyr.
10 300
61,3
6314
29,4
3028
7,7
793
1,4
147
15. 3.
7525
61,9
4658
32,1
2416
4,2
316
1,6
120
6.
Weibl., 58 J. 13. 2. 1912.
Vom 14.—21. 2. NaJ
7050
46
3243
48
3384
6
423
—
—
22. 2.
Vom 25—27. *2. tägl. 3 Thyr.
u. 28. 2. 1 Thyr.'
5250
55
2888
35,2
1848
8,4
441
1,2
63
28. 2.
4400
46,6
2050
40,2
1769
12,6
554
0,6
26
7.
Weibl., 24 J. 16. 1. 1912.
Vom 17.—28. 1. und
vom 25. 1. bis 1. 2. NaJ
11070
53,4
5911
37,3
4129
7,8
808
1,8
199
1. 2.
Vom 3.-7. 2. tägl. 2 Thyr.
10 400
73
7592
20,6
2142
4,8
499
1,3
135
7. 2.
Vom 11.—12. 2. tägl. 2 Thyr.
Vom 13.—19. 2. tägl. 3 Thyr.
8270
56
4631
30,2
2498
12
992
1,5
124
18 2
Vom 20.—27. 2. NaJ
8100
60
4860
25,3
2049
12
972
2,4
194
27. 2.
Vom 27. 2. bis 12. 3. nihil.
6570
54,7
3594
34,4
2260
8,2
539
2,7
177
12. 3.
9170
55
5043
38,1
3494
4,5
413
2,4
220
1) Vgl. J. Bauer, Deutsche med. Woclienschr. 1912 (im Druck) u. Verhandl. d. Kongr.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Endemischer Kropf, seineBeeinflussbarkeitdurch Schilddrüsen-u. Joddarreichung. 129
Mastzellen
pCt. | absol.
Pathoh
Zellfo
pCt
Dgische
rmen
absol.
Erythrozyten
Hämoglobin
(Fleischl)
0,2
17
—
—
—
—
0,3
15
—
—
—
—
—
—
—
—
6 380 000
90
0,3
25
_
_
_
_
0,3
18
—
—
—
—
—
—
5 571000
80
0,2
13
—
—
—
—
0,9
49
—
—
—
—
0,6
53
-
—
4 490 000
40
0,2
17
0,2
21
—
—
—
—
0,2
15
—
1
—
—
0,2
11
—
—
—
—
0,2
22
—
—
6 670 000
65
0,3
31
—
—
—
—
0,3
25
—
—
—
0,3
i 24
—
—
6 080 000
70
_
_
_
_
_
_
Bemerkungen
Möbius stark +. Einstellungszittern
derBulbi besond.nach oben. Feuchte
Haut, Neigung zu Schweissen; Haar¬
ausfall besond. im Sommer. Obstipa¬
tion. Dysthyreot. torpid. Kropfherz 1 ).
Möbius, Nystagmus. Trockene Haut,
Obstipation. Imbezillität. Adipositas.
Achylia gastrica. Dysthyrcot. tor¬
pides Kropfherz.
Möbius, Nystagmus. Neigung zu
Diarrhoen. Haarausfall meist im
Sommer. Auffallend mangelhaftes
Gebiss. Starke fleckige Pigmentation
im Gesicht, dazwischen vitiliginösc
Stellen. Aliment. Glykosurie. Schwer¬
ste Imbezillität. Neuralgien u. Myal¬
gien. Dysthyreot. torpid. Kropfherz.
Leichter Gräfe u. Möbius, sowie Ny-
stagm. nach rechts. Neigung zu Diar¬
rhoen. Arteriosklerose, Myodegene-
ratio cordis. Bronchitis diffusa.
Hochgradig anämisches Aussehen.
Möbius. Tendenz zu Schweissen.
Haarausfall.
Einstellungszittern bei Blick nach
links. Haarausfall besond.i. Sommer.
Obstipation. Substernale Struma.
Möbius, Nystagmus. Haarausfall.
Schwere Imbezillität. Depressive
Stimmung. Torpides Kropfherz.
Amenorrhoe, die unter Thyreoidin-
behandlung schwindet. Zeitweise
Gräfcsches Symptom ausgesprochen.
Achlorhydrie.
für innere Med. 1912.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 70. Bd. H. 1 u. 2.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Laufende Nr. (i
130
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JüLiüS BAUER und JÖSEF HINTEREGGER,
8 .
9.
10 .
11 .
12 .
13.
14.
Fall und Behandlung
Leuko¬
zyten
Pol;
kle
pCt.
jrnu-
läre
absol.
KI. 1
pho?
pCt
Lym-
;yten
absol.
Gr. Lj
zyten,
nukleä
Ueber
for
pCt
rrapho-
Mono-
ire and
gangs¬
men
absol.
Eos
pfc
pCt.
ino-
lile
absol-
Weibl., 41 J. 20. 12. 1912.
7650
68,5
5240
24,2
1851
4.4
337
2,2
168
Vom 8.-10. 1. tägl. 1 Thyr.
Vom 11.1. bis 4.2. tgl. 2 Thyr.
Vom 5.—20. 2. tägl. 3 Thyr.
6. 2.
9370
70
6559
22,2
2080
5,8
544
1,8
169
18. 2.
6500
60,3
3920
31,9
2074
7
455
0,8
52
Vom 20.-27. 2. NaJ
27. 2.
7320
63,5
4648
24,8
1815
8,5
622
2,5
183
Vom 12.—14. 8. tägl. 3 Thyr.
15. 3.
7520
63
4738
26,3
1978
8,5
639
2
150
Vom 15.—20. 8. tägl. 3 Thyr.
21. 3.
3970
52
2068
30,7
1219
18,6
540
2,6
103
Vom 21.—28. 3. nihil.
28. 3.
5900
62,6
3380
23,8
1285
9,4
508
4,2
229
Weibl., 30 J. 19. 2. 1912.
8850
65,7
5814
25,3
2239
7
620
1,7
150
Vom 20.—27. 2. NaJ
27. 2.
8050
76,7
6174
17,5
1409
5
403
0,7
48
Vom 27. 2. bis 9. 3. nihil.
9. 3.
9250
63,7
5892
26,3
2433
7,4
685
2,6
241
Vom 12.—14. 3. tägl. 3 Thyr.
14. 3.
7000
70
4900
23,1
1617
5,9
413
1
70
Weibl., 50 J. 27. 1. 1912.
7500
59
4425
32
2400
7,7
578
1,1
83
15. 2. 1912.
8300
61,6
5113
32,6
2706
5,1
423
0,7
58
Vom 15.-21. 2. NaJ
22. 2.
6420
62,5
4013
24,2
1554
9
578
3,fi
231
Vom 25.-27.2. tägl. 3 Thyr.
28. 2. 1 Thyr.
28. 2.
6500
71,3
4635
20,7
1345
6,5
422
1,2
78
9. 3.
7875
60,3
4749
30,2
2378
8
630
1,2
94
Vom 12.—14. 3. tägl. 3 Thyr.
15. 3.
10 850
73
7921
18
1953
7,3
792
1,7
184
Vom 18.—20. 3. tägl. 3 Thyr.
21. 3.
8650
76,7
6635
16
1384
7
606
0,3
26
Seit 21. 3. nihil.
28. 3.
8100
76,9
6229
15
1215
7,7
624
0,2
16
Weibl., 42 J. 3. 5. 1912.
9100
64,2
5842
25,8
2348
7,3
664
2,7
246
Vom 3.-7. 5. tägl. 3 Thyr.
7. 5.
9400
74,2
6975
16,5
1551
7,3
686
1,7
160
Weibl., 22 J. 25. 3. 1912.
8600
70,4
6054
18,8
1617
8,8
757
2
172
Vom 25.-28. 3. tägl. 3 Thyr.
28. 3.
6100
67
4087
26,8
1635
4,8
293
1,4
85
Vom 28. 3. bis 25. 4. nihil.
25. 4.
7000
62,6
4382
27,6
1932
9,3
651
0,5
35
Vom 25. 4. bis 3. 5. NaJ
29. 4.
6900
62,4
4306
28,3
1953
6,6
453
2,7
186
2. 5.
8650
63,4
5884
30,3
2621
4,8
415
1,5
130
Weibl., 19 J. 16. 2. 1912.
8050
62,5
5031
27,3
2198
8
644
2
161
Vom 18.—20. 2. tägl. 3 Thyr.
21. 2. 1 Thyr.
21. 2.
12 450
61,7
7682
24,2
3013
10,7
1332
3,4
323
Weibl., 26 J. 7.5. 1912.
4930
62,1
3062
25,7
1267
11,1
547
1,1
54
Vom 8.—11. 5. tägl. 3 Thyr.
11. 5.
6630
57,5
3812
29
1923
10,7
709
2,5
166
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
EndemischerKropf,seineBeeinflussbarlteitdurchSchilddrüsen-u. Joddarreichung. 131
132
JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
Laufende Nr. jj
Fall und Behandlung
Leuko¬
zyten
Pol.
kle
pCt
pnu-
äre
absol.
Kl. 1
phoz
pCt
Lym-
yten
absol.
Gr. Lj
zyfcen,
nukleS
Ueber
for
pCt
rmpho-
Mono-
Ire and
gangs¬
men
absol.
Eos
pt
pCt
ino-
tile
absol
15.
Weibl., 28 J. 17. 3. 1912.
7950
72,4
5756
18,4
1463
6,5
517
2.7
215
Vom 18.-23.3. tägl. 3 Thyr.
21. 3.
8350
66,7
5570
22,4
1870
8,9
743
1,6
137
23. 3.
6970
48,5
3880
38,8
2704
8,5
592
4
279
Vom 23. 3. an nihil.
28. 3.
7670
«0,4
4633
28,6
2193
6,8
522
4,2
322
16.
Weibl., 35 J. 4. 2. 1912.
6600
56,9
o
o
r-'
GO
35,2
2323
4,8
316
2,9
191
Vom 6.—10. 2. tägl. 2 Thyr.
Vom 11.-17. 2. tägl. 3 Thyr.
16. 2.
5800
42,7
2477
45,7
2651
7,2
418
3,8
220
Vom 18.—25. 2. NaJ
25. 2.
8450
66,9
5653
22,5
1901
6,4
541
3,9
330
17.
Weibl., 36 J. 13. 1. 1912.
54,9
—
35,2
—
6,4
—
3,3
—
Vom 14.—18. u.22.—26. NaJ
28. 1.
64,3
—
28
—
5,5
—
2
—
Vom 29.1. bis 4.2. tgl. 2 Thyr.
Vom 5.—19. 2. tägl. 3 Thyr.
6600
52,5
3465
41,3
2726
3,7
244
2
132
Vom 20.-27. 2. NaJ
27. 2.
8900
50
4450
36,8
3275
10,9
970
2
178
18.
Weibl., 39 J. 24. 4. 1912.
9100
43
3913
42,6
3877
13
1183
1,2
109
Vom 24. 4. bis 6. 5. NaJ
28. 4.
10 900
39,5
4305
46,9
5112
11,6
1264
1,6
174
1. 5.
8780
42,6
3740
44,4
3898
10,3
904
1,8
158
6. 5.
7500
36,6
2745
*46,1
3458
14,3
1073
1,4
105
19.
Weibl., 24 J. 27. 4. 1912.
8250
71,4
5890
15,9
1312
9,7
800
3
247
Vom 27. 4. bis 4. 5. NaJ
30. 4.
8880
73,8
6509
17,4
1445
6,6
586
2,4
213
4. 5.
6600
65,3
4310
21
1386
10
660
3,3
218
20.
Weibl., 21 J. 23. 4. 1912.
7980
64,2
5123
23,4
1867
10,4
830
2
160
Vom 24. 4. bis 2. 5. NaJ
28. 4.
9370
75,1
7037
16,3
1527
6,2
581
2,4
225
1. 5.
7200
67,8
4882
23,8
1714
6,5
468
1,9
137
9. 5.
5030
69,2
3481
19,4
976
9,7
488
1,7
86
21.
Weibl., 26 J. 24. 4. 1912.
5580
58,4
3259
30,3
1691
10,3
575
0,7
39
Vom 24. 4. bis 4. 5. NaJ
28. 4.
7770
59
4584
26,6
2067
13.4
1041
1
78
1. 5.
8830
50,6
4468
31,8
2808
15,8
1395
1,2
106
4. 5.
6000
44,2
2652
36,7
2202
16,1
966
1.6
96
22.
Weibl., 39 J. 11. 12. 1912.
6600
59,1
3901
30,1
1987
8,7
574
2,1
138
23.
Weibl., 32 J. 14. 12. 1912.
10 080
65,5
6602
26,9
2711
5
504
2,6 |
262
24.
Weibl., 17 J. 18. 12. 1912.
10 750
53,6
5762
33
3548
9,1
978
4,1
441
25.
Weibl., 27 J. 16. 12. 1912.
8350
62,6
5227
28,9
2413
7,1
593
1,4
117
26.
Weibl., 75 J. 11. 1. 1912.
5200
66
3432
26,4
1373
4,8
250
2,4
125
27.
Weibl., 27 J. 14. 1. 1912.
8450
71,5
6042
22
1859
5
422
1,3
110
28.
Männl., 18 J. 2. 2. 1912.
6400
44,2
2829
42,5
2720
10,1
646
3
192
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Endemischer Kropf, seineBeeinflussbarkeitdurch Schilddrüsen-u. Joddarreichung. 133
Mastzellen
pCt. | absol.
Patho]
Zellf
pCt
logische
ormen
absol.
Erythrozyten
Hämoglobin
(Fleischl)
—
—
—
—
—
—
0,4
33
_
_
_
0,2
14
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
0,2
13
—
—
4 900 000
80
0,6
35
—
—
—
—
0,3
25
—
—
—
—
0,2
—
—
—
—
—
0,2
—
—
—
—
—
0,5
33
—
—
—
—
0,3
27
—
—
—-
—
0,2
18
—
—
—
—
0,4
44
_
r -
_
_
0,9
0,4
79
30
/ 0,9
10,3
67 fl
22 e<
yelozyten
)sinophile Myel
ozyten
—
—
—
—
—
—
0,3
27
—
,_
_
_
0,4
26
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
_
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
—
0,3
17
—
—
—
—
0,6
53
—
—
—
—
1,4
84
—
—
—
—
—
—
—
—
4 400 000
85
—
—
■-
—
5 880000
85
0,2
22
—
—
5 170000
75
—
—
—
—
4 900 000
75
0,4
21
—
—
5 000 000
80
0,2
17
—
—
4 870 000
75
0,2
13
—
—
—
—
Bemerkungen
Möbius, Einstellungszittern. Haar¬
ausfall, Obstipation, Schweisse. Fein¬
schlägiger Tremor. Torpides Kropf¬
herz, Lues.
Weite Lidspalten, Glanzaugen. Gräfe,
Möbius, Einstellungszittern. Tremor,
Schweisse, Haarausfall, Obstipation.
Uebergang zwischen torpidem und
erethischem Kropfherz.
Möbius, Stellwag, Einstellungs¬
zittern. Tremor, Neigung zu Schwei-
ssen, Haarausfall. Torpides Kropf¬
herz. Polyarthritis chronica de-
formans.
Möbius, Nystagm., Haarausfall, Ob¬
stipation. Bronzeähnliche Pigmenta-
tion der Gesichtshaut. Bronchitis
diffusa.
Torpides Kropfherz. Genuine Epi¬
lepsie.
Möbius, Nystagmus, Haarausfall,
Neigung zu Schweissen. Obstipation.
Torpides Kropfherz.
Möbius, Nystagmus. Bronchiektasie
nach Pleuritis.
Zeitweise Gräfe, Möbius. Schweisse.
Diarrhoen. Ercth. Kropfherz.
Imbezill. Diarrhoen. Neuralgie.
Möb. Nyst. Tremor. Haarausfall.
Torpid.-erethisch. Kropfherz.
Möb. Obst. Schweiss. Haarausfall.
Torpid.-ereth. Kropfherz.
Arteriosklerose. Myodegen. cordis.
Einstellungszittern. Obstip. Torpid.
Kropfherz.
Möb. Nyst. Schweisse. Torpid.-
ereth. Kropfherz.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
134 JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
ü
a
©
a
©
»«-i
Fall und Behandlung
Leuko¬
zyten
Polynu¬
kleäre
Kl. Lym¬
phozyten
Gr. Lympho¬
zyten, Mono-
nukle&re und
Uebergangs-
formen
Eosino¬
phile
«e
pCt.
absol.
pCt
absol«
pCt.
absol.
pCt.
absol.
29.
Männl.,
17 J.
2. 2. 1912.
13 400
62,5
8375
24,6
3296
5,7
764
6,9
925
30.
Männl.,
50 J.
4. 2. 1912.
4950
60,2
2980
28
1386
9,1
450
2,4
119
31.
Weibl.,
14 J.
5. 2. 1912.
7300
43,5
3176
44,6
3256
8,4
248
8,3
606
32.
Wcibl.,
21 J.
9. 2. 1912.
4500
66,7
3002
30,5
1372
1,6
72
1,2
54
33.
Weibl.,
20 J.
10. 2. 1912.
8600
68,3
5874
24,4
2098
4,8
370
3
258
34.
Weibl.,
23 J.
11. 2. 1912.
5100
58,2
2986
36,5
1861
3,7
1887
1,6
82
35.
Weibl.,
28 J.
11. 2. 1912.
10 400
58,7
6105
31,6
3286
6,2
644
3,3
343
36.
Weibl.,
16 J.
13. 2. 1912.
6700
60,3
4040
29,1
1948
7,3
489
3,3
221
37.
Weibl.,
34 J.
20. 2. 1912.
7070
56,8
4016
83,4
2361
6,9
488
2,9
205
38.
Weibl.,
17 J.
6. 2. 1912.
7700
68,3
5259
25,3
1948
3,1
239
3,1
239
39.
Männl.,
27 J.
5100
72
3672
10
510
15,7
800,1
2
102
40.
Weibl,
20 J.
9. 2. 1912.
10 500
67,2
7056
23,5
2467
8,4
882
0,6
63
41.
Weibl.,
26 J.
—
65,8
—
26,3
—
6,2
—
2
—
42.
Weibl.,
29 J.,
22. 5. 1912.
7150
64,9
4640
23,9
1709
9,1
651
1,8
129
43.
Weibl,
65 J.,
21. 5. 1912.
6870
56,4
3875
31,2
2143
10,6
728
1,2
83
44.
Weibl.,
16. J.,
20. 5. 1912.
4220
43,6
1840
36,1
1523
14,8
625
5,2
219
Digitized by
Gch igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Endemischer Kropf, seine Beeinflussbarkeitdurch Schilddrüsen-u. Joddarreichung. 135
Mastzellen
pCt. j absol.
Pathologische
Zellformen
pCt | absoL
Erythrozyten
Hämoglobin
(Fleischl)
Bemerkungen
0,3
40
—
—
—
—
Gräfe, Möbius, Obstipation.
0,3
15
5 580 000
80
Struma bascdowificata. Exophthalm.
Möbius. Diarrh. Schweisse. Haar¬
ausfall. Ereth. Kropfherz.
0,2
15
—
—
6 360 000
50
Orthostat. Album.
—
—
—
—
—
—
Möb. Nyst. Schweiss. Tend. zu
Diarrhoen. Torpid. Kropfherz.
—
—
—
—
4 680 000
75
Möbius. Haarausfall. Tremor.
—
—
—
—
—
—
Möbius, Nyst. Haarausfall. Torpid.
Kropfherz.
0,2
21
—
—
—
—
Protrus. angedeut.Möb.Nyst.Tremor.
Schweiss. Haarausfall. Obstip.
—
—
—
—
—
—
Möbius, Nyst., Haarausfall, torpid. -
erethisch. kropfherz.
—
—-
4 960 000
75
Leich teProtrus.,Glanzaugen,Gräfe r.,
Möbius, torpid-crethisch. Kropfherz.
Diarrhoen.
0,2
15
—
—
—
—
Möbius, Nyst. Uebergang torpid.-
ereth. kropfherz.
0,3
15
—
—
—
—
Habituelle Obstipation.
0,3
31
—
—
—
—
Nyst. Obstip. Haarausfall.
0,2
—
—
—
—
—
Leichte Protrus. Haarausfall. Obstip.
Torpid-ereth. Kropfherz.
0,3
21
'
4 700 000
80
Nyst. Haarausfall. Kyphoskoliose.
Generelle Tuberkul. d. Sehnenschei¬
den. Tbc. d.abdomin. Lymphdrüsen.
0,6
41
—
— ;
6 170 000
90
Diabetes mellitus. Arteriosklerose.
0,3
13
—
—
5 420000
35
Möbius, Nyst. Obstip. Schweisse.
Torpid. Kropfherz. Blasses Ausseheq.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Digitized by
136 JULIUS BAUER und JOSEF HINTEREGGER,
Gr. Lyropho-
Fall und Behandlung
Leuko*
Polynu-
Kl. Lym-
ayten, Monn-
mikleäre and
Eosino-
Ö
'S
zyten
kleäre
phozyten
Uebergangs-
formen
phile
cO
pCt.
absol.
pCt
absol.
pCt
absol.
pCt.
absol
I.
Weibl., 45 J. 26. 4. 1912.
5920
60
3552
25,2
1492
10,3
610
4
287
Vom 26. 4.-2. 5. NaJ
30. 4.
5500
68,1
3746
17,8
979
13,4
737
0,5
28
9. 5.
5100
63
3213
21,1
1076
13
663
2,9
148
11.
Weibl., 27 J. 29. 3. 1912.
4600
60
2760
32,2
1481
6,7
308
0,9
41
23. 4.
11460
73,3
8400
16,4
1879
7
802
3
344
Vom 24. 4—1. 5. NaJ
29. 5.
11000
78,8
9298
11,2
1322
8,8
1030
1,2
142
III.
Weibl., 50 J. 26. 4. 1912.
7170
53,6
3843
26,4
1893
10,4
746
8,9
638
Vom 26. 4.-7. 5. NaJ.
30. 4.
7900
51,5
4069
33,3
2631
8,6
679
6,6
521
3. 5.
8000
50,6
4048
27,1
2168
11,2
896
n,i
880
IV.
Weibl., 24 J. 7. 3. 1912.
7800
75,2
5866
20,8
1622
2,9
226
i.i
86
Vom 9.—17. 3. NaJ.
12. 8.
9650
62,3
6612
29,5
2847
6,2
598
1,8
174
17. 3.
4020
63,9
2569
21,9
880
7,3
293
3,5
141
V.
Weibl., 60 J. 25. 4. 1912.
6350
61,7
3918
25,7
1632
12,6
800
_
_
Vom 25. 4.-9. 5. NaJ.
29. 4.
5750
42,4
2438
39,2
2254
16,8
966
1,6
92
2. 5.
5180
57,9
2999
26,9
30,3
1893
12,1
627
2,8
145
9. 5.
4600
57,6
2650
1393
10
460
1,9
87
VI.
Weibl., 42 J. 19. 5. 1912.
5200
52,2
2714
32,2
1674
12,5
650
2,5
i
1
130
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Endemischer Kropf, seine Beeinflussbarkeitdurch Schilddrüsen-u. Joddarreichung. 137
Bemerkungen
Sclerosis multiplex.
Tetanie und Osteomalazie.
Asthma bronchiale. Emphysem.
Chlorose.
Arteriosklerose. Myodegeneratio
cordis. Bronchitis di ff.
PluriglanduläreErkrankung (Blässe,
Sklerodermie, Menopause seit 33.
Jahr, Fehlen der Crincs, Intelli
genzstörung.)
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X.
Aus der medizinischen Klinik (Direktor: Geh.-Rat Minkowski) und dem
pathologischen Institut (Direktor: Geh.-Rat Ponfick) der Univ. Breslau.
Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
Klinisch-chemischer Teil
von
Dr. Severin,
Assistenten der medizinischen Klinik.
Pathologisch-anatomischer und kritischer Teil
von
Priv.-Doz. Dr. Heinrlchsdorff,
Assistenten des pitfeologtaehen Instituts.
Bei der grossen Bedeutung der Salvarsantherapie ist es notwendig,
alle die Fälle sorgfältig zu sammeln, die Störungen des Allgemeinbefindens
zeigen, besonders die ungünstig oder sogar tödlich verlaufen. Handelt es
sich doch um die Frage, ob die Erscheinungen Folgen der Salvarsan-
wirkung sind, oder ob sie in anderer Weise eine Deutung finden können.
Nur durch die Publikation aller dieser Fälle lässt sich weiterhin die
Häufigkeit dieser Komplikationen feststellen.
Es ist bereits über mehrere Fälle von Ikterus nach Salvarsaninjektion
berichtet worden, der einerseits nach mehr oder minder langer Dauer,
ohne Schädigung zu hinterlassen, vergangen ist, andererseits jedoch letal
endete [Ehrlich 1 ), Hofmann 2 ), Hirsch 3 )].
Wir hatten in der medizinischen Klinik in kurzer Zeit 2 tödlich ver¬
laufende Fälle von Ikterus unter dem Bilde der akuten resp. subakuten
gelben Leberatrophie zu beobachten Gelegenheit, die nach Salvarsan¬
injektion auftraten.
Bevor wir in die Diskussion über die Ursache der Erkrankung cin-
treten, sollen die Krankheitsfälle selbst ausführlicher dargelegt werden.
Fall I. Der 30jährrge Tapezierer G. 0. wurde am 29. August 1911 mit
schwerstem Ikterus in die medizinische Klinik eingeliefert.
Laut Anamnese ist der Vater an Wassersucht, oin Bruder an Typhus und Lungen¬
entzündung, eine Schwester an Darmverschlingung gestorben; die Mutter und 4 Ge¬
schwister leben und sind gesund.
Patient litt als Kind und auch später öfters an Mandelentzündung, mit 16 Jahren
an Typhus abdominalis, mit 20 Jahren an Luftröhrenkatarrh, seit 6 Jahren an
Hämorrhoiden. Er ist ledig, war von 1904—1906 Soldat. Von November 1910 bis
1) Ehrlich, Münch, med.Wochenschr. 1911. No. 1, 5, 6.
2) Hofmann, Münch, med.Wochenschr. 1911. No. 33.
3) Hirsch, Münch, med. Wochensohr. 1912. No. 30.
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Zur Frage der Leber Veränderungen nach Salvarsan.
139
März 1911 litt Patient an Gelenkrheumatismus, wobei nacheinander die einzelnen
Gelenke befallen wurden. Eine Herzaffektion soll damals vom behandelnden Arzte
konstatiert worden sein.
Im Jahre 1903 und Frühjahr 1910 akquirierte er Gonorrhoe. Anfangs Mai 1911
bekam Patient ein Geschwür am Glied, nicht schmerzhafte Drüsensohwellung in der
rechten Leistengegend. Er begab sich vom 7. bis 15. Juni 1911, ohne vorher eine
spezifische Behandlung durchgemacht zu haben, in die Behandlung der hiesigen
Universitäts-Hautklinik. Laut des uns von der Hautklinik in dankenswerter Weise
zur Verfügung gestellten Aufnahmebefundes fand sich im Sulcus coronarius eine
flache Ulzeration von über Erbsengrösse mit infiltrierter, ödematöser Umgebung,
Scleradenitis universalis, zahlreiche, bräunliche Pigmentationen (abgeheilte, papulöse
Effloreszenzen) und eine Angina specifica (?) und follicularis. Im Eeizserum waren
keine Spirochaetae pallidae nachweisbar. Als Nebenbefund wurde Acne vulgaris
corporis, ein an der Aussenseite des rechten Unterschenkels sitzender kleiner, borken¬
bedeckter, ekzematöser Herd sowie ein Empyem der reohten Kieferhöhle vermerkt.
Venenpunktion am 8. Juni: Wassermann positiv.
Behandlung: Ausser Lokalbehandlung des Ulkus mit Karbolsäureätzung
und Jodoformpulver bekam Patient am 9. Juni eine Injektion von Hg-Olivenöl
(15 pCt.) = 0,05 Hg.
Am 10. Juni: I. Salvarsininjektion 0,6 intravenös (alkalisch). Nach
der Injektion stellten sich Schüttelfrost, Durchfalle, Erbrechen, sowie geringe
Steigerung der Körpertemperatur ein.
Am 14. Juni: 11. Salvarsaninjektion 0,6 intravenös (alkalisch).
Hiernach bekam Patient nur geringe Kopfschmerzen. Bei der Entlassung am 15. Juni
zeigte die Ulzeration am Gttbd deutliche Heilungstendenz.
Ambulante Behandlung: am 11. August III. Salvarsaninjektion 0,6 intra¬
venös (alkalisch) morgens gegen 11 Uhr. Patient zeigte keine krankhaften
Symptome mehr. Die Blutuntersuchung ergab positiven Wassermann. Gegen 4 Uhr
nachmittags soll der behandelnde Arzt schon, so gibt Patient bestimmt an, eine
leichte gelbliche Verfärbung der Skleren bemerkt haben. Am selben Abend fuhr
Patient nach Hause. Am anderen Morgen, am 12. August, war er am ganzen Körper
gelb. Seit dieser Zeit litt Patient an starken Kopfschmerzen, gänzlicher Appetitlosigkeit
und Erbrechen nach fast jeder Nahrungsaufnahme. Am 27. August soll etwas dunkles
Blut im Erbrochenen gewesen sein. *
Die Beschwerden bei der am 29. August erfolgten Aufnahme in die
medizinische Klinik waren folgende: Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Appetitlosig¬
keit, allgemeine Schwäche und Hinfälligkeit, Schwere in den Gliedern, häufiges
lautes Aufstossen, heftige Magenschmerzen, häufiges Erbreohen, besonders nach der
Nahrungsaufnahme, Hautjucken.
Status praesens: Mittelgrosser, mittelkräftig gebauter Patient mit mässig ent¬
wickeltem Fettpolster und leidlich entwickelter Muskulatur. Die Farbe der ganzen
Körperhaut, sowie der Schleimhäute zeigt ein dunkles Zitronengelb. Am ganzen
Körper befinden sich zahlreiche Kratzeffekte, an der Brust, Rücken und Oberarmen
Akneknötchen, oberhalb der Patella beiderseits mehrere bandförmig angeordnete
weissliche Narben, am oberen Drittel des rechten Unterschenkels eine etwa markstück-
grosse ovale Narbe von brauner Farbe. In der rechten Submaxillargegend, in beiden
Achselhöhlen und beiden Inguinalgegenden sind einige erbsengrosse, harte, indolente
Drüsen fühlbar. Es bestehen keine Oedeme. Die Pupillen sind gleich- und mittelweit,
kreisrund, konzentrisch und reagieren prompt auf Lichteinfall und Konvergenz. Die
Kopfnerven zeigen keine Besonderheiten. Die Zunge wird gerade herausgestreckt, ist
etwas belegt. Die Tonsillen sind chronisch verdickt, ohne Belag, die übrigen Rachen¬
organe sowie Halsorgane sind normal.
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140
SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Lungenbefund: Der Brustkorb ist schmal, flach, wenig tief, ziemlich lang,
dehnt sich bei der Atmung gleiohmassig und leidlich aus. Die Lungengrenzen stehen
an normaler Stelle und sind massig verschiebbar. Ueber beiden Lungen besteht
normaler Klopfschall und reines vesikuläres Atmungsgeräusch ohne Nebengeräusche.
Herzbefund: Der Spitzenstoss ist nicht zu fühlen. Die Grenzen der absoluten
Dämpfung sind: 4. Rippe, linker Sternalrand, 2 Querfinger innerhalb der Medio-
klavikularlinie, die der relativen: 3. Rippe, rechter Sternalrand, Medioklavikularlinie.
An der Herzspitze ist nach dem ersten Ton ein blasendes, systolisches Geräusch
hörbar, der 2. Pulmonalton ist etwas akzentuiert. Der Puls beträgt 56 bis 64 in der
Minute, ist gleichmässig, regelmässig, von mittlerer Füllung. Der Blutdruck beträgt
105 mm Quecksilber (Riva-Rocci).
Abdomen ist gleichmässig gewölbt; es besteht geringe Druckschmerzhaftigkeit
des Epigastriums und der Gegend unterhalb des rechten Rippenbogens. Leber:
obere Grenze der relativen Dämpfung: 5. Rippe, die untere Grenze der absoluten
schneidet in der rechten Medioklavikularlinie den Rippenbogen, in der Mittellinie den
Processus xipboides. Bei tiefer Inspiration ist eben der scharfe, sehr druckschmerzhafte
untere Leberrand fühlbar. Die Milz ist bei tiefer Inspiration deutlich fühlbar,
perkutorisch 7,4 breit, 15 cm lang, bei einem Vertebralabstand von 12 cm.
Nervensystem: Sämtliche Reflexe sind normal auslösbar, es bestehen keine
Sensibilitätsstörungen.
Urin ist von dunkelrotbrauner Farbe, zeigt deutlich positive Eiweiss- und
Bilirubinprobe, negative Zucker- und Urobilinprobe. Mikroskopisch finden sich im
Sediment stark gelbgefärbte hyaline und granulierte Zylinder, sowie Epithelien, keine
Leuzin- oder Tyrosinkristalle.
Die Temperatur beträgt 36,2°.
Blutbefund: Hämoglobin 80 pCt., Erythrozyten 4560000, Leukozyten 5800,
Färbeindex 0,89. Das Blutserum ist gelblich gefärbt, zeigt keine Hämolyse.
30. 8.: Magenbefund: Nüchtern ergibt die Magenausheberung30ccm wässrigen
Rückstandes, freie Salzsäure positiv, Milchsäure und Sanguis negativ, mikroskopisch o.B.
Wegen allgemeiner Schwäche wird von einem Probefrühstück abgesehen. Im Laufe
des Tages wiederholtes Erbrechen.
31. 8.: Bei der Defäkation am Abend geht nur reines, hellrotes Blut ab. Am
After befinden sich einige Hämorrhoidalknoten.
1. 9.: Häufiges Aufstossen und Erbrechen nach Nahrungsaufnahme. Im Er¬
brochenen ist kein Blut nachweisbar. Der untere Leberrand steht perkutorisch 1 Quer¬
finger oberhalb des Rippenbogens in der rechten Medioklavikularlinie; die obere
Grenze der relativen Dämpfung 5. Rippe. Bei tiefster Inspiration ist noch eben der
dünne, soharfe, sehr druokschmerzhafte Leberrand fühlbar. Die Milz ist deutlich unter
dem linken Rippenbogen palpabel.
2. und 3. 9.: Häufiges Erbreohen, Aufstossen, sehr unruhiges Wesen, Schlaf¬
losigkeit. Temperatur normal, Puls 60 bis 64.
4. 9.: Starkes Nasenbluten, häufiges Erbrechen. Ernährung per Klysma. Die
obere Grenze der relativen Leberdämpfung: oberer Rand der 6. Rippe, untere Leber¬
grenze ein Querfinger oberhalb des Rippenbogens. Der untere Leberrand ist bei tiefster
Inspiration nicht mehr palpabel. Die Milz ist deutlich zu fühlen. Ikterus ist un¬
verändert.
5. 9.: Vormittags ist Patient sehr unruhig, reizbar, deliriert, beisst um sich und
versucht öfters aus dem Bett zu springen, woran er nur mit Mühe vom Wartepersonal
verhindert werden kann. Temperatur 37, Puls 100. Von nachmittag an tritt voll¬
ständige Bewusstlosigkeit ein mit krampfartigen Zuckungen der beiderseitigen Ge¬
sichtsmuskulatur, hes. links. Gegen Abend steigt die Temperatur auf 39,8, der
Puls ist 108.
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
141
6. 9.: Morgentemperatnr 40,5, Puls 116. Ohne das Bewusstsein wiedererlangt
zu haben, tritt gegen 9.30 vormittags der Exitus ein.
Fast tägliche Untersuchungen des Urins auf Leuzin und Tyrosin, bes. in den
letzten Tagen im Alkoholextrakt der 24stündigen, eingedampften Harnmenge waren
stets negativ.
Eine kurze Zusammenfassung der ganzen Beobachtung ergibt: Ein
30jähriger, sicher luetisch infizierter, sonst gesunder Mann hat im ganzen
3 intravenöse Salvarsaninjektionen zu 0,6 = 1,8 Salvarsan innerhalb von
2 Monaten, und zwar die beiden ersten im Abstande von 3 Tagen, die
dritte nach einer Pause von 48 Tagen, erhalten, ausserdem noch eine
Injektion Quecksilber-Olivenöl (15pCt.) = 0,05 Quecksilber. Wenige
Stunden nach der 3. Salvarsaninjektion wurde leichte Gelbfärbung der
Skleren und am folgenden Tage universeller Ikterus konstatiert, der
innerhalb von 4 Wochen unter dem klinischen Bilde der akuten gelben
Leberatrophie letal verlief. >
Von den Organen der noch am selben Tage sezierten Leiche wurden
Leber und Milz zwecks Arsennachweises verarbeitet. Die chemische
Untersuchung der Leber ergab einen starken, wohl charakterisierten Arsen¬
spiegel, die der Milz einen schwächeren, jedoch deutlichen Spiegel. Etwa
ein Viertel der Organe wurde mit reiner konzentrierter Salzsäure und
Kaliumchlorat zerstört, das Filtrat mit arsenfreiem, aus Natriumsulfhydrat
und Schwefelsäure hergestelltem Schwefelwasserstoff behandelt, der er¬
haltene Niederschlag mit einer heissen Mischung aus annähernd gleichen
Teilen Ammoniak und gelbem Schwefelamraonium ausgezogen, das Filtrat
zur Trockene eingedampft und der Rückstand mit rauchender Salpeter¬
säure sowie Natriumsalpeter und Soda oxydiert. Die Schmelze wurde in
heissem Wasser gelöst, die Lösung nach Zusatz von überschüssiger
Schwefelsäure zur Entfernung der Salpetersäure und salpetrigen Säure
zweimal eingedampft. Der so erhaltene Rückstand, völlig frei von or¬
ganischer Substanz, wurde mit Wasser verdünnt und im Marshschcn
Apparat auf die Anwesenheit von Arsen geprüft. Alle verwendeten
Chemikalien sind auf Arsenfreiheit untersucht und As-frei befunden worden.
Sektionsprotokoll: G. 0., 30 J. alt, H. B. 243, seziert 6. 9. 11
(Dr. Heinricbsdorff).
Diagnose: Chronische gelbe Leberatrophie mit Bindegewebsvermehrung.
Blutungen im Endo- und Epikard. Blutungen in beiden Unterlappen. Hyperämie
und Oodem in beiden Unter- und im rechten Oberlappen. Blutungen im Magen und
Darm. Schwerster Nieren-Ikterus. Chronische Vergrösserung der Milz.
Intensiv gelbbraun gefärbte Leiche eines fettarmen, doch gut muskulösen Mannes,
llnterhautgewebe auffällig trooken. Beim Abpräparieren der Haut zeigen auch das
subkutane und intermuskuläre Fettgewebe, sowie die Rippenknorpel intensiv gelbe
Färbung. Muskulatur ebenfalls sehr trocken.
Zwerohfellstand: Rechts 4., links 5. Interkostalraum. Im Herzbeutel ca. ein
Esslöffel grüngelber Flüssigkeit.
Herz von der Grösse der Fanst. Auf dem Epikard eine Reihe fleckiger
Blutungen. Rechter Ventrikel schlaff, linker zeigt kräftige Muskulatur, die mit blossem
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142
SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Auge keine Veränderung aufweist. Am Endokard finden sich im Septum und im
Papillarmuskel flächen-, streifen- und punktförmige Blutungen. Klappen zart. Während
der Anfangsteil der Aorta frei von endarteriitischen Kennzeichen ist, zeigt die linke
Arteria coronaria cordis beginnende Veränderungen der Intima in Form weisser Streifen
und Platten.
Linke Lunge: Oberlappen schlaff und blutleer, Unterlappen zeigt vermehrtes
Volumen infolge sehr starken Blutreichtums und Oedems. Auf der Schnittfläche treten
tief rot verfärbte Partien von Erbsen- bis Walnussgrösse aus dem im übrigen etwas
helleren Parenchym hervor. Gefässe frei.
Rechte Lunge: Ober- und Unterlappen zeigen bei gutem Luft-vermehrten
Flüssigkeitsgehalt; Mittellappen dagegen trocken und blutarm. Der Unterlappen zeigt
auf der Schnittfläche — ebenso wie links — hämorrhagische Partien.
Pleura beiderseits von Blutungen durchsetzt.
Tonsillen vergrössert, enthalten grünliohgelbe (ikterisch verfärbte), von Eiter
umspülte Pfropfe.
Milz sehr gross, 18 : 127z : 57a« Konsistenz nicht sehr weich; auf dem Durch¬
schnitte tritt die hyperplastische Pulpa deutlich hervor, der bindegewebige Anteil
hingegen sehr zurück. Gewicht 550 g.
Magen und Darm: Zur Seite der Mesenterial gefässe bemerkt man in der Nähe
des Gokröseansatzes viele kleine Blutaustritte; auch das parietale Peritoneum weist
namentlich an der hinteren Wand zahlreiche Blutungen auf. Mesenterialdrüsen nur
leicht geschwollen.
Während der Darm frei ist, gewahrt man im Beginne des Colon ascendens
hämorrhagische Flecken und Streifen von geringer Ausdehnung.
Der Magen enthält dunkelbraunrote Flüssigkeit. Ausser einzelnen kleinen
Hämorrhagien beobachtet man auf der Schleimhaut, etwa 5 cm oberhalb des Pylorus
beginnend, ausgedehnte grünliche Verfärbungen, die am Rande in deutlich
hämorrhagische Zonen übergehen.
Leber: Gewicht 1190 g. Breite 24 cm (rechter Lappen 17, linker 7). Höhe:
rechter 13, linker 8 om. Dioke: rechts 672, links 372. Auf der Oberfläche des rechten
Lappens einzelne blutige Streifen, die nicht deutlich als Hämorrhagien erkennbar sind.
Versucht man, die Leber im queren Durchmesser zusamraenzuschieben, so runzelt sich
der seröse Ueberzug einigermassen. Beifla Durchschneiden hört man deutliches
Knirschen. Die Schnittfläche hat ein muskatnussähnliches Aussehen, indem die
Läppchen einerseits durch ihr safrangelbes, offenbar auf ikterischer Verfärbung be¬
ruhendes Kolorit sehr deutlich hervortreten, andererseits von einem Netz hellroter
Linien voneinander abgegrenzt werden. Diese scharfe Zeichnung des Lebergewebes
bietet nur an dem äusseren Ende des rechten und linken Lappens eine Abweichung
dar. Hier tritt nämlich die helle Grundfarbe des Parenchyms mehr zurück, indem
sich die roten Linien mehr und mehr verbreitern und so fast gleioh breite, bald rot,
bald gelb gefärbte Züge und Streifen sioh gegenseitig durchflechten.
Die Gallenblase enthält dunkelbraunrote Gallenflüssigkeit. Gallenwege ohne
Veränderungen.
Nieren leicht vergrössert, Kapsel leioht abziehbar. Auf dem Durchschnitte
haben die Nieren ein dunkel-olivfarbenes Aussehen; die Zeichnung ist völlig verwischt.
Blase: Schleimhaut ikterisch verfärbt, sonst o. B.
Gehirn: o. B.
Histologische Untersuchung der Leber.
Schon bei schwacher Vergrösserung unterscheidet man deutlich zwei
völlig verschieden aussehende Anteile des Gewebes. Dessen Hauptmasse
bilden die sekretorischen Elemente, während das übrige Gewebe durch
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan. 143
ein fremdartiges Maschenwerk dargestellt wird, welches die aus Leber¬
zellen bestehenden Gebiete in mehr oder minder breiten Zügen voneinander
abgrenzt. Bei näherem Zusehen sieht man, dass dieser zunächst als
Neugewebe zu bezeichnende Anteil eine ganz bestimmte Beziehung zu der
normalen Struktur des Drüsenparenchyms hat. Er findet sich nämlich
einerseits in der Umgebung der Zentralvene, welche er als eine bald
schmälere, bald breitere Zone umgibt, andererseits in der Nähe der Pfort¬
aderäste, so dass jeweils die periphere Schicht der Läppchen durch ihn
substituiert wird. Ehe ich näher auf die Natur dieses Maschenwerkes
eingehe, will ich das Verhalten der eigentlichen Drüsensubstanz näher
schildern:
Im grossen und ganzen ist der trabekuläre Aufbau der Leberzellen
gut gewahrt geblieben ufid zwar am deutlichsten in den zentralwärts
gelegenen Partien. Hier sieht man neben arg verschmälerten Zellbalken,
die oft nur noch eine Reihe von Zellen enthalten und deren Elemente
zudem spindelig deformiert sind, mittlere und abnorm breite Zellsäulen.
Oft aber sieht man die Leberzellen völlig aus ihrem trabekulären Zu¬
sammenhänge herausgerissen. Alsdann gewahrt man entweder einzelne
oder mehrere gruppehförmig zusammenliegende Elemente, die durch
Lücken getrennt werden, welche entweder queren Einrissen des Zell¬
balkens oder erweiterten Blutkapillaren entsprechen. Tritt so vielfach
eine Auflösung der Bälkchen in ihre Elemente, sogen. Dissoziation,
zutage, so findet man auf der anderen Seite vielfach unförmliche Ver¬
breiterungen der Zellbalken und zwar besonders an der Peripherie eines
Lobulus. Diese Verbreiterung ist dadurch bedingt, dass nicht wie üblich
immer zwei Leberzellreihen die Bälkchen zusammensetzen, sondern eine
grosse Anzahl, etwa 10—20 Elemente, sich zu einem grösseren Bezirke
vereinigt
Was nun die Beschatfenheit der Leberzellen selber anlangt, so ist
ihr grösster Teil von guter Beschaffenheit, sowohl hinsichtlich des Proto¬
plasmas wie des Kernes. Die peripher gelegenen sind vielfach durch
ihre Grösse ausgezeichnet. Im übrigen begegnet man auch sonst häufig
grossen polygonalen Leberzellen, die durch ihre schwache Hämatoxylin-
färbung auffallen, während andere, neben ihnen gelegene kleinere und
schmälere Elemente dunkler gefärbt sind. Es macht oft den Eindruck,
als ob die grossen hellen Zellen die kleinen dunklen verdrängen und als
ob diese letzteren nur noch auf einen kleinen, spaltförmigen Raum in den
Trabekeln angewiesen werden. Innerhalb der Trabekel sieht man nun aber
häufig Lücken, wo die Zellen entweder nur eine Vakuolisierung des Proto¬
plasmas oder eine Trennung vO'n Protoplasma und Kern oder völligen
Verlust des Kernes aufweisen. Schliesslich schwindet auch das Proto¬
plasma selbst und nur einzelne ifädige Brockel, die sich in der Kontinuität
des Trabekels an Stelle der einstigen Elemente finden, weisen auf den
früheren Zustand hin.
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144
SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Innerhalb der eben beschriebenen Gewebsstrukturen lässt sich mittelst
Sudanfärbung Fett nur in spärlichen Mengen wahrnehmen. Am ehesten
findet es sich noch in der innersten Zone der noch einigermassen wohl¬
erhaltenen Acini.
Fassen wir nun diejenige Zone des Läppchens ins Auge, welche in
unmittelbarer Umgebung der Zentralvene gelegen ist, so habe ich schon
im Anfang hervorgehoben, dass man schon bei schwacher Vergrösserung
den Eindruck eines Maschenwerkes empfängt. Bei stärkerer aber kann
man sehen, dass die Maschen gebildet werden von Fortsetzungen der
Wände der intra-trabekulären Kapillaren, deren Endothelien sich deutlich
unterscheiden lassen. In den von ihnen umrahmten Hohlräumen liegen
einmal viele freie Kerne von Leberzellen, sodann Zellreste, die vakuolisiert
und verfettet, meist kernlos oder mit pyknotischem Kern versehen sind,
endlich zahlreiche rote Blutkörperchen. Beim näheren Zusehen überzeugt
man sich, dass dieses Maschenwerk aus zwei Arten von Hohlräumen
gebildet wird, deren Genese eine verschiedene ist. Einesteils hat man
es mit Fortsetzung der Blutkapillaren zu tun, andererseits mit Räumen,
welche den entschwundenen Zellbalken entsprechen, was man auch daran
erkennt, dass sie vielfach noch fädige Protoplasmareste enthalten, die oft
noch einen Kern besitzen, meist aber nicht mehr. Dadurch, dass nun
die Wände dieser Zellbalken, nachdem ihr Inhalt geschwunden ist,
kollabieren, resultieren schmale, strukturlose Scheidewände der Kapillaren,
die auch ihrerseits völlig verschwinden können, so dass nur die letzteren
übrig bleiben. Durch die dichte Anfüllung dieser mit Erythrozyten wird
die innere Läppchenzone, namentlich im Eosinpräparate, in so
charakteristischer Weise hervorgehoben, dass das augenblickliche Auf¬
finden der Zentren und ihre leichte Unterscheidung von den peripheren
Teilen der Lobuli ohne weiteres möglich wird. Die Maschenstruktur des
Gewebes herrscht wohl im Zentrum vor, erstreckt sich aber von hier
aus strahlenförmig in die Läppchen hinein, so dass eine Sternfigur
zustandekommt. Vielfach erreichen diese Ausstrahlungen auch das an
der Periphere gelegene Gebiet.
Die periphere Begrenzung der Leberläppchen zeigt auf den ersten
Blick Veränderungen, die den im Zentrum anzutreffenden zum mindesten
ähnlich sind. Herrscht doch auch hier im wesentlichen eine maschige
Struktur vor. Auch hier liegen in den Maschen atrophische, kaum noch
als solche erkennbare Leberzellen oder körniger Detritus, daneben rote
Blutkörperchen. Ersichtlich ist hier aber der Untergang der sekretorischen
Elemente nicht so weit gediehen wie im Zentrum; ja man begegnet peri¬
portalen Bindcgewebszügen, die hinsichtlich des angrenzenden Parenchyms
von der Norm kaum abweichen. Nur in einem Punkte besteht eine
deutliche Alteration. Sie erlaubt es, auch dort noch mit Sicherheit die
peripheren Abschnitte von den zentralen zu unterscheiden, wo bereits ein
beträchtlicher Untergang des Lebergewebes erfolgt ist. Dieses Merkmal
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Zur Frage der Leberveränderangeo nach Salvarsan.
145
ist gegeben in einer dichten Infiltration des periportalen Gewebes mit
Rundzellen: einem Befunde, der in striktem Gegensätze steht zu den
zentralen Partien, wo sich die gleiche Erscheinung niemals beobachten
lässt. Die Rundzellen halten sich dicht an die Wand der Pfortaderäste
und schieben sich in das Bindegewebe ein, das neben und zwischen
diesen die zugehörigen Arterien und Gallengänge einhüllt.
Ueberall da, wo in der Nähe der Pfortaderäste der Untergang des
Lebergewebes schon etwas weiter gediehen ist-, sieht man ausserdem
schmale, meist zweireihige Schläuche mit spaltförmigem Lumen, die, wenn
sie etwas grössere Ausdehnung haben, schlangenförmige Windungen zeigen.
Die Zellen, aus denen sich diese Schläuche zusammensetzen, sind einer¬
seits kleiner als die gut erhaltenen Leberzellen, andererseits unter¬
scheiden sie sich auch von den atrophischen dadurch, dass ihr Proto¬
plasma die Farbe des Eosins gar nicht annimmt, während sich letztere,
falls überhaupt noch ein Rest zusammenhängenden Protoplasmas übrig
ist, deutlich damit tingiert haben. Die Kerne haben zwar eine gewisse
Aehnlichkeit mit denen von Leberzellen, sind aber im Gegensätze zu
diesen oft spindelförmig. In den hiermit gekennzeichneten Elementen
haben wir die neugebildeten Sprossen der interlobnlären Gallengänge zu
erblicken, wie sie aus den Beschreibungen vieler Autoren sattsam bekannt
sind. Darin, dass sie sich nur an der Peripherie, niemals im Zentrum
finden, obgleich hier die Zerstörung des Lebergewebes einen viel höheren
Grad als dort erreicht hat, demnach wohl auch der Reiz zur Regeneration
grösser ist, darf man, wie mich dünkt, eine Bestätigung der Ansicht
sehen, dass die Gallengänge, mit denen sie auch eine weitgehende
Aehnlichkeit haben, den Ausgangspunkt für die fraglichen Produkte dar¬
stellen.
Wenden wir uns jetzt der Beschreibung derjenigen Leberpartien zu,
die am weitesten nach rechts und links gelegen sind, so ergibt sich
folgendes:
Das erhaltene Lebergewebe tritt an Masse sehr zurück, dabei ist
die rundliche Form der Läppchen gar nicht mehr gewahrt. Man sieht
allerdings immer noch grössere Anhäufungen von Drüsenzellen, welche
auch im grossen und ganzen eine trabekuläre Struktur aufweisen. Aber
diese Gewebsinseln, die eine nichts weniger als gleichartige Form haben,
bald rund, bald langgestreckt sind, senden vielfach Ausläufer in das be¬
nachbarte Gewebe, so dass ihre Grenze, letzterem gegenüber, eine ganz
unregelmässig zackige ist. Die sekretorischen Elemente selbst unter¬
scheiden sich von denen, die sich in den noch nicht so stark veränderten
Partien vorfinden, in so geringem Grade, dass eine Beschreibung wohl
überflüssig ist. Die zentral gelegene Zone der Zerstörung ist breiter als
an den vorher beschriebenen Partien. Auch hier liegen die stark atro¬
phischen, vielfach noch kernhaltigen Zellen in Maschen, die, nachdem
das Protoplasma stark geschrumpft ist, für den jetzigen Inhalt als viel
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 1 o. 2. 10
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SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
zu geräumig erscheinen. Daneben sieht man, ebenso wie innerhalb der
noch erhaltenen Kapillaren zugleich eine Menge freier roter Blutkörperchen.
Hierin liegt ein weiteres Unterscheidungsmerkmal dieser Bezirke gegen¬
über den weniger weit vorgeschrittenen Veränderungen der grossen Masse
des Lebergewebes, dass hier in unzweifelhafter Weise mehr oder weniger
breite hämorrhagische Zonen in unmittelbarer Umgebung der Zentralrene
gelegen sind. Was die portalen Gefässverzweigungen betrifft, so werden
sie auch hier von breiten, durch Rundzellenanhäufungen gebildeten Säumen
begleitet. Entsprechend der weitergediehenen Zerstörung hat hier zugleich
die Wucherung der Gallengänge einen ungleich beträchtlicheren Umfang
angenommen. Allenthalben sieht man in der Umgebung der interlobu¬
lären Pfortaderästchen Zellschläuche auftreten. ln diesem Bereiche zeigen
deren Elemente hin und wieder schon eine gewisse Aehnlichkeit mit dem
gewohnten Verhalten von Leberzellen, insofern sie protoplasmareicher
werden und sich lebhaft mit Eosin färben. Lediglich dio spindelige
Form ihrer Kerne verhindert die manchmal sehr naheliegende Verwechs¬
lung mit Leberzellbalken, die sich infolge zunehmender Kompression
immer mehr verschmälert haben: Formen, wie sie gerade in den frag¬
lichen Bezirken kaum minder häufig angetroffen werden. Ein dichtes
Nebeneinander solch neugebildeter Gallengänge und von Zellbalkenresten
lässt sich zwar oft genug wahrnehmen. Ob sich hier aber zwei Zellarten
lediglich begegnen oder ob, wie andere meinen, die eine aus der anderen
entsteht, das vermag man, soweit ich sehen kann, nicht mit Bestimmtheit
zu entscheiden.
Wenn man die Veränderungen dieser äussersten Leberschichten mit
den zuerst beschriebenen vergleicht, so muss, abgesehen von den viel
weiter fortgeschrittenen Alterationen, die für ein höheres Alter des Pro¬
zesses sprechen könnten, noch ein anderer Befund besonders ins Auge
fallen und das ist das Vorkommen reinen Kernschwundes in Zellen, die
noch deutlich sowohl ihren ursprünglichen Umfang, als auch annähernd
noch ihre Form bewahrt haben. Bisher begegneten wir Zellen in körnigem
oder fettigem Zerfalle mit noch erhaltenen oder bereits verloren ge¬
gangenen Kernen oder gar so schweren Zelldegenerationen, dass die Art
und Weise des Unterganges überhaupt nicht mehr ersichtlich war. Hier
aber sieht man Bilder mit typischer Kernnekrose und zwar fast immer
an der Grenze der zentralen Blutungen. Zuweilen ist es allerdings noch
nicht zu völligem Verluste der Kerne gekommen, sondern zunächst nur
zu einer schwächeren Kernfärbung oder zu einer Chromatolyse: jenem
Vorgänge, wo das aufgelöste Kemchromatin in Form tief schwarzer
Körnchen im Protoplasma zerstreut liegt Da man diese Wandlungen
wohl als die jüngsten der hier beobachteten Formen von Degeneration
betrachten darf, so gelangt man naturgemäss zu dem Schlüsse, dass wir
innerhalb der in Rede stehenden Bezirke nicht sowohl darum so weit ge¬
diehene Anomalien vor uns haben, weil der Prozess hier früher begonnen
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Zur Frage der Leber Veränderungen nach Salvarsan.
147
hätte, als vielmehr deshalb, weil er hier weiter fortschreitet, während er
im grössten Teile der Leber zum Stillstand gekommen ist.
Die Untersuchung auf Spirochäten (nach Levaditi) hatte ein nega¬
tives Resultat.
Bei der epikritischen Betrachtung des anatomischen Bildes dieser
Leber kommt man also zu dem Schlüsse, dass eine Zerstörung des
Leberparenchyms sowohl in den zentralen wie in den peripheren Teilen
der Leberläppchen stattgefunden hat. Diese hat an den äussersten Teilen
des rechten und linken Leberlappens zu einem so starken Zellschwunde
geführt, dass nur noch schmale Gewebsinseln übrig geblieben sind. In
diesen Bezirken sieht man zentrale Hämorrhagien und in den diesen
zunächst gelegenen Drüsenzellen die Zeichen der frischen Nekrose. Zu
gleicher Zeit hat eine lebhafte Regeneration des Lebergewebes eingesetzt
sowohl von seiten der interlobulären Gallenwege in Form von zahllosen
Gallengangssprossen, sowie auch von seiten des Testierenden Lebergewebes
in Form von Hypertrophie der Drüsenelemente.
Fall II. Die 29jährige Tischlersfrau A. K. wurde am 21. September 1911 mit
starkem Ikterus in die medizinische Universitätsklinik aufgenommen.
Laut Anamnese starb die Mutter im Alter von 65 Jahren an einem Schlaganfall,
Vater und 9 Geschwister leben und sind gesund.
Frühere Krankheiten: Mit 6 Jahren Scharlach, mit 13 Jahren Masern, mit
19 Jahren Gelenkrheumatismus. Seit dieser Zeit leidet Patientin öfters an Herzklopfen.
Sie ist seit 7 Jahren verheiratet und hat 2 gesunde Kinder geboren (erster Partus
1904, zweiter Partus 1907). In beiden Schwangerschaften litt sie an häufigem Er¬
brechen sowie an Schwellungen der Beine. Geburten wie Wochenbetten verliefen ohne
Störungen. Bald nach der zweiten Geburt überstand sie Influenza.
Im August 1909 wurde Patientin vom Ehemann syphilitisch infiziert. Einen
Primäraffekt hat sie nicht beobachtet; sie wurde erst beim Auftreten eines über den
ganzen Körper ausgebreiteten, fleckigen, roten Ausschlages auf die Erkrankung auf¬
merksam. Der Arzt, der den Ehemann schon wegen Lues in Behandlung hatte, ver¬
ordnte zuerst Arsan, dann Jodpilien. Da der Ausschlag im Januar 1910 wieder auftrat,
besonders an der Stirn, machte sie im Mai und Juni 1910 eine Schmierkur durch (zu¬
sammen 72g Unguent. hydrarg. einer.). Im September 1910 bekam sie wieder Flecken
im Gesicht, nochmalige Schmierkur (72gUnguont. hydrarg. einer.). Als sich dann an den
Lippen, an der Zunge und am Gaumen Geschwüre bildeten, suchte Patientin am 30. No¬
vember 1910 die Universitäts-Hautklinik auf, wo sie bis 18. Dezember 1910 verblieb.
Laut Krankengeschichte der Hautklinik fanden sich bei der Aufnahme Erosionen
an der Portio und an den kleinen Labien, Scleradenitis inguinalis und cervicalis, ein¬
zelne papulöse Effloreszenzen auf der Stirn, Plaques muqueuses der Mundschleimhaut,
glasige leichte Rötung der Rachenwand, ferner Seborrhoea capitis. Die Blutunter¬
suchung ergab positiven Wassermann.
Behandlung: 1. 12. 1910: I. Salvarsaninjektion 0,35 intravenös
(alkalisch). Nach der Injektion litt Patientin an leichten Kopfsohmerzen und
Durchfällen.
4. 12. 1910: Die Plaques muqueuses der Mundschleimhaut, die Erosionen sowie
die Effloreszenzen auf der Stirn sind verschwunden.
6.12. 1910: II. Salvarsaninjektion 0,6 (in l,5Jodipin) intraglutäal.
16. 12. 1910: III. Salvarsaninjektion 0,4 (in 2,5 01. Sesami) intra¬
glutäal.
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148 SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
18. 12. 1910 und 24. 1. 1911: Wassermann negativ.
31. 1. 1911: IV. Salvarsaninjektion 0,6 intravenös (alkalisch).
Patientin hat dann eine Quecksilberkur durchgemacht.
13. 3. 1911: Injektion von 01. einer. = 0,07 intraglutäal.
21. 3. 1911: ^ Ti 7 ) n = ^>07 „
28.3.1911: „ „ „ „ =0,07
2.5.1911: „ „ „ „ =0,05 „
Zusammen: 0,26 Queoksilber.
15. 6. 1911: Wassermann negativ.
Der Ehemann ist ebenfalls mit Salvarsan behandelt worden. Er wurde jedoch
bei der Blutuntersqchung noch für krank erklärt*
Im Juni 1911 wurde Patientin schwanger; gleichzeitig bekam sie wieder An¬
schwellungen der Beine, ferner zeigte sich ein Lungenleiden: Husten, Auswurf mit
Blutbeimischung, abendliche Temperaturerhöhungen, starke Nachtschweisse, Körper¬
gewichtsabnahme. Wegen dieser Erscheinungen suchte sie Ende Juli 1911 die Uni¬
versitätspoliklinik auf, wo eine Lungenspitzenaffektion festgestellt und die Einleitung
des künstlichen Abortes angeraten wurde, der in der Universitäts-Frauenklinik ausge¬
führt wurde. Nach 14 Tagen verliess Patientin die Frauenklinik. Die Lungenerschei¬
nungen Hessen schnell nach. Es erfolgte eine Gewichtszunahme um 7 Pfund.
Am 10. September 1911 erkrankte Patientin, ohne dass sie eine Ursache anzu¬
geben wusste, unter leichtem Fieber und Erscheinungen von seiten des Magendarm¬
kanals, bestehend in fortwährender Ucbelkeit, vereinzeltem Erbrechen und Durch¬
fällen, manchmal mit blutigem Schleimabgang. Sie bemerkte ferner, dass die Augen
gelb wurden; nach einigen Tagen breitete sich die Gelbfärbung über den ganzen
Körper aus. Der Urin war ganz dunkel, der Stuhl entfärbt. Wegen dieser Beschwerden
wurde Patientin zuerst in der medizinischen Universitätspoliklinik behandelt. Da der
Zustand sich nicht besserte, der Ikterus intensiver wurde und noch zeitweise heftige,
angeblich wehenartige Schmerzen in der rechten Oberbauchgegend, die nach unten aus¬
strahlten, ferner Zunahme des Leibesumfanges und Verschlechterung des Allgemein¬
befindens hinzutraten, wurde Patientin am 21. September 1911 in die medizinische
Klinik aufgenommen.
Aufnahmebefund: Mittelgrosse, grazil gebaute Frau von elendem Aussehen,
in mässigem Ernährungszustände, Körpergewicht 60,5 kg. Die Schleimhäute sowie
die ganze Körperhaut sind stark ikterisch verfärbt. Auf der Brust und dem Rücken be¬
finden sich einige Akneknötchen. Es bestehen keine luetischen Exantheme, keine Drüsen¬
schwellungen, Oedeme oder Infiltrate. Die Venen der unteren Extremitäten sind gestaut.
Die Pupillen reagieren prompt auf Lichteinfall und Konvergenz. Die Patellar-
reflexe sind sehr lebhaft, die übrigen Reflexe normal auslösbar, es bestehen keine
Sensibilitätsstörungen.
Der Zungenrand ist vorne links etwas zackig, am rechten hinteren Gaumenbogen
befinden sich einige gelblich-weisse strahlige Narben. Die Zähne fehlen fast vollständig.
Thorax: Grazil gebaut, jedoch von normaler Konfiguration. Die Lungengrenzen
sind: rechts vorne unten 5. Rippe, hinten rechts 9. Brustwirbeldorn, links hinten
10. Brustwirbeldorn, sie sind verschieblich. Der Perkussionsschall ist über der linken
hinteren Lungenspitze verkürzt, dort ist das Atmungsgeräusch abgesphwächt vesikulär
ohne Nebengeräusche. Sonst besteht über beiden Lungen normaler Klopfschall und
reines vesikuläres Atmungsgeräusch.
Herz: Der Spitzenstoss ist nicht zu fühlen, die absolute Herzdätnpfüng nicht
vergrössert, die relative: rechter Sternalrand, Medioklavikularlinie, oberer Rand der
4. Rippe. Ueber der Herzspitze ist ein deutliches, systolisches Geräusch hörbar, das
über der Herzbasis lauter ist. Die zweiten Herztöne sind nicht akzentuiert. Der Puls
ist unregelmässig, ungleichmässig, mässig gespannt, 104 Schläge in der Minute.
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
149
Abdomen: Im unteren Teile, besonders in den Flankengegenden aufgetrieben,
dort besteht gedämpfter Klopfschall, deutliche Fluktuation. Der Aszites ist frei
beweglich.
Die Leber ist nicht palpabel, ihr unterer Rand schneidet in der rechten Medio-
klavikularlinie mit dem Rippenbogen ab. Die Milz ist nicht palpabel, sie ist perku¬
torisch vergrössert. In der rechten Regio hypochondrica, etwa 4 cm von der Mittellinie
unmittelbar unter dem Rippenbogen besteht zirkumskripte erhebliche Druckschmerz¬
haftigkeit. Eine Resistenz ist nicht zu fühlen.
Urin: Dunkelbraune Farbe, Eiweiss- und Bilirubinprobe stark positiv, Saccha-
rum negativ. Im Sediment finden sich zahlreiche, stark gelb gefärbte, hyaline und
granulierte Zylinder sowie einige Epithelien, keine Tyrosin- und Leuzinkristalle.
Röntgenuntersuohung: Hochstand der Leber, späteres Aufleuchten der
linken Lungenspitze.
Temperatur 36,4 bis 37,2°.
23. 9. Der Ikterus ist intentiver geworden, der Leibesumfang beträgt in Nabel¬
höhe 59 cm.
25. 9. Patientin ist dyspnoisch, klagt über Bauchdeckenspannung und häufige
Durchfälle. Der Aszites ist deutlich angewachsen, Leibesumfang morgens in Nabei¬
höhe 79 cm, abends 104 cm. Körpergewicht 62,5 kg, Gewichtszunahme um 2 kg.
26. 9. Erheblicher Meteorismus. Die Probepunktion in linker Unterbauchgegend
ergibt ikterisch gefärbte Flüssigkeit, im Anschluss daran Bauchpunktion: Entleerung
von 4850 ccm Flüssigkeit von 1006 spezifischem Gewicht, Albumen 1,5 pCt., Rivalta
schwach positiv. Nach der Punktion gutes Allgemeinbefinden, Leibesumfang 88 cm.
Die Leber ist nicht palpabel. Häufige Durchfälle.
27. 9. Temperatur 36 bis 37,8, Puls frequent, 112 Schläge in der Minute, un¬
regelmässig. Der Leib durch Aszites und Meteorismus prall gespannt, Leibesumfang
in Nabelhöhe 96 cm. Patientin ist zyanotisch. Gegen Mittag wird das Sensorium
unklar. Leichte paretische Störungen der vom linken Fazialis imiervierten Muskeln,
sowie leichte Ptosis des rechten Augenlides. Gegen Abend ist Patientin sehr unruhig,
springt mehrmals aus dem Bett, wird dann mehr und mehr komatös, vereinzelte Muskel¬
zuckungen.
28. 9. Temperatur 34,4°, Puls 100. Patientin befindet sich in Agone, Tracheal-
rasseln, deutliche Fazialisparese links. 12 Uhr mittags Exitus. Wiederholte Urin¬
untersuchungen auf Leuzin und Tyrosin im Alkoholextrakt der 24ständigen einge-
darapften Urinmenge waren stets negativ.
Kurz zusammengefasst ergibt die Krankengeschichte: eine 29jährige,
luetisch infizierte, wiederholt mit Quecksilber vorbehandelte Frau erhält
innerhalb zweier Monate 4 Salvarsaninjcktionen und zwar 2 intravenöse
(alkalisch), zusammen 0,95, und 2 intraglutäale, zusammen 1,0, also im
ganzen 1,95 Salvarsan. Ungefähr 7 Monate nach der letzten Salvarsan-
injektion trat Ikterus auf, der nach 18 Tagen unter dem Bilde der akuten
gelben Leberatrophie mit Aszites tödlich verlief.
Von den Organen wurde die Leber auf Arsen untersucht, in der nur
feinste Spuren (feinster Arsenspiegel) nachgewiesen werden konnten.
Sektions-Protokoll: A. K., 29 Jahre. H. B. 275, seziert 29. 9. 1911.
(Dr. Schmidt).
Diagnose: Chronisohe gelbe Leberatrophie. Blutungen im Endokard des linken
Ventrikels. Beiderseitiger Hydrothorax und Lungenödem. Komprossionsatelektase
des rechten Unterlappens, Ikterus beider Nieren. Blutungen im Bauchfell und Schleim¬
haut des Duodenums.
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SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Weibliche Leiche in gutem Ernährungszustände, starker Ikterus der Haut, Oedeme
der Leber und der Untersohenkel.
Zwerchfellstand: Rechts 4., links 5. Rippe. In beiden Brustfellräumen,
links mehr als rechts, klare, gelblich gefärbte Flüssigkeit.
Herz: von mittlerer Grösse. Ausgesprochener Ikterus des Endokards, Blutungen
in der Intima des linken Ventrikels, besonders an den Papillarmuskeln. Klappen intakt,
Muskulatur rotbraun.
Die linke Lunge zeigt im Bereiche des grössten Teiles des Unterlappens infolge
von Kompression durch das Transsudat Atelektase.
Reohte Lunge: zeigt im Unterlappen vermehrte Konsistenz und Blutungen in
der Pleura. Die erhöhte Konsistenz beruht nur auf vermehrtem Blut- und Saftgehalt,
der Luftgehalt ist nirgends aufgehoben.
Bronchialschleimhaut: überall zyanotisch.
Im Abdomen finden sich etwa 2y 2 Liter einer klaren, leicht bräunlich gefärbten
Flüssigkeit.
Milz: vergrossert: 16 : 18 : 4, von weicher Konsistenz.
Darm: Die Serosa der Eingeweide zeigt namentlich im Bereiche des Jejunums
eine Menge Blutungen, die annähernd ringförmig angeordnet sind. Auch in der
Schleimhaut zeigt dieser Darm teil mehrere Hämorrhagien. Der übrige Darm hingegen
ist von Blutungen durchweg frei.
Leber: sehr klein, unter dem Rippenbogen verborgen, wiegt 725 g. Der seröse
Ueberzug zeigt leichte Fältelung beim Hinlegen des Organes. Auf der Höhe des
rechten Lappens und an der Vorderfläche des linken, in der unmittelbaren Nähe des
Ligamentum falciforme, finden sich zwei kirschgrosse, leicht über die Oberfläche pro¬
minierende, gelblich verfärbte, durch den Ueberzug hindurchscheinende Herde und hie
und da ebenso beschaffene, aber kaum Erbsengrösse überschreitend. Die Konsistenz
ist schlaff und zäh. Auf dem Durchschnitte zeigt der rechte Lappen im grossen und
ganzen ein von dem linken völlig abweichendes Aussehen. Im letzteren sieht man
hellgrünlioh-gelbe Herde von Stecknadelkopf- bis Kirschgrösse bei bisweilen kreis¬
förmiger, meist aber ganz unregelmässiger Begrenzung, welche durchzogen werden
von dunkelgrünen, verzweigten, oft unterbrochenen Linien. Diese dunkleren Züge,
die oft auch punktförmig inmitten eines kleinen, heller gefärbten Herdes erscheinen,
liegen offenbar in der Mitte der im ganzen deutlich vergrösserten Leberläppchen.
Indem letztere zu grösseren Verbänden konfluieren, kommen eben jene beiden er¬
wähnten, grösseren Herde zustande. Auch die an der Oberfläche prominierende Partie
bietet auf dem Durchschnitte ein solches Aussehen dar. Zwischen den hellgrün ge¬
färbten Partien, die auch auf dem Durchschnitte deutlich prominieren, sieht man mehr
oder minder breite, grau-rötliche Bänder dahinziehen, die ziemlich weite, dunkelrote
Streifen, offenbar im Längsschnitt getroffene Gelasse, die mit Blut gefüllt sind, ent¬
halten. Während also im linken Leberlappen eine, wenn auch gegen die Norm ab¬
weichende, so doch immerhin noch erkennbare Leberstruktur angetroffen wird, zeigt
der rechte Leberlappen in dem allergrössten Teile seiner Schnittfläche einen völligen
Verlust der Leberzeichnung: man sieht ein grau-rötliches, gefässreiches,
derbes, milzähnliches Gewebe, in dem sich nur hin und wieder Reste von
Lebersubstanz finden, die in ihrem Aussehen den am linken Lappen beschriebenen
Partien gleichen. Nur sind diese hier kaum grösser als eine Linse oder entsprechen
gar nur der Grösse eines Azinus, prominieren aber gleichfalls deutlich über die Schnitt¬
fläche. Die zu äusserst nach rechts gelegenen Partien des rechten Lappens enthalten
wieder umfänglichere Reste der grossazinösen Lebersubstanz, die durch Streifen grau¬
rötlichen Zwischengewebes, welches von den mittleren Zonen dieses Lappens in diesen
Bezirk hineinstrahlt, vielfach abgeteilt und begrenzt wird. Dieses Zwischengewebe ist
hier nicht nur von zarten kleinen Gefassen durchzogen, sondern zeigt Punkte, Fleckeo
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Zur Frage der Leberver&nderungen nach Salvarsan.
151
und Linien von dunkelrother Farbe, die oft zu einem Netzwerk angeordnet sind und,
falls sie etwas breiter sind, auch ein feines, wieder heller gefärbtes Zentrum darbieten.
Den Inhalt der Gallenblase bildet eine grüngelbe, dünne, leicht zäh-ilüssige
Masse. Gallen wege ohne Besonderheiten, Pfortader frei.
Die Nieren haben ein deutlich ikterisches Aussehen, die Rinde ist leicht ver¬
breitert. Das übrige Organ o. B.
Histologische Untersuchung der Leber.
Auch hier beginne ich mit der histologischen Beschreibung derjenigen
Partien der Leber, die durch die Anwesenheit von relativ viel Drüsen¬
parenchym ausgezeichnet sind. Wie oben schon gesagt, kommt hier be¬
sonders der linke Leberlappen in Betracht.
Bei schwacher Vergrösserung sieht man grössere und kleinere runde,
längliche und ganz unregelmässig geformte Zellterritorien, die von einem
der normalen Leber fremden Gewebe gegenseitig angegrenzt werden. Die
Leberzellen haben eine deutlich trabekuläre Anordnung, nur an der
äusseren Grenze, die dem periportalen Bindegewebe zugewandt ist, sieht
man die Balken oft zu breiten, ganz von Zellen eingenommenen Inseln
Zusammenflüssen, zwischen denen Blutkapillaren oft gar nicht mehr zu
erkennen sind. Letztere sind überhaupt allenthalben sehr schmal, die
Balken dagegen auffällig breit und lang und die einzelnen sie zusammen¬
setzenden Zellen von bemerkenswerter Grösse. Zwischen den Leberzell¬
reihen sieht man schon mit den gewöhnlichen Färbemethoden sehr deutlich
die doppelkonturierten Gallenkapillaren, die oft aropullenartig erweitert
sind und bis auf die am meisten zentral gelegenen Teile keinen galligen
Inhalt bergen. Die Zellen selbst haben ein völlig normales Aussehen,
ein mit Eosin sich zart rosa färbendes Protoplasma und bläschenförmige
Kerne. Letztere liegen oft zu zweien in einer Zelle, sind manchmal
ausserordentlich gross, auch sieht man spärliche Kerntoilungsfiguren in
den Leberzellen.
Dort, wo man wohlabgegrenzte Acini vor sich hat, ist deren Grösse
besonders ins Auge fallend. Ihre Grenzen nach dem periportalen Binde¬
gewebe sind äusserst scharf und klar, weil hier nirgends eine Spur von
Zelldegeneration wahrnehmbar ist.
Ganz anders verhält sich der zentrale Teil der Acini. Je mehr
man sich der Zentralvene nähert, um so schmäler werden die Zellbalken,
die einzelnen Elemente verlieren ihre scharfe, polygonale Begrenzung, die
Kerne werden unregelmässig, chromatinreicher und verlieren ihre
feine Zeichnung, die Kontinuität der Zellbalken erleidet Unter¬
brechungen, die Zellen treten aus ihrem Verbände heraus, erhalten
ein — bei Eosinfärbung — schmutzig grau-rötliches Aussehen und zeigen
Gallenfarbstoff-Kömer und Kernreste in ihrem Protoplasma. Immer
schmäler werden die Elemente, die Kerne verblassen mehr und mehr und
schliesslich sind nur noch kernlose Schollen übrig geblieben. An sehr
vielen Acinis tritt neben den Zeichen des Zerfalls eine auf die zentralen
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Abschnitte lokalisierte hochgradige Gallenstaaung in die Erscheinung.
Zierliche, vielfach verästelte Ausgüsse der Gal len kapillaren werden vielfach
beobachtet.
In den unmittelbar an der Zentralvene gelegenen Gebieten des stärksten
Zerfalls herrscht hochgradige, oft bis zur Blutung gesteigerte Hyperämie.
Die Bindegewebsentwicklung steht in den Zentren der Acini erst in
ihren Anfängen, lediglich um die Zentralvene herum sieht man eine
dichte Faserlage. Zwischen den restierenden und degenerierten Zellen
finden sich lediglich blutstrotzende Kapillaren; die von den gegenüber¬
liegenden Wänden zweier nebeneinander laufenden Gefässe begrenzten
Räume bilden die Maschen, in denen die Zellreste gelegen sind.
Während es nun niemals gelingt, Zentralvenen zu finden, deren Um¬
gebung noch eine normale Beschaffenheit darböte, so stösst man bei dem
analogen Versuche bezüglich der periportalen Scheiden auf keine Schwierig¬
keiten. Die einzige Veränderung, die man hier allerorten antrifft, ist
eine herdförmige, in der Umgebung der periportalen Gefässe befindliche
Rundzelleninfiltration des leicht aufgelockerten Gewebes. Eine dermassen
geringgradige Veränderung dieses Gebietes ist aber immerhin selten an¬
zutreffen gegenüber sehr hochgradigen und wichtigen Abweichungen von
der Norm. Aber auch diese beziehen sich nie auf einen akuten Zell¬
zerfall, sondern sind im Gegenteil durch eine sehr lebhafte Wucherung
und Neubildung von Gallengängen und Bindegewebe ausgezeichnet. Man
sieht die bekannten Zellzüge, manchmal nur einreihige, meist aber zwei¬
reihige, die auf Querschnitten ein deutliches Lumen erkennen lassen.
Die alten, normalerweise vorhandenen Gallengänge sind durch ihre ganz
gleichmässigen Zellformen und dadurch, dass der Kern von einem Saume
hellen Protoplasma begrenzt wird, von den neugebildeten Gallengängen
zu unterscheiden, die nur sehr spärliches Protoplasma erkennen lassen
und deren Kerne mehr spindelig sind. Zwischen den vielfach gewundenen
Gängen findet man je näher den Portalvenen, um so reichlicher An¬
sammlungen von Leukozyten.
Infolge des fortgeschrittenen Schwundes von Lebergewebe sind nun
häufig die periportalen, sehr stark verbreiterten Scheiden den zentralen
Teilen der Läppchen nahe gerückt, so dass sie oft ohne Vermittlung von
Lebergewebe ineinander übergehen. Hierdurch wird vielfach die
Lokalisation der Veränderungen erschwert, ja sogar unmöglich gemacht.
Die Wucherung des Bindegewebes ist in den periportalen Scheiden
und in den Regenerationszonen schon bis zu einem gewissen Grade
fortgeschritten, namentlich wenn man die diesbezüglichen Vorgänge in
den Zentren der Läppchen vergleicht; man sieht nämlich bei der van Gieson-
Färbung viele feinste Fibrillen zwischen den neugebildeten Gallengängen
verlaufen, wobei das zarte Rosa dieses jungen Bindegewebes sich deutlich
abhebt von den dichten, derbfaserigen Lagen in der unmittelbaren Um¬
gebung der normalerweise hier gelegenen Gebilde.
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
153
Ich wende mich nun zu den am äusserst nach rechts im rechten
Leberlappen gelegenen Partien, die, wie nach dem makroskopischen
Anblick zu erwarten war, den kompliziertesten Aufbau darbieten.
Schon bei schwacher Vergrösserung fallen 3 völlig verschiedene Be¬
standteile des vorliegenden Gewebes ins Auge: Leberzellinseln, Zwischen¬
gewebe und Blutungen. Was die ersteren anlangt, so sind sie von viel
geringerem Umfange als am linken Leberlappcn. Sie stellen nur noch
Bruchteile der Acini dar, in ganz unregelmässigen Formen. Die trabe¬
kuläre Anordnung der Zellen ist erweislich.
Innerhalb dieser Leberzellinseln tritt nur eine deutliche Verschiedenheit
der Zellen zutage: Während ein Teil jene wohlgeformten grossen,
polygonalen Elemente mit bläschenförmigen Kernen zeigt, ist ein anderer
Teil völlig nekrotisch. Der Uebergang der einen Zellart zur anderen ist
ein sehr schroffer. Innerhalb dieser kernlosen Partien ist manchmal die
Balkenstruktur noch angedeutet, in anderen Fällen völlig verwischt. Die
nekrotischen Partien, sei es nun, dass sie mit den wohlerhaltenen
Elementen za einer Gruppe vereinigt sind, sei es, dass sie als isolierte
Herde sich vorfinden, immer haben sie eine ganz bestimmte Lage¬
beziehung, indem sie in unmittelbarer Nachbarschaft von grösseren
Hämorrhagien gelegen sind. Vielfach kann man auch innerhalb dieser
Hämorrhagien grössere Komplexe oder einzelne solcher in Nekrose be¬
findlichen Elemente nachweisen. Eine Lokalisation dieser Blutungen ist
an vielen Stellen noch dadurch ermöglicht, dass entweder in ihrer Mitte
oder häufiger exzentrisch gelegen kleinere Lumina sichtbar sind. Die
Identität dieser letzteren mit den Zentralvenendurchschnitten ist bei der
Kenntnis der analogen, aber weniger fortgeschrittenen Veränderungen, die
ich am linken Leberlappen beschrieben habe, unschwer zu ersehen.
Vielfach ist aber von einem Gefäss innerhalb der Blutungen auch die letzte
Spur geschwunden, so dass man grosse Blutlachen sieht, die teilweise
innerhalb der Parenchyminseln gelegen sind, teilweise diese im Kreise
umfliessen und sich von hier aus zungenförmig in das Testierende Leber¬
gewebe einerseits und die Regenerationszonen andererseits hinein er¬
strecken. Diese letzteren nehmen den grössten Umfang der uns hier be¬
schäftigenden Leberzonen ein. Sie sind ausgezeichnet durch jene aus
neugebildeten Gallengängen bestehenden Zellschläuche, die in einem
welligen, vielfach mit Rundzellen infiltrierten Bindegewebe gelegen sind.
Ihre Elemente zeigen zum Teil bei grösserem Reichtum an Protoplasma
eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Leberzellen. Daneben sind aber
noch deutlich die im periportalen Bindegewebe gelegenen Hauptkanäle
erkennbar, um welche herum sich das Bindegewebe zu breiten Faserlagen
verdichtet hat. Das neugebildete Gewebe, das auch einen bemerkens¬
werten Gefässreichtum erkennen lässt, erstreckt sich vielfach bis in die
zentralen Partien der Läppchen hinein, grenzt also unmittelbar an die
Lebervenen oder an die hierin befindlichen Häraorrhagion oder Nekrosen.
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154 SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Durch dieses dichte Nebeneinander ganz verschiedenartiger Gewebs-
strukturen wird das Bild so kompliziert, dass es sich nur auf Grund
der früher beschriebenen, weniger fortgeschrittenen Veränderungen richtig
deuten lässt.
Bedeutend einfacher und klarer liegen nun die histologischen Ver¬
hältnisse dort, wo auch die letzten Leberzellreste geschwunden sind
und wo lediglich das Regenerationsgewebe das Bild beherrscht. Auch
ohne Leberzellbalken sind die Merkmale des Azinus gewahrt in dem
deutlichen Hervortreten der Lebervene und der periportalen Scheiden.
Die Zentralvene ist umgeben von fibrillärem Bindegewebe, in welchem
zahlreiche Gefässe und spindelige Zellen erkennbar sind. Sie schliessen
oft auch schollige Massen ein, die wohl die letzten Residuen der Leber¬
zellen darstellen. Diese'innersten Zonen des neugebildeten Azinus sind
ganz frei von regenerierten Gallengängen. Letztere erscheinen erst inner¬
halb der sogen, intermediären Zone, liegen hier ziemlich dicht und zeigen
dort, wo sie im Längsschnitt getroffen sind, eine radiäre Anordnung zur
Zentralvene. Zwischen ihnen sind reichliche Leukozyten zu bemerken.
Nach der Pfortader zu vermindert sich die Zahl der Gallengänge wieder
etwas, ebenso wie die der Leukozyten und es treten die breiten um die
Pfortader und die sie begleitenden Kanäle gelegenen Bindegewebslagen
als äusserste Begrenzung der Leberläppcben hervor. Die Grösse der
letzteren ist augenscheinlich sehr reduziert, namentlich, wenn man damit
die hypertrophischen Acini im linken Leberlappen vergleicht.
Das gänzliche Fehlen von Leberzellen auf weite Strecken dieses
Gebietes ist besonders bemerkenswert, namentlich im Hinblick auf die
Ansicht mehrerer Autoren — ich nenne nur Marchand, Meder und
Ströbe —, dass aus neugebildeten Gallengängen Leberzellen und Leber¬
zellbalken entstehen können. Ich habe schon bei der Besprechung des
ersten Falles bemerkt, dass einwandfreie Beweise für eine solche Art
Neubildung von Leberzellen in jenem Falle nicht Vorlagen und möchte
auch hinsichtlich dieser Beobachtung besonders darauf hin weisen, dass,
falls eine solche Neubildung wirklich statthätte, es im höchsten Grade
befremdlich wäre, warum hier auch keine Spur einer solchen nachweis¬
bar ist.
Obwohl die Regenerationsbestrebungen sowohl am rechten als linken
Leberlappen unverkennbar und sehr ausgeprägt sind, finden wir doch
hier, wo das Lebergewebe völlig geschwunden ist, nirgends Ansätze zu
einer Neubildung von Leberzellen. Mir scheint dieses doch mit aller Be¬
stimmtheit darauf hinzu weisen, dass die Voraussetzung einer solchen
Neubildung das Vorhandensein stehengebliebener Leberzellreste
ist, von denen eine solche Neubildung ausgehen kann. Da dieses nun
in den in Rede stehenden Gebieten nicht der Fall gewesen ist, so ver¬
missen wir auch jede Spur von Leberzellregeneration.
Die zuletzt beschriebene Gewebsstruktur zeichnet die grosse Masse
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Zur Frage der Leberveränderangen nach Salvarsan.
155
des rechten Leberlappens aus, repräsentiert somit den grössten Teil der
Leber überhaupt.
Spirochäten konnten mittelst der Levaditischen Methode nicht nach¬
gewiesen werden.
Fassen wir die wesentlichen Ergebnisse dieses Falles zusammen, so
sehen wir auch hier einen hochgradigen Schwund des Lebergewebes, der
noch viel weiter vorgeschritten ist, als in dem ersten Falle. Der ganze
rechte Leberlappen ist in ein milzähnliches Gewebe umgewandelt, das
bei mikroskopischer Untersuchung aus Läppchen zusammengesetzt ist,
die gar nicht mehr aus Leberzellen, sondern nur aus neugebildeten
Gallengangssprossen und Bindegewebe bestehen und demgemäss be¬
trächtlich verkleinert sind. Nur in den am weitesten nach rechts ge¬
legenen Partien finden sich gewucherte Leberzellreste neben ausgedehnten
zentralen Blutungen und frischen, gleichfalls zentral im Läppchen ge¬
legenen Nekrosen. Dagegen zeigt sich der linke Lappen fast ganz aus
hypertrophischen Acinis zusammengesetzt und es macht sich hier sowohl
wie auf der Höhe des rechten Lappens bereits beginnende Knotenbildung
bemerkbar, die ersten Anfänge jener schweren Missgestaltung der Leber,
die von March and als Ausgang der akuten gelben Leberatrophie be¬
schrieben worden ist.
Epikrise.
Bei dem Vergleich des anatomischen Verhaltens der beiden Lebern
müssen wir anerkennen, dass gewisse Unterschiede vorhanden sind. Diese
beziehen sich auf die Grösse des Organes und auf den sonstigen
makroskopischen Eindruck. Im ersten Falle ist die Verringerung des
Volumens im Verhältnis zur Norm nicht sehr hochgradig, im zweiten
dagegen höchst auffallend. Dort ist die elastische Spannung des serösen
Ueberzuges kaum vermindert, hier dagegen entsprechend der Kleinheit
des Organes fast aufgehoben. Dort ist die Konsistenz der einer normalen
Leber nicht unähnlich, hier dagegen ist das Organ schlaff und welk.
Das Aussehen der Schnittfläche zeigt im ersten Falle dem normalen Ver¬
halten stark genäherte Verhältnisse, insofern fast überall die Läppchen¬
zeichnung deutlich hervortritt, und nur relativ kleine Bezirke diese
vermissen lassen, im zweiten Falle ist dagegen die Leber zum grössten
Teile milzähnlich geworden und nur der linke Lappen zeigt stark ver-
grösserte Acini. Hier kommt noch als besondere Eigentümlichkeit hinzu
eine Abweichung vom normalen Oberflächenrelief in Gestalt flacher,
weicher, durch den Ueberzug gelblich hervorschimmernder Erhebungen
und als Ausdruck einer Rückwirkung auf die Zirkulationsverhältnisse
irn Bauchraum ein nicht unbeträchtlicher Aszites.
Bei der histologischen Betrachtung aber verwischen sich die
zunächst nicht unbeträchtlichen Unterschiede zusehends. In den Vorder¬
grund tritt der beiden Fällen gemeinsame Schwund des Lebergewebes,
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156
SEVERIN und HEIN RI CHS DORFF,
dessen frische Merkmale sich stets in der Umgebung der Zentralvencn
finden, während die Zeichen der Regeneration immer von der Peripherie
der Läppchen her ihren Ausgang nehmen. Hier findet sich in der Regel
eine herdförmige, aus Rundzellen bestehende Infiltration, während in den¬
jenigen Partien der Leber, wo der Prozess am stärksten fortschreitet,
eine zentro-azinär gelegene hämorrhagische Infiltration neben starker
Hyperämie anzutreffen ist. Mehr und mehr erweist sich, dass der Unter¬
schied im makroskopischen Verhalten lediglich durch den Grad der im
übrigen gleichartigen Veränderungen bedingt ist. Im ersten Falle ist die
grosse Masse der Leberläppchen nicht in den Degenerationsprozess hinein¬
gezogen worden, teilweise hat sich die Zerstörung überhaupt nur auf
die Zentren der Läppchen und weniger auf die Peripherie erstreckt, gar
nicht auf die breite intermediäre Zone. In anderen, aber wenig um¬
fänglichen Bezirken ist wohl mehr Gewebe eingeschmolzen, immerhin ist
an einzelnen, stehengebliebenen Resten des Lebergewebes der spezifische
Charakter des Organes durchaus gewahrt. Demgemäss nimmt in diesem
Falle das regenerierte Gewebe nur ein verhältnismässig geringes Gebiet
ein. Im zweiten Falle aber hat bloss der linke Lappen ein relativ
normales Gefüge bewahrt, während der rechte nur noch Inseln von Leber¬
gewebe zeigt, zum allergrössten Teile aber auch nicht einmal diese mehr,
sondern ganz in Regenerationsgewebe umgewandelt ist. Hieraus erklärt
sich auch das Auftreten des Aszites, da die in dem neugebildeten
Gewebe verlaufenden Gefässe gegen die Norm ebenso verengt, wie die
neuen Lobuli stark verkleinert sind. Man kann den ganzen Zerstörungs¬
prozess, der sich in beiden Lebern darbietet, in 3 Stadien einteilen:
1. Stadium: beginnende zentrale Nekrose, 2. Stadium: fortgeschrittene
zentrale Nekrose, zentrale Hämorrhagien, periphere Regeneration,
3. Stadium: reines Regenerationsgewebe. Der erste Fall zeigt die ersten
beiden Stadien des Prozesses, der zweite ausser diesen beiden auch das
dritte. Man findet unschwer Bilder — soweit sie den ersten beiden Ent¬
wicklungsstufen entsprechen —, die sich, obwohl sie 2 verschiedenen
Organen angehören, so ähnlich sind, als ob sie derselben Leber entstammten:
Für mich steht daher die Gleichartigkeit der vorliegenden anatomi¬
schen Veränderungen ausser allem Zweifel. Welcher Art aber ist dieser
Prozess? Derartige Leberveränderungen, wie ich sie soeben beschrieben
habe, sind durchaus ähnlich den bekannten Schilderungen von Marchand 1 ),
Meder 2 ), Ströbe 3 ), Barbacci 4 ) u. a., welche sie als Ausgang der
akuten gelben Leboratrophie auffassen. Was den zweiten meiner
Fälle anlangt, so leuchtet die Berechtigung eines solchen Vergleiches bei
Kenntnis jener Arbeiten ohne weiteres ein und nur die erste Beobachtung
1) Marchand, Zieglers Beiträge Bd. 17. 1895.
2) Meder, Ueber akute Leberatrophie, Zieglers Beiträge Bd. 17. 1895.
3) Ströbe, Zieglers Beiträge Bd. 21. 1897.
4) Barbacci, Zieglers Beiträge Bd, 30. 1901.
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan. 157
könnte hinsichtlich ihrer Identität mit den angezogenen Fällen der älteren
Autoren Zweifeln begegnen. Nach den obigen Auseinandersetzungen kann
man aber einen prinzipiellen Unterschied zwischen unseren beiden Be¬
obachtungen nicht machen und auch innerhalb der akuten gelben Leber¬
atrophie gibt es Abstufungen des Prozesses, die sowohl darin zum Aus¬
druck kommen, dass nur einzelne, schon makroskopisch erkennbare Teile
des Organes an dem Degenerationsprozesse teilnehmen, als auch darin,
dass innerhalb der einzelnen, nur mikroskopisch genau übersehbaren
Drüsenläppchen bestimmt lokalisierte Partien in gesetzmässiger Weise
befallen werden. Ob es allerdings in unseren Fällen gerechtfertigt ist,
eine vor längerer Zeit vorausgegangene akute Atrophie anzunehmen,
welche dann zu jenen merkwürdigen Veränderungen der Leberstruktur
geführt hat, weil das Leben durch die akute Attacke nicht unmittelbar
bedroht wurde, möchte ich bezweifeln. Denn es ist weder klinisch ein
so weit zurückliegender, akuter Krankheitsprozess bekannt, wie man ihn
nach dem Alter der hier vorliegenden Veränderungen annchmen müsste,
noch kann man behaupten, dass alle diese Veränderungen wirklich so
alten Datums seien. In beiden Fällen ist vielmehr daneben eine ganz
frische Degeneration in Form von reinem Kernschwund nachgewiesen
worden. Ich glaube daher, dass man beide Fälle richtiger auffasst, wenn
man einen von Anfang an chronischen Verlauf des Leberprozesses an¬
nimmt, bei dem immer wieder neue Gebiete des Organes der Nekrose
anheim fallen, wohl auch solche, welche bereits als Ersatz von unterge¬
gangenem Lebergewebe gelten konnten. Ueberhaupt muss man, wenn
man die Fälle der Literatur betrachtet, zu dem Ergebnis kommen, dass
ein grosser Teil der als akute Atrophie beschriebenen Beobachtungen viel
richtiger als subakute und chronische Formen bezeichnet werden müsste.
Denn es ist fast allen Beobachtern aufgefallen, dass die anatomischen
Veränderungen in einer grossen Zahl von Fällen viel älter sind, als man
nach der Betrachtung des klinischen Bildes glauben möchte. Die Affektion
beginnt offenbar in solchen Fällen ganz schleichend und die Grösse der
Leber bietet die Möglichkeit dar, dass auch umfänglichere Partien dieses
Organes hinfällig werden können, ohne dass darum notwendigerweise ein
Kranksein oder gar ein tödliches Ende die Folge wäre. Zugleich tritt die
von Ponfick 1 ) u. a. nachgewiesene, aus Hypertrophie und Hyperplasie
sich zusammensetzende Zunahme der Testierenden Elemente vikariierend
ein. für .die untergegangenen, und auch infolge dieser Eigentümlichkeit
vermag der Prozess gewiss eine Zeitlang latent zu verlaufen. Erst wenn
der Umfang des Zellschwundes ein gewisses Mass erreicht hat, das zudem
für den jeweilig davon Betroffenen gänzlich verschieden ist, stellen sich
die Erscheinungen der Leberinsuffizienz ein, die unter dem klinischen
Bilde der akuten gelben Leberatrophie bekannt sind.
1) Ponfick, Virchows Archiv Bd. 118, 119 u. 138. Festschrift für Virchow,
Berlin 1891.
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158
SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Die Frage, die hier vor allem interessiert, ist nun die: worauf ist
der chronische Leberschwund, der in mehreren Monaten zum Tode geführt
hat, zurückzuführen?
Die Aetiologie der akuten gelben Leberatrophie ist bekanntlich eine
oft unklare und jedenfalls nicht einheitliche. Wenn wir in der Vor¬
geschichte unserer Fälle nach einem bekanntermassen zur akuten Atrophie
führenden Momente suchen, so stossen wir zunächst auf die Syphilis.
Während es früher bezweifelt wurde, ob diese Krankheit wirklich die
Ursache der akuten gelben Leberatrophie werden könne, ist es unseres
Erachtens durch die neueren Beobachtungen einwandfrei bewiesen, dass
ein solcher Zusammenhang besteht. Engel-Reimers 1 ) gebührt das
Verdienst, durch Beibringung von in kurzer Zeit gesammelten Fällen
seiner Beobachtung das Interesse auf diesen Gegenstand gerichtet zu
haben. Es folgten dann, nachdem man einmal auf den Zusammenhang
aufmerksam geworden war, viele ähnliche Beobachtungen, so dass heute
etwa 50 Fälle bekannt sind. In allen diesen trat Leberatrophie in dem
sekundären Stadium der Syphilis auf, zu der Zeit, da die ersten Er¬
scheinungen allgemeiner Natur sich zeigten oder bereits rezidivierten.
Dadurch, dass die Krankheit auch da in die Erscheinung trat, wo kein
Quecksilber gegeben worden war, durfte von vornherein die Ansicht derer
als widerlegt gelten, welche etwa diesem Mittel die Schuld an der in
Rede stehenden Veränderung hätten geben wollen. Die meisten der be¬
schriebenen Fälle zeigen akute Zelldegeneration, die zu dem bekannten
anatomischen Bilde der frischen Atrophie geführt hat, das durch Ab¬
wechslung roter und gelber Partien ausgezeichnet ist. Ein anderer Teil
der Fälle weist bereits deutliche Anzeichen der Regeneration in Form
vön Gallensprossungen auf und von Isidor Neumann*) ist in seinem
bekannten Handbuche ein offenbar schon lange währender Prozess be¬
schrieben worden, der bei der Sektion das Bild der knotigen Hyperplasie
der Leber darbot. Die anatomische Erscheinungsreihe, die bei den akuten
und chronischen Formen der Leberatrophie beobachtet worden ist, ver¬
läuft nun in bezug auf die feineren histologischen Einzelheiten nicht
immer in gleicher Weise. Nach den Unterschieden, welche sich hier er¬
geben, bezüglich der Lokalisation des Prozesses im Leberläppchen einer¬
seits und der Art des Zellschwundes andererseits, hat Kretz 3 ) die Fälle
eingeteilt in solche, bei denen die Zellen durch fettige Degeneration zu
Grunde gehen, und in solche, wo die Nekrose der Zollen dominiert.
Innerhalb dieser beiden Hauptgruppen unterscheidet er solche mit zen¬
traler und solche mit peripherer Lokalisation; die Fälle von akuter
Atrophie nach Syphilis rechnet er zu denen, bei welchen das Leber-
1) Engel-Reimers, JahrbücherderHamb.Staatskr. 1.Jahrg. 1889;Leipzig 1890.
2) Neu mann, Syphilis. Wien 1899.
3) Kretz, Ergebnisse der Pathologie v. Lubarsch u. Ostertag; Pathologie der
Leber VIII 2. 1902.
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
159
parenchym in den zentralen Zonen der Acini zerfällt und zwar auf dem
Wege des Kernschwundes.
Vergleicht man unsere Fälle hiermit, so kommt man zu dem Er¬
gebnis, dass bei ihnen diese Kriterien der syphilitischen Atrophie zweifellos
gegeben sind. Es liegt darum, rein vom anatomischen Standpunkte aus
betrachtet, die syphilitische Aetiologie für unsere Fälle durchaus im Be¬
reiche der Möglichkeit.
Neben dieser Annahme kommt nun aber noch eine andere in Be¬
tracht: beide Patienten sind mit Salvarsan behandelt worden.
Hofmann 1 ) hat einen Fall beschrieben, bei welchem er dem Sal¬
varsan die Schuld an dem Auftreten der akuten gelben Leberatrophie
gibt. Es handelte sich um einen Patienten, der zwei Salvarsaninjektionen
bekommen hatte, die erste intravenös, die zweite 6 Tage später intra¬
muskulär. Hierauf bestand über 5 Wochen lang absolutes Wohlbefinden,
dann begannen sich Erscheinungen zu zeigen, die klinisch dem Bilde einer
akuten gelben Leberatrophie entsprachen und nach weiteren 4 Wochen
zum Tode führten. Die anatomisch-histologische Diagnose von Professor
Dürck bestätigte diese Annahme und machte auch nach dem Alter der
Regenerationserscheinungen einen Zusammenhang mit der Injektion wahr¬
scheinlich.
Bei einer kritischen Würdigung erachte ich aber den Beweis hierfür
nicht als erbracht. Es ist immer etwas Missliches, das Alter von ana¬
tomischen Veränderungen genau zu bestimmen. Seit der ersten Salvarsan-
injektion sind 10, seit der letzten 9 Wochen bis zum Eintritt des Todes
verstrichen. Man kann nun keinesfalls mit Sicherheit sagen, dass der
Prozess in der Leber gerade so alt ist, er kann ebenso gut 2 Wochen
älter oder jünger sein. Bei der ersteren Annahme käme das Salvarsan als
ätiologischer Faktor schon nicht mehr in Betracht, bei der zweiten wäre ein
solcher Zusammenhang wohl möglich, aber keineswegs sicher, denn
auch hier käme daneben die Syphilis in Frage, die vom Verfasser mit
Unrecht vernachlässigt wird. Der Mangel des Spirochätennachweises
rechtfertigt keineswegs den Ausschluss der Syphilis. Darauf weisen die
Untersuchungen von Veszprerai und Kanitz 2 ) hin, welche die Spiro¬
chäten bei der syphilitischen Atrophie gleichfalls vermissten. Das ent¬
spricht auch den Erfahrungen bei den übrigen Formen der akuten
Atrophie, die sich an Infektionserkrankungen mit bekanntem Virus an¬
schlossen, Auch hier ist der Befund von Bakterien keineswegs obligat.
Daher hat man auch die akute gelbe Leberatrophie als Intoxikations¬
krankheit bezeichnet, um damit auszudrücken, dass weniger die Bak¬
terien als deren Toxine die ursächliche Rolle spielen.
Auch in unseren Fällen kann nur mit scheinbarem Recht aus dem
1) Hof mann, Münohener med. Wochenschr. 1911. Nr. 33.
2) Veszpremi und Kanitz, Archiv f. Dermatologie. Bd. 88. 1907.
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160 SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Alter des Prozesses auf dessen Ursache geschlossen werden. Wohl
würden die Veränderungen im ersten Falle der Annahme, dass es sich
um eine Salvarsanintoxikation handle, insofern nicht widersprechen, als
sie sehr gut ein Alter von drei Monaten — so lange Zeit war seit der
ersten Injektion verflossen — haben könnten. Das Nämliche gilt, vom
zweiten Falle, dessen Veränderungen viel weiter fortgeschritten sind und
bei dem die letzte Salvarsaninjektion vor acht Monaten stattgefunden
hatte. Aber wenn man hiernach auch geneigt sein könnte, die ätiolo¬
gische Bedeutung des Salvarsans in die erste Linie zu rücken, so muss
man doch auf der anderen Seite bedenken, dass bei dem ersten Patienten
die Wassermannsche Reaktion zurzeit des Ausbruchs der Lebererkrankung
positiv war; im zweiten Falle war sie einmal acht Monate und dann
3y 2 Monate vor dem Tode negativ. Wie sie aber in der Zwischen¬
zeit, also sagen wir vier bis sechs Monate vorher gewesen ist, ist nicht
bekannt. Und doch kann auch zu dieser Zeit der Leberprozess einge¬
setzt haben und später unter dem Einfluss der Behandlung die Wasser¬
mannsche Reaktion — vielleicht nur vorübergehend — negativ ge¬
worden sein.
Also auch hiernach wäre der syphilitische Charakter der Affektion
keineswegs ausgeschlossen.
Aus den anatomisch-histologischen Kriterien allein kann man somit
keine Sicherheit über die Ursache der Erkrankung erlangen. Dagegen
muss das stärkste Gewicht auf eine klinische Tatsache gelegt werden,
die sich allerdings nur auf die erste unserer Beobachtungen bezieht.
Die Krankheit hat sich unmittelbar an die letzte Salvar¬
saninjektion angeschlossen und verlief in knapp vier Wochen
tödlich. So schwierig es ist, alle in dieser Leber vorhandenen Ver¬
änderungen auf eine so kurze Frist zu bemessen, so wenig bedarf es
einer solchen Annahme. Denn man kann sehr wohl sich vorstellen,
dass der Prozess schon im Anschluss an die ersten Injektionen begonnen
habe, und erst nach der letzten aus dem Stadium der klinischen Latenz
herausgetreten sei. Gegen eine solche Auffassung liesse sich nur ein
Einwand erheben, der nämlich, dass die Art der vorliegenden Erkrankung
einen solchen Zusammenhang ausschliesse.
Wie steht es nun mit unseren Kenntnissen von den Wirkungen des
Arsens im allgemeinen auf das Leberparenchym und der dem Salvarsan
nahestehenden Präparate im besonderen?
Es ist sowohl aus der menschlichen Pathologie wie aus dem Tier¬
experiment bekannt, dass Leberzelldegenerationen nach Arsen Vergiftung
auftreten. Diese bekunden sich teils als Verfettung, teils als Nekrose.
Die Nekrosen aber lokalisieren sich beim Tier gerade an der Peripherie
der Läppchen J ) und nicht wie bei uns vorwiegend im Zentrum. Die Ver-
1) Ziegler und Obulenski, Zieglers Beitr. 11.
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
161
fettung ist gleichfalls in unseren Fällen wenig ausgesprochen. Die aus
der menschlichen Pathologie bekannten Fälle von Arsenvergiftung geben
im allgemeinen von der Leber keine detaillierte Schilderung, weil die
Erkrankung dieses Organs nicht im Vordergründe des klinischen Bildes
steht. Hierin unterscheidet sich die Arsenvergiftung wesentlich von der
mit Phosphor; auch die akute gelbe Leberatrophie, die doch nach Phosphor
öfter beobachtet worden ist, ist in der Pathologie der Arsentoxikose un¬
bekannt. Hinsichtlich anderer Arsenpräparate, z. B. des Atoxyls hat
Schlecht 1 ) über einen Fall von tödlicher Vergiftung berichtet und hierbei
einen Leberbefund erhoben, der ausgezeichnet war durch hochgradige
Degeneration und Nekrose der Leberzellen. Aber auch hier ist auf be¬
sondere histologische Details nicht eingegangen, so dass es schwer ist,
daraus zu ersehen, ob eine bis ins einzelne gehende Uebereinstimmung
zwischen jenen Veränderungen und den in unserem Falle beobachteten
besteht. Dagegen ist dieses möglich in einem anderen von demselben
Autor untersuchten Falle, über den Albert Neisser 2 ) berichtet hat.
Es handelte sich um eine Vergiftung mit Arsenophenylglyzin, einem
Vorläufer des Salvarsans. Nach der fünften Injektion dieses Präparats
traten schwere Allgemeinerscheinungen mit Fieber und Ikterus auf und
am fünfzehnten Tage darauf verstarb Patient. Die Leber zeigte eine
leichte Vergrösserung des rechten Lappens und an der Oberfläche kleine
erbsengrosse weisslich-gelbe Stellen, die etwas in die Tiefe reichten und
scharf abgegrenzt waren. Bei der histologischen Prüfung fand er im
periportalen Bindegewebe eine Leukozyteninfiltration, die
durch den Reichtum an Eosinophilen ausgezeichnet war. Das Leber¬
gewebe selbst war in körniger und vakuolärer Degeneration be¬
griffen, in der Gegend der Zentralvene machte sich beginnende
Nekrose bemerkbar. In den Leberzellen war Gallenpigment abgelagert,
und die erweiterten Gallenkapillaren enthielten schollige Galle.
Vergleicht man diese Veränderungen mit den unseren, so ist eine in
wichtigen Punkten bestehende Aehnlichkeit dos Befundes nicht zu ver¬
kennen. Ich hebe besonders die Leukozyteninfiltration des periportalen
Bindegewebes und die zentroazinäre Nekrose hervor. Die Eosinophilie
des Blutes und der Entzündungszellen habe ich dagegen nicht gefunden,
jedoch bestand auch in meinem Falle ein leichter Grad von Hämosiderosis,
den der letztgenannte Verfasser bei seinen beiden Vergiftungsfällen be¬
obachtet hatte. Immerhin sind die Berührungspunkte sehr auffällig und
sie zusammen mit der Tatsache, dass die Erscheinungen unmittelbar nach
der Injektion auftraten, machen es in hohem Grade wahrscheinlich, dass
auch in unserem Falle eine toxische Wirkung des Arzneistoffes vorliegt.
Dadurch, dass Arsen in der Leber nachweisbar war, wird diese
1) Schlecht, Münch, med. Wochenschr. Nr. 19. 1909.
2) Neisser, Arbeiten aus dom Kaiserl. Gesundheitsamt. Bd. 37.
Zeitsekr. f. klin, Medizin. 76. Bd. H. I u. 2. \\
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SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
Ansicht nur gestützt. Die Befunde der übrigen Organe sprechen nicht
dagegen, insofern die Niere trübe Schwellung der Harnkanälehenepithelien
aufweist, die bis zur Nekrose vieler Elemente gediehen ist, einen Befund,
der allerdings auch auf Rechnung der massenhaften Gallenfarbstoffaus-
scheidung gesetzt werden kann.
Bei der Frage nach der Ursache der vorliegenden Leberveränderung
würde ich also für unseren ersten Fall die Annahme, dass eine toxische
Wirkung des Salvarsans vorliegt, aus den soeben erörterten Gründen
für wahrscheinlicher halten als die, dass der Leberaffektion Syphilis
zugrunde liege.
Es fragt sich nun, ob es angängig ist, den zweiton Fall von dem¬
selben Gesichtspunkte anzusehen. Wenn auch, wie ich oben auseinander¬
gesetzt habe, die histologischen Verhältnisse dazu nötigen, den gleichen
anatomischen Prozess für beide Fälle anzunehmen, so ist damit noch
keineswegs gesagt, dass ihnen auch die gleichen Ursachen zugrunde
liegen. Gerade die akute gelbe Leberatrophie ist in bezug auf ihre
Aetiologie keineswegs einheitlich: Ganz verschiedene Infektionen und
Intoxikationen können die gleichen nicht nur grob anatomischen, sondern
auch histologischen Leberveränderungen hervorrufen. Die zentroazinäre
Degeneration kommt bei Sepsis, Syphilis und der sogenannten genuinen
Leberatrophie vor, deren Aetiologie noch ganz unklar ist, ferner aber auch,
wie wir eben gesehen haben, bei der Arsenophenylglyzin-Vergiftung. Der
Reaktionsmöglichkeiten eines Organs gegenüber einer bestimmten
Schädlichkeit sind nicht so viele, dass es auf einen bestimmten Reiz
immer in spezifischer Weise reagieren könnte. Höchstens haben ganze
Gruppen von toxischen Stoffen eine solche histologisch erkennbare
elektive Wirkung auf bestimmte Bestandteile des Organs.
Aus der Art der anatomischen Veränderungen können wir also
keinen bindenden Schluss auf die Aetiologie machen. In klinischer
Hinsicht ist das lange Intervall zwischen der letzten Salvarsan-Injektion
und dem Beginn der Erkrankung ein erschwerendes Moment für die Be¬
urteilung des Zusammenhangs. In einem solchen Zwischenraum können
neben der toxischen Wirkung des Arsenpräparates, die ja bei dem nach¬
weisbaren Arsengehalt sehr ins Gewicht fällt, noch andere ursächliche
Momente in Frage kommen. Auf die Syphilis habe ich schon mehrfach
hingewiesen. Falls sie in der Tat die primäre Ursache dieser Leber-
orkrankung darstellt, so würden sich sehr bemerkenswerte Ergebnisse
hinsichtlich einer etwaigen Mitwirkung des Salvarsans herausstellen.
Das Vorkommen der akuten gelben Leberatrophie bei Syphilis ist
ein keineswegs gewöhnliches und die hier beschriebene chronische Form
muss als eine ganz besondere Seltenheit betrachtet werden. Deshalb ist
vielleicht eine Beteiligung des Salvarsans an dem Zustandekommen der
hier vorliegenden Leberveränderung nicht auszuschliessen. Wenn man
nämlich bedenkt, dass der chronische Verlauf der unzweifelhafte Ausdruck
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Zur Frage der Leberveränderungen nach Salvarsan.
163
einer — im Verhältnis zum akuten — geringeren Intensität der fraglichen
Giftwirkurig ist und auf der anderen Seite durch vielfältige Erfahrung
weiss, dass das Salvarsan den Syphiliserreger schwer schädigt, so ist
die Annahme naheliegend, dass wir die eigentümliche Form der Leber¬
erkrankung auf die Hemmung der für das Leberparenchym so deletären
Syphilistoxine durch das Salvarsan zu beziehen haben. Für die Be¬
rechtigung dieser Aulfassung spricht eine Beobachtung Umbers 1 ).
Dieser Autor hat eine unzweifelhafte akute gelbe Leberatrophie durch
Salvarsan zur Heilung gebracht. Wie ich oben auseinandergesetzt habe,
und wie man aus den Beobachtungen vieler Autoren weiss, bieten solche
Lebern in allen wichtigen Punkten dasselbe Bild, wie ich es in meinen
beiden Fällen dargestellt habe. Würde man also die Leber von dem
Patienten Umbers, wie sie sich jetzt nach der Heilung darstellt, vor
sich haben, so würde sic den unseren durchaus ähnlich sein. Darum
glaube ich, dass auch in unseren Fällen eine wenigstens in anatomischem
Sinne heilende Wirkung des Salvarsans vorliegen könne. Da man aber
nach Ausbruch der Krankheit die Anwendung des Mittels nicht weiter
fortgesetzt hat, so konnte die Heilung keine vollständige sein, die Nekrose
schritt im Zentrum der Läppchen weiter vorwärts und die Patienten
gingen an der Leberinsuffizienz zugrunde.
Kommt man somit zu dem Ergebnis, dass wir hier möglicherweise
einen durch den Salvarsangebrauch modifizierten syphilitischen Leber¬
prozess vor uns haben, so kann ich eine andere, gleichfalls beide ätio¬
logische Momente berücksichtigende Auffassung nicht als berechtigt an¬
erkennen. Diese beruht darauf, dass durch das Salvarsan massenhaft
Spirochäten abgetötet werden, deren Endotoxine das Leberparenchym
schädigen sollen. Bei einer solchen Annahme können wir uns nicht auf
Tatsachen stützen. Im Gegenteil ist uns eine Tatsache bekannt, die
dieser Annahme direkt widerspricht, und das ist eine Beobachtung Herx¬
heim ers 2 ). Dieser sezierte Neugeborene mit hereditärer Lues, die nach
den Salvarsaninjektionen zu Grunde gegangen waren. Bekanntlich findet
man in den Lebern solcher Früchte massenhafte Spirochäten. Daraus
non, dass Herxhoimer in den Lebern dieser Fälle keine Spirochäten
mehr finden konnte, schloss er, dass diese zu Grunde gegangen seien.
Da die Individuen nun aber trotzdem gestorben waren, so schloss er
weiter, dass möglicherweise die Endotoxine der zu Grunde gegangenen
Spirochäten an dem Tod schuld seien. In diesen Fällen hat man also
jedenfalls aus der anatomischen Untersuchung her das Recht, eine Endo¬
toxinwirkung anzunehmen, und da diese Endotoxine in der Leber selbst
entstanden sind und bei dem ungeheuren Reichtum der hereditär-luetischen
Leber an Spirochäten in jedenfalls sehr erheblicher Menge, so müsste
1) Umber, Münch, med. Wochenschr. 1911. No. 47.
2) Herxheimer, Deutsche med. Wochenschr. 1910. Nr. 39.
11*
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164 SEVERIN und HEINRICHSDORFF,
gerade in solchen Fällen die deletäre Wirkung der Endotoxine auf das
Leberparenchym am schärfsten hervortreten. Nichtsdestoweniger wurde
sie gänzlich vermisst, die Leber bot, wie mir der Autor freundlichst be¬
stätigte, keine Zeichen der Degeneration dar. Die Annahme also, dass
es sich hier um eine Endotoxinwirkung handle, findet in den bisherigen
Erfahrungen keine Stütze.
In der Anamnese unseres Falles stossen wir aber noch auf ein
anderes, für die in Rede stehende Leberaffektion ausserordentlich wich¬
tiges ätiologisches Moment, und das ist die mehrere Monate vor dem
Tode bestehende, wenn auch nur kurz dauernde Gravidität. Letztere
bildet ja bekanntlich eine der wichtigsten Ursachen der akuten golben
Leberatrophie. Ist es nun nach der ganzen Sachlage anzunehmen, dass
der Fall auf diese Weise seine Erklärung findet? Wollte man die Zeit
vom Beginn der Gravidität bis zum Tode zum Alter der vorliegenden
Leberveränderung in Beziehung setzen, so könnte man nicht ausschliessen,
dass diese letztere etwa vier Monate — soviel beträgt der fragliche Zeit¬
raum — alt sein könne. Ich glaube allerdings, die Mehrzahl der Ana¬
tomen würden den Prozess eher für älter halten, aber ich habe schon
hervorgehoben, dass man hier objektiv absolut gültige Massstäbe nicht
hat und es ist auch keineswegs glaubhaft, dass das jeweils vorliegende
Resultat eines anatomischen Prozesses lediglich eine Funktion der Zeit
sei und nicht noch mancher anderer Faktoren, vermöge deren ein und
derselbe Vorgang einmal rascher und einmal langsamer abläuft.
Die Unwahrscheinlichkeit, dass es sich um eine durch Graviditäts¬
toxine bedingte Schädigung der Leber handle, wird nun aber erheblich
gesteigert durch den Umstand, dass die akute Atrophie, die hierbei be¬
obachtet wird, sich in der Regel erst im dritten oder vierten Monat ein¬
stellt, also in einer Zeit, wo in unserem Fall bereits die Schwangerschaft
durch künstlichen Abort beseitigt war. Wollte man aber den Beginn der
Affektion erst von der Zeit kurz vor der Entfernung der Frucht datieren,
so würden für die Leberveränderung nur sieben bis acht Wochen in Frage
kommen, und das halte ich nach dem ganzen anatomischen Bilde für
eine viel zu kurze Frist. Das stärkste Argument aber, das gegen die
damit vorausgesetzte Aetiologie in Betracht kommt, ist der Umstand,
dass ganz frische Zelldegenerationen, wie sie hier Vorlagen, so lange nach
Beendigung der Schwangerschaft nicht mehr auf diese letztere bezögen
werden können. Es ist also sowohl die Chronizität wie die Akuität des
anatomischen Prozesses, welche die Gravidität als ursächliches Moment
ausschliessen.
Somit können nur Schädlichkeiten in Betracht kommen, die zur
Zeit des Todes noch fortgewirkt haben. Diese Möglichkeit besteht hier
nur einesteils für die Syphilis — dass die Wassermannsche Reaktion
3 l / 2 Monate vor dem Tode einmal negativ war, beweist nichts dagegen —,
andererseits für das Salvarsan, dessen Arsenkomponente in der Leber
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Zur Frage der Leber Veränderungen nach Salvarsan.
165
noch nachweisbar war. Welcher von beiden aber die Schuld trägt,
das ist meines Erachtens für den zweiten Fall unserer Beobachtung nicht
zu entscheiden. —
Um noch einmal zusammenzufassen, welche Kriterien gegeben sein
müssen, um eine bei bestehender Syphilis nach Salvarsangebrauch a«f-
tretende Leberveränderung mit Recht auf eine Vergiftung mit diesem
Mittel zurückzu führen, so sind es diese:
1) Die Erkrankung muss sich klinisch an die Einverleibung des
Mittels anschliessen, so dass dem unbefangenen Beobachter sich der Zu¬
sammenhang geradezu aufdrängt.
2) Das Alter der dabei beobachteten anatomischen Veränderung muss
mit der Zeit, die seit der Salvarsandarreichung verstrichen ist, gut über¬
einstimmen.
3) Falls frische Zelldegenerationen vorhanden sind, muss in den
Organen, speziell in der Leber, Arsen nachweisbar sein.
Nur wo alle diese drei Bedingungen Zusammentreffen, hat man das
Recht, von einer Salvarsan Vergiftung zu sprechen. Diese sind in unserer
ersten Beobachtung gegeben, während bei der zweiten wegen Fehlens der
ersten Bedingung die Konkurrenz der Syphilis nicht auszuschliessen ist.
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Druck von
_^.&.S£L—S _
L. Schumacher in Berlin N. 4.
~ (£F> CT$)
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XI.
Aus der I. inneren Abteilung des Rudolf Virchow-Krankenhauses in Berlin
(Prof. Dr. L. Kuttner).
Der diagnostische Wert der Ilarnpepsinbestimmung.
Von
Dr. Hermann Tachau,
ehern. Assistenzarzt der Abteilung, jetzigem Assistenten der I. med. Klinik der Kgl. Charite, Berlin.
Die Untersuchung der Harnpepsinausseheidung hat besonderes
Interesse erregt, weil man hoffte, aus Abweichungen in der ausgeschie¬
denen Fcrmentmengc auf Anomalien der Magensekretion schliessen zu
können. Troller 1 ), Friedbergcr 2 3 ) u. a. fanden weitgehende Ueberein-
stimmung zwischen Magen- und Harnpepsinwerten und hielten demgemäss
die Pepsinbestimmung im Harn für wesentlich zur Ergänzung, event. zum
Ersatz der Mageninhaltsuntersuchung. In neuester Zeit sind Fuld und
Hierayama 8 ) sehr für die Harnpepsinuntersuchung eingetreten, von der sie
wertvolle Aufschlüsse erwarten, wenn aus irgend einem Grunde die Ein¬
führung des Magenschlauchs unmöglich ist.
Weiter glaubte man, das Verhalten des Harnpepsins für die Differential¬
diagnose zwischen dem Magenkarzinom und den gutartigen, mit ähnlichen
Sekretionsstörungen einhergehenden Magenerkrankungen verwerten zu
können. Die Ansichten der einzelnen Autoren widersprechen sich hier
jedoch. Strauss 4 ) und seine Mitarbeiter Wilenko 5 ), Takeda 6 ) und
Rosenbusch 7 ) fanden bei gutartigen „Apepsien“ die Fermentausscheidung
im Harn stets erhalten, ein völliges Fehlen des Harnpepsins wurde lediglich
beim Magenkarzinom festgcstellt. Zu gleichem Resultat kamen Fuld und
Hierayama 8 ) und Bieling 9 ). Die Autoren verwerten das Fehlen von
Harnpepsin deswegen für die Diagnose eines Karzinoms.
1) Troller, Archiv für Verdauungskrankh. Bd. V. S. 151.
2) Friedberger, Dissertation, Giessen 1899.
3) Fuld und Hierayama, Zeitschr. f. experim. Pathol. u. Therapie X. 1912.
S. 248.
4) Strauss, Deutsche med. NVocbenschr. 1912. S. 163.
5) Wilenko, Berliner klin. Wochenschr. 1908. S. 1060.
6) Takeda, Deutsche med. Wochenschr. 1910. S. 1807.
7) Rosenbusch, Dissertation zitiert nach Strauss 1. c.
8) Fuld und Hierayama, Berl. klin. Wochenschr. 1910. S. 1062.
9) Bieling, Deutsches Archiv f. klin. Medizin. Bd. 102. S. 507.
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 u. 4. j 2
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168
HERMANN TACHAU,
Ellinger und Scholz 1 ) fanden demgegenüber bei allen Patienten
mit fehlendem Magenpepsin auch die Fermentausscheidung im Harn auf¬
gehoben. Beim Karzinom beobachteten sie dagegen Fälle, in denen trotz
der Aufhebung der Magensekretion eine erhebliche Harnpepsin
menge vorhanden war. Dieses Verhalten scheint ihnen charakteristisc
und diagnostisch für Magenkarzinom verwertbar.
Bei der grossen Wichtigkeit aller für die Diagnose des Magenkarzi¬
noms in Betracht kommender Faktoren habe ich auf Veranlassung von
Prof. Kuttner mit Rücksicht auf die zur Zeit noch bestehenden Diffe¬
renzen eine grössere Anzahl von Untersuchungen in dieser Frage ange¬
stellt, über die im folgenden berichtet werden soll.
Die Pepsinbestimmungen wurden mit der Fuldschen Edestinmethode 2 ) aus¬
geführt. Der Magensaft wurde je nach der zu erwartenden Pepsinmenge auf das
10- bis lOOfache mit l j ZQ Normaisalzsäure verdünnt und eine Reihe von 2,0, 1,0, 0,8,
0,6, 0,4, 0,2 ccm dieser Verdünnung mit 2 ccm einer 1 prom. Edestinlösung in y so
Normalsalzsäure versetzt und l j 2 Stunde im Wasserbade bei 37,5° belassen. Jedem
Röhrchen wurden nun oa. 10 Tropfen einer gesättigten Kochsalzlösung zugesetzt.
Tritt dabei eine Trübung ein, so ist noch unverdautes Edestin vorhanden; das letzte
Röhrchen, das klar bleibt, dient zur Berechnung derjenigen Menge von Magensaft,
die 1 ccm der Edestinlösung verdaut (Pepsineinheit). Waren weniger als 10 P.-E.
im Kubikzentimeter Magensaft enthalten, so wurde 1 ccm Magensaft mit 1 ccm 1 /^ 0
Normalsalzsäure gemischt und hiervon systematische Verdünnungen in geometrischer
Reihe angestellt und wie oben weiterbehandelt.
Die Edestinprobe ergab bei der Untersuchung des Magensaftes stets gute, scharfe
Resultate. Bei normalen Verhältnissen wurden gewöhnlich 100—200 P.-E. im Kubik¬
zentimeter gefunden, bei Hyperazidität oft höhere, bei Anazidität in gewissen Fällen
niedrige Werte. Waren weniger als 25 P.-E. vorhanden, so wurde eine erhebliche
Beeinträchtigung der Fermentsekretion angenommen.
Der Harn 3 ) wurde filtriert, 9 ccm mit 1 ccm 1 / l Normalsalzsäure versetzt und
von dieser Mischung die gleiche Reihe angesetzt und in gleicher Weise weiterbehandelt
wie bei der Untersuchung des Magensaftes. Nach l / 2 ständigem Verweilen im Wasser¬
bade wurde die Kochsalzlösung zugesetzt. Trat dabei schon im ersten Röhrchen
(2 ocm) eine Trübung auf, so wurden zwei weitere Röhrchen mit 2 ccm des ange¬
säuerten Harns auf 1 Stunde und auf 14 Stunden im Wasserbade gelassen.
Anfangs wurde die mit Toluolzusatz gesammelte Tagesmenge des Harns ver¬
wandt. Dabei störten wiederholt Niederschläge in einzelnen Portionen, die sich durch
Filtration nicht völlig entfernen Hessen. Später wurde deshatb der Ham von morgens
6 Uhr bis nachmittags 6 Uhr gesammelt und sofort untersucht. Auf eine Berücksich¬
tigung der absoluten Menge wurde damit allerdings verzichtet; das war aber kein
wesentlicher Nachteil, da es in der Hauptsache auf den positiven oder negativen Aus¬
fall der Probe ankam. — Für die Beurteilung der Harnpepsinmenge ist es wichtig,
dass ein absolutes Fehlen des Fermentes — das gleiche gilt auch für den
Magensaft — in keinem Falle beobachtet wurde, ln den Proben, die 14Stunden
im Wasserbade geblieben waren, war stets eine völlige Verdauung der Edestinlösung
eingetreten. Diese stets positive 14stündige Probe ist deshalb nicht weiter berück¬
sichtigt und in den Tabellen nicht angeführt. Wenn wir von Fehlen, richtiger von
1) Ellinger und Scholz, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 99. 1910. S. 221.
2) Blum und Fuld, Biochemische Zeitschrift. Bd. 4. H. 1.
3) Fuld und Hierayama, Berliner klin, Wochenschr. 1910. S. 1062.
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ber diagnostische Wert der Harnpepsinbestimraung.
169
maximaler Herabsetzung des Harnpepsins sprechen, so bandelt es sich also um
Vergleichswerte, die sich auf eine gewisse Digostionszeit beziehen. Ich habe in
Uebereinstiramung mit anderen Autoren diesen Ausdruck gewählt, wenn bei ein¬
ständiger Digestion kein völliger Abbau des Edestins eingetreten war, so dass
also bei Kochsalzzusatz eine deutliche Trübung entstand. War die einstündige Probe
positiv, nach 1 j 2 Stunde jedoch die Edestinlösung nioht völlig verdaut, so wurde
eine Herabsetzung des Harnpepsin wertes angenommen. — In den Tabellen
sind folgende Bezeichnungen gewählt:
0 Edestinlösung von 2,0 ccm Harn bei einstündiger Digestion nicht völlig abgebaut.
I Edestinlösung von 2,0 ccm Harn nach einstündiger Digestion völlig, nach y 2 s tün-
diger Digestion nioht abgebaut.
II 2,0 ccm \
III 1,0 ccm f Harn haben bei Y 2 ständiger Digestion die Edestinlösung ab-
IV 0,8 oder 0,6 ccm ( gebaut.
V 0,4 oder 0,2 com '
Die Harnuntersuchung wurde fast ausnahmslos mehrmals bei derselben Person
an verschiedenen Tagen ausgeführt. Dabei ergaben sich oft Differenzen, wie das
wohl bei der verschiedenen Konzentration des Harns zu erwarten war. ln den Ta¬
bellen ist das Mittel aus den Bestimmungen verzeichnet.
Es wurden im ganzen 78 Patienten untersucht. Nach dem Ergebnis
der Mageninhaltsuntersuchung lassen sich dieselben in folgende Gruppen
einteilen:
I. Die Untersuchung des Mageninhalts ergab normale oder er¬
höhte Aziditäts- und Pepsinwerte. In 27 derartigen Fällen wurde
das Harnpepsin 23 mal in normaler Menge gefunden. Patienten mit
Superazidität und Hyperpepsie, besonders solche mit Ulcus ventriculi,
wiesen oft besonders hohe Werte im Harn auf, doch war die Differenz
zu den Befunden bei Normalen nicht derart, dass die Erhöhung als charak¬
teristisch bezeichnet werden könnte. In zwei Fällen wurde eine vermin¬
derte Fermentmenge im Harn gefunden, in zwei weiteren Fällen
ergab sich eine maximale Herabsetzung des Harnpepsins.
(Siehe Tabelle I). Die beiden letzten Fälle sollen näher charakterisiert
werden.
26. Wi., 48 J. Neurasthenie, Hernia epigastrica. Im Mageninhalte hoher Pep-
singehalt (250 P.-E.), im Harn fehlt das Ferment bei häufiger Untersuchung regel¬
mässig.
27. Wey., 45 J. Beginnendes Oesophaguscarcinom. Widerstand beim Son¬
dieren, der jedoch für den Magenschlauch passierbar ist. Die wiederholt vorgenommene
Magenuntersuchung ergibt normale Aziditäts- und Pepsinwerte (freie Salzsäure 26,
Gesamtazidität 42, Pepsin 100 P.-E.). Im Harn fehlt das Ferment regelmässig.
II. In 15 Fällen ergab die Untersuchung des Mageninhalts eine Sub¬
azidität, aber normale oder nur wenig herabgesetzte Pepsin-
w r erte (> 25 P.-E.). Der Harnpepsinbefund war stets positiv. Zweimal
war das Ferment in verminderter Menge vorhanden, in anderen Fällen
wurden demgegenüber hohe Werte beobachtet, die nur wenig hinter den
höchsten überhaupt festgestellten zurückstehen (s. Tab. II).
12 *
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HERMANN TACHAU,
Tabelle 1.
Patienten mit normaler und erhöhter Azidität.
Nr.
Name
Magensaft
Harn-
pepsin ! )
r c-- i Gesamt-
freie Saurej azidjtät
Pepsin
1.
Rai.
32
56
333
V
2.
Rie.
40
57
250
Y
Ulcus ventr.
3.
Wo.
36
54
333
V
4.
Be.
28
60
; 200
IV
5.
Schm.
57
72
! 1000
IV
6.
Wa.
20
; 46
, 660
IV
7.
Si.
34
! 58
1 200
IV
8.
Ma.
40
60
1 500
IV
9.
Kn.
50
84
1 333
IV
10.
Gr.
35
| 53
' 250
III
11.
Erf.
46
66
333
111
12.
Fr.
16
44
| 333
III
Ulcus ventr.
13.
Di.
52
' 76
333
III
14.
Mü.
42
1 56
1 250
III
15.
Bel.
22 1
I 42
1 200
II
16.
Gr.
34 |
47
333
11
17.
Wi.
24 1
l 52
333
II
18.
Kr.
32 ;
! 55
200
11
19.
Bo.
36
| 56
| 500
II
20.
Kn.
32
j 54
200
11
21.
Si.
70 !
86
500
11
22.
Va.
12
| 44 1
200
II
23.
Bro.
30 1
! 50 I
333
11
24.
Wc.
26
I 41 1
500
I
25.
Schö.
19 !
1 45 ;
100
1
26.
Wi.
16
25 1
250
0
.
27.
Wey.
26
42 ,
100
0
Carcin. oesophagi
Tabelle II.
Patienten mit Sabazidität und normalem Pepsingehalt.
Name
M a
g e n i n h a 1 t
Harn¬
pepsin
Nr.
freie
Salzsäure
Gesamt¬
azidität
Pepsin
1.
St.
0
20
250
IV
2.
B.
o ;
; 5
200
IV
3.
K.
0 1
8
200
111
4.
St.
2
10
80
111
5.
Ri.
0 i
13
100
11
6.
Tr.
0 I
1 22
200
11
7.
A.
8 1
22
100
II
8.
Ro.
0 |
4
100
11
9.
Gi.
0
15
100
11
10.
Wol.
10 I
32
200
11
11.
Ra.
7
31
1 333
11
12.
Er.
5
1 23
: 200
II
13.
Ne.
0 1
1 18
! 40
II
14.
/[.
o !
11
50
I
15.
Ra.
12
1 31
50
I
1) Die Bezeichnung dor Harnpepsinwerte siehe S. 169.
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Der diagnostische Wert der Harnpepsinbestimmung.
171
1H. In 20 Fällen wurden neben der Sub- oder Anazidität
eine erhebliche Herabsetzung der Pepsinsekretion festgestellt.
Das Bestehen eines Magenkarzinoms wurde durch die klinische Unter¬
suchung, unter Zuhilfenahme der Röntgendurchleuchtung, in einigen Fällen
auch auf Grund des gastroskopischcn Befundes ausgeschlossen. In zwei
Fällen bestätigte die Autopsie die Diagnose einer nicht karzinomatösen
Magenerkrankung. — Das Resultat der Harnuntersuchungen war folgendes:
Sechsmal wurden normale Pepsinwerte gefunden, viermal verminderte,
zehnmal war die Harnpepsinmenge maximal herabgesetzt (siehe Tab. III).
Ueber einige Fälle seien einige nähere Angaben gestattet:
5. Ba., 54 J. Wegen Polyneuritis alcoholica ira Krankenhause. Erhebliche Ar-
terioskleroso. Im Mageninhalt Anazidität, nach Probefrühstück Fehlen des Pepsins,
nach Probemahlzeit 20 P.-E. Keine Retention, keine Blutbeimengungen zum Stuhl.
Im Harn bei wiederholter Untersuchung normale Pepsinwerte (2,0—1,0 ccm ver¬
dauen die Edestinlösung in l j 2 Stunde).
9. Pos., 52 J. Klagen über Durchfalle. Magenuntersuchung ergibt Anazidät,
Pepsingehalt von 4 P.-E. Im Harn nach x / 2 Stunde Trübung aller Proben bei Koch¬
salzzusatz, nach 1 Stunde ist die Edestinlösung dagegen abgebaut. Harnpepsin in
verminderter Menge.
13. Pe., 72 J. Gastritis anacida, Dünndarmkatarrh, Anämie. Mageninhalt
neutral, kein Pepsin, kein Lab, keine Retention, keine Blutbeimengung zum Stuhl¬
gang. Im Harn bei häufiger Untersuchung stets Fehlen des Pepsins. Exitus
letalis nach mehrmonatiger Beobachtung: Obduktion ergibt tuberkulöse Narben in
den Lungenspitzen, einzelne chronische tuberkulöse Geschwüre im unteren Ileum.
Gastritis chronica.
20. Mu., 45 J. Vor vier Jahren wegen Verdachts auf Magenkarzinom Probe¬
laparotomie, bei der jedoch kein Tumor gefunden wurde. Mageninhalt nach Probe¬
frühstück und Probemahlzeit neutral, ohne Pepsin und Lab. Keine Retention, In-
sufficientia pylori. Keine okkulten Blutungen. Auch die-Röntgendurchleuchtung und
die Gastroskopie ergeben keinen Anhaltspunkt für einen Magentumor. Das Harn¬
pepsin fehlt stets völlig.
In 4 weiteren Fällen wurde eine Gastritis anacida mit Apepsie
festgestellt, es wurde aber durch die klinische Untersuchung ein Magen¬
karzinom nicht sicher ausgeschlossen. In zwei von diesen Fällen
war das Harnpepsin in verminderter Menge vorhanden, in zwei anderen
maximal herabgesetzt.
IV. Bei 12 Patienten lag nach der klinischen Untersuchung ein
Magenkarzinom vor, und zwar handelte cs sich ausnahmslos um vor¬
geschrittene Fälle; nur einmal war ein operativer Eingriff noch möglich,
auch hier konnte eine radikale Entfernung des Tumors nicht mehr vor¬
genommen werden. In 6 Fällen wurde die Diagnose durch die Obduktion
bestätigt. — Das Resultat der Harnuntersuchungen war folgendes: Sieben¬
mal war die Harnpepsinmenge maximal herabgesetzt, dreimal war das
Ferment in verminderter, zweimal in normaler Menge vorhanden (s.Tab. IV).
1. Be., 32 J. Kachexie. Vergrösserung der Leber. Aszites. Mageninhalt ohne
freie Salzsäure, keine Milchsäure, Gesamtazidität 30,0. Reichliche Blutbeimengungen
zum Mageninhalt und Stuhl. Mikroskopisch viel Sarzine. Retention. Obduktion;
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172
HERMANN TACHAU,
Tabelle III.
Patienten mit Anazidität und Apepsie.
Nr.
Name
M a
geninhalt
Harn¬
pepsin
freie Säure
Gesamt¬
azidität
Pepsin
1.
Ke.
0
6
< 25
III
2.
Ja.
0
10
< 25
III
3.
We.
0
10
12
II
4.
Ma.
0
4
<25
II
5.
Ba.
0
4
0
II
6.
Be.
0
0
20
11
7.
Su.
0
10
< 3
I
8.
Ka.
0
4
10
I
9.
Po.
0
0
4
I
10.
Pa.
0
0
10
I
Obduktion
11.
Fa.
0
1
25
0
12.
Lei.
0
1
4
0
13.
Pe.
0
0
2
0
Obduktion
14.
Pi.
0
2
0
0
15.
Li.
0
2
0
0
16.
He.
0
0
< 25
0
Diabetes
17.
Kn.
0
6
3
0
18.
Schw.
0
17
<15
0
19.
Lo.
0
4
25
0
Anaemia perniciosa
20.
M.
0
0
0
0
Tabelle IV.
Patienten mit Magenkrebs.
Nr.
Name
M a
geninhalt
Harn¬
pepsin
freie Säure
Gesamt¬
azidität
Pepsin
1.
Be.
0
30
IV
Obduktion
2.
Gr.
0
8
8
11
Obduktion
3.
St.
0
5
0
I
4.
Sch.
0
17
20
I
5.
Se.
0
12
8
I
6.
Go.
0
10
0
0
Obduktion
7.
Ja.
0
8
0
0
Operation
8.
Ti.
0
0
0
0
Obduktion
9.
Pi.
0
5
0
0
Obduktion
10.
Ru.
0
0
0
0
Obduktion
11.
Fl.
0
0
0
0
12.
Do.
—
—
—
0
Carcin. cardiae
Kleines, aas einem Ulcus rotundam hervorgegangenes Pyloruskarzinom. Leber¬
und Peritonealmetastasen. — Harnuntersuchung ergibt stets hohen Pepsingehalt,
1,0—0,6 ccm verdauen die Edestinlösung in l / 2 Stunde.
2. Gr., 63 J. Kachexie. Enorme Vergrösserung der Leber. Aszites. Magen¬
inhalt nach Probefrühstück neutral, Pepsin 8 P.-E., keine Milchsäure. Keine Retention.
Blutbeimengung zum Stuhlgang. Obduktion ergibt ein relativ kleines Magenkarzinom
mit Leber- und Peritonealmetastasen. — lm Harn Pepsin in normaler Menge, 2,0 bis
1,0 ccm verdauen die Edestinlösung in Y 2 Stunde.
6. Go., 65 J. Kachexie. Kein fühlbarer Tumor. Gastrektasie, Magensteifungen.
Mageninhalt nach Probefrühstück ohne freie Salzsäure, Gesamtazidität 10,0, Milch-
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Der diagnostische Wert der Harnpepsinbestimmung.
173
säure vorhanden. Pepsin fehlt. Salomonsche Probe positiv. Retention massigen
Grades. Blutbeimengangen znm Stuhl. Obduktion ergibt grosses, ringförmiges,
ulzeriertes Karzinom am Pylorus. — Harnpepsin fehlt stets völlig.
10. Ru., 57 J. Karzinom der kleinen Kurvatur mit Verengung der Kardia.
'l'umor unter dem linken Rippenbogen. Mageninhalt neutral, keine Milchsäure. Pepsin
fehlt. Blut im Mageninhalt und Stuhl. Die Obduktion bestätigt die klinische
Diagnose. — Das Harnpepsin fehlt regelmässig.
Eine kurze Zusammenstellung der Ergebnisse ergibt folgendes:
I. Bei 27 Patienten mit normalem Mageninhaltsbefunde:
23mal normale, 2 mal verminderte Werte, 2 mal maxi¬
male Herabsetzung des Harnpepsins.
11. Bei 15 Patienten mit Subazidität und normalem Pepsin¬
befunde im Magen: 13 mal normale, 2 mal verminderte
Harnpepsinwerte.
III. Bei 20 Patienten mit Anazidität und stark herabgesetzter
Pepsinsekretion: 6 mal normale, 4 mal herabgesetzte
Werte, lOmal maximale Herabsetzung des Harnpepsins.
IV. Bei 12 Patienten mit Magenkarzinom: 2 mal normale,
3 mal verminderte Werte, 7 mal maximale Herabsetzung
des Harnpepsins.
Ueberblicken wir das Resultat der Untersuchungen, so fallen zunächst
die beiden Fälle der Gruppe I auf, in denen bei normalem Magen-
befunde das Harnpepsin fehlte. Auch Ellinger und Scholz 1 )
erwähnen derartige Beobachtungen. Strauss 2 ) hat ein Fehlen des Harn¬
pepsins bei Patienten beobachtet, die an schwerer Niereninsuffizienz,
Urämie, Diabetes insipidus litten. Er nimmt an, dass der negative
Befund in diesen Fällen durch eine verminderte Fermentdurchlässigkeit
der Nieren zu erklären sei. In unseren Fällen waren Anhaltspunkte für
eine Veränderung der Niere nicht vorhanden.
Bei den Fällen von nichtkarzinomatöser Apepsie sind besonders
die Beobachtungen zu erwähnen, in denen trotz der Herabsetzung
der Pepsinsekretion im Magen normale Harnpepsinwerte ge¬
funden wurden. Wilenko 8 ) hat aus solchen Fällen geschlossen, dass
die Pepsinabscheidung nach zwei Richtungen erfolge, nach dem Magen-
kavum und nach der Blutbahn hin, dass die Magenschleimhaut in diesen
Fällen kein wirksames Ferment mehr in das Magenkavum sezemiere,
aber noch imstande sei, Pepsin in die Blutbahn abzuscheiden. Scholz 4 )
und Fuld und Hicrayama 5 ) heben demgegenüber wohl mit Recht hervor,
1 ) 1. o.
2 ) 1. c.
3) I. c.
4) Scholz, Deutsche med. Wocbenscbr. 1911. S. 1303.
5) 1. c.
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174
HERMANN TACflAU,
dass die Untersuchung nach dem Ewald sehen Probefrühstück nicht die
maximale Leistungsfähigkeit des Magens zeigt, dass besonders in patho¬
logischen Zuständen eine Pepsinsekretion auf stärkere Reize hin, wie sie
z. B. in .einem Bouillonfrühstück (Scholz) oder Mittagessen gegeben
werden, denkbar ist und dass daher ein Vergleich der Magen pepsinmenge
nach dem Probefrühstück mit dem Fermentgehalte der Tagesmenge des
Harns nicht angängig sei. Es bleiben jedenfalls auch bei Berücksichtigung
dieser Faktoren noch Unklarheiten, die weitere Untersuchungen an der¬
artigen Fällen wünschenswert machen.
Das differente Verhalten der Fälle von Magenkarzinom ist ver¬
ständlich. Wir müssen annehmen, dass grössere Tumoren eine Auf¬
hebung des Magen- und Harnpepsingehaltes hervorrufen. Dieser Zustand
wird erst nach längerem Bestände des Karzinoms erreicht und es ist
daher denkbar, dass im Beginne der karzinomatösen Erkrankung und bei
kleinen Tumoren noch Harnpepsin vorhanden ist. Dieser Ueberlegung
entsprechend fanden sich bei den Obduktionen in den beiden Fällen mit
normalem Harnpepsin nur kleine Magentumoren, der letale Ausgang war
durch die Metastasen bedingt, in den anderen Fällen wurden weit aus¬
gedehntere Karzinome gefunden.
Für die Beurteilung der diagnostischen Bedeutung des Harn¬
pepsins wollen wir lediglich das Vorhandensein einer normalen Menge
und das völlige Fehlen bei einstündiger Digestion berücksichtigen. Kann
man aus diesen Befunden der Harnuntersuchung auf das Vorhandensein
resp. Fehlen schwererer Magen Veränderungen schliessen? Nach unseren
Beobachtungen würde das in der Mehrzahl der Fälle allerdings möglich
sein, bei den meisten Patienten mit normalem Magenbefund ist auch das
Harnpepsin normal, bei der grösseren Anzahl der Fälle mit Anazidität
und Apepsie und bei der Mehrzahl der Magenkarzinome fehlt das Harn¬
pepsin. Dagegen würden einmal die zwei Fälle der Gruppe I, bei denen
das Harnpepsin fehlte, schwerere Magenveränderungen vermuten lassen,
andererseits würde die Harnuntersuchung bei sechs Fällen der Gruppe III,
bei denen schwere Schädigungen der Magensekretion festgestellt sind,
weiter bei zwei Fällen von Magenkarzinom gar keine Abweichungen von
der Norm ergeben. Jedenfalls können wir uns, wie aus diesen Zahlen
hervorgeht, auf den Ausfall der Harnuntersuchungen allein nicht verlassen.
Auch bei der Abgrenzung des Magenkarzinoms von gutartigen
mit Apepsie einhergehenden Erkrankungen lassen sich aus der
Harnuntersuchung keine sicheren Schlüsse ziehen. Ein negativer Harnpepsin¬
befund, wie ihn Strauss und seine Mitarbeiter, Fuld und Hierayama
und Bieling verwerten wollen, findet sich nach unseren Beobachtungen
auch bei der Hälfte der gutartigen Apepsien, vereinzelt sogar beim Nor¬
malen und kann daher zur Karzinomdiagnose unmöglich in Betracht
kommen. Auch die Angabe von Ellinger und Scholz, dass ein hoher
Harnpcpsiuwert bei aufgehobenem Magenfermentc für ein Karzinom spreche,
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Der diagnostische Wert der Hurnpopsinbostimmung.
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lässt sic.lt nicht ohno weiteres diagnostisch verwerten, so auffallend ein
derartiges Zusammentreffen ist. Denn diesen Befund erhobt man ebenfalls
bei gutartigen Magenerkrankungon (sechsmal bei unseren 20 Apepsien).
Das Vorhalten dos Harnpopsins gibt uns also keino
sicheren diagnostisch verwertbaren Aufschlüsse. Wir können
woder bei oinor Herabsetzung dor Fermontmongo im Harn mit
Sicherheit krankhafto Veränderungen dor Magensekretion an¬
nehmen, noch bei normaler Harnpepsinmenge eine Magen¬
affektion ausschlicsson. Auch für die Differontialdiagnose des
Magenkarzinoms gibt uns die Harnpopsinuntorsuchung keino
verwertbaren Anhaltspunkte.
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XII.
Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals
Syphiliskranker und ihrer Familien.
Von
Dr. med. Marie Kaufmann «Wolf.
DerWunsch, mich über das Schicksal hereditär luetischer Kinder
zu orientieren, hat mich vor einigen Jahren veranlasst, zu diesem Zwecke
geeignetes Material aus verschiedenen Heidelberger Kliniken an der Hand
von Nachuntersuchungen (Katamnesen) einer Bearbeitung zu unterziehen.
Diese ursprünglich ganz eng begrenzte Aufgabe hat im Verlaufe ihrer
Ausführung eine beträchtliche Erweiterung erfahren. Es schien mir lehr¬
reich und interessant zu sein, nicht nur das Schicksal der Kinder zu ver¬
folgen, sondern, soweit wie eben möglich, einen Ueberblick über das
Schicksal der ganzen Familien zu gewinnen, um so ev. die gesamten
Folgen der luetischen Infektion sowohl für das einzelne Individuum als
auch für seine Angehörigen feststellen zu können.
Eine in dieser Zeitschrift erschienene und die vorliegende Studie
können als Teile eines grösseren Ganzen betrachtet werden, da beide
das gleiche Ziel verfolgen, von gleichen Gesichtspunkten ausgehen und
noch durch weitere Untersuchungen ergänzt werden sollen.
Die beiden Studien unterscheiden sich im Ausgangsmaterial. In
der ersteren handelt es sich um 19 Patienten (bzw. Patientinnen) aus
der Erbschen Klinik, bei denen „Syphilis occulta“ diagnostiziert worden
war und Manifestationen des tertiären Stadiums der Lues Vorlagen; in
der vorliegenden Studie handelt es sich um 9 Patientinnen aus der
Heidelberger psychiatrischen Klinik, bei denen zumeist die
Diagnose progressive Paralyse gestellt worden war. Das Material jener
Studie war in 1891 von Flein er publizierten Krankengeschichten fertig
gegeben; im Gegensatz hierzu musste das Material zu der vorliegenden
Studie erst von mir zusammengestellt werden.
Um dem Verdachte, irgendwie tendenziös vorgegangen zu sein, zu
begegnen, seien die Erwägungen, die mich bei der Auswahl der Kranken-
1) Fleiner,W., Ueber Syphilis occulta. Deutsches Arch. f. klin. Medizin. Bd.48.
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 177
geschichten leiteten, und die Art, wie diese vorgenommen wurde, aus¬
führlich angegeben: Zunächst wurde gefolgert, da die progressive Paralyse
heute fast allgemein als eine postsyphilitische Erkrankungsform be¬
trachtet wird, sind die Paralytiker mit ziemlicher Sicherheit als Luetiker
bzw. gewesene Luetiker anzusehen. Unsere Diagnostik ist indessen nicht
unfehlbar und noch dazu die postsyphilitische Natur der Paralyse nicht
unbedingt erwiesen, deshalb durfte die Diagnose „progressive Paralyse“
allein nicht als Stützpunkt, nicht als sicherer Beweis einer überstandenen
luetischen Infektion genügen. Es wurde daher nach weiteren Angaben
gefahndet, die für die retrospektive Diagnose „Syphilis“ verwendbar
waren, wie z. B. Polymortalität der Kinder, „Aborte in Serien“ oder
körperliche Symptome, die man erfahrungsgemäss als luetische zu be¬
trachten pflegt.
Da alle Angaben, die sich auf die Kinder, speziell aber auf die
Aborte beziehen, bei den weiblichen Patienten meist sorgfältiger registriert
werden als bei den männlichen, schienen paralytische Frauen als Aus¬
gangsmaterial geeigneter als paralytische Männer.
So wurden also die Zählkarten der Klinik, die ein kurzes Rösume
der Krankengeschichten enthalten, durchsucht. In Betracht kamen die
Zählkarten aus den Jahren 1893—1903 und ausgewählt wurden zehn
Paralytikerinnen und ein Fall von Lues cerebri. Von diesen elf wurden
aber zwei nicht zur Publikation verwandt, weil die Katamnese die Diagnose
„progressive Paralyse“ nicht bestätigte und auch die Anhaltspunkte für
eine luetische Infektion zu gering waren.
Natürlich war kein Grund gegeben, Fälle auszuschalten, bei denen
sich katamnestisch eine Fehldiagnose herausstellte, die luetische Infektion
aber zweifellos feststand, denn auf die sichere luetische Infektion wurde
das Hauptgewicht gelegt, nicht auf die Erkrankungsform. Die Begründung
der Annahme einer luetischen Infektion wird in den einzelnen Fällen ge¬
geben werden. Von vornherein blieben solche Fälle unberücksichtigt, bei
denen es sich um kinderlose Frauen, um Mütter illegitimer Kinder, um
Mütter mehrerer, aber sämtlich verstorbener Kinder handelte; so erklärt
sich die geringe Zahl der Fälle.
Während in der ersten Studie aus dort angegebenen Gründen Wert
darauf gelegt wurde, die ursprünglichen Krankengeschichten und Kata-
mnesen gesondert und ausführlich wiederzugeben, soll hier, wo es sich
zumeist um typische Paralysen handelt, eine Beschränkung auf eine
möglichst kurze Zusammenfassung des in den Krankengeschichten nieder¬
gelegten und durch die Katamnesen hinzugewonnenen Materials stattfinden.
Fall l. Alice A., geb. 1860, gest. 1897. Eintritt in die Klink 1897. In der
Familie der Patientin sind angeblich nie Nerven- oder Geisteskrankheiten vor¬
gekommen.
Patientin bat in der Schale gut gelernt. Sie heiratete im Alter von 21 Jahren.
Ihr erstes Kind, ein Mädchen, wurde im Oktober 1881 geboren; 10 Jahre später, im
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MARIE KAUFMANN-WOLF,
Juni 1891, kam das zweite Kind, ein Sohn, zur Welt. Im Kirchenbuch sind sonst
keine Geburten dieser Frau notiert, in ihrer Krankengeschichte werden aber noch
6 Aborte angegeben, über deren zeitliche Folge keine Aufschlüsse zu erlangen waren.
Die Frau fiel schon 3 / 4 Jahre vor dem Eintritt in die Klinik durch die Abnahme ihres
Gedächtnisses auf, sie konnte ihre Haushaltung nicht mehr besorgen, machte verkehrte
Handlungen, verfiel körperlich, die Sprache wurde schlecht. In der Klinik war sie
zeitlich und örtlich nicht mehr orientiert, sehr suggestibel, gleichmütig, ohne be¬
sonderen Affekt, es bestanden Grössenideen, schwere Sprachstörungen und Schluck-
besohwerden. StarkerTremor der Zunge; starke Steigerung der Sehnenreflexe; Pupillen
schienen starr zu sein. Paralytischer Anfall, schliesslich völlige Demenz. ’
Der Tod erfolgte am 1. November 1897 in einer Anstalt.
Pat. stand damals im 37. Lebensjahre.
Der Ehemann starb, laut Aussage seiner zweiten Ehefrau, 1911 im Alter von
52 Jahren. Die kurz vor seinem Tode in einem städtischen Krankenhaus gestellte
Diagnose lautete: „Tabes dorsalis und Aortenaneurysma (durch Röntgen¬
photographie kontrolliert) mit Aorteninsuffizienz.“ Der Direktor des Krankenhauses
teilte mir mit: „Die Konzession einer Lues ist in der Krankengeschichte nicht ge¬
macht, doch dürfte Lues bei der Art der Erkrankung wohl zweifellos sein.“
Die Tochter erkrankte im Alter von 6 Monaten an „Gichtern“. Im Alter von
8 Jahren fiel das Mädchen auf den Boden und schlug mit dem Kopf heftig auf. Seit dem
9. Lebensjahre besteht Enuresis nocturna. Mit 13 Jahren traten typische epileptische
Anfalle auf. Das Mädchen war schwachsinnig. Somatisch keine Degenerations¬
zeichen. — Tod im Alter von 20 Jahren in einer Anstalt.
Diagnose: Epilepsie.
Der jetzt 21 jährige Sohn ist ebenfalls schwachsinnig. Er kann kaum lesen
und schreiben. Er hat von 8 Klassen nur 4 durchgemacht, und beschäftigt sich jetzt
als Hilfsarbeiter mit einer ganz untergeordneten mechanischen Arbeit. Noch jetzt
leidet er an Enuresis nocturna. Der Hausarzt soll geraten haben, so lange er etwas
arbeitet, ihn zu Hause zu behalten, später aber in einer Anstalt unterzubringen. Mit
dem Gerioht ist er nie in Konflikt geraten.
Die zweite Ehefrau des Mannes ist ihrer Aussage und ihrem Aussehen nach
gesund. Ihr 6jähriger Junge ist sohwächlich, er hat eine „Hühnerbrust“, ist über¬
haupt ein „Sorgenkind“. Das etwas jüngere Mädchen ist dagegen sehr frisoh
und kräftig.
Die Annahme einer früher stattgehabten Infektion stützt sioh auf die Art der Er¬
krankung beider Ehegatten und die Serie von Aborten.
Fall 2 . Barbara B., geb. 1863, gest. 1896^ Eintritt in die Klinik 1894.
Der Vater der Patientin soll nervenleidend gewesen sein. Ueber die Jugend
der Patientin konnte ich nichts erfahren. Ihre Heirat fällt in das Jahr 1887. Auf
9 Entbindungen kommen 4 Aborte; 2 Kinder leben; die 3 anderen scheinen im jugend¬
lichen Alter gestorben zu sein. Die Pat. wurde durch psychische und motorische Un¬
ruhe, durch zweck- und sinnlose Handlungen und Gedächtnisabnahme auffällig. Es
bestand eine heitere, sorglose Stimmung, gemütliche Stumpfheit, eine gewisse erotische
Erregung. Schwere Sprachstörung. Incontinentia urinae et alvi. Keine Wahnideen,
keine Halluzinationen. Hochgradige Demenz. Der Tod trat im Mai 1896 ein; Pat.,
die sich einer Anstalt befand, war damals 33 Jahre alt.
