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ZEITSCHRIFT
/
FÜR
KLINISCHE MEDIZIN.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. W. BIS, Dr. F. KRAUS, Dr. A. GOLDSCHEIDER,
Professor der 1. raed. Klinik Professor der 2. med. Klinik ord. Hon.-Professor,
Direktor des poliklinischen Instituts
Dr. 6. KLEMPERER,
a.o. Professor. Direktor des städt Krankenhauses Moabit
IN BERLIN,
Dr. W. von LEUBE, Du. B. NAUNYN, Dr. A. von STRÜMPELL,
ein. Professor der med. Klinik ein. Professor der raed. Klinik Professor der med. Klinik
in WUrzburg, in Strassburg, in Leipzig,
Dr. R. STÄHELIN,
Professor der med. Klinik
in Basel,
Dr. C. von NOORDEN, Dr. N. ORTNER,
Professor in Frankfurt a. M., Professor der 3. med. Klinik in Wien.
REDIGIERT VON W. HIS.
Einundachtzigster Band.
Mit 5 Tafeln, 17 Abbildungen und 43 Kurven im Text.
BERLIN 1915.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
NW., UNTER DEN LINDEN 68.
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Inhalt.
Seite
1. Aus der 1. med. Klinik der Kgl. Charite zu Berlin (Geh.-Rat His).
Vergleichende Blutzuckerbestimraungen durch Polarisation und Re¬
duktionsmethoden. Von Carl Maase und Hermann Tachau . . 1
II. Aus der medizinischen Klinik zu Würzburg. Lieber Ungerinnbarkeit
des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker. Von Privatdozent
Dr. E. Magnus-Aisleben. 0
III. Aus der II. med. Universitätsklinik der Kgl. Charitö in Berlin (Gch.-
Rat Prof. Dr. Fr. Kraus). Untersuchungen über den Mechanismus
der Harnabsonderung in der Niere. Von Erich Leschke, klinischem ^
Assistenten. (Hierzu Tafeln I und II.). 14
IV. Aus der I. med. Klinik in Wien (Hofrat Prof, von Noorden) und
dem Sanatorium Neues Kurhaus (Geheimrat Prof. Dr. v. Dapper-
Saalfels, Bad Kissingen). Beobachtungen über Kapillarpuls. Von
San.-Rat Dr. E. Jürgensen, mitleitendem Arzt am Sanatorium von
Dapper-Saalfels, Bad Kissingen. 36
V. Aus der I. inneren Abteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses zu
Berlin (Prof. Kuttner). Was leistet die pharmakologische Prüfung
in der Diagnostik der Störungen im vegetativen Nervensystem? Von
Dr. Gerhard Lehmann.52
VI. Aus dem staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen (Direktor: Dr.
Th. Madsen). Beobachtungen über Klinik und Epidemiologie der
giftarmen Dysenteriebazilleninfektion in Dänemark. Von Dr. Carl
Sonne, Assistent am Institut. 73
VII. Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania (Prof.
Dr. S. Torup). Kolorimetrische Harnsäurebestimmungen im Harn.
Von H. F. Höst, Amanuensis. (Mit 1 Kurve im Text.) .... 113
VIII. Aus der medizinischen Klinik R. von Jaksch in Prag. Klinische
Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus und Beziehungen
desselben zur pluriglandulären Erkrankung. Von Privatdozent
Dr. Hugo Pribram, I. Assistenten der Klinik. (Mit 3 Abbildungen
im Text.).120
IX. Aus der I. deutschen medizinischen Klinik in Prag (Vorstand: Prof.
Dr. Rud. Schmidt). Einige Versuchsresultate zum Verständnisse
physikalisch-chemischer Vorgänge imBlute unter normalen und patho¬
logischen Verhältnissen und ihre theoretische Verwertung. Von
Dr. Gottfried Holler, Assistent der Klinik.120
X. Aus der Universitätskinderklinik in Freiburg i. Br. (Direktor: Prof.
Dr. Noeggerath). Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin
vorbehandelter Kaninchen auf den Blutdruck normaler. Von Dr.
H. Zondek, früherem Assistenzarzt der Klinik. (Mit2Kurven im Text.) 156
XI. Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses in Augs¬
burg (früherer Oberarzt: Dr. L. R. Müller). Ueber den Einfluss
des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. Von Dr. Fritz
Nehl, früher Volontärassistent am Krankenhause, jetzt Assistenzarzt
an der Augenheilanstalt Bremen.182
2091 H)
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IV
INHALT.
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Seite
XII. Die Hamburger Dipbtberieepidemie 1909—1914. (Epidemiologisches
und Klinisches.) Von Prof. Dr. F. Reiche, Oberarzt am Allgemeinen
Krankenhaus Hamburg-Barmbeck. (Mit 5 Kurven im Text.) . 199
XIII. Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania (Prof.
Dr. S. Torup). Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns. Von
H. F. Höst.206
XIV. Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania (Prof.
Dr. S. Torup). Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. Von
H. F. Höst.272
XV. Aus dem Radium-Institut der Königlichen Charitö (Direktor: Geh.
Med.-Rat Prof. Dr. W. His). Experimentelle Untersuchungen über
die biologische Wirkung des Thorium X, insbesondere auf das Blut.
Von Dr. A. da Silva Mello aus Brasilien. (Hierzu Tafel III.) . . 285
XVI. Aus dem biochemischen Laboratorium (Prof. Dr. M. Jacoby) des
städtischen Krankenhauses Moabit in Berlin. Ueber das Wesen der ex¬
perimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung.
Von L. Dünner.355
XVII. Aus dem städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin (I. innere Abt.:
Geh. Medi-Rat Prof. Dr. Georg Klemperer). Zur Diagnostik der
' metastatischen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. Von
Johannes von Roznowski.377
XVIII. Aus der I.med.Universitätsklinik der Kgl.Charite zu Berlin (Direktor:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His). Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
Von Carl Maase und Hermann Zondek, Assistenten der Klinik.
(Mit 14 Abbildungen im Text.).391
XIX. I. Inst, für demonstrative medizinische Pathologie der K. Univ. Neapel
(Direktor: P. J. Castellino). Ueber den Mechanismus beim Auf¬
treten der paroxysmalen Tachykardie. Von S. La Franca. (Mit
2 Kurven im Text.).410
XX. Aus der II. med. Universitätsklinik in Wien (Vorstand: Hofrat Prof.
Dr. Norbert Ortner). Unsere Erfahrungen über die Wirkung von
Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. Von Doz.
Dr. Richard Bauer, Dr. Robert Latzei, Assistenten der Klinik,
und cand. med. Emil Wessely, Hospitant der Klinik .... 420
XXI. Aus der Friedrichstadtklinik für Lungenkranke zu Berlin (dirigierender
Arzt: Dr. Arthur Mayer). Ueber Erkrankungen der Lunge bei der
Gicht. Von Arthur Mayer (Mit 2 Kurven im Text.) .... 438
XXII. Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. Von Priv.-Doz. Dr. D. de
Vries Reilingh in Groningen. (Hierzu Tafeln IV und V.) . 450
XXIII. Aus der k. u. k. Kranken- und Verwundetenstation in Sternberg (Chef¬
arzt: Dr. Gottfried Holler). Zur Vakzinetherapie des Typhus
abdominalis. Von Dr. Gottfried Holler, Assistent der I. deutschen
med. Klinik in Prag (Prof. R. Schmidt). (Mit 31 Kurven im Text.) 462
Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung
und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Erscheinen gelangenden
Originalbeiträge innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist vor .
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I.
Aus der I. med. Klinik der Kgl. Charite zu Berlin (Geh.-Rat His).
Vergleichende Blutzuckerbestimmungen
durch Polarisation und Reduktionsmethoden.
Von
Carl Maase und Hermann Tachau.
Für die Bestimmung des Blutzuckergehaltes sind eine Anzahl von
Methoden im Gebrauch, die auf verschiedenen Prinzipien beruhen, ent¬
weder auf der durch den Traubenzucker bewirkten Drehung des polari¬
sierten Lichtes, oder auf dem Grade der Reduktion von Kupfer- oder
Quecksilbersalzen, oder schliesslich auf der Intensität einer bei einer
bestimmten Reaktion auftretenden Färbung. Vergleicht man die nach
verschiedenen Methoden gewonnenen Blutzuckerwerte, so ergeben sich
zum Teil recht erhebliche Differenzen, besonders findet man mit einigen
kolorimetrischen Methoden [Reicher und Stein 1 ), Wacker 2 )] weit
höhere Zahlen als bei Verwendung der Reduktion und Polarisation.
Aber auch die einzelnen Reduktionsmethoden, die an reinen Trauben¬
zuckerlösungen ganz exakt arbeiten, ergeben bei der Untersuchung des
Blutes verschiedene Werte, wie zuerst von Hollinger 3 ) hervorgehoben
worden ist.
Man hat zunächst angenommen, dass diese Differenzen zwischen den
einzelnen Methoden dadurch bedingt seien, dass neben dem Traubenzucker
noch andere reduzierende Substanzen im Blute vorhanden sind, die auf
die verschiedenen Zuckerbestimmungen in verschiedener Weise einwirken.
Man hat die Menge dieser Substanzen so zu bestimmen gesucht, dass
man die nach der Vergärung des Traubenzuckers durch Hefe ver¬
bleibende Reduktion (Restreduktion) festgestellt hat. Während bei manchen
Methoden, z. B. dem älteren Verfahren von Bang (I), eine erhebliche
Restreduition vorhanden ist [Schümm und Hegler 4 )], findet man mit
den Kupfermethoden von Lehmann-Maquenne und Bertrand und der
Quecksilberreduktion nach Tachau nach der Vergärung des Trauben¬
zuckers keine reduzierenden Substanzen mehr im Blute. [E. Frank 5 ),
Griessbach und Strassner 6 )].
1) Reicher und Stein, Biochemische Zeitschrift. 1910. Bd.67. S. 197.
2) Wacker, Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1910. Bd. 67. S. 197.
3) Hollinger, Biochem. Zeitschr. 1909. Bd. 17. S. 1.
4) Schümm und Hegler, Mitt. a. d. Hamb. Staatskrank.-Anst. Febr. 1913.
5) Frank u. Bretschneider, Zeitschr. f.physiol.Chemie. 1911. Bd.71. S.157.
6) Griessbach u. Strassner, eod. loc. 1913. Bd. 88. S. 199.
Zeituchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 n. 2. i
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2
CARL MAASE und HERMANN TACHAU,
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Vergleichende Untersuchungen nach verschiedenen Methoden sind
zuerst von Hollinger 1 ) ausgeführt, der feststellte, dass die Kupfermethode
von Lehmann-Maquenne etwas höhere Werte ergibt als die Queck¬
silberreduktion nach Knapp. Takahashi 2 ) fand Uebereinstimmung der
durch Polarisation und die Kupfermethoden von ßertrand und Kuraa-
gawa-Suto gefundenen Zahlen, während die Methode von Bang (I) be¬
trächtlich höhere Werte ergab. Griessbach und Strassner 3 ) stellten
kürzlich fest, dass die Kupferraethoden von Bertrand und Lehmann-
Maquenne mit der Polarisation übereinstimmende Resultate liefern, wäh¬
rend die Quecksilberreduktion nach Tach au beim Hunde niedrigere Werte
ergibt, beim Menschen dagegen mit den anderen Methoden überein¬
stimmende Zahlen.
Vergleichende Bestimmungen des Blutzuckergehaltes durch Polarisa¬
tion und Reduktionsmethoden können klinisch dadurch von Bedeutung
sein, weil sich erhebliche Differenzen zwischen beiden Methoden ergeben
müssen, sobald neben dem Traubenzucker andere Kohlehydrate im Blute
vorhanden sind, die nicht das gleiche Verhältnis von Drehung zu Re¬
duktion haben, wie die Dextrose. Lävulosc, die von Neuberg und
Strauss 4 ) im Blute einiger Diabetiker nachgewiesen ist, dreht bekannt¬
lich sehr stark nach links, während ihre Reduktion etwa der des
Traubenzuckers (100:92,08) entspricht. Maltose, * die nach Lepine 5 )
häufig im Blute vorkommt, dreht stärker nach rechts, reduziert dagegen
weniger als Traubenzucker. Galaktose, die ebenfalls stärker nach rechts
dreht, und schwächer reduziert als Traubenzucker tritt besonders bei
gewissen Leberkrankheiten nach Aufnahme per os in den Harn und somit
auch in das Blut über. Auch Dextrine sollen nach einigen Autoren im
Blute vorhanden sein [Bang 6 )]. Schliesslich mag noch der „Sucre
virtuel a Lepines 5 ) erwähnt werden, über dessen Natur wir nichts
Näheres wissen.
Die Untersuchungen von Takahashi und von Griessbach und
Strassner sind im Blute von Hunden und normalen Menschen aus¬
geführt. Wir haben in einer Anzahl pathologischer Fälle vergleichende
Blutzuckerbestimmungen durch Polarisation, nach der Kupfermethode von
Bertrand und nach der Quecksilberreduktionsmethode von Ta«hau vor¬
genommen.
Methodik.
Das Blut wurde durch Venaepunktion entnommen, lief gewöhnlich in einen
200 ccm fassenden Messkolben, der mit 120 ccm 2proz. Salzsäure und 20 ccm Wasser
gefüllt war, derart, dass also 60 ccm Blut nötig waren, um den Kolben bis zur Marke
1) loc. cit.
2) Takahashi, Biochem. Zeitscbr. 1911. Bd. 37. S. 30 ff.
3) loc. cit.
4) Neuberg und Strauss, Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1902. Bd. 86. S. 227.
ö) Löpine, le Diaböte suerß. 1909.
6) Ba ng, Der Blutzucker. 1913.
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Vergleichende Blutzackerbestimmungen durch Polarisation u. Reduktionsmethoden. 3
zu füllen. In anderen Fällen wurde das Blut in einem Erlenmeyerkolben aufgefangen,
der etwas Natriumllaorid enthielt. Die Eiweissfällung geschah nach Schenk (Blut
-j- gleiche Menge Wasser + doppelte Menge 2proz. Salzsäure doppelte Menge
5proz. Sublimatlösung). Beim Auffangen im Messkolben dienten die noch fehlenden
40 com Wasser zum quantitativen Ueberspülen in den für die Fällung benutzten Erlen¬
meyerkolben, bei Auffangen mit Natriumfluorid wurde die Blutmenge mit der Pipette
abgemessen. Die Fällung blieb 24 Stunden im Eisschrank, dann wurde abgesaugt,
das überschüssige Quecksilber durch Einleiten von Schwefelwasserstoff, dieser durch
einen Luftstrom vertrieben und vom ausgefällten HgS abfiltriert. 150—240 ocm des
Filtrats wurden, z. T. nach Abstumpfung der sauren Reaktion durch Zusatz von
Natronlauge, im Vakuum bei einer 40° nicht übersteigenden Temperatur des Heiz¬
wassers eingeengt, nach der Einengung im Messkolben auf 25 ccm aufgefüllt. Die
Einengung dauert ca. 5 Stunden. Die Lösung wurde filtriert, und dann im 1,894-Dezi-
meterrohr (in einigen Fällen im 2-Dezimeterrohr) in einem Landoltschen Apparat
polarisiert.
Es wurde stets mehrmals abgelesen und der Wert als zutreffend notiert, der mit
überwiegender Häufigkeit festgestellt wurde.
Nach beendeter Polarisation wurde gewöhnlich mit 10 ccm dieser eingeengten
Lösung die Reduktionsbestimmung nach B er trän d ausgeführt.
Weiter dienten 5 oder 10 ccm derselben Lösung zur Zuckerbestimmung nach
Tach au 1 ). Sie wurden in einem 25 ccm-Messkolben mit Natronlauge neutralisiert,
nach der Auffüllung bis zur Marke in den 300 ccm fassenden mit eingesohliffenem
Steigrohr versehenen Jenenser Kolben überführt, mit 5 ccm (Pipette!) Wasser nach¬
gespült. Nach Zusatz von 10 ccm der Knappschen (alkalischen Quecksilbercyanid-)
Lösung wurde bei aufgesetztem Steigrohre schnell erhitzt und 2 Minuten in gelindem
Sieden erhalten. Dann wurde unter der Wasserleitung gründlich abgekühlt, möglichst
ohne den Kolben stark zu bewegen, und von dem reduzierten ausgefallenen Queck¬
silbersulfid abfiltriert, ln einem aliquoten Teile des klaren Filtrates wurde das in
Lösung gebliebene nicht reduzierte Quecksilbercyanid gravimetrisch als Quecksilber¬
sulfid bestimmt. 35 ccm (Pipette!) des Filtrates wurden in einen Scheidetrichter
überführt, mit Salzsäure angesäuert, mit frischem Schwefelwasserstoffwasser gefallt.
Die Ausflussöffnung des Scheidetrichters wurde über einen in der üblichen Weise
montierten, mit Asbest gefüllten Goochtiegel gebracht, und durch Oeffnen des Scheide¬
trichterhahnes durch den Goochtiegel filtriert (das Reinspülen des Scheidetrichters
gelingt leicht mit der Spritzflasche). Aus der Gewichtszunahme des Goochtiegels,
hervorgerufen durch das in den 35 ccm der (nach der ersten Reduktion) filtrierten
Lösung ausgefällte Quecksilbersulfid, festgestellt naoh jedesmaligem Trocknen des
Goochtiegels bei 105° und Abkühlen im Exsikkator, wird die Traubenzuckermenge, die
in der für die Reduktion benutzten Lösung vorhanden war, nach der folgenden Tabelle
gefunden:
Traubenzucker
Quecksilbersulfid
Traubenzucker
Quecksilbersulfid
1 mg
78,0 mg
11 mg
44,5 mg
2 V
75,0 „
12 „
40,5 „
3 „
72,0 „
13 „
36,5 „
4 „
69,0 „
14 „
32,5 „
3 „
66,0 „
15 „
28,0 „
6 „
63,0 „
16 „
23,5 „
7 „
59,5 „
17 „
19,0 „
8 „
56,0 „
18 „
14,5 „
9 „
52,5 „
19 „
10,0 „
10 „
48,5 „
20 „
5,5 „
1) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1910. Bd. 102. S. 597.
1 *
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4
CARL MAASE und HERMANN TACHAU,
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Die raethodischen Fehler sind bei den Reduktionsbestimmungen un¬
erheblich, grösser bei der Polarisation. Ein Ablesungsfehler von 0,01°
ergibt bei Verwendung von 150 ccm Filtrat (entsprechend 25 ccm Blut)
schon eine Differenz von 0,010 pCt. Zucker, bei normalem Blutzucker¬
gehalt also von etwa 10 pCt.
Protokolle.
1. Leh., Gravida, nüchtern. Vor der Einengung: nach Tachau 0,074 pCt.
Blutzucker. 200 ccm nach Abstumpfung der sauren Reaktion durch Natronlauge auf
25 ccm eingeengt. Drehung 1 ) 0,1° nach rechts, je 10 ccm ergeben nach Bertrand
10,9 mg, nach Tachau 10,2 mg Dextrose. Polarimetrisch 0,075 pCt., nach Ber¬
trand 0,0316 pCt., nach Tachau 0,0765 pCt.
2. Mu., Gravida, nüchtern. 125 ccm Filtrat ohne Zusatz von Natronlauge auf
25ccm eingeengt. Drehung +0,06° (0,07°). 10 ccm enthalten nach Tachau 6,2 mg
Dextrose. Polarimetrisch 0,072 pCt. (0,082 pCt.), nach Tachau 0,076 pCt.
3. Ra., Apoplexie. Nach Bertrand 0,100 pCt., nach Tachau 0,095 pCt.
4. Kn., Arteriosklerose, Glykosurie. 200 ccm Filtrat ohne Zusatz von Natron¬
lauge eingeengt. Drehung + 0,14°, nach Tachau in 5 ccm 8,0 mg Glykose. Nach
Bertrand in lOccm 15,8mg. P olarimetrisch 0,l05pCt., nach Bertrand 0,118pCt.,
nach Tachau 0,120 pCt.
5. Br., Arteriosklerose. Vorder Einengung 0,111 pCt. nach Tachau. 200ccm
Filtrat nach Abstumpfung der sauren Reaktion durch Natronlauge auf 25 ccm ein¬
geengt, filtriert. Drehung + 0,14°, nach Bertrand in 10 ccm 16,6 mg, in 5 ccm
8,0 mg, nach Tachau in 5 ccm 7,5 mg Glykose. Polarimetrisch 0,105 pCt., nach
Bertrand 0,124 pCt. (0,120 pCt.), nach Tachau 0,113 pCt.
6. Mu., Bronchitis, Temp. 38,2°. 150 ccm Filtrat auf 25 ccm eingeengt, ohne
Zusatz von Natronlauge. Drehung 0,12° nach rechts. lOccm ergeben nach Tachau
11,2 mg Glykose. Polarimetrisch 0,12 pCt., nach Tachau 0,112 pCt.
7. Ho., Diabetes, nüchtern. 150 ccm nach Abstumpfung der sauren Reaktion
durch Natronlauge, eingeengt. Drehung +0,15°, nach Tachau 13,8 mg Glykose in
lOccm. Polarimetrisch 0,150 pCt., nach Tachau 0,138 pCt.
8. Ko., Diabetes. Vor der Einengung 0,165 pCt. (Tachau). 130 ccm nach
Abstumpfung der sauren Reaktion durch Natronlauge eingeengt. Drehung + 0,14°
(0,15°), nach Bertrand in lOccm 13,5 mg, nach Tachau in 5 ccm 6,6 mg Glykose.
Polarimetrisch 0,161 pCt. (0,173 pCt.), nach Bertrand 0,155 pCt., nach Tachau
0,153 pCt.
9. Hi., Leberlues, Ikterus. 1 Stunde nach 100 g Traubenzucker. 150 ccm Filtrat
ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt. Drehung+0,23°, nach Bertrand in 5 ccm
25,1 rag, nach Tachau in 5 ccm 23,2 mg. Polarimetrisch 0,230 pCt., nach
Bertrand 0,251 pCt., nach Tachau 0,232 pCt.
10. FL, Diabetes, nüchtern. 150 ccm ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt.
Drehung + 0,26°, nach Tachau in 5 ccm 12,8mg Traubenzucker. Polarimetrisch
0,26 pCt., nach Tachau 0,256 pCt.
11. Ma., Diabetes, nüchtern. Nach Bertrand 0,267 pCt., nach Tachau
0,273 pCt.
12. Tan., Diabetes nüchtern. Vor der Einengung nach Tachau 0,301 pCt.
100 ccm ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt. Drehung im 2 dm-Rohr 0,30 bis
0,31 °, 5ccm ergeben nach Tachau 10,2 mg Traubenzucker. 15 ccm der eingeengten
1) Wenn nicht besonders bemerkt im 1,894 dm-Rohr.
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Vergleichende Blutzuckerbestimmungen durch Polarisation u.Reduktionsrnethoden. 5
sauren Lösung werden mit Natronlauge neutralisiert, auf 25 ccm aufgefüllt. Drehung
im 2 cm-Rohre 0,17°, 20 ccm dieser Lösung geben nach Bertrand 27 mg Trauben¬
zucker. In 100 ccm Blut sind also gefunden: polarimetrisch: in saurer Lösung
0,426 bis 0,440 pCt., in neutralisierter Lösung 0,403pCt., nach Bertrand 0,337 pCt.,
nach Tachau 0,306 pCt.
Naoh etwa 4 Wooben wird dieselbe Patientin nochmals untersucht. 150 ccm
Filtrat werden nach Abstumpfung der sauren Reaktion mit Natronlauge eingeengt.
Drehung + 0,15°, Reduktion nach Tachau ergibt in 5 ccm 6,85 mg Traubenzucker.
In 100 ccm Blut also polarimetrisch 0,150 pCt., nach Tachau 0,137 pCt.
Eine Zusammenfassung der Resultate gibt die folgende Tabelle (I).
Tabelle I.
Zuckergehalt in 100 ccm Blut.
Nr.
Diagnose
Polarimetrisch
Bertrand
Tachau
g
g
g
1
Gravida.
0,075
0,0816
/ 0.074
\ 0,0765
2
Gravida.
0,072
(0,082)
—
0,076
3
Apoplexie.
—
0,100
0,095
4
Glykosurie.
0,105
! 0.118
0,120
5
Arteriosklerose.
0,105
1 / 0,120
1 \ 0,124
/ 0,111
\ 0,113
6
Bronchitis.
0,12
1 -
0,112
7
Diabetes.
0,15
1 -
0,138
8
Diabetes.*
ojßi ;
f0,173) |
0,155
0,153
9
Leberlues, Ikterus ....
0,23 j
0,251
0,232
(nach 100 g Dextrose)
10
Diabetes.
0,26
—
0,256
11
Diabetes.
—
0,267
0,273
12
Diabetes .
| 0,44
{ 0,426 |
' l 0,403 1
0,337
f 0,301
\ 0,306
Dieselbe Pat. nach 4 Wochen |
0,15 i
i
0,137
Eine erhebliche Differenz zwischen Polarisation und Reduktionswerten
findet sich lediglich in Fall 12, bei dem polarimetrisch 0,403 pCt. bis
0,44 pCt., nach Bertrand 0,337 pCt., nach Tachau 0,306 pCt. gefunden
wurden. Ein Irrtum bei der Polarisation scheint ausgeschlossen, da die¬
selbe sofort wiederholt wurde, als die hohe Differenz mit dem vor der
Einengung festgestellten Reduktionswerte konstatiert wurde, dann noch
einmal in neutralisierter Lösung ausgeführt wurde, als die erste Reduktions¬
bestimmung an der eingeengten Lösung Uebereinstimmung mit dem Werte
vor der Einengung ergab. Bei den Reduktionsmethoden ist ein so enormer
Fehler von vornherein ausgeschlossen, die Bestimmung nach Tachau ist
zudem doppelt ansgeführt. Eine Wiederholung der Blutuntersuchung nach
4 Wochen ergab wieder für die Polarisation einen höheren Wert als für
Reduktion, aber bei weitem nicht eine so grosse Differenz wie beim
ersten Male. In allen übrigen Fällen ist die Uebereinstimmung der ver¬
schiedenen Methoden eine gute. Nur einmal (Nr. 4) findet sich zwischen
der Polarisation und den unter sich gut übereinstimmenden Reduktions-
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CARL MAASE und HERMANN TACHAU,
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werten eine Differenz von etwas über 10 pCt. des Blutzuckergehaltes;
in einem zweiten Falle (Nr. 5) findet sich eine derartige Differenz zwischen
der Polarisation und der Methode von Bertrand, während der nach
Tachau gefundene Wert in der Mitte zwischen den beiden anderen liegt.
Die Bertrand sehe Methode ergab in der Mehrzahl der Fälle etwas höhere
Werte als die von Tachau.
Zur Erklärung des verschiedenen Ausfalls von Reduktionsbestimmungen
und Polarisation im Fall 12 liegt die Annahme am nächsten, dass hier
neben dem Traubenzucker ein anderes Kohlehydrat im Blute vorhanden
war, das stärker drehte, aber in geringerem Masse reduzierte als die
Glykose. Da es sich um einen Fall von Diabetes mit schwerer Störung
des Kohlehydratstoflfwechsels handelte, ist diese Annahme wohl berechtigt.
Dass der hohe Tolarisationswert lediglich durch Traubenzucker hervor¬
gerufen ist, die Reduktionsmethoden dagegen zu niedrige Zahlen ergeben
haben, etwa infolge der Anwesenheit einer die Reduktion hemmenden
Substanz im Blute, scheint weniger wahrscheinlich; es wäre auffallend,
dass diese Hemmung der Reduktion nur einmal bei den zwölf unter¬
suchten Fällen und dabei auch nur bei der einen Untersuchung deutlich
in Erscheinung getreten wäre.
Um den Einfluss zu verfolgen, den die Anwesenheit anderer Kohlen¬
hydrate neben dem Traubenzucker im Blute hat, haben wir einige Blut¬
zuckeruntersuchungen durch Reduktion und Polarisation bei Personen
ausgeführt, die 1 Stunde vor der Blutentnahme 100 g Lävulose per os
erhalten hatten.
Methodik.
Blutentnahme 1 Stunde nach Verabreichung von 100 g Lävulose (in nüchternem
Zustande). Die Methode der Blutzuckerbestimmung war dieselbe wie in den früheren
Untersuchungen. Der Harn wurde in stündlichen Intervallen auf Lävulose untersucht,
qualitativ mit der Sei iw an off sehen Reaktion, quantitativ mittels Polarisation.
20 ccm einer 0,1 proz. Lävuloselösung (Kahlbaum) ergaben nach Bertrand einen
Reduktionswert entsprechend 18,7 mg Traubenzucker, 10 ccm derselben Lösung naoh
Tachau einen 9,3 mg Dextrose entsprechenden Wert. Die Reduktion durch Lävulose
ist also bei beiden Methoden die gleiche.
Protokolle.
1. Mi., Ikterus. 150 ccm Filtrat ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt.
Drehung + 0,06° (0,07°), nach Tachau in 10 ccm 16,6 mg Glykose. Polari¬
metrisch 0,06 pCt. (0,07 pCt.), nach Tachau 0,166 pCt. Im Harn 0,6 g Lävulose.
2. Ma., gesund. 200 ccm Filtrat ohne Laugenzusatz eingeengt. Drehung 0,08°
nach rechts, in 5 ccm 6,7 mg Traubenzuoker nach Tachau. Polarimetrisch 0,06pCt.,
durch Reduktion 0,101 pCt. Im Harn Spuren Lävulose.
3. Pe., gesund. 200 ccm Filtrat ohne Laugenzusatz eingeengt. Drehung im
2 dm-Rohr 0,15° nach rechts; 5 ccm ergeben nach Tachau 10,1 mg Traubenzucker.
Polarimetrisch 0,106 pCt., durch Reduktion 0,152 pCt. Im Harn 0,8 g Lävulose.
4. La., gesund. 200 ccm Filtrat nach Abstumpfung der sauren Reaktion mit
Natronlauge eingeengt. Drehung 0,10° nach rechts, Reduktion naoh Tachau inlOccm
Gougle —
_Original from _
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Vergleichende Blatzuckerbestimmungen durch Polarisation u. Reduktionsmethoden. 7
14,1mg Traubenzucker. Polarimetrisch 0,075 pCt., durch Reduktion 0,106 pCt.
im Harn Spuren von Lävulose.
5. Ni., Bronchopneumonie. 240 ccm Filtrat eingeengt. Drehung 0,11° (0,12°)
im 2 Dm-Rohr, nach Bertrand in 10 cm 12,6 mg, nach Tachau in 5 com 7,0 mg
Traubenzucker. Polarimetrisch 0,065pCt. (0,071 pCt.), nach Bertrand 0,079pCt.,
nach Taohau 0,088 pCt. Im Harn 1,4 g Lävulose.
Tabelle II.
Wie ein Blick auf die Tabelle zeigt, sind die nach der Lävulose-
zufuhr hervorgetretenen Differenzen zwischen Polarisation und Reduktion
weit grösser, als in den Fällen der Tabelle I. Einmal ist der Reduk¬
tionswert mehr als doppelt so hoch als der Drehungswert, in den anderen
Fällen um 66, 44, 40, 30 pCt. höher. Berücksichtigt man, dass die
Lävulose 1,8 mal so stark nach links dreht als die Dextrose nach rechts,
dass die Reduktion von 10 mg Lävulose der von 9,3 mg Dextrose ent¬
spricht, so lässt sich aus Polarisations- und Reduktionswert der Gehalt
des Blutes an Dextrose und Lävulose berechnen:
1. Dextrose -f- 0,93 Lävulose = gefundener Reduktionswert.
2. Dextrose — 1,8 Lävulose = gefundener Drehungswert.
Voraussetzung für die Richtigkeit der Berechnung ist, das, neben
Dextrose und Lävulose keine reduzierenden oder optisch-aktiven Sub¬
stanzen in erheblicher Menge im Blute vorhanden sind, weiter dass bei
der Eiweissfällung und dem Einengen des Filtrates keine Aenderungen
in dem Verhältnis von Dextrose zu Lävulose eingetreten sind.
In den letzten beiden Spalten sind die für Dextrose und Lävulose
berechneten Werte verzeichnet. Auch bei Gesunden ergibt sich ein
Lävulosegehalt des Blutes, zwischen 0,011 und 0,017 pCt., z. T. bei sehr
geringer Ausscheidung im Harn. Höher ist der Wert in einem Falle
von Ikterus (0,035 pCt.) 1 ). Es wäre von grossem klinischen Interesse,
an einer grösseren Zahl von Fällen festzustellen, ob nicht gelegentlich
nach der Zufuhr von Lävulose ein gleiches Verhalten beobachtet wird,
1) Dementsprechend fiel in diesen Fällen und besonders deutlich im Fall I die
Seii w an off sehe Probe in dem eingeengten Filtrate der Schenkschen Fällung
positiv aus.
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8 C. MAASE und H. TACHAU, Vergleichende Blutzuckerbestimmungen.
wie nach der Aufnahme von 100 g Traubenzucker, dass nämlich der
Zucker in pathologisch erhöhter Konzentration im Blute vorhanden ist,
ohne in den Harn überzutreten.