Aus dem Sektionsberichtsei herausgegrifien: Pachymeningitis haemorrhagica,
Leptomeningitis chronica. Atrophia und Oedema cerebri. Ependymitis granulosa
ventric. IV.
Der Ehemann starb am 27. März des gleichen Jahres im Alter von 36 Jahren
an Tuberkulose der Lungen und einem Herzleiden.
Die 1886 geborene Tochter soll von jeher beschränkt gewesen sein, sie leidet
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 179
seit ihrer Kindheit an epileptischen Krämpfen, wird als moralisch und geistig
defekt, streitsüchtig, lügnerisch, diebisch und männersüchtig bezeichnet. Ihre Jugend
verbrachte sie in einem Waisenhaus, später kam sie in die Heidelberger psychiatrische
Klinik. Hier stellte man die Diagnose Epilepsie, und überwies sie einer geeigneten
Anstalt, in der sie sich zurzeit noch befindet. Zwischendurch musste sie in ein
Krankenhaus gebracht w T erden, weil sie sich infiziert hatte (weicher Schanker) und
1909 wurde sie in Heidelberg wegen Keratitis parenchymatosa behandelt.
Ein 1891 geborener Sohn wird als körperlich gut und geistig normal entwickelt,
aber als sehr leichtsinnig geschildert.
Die Keratitis parenchymatosa der Tochter kann neben der Paralyse der
Mutter und den Aborten in „Serie“ als Beweis einer luetischen Infektion dienen.
Fall 3 . Clara C., geb. 1861, gest. 1907. Eintritt in die Klinik 1903.
Patientin war ursprünglich körperlich und geistig gut veranlagt; hat in der
Schule gut gelernt. Sie verheiratete sich etwa 1881. In ihrer Ehe hat sie dreimal
geboren: 1. Abort im 3. Monat; 2. ein Kind, welches im Alter von 1 */ 4 Jahr starb;
3. Totgeburt (1883). Nach der Angabe des Vaters soll die Pat. dem Trünke ergeben
gewesen sein, sie soll täglich 1 / 2 Flasche Rum zu sich genommen haben. Somatisch
wurde bei ihr festgcstellt: Miosis, Pupillenstarre und Differenz. Fehlen der Patellar-
reflexe, schwankender Gang. Romberg angedeutet. Ataxie der Extremitäten. Silben¬
stolpern. Aortenstenose, Aneurysma (?). Psychisch soll die Pat. ein für progressive
Paralyse sehr charakteristisches Bild geboten haben. Es bestand Euphorie, sehr ge¬
hobenes Selbstgefühl, Konfabulation, kühne, absurde Grössenideen. (Klinische Vor¬
stellung.) — Tod im Alter von 46 Jahren.
Der Ehemann ist leidend, man beobachtet bei ihm eine starke Arteriosklerose,
laut den Büchern der Heidelberger Poliklinik (4. 1. 1911) soll auch Diabetes mellitus
und Tuberculosis pulmonum vorliegen. 1904 Gumma am rechten Nasenflügel (Prof.
Bettmann). Konzession einer früheren Infektion. Er ist in zweiter Ehe verheiratet;
die zweite Ehefrau ist gesund. Dieser Ehe entstammen 2 Kinder: ein 3V 2 jähriger
gesunder Junge, und ein seinem Alter nicht entsprechend entwickeltes 8 Monate altes
Mädchen. Aborte sind in der zweiten Ehe nicht vorgekommen. Die Lues des Ehe¬
mannes ist klinisch einwandfrei beobachtet und wird auch von ihm selbst zugegeben.
Fall 4. Dora D., geb. 1844, geb. 1904. Eintritt in die Klink 1903.
Uober Heredität ist nichts zu erfahren, ebensowenig über die ganze Jugendzeit
der Patientin. Vor der Verheiratung soll Pat. ein Kind gehabt haben, das im Alter
von 4 Jahren gesterben sein soll. Heirat 1870. In der Ehe 5 Fehlgeburten (im
5. und 6 . Monat der Schwangerschaft). Es stellte sich erst bei der Nachuntersuchung
heraus, dass der Ehe überhaupt keine lobenden Kinder entstammen. Seit 1900 besteht
bei der Pat. eine Perforation des Gaumens, nach der Entstehung derselben warde
eine Schmierkur angewandt. Ausserdem wurden eine starke Arteriosklerose der Ge-
fässe, Aorteninsuffizionz, Anisokorie, träge Pupillenreaktion, Sprachstörung und An¬
fälle beobachtet. Bei der teilnahmlosen dementen Pat. wurde zuerst die Diagnose
„Lues ccrebri“, dann „progressive Paralyse“ gestellt. — Tod 1904 im Alter von
50 Jahren in einer Anstalt.
Der Ehemann ist über 70 Jahre alt, er klagt über Husten und Atembeschwerden,
ist aber in Anbetracht seines Alters rüstig.
Die geistige Erkrankung der Patientin, die körperlichen Symptome und die zahl¬
reichen Aborte beweisen genügend die luetische Infektion.
Fall 5 . Emilie E., geb. 1854. Eintritt in die Klinik 1900. Der Vater und
ein Bruder der Patientin waren angeblich Alkoholiker.
Patientin sei als Kind körperlich schwach, geistig aber gut entwickelt gewesen.
Heirat 1878. Das erste Kind soll sehr begabt, aber schwermütig gewesen sein, und
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an Verfolgungsideen gelitten haben, es ertränkte sich im Alter von 127s Jahren.
Das zweite Kind wurde nur 3 Monate alt. Die dritte, 1888 geborene Tochter
lebt; nach Aussage des Vaters leidet sie an hysterischen Anfällen, sie ist aber durchaus
arbeitsfähig. Dann folgte eine Zwillingsschwangerschaft, die zur Geburt von
2 unreifen Früchten führte. Als sechstes und letztes Kind wurde 1892 ein Sohn
geboren, der gesund und besonders talentiert sein soll. Er besucht das Gymnasium,
sei immer Primus. — Es ist bemerkenswert, dass die Patientin 1876, zwei Jahre vor
ihrer Heirat, Löcher am Bein gehabt haben soll; Geschwüre, die mehrere Jahre bis
zur völligen Ausheilung gebrauchten. Gleichzeitig wurden angeblich Bubonen kon¬
statiert. Als gravierendes Moment kommt eine Perforation des Gaumens hinzu.
Ihrer 1900 beobachtete psychischen Erkrankung ging 1894 ein kurz dauernder depressiver
Zustand voraus. In der Klinik äusserte sie Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen,
hatte eigentümliche Sensationen, fühlte sich z. B. plötzlich angehaucht, meinte, es sei
etwas mit ihr probiert worden. Die Diagnose lautete: „Wahrscheinlich Paralyse“. Die
Katamnese hat gezeigt, dass die Frau jetzt relativ gesund ist, die Diagnose Paralyse
hat man fallen lassen.
Der Ehemann ist zwar nervös, körperlich und geistig aber gesund.
Die Perforation des Gaumens bildet den wesentlichsten Stützpunkt der
Diagnose Lues.
Fall 6. Frieda S., geb. 1856, gest. 1903. Eintritt in die Klinik 1902.
Es besteht bei der Patientin keine erbliche Belastung. Ueber ihre Jugend und
Begabung ist nichts zu eruieren gewesen. Möglicherweise wurde sie als 15jähriges
Mädchen von ihrem Brotherrn missbraucht und liess, als sie sich gravid fühlte, von
einer Freundin die Frucht abtreiben. In der Ehe soll sie 13 Kinder geboren haben,
von denen nur 3 leben. Verschiedene Kinder sollen tot zur Welt gekommen sein. Da
im Kirchenbuch nur die 6 nachfolgenden Einträge zu finden sind, und nichts davon
bekannt ist, dass die Patientin auswärts geboren hat, liegt die Annahme nahe, dass
7 Kinder tot zur Welt gekommen sind, unter ihnen sollen 2 mal Zwillinge gewesen sein.
Am 19. 2. 1890 ein Mädchen geboren, das noch lebt;
„ 19. 2. 1892 „ „ „ „ nach 7 Tagen starb;
„ 13.12. 1894 „ Knabe „ der „ 2 „ „
„ 20. 9.1895 „ Mädchen „ das am gleichen Tage starb;
„ 4. 8. 1896 „ „ „ „ noch lebt;
„ 21. 3. 1898 „ „ fi fi
Wie die 7 vermutlich totgeborenen Kinder einzuordnen sind, ist unbekannt.
Bei der Patientin fanden sich Residuen einer linksseitigen Hemiplegie.
Im Juni (1902) hatte sie diese halbseitige Lähmung erlitten, die durch eine 5 wöchige
Behandlung mit Kal. jod. fast beseitigt wurde. Sie wurde vom Krankenhaus wegen
einer starken psychisohen Depression nach der psychiatrischen Klinik verlegt.
Sie war zeitlich und örtlich orientiert, es bestand kein wesentlicher Gedächtnisdefekt,
die Kenntnisse waren der Bildungsstufe entsprechend. Einmal wurde ein epilepti-
former Anfall beobachtet. Die eingeleitete Schmierkur musste wegen Verdachtes auf
Nephritis unterbrochen werden. Missbrauch geistiger Getränke soll bei der Patientin
bestanden haben.
Diagnose: Lues cerebri.
Die Patientin wurde im Oktober 1902 heimgeholt und starb 1903 im Alter von
47 Jahren an einer Apoplexie.
Der Ehemann der Patientin war starker Potator, auch dessen Vater war Potator.
Letzterer starb an Delirium tremens und Leberleiden im 48. Lebensjahr. Der Ehemann
war körperlich und geistig gut veranlagt; er lebte nach dem Tode unserer Patientin
in 2. kinderloser Ehe. 1907 musste er wegen Delirium tremens in die psychiatrische
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 181
Klinik überfuhrt werden, er starb daselbst nach wenigen Tagen an einer Pneumonie
im Alter von 44 Jahren. *
Obduktionsbefund: Pneumonie des linken Unterlappens, allgemeine
Arterio- und Koronarsklerose, beginnende Leberzirrhose, beginnende Schrumpf¬
niere. Beträchtliche Trübung des parieto-zentralen Gebietes. Einlagerung einzelner
submiliarer gelblicher Fleckchen in die weisslichen Partien ohne deutliche Beziehung
zu den Gefässen.
Die 1890 geborene Tochter hat im Alter von 17 Jahren ihrem Vater mehrere
tausend Mark entwendet und ist mit ihrem Geliebten durchgebrannt. Jetzt ist sio in
ihrer Vaterstadt verheiratet und soll ein gesundes kleines Kind haben.
Von der 1896 geborenen Tochter wird nur berichtet, dass sie bleichsüohtig sei
und an Magengeschwür leiden soll.
Die 1898 geborene Tochter sieht bleich und. zart aus, leidet heute noch an
Enuresis nocturna. Sie ist angeblich unter 26 Schülerinnen die beste. Ein aufgeregtes,
nervöses Wesen soll allen drei Kindern eigen sein.
Die Polymortalität der Kinder, die Koronarsklerose des Mannes lassen eine
luetische Infektion als gesichert erscheinen.
Fall 7 . Grete G., geb. 1871. Eintritt in die Klinik 1902.
Der Vater der Patientin starb im Alter von 45 Jahren an Leberleiden und
Delirium; die Mutter ist wiederverheiratet und hat in der 2. Ehe gesunde Kinder
geboren.
Die Patientin war in ihrer Jugend gesund, von mittlerer Begabung und ruhiger
Gemütsart. Zurzeit der Pubertät (im 15. Lebensjahre) wurde sie in 4 wöchigen Inter¬
vallen aufgeregt. Diese Aufregungszustande steigerten sich derart, dass sie in die
Heidelberger Irrenklinik gebracht werden musste (22. Mai 1886). Am 20. 11. 1886
wurde sie als völlig geheilt entlassen und blieb bis 1902 gesund. Im Januar 1892
verheiratete sie sich, machte im Beginn der Ehe Lues durch (Condylomata lata an den
Labien, Plagues im Munde). Patientin hat 5 mal geboren: Dezember 1892 Totgeburt,
November 1893 und November 1894 je eine Frühgeburt im 7. Monat, Januar 1896 und
Januar 1897 je ein lebendes Kind. Die Ehe war sehr unglücklich und wurde auf Ver¬
anlassung der Frau 1898 gerichtlich geschieden. Die Patientin war als Wochen¬
pflegerin tätig, hatte eine anstrengende Tätigkeit und litt an Gelenkrheumatismus.
Im März 1902 trat ein aufgeregtes, von starkem Stimmungswechsel beherrschtes Wesen
hervor, bald war sie auffallend lustig, bald weinte sie, äusserte Angst, sah Gestalten,
hörte Stimmen. Sie kam wieder in die psychiatrische Klinik, wurde 1903 in eine
andere Anstalt überführt, und von da später geheilt entlassen. Sie befindet sich jetzt,
bereits schon seit mehreren Jahren, als Haushälterin in derselben Stellung. Angeblich
ist sie ganz gesund, jedenfalls dürfte eine Paralyse ausgeschlossen sein.
Der Ehemann hat sich 1898 — also bald nach der Scheidung — auf der Land¬
strasse erschossen, er soll geisteskrank gewesen sein.
Das 1896 geborene Mädchen befindet sich bei den Grosseltern. Es bildet
äusserlich auf den ersten Blick nichts Abnormes, macht sogar einen guten Eindruck.
Es soll aber geistig im höchsten Grade minderwertig sein, konnte nur eine Nachhilf-
klasse für geistig zurückgebliebene Kinder besuchen, soll aber trotzdem Analph&betin
sein, kann keine Handarbeiten machen, ist in der Haushaltung wegen grosser Ver¬
gesslichkeit nicht zu gebrauchen. Für manche Dinge soll ein vorzügliches Gedächtnis
bestehen, so z. B. für Fremdwörter. Anfälle wurden nie beobachtet. Das Mädchen ist
nicht erotisch, „bändelt“ aber mit allen Menschen an, spricht mit ihnen und geht mit
ihnen, so dass die Grosseltern anfangen besorgt zu werden, und einen Anstalts¬
aufenthalt herbeizuführen wünschen.
Der 1897 geborene Sohn soll nach Mitteilung seines Lehrers klein und zart ge-
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182
MARIE KAUFMANN-WOLF,
baut, aber gut begabt sein. Er hat in der Obertertia unter 26 Schülern den 5. Platz;
ist stets üeissig, von heiterem Temperament und gut geartetem Gemüt.
Die Lues ist in diesem Fall ärztlicherseits sicher nacbgewieson.
Fall 8 . Hedwig H., geb. 1859. Eintritt in die Klinik 1899; Wiederaufnahme 1900.
Der Vater der Patientin starb im Alter von 42 Jahren an Pneumonie. Die
Mutter wurde 69 Jahre alt, starb an Altersschwäche, soll nervös gewesen sein.
Die Patientin soll in der Schule mit Ach und Krach mitgekommen sein. Be¬
sondere Charaktereigentümlichkeiten sollen nie beobachtet worden sein. Heirat 1884.
Im Beginn der Ehe, im Alter von 25 Jahren, wurde sie angeblich luetisch infiziert
(Schmierkur); Sie gebar darauf ein totfaules Kind (7. Monat). Ihr erstes Kind, das
nur 1 Jahr alt wurde, war illegitim. Die zwei jüngsten ehelichen Kinder leben. Der
Beginn der geistigen Störung bei der Patientin war ein allmählicher; sie wurde nervös,
reizbar, ängstlich, fühlte sich verfolgt. Bei der ersten Aufnahme war sie nicht geordnet,
zeigte grossen Rededrang und artikulatorisch gestörte Sprache. Patellar-
reflexo waren nicht auslösbar. Nach einer zu Hause verübten Brandstiftung erfolgte
die 2. Aufnahme. Sie leugnete die Brandstiftung, produzierte sinnlose, faselige Reden
mit verschrobenen Ausdrücken, grimassierte, war impulsiv, zeigte eine Menge Manieren,
hatte Gehörstäuschungen. Bei der ersten Aufnahme wurde die Diagnose: „Wahr¬
scheinlich Paralyse“ gestellt, bei der zweiten wurde eine zweifellose Dementia praecox
konstatiert. — Zurzeit, also 12 Jahre später, befindet sich Pat. noch in einer Anstalt.
Der Ehemann lebt, soll gesund sein, und versieht noch seinen Dienst. Sein
Alter kann nicht genau angegeben werden.
Die ältere 1888 geborene Tochter ist etwas schwerhörig, ausserdem ist sie auf
einem Auge blind. Beide Gebrechen sollen nach ihrer Aussage Residuen einer in
der Jugend überstandenen „Gehirnhautentzündung“ sein.
Die jüngste Tochter (1890 geboren) ist äusserlich recht stattlich. Sie ist aber
schon seit 1909 in der Heidelberger psychiatrischen Poliklinik in Behandlung; sie
klagt über Unruhe, Herzklopfen, unmotivierte Traurigkeit, Arbeitsunfähigkeit; fühlt
sich müde und abgespannt, mutlos und ängstlich. Glaubt, die Leute machten Be¬
merkungen über sie.
Für die im Beginn der Ehe angeblich durchgemachte Lues spricht auch der
Abort im 7. Monat, die Sprachstörung und das Fehlen der Patellarreflexe. In diesem
Fall ist die Lues am wenigsten gut verbürgt.
Fall 9 . Jakobine J., geb. 1844, gest. 1896. Eintritt in die Klinik 1892; Wieder¬
aufnahme 1893.
Der Vater der Patientin starb 1866 an einem Schlaganfall, die Mutter soll vor
dem Tode geisteskrank gewesen sein, sie starb 1882 ebenfalls an einem Schlaganfall;
ferner starb noch eine Schwester an Schlaganfall. Die vier weiteren Geschwister sind
ebenfalls tot, Todesursache unbekannt.
Ueber das Vorleben der Patientin ist nicht viel bekannt. Sie lebte in glück¬
licher Ehe. Es scheint, eine ganz zuverlässige Angabe konnte auch nicht mit Hilfe
des Kirchenbuches gewonnen werden, dass sie 11 Entbindungen (bzw. 10, eine
Zwillingsschwangerschaft darunter) durchgemacht hat, unter denen sich 3 Aborte be¬
fanden. Die Zwillinge und eine 1875 geborene Tochter starben an Lebensschwäche.
Ein erwachsener Sohn starb infolge einer Darmoperation. Zwei Söhne litten an schwer¬
mütiger Verstimmung und endeten durch Suizid im Alter von 20 und 28 Jahren.
Eine Tochter war epileptisch; wo sie gestorben ist und welches Alter sie erreicht
hat, konnte nicht ermittelt werden. Eine einzige Tochter lebt. — Die Patientin war
in der Klinik zuerst in leicht euphorischer Stimmung. Abnahme der Intelligenz und
des Gedächtnisses, zunehmende Sprachstörung und Ataxie traten immer mehr in die
Erscheinung. Paralytische Anfälle wurden beobachtet; schliesslich befand sich die
Patientin im Stadium des paralytischen Blödsinns.
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 183
Somatisch wurde Miosis, Anisokorie, und träge Reaktion der Papillen, gesteigerte
Patollar- und Trizepsreflexe, ferner beiderseits Fussklonus konstatiert.
Der Exitus erfolgte 1898 im 52. Lebensjahre in einer Anstalt.
Der Ehemann befand sich 1893 gleichzeitig wegen progressirer Paralyse
in der Heidelberger psychiatrischen Klinik. Die Erkrankung hatto bei ihm erst 1893
begonnen. Er litt an Schlaflosigkeit, war gewalttätig, zeigte Stimmungswechsel,
ideenflüchtige Verwirrtheit, hatte religiöse Grössenideen (betete von der Kanzel in der
Kirche), schmierte, onanierte schamlos. Im allgemeinen war eine fortschreitende
geistige Schwäche zu konstatieren; er starb 1898 im Alter von 57 Jahren (Anstalt).
Der infolge einer Darmoperation gestorbene Sohn war verheiratet, hatte keine
Kinder; die Ehefrau soll auch nie abortiert haben. Die Ehe wurde gerichtlich geschieden.
Einer der beiden Söhne, die sich selbst dasLeben genommen haben, war einige Zeit
in Heidelberg in der psychiatrischen Klinik. Leider ist keine Krankengeschichte vorhanden.
Die noch lebende Tochter ist sehr nervös und zart; sie ist mit einem ge¬
sunden Mann verheiratet und hat drei gesunde Töchter.
Die konjugale Paralyse und die somatischen Befunde (Miosis, Anisokorie,
träge Pupillenreaktion) sprachen für Lues, desgleichen die drei Aborte.
Besprechung der Krankengeschichten und der Tabelle.
Die Krankengeschichten und die umstehende Tabelle zeigen, dass das
Schicksal von insgesamt 20 Eheleuten festgestellt werden konnte, insofern
als zu den 9 eigentlichen Patientinnen 9 Ehemänner und infolge von Wieder¬
verheiratung verwitweter Ehemänner 2 weitere Ehefrauen hinzukamen.
Von den insgesamt 20 Eheleuten sind 14 (die neun Patientinnen und
fünf Ehemänner, Fall 1, 3, 7, 8, 9) sicher, zwei Ehemänner (Fall 2, 6)
wahrscheinlich und zwei Ehemänner (Fall 4 und 5) möglicherweise luetisch.
Es sollen nun die Ergebnisse hinsichtlich der weiblichen Personen ge¬
sondert von denen der männlichen und dann die der Nachkommen be¬
sprochen werden.
L Weibliche Personen.
a) Von den neun Patientinnen sind sechs gestorben. Bei diesen sechs
hat die Nachforschung nichts ergeben, was gegen die Diagnose „pro¬
gressive Paralyse“ bzw. „Lues cerebri“ spricht. Krankheitsverlauf und
Krankheitsdaucr botpn das charakteristische Bild. Die Frauen sind, wie
zu erwarten war, an ihrer Paralyse zugrunde gegangen, bei der Patientin
mit Lues cerebri trat Apoplexie ein. Es starben je zwei Patientinnen
zwischen 30 und 40, 40 und 50 und 50 und 60 Jahren. Nur zwei haben
somit das 50. Lebensjahr überschritten.
b) Von den drei lebenden Patientinnon ist eine noch immer in
einer Anstalt interniert, die jetzige, nachträglich schon in Heidelberg ge¬
stellte Diagnose lautet: „Katatonie.“ Die beiden anderen stehen im
Leben und sind relativ gesund. In diesen beiden Fällen kann die Diagnose
„progressive Paralyse“ nicht aufrecht erhalten werden. Es fällt nicht in
den Rahmen dieser Arbeit, die Umstände zu prüfen, die zur Fehldiagnose
geführt haben, noch eine Rektifikation der Diagnose mit eingehender Be¬
gründung vorzunehmen.
c) Die beiden 2. Ehefrauen bieten nichts Bemerkenswertes.
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 u. 4. 13
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184 MARIE KAUFMANN-WOLF,
Patientinnen
Ehemänner der Patientinnen
Nach-
Alter
Todesursache
Alter
Todesursache
Gesamtz. der
Schwangersch.
Ab., Fehl-,
Frühgeb.
A 1
38 J. f
P. P.
52 J. f
Tabes dorsalis.
Aorten¬
aneurysma.
Aorten¬
insuffizienz.
8
6
B 2
33 J. f
P. P.
36 J. f
Herzleiden
Tbc. pulm.
9
4
C 3
46 J. f
P. P.
(Aortenstenose
Aneurysma?)
Lebt, 55 J.
—
3
2
D 4
60 J. f
P. P.
Lebt,
über 70 J.
—
6
5
E 5
Lebt, 58 J.
—
Lebt, 60 J.
—
6
2
F 6
47 J. f
Apoplexie
45 J. f
Pneumonie
Delirium
13
(2 mal Zwil¬
linge darunter,
jedesmal
doppelt ge¬
rechnet)
7
G 7
Lebt, 41J.
—
36V 2 J.+
Suizid
Geisteskrankheit
5
3
H 8
Lebt, 53 J.
—
Lebt,
schätzungs¬
weise
60 J.
—
5
1
J 9
52 J. f
57 J. f
P. P.
11
(Imal Zwil-
lingc)
3
66
33
Gck igle
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 185
kommen der Patientinnen
Gestorb. Kinder
Lebende Kinder
Wiederverheiratung
Konjugale Nervenerkrankg.
Frau
Mann
11
20 J. alt,
Epilepsie,
Schwachsinn
1 Sohn, 22 J. alt,
schwachsinnig,
Enuresis nocturna
Aus d. 2. Ehe d.Mannes
1) Knabe 6 J. alt,
schwächlich.
2) Mädchen 5 J. alt,
kräftig.
2to Frau gesund,
keine Aborte
Paralyse
Tabes dorsalis
3 +
scheinbar in
jugendl. Alter
2, Tochter u. Sohn,
1) Tochter 26 J. alt,
epileptisch,
schwachsinnig.
2) Sohn 21 J. alt,
gesund, leichtsinnig
11
1V 4 J. t
Aus d. 2. Ehe d.Mannes
1 ) Knabe 3 1 /* J. alt,
gesund.
2) Mädchen 8 Monate,
körperl. i. d. Entwick¬
lung etwas zurück.
Keine Aborte
i +
4 J. t
—
—
—
—
2 t
I 2 V 2 J-» Suizid
f /4 J. t
2, Tochter u. Sohn,
24jährige Tochter
hysterisch,
20jähr. Sohn gesund
3 t
3 t Lebensschw.
3 Töchter,
1 ) moralisch defekt,
22 J.
2) Nichts Besonderes
bekannt, nervös,
16 J.
3) Enuresis noct.
14 J.
Paralyse
Delirium
2, Tochter u. Sohn,
Tocht. schwachsinnig,
16 J.
Sohn gut begabt,
gesund, 15 J.
Zirkulär
Geisteskrank
•>
2 t
1) 1 J. t
2) Alter unbek.
2 Töchter,
1) Psychopathin, 22 J.
2 ) gehör- u. augen¬
leidend, 20 J.
7 t
Sohn, 40 J. alt,
Operation.
Sohn, Suizid, 28 J.
Sohn, Suizid, 20J.
1 Tochter,
Alter u.Todesurs.
unbek., soll epi¬
leptisch gew. sein
1 Tochter,
über 40J. alt, nervös
Paralyse
Paralyse
20
1 13
1
1
1
1
13*
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
186
MARIE KAUFMANN-WOLF,
Eine hereditäre Belastung ist dreimal bemerkt. In einem Falle
soll der Vater „nervenleidend,“ in einem andern die Mutter „nervös,“ in
einem dritten die Mutter kurz vor dem Tode „geisteskrank“ gewesen
sein. Was diesen vagen Ausdrücken zugrunde liegt, konnte nicht fest-
gestellt werden. Beachtenswert erscheint die Häufung von Schlaganfällcn
in Fall 9. Bei Vater, Mutter und einer Schwester der Patientin wurde
als Todesursache „Schlaganfall“ angegeben; die Patientin selbst war
Paralytikerin; ihre weiteren Geschwister (vier) sind sämtlich gestorben,
leider sind die Todesursachen unbekannt. In zwei Fällen (Nr. 5 und 7)
wurde Alkoholismus des Vaters, in zwei Fällen (Nr. 3 und 6) auch
Abusus spirit. der Patientinnen selbst notiert.
Ueber die Beziehung zwischen Eintritt der Infektion und Ausbruch
der Psychose liegen zwei Angaben vor. Abstand von ca. sechs Jahren
(Fall 7) bzw. 15 Jahren (Fall 8). Erstere Angabe ist vielleicht unbe¬
deutsam, weil die Patientin bereits einmal vor der Infektion geisteskrank
war und keine metasyphilitische Erkrankungsform darbot.
2 . Männliche Personen.
a) Von den neun Ehemännern sind fünf gestorben und zwar drei der
sicher luetischen und die zwei wahrscheinlich luetischen.
Todesursache und Alter der fünf gestorbenen Ehemänner sind:
Fall 1 Tabes dorsalis
Fall 2 Tbc. pulm.
Fall 4 Pneumonie
Delirium tremens
Fall 7 Suizid
(Geisteskrank)
Fall 9 Paralyse
Aortenaneurysma
Herzleiden
allg. Arteriosklerose
Koronarsklerose
52 Jahre alt
36 Jahre alt
45 Jahre alt
36 1 / 2 Jahre alt
57 Jahre alt
Diese kleine Liste weist eine auffallende Häufung der Erkrankungen
des Nervensystems, ferner eine sehr starke Beteiligung des Zirkulations¬
systems auf. Bei den paralytischen Frauen waren zahlreiche Todesfälle
an Erkrankungen des Nervensystems vorauszusehen, bei den Ehemännern
kommen sie überraschend.
Ebenso wie bei den Frauen haben nur zwei Männer das 50. Lebens¬
jahr erreicht; von den insgesamt elf Toten hat keiner das 60. Lebens¬
jahr überschritten.
In Fall 6 und 7 ist als schädigendes Moment zu berücksichtigen,
dass beide Ehemänner starke Potatoren waren, bei Fall 7 war auch der
Vater des Ehemannes dem Trünke ergeben; Vater und Sohn endigten im
Delirium tremens.
b) Die vier noch lebenden Ehemänner stehen im Alter von 55,
60 und über 70 Jahren. Das Alter des vierten wird schätzungsweise
zwischen 50 und 60 Jahre angenommen. Der 55jährige Mann ist sehr
leidend (Diabetes, Tbc. pulm.), die anderen sind relativ gesund.
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Original fram
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 187
3. Uebersicht der konjugalen nervösen Erkrankungen.
Frau Mann
Fall 1 Paralyse
Fall 6 Paralyse
Fall 7 Psychose
(Manisch depressiv?)
Fall 9 Paralyse
Tabes dorsalis
Delirium tremens
Psychose (ohne nähere Angabe)
Paralyse.
ln den Fällen 1 und 9 darf man wohl bei beiden Ehegatten die
Lues für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich machen. In
Fall 7 sind wir über die Art der Psychose des sicher luetischen Mannes
leider zu wenig orientiert, um eine Mutmassung hegen zu können, die
Psychose der Frau (Fall 7) hat keine Beziehung zur Lues, ebensowenig
das Delirium tremens in Fall 6.
Um nach Möglichkeit festzustellen, ob das Milieu [Nonne 1 )] bei
konjugalen Erkrankungen eine Rolle spielt, wurde sowohl nach dem
zwischen Eheschliessung und Eintritt der Psychose liegenden Zeitraum,
als auch nach den günstigen bzw. ungünstigen Verhältnissen der Ehe
geforscht. Die Ehedauer betrug zwischen 6 und 25 Jahren. Zufällig
gehören die Ehegatten sowohl der kürzesten als auch der längsten Ehe
zu den konjugal Erkrankten. Es wurden sowohl besonders glückliche
als auch besonders unglückliche Ehen, die einen in günstigen, die
andern in schwierigen Verhältnissen konstatiert. Somit scheint das
Milieu, wenigstens in den vorliegenden Fällen, keine ausschlaggebende
Rolle zu spielen.
4. Die direkten Nachkommen der neun ursprünglichen Patientinnen.
Es sind im ganzen festgestellt: 66 Entbindungen (Zwillingsgeburten
doppelt gerechnet), und zwar
33 Aborte, Früh- oder Totgeburten
33 lebend geborene Kinder.
Also gerade nur die Hälfte der Schwangerschaften führte zur Geburt
lebender Kinder.
Von diesen 33 lebend geborenen Kindern sind 20 gestorben, und zwar
14 in frühester Jugend
3 begingen Suizid (lä 1 ^, 20 und 28 Jahre alt)
2 waren epileptisch
(Tod im Alter von 20 Jahren in einer Anstalt.
Keine näheren Umstände bekannt)
1 starb an den Folgen einer Darmoperation (40 Jahre alt).
Es leben somit noch 13 Nachkommen, von denen nur
zwei körperlich, geistig und moralisch völlig intakt zu sein
scheinen.
1) Nonne, Syphilis und Nervensystem. Berlin 1909. Verlag v. S. Karger, S. 86.
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188
MARIE KAUFMANN-WOLF,
Hinsichtlich der übrigen ist folgendes zu konstatieren:
1 Sohn, 22 Jahre alt, schwachsinnig
1 Tochter,
16
n
7)
77
1 »
26
77
7)
epileptisoh
i „
24
7)
7 )
hysterisch
i «
24
n
7)
moralisch defekt
i «
22
7)
7)
psychopathisch
i „
20
n
7)
gehör- und augenleidend
i .
14
7 7
7)
nervös, aufgeregt
i «
16
Ti
n
7) 77
i »
40
t
Ti
77 77
1 Sohn,
21
n
77
leichtsinnig.
Vier Kinder der zweiten Generation sollen gesund sein.
Aus zweiten Ehen, die sicher luetisch gewesene Ehemänner von
diesen Patientinnen eingingen, entstammen insgesamt vier Kinder, von
denen zwei zart und schwächlich sind.
Da die Resultate meiner beiden Studien verglichen werden sollen,
resümiere ich die Ergebnisse der ersten kurz wie folgt:
Bestätigt wurde die alte Erfahrung, dass manche Luetiker so gut
wie beschwerdefrei bleiben, höchstens geringfügige üble Nachwirkungen
ihrer Infektion verspüren und ein hohes Alter erreichen, während bei
anderen sich schwere Störungen, die das Leben qualvoll gestalten oder
gar frühzeitig beenden, einstellen. Im einzelnen Fall muss daher die
Prognose immer als zweifelhaft angesehen werden. Im allgemeinen ist
man aber wohl berechtigt, anzunehmen, dass die Lebensdauer der Luetiker
eine starke Beeinträchtigung erfährt, eine Tatsache, mit der die Ver¬
sicherungsgesellschaften längst rechnen.
Die zu erwartenden Störungen befallen vorwiegend das Zirku-
lations- und Nervensystem. Ueber die Hälfte der ad exitum ge¬
kommenen Luetiker wies schwere Störungen des Zirkulations¬
systems auf.
Die Katamnesen zeigten, dass bei sachgemäßer, gründlicher Be¬
handlung (es kam damals natürlich nur Hg und Jod zur Anwendung)
Rezidive sehr selten zu sein scheinen.
In sechs Fällen hatte Fleiner, dem wir ja die ersten Kranken¬
geschichten verdanken, die Diagnose: „Lues hereditaria tarda“ mit ziem¬
licher Sicherheit gestellt. In vier derselben wurde auf Grund der Nach¬
forschung anstatt der hereditären eine akquirierte Lues erwiesen. In den
zwei Testierenden Fällen wurde die Diagnose nicht angefochten, sie ist
aber keineswegs als unbedingt sicher zu betrachten. Zweifellos kommen
bei hereditär luetischen Kindern, die in früher Jugend sekundär luetische
Symptome aufwiesen, häufig viel später tertiäre Erscheinungen zur Aus¬
bildung. Ein solcher Fall liegt in Fall 7 (1. c.) vor, ob aber die spät
auftretenden tertiären Symptome ohne jegliche Vorläufer als die aller¬
ersten Manifestationen der Lues hervortreten können, bleibt fraglich.
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Scbioksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 189
Unsere Fälle sprechen nicht dafür, beweisen vielmehr die grosse Un¬
sicherheit und Unzuverlässigkeit der Diagnose: „Lues hereditaria tarda,“
wenn keine sekundären Symptome in der Jugend aufgetreten sind.
Eine Uebertragung der Lues des Ehemannes auf seine Frau fand
sich trotz angeblich ärztlicher Behandlung noch nach 1 / 2 , 3, 4 und 7 Jahren.
Bestätigt wurde ferner die Polymortalität der kleinen Kinder, das
Auftreten zahlreicher Aborte bezw. Früh- oder Totgeburten in luetischen
Ehen und die relativ günstige Prognose der Kinder, die über die ersten
Lebensjahre glücklich hinweggekommen sind.
Bei den Kindern der zweiten Generation wurden keine bemerkens¬
werten Befunde erhoben.
Einige Beobachtungen machten auf die Gefahren aufmerksam, denen
Hebammen bzw. deren Klientinnen, Pflegekinder resp. Pflegeeltern hin¬
sichtlich einer luetischen Infektion ausgesetzt sein können und Hessen eine
methodische Untersuchung derselben auf Lues wünschenswert erscheinen.
Die Möglichkeit, dass in einem Fall ein Mann von seiner ersten
Ehefrau Lues akquiriert und diese auf seine zweite Frau übertragen hat,
ohne selbst je luetische Manifestationen gehabt zu haben, Hess die Ver¬
mutung entstehen, dass es „Spirochätenträger“ gibt, Menschen, die
Spirochäten beherbergen, ohne selbst zu erkranken, und sie in verhäng¬
nisvoller Weise übertragen können 1 ).
Vergleich einiger Resultate der I. und n. Studie.
I. Studie. II. Studie.
45
30
15
19
9
Zahl der Patienten bzw. Patientinnen, die
dienten.
45
20
Dieselben plus zugehörige Gatten bzw. Gi
Unter diesen befinden sich:
f 23
20-
1 9
a) Männer
\22
Ul
b) Frauen
30
9
Zahl der jetzt noch lebenden Personen:
/ 13
Q .
( 4
a) Männer
117
l 5
b) Frauen
15
11
Zahl der gestorbenen Personen:
fio
nj
( &
a) Männer
1 5
l 6
b) Frauen.
Das Material der ersten Studie ist etwa doppelt so gross wie das
der zweiten.
Von den jener zugrunde Hegenden Personen sind nur ein Drittel ge¬
storben, von denen dieser mehr als die Hälfte. Der Unterschied dürfte
zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass unter den ersteren ein weit
geringerer Prozentsatz sicher Luetischer sich befand als unter den letzteren.
1) Einen ähnlichen Gedanken spricht Notthafft aus. Aerztl. Vereinsbl. 1900.
Nr. 789.
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190
MARIE KAUFMANN-WOLF
Todesursache.
I. Studie. II. Studie.
6 1
3 7
4 2
2 -
— 1
Erkrankungen der Zirknlationsorgane
„ des Nervensystems
„ des Respirationsorgane
Verunglückt
Suizid (geisteskrank).
Die Erkrankungen des Zirkulationssystems treten in der zweiten Studie
nur scheinbar zurück, denn in vier anders rubrizierten Fällen ist ein Er¬
griffensein auch dieses Systems notiert.
Auffallend zahlreich sind die Todesfälle an Erkrankungen des Nerven¬
systems in der zweiten Arbeit. Rechnet man noch die Fälle hinzu, die
Erkrankungen dieses Gebietes darboten, aber an einer interkurrenten
Krankheit zugrunde gingen, so erhöht sich die Zahl sogar von sieben auf
zehn. Obwohl von vornherein mit einer Steigerung der Todesfälle in
dieser Rubrik gerechnet wurde, war diese hohe Zahl doch nicht voraus¬
zusehen.
Alter der gestorbenen Ehegatten und Ehegattinnen.
I. Studie. II. Studie.
3
5
3
1
2
TT 1 )
4
3
4
11
30—40 Jahre
40-50 „
50-60 „
60-70 „
70- 80 „
Hier ergibt sich keine grosse Verschiedenheit.
Alter der lebenden Ehegatten und Ehegattinnen.
I. Studie. II. Studie.
3 40—50 Jahre
5 50-60 „
— 60-70 „
1 70-80 „
16
4
6
4
30
9
Konjugale nervöse Erkrankungen.
I. Studie. II. Studie.
1 Fall 4 Fälle
(Konj. Tab.)
Wenn man unter diesen fünf Fällen konjugaler nervöser Erkrankung
nür drei metasyphilitische konjugale Erkrankungen findet, so ist das
immerhin ein recht erstaunlicher Befund.
1) Bei einem Patienten ist das Alter nicht bekannt.
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 191
Die Nachkommen sämtlicher 65 Ehegatten bzw. Gattinnen
beider Studien.
A.
Die Nachk. der
45 Ehegatten
der I. Studie.
81
B.
Die Nachk. der
20 Ehegatten
der II. Studie.
70 Gesamtzahl der Entbindungen.
Es ist die relative Fruchtbarkeit der 20 Ehegatten
bedeutend grösser als die der 45. Bei gleicher
Frnchtbarkeit hätten wir statt 81 157 Nachkommen
zu erwarten.
28
20
11
9
34
34
33
20
17
Aborte bzw. Früh- oder Totgeburten.
Diese Zahl ist nicht nur relativ, sondern auch
absolut grösser bei den 20 Ehegatten; ihr würde 40
statt 28 bei den 45 Ehegatten entsprechen.
Zahl der gestorbenen Nachkommen.
a) in jugendlichen Alter gestorbener
b) nicht in jugendlichem Alter gestorbener.
Es ist der Prozentsatz der Gestorbenen im zweiten
Fall bedeutend grösser.
Noch lebende Nachkommen.
Auch hier gestalten sich die Verhältnisse für die
45 Ehegatten bei weitem günstiger. Zieht man noch
die Gesundbeitsverbältnisse, die geistige Begabung
und Charakteranlagen der Kinder mit zum Vergleich
heran, dann tritt derUnterschied recht gross zu Tage.
Wir haben nämlioh:
Irgendwie belastete Nachkommen
Scheinbar gesunde Naohkommen.
Die 20 Ehegatten weisen also im Vergleich mit den 45 eine viel
grössere Frnchtbarkeit auf, aber eine im Verhältnis noch viel grössere
Anzahl von Aborten, von Todesfällen der Nachkommen und Belastung
der Nachkommen.
Unter den sechs scheinbar gesunden Kindern der 20 Ehegatten be¬
finden sich vier Kinder (darunter nebenbei bemerkt auch zwei schwäch¬
liche) der Frauen aus zweiter Ehe. Sehen wir von diesen ab, so finden
wir, dass auf die neun Ehen unserer neun Patientinnen 66
Schwangerschaften und nur zwei völlig gesunde Kinder ent¬
fallen.
In beiden Arbeiten traten keine besonderen Störungen bei den
Enkelkindern hervor.
Auf 65 Ehegatten bzw. 145 Schwangerschaften kommen sechs Zwillings¬
schwangerschaften. Nach Fournier sollen Zwillingsschwangerschaften
in luetischen Ehen häufig sein.
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192
MARIE KAUFMANN-WOLF,
Schluss.
Das Zurücktreten schwerer Erkrankungen der Zirkulationsorgane, die
über Erwarten grosse Zahl der Todesfälle an Erkrankungen des Nerven¬
systems, mehrere konjugale nervöse Erkrankungen und die überaus
traurige Beschaffenheit der Nachkommen sind die hervorstechendsten, zum
Teil überraschenden Resultate dieser Studie und zugleich auch die wich¬
tigsten Unterschiede im Vergleich mit der früheren.
Die Erkrankungen der Zirkulationsorgane treten zweifellos als direkte
Todesursache ganz in den Hintergrund, achtet man aber auf das Mit¬
befallensein dieses Systems, so gewahrt man keinen nennenswerten
Unterschied. Hier wie da sehen wir in etwa der Hälfte der Fälle dies¬
bezügliche Erkrankungen. Das scheinbare Zurücktreten der Krankheiten
des Zirkulationssystems ist durchaus verständlich. Handelt es sich doch
bei dieser Untersuchung vielfach um Paralytiker, die in verhältnismässig
kurzer Zeit eben an ihrer Paralyse zugrunde gingen.
Ganz anders fällt aber bei eben diesen die Schwere und Tragweite
der Infektionswirkung sowohl in bezug auf das zuerst infizierte Individuum
als auch auf dessen ganze Familie ins Gewicht, namentlich in bezug auf
nervöse und psychische Störungen.
Die Erklärung dieser Verschiedenheit der Resultate liegt nicht so
offen zu Tage, man muss vielmehr, um sie geben zu können, einen neuen
Faktor in Rechnung ziehen. In der Literatur sind viele Beobachtungen
niedergelegt [siehe Nonne 1 ), S. 81], bei denen gehäufte, oft gleichartige
nervöse Erkrankungen von Geschwistern, Ehegatten oder Eltern und
Kindern die Vermutung nahelegten, dass es eine für das Nervensystem
besonders verhängnisvolle Art der syphilitischen Erkrankung gäbe.
Man hat je nach der Lage des Falles entweder versucht, in einer
familiären Anlage einer durch gleiches Milieu gleichartig bedingten Schä¬
digung der Konstitution oder einer Vererbung der Disposition eine ge¬
nügende Erklärung für diese Erscheinung zu finden, oder man ist zu der
Vorstellung gelangt, dass nur eine „nature spöcifiquc du virus“ diese Er¬
scheinungen verständlich machen könne.
Die in der Literatur niedergelegten Beobachtungen stellen lauter
merkwürdige Einzelbefunde dar und haben aus diesem Grunde den Vor¬
wurf der Zufälligkeit nicht von sich weisen und keine absolute Beweis¬
kraft erlangen können. Die Frage der Lues nervosa steht daher noch
immer zur Diskussion. Obgleich nun eine auf ein so kleines Material
gestützte Studie wie die vorliegende Dicht den Anspruch erheben kann,
beweiskräftig zu sein, scheint sie doch ev. mit als Beitrag zur Unter¬
stützung der Lehre von der Lues nervosa gelten zu können. Für diese
Annahme spricht besonders die Art der Entstehung der Studie und der
1) Nonne, Syphilis und Nervensystem (2. Auflage),
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Weiterer Beitrag zur Kenntnis des Schicksals Syphiliskranker u. ihrer Familien. 193
Vergleich mit der früheren. Wurde doch das Material gesammelt und
bearbeitet rollig unbeeinflusst von dem Wunsche, zur Klärung der Frage:
„Gibt es eine Lues nervosa?“ einen Beitrag zu liefern. Erst die Be¬
trachtung der Resultate beider Studien führte zu der Vorstellung, dass
etwas wie eine „nature spöcifique du virus“ diese Unterschiede ver¬
ständlich machen könne. Die von Natur aus schlechtere Konstitution
oder die durch die Infektion zufälligerweise bedingte grössere Schwächung
gerade dieser Patienten reicht nicht zur Erklärung aus, denn dieselben
Eltern können Jahre später, wenn die Lues abgeheilt ist, gesunde Kinder
haben, ihre Konstitution und Disposition dürfte sich inzwischen nicht
wesentlich geändert haben. Jene frühere Studie rief schon durchaus
den Eindruck hervor, als stelle die Syphilis occulta, eine Er¬
krankungsform, bei der bekanntlich die Manifestationen des Primär- und
Sekundärstadiums verborgen bleiben oder infolge ihrer Geringfügigkeit
verheimlicht werden können, auch in ihrem weiteren Verlauf bei Eltern
und Kindern ein verhältnismässig leichtes Krankheitsbild dar.
Dem Gedanken wurde damals nicht Ausdruck verliehen, weil jedo Ver¬
gleichsmöglichkeit zu seiner Erhärtung fehlte. Jetzt aber scheinen sich
zufällig zwei Extreme gegenüberzustehen, die Syphilis occulta und die
Lues nervosa, eine Form, die dio schwersten Folgen zu zeitigen scheint.
Bei der Beschaffung des Materials wurde ich in der zuvorkom¬
mendsten Weise unterstützt durch den Direktor der psychiatrischen Klinik,
Herrn Prof. Dr. Nissl und die Herren Assistenten, speziell Privatdozent
Dr. Homburger und Dr. Grüble. Hierfür sei den genannten Herren
an dieser Stelle mein verbindlichster Dank ausgesprochen.
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XIII.
Aus der medizinischen Klinik des Bürgerspitals in Basel
(Direktor: Prof. Dr. R. Staehelin).
Zur Lehre von der Hämophilie.
Von
Dr. E. Gressot,
Assistenzarzt der Klinik.
Die verschiedensten Theorien wurden herangezogen, um die unstill¬
baren Blutverluste der Hämophilen zu erklären: abnorme Zerreisslichkeit
der kleinen Gcfässe, Enge der Aorta, Hypertrophie des linken Ventrikels,
Blutdruckerhöhung im arteriellen System, Plethora vera, vasomotorische
Neurose, Veränderungen der Blutzusammensetzung und der Blutgerinnung.
Doch diese Theorien waren unsicher, denn die sich zum Teil wider¬
sprechenden Tatsachen, auf welchen sie beruhten, gaben ihnen keine feste
Grundlage.
Im Jahre 1905 konnte Sahli (17) 4 Fälle von familiärer Hämo¬
philie beobachten. Er wies nach, dass die Gerinnungsfähigkeit des Blutes
in den Intervallen zwischen den Blutungen beständig verzögert ist. Er
fand im Blutbilde eine relative Vermehrung der Lymphozyten und eine
erhöhte Zahl von eosinophilen Zellen. Die übrigen chemischen und
physikalischen Eigenschaften des Blutes waren normal. Während der
Blutungen verschwand die Gerinnungsverzögerung, ohne dass das Blut
dafür aufhörte, aus der Wunde zu fliessen. Der Zusatz von normalem
Menschenserum zum hämophilen Blut beschleunigte die Gerinnung. Vom
Standpunkt der A. Schmidt-Morawitzschen Gerinnungstheorie aus sieht
Sahli als Ursache der Krankheit eine Verminderung der Thrombokinase
an, welche von den Blutkörperchen, Gefässendothelien und wahrscheinlich
von allen Körperzellen mangelhaft gebildet wird. Die Tatsache, dass
die Thrombokinase in allen lebenden Zellen vorhanden ist, legt die Ver¬
mutung nahe, dass die Hämophilie auf einer fehlerhaften hereditären Anlage
aller Zellen des Organismus beruhe.
Weil (27) unterscheidet eine sporadische und eine familiäre Hämo¬
philie. Während die erstere auf den Mangel des Blutes an Thrombin
zurückzuführen ist, findet man bei der familiären Form neben diesem
Thrombinmangel noch eine Vermehrung der gerinnungshemmenden
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Zur Lehre von der Hämophilie.
195
Substanzen im Serum. Intravenöse Injektionen von frischem, gesundem
Serum wirken bei sporadischer Hämophilie eklatant, bei der familiären
Form weniger deutlich, im Sinne einer Stillung der Blutungen.
Morawitz und Lossen (14) konnten den experimentellen Beweis
dafür liefern, dass die Deduktionen von Sahli richtig waren, und dass
der Zusatz von Thrombokinase in B’orm von Organextrakten zu dem
hämophilen Blut die Gerinnung in hohem Masse beschleunigt. Sie be¬
stätigten, wie alle modernen Autoren, den Befund der Gerinnungsver¬
zögerung und fanden ein ähnliches Blutbild wie Sahli.
Vogel (26) konstatierte in einem Fall von sporadischer Hämophilie
den wirksamen Einfluss von Serum und Organextrakten auf die Blut¬
gerinnung in vitro.
Nolf und Herry (16) fussen auf einer anderen Gerinnungstheorie
als Morawitz. Nach Nolf beruht die Gerinnung auf einer chemischen
Bindung von drei Bestandteilen des Blutplasmas = Thrombogen, Throm-
bozym und Fibrinogen, welche in Gegenwart von Kalksalzen sich zu
Fibrin und Thrombin verwandeln. Das Thrombin wäre also ein Produkt
der Gerinnung und nicht die Ursache derselben. Bei der Hämophilie
ist der Gehalt des Blutes an Thrombozym vielleicht vermindert. Jeden¬
falls wird das Thrombozym weniger leicht zur Bindung mit Thrombogen
und Fibrinogen veranlasst. Im Gegensatz zu der Thrombokinase findet
sich nach Nolf das Thrombozym nur in den Blutkörperchen und in
den Gefässendothelien, nicht aber in allen Zellen des Organismus. Die
Organextrakte, wie auch andere „thromboplastische“ Substanzen (z. T.
indifferente Pulver, so pulverisiertes Glas), wirken durch physikalische
Beeinflussung gerinnungsbefördernd, indem sie die Oberflächenspannung
verändern, oder neue Zentra zum Niederschlag des Fibrins abgeben. Die
von Weil gefundene und vielgepriesene günstige Wirkung von intra¬
venösen Injektionen von Serum auf die hämophilen Blutungen erkennen
Nolf und Herry an. Sie erklären diese Wirkung dadurch, dass das
frische Serum einen Reiz auf weisse Blutkörperchen und Gefässendothelien
ausübt, der diese veranlasst, mehr Thrombozym abzugeben. Doch wollen
die beiden Autoren im Witte-Pepton einen sichereren und leichter halt¬
baren gerinnungsbefördernden Körper gefunden haben, welcher eine ganz
analoge Wirkungsweise wie das frische Serum zeigt.
In einer neuen Mitteilung bestätigte Sahli (18) das Resultat seiner
ersten Untersuchungen bei zwei neuen Patienten, in Bezug auf die man¬
gelnde Gerinnungsfähigkeit des hämophilen Bluts in den Intervallen #
zwischen den Blutungen und auf die Zusammensetzung des Blutes selbst.
Er zeigt, dass normale Blutkörperchen auf das hämophile Blut
stärker gerinnungsbeschleunigend als normales Serum wirken, und dass
das ständige Erhitzen auf 62° diese befördernde Wirkung abschwächt,
aber nicht verhindert. Er macht therapeutisch den Vorschlag, die
Thrombokinaseanreicherung sowohl durch wiederholte Blutentnahme als
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196
E. GRESSOT,
durch Seruminjektionen im Organismus der Hämophilen zu veranlassen.
Seitdem die Nolfschen Theorien ihm bekannt sind, hält sich Sahli
ihnen gegenüber auf der Exspektative. Ob die Hämophilie auf einer
fehlerhaften Anlage aller Körperzellen beruht, oder ob sie nur eine Ano¬
malie der Blutzellen und Gefässendothelien darstellt, will er dem defini¬
tiven Schicksal der beiden Gerinnungstheorien von Nolf und von
Morawitz anheimstellen.
Wir hatten in letzter Zeit Gelegenheit, einen typischen Fall von
familiärer Hämophilie zu beobachten. Wir machten an ihm Erfahrungen,
welche in mehreren Punkten von den modernen Anschauungen über diese
Affektion abwichen. Der Kranke blieb über 4 Monate auf unsrer Station.
Er verliess ungebessert das Spital. Einige Wochen nach seiner Entlassung
wurde er mit einer frischen Magenblutung hereingebracht, welcher er nach
zwei Tagen erlag. Die Sektion konnte zwei Stunden nach dem Tode
gemacht werden. Die Untersuchung der Organextrakte bestätigte die
Resultate, welche sich aus unseren Beobachtungen am lebenden Patienten
ergeben hatten.
Da dieser Fall uns für die ganze Lehre der Hämophilie von Wichtig¬
keit erscheint, so wollen wir ihn im folgenden mitteilen. Wir geben zu¬
nächst einen Auszug aus der Krankengeschichte wieder.
Auszug aus der Krankengeschichte.
Name: Hans Schweizer, Alter: 27 J., Beruf: Kasserolier, Heimatort: Bretzwil
(Baselland), Zivilstand: ledig. Erster Spitalaufenthalt: 29. 11. 11—6. 4. 12. Wieder¬
eintritt: 5. 6. 12. Gestorben: 7. 6. 12.
Patient stammt aus einer zahlreichen Familie. Er hatte 4 Brüder und
5 Schwestern. Alle 4 Biüder sind im Kindesalter an Blutungen aus unbedeutenden
Wunden gestorben (Zahnextraktion, Zahnüeischblutung, leichte Kopfwunde). Von
den Schwestern ist die eine als kleines Kind an Durchfall gestorben. Die andern
sind vollkommen gesund. Von ihnen sind drei verheiratet; sie haben Kinder. Unter
den Knaben dieser Schwestern sind fast genau die Hälfte Bluter. Zwei von diesen
Knaben starben Ende 1911 im Kinderspital in Basel an Verblutung 1 ). Die Töchter
von den Schwestern des Patienten sind gesund. Die Eltern unseres Patienten waren
nioht blutverwandt. Der Vater starb 52 J. alt an Magenkrebs, die Mutter mit 46 J.
an Pneumonie. Die Grosseltern und die Kollateralen zeigen keine Spur von Hämophilie.
Patient weist die typische Anamnese der familiären Hämophilen auf:
Während der Schuljahre hatte er häufig Gelenkaffektionen: ohne Veranlassung schwoll
in ganz kurzer Zeit ein Gelenk stark auf und wurde äusserst schmerzhaft. Die einzelne
Affektion dauerte nur 3—4 Tage und war wieder vorbei. Dies wiederholte sich häufig,
im Mittel alle 14 Tage. Am häufigsten waren die Fuss-, Knie- und Ellbogengelenke
getroffen. Wenn der Knabe zu Boden fiel oder sich anstiess, so traten immer grosse
„Beulen“ und Blutunterlaufungen auf. Die geringsten Schürfungen, Stich- und Schnitt¬
wunden bluteten übermässig lange. Auch ohne irgend einen Anlass wurde manchmal
die Haut einer ganzen Extremität von Blut unterlaufen. Im 15. Lebensjahre starke
Hämatemesis. Darnach war Patient schwach und sehr bleich. Seither öfters schwarze
Stühle. Im Jahre 1907 traten die letzten Darmblutungen auf. Er wurde darum in
1) Cf. Beiträge zur Kasuistik der Hämophilie von J. Falewitsch. Inaug.-Diss.
Basel 1912.
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Stammbaum der Familie Schweizer.
Zur Lehre von der Hämophilie.
197
’.urtqcnbiss
198
E. GRESSOT,
unserer Klinik behandelt. Aus der damaligen Krankengeschichte können wir folgendes
entnehmen: Bei Spitaleintritt Residuum einer Unterbautblutung am rechten Oberarm.
Kontraktur des linken Knies. Grosse Blässe und Schwäche. Hämoglobin: 48pCt.
des Normalen. Während des Spitaiaufenthaltes erfolgte wieder eine profuse Darm¬
blutung, nach welcher das Hämoglobin auf 35pCt. der Norm herunterfiel. Beim Stich
in die Fingerbeere zur Blutentnahme blutete die Wunde abnorm lange. Seit diesem
Spitalaufenthalt bis heute keine Darmblutungen, keine Gelenkschwellung. Sehr häufig
noch Blutunterlaufungen. Das Blut floss immer noch nach Stich oder Schnitt abnorm
lange. In der Nacht vom 26. zum 27. November 1911 trat plötzlich eine starke, sehr
schmerzhafte Schwellung des rechten Schultergelenks auf. Abgesehen von den lanzi-
nierenden Schmerzen in der rechten Schulter fühlt sich der Patient wohl.
Aus dem Status praesens ist folgendes zu entnehmen: Der Patient ist ziemlich
gross, von herabgesetztem Ernährungszustand. Haut blass. Muskulatur wenig kräftig.
Panniculus gering. Puls voll, gut gespannt, regelmässig. Temperatur leicht erhöht
(37,5<>).
Lungen, Herz, Abdominalorgane ohne Besonderheiten.
Rechte Schulter etwas vorgewölbt. Haut darüber nicht gerötet und nicht wärmer
als die Umgebung. Spur gelblicher Verfärbung an der vorderen Seite im Sulcus del-
toideo-peotoralis. Das Gelenk ist schmerzhaft fixiert und sehr druckempfindlich. Auf
dem linken Handrücken eine Blutunterlaufung.
Das linke Knie kann nicht vollständig gestreckt werden. Kontraktur der Beuge¬
sehnen des Oberschenkels. Linker Oberschenkel etwas atrophisch.
Urin: Nylander -f 1 » Trommer negativ, ohno Eiweiss.
Blutuntersuohung: Hämoglobin nach Sahli =83pCt.
Leukozyten = 7600
Erythrozyten = 4800 Millionen
Differentialzählung (200 Zellen)
Neutrophile polynukleäre Zellen = 49pCt.
Lymphozyten.= 31 „
Eosinophile Zellen . . . . = 9 „
Grosse mononukleäre Zellen . = 3 „
Uebergangszellen . . . . = 7 „
Mastzellen.= 1 „
Nach Stich in die Fingerbeere ülesst das Blut aus der Wunde nicht stärker,
aber anhaltender als beim Normalen.
Weiterer Verlauf: Das rechte Schultergelenk ist nach 8 Tagen wieder normal.
Die Glykosurie fällt sehr schnell auf eine geringe Spur herunter. Die Temperatur ist
am 8. Tage wieder normal.
Vom 1.—4. Januar spontan aufgetretene, anhaltende Zahnfleischblutung.
Vom 17. Januar an beginnen wir, dem Patienten verschiedene Sera und ge-
rinnungsbefördernde Substanzen einzuspritzen. Ueber diese therapeutischen Versuche
wird weiter unten berichtet werden.
Am 22. Januar: Auftreton eines intrafaszialen und subkutanen Hämatoms am
Oberschenkel.
Am 30. Januar: Urtikariaausschlag von kurzer Dauer. Das Hämoglobin beträgt
nur 65pCt. (nach Sahli).
2. Februar: Schmerzen im rechten Knie. Gelenkkapsel druckempfindlich. Dauer
3 Tage.
8. Februar: Hämoglobin = 60pCt. (nach Sahli).
Vom 10. Februar an traten öfters im Anschluss an Injektionen von Serum oder
Pepton Witte lokale und seltener allgemeine Erscheinungen auf, welche wir später
ausführlicher beschreiben werden.
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Zur Lehre von der Hämophilie.
199
28. Februar: Um die Stelle einer früheren Peptoninjektion subkutanes Hämatom
(linker Oberschenkel).
1. März: Das Hämatom am linken Oberschenkel verursacht spontane lanzi-
nierende Schmerzen, Bewegungen des Beins sind schmerzhaft. Die Haut und das unter¬
liegende Gewebe sind beträchtlich infiltriert- Patient fühlt sich schwach und matt.
7. März: Hämoglobin = 50—55pCt. (nach Sahli).
13. März: Patient fühlt sich wieder wohler.
Blutuntersuchung: Hämoglobin = 68pCt. (nach Sahli)
Erythrozyten = 4,5 Millionen
Leukozyten = 7500
Differentialzählung:
Neutrophile polynukleäre Zellen = 59pCt.
Lymphozyten.= 35 „
Eosinophile Zellen . . . . = 4,5 „
Grosse mononukleäre Zellen . = 0,7 „
Mastzellen.=0,7 „
Uebergangsformen ... . = 0,5 „
23. März: Im Anschluss an eine intraglutäale Injektion von Kaninchenserum
Auftreten eines starken intramuskulären Hämatoms in der linken Glutäalgcgend.
28. März: Das Hämatom der linken Glutäalgcgend verursacht Schmerzen, welche
in das ganze Bein ausstrablcn.
6. April: Zustand am linken Bein gebessert. Austritt aus dem Spital.
10. Mai: Patient stellt sich zur Nachuntersuchung ein. Nach dem Spitalaustritt
hatte er noch einmal eine grosse subkutane Blutung in dem linken Oberschenkel.
Seither keine grösseren Blutungen. Hämoglobin = 68pCt. (nach Sahli).
5. Juni: Patient wird als Notfall wegen Darmblutung in die Klinik gebracht.
Am 5. 6., 7 Uhr morgens, fühlte er sich plötzlich unwohl und schwach. Um 5 Uhr
abends hatte er einen schwarzen Stuhlgang und fühlte sich wieder unwohl. Er musste
ins Spital gebracht werden. Er hat nie Magenbeschwerden gehabt. Er sieht sehr
blass und schwach aus. Puls noch ordentlich gefüllt und gespannt. Trotz allen an¬
gewandten Massrcgeln dauert die Blutung fort. Am 6. 6. dreimal profuses Blutbrechen.
Am 7. Juni früh morgens wird der Puls schwächer und frequenter. 8 Uhr
morgens Exitus.
Wir lassen den Sektionsbericht folgen, den wir der Liebenswürdigkeit des Herrn
Professor Hedinger verdanken.
Sektionsberich t.
Grosse männliche Leiche von mittlerem Ernährungszustand. Haut, Skleren,
sichtbare Schleimhäute sehr blass. Pupillen beiderseits gleich weit. Totenstarre an
der unteren Extremität ausgesprochen. Livores sehr gering. Muskulatur kräftig, von
guter Farbe und Transparenz. Fettpolster in mittlerer Menge.
Bauchsitus o. B. Serosa der Dünndarmschlingcn blaurot durchscheinend.
Zwerchfell rechts 4. Rippe, links 5. Rippe.
Lungen beiderseits an der vorderen Seito leicht adhärent, sonst gut retrahiert
und kollabiert. Herzbeutel liegt handbreit vor, enthält ca. 30 ccm klare, gelbliche
Flüssigkeit.
Herz von entsprechender Grösse. Spitze vom linken Ventrikel gebildet. Rechts
schlaff, links kontrahiert. Epikard mit etwas Fett bedeckt. Venöse Ostien für zwei
Finger durchgängig. In den Höhlen nur etwas flüssiges, helles Blut. Kein Kruor.
Keine Speckhaut. Linker Ventrikel von entsprechender Grösse. Endokard im Konus
leicht weisslich verdickt. Trabekel und Papillarmuskeln kräftig. Subepikardial ver¬
einzelte kleinste helle Blutungen. Aortenklappen zart, Intima Aortae zart. Umfang
der Aorta 6 cm. Mitralis am Schliessungsrand mit geringgradigen arteriosklerotischen
Zeitschr. f. klin. Medizin. 76. BJ. H. 3 u. 4. 14 .
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20Ö
E. GRESSOT,
Verdickungen. Sehnenfäden nicht verdickt. Papiliarmuskelspitzen leicht bindegewebig
umgewandelt. Vom hinteren Papillarmuskel ein kleiner Sehnenfaden zum Septum.
Muskulatur 11—12 mm dick, blassbraun, gut transparent. Kranzarterien zart.
Rechter Ventrikel von entsprechender Weite. Endokard und Pulmonalklappen zart.
Trabekel spurweise verdickt. A. pulmonalis zart, Umfang 6 cm. Trikuspidalis zeigt
spurweise Verdickungen. Vorhöfe o. B. Foramen ovale ist geschlossen. Muskulatur
lechts 3 mm, auf Schnitt wie links.
Zunge mit geringem, grauem Belag. Balgdrüsen des Zungengrunds und Ton¬
sillen gross. Zungengrund o. B. Pharynx leicht hyperäraisch. Oesophagus glatt und
blass. Schilddrüse klein, ohne Knoten, Gewebe sehr blass. Aorta thoracica 4,2 cm,
mit stellenweise geringen Intimaverdickungen.
Lungen massig voluminös. Pleurae mit bindegewebigen Auflagerungen, sehr blass.
Auf Schnitt: blassrötlich mit sehr geringem Blutgehalt und vermehrtem Luft¬
gehalt. Schnittfläche überall glatt. Gewebe etwas zähe, trocken. In den Bronchen
etwas blutiger Schleim. Schleimhaut sehr blass. Pulmonalarterien zart. Bronchial¬
drüsen leicht vergrössert, anthrakotisch.
Milz klein, Kapsel glatt. Pulpa blass, ziemlich fest. Follikel leicht vergrössert.
Trabekel ziemlich gut sichtbar. Linke Nebenniere gut entwickelt in Mark und Rinde.
Linke Niere von entsprechender Grösse. Kapsel gut abziehbar. Oberfläche blass.
Venenstemo leicht injiziert. Auf Schnitt: Kinde 5—6 mm breit, Zeichnung w’enig
deutlich. Blutgehalt sehr gering. Transparenz gut. Brüchigkeit normal. Vena cava
inferior enthält helles flüssiges Blut. Ilechto Niere und Nebenniere wie links.
Im Magen reichlich dunkles, flüssiges Blut. Im Duodenum blutig-schleimiger
Inhalt. Schleimhaut des Magens im ganzen blass, mit Schleim bedeckt. 1 cm unter¬
halb der Kardia an der kleinen Kurvatur ein 10 zu 7 mm grosser scharfrandigcr
Schleimhautdefekt. In der Tiefe liegt die leicht mit Blut bedeckte Muskularis vor.
In der Mitte erhebt sich ein 6—7 mm grosser. 2 mm hoher graubräunlichor, in Wasser
etwas flottierender, weicher Thrombus.
Schleimhaut des Duodenums blass und glatt. Pankreas sehr blass, ziemlich
derb, o. B. Aorta abdominalis zeigt kleinste gelbliche Intimatrübungen und -Ver¬
dickungen. Abgehende Gefässo zart. Mesontcrialdrüsen nicht vergrössert. In den
Femoralgefässen etwas flüssiges, wässeriges Blut. In der Harnblase reichlich klarer
Urin. Schleimhaut sehr blass, glatt. Prostata nicht vergrössert. Samenblasen stark
zystisch erweitert, mit glattem Rand. Im Rektum mit dunkelrotem Blut gemischter,
klebriger Inhalt. Schleimhaut klar. Hoden sehr blass, wio Nebenhoden, o. B. Rechts
eine kleine Hydrozele. Im Dünndarm dünnflüssiger, blutiger Inhalt, im Dickdarm
dunkelroter, breiiger, klebriger Inhalt. Schleimhaut des Dünndarms leicht graurot
verfärbt, glatt, mit blutigem Schleim bedeckt. Follikel im unteren Ileum gross.
Appendix o. B. Schleimhaut des Dickdarms mit Blut bedeckt.
Leber etwas klein. Oberfläche glatt. AufSchnitt: Zeichnung ziemlich deutlich.
Zentra leicht verbreitert, eingesunken; etwas dunkle Peripherie, braun, von guter
Transparenz. Konsistenz gut. Gallenblase o. B.
Schädel- und Gehirnsektion o. B. Sinus leer. Gehirn sehr anämisch.
Augenhintergrund o. B.
Femur: Knochenmark zu % blassrot, trocken, ln der Kniegclenkshöhle flüssi¬
ges Blut.
Masse und Gewichte:
Körperlänge.171 cm i Nieren. 240 g
Gewicht.51 kg Leber. 1370 g
Herz. 295 g ! Gehirn. 1350 g
Milz.90 g i Schädel.14 — 16 cm
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Zur Lehre von der Hämophilie.
201
Pathologisch-anatomische Diagnose: Hämophilie, Ulcus ventriouli
simplex mit thrombotischen Massen bedeckt, Verblutung in den Magendarmkanal.
Hochgradige allgemeine Anämie.
Es handelt sich im vorliegenden Fall um eine echte familiäre Hämo¬
philie. Sehr interessant ist der Umstand, dass wir hier den ersten Aus¬
bruch dieser Krankheit in einer Familie beobachten. In der Aszendenz
und in der Kollateralverwandtschaft ist keine Spur von Hämophilie zu
finden. Die Eltern waren unter sich nicht blutsverwandt. Beide starben
früh, der Vater, 52 J. an Magenkrebs, die Mutter, 46 J. an Pneumonie.
In einem von Nolf und Herry (16) mitgcteilten Fall, wo auch das erste
Auftreten einer familiären Hämophilie beobachtet wurde, war die Mutter
an Mammakrebs operiert worden. Es scheint uns nicht unmöglich, dass
ein ätiologischer Zusammenhang zwischen der bekanntlich hereditären
Anlage zu Krebserkrankungen und der Hämophilie einmal nachgewiesen
werden könne. Bis jetzt ist das Material hierzu zu gering, und wir
werden uns damit begnügen, die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt ge¬
lenkt zu haben. Die Verteilung der krankhaften Anlage anf die ein¬
zelnen Familienmitglieder entspricht der von Lossen sen. (11) für die
Familie Mampel bestätigten Regel. Es werden nur die männlichen Indi¬
viduen Bluter, die weiblichen übertragen die Krankheit auf ihre Nach¬
kommenschaft. In der ersten Generation sind alle Mitglieder getroffen,
in der zweiten Generation sehen wir fast mathematisch nur die Hälfte
der Knaben erkrankt. Dies ist eine für den Menschen interessante Be¬
stätigung der Mendelschen Spaltungsregel, wobei die Bluteranlage das
dominierende, die Nichtblutcranlago das rezessive Merkmal bildet.
Anamnese und Klinik des Falls, sowie der ganzo Verlauf sind für
Hämophilie charakteristisch. Das Blutbild entspricht dem von Sahli (17)
angegebenen: norraalo Zahl der weissen Blutkörperchen mit relativer
Vermehrung der Lymphozyten und leichter Vermehrung der eosinophilen
Zellen. Die Rcgencrationskraft des Hämoglobins irn Blut war eine be¬
deutende. Wir fanden am Anfang 83 pCt. Hämoglobin (nach Sahli).
Diese Zahl ging nach einigen Blutungen herunter. Am 7. März misst
sie 50—55 pCt., am 13. März ist sic schon wieder auf 67 pCt. gestiegen.
Nie waren kernhaltige Erythrozyten unter dem Mikroskop nachzuweisen.
Die Resistenz der roten Blutkörperchen gegen Hämolyse war deutlich
vermindert. — Beginn der Hämolyse bei 5,2 und 5,4 prom. NaCl-Lösung.
Komplette Hämolyse bei 3,0 *). (Beim normalen Blut findet man Beginn
der Hämolyse bei 4,6—3,8; komplette Hämolyse bei 2,8—2,2.)
1) üio Teohnik der Resistenzversuche war hier folgondo: Es wird eine Reiho von
kleinen gut gereinigten Reagensgläschen aufgestellt. Jedes Gläschen wird mit 3 ccm
einer Kochsalzverdünnung versetzt. Die Kochsalzverdünnungen sind so abgestuft, dass
sie eine ununterbrochene Reihe von 2,0, 2,2, 2,4.bis 5,8 und 6,0 pM. bilden.
In jedes Gläschen werden dann 3 Tropfen Blut gebracht. Als Blut diente das frisch
gewonnene Zentrifugat einmal von defibriniertem hämophilcn Blut, ein anderes Mal von
MgS0 4 -Blut, nachdem es drei Mal mit physiologischer NaCl Lösung gewaschen wurde.
14*
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202
E. GRESSOT,
Die Sektion ergab im ganzen Körper flüssiges Blut, keine Kruor-
oder Speckhautgerinnsel, leichte Hypertrophie des linken Ventrikels
(Virchow), endlich alle Zeichen der Verblutung in den Darmkanal, aus¬
gehend aus einem einfachen, runden Magengeschwür, das während des
Lebens gar keine Erscheinungen gemacht hatte.
Wir wollen nun über die Untersuchungen berichten, zu denen dieser
Fall uns veranlasste.
I. Die Gerinnungsfähigkeit des hämophilen Blutes.
Methodik. Nach verschiedenen Vorversuchen nahmen wir im all¬
gemeinen Abstand von der Vierordtschen und der Bürkerschen Methode
der Gerinnungsbestimmung. Diese Methoden, welche beim Normalen aus¬
reichen können, sind bei den Hämophilen unzulänglich, wenn nicht mit
feuchten Kammern mit glcichraässiger Temperatur ausgerüstet, denn die
Austrocknung des Blutes macht sich vor der Gerinnung geltend, so dass
die Ablesung sehr schwer oder gar unmöglich wird.
Wir bedienten uns der von Morawitz und Bierich angegebenen
Methode, welche das aus der Vena cubitalis durch Venaepunktion ge¬
wonnene Blut in gereinigten Zentrifugengläschen aufnehmen. Die Gerinnung
gilt als beendigt, wenn das Gerinnsel so fest ist, dass das Gläschen ohne
Fliessen des Blutes umgekehrt werden kann.
Kleine Reagensröhrchon, wie sie zu Hämolyseversuchen und Wassermannscher
Reaktion benutzt werden, wurden sorgfältig mit Salzsäure und Alkohol gereinigt und
im Sterilisierofen getrocknet und keimfroi gemacht. Mittels einer krummen Vcnae-
punktionsnadel wurden 3—4 ccm Blut direkt aus der Vene in die Reagensröhrchen
abgclassen und die Gerinnung gewöhnlioh bei Zimmertemperatur beobachtet.
Wir fanden in Uebereinstimmung mit allen modernen Autoren die
Gcrinnungszcit des hämophilen Blutes wesentlich verlängert. Wir greifen
einige Zahlen aus unseren Protokollen heraus:
Datum
Temperatur
1 Gcrinnungszcit
|
6. 12. 11 ....
28°
a) 1 Std. 34 Min.
| b) 1 Std. 45 Min.
23. 12. 11 ....
20«
j 5 Std.
17. 1. 12 ....
210
j a) 3 Std. 44 Min.
| b) 4 Std. 35 Min. !
21. 1. 12 . . . .
200
! a) 4 Std. 35 Min. '
1 b) 5 Std. 10 Min.
2G. 1. 12 ....
20°
1 a) G Std. 15 Min. !
a) 7 Std. 15 Min.
10. 2. 12 ....
19 o
a) 3 Std. 30 Min.
1
b) 4 Std.
23. 2. 12 ... .
19°
a) 3 Std.
1
1
b) 5 Std.
Man kann daraus ersehen, dass die Gcrinnungszcit bei Zimmer¬
temperatur im Mittel zwischen 3 und 5 Stunden schwankte. Kontroll-
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Zur Lohre von der Hämophilie. 203
versuche am nicht hämophilen Individuum ergaben Zahlen von 4 ! / 2 bis
9 y 2 Minuten.
Die Gerinnung erfolgte sehr langsam. Zuerst setzten sich die Blut¬
körperchen am Boden des Reagensröhrchens ab. Das klare Plasma be¬
gann allmählich viskoser und fester zu werden. Zuletzt gerann die Blut¬
körperchenmasse am Boden des Gefässes. Das Gerinnsel war sehr retraktil
und es erfolgte bald nach der spontanen Gerinnung Exsudation von Serum.
Wir waren am Anfang über die Schwankungen sehr erstaunt,
welche sich in der Gerinnungszeit von zwei miteinander und unter
gleichen Bedingungen angesetzten Blutproben ergaben. Auch die Ge-
rinnuugszeit an verschiedenen nahe aufeinander folgenden Tagen zeigte
einen merkwürdigen Wechsel. Folgende Erfahrungen lehrten uns den
Grund der Sache kennen:
IG. 1. 12: Venaepunktion bei Schweizer am rechten Arm. Venen weniger ent¬
wickelt als links. Man muss wiederholt einstechen, um in eine Vene zu gelangen.
Das Blut kommt nur tropfenweise aus der Nadel.
Gerinnung bei Zimmertemperatur: a) 2 Min. 40 Sek.!
b) mit 1 ccm NaCl 10 pM. = 2 Min. 20 Sek.!
9. 2. 12: Es wird zu einem Gerinnungsversuch mit der Venaepunktionsnadel eine
kleine Vene am linken Vordorarm angestochen. Zunächst fliesst das Blut nur tropfen¬
weise aus der Kanüle, dann fliesst es überhaupt nicht mehr und man lässt es am Arm
entlang in das zweite Gläschen eintropfon.
Gerinnung bei Zimmertemperatur:
a) 25 Min.! (tropfenweise aus der Kanüle), b) 4 Min.! (am Arm entlang eingeträufelt).
24. 1. 12: Venaepunktion zur Gerinnungsbestimmung. Ara Anfang träufelt das
Blut langsam ein, dann fliesst es in kräftigem Strom.
Gerinnung bei Zimmertemperatur: a) 2 Std. 16 Min., b) 5 Std.
Da wir uns von der Sauberkeit der Venaepunktionsnadcln überzeugen
konnten, so blieb nur eine Möglichkeit übrig. Das langsame Einträufeln
des Blutes durch die Nadel zeigte, dass diese nicht in dem Lumen der
Vene steckte, sondern das Blut musste auf dem Umwege durch das ge¬
quetschte, um die Vene liegende Gewebe in den Hohlraum der Nadel
gelangen und hatte sich mit Gewebssaft beladen. Die Richtigkeit dieser
Annahme wurde von folgendem Versuche bestätigt:
2. 2. 12: Gerinnung nach Vierordt:
1. normales Blut 10 Min.
2. anderes normales Blut 12 Min.
3. hämophiles Blut aus der Fingerbeere a) 1 Std. 15 Min., b) 1 Std. 45 Min.
4. hämophiles Blut aus Venaepunktion a) 2 Std. 15 Min., b) 2 Std. 15 Min.
Man sieht daraus, dass das Blut aus der Fingerbeere schneller ge¬
rinnt als das Blut aus der Vene, was offenbar nur darauf beruhen kann,
dass das Blut aus der Fingerbeere in Kontakt mit dem Gewebe gewesen
ist, während das Blut aus der Vene ohne fremde Beimischung ent¬
nommen worden ist. Dies legte uns die Vermutung nahe, dass die
Körpersäfte des Hämophilen die gleiche gerinnungsbeschleunigende Wirkung
wie diejenigen des normalen Organismus haben. Wir konnten später den
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204
E. GRESSOT,
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Beweis für die Richtigkeit dieser Vermutung liefern. Die bisherigen Ex¬
perimente zeigen uns zur Genüge, dass, abgesehen von den Methoden der
Gerinnungsbestimmung, die Schwankungen, welche in der Gerinnungszeit
gefunden worden sind, zu einem grossen Teil von der Verschiedenheit in
der Blutentnahme und von der Möglichkeit einer mehr oder weniger aus¬
giebigen Beimischung von Gewebssaft zum Blut abhängen können.
Diese Tatsache spielt bei der normalen Gerinnung eine, wenn auch
in reduziertem Masstabe sich geltend machende, doch noch wichtige
Rolle. Sie muss uns etwas skeptisch über den Wert der jetzt im Auf¬
schwung begriffenen Messungen der Gerinnungszeit des Blutes bei ver¬
schiedenen Erkrankungen machen. Man wird von diesen Messungen ver¬
langen, dass sie zur Vermeidung individueller und technischer Schwankungen
über grosse Zahlen von Bestimmungen am gleichen Individuum und bei
der gleichen Krankheit verfügen.
Aus diesem Grunde ist die Morawitz-Bierichsche Methode der
Gerinnungsbestimmung am sichersten, weil sie bei gut ausgebildeten
Venen relativ leicht zur Gerinnung von unvermischtem Blut führt. Wir
werden von nun an nur Experimente anführen, bei denen das Blut ein¬
wandfrei direkt aus der Vene genommen wurde.
Die von Arthus (1) am Hund gefundene und in der Literatur vielfach
betonte Beschleunigung der Gerinnung am Schluss der Blu¬
tungen konnten wir beim Hämophilen nicht bestätigen.
17. 1. 12: a) (am Anfang der Venaepunktion): geronnen nach 3 Std. 44 Min.
b) (nach Entleerung von ca. 60 ccm Blut): „ „ 4 Std. 35 Min.
S. auch Stromberg (21).
Sahli (17) fand, dass die Verzögerung der Blutgerinnung in seinen
Fällen von Hämophilie nur in den Intervallen zwischen den Blutungen
konstant war. Während der Blutung gerann das Blut sogar bei einem
Patienten mit übernormaler Schnelligkeit, ohne dass die Blutung dafür auf¬
hörte. — Von dieser Tatsache ausgehend, nahm Sahli an, dass nicht
nur die mangelhafte Gerinnbarkeit des Bluts, sondern auch eine veränderte
Eigenschaft der Gefässwand an den unstillbaren Blutungen schuld ist.
Man könnte gegen diese Ausführungen einwenden, dass die Gerinnungs¬
fähigkeit des Bluts an sich gar nicht verändert gewesen zu sein brauchte,
sondern die Beimischung von Gewebssaft aus der durch die Wunde etwas
gereizten und leicht entzündeten Fingerbeere, sowie der Kontakt mit den
frischen Blutkoagulis an der Oberfläche genügte, um die extravaskuläre
Gerinnbarkeit des Bluts zu erklären. Wir hatten Gelegenheit, diese
Frage an unserem Hämophilen zu prüfen.
I. 21.1.12. Gerinnung nach Morawitz: a) 4 Std. 35 Min., b) 5 Std. 10 Min.
22. 1. 12. Auftreten einer interfaszialon Blutung an der Beugefläche dos linken
Oberschenkels.
23. 1. 12. Gerinnung: a) 2 Std. 30 Min., b) 3 Std. 5 Min.
II. 19. 3. 12. Gerinnungszeit: 7 Std.
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Zur Lehre von der Hämophilie.
205
23. 3. 12. Im Anschluss an eine am 22. 3. gemachte intraglutäalo Injektion
tritt ein starkes Hämatom an der Injektionsstelle auf. Gerinnungs¬
zeit: a) 3 Std., b) 3 Std.
III. 5.6. 12. Wiedereintritt des Patienten ins Spital wegen frischer Magen¬
blutung. Gerinnungszcit: a) 1 Std. 30 Min., b) 1 Std. 30 Min.
Es geht aus diesen drei Gruppen von Beobachtungen hervor, dass
die Gerinnungszcit des Bluts auch während der Blutungen stark
verzögort blieb. Allerdings kann man in den angeführten Zahlen eine
Neigung zur Herstellung einer schnelleren Gerinnung während der Blutung
wahrnehmen. Wir müssen hinzufügen, dass diese Neigung im Verlauf
von einem oder mehreren Tagen wieder vorüberging. Unsere weiteren
Versuche werden zeigen, dass der Organismus dos Hämophilen eben in
der Unfähigkeit sich befindet, aus sich eine normale Gerinnung zustande
zu bringen.
II. Einfluss verschiedener Substanzen auf die Gerinnung des
hämophilen Bluts in vitro.
Unsere Technik war die denkbar einfachste: Versetzen der in der
oben angegebenen Weise gereinigten Reagensgläschen mit 1 ccm der
Substanz, deren Einfluss auf die Gerinnung studiert werden musste, und
Einflicsscnlassen von ca. 3 ccm Blut direkt aus der Vene in diese Substanz.
Salzlösungen.
Um den störenden Einfluss von osmotischen Differenzen zu ver¬
meiden, stellten wir uns Lösungen her, welche mit 9 prom. NaCl-Lösung
isotonisch waren. Wir fanden für physiologische NaCl-Lösung eine
leichte Verzögerung der Blutgerinnung, für KCl und Na 2 C0 8 ebenso.
MgS0 4 und Na 2 S0 4 übten ihre bekannte gcrinnungshemmende Wirkung
aus. Dagegen erhielten wir mit CaCl 2 eine bescheidene, aber deutliche
Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit. Beispiel:
17. 1. 1. Kontrolle a) 3 Std. 44 Min., 2. Kontrolle b) 4 Std. 35 Min.,
3. mit 1 ccm CaCI 2 (isotonisch) 2 Std. 6 Min.
Sera und Körperflüssigkeiten.
Unsere Resultate stimmen mit denen anderer Autoren überein.
DefibriniertesBlut erhöht die Gerinnungsfähigkeit stärker alsSerum.
Frisches Serum wirkt intensiver als altes, im Eisschrank auf¬
bewahrtes Serum.
Erhitzen s / 4 Stunden lang auf 60° setzt die gerinnungsbefördernde
Kraft des normalen Serums bedeutend herunter.
Ausserdem konnten wir zeigen, dass ein klares, durch Tonfilter
gewonnenes Filtrat von normalem Mcnschcnscrum die Gerinnung
des Hämophilen in keiner Weise beschleunigte. Aszites- und Lumbal¬
flüssigkeit wirkten in ähnlicher Weise wie Serum.
I. 13. 12. 11. Das benützte Serum ist frisch aus dem am 12. 2. gewonnenen Blut
zentrifugiert. Temperatur 20°.
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206
E. GRESSOT,
4 com hämophilesBlut.
3 ccm ,, „ +1 ccm Kaninchenblut (defibriniert)
3 ccm „ „ „ 1 ccm Kaninchenserum
3 ccm „ „ „ 1 ccm Menschenserum .
Gerinnungszeit
4 Std.
4 Min.
4 „ 30 Sek.
II. 23. 12. 11. Temperatur 20°
Gerinnungszeit
4 ccm hämophilesBlut.5 Std.
3 ccm
3 ccm
3 ccm
3 ccm
+ lccm frisches Kaninchenserum
„ lccm 10 Tage altes Menschenserum
„ lccmeinigeTagealteAszitesflüssigkcit
„lccm „ „ „ Lumbalfliissigkeit
(Meningit. tbc.).21
1 Min. 40 Sek.
26 „ 20 „
20 „ 40 „
20
III. 17. 1. 12. Das benützteSerum ist 12Std. im Eiskasten gestanden. Temp. 19—20°.
Gerinnungszeit
4 ccm hämophiles Blut.4 Std. 35 Min.
3 ccm „ „ + 1 ccm Menschenserum.1 „ 10 „
3 ccm „ „ „ lccm „ 3 / 4 Std. auf60° erhitzt 3 „ 24 „
3 ccm „ „ „ 1 ccm „ durch T o n f i 11 e r
filtriert.6 „ 35 „
Organextrakte.
Unsere Organextrakte wurden in gewöhnlicher Weise vorbereitet:
Kaninchen in Aether-Narkose. Einfuhren von Kanülen in Art. carot. sin. und
Vena jugul. dextr. Ausbluten des Tiers und Nachspülung mit steriler Kochsalzlösung.
Herausnahme von Niere, Leber usw. Verreiben eines abgewogenen Quantums mit
sterilem Sand oder Kieselgur in einer Reibschale. Versetzen mit der 3- oder4fachen
Menge steriler physiologischer Kochsalzlösung. Vor dem Gebrauch filtrieren.
Die Organextrakte waren sehr wirksam. Sie Hessen das hämophilc
Blut in 1 bis 2 Minuten gerinnen, ja sogar in' 30 Sekunden. Das
hämophile Blut gerann unter Zusatz von Organextrakten in der Regel
schneller als normales Blut.
19. 3. 12. Spontane Gerinnung. Gerinnung mit Nierenextrakt.
Hämophiles Blut 7 Std. 2 Min.
Nichthämophiles Blut 5 Min. 3 Min.
Die Extrakte verloren an Wirksamkeit, wenn man sie durch Ton¬
filter filtriert hatte. Der Grad dieses Verlustes an Wirksamkeit war von
der Feinheit der Poren abhängig.
I. 23. 12. 11. Die aus dem Tonfilter gewonnenen Organextrakto sind klar.
Temperatur 20°. Gerinnungszeit des hämophilen Bluts allein: 5 Std.
Gerinnungszeit
3 ccm hämophilesBlut + 1 ccm gewöhnliches Leberextrakt ... 1 Min. 25 Sek.
3 ccm
77
„ „ 1 ccm durchTonfilter filtriertes Leber¬
extrakt .
2 Std. 38 Min.
3 ccm
77
„ „ 1 ccm gewöhnliches Nierenextrakt
30 Sek.
3 ccm
77
„ „ lccmdurchTonfiltorfiltriertesNieren-
extrakt .
11 Min. 20 Sek.
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UNIVERSiTY OF CALIFORNIA
Zur Lehre von der Hämophilie.
207
II. 17. 1. 12. pie Filterung durch Tonfilter gelingt nur mit Leborextvakl; doch ist
das Filtrat nioht klar zu bekommen. Temperatur 19—20°. Gerinnungszcit des hämo-
philen Bluts: 3 Std. 44 Hin. und 4 Std. 35 Min.
Gerinnungszeit
3 ccm hämophiles Blut + 1 ccm Leberextrakt.1 Min.
3 ccm „ „ „ 1 ccm durchTonfiltcr filtriertesLcber-
extrakt.3 Min. 30 Sek.
Indifferente Substanzen.
Die Resultate der letzterwähnten Versuche, namentlich die Tatsache,
dass Leberextrakt und menschliches Serum durch eine gute Filtration
ihre gerinnungsbeschleunigende Wirkung fast vollständig einbüssten, führten
uns zu dem Gedanken, dass die Wirkung der Organsäfte zum grossen
Teil auf ihrer Eigenschaft als Emulsionen feinster Bestandteile beruhen
könne. Französische Autoren (9) fanden, dass die Injektion von Ton¬
aufschwemmung in die Zirkulation von Kaninchen unter Umständen die
gleichen Folgen wie die Injektion von Organextrakten hatte. Vom Stand¬
punkt seiner Gerinnungstheorie aus kommt Nolf zu dem Schlüsse, dass
in den Organextrakten kein Thrombozym enthalten sei und dass ihre
Wirkung eine rein physikalische sei. Es lag also- nahe, an dem überaus
günstigen Objekt des hämophilon Blutes die Wirkungsweise der indiffe¬
renten Aufschwemmungen zu probieren.
Wir benutzten eine einfache Suspension von Lehm in physiologischer
Kochsalzlösung, welche nach einer gewissen Zeit sedimcnticrtc. Wir er¬
hielten damit eine raschere Gerinnung des hämophilon Blutes.
19. 3. 12. Gerinnungszeit
Hämophiles Blut allein. 7 Std.
3 ccm hämophiles Blut -f- 1 ccm Lehmaufschwemmung 24 Min.
Man sieht aber, dass diese Wirkung weit hinter derjenigen von Or¬
ganextrakten zurückbleibt. Es geht daraus hervor, dass die thromb'o-
plastischen Eigenschaften der Organsäftc wohl nicht ohne weiteres als
reine Thrombokinasewirkung angesehen werden dürfen; aber wir werden
uns hüten, sie auf die physikalische Beschaffenheit dieser Säfte allein
zurückführen zu wollen. Wie wir es später noch sehen werden, spielt
sowohl ein physikalisches wie auch ein chemisches Moment hier eine Rolle.
Kollargol, äprozentig, hatte eine gerinnungshemmende Wirkung
(Probe nach 24 Stunden ungcronnen).
Rohrzucker in isotonischer Lösung und Pepton, öprozentig, ver¬
späteten die Gerinnung (Gerinnungszeit: 8 Std. 57 Min., resp. 7 Std. 27 Min.).
Wirkung von Kantharidenblasenserum des Hämophilen auf die
eigene Blutgerinnung.
Durch die Schwankungen der Gerinnungszeit je nach dem Orte der
Blutentnahme und je nach der Möglichkeit, dass das betreffende Blut
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208
E. GRESSOT,
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in Kontakt mit dem Körpergewebe gerate, waren wir zu der Annahme
gekommen, dass der Gewebssaft des Hämophilen eino gerinnungsbeför¬
dernde Wirkung haben musste. Wie konnte man die Richtigkeit dieser
Annahme prüfen? Eine ausreichende Probeexzision wäre wohl für unseren
Zweck ein zu roher Eingriff gewesen und hätte eine gefährliche Blutung
nach sich ziehen können. Wir halfen uns dadurch, dass wir unserem
Patienten ein ca. 5 Frankstück grosses Kantharidenpflaster auflegten und
am folgenden Tage das Serum aus der entstandenen Kantharidenblase
auf seine gerinnungsbefördernden Eigenschaften prüften. Wie wir es er¬
wartet hatten, bewirkte das hämophile Blasenserum eine rasche Gerinnung
des eigenen Blutes. Das Blascnserum selbst gerann weder spontan noch
unter Zusatz von Nierenextrakt.
11. 5. 12. Temp. 19°. Gerinnungszeit
Kantharidenblasenserum allein.ungeronnen
3 ccm Blasenserum -|- 1 ccm Nierenextrakt.ungeronnen
llämophiles Blut aus der Vena cubitalis (Entnahme nicht einwandfrei) a) 35 Min.
b) 45 Min.
3 ccm hämophiles Blut -f- 1 / 2 ccm Blasenserum .6Min.30Sek.
3 ccm „ „ -j- 1 / 2 ccm Nieronextrakt. 1 Min.
Das Kantharidenblasenserum des Hämophilen hat also eine ge¬
rinnungsbefördernde Wirkung, die derjenigen von normalem Blut¬
serum vollständig gleichkommt, wenn sie auch schwächer als diejenige
von Organextrakten ist.
III. Versuche Uber das hämophile Serum.
Weil hatte die Hypothese aufgestellt, dass hämophiles Serum mehr
Antithrombin als normales Serum besitze. Sahli (17), Morawitz (14),
Vogel (26), Nolf (16) zeigten das Gegenteil. Sie konnten nachweisen,
dass hämophiles Serum auf die normale Gerinnung nicht hemmend,
sondern im Gegenteil befördernd wirkte.
Wir können die Resultate dieser Autoren bestätigen. Das hämophile
Serum bewirkte in unserem Falle eine Beschleunigung der normalen Ge¬
rinnung.
14. 12. 11. Gewinnung von Serum eines Patienten mit normaler Gerinnung.
Dieses Serum wird in einem Gläschen zu dem Blut eines anderen normalen Menschen
zugesetzt, im anderen Falle hämophiles Serum. Versuch bei 19°:
Gerinnungszeit
4 ccm gesundes Blut.6 Min. 25 Sek.
3 ccm „ „ 1 com gesundes Serum . . 6 „ 20 „
3 ccm r „ -|- 1 ccm hämophiles Serum 2 „ 20 „
Sahli sieht die Ursache dieser Beschleuniguug darin', dass das nor¬
male Serum Antithrombine enthalten muss, welche teleologisch begreif¬
licherweise bei dem Hämophilen sich in geringerer Menge vorfinden. Für
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Zur Lehre von der Hämophilie.
209
diese Auffassung spricht auch der Versuch von Morawitz und Lossen (14)
mit Rinderfibrinogen, wo hämophiles Serum stärkere fermentative Wirkung
als normales Serum zeigte.
Andererseits konnten wir nach dem Tod unseres Patienten ein Ex¬
periment ausführen, welches die vermehrte Produktion von Antithrombin
in der Leber widerlegt
Die Leber wurde bei der Sektion unter Schonung der Portalgefässe herausge¬
nommen. Mittels einer in der Vena portae eingebundenen Kanüle spritzten wir etwa
1 Liter sterile Kochsalzlösung durch, welche durch die Vena hepatica ablief. Be¬
kanntlich haben französische Autoren gefunden, dass das Antithrombin in der Leber
seine Hauptbildungsstätte hat.
Das Experiment zeigte, dass die durch die Leber gespülte Flüssig¬
keit keine gerinnungshemmenden Eigenschaften bcsass und also kein
Antithrombin enthielt.
3. 6. 12. Gerinnungszeit
Blut von einem Pneumoniepatient.a) 20 Min.
b) 23 „
Pneumonieblut -f- Leberspülung des Hämophilen 13 „
„ -j- physiologische NaCl-Lösung . 15 „
Wohlgemuth (31) benutzte zum Studium der Blutgerinnung eine
Verdünnung von MgS0 4 -Plasma, welche, analog dem Fluoridplasma
Arthus’, ein Indikator für Fibrinferment sein soll. MgS0 4 hat bekannt¬
lich in genügender Konzentration die Eigenschaft, die Gerinnung zu
hemmen. Bringt man aber in MgS0 4 -Plasma Fibrinferment in Form von
Serum, so entsteht eine Gerinnung dieses Plasmas.
Stromberg (22) brachte in das MgS0 4 -Plasraa abgestufte Verdün¬
nungen von Serum und beobachtete die quantitativen Verhältnisse der
Gerinnung und kam zu dem Schluss, dass die Wirkung des sogenannten
Thrombins wahrscheinlich eine rein quantitative, aber keine fermen¬
tative sei.
Es interessierte uns, an Hand dieser Methode die Eigenschaften des
hämophilcn Serums einer näheren Prüfung zu unterziehen und sie na¬
mentlich mit denen anderer Körpersäfte zu vergleichen.
Methodik (Stromberg). Das Blut eines ausgebluteten Kaninchens wird mit
dem Viertelvolum 28prozentiger MgS0 4 -Lösung vermischt und zentrifugiert. Das so
erhaltene Plasma wird im Eisschrank aufbewahrt und vor dem Gebrauch auf das
Sfache mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt. Man versetzte zunächst eine
lleihe von Reagensgläschen mit je 1 ccm des zu prüfenden Serums in abgestuften
Verdünnungen. Die Verdünnung des Serums wurde natürlich durch physiologische
Kochsalzlösung hergestellt. Wir benutzten Reihen von 11 Reagensgläschen. Gläschen
Nr. 1 erhielt 1 ccm Serum 1:1, Gläschen Nr. 2 = 1 ccm Serum Kochsalzverdünnung
1 : 2, Gläschen Nr. 3 = Serum 1:4, .Gläschen Nr. 10 = Serum 1 : 512,
Nr. 11 = physiologische Kochsalzlösung zur Kontrolle. In jedes Reagensgläschen
kamen dann 2 ccm des verdünnten MgS0 4 -Plasmas. Der Zeitpunkt der vollständigen
Gerinnung wurde aufgeschrieben,
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210
E. GRESSOT
Versuch 1 (19., 20., 21. 3. 12) Zimmertemperatur.
Zusätze
in verschiedenen Ver¬
dünnungen
1. Nicht hämoph. Serum 1
II. Nicht hämoph. Serum 2
III. Hämophiles Serum
IV. Ilämophiles Serum \
+ Nierenextrakt /
V. Nierenextrakt allein
VI. “Skeptophylaktisches“ \
Kaninchen-Serum /
VII. Skeptophyl. Kan.-Seruml
+ Nierenextrakt /
VIII. Tonaufschwemmung
—130
— 40
120
— 50
—160
1 5
5 30
361-
—
Selbst-
— 20
gcrinnung
— 13
— 15
1 —
— 60
1 30
3 —
5 30
5 30 30 —
2 20 26l —
— 20 -20
25— —I —
20 -
8 30 25 -
- 30 -2§ -
Die beginnende Fibrin-
bildg. wird z.Boden geriss.
5i— I — — I —
Wenn wir nach Stromberg die Gläschen mit kompletter Gerinnung
mit + -{-+, die Gläschen, wo ein deutliches Gerinnsel eben noch zu er¬
kennen ist, mit und die Zwischenstufen mit -f- -f- bezeichnen, so er¬
halten wir nach 48 Stunden folgendes Gerinnungstableau:
Zusätze in abgestuften Gerinnung des MgS0 4 -Plasmas in Gläschen Nr.:
Verdünnungen 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 j 9 | 10
i i i 1 i
Nichthämophiles Serum 1 4 - 4 - 4 - ' 4 + 4 -' 4 +4 ! 4-4 | 4
Nichthämophiles Serum 2 4 - 4 - 4 - 4 - 1 44 44 ( 4 ). 4-1 4 4
Hämophiles Serum . 44 4 1
Hämophiles Serum-(-
Nierencxtrakt. . . . 4 ++ 4++ , ++4 + 44 j + 4(+) ++4j+4 + +44 4+4 4+4
Nierenextrakt allein . . . + + 4 - +++ 14 . 4-4 1 -|—+C-I -) 1
„Skeptophyl akt.“ Kanin-
chen-Scr'um.++ + +++!+++' + ++ ++ + +++ +++ + + + +
„Skeptophylakt.“ Kanin¬
chen-Serum -f- Nieren¬
extrakt . +44 I
Tonaufschwemmung . . . 4 - 4 . I 444 I +++ 4+4
Versuch 2 (5.—f>. 4. 12). Gerinnung im Eisschrank nach 24 Std.
Zusätze in abgestuften Gerinnung des MgS0 4 -PIasmas in Gläschen Nr.:
Verdünnungen 1 ! 2 3 | 4 | 5 | 6 | 7 \ 8
i
I. Nichthämophiles Serum 1 + 4 + 4 + 4 - 4+4 +44 44 + + 4 +
II. Nierenextrakt. 4 4 - 4 - 4 - 4 - — — —
III. Hämophile Blutkör¬
perchen . — — — — — —
IV. Hämophiles Serum . — — — — — —
Wir müssen aus dieser Versuchsreihe zunächst die wichtige Tatsache
hervorheben, dass sie uns einen Beweis dafür liefert, dass das hämophile
Blut weniger Fibrinferment und Thrombokinase enthält, als das normale
Blut. Dies ist eine Bestätigung der modernen Anschauungen über das
I.
IL
III.
IY.
V.
YI.
VII.
VIII.
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Original from
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Zur Lehre von der Hämophilie.
211
Wesen der Hämophilie, scheint aber in Widerspruch mit einem Versuch
von Morawitz und Lossen zu sein, wo das hämophile Serum eine nach
Hammarsten dargestellte Rindcrfibrinogenlösung schneller zur Gerinnung
brachte, als normales Serum.
Wir sehen andererseits aus unseren Versuchen, dass Organextraktc
auf das hämophile Serum eine sehr starke aktivierende Wirkung ausüben,
welche es zur Förderung der Gerinnung viel wirksamer als frisches nor¬
males Serum macht.
Tonaufschwemmung bringt das MgS0 4 -Plasma auch zur spontanen
Gerinnung.
Endlich ist es interessant, zu konstatieren, dass das „skcptophylak-
tische“ Serum eines mit Organextrakten vorbehandelten Kaninchens,
welches gegen die Thrombokinasc Antikörper enthalten soll, in der Tat
eine neutralisierende Wirkung auf das Nierenextrakt ausübt. Denn ein
Gemisch der beiden Substanzen hat eine viel geringere gerinnungs¬
befördernde Kraft, als jede Substanz für sich allein.
Da das MgS0 4 -Plasma auch auf Zusatz von Nierencxtrakt gerann
und also kein reiner Indikator des Fibrinferments war, so wollten wir
die Gerinnung des Hämophilen an Hand von reiner Fibrinogenlösung
prüfen. Bevor wir aber das bestellte Pferdeblut erhalten konnten, starb
unserer Patient. Indessen lohnte es sich, einiges aus den obenerwähnten
Versuchen an reiner Fibrinogenlösung zu kontrollieren.
Versuch 1 (25., 20, 27. 6. 12'. Die Gläschen kommen 13 Stunden in den Eisschrank,
dann sind sie bei Zimmertemperatur gelassen. Gerinnungstableau:
Zusätze in abgestuften
nach 13 Stunden
nach 16
Stunden
nach 34 Stunden
Verdünnungen
1
2
3
4
5
[6
1 | 2 | 3
4
5
G
1 1 2
3
4
5
6
Nierenextrakt-Kanin¬
chen .
Kaninchcnserura . . .
Kaninchenserum -f-
44
4 + 4
+4+ +4+ +44
++H-)
f+4 +44
4 44
+ 4+
444
+++
Niercnexstrakt. . .
444 44
4+4+44
444
++
Talkaufschwemmung.
44 + '
+ + + I
++ + I + 4
1
Versuch 2 (27., 28., 29. 6. 12) Zimmertemperatur. Mit Nierenextrakt versetzt,
bleibt die Fibrinogenlösung ungcronnen.
Zusätze in abgestuften
nach 5 Stunden
nach 24
Stunden
nach 47 Stunden
Verdünnungen
1
2
3 i
4
5
6
1
2
3
4
5
| 6
1
2
1 3
4
5
G
Einige Tage altes
Menschenserura . .
Frisches Kaninchen¬
44
4
444
44
44
4
serum .
+ 44
44 i-
+ 44
444
444
44 +
444
444
444
444
444
J_L_L
lil
Blutkörperchen - Ka¬
ninchen .
Menschcnscrum +
444
444
444
444
444
4+
444
i
444
444
444
4+4
44
Leberextrakt. . . .
Ca Cl 2 in 1 proz. Lö¬
4+4
4+4
444
444
44
4
44 4
444
44
44
44
sung .........
14++!++ +1
l
1
444 1
444
444
4
—
—
—
—
—
—
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
212
E. GRESSOT
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Wir stellten nach Hammarsten Fibrinogen aus Pferdeblut dar, da es so viel
sicherer fermentfrei als aus Rinderblut erhalten werden kann. Diese Fibrinogenlösung
wurde in einer Reihe von 6 Reagensröhrchen aufgefangen, welche vorher mit abge¬
stuften Verdünnungen der zu prüfenden Substanzen versetzt worden waren. —
Ausser der längst bekannten Tatsache, dass altes, im Eiskasten ge¬
standenes Serum weniger wirksam auf die Gerinnung als frisches Serum
ist (Vers. 2), zeigen uns diese Versuche, dass altes Serum sich durch
Thrombokinasc leicht aktivieren lässt. Dagegen wird frisches Serum
von der Thrombokinasc wenig beeinflusst. Diese aktivierende Wirkung
der Thrombokinasc ist, wie wir cs gesehen haben, bei dem hämophilen Serum
am intensivsten. Es enthält also das hämophile Blut Vorstufendes Fibrin¬
ferments in grosser Menge, welche die Eigenschaft haben, sich leicht durch
die Thrombokinasc der Gewebe aktivieren zu lassen (Sahli, Morawitz).
Wir haben von einer aktivierenden Wirkung im allgemeinen ge¬
sprochen, ohne der Frage der Art und Weise dieser Wirkung zu nahe
treten zu wollen. Es hat sich aus unseren Experimenten ergeben, dass
die Wirkung der Organcxtrakto auf die Gerinnung des hämophilen Bluts
an das Vorhandensein kleinster Partikclchcn gebunden ist, welche durch
feine Tonfilter zurückgehalten werden können. Indifferente Suspensionen
üben wohl einen befördernden Einfluss auf die Gerinnung nicht nur des
Hämophilen, sondern sogar auf Fibrinogenlösungcn aus. Nichtsdestoweniger
sind wir mit Morawitz der Ansicht, dass die Wirkungsweise der Organ¬
extrakte eine chemische und keine rein physikalische sein muss, denn sic
ist viel rascher und intensiver als diejenige von indifferenten Suspensionen 1 ).
Ueber die Frage, ob der Vorgang als ein rein quantitativer oder als
ein fermentativer aufzufassen ist, scheinen die von uns angeführten
Experimente Aufschluss geben zu können. Es zeigte sich in allen Reihen,
dass im Gegensatz zu der Wirkungsweise eines fermentativen Vorgangs
die Gerinnung eine gewisse Menge des Serums oder des Organextrakts
nötig hatte, um überhaupt zustande zu kommen. Die an der Grenze
zwischen den geronnenen und den ungcronncncn stehenden Gläschen
waren nur partiell geronnen. Dies gilt ebenso für das Fibrinferment
wie für die Thrombokinase. Als weiterer Beweis für die quantitative
Wirkungsweise könnten wir noch den Versuch mit Kantharidenblasen-
serum anführen, wo die Gerinnungsbeschleunigung deutlich von der Menge
des zugesetzten Serums abhing.
11. 5. 12. Temperatur 19°. Gerinnungszeit
IJämophiles Blut Spuren Kantharidenblasenserum .... 10 Min.
” 7? 77 V 2 ^CUl 71 .... 5 „
7 i 17 7 i 1 ccm r .... 3 „
Hämophiles Blut allein.a) 45 Min., b) 35 Min.
1) Wir möchten noch anführen, dass wir zerriebenes Glas, Lehm, Talk als
wirksame Suspensionen kennen gelernt haben, also meistens Silikate, während andere
Körper wie Kreide, feinste Kohle, Kollargol etc. sich als ganz unwirksam erwiesen
haben. Würde hier das kolloid-chemische Moment nicht in Betracht kommen?
Original frum
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Gck igle
Zur Lehre von der Hämophilie.
213
IV. Versuche mit hämophileu Orgauextrakten; das Wesen der Hämophilie.
Der Tod unseres Patienten gab uns die Gelegenheit, das zur Kontrolle
der Hypothese des allgemeinen Thrombokinasemangels (Sahli, Mora¬
witz) notwendige und entscheidende Experiment auszuführen.
8. G. 12. Sofort nach der Sektion wurden Teile von jedem Organ abgewogen,
zerschnitten und in der Reibschale mit Kieselgur zerrieben oder in der Buchmanschen
Presse zerpresst. Die Zellbreie wurden mit 3 Vol. physiologischer Kochsalzlösung
versetzt und geschüttelt.
Mit diesen Extrakten prüfte man die Gerinnung des Bluts eines Pneumonie¬
patienten, welches spontan erst nach 20 Minuten gerann. Es wurde zu 3 ccm Blut
1 ccm Organextrakt hinzugefügt und der Zeitpunkt der vollständigen Gerinnung auf¬
geschrieben. Gerinnungszeit
Ilämophiles Blut -f-
hämophiles Darmextrakt.
30 Sek.
ii
11
77
Nierenextrakt.
30 „
n
ii
11
77
Lungenextrakt.
30 „
77
7 '
11
77
Leberextrakt.
30 „
ii
11
11
77
Leberpresssaft.
30 „
ii
11
11
77
Milzextrakt.
30 „
ii
11
11
77
Gefässpresssafi.
40 „
ii
11
11
77
Muskelextrakt.
45 „
ii
11
11
77
Ilautpresssaft.
10 Min.
ii
11
11
77
Serum aus Leichenblut ....
5 „
Ilämophiles Blut allein
a) 20 Min., b) 23 Min.
Das Experiment braucht keinen Kommentar.
Wir konnten noch auf andere Weise den Beweis liefern, dass
hämophile Extrakte eine ebenso starke, ja sogar intensivere thrombo-
plastischc Wirkung als die gewöhnlichen Extrakte besitzen.
Wir benutzten dazu wiederum die Fibrinogenmethode mit abgestuften Ver¬
dünnungen von Kaninchenserum und von Gemischen aus Kaninchenserum und Organ¬
säften. Das Experimont wurde zum Teil oben schon angeführt.
25., 26., 27. 6. 12. Gcrinnungstableau:
Zusätze
nach 16 Stunden
1 | 2 | 3 1 4 1
i 5 ,
6
1
nach 34
2 3
Stunden
4
i
1 5
6
Kaninchenserum + Extrakt¬
kaninchen (5 Tage alt) .
Kaninchenserum ♦ hämophil.
Leberextrakt (14 Tage alt)
+ + +
“h+-f
++
,+++!
++
+++
+++
+++!
* ++
+++
I+++!
+ + +
+++
++
++F
+
+
Der Beweis ist damit geliefert, dass die Hypothese des allgemeinen
Thrombokinasemangels in der Pathogenese der Hämophilie fallen gelassen
werden muss.
Wir sind gezwungen, die Ursache der Hämophilie, wie Nolf es ge¬
tan hat, auf das Blut und die Gefässendothelien zu beschränken. Wir
vermissen im hämophilen Blut eine Substanz mehr oder weniger voll¬
ständig, welche der Morawitzschcn Thrombokinase oder dem Nolfschen
Thrombozym identisch zu setzen ist, und welche die Aufgabe hat, die
Vorstufen des Fibrinferments extravaskulär zu aktivieren. Diese Substanz
ist in den übrigen Zellen des Organismus vorhanden.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
214
E. GRESSOT,
V. Therapeutische Versuche.
Serum und defibriniertes Blut.
Nachdem sich die Darreichung von Calcium chloratum (3 g tägl.)
als nutzlos erwiesen hatte, schritten wir zu den Serumeinspritzungen.
Die Injektionen von normalem Serum bei Hämophilie wurden zuerst von
P. E. Weil ausgeführt, und zwar mit überraschend gutem Erfolge. Sie
wurden später von Nolf, Sahli, Vogel usw\ nachgeprüft. Diese
Autoren berichten auch von dem günstigen Einfluss dieser Seruminjek¬
tionen. Nach Nolf und Sahli wirken sie nicht direkt, sondern auf
mittelbarem Wege, indem sie durch Reizung der Endothelien und Blut¬
zellen die Produktion von Thrombokinase bewirken. Einzelne Autoren
benützen Diphtherieserum, andere defibriniertes Blut (John [6]). Man
hört von subkutanen, intravenösen und intramuskulären Einspritzungen.
Da unsere Vorversuchc uns gezeigt hatten, dass frisches Serum die
Gerinnung in vitro besser beeinflusst als altes Serum, so benützten wir
möglichst frische Sera. Es kam zuerst das Serum eines gesunden
Menschen in Anwendung, das sich auf das hämophile Blut als nicht
hämolytisch erwiesen hatte. Wir versuchten auch, mit delibriniertem
Mensehenblut und mit Kaninchenserum auf die Gerinnung des hämo-
philcn Blutes zu wirken. Es wurden subkutane, intravenöse und intra¬
muskuläre Injektionen vorgenommen. Alles war nutzlos, wie sich aus
folgendem Auszug aus der Krankengeschichte ergeben wird.
I. 17. 1. 12. Gerinnungszeit: a) 3 Std. 44 Min., b) 4 Std. 35 Min. Subkutane In¬
jektion von 7 ccm normalem Menschenserum (32 Std. all) am Oberschenkel.
18. 1. 12. Die Injektionsstelle ist schmerzhaft. Die Farbveränderung an den
nächsten Tagen zeigte, dass sich um die Injektionsstelle ein subkutanes
Hämatom gebildet hat.
19. 1. 12. Gerinnungszeit: a) 3 Std. 27 Min., b) 5 Std. 27 Min.
II. 20.1.12. Intravenöse Injoktion von 16 ccm frischem Mensohenserum.
21. 1. 12. Gerinnungszeit: a) 4 Std. 35 Min., b) 5 Std. 10 Min.
22. 1. 12. Auftreten eines intrafaszialen Hämatoms in der medialen Gegend
des linken Knies, in dem Raum zwischen Adduktoren und Semimuskeln.
23. 1. 12. Gerinnungszeit: a) 2 Std. 30 Min., b) 3 Std. 5 Min.
III. 23. 1. 12. Intravenöse Injektion von 16 ccm frischem Kaninchenserum.
24. 1. 12. Gerinnungszeit: 5 Std.
26. 1. 12. Gerinnungszeit: a) 6 Std. 15 Min., b) 7 Std. 15 Min.
30. I. 12. Auftreten eines Urtikariaausschlags, bestehend aus weisslichen, er¬
habenen Eflloreszenzen, namentlich an den Extremitäten. Der Ausschlag vergeht
nach 24 Stunden.
IV. 30. 1. 12. Intravenöse Injektion von 10 ccm defibriniertem Menschen¬
blut.
• 2. 2. 12. Gcrinnungszeit: a) 4 Std. 30 Min., b) 6 Std. Patient hat Schmerzen
im rechten Knie. Die Gelenkkapsel ist druckempfindlich. Der Gang ist er¬
schwert. Dauer des Knieleidens = 3 Tage.
Es geht au$ unseren Versuchen hervor, dass die Injektion von
frischem Menschenserum sowie von defibriniertem Menschenblut und von
frischem Kaninchenserum bei unserem Hämophilen in keiner Weise einen
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Zur Lehre von der Hämophilie.
215
Nutzen hatte. In Versuchsperiode II (16 ccm frisches Menschenserum
intravenös) finden wir 48 Stunden nach der Injektion eine leichte Ver¬
kürzung der Gerinnungszeit. Diese war am folgenden Tage, trotz neuer
Einverleibung von Kaninchenserum, schon verschwunden. Sie ist wahr¬
scheinlich nicht einmal der Injektion als solcher, sondern der tags vorher
aufgetretenen intrafaszialen Blutung im linken Oberschenkel zuzuschreiben.
Im Gegenteil, wir sehen, dass nach den vier angeführten Versuchsgruppen
die Gerinnungszeit gegenüber früher leicht verlängert ist. Wir kon¬
statierten sogar während der Injektionen eine vermehrte Neigung zu
Blutungen. Diese Blutungen zeigten durch ihr zeitliches und örtliches Auf¬
treten einen deutlichen Zusammenhang mit den therapeutischen Eingriffen.
„Skeptophylaktisches“ Kaninchenserum.
Französische Autoren (S. Gley usw., C. R. Soc. de Biologie, nov.
et döc. 1911) haben nachgewiesen, dass die intravenöse Einverleibung
von Organextrakten bei Kaninchen einen hochgradigen toxischen Einfluss
ausübt (intravaskuläre Gerinnung, Blutdrucksenkung, Herzstillstand).
Ueberleben die Tiere die erste Injektion, so erwerben sie in sehr kurzer
Zeit eine Immunität, welche sie gegen neue Injektionen von Organ¬
extrakten unempfindlich macht. Dieser Immunitätszustand erhielt den
Namen der Skeptophylaxie. Er ist offenbar einem gegen die Thrombo-
kinase gerichteten Antikörper zuzuschreiben.
Wir dachten, dass das Serum solcher vorbehandelten Tiere auf
reaktivem Wege bei dem Menschen eine stärkere Produktion von
Thrombokinase auslösen könnte. Und wir versuchten, diese Eigenschaft
unserem Patienten zunutze zu machen.
I. Ein Kaninchen wurde so vorbehandelt, dass es am 7. 2. lOccm und am 8. 2.
15 ccm frisches Nierenextrakt subkutan erhielt. Am 9. 2. Entnahme von 10 ccm Blut
aus der Karotis. Das Serum dieses Blutes wird zu subkutanen Injektionen verwendet.
9. 2. 12. Subkutane Injektion von lccm „skeptophylaktischem“ Kaninchen¬
serum bei dem häraophilen Patienten.
10. 2. 12. Am linken Oberarm, wo die gestrige Einspritzung vorgenommen
worden ist, besteht Rötung und ödematöse Schwellung der Haut und des
Unterhautzellgewebes. Das Erythem erstreckt sich diffus um den ganzen Oberarm;
nach Fingerdruck bleibt eine Delle bestehen. Juckreiz. Keine Druckschmerzhaftig¬
keit. Keine Temperaturerhöhung. Gerinnungszeit: a) 3 Std. 35 Min., b) 4 Std. 5 Min.
Neue Einspritzung von 1 ccm des gleichen Serums subkutan am rechten Vorderarm.
II. 2. 12. Es zeigt sich am rechtep Vorderarm die gleiche diffuse erythema-
töse Schwellung mit lokalem Oedem wie gestern am linken Oberarm. Dauer: 3Tage.
15. 2. 12. Gerinnungszeit: a) 7 Std., b) 8 Std.
II. 13. 2. 12. Gerinnungszeit: a) 2 Std. 30 Min., b) 6 Std.
21. 3. 12. Subkutane Injektion von 1 ccm frischem Kaninchenserum.
22. 3. 12. Um die Stelle der gestrigen Injektion besteht leichte rote Färbung
der Haut ohne Infiltration. Intraglutäale Injektion von 20 ccm frischem „skepto-
phylaktischem“ Kaninchenserum rechts.
23. 3. 12. In der Tiefe der rechten Glutäalgegend starke Infiltration, welche
sieb in den folgenden Tagen durch die charakteristische Verfärbung der Haut der
Zeitscbr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H.3 n. 4.
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216
E. GRESSOT,
Beugefläche des rechten Oberschenkels als ein bedeutendes intramuskuläres
Hämatom kundgibt. Gerinnungszeit: a) 3 Std., b) 3 Std.
28. 3. 12. Gerinnungszeit: a) 7 Std., b) 8 Std.
Unsere therapeutischen Bemühungen waren also, abgesehen von der
lokalen Serumkrankheit, in diesem Fall wieder gescheitert.
Autotransfusion.
Durch die Beobachtung der Autoren, dass die Gerinnung des hämo-
philen Blutes während der Blutungen normal wird, was für unseren Fall
nicht zutrifft, waren wir zu der Idee gekommen, unserem Patienten
eigenes Blut subkutan zu injizieren, um auf diese Weise wieder die
Produktion von Thrombokinaso anzuregen.
Am 17. 2. 12. wurden mittels Punktionsspritze 10 ccm aus der V. cubitalis ge¬
nommen und unter die Haut sofort injiziert.
Der Erfolg war ein negativer.
Pepton Witte.
Witte-Pepton wurde von Nolf und Herry (16) in die Therapie der
Hämophilie eingeführt. Es soll einen wirksameren und leichter zu be¬
ziehenden Ersatz für Seruminjektionen darbieten. Auch Tixier und
Noböcourt (23) berichten über gute Erfolge damit. Wir benützten
eine sterilisierte öproz. Peptonlösung und injizierten von derselben 10 ccm
pro dosi. Wir Ratten damit keinen Erfolg.
23. 2. 12. Gerinnungszeit: a) 3 Std., b) 5 Std. Subkutane Injektion von
10 ccm Witte-Pepton 5pCt.
26. 2. 12. Neue subkutane Einspritzung von 0,5 Pepton. Die Injektion
ist schmerzhaft.
27. 2. 12. Temperatursteigerung auf 87 , 4 °.
28. 2. 12. Patient hat etwas Husten. Auf den Lungen kein Rasseln. Rachen¬
organe leicht gerötet. An der Stelle der letzten Peptoninjektion (linker Oberschenkel)
lokales diffuses Erythem mit ödematöser Durchtränkung des Unterhautzellgewebes.
Die Verfärbung der Haut an den nächsten Tagen zeigte, dass sich um die Injektions¬
stelle ein subkutanes Hämatom Bahn gebrochen hat. Temp. 37,7°.
29.2.12. Auftreten von urtikariellen, tafelförmigenEfflorenszenzen von scharlach¬
roter Farbe, lokalisiert an der Beugefläche der oberen Extremität und an der Innen¬
seite der Beine. Patient fühlt sich schwach und matt. Temp. 36,8°. Subkutane
Injektion von 0,5 Pepton Witte.
1. 3. 12. Lokale Rötung um die letzte Injektionsstelle. Temperatursteigerung
auf 37 , 8 °. Das Hämatom am linken Oberschenkel verursacht Schmerzen bei Be¬
wegungen und erstreckt sich napfförmig unterdiellautderBeugeflächedesOberschenkels.
2. 3. 12. Subkutane Injektion Pepton Witte 0,5. Temp. 37,7.
3. 3. 12. Leichte Rötung in der Umgebung der letzten Injektionsstelle. Temp. 37,3°.
5. 3. 12. Gerinnungszeit: a) 9 Std. 20 Min., b) 9 Std. 10 Min.
7. 3. 12. Hämoglobin 50,55pCt. (n. Sahli). Leukozyten 10000. Differential¬
zählung (300 Zellen): Neutrophile Leukozyten 72pCt., Lymphozyten 23pCt., grosse
mononukleäre Zellen 0,6pCt., eosinophile Zellen 1,3pCt., Uebergangszellen 1,4pCt.
13.3.12. war das Blutbild wieder das gewöhnliche. Das Hämoglobin erreichte G8pCt.
Wir machten auch einen Versuch mit Injektion von Natr. nucleinicum,
welches nach Sicard (20) die Eigenschaft hat, die Resistenz der Blut¬
körperchen zu erhöhen. Doch umsonst.
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Zar Lehre von der Hämophilie.
217
Zu dem Vorschlag van den Veldens, die Gerinnung durch Koch¬
salzinfusion zu beschleunigen, konnten wir uns nicht entschliessen, da
sowohl Stromberg in vivo, wie wir in vitro keinen gerinnungs¬
beschleunigenden Einfluss der Kochsalzlösung beobachten konnten.
Wir müssen leider zu dem Schluss kommen, dass bei unserem Fall
von echter familiärer Hämophilie weder Serum-, noch Blut- oder Pepton¬
injektionen einen günstigen Einfluss auf die Blutgerinnung gezeigt haben.
Wir möchten dringend für solche Fälle in der Zukunft vor subkutanen
oder intramuskulären Injektionen warnen, da solche fast immer ein
lokales Hämatom zur Folge hatten. Wir haben die lokalen und allge¬
meinen Erscheinungen, welche nach Kaninchenserum- und Peptoninjek¬
tionen auftraten, beschrieben, weil solche beim Menschen selten beob¬
achtet werden und weil sie eine grosse Aehnlichkeit mit den bei Tieren
bekanntlich auftretenden lokalen Anaphylaxieerscheinungen nach sub¬
kutanen Injektionen besitzen. Auch von dem Einfluss der wiederholten
Blutverluste auf die Gerinnung (Sahli) sahen wir keinen Erfolg.
Man muss sich-den Ausspruch Strombergs (21) vergegenwärtigen,
dass „die Gerinnungsfähigkeit des Blutes eine Eigenschaft des lebenden
Organismus darstellt, die keineswegs so leicht und einfach zu beein¬
flussen ist, wie das aus manchen Versuchen anderer Autoren hervorging und
wie das im Interesse der Klinik wohl zu wünschen und zu erstreben ist“.
Wenn man die in der Literatur berichteten Fälle von günstigem
Einfluss der injizierten Substanzen auf den Verlauf von Hämophilien und
von septisch-hämorrhagischen Erkrankungen durchmustert, so kann man
sich dein Eindruck nicht entziehen, dass manchmal, ohne genügende
Kritik vom post hoc auf das propter hoc geschlossen worden ist.
Anderseits wird nicht genügend zwischen der echten familiären Hämo¬
philie und den sporadischen Formen derselben, sowie den verschiedenen
erworbenen hämorrhagischen Diathesen unterschieden. Es ist bei letzteren
die Möglichkeit des günstigen Einflusses von Seruminjektionen zuzugeben.
Wir glauben aber, dass man bei der echten familiären Hämophilie diesen
Einfluss stets vermissen wird. Der Organismus ist hier eben in der Un¬
möglichkeit, aus sich selbst ein normal gerinnungsfähiges Blut zu produzieren,
und kann dazu auch auf reaktivem Wege nicht gebracht werden.
Anders mit der lokalen Applikation von frischem Blut, Serum oder
Gewebssaft. Es kann hier eine rasche Gerinnung des ausfliessenden
Blutes, und vorausgesetzt, dass die Thrombokinase tief genug in die
Wunde eindringt, eine Stillung der Blutung bewerkstelligt werden (7).
Diese lokale Applikation lässt sich nur bei Blutungen der Haut und
eventuell der Mundschleimhaut mit Erfolg anwenden. Wir versuchten
bei unserem Patienten durch Darreichung von rohem Fleischsaft die
JÄagenblutung lokal zu beeinflussen. Doch waren wir gegen das Schick¬
sal ohnmächtig, welches ihn als letzten Ueberlebenden von fünf Brüdern
aus dem Leben raffte.
15*
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218
E. GRESSOT, Zur Lehre von der Hämophilie.
Nachtrag bei der Korrektur: In einer kürzlich erschienenen Arbeit„Studien
zum Wesen und zur Behandlung der Hämophilie“ (Bruns Beiträge, Bd. 79, August 1912)
kommt Schloessmann über die Wirkung der sog. gerinnungsbefördernden Mittel zu
den gleichen ungünstigen Schlüssen wie ich. Ausserdem sah er auch in einem Fall
anaphylaktische Erscheinungen: Am Tag vor einer Zahnextraktion bei einem Hämo¬
philen Einspritzung von Menschenserura und Kaninchenserum. 5Tage nach der ersten
Injektion, wegen Fortdauer der Blutung, Einspritzung von Kaninchenserum. 3 Tage
später: Einspritzung von defibriniertem Kaninchenblut. Am nächsten Tage Tempe¬
ratur- und Pulsanstieg, Krankheitsgefühl, Erbrechen. Am übernächsten Tage dasselbe.
Ausserdem mehrfache Ausbrüche von Quaddelexanthemen. Dauer 3 Tage.
Literatur.
1) Arthus, La coagulation du sang. Coli. Scientia. 1899. — 2) Derselbe,
Sur la vitesse de la coagulation du sang des prises succcssivcs. Journ. de Physiol.
et Pathol. 1902. Vol. 4. p. 273. — 3) Boggs, Ch. R., Ueber Beeinflussung der
Gerinnungszeit des Blutes im lebenden Organismus. Deutsches Arch. f. klin. Med.
Bd. 79. S. 539. — 4) Bordet et Gengou, Recherches sur la coagulation du sang.
Annales de PInstitut Pasteur. 1904. T. XVlil. — 5) Hayem, Sur la non-retractilitc
du caillot. Compte-Rendus de PAcademie des Sciences. Vol. 123. p. 894. — 6) John,
Ueber therapeutische Erfolge bei Blutungen, hämorrhagischer Diathese und perniziöser
Anämie durch Injektion von Serum usw. Münch, med. Wochenschr. 1912. Nr. 4. —
7) Kottmann u. Lidsky, Hämophilie und Gerinnung. Münch, med. Wochenschr.
1910.— 8) Labbö, M., L J h6mophilie, pathogönie et traitement. Revue de med.1908.—
9) Lambert, Bouin, Ancel, Skeptophylaxie par substances inertes. Compte-Rendus
de la Soci6t6 de Biologie. Dßcembre 1911. — 10) Loeb, Untersuchungen über Blut¬
gerinnung. Hofmeisters Beiträge. Bd. 6—7. — 11) Lossen, Die Bluterfamilie
Mampel. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1905. Bd. 76. — 12) Morawitz, Beiträge zur
Kenntnis der Blutgerinnung. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1904. Bd. 79. — 13) Der¬
selbe, Die Gerinnung des Blutes. Handb. d. Bioch. (Oppenheimer). 1909. Bd. 2.
S. 2. — 14) Morawitz u. Lossen, Ueber Hämophilie. Deutsches Arch. f. klin. Med.
1908. Bd. 49. S. 110. — 15) Nolf, P., Contribution ä Ptftude de la coagulation du
sang. Arch. internat. de Physiolog. 1908. Vol. 6. — 16) Nolf, P. et Herry, De
Ph&nophilie, 3 mömoires. Revue de möd. 1909 et 1910. — 17) Sahli, H., Ueber
das Wesen der Hämophilie. Deutsche Zeitschr. f. klin. Med. 1905. Bd. 56. S.264. —
18) Derselbe, Weitere Beiträge zur Lehre von der Hämophilie. Deutsches Arch.
f. klin. Med. 1909. Bd. 99. — 19) Schultz, Eine neue Methode zur Bestimmung der
Gerinnungsfähigkeit des Blutes. Berl. klin. Wochenschr. 1910. Nr. 12. — 20) Sicard,
2 cas d’hömophilie et ses r&ictions sanguines. Traitement par le nucleinate de soude.
Societö med. des Höpitaux de Paris. 1912. Vol. II. p. 9. — 21) Stromberg, Ver¬
änderungen der Blutgerinnung durch Blutverluste. Biochem. Zeitschr. 1911. Bd. 37.
S. 208. — 22) Derselbe, Methodisches über Blutgerinnung nebst Bemerkungen über
das Wesen der Gerinnungsprozesse. Biochem. Zeitschr. Bd. 37. — 23) Tixier et
Nobdcourt, Traitement de Phcmopliilie et du purpura par les injections de peptone
Witte. Gazette des Höpitaux. 1911. — 24) van den Velden, Blutuntersuchungen
nach Verabreichung von Halogensalzen. Zeitschr. f. experim. Path. u. Ther.
1909. Bd. 7. S. 210. — 25) Derselbe, Blutverluste und Blutgerinnung. Arch. f.
experim. Path. u. Pharmakol. 1909. Bd. 61. — 26) Vogel, Beitrag zur Kenntnis der
Hämophilie und der Blutgerinnung. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 71. — 27) Weil, P. E.,
Societe m6d. des Höpitaux de Paris. 260ctobre 1906. l8Janvier 1907. —28) Derselbe,
L’hömophilie. Presse m6d. 1905. —29) Derselbe, Congres frangais de medecine.
1908. — 30) Derselbe, Compte-Rendus hebd. des seances do PAcademie des Sciences.
Octobre 1905. Vol. I. p. 141. — 31) J. Wohlgemuth, Eine neue Methode zur
quantitativen Bestimmung von Fibrinferment. Biochem. Zeiischr. 1910. Bd. 25. S. 79.
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XIV.
Aus der medizinischen Abteilung A des Rigshospitals zu Kristiania.
(Professor Dr. S. Laache.)
Ueber einige Wirkungen grosser Dosen Natr. bicarb.
bei Diabetes mellitus. 1 2 )
Von
Olav Hanssen.
(Hierzu Tafel V und VI.)
•
Während der 2 J / 2 Jahrzehnte, die vergangen sind, seit von Stadel-
rnann 5 ) grosse Dosen Alkalien bei gewissen Formen von Diabetes mellitus
empfohlen wurden, ist die Wirkung dieser auf den Verlauf der Krankheit
im grossen und ganzen festgestellt worden. Bei den akuten diabetischen
Intoxikationen kann die Administration von Alkalien den Patienten über
das kritische Stadium hinausbringen und bei der chronischen Azidose
vermögen sie in Verbindung mit einer zweckmässigen Diät die Katastrophe
hinauszuschieben — doch nur für eine gewisse Zeit; denn die Häufigkeit
des Komas hat nach der Alkalibehandlung nicht abgenommen (v. Noorden).
Weit geringer ist unsere Kenntnis über die Wirkung grosser Dosen Alkalien
auf die verschiedenen Organe und deren Funktion. Meine Mitteilungen
sollen die Wirkung auf das Gewicht des Patienten, auf die diabetische
Albuminurie, sowie bei Coma diabeticum erörtern.
I. Einwirkung anf das Körpergewicht.
Betreffs des Gewichts der Diabetiker hat man lange gewusst,
dass es innerhalb kurzer Zeit grossen Schwankungen unterliegen kann 3 ),
sowie dass ihr Flüssigkeitsumsatz gewisse Eigentümlichkeiten darbietet 4 ).
Z. B. haben sowohl v. Noorden wie Lauder Brunton hervorgehoben,
dass Oedeme bei asystolischen Zuständen oft fehlen können. Der Grund
hierfür wird in den diuretischen Wirkungen des Zuckers gesucht.
1) Vortrag auf dem nordischen Kongress für innere Medizin in Bergen, im
Juli 1911.
2) Ueber dio Behandlung gewissor Formen von Diabetes mellitus mit Alkalien.
Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 38. S. 302.
Weitere Beiträge zur Behandlung des Diabetes mellitus und des Coma diabeticum.
Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 37. S. 581.
3) Vgl. Reiss, Gewichtsschwankung und Blutkonzentration bei Diabetes melli¬
tus. Deutsches Arohiv f. klin. Med. Bd. 96.
4) Vgl. Lupine, Le diabete sucre. 1910. p. 533.
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220
OLAV HANSSEN,
ln den letzten Jahren sind als Ursache solcher Gewichtsschwankungen
zwei neue Faktoren angegeben, nämlich „die Hafertage“ und die Zufuhr
von Natr. bicarb. Während das erste ursächliche Moment schon vor vielen
Jahren von Marius Lauritzen 1 ) erkannt wurde, hat auf das letztere
Blum 2 ) im Jahre 1909 aufmerksam gemacht.
Bei den täglichen Wägungen unserer Diabetspatienten zeigt es sich,
dass Gewichtszunahmen häufig eintreten bei den gewöhnlichen Dosen
Natr. bicarb. von 20—30 g und darüber. Die Tabelle auf der nach¬
stehenden Seite gibt eine Uebersicht über einen Teil unserer Fälle. Es
geht aus dieser Tabelle hervor, dass im Laufe weniger Tage das Gewicht
um mehrere Kilo steigen kann, und im ausgeprägtesten Falle stieg es
in 9 Tagen um 12,4 Kilo, ln keinem Falle traten deutliche Oedeme
auf, dagegen sah das Gesicht turgeszent aus und die Extremitäten hatten
an Umfang zugenommen; in einzelnen Fällen gab diese Umfangvergrösserung
Veranlassung zu subjektiven Klagen, z. B. über Schuhdrücken usw. In
der Regel nimmt das Gewicht zu an demselben Tage, wo Natr. bicarb.
ordiniert wird; in einzelnen Fällen vergehen jedoch einige Tage mit
unverändertem Gewicht (Kurve 3). Bei anhaltendem Gebrauch wird ent¬
weder ein Gleichgewichtszustand erzielt, auf dem sich das Gewicht erhält,
oder das Gewicht fängt an, abzunehmen (Kurve 4). Setzt man die Be¬
handlung mit Natr. bicarb. aus, beginnt das Gewicht an demselben Tage
oder erst nach 1—2 Tagen zu sinken. Meist erreicht man das Anfangs¬
gewicht; in einzelnen Fällen geht jedoch das Gewicht nicht so weit
zurück, in andern sinkt es noch tiefer.
Selbst die grössten Gewichtsschwankungen haben wenig Einfluss auf den
Patienten; sowohl Puls als Blutdruck halten sich konstant. Die Temperatur
bleibt normal, was von besonderem Interesse ist, da Störungen in der
osmotischen und thermischen Regulation sonst oft Hand in Hand gehen.
Dass diese Gewichtszunahmen ihre Ursache in Wasserretention haben
und, wie durch experimentelle Untersuchungen (Engel) über das Wasser¬
bindungsvermögen von Organen erwiesen, besonders in den Muskeln statt¬
findet, geht nicht nur aus dem klinischen Bild hervor, sondern auch aus
einer Betrachtung des Verhältnisses zwischen Trinkmenge und Diurese. Bei
Gewichtszunahme übersteigt die Trinkmenge bedeutend die Diurese, während
diese wiederum zunimmt, wenn das Gewicht zu fallen anfängt (Kurve 6).
Hinsichtlich der Ursachen für diese Wasserretention spielt hier kaum der
Zustand der Nieren eine wesentliche Rolle, indem auch gesunde Indi¬
viduen NaHC0 3 gegenüber in dieser Weise reagieren. In einem Falle
war auch die gleichzeitige Zufuhr von Theozin ohne jegliche Einwirkung
auf die Wasserretention. Welcher Natur die extrarenalen Faktoren sind,
die hier in Betracht kommen könnten, ist schwer zu sagen. Blum
1) Ueber Kohlenhydratkuren bei 8er Zuckerkrankheit. Med. Klinik. 1905. S.975.
2) Ueber die Rolle von Salzen bei der Entstehung von Sklerose. Yerhandl. d.
deutsch. Kongresses f. innere Medizin. 1909.
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 221
Xr.
Alter
Krankheit
Gesaratzufuhr
In der
1 Gesamtgewicht*
j Zunahme im
Bemerkungen
und Geschlecht
von NaHCG 3
! in Gramm
i
Zeit
; von
! selben Zeitraum
j kg
1.
40jäbr. Mann
Diabetes
160
2 Tagen
0,7
Bei anhaltendem Gebrauch von
mellitus
30 g täglich keine weitere Zu¬
nahme. Wird zuckerfrei entl.
i
39jähr. Mann
230
3
4,7
23_26 Jan ) Schwerer Diabetes
80
1
ft
rt
1,4
7. Febr. ' [ mit Äb u m n a f ruDg
190
3
ft
2,6
22.—25. Febr.J starker Azidosis.
3.
34jähr. Mann
ft
140
3
rt
4,4
1
25.—28. Aug. Nach Seponie-
rung geht das Gew. im Laufe v.
3 Tagen zurück z. Anfangsgew.
1
250
6
n
6,1
31. 1 Aug. bis 6. Sept. Trotz an¬
haltendem Gebrauch von 30 g
fängt das Gewicht an zu sinken.
200
3
ti
6,8
18.—20. Sept. Dito. Dito.
140
2
5,1
28.—30. Sept. Starke Azidose
während d. ganz. Aufenthaltes.
4.
54jahr. Mann
n
130
2
ft
3,7
NachSeponierung sinkt d. Gew.
im Laufe von 4 Tagen um 2,6 kg.
5.
67jähr. Witwe
T)
440
10
6,2
Leichte Form von Diabetes mit
Albuminurie.
6.
lSjähr. Mädchen
ft
180
6
n
0,9
Wird zuckerfrei entlassen.
7.
35 j ähr. Land mann
ft
140
5
1,4
Trotz anhalt. Gebr. von 30 bzw.
20 g tgl. keine weitere Steiger.
Schw. Diabetes mit starker Azid.
8.
6jähr. Knabe
ft
100
5
r>
0,6
Wird zuckerfrei entlassen.
9.
32jähr. Frau
ft
480
8
rt
5,2
Trotz fortgesetztem Gebrauch v.
50 g keine weitere Steigerung.
Schw. Diabetes mit stark. Azid.
10.
30jähr. Mann
200
3
jj
1,9
7.—9.0kt. Mittelschwerer Dia¬
betes.
200
3
ft
2,7
16.—18.0kt. Erhielt gleichzeitig
Theozin 0,33 X drei Tage lang.
11.
31 jähr. Mann
n
460
9.
ft
7,2
Trotz fortgesetztem Gebrauch
von 50 g NaHCO s fängt das
Gewicht an abzunehmen.
i
i
Schwerer Diabetes mit drohen¬
1
dem Koma.
1*2.
19jähr. Mann
ft
500
11
n
7,4
Nach Seponierung sinkt das Ge¬
wicht in 7 Tagen um 6,1 kg.
Wird zuckerfrei entlassen.
13.
24jähr. Mann
n i
280
9
12,4
26. Nov. bis 5. Dez. Wird zucker¬
1
frei entlassen.
1
|
200
5
7)
5,3
27. Dez. bis 1. Jan. In 5 ilg.
Tagen 20 g pro Tag und Ab¬
nahme d. Gewichts um 2,6 kg.
240
6
n
3,2
14.—20. Juni. Wird von neuem
Natr. citr.
aufgenommen m. stark. Azidose
und reichlicher Glykosurie.
i
160
4
1,9
24.—28. Juni.
1
320
7
3,9
3.—10. Juli. In 5 flg. Tagen
320
8
Sinken um 1,7 kg trotz 20 g
0,1
NaHC0 3 tägl.
24.—31. Aug. Starke Azidose.
Reichliches Ausscheid, v. NaCl.
14.
25jähr. Mann
Rekonva¬
80
2
y>
1,6
3 Wochen später. Die gleiche
leszenz n.
80
2
n
2,7
Flüssigkeitszufuhr wie beim
Meningitis
Natr. citr.
ersten Versuch.
15.
21 jähr. Mädchen
Phthisis
100
2
f)
1,3
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222
OLAV HANSSEN,
meint, dass eine gewisse Salzarmut des Gewebes disponiere und findet
hierfür eine Stütze in dem Umstand, dass Diabetiker mit Azidose und
Individuen mit salzarmer Diät mit der grössten Gewichtszunahme reagieren.
Hiergegen scheint indessen zu sprechen, dass, falls die Zufuhr von
Natr. bicarb. wiederholt wird, das Gewicht zum zweiten Mal ebenso hoch
wie beim ersten Mal steigen kann (Kurve 5).
Es geht ferner aus der angeführten Tabelle hervor, dass hinsichtlich •
der Wasserretention die einzelnen Diabetiker sich äusserst verschieden
nach Zufuhr von Natr. bicarb. verhalten. Während des Krankheitsver¬
laufes können auch grosse Veränderungen eintreten. Charakteristisch in
dieser Beziehung ist Fall 13 der Tabelle, wo sich eine starke Wasser¬
retention in der ersten Zeit, während die Toleranz gut war, geltend
macht, wo aber später, nachdem starke Azidose eingetreten ist, das
Gewicht nur wenig von Natr. bicarb. beeinflusst wird. Vielleicht kommen
neben den rein osmotischen Verhältnissen auch kolloid-chemische Faktoren
mit in Betracht als Ausdruck für die Wirkung der Natriumionen auf das
Gewebe. Hierfür Hesse sich anführen, dass ausser NaHCO s auch andere
Natriumsalze in derselben Weise wirken, wie Natriumzitrat (Fall 13 und 14)
und NaCl (Pfeiffer).
II. Einwirkung auf Eiweiss im Harn.
Indem ich dazu übergehe, die Wirkung der Alkalibehandlung auf
die diabetische Albuminurie zu besprechen, sei zuerst — allerdings
wohl ganz überflüssig — an die verschiedene Dignität erinnert, die dieses
Symptom hat. In einzelnen Fällen ist es der Ausdruck einer der dia¬
betischen extrarenalen Komplikationen, in anderen offenbart es eine
Nephritis. Indessen findet sich ja Albuminurie auch nicht selten in den
sogenannten reinen Fällen von Diabetes; nach Naunyn tritt sie hier bei
25 pCt. der Patienten unter 50 Jahren auf.
Als die häufigste Ursache dieser diabetischen Albuminurie im engsten
Sinne wird von den meisten Verfassern die Glykosurie angeführt, und
den Beweis hierfür meint man darin zu sehen, dass das Albumin in der
Regel schwindet, wenn der Patient zuckerfrei wird. Stokvis 1 ) führt
ausserdem an, dass intravenöse Injektion von Traubenzucker vorüber¬
gehende Glykosurie herbeiführen kann.
Im Gegensatz hierzu meinen indessen italienische Forscher, wie
Albertoni, Trambusti nnd Nesti 2 ), dass die Azetessigsäure, die, wie
experimentell bewiesen, Albuminurie hervorrufen kann, das schädliche
Agens ist Etwas Sicheres hierüber ist indessen, v. Noorden zufolge,
nicht bekannt.
1) Zur Pathologie und Therapie des Diabetes mellitus. Verhandl. d. deutschen
Kongr. Wiesbaden 1886. S. 129.
2) Zit. nach v. Noorden, Die Zuckerkrankheit. 1910. S. 128 u. 129.
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 2*23
Unter der Reihe von Diabetesfällen, die während der 3 letzten Jahre
in der Klinik von Prof. Laache behandelt wurden, war es mir auf¬
fallend, wie konstant Albuminurie in den schweren, mit Azidosis ver¬
bundenen Fällen auftrat. Die Albuminmenge war stets gering, nur eine
Albuminuria minima, und bestand aus Serumalbumin; es waren selten
Zylinder in grösseren Mengen vorhanden und es war keine Blutdruck¬
erhöhung oder Herzhypertrophie damit verbunden.
Dass diese Albuminurie sehr häufig durch Azidose oder Ketonurie
bedingt war, zeigte sich nun nicht nur darin, dass sie schwand, wenn
bei diätetischer Behandlung, z. B. bei Haferkur, die Ketonurie abnahm,
selbst wenn die Zuckerausscheidung stieg, sondern auch darin, dass die
Alkalizufuhr die Albuminurie zum Schwinden brachte, wenn der Säure¬
grad des Urins abgestumpft wurde. Nur in wenigen Fällen war der
Mechanismus ein anderer oder ein komplizierter. Es kann z. B. ange¬
führt werden, dass bei 2 Kindern die Albuminurie orthostatisch war und
schwand, wenn sie das Bett hüteten. In einigen anderen nahm die
Albuminurie bei Zufuhr von NaHCO s merkbar ab, ohne doch ganz zu
verschwinden.
Mit Bezug auf diese Beobachtungen kann man sowohl Schmitz’
und Mayers 1 ), als auch Stokvis’ Erfahrungen verstehen, dass strenges
Regime das Auftreten von Albuminurie begünstige, wie auch das Alter¬
nieren zwischen Glykosurie und Albuminurie, das manchmal in Be¬
ziehung zur Kost erwiesen wird 2 ). Die saure Fleischdiät ruft Albuminurie
hervor; diese verschwindet beim Uebergang zur antiketogen wirkenden
kohlenhydrathaltigen Diät, welch letztere dann ihrerseits Glykosurie her¬
beiführt. Stokvis’ Annahme, dass die Albuminurie nur durch die
Glykosurie versteckt werde, indem diese die Diurese steigere und da¬
durch die Albuminauflösung diluiert, lässt sich nicht mit unseren un¬
mittelbaren Beobachtungen vereinen. Praktisch hat die Kenntnis dieser
„Säurealbiminurie“ Bedeutung, weil sie als Indikator dient, wenn die
Azidose eine gefahrdrohende Höhe erreicht hat und unverzügliche Alkali¬
behandlung erheischt. Entwickelt sie sich weiter, so wird sich die Albumin¬
menge steigern und es werden reichliche Zylinder, gekörnte und hyaline, auf-
treten, die in allen unseren Fällen von Coma diabeticum beobachtet wurden.
Theoretisch erweitern diese Beobachtungen unsere Kenntnisse über
die schädlichen Folgen der Azidose für die Organe. Denn zweifellos
leiden diese geraume Zeit, ehe der Organismus vom Koma überwältigt
wird. Unsere Kenntnis von dieser mehr latenten Intoxikation ist jedoch
gering und unsicher. Naunyn nimmt an, dass die eigentümliche Herz¬
schwäche, der die Diabetiker oft erliegen, ihre Ursache hierin haben
könne, und Brugsch hat einige Fälle mitgeteilt, wo mangelhafte Eiweiss-
1) Zit. nach v. Noorden, Die Zuckerkrankheit. 1910. S. 129.
2) Vgl. Lupine, Le diabete sucrä. 1909. p. 551.
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224
OLAV I1ANSSEN,
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und Fettverdauung während der Azidose gefunden wurde, während sich
die Verdauung bei Alkalizufuhr besserte. Als Ursache dieser Dyspepsie
nimmt er den Alkalimangel des Darmsekrets an 1 ).
Ausser diesen Organen leiden also auch die Nieren, deren Empfind¬
lichkeit für Säureeinwirkung kürzlich Hösslin 2 ) in einigen Fällen nephri-
tischer Albuminurie demonstriert hat. Auch hier brachte die Alkali¬
zufuhr das Albumin zum Verschwinden.
III. Wirkung bei Coma diabetienm.
Was schliesslich die Wirkung grosser Dosen Alkali bei Coma
diabeticum betrifft, so ist ihr Nutzen bei drohendem Koma über jeden
Zweifel erhaben. Dagegen haben die Erwartungen, die Stadelmann
bezüglich der intravenösen Injektionen sich selbst und anderen erweckte,
Enttäuschungen bereitet. Die Komapatienten, die sich bei dieser Be¬
handlung erholt haben, sind so wenige, dass ihre Zahl gewiss einziffrig
geschrieben werden kann, und im besten Fall hat es sich nur um Monate
gehandelt, ehe die Geheilten einem neuen Anfall erlegen sind. Als Ur¬
sache hierfür kann mancherlei genannt werden. In einzelnen Fällen er¬
folgt die Behandlung erst spät, in anderen Fällen ist die angewandte
Dosis zu klein im Verhältnis zu den Säuremengen, um die es sich hier
oft handelt. Nach Magnus-Levy und Geelmuyden können nämlich
die Mengen von /J-Oxybuttersäure und Azetessigsäure, die in den Organen
von Coma diabeticura-Leichen gefunden werden, 100—200 g erreichen,
und entsprechende Mengen sind auch im Harn von Patienten festgestellt
worden, die sich von der diabetischen Intoxikation erholt haben. Zum
Neutralisieren so grosser Mengen Säure sind 100—200 g Natr. bicarb.
erforderlich. Von allen Verfassern, die sich der Ansicht über die Säure¬
natur des Koma anschliessen, werden daher auch grosse Dosen Alkali
empfohlen, bis der Harn neutral oder alkalisch wird.
Mein Material von alkalibehandelten Koma-Patienten umfasst 8 Fälle;
6 von diesen wurde Natr. bicarb. intravenös zugeführt, der 7. und 8. da¬
gegen bekam Natr. bicarb. per os, und zwar der erste teelöffelweise jede
halbe Stunde, im ganzen 240 g (s. Tabelle n).
Bezüglich der Zusammensetzung der Infusionsflüssigkeit möchte ich
zunächst im Anschluss an Lüthje 3 ) auf die Unklarheit aufmerksam
machen, deren sich die verschiedenen Verfasser schuldig machen, indem
sie durcheinander von Natriumkarbonat und Natriumbikarbonat sprechen.
1) Zit. nach Naunyn, Der Diabetes mellitus.
2) Münchener med. Wochenschr. 1907. Aus Moritz’ Klinik hat Glaesgen
kürzlich mitgeteilt, dass Alkalizufuhr auch vermag, Salizylaibuminurie zu verhindern
und zu entfernen. (Ueber Nierenreizung durch Salizylpräparate und ihre Aufhebung
durch Alkalizufuhr. Münchener med. Wochenschr. 1911. 23. Mai.)
3) Kasuistisches zur Klinik und zum Stoffwechsel des Diabetes mellitus.
Zeitschr. f. klin. Med. 1901. Bd. 43. S. 225.
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 225
In Stadelmanns 1 ) erster Arbeit werden auf Grundlage von Tier¬
versuchen Sodainjektionen (3—5proz.) empfohlen; indessen geht hervor,
dass sowohl Lupine wie Minkowski für ihre klinischen Versuche
Natriumbikarbonat benutzt haben, ohne dass doch Stadelmann hierfür
einen Grund anerkennen kann. Tierversuche belehren ihn indessen
darüber, dass das l^-kohlensaure Natrium besser vertragen wird, als
das kohlensaure Natrium, und 1889 empfiehlt er daher intravenöse In¬
jektionen von 7—lOproz. P/o-kohlensaurem Natrium 2 3 ).
Sowohl Lüthjo als Magnus-Levy*) wenden nur Natr. bicarb.-Auf-
lösungen an. Löpine verwendet 2 Liter isotonische NaHC0 8 -Auflösung
(d. h. 17 g auf das Liter). Im Gegensatz hierzu führt v. Noorden an: Bei
dringender Gefahr, bei ausgebildetem Koma muss das Alkali (Soda in
3proz. Lösung) in die Vene gespritzt werden.
Beiläufig sei schliesslich erwähnt, dass von französischer Seite in letzter
Zeit empfohlen ist,starke Konzentrationen anzuwendenjz.B.brauchenSicard
und Salin 4 5 ) bis zu 8pCt. Natr. bicarb. in destilliertem Wasser, wovon sie je¬
doch als Regel nur 100—200 ccm einspritzen, ganz vereinzelt 400 ccm (30g).
Bei meinen intravenösen Infusionen wurde 3—5proz. Natr. bicarb.-
Lösung, teils in Aqua Simplex, teils in 0,7 oder 0,9 proz. NaCl-Lösung
benutzt. Die Lösungen wurden so bereitet, dass Natr. bicarb. erst zu¬
gesetzt wurde, nachdem die Salzauflösung oder das Wasser bis auf 40° ab¬
gekühlt war. Bei allen Versuchen wurde eine Vene freipräpariert und eine
stumpfe Kanüle im Lumen befestigt. Im ganzen habe ich bei den vorerwähnten
6Patienten 15 Alkaliinfusionen gemacht, deren Grösse aus Tab. 2 hervorgeht.
Man sieht aus der angeführten Tabelle, dass in einem Fall im An¬
schluss an grosse Alkalidosen intravenös und per os Heilung erzielt
wurde. Die Umstände bei diesem Fall waren, wie schon früher ver-
öffentlicht^), die besten, da sich der Patient im Hospital befand und
sofort einer energischen Behandlung unterzogen werden konnte. Das
Koma war allerdings nicht völlig entwickelt, aber doch in voller Ent¬
wicklung mit „grosser Atmung“, trägem Sensorium, kollabiertem Aus¬
sehen und schnellem Puls. Im Laufe der ersten 4 Tage wurden 680 g
Azetonkörper ausgeschieden, berechnet als //-Oxybuttersäure, und trotz
660 g NaHC0 8 in demselben Zeitraum wurde der Harn nicht neutral.
Indessen war die Heilung auch hier nur von kurzer Dauer. Unge¬
fähr 2 Monate danach tritt Koma von neuem auf, dem er trotz 108 g
NaHCOj intravenös erlag. In den übrigen Fällen ist der Tod unmittelbar
oder innerhalb 10 Stunden nach den Transfusionen eingetreten.
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 37. S. 580.
2) Klinisches und Experimentelles über Coma diabeticum und seine Behandlung.
Deutsche med. Wochenschr. 1889. S. 46.
3) Das Coma diabeticum und seine Behandlung. Halle 1909.
4) Bull. et. M6m. de la Soc. mdd. des Hop. 1911. p. 825.
5) Norsk magasin f. laegevidenskap. September 1910.
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226
OLAV HANSSEN
Tabelle 2. Fälle von Coraa diabeticum.
Nr.
Alter und
Geschlecht
I Menge der
| Injektions-
j fliissigkeit
~ 00
Pi«
| 5 .g "
K
i °°
O w
O °
I PÜ n
cö ©
!
!
• g
Ausgang
Pathologisch-anatomische
Befunde
1 .
27jähr. Mann
1.
1
Liter
40
90
Heilung.
2.
1
n
40
3.
2
V
80
4.
1
r i
40
200
2,6
108
Klonische und toni-
Die dünnen Hirnhäute sind stark
sehe Krämpfe nach
blutüberfüllt und diffus ödematos
der Transfusion.
Die Ventrikel sind etwas erweitert
Respirationsstill-
und die Flüssigkeitsmenge ist et-
i
stand. Gestorben.
was vermehrt.
2.
52j ähr. Frau
1.
1,3
39
Gestorben unmittel-
Etwas Hypeiämie und Oedem in
2.
1,5
n
. 60
bar nach der letzten
den dünnen Hirnhäuten. Die
99
Injektion.
Seiteuventrikcl etwas erweitert
v. klarer Zerebrospinalflüssigkeit.
3.
63jähr. Frau
1.
1,5
r .>
75
Klonische Krämpfe
Hyperämie u. Oedem in den weichen
2.
1,5
75
in Masseteren, der
Hirnhäuten. Blutungen — kleine.
150
rechten Gesichts¬
hälfte u. Arm. Un¬
mittelbar danach
Herz- und Respira-
flächenartige — in den weichen
Häuten über Konvexität u. Basis
des grossen Hirns. Auf der rech¬
ten Seite des kleinen Hirns ein.
tionsstillstand. Ge¬
storben.
grössere, flächenartige Blutung
zwischen den weichen u. den harten
4.
Häuten. Ebenso Blutung in der
rechten Zercbellarhemisphäre.
66jähr. Frau
1,6
r>
64
90
Gestorben plötzlich
Pia diffus hyperämisch. Die linkt;
etwa4Stundennach
Hemisphäre des kleinen Hirns
i
der Transfusion.
zwischen den Windungen grössere
und kleinere Biutkoagula in den
dünnen Häuten.
5 .
45jähr. Frau
FUissigkcits-
240
Herzstillstand. Ge¬
In den Hirnhäuten bedeutende
aufnahmc
storben.
Hyperämie und einige kleinere
10,6
Liter
Blutaustretungcn.
6 .
64jähr. Frau
30
Die Patientin be¬
Oedem der weichen Häute, keine j
kam statt NaHCOjj
Blutungen.
21 phys. Salzwasser
subkutan und 1V 2 1
Salzwasser intrave¬
nös. Gestorben.
1
7.
30jiihr. Frau
1 .
1,6
r
48
30
Nach der Trans¬
Bedeutende Hyperämie der dün¬
2.
1,5
T *
45
fusion klonische
nen Hirnhäute; verbreitete dünne
93
Zuckungen im rech¬
Blutungen in den Häuten über
ten Arm und Bein,
der Ausscnscite des linken un i
sowie linken Bein.
rechten Okzipitallappens, sowie
Patcllar- undFuss-
unter d. rechten Temporallappen.
klonus. Gestorben
am stärksten über dem konvexen
etwa 10 Stunden
Rand der rechten kleinen Ilirn-
nach der letzten
hemisphäre. Itn Centrum semi-
Transfusion.
ovale, an mehreren Stellen zahl¬
reiche kleine Blutungen.
8.
49jähr. Mann
1 .
0,7
21
20
Keine Krämpfe. Ge¬
Starke Hyperämie und Oedem
2.
0,4
n
12
storben.
der dünnen Häute. Einzelne Blut-
3.
0,6
r>
18
austretungen, besonders auf der
51
Konvexität des linken Okzipital¬
lappen.
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 227
Indessen machte sich nach mehreren von diesen eine merkbare
Besserung sowohl der Respiration als des Sensoriums geltend; besonders
bemerkenswert ist Fall 7, wo man den Eindruck hatte, als sollte der
Patient nach Zufuhr von 6—800 ccm aufwachen, doch verschlimmerte sich
sein Zustand bei fortgesetzter Infusion.
Am auffallendsten ist jedoch, dass in 3 von 6 Fällen bei den mit
intravenösen NaHCO s -Lösungen behandelten Patienten Krämpfe eingetreten
sind. Diese waren teils klonisch, teils tonisch, in einem Fall generell,
in den beiden andern im wesentlichen halbseitig. Nach Aufhören der
Krämpfe dauerte in dem einen Fall (7) eine stark vermehrte Reflex¬
irritabilität der Unterextremitäten an, während die Reflexe vor den Trans¬
fusionen fehlten.
Die Mengen NaHC0 3 , die in diesen Fällen eingeführt wurden, sind
pro Kilo Körpergewicht nicht sehr verschieden.
In Fall 1 108 g, pro Kilo Körpergew. (50 kg) etwa 2 g.
„ „ 3 150 g, „ „ „ (zwischen 50—60kg) zwischen2,5—3 g.
„ „ 7 93 g, „ „ „ (zwischen 45—50 kg) etwa 2 g.
Wärend des ersten Komaanfalls ertrug indessen Patient 1 über 3 g
NaHC0 3 pro Kilo Körpergewicht, zugeführt im Laufe von 24 Stunden,
und in Fall 5 wurden in 12 Stunden per os 240 g NaHC0 3 eingeführt,
d. h. 6 g pro Kilo Körpergewicht; in keinem von diesen Fällen traten
Krämpfe auf. In keinem Falle ist Hämoglobinurie aufgetreten.
Bei der pathologisch-anatomischen Untersuchung des Gehirns wurde
bei allen mit Natr. bicarb. behandelten Patienten starke Hyperämie und
Oedem in den dünnen Hirnhäuten gefunden. In 5 Fällen ausserdem
Blutungen. Diese sassen teilweise und zwar am häuGgsten in den Häuten
über dem Zerebellum und in den Häuten über den Okzipitallappen und den
Temporallappen, teilweise mehr verstreut. Die Blutungen waren klein,
flächenartig, gewöhnlich ohne Koagelbildung. In einem Fall wurden
gleichzeitig im Centrum semiovale zahlreiche kleine Blutungen gefunden;
in einem andern Fall Blutung in der Zerebellarhemisphäre. Sonst konnte
bei der Sektion nichts Auffallendes im Gehirn oder den übrigen Organen
bemerkt werden. Keine Blutungen an andern Stellen, abgesehen von
einigen subperikardialen Blutungen in 2 Fällen; auch keine Flüssigkeits¬
ansammlung in den Kavitäten oder Oedem der Viscera der Bauchhöhle.
In allen Fällen wurde Lungenödem beobachtet, aber selten hoch¬
gradig; niemals Thrombose oder Embolie. In einem Falle wurde eine
starke Dilatation des Magens wegen des per os zugeführten Bikarb. ge¬
funden (Fall 8).
Vor wenigen Jahren machte Rössle 1 ) darauf aufmerksam, dass die
grossen NaCl-Infusioncn gewiss nicht so ungefährlich seien, wie man im
allgemeinen geneigt sei anzunehmen, und dass sie sogar Organver-
1) Gibt es Schädigungen durch Kochsalzinfusionen? Berl. klin. Wocbenschr.
1907. S. 1163.
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228
OLAV HANSSEN,
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änderungen herbeiführen könnten, die mit den Obduktionsfunden bei den
experimentellen grossen NaCl-Infusionen bei Tieren übereinstimmend
waren. Nach ßössle zeigte z. B. das Herz oft das Bild „massige
Trübung“; es war schlecht kontrahiert, eher etwas erweitert, dunkel und
feucht. Bei insuffizienten Nieren konnte der Darminhalt fliessend gefunden
werden. Nach unsern grossen Natr. bicarb.-Infusionen sind — abgesehen
vom Gehirn — keine solche Organveränderungen beobachtet worden,
von denen man auf die vorgenommenen Eingriffe schliessen könnte.
Bei Säurekoma treten Krämpfe kaum oder nur in den seltensten
Fällen auf, dasselbe gilt von meningealen Blutungen, die wie die Krämpfe
den atypischen Fällen angehören (gewiss meist durch Urämie verursacht).
In unsern Fällen lässt sich daher mit allorgrösster Wahrscheinlichkeit
annehmen, dass die Abweichungen vom Typus den vorgenommenen
Natr. bicarb.-Infusionen zuzuschreiben sind.
Dass solche Infusionen schädlich für das Herz sein können, ist be¬
kannt. So erwähnt Lepine, zweimal Galloprhythmus beobachtet zu
haben, und bei einem unserer Fälle (8) trat nach der Infusion von
700 ccm 3 proz. Lösung eine akute, schnell vorübergehende Herzschwäche
mit paradoxähnlichem Puls auf. Dagegen sind Krämpfe nach Natr.
bicarb.-Infusionen in der Literatur nicht früher erwähnt. Doch hat Lüthje
in Kiel mir mündlich mitgeteilt, dass auch er in einem Fall von Koma
Krämpfe auftreten sah, die er in ursächliche Verbindung mit der vor¬
genommenen Alkali-Infusion setzte.
Dass die Flüssigkeitsmenge irgendeine wesentliche Rolle bei der
Genese dieser Krämpfe spielt, ist nicht anzunehmen.
Schon Worm-Müller hebt in seiner Arbeit über „Plethora und Trans¬
fusion“ hervor, dass zerebraleSyraptome selbst nach grossen Bluttransfusionen
ausbleiben. Dasselbe gilt auch von grossen Salzwasserinfusioncn, die ja
in erster Reihe Forderungen an das Herz und demnächst an die Nieren
stellen 1 ).
Sowohl Natriumkarbonat als eine Mischung von Natriumkarbonat
und Natrrumbikarbonat können dagegen im Tierexperiment Krämpfe her-
vorrufen. Bei Durchsicht von Stadelmanns 3 ) Versuchsprotokollen sieht
man, dass sich bei den angewandten Versuchstieren, Hunden, bedrohliche
toxische Symptome einstellen bei einer Menge von etwa 3 g pro Kilo
(berechnet als Soda). Bei fortgesetzter Infusion tritt der Tod bei Dosen
von ungefähr 4,3 g pro Kilo ein. Ueberträgt man diese Werte auf Menschen,
sollte die toxische Grenze für erwachsene Individuen von etwa 50 kg
ungefähr 150 und die letale ungefähr 200 g sein. Indessen ist es kaum
erlaubt, mit denselben Zahlen bei Menschen wie bei Hunden zu rechnen,
1) Vgl. Achard, Mort ä la suite d’une injeotion saline massive. La semaine
medicale. 1903. p. 410 und Rössle, Gibt es Schädigurgen durch Kocbsalzinfusionen?
Berl. klin. Wochenschr. 1907. S. 1165.
2) 1. o., Deutsche med. Wochenschr. 1889.
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 229
um so mehr, als bei einem der Versuche, wo das Tier kurarisiert war,
die letale Dosis nur 2,7 g pro Kilo betrug.
Betreffs der Symptome trat häufig zuerst Erbrechen auf; die Re¬
spiration wurde langsam, der Puls unregelmässig und auch langsamer
in Frequenz; es zeigten sich Zuckungen um Mund und Nase, wie auch
klonische und tonische Krämpfe in den Extremitäten. Tod entweder
durch Respirations- oder Herzstillstand. Eine Sektion des Gehirns hat,
soweit ersichtlich, nicht stattgefunden.
Bemerkenswert ist auch, dass grosse NaCl-Injektioncn (3—5 g pro
Kilo) bei Tieren Krämpfe hervorrufen können. In einem von Falcks 1 )
Hundeversuchen wurden nach Zufuhr von 4,8 g NaCl pro Kilo subdurale
Blutungen und auf dem Durchschnitt des Gehirns viele „Blutpunkte“
gefunden.
Als Kronecker und Sander 2 3 ) die ersten experimentellen Unter¬
suchungen mitteilten über intravenöse Kochsalzinfusionen gegen akute
Verblutungen, empfahlen sie eine Flüssigkeit, die 6 g NaCl und 0,05 g
Natronhydrat auf 1 Liter Wasser enthielt. Eine auf ähnliche Weise zu¬
sammengesetzte Flüssigkeit verwendete daher auch Bisch off 8 ) bei der
ersten Infusion an Menschen. Spätere Versuche belehrten indessen Kron¬
ecker 4 ), dass die neutrale Salzauflösung besser als die alkalische wirke
und bei Untersuchungen an Froschherzen erwies sich sogar ein Zusatz
von 0,005proz. Natronhydrat zu 0,6proz. NaCl-Auflösung als schädlich.
Mit diesen Laboratoriumsversuchen im Auge ist es leicht verständlich,
dass Kronecker gegen Infusion von alkalischen Kochsalzauflösungen an
Menschen warnt. Gelegentlich einiger schon ausgeführten Injektionen
bemerkt er: „Ein Mensch kann viel ertragen.“ Wir verstehen auch, dass
Minkowski im Anfang nicht wagte, intravenöse Alkaliinfusionen vorzu¬
nehmen, sondern die Eingabe per os und per rectum vorzog. Erst
Stadelmanns Versuche an Hunden beseitigten diese Furcht. Jedoch
scheint Stadelmann selbst darauf aufmerksam gewesen zu sein, dass
die Möglichkeit einer gewissen Gefahr vorhanden war. Nachdem er in¬
travenöse Injektionen von 1—1,5 Liter 7—lOproz. 1y 2 mal kohlensaurcs
Natron empfohlen hat, bemerkt er: „Mit der Infusion ist aufzuhören,
sobald irgendwelche bedrohliche Erscheinungen (Unregelmässigkeit des
Pulses, starke Verlangsamung desselben, Krämpfe usw.) sich einstellen.“
Dass solche Gefahren wirklich eintreten können, geht aus unserem mit¬
geteilten Material hervor.
1) Ein Beitrag zur Physiologie des Chlornatriums. Virchows Archiv. Bd.56.1872.
2) Bemerkung über lebensrettende Transfusionen mit anorganischer Salzlösung
bei Hunden. Berliner klin. Wochenschr. Bd. 52. 1879.
3) Ein günstig verlaufener Fall von intraarterieller Infusion einer alkalischen
Kochsalzlösung bei drohendem Verblutnngstode. Zentralbl. f. Gynäkologie 1881. S. 545.
4) Deutsche med. Wochenschr. 1884. S. 507.
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230
OLAV HANSSEN,
IV. Kasuistik.
Die beiden ersten Fälle sind früher in der norwegischen Literatur mitgeteilt 1 ).
Fall 3 . A. H., 63 Jahre alte Witwe. Aufgenommen am 17. Sept. 1909, ge¬
storben am 17. Sept. 10 Uhr 35 Min. nachmittags. Diagnose: Coma diabeticum.
Der Vater und ein Bruder an Diabetes gestorben. In letzter Zeit wurde Pat.
etwas mager und ziemlich matt. In der letzten Nacht hörte der Sohn die Patientin
laut sprechen und phantasieren. Gegen 6 Uhr morgens fand man sie bewusstlos auf
dem Fussboden liegen. Aufgenommen unter der Diagnose: Apoplexia cerebri.
Status praesens: Pat. liegt fast völlig bewusstlos und reagiert nur ab und zu
auf eine Anrede, indem sie die Augen halb öffnet. Bisweilen bewegt sie beide Arme
und Beine. Keine Gesichtsschiefheit. Die Pupillen reagieren träge gegen Licht. Die
Patellarrellexe sind aufgehoben. Puls 96, regelmässig. Resp. 24, hörbar. Zunge
trocken. Physikalisch ist nichts besonders Pathologisches zu finden. Bei orneuter
Untersuchung 5 Uhr nachmittags bemerkt man einen starken Azetongeruch aus dem
Munde, weshalb die Patientin katheterisiert wird. Der Urin (400 ccm) ist hellgelb,
sauer, enthält 2pCt. Zucker, gibt mit HN0 3 eine schwache Eiweissreaktion. Beim
Hinstellen setzt sich im Harnglas ein reichlicher, flockiger Bodensatz von „Koma¬
zylindern“ ab. Lange-Legal stark positiv. Gerhardts Reaktion schwach -|~. Resp. 24,
angestrengt, hörbar, mit ziemlich grossen Exkursionen. Gegen 7 Uhr intravenöse In¬
jektion von 1,5 Liter 5proz. Natr. bicarb.-Auflösung mit Zusatz von 15 g Fruktose.
Während der Transfusion öffnete die Patientin einige Male die Augen und zeigte auf
Aufforderung die Zunge, versank aber nach einer Weile wieder in Koma. Als der
Harn nach der Katheterisierung gegen 8 Uhr immer noch sauer war, nahm man YglOUhr
eine neue intravenöse Transfusion von 1,5 Liter der oben erwähnten Flüssigkeit vor.
Während der Transfusion hielten sich Puls und Respiration gut. Unmittelbar nach
dem Abschluss trat indessen ein Krampfanfall auf, indem der rechte Mundwinkel nach
rechts gezogen wurde und eine Reihe klonischer Zuckungen im rechten Arm auftraten,
wonach Puls und Respiration plötzlich aufhörten. Tod 10 Uhr 35 Min. Zwischen
der ersten und zweiten Transfusion waren vom Assistenzarzt klonische Masseterkrämpfe
sowie ab und zu Kontraktionen in der rechten Oberextremität beobaohtet worden. Die
Temperatur war um 1 Uhr 35,5°, um 8 Uhr 35,5°, um 9 Uhr 15 Min. 37,1°. Vor
dem Tode 37,2°. Der Harn war nach dem Tode immer noch sauer.
Vom Sektionsprotokoll sei angeführt: Cavitas cranii: Die weichen Häute
sind über das ganze grosse und kleine Hirn hin stark hyperämisch und ödematös. Man
sieht auf der Konvexität und Basis des grossen Hirns ziemlich viele kleine flächen¬
artige Blutungen in den weichen Häuten. Auf der rechten Seite des kleinen Hirns
sieht man unter der Insertion des Tentorium cerebelli eine grosse flächenartige Blutung
zwischen der harten und den weichen Hirnhäuten. Ebenso befindet sich in der
rechten Zerebellarhemisphäre eine Blutung, die ihren Sitz ungefähr entsprechend der
scharfen Kante des Zerebellums hat und die sich zwischen den Windungen in der Tiefe
hindurch erstreckt und diese auseinandergesprengt hat. Etwas Blut ist auch hinaus
in die dünnen Häute auf der Oberfläche gedrungen. Es findet sich keine besondere
Zunahme in der Grösse der Hemisphäre, kein erweisbarer Druck auf Pons oder den
vierten Ventrikel. Die Gefässe an der Basis sind nicht besonders arteriosklerotisch.
Sektionsdiagnose: Diabetes mellitus. Hyperplasia hepatis. Degenerat.
parencbym. organorum. Cysto-pyelonephritis. Hyperaemia pulm. Oedema et ecchymoses
mening. cerebri. Ilaemorrhagia intermening. cerebelli. Ecchymoses praesertim me-
senterii et pericardiales. Hypertrophia cordis levis. Arteriosclerosis praesertim aortae
abd. Myomata uteri. Tumor pulmonis (myxochondroma).
1) Norsk Mag. for Lagevidenskaben. 1910.
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von ftatr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 231
Fall 4 . K. I., 66 Jahre alte Witwe. Aufgenommen am 27. Marz 1910, ge¬
storben am 27. März 1910. Diagnose: Coma diabeticum.
Ihr Arzt teilt mit, dass sie vor einer Woche Leibsohmerzen mit Diarrhoe bekam.
Keine Febrilia, keine Empfindlichkeit des Unterleibes. Heute wurde Zucker im Harn
gefunden und bei näherer Nachfrage ermittelt, dass sie in der letzten Zeit stark ge¬
durstet und stark gegessen hatte. Gestern nachmittag fing sie an unklar zu werden.
Status praesens: Starker Azetongeruch im ganzen Zimmer. Die Patientin
befindet sich in aktiver Rückenlage mit offenen Augen und antwortet vernünftig auf
Fragen. Bei näherer Untersuchung zeigt es sich doch, dass das Sensorium bedeutend
getrübt ist; sie kennt nicht ihre nächsten Angehörigen usw. Resp. 24, „grosse At¬
mung .' 4 Das Gesicht bleich. Zunge trocken. Die Pupillen etwas kontrahiert. Deutliche
Hypotonia Bulbi. Puls 120, klein. Nichts besonders Pathologisches bei der physikali¬
schen Untersuchung. Der Urin hellgelb. Spez. Gew. 1025, sauer, Spuren von Albumin,
3,6pCt. Zucker. Gerhardt Hyaline und körnige Zylinder in dem flockigen Harn¬
sediment. Die Patientin wurde in der Klinik gegen 4 Uhr nachmittags aufgenommen und
gegen 5 Uhr wurden im Laufe einer halben Stunde 1600 ccm 4proz. Natr. bicarb.-Auf¬
lösung intravenös injiziert. Daneben erhielt die Patientin Milch mit Zusatz von Natr.
bicarb. zu trinken. Eine Weile nach der Transfusion wurden die tiefen Atemzüge durch
ruhige Respiration ersetzt, während die Patientin gleichzeitig in Schlaf verfiel. Da
der Urin gegen 9 Uhr immer noch sauer war, wurde eine neue Transfusion in Aussicht
genommen. Während derVorbereitungen hierzu wurde die Patientin plötzlich leichen¬
blass, der Puls wurde langsam, unregelmässig, die Respiration schnappend, und der
Tod trat fast momentan ein. Temperatur bei der Aufnahme unter 35° C; um 6 Uhr
35,4°, um 8 Uhr 36,9°, um 9 Uhr 40 Min. (post mortem) 37,7°.
Vom Sektionsprotokoll sei angeführt: Cavitas cranii: Pia ist diffus
hyperämisch, längs der Gefässe streifig verdickt. Das grosse Gehirn ist von normaler
Konsistenz und zeigt auf dem Schnitt deutliche Zeichnungen der Zentralganglien. Die
linke Hemisphäre des Kleinhirns zeigt zwischen denWindungen in den dünnen Häuten
grössere und kleinere Blutkoagula. Die Gefässe auf der Basis des Gehirns sind etwas
arteriosklerotisch.
Sektionsdiagnose: Diabetes mellitus. Degeneratio parenchymatosa cordis
et renis. Ecchymoses subpericardiales et meningum cerebelli. Atrophia Simplex
pancreatis levis. Abscessus renis sin.
Fall 5 . S. 0. B., Bauernfrau, 45 Jahre alt. Aufgenommen am 26. Aug. 1910,
gestorben am 2. Sept. 1910. Familie gesund. 11 Kinder. Immer gesund gewesen,
bis sie um die Pfingstzeit nach einer akuten Fieberkrankheit anfing zu dursten,
matt zu werden und schlecht zu sehen. Im Hochsommer wurde die Diagnose Diabetes
gestellt und später hat sie teilweise Diät gehalten. Sie kam von der Poliklinik der
Augenabteilung, wo die Diagnose doppelseitiger Katarakt gestellt wurde. Die Patientin
ist ausserordentlich mager, Gewicht nur 40 Kilo; aus dem Munde schwacher Azeton¬
geruch. Puls 76, regelmässig. Resp. 16. Ueber Thorax und Abdomen normale Ver¬
hältnisse. Harn: Spez. Gew. 1036, sauer, frei von Albumin, polarimetrisch 6 , 6 pCt.
Zucker. Gerhardts Reaktion hell mahagoni. Der Patientin wird eine kohlenhydrat¬
arme Diät verordnet, die etwa l / 2 Liter Milch und 75—100 g Schwarzbrot enthielt.
Indessen machte die Ernährung grosse Schwierigkeiten, da sie vollständig zahnlos
war und auch keinen Fisch vertragen konnte. Dazu kam noch, dass sie Heimweh
hatte und sich tief enttäuscht darüber fühlte, dass es eine Zeitlang dauern würde, bis
ihr Katarakt operiert werden könnte. Die Diurese schwankte zwischen 2 und 3 Litern,
dieZuckermenge zwischen 90—100 g. Gerhardts Reaktion war stark burgunderrot,
die NHg-Menge hielt sich auf etwa 4 g, aber der Harn war frei von Albumin. Am
1. Sept. klagte sie über Schmerzen im Unterleibe, die jedoch nach warmen Um¬
schlägen besser wurden. Da sie 3 Tage lang keine Abführung gehabt hatte, bekam
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 a. 4.
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232
ÖLäV HANSSEN,
sie 2 Klystiere mit reichlicher Wirkung. Bei der Abendvisite um 6 Uhr wurde die
Patientin mit ausgesprochen „grosser Atmung“ (20 in der Minute) gefunden. Puls
zwischen 130—140, klein. Sie bekam sofort Natr. bicarb. in Dosen von 10 g jede
halbe Stunde und nahm während des Abends und der Nacht im ganzen 240 g ein.
Gleichzeitig wurde ihr verordnet, so viel als möglich zu trinken, so dass sie im Laufe
von 24 Stunden 10,6 Liter trank, wovon 3,6 Liter Milch. Es wurden im ganzen
4,3 Liter Urin aufgesammelt, aber viel ging mit der Abführung und im Bett fort.
Während der Nacht mehrmals Erbrechen, sowie 5 dünne Abführungen. Gegen Morgen
wurde das Sensorium immer mehr getrübt, so dass sie bei dem Morgenbesuch um
8 V 2 Uhr kaum auf eine Anrede reagierte. Der Puls hielt sich frequent, etwa 120,
die Respiration wurde allmählich oberflächlich. Sie kollabierte plötzlich um-9 Uhr
25 Min., indem die Herztätigkeit zuerst aufhörte. Der Harn während des Komas war
sauer, mit merkbarem Albumin, starke Gerhard tscho Reaktion und spärliche körnige Zy¬
linder. Der Katheterharn nach dem Tode war frei von Albumin, aber immer noch sauer.
Temperatur um 5 Uhr: 36,4 (am 2. Sept.) um 1 Uhr: 36,1
„ 7 „ 36,8 „ 3 „ 36,4
„ 9 „ 36,8 „ 5 „ 36,6
„11 „ 35,6 „ 7 „ 37,0
n 9 „ 38,1
Vom Sektionsprotokoll soi angeführt: Cavitas cranii: In den Gehirn¬
häuten bedeutende Hyperämie und einige kleinere Blutaustretungcn. Auf dem Durch¬
schnitt findet man auch die Hirnsubstanz etwas hyperämisch und die SeitenvontrikeL
die eine klare, dünne Flüssigkeit enthalten, stark dilaticrt, ohne Verdickung des
Ependym. Keine Flüssigkeit, weder in den Pleurahöhlen, Perikardium oder Peri¬
toneums. Das Gewicht des Herzens 190 g. Das Gewicht der Nieren 200-j-200 g. Die
Oberfläche kleinkörnig, die Farbe blass-gelblich. Das Gewicht der Leber 1650 g. Die
Pankreas wiegt 90 g und zeigt auf der Oberfläche nicht wenige gelbweisse Punkte
(Nekrose). Ventrikel und Darm stark durch Gas erweitert; die Chylusgefässe sind
deutlioh.
Sektionsdiagnose: Degeneratio parenchymatosa organorum, praesertim cordis
et renum. Hyperaomia et haemorrhagia mening. cerebri. Dilatatio ventr. cerebri c.
hydrooeph. intern. Foci tuberculosi pulmonum. Glandl. lymph. tuberc. retroperitoneal.
Fall 6. J. E., Witwe, 64 Jahre alt. Aufgenommen am 19. Okt. 1910, ge¬
storben am 22. Nov. 1910. Familie gesund. 3 Kinder. Diabetessymptome seit 1905,
seit welcher Zeit sie unter ärztlicher Behandlung war, aber nur massig Diät hielt. In
der letzten Zeit magerte sie ab und war matt, weshalb sie etwa 3 Wochen lang das
Bett hütete. Die Patientin sieht ziemlich gut aus, Gewicht 64,7 kg. Puls 90. Resp. 16.
Ueber Thorax und Abdomen normale Verhältnisse. Harn: Spcz. Gew. 1030, frei von
Albumin und Pus, polarimetrisch 4,6pCt. Zucker. Gerhardts Reaktion dunkel bur¬
gunderrot. Während der ersten Zeit ihres Aufenthalts wurden die Kohlenhydrate lang¬
sam aus der Nahrung entfernt und die Eiweissmenge vermindert. Die Patientin wurde
jedoch nicht zuckerfrei und es stellte sich Uebelkeit ein, schlechter Schlaf usw., was
sich nach Zufuhr von Natr. bicarb. (bis zu 40 g täglich) besserte. Hierbei wurde der
Harn neutral bzw. alkalisch und die vorhandeno Albuminurie nahm merkbar ab.
Haferkur mit nachfolgendem Gemüse hatten keinen günstigen Einfluss und der Zustand
verblieb schlecht, auch nachdem der Kost Kohlenhydrate in Form von l j 2 —1 Liter
Milch und 50 g Schwarzbrot zugefügt waren. Die Diurese bewegte sich um etwa
3 Liter mit ungefähr 3 g NH 3 innerhalb 24 Stunden. Gerhardts Reaktion hielt sieh
dunkel burgunderrot.
21. 11. 10: 36,9—36,7, Diurese 2000. Während der letzten 6 Tage war die
Patientin nicht mehr im Stande, NaHC 3 einzunehmen. Sie war heute Nacht unklar
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lieber einige Wirkungen grosser Doson von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 233
und unruhig und liegt beim Besuch des Arztes mit ausgeprägt „grosser Atmung, tt
28 in der Minute, Puls 120, regelmässig. Das Sensorium ist klar, doch antwortet sie
nur träge auf Fragen. Das Koma entwickelte sich den Tag über weiter, indem das
Sensorium immer unklarer wurde, so dass sie gegen 3—4 Uhr nicht mehr reagierte.
Im Laufe des Vormittags erhielt die Patientin 30 g Natr. bicarb. per os, sowie, um
die Diurese zu beschleunigen, 2 X 0,3 g Theozin, ausserdem den Tag über häußge
Kampfer- und Koffeininjektionen. Um l j 2 l Uhr wurden 2 Liter physiologischer NaCl-
Auflösung subkutan gegeben, und da trotz der schnellen Resorption keine Wirkung
merkbar wurde, gegen Y 2 ^ Uhr eine intravenöse Injektion von 1 Liter physiologischer
NaCl-Auflösung gemacht, was um 1 / 2 $ Uhr mit l [ 2 Liter wiederholt wurde. Die In¬
fusionen hatten keine merkbare Einwirkung auf die tiefe Respiration. Der Unterleib
war während des Komas meteoristisch aufgetrieben, die Pupillen mittelgross, trag
reagierend; deutliche Hypotonia bulbi. Es zeigte sioh, dass der Morgenharn am Koma¬
tage starke Gerhardtsche Reaktion gab, sowie Albumin enthielt, das mit verdünnter
Essigsäure nicht gefällt wurde. Zahlreiche kurze, körnige Zylinder, 4,1 pCt. Zucker.
Von 11 Uhr vormittags an liess die Patientin keinen Urin bis zur Agone. Temperatur
unter 34° C. Um 5 Uhr vormittags (22. Nov.) trat der Tod ein, ruhig, ohne Krämpfe,
nachdem die Respiration oberflächlicher geworden war.
Vom Sektionsprotokoli sei angeführt: Gewicht 56,5 kg. Cavitas cranii:
Es ist bedeutendes Oedem in den dünnen Häuten vorhanden und zwar diffus verbreitet
über das ganze Hirn; keine Blutungen. Das Hirn macht einen atrophischen Ein¬
druck und die Substanz ist etwas fester und zäher als normal. Gewicht 1170 g.
Keine Blutungen in der Substanz des Gehirns; nichts Abnormes an Ventrikeln oder
Zentralganglien. Keine Flüssigkeit in Pleurae, Perikardium oder Peritoneum. Das
Gewicht des Herzens ist 380 g. Die linke Niere ist hypoplastisch, Gewicht 40 g, die
rechte Niere ist deutlich fettig degeneriert, Gewicht 260 g. Die Leber wiegt 1660 g,
Pankreas nur 17 g, stark fettinfiltriert und autolysiert.
Sektionsdiagnose: Atrophia pancreatis c. infiltratione adiposa. Cor adi-
posum. Hypertrophia et degeneratio adiposa renis dextri. Hypoplasia renis sinistri.
Atrophia cerebri. Foci caseosi apic. pulmonum.
Fall 7. K. K., Ladenmädchen, 30 Jahre alt. Am 10. November 1910, 8 Uhr
abends aufgenommen; gestorben am 11. November, 8 Uhr morgens. Ihr Vater teilt mit,
dass sie vor etwa 3 Jahren zuckerkrank wurde, und dass sie unter ärztlicher Be¬
handlung war, es mit der Diät aber nicht so genau nahm. Ende voriger Woche fingen
ihre Unterextremitäten an schlaft zu werden und zwar auffallsweise, so dass sie
ging, als ob sie betrunken sei und auf der Strasse Umfallen könnte. Vor einer Woche
musste sie vom Geschäft nach Hause getragen werden, konnte aber nach einigen Tagen
wieder anfangen zu arbeiten. Heute musste sie wiederum nach Hause gefahren wer¬
den, zuerst war sie klar, verlor aber während des Nachmittags das Bewusstsein und
war bei der Ankunft im Hospital um 8 Uhr abends völlig komatös. Ausgeprägte
„grosse Atmung“, begleitet von Stöhnen und ab und zu unterbrochen durch Schreien.
Puls 80, regelmässig, gut. Resp. 16—20. Das Gesicht bleich, etwas ödematös.
Schwaches Oedem an den Unterschenkeln. Starker Azetongeruch im ganzen Zimmer.
Die Pupillen gleich, ziemlich klein, trag reagierend. Der Tonus des linken Auges
2,5mm Hg., dos rechten 4 mm Hg. (Schrötz’s Tonometer.) Blutdruck 120mmHg. Ueber
Thorax und Abdomen normale Verhältnisse. Der Harn sauer, spez. Gewicht 1019, ent¬
hält deutlich Albumin, 2,3pCt. Zucker und zeigt beim Stehenlassen einen reichlichen
Bodensatz von Zylindern. Gerhardts Reaktion stark burgunderrot. Unmittelbar nach
der Ankunft wurde eine intravenöse Transfusion einer 3 proz. Natr. bicarb.-Lösung (in
0,9proz. NaCl-Lösung) gegeben, und zwar wurden während 20 Minuten 1600 ccm
injiziert. Nachdem 6—800 ccm eingeführt waren, fing die Patientin an, die Augen
aufzuschlagen, auf Anreden zu antworten und mehr oder weniger verständliche Worte
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234 OLAV HANSSEN,
zu murmeln. Bei anhaltender Transfusion wurde jedoch das Sensorium wieder trüber.
Der Puls, der vor der Transfusion etwa 80 war, stieg bis zu 120, um nachher bis
etwa 80 zu sinken. Ungefähr 2 1 / 2 Stunden nach der ersten Transfusion wurde, da
der Harn immer noch sauer war, eine erneute Transfusion von 1500 ccm vorgenommen.
Auch diesmal wurde die Patientin nach Zufuhr von etwa 1 / 2 Liter lebhafter, um unter
der fortgesetzten Transfusion wieder abzufallen. Der Puls war vor, während und nach
der Transfusion etwa 124, ziemlich klein und weich. Die Respiration wurde durch die
Transfusion nicht merkbar beeinflusst. Etwa 10 Min. nach Aufhören der Transfusion
traten klonische Zuckungen sowohl im rechten Arm wie auch im rechten Bein und
teilweise auch in der linken Unterextremität auf. Die Extremitäten waren rigid,
Patellarreflexe und Fussklonus, die vorher fehlten, waren nun stark ausgeprägt.
Babinskys Reflex negativ. Keine Veränderungen in der Muskulatur des Gesichts
oder der Augen. Die Pupillen klein, mit schlechter Reaktion. Nach der Transfusion
wurden der Patientin warme Einreibungen, ein Clysma evacuans und während der
Nacht mehrere Kampfer- und Koffeininjektionen gegeben. Das Koma dauerte un¬
verändert die Nacht über an; die Patientin kollabierte plötzlich und starb um
8 Uhr morgens. Seit ihrer Ankunft waren 1950 ccm Harn mit dem Katheter
genommen. Alle Proben waren sauer, albuminhaltig und mit starker Gerhardt¬
scher Raktion.
Temperatur um 9 Uhr 36,0 um 4 Uhr 38,7
„ „ 10 „ 35,2 „ 6 „ 39,8
„ „ „ 35,3 „ 8 „ (post mortem) 39,9
77 77 2 „ 37,4
Vom Sektionsbefunde sei angeführt: Cavitas crani i: Dura ist etwas adhärent.
Keine Ablagerungen auf der Innenseite. Das Gehirn ist etwas atrophisch. Das Ge¬
wicht beträgt 1120 g. Die Sulci sind breit, die Gyri viel schmaler als gewöhnlich.
Ueberall bedeutende Hyperämie der dünnen Häute. Ausserdem sieht man ziemlich
verbreitete Blutungen in den Häuten. Besonders ist dies der Fall über der Aussen-
seite des linken Okzipitallappens hinter und untor dem Gyrus post, centralis. Dies ist
ebenso, doch weniger ausgeprägt, auf der rechten Seite über dem Okzipitallappen,
sowie unter dem rechten Temporallappen zu finden. Am stärksten sind jedoch die
Blutungen über dem konvexen Rand der rechten kleinen Hirnhemisphäre. Die Blutun¬
gen sind nicht so stark, dass sie die Zeichnungen verdecken, sie stellen sich nur als
eine ganz dünne Blutlage dar, die, unter der Pia, gleichfalls über die Hirnoberfläche
gestrichen ist. Nur in der Blutung über dem kleinen Hirn findet man Anzeichen von
Koagulumbildung. Ein kleines Koagulum sieht man auch in den Plex. choroideae im
4. Ventrikel. Die Pia lässt sich überall leicht vom Gehirn ablösen. Beim Oeffnen be¬
merkt man, dass die Ventrikel wenig Flüssigkeit enthalten, das Ependym ist glatt. Auf
dem Schnitt erweisen sich die Zentralganglien als normal, in dem vorderen Teil des
Gehirns sind auch ziemlich normale Verhältnisse und wenig Hyperämie. Nach hinten ist
die Hyperämie etwas mehr ausgesprochen, doch nicht besonders stark. Den Blutungen
in den Hirnhäuten entsprechend finden sich keine Blutungen oder Emollitionen in der
grauen Substanz der Hirnrinde. Dagegen sieht man im Centrum semiovale, dem Teil
entsprechend, wo sich die Blutungen auf der linken Seite befinden, sowie auch in
dem Teil unter den Parietalwindungen eine ganz bedeutende Hyperämie, aus einer
2—3 cm breiten Partie bestehend; hier sieht man zahlreiche Blutpunkte, die sich
nicht mit dem Messer fortwischen lassen. Diese Partie erstreckt sich bis ganz in den
hinteren Teil der Capsula intoma hinein, ohne sich doch in dieser selbst oder den
Zentralganglien zu befinden. Die Rindensubstanz selbst zeigt keine Blutungen. Ent¬
sprechend dem Lobus pariet. sup. auf der rechten Seite sieht man dicht unter der
grauen Substanz in einer 1 cm breiten und 2 cm langen Partie, die sich etwas in das
Centrum semiovalc hineinerstreckt, eine ausserordentlich hyperämische Partie, die von
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Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb. bei Diabetes mellitus. 235
zahlreichen, dichtstehenden, deutlichen kleinen Blutungen durchsetzt ist. Hier ist die
Substanz auch bedeutend mehr ödematös und weicher als auf der linken Seite.
Vom Sektionsbefund sonst sei angeführt: Das Gewicht des Herzens 310 g.
Die Ventrikel nicht besonders dilatiert. Der rechte Ventrikel ist stark mit Blut gefüllt.
Das Gewicht der Leber ist 2190 g. Das Gewicht der Nieren 580 g.
Sektionsdiagnose: Diabetes mellitus. Haemorrhagiae meningum cerebri,
praesertim lob. ocoipital. sinistri cerebri et dextri cerebelli. Ecchymosis cerebri.
Lipaemia. Degeneratio parenobymatosa et adiposa organorum, praesertim renum.
Hypertrophia renum. Atrophia pancreatis. Oedema laryngis et pharyngis.
Fall 8 . E. W., Sattler, 49 Jahre alt. Aufgenommen am 16. März, gestorben
am 17. März 1911. Coma diabeticum. Der Patient wurde 6 ! / 2 Uhr nachmittags in
komatösem Zustand eingeliefert. Seine Tochter teilt folgendes mit: Ein Bruder des
Patienten ist an Zuckerkrankheit gestorben. Sonst gesunde Familie. Der Patient ist Wit¬
wer, seine Frau starb vor etwa 12 Jahren anSchwindsucht. Drei Töchter leben und sind
gesund. Im letzten Jahre magerte der Patient sehr ab, trotzdem sein Appetit gut war.
Er durstete viel. Er litt ziemlich viel an Diarrhoe. Die Tochter wusste nichts davon,
dass der Patient zuckerkrank war; er hat keine Diät gehalten. Als der Patient neulich
ans der Werkstatt nach Hause kam, befand er sich nicht wohl. Gestern hielt er sich
zu Hause und klagte über Schmerzen in Rüoken und Leib. Um 11 Uhr vormittags
fing er an unklar zu werden und seit 12 Uhr ist er vollständig komatös gewesen.
Status praesens: Der Patient ist mager, befindet sich in Koma mit ge¬
schlossenen Augen. Die Blosslegung einer Vene zwecks Injektion von Natr. bicarb.
konnte ohne lokale Anästhesie erfolgen. Puls 88, regelmässig, weich und klein.
Resp. hörbar, tief („grosse Atmung“). Starker Azetongeruch aus dem Munde. Einzelne
kleine Blutungen am rechten Unterarm und Bein. Die Pupillen sind mittelgross, rund,
reagieren etwas gegen Licht. Der Kornealreflex beinahe erloschen. Der Tonus des
Bulbus ist bedeutend vermindert. Die physikalische Untersuchung des Thorax ergibt
normale Verhältnisse. Das Abdomen ist deutlich gespannt und ziemlich straff; über¬
all tympanitische Perkussion, ausgenommen über der Symphyse, wo die Blase ge¬
spannt zu fühlen ist. Leberdämpfung 6. Kosta—Kostalbogen. Patellarreflexe nicht
vorhanden. Der Harn mit Katheter genommen, hell, trübe, sauer, spez. Gew. 1023,
Albumin deutlich vorhanden, Zucker 4,8 pCt. Gerhardts Reaktion hell burgunderrot.
Beim Stehenlassen zeigt sich ein reichlicher, flockiger Bodensatz von Komazylindern.
Blutdruck 125 mm (Riva-Rocci). Mit Schötz’ Tonometer konnte der okuläre Druck
nicht gemessen werden. Bei ophthalmologiscber Untersuchung zeigt sich der Augen¬
grund verschleiert, die Gefässe ausserordentlich dünn; keine Blutungen oder weisse
Flecken. Keine Lipämie. Sofort nach der Ankunft wurde eine intravenöse Injektion
von 700 ccm 3 proz. Natr. bicarb.-Auflösung (in 0,9 proz. NaCl-Auflösung) ge¬
geben. Die Injektion dauerte 7 Min. Der Puls war vor der Injektion 88, wurde
aber unmittelbar danach frequent, etwa 120, sowie unregelmässig. Die Pulsarhythmie
hatte das Gepräge von Pulsus paradoxus, indem die Pulsschläge während der In¬
spiration fast ganz aussetzten. Allmählich besserte sich der Puls und wurde beinahe
regelmässig. Die Respiration hielt sich wie vorher unverändert. Der Patient fing
indessen an, etwas mehr zu reagieren, antwortete auf Anreden ja, schlug die Augen
auf und fing an kleine Mengen von Milch, worin Natr. bicarb. aufgelöst war, zu
trinken. Alles in allem trank er während der Nacht etw T a 1 1 / 2 Glas Milch, worin 20 g
Natr. bicarb. aufgelöst waren. Der Patient fiel jedoch ziemlich schnoll in das tiefe
Koma zurück. Dä der Zustand unverändert anhielt und der Puls ziemlich gut war,
wurde um 10 Uhr abends eine neue intravenöse Injektion von 400 ccm derselben
Flüssigkeit vorgenommen (diesmal jedoch 0,7 pCt. NaCl). Die Pulsfrequenz stieg
von 108 bis 120. Die Respiration blieb unverändert, doch wurde der Patient augen¬
scheinlich angeregt, da er auch jetzt die Augen aufschlug und auf Anreden antwortete.
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236 OLAV HANSSEN, Ueber einige Wirkungen grosser Dosen von Natr. bicarb.
Die Respiration verlor allmählich ihren Charakter der „grossen Atmung 1 *, indem
sie oberflächlicher wurde. Der Puls hielt sich auf etwa 100. Gegen l j 2 \ Uhr wur¬
den 600 ccm der früheren Flüssigkeit injiziert. Der Puls stieg auf 120. Resp.
unverändert. Sonst keine Veränderungen. Das Koma dauerte unverändert an bis
zum Tode 3 Uhr 30 Min. vormittags. Keine Krämpfe, keine Zuckungen. Kein Ab¬
gang von Harn bis zur Agone. Der Blutdruck während der Nacht zwischen 105 und
110 mm Hg.
Temperatur bei der Ankunft unter 35,0
„ um 11,00 Uhr: . . 35,4
n ii 1,00 „ . . 36,1
„ „ 3,00 „ . . 38,5
„ „ 3,35 „ . . 38,3 (post mortem).
Vom Sektionsprotokoll sei angeführt: Gewicht 44,5 kg. Cavitas cranii:
Das Gewicht des Gehirns 1250 g. Starke Hyperämie auf der Oberfläche, ausserdem
Oedem besonders über der Konvexität und nach vorn zu. Vereinzelte Blutaustretungen
in den dünnen Hirnhäuten, besonders auf der Konvexität des linken Okzipitallappens.
(Tafel V.) Keine Blutungen im Innern des Gehirns. Keine Flüssigkeit in Pleurae,
Perikardium oder Peritoneum. Das Gewicht des Herzens 280 g, die Nieren wiegen
370 g, Pankreas 75 g, die Leber 1850 g. Der Ventrikel ist sehr stark gespannt. Er
misst in gespanntem Zustande von Kardia bis Plyorus 16 cm, von Kardia bis zum
tiefsten Ende des Fundus 16 cm, und von hier bis zum Pylorus 32 cm. Beim Auf¬
schneiden entleerte sich eine dünne, graue Flüssigkeit. Auf der Schleimhaut sind
keine pathologischen Veränderungen zu sehen, wie sich auch keine mechanischen
Hindernisse finden, weder am Pylorus, im Duodenum oder Jejunum.
Sektionsdiagnose: Atrophia pancreatis. Degeneratio parenchymatosa renum.
Hyperaemia, oedema et ecchymoses meningum cerebri. Hyperaemia et oedema pulm.
Focus calculosus lobi inf. pulm. dextr. Hyperplasia hepatis.
Nachschrift: Wenige Monate nach dem Abhalten dieses Vortrages
erschien aus der medizinischen Klinik zu Strassburg eine Arbeit von
L. Blum 1 ), wo er über Gefahren bei intravenösen Alkaliinfusionen
berichtet.
In 4 Fällen von Coma diabeticum hat er Krämpfe im unmittelbaren
Anschluss zu Infusionen von Natr. carb.-Lösungen beobachtet. Weder
diese Arbeit noch diejenige von Widal 2 ), wo er die Rolle der Chloride
in dem Mechanismus der Gewichtszunahme nach Natr. bicarb.-Zufuhr be¬
tont, sind in meiner Veröffentlichung berücksichtigt.
1) Les dangers des injections intraveineuses alcalinis: effets toxiques du sodium.
Sem. m6d. 13. September 1911.
2) La röle du chlorur de sodium dans les oedemes provoques par le bicarbonate
de sonde ä dose massive. Sem. m<$d. 12. Juli 1911.
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XV.
Aus der medizinischen Abteilung A des Rigshospitals zu Kristiania.
(Direktor: Prof. Dr. S. Laache.)
Ein Fall von Paralysis agitans mit bedeutender
Vergrösserung der Glandulae parathyreoideae.
Von
Dr. G. Gjestland,
vormaligem Assistenten der Klinik.
(Mit 1 Textfigur.)
Zu den vielen Krankheiten, die mit Störungen in der inneren Sekre¬
tion — oder, um die von E. H. Starling eingeführte Bezeichnung zu
gebrauchen: Störungen in der Hormon Produktion — in Verbindung ge¬
bracht worden sind, gehört auch die Paralysis agitans; als einen kleinen
Beitrag zu der dunklen Aetiologie dieser Krankheit will ich nachstehen¬
den Fall mitteilen. Leider ist die klinische Untersuchung, was den
Morbus selbst betrifft, im allerletzten Lebensabschnitt des Patienten
mangelhaft, weil er bereits soporös in die Abteilung kam; der Patient
war indessen als früherer Krankenhaustischler gut bekannt und die Diagnose
vor Jahren schon gestellt.
Aus dem Journal soll folgendes angeführt werden:
A. H., Tischler, 75 Jahre alt. Aufgenommen am 20. Feb. 1911. Pat. stammt
von gesunder Familie. In jungem Alter im Hospital wegen Typhus. Pat. ist viele
Jahre Tischler gewesen, musste aber vor etwa 3 Jahren mit jeglicher Arbeit aufhören
wegen Zitterns und Steifheit. Dieses Zittern hatte in den letzten Jahren so stark
zugenommen, dass man ihn füttern musste; ebenfalls War der Gang immer unsioherer
und Pat. zeigte Neigung, leicht zusammenzubrechen. Etwa um J / 2 9 Uhr heute nach¬
mittag wurde Pat. plötzlich unklar, konnte nicht verständlich sprechen und versuchte
mehrmals sich zu übergeben.
Status praesens: Der Patient nimmt passive Rückenlage ein. Der Mund
ist nach links verzogen. Puls 76, regelmässig. Resp. 16, schnarchend. Zunge feucht,
leicht belegt, nach links hinübergezogen. Bei der physikalischen Untersuchung der
Vorderfläche der Brustorgane und des Abdomens normale Verhältnisse. Nichts Be¬
sonderes am Halse. Am linken Arm und Hand sah man immer kleine Zuckungen,
sowie „Pillendrehen u ; dagegen keine Bewegung in den Extremitäten der rechten Seite,
die vollständig paralytisch waren. Der Harn enthielt Spuren von Albumon. Der Pat.
lag drei Tage in der Abteilung bei zunehmendem Koma. Die charakteristischen Be¬
wegungen in der linken Hand hielten sich deutlich bis zum allerletzten Tag, Hessen
aber nach gegen den Exitus hin, der am 23. F’eb., 7 Uhr 10 Min. abends eintrat, be¬
gleitet von einem postmortalen Steigen der Temperatur bis 41,8°.
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238 G. GJESTLAND,
Zur Ergänzung des Journals seien folgende Erklärungen der Familie des Patienten
hinzugefügt: Das Zittern begann vor etwa 10 Jahren ira rechten Arm, hielt sich
ziemlich lange an dieser einen Seite, um allmählich nach links überzugreifen. Gleich¬
zeitig stellte sich ausgesprochene Steifheit im Körper ein, so dass Pat. zu allen Ver¬
richtungen Hilfe bedurfte. Pat. soll etwas Alkohol genossen haben, aber nach den
Erklärungen von mehreren Personen, die eine Reihe von Jahren mit ihm zusammen
gearbeitet haben, war sein Alkoholverbrauch nicht so gross, dass seine Arbeit dadurch
beeinträchtigt wurde, und man hat kaum das Recht, von Alkoholismus zu sprechen.
Die Obduktion wurde am 24. Feb. 1911 ira pathologisch-anatomischen Institut
vorgenommen, wo auch die mikroskopischen Untersuchungen ausgeführt worden sind
(Dr. Olaf Scheel). Für die Erlaubnis, die Ergebnisse der Sektion zu benutzen,
gestatte ich mir auch hier, Herrn Professor F. Harbitz meinen besten Dank aus¬
zusprechen.
Ueber das Sektionsergebnis soll hier im Auszug angeführt werden: Das Herz
ist gross, Gewicht 560 g mit reichlicher subperikardialer Fettablagerung. Die Koronar¬
arterien sind bedeutend arteriosklerotisch, aber zeigen keine Obliteration oder be¬
deutende Verengerung. Die Lungen sind etwas adhärent an der Brustwand. In den
untersten Lappen beider Lungen beginnende Bronchopneumouie. Im übrigen sind
die Lungen hyperämisch und etwas ödematös. Glandula thyreoidea wiegt 30 g.
Vom unteren äusseren Rand der Seitenlappen, auf der rechten Seite etwas höher auf¬
wärts, auf der linken Seite nahe der untersten Ecke, gehen zwei kleine Körper aus;
auf der linken Seite (1) ist er unregelmässig und fast haselnussgross, auf der rechten
Seite (2) zylinderförmig, 4 cm lang und 1 cm im Durchmesser. Sie sind weich, rot¬
bräunlich mit glatter Oberfläche. Von der Mitte des linken Seitenlappens geht ein
ähnlicher flacher, ungefähr bohnengrosser Körper aus (3), der ebenfalls weich, aber
nioht von so gleich-mässiger Konsistenz ist wie die beiden beschriebenen. Ausserdem
befindet sich ein kleinerer, erbsengrosser Körper von demselben Aussehen an der
untersten rechten Ecke des rechten Seitenlappens (4). Alle diese 4 Körper stehen mit
der Thyreoidea durch Bindegewebsfasern in Verbindung, jedoch ohne näheren
organischen Zusammenhang.
Eine Photographie von der Gl. thyreoidea mit den angehefteten 4 Körpern sieht
folgendermassen aus:
Gland. thyreoidea und Gland. parathyreoidea.
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Ein Fall von Paralysis agitans mit Vergrösserung der Glandulae paratbyreoideae. 239
Mikroskopisch sieht man in der Gl. thyreoidea normale Struktur, ln den
4 Körpern neben der Thyreoidea (Gl. parathyreoideae) sieht man ein Gewebe, das aus
kompakten anastomosierenden Balken dichtliegender Epithelzellen von mittlerer Grösse
mit rundem Kern und einem hellen, vakuolisierten Protoplasma besteht. Diese Balken
sind durch starke, erweiterte Kapillargefässe getrennt, die von spärlichen Stromafasern
umgeben sind. In der linken oberen Parathyreoidea sind die Zellen meist voneinander
abgelöst, ausserdem sieht man hier ein paar grössere längliche Hohlräume, die eine
diffuse körnige Masse und abgestossene Epithelzellen enthalten; teils einzeln oder in
Bändeln, teils auch in grösseren Platten von Zellen. In der rechten und linken un¬
tersten Parathyreoidea ist das Gewebe teilweise blutinfiltriert; in der linken ausser¬
dem ein Teil Pigmentzellen in den Bindegewebsfasern.
Der Unterleib.
Peritoneum normal. Die Milz etwas gross, Gewicht 280 g, fest mit deut¬
lichen Zeichnungen. Die Leber blutüberfällt mit etwas Fettinfiltration. Die Nieren
sind ziemlich gross, Gewicht zusammen 400 g. Die Kapsel leicht ablösbar. Die Ober¬
fläche zeigt kleine narbige Einschnürungen. Die Aorta zeigt mehrere arteriosklero¬
tische Plaques, jedoch ohne Kalkeinlagerungon. Sonst nichts Besonderes im Unter¬
leib zu bemerken.
Der Kopf.
Das Gehirn. Gewicht 1300 g. Am Kranium und den Häuten nichts Beson¬
deres zu bemerken. Bei der Untersuchung der Gehirnsubstanz findet man eine kleine
Partie im hinteren Teil des linken Nucleus lentiformis, wo die Substanz erweicht ist,
mit leichter Missfärbung und verwischten Zeichnungen. Die Arterien an der Basis
sind bedeutend arteriosklerotisch; die Arteriosklerose tritt in begrenzten Plaqaes auf,
die das Lumen verengern, ohne zu obliterieren. Ausserhalb dieser Plaques sind die
Arterienwände dünn.
Was bei diesem Fall interessiert, ist nicht die Todesursache, die
wohl in der Gehirnemmollition, vielleicht in Verbindung mit der Broncho¬
pneumonie, zu suchen ist, sondern der pathologisch-anatomische
Befund, die bedeutende Vergrösserung der Glandulae parathyreoideae.
Seit der schwedische Anatom Sandström im Jahre 1880 diese Glan¬
dulae nach wies, sind ihre anatomischen und physiologischen Verhältnisse
eifrig studiert worden. Ihre Anatomie wird etwas verschieden ange¬
geben und sie variieren jedenfalls auch etwas sowohl in ihrer Anzahl
wie in ihrer Lage. In der Regel findet man beim Menschen 4 (oder 3),
und zwar 2 obere — die konstantesten aufwärts auf der dorsalen Fläche
der Seitenlappen der Gl. thyreoidea — und 2 untere, kleinere konstante
auf der vordersten Fläche der Glandula. Die Grösse ist nach Biedl
(Innere Sekretion, ihre physiologischen Grundlagen und ihre Bedeutung
für die Pathologie, 1910) 3—15 mm lang, 2—4 mm breit und dick.
Mikroskopisch bestehen die Glandulae parathyreoideae aus Epithel¬
strängen, die durch Scpta mit Kapillargefässen getrennt sind. Das
Epithel besteht teils aus grossen polygonalen Zellen mit stark gefärbtem
Kern, teils aus kleineren, den sogenannten oxyphilen Zellen mit kleinen
Kernen und stärker gefärbtem Protoplasma.
Ueber die physiologische Bedeutung dieser Drüsen besteht noch
keine Klarheit. Eine gänzliche Entfernung verursacht Tetanie, aber
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240 G. GJESTLAND,
betreffs der näheren Pathogenese der Tetanie hat man bisher nur Ver¬
mutungen.
Eine Reihe anderer Krankheiten wird inzwischen auch mit den Gl.
parathyreoideae in Verbindung gebracht.
H. Lundborg war der erste, der diese Verhältnisse näher unter¬
suchte (Spielen die Gl. parathyreoideae in der menschlichen Pathologie
eine Rolle? Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Nr. 27. 1904) und stellte
eine Reihe von Neurosen auf, die auf Veränderungen in der Funktion der
Glandulae parathyreoideae ihre Ursachen hätten:
Hypofunktion: Tetanie, Paralysis agitans, Myoklonia (Epilepsia)
und Hyperfunktion: Myasthenia pseudoparalytica und Myotonia periodica.
Später ist das Verhältnis zwischen Paralysis agitans und Glandulae
parathyreoideae besonders von amerikanischen und französischen Forschern
zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden.
Die Ergebnisse sind indessen sehr wenig übereinstimmend.
Die Frage, ob die Glandulae parathyreoideae überhaupt etwas mit
der Pathogenese der Paralysis agitans zu tun haben, ist noch lange nicht
sicher in zustimmendem Sinne beantwortet worden. Die Anhänger dieser
Auffassung teilen sich wieder in zwei Lager. Gegen die, welche an eine
Hypofunktion glauben, stehen die anderen, die bei weitem nicht dieser
Annahme beipflichten, sondern im Gegenteil behaupten, dass Paralysis
agitans von einer Hyperfunktion der Glandulae parathyreoideae herrührt.
Die erste Auffassung wird besonders von den Amerikanern, mit
Berkley an der Spitze, verfochten. Berkley hat eine Reihe von Jahren
Paralysis agitans mit Parathyreoid-Präparaten behandelt und nach seiner
kürzlich veröffentlichten Statistik von 60 Fällen Besserung bei etwa
65pCt. gesehen; er empfiehlt deshalb die Organotherapie, die lange Zeit
fortgesetzt werden sollte.
Die pathologisch-anatomischen Untersuchungen, die vorgenommen
worden sind, scheinen Berkleys Auffassung nicht zu stützen. Thomson
hat 9 Fälle untersucht, sämtliche mit negativem Ergebnis, und mehrere
andere haben höchstens nur zweifelhafte Veränderungen in den Glandulae
parathyreoideae gefunden.
ln der norwegischen Literatur hat H. J. Vetlesen (Med. Revue Nr. 7,
1911) 4 Fälle von Myxödem, kombiniert mit Paralysis agitans, veröffent¬
licht; er meint, dass sich der Gedanke einer gleichzeitigen Atrophie von
Thyreoidea und Parathyreoideae — zwei einander jedenfalls anatomisch
so nahestehenden Glandulae — nicht ganz abweisen lässt. Auch bat er
eine gute Wirkung durch Parathyreoidbehändlung in einem einigermassen
frischen Fall von Paralysis agitans gesehen.
Man ist also wesentlich auf klinischem Wege zur Hypofunktion
gekommen.
Roussy und Clunet sind zu einem ganz anderen Ergebnis gelangt.
Sie haben 4 Fälle sowohl klinisch wie anatomisch untersucht (Archives
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Ein Fall von Paralysis agitans mit Vergrösserung der Glandulae paratbyreoideae. 241
de Medecine experimentale et d’anatomio pathologiquo, 1910) und kommen
zu dem Ergebnis, dass Paralysis agitans eher von einer erhöhten Funktion
der Glandulae parathyreoideae, vielleicht in Verbindung mit einer Dys¬
funktion, herrührt und raten, nachdem sie eine Anzahl Versuche ange¬
führt haben, von der Organotherapie ab.
Keiner der genannten Forscher hat überzeugende pathologisch-ana¬
tomische Befunde nachweisen können. Sowohl die Grösse wie die Anzahl
der Glandulae parathyreoideae haben nur innerhalb der normalen Grenzen
variiert und die mikroskopischen Befunde sind nicht charakteristisch.
Unser oben angeführter Fall steht in der Literatur vereinzelt da. Wie
aus dem Sektionsbefund und der Photographie hervorgeht, sind es 4 Glan¬
dulae parathyreoideae, von denen die grösste 40 mm lang und etwa 10 mm
im Durchmesser (gegen 3—15 mm bzw. 2—4 mm normal) ist; auch die
anderen 3 sind bedeutend grösser als man sie sonst findet. Inwieweit
dies nun ein zufälliger Befund oder mit der 10 Jahre alten Paralysis
agitans in Verbindung zu bringen ist, darüber lässt sich schwer etwas Be¬
stimmtes sagen. Ebenso schwierig dürfte sich mit Sicherheit entscheiden
lassen, inwieweit diese Vergrösserung von einer Hyperfunktion begleitet
gewesen ist oder nicht.
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XVI.
Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses zu Mainz.
Ueber intermittierende Basedowsymptome
(bei Tabes dorsalis und Bronchialasthma), *)
Von
H. Curschmann.
(Hit 1 Textfigur.)
M. H.! Ich möchte heute Ihre Aufmerksamkeit auf einen Sym-
ptoroenkoroplex lenken, der bisher kaum Beachtung gefunden hat: auf
das intermittierende Auftreten schwerer und vollständiger
Basedowsymptome gleichzeitig mit anderen paroxysmalen Krankheits¬
erscheinungen verschiedener Art, die augenscheinlich durch Störungen des
vago-sympathischen Nervensystems bedingt sind.
Ich habe in der Literatur fast nichts über den „intermittierenden
Basedow“ gefunden trotz des enormen Anwachsens der speziellen Basedow¬
arbeiten. Selbst die Sattlersche Monographie 1 2 ), die eine auch litera¬
risch völlig erschöpfende Darstellung des Gegenstandes bedeutet, bringt
nichts über diesen Symptomenkomplex. Nur H. Herz 3 ) erwähnt in seiner
Arbeit über vasomotorische Ataxie Fälle, in denen vereinzelt Basedow¬
symptome zugleich mit anderen vasomotorischen oder sekretorischen
Störungen auftraten.
Meine Aufmerksamkeit auf dieses Syndrom wurde vor einigen Jahren
durch einen Fall von Tabes dorsalis, den ich längere Zeit und meist
während seiner Krisen sah, geweckt.
Es handelte sich um einen 41jährigen Schuldiener, der vor ca. 20 Jahren Lues
erworben hatte. Bis vor ca. 4—5 Jahren war er gesund. Das Leiden begann mit
lanzinierenden Schmerzen, Taubheit der Füsse, leichter Unsicherheit beim Gehen be¬
sonders im Dunkeln und anderen typischen Symptomen. Von Anfang an traten alle
3—4 Monate heftige Anfälle von Erbrechen auf, die bis 14 Tage lang dauerten und
den Kranken enorm herunterbrachten. Einige Male erbrach Pat. Blut oder kaffeesatz¬
artige Massen. Naoh Aufhören der Krise stets frei von Magensymptomen spez. Ess¬
schmerzen und anderen Ulkussymptomen. Stets relativ rasche Erholung, sodass Pat.
sein Amt als Schuldiener noch mehrere Jahre weiter versehen konnte.
1) Nach einem auf der^ Versammlung Südwestdeutscher Neurologen u. Irren¬
ärzte zu Baden-Baden, Juni 1912, gehaltenen Vortrage.
2) Monographie. Leipzig 1909—1910.
3) Monographie. Berlin-Wien 1902.
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Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 243
Pat. wurde von mir 1908 und 1909 einige Male während seiner Krisen im Kranken¬
haus beobachtet; im Februar 1909 fielen zuerst die ausgesprochenen Basedower¬
scheinungen auf, bezüglich derer Pat. folgende Anamnese angab: Schon seit über
einem Jahre falle ihm und seiner Umgebung das Hervortreten der Augen
während der Brech an fälle auf. Anfangs seien die Augen nur während der
Krisen stark herausgetreten und,nach Beendigung wieder normal geworden; später
seien sie etwas hervorstehend geblieben. Mit dem Heraustreten der Augäpfel sei starker
Tränenfluss, Lichtscheu und Rötung der Augen verbunden. Das Sehvermögen sei
dabei ganz gut. Ausserdem habe er während der Krisen — neben allgemeiner Aufregung
und Unruhe — starkes Händezittern, könne nicht schreiben. Das Gesicht sei krebs¬
rot, der Kopf dick; bisweilen auoh plötzliches Erblassen. Er müsse kolossal
schwitzen besonders am Kopf; keine Durchfalle. Er habe währenddem auch
starkes Herzklopfen und Engigkeit auf der Brust. Ueber die früher beobachteten
Pulszahlen weiss er nichts. Jedesmal wenn er Brechanfälle habe und die Augen
heraustreten, werde der Hals dick, so dass er eine um 2—2 y j 2 cm weitere
Kragennummer brauche, trotzdem er sonst doch abmagere. Hinterher — nach
ca. 8—14 Tagen — werde der Hals wieder wie früher; die alten, engen Kragen
passten ihm wieder.
Der objektive Befund bei drei beobachteten Krisen ergab: Anämischer, ab¬
gemagerter Mann; keine luetischen Residuen (Wassermannsche Reaktion 1908 noch
nicht gemacht). Lungen und Bauchorgane normal. Urin o. B. — Leichte deutliche
Ataxie im Liegen und beim Gehen; Romberg -|-. Hypotonie besonders der unteren
Extremitäten. Hypalgesie und Hypästhesie der Bewegungs- und Muskelgefühle der
unteren Extremitäten. Kältehypästhesie der Gürtelzone, Sehnenreflexe sämtlich er¬
loschen; Bauch-und Sohlenreflexe gesteigert. Ulnarisanästhesie. Blase und Mast¬
darm o. B. Potenz erloschen.
Basedowsymptome: BeiderseitsstarkerExophthalmus,Lidspaltenerweiterung
links wesentlich mehr als rechts; die Protrusion des Bulbus ist links ebenfalls stärker
als rechts, aber nicht in dem Verhältnis, wie die Lidspaltendifferenz. Stellwags
und Graefes Symptom beiderseits sehr deutlich, Moebius fraglich. Beiderseits
Konjunktivitis und Tränenfluss. Pupillen mittelweit, different L > R, beiderseits
völlig lichtstarr, auf Konvergenz geringe Verengerung; Schmerzdilatation beiderseits
erloschen. Auf Atropineinträufelung erweitern sich beide Pupillen, die Differenz
L > R bleibt aber in geringem Masse bestehen. Augenmuskeln sonst intakt. Augen¬
hintergrund o. V.
Feinschlägiger Tremor der Hände, Unruhe und Hast in den Bewegungen der
oberen Extremitäten. Hyperhidrosis besonders des Kopfes.
Während der Krise Pulsbeschleunigung zwischen 112 und 120 in der Min. Das
Herz zeigt normale Grenzen, paukende Töne, systolische Unreinheit über der Basis.
Der systolische Blutdruck ist in den ersten Tagen der Krise stets wesentlich bis
180 mm Hg. (Riva-Rocci) erhöht, um mit Abklingen der Schmerzen und des Er¬
brechens wieder auf dio Norm zu sinken. Während dieser Zeit lebhafte Rötung des
Gesichts und Dermographie.
Während der Krisen war die Schilddrüse stets deutlich, in mittlerem Grade
vergrössert, zeigte Pulsation und für die Palpation und Auskultation schwirrende
Geräusche; die Struma war ungleichmässig, L > R.
Die Therapie bestand bei den ersten Krisen in Natr. nitrosum (mehrmals 0,01)
und Morphin, mur. Die Besserung erfolgte nur sehr langsam. Später, als wir auf
den Vorschlag von Röhmer 1 ) Adrenalin (1: 1000, mehrmals 10 Tropfen) gaben,
sistierten die Krisensymptome auffallend prompt, jedenfalls viel rascher, als dies früher
bei Morphium und Natr. nitrosum der Fall gewesen war.
1) Verhandl. d. Gesellsch. Deutscher Nervenärzte. Heidelberg 1908.
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244
H. CURSCHMANN,
Wir konnten uns nun während einer Zeit von l 1 ^—2 Jahren wiederholt davon
überzeugen, dass die Beobachtung des Pat. „die hervorgetretenen Augen verkleinerten
sich immer, wenn das Brechen aufhöre“ richtig war.
Anfangs ging in der Tat der Exophthalmus prompt nach dem Abklingen der
Krisen zurück bis auf eine geringe Protrusion, die Pat. schon vorher gehabt haben
soll. Erst später blieb ein gewisser Grad von Exophthalmus auch in den freien Inter¬
vallen zurück, der aber bei Eintreten der Krisen regelmässig stark zunahm.
Ganz entsprechend verhielten sich die Symptome von Graefe und Stellwag
und Moebius, die in den freien Intervallen ebenfalls verschwanden. Dabei besserten
sich regelmässig auch Konjunktivitis und Tränenfluss.
In analoger Weise verschwanden mit Nachlassen der Krise ganz regelmässig der
Tremor der Hände und die Tachkyardie, sowie die Schweisse. Auch das psychische
Verhalten des Pat. besserte sich sofort; (die letztere Erscheinung ist natürlich nicht
eindeutig zu verwerten, da das Nachlassen der Krisen an sich ebenfalls auf die Psyche
einen beruhigenden Einfluss ausübt).
Endlich nahm die Struma nach dem Erlöschen der Krise ebenfalls rasch wieder
ab (genaue Zahlen finde ich leider in der Krankengeschichte nicht vermerkt), jeden¬
falls in einem Masse, dass die Angabe des Pat., er könne nach Aufhören des Erbrechens
statt der 2— 2 l j 2 Nummern weiteren Kragen wieder Kragen einer gewöhnlichen Hals¬
weite tragen, durchaus glaublich erschien. Gegen Ende der Erkrankung blieb übrigens
eine dauernde Vergrösserung der Schilddrüsse zurück, die aber keine pulsatorischen
Phänomene zeigte.
Bezüglich der Magenverhältnissse sei noch bemerkt, dass keine Superazidität
bestand, sondern eine Verminderung, bisweilen auch Fehlen der freien HCl. Herbst
1911 war Pat. zuletzt auf meiner Abteilung, diesmal ohne Krisen mit Herzinsuffizienz,
Nephritis und allgemeinem Oedem. Er hatte suburämische psychische Veränderungen,
war renitent und verliess das Spital gegen den Rat des Arztes. Kurz darauf starb
er zu Hause. Da ich gerade auf Urlaub war, wurde leider eine Obduktion nicht ver¬
anlasst.
Zusammenfassung: Bei einem Tabiker im leichtataktischen Stadium
kommt es regelmässig im Verlauf von schweren Magenkrisen zur Aus¬
bildung eines so gut wie vollständigen Basedowsymptomenkomplexes,
zum doppelseitigen Exophthalmus mit den Symptomen von Graefe und
Stellwag, zur erheblichen Anschwellung der Schilddrüse, zu Tachykardie,
Schweissen und Tremor der Hände. Anfangs gehen alle diese Symptome
mit Aufhören der Krise — unter völligem Verschwinden der subjektiven
Basedowstörungen — fast restlos zurück. Später — ca. l l / 2 Jahre lang
bis zum Tode — bleibt auch in der krisenfreien Zeit ein deutlicher Ex¬
ophthalmus bestehen, ebenso eine mässige Anschwellung der Schilddrüse,
die aber frei von Pulsationserscheinungen war. Beide, Exophthalmus und
Struma, nehmen aber auch jetzt noch während der Krisen deutlich zu.
Tremor, Schweisse und Tachykardie verschwinden auch in der letzten
Krankheitszeit während der krisenfreien Perioden völlig.
Das Hauptinteresse des Falles liegt weniger in der Kombination
der Tabes mit vollständigen Basedowsymptomen — dieses Syndrom ist
ja seit längerer Zeit bekannt — sondern in dem anfangs streng inter¬
mittierenden Charakter der Basedowerscheinungen und ihrer
jedesmaligen Koinzidenz mit Magenkrisen. In dieser Beziehung
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Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 245
stellt der Fall in der Kasuistik der Tabes-Basedowfälle ein Unikum dar.
Er hat aber nicht nur kasuistisches Interesse, sondern liefert zu der
früher recht bestrittenen Pathogenese dieses Basedowkomplexes eine
nicht unwesentliche Erklärung.
Eine kurze Rekapitulicrung der Tabes-Basedowpathogenese, in der
ich v. Malaise 1 ) folge, wird das erläutern: Der erste Beobachter des
Syndroms, Bari 6, äusserte zwar die Idee, der tabische Prozess könne
vielleicht einen dem Morbus Basedowii identischen Symptomenkomplex
erzeugen. Dieso Vorstellung wurde jedoch zuerst von Joffroy und Ballet,
später auch von Hess, Oppenheim, Schaffer, Hudovernig u. a.
zurückgewiesen und der Morb. Basedowii für eine mehr oder weniger
zufällige, unabhängige Komplikation der Tabes (oder auch umgekehrt)
erklärt. Die Ansicht, die Barie’sche Theorie durch ein Uebergreifen
des tabischen Prozesses auf die Medulla oblongata, durch eine Atrophie
der Solitärbündel, zu erklären, wurde vor allem durch Oppenheim
widerlegt, der zeigte, dass analoge Veränderungen der Solitärbündel und
bulbären Trigeminuswurzcln auch ohne alle Basedowerscheinungen Vor¬
kommen.
Es ist das Verdienst v. Malaises, zuerst an der Hand zweier
Fälle von „Tabes und Pseudo-Basedow“ darauf hingewiesen zu haben,
dass in diesen Fällen das sympathische System resp. ein Teil desselben
erkrankt sei. In beiden Fällen bestanden neben dem Exophthalmus und
der Lidspaltenerweiterung, dem Gracfeschen Symptom, Tremor und
Tachykardie als sehr prominente Symptome heftige Magenkrisen, krisen¬
artige Diarrhoen von grosser Abundanz, Schweissausbruch und Tränen¬
fluss. Auch in anderen Fällen der Tabes-Basedowliteratur finden wir
das Syndrom auffällig starker Krisen verschiedenartiger Lokalisation;
dies war auch in einem Fall von Tabes mit Basedowsymptomen, den ich
an der Heidelberger Klinik beobachtete, der Fall.
Ich weise auf dio begleitenden Krisen besonders hin, weil sie
v. Malaisö noch nicht als Produkte einer Sympathikus- (oder Vagus-) Wir¬
kung anerkennen wollte. Dass sic das sind, kann heute nach den
Untersuchungen von Pal, Eppinger und Hess und auch nach meinen
Erfahrungen keinem Zweifel unterliegen 2 ).
Unser Fall ist nun darum für dio Vago-Sympathikuspathogenese des
Tabes-Basedowkomplexes von so grosser, fast entscheidender Bedeutung,
weil die Basedowsymptomc intermittierend und stets gleichzeitig
mit den schweren Magen- und Bauchkrisen, die wir als sichere
1) Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. Bd. 23. Heft 2. S. 97 u. f.
2) Ich verzichte darauf, für unsern Fall die Symptome nach vagotonen und
sympathikotonen Merkmalen zu differenzieren, da eine pharmakologische Unter¬
suchung des Falles vom Patienten deshalb abgelehnt wurde, weil ein Tabiker im
Nachbarbett bei dieser Prüfung auf Adrenalininjektion einen schweren Kollaps bekam.
Mir war deshalb die Prüfung bei dem elenden Patienten zu riskant.
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246
H. CURSCHMANN,
Produkte einer Vago-Sympathikusläsion betrachten müssen, auftraten
und nicht, wie in den bisherigen Fällen der Literatur, allmählich und
stetig wachsend, permanent bleibend und zeitlich unabhängig von anderen
Störungen des vegetativen Systems. Bei solchen intermittierenden
Basedowsyndromen hiesse es, der Deutung der Pathogenese Gewalt antun,
wenn man noch auf der früher üblichen Annahme einer zufälligen Koin¬
zidenz von Tabes und Basedow beharren wollte.
Eine detaillierte Besprechung aller einzelnen ßasedowsymptome des
Falles möchte ich mir versagen. Bezüglich der Pupillenphänomeno sei
nur bemerkt, dass ihre eventuelle sympathische Beeinflussung sich darum
der Beurteilung entzog, weil beide absolut lichtstarr waren. Ihre Dila¬
tation auf Schmerz war aufgehoben, wie so oft bei Tabes. Die Atropin¬
erweiterung war jedoch erhalten, wenn auch different; die Eserinreaktion
wurde leider nicht geprüft, ebenso die Adrenalinmydriasis (Loewy),
die damals noch nicht bekannt war. Von Bedeutung ist jedenfalls, dass
auf der Seite der stärkeren Protrusio bulbi neben der grösseren Lidspalten¬
erweiterung auch die Pupille weiter war (ohne allerdings eine Reaktions¬
veränderung gegenüber der anderen Seite aufzuweisen).
Im übrigen zeigte der Fall einen ziemlich bunten Wechsel der
klinischen Symptome sowohl der Vagotonie, wie der Sympathikotonie
im Sinne von Eppinger und Hess 1 )- Sympathikotonische Symptome
überwogen vor allem im Krisenanfall (der ja aber auch der Erreger des
Basedowsyndroms war): vor allem sind es die Blutdrucksteigerung
und auch die Tachykardie. Die Erhöhung des systolischen Blutdrucks,
die wir als das Produkt eines allgemeinen Spasmus der vom N. splan-
chnicus versorgten arteriellen Blutbahn anschen müssen (kein anders
lokalisierter Angiospasmus vermag nach den Untersuchungen der Leipziger
und Tübinger Schule einen derartig starken Einfluss auf den Blutdruck
auszuüben!), war jedesmal während der Krisen tagelang vorhanden. Sie
ist überhaupt bei der ganz überwiegenden Mehrzahl der abdominellen
Krisen der Tabiker zu konstatieren; ieh habe sie an einem ziemlich
grossen Tabesmatcrial in den 7 Jahren, wo ich auf diesen Punkt speziell
achte, kaum mehr als zwei- bis dreimal vermisst. Das spricht, wie
schon bemerkt, wie in unserm Fall, so auch im allgemeinen für eine
wesentlich stärkere Mitbeteiligung des Sympathikus, als sie Hess und
Eppinger 2 ) für die Tabes annehmen möchten.
Weiter ist ein sympathikotonisches Symptom die Anazidität bzw.
Subazidität des Magensaftes, die öfters im Anfall und auch in der
Latenz konstatiert wurde. Die Obstipation, die Eppinger und Hess
beim Basedow auch als sympathikotonisch auffassen wollen, ist natürlich
bei einem meist bettlägerigen, viel brechenden, bauchmuskelschwachen
Tabiker kein eindeutig zu beurteilendes Symptom.
1) Diese Zeitschr. Bd. 68. II. 3 u. 4.
2) Wiener klin. Rundschau. 1909. Nr. 47.
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. Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 247
Unter den vagotonischen Erscheinungen sind vor allem die pro¬
fusen Schweisse während der Krisen und Basedowanfälle zu nennen,
die, wie häufig, besonders Kopf, Gesicht und Extremitäten befielen (die
Pilokarpinintoleranz konnte leider nicht geprüft werden). In dieselbe
Symptomgruppe fällt nach Hess und Eppinger die bei dem Patienten
stark positive Dermatographie.
Das Verhalten der Schweisse (Hyperhidrosis und Anhidrosis) ist
schon früher von den Bearbeitern der „Sympathikustabes“ besonders be¬
achtet worden (Eulenburg u. Gutmann, Remak, Raymond u. a.)
und wird auch von v. Malaise bei der Basedow-Tabes entsprechend ge¬
würdigt. Seine Fälle litten während und nach ihren abdominalen .Krisen
ebenfalls an profusen Schweissausbrüchen.
Noch häufiger als die Hyperhidrosis ist übrigens die lokalisierte
Anhidrosis der Füsse bei der Tabes; der „zurückgeschlagonc Fuss-
schweiss“ ist ein so populäres Symptom der Rückenschwindsucht, dass
das Volk ihn in Umkehrung des Kausalnexus sogar als Ursache der
Tabes zu bezeichnen pflegt. Wechselndes Verhalten verschiedener Körper¬
partien, halbseitige Hyperhidrosis und Anhidrosis werden beschrieben;
komplette Anhidrosis der unteren Körperhälfte beschrieb Putnam.
Ich selbst beobachtete 1910 einen 44jähr. Kellner mit präataktischer Tabes und
Aortitis luetica, dessen Leiden mit überaus heftigen Darmkrisen verlief. Für ge¬
wöhnlich hatte er eine starke Hyperhidrosis des ganzen Kopfs, die ziemlich
scharf mit dem Hals abschnitt. Wenn die Darmkrise kam, stellte sich eine profuse
Hemihyperhidrosis der rechten Körperhälfte ein, während die linke trocken
blieb. Zugleich mit den schmerzhaften, diarrhoischen Darmkrisen trat eine starke
Blutdrucksteigerung (bis 190 mm Hg. Rira-Rocoi) auf, die mit dem Aufhören der
Krise lytisch abfiel.
Auf Pilokarpin (0,0075) sohwitzte (natürlich bei Injektionen in der anfallsfreien
Zeit) nur der Kopf (vermehrt) und die rechte Körperhälfto sehr stark, während die
linke auch jetzt trocken blieb. Auf Adrenalin (0,001), auf das Patient übrigens
schwer kollabierte, ergab sioh keine Glykosurie, keine Polyarie.
Auch in diesem Fall sehen wir die Mischung zwischen Vagotonie
und Sympathikotonie, allerdings mit einem gewissen Ueberwiegen der
ersteren. Besonders möchte ich auf die Pilokarpinresistenz der linken
Seite hinweisen, die bei dieser Probe und und auch sonst stets trocken
blieb. Diese Anhidrosis und die starke Blutdrucksteigerung kennzeichnen
die Sympathikotonie. Also auch dieser Fall weist darauf hin, dass man
die Rolle des Sympathikus gegenüber dem des autonomen Systems bei
der Tabes nicht unterschätzen darf.
Um nach diesem Exkurs auf unseren Fall zurückzukommen, möchte
ich noch eines wichtigen und eigentümlichen Symptoms gedenken, nämlich
der ausgezeichneten kurativen Wirkung des Adrenalins per os
(3 X 10 Tropfen der 1:1000-Lösung) auf die abdominellen Krisen, das ich
nach den guten Erfahrungen von Röhmer 1 ) aus der Krehlschen Klinik
1) 1. c.
Zeitschr. f. kl in. Medizin. 76. Bd. H. 3 u. 4. i 7
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248
H. CURSCHMANN,
versucht habe. Röhmer ist augenscheinlich an diese Therapie ganz em¬
pirisch herangegangen; er gibt in seiner Mitteilung 1 ) auch keine aus¬
reichende theoretische Erklärung der Wirkung des Mittels und hält eine
solche „zurzeit für unmöglich“ (1908); er spricht nur von der Möglichkeit
eines Zusammenhanges mit den Gefässkrisen der Tabiker nach Pals
Auffassung und von der Sympathikustheorie.
Die günstige Adrenalinwirkung ist nun in der Tat bei Abdominal¬
krisen, die mit Steigerung des Blutdrucks und auch sonst sympathi-
kotonischen (also adrenalinintoleranten) Basedowerscheinungen einher¬
gehen, einigermassen auffallend. Sie deckt sich übrigens völlig —
wie ich vorgreifend bemerken möchte — mit dem Verhalten der beiden
folgenden Fälle von Asthma bronchiale mit gleichzeitigen, intermittieren¬
den Basedowsymptomen, die auch durch Adrenalin auffallend günstig be¬
einflusst wurden.
In unserem Tabes-Basedowfall konnte man eigentlich — wenn man
von der Gottlieb-O’Connorschen Adrenalintheorie 2 3 ) ausgeht, die an¬
nimmt, dass die Endorgane des Sympathikus von dem vermehrten Schild¬
drüsensekret (hauptsächlich vom Jodthyreoglobulin) sensibilisiert worden
sind für die Einwirkung des an sich nicht vermehrten Adrenalins des
kreisenden Blutes — von einer noch vermehrten Zuführung von Adre¬
nalin keine Besserung der synchronen Krisen und Basedowsymptomo er¬
warten (vorausgesetzt, dass das per os gegebene Adrenalin in wirksamer
Form und Menge in die Blutbahn übergeht und zu weiterer Vermehrung
der Adrenalinämie führt).
Nun wissen wir aber durch neuere Untersuchungen von Elliot und
Durham 8 ), dass auf Adrenalininjektion die Reizung dos N. splanchnicus
(die wir ja auch bei den abdominalen Krisen supponieren müssen) nicht
mehr eine steigernde, sondern eine senkende Wirkung auf den Blutdruck
hat; und dass weiter das Adrenalin auf den blossgelegten Magen ohne
Splanchnikusreizung sowohl [Langley 4 )] wie auf den Magen nach Splanch-
nikusreizung atonisierend, bewegungshemmend wirkt. Durch diese Tier¬
versuche ist also die günstige Wirkung des Adrenalins auf die Brech¬
bewegung der Krisen sowohl wie auf die gleichzeitige Blutdrucksteigerung
hinreichend erklärt.
Die Deutung der intermittierenden, den Krisen synchronen Basedow¬
symptome möchte ich wie folgt versuchen: Ich setze voraus, dass wir
mit Oppenheim, Erb u. a. den Morb. Basedow einerseits als eine
Neurose auffassen können, die aber „die Funktion der Schilddrüse vor
allem beeinflusst und durch ihre Vermittlung eine Reihe der Erschei-
1) 1. c.
2) D. med. Wochenschr. 1911. Nr. 47, und Mönch. med.Wochenschr. 1911. Nr.27.
3) Journal of Physiol. Bd. 34. 1906.
4) Ibidem. Bd. 22. 1901.
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(Jeber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 249
nungen und Beschwerden hervorbringt“ [Oppenheim 1 )]. Der letztere
Autor nimmt demgemäss an, dass der primäre Sitz des Leidens vor¬
wiegend in den Zentren des vegetativen Nervensystems liegt.
Morat, Abadie u. a. haben bekanntlich die Reizung des Sympa-
thicus thoracalis als Ursache der kongestiven Schwellung der Schild¬
drüse und damit der übrigen Basedowsymptome als Ursache des Leidens
angenommen, eine Hypothese, die dann ihren Ausdruck in der operativen
Durchschneidnng des Halssympathikus unterhalb des Ganglion supremum
oder der Resektion einzelner Ganglien dieses Stranges geführt hat. ln
neuerer Zeit ist die nervöse Beeinflussbarkeit der Schilddrüse noch
dadurch gesichert worden, dass man in den N. laryngeus sup. und inf.
die sekretionsregulierenden Nerven feststeljte (Ascher u. Flack), deren
sekretorische Fasern nach Wiener sympathischen Ursprungs sind.
Das wäre die neurogene Form der primären Schilddrüsenreizung.
Dass wir andererseits mit Kocher, de Quervain u. a. auch eine
entzündliche Erkrankung der Schilddrüse (verschiedenster Aetiologie)
als Ursache der zum Mob. Basedow führenden Supersekretion der Drüse
akzeptieren, sei ausdrücklich erwähnt. Schliesslich nehmen wir mit
Kocher noch eine Reizung der Schilddrüse und ihrer Tätigkeit durch
Vorgänge im (weiblichen) Genitalapparat an (Koitus, Menstruation,
Konzeption, am seltensten Klimax).
Von diesen drei Möglichkeiten der Schilddrüsenreizung, der neuro¬
genen, entzündlichen und genitalen, ist für die tabischen Basedowsymptome
natürlich die erstere anzunehmen. Wo der Sitz dieser neurogenen
Reizung der Gland. thyreoidea bei der Tabes ist, ist noch absolut strittig.
Durch die Untersuchungen von Roux 2 ) u. a. ist ja hinreichend fest¬
gestellt, dass die Degeneration der Hinterstränge (genau wie ihre experi¬
mentelle Durchschneidung) regelmässig bestimmte Veränderungen der in
den hinteren Wurzeln verlaufenden sympathischen Fasern in Gestalt von
Atrophie der feinen Myelinfasern erzeugt; allerdings handelt es sich hier
um zentripetal leitende, der Sensibilität der Intestina vorstehende Nerven¬
bahnen.
Wenn wir aber die Lehre von Abadie, Morat u. a. akzeptieren,
die in dem thorakalen Sympathikus die Stelle sehen, deren Reizung eine
vasodilatatorische Schwellung der Schilddrüse und deren Supersekretion
auslöst, so kämen wir zu der Annahme, dass eine Erkrankung dieser
Stelle des vegetativen Systems durch den tabischen Prozess die primäre
Entstehungsursache des tabischen, symptomatischen Basedow sein könnte.
Dass auch höher zentral gelegene präganglionäre Schädigungen des sym¬
pathischen Systems für diese Reizung in Betracht kommen, sei aber
wohl zugegeben.
1) Lehrbuch 1908. S. 1564.
2) Zit. nach v. Malaise.
17*
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250
H. CURSCHMANN,
Der intermittierende Charakter der Basedowerscheinungen unseres
Falles ist genau so zu erklären wie derjenige der tabischen Krisen einer¬
seits und der meisten Krankheitsäusserungen des Vago-Sympathikussystems
überhaupt andererseits; bezüglich der letzteren sei nur auf das paroxys¬
male Wesen des Asthma, der Colica mucosa, der Hemikranie, der vaso-
konstriktorischen Neurosen und der verschiedenen neurotischen Oedem-
formen hingewiesen.
Es muss also in dem Wesen und der funktionellen Eigentümlichkeit
des vegetativen Nervensystems beruhen, dass es chronische Schädigungen
anatomischer sowohl wie funktioneller Art erst nach dem Ueber-
schreitcn einer gewissen Reizschwelle mit dem explosiven Auf¬
treten jeweiliger Störungen beantwortet. In dieser Weise könnte die
tabische Erkrankung des der Funktion der Schilddrüse vorstehenden Sym¬
pathikusteils zu intermittierenden Basedowsymptomen Veranlassung
geben; klinisch fand diese Schilddrüsenreizung ja auch ihren Ausdruck
in einer jedesmaligen Anschwellung und vermehrten Pulsation der Drüse;
zu gleicher Zeit wird auch das Gebiet des N. splanchnicus in einer die
Reizschwelle überschreitenden Weise gereizt und führte so zu den syn¬
chronen Magen- und Hochdruckkrisen.
Nachdem meine Aufmerksamkeit so auf den „intermittierenden Base¬
dow“ gelenkt war, konnte ich bald darauf noch zwei weitere Fälle be¬
obachten, die dies Symptomenbild zusammen mit Anfällen von Asthma
bronchiale darboten.
Fall 2 (seit ca. 4 Jahren beobachtet). F., 48jähr. ehemaliger Tagelöhner von
M. Vater an „Bleikolik oder Magenkrebs“ gestorben, Mutter und Geschwister gesund.
Kein Basedow, Myxödem, Diabetes, Fettsucht in der Familie; keine neuropathische
Belastung. Als junger Mann litt F. an Nierenwassersucht und Rippenfellentzündung.
Er blieb ledig. Starker Alkoholismus, keine venerische Infektion. 22 Jahre als Sack¬
träger gearbeitet.
Vor ca. 8 Jahren erkrankte F. an Magendarmkatarrh, vor ca. 6 Jahren an
Asthmaanfällen, die anfangs besonders Nachts auftraten und mit heftiger, plötz¬
licher Kurzatmigkeit, heftigem Husten mit spärlichem, zähem Auswurf sich ausserten.
Bei nebligem, nassem Wetter kamen sie häufiger, bei gutem Wetter seltener.
Bald nach dem Auftreten der Asthmaanfälle fiel dem Pat. und seiner Umgebung
auf, dass vor und mit dem Auftreten des asthmatischen Anfalls ein deutliches
Heraustreten der Augen auftrat; die Veränderung des Blickes, die Starre, das
Glänzende des Auges sollen von Anfang an sehr auffallend gewesen sein. Dabei trat
auch starkes Tränen der Augen auf. Zugleich mit dem Heraustreten der Augen traten
starke Schweisse, besonders Nachts auf. Auch Zittern der Hände bemerkte Pat., vor
allem aber „Aengstlichkeit in allen Knochen,“ Aufgeregtheit und gesteigerte Reizbar¬
keit. Manchmal, nicht immer, hatte er dabei das Gefühl von Herzpalpitationen
und rascheren Herzschlag. Eine Anschwellung des Halses beobachtete Patient
dabei nicht.
Diese Asthmaperioden dauerten anfangs eine bis mehrere Wochen.
Wenn diese Anfälle aufhörten, „rückten die Augäpfel wieder herein“, der Blick
wurde wieder wie früher. Der Thränenfluss hörte gleichfalls auf. Zugleich ver¬
schwanden das Zittern, die Aufgeregtheit, die Schweisse, das Zittern der Hände und
die Herzpalpitationen.
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Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 251
Zugleich mit den Asthmaanfällen und den „Glotzaugen 14 beobachtete der Patient
auch jedesmal eine Veränderung der Geschwülste (Lipome), die sich während
seiner Packträgerzeit im Nacken und an den Kieferwinkeln ausgebildet hatten: diese
Geschwülste schwollen jedesmal erheblich an. Mit dem Nachlassen des
Asthmas schwollen dieselben dann jedesmal ab.
Im Laufe des letzten Jahres haben die Anfälle des Asthmas und der Basedow¬
symptome an Intensität nachgelassen, der Wechsel im Umfang der Lipome ist bei
allgemeiner Abmagerung fast ganz verschwunden. Dagegen besteht jetzt eine dauernde,
häufig exazerbierende Emphysembronchitis.
Der Status im Anfall war stets derselbe: Ziemlich magerer, schmaler Mann,
fieberfrei. Im Nacken je zwei, vor der Ohrmuschel in der Parotisgegend je ein und
unterhalb des Unterkiefers je ein symmetrisches Lipom (vgl. Abbildung).
Patient 2 in anfallsfreier Zeit.
Die symmetrischen Lipome sind jetzt durch Reduzierung des Allgemeinzustandes noch
mehr zurückgegangen.
Gesicht lebhaft gerötet, dabei leicht zyanotisch. Deutlicher doppelseitiger
Exophthalmus (L. gleich R.); konjunktivale Injektion; Thränenfluss zeitweise er¬
heblich. Graefesches Phänomen sehr ausgesprochen, ebenso Stellwagsches
Phänomen. Moebiussches Zeichen wechselnd, manchmal angedeutet, meist fehlend.
Pupillen links und rechts mittelweit, auf Licht und bei Konvergenz prompte Ver¬
engerung; Dilatatorreflex vorhanden. Augenmuskeln, Augenhintergrund o. B.
Das Herz ist deutlich verbreitert, Spitzenstoss schwach fühlbar, systolische Un¬
reinheit über der Aorta; Pulsfrequenz sehr wechselnd, durchschnittlich 80—90, da¬
zwischen bei vollständiger Ruhe, ohne Erregung, stundenlang unter Herzklopfen
Frequenz von 116—128 i. d. Minute. Blutdruck 120 mm Hg. (Riva-Rocci).
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252
H. CURSCHMANN,
Lungen: Emphysem, Zwerchfelltiefstand, Schacbtelton, inspiratorisches Giemen
und Schurren, Verlängerung des Exspiriuras mit reichlichen Rhonchis. Respiration
gleichmässig, etwas beschleunigt und mühsam. Sputum reichlich, eitrig-schleimig,
enthält keine Tuberkel-Bazillen, viel eosinophile Zellen.
An den Bauchorganen fällt eine Vergrösserung und Induration der Leber seit
langem auf (Alkoholismus!); Milz ebenfalls vergrössert, leicht palpabel.
Urin von normaler Menge und spez. Gewicht, ohne Eiweiss und Zucker, früher
bisweilen Urobilin.
Vom Nervensystem seien noch erwähnt: deutliches, feinschlägiges Zittern
der Hände, die sich feucht und kalt anfüblen. Starke Schweisse, besonders bei
Bettruhe (ohne Temperatursteigerung). Emotionserythem der Haut, besonders am
Halse und starke Dermographie. Hirnnerven, Motilität, Reflexe etc. sonst normal.
Während der Anfälle ist Patient leicht gereizt, neigt zu Unverträglichkeit, ärgert
sich über alles, hat kein Interesse an Lektüre, Kartenspiel etc. Ausserhalb der An¬
fälle ist er sehr jovial, hat trocknen Humor; er ist trotz seiner frühen körperlichen
Invalidität und allgemeinen sozialen Reduzierung ein imtelligenter Mensch geblieben.
Die Untersuchungen auf die pharmakologischen Reaktionen ganz kurz nach
einem Anfall ergaben:
Adrenalin 1 Tropfen der 1 : 1000 Lösung in den Konjunktivalsack bewirkt
nach ca. */ 2 Stunde komplette Mydriasis von mehrstündiger Dauer; dabei etwas
träge, aber vorhandene Lichtreaktion, Fehlen der Konvergenzverengerung; natürlich
Fehlen des Dilatatorreflexes.
Adrenalin 0,0005 subkutan, nachdem 75 g Traubenzucler nüchtern ge¬
nommen sind, bewirkt keine Vermehrung der Urinmenge, keine Glykosurie,
wohl aber einen schweren Kollaps mit Zittern der Hände, Zyanose, Luftmangel, Brady¬
kardie auf 40 Pulse und Steigerung des Blutdrucks von 120 mm auf 160 mm.
Auf Kampfer subkutan rasche Besserung der Kollapssymptome.
Adrenalin per os (3x8—10 Tropfen der üblichen Lösung Suprarenin)
* stets ausgezeichnet vertragen, ohne Mydriasis und Hypertension, mit starker Einwirkung
auf Asthma- und Basedowerscheinungen.
Atropin subkutan 0,001: keine Beschleunigung des Pulses, keine Einwirkung
auf die (allerdings sehr geringe) respiratorische Arhythmie j nur goringe Trockenheit
im Mund, Mydriasis von kurzer Dauer.
Pilokarpin subkutan 0,0075: ohne jede Wirkung, kein Schweiss, kein
Speichelfluss, keine Einwirkung auf den Puls.
Jodnatrium: stets ausgesprochene Intoleranz.
Blutbefund: normale Erythrozyten und Hämoglobin.
Leukozyten 7000; davon: neutrophile, polymorphkernige Leukozyten 40pCt.,
kleinoLymphozyten45pCt., grosse Lymphozyten 5,5 pCt., eosinophile Leukozyten 9,5pCt.
Fall 3. Frau L., 50 J. alt, von Mainz, Insassin des Invalidenhauses (seit ca.
3 Jahren beobachtet). Vater ist an Asthma gestorben, Mutter an Herzwassersucht.
Ein Bruder herzlcidend, 2 Geschwister gesund. Keine Basedow, Kropikrankheiten,
Kretinismus, Diabetes, Fettsucht, Psychosen oder Neuropathien in der Familie.
Mit 15 Jahren menstruiert, Menses ohne Bes.
Mit 19 Jahren begann die „Kurzatmigkeit,“ sie hatte einige Anfälle von Atem¬
not, Husten, spärlichem Auswurf von kurzer Dauer. Damals sicher noch keine Base¬
dowsymptome. Mit 22 Jahren Heirat, 1 Abort, keine Kinder. Mann an Pneumonie
gestorben.
Vor ca. 12—13 Jahren begann das jetzige Leiden in Gestalt von Anfällen mit
heftigem Husten, Auswurf, starker Atemnot, meist tagelang, bisweilen wochenlang;
selten handelte es sich um kurze, nur stundenlange Anfälle. Damals traten im Beginn
des Anfalls „die Augen ganz aus dem Kopf,“ ca. 6 Wochen lang, so dass Pat. völlig
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Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 253
verändert aussah. Während der ganzen Zeit hatte Pat. profuse, unstillbare Durch¬
fälle (ohne Fieber) trotz aller Diät und Arzneien. Zugleich wurde Pat. sehr unruhig
und zittrig, besonders die Hände hätten stark gezittert. Pat. habe immer im Schweiss
gelegen, Tag und Nacht; besonders stark habe Pat. am Kopf geschwitzt, dabei auch
Herzklopfen und Engigkeit auf der Brust gehabt. Pat. habe ein ganz rotes Gesicht
gehabt „wie ein Krebs u und sei sehr nervös, jähzornig und aufgeregt gewesen.
Erst als Pat. im Spital behandelt w 7 urde, habe sich nach ca. 14 Tagen der Zu¬
stand gebessert: die asthmatischen Anfälle hörten auf. Die Augen seien wieder her¬
eingetreten, so dass sie wieder aussahen wie früher. Zugleich hörten die Schweisse,
das Herzklopfen, das Zittern, die Röte im Gesicht, die Aufgeregtheit allmählioh auf.
Auch die Diarrhoen seien nach 8—14 Tagen weggeblieben.
Derartige Asthmaattacken hätten sich nun in den nächsten Jahren — bis im
Herbst und Winter — häufig wiederholt, immer begleitet vom Hervortreten der Augen
und den geschilderten Symptomen.
Ich habe seit 1909 sowohl im städtischen Spital wie im Invalidenhaus, in dem
Pat. seit 2 Jahren interniert ist, zahlreiche Anfälle beobachtet, die dem obigen genau
gleichen. Man konnte sogar bemerken, dass das Hervortreten der Bulbi der Exazerba¬
tion des Asthmas zeitlich vorausging.
ln den letzten Jahren ist übrigens ein mässigerGrad von Exophthalmus permanent
geworden, der sich allerdings bei den Asthmaanfällen deutlich und stark vermehrt.
Ausser diesen Beschwerden leidet Pat. seit 4—5 Jahren an Anfällen von rechts¬
seitigem Kopfschmerz mit Erbrechen und vorausgehendem Augenflimmern und Licht¬
scheu. Diese 1 bis 1 1 j 2 Tage dauernden Anfälle (die ich selbst beobachtete) ver¬
laufen, wie Pat. genau angibt, stets ohne Hervortreten der Augen, Zittern, Herzklopfen
und dergl. Symptome, auch ohne Asthma.
Ausserdem leidet Pat. — unabhängig von Asthma und Migräne — häufig an
„rheumatischen“ Schmerzen in der rechten Körperseite; d. i. unter Schmerzen und
Taubheitsgefühl in Schulter und Arm werden die Hand und die Finger rechterseits
ganz taub, kalt, weiss und pelzig.
Befund (im Anfall): Mittelgrosse, etwas abgemagerte Frau. In- und exspira-
torische Dyspnoe, erhöhte Rückenlage im Bott. Hustenanfälle mit spärlichem, zähem,
schleimigem Sputum, das reichlich eosinophile Zellen enthält. Tiefstand der Lungen¬
grenzen, überall reichliches, bes. exspiratorisches Giemen und Rasseln.
Bauchorgane ohne Veränderungen. Urin (im Anfall) vermindert, hochgestellt,
ohne Eiweiss und Zucker.
Nervensystem ohne organisch-pathologische Veränderungen.
Gesicht stark gerötet (nicht zyanotisch), klopfende Karotiden und Temporales;
Neigung zum Schwitzen am ganzen Körper, bes. am Kopf. Haare spärlich, nooh dunkel.
Beiderseits ziemlich erheblicher Exophthalmus; dabei nur geringe Erwei¬
terung der Lidspalten, das obere Lid „hängt“ habituell, wie bei leichter Ptosis;
dabei funktionieren die Augenmuskeln, auch die Levatores palpebrae ungestört.
Das Graefesche Symptom ist — entsprechend dem permanenten Hängen des
oberen Lides — nur auf der Höhe des Anfalls vorhanden, am Ende desselben nicht
mehr; das Stellwagsche Symptom ist dagegen sehr ausgesprochen; auch besteht
deutliche Insuffizienz der Konvergenz (Moebius).
Im Anfall starke Injektion der Konjunktivalgefässe und Tränenfluss.
Pupillen mittelweit bis weit, auf Licht, bei Konvergenz und Schmerzreizen
normale Verengerung bzw. Erweiterung. Augenhintergrund o. Ver.
Herz von der geblähten Lunge überlagert, nicht deutlich verbreitert, leise, reine
Töne. Puls: ziemlich weich, regulär, äqual, von sehr wechselnder Frequenz
im Anfall: bisweilen 1—2 Tage lang zwischen 90 und 100, dann auf Stunden ohne
alle Ursache, bei völliger Bettruhe auf 128—132 in der Minute steigend; jeden-
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254
H. CURSCHMANN,
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falls niemals dauernde Tachykardie. Blutdruck 115—125 mm (Ri va-Rocci).
Deutlicher, feinschlägiger Tremor der Hände. Stuhlgang bisweilen (ohne Ursache)
profus diarrhoisch, meist aber normal; die Diarrhoeen sind von normaler, brauner
Farbe, ohne Schleim, keine Fettstühle.
Während des Asthma-Basedowanfalls besteht ausserdem allgemeine nervöse
Erregung. Die sonst angenehme Patientin wird ungemein launenhaft, tyrannisiert
Schwestern und Patienten, ist empfindlich, neigt zu Tränen u. dergl.
Pharmakol. Proben: Adrenalinprobe nach Loewi: extrem starke Mydri-
asis auf 1 Tropfen der Lösung; dabei Lichtreaktion erhalten, Konvergenz Verengerung
fehlt völlig. Dauer der Mydriasis ca. 2 Stunden.
Adrenalin 0,00075 subkutan, bis auf etwas Tremor und Schwindel gut
vertragen. Trotzdem vorher nüchtern 100 g Traubenzucker gegeben war, kommt es
nicht zur Glykosurie, keine Steigerung der Harnmenge, eher eine (aber im Bereich
dos Zufalls liegende) Herabsetzung derselben.
Adrenalin per os (therapeutisch) 3 X 8—10 Tropfen der Standardlösung:
stets günstige Einwirkung auf Asthma und Basedowsymptome.
Jodnatrium (therapeutisch gegeben) ohne günstige Wirkung auf die An¬
fälle, wird aber gut vertragen.
Pilokarpin 0,0075 subkutan: enorme Salivation und allgemeiner profuser
Schweiss, die Patientin stark erschöpfen; keine momentane Beeinflussung des Pulses,
erst am nächsten Tage Tachykardie von 136.
Atropin (subkutan) 0,001: keinerlei Einwirkung auf den Puls, weder auf
Frequenz, noch auf den Rhythmus (die respiratorische Arhythmie ist allerdings kaum
angedeutet); nur geringe Trockenheit, Mydriasis ziemlich rasch vorübergehend.
Atropin therapeutisch (in Pillen von 0,0005) ohne jede günstige Einwirkung.
Blutbefund: Erythrozyten und Hämoglobin normal. Leukozyten 6000.
Polynuki. Leukozyten 47 pCt., kleine Lymphozyten 28 pCt., grosse Lymphozyten
10 pCt., eosinophile Zellen 14,5 pCt.
Epikritisch betrachtet ähneln sich die beiden eben beschriebenen
Fälle ausserordentlich: in beiden kam es seit Jahren während der (mehr
oder weniger langen) Asthmaattacken zu einer grossen Reihe von typischen
Basedowsymptomen, vor allem zum Exophthalmus mit den Symptomen
von Graefe und Stellwag (Moebius nur in Fall 3), zu subjektiven
Herzpalpitationen mit intermittierend auftretender Tachykardie, mannig¬
faltigen vasomotorischen Symptomen (Rötung des Gesichts und der
Konjunktiven, Dermographic, Angiospasmen und Zyanose der Finger),
sekretorischen Erscheinungen (Hyperhidrosis, profuse Diarrhoen, Tränen¬
fluss), Tremor der Hände, psychischen Störungen in Gestalt von Erregt¬
heit, Verstimmung und dergl. In beiden Fällen fehlte die Struma sowohl
in der Latenz, wie während der Anfälle völlig.
Der Exophthalmus blieb schliesslich nach mehrjährigem Bestehen des
Syndroms im Fall 1 in geringem, im Fall 2 in stärkerem Masse dauernd
bestehen, um sich allerdings während der Anfälle noch deutlich zu steigern.
Besonderes Interesse hat in beiden Fällen der Ausfall der pharma¬
kologischen Prüfung auf die Symptome des Vagotonus und Sympathiko-
tonus nach Eppinger und Hess. Es bestand in beiden Fällen eine
ziemlich bunte Mischung von vagotonischen und sympathikotonischen
Erscheinungen.
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Original frum
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Ueber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 255
Im Fall 2 sprachen für Hypertonie des Sympathikus: die
starke Adrenalinmydriasis, die Herabsetzung des Schwellenwerts für
Pilokarpin, die intermittierende Tachykardie und unter den klinischen
Symptomen (wahrscheinlich) die Lymphozytose des Bluts; dagegen für
Hyportonie des Vagus: der negative Ausfall der Adrenalin-Glykosurie-
und Polyurieprobe, die Erhöhung des Schwellenwerts für alimentäre
Glykosurie und unter den klinischen Symptomen die Schweisse, der
Tränenfluss, der positive Dermographismus und die Eosinophilie des Bluts.
Fall 3 bot folgende Zeichen der Sympathikus-Hypertonie:
starke Adrenalinmydriasis, fehlende Einwirkung des Atropins auf den
Pulsrhythmus (?) und von klinischen Symptomen die Lymphozytose, die
intermittierende Tachykardie; und folgende Symptome der Vagotonie:
starke Ueberempfindlichkeit gegen Pilokarpin, Fehlen der Adrenalin-
glykosurie und -polyurie, Erhöhung des Schwellenwerts für alimentäre
Glykosurie und von klinischen Zeichen profuse Diarrhoen, Schweisse,
Angiospasmen und Kälte der Extremitäten, positiver Dermographismus,
starke Eosinophilie des Bluts und des Sputums.
Man kann also sagen, dass im Fall 2 sich der Tonus bzw. die
Reizbarkeit des Vagus und des Sympathikus im Asthma-Basedowanfall
ungefähr die Wage halten, dass dagegen im Fall 3 die Zeichen der
Vagushypertonie entschieden die vorherrschenden sind.
Wir sehen also auch durch unsere Fälle von starken und viel¬
fältigen Störungen des vegetativen Systems die Meinung derjenigen
Autoren betätigt, die den früher von Eppinger und Hess angenommenen
diametralen Gegensatz zwischen Vago- und Sympathikotonie bestreiten.
Petrön und Thorling 1 ) haben an einem gemischten, ungleichförmigen
Material gefunden, dass bei denselben Individuen nicht selten Pilokarpin-
und Adrenalinreaktionen positiv ausfallen; Falta 2 ) und seine Mitarbeiter
haben dasselbo für Fälle von Diabetes, Tetanie und Asthma bronchiale
festgestellt. Vor allem aber konstatierte Bauer 3 ) in einer neuen, sehr
gründlichen Arbeit, dass die meisten Individuen seines recht gemischten
(aber doch meist neuropathischen oder konstitutionell abnormen) Krankcn-
materials sowohl auf Pilokarpin, wie auf Adrenalin positiv roagierten.
Es ist anzunehmen, dass auch beim Morb. Basedowii die „hetero¬
tonischen“ Fälle, wie ich sie nennen möchte, d. i. die, bei denen sowohl
die pharmakodynamischen Proben auf Vagotonie, wie die auf Sympathi¬
kotonie, zum Teil positiv, zum Teil negativ ausfallen, die häufigeren sein
werden, häufiger als die reinen sympathiko- oder vagotonischen Fälle.
Neuerdings hat auch v. Noorden jun. 4 ), ein Schüler von Eppinger,
zugegeben, dass — entsprechend der Seltenheit der reinen Vagotonie
1) Diese Zeitschr. Bd. 73. H. 1 u. 2.
2) Ebenda. Bd. 72. S. 97ff. und Bd. 74. S. 108 ff.
3) Deutsches Arch. f. klin. Med. 1912. Bd. 107. S. 33ff.
4) Inaug.-Diss. Kiel 1911.
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256
H. CURSCHMANN,
und Sympathikotonie überhaupt — auch bei Auftreten eines Hyper-
thyreoidismus die gemischten Fälle die grosse Mehrzahl ausmachen.
Bezüglich der Wirkung des Adrenalins auf unsere Asthma-Basedow¬
fälle bedarf es noch einer Besprechung der auffallend verschiedenen
Wirkung des Mittels je nachdem, ob es konjunktival, subkutan oder per os
zugeführt wurde: konjunktival zeigten beide Fälle eine exzessive Ueber-
erregbarkeit in Gestalt einer kompletten Mydriasis (Loewischo Re¬
aktion). Nach subkutaner Injektion fehlte bei beiden Patienten sowohl
die Glykosurie als die Vermehrung der Harnmenge. Die peripheren
Nerven, die die Endorgane des durch den Zuckerstich nachweisbaren
zerebralen Zentrums darstellen, waren also nicht übererregbar, ebensowenig
die Nierengefässe (deren Dilatation bei subkutanor Adrenalininjektion
bei Sympatikotonikem häufig zu sein scheint, im Tierexperiment aber
variabel getroffen wird).
Dagegen war wieder die Einwirkung des Adrenalins vorhanden auf
die zerebralen Zentren (unbekannter Topik), die bei Reizung den Tremor
erzeugen.
Am intensivsten reagierte der Pat. F. auf Adrenalin mit seinem
Kreislaufsystem. Nach der subkutanen Injektion kam es zum schweren
Kollaps, Bradykardie mit starker Hypertension des systolischen Blutdruckes,
heftiger Dyspnoe und subjektivem Vernichtungsgefühl; dabei bestand eine
starke periphere Vasokonstriktion.
Auf Adrenalin per os hingegen reagierten beide Pat. nur günstig.
Sie waren nicht nur wochenlang gegen diese Darreichung tolerant, sondern
verspürten regelmässig darauf ein Nachlassen der asthmatischen und
Basedo wsy m ptome.
Diese Dissoziation der Adrenalinwirkung in unseren Fällen ist
durch die Untersuchungen von Falta, Newburgh und Nobel und
besonders durch die Deduktionen von Bauer ganz verständlich.
Bauer hat dabei das Verdienst, auf die Neigung zum Entstehen von
„Organneurosen“ durch ein verschieden starkes Reaktionsvermögen
(bzw. Reizbarkeit) einzelner Organe oder Organkomplexe gegenüber den
typischen Einwirkungen der inneren Sekretion hingewiesen zu haben.
Unsere Fälle exemplifizieren die Ursache der dissoziierten Wirkung be¬
sonders deutlich: bei beiden mit Exophthalmus und allen Augensymptomen
des Basedow behafteten Leuten reagiert naturgemäss der sympathisch
innervierte Dilatator pupillae aufs intensivste auf Adrenalin. Dagegen
sind die der Nierensekretion vorstehenden Organe bei den Pat., die
stets ziemlich niedrige Urinmengen aufvvicsen, absolut unempfindlich
gegen das subkutane Adrenalin.
Das Herz-Gefässsystem wiederum des Pat. II, das durch starken
Alkoholismus nachweisbar organisch geschädigt war, reagierte auf das
subkutane Adrenalin auf das allerempfindlichste (ähnlich, wie der Kreis¬
lauf des erwähnten Tabikers mit Aortitis luetica).
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lieber intermittierende Basedowsymptome (bei Tabes und Bronchialasthma). 257
Wir sehen also, dass die Ansprechbarkeit eines Organ komplexes be¬
deutend beeinflusst wird durch die Zustandsveränderung, in der er sich — sei
cs durch permanente oder intermittierende autotoxische (z. B. thyreotoxische)
Einwirkung (wie bei der Augenveränderung des Basedow) oder durch
organische Veränderungen (wie beim Herzen des Potators oder Syphili¬
tikers) — bei Empfangen des betreffenden Reizes befindet. Für das
arterielle System ist das ja — nicht nur bezüglich der Adrenalinwirkung
— längst bekannt. Wir wissen einerseits, dass endarteriitisch erkrankte
Gefässe auf relativ geringfügige psychische, thermische oder motorisch-
mechanische Reize hin in Konstriktion verfallen (z. B. bei Angina pectoris,
arteriosklerotischer Dysbasie) und andererseits, dass bei Individuen mit
organotoxisch (z. B. durch Klimax, Menstruation oder Pubertät) bedingter
Labilität der Vasomotoren, ebenfalls jeder Roiz an diesem Locus minoris
resistentiae angreift (in Gestalt von vasokonstriktorischen Paroxysmen,
vasodilatatorischen Anfällen).
Eine derartig differente „Organbereitschaft“ wird man, wie
ich mit Bauer annehme, bei der Bewertung der dissoziierten Wirkung
pharmakologischer Reagentien noch mehr berücksichtigen müssen, als
dies anfangs geschehen ist.
Eines Punktes in der Symptomatologie der Fälle sei noch gedacht:
des psychischen Befundes in Fall II und III. Im Falle II, den ich
seit ca. 4 Jahren beobachte, fehlten ausser dem in Mainz endemischen
Alkoholismus alle psychopathischen Erscheinungen, während Fall III
(auch in anfallsfreion Zeiten) auffallenden Stimmungswechsel, Misstrauen,
Launenhaftigkeit, Neigung zum unmotivierten Umherwandern während
depressiver Phasen, soziale Minderwertigkeit, kurz eine grosse Reihe
psychischer Anomalien aufwies.
Es ist dies deshalb von Interesse, weil fippinger, Hess und
Pötzl 1 ) angegeben haben, dass die rein vagotonischen oder sympathi-
kotonischen Formen des Basedow niemals, die „gemischten“, hetero¬
tonischen Fälle aber stets mit psychischen Störungen verlaufen. Fall II
bestätigt diese These nicht; sie ist auch von vornherein deshalb wenig
wahrscheinlich, weil einerseits nicht einzusehen ist, weshalb nicht doch
einmal z. B. reine Vagotoniker derartig psychopathisch veranlagt sind,
dass sie psychisch erkranken, trotzdem eine dazu tretende Thyreotoxi-
kose nie vagotonisch verläuft; und andererseits gibt es so zahlreiche
heterotonische Individuen, die doch nicht alle beim Eintreten eines leichten
oder mittelschweren Basedow gröbere psychopathische Veränderungen
erleben werden. Fall III allerdings bestätigte die Annahme der genannten
Autoren durch ausgesprochene psychopathische Züge bei hetcrotonisch
reagierendem Basedow. Die Reaktionen verliefen allerdings nicht in dem
Sinne einer völligen Aufhebung des gegenseitigen antagonistischen Ver-
1) Wiener klin. Wochenschr. 1910. Nr. 51.
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258
H. CU RSCHMANN,
haltens beider vegetativen Systeme, wie es Eppinger und seine Mitarbeiter
bei Psychopathen fanden. In solchen Fällen fiel z. B. die subkutane
Adrenalinprobo (Glykosurie und Polyurie) und die Piiokarpinprobe (Sali-
vation, Schweissausbruch) in gleich exzessiver Weise positiv aus. Unsere
Pat. war jedoch nur bezüglich des Dilatator pupillae adrenalinempfindlich,
reagierte aber nicht, weder mit Glykosurie, noch Polyurie, bei subkutaner
Adrenalinanwendung; auf Pilokarpin dagegen zeigte sie eine hochgradig
gesteigerte Empfindlichkeit.
Das intermittierende Auftreten der Basedowsymptome zugleich mit
Asthma bronchiale ist im Prinzip ebenso zu deuten, wie in dem Fall von
Tabes mit Basedow: nämlich als eine Reizung der die Sekretion der
Schilddrüse regulierenden Nerven. Die zu supponierende Supersekretion
der Drüse führt dann zu den geschilderten Basedowerscheinungen. An
welcher Stelle des Sympathikus diese Reizung ansetzt, ist bei den Asthma-
Basedowfällen absolut unsicher, noch unsicherer als in dem Tabesfall, da
für die letztere Erkrankung wenigstens anatomische Erfahrungen bezüg¬
lich des sympathischen Nervensystems bekannt sind, die bei dem ersteren
Syndrom bislang fehlen.
Der Umstand, dass es in den Asthmafällen nicht zur Anschwellung
der Schilddrüse kam, wie in Fall 1, ist darum nicht verwunderlich, weil
in nicht allzuseltenen Fällen von genuiner Basedowscher Krankheit eine
palpable Struma ebenfalls vermisst wird; Sattler berechnet ihre Zahl
unter der Gesamtsumme der Basedowkranken sogar auf 4pCt., eine Zahl,
die sicher nicht zu hoch erscheint, wenn wir die als immer zahlreicher
erkannten Formes frustes des Morb. Basedow mit einrechnen. Diese
strumenlosen Fälle beweisen jedenfalls, dass die spezifische Supersekretion
der Schilddrüse, die jetzt endlich als zweifellose Ursache der Basedow¬
symptome angesehen werden kann, auch ohne Vergrösserung des Organs
einzutreten vermag.
Einer besonderen Besprechung bedarf noch das ungewöhnliche Syn¬
drom (Fall 2) des gleichzeitig mit den Basedow-Asthmaanfällen inter¬
mittierenden Anschwellcns der symmetrischen Lipome des Halses
und Gesichts. Der Symptomenkomplex ist in dieser Form durchaus un¬
gewöhnlich ; er wird aber durch Erfahrungen der Chirurgen, die man schon
vor langen Jahren gemacht hat, verständlich.
Einer der ersten, der die symmetrischen Halslipome mit dem Morb.
Basedow» zusammenbrachte, Hutchinson 1 )) tat dies allerdings mit der
falschen Prämisse, dass die Ursache des Exophthalmus eine primäre Fett¬
hypertrophie der Orbita, also retrobulbäre, „symmetrische Lipome“ des
Orbitalraums seien. Das gleichzeitige Auftreten von symmetrischen Li¬
pomen und Struma ohne sonstige Basedowerscheinungen erwähnt später
Koettnitz 2 ). Eine auf die ganze untere Körperhälfte beschränkte Lipo-
1) Zit. nach Madelung.
2) D. Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. 38. H. 1. S. 75 u. f.
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Ueber intermittierende Basedowsymptomo (bei Tabes und Bronchialasthma). 259
matose bei einem typischen Basedowfall wurde von v. Schrötter 1 ) be¬
schrieben. Die von Saint-Marie 2 3 ) und auch von A. Kocher*) beob¬
achteten „Pseudolipome“ der Klavikulargruben erinnern entschieden
an die Kombination myxödematöser Hautveränderungen bei Basedow¬
kranken.
Die einzigen echten umschriebenen symmetrischen Lipombildungen
bei gleichzeitigem Basedow finde ich in der Sattlerschen Monographie
unter der (mir etwas fragwürdigen) klinischen Einheit der Dercuroschen
Adipositas dolorosa registriert. Es handelt sich in den beiden Fällen
von Johanny Roux und A. Ghelphi 4 ) um symmetrische, schmerzhafte
„lipomatöse Knötchen“ an den. Vorderarmen. Ob es sich wirklich um
Lipome oder um multiple Neurofibrome handelt, geht aus der mir zu¬
gänglichen Schilderung nicht hervor. Auch typische Dercumsche Krank¬
heit wurde mit Morb. Basedowii kombiniert beobachtet (G. Frati), aller¬
dings zu vereinzelt, als dass dadurch die Annahme Dercums von einer
thyreogenen (bzw. hypothyreogenen) Genese der Adipositas dolorosa ge¬
stützt werden könnte.
Mein Fall 2 ist deshalb von Interesse, weil er die früher gemut-
masste Abhängigkeit der symmetrischen Lipome von der Funktion der
Schilddrüse einerseits und den sympathikusinnervierten Vasomotoren
andererseits durch eine konkrete Beobachtung zur Gewissheit erhebt.
Madelung 5 6 ) und Koettnitz wiesen wohl zuerst darauf hin, dass „das
An- und Abschwcllen der Tumoren mit und ohne Schmerzgefühl in
manchen Fällen in ziemlich schnellem Tempo erfolge.“ Sie zogen daraus
den Schluss, dass es sich dabei um vasomotorische Störungen
handle. Damit ist die wichtige und in weiten Kreisen unbekannte Tat¬
sache festgelegt, dass die Lipome keine — sit venia verbo — stumpf¬
sinnigen Geschwülste sind, wie man sie bisher meist auffasste, sondern
eine ausgedehnte vasomotorische Innervation (in manchen Fällen) besitzen
müssen. Madelung glaubte, dass „örtlich beschränkte Neurosen“ und
umschriebene Lipome aus derselben Ursache entstehen könnten und de¬
monstrierte dies an einem Fall, in dem an einem kontusionierten Arm
neben nervösen Störungen Lipome auftraten. Noch interessanter ist der
Fall von Buchterkirch und Bumke 8 ), in dom es nach Kontusion der
Wirbelsäule zu multiplen symmetrischen Lipomen des Rückens und Bauches
kam, deren Entstehung von den Verfassern durch eine Störung der ner¬
vösen, trophischen Zentralorgane erklärt wird. Die Deutung der sym-
1) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 48. S. 1 u. f.
2) Zit. nach Sattler.
3) Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Chir. u. Med. Bd. 9. S. 1 u. f.
4) Zit. nach Sattler.
5) Arh. f. klin. Chirurgie. Bd. 37. S. 106 u. f.
6) Berl. klin. Wochenschr. 1887. S. 634.
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260 H. CURSCHMANN, Ueber intermittierende Basedowsymptome.
metrischen Lipome als Ausdruck einer Trophoneurose [Grosch 1 ),
Koettnitz] erscheint dadurch für eine Reihe dieser Fälle berechtigt.
Dadurch wird auch unsere Beobachtung verständlich und interessant,
da sie zeigt, dass derselbe Reizzustand, der einerseits das Asthma bron¬
chiale, andererseits einen thyreotoxischen Zustand in Gestalt des inter¬
mittierenden Basedows hervorruft, im Stande ist, auch die Vasomotoren
bzw. die Dilatatoren der symmetrischen Lipome in Aktion zu versetzen.
Denn bei dem raschen An- und Abschwellen kann es sich auch in unserem
Falle nur um vasomotorische Einwirkung, nicht aber um trophische Ver¬
änderungen der Geschwulstsubstanz, des Fettes, handeln.
1) Deutsche Zeitschr. f. klin. Chirurgie. Bd. 26. H. 3 u. 4.
Goöglc
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XVII.
Aus dem Laboratorium des städtischen Krankenhauses „Elpis“ zu Athen.
Ueber die entgiftende Tätigkeit der Parathyreoidea
bei der Nephritis. 1 )
Von
Priv.-Doz. Dr. Melet. Georgopulos,
Dirig. Arzt der roed. Poliklinik.
Gestützt auf die Arbeiten der letzten Jahre über die Funktion der
Parathyreoidea und auf meine in der Athener medizinischen Gesellschaft
mitgeteiltcn 2 ) und in dieser Zeitschrift veröffentlichten Versuche über die
Beziehungen dieser Drüse zum chromaffinen System, muss man sie als
ein entgiftendes Organ betrachten. Mit Rücksicht hierauf wären Unter¬
suchungen über eine entgiftende Tätigkeit der Epithelkörperchen bei
verschiedenen toxischen Zuständen nicht unberechtigt. Als einen solchen
möchte ich zunächst die durch-die Brightsche Niereninsuffizienz erzeugte
Urämie in Betracht ziehen, und dies nicht nur wegen ihrer Häufigkeit,
sondern auch weil die Untersuchungen von Vaquez, Aubertin und
Ambard, Mönötrier, Vidal und Boidrin, Vaquez und Aubertin,
Aubertin und Cunet, Darrö und besonders die neueren von Schur,
Wiesel, Kaufmann und Mannaberg, Pal, Eichler, Comessati,
Reicher, Goldzieher und Molnär, Miesowicz und Macziag u. a.
auf eine Hyperfunktion des chromaffinen Systems bei der Nephritis hin-
weisen. Denn man fand bei dieser Erkrankung einerseits das Vorhanden¬
sein von Adrenalin im peripherischen Blute und andererseits Zeichen von
Hypertrophie der Nebennieren. Es wurden sogar Erscheinungen der
Nephritis, wie z. B. die Blutdrucksteigerung, auf die Wirkung der in ver¬
mehrter Menge gebildeten Sekretionsprodukte des chromaffinen Systems
zurückgeführt. Wie nun aus den im Anfang erwähnten fremden und
meinen eigenen Untersuchungen hervorgeht, wird die Wirkung dieser
Produkte durch die Tätigkeit der Epithelkörperchen gehemmt.
Von diesen Gedanken ausgehend, entschloss ich mich zu erforschen,
1) Eine vorläufige Mitteilung wurde am 12. Oktober in der Athen, med. Ge¬
sellschaft gemaoht.
2) Vortrag gehalten am 10. Februar. Diese Zeitschr. Bd. 75. H. 5 u. 6.
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262 M. GEORGOPULOS,
ob die Steigerung der Tätigkeit der Epithelkörperchen auf die Ent¬
wickelung der Erscheinungen der Nephritis, die auf giftige Stoffe zurück¬
geführt und urämisch genannt werden, hemmend einwirkt. Der nächste
Weg dazu wäre die Beobachtung, ob die urämischen Erscheinungen der
menschlichen Nephritis bei einer, durch Darreichung von Nebenschild¬
drüsenextrakt erzielten Vermehrung des im Organismus des Nephritikers
kreisenden inneren Sekretes der Parathyreoidea, eine Verminderung er¬
fahren. Dieser Weg scheint mir aber nicht geeignet zu sein. Zunächst
ist das klinische Bild der menschlichen Urämie so mannigfaltig und
zeigt so grosse Intensitätsschwankungen, dass die Beurteilung der Wirkung
therapeutischer Mittel auf dieselbe mit grossen Schwierigkeiten verbunden
ist. Dann stösst diese Beurteilung auf weitere Schwierigkeiten wegen
der Nebenwirkungen der anzuwendenden Extrakte, auf welche wir •ange¬
wiesen sind, nachdem das wirksame Prinzip der endokrinen Funktion
der Parathyreoidea noch nicht erkannt ist.
ln besserer Lage befinden wir uns beim Tierexperiment. Hier sind
wir zunächst imstande, durch verschiedene giftige Substanzen und be¬
sonders durch Urannitrat eine akute Nierenentzündung mit mehr oder
weniger bestimmtem Verlauf zu erzeugen. Dann können wir durch
einen einfachen und leicht auszuführenden Eingriff eine Ueberfunktion
der Epithelkörperchen hervorrufen. Dieser besteht in der Exstirpation
der Schilddrüse, eines, nach den einleitend erwähnten Forschungen, anta¬
gonistisch auf die Funktion der Parathyreoidea einwirkenden Organes,
dessen Ausschaltung diese Funktion freilässt.
Nach einem solchen Versuchsschema bin ich also vorgegangen.
Bei einer Reihe von Kaninchen habe ich beide Schilddrüsen exstirpiert
und dann durch tägliche subkutane Injektionen von 0,005 Urannitrat
eine Nierenentzündung erzeugt, und ihren Verlauf mit demjenigen der
durch dieselben Dosen von Urannitrat einer anderen Reihe von normalen
Kaninchen hervorgerufenen verglichen. Alle Tiere bekamen dieselbe Art
und Menge Futter. Die in den folgenden Versuchsprotokollcn paar¬
weise gegenübergestelltcn Kaninchen waren von demselben Körpergewicht
und Wurf.
26. 9.
Versuch 1.
Exstirpation beider Schilddrüsen
Kaninchens.
eines
Versuch 2.
Normales Kaninchen.
to
00
ID
Urinmenge (24 Std.) 135 ccm, 0,005 Uran nitrat 1
28. 9.
Urinmenge 125ccm, 0,005 Urannitrat subkut.
29. 9.
n
(24Std.) 90 „ 0,005
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(24Std.) 0 „ -
vormittags ging das Tier ein.
Um 3 Uhr nachmittags ging das Tier ein.
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Üeber die entgiftende 'Tätigkeit der farathyreoidea bei der Nephritis. 263
Versuch 3.
26. 9. Exstirpation beider Schilddrüsen
eines Kaninchen.
28. 9. Urinmenge 120ccm, 0,005 Urannitrat
29. 9.
77
85 „
0,005
30. 9.
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4.10.
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Das Tier ging morgens ein.
Versuch 4.
Normales Kaninchen.
28. 9.Urinmenge 130ccm,0,005Urannitrat
29. 9.
77
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2 .10.
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0
7)
—
In der Nacht ging das Tier ein.
Versuch 5.
Am 8. 10. wurden beide Schilddrüsen
eines Kaninchens exstirpiert.
9.10. Urinmenge 105ccm,0,005 Urannitrat
10 .10.
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0,005
11 .10.
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13.10.
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77
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14.10.
7)
0
77
—
Das Tier ging mittags ein.
Versuch 6.
Normales Kaninchen.
9.10. Urinmenge llOccm,0,005 Urannitrat
10.10. „ 75 „ - „
11.10. „ 45 „ - „
12 . 10 . „ 10 , - „
13.10. „ 0 „ „
Das Tier ging in der Nacht ein.
Versuch 7.
Versuch 8.
19.10.
Exstirpation beider Schilddrüsen
Normales Kaninchen.
eines Kaninchens.
20.10. Urinmenge 145com, 0,005 Urannitrat
20.10. Urinmenge 150ccm,0,005 Urannitrat
21 .10.
„ 110 „ 0,005
77
21 .10.
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22 .10.
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22 .10.
77
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11
23.10.
77
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24.10.
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27.10.
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In der Nacht ging das Tier ein.
28.10.
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77
Das Tier ging morgens ein.
Versuch 9.
4.11. Exstirpation beider Schilddrüsen
eines Kaninchens.
5.11. Urinmenge 125ccm,0,005 Urannitrat
6 .11.
7)
75
77
0,005
7.11.
77
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77
0
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11 .11.
77
0
77
—
Das Tier ging morgens ein.
ZeitBchr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 u. 4.
Versuch 10.
Normales Kaninchen.
5.11. Urinmenge 120ccm,0,005 Urannitrat
6 .11. „
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77
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77
9.11. „
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77
Das Tier
ging in der Nacht
ein.
18
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264
M. GEOKGOPULÖS,
Versuch 11.
16.11. Exstirpation beider Sohilddrüsen
eines Kaninchens.
17.11. Urinmenge 130ccm,0,005 Urannitrat
18.11.
19.11.
20 . 11 .
21 . 11 .
22 . 11 .
90
45
10
0
0
Das Tier ging nachmittags ein.
Versuch 12.
Normales Kaninchen.
17.11. Urinmenge 135ccm,0,005 Urannitrat
18.11.
19.11.
20 . 11 .
21 . 11 .
22 . 11 .
85 „ 0,005
50 „ 0,005
10 „ 0,005
0
Das Tier ging in der Nacht ein.
Versuch 13.
26.11. Exstirpation beider Schilddrüsen
eines Kaninchens.
27.11.
Urinmenge 145ccm,0,005 Urannitrat
28.11.
n
108 „ 0,005
7)
29.11.
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Das Tier ging in der Nacht ein.
Versuch 14.
Normales Kaninchen.
27.11. Urinmenge 140ccm, 0,005 Urannitrat
28.11.
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100
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0,005
29.11.
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0,005
2 .12.
fl
0
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—
Das Tier ging in der Nacht ein.
Versuch 15.
5.12. Exstirpation beider Schilddrüsen
eines Kaninchens.
6 .12. Urinmenge 140ccm, 0,005 Urannitrat
7.12.
n
95 „
0,005
8 .12.
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0,005
11 .12.
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—
Das Tier ging in der Nacht ein.
Versuch 16.
Normales Kaninchen.
6.12. Urinmenge 145ccm,0,005 Urannitrat
7.12.
77
100 „
0,005
8 .12.
77
50 „
0,005
9.12.
77
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0,005
10 .12.
77
5 „
0,005
11 .12.
77
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—
Das Tier ging in der Nacht ein.
15.
Versuch 17.
1. Exstirpation beider Schilddrüsen
eines Kaninchens.
16. 1. U r i n menge 125ccm, 0,005 Urann i trat
17. 1.
18.
19.
20 . 1 .
21 . 1 .
22 . 1 .
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0,005
Das Tier ging in der Nacht ein.
Versuch 18.
Normales Kaninchen.
16. l.Urinmengel 20ccm, 0,005 U ran nitrat
17. 1. „ 60 „ 0,005 „
18. 1. „ 30 „ 0,005 „
19. 1. „ 10 „ 0,005 „
20 . 1 . _ 0 „ -
Das Tier ging morgens ein.
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üeber die entgiftende 'Tätigkeit der Tarathyreoidea bei der Nephritis. 265
Ein Blick auf meine Versuchsprotokolle zeigt, dass bei der Mehr¬
zahl der Vergleichs versuche die thyreopriven Kaninchen länger als die
normalen lebten. Obwohl dieser Befund nicht konstant ist, glaube ich
mich jedoch, gestützt auf diese Versuche, zu der Annahme berechtigt,
dass die Schilddrüsenexstirpation eine Verlängerung des Lebens der mit
Urannitrat vergifteten Kaninchen herbeizuführen vermag. Und dies, weil
bei keinem Vergleichsversuch das normale Tier länger als das thyreo-
prive lebte, und weil das Maximum der Lebensdauer der normalen
Kaninchen 6 Tage, während das der thyreopriven 8 Tage betrug. Für
das nicht Konstante des Befundes fehlt es nicht an Erklärungen. Zu¬
nächst ist bei der Schilddrüsenexstirpation eine gleichzeitige Schädigung
der Epithelkörperchen nicht auszuschliessen. Ferner liegt der Gedanke
nahe, dass durch die Exstirpation der Thyreoidea nicht das ganze Schild¬
drüsengewebe des Tieres herausgenommen wird, sondern dass noch
solches, anderswo eingelagert, zurückbleibt, welches hypertrophieren und
das in den exstirpierten Schilddrüsen enthaltene ersetzen kann. Auf eine
derartige Möglichkeit weisen meine vor kurzem begonnenen Unter¬
suchungen hin, welche das Studium der bestehenden Beziehungen zwischen
den Epithelkörperchen und der Thyreoidea zur Aufgabe haben, und deren
Ergebnisse ich bald mitzuteilen hoffe.
Die oben angeführten Befunde stellen also die Annahme der ent¬
giftenden Wirkung der Schilddrüsenexstirpation bei der Uranvergiftung
fest. Es entsteht nun gleich die Frage, wie dies zustande kommt.
Wird die schädigende Wirkung des Urannitrats vermindert und so die
Entwicklung' der durch diese Substanz erzeugten Nierenveränderungen
verlangsamt, oder wird das Auftreten der verhängnisvollen Folgen der
Nierenentzündung hinausgeschoben? Dass das erstere nicht der Fall ist,
zeigt ein Blick auf des Verhalten der Harnsekretion bei den normalen
und bei den thyreopriven Kaninchen. Denn bei beiden verlaufen die
durch die Urannephritis erzeugten Störungen der Harnsekretion parallel,
was uns zu der Annahme berechtigt, dass auch bei den thyreopriven
Kaninchen die Nierenveränderungen ebenso schnell wie bei den normalen
hervorgerufen werden. De Anurie stellt sich bei beiden in gleicher Zeit
ein, sie braucht aber bei den thyreopriven Tieren längere Zeit um den
Tod herbeizuführen. Aus diesen Versuchsergebnissen dürfen wir also den
Schluss ziehen, dass die längere Lebensdauer der thyreopriven Kaninchen
nicht von einer Verminderung der schädigenden Wirkung des Urannitrats
herrührt, sondern von einer Verlangsamung des Auftretens der Folgen,
welche die durch die Urannephritis hervorgerufene Niereninsuffizienz
herbeiführt. Da nun die Aufhebung der Nierentätigkeit durch Anhäufung
verschiedener schädlicher Stoffe im Organismus für diesen verhängnisvoll
wird, so sind wir, um die längere Lebensdauer der thyreopriven Kaninchen
zu erklären, zu der Annahme berechtigt, dass die Schilddrüsenexstirpation
die Wirkung dieser Stoffe hemmt.
18 *
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m
M. GfcORGOPÜLOS,
Hier ist vor weiteren Auseinandersetzungen zu entscheiden, ob diese
Hemmung, wie sie bei der Anstellung unserer Versuche vorausgesetzt
wurde, von einer durch die Schilddrüsenexstirpation bedingten Steigerung
der Epithelkörperchentätigkeit herrührt, oder ob sie auf - eine direkte
Wirkung der Schilddrüsenausschaltung zurückgeführt werden muss. Denn
wie der amerikanische Forscher Reid Hunt gefunden hat, und wie es
von Gottlieb bestätigt wurde, hemmen Schilddrüsenstoffe den Abbau
und die Spaltung verschiedener Substanzen im tierischen Organismus, und
wenn es sich bei diesen um Gifte handelt, wird diese Hemmung eine
Steigerung der schädlichen Wirkung dieser Gifte zur Folge haben, nachdem
dadurch ihre Zerstörung bzw. ihre Umwandlung in ungiftige Substanzen
verhindert wird. Nun kann die Schilddrüse auch auf den Abbau ur¬
ämischer Gifte hemmend einwirken. In diesem Falle wird bei Schild¬
drüsenexstirpation, durch Wegfall der Hemmung, der Abbau der genannten
Gifte schneller vor sich gehen, was eine Verminderung ihrer Giftwirkung
zur Folge haben wird.
Wenn nun wirklich der beobachtete günstige Einfluss der Schilddrüsen¬
exstirpation auf den Verlauf der Urannephritis nicht indirekt durch die
Steigerung der Epithelkörperchentätigkeit sondern auf einem direkten
Wege durch den Ausfall einer hemmenden Wirkung der Schilddrüse auf
den Abbau urämischer Gifte zustande kommt, so muss er auch zu Tage
treten, selbst wenn die Epithelkörperchen mit der Schilddrüse ausgeschaltet
werden. Infolgedessen müssen 'wir zur Entscheidung untersuchen, ob
die Schilddrüsenexstirpation auch nach Entfernung der Epithelkörperchen
eine Verlängerung der Lebensdauer der mit Uran vergifteten Kaninchen
herbeiführt.
Bei den dazu angestellten Versuchen habe ich folgende Versuchs¬
anordnung angewandt. Bei einer Reihe von Kaninchen spritzte ich täglich
0,005 Urannitrat subkutan ein. Am 4. Versuchstag, also nach der
4. Uraninjektion, wurde der ganze Schilddrüsenapparat der Tiere, d. h. die
Schilddrüsen mit den Epithelkörperchen exstirpiert. Zum Vergleich wurden
bei einer anderen Reihe von in gleicher Weise mit Urannitrat behandelten
Kaninchen, und hier auch am 4. Versuchstag, die Epithelkörperchen
ohne die Schilddrüsen herausgenommen. Ich halte nicht für überflüssig
den Grund anzugeben, warum die Eingriffe in den Schilddrüsenapparat
am 4. Versuchstag und nicht gleich mit dem Beginn der Uranein¬
spritzungen ausgeführt wurden. Die Entfernung der Epithelkörperchen
ruft den Tod der Kaninchen in 3 bis höchstens 5 Tagen hervor. Nach¬
dem nun die Uranvergiftung längere Zeit dazu braucht, so würde der
durch die Nebenschilddrüsenausschaltung bedingte Tod die Beobachtung
des ganzen Verlaufs der Urannephritis und der eventuell auftretenden
Verlängerung des Lebens der Tiere durch die Schilddrüsenexstirpation
verhindern. Deswegen habe ich die Epithelkörperchen herausgenommen
zu einer Zeit, wo die Anurie bevorstand oder wo sie sich eingestellt hatte.
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Ueber die entgiftende Tätigkeit der Parathyreoidea bei der Nephritis. 267
Es stellte sich nun bei diesen Vergleichsversuchen kein Unterschied
in bezug auf die Lebensdauer der Tiere heraus. Die Urannephritis ruft
den Tod bei parathyreoidektomierten wie auch bei thyreoparathyreoid-
ektoraierten Kaninchen in gleicher Zeit hervor. Die Schilddrüsenexstirpation
übt also keinen Einfluss auf die Lebensdauer der mit Uran vergifteten
Kaninchen aus, wenn bei diesen die Epithelkörperchen fehlen, und hier¬
aus geht hervor, dass der beobachtete Einfluss bei Kaninchen mit un¬
versehrten Epithelkörperchen nicht direkt von der Ausschaltung der
Schilddrüsen, sondern von der durch diesen Eingriff bedingten Steigerung
der Epithelkörperchentätigkeit herrührt.
Eine letzte Frage, die sich jetzt erhebt, betrifft das Wesen der Gifte,
deren Wirkung die Parathyreoidea hemmt. Es ist zunächst zu ent¬
scheiden, ob es sich bei diesen um spezifische Stoffe handelt oder um
die gewöhnlichen Stoffwechselprodukte, die sich im Tierkörper wegen der
Niereninsuffizienz anhäufen. Dass das letztere nicht der Fall ist, zeigen
folgende von mit angestellte Tierexperimente. Bei mehreren Kaninchen
habe ich beide Schilddrüsen exstirpiert und dann eine doppelseitige Nephrek¬
tomie ausgeführt. Bei einem Vergleich dieser Tiere mit anderen von
demselben Körpergewicht und Wurf, welche auch doppelseitig nephrek-
tomiert waren, aber den Schilddrüsenapparat unversehrt hatten, stellte
sich kein Unterschied in bezug auf die Lebensdauer heraus.
Wenn also bei einem völligen Verschluss der Nierenpforten, welcher
zur Anhäufung einer sehr grossen Menge von den gewöhnlichen Zerfalls¬
produkten des Stoffwechsels führt, die Schilddrüsenexstirpation und die
dadurch bedingte Ueberfunktion der Epithelkörperchen keine Verlängerung
des Lebens der Versuchstiere herbeiführt, so müssen wir hieraus den
Schluss ziehen, dass die beobachtete bei der Urannephritis, unter dem
Einfluss desselben Eingriffs, von dem Vorhandensein spezifischer Stoffe,
die bei diesem pathologischen Zustand entstehen und deren Wirkung von
der Parathyreoidea gehemmt wird, herrührt. Und dass die Nephritis zur
Bildung spezifischer giftiger Stoffe Anlass gibt, zeigen die neueren, mit
der Pathogenese der Urämie beschäftigten Arbeiten.
Es fragt sich nun weiter, ob wir über das Wesen der urämischen
Gifte, deren Wirkung die Parathyreoidea hemmt, etwas Näheres sagen
können. Diese Frage muss leider verneint werden, was ja auch im voraus
zu erwarten war, nachdem sie mit dem Studium des Wesens der urämi¬
schen Gifte im allgemeinen im Zusammenhang steht, worüber die Arbeiten
älterer und neuerer Zeiten, trotz ihrer gewaltigen Menge, nichts Sicheres
zu Tage gefördert haben.
Einleitend wurde erwähnt, dass Forschungen der letzten Jahre auf
eine Ueberfunktion des chromaffinen Systems bei der Nephritis hin-
weisen, und dies war, wie gesagt, einer der Gründe, die mich veranlasst
haben, die entgiftende Tätigkeit der Epithelkörperchen bei dieser Er¬
krankung zu erforschen, nachdem diese Körperchen die Wirkung der
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268 M. GEORGOPULOS, Ueber die entgiftende Tätigkeit der Paratbyreoidea.
Sekretionsprodukte des genannten Systems hemmen. Hierauf gestutzt,
dürfte man vielleicht annehmen, dass die urämischen Gifte, deren Wirkung
die Parathyreoidea hemmt, wenigstens zum Teil, Sekretionsprodukte des
chromaffinen Systems sind. Eine Solche Annahme muss aber nur als
eine Hypothese betrachtet werden, nachdem die Ueberfunktion des chro¬
maffinen Systems bei der Nephritis noch nicht mit Sicherheit bewiesen
ist (Schlayer).
Was ich zuletzt nicht unerwähnt lassen möchte, ist die von mir ge¬
machte Beobachtung, nach welcher die Urannephritis häufiger bei den
normalen als bei den thyreopriven Kaninchen Zuckungen am Ende des Lebens
zur Folge hat. Zur Erklärung dieses Befundes könnte man die Hypo¬
these aussprechen, dass es unter den urämischen Giften, deren Wirkung
die Parathyreoidea hemmt, solche gibt, welche spasmogen wirken.
Zum Schluss möchte ich auf die Möglichkeit der therapeutischen
Anwendung der entgiftenden Tätigkeit der Parathyreoidea bei der Ne¬
phritis hinweisen. Denn es steht nichts im Wege, was wir bei dieser
experimentellen Nephritis des Kaninchens beobachtet haben, auf die
menschliche zu übertragen.
Literatur.
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Cnnet, Hypertrophie cardiaque et hyperplasie mddullaire des surränales. Soc. mfrl.
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Wirkung des Serums Nephrektomierter und Nierenkranker. Berl. klin. Wochenschr.
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Mannaberg, Wien. klin. Wochenschr. 1907. Nr. 23. — 9) M4ndtrier, Note sur les
rapports des adenomes des capsul. surrdn. avec la ndphrite interstit. atroph. Soc. des
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halten der mydriat. Substanzen im menschlichen Serum. Gazeta lekarska. Nr. 49. 1908.
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Substanzen im Harne. Deutsche med. Wochenschr. 1907. Nr.42. — 12) Reicher, Be¬
ziehungen zwischen Adrenalsystem und Niere. Berl.klin. Wochenschr. 1908. —13) Reid
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gdn^ralisde et bypert. arterielle. Soc. med. des hop. 21 juill. 1905. Sem. mid. 1905.
— 20) Wiesel, Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. 1907.
Gck igle
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XVIII.
Aus der III. medizinischen Klinik der Universität in Budapest.
(Direktor: Dr. Alexander Baron v. Koränyi, o. ö. Prof.)
Ueber die diagnostische Verwertung der Echinokokken-
Komplementbindung.
Ton
Dr. Theodor Bärsony und Dr. Ernst Egan.
Ghedini gelang es im Jahre 1906 mit Hilfe der Bordet-Gengouschen
Komplementbindungsmethode, im Serum Echinokokkus-Kranker das Vor¬
handensein spezifischer Antikörper nachzuweisen. Weinberg, Parvu u. a.,
die diese Reaktion an einem grossen Materiale nachprüften, erblickten
darin eine Methode von hohem diagnostischen Werte. Seither erschienen
über dieses Thema mehrere Mitteilungen, jedoch gingen die Meinungen
über den Wert der Reaktion stark auseinander. Nach der Meinung der
Verfasser hängt das verschiedene Ausfallen der Reaktion von der Ver¬
schiedenheit der Herkunft des Antigens ab. Nach Weinberg und Putzu
wurde als Antigen meist Zystenflüssigkeit vom Schaf verwendet. Vas
und Braunstein erhielten mit Rinderzystenflüssigkeit befriedigende Re¬
sultate. Menschliche Zystenflüssigkeit wird von den meisten als unbrauch¬
bar erklärt, da mit derselben auch Normalserum positiv reagiert (Wein¬
berg, Putzu,'Eckenstein, Durand). Dobrotin hingegen erhielt mit
Menschenzystenflüssigkeit und Echinokokkus-Serum positive Reaktion,
während dieselbe mit verschiedenen Rinderzystenflüssigkeiten, mehrmals
durchgeführt, immer negativ ausfiel.
Nebst der unverlässlichen, schwer konservierbaren, oft schwer zu
beschaffenden Zystenflüssigkeit begann man mit dem Alkoholextrakt als
Antigen Versuche zu machen. Parvu, Kreuter, Israel, Meyer, Ro-
sello konnten auch mit letzterem Erfolge aufweisen. Neuerdings machten
aber Brauer, Israel, Vas auf eine wichtige Fehlerquelle aufmerksam:
mit dem Alkoholextrakt gaben Sera von Luetikern und noch mehr von
Leprösen nicht spezifische Komplementbindung.
Bei dieser grossen Differenz in der Wirkung der einzelnen Antigene
wurde es notwendig, diese näher zu untersuchen.
Wir machten daher systematische Versuche mit Rinder- und Menschen¬
zystenflüssigkeiten, indem wir deren Titer mittelst Prüfung der unter-
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Gck igle
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270 THEODOR BARSONY und ERNST EGAN,
hemmenden Dosis bestimmten. Die Resultate, deren einige in folgender
Tabelle angeführt sind, dürften die Widersprüche über die Brauchbarkeit
der Antigene aufklären (Tab. 1).
Tabelle 1.
Antigen
ccm
Kompl.
ccm
Hämolysin
Blut
1 ccm
Resultat
Anmerkung
Klare Rinder-
Zystenflüssigkeit
0,25
0,5
1,0
2,0
3,0
0,1
0,1
0,1
0,1
0,1
2 X lösende
Dosis
do.
do.
do.
do.
5 pCt.
do.
do.
do.
do.
In 10 Min. kompl.
Hämolyse
do.
do.
do.
do.
Der grösste Teil
der klaren Rin¬
derzystenflüssig¬
keiten ergab ein
mit diesem über¬
einstimmendes
Resultat.
■*»
0,25
0,1
2 X lösende
Dosis
5 pCt.
ln 30 Min. kompl.
Hämolyse
Von den 22 unter¬
suchten klaren
bO
fl *55
•3 2
0,5
0,1
do.
do.
In 45 Min. kompl.
Hämolyse
Rinderzysten¬
flüssigkeiten er-
W :fl
ca
1,0
0,1
do.
do.
do.
hielten wir bloss
£ o
«2
5 5*
2,0
0,1
do.
do.
In 45 Min. un¬
komplette Hämolyse
in 2 Fällen die¬
ses Resultat.
' CS3
8,0
0,1
do.
do.
In 45 Min. kompl.
Hemmung
0
^ bO
0,25
0,1
2 X lösende
Dosis
5 pCt.
In 45 Min. schwache
Hämolyse
•S ’m
ea,g
0,5
0,1
do.
do.
In 45 Min. kompl.
Hemmung
£ fl
Ä tL
1,0
0,1
do.
do.
do.
2,0
0,1
do.
do.
do.
CS3
8,0
0,1
do.
do.
do.
o
o ©
0,25
0,1
2 X lösende
Dosis
5 pCt.
In 30 Min. kompl.
Hämolyse
Ganz ähnliche
Resultate erhiel¬
0,5
0,1
do.
do.
do.
ten wir in wei¬
11
sl
o -2
% &
1,0
0,1
do.
do.
In 45 Min. kompl.
Hämolyse
teren 2 Fällen
von menschli¬
2,0
0,1
do.
do.
In 45 Min. un¬
komplette Hämolyse
cher Zysten¬
flüssigkeit.
8,0
0,1
do.
do.
In 45 Min. kompl.
Hemmung
Während also einzelne Zystenilüssigkeiten auch in grösseren Mengen
in wenigen Minuten zu kompletter Hämolyse führen, ist bei anderen auch
nach s / 4 Stunden vollständige Hemmung zu verzeichnen. Menschliche
Zystenflüssigkeiten ergaben — in den wenigen untersuchten Fällen —
niedrigere Werte der unterhemmenden Dosis. Trübe Zystenflüssigkeiten
zeigten auch in minimalen Mengen vollständige Hemmung, was die über¬
einstimmende Ansicht der Forscher betreffs Unbrauchbarkeit trüber Zysten¬
flüssigkeiten bestätigt.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Ursache der Brauchbarkeit des
Antigens nicht in dessen Herkunft, sondern in dessen Konzentration zu
suchen ist. Es war daher naheliegend, anzunehmen, dass die auffallende
Verschiedenheit der Resultate der einzelnen Verfasser — ausser durch
den ungleich grossen Gehalt der Sera an Antikörpern — auch durch ver¬
schieden grosse Konzentration der Zystenflüssigkeiten resp. der Extrakte
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Ueber die diagnostische Verwertung der Echinokokken-Komplementbindung. 271
bedingt sei. Bestätigt wurde unsere Annahme durch den weiteren Verlauf
der Untersuchungen. Gleiche Mengen des Serums eines Echinokokkus-
Kranken wurden mit gleichen Mengen verschiedener Zystenflüssigkeiten
von verschieden grossem Titer eingestellt, und da zeigte es sich, dass
mit der Zystenflüssigkeit von geringerer Konzentration Hämolyse eintrat,
während die Reaktionen mit konzentrierterer Zystenflüssigkeit vollständige
Hemmung ergaben. Natürlich konnte mit der weniger konzentrierten
Zystenflüssigkeit dann Hemmung erzielt werden, wenn von derselben ent¬
sprechend grössere Mengen eingestellt wurden (Tab. 2).
Tabelle 2.
Serum
A n t i g e n
Kompl.
Hämolysin
IR
Resultat
ccm
ccm
ccm
im
Durch Operation
A Titer: in
verifizierter Fall
0.2
10 Min., auch bei
0,4
0,1
2 X lös. Dosis
5 pCt.
Hämolyse
vonLeberechino-
0,1
3 ccm kompl. Hä-
0,4
0,1
do.
do’
kokkus.
0,05
molyse.
0,4
0,1
do.
do.
B Titer: In
do.
0,2
®/ 4 Std., bei 2 ccm
0,4
0,1
do.
do.
Kompl. Hemmung
0,1
Hämolyse, bei
3 ccm Hemmung.
0,4
0,1
do.
do.
n
0,05
0,4
0,1
do.
do.
»
C Titer wie bei
do.
0,2
A.
0,4
0,1
do.
do.
Hämolyse
0,1
0,4
0,1
do.
do.
7)
0,05
D Titer: In
0,4
0,1
do.
do.
J»
do.
0,2
3 /4Std.,beil,5ccm
0,4
0,1
do.
do.
Kompl. Hemmung
0,1
Hämolyse, bei
2 ccm Hemmung.
0,4
0,1
do.
do- !
0,05
0,4
0,1
do.
do.
A (Titer s. oben.)
do.
0,2
2,0
0,1
do.
do.
Unkompl. Hemmung
0,1
2,0
0,1
do.
do.
»
0,05
C (Titer s, oben.)
2,0
0,1
do.
do.
Hämolyse
do.
0,2
2,0
0,1
do.
do.
Kompl. Hemmung
0,1
2,0
0,1
do.
do.
V
0,05
2,0
0,1
do.
do.
7>
do.
0,2
_
__
0,1
do.
do.
Kompl. Hämolyse
0,1
—
—
0,1
do.
do.
0,05
—
—
0,1
do.
do.
n
Cholelithi&sis
0,2
A
2,0
0,1
2 X lös. Dosis
5 pCt.
Kompl. Hämolyse
(akuter Ikterus)
0,1
2,0
0,1
do.
do.
0,05
2,0
0,1
do.
do.
7i
do.
0,2
B
0,4
0,1
do.
do.
T»
0,1
0,4
0,1
do.
do.
0,05
0,4
0,1
do.
do.
n
do.
0,2
C
2,0
0,1
do.
do.
rt
0,1
2,0
0,1
do.
do.
V
0,05
2,0
0,1
do.
do.
ji
do.
0,2
D
0,4
0,1
do. !
do.
r)
0,1
0,4
0.1
do.
do.
V
0,05
0,4
0,1
do. |
do.
n
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272 THEODOR BARSONY und ERNST EGAN,
Zur richtigen Verwertung der Reaktionen war es also erforderlich,
ein Antigen von ständigem Werte herzustellen.
Zu diesem Zwecke gingen wir folgendermassen vor: Die Rinder¬
echinokokkus-Zysten wurden von der Schlachtbank bezogen und ihr Inhalt
steril aufgefangen; nach Bestimmung des Titers wurde die Flüssigkeit
im Vakuumexsikkator bei 37° solange eingeengt, bis der Titer ca. 2 ccm
betrug. Der Flüssigkeit wurde nun soviel Phenol zugesetzt, als nötig
war, um eine 1 / 2 P roz * Phenolkonzentration zu erreichen. Das so herge¬
stellte Antigen wurde nach den Angaben Citrons, die sich auf andere
Antigene beziehen, in dunklen Gefässen im Eisschrank aufbewahrt. Bei
Gebrauch wurde die nötige Menge vorsichtig abgegossen, um den sich
bildenden Bodensatz nicht aufzuschütteln.
Auf diese Weise gelangten wir zu einem Antigen, das seinen Titer
Monate hindurch kaum änderte.
Mit diesem Antigen stellten wir Versuche an, teils bei Echinokokkus-
kranken, teils bei anderen Krankheiten, da wir in der Literatur nicht
genügend Anhaltspunkte darüber fanden, wie sich diese Reaktion mit
dem Serum letzterer verhalte.
Als Reagentien wurden verwendet:
1) Als Antigen die auf die oben beschriebene Art behandelte Zysten¬
flüssigkeit. Wir bestimmten vor jeder Reaktion die unterhemmende
Dosis des Antigens und verwendeten den vierten Teil des nach
*/ 4 Stunden abgelesenen Titers.
2) Das zu untersuchende Serum; dasselbe wurde mittelst Venae-
punktion erhalten, immer frisch verwendet, */ 2 Stunde bei 56°
inaktiviert und in Mengen von 0,2, 0,1 und 0,05 ccm eingestellt;
dieselben Mengen dienten als Serumkontrolle.
3) Als Komplement 0,1 ccm frischen Meerschweinchenblutes.
4) Als Hämolysin der „Hammel-Kaninchen-Ambozeptor“ der Höchster
Farbwerke, und zwar 1 ccm 2 mal lösenden Dosis — Titerablesung
nach 3 /* Stunde. — Nach unseren Erfahrungen erhielten wir die
besten Resultate mit Hämolysinen, deren Titer sich zwischen
1: 1000 und 1: 5000 bewegte.
5) Als Erythrozyten l ccm 5proz. Hammelblut-Kochsalzlösung-Sus-
pension.