Der berechnete Dextrosegehalt ergibt in zwei Fällen Werte, die
deutlich über der beim Nüchternen gewöhnlichen Grenze liegen (Nr. 1
und 3). Hier müsste man annehmen, dass im intermediären Stoffwechsel
eine Umwandlung von Lävulose in Dextrose eingetreten sei, oder dass
infolge der Lävulosezufuhr Glykogen als Dextrose aus den Glykogen¬
depots ausgetreten sei.
Zusammenfassung: Vergleichende Blutzuckerbestimmungen durch
Polarisation und die ßeduktionsmethoden von Bertrand und Tachau
ergaben am Menschen, bei normalem und erhöhtem Blutzuckergehalt,
mit Ausnahme von einem Falle, gut übereinstimmende Werte. In dem
einen Falle war der durch Polarisation festgestellte Blutzuckergehalt er¬
heblich höher als der mit den Reduktionsmethoden gefundene, wahr¬
scheinlich wohl infolge der Anwesenheit eines anderen, stärker als die
Dextrose drehenden aber schwächer reduzierenden Kohlehydrates im
Blute. — Nach der Aufnahme von 100 g Lävulose ergab die Reduktion
erheblich höhere Werte als die Polarisation, am grössten war die Differenz
in einem Falle von Ikterus. Der berechnete Dextrosegehalt des Blutes
lag in diesen Fällen nach Zufuhr von 100 g Lävulose wiederholt über
der in nüchternem Zustande gewohnten Grenze.
Gck igle
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ii.
Aus der medizinischen Klinik zu Würzburg.
Ueber Ungerinnbarkeit des Blutes bei der Hämoptoe
der Phthisiker.
Von
Privatdozent Dr. E. Magnus-Alsleben.
Auf dem Wiesbadener Kongress 1913 hatte ich über Beobachtungen
berichtet, in denen das von Lungenkranken ausgehustete Blut gelegent¬
lich zu einem mehr oder weniger grossen Teil ungerinnbar blieb. Eine
Reihe von Experimenten, die zur Erklärung dieses neuerdings auch von
v. Ho esslin 1 ) erwähnten Vorkommnisses angestcllt wurden, sowie die
klinischen Fälle, welche die Veranlassung dazu gegeben, hatte Herr
cand. med. Schmitt in einer Inauguraldissertation veröffentlichen wollen.
Da dieselbe sich jedoch noch länger hinauszögern wird, wollte ich hier
in Kürze einige unserer Versuchsprotokolle als Belege meines damaligen
Vortrags veröffentlichen.
Das expektorierte Blut enthielt manchmal einige geronnene Flocken;
der flüssige Teil war aber durch keinerlei Mittel nachträglich zum Ge¬
rinnen zu bringen und es blieben auch Kalksalze, Serum und Gewebs-
extrakte ohne jeden Einfluss darauf. Das den Patienten aus der Arm¬
vene entnommene Blut kam dagegen in vollkommen normaler Weise zur
Gerinnung. Setzte man dem flüssigen Hämoptoeblut kleine Mengen nor¬
malen Blutes zu, so blieb es flüssig, während bei Zusatz von etwas
grösseren Mengen (ca. die Hälfte), eine, wenn auch verlangsamte Koagu¬
lation eintrat. Der Speichel des Patienten, der ja vielleicht in atypischer
Weise gerinnungshemmende Eigenschaften hätte zeigen können, war nicht
die Ursache. Er beschleunigte sogar, wie er es normaliter tut, die Ge¬
rinnung ganz prompt.
Was diesen Einfluss der Gewebssäfte auf die Gerinnung anbetrifft,
so sollen bekanntlich die Extrakte fast aller Organe stark gerinnungs¬
beschleunigende Eigenschaften aufweisen. Nur gewisse Teile der weib¬
lichen Genitalien machen hierin eine Ausnahme 2 ), eine Tatsache, welche
neuerdings zur Erklärung des Flüssigbleibens des Menstrualblutes heran¬
gezogen wird 3 ). Durch Autolyse soll dagegen aus allen Organen eine
1) Arch. f. klin. Med. 1913. Bd. 112. S. 580.
2) Genau dasselbe Verhalten fand ich bei 2 Fällen von Hämatokolpos, welche
Herr Prof. Polano mir freundlichst zugestellt hatte.
' 3) Sohickele, Biochemische Zeitschr. 1912.
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10
E. MAGNUS-AL3LEBEN
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gerinnungshemmendc Substanz extrahierbar sein. Versuche über die Be¬
einflussung der Gerinnung durch frische, sowie durch autolytisch gewonnene
Gewebssäfte wurden nun mit einer grossen Zahl von normalen und patho¬
logisch veränderten Organen angestellt.
Zur Gewinnung von Autolysaten wurden die frischen Organe in der Fleisch¬
maschine zerkleinert und der Brei (nötigenfalls mit etwas Ringerlösung verdünnt)
mit Chloroform und Toluol mehrere Tage lang geschüttelt und dann im Brutschrank
bei 37° verdaut. Die Verflüssigung ging verschieden rasch vor sich. Am raschesten
lösten sich Schilddrüse und Leber, ebenso rasch Karzinome, am langsamsten Nieren¬
brei. Zur Anstellung der Proben machte es manchmal einige Schwierigkeiten, die zu
prüfende Flüssigkeit frei von Chloroform und Toluol zu bekommen; doch war dies
durch mehrmaliges Filtrieren durch angefeuchtete Filter fast immer zu erreichen. Die
Filtrate waren klar, gelblich und enthielten auch nach 2—3 monatelanger Autolyse
meist noch kleine Mengen koagulablen Eiweisses.
Zur Herstellung von Presssäften bedienten wir uns mit freundlicher Erlaubnis
von Herrn Prof, von Frey der im hiesigen physiologischen Institut befindlichen
Buchnerschen Presse. Die Organe wurden nach Zerkleinern in der Fleischmaschine
unter immer neuem Zusatz von Kieselgur in einem Mörser so lange klein gestampft,
bis sie ein vollständig trockenes Pulver darstellten. Auf die völlige Trockenheit ist
grosses Gewicht zu legen. Manchmal war die 10—20 fache Menge des zu verarbeitenden
Organes an Kieselgur nötig. Dann wurde dieses Pulver in die mit einem Koliertuch
ausgekleidete Form hineingedrückt, das Koliertuch geschlossen und nun wurde das
Ganze in der Presse ausgepresst. Der austropfende Saft muss völlig klar sein. Trü¬
bung desselben oder gar das Hervortreten kleiner Teile von Organbrei zeigt an, dass
das Koliertuch gerissen ist, was bei nicht sehr sorgfältigem Verpacken sehr leicht
passierte.
Was die Prüfung auf die Gerinnungsdauer betrifft, so bestimmten
wir die Zeit, nach welcher das frisch aus der Vene in einem kleinen
Probiergläschen aufgefangene Blut bei raschem Umkehren des Glases
nicht mehr herausläuft. Diese Probe ist wohl nicht sehr scharf und
darf auf Differenzen von ein oder zwei Minuten nicht viel Gewicht gelegt
werden. Grosse Differenzen, wie die hier beobachteten es häufig waren,
sind aber wohl bei Einhaltung sonst gleicher Versuchsbedingungen in
Bezug auf Temperatur usw. in eindeutiger Weise auf eine Beschleunigung
resp. Verlangsamung der Gerinnungsfähigkeit zu beziehen. Wir nahmen
meistens Hundeblut aus der V. jugularis, einige Male auch Aderlassblut
vom Menschen. Das Blut, je 5 ccm, wurde stets sofort in das darunter
gehaltene, mit l / 2 ccm des zu prüfenden Saftes beschickte Probiergläschen
geleitet. In die Kontrollen kam Ringerlösung.
I. Versuche 1 ) mit frischen Presssäften.
Versuche vom 19. 12. 1912 Gerinnungszeit
1. Normale Niere.fast sofort
2. Normale Lunge.fast sofort
3. Normale Leber.fast sofort
Kontrolle mit Ringerlösung.6 Minuten
1) Es wurde in allen Versuchen 0,5 ccm Organsaft und 5ccm Blut genommen;
im Versuch vom 19. 12. 12 wurde Aderlassblut vom Menschen, sonst immer Hunde¬
blut verwendet.
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Ueber Ungerinnbarkeit des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker.
11
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Versuche vom 10. 1. 1913
4. Leberkarzinom .
5. Meersohweinchenleber . .
Kontrolle mit Ringerlösung
Versuche vom 6. 2. 1913
6. Tuberkulöse Lunge .
7. Tuberkulöse Lunge .
Kontrolle mit Ringerlösung
Versuche vom 4. 3. 1913
8. Tuberkulöse Lunge .
9. Tuberkulöse Lunge .
10. Hypernephrom .
Kontrolle mit Ringerlösung
Versuche vom 20. 6. 1913
11. Tuberkulöse Lunge .
12. Tuberkulöse Lunge .
13. Normale Lunge .
Kontrolle mit Ringerlösung
Versuche vom 23. 6. 1913
14. Kalbslunge ....
15. Rinderlunge ....
16. Schweinelunge .
17. Hammellunge
18. Tuberkulöse Lunge .
Kontrolle mit Ringerlösung
Gerinnungszeit
7 Minuten
iv* „
7 „
Gerinnungszeit
ß l / 2 Minuten
7 Minuten
Gerinnungszeit
. 13 Minuten
. 25 „
• 4 „
. 6 „
Gerinnungszeit
. 18 Minuten
. 12 „
• 3 „
• 6 „
Gerinnungszeit
. 2 x / 2 Minuten
. 3 Minuten
• 5 „
• 3 „
• 8 „
. 8 „
n. Versuche mit autolytischen Säften.
Versuche vom 14. 2. 1913 verdaut seit Gerinnungszeit
19. Hypernephrommetastasen
‘ in der Leber ....
16. 12. 12
12 Minuten
20. Normale Leber ....
16. 12. 12
über 40 Minuten
Kontrolle mit Ringerlösung
.
8 Minuten
Versuche vom 4. 3. 13
verdaut seit
Gerinnungszeit
21. Tuberkulöse Lunge
14. 1. 13
18 Minuten
22. Croupöse Pneumonie .
20. 12. 12
9 „
23. Schilddrüse ....
17. 12. 12
16 „
24. Milz.
16. 12. 12
10 „
Kontrolle mit Ringerlösung
.
. 6 „
Versuche vom 12. 3. 13
verdaut seit
Gerinnungszeit
25. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 6)
6. 2. 13
20 Minuten
26. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 7)
6. 2. 13
30 „
27. Fettleber.
4. 12. 12
14 „
28. Fettleber.
14. 1. 13
19 „
29. Tuberkulöse Lunge
14. 1. 13
13
30. Hypernephrom ....
16. 12. 12
13 „
Kontrolle mit Ringerlösung
.
. 6 „
Versuche vom 3. 6. 13
verdaut seit
Gerinnungszeit
31. Niere.
16. 12. 12
20 Minuten
32. Niere.
16. 12. 12
22 „
33. Bronchopneumonie
17. 12. 12
23 „
34. Hypernephrommetastase in
der Lunge ....
16. 12. 12
23 „
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12
E. MAGNUS-ALSLEBEN,
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35. Karzinommetastase d. Leber
verdaut seit
23. 1. 13
Gerinnungszeit
16 „
36. Milz.
17. 12. 12
10 „
37. Tuberkulöse Lunge
14. 1. 13
0 r
38. Tuberkul. Lunge (Kaverne)
8. 2. 13
25 „
Kontrolle mit Ringerlösung
• 4 „
Versuche vom 20. 5. 13
verdaut seit
Gerinnungszeit
39. Hypernephrommetastase in
der Leber ....
16. 12. 12
8 Minuten
40. Tuberkulöse Lunge
14. 1. 13
6 „
Kontrolle mit Ringerlösung.
. . . .
• 6 „
Versuche vom 30. 6. 13
verdaut seit
Gerinnungszeit
41. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 6)
6. 2. 13
17 Minuten
42. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 7)
6. 2. 13
26 „
Kontrolle mit RingerlösuDg
. 6 „
Die Tabellen ergeben zunächst in Bestätigung der Versuche von
Conradi 1 ), dass die Pressssäfte fast aller Organe eine starke gerinnungs¬
fördernde Wirkung haben. Ganz sicher eindeutig trat dies, was für den
vorliegenden Fall von besonderer Wichtigkeit ist, bei allen geprüften
Menschen- und Tierlungen auf (Versuche Nr. 2, 13, 14, 15, 16, 17).
Die durch Autolyse gewonnenen Säfte zeigten meistens eine ge¬
rinnungsverzögernde Wirkung. Während die Kontrollen nach 4—6 Min.
geronnen waren, blieb das Blut nach Zusatz eines Autolysates einer
normalen Leber (nach zweiraonatelanger Verdauung) fast 40 Min., einer
Fettleber (2 72 Monate verdaut) ca. 30 Min., einer Niere (6 Monate ver¬
daut) ca. 22 Min. flüssig. Die gleichen Organe, welche frisch ausgepresst
also stark gerinnungsfördernd sind, bilden durch eine mehrmonatliche
antiseptische Autolyse eine gerinnungsverzögernde Substanz.
Im auffallenden Gegensatz hierzu standen die Resultate, welche die
die Presssäfte pathologisch veränderter Organe häufig ergaben. Oftmals
verhielten sie sich in Bezug auf die Blutgerinnung indifferent. In anderen
Fällen wirkten sie sogar gerinnungsverzögernd. Besonders deutlich trat
dies mehrmals mit den Presssäften tuberkulöser Lungen auf. Sie wirkten
einige Male, freilich nicht immer, verzögernd wie die Autolysate normaler
Lungen (Versuche Nr. 8, 9, 11, 12).
Wenn diesen Versuchsresultaten und den klinischen Beobachtungen
über das Flüssigbleiben des Hämoptoeblutes eine analoge Deutung ge¬
geben werden darf, so schien es am nächstliegenden, an das Auftreten
gerinnungshemmender Agentien zu denken und die Vorstellung schien
erlaubt, dass bei der Tuberkulose (oder wohl auch bei andern chronisch
destruierenden Prozessen) ähnliche gerinnungsverzögernde Stoffe entstehen
könnten, wie bei der experimentellen Autolyse. In der Diskussion zu
meinem Vertrag wies Morawitz, wie inzwischen durch Zahn und
1) Hofmeisters Beiträge. 1902. Bd. 1. S. 136.
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Ueber Ungerinnbarkeit des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker.
13
Walker 1 ) ausführlich publiziert wurde, darauf hin, dass Blut ungerinnbar
wird, wenn es in der Pleurahöhle geweilt hat oder auch, wenn man es
nur langsam über die Oberfläche einer Lunge hat laufen lassen. Mora¬
witz denkt weniger an gcrinnungshemmende Stoffe, sondern er nimmt an,
dass es sich um eine Veränderung des Fibrinogens, aber nicht im Sinne
der Fibrinolyse, handle. Morawitz fand nämlich, dass Fibrinogenlösungen
nach Zusatz von spontan nicht gerinnendem Pleurablut gerinnen. Dies
spricht tatsächlich dafür, dass dem Pleurablut die zur Gerinnung not¬
wendigen Fermente nicht fehlen und ebenso ist es hiernach unwahr¬
scheinlich, dass stark wirksame Antifermente darin enthalten sind. Frei¬
lich stimmen mit der Annahme einer Veränderung des Fibrinogens einige
andere Versuche nicht ganz überein. So gerannen z. B. Fibrinogen¬
lösungen, welche in der Pleurahöhle tatsächlich flüssig geblieben waren,
doch später in vitro. Ebenso fielen die Versuche mit Hirudin nicht ganz
eindeutig aus. Hirudinblut wurde wohl durch Aufenthalt in der Pleura¬
höhle dauernd ungerinnbar, während entsprechend behandeltes Plasma
durch Zusatz von Thrombin oder Serum nachträglich koaguliert werden
konnte. Die Ursache für die Ungerinnbarkeit des Pleurablutes kann
hiernach wohl auch nicht als gesichert betrachtet werden.
Die Annahme scheint natürlich zunächst naheliegend, dass das Un¬
gerinnbarwerden des Blutes durch Kontakt mit dem Pleuraendothel und
die durch Zusatz von Lungenautolysaten bedingte Gerinnungsverzögerung
auf den gleichen oder doch wenigstens eng verwandten Ursachen beruht.
Aber es sei hierbei gleich an einen vielleicht nicht unwesentlichen Unter¬
schied erinnert, nämlich daran, dass es sich das eine Mal um ein dauerndes
Flüssigbleiben, das andere Mal um eine Verzögerung des schliesslich
doch vollständig erfolgenden Gerinnungsvorganges handelt.
Wenn hierin eine prinzipielle Differenz gegeben ist, so hätten wir
ein experimentelles Analogon für das Flüssigbleiben des Hämoptoe¬
blutes weniger in den Gerinnungsstörungen zu sehen, welche bei Zusatz
von Organsäften auftreten, sondern es wäre eher in der durch Kontakt
mit dem Pleuraendothel bedingten Aufhebung der Gerinnung zu suchen.
1) Biocbem. Zeitschr. 1913. Bd. 58. S. 130.
Digitized b'
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in.
Aus der II. med. Universitätsklinik der Kgl. Charite in Berlin
(Geh.-ßat Prof. Dr. Fr. Kraus).
Untersuchungen über den
Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere.
Von
Erich Leschke,
klinischem Assistenten.
(Hierzu Tafeln I und II.)
Die Bestrebungen der jüngsten Zeit, die Nierenerkrankungen nicht
allein pathogenetisch und anatomisch zu differenzieren, sondern auch im
einzelnen Falle über die Schwere der vorliegenden Funktionsbeeinträch¬
tigung ein klinisches Urteil zu gewinnen, haben zur Ausarbeitung einer
Reihe von Methoden geführt, die Funktion der verschiedenen Teile des
harnabsondernden Apparates zu prüfen. Namentlich waren es die physio¬
logisch wie klinisch zutage tretenden Unterschiede in den Leistungen des
vaskulären Apparates, inbesondere der Glomeruli, einerseits und des
Systems der Harnkanälchen andererseits, die die Frage nach den ver¬
schiedenen Partialfunktionen dieser Teilorgano in den Nieren in den
Mittelpunkt des theoretischen wie des praktisch-diagnostischen Interesses
rückten.
Der erste und bis heute noch beste Versuch, die Frage nach dem
Mechanismus der Harnabsonderung zu beantworten, stammt von
W. Bowman. In seiner berühmten Arbeit „On the structure and use
of the Malpighian Bodies of the kidney, with obversation on the circu-
lation through that gland u stellte er im Jahre 1842 die Hypothese auf,
dass die Gefässknäuel der Glomeruli im wesentlichen nur das Wasser
als ein Filtrat der Blutflüssigkeit hindurchtreten lassen, während die
Harnkanälchen, in erster Linie die Tubuli contorti erster Ordnung, den
Harnstoff und die Salze absondern. Dieser Ansicht stellte Carl Ludwig
schon 2 Jahre darauf eine andere entgegen, indem er behauptete, dass
die Glomeruli bereits den gesamten Harn mit allen seinen Bestandteilen
durchfiltrieren lassen und die Konzentration desselben dadurch erfolgt,
dass ein grosser Teil des Hamwassers auf seinem Wege durch die Harn¬
kanälchen durch die Epithelzellen derselben rückresorbiert wird.
Eine Entscheidung über die Richtigkeit der Bowmanschen und der
Ludwigschen Theorie der Nierenfunktion war nur auf experimentellem
Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 15
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Wege möglich. Trotz aller hierauf gerichteten Untersuchungen ist aber
diese Frage bisher noch nicht eindeutig gelöst worden.
I. Die Ausscheidung von Farbstoffen dnrch die Niere.
Den ersten und grundlegenden Versuch einer experimentellen In¬
angriffnahme des Problems des Nierenfunktionsmechanisraus machte
R. Heidenhain im Jahre 1874 in Gemeinschaft mit A. Neisser. Er
injizierte Tieren Farbstoffe, welche durch die Nieren ausgeschieden
wurden, und zwar indigschwefelsaures und phoenizinsaures Natron, und
fand, dass dieselben unabhängig von der Höhe des Blutdruckes und der
Durchströmungsgeschwindigkeit in den Nierengefässen lediglich von den
Epithelzellen der Harnkanälchen aufgenommen und in die Harnkanälchen
ausgeschieden wurden. Die Gefässknäuel und die Kapselräume der
Glomeruli dagegen erwiesen sich als frei von den Farbstoffen. Auch bei
der Untersuchung der Harnsäureausscheidung in der Vogelniere konnten
grössere Mengen von Harnsäure nur in den Harnkanälchen gefunden
werden. Heidenhains Versuche bedeuteten also eine wichtige experi¬
mentelle Stütze für die Richtigkeit der Bowmanschen Theorie. Zugleich
erkannte er, dass die Harnabsonderung kein einfacher physikalischer
Filtrationsprozess sei, sondern auf einer vitalen Tätigkeit der sezernierenden
Drüsenzellen beruhe. Und zwar entnehmen diese Zellen die harn fähigen
Stoffe nicht unmittelbar dem Blute, sondern der die Harnkanälchen um¬
spülenden Lymphe.
Die Ergebnisse der Versuche von Heidenhain und Neisser blieoen
jedoch nicht unwidersprochen. So fanden Pantinsky und ebenso
Henschen nach Injektion von indigschwefelsaurem Natron auch ge¬
legentlich Blaufärbung der Glomeruli. Auch Wittich, der die Aus¬
scheidung des Indigkarmins untersuchte, fand den Farbstoff nicht allein
in den Tubulis, sondern auch den Gefässschlingen der Glomeruli auf¬
liegend, und ebenso kam Gurwitsch auf Grund seiner Versuche zu der
Annahme, dass „im Glomerulusfiltrat gewisse geringe Mengen von den
im Blute zirkulierenden Farbstoffen ausgeschieden werden müssen“.
Namentlich bei sehr starker Anhäufung von Farbstoffen (Anilinblau,
Kongorot) im Blute Hessen sich dieselben auch im Glomerulusfiltrat nach-
weisen. v. Sobieranski schliesslich zog aus seinen Versuchen über die
Ausscheidung von Indigkarmin und Natronkarmin den Schluss, dass alle
harnfähigen Stoffe im Glomerulus filtriert werden und die Harnkanälchen
nur einen „Eindickungsapparat“ darstellen. „Dafür, dass die Harn¬
kanälchen auch eine absondernde Fähigkeit besitzen, besteht bis jetzt
keine feststehende Beobachtung, obwohl es an sich nicht unmöglich ist;
jedoch ist diese Funktion, wenn sie überhaupt existiert, sehr gering.“
Dagegen fehlte es auch nicht an Bestätigungen der Heidenhain-
Neisserschen Versuchsergebnisse. So fand Grützner nach Injektion
von indigschwefelsaurem Natron niemals eine Blaufärbung der Glomeruli,
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
16
ERICH LESCHKE,
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sofern die Versuchsbedingungen die Grenzen des Physiologischen nicht
überschritten, und er führte die abweichenden Angaben von Pantinsky
und Henschen auf eine rohe Injektionstechnik mit Schädigung der
Zirkulation in den Glomerulusgefässen zurück. Adolf Schmidt deckte
einen weiteren technischen Fehler in den mit Injektion grösserer oder
konzentrierterer Farbstoffmengen ausgeführten Versuchen auf, indem er
in diesen Farbstofflösungen bzw. -Suspensionen grössere, ungelöste Farb¬
stoffkörner nachwies, die sich leicht in den Kapillaren der Glomerulus-
sehlingen fortsetzen und dadurch eine Sekretion durch die Glomeruli
Vortäuschen. Bei Ausschaltung dieser Fehlerquelle durch Anwendung
sorgfältig filtrierter Farbstofflösungen fand er weder in den Gefäss-
schlingen noch in den Kapselräumen der Glomeruli jemals Indig-
karmin. Biberfeld, der ein ausserordentlich reines, von Grübler extra
dargestelltes Karmin benutzte, fand selbst bei Injektion sehr grosser
Mengen des Farbstoffes bei Kaninchen „stets, dass die Glomeruli farblos
blieben und das Karmin sich nur in den Tubulis contortis fand“ (1. c.
S. 315). Auch ein grüner Farbstoff, ein *\midin von der Formel
Ci 4 H 16 N 2 wurde nur in den Harnkanälchen ausgeschieden, obwohl er
eine schwere Schädigung der Glomeruli hervorrief. Basler stellte unter
physiologischen Versuchsbedingungen gleichfalls eine ausschliessliche Aus¬
scheidung des Indigkarmins und Kongorots in den Epithelzellen der ge¬
wundenen Harnkanälchen fest. Nur bei Schädigung der Glomeruli
durch brüske Injektion grosser Mengen fand er auch in ihnen etwas
Farbstoff.
Sehr wichtig sind die ausgedehnten Untersuchungen von Ribbert,
der Kaninchen 5—10 ccm einer möglichst konzentrierten Karminlösung
in Lithiumkarbonat intravenös injizierte und die Heidenhainschen An¬
gaben durchaus bestätigen konnte. Er untersuchte auch die Ausscheidung
des indigschwefelsauren Natriums, der Harnsäure, des Eiweisses und des
Hämoglobins und kam zu folgenden Ergebnissen:
1. Karmin, indigschwefelsaures Natrium und Harnsäure werden durch die ge¬
wundenen Harnkanälchen ausgeschieden. Sie finden sich nie in den Glomerulus-
kapseln, sondern nur in den Harnkanälchen.
2. Gleichzeitige Einspritzung von den drei genannten Substanzen hat örtlich
getrennte Ausscheidung in den gewundenen Harnkanälchen zur Folge. Erst weiter
unten in den Schleifen und Schaltstücken und in den geraden Kanälchen sind die
Stoffe stets gemischt.
3. Nach gleichzeitiger Injektion von Eiweiss oder Hämoglobin mit Karmin
finden sich jene in den Glomeruluskapseln, das Karmin stets in den gewundenen
Kanälchen vor.
Zu den gleichen Resultaten kam auch Schlecht.
R. Höher und A. Königsberg haben eine Reihe weiterer Farb¬
stoffe zum Studium der Nierensekretion benutzt, und zwar die vitalen
Farbstoffe: Toluidinblau, Methylenblau, Neutralrot und Bismarckbraun;
ferner als Vertreter der nicht vitalen Farbstoffe das Kongorot, Anilin-
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 17
blau, Scharlachrot, Ponceaublau, Indulin, Nigrosin, Bordeauxrot, Indig-
karmin, Benzoazurin, Benzopurpurin und indigschwefelsaures Natrium.
In allen Versuchen fanden sie die Farbstoffe lediglich in den Epithelicn
der Harnkanälchen; die Glomeruluskapseln waren stets frei von Farb¬
stoff, selbst wenn die Gefässschlingen solchen enthielten.
Mit grosser Sorgfalt und Gründlichkeit hat unlängst Tatzno Suzuki
unter Aschoffs Leitung die Farbstoffausscheidung in der Niere einer
erneuten Untersuchung unterzogen. Das methodisch wichtigste Ergebnis
dieser Untersuchungen besteht darin, dass vieles, was die früheren Autoren
auf eine Ausscheidung des Farbstoffes durch die Nierenepithelien bezogen
hatten, in Wirklichkeit nur Ausdruck einer Speicherung des Farbstoffes
in den Zellen ist.
Suzuki fasst seine Ergebnisse selbst in folgenden Sätzen zusammen:
1. Die Ausscheidung der Farbstoffe mit dem Ham erfolgt, ehe eine irgendwie
nennenswerte Färbung der granulären Strukturen in den Hauptstücken festzustellen ist.
2. Während dieser frühzeitigen Ausscheidungsperiode lassen sich in den fixierten
Organen reichliche feingranulierte Karminzylinder in den Nieren nachweisen.
3. Die Bildung dieser Zylinder erfolgt so gut wie ausschliesslich in den sogon.
Resorptionsabschnitten der Kanälchensysteme.
4. Die Bildung dieser granulierten Massen ist nicht auf eine sekretorische Aus¬
scheidung karmingefärbter echter Granula seitens der Epithelien der Hauptstücke
zurüokzuführen, da hier, wenn überhaupt, nur bei stärkerer Karminzufuhr Abscheidung
des Karmins in körnig-fester Form beobachtet wird, während die eigentlichen Zell¬
granula ganz schwach oder garnicht gefärbt sind.
5. Bei der Abscheidung korpuskularen Karmins handelt es sich um Niederschlags¬
bildungen in den Grenzgebieten des Bürstensaumes, die sich an einem sonst in gelöster
Form ausgeschiedenen Farbstoff vollziehen.
6. Auch die Ausscheidung des gelösten Farbstoffes findet nur zum Teil in den
Epithelien der Hauptstücke statt, da sie sonst zur Zeit der Zylinderbildung schon
stärkere Granulafärbung aufweisen müssten. Vielmehr ist eine weitere Quelle der
Ausscheidung in den Glomerulis zu suchen, dereu Kapselraum bei allzu starker
Karminzufuhr und bei zunehmender Verstopfung der distalen Kanälchenabschnitte
ebenfalls Karminniederschläge aufweisen kann.
7. Nach diesen Versuchen muss das Nierensystem in drei Abschnitte zerlegt
werden, in den Glomerulusfilterapparat, durch welchen die Ausscheidung der Harn¬
flüssigkeit und des in ihr gelösten Farbstoffes erfolgt, in den sekretorischen Kanälchen¬
abschnitt, durch welchen gleichfalls eine Ausscheidung gelösten Farbstoffes vor sich
geht, und den Resorptionsabschnitt, in welchem keine Ausscheidung des Farbstoffes
seitens der Epithelien mehr beobachtet werden kann, in welchem vielmehr eine auf
Eindickung zurückzuführende hyalin-körnige Zylinderbildung sichtbar wird.
8. Von der Ausscheidung des gelösten Farbstoffes, die sich relativ schnell voll¬
zieht, ist die allmählich erfolgende Speicherung des Farbstoffes in den echten Granulis
scharf zu trennen. Die karminspeichernden Granula haben mit der Sekretion des
Farbstoffes nichts zu tun.
Eine sehr ingeniöse physiologische Methode zur Untersuchung der
Nierenfunktion wandte Moritz Nussbaum an. Er machte an der
lebenden Kaltblütlerniere die Beobachtung, dass die Glomeruli von der
Nierenarterie, die Harnkanälchen von der Nierenpfortader gespeist werden.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2. 2
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Diese Feststellung gab ihm die Möglichkeit, durch Unterbindung eines
dieser beiden Zirkulationssysterae die Glomeruli oder die Harnkanälchen
von der Blutversorgung abzuschneiden. Nach Unterbindung der Nieren¬
arterie sistierte die Wasserausscheidung, während intravenös injiziertes
indigschwefelsaures Natrium oder Harnstoff durch die Harnkanälchen
sezerniert wurde. Dabei zeigte es sich, dass ein gewisser Teil des
Wassers von den sezernierten Salzen mitgeführt wurde, und dass z. B.
der Harnstoff mehr Wasser mit sich führt als das indigschwefelsaure
Natrium. Die Glomeruli haben demgegenüber die Funktion, unabhängig
von der sekretorischen Tätigkeit der Harnkanälchen, die Wassermenge
des Blutes konstant zu erhalten; ausserdem wird aber auch der Zucker
und das Eiweiss durch die Glomeruli ausgeschieden.
Leider erfuhren diese überaus wichtigen Feststellungen Nuss bau ms
eine gewisse Beeinträchtigung dadurch, dass Adami Anastomosen zwischen
den beiden genannten Gefässsystemen nachwies, so dass auch nach Unter¬
bindung der Nierenarterie noch eine geringe Blutversorgung der Glomeruli
durch die Anastomosen von der Nierenpfortader aus erfolgen kann.
Gurwitsch unterband bei Kaltblütlern die Nierenpfortader und fand
nach Ausschaltung der gesamten Harnkanälchen, dass die Haupt¬
ausscheidung der Salze und Farbstoffe zweifellos durch die Harnkanälchen
erfolgt, dass sie aber auch bei stärkerer Anhäufung im Blute „durch die
Glomeruli in einer bestimmten Konzentration durchfiltriert werden, die
dem Prozentgehalte des Blutes an ihnen mehr oder weniger gleichkommt“.
Ich selbst möchte an dieser Stelle betonen, dass die grundlegenden
Ergebnisse der Nussbaumschen Versuche trotz der geringen Ein¬
schränkungen Adamis doch für vollkommen gesichert und den Tatsachen
entsprechend gelten müssen.