Es wurden jedesmal auch 'sicher negative und von Fall zu Fall
sicher positive Sera eingestellt, 8 / 4 Stunden sensibilisiert und das Resul¬
tat der Reaktion im Thermostat bei 37° nach 3 / 4 Stunden abgelesen.
Mit jedem Serum wurde ausserdem die Wassermannsche Reaktion
ausgeführt.
Insgesamt untersuchten wir in 109 Fällen. 11 Fälle darunter waren
Echinokokkuskranke, davon konnten wir in 5 Fällen die Reaktion vor
der Operation ausführen (Tab. 3).
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Ueber die diagnostische Verwertung der Echinokokken-Komplementbindung. 273
Tabelle 3.
Fall
Diagnose
Dauer der
Erkrankung
Wasser¬
mann
Resultat
1 .
Leberechinokokkus, faustgrosse
Zyste.
8 Monate
negativ
Kompl. Hemmung
2 .
Leberechinokokkus, kinderkopf¬
grosse Zyste.
2 Jahre
3.
Leber- u. Mesokolonechinokokkus,
zweifaustgrosse Zyste . . .
3 Jahre
Unkompl. Hemmung
4.
Leberechinokokkus, männerkopf¬
grosse Zyste.
2 Jahre
Kompl. Hemmung
5.
Leberechinokokkus, zweifaust¬
grosse Zyste ......
1 Jahr
»
In 4 Fällen also erhielten wir vollständige Hemmung, in einem Falle
war die Hemmung nicht vollständig, es zeigte sich schwache Hämolyse.
In 6 Fällen von Echinokokkuserkrankung konnte die Reaktion erst nach
der Operation ausgeföhrt werden (Tab. 4).
Tabelle 4.
Fall
Diagnose
Dauer der
Erkrankung
Wasser¬
mann
Nach der
Operation
Resultat
6 .
Leberechinokokkus, den
ganzen Bauch ausfüllende
Zyste.
*/ 4 Jahr
negativ
3 Tage
2 Wochen
4 Wochen
Unkompl. Hemmung
»
y>
7.
Leberechinokokkus, män¬
nerkopfgrosse Zyste . .
oa. 8 Jahre
w
2 Monate
V
8 .
Leberechinokokkus, zwei¬
faustgrosse Zyste . . .
1 / 2 Jahr
n
1 Va Monate
Kompl. Hemmung
9.
Leberechinokokkus, män¬
nerkopfgrosse Zyste . .
ca. 13 Jahre
(?)
7)
3V 2 Monate
negativ
10 .
Leberechinokokkus, faust¬
grosse Zyste . .
(?)
V
8 Jahre
y>
11 .
Leberechinokokkus, zwei
kommunizierende Zysten,
faustgross u.zweifaustgross
(?)
7)
5 Monate
V
Von den vor der Operation untersuchten Fällen konnte in 4 Fällen
das Verhalten auch nach der Operation untersucht werden.
In Fall 1 war vor der Operation vollständige Hemmung, 3 Wochen
nach der Operation war noch Hemmung vorhanden, 6 Wochen nach der
Operation war die Reaktion negativ.
In Fall 3 war vor der Operation die Hemmung unvollständig, die 2
und 4 Wochen nach der Operation ausgeführte Reaktion zeigte jedoch
beidemal vollständige Hemmung.
In Fall 4 war vor der Operation vollständige Hemmung, 3 Wochen
nach der Operation unvollständige Hemmung zu verzeichnen.
Fall 5 zeigte sowohl vor, als auch 8 Tage nach der Operation gleich¬
starke Hemmung.
Nach der Operation konnten wir im ganzen 10 Fälle untersuchen,
nnd zwar frühestens 3 Tage, spätestens 8 Jahre nach der Operation.
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274
THEODOR BARSONY und ERNST EGAN,
Einen Fall (Nr. 1) ausgenommen, bei dem die vorher positive Reaktion
6 Wochen nach derOperation negativ wurde, waren dieReaktionen von3Tagen
bis zu 2 Monaten nach derOperation noch positiv. Die 3^ Monate, 5 Monate
und 8 Jahre nach der Operation ausgeführten Reaktionen waren negativ.
Was das Verhalten der Reaktionen nach der Operation anbetrifft,
haben wir diesbezüglich noch zu wenig Erfahrung und hoffen hierüber
von unseren weiteren Untersuchungen näheren Aufschluss.
Tabelle 5.
Fall
Klinische Diagnose
Wasser¬
mann
Echinokokkus-
Kompl.-Bindung
12 .
Tabes dorsaiis .
++
negativ
13.
Tabes dorsaiis .
-
-
14.
Tabes dorsaiis .
-
-
15.
Tabes dorsaiis .
-
-
16.
Lues, Papiliomakulöses Exanthem ....
+-
-4-
w
17.
Arteriosclerosis, Tabes incipiens.
-
unkompl. Hemmung
18.
Lues, Primäraffekt .
++
negativ
19.
Lues hepatis (Ikterus) .
+
n
20 .
Lues, Condvlomata lata .
++
n
21 .
Echinococcus hepatis [Ikterus]*) .
++■
■H-l
Ti
22 .
Lues, Makulöses Exanthem (Ikterus) ....
+++
7i
23.
Aneurysma aortae .
++
Ti
24.
Lues, vor 5 Monaten Exanthem, derzeit kein
Symptom .
+■
--
unkompl. Hemmung
25.
Tabes dorsaiis .
+■
--
negativ
26.
Hepatitis luetica (Ikterus) .
+’
--
n
27.
Gumma cerebri .
++■
-4-
Ti
28.
Lues, Papiliomakulöses Exanthem ....
+++
unkompl. Hemmung
29.
Paralysis progressiva .
++
negativ
30.
Lues, Makulöses Exanthem .
+++
Ti
31.
Lueshereditaria tarda,Paroxysm.Hämoglobinurie
+4
-4-
»
32.
Hepatitis luetica. ..
4-4-+
7)
33.
Tabes dorsaiis .
+ +
7f
34.
Tabes dorsaiis.
+4
-4-
Ti
35.
Lues, Plaques muqueuses.
+4-
Ti
36.
Tumor cerebri.
+++
Ti
37.
Arteriosclerosis, Tabes incipiens.
Ti
38.
Nephritis chron. (6 Abortus).
++4-
Ti
39.
Paralysis progressiva.
++
Ti
40.
Lues, Condvlomata lata.
+ +
unkompl. Hemmung
41.
Hepatitis luetica (Ikterus).
+++
Ti
42.
Lues, Nephritis.
4++
negativ
43.
Tabes dorsaiis..
+
unkompl. Hemmung
44.
Tabes dorsaiis.
++
negativ
45.
Aneurysma aortae.
+
r>
46.
Arteriosklerosis.
++
»
47.
Lues, Makulopapulöses Exanthem.
++4
Ti
48.
Paralysis progressiva.
4-4-
Ti
49.
Arteriosklerosis.
+
Ti
50.
Tabes dorsaiis.
++
Ti
51.
TabesVdorsalis.
+
Ti
52.
Tabes dorsaiis incipiens.
++
Ti
53.
Lues (vor 2 Jahr. Exanth., derzeit kein Symptom)
+++
»
54.
Echinococcus hepatis? Gumma hepatis?**)
+++4-
Ti
*) In Fall 21 wurde die klinische Diagnose auf Echinococcus hcpatis gestellt. Das
Serum des ikterischen Patienten ergab sehr stark positive Wassermannsche Reaktion und
negative Echinokokkus-Komplementbindung. Bei der Operation wurde Lues hepat konstatiert.
**) Bei der Operation: Lues hepatis.
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Ueber die diagnostische Verwertung der Echinokokken-Komplementbindung. 275
ßei den nicht Ecbinkokkuskranken fanden wir in keinem Falle voll¬
ständige Hemmung. In 8 Fällen jedoch erhielten wir schwach positive
Reaktion. Davon war in 6 Fällen die gleichzeitig ausgeführte Wasser-
mannsche Reaktion positiv, in einem Falle hatte Pat. Taenia mediocanellata,
in einem anderen Falle handelte es sich um Cholelithiasis mit schwerem
Ikterus, kompliziert mit chronischer Pankreatitis.
Ueber die Sera mit positiver Wassermann-Reaktion über Tänien
und über Ikterus vgl. die ff. Tabellen (Tab. 5).
Von den 43 Fällen mit positivem Wassermann war also in 6 Fällen
unvollständige Hemmung bei der Echinokokken-Komplementbindung vor¬
handen. Von diesen 6 Fällen war Wassermann in 2 Fällen stark positiv,
in 4 Fällen schwach positiv, in dem einen Teile der übrigen Fälle mit
kompletter Hämolyse war Wassermann stark positiv. Diese Daten
sprechen dafür, dass der Ausfall der Echinokokken-Komplementbindungs-
reaktion von der Intensität der Wassermannschen Reaktion eines Serums
unabhängig ist.
In den 5 Fällen von Tänia war die Reaktion in einem Falle schwach,
in allen übrigen negativ (Tab. 6).
Tabelle 6.
Fall
Klinische Diagnose
Wasser¬
mann
Echinokokkus-
Kompl.-Bindung
55.
Taenia mediocanellata.
negativ
negativ
56.
Taenia solium (Epileptiforme Krämpfe) . . .
»
unkompl. Hemmung
57.
Taenia mediocanellata.
»
negativ
58.
Taenia* mediocanellata.
»
r>
59.
Taenia mediocanellata.
y>
ff
Sera Ikterischer wurden im ganzen in 17 Fällen untersucht. 5 davon
mit positivem Wassermann vgl. Tab. 5. In den übrigen 12 Fällen war die
Reaktion, den einen obengenannten Fall ausgenommen, stetsnegativ. (Tab.7.)
Tabelle 7 (Sera ikterischer Patienten).
Fall
Klinische Diagnose
Wasser¬
mann
Echinokokkus-
Korapl.-Bindung
60.
Icterus catarrhalis.
negativ
negativ
61.
Care, hepatis (Primärcarc. im Magen), chronischer
Ikterus .
n
62.
Cholelithiasis (akuter Ikterus).
ff
63.
10 Wochen alter Ikterus. Cholelithiasis? Tumor
pancreatis? (Operation: Cholelithiasis +
Pancreatitis min. g.).
ff
unkompl. Hemmung
64.
Cholelithiasis (akuter Ikterus).
ff
negativ
65.
Icterus catarrhalis.
ff
66 .
Care, pancreatis.
ff
»)
67.
Hanotsche Leberzirrhose.
ff
»
68 .
Icterus catarrhalis.
ff
»
69.
Care, vesicac fclleac (Lebermetastasen) . . .
ff
M
70.
Chronischer Ikterus. Care, vesicac felleae? .
ff
ff
71.
Cholelithiasis (akuter Ikterus).
ff
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276 THEODOR BARSONY und ERNST EGAN,
In allen übrigen untersuchten Fällen erhielten wir durchwegs kom¬
plette Hämolyse. (Tab. 8.)
Tabelle 8.
Fall
Klinische Diagnose
Wasser¬
mann
Echinokokkus-
Kompl.-Bindg.
72.
Emphysema pulmonum.
negativ
negativ
73.
Arteriosklerosis.
74.
Nephritis.
yt
75.
Diabetes mellitus.
76.
Aneurysma Aortae.
rt
»9
77.
Care, ventriculi (Lebermetastasen).
ff
99
78.
Grosser Lebertumor (?) Albuminurie.
79.
Care, coeci.. .
80.
Hepatitis Laennec.
81.
Cholelithiasis.
82.
Neurasthenie.
83.
Tumor pleurae (Care.?).
9»
r>
84.
Arteriosklerosis.
85.
Diabetes insipidus.
r>
ff
86 .
Polyglobulie.
w
ff
87.
Leber- und Milztumor, normales Blutbild ....
88 .
Leucaemia myeloidea.
9»
»9
89.
Neurasthenie..
n
v»
90.
Hysterie...
»
»9
91.
Cholelithiasis.
ft
99
92.
Care, ventriculi.
99
99
93.
Tabes dorsalis.
99
ff
94.
Myelitis.
99
ff
95.
Tumor cerebri (?).
99
ff
96.
Neurasthenie.
99
ff
97.
Care, peritonei.
ff
ff
98.
Arteriosklerosis.
99
ff
99.
Nephritis.
ff
ff
100 .
Exsudatum pleuriticum.
ff
ff
101 .
Hepatitis Laennee.
ff
ff
102 .
Tabes dorsalis incipiens?.
»
ff
103.
Nephrolithiasis.
»
ff
104.
Hvperaciditas ventriculi.
n
ff
105.
Typhus abdominalis.
»
ff
106.
Care, recti.
99
ff
107.
Catarrhus apicum.
ff
ff
108.
Splenomegalia (Plethora vera, Diagn. bei der Sektion)
ff
ff
109.
Tumor renis d.? Schnürleberlappen ?.
ff
ff
Zusammenfassung: Es ist uns gelungen, ein ständiges Antigen von
bekannter Konzentration herzustellen, wovon wir in unseren Reaktionen
eine der Konzentration entsprechende Menge verwendeten. Hierdurch ist
die richtige Beurteilung der Verwertbarkeit der Reaktion ermöglicht.
Auf diese Weise erhielten wir bei 8 Echinokokkuskranken vor resp.
kurze Zeit nach der Operation positive Komplementbindungsreaktion.
In 5 FäHen war vollständige, in 3 Fällen unvollständige Hemmung vor¬
handen. In anderen 3 Fällen, bei denen die Reaktion längere Zeit nach
der Operation ausgeführt wurde, war die Reaktion negativ.
Vollständige Hemmung war ausser bei Echinokokkus sonst in keinem
Falle zu finden; unvollständige Hemmung jedoch bei den erwähnten
8 Fällen.
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lieber die diagnostische Verwertung der Echinokokken-Komplementbindung. 277
Die Reaktion kann daher nicht als streng spezifisch bezeichnet
werden, was aber eine praktische Verwertbarkeit nicht ausschliesst. Bei
stark positiver Reaktion ist stets Echinokokkus anzunehmen. In Fällen
mit unvollständiger Hemmung ist Vorsicht geboten. Vorerst muss unter¬
sucht, werden ob der Pat. keine Tänie hat, wenn dies nicht der Fall und
Wassermann negativ ist, dann bekräftigt die unvollständige Hemmung
die klinische Diagnose der Echinokokkuserkrankung. Dass jedoch die
Diagnose auch in solchen Fällen nicht zweifellos zu stellen ist, zeigt
unser Fall von Ikterus, der unvollständige Hemmung aufwies.
Obzwar in allen unseren vor, resp. kurz nach der Operation unter¬
suchten Fällen von Echinokokkus ein positiver Ausfall der Reaktion zu
verzeichnen war, würden wir in Anbetracht der geringen Zahl unserer
Fälle bei negativem Verhalten der Reaktion Echinokokkus nur mit Wahr¬
scheinlichkeit ausschliessen.
Die von uns ausgeführten auf Lokalanaphylaxie beruhenden Re¬
aktionen führten bisher zu keinem Resultat. Perkutane und intrakutane
Impfungen mit stark eingeengter Zystenflüssigkeit blieben erfolglos. Dies¬
bezüglich gedenken wir Versuche mit wässerigom Extrakt aus ganz ein-
getrockncter Zystenflüssigkeit anzustellen.
Literatur.
1) Ghedini, Antioorpi usw. Gaz. osped. 1907. Ref. Centralbl. f. Bakt. 1907.
Bd.40, 41. — 2) Weinberg, Serodiagnostic de l’echinocoooose. Annales de l’Institut
Pasteur. 1909. Ref. Münch, med. Wochenschr. 1909. Nr. 42. — 3) Parvu, Sur
les propri4t6s des anticorps specifiques de Pcchinococcose. Ref. Fol. serotog. 1911.
Bd. 6. H. 1. — 4) Putzu, La diagnosi biologica delP echinococcosi. Centralbl. f.
Bakt. 1910. Bd. 54. H. 1, — 5) Vas, Az echinoooccus felismerfee biologiai reaotio
segitsdg^vel. Orvosi Hetilap. 1910. Nr. 21. — 6) Braunstein, A fyjlagos com-
plementkötesi eljäras az emberi echinococcosisban. Orvosi Hetilap. 1911. Nr. 1. —
7) Eckenstein, The serumdiagnosis of hydatid disease. Lancet. 1910. 6. —
8 ) Dobrotin, Zur Kasuistik der Erkennung des niultilocularen Echinokokkus mittelst
biologischer Komplementablenkung. Berl. klin. Wochenschr. 1910. Nr. 28. —
9) Kreuter, Zur Serodiagnostik der Eohinokokkusinfektion. Münch, med.Wochenschr.
1909. Nr. 36. — 10) A. Israel, Serodiagnose der Echinokokken. Zeitschr. f. Hygiene.
Bd. 66. H. 3. — 11) Derselbe, Eine Fehlerquelle bei der Serodiagnose der Echino¬
kokkeninfektion. Münch, med. Wochenschr. 1911. Nr. 29. — 12) A. Brauer, Eine
Fehlerquelle bei der Serodiagnose der Echinokokkeninvasion. Ebenda. Nr. 20. —
13) K. Meyer, Zur Serodiagnostik der Echinokokkenerkrankung. Berl. klin.Wochen¬
schr. 1910. Nr. 28. — 14) Citron, Die Methoden der Immunodiagnostik und Im-
munotherapie. Leipzig 1910.
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XIX.
Aus der pathologisch-anatomischen Anstalt der Stadt Magdeburg.
Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen
und ihrer regionären Lymphdrüsen.
Eine anatomische Untersuchung
von
Dr. Q. Goerdeler.
(Hierzu Tafel VII—IX.)
Bei der Autopsie von Leichen Erwachsener dürfte es wohl zu den Aus¬
nahmen gehören, dass die Lungen völlig frei von jedweden indurativen Ver¬
änderungen getroffen werden. Es brauchen nicht grob in die Augen fallende
zu sein, aber zum mindesten eine oberflächliche kleine Pleuraverdichtung
oder ein eben erkennbares derbes Knötchen innerhalb des Parenchyms
werden dem eingehenden Untersucher fast in jedem Falle zu Gesicht
oder dessen tastendem Finger zu Gefühl kommen. Da nun die Tuber¬
kulose speziell beim Erwachsenen mit solcher Vorliebe die Lungen befällt und
nachweislich so vielfach Prozesse indurativer Art im Gefolge hat, während
andere Erkrankungen, die auch derartige Veränderungen herbeiführen
können, im Verhältnis zur Tuberkulose für relativ seltene Vorkommnisse
gehalten wurden, war es zunächst nahe liegend, bei allen in den Lungen
vorkommenden Verdichtungen, falls sonst keine ganz sicheren Anhalts¬
punkte für eine anderweitige Entstehung Vorlagen, immer den Tuberkel¬
bazillus als den ursächlichen Faktor zu erklären. Besonders galt und
gilt dies für alle zirkumskripten Verdichtungen, vornehmlich aber für
die indurativen Veränderungen der Spitze, als der Prädilektionsstelle
der ersten Ansiedlung jenes Mikroorganismus, wenigstens beim Erwachsenen,
Veränderungen, deren tuberkulöse Natur vielen als gewissermassermassen
selbstverständlich erschien. Manche Autoren wiederum Hessen auch
andere Erklärungsmöglichkeiten gelten. Eine exakte Beweisführung nach
der einen oder der anderen Richtung hin ist bisher aber nicht erbracht,
und so stösst man beim Studium der hierauf bezüglichen Literatur auf
die widersprechendsten Meinungen.
Hanau z. B. führt die rein indurativen schwarzen oder grauen Einsprengungen
in den Lungenspitzen in den meisten Fällen mit Sicherheit oder sehr grosser Wahr¬
scheinlichkeit auf Inhalation von Kohle oder Mineralstaub zurück, während die
Lungenspitzenveränderungen mit käsigen oder verkalkten Einschlüssen nach ihm
zur Tuberkulose gehören.
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t)ie Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen ustt.
279
Demgegenüber äussert v. Baum garten, dass die Mehrzahl der ansehnlicheren,
sogenannten einfachen Pigmentindurationen ihren Ursprung einer zur Rückbildung
gekommenen Tuberkulose verdanken. Rein fibröse Knötchen innerhalb von Schwielen
müsse man als geheilte Tuberkulose ansehen.
Die im Jahre 1900 erschienene ausführliche Arbeit von Nägeli „Ueber Häufig¬
keit, Lokalisation und Ausheilung der Tuberkulose“ präzisierte den Standpunkt dieses
Autors dahin, bei denjenigen schiefrigen Indurationen der Spitze, wo mikroskopisch
keine positiven Anhaltspunkte für Tuberkulose gefunden würden, wo jene diffus sich
im anthrakotischen Lungengewebe verlieren, also nicht scharf begrenzt und wo
schliesslich die zugehörigen Bronchial- und Hilusdrüsen nur induriert oder änthra-
kotisch wären, die Annahme tuberkulöser Genese fallen zu lassen. Manchmal, seiner
Ansicht nach allerdings mit Unrecht; allein ein zwingender Beweis konnte dann eben
nicht erbracht werden. Was die Beziehungen pleuritischer Adhäsionen und „Narben“
zar Tuberkulose anlangt, so wird man, meint Nägeli, bei den festeren flächenhaften,
in der Nähe der Lungenspitze lokalisierten, selten genötigt sein, an etwas anderes als
an jene Beziehung zu denken. Bei den einfachen Indurationen und schiefrig-anthra-
kotischen Veränderungen der Bronchial- und Hiluslympbdriisen müsse man an die
Möglichkeit tuberkulösen Ursprungs denken.
Während demnach Nägeli gewisse Vorbehalte macht, äussert sich Ribbert viel
entschiedener in einem positiven Sinne. Was z. B. die anthrakotischen, subpleuralen
Knötchen betrifft, so wird, soweit sie verkalkt sind, „wohl allgemein ihre tuberkulöse
Natur zugegeben werden, auch wenn histiologisch nicht die gleichen Befunde wie dort
(nämlich den subpleuralen Kalkknötchen, wo Kalk an käsiges Material gebunden ist)
vorhanden sind. In solchen Herden ist ursprünglich die Tuborkulose weniger intensiv
gewesen, es kam nicht zur Entwickelung grösserer Käscraengen, dahingegen zur bald
einsetzenden Vernarbung und damit einhergehenden zunehmenden Einlagerung von
Kohle“. Die sklerotischen Abschnitte solcher Knötchen könnten dann nachträglich ver¬
kalken. Weniger leicht zu beurteilen wären die Knötchen ohne Verkalkung. Ribbert
sieht also in der Verkalkung allein schon ein absolut sicheres Kriterium für
Tuberkulose. Bei den schiefrigen Indurationen, die zirkumskript aufträten, speziell
bei denen im Oberlappen und in der Spitze, müsse man annehmen, dass nicht etwa
die Kohle die Verdichtung bewirke, sondern dass jene die entzündliche Bindegewebs-
zunahme bereits vorfinde. Letztere beruhe vornehmlich auf tuberkulöser Grund¬
lage, allerdings käme noch verschiedenes andere in Betracht, so Syphilis, unvoll¬
kommen resorbiertes bronchopncumonisches Exsudat, Abszesse oder Infarkte; aber „es
ist ohne weiteres klar, dass diese Erkrankungen quantitativ keine Rolle spielen“. Mit
der Vorstellung, dass schicfrig-indurierte Stellen der Kohle ihr Zustandekommen ver¬
danken, stehe nicht selten der Umstand in Widerspruch, dass die Kohle dort, wo die
Induration am festesten, in wesentlich geringerer Menge liege als in den peripheren,
schwächer oder kaum verdichteten Abschnitten. Auch in den Bronchialdrüsen könne
die Kohle allein keine Induration machen, da man sehr oft viel Kohle enthaltende
Drüsen finde, die weich und zellreich sind. Daraus sei zu folgern, dass die Induration
durch besondere Ursachen hervorgerufen werde. ,,In demselben Sinne ist es zu ver¬
werten, wenn eine Drüse nur zum Teil anthrakotisch, zum anderen weich geblieben
ist.“ Die anthrakotischen Indurationen der Drüsen beruhen nach Ribbert der Mehr¬
zahl nach auf Tuberkulose.
Ne c k e r hinwiederum rechnet kleine Pleuraschwielen, oberflächliche Verdichtungen
in den Lungenspitzen, allenfalls mit kleinen Kalkeinlagerungen, oder winzige Ver¬
kalkungen in einzelnen Lymphdrüsen zu den hinsichtlich ihrer Genese fraglichen
Fällen. Nach Necker kann man sich gut vorstellen, dass es in anthrakotischen und
später nekrotisch gewordenen Partien von Lymphdrüsen und auch der Lungenspitzen
zur Verkalkung kommen kann.
Zeitsehr. t. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 u. 4. [9
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280
G. GOERDELER,
Auch Beitzke meint, dass die Verkalkungen wohl in sehr vielen Fällen,
aber nicht immer, tuberkulösen Ursprungs seien; in den Lungen- und Bronchial¬
drüsen kämen gelegentlich chronisch-eitrige Prozesse als Vorläufer jener in Betracht;
die Fälle, wo „lediglich“ Verkalkungen bestanden, führt Beitzke deshalb in seiner
Tuberkulose-Statistik gesondort auf. Die Entstehungsmöglichkeiten der schiefrigen
Indurate seien so mannigfache, dass man bei ihnen nicht ohne weiteres eine
tuberkulöse Genese annehmen dürfe. Zur sicheren Tuberkulose gehöre nur solches
schiefrige Gewebe, in dem sich mindestens ein einziger Tuberkel oder eine ver¬
käste Stelle im Innern bei makroskopischer Betrachtung finde.
Nach ähnlichen Prinzipien verfährt Burkhardt in seiner Statistik über die
Häufigkeit tuberkulöser Residuen. In den Lungenspitzen rechnet er nur Verkäsung
und Verkalkung zur Tuberkulose, während schiefrige Induration, sowie „Narben“ und
Verwachsung der Pleura im Bereich der Spitze, „falls nicht noch anderweitige,
zweifellose tuberkulöse Zeichen vorhanden waren“, konsequent ausgeschaltet wurden,
als nicht sicher definierbar hinsichtlich ihrer Entstehungsart.
Goldschmid zählt zu den sicheren Residuen tuberkulöser Infektion die
makroskopisch sichtbaren Kalk- oder Kreidestellen der Lungenlymphdrüsen oder
anderer Organe, derb-fibröse abgekapsolte Knoten, abgekapselte Käseknoten und tief
eingezogene Schwielen der Pleura und anstossenden oberflächlichen Lungenpartien.
Anthrakotische Bronchialdrüsen werden von Goldschmid nicht als sicher tuberkulös
angesehen. Die festen Spitzonverdickungen der Pleura ohne einwandfrei nachgewiesene
Beteiligung der Spitzen seien nur mit grosser Wahrscheinlichkeit als tuberkulös
zu bezeichnen. Fibröse Bezirke der Bronchialdrüsen, „Narben“ dieser oder der Hals¬
drüsen rechnet dieser Autor nicht unter die Residuen abgelaufener Tuberkulose.
v. Han so mann äussert sich dahin, dass bei rein schiefrigen Verdichtungen
in der Spitze nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen sei, ob hier ein tuberkulöser
Prozess vorausgegangen. Nur die Lokalisation würde dafür sprechen. „Bei der Häufig¬
keit solcher Narbenbildung aber gegenüber der Seltenheit nicht tuberkulöser Prozesse
in der Spitze muss man annehmen, dass wenigstens die grösste Mehrzahl solcher
schiefriger Narben tatsächlich die Residuen einer käsigen Phthise sind.“
Wie man sieht, divergieren die Ansichten der Autoren bezüglich
dessen, was man in den Lungen und ihren regionären Lymphdrüsen als
Tubcrkuloscrcsiduura aufzufassen habe, ausserordentlich. Ribbcrt will
bei den hier in Frage kommenden pathologischen Veränderungen die
Grenze zugunsten der Tuberkulose möglichst weit ziehen, mit grösster
Zurückhaltung urteilt dahingegen Beitzke. Es fehlt eben speziell hin¬
sichtlich der rein indurativen Prozesse an sicheren Kriterien, um im
konkreten Falle sagen zu können, ob eine abgelaufene Tuberkulose vor-
licgt oder nicht. Unter solchen Umständen erschien es als eine, wenn
auch mühevolle, so doch lohnende Aufgabe, an einem grösseren Material
umfangreiche und eingehende Untersuchungen aller der in den Lungen
und in den Hilus- und Bronchialdrüsen vorkommenden Verdichtungen,
seien diese nun unerheblich oder umfangreicher, vorzunchmcn, und zwar
aller derer, die makroskopisch keinen sicheren Anhaltspunkt für Tuber¬
kulose boten. Verkalktes wurde zunächst als nicht zweifellos tuberkulös
aufgefasst und regelmässig untersucht. In gleicher Weise wurden alle
umschriebenen Pleuraverdickungen und Pleuraknötchen berücksichtigt
Des ferneren auch alle solche Lungen- und Pleuraverdichtungen, wo das
betreffende Organ frei von Tuberkulose, wo aber eine zugehörige Hilus-
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
281
oder Bronchialdrüse fraglose resp. verdächtige Anzeichen einer über¬
standenen tuberkulösen Infektion (käsige und umschriebene kalkige
Stellen) aufwies. Mit Recht betont z. B. Lubarsch, der die schiefrigen
Indurationen nicht als sicher tuberkulösen Ursprungs erklärt, man dürfe
aus dem Umstande, dass nebenher sich alte Tuberkulose einer Bronchial¬
drüse finde, nicht ohne weiteres die spezifische Natur jener folgern.
Schliesslich wurde eine grosse Zahl anthrakotischer, mehr oder weniger
indurierter Bronchial- und Hilusdrüsen einer eingehenden Untersuchung
unterzogen.
Es fragte sich nun zunächst, welche Untersuchungsmethode anzuwenden wäre,
um ein einwandfreies Ergebnis zu erzielen. Die exakteste erscheint auf den ersten
Anblick das Tierexporiment resp. dieses vereint mit einer subtilen histiologischen
Untersuchung. Eine nähere Ueberlegung lässt aber erkennen, dass man das Tier¬
experiment am besten beiseite lässt. Gesetzt den Fall, ich erziele mit diesem kein
positives Resultat, so wäre das nur ein Beweis, dass zur Zeit keine virulenten Bazillen
in der betreffenden Verdichtung vorhanden waren. Ein negativer Ausfall des Tier¬
versuches hätte dann nur etwas absolut Beweisendes, wenn wir bestimmt wüssten,
dass einmal in menschliches Gewebe eingedrungene Tuberkelbazillen sich unter allen
Umständen unbegrenzt lange lebens- und übertragungsfähig halten. Dem ist aber
nicht so. v. 11 ansemann, der früher der Ansicht war, dass Tuberkelbazillen sich
bisweilen Jahrzehnte lang in verkreideten Herden virulent erhielten, bemerkt bei einer
späteren Gelegenheit, dass die Bazillen ihre Virulenz über fünf Jahre hinaus bewahren
können; mit anderen Worten, im allgemeinen ist ihre Lebensdauer eine immerhin be¬
schränkte. Kessel, Weber und Hauss (zitiert bei Cornet) fanden, dass die
Bazillen, sofern sie nicht die Möglichkeit haben, sich weiter zu entwickeln, in abseh¬
barer Zeit nach bindegewebiger Einkapslung zugrunde zu gehen. Jedenfalls kann von
einer unbegrenzten Lebensdauer keine Rede sein, und der negative Ausfall des Tier¬
versuchswürde somit nie den Schluss zulassen, dass Tuberkulose sicher auszuschliessen
ist. Es müsste dann erst noch die histiologische Untersuchung angereiht werden, um
festzustellen, ob nicht doch ein alte, makroskopisch nicht erkennbar gewesene, verkäste
Stelle zu finden ist. Und nun ein positives Resultat? Hat dies unter allen Umständen
vollgültigen Beweiswert bei der Entscheidung der hier vorliegenden Frage? Abgesehen
davon, dass ein technisch einwandsfreies Tierexperiment unter Verwendung von
Leichenmaterial die grössten Schwierigkeiten mit sich bringt und bei aller Vorsicht
Fehler oft genug mit unterlaufen dürften, mag hier an zweierlei erinnert sein: Es
können Tuberkelbazillen, wenngleich wohl sehr selten, auch saprophytisch in der
Lunge Vorkommen, es besteht also die immerhin zu erwägende Möglichkeit, dass die
in einer Lungeninduration eventuell konstatierten Bazillen nur als Saprophyten vor¬
handen waren. Ferner ist an die andere Möglichkeit zu denken — in den weiteren
Ausführungen soll auf diesen Punkt noch zurüokgekommen werden — dass* eine
Schwiele irgendwelchen Ursprungs erst sekundär mit Tuberkelbazillen infiziert wurde.
Jedenfalls müsste dann auch erst wieder die mikroskopische Untersuchung Aufklärung
zu schaffen versuchen.
Betrachten wir die Sache von einer anderen Seite aus. Angenommen, ein
makroskopisch unverdächtige Stelle enthalte noch tuberkulöses Gewebe oder Exsudat
jüngeren Datums, so wird man dieses stets in Schnittpräparaten bei sorgfältiger Unter¬
suchung finden. Oder es handle sich um alte abgelaufene Prozesse. Dann wird sich
deren Natur mikroskopisch aufklären lassen, oder, bei völligem Fehlen jeglicher sicher
tuberkulöser Reste, in so und soviel Fällen auch nicht; das wären die Fälle, w r o der
Krankheitsprozess sicher jahrelang zurückliegt. Dann aber würde einen nach dem
oben Gesagten auch das Tierexperiment so gut wie stets im Stiche lassen. In der Tat
19*
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282
G. GOERDELER,
stellte Kurlow auf Grund experimenteller Tierversuche fest, dass bei der Impfung
mit Schwielen, welche wahrscheinlich von einem tuberkulösen Prozess zurückgeblieben
waren, oder auch bei Impfung mit völlig verkalkten, ursprünglich käsigen Knoten
keine Tuberkulose hervorgerufen werden könnte.
Das sicherste Untersuehungsmittel bleibt also für das hier zu bearbeitende
Material das Mikroskop, selbstverständlich unter der Voraussetzung eines sorgfältigen
Vorgehens.
Für die vorliegende Arbeit wurde zunächst alles Material aufs Genaueste makro¬
skopisch besichtigt, dabei umfangreichere Indurationen derLungcnunddieLympbdrüsen
in flache Scheiben zerlegt, um verdächtige Stellen für die spätere Anfertigung von
Schnitten ausfindig zu machen. Kleinere Verdichtungen wurden im ganzen, grössere
und die Lymphknoten in einzelnen Teilen eingebettet und in Stufensohnitte zerlegt.
Die Färbung war eine Kombination der Weigertschen Elastinfärbung (Resorzin¬
fuchsin) und der mit Hämalaun-van Giesonschen Lösung.
Bevor ich zur Beschreibung des von mir zusammengestellten Materials übergehe,
sei es erlaubt, einige pathologisch-anatomische Begriffe, die in den folgenden Aus¬
führungen vielfach Verwendung finden, der Einfachheit halber an dieser Stelle kurz
zu erläutern; das Verständnis speziell der histiologischen Befunde dürfte dadurch
wesentlich erleichtert werden.
Bei den in dieser Arbeit in Betracht kommenden Pleura- und Lungen Veränderungen
handelt es sich fast stets um das, was allgemein gesagt als Verdichtung bezeichnet
wird, das heisst um Stellen, die beim Betasten sich derb anfühlen, etwa wie festes
Narbengewebe der Haut. Man hat sie auch vielfach als Narben bezeichnet; dem Aus¬
drucke „narbige Lungenherde“ begegnet man ständig in der Literatur. Der Begriff
„Narbe“, ursprünglich nur auf die Haut bezogen, schliesst in sich einevorangegangenc
Kontinuitatstrennung von Gewebe oder einen vorherigen Gewebsdefekt, würde also,
auf die Lunge übertragen, folgerichtig nur dann anzuwenden sein, wenn man Binde¬
gewebe vor sich hätte, das am Orte eiuer Lungenwunde' oder an Stelle zerstörten
Parenchyms entstanden ist. Mit Folgezuständen von Wundverletzungen der Lunge
haben wir es hier nicht zu tun. Den von mir behandelten Verdichtungen sind auch
keine Gewebsdefekte voraufgegangen, sondern es liegt ihnen nur eine Vermehrung des
schon normalerweise vorhandenen Bindegewebes zugrunde; man müsste denn an¬
nehmen, dass Verdichtungen entstehen können durch Ausfüllung von tuberkulösen
oder andersartigen Höhlen — also wirklichen Defekten — mit Bindegewebe; der¬
gleichen ist aber noch niemals beobachtet. Ich werde also prinzipiell vermeiden, von
einer „Narbe“ zu sprechen. Als gleichbedeutend mit dem Begriff „Verdichtung“
benutzte ich die Ausdrücke „Schwiele“, „Induration“ und „Indurat“.
Indurative Lungenprozesse als „zirrhotische“ zu bezeichnen, wie es vielfach
geschieht, halte ich für unzutreffend. Den Ausdruck „Zirrhose“ (xiqloc = gelb!)
bezog man ursprünglich auf die Leber und verstand darunter ihrer gelben Farbe wegen
dieJFettleber, weiterhin auch die schrumpfende Fettleber; schliesslich wurde er auf
die reine Schrumpfleber ausgedehnt. Von der Leber wurde er auf die Lunge über¬
tragen,indem man bei „Zirrhose“ nur noch anBindegewebsvermehrungund Schrumpfung
dachte. Ist die Benennung „Zirrhose“ für die Schrumpfleber eigentlich schon nicht
korrekt, wie man hieraus ersieht, so passt sie ganz und garnicht fiirLungenverdichtungen,
die überhaupt niemals gelb aussehen. loh meine also, dass man den Ausdruck „Lungen¬
zirrhose“ ganz fallen lassen sollte.
Nun zur Erörterung des Begriffes „Karnifikation“.
Bekanntermassen kann eine akute Pneumonie in ein chronisches Stadium über¬
gehen; gefässrciches junges Bindegewebe dringt in die mit Exsudat ausgefüllton
Alveolen, das Exsudat nach und nach verdrängend; der befallene Lungenabschnitt
nimmt Farbe und Konsistenz des Fleisches an, wir haben „Karnifikation“ vor uns.
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Im weiteren Verlaufe geht das zell- und blutgefassreiche Bindegewebe in ein zell- und
gefassarmes derbfaseriges über, imprägniert sich gewöhnlich mit Kohlepigment, und
es entstehen so derbe, schiefrige, mehr oder weniger ausgedehnte Schwielen. Genau
genommen bedeutet Karnifikation nur ein gewisses Stadium des eben kurz skizzierten
pathologischen Vorganges; es erscheint aber durchaus gerechtfertigt diese Bezeichnung
auch auf das Endstadium anzuwendon, zumal wenn man weniger den makroskopischen
als den makroskopischen Befund im Auge hat, der bei der Karnifikation im engeren
Sinne und bei der aus ihr hervorgegangenen Schwiele im Grunde genommen der
Gleiche ist; nur handelt es sich dort um junges, hier um altes Bindegewebe. Ich
stehe also nicht an bei Beschreibung verdichteter Stellen gegebenen Falls den Aus¬
druck „Karnifikation“ zu benutzen, und zwar dann immer in Hinblick auf die histio-
logische Struktur.
Diese bietet nun ein ausserordentlich charakteristisches Bild, zumal wenn man
Färbemethoden anwendet, die einerseits die elastischen Elemente des Lungengerüstes,
andererseits die kollagenen Fasern des neugebildeten Bindegewebes distinkt hervor¬
treten lassen. Die entschieden geeignetste Färbemethode ist in diesem Falle die von
mir oben angegebene (Weigertsches Resorzinfuchsin-Hämalaun- van Giesonsche
Lösung). Die elastischen Fasern nehmen hierbei eine blaue, die kollagenen eine
leuchtend rote Farbe an. An Schnitten von Schwielen, die aus Karnißkation hervor¬
gegangen sind, erkennt man unter dem Mikroskop ein schön ausgebildetes Maschen¬
werk von geschlängelt verlaufenden Elastinfasern und innerhalb jenes liegen die
Bindegewebsfasern; das Ganze sieht gefeldert aus. Das elastische Maschenwerk ent¬
spricht den Alveolarwandungen; wo kollagenes Bindegewebe ist, waren ursprünglich
die Alveolarlumina (vergl. Fig. 1).
Die Maschen können bald weiter, bald enger sein, vielfaoh recht eng. Dies
wechselnde Verhalten erklärt sich daraus, dass das neugebildete Bindegewebe mit der
Zeit schrumpft; so verkleinern sich die bindegewebig ausgefüllten Alveolarräume nach
und nach. Enge des elastischen Maschenwerks kann aber auch dadurch bedingt sein,
dass der der Bindegewebsneubildung vorangegangeue pneumonische Prozess sich von
vornherein in verkleinerten (atelektatischen) Alveolen abgespielt hat.
Es muss nun noch betont werden, dass Karnißkation nicht allemal ein akut
pneumonisches Vorstadium hat, sondern dass sie ohne ein solches als ein von vorn¬
herein chronisch verlaufender Vorgang bestehend in Bindegewebswucherung in zu¬
nächst noch lufthaltige Alveolen, einsetzen kann; das Endstadium, die Verdichtung,
ist in keiner Weise verschieden von dem einer in Karnifikation übergegangenen akuten
Pneumonie. Enges und weites Maschenwerk der elastischen Fasern würde sich im
zweiten Falle genau so erklären wie im ersten.
Ein häufiges Vorkommnis in Lungen- und Pleuraschwielen ist die sogenannte
fibrinoide Degeneration der Kollagenfasern (vergl. Fig. 2).
Neumann bezeichnet als solche eine eigentümliche Umwandlung des kollagenen
Gewebes, wobei dieses makroskopisch wie mikroskopisch geronnenem Fibrin ähnlich
wird und auch die chemischen Reaktionen letzteren annimmt. Die Umwandlung geht
nach N. derart vor sich, dass die Bindegewebsbündel aufquellen und die Fibrillen zu
einer homogenen Masse verschmelzen; die eingeschlossenen Bindegewebszellen sind
anfänglich erhalten, gehen aber später zu Grunde. Fibrinoid stellt sich dar als breite
homogene Bänder, die entweder parallel oder nach Art der Bindegewebsbündel wellig
verlaufen. Bei van Gieson-Färbung nehmen die umgewandelten Bindegewebsfasern
eine gelbe Farbe an und unterscheiden sich dadurch deutlich von den normalen
Kollagenfasern, die leuchtend rot tingiert sind. Vielfach sieht man sehr schön, wie
rote Fasern kontinuierlich in gelb gefärbte übergehen; gerade an dem skleroti¬
schen Bindegewebe alter Pleura- und Lungenschwielen ist das ausgezeichnet zu
beobachten.
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G. GOERDELER,
Die fibrinoide Entartung der Kollagenfasern deutet nun nicht auf irgend einen
besonderen Krankheitsprozess hin, sondern sie findet sich häufig in jedwedem
älteren, vornehmlich derbfaserigen Bindegewebe als Ausdruck einer regressiven
Metamorphose. Die Bedingungen hierfür sind nach Kicker in mangelhafter oder auf¬
gehobener Durchströmung des Gewebes mit Blut zu sehen.
Auch an den Elastinfasern habe ich in karnifizierten Stellen vielfach Ent¬
artungsprozesse feststellen können. Die bei Anwendung des Weigertschen
Resorzinfuchsins normalerweise blau sich färbenden elastischen Elemente nehmen
dann einen schmutzig-bläulichen bis schmutzig-gelblichen, mitunter auch fast rein
gelben Farbenton an; sind sie gelb gefärbt, so könnte man sie bei schwacher Ver-
grösserung für fibrinoid entartete Kollagenfasern halten; bei stärkerer Vergrösserung
erkennt man erst ihren wahren Charakter an dem charakteristischen korkenzieherartig
gewundenen Verlauf und daran, dass sie stellenweise allmählich in blau tingierte
Fasern übergehen. Ich glaube, dass hier dieBezeichnung „fibrinoide Degeneration
der Eiastinfasern“ wohl angebracht ist (vergl. Fig. 2).
Zumbesseren Verständnis des Folgenden sei noch der Vermerkangofügt, dass, wo von
„Pneumonie 11 und „pneumonisch“schlechthin dieRede ist, stets die gewöhnlichen,
nicht von Tuberkelbazillen verursachten, akut-pneumonischen Prozesse gemeint sind.
Eigene Untersuchungen.
Alle von mir untersuchten Lungenbefunde habe ich der Uebersicht
halber in drei Abteilungen eingeordnet: Die erste umfasst solche, wo
nichts von spezifischen Veränderungen, d. h. Tuberkel oder Käse, zu
finden war, die zweite diejenigen, die sich als tuberkulös erwiesen, und
die dritte alle die Fälle, iu denen Befunde zweifelhafter Natur erhoben
worden sind. Um jedem Irrtum vorzubeugen, will ich hier gleich hin¬
sichtlich der ersten Abteilung bemerken, dass das Fehlen spezifischer
Veränderungen nicht etwa identifiziert werden soll mit „sicher nicht
tuberkulös“.
Da es natürlich nicht angängig ist, jeden einzelnen Befund aufzu¬
führen, habe ich bei der ersten und letzten Abteilung Gruppen aufgestellt,
die das Gemeinsame nach Möglichkeit zusammenfassen. Die Fälle, auf
die später in der Besprechung besonders Bezug genommen
wird, sind fortlaufend numeriert.
Abteilung 1 umfasst drei Gruppen: Die mit rein pleuralen, die mit
im wesentlichen pulmonalen Veränderungen und aus praktischen Rück¬
sichten eine dritte, die die knötchenförmigen Pleura- und Lungenver¬
dichtungen behandelt.
Abteilung l. Gruppe 1: 10 Lungenspitzen von 6 verschiedenen Leichen.
Es handelte sich um flache umschriebene Oberflächen Verdichtungen, grauweiss aus¬
sehend, mit schmalem, schwarzen Rande, von 10 Pfg. bis Markstück-Grösse; in einem
Falle um eine kleine narbenartige Einziehung einer Spitze unter loser Verwachsung
letzterer mit der Brustwand. Auch in den übrigen Fällen Pleuraadhärenzen, speziell
im Bereich der seitlichen Abschnitte der Lungen und zwar auf beiden Seiten; die ver¬
dichteten Stellen selbst meist nicht verwachsen. Mikroskopischer Befund: Binde¬
gewebige Verdickung der Pleura mit sehr wenig Kohloablagerung, das anstossende
Gewebe lufthaltig, Alveolarwände verdickt und von Kohle durchsetzt, in einem Falle
die bindegewebige Pleuraverdickung sehr beträchtlich; in der hierzu korrespondie¬
renden anderen Lungenspitze besteht die verdickte Pleura stellenweise in tieferen
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Schichten aus Zell- und blutgefässreichem Bindegewebe. Die Pleuraschwielen selbst
fast kohlefrei; reichlichere Kohleablagerang aber fast stets am Rande, an der Ueber-
gangsstelle zur normalen Pleura, und an der Grenze nach dem Parenohym zu. Dieses
bei zwei Fällen in ganz schmaler Zone im Zustand der Karnifikation.
Genau das gleiche makroskopische wie mikroskopische Bild bei einer Reihe um¬
schriebener Oberflächenverdichtungen anderer Lungen; jene aber nicht im Bereich
der Spitze, sondern an den verschiedensten Steilen gelegen.
Gruppe 2: Verdichtungen von 25 Leichen. Meist isolierte Verdichtungen im
Bereich des obersten Spitzenabschnittes, einzelne Fälle betreffen Verdichtungen,
die in der Nähe jenes, lateral oder nach hinten zu, kaudalwärts liegen. Zweimal
ausser der Spitzenverdichtung noch flache unregelmässige Oberflächenschwielen am
stumpfen Rande des gleichen Oberlappens vorhanden. Die Flächenausdehnung jener
Spitzenverdichtungen bewegt sich zwischen dem einer Linse und dem eines Fünfmark-
stückes, ihre Dicke von 2 mm bis zu etwa 8 mm. Ihrer Gestalt nach sind sie rund,
oval oder unregelmässig, scharf abgesetzt. Aeusserlich sehen sie entweder
schwarz aus, oder grauweiss mit schwarzem Rande, oder schwarz und weiss
gefleckt, bisweilen fallen sie bei blossem Betrachten nur dadurch auf, dass daselbst
die Pleura etwas weniger durchscheinend ist. Sie liegen im Niveau der übrigen Lunge,
die rein schwarz aussehenden sind bisweilen etwas eingesunken. Die dickeren Ver¬
dichtungen erscheinen auf dem Durchschnitt schwarz und graugelblich gesprenkelt und
zeigen eine keilförmige Gestalt, oder die Verdichtung strahlt in einzeln Zacken in das
Innere aus, setzt sich aber gegen das umgebende Lungengewebe meistens scharf ab.
Einzelne Verdichtungen knirschen beim Durchschneiden, makroskopisch lassen sich aber
keine Konkremente erkennen. Meist bestehen Pleuraverwachsungen und zwar mehr
lockere, entweder nur auf die Spitze beschränkt oder auch nur in den unteren Lungenab¬
schnitten vorhanden, am häufigsten in Form einzelner Stränge in den lateralen und
hinteren Abschnitten der betreffenden Lungen. In manchen Fällen aber nichts von
derartigen Synechien. Einzelne Lungen äusserst kohlereich. Alle diese Verdichtungen
zeigen im histiologisehen Bilde einen gewissen Grundtypus:
Die Pleura nur massig, meist ungleich verdickt, bis auf einzelne der umfang¬
reicheren Indurationen, wo sie erheblichere Grade von Verdickung zeigt. Im ganz
überwiegenden Masse tritt die Veränderung des Lungengewebes hervor in Form der
Karnifikation, und zwar vornehmlich mit engerem Maschenwerk aus dicken und
stark geschlängelt verlaufenden elastischen Faserzügen mit wenigKollagenbindegewebe
dazwischen, weniger in der Art, dass die elastischen Alveolarwandbestandteile ein
zarteres und weiteres Maschenwerk bilden und die von Kollagenbindegewebe ausge¬
füllten Räume erheblich grösser sind. Zwischendurch dann noch einzelne lufthaltige,
aber wie zusammengedrückt erscheinende oder völlig kollabierte Alveolen, ferner
Alveolen mit desquamierten Epithelien und roten Blutkörperchen lose ausgefüllt, ab
und an auch pneumonisch infiltrierte.
An einzelnen der dickeren Indurate erkennt man verbreiterte Interlobularsepten
mit vermehrten elastischen Fasern. Besonders treten diese Septen hervor an den Ver¬
dichtungen, die in einer oder mehreren Zacken in das Lungeninnere hinoinziehen.
Jede solche Zacke entspricht einem verdickten Läppchen-Septum. Bisweilen strahlt
die Karnifikation in verdickte Alveolarsepten der lufthaltigen Umgebung aus.
Das umliegende Lungengewebe lufthaltig, die Alveolen häufig stellenweise ver¬
kleinert, ab und zu auch erweitert. Dann wieder findet man Oedem in der Nachbar¬
schaft und nicht selten pneumonisch infiltrierte Alveolargruppen, und zwar auch in
solchen Fällen, wo makroskopisch keine Hepatisation zu erkennen war.
Die Pleura, meistens nicht erheblich verändert, zeigt gelegentlich umschriebene
Verdickungen, die knopfförmig oder beetartig gegen das verdichtete Lungengewebe vor¬
springen. In einem Falle, wo solche Verdickungen zu zweien waren, traten innerhalb
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G. GOERDELER,
dieser umschriebene rundliche fibromartigeGebilde hervor, mit teilweise gelb gefärbten,
breiten Bindegewebsfasern und massiger Kohleablagerung.
Diese Gelbfärbung des Kollagens (fibrinoide Umwandlung) auch innerhalb
des indurierten Lungenparenchyms eine häufige Erscheinung (vergl. Fig. 2);
stellenweise nehmen die Kollagenfasern eine gelbrötliche Farbe an; die fasrigen Be¬
standteile ab und an wie aufgequollen und dann nur schwach rötlich oder blass
geblioh gefärbt.
Nicht selten innerhalb der Karnifikation teils mehr rundliche, teils unregel¬
mässige, unscharf umgrenzte Stellen von gelblicher Farbe, über deren Charakter
man zunächst im Zweifel ist. Erst boi genauerem Zusehen und bei stärkerer Ver-
grösserung nimmt man hier ausser fibrinoid entartetem Kollagenfasergewebe schwaoh
schmutzig bläulich tingierte elastische Faserziige in deutlich alveolärer Anordnung wahr,
und an den Rändern dieser Stellen erkennt man einen kontinuierlichen Uebergang der
schlecht gefärbten elastischen Fasern in die gut gefärbten der Umgebung (vgl. Fig. 2).
Bisweilen nehmen die Elastinfasern den gelben Farbenton des Fibrinoi'ds an, aber auch
dann markieren sie sich bei stärkererVergrösserung noch ganz deutlich durch ihren stark
geschlängelten und korkenzieherartigen gewundenen Verlauf; ihr Farbenton im allge¬
meinen auch mehr ein schmutzig gelber im Gegensatz zu dem rein gelben der fibri¬
noiden Kollagenelemente; diese gelbgefärbten elastischen Fasern gehen vielfach deutlich
erkennbar über in schmutzig blaue und blaue. All diese eben beschriebenen Stellen
sind entartetes karnifiziertes Gewebe, wobei die Entartung auch die elastischen Fasern
in Mitleidenschaft zieht.
Weiterhin, namentlich in den etwas dickeren Spitzeninduraten sklerotische Be¬
zirke, rund, oval oder unregelmässig gestaltet, kleiner oder grösser, scharf sioh
abgrenzend, hin und wiederauch, wenigstensstellenweise,mehr verwaschen in das
übrige Gewebe übergehend; kohlearm, eventuell aber reichlichere Kohleablagerung an
der Peripherie aufweisend; andere sind diffus kohlehaltig oder nur mit Kohle im Zentrum
versehen; die sklerotischen breiten Fasern öfters rotgelb oder gelb gefärbt. Insbe¬
sondere die runden und ovalen, scharf umgrenzten Bezirke, zeichnen sich meist durch
eine konzentrische Anordnung ihrer Fasern aus und imponieren so als fibromartige Ge¬
bilde, als „Knötchen“. Die runden „Knötchen“ besitzen einen Durchmesser von etwa
0,8 bis 0,9 mm, die ovalen messen durchschnittlich 1 Xl>6 mm (cf. Fig. 4 u. Fig. 5).
In den unregelmässig gestalteten und nicht scharf sich abgrenzenden, sklerotischen
Stellen findet man bei näherem Zusehen schmutzig blau gefärbte elastische Faserzüge
in alveolärer Anordnung; diese gehen an der Peripherie allmählich über in die blau
tingierten der Nachbarschaft. Man hat es hier also sicher mit Karnifikationsbezirken
zu tun, wo die elastischen Elemente einer Entartung anheim gefallen sind,
während die Bindegewebsfasern bei van Gieson-Färbung ihre rote Farbe noch mehr
oder minder annehmen.
Was nun die scharf abgesetzten, fibromartigen Stellen betrifft, so kann
man an Serienschnitten konstatieren, dass auch diese, wenigstens zumTeil, aus karnifi-
ziertem Lungengewebe hervorgehen können: ihre peripherischen Teile lassen schwaoh
gefärbte elastische Faserknäuel oder kurze elastische Faserzüge in angedeutet alveolärer
Anordnung erkennen, das Zentrum ist allerdings frei von solchen. Gelegentlich stösst
man auf scharf sich abhebende sklerotische Bezirke, die ihrer Umgrenzung und der
Anordnung ihrer Fasern nach aussehen, als seien hier mehrere „Knötchen“ mit ein¬
ander verschmolzen.
Die Spitzenverdichtungen im allgemeinen gefässarm, nur einzelne enthalten reich¬
licher Gefässe. Die sklerotischen Abschnittesogutwie frei von Blutgefässen. Letztere
meistens unverändert, nur einmal waren bindegewebig verschlossene Venen, ein
anderes Mal verdickte Gefässe mit Intimahyperplasie (nicht sicher, ob Vene oder Arterie)
vorhanden und in einem dritten Falle innerhalb der Pleura kleine verdickte Arterien.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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Kleine Lymphknötchen treten in wechselnder Anzahl auf, fehlen auch ge¬
legentlich ganz.
Der Kohlegehalt ein wechselnder; falls Kohlepigraent reichlich vorhanden,
so ist es nie gleichmässig verteilt.
Verschiedene Male, speziell in den umfangreicheren Induraten, Kalkablage¬
rung in diffuser Verteilung,
Einmal ein kleines Knochenbälkchen, das sich an eine stark anthrakotische
Stolle lehnte; diese umgeben von einer mehrere Millimeter dicken Schicht sehr dick¬
faserigen, kohlearmen Bindegewebes, das entschieden aus Kavnifikation hervorgegangen
war — darin Stellen von typischem Bau mit schwach fingierten Elastin fasern.
ln einer dieser iifdurierten Spitzen eine kleino Höhlung — mikroskopisch ein
in zirkumskripter Form erweitertes, schräg angeschnittenes Ge fass (Fall 1).
Fall la: Eine schon makroskopisch wahrnehmbare, spaltförmige Höhle, um¬
geben von äusserst kohlehaltigem, zum Teil fibrinoiden Bindegewebe; um dieses eine
zweite bindegewebige Zone, teils mit wenig Kohle, teils kohlefrei; weiterhin Lungen¬
gewebe mit sehr vermehrtem Bindegewebe von reichem Kohlegehalt. Lunge stark
anthrakotisch mit reichlichem Kollagcngewebe namentlich um die Bronchen und
Gelasse.
. Fall 2: Kleinere, strahlenförmige Verdichtung, einige Zentimeter unterhalb
einer Spitze, am hinteren stumpfen Rande gelegen. Mikroskopisch: ein von der Pleura
in die Tiefe ziehendes, beträchtlich durch neugebildetes, derbfaseriges, massig kohle¬
haltiges Bindegewebe verbreitertes Interlobularseptum mit sehr vermehrten
elastischen Elementen.
Fall 3: Im Oberlappen einer völlig schwarz aussehenden Lunge, etwa 3 cm
unterhalb der Spitze nach dem stumpfen Rande zu, eine mehr fühl- als sichtbare ver¬
dichtete Stelle, auf dem Durchschnitte etwa 3 mal l j 2 cm messend. Mikroskopisch:
ein grösserer, unregelmässiger, bindegewebiger Bezirk, ausserordendtlich stark von
Kohle durchsetzt derart, dass vielfach die Gewebsstruktur verdeckt wird. Andere
Stellen kohleärmer, aus sklerotischem Bindegewebe zusammengesetzt; letzteres stellen¬
weise in Uebergang zu Fibrinoid. Die stark kohlehaltigen Abschnitte sehen wie zer¬
bröckelt aus, fast könnte man hier an beginnende Höhlcnbildung denken. In der
Nähe der Induration einzelne kleine, unregolmässige, stark kohlehaltige Bindegewebs-
bezirke, alle um Gefässe herumgelagert. In der grossen Verdichtung keine elastischen
Fasern zu erkennen. Das übrige Parenchym teils lufthaltig, teils pneumonisoh in¬
filtriert. Nichts von Tuberkulose. Pleura erheblich verdickt, fast kohlefrei.
Fall 4: Bei einer alten Frau in der Nähe beider Spitzen diffuse schiefrige Ver¬
dichtung; darin eingelagert verschiedene bis walnussgrosse Höhlen, die Eiter ent¬
halten; sie kommunizieren mit Bronchen. Mikroskopisch: Stark vermehrtes inter¬
stitielles Gewebe und Verdickung der Alveolarsepten. In den Alveolen zahlreiche
grosse Epithelien und Lymphozyten. Keine Karnifikation. Die Höhlen teils von
Bronchialschleimhaut, teils von Granulationsgewebe ausgekleidet.
Fall 5: Im linken Oberlappen einer fünfzigjährigen Frau, und zwar im
untersten Zipfel, mehrere kirschgrosse mit Eiter gefüllte Höhlen, glattwandig
und mit Bronohen kommunizierend. In der Umgebung derbes schiefriges Gewebe
(mikroskopisch: Karnifikation).
Fall 6: Ein Unterlappen mit mehreren kleinen Höhlen, diese umgeben von
schiefrigem Gewebe: Abszesse mit karnifizierten Alveolen ringsherum, ln der zu¬
gehörigen Spitze eine flache Verdichtung vom Bau der zu Anfang beschriebenen.
Sämtliche bisher zusammengestellten Fälle betreffen Erwachsene.
Fall 7: Im linken Oberlappen eines elfjährigen Knaben, und zwar im
vorderen Zipfel, ein keilförmiger, in grösster Ausdehnung 3 cm langer Bezirk von
grauweissem, sehr derbem Gewebe. Innerhalb dieses 3 etwa erbsengrosse, glattwandige
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Hohlräume, deren dunkelroie Schleimhautauskleidung sich in einen Bronchus fort¬
setzt. Mikroskopisch: Bronchiektasen mit ausgedehnter Bindegewebsvermehrung
in der Umgebung.
Fall 7a: Bei einem 2 jährigen Mädchen im Unter- und Mittellappon und im
Hilusteil des Oberlappens der rechten Lunge stark verdickte Septen, vermehrtes
Bindegewebe um Gefässe und Bronchen, ausgedehnte karnifizierte Stellen, zwischen¬
durch grössere und kleinere Abszesse, wenig lufthaltiges Gewebe, Pleura verdickt.
Mikroskopisch nichts von Tuberkulose.
Fall 7b: ln der rechten Lunge eines 3jährigen Mädchens einige kleine, lobuläre
Bezirke, fast luftleer, nicht gekörnt. Mikroskopisch: Lobulär*bepatisierte Stellen,
starke interstitielle Bindegewebsvermehrung, in den Alveolen reichlich desquamierte
Epithelien, Bindegewebe stellenweise in die Alveolen wuchernd.
Fall 7c: Bei einem 8 monatigen Mädchen im basalen Teil des rechten Ober¬
lappens unter der Pleura eine Höhle von 1 cm Durchmosser mit glatter Wand — hie
und da eine Spur eingetrockneten Eiters; Umgebung der Höhle luftleer, grau-rot,
undeutlich körnig. Mikroskopisch: Die Höhle hat keine eigentliche Wand, es grenzt
locker mit Exsudat ausgcfülltes, z. T. auch nur atelektatisches Lungengewebe an;
stellenweise minimal ausgebildetes Bindegewebe als Wand; nichts von Tuberkulose.
Höhle anscheinend vor längerer Zeit durch Abszess oder Gangrän entstanden. Kind
starb infolge eines Dickdarmkatarrhs.
Fall 8: Bei einem achtjährigen Knaben in jeder Spitze eine Einziehung.
Mikroskopisch: Reine Atelektase.
Besonders anführen möchte ich in dieser Gruppe die zusammenfassende Be¬
sprechung von 22Spitzenverdichtungen von 13verschiedenen Leichen. Im grossen
und ganzen zeigen sie denselben Bau der bisher in dieser Gruppe zusammengestellten;
nur bilden hier nicht die indurativen Prozesse des Lungenparenchyms das über¬
wiegende, vielmehr treten eher die pleuralen Veränderungen in den Vorder¬
grund, deren einige erwähnenswert sind.
Bei mikroskopischer Betrachtung sehen diese Spitzenverdiohtungen entweder
grauweiss oder zentral sehnig und peripher schwarz aus, das Niveau der Umgebung
überragend; sie sind rund oder oval oder unregelmässig, die kleinste etwa gut
10 Pfennigstück gross, die grösste etwa 2 X 5 cm im Flächen- und 7 mm im Tiefen¬
durchmesser; auf dem Querschnitt weisen die grösseren und sich mehr in die Tiefe
erstreckenden eine flach keilförmige Gestalt auf. Die Spitzen Verdichtungen bis auf
einen Fall, wo zwei beieinander liegen, isoliert, entweder nur in einer Lunge
oder in beiden sich findend.
In zehn Fällen Pleuraadhärenzen, nur strangförmig, fast stets beider Lungen.
In drei Fällen keine Pleuraverwachsungen.
Mikroskopisch: Pleura meist ziemlich beträchtlich verdickt, einmal sogar
recht stark. Das Pleurabindegewebe im allgemeinen immer kohlearm, mit reich¬
licherer Kohleablagerung häufig an der Grenze nach dem Parenchym zu und an den
Rändern der Verdichtung. Das Bindegewebe ein derbfaseriges, meist kernarmes; die
Fasern ab und zu gelbrot oder gelb gefärbt (fibrinoide Umwandlung). Die
Pleuraverdickung meistens scharf abgesetzt gegen das indurierte Lungengewebe
durch eine deutlich hervortretende elastische Grenzlamelle; nicht selten aber
ist die Grenze undeutlich, und nur aus dem Auftreten von stark geschlängelten,
dicken, elastischen Faserzügen, die noch eine gewisse alveoläre Anordnung markieren,
kann man entnehmen, wo induriertes Lungengewebo beginnt. Hin und wieder ist die
Pleura ganz besonders an einer Stelle stark verdickt und drängt sich dann knopf¬
förmig in das Parenchym hinein. Innerhalb des verdichteten Lungengewebes kommen
gut ausgebildete runde Lymphknötchen vor. Das neu gebildete Lungenbindegewebe
kann Uebergang in Fibrinoid aufweisen unter völliger Erhaltung der elastischen
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Elemente. Die Gefässe innerhalb der Verdichtungen im allgemeinen ohne Besonder¬
heiten; nur in einem Falle wurde an den grösseren Gefässen Vermehrung der elasti¬
schen Fasern in der verdickten Wand und Hyperplasie der Intima konstatiert. In
diesem Falle fand sich inmitten des indurierten Lungenabsohnittes ein spongiöses
Knochenstück. Ein solches, und zwar mit zölligem Mark, auch in einem andern
Falle innerhalb karnifizierten Gewebes. Schliesslich noch ein dritter Fall einer um¬
schriebenen Spitzenverdichtung mit kleinem spongiösen Knochenstück an der
Grenze zwischen verdickter Pleura und Karnifikation.
In einem Falle neben einer Spitzenverdichtung mehrere Pleuraknötchen ver¬
schiedener Grösse. Mikroskopisch: Kohlehaltiges Bindegewebe als flache Ver¬
dickung der Pleura; ein sehr grosses und sehr hartes Knötchen besteht aus kohle-
reichem Bindegewebe, umgeben von sehr viel diokfasrigem Bindegewebe ohne Kohle;
es liegt an der Abgangsstelle eines Septums.
Das die Verdichtung umgebende Lungengewebe ist entweder normal lufthaltig
oder mit verkleinerten und deformierten, ab und zu auch spaltförmig verengten Al¬
veolen mit sich berührenden Wänden versehen; in einzelnen Fällen in der Umgebung
der Indurate pneumonisch infiltrierte Alveolen (in einem von diesen Fällen war eine
schon makroskopisch wahrnehmbare lobuläre Oberlappenhepatisation vorhanden).
Sämtliche Fälle betreffen Erwachsene.
Gruppe 3: 7 isolierte, teils in der Pleura, teils subpleural gelegene Knöt¬
chen, schiefrig oder grauweiss mit schwarzem Saum, kugolig, pfefferkorngross, bis zu
V 2 cm im Durchmesser; 3 davon in einer Spitze, die übrigen an andern Stellen ge¬
legen. In allen Fällen Pleuraverwachsungen, teils locker, teils fest, mehr oder
weniger ausgedehnt; in einem Fall nur im Bereich der Unterlappen, in zwei Fällen
nur einseitig und zwar auf der Seite der Knötchenbildung.
Bei den Knötchen handelt es sich in einem Fall mikroskopisch um ein ungewöhn¬
lich grosses pleurales Lymphknötchen, dieses ist in mittlerem Grade von Kohle
durchsetzt. In vier Fällen sind es umschriebene fibromartige Verdickungen an Ab¬
gangsstellen von ebenfalls verdickten Septen gelegen, entweder gleichmässig von Kohle
durchsetzt, oder selbst kohlearm mit kohlereicher Umgebung; das Gewobe ist ein zell¬
armes, derbfasriges Bindegewebe, dessen Fasern gelegentlich die gelbe Farbe des
Fibrinoids angenommen haben.
Fall 9: Ein Knötchen, das ein Fibromyom darstellt.
Fall 10: Ein gut linsengrosses Knötchen, dicht unter der Pleura des linken
Unterlappens, besteht aus karnifiziertem Lungengewebe, dessen Septen durch ver¬
mehrte elastische Fasern verdickt sind; es enthält wenig Kohle; angrenzende Pleura
verdickt.
Zwei zusammenliegende Pleuraknötchen im rechten Oberlappen. Das eine be¬
steht in der Mitte aus faserreichem, zellarmen, fast kohlefreien Bindegewebe, umgeben
von stark kohlehaltigem Bindegewebe, das in die verdickten, kohlereichen, be¬
nachbarten Alveolarsepten übergeht. Das andere ist ganz schwarz von Kohle,
so dass man die Struktur nicht erkennt. Beiderseits Pleuraadhärenzen, besonders
rechterseits.
Fall 11: Auf allen Lungenlappen, gleichmässig verstreut, zahlreiche
graue Pleuraknötchen. Keine Pleuraadhäsionen. Bronchialdrüsen sehr kohlereich.
Mikroskopisch: Faserrciche, flach verdickte Stellen, teils diffus, teils nur am
Rande kohlehaltig; ferner lymphoide Knötchen, teils fast kohlefrei, teils von mitt¬
lerem Kohlegehalt; schliesslich Knötchen, zur einen Hälfte aus verdicktem, kohlefreien,
zur andern Hälfte aus kohlehaltigem und stark von Lymphozyten durchsetztem Pleura¬
gewebe bestehend; wieder andere dieser letztgeschilderten Knötchen sind diffus kohle¬
haltig. Enormer Kapillarreichtum der lymphoidcn Knötchen. Auch im Inneren der
Lunge ist das adventitielie Bindegewebe reich von Kohle durchsetzt.
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290
G. GOERDELER
Fall 12: Eine Reihe mohnkorn- bis klein erbsengrosser, grauer oder schwärzlich
grauer Oberflächenknötchen im Bereich eines Oberlappens mit einfacher Spitzenver¬
dichtung: Teils rein bindegewebig mit Kohle an der Peripherie, teils auf dem
Durchschnitt keilförmige Gebilde vom Bau der Spitzenindurate, gehen in eine
grössere, zusammenhängende, flache Verdichtung gleicher Struktur über.
Fall 13: Mehr als erbsengrosser, scharf abgesetzter, subpleural in einem
Unterlappen gelegener Knoten von grau-gelblicher Farbe: teils frisch pneumo¬
nisch infiltrierte, teils mit fasrigem Bindegewebe ausgefüllte Alveolen.
Fall 14: Gleich grosser, schiefriger, harter Knoten, subpleural gelegen in
einem Oberlappen in der Nähe der Spitze, besteht aus einer Knochenspange, die
etwas kohlehaltiges Fettmark umschliesst und von einem schmalen Saum karnifizierten
Lungengewebes umgeben ist. Die angrenzende Pleura leicht verdickt.
Fall 15: Ein Knoten von der Grösse einer quergeteilten kleinen Bohne in der
Nähe einer Spitze ist eine scharf abgesetzte Stelle, die aus einzelnen fibromartigen
Gebilden besteht, von bindegewebiger Kapsel umschlossen. Das Gewebe ist fast kern¬
los und frei von Blutgefässen, fleckweise von Kohlepigment durchsetzt. Wie man aus
dem Verhalten einer gut erkennbaren elastischen Lamelle schliessen kann, gehört der
Knoten im wesentlichen der Pleura an; nur an einer Stelle elastische Faserzüge in
angedeutet alveolärer Anordnung — hier also ein wenig karnifiziertes Lungengewebe
einbezogen; dieser karnifizierte Abschnitt grenzt sich nach dem lufthaltigen Gewebe
scharf ab durch einen bindegewebigen Saum. Von dem Knoten zieht in die Tiefe ein
verbreitertes Interlobularseptum.
Ein intrapulraonales Knötchen, gut V 2 cm von einer Spitze entfernt, fast
3 mm im Durchmesser: Zentrum bestehend aus äusserst dickfasrigem, zellarmen Binde¬
gewebe mit wenig Kohle, peripher sehr viel Kohle; in nächster Nähe ein grösseres
Gefäss. Geringe Pleuraadhärenzen beiderseits.
Fall 16: Zwei linsengrosse, derbe Unterlappenknötchen. Bei dem einen
handelt es sich um verdicktes advcntitielles Bindegewebe mit viel Kohle. Bei dem
andern um ein kleines Chondro lipo m.
Fall 17: Ein erbsengrosser, scharf umgrenzter Bezirk (innen schiefrig,
aussen graugelb) in einem Unterlappen: rein pneumonisohe Stelle.
Ein Kohleknötchen aus einem Unterlappen besteht in der Mitte aus durchein¬
andergeflochtenen Streifen faserreichen Bindegewebes mit wenig Kohle. Ringsherum
ein Saum von Karnifikation.
In den letzten beiden Fällen bestanden flache Spitzenverdichtungen vom Typus
der Gruppe 2.
Eine erbsengrosse, schwarze, verkalkte Stelle in der Nähe einer Lungenspitze:
Das Zentrum besteht aus Kollagenbalken mit etwas Kohle und strahlt in Alveolar-
septen aus, die durch Kollagengewebe verdickt sind und reichlioh Kohle enthalten;
an der Peripherie eine kleine karnifizierte Stelle. Keine Pleuraverwachsungen.
Fall 18: In einem Oberlappen glcichmässig verstreut schwarze Knötchen
von der Grösse einer kleinen Erbse; es sind Lymphknötchen mit peripherer Kohle¬
ablagerung. Unterhalb der Spitze, am stumpfen Rande, eine keilförmige, nicht
überall scharf abgesetzte Verdichtung: teils Karnifikation, teils einfacher Kollaps.
Alle Fälle der Gruppe 3 bis auf einen (9jähriges Mädchen) betreffen Erwachsene.
Die zur Abteilung 1 gehörigen Hilusdrüson sind schiefrig, weich oder in-
duriert ohne Befunde, die als sicher tuberkulös gedeutet worden könnten.
Die bislang beschriebenen Yerdichtungsstellen haben das eine Ge¬
meinsame, dass in ihnen nichts nachweisbar ist von spezifisch-tu¬
berkulösen Veränderungen, seien es nun Tuberkel, tuberkulös-pneumo¬
nische oder verkäste Stellen. Wie schon im Voraus betont, soll damit
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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zunächst in keiner Weise gesagt sein, dass all die geschilderten indura¬
tiven Prozesse nichts mit Tuberkulose zu tun haben. Um der Entscheidung
der Frage nach der Genese jener Prozesse näher zu treten, war es
ratsam, gleichartige Veränderungen zu studieren an Fällen, wo die zu¬
gehörigen Bronchial- und Hiluslymphdrüsen im Sinne meiner spä¬
teren Ausführungen nur suspekt auf Tuberkulose erschienen, und fer¬
ner an solchen, wo ausserdem sicher tuberkulöse Veränderungen, sei
es in der gleichen Lunge, sei es in den regionären Lymphdrüsen oder
in der anderen Lunge, bestanden. Es ist von mir eine grössere Anzahl
derartiger Fälle untersucht worden und es sei im folgenden über die Befunde,
die gewissermassen eine Unterabteilung darstellen, berichtet. Der besseren
Uebersicht halber habe ich diese in vier Gruppen eingeteilt.
Gruppe 1: Indurationen kombiniert mit Bronchial- und Hiluslymph-
drüsen suspekter Natur.
Acht Indurationen von sieben Leichen; fünf von jenen sind Spitzen Ver¬
dichtungen von Zehnpfennigstück- bis Fünfmarkstückgrösse, einige Millimeter bis 3 / 4 cm
im grössten Tiefendurchmesser. Eine von den Verdichtungen liegt nicht im obersten
Spitzenabschnitt, sondern etwas dorsal- und abwärts. Der Bau der gleiche, wie
vordem beschrieben. Einmal etwas Kalkablagerung im karnilizierten Gowebe in
diffuser Weise.
Fall 18: Verdichtung einer Spitze vergesellschaftet mit einer umschriebenen,
zirka bohnengrossen Verdichtung im unteren Abschnitt des gleichen Oberlappens. Es
handelt sich bei letzterer um vermehrtes Bindegewebe im Bereich eines grösseren
Septums, an den Randpartien mit sehr reichlicher Kobleanhäufung, im Inneren mit
zahlreichen erweiterten Lymphgefässen ohnelnhalt. Beide Lungen stark kohle¬
haltig, das interstitielle Bindegewebe in den Unterlappen diffus vermehrt.
In einem weiteren Fall von Anthrakose in der rechten Spitze, in der Nähe
der nur hier stark verdickten und verwachsenen Pleura, ein kleinerbsengrosses, grau¬
gelbliches Knötchen: Peripher lymphoides Gewebe mit gut ausgebildeten Follikeln und
reichlicher schwarzer Pigmentierung; im Zentrum scharf umgrenzte kleine, teils rund¬
liche, teils länglich-ovale, teils ganz unregelmässig-lappige, derb-fibröse Stellen mit
weniger Kohle und teilweise mit Gelbfärbung des Kollagens.
Fall 18a: Ein erbsengrosser, schiefriger Knoten unterhalb und dorsalwärts von
einer Spitze, subpleural gelegen: Umschriebene Septum Verdichtung.
In allen sieben Fällen, die nur Erwachsene betreffen, mehr oder weniger aus¬
gedehnte Pleuraadhärenzon. Fast immer bei der korrespondierenden Lunge
kleinere oder grössere Spitzonindurationen vom gewöhnlichen Typ.
Gruppe 2: Verdichtungen kombiniert mit tuberkulöser Affektion der
anderen Lunge.
13 Verdichtungen von 13 Leichen. Jene sämtlich im Spitzenbereich, in
Form und Aussehen wechselnd — teils eben noch fühlbare Indurationen mit leichter
Einziehung der Oberfläche, teils Indurate von dem Umfange eines Fünfmarkstückes
und dem grössten Tiefendurchmesser von 8 / 4 cm. Eine kleinere flache Verdichtung
liegt einige Zentimeter von der Spitze entfernt am vorderen Lungenrande, ln vier
Fällen keine Pleuraadhärenzen. Die zugehörigen Hilusdrüsen nur pigmentiert
oder schiefrig induriert.
Hinsichtlich ihrer Struktur kennzeichnen sich jene Indurate in der Mehrzahl
als die üblichen mit mehr oder weniger fibrös verdickter Pleura. Die grösseren ent-
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halten gelegentlich Kalk, aber nur in geringem Masse, erkennbar durch Knirschen
beim Durchschneiden. Knochenbildung nicht zu beobachten, auch keine besonderen
Gefässveränderungen. Einmal fand sich eine reine Pleuraverdickung im ßereioh einer
Spitze in Form einer stricknadelstarken, 1 l j 2 cm langen, schwieligen Stelle.
Fall 19: Eben sichtbare flache Spitzeneinziehung: Nahe beieinander gelagerte
kleine Bezirke dicht unter der Pleura, sich zusammensetzend aus verkleinerten und
deformierten Alveolen im Innern mit roten Blutkörperchen und einzelnen desqua-
mierten Epithelien; in verschiedenen Alveolarsepten vermehrtes kollagenes Gewebe.
Fall 20: Eine kleine, schiefrig aussehende, derbe Spitzenstelle von der Grösse
einer Linse: Lufthaltiges Gewebe mit stark kohlehaltigen und durch Kollagen ver¬
dickten Septen.
Das umliegende Gewobe der scharf sich absetzenden Verdichtungen weist die
gleichen Bilder auf, wie die Umgebung anderer derartiger.
Fall 21: In einem Oberlappen einzelne schon makroskopisch erkennbare
hepatisierte Bezirke: Teils pneumonische, teils ödemat Öse, teils karnifizierte
Stellen.
Fall 22: In einer ziemlich ausgedehnten Spitzenverdichtung mit Knochen¬
ablagerung ein verbreitertes Interlobularseptum mit erweiterten Lymphgefässen
ohne Inhalt. Im unteren Abschnitt des nämlichen Oberlappens eine umschriebene
oberflächliche, zehnpfennigstückgrosse Verdichtung, die sich nach dem Innern zu fort¬
setzt in einen etwa 3 mm breiten kurzen derben Strang; letzterer ist ein stark ver¬
breitertes Interlobularseptum mit dilatierten Lymphräumen und viel Kohle
am Rande. In der anderen Lunge auch eine grössere Spitzeninduration. Beide Lungen
kohlereich mit vermehrtem interstitiellen Bindegewebe in den Unterlappen.
Fall 23: In der linken Spitze eine kleine glattwandige Höhle von dem Umfang
einer Erbse, umgeben von einem mehrere Millimeter breiten schwärzlichen, derben
Gewebe, das von zarten weissen Strängen durchzogen wird. Mikroskopisch: Klein¬
zeiliges Karzinom, das die Alveolen ausfülit; die Alveolarwände verdickt; starker
Kohlegehalt. Die Wand der Höhle besteht aus Karzinomgewebe, das Zerfallserschei¬
nungen zeigt. Nichts von Tuberkulose (in der anderen Spitze ausser einer scharf
abgesetzteu Verdichtung eine mohnkorngrosse, verkreidete, schiefrig umrandete ver¬
käste Stelle).
Die tuberkulöse Veränderung der anderen Lunge war bis auf einen Fall stets
nur gering; meistens nur kleine verkäste und verkreidete Knoten. Einmal wies ein
tuberkulöses Spitzenindurat makroskopisch das gleiche Aussehen auf, wie die
Verdichtung der anderen Seite, wo nichts auf Tuberkulose Hindeutendes gefunden
wurde.
Gruppe 3: Verdichtungen kombiniert mit gleichseitiger Hilusdrüsen-
tuberkulose.
Indurationen von 15 Leichen; teils nur narben artige Einziehungen, teils kleinere
oder ausgedehntere, mehr oberflächliche Verdichtungen, einige Male auch kuge¬
lige, mohnkorn- bis erbsongrosse Knoten. Die überwiegende Mehrzahl gehört dem
obersten Spitzenabschnitt an. In einer ganzen Reihe von Fällen keine Pleuraver¬
wachsungen, bei den übrigen solche in wechselnder Ausdehnung, entweder strangförmig
oder flächenhaft. Die zugehörigenHilusdrüsen weisen vorwiegend alte tuberkulöse
Veränderungen auf, meist in Form verkreideter Käsestellen, einige Male alte und frischere
Veränderungen gleichzeitig, nur einmal Tuberkel anscheinend jüngeren Datums. Die
indurativen Spitzenveränderungen bieten vorwiegend das übliche histologische Bild
mit geringerer oder erheblicherer Beteiligung des zugehörigen Brustfellüberzuges.
Fall 24: In jeder Spitze eine scharf abgesetzte, kleinkirschgrosse schiefrige
Induration, je mit einer kleinen erbsengrossen, völlig glattwandigen Höhle. Die
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw. 293
Induration besteht aus karnifiziertem Lungengewebe mit sehr unregelmässig in den
Septen verteilten Staubzellen; in unmittelbarer Nähe der Höhlen stärkste Kohleablage¬
rung, so dass hier die Gewcbsstruktur nicht zu erkennen ist; im übrigen einzelne,
fibromartige Bildungen und kleinste Knochenbälkchen.
In einem anderen Falle eine umschriebene Verdickung des Brustfells; zweimal
(und zwar einmal in einem Unterlappen) Verdickung eines von der Oberfläche in die
Tiefe ziehenden, fast kohlefreien Interlobularseptums (übromartig).
Fall 25: Mehrere Knötchen, bestehend aus Gruppen von Alveolen mit reichlicher
Kollagenentwicklung in den Septen. Im Oberlappen der korrespondierenden Lunge
auch derartige Knötchen; hier ist es aber Anthrakose, an den Winkelstellen einzelner
Läppchen.
Fall 26: Ein kleines Knötchen: Umschriebene Karnifikationsstelie mit viel Kohle
an der Peripherie.
Ein etwa 3 cm unterhalb einer Lungenspitze, am vorderen scharfen Rande des
Oberlappens gelegenes, mohnkorngrosses, graugelbliches, fast käsig aussehendes
Knötchen: In ein derb-fibröses, kohlefreies Gewebe eingestreut ziemlich dicke elastische
Fasern, einzeln oder in kleinen Haufen; im Innern eine unregelmässige Lucke, die
ausgefüllt wird von lymphoidem Gewebe; letzteres, auch um das Knötchen herum¬
gelagert, enthält etwas schwarzes Pigment; die Alveolen des umgebenden Parenchyms
dilatiert, zum Teil auch stark verengt; die benachbarte Pleurä unverändert bis auf
eino kleine Arterie mit verdickter Media. (Wahrscheinlich umschriebene peri¬
vaskuläre Verdichtung.)
Ein an der Basis eines Oberlappens, subpleural gelegenes Knötchen von Erben¬
grösse: Fibromartiges Gebilde mit etwas Kohle und einem schmalen Saum von Karni-
fikation ringsherum.
In drei Fällen wies die Lungenspitze der anderen Seite, ohne tuberkulöse
Affektion der zugehörigen Hilus- und Bronchialdrüsen, genau die gleichen Verände¬
rungen auf, wie die Spitze der ihr korrespondierenden Lunge mit den von Tuberkulose
befallenen Drüsen (zweimal Spitzenverdichtungen, einmal Septumverdichtung).
Kalk&blagorung nur ganz vereinzelt und in geringem Grade in den Spitzen-
induraton, nie Knochenbildung.
Gruppe 4: Verdichtungen kombiniert mit isolierten tuberkulösen
Stellen der gleichen Lunge.
Verdichtungen von 15 Leichen; bis auf drei sämtlich im Bereich der Spitzen¬
kuppel gelegen, meist flach, unregelmässig, länglich oder rundlich, von dem Um¬
fange eines Zehnpfennig- bis Fünfmarkstückes, mit einem Tiefendurchmesser von wenigen
Millimetern: einige etwas kompakter, von der Grösse einer längshalbierten Bohne bis
zu der einer etwas flachgedrückten Haselnuss. Bis auf einen Fall, wo die Pleura ohne
Synechien, mehr oder weniger ausgedehnte, lockere oder festere Verwachsungen der
Brustfellblätter.
Die tuberkulösen Lungen Veränderungen beschränken sich in der über¬
wiegenden Mehrzahl der Fälle auf isolierte, mohnkorn- bis erbengrosse, verkreideto
käsige Stellen, umschlossen von schmälerem oder breiterem Saum derben, schiefrigen
Gewebes, in der Nähe der Spitze oder weiter entfernt gelegen; in zwei Fällen eine
ausgedehnte Tuberkulose der anderen Seite und eine nur an umschriebenen Stellen
auftretende der gleichen Seite. Einige Male an den zugehörigen Hiluslymphdrüsen
nur Pigmontierung mit wenig oder stäikcr ausgesprochener Verhärtung.
Die verdichteten Spitzen bestehen aus Karnifikation mit mehr oder weniger
verdickter Pleura.
Fall 26 a: Flache Spitzen Verdichtung an der Oberfläche mit einzelnen grau-
weissen Knötchen: Scharf umschriebene, derb fibröse, auf dem Durchschnitt rundliche
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G. GOERDELER,
Pleuraverdickungen mit Kohle an der Perephirie, deutlich sich abhebend von dem
eigentlichen verdichteten Lungengewebe, an Abgangsstellen von Septen gelegen.
Fall 27: Grössere, auf dem Durchschnitt keilförmige Spitzeninduration von dem
Oberflächenumfange eines Zweimarkstückes und grösstem Tiefendurchmesser von fast
1 cm, mit einer in der Nähe der Pleurakuppel gelegenen kleinen Höhlung. Jene von
typischem Bau, mit unregelmässigen und nicht scharf begrenzten Stellen beginnender
fibrinoider Umwandlung der hier ziemlich breiten Kollagenfasern, unter Entartung
auch der elastischen ELemento und vereinzelten, scharf umrissenen, kleinen, rundlichen,
sklerotischen, kohlereichen, von elastischen Elementen freien Stellen; jene Höhle ist
eine Gruppe stark erweiterter und teilweise konfluierender Alveolen (eine grosse Em¬
physemblase).
Fall 28: Flache Spitzeninduration von geringerem Umfang mit fast linsengrosser,
gelblicher, etwas harter Einlagerung: Das übliche histiologische Bild ohne jedeSpur
von käsigen Einschlüssen oder Tuberkeln. Entsprechend jener harten Einlagerung
ein unregelmässig gestaltetes spongiöses Knochen stück mit etwas Fettmark; daran
schliesst sich ein kleines Knorpelstückchen, nach einer anderen Seite hin geht das
Knochengewebe über in verkalktes karnifiziertes Gewebe, das elastische Faserung,
wenn auch unscharf, erkennen lässt, ln einiger Entfernung von dem Knochenstück
ein unregelmässiger Bezirk solchen verkalkten, karnifizierten Gewebes und an dessen
Rande einzelne Alveolen, teils nur von Knochensubstanz, teils von Bindegewebe und
Knochensubstanz ausgefüllt. In dem grösseren spongiösen Knochenstück an einer
Stelle schwach fingierte, kurze, elastische Faserzüge in angedeutet alveolärer Lage¬
rung. ln der Nähe dieser eben beschriebenen Verdichtung ein von schmalem Saum
schiefrigen Gewebes umgebener, evbsengrosser käsiger Bezirk, ln der allgemein sehr
stark verdickten Lungenpleura einzelne Riesenzelltuberkel.
In einer umfangreicheren, flachen Spitzenverdichtung in der Nähe eines Bron-
chiolus eine umschriebene rundliche Stelle: Um einen flachgedrückten, dickeren,
elastischen Faserring konzentrisch Bindegewebsfasern mit eingestreuten Rundzellen
(wohl Gefäss mit verdickter Adventitia). In der Umgebung der Verdichtung einzelne
erbsengrosse derbe Knoten, bestehend aus sklerotischem, von Kohle umlagertem Binde¬
gewebe, in nächster Nähe eines grösseren Gefässes und eines Bronchus.
Fall 29: In einem Unterlappen, an dessen lateraler Fläche, dicht unter der
Pleura eine etwa 10 mm lange, schmale, harte Einlagerung inmitten von pneumonisch
infiltriertem Gewebe; eine zweite kleinere in der Nähe, mehr im Innern der Lunge:
Unregelmässig geformtes schmales Knochonstück, subpleural gelegen; die zweite
kleinere harte Stelle ebenfalls Knochensubstanz. Dicht daneben einzelne kleine
Knochen Stückchen, je eine Alveole ausfüllend. Pleura unverändert. In demselben
Unterlappen zwei kleine käsige und verkreidete Bezirke.
Fall 30: ln einem Unterlappen eine kleine sandige Stelle (in einiger Ent¬
fernung von einer winzigen verkalkten Käsestelle): Starke Verdickung der Alveolar-,
Gefäss- und Bronchialwände durch kollagenes Gewebe; das Sandige sind eingestreute
Knochenbälkchcn mit etwas lymphoidem Mark.
Fall 31: In einem Oberlappen ein halb walnussgrosser, schiefriger Knoten
(alte Tuberkulose). In beiden Lungen gleich massig verstreut viele derbe, schiefrige,
ziemlich scharf umschriebene, rundliche oder unregelmässige Stellen von gut
Erbsengrösse bis zur Grösse einer quergeteilten Bohne: Unregelmässig gestaltete,
aber sich scharf gegen das umliegende Parenchym absetzende Bezirke, aus einem
faserigen Gewebe bestehend, mit sehr reichlich, fleckweise eingestreuter Kohle (an¬
scheinend in Zellen) mit mehr oder weniger zahlreichen Kapillaren. Elastische Fasern
nicht zu erkennen. Diese Bezirke strahlen in schmalen oder breiteren Zacken in die
Umgebung aus; einzelne untereinander durch solche Zacken verbunden. Innerhalb
der grösseren fibrösen Knoten scharf abgesetzte, derb sklerotische, runde, ovale oder
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t)ie Kriterien dor abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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unregelmässige Stellen, vielfach zu mehreren vereint auftretend. Diese kohleänner,
teilweise fast ganz kohlefrei, hier und da in ihnen oder an ihrem Rande eben zu er¬
kennende kleine elastische Faserringe (wohl Gefässreste), Die Verdichtungen liegen
stets an den Knotenpunkten von Läppchen (vgl. Fig. 6). Vielfach um die Gefässe
der Umgebung vermehrtes Bindegewebe mit Anhäufung von Staubzellen. Die zu¬
gehörigen Hilus-, Bifurkations- und unteren Trachealdrüsen im höchsten Grade
anthrakotisch, stark vergrössert.
Fall 31a: ln beiden Lungen verteilt zahlreiche kohlereiche Knötchen von über
Mohnkorn- bis fast Erbsengrösse; die kleineren scharf umgrenzt, die grösseren in
Zacken ausstrahlend. (Auf den Pleuren schwarze, rundliche Kohleflccke mit kleinem
grauen Zentrum.) Mikroskopisch: Die grösseren Knoten genau von dem gleichen
Befund wie die des vorhergehenden Falles. Bei den kleineren handelt es sich um
reichliche Kohleablagerung um Arterien herum unter Verdickung ihres adventitiellen
Gewebes. Ausserdem im Parenchym ungleicbmässig verstreut Tuberkel, teils rein
zellig, teils zentral verkäst, teils zellige Tuberkel mit reichlichen Kol lagen fasern in
der Peripherie. Die Alveolen stellenweise pneumonisch infiltriert. (Makroskopisch
war nichts Tuberkulöses zu erkennen gewesen.)
Fall 32: In einem Oberlappen, in dessen unterem Drittel und zwar an dor
lateralen Seite unter der Pleura ein nicht scharf umschriebener, derber Bezirk von
der Grösse einer länglichen Haselnuss, teils grauweiss, teils schiefrig aussehend; darin
dicht unter der verdickten Pleura eine kleine gelbliche Stelle. (Oberlappenhepatisation,
in der Spitze alte tuberkulöse Kaverne). Mikroskopisch: Ganz unregelmässiger Bezirk
karnifizierten Lungengewebes, pneumonisch infiltriertes Gewebe einschliessend und von
solchem umgeben. Pleura sehr stark verdickt. An einer Stelle, an der Grenze zwischen
dieser und pneumonisch infiltrierten Lunge ein Lymphgefäss, stark erweitert, mit
verdickter Wandung, ausgefüllt mit weissen und roten Blutkörperchen und Fibrin.
An den indurativen Vorgängen, soweit sie bisher in den Bereich
dieser Abhandlung gezogen sind, können, wie man sieht, keine unmittel¬
baren Anhaltspunkte, die für oder wider Tuberkulose sprechen, ermittelt
werden. Das Zusammentreffen derartiger Prozesse mit tuberkulösen Ver¬
änderungen, die in keinem kontinuierlichen Zusammenhang mit jenen
stehen, lässt die Frage nach der Genese ersterer durchaus auch nicht
etwa eindeutig entscheiden. Denn es ist ohne weiteres klar, dass in ein
und • demselben Organe verschiedenartige pathologische Vorgänge ohne
inneren Konnex sich abspielen können. Würden die Indurationen der Unter¬
abteilung in ihrem makroskopischen oder mikroskopischen Verhalten
besondere, regelmässig wiederkehrende Befunde aufweisen,. Befunde, wie
sie etwa nicht durchgehend oder nur gelegentlich denen der Abteilung 1
zukäraen, so würde das Fingerzeige abgeben können. Dem ist aber nicht
so, und daher muss man auf anderem Wege versuchen, an die Lösung
des vorliegenden Problems heranzugehen. Lassen sich vielleicht aus der
Art der Bindegewebsbildung, dem Verhalten der elastischen Elemente,
der Art der Kohlcablagerung, der Verkalkung und Verknöcherung,
der gesaratenGestaltung der Indurate, ihrer Lokalisation usw.bestiramte
Schlüsse ziehen? Es ist ohne weiteres klar, dass dann zunächst einmal
gründlich die sicher tuberkulösen Indurationen studiert werden müssen,
um zu sehen, wie die eben genannten Momente sich bei diesen verhalten.
Ich lasse deshalb zunächst die zweite Hauptabteilung folgen.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 7ö. Bd. II. 3 u. 4. 20
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G. GrOERDELER,
Untersuchungsergebnisse tuberkulöser Lungensteilen.
21 Lungenverdicbtungen von 16 Leichen. Gemeinsam ist ihnen allen, dass
makroskopisch nichts bzw. nichts Sicheres von Tuberkulose zu erkennen war;
in diesen Fällen wiesen die Lungen ausser den untersuchten Veränderungen nichts
von tuberkulöser AfTektion auf.
Der Mehrzahl nach sind es isolierte Spitzen Verdichtungen, einige Male
beiderseitig; einige Male mehrere Verdichtungen entweder nahe beieinander oder
weiter getrennt, dann aber auch in dem nämlichen Lungenlappen (Oberlappen). Nur
zweimal je ein kleines Knötchen im Unterlappen.
Die Grösse der meist sich scharf absetzenden und mehr oder weniger derb
anzufühlenden Bezirke schwankt zwischen der einer Linse und der eines kleinen
Apfels in allen Zwischenstufen.
Die Spitzenverdichtungen haben vielfach hinsichtlich Farbe und Konfigu¬
ration das Aussehen der gewöhnlichen, besitzen allerdings meist einen etwas beträcht¬
licheren Tiefendurchmesser (nicht unter 3 / 4 cm). Die umfangreicheren Verdichtungen
zeigen auf derSchnitifläche sehr oft graue oder graugelblicheStellen, von denen man aber
zunächst nicht bestimmt sagen kann, ob es sich um Tuberkel bzw. Verkästes handelt.
Was die speziellere Lokalisation der Spitzenindurationen betrifft, so liegen
sie häufig nicht im Bereich der höchsten Teile der Spitzenkuppel, sondern etwas
abwärts davon, dorsalwärts. Fast stets wurden Pleuraverwachsungen konstatiert,
und zwar in der Mehrzahl lockere, strangförmige, entweder im Bereich sämtlicher
Lappen oder mehr der Spitze oder nur der Unterlappen; vereinzelt feste, flächen¬
hafte Verwachsungen der Brustfellblätter; nur zweimal im Bevoich der erkrankten
Lunge gar keine Adhärenzen.
Die zugehörigen Ililusdrüsen siebenmal tuberkulös verändert; einigemal ergab
die mikroskopische Untersuchung nur verdächtig ausschonde Stellen; mehrfach
bestand nichts w T eiter wie reichliche Pigmentierung mit mehr oder weniger aus¬
gesprochener Bindegewebsneubildung.
Der hist io logische Befund ist relativ kurz zu beschreiben: Die Pleura,
meist in die Verdichtung mit einbezogen, zeigt verschiedene Grade von Verdickung.
Nicht ganz selten ist sie bei den grösseren Indurationen verhältnismässig wenig be¬
teiligt; ab und an kommt eine knopfförmige Verdickung vor. Falls reichlicher Kohle
vorhanden, ist sie fast stets an der Grenze gegen das Parenchym abgelagert; nur
einmal eine gleichmässige stärkere Pigmentierung der verdickten Pleura.
Die histiologische Struktur des verdichteten Lun gen ge web es erinnert bei den
grösseren Indurationen, abgesehen von den speziell tuberkulösen Veränderungen, in
hohemGrade an die der unterGruppc 2 (Abteilungl) beschriebenen. Auch hier Kami-
fikation, kleine fibromartige Stellen, gelbtingierte verwaschene Bezirke (mit De¬
generation der elastischen und kollagencn Fasern) und häufig grössere, unregel-
mässigero, sklerotische, kohlearme oder kohlereiche Bezirke, die entweder frei sind
von elastischen Fasern oder solche in grosser Menge aber regelloser Anordnung oder
stellenweise schwach schmutzig-bläulich gefäibte, geknäulte elastische Elemente ent¬
halten. Darin eingestreut kleinere oder etwas grössere rundliche, ovale oder unregel¬
mässige, käsige Stellen, häufig mit konzentrisch geschichteter Bindegewcbskapsel;
zwischen diese und das käsige Substrat schiebt sich bisweilen eine schmale
Knochenspange. Diese käsigen Stellen sind bei einzelnen der Verdichtungen wohl
noch nicht alten Datums, was daraus zu schliessen ist, dass man noch Zellkontaren
unterscheiden kann; ab und an in der nächsten Umgebung des Indurats frische
Tuberkeleruplion und kleine frische käsig-pneumonischeBezirke,zuweilen auch
pneumonisch infiltrierte Alveolen mit beginnender Karnifikation; einmal am Bande
einer Spitzenverdichtung ein kleiner Bezirk, der aus sehr zellreichem Gewebe (Ilund-
und Spindelzellen) mit w r enig Blutgefässen, aber äusserst vielen feinen elastischen
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Difc Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose dor Lungen usw.
29?
Fasern in wirrem Durcheinander bestand, zwischendurch kleine Alveolen, ausgefüllt
mit kubischem Epithel; letzterer Befund erinnerte entfernt an die bei tuberkulösen
Gewebsneubildungen vorkommenden adenomatösen Wucherungen.
In einem walnussgrossen Spitzenknoten am Rande einzelne kleine fibromartige
Bildungen, wie sie schon ausführlich beschrieben wurden, und zwar umgeben von
kohlehaltigen Ri escnzellen; an anderen Stellen solche Gebilde und echte Tuberkel
dicht beieinander, eingelagert in kohlearme faserige Bindegewebsstreifen.
Fall 33: Ein im Bereich einer Spitze gelegener Knoten von der Grösse einer
längs halbierten kleinen Bohne, durch einen schmalen, etwa 2 cm langen, derben
Strang mit der verdickten Pleura in Verbindung stehend, ist ein stark verbreitertes
Interlobularseptum mit sklerotischen Bindegewebsfasern, vielen parallel ver¬
laufenden elastischen Fasern und Tuberkeleruption am Rande.
Eine in einem Oberlappen gelegene, kleine schiefrig aussehende Stelle: pneumo¬
nischer Bezirk mit zentraler Verkäsung; dicht daneben zwei noch kleinere derartige
Bezirke.
Verschiedene kleine kugelige, teils in Spitzen, teils intrapulmonal (Ober- oder
Unterlappen) lokalisierte Knoten waren kleine käsige Bezirke mit Kapsel aus zell¬
reichem oder zellarmem Bindegewebe. Ein isoliertes gelbliches Unterlappenknötchen
mit zentraler eben sichtbarer Höhlung war eine minimale Kaverne mit Tuberkeln und
Riesenzellen in der Wand. —An den Gefässen keine au (lallen deren Veränderungen.
Im allgemeinen sind diese tuberkulösen Indurationen gefässarm; in einzelnen Fällen
stellenweise kleinere verdickte, wohl auch oblitei ierte Gefässe sowohl im Bereich der
Schwiele wie in der Nachbarschaft.
Vielfach Kalkablagerung innerhalb des neugebildeten Bindegewebes, aber
nicht in gröberer Weise, sondern nur erkenntlich durch ein beim Hineinschneiden
bemerkbares Knirschen.
Die erwähnte Knochenbildung trat nicht bloss als Umgrenzung käsigen
Materials auf, sondern bisweilen ganz entfernt von solchem inmitten von karni-
fiziertem Lungengewebe oder an der Grenze von diesem und Pleura, einzeln oder
mehrfach, in Spangenform oder ringförmig, zusammen mit Bildung von. Fettmark,
lymphoidem Fett- oder Fasermark.
Das den Indurationsbezirken benachbarte Lungengewebe unterschied sich in
seinem Verhalten in nichts von dem, wie es bei den gewöhnlichen Verdichtungen
beobachtet wurde. In den sechszehn Fällen zweimal allgemeiner starker Kohlegehalt.
— Fünfzehn Fälle betrafen Erwachsene, einer ein älteres Kind.
Um diese Befunde zu vervollständigen speziell hinsichtlich des Ver¬
haltens der elastischen Fasern, des Bindegewebes, der Kohle etc.
sind von mir eine grosse Anzahl schon makroskopisch erkennbarer
indurativer Tuberkulosen näher studiert worden. Die Resultate der Unter¬
suchung will ich in Kürze wiedergeben und zwar zuerst solcher Fälle,
wo der Prozess zum Stillstand gekommen war, dann auch anderer.
Eine grössere Zahl schiefriger Indurationen von verschiedener Ausdehnung
mit käsigen oder kalkigen Einschlüssen: Alles abgegrenzte Käsestellen, meist
umgeben von konzentrisch geschichteter, derb fibröser, kohlearmer, gelegentlich
fleckweise von etwas reichlicher Kohle durchsetzter Kapsel; die käsigen Stellen fast
durchweg so gut wie kohlefrei, nur zweimal solche mit Kohle in fleckweiser
Anordnung; diese beiden waren abgekapselt. Das käsige Material frei von elasti¬
schen Fasern oder enthält solche sehr gut tingiert in unregelmässiger oder alveolärer
Anordnung. Vielfach in jenem gut erhaltene kol lagene Fasern, auch Gefässreste
mit schön gefärbter Elastika und Adventitia. Bisweilen an der Grenze zwischen Käse
und fibröser Kapsel reichliche Kohleablagerung. Nicht selten im Bereich dieser Grenz-
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Schicht eine Zerfallsmasse, bestehend ans feinkörnigem Detritus, gelb gefärbten
sklerotischen Faserbröckeln und reichlich Kohle. Um die Kapsel meist in mehr
oder weniger grosser Ausdehnung Karnifikation; gelegentlich käsige Stellen
auch ohne Kapselbildung innerhalb karnifizierten Gewebes.
In der fibrösen Kapsel nicht selten schwach fingierte elastische Elemente nach¬
weisbar, letztere dann teilweise alveoläre Anordnung andeatend. Einmal in einer
nicht zu breiten sklerotischen Kapsel einige kleine runde Gebilde teils rein kollagen-
faserig, teils fibrös mit regellos gelagerten Elastinfasern, teils fibrös mit käsigem
Zentrum. Vielfach Knochenbildung zwischen fibröser Kapsel und dem Käse. In
den ausgedehnteren schiefrigen Verdichtungsbezirken gelegentlich umschriebene,
runde oder ovale, rein fibröse Stellen (fibromartig), häufig mit teilweiser fibrinoider
Umwandlung der Fasern, meist kohlearm, gelegentlich aber auch im Inneren stark
kohlehaltig; bei den kohlearmen das Zentrum bisweilen verwaschen, so dass keine
deutliche Struktur erkennbar. In einem Falle reichlich derartige „Knötchen“ und an
einer Stolle ein grösserer unregelmässiger sklerotischer Bezirk (möglicherweise
aus Konfluenz solcher Knötchen entstanden).
Dort, wo der Erkrankungsprozess noch nicht zum Stillstand gekommen, die ver¬
schiedensten Bilder: Abgekapsolte Käsestellen, daneben in der Umgebung frische
Tuberkeleruption. In ausgedehnteren Verdichtungen alte und frische Käsesteilen,
frisches pneumonisches Infiltrat, beginnende Bindegewebsbildung in den
Alveolen, ausgesprochene Karnifikation, Alveolen mit Bindegewebsfasern und Käse
ausgefüllt. In dem käsig-nekrotischen Material teilweise gut gefärbte elastische
Fasern, alveolär oder zirkulär oder regellos gelagert, auch vielfach gut erhaltene
rote oder gelbe Kol lagen fasern, speziell in den abgekapselten Käsestellen.
Der Käse ganz oder fast ganz kohlefrei. Verschiedentlich (allerdings relativ
recht selten) wurde auch käsiges Material mit reichlicherer Kohleablagerung kon¬
statiert; bis auf ein einziges Mal waren dann aber diese Bezirke durch bindegewebige
Kapseln deutlich abgegrenzt.
Die abgekapselten käsigen Stellen von demselben Verhalten, wie schon vordem
geschildert, nur hier niemals Knochenbildung.
Wie die Abkapselung von käsigen Stellen erfolgt, konnto man gut verfolgen:
es gibt solche, die umgeben sind von Alveolen mit runden, spindeligen, epithelioiden
Zellen und Kol lagen fasern im Lumen; dann solche, umgeben von Karnifikation; dann
können sich die karnifizierten Alveolen durch regelmässige Anordnung der kollagenen
Fasern zu einer kapselartigen Hülle um den Käseherd lagern, und schliesslich finden sich
derb fibröse Umhüllungen mit konzentrisch verlaufenden Fasern und mitnur noch stellen¬
weise erkennbaren, schwach fingierten, elastischen Elementen in alveolärer Anordnung.
Das frische tuberkulöse Gewebe bestand aus teils einzelnen oder in Gruppen
gelagerten, zeitigen Knötchen oder auch aus mehr diffuser zeitiger Neubildung.
Innerhalb aller dieser tuberkulöser Neubildungen nur spärliche, aber gut gefärbte
elastische Faserreste. Gruppen von Tuberkeln können sich bindegewebig einhüllen,
oder es bildet sich in ihrem Inneren derb- und lockerfaseriges Gewebe, oder es kommt
beides vereint vor. (Es wurden einmal Tuberkelgruppen gefunden, wo sich die fi bröse
Umwandlung bis auf einen schmalen peripheren Saum tuberkulösen Gewebes voll¬
zogen hatte; hier in dem fibrösen Abschnitt einzelne kurze, elastische Faserbündel
ohne charakteristische Anordnung.)
Das eigentliche Indurat setzt sich aus Karnifikation und grösseren unregel¬
mässigen derb fibrösen Bezirken zusammen; in letzteren teilweise ganz schwach ge¬
färbte elastische Elemente in alveolärer Lagerung. Es findet sich fibrinoide Um¬
wandlung des Kollagens, Entartung der Elastinfasern, bröckliger Zerfall des
gelb tingierten Bindegewebes, auch feinkörniger, kohlehaltiger Detritus innerhalb
von verkleinerten, deformierten Alveolen mit stark entwickelter, gut tingierter Elastika.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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Relativ oft innerhalb des indurierten Lungenparenchyms scharf abgesetzte runde,
ovale oder unregelmässige sklerotische Stellen (fibromartig), teils kohlearm, teils
(wohl seltener) kohlereich, teilweise gelb gefärbt und vielfach mit schwach schmutzig
bläulich gefärbten Elastinfasern in angedeutet alveolärer Anrdnung. Einmal neben
einander derartige „Knötchen“, dann „Knötchen“ im Innern mit einem Gemisch
von Kohle und körnigem Detritus und schliesslich solche im Innern mit kohlefreiem
Detritus und ohne erkennbare Elastinfasern.
Ferner in einem grösseren Indurat „Knötchen“ mit elastischen Fasern und eine
etwas grössere, rundliche Stelle, peripher sich zusammensetzend aus konzentrisch ge¬
lagerten Kollagenfasern stellenweise mit schwach gefärbten elastischen Fasern in
alveolärer Anordnung, im Innern bestehend aus Bindegewebsfasern, elastischen Ele¬
menten in angedeutet alveolärer, in zirkularer und streifenförmiger Anordnung und
zwischendurch körniger Detritus teils mit, teils ohne Kohle.
Jene „Knötchen“ bisweilen in ein und derselben Verdichtung zahlreich.
Das verdichtete Lungengewebe in einzelnen Fällen mässig, in anderen reichlich
kohlehaltig.
Zweimal in jenem Knoohenbildung.
Keine besonders ins Auge fallende Gefässveränderungen.
Die Pleuraschwielen.
Betrachten wir zunächst nun einmal die zu allererst beschriebenen
Pleuraschwielen. Ich habe mit Vorbedacht hier nur zirkumskripte,
flächenhafte Verdickungen ausgewählt, weil diese es gerade sind, die so
vielfach — besonders wenn in der Spitze gelegen — als tuberkulösen
Ursprungs angesehen werden.
Nägeli sagt zum Beispiel: „Bei älteren Prozessen ist die Narbe
ganz scharf von der intakten Pleuta abgesetzt, und es ist dann auch
fast regelmässig eine jener scharf abgegrenzten schiefrigen Indurationen
der Spitze zu erwarten. Alle diese Befunde deuten aber auf eine lokal
verlaufende, nicht auf eine diffuse Affektion. Was endlich den kon¬
sequenten Untersucher dieser Veränderungen immer mehr in seiner Auf¬
fassung des fast regelmässigen Zugrundeliegens von Tuberkulose bestärkt,
das ist die ununterbrochene Serie der Uebergangsbilder von typischen
Tuberkulosen zu jenen Befunden, die an sich allein nichts mehr be¬
weisen, und zu dem gleichen Resultat wird er gelangen, wenn bei
jüngeren Individuen der Nachweis der Tuberkulose in solchen Verände¬
rungen leicht gelingt, derselbe mit höherem Alter aber wegen der Aus¬
heilung immer schwerer fällt, obwohl der Gesamteindruck der Affektion
im wesentlichen der gleiche geblieben.
Tendeloo bezeichnet unter anderen als erste „Tuberkuloseherde“ eine
„Pleuritis“ oder eine von einer solchen herrührende „Narbe“ („örtliche
Verdickung mit oberflächlicher interstitieller Pneumonie“). „Solche Narben
finden sich am häufigsten ebenso wie die Pleuraverwachsungen in den
suprathorakalen und anstossenden paravertebralcn Teilen. Oft sind sie
nicht auf diese Teile beschränkt, sondern sie dehnen sich auch mehr
lateral- und ventralwärts oder kaudalwärts aus. Ich habe mehrmals
eine umschriebene Pleuraschwarte in der Spitze des Unterlappens ge-
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300
G. GOERDELER
sehen, von wo aus Miliartuberkel strahlenförmig ausgesät waren. Es
würde misslich sein, eine intrapleurale Verwachsung ohne weiteres als
tuberkulös zu betrachten lediglich, weil sich gleichzeitig in der Lunge
oder den Bronchialdrüsen Tuberkuloseherde finden. Trotzdem der Nach¬
weis von Tuberkelbazillen ausgeblieben ist, kommt jedoch den Zusammen¬
stellungen Schlenkers, Nägelis u, a. und der fast täglichen Erfahrung
am Sektionslische eine gewisse Bedeutung zu. Sie führen uns zur
Schlussfolgerung, dass eine abgelaufene tuberkulöse Pleuritis ein sehr
häufiges Vorkommnis ist beim erwachsenen Menschen.“
Dass umschriebene Pleuraverdickungen, namentlich solche der
Spitze fast regelmässig kombiniert sind mit schiefrigen Indurationen des
Parenchyms, trifft nach meinen Erfahrungen entschieden nicht zu. Wie
aus meiner Zusammenstellung hervorgeht, kann man gar nicht selten
Pleuraverdickungen antreffen, wo das Lungengewebe gar nicht oder nur
kaum merklich verändert ist (ganz schmaler Saum spaltförmiger, mit
Bindegewebe ausgefüllter Alveolen). Die scharfe Umgrenzung deutet
gewiss auf einen lokal verlaufenden Prozess hin, aber muss dies durch¬
aus ein tuberkulöser gewesen sein? Es unterliegt zwar keinem Zweifel,
dass z. B. die tuberkulösen Verdichtungen des Parenchyms älteren
Datums vorzugsweise — aber nicht durchweg — umschriebener Natur
sind, jedoch daraus darf man doch nicht umgekehrt folgern: Alle um¬
schriebenen Indurate sind tuberkulösen Ursprunges. Weshalb sollen nicht
auch andere Noxen als der Tuberkelbazillus in ganz gleicher Weise nur
an beschränkten Stellen pathologische Veränderungen erzeugen können?
Für das Zustandekommen solcher spielen doch nicht ausschliesslich spe¬
zifische Eigentümlichkeiten der ursächlichen Momente eine Rolle, sondern
auch die Intensität des Reizes und die Reaktion der befallenen Ge¬
webe ist mit von ausschlaggebender Bedeutung. Diffuse Hautphlegmonen
können durch den Staphylokokkus hervorgerufen werden; derselbe Staphylo¬
kokkus findet sich aber auch als Erreger von Furunkeln.
Die von mir beschriebenen Pleuraschwielen als Resto früherer, nicht
tuberkulöser Entzündungsvorgänge aufzufassen, bietet entschieden nicht
die geringsten Schwierigkeiten. Bei der Häufigkeit z. B. lobulär-pneu¬
monischer Prozesse ist es ohne weiteres begreiflich, dass sie, falls sub¬
pleural sich abspielend — schmale subpleurale Hepatisationsbezirke sind
geradezu typische Befunde — und dann mit den so vielfach zu beob¬
achtenden, nur begrenzten fibrinösen Entzündungen des Brustfolls ver¬
bunden, als Residuen umschriebene Pleuraverdichtungen zurücklasscn
müssen. Und was für diese im allgemeinen gilt, gilt im besonderen
auch für die in der Spitzengegend lokalisierten. Weil man einmal scharfe
Umgrenzung als Kriterium der tuberkulösen Genese einer Schwiele be¬
trachtete und ferner dem Tuberkelbazillus die Lungenspitze gewisser-
massen als Reservat zuerteilte, so galt jede dort gelegene Pleuraschwiele
als ziemlich selbstverständlich tuberkulöser Natur. Ebensogut aber wie
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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der Tuberkelbazillus unter den besonderen Verhältnissen, wie sie in den
obersten Lungenabschnitten herrschen, günstige Ansiedelungsbedingungen
findet, gilt dasselbe natürlich in demselben Masse für jeden anderen
Erreger. Grober woist mit Recht darauf hin, wie für alle möglichen
Infektionskeime die Gelegenheit die Pleura zu erreichen eine recht
grosse ist, insbesondere von den peripheren Teilen der Lungen aus, die
ihre Lymphe ja in die Pleura entleeren; und zu diesen peripheren Teilen
gehören vorzüglich auch die Spitzen.
Man braucht aber gar nicht auf die Annahme akut-entzündlicher
Prozesse zurückzugreifen, um das Zustandekommen umschriebener, pleu¬
raler Verdichtungen zu erklären. Bekanntlich findet man am Epikard
häufig zirkumskripte, weissliche Verdickungen, die als Sehnonflecken
bezeichnet werden; man fasst sic auf als Produkte einer flächenhaften
Bindegewebshyperplasie, die, wenngleich die eigentliche Ursache noch
nicht einwandfrei und allgemein anerkannt sicher gestellt ist, jedenfalls
in keinerlei Zusammenhang mit Tuberkulose steht. Weshalb sollte der
nämliche Vorgang wie am serösen Ueber/ug des Herzens sich nicht
auch am Lungenfell abspielen können! Mit anderen Worten, es ist wohl
denkbar, dass Pleuraschwielen aus einer einfachen Bindegewebsprolife-
ration an umschriebener Stelle hervorgehen; jene ist möglicherweise —
besonders bei den Schwielen im Spitzenbereich ist das diskutabel — die
Folge einer gestörten Lyraphzirkulation.
Wenn Nägeli eine ununterbrochene Serie von Uebergangsbildern
von typischer Pleuratuberkulose zur Pleuraschwiele konstruieren will, so
lässt sich meines Dafürhaltens doch nur Folgendes feststellen: Es gibt
frische tuberkulöse Pleuraveränderungen, es gibt bindegewebige Ver¬
dickungen mit hier und da eingestreuten Tuberkeln oder käsigen Stellen,
und es gibt rein fibröse Verdickungen. Ob letztere aus ersteren als
ihren Vorstadien hervorgegangen sind, lässt sich im konkreten Falle aber
niemals bestimmen. Ebenso gut kann ich eine Serie aufstellen von der
einfach fibrinösen Pleuritis bis zur Schwiele des Brustfells. Bei der Be¬
urteilung einer solchen, ob tuberkulösen Ursprungs oder nicht, bleibt
somit nichts anderes übrig, als sich ganz nach dem sonstigen Verhalten
der Lunge zu richten.
Ist in der nächsten Nähe der Pleuraschwiele eine tuberkulöse
Erkrankungsstelle vorhanden, stehe ich nicht an, jene als vielleicht
gleicher Herkunft wie diese anzusehen. Ist aber das Lungengewebe
gänzlich unbeteiligt, so liegt meines Erachtens keine Veranlassung vor,
die Verdichtung als tuberkulöses Residuum aufzufassen, ebensowenig
in dem Falle, wo etwa an einem entfernten Orte der nämlichen Lunge
oder auch in einer Hilusdrüse eine tuberkulöse Erkrankungsstclle sich
findet. Ich weise auf früher Gesagtes zurück betreffs der Möglichkeit
gemeinsamen Vorkommens verschiedenartiger pathologischer Vorgänge in
ein und demselben Organe. Nicht einmal bei einer Phthise ist alles,
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was man an Veränderungen findet, primäre Tuberkulose (v. Hanse¬
mann). Und würde eine tuberkulöse ASektion einer Hilusdrüse zur An¬
nahme zwingen, dass eine gleichseitig vorhandene Pleuraschwiele als
Tuberkuloseresiduum aufzufassen sei? Es ist darauf hinzuweisen, dass
die Hilusdrüsen solitär tuberkulös und sekundär infiziert sein können
von den Mesenterial- undTracheallymphknoten; dabei brauchen letztere
selbst nicht einmal Veränderungen zu zoigen, auch nicht die Organe, in
deren Bereich diese Drüsen gehören (Orth, Weichselbaum und Bartel).
Weleminsky betrachtet sogar die Lungenhilusdrüsen als Zentralfilter für
den ganzen Körper und meint, dass sie von jeder Stelle aus tuberkulös
.infiziert werden könnten.
Die Verdichtungen des Lungenparenchyms.
A. Die Bedeutung der fibrinoiden Degeneration.
Wenden wir uns zu den eigentlichen Lungenveränderungen.
Da positive Anhaltspunkte für ihre sichere Beurteilung zunächst fehlen,
ist vielleicht aus diesem oder jenem histiologischen Befunde ein Rück¬
schluss erlaubt!
Besonders in den umfangreicheren Spitzenverdichtungen wurde sowohl
im Bereich des neu gebildeten Lungen- wie des Pleurabindegewebes
häufig eine Gelbfärbung der kollagenen Fasern konstatiert (fibrinoi de
Entartung). Genau in der von Neumann angegebenen Weise — vgl-
meine Vorbemerkungen in der Einleitung — sehen wir fibrinoid u ro¬
gewandelte Kollagenfasern in fast allen Verdichtungen der Lungen and
des Brustfells auftreten, aber nicht nur als breite bandartige Fasern,
sondern auch, wie es Ricker beschreibt, in faseriger Form. Auf jeden
Fall ist diese fibrinoide Entartung des Kollagens nichts spezifisch-tuber¬
kulöses, sondern, wie in der Einleitung ausgeführt, eine regressive
Metamorphose, die in jedem schlecht ernährten Bindegewebe eintreten
kann. Die Bedingungen hierfür sind nun in jenen Lungen- und Pleura¬
schwielen, die meist ausserordentlich gefässarm sind, in besonderem
Masse gegeben. Fibrinoide Bindegewebsfasern können als solche sicher¬
lich lange Zeit hindurch sich erhalten, können andererseits auch eire
weitere Rückbildung erfahren, was weiterhin besprochen werden soll.
Fibrinoide Substanz spielt auch bei tuberkulösen Prozessen eine Rolle, wor» u f
später noch näher eingegangen wird. Aufrecht fand bei isolierter tuberkulöser
Lungenspitzenaffektion die Wand der die erkrankte Stelle umgebenden Gefässe vor¬
dickt, indem besonders die Adventitia durch fibrinoide Degeneration ihrer Fasere
verbreitert war.
Ebenso haben wir an den elastischen Elementen häufig D o
generationsVorgänge feststellen können, die sich darin dokumentier^* 1 !
dass jene bei der Weigertschen Färbung einen schmutzig blauen t> is
schmutzig gelben Farbenton annchmen; bisweilen sind sie dann nur n
bei stärkerer Vergrösserung, eventuell als stark gewundene oder geknäul* e
Fasern (entsprechend ihrer Konfiguration bei der Karnifikation) zu e r *
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Dio Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
303
kennen. Sind in solchem Falle auch die bindegewebigen Fasern fibrinoid
entartet, so entstehen jene beschriebenen unregelmässigen, an den Rändern
verwaschenen, gelben Stellen, die zunächst — speziell bei schwächerer
Vergrösscrung — hinsichtlich ihrer Beurteilung gewisse Schwierigkeiten
bereiten, zumal für den, der mit der fibrinoiden Entartung nicht vertraut
ist. Bei mittleren Vergrösserungen erkennt man aber die homogenen
breiteren oder schmäleren Bindegewebsfasern, von denen sich die elasti¬
schen Elemente auch dann, wenn sie fast gelb gefärbt sind, durch ihren
korkzieherartig gewundenen Verlauf abheben (vgl. Fig. 2). Es kann aber
auch Vorkommen, dass fibrinoid entartete Elastinfaserbündel und fibrinoide
Kollagenfasern völlig ineinander übergehen oder, genauer gesagt, nicht
mehr von einander zu unterscheiden sind; man findet dann innerhalb
karnifizierten Gewebes Stellen, die aus scholliger, gelber Substanz be¬
stehen; aus letzterer lösen sich an dem verwaschenen Rande jener Stellen
schmutzig-bläuliche und gelb-rötliche Faserzüge los, über deren Natur
man nicht in Zweifel sein kann.
Ist nun etwa diese fibrinoide Entartung der Elastinfasern
als etwas spezifisch-tuberkulöses anzusehen? Bei meiner zusammen¬
fassenden Betrachtung tuberkulöser Prozesse habe ich darauf hingewiesen,
dass die elastischen Elemente, selbst in ganz alten verkreideten ‘Käse¬
stellen, vorzüglich erhalten sein können; Verkäsung greift jene kaum an,
wie dies ja auch von den verschiedensten Autoren konstatiert ist
(Schmaus, Federmann, Wechsberg, Melnikow-Raswedenkow,
Oppenheim, Hess, Keigi, Sawada, Orth).
Nach Melnikow-Raswedenkow widerstehen die elastischen Fasern bei
käsiger Entartung lange und verschwinden dann, indem sie an Dicke abnehmen.
Schmaus, der die miliaren „Herde 4 *, wie sie bei akuter hämatogener Tuber¬
kulose und an frischen Eruptionsstellen chronischer Lungentuberkulose auftreten,
und zwar nur die sogenannten Pulmonaltuberkel, nicht die interstitiellen untersuchte,
konstatiert dabei, dass die Ausfüllungsmasse der Alveolarlumina vielfach aus Gra-
nulationsgewobe besteht, wobei die elastischen Elemente der Alveolarsepten lange
intakt bleiben; ;; es findet ein Vordringen der Wucherung ohne Rücksicht auf den
alveolären Bau statt, denselben durchbrechend aber nicht erheblich störend 44 . Ein
Zugrundegehen von elastischen Fasern dagegen sei an den mehr diffusen Granulations¬
wucherungen bemerkbar.
Wechsberg fand bei intravenöser Injektion von lebenden Tuberkelbazillen im
Bereich der Lungenblutgefässe, wo die Bazillen hafteten, sehr schnell — schon nach
sechs Stunden — Destruktion der elastischen Elemente der Gefässwände. Andererseits
macht W. darauf aufmerksam, dass bei Einwirkung der Bazillen vom Lumen der
Alveolen aus die elastischen Fasern bei weitem länger widerstehen, so dass man in
verkästen Teilen noch die Zeichnung der Lunge an der Anordnung der elastischen
Elemente eiue Zeitlang erkenne.
Aufrecht kann die Wechsbergsche Ansicht betreffs der Schädigung der
olastischen Gefässwandbestandteilo nicht akzeptieren; er fand z. B. in vollkommen
verkästen Nierentuberkeln „gerade die bindegewebigen Zwischensubstanzen als Rest¬
bestandteile der Gefässwand“.
Oppenheim gelangt auf Grund experimenteller Untersuchungen insbesondere
an der Haut aber auch an anderen Organen (Lunge nicht) zu dem Schluss, dass in
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tuberkulösen AfTektionen eine Schädigung der Elastika zu erweisen ist, nur bei Ent¬
wicklung von Zellinfütraten. „Eine spezifische, dem Tuberkelbazillus und dessen
Toxinen ausschliesslich zukommende Wirkung auf das elastische Gewebe konnte nicht
nachgewiesen werden“. Die Art jener Zellinfiltrate ist ohne Belang: „Ansammlung
von Rund-, Epitheloid- und proliferierenden Bindegewebszellen veranlassten die Un¬
möglichkeit die elastischen Fasern tinktoriell darzustellen“. Zu bemerken ist, dassO.
die Unmöglichkeit, die elastischen Fasern färberisch mit den gebräuchlichen Methoden
darzustellen, nicht identifiziert mit deren Schwund.
Nur Edens meint — er hat allerdings nur einen Fall von chronisch käsiger
Lungentuberkulose daraufhin untersucht —dass innerhalb jedes tuberkulösen „Herdes“
eine ziemlich erhebliche Auflösung der elastischen Fasern statthat. „Im Zentrum jedes
tuberkulösen Herdes findet man eine ziemlich erhebliche Auflösung der elastischen
Gebilde; im Zentrum sind meist nur spärliche Reste nachweisbar, am Rande findet
man dagegen häufig noch grosse Klumpen olastischen Gewebes, wie sie der Induration
ihre Entstehung verdanken. Für die Beurteilung des Alters, der Progredienz pneu¬
monischer, besonders chronisch-pncumonischer Prozesse und event. deren Verhältnis
zu komplizierenden spezifischen Erkrankungen wird man vielleicht unter Berück¬
sichtigung der erwähnten Gesichtspunkte aus dem Verhalten der elastischen Fasern
zuweilen erwünschte Anhaltspunkte gewinnen können.“
Nach Schmaus und Wcchsberg bleiben also die Elastinfasern bei
intraalveolären tuberkulösen Prozessen lange Zeit intakt, während
Edens in jedwedem tuberkulösen Lungenbezirk ein Zugrundegehen der
elastischen Elemente gefunden haben will; dio in käsigen Stellen erhalten
gebliebenen können nach Mclnikow-Raswedenkow nachträglich all¬
mählich schwinden.
Auf Grund meiner eigenen Beobachtungen kann ich sagen, dass bei
interstitieller Tuberkelentwicklung von vornherein eine weitgehende
Zerstörung der elastischen Fasern statthat; man sieht dann gewöhnlich
nur kleine Fragmente deutlich blau tingierter Fäserchen (bei Weigert-
Färbung). Intraalveoläre tuberkulöse Prozesse hingegen lassen die
elastischen Elemente lange Zeit hindurch unberührt; so fand ich ab¬
gekapselte käsige Stellen mit prachtvoll erhaltenem elastischen Maschen¬
werk (Alveolarstruktur!); nach und nach erst dürfte in solchen Bezirken
ein teilweiser Schwund der Elastinfasern eintreten; darauf deuten käsige
Stellen, in denen man nur feine blaue Fäserchen (bei Weigert-Färbung!)
und Faserresto in angcdcutet alveolärer Lagerung findet (vergl. Fig. 3).
Mag nun auch Oppenheim Recht haben, wenn er die Unmöglich¬
keit, die elastischen Elemente tinktoriell darzustellen, nicht als gleich¬
bedeutend ansieht mit ihrem Schwund, auf jeden Fall lässt sich sagen:
was von elastischen Fasern in tuberkulösem Gewebe, älterem oder
frischerem, überhaupt erkennbar ist, zeigt bei den spezifischen Färbungen
dieselbe ganz scharf hervortretende Tinktion wie unter normalen Ver¬
hältnissen; niemals beobachtet man hier jene schmutzig bläulichen oder
schmutzig gelblichen Farbentöne, wie ich sie als Ausdruck eines De¬
generationsvorganges nach Analogie der fibrinoiden Entartung des Kollagens
hingestellt habe. Kei'gi Sawada findet allerdings sow'ohl bei tuberku¬
lösen wie bei ulzerösen Prozessen ausser dem Zugrundegehen von
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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elastischen Fasern qualitative Veränderungen dieser, indem sie „blasser“
gefärbt erscheinen. Ich glaube, dass er mehr jene Degenerationserschei¬
nungen meint, wie sie natürlich auch in den karnifizierten Partien alter
tuberkulöser Verdichtungen Vorkommen, wenn er sagt: „in Herden, wo
hyaline Umwandlung erfolgt ist, treten elastische Fasern meist wenig
scharf hervor.“
Die fibrinoide Umwandlung des Elastinfasern ist demnach kein
spezifisch-tuberkulöser Vorgang, sondern nur der Ausdruck einer Ent¬
artung, die in Parallele zu setzen ist mit dem gleich benannten Vorgang
an den kollagenen Fasern und vielfach in karnifiziertem Gewebe an¬
getroffen wird.
Fibrinoide Umwandlung des Kollagens und Degeneration der
elastischen Fasern sind nun nicht immer neben einander her laufende
Vorgänge, sondern jeder kann für sich allein Vorkommen. So finden
sich innerhalb von Karnifikation Stellen, wo die elastischon Alveolar¬
wandbesteile sich gut erhalten haben, die Kollagenfasern des Alveolar¬
bindegewebes aber gelb aussehen; ebenso umgekehrt: schlecht tingiertes
Elastin und leuchtend rotes Kollagen. Bisweilen sieht man im sklero¬
tischen Gewebe kleine gelbe Einsprengsel, die bei sch wacher Vergrösse-
rung amorph wie käsiges Material erscheinen; bei stärkerer Vergrösserung
stellen sie sich dar als stark geknäulte Gebilde, die nichts anderes als
entartete Elastinfaserhaufen sein können. Dann wieder erscheinen grössere
Partien zunächst als rein aus Kollagenbindegewebe bestehend, erst bei
genauerem Zusehen erkennt man hier und da ganz schwach hervor¬
tretende, schmutzigbläuliche oder schmutzig gelbliche Fasern in angedeutet
alveolärer Form.
B. Die Bedeutung fibromartiger Gebilde. Der fibröse Tuberkel.
Dies eben gekennzeichnete Verhalten der elastischen Elemente
macht sich vielfach bemerkbar auch an den zirkumskripten, runden oder
rundlich-ovalen, fibromartigen Stellen. Wie gelegentlich der Beschreibung
dieser bemerkt wurde, bilden sie entschieden einen auffallenden Befund,
der den Verdacht auf völlig fibrös umgewandelte Tuberkel erweckt.
Wir müssen daher diese fibromartigen Stellen einer näheren Betrachtung
unterziehen speziell in Rücksicht auf die Frage, inwieweit sie etwas mit
Tuberkulose zu tun haben. Das bringt uns zunächst auf das Thema des
„fibrösen Tuberkels“ im allgemeinen.
Die Umwandlung des zelligen Tuberkels in einen fibrösen ist nach Schüppel
— seine Untersuchungen nach dieser Richtung erstrecken sich allerdings nur auf
Lymphdrüsen — ein seltenerer Vorgang als dio Verkäsung. Gelegentlich könne das
käsige Zentrum des fibrösen Tuberkels ganz resorbiert werden, so dass das Bild
kleiner Fibrome entstände.
Der fibröse Tuberkel, wie ihn Langhans beschreibt, setzt sich aus drei Zonen
zusammen: aus einer inneren käsig bindegewebigen, aus einer mittleren aus lymphoiden
und Riesenzellen bestehenden und schliesslich einer äusseren, relativ zellarmen,
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fasorigen; letztere nimmt sich wie eine Art Kapsel aus, ist aber keine solche, sondern
die eigentliche Matrix des inneren Tuberkclgewebes.
Arnold fand häufig rundliche, bindegewebige Knötchen (speziell in Lymph-
drüsen) in der Mitte mit epitheloiden Zellen, ohne eine Andeutung von Verkäsung;
die Bindegewebsbildung geht hier von der Peripherie aus gegen das Zentrum vor.
Rindfleisch bemerkt, dass die „fibroide“ Umwandlung des Tuberkels ihren
Ausgang nimmt von den epitheloiden und Riesenzellen, welche zunächst sich in
Fibroblasten umwandeln. Die Riesenzellen verschwinden aber selten ganz, sie zeigon
häufig Dogenerationsformen. Die käsige Substanz wird von Fibroblasten durchwachsen,
unter Umständen erkennt man die Stelle des ursprünglichen, nunmehr umgewandelten
Tuberkelf nur noch an dem Vorhandensein von Riesenzellen.
Nach Klebs kann eine „Vernarbung“ im Tuberkel zustande kommen. „Sie
dürfte durch hyaline Exsudation eingcleitet werden; in die hylinen Massen wandern
gewebsbildende Leukozyten ein und verdrängen mehr und mehr das tuberkulöse Ge¬
webe, zugleich die Bazillen zerstörend; es entsteht der fibröse Tuberkel.
Was Schüppel als fibröse Einkapselung des Tuberkels unter Bildung eines
zollarmen sklerotischen Gewebes als reaktiver Erscheinung von dessen Umgebung be¬
schreibt, deuten Schmaus und Albrecht als hyaline Umwandlung, d. h. Ein¬
lagerung hyaliner Substanz in das Bindegewebe und das sich verdickende Retikulum
des Tuberkels selbst. Die hyaline Umwandlung beginnt an der Peripherie und schreitet
naoh dem Zentrum fort. Das Hyalin tritt am Rande des umgewandelten Knötchens in
vorzugsweise zirkulärer Anordnung auf, gegen das Innere zu in retikulärer Lagerung.
„Auch irv glasigen, derben, sogenannten obsoleten Tuberkeln menschlicher Lungen,
namentlich in zirrhotischen Partien der Lungenspitze, fanden wir vielfach das oben
erwähnte Hyalin.“
March and bezeichnet die fibröse Ausheilung des Tuberkels (durch Umwandlung
von dessen Elementen) als einen ausserordentlich häufigen Vorgang. Nach Auf¬
recht kann das käsige Zentrum eines Tuberkels vollkommen resorbiert und letzterer
in ein rein fibröses Knötchen umgewandelt werden.
Klebs, Schmaus und Albrecht, Marchand und Aufrecht
halten also eine völlige fibröse Umwandlung des Tuberkels für durchaus
möglich bzw. sogar für etwas häufiges. Die zuerst zitierten Autoren
sehen eine solche immerhin als seltenes Vorkommnis an; meist soll
man dem fibrösen Gebilde noch seinen Ursprung ansehen können an
einem käsigen oder aus Epitheloidzellen bestehenden Zentrum oder aus
peripher vorhandenen Riesenzellen.
Es ist ja sichergestellt, dass im Bereich des Bauchfells Tuberkel
unter Umständen vollständig in bindegewebige Knötchen umgewandelt
werden können. Ob derartiges in anderen Organen, speziell auch in
den Lungen, statt hat und ob es hier gar ein häufigeres Vorkommnis
darstellt, ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Aufrecht be¬
merkt, dass rein fibröse Tuberkel in den Lungen nichts Seltenes sein
mögen; „wahrscheinlich entziehen sie sich nur der Beobachtung bei dem
Vorhandensein gröberer und augenfälligerer Veränderungen.“
In tuberkulösen Induraten traf ich auf kleine, rundliche, zirkum¬
skripte, derb-fibröse, kohlearme Stellen mit Kohle in der Umgebung, die zu
mehreren nahe beieinander lagen. Besonders aus der Art der Lagerung
möchte ich schliessen, dass solche Stellen hervorgegangen waren aus
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zeiligen Tuberkeln; diese ordnen sich ja mit Vorliebe gruppenweise an.
Nicht ohne Belang für die Bewertung jener Stellen erscheint mir ihre
Kohlcarmut; der zeitige Lungentuberkel, also ihr eventuelles Vorstadium,
ist nämlich meist — ich gehe später noch ausführlicher darauf ein —
so gut wie kohlcfrei. Dagegen sind Gestalt und scharfe Abgrenzung der
kleinen fibrösen Stellen, allein für sich betrachtet, nicht ausschlag¬
gebend, um sie als fibröse Tuberkel zu erklären; wir werden sehr bald
fast ganz gleich ge formte Gobilde in den Kreis unserer Betrachtungen zu
ziehen haben, Gebilde, die in keinerlei Beziehung zur Tuberkulose stehen.
Der vorhin von mir gezogene Schluss, jene beschriebenen, kleinen,
fibrösen Stellen dürften bindegewebig umgewandelte Tuberkel sein, er¬
scheint um so berechtigter, wenn in der nämlichen Verdichtung Tuberkel
gefunden wurden, bei denen der bindegewebige Anteil den zeiligen ent¬
schieden überwog, also gewissermassen Uebergangsformen vom zeiligen
Tuberkel zu jenen rein fibrösen Stellen. Dann auch fielen mir in tuber¬
kulösen Indurationen grössere, deutlich sich abhebende, sklerotische Be¬
zirke auf, die ihrer Umrandung und dem Verlauf ihrer Fasern nach aus¬
sahen, als wären hier möglicherweise verschiedene jener kleinen, runden,
fibrösen Stellen miteinander verschmolzen; eventuell liegen in derartigen
Bezirken bindegewebig umgewandelte Konglomerattuberkel vor.
Diese eben geschilderten Befunde sind meiner Ansicht nach die ein¬
zigen, die man mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit als fibröse
Lungentuberkel deuten könnte. Solche Befunde werden aber nicht
oft erhoben, und wenn aus dieser Tatsache ein Schluss zu ziehen erlaubt
ist, so dürften rein fibröse Lungentuberkel kein häufiges Vorkommnis sein.
Betrachten wir nunmehr näher jene speziell in den umfangreicheren
Spitzen Verdichtungen anzutreffenden, rundlichen oder rundlich-ovalen,
fibromartigon Gebilde, die entschieden etwas Auffälliges darstellen.
Sind dies etwa fibröse Tuberkel?
Wir können bei jenen Gebilden im grossen und ganzen 4 Typen
unterscheiden: 1) „Knötchen,“ die diffus stark kohlehaltig sind — sie
werden am seltensten beobachtet —, 2) solche, die nur im Inneren, ev. auch
noch in der Umgebung, reichlicher Kohle enthalten, 3) „Knötchen,“ um
die nur ringsherum viel Kohle abgelagert ist, und 4) „Knötchen“ ohne
oder mit nur wenig Kohle sowohl im Inneren wie in der Nachbarschaft.
Was die ersten beiden Typen anlangt, so sind dies fraglos Gebilde,
die der Kohle ihre Entstehung verdanken; bei Besprechung der knoten¬
förmigen Lungen- und Pleuraverdichtungen werden wir auf genau die
gleichen Bildungen — nur grössere — stossen, Bildungen, von denen
mit Sicherheit zu sagen ist, dass sic durch die anwesende Kohle erzeugt
werden. Jene kohlehaltigen „Knötchen,“ die in den Spitzenverdichtungen
nach meiner Erfahrung stets in der Nähe eines grösseren Gefässes ge¬
lagert sind (vergl. Fig. 4), sind perivaskuläre, vielfach an Kreuzungs¬
punkten von Intcrlobularseptcn vorkommende, fibromartige Verdichtungen;
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308
G. GOERDELER,
sie besitzen eineu Durchmesser von 0,8 bis 0,9 mm; bisweilen liegen
zwei solcher „Knötchen“ ganz nahe aneinander, was ich mir durch nach¬
trägliche, starke Schrumpfung des umliegenden karnifizierten Gewebes
erkläre. Wo die Genese dieser beiden ersten Typen von „Knötchen“ so
gut zu begründen ist durch die anwesende Kohle, besonders bei Berück¬
sichtigung anderweitiger, fast gleicher Lungenbefunde, liegt nicht die
geringste Veranlassung vor, in jenen fibröse Tuberkel zu erblicken, in
denen etwa nachträglich Kohle abgelagert ist.
Eher als fibröse Tuberkel könnte man zunächst vielleicht betrachten
den dritten Typ von „Knötchen,“ wo reichlich Kohle nur ringsherum ge¬
funden wird. Dazu sei aber bemerkt, dass bei vielen sicher durch Kohle
hervorgerufenen, knötchenförmigen Lungenseptum- und Pleuraverdichtungen
jene auch nur am Rande dieser letzteren angetroffen wird; es braucht
die Kohle durchaus nicht inmitten des durch sie produzierten Bindege¬
webes zu liegen. Somit gehen wir nicht fehl, wenn wir die dritte Art
von „Knötchen,“ wie sie in Spitzenverdichtungen Vorkommen, auch für
fibroraartige Septumkohleknötchen erklären. Nur dann, wenn derartige
Gebilde, wie ich es vereinzelt in Spitzeninduraten beobachtete, zu
mehreren dicht nebeneinander liegen, also gewissermassen gruppenweise
geordnet, hätte man auch an fibröse Tuberkel zu denken, um die sich
Kohlepigment angehäuft hat; es können aber ebensogut Septumkohle¬
knötchen sein, die durch Schrumpfung des zwischenliegenden, verdichteten
Gewebes zusammengerückt sind.
Nun der vierte Typ von Knötchen, die kohlefreicn resp. kohlearmen
und ohne oder mit nur wenig Kohle in der Umgebung. Sic sind vielfach
grösser wie die erstbeschriebenen Typen, rundlich-oval, bis zu 1 X 1,6 mm
im Durchmesser. Häufig konnte ich in ihnen elastische Fasern in alveo¬
lärer Anordnung nachweisen — letztere waren aber nur schwach sicht¬
bar — und zwar gibt es „Knötchen“, die fast durchweg solche enthalten
(vergl. Fig. 5), dann „Knötchen,“ wo nur die peripheren Teile von Elastin¬
fasern durchzogen sind. Ich habe für einen Teil dieser fibromartigen
Gebilde mit Elastinfasern keine andere Erklärung, als dass sie aus karni-
fiziertem Gewebe heraus nachträglich hervorgegangen sind, indem stellen¬
weise das die Alveolen ausfüllende Bindegewebe durch eine regelmässige
konzentrische Lagerung derartige Bildungen hervorgehen lässt. Gestützt
werde ich in dieser Ansicht durch Befunde, wo ich an ein und dem¬
selben Präparate einer Verdichtung alle möglichen Uebcrgangsbildcr zu
sehen bekam von kleinen, unregelmässigen, aber ziemlich stark sich ab¬
hebenden, karnifizierten Bezirken mit schwach gefärbten Elastinfascrn,
kleinen, umschriebenen Bezirken, wo die breiten Kol lagen fasern am Rande
stellenweise eine ganz regelmässige konzentrische Anordnung zeigten, bis
schliesslich zu jenen runden fibromartigen „Knötchen.“ Ein anderer Teil
der „Knötchen“ mit Elastinfascrn können aber auch Pulmonaltuberkel
sein, die völliger Karnifikation anheimgefallen sind.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
309
Bekanntlich haben wir bei den in der Lunge vorkommenden Tu¬
berkeln zwei Formen zu unterscheiden: 1) den interstitiellen Tuberkel,
die seltenere Form, 2) den Pulmonaltuberkel im engeren Sinne, der
aus einer Gruppe zellig infiltrierter Alveolen besteht; er stellt die bei
weitem häufigere Form dar.
Beide Arten von Tuberkeln köunen bindegewebig umgewandelt
werden; der Pulmonaltuberkel im engeren Sinne wird sich dann als eine
umschriebene karnifizierte Stelle von kleinster Dimension präsentieren. —
Also, wie schon gesagt, bei einem Teil jener in Lungenspitzenindurationen
vorhandenen „Knötchen“ mit Elastinfascrn kann es sich um fibröse Pul¬
monaltuberkel handeln. Da würde man die berechtigte Frage aufworfen,
weshalb diese etwaigen fibrösen Tuberkel, die dann doch nichts anderes
sind als mit Bindegewebe ausgefüllte Alveolen, sich so scharf abheben
von ihrer auch karnifizierten Umgebung. Darauf gäbe cs nur die eine
Antwort, nämlich die, dass die fibrösen Tuberkel und die umliegende
Karnifikation zu verschiedenen Zeitpunkten entstanden sind. Entweder
waren in der betreffenden Lungenspitze zunächst nur Pulmonaltuberkel
aufgetreten, waren bindegewebig umgewandelt zu kleinsten, scharf ab-
gegrenzten knötchenförmigen Gebilden und nun entwickelte sich, vielleicht
ganz unabhängig davon, eine Karnifikation. Oder letztere war das Primäre
und die Tuberkelcruption das Sekundäre.
Unter den als vierter Typ von „Knötchen“ bezeichncten Gebilden
stösst man vereinzelt auf solche, die gar keine elastischen Elemente auf¬
weisen; ich glaube, dass hier ursprünglich solche vorhanden waren, aber
hinterher nach und nach geschwunden sind; wie vorhin erwähnt, sind in
„Knötchen“ mit Elastinfasern letztere bisweilen nur schwach, eben er¬
kennbar tingiert, und daraus schliesse ich auf die Möglichkeit eines
völligen Schwindens dieser. Die „Knötchen“ ohne elastische Elemente
wären danach als aus Karnifikation hervorgegangen anzusehen, und für
ihre Genese käme das vorher Gesagte in Betracht; vielleicht sind cs aber
auch fibromartige Septum Verdichtungen unbekannten Ursprunges oder
fibrös unogcwandclte interstitielle Tuberkel.
Fassen wir unsere Erörterungen über die in Spitzeninduration ver¬
kommenden „Knötchen“ kurz zusammen:
Ein Teil von ihnen — der überwiegende — sind gewöhnliche
Septumkohleknötchcn, und zwar sind das diejenigen mit diffuser starker
Kohleablagerung, ferner die mit viel Kohle nur ira Innern oder im Innern
und in der Nachbarschaft und schliesslich diejenigen mit reichlich Kohle
nur an der Peripherie, soweit sie nicht zu mehreren dicht bei einander
liegen. Ein anderer Teil können fibrös umgcwandeltc Tuberkel sein,
nämlich die „Knötchen“, die frei von Kohle resp. kohlcarm sind und keine
oder nur wenig Kohle in der Umgebung aufweisen, und dann noch solche
mit stärkerer Kohleablagerung am Rande, die etwa gruppenweise auf-
treten.
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G. GOERDELER,
Da meiner Meinung nach in den Lungen eine völlig bindegewebige
Umwandlung von Tuberkeln kein häufiger Vorgang ist, wird man in den
„Knötchen“, deren Genese nicht ohne weiteres zu klären ist, immerhin
nur selten fibröse Tuberkel vermuten dürfen, denn sonst würde man an den
betreffenden Verdichtungen doch wohl häufiger anderweitige positive
Befunde in Form käsiger Einschlüsse oder frischeren tuberkulösen Gewebes
antreffen; man müsste denn annehraen, dass in vielen Fällen tuberkulöse
Lungenaffektionen wirklich vollkommen ausheilen, indem nämlich das
spezifische Gewebe rosp. Exsudat teils in Bindegewebe übergeführt wird
(Karnifikation, fibröse Tuberkel, vermehrtes Interstitialgewebe!), teils zur
Rückbildung gelangt und käsiges Material gänzlich resorbiert wird.
Wie verhält es sich nun zunächst mit einer völligen Resorption
von tuberkulösem Käse?
Nach Niemeyer kann eine „käsige Infiltration“ des Lnngengewebes in Fettmeta-
morphose übergehen, sich verflüssigen und resorptionsiahig werden. Währenddem
finde eine reichliche Bindegewebswucherung statt, und jene verflüssigten Bezirke
können durch diese ersetzt werden, sodass eine derbe schwielige Masse entstehe. Die
Resorption von nachträglich verfetteten und verflüssigten käsigen Massen könne eine
so vollkommene sein, dass eine in schwieliges Gewebe eingebettete Höhle ohne jede
Spur käsiger Bestandteile zurückbleibe.
Aehnlich meint v. Hanse mann, dass kleine käsige Hepatisationen völlig von
„Narbengewebe u durchwachsen und resorbiert werden können.
Auch Aufrecht tritt, wie wir sahen, für die Möglichkeit einer völligen
Resorption des käsigen Zentrums beim Tuberkel ein.
Orth hingegen spricht nur von einer mehr oder weniger vollständigen
Organisation verkästen Gewebes.
Nach meinen zahlreichen Untersuchungen muss ich eine völlige
Resorption käsigen Materials als ein sehr seltenes Vorkommnis erklären,
wenn sie überhaupt je statt hat. Wie wäre sonst das Vorhandensein
kleinster käsiger Stellen in ganz alten Induraten, die sicher Jahrzehnte
lang bestanden haben, zu erklären wie ferner jene Befunde isoliert vor¬
kommender, abgekapselter, winziger verkäster Bezirke in sonst ganz
gesunden Lungen, wo doch eine völlige Resorption noch am ehesten
denkbar erscheint! Das derb fibröse Gewebe, das solche käsigen Stellen
umgibt, mit seiner äussert geringen Lvmphzirkulation bietet offenbar die
schlechtesten Vorbedingungen für resorptive Vorgänge.
Was das Verschwinden nicht verkästen, tuberkulösen Gewebes anlangt, so nimmt
Klebs ein solches an; er weist dabei auf das völlige Verschwinden von Bauchfell¬
tuberkeln hin. Auch die von ihm angestellten Untersuchungen an tuberkulösen Meer¬
schweinchen, die mit Tuberkulin behandelt waren, ergaben eine ganz allmähliche
Rückbildung der interstitiellen Neubildungen und zwar derart, dass „Tuberkelzellen“
sich wieder in „normale Zellen“ verwandelten. Die Ausfüllungsmasse infiltrierter
Alveolen wurde, soweit sie nicht zur „Bedeckung der Alveolarwand“ verwendet wurde,
ausgestossen. Es konnten auf diese Weise ausgedehnte tuberkulöse Neubildungen bis
auf ganz geringe „Atelektasen“ schwinden.
Nach Virchows Beobachtungen muss eine Resorption von Tuberkeln als
äusserst seltenes Vorkommnis angesehen werden.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
311
. Mag auch die Möglichkeit eines völligen Schwindens von Tubertein
innerhalb des Bauchfells zugestanden werden — beim Menschen dürfte
das aber eine grosse Seltenheit sein —, innerhalb der menschlichen
Lungen kann meines Erachtens derartiges kaum je in Betracht kommen,
am allerwenigsten in verdichtetem Gewebe.
Bei meiner resümierenden Betrachtung der in Lungenspitzeninduraten
anzutreffenden knötchenförmigen Gebilde vertrat ich die Ansicht, dass
nur ein gewisser Teil derjenigen „Knötchen,“ deren Genese zunächst
zweifelhaft ist, als fibröse Tuberkel aufgefasst werden dürfe; ich begründete
diese meine Meinung u. a. damit, dass man doch wohl selten in Ver¬
dichtungen mit derartigen „Knötchen,“ falls in diesen wirklich binde¬
gewebig umgewandelte Tuberkel vorliegen, tuberkulöses Gewebe oder
tuberkulös-käsiges Material vermissen würde, es sei denn, dass letzteres
gänzlich resorbiert wird, ersteres teils schwindet, teils in Bindegewebe
übergeht, dass also eine vollkommene Heilung eines tuberkulösen Prozesses
erfolgt. Indem ich eine restlose Resorption tuberkulösen Gewebes und
tuberkulös-käsigen Materials im Bereich der menschlichen Lunge ab¬
lehnen resp. als etwas sehr Seltenes erklären muss, indem ich somit die
völlig bindegewebige Ausheilung einer tuberkulösen Lungenaffektion als eine
Rarität ansehe, glaube ich mich zu dem Schlüsse berechtigt, dass bei den
Spitzeninduraten der Abteilung 1 knötchenförmige Bildungen, deren
Natur zunächst unklar ist, gewiss nur selten als rein fibröse Tuberkel zu
gelten haben, um so mehr, als letztere überhaupt nicht oft in den
Lungen Vorkommen.
Ich betrachte als wahrscheinliche fibröse Tuberkel nur diejenigen
kohlefreien resp. kohlearmen und nicht oder nur von wenig Kohle um¬
gebenen „Knötchen“, die zu mehreren gruppenweise beieinander liegen,
und als mögliche fibröse Tuberkel solche „Knötchen,“ die, selbst kohle¬
frei, aber von viel Kohle umlagert, an einer Stelle gehäuft auftreten.
Auf tuberkulösen Ursprung suspekt erscheinen mir auch, wie ich das
schon früher ausführte, innerhalb von Indurationen jene grösseren, scharf
sich abhebenden, sklerotischen Bezirke, die wie miteinander konfluierte
„Knötchen“ aussehen.
Für die einzeln gelagerten „Knötchen“ des vierten Typs wäre der
Erklärungsmodus von Geltung, wie er oben von mir in Erwägung ge¬
zogen wurde (nachträgliche Bildung aus karnifiziertem Gewebe, ev. auch
fibromartige Septumverdickung unbekannter Genese). Wenn v. Baum¬
garten fibröse Knötchen innerhalb von Schwielen als geheilte Tuberku¬
lose ansehen zu müssen meint, so kann ich diese Auffassung nicht teilen.
Nun könnte noch der Einwand erhoben werden, dass das Vorstadium
der Spitzenindurate, die nur aus karnifiziertem Lungengewebe oder aus
diesem und z. B. fibrösen Kohleknötchen sich zusammensetzen, rein
tuberkulös-pneumonische Prozesse gewesen seien, etwa eine ausgedehntere
tuberkulöse Desquamativpneumonie im Sinne Buhls, die zu einem Teil
Zaitsohr.f. klin. Meditlo. 7 «. Bd. H. 3 o. 4. 91
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312
G. GOERDELER,
*
in Karnifikation übergegangen, zum anderen Teil völlig resorbiert sei.
Gelatinöse Hepatisationen können ja zur Resolution gelangen. Zunächst
erscheint es überhaupt unwahrscheinlich, dass derartige pneumonische
Prozesse sich in weitgehendem Masse zurückbilden sollten, ohne käsige
Reste zu hinterlassen. Ferner hätte in den hier in Betracht kommenden
Fällen die supponierte tuberkulöse Pneumonie eingesetzt ohne eine ander¬
weitige tuberkulöse Initialerkrankung der betreffenden Lungen — neben
den beschriebenen Indurationen der Abteilung I war ja nichts von Tu¬
berkulose zu konstatieren. Eine rein primäre tuberkulöse Pneumonie
ist aber meines Wissens noch nie beobachtet, und somit erledigt sich
jener Einwand ohne weiteres.
Betreffs der Spitzenindurate lässt sich also vorerst soviel sagen:
es sind in solchen wahrscheinliche Tuberkuloscresiduen zu sehen, die
als wahrscheinlich für fibröse Tuberkel anzusprechende. „Knötchen“ ent¬
halten; eventuell tuberkulösen Ursprunges sind Spitzenverdichtungen
mit „Knötchen,“ die möglicherweise fibröse Tuberkel darstellen, und Ver¬
dichtungen mit jenen grösseren, sklerotischen Stellen, die vielleicht aus
konfluierten, bindegewebig umgewandelten Tuberkeln hervorgehen.
C. Die Bedeutung von Kalkablagerung und Knochenbildung.
Betrachten wir nun näher die Kalkablagerung und Knochen¬
bildung, Vorgänge, die so vielfach in engen Zusammenhang mit der
Tuberkulose gebracht werden.
Beim Zustandekommen der Verkalkung spielen verschiedene Mo¬
mente eine Rolle: einmal relative Ruhe der das schwer lösliche Material
heranführenden Flüssigkeit, ferner vielleicht eine Verminderung des Kohlen¬
säuregehalts der Gewebssäfte, häufig auch eine Ueberladung des Blutes
mit Kalksalzen. Irgendwelche Gewebsqualitäten, welche eine besondere
chemische Verwandtschaft zu den ausfallenden Substanzen* also z. B.
Kalk, dokumentieren, hat man bisher nicht konstatiert (v. Reckling¬
hausen). Verkästes, tuberkulöses und syphilitisches Granulationsgewebe,
abgestorbener Eiter, Thromben, die Exsudate seröser Häute, ferner hyalin
degeneriertes, fasriges Zwischengewebe nehmen mit besonderer Leichtig¬
keit Kalk auf (Aschoff).
In einem kernarmen, sklerotischen, möglicherweise entarteten
Bindegewebe — und solches trifft man ja, wie wir gesehen haben,
häufig in den Lungeninduraten an — sind jedenfalls die günstigsten
Vorbedingungen zu einer Kalkablagerung gegeben. In den diesbezüglichen,
von mir beschriebenen Fällen handelt es sich nie um kompakte Kon-
krcmentbildung, sondern um eine diffuse Verteilung des Kalks inner¬
halb des Gewebes; nach der Entkalkung tritt letzteres in seiner Struktur
zu Tage. Lagert sich der Kalk zusammen mit Kohle ab, so sieht man
an solchen Stellen nicht selten nadelförmige Lücken (Ablagerungsstellen
von Fettsäurekristallen ?). Es bedarf keiner weiteren Auseinandersetzungen,
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw. 3l3
dass diese Art der Kalkablagerung etwas ebenso UnspezifiSches darstellt,
wie der gleiche Vorgang z. B. in einer verdickten Herzklappe.