Die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen, den Mechanismus der
Nierenfunktion durch das Studium der Farbstoffausscheidung aufzuklären,
sind demnach noch recht wenig eindeutig. Denn die früheren Arbeiten
haben den Unterschied zwischen Ausscheidung und Speicherung des
Farbstoffs nicht berücksichtigt, und Suzuki, der zwar die Ausscheidung
des Farbstoffs durch die Harnkanälchen gleichfalls bestätigt hat, hält im
Gegensatz zu Heidenhain und der Mehrzahl der gesamten Nachunter¬
sucher eine Ausscheidung des Farbstoffs durch die Glomeruli für wahr¬
scheinlich. Einen zwingenden Beweis hierfür kann ich jedoch in seinen
Versuchen nicht sehen, da der Befund von Farbstoffkörnchen im Kapsel¬
raum der Glomeruli „bei starker Karminzufuhr und bei zunehmender
Verstopfung der distalen Kanälchenabschnitte“ für eine Sekretion des
Farbstoffs durch die Gefässschlingen der Glomeruli unter physiologischen
Verhältnisse nicht beweisend ist. Sicher ist daher nur die Farbstoff¬
ausscheidung durch die Harnkanälchen, unentschieden da¬
gegen die durch die Glomeruli.
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 19
II. Die Ausscheidung von histochemisch nachweisbaren Salzen
durch die Niere.
Schon vor Heidenhain hat H. Quincke im Jahre 1868 die Aus¬
scheidung von Eisensalzen (zitronensaures, weinsaures und apfelsaures
Eisen) durch die Niere mit Hilfe histochemischer Methoden (Schwefel-
amraonium- und Berlinerblau-Reaktion) untersucht; er fand das Eisen
lediglich in den Harnkanälchen und ihren Epithelien. Auf seine An¬
regung hat Glaevecke 1883 diese Versuche wieder äufgenommen und
bestätigt. „Die Epithelien der gewundenen Harnkanälchen nehmen das
Eisen aus der sie umgebenden Lymphe und sammeln es in ihrem Innern
zunächst an. Sie scheiden dann das gesammelte Eisen wieder aus u .
In neuerer Zeit haben Biberfeld und Basler die Ausscheidung
des Ferrozyans durch die Niere studiert. Biberfeld fand das Ferrozyan,
das er mit Hilfe von Eisenchlorid als Berlinerblau nachwies, niemals ira
Kapselraum der Glomeruli, sondern nur in den gewundenen Harn¬
kanälchen, und zwar sowohl in der Wand als auch an andern Stellen
innerhalb der Epithelzellen und im Lumen der Harnkanälchen. Auch
Basler fand die Glomeruli meist ungefärbt. Die Harnkanälchen dagegen
waren durch eine blaue Linie konturiert. Jedoch fand er das Ferrozyan
niemals in dcA Zellen selbst oder im Lumen der Kanälchen, so dass er
den Schluss ziehen musste, dass der Farbstoff nicht da niedergeschlagen
wird, wo er sich während des Lebens befindet. Darum hält Basler
auch den Schluss von Biberfeld, dass die gewundenen Kanälchen den
Ort der Ferrozyanausscheidung darstellen, für verfrüht.
Waschetkow dagegen konnte bei seinen Versuchen, in denen er
grosse Mengen (10—31 g) Ferrozyan bei Hündinnen injizierte, das Salz
auch ira Plasma der Epithelzellen nach weisen; er hält also das spezifische
Nierenepithel für den Ort der Ausscheidung.
Ich selbst habe 1912 auf Anregung von Herrn Prof. Bunge in Bonn
als damaliger Assistent der chirurgischen Abteilung des Friedrich Wilhelm-
Stiftes die Ausscheidung des Ferrozyannatriums in zahlreichen Versuchen
histochemisch geprüft. Auf die Einzelheiten dieser Versuche brauche ich
hier nicht einzugehen, da ich über dieselben in einer grösseren Arbeit
gemeinschaftlich mit Herrn Prof. Bunge anderen Ortes ausführlicher be¬
richten werde. Hier sei nur soviel gesagt, dass selbst bei Injektion
ganz enormer Mengen des Salzes dieses niemals in den
Glomerulis, sondern ausschliesslich in den gewundenen Harn¬
kanälchen nachweisbar ist, welche das Salz der umgebenden
Lymphe aufnehmen, in den Zellen konzentrieren und in das
Lumen ausscheiden.
Wir dürfen es demnach wohl als bewiesen ansehen, dass die histo¬
chemisch nachweisbaren körperfremden Salze, wie die Eisensalze und
die Fcrrozyansalze, lediglich in den Harnkanälchen aus¬
geschieden werden.
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III. Eigene Untersuchungen Uber die Ausscheidung der normalen
Harnbestandteile in den Nieren.
In den vorangegangenen Abschnitten haben wir gesehen, dass der
Mechanismus der Farbstoffausscheidung noch nicht absolut geklärt ist,
dass dagegen die körperfremden Eisensalze lediglich durch die Harn¬
kanälchen abgesondert werden. So wichtig dieses letztere Ergebnis ist,
beweist es doch nichts für den Mechanismus der Absonderung der nor¬
malen, körpereigenen Harnbestandteile. Angeregt durch die Ergebnisse
meiner eben angeführten Untersuchungen über die Ausscheidung des
Ferrozyans, habe ich daher bereits vor zwei Jahren unter Leitung von
Herrn Prof. Bunge versucht, die Ausscheidung des Kochsalzes in den
Nieren nachzuweisen. Diese Versuche scheiterten jedoch an gewissen
technischen Schwierigkeiten und wurden daher von mir seinerzeit auf¬
gegeben. Erst im Juli 1913 habe ich die Versuche im Laboratorium
der 2. medizinischen Klinik der Kgl. Charitö zu Berlin von neuem auf¬
genommen, die Ausscheidung der normalen Harnbestandteile in den Nieren
mit Hilfe von histochemischen Methoden, die ich zu diesem Zweck aus¬
arbeitete, zu untersuchen und die Frage nach dem Orte ihrer Ausscheidung
in der Niere endgültig zu klären. Ueber das Ergebnis (fieser Versuche
habe ich zuerst auf dem 31. Kongress für innere Medizin in Wiesbaden
und kurz danach auf Einladung des ärztlichen Vereins in Hamburg (vgl.
Münchener med. Wochenschr., 1914, Nr. 28) kurz berichtet und daselbst
auch die Originalpräparate demonstriert.
a) Die Ausscheidung des Kochsalzes.
Der histochemischc Nachweis des Kochsalzes gelingt mit folgender
Methode:
y 2 bis 1 mm dünne Scheiben der frisch exstirpierten Niere werden
sogleich in eine 1- bis 3proz. Silbernitratlösung eingelegt und im Dunkeln
12 bis 24 Stunden aufbewahrt. Ist die Silbcrnitratlösung neutral, so
fallen hierbei sowohl die Chloride als auch die Phosphate als unlösliche
Silbersalze aus. Will man die Chloride allein ohne die Phosphate er¬
halten, so säuert man die Silbernitratlösung mit Salpetersäure an (auf
etwa 1 pCt. Salpetersäuregehalt). In dieser sauren Lösung bleiben die
Phosphate gelöst, und nur die Chloride fallen als Chlorsilber aus. Hierauf
wässert man die Stücke in destilliertem Wasser, das man wiederholt
wechseln muss, mehrere Stunden, wonach man dieselben dem Lichte
aussetzt. Man bringt sie darauf in einen photographischen Entwickler
von der Zusammensetzung:
Hydrochinon. 2,0 ccm
Natriumsulfit. 0,5 „
Aqua dest.100,0 „
40 proz. Formol. 5,0 „
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 21
In dieser Lösung bleiben die Schnitte 10 bis 20 Stunden liegen,
wodurch der Chlorsilberniederschlag zu metallischem Silber reduziert
wird. Es ist vorteilhaft, diese Reduktion im Stück vorzunehmen und
dann erst die Stücke einzubetten und zu schneiden, weil bei der Ein¬
bettung der unreduzierten Stücke ein grosser Teil des Chlorsilbers aus¬
geschwemmt wird. Es ist gleichgültig, ob man die frisch exstirpierten
Nierenstücke in die Silbernitratlösung einlegt oder ob man die Niere von
der Arterie aus vorher mit Silbernitratlösung durchspült. Nachdem die
Stücke in Paraffin oder Celloidin eingebettet und geschnitten worden sind,
färbt man die Schnitte mit einer Kernfarbe nach. Die schönsten Bilder
gibt eine Gegenfärbung mit Alaunkarmin; doch eignen sich auch andere
Kernfarben zur Gegenfärbung, sofern sie nicht die Silberniederschläge
angreifen.
Ueber die einzelnen Versuche sei im Folgenden kurz berichtet:
Kaninohen 1. 5 ccm 10 proz. Kochsalzlösung intravenös. Niere exstirpiert und
histochemisch untersucht. Die Glomeruli sind frei von Kochsalz, die gewundenen
Harnkanälchen und die breiten Anfangsteile [Uebergangsteile 1 )] der geraden Harn¬
kanälchen dagegen sind mit Kochsalz stark angefüllt. Das Kochsalz findet sich in
allen Teilen der Epithelzellen; es scheint in diesen Zellen eine starke Anreicherung
des aus den Lymphdrüsen resorbierten Kochsalzes stattzufinden. In den Blut- und
Lymphbahnen findet sich nur wenig Kochsalz. Die aufsteigenden Abschnitte der
Henleschen Schleifen und die Sammelröhren sind frei von Kochsalz.
Kaninchen 2. Nach gewöhnlicher Fütterung (Rüben und Kohl) wird die Niere
exstirpiert, ohne dass vorher eine Kochsalzzulage gegeben worden war. Die histo-
chemische Untersuchung zeigte nur wenig Kochsalz in den Epithelzellen der ge¬
wundenen Harnkanälchen und den breiten Anfangsteilen (Uebergangsteilen) der geraden.
Glomeruli und Sammelröhren frei von Kochsalz.
Kaninchen 4. 7,5 ccm 20proz. Kochsalzlösung = 1,5 g Kochsalz intravenös.
Die linke Niere wird nach 35 Minuten exstirpiert und in 2proz. Silbernitrat eingelegt.
Bei der histochemischen Untersuchung findet sich ein ausserordentlich starker Koch¬
salzgehalt der Harnkanälchen; die Zellen der gewundenen und die der breiten Anfangs¬
teile der geraden Harnkanälchen sind geradezu vollgepfropft mit histochemischen
Silberniederschlägen. Trotz der enormen Anforderung, die durch die Injektion einer
so grossen, die Grenze des Normalen weit überschreitenden Kochsalzmenge in die
Blutbahn an die Niere gestellt wurde, waren es auch in diesem Falle lediglich die
Harnkanälchen, die die Ausscheidung dieser Kochsalzmenge bewerkstelligten, während
die Glomeruli selbst bei dieser Mehrbelastung der Niere nichts als Wasser (natürlich
in physiologischer Lösung) absonderten.
Meerschweinchen 1. Nach gewöhnlicher Fütterung entblutet, die Nieren¬
stückchen in Silbernitratlösung eingelegt. Kochsalz wurdo nur in den gewundenen
und den Uebergangsteilen der geraden Harnkanälchen gefunden; Glomeruli und distale
Teile der Ausführungsgänge frei von Koohsalz.
Kaninchen 5. Erhält 30 ccm 10 proz. Kochsalzlösung durch die Magensonde
in den Magen eingefüllt. Die linke Niere wurde nach einer halben, die rechte nach
1 1 / 2 Stunden exstirpiert und in Silbernitratlösung eingelegt. Beide Nieren zeigen einen
1) Diese Uebergangsteile werden von vielen Autoren noch zu den gewundenen
Kanälchen (Hauptstücken nach Aschoff) gerechnet und gehören auch funktionell
za ihnen.
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ziemlich starken Kochsalzgehalt der gewundenen und der Uebergangsteile der geraden
Harnkanälchen bei Freisein der Glomeruli und der anderen Nierenabschnitte.
Kaninchen 6. Eben gestorbenes Kaninchen (infolge Darmperforation bei Tem¬
peraturmessung), Niere unmittelbar nach dem Tode exstirpiert und in neutrale Silber¬
nitratlösung gelegt; Chloride und Phosphate finden sich in gleichen Mengen wie bei
Kaninchen 2 in den Harnkanälchen; die übrigen Nierenabschnitte frei.
Kaninchen 7. Nach zweitägigem Hungern und reichlicher Wasserzufuhr wird
eine Niere exstirpiert und histochemisch untersucht. Es finden sich nur hier und da
ganz vereinzelte Silberkörnohen in den Harnkanälchen, während die meisten Teile der
Niere keine histochemische Reaktion geben. Nach intravenöser Injektion von 5 ccm
einer lOproz. Kochsalzlösung wird die andere Niere exstirpiert und ebenfalls unter¬
sucht. Sie zeigt einen ziemlich starken Kochsalzgehalt in den Harnkanälchen, während
die Glomeruli und die distalen Nierenabschnitte frei sind.
Dieser Versuch lehrt, dass die Niederschläge in den Zellen der Harn¬
kanälchen in der Tat die Gegenwart von Kochsalz anzeigen und nicht
unspezifische Metallniederschläge sind. Bei dem geringen Kochsalzgehalt,
wie ihn die Niere des hungernden und reichlich mit Flüssigkeit durch¬
spülten Tieres aufwies (das spezifische Gewicht des Urins betrug nur
etwa 1002 bis 1003), war auch auf histochemischem Wege kein Koch¬
salz nachweisbar. Unmittelbar nach der Injektion von Kochsalz dagegen
zeigte sich parallel mit dem Erscheinen des Kochsalzes im Urin auch ein
auf histochemischem Wege nachweisbarer Kochsalzgehalt in den Zellen
der Harnkanälchen.
Kaninchen 8. Erhält 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung intravenös. Ex¬
stirpation der linken Niere nach 10 Minuten. Die Harnkanälchen zeigen einen starken
Kochsalzgehalt; die Glomeruli und die Zellen der absteigenden Schenkel der Henle-
schen Schleifen und der Sammelröhren sind frei von Kochsalz. Dem Tier wird reich¬
lich Wasser zugeführt, und nach 10 Stunden, nachdem das zugeführte Kochsalz aus¬
geschieden ist, wird die andere Niere exstirpiert und gleichfalls histochemisch unter¬
sucht. Entsprechend dem überaus geringen Koohsalzgehalt des zuletzt entleerten
Urins finden sich auch bei der histochemischen Untersuchung der Niere nur äusserst
minimale Spuren von Kochsalz in den Harnkanälchen.
Dieser Versuch zeigt, dass die histochemischen Niederschläge auf
einer Ausscheidung des Salzes durch die Zellen der Harnkanälchen be¬
ruhen und nicht etwa durch eine Resorption desselben bedingt sind;
denn man findet sie nur im Stadium der Ausscheidung; nach beendigter
Ausscheidung dagegen gibt die histochemische Untersuchung ein negatives
Resultat. Dieser Befund ist um so wichtiger, als bekanntlich die Unter¬
suchung der Farbstoffausscheidung gelehrt hat, dass auch nach Beendigung
der Farbstoffausscheidung im Urin sich immer noch Farbstoffniederschläge
in den Nierenzellen finden, welche somit auf einer Speicherung des Farb¬
stoffs beruhen und erst nach einer viel längeren Zeit allmählich ausge¬
schieden werden. Bei den Salzen dagegen, sowohl bei den körpereigenen
wie bei den körperfremden, habe ich eine solche Resorption oder Auf¬
speicherung niemals finden können. Schliesslich ist es ja auch nicht
Aufgabe der Niere, die Salze zu resorbieren oder aufzuspeichern, sondern
sie auszuscheiden.
Gergle
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 23
Kaninchen 9 und 10. Normale Kaninchen. Gewöhnliche Fütterung mit etwas
Salzzulage. Die histochemische Untersuchung ergibt denselben Befund wie bei
Kaninchen 2, nur etwas stärkere Anhäufung von Salz in den Zellen der Harnkanälchen.
Kaninchen 11. Injektion von 10 ccm einer 10proz. Kochsalzlösung. Exstir¬
pation der linken Niere unmittelbar nach Beendigung der Injektion. Das Kochsalz
findet sich in mässigen Mengen in den Zellen der Harnkanälchen. Nach 30 Minuten
Exstirpation der rechten Niere. Entsprechend der sehr viel stärkeren Konzentration
des Koohsalzes im Urin findet sich auch in den Zellen der Harnkanälchen ein be¬
deutend stärkerer Kochsalzgehalt. Glomeruli und Zellen der aufsteigenden Schenkel
und der Sammelröhren frei.
Kaninchen 12. Injektion von 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung mit lproz.
Diuretingehalt. Exstirpation der linken Niere nach 30 Minuten. Starker Kochsalz¬
gehalt der Harnkanälchen, reichliche Flüssigkeitszufuhr (intravenöse Injektion von
30 ccm Wasser); darauf einsetzende starke Verdünnung des Urins mit Sinken des
spezifischen Gewichts von 1020 auf 1004. Auf der Höhe dieser Harnflut wird die
andere Niere exstirpiert und histochemisch untersucht. Sie zeigt entsprechend der
geringen Salzkonzentration im Urin keinen histochemisch deutlich nachweisbaren
Kochsalzgehalt in den Harnkanälchen.
Meerschweinchen 2 und 3. Normale Fütterung mit etwas Salzzulage. Die
histochemische Untersuchung der Niere ergibt die gleichen Verhältnisse wie bei
Meerschweinchen 1.
Meerschweinchen 4. Subkutane Injektion von 3 ccm einer 5proz. Kochsalz¬
lösung. Kochsalz nach einer Stunde in den Harnkanälchen in etwas stärkerem Grade
nachweisbar als bei den vorigen Tieren.
Meerschweinchen 5. 1 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung intravenös. Exstir¬
pation beider Nieren nach 30 Minuten. Ausserordentlich starker Kochsalzgehalt in
den Zellen der gewundenen Harnkanälchen und den Anfangsteilen der geraden. Die
Zellen aller übrigen Nierenteile enthalten kein Kochsalz.
In allen diesen Fällen fand sich demnach das Kochsalz
nur in den gewundenen Harnkanälchen und in den breiten
Uebergangsteilen der geraden, die •och zu den Hauptstücken
gehören, in den Zellen der übrigen Nierenabschnitte dagegen
nicht. Natürlich findet man auch in diesen Zellen hin und wieder kleine
Silberkörnchen, und es ist ja auch einleuchtend, dass eine solche mini¬
malste histochemische Reaktion auch in diesen Zellen stattfinden muss,
da sie ja alle Kochsalz in physiologischer Lösung enthalten. Es ist nun
ein Merkmal aller histochemischen Reaktionen, dass sie erst von einer
stärkeren Konzentration der Salze an deutliche positive Reaktionen geben.
So erhält man bei einem geringen Kochsalzgehalt des Harns, der mit
Silbernitrat noch einen deutlichen Niederschlag gibt, in den Nieren keine
histochemische Reaktion. Besonders deutlich tritt das bei Verwendung
körperfremder Salze (z. B. des Ferrozyans) hervor. Injiziert man einem
Kaninchen l / 2 —1 ccm einer 4 proz. Ferrozyanlösung, so kann man das
Ferrozyan schon nach 10 Minuten mühelos im Urin nachweisen und hier
eine deutliche Berlinerblaureaktion erhalten; in der Niere dagegen kann
man auf histochemischem Wege die Ferrozyanausscheidung bei dieser
Konzentration überhaupt nicht nachweisen, sondern benötigt hierzu erst
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ERICH LESCHKE,
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einer grösseren Ferrozyanraenge, etwa 5—10 ccm einer lOproz. Ferro-
zyanlösung. Meine oben erwähnten ersten Versuche in Bonn, das Koch¬
salz nachzuweisen, sind zu einem grossen Teile daran gescheitert, dass
die Kaninchen infolge der Rübenfütterung einen sehr verdünnten Urin
entleerten und demgemäss nicht genügend Salze in den Nierenzellen ent¬
hielten, als dass ein histochemischer Nachweis möglich gewesen wäre.
Erst nach der Injektion der grösseren eben genannten Salz¬
mengen gelang der histochemische Nachweis des Salzes in
den Zellen der Harnkanälchen.
Bei grösseren Schnitten sieht man namentlich bei Injektion grösserer
Mengen von Kochsalz stets, dass einzelne Nierenabschnitte mehr Salz
enthalten als andere. Es ist naheliegend, zunächst anzunehmen, dass
diese Unterschiede z. T. auf einer verschiedenen Imprägnation mit den
histochemischen Reagentien beruhen; da sie sich jedoch so konstant
finden und immer verschiedene Abschnitte der Niere betreffen, halte ich
es doch für wahrscheinlich, dass die verschiedenen Teile der Niere
zur gleichen Zeit nicht gleich stark sezernieren, so dass man
gleichzeitig gewisse Teile der Harnkanälchen mit starkem Kochsalzgehalt
antrifft, während andere weniger Salz ausscheiden. Auch aus anderen
Beobachtungen hat man ja diesen Schluss auf eine verschieden starke
Tätigkeit der einzelnen Nierenabschnitte gezogen, und wenn meine
Präparate hierfür auch keinen absolut sicheren Beweis bringen, so sprechen
sie doch zu gunsten dieser Annahme.
b) Die Ausscheidung des Harnstoffs.
Der histochemische Nachweis des Harnstoffs gelingt dadurch, dass
man den Harnstoff als Quecksilbersalz fällt und das Quecksilber durch
Schwefelwasserstoff in schw^fzbraunes Quecksilbersulfid überführt. Im
einzelnen verfährt man folgendermassen: Man bringt ganz dünne, höchstens
1 j 2 —1 mm dicke Nierenstückchen in eine VlO ■~ 1 /2 gesättigte Lösung von
Merkurinitrat in lproz. Salpetersäure. Die Schnitte müssen so dünn sein,
weil das schwere Queeksilbersalz nur sehr langsam in sie eindringt.
Bei Verwendung konzentrierter Lösungen werden die Schnitte sehr leicht
brüchig; daher empfiehlt es sich, in jedem Falle verschiedene Stücke in
verschieden stark konzentrierte Lösungen einzulegen, um sicher zu sein,
nicht allzu brüchige Präparate mit guter Harnstoffreaktion zu erhalten.
Man lässt die Nierenstücke einen Tag in der Quecksilbernitratlösung,
wäscht dann das Salz mit destilliertem Wasser mehrere Stunden lang
unter häufigem Wechseln aus und bettet die Nierenstücke über Alkohol
und Nylol in Paraffin ein. Erst im Schnitt macht man die Harnstoff¬
quecksilberverbindung durch Behandeln mit Schwefelwasserstoffwasser
sichtbar. Wenn man diese Behandlung bereits im Stück vornimmt, be¬
kommt man leicht grobe Niederschläge von Quecksilbersulfid in scholliger
Anordnung, während bei der Behandlung im Schnitt der Quecksilber-
Gck igle
Orhginial from
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 25
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harnstoff in feinkörniger Form als braunschwarzes Sulfid in den Nieren
sichtbar wird. Zur Gegenfärbung verwendet man am besten Hämotoxylin.
Kaninchen 13 erhält 7,5 ccm einer 20proz. Harnstofflösung = 1,5 g. Exstir¬
pation der linken Niere nach 25 Minuten. Die Zellen der gewundenen Harnkanälchen
und die Anfangsteile der Uebergangsteile der geraden enthalten grosse Mengen der
Harnstoffverbindung. Die Zellen und namentlich die Kerne der Glomeruli und der
übrigen Nierenabschnitte geben auch eine leichte Graufärbung, da sie ja auch eine
gewisse Menge von Harnstoff physiologischerweise enthalten. Diese geringe Reaktion
steht jedoch in gar keinem Verhältnis zu dem ausserordentlich starken Niederschlag
in den Zellen des sezernierenden Epithels.
Nach Injektion von 30 ccm Wasser und 1 ocm lproz. Diuretinlösung setzt eine
mächtige Harnflut ein; das spezifische Gewicht des Urins sinkt von 1022 auf 1005.
Entsprechend der sehr geringen Harnstoffmenge in diesem polyurischen Harn zeigt
auch die auf der Höhe der Harnflut exstirpierte rechte Niere nur die oben beschriebene
physiologische Harnstoffreaktion (leichte Graufärbung) in allen Teilen der Niere gleich-
massig. Es ist sogar möglich, dass diese Reaktion weniger auf dem Harnstoffgehalt
der Zellen als auf ihrem Eiweissgehalt beruht, da ja das Quecksilberoxydnitrat auch
Eiweiss fallt. Von der spezifischen histochemischen Harnstoffreaktion, wie man sie
nach der Injektion grösserer Harnstoffmengen findet, ist sie jedoch ohne weiteres zu
unterscheiden.
Kaninchen 14. 5 ccm einer 20proz. Harnstofflösung in den Magen eingebracht.
Nach s / 4 Stunden wird die linke Niere exstirpiert. Es zeigt sich ein massig starker
Harnstoffgehalt in den gewundenen Harnkanälchen und in den Anfangsteilen der ge¬
raden. Nach einigen Tagen wird nach gewöhnlicher Fütterung (Kohl) die andere
Niere exstirpiert. Auch in ihr lässt sich histochemisch Harnstoff in mässiger Menge
in den Harnkanälchen nachweisen.
Meerschweinchen 6—10. Nach gewöhnlicher Fütterung mit Brot, Kohl usw.
werden diesen Meerschweinchen, die zur Komplementabnahme für andere Versuche
getötet werden mussten, unmittelbar nach dem Tode die Nieren exstirpiert und histo¬
chemisch untersucht. Auch hier wurde das gleiche Ergebnis erhalten wie bei den
Kaninchen: Mässig starker Harnstoffgehalt der gewundenen Harnkanälchen (der
Hauptstüoke), Freisein der übrigen Nierenabschnitte.
Meerschweinchen 11 erhält 1 ccm einer 20proz. Harnstofflösung intravenös.
Der Harnstoffgehalt der Harnkanälchen ist in diesem Falle ein ausserordentlich grosser
entsprechend der starken Konzentration im Urin.
Meerschweinchen 12 erhält 2 ccm einer 20proz. Harnstofflösung intraperi¬
toneal. Auch hier zeigt sich entsprechend der die Norm überschreitenden Harnstoff¬
konzentration im Urin ein starker Harnstoffgehalt des sezernierenden Nierenepithels.
Kaninchen 15—18. Normale Tiere bei gewöhnlicher Fütterung, die zu andern
Zwecken getötet werden mussten. Die unmittelbar nach dem Tode exstirpierten Nieren
zeigten das gleiche Verhalten, wie es oben bei den Meerschweinchen beschrieben
wurde.
Kaninchen 19 erhält 5 g Harnstoff durch den Magenschlauch per os. Nach
einer Stunde wird die linke Niere exstirpiert. Sie zeigt entsprechend der starken Harn¬
stoffkonzentration im Urin einen ziemlich starken Harnstoffgehalt in den gewundenen
Harnkanälchen und den Anfangsteilen der geraden. Die am folgenden Tage nach
reichlicher Flüssigkeitszufuhr exstirpierte rechte Niere zeigt keine deutlich nachweis¬
bare auf Harnstoff zu beziehende histochemische Reaktion.
Kaninchen 20—22. Injektion von 5 ccm einer lOproz. Harnstofflösung intra¬
venös. Ziemlich starker Harnstoffgehalt des sezernierenden Nierenepithels bei Freisein
der übrigen Nierenabschnitte.
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Diese Versuche zeigen also übereinstimmend, dass die
Sekretion des Harnstoffs dem gleichen Ausscheidungsmecha¬
nismus unterliegt wie die des Kochsalzes. Die Glomeruli
sondern natürlich mit dem Wasser auch gewisse kleine Mengen
von Harnstoff ab, wie sie der physiologischen Konzentration
dieses Stoffes im Blutserum entsprechen. Diese kleinen Mengen
entziehen sich aber aus dem schon oben angeführten Grunde dem histo-
chemischen Nachweis, und sie steigen auch bei einer starken Mehr¬
belastung der Niere nach Injektion sehr grosser Harnstoff¬
mengen nicht an. Die eigentliche Ausscheidung des Harn¬
stoffs besorgen die Zellen des spezifischen sezernierenden
Nierenepithels, d. h. die gewundenen Harnkanälchen und die
Uebergangsteile der geraden. In ihnen findet man eine starke
Anreicherung des Harnstoffs, der dann in das Lumen der
Kanälchen übergeführt wird.
c) Die Ausscheidung der Phosphate.
Die Ausscheidung der Phosphate kann man auf zweierlei Weise
histochemisch sichtbar machen: erstens indem man sie zusammen mit
den Chloriden durch neutrale Silbernitratlösung fällt, und zweitens, wenn
man sie allein erhalten will, indem man sie mit Urannitrat oder Uran-
azetat fällt, und durch Behandeln mit salzsaurer Ferrozyanlösung in
Uraniferrozyanat überführt. Auf die erste Methode brauche ich nicht
nochmals einzugehen, da sie bei dem Abschnitt über das Kochsalz schon
beschrieben worden ist. Bei der zweiten Methode bringt man dünne
Nierenschnitte in 0,1—0,5 proz. Urannitratlösung. Stärkere Urannitrat¬
lösungen haben ebenso wie stärkere Quecksilbernitratlösungen, wohl im
Zusammenhang mit ihrer eiweissfällenden Kraft, die Eigenschaft, die
Schnitte ausserordentlich brüchig zu machen und auseinanderzureissen.
Auch für die Darstellung der Phosphate empfiehlt es sich, verschiedene
Nierenstücke in verschieden stark konzentrierte Urannitratlösung einzu¬
legen, um sicher zu gehen gute Präparate zu gewinnen. Nach 12 bis
24stündigem Verweilen in der Lösung wäscht man das überschüssige
Urannitrat mit häufig gewechseltem destillierten Wasser sehr gründlich
mehrere Stunden lang aus. Um den Niederschlag von weissgelbem
Uraniphosphat sichtbar zu machen, behandelt man die Stücke oder die
Paraffinschnitte mit einer frisch bereiteten Lösung von lproz. Ferro-
zyannatriura in 1 proz. Salzsäure. Es verwandelt sich dann das Urani¬
phosphat in rotbraunes Uraniferrozyannatrium. Zur Gegenfärbung ver¬
wendet man am besten Hämatoxylin.
Kaninchen 23. Normales Tier bei gewöhnlicher Fütterung. Exstirpation der
linken Niere. Ein Teil derselben wird mit Silbernitrat, ein anderer mit Urannitrat be¬
handelt. Beide Methoden zeigen übereinstimmend einen sehr geringen Phosphatgehalt
in den gewundenen Harnkanälchen. Am folgenden Tage werden 5 ccm einer 20proz.
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 27
Lösung von Natriumphosphat intravenös injiziert und die rechte Niere nach 45 Minuten
auf der Höhe der Phosphatsekretion exstirpiert. Sie zeigt mit beiden Methoden einen
ausserordentlich starken Gehalt an Phosphaten in den sezernierenden Epithelzellen
der Harnkanälchen.
Kaninchen 24 erhält 5 ccm einer lOproz. Lösung von Natriumphosphat intra¬
venös. Die nach einer halben Stunde exstirpierte linke Niere zeigt starken Phosphat¬
gehalt der gewundenen Harnkanälchen und der Hauptstücke. Am folgenden Tage wird
nach reichlicher Wasserzufuhr (30 ccm intravenös) auf der Höhe der Harnflut die
rechte Niere exstirpiert; sie zeigt weder mit Silber noch mit Uran einen deutlich nach¬
weisbaren Phosphatgehalt.
Kaninchen 25. lg Natriumphosphat in den Magen eingeführt. Nach einer
Stunde wird die linke Niere exstirpiert; sie zeigt mässig starken Phosphatgehalt in
den gewundenen Harnkanälchen und den Uebergangsteilen der geraden.
Kaninchen 26. 7 com einer 20proz. Natriumphosphatlösung sehr langsam
intravenös injiziert. Das Tier bekommt wohl einige Krämpfe, übersteht die Injektion
aber gut; nach 1 Stunde Exstirpation beider Nieren. Die sezernierenden Epithelzellen
der Harnkanälchen zeigen einen sehr starken Phosphatgehalt, während in den Gefäss-
schlingen der Glomeruli und in den Kapselräumen kein Phosphat, abgesehen von den
vereinzelten, auch sonst zu findenden Körnchen nachweisbar ist.
Meerschweinchen 13. 1 ccm einer lOproz. Natriumphosphatlösung subkutan.
Mässig starker Phosphatgehalt der sezernierenden Zellen der Harnkanälchen mit beiden
Methoden nachweisbar, bei Freisein der übrigen Nierenabschnitte.
Meerschweinchen 14. 1 ccm einer lOproz. Natriumphosphatlösung intra¬
venös. Starker Phosphatgehalt der gleichen Zellen bei Freisein der übrigen Nieren¬
abschnitte.
Meerschweinchen 15—17. Normale Tiere bei gewöhnlicher Fütterung. Mit
Urannitrat lässt sich nur sehr wenig Phosphat in den gewundenen Harnkanälchen
nachweisen. Mit neutraler Silbernitratlösung tritt infolge der gleichzeitigen Dar¬
stellung der Chloride eine etwas stärkere histochemische Reaktion auf.
Diese Versuche zeigen, dass auch die Phosphate ebenso
wie das Kochsalz und der Harnstoff im wesentlichen nur durch
die Epithelzellen der gewundenen Harnkanälchen und die
Uebergangsteile der geraden abgesondert werden. Auch bei
einer sehr starken Belastung der Niere durch Injektion grosser
Phosphatmengen beteiligen sich die Glomeruli an der Sekretion
dieser Salze nicht, sondern sezernieren nur die der physio¬
logischen Konzentration der Phosphate im Blutserum ent¬
sprechenden geringen Mengen.
d) Die Ausscheidung der Harnsäure und der Purine.
Die Ausscheidung der Harnsäure ist bereits von Heidenhain
studiert worden, der in der Niere von Vögeln, die bekanntlich den grössten
Teil ihres Stickstoffs in Form von Harnsäure ausscheiden, Harnsäure¬
kristalle in den Harnkanälchen nachwies, während sie den Glomerulis
fehlten.
Auch Ribbert hat, wie schon im I. Abschnitt dieser Arbeit bemerkt
worden ist, in seinen Versuchen über die Ausscheidung der Harnsäure,
diesen Stoff nur in den Harnkanälchen, nicht aber in den Glomerulis
nachweisen können.
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Sauer und ebenso Minkowski fanden nach Injektion von Harn¬
säure in Piperazin gelöst in der frisch untersuchten Niere die Harnsäure
nur in den Epithelzellen der gewundenen Kanälchen und im Lumen
(aber nicht in den Zellen) der Markkanälchen, während die Glomeruli
frei davon waren.
Den ersten Versuch einer histochemischen Darstellung der Urate
machte Anten, der bei Hunden eine ammoniakalische Chlorsilberlösung
in die Nierenarterie injizierte und die Körner des Silberurates nur in
den Zellen der gewundenen und den breiten, aufsteigenden (?) Schenkeln
der Henleschen Schleifen fand. Ich halte es für wahrscheinlich, dass
Anten die breiten aufsteigenden Schleifenschenkel mit den breiten Ueber-
gangsabschnitten der gewundenen in die geraden Harnkanälchen ver¬
wechselt hat, was bekanntlich leicht möglich ist. In den Glomerulis
und den Zellen der Markkanälchen fand auch er keine Harnsäure. Durch
die Methodik der Silberdurchspülung der Nierenarterie und Nachspülung
von NaCl-Lösung lassen sich jedoch unspezifische Silberniederschläge
nicht mit Sicherheit ausschalten.
Auf histochemischem Wege haben auch Courmont und Andre die
Harnsäure- bei Ratten, Hunden und Menschen in der Niere nachgewiesen,
indem sie die Nieren in absolutem Alkohol fixierten, über Chloroform in
Paraffin einbetteten und mit Silbernitrat behandelten. Die Harnsäure¬
silberverbindung machten sie dann durch Reduzieren mit Hydrochinon
sichtbar. Sie fanden die Harnsäure nur in den gewundenen Kanälchen,
niemals aber in den Glomerulis oder in den Kapselräumen. In den
Zellen der gewundenen Kanälchen fanden sich feine körnige Niederschläge,
die sich auch noch in den Zellen der breiten Schleifenschenkel in geringer
Menge nachweisen liessen.
Diese Versuche von Courmont und Andre sind jedoch nicht ganz
beweiskräftig, da die histochemische Reaktion erst an den eingebetteten
Schnitten vorgenoramen wurde und möglicherweise bei dem geringen
Ammoniakgehalt der Silbcrlösung auch Chloride und Phosphate mit zur
Darstellung gelangt sind.
Zur histochemischen Darstellung der Harnsäure und der Purine habe
ich folgende Methode benutzt: Nach Injektion von Harnsäure (gelöst in
Piperazin oder Lithiumkarbonat) w r urde die Niere in eine 1—2 proz.
ammoniakalische Silbernitratlösung für 12—24 Stunden eingelegt. Die
Silbernitratlösung wurde jedes Mal frisch bereitet und tropfenweise
Ammoniak so lange hinzugefügt, bis der zuerst sich bildende Nieder¬
schlag sich gerade wieder auflöste. Die ammoniakalische Silbernitrat¬
lösung fällt nur die Harnsäure und die Purine als unlösliche Silbersalze,
während die Chloride und Phosphate in Lösung bleiben. Hierauf wurden
die Nierenstücke mit destilliertem Wasser unter häufigem Wechseln
mehrere Stunden lang ausgewaschen, bis das Waschwasser frei von Silber
war, und in den gleichen Hydrochinonentwickler gebracht, den ich zur
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 29
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Darstellung der Chloride benutzt habe (Hydrochinon 2,0, Natrium¬
sulfit 0,5, Aqua dest. 100,0, 40 proz. Formol 5 ccm). Sodann wurden
die Stücke in Paraffin eingebettet, geschnitten und mit Alaunkarmin oder
Safranin nachgefärbt.
Versuche, die Harnsäure in Gefrierschnitten mittels der Farbenreak¬
tion mit Phosphorwolframsäure nacli Folin nachzuweisen, führten zu
keinem Ergebnis.
Kaninchen 27. Injektion von 0,5 g Harnsäure gelöst in Piperazinlösung. Ex¬
stirpation der Nieren nach 30 Minuten. Die Harnsäure findet sich in den Zellen der
gewundenen Kanälchen und der Uebergangsteile, nicht dagegen in den Glomeruli und
den übrigen Nierenabschnitten.
Kaninchen 28. 0,2 g Harnsäure in wässeriger Emulsion (20 ccm Wasser)
intravenös. Nieren nach 5 Minuten exstirpiert, zeigen geringe Harnsäuremengen in
den Harnkanälchen.
Kaninchen 29. 1 g Harnsäure in 20 ccm Lithiumkarbonat gelöst intravenös.
Nach 20 Minuten Exstirpation der linken Niere. Harnsäure findet sich in grossen
Mengen in den Zellen der gewundenen Harnkanälchen und den Uebergangsteilen der
geraden. Trotz der grossen injizierten Menge sind die Glomeruli vollkommen frei
von Harnsäure.
Kaninchen 30. 0,2 g Xanthin intravenös. Linke Niere nach 20 Minuten ex¬
stirpiert. Der Purinkörper findet sich an den gleichen Stellen wie die Harnsäure bei
Kaninchen 28. Am folgenden Tage Exstirpation der rechten Niere bei reichlicher
Diurese. Weder Harnsäure noch Purine histochemisch in der Niere nachweisbar.
Kaninchen 31. 0,5 g Harnsäure in Lithiumkarbonat gelöst intravenös. Exstir¬
pation der linken Niere nach 30 Minuten. Die Harnsäure findet sich nur in den
sezernierenden Zellen der Harnkanälchen.
Kaninchen 32 und 23. Normale Tiere, die zu anderen Zwecken getötet
werden mussten, bei gewöhnlicher Fütterung. Exstirpation der Nieren unmittelbar
nach dem Tode. In den Zellen der Harnkanälchen finden sich ganz vereinzelte feine
Silberniederschläge, während die Glomeruli und die übrigen Nierenabschnitte davon
frei sind.
Meerschweinchen 18 und 19. Normale Tiere, die zu anderen Zwecken ge¬
tötet werden mussten, bei gewöhnlicher Fütterung. In den Nieren finden sich nur in
den Zellen der Harnkanälchen sehr geringe Spuren eines Silberniederschlages.
Meerschweinchen 20. 0,1 g Harnsäure in Piperazinlösung intravenös. Die
Harnsäure findet sich in beträchtlicher Menge in den Zellen der gewundenen Harn¬
kanälchen und der absteigenden Schenkel der geraden. Die Glomeruli sind frei.
Ausserdem wurden noch einige frische Nieren von Hühnern unter¬
sucht, die eine deutliche histochemische Harnsäurereaktion hauptsächlich
in den Zellen der gewundenen Harnkanälchen und etwas weniger stark
in den Uebergangsteilen der graden gab. Die Glomeruli und die distalen
Teile der Harnkanälchen und Sammelröhren sind auch in der Vogelniere
frei von Harnsäure.
Das Ergebnis dieser Untersuchungen besteht darin, dass
auch die Harnsäure ebenso wie die Salze und der Harnstoff
lediglich durch die gewundenen Harnkanälchen und die Ueber¬
gangsteile zu den geraden Kanälchen, soweit dieselben spe¬
zifisch sezernierendes Epithel besitzen, ausgeschieden werden;
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während die Glomeruli sich an der Sekretion auch dieser
Stoffe in histochemisch nachweisbarer Menge nicht beteiligen.
IV. Die Ausscheidung der Jodsalze in der Niere.
Der Ort der Jodausscheidung hat seit den grundlegenden Versuchen
von Schlayer und der Einführung dieses Mittels durch ihn in die funk¬
tionelle Nierendiagnostik zur Prüfung des tubulären Apparates sowohl
theoretisch als auch praktisch-klinisch grosses Interesse gewonnen. Da
sich die Jodsalze histochemisch mit der gleichen Methode wie die Chloride
sehr leicht nachweisen lassen, habe ich auch den Ausscheidungsraecha-
nismus dieses körperfremden Salzes in den Kreis meiner Untersuchungen
einbezogen.
Kaninchen 34. Nach zweitägigem Hungern und reichlicher Wasserzufuhr
wird die linke Niere exstirpiert und histochemisch mit Hilfe der Sibermethode unter¬
sucht. Es zeigt sich fast absolutes Freisein von mit Silbernitrat fällbaren Stoffen
(Chloriden). Darauf intravenöse Injektion von 5 ccm einer lOproz. Jodnatriumlösung.
Exstirpation der rechten Niere nach 15 Minuten. Reichliche Silberniederschläge in
sämtlichen gewundenen Harnkanälchen und den Uebergangsteilen der geraden. Bei
dem negativen Befunde vor der Injektion sind diese Silberhalogenniederschläge nur
auf Jodsilber zu beziehen.
Kaninchen 35. Ebenso vorbehandelt wie Kaninchen 34. In der exstirpierten
linken Niere kein nennenswerter Silberniederschlag. 15 Minuten nach Injektion von
5 ccm einer 20 proz. Jodnatriumlösung Exstirpation der rechten Niere. Starker Jod¬
silberniederschlag in dem sezernierenden Epithel der Harnkanälchen bei Freisein der
Glomeruli und der übrigen Nierenabschnitte.
Diese Versuche zeigen, dass die Ausscheidung der Jodide dem
gleichen Mechanismus unterliegt, wie die der körpereigenen
Salze, und dass die Voraussetzungen, die Schlayer veranlasst haben,
die Ausscheidung der Jodsalze zur funktionellen Prüfung des tubulären
Apparates zu verwenden, durchaus richtig sind. Auch bei Injektion
grosser Mengen von Jodsalzen werden diese lediglich durch
die Harnkanälchen und nicht durch die Glomeruli ausge¬
schieden.
V. Die Spezifität der histochemischen Methoden zur Darstellung der
normalen Harnbestandteile.
Dafür, dass die histochemischen Niederschläge in den Harnkanälchen
wirklich die normalen Harnbestandteile darstellen und nicht auf einer
Durchtränkung der Zellen mit den Reagentien beruhen, können folgende
Beweise angeführt werden.
1. Die histochemischen Methoden ermöglichen nur den Nachweis
grösserer Mengen von Harnstoff und Salzen. Organe, welche die¬
selben nur in der normalen physiologischen Konzentration ent¬
halten (Milz, Lunge usw.) geben keine histochemische Reaktion.
2. Durch Auswaschen kann man die Salze und den Harnstoff aus
der Niere und Leber entfernen, ohne die Vitalität der Zellen aufzuheben.
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 31
In solchen ausgewaschenen Organen lässt sich niemals histo-
chemisch etwas nachweisen.
3. Wären die histochemischen Niederschläge unspezifisch, so müssten
sie sich in allen Zellen der betreffenden Organe finden. Man sieht sie
aber in den Nieren niemals in den Zellen der Sammelröhrchen oder im
Mark, sondern ausschliesslich in den Harnkanälchen. Auch in
anderen Organen tritt dieser Unterschied klar hervor: so geben z. B. im
Magen nur die Salzsäure ausscheidenden Belegzellen eine histo-
chemische Chlorsilberreaktion, nicht aber die Hauptzellen.
4. Die Menge der histochemisch nachweisbaren Harn¬
bestandteile in den Zellen der Harnkanälchen geht ganz parallel
mit ihrer Konzentration im Urin. Bei hungernden Tieren mit guter
Diurese und stark verdünntem Urin findet man kaum etwas, bei Injektion
von Salzen oder Harnstoff dagegen eine mit steigender Injektionsmenge
parallel steigende histochemische Reaktion in den Zellen der Harnkanälchen.
Diese vier Beweise zeigen, dass die histochemischen
Methoden in der Tat den Nachweis der normalen flarnbestandteile
in den Nierenzellen und die Lokalisation ihrer Ausscheidung in den
Harnkanälchen ermöglichen.
VI. Der Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere.
Wie haben wir uns nun auf Grund dieser Untersuchungen den
Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere vorzustellen? Die Gefäss-
schlingen der Glomeruli stellen einen Filterapparat dar, durch dessen
Endothel im wesentlichen nur das Wasser hindurchtritt; natürlich nicht als
destilliertes Wasser, sondern, wie wir nach den grundlegenden Untersuchungen
v. Freys als bewiesen annehmen können, in physiologischer Lösung. Es
werden somit ganz selbstverständlich auch durch die Glomeruli
geringe Mengen von Salzen, wie sie eben der Konzentration
dieser physiologischen Lösung entsprechen, ausgeschieden.
Der Hauptausscheidungsort für die Salze sind jedoch die ge¬
wundenen Kanälchen und in etwas geringerem Grade die
Uebergangsteile der geraden Kanälchen. Die Epithelzellen
dieser Kanälchen entnehmen der sie umgebenden Lymphe
durch eine spezifische vitale Resorptionstätigkeit die Salze,
den Harnstoff und die Purine, wobei diese Stoffe in ihnen
stark konzentriert werden. Durch eine ebenso spezifische
vitale Sekretionstätigkeit sondern sie dann diese Stoffe in
ziemlich konzentrierter Lösung in das Lumen der Harnkanälchen
ab. Die Konzentration des Urins, die ja die der Blutflüssigkeit
weit zu übertreffen vermag, wird also dadurch bedingt, dass
die spezifisch sezernierenden Epithelzellen der Harnkanälchen
die Fähigkeit haben, die Salze, den Harnstoff und die Purinc
in ziemlich konzentrierter Lösung auszuscheiden.
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Ebenso wie das Konzentrationsvermögen ist auch das Ver¬
dünnungsvermögen hauptsächlich eine Funktion des spezifisch
sezernierenden Nierenepithels. In den Versuchen mit Injektion
grosser Flüssigkeitsmengen haben wir gesehen, dass die in diesen Zellen
sonst stets nachweisbaren Salz- und Harnstoffmengen vollständig ver¬
schwinden. Es sondern also die Epithelzellen bei starker Diurese keine
konzentrierte Salz- und Harnstofflösung ab, sondern eine so stark ver¬
dünnte, dass der histochemische Nachweis dieser Stoffe unmöglich wird.
Wenn bei einer Mehrbelastung der Niere mit Wasser auch zweifellos die
Glomeruli eine erhebliche Mehrarbeit leisten, so beteiligen sich doch auch
die Epithelzellen der Harnkanälchen an der Mehrausscheidung des
Wassers in sehr erheblichem Masse. Bei einer stärkeren Belastung der
Niere mit körpereignen oder körperfremden Salzen, Harnstoff, Harnsäure
oder Purinen besorgen hingegen lediglich die spezifisch sezernierenden
Epithelzellen der Harnkanälchen die Mehrausscheidung, während die
Glomeruli auch bei einer das Normale weit übersteigenden Leistung sich
nicht mehr an der Salzausscheidung beteiligen als sie es auch unter
physiologischen Verhältnissen tun, d. h. nur Wasser (in physiologischer
Lösung) absondern.
Im ganzen genommen kommen wir also auf die Bowman-
sche Theorie der Nierenfunktion, die Heidenhain zuerst experi¬
mentell zu begründen versucht hat, zurück.
Nach Fertigstellung dieser Arbeit hatte ich durch die Liebens¬
würdigkeit des Herrn Prosektor Dr. Fahr in Hamburg Gelegenheit, seine
schönen Originalpräparate der Sekretionsgranula in den Epithel¬
zellen der Harnkanälchen 1 ) zu sehen. Dabei überzeugten wir uns,
dass eine erfreuliche und für die Wertung der Ergebnisse nicht un¬
wichtige Uebereinstimmung der mit den verschiedenen Methoden
gewonnenen Resultate besteht. Die Sekretionsgranula finden
sich nämlich in den gleichen Abschnitten des harnabsondernden
Apparates wie die histochemisch sichtbar gemachten normalen
Harnbestandteile. Und zwar sieht man sie ausschliesslich in den
gewundenen Harnkanälchen und in geringerer Menge in den breiten
Uebergangsteilen zu den graden Kanälchen. In den Zellen der
schmalen absteigenden und der breiten aufsteigenden Schleifenschenkel
sowie der Samraelröhrchen finden sich dagegen die Sekretionsgranula
ebensowenig wie die histochemisch darstellbaren Harnbestandteile. Ein
weiteres Parallelgehen besteht in dem Umstande, dass im Hunger¬
zustande weder Sekretionsgranula noch histochemisch darstellbare Harn¬
salze zu finden sind, und dass sie beide mit steigender Salz- und Harnstoff¬
absonderung in zunehmender Menge auftreten.
1) Vgl. Fahr, Verhandl. d. pathol. Gesellschaft. München 1914.
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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 33
Zusammenfassung.
1. Die bisherigen Versuche, den Mechanismus der Nieren¬
funktion durch das Studium der Farbstoffausscheidung zu er¬
klären, haben zu dem Ergebnis geführt, dass der grösste Teil
der Farbstoffe zweifellos durch die Harnkanälchen aus¬
geschieden wird; strittig ist noch, ob und inwieweit auch die
Glomeruli sich an der Farbstoffausscheidung beteiligen.
2. Fremde sowohl wie eigene Untersuchungen über den
Ort der Ausscheidung körperfremder Salze (Ferrozyan- und
Jodsalze) in der Niere haben einwandfrei ergeben, dass ledig¬
lich die Harnkanälchen diese Salze ausscheiden, während die
Glomeruli selbst bei starker Inanspruchnahme der Niere durch
Injektion grosser Salzmengen kein Salz in histochemisch nach¬
weisbarer Menge ausscheiden.
3. Es gelingt mit Hilfe der von mir ausgearbeiteten histo-
chcrnischen Methoden, die hauptsächlichen normalen Harn¬
bestandteile in den Nieren darzustellen. Die hierbei gewonnenen
Niederschläge sind durchaus spezifisch.
4. Die Ausscheidung der normalen Harnbestandteile (der
Chloride, Phosphate, des Harnstoffs, der Harnsäure und
Purine) erfolgt im Wesentlichen nur durch das spezifisch
sezernierende Epithel der gewundenen Harnkanälchen und der
Uebergangsteile zu den absteigenden Schenkeln der geraden
Kanälchen. In den gleichen Abschnitten finden sich auch die
Sekretionsgranula von Fahr, deren Lokalisation und Auftreten
bzw. Verschwinden (im Hungerzustand) mit der der histo¬
chemisch darstellbaren Harnbestandteile übereinstimmt.
5. Die Glomeruli sondern das Wasser in physiologischer
Lösung ab. Die geringen Mengen von Salz und anderen Harn¬
bestandteilen, die einer physiologischen Lösung entsprechen,
werden demnach auch durch die Glomeruli abgesondert.
6. Auch bei einer starken Mehrbelastung der Niere durch
Injektion grosser Salz-, Harnstoff- oder Purinmengen wird die
Ausscheidung derselben lediglich durch die Harnkanälchen
besorgt. Die Glomeruli scheiden auch unter diesen Ver¬
hältnissen nur Wasser in physiologischer Lösung aus.
7. Die Fähigkeit der Konzentration und der Verdünnung
des Urins kommt ausschliesslich den spezifischen sezernieren-
den Zellen der Harnkanälchen zu.
8. Durch meine Versuche wird dieurspünglicheBowmansche
Theorie der Harnabsonderung, die Heidenhain experimentell
zu begründen versucht hat, aufs neue gestützt. Inwieweit
eine Rückresorption von Wasser, wie sie zuerst Ludwig an-
Zeitschr. f. klin. Medizin 81. Bd. II. 1 ... 2. - q
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genommen hat, im Nierenmark stattfindet, ist ungewiss. Zur
Erklärung der Urinkonzentration ist die Annahme einer solchen
Rückresorption jedenfalls nicht erforderlich, da das Kon¬
zentrationsvermögen ebenso wie das Verdünnungsvermögen
eine Funktion des spezifischen sezernierenden Epithels der
Harnkanälchen ist.
Berlin, Juni 1914.
Erklärung der Abbildungen auf Tafeln I und II.
Figur 1: Kochsalzausscheidung. Uebersichtsbild. Obj. 2. Ok. 2. Kaninchen.
Intravenöse Injektion von 0,5 g Kochsalz. Die Glomeruli treten deutlich
durch ihren hellroten Farbenton hervor, ln den gewundenen Harnkanälchen
und den Uebergangsteilen zu den geraden findet sich das Kochsalz als
Chlorsilber niedergeschlagen und zu Silber reduziert.
Figur 2: Kochsalzausscheidung. Obj. 4. Ok. 2. Kaninchen. Intravenöse In¬
jektion von lg Kochsalz. Drei Glomeruli, die kein Kochsalz enthalten;
ebenso einige im Querschnitt getroffene Sammelröhren, die frei von Koch¬
salz sind. Dagegen zeigen alle teils im Quer-, teils im Schrägschnitt ge¬
wundenen Harnkanälchen starken Kochsalzgehalt.
Figur 3: Harnstoffausscheidung. Uebersichtsbild. Obj. 3. Ok. 2. Kaninchen.
.Intravenöse Injektion von 0,5 g Harnstoff. Glomeruli frei, mit Hämatoxylin
blau gefärbt. Harnkanälchen harnstoffhaltig.
Figur 4: Harnstoffausscheidung. Obj. 6. Ok. 1. Kaninchen. 1 g Harnstoff
intravenös. Drei Glomeruli, die frei von Harnstoff sind; nur die Zellkerne
enthalten etwas Harnstoff. Einige Sammelröhren frei von Harnstoff. Eine
grosse Zahl von gewundenen Harnkanälchen mit starkem Harnstoffgehalt.
Figurö: Harnstoffausscheidung. Obj. 6. Ok. 2. Kaninchen. 1 g Harnstoff
intravös. Die breiten Uebergangsteile zu den absteigenden Schleifen zeigen
starke Harnstoffreaktion. In der Mitte des Präparates sind auch einige ge¬
wundene Kanälchen zu sehen. Man sieht, dass nur die Uebergangsteile zu
den geraden Harnkanälchen harnstoffhaltig sind, und dass die Sekretion in
den Henleschen Schleifen aufhört. Die absteigenden Schleifenschenkel und
die Sammelröhren sind gleichfalls frei von Harnstoff; d. h. sie zeigen nur
eine schwache Graufärbung, die dem normalen Harnstoff- bzw. Eiweiss¬
gehalt aller Körperzellen entspricht.
Figur 6: Phosphatausscheidung. Obj. 1. Ok. 1. Kaninchen. 0,5 g Natrium¬
phosphat intravenös. Drei Glomeruli, frei von Phosphat; eine Vene, deren
Intima mit Phosphat durchtränkt ist; eine Reihe quer und schräg ge¬
troffener gewundener Harnkanälchen mit starkem Phosphatgehalt.
Figur?: Phosphatausscheidung. Obj. 6. Ok. 1. Kaninchen, lg Natrium¬
phosphat intravenös. Links ein phosphathaltiges gewundenes Harnkanälchen
im Querschnitt. Die breiten Uebergangsteile zu den geraden Harnkanälchen
zeigen starken Phosphatgehalt, der an der Uebergangsstelle in die dünneren
Abschnitte der Henleschen Schleifen aufhört, wie an einzelnen Stellen
deutlich zu sehen ist. Auch in den Lymphräumen und in der Wand der
rechts getroffenen Arterie lässt sich etwas Phosphat nachweisen.
FigurS: llarnsäureausscheidung. Obj. 6. Ok. 1. Kaninchen. 0,5 g Harnsäure
intravenös. Drei Glomeruli, frei von Harnsäure; ebenso einige im Quer¬
schnitt getroffene Saramclröhren. Zahlreiche gewundene Harnkanälchen
mit starkem Harnsäuregehalt.
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Untersuchungen über den Mechanismus der Ilarnabsonderung in der Niere. 35
Figur 9: Jodausscheidung. Obj. 3. Ok. 4. Kaninchen. 1 g Jodnatrium intra¬
venös. Zahlreiche Glomeruli, die frei von Jod sind. Gewundene Harn¬
kanälchen mit starkem Jodgehalt.
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Archiv f. Anat. und Physiol. 1868. S. 757. — 22) Ribbert, H., Die normale und
pathologische Anatomie der Niere. Bibliotheca medica. 1896. Bd. IV. — 23) Der¬
selbe, Die Abscheidung intravenös injizierten Karmins in den Geweben. Zeitschr. f.
allgem. Physiol. 1904. Bd. 9. — 24) Sauer, Archiv f. mikrosk. Anat. 1899. Bd. 53.
S. 218. — 25) Schlecht, IL, Experimentelle Untersuchungen über die Resorption
und Ausscheidung des Lithionkarmins unter physiologischen und pathologischen Be¬
dingungen. Zieglers Beiträge zur pathol. Anat. 1906. Bd. 11. — 26) Suzuki, T.,
Zur Morphologie der Nierensekretion unter physiologischen und pathologischen Be¬
dingungen. Jena, Verlag von Fischer. 1912. 244 S. Mit 6 Tafeln. — 27) Wasch etko,
N., Ueber die Ausscheidung des Ferrozyanates durch die Nieren beim Hunde. Zeit¬
schr. f. Urol. 1910. Bd. 53. S. 128. — 28) v. Witt ich, Beiträge zur Physiologie
der Nieren. Archiv f. mikrosk. Anat. 1875. Bd. 11. S. 81 und Archiv f. pathol.
Anat. Bd. 10. S. 323.
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IV.
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Aus der I. mcd. Klinik in Wien (Hofrat Prof, von Noorden) und dem
Sanatorium Neues Kurhaus (Gcheimrat Prof. Dr. v. Dapper-Saalfels,
Bad Kissingen).
Beobachtungen über Kapillarpuls.
Von
San.-Rat Dr. E. Jürgensen,
mitleitendein Arzt atu Sanatorium ron Dapper-Saalfels, Bad Kissingen.
Auf Grund statistischer Studien weist Grassmann (1) ein erhebliches
Anwachsen der Todesfälle durch Krankheiten der Kreislaufsorgane nach.
Er knüpft daran die Mahnung zu einem systematischen Zusammenarbeiten
zur Bekämpfung der Kreislaufserkrankungen, ähnlich, wie dies bei der
Bekämpfung der Tuberkulose und des Karzinoms schon seit Jahren ge¬
schieht. Frühdiagnose, zwecks Frühtherapie, ist seine Forderung.
Es mag zunächst befremden, dass trotz der intensiven Arbeit, die
in den letzten Jahrzehnten gerade auf dem Gebiet der Herz- und Gefäss-
erkrankungen geleistet wurde, die Statistik hier eine auffallende Zunahme
der Todesfälle verzeichnet. Zugegeben, dass die gesteigerten Anforde¬
rungen unserer rastlos vorwärts strebenden Zeit zu einer erhöhten Ab¬
nutzung lebenswichtiger Organe führen, wird man nicht ausser Acht
lassen dürfen, dass mit der erfolgreichen Bekämpfung der früher die
Volkssterblichkeit beherrschenden Seuchen naturgemäss andere Krankheits¬
gruppen in ihren Mortalitätsziffern in den Vordergrund treten. Ferner
wird man sich vor Augen halten müssen, dass die Ausgleichsmöglich¬
keiten bei Störungen im Kreislaufsapparate so vielseitige sind, dass es
nicht zu verwundern ist, wenn wir die Kranken oft erst mit schweren
Kompensationsstörungen zu sehen bekommen. In dem Studium dieser
Ausgleichsmöglichkeiten und dem frühzeitigen Eingreifen auch bei Störungen,
die dem Erkrankten noch kaum nennenswerte, von ihm gar nicht be¬
achtete, Beschwerden machen, wird der gemeinsame Angriffspunkt pro¬
phylaktischer Tätigkeit gegeben sein.
Schon bevor die Mahnung Grassmanns kam, hatte ich mich auf
Grund der Ausführungen Stadlers (2) „Die Klinik der syphilitischen
Aortenerkrankung, u bemüht, in jedem mir zur Untersuchung zugehenden
Falle besonders auf etwaige Kreislaufsstörungen zu achten. Die für
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Beobachtungen über Kapillarpuls.
37
meine Beobachtungen verwerteten Fälle stammen zum grössten Teil aus
dem Ambulatorium der I. raed. Klinik in Wien (Hofrat Prof. v. Noorden),
zum Teil aus dem Sanatorium in Kissingen. Schwere Kompensations¬
störungen, Komplikationen sind ausgeschaltet, um die Verhältnisse so
darzustellen, wie sie der Praxis am meisten entsprechen. Ich habe daher
besonderen Wert darauf gelegt, möglichst nur die Fälle herauszugreifen,
deren anamnestische Angaben zunächst nicht zu der Annahme einer
Kreislaufsstörung geführt hätten. Das ist natürlich cum grano salis zu
nehmen. Bei eingehenderem Nachfragen erhielt man doch mancherlei
Anhaltspunkte, die auf eine Störung im Kreislaufsapparat hinwiesen.
Jedenfalls waren die Kranken allermeist ihrem, körperlich oft recht an¬
strengenden, Beruf ohne besondere Beschwerden nachgekommen. In den
anamnestischen Angaben spielten namentlich „rheumatische“ Be¬
schwerden, Schmerzen in den Schultern, im Kreuz, Neuralgien, Interkostal¬
neuralgien eine gewisse Rolle. In einer anderen Gruppe sind mehr
Magendarmbeschwerden im Vordergrund. Die meisten waren bald
wegen diesem, bald wegen jenem Leiden behandelt, ohne dass — soweit
anamnestische Angaben überhaupt zuverlässig — auf etwaige Kreislaufs¬
störungen geachtet worden war. In der Mehrzahl der Fälle handelt es
sich um Frauen zwischen 30 und 60. Es mag sein, dass Frauen eher ge¬
neigt sind, mit ihren kleineren Leiden schon früher zum Arzt zu gehen als
Männer, die in schwerer Berufsarbeit stecken. Im wesentlichen liegt es
bei dem vorliegenden Material daran, dass ich, seit Jahren auf der
Frauenambulanz der Klinik beschäftigt, mit der Eigenart der Klientel
vertraut, diese schon leichter zu wiederholten Kontrolluntersuchungen
bewegen konnte. Soweit ich die Resultate übersehe, hätte ich dieselhen
Ergebnisse auch auf der Männerabteilung gehabt, nur hätte ich mir die
Klientel erst wieder heranziehen müssen und dabei Zeit verloren. Für
die Bewertung der Fälle macht das meines Erachtens nichts aus.
Zur Erklärung meiner Beobachtungen muss ich auf manches Be¬
kannte zurückgreifen.
Zum Ausgangspunkt habe ich die syphilitische Aortitis genommen,
die, seit Einführung der Wassermannschen Reaktion als diagnostisches
Hilfsmittel, auffallend häufig festgestellt wird und praktisch von aller¬
grösster Bedeutung ist. Wer häufiger Gelegenheit hat, syphilitische
Aortitis zu sehen, wird immer wieder erstaunt sein, wie gering manch¬
mal die subjektiven Beschwerden sind bei oft ganz erheblichen Verände¬
rungen der Aorta. Ich sehe hier von den schweren Fällen ausge¬
sprochener Aorteninsuffizienz, Verlegung der Koronarostien, Aneurysma
ab. Wie ist es möglich, dass die Kranken sogar körperlich schwere
Arbeit verrichten konnten, wenn ein so wichtiger Abschnitt des Kreis¬
laufapparates, meist handelt es sich um die isolierte Erkrankung der
Aorta ascendens und des Arcus aortae, zum mindesten in seiner Funktion
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38 E. JTUGEN SEN,
schwer geschädigt ist? Wodurch ist die Ausgleichsmöglichkcit gegeben,
die auch hier den heimtückischen Charakter der Lues so verhängnisvoll
unterstützt? Ich habe eine ganze Reihe von Fällen gesehen mit rönt¬
genologisch festgestellter diffuser Aortendehnung von über 7,5 bis 8 cm,
die subjektiv kaum nennenswerte Beschwerden hatten. Eine wesentliche
Hypertrophie des linken Ventrikels, aus der eine stärkere Inanspruch¬
nahme des Herzens gefolgert werden könnte, findet sich in den unkom¬
plizierten Fällen nicht immer. Der Ausgleich für die in ihrer Funktion
geschädigte Aorta muss also noch anderweitig gewährleistet werden.