Dass Kalkinkrustation im Lungengewebe auch unabhängig von indurativen Pro¬
zessen verkommt, lehren Beobachtungen von Kockel. Dieser stellte derartiges fest
in einigen Fällen von chronischer Stauungshyperämie der Lungen; der Kalk hatte
sich vorzüglich in den elastischen Elementen der kleinsten Arterien und Venen, dann
der Kapillaren und demnächst der Alveolarsepten niedergeschlagen.
Hlava konstatierte bei einem Emphysematiker eine ausgedehnte schwammige
Verkalkung im rechten Oberlappen, geringere in den übrigen Abschnitten der Lunge.
Der Kalk war vornehmlich abgelagert in der Wand von Alveolarkapillaren und dem¬
nächst grösseren Gefässstämmen. Als Ursache nimmt H. eine allgemeine Zirkulations¬
und Ernährungsstörung an.
Wenn also Ribbert — vergl. seine in der Einleitung wiedergegebene
Bemerkung — bei der Beurteilung indurativer Lungenprozesse in der
Verkalkung ein Kriterium auf Tuberkulose erblickt, so muss ich dem ent¬
schieden entgegentreten. Der Vorgang der Kalkablagerung spielt zwar
bei tuberkulösen Lungenaffektionen eine grosse Rolle, aber falsch ist
der Schluss: wo Kalk ist, da liegt Tuberkulose vor.
Was die Knochenbildung anlangt, so ist es fraglos, dass eine
solche häufig in alten tuberkulösen Verdichtungen angetroffen wird.
Pollak fand bei 220 Fällen in 17pCt. Spuren von Knochen in den Lungen;
was die Lokalisation der Knochenbildungen anlangt, so waren sie in diesen Fällen im
Oberlappen häufiger als im Unterlappen und in jenen wieder häufiger im obersten
Teil als in den unteren Partien. In nur wenigen Fällen gehörte der Knochen der
Pleura an. Hinsichtlich der Struktur der knöchernen Einlagerungen lasse sich sagen,
dass im Zentrum ein Kern meist verkalkten, mortifizierten, bezüglich unverkalkten,
nur nekrotischen Gewebes liege; ringsherum eine Kapsel sklerotischen Bindegewebes,
das in den äusseren Partien teilweise reichliches Kohlepigment aufweise; hieran grenze
das Lungenparenchym, das in nächsterNähe des „Herdes 1 * mehr oder weniger verändert
sei; der Knochen schiebe sich weitaus am häufigsten zwischen den zentralen Kalkkern
und die Bindegewebskapsel; vereinzelt könne es Vorkommen, dass Knochen ohne
Kapsel und ohne Kalkherd direkt im Lungengewebe liege. Knochenbildung inner¬
halb der Lungen stehe in engster Beziehung zur Tuberkulose.
Ich habe bei der Abteilung 1 im ganzen viermal Knochenbildung
notiert, und zwar waren es jedesmal nur kleine, Spangen- oder ring¬
förmige Gebilde, die inmitten von karnifiziertem Gewebe lagen, ohne
dass eine Spur von käsig-nekrotischen Bestandteilen vorhanden war.
Diese Knochenbildung kann ebenso wenig wie die Verkalkung als etwas
Spezifisches gedeutet werden; sie ist ein rein metaplastischer Prozess,
wie er an anderen Stellen auch vorkomrat, innerhalb von Bindegewebe;
ich erinnere an das Vorkommen echten Knochengewebes in schwielig
verdickten Herzklappen. Das relativ häufige Zusammentreffen von
Knochenbildung und käsigem Material besagt somit nur, dass das derb
sklerotische Bindegewebe, welches jene Käsestellen einschliesst, wie an
anderen Orten so auch in der Lunge zu einer solchen Metaplasie prä¬
disponiert ist. Ich werde später noch einige Beobachtungen anführen,
die ganz ausgezeichnet den Uebergang von karnifiziertem Lungengewebe
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314
G. GOERDELER,
in Knochensubstanz vor Augen führen. Hier sei nur noch hingewiesen
auf eine interessante Mitteilung von Arnsperger. Dieser fand in einem
Falle, wo es sich um verästelte Kqochenbildung in beiden Lungen handelt,
sowohl unter der Pleura wie in verdichtetem Parenchym umschriebene,
schiefrige, erbsengrosse Knoten, teilweise mit Knocheneinlagerung; die
Knoten bestanden teils aus zellreichem, teils aus zellarmem Bindegewebe,
teils aus beidem, das Bindegewebe zeigte an der Peripherie konzentrische
Schichtung; sie waren teils reich, teils schwach kohlepigmenthaltig; das
Pigment bald mehr im Zentrum, bald mehr in der Peripherie; einzelne
Knoten zeigten im Innern eine homogene Grundsubstanz. Arnsperger
ist sich nicht schlüssig darüber, ob die Knoten „zirrhotisch“ umgewandeltes
Lungengewebe oder fibrös degenerierte Lymphdrüsen darstellen. Uebrigens
bemerkt er, dass in einem der im Parenchym gelegenen Knoten wieder
sekundäre Knötchen vorkamen, indem sich das Bindegewebe um ver¬
schiedene Zentren schichtete. Den ganzen vorliegenden Prozess fasst Arns¬
perger als chronisch interstitielle, ossifizierende Pneumonie auf.
Ich erblicke in diesem Arnspergerschen Falle eine Bestätigung
der von mir vertretenen Ansicht, dass in dem Auftreten von Knochen¬
gewebe in Lungeninduraten kein zwingender Hinweis auf Tuberkulose liegt.
Auf die Bedeutung der Kohleablagerung wird später zurückgekommen
werdefh
Eine ganze Anzahl einfacher Spitzenindurationen wurde meinerseits
auf das Vorhandensein von Tuberkelbazillen resp. Much scher Granula
untersucht und zwar durch Auflösung des derben Gewebes in Anti¬
forminlösung mit anschliessender Sediraentierung. Die Homogenisierung
gelingt ganz gut, indem man das in feine Brockel zerschnittene Gewebe
einige Tage in 20 proz. Antiformingemisch bei Zimmertemperatur stehen
lässt. Störend bei der definitiven Untersuchung ist nur die Anwesenheit
des Kohlepigments. Positive Resultate habe ich nie erzielt. In ver¬
leideten Käseherden dagegen gelang es mir mit dieser Methode ebenso
wie Wegelin Muchsche Granula nachzuweisen.
Ein kurzes Resumö über die Spitzenindurate der Abteilung I führt
zu folgendem Ergebnis: Die Mehrzahl bietet ihrem histiologischen Aufbau
nach keine Anhaltspunkte für die Annahme eines tuberkulösen Ursprunges;
ein kleiner Teil darf gemäs3 seiner Struktur entweder als wahrschein¬
liche oder als eventuelle Tuberkuloseresiduen betrachtet werden.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass Lu barsch bei einem
Teil seines Materials mikroskopische Untersuchungen der schiefrigen
Lungenindurationen auf Tuberkulose hin vorgenommen, aber nur 8 pCt.
positive Resultate gehabt hat.
Die in Gruppe 3 beschriebenen pleuralen und subpleuralen Knötchen
dokumentieren sich als die verschiedenartigsten Gebilde: Lymphknötchen
von normalem Bau (Fall 18), ferner solche mit teilweise fibröser Um-
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
315
Wandlung (Fall 11), rein fibröse Knötchen und kleine zirkumskripte
karnifizierte Bezirke (Fall 10 und 12). Von ihnen allen kann man kurz unter
Hinweis auf die bisherigen Ausführungen sagen, dass auch sie hinsichtlich
ihres Aufbaues keinerlei positive Anhaltspunkte für Tuberkulose gewähren.
D. Die Bedeutung anderweitiger Befunde.
Es wäre nun zu erwägen, ob für die Beurteilung all der indurativen
Veränderungen der Gruppe 2 und 3 (Abteilung 1) bezüglich ihrer Genese
anderweitige Bofunde an den Lungen von Bedeutung sind. Als einziges
kämen da in Betracht etwaige Pleuraverwachsungen. Es ist ja keine
Frage, dass solche bei tuberkulösen Affektionen der Lungen häufig Vor¬
kommen, aber sie können gelegentlich dabei auch ganz fehlen; ausser¬
dem ist die Möglichkeit einer anderweitigen Entstehungsursache eine
derart grosse, dass für eine sehr beträchtliche Zahl von vorkommenden
Adhäsionen ganz bestimmt ein tuberkulöser Ursprung nicht zutrifft.
Nägeli gibt dementsprechend auch zu, dass es schwer resp. unmöglich
sei, an der Leiche noch die Genese der Verwachsungen darzulegen, wenn
nicht das histiologische Präparat darüber sofort Aufschluss erteile. Die
festeren flächenhaften Adhärenzen in der Nähe der Lungenspitzen hält
Nägeli für ziemlich sicher tuberkulöser Natur. Aber dafür liegt meines
Erachtens nach dem, was ich früher gesagt habe, kein zwingender Grund
vor. Rosenbach meint im Gegensatz zu Schlenker mit Recht, dass selbst
für die mit starker Lungentuberkulose vergesellschafteten pleuritischen Ver¬
wachsungen im einzelnen Falle der Beweis eines tuberkulösen Ursprunges
ausstände. Auch solche Verwachsungen, die als Reste einer sogenannten
idiopathischen Pleuritis zurückgeblieben sind, dürften oft als fraglicher Natur
anzusehen sein. Man ist ja vielfach geneigt, die idiopathische Pleuritis speziell
die exsudative Form mitTuberkulose in Zusammenhang zubringen(Aschoff).
Grober hingegen konnte nur knapp in der Hälfte einer grösseren Zahl
seröser Pleuritiden die Anwesenheit des Tuberkelbazillus durch das Tier¬
experiment nachweisen (vgl. die Untersuchungen von Nathan). Es braucht
nicht besonders betont zu werden, dass jede Brustfellentzündung, wie sie
bei Pneumonie, Gelenkrheumatismus, Scharlach etc. auftritt, mehr
oder weniger ausgedehnte, lockere oder festere Adhäsionen hinterlassen kann.
Der ursächlichen Momente hierfür gibt es eben sehr viele.
Alles in allem genommen, darf man aus der Anwesenheit mehr oder
weniger ausgedehnter Pleuraverwachsungen, wenn sonst kein positiver
Befund vorliegt, nicht einmal mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
auf Tuberkulose schliessen.
Es bliebe nun noch zu betrachten, ob das gleichzeitige Vorkommen
von tuberkulösen Veränderungen und solchen, die keine positiven Anhalts¬
punkte für Tuberkulose bieten, zwingende Rückschlüsse auf die Natur
letzterer bedingt. Wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass alle
indurativen Prozesse, die zusammen sich finden mit einer auch un-
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bedeutenden tuberkulösen Affektion, sei es der gleichen Lunge oder der
zugehörigen Bronchial- und Hiluslymphdrüsen, sei es der anderen Lunge,
auch auf das Konto des Tuberkelbazillus gehören, so würde das in der
Unterabteilung 1 Zusammengestellte wohl für ausgeheilte Tuberkulose
gelten müssen und, da die dort beschriebenen Veränderungen genau
denen der Abteilung 1 gleichen, so würde man rückschliessend eventuell
zu dem Resultat kommen, dass alle indurativen Prozesse dieser Ab¬
teilang 1 auch tuberkulösen Ursprunges seien. Dies ist ja auch die
Schlussfolgerung, wie sie verschiedentlich gemacht wird; aber ganz zu
Unrecht. Es muss immer wieder betont werden, wie in ein und der¬
selben Lunge Residuen der verschiedenartigsten krankhaften Vorgänge
vorhanden sein können. Pfeiffer z. B. fand mehrmals in den Lungen
von Phthisikern, die an Grippekomplikation gestorben waren, lobuläre
„Herde“, besonders an den Lungenrändern, in eine gleichmässig harte,
graurote Masse umgewandelt; in diesen Stellen konnten Influenzabazillen
nachgewiesen werden. Auf Schnitten erwiesen sich die Alveolen als mit
neugebildetem Bindegewebe angefüllt. Nach Pfeiffer handelte es sich
hierbei sicherlich nicht um tuberkulöse Veränderungen. Das Gleiche,
d. h. Uebergang in Karnifikation kann natürlich auch erfolgen bei lobulären
Hepatisationen, die als Komplikation einer Lungenphthise durch Infektion
mit irgend einer anderen, als Erreger pneumonischer Prozesse in Betracht
kommenden Bakterienart entstanden sind.
Gewiss wird man zugeben, dass die Verdichtungen, wie sie bisher
in Betracht gezogen, histiologisch vielfache Uebereinstimmungen bieten
mit den tuberkulösen; aber das gleiche gilt von den Indurationen, die
aus nicht spezifischen, chronisch gewordenen Lungenentzündungen hervor¬
gegangen sind. In seiner Arbeit „Ueber den Ausgang der Pneumonie
in Induration“ sagt Marchand: „Mehr oder weniger umfangreiche, so¬
genannte chronische Indurationen der Lungen mit ihren Begleiterschei¬
nungen, Bronchektasen, schwarze Pigmentierung, gehören bekanntlich zu
den häufigeren Sektionsbefunden; meist handelt es sich um verhältnis¬
mässig geringe Abschnitte der Lunge, welche in dieser Weise verändert
sind. Nur selten sind wir in der Lage, wenn wir in der Leiche eine
derartige stark pigmentierte und indurierte Lunge finden, die Entstehung
dieses Zustandes auf eine bestimmte Erkrankung zurückzuführen. In
der Regel berechtigt uns der Befund höchstens zu Vermutungen, um so
mehr, als bei längerem Bestehen des Leidens auch die histiologische
Untersuchung wenig Aufschluss über seine Entstehungsweise gibt. — Wir
finden eben nur dichte, geschrumpfte, schwärzlich pigmentierte Binde-
gewebsmassen, welche jedenfalls verschiedenen Krankheitsprozessen ihre
Entstehung verdanken können.“
Welche grosse Aehnlichkeit kann — um Vergleiche heranzuziehen
— unter Umständen eine käsig-tuberkulöse Stelle mit einem verkästen
Gumma aufweisen! Genetisch ganz verschiedene Vorgänge können —
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
317
namentlich wenn man Ausgangsstadien in Betracht zieht — sehr über¬
einstimmende Bilder liefern, nicht nur makroskopische, sondern auch
mikroskopische. Es wird bei Durchsicht der Abteilung 2 auffallen, dass
hier eine ganze Reihe tuberkulöser Indurate Vorkommen, die ihrem
Aeusseren nach und — abgesehen von den spezifischen Befunden — im
Bau den Spitzenverdichtungen der Abteilung 1 gleichen. Es wäre aber
falsch, nun behaupten zu wollen: alle Spitzenindurationen sind tuber¬
kulöser Herkunft, insbesondere die umschriebenen. Genau das gleiche,
was ich von den zirkumskripten Pleuraverdickungen sagte, gilt ebenso
hier, und es muss immer wieder hervorgehoben werden, dass das „Um¬
schriebensein“ kein Kriterium auf Tuberkulose sein kann; auch meine
folgenden Ausführungen werden deutlich darauf hinweisen.
Die Entstehungsweise nicht-tuberkulöser, knotenförmiger Lungen- und
Pleura verdicht ungen. Die Anthrakose.
Wie nun soll man sich die verschiedenen pathologischen Verände¬
rungen der Gruppe 2 und 3 (Abteilung I) entstanden denken? Es scheint
mir hier der geeignete Moment gekommen, um zunächst auf die Be¬
deutung der Kohleablagerung für das Lungenparenchym einzugehen.
Nicht etwa, dass ich der Kohle durchweg eine ausschlaggebende Be¬
deutung zuschriebe, aber eine nicht unerhebliche Rolle scheint sie mir
doch vielfach zu spielen.
Betrachten wir zunächst einmal, was in der Literatur über die Be¬
ziehungen zwischen Kohlestaubeinatmung und Lungenaffektionen nieder¬
gelegt ist.
In seiner Arbeit über Staubinhalationskrankheiten, in der zunächst 2 Fälle von
Siderosis beschrieben werden, vermerkt Zenker die Tatsache, dass das Lungengewebe
sehr beträchtliche Staubeinlagerungen zu ertragen vermag, ohne tiefere Gewebs-
Störungen zu erleiden. Trotzdem aber ist Z. der Meinung, dass Staubeinatmung unter
Umständen zu Gewebsveränderungen (Induration, Kavernenbildung) führen kann.
Nach Traube sind rein mechanische Reize, also z. B. eindringender Kohlestaub,
für sich allein nicht imstande, die höheren Grade der Entzündung zu erzeugen; die
in den Lungen von Kohlearbeitern gefundenen Verdichtungen und Zerstörungen
könnten nicht durch die Anhäufung von Kohleteilchen entstanden sein, „es sei denn,
dass der Steinkohle chemisch differente Stoffe beigemengt sind.“
Ebenso meint Seitmann, dass Anthrakosis selbst des höchsten Grades keine
spezifischen pathologischen Veränderungen entzündlicher Natur, weder akuter noch
chronischer erzeuge. „Eine Affektion gibt es, welche nur in der bedeutenden Kohlen-
staubablagernng eine genügende Erklärung finden kann. Es sind dies Lungenkavernen,
die bei dem Fehlen von Tuberkeln im erweichten Zustand sich als Folge einer um¬
schriebenen chronischen Pneumonie (also doch!), häufiger aber noch als Ausdruck
einer Art von teilweiser Modifikation des Lungengewebes darstellen.“ Diese tiefer
greifenden Gewobsstörungen würden aber relativ sehr selten beobachtet. Die Kavernen,
selten mehr als kirschgross, kämen im Ober- und Unterlappen vor, bald allein, bald
zu mehreren; ihr Inhalt sei entweder mehr oder weniger schwarz gefärbter Eiter oder
eine rein schwarze Flüssigkeit. S. macht auch darauf aufmerksam, dass Kohlenstaub
mitunter fremde Beimischungen, namentlich kieselhaltige Steinpartikelchen enthalte
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G. GOERDELER,
und dass Einatmen kieselhaltigen Steinstaubes nach allgemeiner Annahme zu tiefer¬
greifenden Störungen des ganzen Respirationstraktus, speziell auch zu Verdichtung
einzelner Lungenteile führe.
Aufrecht hält die eingeatmeten Kohlenstaubpartikel für relativ unschädlich;
das Gewebe der Lungen werde nicht verändert. Die überwiegende Häufigkeit des
Sitzes schwarzer Indurationen im Oberlappen, speziell in der Spitze, erkläre sich aus
einer schon vor dem Auftreten der Kohle vorhandenen und unabhängig von derselben
entstandenen Herderkrankung, in deren Umgebung entzündliche Prozesse aufträten,
welche einmal das Festhaften der Kohle begünstigen, dann infolge der Möglichkeit
einer Reizwirkung der Kohle auf pathologisch veränderte Absohnitte des Gewebes zu
einer Verdichtung führen.
Nach Tendeloo fehlt bei Anthrakose Bindegewebsneubildung.
Orth hingegen sieht in dem Kohlenstaub kein irrelevantes Moment, „denn schon
bei solchen alten Leuten, welche keineswegs besondere Gelegenheit zu Staubinhalation
hatten, findet man häufig an den Stellen stärkster Kohlenstanbanhäufung knötchen¬
förmige fibröse Verdickungen, hauptsächlich deutlich an der Lungenoberfläche da, wo
mehrere Lobuli zusammenstossen, welche man nicht wohl anders denn als Folgen der
Kohlenanhäufung erklären kann. Ausser der Kohle werden ja freilich auch noch zahl¬
reiche andere, vielleicht wirksamere Staubteilchen im Strassenstaub eingeatmet, ins¬
besondere Zellulosefäserchen, Hornsplitterchen, welche dabei mitgewirkt haben, aber
vielleicht wieder verschwunden sein können. w Nach Orth sind bei den Anthrakosen
der Bergwerksarbeiter sicher noch andere Staubsorten mit im Spiele. Die schwere
Veränderung, die man in den Lungen solcher Leute findet, beständen in produktiven
fibrösen, interstitiellen Entzündungen, bald mehr in Form einzelner Knoten, bald
in diffuser Verteilung. Aus diesen Indurationen gingen Schrumpfungen hervor,
Bronchektasen mit Sekretstauung und Verkäsung des liegengebliebenen Sekrets, event.
auch eitrige und ulzerative Prozesse, so dass sich schliesslich ulzeröse Höhlen bildeten,
welche durchaus das Bild der chronischen spezifischen Phthise darstellten, nur dass
die Bazillen fehlten.
Auch Kaufmann tritt für eine auf Anthrakose beruhende Induration ein.
Natürlicherweise ist man der Frage nach der Wirkung inhalierten Kohlenstaubes
experimentell näher getreten. Lubenau ermittelte, dass Kohlenruss selbst bei
reichlicherer Inhalation keinerlei Lungenveränderungen bei seinen Versuchstieren
hervorrief. Zu bemerken ist aber, dass Autor seine Tiere den Staub nur 8 Tage lang
einatmen liess; zum Studium der event. Lungenveränderungen wurden jene 6 Monate
darauf getötet.
Claisse und Josuö haben bei ihren Russinhalationsversuchen an Tieren trotz
beträchtlicher Kohleimprägnation der Lungen reaktiv entzündliche Veränderungen
dieser vermisst. Sie vermuten, dass die in menschlichen Lungen vorkommenden
anthrakotischen Verdichtungen und ulzerativen Prozesse auf hinzukommende bakterielle
Einflüsse zu beziehen sind.
Die grundlegenden Untersuchungen über die vorliegende Frage sind entschieden
von Arnold gemacht, und es sei erlaubt, hier die Anschauungen dieses Autors zu¬
sammengedrängt wieder zu geben:
In der menschlichen Lunge ist die Staubablagerung am geringsten in den
Alveolarwänden, weit beträchtlicher ist sie im periinfundibulären und besonders im
peribronchialen und perivaskulären Bindegewebe; was im speziellen die Ein¬
atmung von Kohle betrifft, so zeigt die Russlunge in der grossen Mehrzahl der Fälle
keine bemerkenswerten sekundären Veränderungen (Anthracosis simplex); ist die
Menge der inhalierten Kohlepartikel eine sehr grosse, so kommt es zur Bildung in¬
durativer Herde (Anthracosis indurativa). An letzterer Tatsache ist nicht
zu zweifeln. Was die Art dieser indurativen Prozesse anlangt, so lassen sich
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
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mehrere Formen unterscheiden: 1. Desquamations- und Proliferationspro¬
zesse innerhalb der Alveolen verbunden mit Auswanderungsprozessen, die A. als
pneumonische zu bezeichnen nicht ansteht; gleichzeitig beteiligen sich die Inter-
alveolarleisten durch Rundzelleninfiltration. Der Ausgang ist ein Zerfall und Ein-
diokung des Alveolarinhaltes, Verdickung der Alveolarwand und schliesslich Bildung
eines rundlichen, fibrösen Knötchens, das event. hyalin degenerieren kann. Mehrere
soloher Knötchen können zu einem grösseren konfluieren (indurative Broncho¬
pneumonie). 2. Umschriebene Verdichtung um die Bronchien (Poribronchitis
nodosa). 3. Eben solche Verdichtungen um die Gefasse (Perivascuiitis nodosa).
Diese sub 2 und 3 genannten „Herde 14 sind ursprünglich etwa hirsekorngross, können
aber durch Konfluenz grössere Knoten bilden. Schliesslich kommen teils ausgebreitete,
teils knötchenförmige Verdickungen der Pleura pulrnonalis vor, speziell aller¬
dings bei Steinhauern; diese Stellen bestehen in späteren Stadien aus derbem, zu¬
weilen hyalin degenerierten Bindegewebe. A. hebt hervor, dass bei der Anthracosis
indurativa gewöhnlich nur zirkumskripte „herdweise“ Erkrankungen zustande
kommen, dass dagegen bei der Kieselstaublunge nach längerer Dauer diffusere Er¬
krankungen nicht fehlen. „Gegen die Beziehung der Staubinhalation zu den in Rede
stehenden Veränderungen hat man den Einwand erhoben, dass der Staub bei den
Iuhalationsversuchen namentlich in den unteren Lappen der Lunge abgelagert wurde,
während die auf die Einwirkung des Staubes bezogenen Veränderungen in der mensch¬
lichen Lunge vorwiegend die oberen Lappen betreffen. In dieser allgemeinen Weise
ausgesprochen hat ein solcher Einwand weder für die tierisohe noch für die mensch¬
liche Staublunge Gültigkeit.“ Die Beobachtungen beim Tierexperiment ergaben als
näohste Folge der Staubinhalation Auswanderung von lymphoiden Zellen und die Ab-
stossung von Alveolarepithelien in das Innere der Alveolen. Wirkliche Bindegewebs¬
neubildung fand A. bei Tieren nur in Fällen von 3—4 monatiger Russ-
inhalation und zwar in „herdweiser“ Ausdehnung, also keineswegs diffus,
sondern an umschriebenen Stellen.
Wo sich die Anschauungen der Autoren hinsichtlich der Frage der
„anthrakotischen Induration“ so' schroff gegenüberstehen, wird einzig
und allein der Ausfall des Tierexperiments massgebend sein und darüber
entscheiden, ob und welche Wirkungen die inhalierte Kohle auf das
Lungen- und Pleuragewebe ausübt.
Es kann auf Grund der klassischen Arnoldschen Untersuchungen
keinem Zweifel unterliegen, dass Kohle für sich allein eine Vermehrung
des interstitiellen Gewebes, und zwar in zirkumskripter Form, hervor¬
zurufen vermag. Wie Seitmann wohl sehr richtig hervorhebt, wird
unter gewöhnlichen Verhältnissen Russ häufig zusammen mit Kieselstaub
inhaliert, welch letzterer auch als Reizmoment wirkt. Nach Schlott-
raann spielt die Inhalation von Sandstaub eine nicht unbeträchtliche
Rolle; inwieweit der eingeatmete Sand Veränderungen hervorrufen kann,
wagt Sch. nicht zu entscheiden, auch nicht in den Fällen, wo er
in subpleuralen fibrösen Knötchen eine Menge von Sand fand.
Woskressensky kam sogar zu dem Ergebnis, dass die Lungen aller
Menschen Silikate enthalten. Es kombiniert sich also Anthrakose stets
mit einem grösseren oder geringeren Grad von Chalikosis.
Die beiden wesentlichen Faktoren für das Zustandekommen von
Bindegewebsneubildung sind, wie die Arnoldschen Tierversuche ergeben,
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G. GOERDELER,
die Quantität des Staubes und die zeitliche Dauer der Staub¬
einwirkung. Waren die eingeatmeten Staubmengen nicht sehr reichlich,
so erzielte A. bei seinen Versuchstieren keine Wirkungen. Nun ist aber
zu beachten, dass die Versuchsdauer immer nur eine relativ kurze war
(einige Monate). Beim Menschen, wo jahrzehntelange Zeiträume in
Frage kommen, liegen die Verhältnisse doch ganz anders. Es ist
durchaus plausibel, dass auch bei nicht übermässiger Russinhalation an
solchen Stellen des Brustfells und des Lungenparenchyms, wo leicht
Stockungen des Lymphstromes stattfinden können — und das wären
die Knotenpunkte der Interlobularsepten — nach und nach eine erheb¬
lichere Menge Pigment sich ansammelt und dann, wenn die Anhäufung
einen gewissen Grad erreicht hat, seine Wirkung entfaltet, die um so
nachhaltiger sein wird, je längere Zeit das Individuum lebt. Auf die
Weise treten somit wieder jene beiden genannten Faktoren, d. h. Quantität
des Staubes und Dauer der Staubeinwirkung, in Erscheinung. Die Wirkung
der Kohle wird verstärkt werden, je mehr sie mit anderen Staubarten
— also z. B. Silikaten — kombiniert ist.
Bisweilen sieht man an Lungen die pleuralen Lymphgefässe in
schwarzer Farbe als grobmaschiges Netzwerk deutlich hervortreten; an
den Knotenpunkten dieses Netzwerkes machen sich kleine, grauweisse
Stellen bemerkbar, die sich mikroskopisch als ganze flache umschriebene
Verdickungen, umlagert von Kohle, markieren. Genau das Gleiche
findet sich, wenn die Kohle in der Pleura in Form vielfacher, oft dicht
beieinander gelagerter, runder schwarzer Flecke auftritt; im Centrum
dieser Flecke ist dann auch immer jene flache kleine Verdichtung, die
schon makroskopisch hervortritt. Diese unbedeutenden Verdickungen
sind ihrem ganzen Verhalten nach die Vorstadien knötchenförmiger
Pleuraverdickungen, für die wir später noch besonders augenfällige Bei¬
spiele kennen lernen werden. Sie sind überdies insofern von Interesse,
als sie beweisen, dass das durch die Kohle produzierte Bindegewebe
selbst kohlefrei sein kann; wie der Leser sich erinnern wird, war schon
bei Besprechung der fibromartigen Gebilde, wie sie in Spitzenverdichtungen
gefunden werden, jener Tatsache gedacht und dabei auf anderweitige
Befunde verwiesen. Solche Befunde haben wir nun eben kennengelernt
— Hinsichtlich der zum Teil fibrös umgewandelten Pleuralymphknötchen
(Fall 11) ist zu bemerken, dass auch hier die Kohle als Ursache der
Bindegewebsbildung angesehen werden darf. Es ist das der nämliche
Vorgang, wie er sich in Hiluslymphdrüsen bei gleichen Bedingungen
abspielt als anthrakotische Induration (Arnold). Heller hebt hervor,
dass die pleuralen Lymphknötchen dieselbe Umwandlung durchmachen
bei der Staubinhalation, wie die Bronchialdrüsen.
Ueber die subpleuralen Knötchenbildungen lässt sich auch Ribbert des
längeren aus: Bei isolierter Bronchialdrüsentuberkulose stosse man sehr oft auf derbe,
unter der Pleura gelegene, stecknadelkopf- bis erbsengrosse Knötchen. Sie seien bei
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Kindern verkäst oder verkalkt, bei Erwachsenen anthrakotisch und entsprächen wohl
s obpleuralen Lymphknoten, was aus ihrer Lagerung hervorginge, manchmal auch mikro¬
skopisch durch ihre teilweise erhaltene Lymphdrüscnstruktur zu erweisen sei. „Dass
die Erkrankung dieser Gebilde tuberkulöser Natur ist, kann dann nicht zweifelhaft
sein, wenn sie verkäst oder wie die Bronchialdrüsen in typischer Weise verkalkt sind.“
Histologisch könne man freilich den tuberkulösen Charakter nicht mehr nach weisen;
die tuberkulösen Neubildungsprozesse seien in „Narbengewebe“ übergegangen. Ins¬
besondere seien auch die verkalkten, rein sklerotischen Knötchen tuberkulösen
Ursprunges, während die gleiohen ohne Verkalkung weniger leicht zu beurteilen
seien (!). Hier müsse Tuberkulose als vorliegend angenommen werden, weil die
Induration gewöhnlich nur einige getroffen habe, während andere, ebenso stark kohle¬
haltige, weich und zellig bleiben, ferner, weil neben jenen andere Knötchen Kalk¬
ablagerung aufweisen, weil ihr Kohlegebalt so gering sei, dass auf ihn die Verdichtung
nicht zurückgeführt werden könne, ferner weil sie mit verkästen und verkalkten
Broncbialdrüsen oder mit ausgeheilter Lungentuberkulose vergesellschaftet seien.
Was den letzten Punkt anlangt, so muss ich betonen, dass in den
Fällen meiner Gruppe 3 (Abteilung 1) niemals tuberkulöse Bronchial¬
drüsen- oder Lungenaffektionen vorhanden waren; die gelegentlich kon¬
statierte Induration der Hilusdrüsen stehe ich nicht an auf Rechnung
der Kohle zu setzen, wie das späterhin näher begründet werden soll.
Besonders hervorheben möchte ich den Fall 11, weil dies einer
derjenigen ist, auf die R. Bezug nimmt. Hier, wo alle Uebergangs-
formen von unveränderten Lymphknötchen bis zu rein fibrösen vertreten
waren, hätte man bei Annahme einer tuberkulösen Genese doch bestimmt
auf solche mit positiven Befunden stossen müssen. Wenn R. mit Recht
darauf hinweist, dass man häufig weiche, zellige Knötchen bei reich¬
lichem Kohlegehalt trifft, so muss ich wiederum betonen, welche Rolle
bei den Beziehungen zwischen Kohleablagerung und Bindegewebsneubildung
das Moment der zeitlichen Einwirkung spielt. Es ist doch nicht angängig,
anzunehmen, dass in einem Falle, wie dem vorliegenden, alle Lymph¬
knötchen zu einem und demselben Zeitpunkt und in gleicher Menge das
Pigment aufgenommen haben. Es wird darauf ankommen, ob durch die
Lymphzirkulationsverhältnisse, die sicher lokal ganz verschieden sind, —
es sei an die Tatsache erinnert, dass die den Rippen anliegenden
Pleuraabschnitte häufig kohleärmer gefunden werden wie die übrigen —
die den Lymphknötchen zugeführte Kohle wieder fortgeschwemmt wird
oder mehr oder weniger liegen bleibt; erst der endgültig abgelagerte
Staub wird seine Wirkung entfalten können, nach Massgabe der früher
genannten Umstände.
Hinsichtlich der einzeln oder zu wenigen auftretenden fibrösen
Pleuraknötchen und der Beurteilung ihrer Genese ist auf die Tatsache
aufmerksam zu machen, dass die Kohle nicht ganz selten in vereinzelten
groben Haufen im Lungenfell auftritt; es ist mithin sehr wohl möglich,
dass jene Knötchen der Kohle ihre Entstehung verdanken. Das Gleiche
gilt auch für die isolierten intrapulmonalen Knötchen — soweit es sich
bei diesen um Verdickungen an den Knotenpunkten der Lobuli handelt
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G. GOERDELER,
bzw. um Verdickungen um einen Bronchus oder ein Gefäss (Fall 16).
Es ist aber nicht zu vergessen, dass es eine chronische Lymphangitis
gibt (v. Hansemann), die entweder idiopathisch auftritt oder häufiger
sekundär nach öfteren Pneumonien oder bei chronischer Bronchitis; bei
den sekundären Formen kommt es zu bindegewebigen Verdickungen der
die Läppchen umspinnenden Lymphbahnen mit Bildung fibröser Knötchen
an den Kreuzungspunkten. Diese fibrösen Bildungen können nachträglich
anthrakotisch werden.
Genetisch unklar sind die abgegrenzten Verdickungen von Inter-
lobularsepten (Fall 2, Fall 18, Fall 18a). Möglicherweise sind dies
Residuen früherer akuter interstitieller Entzündungen; es spricht aber
nichts dafür, dass sie tuberkulösen Ursprunges sind.
Für diejenigen knötchenförmigen Gebilde, die sich als um¬
schriebene karnifizierte Stellen — sei es nun subpleural oder mehr
im Inneren des Organs gelegen — erwiesen, braucht ein Vorgang
spezifisch tuberkulöser Art nicht angenommen zu werden. Ich habe
häufig Gelegenheit gehabt, ganz zirkumskripte kleine, nicht durch
Tuberkelbazillen erzeugte Alveolarexsudate zu beobachten — Fall 17 ist
als Beispiel mit aufgeführt —, habe ferner Lungen gefunden, wo neben
makroskopisch eben erkennbaren frischen pneumonischen Stellen karni¬
fizierte gleichen Umfanges vorhanden waren (Fall 13 und Fall 21),
und so glaube ich ohne Zwang schliessen zu können, dass zum
mindesten ein grosser Teil der Verdichtungen, die sich als kleine
Karnifikationsbezirke heraussteilen (Fall 10 und Fall 26), der Ausgang
eines einfachen lobulär-pneumonischen Prozesses sind, vielleicht aber
auch eines von vornherein chronischen, der mit bindegewebiger Ver¬
dickung der Alveolarsepten seinen Anfang nimmt (Fall 25). Speziell
auch die bei der Influenza auftretenden Bronchopneumonien können der
Karnifikation anheimfallen (Weichselbaum). Zu gedenken ist hier
ferner des Krankheitsbildes der Bronchiolitis obliterans, die ihre
Entstehung der Aetzwirkung irrespirabler Gase verdankt und in binde¬
gewebige Organisation der hierbei auftretenden lobulär-pneumonischen
Herde ausgeht (Edens, Fränkel, Lange). Nach Hart kann sich ein
derartiger Vorgang überhaupt an jede mögliche Affektion der Bronchial¬
wand, auch an eine einfache katarrhalische anschliessen, und Pernice
betrachtet das Auftreten bronchiolitischer Obliterationsprozesse im Ver¬
laufe der chronischen Bronchitis als garnichts allzu Seltenes. Solche
Indurate werden dann natürlich multipel auftreten.
Der grössere Pleuraknoten (Fall 15), der sich aus einzelnen
sekundären fibromartigen Bildungen mit reichlich Kohle zwischendurch
zusammensetzte, erinnerte mich lebhaft in seinem Bau an mikroskopische
Befunde, wie man sie bei indurierten Hilusdrüsen erhebt. Da nun in
der Pleura grössere Lymphdrüsen Vorkommen können, so liegt die
Möglichkeit nahe, dass es sich hier um einen solchen, und zwar völlig
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Die Kriterien der abgelanfenen Tuberkulose der Lungen usw.
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indurierten, gehandelt hat. Völlig ausschliessen will ich aber nicht,
dass eine Gruppe fibrös umgewandelter Tuberkel vorlag.
Wie Ealkablagerung in fibrösen Pleura- und Lungenknötchen auf¬
zufassen ist, bedarf nach dem, was ich früher darüber ausgeführt habe,
keiner weiteren Erörterung; sie hat an sich nichts mit Tuberkulose
zu tun.
Es ist also nicht angängig, jedes Kalkknötchen der Pleura oder
des Lungenparenchyms ohne weiteres als ein Tuberkuloseresiduum zu
erklären, wie Ribbort es will, vielmehr muss durch mikroskopische
Untersuchung eruiert werden, ob der Kalk an käsig-nekrotisches Material
oder an derbes Bindegewebe gebunden ist; im letzteren Falle liegt kein
zwingender Grund vor für die Annahme einer Tuberkulose.
Das Knötchen mit kleiner Knochenspange (Fall 14) illustriert
sehr schön, wie selbst aus solchen unbedeutenden Karnifikationsbezirken
Knochensubstanz hervorgehen kann.
Das kleine Fibromyom (Fall 9) und Chondrolipom (Fall 16)
sind gewiss Raritäten, aber sie zeigen, was unter dem Sammelbegriff
„Induration“ alles verborgen sein kann.
Die Genese nicht-tnberkulöser Spitzenverdichtungen.
Es bliebe nun noch zu erörtern, welches wohl die Entstehungsweise
der einfachen Spitzenindurate ist. An einen syphilitischen Ursprung ist
nicht zu denken. Syphilitische Verdichtungen innerhalb der Lungen sind
schon an sich eine Seltenheit und bevorzugen, wenn vorhanden, nicht
die Spitzengegend. Sie sind ausserdem ausgesprochen strahlig, von
einem oder mehreren Zentren ausgehend, und erstrecken sich von hier
aus meist bis an die Pleura; diese wird dadurch eingezogen, und es
entsteht eine Lappung der Lunge“ (v. Hansemann).
Dagegen kommen ernstlich in Frage atypisch verlaufende Pneu¬
monien mit ihren Folgezuständen. Der letztgenannte Autor hebt aller¬
dings hervor, dass die „Narben“ nach überstandener Pneumonie —
meist mehrmalige Pneumonien — unbestimmt sind, unregelmässige
netzförmige Zeichnung bilden und lufthaltiges oder atelektatisches Ge¬
webe einschliessen. „Naturgemäss liegen sie selten in der Spitze, da
die Pneumonie sich selten hier lokalisiert“. Ebenso meint Kurlow,
dass die „Lungenspitzenzirrhose“ als seltener Ausgang einer kruppösen
und auch wahrscheinlich einer katarrhalischen Pneumonie zwar eine im
höchsten Grade schwankende Ausdehnung der Verdichtungen zeigt, aber
ihr wichtiges differentielles Merkmal darin besitzt, dass sie nie in Form
abgegrenzter Knoten auftritt, sondern in Gestalt ganzer „Herde“ und
Streifen, welche nur allmählich in das normale lufthaltige Lungen¬
parenchym übergehen.
Es ist aber nicht einzusehen, weshalb nicht abgegrenzte Spitzen¬
verdichtungen auch aus einer Pneumonie hervorgehen sollen. Erwägt
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G. GOERDELER,
man, dass gerade in den Spitzenteilen die respiratorischen Volumen¬
schwankungen der Alveolen weniger ausgiebig sind als in den übrigen
Lungenabschnitten und dass infolgedessen die Bewegungsenergie des
Lymphstromes, dem doch der Hauptanteil beim Fortschaffen des pneu¬
monischen Exsudates zufällt, erheblich abgeschwächt ist (Tendeloo),
dass mithin in jenen Teilen eine relative Ruhigstellung des respirierenden
Parenchyms statthat, die beim Zustandekommen von Karnifikation eine
wesentliche Rolle spielt (v. Kahlden), so ist es wohl möglich, dass bei
Oberlappenpneumonien durch verzögerte Resolution ein Exsudatrest nur
in den äussersten Spitzenabschnitten liegen bleibt und so die Grundlage
abgibt für ein späteres zirkumskriptes, in Karnifikation bestehendes
Indurat.
Der Vorläufer eines solchen braucht nun nicht eine lobäre Ent¬
zündung gewesen zu sein, sondern das gleiche, was eben gesagt, kann
auch auf lobulärpneumonische Prozesse übertragen werden. Lobulär¬
pneumonien des verschiedensten Ursprunges und der verschiedensten Aus¬
dehnung mögen sonst vorübergehen, ohne Spuren zu hinterlassen, sind
aber die Spitzen mit ihren verschlechterten Resorptionsbedingungen mit¬
befallen, so können gerade hier Infiltrate, und zwar auch wieder um¬
schriebene — lobuläre Pneumonien treten ja öfter in ganz zirkum¬
skripter Form auf — Zurückbleiben, um weiterhin eine bindegewebige
Umwandlung zu erfahren. Einer solchen Annahme dürften keine wesent¬
lichen Schwierigkeiten im Wege stehen. Bei der Beschreibung des von mir
untersuchten Materials habe ich nicht versäumt, zirkumskripte, flächen¬
hafte, subpleurale, aus karnifiziertem Gewebe bestehende Verdichtungen
mit aufzuführen, wie sie insbesondere garnicht selten im Bereich des
hinteren, stumpfen Oberlappenrandes gefunden werden. Diese Indurate
wird man ohne Zwang als häufig hervorgegangen ansehen können aus
gewöhnlichen Hepatisationen, speziell aus den schon bei einer früheren
Gelegenheit erwähnten, vielfach zu beobachtenden, umschriebenen,
subpleuralen Hepatisationsstellen und, da erstere ihrer Beschaffenheit
nach völlig übereinstimmen mit den nicht-tuberkulösen, zirkumskripten
Spitzenindurationen, wird man diese auch in genetischer Beziehung zu
jenen Induraten in Parallele setzen dürfen, wenn auch nicht alle, so
doch einen Teil.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Verdichtungen der oberen
Lungenteile nicht nur als Ausgänge eines akuten Vorstadiums aufzufassen
sind, sondern dass sie als von vornherein chronisch verlaufende Prozesse
— vielleicht ist das sogar das häufigere — einsetzen können. Und auch
da gibt es verschiedene ursächliche Möglichkeiten. Nach Birch-Hirsch-
feld werden zum Beispiel durch irritierende Substanzen chronisch¬
desquamativ pneumonische Prozesse unterhalten und können schliesslich in
Karnifikation übergehen; jene Prozesse sollen namentlich hinten unterhalb
der Spitze ihren Sitz haben, unter Umständen in grösserer Ausdehnung.
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Die Kriterien der abgolaufenen Tctberkulose der Langen nsw.
325
Zu diesen irritierenden Substanzen muss man auch die Kohle rechnen,
die besonders beim paralytischen Thorax in den Spitzen ungemein reich¬
lich deponiert wird (Tendeloo), aber auch sonst hier, selbst bei ge¬
ringeren Graden von Anthrakosen, in nicht unerheblichem Masse auftritt.
Die Menge des abgelagerten Kohlenstaubes ist nicht nur abhängig von
der Zufuhr, sondern auch von der Abfuhr; und da letztere in den oberen
Lungenabschnitten durch die hier geringere Bewegungsenergie des Lymph-
stromes beeinträchtigt ist, so kann selbst bei spärlicher Zufuhr doch
nach und nach ein nicht unbeträchtliches Staubquantum in den Spitzen¬
teilen sich ansammeln. Hanau hat in in allen Fällen, in welchen wenig
Russ in den Lungen war, den oberen Teil des Oberlappens stärker
schwarz gefleckt gefunden.
Ferner können meiner Meinung nach chronisch entzündliche Vorgänge
im Bereich der Spitzenpleura, die gar nicht tuberkulöser Natur zu sein
brauchen, übergreifen auf das benachbarte Parenchym; es entstehen so
die flacheren, oft recht ausgedehnten, sehnigen oder weiss und schwarz
gesprenkelten Schwielen, die im wesentlichen aus stark verdickter Pleura
bestehen mit angrenzendem schmalen Saum von Karnifikation. Bestärkt
werde ich in dieser Auffassung durch die Befunde der bindfadenförmigen,
oft mehrere Zentimeter langen, derartig gebauten Oberflächenverdickungen,
die kaum anders zu deuten sind, denn als Endausgang einer chronischen
Lymphangitis. Solche Oberflächendichtungen kommen nicht etwa nur in
den Spitzen vor, sondern auch an den verschiedensten anderen Stellen
der Lunge. Bei Kurlow finde ich eine Notiz, die hierauf Bezug nimmt:
die pleurogene, interstitielle, fibröse, von der Pleura ausgehende Pneu¬
monie ruft ganz oberflächliche Verdickungen hervor und wird von be¬
deutenden Veränderungen und Verlötungen des anliegenden Brustfells
begleitet. Ebenfalls oberflächlich bleibe die bei Greisen auftretende
atelektatische „Zirrhose“; die affizierten Stellen seien stark pigmentiert,
die bedeckende Pleura in der Regel glatt und etwas eingesunken.
Dann gibt es Verdichtungen, bei denen das Primäre Veränderungen
im Bereich der Bronchen darstellen. Einfache Spitzenkatarrhe, Ver¬
kümmerung oder Verödung terminaler Bronchen vermögen Atelektase
und schliesslich Induration zu erzeugen (Birch-Hirschfeld); das Gleiche
gilt von der anthrakotischen Peribronchitis (Kurlow).
Diese meine Ausführungen lassen ersehen, auf wie viele und ver¬
schiedene Ursachen die Entstehung nicht-tuberkulöser Spitzenindurate
zurückgeführt worden kann; es kommt nicht etwa nur die Kohle als
ursächlicher Faktor hierbei inBetracht. Bis zu einem gewissenGrade hat also
Ribbert Recht, wenn er annimmt, dass bei den zirkumskripten, schiefrigen
Verdichtungen, speziell bei denen im Oberlappen und in der Spitze, nicht
etwa die Kohle das erzeugende Moment sei, sondern dass jene die entzünd¬
liche Bindegewebszunahme bereits vorfinde. Dass letztere aber vornehmlich
auf tuberkulöser Grundlage beruhe, dem ist ganz und garnicht beizustimmen.
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G. GOERDELER,
Krönig beobachtete beilndividuen mitbehinderterNasenatmungVerdicbtungs-
znstände der rechten Lungenspitze, die er als nicht tuberkulöser Natur aufzu-
fassen sich genötigt sah; er hat hierfür folgende Erklärung: „Die mitKohle- usw. Staub
geschwängerte Luft gelangt unfiltriert und ungenügend vorgewärmt direkt in die
Bronchen. Der lnspirationszug, welcher die physiologischen Engpässe der Nase und
des Nasenrachenraumes nicht mehr zu überwinden hat, vermag nun mit entsprechend
gesteigerter Kraft die Luft in die Broncbialbahn, in specie die apikale Bronchialbahn
(in der der Inspirationszug an sich schon stärker ist, nach Hanau) hineinzusaugen,
und es wird die mit der grösseren inspiratorischen Saugkraft ausgestattete rechte
Lunge (ihr Bronchialbaum ist reichlicher verzweigt, speziell in der Spitze) in erster
Linie in Mitleidenschaft gezogen. Sehr frühzeitig kommt es dann zu wiederholten
katarrhalischen Schwellungen der apikalen Schleimhautdecke, die dann durch Re*
Sorption der Luft in den betroffenen Alveolarbezirken zu immer stärkeren Kollapsen
derselben führen und sich schliesslich mit chronisch entzündlichen Verdichtungen
dieser Partien verbinden.“ Diese Krönigschen Mitteilungen, die von Blümel,
Richter, Scboenemann, Maier und Rosenberg bestätigt werden, fussen, wenn
ich den Autor recht vorstanden habe, nur auf klinischen Beobachtungen. Rosen¬
berg befasst sich in einer ausführlicheren Arbeit mit den Krönigschen „Kollaps*
indurntionen“ und stellt sioh hinsichtlich dieser im wesentlichen auf den Standpunkt
letztgenannten Autors; die Arbeit hat auch keine pathologisch-anatomischen Unter¬
suchungen zur Grundlage. Gegen die Krönig-Rosenbergschen Betrachtungen muss
ich aber gerade vom anatomischen Standpunkte aus gewichtige Einwände erheben.
Zuvor noch einige kurze Ausführungen.
Die von mir eingehend beschriebenen und kritisch besprochenen Spitzen-
indurate stellen einen recht häufigen Befund dar und haben meist ein so
typisches Aussehen, insbesondere eine im wesentlichen übereinstimmende
histiologische Struktur, dass sie in Rücksicht auf ihre Lokalisation den
tuberkulösen Spitzen Verdichtungen am besten als (nicht-tuberkulöse)
„Spitzenkappen“ gegenüber gestellt werden (vgl. Fig. 9). Zu letzteren
rechne ich aber n u r Spitzcnndurate, bei welchen keinerlei Zusammenhangmit
Tuberkulose nachweisbar ist, während ich diejenigen ausnehme, beidenenlctz-
tere wahrscheinlich oder möglicherweiseeineRollespielt(vgl. früher Gesagtes!).
Die „Spitzenkappen“ — in erster Linie verstehe ich darunter
die Verdichtungen vom Umfange eines Zehnpfennigstückes an — sind
scharf abgesetzt, besitzen einen Tiefendurchmesser von 2—8 mro,
selten darüber hinaus; die dickeren zeigen auf dem Durchschnitt eine
keilförmige Gestalt (vgl. Fig. 9!) oder strahlen in mehreren Zacken in
das Parenchym hinein. Die im Bereich der „Kappe“ gelegene Pleura
kann wenig, unter Umständen aber sehr beträchtlich verdickt sein. Die
Lokalisation der „Spitzenkappen“ ist der am meisten kranialwärts
gelegene Abschnitt der Oberlappen. Falls jene grösser, speziell im
Tiefendurchmesser stärker und dann beim Lebenden nachweisbar sind,
entsprechen sie wohl dem, was Krönig als „Kollapsinduration der
Spitzen“ skizziert hat; für die Krönigschen klinischen Befunde kommt
als anatomisches Substrat garnichts anderes in Betracht als jene
„Kappen“. — Meine Einwände Krönig sowohl wie Rosenberg gegenüber
beziehen sich nun auf folgendes:
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Langen usW. 32?
Unter Kollapsinduration versteht der pathologische Anatom eine
Verdichtung des Lungengewebes, die bedingt ist durch eine Vermehrung
des interalveolären Bindegewebes nach vorangegangenem Zusammen¬
sinken (Kollaps) der Alveolen; die Wandungen der letzteren können
dabei verschmelzen, und es findet nun Bindegewebsneubildung im
Zwischengewebe statt. Diese Bindegewebsbildung hält sich in be¬
scheidenen Grenzen und nach unseren Erfahrungen beim Tierexperiment
wie am Sektionstische muss der atelektatische Zustand — ob mehr oder
weniger ausgedehnt — schon sehr, sehr lange Zeit bestehen, ehe das
interstitielle Bindegewebe überhaupt eine nachweisbare Proliferation ein¬
geht. Nebenbei bemerkt habe ich Kollapsindurationen im Sinne des
pathologischen Anatomen nur selten in den Lungenspitzen konstatiert
(Fall 19 ist ein Beispiel). Die „Spitzenkappen“ sind dagegen ana¬
tomisch betrachtet keine Kollapsinduratc sondern Karnifikationen,
das heisst das der Verdichtung zu Grunde liegende vermehrte Binde¬
gewebe hat sich nicht zwischen völlig kollabierten Alveolen entwickelt,
sondern es füllt die ursprünglichen Alveolarlumina aus, es ist keine
interalveoläre sondern eine intraalveoläre Bindegewebsneubildung
da (vgl. Fig. 1).
Eine Karnifikation wird, wie die Erfahrung lehrt, nun nicht ausgelöst
durch das Eintreten einer Atelektase bzw. eines Kollapses luftleer ge¬
wordener Alveolen, sondern sie ist entweder Endstadium eines akut¬
pneumonischen Vorganges oder sie setzt selbständig als ein von vorn¬
herein chronisch-verlaufender Prozess ein.
Es leuchtet also ohne weiteres ein, dass, ebenso wie die Bezeichnung
^Koliapsinduration“ für jene in Frage kommenden Spitzenverdichtungen
keine richtige ist, auch die von Krönig und Rosenberg abgegebenen
Deutungen der Entstehungsweise jener insofern nicht zutreffen, als hier
Kollaps bzw. Atelelcktase, ihrerseits hervorgerufen durch Katarrhe der
Spitzeubronchen, keine ausschlaggebende Bedeutung besitzen.
Sehr wohl denkbar aber ist es, dass chronische Spitzenkatarrhe,
durch behinderte Nasenatmung etwa in der Weise bedingt, wie Krönig
und Rosenberg es sich vorstellen, eine Bindegewebsproliferation direkt
im Gefolge haben, und dass das neugebildete Bindegewebe, vielleicht
von der Bronchialwand aus in die Alveolen vordringend, diese ausfüllt
und dadurch eine Spitzenverdichtung erzeugt; dabei mögen infolge
stärkerer Schwellung der affizierten Schleimhäute die Lumina der
Spitzenbronchen frühzeitig verlegt sein und als Folge hiervon die im
Spitzenbercich gelegenen Alveolen mehr oder weniger zusammensinken;
dieses Zusammensinken ist dann auf jeden Fall aber nur eine Begleit¬
erscheinung des ganzen Prozesses. Falls letzterer sich so abspielt,
wie eben von mir als möglich hingestellt, hätten wir den Fall einer
Karnifikation, die von Anbeginn chronisch verläuft. In der Tat kann
man verschiedentlich, besonders am Rande flacherer Spitzenindurate, beob-
Zeitgehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 u. 4. 22
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328
G. GOERDELER,
achten, wie in verkleinerte Alveolen, diese nicht völlig ausfüllend,
faseriges Gewebe hineinwächst; daneben erkennt man in den betreffenden
Alveolen noch einzelne desquamierte Epithelien. ln derartigen Induraten
sind die elastischen Faserzüge auffallend dick und bilden ein sehr enges
Maschenwerk, innerhalb dessen wenig Bindegewebe liegt. Die beträcht¬
liche Verdickung des elastischen Stützwerkes kommt aber nicht etwa
zustande durch Verschmelzen der Alveolarwandungen, auch nicht dadurch
allein, dass die einzelnen Elastinfasern durch Entspannung gcwisser-
massen dicker werden, sondern es handelt sich hier entschieden um
Vermehrung der letzteren; darauf deuten Befunde, wo man bei noch
wenig zusammongesunkenen Alveolen eine auffallend dicke Elastika kon¬
statieren kann, während bei anderen, stärker kollabierten, dies nicht der
Fall ist.
Es darf nun nicht vergessen werden, dass grosse Dichte des
elastischen Maschenwerks in Spilzenindurationen nicht sowohl die Folge
eines als Begleiterscheinung auftretenden Kollapses der Alveolen als
vielmehr der Effekt einer nachträglichen starken Schrumpfung des
ncugcbildeten, intraalveolären Bindegewebes sein kann; unter Umständen
mögen beido Momente eine Rolle spielen.
Im übrigen sei nochmals daran erinnert: ein Teil der „Spitzen¬
kappen“ geht sehr wahrscheinlich aus akut-pneumonischen Pro¬
zessen hervor.
Blümel, der Krönigs klinische Beobachtungen bestätigt, erklärt
übrigens das Zustandekommen der nicht tuberkulösen Spitzenverdichtungen
mit einem Uebergreifen des Katarrhs der Spitzenbronchen auf dio Al¬
veolen; es etabliere sich eine Hyperplasie des interstitiellen Lungen¬
gewebes und infolge „Verdickung der Scheidewände, und des Druckes
des Gewebes“ werden die erkrankten Partien luftleer und schrumpfen.
Es ist das nur eine theoretische Vorstellung, die der Wirklichkeit nicht
entspricht; ein solcher Vorgang könnte auch garnicht als Kollaps¬
induration bezeichnet werden.
Wenn Krönig und Rosenberg hervorheben, dass die von ihnen
beschriebenen „Kollapsindurationen“ fast ausschliesslich die rechte
Luugenspitze einnehmen, so muss ich darauf hinweisen, dass die von
mir als „Kappen“ bezcichneten Indurate ebenso-gut in der rechten
wie in der linken Spitze Vorkommen, in ersterer vielleicht etwas
häufiger; sie finden sich auch bei ein und derselben Leiche doppel¬
seitig.
Schliesslich muss ich Krönig gegenüber noch einen Einwand erheben.
Bei der klinischen Differentialdiägnose zwischeu nicht-tuberkulöser und
tuberkulöser Spitzeninduration spielt nach K. eine ausschlaggebende Be¬
deutung die grössere oder geringere inspiratorische Verschieblichkeit der
unteren und medialen Lungenränder; bei der Tuberkulose finde früh:
zeitig eine Absonderung von Giftstoffen statt, die auf dem Lympbwego
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw. 329
in den Pleuraraum gelangen, hier infolge der Schwerkraft nach unten
sinken und zur Verlötung beider Pleurablätter führen, so dass die Lungen
bei der Inspiration weniger tief in den Komplementärraum hinabsteigen
wie in der Norm; hingegen bei der „Kollapsinduration“ könne man fast
stets mit einer respiratorischen Verschieblichkeit von normalem Umfange
rechnen; allerdings sei es nicht ausgeschlossen, dass durch häufige Staub¬
inhalationen bisweilen entzündliche Reizzustände und Adhärenzen des
Brustfells bedingt werden. Demgegenüber muss ich nochmals den
Standpunkt vertreten, dass Pleurasynechien, wo für diese so mannigfache
und so vielfach in Erscheinung tretende anderweitige genetische Faktoren
als Tuberkulose in Betracht zu ziehen sind, garnicht verwertet werden
dürfen zu irgend welchen Rückschlüssen auf die einer Lungenverdichtung
zu Grunde liegenden ursächlichen Momente.- Notabene können bei
tuberkulösen Spitzenafifektionen Pleuraverwachsungen gänzlich fehlen.
Nach den Mitteilungen von Blümel und Rosenberg würde manch
einer zunächst auf die Vermutung kommen, die „Kollapsinduration“ im
Sinne Krönigs finde sich nur bei Individuen in nicht weit vorgeschrittenem
Alter (die Fälle von B. und R. bewegen sich in den Altersstufen von
6—35 Jahren, meist im 2. und 3. Dezennium!). Eine solche Vorstellung
haben die beiden Autoren sicher nicht erwecken wollen. Denn jede
Lungcnverdicbtung ist ein Dauerzustand, und, hat sie sich bei einem
jugendlichen Individuum entwickelt, so bleibt sie zu dessen Lebzeiten
bestehen. Wenn die „Kollapsinduration“ vornehmlich bei jüngeren
Menschen zur klinischen Beobachtung gelangte, so liegt das wohl daran,
dass nicht-tuberkulöse Spitzenverdichtungen unter bestimmten Ver¬
hältnissen (also z. B. bei behinderter Nasenatmung infolge adenoider
Vegetationen im Nasenpharynx) im frühen Alter entstehen können und
dass die betreffenden (jugendlichen) Individuen, bei denen eine solche
Verdichtung zur Ausbildung gelangte bzw. noch in Ausbildung begriffen
ist, auf Grund gewisser Krankheitserscheinungen, die durch katarrhalische
AfTektion der Spitzenbronchen, letzten Endes auch durch das Nasenleiden
bedingt sind, der Tuberkulose verdächtig und dem Arzte zugeführt
werden. Mit Beseitigung des Grundübels schwindet der Spitzenkatarrh
und damit die krankhaften Störungen, das Lungenspitzenindurat
jedoch bleibt bestehen.
Soviel über die Spitzenkappen!
Einzelne, besondere Fälle.
Hingewiesen sei auf Fall 4 — Bronchektasenbildung mit Induration in
beiden Oberlappen, höchstwahrscheinlich Endstadium einer chronischen
Pneumonie. Das gleiche gilt von Fall 5 und Fall 7; letzterer dadurch
von Bedeutung, dass er ein jugendliches Individuum betrifft. Beispiele
chronisch-pneumonischer Prozesse des jugendlichen Alters sind
die Fälle 7 a und 7 b; bei ersterem war Influenza voraufgegangen, bei
22 *
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33Ö
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letzterem bestand Pertussis mit anschliessender Diphtherie. Das Thema
der chronischen Pneumonie im Kindesalter ist ein bisher noch
wenig behandeltes, es ist auch hier nicht der Ort, um näher darauf ein¬
zugehen; die angeführten 3 Fälle, die nicht zu den Raritäten gehören,
sollen nur die Möglichkeit dartun, dass Indurationen, die bei Erwachsenen
gefunden werden, schon aus der frühen Kindheit datieren als End¬
stadien pneumonischer Vorgänge.
Besonderes Interesse bietet Fall 7 c — Höhlenbildung auf nicht¬
tuberkulöser Grundlage noch im Säuglingsalter. Wäre das Kind nicht
an einem unabhängig von der LungenafTektion entstandenen Dickdarm-
katarrh gestorben, so hätte sich die Höhle höchst wahrscheinlich voll¬
ständig bindegewebig abgekapselt — Anfänge hierfür fanden sich schon
angedeutet — und hätte späterhin eventuell als ausgeheilte tuberkulöse
Kaverne imponiert.
Fall 6 — Abgekapselte kleine Abszesse. Die spaltförmige Höhle
bei Fall I a ist wohl nichts anderes als ein stark dilatierter Lymph-
raum. Im Falle 1 wird ein kleiner Hohlraum vorgetäuscht durch
ein erweitertes Gefäss. Fall 3 mögo als Beispiel einer anthra-
kotischen Verdichtung gelten.
Ich möchte nun auf einige Fälle der Unterabteilung 1 eingehen.
Zunächst dürfte belangreich sein der Fall 31 (vgl. Fig. 6). Es
wäre hier die Frage zu stellen, ob die diffus in sämtlichen Lappen
beider Lungen verstreuten indurierten Stellen auf Tuberkulose zurück¬
zuführen sind. Positive Anhaltspunkte bietet die mikroskopische Unter¬
suchung nicht; nur die grosse derbe Stelle in der einen Spitze erwies
sich als tuberkulösen Ursprunges. Es erscheint von vornherein durchaus
unwahrscheinlich, dass sich Tuberkelbazillen in so gleichmässigcr Weise,
etwa von der Spitzenschwiele ausgehend, ,pur an den Winkclstellcn der
Lobuli angesicdelt und hier ihre Wirkung entfaltet hätten, das übrige
Parenchym intakt lassend. Ein derartiger Vorgang ist bisher wohl noch
nicht beobachtet. Wäre Tuberkulose im Spiele, so würde man doch in
der einen oder anderen fibrösen Stelle — und es sind von mir die ver¬
schiedensten Lungenabschnitte sorgfältig untersucht — ein spezifisches
Produkt gefunden haben. Ein anderes infektiöses Moment zu suppo-
nieren, bietet aus dem gleichen Grunde eben solche Schwierigkeiten, und
so bleibt nichts anderes übrig, als in der Anthrakose die eigentliche
Ursache der knotenförmigen Bindegewebsneubildung zu erblicken. In
gleicher Weise beurteile'ich die Verdichtungen vom Fall 31a. Der Unter¬
schied ist nur der, dass hier eine frische Tuberkulose hinzugetreten
ist. Wollte man annehmen, dass letzere ihren Ausgang genommen hat
von den fibrösen Septumknoten, so bliebe wieder die Schwierigkeit eine
primäre Lokalisation des Tuberkelvirus nur an den Knotenpunkten der
Septen, und zwar eine in sämtlichen Lungenlappen gleichzeitige und
gleichmässige voraussetzen zu müssen. Ausserdem müsste man dann
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
331
die Tuberkeleruption vornehmlich in nächster Umgebung der Verdich¬
tungen erwarten; dem war aber nicht so. Winter beschreibt etwas
Aehnliches, nämlich in den Lungen einer Leiche neben echten Tuberkeln
zahlreiche Pseudotuberkel, d. h. peribronchial, perivaskulär und intra-
pleural gelegene knötchenförmige Verdickungen, die aus rundlichen und
spindelig geformten Kohlestaubzellen, innerhalb der Pleura mit binde¬
gewebigem Retikulum bestanden. Ich erblicke in meinem Fall 31 und
31a ein Beispiel des gleichzeitigen Vorkommens von Tuberkulose
und anthrakotischen Verdichtungen.
In Rücksicht auf die Frage der Knochenbildung ist Fall 29 von
Bedeutung (vgl. Fig. 10). Hier ist das Interessante der Umstand, dass
einzelne wenige Alveolen von Knochensubstanz ausgcfüllt sind, ohne
dass in den benachbarten Alveolen Bindegewebe enthalten wäre. Sicher¬
lich war in den Alveolen vordem Bindegewebe vorhanden, welches durch
Metaplasie in Knochengewebe übergegangen ist. Es kann unter Um¬
ständen also an kleinsten Karnifikationsstellen sich jener Umwandlungs¬
prozess vollziehen, wobei aber anzunchmcn ist, dass die vorangegangene
Pneumonie grössere Ausdehnung gehabt hat. Bei Fall 30 haben wir es
mit Knochcnbildung innerhalb verdickter Alveolarscheidewände und ver¬
dickten perivaskulären und peribronchialen Bindegewebes zu tun.
Im Fall 28 ist Knochen möglicherweise aus Knorpel hervorgegangen;
die Spitzenverdichtung ist wohl als eine tuberkulöse anzusehen, und zwar
als eine solche, wo der Prozess im Bereich des Parenchyms völlig aus¬
geheilt ist, im Bereich der Pleura aber noch fortbesteht.
Im Fall 26a sind die Pleuraknötchen — unter Berücksichtigung
ihres vereinzelten, auf einen bestimmten Bezirk beschränkten Auf¬
tretens und des benachbarten alten tuberkulösen Herdes — vielleicht
als fibrös umgewandelte Tuberkel aufzufassen; zwingend ist diese An¬
nahme aber nicht; vielmehr steht nichts im Wege, jene Knötchen auf das
Konto der Kohle zu setzen.
Und schliesslich noch Fall 22 und 32: dort eine Verdichtung mit
mehreren erweiterten Lymphräumen-, hier eine solche mit stark
dilatiertem, in seiner Wandung verdickten und prall gefüllten Lymph-
gefäss. Es wäre hiermit eine besonders günstige Gelegenheit zur
Bildung von Lymphthromben gegeben und man kann sich vorstellen,
dass solche, sobald es in ihnen zur Kalkablagerung kommt, den Ein¬
druck erwecken von verkalkten, abgekapselten Käsestellen; dieser Ein¬
druck wäre um so täuschender, als man nach der Entkalkung auch nur
einen käseähnlichen Detritus finden würde. Genetisch sind die beiden
letztgenannten Fälle entschieden unklar.
An dieser Stelle sei übrigens der Bronchialsteine gedacht, kleiner,
bis kirschkemgrosscr „Lungensteine“, die aus eingedicktem verkästen, mit
Kalksalzen imprägnierten Bronchialexsudat entstehen. Sie werden am
häufigsten in umschriebenen Bronchektasen gefunden und können
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332
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makroskopisch verkalkten, tuberkulös-käsigen Stellen recht ähn¬
lich sehen.
Ihrer Entstehung nach unklar sind auch die beiden Indurationen
mit Kavernenbildung (Fall 24), während Fall 27 ein Beispiel dafür
ist, dass jene durch Konfluenz erweiterter Alveolen vorgetäuscht
werden kann.
Und besonders erwähnenswert erscheint mir Fall 23, Tuberkulose
in einer Spitze, in der anderen beginnendes Karzinom, makroskopisch
als Kaverne mit verdichteter Umgebung imponierend.
Bei Abteilung 2, also den tuberkulösen Verdichtungen, ist die Frage
aufzuwerfen, wie oft etwa in den einzelnen Fällen die Tuberkulose nur
etwas Sekundäres ist. Nach Krönig kann sich möglicherweise neben
einer einfachen „Kollapsinduration“ eine tuberkulöse Veränderung der
gleichen Spitze etablieren, indem jene unter Umständen bie Prädisposition
für letztere bildet. Findet man in der Umgebung einer alten „Narbe“
frische tuberkulöse Eruptionen, so werden diese — so äussert sich
v. Hansemann — eher durch eine Neuinfektion von aussen an jenem
locus minoris resistentiae entstanden sein; allerdings seien Fälle, die
hierfür wirklich objektiv beweisend seien, relativ selten. Die fibröse
Bronchitis der alten Leute, wo die Wandung der Bronchien fibrös ver¬
dickt ist, könne Veranlassung geben zur nachträglichen Ansiedlung von
Tuberkelbazillen; das seien die Fälle, die zur Aufstellung des Begriffs
vom fibrösen Tuberkel geführt haben.
In meiner Aufstellung finden sich zwei Fälle (als Beispiel Fall 33),
die möglicherweise als Sekundärinfektionen einer gewöhnlichen
Verdichtung mit Tuberkelbazillen gedeutet werden könnten; hier waren
eben nur an den Randpartien frische spezifische Eruptionen und, da
die Lungen im übrigen intakt waren und die Hilusdrüsen ohne jeden
positiven Befund, ist eine derartige Annahme nicht von der Hand zu
weisen.
Die Anthrakosen sollen sich im allgemeinen ablehnend verhalten
gegen eine solche .Sekundärinfektion; das Gleiche behauptet Thorei
z. B. von den Siderosen. An der Hand eines Falles von Speckstein¬
lunge verbunden mit Phthisis konstatierte T. die Tatsache eines aller¬
ersten Beginnes der tuberkulösen Neubildung an Stellen, die frei waren
von Pigment. Weshalb die pigmenthaltigen Stellen weniger von der
Neubildung getroffen werden, lässt Autor unentschieden; vielleicht
spielten von dem Pigment ausgehende chemische Wirkungen dabei eine
Rolle. Fränkel deutet den Thorelschen Befund dahin, dass die
Bazillen. am Rande des Staubinfiltrationsbezirkes haften bleiben, weil
ihnen durch Verlegung der Lymphbahnen der Weg in das Innere ver¬
sperrt ist. Andererseits wiederum fand Merkel in siderotischen Lungen
die Tubcrkelbazillen nicht in dem noch lufthaltigen Gewebe, sondern in
den dichtesten, staubüberfüllten Schwielen; M. möint, dass dies nur
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
333
durch ein gleichzeitiges Eindringen von Staub und Tuberkelbazillen
zu deuten ist. —
Meiner Meinung nach ist bei denjenigen Lungen- und Pleuraschwielen,
wo nur am Rande der sonst rein bindegewebigen Verdichtung Tuberkel
zu finden sind, an die Möglichkeit der Sekundärinfektion eines gewöhn¬
lichen Indurates mit Tuberkelbazillen zu denken, umsomehr, wenn sonst
nichts von Tuberkulose in der betreffenden Lunge besteht. Es' ist dann
als am wahrscheinlichsten anzunehmen, dass die Tuberkelbazillen, ähnlich
wie die Kohle, sich am Rande des Indurates anhäufen auf Grund des
Hindernisses im Lymphstrom und nun dort ihre Wirkung entfalten. —
Ich gehe nunmehr über zur Besprechung der
Abteilung III.
In ihr habe ich Indurationen znsammengestellt, die, ganz allgemein
ausgedrückt, der Tuberkulose verdächtig sind, d. h. makroskopisch
kann man sie garnicht klassifizieren, mikroskopisch bieten sie keine Gewebs-
proliferationen tuberkulöser Art dar, wohl aber Veränderungen, bei denen
man zunächst in Ungewissheit ist, ob man tuberkulös-käsiges Material,
oder erweichtes Bindegewebe vor sich hat. Ich habe an die Ab¬
teilung 3 auch wieder eine Unterabteilung angefügt, Kombinationen von
solchen „suspekten“ Verdichtungen mit tuberkulösen Lymphdrüsen am
Hilus bzw. mit isolierten kleinen tuberkulösen Affektionen der anderen
und der gleichen Lunge.
Indurationen von 17 Leiohen: viermal keinerlei Adhärenzen der Lungen mit der
'Brustwand oder makroskopisch erkennbare Veränderungen der Pleura, im übrigen
Verwachsungen in verschiedener Ausdehnung und Festigkeit. Von den Indurationen
sechs einseitig und vier doppelseitig, oberflächlich, umschrieben, rundlich oder un¬
regelmässig gestaltet, bis zum Umfange eines Zweimarkstückes, etwa 1 / 2 cm im Tiefen¬
durohmesser, und zwar in der Spitzenkuppel oder in der Nähe dieser am hintere*
stumpfen Lungenrand gelegen.
Das histiologische Bild: Pleura etwas fibrös verdickt, der grössere wil der
Induration besteht aus Karnifikation. Darin eingestreut grössere, unre^'roässige,
an den Rändern verwaschene Bezirke, bei schwacher Vergrösserunp gleichmässig
gelb aussehend. Bei stärkeren Vergrösserungen lösen jene sich auf te 15 zu körnigem
Detritus, teils zu homogenen gelben Klumpen, Schollen und pilkcben; zwischen¬
durch stark geknäuelte und gewundene breite Fasern von scb nutzi S'bläulicher oder
schmutzig-gelblicher Farbe in alveolärer Anordnung (entar^t® elastische Faser¬
züge); an den Randpartien gehen letztere allmählich ü^ r ' n die blau-gefärbten der
Umgebung. Stellenweise innerhalb einzelner, von Bip^ß ewe t> e ausgefüllter Alveolen,
die kollagenen Fasern gelbrötlich oder gelb ting»-'ri. Das Gowebe im allgemeinen
ziemlich reichlich mit Kohle imprägniert, spezial Bereich der oben beschriebenen
Bezirke. In einer von den Verdichtungen » ,TI kleiner schmaler Knoohenring mit
Fettmark. In einer anderen Spitzenindn-ation, in der Nähe der Pleura, eine ganz
kleine, unregelmässig gestaltete H«bl-**ng, deren wie zerfetzt aussehende Wandung
aus stark kohlehaltigem, ka« Tlfiz ie rtem Gewebe besteht; im Inneren der Höhlung
körniges Pigment und nass-gelblich gefärbter Detritus. Die Lunge war sehr
kohlereich.
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Fall 34: Ein bohnengrosser Verdichtungsbezirk in einer Spitze vom Bau, wie
eben geschildert, enthält kleine Knochenspangen. Im Inneren ein langgestreckter,
unregelmässiger Hohlraum, anscheinend einem präformierten Hohlraum ent¬
sprechend (vielleicht stark erweitertes Lymphgefäss), angefüllt mit körniger und
fädiger Masse, zwischendurch einzelne Staubzellen; in der Nachbarschaft stellenweise
sklerotisches Bindegewebe, ersichtlich aus Karnifikation hervorgegangen (erhaltene,
typisch angeordnete elastische Faserreste). Sklerotisches Gewebe in fibrinoider Um¬
wandlung mit körnigem Detritus zwischendurch.
Bei neun Fällen meist multipel auftretende, knötohenförmige Bildungen, ent¬
weder im Spitzenabschnitt eines Oberlappens oder in einem anderen Lungenlappen.
Fall 35: Ein linsengrosses Knötchen unter stark verdickter, kohlefreier Spitzen¬
pleura gelegen: Gewöhnliches, gelb gefärbtes Bindegewebe mit kaum erkennbaren
elastischen Fasern, zwischendurch hie und da etwas feinkörnigor Detritus, an einer
Stelle ein spongiöses Knochenstückchen mit Fasermark, das Ganze kohlearm,
ringsherum aber, ebenso wie in der ganzen übrigen Lunge, sehr viel Kohle.
Ein ebensolches Unterlappenknötchen von einem anderen Falle hatte die gleiche
Struktur nur ohne Knochengewebe.
Fall 36: Boi einer Lungenverdichtung innerhalb von karnifiziertem Gewebe
eine nicht scharf umgrenzte, gelbtingierte Stelle mit einem zentralen, mit Kohle¬
pigment angefüllten Hohlraum; innerhalb der gelbgefärbten Stelle keine elastischen
Fasern erkennbar; an der verwaschenen Grenze zwischen jener und der umgebenden
Karnifikation elastische Elemente in schmutzigbläulicher und schmutziggelblicher Farbe.
Fall 37: Ein kleinerbsengrosses, schiefriges, im Inneren gelbliches Knötchen
inmitten eines Oberlappens: der innere Teil derbe, kernlose, fibromartig verflochtene
Bindegewebsfasern mit reichlicher unregelmässiger Kohleablagerung; die Peripherie
radiär angeordnete Kollagenfasern und radiär gestellte Kapillaren; stellenweise
zwisohendurch grössere pigmenthaltige Zellen (Staubzellen, wohl auch Lymphgefäss-
endothelien), auch einige Lymphfollikel. In dem gleichen Lungenlappen einzelne
erbsengrosse, schiefrige, subpleural gelegene Knötchen, teilweise mit Kalkeinlage¬
rung, mit breiter, sklerotischer, kohlearmer Kapsel, im Inneren massenhaft Kohle, so
dass die Struktur des Gewebes kaum erkennbar; nur hie und da einzelne breite
kollagene Fasern und etwas körniges gelbes Material hervortretend.
Fall 39: In der Nähe einer verdickten Spitze (gewöhnliches Karnifikations-
gewebe) verschiedene erbsengrosse, schiefrige Knoten, zum Teil an die Pleura an-
s«ossend. An diesen Knötchen zwei Typen zu unterscheiden: Zu einem Teil bestehen
s ' e 'us einem peripheren Saum von Karnifikation und einem zentralen Abschnitt
körnig^ r> amorpher, gelbtingierter Substanz, durchzogen von gröberen und feineren
Bindegewev S f asern> entweder frei von elastischen Elementen und kohlearm, oder mit
schwach gefaxten Elastinfasern in angedeutet alveolärer Anordnung und ziemlich
kohlereich; zwisi>i en der peripheren Zone und dem Zentralabschnitt ein Pigmontsaum.
Zum anderen Teil u s tehen jene Knoten aus sklerotischen, teilweise fibrinoiden Binde¬
gewebsfasern, zwischei4 urc h mit feinkörniger Einlagerung, ohne elastische Fasern,
mit reichlicher unregelmäßige Kohleablagerung; diese Knötchen grenzen an grössere
Gefässe an.
Fall 39: Das gleiohe hntfologische Bild zeigten multipel auftretende, linsen¬
grosse, schiefrige, teilweise im L^ern gelblich-kreidige Oberlappenverdichtungen
von einer anderen Lunge.
Eine fibröse Struktur und etwas kotiger Detritus fand sich bei zwei linsen¬
grossen Verdichtungen, je aus einem Unter ü*d Mittellappen zweier verschiedener
Fälle; bei jenen das sklerotische Gewebe steUenw^e zu „knötchen“fdrmigen Ge¬
bilden angeordnet; der eine mit unregelmässiger, der aH e re mit zentraler Kohleab¬
lagerung, unregelmässiger Lückenbildung und einer schmale*, verästelten Knochen-
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
335
spange; der letztere grenzte an unveränderte, ersterer an verdickte Pleura (Fall 40
und Fall 41).
Fall 42: In der Nähe der Spitze erbsengrosse, teilweise kalkhaltige, schwärz¬
liche Knoten: Scharf umrissene Gebilde, im Zentrum mit dichter Kohleanhäufung
ohne erkennbare Gewebsstruktur, an der Peripherie neben schwarzem Pigment ein¬
zelne dichte Anhäufungen elastischer Fasern (wohl völlig kollabierte Alveolen) und
einzelne Häufchen von Lymphozyten; die fast kohlefreie intermediäre Zone besteht
aus sklerotischem Bindegewebe mit kleinen Lymphozytenhäufchen in einzelnen
weiteren Gewebsspalten. Die Knötchen grenzen an Interlobularsepten (wohl um¬
schriebene adventitielle oder peribronohiale Verdickungen). Im umliegenden,
lufthaltigen Parenchym etwas verdickte Alveolarsepten.
An der Oberfläche eines Unterlappens zwei verkalkte Knötchen von einigen
Millimetern Durchmesser; eins aus fibrösem Gewebe, in der Mitte mit Kohlebrei, das
andere aus schwach gefärbten Elastin- und verschieden breiten Kollagenfasern mit
viel Kohle, namentlich an der Peripherie und anschliessender stark verdickter Pleura;
benachbartes Lungengewebe mit verdickten, stark kohlehaltigen Septen. Ein drittes
Pleuraknötchen enthält in der Mitte strukturlose Masse; ringsherum zellarmes Binde¬
gewebe mit Kapillaren, fast frei von Kohle.
Fall 43: Die Plearen beider Lungen bedeckt mit vielen kleinen, über mohn¬
korngrossen, weissen Knötchen, teilweise mit strahiiger Peripherie. Sonst die Pleuren
glatt und glänzend. An der Vorderseite des rechten Oberlappens, und zwar an dessen
Basis, ein keilförmiger, nicht scharf abgegrenzter, sohiefrig-derbor Bezirk von Hasel-
nussgrösse. Mikroskopisch: Die Pleuraknötchen meist scharf abgegrenzte rund¬
liche oder unregelmässigo, fibröse Stellen; die scharfe Abgrenzung kommt dadurch
zustande, dass die peripheren Fasern sich konzentrisch lagern. Alle fast kohlefrei,
nur um sie herum Kohlepigment angehäuft. Einige rein fibrös, andere bestehen
im Inneren aus einem Maschenwerk kollagener Fasern zwischendurch mit etwas
amorphem, gelbem Material, das Ganze mit feinstem Kohlepigment leicht bestäubt;
schliesslich Knötchen mit nur körnigem Detritus im Zentrum, die kollagenen Fasern
teilweise gelbrot und gelb tingiert. Stellenweise einzelne Knötchen nahe beieinander¬
liegend. Es kommen auch grössere Knoten vor, aus einzelnen fibromartigen Ge¬
bilden bestehend; die elastische Grenzlamelle fehlt bei diesen an der am meisten in
das Parenchym vorspringenden Stelle. Auch im Lungengewebe nahe der Pleura
genau solche Knötchen, teils isoliert, teils in Gruppen. In einzelnen rein fibrösen
Knötchen ein exzentrisch gelagertes Gefäss. Die grössere Lungenverdichtung
ganz unregelmässig gebaut, zwischendurch grössere lufthaltige Bezirke. Pleura ver¬
dickt. Der an die Pleura anstossende Abschnitt bietet das Bild der Karnifikation teil¬
weise mit etwas schwach tingirten elastischen Elementen; dazwischen verwaschene, gelb¬
gefärbte Stellen ohne differenzierte Struktur, innerhalb deren man bei stärkerer Ver-
grösserung alveolär gelagerte, schmutzig-bläuliche elastische Fasern erkennt, ferner
gelbe Bezirke mit leidlich gutgefärbten elastischen Elementen. Dieser ganze Abschnitt
unregelmässig von Kohle durchsetzt. Weiterhin ein langgestreckter Bezirk aus karni-
fiziertem Gewebe mit wenig Kohle; an diesen sich anschliessend eine grössere läng¬
liche Stelle, hauptsächlich aus sklerotischem Gewebe bestehend, das durch fibrinoide
Entartung der Bindegewebsfasern gelb gesprenkelt aussieht und stellenweise viel
Kohle enthält; an den Rändern auch Karnifikation mit schwach tingierten Elastin¬
fasern. Stellenweise gelb oder gelbrötlich gefärbte Abschnitte aus bröckeligen
(faserigen und körnigen) Zerfallsmassen mit oder fast ohne Kohle. In der Nähe
der Verdichtung dicht untör der Pleura einzelne umschriebene, beetartige, ovale Bezirke,
bestehend aus karnifiziertem Lungengewebe, mit Kohle durchsetzt. Derartige Bezirke
auch mehr im Inneren des Parenchyms. Einzelne im Zentrum rein sklerotisch (das
Sklerotische weniger kohlehaltig als die Umgebung, die stark von Kohle durchsetzt ist).
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336
G. GOERDELER,
Fall 44: In der Spitze einer hochgradig anthrakotischen Lunge eine
walnussgrosse Höhle mit derb-schiefriger Umgebung; in der Wandung körnige,
schmutzig-graue Stellen: Karnifikationsgewebe mit einzelnen gelblichen Faserzügen;
die Höhle zum Teil ausgefüllt mit zerfallenem Lungengewebe.
Fall 44a: Eine linsengrosse, schiefrige, im Zentrum gelbliche Stelle aus einem
Unterlappen in Pleuranäbe: ln einem etwas verdickten Interlobularseptum ein kuge¬
liger Raum von ca. 4 mm Durchmesser; dossen Wand besteht aus regelmässig kon¬
zentrisch angeordnetem, dickfaserigen Bindegewebe mit scharfem Innenrande. Der
Inhalt des Hohlraums ist eine diesen nicht völlig ausfüllende homogene Masse, fein¬
körnig bis feinfadig, anscheinend Lymphgerinnsel.
Die zugehörigen Hilus- und Bronchiallymphdrüsen frei von sicher erkennbaren
tuberkulösen Veränderungen, einige mit Befunden „suspekter“ Natur, wie sie späterhin
noch beschrieben werden sollen. Alle Fälle betreffen Erwachsene.
Unterabteilung 3.
Gruppe 1.
4 Indurationen von 4 Leichen; 3 von jenen sind Spitzenverdiohtungen vom
Umfang eines Zwei- bis Fünfmarkstückes, 1 / 2 —1 cm im Tiefendurchmesser. Einmal
keine Pleuraadhärenzen. Die zugehörigen Hilusdrüsen bei allen Indurationen, die
teilweise Kalk, aber nicht grob sichtbar, enthalten, frei von sicher erkennbarer
Tuberkulose. Die tuberkulöse Affektion der anderen Lunge besteht jedesmal nur in
isolierten wenig umfangreichen Veränderungen meist älterer Natur; einmal in
der korrespondierenden Lunge ausser einer einzigen, kleinen, käsig-pneumonischen
Stelle im Oberlappen eine Spitzenverdichtung. Der histiologische Bau erinnert in
seinen Einzelheiten an zuvor Beschriebenes.
Fall 45: Am Rande der grössten Spitzenverdiohtung, naoh dem lufthaltigen
Parenchym zu, einzelne kleine glattwandige Aushöhlungen und im Innern ein
kleinerer Hohlraum mit bröckeliger, zerfetzter Wandung; jene sind stark erweiterte,
teilweise konfluierte Alveolengruppen, diese ist begrenzt von sklerotischem teils rot
teils gelb gefärbtem Bindegewebe,beides zerfallend, durchsetzt von Detritus und fein¬
körnigem schwarzen Pigment; in der Höhle Reste von sklerotischen, wie abgerissen
aussehenden Fasern und Bröckel von karnifiziertem Gewebe, untermischt mit Kohle;
am Rande zwei Knochen ringe.
In der Nähe einer anderen Spitzenverdichtung zwei erbsengrosse, schiefrige
Knoten, aus karnifiziertem Lungengewebe bestehend, besonders im Inneren stark
pigmentiert und hier ein körniger Zerfall des fibrinoid umgewandeiten Bindegewebes
bemerkbar. Das benachbarte lufthallige Parenchym reich an Kohle, letztere in den
Alveolarsepten und um die Gefässe unter Verdickung des adventitiellen Gewebes.
Fall 46: Ein an der Basis eines Unterlappens gelegener schiefriger, erbsen¬
grosser Knoten: Fibröser Bau; an der Peripherie die Kollagenfasern zu einer kon¬
zentrischen, schmalen, kohlearmen Kapsel geschichtet, innerhalb letzterer stellenweise
gut gefärbte elastische Fasern in alveolärer Anordnung. Im übrigen regellos ver¬
laufendes, teilweise fibrinoid entartetes, kernarmes Bindegewebe, aus dem sich ver¬
schiedentlich ganz kleine, runde oder ovale Stellen durch konzentrische Anordnung
der Fasern hervorheben. Ungleicbmässige, sehr reichliche Kohleablagerung,
stellenweise dadurch die Struktur des Gewebes nicht erkennbar; an diesen Stellen
ein Zerbröckeln des letzteren und Auftreten von gelbem Detritus; auch runde,
scharf umrandete, kleine Lücken bemerkbar mit Kohlehäufchen im Inneren (wohl
Verflüssigung).
Alle vier Fälle betreffen Erwachsene.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
337
Gruppe 2.
Verdichtungen von 13 Leichen. Bei vier Lungen keinerlei Pleuraverdickungen
oder Verwachsungen mit der Brustwand. Jedesmal die zugehörigen Hiluslymph-
drüsen tuberkulös affiziert. Sieben der Verdichtungen flächenhafter Natur, zehn-
pfennigstück- bis etwa zweimarkstückgross, in einer oder mehreren Zacken in die
Tiefe strahlend, an der dicksten Stelle Yg—1 cm stark, scharf umschrieben, in ihrem
Aussehen in nichts von den gewöhnlichen Spitzenverdichtungen unterschieden; bis
auf eine, die etwas unterhalb einer Spitze am stumpfen Lungenrande sich fand, im
Bereich der Spitzenkuppel gelegen. Ihr Bau entsprach dem der gewöhnlichen Ver¬
dichtungen mit mehr oder weniger gleichmässig oder ungleichmässig verdickter Pleura.
Innerhalb des indurierten Lungengewebes stellenweise etwas körniger Detritus. In die
dickeren Indurationen eingestreut rundliche, längliche oder unregelmässige, scharf u ra¬
schrieben e, sklerotische Stellen, die rundlichen meist mit konzentrischer Schichtung
der Fasern, in einzelnen, besonders in den unregelmässigen, aber gelegentlich auch
in den runden, speziell an der Peripherie 4 schwach tingiorte elastische Elemente in
alveolärer Lagerung; jene Stellen teils kohlearm, aber von reichlich Kohle umlagert,
teils fleckw ? eise von solcher durchsetzt; die sklerotischen Fasern vielfach gelbrot oder
gelb gefärbt; im Inneren einzelner jener Stellen körniger Detritus allein oder zu¬
sammen mit kurzen, breiten, wie abgerissen aussehenden, fibrinoid entarteten Binde¬
gewebsfasern, umlagert von viel Kohle. Ausser den eben beschriebenen Stellen noch
unregelmässige und an den Rändern verwaschene, wo Bindegewebe und elastische
Elemente entartet waren; vereinzelt konnte ein Auseinanderbröckeln dieser Stellen,
die in verschiedenem Grade kohlepigmenthaltig waren, beobachtet werden. An einer
Spitzenverdichtung innerhalb der mässig verdickten Pleura eine kleine runde, rein
fibröse Stelle mit konzentrischer Schichtung der Fasern und wenig Kohle, ausserdem
in dem verdichteten Lungengewebe neben runden, sklerotischen Stellen, die un¬
mittelbar in dem karnifizierten Gewebe lagen, solche, die von einer Zone zell-
reichen Bindegewebes umgeben waren.
In der Umgebung von zwei Spitzenverdichtungen je ein knapp erbsengrosses
Knötchen aus derbem Bindegewebe mit viel Kohle, in nächster Nähe eines grösseren
Gefässes; eins mit mehreren kleinen obliterierten Gefässen. (Perivaskuläre Binde*
gewebsknötchen!)
Fall 47: In der Nachbarschaft einer Spitzenverdichtung verschiedene, hanf¬
korngrosse Knötchen bindegewebiger Struktur, teils kohlehaltig, teils kohlefrei; eins
davon mit kleinsten Knochenbälkchen am Rande.
Knochenbildung ausserdem in einer dickeren Spitzen Verdichtung an ver¬
schiedenen Stellen in Form kleiner Spangen und Ringe; innerhalb der Knochen¬
substanz hier und da reichlich schwach gefärbte elastische Fasern ohne bestimmte
Anordnung; in einer kleinen Knochenplatte deutlich stark gewundene elastische
Faserzüge wie innerhalb von Karnifikation (Fall 47 a) (vgl. Fig. 11).
Bei einer Verdichtung der Spitze eine knopfförmige, ziemlich kohlereiche Pleura-
verdiokung, ohne scharfe Grenze in einen unregelmässigen, grösseren, sklerotischen,
anscheinend dem Lungengewebe angehörigen, Bezirk übergehend; dieser kohlearra
bis auf das Zentrum, hier viel Pigment, die Fasern wie aufgequollen und rundliche
Lücken; am Rande einzelne schwach gefärbte elastische Faserzüge. In der Umgebung
dieser Verdichtung verschiedene umschriebene kleinere, teils reine Karnifikation, teils
fibröse Stellen mit vielen elastischen Fasern und Kapillaren (anscheinend verdickte
Adventitia eines grösseren Gefässes), teils sklerotische Bezirke, fast kohlefrei, mit
schmalem Saum von karnifiziertem Gewebe.
Die Umgebung all der Spitzenverdichtungen lufthaltig, gelegentlich mit
dilatierten Alveolen, einmal auch mit kleinen pneumonischen Bezirken.
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338
G. GOERDELER,
Fall 48: In beiden Lungenspitzen je ein halb-walnussgrosser, schiefriger
Knoten, in einzelnen Zaoken in die Tiefe strahlend. Auch hier die Struktur der
Spitzenverdichtungen — Pleura im allgemeinen wenig, nur an einer Stelle knopf-
lormig verdickt und hier herdweise von reichlich Kdhle durchsetzt — mit unregel¬
mässigen und runden, fibromartigen, sklerotischen Stellen; letztere, mit einzelnen
schwach schmutzigbläulich tingierten Elastinfasern in alveolärer Anordnung, sind
hier besonders reichlich, konfluieren stellenweise zu grösseren sklerotischen Be¬
zirken; nicht selten ihr Inneres zu einem Tuschebrei zerfallen; in anderen auch
gelblich gefärbter Detritus. Einzelne kleine Arterien besitzen verdickte Intima.
Fall 49: Lungenspitze mit kleiner Einziehung; beim Hineinschneiden traf man
auf eine schiefrig indurierte Stelle, die von der Oberfläche bis auf 2 cm in die Tiefe
sich erstreckte, an den Rändorn unregelmässig begrenzt bis 1 j 2 cm breit. In der Nähe
ein knapp erbsengrosser derber Knoten, etwas weiter ab eine Gruppe kleinerer Knöt¬
chen. Dip Pleura ganz unverändert: die Verdichtung bestand aus Karnißkation mit
fibromartigen Gebilden, analog den früher geschilderten; die einzeln liegenden
Knoten bestanden aus Bindegewebe mit eipem peripheren Saum von Karnißkation, das
Kollagen teilweise fibrinoid umgewandelt, stellenweise im Innern körniger Detritus;
die Knoten teils weniger, teils reichlich pigmentiert. In der Spitze der korrespon¬
dierenden Lunge drei ebenso gebaute Knoten.
Fall 50: Im Unterlappen einer Lunge, im Bereich des unteren Drittels, unter
der Pleura, am stumpfen Rande eine gut erbsengrosse, scharf abgesetzte Verdichtung:
Fibröses Gewebe, peripher konzentrisch angeordnet im Innern mit einzelnen sekun¬
dären, fibromartigen Bildungen. Ziemlich reichliche Kohleablagerung zwischen
letzteren, die selbst nur schwach pigmentiert sind. Die kollagenen Fasern teilweise
gelb gefärbt und im Inneren einzelner der sekundären „Knötchen“ eine verwaschen
aussehende, gelbliche Substanz, deren Charakter gar nicht bestimmbar ist. In der
Spitze der korrespondierenden Lunge eine mikroskopisch „suspekte“ Verdichtung, in
der gleichnamigen eine unverdächtige (die Lungen stammten von einem Seiler).
Fall 51: Genau der gleiche wie Fall 43, nur ohne Luugenverdichtung. Mikro¬
skopisch das nämliche Bild.
Fall 52: Eine unterhalb einer Spitze, am stumpfen Lungenrande gelegene Ver¬
dichtung von dem Umfange eines Fünfmarkstückes und 1 cm Dickendurchmesser.
Die histiologische Struktur die übliche mit eingelagerten Knochen ringen und
Knochenspangen in maschenförmiger Lagerung mit Fettmark. An einer Stelle eine
kleine unregelmässige Höhlung, deren Wandung aus stark kohlehaltigem, karni-
fiziertem Gewebe mit entarteten kollagenen und elastischen Fasern besteht. Auch an
anderen Stellen unregelmässige Bezirke von solchem Gewebe, teils kohlearm, teils
kohlereich. Dann wieder Gruppen fibromartiger Gebilde, von grossen Massen
Kohle umlagert, selbst aber kohlearm. An einzelnen Knochenspangen reichlich blass¬
bläuliche Elastinfasern in alveolärer Anordnung.
ln allen Fällen handelte es sich um Erwachsene. Verschiedentlich ausser den
beschriebenen Verdichtungen in der zugehörigen anderen Lunge ganz unver¬
dächtige Spitzenindurationen.
Gruppe 3.
Zwei grössere Spitzenverdiohtungen, vergesellschaftet je mit einem einzigen, ab¬
gekapselten, kleinen käsigen Bezirk in der nämlichen Lunge.
Fall 53: In einer von jenen an zwei Stellen Knochenbälkchen mit lymphoidem
Mark. In näherer und weiterer Umgebung der Verdichtung verschiedene kleinere in¬
durierte Stellen; eine aus zellreichem Bindegewebe, mit obliterierten kleinen Gefäss-
chen in nächster Nähe eines grösseren Gefässes; zwei sind karnifizierte Stellen, eine
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Langen usw.
339
reich an Kapillaren, die andere gefassarm mit Entartung der kollagenen und elasti¬
schen Elemente, bröckeligem Zerfall und etwas Detritusbildung, massig kohlehaltig;
nach einer Seite schliesst sich an letztere lockeres Bindegewebe mit zahlreichen
Staubzellen (die Lungen kohlereioh; in der korrespondierenden eine Spitzenver¬
dichtung derselben Beschaffenheit.)
Fall 54: ln beiden Lungen vielfach mohnkorn- und übermohnkorngrosse,
schiefrige Knötchen. Mikroskopisch: Fibromartige Gebilde, ringsherum Karnifikation,
lymphoides Gewebe und quergetroffene Gefässe. Im Inneren der Knötchen massenhaft
Kohle, auoh das indurierte Gewebe davon durchsetzt. Innerhalb einzelner Knötchen
dort, wo die Kohle angehäuft ist, Gelbfärbung der sklerotischen Fasern urrter Zerfall
dieser, körniger Detritus und kleine, längliche Lücken (vielleicht hat hier Kalk ge¬
legen). Bei dem nämlichen Falle im rechten Mittellappen ein erbsengrosser, sub¬
pleural gelegener, schiefriger Knoten mit harter Einlagerung: Fibröse Kapsel; im
Inneren Flechtwerk von teilweise fibrinoiden Kollagenfasern mit viel Kohle und
körnigem Detritus zwischendurch; auch rundliche, fibromartige Stellen mit viel
Kohle; im Inneren ein kleiner Hohlraum, angefüllt mit Kohle, Kollagenfaserbröckeln
und körnigem Detritus; an zwei Stellen ein Maschenwerk feiner Knoc henälkchen. In
der zugehörigen Lungenspitze eine flache Schwiele und eine strangförmige sehnige
Oberflächenverdickung, beide sich zusammensetzend aus karniüziertem Gewebe mit
verdickter Pleura.
(Jebcrblicken wir die in Abteilung 3 zusammengestellten Indurationen,
so finden wir, dass sie im wesentlichen, was äussere Gestaltung und
histiologischen Bau anlangt, denen gleichen, die wir vordem kennen
gelernt hatten: wir haben flachere und kompaktere Spitzenverdich-
tungen vor uns oderindurate aus anderen Lungenabschnitten — letzteres
allerdings selten — knötchenförmige Verdickungen der Pleura und
des Parenchyms, einzeln oder multipel, eventuell kombiniert mit um¬
fangreicheren Verdichtungen; und die Knötchen wiederum präsentieren
sich als fibromartige Pleuraverdickungen, fibröse Verdickungen
im Bereich der Lungcnscpten, karnifizierte Stellen, indurierte
Lymphknötchen. Auf die Einzelheiten der histiologischen Struktur
und deren Bewertung braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden;
alles, was früher darüber gesagt ist, besteht auch hier zu Recht. Nur
ein Befund tritt hier als neuer hinzu, nämlich das Vorhanden¬
sein eines amorphen Detritus. Es ist nun eben die Frage, in wie
weit dieser ein spezifisch tuberkulöses Produkt darstellt oder den End¬
ausgang jenes früher beschriebenen fibrinoiden Degenerationspro¬
zesses der Bindegewebsfasern.
Tuberkulöser Käse und erweichtes Bindegewebe.
Ricker macht darauf aufmerksam, dass die gelbgefärbten breiten
Bindegewebsfasern bei stärkerer Vergrösserung aussehen, als beständen
sie aus feinen Körnchen, und weist nach, dass sie schliesslich verflüssigen
können. Es ist also verständlich, dass bei weiterem Fortschreiten der
regressiven Metamorphose ein Auseinanderfallen der Fasern statthat zu
einem körnigen Brei (erweichtes Bindegewebe), der im Schnitt
genau dasselbe Aussehen bietet wie tuberkulös-käsiges Material.
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340
G. GOERDELER,
Daraus ergibt sich, welche Schwierigkeiten es bereitet, beides vonein¬
einander zu unterscheiden. Die Frage wird umso schwieriger, als im
tuberkulösen Gewebe auch fibrinoide Fasern Vorkommen. In der Lite¬
ratur existieren darüber verschiedenfache Angaben.
Wechsberg konstatierte bei experimentell erzeugten Iristuberkeln (Kaninchen)-
sowohl innerhalb der Tuberkel als besonders in ihrer nächsten Nachbarschaft Binde¬
gewebsfasern, die bei van G ieson-Färbung gelb tingiert wurden und teilweise wie
gequollen waren, dabei kontinuierlich übergingen in die rotgefärbten normalen Binde¬
gewebsfasern; er fasst jene als degenerierte Bindegewebsfasern auf, und zwar hat er
den Eindruck, als ob es sich um fibrinoide Umwandlung handelt; doch hält er es
für denkbar, dass hier ausgeschiedenes Fibrin voriiegt, das an Stelle geschwundenen
Bindegewebes tritt.
Schmaus und Aibrecht sprechen auch von einer fibrinoiden Substanz
innerhalb des Tuberkels, deuten sie aber anders. Die Verkäsung beruht nach ihnen —
ganz allgemein gesagt — in einem Absterben der Zellen des tuberkulösen Produktes
und in dem Auftreten einer aus dem Blute stammenden und nachträglich wahrschein¬
lich gerinnenden Transsudationsmasse; diese abgeschiedene Substanz bezeichnen die
Autoren als Fibrinoid, zu deren Bildung übrigens auch die absterbenden Zellen bei¬
tragen sollen. Nirgends konnten sie einen Uebergang des Retikulums in Fibrinoid
konstatieren. Letzteres, das zum grössten Teil in Form des kanalisierten Fibrins auf¬
trete, sei durchaus zu unterscheiden von dem typischen Fibrin, das, wenn auch spär¬
lich, im Tuberkel vorkomme. Die fibrinoide Substanz müsse unter den allgemeinen
Begriff der „hyalinen Substanz 14 subsummiert werden, und zwar den des „exsudativen
Hyalins. 14 Dahingegen sei die fibrinoide Substanz scharf abzutrennen von der als
„konjunktivales Hyalin 14 zu bezeichnenden Substanz, welch’ letztere bei van Gieson-
Färbung sich rot tingiert, während erstere gelb erscheine.
Auch Vallat fand „Hyalin“ häufig zugleich mit käsigen Massen und zwar fast
immer an der Peripherie der letzteren; man muss nach V. daraus schliessen, dass die
„fibrinöse Degeneration 44 zuerst entsteht und dann sich Käse bildet; sie sei also ein
Vorstadium der Verkäsung.
Meine eigenen Beobachtungen an Lungen- und Lymphdrüsentuberkeln
decken sich im wesentlichen mit denen von Wechsberg, insofern als
ich vielfach, speziell in verkästen Stellen, neben Fasern, die bei van
Gieson-Färbung eine rote Tinktion aufwiesen, solche fand, die gelb
gefärbt waren; letztere gingen häufig ganz allmählich in erstere über.
Wir haben hier also fibrinoide Degeneration der Kollagenfasern vor uns.
Was Vallat als „Hyalin“ bezeichnet, entspricht seiner Beschreibung
nach entschieden der sehr oft von mir konstatierten fibrinoiden Degene¬
ration der sklerotischen Bindegewebsfasern, die käsige Stellen abkapseln;
solche Bindegewebsfasern können zu gröberen Bröckeln zerfallen, die
sich dann an den Randpartien des käsigen Materials finden, von diesem
aber deutlich abheben.
Um nun auf jenen erwähnten körnigen Detritus zurückzukommen,
so ist, wenn man diesen für sich allein betrachtet, eine sichere Ent¬
scheidung hinsichtlich seiner Natur zunächst eigentlich garnicht möglich,
und man wird nur aus gewissen Nebenbefunden entnehmen bzw. mit
mehr oder weniger grosser Wahrscheinlichkeit vermuten können, ob man
erweichtes Bindegewebe oder tuberkulös-käsiges Material oder
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw. 341
eventuell beides vor sich hat. Bei meinen umfangreichen Untersuchungen
bin ich Dun zu der Uebcrzeugung gelangt, dass das Verhalten der Kohle¬
pigmentierung und der elastischen Fasern einen wertvollen Anhalts¬
punkt gibt.
Merkel betont, dass die echten Tuberkel kaum je Staubeinlagerung
zeigen, und bei Tcndeloo finde ich eine Beobachtung von Maurice
notiert, wonach dieser Autor in einem Falle von Miliartuberkulose um
die Tuberkel herum reichliche Kohleablagerung (die Tuberkel selbst also
wohl kohlefrei bzw. kohlearm) fand. Beider Angaben kann ich bestätigen
und erkläre dies so, dass infolgo der reichlichen Lympbdurchströmung,
die im Tuberkel während seiner Wachstumsperiode vor sich geht, das
an Ort und Stelle vorhanden gewesene Pigment aus der Neubildung
heraus fortgeschweromt wird, nicht anders, wie wenn in einer Lymph-
drüso eine metastatische Geschwulst entsteht, in deren Bereich die
Kohle ebenfalls fort geschwemmt wird. Geht das neugebildete tuber¬
kulöse Gewebe in Verkäsung über, so wird es so gut wie kohle frei
sein und bleiben, da nunmehr infolge des Aufhörens der Saftzirkulation
keine Kohle mehr hineintrausportiert werden kann. Es kommt weiter
in Betracht, dass die Tuberkel mit Vorliebe an pigmentfreien Stellen
angelegt werden, wie cs Thorei für seinen früher zitierten Fall von
Specksteinlunge annimmt. Auch tuberkulöses Alveolarexsudat wird
pigmentlos sein, da eben in zellig ausgestopfte Alveolen nichts von
Russ hineingelangen kann, höchstens, dass der in den Alveolarsepten
schon vorhanden gewesene liegen bleibt. So kommt es, dass, wie
schon früher von mir hervorgehoben wurde, tuberkulös-käsige Stellen
fast durchweg so gut wie kohlefrei gefunden werden. Nicht selten
sieht man um jene herum einen Wall von reichlichem Kohlepigment, -das
sich an dem Hindernis offenbar nachträglich angesammelt hat. Gelegent¬
lich konstatierte ich in käsigen Stellen, die sich durch die Anordnung der
vorhandenen, deutlich tingierten elastischen Elemente als aus tuber¬
kulöser Hepatisation hervorgegangen erwiesen, Kohlepigment um die
Elastmfasern herum — also im Verlauf der ehemaligen Alveolarsepten;
hier ist dann aber das ganze histiologische Bild ein derartig charak¬
teristisches, dass man trotz der Anwesenheit der Kohle nicht im Zweifel
sein kann, über den Charakter des Befundes. Nur ganz vereinzelt
konnte ich bei einer sehr grossen Zahl untersuchter tuberkulöser In-
durate käsig-nekrotische Stellen mit reichlicherer Kohleablagerung kon¬
statieren. Vallet meint zwar, dass unter Umständen (er beruft sich
auf einen Lungenfall) eine Einwanderung von Pigment in das käsige
Zentrum eines Tuberkels stattfinden kann durch Vermittelung der Kanäle
des gleichzeitig vorkommenden „Hyalins“ (kanalisiertes Fibrin). Meiner
Erfahrung nach ist ein derartiges Einwandern, wenn es überhaupt vor¬
kommt, ein höchst seltener Vorgang. Dass in den ganz wenigen von
mir beobachteten Fällen von Kohleablagerung in tuberkulös-käsige
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342
G. GOERDELER,
Stellen solche Vorlagen und nicht etwa bloss erweichtes Bindegewebe,
war daran klar, dass jene — es waren das grössere unregelmässige
Bezirke — eine ganz deutliche Abkapselung aufwiosen, sich so scharf
von ihrer Umgebung abhebend. Nun darf aber nicht vergessen werden, dass
in karnifiziertem Lungengewebe, vorzüglich auch in den Spitzen Verdichtungen,
die früher beschriebenen fibromartigen, nichttuberkulösen Gebilde Vor¬
kommen, dio teilweise im Zentrum Kohle enthalten; wenn dies Zentrum
erweicht, so werden wir im Schnittpräparat einen rundlichen kohle¬
haltigen Detritushaufen, umgeben von derbem Bindegewebe nach Art
einer Kapsel, antreffen, also etwas Aehnliches wie jene tuberkulös¬
käsigen, von Kohle durchsetzten, abgekapselten Stellen. Ich habe aber
vorhin gleich eingeflochten, dass letztere unregelmässig gestaltet sind,
ausserdem sind sie umfangreicher als jene fibromartigen Gebilde, die
einen Durchmesser bis 0,9 mm haben. Wenn demnach in der Ab¬
kapselung von kohlehaltigem Detritus ein Kriterium auf Tuberkulose
zu sehen ist — beim erweichten Bindegewebe findet sich ein allmäh¬
licher Uebergang in die verdichtete Umgebung ohne scharfe Grenze —
so gilt jener Satz mit der Einschränkung, dass kleine (0,8—0,9 mm
Durchmesser), rundliche, kohlehaltige Detritushäufchen, die eine binde¬
gewebige „Kapsel“ um sich haben, in den weitaus meisten Fällen er¬
weichte, fibromartige Bildungen sind, die ihr Entstehen der Kohle ver¬
danken.
Nächst der Pigmentierung ist auf das Verhalten der elastischen
Elemente zu achten. In tuberkulös-käsigen Stellen fehlen sie, wie
früher ausgeführt, entweder ganz oder, wenn vorhanden, treten sie bei
spezifischer Färbung deutlich und klar hervor. Degenerative Ver¬
änderungen hingegen zeigen die Elastinfasern nur innerhalb von karni¬
fiziertem Gewebe, speziell auch da, wo die Kollagenfasern in Fibrinoid
umgewandelt sind. Unter Umständen können solche entarteten Elastin¬
fasern körnig zerfallen, aber immer unter Einhaltung ihrer ursprünglichen
Gestalt. Schmidt untersuchte eine Anzahl von „Kollapsindurationen“
hinsichtlich des Verhaltens der elastischen Fasern; nur in einem Falle
fand er teils körnigen Zerfall dieser — wobei die Form des Fascr-
bündels eingehalten wurde — teils waren die körnigen Partien zu
homogener Substanz in Form grösserer Schollen konfluiert. Ich möchte
dazu bemerken, dass ich einen körnigen Zerfall gar nicht selten, jene
Schollenbildung ziemlich oft konstatierte, ln letzterem Falle sehen die
elastischen Faserknäucl bei schwächerer Vergrösserung wie gelbe, stark
gequollene Bindegewebsfasern aus, und erst bei stärkerer Vergrösserung
erkennt man ihre eigentliche Natur an dem charakteristisch gewundenen
Verlauf.
Wir haben somit Kriterien gefunden, um Stellen zweifelhaften
Charakters bewerten zu können. Finden sich in einer Verdichtung Stellen,
die sich zusammensetzen aus Bröckeln von gelben Fasern, körnigem
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Die Kriterien der abgelaufonen Tuberkulose der Lungen usw.
348
Detritus und entarteten Elastinfasern, durchsetzt von viel Kohle und die
ohne scharfe Abgrenzung in die Nachbarschaft übergehen, so nehme ich
hier erweichtes anthrakotisches Bindegewebe an. Grössere und un¬
regelmässige Bezirke von kohlehaltigem Detritus, die abgekapselt, bzw.
scharf abgesetzt sind, würde ich für tuberkulöser Herkunft erklären,
kleinere, rundliche derartige Bezirke als erweichte fibromartige Gebilde.
Schwierigkeiten bereiten solche strukturlose Stellen, dio kohlefrei sind.
Wenn ich vorhin auseinandersetzte, dass tuberkulös-käsiges Material im
allgemeinen kein oder nur Spuren von Pigment enthält, so ist damit
natürlich nicht ausgeschlossen, dass erweichtes Bindegewebe nicht tuber¬
kulöser Natur dasselbe Verhalten zeigt. Hier tritt zur Unterscheidung
das Verhalten der elastischen Fasern ergänzend ein. Sind solche über¬
haupt nicht zu erkennen oder treten sie, wenn vielleicht auch nur in
Fragmenten vorhanden, so doch gut gefärbt hervor, dann liegt tuber¬
kulöses Gewebe vor; sind Elastinfasern aber in schwach schmutzig¬
bläulicher oder gelblicher Tinktion und in alveolärer Anordnung gleich-
mässig verteilt zu konstatieren, dann supponiere ich erweichtes Binde¬
gewebe. Nun kommt es vor, dass sich beide Vorgänge, tuberkulöse
Verkäsung und einfache Erweichung, kombinieren. So findet man nicht
selten innerhalb von Induraten grössere, nicht scharf umgrenzte, kohle¬
arme Bezirke, die stellenweise rein körnigen Detritus, stellenweise
solchen und schwach gefärbte elastische Faserknäucl aufweisen. Bis¬
weilen fallen derartige Bezirke dadurch auf, dass an ihrem Rande,
ähnlich wie bei verkästen Tuberkelgruppen, ein reichlicher Pigraentwall
aufgehäuft ist; auch dieser letztere Befund wäre als nicht unwichtig für
die Beurteilung heranzuziehen, insofern, als er mir hierbei auf abgelaufene
tuberkulöse Vorgänge mit hinzu weisen scheint.
In seinem Falle von Specksteinlunge, der mit Tuberkulose kom¬
biniert war, macht Thorei aufmerksam auf ein ähnliches unterschied¬
liches Verhalten zwischen den tuberkulös-käsigen Stellen und den
nekrotisierten, durch die Reizwirkung des Pigments entstandenen Indu¬
rationen. Schrumpfen nämlich letztere, die zunächst aus Granulations¬
gewebe bestehen, so resultiere eine Kompression der in den Knoten
gelegenen Bronchial- und Gefässäste. Letztere können obliterieren.
Erfolgte die Obliteration schon in einer etwas früheren Periode, so
werden die grösseren Knoten im Inneren oder mehr am Rande
nekrotisch. Solche Stellen unterscheiden sich von verkästen tuber¬
kulösen dadurch, dass letztere Ricsenzellen kranzförmig um das
Nekrosegebiet enthalten, weiterhin dadurch, dass bei den tuberkulösen
„das nekrotische Zentrum noch stets von einem dicken Wall frischen
Granulationsgewebes umgeben ist, welches nach aussen zu das anliegende
Pigmentroaterial zu einem derben Staubring zusammengeschoben habe“.
Selbstverständlich soll nun nicht gesagt sein, dass an der Hand der
von mir angegebenen Kriterien in jedem einzelnen Falle eine sichere
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 3 n. 4. 23
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G. GOERDELER,
Beurteilung möglich ist; so und so oft wird man Befunde erheben, über
deren Natur nichts Positives auszusagen ist. Die allergrössten Schwierig¬
keiten hinsichtlich ihrer richtigen Wertung bieten die ganz unbedeutenden
kohlefreien Detritushäufchen, wie sic besonders in den knötchenförmigen
Pleura- und Lungenverdichtungen zwischen sklerotischen Bindegewebs¬
fasern Vorkommen. Hier wird aus dem blossen mikroskopischen Befund
gar kein Entscheid zu treffen sein über den Charakter der Verdichtung, nur
das Gesamtverhalten der betreffenden Lunge wird eventuelle Anhalts¬
punkte ergeben können. Als Beispiel sei der Fall 43 genannt: In ver¬
schiedenen der Pleuraknötchen haben wir hier kohlefreien körnigen De¬
tritus, so dass man, wenn nur das einzelne Knötchen berücksichtigt wird,
Tuberkulose zu diagnostizieren geneigt sein könnte; und doch rechne ich
diesen Fall als eine fragliche Tuberkulose. Die grössere Lungen¬
verdichtung ist meiner Meinung nach nicht tuberkulös, sie enthält nur
einfach erweichte Stellen; die fast gleichmässige Verteilung der Pleura¬
knötchen über sämtliche Lungenlappen spricht gegen einen spezifischen
Prozess, und auffallend wäre es vor allem, dass man weder im Bereich
der Pleura noch auch der vielfach verstreuter, intrapulmonalen Knötchen
etwas Positives in Form tuberkulösen Gewebes ermitteln^konnte, dass
alle die multiplen Lungen- und Pleuraindurate — Tuberkulose vor¬
ausgesetzt — in Heilung übergegangen sein sollten. In ähnliche Weise
beurteile ich den Fall 51. Die Anwesenheit einer Hiiuslymphdrüsc mit
alter Tuberkulose berechtigt nach dem, was ich früher ausgeführt habe,
nicht zu dem unbedingten Schluss, dass jene pleuralen Veränderungen
auch tuberkulösen Ursprunges sein müssten. Bei letzteren wäre ehe an
die Kohle als das erzeugende Moment zu denken.
Nicht bestimmt zu klassifizieren sind die Fälle 38 und 49. Bei
Fall 48 und 52 würde ich am ehesten an Tuberkulose denken wegen
der eigentümlichen Anordnung der fibromartigen Gebilde, desgleichen bei
Fall 53 wegen des in der betreffenden Lunge vorhandenen Käseherdes.
Dagegen rechne ich die Verdichtungen von Fall 54, trotzdem eine
alte verkäste Stelle sich fand, als „wohl nicht tuberkulös“ und zwar
in erster Linie wegen der gleichmässigen Verteilung der Knötchen in
beiden Lungen; überdies spricht ihre Struktur mehr für einfache Er¬
weichung; es sind höchst wahrscheinlich Septumkohleknötchen.
Als nicht-tuberkulös sehe ich an Fall 37 und 42.
Unter den Spitzen Verdichtungen, die ich zusammenfassend behandelt
habe, sind eine ganze Reihe, über deren Charakter zunächst nichts Be¬
stimmtes auszusagen ist, das sind die, wo sich hier und da zwischen
gelben Bindegewebsfasern kleine Häufchen von kohlefreicm Detritus
findet. Hier wird zur Klassifizierung auch wieder der sonstige Lungen¬
befund massgebend sein. Ist in nächster Nähe einer derartigen Ver¬
dichtung eine tuberkulöse Erkrankungsstelle zu konstatieren, so darf
jene als höchstwahrscheinlich gleicher Genese wie letztere gelten;
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
345
ist eine zugehörige Bronchial- oder Hiluslymphdrüse tuberkulös afG ziert,
so wird an die Möglichkeit eines tuberkulösen Ursprunges einer solchen
Lungeninduration zu denken sein, ebenso in dem Fallo, wenn an einer
entfernten Stelle der gleichen Lunge oder wenn in der korrespondierenden
Lunge etwas von Tuberkulose vorhanden ist.
Bemerken will ich nur noch, dass ich all die Indurate, die ich nach
Massgabe meiner Kriterien als sicher tuberkulös ansehe, schon in die Ab¬
teilung 2 rubrißziert habe; so kommt es, dass Abteilung 3 nur zwei Fälle von
Spitzeninduraten (nicht nummeriert) aufweist, die ich zur Tuberkulose rechne.
In den subpleural gelegenen Knoten von Fall 39, 46, 50 und 54
erblicke ich anthrakotisch indurierte, teilweise erweichte Pleura-
lymphknoten. Sie haben genau die gleiche Struktur wie vielfach die
schwarzen derben Hiluslymphdrüsen, von denen später die Rede sein wird.
Von Verkalkung und Knochenbildung gilt früher Gesagtes; als
entscheidende Kriterien kommen sie nicht in Betracht. Von Interesse
ist der Fall 47 a; hier erkennt man sehr schön die Umbildung karnifi-
zierter Bezirke zu Knochen unter Erhaltung der elastischen Elemente.
Etwas näher cingehen muss ich dagegen auf die Höhlenbildung,
wie wir sie dreimal (Fall 36, 44 und 45) gefunden haben. Das
Charakteristikum war, dass die Wand der Höhlen aus kohlehaltigem,
zerbröckelndem, teilweise wie zerfetzt aussehendem Bindegewebe besteht
und ihr Inneres angefüllt ist — wenn auch nicht vollkommen — mit
reichlich Kohle, breiten gelben Bindegewebsfaserbröckeln und etwas
körnigem, amorphem Material. Also ein völlig anderes Aussehen als
das einer tuberkulösen Kaverne. Auch in dem anthrakotisch indurierten
Pleuralymphknoten (Fall 54) machte sich eine kleine Höhlenbildung,
genau in der gleichen Weise, bemerkbar, ferner in einem kleinerbsen¬
grossen, Gbrösen, im Inneren kohlehaltigen Pleuraknoten, wie ihn Fig. 7
wiedergibt. Es kann keine Frage sein, dass jene Höhlen einem einfachen
Er weich ungs Vorgang innerhalb eines stark kohlehaltigen Bindegewebes
ihre Entstehung verdanken. Als Vorstadium dafür wäre zum Beispiel
der Fall 3 zu betrachten, wo wir vorerst nur ein beginnendes Zer¬
bröckeln des Gewebes fanden.
Wie stellen sich nun die verschiedenen Autoren zur Frage der anthra-
kotischon Kavernenbildung?
Die Annahme, dass Anthrakose Kavernenbildung verursachen kann, muss naoh
Aufrecht abgelehnt werden.
Ribbert sagt: „Es ist zweifellos ein Irrtum, wenn man diese Höhlenbildungen
von der Kohle allein abhängig gemacht hat. Wie sollte es auch möglich sein, dass
sie zum Zerfall führt? Es handelt sich immer um eine früher einmal deutlich er¬
kennbare, dann allmählich in schiefrige Induration übergegangene Tuberkulose.“ lt.
beruft sich dabei darauf, dass „manchmal“ in den makroskopisch soheinbar rein anthra-
kotischen „Herden“ histiologische Kriterien von Tuberkulose zu konstatieren seien.
Zenker dagegen und Seitmann sprechen sich für die Möglichkeit anthra-
kotischor Kavernenbildung aus.
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346
G. GOERDELER,
Arnold hat in seiner Monographie aber derartige Vorkommnisse in den Langen
zwar nichts raitgeteilt, jedoch betont er, dass innerhalb anthrakotischer Lymphdrüsen
nekrotische Erweichungen ganz unabhängig von eitrigen und käsigen Umwandlungen
sich finden, und nach Kaufmann können sich innerhalb der Kohlebezirke Höhlen
bilden von meist unregelmässiger Gestalt, die von schwarzen torfartig bröckeligen
Massen umgeben und mit einem schwarzen tuscheartigen Brei gefüllt sind.
Wie wir sahen, neigt das Bindegewebe der Lungenverdichtungen sehr
zu Degeneration; sind nun in jenem durch massenhafte Kohlepigment¬
ablagerung die Gewebsspalten ausgestopft und ist damit die Lymph-
zirkulation unterbunden, so darf es kaum Wunder nehmen, wenn eine
Auflösung schon entarteten Bindegewebes erfolgt, ein nach meiner und
anderer Autoren Meinung gar nicht seltener Prozess. Besonders ist noch
der Fälle 34 und 44a zu gedenken; in letzterem haben wir sicher, in
ersterem wahrscheinlich ein stark erweitertes Lymphgefäss mit Inhalt
vor uns, und hier wäre daran zu denken, dass bei Verkalkung dieses
Inhalts ein Gebilde zustande käme, das täuschend ähnlich sähe einer ver-
kreideten, abgekapselten, tuberkulös-käsigen Stelle.
Seltene indnrative Lnngenprozesse.
Hiermit wäre eigentlich die Besprechung der von mir untersuchten
indurativen Lungenprozesse abzuschliessen. Um aber das Thema, das
ich mir gestellt hatte, erschöpfend zu behandeln, muss ich noch mit
einigen Worten auf die luetischen Veränderungen eingehen, aus dem
Grunde, weil die abgelaufene Lungentuberkulose und syphilitische
Indurate ausserordentlich ähnliche Bilder liefern können.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die Literatur.
Nach Virchows Erfahrung ist von luetischen Lungenerkrankungen am
häufigsten eine multipel auftretende, chronisch indurative Pleuropneumonie oder
Bronchopneumonie, die entweder an der Oberfläche des Organs oder im Bereiche der
mittleren und kleineren Bronchen derbes Schwielengewebe erzeugt; diese Verdich¬
tungen haben an der Oberfläche der Lunge häufig den „narbenartigen“, im Inneren
mehr den knotigen Charakter; sie bestehen aus derbem, sklerotischen Bindegewebe,
das durch Aufnahme von Kohlepigment ein geflecktes oder fast rein schwarzes Aus¬
sehen annimmt. Solche Stellen werden über walnussgross; nicht selten sieht man in
ihnen gelbliche, jedoch nicht käsige Bezirke als Ausdruck einer Fettmetamorphose.
V. bemerkt, dass er spezifische Unterschiede von der chronischen Pneumonie der
Schleifer nicht anzugeben vermöge.
Auf Grund eines Falles von ausgedehnter syphilitischer Lungenerkrankung, die
zu totaler Induration der einen Lunge geführt hatte, kommt Storch zu dem Resultat,
dass die akquirierte Lungensyphilis meist zunächst als umschriebene, gummöse
Veränderung auftritt; im Anschluss daran bilden sich mehr diffuse, peribronchitische
und interstitielle Prozesse aus, teils entzündlich granulierender, teils rein hyperplasti¬
scher Natur; letztere Form scheine der Syphilis ausschliesslich anzugehören. Die
gummösen Prozesse führen teils zu Zerfall und Höhlenbildung, teils ebenso wie die
sekundären Prozesse zu Ersatz des Parenchyms durch Bindegewebe.
In einem Falle von gummöser Syphilis, der die rechte Lunge betraf, fand
Stolper in der linken Lungenspitze eine kaum taubeneigrosse, höckerige Verdichtung
von schiefrigem Aussehen mit eingestreuten grauen, unter dem Messer knirschenden
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
347
Knötchen. Pleura mit den Rippen an dieser Stelle verwachsen. Die Lunge anschei¬
nend nicht besonders kohlereioh. Die Verdichtung erwies sich als schwieliges Binde¬
gewebe mit reichlichem Kohlepigment; die harten Knötchen waren völlig verkalkt;
frischere Erkrankungsstellen, die über die Natur dieser ausgeheilten Prozesse Auf¬
schluss hätten geben können, waren nicht auffindbar. „Es sind also Residuen einer
zirkumskripten Pneumonie, wie sie freilich ausgeheilte Tuberkulose oft hinterlässt,
wie sie auch aber ebenso oft als reine Fremdkörperentzündung bei Staubinhalation
und Kohleinhalation Vorkommen 44 (Tuberkelbazillen konnte Autor nicht finden). Die
Verkäsung ira Gumma bietet nach S. manches Eigenartige, besonders auffallend in
der Lunge. „Obwohl nämlich die vorkästen Partien keine Kernfärbung annehmen,
lassen sich doch die Grundzüge der einstigen Struktur noch hinreichend klar er¬
kennen. Man unterscheidet die einzelnen Alveolen, man sieht Gefäss- und Bronchial¬
lichtungen in diesen sonst so indifferenten scholligen Massen. Bei ebenso umschriebenen
Knoten tuberkulöser Natur lässt sich das kaum, jedenfalls aber nioht in solcher
Deutlichkeit beobachten; in diesen scheint vielmehr ein innigeres Zusammenschmelzen
des abgestorbenen Gewebes stattzuhaben.“ Ein weiteres unterscheidendes Merkmal
sieht S. bei dem von ihm beschriebenen Fall in der starken hämorrhagischen In¬
farzierung um die käsigen Knoten, was um Tuberkel nicht resp. nicht in erheblichem
Grade zu finden sei. Ferner pflege der Sitz der Tuberkel mehr die Lungenspitze zu
sein, der Sitz der Gummata der Unter- resp. Mittellappen. Die Tuberkulose sei meist
doppelseitig, die Syphilis vorwiegend einseitig. Die fibröse Reaktionszone dürfte um
den Tuberkel selten so fest und breit gefunden werden wie beim Gumma. Die lueti¬
schen Indurationen spielen sich, wenigstens zu Beginn der Erkrankung, überwiegend
in der Nähe des Hilus ab. Das Spezifische der syphilitischen Lungenerkrankung und
das eine sichere Diagnose am ehesten Ermöglichende sei in der Bindegewebswucherung
zu sehen, wie sie sich besonders an den Gefässen und um die Bronchien etabliere.
„Nicht so sehr in einer besonderen histiologischen Eigenart des Krankheitsprozesses
liegt das unterscheidende Merkmal der syphilitischen Lungeninduration, als vielmehr in
dem Ausgangspunkt, welchen die Veränderung nimmt und in den Bahnen, welche
sie einschlägt.“ Auch die Tuberkulose könne eine diffuse „Zirrhose“ erzeugen; jedoch
sei nicht denkbar, dass ein derartiger Prozess von erheblicher Ausdehnung be¬
obachtet würde, ohne dass man in der Nachbarschaft frischeren tuberkulösen Herden
begegnete.
Sugai sieht bei einem von ihm untersuchten Falle (multiple Knotenbildung in
der rechten Lunge) das Charakteristische des histiologischen Befundes ebenfalls darin,
dass die verkästen Stellen nicht strukturlos waren, sondern noch der ursprüngliche
Bau und Verlauf der Gefasse und der Bronchen und die Alveolen hervortraten, ferner
darin, dass man fettiger Metamorphose, aber keinen Langhansschen Riesenzellen
begegnete. Sohon makroskopisch zeichneten sich die Knoten aus durch ungemein
feste Beschaffenheit und glänzend grauweissliches, marmorartiges Aussehen der
Schnittfläche, die zentralen, verkästen Stellen der Knoten zeigten fast gar keine
Neigung zum Zerfall und fühlten sich mehr elastisch an. Ausser der Knotonbildung
bestand Bindegewebsvermehrung in Form grauweisser, derber Züge, die das Parenchym
in einzelne Abschnitte teilten und um kleinere Bronchien und Gefässe blitzfigurartige
Zeichnungen bildeten, dabei in die Gummiknoten übergehend. Die Wucherung des
Bindegewebes war am stärksten am Hilus. Das ganze Organ war sehr klein, Pleura
erheblich verdickt.
Koch beobachtete einen Fall von ausgedehnter interstitieller und desquama¬
tiv er Pneumonie mit fibröser Peribronchitis, bronchiektatischen Kavernen und er¬
weichten Gummiknoten und Schmorl einen solchen mit multipler miliarer Knötchen¬
bildung aus Granulationsgewebe um die kleinsten Bronchien herum, so dass das ganze
Gebilde einer obliterierenden Bronchiolitis täuschend ähnlich sah.
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348
G. GOERDELER,
Es scheint mir danach, als ob man bei der Lungensyphilis Er¬
wachsener verschiedene Typen zu unterscheiden habe: 1. Vorwiegend
gummöse Form (Fälle von Stolper und Schmorl); 2. vorwiegend pro¬
duktiv-fibröse Form (Fall von Storch); 3. Mischform — Gummiknoten und
Bindegewebsneubildung in gleichem Verhältnis (Fall von Sugai). Ein
desquamativ-pneumonischer Prozess als auf Lues beruhend, wie ihn
Koch beschreibt, dürfte wohl keine allgemeine Anerkennung finden,
wenigstens nicht in bezug auf den Erwachsenen.
Uns interessiert hier nur das verkäste und abgekapselte Gumma
und die syphilitische Induration. Alle Autoren sind sich darüber einig,
dass die Differentialdiagnose dieser beiden Prozesse gegenüber der käsigen
und indurierenden Tuberkulose an einem Organ wie die Lunge die aller-
grössten Schwierigkeiten bereitet, eigentlich kaum möglich ist (Orth,
Kaufmann, Flockemann, Herxheimer).
Nach Flockemann gibt es keino spezifisch-anatomischen Charaktere,
aus denen man die sichere Diagnose auf Lungensyphilis stellen könne,
welche Ansicht auch Herxheimer in seinem grossen Sammelreferat im
wesentlichen vertritt.
Wenn Stolper und Sugai ein unterschiedliches Verhalten des ver¬
kästen Gummas und käsig-tuberkulöser Stellen hinsichtlich der histiolo-
gischen Struktur feststellen wollen, so muss ich darauf hinweisen, dass
auch gerade in letzteren vielfach die ursprünglichen Strukturverhältnisse
ausserordentlich deutlich erkennbar hervortreten: alveolär angeordnete
elastische Fasern und Reste von Gefässen resp. Bronchen in Form
schön gefärbter Elastin faserringe mit Kollagen ringsherum (vergl. Fig.3).
Die Untersuchung auf Spirochäten, die als das nächstliegende in
zweifelhaften Fällen erscheint, hat aus dem Grunde mit Schwierigkeiten
zu kämpfen, weil in den Lungen schon bei verschiedenen nichtspezifi¬
schen Krankheitsprozessen Spirochäten konstatiert und weil die patho¬
genen Spirochäten in so alten Veränderungen längst geschwunden sind.
Das Tierexperiment ist auch hier nicht geeignet, unzweideutige Resultate
zu liefern; denn es ist noch zu berücksichtigen, dass die syphilitischen
Lungenveränderungen eine besondere Neigung zu sekundärer tuber¬
kulöser Infektion besitzen (v. Hanse mann). Auch das Umgekehrte
scheint Vorkommen zu können.
Rindfleisch demonstrierte gelegentlich der66. Naturforscherversammlungeine
erbsengrosse Kaverne einer Lungenspitze, welche die Mitte eines kleinknotigen, von
Schwielen durchzogenen und umfassten Infiltrates bildete. Die Knoten waren teils
hanfkorngross und dann richtigesyphilitischeGummata, teils kleinere miliare Tuberkel;
letztere in faseriger Metamorphose begriffen; Konglomerate von miliaren Tuberkeln
waren von schwieligem Bindegewebe umfasst. Der Betreffende, von dem das Präparat
stammte, hatte zuerst eine tuberkulöse, später eine vehemente luetische Infektion
durchgemacht. R. nimmt an, dass unter Umständen das tuberkulöse „Granulom“
durch hinzutretende Lues von einer Schwielenbildung eingekapselt wird, also eine
Art Heilwirkung der Syphilis auf Tuberkulose.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
349
v. Hansemann pflegt eine Lungeninduration als syphilitisch zu be¬
trachten, wenn sie bei erheblicher Ausdehnung frei ist von käsigen Ein¬
schlüssen, wenn sic strahlige Beschaffenheit hat und die Oberfläche der
Lunge einzieht, wenn sonstige syphilitische Veränderungen im Körper
vorhanden sind und tuberkulöse fehlen. „Freilich können auch syphiliti¬
sche Narben zurzeit käsige Einschlüsse haben, bevor dieselben gänzlich
resorbiert sind. Nach dem, was wir gesehen haben, könnten auch
Tuberkelbazillen darin enthalten sein. Aber dann stehen wir einem non
liquet gegenüber.“ —
Am ehesten wird man noch die produktiv-fibröse Form der Lungen¬
syphilis, wenn sie in besonderer Mächtigkeit und nur an einer Lunge
vorkommt, einigermassen sicher gegenüber alter Tuberkulose abgrenzen
können; im übrigen aber haben ganz entschieden Flockemann und
üerxheimer recht, wenn sie spezifisch anatomische Charaktere für die
luetischen Lungenerkrankungen ablehnen. Die von v. Hansemann an¬
gegebenen Kriterien erscheinen mir nicht stichhaltig, denn auch tuber¬
kulöse Verdichtungen können strahlig sein; das Vorhandensein ander¬
weitiger syphilitischer Veränderungen im Körper bei gleichzeitigem
Fehlen von sicher erkennbarer Tuberkulose darf nicht dafür verwertet
werden, ein Lungenindurat, selbst wenn es strahlig gestaltet ist, als
luetischen Ursprunges zu erklären; eine derartige Verdichtung kann
eine abgelaufene Tuberkulose, vielleicht auch nur ein „gewöhnliches“
Indurat sein, unabhängig von der Lues entstanden. Da über die Häufig¬
keit des Vorkommens von Lungensyphilis nichts bekannt ist, ist cs
andererseits nicht undenkbar, dass gelegentlich indurierte und käsige Stellen,
die für tuberkulös angesehen werden, luetischen Ursprunges sind.
Ausser den luetischen Krankheitsprodukten können gewisse Pscudo-
tuberkulosen sowohl im makroskopischen wie im mikroskopischen Ver¬
halten zum Verwechseln ähnlich aussehen wie echte Tuberkulose.
Flexner beschreibt eine Pseudotuberkulose, hervorgerufen durch eine Strepto-
thrix. Hier fanden sich in den Lungen neben diffuser Infiltration verkalkte Knötchen
und verschieden grosse käsige Stellen, die zum Teil in beginnender Erweichung
waren. Innerhalb des diffusen Lungenexsudates waren Knötchen genau vom Bau
der Tuberkel. Tuberkulose konnte durch Untersuchung von Abstricbpräparaten und
durch Tierexperiment mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Als besondere Rarität sei dann noch ein Fall von Kockel angeführt. Es
handelte sich um eine apfelgrosse Kaverne im linken Oberlappen, deren Wandung
aus einer dünnen Lage fibrösen Gewebes bestand und mit wenig Eiter bedeckt war;
im Inneren der Kavorne ein muschelartiger Körper von bröckeliger Konsistenz, der
eine Vegetation von Aspergillus fumigatus darstellte. K. lässt es unentschieden,
ob hier Verschimmelung in einer bereits vorhanden gewesenen bronchektatischen
Höhle vorlag oder das Endprodukt einer primären bzw. sekundären Lungen¬
verschimmelung. —
Mag es •‘■ich auch bei den syphilitischen und den ihnen soeben an¬
geschlossenen Veränderungen um seltene Befunde handeln, sio beweisen,
dass andersartige als tuberkulöse Lungenprozcssc Endstadien haben, die
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350
G. GOERDELER,
sich in nichts unterscheiden von den Endausgängen der Tuberkulose.
Es würde zu weit führen und soll daher nur angedcutet werden, dass
das Entsprechende von Gangrän, Abszessen und Achnlichem gilt. Hier
in den Lungen wie in den übrigen Organen vermögen verschiedenartige
Ursachen einander nahestehende anatomische Prozesse und überein¬
stimmende Ausgänge dieser hervorzurufen. —
Scblnssergebnis betreffs der Lungen- nnd Plenraindnrationen.
Es sei mir gestattet, an dieser Stelle kurz die wichtigsten Punkte
meiner bisherigen Ausführungen speziell bezüglich der Indurationsprozesse
hervorzuheben. Wir fanden kleinere und grössere, mehr oder weniger
umschriebene Kami fikationen bzw. diffuse Bindegewebsneu¬
bildungen, die umfangreicheren zum Teil mit Bronchektasenbildung,
strangförmige Septumverdichtungen, ferner fibröse intrapulmonalc
Septumknötchen bzw. Septumknoten, fibröse Pleuraknötchen, in-
durierte Lymphknötchen, umschriebene Pleuraschwielen und
Lungenspitzenverdichtungen.
Von letzteren stellen die „Spitzenkappen“ einen häufigen und
typisch zu nennenden Befund dar. Wie schon früher erwähnt, ist die
Lokalisation dieser „Kappen“ der am meisten kranialwärts gelegene
Abschnitt der Lungenspitzen; es gibt aber auch Indurate vom Kappen¬
typus, die etwas unterhalb der Spitzenkuppel dorsalwärts, gelegentlich
auch ventralwärts zu finden sind.
Als ebenfalls typische Befunde wegen ihres häufigeren Vorkommens
— bei gleichartigem Bau — möchte ich des weiteren bezeichnen die
multipel und diffus verteilt auftretenden fibrösen Pleura- und Lungen¬
septumknötchen fKohleknötchen/.
Spitzenindurationen, die — makroskopisch vielleicht unverdächtig
— ihrer histiologischen Struktur nach — ich denke dabei an jene Ge¬
bilde, die höchstwahrscheinlich oder möglicherweise fibröse Tuberkel
sind — den Verdacht auf Tuberkulose erwecken, trenne ich von den
Spitzenkappen ab. Liegt in der Nähe derartiger suspekter Indurate
eine sicher tuberkulöse Erkrankungsstelle, so zähle ich erstere
unbedingt zu den Tuberkuloseresiduen.
Eine Spitzenverdichtung vom Kappentypus, ebenso einen ander¬
weitigen karnifizierten Bezirk, betrachte ich als möglicherweise ab¬
geheilte Tuberkulose, wenn in nächster Nähe eine tuberkulöse
Erkrankungsstelle vorhanden ist. und als höchstwahrscheinlich
tuberkulös dann, wenn unter gleichen Umständen die Verdichtung bei
der mikroskopischen Untersuchung Befunde aufweist, die sowohl er-
weichtes Bindegewebe wie tuberkulös-käsiger Detritus sein können
d. h. hie ur.d da im Gewebe etwas amorphe, kohlefreie .Substanz,».
Bei Induratcn mit solchen, hinsichtlich ihrer Deutung zweifelhaften,
mikroskopischen Befunden, wurde ich, wenn die zugehörigen ßronchial-
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Die Kriterien der abgelanfenen Tuberkulose der Lungen usw. 351
4
oder Hiluslymphdrüsen oder wenn die gleiche Lunge an einer entfernten
Stelle oder wenn die korrespondierende Lunge tuberkulös erkrankt ist,
an die Möglichkeit tuberkulösen Ursprungs denken. Anderenfalls ist
die Frage nach der Entstehung derartiger Verdichtungen offen zu lassen,
ich würde mich sogar nicht scheuen, letztere dann als nur „gewöhnliche“
zu bezeichnen.
Es liegt kein Grund vor, ein an sich unverdächtiges Spitzenindurat
als Tuberkuloseresiduum zu erklären, wenn die andere Lungenspitze
tuberkulös erkrankt ist.
Von Wichtigkeit ist es, umfangreichere Verdichtungen im Spitzen¬
bereich, auch wenn sie für das unbewaffnete Auge wie gewöhnliches
schiefrig-induriertes Gewebe aussehen, auf jeden Fall mikroskopisch
nachzuprüfen.
Keinen Anhaltspunkt für Tuberkulose bieten die isoliert oder zu
wenigen, gruppenweise auftretenden Pleura- und Lungenseptumknötchen;
nur, wenn in nächster Nähe eine tuberkulöse Stelle sich findet, ist an
die Möglichkeit tuberkulöser Genese jener zu denken, zumal dann,
wenn die Knötchen im Inneren kohlefreien Detritus enthalten; letzterer
kann aber nicht nur tuberkulös-käsiges Material, sondern auch erweichtes
Bindegewebe sein.
Genetisch unklar sind die einzeln auftretenden strangförmigen
Septumverdichtungen; es spricht aber bei ihuen nichts für Tuberkulose.
Tuberkulose der Hilusdrüsen berechtigt nicht eine in der zugehörigen
Lunge gelegene, an sich unverdächtige Schwiele als tuberkulös anzusehen.
Was die Pleuraschwielen anlangt, so ist die Möglichkeit eines
tuberkulösen Ursprungs dann ins Auge zu fassen, wenn in nächster
Nähe eine tuberkulöse Erkrankungstelle zu finden ist. Es liegt keine
Veranlassung vor, eine Schwiele des Brustfells, gleichviel in welchem
Lungenabschuitt gelegen, als Tuberkuloseresiduum zu betrachten, wenn
an einem entfernten Orte der nämlichen Lunge oder in einer zugehörigen
Bronchial- oder Hilusdrüse eine tuberkulöse Affektion besteht, noch
weniger dann, wenn die Pleuraverdichtung allein für sich oder im
Verein mit einer gewöhnlichen Lungeninduration vorkoromt. —
Ich verlasse nunmehr dies Thema und gehe über zur Besprechung
der Lymphdrüsenveränderungen, die für die vorliegende Arbeit in
Betracht gezogen sind.
Eigene Untersuchungen.
Um beurteilen zu können, in wieweit schwielige Prozesse in Lymph-
drüsen des Lungenhilus als auf Tuberkulose beruhend zu erachten seien,
war es natürlich geboten, eine grössere Reihe von Lymphdrüsen mit
sichergestellten tuberkulösen Veränderungen speziell älterer Natur
(d. h. solche mit alten käsigen Einschlüssen) zu untersuchen; die Untor-
suchungsresultate sollen im folgenden kurz zusammengefasst werden:
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G. GOERDELER,
352
Normales Gewebe, das fast stets gleiciunässig schwarz pigmentiert ist, meist nur
in kleinen Resten vorhanden, ab und zu aber auch in grosserem Umfange. Im übrigen
sklerotisches, kohlearmes Bindegewebe, dessen Koliagenfasern teilweise gelb oder
rötlichgelb tingiert sind, zuweilen von hyalinem Charakter, in unregelmässigen Zügen;
häufig zwischendurch sehr kohlereiches lockeres Bindegewebe; die Kohleanhäufung
zuweilen so stark, dass die Gewobsstruktur nicht zu erkennen. Selten sind die skle¬
rotischen Bestandteile selbst stärker pigmentiert. Die sklerotischen Fasern können in
Verflüssigung übergehen, erkenntlich an Aufquellung und Bildung runder Lücken, in
denen Kohlepigment liegt. Ferner kommt vielfach Erweichung grösseren Umfanges
vor, wobei sich kleinere oder grössere, unregelmässige und an den Rändern ver¬
waschene Stellen bilden, bestehend aus feinkörnigem Detritus, Trümmern von fibrinoid
entarteten Bindegewebsfasern und Kohle. Solche Stellen sehen oft grob rissig aus
und enthalten dann auch nadelförmige Lücken (Ablagerungsstellen von Fettsäure-
kristallen?). Auf diese Weise bilden sich gelegentlich mit Tuschebrei gefüllte Höhlen.
Sklerotisches gefässarra, Erweichtes gefiässfrei. Die käsigen Stellen, teilweise verkalkt,
stets scharf abgegrenzt durch eine bindegewebige Kapsel; sie sind weit über¬
wiegend fast frei von Kohle; nur zweimal konnte ich innerhalb derartiger Stellen
eine stärkere, fleckweise Pigmentierung konstatieren. Gelegentlich im käsigen Material
Gefässreste in Form gut gefärbter elastischer Faserringe. Einige Male ausgedehntere
kohlefreie, körnig-nekrotische Abschnitte mit nur stellenweise angedeuteter
bindegewebiger Abkapselung; hier gingen die Randpartien vielfach unmerklich über in
einen stark kohlehaltigen mit Fascrbröckeln untermischten Detritus. Ziemlich oft
innerhalb der verdichteten Partien kleine rundliche oder ovale, einzeln oder nahe bei
einander gelagerte und dann sich gegenseitig abplattende, durch konzentrische An¬
ordnung der derben, teilweise gelb gefärbten Koliagenfasern scharf abgesetzte Stellen,
so gut wie kohlefrei. Zweimal derartige Bildungen inmitten von normalem Gewebe,
dessen Retikulum in der Nachbarschaft jener etwas verdickt. Vereinzelt in diesen
rundlichen Stellen ein zentral oder exzentrisch gelegenes Gcfässchen erkennbar, daher
der Schluss berechtigt, dass derartige Gebilde Querschnitte verdickter Trabekel sind.
Zweimal in ein und derselben Drüse Uebergangsformen von rein zeitigen, verkäsenden
Tuberkeln zu solchen mit reichlichen kollagenen Fasern. Einmal neben den er¬
wähnten scharf abgesetzten, fibromartigen Gebilden auch deutlich sich abhebende,
runde Stellen, die aus maschig angeordneten Bindegewebsfasern mit eingelagertem
körnig-nekrotischen Material bestanden; diese Stelle so gut wie kohlefrei. Einige
Male bei ein und derselben Lunge Hilusdrüsen mit Tuberkeln bzw. käsigen Stellen
und solche nur mit Induration und Kohleablagerung, einmal daneben auch ein auf
das stärkste indurierter Lymphknoten mit wenig Kohle.
Betrachten wir nunmehr die Bronchial- und Hiluslymphdrüsen,
die zu den unter Abteilung 1 zusarnmengefassten Fällen gehören
(Gruppe 1!).
Man kann hier alle möglichen Uebergänge von der einfachen Hyperplasie mit
Kohlepigmentierung bis zur völligen schwieligen Umwandlung antreffen. Zum Beispiel
nur Verdickung der Trabekel, die wenig Kohle enthalten, bei starker Pigmentierung
des normalen Parenchyms. Dann wieder ausgedehnte diffuse Bindegewebsbildung,
wobei das faserige Gewebe in verflochtenen Zügen verläuft, meist ein Gemisch von
derb- und feinfaserigem; das derb sklerotische kohlearm, letzteres kohlereich. Neben
dem neugebildeten, faserigen mehr oder weniger erhaltenes, von Kohle durchsetztes,
normales lymphatisches Gewebe; der Uebergang in das normale Gewebe kein jäher,
vielmehr derartig, dass sich in letzteres kleine Streifen von Bindegewebe hinein¬
schieben — offenbar wohl verdickte Trabekel. Innerhalb des noch erhaltenen Drüsen¬
gewebes auch einzelne scharf umschriebene, rundliche, fibromartige Gebilde —
entschieden Querschnitte verdickter Trabekel. Weiter findet sich eine Verdickung des
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bindegewebigen Retikulums, wobei dieses eine hyaline Beschaffenheit annimmt;
die Verdickung kann zirkumskript, in Knötchenform auftreten, wie man das auch
anderweitig bei chronisch-entzündlichen Prozessen innerhalb derLymphdrüsen
beobachtet. Schliesslich kann von dem lymphatischen Gewebe überhaupt nichts oder
nur minimalo Reste erhalten, bzw. erkennbar sein — meist handelt es sich dann um
einzelne kohlefreie Sekundärknötchen — im übrigen Alles umgewandelt in Binde¬
gewebe von der beschriebenen Struktur. In solchen indurierten Drüsen die Kohle¬
ablagerung bisweilen so stark, dass stellenweise die Gewebsstruktur völlig unkennt¬
lich wird. Die Kapsel dann stark verdickt, aber köhlearm. In den erheblicher
indurierten Drüsen vielfach Kalkablagerung in diffuser Form, die sich markiert durch
Knirschen beim Hineinschneiden. Einmal wurde ein Knoohenplättchen gefunden,
das sich makroskopisch als kleine gelbliche, „kreidige“ Einlagerung ausnahm.
Von besonderer Wichtigkeit dürften Befunde sein, wie sie erhoben wurden an
schiefrig indurierten Hilusdrüsen, die in engster Verbindung standen mit den be¬
nachbarten grösseren Gefässen und Bronchen. Hier zeigte das indurierte Gewebe am
Hilns eine sehr diffuse Begrenzung, es fand sich vermehrtes Bindegewebe und Kohle
auch ausserhalb der Drüse im Hilusfettgewebe, um das Gefäss herum bis in die Gefass-
wand und dicht an dem Knorpel selbst bis in die Bronchialschleimdrüsen. Eingestreut
darin koblefreie bzw. kohlearme Stellen, genau wie bei Anthrakose der Lymphdrüsen;
auch die verflochtene Anordnung des neu gebildeten Bindegewebes die nämliche. In
jenen Fällen hoben sich die Drüsen teils überhaupt nicht ab ausser durch die grössere
Menge der Kohle, teils durch wenig lymphoide Bestandteile.
Das Bindegewebe der anthrakotischen Drüsen, speziell die sklerotischen Bestand¬
teile, die durchgängig äusserst gefässarm sind, nehmen vielfach die gelbe Farbe des
Fibrinoids an; die breiten Fasern nicht selten wie aufgequollen, mit rundlichen Lücken,
dem Ausdruck des Verflüssigungsprozesses, den das Fibrinoid eingeht. Es finden sich
auch fibromartige Bildungen aus derben Fasern bestehend, kohlearm oder stark
kohlehaltig. Häufig Höhlungen mit tuscheartigem Brei gefüllt, die Wandung be¬
stehend aus zerbröckelnden, sklerotischen Bestandteilen — wir haben es also mit einem
Erweichungsprozess zu tun, der uns hinüberleitet zu den Veränderungen, deren
Charakter zunächst ganz zweifelhaft ist hinsichtlich ihrer Genese. Hier sei nur noch
bemerkt, dass an den anthrakotischen, indurierten Lymphdrüsen, die in festem Zu¬
sammenhang mit einem Brouchus stehen, Befunde erhoben werden können, die be¬
ginnende Erweichung darstellen und sicherlich nicht auf Tuberkulose zurück¬
zuführen sind. Bisweilen nämlich ist die fest mit der Bronchialwand verlötete Kapsel
an einer Stelle unterbrochen, und hier lagert eine gelbe, strukturlose, nicht eigent¬
lich körnige, eher faserig aussehende Substanz, durchsetzt mit Kohle, sich eine
Strecke weit sowohl in die Drüse ausbreitend, als auch in der Bronchialwand durch
den benachbarten Knorpel hindurch, einen Defekt in ihm setzend, bis in die Sub¬
mukosa der Schleimhaut. Nichts von tuberkulösem Gewebe in der Umgebung, auch
keine Abkapselung ringsherum. An weiteren mikroskopischen Schnitten desselben
Präparates findet man gewissermassen das Anfangsstadium dieses Vorganges; hier
ist Kapsel und Knorpel gut erhalten, aber an umschriebener Stelle durchsetzt von
Kohlepigment, das in Form einer Strasse hindurchzieht und sich in die Submukosa
ausbreitet.
Ich gehe schliesslich über zu den Bronchial- und Hilusdrüsen mit
Befunden, deren Deutung zunächst Schwierigkeiten bietet, ob es sich um
tuberkulös-käsiges Material oder erweichtes Bindegewebe handelt.
(Gruppe 2!).
Makroskopisch betrachtet sehen diese Drüsen schiefrig aus, sind wenig oder er¬
heblicher vergrössert, meist derb, einige knirschen beim Durchschneiden, bei einzelnen
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finden sich kleine gelbliche oder schwärzlich-gelbliche, harte Einlagerungen. Die
histiologische Struktur recht verschieden: Da findet man Lymphdrüsen, die nur
noch wenig oder fast gar kein normales Gewebe aufweisen; bei schwacher Vergrösse-
rung hie und da Züge rot gefärbten, kollagenen Gewebes erkennbar, zwischendurch
sieht alles gelb aus ohne besondere Struktur; das Ganze von Kohlepigment durch¬
setzt, hier mehr, dort weniger; bei stärkerer Vergrösserung tritt in den gelben Feldern
eine Gewirr feiner, gelbroter und gelber Fasern hervor, dazwischen amorphe, grob¬
körnige Substanz, von der nicht mit Sicherheit zu entscheiden ist, ob es sich da
um nekrotische Zellen oder quer getroffene gelbe Fasern handelt; ausser diesem grob¬
körnigen Material kommt vielfach feinkörniger, mehr oder minder mit Kohle durch¬
setzter Detritus vor; nur ganz spärlich kleine Gefässchen.
Bei anderen Lymphdrüsen ein ähnliches Bild, nur im Bereich der peripheren
Teile reichlicher derb-fibröses Gewebe in regelloser Anordnung und zwischen der grob¬
körnigen Substanz, die sich besonders in den inneren Abschnitten findet, breitere
gelbe oder gelbrot tingierte Fasern; der periphere, sklerotische Abschnitt enthält
wenig, der übrige reichlich Kohle, aber unregelmässig. Bei derartigen Lymphdrüsen
können die nicht rein fibrösen Bezirke grob-rissig aussehen oder durchsetzt sein von
feinen nadelformigen Spalten. Diese groben Risse erweitern sich unter Umständen
zu unregelmässigen Hohlräumen, die zum Teil ausgefüllt sind von Gewebsbröckeln,
bestehend aus gelb oder gelbrötlich gefärbten, meist kurzen, wie abgerissen aus¬
sehenden Bindegewebsfasern und aus amorphem grob- oder feinkörnigen Material,
untermischt mit Kohle (vergl. Fig. 8). Diese Gewebstrümmer imprägnieren sich häufig
mit Kalksalzen und bilden dann, falls der Zerfallsprozess umfangreicher wird, makro¬
skopisch sichtbare, harte, schwarze Einlagerungen, die meist lose und leicht
heraushebbar in einer Höhle liegen. Die Verkalkung kann aber auch ausbleiben, und
es kommt dann bei Fortschreiten des Zerfalls zur Bildung jenes tuscheartigen
Breies, wie er öfters in indurierten, anthrakotischen Drüsen gefunden wird.
Das neugebildete Bindegewebe derbfaserig, gefäss- und kohlearm oder ein Ge¬
misch von kohlearmem, sklerotischen und sehr kohlereichem, feinfaserigen. Es findet
sich aber auch kohlereiches, sklerotisches Gewebe. Gelegentlich setzen sich einzelne
rundliche Stellen scharf ab durch konzentrische Anordnung der Fasern; diese fibrom-
artigen Stellen sind kohlearm, höchstens wie fein bestaubt mit etwas Pigment,
häufig, wie auch sonst die sklerotischen Abschnitte, in fibrinoider Umwandlung und
nicht selten im Inneren mit körnigem Detritus; sie liegen einzeln oder wohl auch
in Gruppen; bisweilen in ihrem Inneren kleine Gefässe.
Der schon erwähnte feinkörnige Detritus ist durchsetzt von gelben Faser¬
bröckeln, die manchmal erst bei starker Vergrösserung sichtbar werden, gelegentlich
aber auch schon bei schwacher Vergrösserung als breite, homogene, meist kurze
Streifen hervortreten. Dies Gemisch von Detritus und Faserbröckeln tritt fast immer
in umschriebenen Bezirken auf, die ohne scharfe Umgrenzung in das umgebende
sklerotische, hier gelb oder gelbrötlich tingierte Gewebe übergehen und bei stärkerer
Vergrösserung erkennt man an dessen Randpartien ein deutliches Zerfallen der Binde¬
gewebsfasern, die sich dem Detritus beimischen; nur einmal wurde ein solcher stark
von Kohle durchsetzter Detritusbezirk beobachtet, wo peripher eine scharfe Ab¬
grenzung bestand.
An einzelnen Lymphdrüsen finden sich die verschieden geschilderten Verände¬
rungen vereinigt: diffuse Bindegewebsneubildung, fibromartige Stellen, körnige und
bröckelige Zerfallsmasse und Höhlenbildung ovent. diffuse Kalkablagerung.
ludurative Prozesse in Broncbial- und Hilnslymphdrflsen.
An den Lymphdrüsen, die keinerlei tuberkulöse Gewebsveränderungen
darboten, sind das Auffallendste die besehriebenen fibromartigen Bil¬
dungen (sie besitzen einen Durchmesser von ca. 0,45 mm), und es bliebe
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
355
zu erwägen, ob es sich hier um völlig fibrös umgewandeltc Tuberkel
handeln könnte.