Rombergs (3) Modellversuch zeigt, dass die Erweiterung der starr ge¬
wordenen Aorta kompensierend für den Elastizitätsverlust eintritt. Als
weiterer Regulator würde nach den bisherigen Tierversuchen der Nervus
depressor eingreifen. Auf die vielen Einzelfragen will ich hier nicht
näher eingehen. Sie sind in der oben erwähnten Arbeit von Stadler
klar und ausführlich behandelt.
Ueberlegt man sich, welche Bedeutung der Aorta für die Blutver¬
teilung im Kreislauf zukommt, so gibt man sich mit den angedeuteten
Ausgleichsmöglichkeiten doch nicht so recht zufrieden. Es sind oft ganz
beträchtliche Veränderungen, die wir, namentlich bei der syphilitischen
Aortenerkrankung, finden. Es müssen hier noch anderweitige Komponenten
in Frage kommen, die den ungestörten Gang im Kreislaufsmechanismus
aufrecht erhalten. Diese werden, ausser im Herzen, noch im
peripheren Gefässgebiet zu suchen sein. Zu ähnlichen Schluss¬
folgerungen kommt man auch bei manchen Fällen von Concretio cordis.
Bei völliger Verwachsung der beiden Blätter des Perikards, Entwicklung von
hartem Bindegewebe und Einlagerung von Kalkplatten, Verwachsung mit
dem Sternum, der Wirbelsäule, wenig hypertrophischem Herzmuskel,
muss man sich doch die Frage vorlegen, ob denn hier der Herzmuskel
allein imstande war, den Anforderungen des Kreislaufs gerecht zu werden,
oder ob nicht in solchen Fällen dem Arteriensystera eine grössere Selbst¬
ständigkeit für die Kreislaufsregulierung zuerkannt werden muss, als man
das bisher zugeben wollte.
Es ist das freilich eine noch vielumstrittene Frage, deren Lösung
bei der Vorsicht, mit der die beim Tierexperiment gewonnenen Resultate
auf den Menschen zu übertragen sind, mancherlei Schwierigkeiten bietet.
Wohl jeder, der sich eingehender mit physikalischer Therapie beschäftigt,
wird unwillkürlich dem Gedankengang folgen, den Hasebroek (4) in
seiner Arbeit eingeschlagen hat und dabei zu der Ueberzeugung kommen,
dass dem peripheren Arteriengebiet eine nicht zu unterschätzende Auf¬
gabe bei der Blutverteilung im Kreislauf zuzusprechen ist.
Es würde zu weit führen, die ganze Frage hier aufzurollen. Ich
verweise dem gegenüber auf die Arbeiten von Bier (5), Hasebroek (4),
Griitzner (G), Matthes (7) und die Ausführungen der physiologischen
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Beobachtungen über Kapillarpuls.
39
Lehrbücher. Jedenfalls verdienen die Ausführungen Uasebroeks ein¬
gehende Beachtung. Ein einwandsfreier Beweis für die aktive Beteiligung
der Gefässmuskulatur an der Blutverteilung erscheint noch nicht erbracht,
der Gegenbeweis, der eine solche ausschliesst, aber auch nicht.
Für die Annahme spricht die Tatsache der Zunahme der Gefäss¬
muskulatur vom Zentrum nach der Peripherie. Ferner, an der Leiche
finden sich die Arterien leer, die Venen gefüllt. Auch die experimen¬
tellen Untersuchungen von Bezold und Gscheidlen (8) sprechen für
die aktive Arbeit der Arterienrauskulatur bei der Blutbeförderung.
Schwieriger wird die Sache, wenn es sich darum handelt, nachzuweisen,
wie erfolgt diese „aktive“ Arbeit der Gefässmuskulatur. Ist
sie eine rhythmisch-synchron mit der Herzsystole verlaufende,
oder erfolgt sie peristaltisch? Schiff (9) hat am Kaninchenohr eine
vom Herzen unabhängige Arterienpulsation nachgewiesen. Als strikter
Beweis ist das bisher nicht anerkannt worden. Nach neueren Unter¬
suchungen von Hürthle (Berl. klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8, S. 371ff.)
erscheint eine aktive pulsatorische Tätigkeit der Arterien sehr in den
Bereich der Möglichkeiten gerückt. Wie steht es nun mit der Frage
einer peristaltischen Bewegung?
Ich möchte hier eine Beobachtung anfügen, die ich unter allerdings
ausserordentlich günstigen Bedingungen bei einem meiner Kissinger Sana¬
toriums-Patienten machen konnte.
Es handelte sich um einen kräftig gebauten Herrn, Ausgang der 40er
Jahre. Er war wegen gastrointestinaler Beschwerden zur Aufnahme ge¬
kommen. Objektiv fand sich am Herzen Hypertrophie des linken Ven¬
trikels, Aortendämpfung, systolisches Geräusch über der Herzspitze und
Aorta, dort ausgeprägter, der zweite Aortenton zeigte klingenden Charakter.
Die peripheren Arterien waren nicht geschlängelt, nicht rigide. Puls
ohne Besonderheiten, 74 in der Minute, Blutdruck (Gärtner) 120 mm.
Urin ohne Sonderheiten. Zwerchfellhochstand. Magen durch reichliche
Gasblähung quergedehnt, ebenso zeigte das Kolon vermehrte Gasbildung.
Gelegentlich eines Krankenbesuches konnte ich nun folgende Beobachtung
machen: Ich traf den Kranken in tiefem ruhigen Schlaf an. Der linke
Arm war im Ellbogengelenk leicht gebeugt, Unterarm und Hand ruhten
auf der Brust, der rechte Arm lag schlaff auf der Bettdecke. Das Licht
fiel etwas links vom Kopfende auf den Kranken. Ich trat, ohne dass
der Patient mich bemerkte, an das Bett heran, um zu sehen, ob ich bei
ihm in der nunmehr günstigsten Beleuchtung und Haltung des Armes
etwa Kapillarpuls wahrnehmen könnte. Kapillarpuls konnte ich nicht
beobachten. Ich tastete mir nun bei dem immer noch ruhig Schlafenden
die linke Radialis ab. Der Puls ging ruhig rhythmisch und zeigte nichts
Auffallendes. Durch die Berührung erwachte der Kranke. Wie ich be¬
tonen möchte, war er durchaus nicht aufgeschreckt, da ich ihn stets um
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40 E. JORG ENSEN,
dieselbe Zeit zu besuchen pflegte und ihm so mein Besuch etwas Ge¬
wohntes war. Mit dem Erwachen änderte sich das Bild. Ich hatte die
Radialis deutlich unter meinen palpierenden Fingern gelassen und beob¬
achtete das Nagelbett des linken Zeigefingers. Der Puls wurde frequenter,
zeigte deutliche Zelerität, gleichzeitig sah ich am Zeigefinger Kapillar¬
puls auftreten. Daneben konnte ich aber an der Radialis neben der
Pulswelle eine ausgesprochene Bewegung wahrnehmen, die dem mit leisem
Druck palpierenden Finger ganz entschieden den Eindruck einer peri¬
staltischen, vom Zentrum nach der Peripherie fortschreitenden
Wellenbewegung machte. Das Ganze dauerte nur wenige Sekunden,
bis der Kranke völlig erwacht war, darauf konnte ich Kapillarpuls auch
nicht mehr wahrnehmen. Ich muss gestehen, dass mir die im Moment ge¬
machte Beobachtung so neuartig war, dass ich zunächst an eine
Täuschung dachte. Indes hatte ich so angespannt] beobachtet, dass,
für mich wenigstens, ein Zweifel an der Richtigkeit meiner Wahrnehmung
nicht in Frage kommt.
Zur Erklärung meiner Beobachtung möchte ich folgende Ueber-
legungen heranziehen. Es handelte sich um einen Kranken mit nicht
mehr intaktem Kreislaufmechanismus. Dafür sprechen die an der Aorta
gefundenen Veränderungen und die Hypertrophie des linken Ventrikels.
Durch den Zwerchfellhochstand bestanden für ihn ausserdem ungünstige
Kreislaufbedingungen. Nun ist bekannt, dass beim Erwachen an das
Herz an sich grössere Anforderungen gestellt werden. Die während des
Schlafens verminderte Durchströmung des Gehirns bewirkte eine Aende-
rung in den regulatorischen Gefässzentren. Der Vorgang bei dem Kranken
wäre folgendermassen zu deuten: Der Forderung einer reichlicheren Blut-
durchströmung der Organe beim Erwachen entsprach das Herz durch
kräftigere, raschere Kontraktionen. Dadurch wurde eine vermehrte Blut¬
menge mit erhöhter Geschwindigkeit in die Aortenwurzel geworfen. Die
Gefässzentren hatten sich nicht so rasch den veränderten Bedingungen
anpassen können, da sie weniger reichlich durchblutet waren und es sich
um einen nicht mehr intakten Kreislaufmechanismus handelte. Um nun
trotzdem für einen möglichst raschen Ausgleich des gestörten Gleich¬
gewichtes zu sorgen, traten die Gefässmuskeln selbsttätig ein und sorgten
durch eine vom Zentrum nach der Peripherie fortlaufende, den Blutstrom
in dieser Richtung unterstützende, peristaltische Bewegung für einen
rascheren Abfluss der vermehrten in den Kreislauf geworfenen Blutmenge.
Im Moment der reichlicheren Blutdurchströmung der Zentralorgane traten
deren regulatorische Gefässzentren wieder in Tätigkeit und sorgten durch
Wiederherstellung des normalen Gefässtonus für die Herstellung des
Gleichgewichtes. Damit war die dem Gefässsystem gestellte Korapen-
sationsforderung erfüllt. Die Unterstützung durch die Gefässmuskeln war
entbehrlich, die peristaltische Bewegung kam zur Ruhe. Bei dem ganzen
Vorgänge konnte es sich natürlich nur um Sekunden handeln.
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Beobachtungen über Kapillarpuls.
41
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Nach dieser Darstellung müsste man den Gefässmuskeln zwei ver¬
schiedene Aufgaben zuweisen. In der einen hätten wir die Sorge
für die Aufrechterhaltung desGefässtonus zu sehen, in der anderen
eine Ausgleichreserve, die nur unter bestimmten Verhältnissen heran¬
gezogen wird, um für möglichst rasche Beseitigung eingetretener Störungen
im Kreislauf zu sorgen. Letztere Aufgabe würde von der Gefässmuskulatur
selbsttätig geleistet und fände in einer vom Zentrum nach der Peripherie
fortschreiteuden peristaltischen Bewegung ihren Ausdruck. Ein Vergleich
mit Bewegungen, die wir an anatomisch den Gefässen ähnlich gebauten
Organen, wie z. B. dem Darm, sehen, lässt eine solche peristaltische
Bewegung nicht so absurd erscheinen. Nach den Untersuchungen von
Goltz und Ewald (10) müssen wir, ausser den im Gehirn und Rücken¬
mark gelegenen Regulationszentren, eigene, in der Gefässwand selbst ge¬
legene, Nervenzentren annehmen, die in diesem Falle den Mechanismus
der Gefässmuskulatur ausgelöst hätten. Auf die Selbsttätigkeit der Ar¬
terien zum Ausgleich von Störungen im Blutkreislauf hat von Noor¬
den (15) in sehr klaren Ausführungen hingewiesen.
Meine Beobachtung ist vereinzelt. Vielleicht regt sie doch zur Nach¬
prüfung an. Die gegebene Erklärung schien mir am plausibelsten.
Wie erwähnt, hatte sich bei meinem Patienten beim Uebergang vom
tiefen Schlaf zu völligem Erwachen Kapillarpuls auftreten und — nach
Herstellung des Gleichgewichtes im Kreislauf — wieder verschwinden
sehen. Der Kapillarpuls findet in dem vorübergehenden Pulsus celer
seine Erklärung und wäre an sich nichts so Aussergewöhnliches. Wenn
man sich überlegt, dass der Kranke, der nicht etwa plötzlich aus dem
Schlaf geschreckt wurde, für den einfachen Uebergang aus dem Schlaf zum
Erwachen seine Kreislaufregulatoren derartig intensiv in Anspruch nehmen
musste, so erscheint die Beobachtung des Kapillarpulses doch nicht be¬
langlos. Hier handelte es sich um einen Mann, bei dem eine krankhafte
Veränderung der Aorta festgestellt war.
Erkennt man den Kapillaren eine hohe Bedeutung für die
Erhaltung und Regulierung des normalen Kreislaufs zu, so
wird man dem Kapillarpuls, der uns eine erhöhte Inanspruch¬
nahme dieses wichtigen Gefässgebietes anzeigt, eine ein¬
gehendere Beachtung schenken müssen. In den allermeisten Fällen
haben wir es dabei, neben anderweitigen, mehr zentral gelegenen Kreis¬
laufveränderungen, um über die Norm erweiterte Kapillaren zu tun. Das
kann auf die Dauer für den Kreislauf nicht gleichgültig sein. Ob diese
Erweiterung der Kapillaren selbsttätig erfolgt und demnach als Regula¬
tionsvorgang zu deuten ist, oder ob sie mehr passiv geschieht und als
Zeichen einer krankhaften Veränderung der Kapillaren anzusehen ist,
dürfte im Einzelfalle nicht leicht zu entscheiden sein. Allgemeiner ge¬
fasst, mag man sich die Frage so vorlegcn: „lassen sich aus der
Beobachtung des Kapillarpulses allein schon Schlüsse auf
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42 B. .11 K (j E N S E N ,
Störungen im arteriellen Gefässgebict ziehen und in welchem
Gcfässabschni tt sind diese vorzugsweise zu suchen? In meinen
Untersuchungen habe ich mir dabei namentlich über den Zustand des
wichtigen Aortengebietes Aufklärung an einem grösseren Untersuchungs¬
materiale zu verschaffen gesucht.
An sich scheint die Frage durch die zahlreichen Untersuchungen
seit der Entdeckung des Kapillarpulses durch Quincke (11, 12) gelöst.
Schlägt man aber die verschiedenen Lehrbücher nach, so findet sich der
Kapillarpuls zwar als pathognomonisches Zeichen für die Aorteninsuffizienz
verwertet, im übrigen wird sein Zeichen im Fieber, bei Basedow, Hyper¬
tonien usw. — wenigstens soweit mir die Literatur hierüber bekannt ist
— mehr nebenbei erwähnt. Für die Praxis scheint er doch grösserer
Beachtung wert. Mir ist wohl bekannt, dass man Kapillarpuls schon
bei ganz gesunden Menschen beobachten kann. Er erscheint dann aber
doch mehr oder minder verschwommen und ist nur bei einiger Uebung des
Beobachters zu sehen. Um solche Fälle handelt es sich hier nicht.
Ebenso habe ich alle Fälle mit ausgesprochenen Hypertonien, Verdacht
auf Basedow, Anämie, Chlorose* und klinisch sichere Fälle von Aorten¬
insuffizienz ausgeschlossen. Es sind nur solche Fälle ausgesucht, die
der Zufall mehr wegen anderer Beschwerden zur Untersuchung brachte.
Man ist überrascht, wie häufig allein schon die Beachtung des Kapillar¬
pulses zur Aufdeckung oft nicht unbeträchtlicher Kreislaufdefekte führt,
von denen die Kranken selbst oft kaum nennenswerte Beschwerden hatten.
Berücksichtigt man, dass es unter schwierigen äusseren Umständen oft
geradezu unmöglich wird, feinere perkutorische oder auskultatorische Unter¬
scheidungen zu treffen, mag das hervorgehoben werden. Es sei an Massen¬
untersuchungen erinnert, wie sie bei Rekruteneinstellungen, Untersuchungen
einer überfüllten Ambulanz gegeben sind, oder bei Untersuchungen an
Bord. Jedenfalls wird ein gut geschultes Auge viel weniger leicht er¬
müden, als das Ohr, das sich viel weniger leicht gegen störende Ge¬
räusche schützen lässt. Fälle mit Kapillarpuls sollten stets zu
einer genauen Spezialuntersuchung zurückgestellt werden.
Ucbcr die Technik der Untersuchung möchte ich folgendes bemerken:
Quincke (11, 12) hat anfangs als Beobachtungsstelle für den Kapil¬
larpuls den Fingernagel angegeben. Er hat später vorgezogen, durch
Reiben an der Stirn einen roten Streifen zu erzeugen und hier zu beob¬
achten, da sich am Nagelbett häufig durch Verdickungen oder Undurch¬
sichtigkeit Schwierigkeiten für die Beobachtung ergeben. Für die Beob¬
achtung am Nagelbett führte er als günstiges Moment die von Kölliker
gefundenen Untersuchungsergebnisse an, nach denen der Durchmesser der
Kapillaren am Nagelbett grösser ist, als er sonst im Mittel beim Men¬
schen beträgt (0,005—0,008, gegenüber 0,002—0,006). Ich ziehe die
Beobachtung am Nagelbett allen anderen Beobachtungsstellen vor, und
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Beobachtungen über Kapillarpuls.
43
zwar aus folgendem Grunde: Ich möchte jede irgendwie geartete Reizung
des Gefässsystems durch mechanische Einflüsse vermieden sehen, um den
ganz natürlichen Ablauf der Pulswelle beobachten zu können. Wenn
man bedenkt, wie unendlich fein namentlich ein krankhaft verändertes
Gefässsystem auf die verschiedensten Reize antwortet, wird man diesen
Wunsch begründet finden. Jeder, noch so schonende, Reiz schafft aber
veränderte Beobachtungsbedingungen. Man kann sich am Nagelbett jeder¬
zeit eine zur Beobachtung geeignete anämische Zone, unter Vermeidung
jeden Druckes dadurch hersteilen, dass man dem Kranken bei über Herz¬
höhe erhobenem Arm die Finger strecken lässt. Man bekommt dann,
ungefähr in der Mitte, oder im oberen Drittel des Nagelbettes, eine mehr
oder minder runde anämische Zone, deren Ränder sich vorzüglich zur
Beobachtung eignen. Es lässt sich so ganz unauffällig neben dem Puls¬
fühlen ein für die weitere Untersuchung wertvoller Befund erheben. Das
ist praktisch für die Untersuchung misstrauischer Herzkranker ein Vor¬
teil. Grundbedingung ist gutes Licht und der Wegfall störender Reflexe.
Manikürte Nägel eignen sich deshalb weniger gut zur Beobachtung. Am
besten lässt sich bei horizontaler Lage des Patienten beobachten. Der
Oberkörper ruht leicht erhöht. Man lässt den Arm leicht im Ellenbogen¬
gelenk beugen, Unterarm und Hand (die Finger gestreckt) werden auf
die Brust gelegt, wobei die Hand etwas über Herzhöhe sein soll. Man
beobachtet bei seitlich einfallendem Licht. Ich habe diese an sich gewiss
einfache Technik ausführlicher erwähnt, weil ich gefunden habe, dass bei
der Prüfung auf Kapillarpuls oft die schwierigsten Kunststücke gemacht
werden und ich es für wichtig halte, derartige Beobachtungen möglichst
unauffällig für den Kranken zu machen, um nicht einen unerwünschten
Erregungszustand zu schaffen.
Quincke (11) erwähnt, dass er den Kapillarpuls am deutlichsten am
Zeigefinger beobachten konnte. Eine Ursache gibt er dafür nicht an.
Ich habe die Originalarbeiten Quinckes erst beim Abschluss meiner
Arbeit erlangen können. Aus eigener Erfahrung kann ich aber bestätigen,
dass sich der Kapillarpuls am deutlichste^ durchschnittlich am Zeige¬
finger beobachten lässt. Das kommt, wie ich glaube, daher, dass das
Nagelbett des Zeigefingers für gewöhnlich viel flacher ist, als das
der übrigen Finger. Das Hesse sich durch den Gebrauch der Finger
erklären. Ich habe ihn daher auch rechts meist deutlicher gefunden, als
links. Es fallen am flachen Nagelbett die störenden Lichtreflexe weg.
Erwähnen möchte ich noch, dass ich nicht selten Kapillarpuls am
Zeigefinger wahrnehmen konnte, während es nicht gelingen wollte, ihn
durch Herstellen eines roten Streifens an der Stirn deutlich zu machen.
Die Grundbedingungen für das Zustandekommen des Kapillarpulses,
die im wesentlichen in den Bedingungen für das Auftreten eines Pulsus
celer gipfeln, setze ich als bekannt voraus.
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44 E. JFRG ENSEN,
Glässner (14) kommt auf Grund seiner klinischen Studien über den
Kapillarpuls zu der Annahme, dass der Kapillarpuls von der Höhe des
Pulsdrucks, von dem Verhalten der grossen und dem Zustand der klein¬
sten Gefässe abhängig ist und diesen drei Faktoren einzeln, oder kom¬
biniert, seinen Ursprung verdankt. Er möchte nach seinen Untersuchungen
den Kapillarpuls in einen zentralen (vom Herzen bzw. den grossen Ge-
fässen bedingten) und einen peripheren (durch Veränderungen in den
kleinsten Gefässen verursachten) einteilen. Der Vorschlag hat manches
für sich. Einzelheiten sind in der Originalarbeit einzusehen.
Des Interesses halber sei hier noch eine Bemerkung Quinckes (12)
aus seiner zweiten Publikation über Kapillarpuls und Venenpuls ange¬
führt: . . . „zustande kommt dieselbe (nämlich die Erscheinung des
Kapillarpulses) augenscheinlich dadurch, dass die systolische Druck¬
zunahme in den zuführenden Arterien sich bis in die kleinsten Arterien¬
ästchen und zugleich in die (nur passiv oder selbständig?) erweiterten
Kapillaren fortpflanzt und dieselben stärker füllt . . . u . Demnach hatte
Quincke an eine etwaige Selbsttätigkeit der Kapillaren gedacht. Aller¬
dings drückt er sich darüber sehr zurückhaltend aus. (Es handelt sich,
um nicht missverstanden zu werden, nicht etwa um die Annahme einer
aktiven Pulsation der Kapillaren.)
Auf Grund der Arbeit Stadlers über die syphilitische Aortitis hatte
ich mich eingehender mit dem Studium der Erkrankungen der Aorta be¬
fasst. Dabei ist mir das häufige Zusammentreffen von Kapillar¬
puls und Erkrankung der Aorta aufgefallen. Es lag mir nun daran
an grösserem klinischen Material mit den neueren Untersuchungsmethoden
festzustellen, inwieweit sich aus dem Kapillarpuls tatsächlich Rück¬
schlüsse auf den Zustand der Aorta, das heisst auf eine Aortendehnung,
ziehen lassen.
Ich habe nur solche Fälle aufgenommen, bei denen der Kapillarpuls
in aller Deutlichkeit wahrzunehmen war, "und nur solche, bei denen die
wiederholte Untersuchung die Richtigkeit der Beobachtung bestätigte.
Gleichzeitig sind Blutdruck und die Ergebnisse der Wassermannschen
Reaktion angegeben. Die Blutdruckmessungen wurden mit dem Gärtner¬
sehen Apparat gewonnen, sie sind dementsprechend zu bewerten. Im
einzelnen namentlich die Herzbefunde anzugeben, hätte zu weit geführt.
Mehr oder minder ausgesprochene Hypertrophie des letzten Ventrikels,
Aortendämpfung, klingender zweiter Aortenton, systolisches Geräusch
über Herzspitze und Aorta wiederholen sich in den Krankengeschichten
in monotoner Weise. Viele der Kranken habe ich seit Jahren unter
Beobachtung. Bemerkenswertes werde ich bei der Schlussübersicht her¬
vorheben. Komplikationen von Seiten der Nieren finden sich in keinem
der Fälle.
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Beobachtungen über Kapillarpuls.
U ebersichts-Tabelle.
45
u
CJ
s
HM
1
Röntgen masse
Radialpuls
c n
3
O.
_rt
Blutdruck
nach
Gärtner
• 3
C ®
G -P
c3 M
C c3
c ®
Diagnose
Bemerkungen
■
Q
Herz-
Aorten-
’cu
o CC
■
IS
breite
breite
mm Hg
1
Frau
He.
51
13 cm
7 cm
98—100 i. d. M,
regelm., celer
+
140/145
Atheroskler.
Vor 18 J. Rheumarthritis.
Periphere Art. rigide,
Radialis geschlängelt.
2
d
Ko.
57
13 „
6,5
93 i. d. M., ccler,
ohne Besonderh.
+
130
do.
Periphere Arterien ri¬
gide. Radialis wenig
geschlängelt.
3
fl
Sa.
48
11,5,
8
A
100 i. d. M., regel¬
mässig, celer,
puls. diff.
+
140
Aoititis
(Lues??)
lml2.LebensjahrGelenk-
entziindung. Periphere
Arterien o. B.
4
fl
Fra.
67
11 „
7,5
»
82 i. d. M., irregul.
Zelerität n. sehr
ausgesprochen
+
120
-
Atheroskler.,
(Bronchitis)
Ausgesprochene athero-
sklerot. Veränderungen
der peripheren Arier.
5
a
Nu.
63
13 ,
7
102 i. d. M., irre¬
gulär.
+
145
Atheroskler.
(Koronar¬
sklerose?)
Wie bei Fall 4.
6
We.
60
13,5 „
6
»
82, unregelmässig,
setzt jed. 6.—7.
Schlag aus, celer
+
130
Atheroskler.,
Bronchitis
PeriphereArt. sehrrigide.
Anamnestisch im Vor¬
dergrund d. Besch werd.
Neuralgien i. Schultern
und Armen.
7
r>
Tro.
64
16 ,
8,5
n
70, unregelmässig,
jed. 4. 5.Schlag
aussetzend,
celer, puls. diff.
+
140
Atheroskler.,
Koronar¬
sklerose
Periphere Arterien wie
bei Fall 6.
8
»
Ko.
56
12 ,
6
98, Zelerität wenig
ausgesprochen
+
135
—
Atheroskler.,
Bronchitis
Periphere Arterien stark
geschlängelt.
9
fl
Bla.
50
12,8 *
1
9
«•
85, regelm., celer,
puls. diff. i
+
130
Atheroskler.,
Struma re-
trosternalis
W r ie bei Fall 2.
10
»
Rin.
1
57
15 „
!
7,5
98, leicht unter- !
drückbar, Extra¬
systolen, celer
+
130
Atheroskler.
Wie bei Fall 2.
11
Jo. ,
64
13 *
6
70, celer
+
125
—
do.
Wie bei Fall 2.
12
fl
Zwo.
43
“ ’i
6,5
81, celer
+
100/105
Aortitis
Periph. Art o. B. Vielfach
bisher wegen Rheuma¬
tismusbehandelt, keine
Anhaltspunkte f. Lues.
13
fl
Ro.
63
12 ,
i
7,5
»
84, regelm., celer,
puls. diff.
+
135
Atheroskler.
i
Vor 20 J. Gelenkrheuma¬
tismus. Mann Luetiker,
sonst wie bei Fall 2.
14
Herr
Ca.
62
14 "
5,5
fl
72, regelm., Zele¬
rität schwach
angedeutet
+
(-)
1
i
100
1
do.
Vor 27 J. Lues. Seit 3 J.
rheumat. Beschwerden.
Nach Abschluss einer
4 wöch. hydrother. Be¬
händ!. Kapillarpuls n.
mehr wahrzunehmen.
15
Frau
Su.
63
13 ,
1 7
i
fl
80, regelm., celer
+
130
Atheroskler.,
Claudicatio
intermittens
Vor 30 Jahren schwerer
Gelenkrheumatismus,
sonst w^e bei Fall 2.
IG
Wa.
55
11,5 1
5,5
»
86, celer
+
120
—
Atheroskler.
Vielfach wegen rheumat.
Beschwerd. inBehandl.
17
»
Kos.
58
12 ,
6
78, celer
+
140
—
Atheroskler.,
Diab. mellit.
Wie bei Fall 2.
18
r
Zo.
59
12,5'*
i 6,5
63, ccler
+
90
—
Atheroskler.
Wie bei Fall 2.
19
fl
Do.
,45
13 *
7,6
78, ccler
+
1
135
i
do.
Periphere Art. etwas ri-
rigider, sonst o. B.
Digitized by Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
46
E. JURGENSEN,
o
£
p
C_>
Röntgenmasse
R a d i a 1 p u 1 s
r r.
'S
04
CC
§ ^
llt
• C
a o
fl S
£ «e
U, O
Diagnose
Bemerkungen
5
<
Herz¬
breite
Aorten¬
breite
’o.
rt
CQ O
mm Hg
CJ pä
CO ö
eö Ä
CO
20
Frau
Lo.
63
12,5cpi
7 cm
96,Zelerit. a. d.Ra-
dialis nicht sehr
ausgesprochen
+
105
Atheroskler.
Wie bei Fall 2.
*21
V
Esp.
55
13 »
7,5 „
83, regelm., celer,
puls. dift.
+
95/100
do.
Vor 30 J. schwer. Gelenk¬
rheuma. Radial, beider¬
seits hart, sonst o. B.
22
n
Rin.
51
13,5,
7,5 ,
85, regelm., celer
+
105
Atheroskler.,
Diab. mellit.
Vor 15 J. Gelenkrheum.,
im übrigen wie Fall 21.
23
V
Lew.
57
12 ,
5,5 „
75, regelm., celer
+
110115
_
Atheroskler.
Vor 3 .J. Gelenkrheum.,
sonst wie Fall 21.
24
Herr
Die.
47
15 r
7,5 „
74, regelm., keine
eigeutl. Zeleri-
tät, puls. difT.
+
90
Aortit. syphil.?
Tabes dors.,
Atheroskler.
Vor 20 J. Lues. Potus zu¬
gegeben. Periph. Art.
wie bei Fall 2.
25
Frau
Ba.
50
14 „
7 *
77, Zeleritiit
schwach ange¬
deutet
+
95/100
4 + 4-
Atheroskler.,
Lues
Lues negiert. Ausser der
Gefässerkrankg. keine
nachweisbaren luet. Er¬
scheinungen. Im übrig,
wie bei Fall 2.
2G
n
Schm.
50
12 „
6,75 „
80, regelm., celer
+
100/110
Atheroskler.,
Bronchitis
Wie bei Fall 2.
27
Näh.
34
12 „
6,5 r
57, regelm., celer
+
iio
Aortitis, Bron¬
chitis
Anamnestisch keine An¬
haltspunkte für Lues,
objektiv ebenfalls keine
Erscheinungen nachzu¬
weisen. Periph. A. o. B.
28
n
Rub.
60
13 „
6,5 „
55, regelm., celer
+
100/110
+ 4 +
Atheroskler.
i
Lues negiert. Objektiv
auss.d.Gefässerkrankg.
keine Erscheinung. Seit
3J. wegen Rheum. viel¬
fachbehandelt. Periph.
Arterien wie bei Fall 2.
29
r
Ro.
62
12 ,
7,5 „
70, regelm., celer,
puls. difT.
+
130
—
Atheroskler.,
j Bronchitis
Wie bei Fall 2.
30
r
Wi.
37
11 „
7 „
78, regelm., celer
1+'
125
+ 4 +
Aortitis syphi¬
litica
Anamnestisch Lues ne¬
giert. Periph. xYrt. o. B.
31
T
Mi.
52
12 „
!
8 „
98, regelm., celer
4
130
!
+ 4 +
' Aortitis (Athe-
: rosklcrosc?)
i
Lues negiert. Vor 2 J. an-
gebl. Gelenkrheum. Pe¬
riphere Art. hart, aber
nicht geschlängelt.
32
r»
Tro.
j 52
1
1
13 *
6,5 „
!
66, leicht unregel¬
mässig, celer
+
, 115
! Atheroskler.
Vor 6J. Gelenkrheum.?
Seitdem vielfach wegen
Rheumat. in Behandlg.
Sonst wie bei Fall 2.
33
T
Wik.
62
12,5,
6,5 „
80, regelm., celer
+
130
— |
Atheroskler.,
Diab. mellit.
Wie bei Fall 2.
34
Seher.
48
i
l
i
14,5,
7 ,
75, regelm , celer
+
l
125
i
i l
do.
Vielfach wegen Rheum. in
Behandlg. Seitl 4. Diab.
mellit. Periph Art. aut-
fallend starr und ge¬
schlängelt.
35
Gro.
55
13,5 „
7 „
90, leicht unregel¬
mässig, celer, i
puls, di IV.
+
125
i
44 4
|
Aortitis, Athe¬
rosklerose
Lues negiert. Ausser der
Gelassen krankg. keine
Anhaltspunkte f. Lues.
Periphere Art. rigide.
30
r
Lo.
GO
13.5 „
i 7 „
70, unregelmässig,
celer
+
115
1
Atheroskler.
Seit 2 J. vielfach wegen
rheum.Beschw. behänd.
37
*
Mert.
41
11 *
5 »
SO, regelm., celer
+
95/100
44-4
Aortitis syphi¬
litica
Lues negiert. Periphere
Arterien o. B.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beobachtungen über Kapillarpuls.
47
■J
3
Name
Alter j
Röntge
Herz¬
breite
nmasse
Aorten¬
breite
'
R a d i a 1 p u 1 s
Kapillarpuls
o o
Ö
y o
^ ^
~ fl :rt
5 °
mm Hg
Wassermann- |
sehe Reaktion j
Diagnose
Bemerkungen
-8
Frau Bra.