Betreffs der letzteren sei an früher Gesagtes erinnert. Die Um¬
wandlung des zelligen Lymphdrüsentuberkcls zu einem fibrösen ist nach
Schüppel ein seltenerer Vorgang als die Verkäsung; ausserdem kämen
in den Lymphdrüsen die fibrösen Tuberkel immer neben verkästen vor.
Gelegentlich könne das käsige Zentrum des fibrösen Tuberkels ganz
resorbiert werden, so dass das Bild kleiner Fibrome entstehe. Dass
grössero Käsemassen gänzlich zur Resorption gelangen, scheint dem¬
selben Autor zweifelhaft. Auch Arnold sieht in einer hyalinen oder
fibrösen Umwandlung der Lymphdrüsentuberkel ein selteneres Vor¬
kommnis.
Erstgenannter Autor fand in tuberkulösen Drüsen mehrfach rein fibröse Knöt¬
chen von der Grösse eines Tuberkels; er möchte es in solchen Fällen nicht mit
Sicherheit entscheiden, ob diese kleinen Fibrome ursprünglich als solcho entstanden
oder umgewandelte Tuberkel sind. „Der Umstand, dass diese Fibrome sehr gewöhn¬
lich neben echten Tuberkeln, manchmal neben fibrösen Tuberkeln in derselben Drüse
Vorkommen, könnte die Vermutung rege machen, dass sie nichts anderes als enzystierte
Tuberkel seien, aus deren Zentrum der käsige Detritus verschwunden ist. Allein für
alle Knötchen der Art kann dieser Erklärungsversuch keine Geltung haben, denn
man sieht sehr häufig lange Züge von glasigem Bindegewebe durch die Follikular-
stränge der Drüse hinstreichen, welche ganz unabhängig von Tuberkeln aus einer
Vordickung des adenoiden Retikulums und der Gefässwandungen hervorgehen und
welche auf dem Querschnitt sich als runde glasig-fibröse Knötchen darstellen. Am
häufigsten sah ich diese kleinen Fibrome in den Bronchialdrüsen bei der chronischen
Lungentuberkulose und in solohen Drüsen, welche der Sitz chronisch-entzünd¬
licher Reizung gewesen waren.“
Wären jene fibromartigon Bildungen hervorgegangen aus zelligen
Tuberkeln, so müsste ein solcher Umwandlungsprozess in den Drüsen
ein ausserordentlich häufiges Vorkommnis sein. Denn in fast jeder mit
reichlicher vermehrtem Bindegewebe konnte ich jene Bildungen beobachten.
Dann wäre es aber auffallend, warum man nicht öfter gleichzeitig Ueber-
gangsformen zu den zelligen Tuberkeln findet. Es besteht für mich kein
Zweifel, dass zumeist die umschriebenen, rein fibrösen Gebilde, wie es
auch Schüppel annimmt, zum Teil Querschnitte verdickter Trabekel
sind und diese Annahme stützt sich auf zwei Befunde: 1. Dass man
innerhalb der „Fibrome“ verschiedentlich Reste eines kleinen Gefässes
findet; 2. dass man nicht selten beobachtet, wie an jene sich ein derber
breiter Bindegewebsstrang anschliesst; hier ist dann zweifellos ein Trabekcl-
knotenpunkt zusammen mit einem Trabekel im Längsschnitt getroffen;
bisweilen ist ringsherum ein breiterer Saum ziemlich grosser, kohlehaltiger
Zellen gelagert, die sich scharf abheben vom übrigen Gewebe und kaum
etwas anderes sein können als gewucherte Sinusendothelien.
Ab und an traf ich in verdichteten Bronchial- und Hiluslymph-
drüsen auf fibromartige Gebilde, die gruppenweise, zu mehreren dicht
beieinander lagen; hier allerdings wird man nicht umhin können, an
fibröse Tuberkel zu denken in Rücksicht auf die Anordnung der
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„Knötchen“; möglicherweise handelt es sich aber auch nur um fibrom-
artige Septuraverdickungcn, die durch starke Schrumpfung des um¬
gebenden Gewebes nahe aneinander gerückt sind. —
Was ist nun die Ursache der Bindegewebsvermehrung? Kommt als
genetischer Faktor nur der Tuberkelbazillus in Betracht, wie zum Bei¬
spiel Ribbert annimmt, oder spielen da auch andere Momente eine
Rolle, insbesondere die Kohle?
Auch Nägeli stellt die Frage, ob den schiefrig-anthrakotischen Drüsenverände¬
rungen Tuberkulose zugrunde liege. „Ich habe mir die Mühe gegeben“, sagt er, „bei
einer grösseren Anzahl Drüsen mit diesen Umwandlungen mikroskopisch nach der
Aetiologie zu forschen, bin darin aber nur höchst selten glücklich gewesen. Ich habe
deshalb Veränderungen dieser Art nie als erwiesene Tuberkulosen in die Statistik
aufgenommen, um ihre Zuverlässigkeit nicht in Gefahr zu bringen.
Ribbert hingegen will, wie schon früher erwähnt, die Mehrzahl der anthra-
kotischen Indurationen auf Tuberkulose zurückführen. Er betont dabei die Tatsache,
dass man oft viel Kohle enthaltende Drüsen finde, die dabei weich und zellreich seien,
dass überhaupt ein Missverhältnis bestehe zwischen Induration und Menge der Kohle,
und dass „die Anthrakose, die man auf die Wirkung der Kohle allein beziehen möchte,
sich in nichts histiologisch unterscheidet von der aus Tuberkulose hervorgegangenen,
also zum Beispiel neben Verkalkung vorhandenen.“
Arnoldbemerkt hinsichtlich derFolgen der Staubinhalation im allgemeinen,
dass die Bronchialdrüsen vergrössert werden, zum Teil durch eine meist chronische,
zeitige Hyperplasie; in späteren Stadien käme es zur Atrophie der Follikel und
Foilikularstränge und zur Hyperplasie des Bindegewebes, meist unter Verdickung
der Kapsel; das neugebildete Bindegewebe werde mit der Zeit derb fibrös, eventuell
auch hyalin umgewandelt. Nach A. besteht fraglos ein Zusammenhang zwischen
diesen geschilderten Prozessen und der Staubablagerung. „Soweit meine Erfahrungen
reichen, erhielt ich immer den Eindruck, als ob bei einfach er Ablagerung von Russ
die indurativen Veränderungen einerseits, die Erweichungsprozesse andererseits die
ersteren geringgradige seien, die letzteren viel seltener getroffen werden als bei
der einfachen oder der mit Anthrakosis verbundenen Chalikosis.“
Meines Erachtens lässt sich die Frage, ob die Kohle Bindegewebs¬
vermehrung erzeugt oder nicht, am besten lösen durch die Untersuchung
solcher Lymphdrüsen, wo die Kohle nicht bloss auf diese beschränkt
geblieben, sondern auch durch die Kapsel hindurch in die Umgebung
gedrungen ist. Und da zeigt sich nun, wie aus den von mir mitgcteilten
Befunden hervorgeht, dass bei dem Auftreten von Kohle im Hilusfett-
gewebe überhaupt im zirkumglandulären Gewebe eine deutliche Binde¬
gewebsneubildung unter Schwund der Fettzellen statthat überall an
den Stellen, wo reichlicher Kohle abgelagert ist.
Nun muss man unbedingt Ribbert recht geben hinsichtlich seiner
Bemerkung, man finde häufig kohlehaltige Lymphdrüsen ohne jede
Induration. Aber dieser Einwand lässt sich entkräften. Aus meinen
früheren Darlegungen geht hervor, dass die blosse Durchsetzung eines
Gewebes mit Kohlepigment noch keine Veränderungen zu erzeugen
braucht, es kommt vielmehr dabei auf ganz bestimmte Momente an.
Wird einer Hilusdrüse Russ zugeführt, so wird jeglicher Effekt aus-
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Die Kriterien der abgelaufenon Tuberkulose der Lungen usw,
357
bleiben, solango als die Abfuhr eine unbehinderte ist. Die Kohle muss
offenbar erst in beträchtlicher Menge fest deponiert sein, um ihre
Wirkungen ausüben zu können, und der Grad dieser wird dann ausser¬
dem abhängig sein von der Länge der Zeit. Nach den Beobachtungen
von Bartel und Stein schreitet die Anthrakose der Lymphdrüsen von
dem Hilus nach der Peripherie fort; habe die Anhäufung von Kohle¬
pigment eine gewisse Höhe erreicht, so komme es zur Verlegung der
tiefen Lymphbahnen und einer Rückstauung des Lymphstromes. Gerade
auf diese Stauung des Lymphstromes möchte ich grosses Gewicht legen,
indem ich glaube, dass die Bindegewebsvermehrung nicht so sehr auf
direkter Reizwirkung der Kohle, sondern auch mit auf jener Lymph-
zirkulalionsstörung innerhalb der einzelnen Drüse beruht. — Vielleicht
spielen ausser der Kohle noch gleichzeitig vorkommende Silikate eine
Rolle. Schlodtmann fand häufig, Woskressensky regelmässig in
den Bronchiallymphdrüson Sandstaub; S. ist sich allerdings nicht
schlüssig, ob dieser Veränderungen hervorzurufen vermag.
Als ursächliche Momente, die Bindegewebsneubildung zur Folge
haben, kommen ferner in Betracht pathogene Keime. Da die Lungen
so vielfach von entzündlichen Prozessen — von der Tuberkulose
abgesehen — befallen werden, ist es denkbar, dass bei häufigerem
Auftreten lobärer oder lobulärer Pneumonien chronische Entzündungen
in den zugehörigen Lymphknoten entfacht werden. Krämer weist
ferner daraufhin, dass letztere auch von der Lues befallen werden
können.
Auch bei älteren tuberkulösen Drüsen findet sich mehr oder weniger
vermehrtes Bindegewebe, aber es wäre falsch, den Schluss zu ziehen:
überall wo solches vorliegt, handelt es sich um Tuberkulose. Ebenso¬
wenig wie man eine jede Lungenkarnifikation auf Tuberkulose zurück¬
führen kann nur aus dem Grunde, weil diese häufig jene im Gefolge
hat. Selbst wenn Tuberkulose neben Bindegewebsneubildung in derselben
Drüse besteht, ist nicht überall ein Abhängigkeitsverhältnis dieser beiden
Prozesse nachzuweisen, wie schon Schüppel mit Recht betont. Falls,
wie Ribbert annimmt, alle indurierten Bronchial- und Hiluslymphdrüsen
tuberkulösen Ursprungs sind, so müsste man eigentlich erwarten, bei
don vorgeschritteneren, chronisch verlaufenen Lungenphthisen, wo die
Drüsen einerseits in besonderem Masse einer Infektion mit Tuberkcl-
baziilen ausgesetzt sind, wo andererseits nach eingetretener Infektion
infolge lang hingezogenen Krankheitsverlaufes die Vorbedingungen zu
ausgiebiger Bindegewebsvermehrung in jenen gegeben wären, stets bzw.
recht häufig derartig indurierte Lymphdrüsen zu finden. Dem ist aber
nicht so. So und so oft sind diese in solchen Fällen weich, und bei den
mikroskopischen Untersuchungen stellt sich nur eine ganz unerhebliche
Bindegewebsvermehrung neben den spezifisch-tuberkulösen Neubildungen
heraus. Weshalb sind die Hals- und Mesenterialdrüscn nicht eben so oft
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völlig induriert, wo sich doch in diesen das Tuberkelviras mit solcher
Vorliebe lokalisiert! Selbstverständlich muss zugegeben werden, dass
ein Teil der Lymphdrüsenindurationen auf Tuberkulose beruhen
mag, ein strikter Beweis wird sich aber im einzelnen Falle nie
erbringen lassen. Ich würde diejenigen, die mit stärkerer Kohle¬
ablagerung einhergehen, als auf Anthrakose beruhend bezeichnen,
bei den übrigen die Frage nach der Entstehung offen lassen. Nur
indurierte Lymphdrüsen, in denen fibromartige Gebilde gruppen¬
weise auftreten, sind als möglicherweise tuberkulöser Genese an¬
zusehen. —
Bei der Besprechung der zweiten Gruppe kann ich mich kurz
fassen; es handelt sich hier darum zu unterscheiden zwischen einfacher
Erweichung des Bindegewebes tuberkulöser Nekrose. Dieselben
Kriterien, die ich für Unterscheidung dieser beiden Vorgängo bei den
Lungeninduraten aufgestellt habe, gelten auch hier. Kohlefreier Detritus
deutet auf letzteren Prozess, ebenso wie kohlehaltiger, wenn er ab¬
gekapselt ist; mit Kohle durchsetztes, nicht scharf sich abgrenzendes,
amorphes Material ist erweichtes Bindegewebe. Takeya konnte in
tuberkulösen Lymphdrüsen verkäste Tuberkel konstatieren, die haufen¬
weise Kohlcpigment enthielten; dann auch wieder wurde Kohlepigment bzw.
kohlepigmenthaltiges Gewebe durch die tuberkulöse Neubildung beiseite
gedrängt. Ich kann diese Beobachtung bestätigen, muss aber hinzufügen,
dass kohlehaltige verkäste Tuberkel auch hier, ebenso wie in den
Lungen, sehr selten sind und dass man bei solchen Tuberkeln fast stets
eine mehr oder weniger ausgesprochene bindegewebige Abkapselung
antrifft.
Auch in dieser letzten Gruppe gibt es Drüsen, deren Charakter
zunächst unbestimmbar ist; das sind die, wo zwischen sklerotischen
Fasern verstreut kleine Häufchen von kohlefreiem Detritus lagern. Ich
supponiere bei solchen die Möglichkeit eines tuberkulösen Prozesses
dann, wenn sich fibromartige Bildungen in gruppenweiser Anordnung
finden, und die Möglichkeit wird für mich zur grossen Wahrschein¬
lichkeit, wenn ausserdem noch die zugehörige Lunge tuberkulös
erkrankt ist.
Auf keinen Fall kann als entscheidendes Kriterium für Tuberkulose
Knochenbildung oder eine diffuse Kalkeinlagerung in verdichtetem
Gewebe gelten. Speziell letztere wird bei jedweder Lymphdrüsen-
induration leicht eintreten können, wie auch sonst in sklerotischem
Bindegewebe.
Konkrementartige Kalkablagerung in Lymphdrüsen.
Ist der Kalk in Form kompakter Massen vorhanden, wird man
in erster Linie an Tuberkulose denken müssen, aber unbedingt zwingend
ist diese Annahme nicht.
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359
Robin z. B. fand bei einem Stuckateur die mediastinalen, mesenterialen, retro-
peritonealen und axillaren Lymphknoten ganz verkalkt; in den Lungen keine Spur von
Tuberkulose; der Kalk erwies sich als Kalziumsulfat. (Die Absorption des Gipses
erfolgt nach diesem Autor in Lungen und Darm, ohne dass diese verändert werden).
Eppinger beschreibt einen Fall von Pseudotuberkulose bei einem 53jährigen
Glasschleifer, der an Hirnabszess und Meningitis gestorben war; Hirnabszess und
Meningitis waren durch eine Cladothrix hervorgerufen. Von Interesse ist hier der
Befund an den Lungen und Lymphdrüsen des Thorax: Die Oberlappen enthielten
wenig Luft und waren reichlich durchsetzt von grauen, fast steinernen „Narbenstreifen
und -herden“ und solchen Knoten; zwischendurch emphysematoses Gewebe, das viele
hirsekorngrosse, weisse Knötchen enthielt. Die Bronchialdrüsen in fast steinerne,
weis^-graue Knoten verwandelt, ebenso die vorderen Mediastinal- und die Bifurkations-
drüsen; eine rechtsseitige grosse Supraklavikulardrüse war in eine weiche, kreidige
Masse umgewandelt. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Härte der
erkrankten Lungenstellen und der Lymphknoten durch Ablagerung von Kalksalzen
bedingt war. Das nach der Entkalkung zurückgebliebene Gewebe in den Lungen war
ein derb-fibröses mit interstitieller und intraalveolärer Bindegewebswucherung; die
miliaren Knötchen waren umschriebene sklerotische Bezirke mit eingeschlossenen
Pigmentkörnchen und Staubzellen; einzelne von den Knötchen auch verkalkt. In den
erkrankten Bronchialdrüsen und in den kreidigen Supraklavikularlymphknoten gelang
es E. kurz verzweigte Pilzfaden nachzuweisen, in den „Lungenherden“ nioht. Ob die
Pseudotuberkel der Lungen in einer Beziehung zur Cladothrixinfektion standen oder
ob sie einfach Effekte der Staubinhalation — es lagen deutliche Merkmale einer
solchen vor — waren, wagt E. nicht zu entscheiden; dahingegen glaubt Autor, dass
die Drüsenveränderungen, die er als obsolete Abszesse auffasst, wahrscheinlich auf
das Eindringen jenes Pilzes zurückzuführen waren.
In den beiden Fällen von Robin und Eppinger war es möglich,
die Entstehung kompakter Verkalkungen sicher resp. nahezu sicher zu
deuten, und zwar als andersartigen denn tuberkulösen Ursprunges.
Schwierig wird die Beurteilung konkrementartiger Gebilde dann, wenn der
Träger des Kalks käsig-nekrotisches Material ohne jedes Charakteristikum
ist. Nägeli und Ribbert glauben dann nichts anderes als Tuberkulose
annehmen zu müssen. Nun wies schon Schüppel darauf hin, dass die
bei Abdominaltyphus vorkommenden partiellen Mescnteriallyraphdrüsen-
nekrosen fast immer von Verkalkung gefolgt sind, und anknüpfend daran
erwägt Krämer die Möglichkeit, dass ähnliches für die Bronchialdrüsen,
die ja bei Typhus miterkranken können, in Betracht kommt.
Gelegentlich sind bei pneumonischen Lungenprozessen in. den
regionären Lymphdrüsen Nekrosen konstatiert worden; mir selbst steht
ein solcher Fall zur Verfügung (9jähriger Knabe mit rechtsseitiger, ausge¬
dehnter, lobulärer Hepatisation, in den wenig vergrösserten, weichen
Drüsen am Lungonhilus und an der Bifurkation kleine hämorrhagisch¬
nekrotische Stellen!). Verkalken solche nekrotischen Stellen, dann werden
wir ihnen als konkreraentartige Gebilde begegnen.
Ich möchte dem noch folgendes hinzufügen. Es gibt makroskopisch
sichtbare, kreidige, konkrementartige Stellen, die man ohne weiteres und
auch unter dem Mikroskop zunächst als tuberkulös-käsige auffassen
möchte. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass jene sich in
Zeitscfcr. f. klin Medizin. 76. BJ. H. 3 n. 4. 24
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S6Ö
Ö. GOERDELEft,
doppelter Hinsicht von diesen unterscheiden: Einmal ist zwischen dem
einen kompakten Haufen bildenden, feinkörnigen Detritus und seiner Um¬
gebung ein spaltförmiger Zwischenraum, dann vor allem ist merkwürdig,
dass diese Umgebung nicht, wie .sonst bei scharf abgesetzten, käsig¬
tuberkulösen Stellen, gänzlich von Bindegewebe, sondern stellenweise von
fasrigem, überwiegend von ganz intaktem Gewebe gebildet wird. Man
kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass hier umschriebene, zystische
Bildungen vorliegen, die vielleicht von einem Lymphsinus ausgehen und
die mit einem Lymphthrombus ausgcfüllt sind (vgl. Fig. 12). Diese zu¬
nächst merkwürdig erscheinende Auffassung mag gestützt werden durch
mehrere eigenartige Befunde.
In einer Bifurkationsdrüse war eine linsengrosse, harte Stelle: Kalk lullte ein
kugeliges Lumen mit glatter Wand nicht völlig aus; dio Wand bestand aus Drüsen¬
gewebe von mittlerem Koblegehalt, sonst keine Veränderungen ausser etwas verdioktem
Retikulum.
Ebenfalls in einer Bifurkationsdrüse eine kleine kalkige Stolle: An und im Hilus
eine Anzahl von länglichen und rundlichen Hohlräumen, darinnen eine nicht völlig
ausfüllende, strukturlose, verkalkte Masse oder auch kein Inhalt; wo die Räume in
die Drüse hineinragten, grenzte entweder das lymphatische Gewebe scharf unmittelbar
an, oder es war sehr wenig kollagenes Gewebe vorhanden; die Grenzo gegen den
Hilus hin bildete reichlicheres Bindegewebe; nahe den mit blossem Auge sichtbaren
Räumen waren noch mikroskopisoh k.leinc mit denselben Eigenschaften.
Verkalkte Stellen in einer Bronchialdrüse: In der Drüse Räume, von nicht indu-
riertem Gewebe begrenzt, gefüllt mit homogenom Inhalt; diese Räume durchzogen die
ganze Drüse. Ein grosser Raum war auf der einen Seite scharf von normalem lym¬
phatischen Gewebe begrenzt und lag im übrigen im Fettgewebe.
Eine Bronchialdrüse mit ganz kleinen, harten Stellen auf den verschiedenen
Schnittflächen: Stark mit Blutungen durchsetzter Lymphknoten, zum Teil unter Auf¬
hebung der Struktur; auffällig waren subkapsuläre, feine Kalknadeln, die in periphe¬
rischen Sinus lagen (sicher verkalkte Lymphe oder verkalktes, resorbiertes Blut);
stark erweiterte kavernöse Räume unmittelbar am Lungengewebe und an einer schwie¬
ligen, kohlehaltigen Gegend (wohl aufs Stärkste veränderte Lymphdrüse) kamen vor,
zum Teil mit homogenem Inhalt; innerhalb des Drüsengewebes mehrfach Bindegewebs¬
fasern, in denen sich Kalk abgelagert hatte.
Auf Grund dieser Beobachtungen halte ich cs für durchaus möglich,
dass ein wenn auch sehr geringer Teil jener in den Hiluslymphdrüscn
vorkommenden Kalkkonkremente nichts anderes ist, als verkalkte Lymph-
thromben, die in zystischen Hohlräumen liegen. Wie diese Hohlräume
-entstanden sein können, ist mir selbst noch rätselhaft. Befunde, wie sic
in Figur 3 wiedergegeben sind, stellen aber entschieden eine Merkwürdig¬
keit dar, und deshalb halte ich cs für erforderlich, die Aufmerksamkeit
auf sie zu lenken.
Dass Konkrementbildung bedingt sein kann durch Verkalkung ein¬
gedickten Eiters, will ich hier nur beiläufig erwähnen, weil Abszess¬
bildungen in den Hilusdrüscn wohl zu den grössten Seltenheiten gehören.
Bei den Hals-, seltener den Brustlymphdrüsen ist z. B. noch an Ver- *
kalkung von Nekrosen zu denken, die nach Scharlach oder Diph-
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw. 361
therie entstanden sind. Speziell bei letzterer Erkrankung sind Nekrosen
im Bereiche der Halslymphdrüsen gar nichts so Seltenes; ich finde in
den mir vorliegenden Sektionsberichten der letzten 15 Monate bei
61 Diphtheriefällen, die zur Sektion kamen, 6 mal, also fast in 10 pCt.
Vermerke über nekrotische Stellen in Halslymphdrüsen.
Alles in allem genommen, formuliere ich meine Ansicht über die
Ealkkonkremente dahin: Der überwiegenden Mehrzahl nach sind sie
wohl (auch die Untersuchungen von Lubarsch sprechen dafür) auf Konto
früherer Tuberkulose zu setzen, man wird aber, falls man etwa eine
Statistik über die Häufigkeit der menschlichen Tuberkulose aufstellen
will, in jedem einzelnen Falle, wo lediglich Kalkkonkremente in
Lymphdrüsen als etwaige Tuberkuloseresiduen in Betracht kommen, unter-
-suchen müssen, ob Verhältnisse vorliegen, die möglicherweise auf Ver¬
kalkung von Lymphthromben oder von Nekrosen anderer als tuberkulöser
Genese hindeuten. Auch Beitzko stellt sich auf den Standpunkt, bei
den Verkalkungen sowohl in Lungen wie in Drüsen nicht immer einen
tuberkulösen Ursprung vorauszusetzen. (Hinweis u. a. auf verkalkte
Pentastomen.)
Ich bin damit an den Schluss meiner Ausführungen gelangt. Als
deren wesentlichstes Resultat betrachte ich den Nachweis, dass es sowohl
innerhalb der Lungen wie der Hiluslymphdrüsen indurative Prozesse
mancherlei Art gibt, Prozesse, die man vielfach in Zusammenhang mit
der Tuberkulose gebracht hat, die aber nichts mit dieser zu tun haben;
wenigstens wäre in so und soviel Fällen die Annahme eines solchen Zu¬
sammenhanges eine durchaus willkürliche, umsomehr, als es eine ganze
Reihe anderer Momente gibt, die das Zustandekommen jener Verdich¬
tungen ungezwungen erklären. Ferner lag es mir daran, die Tatsache
hervorzubeben, dass man häufig keinen sicheren Entscheid wird treffen
können, ob man es mit abgelaufenor Tuberkulose oder etwas anderem
-zu tun bat; nicht selten wird das sogar der Fall sein bei Befunden, die
man für gewöhnlich ohne weiteres als tuberkulöser Natur anzusehen
geneigt ist. Hervorheben wollte ich endlich das Vorkommen patho¬
logischer Vorgänge, die ausserordentlich an Tuberkulose erinnern und
doch bei näherer Untersuchung sich als etwas ganz anderes herausstellen.
Ich kann es mir nicht versagen, noch mit einigen Worten auf die
Arbeit von Nägeli und dessen Statistik über die Häufigkeit der mensch¬
lichen Tuberkulose einzugehen; seine Untersuchungsresultate haben die
weitgehendste Beachtung gefunden und gelten vielfach als etwas absolut
Sicherstehendes. Andererseits ist ihnen auch eine Kritik zuteil geworden,
-aber niemals auf Grund von Untersuchungen der Art, wie ich sie ange-
stellt habe. Diese letzteren berechtigen mich ganz besonders zu einer
'kritischen Betrachtung der Nägeli sehen Arbeit und ihrer Schluss¬
folgerungen.
24*
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362
G. GOERDELER,
Nägeli scheidet seine 500 auf das Vorkommen von Tuberkulose
autoptisch untersuchten Fälle in zwei Hauptgruppen: 1. letale Tuber¬
kulosen, 2. nicht letale Tuberkulosen; hier war der Tod an einer inter¬
kurrenten Erkrankung eingetreten. Bei der 2. Gruppe macht Nägeli
3 Unterabteilungen: aktive Tuberkulosen, d. h. solche, bei denen der
Prozess noch florid gefunden wurde; inaktive Tuberkulosen, das sind die¬
jenigen, wo die Erkrankung zur Ausheilung gelangt war; schliesslich eine
Zwischengruppe, wo die Frage, ob ausgeheilt oder nicht, unbeantwortet
gelassen werden musste.
Dem Thema meiner Arbeit entsprechend, habe ich mich hier der
Hauptsache nach mit der Gruppe der nicht letalen, inaktiven Tuber¬
kulosen zu beschäftigen.
Was fasst Nägeli unter diesen zusammen? Welche Befunde er¬
achtet er als ausgeheilte Tuberkulosen?
In den Lymphdrüsen, speziell den Hilus- und Tracheobronchial-
drüsen scharf abgesetzte „Kalkherde“; in den Lungen kleine und grössere
„Kalkherde“ innerhalb schiefrig indurierten Gewebes, soweit sie in den
Spitzen lokalisiert sind, und gewisse schiefrige Spitzenverdichtungen.
Nägeli gesteht cs selbst zu, dass letztere hinsichtlich der Beurteilung
ihrer Genese erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Er rechnet Spitzen-
indurate dann als Tuberkuloseresiduen, wenn jene scharf begrenzt oder
wenn die zugehörigen intrapulmonalen und Hilusdrüsen tuberkulös affiziert
sind, d. h. in diesen Fällen Verkäsung oder „Verkalkung“ aufweisen;
unter „Verkalkung“ ist das Gebundensein des Kalkes an nekrotisches
Material zu verstehen.
Unter den „pleuritischen Adhäsionen und Narben“ erachtet N.
solche als tuberkulösen Ursprunges, wo unmittelbar unter der Adhäsion
oder „narbig“ verdickten Pleura eine schiefrige Induration mit den sicher
für Tuberkulose sprechenden Charakteristika sich findet oder auf Tuber¬
kulose hindeutende Befunde in den nächstgelegenen Hilusdrüsen; bei
den festeren, flächenhaften Pleuraadhärenzen in der Nähe der Lungen¬
spitze werde man selten an etwas anderes als an Tuberkulose zu denken
genötigt sein.
Sind die Nägeli sehen Kriterien nun stichhaltig? N. spricht von
„typischen“ Verkalkungen der Hilus- und Bronchialdrüsen und meint
damit Befunde, wo der Kalk an nekrotisches Material gebunden ist.
„Eine andere, als tuberkulöse Genese dieser typischen Verkalkungen in
Hilus- und Bronchialdrüsen ist meines Wissens bisher nie behauptet oder
bewiesen worden.“ Demgegenüber verweise ich auf den Eppingerschen
Fall (obsolete, verkalkte Hilusdrüsenabszesse!), der gewissermassen auch
eine „typische“ Verkalkung darstellt, und doch lag hier keine Tuberkel¬
bazillen-, sondern eine Cladothrixinfektion zu Grunde. Zu erwägen
ist die Möglichkeit, dass das mit Kalk imprägnierte nekrotische Material
Residuum einer Typhus-, Scharlach- oder Diphtherieinfektion ist.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
363
Ferner können gomäss meinen eigenen Untersuchungen bei gröberen
Kalkkonkrementen in Lymphdrüsen eventuell verkalkte Lyroph-
thromben in Frage kommen. Schliesslich kann der sogenannte „Kalk¬
herd“ unter Umständen einmal nichts anderes sein als ein Stückchen
Knochen, das sich in einer nur indurierten, nicht tuberkulösen Lymphdrüse
metaplastisch gebildet hat, wie ich einen derartigen Fall beobachtete.
Der weit überwiegenden Mehrzahl nach werden ja jene „typischen“
Verkalkungen in Bronchial- und Hilusdrüsen zu deu abgelaufenen Tuber¬
kulosen zu zählen sein, aber mit absoluter Sicherheit wird man das
nicht für alle Fälle statuieren dürfen; mit Vorsicht zu beurteilen sind
unter allen Umständen Verkalkungen in Hals- und Mesenteriallymph-
drüsen. Für eine Statistik, die sich mit der Häufigkeit der Tuberkulose
beim Menschen befasst, wird man die Fälle, wo Lymphdrüsenverkalkungen
als einzige belangreiche Befunde zu verzeichnen sind, jeden einzeln
eingehend untersuchen müssen und, wenn auch nur die entfernte Mög¬
lichkeit besteht, dass für die „Verkalkung“ eine andere als tuberkulöse
Genese in Betracht kommt, würde der betreffende Fall unter die Rubrik
„zweifelhafte Tuberkulose“ eingereiht werden müssen.
Nun zu der Nägelischen Beurteilung der Spitzenindurate! Ich habe
mich in meinen Ausführungen eindringlich bemüht klarzulegen, dass bei
Verdichtungen das „Umschriebensein“ riiemals als Kriterium auf Tuber¬
kulose gelten darf und dass das Bestehen einer tuberkulösen Hilusdrüsen-
affektion — vorausgesetzt, diese sei überhaupt ausser allem Zweifel —
nicht verwertet werden kann, um eine gleichzeitig vorhandene Lungen¬
spitzeninduration, die an sich keine Anhaltspunkte für Tuberkulose bietet,
letzterer zur Last zu legen.
Dass ich auch den Ansichten Nägelis über die Pleuraschwielen und
über deren Beziehungen zur Tuberkulose entgegentreten muss, bedarf
nach dem eben Gesagten und nach meinen früheren diesbezüglichen Dar¬
legungen keiner weiteren Erörterung.
Nur noch ein paar Worte zu den „Kalkherden“ in den Lungen.
Beipflichten muss ich N., wenn er grössere „Kalkherde“ innerhalb von
Spitzenverdichtungen für tuberkulösen Ursprunges erklärt; in jenen
„Herden“ ist der Kalk an käsig-nekrotisches Material gebunden, und
dieses verdankt im Bereich der Spitzen sein Entstehen wohl stets einer
Tuberkulose, obgleich unter Umständen eine Lucs als erzeugendes Moment
nicht sicher auszuschliessen sein wird. Etwas anderes aber ist es mit
denkleinen „Kalkherden“ in Spitzeninduraten; bisweilen entpuppen sich
diese nämlich als Knochenstückchon, die aus karnifiziertem Gewebe
hervorgegangen sind, ohne dass irgend etwas Tuberkulöses in den be¬
treffenden Verdichtungen nachzuweisen ist. Derartige Knochenstückchen
sind aber, wie wir sahen, nicht als Tuberkuloseresiduen zu betrachten.
Die kleinen „Kalkherde“ bedürfen ganz besonders jedesmaliger mikro¬
skopischer Untersuchung, um ihre wahre Natur sicherzustellen. Pol lack
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G. GOERDELER,
meint zwar, dass in Lungen vorkommender Knochen sich schon makro-
kopisch durch seine gelbliche Farbe von den mehr weissen, rein kalkigen
Stellen unterscheide, dass beides also eigentlich garnicht mit einander zu
verwechseln sei; nach meinen eigenen Erfahrungen muss ich das aber
entschieden bestreiten. Bei kleinen harten Einlagerungen kann man nie
mit Sicherheit im voraus bestimmen, ob nur Knochen oder nur ver¬
kalktes nekrotisches Material oder etwa beides vorliegt.
Nun finde ich in Nägelis Arbeit noch folgenden Satz: „Dagegen
stehe ich nach all dem früher Gesagten nicht an, die Kalkherde in in-
durierten Lymphdrüsen als ausgeheilte Tuberkulosen anzusprechen und
ebenso die analogen Prozesse in den Lungen?“ Was meint er zunächst
mit den „analogen Prozessen in den Lungen?“ Vermutlich umschriebene,
verkalkte Stellen innerhalb von verdichtetem Gewebe. Aus dem Satze
geht für mich hervor, dass N. alle in den Lungen zu findenden „Kalk¬
herde“ als Tuberkuloseresiduen rechnet, während er zuvor nur die in
Spitzenindurationen enthaltenen „Kalkherde“ als sicher tuberkulösen
Ursprunges hinstellte. Verkalkten Lungenstellen, abgesehen von den
grösseren, in den Spitzen gelegenen, können aber die verschiedenartigsten
pathologischen Prozesse zu Grunde liegen; als nicht zur Tuberkulose ge¬
hörig kommen in Betracht: verkalkte fibröse Septumkohleknötchen als
nicht seltene Befunde, ferner Bronchialsteine; gelegentlich wird ein
kleiner „Kalkherd“ nichts anderes sein als ein Knochen Stückchen, das
sieh inmitten einer verdichteten, nicht tuberkulösen Stelle gebildet hat;
denkbar ist es schliesslich, dass Lymphthromben verkalken und dann
als „Kalkherde“ in Erscheinung treten.
Bei Aufstellung einer Tuberkulosestatistik bleibt also auch hier
wieder nichts anderes übrig, als alle umschriebenen „kalkigen“ Lungen¬
stellen, soweit sie als einzige in Betracht kommendo Befunde notiert
werden, — abgesehen von umfangreicheren, speziell in den Spitzen
lokalisierten — mikroskopisch zu untersuchen und diejenigen, bei denen
ein tuberkulöser Ursprung nicht einwandfrei statuiert werden kann, als
zweifelhafte bzw. als nicht tuberkulöse (z. B. Septumkohleknötchcnj
Befunde zq rechnen.
Uebrigens scheint Nägeli selbst die Empfindung zu haben, dass
seine Bewertung der oben aufgezählten Pleura-, Lungen- und Lymph-
drüsenveränderungen als abgelaufene Tuberkulosen keineswegs eine ab¬
solute Gültigkeit besitzt, ln dem Abschnitt, in dem die nicht .letalen
(latenten), inaktiven Tuberkulosen behandelt werden, charakterisiert Autor
diese als eine „sehr ansehnliche Anzahl“ von Fällen, bei denen der
positive Beweis voran gegangener nunmehr geheilter Tuberkulose „nach
der Natur der Sache nicht direkt zu liefern war“; gleichwohl sei aus
verschiedenen Umständen — Form, Lokalisation usw. — der Nachweis
des früheren Leidens — also Tuberkulose — „indirekt mit höchster
Wahrscheinlichkeit“ darzulegen. „Selten wird eine Veränderung allein
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Die Kriterien der abgelaufeDen Tuberkulose der Lungen usw. 365
(vielleicht von den Kalkherden abgesehen, für welche eine andere
Genese weder erbracht noch angenommen ist) uns zur Wahrschein¬
lichkeitsdiagnose genügen, sondern erst die zwischen den einzelnen
abnormen Befunden bestehenden Relationen werden unsere Auffassung
befestigen.“
Danach sind also „Kalkherde“ für sich allein genügend nur zu
einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf Tuberkulose — die Fassung
des letztzitierten Satzes lässt wenigstens keine andere Deutung zu —,
gemäss einer früher angeführten Aeusserung Nägelis aber steht dieser
Autor nicht an,„Kalkherde“ als ausgeheilte Tuberkulosen anzusprechen.
Ich kann nicht umhin, auf diesen Widerspruch aufmerksam zu machen.
Ausserdem beweist das letzte Zitat, dass von Nägeli die Organver¬
änderungen, um die es sich hier jetzt handelt, einzeln betrachtet, hin¬
sichtlich ihrer pathognomonischen Bedeutung im Grunde genommen nicht
gleichwertig eingeschätzt werden, nicht einmal gleichwertig für die Wabr-
scheinlichkeitsdiagnose auf Tuberkulose. Z. B. ein Befund von
„Kalkherden“ in einer Lungenspitze und gleichzeitig in den zugehörigen
Hilusdrüsen würde nach der ganzen Nägelischen Auffassung eine grössere
Beweiskraft für Tuberkulose besitzen als eine Kombination von um¬
schriebener Spilzenverdichtung und bloss indurierten Hilusdrüsen.
Nägeli hätte also bei jedem der 111 Fälle, die in der Gruppe der
latenten inaktiven Tuberkulosen figurieren, einzeln anführen müssen —
es ist dies nicht geschehen —, welche Kombination von Befunden vorlag.
Ferner, wenn sich Nägeli zu dem Ausspruch versteht: „Hier will
ich nur versuchen, an der Hand einer Anzahl von Fällen“ — es werden
hinterher einige mit „Kalkherden“ als Befunde aufgeführt — „auf die
Möglichkeit und den meist sehr hohen Grad von Wahrschein¬
lichkeit der Diagnose „Tuberkulose“ aufmerksam zu machen,“ so
hätte er konsequenterweise jene 111 Fälle — für sie gilt der Aus¬
spruch — anstatt sie als „latente inaktive Tuberkulosen“ zusammenzu¬
fassen, in 2 Gruppen scheiden müssen, in eine Gruppe der „höchst¬
wahrscheinlichen, inaktiven Tuberkulosen“ und in eine Gruppe
der „möglichen, inaktiven Tuberkulosen.“
Nägeli hat bei den latenten Tuberkulosen noch eine „Zwischen¬
gruppe“ von 32 Fällen aufgestellt, bei denen kein sicherer Entscheid
gegeben werden konnte, „ob die Affektion bereits inaktiv oder noch
aktiv sei.“ Einige hierher gerechnete Fälle werden vom Autor zitiert;
bei einem — Befund: linke Spitze mit kleiner plcuritischer „Narbe“
ohne Induration und eine kleine Mediastinaldrüsc, induriert, mit ver¬
härteten und verkalkten Teilen — ist es mir nicht recht verständ¬
lich, weshalb er in jene „Zwischengruppe“ aufgonommen ist, zumal da
nichts von einer mikroskopischen Untersuchung verlautet; nach den sonst
von Nägeli vertretenen Anschauungen sollte der Fall doch eigentlich
zu den „latenten inaktiven Tuberkulosen“ gezählt werden.
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G. GOERDELER,
Nägelis Ergebnisse der Sektionen Erwachsener gestalten sich nun
folgen dermassen: Berücksichtigt werden im ganzen 284 Sektionen; „diese
Serie wurde mit der denkbar grössten Sorgfalt durchgeführt.“ Unter
diesen 284 Sektionen ergab sich 6 mal Freisein von Tuberkulose, 63 mal
letaler und 217 mal nicht tödlicher Verlauf der Krankheit; von den
217 nicht letalen Tuberkulosen glaubt Autor 74 zu den aktiven, 111 zu
den inaktiven, ausgehcilten und 32 zu jener „Zwischengruppe“ rechnen
zu dürfen. Auf Grund dieser Zahlen ergibt sich für Nägeli die „Tat¬
sache, dass 97pCt. der Leichen Erwachsener tuberkulöse Veränderungen
entdecken lassen.“
Wenn Nägeli konsequent verfahren wäre, so hätte er die 111 Fällo
der „inaktiven Tuberkulosen“, anstatt sie als solche zu bezeichnen und bei
den sicheren Tuberkulosen einzureihen, von diesen abtrennen und gesondert
aufführen müssen als höchstwahrscheinliche resp. als mögliche,
inaktive Tuberkulosen. Die 32 Fälle der „Zwischengruppe“ als sicher tuber¬
kulös gerechnet, käme dann folgendes Kesultat heraus: Bei 284 Leichen fand
sich 167 mal sichere Tuberkulose (59,3pCU) und 111 mal war teils höchst¬
wahrscheinlich teils möglicherweise eine Tuberkulose vorhanden (39pCt.!).
Wenn nun auch der überwiegende Teil der 39 pCt. mit aller¬
grösster Wahrscheinlichkeit Tuberkulosen sind, so bleibt doch gewiss ein
in Betracht zu ziehender Rest zurück, wo man nur von der Möglichkeit
einer Tuberkulose sprechen kann, wo eventuell letztere überhaupt nicht
in Frage kommt gemäss meiner eigenen Untersuchungen.
Auf jeden Fall ist es nicht einerlei, ob ich mich zu dem Ausspruch
verstehe: „97 pCt. aller Erwachsenen sind tuberkulös,“ oder ob ich
meine Meinung streng korrekt dahin formuliere: „Sichere Tuberkulose¬
residuen tragen 59pCt. der Erwachsenen mit sich herum, bei 39pCt. liegt
eine Tuberkulose nur höchstwahrscheinlich resp. nur möglicherweise vor.“
Meine Kritik an der Nägelischen Arbeit bezieht sich also auf ver¬
schiedenerlei: 1. Der Autor bewegt sich in Widersprüchen; 2. er ver¬
fährt bei Aufstellung seiner Statistik nicht konsequent; 3. die Gruppe
der inaktiven Tuberkulosen ist viel zu summarisch behandelt, es fehlt
die Aufführung jedes Falles im einzelnen mit den zugehörigen, hier in
Betracht kommenden Organveränderungen.
Da nun ausserdem eine Reihe von pathologischen Organbefunden,
die Nägeli als mehr oder weniger sichere Tuberkuloseresiducn be¬
trachtet (z. B. viele Pleuraschwielen, umschriebene Spitzenindurate), nach
meinen eigenen Untersuchungen gar nichts mit Tuberkulosen zu tun zu
haben brauchen, da bei einer Reihe anderer Befunde (z. B. verkalkte
Stellen in einer Lymphdrüse) der Zusammenhang mit Tuberkulose sehr
problematisch sein kann, problematisch besonders dann, wenn keine mikro¬
skopische Untersuchung stattgefunden hat, so besitzen die Nägelischen
statistischen Aufstellungen, was die Gruppe der „latenten inaktiven
Tuberkulosen“ anlangt, keinen Anspruch auf Zuverlässigkeit.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw.
367
Ich halte es für unbedingt notwendig, bei einer derartigen Statistik
alle Fälle mit Befunden, die zwar auf Tuberkulose suspekt sind, wo
aber ausserdem die Möglichkeit einer anderweitigen Genese besteht,
als zweifelhafte Tuberkulosen gesondert aufzuführen, wie es z. B.
Beitzke in sehr richtiger Weise getan hat. Dabei hebe ich nochmals
hervor, dass bei. gewissen Veränderungen der Pleuren, Bungen und ihrer
regionären Drüsen, bei Veränderungen, die von vielen Seiten auf das
Konto der Tuberkulose gesetzt werden, für mich keine Veranlassumg vor¬
liegt, sie als Residuen dieser Krankheit aufzufassen.
Es lag nicht im Rahmen dieser Arbeit, eine Statistik aufzumachen
über die Häufigkeit der menschlichen Tuberkulose. Nur soviel vermag
ich beim Ueberblicken meiner Untersuchungsresultate zu sagen, dass die
Ansicht Nägelis, wonach fast jeder erwachsene Mensch tuberkulöse
Residuen mit sich herumträgt, nicht zu Recht besteht. Nun scheint ja
diese Nägelischc Meinung zunächst eine wertvolle Stütze zu haben in
den Ergebnissen der neueren biologischen Untersuchungsmethoden nach
v. Pirquet, Moro u. a., die bei Erwachsenen fast immer in einem für
Tuberkulose positiven Sinne ausfallen. Es ist aber nicht zu vergessen,
dass ein positiver Pirquet nur auf stattgehabte Tuberkelbazilleninfektion
hinweist. Infektion mit Tuberkelbazillen hat jodoch nicht notwendiger¬
weise pathologische Gewebsveränderungen zur Folge, jene könnon
vielmehr, speziell in den Lymphdrüsen, latent bleiben. Diese Latenz
der Bazillen ist nach Baumgarten und Behring ein ziemlich häufiges
Vorkommnis, wird auch durch Weichselbaum, Bartel und Harbitz
bestätigt.
Ausser der Nägelischen Statistik existiert eine ganze Reihe anderer,
die sowohl von jener wie unter sich erheblich abweichen. Burkhardt-
Dresden fand Tuberkulose bei Erwachsenen in 91 pCt., Harbitz in
69 pCt. (glaubt aber die Zahl bis auf 80 pCt. bringen zu können),
Lubarsch in 69,1 pCt. und Beitzke-Berlin sogar nur in 60 pCt. Diese
Differenzen sind dadurch zu erklären, dass besonders die indurativen
Lungen- und Lymphdrüsenprozesse verschiedener Beurteilung unter¬
liegen. Auch von diesem Gesichtspunkt betrachtet, erschien es mir der
Mühe wert, jenen eine eingehende Untersuchung zuteil werden zu lassen.
Eine Tuberkulosestatistik, auf Grund meiner eigenen Untersuchungsresultate
ausgeführt, wird auf jeden Fall weit geringere Zahlen sicherer Tuberkulose
ergeben als die Aufstellungen von Nägoli und auch von Burkhardt.
Die Ergebnisse meiner Arbeit fasse ich in folgende Leitsätze zusammen:
1. Es gibt verschiedenartige indurative Lungenveränderungen, teil¬
weise als typisch zu bezeichnende und häufig vorkommende, und
ebenso Hilusdrüsenindurationen, die nicht tuberkulöser Genese sind.
2. Als sicher tuberkulös können nur solche Lungenindurate ange¬
sehen werden — das Gleiche gilt von den indurierten Bronchial- und
Hilusdrüsen, — die tuberkulöse Gewebsproliferationen oder tuberkulös-
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G. GOERDELER,
käsiges Material aufweisen; letzteres ist nach Massgabe der von mir
angegebenen Kriterien streng abzuscheiden vom erweichten Bindegewebe.
Für die Unterscheidung von Wichtigkeit ist das Verhalten der elastischen
Fasern und der Kohleablagerung.
3. Es gibt zahlreiche Indurationen der Lungen und Hiluslymphdrüsen,
die ihrer Beschaffenheit nach als zweifelhaften Ursprunges zu be¬
zeichnen sind.
4. Diffuse Verkalkung und Knochenbildung sind keine Kriterien
auf Tuberkulose. Bei gröberen Kalkkonkreroenten ist an die Möglichkeit
einer andersartigen Entstehung als auf tuberkulöser Basis zu denken.
5. Scharfe Abgrenzung einer Schwiele, sei es der Pleura oder der
Lunge, ist kein Anhaltspunkt, um daraus sichere Schlüsse auf deren
Genese zu ziehen.
6. Gleiches gilt von den Pleuraverwachsungen und von tuberkulösen
Affektionen der regionären Lymphdrüsen der Lunge bezüglich deren Ver¬
wertung zur Beurteilung von Lungenindurationen.
7. Krankheitsprozesse mancherlei anderer als tuberkulöser Genese
können in Lungen und Lymphdrüsen zu ausserordentlich ähnlichen
Veränderungen führen wie gewisse Formen der Tuberkulose.
8. In der nämlichen Lunge können zugleich Indurate verschieden¬
artigen Ursprungs gefunden werden.
9. Die nicht seltenen, in ihrer Deutung zweifelhaften Befunde an
Lungen und Lymphdrüsen machen es unmöglich, einwandfrei zu ermitteln,
wie häufig die Tuberkulose beim erwachsenen Menschen vorkomrat.
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Berücksichtigung der Krönigschen Ergebnisse. Deutsche med. Wochenschr. 1909.
No. 8 u. 9. — 71) Rindfleisch, Organisatorische Vorgänge an miliaren Tuberkeln.
Physikal.-medizin.GesellschaftzuWürzburg, Juli 1898. — 72) Derselbe, Pathologisch¬
histologische Demonstrationen. Verhandl. d. Gesellschaft Deutscher Naturforscher u.
Aerzte, Wien 1894. — 73) Robin, De la calcification gypseuse des ganglions lym-
phatiques. Bulletin de Paoadömie de m^decine. 1892. No. 2. — 74) Rosenbach, 0.,
Die Erkrankungen des Brustfells. Nothnagels Handbuch der speziellen Pathologie und
Therapie. 1899. Bd. 14. Teil 1. — 75) Rosenberg, M., Chronische Nasenstenose
und Kollapsinduration (Krönig) der rechten Lungenspitze. Arch. f. Laryngol. Bd. 25.
H. 1. — 76) Schlodtmann, W., Ein Beitrag zur Staubinhalationslehre. Zcntralbl.
f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat. 1895. — 77) Schmaus, H., Ueber das Verhalten
der elastischen Fasern in tuberkalösen Lungenherden. Verhandl. d. Kongresses f.
innere Med. XIII. — 78) Schmaus, H. u. E. Alb recht, Untersuchungen über die
käsige Nekrose tuberkulösen Gewebes. Virchows Arch. Bd. 144. Supplementheft. —
79) Schmidt, M. B., Ueber die Altersveränderungen der elastischen Fasern der Haut.
Virchows Arch. 1891. Bd.125. — 80) Schmorl, Diskussionsbemerkungzu dem Vortrage
von M. Koch. Verhandl. d. Deutschen pathol. Gesellschaft. 1907. — 81) Schoene-
mann, Die nichttuberkulöse Lungenspitzeninduration. Schweizer Rundschau f. Med.
August 1909. — 82) Schüppel, Untersuchungen über Lymphdrüsentuberkulose.
Tübingen 1871. — 83) Seitmann, Die Anthrakosis der Lungen bei den Kohlenberg¬
arbeitern. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 2. — 84) Stolper, P., Beiträge zur
Syphilis visceralis. Bibliotheca med. 1896. E. H. 6. — 85) Storch, E., Beitrag
zur Syphilis der Lunge. Ibidem. 1896. E. H. 8. — 86) Sugai, T., Ein Fall von
Lungensyphilis beim Erwachsenen. Zentraibl. f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat.
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t)ie Kriterien der abgelaufenen Tuberkalose der Langen usw.
371
1909. Bd. 20. — 87) Takeya, H., Untersuchungen der Bronchialdrüsen bei
Phthisikern. Arbeiten aus dem pathol. Institut zu Tübingen. 1910. — 88) T#ndeloo,
Studien über die Ursachen der Lungenkrankheiten. 1902. — 89) Thorei, Ch., Die
Specksteinlunge. Zieglers Beiträge z. pathol. Anat. u. z. Pathol. 1896. Bd. 20. —
90) Traube, Deutsche Klinik. 1860. No. 50. — 91) Vallat, M., Ueber fibrinöse
oder hyaline Degeneration im Tuberkel und Gummi. Virchows Arch. 1882. Bd. 89. —
92) Yirchow, Die krankhaften Geschwülste. Berlin 1864. — 93) Derselbe, Ueber
Tuberkelheilung. Berliner klin. Wochenschr. 1891. No. 7. — 94) Wechsberg, F.,
Beitrag zur Lehre von der primären Einwirkung des Tuberkelbazillus. Zieglers
Beiträge. Bd. 29. — 95) Wegelin, Ueber den Tuberkelbazillengehalt verkalkter
Herde. Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1910. No. 29. — 96) Weichsel-
baum, A., Beitrag zur Aetiologie und pathologischen Anatomie der Influenza. Wiener
klin. Wochenschr. 1892. No. 32 u. 33. — 97) Weichselbaum, A. u. J. Bartel, Zur
Frage der Latenz der Tuberkulose. Ebenda. 1905. No. 10. — 98) Weleminsky, F.,
Pathogenese der Lungentuberkulose. Berliner klin. Wochenschr. 1905. No. 24. —
99) Winter, Berichte über Arbeiten aus dem pathologischen Institut der Universität
Würzburg. 1898. 2. Folge. — 100) Woskressensky, Untersuchung der Lungen und
Bronchialdrüsen auf Silikate. Zentralbl. f. allgem. Pathol. u. pathol. Anat. Bd. 9. —
101) Zenker, Ueber Staubinhalationskrankheiten. Deutsches Arch. f. klin. Med.
1867. Bd. 2.
Nachtrag zur Literatur.
102) Arnold, J., Ueber lentikuläre Lungennekrose und die Bildung von Lungen¬
steinen. Münchener med. Wochenschr. 1897. — 103) Beitzke, H., Ueber primäre
Intestinaltaberkulose usw. Virchows Arch. 1908. Bd.194. Beiheft. —104) Bürgi, E.,
Ueber Lungensteine. Deutsche med.Wochenschr. 1906. No.20. —105) Lubarsch,0.,
Zur vergleichenden Pathologie der Tuberkulose. Ebenda. 1908. No. 45. — 106)
Nathan, F., Ueber den Zusammenhang zwischen seröser Pleuritis und Tuberkulose
im Kindesalter. Arch. f. Kinderheilk. 1904. Bd. 38. — 107) Schlenker, Ueber
Tuberkulose als Ursache pleuritischer Adhäsion. Virchows Arch. Bd. 134 —
108) Stern, R., Ueber Lungensteine. Deutsche med. Wochenschr. 1906. No. 20.
Erklärung der Abbildungen anf Tafeln VII—IX.
Figur 1. Veranschaulicht die Struktur einer gewöhnlichen Lungenspitzen¬
verdichtung (Spitzenkappe). Färbung mit Weigertschem Resorzinfuchsin-Hämalaun-
van Giesonscher Farblösung.
Das blaue Maschenwerk sind die Elastinfasern der Alveolarwandungen. Rot
tingierte, breite Kollagenfasern füllen die innerhalb des Maschenwerks gelegenen
Räume, die ursprünglichen Alveolarlumina, aus. Darüber weg zieht die verdickte
Pleura. Die eigentliche Gestalt der Alveolen ist stark verändert, sei es durch nach¬
trägliche Schrumpfung des Bindegewebes, sei es, dass jene von vornherein mehr oder
weniger kollabiert waren; speziell die unter der Pleura gelegenen, mit Bindegewebe
ausgefüllten Alveolen sind erheblich verschmälert und in die Länge gezogen. Im
Verlauf der beträchtlich vermehrten elastischen Fasern vielfach Kohlepigment. Das
qaergetroffene Gefäss links oben entspricht einem Interlobularseptum. In dem intra-
alveolären Bindegewebe nichts von grösseren Blutgefässen zu erkennen. (Typische
Karnifikation älteren Datums.) Hartnack, 65fache Vergrösserung.
Figur 2. Stelle aus einer Spitzenkappe mit fibrinoider Entartung der Kollagen-
und Elastin fasern. Die histiologische Struktur im wesentlichen dieselbe wie bei Fig. 1,
nur sind hier die Elastinfasern grösstenteils schmutzig-grünlich tingiert und treten
vielfach nur eben erkennbar hervor; die ursprünglichen Alveolarlumina ausgefüllt mit
Kollagenfasern, die bis auf einige wenige anstatt rot gelb gefärbt sind. Verschiedent-
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372
G. GOERDELER,
lieh sieht man sehr deutlich den Uebergäng von blauen Fasern in sehmulzig-grüirikhe.
Färbung vgl. unter Fig. 1. Hartnack, lOOfache Vergrösserung.
Figur 3. Alter, völlig verkreidet gewesener, durch Knochengewebe ab¬
gekapselter, tuberkulös-käsiger Bezirk, angrenzend an ein verdicktesInterlobularseptem.
In dem gelb gefärbten, amorphen, käsig-nekrotischen Material treten zahlreiche
blaue Elastin- und einzelne zarte, rote Kollagenfasern hervor. Die ursprüngliche
Gewebsstruktur noch gut erkennbar: stellenweise ein blaues Maschenwerk, das die
Alveolarsepten markiert, ferner zwei ovale, blaue Ringe, die Reste von Gelassen bzw.
Bronchen darstellen. Ein Teil der ursprünglich vorhanden gewesenen elastischen
Elemente ist entschieden zu Grunde gegangen; vielfach finden sich nur feinste blaue
Fäserchen, die gerade noch den alveolären Bau des Lungenparenchyms andeuten (so
z. B. rechts oben im Präparat!). Von ganz besonderem Interesse ist der Umstand,
dass sämtliche Elastin fasern, soweit sie überhaupt sichtbar sind, in gleiohmässig
blauer Farbe deutlich und scharf hervortreten. Färbung vgl. unter Fig. 1. Hartnack,
30fache Vergrösserung.
Figur 4. Stelle aus einer Lungenspitzenverdichtung (Spitzenkappe) mit fibrom¬
artigen Kohleknötchen.
Karnifiziertes Lügengewebe mit engem elastischen Maschenwerk und darüber
wegziehender, verdickter Pleura. Innerhalb des karnifizierten Gewebes setzen sich
scharf ab zwei rundlich ovale, dicht bei einander liegende Stellen; ihre Peripherie
besteht aus konzentrisch angeordneten, breiten Kcllagenfasern, von denen einzelne
fibrinoid entartet sind; im Inneren ist ein dicker, schwarzer Kohlebrei mit ganz wenig,
hier und da eingestreuten, kleinen, gelb tingierten Bröckeln (zerfallene, fibrinoid de¬
generierte Bindegewebsfasern!). Zu beachten ist, dass der periphere, sklerotische Ab¬
schnitt der rundlichen Stellen kohlefrei, bzw. äusserst kohlearm ist. In ihrer aller¬
nächsten Nähe Querschnitte kleiner Blutgefässe, etwas entfernt (rechts unten und
seitlich!) Querschnitte anscheinend eines grösseren, geschlängelt verlaufenden Blut¬
gefässes. Färbung vgl. unter Fig. 1. Hartnack, 45fache Vergrösserung.
Figur 5. Stelle aus einer Lungenspitzenverdichtung mit fibromartigem kohle¬
freien Gebilde.
Karnifiziertes Lungengewebe, darüber beträchtlich verdickte Pleura, die von
ersterem durch eine deutlich hervortretende, geschlängelt verlaufende, elastische
Grenzlamelle getrennt ist. Aus dem verdichteten Gewebe hebt sich deutlich ab ein
rundlich-ovaler Bezirk, zu etwa zwei Dritteln dem karnifizierten Lungenparenchym, zu
einem Drittel der Pleura angehörend. Der Bezirk besteht aus derben Kollagenfasem
in ziemlich regelmässiger, konzentrischer Anordnung, wodurch die scharfe Abgrenzung
dieses Bezirks im wesentlichen bedingt ist; zwischendurch machen sich schmutzig¬
gelb-grünliche, geschlängelt verlaufende Faserzüge, teilweise in maschenförmiger
Lagerung bemerkbar; es sind dies entartete Elastinfasern der Alveolarwände, die am
Rande des rundlich-ovalen Bezirks in normale Elastinfasern übergehen; in Wirklich¬
keit waren die degenerierten Elastinfasern etwas mehr verschwommen als in der
Zeichnung. Am Rande des rundlich-ovalen Bezirks, ebenso im Verlauf der elastischen
Grenzlamelle etwas Kohlepigment, sonst ist jener fast kohlefrei. (Das fibromartige
Gebilde meiner Meinung nach sekundäre Bildung aus karnifiziertem Gewebe-) Färbung
vgl. unter Fig. 1. Hartnack, 30fache Vergrösserung,
Figur 6. Pulmonaler Septumkohleknoten.
Fast im Zentrum des Präparates ein rundliches, scharf abgesetztes Gebilde
aus derben Kollagenfasem, die grösstenteils eine konzentrische Anordnung besitzen.
Zwischen den im allgemeinen rot gefärbten Kollagenfasem ganz vereinzelt auch gelb
tingierte (fibrinoid entartete!) und überall etwas gelbes, bröckeliges Material (zer¬
fallene, fibrinoid entartete Kollagenfasem!). Von dem so gut wie kohlefreien, fibrom¬
artigen Gebilde strahlen nach allen Richtungen hin derbe Bindegewebszüge, zwischen
denen weiterhin am Rande des Präparates Alveolen und Alveolengruppen auftreten.
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Die Kriterien der abgelaufenen Tuberkulose der Lungen usw. 373
In der näheren Umgebung des zentralen, fibromartigen Gebildes massenhaft, insei-
formig zwischen den Bindegewebszägen abgelagerte Kohle. Wir befinden uns hier an
einem Knotenpunkt von lnterlobularsepten, die ihrerseits sehr beträchtlich verdickt
sind durch neugebildotes Bindegewebe. Färbung vgl. unter Fig. 1. Hartnaok,
30faobe Vergrösserung.
Figur 7. Pleurakohleknoten.
Der Knoten ist scharf abgesetzt und besteht aus sklerotischem Kollagenbinde-
gewebe. Im Inneren eine kleine Höhle, die nicht völlig ausgefüllt wird von Kohle¬
pigment und etwas körnigem, gelb gefärbten Detritus. Der Knoten ist aus äusseren
Gründen nur zu etwa drei Vierteln wiedergegeben; das fehlende Viertel auf der rechten
Seite entspricht genau der anderen Seite. Färbung vgl. unter Fig. 1. Hartnack,
30 fache Vergrösserung.
Figur 8. Stelle aus einer anthrakotisch-indurierten Hiluslymphdrüse.
Breite, grossenteils gelb tingierte (fibrinoid entartete!) Koliagenfasern, einzelne
davon ganz kurz, wie abgerissen aussehend; stellenweise gelber, feinkörniger Detritus;
zwischendurch viel Kohle. Das Präparat veranschaulicht in sehr schöner Weise die
Erweichung von sklerotischem Bindegewobe. Färbung Hämalaun - van Gieson.
Hartnack, lOOfache Vergrösserung.
Figur 9. Linke Lunge eines Erwachsenen mit Spitzenkappe. Letztere, im
obersten Spitzenabschnitt gelegen, hebt sich in grau-schwarzer Faibe deutlich und
scharf ab von dem sonst lufthaltigen Parenchym. Sie ist auf dem Durchschnitt flach¬
keilförmig gestaltet, besitzt einen grössten Dickendurchmesser von gut 1 / 2 cm; ihr
Oberflächenumfang entspricht dem eines Fünfmarkstückes. Die Pleura ist im Bereich
der verdichteten Spitzenstelle teilweise sehnig verdickt. Natürliche Grösse.
Figur 10. Knochenbildung im Lungenparenchym. Die 3 Knochenstückchen
unten füllen je eine einzige Alveole aus, das Knochenstück oben hat sich seiner Kon¬
figuration nach in einem erweiterten Infundibulum gebildet. Links unten 1 Knochen¬
stück mit Fettmark. Jedes Knochenstück liegt für sich inmitten von frisch-bepatisiertem
Lungengewebe. Hartnack, 30facheVergrösserung. Obj. 2, Okul. 2, Tubusl. 160mm.
Figur 11. Knochenplättchen inmitten von karnifiziertem Lungengewebe. Inner¬
halb jenes zahlreiche, stark geschlängelte Elastin fasern, in ihrer Anordnung teilweise
genau übereinstimmend mit denen der verdichteten Umgebung; sehr schön zu er¬
kennen, wie aus letzterer Elastinfasern in den Knochen übertreten. Hartnack,
70fache Vergrösserung. Okul. 2, Obj. 4, Tubus eingesch.
Figur 12. Hiluslymphdrüse mit 2 verkalkten Stellen, je von der Grösse eines
kleinen Stecknadelkopfes. Die verkalkten Stellen erweisen sich naoh der Entkalkung
als bestehend aus einer feinkörnigen, amorphen Substanz, die anscheinend in zwei
Hohlräumen liegt, diese nicht völlig ausfüllend. Das umliegende Drüsengewebe von
normaler Struktur ohne vermehrtes Bindegewebe. In den Hohlraum rechts oben ragt
ein kleiner bindegewebiger Zapfen hinein. (Verkalkte Lymphthromben?) Hartnack,
30 fache Vergrösserung.
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Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
Von
Dr. Q. W. Schiele.
(Mit 10 Textfiguren.)
I. Statik.
Es ist eine Linie am lebenden Menschen zu sehen, die sowohl den
Künstlern wie den Anthropologen von jeher bedeutsam erschienen ist.
Das ist der sog. epigastrische Winkel. Die einen ersehen daraus die
Schönheit eines menschlichen Leibes, die anderen die Gesundheit und
Kraft, und lesen daraus, woher der Mensch stammt, ob aus der Freiheit
oder gar Wildheit oder aus der Ueberkultur und der Gefangenschaft.
Der wilde Mensch, der schöne Mensch, der in der Freiheit erzogene
Mensch hat einen weit otTenen epigastrischen Winkel, der sich dem
rechten Winkel nähert oder ihn überschreitet. Der schlaffe, in der Kultur
träge gewordene Mensch, der kraftlose und hässliche Mensch hat einen
spitzen Rippenwinkcl, der weit unter einem rechten liegt. So kommen
und gehen Schönheit und Gesundheit zusammen. (Fig. 1.)
Wie kommt das? Dieser ßippenwinkel verrät, in welcher Neigung
die gesamten Rippen paare zur Vertikalen getragen werden. Wir denken
uns an Stelle der Wirbelsäule oder an sie angelehnt eine Vertikallinie.
Vor dieser Vertikalen heben sich oder senken sich die Rippenringe und
bilden alle zusammen einen fassförmigen Raum. Nähern sich die Rippen¬
ringe oder die von ihnen umschlossen gedachte Fläche der horizontalen
Ebene, so wächst dieser fassförmigo Raum und erreicht sein Maximum
bei horizontaler Stellung, fallen diese Rippenringe, so nimmt dieser fass¬
förmige Raum ab und verschwindet ganz, wenn diese Rippenringe parallel
der Vertikallinie herabhängen. (Fig. 2.)
Die beiden äussersten Stellungen kommen beim Menschen nicht vor.
Aber in grosser Breite kommen Zwischenstellungen vor und geben dem
menschlichen Bau eine ungeheure Mannigfaltigkeit. Je nachdem die
Rippenringe mehr hoch oder mehr hängend getragen werden, ist der
umschlossene Brustraum (intrathorakale Raum) mehr tief oder mehr flach
gebildet. (Fig. 3.)
Zeitsehr. f. kiin. Medizin. 76. Bd. H. 5 u. 6. 25
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376
G. W. SCHIELE,
Nun aber besteht jeder Rippenring aus zwei Halbringen. Er kann
nicht nur so gehoben werden, dass sein vorderer Scheitel steigt, sondern
auch jeder Halbring ist um eine sagittale Achse drehbar und hat seinen
Scheitel, welcher gehoben werden kann, nämlich der rechte Ring einen
Fig. 1.
rechten Scheitel und der linke Ring einen linken Scheitel in der mitt¬
leren Axillarlinie. Denken wir uns diese Scheitel gehoben, so wächst
die Breite des Brustkorbes, denken wir sie uns hängend, so nimmt diese
Breite ab. (Fig. 4.)
Fig. 2.
Fig. 3.
Fig. 4.
Die Aterabewegung bewegt diese Rippenringe und Halbringe be¬
ständig und verändert so den Brustraura. Wir aber denken uns diese
Atembewegung weg und vergleichen eine ideale Mittelstellung von Mensch
zu Mensch und finden, dass diese Mittelstellung sehr verschieden sein
kann und mit ihr die mittlere Grösse des Brustraumes.
Also: Der Brustraum ist in seiner Tiefe und Breite ab¬
hängig von dem Winkel, in welchem die Rippen gegen die
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
377
Horizontale zu getragen werden. Wir lesen diese Rippen¬
neigung ab am lebenden Menschen am sogen, epigastrischen
Winkel.
Diese hohe oder tiefe Rippentracht kann aber noch auf eine andere
Weise zur Anschauung gebracht werden. Denken wir uns den obersten
Punkt des Brustbeins, das Jugulum, horizontal projiziert auf eine ge¬
dachte Vertikale, so wird er bei dem einen Menschen höher zu liegen
kommen als beim andern. Denken wir uns ihn projiziert auf die Wirbel¬
säule, so wird er bei einem Menschen vielleicht auf 5 cm unterhalb der
Vertebra prominens fallen, beim andern vielleicht auf 7 oder 10 cm
darunter, je nachdem der Mensch gewohnt ist, seinen Rippenkorb hoch
zu tragen oder hängen zu lassen. Aus dieser Projektion kann man die
Neigung ablesen, mit welcher der oberste Rippenring getragen wird, und
diese Neigung ist von ganz hervorragender ästhetischer, physiologischer
und pathologischer Bedeutung. Wird dieser Rippenring geneigt getragen,
so sinkt die ganze vordere Thoraxwand, gesehen gegen die Hinterwand
oder gegen die Wirbelsäule, um einige Zentimeter herab. Dadurch er¬
scheint der Hals länger; denn es tritt ein grösseres Stück der Wirbel¬
säule aus dem Brustraum heraus. Dadurch erscheint der Hals zugleich
magerer; denn seine Muskulatur wird durch die grössere Entfernung
ihrer Anhoftungspunkte gestreckt, und zugleich tritt der Kehlkopf deut¬
licher vor.
Mit dem Brustkorb sinkt auch das, was auf ihm liegt, nämlich der
Schultergürtel, am Stamm herunter. Weil zugleich die Breite der Unter¬
lage abnimmt, so nähern sich die Schultern einander, und die Art ihrer
Aufhängung an der oberen Halswirbelsäule hat zur Folge, dass sie zu¬
gleich nach vorn rutschen. Dadurch stehen die Schulterblätter flügel¬
förmig ab. Dadurch erscheint der Rücken rund, die Brust dagegen ein¬
gefallen. Wird dagegen der obere Rippenring hoch getragen, und rpit
ihm alle anderen, so geschieht von alledem das Gegenteil. Die Schultern
steigen, treten auseinander und treten nach hinten.
Wenn die vordere Brustwand am Stamm heruntersinkt, so nähern
sich die Spitzen der freien Rippen der Höhe des Beckenkammes. Die
Taille liegt tiefer. Die Ausspannung der Bauchmuskulatur wird schlaffer.
Wahrscheinlich entsteht das Stigma der Nervösen und besonders der
Magenleidenden, die bewegliche zehnte Rippe, auch nur aus diesem
Tieferhängen der sämtlichen Rippen, in welcher Tiefstellung vermutlich
diese Rippen von der Muskulatur und dem Bandwerk weniger gespannt
gehalten werden als in der Hochstellung.
Aus dem äusseren Bilde folgt die innere Architektonik,
die Grösse und Gestalt und gegenseitige Lagerung aller lebenswichtigen
Organe. Die wichtigsten von ihnen müssen im inneren Brustraum Platz
finden. Von der verschiedenartigen Gestalt, welche dieser innere Brust¬
raum annehmen kann, geben die beiden Vergleichsfiguren Anschauung.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA 1
378
G. W. SCHIELE,
(Fig. 5.) Beide Menschen haben dieselbe Länge von dem 7. Halswirbel
(der Vertebra prominens) bis zum Kreuzbein (dem Os sacrum) gemessen,
und wir denken sic uns auch gleich schwer und alt und nehmen an,
dass sic darum gleich grosse innere Organe brauchen. Aber wie ver¬
schieden ist der innere Brustraum, der dem einen und dem andern zur
Lagerung seiner inneren Organe zur Verfügung steht.
Fig 5.
Man kann diesen Brustraum sich darstellen, indem man an der
Leiche den Schultergürtel entfernt. Man kann den inneren Brustraum
aber auch direkt sehen am Lebenden auf dem Röntgenschirm. Man
kann aber auch ohnedem am Bilde des Lebenden ihn sich konstruieren,
und jeder Künstler ist gewohnt, das zu tun, indem er bewusst oder un¬
bewusst die Konstruktionslinie bildet, die in der Skizze 5 eingetragen ist.
Nun, bei einem Menschen gleicht dieser Brustraum, der die inneren
Organe aufzunehmen hat, einer rundgewölbten romanischen Kuppel, bei
dem anderen einer spitzgewölbten gothischen Kuppel, und zwar sowohl
von vorn als von der Seite gesehen bietet sich dies Bild. Hätten wir
für diese Kuppel eine festgelegte Basis, von der später die Rede sein
soll, so würde sie im einen Fall aussehen wie Figur a, im andern wie
Figur b.
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
379
In diesem Raum müssen die inneren Organe Platz finden. Wie sie
sich der Gestalt des Raumes anpassen müssen, soll nun dargelegt werden.
Den meisten Raum nimmt die Lunge ein. Dies Organ hat nicht
nur elastische Form, sondern auch ein elastisches Volumen. Wir nehmen
aber an, dass die beiden verglichenen Menschen, weil gleich gross, gleich
schwer und gleich alt, eigentlich eine gleich grosse Lunge brauchen und
geben den beiden Lungen dasselbe Gewicht und Volumen. Wegen der Plasti¬
zität der Form werden die Lungen eine ähnliche Wiedergabe der Gestalt
des inneren Brustraumes sein. Die Lunge des^schlaffen Menschen findet
einen viel engeren, in der Breite und Tiefe flacheren Raum vor als die
des anderen. Soll sie nun dasselbe Volumen behalten, so muss sie an
Länge zusetzen, was ihr an Breite und Tiefe fehlt. Es wird also eine
lange Lunge sein. Man hat schon oft die Beobachtung gemacht, dass
am schlaffen Brustkorb (paralytischen Thorax) die Lunge auffallend weit
herunterreicht. Man hat daraus geschlossen, diese Menschen hätten eine
besonders grosse Lunge, und gemeint, es sei die Grösse der Lunge, was
diese Menschen zur Lungenschwindsucht verdammt. Aber diese Lunge
ist nur eine lange Lunge, welche in der Länge die Ausdehnung sucht,
die ihr in der Breite und Tiefe versagt ist. Also die Lunge eines
kräftigen Menschen gleicht einem kurzen und breiten Kegel, die Lunge
eines schlaffen Menschen (paralytischen Menschen) einem hohen und
schmalen Kegel.
Wir sind gewohnt, uns die Grösse der Lunge anschaulich zu machen
mit Hilfe der Auskultation und Perkussion, indem wir ihre Grenzen
projizieren ringsum auf die Brustwand und besonders auf die vordere
Brustwand. Aber wir haben vorhin schon gesehen, dass die vordere
Brustwand auch nur eine sehr relative Raumbestimmung ist, dass sic
beim einen Menschen tiefer am Stamm steht als beim andern. Wir
müssen uns die untere Lungengrenze projiziert denken auf die Hinter¬
wand, auf die Wirbelsäule, dann werden wir noch mehr erstaunen über
die Tiefe, bis zu der die untere Lungengrenze herunterreicht beim
schlaffen Menschen, der seinen Brustkorb hängend trägt.
Es ist nun gewiss für den Luftwechsel und Blutwechsel in der
Lunge nicht gleichgültig, ob die Lunge die Gestalt des kurzen und dicken
oder des hohen und schmalen Kegels hat. Denn der Weg sowohl der
Luft wie des Blutes zu den entferntesten Stellen wird länger und zu¬
gleich enger am schmalen und hohen Kegel. Von ganz besonderer Be¬
deutung ist nun aber noch die Beziehung dieser Kegelspitze zur oberen
Brustraumöffnung (Thoraxapertur).
Die Weite der oberen Brustraumöffnung ist abhängig von dem Winkel,
welchen der erste Rippenring mit der Horizontalen bildet. Fällt der
erste Rippenring, so wird die obere Thoraxapertur enge, steigt der
Rippenring, so wird die obere Thoraxapertur weit.
Was die Weite oder Enge der oberen Thoraxapertur für die Ge-
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380
G. W. SCHIELE,
sundheit zu bedeuten hat, das ist klar genug von den Forschern Freund,
Birch-Hirschfeld, Schmorl und Hart dargelegt worden. Freund
hat auf die angeborene Enge der oberen Thoraxapertur und auf die
frühzeitige Verknöcherung des ersten Rippenknorpels aufmerksam ge¬
macht, Schmorl hat gezeigt, dass man am paralytischen Thorax eine
Druckfurche nachweisen kann, welche die zu enge erste Rippe auf der
Lunge abdrückt. Birch-Hirschfeld hat in der Höhe dieser Furche
eine Stenose, eine Einschnürung des hinaufführenden Spitzenbronchus
nachweisen können und darauf aufmerksam gemacht, dass die typische
Fig. 6.
Lungenschwindsucht, die im 16.—25. Jahre eintritt, gerade mit grosser
Regelmässigkeit an dieser Stelle zu beginnen pflegt. Hart hat das alles
bestätigt, zusammcngeschlossen, darauf die Theorie der mechanischen
Aetiologie der Phthise aufgebaut und besonders noch darauf hingevviesen,
dass es sich nicht um eine blosse Enge der oberen Thoraxapertur
handelt, sondern um das Auftreten einer anderen Form, nämlich an
Stelle der herzförmigen einer längsovalen, an Stelle der vollwertigen
menschlichen einer phylogenetisch tieferstehenden Säugetierform. Nun
darf man sich freilich nicht die Vorstellung machen, als ob die Lungen¬
spitze durch den ersten Rippenring hindurchtretc. Sie tritt nicht hin¬
durch, sondern der Rippenring liegt ihr nur auf. Für die Gestaltung
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Ueber die Neigung der oberen Tboraxapertur.
381
der Lungenspitze kommt es also weniger auf die Weite des Ringes als
auf seine Neigung an, weniger auf die Linie JV als auf die Linie JH.
(Fig. 6.) Je tiefer geneigt der erste Rippenring steht und alle anderen,
um so geringer muss, in irgend einer Horizontalebene gemessen, die
Zirkumferenz und der Durchmesser der Lunge sein. Die Rippenneigung
nimmt der Lunge den Platz zur Ausdehnung. Wohlverstanden, wir reden
bis jetzt nur von der Statik und nicht von der Dynamik der Organe.
An dem tiefer hängend getragenen Rippenkorb muss auch das
Zwerchfell gegen die Wirbelsäule gesehen tiefer stehen. Wenn auch
der hintere Kreisbogen an seiner Insertion einen festen Ausgangspunkt hat,
so muss doch der seitliche und vordere Kreisbogen dem Brustkorb in
seiner Stellung folgen. Also wird auch der Scheitel, mindestens aber
die durchschnittliche Zwerchfellhöhe, tiefer stehen bei dem Menschen, der
sich schlaffer trägt, als bei demjenigen, der sich hoch trägt. Ausserdem
ist bei dem Menschen, der seinen Brustkorb hängen lässt, der ganze
Kreisbogen, auf welchem die Zwerchfellmuskulatur angeheftet ist, enger.
Denken wir uns in die untere Brustraumöffnung in der Höhe der Zwerch¬
fellanheftung eine horizontale Ebene hinein, so kann diese Ebene bei
dem einen Menschen eine Fläche von 300 qcm ausmachen und beim
andern eine von 500 qcm. Die Grösse dieser Fläche der unteren Thorax¬
apertur ist direkt abhängig von der Neigung, in welcher die Rippen
gehalten werden, und sie ist nicht weniger bedeutend für die innere
Architektur des Menschen als die obere Thoraxapertur.
Zunächst für das Zwerchfell. Wenn dieses mit seiner Anheftung
vorn und in den Seiten tiefer steht und ausserdem der ausspannende
Kreisbogen einen geringeren Durchmesser hat, so ist es weniger breit
und straff ausgespannt, und da ein Muskel, dessen Anheftungspunkte
einander genähert werden, eine geringere Bewegungsmöglichkeit bekommt,
so wird auch der Effekt der Zwerchfellsbewegung bei dieser geringeren
Ausspannung geringer sein.
Die Höhe des Zwerchfellscheitels bestimmt auch die Lage des
Herzens. Denn ebenso viel wie das Herz an den grossen Gefässen
hängt, ebenso viel liegt es auf dem Zwerchfell. Das hat der Röntgen¬
schirm verraten. Liegt der Zwerchfellscheitel tiefer, so liegt auch das
Herz tiefer. Wenn es aber wahr ist, dass, die Höhe des Aortenbogens
gegenüber der Wirbelsäule konstant ist, so wird der Weg von der Herz¬
spitze zur Höhe des Aortenbogens gestreckt. Das stimmt mit folgender
Beobachtung überein. Bei jungen Leuten, die durch ihren paralytischen
Thorax zur Phthise vorherbestimmt erscheinen, hat man auch häufig eine,
wie man meinte, angeborene Enge der grossen Gefässe und des Herzens
bemerkt. Es ist aber wahrscheinlich, dass diese Enge nur eine Folge
der Länge ist, welche wiederum eine Folge der tieferen Lage des Herzens
im paralytischen Thorax ist.
Der Form der unteren Brustraumöffnung und der Zwerchfellanheftung
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entspricht die Form der Leber. Wenn nun die untere Brustraumöffnung
einen soviel geringeren Durchmesser hat, von vorn nach hinten und von
rechts nach links gemessen, so müssen auch die Durchmesser der Leber
entsprechend sein. Nehmen wir aber an, dass die Leber gleich schwer
beim einen wie beim andern Menschen sein muss, so wird ihr an Länge
zugelegt werden müssen, was ihr an Breite und Dicke fehlt. Also ragt
die Leber weiter nach'unten. Es gibt Menschen, bei denen man auf der
Vorderwand kaum 4 cm Leberhöhe nachweisen kann, dagegen bei anderen
10—15. Berücksichtigen wir nun noch, dass beim schlaffen Menschen
mit dem Zwcrchfelischeitel auch der Leberscheitel tiefer steht, so wird
es uns nicht wunderbar scheinen, dass wir den unteren Leberrand bei
solchen Menschen in der Höhe des Beckenrandes Gnden. Nun aber be¬
deutet diese grössere Länge des Organs auch eine grössere Länge der
Gallenwege, diese gemessen von der Spitze ’ der Gallenblase bis zur
Yaterschen Papille. In Vertikalstcllung des Menschen laufen diese
Gallenwege nicht mehr horizontal von vorn nach hinten, sondern schräg
von unten nach hinten oben, ja ganz steil nach oben.
Die Leber schiebt die anderen Bauchorganc vor sich her nach unten,
besonders die rechte Niere wird von der herabsteigenden Leber aus
ihrem Bett gedrängt. Die Niere ist nicht so fest an Bändern aufgehängt,
dass ihr Gewicht getragen würde, sondern die in der Bauchhöhle und
unter dem Druck der Bauchpresse befindlichen, sozusagen schwimmenden
Organe drängen sie in ihre Nische hinein. Sinkt aber die Leber nach
unten, so sinkt die Niere mit. So kommt es zur Wanderniere oder, wie
man besser sagen sollte, zur gesenkten und beweglichen Niere.
Die normal liegende Niere wird durch die Atmungsbewegung nur
wenig hin- und hergeschoben. Sie liegt fest in ihrer Nische. Dagegen
beim schlaffen Menschen bewegt sich die gesenkte rechte Niere, die sog.
Wanderniere, sehr lebhaft mit der Atmung. Diese Bewegung wird ihr
zweifellos übertragen durch die Leber, welche ja vom Zwerchfell be¬
ständig bewegt wird. Diese Uebcrtragung ist anormal und es liegt nahe,
hinter dieser Erscheinung die Ursache der Nierensenkung zu suchen.
Fig. 7a ist entnommen dem alten berühmten Hcnkeschen Atlas der
normalen Anatomie. Sic stellt die gegenseitige Lage von Leber und
Niere dar in der normalen Stellung, nämlich beim kräftigen Menschen,
der eine geräumige untere Brustraumöffnung hat, weil er seine Rippen
steil trägt. Hier steigt die Leber vor der Niere auf und nieder, ohne
sie zu belästigen. Die andere Figur stellt die beiden Organe dar, wie
sie beim schlaffen Menschen liegen werden. Hier liegt die Leber in
einer Art Kippstellung, weil der vordere Leberrand weiter nach unten
reicht. Das hat zur Folge, dass der hintere Leberrand sich in die
Nierennische hineindrängt und die Niere zwingt, nach unten auszuweichen.
Dazu kommt, dass die Zwerchfellwölbung weniger steil nach oben steigt,
sondern mit ihrem Scheitel am Stamme tiefer liegt. Um so weiter wird
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Ueber dio Neigung der oberen Thoraxapertur.
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die Niere nach unten ausweichen müssen. Ist die Niere aus ihrer Nische
verdrängt durch die Leber, so liegt sie unter der Leber statt hinter der
Leber und muss nun der Atembewegung der Leber folgen. Warum ist
in der übergrossen Mehrzahl aller Fälle nur die rechte Niere gesenkt?
Weil der grosse rechte Lcborlappen mit der rechten Niere um den Platz
kämpft. Dagegen auf der linken Seite wirkt die Platzenge auf den
Magenfundus als das verschicblichste Organ. Dadurch bleibt die linke
Niere verschont. Man hat die Ursache der Nierensenkung auch in der
Form der Nierennischen gesucht; und auch daran ist etwas Richtiges.
Beim schlaffen Menschen ist die Nierennischc flacher; denn die grössere
Flachheit der Brüst und die grössere Dicke des Bauches, kurz die andere
Verteilung des Gewichtes der Rumpforgane, nämlich die Verlegung des
Schwerpunktes nach unten hat die Folge, dass die Wirbelsäule weniger
deutlich die normale Sförmige Krümmung zeigt und dadurch die natür¬
liche und normale Lordose der Lendenwirbelsäule sich in eine mehr
gerade Stellung verwandelt. Sicher aber ist es nicht das Gewicht der
Niere, welches die Ursache der Nierensenkung ist, oder die Schwäche
der Bänder. Die Leber ist ja ein viel schwereres Organ und kommt
doch weniger aus der Lage; sondern die gegenseitige Beengung und Ver¬
drängung der Organe im verkleinerten Raum der unteren Brustraum¬
öffnung ist die Ursache der Nierensenkung. Hieraus folgt, dass in der
Annähung der Niere keine kausale Therapie zu sehen ist, sondern nur
eine Aendcrung der Raumverhältnisse kann vollkommen Hilfe schaffen.
Immerhin soll damit der operativen Nierenbefestigung nicht Zweck und
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Erfolg abgesproehen werden. Denn die Lageveränderung kann so hoch¬
gradig geworden sein, dass, auch wenn man die Ursache wegnimmt, die
Niere nicht wieder an ihren Platz zurückkehrt, sondern operativ dahin
geführt werden muss.
Wenn im Brustraum so wenig Platz ist, dass alle Organe, Lunge,
Herz, Leber, Niere, tiefer hinuntertreten, so ist es kein Wunder, dass
der Bauch um so dicker wird und um so mehr heraustritt. Derjenige
Mensch, der seinen Brustkorb hochträgt, zieht seine wichtigsten Organe
da hinein, derjenige, der ihn hängend trägt, lässt seine Organe nach unten
herausfallen. Dem wirkt die Bauchpresse entgegen. Da aber die Aus¬
spannung der Bauchmuskulatur am hängenden Brustkorb ungünstiger
ist, indem die Anheftungsstellen einander ganz bedeutend genähert sind,
so ist der Tonus der Bauchmuskulatur gering und ihre Wirkung schwach.
Weil sie zu lang ist, darum fällt sie nach aussen vor. Die Bauchhöhle
verliert an Höhe, gewinnt an Tiefe und Breite, und in ihrem Inneren
stehen die Organe unter geringerem Druck.
Es ist noch über die Lage und Gestalt des Magens und Dickdarms
etwas zu sagen. Der Magen teilt etwas das Schicksal der Leber. Er
ragt mit seiner Kuppe bis unter das Zwerchfell, bis hinein in die untere
Thoraxapertur. Wenn aber in dieser so viel weniger Platz ist, als sein
sollte, so ist die Geräumigkeit der oberen Magenhälfte bei solchem
Menschen nur gering. Was ihm oben fehlt, erhält er unten zugesetzt.
Darum gehört zum paralytischen Thorax der Langmagen. Denn man
redet in solchen Fällen nicht mehr von Magenerweiterung oder Gastroptose,
sondern vom Langmagen.
Beim Weibe leidet der Magen nun noch besonders unter der Ein¬
wirkung des Gewichtes der Röcke mit oder ohne Korsett. Während der
Mann das Gewicht seiner Kleidung auf den Schultern trägt, trägt es das
Weib auf den Hüften. Das wird bei hochtragendem Bau vertragen. Für
Menschen aber mit hängendem Thorax und Tiefstand der Leber und des
Magens ist das besonders gefährlich. Deren Magen leidet sehr bald, weil
seine untere Hälfte unterhalb des schnürenden Gewichts liegt und abge¬
schnürt wird.
Endlich der Dickdarm; weil er abhängig ist von der unteren Leber¬
grenze, wird er seine Wege verschieden wählen beim sich kräftig tragenden
und beim schlaffen Menschen. Er hängt in das kleine Becken herab und
an seinem Uebergang aus dem Ascendens zum Transversum und von
diesem zum Descendens entstehen spitze Winkel. Vor allem aber wird
er darunter leiden, dass die gesamten Bauchorgane unter einem geringen
Bauchpressendruck stehen.
Man hat auch die juvenile Albuminurie auf statische Verhältnisse
zurückgeführt, hat sie eine lordotische oder orthostatische Albuminurie
genannt und behauptet, dass eine gewisse Schwäche in der Haltung der
Wirbelsäule und daraus folgende grössere Lordose den Abfluss des Nieren-
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
385
blutes behindert. Es ist wahrscheinlich, dass sich auch dieses Bild ein¬
reiht in die Reihe der Haltungsanomalien der Körpertracht.
Zusammenfassung: Die allgemeine Enteroptose ist eine
Folge und Teilerscheinung der Thorakoptose. Mit dieser ent¬
steht sie, und mit ihr wird sie geheilt.
Das Vorhergehende soll vor Augen führen, dass die innere Architek¬
tonik des Menschen, die Lage und Gestalt der inneren Organe ebenso
wie das äussere schöne Bild des Menschen bestimmt wird hauptsächlich
durch die Neigung, in der die Rippen zwischen der Horizontalebene und
der Vertikalebene gehalten werden. Man muss versuchen, diese Neigung
am lebenden Menschen zu messen. Wie geschieht das?
Man sucht sich die Vertebra prominens, den Dornfortsatz des siebenten
Halswirbels, auf. Dieser ist nicht immer ganz leicht und zweifelsfrei zu
erkennen. Wenn man das Auge von unten nach oben an den Dornfort¬
sätzen hinaufgehen lässt, so ist er der letzte und oberste, welcher nach
aussen vorsteht. Ist man im Zweifel, so sucht man über ihm den Dom¬
fortsatz des sechsten Halswirbels. Dieser ist daran erkenntlich, dass er
weiter zurücksteht, tiefer im Fleisch steht, ausserdem aber auch daran,
dass er sich,* wenn der Kopf nach vom oder hinten gelegt wird, lebhaft
bewegt, während der siebente Dornfortsatz stillsteht. So ist der Spalt
zwischen den beiden Dornfortsätzen bei der Neigung des Kopfes nach
vorn sehr weit, dagegen bei der aufrechten Stellung des Kopfes und noch
mehr bei der Neigung nach hinten sehr eng. Man kann das mit dem
Finger fühlen. Diesen Spalt markiert man sich durch einen queren Strich
oder Punkt mit dem Blaustift auf der Haut. Wir nennen diesen Punkt V,
das ist also genau genommen nicht die Vertebra prominens, sondern
ein Punkt darüber. Ferner markiert man sich den vorderen oberen Rand
des Brustbeins im Jugulum, Punkt J.. Die Verbindungslinie zwischen
den beiden Punkten V (Vertebra prominens) und J (Jugulum) geht parallel
der Ebene des oberen Rippenringes, neigt sich und hebt sich mit ihm.
Ihre Länge ist abhängig von dem Durchmesser des ersten Rippenringes,
etwa wie das Baudeloquesche Mass von der Conjugata vera. Man misst
bei erwachsenen Menschen 10—15 cm. Uns interessiert aber weniger
die Länge dieser Linie, als ihre Neigung zur Vertikalen. Man kann den
Versuch machen, diese Neigung am stehenden Menschen zu messen. Ich
habe zu diesem Zwecke einen Tasterzirkel in Gestalt eines viereckigen
Rähmchens konstruiert, an dem sich ein Pendel und ein Winkelmesser
bewegt, wie dies auf Fig. 6 deutlich gemacht ist. Mit Hilfe dieses
Instruments kann die Neigung des Linie J—V gegen die Vertikale ge¬
messen werden. Man misst auf diese Weise Werte zwischen 40° und 70°,
von Mensch zu Mensch also grosse Verschiedenheiten, je nachdem man
eine junge Dame mit paralytischem Thorax vor sich hat, oder einen
kräftigen Mann oder einen alten Emphysematiker. Aber die Zahl, die
man so gewinnt, ist doch sehr abhängig von der willkürlichen Körper-
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haltung. Die Wirbelsäule ist eben keine Vertikale, sie kann, je nachdem
ihre S-förmige Krümmung vermehrt oder vermindert wird, mit ihrem
oberen Brust- oder Halsteil sehr verschieden zur Vertikalen eingestellt
werden. Sagt man zu dem gemessenen Menschen: Recken Sie sich auf,
stehen Sic gerade, so verändert sich die Neigung zur Vertikalen, die
man eben gemessen hat. Darum befriedigt diese Messung nicht. Was
wir messen wollen, ist die Weite der oberen Brustraumapertur, also die
Neigung des ersten Rippenringes zur Wirbelsäule und nicht zur Ver¬
tikalen.
Man verfährt besser folgendermassen: Man misst mit einem beliebigen
Tasterzirkel die Entfernung J—V und erhält z. B. ein Mass von 11,5 cm.
Dann denkt man sich mit diesem Radius einen Kreisbogen geschlagen
in der Sagittalebene bis zum Durchschnitt mit der Linie der Dornfort¬
sätze. Um diesen Durchschnittspunkt am Lebenden zu erhalten, misst
man mit dem Tasterzirkel und derselben Entfernung der Spitzen von
11,5 cm in der Linie der Dornfortsätze nach unten und markiert den
erhaltenen Punkt, den wir D (Dorsum) nennen wollen. Von diesem Punkt
aus misst man nun wieder mit dem Tasterzirkel nach dem Punkt J und
erhält eine Entfernung von z. B. 13 cm. So erhält man ein gleich¬
schenkliges Dreieck, dessen Scheitel am Punkt V liegt. Denken wrir
uns die Neigungsobenc des obersten Rippenringes in Bewegung, so öffnen
sich die Schenkel des Dreiecks oder schliessen sich und die Basis D—J
vergrössert oder verkleinert sich. Die Länge der Schenkel aber ist bei
einem und demselben Menschen konstant, wenn er nicht etwa durch
Wachstum sich verändert. Sie sind ja gleich der Linie J—V, und diese
ist abhängig von dem Längsdurchmesser des obersten Rippenringes.
Messungen haben mir ergeben, dass wirklich diese Linie J—V sich durch
die Atembewegungen beim Lebenden nicht wesentlich verändert. Wohl
aber verändert sich der Winkel am Scheitel des gleichschenkligen Dreiecks
und die Basis J—D verlängert und verkürzt sich um 1—2 cm. Uns
interessiert nun gerade die Mittelstellung, die Ruhestellung, und diese
vergleichen wir von Mensch zu Mensch, um daraus ein Mass für die Weite
der oberen Brustöffnung zu haben und daran wiederum ein Mass für die
gesamte Körpertracht.
Zahlreiche Messungen an gesunden und kranken erwachsenen Menschen
haben mir nun folgende Typen ergeben, für welche ich Beispiele aus der
Wirklichkeit nehme.
1. Das bleichsüchtige junge und ältere Mädchen mit Hängemagen,
Senkniere, Costa decima fluctuans und Plätschergeräusch 12. 12. 12 oder
11. 11. 107 2 .*
2. Das gesunde junge Mädchen 12. 12. lS 1 ^.
3. Der junge Mann mit paralytischem Thorax, Lungenspitzenerkrankung
13. 13. 14.
4. Der kräftige junge Mann 13. 13. 15.
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‘lieber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
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5. Der kräftige Mann mittleren Alters 13. 13. 16.
6. Der alte Emphysematiker 13. 13. 18.
Danach scheint das gleichschenklige Dreieck dann einen krankhaften
Zustand zu verraten, wenn es sich dem gleichseitigen nähert, oder gar
diese Form überschreitet. Dies Dreieck scheint mir ein brauchbares
Mass der Körperkonstitution eines Menschen oder, besser gesagt, ein
Index der vitalen Kraft, der lebendigen Energie, mit der ein Mensch das
Gewicht seines Körpers trägt, welcher Index von hohem Interesse sein
Fig. 8.
muss für das Geschäft der Anthropometrie und der Lebensversicherung,
für den Lungentherapeuten, für den Pathologen und Physiologen, für den
Künstler und den Arzt. Wir wollen es das dynamische oder kraft¬
messende Dreieck nennen.
Es gibt noch ein zweites Symptom, an dem wir die Thorako-
ptose messen können. Setzt man einen Menschen auf einen Stuhl und
misst am nackenden Rücken von der Sitzfläche nach dem Punkt V, also
nach dem Spalt über der Vertebra prominens in vertikaler Luftlinie, so
erhält man ein Mass von 68—71 cm. So lang ist also die gesamte
Rumpf länge. Die so gemessene Vertikale halbiert man und markiert
also die Zentimeter 34 oder 36 auf der Linie der Dornfortsätze. (Fig. 8.)
Perkutiert man nun beiderseits der Wirbelsäule die unteren Lungen-
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grenzen, so findet man, dass dies Niveau ungefähr in der Mitte dieser
gemessenen Vertikalen liegt, also beim Zentimeter 34 oder 36. Aller¬
dings fällt beim noch wachsenden Menschen die Grenze relativ höher,
weil die obere Hälfte der Wirbelsäule im Wachstum nachhinkt. Perku-
tiert man nun genau die untere Lungengrenze rings um den Rumpf
herum, so findet man bei kräftigen normalen Menschen diese Linie als
eine horizontale Ringlinie, die in einer Ebene liegt; dagegen bei Thorako-
ptotikern fällt die untere Lungengrenze an den Seiten des Thorax etwa
2—3 cm unter die Horizontalebene des hinten festgelegten Punktes und
steigt nach vorn zu wieder steil in die Höhe, um dasselbe Niveau wieder
zu erreichen. Also wie die seitlichen Rippenscheitel nach unten hängen,
so hängt auch die untere Lungengrenze beiderseits in der mittleren
Achsellinie nach unten herab. Legt man ein Bandmass ringförmig hori¬
zontal über die tiefsten Punkte, so kann man den Punkt markieren, wo
dieser Ring die Wirbelsäule schneidet. Das geschieht beim Thorako-
ptotiker 3 cm unterhalb der oben markierten Hälfte der Rumpflänge.
Noch eine dritte Messung kann vorgenommen werden. Jeder
genau festlegbare Punkt der Vorderwand eignet sich dazu, auf die Wirbel¬
säule projiziert zu werden. So auch die Stelle des Spitzenstosses. Man
legt über diesen Punkt ein Bandmass ringförmig und horizontal um den
Leib und markiert die Höhe dieses Ringes auf der Wirbelsäule. Auch
hierbei wird man erleben, dass beim schlaffen Menschen der Spitzenstoss
tiefer steht als beim kräftigen.
II. Dynamik.
Bisher haben wir von der Statik des menschlichen Körpers ge¬
sprochen. Nun kommen wir zur Dynamik. Man hat sich das Neben¬
einander der Organe nicht als einen festen Bau vorzustellen. Man sollte
nicht von einem Körperbau reden, sondern von einer Körperhaltung.
Denn es sind lebendige Kräfte, die andauernd diese Organe zu heben
und zu tragen und gegeneinander zu bewegen haben. So lange der
Mensch lebt, ruht er nicht. Selbst im Schlafe hört die aktive Arbeit
der Ausspannung des Rippenkorbes nicht auf. Noch grösser ist aber
die Arbeitsleistung im Stehen. Die Schwere der Leber, der Darm mit
seinem Inhalt, das Herz und die Lunge mitsamt ihrem Blut werden ge¬
tragen wovon? Von der rippenhebenden Muskulatur. Es wäre falsch,
wenn man sich vorstellte, diese gesamten Organe wären an der Wirbel¬
säule aufgehängt mit festen Bändern wie ein Rucksack. Sondern die
Uebertragung ihres ansehnlichen Gewichtes, das gewiss an 20 Pfund im
ganzen ausmacht, auf die Wirbelsäule geschieht durch die rippenhebende
Muskulatur.
Die wichtigste Wirkung dieser rippenhebenden Arbeit ist der nega¬
tive Innendruck des Brustraumes. Der negative Druck entsteht mit dem
ersten Atemzug des Neugeborenen, ist also ein Werk aktiver Muskel-
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
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arbeit. Wenn aber der Mensch alt geworden ist und stirbt, so ver¬
schwindet er nun darum nicht mit dem letzten Atemzug, sondern hält
noch nach dem Tode an, weil die erstarrte Muskulatur den Brustkorb
noch festhält. Die Mittellage, in welcher der Brustkorb eingestellt ist,
wird bestimmt durch die Lebensarbeit der hebenden Muskulatur. Die
Folge dieses negativen Innendruckes des Brustkorbes ist, dass die beiden
grossen Organe Lunge und Leber hineingesogen werden in den Brust¬
raum; hauptsächlich die Lunge, welche mit ihrer grossen Dehnbarkeit
sich dem gegebenen Raume durch Entfaltung anpasst; ausserdem aber
auch die Leber. Wenn man am Röntgenschirm einmal dies schwere
Organ hat auf- und abtanzen sehen vor der Wirbelsäule mit einem Aus¬
schlag von 10 cm, so macht man sich von der Vorstellung frei, dass
die Leber irgendwo mit festen Bändern aufgehängt sei. Vielmehr gleicht
sie einem schwimmenden Körper. Auch das Zwerchfell trägt die Leber
nicht. Seine Kontraktion hat jä vielmehr die Funktion, die Leber nach
unten zu schieben. Umgekehrt, die Schwimmkraft der Leber hebt das
Fig. 9.
Zwerchfell wieder hinauf. Die Leber wird nach oben gesogen und ge¬
hoben: gesogen von der Saugkraft des negativen Thoraxdruckes, gehoben
von der tragenden Kraft des intraabdominalen Druckes. Dieser aber
entsteht aus der Arbeit der lebendigen Muskulatur der Bauchpresse.
Arbeit kann ein Muskel nur leisten, wenn er zwischen zwei Widerstände
ausgespannt ist. Angeheftet ist die ßauchmuskulatur einerseits an dem
Beckenrand, andererseits am unteren Rippenring. Nun aber ist letztere
Linie beweglich, gibt nach, wenn sie nicht wiederum durch lebendige
Muskelkräfte, die der Rippenheber, festgestellt wird. So ist die Aus¬
spannung der Bauchmuskulatur ein Werk der Rippenheber. Die gesamte
Muskulatur der Scaleni, der Rhomboidei, der Levatores costarum und
Intercostales gleicht, mit der Bauchpresse zusammen betrachtet, einem
grossen System, in welches der Rippenkorb hineingesetzt ist, etwa wie
ein Sesambein, wie die Kniescheibe in den Vastus feraoris oder wie der
Kehlkopf zwischen die beiden Bäuche der Halsmuskulatur. Das alles
arbeitet zusammen. (Fig. 9.) Durch die Arbeit dieser Muskulatur ent¬
steht der positive Bauchhöhlendruck, welcher das Gewicht der Leber
beinahe ausbalanziert, und der negative Brustraumdruck. Da das Ge¬
wicht der Leber ausbalanziert ist, da sie schwimmt auf den Därmen, so
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hat das Zwerchfell mit ihr leichtes Spiel. Wie einen Ball an einer
Gummischnur wirft es das schwere Organ hin und her. Der Effekt der
Bewegung des Zwerchfells, seine Exkursion, ist natürlich um so besser,
je weiter es ausgespannt ist; und die Kreisform, zwischen der es aus¬
gespannt ist, kann, wie wir gesehen haben, sehr verschieden sein, näm¬
lich eng oder weit, je nach der Kraft der rippenhebenden Muskulatur.
Indem es die Leber nach unten schiebt, wirkt es wie ein Ziehbeutel auf
den Lungensack und bewirkt dadurch einen sehr grossen Teil der Lungen¬
lüftung. Im Liegen würde der negative Innendruck des Brustraumes so¬
fort verschwinden, wenn die Leber in den Brustraum hineinkippen könnte.
Dass sie es tue, verhindert das Zwerchfell durch seinen beständigen
aktiven Widerstand. Darüber wird leicht vergessen, dass auch seine
Arbeit ein Erfolg ist seiner Ausspannung und diese ein Werk der rippen¬
hebenden Muskulatur.
Bisher haben wir von dem Rhythmus der Atembewegung abgesehen
und die hebende Arbeit der Rippen als eine Dauerleistung betrachtet;
nun denken wir uns diese Atembewegung noch daraufgesetzt. Das Herz
vergleicht man meist mit einer Pumpe, welche das Blut umzutreiben hat.
Ueber diese Herzpumpe nun ist eine zweito Pumpe gesetzt, nämlich die
Thoraxpumpe. Diese vermehrt und vermindert rhythmisch die Saugkraft
des Brustraums. In den durch die Rippenhebung geschaffenen Raum
führen nun zwei Torwege hinein, oder, besser gezählt, mehr als drei:
nämlich die Luftröhre, durch welche die Luft hineinstreicht, und die
grosse obere und untere Hohlvene mit ihren Aesten, durch welche das
Blut hereinströmt. Die Wirkung auf den Blutstrom ist nicht geringer
als die auf den Luftstrom. Mit jeder Inspiration wird auch ein Quantum
Blut hineingesogen. Darum wirken die Versuche zur künstlichen Atmung,
die Schultzcschen Schwingungen und das Sil vestersche Verfahren nicht
minder als auf den Luftstrom auch auf den Blutumlauf. Mit jedem
Atemzug saugt die Lunge Blut und Luft herein, damit sich beide in
der Alveolarwand begegnen und ihre Gase austauschen; das Blut gelangt
allerdings zunächst nur in den Vorhof, von wo aus die Kammer cs erst
in die Lunge treibt.
Der Blutstrom und der Luftstrom stehen in Wechselwirkung. Wird
der Luftstrom durch irgendwelche Einrichtung gedrosselt, so wird der
Blutstrom vermehrt. So entsteht das Lungenödem des Gehenkten und
Erstickenden. Auch haben die Aerzte versucht, diese Wechselwirkung
zu nutzen. Die Kuhnsche Saugmaske, die man für die Behandlung der
Phthisiker erfunden hat, ist eine Einrichtung zur Drosselung des Luft¬
stromes und beabsichtigt dadurch, den Blutstrom zu vermehren. Man
will damit etwas Aehnliches für die Lunge erreichen als man an den
Extremitäten mit der Bierschen Stauung oder mit der Saugglocke
erreicht. Aber man erreicht das für die Lunge noch viel vollkommener.
Denn hier hat man eine natürliche Saugglocke, die Thoraxpurape, welche
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Ucber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
391
über der Lunge steht und dafür gebaut ist, das Blut in sie hinein zu
saugen. Denken wir uns nun in dieser Lunge einen Entzündungsherd, so
wird, wie in jedem Entzündungsherd, das Blut in ihm vermehrt sein und
zugleich die Gefässe erweitert, die Alveolen verengert. Das Blut in
diesem Herde aber wird, wie in jedem Entzündungsherd, in den er¬
weiterten Gefässen sehr langsam fliessen, beinahe stille stehen. Wenn
nun bei der Inspiration der Luftstrom gedrosselt wird, so wird der Blut¬
strom verstärkt und bei einer nicht zu akuten Entzündung und nicht zu
gewaltigen Staso ergibt das Verfahren eine Verstärkung und Beschleuni¬
gung des Blutstromes, einen besseren Blutwechsel im Entzündungsherd,
vor allem aber in dem benachbarten, weniger veränderten, gesunden Ge¬
webe. Durch solche Beschleunigung des Blutstroms kann vielleicht die
doppelte Menge Blut in der Zeiteinheit durch das Organ getrieben werden.
Uebrigens ist die Nase nichts anderes als eine Kuhnscho Drosselmaskc,
aufgesetzt auf den Luftstrom und bestimmt, den Luftstrom zu drosseln,
damit dafür der Blutstrora wächst. Die Atmung durch den Mund hat
nicht diesen Vorteil. Darum ist es so wichtig für die Ausbildung der
guten Thoraxform und für dio Kräftigung der Thoraxmuskulatur, dass
man besonders beim jugendlichen Menschen dio Nasenatmung, wenn sic
verlegt ist, durch operative Eingriffe wieder frei macht. Der Luftweg
durch die Nase muss so weit sein, dass er zur Lungenlüftung gerade
genügt, und so eng, dass eine kräftige lnspirationsmuskulatur sich an¬
strengen muss, ihn zu überwinden.
Der Versuch mit der Kuhnschen Maske zeigt unserem Auge, wie
fabelhaft klein der Spalt sein kann und sein soll, durch den der Mensch
seine 8 1 Luft in der Minute einzieht. Die bisherigen Atmungsübungen
sind, wie mir scheint, noch nicht auf das richtige Prinzip eingestellt.
Sie versuchen nicht, den Einatmungsstrom zu drosseln, sondern den Aus-
atmunsstrom durch Hindernis zu verlängern. So gehört zu der Oldcn-
Barneveltschen Atmungsweise das langsame Ausatmen auf f. Es hat das
gewiss auch schon sein Gutes; es lernt der Sänger dadurch einen langen
Ton halten. Aber für den therapeutischen Effekt scheint mir die
Drosselung des Einatmungsstromes wichtiger zu sein. Diese kann auf
dreierlei Weise geschehen: entweder durch willkürliches Klcinstellen der
Stimmritzo bei der Einatmung oder durch Verschluss eines Nasenloches
mit Fingerdruck oder durch die Kuhn sehe Saugmaske. Letztere ist
für längere kurmässige Behandlung des Einatmungsstromes sicher das
richtigste und bequemste.
Es ist bekannt, dass die Blutkörperchen und noch mehr der
Hämoglobingehalt des Blutes sich bei Aufenlhalt in Höhenluft bedeutend
vermehren. Forscher, welche diese Erscheinung studiert haben, sind zu
dem Schluss gekommen, dass es sich hier um einen kompensatorischen
Vorgang handelt. Nämlich der geringere Sauerstoffgehalt des Luftvolumens
in der Höhe von 2000 m wird ausgeglichen nicht so sehr durch Ver-
Zoitschr. f. klin. Medizin. 76. Bd. II. 5 u. 6. 2G
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tiefaDg der Atmung, also Vermehrung des gesamten Volumens, oder
durch Erhöhung des Pulsschlags, Beschleunigung also des Blutumlaufs
— diese beiden Verfahren nämlich sucht der Körper als unzweckmässig
möglichst bald überflüssig zu machen — sondern vielmehr durch Ver¬
mehrung der atmenden Oberfläche der Blutkörperchen. Nun haben andere
Forschungen bewiesen, dass dasselbe eintritt, wenn man dem Einatmungs¬
strom durch die Kuhnsche Maske ein Hindernis in den Weg legte, und
also den Sauerstoff spärlicher dosiert. Auch dann vermehrt sich der
Hämoglobingehalt. Der Hämoglobingehalt des Blutes und ihm proportional
die Blutkörperchenzahl steht also in einer regulierbaren Abhängigkeit
von dem gebotenen Sauerstoff. Er ist gewiss um so grösser, je höher
der Sauerstoffbedarf des Körpers durch Arbeit steigt und um so kleiner,
je leichter der gebrauchte Sauerstoff zu haben ist.
Ohne Belastung atrophiert jeder Muskel. Nun wird die Atmungs¬
muskulatur als Ganzes genommen beim Stubenmenschen zu wenig ge¬
braucht. Der läuft nicht und hebt nicht und stemmt nicht. Er hat
seinen Sauerstoff zu billig und beschränkt darum seinen Hämoglobin¬
bestand. Soll dieser Fehler korrigiert werden durch bewusste Uebung,
so muss Widerstandsgymnastik, eine Belastungsarbeit für die Atmungs¬
muskulatur erdacht werden. Damit diese Arbeit der natürlichen An¬
strengung möglichst ähnlich sei, muss sie eine Erschwerung der Ein¬
atmung bedeuten, nicht der Ausatmung. Bei der wirklichen Arbeit
entsteht eine relative Einatmungserschwerung dadurch, dass der Luft¬
bedarf auf das Sechsfache gesteigert wird: bei der Widerstandsgymnastik
mit der Kuhn sehen Saugmaske wird eine absolute Einatmungserschwerung
angebracht bei gleichbleibendcm Bedarf, weil dieser nicht gesteigert
werden kann oder soll. *
Es kommt nicht nur darauf an, dass der Mensch seinen Sauerstoff¬
bedarf bekommt, und es ist nicht wünschenswert, dass er ihn möglichst
leicht bekommt. Ueberall nützt dem menschlichen Leibe nur das, was
er durch eigene Anstrengung erreicht. Also auch hier kommt es sehr
darauf an, dass ein kräftiger Inspirationsstrom entsteht, aber nicht ein
breiter und träger Strom, sondern ein geschwinder und schmaler Strom.
Der allein hat die reinigende Kraft für die Funktionen, die noch von
ihm verlangt werden. Denn es ist die Intensität der Atembowegung
an sich von Bedeutug, ganz abgesehen von ihrer Wirkung auf den
Luftstrom.
Die Lunge gleicht einem Staubsaugeapparat, wie er jetzt zur Ent¬
stäubung unserer Teppiche gebraucht wird. Wieviel Staub die Lunge
des Kulturmenschen aufsaugt, können wir uns vorstellen, wenn wir die
Sonnenstäubchen in unserer Zimmerluft beachten, so bald einmal die
Sonne recht schräg in unsere Wohnung fällt. Wieviel Milligramm täglich
sind es? 100 mg täglich nach Sommerfelds Lehrbuch der Gewerbe¬
krankheiten. Ein grosser Teil des Staubes bleibt in der Nase liegen,
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Ucber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
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ein anderer an der Pharynxwand und in den grossen Bronchien,
aber ein letzter grosser Teil kommt bis in die Lunge. Von dort schafft
ihn der Fiimmerstrom, das ist der oberflächliche Lymphstrom der
Bronchien, wieder hinaus. Der andere oder eigentliche Lymphstrom
schafft ihn in die Lymphdrüsen, wo er verdaut wird. Nun ist es für
die Intensität dieses Lymphstromes und seinen Erfolg gewiss nicht
gleichgültig, ob er einen langen oder einen kurzen Weg zu machen hat,
ob die Lunge schmal und lang ist oder kurz, dick und breit. In
letzterem Falle hat der Flimmerstrom einen kürzeren Weg zu machen.
Der Flimmerstrom wird auch angetrieben von dem herausjagenden Ex¬
spirationsstrom. Also die Intensität der Lungenlüftung erhält die Ge¬
sundheit des Organs. Der Luftstrom fegt die Lunge aus.
Nicht weniger wichtig als für die Lunge ist die Atembewegung für
die anderen lebenswichtigen Organe. Sie erleichtert die Arbeit des
Herzens. Vielleicht entsteht ein grosser Teil der Erschwerung der
Herztätigkeit, die wir bei alten und sehr fetten Leuten beobachten,
daraus, dass es an der kräftigen Hilfe der Thoraxpumpe fehlt. Auch
für die Leber und die Bewegung ihres Saftstromes und Sekretstromes
ist, wie wir aus Analogie schliessen dürfen, gewiss das intensive Auf-
und Abtanzen unentbehrlich. Für die Darmbewegung ist der beständige
Spannungswcchsel der Bauchmuskulatur, der zur Atmungsbewegung
gehört, von grosser Bedeutung. Diese Bewegung ist vielleicht auch für
die Gesundheit der Untcrleibsorganc des Weibes sehr wichtig. Daher
die nachteilige Wirkung des Korsetts, welches die Bauchmuskulatur fest-
stellt, zu langsamer Degeneration verurteilt und die Bewegung der ßauch-
organe, besonders auch der Leber, hemmt.
Zusammenfassung: Die Atembewegung ist von grosser Bedeutung
für die Funktion der lebenswichtigsten Organe. In der Dynamik dieser
Bewegung spielt die Arbeit der rippenhebenden Muskulatur die zentrale
Rolle. Arbeit des Zwerchfells und der Bauchmuskulatur sind von ihr
abhängig.
Ebenso wichtig aber als die Intensität dieser Bewegung ist das
Gleichgewicht, um welches sie schwingt. Man darf über der Dynamik
der Atembewegung ihre Statik nicht vergessen. In dem gewonnenen
und festgehaltenen Gleichgewicht werden die Dauerwirkungen auf die
einzelnen Organe offenbar. Nicht die Intensität der Bewegung, sondern
die in der Bewegung vollendete und festgehaltcne Form verrät uns
Krankheit und Gesundheit, Kraft und Schwäche des Leibes. Mit dieser
Lehre wollen wir uns nun der Pathologie zuwenden.
IIL Pathologie der Thorakoptose.
Die beiden Forscher Freund und Hart, ein alter und ein junger,
haben, der alte schon vor 40 Jahren, beobachtet, dass an phthisisch Ge¬
storbenen man häufig eine schalenförmige Verknöcherung der Knorpel
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G. W. SCHIELE,
des ersten Rippenringes findet, und zweitens beobachtet, dass in solchen
Leichen, in denen man eine geheilte Phthise findet, man häufig diese ver¬
knöcherten Knorpel gesprengt, frakturiert, ja durch eine Art Gelenk,
eine Psoudarthrosc, beweglich gemacht findet. Sie haben in der früh¬
zeitigen Verknöcherung eine Ursache zur Erkrankung gesehen, und in
Sprengung und Gclenkbildung die Ursache zur Genesung. Sio haben
gemeint, dass man diese Naturheilung nachahmen müsse durch eine
Operation, die den oberen Rippenring sprengt. Sie haben diese Operation
sowohl für Emphysem als für beginnende Phthise vorgeschlagen.
Was nun die Phthise betrifft, so scheint mir diese Auffassung eine
Umkehrung des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung zu sein.
Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die Phthise, welcho gerade junge
Menschen ergreift, und um so bösartiger zu sein pflegt, je jünger der
Mensch ist, ihre Hauptursacho finden sollte in der zu frühzeitigen Ver¬
knöcherung, die doch erst beginnt. Auch fällt es keinem ein, an einem
tuberkulös erkrankten Gelenk die Knorpclzerstörung und das Schrumpfen
der Bänder und Kapselteile für die Ursache der Tuberkulose zu halten.
Man hält sio vielmehr für die Folge der Erkrankung und des Nicht¬
gebrauchs. So scheint es mir auch von dieser frühzeitigen Verknöche¬
rung der Knorpel des ersten Rippenringes viel wahrscheinlicher, dass sie
die Folge der Erkrankung und des Minderbrauches ist. Denn kein
Symptom tritt an der tuberkulös erkrankten oder überhaupt erkrankten
Lunge frühzeitiger ein, als das Zurückbleiben im Gebrauch. Die Be¬
tastung durch Auge und Hand verrät uns an der pneumonisch erkrankten
Lunge dies Symptom schon am ersten Tage und an der tuberkulös er¬
krankten Lunge zeigt uns ausserdem noch der Röntgenschirm eine sehr
deutliche Hemmung in der Bewegung der Zwerchfellhälfte auf der er¬
krankten Seite schon in den allerersten Anfängen.
Wenn aber ein tuberkulös erkranktes Gelenk wieder gesund wird,
so stellt sich auch eine grössere Beweglichkeit wieder ein, und wenn
eine tuberkulös gewesene Lunge wieder geheilt ist, so erstarkt ihro Be¬
wegung wieder; ihre schalenförmige Verknöcherung wird gesprengt und
eine Art Gelenk hergestellt. Das Gelenk aber ist nicht Ursache der
Heilung, sondern Folge.
Ich sehe die Ursache der Tuberkulose nicht in statischen Verhält¬
nissen, sondern vielmehr in dynamischen, nicht in einer prädestinierten
frühzeitigen Verknöcherung und Enge des ersten Rippenringes, sondern
darin, dass die rippenhebende, tragende Kraft der Muskulatur zurück¬
geblieben ist gegenüber dem durch das Wachstum des Körpers ver¬
mehrten Gewicht. Denn der erste Rippenring umschliesst gar nicht die
Lungenspitze, sondern er liegt ihr nur auf. Die Schwere der ver-
grösserten Organe, der Leber, der bluthaltigon grossen Organe, des
Darminhaltes, kurz, das Gewicht des ganzen Rumpfinhaltes überträgt
sich auf den ersten Rippenring, drückt auf das elastische Polster der
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
395
Lungenspitze und erdrückt es. Der Spitzenkatarrh ist das erste Symptom
der Druckatrophie der Lunge; er ist in seinem Ursprung nicht tuber¬
kulös, aber er wird es werden. Aus der Pathologie wissen wir, dass,
wenn dies Gewicht auf dem Lungenpolster vermehrt wird, dadurch, dass
die den Schultergürtel hebende und tragende Muskulatur schwindet, so
dass das Gewicht der Arme zu dem anderen Gewicht hinzukommt, was
so schon an den Rippen zieht, wie dies bei der progressiven juvenilen
Muskelatrophie, Typ Duchenne-Aran geschieht, der junge Mensch
rettungslos der Tuberkulose verfällt. Wir wissen auch, dass durch die
Prophylaxe der Mensch nicht vor der Tuberkulose zu behüten ist, wenn
aus besonderer Ursache die das Gewicht tragende Kraft geschwächt
wird, so beim Katatoniker, Melancholiker oder beim Gefangenen. Ebenso
kann ein Missverhältnis zwischen Kraft und Gewicht entstehen, einfach
durch zu schnelles Wachstum des Gewichts, nämlich des Skelettes und
der inneren Organe, und Zurückbleiben der Kraft, nämlich der Muskulatur. So
entsteht die jugendliche Phthise. Was kann es nun in solchen Fällen
nützen, wenn man den ersten Rippenring sprengt? Das Gewicht des
Rumpfinhaltes wird nur um so mehr an den Rippenstümpfen ziehen.
Wäre es nicht viel richtiger und notwendiger, die tragende Kraft zu
stärken?
Da ist nun freilich ein grosser Unterschied zu machen zwischen der
Therapie der Phthise und der Prophylaxe der Phthise. Ein an frischer
Tuberkulose erkranktes Gelenk kann nicht durch intensive Bewegung
heilen. Also darf man auch eine frisch erkrankte Lunge nicht durch
intensive Atembewegung heilen wollen. Der frische Herd braucht Ruhe.
Aber der zweifellose Erfolg einer Liegekur bei beginnender Phthise
kommt daher, dass im Liegen das Gewicht des Rumpfinhaltes dör rippen¬
hebenden Muskulatur abgenommen wird, dass im Liegen der ermüdete
kranke Körper mit der gebliebenen schwachen Kraft seiner Rippenneigung
eine grössere Steilstellung zu geben vermag als im Stehen, dass also
das kranke Organ in einer grösseren Aufspannung in Dauerstellung ge¬
halten wird, und das ist es eben, was ihm gut tut, diese weite Aus¬
spannung ohne viel Bewegung. Ist der Mensch wieder kräftiger ge¬
worden, dann kann er diese dauernde weite Ausspannung auch in auf¬
rechter Stellung erhalten. Diese grössere Kraft muss ihm erst nach und
nach anerzogen werden. Was aber gleich geschehen muss, das ist die
Befreiung der Lungenspitzen von dem Druck des Rippenkorbes, an dem
ein Gewicht hängt, welches die Muskulatur nicht zu tragen vermag. Die
Erkrankung der beengten Lungenspitze kann man so vergleichen mit
einer Druckatrophie, welche geheilt werden kann durch Aufhebung des
Druckes. Aber dieser Druck ist nicht eine starre Enge, wie nach Harts
Auffassung, sondern die Last eines Gewichtes, und die Liegekur gleicht
der Gewichtsextension, die wir bei Erkrankung des Hüftgelenks an¬
wenden; sie ist eine Extensionskur der Lunge.
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G. W. SCHIELE,
Was die Prophylaxe anbetrifft, so kann auch diese nicht in einer
Sprengung des ersten Rippenringes bestehen, sondern nur darin, die
rippentragenden Kräfte zu stärken, durch Training zu erziehen. Dazu
aber kann viel geschehen. Der sog. phthisische Thorax ist nicht Prä¬
destination, nicht angeboren, wenigstens nicht mehr als die Konstitution
überhaupt. Eine kräftige Konstitution von Geburt aus ist sozusagen ein
guter Anlauf, aber noch nicht der Sieg im Wettlauf. Auch von diesem
ererbten Vermögen gilt das Dichterwort: „Erwirb es, um es zu be¬
sitzen.“ Ein reich Geborener kann arm werden und ein arm Geborener
kann reich werden. Die phthisische Thorax ist eine Entwicklungsfolge,
ein Erziehungsprodukt. Für die Aufzucht der Jugend bei Mensch und
Vieh ist ein weiter Spielplatz noch wichtiger als guteNahrung. Die besteKost
nützt nichts, wenn es an der Bewegungsfreiheit fehlt. Man kann einen
jungen Menschen nicht gross und stark mästen, sondern nur zur Kraft
durch Uebung trainieren. Der frei aufwachsende Mensch tut das Nötige
instinktiv' und unbewusst von ganz allein, der in der Gefangenschaft oder
unter ungünstigen Verhältnissen muss es bewusst nachholen. Es ist ge¬
wiss nicht gleichgültig, es kann nicht gleichgültig sein, ob ein junger
Mensch 24 000 Atemzüge macht oder etwa 36 000, 7,5 Millionen im
Jahr oder 11 Millionen im Jahr, und ob er mit diesen Atemzügen
10 000 Liter täglich Luft durch die Lungen pumpt oder 20 000 Literi
und dementsprechend auch eine doppelte Menge Blut täglich durch die
Lungenkapillaren jagt.
Hat durch jahrelange Vernachlässigung sich ein schlaffer hängender
Thoraxbau ausgebildet, ein sog. paralytischer Thorax, so kann sowohl
bei jungen, als auch bei schon erwachsenen Leuten durch bewusste
Uebung, durch Atemgymnastik noch enorm viel nachgeholt werden.
Nichts ist so plastisch als die Körperform und insbesondere die Thorax¬
form. In wenigen Wochen kann sie verändert werden. Der Mensch hat
genau den Thorax, den er sich anexerziert. Es muss mit dieser Atem¬
gymnastik bewusst auf das Ziel losgegangen werden, den Rippenneigungs¬
winkel zu vergrössern, um dadurch den dorsoventralen und den frontalen
Durchmesser des Thorax und der Lunge zu vergrössern. Hieraus folgt der
Höherstand dcsZwerchfells und also ein besserer Effekt derZwerchfellsarbeit.
Hieraus folgt, dass das Herz höher steht und die Schlagadern weniger
lang sind. Hieraus folgt, dass die Leber höher getragen wird und mehr
Breitenausdehnung bekommt. Hieraus folgt, dass der Magen höher ge¬
tragen wird, dass der Dickdarm nicht tief in das kleine Becken hängt,
dass die Nieren in ihren Nischen Platz finden, dass die Bauchpresse,
straffer ausgespannt, besser arbeitet.
Die Atembewegung reguliert die Intensität des Lebens Vorganges in
allen wichtigen Organen wie das Pendel die Uhr. Aber nicht nur die
Amplitude ist an ihr wichtig, sondern sehr wichtig ist auch noch die
Mittelstellung, um welche sie schwingt. Hätten wir über diese genaue
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
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Zahlen, so könnten wir eine Formel der Atembewegung aufstellen, aus
welcher FormeL man die Vitalität eines Menschen, die Kraft seiner Kon¬
stitution ablesen könnte. Darum müssen wir ein anthropometrisches
Verfahren suchen, das uns diese Zahl gibt als einen Index der vitalen
Kraft. Dieses haben wir, glaube ich, an dem dynamischen Dreieck.
Wieviel Kraft im Lebenskampf ein junger Mensch einsetzt, wieviel ein
alter noch übrig hat, sagt uns seine Atmungsdauerleistung. Für den
Grad des Alterns ist die noch übrige aktive Arbeit der Atembewegung
ein ebenso wichtiger Zeiger, wie die Elastizitä der Adern. Wie wichtig
ist das für die Lebensversicherung und wie wichtig für die Erziehung.
Dabei ist aber für den alternden Menschen der noch verbliebene Aus¬
schlag der Bewegung das Wichtigste, für den jungen Menschen aber die
Dauerstellung, um welche die Bewegung schwingt. Z. B. bei der Aus¬
hebung zum Militärdienst scheint mir das dynamische Dreieck ein min¬
destens ebenso wertvoller Index zu sein, als die Differenz des Brust¬
umfangs bei der Atmung.
Wo es an dieser Atembewegung fehlt oder jahrelang an ihr gefehlt
hat, da leidet die Lunge und nach ihr leiden die gesamten Organe.
Jedes menschliche Organ wird in seiner Gesundheit erhalten durch den
Gebrauch. Wenn ein Mensch seine Zähne nicht braucht, so werden sie
kariös, totsicher trotz aller sorgfältigen Zahnpflege, und fallen aus. Die
Prophylaxe gegen die Bakterien, die Zahnpflege,- kann dagegen allein
nichts helfen. Aus dem Mindergebrauch kommt die Karies doch trotz
aller Sorgfalt.
Der rechte Gebrauch einer Lunge besteht darin, dass sie recht
kräftig bewegt wird, gedehnt wird und wieder zusammenfällt. Dann be¬
schleunigt sich in ihr der Luftstrom und der Blutstrom und der Lymph-
strom und dann bleibt sie gesund. Sonst aber wird sic kariös. Die
Karies der Lunge aus Mindergebrauch ist die Tuberkulose und weiterhin
die Phthise. Dazu gehören allerdings Bakterien. Aber an denen wird
es nicht fehlen. Auf dem Blutwege oder Luftwege oder Lymphwege
greifen sie beständig an. Wird die Lunge kräftig gelüftet und durch¬
blutet, so ist ihre Gegenwart wirkungslos. Wenn nicht, so ist ihr Angriff
erfolgreich. Die Tuberkulose ist allerdings ursprünglich eine Volksseuche
mit grosser Angriffskraft. Es ist bekannt, dass die wild und in ihrem
rauhen Klima nackend lebenden Feuerländer, die gewiss einen vorzüg¬
lichen Thoraxbau und einen intensiven Lungengebrauch haben, rapide
eingehen, so bald sie mit dem Europäer in Berührung kommen. In
6 AVochen sterben sie an Tuberkulose, so sicher wie wir an der Pest
sterben würden. Aber für den Kultureuropäcr ist die Tuberkulose all¬
gegenwärtig. Jeder wird ein wenig infiziert; wenige nur erliegen; so wie
jeder einen kleinen kariösen Herd in den Zähnen hat, aber doch nur
wenige alle Zähne krank haben.
Die Lungentuberkulose des Kulturmenschen folgt aus dem Minder-
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G. W. SCHIELE,
gebrauch der Lunge, wodurch die Lunge weniger gut gelüftet und durch¬
blutet wird. Oder noch allgemeiner, sie folgt aus dem Mindergebrauch
der Muskulatur. Aus dieser folgt die schlaffe Haltung, d. i. der para¬
lytische Brustkorbbau, und aus diesem kann durch die Beengung des
Organs und die Behinderung seiner Bewegung die Tuberkulose folgen.
Aber es ist übereilt, diesen Brustkorbbau einen phthisischen zu nennen.
Denn weder sind alle diese Menschen phthisisch, noch brauchen sie es
zu werden. Unter günstigen Verhältnissen bleiben viele von ihnen vor
der Lungenphthise bewahrt. Aber dann entsteht ein anderes Krankheits¬
bild, sozusagen eine andere Phthise, die wir ira folgenden besprechen wollen.
Leute mit paralytischem Thorax, die im 2. und 3. Dezennium der
Phthise entgangen sind, erkranken, besonders wenn sie weiblichen Ge¬
schlechtes sind, an - den mannigfachsten Beschwerden, der Enteroptose,
Gastroptose, Nephroptose, Koloptose, welche alle nur eine Folge der
Thorakoptose sind. Die Costa decima fluctuans verrät, dass beides,
Thoraxform und Enteroptose, zusammenhängt.
Was am meisten leidet, ist der Magen. Der Langmagen entleert
sich schwer. Ueber Nacht bleibt ein saurer Schleim stehen. Von hier
aus werden Kopfschmerzen ausgelöst, Migräne, Magenschwindel bei plötz¬
lichen Bewegungen (vertigo e stomacho laeso), schmerzhafte Druckpunkte
im X. und XI. Interkostalraum neben der Wirkelsäule, schliesslich Er¬
brechen, meist ohne Speiseninhalt. Die Leidenden gewöhnen sich an
eine immer geringere Nahrungsaufnahme, magern ab, werden immer
schwächer, haben Heisshunger und können doch nicht essen; sie fühlen
sich immer satt, es bilden sich Ulzera im Magen, die rechte Niere wird
tiefer geschoben und schmerzhaft, der Dickdarm wird immer träger. Je
geringer die tragenden Kräfte werden, um so mehr hängt das ganze Ge¬
wicht der Röcke auf dem Magenpolster und dem heraustretenden Leibe.
Ein Korsett wird nicht mehr vertragen. Der Ring der Röcke, der, wenn
er auch noch so weit getragen wird, schnürt den Magen ab und stellt
ihn fest. Die Stimmung ist verzweifelt, missmutig und zänkisch. Denn
nichts drückt so sehr auf die Stimmung als das Missbehagen des Magens.
Diese Menschen gelten als nervös, neurasthenisch, pathologisch degenerativ
von Geburt aus und sind doch einfach nur magenkrank. Junge Mädchen
werden chlorotisch, später altern sie zu früh und gelten als blutarm.
Gewöhnlich haben sie auch einen leichten gutartigen Kompressionskatarrh
der Lungenspitzen und werden unter dem Verdacht beginnender Phthise
in allen Heilorten umhergeschickt. Die Liegekur in den Lungenheil¬
anstalten hilft ihnen meistens, die Mastkur schadet ihnen zuweilen.
Schliesslich entsteht eine ganz wunderliche Körperhaltung, wie sie Fig. 10
darstellt.
Solche Leute müssen mit Liegekur behandelt werden, genau wie
die Phthisiker. Gewöhnlich ist ihre rippentragende Muskulatur, ja,
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Ucber die Neigung der oberen Tboraxapertur.
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4
AÄ
die gesamte Streckmuskulatur der Wirbelsäule, hochgradig atrophisch.
Es findet sich auch oft eine Ermüdungsskoliose. Im Liegen sind die
schwachen Muskelkräfte imstande, langsam an eine Besserung der Form
zu gehen. Die Liegekur ist Schonung und Uebung zugleich. Der sehr
geschwächte Magen muss eine an Quantität geringe, an Qualität gute
Nahrung erhalten und wird dadurch zu grösserer Leistung erzogen. Die
Expression des scharfen Saftes morgens nüchtern durch den
Magcnschlauch ohne massenhafte Spülung erleichtert und
beschleunigt die Behandlung; ebenso auch die Faradisie-
rung des Magens durch die Bauchdecken. Lässt man die
Frauen aufstehen, so muss man ihnen das Gewicht der
Röcke vom Magen nehmen. Sie müssen Reformkleidung
tragen. Sehr häufig ist aber die Tragkraft der Schultern
und der Wirbelsäule noch zu schwach. Dann tut man
gut, ihnen ein niedriges Korsett aus Gips oder Wasserglas
oder Zelluloid zu machen, über welchem die Röcke ge¬
bunden werden, und welches das Gewicht der Röcke auf
das Becken überträgt. Das Korsett braucht nur bis zur
Nabclhöhe zu gehen. Unter diesem Korsett liegt die
Bauchwand wie in einem Hohlring frei. Es ist zugleich
auch die beste Therapie für die Schmerzen der gesenkten
und beweglichen Niere. Zuweilen bringt es allein schon,
weil es die fürchterliche Malträtierung von Niere und Magen
aufhält, eine Gcwichtsvermchrung von 10 Pfd. ein.
Aber die geänderte Uebertragung des Gewichtes der
Kleider ist doch nur ein schwaches Hilfsmittel. Handelt es
sich um junge Männer, bei denen dies Krankheitsbild
auch vorkommt, wenn auch seltner, so ist schon von
vornherein klar, dass weder das Gewicht der Kleidung, noch
das Korsett schuld ist an der Gastroptose, denn diese haben
nie ein Korsett getragen. Auch die Uebung und Schonung des Magens durch
eine nahrhafte, fetthaltige Trockendiät ist nicht die letzte Therapie, so
wichtig sie auch ist, weil die Magensenkung es ist, aus welcher die
schwersten Symptome folgen, nämlich die Unterernährung und die Ge¬
mütsdepression. Das Wichtigste ist die Liegekur, in welcher es der ge¬
schwächten Muskulatur möglich wird, die Organe Niere, Leber und Magen
in eine bessere Lage zurückzuführen, höher am Stamme zu stellen. Man
hat fälschlicherweise diese Therapie auch Mastkur genannt. Damit aber
verkennt man das Ziel. Einerseits ist Mästen bei schwerer Magcnatonie
zunächst gar nicht möglich, andererseits hilft oft genug das Liegen allein
zur Besserung. Das beweisen viele Operationserfolge von Nephropexie,
Gastroenterostomie, Uterusfixationen u. dergl., welche gewöhnlich der
Liegekur zu verdanken sind, die damit notwendig verbunden zu sein
pflegt und wobei doch oft gar nicht gemästet wird.
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400
G. W. SCHIELE,
Während und nach der Liegekur ist das Wichtigste die langsame
Kräftigung der Muskulatur. Aber die Kräftigung der Bauchmuskulatur
durch Massage oder Uebung ist erfolglos, so lange sie nicht besser aus¬
gespannt wird; das geschieht dadurch, dass die Rippen steiler gestellt
werden; darum nicht nur Bauchmassage, sondern Atemgymnastik.
Die Steilstellung der Rippenncigung ist das Wichtigste ebenso wie
bei der Liegekur der Phthise. Darum ist auch für den Enteroptotiker
die Atemgymnastik kausale Therapie. Also Kuhnsche Lungenmaske.
Ausserdem eignet sich dazu vorzüglich die Atemgymnastik nach Fräulein
v. Olden-ßarnevelt, im Liegen betrieben, welche bewusst auf das
Ziel hinarbeitet, dem Menschen eine steilere Rippenstellung zu geben.
Das Krankheitsbild, was ich hier im Auge habe, ist am besten und
ausführlichsten beschrieben von Stiller unter dem Namen Asthenia uni-
versalis congenita. Dieser feine Beobachter hat die Zusammengehörig¬
keit aller der vielen Symptome erkannt, nämlich der Nephroptose, Ko-
loptose, Gastroptose, Obstipation, Hyperazidität, Atonia ventriculi, Migräne,
Magenschwindel, Neurasthenie, Depression des Gemüts, Unterernährung.
Das, was ihnen allen gemeinsam ist, ist der paralytischo Habitus, näm¬
lich der flache Brustkorb, der lang herunterhängt. Was aber die be¬
sondere Entdeckung Stillers war, und was ihn auf die Zusammen¬
gehörigkeit aller dieser Erscheinungen geführt hat, ist die bewegliche
zehnte Rippe, die man bei diesem Habitus findet. Er sagt ganz richtig,
dass das, was man bisher als phthisische Konstitution oder phthisischen
Thoraxbau beschrieben hat, genau dasselbe ist, was man bei den Ente-
roptotikern findet, und dass ebenso auch die bewegliche zehnte Rippe
bei den Phthisikern wie bei den Enteroptotikern zu finden ist. Nun aber
sieht er in dieser beweglichen zehnten Rippe ein sog. Stigma, ein Dege¬
nerationszeichen, ein geheimnisvolles Begleitzeichen der allgemeinen an¬
geborenen degenerativeü Schwäche. Mir aber scheint die bewegliche
zehnte Rippe eine einfache Folge der tiefen Rippenneigung zu sein. Die
Beweglichkeit ist die Folge der schlaffen Ausspannung und Anspannung
des Bandwerkes. Mit der tiefen Rippenneigung ist, wie er ganz zutreffend
beschreibt, eine Auflockerung der unteren Rippenverbindungen gegeben.
Nun behauptet er freilich, dass diese bewegliche zehnte Rippe Defekte,
angeborene Knorpeldefekte zeige. Aber ich meine, diese Defekte können
ebenfalls Veränderungen durch Mindergebrauch oder anderen Gebrauch
sein, wie sie ja an stillestehenden Gelenken oft noch viel bedeutender
sind. Die bewegliche zehnte Rippe ist für mich ein Zeichen des hängen¬
den Brustkorbes. Sie kommt mit der Schlaffheit der Rippentracht und
ist mit ihr korrigierbar.
Das ist nun der wichtigste Punkt, worin ich Stiller widersprechen
möchte. Er hält diese ganze Körperform für angeboren. Und warum,
weil „die Eigentümlichkeiten des Skeletts als angeboren gelten müssen“.
Das Skelett ist aber nicht mehr angeboren als alle anderen Organe. Es formt
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
401
sich nach dem Gebrauch. Weil er diese Körperform für angeboren hält,
darum hält er diese Menschen für degeneriert, und zwar ab ovo deter¬
miniert und hält die Costa decima fluctuans für das Stigma degencra-
tionis, für das Kennzeichen dieser Entartung.
Aber er sagt selbst, dass sie nicht im psychiatrischen Sinne minder¬
wertig sind, sondern psychisch oft recht kräftig und vollwertig, auch
streng verschieden von den Hysterischen; bei Hysterischen sind alle Or¬
gane gesund und leistungsfähig, aber die Psyche krank, bei diesen Men¬
schen ist trotz des Druckes der Unterernährung die Psyche gesund, aber
einige Organe krank. Nach meiner Ansicht sind diese Menschen nicht
schlecht geboren, sondern schlecht entwickelt oder schlecht gehalten.
Ihre konstitutionelle Schwäche ist nicht eine Folge der Zeugung, sondern
der Entwicklung und Erziehung. Gewiss sind sie oft schwächlich ge¬
boren, aber in der Hauptsache sind sie doch im Leben schwächlich ge¬
worden. Allerdings ist diese schwächliche Körperhaltung oft bei Vater
und Sohn, bei Mutter und Tochter zu finden, scheint also vererbt zu
sein, ist aber nicht anders vererbt als die Lebensweise. Das durch die
Eltern gewollte Ueberwiegen der Gehirnarbeit, des intellektuellen Interesses
in der Erziehung genügt allein schon, um diese Körperform und alle
ihre nachteiligen Folgen von einer Generation auf die andere zu über¬
tragen.
Darum aber, weil dieser Zustand nicht nur angeboren, sondern
hauptsächlich anerzogen ist, darum ist er verbesserungsfähig und ver¬
hütungsfähig. Darum gibt es eine Therapie und eine Prophylaxe dieses
Siechtums. Und zwar sind beide sehr kräftig und wirksam.
Diese Menschen sind verdammt zu einem jahrzehntelangen Siechtum,
zu einem verbitternden Dasein, das weder rechte Krankheit, noch rechtes
Wohlsein ist. Wenn sie aber an einen Arzt kommen, welcher den
Primat menschlicher Vernunft, die Herrschaft des menschlichen Willens
auch über diese Missform erkannt hat, so können sie umgewandelt
werden zu kräftigen lebensfrohen, blühenden Menschen innerhalb eines
Jahres, oder auch eines halben Jahres.
Besonders aber die schwächlichen jungen Leute, welche meinen,
durch Vererbung oder Anlage zur Phthise bestimmt zu sein, möchte ich
von dem Fluche dieser Ueberzeugung befreien. An Stelle der Lehre
von der Prädestination der Vererbung, der blinden Notwendigkeit und
der hoffnungslosen Unterworfenheit des Menschen unter den Zufall un¬
günstiger Leibesbeschaffenheit und bedrückender äusserer Umstände
möchte ich setzen das Evangelium, die frohe Botschaft von der Willens¬
freiheit des Menschen, der Macht des Geistes die Materie zu unterwerfen
und nach seinem Wunsch zu formen und der Herr aller Dinge, auch des
eigenen Leibes zu sein. Diese Herrschaft ist freilich nicht ohne Grenze
und nicht ohne Anstrengung. Aber es ist doch schon viel, wenn man
weiss, dass man nicht ein Sklave der Materie und des eigenen Leibes
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402 G. W. SCHIELE,
ist, sondern sein Herr, manchmal ohnmächtig, manchmal aber auch sieg¬
reich und niemals mutlos.
Der paralytische Thoraxbau oder, wie wir sagen, die schlaffe Körper¬
haltung ist nicht angeboren, sondern anerzogen. Beim Neugeborenen
gibt es dergleichen noch nicht und kann cs nicht geben. Sondern im
späteren Knabenalter zeigen sich zuerst diese Verschiedenheiten und im
Jünglingsalter kommen sie zu sichtbarer Vollendung. Wodurch entsteht
der fehlerhafte Körperbau? Durch das Wachstum des Skeletts und der
inneren Organe und das Minderwachstum der Muskulatur; durch das
Wachstum des zu tragenden Gewichts und das Minderwachstum der
tragenden Kraft. Die Muskulatur wächst durch den Gebrauch, durch
die Bewegung, d. h. auf den Befehl und durch den Befehl des Nerven¬
systems und proportional der darin waltenden Gebrauchsenergie. Ob
ein aufwachsender Knabe oder Jüngling einen schönen und kräftigen Bau
bekommt, das hängt ab von der Bewegungsfreiheit, der Bewegungslust
und Bewegungskraft, die er hat. Ein Knabe, der allzu viel die Schul¬
bank drückt, der in der Gefangenschaft einer zu engen Grossstadtwohnung
aufwächst, der viel krank ist, dem fehlt es an der Bewegungsfreiheit.
Ein Knabe, der immer allein ist, der keine Kameraden, keine Geschwister
hat, der kurzsichtig ist, dem fehlt es an der Bewegungslust. Ein Knabe,
der aus irgendwelchem Grunde kränklich ist, der schlecht ernährt ist,
der keinen ordentlichen Schlaf hat, dem fehlt es an der Bewegungskraft.
In den niederen Ständen fehlt es oft, w*eil die Ernährung unzureichend,
minder sorgfältig oder auch töricht ist, an der Bewegungskraft, in den
höheren Ständen wegen törichter Aengstlichkeit der Eltern und wegen
der zu grossen Ansprüche der Schule an der Bewegungsfreiheit. Ein
kurzsichtiger Knabe wird nicht gern an den wilden Spielen seiner
Kameraden teilnehmen und wird um so mehr lesen, und je mehr er liest,
um so schwächer werden seine Muskelkräfte. Unsere intensive Er¬
ziehung auf intellektuelle Kultur gewöhnt die jungen Menschen zu sehr,
das Weltbild aufzunehmen nicht anders, als auf dem Umwege über den
gedruckten Buchstaben und das bedruckte Papier. Diese falsche Weise
der Kultur des Geistes rächt sich dadurch, dass das notwendige In¬
strument des Geistes, der Körper, später sich als unzureichend erweist
und auf die Stimmung und die Leistungsfähigkeit des Geistes drückt.
Solche Menschen bleiben rezeptiv und werden nicht oder nur schwer
produktiv, weil ihnen die animalische Kraft und Ausdauer zum
Wirken fehlt.
Aber was versäumt ist, kann nachgeholt werden, nicht nur in der
Jugend, sondern auch in späteren Jahrzehnten. Was an der unbewussten
Körperpflege oder vielmehr Körperübung gefehlt hat, das kann die be¬
wusste Körperübung, die zielbewusste Herrschaft des Geistes über den
Körper nachholcn, und zwar das, was in Jahren verfehlt ist, in ebenso
vielen Monaten. So sehr ist das Instrument des Geistes veränderlich
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Ueber die Neigung der oberen Thoraxapertur.
403
mit dem Gebrauch und nach dem Gebrauch, und verwandelt sich durch
den Gebrauch. Auch das Skelett wandelt sich beständig durch den
Gebrauch. Vor allem aber kommt es beim Skelett an auf die aktive
Haltung, die Tracht des Ganzen und der Teile zueinander. Wieviel in
Monaten geleistet werden kann, beweist der Erfolg des Militärdienstes.
Man redet von einer Körperkonstitution des einzelnen Menschen,
d. h. auf deutsch Körperbau. Es liegt darin dio Erkenntnis, dass die
Hauptsache an dieser Konstitution die mechanische Form ist, denn ein
Bau ist in der Hauptsache Form. Aber man denkt sich darunter eine
von Geburt gegebene prädestinierte Form. Man sollte sich vielmehr
immer dazu denken, dass diese Form veränderlich ist.
Worauf kommt es nun an bei dieser bewussten Aenderung der
Form? Es liegt ein wunderbares Licht über diesen Dingen, was uns
ihre innere Gesundheit und Zweckmässigkeit offenbart, d. i. die Schönheit;
die Schönheit der Form und der Bewegung. Die hygienische Wirksamkeit
einer Bewegung, oder die vollendete Gesundheit einer Form beurteile
nuan nach ihrer Schönheit. Weil die alten Griechen in den Palästren
ihre Jugend nackend übten, so hatten sie ein klares Auge für die
Schönheit der Form und prüften daran den Erfolg. Wir müssen es erst
lernen, dass es nicht darauf ankommt, Kraft zu erziehen, sondern
Schönheit der Form, besonders der bewegten Form. Man sieht zuweilen
besonders in Turnvereinen von jungen Leuten aus einfacheren Ständen
Athleten formen, die nicht schön sind. Starke Extremitäten und eine
schwache Brust. Solche Ausbildung ist fehlerhaft. Diese Art Athletik
schützt nicht vor der Phthise. Wohl aber schützt davor die vollendete
und vollendet bewahrto Form.
Der Mensch, nicht nur, wenn man ihn philosophisch ansieht, auch
wenn man ihn physiologisch ansieht, ist nicht Materie, sondern Form.
Die Materie strömt ja nur hindurch durch die lebendige Form und ist
lebendig nur in und durch diese Form. Die Form aber ist das Produkt
des Gebrauchs. Der Gebrauch ist die Tat des zwecksetzenden Willens.
Somit ist der Mensch das, was er will; und nur im pathologischen Zustand
will er so, wie er ist.
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XXI.
Aus dem chemisch-bakteriologischen Laboratorium von Dr. Stanislas
Mutermilch in Warschau.
Untersuchungen über den Gehalt an Komplement in
normalen und pathologischen Flüssigkeiten des Körpers.
Von
Stanislas Mutermilch und Richard Hertz.
Der Zweck unserer Untersuchungen war die vergleichende Be¬
stimmung der Komplementmenge im Blutserum und anderen Flüssigkeiten
des Körpers, wie Transsudaten, Oedemen, serösen und eitrigen Exsudaten,
zerebro-spinalen Flüssigkeiten in normalen und pathologischen Zuständen.
Die Flüssigkeiten wurden chemisch und mikroskopisch untersucht; es
wurden bestimmt das spezifische Gewicht, der Gefrierpunkt, die Eiweiss-
mengo; die Rivaltasche 1 ) Probe wurde ausgeführt und endlich genaue
zytologische Untersuchungen auf gefärbten Präparaten vorgenommen.
Das zu untersuchende Blut wurde entweder aus einem blutigen Schropf-
kopf oder der V. mediana cub. erhalten, wobei die Blutentnahme, um dem
Einflüsse des Verdauungsprozesses aus dem Wege zu gehen, soweit es
ging, bei noch nüchternen Kranken vorgenommen wurde. Die .Be¬
stimmung der Komplementmenge im Blutserum und anderen Flüssigkeiten
wurde am selben Tage nach einigen oder mehreren Stunden ausgeführt.
Die Methodik bestand vor allem in Bestimmung der Menge des
hämolytischen Komplementes. Wir sind folgendermassen vorgegangen:
zu steigenden Mengen des Blutserums bzw. Flüssigkeit wurde hinzugesetzt:
erstens das Serum eines gegen Hammelerythrozyten immunisierten
Kaninchens in zwei- bis dreifacher häraolysierender Dosis (0,1 ccm
Flüssigkeit), zweitens 1 ccm einer 5 proz. Emulsion von Hammelerythro¬
zyten; dies alles wurde bis zu 3 ccm mit physiologischer Kochsalz¬
lösung aufgefüllt und l 1 ^—2 Stunden bei 37° gehalten (Tab. I).
1) Die Rivaltasche Probe besteht darin, dass man die zu untersuchende
Flüssigkeit aus einer Pipette tropfenweise auf 100 ccm Wasser, welche mit 2 Tropfen
Eisessig angesäuert sind, fallen lässt: Exsudate geben eine charakteristische Trübung
in Form weisser Wölkchen, die langsam zu Boden sinken.
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Gehalt an Komplement in normalen und patholog. Flüssigkeiten des Körpers. 405
T a b e 11 e I.
Methodik der Untersuchung eines Serums oder Flüssigkeit anf den Gehalt
an Komplement.
NaCl
0,85 pCt.
Blutserum
oder
Flüssigkeit
Hämolyt.
Ambozeptor
5 proz.
Hammelblut
1,8 ccm
0,05
0,1
1,0
1,8 „
0,1
0,1
1,0
1,7 „
0,2
0,1
1,0
1,6 „
0,3
i 0,1
1,0
1,5 „
0,4
1 0,1
1,0
Nachdem wir uns üherzeugt haben, dass 0,3 oder 0,4 ccm mensch¬
lichen Blutserums eine vollkommene oder fast vollkommene Hämolyse
der Hammelerythrozyten (nach Zusetzung des Ambozeptors vom Kaninchen)
hervorrufen, beschränkten wir uns in der Mehrzahl der Fälle auch bei
den untersuchten Flüssigkeiten auf eine Menge von 0,05 bis 0,4 ccm,
um auf diese Weise in jedem Falle die Menge des hämolytischen
Komplements im Blutserum und Flüssigkeit vergleichend feststellen zu
können.
Im ganzen haben wir 56 Sera und ebenso viele Flüssigkeiten von
denselben Kranken untersucht, nämlich: 14 Transsudate, 23 serös-ent¬
zündliche, 5 serös-eitrige Exsudate, 6 seröse Flüssigkeiten gemischten
Charakters, endlich 8 Flüssigkeiten zerebro-spinalen Ursprungs.
Wir beginnen mit den Transsudaten. Wir untersuchten 14 Flüssig¬
keiten, nämlich: 2 Oedemflüssigkeiten (Anasarka) bei Nierenentzündung,
7 Aszitesfälle (6 bei Leberzirrhose, 1 bei Nierenentzündung), 5 Pleura¬
transsudate (2 bei Nierenentzündung und 3 kardialen Ursprungs). Wir
fanden, dass Oedemflüssigkeiten selbst in Mengen von 1, 1,5 und 1,9 ccm
keine Spur von Hämolyse erzeugten, während das Blutserum derselben
Kranken in Mengen von 0,3—0,4 ccm eine vollkommene Hämolyse der
Harameierythrozyten bewerkstelligte. Andere Transsudate (pleurale und
peritoneale) in Mengen von 0,3—0,4 ccm haben entweder gar keine
oder nur Spuren einer Hämolyse gegeben; grössere Mengen dieser Flüssig¬
keiten — nur Spuren oder eine sehr schwache Hämolyse. Aus diesen Tat¬
sachen können wir den Schluss ziehen, dass Transsudate entweder gar keine
oder nur Spuren eines hämolytischen Komplements enthalten (Tab. II).
Von serös-entzündlichen Exsudaten untersuchten wir 23 Flüssig¬
keiten: 11 aus der Pleura (9 tuberkulösen Ursprungs, 2 nach fibrinöser
Pneumonie), 6 peritoneale (5 tuberkulösen, 1 karzinomatösen Ursprungs)
und 6 Flüssigkeiten aus den Blasen nach Kantharidenpflasterapplikation.
In allen diesen Fällen haben 0,3—0,4 ccm Flüssigkeit eine vollkommene
oder fast vollkommene Hämolyse hervorgerufen. Es zeigte sich demnach,
dass seröse Exsudate ungefähr dieselbe Menge des hämolytischen Kom¬
plements, wie das entsprechende Blutserum, enthalten (Tab. III).
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406
STANISLAS MUTERMILCH und RICHARD HERTZ,
Tabelle II.
Transsudate.
Nr.
Diagnose.
g*§
CO J
.So
1
2
Sediment
Flüssigkeitsmenge
in ccm.
Flüssigkeit
CO o
O
A
03 Q.
B.S
0,05
0,1
0,2
0,3
0.4
|
Hämolyse
1.
Cirrh. hep. Aszites.
1010
—
1,25
—
Endothelien.
0
0
0
> Spar
: dea*!
Spc-
2.
Nephritis. Aus der
Pleura.
1008
1
©
'b*
00
0,8
—
Endoth., Lymphozyten und
einzelne Leukozyten.
0
0
Spur
Spar
Spcr
3.
Nephritis. Aus der
Pleura.
1009
—
0,6
—
Endothelien.
0
0
0
0
0
4.
Cirrh. hep. Aszites.
1015
—
0,5
—
Erythrozyten und wenig
Lymphozyten.
0
0
0
0
0
5.
Nephritis. Aszites.
1005
-0,65
0,5
— "
Endothel, u. wenig Lympho¬
zyten.
0
0
0
0
0
6.
Vit. cord. Aus der
Pleura.
1005
1
©
bn
oo
2,4
_
Endothel., Lymphozyten u.
Erythrozyten.
0
0
0
0 1
0
7.
Cirrh. hep. Aszites.
1010
; —
3
—
Rein Sediment.
0
0
0
0
0
8.
Cirrh. hep. Aszites.
1010
—
1
—
Spärliche Lymphozyten.
0
0
0
0 i
0
9.
Cirrh. hep. Aszites.
1005
—
1
—
Spärliche Erythrozyten.
0
0
0
0
0
10.
Endocard. Hydroth.
1014
—
3,5
—
Endothel, u. Lymphozyten.
0
0
0
0
Spa:
11.
Nephritis. Anasarka.
—
—
0,1
—
Vereinzelte Lymphozyten.
0
0
0
0
0
12.
Nephritis. Anasarka.
—
—
0,1
—
Vereinzelte Lymphozyten.
0
0 I
0
0
0
13.
Cirrh. hep. Aszites.
1010
0,5
Spur (?)
Reichlich Endothel., wenig
Lymphozyten u. vereinzelte
Neutrophile.
0
0
0
0
i
i
0
14.
Eraphysema. Ady-
namia cord. Hydro-
thorax.
1006
1
Lymphozyten u. Endothelien.
0
1
0
0
0 1
1
0
Was eitrige und serös-eitrige Exsudate anbetrifft, so haben wir
5 Fälle untersucht, nämlich 4 Empyeme (3 tuberkulöse, 1 postpneumo¬
nisches) und 1 eitrige Peritonitis. Die Untersuchung dieser Flüssig¬
keiten auf das Vorhandensein von Komplement führte zu einem negativen
Resultat; selbst mit grösseren Mengen zentrifugierter Flüssigkeiten be¬
kamen wir keine Spur von Hämolyse (Tab. IV).
Bei den 5 serösen Flüssigkeiten von gemischtem Charakter (Tab. IV)
handelte es sich wahrscheinlich um Transsudate, zu denen sekundär entzünd¬
liche Prozesse hinzugetreten sind. Wir unterlassen eine genaue Beschreibung
dieser Fälle, als Beispiel möge der folgende dienen. Klinische Diagnose:
Herzinsuffizienz. Flüssigkeit aus der Pleura: spezifisches Gewicht = 1010,
Eiweiss = 3 pCt.; Rivaltasche Probe schwach positiv; unter dem Mikro¬
skop reichliche Endothelzellen, reichliche Erythrozyten, ziemlich reichliche
neutrophile Leukozyten und vereinzelte Lymphozyten. Das Resultat der
Untersuchung auf Komplement: 0,3—0,4 ccm Flüssigkeit zeigten deut¬
liche Spuren von Hämolyse.
Es muss hervorgehoben werden, dass die Anwesenheit einer grösseren
Blutmenge naturgemäss das Resultat der Untersuchung beeinflussen kann.
Beispiel: Klinische Diagnose: Stenosis et insufficientia mitralis; discom-
pensatio cordis. Blutige Flüssigkeit aus der Peritonealhöhle: spezifisches
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Gehalt an Komplement in normalen und patholog. Flüssigkeiten des Körpers. 407
Gewicht 1018, Eiweiss = 4,5 pCt., Rivalta schwach positiv. Das Re¬
sultat der Komplementbestimmung: 0,3- 0,4 ccm gaben eine fast voll¬
kommene Hämolyse. Zweifelsohne ist in diesem Falle das positive Re¬
sultat der Hämolyse durch die bedeutende Beimengung von Blut beeinflusst
worden, oder vielleicht z. T. auch durch einen sekundären entzündlichen
Prozess.
Was endlich die zerebrospinalen Flüssigkeiten anbelangt, so unter¬
suchten wir 6 normale und 2 tuberkulösen Ursprungs. Diese Flüssig¬
keiten zeigten keine Spur von Hämolyse. *
In einigen Fällen mit negativem Ergebnis der Hämolyse modifizierten
wir unsere Untersuchungen in der Weise, dass wir zuerst die Hammel-
erythrozyton durch eine 10—20 fache hämolysierende Dosis des Ambo¬
zeptors sensibilisiert hatten: zu 1 ccm 5 proz. Emulsion von Hammcl-
erythrozyten wurde 0,1 ccm des Ambozeptors vom Kaninchen (in 10
bis 20 facher hämolysierender Dosis) hinzugesetzt und für eine Stunde
in den Brutschrank gebracht. Nach dem Zentrifugieren und Auswaschen
wurden die roten Blutkörperchen mit der auf Komplement zu unter¬
suchenden Flüssigkeit zusammengebracht, bis auf 3 ccm mit physiolo¬
gischer Kochsalzlösung aufgefüllt und für 1—iy 2 Stunden in den Brut¬
schrank gebracht. Zwei Oedemflüssigkeitcn haben bei diesen Unter¬
suchungen selbst in grösseren Mengen, nämlich bis 1,9 ccm, keine Spur
von Hämolyse gezeigt.
Es muss bemerkt werden, dass wenn bei Untersuchung einer Flüssig¬
keit auf Komplement nicht gleichzeitig seine Menge im Blutserum fest-
gestellt wird, es leicht Vorkommen kann, dass man zu falschen Ansichten
über den Uebergang des Komplements aus dem Serum in den Erguss
gelangen kann. Es ist ja möglich, dass schon das Blutserum an sich
kein Komplement enthält. In unseren Fällen ist nur einmal kein Kom¬
plement im Serum festgestellt worden. In diesem Falle gab das Trans¬
sudat auch ein negatives Resultat. Es ist klar, dass in derartigen
Fällen auch entzündliche Exsudate negatives Verhalten zeigen werden.
Bemerkt sei noch, dass, so oft in unseren Untersuchungen ein
Transsudat, eitrige oder zerebrospinalo Flüssigkeit im hämolytischen Ver¬
such negativ reagierten, die Hinzusetzung von 0,1 ccm Meerschweinchen¬
komplement stets genügte, um eine vollkommene Hämolyse der Hammcl-
erythrozyten zu erzeugen.
Um sich zu überzeugen, ob die negativen Ergebnisse auf Komplc-
mentanwesenheit in Oedemen und Transsudaten nicht vielleicht durch den
antihämolytischen Einfluss der untersuchten Flüssigkeiten zu erklären
sind, haben wir entsprechende Versuche angestellt. Wie bekannt, haben
Marshall und Morgenroth sowie Lüdke die antihämolytische Wirkung
einiger seröser Flüssigkeiten untersucht. Diese Autoren bedienten sich
hauptsächlich der roten Blutkörperchen vom Menschen und Rind und
der entsprechenden Ambozeptoren. Mit anderen Erythrozyten erhielten
Zeltscbr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 5 u. 6 . 97
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408
STANISLAS MUTERMILCH und RICHARD HERTZ,
sie schwächere Resultate, wobei sie die Anwesenheit von Antihämolysinen
häufiger in Exsudaten wie Transsudaten feststcllen konnten. Indem unsere
Untersuchungen ausschliesslich das Ziel, die Auffindung des hämoly¬
tischen Komplements, verfolgten, haben wir Untersuchungen über die An¬
wesenheit von Antihämolysinen in entzündlichen Exsudaten ganz bei Seite
gelassen, weil ja in ihnen, wie wir oben besprachen, stets ein hämo¬
lytisches Komplement vorhanden war. Wir beschränkten uns demzufolge auf
Transsudate und untersuchten in dieser Richtung 2 peritoneale Flüssig¬
keiten in Fällen von Leberzirrhose. In diesen beiden Fällen enthielt das
Blutserum das Komplement in normalen Mengen (0,3—0,4 vollkommene
Hämolyse), die Flüssigkeiten dagegen zeigten keine Spur von Hämolyse.
Mit diesen Flüssigkeiten stellten wir vor allem Versuche an über die
Anwesenheit von Antikomplementcn (sog. Mischungsversuch): zu steigen¬
den Mengen 0,05—0,5 ccm der inaktivierten Flüssigkeit wurde 0,1 ccm
eines Kaninchenambozeplors hinzugesetzt +0,1 ccm Komplements vom
Meerschweinchen; nach einstündigem Stehen in Zimmertemperatur wurde
1 ccm einer Emulsion von Hammelerythrozyten hinzugefügt und die
Mischungen auf 1— l 1 /^ Stunden in den Thermostaten gebracht. In beiden
Fällen haben wir vollkommene Hämolyse erhalten; das Ergebnis der
Untersuchung auf sog. Antikompleinente muss also als negativ betrachtet
werden.
Dieselben Flüssigkeiten haben wir gleichfalls auf die Anwesenheit
von Antiambozeptoren geprüft (sog. Bindungsversuch). Zu steigenden
Mengen, 0,05—0,5 ccm, der inaktivierten Flüssigkeit wurde 0,1 ccm
Kaninchenambozeptor + 1 ccm einer 5 proz. Hammelblutkörperchen¬
aufschwemmung zugesetzt; nach einstündigem Stehen bei Zimmertempe¬
ratur wurden die Blutkörperchen abzentrifugiert, mit physiologischer
NaCl-Lösung gewaschen und nach Zusatz von 0,1 Meerschweinchen¬
komplement im Thermostaten auf 1 — l l / 2 Stunden gebracht. Das Re¬
sultat war auch hier negativ (vollständige Hämolyse).
Einige Worte müssen wir der Frage des Fehlens von Komplement
in eitrigen und serös-eitrigen Exsudaten schenken. In der Annahme,
dass das Fehlen des Komplements durch seine Absorption erklärt werden
kann, haben wir entsprechende Versuche ausgelührt. Aus den Unter¬
suchungen von Düngern und anderen ist cs bekannt, dass die Mehrzahl
Emulsionen tierischer Zellen, unter anderen auch der Leukozyten, fähig
sind, das Komplement zu binden. Die diesbezüglichen Experimente haben
wir in folgender W r eise angestellt. Zu 1 ccm aktiven Kaninchenserums
wurde 0,1 ccm dreifach gewaschener Eiterkörperchen aus einem mensch¬
lichen Empyem hinzugesetzt; in das Kontrollglas 0,1 Kochsalzlösung.
Nachdem die Flüssigkeiten 16 Stunden im Brutschrank standen, wurden
sie durch Zentrifugieren von Niederschlägen getrennt und mit 0,1 ccm Ka¬
ninchenambozeptor und 1 ccm Hammelerythrozytenemulsion auf iy 2 Std.
im Brutofen zusammengebracht. Das Resultat der Untersuchung war
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Gehalt an Komplement in normalen und patholog. Flüssigkeiten des Körpers. 409
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UNIVERSITY 0F CALIFORNIA
410 STANISLAS MUTERMILCH und RICHARD HERTZ,
folgendes: im Kontrollversuch hat 0,1 ccm Serum fast vollkommene Hä¬
molyse, 0,2 vollkommene gegeben. Dagegen hat dasjenige Serum,
welches mit den Eiterkörperchen vermischt war, seine hämolytischen
Eigenschaften verloren: 0,4 ccm haben keine Spur von Hämolyse gezeigt.
Aehnlich ist auch eine andere Untersuchung ausgefallen, bei der wir
Eiterkörperchen aus einem entzündlichen Exsudat beim Kaninchen be¬
nutzten, dem' wir experimentell 5 ccm einer 10 proz. Aleuronatlösung in
die Pleura eingespritzt haben. In diesem Falle hat selbst 1 ccm Ka¬
ninchenserum, das zuerst mit Eiterkörperchen vorbehandelt wurde, keine
Spur von Hämolyse erzeugen können.
Um sich zu überzeugen, ob das bakterizide Komplement sich dem
hämolytischen ähnlich verhält, haben wir einige Versuche angestcllt. Wir
bedienten uns der Plattenmethode von Neisser und Wechsberg, indem
wir Kulturen von Choleravibrionen und spezifischem Choleraantiserum
verwendet haben. Wir sind folgendermassen vorgegangen: Zu 0,1 ccm
Anticholeraserum (in Verdünnung 1: 100) haben wir im Reagenzglas
0,3 ccm frischen Meerschweinchenserums (Komplement), bzw. der zu
untersuchenden Flüssigkeit (0,1, 0,4—0,8 ccm) sowie 4 Tropfen einer
Choleravibrioneneraulsion (eine Oese einer eintägigen Choleravibrionen¬
kultur in 20 ccm Bouillon) hinzugesetzt und dies alles bis auf 1 ccm mit
Bouillon aufgefüllt. Nachdem die Reagenzgläschen 3 Stunden im Brut¬
schrank waren, brachten wir von jedem 5 Tropfen in flüssiges Agar,
gossen in Petrischalen und stellten in den Brutschrank. Am nächsten
Tag wurde die Zahl der Kolonien berechnet. In den Kontrollplatten,
d. h. mit dem Meerschweinchenserum, haben wir eine vollkommene Hem¬
mung des Bakterienwachstums erhalten (Zahl der Kolonien = 0).
Auf den Gehalt an bakterizidem Komplements haben wir vor allem
2 serösentzündliche Exsudate untersucht (l aus der Pleura nach einer Pneu¬
monie, 1 aus dem Peritoneum tuberkulösen Ursprungs). In diesen Fällen
haben die Sera, sowie die untersuchten Flüssigkeiten das hämolytische
Komplement enthalten. In den Untersuchungen über Bakterizidie haben
0,4 ccm dieser Flüssigkeiten eine deutliche Hemmung der Bakterien¬
entwicklung bewirkt. Ferner untersuchten wir in dieser Richtung ein
Transsudat aus der Bauchhöhle, das kein hämolytisches Komplement
aufwies. Auch die Untersuchung auf Bakterizidität hat ein vollkommen
negatives Resultat ergeben. Ferner ein ebenfalls vollkommen negatives
Resultat haben wir bei einer eitrigen Flüssigkeit (Pyothorax tuberculosus)
erhoben. Schliesslich gab eine Flüssigkeit von gemischtem Charakter in
Mengen von 0,6—0,8 ccm eine deutliche Hemmung des Bakterien Wachs¬
tums (0,3—0,4 ccm dieser Flüssigkeit zeigten ebenfalls eine partielle
Hämolyse der Hammelerythrozyten).
Als Beispiel führen wir anbei die Anordnung einer Untersuchung
von pleuralem Exsudat tuberkulöser Natur an (Tabelle V).
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Gehalt an Komplement in normalen und patholog. Flüssigkeiten des Körpers. 411
Tabelle V.
Bouillon
Anticboleraserum
Exsudat
(Komplement)
Choleravibrionen¬
kultur
Zahl der
Kolonien
0,6
0,001
0,3
4 Tropfen einer
00
(0,1 in Lösung 1:100)
Emulsion
0,5
do.
0,4
do.
oo
0,4
do.
0,5
do.
ungefähr 1000
0,3
do.
0,6
do.
ungefähr 200
Wie bekannt, wird bei den Untersuchungen auf Bakterizidität nach
der Plattenmethode bedeutend mehr Komplement benutzt (0,2—0,3 ccm
Meerschweinchenserum) als zur Hämolyse (0,05—0,1 ccm). Dadurch ist
erklärlich, warum die Exsudate in den verwendeten Mengen keine voll¬
kommene Hemmung der Bakterienentwickelung gezeigt haben. Es geht
aus diesen Untersuchungen jedenfalls hervor, dass das hämolytische und
das bakterizide Komplement sich ungefähr gleich verhalten.
ln einigen Worten müssen wir die Ergebnisse der Untersuchungen
anderer Autoren über das Vorhandensein von Komplement in Transsudaten,
Exsudaten und dergl. besprechen. Vor allem müssen hier erwähnt
werden die Untersuchungen von Metschnikoff und Bordet 1 ), die in
künstlich erzeugter Oedomflüssigkeit bei Kaninchen, welche gegen Cholera
immunisiert wurden, keine Alexine (Komplement) gefunden haben.
Was die Untersuchungen über Transsudate und Exsudate betrifft,
so ist die Zahl der Arbeiten, die sich mit dieser Frage beschäftigen,
eine sehr geringe; die Technik der Autoren ist in der Mehrzahl
der Fälle von der unseren verschieden, darin nämlich, dass in diesen
Untersuchungen die hämolytischen Eigenschaften der Flüssigkeiten als
solcher, bestimmt wurden, d. h. ohne Beigabe des spezifischen hämoly¬
tischen Ambozeptors. Ferner nahm man meistens grössere Flüssigkeits¬
mengen, endlich bediente man sich vorwiegend der Blutkörperchen eines
Kaninchens.
Ausserdem fehlen für gewöhnlich in den Arbeiten anderer Autoren
genaue Angaben über die untersuchten Flüssigkeiten, und in erster Linie
die Probe von Rivalta, als wichtiges Kriterium des entzündlichen Cha¬
rakters einer gegebenen Flüssigkeit, sowie zytologische Untersuchungen.
Strauss und Wolff (3) bedienten sich in ihren Untersuchungen der
Kaninchenerythrozyten, setzten keinen Ambozeptor hinzu und nahmen
grosse Flüssigkeitsmengen, nämlich bis 6 ccm. Im grossen Ganzen er¬
zielten diese Autoren Resultate, die mit den unserigen übereinstimmen;
sie geben an, dass entzündliche Flüssigkeiten dieselbe hämolytische Kraft
wie das Blut besitzen, Transsudate dagegen eine bedeutend verminderte,
oder sie hämolysieren überhaupt nicht. Wie schon erwähnt, untersuchten
1) Annales Pasteur. 1901. p. 68 (die Arbeit von Gengou).
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STANISLAS MUTERMILCH und RICHARD HERTZ,
diese Autoren die Flüssigkeiten als solche, ohne zwischen der Wirkung
des Komplementes und des Ambozeptors zu differenzieren.
Grollo (4) gibt an, dass Transsudate Kaninchenerythrozyten nicht
hämolysieren aus Mangel an Ambozeptoren.
Hedinger (5), dessen Schlussfolgerungen scheinbar mit den unseren
in Widerspruch stehen, bediente sich einer ganz anderen Technik. Dieser
Autor untersuchte den hemmenden Einfluss der Exsudate und Transsudate
auf die Hämolyse aktiven Blutserums von Kranken und setzte dabei
keinen Ambozeptor hinzu; dadurch hat seine Folgerung, dass Exsudate
hemmen, aszitischc Flüssigkeiten dagegen die Hämolyse nicht hemmen,
mit unseren Untersuchungen eigentlich nichts Gemeinsames und wider¬
spricht nicht den von uns erzielten Resultaten.
Marshall (6) untersuchte auf die Anwesenheit an hämolytischem
Komplement nur 5 Flüssigkeiten, darunter 2 Exsudate (ein tuberkulöses
aus der Pleura und eins aus dem Peritoneum (Carcinoma ovarii), 2 Trans¬
sudate (aus der Bauchhöhle bei Leberzirrhose) und eine Flüssigkeit aus
der Peritonealhöhle unbekannten Ursprungs. Die Technik dieses Autors
ähnelte der unseren, er bediente sich aber nicht nur der Hammel¬
erythrozyten und entsprechender Ambozeptoren, sondern auch der roten
Blutkörperchen vom Menschen, Rind, Schwein und anderen. Mit Hammel¬
erythrozyten untersuchte er die vier ersten Flüssigkeiten, wobei seine
Resultate mit den unseren übereinstimmten, d. h. Exsudate bämolysierten,
Transsudate dagegen nicht. Jedoch waren mit anderen Blutkörperchen
die Ergebnisse anders; so z. B. zeigte eine aszitischc Flüssigkeit mit
menschlichen Erythrozyten vollkommene Hämolyse, eine andere bewirkte
eine unbedeutende Hämolyse der Erythrozyten vom Rind. Es sei bemerkt,
dass in dieser Arbeit genaue Angaben über die untersuchten Flüssig¬
keiten vollkommen fehlen (die Eiweissmenge, spezifisches Gewicht, zyto-
logisches Bild usw.). Endlich müssen hier noch erwähnt werden die
Arbeiten von Granström und von Lüdke, die mit unseren Ergebnissen
scheinbar auch nicht übcrcinstimmcn. Was die Untersuchungen von
Granström (7) betrifft, so benutzte er grosse Flüssigkeitsmengen,
setzte keinen Ambozeptor hinzu und bediente sich der Kaninchen¬
erythrozyten. Er gibt an, dass keine prinzipielle Unterschiede in der
hämolytischen Wirkung der Exsudate und Transsudate bemerkbar sind.
Lüdke (2) endlich forschte in seinen Untersuchungen hauptsächlich
nach Ambozeptoren und Antihämolysinen; auf das Vorhandensein von
Komplement untersuchte er nur einige Flüssigkeiten und fand, dass
2 aszitische kein Komplement enthielten, in einer entzündlichen Flüssig¬
keit war es vorhanden, dagegen in zwei anderen, ebenfalls entzündlichen,
angeblich nicht. Es fehlen hier jedoch genaue Angaben über den
Charakter der Flüssigkeiten sowie über das Vorhandensein von
Komplement im Blutserum dieser Kranken.
Was die zerebrospinalen Flüssigkeiten anbelangt, so geben alle
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Gehalt an Komplement in normalen und patholog. Flüssigkeiten des Körpers. 413
Autoren übereinstimmend an, dass sowohl normale wie pathologische
Liquores kein Komplement enthalten; nur Weil und Kafka (8) behaupten
in ihrer Arbeit über die Durchlässigkeit von Hirnhäuten für Hammel¬
blutambozeptoren, dass es in einigen tuberkulösen Zerebrospinalflüssigkeiten
ihnen gelungen ist, die Anwesenheit von Komplement festzustellen. Es
sei bemerkt, dass diese Autoren grosse Flüssigkeitsmengen bis 10 ccm
genommen und 1 ccm Hammelerythrozytenemulsion hinzugesetzt haben.
Es ist demnach also möglich, «dass in manchen Fällen Spuren von
Komplement in die Zerebrospinalflüssigkeit übergehen können.
Bevor wir an die Erklärung der erzielten Resultate und Aufstellung
allgemeiner Schlusssätze herangehen, die den Gehalt des Blutes und
anderer Flüssigkeiten des Körpers an Komplement behandeln, möchten
wir in einigen Sätzen unsere Ergebnisse zusammenfassen.
Oedemflüssigkeiten enthalten kein Komplement; Trans¬
sudate — entweder garnicht oder nur Spuren. Serös-entzünd¬
liche Exsudate verfügen über hämolytisches und bakterizides
Komplement. Eitrige oder serös-eitrige Exsudate enthalten
kein Komplement. Ebenso normale und pathologische Zerebro¬
spinalflüssigkeiten.
Wir möchten an diesen Stellen erwähnt haben, dass alle unsere
Untersuchungen über das Vorhandensein des hämolytischen Komplements
ausschliesslich mit Hammelerythrozyten und entsprechenden Ambozeptoren
ausgeführt wurden. Wir lassen die Frage offen, ob Ocdem- und Trans¬
sudatflüssigkeiten, die für Hammelerythrozyten kein Komplement ent¬
halten, vielleicht für andere Blutkörperchenarten die Aktivierungsfähig¬
keit gewissermassen besitzen, wie es aus den Untersuchungen von
Mars hall und anderen Autoren hervorzugehen scheint.
Wie sind die oben angeführten Tatsachen im Lichte der neuesten
Ansichten über das Wesen und Entstehung der Komplemente zu erklären?
Die Frage der Entstehung des Komplements ist endgültig nicht aufgeklärt
worden. Metschnikoff nimmt bekanntlich an, dass das Blutplasma kein
freies Komplement enthalte, und dass es erst bei Gerinnung des Blutes
den zerfallenden Phagozyten seine Entstehung verdanke. Neuero Unter¬
suchungen sprechen jedoch gegen diese Auffassung. Die Arbeiten zahl¬
reicher Autoren [Hewlett, Pfeiffer, Doemeny, Ascoli, Bell u. a. 1 )]
haben gezeigt, dass das Plasma in seiner hämolytischen Wirkung sich
genau so wie das Blutserum verhält. Wir wollen hier nicht alle
Arbeiten und Methoden anführen, nach denen man das Blutplasma
erhalten kann. Es seien nur die Experimente von Schneider angeführt,
dem es gelungen ist, durch starkes Zentrifugieren des frisch aus den
Gefässen entnommenen Blutes reines Plasma ohne Fibrinferment zu
erhalten. Dieser Autor konnte feststellen, dass ein auf diese Weise er-
1) Kraus und Levaditi, Immunitätsforschung. Bd. 1. Kap. XXXV.
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414 STANISLAS MUTERMILCH und RICHARD HERTZ,
haltenes Plasma dieselbe hämolytische Wirkung besitzt wie ein Serum.
Daraus, dass er in solchem Plasma keine sog. Antrakozidine gefunden,
welche aus dem Zerfall von Leukozyten und Blutplättchen entstehen,
zieht dieser Autor den Schluss, dass das Komplement nicht aus zer¬
fallenen Leukozyten entsteht. Es ist übrigens auch anderen Autoren
(Landsteiner, Lambotte und Stiennon) nicht gelungen, aus Leuko¬
zyten ein Komplement zu erhalten. Wir möchten noch erwähnen, dass
Untersuchungen über die intravitale Hämtlyse sensibilisierter Blutkörperchen
für das Vorhandensein freier Komplemente im Blute sprechen. Es muss
demnach angenommen werden, dass das in dem einen oder anderen
Organ gebildete Komplement in den Blutkreislauf gelangt und, indem es
in einer gewissen konstanten Konzentration frei im Plasma kreist, spielt
es zweifelsohne eine wichtige Rolle im Kampfe des Organismus mit
infektiösen Stoffen.
In dieser Beleuchtung muss aus unseren Untersuchungen der
Schluss gezogen werden, dass das im Blutplasma sich befindende
Komplement durch normale Endothelien der Blutkapillaren (eventuell
auch durch Serosaendothel) in die Transsudat- und Oedemflüssigkeiten
nicht durchgelassen wird. Bei entzündlichen Prozessen dagegen kann
das Komplement, infolge der Veränderungen des Endothels, in grösseren
Mengen in die betreffende Flüssigkeit durchdringen. Es würde also hier
eine gewisse Analogie zu der Undurchgängigkeit des Komplements durch
Koliodiumsäckchen bestehen, wie es zuerst durch Froin 1 ) nachgewiesen
und später durch Stefan Mutermilch 2 ) in seinen Untersuchungen
über das Filtrieren der Antitoxine bestätigt wurde. Eine geringe Menge
von Komplement in einigen scheinbar reinen Transsudaten würden wir
gern durch einen sekundären entzündlichen Prozess erklären. Dafür
könnten sprechen: die häufig beobachtete schwach positive Rivaltasche
Probe, selbst in Transsudaten, sowie das vollkommene Fehlen eines
Komplements in den von uns untersuchten Oedemflüssigkeiten.
In eitrigen und serös-eitrigen Flüssigkeiten haben wir das voll¬
kommene Fehlen von Komplement festgestellt. Man müsste annehmen,
dass, sobald bei gewöhnlicher Entzündung der serösen Häute das Kom¬
plement aus dem Plasma in die Flüssigkeit übergehen kann, in Fällen
eitriger Flüssigkeit, somit bei noch verstärktem entzündlichen Prozess,
die Endothelzellen zweifelsohne noch grösseren Veränderungen unterworfen
sind und desto leichter das Komplement aus dem Blute passieren lassen.
Das Fehlen des Komplements müssen wir, laut den Ergebnissen unserer
Experimente, auf die Absorption zurückführen, welche durch die in der
Flüssigkeit reichlich vorhandenen Eiterzellen auf das Komplement aus¬
geübt wird.
1) Compt. rend. acad. des Sciences. 1908. 12. Okt.
2) Compt. rend. soc. biol. 1909. T. 67. p. 125.
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Gebalt an Komplement in normalen und patholog. Flüssigkeiten des Körpers. 415
In zerebrospinalon Flüssigkeiten, sowohl normalen wie pathologischen,
konnten wir das vollkommene Fehlen von Komplement feststellen. Dies
Fehlen des Komplements selbst in entzündlichen zerebrospinalen Flüssig¬
keiten muss durch besondere Durchgängigkeitsverhältnisse der Kapillar-
endothelien in den Wirbelkanal erklärt werden. Aus den Untersuchungen
zahlreicher Autoren (Lewandowski, Jacob u. a.) ist es bekannt, dass,
so leicht die Durchgängigkeit der Hirnhäute für Medikamente, bakterielle
Gifte usw. in der Richtung vom Wirbelkanal in die Blutgefässe ist, so
ist umgekehrt die Durchlässigkeit aus dem Blut in den Wirbelkanal nur
minimal. Für eine unbedeutende Durchgängigkeit der Blutkapillaren-
endothelien und der Hirnhäute, selbst bei entzündlichen Zuständen, spricht
ebenfalls der negative Ausfall der Rivaltaschen Probe bei Entzündungen
der zerebrospinalen Häute, sowie der geringe Gehalt an Eiweiss.
Aus unseren Untersuchungen würde auch eine gewisse Parallele
zwischen der Rivaltaschen Probe und dem Vorhandensein von Komple¬
ment hervorgehen. In diesem letzten Faktor sind wir geneigt, sogar ein
feineres Kriterium für die gestörte Funktion der Endothelzellen zu er¬
blicken, als in der Rivaltaschen Probe.
ln Anbetracht der bis jetzt unklaren Ansicht über das Wesen des
Komplements ist es schwer, mit Sicherheit zu sagen, warum das
letztere normale Endothelien nicht passieren kann. Es ist möglich,
dass hier die vermutliche lipoide Natur des Komplements im Spiele
ist, obwohl in dieser Frage die Verhältnisse sehr verwickelt liegen,
und, wie es scheint, die Ansicht von Liebermann und Noguchi, dass
das Komplement ein einfaches Gemisch von Seifen und Ei weisskörpern
darstellt, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Ganz entschieden
kann jedoch die lipoide Natur des Komplements nicht in Abrede gestellt
werden. Zu ihren Gunsten sprechen unter anderem die Untersuchungen
von Braun (10) über die vernichtende Wirkung des Kobragiftes (wahr¬
scheinlich der Lezitinase) auf das Komplement.
Man müsste demnach annehmen, dass normale Endothelien nur schwer
Körper mit lipoidom Charakter, zu denen wahrscheinlich auch das Kom¬
plement zugerechnet werden kann, passieren lassen.
Der Vollständigkeit wegen müsste in Kürze noch eine andere Er¬
klärung für das Fehlen des Komplements in Oedem- und Transsudat¬
flüssigkeiten besprochen werden, nämlich infolge seiner Absorption schon
in der Flüssigkeit selbst, sei es durch das benachbarte Gewebe, oder die
in der Flüssigkeit suspendierten morphologischen Elemente. Derartige
Deutung ist jedoch sehr wenig wahrscheinlich; sollte das benachbarte
Gewebe in der Tat die Fähigkeit besitzen, das in der Flüssigkeit vor¬
handene Komplement zu absorbieren, so müsste sich dieselbe Erscheinung
auch bei entzündlichen Exsudaten wiederholen, obwohl man mit absoluter
Sicherheit die Annahme nicht zurückweisen kann, dass krankhaft ver¬
änderte Endothelien sich in dieser Hinsicht anders verhalten können. Was
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416 MUTERMILCH und HERTZ, Gehalt an Komplement usw.
die Möglichkeit der Absorption des Komplements durch die in der Flüssig¬
keit suspendierten morphologischen Elemente anbetrifft, so ist zu be¬
merken, dass erstens in Oedemflüssigkeiten morphologische Elemente fast
vollständig fehlen, zweitens, müsste auch in entzündlichen Exsudaten mit
noch grösserer Menge dieser Elemente eine Absorption des Komplements
zutage treten; indessen ist das Komplement, wie wir wissen, in entzünd¬
lichen Flüssigkeiten stets vorhanden. Es scheint demnach, dass diese
Erklärungsweise des Fehlens von Komplement in Oedemen und Trans¬
sudaten aufgegeben werden kann.
In praktisch-diagnostischer Hinsicht kann dem abweichenden Ver¬
halten der Exsudate und Transsudate in der besprochenen Richtung keine
grössere Bedeutung zugesprochen werden; wir haben nämlich andere ein¬
fachere diagnostische Methoden und vor allem die sog. Rivaltasche
Probe. Diese Tatsache hat vielmehr eine theoretische, obwohl bis jetzt
noch nicht ganz aufgeklärte, Bedeutung. Erst eine nähere Erkenntnis des
Wesens des Komplements einerseits, der Durchlässigkeitsbedingungen der
einen oder anderen Körperzellen für verschiedene chemische Körperzellen
anderseits, werden vielleicht imstande sein, das Wesen der hier be¬
sprochenen Erscheinungen endgültig zu klären und festzustellen.
Wir benutzen die Gelegenheit, um uns bei den Herren Kollegen
Janowski, Flatan, Rappel und Rzetkowski — die uns das Material
zur Verfügung stellten — an dieser Stelle nochmals zu bedanken.
Literatur.
1) Marshall u. Morgenroth, Ueber Antikomplemonte und Antiambozeptoren
normaler Sera und pathologischer Exsudate. Diese Zeitschrift. 1902. Bd. 47. S. 279.
— 2) Lüdke, Ueber Hämolysine und Antihämolysino in menschlichen Exsudaten und
Transsudaten. Zentralbl. f. Bakteriol. 1907. Bd. 44. S. 268. — 3) Strauss und
Wolff, Ueber das hämolytische Verhalten seröser Flüssigkeiten. Fortschr. d. Med.
1902. S. 209. — 4) Grollo. Policlinico. (Ref. Biochem. Zentralbl. 1906. Nr. 11.)
— 5) Hedinger, Klinische Beiträge zur Frage der Hämolyse. Deutsches Arch. f.
klin. Med. 1902. Nr. 24. — 6) Marshall, Studies in haemolysis etc. Journ. of
exper. med. 1905. Vol. 6. p. 347. — 7) Granström, Ueber hämolytische Eigen¬
schaften der Exsudate und Transsudate. Dissertation. 1905. (Russisch.) — 8) Weil
und Kafka, Ueber die Durchgängigkeit der Meningen usw. Wien. klin. Wochensohr.
1911. Nr. 10. — 9) Blumonthal, Ueber Zerebrospinalflüssigkeit. Ergebn.d.Pbysiol.
1902. S. 285. — 10) Braun, Beiträge zur Kenntnis des Komplementes. Biochem.
Zeitschr. 1911. S. 65.
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XXII.
Aus der I. medizinischen Klinik der Universität zu Wien.
Ueber ernsthafte Folgezustände der chronischen
spastischen Obstipation.
Von
Dr. K. von Noorden.
(Hierzu Tafel X.)
Auf dem Kongress für innere Medizin 1910 hat E. Payr (1) ein
Krankheitsbild beschrieben, das durch gutartige Stenosen an der Flexura
coli sinistra zustande kommt. Zuerst chronische Obstipation mit all¬
mählicher Steigerung der Beschwerden, Verschlimmerung des Zustandes
durch jegliches Abführmittel, durch massige Mahlzeiten und blähende
Speisen. Bald einige Tage Stuhlrerhaltung, dann eine vehemente Ent¬
leerung mit reichlichem Gasabgang aus dem vorher stark meteoristischen
Kolon. Dabei ist der Stuhlgang nicht eigentlich diarrhoisch, in den
dünnflüssigen Massen sind einzelne Brockel zu finden, und das Ganze
fällt durch seinen sehr fäkulenten Geruch auf. Die ganze Zeit ist das
Zökum sehr druckempfindlich und oft kann man auch perkutorisch das
enorm geblähte Colon coecum, asccndens und transversum leicht ver¬
folgen. So wechseln mehrtägige Perioden von Stuhlverhaltung und der¬
artige explosionsartige Durchfälle lange Zeit hindurch miteinander ab
und der Patient kommt dabei aus Furcht vor Nahrungsaufnahme durch
die chronische Unterernährung und Autointoxikation immer mehr her¬
unter. Der Arzt, der ihn in diesem Stadium der chronischen Darm¬
stenose zum ersten Mal sieht, ist dann leicht geneigt, ein Karzinom des
Darms an der Flexura lienalis zu diagnostizieren.
Ferner berichtet Payr über Fälle, bei denen sich ein derartiger
Zustand nicht erst chronisch entwickelt, sondern in ziemlich kurzer Zeit
bei vorher anscheinend völlig gesunden Menschen, oft nach Veränderung
der Lebensweise, Uebergang zu körperlicher Ruhe nach ziemlich reich¬
licher Bewegung. Auch hier, nach einer einleitenden Periode von Darm¬
beschwerden, Unverträglichkeit opulenter Mahlzeiten und blähender Speisen,
das Einsetzen einer mehrtägigen Stuhlverhaltung und kolikartiger Schmerz¬
attacken. Das Bild ist in diesen akuteren Fällen weit bedrohlicher, man
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K. v. NOORDEN,
denkt an Ileus, es kommt zu peritonealen Reizsymptomen, die Herz¬
tätigkeit wird in erheblichem Grade irritiert, jedoch fehlen die Anzeichen
einer ausgesprochenen Shockwirkung, wie wir sie bei akuten Peritonitiden
gewohnt sind. Immerhin kommt es in besonders ungünstigen Fällen
auch zu einem Erlahmen der Darmmuskulatur, zu fäkulentem Erbrechen
und Darmparalysc. Aber dies nur seltener. In der Regel wird das
Hindernis überwunden, und unter reichlichem Gasabgang werden die ge¬
stauten Massen endlich entleert, zugleich mit ihnen reichlich schleimiges
und flüssiges Sekret der äusserst gereizten Dickdarmschleimhaut.
Bei Sektionen und Operationen derartiger Fälle fand Payr eine
Verkleinerung des von Colon transversum und descendens gebildeten
Winkels und somit eine Steigerung des an dieser Stelle befindlichen
physiologischen Passagehindernisses. Dementsprechend auch eine musku¬
läre Hypertrophie der davor gelegenen Darmpartien, bis zum Colon
coecum hin. Die Stenosen selber waren zustande gekommen durch
mannigfaltige Narbenzüge der Serosa, soweit sie für die Lagebeziehungen
des Colon descendens zum transversum von Bedeutung ist, oder einfach
durch hochgradige Ptose des Querkolons. Die Kuppe der Flexura licnalis
wurde dabei durch solche narbige Züge womöglich noch höher hinauf¬
gezogen in der Richtung des Ligamentum phrenicocolicum, und dadurch
die zu- und abführenden Dickdarmteile eine Strecke weit „wie die Läufe
einer Doppelflinte“ aneinandergelegt und fixiert.
Unter den Ursachen derartiger Veränderungen nennt Payr einer¬
seits die Koloptose, und zwar insbesondere die fixierte Koloptose, anderer¬
seits allerhand entzündliche Prozesse des Abdomens, ferner Traumen und
endlich scheinbar spontan entstandene Adhäsionsfixationen, die er zurück¬
führt auf chronische Zerrungen, die durch verstärkte Peristaltik des
Querkolons auf das Lig. phrenicocolicum ausgeübt werden. Hierdurch
entsteht eine lokale Reizung dieses Bandes, die mit der Zeit zu narbiger
Schrumpfung führt. Zu dem Zustandekommen dieses nicht selten beob¬
achteten Krankheitsbildes führt nun nach unseren Beobachtungen häufig
auch die chronische spastische Obstipation als Primärkrankheit. Im Colon
transversum und descendens werden bei dieser Affektion von dem krampf¬
artig kontrahierten Darm die Kotmassen festgehalten und durch Wasser¬
entziehung eingedickt. Betrachtet man solche Patienten röntgenologisch,
so sieht man, wie hier das Lumen dieser Darmteile ganz verschlossen
ist und die einzelnen haselnussgrossen Kotkugeln in den Taschen der
Haustren der Länge nach aneinandergereiht sind, indem sie sich rosen¬
kranzartig in zwei Reihen zu beiden Seiten des verschlossenen Darm-
lumens gruppieren. Mitunter bleiben einzelne dieser Brockel tage-, ja
wochenlang in einer Gegend liegen, indem sich die betreffenden haustralen
Ausbuchtungen eng um sie anlegen. Durch längeres Verweilen derselben
in einer solchen Haustrenbucht können natürlich Dekubitalgeschwüre der
Darmwand entstehen. Dabei ist auch der Darm durch das Stagnieren
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Ueber ernsthafte Folgezustände der chronischen spastischen Obstipation. 419
der Kotmassen und durch die damit verbundenen gesteigerten Zersetzungs-
vorgängc schon gereizt, es entsteht zudem ein starker Meteorismus, und
so wirken denn alle diese Faktoren zusammen, dass die betroffenen
Darmteile mit einem ganz akuten Katarrh reagieren. Eine mit profuser
Sekretion einhergehende Entzündung der Darmschleimhaut setzt ein, die
Muskulatur, die von früheren geringeren Attacken her schon hypertrophisch
ist, spannt sich mit äusserster Energie um das von Gas und Flüssigkeit
erfüllte Darmlumen, bis sie schliesslich das Hindernis} nämlich den
Spasmus des Colon descendens und sigmoideum mitsamt den darin ge¬
lagerten Fäzesmassen überwindet und ein meist anfänglich bröckliger,
dann mit Schleim vermischter, endlich rein flüssiger Stuhl mit grosser
Vehemenz entleert wird. Dabei werden dann häufig die eingedickten
Kotkugeln aus den fest umschliessenden Haustren mit herausgespült oder
von dem irritierten Darm mit herausgepresst, so dass man sie aus dem
im übrigen flüssig-schleimigen Stuhl herausfischen kann.
Natürlich bleiben derartige Kraftleistungen und Entzündungen auf
die Dauer nicht ohne Folgen für den Darm und seine Umgebung. Ver¬
änderungen bilden sich in derselben Weise, wie sie Payr als Folge¬
zustände chronischer Passagehindernisse an der Flexura lienalis gesehen
und beschrieben hat. Durch die überphysiologischen Kraftleistungen
hypertrophiert die Muskulatur, durch die meteoristische Aufblähung, die
ganz gewaltige Grade annehmen kann, wird der Darm dilatiert, und,
ganz wie Payr es beschrieben hat, entstehen an den Aufhängebändern
des Kolons, indem das hypertrophische Kolon daran reisst und zerrt,
Ueberdehnungen, lokale Entzündungen, die, in narbige Schrumpfungen
übergehend, mit der Zeit sekundär das Darmlumen einschnüren können
und somit die direkte Ursache für gutartige Stenosen darstellen. Da bei
der chronischen spastischen Obstipation in der Regel der Krampf schon
kurz hinter der Flexura lienalis oder an derselben beginnt, ist es aus
leicht erklärlichen anatomischen Gründen mit Vorliebe das Lig. phrenico-
colicum, das die Hauptlast dieser, von den davor gelegenen hypertrophi¬
schen Darmteilen ausgeübten Zugwirkung zu tragen hat, also auch am
ersten betroffen werden muss und durch Schrumpfung die von Payr
beschriebenen Veränderungen der Flexura lienalis bedingt. Die zu- und
abführenden Dickdarmschlingen nämlich werden mit in die Höhe gezogen,
in ihrem Verlaufe dabei einander genähert und dadurch der von ihnen
gebildete Winkel, dessen Spitze die linke Flexur bildet, verkleinert.
Hierdurch entsteht also eine Erhöhung des natürlichen Passagehinder¬
nisses.
Ausserdem wird die Serosa des Darms noch durch die hochgradige
Blähung gezerrt und gereizt, eine weitere Ursache für die Entstehung
der von Payr geschilderten Adhäsionsfixationen.
Auf Eines aber möchten wir noch besonders die Aufmerksamkeit
lenken: Wie oben schon gesagt wurde, bleiben einzelne etwa haselnuss-
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420
K. v. NOORDEN,
grosse Kotstückchen bei dieser Obstipationsform oft längere Zeit an einer
Stelle liegen, überdauern vielleicht auch, fest von den Haustren um¬
schlossen, mehrere Durchfallperioden und geben durch den Druck, den
sie auf die uraspannende Darmwand ausüben, Veranlassung zu Dekubital-
geschwüren. Der geschwürige Prozess greift bei der allgemeinen Kolitis
leicht um sich, so dass ganze Strecken des Dickdarms ulzcrieren. Diesen
Prozess kann man röntgenologisch genau konstatieren, worauf noch näher
eingegangen werden soll. Als Folge solcher, gelegentlich auch tiefer¬
greifender Ulzera antwortet die darüber gelegene Serosa bekanntlich mit
einer lokalen exsudativen Entzündung, und somit können auch diese
durch den Dickdarmspasmus retinierten Kotpartikel Anlass geben zu
Verwachsungen und Narbenstrikturcn, die den Darm von aussen un¬
günstig beeinflussen. Da diese Kotklümpchen an der Stelle der inten¬
sivsten Spasmen festgehalten werden, nämlich von der Flexura lienalis
an abwärts, mögen auch diese Veränderungen mit Vorliebe dazu bei¬
tragen, das von Payr beschriebene Krankheitsbild hervorzurufen.
Ein Fall dieser Art, den wir an dieser Klinik beobachtet haben,
möge diese Schilderung illustrieren:
FrauR., 35 J. alt. Familienanamnese ohne Belang. Ausser Diphtherie und Masern
im Kindesalter und einige Male Krätze hat die Patientin keinerlei Erkrankungen durch¬
gemacht. Das jetzige Leiden begann schon vorl5Jahron. Patientin war damals 20 Jahre
alt. Sie war immer obstipiert. Gleichzeitig litt sie an Magenbeschwerdon. Wenn die Obsti¬
pation, die sie die ganzen 15 Jahre nie verlassen hat, sehr intensiv wurde, sodass sie
mehrere Tage lang keinen Stuhl hatte, steigerten sich sämtliche Beschwerden, sie be¬
kam saures Aufstossen, nicht selten in den letzten Jahren Erbrechen, und meistens
setzte dann unter riesigen Schmerzen ein Durchfall ein, der sie zwar erschöpfte, nach
dem sie aber wieder einige Zeit Ruhe batte. Langsam begann nun das Spiel wieder
von neuem, oft war sie unmittelbar nach dem Durchfall wieder verstopft, oft war sie
für einige Tage oder Wochen frei von Beschwerden. Eine besonders heftige Ver¬
schlimmerung des Leidens schloss sich vor drei Jahren an eine Geburt an. Als Pat.
vor einigen Tagen einen Kolikanfall auf der Strasse bekam, unter dem sie ohnmächtig
zusammenbrach, wurde sie, da gleichzeitig in letzter Zeit die Menses ausgeblieben
waren, wegen Verdachts auf Gravidität auf die Frauenklinik gebracht, von wo sie zu
uns geschickt wurde.
Bei ihrem Eintreffen auf unserer Klinik bot sie ein peritoneales Bild dar. Blässe,
ängstliche Miene, kleiner, frequenter Puls, intensive Sohmerzen im ganzen Abdomen,
Defense musculaire, besonders der rechten Seite. Enormer Meteorismus rechts und in
der Mitte, aber Dämpfung von der Milzgegend an über dem Colon descendens. Das
Genitale war frei, nirgends eine Resistenz zu tasten, doch wurde das Vordringen des
touchierenden Fingers in das hintere Scheidengewölbe furchtbar schmerzhaft empfunden.
Zwei Tage hatte sie bei ihren starken Schmerzen keinen Stuhl, am dritten Tag, dem
zweiten ihres Aufenthaltes in der Klinik, traten Diarrhöen auf, wie man sie profuser
bei Cholera nicht zu sehen bekommt. Die Konsistenz der Stühle war ganz wässerig,
einzelne härtere Klumpen enthaltend. Diese waren dunkler gefärbt. Dabei die ganze
Zeit über dem linken Abdomen die deutliche Dämpfung. Kurz vor Einsetzen der
Diarrhöen noch erbrach Pat. fast sämtliche Nahrung, die sie zu sich nahm, zugleich
mit dem Einsetzen der Stuhlentleerung hörte das auf.
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Ueber ernsthafte Folgezustände der chronischen spastischen Obstipation. 421
Wenn wir im Anfang an eine vom Genitale ausgehende Pelveo-
peritonitis dachten, so schallte der weitere Verlauf und die gleich am
Morgen des zweiten Tages, wenige Stunden vor Einsetzen der Diarrhöen
vorgenommene Röntgendurchleuchtung Klarheit.
Aus der gleichförmigen Schattenmasse des Abdomens hob sich das
armdick geblähte Colon ascendens nnd transversum hervor. Die Flexura
hepatica war kaum angedeutet. Als ein grosser, prall mit Gas gefüllter
Schlauch wand sich der Dickdarm von rechts unten nach links oben.
Dabei komprimierte er den Magen so, dass eine Entwickelung dieses
Organes mittels Wismutaufschwemmung nur bis zu etwa zwei Dritteln
möglich war und ein Füllungsdefekt wie bei Karzinom am Antrum
pylori vorgetäuscht wurde. In seinem ganzen Verlaufe wies der geblähte
Dickdarm dabei die jüngst von Stierlin (2) beschriebenen für Colitis
ulcerosa charakteristischen Flecken auf, die seiner Ansicht nach dadurch
zustande kommen, dass die am Vorabend genossene Bi-Speise wohl
weiterbefördert wurde, aber unter den Rändern unterminierender Ulzera
kleine Mengen des Kontrastmittels hängen bleiben und so gleichsam eine
Marmorierung in dem Bilde hervorrufen. Die Bi-Ingesta waren schon
bis ins Colon descendens vorgerückt, bildeten an der Flexura lienalis
jene oben beschriebenen doppelten Rosenkranzketten, und weiter im Colon
descendens hinunter einen zwei bis drei Zentimeter dicken Strang mit
deutlicher Haustrenzeichnung. Leider ist es mir nicht möglich, eine
Photographie dieses Bildes wiederzugeben, auch bot uns Patientin diesen
Zustand nicht zum zweiten Male dar, denn bald nachher wurden die Ver¬
hältnisse infolge des abundanten Durchfalles ganz andere. Aber eine zweite
Aufnahme zwei Tage später, die ich hier (siehe Tafel X) vorführe, zeigt noch
deutlich die charakteristischen Veränderungen an der Flexura hepatica.
Die auffällige „Marmorierung“, die wir hier sehen, wurde von Stierlin
als charakteristisch für geschwürige Prozesse der Darmschleimhaut an¬
gesehen, und auch an unserer Klinik haben Schwarz und Novaczinsky
(3) diese Veränderungen erkannt und durch autoptische Befunde die
pathognomonische Bedeutung solcher Röntgcnbildcr für Darmschleimhaut¬
geschwüre verschiedener Aetiologie sichcrgestellt. Während die Haupt¬
masse des Bi-haltigen Darminhaltes an der ulzerierten Stelle nicht liegen
bleibt, sondern sehr bald darüber hinweggeschoben wird, bleiben doch
an den Unebenheiten der Geschwüre, unter ihren Rändern, sowie an den
klebrigen dicken Schleimflocken kleine Mengen des Kontrastmittels hängen
und heben sich deutlich in der leeren oder höchstens mit Gas ange¬
lullten Darmpartie ab. So entsteht diese pathognomonische Marmorierung
im Röntgenbilde.
Die Diagnose unseres Falles unterlag nun keinem Zweifel mehr,
die Patientin bot ganz den Symptomenkomplex, den Payr beschrieben
hat als Okklusionskrise. Auch der weitere Verlauf bestätigte diese Auf¬
fassung. Interessant war dabei das Bestehenbleiben der Dämpfung über
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422 K. y. NOORDEN, Folgezustände der chronisohen spastischen Obstipation.
dem linken Abdomen. Jedenfalls wurde hier das Darmrohr unter dem
Einfluss des von hinten andrängenden Druckes nur soweit geöffnet, dass
die Gas- und Flüssigkeitsmassen gerade schnell passieren konnten. Auch
ist anzunehmen, dass perikolitische Einflüsse den Schall erheblich ver¬
kürzten. Nach den überaus reichlichen Entleerungen fühlte sich Pat.
bedeutend erleichtert, nur war das Abdomen noch sehr druckempfindlich
und sie war sichtlich ermattet. Doch hatten die rasenden Kolikschmerzen
aufgehört. Hier setzte nun unsere Therapie ein, deren guter Erfolg auch
wieder die Richtigkeit unserer Auffassung beweist. Wir verabreichten
zunächst Atropin, um die von einem hypertonischen Darmvagus veran-
lassten Krämpfe der unteren Dickdarmpartien zu lösen. Nach einer
kurzen Periode schonender, dabei sehr kalorienreicher Kost gingen wir
allmählich zu einer gröberen Diät über, um Pat. mit der Zeit auf eine
regelrechte schlackenreiche Obstipations- und Mastdiät zu bringen. Ist
dadurch einmal die Darmtätigkeit wieder in normale Bahnen gezwungen,
so fällt auch die Ursache der Okklusionskrisen weg, und die Patientin
ist von ihrem schweren und entkräftenden Leiden befreit.
Aber hier kann ein kritikloser Schematismus ernste Gefahren
heraufbeschwören. Diese Grobkost ist ein Experimentum crucis! Sobald
man sieht, dass sich dabei neue Attacken einstellen, ist das ein Zeichen,
dass die sekundären Veränderungen, die Adhäsionen, Strikturen oder
Fixationen schon soweit gediehen sind, dass hier nur noch die Operation
helfen kann, während ein Festhalten an massiger grober Kost nur neue
schlimmere Okklusionskrisen veranlassen würde.
Wenn wir somit einerseits die von Payr so klar und anschaulich
geschilderte Erkrankung nach ihrer ätiologischen Richtung haben er¬
weitern wollen, so lag es uns besonders auch daran, auf schlimme Folgen
hinzuweisen, die eine vernachlässigte chronische spastische Obstipation
nach sich ziehen kann.
Literatur.
1) Payr, Ueber eigentümliche, durch abnorm starke Knickungen und Adhäsionen
bedingte gutartige Stenosen an der Flexura lienalis und hepatica coli. Verhandl. d.
Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1912. S. 276. — 2) Stierlin, Zur Röntgendiagnostik
der Colitis ulcerosa. Diese Zeitschr. Bd. 75. II. 5 u. 6. 1912. — 3) Schwarz, G.
u. Novaczinsky, Eigenartige Röntgenbefunde bei tiefgreifenden, chronisch-entzünd¬
lichen Prozessen am Dickdarm. Wiener klin. Wochenschr. 1912. Nr. 38.
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XXIII.
Pneumonia in Rio de Janeiro und Pneumococciae
bastardae.
Von
Dr. A. Austregesilo,
Professor der medizinischen Fakultät zu Rio de Janeiro, Arzt des Krankenhauses von Misoricordia,
Titular-Mitglled der medizinischen National-Akademie.
Der Temperaturwechsel, die herrschende Feuchtigkeit und starken
Winde in den Monaten August und besonders September und Oktober
des Jahres 1909 bedingten ein vermehrtes Auftreten von anormalen
Pneumonien und Formes frustes derselben. Die vorliegende Arbeit be¬
zweckt ein Zweifaches: einmal das Problem der Pneumonie in Rio de Janeiro
summarisch zu erforschen und dann die Frage der pulmonalen Kon¬
gestionen zu analysieren, worüber, nach meiner Ansicht, in den französischen
Abhandlungen absolut keine Klarheit herrscht.
I.
Die früheren klinischen Beobachtungen in Rio de Janeiro unter der
Leitung von Torres Homem und Martins Costa verzeichneten das
seltene Vorkommen einer reinen Pneumonie bei uns. An dieser Auf¬
fassung hielt auch Prof. Dr. Francisco de Castro fest, unter dessen
Lehrstuhl ich sitzen durfte und dessen sämtliche Schüler sie sich zu eigen
machten. Dr. Alfonso Ramos ging dann in einer der National-Akademie
im Jahre 1896 unterbreiteten Gedächtnisschrift über das zulässige Mass
hinaus, indem er sich für berechtigt hielt, sogar von einer „Pneumonia
nostras“ zu sprechen und diese als selbständigen Typus aufzustellen,
unter Anlehnung an die Bezeichnung von Martins Costa „flüchtige
pulmonale Form“, unabhängig von der Pneumonie, ein Mittelglied zwischen
der Kongestion von Woillez und der Pleurokongestion von Potain.
Der genannte Arzt behauptete, dass er niemals den Pneumokokktfe im
Sputum seiner Kranken angetroffen habe (!) und dass er einem speziellen
Erreger dieser angeblichen Krankheitsform auf der Spur sei.
Prof. Dr. Miguel Couto gibt nach eingehenden klinischen und
bakteriellen Untersuchungen zu, dass die reine Pneumonie keine Selten¬
heit bei uns ist; nur nimmt sie manchmal eine mehr gutartige Form
an, jedoch stets ist sie bedingt durch den Pneumokokkus. Einer seiner
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 5 u. 6. oq
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424
A. AUSTREGESILO,
Schüler, Dr. Samuel Libanio, zieht in seiner Dissertation die Schluss¬
folgerung, dass die Pneumonie in Rio de Janeiro die nämliche Ent¬
wicklung zeige, wie sie von ausländischen Autoren beschrieben wird,
ohne die mindeste Modifikation. Dr. Paula Rodriguez weicht von
diesen Endergebnissen ab und meint, dass hier die Pneumonie milder und
ohne die gewöhnliche Krisis verlaufe. Prof. Dr. Rocha Faria, in einer
Diskussion vor der National-Akademie, nimmt, wie die modernen Autoren,
an, dass die ursprünglichen idiopathischen Kongestionen abgeschwächtc
Pneumokokzien seien, wie sie Grasset nennt. Prof. Dr. Miguel Pereira
bespricht die Frage und folgert, dass die Pneumonie in Rio de Janeiro
mehr kongestiv als phlegmonös sei. Prof. Dr. Oscar de Souza meint,
dass viele derartig registrierte Fälle zur Grippe gehören, wo das bei
dieser Infektion so häufige kongestive Element auffällt.
Während des Jahres 1908 hielt ich einige Vorlesungen über pulmonale
Kongestionen im Hospital Misericordia; ich betrachtete sie, wie alle
modernen Forscher, als Folge des Diplokokkus Talamon und Fraenkel,
indem ich sie als Pneumokokzien bezeichnete; bei dieser Gelegenheit be¬
merkte ich, dass die von den Autoren aufgestellten Typen ein wenig
künstlich seien. Später will ich nochmals auf diese Frage zurückkommen.
Im Jahre 1909 beschäftigte sich auch Prof. Dr. Azevedo Sodre in
seinen klinischen Kursen mit den anormalen Pneumokokzien, die er
„Pneumococciae spuriae“ benannte.
Unter Benutzung der Fälle, welche während meiner Leitung der
I. medizinischen Klinik auf der 8. Infirmeric in den oben erwähnten
Monaten vorkamen, wo die Pneumokokzien sich häuften, gelang es mir,
meine Ueberzeugung über das Problem der Pneumonien in Rio de Janeiro
gewissermassen noch zu bekräftigen. Die reine Pneumonie existiert bei
uns mit ihrem ganzen symptomatologischen Gefolge, nicht anders wie
in den gemässigten Klimatcn, und wir finden sie heimisch im Innern des
Landes wie in den Hauptstädten der Staaten von Minas, Sao Paulo und
im Süden. Dieser Typus kommt mehr im Winter zur Beobachtung, oder,
eher, beim ersten Wechsel der Jahreszeit, oder bei grossen Feuchtigkeits¬
graden und plötzlichen Temperaturabfällen. Indessen so häufig wie in
Europa ist die reine Pneumonie nicht. Die Formes Trustes und Bastard-
Formen sind mehr im Uebergewieht als die klassische Form der
Pneumonia crouposa. Von diesen Formen können wir unterscheiden:
1. Pneumonia abortiva.
2. Pneumococciae thoracicae bastardac.
Ueber die reine Pneumonie braucht nicht viel gesagt zu werden.
Sie folgt dem gewöhnlichen Verlaufe, ohne tiefgreifendere Abweichung
und ohne sich von der durch die Autoren beschriebenen Form zu unter¬
scheiden. Das klinische Bild, die Krisis, die Prognose gleichen völlig
den Angaben der ausländischen Internisten.
Wie überall, zeigt auch bei uns die Pneumonie die durch die
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Pneumonia in Rio de Janeiro und Pneumococciae bastardae.
425
Kliniker festgestellten Variationen und Formen, die nach Netter auf
3 prinzipiellen Ursachen beruhen:
1. Formen, die von der Qualität des Pneumokokkus abhängen.
2. Durch anatomische Grundlage bedingte Verschiedenheiten.
3. Durch die Beschaffenheit des Gebietes bestimmte Formen.
In die 1. Gruppe fallen: die entzündliche, adynamische, abortive,
apyretische und ambulatorische Form.
In die 2. Gruppe: die Pneumonia centralis, apicis, duplex, migrans,
intermittens et massiva.
Bei der 3. Gruppe kommen in Betracht: physiologische Verhältnisse,
wie Alter und Geschlecht; pathologische Zustände, wie Alkoholismus,
Diabetes, andere Infektionskrankheiten, lokale Erkrankungen usw.
Die in Rio de Janeiro vorherrschenden Varietäten sind mit grösserer
Wahrscheinlichkeit durch die verschiedene Beschaffenheit des Pneumo¬
kokkus hervorgerufen, als durch die verschiedene Widerstandskraft des
erkrankten Gebietes bedingt. Die Zeiten sind schon vergangen, wo man
glaubte, der Pneumokokkus verursache nur die reine Pneumouie. Lipp-
mann bewies in einer vorzüglichen Monographie die Verschiedenheit der
Erkrankungsformen, die Modifikationen der menschlichen und experi¬
mentellen, der virulenten und abgeschwächten Pneumokokzien. In dem
medizinischen Handbuch von Brouardel berichtet Landouzy über diese
Abstufungen des betreffenden Diplokokkus und legt als erster in einem
Werke über allgemeine Pathologie den neuen Begriff der Pneumo¬
kokzien fest.
Der Pneumokokkus, im Gegensatz zum Streptokokkus, besitzt eine
grosse Beständigkeit in seinen morphologischen und kulturellen Eigen¬
schaften, und wir dürfen annehmen, dass cs nur eine Art von Pneumo¬
kokkus gibt, obwohl Besangon und Griffin das Vorkommen einer
unbegrenzten Zahl von Stämmen, von Varietäten erwiesen haben, die fast
der Zahl der Individuen gleichkam. Die gleichen Untersucher bemerkten,
dass die Virulenzunterschiede so weit gingen, dass ein gegen eine Abart
geimpftes Tier nicht gegen einen Pneumokokkus anderer Art immun war.
Camillo Bozzolo spricht ebenfalls von den überaus zahlreichen Ab¬
arten, die durch den Einfluss der Nahrung und der Aussentemperatur
hervorgerufen seien. Musser und Norris behaupten, dass die Virulenz
des Diplokokkus Talamon-Fraenkel zeitweise sich ändere, je nach der
Jahreszeit und der Atmosphäre. Landouz.y jedoch gibt an, dass nur
ausnahmsweise die Schwere der Lungenerkrankung von dem Erreger ab-
hänge; sie wird mehr verursacht durch die Beschaffenheit des Gebietes
als durch die Infektionsquelle; die Prognose der Pneumonie müsse eher
sich richten nach der Konstitution, nach den anamnestischen Angaben,
nach der Reaktion und nach der Widerstandskraft der Erkrankten, als
nach der mikrobiologischen Analyse des Pneumokokkus. Allein cs sind
dies Uebertreibungen des Autors, denn nach Netter, Grasset, Carrierc,
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I
426 A. AUSTREGESILO,
Marfan sind die pulmonalen Kongestionen Pneumokokzien im ab¬
geschwächten Stadium.
Bezüglich der geographischen Verbreitung der Pneumonie halten die
Autoren daran fest, dass sie in allen Teilen vorkomme, seltener jedoch,
wie Musser und Norris berichten, an den beiden Polen und in der
Aequatorialgegend. Dieselbe Ansicht vertritt Pye-Smith in seiner Ab¬
handlung. Im heissen Klima wird die Pneumonie nur auf höher gelegenen
Punkten beobachtet, wo an glühend brennenden Tagen plötzliche Temperatur¬
wechsel sich einstellen, so führen die Mitarbeiter des System of Medicine
von Osler und Mac Grae aus.
Le Dantec berichtet, wie alle, über das Vorkommen der Pneumonie
in den warmen Ländern, so in Senegal, wo sie vorzugsweise die in den
Bergwerken arbeitenden Neger befällt. Er fügt hinzu, dass die Pneumonie
bei den Negern schleichend, mit geringen Fiebergraden verlaufe und an
die Pneumonia bastarda der alten Leute in Europa erinnere. Bei den
Aethiopiern hat der Diplokokkus die Neigung, sich auf alle Organe zu
erstrecken, und, wie Marchoux bezeugt, ist dort die Meningitis pneumo-
coccica eine gewöhnliche Erscheinung.
Um das Gesagte zu vervollständigen, wollen wir noch ein wenig
die Statistik betrachten in bezug auf das Vorkommen der reinen Pneumonie
in Rio de Janeiro. Was die Mortalitätsziffer anlangt, so zeichnet sich
die Lungenentzündung im allgemeinen nicht vor anderen Krankheiten
und insbesondere nicht vor anderen Erkrankungen des Respirations¬
apparates aus. In dem Jahresbericht 1904 der sanitären Volksstatistik,
publiziert durch Dr. Bulhoes Carvalho, begegnen wir kaum 210 Todes¬
fällen bei einer Bevölkerung von nahezu einer Million; im Jahre 1905
kamen 200, im Jahre 1907 nur 146 Todesfälle vor.
Nach der jüngsten Statistik des Hospitals Misericordia, des grössten
der hiesigen Krankenhäuser, einer noch nicht veröffentlichten Arbeit des
Dr. M. Carrao, finden wir in den letzten Jahren folgenden Ablauf der
Pneumonie:
1906
.
Geheilt
79 ]
1
Gestorben
34 j
113 Fälle
1907
Geheilt
62 )
89
Gestorben
27 |
n
1908
.
Geheilt
65 }
| 92
Gestorben
28 j
TI
|
' 1. Vierteljahr:
Geheilt
27 1
36
1909
1
Gestorben
9]
71
i 2. Vierteljahr:
Geheilt
19 1
23
1
Gestorben
4 J
TI
Wenn wir diese Zahlen mit den Angaben der Autoren vergleichen,
sehen wir, dass die Mortalität und die Häufigkeit der Pneumonie in Län¬
dern Europas und in Nordamerika viel höhere sind als bei uns. In diesem
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Pneumonia in Rio de Janeiro nnd Pneumococciae bastardae.
427
letzteren Lande betrug nach der Statistik von L890 die Mortalitätsziffer
der Pneumonie 9 pCt. gegenüber der Gesamtheit der Todesfälle; im
Jahre 1900 10,5 pCt. ln England und Wales treffen auf 100 000 Ein¬
wohner 125,5 Todesfälle an Pneumonie. In Chicago ist nach einer offi¬
ziellen Mitteilung des Gesundheitsamtes der 8. Teil der Todesfälle durch
Peumonie bedingt, die 46 pCt. der Gesamtheit der Infektionskrankheiten
ausmacht.
Bezüglich der Häufigkeit der Krankheit stellt die Pneumonie in
England, Frankreich und Deutschland nach Barch 6 4 4 pCt. aller Er¬
krankungsformen dar; nach Ziemssen 3 pCt.; in Wien 2,6 pCt.; Nells
fand unter 400 000 Hospitalsaufnahmen 2—2,5 pCt. wegen Pneumonie.
In demselben Sinne stellte Jürgensen 5 pCt. fest. Ziemssen be¬
hauptet, dass die Pneumonie im Vergleich zu allen möglichen Erkran¬
kungen einen Prozentsatz von 3 erreiche; mit der Zahl der inneren Krank¬
heiten verglichen 6—7 pCt. betrage.
Die Gegenüberstellung beweist die geringe Häufigkeit und den weniger
tödlichen Verlauf der reinen Pneumonie in Rio de Janeiro. Die Pneu¬
monie ist damit noch nicht ein ganz und gar seltenes Vorkommnis. Sie
zeigt nur keine so ausgesprochene Häufigkeit, indem mehr die Formes
frustes und Abstufungen im Vordergründe stehen. Vielleicht erklärt sich
dadurch die auffallend geringe Zahl in den statistischen Aufstellungen.
II.
Wie schon eingangs bemerkt, können wir bei uns 3 Hauptarten
der pulmonalen Pneumokokzien beobachten:
a) die gewöhnliche, klassische Form der Pneumonie,
b) die abortiven und abgeschwächten Formen,
c) die pulmonalen Bastardformen.
Die erste Form brauchen wir nicht nochmals zu behandeln, da die
zitierten inländischen Arbeiten völlig das Bild beleuchten. Die abortiven
Formen kommen oft vor. Der Kranke beginnt die ganze Reihe von
Symptomen zu zeigen: Schüttelfrost, hohes Fieber, stechende Schmerzen,
allgemeine Abgeschlagenheit, leichtes Benommensein, blutiges, zähes Spu¬
tum, jedoch ohne die wirklichen Merkmale des Auswurfes bei Pneumonie.
Die physikalischen Zeichen von seiten der Lungen sind nicht ausge¬
sprochen: klarer oder halbgedämpfter Schall, knisternde Rasselgeräusche,
vesikuläres Atmen, das bronchial zu werden beginnt. Es ist dies das Sta¬
dium der Beklemmung, das auf dem Uebergange zur Hepatisation sich
befindet. Mittlerweile am 3.—5. Tage verwischen sich alle diese Sym¬
ptome und der Kranke zeigt ein anderes Bild. Bei dieser Erkrankungs¬
form erschöpft der Pneumokokkus seine Wirkung während des Beklera-
mungsstadioms. Es hat den Anschein, als ob die Periode der Hepati¬
sation einsetze, denn Bronchialatmen und Dämpfung sind nachweisbar,
ebenso leichte Bronchophonie. Die 2. Periode jedoch entwickelt sich
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428
A. AUSTREGESILO,
nicht, klingt ab und verschwindet ohne besonderes Aufheben. In solchen
Fällen habe ich schon die Diagnose „Influenza“ stellen sehen.
Es gibt indessen Fälle, bei denen der Tatbestand noch dunkler,
schleichender ist. Der Kranke hat hohes Fieber, leicht blutigen Aus¬
wurf, ohne die mindesten Zeichen von seiten der Lungen. „Eine wahr¬
hafte Pneumonie ohne Pneumonie“. Die Diagnose ist hierbei äusserst
schwierig und kann nur, gestützt auf die gerade obwaltende Häufigkeit
von Pneumonien und auf die bakteriologische Untersuchung des Sputums,
sicher gestellt werden.
Die fälschlich benannten kongestiven Typen sind trivial. Aus der
Zeit, in der ich die Krankenabteilung meines seligen Lehrers Dr. Fran¬
cisco de Castro besuchte, ist mir noch die Häufigkeit der Fälle mit
Pleurokongestion, Potainschem Typus, in Erinnerung, die der damalige
Assistent Dr. Almeida Magalhaes feststellte. Seit dieser Zeit bin ich
in der Klinik und Privatpraxis gelegentlich des Wechsels der Jahreszeit,
besonders im April und beim Uebergang vom Winter zum Sommer (Sep¬
tember und Oktober) einem vielfachen Auftreten von Fällen begegnet,
die mich nicht immer zur gleichen Diagnose kommen Hessen, als ich sie
vor Jahren vernahm. Der gewöhnlichste Typus steht dem von Woillez
beschriebenen nahe, jedoch nicht immer hält er sich in den Grenzen,
die ihm von den Autoren gezogen. Meine Beobachtungen sind mehr oder
weniger wie folgt:
Der Kranke klagt anfangs über allgemeines Uebelbefinden, bald
leichten, bald intensiven Schüttelfrost. Das Seitenstechen oder ein Brust¬
schmerz in der Mammillargegend ist fast immer konstant. Manchmal
sind die Schmerzen generalisiert, lokalisiert in den Schulterblättern, in
der Intcrskapulargegend, hauptsächlich bei tiefer Inspiration. Hernach
treten die Symptome und Merkmale auf, die den Pseudopneumonien ihr
besonderes Aussehen verleihen. Der Kranke beginnt an häufigem, hart¬
näckigem, nicht selten schmerzhaftem Husten zu leiden. Das gewöhn¬
liche Symptom, eine leichte oder ausgeprägte Dyspnoe, stellt sich ein,
je nach dem Grad der Infektion oder der nervösen Erregbarkeit des
Kranken. Der Auswurf kann am ersten Tage nur weiss, zäh und kle¬
brig sein oder nicht, oder schon am ersten Tage eine rosa Farbe oder
direkt blutiges Aussehen zeigen. Er gleicht in nichts dem pneumonischen
Sputum, worauf ich besonders aufmerksam mache; höchstens ausnahms¬
weise kann dies cintreffen.
In der Regel am 2. oder 3. Tage erscheinen dann die schleimig¬
blutigen Sputa, wobei man hier und da Schwierigkeiten haben mag, eine
richtige Diagnose zu stellen, weil die physikalischen Zeichen und die
charakteristischen Sputa oft bis zum zweiten Tage fehlen können. Bei
der mikroskopischen Untersuchung findet man das Präparat übersät mit
Pneumokokken und mit anderen, bei bronchopulmonalen Infektionen ge¬
wöhnlichen Keimen. Die bakteriologische Untersuchung der in der
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Pneumonia in Rio de Janeiro and Pneamococoiae bastardae.
429
Klinik und in der Privatpraxis beobachteten Fälle, die in liebenswürdiger
Weise von Dr. A. Moses, Assistenten am Institut „Oswaldo Cruz“ und
Dr. Mario Pinheiro, Direktor der pathologisch-anatomischen Abteilung
des Hospicio Nacional, vorgenommen wurde, ergab stets die Anwesen¬
heit des Pneumokokkus in reinem Zustande, von grösserer oder geringerer
Virulenz.
Die physikalischen Zeichen sind nicht beständig, manchmal in den
ersten 36 Stunden noch völlig unbestimmt; hernach jedoch treten sie
klar hervor. Die blosse Inspektion gibt wenig Aufschlüsse. Leichtes
Zurückbleiben der betroffenen Seite beim Atmen, vielleicht bedingt durch
den Schmerz; in den ersten 48 Stunden ist kein bei der Betastung aus¬
geprägter Volumenunterschied des Stimmfremitus zu konstatieren, ödes
es ist gar keine oder nur eine geringe Modifikation desselben vorhanden.
Vom dritten Tage ab fand ich den fühlbaren Stimmumfang vermehrt.
Der Thorax ist gewöhnlich bei Berührung schmerzhaft. Vom ersten zum
zweiten Tage gewahrt man bei der Perkussion keine Dämpfung des
Schalles, im Gegenteil, es existiert Tympanismus über der Infraklaviku-
largegend. Es treten darauf Stellen mit geringer Dämpfung auf, die
regelmässig den Unterlappen betreffen, nur ausnahmsweise den Oberlappen.
In wenigen Fällen beobachtete ich eine gedämpfte Zwischenzone zwischen
Ober- und Unterlappen, die jedoch nicht der Topographie des Mittel¬
lappens entspricht und auch in der linken Lunge zu Tage treten kann,
wobei man gewissermassen an die Dämpfung bei interlobulärer Pleuritis
erinnert wird. Die resultatlosen Punktionen bestätigten die Beobachtung.
Die genannte Dämpfung zeigt sich einmal wenig intensiv, ein andermal
ganz deutlich, bald flüchtig, bald beständig, und zwar ist das letztere
die Regel; in diesem Falle bleibt die Dämpfung länger als angängig be¬
stehen, besonders wenn Komplikationen von seiten der Pleura sich hinzu¬
gesellen, wie ich in 2 Fällen meiner Privatpraxis feststellen konnte.
Bei der Auskultation vernimmt man anfangs hauchendes Atem¬
geräusch mit Knisterrasseln, oder mit grösserer Häufigkeit ganz feines
Knisterrasseln. Das Bronchialatmen und die bronchitischen Geräusche
klingen dem Ohre fern und undeutlich. In den Fällen von reiner
Pneumonie war das Atemgeräusch immer bronchial.
Das bronchiale Atemgeräusch ist verschieden stark, in manchen
Fällen schärfer ausgeprägt als bei der gewöhnlichen Pneumonie. Mit
dem gröberen Knisterrasseln, das mit der Ausdehnung mehr ein vermin¬
dertes Knistergeräusch wird, vermischen sich schnurrende, hin und wieder
ein wenig pfeifende bronchitische Geräusche. Dazu kommt ein gewisser
Grad von wenig bemerkbarer Bronchophonie oder Bronchoägophönie.
Ich konnte dieses Phänomen an einem Kranken nachweisen, der es ganz
deutlich auf einer Seite zeigte, während es auf der anderen nur ange¬
deutet war, und daher mir der Eindruck einer beiderseitigen Pneu¬
monie, Forme fruste, machte. Die Lösung zog sich 12 Tage in diesem
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430 A. AUSTREGESILO,
Falle hin und erfolgte schliesslich auf intravenöse Injektionen mit
Kollargol.
Die allgemeinen Symptome sind vielfach beängstigend: Hohes Fieber,
39,5—40° mit vorausgehender Starrheit. Die Zunge ist belegt, Appetit¬
losigkeit, übermässiger Durst, Verstopfung, schmerzhafte Leberschwellung,
die Milz ist selten vergrössert, der Leib schmerzhaft und tympanitisch,
beschleunigter Puls, Urin rötlich, spärlich unter Retention von Salzen,
Verminderung des Harnstoffs und in manchen Fällen leichte Albuminurie.
Fieberdelirium kommt vereinzelt vor und hängt mehr mit der neuro-
pathischen Veranlagung des Kranken zusammen. Das Fieber zeigt einen
halb beständigen, oder remittierenden Typus. In verzögerten Fällen nahm
ich Fieber von fast intermittierendem Charakter wahr. Ich sage „fast“,
weil das Thermometer auf 37,4°, 37,2°, 37,5° abfiel, um dann von neuem
auf 38°, 39° zu steigen, ähnlich den Temperaturschwankungen bei In¬
fluenza. Die Entwicklung war in der Mehrzahl kurz, mit verzögerter
Krisis oder anormaler, wiederholter oder langsamer Resolution. Kompli¬
kationen von seiten der Pleura sind gewöhnlich, oder besser gesagt, fast
konstant. Einmal macht die Pleura nur geringe Erscheinungen, ein ander¬
mal hingegen beobachtet man intensive Vorgänge mit leichtem Erguss,
der jedoch mit den Anzeichen eines grossen Ergusses sich darstellt; es
handelt sich in diesem Falle um eine Pachyplcuritis. Dieses Krankheits¬
bild steht vielleicht im Zusammenhang mit der fibrinogenen oder krup¬
pösen Eigenschaft des Pneumokokkus.
Nachdem der beschriebene Typus einer Pneumonia frusta sive bastarda
eingesetzt, treten die berichteten pleuralen Erscheinungen auf mit dem
Charakter der Pleurokongestion Potains und seiner Schüler Serranel
und Duflocquo. Die Pneumonie beginnt als solche und endet mit der
sogenannten Pleurokongestion.
Der Verlauf ist in diesen Fällen schleppend, die physikalischen Erschei¬
nungen in buntem Wechsel. Der gedämpfte Bezirk nimmt den unteren
Teil ein und kann hier mit einiger Hartnäckigkeit bestehen bleiben. Beim
Befallensein der linken Seite kann der Traubesche Raum gedämpft er¬
scheinen, selbst ohne Erguss (!), wie ich gelegentlich dartun konnte. Es
spielt vielleicht hier die Pachypleuritis hinein, bei der die Ablagerung von
Fibrin einen pleuralen Erguss Vortäuschen kann. Die Punktionen sind
negativ oder liefern nur wenige Kubikzentimeter Flüssigkeit, auf diese
Art beweisend, dass die Kongestion der Pleura kruppös war, ausgenommen
Fälle von blockierten Pleuritiden von Mosny und Stern.
Die Prognose ist gewöhnlich günstig. Ich habe nur einen Todesfall
bei einem alten Manne von 74 Jahren erlebt, der überdies an Bronchi-
ektasien und Arteriosklerose litt. Zwei Fälle zeigten als Folgeerscheinung
Tuberkulose, die durch die Untersuchung des Sputums festgestellt wurde.
Die Behandlung war immer exspektativ und symptomatisch. Trockene
und blutige Schröpfköpfe, Tonika, Chinin und Lungenantiseptika brachten
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Pneumonia in Rio de Janeiro und Pnenmococciae bastardae.
431
vielfach meinen Kranken Linderung. In einigen Fällen wurde jedoch die
Resolution mit dieser Behandlung nicht erreicht und dann batte ich immer
vorzügliche Resultate mit der Anwendung der elektrischen oder nicht¬
elektrischen Kolloidmetalle in intravenösen Injektionen. In 4 Fällen waren
die günstigen Folgen unbestreitbar.
m.
Es erübrigt uns noch eine zweite Frage zu besprechen: die primären,
idiopathischen Kongestionen oder die Kongestionen als selbständige Krank¬
heiten, was immerhin eine fehlerhafte Bezeichnung bleibt. Was die fran¬
zösische Schule pulmonale idiopathische Kongestion, congestion pulmo-
naire maladie, zu nennen pflegt, stellt eine falsche Nomenklatur dar, die
eine wissenschaftliche Unwahrheit enthält. Die aktive pulmonale Kon¬
gestion wird durch den Zufluss einer grossen arteriellen Blutmenge ver¬
ursacht, im Gegensatz zur venösen oder passiven Kongestion, die auf
Stauung in der venösen Zirkulation beruht. Der Grund der aktiven Kon¬
gestionen ist manchmal an mechanische Bedingungen geknüpft; gewöhn¬
lich jedoch sind sie von der vasomotorischen Innervation abhängig. Die
pulmonalen Kongestionen, sagt Maragliano, haben keinen persönlichen
Ausdruck, indem er sie bereits für atypische Pneumonien hält, nachdem
er hierbei vielfach den Diplococcus pneumonicus angetroffen. Wir könnten
diese Kongestionen eher Hyperämien oder entzündliche Kongestionen
nennen, denn das entzündliche Element tritt klar zutage. Die toxische
bakterielle Wirkung erklärt diese entzündliche hyperämische Erscheinung.
Was die französischen Forscher, wie Dieulafoy, Renon, Carriere,
Berger, Marfan usw. als idiopathische pulmonale Kongestionen be¬
zeichnen, sind nichts mehr und nichts weniger als Entzündungen des
Lungenparenchyms mit gelegentlicher Erkrankung der Pleura, wobei das
kongestive Element immer nebensächlich ist und die Pneumokokken¬
infektion unterstützt. Der klinische Verlauf, die physikalischen Zeichen,
die Allgemeinsymptome, die wenigen ausgeführten Obduktionen bestätigten
immer den entzündlichen Prozess im Lungenparenchym unter Ergriffen¬
sein des alveolären Epithels und der eigentlichen alveolären Schicht. Es
erheischt, ein für allemal den Namen ,Congestion maladie“ auszumerzen
und dafür Bezeichnungen wie anormale Pneumokokzien (Carriere), ab¬
geschwächte Form von Brustpneumokokzien (Grasset), Pneumococciae
bastardae oder Pneumoniae bastardae einzuführen, weil sie vielfach hart¬
näckig, schleichend sind und sogar zum Tode führen können.
Der Gegenstand der Pneumokokzien ist ausschliesslich Domäne der
französischen Internisten. Wenn wir die klassischen modernen eng¬
lischen und deutschen Abhandlungen, wie von Eichhorst, Pye-Smith,
Gibson, Osler, M. Crae, Albutt usw. überblicken, finden wir keine
diesbezügliche Angabe. In der Regel werden diese Typen als Formen
und Anomalien des klinischen Verlaufes der Pneumonie angesehen, ähn-
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432
A. AUSTREGESILO,
lieh wie es auch Prof. Strümpell in seinem bekannten Lehrbuch in
ganz exakter Weise macht; hier und da werden diese Abarten bei den
Fällen von Bronchopneumonie besprochen.
Das Vorkommen der Pneumococciae bastardae ist nach meinen
eigenen Beobachtungen völlig sicher. Es handelt sich hierbei nicht um
eine wissenschaftliche Nachahmerei. Es lohnt sich daher, einen kurzen
Ueberblick über die einschlägigen Arbeiten massgebender moderner Forscher
zu geben. So wollen wir die beschriebenen klinischen Formen der an¬
geblichen idiopathischen Kongestionen betrachten. Renon, der hierüber
eine klinische Analyse anstellte, teilte die primären Lungenkongestionen
in 7 Typen ein.
1. Lungenkongestion: Typus Woillez.
2. Katarrhalische Kongestion der Brustorgane: Dupre, Grasset,
Dieulafoy.
3. Pleuropulmonale Kongestion: Potain und Serrand.
4. Pneumonia splenica: Grancher, Queirat.
5. Plötzliche Kongestion (Coup de sang pulmonaire). Paroxysmale Kon¬
gestion nach Weill. Bronchioplegische Kongestion nach Huchard.
6. Pulmonale Kongestion ohne Auswurf. Trockene Pneumonie nach
Wiedmann.
7. Die verzögerte und verschleppte pulmonale Kongestion: Renon.
Wir wollen diese Formen kritisch prüfen.
Bei Gelegenheit meiner klinischen Vorlesungen im Hospital Miseri-
cordia im Jahre 1908 bewies ich an der Hand von klinischen Fällen
das Erkünstelte dieser Einteilung. In diesem Jahre sprach ich als
Leiter der I. medizinischen Klinik und in der medizinischen Gesellschaft
der Krankenhausärzte wiederholt diese Behauptung in bezug auf die
Pneumococciae bastardae aus. Wie äussern sich nun die verschiedenen
Autoren? Renon haben wir schon kennen gelernt. Marfan unterscheidet
3 Haupttypen von idiopathischen Kongestionen: Typus Woillez, Potain,
Grancher und dann sekundäre Formen. Carriere stellt 4 Arten auf:
Typus Woillez, Pleurokongestion Potain, pseudopleuritische Kongestion
Grancher und die kongestiven Zustände der Kindheit. Berger nimmt
4 Vorgänge an: Woillez, Potain, Grancher und die plötzliche Kon¬
gestion oder den Lungenschlagfluss (Coup de sang pulmonaire). Mery
fasst 4 klinische Haupttypen zusammen:
1. Die pulmonale Kongestion pneumonischen Charakters nach
Woillez; kongestive Pneumonie nach Potain; pulmonale Kon¬
gestion der Kindheit (Cadet de Gassicourt).
2. Die plötzliche und allseitige Lungenkongestion, der Lungenschlag¬
fluss (Parmentier); die paroxysmale Kongestion nach Weill.
3. Die Pneumonia splenica nach Grancher-Queirat.
4. Die Pleurokongestion nach Potain und Serrand. Die katar¬
rhalische Kongestion der Brustorgane der Schule von Montpellier.
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Pneumonia in Rio de Janeiro nnd Pneumococciae bastardae.
433
Wohlan das Durcheinander! Carriere isoliert die infantile Kon¬
gestion, die Mery unter der Symptomengruppe des Woi 11 ezschen Typus
aufführt. Renon trennt die katarrhalische Kongestion, ebenso wie Dieu-
lafoy; Mery und Marfan zählen diese Art der Pleurokongestion zu.
Die Pneumonia splenica nach Gran eher, deren Selbständigkeit fest¬
gestellt war, wird schon von einer reifen, mit Tatsachen bewaffneten
Kritik über den Haufen geworfen. Prof. Dr. Miguel Couto bewies,
wie wir nachher sehen werden, die Nichtexistenz dieses, schon von fran¬
zösischen Autoren modifizierten, zerstückelten und wieder erweiterten
Typus. Renon gesellt die bronchoplegische Kongestion Huchard den
primären Kongestionen zu, während andere sie in die Gruppe der sekun¬
dären (grippalen) Kongestionen ein reihen, und wieder andere unter das
akute Lungenödem rechnen, wie Renon selbst; Berger hält an der
grossen Aehnltchkeit der Kongestion Weil 1 mit dem akuten Oedem fest;
Marfan, Berger und andere verwerfen die Kongestionen ohne Expekto¬
ration und die verzögerten nach Renon, da sie sekundär seien, das
heisst, ohne klinische Charakterzüge, die ihnen typische Unterscheidungs¬
merkmale aufdrückten.
Jeder Autor hatte eben die für seine Diagnose passenden Kranken;
darum ging alles wunderbar glatt, wenn er, schön im Einklang mit
seinen Ideen, seine Diagnose skizzierte! A quoi bon? Wo ist hier die
Logik von alledem? Mehr wie auf jedem anderen menschlichen Wissens¬
gebiete hat in der Klinik der Spruch Linnös Geltung: „Natura non
facit saltus.“ Die Typen haben keine geographischen oder mathema¬
tischen Grenzen, wo die menschliche Hand eine fehlerlose, präzise Linie
ziehen kann. Die klinische Einteilung der Lungenkongestion nach der
französischen Schule befindet sich meiner Ansicht nach in einem Drang
nach Originalität; sie hascht schier nach Kleinigkeiten und Nuanzierungen.
Wir wollen lieber dem breiten Strome folgen.
Die Kongestion der Brustorgane, das wissenschaftliche Erbteil der
alten Schule von Montpellier, beschrieben durch Dupre, angenommen
durch Dieulafoy, der diesen Gegenstand glanzvoll behandelt, und durch
Grasset, zeigt als Hauptmerkmal das allgemeine Ergriffensein des
Brustkorbes nach allen seinen Dimensionen, also die Muskelschicht, das
Zellgewebe, die Pleura, das Lungenparenchym und die Bronchien.
Der Woillezscho Typus ist der reinste, der älteste und, nach
meinem Dafürhalten, einer der bestgezeichneten. Er täuscht eine nicht
völlig entwickelte Pneumonie vor, oder forme fruste mit unvollständigen,
verdeckten physikalischen Zeichen, mit gewissen Verlaufsanomalicn; nach
der von Marfan, Mery, Carriöre, Renon und Berger gegebenen
Beschreibung veranschaulicht er nach meiner Meinung in klarer Weise
den Typus der Pneumococciae bastardae. Symptome: Seitenstechen,
Dyspnoe, blutig-schleimiger Auswurf, bald reichlich, bald spärlich, hohes
Fieber 39°—40° usw. Die äussere Besichtigung gibt wenig Anhalts-
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434
A. AUSTREGESILO,
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punkte. Bei Palpation fühlt man den Stimmfremitus manchmal vermindert,
gewöhnlich normal, hie und da selbst vermehrt. Durch Perkussion kann man
Dämpfung ohne bestimmte Grenzen in den beiden unteren Dritteln der
angegriffenen Lunge feststellen, wobei die Topographie sich verschieben
kann; ferner besteht paradoxe Schallwirkung, wie Carriere bemerkt,
beruhend auf vikariierendem Emphysem, und ebenfalls Tympanismus in
der Infraklavikulargegend. Bei der Auskultation findet man das
vesikuläre Atemgeräusch abgeschwächt. Auf der Höhe des erkrankten
Herdes wird die Respiration unbestimmt, manchmal ein wirkliches
Blasen. Dieses hauchende Atemgeräusch ist nicht rauh, wenig bronchial,
an Intensität wechselnd, begleitet von Knisterrasseln, mehr ein nicht
ganz ausgesprochenes Knistern, das besonders oder fast ausschliesslich
bei der Inspiration auftritt. Es besteht Bronchoägophonie, mit bronchialer
Stimme, oder wie es Carriere nennt, Echophonie, die nichts anderes ist,
als das Ansprechen der Stimme mit einem darauffolgenden bronchialen
Geräusch, ganz kurz wie ein Echo. Der Verlauf ist 3—7 Tage, das
Fieber verschwindet gewöhnlich am 5. Tage. Die lokalen Erscheinungen
pflegen 10 Tage konstant zu sein, selten 14 Tage. Der Verlauf der
Krankheit ist im allgemeinen gutartig; es kommen jedoch Rezidive vor.
Der als Brustkongestion gezeichnete Typus unterscheidet sieh in nichts
von diesem Woillezschen Krankheitsbild, höchstens bezüglich der Er¬
scheinungen vonseiten der Pleura costalis.
Allein ich frage, welche Pneumonie, welche primäre Lungenkongestion
greift nicht auch die Pleura an? Meine an reiner Pneumonie, an
Woillezscher Form oder Pleurakongestion Erkrankten zeigen lokale
Schmerzen, spontane und erzeugte, die immer auf die Pleurodynia
pleuritica solcher Fälle hinweisen.
Der von Potain und seinem Schüler Ser ran d beschriebene Typus
ist der Woillezschen Form durchaus ähnlich, nur in der Erkrankung
der Pleura und durch den mehr verzögerten Verlauf unterscheiden sie
sich. Ganz wie bei Woillez besteht etwas Dämpfung, Stimmfremitus
aufgehoben oder normal, Atemgeräusch hauchend, nicht rauh, verbreitert,
nicht fixiert, manchmal unter Hinzutreten von pleuritischen Erscheinungen,
wie Knistern oder Reiben. Späterhin treten die entzündlichen Erschei¬
nungen der Pleura mehr hervor: die Dämpfung wird intensiver, es ent¬
steht Bronchoägophonie; kurz, es sind die Zeichen eines nicht allzu¬
grossen pleuritischen Exsudates zu bemerken, unter dem die entzündliche
Kongestion des Lungenparenchyms vor sich geht. Die Punktion liefert
eine unbeträchtliche Menge pleuraler Flüssigkeit, einigemal habe ich das
Fehlen jeglicher Flüssigkeit festgestellt. Dieses Krankheitsbild erinnert
in vielem an die von Jaccoud beschriebene Pleuritis laminosa. Die
differentiellen Eigentümlichkeiten sind nach Potain folgende: Bei
Pleuritis: die Schall Wirkung, der Stimmfremitus, das vesikuläre Atem¬
geräusch, die Uebermittlung der Stimme folgen einem völlig bestimmten
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Pneumonia in Rio de Janeiro nnd Pnenmococciae bastardae.
435
Wege; bei Pleurakongestion; die Modifikation ist fortschreitend, unmerklioh
von oben nach unten; die Grenzen sind verwischt (estompös). Anstatt
Aegophonie haben wir Bronchoägophonie. Die Punktion liefert wenig
Erguss.
Die pseudopleuritische Form der Kongestion oder die Pneumonia
splenica von Grancher nimmt nach der Ansicht von Autoren, wie
Queirat, Alfaro, Bourdel, Mery, Oaussade und Carriere einen
völlig umgrenzten Platz in der Pathologie ein. Sio stellt nach Berger
„eine Art von subakuter Pneumonie dar, deren wesentliche klinische
Eigentümlichkeit darin besteht, eine Pleuritis mit Erguss vorzutäuschen,
daher der Name „pseudopleuritische Kongestion“. Grancher drückt sich bei
der Beschreibung des betreffenden Symptomenkomplexes folgcndermassen
aus: „Zwischen der Lungenkongestion und der Pneumonie, mehr gegen
die Bronchopneumonie hinneigend, gibt es einen pathologischen Zustand
der Lunge, eine Art von subakuter Pneumonie, die eine Pleuritis mit
massigem Exsudat vortäuscht und der also eine gesonderte Schilderung
und Bezeichnung zukommt.“ Nach Mery stammt die Benennung von
Jeoffroy, , der diesen Ausdruck „Pneumonia splenica“ wegen der
Splenisation der katarrhalischen Pneumonie einführte. Der anfängliche
Symptomenkomplex stellt sich mit Plötzlichkeit ein. Die Erscheinungen
gleichen denen des Typus Woillez: Seitenstechen, quälender, trockener
Husten, wechselnde Dyspnoe, zäher Auswurf. Das Anfangsstadiura ist
ganz so wie das der idiopathischen Kongestionen der Franzosen. Die
physikalischen Zeichen halten einige Forscher, wie Queirat, für
charakteristisch. In der Eegel und vorzugsweise wird die linke Seite
befallen mit dem Anscheine eines mässig grossen Ergusses. Die be¬
fallene Thoraxseite erweitert sich etwas und bleibt unbeweglich. Absolute
Dämpfung über der Lungenbasis; Stimmfremitus abgeschwächt oder auf¬
gehoben; Scodascher Schall in der Infraklavikulargegend; abgeschwächtes
oder aufgehobenes vesikuläres Atmen, pleuritisches bronchiales Atem¬
geräusch, mit etwas schärferer Betonung, Bronchoägophonie, oder nur
Aegophonie und Hörbarkeit der Flüsterstimme durch den Thorax. Die
Punktion fällt negativ aus oder ergibt höchstens einige Kubikzentimeter
Flüssigkeit (Mosny und Malloizel). Zur Differentialdiagnose von
Pleuritis mit Exsudat weist Mery auf folgende Merkmale hin: „Fehlen
des Pitr es sehen Zeichens (signe du cordeau); das Bronchialgeräusch ist
fast gleich stark in der ganzen Ausdehnung des befallenen Bezirkes;
man hört feines Knistern, häufig im Anfangsstadium und während der
Periode der Splenisation; Unveränderlichkeit des Trau besehen Raumes,
der in einigen Fällen sich verwischen kann (!); die Herzspitze ist im
allgemeinen nicht verschoben, manchmal kann man eine unbeträchtliche
Aussenverlagerung beobachten.
Der Verlauf der Pneumonia splenica ist langsam und zerfällt nach
der Aufstellung der Schüler Granchers in 3 Perioden. Die erste ist
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436 A. AUSTREGES1L0,
durch die Anfangssymptome und Fieber, das 6—8 Tage nacheinander
andauert, gekennzeichnet. Hierauf folgt die zweite Periode oder das
Stadium, das in der Beständigkeit der physikalischen Erscheinungen
einer falschen Pleuritis mit Exsudat seinen Ausdruck findet und durch¬
schnittlich 10 Tage anhält. In der sich anschliessenden 3. Periode oder
dem Stadium des Abklingens treten alle Symptome allmählich zurück
bis zur Resolution des Prozesses, die, nach Grancher, Carriere und
Mery, Ziemlich langwierig ist.
Nun beginnen die Ausnahmen nach dieser Richtung. Das Krank¬
heitsbild, das von Queirat und Mery gesondert aufgestellt wurde, wurde
von den eigenen französischen Untersuchern nach und nach zerstört.
Queirat beschreibt eine infantile, subakute Form mit Fehlen funktioneller
Merkmale und Fieber. Faisans, Lemoine und Machereef nehmen
eine grippale Form an. Andere Forscher berichten eine chronische Form,
wie Caussade, dessen Fall über 3 Monate sich erstreckte; diese chronische
Form ist gewöhnlich mit Tuberkulose verbunden.
Die obige Erkrankung unterliegt der Wirkung verschiedener Keime
— des Pneumokokkus, des Erregers der Influenza, des Typhus, des
Rheumatismus, der Tuberkulose; infolgedessen ein blosser Symptomen-
komplex. Prof. Dr. Miguel Couto bewies in einer lehrreichen Vorlesung
im Jahre 1908, wo er die Frage der pleuritischen Exsudate im Ueber-
blick behandelte, dass, was wir Pneumonia splenica Grancher zu nennen
pflegen, „nichts anderes ist, als eine Pleuritis, deren flüssiges Exsudat
absorbiert wurde.“ Und er fährt fort, die Pathogenese der Fälle mit
dem Symptomenbild von Grancher folgendermassen zu schildern: „Die
beiden befallenen Pleurablätter verdicken sich infolge des eigentlichen ent¬
zündlichen Vorganges — Blutkongestion, leukozytäre Infiltration, Bildung
embryonalen Gewebes usw. Das Exsudat lagert nach dem Grade seines
Wachstums und besonders nach dem Umfange seiner Absorption auf den
beiden Pleurablättern Fibrinschichten ab, deren Maschen Epithelzellen,
Leukozyten, rote Blutkörperchen usw. einschliessen. Diese Ablagerung,
anfänglich locker, wie es sich bei den Fällen von Perikarditis, die öfter
letal endigen und gerade in diesem Zustande zur Obduktion kommen,
feststellen lässt, organisiert sich später, falls keine Restitutio ad integrum
eintritt, mit oder ohne Verwachsungen, und bildet so die Pachypleuritis.
Diese lockeren Residuen oder falschen Membranen überkleiden die Lungen¬
oberfläche wie mit einer Kapuze, isolieren so die Lunge von der Aussen-
welt und schneiden den in ihr hervorgebrachten Schall vom Ohre des
Untersuchers ab.“ Prof. Dr. Miguel Couto war also der erste, der in
durchaus korrekter Weise das pleuritische Moment aus dem Symptomen-
komplex Granchers heraushob.
Mosny und Malloizel stellen in ihren neueren, gut begründeten
Arbeiten eingehende Untersuchungen über diesen Gegenstand an, besonders
auf anatomische Befunde sich stützend, und schliessen mit dem Beweise,
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Pneumonia in Rio de Janeiro und Pneumococciae bastardae.
437
dass „kurz gesagt Pneumonia splenica und Pleuritis immer mehr einem
analogen Verhältnis sich zu nähern scheinen“. Ferner teilen sie die
Pneumonia splenica in eine einfache und tuberkulöse Form ein und sagen,
„dass gegenwärtig Schritt für Schritt die Tendenz mehr an Terrain ge¬
winnt, mit dem Namen Pneumonia splenica irgend eine beliebige pseudo-
pleuritische Erkrankung zu bezeichnen, gleichgültig, ob sie primär ist,
oder Folgeerscheinung einer im Entstehen begriffenen Infektion“. Nach
den anatomischen und zytologischen Untersuchungen, behaupten dm ge¬
nannten Autoren, „ist es nur angebracht, zuzugeben, dass jede Pneumonia
splenica einer pleuralen Läsion entspricht, die sich durch ein Oedem und
ein geringes Exsudat kundgibt, jedoch anatomisch je nach dem Falle
verschieden ist, was sich durch die zytologische Untersuchung darlegen
lässt“. Nach den Fällen von Mosny und Malloizel findet sich Spleni-
sation der Lunge neben der Erkrankung der Pleura, die enorm ver¬
dickt sein kann, wie aus der Obduktion 2 der erwähnten Arbeiten her¬
vorgeht.
Ich beobachtete in meiner Klinik einen Fall, der fast als Schema
dienen könnte, um die Pneumonia splenica als eine Folgeerscheinung
einer typischen Pleuritis darzustellen.
Der Kranke war ein Student der Medizin, der über allgemeines Uebelbefinden
und Seitenstechen klagte. Bei der Untersuchung konnte ich ein Reibegeräusch von
solchem Umfange wahrnehmen, wie ich es noch nie gehört. Ich zeigte dies dann den
anwesenden Freunden des Kranken als typischen Schulfall pleuritischen Reibens.
Das Reiben klang nach und nach ab und machte einer relativen Dämpfung Platz, die
hernach von der Basis bis zur Spitze absolut wurde und so die Bildung eines Ergusses
verriet. Einiges Knisterrasseln, rasselnde Reibegeräusche traten vereinzelt auf. Die
Punktion lieferte 1 ccm Flüssigkeit. Nach einer Woche wiederholte ich die Punktion
ohne jegliches Resultat. Dr. Alvaro Ramos versuchte die Punktion in verschiedenen
Lagen, ebenfalls ohne jedwedes Ergebnis. Es war tatsächlich ein schematischer Fall
einer typischen Pleuritis, die unter Vortäuschung eines mässigen Ergusses ablief und
hernach zu einer typischen Pneumonia splenica Granchers sich entwickelte. Die
Untersuchung des Sputums ergab neben Pneumokokken und anderen Keimen die An¬
wesenheit des Tuberkelbazillus. Die Reaktionserscheinungen gingen zurück; Fieber,
Schmerzen usw. verschwanden. Der Kranke begab sich zur Erholung nach dem
Inneren, wo es ihm sehr gut ging; nur sagte der behandelnde Arzt, dass er Anzeichen
einer Lungenverdichtung wahrgenommen habe. Hernaoh zog sioh Pat. eine Influenza
zu, während welcher alle akuten Symptome von neuem sich einstellten, die danach
wieder völlig abklangen. Gegenwärtig kann der Betreffende als geheilt betrachtet
werden.
An diesem Falle konnte ich Tag für Tag den Uebergang der Pleu¬
ritis in die chronisch verlaufende Pneumonia splenica beobachten. Ich
glaube, nach diesen Darlegungen wird niemand daran zweifeln, dass die
Pneumonia splenica Granchers keine Lungenkongestion ist, sondern ein
Krankheitsbild, hervorgerufen durch die Erkrankung der Pleura und des
Lungenparenchyms, wobei die Pachypleuritis die Hauptrolle spielen
dürfte.
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438
A. AUSTREGESILO,
IV.
Nach der Schilderung dieser Haupttypen wollen wir noch die übrigen
von den Autoren aufgestellten betrachten.
Der von Weil! beschriebene Fall von paroxysmaler Lungenkongestion
dürfte wohl einzig dastehend in der medizinischen Literatur sein.
Der betreffende Kranke litt an periodischen Hämoptysen, besonders wenn er sich
Erkältungen zuzog. Jeder Anfall ging mit Allgemeinsymptomen einher, Fieber, Kopf¬
schmerzen, Husten, Dyspnoe. Nach dem Tode wurde die Obduktion rorgenommen,
wobei keinerlei tuberkulöse Herde angetroffen wurden.
Der Fall hat nach der Ansicht Carrieres viel Aehnlichkeit mit
paroxysmaler Hämoglobinurie, und Berger stellt ihn dem akuten Lungen¬
ödem an die Seite.
Der Lungenschlagfluss (coup de sang pulmonaire) ist eine rasch sich
entwickelnde Kongestion, mit weiter Ausdehnung und infolge der Asphyxie
lebensbedrohend. Vornehmlich wird diese Form bei Alkoholikern beob¬
achtet (Berger) im Zustande der Trunkenheit, wenn sie sich intensiver
Kälte oder Hitze aussetzen. Offensichtlich ist dies der Typus der öde-
matösen Kongestion oder des akuten Lungenödems. Nach meinem Dafür¬
halten haben wir hier das akute Oedem mit vikariierender Kongestion
einhergehend vor uns.
Die bronchioplegischo Kongestion Huchards ist eine dem vorigen
Krankheitsbilde ähnliche Form, und jeder ohne Vorurteil Prüfende wird
hier Unterschiede vermissen. Infolge der Paralyse der Bronchialmuskeln
staut sich die von dem Oedem horrührende Ausscheidung in den Alveolen
und Bronchiolen und kann demnach nicht nach aussen befördert werden.
Der Kranke unterliegt dieser serösen Asphyxie; also ein typischer Fall
eines äusserst akuten Oedems.
Die infantile Lungenkongestion Gadet de Gassicourts und Hamons
befällt die Kinder im Alter von 7—15 Jahren: plötzlicher Beginn, hohes
Fieber — 40—40,5° —, starke Dyspnoe, ausgeprägte nervöse Störungen,
kein Auswurf, physikalische Zeichen von Seite der Lungen wechselnd.
Temperaturabfall nach 2—3 Tagen. Prognose günstig.
Ist dies etwas anderes als eine katarrhalische Kongestion der Brust¬
organe von Woillezschem Typus? Es ist kaum der Mühe wert, auf die
kleinlichen Differenzen hinzuweisen.
Die fernerhin erwähnten verzögerten und verschleppten Kongestionen
nach Caussade und Laubry, wie nach Renon zeigen bald ein Ab¬
klingen, bald ein neues Einsetzen der lokalen Erscheinungen, die fast
reaktionslos keine Wirkung entfalten. Die ohne Expektoration ver¬
laufende Form Renons entspricht der trockenen Pneumonie Widmanns,
und ist eine massige Lungenkongestion, analog, nach Renon, der Pneu-
monia massiva Granchers, für mich weiter nichts als eine Pachy-
pleuritis darstellend.
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Pneumonia in Rio de Janeiro nnd Pnenmococciae bastardae.
439
Des weiteren führt Hirtz der medizinischen Gesellschaft der Kranken¬
hausärzte von Paris einen dem vorigen entgegengesetzten Typus vor,
nämlich eine Lungenkongestion mit reichlicher Expektoration, an das
subakute Lungenödem erinnernd.
Wir könnten noch der chronischen Rindenpneumonien Gharcots,
an denen noch Dieulafoy festhielt, und gewisser Fälle von pnlmonaler
Sklerose gedenken, die nur Pachypleuritiden mit gleichzeitiger Entzündung
des Lungenparenchyms sind und mit der Pneumonia splenica Granchcrs
zusammen fallen dürften.
Was folgt nun aus diesen weitschweifigen Ausführungen? Das Er¬
künstelte in der Einteilung der Pncumococciae thoracicae bastardae. Es
sind spezifische Lungenphlegmonen, hervorgerufen durch den Pneumo¬
kokkus, der einmal mit Vorliebe im Lungenparenchym, ein andermal in
diesem und in der Pleura sich ansiedelt; höchstens bezüglich des Alters
und des Bezirkes verhalten sich diese Pneumokokzien verschieden, können
beweglich, lang- oder kurzdauernd sein, können uns den klassischen
Typus einer lobulären Pneumonie vor Augen führen oder uns die un¬
echten oder bastarden Formen zeigen.
Zwei Formen zeichnen sich durch eine mit der klinischen Beob¬
achtung völlig übereinstimmende Schilderung aus: der Woillezsche
Typus, in welchem das Lungenparenchym und in geringem Masse die
Pleura befallen sind, und der uns den Eindruck einer Pneumonia abortiva
oder Pneumonia bastarda macht; ferner der Potainsche Typus, in
welchem Pleura und Lungenparenchym auf gleiche Weise erkrankt sind,
jedoch von Seite der Pleura die Erscheinungen mehr hervortroten. Der
angebliche Typus Granchers ist eine Symptomengruppe, die höchstens
eine Komplikation der Potainsehen Form darstellt.
Nur noch wenige Worte über die Actiologie und Pathogenese dieser
unechten Lungenphlegmonen. Diese Frage wurde bereits erschöpfend
behandelt. Durch die Forschungen Grassets, Carrieres, Caussades
wissen wir, dass sie durch den Pneumokokkus allein oder vereint mit
anderen Keimen hervorgerufen werden. Der Diplococcus Talamon und
Fraenkel, auf spezifische Tiere übergeimpft und aus dem kranken Herde
gewonnen, zeigt sich bald virulent, bald abgeschwächt.
So hatte ich manchmal Gelegenheit, bei den Untersuchungen von
Dr. Moses, Mario Pinheiro und meinen Koassistenten Gabriel Pio
und Sant’Anna zu beobachten, wie durch die in den Schwanz der
Maus überimpften Pneumokokken einmal das Tier rasch an Septikämie
zugrunde ging, ein andermal der Tod nur zögernd eintrat, und ein drittes
Mal man das Tier sogar töten müsste, um die experimentelle Pneumo-
kokzie bestätigen zu können.
Auf Grund dieser abgeschwächten Wirkung des Bazillus schlug
Grasset vor, die Kongestion der Brustorgane iro allgemeinen abge-
Zeltachr. f. klin. Medizin. 70. Bd. H, 5 n. 6. OQ
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440 A. AUSTREGESILO, Pneumonia in Rio de Janeiro usw.
schwächte Pneumokokzien zu nennen. Allein nicht immer kommt diese
Abschwächung vor.
Caussade stellte in seiner Dissertation bei einer Form von Lungen¬
kongestion eine 3 Monate währende Virulenz des betreffenden Diplokokkus
fest. In den 3 von mir beobachteten Fällen hatte die Erkrankung nicht
nur einen verschleppten Gang mit häufigen Remissionen und Exazerba¬
tionen, sondern sie verhielt sieh auch renitent gegen die therapeutischen
Massnahmen. Marfan hat Recht, wenn er sagt, der Ausdruck „abgc-
schwächte Pneumokokzien“ sei nicht korrekt, denn es gibt verzögerte,
schwere und selbst tödliche Formen. Nachdem verschiedene Autoren
das Wort „Bastard“ in der Pathologie der Lunge gebraucht haben, ziehe
auch ich den Ausdruck „Pneuraococciae bastardae“ vor, um die ent¬
zündlichen, katarrhalischen Kongestionen der Lunge und der Pleura zu
bezeichnen.
Der Pneumokokkus setzt hier nicht seine gewöhnliche Erkrankung
i. e. die Pneumonie. Er verursacht Kongestion und Entzündung, eine
Erstickung der Lunge ohne bedeutende Hepatisation. Es ist dies keine
abortive Pneumonie, sondern eine anormale Pneumonie, mit oder ohne
Befallcnsein der Pleura. Diese Tatsachen entgingen keineswegs den
englischen und deutschen Forschern. Wir finden sie z. B. verzeichnet
im Werke Strümpells, der solche Fälle als abortive oder rudimentäre
Formen der Pneumonie und als Anomalien der Resolution anspricht.
Aehnlichen Beobachtungen begegnen wir in den Handbüchern von Osler
und MacCrae, Albutt, Catani Maragliano. Indessen war es die
französische Schule, welche die Nosographie und die Pathogenese dieser
Frage festgelegt hat.
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XXIV.
Aus der therapeutischen Fakultätsklinik der St. Wladimir-Universität.
(Vorstand: Prof. W. Obrastzow.)
Zur Frage des diastolischen Herzstosses, des diastolischen
akzidentellen Tones und des Dikrotismus des Pulses bei
Insuffizienz der Aortenklappen.
Von
Priv.-Doz. und Assistent N. D. Straschesko.
(Mit C Kurven im Text.)
Bei einer jeden klinischen Untersuchung eines Patienten, der an
einem Herzfehler leidet, muss den Arzt nicht nur die genaue Feststellung
der einen oder anderen anatomischen Veränderung im Klappenapparat
dos Herzens, sondern noch bedeutend mehr der Zustand des Herzmuskels
interessieren. Wenn der Herzmuskel hypertrophiert ist und vollständig
regelmässig funktionierend, allen Anforderungen des Organismus in vollem
Umfange gerecht wird, so ist es, genau genommen, für das betreffende
Individuum vollständig gleichgültig, ob er irgend einen Klappenfehler hat
oder nicht. Jeder mehr oder minder erfahrene Arzt kommt fast täglich
in die Lage, den einen oder den anderen Herzklappcnfehlcr zu konsta¬
tieren, ohne dass der Träger derselben irgend welche Unbequemlichkeiten
empfindet oder von dem Vorhandensein eines solchen Fehlers eine Ahnung
hat. In dieser Hinsicht muss man sich mit der Ansicht Prof. Hoff¬
man ns (1 [S. 267—297]) vollständig einverstanden erklären, dass bei
vollständig arbeitsfähigem und gesundem Herzmuskel sich ein Klappen¬
fehler durch nichts als durch die objektiven Zeichen, die nur bei der
Untersuchung des Patienten gefunden werden, zu manifestieren braucht.
Wenn aber der Muskel schwach ist, wenn er wenig Reservekräfte
besitzt, so führt der Herzfehler sehr leicht zu einer Gleichgewichtsstörung
in der Herztätigkeit und zur Entwicklung einer sogen. Dekompensation
des Herzens. Aus diesem Grunde ist es einerseits von grosser Wichtig¬
keit, es zu verstehen, die Reservekräfte des Herzens, die sogen, funktio¬
neile Fähigkeit des Herzens festzustellen und andererseits imstande zu
sein, den Beginn einer Schwächung des Herzmuskels im allerfrühesten
Stadium zu konstatieren.
2 !)*
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442
N. D. STRASCHESKO,
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Wenn nun die Feststellung und die genaue Bewertung der Reserve¬
kräfte des Herzens eine mehr oder weniger langdauernde Prüfung des
Herzens durch äusserst komplizierte Methoden und nicht selten lange
Berechnungen erfordert, die dennoch keine mehr oder weniger genaue
Daten ergeben, so kann der Beginn einer Schwächung des Herzmuskels
durch einfachere, gewöhnliche klinische Untersuchungsmethoden festge¬
stellt werden. In dieser Beziehung liefert die einfache Feststellung des
Herzumfanges und die subtile Auskultation vollständig genaue Hinweise,
auf die man sich in der Mehrzahl der Fälle beschränken kann, ohne zu
der umständlichen Feststellung der Reservekräfte des Herzens greifen zu
müssen.
Als erstes Anzeichen einer Schwächung des Herzmuskels tritt ge¬
wöhnlich eine Veränderung des Tonus und eine ungenügende Energie der
Kontraktionen desselben auf. Die Folge dieses Defizits im Herzmuskel
ist eine Herzerweiterung mit all ihren Folgen und ihrem Einfluss auf den
Venen- und Arterienpuls uud das Auftreten von neuen Tönen und
Melodien im Herzen.
Es liegt nicht im Rahmen meiner Aufgabe, auf alle diese neuen
Erscheinungen im Herzen und im Gefässsystem, die mit dem Auftreten
der Schwäche des Herzmuskels in Verbindung stehen, näher einzugehen;
ich will hier nur diejenigen Anzeichen berühren, die wir am Krankenbett
eines Patienten mit Insuffizienz der Aortenklappen beobachten; hierbei
lasse ich den Einfluss der Hcrzmuskelschwäche auf die allgemeine Blut¬
zirkulation bei dieser Erkrankung beiseite und will nur diejenigen neuen
Erscheinungen im Herzen und den Arterien genauer betrachten, die im
Stadium der Dekompensation des Herzens bei Aorteninsuffizienz beob¬
achtet werden. Ich will mich hier mit dieser Frage einerseits deswegen
weiter beschäftigen, weil, wie wir sehen werden, dieselbe bisher noch zu
wenig bearbeitet ist, andererseits weil cs für jeden Arzt von Wichtigkeit
ist, sich bei der Feststellung der Schwächung des Herzmuskels schnell
zu orientieren, da dieses für die Therapie eines jeden derartigen Patienten
von grosser Wichtigkeit ist. Selbstverständlich müssen, wenn keine Er¬
scheinungen von Herzmuskelschwäche vorhanden sind, unsere Verord¬
nungen anders lauten, als in denjenigen Fällen, wo dieselben bereits
beobachtet werden. Es muss hier bemerkt werden, dass die Symptoma¬
tologie der Herzinsuffizienz bei Herzfehlern im allgemeinen recht ober¬
flächlich behandelt worden ist; selbst in den umfangreicheren Hand¬
büchern über Herzkrankheiten fehlen fast gänzlich Hinweise auf die
Anzeichen, die den Beginn einer Herzinsuffizienz bei der einen oder
anderen Affektion des Kiappenapparates des Herzens charakterisieren;
es ist daher nicht nur dem Anfänger, sondern auch dem erfahrenen
Therapeuten, der sich aus der Literatur mit den Anzeichen bekannt
machen will, die im Herzen selbst bei Klappenfehlern mit Muskelinsuffi¬
zienz beobachtet werden, unmöglich Hinweise auf die ihn interessierende
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses usw.
443
Frage aufzufinden. So fehlt sogar in speziellen Handbüchern, wie z. B.
dem von Hoffmann (2), die Symptomatologie der Herzinsuffizienz ge¬
sondert für jeden einzelnen Herzfehler, es wird nur eine allgemeine Be¬
schreibung der Symptomatologie der Herzinsuffizienz vorausgeschickt, die
nicht genau angibt, bei welcher Herzerkrankung dieselbe beobachtet wird.
Es sind aber nicht nur alle Symptome, die im Herzen bei Herzfehlern
und bei anderen Herzkrankheiten, z. B. Myokarditis, beobachtet werden,
stark voneinander unterschieden, sondern es besitzt auch jeder einzelne
Herzfehler im Stadium der Insuffizienz seine besondere Charakteristik.
Wenn wir z. B. die Herzdekompensation bei einem Mitralfehler mit der
Insuffizienz bei einer Aortenäffektion vergleichen, sehen wir, dass nicht
nur alle Erscheinungen von seiten des Herzens selbst, des Venenpulses
und der Arterien in beiden Fällen stark voneinander abweichen, sondern
auch, dass das äussere Aussehen des Patienten im Stadium der Dekom¬
pensation bei Bikuspidalaffektion ein anderes ist, als bei Aortenaffektion.
Das Fehlen einer Beschreibung des klinischen Bildes eines jeden ein¬
zelnen Herzfehlers im Dekompensationsstadium bildet einen bedeutenden
Defekt im Kapitel der Herzfehler.
Es liegt nicht im Rahmen meiner Aufgabe, in diesem Aufsatz eine
genaue Beschreibung der gesamten Symptomatologie des dekompensierten
Herzens bei Aorteninsuffizienz zu liefern; ich will mich nur auf die Be¬
trachtung der wichtigsten Anzeichen bei diesem Herzfehler, und zwar auf
die Betrachtung des diastolischen Herzstosses, des diastolischen akziden¬
tellen Tones und des nicht selten hierbei beobachteten Dikrotismus des
Pulses beschränken.
Bei Insuffizienz der Aortenklappen gelangt das Blut im Beginn der
Diastole der Herzkammern aus der Aorta zurück in die linke Herz¬
kammer. Im selben Moment beginnt das gewöhnliche Blutquantum in
den linken Ventrikel einzuströmen, hierdurch wird derselbe gedehnt und
mehr als gewöhnlich überfüllt, die Folge hiervon ist, dass er sich, dank
der stärkeren Anfüllung während der Diastole, dehnt und dank der ge¬
steigerten Arbeit hypertrophiert. Infolge «der kompensatorischen Hyper¬
trophie und Dehnung wird der linke Ventrikel grösser und länger und
sinkt mit seiner Spitze nach unten und links hin, infolgedessen verschiebt
sich der Spitzenstoss zuweilen bis in den 7., ja sogar in den 8. Inter¬
kostalraum und gleichzeitig nach links in der Richtung zur Axillarlinie
hin. Infolge der Hypertrophie und Erweiterung des linken Ventrikels
verbreitert sich auch der Spitzenstoss und erhebt sich höher; in der
Mehrzahl der Fälle erhält er einen besonderen Charakter, der von Bard
choc en döme genannt wird; er bietet bei der Palpation den Eindruck
einer Kugel, die unter die Hand rollt. Ausserdem kann man bei der
Palpation des Spitzenstosses oder bei der Aufnahme eines Kardiogramms
in der Mehrzahl der Fälle konstatieren, dass die durch den Stoss be¬
dingte Erhebung des Interkostalraumcs nicht einzeitig, sondern gleichsam
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N. D. STRASCHESKO,
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zweizeitig vor sich geht, und zwar dadurch, dass bei Aorteninsuffizienz,
wie es Broadbent (3) und besonders Prof. W. P. Obrastzow (4) be¬
schrieben haben, der linke Ventrikel sich zweizeitig — bisystolisch —
kontrahiert. Bei genauem Studium der Eigenschaften des Spitzenstosses
bei Aorteninsuffizienz Jcann man ausserdem noch bemerken, dass die
Herzspitze länger als gewöhnlich an den Brustkorb angepresst wird; es
ist, mit anderen Worten, die Dauer der Ausstossung des Blutes aus den
Ventrikeln eine etwas grössere, als es für gewöhnlich der Fall'ist. Solche
Eigenschaften besitzt der Herzstoss in dem Falle, wenn die Insuffizienz
der Aortenklappen eine bedeutende ist,* die kompensatorische Hyper¬
trophie und Dilatation in genügendem Umfange stattgefunden hat und
die Leistungsfähigkeit des Herzens, trotz des Defektes im Klappenapparat,
vollständig erhalten ist.
Wenn aber eine Schwächung des Herzmuskels eintritt und sich
gleichzeitig hiermit bereits eine pathologische Dilatation des Herzens und
ein Verlust des Tonus des Herzmuskels ausbildet, beginnt allmählich
eine Veränderung in den beschriebenen Eigenschaften des Spitzenstosses.
Vor allen Dingen und ganz zuerst bemerken wir, dass der Herzstoss
immer weniger energisch wird, er büsst allmählich seine Isoliertheit und
seine Eigenheit als choc en döme ein; gleichzeitig wird nach der systo¬
lischen Erhebung eine neue Erhebung im Beginn der Diastole gleich nach
dem 2. Ton bemerkbar, die auf dem Kardiogramm der Stelle der nor¬
malen kleinen Zacke beim normalen Herzen entspricht, die, wie bekannt,
durch die kurze Vorwärtsbewegung der Herzspitze im Moment der Füllung
der Ventrikel durch das Blut, das ganz im Beginn der Diastole aus den
Vorhöfen zufliesst, bedingt wird. Gewöhnlich ist dieser Anstieg auf dem
Kardiogramm bei Aorteninsuffizienz schwach ausgeprägt und übersteigt
die Zacke des normalen Kardiogramms nicht. Wenn aber eine Schwächung
des Tonus eintritt und die ersten Anzeichen der Insuffizienz beginnen,
beginnt der Anstieg immer mehr und mehr hervorzutreten und erreicht
in einigen Fällen eine so grosse Höhe, dass dieselbe die Höhe des systo¬
lischen Stosses übertrifft. Seiner Lage nach entspricht er genau dem
Moment, in dem das Blut aus den Vorhöfen und der Aorta in den linken
Ventrikel cinströmt; es kann dieses leicht durch einen Vergleich der
kardiographischen Kurve mit dem Phlebogramm bewiesen werden —
dieser Stoss entspricht genau dem Moment des Zusammenfallens der
Halsvenen, d. h. der Entleerung der Vorhöfe im Beginne der Ventrikel¬
diastole. Das Auftreten des beschriebenen Stosses in der Diastoleperiode
kann nicht nur auf dem Wege der Kardiographie eruiert werden, sondern
auch durch einfache Inspektion der Herzgegend und durch Palpation des
Spitzenstosses. Gewöhnlich wird zu dieser Zeit, wie oben erwähnt, eine
pathologische Erweiterung des Ventrikels beobachtet, dank der die Herz¬
pulsation nicht nur an der Herzspitze sichtbar ist; auch andere Inter-
kostalräumc beginnen höher zu pulsieren, was sich häufig bei Aorten-
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses usw. 445
Insuffizienz im Stadium völliger Kompensation des Herzens nicht beob¬
achten lässt.
Die Kurve 1 ist an der 51jährigen Patientin A. L. aufgenommen.
Die kurze Krankengeschichte ist folgende:
Patientin ist ein Jahr lang krank. In diesem Zeitraum begann sie Schmerzen
in der Brust und Atemnot während des Gehens zu verspüren, die in letzter Zeit zu¬
genommen haben und Pat. dazu veranlassten, sich an die Klinik zu wenden.
Kurve 1.
Auf den abgebildeten Kurven (1, 2 u. 3) sehen wir die verschiedenen Formen des
Herzstosses bei Aorteninsuffizienz im Dekompensationsstadium.
Kurve 2.
Status praesens bei der Aufnahme in die Klinik am 2. 10. 1910: Mittlerer
Körperbau und Ernährungszustand. Pat. ist blass, die Lippen sind zyanotisch ver¬
färbt. Am Halse deutlich sichtbarer Karotidenpuls und unbedeutende Venenpulsation
von Vorbofstypus. Die Arterien sind deutlich sklerotisch. Pulsation der Extremitäten¬
arterien und der Arterien des Kopfes. Puls 104, regularis und anacroticus. Blutdruck
nach R. R. = 170—110 mm-Hg.
Herz: Der Spitzenstoss ist im 6.Interkostalraum 3 cm nach links von der Linea
medioclavicularis deutlich fühlbar, aber schwach sichtbar. Er besteht aus zwei Hälften,
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N. D. STRASCHESKO,
einer grösseren systolischen und einer kleineren diastolischen (d). Unbedeutende pul-
satorische Bewegungen des 5. Interkostalraumes. Grenzen der relativen Dämpfung:
Unterer Rand 3. Rippe, 1 cm rechts von der Linea sternalis dextra und 4 cm links
von der Linea medioclavicularis sinistra. Grenzen der absoluten Dämpfung: Unterer
Rand der 4. Rippe, Linea mediana, 3 l / 2 cm links von der Linea medioclavicularis
sinistra. Eine unbedeutende Schalldämpfung über dem Manubrium sterni;* an eben
dieser Stelle bei der Palpation ein geringes systolisches Fr^missement. Bei der Aus¬
kultation mit dem Stethoskop dumpfe Herztöne, an der Herzspitze ein weiches, systo¬
lisches Geräusch, auf der Aorta ein grober systolischer und diastolischer Ton mit
, einem geringen, weichen, diastolischen Geräusch. Bei der unmittelbaren Auskultation
mit dem Ohr ausserdem noch: Systolische Verdoppelung des ersten Tones und ein
diastolischer, dumpfer, akzidenteller Ton, der dem zweiten Ton unmittelbar folgt und
mit dem diastolischen Stoss zusammenfällt. Röntgenoskopische Untersuchung: Unbe¬
deutende Erweiterung der Aorta und Vergrüsserung, hauptsächlich des linken Herzens.
Kurve 3.
In den Lungen unbedeutende Stauungserscheinungen.
Die Leber ist etwas vergrüssert und härter als normal.
Im Harn Eiweissspuren, einige hyaline Zylinder.
Diagnose: Arteriosclerosis. Aortitis. Insufficientia v. v. aortae et Insufficientia
relativa mitralis. Myodegeneratio cordis. Stenocardia. Decompensatio incipiens.
Am 16. 10. während der Defakation plötzlicher Exitus.
Autopsie: Die klinische Diagnose bestätigt sich vollständig. Der plötzliche
Tod ist bedingt worden durch Ruptur der Aortenwand an der Sitzstelle einer athero-
matösen Plaque mit darauffolgendem Bluterguss in das Lumen des Herzbeutels.
Auf dem Kardiogramm dieser Patientin trat ebenso wie bei der
Palpation ein unbedeutender diastolischer Stoss hervor; derselbe ist nicht
besonders hoch. Gleichzeitig mit diesem Stoss hörte man bei der unmittel¬
baren Auskultation einen deutlichen, protodiastolischen, akzidentellen Ton.
Da nun dank dem Vorhandensein einer Bisystolie des Herzens auch noch
eine systolische Verdoppelung des ersten Tones vorhanden war, bestand die
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses usw.
447
Herzmelodie ausser den Geräuschen noch aus 4 Tönen, 2 systolischen
und 2 diastolischen.
Die Kurve 3 stammt vom 25 jährigen Patienten K. und stellt bei¬
nahe die äusserste Stufe des Auftretens des diastolisches Stosses dar,
bei der die Höhe desselben beinahe der Höhe des systolischen Stosses
gleich ist. In diesem Falle unterscheidet sich der diastolische Stoss
seinem äusseren Anblick nach und dem Gefühl nach, das die pal pierende
Hand empfängt, nur dadurch vom systolischen Stoss, dass er kürzere
Zeit anhält; dank diesem Umstande ist die Spitze dieser Hälfte des
Stosses schärfer. Während bei der ersten Patientin der diastolische Stoss
schwach ausgeprägt, sozusagen nur angedeutet war, erreichte er beim
zweiten Patienten seine äusserste Grenze und seine Höhe erreichte die¬
jenige des normalen systolischen Stosses. Selbstverständlich gibt es
zwischen diesen äusSersten Höhen eine ganze Reihe von Zwischenstufen
(vgl. z. ß. Kurve 2). In jedem einzelnen Falle von Aorteninsuffizienz
hängt der Intensitätsgräd des Stosses von verschiedenen Bedingungen ab,
über die wir späterhin berichten wollen. Die Krankengeschichte des
Patienten ist folgende:
Am 16. 9. 1909 wurde JPat. in die Klinik aufgenommen. Er ist seit dem Juli
1908 leidend, nachdem er nach einem akuten Rheumatismus an Endokarditis erkrankte,
die sich mit Exazerbationen die ganze Zeit hinzog.
Im August 1909 erkältete sich Pat. und die Temperatur stieg; es trat Atemnot
und Schmerz im Herzgegend auf.
Status praesens. Pat. ist blass. Die Haut ist warm. Morgens die Temperatur
37,6° und steigt abends bis 38,7°. Am Halse Karotidenpulsation Und Venenpulsation
von Vorhoftypus. Ausserdem besteht Pulsation der peripheren Arterien der Extremi¬
täten und der Arterien des Kopfes. Puls 100—106, regularis aequalis celer et dicroticus.
Blutdruck nach R. R. 150—110.
Herz: Spitzenstoss im 6. Interkostalraum 3 cm nach aussen hin von der Linea
mamillaris; er ist in der Ausdehnung von 5 cm sichtbar und fühlbar und besteht aus
zwei Hälften, einer systolischen und einer diastolischen. Die systolische Hälfte
erinnert an einen choc en dorne; die diastolische Hälfte ist ihrer Höhe nach der systo¬
lischen gleich; dank diesem Umstande gleicht der Stoss demjenigen bei Bigeminie;
es ist jedoch während des zweiten Stosses keine Herzkontraktion vorhanden und er
fällt mit dem Beginn der Diastole zusammen — es ist auch keine kompensatorische
Pause vorhanden. Ausserdem besteht eine geringe Pulsation im 4. und 5. Inter¬
kostalraum.
Herzgrenzen: Relative Dämpfung: 3. Rippe, links von der Linea
sternalis dextra, 3 x / 2 cm links von der Linea mamillaris sinistra. Absolute Dämpfung:
4. Rippe, Linea mediana, 3 cm links von der Linea mamillaris sinistra. Bei der Aus¬
kultation mit dem Stethoskop hört man an der Herzspitze dumpfe Töne; der erste Ton
ist kaum hörbar, ein derbes systolisches Geräusch; über der Aorta fehlt der zweite
Ton, ein systolisches und ein starkes diastolisches Geräusch. Bei der unmittelbaren
Auskultation mit dem Ohr hört man ausserdem über dem gesamten Herzgebiet eine
systolische Verdoppelung des ersten Tones und einen akzidentellen, dumpfen, aber
deutlichen diastolischen Ton, der dem diastolischen Stoss entspricht.
In den Lungen sind Stauungsgeräusche und ein geringes Exsudat in der rechten
Pleura vorhanden.
Die Leber zeigt Stauungserscheinungen und ist vergrössert.
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448 N. D. STRASCHESKO,
Im Harn Eiweissspuren und ziemlich viele Erythrozyten, sowie hyaline und
körnige Zylinder.
Diagnose: Endocarditis subacuta. Exacerbatio. Insufficientia mitralis organica,
Insufficientia aortae. Myocarditis. Nephritis. Decompensatio cordis.
Am 25. 9. Pneumonie des linken unteren Lungenlappens.
2. 10. Thrombus in der Art. tibialis antica.
6. 10. Unter den Erscheinungen von wachsender Herzschwäche und Lungen¬
ödem tritt der Tod ein.
Bei der Autopsie wurde eine alte Endokarditis mit frischer Exazerbation und
mit Ulzeration auf den Klappen der Bikuspidalis und der Aorta konstatiert. Degene¬
ration des Herzmuskels und Nephritis.
Ich habe hier zwei Krankengeschichten von klinischen Patienten an¬
geführt, die beide ein letales Ende fanden. Ich habe absichtlich zwei
Fälle gewählt, die zur Autopsie kamen, die unsere Voraussetzungen über
eine Myokarditis bestätigten. Jetzt fragt cs sich, wie häufig ein
diastolischer Stoss, von einer oder der anderen Intensität, i)ci einer
Insuffizienz der Aortenklappen beobachtet wird? Unter 29 Fällen von
Aorteninsuffizienz, die in den letzten 2 Jahren in der Klinik beobachtet
wurden, war in 18 Fällen, d. h. in G2 pCt., und von 17 Patienten
meines Privatambulatoriums nur bei 2, also 11,6 pCt., ein diastolischer
Stoss vorhanden. Wodurch lässt sich ein solcher Unterschied erklären?
Selbstverständlich durch nichts anderes, als durch den Unterschied im
Zustande der Patienten, die den ambulatorischen Krankenempfang be¬
suchen und die in der Klinik liegen. So zeigten z. ß. alle unsere
klinischen Patienten verschiedene Anzeichen von Herzinsuffizienz und
10 von ihnen starben; von den 17 Patienten meiner Privatklientel hin¬
gegen zeigten nur 6 Anzeichen von Herzinsuffizienz, die übrigen fühlten
sich annähernd befriedigend, führten das Leben gesunder Menschen, boten
bei der objektiven Untersuchung keinerlei Erscheinungen von Insuffizienz
und erschienen zur Konsultation, teilweise um die Diagnose bestätigen
zu lassen, oder um sich ein entsprechendes Regime vorschreiben zu lassen.
Auf Grund dieser kleinen Statistik kann folglich der Schluss gezogen
werden, dass der diastolische Stoss fast nur im Dekompensationsstadium
beobachtet wird. Ich kann mich keines Falles erinnern, in dem ich
einen diastolischen Stoss beobachtet hätte, ohne dass Dekompensations¬
erscheinungen weder in entwickelter Form, noch im sogenannten Stadium
der Hyposystolie vorhanden gewesen wären; je deutlicher die Erscheinungen
der Dekompensation ausgeprägt sind, um so deutlicher ist auch, unter
sonst gleichen Bedingungen, dieser Stoss. Jedoch, wie wir weiter unten
sehen werden, nur bis zu einer gewissen Grenze der Dekompensation.
Wodurch wird nun dieser Stoss bedingt und worin besteht der
Mechanismus seiner Entstehung? Was die Aufzeichnungen in der Literatur
in bezug auf diese Frage betrifft, so muss bemerkt werden, dass fast
gar keine vorhanden sind. Unter allen vorhandenen Handbüchern
[Jürgensen (5), Barie (16), Huchard (7), Krehl (8), Romberg (9),
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses usw.
449
Strümpell (10), Holfmann (11), Mackenzie (12) u. a.] und Auf¬
sätzen, die ich in bezug auf die Frage über den Herzstoss [Potain (13),
Brauer (14)] studiert habe, sowie den Handbüchern über Diagnostik
[Sahli (15), Brugsch (16) u. a.] habe ich nur bei Romberg (17) auf
S. 195 folgende Bemerkung über diese Frage gefunden: „Recht oft ist
nach dem systolischen Spitzenstoss ein zweiter, in die Diastole fallender,
dem zweiten Tone unmittelbar folgender Anschlag fühlbar, der auf den
Anprall des rückläufigen Blutstroms an die Ventrikelwand bezogen wird,
vielleicht aber auch von der aktiven Erweiterung der linken Kammer
oder von einer Erschütterung dos Herzens durch den hohen Puls der
absteigenden Aorta herrührt“.
Dieses ist der einzige Hinweis in bezug auf den diastolischen Herz¬
stoss bei Aorteninsuffizienz, der in der Literatur zu finden ist. Obgleich
ein so gewiegter Kenner des Herzens, wie Prof. Romberg, seine Auf¬
merksamkeit auf diese Erscheinung gerichtet hat, gibt er für dieselbe
doch keine Erklärung, lässt die Frage des Entstehungsmechanismus
desselben offen und spricht nur Vermutungen aus. Meiner Ansicht nach
ist von allen Erklärungen, die Romberg vorschlägt, die erste die
richtigste, und zwar, dass dieser Stoss vom Anprall des rückläufigen
Blutstroms an die Ventrikel wand abhängig ist. Damit aber dieser An¬
prall zustande kommen kann, sind bestimmte Bedingungen erforderlich.
Einerseits muss der Blutstrom eine gewisse Kraft besitzen, andererseits
müssen die Ventrikelwände verändert sein.
Wie es aus den Daten der Physiologie, besonders nach den be¬
rühmten Versuchen Gaskells, bekannt ist, zeichnet sich der Herzmuskel
ausser anderen Eigenschaften dadurch aus, dass er imstande ist, in der
Diastole eine gewisse Kontraktionsstufe beizubehalten, nachdem bereits
die aktive Phase seiner Tätigkeit vorübergegangon ist. Diese Eigenschaft,
den sogenannten Tonus, besitzt der Herzmuskel in viel höherem Grade
als die quergestreiften Skelettmuskeln. Dank diesem Tonus erreicht die
Muskelfaser während der Diastole nicht ihre volle Länge, und die ganze
Muskelwand der Ventrikel wand bietet einerseits dem aus den Vorhöfen
in die Ventrikelwand einströmenden Blut einen gewissen Widerstand,
andererseits bedingt er die Fähigkeit des Ansaugens der Ventrikel während
ihrer Diastole. Dank diesem Tonus wird der Ventrikel nicht auf einmal
durch das im Beginn der Diastole einströmende Blut erweitert, sondern
dehnt sich allmählich nach Massgabe der einströmenden Blutmenge. Unter
pathologischen Bedingungen aber, am häufigsten unter dem Einfluss von
myokarditischen Veränderungen, leidet dieser Tonus vor allen anderen
und am meisten von allen anderen Eigenschaften des Herzmuskels.
Während z. B. im Herzmuskel beim Beginn der Dekompensation noch
keine Störung in der Impulsbildung, noch im Fortleitungsvermögen des¬
selben im Herzen beobachtet wird, ist der Muskeltonus bereits verändert
oder vollständig verloren gegangen. Eine von den Folgen dieser Ver-
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N. D. STRASCHESKO,
änderung ist die schnelle Erweiterung der Ventrikelwände im Moment
des Einströmens des Blutes aus den Vorhöfen; hierdurch gelangen einer¬
seits die Wände an der Spitze der Ventrikel mit der vorderen Thorax¬
wand wieder in Berührung — es entsteht ein neuer Stoss im Beginn
der Diastole, andererseits rufen die Ventrikel wände bei ihrer schnellen
Erweiterung einen dumpfen Ton hervor, und es entsteht in der Herz¬
melodie ein neuer Ton, der mit diesem protodiastolischen Stoss zusammen¬
trifft. . Es ist dieses der gleiche Mechanismus, wie bei der Entstehung
des akzidentellen Tones beim Galopp, der von Potain hervorgehoben
wurde und fast von allen Klinikern anerkannt wird [F. Müller (18),
Gerhard (19), Obrastzow (20), Bard (21) u. a.]. Nur bei der In¬
suffizienz der Aortenklappen sind die Bedingungen für die Entstehung
dieses Tones und des akzidentellen diastolischen Stosses noch günstiger
als bei jeder anderen HerzafTektion, da die Blutmenge, die sich in diesem
Moment in den Ventrikel ergiesst, bedeutend grösser ist als bei anderen
Erkrankungen. Bei Aorteninsuffizienz ergiesst sich das Blut im Beginn
der Diastole nicht nur aus den Vorhöfen, sondern auch aus der Aorta
wieder zurück. Es ist also die Kraft, die eine Erweiterung des Herz¬
ventrikels hervorrufen kann, eine bedeutend grössere. Aus diesem Grunde
kann auch, wenn eine Dekompensation des Herzens bei Aortenklappen¬
insuffizienz entsteht, der diastolische Stoss einen solchen Umfang er¬
reichen (cf. Kurve 2), den er bei anderen Erkrankungen, z. B. Myokarditis,
Nephritis usw., nie erreicht.
Aus allem vorher Gesagten geht hervor: je grösser die Blutmenge
ist, die im Beginn der Diastole in den Ventrikel einströnit, um so bessere
Bedingungen sind für die schnelle Erweiterung des Ventrikelmuskels ge¬
geben. Hieraus folgt weiter, dass das Auftreten des diastolischen Stosses
und des diastolischen Tones von einem grossen Defekt des Klappen¬
apparates des Herzens begünstigt wird, namentlich, wenn gleichzeitig mit
einer Aorteninsuffizienz auch noch eine Bikuspidalinsuffizienz besteht,
da in diesem Fall die Blutmenge, die aus den Vorhöfen in die Ventrikel
einströmt, ebenfalls vergrössert ist. Aus diesem Grunde konnte ich auch
in denjenigen Fällen den am deutlichsten ausgeprägten diastolischen Stoss
bei Aorteninsuffizienz beobachten, in denen gleichzeitig auch eine organische
Bikuspidalinsuffizienz bestand.
Es ist hier, mit einem Wort, der Entstehungsmechanismus, sowohl
des akzidentellen Stosses, als auch des ihm korrespondierenden Tones,
derselbe wie bei jedem protodiastolischen Galopp — es ist dieses die
schnelle Erweiterung und Spannung der Wände des linken Ventrikels,
dessen Muskel seinen Tonus eingebüsst hat.
Weiter oben habe ich erwähnt, dass gleichzeitig mit dem.diastolischen
Stoss über dem ganzen Herzgebiet ein neuer, akzidenteller, dumpfer Ton
hörbar ist. Dank dem Auftreten dieses Tones besteht die Herzmelodie
bei Aorteninsuffizienz häufig aus 3 Tönen, und zwar dem 1. normalen
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses usw.
451
Herzton, dem 2. diastolischen Ton, der von der Spannung der bis zu
einem gewissen Grade erhallen gebliebenen Aortenklappen und besonders
der Klappen der Lungenarterie abhängt, und dem neuen, dumpfen,
akzidentellen Ton im Beginn der Diastole, dem sogenannten proto¬
diastolischen Ton, der genau mit dem beschriebenen Ton und dem
diastolischen Geräusch zusammenfällt. Dieser Ton ist ebenso wie beim
protodiastolischen Galopp am besten an der Herzspitze und nur bei
unmittelbarer Auskultation des Herzens mit dem Ohr hörbar. Es gelingt
fast nie, diese Melodie mit dem Stethoskop zu hören; für das Auffinden
derselben ist eine noch grössere Uebung und ein noch feineres Gehör
nötig, als zur Auskultation des gewöhnlichen protodiastolischen Galopps,
da es bei der Auskultation eines Herzens mit Klappenfehlern speziell
darauf ankommt, sich daraufhin einzuüben, nach Wunsch bei der Aus¬
kultation der Herzmelodie psychisch imstande zu sein, die Geräusche zu
überhören und seine ganze Aufmerksamkeit auf die akzidentellen Töne
zu konzentrieren.
Da der Entstehungsmechanismus dieses diastolischen Tones und des
diastolischen Stosses der gleiche ist, so müsste man annehmen, dass
diese beiden Erscheinungen immer parallel nebeneinander bestehen. Wir
müssen aber auf Grund derselben angeführten Fälle konstatieren, dass
der akzidentelle protodiastolische Ton viel häufiger hörbar ist, als ein
diastolischer Stoss beobachtet wird. Bei den erwähnten klinischen
Patienten wurde der akzidentelle Ton in 78 pCt. und bei den Patienten
meines Privatambulatoriums in 54 pCt. angetrotfen. Auch dieser Umstand
ist völlig verständlich. Es versteht sich von selbst, dass für das Zustande¬
kommen des Stosses sowohl der Erweiterungsgrad des Muskels als auch
die Menge des Blutes, die im Beginn der Diastole in die Ventrikel ein¬
strömt, grösser sein müssen, als für die Entstehung eines akzidentellen
Tones. Aus diesem Grunde tritt bei geringen Aorteninsuffizienzen und
bei verhältnismässig unbedeutenden Veränderungen im Muskel der Ton
bereits auf, während ein ausgeprägter Stoss sich noch nicht bilden kann.
Ausserdem sind für die Entstehung eines deutlichen Stosses noch andere
sekundäre günstige Bedingungen erforderlich — z. B. darf das Herz von
der Lunge nicht bedeckt sein, das Herz muss im Brustkorb eine be¬
stimmte Lage cinnehmen, was vom Bau des Brustkorbes und vom Stand
des Diaphragmas abhängig ist usw. —, für die Entstehung des akzidentellen
Tones aber ist nur eine Bedingung erforderlich — der Verlust des Tonus
dos Herzmuskels.
Aus dem Entstehungsraechanismus dieser Erscheinungen gehtauch deren
klinische Bedeutung hervor. Wie wir gesehen haben, zeugt sowohl die eine
als auch die andere Erscheinung von einem Verlust des Muskeltonus —
der Unterschied ist nur ein quantitativer. Während der protodiastolische,
akzidentelle Ton auf eine beginnende Schwächung des Herzmuskels bei
Aorteninsuffizienz hinweist, ist das Auftreten eines deutlichen protodiasto-
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N. D. STRASCHESKO,
lischen Stosses ein Zeichen für eine ernstere Erkrankung und für eine
ungenügende Tätigkeit des linken Ventrikels. Der beschriebene protodia¬
stolische akzidentelle Ton und der akzidentelle Stoss stimmen also so¬
wohl in bezug auf ihren Entstehungsmodus als auch auf ihre Lage im
Kardiogramm vollständig mit dem gewöhnlichen protodiastolischen Galopp
überein. Nur ist dieser Ton und der demselben entsprechende Stoss bei
Aorteninsuffizienz schärfer ausgeprägt als beim gewöhnlichen Galopp und
und zwar infolge der besonders günstigen Entstehungsbedingungen, die
durch die Dynamik der Insuffizienz selbst entstehen.
Das so häufige Vorhandensein dieses akzidentellen Tones gerade bei
Aorteninsuffizienz, die besonders günstige Bedingungen für eine Erweite¬
rung der Ventrikelwand darbietet, bestätigt mit Sicherheit die Entstehungs¬
theorie des Galopps, die von Potain vorgeschlagen wurde und fast von
allen Klinikern angenommen worden ist [Gerhard (22), Obrastzow (23),
Müller (24)]; nach dieser Theorie wird der akzidentelle Ton durch eine
schnelle Erweiterung und eine Dehnung der Ventrikel wände, die ihre
Elastizität und ihren Tonus eingebüsst haben, bedingt, sie lässt aber die
Klappentheorie des Galopps, die von Pawinski (25) energisch aufrecht
erhalten wird, unverständlich bleiben. Das häufige Vorhandensein des
beschriebenen Tones bei Aorteninsuffizienz ergibt gleichzeitig mit der systo¬
lischen Verdoppelung des 1. Tones [Obrastzow (4)] bei Aorteninsuffizienz
eine besondere Herzmelodie, die aus vier Tönen und zwei Geräuschen
besteht, die graphisch folgendermassen dargcstellt werden kann:
j w ^ j w v— |
Bei Tachykardie können, wenn die Beschleunigung der Herzschläge
hauptsächlich auf Rechnung der Abkürzung der Diastole zustande kommt,
dieser Stoss und dieser Ton so nahe an die folgende Systole herangerückt
werden, dass dieselben bei der Auskultation die Melodie eines meso¬
diastolischen oder präsystolischen Galopps hervorbringen können und zwar
an Stelle eines Daktylus — einen Anapäst. Da sich die Tachykardie
häufig dann entwickelt, wenn bereits bedeutende Veränderungen im Herz¬
muskel vorhanden sind, die das System des Hisschen Bündels berühren
können und eine Vergrösserung der Zwischenzeit (lntersystole) zwischen
den Kontraktionen der Vorhöfe und der Ventrikel bedingen können, so
kann es Vorkommen, dass dieser diastolische Stoss mit einer Kontraktion
des Vorhofes aus der darauffolgenden Herzrevolution zusammen fällt. In
diesem Falle wird er ungeheuer hoch und befindet sich dem Beginn der
nächstfolgenden Herzsystole näher als der vorhergehenden Diastole. In
einem Fall von maligner Endokarditis der Aortenklappen konnte man Tag
für Tag diesen Uebergang vom protodiastolischen Galopp zum präsysto¬
lischen beobachten; anfangs unterschied sich das Kardiogramm in nichts
vom gewöhnlichen Kardiogramm des protodiastolischen Galopps, zum
Schluss aber, am Tage vor dem Tode, bekam dasselbe ein ganz origi¬
nelles Aussehen (vgl. Kurve 4).
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses usw.
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In anderen Fällen, in denen die Tachykardie sich nicht besonders
stark entwickelt, die Schwächung des Muskels aber beständig progressiert,
kann gleichzeitig mit dem protodiastolischen akzidentellen Stoss ein neuer
präsystolischer Stoss und ein neuer präsystolischer akzidenteller Ton auf-
Kurve 4.
Kurve 5.
treten, dessen Entstehungsmechanismus derselbe ist wie bei der präsysto¬
lischen Verdoppelung resp. dem Galopp, und zwar ist es ein Ton infolge
einer Kontraktion der Vorhöfe und einer gleichzeitigen Spannung der
Ventrikelwände bei myokarditischen Veränderungen derselben. In einem
solchen Falle hört man bei Aorteninsuffizienz nicht mehr 4 Töne und
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454 N. D. STKASCHESKO,
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2 Geräusche, sondern 5 Töne — einen präsystolischen, zwei systolische
und zwei diastolische.
Kurve 5 stellt einen derartigen Fall von akuter Endokarditis
der Aortenklappen und der ßikuspidalis dar, in dem kurz vor dem Tode
im Herzgebiet 5 Töne und 2 Geräusche hörbar waren.
Das Vorhandensein eines solchen protodiastolischen Tones kann bei
Aorteninsuffizienz im Stadium der Dekompensation nicht nur auskulta¬
torisch und kardiographisch, sondern auch durch unmittelbare elektro-
kardio-tonographische Aufzeichnungen nachgewiesen werden. Die weiter
folgende Kurve 6 stellt die Kurve des Stosses, das Tonogramm und
das Elektrokardiogramm dar, die mit dem Apparat von Bock-Thoma
in der Klinik aufgenommen wurde.
Kurve 6.
Es fragt sich nun, ob der beschriebene Stoss und der akzidentelle
Ton die ganze Zeit über im Stadium der Dekompensation bei Aorten¬
insuffizienz beobachtet werden, oder ob dieselben verschwinden können,
wenn Besserung eintritt, wie es beim gewöhnlichen Galopp der Fall ist.
Es stellt sich heraus, dass in diesem Fall der Galopp, wenn er auf¬
getreten ist, gewöhnlich die ganze Zeit über bestehen bleibt; dieser Unter¬
schied wird offenbar durch den Entstehungsmechanismus desselben bei
Aorteninsuffizienz begründet. Beim gewöhnlichen Galopp, z. B. bei Myo¬
karditis kann offenbar, bei einer Besserung unter dem Einfluss der Be¬
handlung, der Muskeltonus soweit gestärkt werden, dass der Muskel dem
ßlutstrom einen gewissen Widerstand zu leisten beginnt. Wir sind ge¬
zwungen anzunehmen, dass bei Aorteninsuffizienz der Blutstrom, der im
Beginn der Diastole in den Ventrikel cinströmt, so stark ist und so
energisch den linken Ventrikel dilatiert, dass eine geringe Besserung des
Tonus nicht imstande ist die passive Dilatation der Ventrikelwände zu
kompensieren. Im letzten Stadium der Dekompensation jedoch, wenn
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Zur Frage des diastolischen Herzstosses us#.
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infolge der äusserst ungenügenden Entleerung des Herzens während der
Systole einerseits eine übermässige Füllung der Ventrikel mit Blut be¬
steht und im Beginn der. Diastole die Vorhöfe schlecht entleert wurden,
ändern sich die Bedingungen für die Entstehung des Tones und derselbe
kann ebenso verschwinden, wie der akzidentelle Ton eines jeden Galopps.
In dieser Periode der äussersten Insuffizienz des Herzens nimmt gewöhn¬
lich der vorher beobachtete diastolische Stoss bedeutend ab. Was die
klinische Bedeutung der oben beschriebenen Erscheinungen anbetrifft, so
geht aus dem Gesagten klar hervor, dass das Vorhandensein derselben
nicht nur eine diagnostische Bedeutung für die Diägnoscnstellung einer
Affektion der Aortenklappen hat, sondern sie haben auch einen sehr
grossen prognostischen Wert und weisen auf den Beginn einer Schwächung
des Herzmuskels hin.
Bei der Diagnose können uns diese Erscheinungen in denjenigen
Fällen einen Dienst erweisen, wenn wir eine Aorteninsuffizienz von einer
ßicuspidalstcnose differenzieren müssen, wenn letztere von einem diasto¬
lischen Geräusch und von einer Verdoppelung des 2. Tones begleitet wird.
Ich muss sagen, dass mich gerade diese Besonderheit der Herzmelodie
und des Stosscs bei Aorteninsuffizienz häufig auf den rechten Weg ge¬
wiesen hat.
Was die Möglichkeit anbetrifft, die oben beschriebene Erscheinung
durch die aktive Diastole Ebsteins zu erklären, so beseitigt, abgesehen
davon, dass die aktive Diastole im allgemeinen nicht die Anerkennung
der Mehrzahl der Physiologen gefunden hat und bis zu einem gewissen
Grade durch die Arbeit van der Veldens (26) widerlegt worden ist, die
Beobachtung der Entstehungsursachen des diastolischen Stosses und der
verschiedenen Abweichungen desselben in verschiedenen Stadien der
Herzdekompensation, sowie die vollständige Aehnlichkeit mit dem Stoss
bei der Entstehung des Galopprhythmus, die Möglichkeit einer Erklärung
des beschriebenen diastolischen Stosses bei Aorteninsuffizienz durch eine
aktive Diastole des linken Ventrikels. Man kann sich ja wohl schwer
vorstellcn, dass die aktive Diastole bei Herzdekompensation stärker sein
sollte, als beim normalen Zustande des Herzens.
Ausser den oben beschriebenen Erscheinungen im Herzen, die im
Stadium der Dekompensation bei Aorteninsuffizienz beobachtet werden,
können wir nicht selten eine Verstärkung, oder sogar das Auftreten einer
dikrotischen Welle an der Pulskurve konstatieren. Von unseren 29 kli¬
nischen Patienten konnten wir bei 14 eine deutliche dikrotische Welle
konstatieren. Von diesen 14 Fällen mit dikrotischem Puls wurde bei
11 ein deutlich ausgesprägter diastolischer Stoss beobachtet. Das so
häufige Zusammentreffen von einem diastolischen Stoss und einem dikro--
tischen Puls veranlasste mich, unwillkürlich, darüber nachzudenken, ob
nicht das Auftreten von Pulsdikrotie bei Aorteninsuffizienz mit dem be¬
obachteten akzidentellen Stoss in Zusammenhang stehe.
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 5 u. 6. on
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456
N. D. STRASCHESKO,
Wenn man sich auf den Standpunkt von Landois stellt, der die
dikrotische Pulswelle durch eine von den geschlossenen Aortenklappen
zur Peripherie hin reflektierte Welle erklärt, so darf bei einer Insuf¬
fizienz dieser Klappen eine dikrotische Welle selbstverständlich nicht vor¬
handen sein, wenigstens in denjenigen Fällen, in denen die Aortenklappen
bedeutend zerstört sind. De facto ist in vielen Fällen von Aorten¬
insuffizienz eine dikrotische Welle nicht vorhanden. Im Jahre 1887 be¬
mühte sich Geigel (27) dem Auftreten derselben im Sphygmogramm
eine besondere klinische Bedeutung beizumessen, indem er annahm, dass
dasselbe als Hinweis auf ein gleichzeitiges Bestehen einer Bikuspidalis-
insuffizienz anzusehen ist. Geigel beschrieb einen Fall von Aorten¬
insuffizienz, bei dem im Verlauf einer Endokarditis auf dem Sphygmo¬
gramm eine dikrotische Welle auftrat, während gleichzeitig über der
Herzspitze ein systolisches Geräusch hörbar wurde, das auf eine Bikus-
pidalisinsuffizienz hinwies. Er erklärte das Auftreten dieser Welle da¬
durch, dass beim Hinzutreten einer Bikuspidalisinsuffizienz zu einer be¬
reits bestehenden Aorteninsuffizienz besondere Bedingungen für die Ent¬
stehung einer Dikrotie geschaffen werden, da der hypertrophierte linke
Ventrikel beim Bestehen einer ßikuspidalinsuffizienz während der Systole
eine grosse Menge Blut in den linken Vorhof hineinschnellt, aus dem
hierauf im Beginn der Diastole wieder eine grosse Blutmenge in den
Ventrikel eindringt, die letzteren überfüllt; wenn jetzt ein Rückstrom des
Blutes aus der Aorta stattfindet, so stösst dieses auf das bereits im
Ventrikel enthaltene Blut und ergibt eine umgekehrte, reflektorische
Welle, die sich dann durch die Gefässe in die Peripherie hin fortsetzt.
Auf Grund dieser Beobachtung begannen einige Kliniker, besonders
Leube und Goldscheider, der Pulsdikrotio bei Aorteninsuffizienz eine
diagnostische Bedeutung beizumessen. Sic waren geneigt anzunehmen,
dass das Vorhandensein dieser Welle auf dem Sphygmogramm darauf
hinweist, dass die Aorteninsuffizienz noch von einer Bikuspidalisinsuffizienz
begleitet wird. Gegen diese Ansicht traten jedoch viele Kliniker auf
[Janowski (28), Ortncr (29), Dmitrenko (30), Simnitzki (31) und
teilweise Nürnberg (32) und zeigten, dass es einerseits Fälle von
Aorteninsuffizienz gibt, die nicht von einer Bikuspidalinsuffizienz kom¬
pliziert werden und in denen doch deutlicher Dikrotismus des Pulses
beobachtet wird, dass es aber andererseits Fälle von Kombination dieser
Fehler gibt, bei denen dennoch kein Dikrotismus vorhanden ist; hierbei
ist es, entgegen der Ansicht Janowskis (30), dass die Ursache der
Pulsdikrotie bei Aorteninsuffizienz das Fieber ist, gleichgültig, ob der
Patient fiebert oder nicht.
Auf Grund meiner Beobachtungen muss ich mich der Reihe der
Gegner — Geigel, Leube (34) und Goldscheider (35) anschliessen
und bemerken, dass ich einerseits Gelegenheit hatte, Dikrotismus bei
reiner Aorteninsuffizienz zu beobachten, während derselbe andererseits bei
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Zar Frage des diastolischen Herzstosses usw.
457
Patienten mit kombinierten Fehlern fehlte, bei denen bei der Autopsie
eine organische Bikuspidalinsuffizienz konstatiert wurde und zwar sogar
in solchen Fällen, bei denen Fieber beobachtet worden war. Daher
muss idfe Simnitzki darin zustimmen, dass der Dikrotie keinerlei pa-
thognomonische Bedeutung beizumessen ist, wie es von seiten Gold¬
scheiders geschieht.
Da wir uns von der Erklärung der Dikrotie bei Aorteninsuffizienz,
die Geigel gibt, sowie von der Ansicht Janowskis, dass dieselbe von
dem begleitenden Fieber abhängig ist, lossagen müssen, glaube ich eine
Erklärung für dieselbe in einer anderen Erscheinung finden zu können,
die während des Dekompensationsstadiums bei Aorteninsuffizienz beob¬
achtet wird und zwar in der schnellen Dehnung der Wände des linken
Ventrikels im Beginn der Diastole desselben. Man könnte annehmen,
dass, wenn das Biut in grosser Menge in den linken Ventrikel einströmt
und denselben schnell und plötzlich dehnt, das Blut gleichsam von den
Ventrikelwänden abprallt, wodurch eine rückläufige Welle entsteht, die
Dank der Aortenklappeninsuffizienz sich der Blutsäule mitteilt, die sich
in der Aorta befindet und sieh von hier aus zur Peripherie hin fortsetzt.