53
12 cm
6,5 cm
94, regelm., celer
+
120/125
Athcroskler.
In d. letzten Jahren viel¬
fach wegen rheum. Be¬
schwerden i. Behandlg.
Periph. A. wie b. Fall 2.
13
r
Ja.
37
13,25„
7 »
72, etwas unregel¬
mässig, celer
+
95
Aortitis syphi¬
litica
Lues negiert. Ausser der
Gefässerk ran kg. ohjekt.
keine Anhaltspunkte.
Periph. Arterien weich.
: )
V
La.
43
12 *
8,5 ,
64, regelm., celer,
puls. diff.
+
90,95
Aortitis (sy¬
philitica?),
Bronchitis
Anamnestisch rheumat.
Beschwerden. Lucs ne¬
giert. Periph. A. weich.
. i.
V
No.
57
11 r
7 ,
90, regelm., celer
+
95/100
A theroskler.,
Bronchitis
Periphere Art. leicht ge¬
schlängelt, rigide.
’ >
r
Schw.
60
11,5 *
7,25„
88, regelm., cclcr i -f-
125
+++
A theroskler.,
Aortitis
Wie bei Fall 40.
i >
T
Schei.
49
11,5 „
8,25,
I
80, regelm., celer
+
95/100
Aortitis
Anamnest. für Lucs keine
Anhaltspunkte. Periph.
Arterien weich.
T
Gi.,
53
12,5 „
5,5 „
i
76, regelm., celer 1 +
1
I
130
Athcroskler.
Seit Jahren wegen rheum.
Beschwerd. i. Behandlg.
Periph. Arterien hart.
‘ 1
Ser.
51
12 „
1 6,5 „
90, regelm, celer
+
95/100
—
1 do.
Wie bei Fall 44.
V
Paw.
48
13,5 r
; 8 -
i
i
80, regelm., celer,
puls. diff.
+
90/95
i
i
j do.
Seit 3 Woch. an Rheum. in
der linken Schulter be¬
handelt. Periphere Art.
wenig geschlängelt.
V)
Sith.
51
12,5 „
i 7 „
i
92, regelm., celer
+
95/100
j
i
i j
Athcroskler.,
Bronchitis
Vor 20 J. schwerer Ge-
lenkrheum., mehrfach
Rückfälle, im übrigen
wie bei Fall 2.
ri
Berg.
49
12 „
6,5 „
88, regelm., celer
+
! 90/95
A theroskler.
Wie bei Fall 2.
3
»
We.
35
1
12 „
6 „
i
73, regelm., celer
+
| 100
I
1
I
Aortitis?
Vielfach an Rheum. be¬
handelt. Periph. Art.
weich.
Kew.
i 67
1
11,5 „
1 5,5 „
i
|
1
92, sehr klein,
Extrasystolen
+
120
1
1
! _
l
A theroskler.,
' (Koronar¬
ski crose?)
Seit Jahren wegenRheum.
i. Behandlung. Periph.
Arterien auffallend hart
und geschlängelt.
Ueberblicken wir die Tabelle, so findet sich darin einiges recht Be¬
merkenswerte. Es handelt sich, wie erwähnt, im wesentlichen um Frauen.
Es sind das alles Frauen aus einer armen Bevölkerungsklasse, die sich
in mühseliger Arbeit um die Existenz wehren muss. Uebermässiger
Genuss von Fleisch ist da ausgeschlossen. Ich hebe das hervor, da das
Fleischverbot bei Arteriosklerotikern eine so einseitige Rolle spielt. Potus
war nur in einem Fall bei einem Manne nachzuweisen. In den übrigen
Fällen ist er absolut auszuschliessen. Von irgend nennenswertem Nikotin-
abusus konnte in keinem Fall die Rede sein. Dagegen gibt der relativ
häufige positive Ausfall der Wassermannschcn Reaktion doch
zu denken. Bei den beiden Männern war Lues zugegeben (Wassermannsche
Reaktion negativ), also jedenfalls Lucs für die Aetiologie der Erkrankung
sehr stark in Rechnung zu ziehen. Dazu kämen 8 Fälle (25, 28, 30,
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
48 E. J Ü RG ENSEN,
31, 35, 37, 39, 42) mit positiver Wassermannscher Reaktion. Es sind
also 20 pCt. der Fälle ätiologisch für Lues zu berücksichtigen. Freilich
Grossstadtklientel, dabei ist aber zu betonen, dass sich ausser der Ge-
fässerkrankung keinerlei Anhaltspunkte für Lues finden liessen. Von
vornherein lässt sich aber der Charakter einer luetischen Aortitis gegen¬
über einer nichtluetischen Gcfässerkrankung schwerlich mit Sicherheit
bestimmen. Wenn man bedenkt, dass die in der Tabelle angeführten
Fälle mehr oder minder vom Zufall zusammengewürfelt wurden und
anamnestisch (abgesehen von 2 Fällen) keinerlei Anhaltspunkte für Lues
gaben, erscheint es ein Fingerzeig mehr, it) jedem Fall, in dem Ver¬
änderungen an der Aorta vermutet werden, unbekümmert um Lebensalter
und äussere Umstände auf der Ausführung einer Wasscrmannschen
Reaktion zu bestehen. Das kann für die Therapie von allergrösster
Bedeutung werden.
Auf einen anderen praktisch wichtigen Punkt hat Oberndorfer (13)
hingewiesen. In seiner Arbeit über die syphilitische Aortenerkrankung
führt er unter anderem aus, dass bei der luetischen Aortitis neben den
Vasa vasorum auch die Nerven der Adventitia im Anfangsstadium der
Entzündung von Entzündungszellen umgeben sind. Ein Teil der Be¬
schwerden bei luetischer Aortitis liesse sich dadurch erklären, dass auch
in sie hinein Entzündungszellen dringen. Ob es sich bei der nicht¬
luetischen Form der Aortenerkrankung um ähnliche Vorgänge handelt,
weiss ich nicht. Ohne weiteres ist das nicht abzuweisen. Die Gefäss-
krisen im Sinne von Pal liessen sich so gut erklären. Geht man näm¬
lich den häufigen „rheumatischen“ Beschwerden älterer Leute nach, so
findet man nicht selten mehr oder minder ausgesprochene Gefässver-
änderungen. Es sind das die so oft nicht bestimmt zu lokalisierenden
„Rheumatismen“, an denen vielgeschäftige Masseure ihr Brot verdienen,
ohne wesentlichen Nutzen zu stiften. Dabei wird viel kostbare Zeit für
eine rationelle Therapie vergeudet. Praktisch ergibt sich daraus die
Folgerung, in jedem Fall von „Rheuma“ oder wie das nun gerade be¬
nannt wird, Herz und Gefässe genau zu untersuchen, wie es bei ana¬
mnestischen Angaben über Gelenkrheumatismus längst geschieht.
Ferner der Kapillar puls. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, dass
sich die Vermutung, bei deutlichem Kapillarpuls auch Veränderungen an
der Aorta zu finden, im wesentlichen bestätigt findet. Diese lassen
sich ja auch anders nachweisen, und allein wird man sich auf den
Kapillarpuls nie verlassen dürfen. Er ist aber wohl geeignet, auf die
richtige Fährte zu führen. Ich möchte dabei auf Fall 37 hinweisen.
Radiologisch fand sich hier keine Verbreiterung des Aortenschattens. Es
handelte sich um eine 37jährige, mittelgrosse, gut entwickelte Frau, die
schon längere Zeit wegen „nervöser Brustbeschwerden“ behandelt worden
war und dabei immer mehr herunterkam. Anamnestisch waren keinerlei
genauere Angaben zu erlangen. Objektiv fand sich bei der Frau am
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beobachtungen über Kapillarpuls.
49
Herzen ein eigentümlich klingender 2. Aortenton, daneben deutlicher
Kapillarpuls. Zu bemerken ist, dass die Frau keineswegs anämisch war.
Diese beiden einzigen Anhaltspunkte führten zu dem Verdacht, dass es
sich hier um das Anfangsstadium einer syphilitischen Aortenerkrankung
handeln könne. Der stark positive Ausfall der Wassermann’schen Reaktion
bestätigte die Vermutung. Die eingeleitete antisyphilitische Therapie
brachte erhebliche Besserung. Es mögen hier vielleicht die ersten akuten
Entzündungsvorgänge an der Aorta diese in ihrer Funktion in der Weise
beeinflusst haben, dass der Effekt einer mehr oder minder starren Röhre
erzielt wurde, der sich in der Peripherie in dem deutlichen Kapillarpuls
erkennbar machte. Ob die Kapillaren an sich schon in diesem Fall
krankhaft dilatiert waren, lässt sich schwer entscheiden.
ln Fall 14 handelt es sich um einen 62jährigen Mann mit luetischer
Vorgeschichte. Auch er war schon längere Zeit wegen rheumatischer
Beschwerden in Behandlung gewesen. Am Herzen fand sich Hypertrophie
des linken Ventrikels, über Spitze und Aorta leise systolische Geräusche,
der 2. Aortenton war klingend. Es bestand deutlicher Kapillarpuls.
Wassermannsche Reaktion negativ. Die peripheren Arterien waren rigide,
der Radialpuls ohne Besonderheiten. Nach Einleitung einer antisyphili¬
tischen Kur, welche durch physikalische Massnahmen unterstützt wurde,
trat auch hier erhebliche Besserung ein. Nach vierwöchiger Behand¬
lung war Kapillarpuls nicht mehr wahrzunehmen.
Ich habe das auch in anderen Fällen, bei denen der Befund am
Herzen nichts Ausserge wohnliches ergab, mehrfach beobachtet. Ich möchte
in solchen Fällen vasomotorische Störungen annehmen, die zu einer Er¬
weiterung der Kapillaren führten und durch die eingeleitete physikalische
Therapie beseitigt wurden. Es waren das aber keineswegs „nervöse“
Kranke. Das subjektive Gefühl der Besserung ging mit der Wiederher¬
stellung der normalen Funktion der Kapillaren Hand in Hand. Die
anamnestischen Beschwerden solcher Patienten bestanden meist in Par-
ästhesien und Schmerzempfindungen, die nie genau zu lokalisieren waren,
bald hier, bald dort auftraten und den Kranken mehr unbequem als
störend waren. Da es sich meist um Leute jenseits der Vierziger
handelte, mögen sie der Ausdruck beginnender Gefässveränderungen sein.
Auch Glaessner (14) spricht auf Grund seiner Untersuchung eine ähn¬
liche Vermutung aus. Seine Untersuchungen sind mir erst nach Ab¬
schluss dieser Arbeit zugänglich geworden. Gerade solche Fälle lenken
die Aufmerksamkeit auf die Peripherie und erwecken die Vorstellung,
dass der normalen Funktion der Kapillaren für den Ablauf der Kreis¬
laufregulierung eine wichtige Rolle zukommt und dem gesamten peri¬
pheren Arteriensystem doch eine grössere Selbstständigkeit gebührt, als
man ihm zuraessen will. Das erfahrungsgeraäss frühe Auftreten von
Arteriosklerose bei Syphilitikern konnte man, gestützt auf die mecha¬
nische Theorie von der Entstehung der Arteriosklerose, ebenfalls in dem
Zeitscbr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 n. 2. <
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
50
E. JURGENSEN
Digitized by
Sinne erklären. Es erkrankt zunächst die Aorta. Für die in ihrer
Funktion beeinträchtigte Aorta tritt die Peripherie ein. Dadurch erhöhte
Inanspruchnahme und Abnutzung der Arterien, Uebergang zu diffuser
Sklerose. Der grösseren Mehrzahl der Befunde nach scheint jedenfalls
der linke Ventrikel bei syphilitischer Aortitis, wenn man von Kompli¬
kationen absieht, anfangs nicht in erhebjicherem Masse zur Regulierung
herangezogen zu werden.
Beim Studium der Aortenerkrankungen bekommt man es natur-
gemäss in der Mehrzahl der Fälle mit Arteriosklcrotikern zu tun. Ist
die Arteriosklerose diffuser entwickelt, so wird in dem starren Röhren¬
system die Pulswelle mehr ruckweise durch die kleinsten Arterienäste
nach der Peripherie befördert, sie gelangt so zu den Kapillaren und wird
als Kapillarpuls erkennbar. Es mag in solchen Fällen der Kapillarpuls
zu der Annahme einer diffusen Ausbreitung der sklerosierenden Prozesse
berechtigen. In der Mehrzahl wird man mit einer unter Umständen er¬
heblichen Erweiterung der Aorta zu rechnen haben.
Quincke (12) macht darauf aufmerksam, dass bei Kompensations-
Störungen einer Aorteninsuffizienz der Kapillarpuls oft verwischt erscheint
und erst mit dem Kräftigerwerden des linken Ventrikels wieder deutlich
wird. Die gleiche Beobachtung kann man bei Arteriosklerotikern machen
ohne Insuffizienz der Aortenklappen. Hier gibt die Beobachtung des
Kapillarpulses oft ein recht feines Kriterium für die jeweilige Leistungs¬
fähigkeit des linken Ventrikels und therapeutisch verwertbare Anhalts¬
punkte. Das erfordert allerdings einige Uebung des Beobachters und
eine dauernde Ueberwachung der Kranken.
Unter verwischtem Kapillarpuls wäre der Kapillarpuls zu verstehen,
wie er manchesmal bei ganz Gesunden unter günstigen Umständen zu
sehen ist. Bei deutlichem Kapillarpuls halte man sich das Erinnerungs¬
bild des Kapillarpulses bei ausgesprochener Aorteninsuffizienz vor Augen.
Der systolisch-diastolische Kontrast ist oft so scharf ausgeprägt, dass
man die anämische Zone am Nagelbett direkt aufleuchten sieht.
Die Frage nach der Selbständigkeit der Peripherie als Triebkraft
für den Kreislauf möchte ich weniger in einer aktiven systolisch-dia¬
stolischen Tätigkeit der Arterien gelöst sehen. Sie mag eher in einer Tätig¬
keit gelegen sein, die unter bestimmten Bedingungen regulierend eingreift
und in einer peristaltischen, der Pulswelle nachrückenden, vom Zentrum nach
der Peripherie fortschreitenden Bewegung ihren Ausdruck findet. Eine
derartige Peristaltik entspricht auch viel mehr den Bewegungen, die wir
sonst bei Organen mit glatter Muskulatur wahrnehmen. Daneben bleibt
die Aufgabe der Gefässmuskulatur zur Aufrechterhaltung des Gefässtonus
ganz zu recht bestehen. Beide Aufgaben lassen sich wohl vereinigen.
Eine vereinzelte in diesem Sinne gemachte Beobachtung mag wenig
massgebend sein, immerhin gibt sie vielleicht Richtpunkte für die Lösung
dieser sehr verwickelten Vorgänge.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beobachtungen über Kapillarpuls.
51
Auf Grund igeiner Beobachtungen möchte ich empfehlen, dem
Kapillarpuls grössere Beachtung zu schenken, als es im allgemeinen ge¬
schieht. Der deutlich erkennbare Kapillarpuls ist der Ausdruck
einer erhöhten Inanspruchnahme des linken Ventrikels und
des arteriellen Gefässgebietes mit allen ihren Folgerungen für
den Gesamtkreislauf. Wo wir ihn sehen, weist er auf Störungen
hin, die eine sorgfältige Kontrolle aller, auch der kleinsten,
für den regelrechten Ablauf der Blutbewegung und Blutver¬
teilung in Betracht kommenden Faktoren nötig machen. So
aufgefasst wird uns seine Beobachtung in einer prophylaktischen Tätig¬
keit bei der Bekämpfung der Kreislauferkrankungen im Sinne Grass -
manns (1) unterstützen. Die Fälle mit positivem Kapillarpuls
bedürfen einer ganz besonderen Ueberwachung. Die Beobachtung
und richtige Einschätzung des Kapillarpulses verlangt zwar einige Uebung,
aber die aufgewandte Mühe lohnt sich reichlich, da sie auch für die
Therapie wichtige Anhaltspunkte gibt.
Literatur.
1) Grassmann, Münchener med. Wochenschr. 1913. Nr. 45. S. 2503. —
2) Stadler, Die Klinik der syphilitischen Aortenerkrankung. Arb. a. d. med. Klinik
zu Leipzig. 1912. H. 1. — 3) E. Romberg, Ueber Arteriosklerose. Verli. d.
21. Kongr. f. inn. Med. 1904. — 4) Hasebroek, Deutsches Arch. f. klin. Med.
Bd. 77. S. 351 ff. — 5) Bier, Virchows Arch. Bd. 147 u. 153. — 6) Grützner,
Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 89. S. 133ff. — 7) Matth es, Deutsches Archiv
f. klin. Med. Bd. 89. S. 381 ff. — 8) v. Bezold u. Gscheidlen, Unters, a. d.
phys. Laborat. in Würzburg. 1867. S. 347. — 9) Schiff, Arch. f. phys. Heilk.
Bd. 13. S. 512; Gesammelte Beitr. Bd. 1. S. 131. — 10) Goltz u. Ewald,
Pflügers Archiv. Bd. 63. S. 362. — 11) Quincke, Berliner klin. Wochenschr. Bd. 5.
S. 357 ff. — 12) Quincke, Berliner klin. Wochenschr. Bd. 27. S. 265 ff. —
13) Oberndorfer, Münchener med. Wochenschr. 1913. Nr. 10. S. 505 ff. —
14) Glaessner, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd.97. S. 83ff. — 15) v. Noorden,
Charitö-Annalen. Jahrg. 15. 1890. S. 188ff.
4*
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
V.
Digitized by
Aus der 1. inneren Abteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses zu
Berlin (Prof. Kuttner).
Was leistet die pharmakologische Prüfung in der Dia¬
gnostik der Störungen im vegetativen Nervensystem?
Von
Dr. Gerhard Lehmann.
Eppinger und Hess waren die ersten, die systematisch die Er¬
gebnisse der experimentellen Pharmakologie auf das Krankenbett über¬
tragen und die ganze Frage der Vagotonie und Sympathikotonie in Fluss
gebracht haben. Wenn wir auch in der Zwischenzeit gelernt haben,
manche der damals aufgestellten Behauptungen einzuschränken und in
Sonderheit den strengen Antagonismus zwischen Sympathikus- und er¬
weitertem Vagussystem in der damals formulierten strengen Form nicht
anerkennen können, so wird doch jeder, der sich mit diesen Fragen be¬
schäftigt hat, zugeben müssen, dass wir durch diese Betrachtungsweise
ganz neue Einblicke in grosse Krankheitsgruppen, besonders in das Heer
der Organneurosen, getan haben.
Sollte es sich wirklich bewahrheiten, um nur zwei aus der Unzahl
der Beispiele herauszugreifen, dass wir, wie Eppinger und Hess an-
annehmen, in der Krise eines Pneumonikers und im Serumexanthem eines
Diphtheriekranken nichts anderes als eine Vagusreizung, als die erhöhte
Reaktion eines zur Vagotonie disponierten Individuums zu betrachten
haben, so würden sich neue therapeutische Ausblicke eröffnen und alte,
am Krankenbett schon längst erprobte, therapeutische Tatsachen ihre
Bestätigung finden.
Jede Betrachtungsweise von einem fixierten Standpunkt aus ist aber
einseitig und gibt ganz bestimmte, begrenzte Bilder, zumal man leicht
in den begreiflichen Fehler verfällt, von diesem einen Gesichtspunkt aus
möglichst viel, womöglich alles sehen und erklären zu wollen.
Eine solche Beurteilung kann fördernd sein für das Verständnis
einer Erkrankung und mag zu Recht bestehen bei festgelegten Krankheits¬
bildern, kann aber leicht auf Irrwege führen, wenn es sich um noch so
unbestimmte Begriffe wie die Vagotonie und Sympathikotonie handelt.
Statt an Serien von Krankheitsfällen der verschiedensten Art neben den
üblichen Untersuchungsmethoden vorläufig nur die etwa vorhandenen
Stigmata des vegetativen Nervensystems einzutragen und an Hunderten
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Was leistet d. pharm. Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat.Nervensystem? 53
von Fällen derselben Art die Symptome herauszuschälen, die auf Grund
der pharmakologischen Prüfung dem Vagus und Sympathikus zur Last
fallen, spricht man schon jetzt recht häufig von Vagotonie und Syrapa-
thikotonie und verbindet damit nicht den Begriff von Symptomen, sondern
von ganz bestimmten Krankheitsbildern.
Fast scheint man sich dabei in einem Circulus vitiosus zu befinden:
Man wollte das Heer der funktionellen Erkrankungen in Störungen des
vegetativen Nervensystems auflösen und ist im Begriff, einen viel grösseren
Komplex der verschiedensten Krankheiten unter dem Sammelnamen
Vagotonie und Sympathikotonie zusammenzudrängen.
Sicherlich gibt es Individuen, die ganz im Sinne von Eppinger und
Hess den Namen Vagotoniker verdienen und bei denen viele Krankheits¬
symptome ungezwungen durch Störung im vegetativen Nervensystem er¬
klärt werden können, anderseits aber wissen wir und glauben, wie an
an einer späteren Stelle auseinandergesetzt werden soll, auch beweisen
zu können, dass jeder Mensch in der Jugend, auch der, welcher uns
bisher als gesund und normal galt, irgend ein Stigma aufweist und eine
deutliche Reaktion auf eines der für diese Prüfungen gebräuchlichen
Pharmaka gibt.
Die daraus sich ergebende Folgerung, dass dann eben — wenn die
pharmakologische Prüfung massgebend ist — fast kein Mensch ein nor¬
males vegetatives Nervensystem besitze, hat praktisch keine Berechtigung;
am Krankenbett können wir jedenfalls mit diesen Voraussetzungen nichts
anfangen, und ich glaube, dass eine Verallgemeinerung dieser Begriffe
am wenigsten im Sinne der um dieses Gebiet so verdienten Autoren
Eppinger und Hess wäre.
Um eine Störung im vegetativen Nervensystem nachzuweisen, stehen
uns zwei Wege zur Verfügung: Wir suchen erstens bei unseren Patienten
nach Stigmata, die als Symptome bzw. Folge dieser Störung aufgefasst
werden könnten (Glanzauge, abnormer Schweiss, spastische Obstipa¬
tionen u. a.), und geben ihm andererseits bestimmte Pharmaka, die eine
Lähmung bzw. Reizung des Vagus oder Sympathikus herbeiführen.
Das Nächstliegende ist es, dem ersten Weg zu folgen und bei dem
für diese Untersuchung in Betracht kommenden Fällen nach Stigmata zu
suchen. Sind solche in genügender und überzeugender Menge vorhanden,
so erscheint eine pharmakologische Prüfung durchaus nicht unumgänglich
notwendig. Eine solche käme besonders erst in Frage, wenn das eine
oder andere Symptom wohl auf eine Störung im Vagus oder Sympathikus
hindeutet, aber schliesslich auch anders erklärt werden könnte.
Tatsächlich wird es sich gewöhnlich um Fälle dieser Art handeln. Die
Zahl der absolut klaren Fälle aber ist eine verhältnismässig sehr geringe.
In der Regel stösst die Beurteilung solcher Kranken auf Grund einer
rein äusserlichen Untersuchung auf erhebliche Schwierigkeiten.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
54
GERHARD LEHMANN,
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Zwischen einem hellen Auge und einem Sympathikusglanzauge sind
fliessende Uebergänge und Pulsverlangsamung, Pulsbeschleunigung, Obsti¬
pation und Diarrhoe sind von recht vielen, differenten Dingen abhängig.
Hauptsächlich für diese, in diagnostischer Beziehung so überaus
schwierigen Fälle, würden wir die pharmakologische Prüfung heranzu¬
ziehen haben, ja sie würde uns ausschlaggebend für die Diagnose sein,
vorausgesetzt, dass sie auch absolut zuverlässig wäre.
Erfüllt nun die pharmakologische Prüfung diese unsere
Erwartung?
Ehe man den Begriff der Hyperazidität und Hyperchlorhydrie fest¬
legte und es unternahm, diese Funktionsstörung diagnostisch zu ver¬
werten, musste man sich erst einen Einblick von dem normalen Ablauf
der Sekretionstätigkeit des Magens verschaffen, musste man erst durch
zahlreiche Untersuchungen am Gesunden feststellen, unter welchen Be¬
dingungen man berechtigt sei, von einer normalen Azidität, von einer
Euchlorhydrie zu sprechen.
Aehnliohe Erwägungen waren die Veranlassung, mich zunächst in
einer grösseren Untersuchungsreihe darüber zu orientieren, wie anscheinend
Gesunde und Kranke der verschiedensten Art, die keine Symptome von
Störungen im vegetativen Nervensystem zeigten, auf die Verabreichung
der für die Prüfung des vegetativen Nervensystems empfohlenen Phar¬
maka reagierten.
Die Lösung dieser Vorfrage hielt ich für um so notwendiger, als
mir bei meinen Untersuchungen über „Ulcus ventriculi und vegetatives
Nervensystem“ die pharmakologische Prüfung, die mir oft ausschlag¬
gebend für die Diagnose „gestört oder nicht gestört im vegetativen
Nervensystem“ sein musste, keineswegs immer zuverlässig erschien.
Die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems be¬
steht, um es in aller Kürze zusammenzufassen, darin, dass man dem
Patienten bestimmte Pharmaka einverleibt, die eine Reizung bzw. Lähmung
des Vagus oder Sympathikus herbeiführen.
Wir prüfen dabei die Reaktion an sich, ob stark, ob schwach, und
hoffen, durch Reizung dieser Nerven irgendwelche Symptome, die uns
sonst als Zeichen einer bestimmten Krankheit imponieren, auslösen zu
können. Wieweit dieser Einfluss sich geltend macht, geht am besten
daraus hervor, dass es Eppinger und Hess gelang, bei Tabikern
gastrische Krisen, bei Astmathikern dyspnoische Anfälle durch Pilokarpin
hervorzurufen.
Wie wir, um einen Vergleich zu gebrauchen, unsern Kranken mit
negativem Wassermann aber mit Luesverdacht eine provokatorische Hg-
oder Salvarsaninjektion geben, um durch Mobilisierung alter Spirochäten¬
nester einen Umschlag der Reaktion und eine richtige Diagnose zu er¬
halten, so injizieren wir unseren Vagotonieverdächtigen diese Gifte, um
latente Symptome temporär manifest zu machen.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Was leistet d.pharm. Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i.vegetat.Nervensystem? 55
Da es mir ja auf eine Nachprüfung bzw. kritische Beleuchtung der
bis jetzt gehandhabten Methodik ankam, gab ich die Pharmaka in der
bisher üblichen Weise, d. h. ich injizierte als Vagusreizer Pilokarpin
3 U —l cg, als Vaguslähmer Atropin 1 mg und als Sympathikusreizer
Adrenalin 3 / 4 —1 rag und belastete bei letzterer Prüfung drei Stunden
vor der Injektion den Kohlehydratstoffwechsel mit 100 g Traubenzucker.
Für die Stärke der Dosis war uns das Körpergewicht und der ganze
Zustand des Patienten massgebend.
Zwischen den einzelnen Prüfungen Hessen wir zwei, mindestens aber
einen Tag vergehen. Diese Art der Handhabung ist entschieden ratsam,
um unerwünschte, zu starke Reaktionen zu verhüten.
Die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems wurde
an über 200 Individuen mit insgesamt etwa 700 Injektionen angestellt.
Da ich im Laufe meiner Untersuchungen zu der Ansicht kam, dass
es sich bei ausgesprochenen Störungen im vegetativen Nervensystem sehr
oft um allgemein innersekretorische Störungen handelt, habe ich bei etwa
50 Kranken, hauptsächlich Patienten mit Magengeschwüren, diesbezüg¬
liche Untersuchungen (alimentäre Glykosurie, Blutzucker, Phlorizindiabetes,
Blutbild, Blutgerinnung ev. Purinstoffwechsel) soweit sie mir eine Klärung
in diesen interessanten Fragen erhoffen Hessen, ausgeführt. Es wird
darüber an anderer Stelle ausführlich berichtet werden.
An weiteren etwa 50 Individuen wurden die Injektionen teils nur
mit Pilokarpin, teils nur mit Pilokarpin und Adrenalin mehrmals zu
verschiedenen Zeiten und unter ganz anderen Gesichtspunkten angestellt.
Diese Versuche sind noch nicht soweit abgeschlossen, dass ich schon
heute darüber berichten möchte.
Dagegen wurden bei den 100 Patienten, die in folgenden Tabellen
eingetragen sind, die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nerven¬
systems in der bisher üblichen Weise vollständig mit Pilokarpin, Atropin
und Adrenalin durchgeführt.
Die Untersuchung von „Gesunden“ habe ich an mir selbst, und haupt¬
sächlich an Kollegen, die sich dazu bereit erklärten, angestellt. Die Kranken,
bei denen diese Prüfung durchgeführt wurde, standen alle in mehrwöchiger
klinischer Behandlung. Neben den üblichen Untersuchungsmethoden wurde be¬
sonders nach Stigmata des vegetativen Nervensystems gefahndet und, soweit
diese vorhanden waren, in die Rubrik C der folgenden Tabellen eingetragen.
Die Zusammenstellung in den folgenden Tabellen erscheint mir des¬
halb von besonderem Interesse, weil die darin aufgeführten Fälle nicht
nach dem Ergebnis der pharmakologischen Prüfung zusammengestellt
sind und weil zu diesen Untersuchungen nicht nur solche Individuen
herangezogen wurden, bei denen von vornherein ein gestörtes vegetatives
Nervensystem anzunehmen war. Es wurde vielmehr bei den verschiedensten
Kranken, bei denen nicht äussere Gründe dagegen sprachen, die be¬
treffende pharmakologische Prüfung angestellt.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
56
GERHARD LEHMANN,
Nummer
Name, Alter,
Geschlecht
Diagnose
Anamnese und Stigmata
des vegetativen Nervensystems
Pilo¬
karpin
Atropin
Adrenalin 1
A
B
c
D
E 1
V
1
R., 15 J., w.
Mitralinsuffizienz
Tremor man. +? Dermograph. dilat. +,
adenoide Vegetat. Zungenfollikel sehr gross
+
i
+
2
L., 16 J., w.
Appendizitis
Tremor man. +, Dermograph. dilat. -j-
+
! + '
—
3
W., 16 J., w.
Ulcus ventriculi
Rachenreflexe aufgehob., relat. Lymphozyt.
+
—
4
B., 16 J., w.
Basedow
Eltern sehr nervös, alimentäre Glykos. —,
Phlorizindiab. 4,45, Möbius +, Kocher +
r
—
5
B., 17 .], w.
Hypothyreoidism.
Blutgerinnung 6 Minuten
—
— ;
+
6
K., 18 J., m.
gesund
ohne Besonderheiten
+
— !
7
Kl., 18 J., w.
Angina
ohne Besonderheiten
+ +
—
—
8
0., 18 J., w.
Asthenia univers.
Tremor +, Dermograph. dil. +, menstruelle
Störungen
— ,
—
9
B., 18 J., w.
gesund
ohne Besonderheiten
+
—
10
W., 18 J., w.
Arthritis gonorrh.
Gesteig. Reflexe, sehrnervös, VaterParalyse f
+ + +
+
11
W., 18 J., w.
Nephritis luetica
beide Eltern an Lues +, stets kränklich
+ + +
—
12
H., 18 J., w.
Ulk us verdacht
keine motorische Störung, keine Hyperazidität
+ +
i + l
—
13
W., 18 J., w.
Kolitis
Rosenbach +, leichter Dermograph. dilat.
+ +
l + l
—
14
H., 18 J., w.
Lues II
aus gesund. Familie, vorh. stets völlig gesund
+
—
15
L„ 18 J., w.
Appendizitis
nie krank, stets gesund, nicht nervös
+
1 —
—
16
Ci., 19 J., w.
Gastritis
stets vorher gesund
+ +
i +
+
17
II., 19 J., w.
Ulkusverdacht
vorher stets gesund, Dermograph. dilat. +
+ +
18
M., 19 J., w.
Thrombophlebitis
Glanzauge+, Rachenrefiexe—, Dermograph.
dil. +, Periodenstörungen
4-
i -
-—
19
P., 19 J., w.
Mitralinsuffizienz
Tremor man. +, Dermograph. dil. +, vor
10 Jahren Gelenkrheumatismus
+
i +
—
20
K., 19 J., w.
Polvarthritis
vorher stets gesund
-i
—
—
21
G., 20 J., w.
Ulkusverdacht
sehr nervös, Tremor man. et palp. +, leichte
Struma, Puls frequent, aliment. Glykos. —
+
. —
+
22
K., 20 J., w.
gesund
ohne Besonderheiten
+
, —
+
23
C., 20 J., w.
Pleuritis
Glanzauge,Tremor man.-f-, Periodenstörung.
+ +
+
l +
24
S., 20 J., w.
Mitralinsuffizienz
vor 2 Jahren Struma exstirp., Tremor —|—|—|—,
Dermograph. + 4 +, relative Lympho¬
zytose, Exophthalmus
+ +
+
I
+
25
M., 20 J., w.
Arthritis gen.
bis dahin stets gesund, geringes Glanzauge
+
—
, —
26
L., 20 J., w.
Ulcus ventriculi
keine Hyperazidität, Makroretention, relative
Lymphozytose, alimentäre Glykosurie —
+
1
—
27
S , 21 .!., m.
gesund
ohne Besonderheiten
+ +
—
—
28
Z , 21 .1 , w.
Ulcus ventriculi
Glanzauge, Hyperazidität, relat. Lymphozyt.
+
—
—
29
F., 22 J., w.
Spitzen katarrh
nie krank bis vor einem halben Jahre, Glanz¬
auge, Tremor man. + +
+
—
—
30
G., 22 J., w.
Lues
Hypertrophie der Gaumentonsille, adenoide
Vegetationen
+
1
—
31
K., 22 J., w.
Thyreoidismus
Dermograph. dil.+, Hcrzklopf.,Tremor -\ — 1->
Glanzauge, Struma, relative Lymphozytose
+ +
i
+
32
R., 22 J., w.
Ulkusverdacht
Dermograph., Tremor, keine Hyperazidität
4-
i
—
33
0., 22 J., w.
Melancholie
Mutter geisteskrank, ebenso drei Schwestern,
leichte Struma. Tremor, Dermograph.
+ +
i +
—
34
Z., 22 J., m.
gesund
ohne Besonderheiten
+ +
—
+
35
P., 23 .1., w.
Mitralinsuffizienz
vor 10 Jahren wegen Ulkus operiert, jetzt
beschwerdefrei, Glanzauge
+
I —
36
R , 23 .1., w.
Spitzenkatarrh
Tremor +, Glanzauge +, angedcutetcStruma
+ + +
—
—
37
St., 23 J., w.
Ulk us verdacht
Mutter Gallensteinleiden, stets sehr bleich-
süchtig, normale Säurewerte
+
38
B., 23 J., w.
Lungeninfarkt
ohne Besonderheiten
+
.+
i
39
D , 24 .1., w.
Spitzenaffektion
sehr nervös, Tremor palpebrar. + +
-4-
—
i
40
R., 24 J., w.
Neurasthenie
Muttergeisteskrank, Pcriodenstörung., Schrei¬
krämpfe
+
1_
• —
41
R., 24 .1 . w.
Asthenia univers.
Habitus asthenieus, adenoide Vegetationen,
Schwellung der Unterschenkel
+
1
i
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Was leistet d. pharm. Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i.vegetat.Nervensystem? 57
Nummer
Name, Alter,
Geschlecht
Diagnose
Anamnese und Stigmata
des vegetativen Nervensystems
Pilo- •
karpin
Atropin ,
Adrenalin
A
B
c
D
K
F
42
R., 24 J , w.
Tuberculosis
pulmonum
sehr nervös, Trcm. + +, Dermograph. ++,
Obstipation
+ + + j
—
+
43
R., 25 .1., w.
Spitzenkatarrh
Dysmenorrhoe, Dermograph. -}-
+
+
—
44
K., 25 J., w.
Lues
ohne Besonderheiten
+ +
—
+
45
M., 25 J., w.
Pleuritis sicca
stets gesund, ohne Besonderheiten
+ +
—
46
G, 25 J., w.
Ulkusverdacht
Hyperazidität
+ +
—
—
47
C., 27 J., w.
Tuberculosis pul¬
monum
Exophthalmus, leichte Struma
+ + .
—
—
48
W., 27 J., w.
Polyarthritis
Patellarreflex -)—f-,Gaumenreriex — ,Korneal-
retlex —, Dermograph. dil. +
+ +
—
—
49
R., 28 J., w.
Erschöpfungszust.
Habitus asthenicus
+
i —
+
50
G, 28 J., w.
Enteritis
sehr nervös
+ +
i +
—
51
H., 28 J., w.
Cholezystitis
Exophthalmus -f-, Tremor man. —, aliment.
Glykosurie —
+ + +
i
—
52
M., 29 J., w.
oper. Struma
Exophthalm., Phloridzindiab.7,6, Dermograph.
dil. +, Herzklopfen +, Tremor man. ++
+
+
—
53
Z., 30 J., w.
Ausfalls¬
erscheinungen n.
Ovariektomie
sehr nervös, Dermograph. +, vasomotorische
Störungen, Rachenrcflexe aufgehoben
+
! _
+
54
F., SO J., w.
Arthritis
sehr nervös, Herzklopfen
+ +
| —
+
55
K., 30 J., w.
Basedow
Tremor man. palp.-j—Dermograph. dil. —f-,
Möbius -f-, aliment. Glykos. —, Phloridzin-
diabetes 4,64
+
! +
+
56
G., 30 J., w.
Ulkusverdacht
sehr nervös
+
. —
i
57
R., 30 J., w.
do.
normale Säurewerte
+ +
i
i
58
Ff., 30 J., w.
Gastritis
normale Säurewerte, sehr nervös
+ +
+
+
59
R., 31 J , w.
Nephrolithiasis
von 7 Jahren Appendizitisoperation, heftige
Schmerzen, Obstipation
i_
i_
60
B., 33 J., w.
Neurasthenie
Rosenbach +, Dermograph. +, Tremor
man. +, Schweiss +
+ +
—
61
J., 33 J., w.
Ulcus ventriculi
sehr nervös, Blutbrcchcn, drittes Rezidiv,
Hyperchlorhydrie
+
i
+
62
D., 33 J., w.
do.
normale Säurewerte
+
i+
—
63
F.. 34 J., w.
Kyphoskoliose
sehr nervös, Tremor man. +
+
;+
—
64
L , 34 J , w.
Neurasthenie
früher stets gesund, seit 5 Wochen viel Kopf¬
schmerzen, Angstgefühl, Dermograph. + +
+
i
i
65
S., 34 J., w.
Neurasth. gravi s
sehr nervös, Dermogr. +, vasomot. Störung.
+
! +
i —
66
D., 34 J., w.
Gastroplegie
nie magenkrank, Tremor man. -4 , Obsti¬
pation -f-, Röntgen: Ptosis ventriculi
+
j I
i
67
L., 35 J , w.
Thyreoidismus
Dermograph. + +, Tremor + +, Exophthal¬
mus, aliment. Glykos. ■—, relat. Lymphozyt.
+ +
i
+
6S
R., 35 J., w
Arthritis urica
Purinstoffwechsel +, Eltern gesund
l
—
69
I., 36 J., w.
do.
Eltern sehr nervös, selbst sehr nervös, Purin-
stoffwechsel +, Tremor -f-
+ + +
1 —
70
P., 38 J., w.
Neurasthenie
Obstipation -|—stets sehr langsamer Puls
+
| _
—
71
I., 38 J., w.
Tabes
früher stets gesund, jetzt ausgebildetcs Bild
der Tabes
+
j
72
S., 39 J., w.
Metastasen nach
Carcin. mammae
früher stets gesund, vor 2 Jahren Mamma¬
operation
+ + +
_
! i
73
E., 39 J., w.
Colitis chronica
sehr nervös, Tremor +, Abgang von viel
Schleim im Stuhl
+
I + 1
+
74
Pf., 48 J., w.
Myokarditis
Tremor +, Dermograph. +
+ !
— i
—
75
Pr., 49 J., w.
Polyarthritis
stets gesund, Mutter an Gallensteinen ge¬
storben, Obstipation
1
—
76
H., 49 J., w.
Cholezystitis
Skleral-, Korneal- und Gaumenreflex —,
Patellarreflex +
+
—
77
St., 51 J., w.
Neurasthenie
Stellwag +, sonst ohne Besonderheiten
+ +
—
78
S., 53 J., w.
gesund
ohne Besonderheiten
+
—
Digitized by Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
58
GERHARD LEHMANN
Nummer
Name, Alter,
Geschlecht
Diagnose
Anamnese und Stigmata
des vegetativen Nervensystems
Pilo-
karpin
Atropin I
Adrenalin
A
B
c
D
e 1
lL
79
Sp., 53 J., w.
Cholezystitis
Obstipation +, Granulierung des Rachens
1
_
_
SO
S., 53 J., w.
Migräne
sehr nervös
+ + +
—
—
81
C., 54 J., w.
Carcinoma ventr.
Dermograph. +, Tremor palpebrar. +
+ +
—
—
82
M , 55 .J., w.
Asthma bronch.
Dyspnoische Anfälle, Tremor +
+ +
—
83
H., 5S J., w.
Gastrog. Diarrhöe
vorher nie krank, sonst ohne Besonderheiten
—
—
—
84
Z., 5S J., w.
Carcinoma coli
nie vorher krank
—
—
—
85
F., 59 J., w.
Neurasthenie
Rachen- und Gaumenreflexe fehlen
—
—
—
86
Tr., 59 J., w.
Hinterseiten¬
strangerkrankung
stets gesund, bis vor Jahr
+ +
—
—■
87
P., 59 ,1 , w.
Arthritis i.r. Knie
Reflexe gesteigert, sonst ohne Besonderheiten
+ + +
1 —
—
88
S., 59 J , w.
Carcinoma recti
stets gesund
+ + +
—
—
89
k\, 60 J , w.
Ulcus cruris
nicht nervös
—
—
90
S., 61 J , w.
Sklerodermie
Diemals krank
—
—
—
91
M., 61 w.
Arthritis urica
seit 1 Jahr Reissen, Harnsäureretention + +
+
+
—
92
M., 6*2 J., w.
Verdacht auf
Magenkarzinom
früh, stets gesund, seit l / i JahrMagcnkrämpfe
+
—
93
Z , 62 w.
Hyperchlorhydrie
Tremor man. +
—
—
94
K., 64 J , w.
Karzinom d. Perit
stets gesund
—
+
—
95
B , 64 w.
Arthritis urica
nicht nervös, Harnsäurcretcntion +
—
—
96
L., 66 J , w.
Carcinoma ventr.
nie früh, krank, seit V 2 Jahr Magenschmerzen
—
1 —
97
E , 68 J.. w.
Arthritis chronica
sehr nervös
+
—
1 —
98
P., 74 J , w.
Karzinom d. Perit.
nie vorher krank
+
+
+
99
R., 77 J , w.
Zystitis
stets gesund
+ +
100
L., 79 ,1., w.
Blasendivertikel
als junges Mädchen viel Magenschmerzen
+ +
—
1 —
Für die Beurteilung der Reaktionen waren uns Angaben der v. Berg-
mannschen Klinik massgebend, die mit denen anderer Untersucher
übereinstimmen.
Pilokarpin.
Die Versuche mit Pilokarpin wurden mit einer Dosis von 0,8 bis
1 cg an 100 Patienten angestellt. Obgleich wir das Pilokarpin als puls¬
verlangsamend aus Tierversuchen kennen, so sahen doch schon Eppinger
und Hess am Menschen fast nie eine wirkliche Verlangsamung der
Schlagfolge des Herzens. Bauer stellte sogar wiederholt eine Be¬
schleunigung des Pulses fest, konnte aber keine Erklärung dafür finden.
Auch ich habe, um mir ein eigenes Urteil zu bilden, in meinen
ersten 30 Pilokarpinversuchen genau auf die Schlagfolge des Herzens
geachtet. Niemals konnte ich eine ausgesprochene Wirkung, insonderheit
nie eine ausgesprochene Verlangsamung feststellen. Die wenigen Fälle,
bei denen ich eine Beschleunigung von 15 bis 20 Schlägen pro Minute
beobachtete, zeichneten sich auch schon so durch eine sehr starke
Reaktion, Speichelfluss, stärkster Schweiss, Aufgeregtsein aus. Ich glaubte
mir diese Pulsbeschleunigung bezw. das Fehlen der Verlangsamung unge¬
zwungen in der Weise erklären zu können, dass die pulsverlangsamende
Wirkung des Pilokarpins beim Menschen, wenn überhaupt vorhanden,
sehr gering ist und bei sensiblen, neuropathischen Individuen von der
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Was leistet d. pharm. Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat. Nervensystem? 59
Difitized by
durch Schmerzen, Angstgefühl hervorgerufenen Pulsbeschleunigung kom¬
pensiert oder übertroffen wird.
Auf jeden Fall sind die Veränderungen in der Schlagfolge des
Herzens nach Pilokarpin so gering, dass sie uns ohne Bedeutung für die
Beurteilung der Reaktion sein können. Ich habe deshalb später, wie
auch die anderen Untersucher, auf die Pulszahl bei meinen Pilokarpin¬
versuchen keine Rücksicht genommen.
Dagegen waren uns Schweiss, Speichel neben Magcn-Darm-
symptomen u. a. für die Stärke der Reaktion massgebend. Den An¬
gaben von v. Bergmann folgend, musste die Menge des Speichels
mindestens 75 ccm betragen, um in Berücksichtigung der übrigen
Symptome als + zu gelten.
Um einigermassen exakte Zahlen und Vergleichswerte zu erhalten,
bezeichnete ich Speichel von 80 bis 200 ccm und starkem Schweiss
als -f-, von 200 bis 300 ccm und Schweiss als -f- + und über 300
als + ++.
Es erübrigt sich wohl hinzufügen, dass wir auf die Gesamtheit der
Symptome das Schwergewicht legten, und dass wir z. B. eine Speichel¬
menge von 120 ccm ohne jeden Schweiss und ohne jede Allgemein¬
symptome — was übrigens nur ein einziges Mal vorkam — als negativ
bezeichneten, während wir ein anderes Mal eine Speichelmenge von nur
150 ccm, die mit starkem Erbrechen und schwerem Angstgefühl einher¬
ging, als -J—|- in unsere Tabellen eintrugen. Schweiss und Speichel sind
die fast nie fehlenden Kardinalsymptome bei einer positiven Pilokarpin¬
reaktion. Nur in 2 von 100 Fällen sahen wir Speichel ohne Schweiss-
sekretion auftreten, während das Umgekehrte nie festgestellt wurde,
jedenfalls ging die Intensität der Schweiss- und Speichelsekretion keines¬
wegs immer Hand in Hand. Ebenso wie der Speichel, dessen Menge in
einem Fall 550 ccm erreichte, so kann auch der Schweissausbruch ein
ganz enormer sein. Das nicht so selten auftretende Kältegefühl wird
wohl auf die dem Schweiss folgende Abkühlung zurückzuführen sein.
Druck und Brennen in der Magengegend, das sich oft bis zu heftigen
Schmerzen steigerte, wurde in llpCt., Uebelkeit und Brechreiz in 10 pCt.
der Fälle angegeben, 6mal trat heftiges Erbrechen ein und in einem
Falle beobachtete ich im Anschluss an die Pilokarpinreaktion profuse
Diarrhöen, die wohl auf eine erhöhte Darmperistaltik zurückzuführen sind.
Man kann also Erscheinungen vom Magendarmtraktus relativ häufig
beobachten. Auf eine Erklärung dieser Symptome, insonderheit auf die
Frage, ob es sich in diesen Fällen um Magendarmkranke gehandelt hat,
soll an einer späteren Stelle dieser Arbeit eingegangen werden.
Seltener wurden Herzklopfen, Schwindel, Flimmern vor den Augen
beobachtet und in einem Falle trat ein sehr lästiger Akkommodations¬
krampf des Sphincter iridis ein.
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60
GERHARD LEHMANN
Im grossen und ganzen kann man sagen, dass die Reaktion um so
intensiver war, je früher sie eintrat.
Ein Blick auf die Rubrik D unserer Tabelle zeigt uns nun, dass
13pCt. —, 47pCt. -f, 28pCt. ++, 12pCt. + + + nach Pilokarpin
reagierten. Auffallend ist, dass von den 13 Patienten, die jede Reaktion
auf Pilokarpin vermissen lassen, 10, d. h. 76,92 pCt., das 50. Lebensjahr
überschritten haben. Der Schluss, dass eine negative Pilokarpinreaktion
ein Charakteristikum des Alters sei, wäre verfehlt, denn von 24 Patienten,
die jenseits des 50. Lebensjahres standen, gaben 14, d. h. 58,33 pCt.,
eine positive Reaktion. Trotzdem aber bleibt bestehen, dass fast die
Hälfte 41,67 pCt. (10 von 24 Patienten) gar nicht auf Pilokarpin reagierten,
und dass wir darum das höhere Alter als wenig empfänglich für
Pilokarpin ansprechen müssen. Im Gegensatz dazu sehen wir, dass
von 76 Patienten, die diesseits des 50. Lebenjahres standen, nur 3, d. h.
3,95 pCt., eine negative Pilokarpinreaktion gaben.
Diese interessante Tatsache wird es rechtfertigen, dass ich die
Krankengeschichten dieser 3 Individuen, die trotz ihrer Jugend jegliche
Reaktion auf Pilokarpin vermissen lassen, in aller Kürze hier anführe.
Ch. B., Näherin, 16 Jahre. — Diagnose: Hyperthyreoidismus. —
Anamnese: Eltern sehr nervös, eine Tante hat Kropf. Als Kind stets gesund, mit
12 Jahren erste Periode, stets regelmässig, alle 4 Wochen, 2—3 Tage dauernd, ohne
Schmerzen. Seit dem 14. Jahre bleichsüchtig. Seit 4 Wochen Herzklopfen, Angst¬
gefühl, merkt seit 3 Wochen das Anschwellen ihres Halses. Seit dieser Zeit unbe¬
stimmte Schmerzen im Leib und hartnäckige Diarrhöen. — Status: Mittelgross, leid¬
licher Ernährungszustand, blasse Hautfarbe. Beide seitlichen Schilddrüsenlappen
mässig angcschwollen. Massige Protrusio bulbi. Stark glänzende Augen. Pulmones
und Abdomen o. B. — Cor nicht verbreitert, Töne rein, Puls äqual, regulär, in Ruhe
nicht beschleunigt, nach Bewegung 110 —120 pro Minute. Reflexe nicht erhöht,
Gräfe -f-, Stellwag —, Möbius angedeutet. Tremor man. —j—|—, palp. -j-, ling. —.
Dermographismus dilat. —|—|—. Wassermannsc-he Reaktion —. Blutbild: 82 pCt.
Leukozyten, 15pCt. Lymphozyten, 3pCt. Uebergangsformcn, OpCt. Eosinophile, Blut¬
gerinnung stark verlangsamt bei 20 Minuten, Phloridzindiabetes nach 3 Stunden
5,45 g Zucker, Urinmenge 2240 ccm in 24 Stunden. Alimentäre Glykosurie e saccharo
et amylo —. Pilokarpin negativ, Atropin negativ, Adrenalin negativ.
M. B., 18 Jahre, Dienstmädchen. — Diagnose: Hypothyreoidismus. —
Anamnese: Mutter lebt, Vater an Darmkrebs gestorben, eine Schwester leidet an
Magengeschwür. Will als Kind stets kränklich und sehr schwächlich gewesen sein.
Erste Periode mit 16 Jahren, stets unregelmässig, oft ein halbes Jahr sistierend.
Letzte Periode vor 5 Monaten. Klagt jetzt über Stiche in Brust und Rücken und über
stärkste Obstipation. Seit 1 Jahr starker Haarausfall. Fühlt sich matt und schläfrig,
kann nach Angabe der Mutter tagelang schlafen, hat ohne Grund sehr viel abge-
nommen. — Status: Grazil gebautes, sehr kleines Mädchen in schlechtem Ernäh¬
rungszustand, blasse Hautfarbe, trockene Haut, Fehlen jeglicher Schweisssekretion,
spärliches Kopfhaar. Macht sehr indolenten, stets schläfrigen Eindruck. Ist zeitlich
und örtlich orientiert, gibt richtige Antwort, lacht oft unmotiviert. Pulmones, Ab¬
domen o. B. — Cor nicht verbreitert, Töne rein, Puls äqual, 48—52 Schläge pro
Min. Rellexc nicht erhöht. Gräfe, Stellwag, Möbius —, Tremor man. -|-, palp.
ling. —. Dermographismus dilat. -f . Wassermannsche Reaktion —. Keine Gravi-
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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat.Nervensystem? Gl
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dität. — Blutbild: 48pCt. Leukozyten, 50pCt. Lymphozyten, 2pCt. Uebergangs-
formen, OpCt. Eosinophile, 4910000 Erythrozyten, 6300 Leukozyten, Blutgerinnung
stark beschleunigt bei 6 Minuten. Phloridzindiabetes nach 4 Stunden, 5,69 g Zucker.
— Purinstoffwechsel: Keine Harnsäureretention. Pilokarpin Atropin —,
Adrenalin -|-, 2,6 g Zucker. — Subjektiv und objektiv gebessert nach Zufuhr von
Jodothyrin. Blutgerinnung bei Entlassung 15 Min. Hatte jetzt regelmässig 2 mal
Periode, Stuhlgang erfolgt ohne Abführmittel.
A. R., 31 Jahre. — Diagnose: Bakteriurie. — Anamnese: Familien¬
anamnese o. B. Als Kind nie krank. Mit 13 Jahren I. Periode, stets unregelmässig.
Vor 7 Jahren wegen Appendizitis operiert. Seit 2 Jahren plötzlich auftretende
Schmerzen, nach den Beinen hin ausstrahlend. Urin nach Anfall nie fleischfarben
oder blutig gefärbt, nie Abgang von Stein oder Gries bemerkt. In letzter Zeit auch
„Magenkrämpfe, u seit einigen Jahren sehr verstopft. — Status: Gross, guter Ernäh¬
rungszustand, gelbliche Hautfarbe. Macht nicht schwer kranken Eindruck. — Gor,
Pulmones o. B. — Abdomen: Leichte Druckempfindlichkeit in der rechten Nieren¬
gegend. — Reflexe gesteigert. — Blutdruck: Riva Rocci 175 -125. Wassermannsche
Reaktion—. Urin trübe, sauer. Saccharum —, Albumen —, Blut—. Sediment spärliche
Leukozyten und Epithelien, keine Zylinder. Blut und Urin auf GallenfarbstolT unter¬
sucht —. Auf Drigalskiplatten, die mit steril der Blase entnommenem Urin beschickt
sind, wächst Bacterium coli in typischen, massenhaften Kolonien. Bei Wiederholung
dieser Untersuchung dasselbe Resultat.
Letztere Patientin verliess geheilt das Krankenhaus, ehe unsere
Untersuchungen, die uns über eventuell vorhandene innersekretorische
Störungen hätte auf klären können, abgeschlossen waren.
Mit Sicherheit dagegen handelt es sich in den beiden ersten Fällen,
die wir auch, als sie aus dem Krankenhaus entlassen waren, ständig im
Auge behielten, um schwere innersekretorische Störungen.
Bei Fall I um einen Hyperthyreoidismus mit deutlichem Exophthalmus,
deutlicher Struma, Herzpalpitation, Tremor und stark verzögerter Blut¬
gerinnung. Bei Fall II um einen Hyperthyreoidismus mit Haarausfall,
vasomotorischen Störungen, stärkster Schläfrigkeit, relativer Lympho¬
zytose, stark beschleunigter Blutgerinnung, der durch Jodothyrin ganz
erheblich subjektiv und objektiv gebessert wurde. Wenn auch eine
fehlende Pilokarpinreaktion in der Jugend durchaus nicht Störungen in
der Schilddrüse voraussetzt, so ist doch nicht zu übersehen, dass es sich
in 2 von diesen 3 hier raitgeteilten Fällen um sichere Erkrankungen der
Schilddrüse gehandelt hat.
Beide Fälle unterscheiden sich aber wesentlich auch bei der pharma¬
kologischen Prüfung von einander, während der Fall I auch auf Adrenalin
nicht die geringste Reaktion zeigt, finden wir bei Fall II eine mässig
starke Adrenalinreaktion.
Nicht wunderbar wird es uns erscheinen, dass mit nur einer Aus¬
nahme kein einziger von diesen für Pilokarpin unempfindlichen Individuen
eine deutliche Atropinreaktion gab, es wurde weder Herzklopfen noch
Trockenheit beobachtet und die Pulsdifferenzen waren so gering, dass sie
noch innerhalb der Fehlergrenzen lagen.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
62
GERHARD LEHMANN,
Wenn der von Eppinger und Hess aufgestellte Antagonismus
zwischen Pilokarpin- und Adrenalinempfindlichkeit zu Recht bestände,
müssten wir gerade bei diesen extremsten, für Pilokarpin völlig un¬
empfindlichen Individuen eine sehr starke Adrenalinreaktion erwarten,
trotzdem finden wir nur bei 4 von diesen Individuen eine massig starke
Adrenalinreaktion. Es soll an einer späteren Stelle auf diese Verhält¬
nisse ausführlicher eingegangen werden.
Wenn wir uns nun den am stärksten auf Pilokarpin reagierenden
Fällen zuwenden, so sei gleich betont, dass wir hier in der Mehrzahl
der Fälle neben einer enorm grossen Schweiss- und Speichelsekretion
meist Allgemeinsymptome wie Angstgefühl, Herzklopfen, Erbrechen be¬
obachten und zwar von solcher Stärke, wie nach dem klinischen Befund
bzw. nach dem Status des vegetativen Nervensystems kaum zu erwarten
gewesen wäre. Wohl hören wir von diesen Patienten allerlei Klagen, die
wir als funktionell oder nervös bezeichnen können und finden ab und zu
auch Stigmata des vegetativen Nervensystems, aber eben dieselben oder
oft noch stärkere Befunde können wir bei denen erheben, bei welchen
die Pilokarpinreaktion nur ein einfaches + verdient.
Noch auffallender aber ist es, dass auch Leute, die wir nach unseren
bisherigen Anschauungen für „gesund halten“ müssen, deutlich auf Pilo¬
karpin reagierten. Ich habe deshalb Versuche ganz systematisch in dieser
Richtung hin angestellt. Wenn ich hier nur 7 Fälle anführen kann, so
mag das seinen Grund in der Schwierigkeit der Diagnose „völlig ge¬
sund“ finden. Ich habe mich bei diesen Individuen nicht auf den ein¬
fachen üblichen klinischen Status beschränkt, sondern einen genauen
Status des vegetativen Nervensystems aufgenommen, genau nach einer
auch nur angedeutet vorhandenen degenerativen Anlage geforscht und
der Familienanamnese in weitestem Masse Aufmerksamkeit geschenkt.
Bei all diesen 7 Gesunden habe ich recht starke Reaktionen nach der
Injektion gesehen. Im Fall 27 z. B., bei dem es sich um einen völlig
gesunden, sicherlich nicht nervösen Kandidaten der Medizin von 21 Jahren
handelte, beobachtete ich nach 0,9 cg Pilokarpin eine fast beängstigende
starke Reaktion, die mit schweren Allgemeinsymptomen, Herzklopfen,
lang andauernder Akkommodationsstörung, intensiver Rötung des Gesichts,
Schwindeln und Brechreiz einherging.
Was ich eben für die extremsten Fälle, für die für Pilokarpin be¬
sonders empfindlichen auseinandergesetzt habe, gilt auch ebenso für die
weniger stark auf Pilokarpin reagierenden Individuen. Ein Vergleich der
Rubrik D mit der Rubrik B und C zeigt uns, dass die Reaktion der pharma¬
kologischen Prüfung keineswegs immer der klinischen Diagnose und
den vorhandenen klinischen Symptomen entspricht. Ich möchte noch
einmal betonen, dass es sich bei diesen mit einem einfachen -f- bezeich-
neten Fällen keineswegs um eine schwache oder nur angedeutete Reaktion
handelt, sondern um starke Schweiss- und Speichelreaktion bis 200 ccm.
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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i. vegetat.Nervensystem? 63
Ich möchte also schon jetzt zusammen fassend sagen, dass bei der
bisher üblichen Versuchsanordnung die Stärke der Reaktion bei der
pharmakologischen Prüfung keineswegs Hand in Hand geht
mit den klinischen Symptomen.
Die neben Speichel- und Schweisssekretion am häufigsten beob¬
achteten Erscheinungen von seiten des Magen-Darmtraktus betreffen fast
zur Hälfte Patienten, die schon vorher über Magen-Darmbeschwerden
geklagt hatten, andererseits aber reagierten auch völlig 'Magen-Darm-
gesunde mit Uebelkeit, Erbrechen, Schmerzen. Ich bin in meiner Arbeit
„Ulcus ventriculi und vegetatives Nervensystem“ näher auf diese Ver¬
hältnisse eingegangen.
Atropin.
Wir wissen, dass im Gegensatz zu Pilokarpin das Atropin eine
Lähmung bzw. eine Herabsetzung der Erregbarkeit des autonomen Systems
bewirkt.
3 Symptome sind es, die wir, wenn wir von den okularen absehen,
hauptsächlich nach der bisher üblichen Atropininjektion beobachten:
Herzklopfen, Trockenheit, Zunahme der Pulsfrequenz. Ueber 200 Atropin¬
injektionen haben mir gezeigt, dass eine mehr oder weniger starke
Trockenheit niemals fehlt. Es kann deshalb die Trockenheit, bei deren
Beurteilung man überdies von den Angaben des Patienten abhängt, nicht
ausschlaggebend für die Reaktion sein. Wir sind demnach hauptsäch¬
lich auf Herzklopfen und Steigerung der Pulsfrequenz angewiesen.
Eppinger und Hess bezeichnen als starke Atropinreaktion, wenn
die Pulsfrequenz auf das Doppelte steigt und eventuell Herzklopfen auf-
tritt. Petren und Thorling begnügen sich mit einer Steigerung der
Pulsfrequenz um 20, wenn Palpitatio cordis oder die bekannten Pharynx¬
symptome auftreten.
Ich bezeichnete, den Angaben v. Bergmanns folgend, Herzklopfen
und Steigerung der Pulsfrequenz um etwa 30 als eine positive Reaktion,
fehlte das Herzklopfen, so konnte die Reaktion bei ausgesprochener
Trockenheit im Munde trotzdem neben obiger Pulsbeschleunigung positiv
sein, dagegen haben wir auf die Pulsbeschleunigung über 30, das einzige
objektive Zeichen, niemals verzichtet, wenn wir die Atropinreaktion als
positiv ansprachen.
Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich bei einigen wenigen
Fällen eine Pulsverlangsamung beobachtet habe. Im Gegensatz zu Bauer
konnte ich diese „paradoxe“ Atropinreaktion nicht nur nach l j 2 mg
beobachten, sondern auch nach grösseren Dosen.
Betrachten wir nun Rubrik E obiger Tabelle, so sehen wir, dass 21
von 100 eine positive Atropinreaktion gaben. Von diesen beobachteten
wir bei 18 neben Erhöhung der Pulsfrequenz starkes Herzklopfen, bei 3
fehlte dieses Herzklopfen. Trockenheit war bei allen Fällen ausgeprägt.
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G EK II ARD LEHMANN,
Die Pulsdifferenz dieser 21 positiv reagierenden Fälle bewegte sieh in
recht engen Grenzen zwischen 32 und 52 Schlägen pro Minute.
7mal beobachteten wir eine Pulsbeschleunigung von 32 Schlägen pro Min.
4 40
n n n n n n v r>
* r> n v n n r> ^4 r> n n
C) 4S
~ n r) n n n n 77 n n
^ 7 ) n 7) 7) v n ^ 7) n r>
*
Dagegen gaben 79 von 100 Fällen eine negative Reaktion. Meist
war die Pulsdifferenz hier sehr gering, 4, 6, 8 Schläge pro Minute und
lag dann noch innerhalb der Fehlerquellen. In den wenigen Fällen (16),
die einen höheren Grad erreichten, fehlte aber jedes Herzklopfen und
(juälende Trockenheit.
Von den 100 Individuen hatten 24 das 50. Lebensjahr Überschriften,
76 das 50. Lebensjahr noch nicht erreicht. Von den ersteren gaben
16,67 pCt. eine positive Reaktion, während von den letzteren, jüngeren
Individuen 22,37 pCt. positiv reagierten.
Wir müssen also auch hier sagen, dass das höhere Alter weniger
empfänglich für Atropin ist, doch beobachteten wir auch im Alter
positive Reaktionen.
Wenn wir vorher feststellen konnten, dass die ganz pilokarpin¬
unempfindlichen Individuen niemals eine positive Atropinreaktion gaben,
so ist das Umgekehrte nicht der Fall. Denn wir sehen, dass von
79 Individuen, die auf Atropin keine Reaktion gaben, 69 trotzdem auf
Pilokarpin reagierten. Wir sehen also, dass positive Pilokarpinreaktion
keineswegs mit positiver Atropinreaktion Hand in Hand geht.
Dass wir auch hier, ähnlich dem Pilokarpin, eine erhebliche Dis¬
krepanz zwischen dem klinischen Bild bzw. Status des vegetativen Nerven¬
systems antreffen, sei hier nur in aller Kürze envähnt.
Adrenalin.
Vom Adrenalin wissen wir, dass es ausschliesslich auf die Nerven¬
endigungen des Sympathikus wirkt. Adrenalininjektionen lösen an den
einzelnen Organen dieselben Effekte aus, wie Reizung der sympathischen
Fasern, so z. B. Beschleunigung und Verstärkung der Herzaktion wie
nach Reizung der Nervi accelerantes.
F. Blum hat als erster nach Injektionen von Adrenalin auch bei
hungernden und kohlehydratfrci ernährten Versuchstieren Glykosurie her¬
vorgerufen. Diese Glykosurie hat mit Pankreasdiabetes nichts zu tun.