Eine solche Welle kann im Innern des linken Ventrikels nur dann ent¬
stehen, wenn auf einmal eine grosse Blutmengo einströmt und die Ven¬
trikelwände schnell gedehnt werden. Bei Aorteninsuffizienz sind diese
Bedingungen in dem Falle gegeben, wenn einerseits der Ventrikelmuskel
seinen Tonus eingebüsst hat und andererseits gleichzeitig eine Insuffizienz
der Bikuspidatis besteht, da bei einer Kombination dieser Fehler im Be¬
ginn der Diastole in den linken Ventrikel von zwei Seiten Blut einströmt,
aus der Aorta und aus dem Vorhof, und zwar aus letzterem vollständig
unbehindert und unter bedeutend stärkerem Druck als unter normalen
Verhältnissen. Es ist möglich, dass bei jeglicher Bikuspidalisinsuffizienz
und beim Verlust des Tonus und der Elastizität des Muskels des linken
Ventrikels günstige Bedingungen für die Entstehung einer solchen Welle
gegeben sind; wir sehen dieselbe aber auf dem Sphygmogramm wahrschein¬
lich deswegen nicht, weil die Aortenklappen hermetisch schliessen und
die Welle sich nicht in die peripheren Gefässe fortsetzen kann. Bei
einer Aortenklappeninsuffizienz ist die Ausbreitung einer solchen Welle,
die sich unter den angegebenen Bedingungen im Innern des linken Ven¬
trikels gebildet hat, wohl möglich, da während der ganzen Diastole des
Herzens eine freie Verbindung zwischen der Höhle des linken Ventrikels
und dem arteriellen System besteht. Genau ebenso sind beim Bestehen
einer Aortcnklappeninsuffizienz, wenn der Defekt derselben ein grosser
ist und der Tonus des linken Ventrikelmuskels eingebüsst ist, wenn auch
nicht so günstige Bedingungen, wie im vorhergehenden Falle, für die
Bildung einer gleichen Welle vorhanden, da in diesem Falle das Blut
sich ebenso plötzlich in grosser Menge in den linken Ventrikel ergiesst
und an die Wände des letzteren anprallt, was die Entstehung einer rück-
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458 N. D. STRASCHESKO,
läufigen Welle bedingen kann. Es ist mit einem Wort die dikrotische
Welle, die wir bei Aorteninsuffizienz beobachten, höchstwahrscheinlich,
genau genommen, nieht eine gewöhnliche dikrotische Welle, sondern eine
ganz besondere reflektierte Welle, die nicht an den Aortenklappen, son¬
dern im Innern des linken Ventrikels entsteht. Wenn diese Annahme
richtig ist, so muss in Anbetracht dessen, dass diese Welle etwas später
als die gewöhnliche dikrotische Welle entsteht, dieselbe etwas weiter von
der Hauptwelle des Pulses entfernt sein als letztere. Und de facto über¬
zeugte mich die Messung unserer Kurven in allen unseren 14 Fällen
davon, dass dieses der Fall ist. Die dikrotische Welle bei Aorteninsuf¬
fizienz ist vom Anstieg der Pulswcllc weiter entfernt, als beim normalen
Puls (konf. Kurve 1 u. 4). Wenn wir uns auf unsern Standpunkt
stellen, so kann bis zu einem gewissen Grade eine Einigung in den dies¬
bezüglich bestehenden Widersprüchen erzielt werden. Es wird dann ver¬
ständlich, dass in der Mehrzahl der Fälle eine dikrotische Welle im
Sphygmogramm gerade bei einer Kombination einer Aorteninsuffizienz
und einer Bikuspidalisinsuffizicnz beobachtet wird, wenn die Zerstörung
der Aortenklappen eine bedeutende ist und ein Verlust des TonuS des
linken Ventrikels besteht. Andererseits wird es bei unserer Annahme
verständlich, dass die dikrotische Welle in einigen Fällen von organischer
Insuffizienz der Aorta und der Bikuspidalis fehlt, t wenn der Muskel des
linken Ventrikels gut funktioniert und der eindringenden Blutmengc einen
genügenden Widerstand leistet.
Es ist selbstverständlich, dass für das Auftreten einer solchen
dikrotischen Welle dieselben günstigen Bedingungen im Gefässsystcm er¬
forderlich sind, wie für das Auftreten einer gewöhnlichen dikrotischen
Welle und zwar muss Arteriosklerose fehlen, der Blutdruck darf nicht
hoch sein und die kleinen Arterien müssen entspannt sein; aus diesem
Grunde übt auch das Fieber einen begünstigenden Einfluss aus; es sind,
mit einem Worte, alle diejenigen Bedingungen, die die Entstehung einer
gewöhnlichen dikrotischen Welle begünstigen, auch .für die Entstehung
der anderen Welle von Nutzen. Die vorliegende Erklärung der dikro¬
tischen Welle bei Aorteninsuffizienz erlaube ich mir nur in Form einer
Hypothese für die Erklärung derjenigen Fakta abzugeben, die wir in
der Klinik beobachtet haben, und prätendiere durchaus nicht auf ihre
absolute Richtigkeit. Wenn wir die Entstehung der normalen, dikro¬
tischen Welle genau erforscht haben werden, ist cs möglich, dass uns
die beobachtete Welle bei Aorteninsuffizienz vom Gesichtspunkte der
besonderen Entstehungsbedingungen der dikrotischen Welle aus verständ¬
licher und erklärlicher werden wird. Bis jetzt aber besteht zwischen
den Physiologen und Klinikern noch keine Uebereinstimmung, nicht
einmal darin, an welcher Stelle die normale dikrotische Welle entsteht
— am Herzen oder an der äussersten Peripherie des Gofässsystems.
Unsere Annahme in bezug auf die dikrotische Welle, die bei Aorten-
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459
Zur Frage des diastolischen Herzstosses usvv.
Insuffizienz beobachtet wird, ist um so eher zulässig, da sie mit dem
unzweifelhaften Faktum übereinstimmt, dass diese Welle am häufigsten
nicht bei reiner Aorteninsuffizienz beobachtet wird, sondern bei einer
Komplikation derselben mit Üikuspidalisinsuffizienz und zwar ausserdem
noch, wenn Erscheinungen von Tonusverlust des Herzmuskels (Galopp
und diastolischer Stoss) vorhanden sind.
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insuffizienz. Diese Zeitscht. Bd. 59. S. 332 u. Bd. 65. S. 335.
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XXV.
Aus dem Laboratorium der ärztlichen Diagnostik an der Kaiser!. Universität
zu Kasan (Russland).
(Dirigierender: Prof. Dr. med. Witold Orlowski.)
Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungs¬
fähigkeit des Pankreas. 1 )
Von
Prof. Dr. med. Witold Orlowski.
Die Bauchspeicheldrüse, wie bekannt, stellt ein Ongan dar, welches, sehr tief in
der Bauchhöhle lokalisiert, der Untersuchung vermittelst unserer gewöhnlichen
physikalischen Methoden wie Inspektion, Palpation, Perkussion und Auskultation, die
so grosse Bedeutung für die Diagnose pathologischer Prozesse in anderen, oberfläch¬
licher gelegenen Organen haben, beinahe völlig unzugänglich ist. Es ist ja nicht
wunderbar, dass die Pathologie des Pankreas noch so wenig ausgearbeitet ist, dass
sogar für erfahrene Kliniker eine bei Lebzeiten gestellte Diagnose seiner Erkrankungen
meistenteils nur in den Fällen bedeutender Geschwulst möglich ist, und eine der¬
artige Erkrankung auf dem Sektionstische oft als eine Ueberraschung erscheint.
Jedoch schon a priori muss man erwarten, dass das Pankreas öfters pathologische
Veränderungen in anatomischer, sowie funktioneller Hinsicht darstellen muss. Dafür
sprechen schon viel die Wichtigkeit und Mannigfaltigkeit seiner Aufgaben im Orga¬
nismus. Es ist ja allbekannt, welche Kölle dieses Organ für die Verdauung des
Eiweisses, der Fette und Kohlehydrate im Darm und für die Regelung des Zucker¬
eintausches im Organismus spielt [v. Mering, Minkowski (1), Lepine (2),
Schabad (3), Sobolew (4) und viele andere]. Wie uns w r eiter die Untersuchungen
von Wehrmann (5) und Carriere (6) und besonders diejenigen von Prof. Nencki
(7), welche insgesamt mit Sieber und Schumowa-Simanowska mit reinen, nach
Prof. Pawlovr erhaltenen, Verdauungssäften unternommen wurden, gezeigt haben,
dass die Verdauungssäfte des Organismus die Fähigkeit besitzen, Toxine und Bakterien
(Diphtherie, Tetanus) zu neutralisieren; die allererste Rolle nimmt in dieser Beziehung
das Sekret des Pankreas ein, besonders aber im Zusammenhang mit der Galle; zu
diesen Resultaten gesellen sich noch diejenigen von Charrin und Levaditi (8) mit
Diphtherietoxin, von Baldwin und Levene (9) mit Tuberkulin, Diphtherie- und
Tetanusgiften, v. Zaremba (10) mit frischen Extrakten der Bauchspeicheldrüse von
Tieren und des Menschen usw. Alles das bringt uns auf den zuerst von Nencki
ausgesprochenen Godanken, ob den sich in den Magendarmkanal ergiessenden Säften,
besonders dem Pankreassaft, nicht eine entgiftende Rolle in bezug auf die sich
1) Im Auszuge vortragen in der Medizinischen Gesellschaft zu Kasan am 29. De¬
zember 1909 und auf dem 1. Russischen therapeutischen Kongress in Moskau am
3. Januar 1910.
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfahigkeit des Pankreas. 461
normalerweise im Darm befindenden Bakterien, sowie auch auf die verschiedenen, sich
bei der Zersetzung des Eiweisses bildenden Substanzen (wie Indol, Skatol, Methyl-
merkaptan usw.) zukommt. Eine derartige Wirkung der Verdauungssäfte ist nur auf
die Toxine und verschiedene andere Giftstoffe gerichtet, aber nicht auf die Bakterien
selber, welche an und für sich, ganz gleich, ob die Galle und die Pankreas- und die
Darmsäfte einzeln oder im Zusammenhang miteinander wirken, weder hemmend noch
tötend beeinträchtigt werden. Dieses wurde von Rolly und Liebermeister (11), in
letzterer Zeit von Schütz (12) bewiesen. Durch die stark alkalische Beschaffenheit
seines noch dazu durch die Galle und ebenso alkalischen Darmsaft gestärkten Sekrets
wirkt das Pankreas ausserdem, wie es die Untersuchungen Serdjukows (13) aus
dem Laboratorium von Prof. Pawlow beweisen, regulierend auf den Uebergang der
Ernährungssubstanzen aus dem Magen in den Zwölffingerdarm. Ferner hat Schiro-
kich (14) in demselben Laboratorium dargelegt, dass der Pankreassaft, einer 0,3proz.
Sodalösung gleich, beim Einführen in das Duodenum ein Auftreten charakteristischer
Austreibungskontraktionen sogar eines leeren Magens hervorruft, was auch den Ueber¬
gang der Nahrung aus dem Magen in den Darm befördern muss. Nach Sawitsch (15)
dient der Pankreassaft sogar in kleinen Quantitäten als spezifischer Erreger einer
reichen Ausscheidung aktiven Darmsaftes. Nach Roger und Simon (16) wirkt der
Pankreassaft aktivierend auf das Ptyalin des Mundspeichels, welches durch die Wirkung
des Magensaftes unterdrückt wurde. Nach Vernon (17) enthält der Saft der Bauch¬
speicheldrüse von den proteolytischen Fermenten nicht nur das tryptische, sondern
auch das peptolytische, welches die Albumosen und Peptone in einfachere Um¬
wandlungsprodukte der Eiweisskörper, dem Erepsin von Cohnheim gleich, zersetzt.
Zülzer (18), Löwe (19), Ghedini (20), Frugoni (21), Wülzer (22), Glässner
mit Pick (23), Pemberton mit Sweet (24) und andere weisen in letzter Zeit auf die
antagonistische Rolle des Pankreas im Verhältnis zu den Nebennieren hin, welche die
Aufgabe hat, den Zuckergehalt in dem Blute, auch die Menge des Glykogens in der
Leber zu regulieren, und ausserdem den Ueberschuss an den Substanzen, welche von
den Nebennieren zur Erfüllung ihrer tonisierenden Aufgabe ausgeschieden werden, zu
neutralisieren. Endlich, in den letzten Jahren, erschienen in der Literatur einzelne
Mitteilungen, welche darüber nachzudenken zwingen, ob es nicht vielleicht dieFunktion
des Pankreas sei, alle Zellen des Organismus mit Fermenten zu versorgen, welche
während ihrer Lebenstätigkeit eine so wesentliche Rolle in den Vorgängen der be¬
ständig in den Geweben und Zellen sich abspielenden Synthese und Analyse des
Eiweisses, der Fette und Kohlehydrate haben [Boldyrew (25), Blumenthal (26)].
Bei solcher Kompliziertheit und Mannigfaltigkeit der Aufgaben dieses Organs ist
selbstverständlich zu erwarten, dass es öfters pathologische Veränderungen darstellen
muss. Die Pathologie bestätigt diese Voraussetzung. In der Tat, obgleich die patho¬
logische Anatomie die Schwierigkeiten der richtigen Auffassung der Veränderungen
nach dem Tode, welche man zum Teil der Selbstverdauung des Organs zuschreiben
muss, betrachtend erst seit kurzem ihre Aufmerksamkeit auf die Bauchspeicheldrüse
gelenkt hat, ist dennoch heutzutage festgestellt, dass manche Formen des Diabetes
zweifellos in Beziehung zu der Erkrankung des Pankreas stehen, nämlich zu der
Affektion der Lan gor h ans sehen Zeilenkomplexe, welche das Organ der inneren
Sekretion des Pankreas darstellen (Laguesse, Delamare, Sobolew, Opie und
andere). Ferner ist es festgestellt, dass diffuse Entzündungsprozesse in der Leber oft
interstitielle Veränderungen im Pankreas zur Folge haben [Poggenpol (27) u. a.]
und auch die Verletzungen der Gallenblase, besonders die Steine derselben, häufig
durch Erkrankung des Pankreas kompliziert werden [Oster, Kehr (28), Dreesmann
(29) u. a.]. Kehr behauptet, dass die Bauchspeicheldrüse nicht nur insgesamt mit
der Gallensteinkrankheit, sondern auch überhaupt ebenso oft wie die Leber erkrankt;
auf Grund vielfacher Autopsien in vivo spricht er sich sogar dafür aus, dass viele
Fälle von akuter und chronischer Gelbsucht, wie das auch Mayo Robson nach-
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462 WITOLD ORLOWSKI,
weist, nichts weiter als leiohte Pankreatitiden seien. Faure (30) deutet auf das
häufige Vorkommen infektiöser Erkrankungen des Pankreas usw. hin. Die meisten
von diesen Ergebnissen sind auf experimentellem Wege oder durch morphologisches
Studium des Pankreas bei den Autopsien post mortem oder in vivo festgestellt worden.
Abgesehen von diesen groben anatomischen Veränderungen muss das Pankreas
zweifellos öfters auch die Erscheinungen der potentiellen Insuffizienz zeigen. Nach der
Analogie mit den anderen Organen ist man im Recht sogar zu behaupten, dass die
Störungen letzterer Art, wie z. B. Hypochylie und Achylie des Pankreas viel öfter
Vorkommen müssten, als die scharfen anatomischen Veränderungen. Einer derartigen
Auffassung in betreff der Häufigkeit der Funktionsstörungen der Bauchspeicheldrüse
scheinen die alten Experimente Pawlows (31) mit dem Unterbinden der Drüsenaus¬
führungsgänge bei den Kaninchen, Neumeisters (32) bei den Katzen, Cohnheims
'(33) und Jablonskys (34) bei den Hunden zu widersprechen, gleichwie auch das
klinische Ergebnis, dass bloss völlige oder umfangreiche Verletzungen des Pankreas
zu tiefen Zerrüttungen des Körpers führen, die partiellen aber dagegen keineswegs zu
beängstigenden Erscheinungen seitens des Organismus gelangen. Die Ursache liegt
hier in der Erhöhung der Tätigkeit der gesunden Drüsenteile oder vielleicht in kom¬
pensatorischer Wirkungskraft anderer Organe [Brugsch (119)]; endlich in Ver-
stopfungsfälion der Drüsenausgänge die durch Umwege in den Darm geratenen Fer¬
mente des Pankreassaftes, welche vorher von dem Blute resorbiert wurden nicht
ohne Mitwirkung bleiben [Sandmeyer (35), Rosenberg (36), Lombroso (37),
Zuntz und Mayer (38)].
Wenn wir diese Tatsachen, sowie auch andere aus der Literatur [Schmidt (39),
Schütz (40), Heubner (41), Mayer (42) u. a.] berücksichtigen und nebeneinander
mit analogen Erscheinungen aus der Pathologie anderer Sekretionsorgane stellen
werden, so liegt uns klar auf der Hand, dass die oben erwähnten Experimente
Pawlows und anderer Forscher und auch die klinischen Beobachtungen dem von
mir ausgesprochenen Gedanken von der Häufigkeit der funktionellen Störungen des
Pankreas durchaus nicht widersprechen. Das beweist nur, wie schwer es ist, denselben
Störungen auf die Spur zu kommen, besonders in Anbetracht dessen, dass die Ab¬
weichungen von der Norm entweder infolge einer partiellen Affektion oder einer
Herabsetzung der Funktionsfähigkeit des Pankreas nicht diagnostiziert werden können,
weil sie von dem gewöhnlichen, schärfer ausgesprochenen Krankheitsbilde der Er¬
krankung nebengel’egener Organe, z. B. der Gallenblase, meistenteils verschleiert
werden.
Solch eine Lage der Sache im Auge behaltend, hat die Klinik schon lange nach
Erforschung solcher Untersuchungsmethoden gesucht, welche nooh bei Lebzeiten des
Kranken die Möglichkeit geben würden, den Zustand des Pankreas in morphologischer
wie funktioneller Hinsicht zu erkennen. Als Resultat dieser Bestrebungen sind zu
Tage gekommen: die Methoden, welche auf dem Studium des Kohlehydratwechsels
(alimentäre Glykosurie, Pentosurie). der Verdauung und Assimilation der Fette und
des Eiweisses begründet werden; ferner das Kernverfahren von Schmidt, die Glutoid-
probe nach Sahli, die Salizylprobe nach Ferreira, Pankreonprobe nach Salomon,
die Löwische Adrenalinprobe, die Cammidgesche Reaktion. Aber all diese
Methoden sind, wie uns die klinischen Untersuchungen zeigen, nicht zuverlässig.
Deshalb wurden in letzter Zeit wieder Versuche veranstaltet, bei Kranken den
Pankreassaft zu gewinnen, um auf diese Weise der richtigen Auffassung des Zu¬
standes der Bauchspeicheldrüse wirklich auf den Grund zu kommen.
Wie bekannt, hat Boas (43) im Jahre 1889 sein Verfahren veröffentlicht, welches
die Möglichkeit gibt, aus dem Magen die Darmsäfte samt allen Darmfermenten zu ge¬
winnen. Man überzeugt sich zuerst, ob der Magen leer ist und, wenn das nicht der
Fall ist, spült man denselben mit lproz. Sodalösung aus; ferner massiert man bei
Rückenlage des Kranken das rechte Hypochondrium zwischen der Mammillar- und
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des,Pankreas. 463
Parasternallinie; dabei lässt sich unter starken Kontraktionen der Bauchpresse, wie
das später durch Tahlenoff (44) bestätigt wurde, bis 50 ccm neutraler, alkalischer
oder schwach saurer, meist gallig gefärbter Flüssigkeit gewinnen. In dieser Flüssig¬
keit, welche das Gemisch der Magen-, Darm- und Pankreassäfte, sowie der Galle
darstellt, gelang es Boas, die Anwesenheit aller 3 Fermente des Pankreassaftes zu
beweisen. Nachher versuchten es Kuhn und Hemmeter vermittelst besonderer In¬
strumente unmittelbar in das Duodenum hineinzudringen, aber ihr Vorschlag hat
keinen Anklang gefunden. Von anderen Verfassern spricht von der Möglichkeit des
Uebertritts des Pankreassaftes in den Magen zuerst Prof. Pawlovv in seinen berühmten
„Vorlesungen über die Arbeit der wichtigsten Verdauungsdrüsen u . Sein Schüler
Boldyrew (45), sich eingehend mit der Erforschung dieser Erscheinung beschäftigend,
hat gezeigt, dass bei fetter Nahrung, sowie auch bei übermässigem Quantum der freien
Säuren im Magen, sei es Salzsäure oder organische Säuren, als Kegel ohne Aus¬
nahme in den Magen ein Gemisch von Galle und Darm-Parkreassäften Übertritt.
Eben solche Erscheinung konnte er auch in manchen Fällen bei leerem Magen mit
alkalischer Reaktion .in demselben beobachten. Auf Grund dieser Ergebnisse und
Beobachtungen an 2 Personen hat Boldyrew seine neue Methode der Funktions¬
prüfung des Pankreas vorgeschlagen.
Nach demselben Verfahren nimmt der betreffende Kranke nüchtern 75—80 g
2 proz. Oieinsäurelösung in Olivenöl ein. Nach Verlauf von l—lVa Stunden wird
durch eino Sonde der Mageninhalt gewonnen, aber möglichst nicht durch Aus¬
heberung, sondern durch leichte Anstrengung der Bauchpresse. Auf diese Weise lässt
sich ein kleines Quantum von einer Suspension erhalten, von welcher ungefähr 20 bis
30 ccm einer gelben, klebrigen, stark alkalischen, zuweilen galligen Pankreassaft ent¬
haltenden Flüssigkeit sich zu Boden setzen. Die Versuche, welche als Begründung des
Boldyre wschen Verfahrens unternommen wurden, wurden in demselben Laboratorium
von Arbekow (46) und hinsichtlich der Wirkung der sauren Lösungen unlängst von
Migay (47) bestätigt. Von den folgenden Verfassern hat Schittenhelm (50) in vielen
Fällen, teilweise im leeren Magen, teilweise nach Boas-E waldschera Probefrühstück
das Vorhandensein des Trypsins im alkalischen oder schwach sauren Mageninhalt auf¬
gedeckt und zwar in einem Fall insgesamt mit einer geringen Quantität von Pepsin;
da aber bei den meisten der untersuchten Personen anormale Magenerscheinungen
sich nachweisen Hessen, so setzte Schittenhelm voraus, dass der Rückfluss des
Pankreassaftes in den Magen eine pathologische Erscheinung darstelle. Sogleich nach
der Mitteilung des Boldyre wschen Verfahrens wurde dieses baupsächlich von
Volhard (48), Faubel (49) und Lewinski (51) einem Studium unterworfen.
Volhard hat in der aus dem Magen nach dem Frühstück aus Olivenöl entnommenen
Flüssigkeit das Trypsin in 86 pCt. (9 mal aus 11) aufgefunden, Faubel aber in
70,6 pCt. (24mal aus 34). Allard hat in einem Falle von Gastrosukkorrhoe bei stark
erhöhter Hyperazidität ein negatives Resultat erhalten; Mohr (52) in Hyperaziditäts¬
fällen nur ein geringes Trypsinquantum aufgewiesen. Die Abwesenheit des Trypsins
ihr nnem freie Salzsäure enthaltenden Magensäfte ist nach seiner Meinung genügend,
um auf die Insuffizienz der Pankreasarbeit einen Schluss zu ziehen. Lewinski hat
versucht das Trypsin nach Gross in der 3 / 4 Stunden nach dem Einnehmen von
150 g Olivenöl aus dem Magen entnommenen Flüssigkeit in 27 Fällen (in 8 bei ge¬
sundem Magen und Darm) nachzuweisen, erhielt auch ein positives Resultat in
19 Fällen (70 pCt.); bei weiterer Untersuchung aber vermittelst eines trockenen Boas-
schen Probefrühstückes aus 5 Albertkakes Hess sich das Trypsin zwar in kleineren
Quantitäten, aber bei denselben 26 Kranken in 24 Fällen (92 pCt.) nachweisen. Da
Lewinski meinte, dass das in so vielen Fällen negativ ausgefallene Resultat durch
hohen Gehalt an freier Salzsäure bedingt sein könnte, so Hess er vor dem Oel-
frühstück und auch 20 Minuten nach demselben einen halben Teelöffel von Magnesia
usta reichen. Und in der Tat erhielt er bei solcher Untersuchung ein positives Resultat
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464
WITOLD ORLOWSKl,
in 100 pCt. Ausser den oben erwähnten 27 hat Lewinski noch 2 Kranke untersucht;
bei dem einen hatte der Magen die Form einer Sanduhr angenommen, so dass zwischen
den beiden Magenabteilungen eine fingerdicke OefTnung im Diameter vorlag, bei dem
andern bestand eine Verstopfung des allgemeinen Ausführungsganges der Leber und
des Ausfühjungsganges des Pankreas. In beiden Fällen waren die Ergebnisse negativ.
Auf Grund dieser Untersuchungen behauptet Lewinski, dass bei der Anwendung
seiner vervollständigten Methodik die Abwesenheit des Trypsins in dem Mageninhalt
auf die Insuffizienz des Pankreas oder auf die mechanischen Hindernisse beim Ueber-
gang des Prankreassaftes in den Magen hindeutet. Die nächstfolgenden Unter¬
suchungen nach Boldyrew werde ich nicht erwähnen, weil sie erst erschienen,
als ich meine eigenen Untersuchungen endigte; die Ergebnisse anderer Autoren
werde ich des Vergleichs wegen bei der Wertschätzung der Resultate meiner Arbeit
zusammen berühren.
Zu gleicher Zeit mit den soeben erwähnten Untersuchungen, welche zur Wert¬
bestimmung des Boldyrewschen Verfahrens für die Klinik mit sehr geringem
Material unternommen waren, hat Müller in den letzten Jahren vorgeschlagen,
den Zustand des Pankreas auf dem Wege des Studiums der proteolytischen
Kraft des bei besonderen Bedingungen erhaltenen Darminhaltes zu erforschen.
Durch die an Leichen und Tieren gemachten Untersuchungen von Müller mit
Kaufmann (53) und Schlecht (54) wurde festgestellt, dass das Trypsin im
ganzen Darmkanal zu finden sei, aber in verschiedener Quantität, besonders häuft
sich dasselbe in dem Dünndarm bzw. in der Gegend der Valvula Bauhinii; da¬
gegen aber fällt im Diokdarm sein Betrag bedeutend infolge der starken Resorption
in der unteren Abteilung des Dünndarms (Schlecht) vielleicht auch infolge der
Umwandlung in eine inaktive Abart, oder durch die Zersetzung der bei der
Fäulnis im Darm entstehenden Säuren (Langley). Dem entsprechend wird das
Trypsin im Dickdarm und in normalen Exkrementen in ganz winziger Quantität
aufgefunden (Grober, Müller, Kaufmann, Schlecht). Dagegen besitzen die
diarrboischen Exkremente eine sehr energische proteolytische Wirkung, abhängig
von der beschleunigten Darmperistaltik und stark verhinderten Resorbierung der
Fermente in dem Darm. Diese letzte Tatsache wurde von Müller (55) als Grund
seines klinischen Verfahrens genommen. Nach diesem Verfahren wird erstens der
untere Teil des Darmes vermittelst eines hohen oder Glyzerinklysmas gereinigt, dann
wird dem Kranken 150 g Fleisch und 150 g Kartoffelpüree eingegeben und nach
Verlauf einer Stunde ein stark wirkendes Abführmittel, Kalomel oder Purgen oder
beides zusammen. Der nach 2—3 Stunden kommende breiige oder dünnflüssige Stuhl¬
gang wird, falls er saure Reaktion besitzt, alkalisiert und sorgfältig bis auf das
feinste in einem Porzellanmörser zerrieben. Aus der erhaltenen Suspension wird ein©
Verdünnung von 1 : 1 bis 1 : 200 vorbereitet, wobei man als verdünnende Flüssigkeit
eine Glyzerinlösung folgenden Bestandes anwendet: Glyzerin 10 und Aq. dest. 100.
Ein Tropfen von dieser Verdünnungsflüssigkeit bringt man auf die Oberfläche der
Jochmann-Müllerschen Serumplatte und stellt dieselbe in den Thermostat bei
50—60° C. Bei Anwesenheit des Trypsins werden an den Stellen der Platte, wo
sie betröpfelt wurde, Dellen bemerkbar. Falls die Flüssigkeit zu viel Fett enthält,
muss dasselbe durch Schüttelung mit Aether entfernt werden.
Auf Grund solcher Untersuchungen kam Müller (55) zu dem Schluss, dass
eine vollständige Abwesenheit der proteolytischen Fähigkeit bei wiederholten Unter¬
suchungen vieler Exkrementproben als Ausnahme betrachtet werden muss. Dagegen
ist dieses Verhältnis für die Unterbrechung des Ergusses des Pankreassaftes in den
Darm sehr charakteristisch. Bei schweren Darmentzündungen (akute Enteritis,
Dysenterie, manchmal Abdominaltyphus) wird nach Müller das Vorkommen des
proteolytischen Fermentes in den Exkrementen stark erhöht, nicht nur wegen der be¬
schleunigten Entleerung des Darmes, sondern auch wegen der Beimischung des pro-
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 465
teolytisohen Fermentes der weissen Blutkörperchen. Bei pathologischen Zuständen,
welche nicht durch gleichzeitige Erkrankung der Verdauungsorgane begleitet werden,
stellt die Trypsinmengo in den Darmentleerungen keine Abweichungen von der Norm
dar (Müller). Manchmal aber haben auch die normalen Fäzes eine stark proteo¬
lytische Wirkung (Müller). Schlecht (54), der die Ergebnisse von Müller im all¬
gemeinen bestätigt, hat sich doch überzeugt, .dass in vielen Fällen gewöhnlicher
chronischer Verstopfung, bei katarrhalischem Ikterus, in manchen Fällen von Magen¬
krebs ohne Verstopfung der Ausführungsgänge des Pankreas durch die Geschwulst,
ferner bei der Gallensteinkrankheit mit folgendem Katarrh der Gallengänge und Leber¬
abszess doch eine bedeutende Verminderung des proteolytischen Vermögens des Kotes
vorliegt. Im nächsten Bericht kommt Schlecht (57) zu der Ueberzeugung, dass ein
negativer Ausfall der Müllerschen Probe unbedingt eine schwere Erkrankung der
Bauchspeicheldrüse oder die Verstopfung ihrer Gänge beweist; der positive Ausfall
der Probe dagegen, der die Durchlassfähigkeit des Pankreasganges kundgibt, jede
organische Erkrankung der Drüse nur dann ausschliesst, wenn die Fäzes ein stark
proteolytisches Vermögens zeigen; bei einer grossen Herabsetzung desselben (von 1 : 1
bis 1 : 5) kann man die Erkrankung des Pankreas voraussetzen, wobei der Grad der
Herabsetzung der proteolytischen Wirkung als Kennzeichen der Verletzungsstufe der
Drüse dient. Bei akuten Darmkatarrhen hat Schlecht, im Gegenteil zu Müller,
wiederholt eine bedeutende Verminderung des Trypsingehaltes im Kote gefunden; bei
Diabetes mellitus war der Trypsingehalt entweder stark verringert oder im kleineren
Teil der Fälle normal.
Da das Studium des Zustandes der Bauchspeicheldrüse vermittels der Methoden
von Müller und Boldyrew für die Klinik verlockende Perspektiven versprach, habe
ich beschlossen, diese Methoden einer eingehenden, auf möglichst grossem Material
beruhenden Bearbeitung zu unterwerfen. Dabei habe ich mir folgende Aufgaben ge¬
stellt: 1. Welches von den Prinzipien des Trypsinnachweises ist brauchbarer und
zuverlässiger für die Klinik, dasjenige in bezug auf den Mageninhalt oder den Kot?
2. Welches von den Frühstücken bei dem Trypsinnachweis in der aus dem Magen ent¬
nommenen Flüssigkeit ist passender? 3. Welches von den Trypsinnachweisverfahren
in den Flüssigkeiten ist das genaueste und empfindlichste? Und 4. endlich, welche
klinische Bedeutung hat dieses oder jenes Resultat des Trypsinnachweises im Magen¬
inhalt und in den Fäzes.
Meine Untersuchungen waren an 87 Patienten mit verschiedenen Erkrankungen,
meistenteils aber an magendarmleidenden Personen angestellt. Bei jedem Kranken
wurde in den ersten Tagen der Mageninhalt desselben nüchtern untersucht (falls ein
solcher vorhanden war); in den folgenden Tagen wurde der Mageninhalt aber schon
1 Stunde nach dem Boas-Ewald sehen Probefrühstück und endlich 30—45 Minuten
nach der Einführung von 150 g Olivenöl in den Magen untersucht. Mauchen Kranken
wurde ausserdem ein Probefrühstück nach Lewinski, d. h. mit vorläufiger und
folgender Neutralisation des Mageninhalts durch Magnesia usta, gereicht. Das Studium
jedes Kranken wurde mit der Untersuchung der Fäzes auf Trypsin beendigt, wie das
später eingehend berichtet werden wird. Nach der Einführung des Oels habe ich den
Mageninhalt entnommen, wobei ich denselben, im Gegensatz zu den Anweisungen
Boldyrews, nicht durch Anstrengung und Straffziehen des Kranken, sondern durch
Ausheberung erhalten habe. Auf diese Weise habe ich die Brechbewegungen ver¬
mieden, welche den Eintritt des Darminbalts in den Magen bedingen können und so
auf das Ergebnis der Untersuchungen in Betreff vergleichender Wertbestimmungen ver¬
schiedener Probefrühstücke einwirken.
Deswegen hielt ich es auch nicht für möglich, diejenigen Säfte zu untersuchen,
bei deren Entnahme Brechbewegungen bemerkbar waren. Nach dem Boas-
Ewald sehen Probefrühstück habe ich das gesamte Quantum des Mageninhalts im
Moment der Ausheberung nach der Methode Jaworski-Mathieu-R6mond be-
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466
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stimmt, ln jedem Saft habe ich die allgemeine Azidität durch Titration von 5 ccm
des Saftes mit 1 / l0 NaOH (Phenolphthalein als Anzeiger), die freie und schwach ge¬
bundene Salzsäure nach Töpfer, die Milchsäure nach Strauss bestimmt; ausserdem
wurde festgestellt die Anwesenheit der Galle, des Schleims, des Blutes (Benzidin¬
probe), der Inhalt von Pepsin und Trypsin, Das Pepsin wie auch das Trypsin habe
ich immer im durch filtrierten Magensaft bestimmt. So habe ich auch mit dem Magen¬
inhalte, welcher nach der Einführung des Olivenöls entnommen wurde, verfahren, im
Gegensatz zu meinen Vorgängern, welche es für möglich hielten, ohne Filtration aus¬
zukommen, von dem Gedanken ausgehend, dass der Mageninhalt nach der Einführung
des Olivenöls sich sofort in 2 Schichten teilt: die obere ölige Schicht, und die untere
zur Untersuchung bestimmte Flüssigkeit. Daher habe ich mich auf die Beseitigung
der proteolytischen Wirkung, welche der Schleim aus dem Munde, der Nasenrachen¬
höhle und der Speiseröhre besitzt, beschränkt (Müller und Kolaczek (58),
Müller (55). Bekanntlich hängt diese Wirkung von dem Vorhandensein der soge¬
nannten Schleimkörper bzw. weissen Blutkörperchen, welche in das Filtrat nicht über¬
gehen, in den erwähnten Sekreten ab. Das Pepsin habe ich nach dem Mettschen (59)
Verfahren in der Modifizierung von Nirenstein-Schiff (60), auch nach der Kasein¬
methode von Gross bestimmt, das Trypsin nach Mett, Gross und dem Müllerschen
Platten verfahren. Die Mett sehe allbekannte Methode unberührt lassend, halte ich es
für notwendig, das Müllersche Plattenverfahren sowie auch die Methode von Gross
zur Pepsin- und Trypsinbestimmung eingehender zu behandeln, um so mehr, als meiner
Meinung nach der Gross sehen Methode eine grosse Zukunft bevorsteht, und da ich
dieselbe etwas modifiziert habe. Die Müllerschen Platten habe ich den Vorschriften
des Verfassers gemäss bereitet [Müller und P eis er (61)]. Die Trypsinbestimmung im
Mageninhalt wie auch im Kot habe ich vermittels dieser Platten so ausgeführt, dass
ich aus der der Untersuchung unterliegenden Flüssigkeit durch Zusatz einer 0,lproz.
Natriumkarbonatlösung eine lOproz. und lproz. Verdünnung bereitete; weiter wurde
in einer Reihe von Probiergläsern, von welchen jedes 10 ccm einer Glyzerinlösung
in Wasser 10:100 enthielt, folgerecht 10, 8, 6, 5, 4, 3, 2, 1,8, 1,6, 1,4, 1,2
und 1 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit und ferner 0,8, 0,7, 0,6, 0,5, 0,4, 0,3,
0,2, 0,18, 0,16, 0,14, 0,12 und 0,1 ccm derselben Flüssigkeit und ihrer 10 proz. und
lproz. Lösung hineingegossen; nachdem der Inhalt jedes Probierglases ordentlich
durchgeschüttelt wurde, brachte ich nicht einen Tropfen aus jedem Probierglas, wie das
Müller und Schlecht empfehlen, sondern 3 Platinösen des Inhalts strichartig auf die
Oberfläche der Serumplatte und stellte dieselbe bei 56° C auf 24 Stunden in den Ther¬
mostat. Falls nach Verlauf dieser Frist Vertiefungen nur an den Stellen aufgefunden
wurden, wo die Oesen aus dem 1 ccm enthaltenden Probierglase von der zu unter¬
suchenden Flüssigkeit aufgetragen waren (die Oesen aus den Probiergläsern mit
grösserem Inhalt gaben natürlich auch ein positives Resultat), alle anderen aber mit
kleinerem Inhalt der zu untersuchenden Flüssigkeit keine Vertiefungen aufwiesen, so
habe ich angenommen, dass 1 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit nur eine tryp-
tische Einheit enthält. Bei solcher Terminologie wäre es leicht, in Zahlen das Quantum
des Trypsins auszudrücken, was sehr wichtig für Vergleichszwecke ist. Wenn ich so
die Dellenbildung von den Oesen aus den 0,2ccm oder mehr von der zu untersuchenden
Flüssigkeit enthaltenden Probiergläsern erhalten hatte, so nahm ich an, dass 1 ccm von
dieser Flüssigkeit 5 tryptische Einheiten enthält.
Die Bestimmungsmethoden des Pepsins und Trypsins nach Gross (62) sind
darauf begründet, dass das Kasein aus seinen Lösungen durch Zusatz von lproz. Essig¬
säurelösung gefällt wird, seine Umwandlungsprodukte aber, die Kaseosen, gelöst bleiben.
Bei der Bestimmung des Pepsins werden die sauren Kaseinlösungen verwertet; man
löst nämlich 1 g reinen Kaseins (Caseini purissimi Grübler) und 16 ccm 25proz. Salz¬
säure (spez. Gew. 1,124) in 1 Liter Wasser auf und erwärmt auf dem Wasserbade.
Nachdem die bis zu 30—40° C erwärmte Flüssigkeit in Probiergläser zu 10 com in
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Zum klinischen Studium der TrypsinabsonderungsFähigkeit des Pankreas. 467
jedes aufgegossen ist, setzt man allmählich sich verringernde Quantitäten des Magen¬
saftes zu und stellt die Gläser in den Thermostat bei 39—40° C. Nach einer Viertel¬
stunde fügt man in jedes Probierglas ein paar Tropfen gesättigter Natriumazetatlösung
hinzu; dabei bilden das Natriumazetat und die Salzsäure Natriumchlorid und
Essigsäure; von der Wirkung der letzten werden die Probiergläser, welche noch un¬
verdautes Kasein enthalten, trübe; diejenigen aber, in welchen das Kasein bereits in
Kaseosen übergegangen ist, bleiben klar. Das kleinste Quantum der zu untersuchenden
Flüssigkeit, welches in einer Viertelstunde die 10 ccm der sauren Kaseinlösung oben¬
erwähnter Stärke, d. h. 0,01 g Kasein zu verdauen vermag, enthält nach der Termino¬
logie von Gross eino tryptische Einheit. Von hier aus ist es schon leicht auszu¬
rechnen, wieviel solcher Einheiten 1 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit enthält.
Zur Bestimmung des Trypsins werden die alkalischen Kaseinlösungen benutzt; man
löst nämlich, auf dem Wasserbade erwärmend, 1 g reinen Grüblersehen Kaseins
in einem Liter einer 0,1 proz. Natriumkarbonatlösung; diese Kaseinlösung wird bei
einer Temperatur von 40° in Probiergläser zu je lOccm aufgegossen; zu diesen Probier¬
gläsern wird ein immer sich verminderndes Quantum der zu untersuchenden Flüssig¬
keit (Filtrat des Magensaftes oder der Fäzes) zugegossen, und werden bei 39—40° C
in den Thermostat gestellt. Nach einer Viertelstunde wird durch Zusatz von ein paar
Tropfen einer 1 proz. Essigsäurelösung in jedes Probierglas bestimmt, welches aller¬
kleinste Quantum der zu untersuchenden Flüssigkeit imstande sei, das ganze Kasein
zu verdauen. Die Bestimmung der Zahl der tryptischen Einheiten in 1 ccm der zu
untersuchenden Flüssigkeit w r ird ebenso wie die obenerwähnte für das Pepsin gemaoht.
Das Verfahren von Gross für die Bestimmung des Pepsins, sowie auch des
Trypsins habe ich bei meinen Untersuchungen in der Hinsicht modifiziert, dass ich
die Trypsinuntersuchung, um die Wirkung der Bakterien auszuschliessen, bei 56° C
machte, und die Resultate der Verdauung vermittelst des Pepsins und Trypsins nicht
nach einer Viertelstunde, sondern nach Verlauf von 24 Stunden nach dem Zusatz sich
vermindernder Quantitäten der zu untersuchenden Flüssigkeit in die Probiergläser (10,
8, 7, 4, 3, 2, 1,8, 1,6, 1,4, 1,2, 1 ccm der Flüssigkeit und 0,8, 0,7, 0,6, 0,5, 0,4, 0,3,
0,2, 0,18, 0,16, 0,14, 0,12, 0,1 ccm der Flüssigkeit und der lOproz. und 1 proz. Ver¬
dünnungen), studierte. Der Verlängerung der Verdauungszeit bis zu 24 Stunden ent¬
sprechend, habe ich die Einheit der pcptischen und tryptischen Kraft dermassen ver¬
ändert, dass ich die Anwesenheit derselben in dem allerkleinsten Quantum der zu unter¬
suchenden Flüssigkeit (Mageninhalt oder Fäzes), welches 0,1 g Kasein nicht in einer
Viertelstunde, sondern in 24 Stunden zu verdauen vermag, annehme. Die Erwägungen,
welche mich zu der Verlängerung der Verdauungszeit desKaseins bewogen hatten,waren
folgende: 1. das Verbleiben der Kaseinlösungen binnen längerer Zeit zusammen mit
Pepsin und Trypsin enthaltenden Flüssigkeiten ist in der Hinsicht wichtig, dass die
Verdauung von einer bedeutend kleineren Quantität der zu untersuchenden Flüssigkeit
erzielt werden kann, was in Fällen eines spärlichen Quantums der Flüssigkeit sehr be¬
deutungsvoll war; 2. nach dem Zusatz eines Galle enthaltenden Saftes zu der sauren
Kaseinlösung kam sofort eine Trübung oder ein Niederschlag; dagegen bei der Ver¬
längerung der Verdauungszeit des Kaseins bis 24 Stunden wurde diese Erscheinung
beseitigt, weil jetzt die pcptische Einheit sich in solchen winzigen Quantitäten des
verdünnten Saftes vorfand, dass deren Zusatz die Durchsichtigkeit der Kaseinlösungen
nicht zu verändern vermochte; 3. bei einer 15 Minuten langen Verdauungszeit des
Kaseins kann der-Unterschied an Zeit, welcher bei dem Zusatz zu den Kaseinlösungen
der zu untersuchenden Flüssigkeit unwillkürlich entsteht, nicht ohne Resultat auf die
Verdauung bleiben; bei der Verlängerung der Verdauungszeit bis 24 Stunden
bleibt dieser Fehler selbstverständlich aus; 4. die durchfiltrierten Säfte und Ex¬
kremente sind oft trübe; bei den Quantitäten und Verdünnungen der Säfte und Ex¬
kremente, mit welchen man es bei der Verlängerung der Verdauungszeit bis 24 Stunden
zu tun hat, bleibt diose störende Erscheinung ohne Einfluss; 5. die Veränderung der
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Verdauungszeit der Kasoinlösungen hat die Empfindlichkeit des Verfahrens nach
Gross bedeutend erhöht, wenigstens ist dieselbe für das Trypsin mindestens bis auf
100 mal mehr gestiegen. Zu diesem letzten Schluss kam ich auf Grund des Studiums
des Verhältnisses zwischen der Kraft der Kaseinverdauung durch das Trypsin und der
Dauer der Verdauung, d. h. auf dem Wege der Untersuchung des sogenannten Zeit¬
gesetzes. Zugleich habe ich auch das Verhältnis Zwischen der Kraft der Trypsinver¬
dauung und dem Quantum des Fermentes studiert. Die beiden Gesetz für das Trypsin
habe ich an Säften, welche aus dem Magen nach einem Oelfrühstück entnommen
wurden, und an Exkrementen, welche bei unten beschriebenen Bedingungen gewonnen
wurden, studiert. Bei dem Studium des Fermentgesetzes habe ich zur Verdünnung
der ursprünglichen aktiven Flüssigkeit dieselbe Flüssigkeit, d. h. den Saft oder das
Filtrat der Exkremente nach folgender Bearbeitung gebraucht: nach der Erwärmung
bis zur völligen Gerinnung der Eiweisskörper und Filtration wurde die durch die Ver¬
dampfung des Wassers veränderte Alkalität des Filtrates zu der ursprünglichen Alkali¬
tät zurückgeführt und die dadurch erhaltene Flüssigkeit als Verdünnungsmaterial ge¬
braucht. Eine solche Verdünnungsweise hat mir die Möglichkeit gegeben, den Gang
der Trypsinverdauung in den Kaseinlösungen bei vielmehr identischen Bedingungen,
als das bei der Verdünnung der ursprünglichen Flüssigkeit durch 0,1 proz. Soda¬
lösung der Fall gewesen wäre, zu verfolgen. Die Resultate der Untersuchungen in
dieser Riohtung führe ich in den Tabellen 1—5 an.
Tabelle I.
Das Zeitgesetz. Untersuchung mit dem Mageninhalt.
Die Verdauungsdauer in Stunden
1
4
9
24
1 tryptische Einheit ent¬
halten .
0,3 ccm
0,7 ccm der
0,3 ccm der
0,13 ccm der
1 tryptische Einheit ent¬
halten (des unverdünnten
Saftes).
0,3 ccm
10 proz. Ver¬
dünnung des
Saftes
0,07 ccm
10 proz. Ver¬
dünnung des
Saftes
0,03 ccm
lOproz. Ver¬
dünnung des
Saftes
0,013 ccm
Aus dieser Tabelle kann man ersehen, dass bei 4stündiger Verdauung eine
/ 0,3 \
tryptische Einheit in einem 4,285mal kleineren Quantum als bei 1 stän¬
diger Verdauung enthalten ist; bei 9stündiger Verdauung wird das Qaantum lOmal
/ 0,3 \
— 1 kleiner, als bei einer einstündigen Verdauung, und endlich bei der 24stün-
\0,03/ 03
digen Verdauung vermindert sich dasselbe Quantum auf - ^— = 23mal.
Tabelle II.
Das Zeitgesetz. Untersuchung mit dem Filtrat der Exkremente.
Die Verdauungsdauer in Stunden
1
4 ;
6
24
1 tryptische Einheit ent¬
halten .
0,2 ccm
0,5 ccm der
0,3 ccm
0,7 ccm
1 tryptische Einheit ent¬
halten (des unverdünnten
Filtrates).
0,2 ccm
lOproz. Ver¬
dünnung des
Filtrates
0,05 ccm
lOproz. Ver¬
dünnung
0,03 ccm
Iproz. Ver¬
dünnung
0,007 ccra
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfahigkeit des Pankreas. 469
Aus dieser Tabelle kann man sehen, dass bei einer 4stündigen Verdauung in
einer 4 mal kleineren Quantität
:mim
\0,05/
des Fäzesfiltrates sich eine tryptische Einheit
befindet; demgemäss vermindert sich das Verhältnis bei 6stündiger Verdauung bis
auf 6,7mal
(OM
\0,03/’
und bei einer 24stündigen bis auf 28,6mal
(AM
10,007/
Tabelle III.
Das Fermentgesetz. Untersuchung mit dem Mageninhalt. 24 ständige
Verdauungsdauer.
Der ursprüog-
Der ursprüngliche Saft
liehe Saft
4 mal verdünnt
9 mal verdünnt
1 tryptische Einheit enthalten .
0,8 ccm 1 proz.
0,14 ccm 10 proz.
0,3 ccm 10 proz.
Verdünnung des
ursprünglichen
Verdünnung des
1 tryptische Einheit enthalten
(unverdünnten ursprünglichen
Saftes
Saftes
ursprüngl. Saftes
Saftes).
0,003 ccm
0,014 ccm
0,03 ccm
zu
Hier findet sich eine tryptische Einheit bei der 4mal stärkeren Verdünnung der
/ 0,014 \
untersuchenden Flüssigkeit in 4,7mal I —— I grösserem Quantum der Flüssig-
\ VjVU /
keit und bei 9mal so starker Verdünnung in 10mal
in einem unverdünnten Mageninhalt.
grösserem Quantum, als
Tabelle IV.
Das Fermentgesetz. Untersuchung mit dem Filtrat der Fäzes. 24 ständige
Verdauungsdauer.
Das ursprüngliche Filtrat
unverdünnt
4 mal verdünnt
9 mal verdünnt
1 tryptische Einheit enthalten .
1 tryptische Einheit enthalten
(unverdünnten ursprünglichen
0,14 ccm 10 proz.
Verdünnung des
ursprünglichen
Filtrates
t
0,5 ccm 10 proz.
Verdünnung des
ursprünglichen
Filtrates
0,14 ccm des
ursprünglichen
Filtrates
Filtrates).
0,014 ccm
0,05 ccm
0,14 ccm
Ebenso auch hier findet sich eine tryptische Einheit bei der vierfachen Vor-
dünnung des ursprünglichen Filtrats in 3,5mal
neunfacher Verdünnung in 10mal ^ j grösserem Quantum, als in dom unver¬
dünnten Filtrate.
Tabelle V beweist, dass das Trypsin sich einem Gesetze der geraden Pro¬
portionalität im Verhältnisse zur Verdauungszeit und Trypsinquantum unterwirft. In
der Tat bei solchen Gesetzbeziehungen soll nach der Berechnung eine tryptische
Einheit in unserem Fäzesfiltrate bei dessen vierfacher Verdünnung und 24 Stunden
i „ a . . 0,06.5.4
langer Verdauungszeit in -
(A
lo,c
014 /
grösserer Menge und bei
24
= 0,05 ccm des Filtrates enthalten sein.
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470 WlTOLD ORLOWSKI,
Dasselbe Resultat habe ich, wie das aus der Tabelle V ersichtlich ist, wirklich be¬
kommen.
Tabelle V.
Das Zeitgesetz and das Fermentgesetz. Untersuchung; mit ddm Filtrat der Fäzes.
Das unverdünnte
ursprüngliche Filtrat
Vierfach verdünntes
ursprüngliches Filtrat
5 ständige Verdauungs¬
dauer
.
24 ständige Verdauungs-
dauer
1 tryptische Einheit enthalten . .
1 tryptische Einheit enthalten (un¬
verdünnten Filtrates) ....
0;6 ccm lOproz. Ver¬
dünnung des ursprüng¬
lichen Filtrates
0,06 ccm
0,5 ccm lOproz. Ver¬
dünnung des ursprüng¬
lichen Filtrates
0.05 ccm
Also das Trypsin unterliegt dem Gesetze der geraden Proportionalität, und
folgt nicht, Walters (63) Behauptung zuwider, und auch im Gegensatz zu anderen
Fermenten, wie Pepsin, das Fettferment des Magens und des Pankreas, dem Gesotze
von Schütz-Borissow-IIuppert, welches lautet, dass die Verdauungsquantitäten
sich verhalten wie die Quadratwurzeln aus dem Produkte der Multiplikation der Ver¬
dauungszeit durch das Quantum des Fermentes. In dieser Hinsicht schliessen sich
meine Untersuchungen denjenigen von Gross, LÖhlein (64), Faubel, Hedin und
Bayliss (65) vollständig an. Jetzt muss es augenscheinlich sein, dass bei der Ver¬
längerung der Verdauungszeit von Stunde bis 24 Stunden für die Trypsinver¬
dauung von 10 ccm der alkalischen Kaseinlösung man ungefähr 96 mal weniger der zu
untersuchenden Flüssigkeit bedarf. Es ist ganz klar, dass bei 15 Minuten langer Ver¬
dauung diejenigen Säfte und Exkremente, welche eine sehr geringe Trypsinquantitat
enthalten, immer ein negatives Resultat aufweisen werden; in solchen Säften ist das
Trypsin nur dann auffindbar, wenn in lccm nicht weniger als 9,6 meiner tryptischen
Einheiten enthalten sind, dagegen aber bei 24 Stunden langer Verdauung das Trypsin
schon zu Vio der tryptischen Einheit in 1 ccm sich nachweisen lässt.
Das Studium des Zeitgesetzes für das Trypsin hat bewiesen, dass die Vergrösse-
rung der Verdauungszeit für das Kasein bis auf 24 Stunden bedeutend die Empfind¬
lichkeit des Verfahrens nach Gross erhöht. Dabei haben sich die Befürchtungen
mancher Verfasser, welche die Bestimmung des Fermentes bei solchen kleinen Quan¬
titäten für ungenau hielten, als ganz unbegründet erwiesen.
Da ich mich entschlossen hatte die Untersuchung nach Gross zu führen, musste
ich meine Aufmerksamkeit auf eine etwaige Fehlerquelle richten. Wie bekannt, hat
Cohnheim (66) in den Extrakten der Schleimhaut des Dünndarms ein Ferment,
welches er Erepsin nannte, gefunden. Nachher haben es Kutscher und See¬
mann (67), Salaskin (68) und Falloise (70) im reinen Darmsafte der Hunde,
Nakayama (71) bei Kaninchen und Rindvieh, und endlich Hamburger und
Hekma (69) in reinem Darmsafte des Menschen aufgefunden. Dieses Ferment wan¬
delt die Peptone und Deuteroalbumosen, besonders schnell aber die Produkte der
Popsinverdauung [Cohnheim (72)] in die Aminosäuren um [Cohnheim (73)];
mit Ausnahme des Kaseins übt es auf das native Eiweiss keinen Einfluss. Da bei
dem Rückfluss des Inhaltes des Duodenums in den Magen auch das Erepsin in das
letztere Organ hineinkommen könnte, so musste man die Möglichkeit seines Ein¬
wirkens auf das Resultat der Kaseinprobe stets im Auge behalten. Infolge dessen
musste auch die Frage erörtert werden, ob ich von der Anwesenheit des Trypsins in
dem Mageninhalte und Koto, aber nicht von der Anwesenheit proteolytischer Fermente
im allgemeinen zu sprechen das Recht hatte. Zu der Entscheidung dieser Frage kam
ich auf dem Wege der Vergleichung der Resultate, welche ich nach der Kaseinprobe
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 471
erhielt, mit denjenigen nach dem Müll ersehen Serumplatten verfahren, auf dessen
Resultate das Erepsin keine Wirkung ausübt. Zwischen den Angaben beider Verfahren,
wiedas später aus der Tabelle VI zu sehen sein wird, besteht, was die Untersuchung
des Mageninhaltes und Kotes anbetrifft, ein gewisser Zusammenhang: das Müller-
sche Verfahren gibt negative Resultate da, wo die Kaseinprobe bloss winzige Quanti¬
täten des alkalischen proteolytischen Fermentes aufweist, in den Fällen aber, wo
das iMüllersehe Verfahren ein positives Resultat gibt, kommen die Vertiefungen
auf der Platte von grösseren Quantitäten der zu untersuchenden Flüssigkeit, als die
Kaseinverdauung. Diesen Unterschied könnte man dem Erepsin zuschreiben, wenn
die mit verkäuflichen Trypsinpräparaten von mir unternommenen Versuche nicht gezeigt
hätten, dass das Verfahren nach Gross 7— 8mal empfindlicher ist als dasjenige nach
Müller. Durch diese verminderte Empfindlichkeit des Müll ersehen Verfahrens lässt
sich der Unterschied zwischen seinen Angaben und denjenigen nach Gross vollständig
genügend erklären. Wenn man hinzufügt, dass das Kasein durch das Erepsin bloss
langsam und unvollkommen zersetzt wird, so erhalten wir das Recht dem Trypsin,
wenn auch nicht die alleinige, so jedenfalls die dominierende Rolle in den Unter¬
suchungen über die Verdauung der Kaseinlösungen zuzuschreiben, was übrigens auch
alle darüber arbeitende Verfasser, ausser Döblin (74), annehmen.
Jetzt gehe ich zu der Beschreibung meiner Untersuchung über die Trypsin¬
bestimmung in den Fäzes über. Bei diesen Untersuchungen habe ich zuerst den Darm
der Kranken durch ein abends gegebenes Klysma oder Einnahme von 1—2 Esslöffeln
Glaubersalz gereinigt; morgens bekamen die Kranken auf nüchternen Magen 150 g
Fleischkotelett und nach 1—■ 1 / 2 Stunden wiederum 1—2 Löffel Glaubersalz. Die auf
diese Weise erhaltenen dünnflüssigen oder breiigen Darmentleerungen wurden sorgfältig
zerrieben und auf unten beschriebene Weise untersucht.
Obgleich Schlecht behauptet, dass die Art der Nahrung bei den Unter-
uohungen auf Müllerschen Platten keine wesentliche Wirkung auf das Resultat aus¬
übt, hielt ich es dennoch für notwendig, eine einmal gewählte Nahrung beizubehalten,
um auf diese Weise die Notwendigkeit der Kontrolle der Anweisungen Schlechts
vollständig beseitigen zu können. Die Richtigkeit dieser Auffassung wurde durch die
unlängst erschienene Arbeit von Koslowsky (75) bestätigt: dieser Verfasser hat sich
überzeugt von der starken Wirkung des Gehaltes der Nahrung auf die tryptische Kraft;
die grösste proteolytische Kraft kommt den Fäzes nach der Eiweissnahrung zu; bei
einer und derselben Nahrung bleibt die Kraft der proteolytischen Verdauung beinahe
ohne Veränderung. Das von Müller, Schlecht und Goldschmidt (76) in Vor¬
schlag gebrachte Purgen, ein Mittel zur schnelleren Bewirkung der Darmentleerung,
habe ich nicht angewandt, weil Ehrmann und Frankl (77) bewiesen haben, dass
dieses Mittel sogar in kleinen Quantitäten einen toxischen Einfluss auf die Fermente
im allgemeinen und das Trypsin im besonderen ausübt. Unter verschiedenen anderen
Laxativa habe ich mich für das Glaubersalz entschieden, da die Untersuchungen von
Marcus (78) gezeigt haben, dass dasselbe die tryptische Verdauung befördert.
Bei der Kotuntersuchung habe ich das Trypsin in filtrierten wie auch unfiltrierten
Exkrementen bestimmt. In vielen Fällen habe ich mich überzeugen können, dass un-
filtrierte Fäzes öfters und in grösseren Quantitäten das proteolytische Ferment ent¬
halten als flitrierte. Das hängt wahrscheinlich davon ab, dass eine gleichmässige
Suspension bei der Zerreibung der Fäzes sehr schwer zu erlangen ist; immer bleiben
kleine Fäzesteile, welche viel Trypsin enthalten, und bei der Verdünnung der Fäzes
durch lprom. Sodalösung eine viel gesättigtere Trypsinlösung, als man dachte, bedingen.
Andererseit muss im Auge behalten werden, dass in unfiltrierten Fäzes die Möglichkeit
der Wirkung des proteolytischen Fermentes der Leukozyten nicht auszuschliessen ist,
welches nur durch Filtration beseitigt werden kann. Es ist freilich wahr, dass durch Zu¬
satz vonLöfflerschemSerum zum Serum verschiedener Kaltblüter, besonders derSchild-
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 76. Bd. H. 5 n. 6. 31
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kröte, leicht die Wirkung des Fermentes der Leukozyten einerseits und desTrypsinsanderer-
seits voneinander abzugrenzen [Wiens und Mül ler (79)] ist, weil ein solches Serum die
Wirkung des ersten nicht aufhält, dagegen aber die Dellenbildung des Trypsins auf den
Müllerschen Platten stark verhindert; diese Prozedur kompliziert aber sehr die Unter¬
suchung. Da mir aber in jedem einzelnenFalledie Abschätzungderbeidenobengenannten
Bedingungen unmöglich erschien, hielt ich es für besser, dem Rate von Müller ent¬
gegen, den weniger empfindlichen, aber zuverlässigeren Weg der Untersuchung
mit filtrierten Fäzes einzuschlagen. Die sorgfältig zerriebenen Exkremente wurden
nicht durch Bakterien nichtdurchlassende Filter, sondern durch einfaches Filtrierpapier
filtriert. Bei diesen Bedingungen habe ich schon in kurzer Zeit die für die Unter¬
suchung nötige Menge eines durch Beimischung der Bakterien trüben Filtrates er¬
halten. Bald hatten sich die Bakterien zu Boden des Zylinders gesetzt, und eine klare
Flüssigkeit, welche ich für die Untersuchung gebraucht habe, wurde sichtbar. Bei
demgemäss angestellter Untersuchung hat das Filtrat natürlich noch Bakterien ent¬
halten, aber eine hemmende oder sogar zerstörende Kraft derselben im Verhältnis zum
Trypsin konnte nicht zum Vorschein kommen, weil die Untersuchung bei der Tempe¬
ratur von 56° C. ausgeführt wurde, d. h. dann, wenn die meisten vegetativen Bak¬
terienformen die Entwicklungsfähigkeit verlieren. Zu der Kaseinlösung habe ich kein
Chloroform, wie das Gross (80) vorgeschlagen hat, hinzugefügt, weil dasselbe sich
leicht mit Bildung von Salzsäure zersetzt, was die Alkalität der Kaseinlösungen ver¬
ändert und auf diese Weise auf die Trypsinverdauung einwirkt. Was die Befürchtungen
verschiedener Verfasser [Gross (80), Koslowsky (75) u. a.] über die Möglichkeit
des Einflusses der Bakterien auf die Kaseinverdauung anbetrifft, so halte ich das für
unbegründet, sogar bei einer 40gradigen Verdauung: Pfaundler(81) und Laufer(82)
haben doch bewiesen, dass die Darmbakterien nicht das native Eiweiss, sondern bloss
die Peptone und Albumosen zersetzen. Uebrigens Ide, welchen Pfaundler anführt,
weist daraufhin, dass die Darmbakterien auch auf das Kasein eine verdauende Wir¬
kung ausüben, aber nur eine sehr begrenzte. Deshalb eben, um einem Fehler der Wir¬
kung der Bakterien vollständig aus dem Wege zu gehen, habe ich zu den Kasein¬
lösungen Menthol (0,5 g auf 1 Liter) zugesetzt. Selbstverständlich habe ich mich bei
den käuflichen Trypsinpräparaten überzeugt, dass Menthol in dieser Konzentration auf
die Trypsinverdauung nicht hemmend einwirkt.
Vor dem Beginn meiner Untersuchungen habe ich die Empfindlichkeit der Me¬
thoden von Mett, Gross und Müller auf den Kranken mit folgenden käuflichen
Trypsinpräparaten geprüft: mit dem Pankreatinglyzerin, welches eine lOproz. Pan¬
kreatinlösung in Glyzerin darstellt, und mit dem sogenannten reinen Trypsin (Tryp¬
sin um purissimum Grübler). Aus dem letzteren habe ich folgendermassen Lö¬
sungen, aber nicht Lösungen in Wasser, sondern in Glyzorinwasser bereitet, weil das
käufliche Trypsin allen Behauptungen der Verfasser zuwider im Wasser nicht löslich
ist: ich schüttelte 0,1—0,15 g Trypsin mit einem Gemisch von 5 ccm Glyzerin und
5 ccm destilliertem Wasser, setzte dieses Gemisch einer Temperatur von 55° C. auf
eine Stunde aus, schüttelte zum zweiten Male um und filtrierte. Die dadurch erhaltene
klare trypsinhaltige Flüssigkeit habe ich zu den Untersuchungen verwandt. Es erwies
sich, dass das Verfahren von Gross in 1 ccm 0,3 mg Pankreatin und 0,03 mg Trypsin
zu bestimmen vermag, dagegen aber das von Müller nur 2 mg Pankreatin und 0,2
bis 0,25 mg Trypsin. Es ist also das Verfahren von Gross im Verhältnis zum Pan¬
kreatin beinahe 7mal und im Verhältnis zum Trypsin 7—8mal empfindlicher als die
Methode von Müller. Was die Methode nach Mett anbelangt, so haben die Eiweiss¬
röhrchen keine Verdauungspuren, weder im Pankreatinglyzerin noch in der oben¬
erwähnten 1—l,5proz.Trypsinlösung, aufgewiesen: das Pankreatinglyzerin hatte nach
einem 24 Stunden langen Stehen in Eiweissröhrchen im Thermostaten bloss eine kleine
Opaleszenz mit einer winzigen Quantität von sehr feinen Eiweissflocken, welche ohne
irgendeine bemerkbare Verdauung der Eiweissröhrchen von den Rändern in derFlüssig-
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Zum klinischen Stadium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 473
keit umherschwammen; in den Trypsinlösungen der oben erwähnten Stärke war aber
auch das nicht zu bemerken. Hieraus glaube ich mit Recht auf eine geringere
Empfindlichkeit der Mettschen Methode der Trypsinbestimmung im Verhältniss zu
denjenigen von Gross und Müller schliessen zu können.
Ausser diesen vergleichenden Untersuchungen war es wichtig, die Wirkung der
in der zu untersuchenden Flüssigkeit gelösten Magnesiasalze auf die Empfindlichkeit
der Methoden von Gross und Müller zu verfolgen. Dazu hat mich angeregt die
Behauptung Lewinskis, dass Neutralisierung des Mageninhalts im Magen durch
Magnesiausta vor und nach der Einführung von Olivenöl die Möglichkeit gibt, das Trypsin
in demselben in allen Fällen nachzuweisen, mit Ausnahme der Fälle von ungenügender
Tätigkeit des Pankreas oder mechanischer Hindernisse für den Uebergang des Darm¬
inhaltes in den Magen. Zur Entscheidung dieser Frage im Verhältnis zu der
Müll ersehen Methode habe ich Wasser-Glyzerin-Magnesialösungen des Pankreatins
in verschiedener Stärke bereitet, und von denselben 3 grosse Platinösen strich-
artig auf die Oberfläche der Müll ersehen Platte gebracht. Eine kaum bemerkbare
Vertiefung auf den Platten nach 24 Stunden langem Stehen bei 56° C begann nur auf
denen sich zu bilden, welche 2 mg des Pankreatins in 10 ccm einer Glyzerinlösung
in Wasser (Glyzerini 10, Aq. 100) enthielten; eine positive Reaktion gaben auch
0,02proc. Pankreatinlösungen, welche bis zu lpCt. Magnesium chlor, enthielten; bei
grösserem Gehalt an Magnesium chlor, kam eine negative Reaktion in 0,02 proo.
Pankreatinlösungen; 0,04 proc. Pankreatinlösung gab nach Verlauf von 24 Stunden
eine positive Reaktion, obgleich auch eine sehr schwache, bei gleichzeitigem Gehalt an
Magn. chlorat. in Konzentration 0,2—2 pCt.; ferner bei 3pCt. bis 15pCt. von Magn.
chlor, war die Reaktion kaum zu bemerken, bei 0,1 pCt, und weniger ganz klar.
0,1 proc. Pankreatinlösungen hatten eine klare positive Reaktion bei 2pCt. Magn.
chlor., eine schwache bei 5pCt., eine kaum bemerkbare bei 15pCt.; endlich 0,2pCt.
Pankreatinlösungen gaben eine klare positive Reaktion sogar bei Magnesiachloridgehalt
von 15pCt. Auf diese Weise erwies es sich als zweifellos, dass eine Beimischung der
Magnesiasalze zu Eiweiss nicht enthaltenden Pankreatinlösungen die Empfindlichkeit
der Müllersehen Methode verringert, besonders aber bei kleinem Pankreatingehalt.
Wenn z. B. 1 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit eine tryptische Einheit enthält,
so kann die Müll ersehe Methode die Anwesenheit des Pankreatins nicht aufdecken,
wenn der Gehalt des Magnesiachlorids lpCt. übersteigt. Ebensolche Wirkung übte
die Beimischung der Magnesiasalze auf die Untersuchungen auf Müll ersehen Platten
mit Trypsinlösungen. Was das Verfahren von Gross anbelangt, so beeinflusste die
Beimischung des Magn. chlor, nicht das Resultat der Kaseinverdauung. Demgemäss
schliessen sich meine Untersuchungen denjenigen von Podolinsky (83) an,
welcher behauptet, dass der Salzzusatz zu den Trypsinlösungen die Wirkung des
Trypsins nicht vermindert, sondern sogar begünstigt.
Die Resultate meiner Untersuchungen an Kranken sind auf der Tabelle VI an¬
geführt (s. umstehend). Die Resultate für das Trypsin nach der Mettschen Methode in
dieser Tabelle fehlen, weil diese Methode sich für die Trypsinquantitäten, welche im
Kot und Mageninhalt Vorkommen, sehr wenig tauglich erwies. Das liegt klar auf der
Hand, wenn man in Betracht zieht, dass die grössten Trypsinmengen, die ich beob¬
achtete, 500— 555 tryptischer Einheiten in einem 1 ccm dor zu untersuchenden Flüssig¬
keit waren, was einem Gehalt 15—17 mg verkäuflichen Trypsins in einem 1 ccm ent¬
spricht. Auf diese Weise entsprachen die von mir untersuchten Flüssigkeiten am
meisten 1,5*-1,7 proc. Lösungen des käuflichen Trypsins; in solchen Lösungen
aber waren meine Eiweissröhrchen ganz unverändert. Der Gphait der Galle im
Mageninhalt ist in der Tabelle durch die Zeichen -|-, ++, -j—f--f- und — an¬
gemerkt, wobei dieselben Zeichen zu bedeuten haben: eine kleine Quantität der
Galle, +4“ e,ne mittlere, eine starke gallige Färbung, — Abwesenheit der
Galle. Das Zeichen — in den Rubriken: Milchsäure, Pepsin, Trypsin bedeutet die
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Abwesenheit derselben. Der normale Schleiminhalt ist durch -f-, der massige durch
-|—(- und der grosse durch + gekennzeichnet.
Die Daten dieser Tabelle beweisen mit grosser Deutlichkeit, dass von den beiden
Methoden für die Trypsinbestimmung im Mageninhalt und Kot (Müller und Gross)
zweifellos das empfindlichste und deswegen auch das zuverlässigste das von mir
modifizierte Verfahren nach Gross ist. ln der Tat, in den 84 Säften, welche ich
nach dem Boas-Ewald sehen Probefrühstück erhielt, hat die Methode von Müller
das Trypsin in 30 Fällen, d. h. in 36 pCt. aufgefunden, ferner nach einem Oelfrühstück in
48 Fällen, d. h. 57pCt, und endlich aus 88 Exkrementen in 72 Fällen, d, h. in 82pCt.
Die entsprechenden Zahlen bei der Trypsinbestimmung nach der von mir modifizierten
Methode von Gross waren folgende: nach dem Boas-E waldschen Probefrühstück
49, d. h. 58pCt., nach dem Oelfrühstück 58, d. b. 81 pCt. und in Exkrementen 80,
d. h. 91pCt. Derselbe Unterschied kommt auch dann zutage, wenn man die Säfte
mit und ohne Galle einzeln betrachtet. In den 72 farblosen Säften nach dem Früh¬
stück von Boas-Ewald hat die Methode von Müller das Trypsin in 23, d. h. in
32pCt., in den 12 gallig gefärbten in 7, d. h. in 58pCt. nachgewiesen, dagegen hatte
das Verfahren nach Gross ein positives Resultat bei denselben Personen in 38,
d.h. 53pCt. der farblosen und in 11, d. hi. in 92pCt. der gallig gefärbten Säfte. Da
die Trypsinquantitäten, welche in dem Mageninhalt nach den Frühstücken beider
Art, so auch in den Fäzes meistenteils sehr gering sind, so hat die Methode von
Gross den Vorzug nur dann, wenn die Zeit der Kaseinverdauung von 15 Minuten bis
auf 24 Stunden verlängert wird.
Das Trypsin wird im Mageninhalt wie nach dem Oelfrühstück, so auch nach
Frühstück von Boas-Ewald bestimmt, aber während die 84 Säfte nach dem Oel¬
frühstück in 68 Fällen, d.h. in 81 pCt. ein positives Resultat gaben, zeigte das
Frühstück nach Boas-Ewald dasselbe bloss in 49 Fällen, d. h. in 58pCt. Auf diese
Weise erscheint das Probefrühstück aus Olivenöl für tauglicher bei dem Studium
der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. Diese Erscheinung hängt, wie das
Studium der Tabelle VI zeigt, von mehreren Ursachen ab.
Durch eine ganze Reihe von Arbeiten [Hishin (84), Lobasow (85), Wir-
schubsky (86), Sokolow (87), Akimow - Peretz (88), Wirschillow (89),
Lang (90), Si rotin in (91) u. a.] wurde, wie bekannt, festgestellt, dass die Fette
auf die Magensekretion hemmend einwirken. „Das Fett — sagt Prof. Pawlow (92) —
hemmt, bremst die normale Energie des Sekretionsprozesses im Magen“ (siehe S. 154);
sogar bei der scheinbaren Fütterung der Hunde, sagt Pawlow (93), y 4 —-y 2 Stunde
nach der Einführung von 50—100 ccm des Fettes in den Magen „ist in allen Fällen
ohne Ausnahme eine starke Schwächung der psychischen Magensaftabsonderung be¬
merkbar; der Saft fehlte manchmal; war er vorhanden, so erschion die Absonderung
später in kleinerer Quantität und die Verdauungskraft war stark verringert“ (S. 155).
Nach Prof. Popielski reizen die neutralen Fette die Schleimhaut des Magens und
des Darmes gar nicht und bedingen auch keine Magensaftabsonderung. Demgemäss
ersieht man auch aus der Tabelle 6, dass nach dem Oelfrühstück der Mageninhalt
meistenteils eine niedrige Gesamtazidität besitzt. Nach dem Frühstück von Boas-
Ewald waren von 84 Säften 48 subazide (d. b. 57 pCt.), nach dem Oelfrühstück aber
bei denselben Personen schon 70 (d. h. 83 pCt.) subazide Säfte vorhanden. Ferner
ist aus der Tabelle zu ersehen, dass die subaziden Säfte viel öfter das Trypsin ent¬
halten, als die aziden und besonders die superaziden. In der Tat, nach dem Früh¬
stück von Boas-Ewald wurde das Trypsin aus 48 subaziden Säften in 38, d. h. in
79 pCt., aufgefunden, nach dem Oelfrühstück aber aus 70 Fällen in 60, d.h. in 87 pCt.;
in den superaziden Säften nach dem Frühstück von Boas-Ewald konnte das Trypsin
aus 21 Fällen bloss in 5, d. h. in 24 pCt. aufgedeckt werden. Ein öfteres Vorkommen
des Trypsins im subaziden Mageninhalt wird bedingt durch den zuerst von Serd-
jukow (13) bei Versuchen an Tieren entdeckten Umstand, dass die Azidität des
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 475
Mageninhaltes den Zustand des Pylorus beeinflusst; jedesmal, wenn der saure Magen¬
inhalt in das Duodenum gelangt, ruft er eine reflektorische Kontraktion des Pylorus
hervor, welche so lange dauert, bis die in das Duodenum gelangten sauren Massen
von dem Gemisch der Galle-Pankreas-Darmsäfte nicht neutralisiert werden. Gleich
nachher öffnet sich der Pylorus wieder und übergibt dem Zwölffingerdarm immer
neue Portionen des Mageninhalts usw\ Man muss annehmen, dass, je saurer der
Mageninhalt ist, desto länger und energischer ist die reflektorische Kontraktion des
Pylorus. Deshalb sind auch die Bedingungen des Rückflusses der Verdauungssäfte
aus dem Darm in den Magen günstiger bei niedriger Azidität des Mageninhalts als
bei hoher.
Ausser dem Aziditätsgrad des Mageninhalts übt auch zweifellos die Beimischung
der Galle zu dem Mageninhalt eine grosse Wirkung auf das Resultat der Untersuchung
bei verschiedenen Probefrühstücken aus. In der Tat, in farblosen Säften nach dem
Frühstück von Boas-Ewald wurde das Trypsin von 72 Fällen in 38, d.h. in 53 pCt.,
uud in gallig gefärbten in 92 pCt. entdeckt; nach dem Oolfrühstück wurde dasselbe
in farblosen Säften in 75 pCt. und in gallig gefärbten in 85 pCt. bestimmt. Der
Färbungsgrad des Saftes durch die Galle bleibt auch nicht ohne Einfluss in dieser
Beziehung; diejenigen Säfte, welche stark gallig gefärbt sind, zeigen öfters die An¬
wesenheit dos Trypsins an. So zeigten von 48 Galle enthaltenden Säften diejenigen
Säfte, welche nach dem Oelfrühstück eine schwache gallige Färbung hatten, die An¬
wesenheit des Trypsins in 76 pCt an; diejenigen mit einem mittleren Gallegehalt in
92 pCt., und endlich die stark gefärbten in 95 pCt. Auf diese Weise wurde im mit
Galle gefärbten Mageninhalt das Trypsin öfter als in einem farblosen gefunden; je
mehr Galle im Safte vorhanden war, desto mehr Trypsin enthielt auch der Saft. Ab¬
gesehen von der Verstärkung der fermentativen Eigenschaften des Pankreassaftes durch
die Galle [Brüno (94), Zuntz, Ussow (95), Lintwarew (96), Schepowalni-
kow (97), teilweise Delezenne (98)] wird dieser Umstand vielleicht teilweise hervor¬
gerufen durch die Anwesenheit eines selbständigen Eiweissfermentes in der Galle
[Shegalow (99)], welches die Eigenschaft besitzt, manche Eiweisskörper, wie z. B.
Fibrin’ zu verdauen und sich in grössten Quantitäten auf die Fette und die Milch er-
gicsst [Kiodnitzky (100)]. Die Beimischung der Galle zu dem Mageninhalt geschieht
viel öfter nach dem Oelfrühstück als nach dem Frühstück von Boas-Ewald. Von
den 84 Säften nach dem Boas-E wal dsehen Frühstück erwiesen sich als gallig gefärbt
bloss 14 pCt., dagegen nach dem Oelfrühstück stieg die Zahl bis auf 57 pCt. Solcher
Unterschied ist dadurch zu erklären, dass das 01. provinciale wie auch alle Fette
einen energischen Erreger der Galleausscheidung darstellen [Brüno (94), Kiod¬
nitzky (100)]. Also, die viel öftere Beimischung der Galle dient als zweiter Grund,
weshalb das Trypsin im Mageninhalt häufiger nach dem Oelfrühstück als nach dem
Frühstück von Boas-Ewald gefunden wird. Dazu kommt noch der Umstand, dass
die subaziden Säfte nach dem Oelfrühstück viel öfter Galle enthalten, als diejenigen
nach dem Frühstück von Boas-Ewald, also von 48 subaziden Säften nach dem Früh¬
stück von Boas-Ewald erwiesen sich als gallig gefärbt bloss 9, d. h. beinahe 19pCt.,
dagegen von 70 nach dem Oelfrühstück konnten 45, d. h. 64 pCt. ermittelt werden.
Aber nur wegen des öfteren Vorkommens der Galle im Magen nach dem Oel¬
frühstück kann man nicht diesem Frühstück die grössere Tauglichkeit im Verhältnis
zu dem Frühstück von Boas-Ewald für das Studium der Trypsinabsonderungsfähig¬
keit des Pankreas zuschreiben. Zweifellos übt hier auch die Azidität des Magen¬
inhalts, wie ich schon bereits erwähnt habe, eine wesentliche Wirkung aus. Wenn
man sich nur mit den farblosen Säften begnügt, so ergaben die subaziden Säfte nach
dem Frühstück von Boas-Ewald ein positives Resultat in 74 pCt., dio aziden in
38 pCt. und die superaziden bloss in 16 pCt. Auf diese Weise und in den Säften,
welche keine Galle enthielten, wurde das Trypsin dann öfter gefunden, besonders
wenn die Säfte noch dazu eine niedrige Azidität zeigten. Man darf in diesen Fällen
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WITOLD ORLOWSKI,
nicht die Wirkung des in den Magen hineingeflossenen Brunnerschen Saftes voraus¬
setzen , welcher bei der Einführung seines spezifischen Erregers, des Fettes, stark
gesättigt durch das proteolytische Ferment, in ziemlich grosser Quantität abgesondert
wird, deshalb eben nicht, weil dieses Ferment das Eiweiss bloss bei saurer Reaktion
verdaut [Ponomarew (101), Dobromyslow (102)]. Alle meine Untersuchungen
aber über das Trypsin wurden mit einem vollständig neutralisierten Safte veranstaltet.
Das Olivenöl, welches, wie das Fett, die Magensaftausscheidung hemmt und
nach Popielski dieselbe auch garnicht hervorruft, dient nach den Untersuchungen
von Dolinsky (103) und Damaskin (104) (wenigstens das käufliche) als spezifischer
Erreger des Pankreassaftes und der Galle [Brüns (94) und Klodnitzky (100)]. Auf
diese Weise kann das Oelfrühstück mehr als dasjenige von Boas-Ewald das Ein¬
treten des Pankreassaftes und der Galle in den Magen befördern, weil es eben die
reichliche Absonderung dieser Säfte bewirkt.
Die oben orwähnte zweifellose Abhängigkeit des Rückflusses des Pankreassaftes
in den Magen von dem Grade der Azidität des Mageninhalts stellt ein besonderes
Interesse dar im Vergleich mit den Ergebnissen Boldyrews (105), welcher dieselben
bei Experimenten an Hunden erhielt. Er hat gezeigt, dass wenn man in den Magen der
Hunde Säurelösungen eingiesst, welche, wie bekannt, energische Erreger der Aus¬
scheidung des Pankreassaftes sind [Dolinski (103), Popielski (106), Walter (63),
Krewer (107), bei dem Menschen mit einer Pankreasfistel Glässner (108), Wohl-
gemuth (109)] — 0,25—0,5 pCt. Salzsäure, so wie auch 1 pCt. Milchsäure, Essig¬
säure und Oelsäure — „ein so reicher Uebertritt des Pankreassaftes in den Magen
erfolgt, dass sogar der Typus der Pepsin Verdauung des Eiweisses sich verändern
und einem Trypsintypus gleichen kann; zugleich geht im Magen eine energische Zer¬
spaltung der Fette durch die Wirkung der Fermente des Pankreas- und Darmsaftes,
unterstützt dazu durch die Galle, vor sich; ausserdem ist eine Hydratation der Stärke
(ohne den Speichel) zu konstatieren — kurzum im Magen wird eine typische Darm¬
verdauung verrichtet 44 . Diese Sachlage wurde aber durch meine Untersuchungen an
Kranken nicht bestätigt. In der Tat enthielten von den superaziden Säften nach dem
Frühstück von Boas-Ewald 24 pCt. das Trypsin und von den subaziden 79 pCt.
Was diejenigen Säfte anbelangt, welche überhaupt keine freie Salzsäure enthielten,
so nach dem Frühstück von Boas-Ewald, war das Resultat positiv von 16 Fällen
in 13, d. h. in 81 pCt. und nach dem Oelfrühstück von 53—48, d. h. 91 pCt.; die
aohylischen Säfte, welche nach Gross auch das Pepsin nicht enthielten, gaben alle
positive Resultate. Es ist sehr interessant mit diesem Resultat das Quantum des
Trypsins in subaziden und superaziden Säften neben einander zu stellen. Im Gegen¬
satz zu den Ergebnissen Boldyrews gaben die subaziden Säfte, die farblosen wie
auch die gallig gefärbten, die grössten Trypsinquantitäten. Nach dem Frühstück von
Boas-Ewald enthielten die subaziden farblosen Säfte von 0,1 bis 5 tryptische Ein¬
heiten in 1 ccm,-obgleich dieses Quantum bei Magenachylie (Beobachtung 53 und 54)
bis 250 stieg; ferner die aziden farblosen von 0,1 bis 2, Maximum 10(Beobachtung 33);
und die superaziden von 0,1—0,25, Maximum 2 (Beobachtung 10). Nach dem Oel¬
frühstück liess sich in den subazigen farblosen Säften in 1 ccm von y i0 bis zu
1 tryptischen Einheit entdecken, in einzelnen Säften stieg aber dieses Quantum bis
25 und sogar bis 62,5. Viel grössere Trypsinquantitäton wurden in den Galle ent¬
haltenden Säften, besonders nach dem Oelfrühstück, gefunden. In den subaziden,
gefärbten Säften nach dem Frühstück von Boas-Ewald enthielt 1 ccm von 3,3 bis
250 tryptische Einheiten und in superaziden von 1 bis 5; die subaziden Säfte mit
einer winzigen galligen Färbung hatten in 1 ccm von 5 bis 25 Einheiten, mit einem
mittleren Inhalt der Galle von 3,3 bis 100 und bei starker Färbung von 125 bis 250.
Nach dem Oelfrühstück schwankte der Inhalt des Trypsins in subaziden mit Galle
gefärbten Säften von Vio bis 555. Diese Schwankungen standen hauptsächlich im
Zusammenhänge mit dem Inhalt der Galle: die schwach mit Galle gefärbten Säfte
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 477
hatten in 1 ccm hauptsächlich von 1 / 10 bis 3,3 Einheiten, obgleich in einem Fall
(Beobachtung 40) ich sogar 100 Einheiten beobachten konnte, die massig gefärbten
hatten von 33 bis 334, doch fanden sich zwischen ihnen (Beobachtung 25, 26, 31)
Säfte mit einem Inhalt von 1 / 2 und 17,1 Einheiten in 1 ccm; endlich die stark mit
Galle gefärbten Säfte enthielten im allgemeinen von 100 bis 555 Einheiten in 1 ccm,
obwohl man gerade hier folgende Zahlen finden konnte: 82,5 (Beobachtung 20), Vio
(Beobachtung 9), 1 (Beobachtung 68), 1,7 (Beobachtung 27) tryptische Einheiten.
Auf diese Weise enthalten die subaziden Säfte öfter das Trypsin und auch in grösseren
Quantitäten, besonders aber nach dem Oelfrühstück und gleichzeitigen Inhalt der Galle.
Bei der Abwesenheit der freien Salzsäure im Safte wird das Vorkommen des Trypsins
öftor und das Quantum desselber grösser. So schwankte in farblosen Säften ohne
freie HCl das Trypsinquantum von Yio bis 25 Einheiten in 1 ccm, wobei es in einem
Fall bis auf 62,5 stieg (Beobachtung 48) und in einem anderen bis auf 250 (Beob¬
achtung 87); in schwach mit Galle gefärbten Säften schwankte das Quantum von
Yj bis 14,3 Einheiten, in einem Fall stieg es bis auf 100 (Beobachtung 40); in mässig
gefärbten Säften betrug das Quantum 50—334 Einheiten, in einem Fall von Gastritis
mit Leberhyperämie konnten (Beobachtung 25) bloss l,7Einheiten aufgefunden werden:
und endlich in stark mit Galle gefärbten Säften Hessen sioh 100—555 Einheiten nach-
weisen, mit Ausschliessung eines Falles von Diabetes mellitus mit Vio Einheit in
1 ccm (Beobachtung 84). Besonders hohe Zahlen für Trypsin erhielt ich in achy-
lischen Saften: nach dem Oelfrübstück erwiesen sich in denselben .von 500 bis 555
Einheiten in 1 ccm (Beobachtung 52, 53, 54). Die achylischen Säfte waren stark
gefärbt mit Galle; aber ein hoher Trypsingehalt war auch in farblosen achylischen
Säften nach dem Frühstück von Boas-Ewald zu bemerken; wenigstens zwei von
denselben enthielten in 1 ccm bis zu 250 Einheiten (Beobachtung 53, 54).
Nachdem das Verhältnis zwischen dem Rückfluss des Pankreassaftes in den
Magen und der Gesamtazidität des Mageninhaltes aufgeklärt war, war es sehr inter¬
essant, die Wirkung der künstlichen Herabsetzung der Azidität des Mageninhalts auf
das Vorkommen des Trypsins in demselben zu verfolgen. Zu diesem Zweck habe ich
bei 38 Personen mit meistenteils superazidem Saft die Methode von Lewinski an¬
gewendet, ich reichte nämlich den Kranken vor dem Oelfrühstück und 20 Minuten
nach demselben einen halben Teelöffel Magnesia usta. Es zeigte sich, dass, im
Gegensatz zu Lewinski, welcher bei der Anwendung seiner Methode positives
• Resultat für Trypsin in 100 pCt. bekam, die Neutralisation des Mageninhalts nicht
immer zu positiven Erfolgen führt. Von den 38 Säften, welche ich in dieser Richtung
studiert habe, enthielten das Trypsin bei oben genannten Bedingungen bloss 30,
d. h. 79 pCt. Bei denselben Kranken nach dem Oelfrühstück ohne Neutralisation des
Mageninhalts hatte ich das Trypsin in 24 Fällen bestimmt. Auf diese Weise erhöht
die Hinzufügung zu dem Oelfrühstück die Neutralisierung des Mageninhalts etwas die
Zahl der positiven Resultate bei der Bestimmung des Trypsins in dem Mageninhalt.
Am meisten betrifft dieses die Kranken mit superazidem Safte. In der Tat habe
ich von 19 Kranken, deren Magensaft nach dem Frühstück von Boas-Ewald
eine erhöhte Azidität darstellte, das Trypsin bloss bei 13 entdecken können,
dagegen aber bei der Vereinigung des Olivenöls mit der Neutralisation des Magen¬
inhalts bei 16. Auf das mehr oder weniger häufige Hereinfliessen der Galle in den Magen
hat die Neutralisierung des Mageninhalts keinen Einfluss ausgeübt. Wenn auf die
Neutralisierung des Mageninhalts die mehr oder weniger vorkommende Anwesenheit
des Trypsins im Mageninhalte nach dem Oelfrühstück sich erhöht, so zeigen anderer¬
seits meine Untersuchungen, dass keine so grosse Bedeutung in der Methode von
Lew in ski vorliegt, welcher behauptet, dass ein negatives Resultat bei seinem Ver¬
fahren entweder auf die anatomische Verletzung des Pankreas oderaufein organisches
Hindernis beim Rückfluss des Pankreassaftes in den Magen hindeutet. Die vor kurzem
veröffentlichten Ergebnisse von Koziczkowsky (110) sprechen ebenso gegen die
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4
478 WITOLD ORLOWSKI,
Auffassung Lewinskis. Die Fehlerhaftigkeit der Behauptung Lewinskis kommt
noch mehr zu Tage, wenn inan die Aufmerksamkeit darauf lenkt, dass in 2 von meinen
Fällen (Beobachtung 24,67), wo in dem Mageninhalt nach dem Frühstück von Boas-
Ewald Trypsin gefunden wurde, und in den 4 (Beobachtung 24, 67, 83 und
84), wo dasselbe nach dem Oelfrübstück vorgefunden wurde, ich bei der Neutrali¬
sierung der Mageninhaltes nach Lewinski negative Resultate erhielt.
Jetzt gehe ich zu der Uebersicht meiner Resultate des Trypsinnachweises in
Abhängigkeit von der Art der Erkrankung über. Ich habe bereits erwähnt, dass
besonders hohe Zahlen für das Trypsin, wie nach dem Oelfrühstück, so auch teil¬
weise nach dem Frühstück von Boas-Ewald, die achylischen Säfte gaben. Im
Gegensatz zu diesem Resultat hat das Ulcus tentriculi rotundum, welches den Ver¬
suchen Boldyrews gemäss eigentlich viel öfter die Anwesenheit des Trypsins zeigen
müsste, nach dem Frühstück von Boas-Ewald ein positives Resultat bloss in 45pCt.
und nach dem Oelfrühstück in 55pCt. gegeben. Diese Zahlen treten noch deutlicher
hervor, wenn man sich erinnert, dass der Mageninhalt nach dem Frühstück von Boas-
Ewald im allgemeinen 58pCt. und nach dem Oelfrühstück 81pCt. des positiven Re¬
sultats gab. Ausserdem liess sich in Fällen von Ulcus ventriculi rotundum, in weichen
nach dem Oelfrühstück der Mageninhalt eine niedrige Azidität darstellte, das Trypsin
in 57pCt. auffinden, dagegen aber haben alle subaziden Säfte nach dem Oelfrühstück
ein positives Resultat in 87pCt. gezeigt. In den positiven Fällen war das Quantum
des Trypsins nicht gross, nämlich von 1 / }Q bis 2 tryptische Einheiten in 1 ccm: bloss
in einem Falle (Beobachtung 8) stieg das betreffende Quantum nach dem Oelfrühstück
bis auf 25. Aus diesen Ergebnissen kann man ersehen, dass das Entstehen des Ulcus
ventriculi rotundum durchaus nicht auf den Uebertritt des Gemisches der Galle-
Pankreas-Darmsäfte zurückzuführen sei, wie das Boldyrew und andere tun.
Bei Gastroptosis bzw. Pyloroptosis konnte ein positives Resultat in allen Fällen
erzielt werden. Der Trypsininhalt wies hier nach dem Oelfrühstück meistenteils hohe
Zahlen — von 71 bis 334 — auf, obgleich in einem Falle (Beobachtung 20) derselbe
82,5 und in einem anderen (Beobachtung 19) Vio der Einheit in 1 ccm betrug. Dieses
häufige Vorkommen des Trypsins bei Gastroptosis bzw. Pyloroptosis wird wahrschein¬
lich durch die günstigeren Bedingungen für den Rückfluss des Darminhalts in den
Magen bei diesen Zuständen, als bei der gewöhnlichen Lage des Magens bedingt.
Bei Diabetes mellitus hatte ich nach dem Frühstück von Boas-Ewald das
Trypsin in dem Mageninhalt kein einziges Mal gefunden, im Gegenteil aber nach dem
Oelfrühstück wurde dasselbe entdeckt, obgleich in sehr winzigen Quantitäten, nämlich
von 1 / 10 bis 1 Einheit.
Von 4 Fällen von Carcinoma ventriculi, von denen 2 (Beobachtung 63, 64)
Metastase in der Leber waren, wurde das Trypsin im Mageninhalt bloss in 2 (Beob¬
achtung 62, 65) und auch nur nach dem Oelfrübstück bestimmt. Die negativen Re¬
sultate müssen entweder der möglichen Erkrankung des Pankreas (besonders in der
Beobachtung 63, wo im Kote kein Trypsin vorlag) oder den fermentativen Eigen¬
schaften des Blutserums, welche in letzter Zeit untersucht wurden, zugeschrieben
werden. Wie bekannt, haben noch Fermi mit Pernossi, Camus mit Gley,
Pugliese mit Coggi und Hahn gezeigt, dass das normale Blutserum antitryptische
Wirkung besitzt, was auch später durch Achalme, auch Jochmann mit Kanto-
rowicz (118) bestätigt wurde. Die Untersuchungen von Brieger und Trebing
(111) haben bewiesen, dass die antitryptische Wirkung des Blutserums bei Krebs¬
kranken stark erhöht ist, was wiederum nachher viele Verfasser bestätigt haben
[Poggenpol (112), Braunstein (113), Winogradow (114), Miesowicz mit
Maciag (115) u. a.]. Dieser Angelegenheit müssen vielleicht die negativen Resultate
der Trypsinbestimmung in manchen von meinen Fällen von Krebs zugeschrieben
werden, denn in 6 Fällen von meinen Magenkrebskranken konnte in dem Saft schon
makroskopisch das Blut bemerkt werden.
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 479
Bei Gastrektasie (6 Fälle) und nervöser Dyspepsie (7 Fälle) kam das Trypsin
in einer kleinen Zahl von Fällen und in winziger Quantität zum Vorschein. Uebrigens
ist die Zahl der von mir durchstudierten Fälle von dieser und jener Krankheit nicht so
gross, dass ich mir herausnehmen werde, etwaige Schlüsse daraus zu ziehen. Wenn
, bei weiteren Untersuchungen meine Ergebnisse in bezug auf diese Erkrankungen be¬
stätigt werden, so könnte man den Grund für die Gastrektasie in dem mechanischen
Hindernis für den Eintritt des Darminhalts in den Magen suchen und als Ursache bei
der nervösen Dyspepsie, den Experimenten von Bickel und anderen gemäss, die
funktionelle Insuffizienz des Pankreas betrachten.
Da unter meinen Kranken 17 solche waren, deren Magensaft sich schon bei
nüchternem Magen ausschied, so die Behauptung Boldyrews, dass auf nüchternem
Magen bei alkalischer Reaktion in manchen Fällen der Pankreassaft entdeckt werden
konnte, im Auge behaltend, war es sehr interessant nachzuforschen, ob solche Säfte
das Trypsin auch bei saurer Reaktion enthalten. Es erwies sich, dass von 34 Unter¬
suchungen in 11 (32pCt.) ein positives Resultat erzielt wurde, nämlich in allen Säften
mit mittlerer galliger Färbung, in 3 von 4 stark gefärbten, in 3 von 7 schwach ge¬
färbten und in 2 von 20 farblosen Säften. Es ist bemerkenswert, dass die Unter¬
suchung auf Trypsin in manchen Fällen trotz der hohen Gesamtazidität — nämlich
62, 68, 70 und 78 — ein positives Resultat zeigte (Beobachtung 2, 3, 22, 23): diese
Säfte enthielten ziemlich viel Galle.
Bevor ich zu den Ergebnissen, welche bei der Untersuchung des Kotes erhalten
worden waren, übergehe, werde ich noch das Verhältnis zwischen den Quantitäten des
Pepsins und Trypsins im Mageninhalte in den von mir untersuchten Fällen behandeln. Es
genügt einen (tüchtigen Blick auf die Tabelle VI zu werfen, um überzeugt zu werden,
dass bei den meisten Fällen mit grossem Pepsingehalt im Magensafte eine winzige
Trypsinquantität beobachtet wird und auch umgekehrt. Aber eine volle Gesetzmässig¬
keit, wie sie von Molnar (116) beobachtet worden ist, konnte ich nicht feststellen,
so in Beobachtung 41 bei einer l j 5 peptischen Einheit nach dem Frühstück von Boas-
Ewald wurde das Trypsinquantum durch dieZahlö ausgedrückt, in der Beobachtung 42
bei einer 1 / 2 peptischen Einheit durch 17; in der Beobachtung 52, wo eine Apepsie
vorlag, wies das Trypsin bloss 5 Einheiten auf, in der Beobachtung 51 bei einer
V 2 peptischen Einheit konnte das Trypsin überhaupt nicht gefunden werden usw.
Es waren aber auch Fälle, wo bei einem genügenden Pepsinquantum der Saft auch
ziemlich viel Trypsin enthielt (Beob. 80 nach dem Frühstück von Boas-Ewald,
Beob. 73 nach dem Oelfrühstück u. andere).
Jetzt kommt die Behandlung meiner Untersuchungen an die Reibe, welche zum
Ziel hatten, die Frage von der Tauglichkeit des Trypsinnachweises in den Exkre¬
menten für die Klinik zu entscheiden. Alles in allem habe ich auf dem Wege der
oben beschriebenen Methodik 88 Exkremente studiert. Aus dieser Zahl haben ein
positives Resultat nach der Methode von Müller 72, d. h. 82 pCt. gegeben, nach der
Kaseinmethode aber 80, d. h. 91pCt. Auf diese Weise geben diese beiden Methoden die
Möglichkeit das Trypsin im Kote bei ein und demselben Kranken viel öfter aufzu¬
finden, als in dem Mageninhalte, welcher nach dem Frühstück von Boas-Ewald, ja
sogar nach dem Oelfrühstück entnommen wurde. Im Verhältnis zu den Exkrementen
hat sich die Methode nach Gross, wie auch aus den angeführten Zahlen zu ersehen
ist, als eine empfindlichere als die Müll ersehe erwiesen, obgleich hier der Unter¬
schied auch nicht bedeutend ist, wie derjenige in bezug zu dem Magensaft.
Also aus meinen Untersuchungen ergibt sich, dass der Nachweis des Trypsins
in Exkrementen einen viel sichereren Weg für die Erklärung des Zustandes des
Pankreas, insofern mit ihm die Trypsinabsonderung verknüpft ist, darstellt, als
der Nachweis im Mageninhalt. Der hohe Wert des Vorschlages von Müller
kommt noch heller an den Tag, wenn man in Betracht nimmt, dass das Aufsuchen
des Trypsins im Mageninhalte mit einer für diejenigen, die so etwas zum ersten Mal
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durchmachen, unangenehmen Prozedur der Einführung der Sonde in den Magen ver¬
knüpft ist. Besonders wertvoll ist die Methode dort, wo die Einführung der Sonde
nicht stattfinden kann, z. B. bei Aortenaneurysma, unlängst geschehenen Blutungen,
Schwangerschaft, stark ausgeprägter Arteriosklerose. Uebrigens die Untersuchung der
Exkremente hat auch gewisse Unbequemlichkeiten: Die vorhergehenden Vorbereitungen, ♦
welche mit einer genügenden Darmentleerung verknüpft sind, haben hier eine viel
grössere Kompliziertheit; die Untersuchung selber nimmt den Forscher vielmehr in
Anspruch, w r eil die Entleerung des Darmes bei verschiedenen Personen nach ver¬
schiedener Frist geschieht, in meinen Untersuchungen von iy 2 —6 Stunden; die ge¬
wonnenen Exkremente sind nicht nur bei verschiedenen Personen, sondern auoh
bei einer und derselben bei wiederholten Untersuchungen in verschiedenem Grade
wässerig; die Filtration der Exkremente dauert auch längere Zeit. Trotzdem aber
lassen die Resultate meiner vergleichenden Untersuchungen keinen Zweifel, dass das
Studium des Trypsins im Kote viel sicherer ist als das Studium des Mageninhaltes in
derselben Richtung.
Nach der vergleichenden Abschätzung der Vorschläge von Boldyrew und
Müller gehe ich über zur eingehenden Prüfung der erhaltenen Resultate bei dem
Aufsuchen des Trypsins im Kote. Schon bei einem Blick auf die Tabelle VI tritt klar
vor dieAugen, dass der Gehalt desTrypsins in filtrierten Exkrementen im allgemeinen
nicht sehr gross ist. Die grössten Zahlen, die ich erhielt, waren 167 (Beob. 10 u. 11)
und 200 (Beob. 54) in 1 ccm. Besonders interessant ist es, die Prozente der positiven
Resultate und die Quantitäten des Trypsins in 1 ccm der Exkremente mit dem Grade
der Azidität des Mageninhaltes bei denselben Personen nach dem Frühstück von
Boas-Ewald nebeneinander zu stellen. Dasselbe habe ich zur besseren Anschau¬
lichkeit in der Tabelle VII getan.
Tabelle VII.
Untersuchung nach der Kaseinmethode.
1
Zahl der Unter¬
suchungen !
Zahl der positiven
Resultate
pCt. der positiven
Resultate
Zahl der Fälle mit
einem Trypsingehalt
bis 20 Einheiten
in 1 ccm
pCt. der Fälle mit
einem Trypsingehalt
bis 20 Einheiten
in 1 ccm
Zahl der Fälle mit
einem Trypsingehalt
von mehr als 20 Ein¬
heiten in 1 ccm
pCt. der Fälle mit
einem Trypsingehalt
von mehr als 20 Ein¬
heiten in 1 ccm
Subaciditas. .
49
44
90
!
34
77
10
23
Aciditas . . .
14
14
100
9
64
5
36
Superaciditas.
21
21
100
8
38
13
62
Tabelle VIII.
Untersuchung anf den Müllerschen Platten.
Zahl der Unter-
suchungen ^
Zahl der positiven
Resultate
pCt. der positiven
Resultate
Zahl der Fälle mit
einem Trypsingehalt
bis 2 Einheiten
in 1 ccm
pCt. der Fälle mit
einem Trypsingchalt
bis 2 Einheiten
in 1 ccm
Zahl der Fälle mit
einem Trypsingehalt
von mehr als 2 Ein¬
heiten in 1 ccm
pCt. der Fälle mit !
einem Trypsingehalt 1
von mehr als 2 Ein- 1
heiten in 1 ccm 1
1
Subaciditas. .
49
40
82
30
75
10
25
Aciditas . . .
14
12
86
7 |
58
5
42
Superaciditas.
21
20
95
10
i
50
10
50
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 481
Nicht weniger anschauliche Resultate habe ich auch bei der Untersuchung des
Kotes auf den Müll ersehen Platten erhalten (Tab. HI); diese Resultate schliessen
ganz und gar jede Möglichkeit der Einwirkung des Erepsins aus.
Aus diesen Tabellen kann man ersehen, dass zwischen dem Aziditätsgrade des
Mageninhaltes oder dem mehr oder weniger öfteren Vorkommen, gleichwie das Quan¬
tum des Trypsins im Kote boi ein und demselben Kranken eine gerade Abhängigkeit
existiert, nämlich bei Personen, deren Magensaft bedeutend saurer ist, wird das Trypsin
öfter und auch in grösserer Quantität aufgefunden, als bei einer erniedrigten Azidität
des Mageninhaltes. Dieser Umstand stimmt vollständig mit der bei Hunden mit einer
Pankreasfistel festgestellten Tatsache, dass die Säuren energische Erreger des Pan¬
kreassaftes sind. Diese meine Ergebnisse gewinnen ein grosses Interesse in bezug auf
diejenigen Beschlüsse, zu welchen in letzter Zeit Ehrmann und Lederer (117) ge¬
kommen sind. Dieselben Verfasser, das Trypsin öfter und auch in grössten Quanti¬
täten in subaziden, anaziden und achylischen Magensäften beobachtend und dasselbe
Ferment bloss selten bei Superazidität antreffend, hielten es für notwendig, die Rich¬
tigkeit der Auffassung der Salzsäure als eines spezifischen Erregers des Pankreas¬
saftes stark zu bezweifeln. Nach ihrer Meinung ist die Salzsäure kein adäquater Er¬
reger der Bauchspeicheldrüse; sie ruft nur reflektorisch die Absonderung einer alka¬
lischen Flüssigkeit hervor, welche zum Schutz des Darmes gegen die reizende Wirkung
der Salzsäure bestimmt ist. Diese Auffassung wird aber durch die in den Tabellen VII
und VIII angeführten Resultate meiner Untersuchungen über das Trypsin widerlegt.
Ehrmann und Lederer (117) weisen auf das häufige Vorkommen des Trypsins bei
erniedrigter Azidität des Mageninhaltes und auf die seltene Anwesenheit desselben bei
der erhöhten hin; diese Fakta wurden auch in meinen Untersuchungen erörtert, aber
sie fanden eine andere oben angeführte Erklärung. Es muss aber bemerkt werden,
dass, trotz aller Erwartung, ich das Trypsin in allen Fällen von Magenachylie ge¬
funden habe und zwar in ziemlich bedeutenden Quantitäten, nämlich 1 ccm der Ex¬
kremente enthielt 33,4 (Beob. 52), 62,5 (Beob. 53) und 200 (Beob. 54) tryptische
Einheiten. Dieser Umstand ist durch die erhöhte Darmperistaltik meiner Achyliker zu
erklären, infolgedessen konnte das Trypsin nicht genügend von dem Dünndarm resor¬
biert werden oder sich ganz zersetzen. Wenn das auch nicht wäre, der hohe Gehalt
an Trypsin in den Exkrementen der Achyliker muss aber doch angemerkt werden.
Besonders belehrend ist einen Vergleich zu ziehen zwischen dem Gehalt des Trypsins
im Kote der Achyliker mit demselben Gehalt im Kote derjenigen Kranken, deren
Magensaft nach dem Frühstück von Boas-Ewald keine freie Salzsäure enthielt.
Aus 17 hierauf Bezug habenden Exkrementen habe ich das Trypsin in 14 Fällen ge¬
funden, wobei in 8 d. h. in 57 pCt. dasselbe 10 Einheiten in 1 ccm nicht über¬
stieg; in anderen schwankte die Zahl bis 33 und bloss in einem Falle betrug das
Trypsinquantum 50 (Beob. 41) und in einem anderen 55,5 (Beob. 87) Einheiten.
Die Ergebnisse, welche ich bei den Kranken mit Ulcus ventriculi rotundum er¬
hielt, sind nicht weniger interessant. Alle elf von mir untersuchten Kranken dieser
Art gaben bei der Untersuchung auf Trypsin in Exkrementen ein positives Resultat.
Abgesehen davon, dass in dieser Zahl 5 Kranke mit Superaziditas und 4 mit Aziditas
waren, stieg in 7 Fällen der Trypsingehalt nicht über 20 Einheiten in 1 ccm des Kotes,
und nur in 3 Fällen konnten grosse Zahlon beobachtet werden, nämlich in Beob¬
achtung 10 und 11 zu 167 Einheiten und in der Beobachtung 4 62 Einheiten. Die
grössten, 167 tryptische Einheiten stimmten mit der höchsten Azidität der Magensäfte,
welche 88 (Beob. 10) und 99 (Beob. 11) betrug, überein. Eine volle Gesetzmässigkeit
aber in den Verhältnissen zwischen dem Aziditätsgrade des Magensaftes und dem
Quantum des Trypsins in Exkrementen konnte ich jedoch bei Ulcus ventriculi rotundum
nicht beobachten, so in der Beobachtung 9 bei der Gesamtazidität 48 waren 13,4 tryp¬
tische Einheiten, in der Beobachtung 4 bei allgemeiner Azidität 55—62,5 Einheiten,
in Beobachtung 6 bei der Azidität 56 167 Einheiten, und in der Beobachtung 8 war
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trotz der Superazidität der Inhalt des Trypsins in den Exkrementen vergleichsweise
gering (13,4); obgleich in diesem letzten Falle eine positive Benzidinreaktion auf Blut
im Kote erhalten wurde, kann man doch nicht den kleinen Gehalt des Trypsins im
Kote mit diesem Umstande verknüpfen, weil die antitryptischen Eigenschaften des
Blutserums überhaupt als sehr gering erscheinen. Die allerwenigsten Trypsinquanti¬
täten im Kote, welche ich bei Ulcus ventriculi rotundum beobachten konnte, waren 5
(Beob. 1) und 12,5 (Beob. 5) tryptische Einheiten in 1 ccm. *
Alle Kranken mit Krebs ausser einem (Beob. 64), gaben negative Resultate.» Da
aber bei manchen von ihnen auch die Nachforschungen nach Trypsin im Mageninhalte
erfolglos blieben, so tritt die Frage auf, ob der Magenkrebs in diesen Fällen nicht
zusammen mit einer Affektion des Pankreas verlief. Andererseits konnte ein negatives
Resultat durch das Eintreten des Blutes in den Magen hervorgerufen worden sein,
was auch wirklich in diesen Fällen stattfand und von mir bereits erörtert wurde.
Von 16 Fällen mit Darmatonie gaben 15 ein positives Resultat, wobei in 6 von
ihnen (43 pCt.) der Trypsininhalt in 1 ccm Kot das Quantum von 10 tryptischen Ein¬
heiten nicht überstieg; die grösste Zahl bei dev Darmatonie war 50 Einheiten in lccm
(Beob. 68 und 72). Von 4 Fällen von Diabetes mellitus habe ich in einem (Beob. 82)
ein negatives Resultat erhalten; in drei anderen betrug der Gehalt des Trypsins eine
halbe (Beob. 31), 25 (Beob.83) und 83 (Beob.) Einheiten. In einem der Fälle (Beob.82),
wo in dem nach dem Oelfrühstück entnommenen Mageninhalt das Trypsin sich in einer
Quantität von einem Fünftel einer Einheit bestimmen liess, gaben die fünfmal unter¬
nommenen Untersuchungen auf Trypsin im Blute beständig negative Resultate. Solch
ein Ergebnis der Untersuchung konnte vielleicht von der verhältnismässig späten (nach
6 Stunden) Entleerung des Darmes, trotz der Einnahme des Glaubersalzes, abgehangen
haben.
Indem ich jetzt das Studium der von mir bei der Untersuchung des Kotes auf
Trypsin erhaltenen Resultate beendige, halte ich es für notwendig, darauf hinzu weisen,
dass ein negatives Resultat der einmaligen Untersuchung noch kein Recht gibt, einen
Schluss auf schwere Affektion der Bauchspeicheldrüse zu ziehen; so habe ich in
der Beobachtung 41 bei der ersten Untersuchung ein negatives Resultat erhalten, nach
der zweiten aber, welche 2 Wochen später unternommen wurde, erwies sich ein be¬
deutendes Quantum des Trypsins, nämlich 50 Einheiten in 1 ccm. Einmaliges nega¬
tives Resultat boi der richtigen Aufstellung der Beobachtung (bei genügend schneller
Darmentleerung) kann für die zeitweilige funktionelle Insuffizienz desPankreas sprechen.
Dieser Umstand ist auch als Ursache negativer Resultate bei wiederholten Unter¬
suchungen anzusehen, besonders in den Fällen, wo vermittels der Untersuchung des
Mageninhaltes oder des Kotes endlich die Anwesenheitdes Trypsins entdeckt werden kann.
Wenn ich alle meine Untersuchungen zusammenfasse, so komme ich zu folgenden
Schlüssen:
1. Alien Verfahren für die Bestimmung des Trypsins ist die Methode von Gross
vorzuziehen.
2. Bei der Verlängerung der Verdauungszeit bis 24 Stunden erhöht sich die Emp¬
findlichkeit der Grossschen Methode bedeutend.
3. Das Trypsin unterliegt nicht dem Gesetze von Schütz-Borissow, sondern
dem Gesetz der geraden Proportionalität im Verhältnis zu der Zeit und dem
Quantum des Fermentes.
4. Das Trypsin kann im Mageninhalte, wie auch in Exkrementen gefunden werden.
5. ln Exkrementen lässt sich das Trypsin öfter nachweisen, als im Mageninhalt.
6 . Bei dem Aufsuchen des Trypsins im Mageninhalt ist das Oelfrühstück dem
Frühstück von Boas-Ewald vorzuziehen. r
7. Die subaziden Säfte enthalten das Trypsin viel öfter als die aziden und super-
aziden; dieser Unterschied tritt dann besonders starkauf, wenn die Säfte keine
Galle enthalten.
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 483
8 . Die galligen Säfte weisen das Trypsin öfter auf als die farblosen.
9. Säfte, welche durch die Galle stark gefärbt sind, enthalten das Trypsin öfter
und in grösserer Quantität, als diejenigen, welche einen kleinen Gehalt an Galle
besitzen.
10. Das öftere Vorkommen des Trypsins im Magensafte nach dem Oelfrühstück von
Boas-Ewald wird hauptsächlich durch die niedrigere Gesamtazidität des
Mageninhaltes und die öftere Beimischung der Galle naoh dem Oelfrühstück her¬
vorgerufen.
11. Der Vorschlag Lewinskis, den Mageninhalt vor und nach dem Oelfrühstück
zu neutralisieren, erhöht etwas die Zahl der Trypsinbefunde im Mageninhalte,
besonders wenn eine erhöhte Azidität desselben vorliegt; doch haben die
Resultate solcher Untersuchung sogar im Verhältnis zu sauren Säften keine ent¬
scheidende Bedeutung, wie das Lewinski annimmt.
12. Zwischen den Quantitäten des Pepsins und Trypsins in Magensäften ist meisten¬
teils eine bestimmte Gesetzmässigkeit zu beobaohten.
13. Bei Magenachylie enthalten der Kot wie auch der Mageninhalt grosse Trypsin¬
quantitäten.
14. Bei Ulcus ventriculi rotundum ist die Zahl der Fälle mit Anwesenheit des
Trypsins im Mageninhalt herabgesetzt; sein Quantum im Mageninhalt wie auch
im Kot ist gering.
15. Bei Gastroptosis resp. Pyloroptosis sind grosse Trypsinquantitäten zu beob¬
achten, bei Gastrektasie und nervöser Dyspepsie sind dieselben aber unbe¬
deutend.
16. Bei Darmatonie sind die Trypsinquantitäten im Kote meistenteils gering.
17. Die mehr oder weniger häufige Anwesenheit des Trypsins, sowie die Quanti¬
täten desselben im Kote, stehen in einem gewissen Verhältnis zu der Gesamt¬
azidität des Magensaftes, obgleich hier eine Gesetzmässigkeit nicht immer zu
beobachten ist; die grössten Abweichungen gaben in dieser Beziehung die Ex¬
kremente der Kranken mit Achylie und Ulcus ventriculi rotundum.
18. Bei negativen Resultaten des Trypsinbefundes im Mageninhalt müssen die
Exkremente auf Trypsin untersucht werden wie auch umgekehrt.
19. Das negative Resultat der einmaligen Untersuchung des Mageninhaltes wie auch
des Kotes, gibt noch kein Recht, eine bedeutende Affektion des Pankreas an¬
zunehmen; ausser zufälligen Ursachen konnte ein solches Resultat durch die
zeitweilige funktionelle Insuffizienz hervorgernfen worden sein.
Also die Tatsache des Rückflusses des Gemisches der Verdauungsflüssigkeiten,
welche normalerweise sich in den Darm ergiessen, in den Magen, gleichwie auch die
Möglichkeit der Auffindung des Trypsins im Kote sind jetzt festgestellt. Welche Be¬
deutung aber gewinnen diese Angelegenheiten für die Klinik? Eine volle Beleuchtung
dieser Frage ist nur dann möglich, wenn das Studium des Trypsingehaltes im Kote
und Mageninhalte an einem grossen klinischen Material unternommen wird, besonders
in den Fällen, wo die Affektion des Pankreas durch andere Untersuchungsmethoden
oder durch Autopsia in vivo seu post mortem festgestellt sein wird. Leider lagen in
meinem Material keine zweifellosen Fälle von Erkrankung der Drüse vor. Sehr spärlich
sind dieselben auch in Mitteilungen, welche in letzter Zeit in betreff dieser Frage in
der Literatur erschienen sind. Doch aber schon heutzutage kann man aus meinen und
anderen Literaturangaben manche wesentliche Schlussfolgerungen für die Klinik
machen.
Das Studium meiner Beobachtungen, wie ich das auch früher erwähnt habe,
führt uns zu dem Schlüsse, dass man sich in keiner Weise bei negativen Resultaten
des Trypsinnachweises im Mageninhalte und Kote auf eine einmalige Untersuchung
beschränken kann, sondern es ist unbedingt nötig, dieselben wiederholt vorzunehmen.
Die negativen Resultate bei der Untersuchung des Mageninhaltes können nicht nur,
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484 WITOLD ORLOWSKI,
wie das Mohr annimmt, von der Erkrankung des Pankreas abhängen, sondern auch von
den mechanischen Hindernissen für den Rückfluss des Pankreassaftes in den Magen,
wie das meine Beobachtung 13 und die Beobachtungen von Lewinski, Molnar und
Koziczkowsky zeigen. In solchen Pallen können die Untersuchungen des Kotes ein
helles Licht auf den Zustand der Bauchspeicheldrüse werfen: so in der Beobachtung 13,
wo 4mal nach dem Oelfrühstück untersuchter Mageninhalt negative Resultate aufwies,
Hessen sich im Kote verhältnismässig grosse Trypsinquantitäten (55,5 Einheiten) ent¬
decken. Die negativen Resultate des Trypsinnachweises im Kote trotz der wieder¬
holten Untersuchungen zeigen, im Gegensatz zu Müller und Schlecht, nicht immer
die Anwesenheit einer schweren Erkrankung des Pankreas oder Verstopfung seiner
Ausfübrungsgänge an. Bevor man auf Grund dessen einen bestimmten Schluss
zieht, muss man sich, wie das die Beobachtung 82 zeigt, zu dem Studium
in derselben Richtung des Mageninhaltes nach dem Oelfrühstück wenden; dasselbe
Studium, wie das in der angeführten Beobachtung auch stattfand, kann positive
Resultate geben. Solche Zusammensetzung der Resultate der Untersuchung des Kotes
und des Mageninhaltes hängen in meiner Beobachtung wahrscheinlich von der ver¬
zögerten Darmentleerung ab, was eine volle Absorption des Trypsins in dem Dünn¬
darm bewirken konnte. Es kann aber auch angenommen werden, dass eine solche
Zusammensetzung als Resultat einer verstärkten Zersetzung des Trypsins im Darm
bei starker Entwickelung der Bakterien oder einer Umwandlung in eine inaktive Abart
bei der Verhinderung der Darmentleerung erfolgen konnte. Aber auch die negativen
Resultate des Trypsin nach weises wie im Mageninhalte, so auch im Kote, trotz der
wiederholten Untersuchungen, geben noch kein Recht zu etwaigen Schlussfolgerungen
überdie organischen Veränderungen des Pankreas zu kommen, so in der Beobachtung29,
wo der Mageninhalt nach dem Oelfrühstück auf das Trypsin 5mal und der Kot 4mal
geprüft wurden, habe ich beständig negative Resultate erhalten, obgleich der Kranke
ein junger Mensch war, ohne jegliche Veränderungen in den inneren Organen, ohne
Hinweise auf schwere und ansteckende Krankheiten in der Vergangenheit, welche
etwaige Veränderungen in der Bauchspeicheldrüse hervorrufen könnten, nein, er litt
bloss an Neurasthenie und dadurch bedingter Darmatonie. Ein solches negatives
Resultat bei wiederholter Untersuchung des Kotes und des Mageninhaltes auf Trypsin
kann keineswegs in jedem Falle zu der Annahme von der organischen Erkrankung
des Pankreas führen, sondern nur auf die funktionelle Insuffizienz der Drüse hindeuten.
Der Grund zu diesen Gedanken lag, wenigstens in meiner Beobachtung, in der be¬
deutenden Neurasthenie des Kranken, welche, den Behauptungen von Bickel und
anderen Verfassern gemäss, einen Einfluss auf die funktionelle Fähigkeit des Pankreas
auszuüben vermag.
Jetzt gehe ich zu der Abschätzung der positiven Resultate bei dem Studium des
Trypsins im Mageninhalte und Kote über. Solche Resultate zeigen selbstverständlich
an, dass die Bauchspeicheldrüse ihr Trypsinabsonderungsvermögen bewahrt hat, be¬
sonders in den Fällen, wo die Trypsinquantitäten im Kote und Mageninhalte gross
waren. Ob wir aber das Recht haben in den Fällen einer geringen Trypsinmenge im
Mageninhalte und Kote zu behaupten, dass das Pankreas vollständig gesund und un¬
betroffen sei, oder dass wir auf Grund solcher Resultate das Recht bekämen, die par¬
tiellen Erkrankungen der Drüse auszuschliessen, — diese Fragen zu beantworten, bin
ich noch nicht imstande. Zur Entscheidung dieser Frage müssen Kranke mit zweifel¬
loser Erkrankung der Drüse einem sorgfältigen Studium unterworfen werden.
Die Aufdeckung des Trypsins im Mageninhalte schliesst die Anwesenheit der
Stenose des Pylorus durchaus nicht aus. Dafür sprechen die Beobachtungen von
Lewinsky, Molnar, Ehrmann mit Lederer und von mir (Beob. 12, 14, 15 u. 34).
Eine solche Erscheinung wird dadurch hervorgerufen, dass die Stenose des Pylorus
nicht immer ein unüberwindliches Hindernis für den Rücktritt des Inhaltes des Duo¬
denums in den Magen darstellt. In manchen Fällen, wo die Stenose hervorgerufen
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 485
wird durch besondere Rigidität des Pylorus (Einhorn), welche einen völligen Schluss
desselben ganz unmöglich macht, sind die Bedingungen für den Rückfluss des Darm¬
inhaltes in den Magen sogar viel günstiger.
Die Tatsache des Rückflusses des Darminhaltes in den Magen hat eine wesent¬
liche Bedeutung für die richtige Abschätzung der sekretorischen und motorischen Er¬
scheinungen des Magens, besonders aber in solchen pathologischen Prozessen, wo
ein solcher Rücktritt oft und in grosser Quantität beobachtet wird. In der Tat, es
unterliegt keinem Zweifel, dass der Rückfluss des alkalischen Darminhaltes auf die
Azidität des Magensaftes, wie auch auf das Pepsinquantum in demselben eine Wirkung
ausüben muss, besonders, wenn die aus dem Duodenum in den Magen eingetretenen
Massen reich an Galle sind. Je nach der Menge des beigemischten Darmsaftes ist
augenscheinlich bei wiederholten Untersuchungen ein grosses Schwanken des Aziditäts¬
grades des Magensaftes und des Trypsingehaltes in demselben zu erwarten.
Manche Fälle von Magenheterochylie, welche nach Hemmeter immer einen
nervösen Ursprung besitzt, sind zweifellos durch diesen Umstand hervorgerufen
worden. Auf diese Weise muss der Rückfluss des Darminhaltes in den Magen bei der
Untersuchung des Magensaftes, besonders bei Gastroptosis und Magenachylie, stets
im Auge behalten werden. Derselbe Umstand kann auch die Schnelligkeit der Magen¬
entleerung wesentlich beeinflussen, welche grösstenteils von dem Aziditätsgrade des
Magensaftes abhängt. Ferner bewirkt dieser Umstand auch die Resultate der Unter¬
suchung der motorischen Fähigkeit des Magens nach der Salolmethode und bringt
eine neue unbekannte Grösse in die allgemein angenommene Formel von Jaworski-
Mathieu-Rämond herein, in die Formel, laut welcher man das Quantum des Magen¬
inhaltes im Moment der Ausheberung des Magensaftes auszurechnen pflegt. In der
Tat, in den Fällen, wo eine bedeutende Verminderung der Gesamtazidität des Magen¬
saftes infolge Verdünnung desselben durch in den Magen cingegossenes destilliertes
Wasser den Rückfluss des alkalischen Darmgemisches in den Magen zur Folge hat,
100 GA
wird diese Formel — X = Q — A * - in die folgende modifiziert — X = Q -j-
(100 + a) GA,
GA X
, wo X die gesuchte Grösse ist, Q das Quantum des erhaltenen Magen-
GA — GA,
saftes, GA die Gesamtazidität desselben, GA* die Gesamtazidität des Magensaftes nach
seiner Verdünnung durch das in den Magen eingegossene destillierte Wasser, und
endlich a das Quantum des in den Magen eingetretenen Darminhaltes. Da die Grösse
a in dieser Formel nicht bestimmt werden kann, ist augenscheinlich selbst in den
Fällen, wo nach der Ausheberung des Magensaftes und nach dem Hineingiessen des
destillierten Wassers ein Rücktritt des Darminhaltes in den Magen stattfand, nicht
anzuwenden. Dasselbe ist in den Fällen zu sagen, wo der Magensaft das Trypsin
nicht enthält, aber nach Hineingiessen des destillierten Wassers in den Magen der
verdünnte Saft dasselbe aufweist. Der Rücktritt des Darminhaltes in den Magen ist
dann noch leichter anzunehmen, wenn der ursprüngliche Saft farblos ist, und der er¬
haltene nach dem Hineingiessen des Wassers durch die Galle gefärbt ist.
Wenn man alles Gesagte in Betracht zieht, so kommt man zum Schluss von der
Untauglichkeit einer jeglichen Fett enthaltenden Probenahrung für das Studium der
Magensaftabsonderung, z. B. der Probesuppe naoh Sahli, weil eben eine solche
Nahrung den Rückfluss des Darminhalts in den Magen begünstigt.
Die quantitative Bestimmung des Trypsins ist meinen Untersuchungen gemäss
von untergeordneter Bedeutung. Gewiss, die grossen Quantitäten des Trypsins geben
ein Zeugnis ab von der Unversehrheit des Pankreas. Viel öfter aber hat man mit un¬
bedeutenden Trypsinquantitäten im Mageninhalt wie auch im Kot zu tun, trotzdem
jegliche Hinweise auf die Affektion der Bauchspeicheldrüse bei der zu unter¬
suchenden Person gänzlich fehlen. Eine grössere Bedeutung hat meiner Meinung
nach die quantitative Trypsinbestimmung für das Studium der Magensaftabsonderung,
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486
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und zwar für die Beurteilung, inwieweit die in einem jeden einzelnen Falle für die
Magensaftabsonderung gewonnenen Ergebnisse infolge des Rückflusses des alkalischen
Darminhalts in den Magen herabgesetzt sind.
Aus allem Gesagten tritt klar hervor, welch einen enormen Wert die Unter¬
suchungen in Betreff dieser Frage für die Physiologie wie auch für die Klinik besitzen,
ln der Tat, diese Untersuchungen haben viel zu der Ausarbeitung einer richtigen Auf¬
fassung über den Gang der Verdauung im Magen und Darm beigetragen, haben uns
mit wertvollen Belehrungen in bezug auf das klinische Studium der funktionellen
Verrichtungen des Magens bereichert, ferner haben sie im wesentlichen manche von
unseren Auffassungen verbessert und eine neue Methode gegeben, mit dem Zustande
der Bauchspeicheldrüse vertraut zu werden. Obgleich die Resultate dieser Unter¬
suchungen auch nicht so entscheidend und pathognomonisch in Betreff der Er¬
krankungen des Pankreas sind, wie das Mohr, Lewinski, Müller und andere an¬
genommen haben, so bedeutet doch bei dem Mangel und der Unzuverlässigkeit der
Untersuchungsmethoden des Pankreas die Bestimmung seines Zustandes auf dem Wege
des Trypsinstudiums des Mageninhalts und Kotes einen zweifellosen Schritt vorwärts.
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Zum klinischen Studium der Trypsinabsonderungsfähigkeit des Pankreas. 489
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XXVI.
Aus dem Israelitischen Spital zu Odessa.
Zur Kasuistik der Erkrankung* des N. ulnaris nach
Unterleibstyphus.
Vob
Dr, B. M. Dolgopol.
Am Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts er¬
schienen in der Literatur Angaben über die Erkrankungen des peripheri¬
schen Nervensystems bei Typhus abdominalis. Deshalb wird dieser
Gegenstand in den neuesten Monographien, die dem Studium des Unter¬
leibstyphus und des Nervensystems gewidmet sind, diskutiert; es wird
hingewiesen, dass die peripheren Nerven, insbesondere die zerebrospinalen,
öfter als das Rückenmark selbst erkranken. Es handelt sich hier haupt¬
sächlich um Neuritiden. Je nach dem Grade und der Tiefe der Ver¬
änderungen im Nerven können als Folgen der Neuritis entweder schnell
vorübergehende Erscheinungen in Form von temporären Atrophien, Ab¬
schwächung der Sensibilität usw. auftreten, oder mehr stabile Atrophien,
die zu der atrophischen Paralyse einzelner Muskeln und Muskelgruppen
einer ganzen Extremität in Form von Paraplegien führen, oder bei
weiterer Ausbreitung kann die Neuritis den Charakter einer Polyneuritis
annehmen.
Wenn man früher eine Zeitlang solche ernsten Komplikationen, wie
Lähmungen, zu den Folgen der Veränderungen im zentralen Nervensystem
rechnete, so ist man in der letzten Zeit der Ansicht, dass nicht nur in
Fällen von schnell vorübergehenden Lähmungen, sondern auch bei stabilen,
von völliger Atrophie begleiteten Lähmungen, wie oben schon erwähnt
ist, die Quelle des Leidens doch das periphere Nervensystem ist.
Darauf, dass der Unterleibstyphus als ätiologisches Moment für mit¬
unter vorkommende periphere Lähmungen anzuschuldigeu ist, hat auch
Leyden in seinem Buche über Krankheiten des Rückenmarkes hin¬
gewiesen.
Nach der Fähigkeit, periphere Lähmungen hervorzurufen, räumt er
unter anderen Infektionskrankheiten dem Unterleibstyphus die zweite
Stelle ein. ln dieser Beziehung steht der Unterleibstyphus der Diphtherie
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Zur Kasuistik der Erkrankung des N. ulnaris nach Unterleibstyphus. 491
nach, die schon längst den Ruf einer Infektion, welche das periphere
Nervensystem befällt, genicsst.
Nicht alle Nerven erkranken bei Unterleibstyphus gleich oft. Oefter
werden Erkrankungen der Nerven der unteren Extremitäten beobachtet.
Die Lähmungen der Nn. ulnaris und medianus sind nach Curschmann
als einzelne Beobachtungen bekannt.
Die ersten Fälle von Lähmungen des N. ulnaris in der Literatur stammen von
Nothnagel, der im Jahre 1872 4 Fälle von Neuritis des N. ulnaris, die im Rekon¬
valeszenzstadium nach Unterleibstyphus während der Apyrexie aufgetreten sind, ver¬
öffentlicht hat. Diese Fälle wurden von ihm in der deutschen Armee während des
Krieges 1870/71 beobachtet. Nach dem Medizinal-Bericht über den Krieg stellte
sich heraus, dass unter 74205 Typhuskranken 134 Erkrankungen des Nervensystems,
wobei 5 Fälle von Ulnarislähmungen waren, konstatiert wurden.
Meyer hat einen Fall von Lähmung des N. ulnaris nach Unterleibstyphus be¬
schrieben, der mit sehr heftigen neuralgischen Sohmerzen begonnen hat und von
Muskelatrophie der Hand und des Unterarmes begleitet wurde.
Im Jahre 1878 veröffentlichte Bernhard im Deutschen Archiv für klinische
Medizin einen Fall von Lähmung und Atrophie im Innervationsgebiet beiderNn. ulnares,
die nach 3monatiger Faradisation und Galvanisation geheilt wurden.
Pitres und Vaillard erwähnen in einer umfangreichen Arbeit über die peri¬
pherischen Neuritiden, die im Verlauf des Unterleibstyphus und im Rekonvaleszenz¬
stadium auftreten, eine Beobachtung aus der Klinik Vulpians. Dort handelte es
sich um einen 58 Jahre alten Kranken, bei dem nach überstandenem schwerem Unter¬
leibstyphus eine Neuritis des linken N. ulnaris aufgetreten ist. Nach langdauernder
Behandlung ist der Kranke mit einer Abschwächung der taktischen und thermischen
Sensibilität, mit Verlust der elektrischen Erregbarkeit ohne irgend welche trophische
Störungen davongekommen.
In derselben Arbeit schildern die Autoren ihre beiden Fälle, welche sie bei
Typhuskranken im Rekonvaleszenzstadium zu beobachten Gelegenheit hatten, ln
beiden Fällen war die Folge der Neuritis eine Atrophie der vom Nerven versorgten
Muskulatur.
Im ersten Falle handelte es sich um einen 24 Jahre alten Sofclaten, Landmann
von Beruf, der im Juni 1884 an Unterleibstyphus erkrankte. Am 4. Tage nach dem
Temperaturabfall, d. h. am Anfang des Rekonvaleszenzstadiums, wurde eine Neuritis
des linken N. ulnaris konstatiert. Zum Teil wurde auoh der N. radialis vom dem
Prozess mitergriffen.
Den zweiten Fall haben die Autoren bei einem Sergeanten beobachtet, der im
November 1883 an Unterleibstyphus erkrankte. Der Unterleibstyphus dauerte nicht
lange, verlief aber sehr schwer, ln den ersten Tagen des Dezembers, i.e. am Anfänge
der Rekonvaleszenz, hat die Neuritis des N. ulnaris begonnen, die nach 1 —U /2 Jahre
zur Atrophie der von ihm versorgten Muskulatur führte.
Es verlief ein ganzes Jahrzehnt, ohne dass in der Literatur über dieses Leiden
irgend welche Mitteilungen erschienen sind. Nur im Jahre 1894 teilte Wolff einen
Fall von isolierter Lähmung bei einem 10jährigen Kinde mit, das einen schweren
Unterleibstyphus am Ende des Jahres 1893 durchgemacht hat. 1 1 / 2 —% Monate nach
dem Temperaturabfall merkten die Eltern des Kranken, dass er den Gebrauch des
rechten Armes mied, und wenn er den Arm benutzte, so tat er es ungeschickt.
Die nach 8 Wochen diesbezüglich vorgenommene Untersuchung hat eine isolierte
Lähmung des N. ulnaris mit Muskelatrophie festgestellt. Nach langdauernder und zur
Zeit der Mitteilung noch nicht vollendeter Behandlung wurde eine deutliche Neigung
zur vollen Wiederherstellung der Funktionen bemerkt.
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492
B. M. DOLGOPOL,
Im Jahre 1902 berichtete Liepelt, der Assistent von Prof. Zinn, über einen
Fall von Lähmung des N. ulnaris, der bei einem 20 Jahre alten Manne während des
Unterleibstyphus am Anfänge der Apyrexie mit nachträglicher Atrophie der Muskulatur
sich entwickelt hat. Liepelts Arbeit ist noch dadurch interessant, dass dort die
ganze Literatur, die bis zur Veröffentlichung seines Falles erschienen, gesammelt ist.
Im ganzen fuhrt er 16 Fälle an. Von den von uns noch nicht erwähnten Fällen
möchten wir seiner Arbeit noch 2 Fälle Handfords, 2 Remaks, 1 Whites und
1 Bernhards hinzufügen, welch letzterer Liepelt persönlich über seinen Fall mit¬
teilte, der im Jahre 1900 beobachtet wurde.
Vom Jahre 1902 bis jetzt sind uns weitere 8 Fälle von isolierter Lähmung des
N. ulnaris bekannt geworden, und zwar 2 Fälle von Aldrich, 1 Fall von Lloyd und
5 Fälle, die Dr. W. G. Lasarew in Kiew in der Klinik für Nervenkrankheiten von
Prof. M. N. Lapinski in der Epidemie des Jahres 1907 beobachtet hat. Hiermit er¬
schöpft sich die Literatur über diese Krankheit.
In Anbetracht einer so armen Kasuistik der erwähnten Art der Neuritis erlauben
wir uns auch unseren Fall zu veröffentlichen, den wir im Jahre 1908 im israelitischen
Spital zu Odessa beobachtet haben.
Am 10.7.1908 trat in meine Abteilung ein Kranker R., 22 Jahre alt, mit Klagen
über erhöhte Temperatur, die schon etwa eine Woche lang andauerte. Er beobachtete
selbst seine Temperatur, die abends auf 38—39° stieg. Hatte Frösteln. In der
Anamnese Wechselfieber. Ins Spital wurden schon viele Typhuskranken aufgenommen,
als Vorboten der im Herbst in Odessa gewöhnlichen Typhusepidemie. Bei der Unter¬
suchung fanden wir einen Patienten von gutem Ernährungszustand, sehr gut ent¬
wickelter Muskulatur, mit reinen Herztönen, massiger trockener Bronchitis, geringem
Meteorismus; im Ileo zökum deutliches Gargouillement, Puls 96, Milz vergrössert,
gut palpabel. Zunge belegt, feucht, Stuhlgang lmal am Tag. Vollkommene Appetit¬
losigkeit, bitterer Geschmack im Munde. Der Kranke fühlt sich wohl.
13. 7. Vorgestern eine Remission bis zu 37,5° C, morgens 37,7° C, Abend¬
temperatur etwa 39° C.
15. 7. Meteorismus deutlicher ausgeprägt, Puls 96, Temperatur steigt morgens
und abends.
18. 7. Roseolen ziemlich viel, an den Extremitäten kein Exanthem, gestern
Abend stieg die Temperatur bis 40,6° C, heute Morgen 38,8° C.
19. 7. Starker Meteorismus, Durchfälle, Puls 96. Subkutan Strychnininjektionen
ä 0,001 zweimal täglich.
20. 7. Während 3 Tage maximale Temperatur 39,6° C, phantasiert.
21. 7. Durchfälle, phantasiert, Puls 96.
22. 7. Darmblutung. Auf das Abdomen Eisblase, innerlich Opiumtinktur.
23. 7. War einmal Stuhl, der breiartig dunkelgefärbt aussah.
24. 7. Kein Stuhl, sehr schwerer Zustand, phantasiert; Puls sehr weich.
25. 7. Ohne Aenderung.
26. 7. Schwerer Zustand, wie früher. Subkutan — Analeptika — 01. camph.,
Koffein, NaCl ausser Strychnin, das ihm die ganze Zeit gereicht wird. Stuhlgang ohne
Blutspuren, Temperatur mit Remissionen.
27. 7. Gestern Abend stieg die Temperatur wiederum bis 40,1° C.
29. 7. Kleine Remissionen. Am Kreuzbein Dekubitus.
31. 7. Temperatur zeigt die Tendenz zum Sinken; eigentlich phantasiert er
nicht mehr, nur ist eine Abschwächung der geistigen Tätigkeit bemerkbar (dieser
Zustand dauerte nachher noch eine Woche und das Denken wurde wieder logisch; an
den Verlauf seiner Krankheit erinnerte er sich wenig).
2. 8. Lysis, Infiltration am linken Oberschenkel.
4. 8. Temperatur ist normal geworden.
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Zur Kasuistik der Erkrankung des N. ulnaris nach Unterleibstyphus. 493
5. 8. Am linken Oberschenkel eine grosse Phlegmone, wohl infolge der vielen
Injektionen von NaCl entstanden.
6. 8. Die Phlegmone vergrössert sich.
7. 8. Phlegmone inzidiert.
10. 8. Während der ganzen Woche stieg die Temperatur nicht über 37°. Der
Kranke nimmt an Kräften zu. Am linken Oberschenkel eine grosse Wunde, Folge
der inzidierten Phlegmone.
12. 8. Gestern Abend stieg die Temperatur bis 37,5° C.
13. 8. Temperatur sank wiederum. Der Kranke hat sich von den typhösen Er¬
scheinungen erholt, Appetit gut, Stuhlgang regelmässig; mit vollem Interesse beob¬
achtet er seine Umgebung.
15. 8. Parotitis dextra, Temperatur nicht erhöht.
17. 8. Die Infiltration in der Umgebung der Parotis nimmt zu.
18. 8. Die Infiltration nimmt bei normaler Temperatur fortwährend zu, Oedem
des rechten Auges. Die ganze Zeit auf der Infiltrationsstelle ein warmer Umschlag
aus Liqu. Burowii.
20. 8. Das Infiltrat ohne Veränderung, rings um dasselbe nimmt die pastöse
Beschaffenheit der Haut zu.
22. 8. Ohne Veränderungen.
24. 8. Die pastöse Beschaffenheit der Haut rings um das Infiltrat wird geringer.
Im Infiltrat selbst keine Veränderungen.
27. 8. Die Wunde am Oberschenkel granuliert gut. Das Oedem um das Infiltrat
ist deutlich geringer geworden.
29. 8. Das Infiltrat deutlich kleiner, die pastöse Beschaffenheit der Haut ver¬
schwand.
31. 8. In den letzten Tagen nahm die Infiltration rings um die Parotis deutlich
ab, ist fast verschwunden. Heute sagte der Kranke, dass er seit einigen Tagen in der
rechten Hand einige Ungeschicklichkeit verspüre. Schon bei der oberflächlichen Unter¬
suchung konnte man eine Abschwächung der Sensibilität in der llypothcnargegend
des 4. und 5. Fingers der rechten Hand und des Ulnarrandes des Unterarmes kon¬
statieren, eine Atrophie der Hypothenärmuskeln wird bemerkbar.
5. 9. Ohne Veränderungen.
7. 9. Die exakte Untersuchung der Sensibilität der rechten Hand hat fest¬
gestellt: die taktile Sensibilität ist herabgesetzt an dem Ulnarrand des Unterarmes
in der unteren Hälfte der Volarfläche in der Gegend des 5. Fingers und des Ulnar¬
teils des 4. Fingers. Eigentlich ist an denselben die Schmerzempfindung herab¬
gesetzt, aber nicht völlig verloren gegangen. Die Muskelkraft ist ziemlich gut er¬
halten. Dynamometerprüfung: rechts 20, links 30. Die thermische Sensibilität ist in
der Beziehung verändert, dass auf der kranken Seite eine grössere Empfindlichkeit
für Wärme bemerkbar ist. Die Umfangsmessung der Hohlhand an der Wurzel des
Daumens ergab an der rechten Hand 21 cm, an der linken 21,5 cm.
Elektrische Erregbarkeit für den
Faradisehen Strom
Galvanischen Str
M. ulnaris dexter ....
... 90
1,8 k>a
M. ulnaris sin.
... 97
1,2 -
M. flex. carpi uln. dextr. .
... 91
4,0 -
M. flex. carpi uln. sin. .
... 96
3,0 -
M. supin. 1. dexter ....
... 90
1,0 k > a
M. supin. 1. sin.
... 90
1,0 k > a
M. flex. poll. brev. dextr. .
... 60
6,0 k>a träge
M. flex. poll. brev. sin.
... 90
2,0 k > a
M. interosseus I dexter .
... 75
4,1 k > a träge
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B. M. DOLGOPOL,
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Fafradiscben Strom Galvanischen Strom
M. interosseus 1 sin. 95 2,0 k>a
M. interosseus V dexter. 80 4,1 k>a
M. interosseus V sin. 94 2,8 k>a
Der Kranke wurde am 11. Oktober aus dem Spital entlassen, indem er dort 3 Mo¬
nate und 1 Tag verblieben war und sich vollständig wiederhergestellt hatte. Noch
während des Aufenthaltes in dem Spital und dann nachher ca. 3 Wochen, wurde er
ambulatorisch mit dem galvanischen Strom in der Nervenabteilung des Spitals von
Dr. J. M. Raimist behandelt. Im Mai des Jahres 1909hatten wir dieGelegenheit den
Kranken, der an Angina erkrankte, wieder zu sehen. In der kranken Hand waren
auch Spuren von Atrophie nicht zu entdecken.
Wie in der Mehrzahl schon beschriebener Fälle entwickelte sich
auch in unserem Falle die Erkrankung des Ulnarnerven im Verlauf einer
schweren Form des Unterleibstyphus im Stadium der Rekonvaleszenz und
bald nach dem Abfall der Temperatur. Was die Aetiologie dieses Leidens
anbetrifft, so gehen die Ansichten darüber auseinander. Die alte Meinung,
dass das Exsudat im Neurilemm, plastischen oder serösen Charakters,
hier die Hauptrolle spiele, ist völlig verlassen worden. Auch ist die von
Bernhardt ausgesprochene Meinung wenig wahrscheinlich. Bernhardt
meinte nämlich, dass ganz mechanisch während des langdauernden Liegens
auf der Seite der Nerv gequescht werde. Lähmungen solcher Provenienz
sind selten von klinischen Erscheinungen und solch tiefgreifenden ana¬
tomischen Veränderungen im Nerven, die zur Atrophie der innervierten
Muskulatur führten, gefolgt. Und wenn man doch die hauptsächliche
Bedeutung der Quetschung zuschreiben wollte, so ist es unbegreiflich,
warum diese Erkrankungen im Rekonvaleszenzstadium auftreten, wenn
die Kranken nicht mehr besinnunglos sind und willkürlich ihre Lage im
Bette verändern können. Die neusten Anschauungen auf die Aetiologie
solcher Neuritiden sind der Wahrheit viel näher. Es ist bekannt, dass
jede Infektionskrankheit, eine akute wie chronische, ganz gleich, ob sie
von hoher oder mässig hoher oder gar normaler Temperatur begleitet
wird, zu Neuritis der peripheren Nerven führen kann. Unter diesen
Krankheiten, wie schon oben erwähnt, nimmt der Unterleibstyphus eine
der ersten Stellen ein. Es fragt sich nun, welcher Bestandteil des an¬
steckenden Virus auf den Nerven wirkt. Es steht fest, dass jede In¬
fektionskrankheit von spezifischen Mikroorganismen, die in den tierischen
Körper eindringen, hervorgerufen wird. Der Schaden, den sie dem Körper
zufügen, wird durch Gifte bedingt, die diese Mikroorganismen produ¬
zieren. Diese Gifte, wie alle anderen, vergiften den Organismus, speziell
das Nervensystem. In den organischen und anorganischen Giften, wie
Alkohol und Blei, haben wir Beispiele der toxischen Wirkung auf das
periphere Nervensystem. In Abhängigkeit von der Intoxikationskraft
können diese Neuritiden temporär sein, können aber auch dauerhaft
werden, und die Nervenfasern können die Fähigkeit der Regeneration
verlieren. Analoge Erscheinungen haben wir im Verlauf der Infektions-
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Zur Kasuistik der Erkrankung des N. ulnaris nach Unterleibstyphus. 495
krankheiten, wo die produzierten Gifte auf das periphere Nervensystem
ein wirken, und Neuritiden mit bald vorübergehenden, bald tiefen Ver¬
änderungen im Nerven hervorrufen.
Literatur.
1) Aldrich, The cases of paralysis of the ulnar nerve. Jahresber. über die
Fortsohr. d. ges. Med. 1906. — 2) Derselbe, A case of isolated neuritis compii-
cating typhoid fever. Ibidem. — 3) Bernhardt, Deutsches Arcb. f. klin. Med. 1878.
— 4) Curschmann, Nothnagels spezielle Pathol. u. Ther. Bd. 111. — 5) Leyden,
Klinik d. Rückentnarkskrankheiten. 1874. — 6) Lazareff, W., Wratshebnaja gazeta.
1908. Nr. 31. — 7) Meyer, zitiert naoh Leyden. — 8) Nothnagel, Die nervösen
Krankheiten des Abdominaltyphus. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 9. — 9)
Liepeit, Ulnarislähmung naoh Typhus abdominalis. Berl. klin. Woohenschr. 1902.
Nr. 27. — 10) Pitres et Vaillard, Neurites päriphöriques. Räv. de inöd. 1885.
11) Wolf, Ueber einen Fall von Ulnarislähmung nach Typhus abdominalis. Wiener
med. Presse. 1894. Nr. 46 u. 47.
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XXVII.
Lumbale Hypophysininjektiooen.
Von
Rudolf Hoffmann in München.
„Für die besondere Bedeutung des Hypophysenstieles kann die Tat¬
sache angeführt werden, dass die Durchtrennung desselben allein, selbst
wenn man die Hypophyse zurücklässt, ebenso rasch zum Tode führt, wie
die Totalexstirpation. Dieses von Pauleseo in einigen Versuchen fest¬
gestellte Ergebnis müssen wir vorläufig registrieren, ohne dass es uns
möglich wäre, eine Erklärung für dasselbe zu geben“, schreibt Biedl in
seinem Werke „Interne Sekretion“.
Es lässt sich eine nach meinem Ermessen stichhaltige Erklärung
dieses Phänomens geben:
Die histologische Untersuchung des Hypophysenstieles ergibt, dass er
nur Neurogliaelemente, also kein lebenswichtiges Organ enthält, dessen
Zerstörung den letalen Ausgang des Durchschneidungs Versuches erklären
könnte. Die Ursache des letzteren muss also in der Unterbrechung des
Zusammenhanges der Hypophyse mit dem dritten Ventrikel zu suchen sein.
(Die Eröffnung des dritten Ventrikels allein oder die bei der Operation
erfolgende Läsion der Hirnbasis führt nicht zum Tode.)
Nun zeigte aber Her ring 1 )) dass das hypophysäre Kolloid ein Pro¬
dukt des intermediären Teiles ist und durch das Infundibulum in den
dritten Ventrikel Übertritt. Mit diesem Befunde decken sich die späteren
Angaben von Schaefer 2 ) und Edinger 3 ).
Daraus darf wohl der Schluss gezogen werden, dass die Durch¬
schneidung des Hypophysenstieles deswegen zum Tode des Versuchstieres
führt, weil dadurch der Uebertritt des kolloiden Hypophysensekrets in
den Liquor cerebrospinalis unmöglich gemacht wird.
1) Quarterly journal of exp. physiology. 1908.
2) Akademische Buchhandlung. Bern 1911.
3) Wissenschaftl. Verein im städtischen Krankenhause Frankfurt. Sitzung am
7. 2. 1911. Ref. Fol. neurobiolog. 1911. Bd. 5. S. 780.
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Lumbale Hypopbysininjektionen.
497
Damit erklärt sich auch die merkwürdige Tatsache, dass der Aus¬
fall der Hypophyse nicht durch Implantation oder Verfütterung dieses
Organes ersetzt werden kann, wie dies bei der Thyreoidea der Fall ist:
das hypophysäre Kolloid muss direkt in den Liquor cerebrospinalis ab¬
gegeben werden.
In der französischen Literatur fand ich folgende Angabe von Gentes 1 ):
„Ce fait est confirme par l’anatomie comparee puisque le neurohypophyse
peut faire döfaut, tandisque la portion epitheliale ne manque jamais.
Chez les sölaciens 2 ), oü le lobe nerveux est absent, le lobe glandulaire est
trcs volumincux.“
Dieses Verhalten spricht dafür, dass der epitheliale Abschnitt der
Hypophyse den funktionell lebenswichtigen Teil der Drüse darstellt,
während das Infundibulum mit seinen Neurogliabalken die Verbindung
mit dem Hirn liefert, zwischen denen, man könnte sie mit den Rutenbündeln
eines Gradierwerkes vergleichen, das Sekret des epithelialenTeiles — wie
die Thyreoidea ein Derivat des Rachenepithels — in den Ventrikel tropft.
Zur Verfütterung und zur Darstellung von Extrakten wird demgemäss
der epitheliale Abschnitt zu benutzen sein. Das Pituitrin, welches aus
dem Infundibularteil hergestellt wird, enthält ein Mixtum compositum von
blutdrucksteigernden und -senkenden Komponenten (auf die Wirkung von
intravenösen Pituitringaben auf Puls und Blutdruck werde ich an anderer
Stelle eingehen.) Das kann ja nicht erstaunlich sein, denn es enthält ja, ausser
dem durchtretenden Kolloid noch den Auszug aus den Neurogliaelementen.
Die Versuche von Falta und Jvcovic 3 ) sprechen dafür, dass der
glanduläre Anteil eine blutdrucksenkende Wirkung ausübt. Diese haben
wir wohl als die spezifische Wirkung der Hypophyse anzusehen. Sie
steht damit in einer Reihe mit der entwicklungsgeschichtlich ihr so nahe
verwandten Schilddrüse.
Bei Blutdrucksteigerung im Anfangsteil der Aorta wird der Depressor
erregt. Dessen Reizung führt zur Vasodilatation in der Thyreoidea und
schafft so eino geräumige, das Hirn schützende Kollaterale. Führt sie aber
auch, was-durchaus nicht unwahrscheinlich ist, zur Gefässerweiterung und
Sekretionssteigerung in der Hypophyse, so können durch die vermehrte
Abgabe des blutdrucksenkenden Kolloids in den Ventrikel die Druck¬
verhältnisse in der Schädelkapsel reguliert werden.
Einmal wird das Kolloid die Viskosität des Liquors und damit die
An- und Abfuhrverhältnisso desselben beeinflussen, dann könnte es aber
auch direkt auf die Liquor liefernden Gefässe der naheliegenden Tcla
chorioidea bezüglich ihrer Kalibrierung einwirken. Weiterhin könnte cs
für den Stoffwechsel im Zentralnervensystem von Bedeutung sein.
1) Compt. rend. soc. biolog. 1907. p. 122.
2) Bei diesen besteht der Ductus hypopbyseo-pharyngeus fort.
3) Zitiert nach Biedl.
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498
RUDOLF HOFFMANN,
Es liegt deshalb nahe, den Extrakt des epithelialen Anteils der
Hypophyse lumbal zu injizieren. Ich habe leider keine Gelegenheit,
Versuche darüber anzustellen, ob die letale Wirkung der Durchschneidung
des Hypophysisstieles durch lumbale Injektion (eventuell durch Ventrikel¬
punktion oder Injektion durch das Lig. atlanto-occipitale) sich auf¬
halten lässt. Ich musste mich darauf beschränken, an der Blase des
Kaninchens die Wirkung des intralumbal gegebenen Hypophysenextraktes
(Lob. ant) Hoffmann-Laroche, Basel, zu beobachten. Das erste Tier
erhielt 0,1 ccm, bewegte sich dann 10 Minuten am Fussboden, dann
wurde es laparatomiert. Die Blase befand sich im Zustande stärkster
Kontraktion. Zwei andere Tiere wurden zuerst laparotomiert, um das
Verhalten der Blase vor der Injektion beobachten zu können und er¬
hielten dann 0,2 bzw. 0,35 ccm des Extraktes. Die Kontraktion der
Blase war deutlich zu beobachten.
Als Testobjekt für Versuche am Menschen eignen sich besonders
die Blase des Tabikers und der wehenschwache, gravide Uterus. Hier
könnte man auch epidurale Injektionen verwenden.
Wünschenswert wäre es,, ein Verfahren zur Bestimmung des Hypo-
physingehaltes des Liquors zu finden, vielleicht eignet sich dafür die
ausgeschnittene Blase. Man wird dann vielleicht manche pathologische
Zustände des Zentralnervensystems als Hypopituitarismen erkennen und
durch lumbale Einführung von Hypophysisextrakt therapeutisch beeinflussen
lernen.
Die ausserordentlich nahen Beziehungen zwischen Schilddrüse und
Hypophyse (conf. Biedl) machen Untersuchungen nötig, wieweit bei
manchen als Schilddrüsenerkrankung aufgefassten klinischen Bildern die
Hypophysis beteiligt ist. (Dafür sprechen z. B. folgende Tatsachen:
durch Hypophysenmedikation geht vor allem der durch Thyreoidektoraie
schwer zu beeinflussende Exophthalmus des Basedowkranken zurück;
bei der Katatonie (erinnert an „anaphylaktischen Zustand“ 1 ) wirkt die
Thyreoidektomie günstig 2 ).
Es liegt auf der Hand, dass der Extrakt einer Drüse nicht dem
Sekret derselben vollwertig zur Seite gestellt werden kann. Man kann
erwarten, ein solches im Serum thyreoidektomierter Tiere zu finden, da nach
dieser Operation die Produktion des Hypophysenkolloids vermehrt erscheint.
Tatsächlich ähnelt nach der Injektion dieses Serums die Blutdruckkurvc
der nach Pituitringaben. Ich vermute, dass das auf meinen Vor¬
schlag von Merck hergestellte Serum thyreoid- und ovariektomierter 3 )
Schafe ein Serum fortius darstellt. Das wird die physiologische Unter-
1) Pötzl, Zur Frage der Hirnsohwellung. Jahrbuch f. Psych. 1910.
2) Treatment of catatonia by thyreoidectomy. a) Berkley, Fol. neurobiolog.
1908. Bd. 2. Nr. 1. p. 1. b) v. d. Scheer, Fol. neurobiolog. 1911. p. 755.
3) Rud. Hoffmann, Zentralblatt f. Gynäkol. 1908. Nr. 16.
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Lumbale Hypophysininjektionen. 499
suchung desselben ergeben, die Herr Prof. Biedl-Wien zu übernehmen
die Güte hatte.
/
Zusatz bei der Korrektur:
Nach Fertigstellung obiger Zeilen bekam ich von der Aschnersehen Arbeit
„Ueber die Funktion der Hypophyse 14 , Pflügers Arch. 146, Kenntnis. A. kommt zu
dem Schluss, dass „die Frage nach der absoluten Lebenswichtigkeit der Hypophyse
endgültig im negativen Sinne entschieden“ ist. Dem muss ich widersprechen, denn
die Aschner-Hypophysis-Exstirpationen sind nicht als totale aufzufassen, da im Infun«
dibulumrest „Epithelsaumreste der Pars intermediae (Seite 85) sich fanden, die man
sicher nicht als funktionell belanglos ansehen kann.
Wenn A. die bei Insuffizienz oder Defekt der Hypophysis auftretenden Symptome
z. T. als den angrenzenden Hirnteilen zugehörig anspricht, so ist doch zu bedenken,
dass durch Reizungen dieser Gegend,, wie. z. B. durch Paraffininjektion sehr wohl die
Sekretion der Hypophyse beeinflusst werden dürfte.
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XXVIII.
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Kleinere Mitteilungen.
IX. Internationaler Pbysiologen-Kongress Groningen 1913.
Mit Rücksicht auf die vielseitigen Anfragen nach derZeit des Internationalen
Physiologen-Kongresses teile ich hierdurch mit, dass derselbe am 2.-6. Sep¬
tember 1913 stattfinden wird. H. J. Hamburger, President.
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
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Zeitschrift f.kUn Medizin, ßd. 76.
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Kurv« 6.(s.S.99.N?.11).
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Kurve 27.(s.S.102. N9.30). FJ. mt Lxth, JnstJtcrän.
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UMIVERSITY OF CALIFORNIA
Zeitschrift f'kli/i . Medizin, Bd . 76.
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Zeitschrift f'kli/i, Medizin, ftd. 76
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Zeitschrift f. kliti. Medizin, Bd. 76.
Tafel X.
Lichtdruck von W. »nmann & Co., Berlin S 42.
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