ßiedl glaubt vielmehr, dass „der Angriffspunkt des Adrenalins jene
Sympathikusfasern sind, deren zentrale Reizung den Effekt der Piqüre
bewirkt“.
Beim Menschen beobachtet man wohl am häufigsten nach Adrenalin-
darrcichung einen Tremor von hoher Frequenz und kleiner Amplitude,
meist nur an Händen und Augenlidern sichtbar, zuweilen aber auch an
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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat.Nervensystem? 65
anderen Körperteilen oder in grösster Intensität den ganzen Körper be¬
fallend. Auch ich muss, wie Bauer, zugeben, dass dieser Tremor eine
täuschende Aehnlichkeit mit dem Basedowtremor besitzt.
Beschleunigung und Verstärkung der Herzaktion, Auftreten von
Glykosurie und starkem Tremor waren mir für die Beurteilung der
Reaktion massgebend. Daneben habe ich nicht gar so selten Pulsation
der Karotiden oder im Epigastrium, enorme Blässe besonders im Gesicht,
Kopfschmerzen, einmal heftiges Erbrechen und öfter auch Angstzustände
beobachtet.
Ueberhaupt habe ich den Eindruck gehabt, dass die Adrenalininjek¬
tion, wenn überhaupt die subjektiven Symptome in den Vordergrund
traten, ungeheuer lästig empfunden wurde.
Die Beeinflussung der Temperatur nach Adrenalindarreichung ist
schon lange bekannt. Bei nebennierenlosen Hunden tritt Abfall der
Körpertemperatur ein, wir selbst beobachteten Störung der Wärmeregu¬
lation am Krankenbett bei Morbus Addisonii.
Bei 30 Patienten wurden deshalb vor und in verschiedenen Abstän¬
den nach der Adrenalininjektion genaue Temperaturmessungen angestellt.
Rechnen wir die Temperatur von 37 in der Achselhöhle als normal und
jede Steigerung über 37 als erhöht, so stellen wir bei 12 von 30 Patien¬
ten, d. h. in 40 pCt. erhöhte Temperatur fest, die sich allerdings in sehr
geringen Grenzen bewegt (6mal 37,2°, 4 mal 37,5°, lmal 37,8° und
lmal 38,1°). Ist diese Temperaturerhöhung ja auch meist an sich ge¬
ring, so verdienen doch auch die leichten Temperatursteigerungen einiges
Interesse, da die Temperatur vor der Injektion oft kaum 36 überschritt,
und so die Temperaturdifferenz vor und nach der Injektion auch schon
bei 37,2° bzw. 37,5° innerhalb einer Stunde eine erhebliche, jedenfalls
nicht normale war. Vielleicht wäre es überhaupt richtiger die Tempe¬
ratur an sich, gleichgültig ob über 37°, zu rechnen, wir würden dann aller¬
dings fast bei allen Individuen Temperaturdifferenzen antreffen.
Irgendwelche Schlüsse auf einen Parallelismus zwischen Tempera¬
tursteigerung und Adrenalinempfindlichkeit zu ziehen, erscheint mir an
der Hand von 30 Untersuchungen zu gewagt.
Bei Beurteilung der Reaktion waren mir wieder Angaben aus der
v. Bergmannschen Klinik massgebend. Reaktion war-f- bei Steigerung
der Pulsfrequenz um 30 pro Minute, bei Glykosurie über 3 g und bei
starkem Tremor. Auch wenn die recht selten auftretende Glykosurie
fehlte, konnte bei starkem Tremor und Pulsbeschleunigung über etwa 30
die Reaktion -f- sein.
Wenn ich mich an diese Kriterien für eine + Reaktion halte, so
muss ich feststellen, dass nur 22 von 100 eine -f- Reaktion gaben. Unter
diesen 22 Fällen befindet sich nur einer, welcher weder eine Pulsdifferenz
von 30 Schlägen noch eine Glykosurie aufwies, der aber so ungeheuer
stark mit Allgemeinerscheinungen, Herzklopfen, Erbrechen, Zittern des
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. I u. 2. r.
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GERHARD LEHMANN
ganzen Körpers reagierte, dass ich den Eindruck einer enorm starken
Reaktion hatte.
Während ich Herzklopfen und massige Pulsdifferenz, die allerdings
auch nicht annähernd 30 Schläge pro Minute erreichte, fast bei allen
meinen Patienten nach Adrenalindarreichung feststellen konnte, habe ich
Glykosurie nur in 8 von 100 Fällen beobachtet. 5 mal waren nur Spuren
von Zucker (lmal 1 g, lmal 1,3 g und lmal 6,5 g) nachzuweisen. Dem¬
nach tritt nach meinen Erfahrungen Glykosurie nach der bisher üblichen
Adrcnalininjektion nur selten ein.
Weiter kann ich feststellen, dass die Jugend ähnlich dem Pilokar¬
pin, so auch dem Adrenalin gegenüber eine gewisse Empfindlich¬
keit zeigt. Denn von 76 Individuen, die diesseits des 50. Lebensjahres
standen, gaben 20, d. h. 26,32 pCt., eine -f- Reaktion, während wir bei
der Gruppe, die das 50. Lebensjahr überschritten hatte, nur 2 mal, d. h.
8,33 pCt., eine + Adrenalininjektion finden.
Wenn also von anderer Seite die Behauptung aufgestellt wurde, dass
der Vagotonus der Jugend und Sympathikotonus dem Alter zukomme,
so kann ich dies an der Hand meiner Untersuchungen nicht bestätigen.
Betrachten wir nun die adrenalincmpfindlichen Individuen näher, so
sehen wir, dass nur ein einziger von ihnen eine negative Pilokarpinreak¬
tion ergab, während 21, d. h. 95,45 pCt., deutlich auf Pilokarpin rea¬
gierten. Unter diesen 21 befinden sich wieder 12, welche eine enorm starke
Reaktion nach Pilokarpin aufweisen, d. h. Speichelmengen bis 300 ccm
in einem Fall über 400 ccm mit schweren Allgemeinerscheinungen.
Wenn Eppinger und Hess schreiben „Befunde, dass Menschen mit
den von uns angewendeten Dosen, sowohl auf Atropin und Pilokarpin
als auch auf Adrenalin starke Reaktion gezeigt hätten, fehlen uns voll¬
kommen“, so muss ich dem entgegenstellen, dass von 22 adrenalin¬
empfindlichen 21 d. h. 95,45 pCt. eine deutliche Pilokarpinreaktion gaben.
Auch fand ich, wie ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, auch
bei den pilokarpinunempfindlichen fast nie eine starke Adrenalin-
rcaktion.
Ich brauche auf diese Befunde, die schon mehrfach von anderer
Seite (Petren und Thorling, Bauer u. a.) erhoben wurden, nicht näher
einzugehen. Haben doch auch Eppinger und Hess in Gemeinschaft
mit Plötzl allerdings nur bei verschiedenen Formen von Geisteskrank¬
heit bestätigen müssen, dass sich der Antagonismus zwischen Pilokarpin-
und Atropinempfindlichkeit einerseits und Adrenalinempfindlichkeit an¬
dererseits nicht aufrecht erhalten lässt.
Von den 7 Individuen, die wir als „gesund“ bezeichnet hatten, rea¬
gierte einer, ein 22jähriger Kandidat der Medizin, welcher auch eine
erhebliche Pilokarpinwirkung gezeigt hatte, sehr stark auf Adrenalin.
Es konnte zwar keine Glykosurie, aber starkes Herzklopfen, Pulsbe¬
schleunigung und ausgeprägtes Angstgefühl festgestellt werden, und die
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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i.vegetat.Nervensystem? 6?
Reaktion wurde von dem Träger als ungeheuer quälend und unangenehm
bezeichnet.
Kritische Betrachtungen.
Wenn wir noch einmal — ganz unabhängig davon, ob es überhaupt
richtig und logisch ist, das vegetative Nervensystem nach rein pharma¬
kologischen Gesichtspunkten zu beurteilen — die Resultate dieser Tabelle
und die Erfahrungen, die wir mit 700 Injektionen an etwa 200 Indivi¬
duen gesammelt haben, überblicken, so müssen wir sagen, dass die von
Eppinger und Hess aufgestellte Lehre der Vagotonie und Sympathi-
kotonie noch mancher Berichtigung und Erklärung bedarf.
Meine Untersuchungen haben einwandfrei — zum ersten Mal an einem
grösseren, gemischten Kranken material — festgestellt, dass der von
Eppinger und Hess aufgestellte Antagonismus zwischen Vagotonie
und Sympathikotonie d. h. zwischen Pilokarpinempfindlichkeit einerseits
und Adrenalinempfindlichkeit andererseits nicht existiert. Adrenalin¬
empfindliche zeigten fast stets in 95,45 pCt. eine sehr starke Pilokarpin¬
reaktion und andererseits reagierten auf Pilokarpin völlig unempfindliche
Individuen sehr selten auf Adrenalin.
Wenn Eppinger und Hess annehmen, dass „jugendliche Menschen
eher einen erhöhten Vagustonus zeigen, bei älteren Menschen aber Er¬
scheinungen vorherrschen, die leicht als vermehrter Sympathikotonus zu
deuten sind“, so kann ich das nach meinen Untersuchungen keines¬
wegs bestätigen. Dagegen muss ich feststellen, dass die Jugend
überhaupt eine grosse Empfindlichkeit beiden Mitteln, sowohl
Pilokarpin als Adrenalin, gegenüber zeigt.
Ich möchte hier in aller Kürze einige Worte über die Bezeichnung
Vagotonus und Sympathikotonus einflechten.
Eppinger und Hess selbst sagen: „es bestehen zwei Möglichkeiten,
entweder das betreffende Nervensystem ist reizbar oder es besteht in
ihm ein hoher Tonus, auf den nur ein geringer Reiz aufgesetzt zu wer¬
den braucht, um grosse Wirkung auszulösen“ und entscheiden sich für
das Letztere.
Meine Untersuchungen haben mir gezeigt, dass es sich wohl am
ehesten um eine abnorme Reizbarkeit für diese Gifte im gesamten vege¬
tativen Nervensystem handelt. Wenn die Annahme, dass der Vagus sich
bei diesen Individuen in einem erhöhten Tonus befindet, zu Recht be¬
stände, müssten wir bei vagotonischcn Individuen nach Atropin, das ja
einen lähmenden Einfluss auf den im erhöhten Tonus befindlichen Vagus
ausübt, starke Reaktionen beobachten. Wir haben aber gesehen, dass
starke Pilokarpinreaktion keineswegs Hand in Hand geht mit starker
Atropinreaktion.
Durch diese unsere Annahme einer gesteigerten Reizbarkeit im vege¬
tativen Nervensystem wird uns auch das Nichtvorhandensein des An¬
tagonismus zwischen Vagotonie und Sympathikotonie verständlich. Es
h*
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GERHARD LEHMANN,
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ist ganz einleuchtend, dass ein. reizbares Nervensystem überhaupt auf
ihm zugeführte Gifte, d. h. auf Pilokarpin und Adrenalin leicht oder
abnorm stark reagiert.
Noch ein kurzes Wort zu der bisher üblichen Dosierung. Man wird
unbedingt zugeben müssen, dass in der bisher üblichen Weise, allein das
Körpergewicht für die Grösse der Dosen veiantwortlich zu machen, viel
Willkür liegt. Ich selbst habe mehrmals verschiedene Fälle untersucht,
die auf 0,7—0,8 cg Pilokarpin nicht reagierten und wo die Injektion von
1 cg Pilokarpin eine stark positive Reaktion auslöste. Welches ist die
rechte Reaktion gewesen?
Wir legen doch allen unseren Toleranzbestimmungen, so z. B. der
Prüfung des Kohlehydratstoffwechsels, bestimmte Standardvorschriften zu
Grunde und können beispielsweise bei Prüfung des Kohlehydratstoff-
wechs'els nur dann eine Glykosurie e saccharo diagnostisch verwerten,
wenn nach zweckentsprechender Verabreichung von 100 g Trauben¬
zucker Glykosurie auftritt. Zuckerausscheidungen nach Genuss grösserer
Mengen Traubenzucker haben praktisch nicht dieselbe Bedeutung und
ebenso darf man aus dem Ausbleiben der Glykosurie nach Genuss
von weniger als 100 Traubenzucker keine weitgehenden Schlüsse
ziehen.
Ich bin vorläufig noch nicht imstande, die rechte Dosis anzugeben.
Doch kann ich mich nach vergleichenden Untersuchungen, die ich haupt¬
sächlich mit Pilokarpin angestellt habe, des Eindrucks nicht erwehren,
dass die Feinheit der Reaktion durch ein Herabsetzen der Dosis nur ge¬
winnen würde, und dass wir in der bisher üblichen Weise oft die Reiz¬
schwelle für Gesunde und Kranke überschritten haben, mit anderen
Worten: wir erhalten jetzt mehr positive als negative Resultate und dies
gilt besonders für Pilokarpin. Deshalb ist es auch ganz verständlich,
dass fast alle Menschen, auch die ganz gesunden, eine positive Pilokar¬
pinreaktion aufweisen. Wollen wir die Dosis nicht herabsetzen, so müssen
wir wenigstens für die positive Pilokarpinreaktion eine grössere Speichel¬
menge als 75 ccm (v. Bergmann) verlangen. Welche Unsicherheit in
der Dosierung herrscht, geht am besten daraus hervor, dass Eppinger
und Hess, die die Lehre der Vagotonie aufgestellt haben, 1 cg Pilo¬
karpin gaben, während andere Autoren (Bauer, Deutsch und Hoff¬
man n u. a.) selten 0,007 g Pilokarpin überschritten. Meine Unter¬
suchungen* beweisen, wie different die Reaktionen für diese verschiedenen
Dosen sind, bald im positiven, bald im negativen Sinne.
Es scheint mir überhaupt ein sehr gewagtes Unternehmen, das grosser
Kritik bedarf, Einheiten, d. h. hier Nerven mit verschiedenen Massen
zu messen und die gefundenen Werte dann gleich zu stellen oder mitein¬
ander zu vergleichen.
Es ist doch etwas ganz anderes, wenn wir im Experiment Vagus
und Sympathikus durch den leicht dosierbaren elektrischen Strom reizen,
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Was leistet d. pharm.Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat. Nervensystem? 69
statt Vagus und Sympathikus durch untereinander ganz verschiedene
Gifte zu erregen.
Wenden wir uns nun — und das ist für die Klinik wohl das Wich¬
tigste — der Frage zu: Ist der Ausfall der pharmakologischen Prüfung
ein sicherer Beweis für das Vorhandensein oder Fehlen von Störungen
im vegetativen Nervensystem? so geht schon aus meinen Untersuchungen
hervor, dass wir hierauf nur mit einem sehr bedingten Ja antworten
können. Fällen mit Hypersekretion, Hyperazidität und starker Pilokar¬
pinreaktion stehen Fälle mit denselben oder schwereren klinischen Sym¬
ptomen gegenüber, die nur eine recht schwache Reaktion aufweisen.
Individuen, die ganz enorm stark pharmakologisch reagieren, lassen auch
bei genauester Untersuchung klinisch jede Störung im vegetativen Nerven¬
system vermissen.
Der Kernpunkt dieser Frage liegt meines Erachtens in der Schwierigkeit
der klinischen Diagnose „gestört im vegetativen Nervensystem.“
Aber auch wenn wir alle diese eben erörterten Punkte bei Seite
lassen wollten, so drängen sich doch bei dem Vorhaben, alle „nervösen
Erkrankungen“ in Vagotonie und Sympathikotonie aufzuteilen, mancherlei
Fragen und Bedenken auf.
Nicht immer bringt uns die pharmakologische Prüfung die Bestäti¬
gung physiologischer Erfahrungen. Anatomische und physiologische Unter¬
suchungen haben uns gezeigt, dass die Schweissdrüsen in das Bereich
des Sympathikus fallen, während uns die pharmakologische Prüfung nur
eine autonome Innervation anzeigt. Gerade die Schweisssekretion aber
stellt eins der Kardinalsyraptome der Pilokarpinreaktion dar. Schon aus
diesem einen Beispiel geht zur Genüge hervor, dass das anatomische
physiologische Sympathikussystem — worauf auch Lewandowsky schon
ausdrücklich immer wieder aufmerksam gemacht hat — etwas ganz
anderes ist als das pharmakologische. Es wirkt aber verwirrend und ist
nicht angängig, anatomisch-physiologische Einheiten aufzulösen und unter
Beibehaltung der alten Namen in pharmakologische Schemata einzuzwängen.
Weiter hat Lewandowsky mit Recht darauf hingewiesen, dass
Eppinger und Hess „fälschlich quergestreifte Muskulatur wie den
Levator palpebrae und die Stimmbänder zum Viszeralsystem rechnen und
auch den sensiblen Lungenvagus in ihre Vagotonie hereinbringen.“
Ferner zeigen uns Nebenwirkungen dieser Gifte, so Erregung des
Vaguszentrums durch Adrenalin (Biedl, Reiner), wieviel Kritik und
Vorsicht bei der Beurteilung der Wirkung dieser Pharmaka notwendig ist.
Was bedeutet ferner die grosse Dissoziation bei den verschiedenen
Giften? Warum reagiert der eine auf Adrenalin mit Temperatur, ein
anderer mit Glykosurie, warum zeigt dieser seine Adrenalinempfindlichkeit
durch Herzklopfen, jener mit einer an Stenokardie erinnernden Todesangst ?
Müssten wir nicht bei einer wirklich stark positiven Reaktion stets
wenigstens ungefähr die gleiche Summe von Erscheinungen erwarten.
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70
GERHARD LEHMANN,
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Mir erscheint die Mahnung Bauers, doch auf das Erfolgsorgan mehr
Rücksicht zu nehmen, sehr angebracht.
Sehen wir nicht täglich am Krankenbett, dass ein geschädigtes
Organ als Locus minoris resistentiae auf eine neue Infektion, auf eine
neue Krankheit am ersten und intensivsten reagiert, und sollte es uns
nun wundern, wenn ein organisch krankes Herz oder ein geschädigter
Magendarmtraktus besonders heftig auf diese starken Gifte antwortet.
Wie kompliziert aber unter diesen Verhältnissen eine richtige Deutung
der diesen Giften folgenden Reaktionen wird, muss jeder zugeben. Auch
lassen sich nicht alle diese Erscheinungen dadurch erklären!
Noch komplizierter aber und fast unübersehbar werden diese Ver¬
hältnisse, wenn wir wissen, dass in die Wechselbeziehungen zwischen
Sympathikus und Vagus auch noch die Drüsen mit innerer Sekretion
eingreifen.
Eppinger selbst hat in Gemeinschaft mit Falta und Rudinger
die innigen Beziehungen zwischen Thyreoidea, Pankreas, chroraaffinem
System einerseits und dem vegetativen Nervensystem andererseits nach¬
gewiesen. Teils werden die Drüsen nach ihren Untersuchungen von einer
dieser Gruppe innerviert, teils übt das innere Sekret wieder auf den Er¬
regungszustand des betreffenden vegetativen Nerven seine Wirkung aus.
Wohl hat man in den letzten Jahren auf dem Gebiete der inneren
Sekretion ungeheure Fortschritte zu verzeichnen, aber es ist doch nicht
von der Hand zu weisen, dass wahrscheinlich die Verhältnisse noch viel
komplizierter und mannigfaltiger sind, und es ist die Frage, ob es uns
je gelingen wird, von diesem wunderbaren Getriebe ein klares, der
Wirklichkeit entsprechendes Bild zu erhalten.
Auf jeden Fall bilden die innersekretorischen Organe und das
vegetative Nervensystem eine Kette von Gliedern, jedes abhängig von
dem anderen, aber in sich geschlossen als ein Ganzes. Jede Störung in
einem dieser Glieder muss eine Verschiebung, eine Störung im ganzen
System nach sich ziehen. Selten wird dieses Verhältnis ungestört sein
und dann den seelisch und körperlich ideal Gesunden vorstellen, meist
werden nur geringe Störungen vorliegen, die wir kaum Krankheit nennen,
zuweilen aber können interkurrente Erkrankungen, psychische Traumen,
physiologische Vorgänge (Pubertät, Wochenbett, Klimakterium) so ein¬
greifende Verschiebungen in diesen Wechselbeziehungen hervorrufen, dass
sie Hypo- bzw. Hyperplasien lebenswichtiger, innersekretorischer Organe
hervorrufen und uns als ernste Krankheitsbilder imponieren.
Es ist ganz klar, dass wir durch die pharmakologische Betrachtungs¬
weise bei groben innersekretorischen Störungen (s. Morbus Addisonii)
manche anerkennenswerte Förderung erfahren werden, es ist aber andererseits
nicht zu verkennen, dass die leichten innersekretorischen Störungen, die
noch an der Grenze des physiologischen liegen, die Beurteilung der
pharmakologischen Reaktion erschweren. Diesbezügliche Untersuchungen,
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Was leistet d.pharm. Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i.vegetat.Nervensystem? 71
die ich bei verschiedenen Personen ante-, intra- und postmenstruell an¬
gestellt habe, zeigten mir, wie ganz verschieden in diesen einzelnen
Phasen die pharmakplogische Prüfung des vegetativen Nervensystems aus¬
fällt und wie begründet deshalb meine Mahnung zur Vorsicht und
Kritik ist.
Therapie.
Die grosse Rolle, die besonders zwei von den eben besprochenen
Pharmaka, Atropin und Adrenalin, in unserem Heilmittelschatz ein¬
nehmen, mag es berechtigt erscheinen lassen, wenn ich einige kurze
Worte über ihre therapeutische Anwendung und Wirkungsweise hier ein¬
flechte.
Wer glaubt in dem Atropin ein Allheilmittel gegen die Vagotonie
bzw. allerlei „nervöse Beschwerden 14 gefunden zu haben, wird sehr
schwere Enttäuschungen erleben.
Wir haben in unseren Krankenjournalen mehrere Fälle zu ver¬
zeichnen, die deutliche Vagusstigmata und sehr starke Pilokarpinreaktion
aufwiesen und die trotz fortgesetzter energischer Atropinbehandlung nicht
den geringsten Erfolg zeigten.
Derartige Erfahrungen sind verständlich, wenn wir. das Vorhergesagte
berücksichtigen und bedenken, dass es sich meist nicht um einfache
Krampfzustände des Vagus, sondern um Störungen handelt, die ein
ganzes, äusserst kompliziertes System betreffen.
Der in jüngster Zeit von verschiedenen Autoren gemachte Einwand,
dass die unbeeinflussten Fälle mit zu geringen Dosen behandelt worden
seien, kann für unsere Kranken nicht in Frage kommen, wir haben die
Patienten einer äusserst langen und sehr energischen Atropinbehandlung
unterzogen. Andererseits muss ich aber auch zugeben, dass ich aller¬
dings in wenigen, hierhergehörigen Fällen eine günstige Beeinflussung
der Beschwerden nach Atropindarreichung gesehen habe. Die Besserung
trat jedesmal so prompt ein und wurde von den Patienten so präzise
bestätigt, dass wir nicht anstehen, den Erfolg dem Atropin zuzuschreiben.
Ich möchte also für alle diese Fälle einen Versuch mit einer lang fort¬
gesetzten energischen Atropinbehandlung empfehlen, aber warnen, allzu
grosse Hoffnungen auf diese Behandlung zu setzen.
Wegen seiner blutdrucksteigernden Wirkung hat man in jüngster
Zeit auch das Adrenalin bei verschiedenen Krankheiten, besonders bei
schweren Kreislaufsstörungen verwendet. Auch wir haben uns oft genug
von der fast lebensrettenden Wirkung des Adrenalins bei schwerster
akuter Herzinsuffizienz am Krankenbett überzeugen können und möchten
es in diesen Fällen nicht mehr missen.
Andererseits aber mahnen die starken, oft recht unangenehmen
Nebenwirkungen, die wir nach einmaligen Adrenalingaben bei verschie¬
denen Individuen beobachtet haben, Vorsicht. Bei längere Zeit hindurch
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72 G. LEHMANN, Was leistet die pharmakologische Prüfung in der Diagnostik etc.
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fortgesetzter Adrenalinbehandlung, wie sie gerade in letzter Zeit bei den
verschiedensten Krankheiten empfohlen wird, könnten unter Umständen
auch die unerwünschten Adrenalinwirkungen zur Geltung kommen.
Wenn ich im Vorhergehenden an der Hand eines grossen Kranken¬
materials nachzuweisen versucht habe, dass die von Eppinger und
Hess aufgestellte Lehre der Vagotonie mancher Berichtigung und Er¬
klärung bedarf, und dass es im Besonderen unzulässig ist, pharmakolo¬
gische Einheiten physiologisch-anatomischen gleichzustellen, so geschah
es nicht etwa, um den Wert der pharmakologischen Prüfung des vege¬
tativen Nervensystems herabzusetzen, sondern nur, um zu zeigen, wie viel
Kritik und Vorsicht bei der Bewertung dieser Reaktionen notwendig sind.
Es ist ohne Einschränkung zuzugeben, dass uns die pharmakologische
Prüfung des vegetativen Nervensystems ganz neue Einblicke in die Gruppe
der innersekretorischen Störungen und der Organneurosen ermöglicht hat.
Literatur.
1) Biedl, Innere Sekretion. — 2) Bauer, Zur Funktionsprüfung des vegetativen
Nervensystems. Arch. f. kl. Med. Bd. 107. S. 39—100. — 3) D eh io, Ueber den
Einfluss des Atropins auf die rhythmische Herztätigkeit. Ebendas. Bd. 52. S. 97. —
4) Deutsch und Hoffmann, Untersuchungen über das Verhalten des vegetativen
Nervensystems bei tuberkulösen Erkrankungen der Lunge. Wiener klin. Wochenschr.
1913. S. 569. — 5) Eppinger und Hess, Die Vagotonie. Samml. klin. Abbandl.
H. 8 u. 10. — 6) Dieselben, Zur Pathologie des vegetativen Nervensystems. Diese
Zeitschr. Bd. 67. S. 345—351. — 7) Dieselben, Ebendas. Bd. 68. S. 204—246.
— 8) Eppinger, Falta und Rudinger, Ueber die Wechselwirkung der Drüsen
mit innerer Sekretion. Diese Zeitschr. 1908. Bd. 66. S. 1. — 9) Dieselben,
Wiener klin. Wochenschr. 1908. Nr. 21. — 10) Gottlieb und Meyer, Die experi¬
mentelle Pharmakologie. — 11) Lewandowsky, Stand und Aufgaben der allge¬
meinen Physiologie und Pathologie des sympathischen Systems. Zeitschr. f. d. ges.
Neurol. u. Psych. 1913. Bd. 14. S. 281. — 12) Petren und Thorling, Unter¬
suchungen über Vorkommen von Vagotonus und Sympathikotonus. Diese Zeitsohr.
Bd. 73. S. 27. — 13) Plötzl, Eppinger und Hess, Ueber Funktionsprüfungen des
vegetativen Nervensystems bei einigen Gruppen von Psychosen. Wiener klin. Wochen¬
schrift. 1910. Nr. 51. S. 1831. — 14) R. Schmidt, Ueber Diathesen, Dyskrasien,
Konstitutionen. Ebendas. 1911. Nr. 48. S. 1659. — 15) Stoerk, Zur Klinik des
Lymphatismus. — 16) Thies, Ueber die Differentialdiagnose abdomineller Erkran¬
kungen auf Grund von Symptomen des vegetativen Nervensystems, insbesondere mit
Rücksicht auf die Erkrankungen der Gallenwege. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u.
Chir. Bd. 27. H. 3.
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Aus dem staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen
(Direktor: Dr. Th. Madsen).
Beobachtungen über Klinik und Epidemiologie der
giftarmen Dysenteriebazilleninfektion in Dänemark.
Von
Dr. Carl Sonne,
Assistent am Institut.
Synonyme: Giftarme Dysenteriebazillen (Lentz); ungiftige Dysenterie¬
bazillen (Kraus und Doerr); Pseudo-Dysenteriebazillen (Kruse). Dysen¬
teriebazillen der Typen: „Flexner“, „Y u und „Strong“; Paradysenterie¬
bazillen (Park, Liefmann und Nieter u. a.).
Im Jahre 1911 herrschte in der Nähe der kleinen dänischen Stadt
Thisted eine recht ernste Dysenterie-Epidemie, 34 Personen waren befallen
und von denselben starben 26 pCt. In mehreren der zur Diagnosenstation
des staatlichen Seruminstitutes in Kopenhagen eingesandten Fäkalproben
fanden sich Shiga-Kruse’sche Dysenteriebazillen. Die näheren Umstände
bei der Epidemie und die Resultate der hierher gehörenden bakteriologi¬
schen Untersuchungen sind von Leschly und Sonne in „Hospitalstidende“
1912 beschrieben.
Vor dieser Zeit sind Befunde von Dysenteriebazillen in Dänemark
nicht beschrieben.
Die bösartige Epidemie, die man eine Zeit lang wegen besonderer
Umstände nur schwer bewältigen konnte, veranlasste während ihrer
Dauer viele und häufige Besprechungen in allen Zeitungen des Landes,
welche gleichzeitig Mitteilungen von dem ßazillenbefunde brachten. Es
stellte sich dann recht natürlich eine starke Infektionsfurcht rings im
Lande ein, und viele Patienten, welche sonst vielleicht nicht auf eine
nur vorübergehende, mehr oder weniger blutige Diarrhöe Rücksicht ge¬
nommen hatten, wurden jetzt von ihren Aerzten zu einer bakteriolo¬
gischen Untersuchung der Fäkalien mittels Einsendung derselben zum
staatlichen Seruminstitute veranlasst. In einer grossen Zahl dieser
Proben wurden Dysenteriebazillen und zwar alle von anderen Typen
als die Shiga-Kruseschen gefunden.
Weil es sich beim Durchlesen der Literatur zeigte, dass man vor
mehreren Jahren in Amerika (Flexner und seine Schüler) Dysenterie¬
bazillen als Ursache vieler Fälle von Cholerine bei Kindern gefunden
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CARL SONNE
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hatte, und weil ähnliche Untersuchungen gleichartiger Ausdehnung in
Europa niemals ausgeführt waren, untersuchte ich darnach systematisch
den Stuhl von einer grösseren Reihe von Kindern mit Cholerine und
fand dann auch hier in vielen Fällen dieselben giftarmen
Dysenteriebazillen.
Die zu diesen Befunden giftarmer Dysenteriebazilleninfektion gehörigen
Beobachtungen über die Bakteriologie der Bazillen und die diagno¬
stische Bedeutung der Agglutination derselben in den Sera der Patienten
werden anderswo 1 ) beschrieben werden. Hier werden die Studien über die
Klinik und die Epidemiologie der Infektion erwähnt werden.
Ehe ich zu der Beschreibung meiner eigenen Untersuchungen über¬
gehe, müssen einige Bemerkungen über die angenommene Häufigkeit,
Gegenwart und Natur der Infektion in anderen Ländern worausgeschickt
werden, indem ich übrigens auf die vorliegenden Handbücher über diesen
Gegenstand hinweise.
Die Infektion ist beinahe überall auf der Erde nachgewiesen, und man
kann absolut nicht sagen, dass dieselbe an eine bestimmte Zone gebunden ist.
Was Japan betrifft, ist die Krankheit in diesem Lande besonders
häufig und wird dieselbe von den japanischen Verfassern (Shiga,
Amako) für immer endemisch und für das Auftreten grosser Epidemien
häufig veranlassend angesehen. In Europa scheint nach den meisten
Verfassern ein rein epidemisches und eigentlich recht seltenes Auftreten
angenommen zu werden. Im ganzen ist die Beschreibung von Befunden
dieser Dysenteriebazillen nicht etwas so besonders Häufiges. So hat
Pachnio im „Klinischen Jahrbuch“ 1911 ein scheinbar vollständiges
Verzeichnis aller Veröffentlichungen von den Befunden von Dysenterie¬
bazillen, welche von der Entdeckung der Bazillen bis zum September
1909 gemacht sind, gegeben. Nach demselben ist während dieser Zeit
42 mal ein Befund von Shiga-Kruse-Bazillen und 32 mal von anderen
Dysenteriebazillen beschrieben; dieses betrifft die Bazillenbefunde rings
umher in allen Weltteilen.
Es ist, wie gesagt, beinahe ausschliesslich die Rede von Epidemien.
Was die in Europa beschriebenen Epidemien betrifft, so sind dieselben
in den meisten Fällen nicht besonders gross gewesen. Am grössten war
die militärische Epidemie in Hagenau im Jahre 1908, wo 171 Personen
als krank angemeldet waren; demnächst die andere militärische Epidemie
in Fürth mit 53 Kranken. Während einer Epidemie in Gruppe im Jahre
1903 (Jürgens) waren 26 krank, wovon 18 mit Befunden von Bazillen,
und in Saarbrücken im Jahre 1905 fand Lentz die Bazillen in 14 Fällen.
Bei allen den übrigen Epidemien ist die Zahl der Fälle allerdings kleiner
gewesen, häufig hat es sich um nur wenige Fälle gehandelt.
1) Zentralbl. f. Bakteriologie.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 75
Nur ganz vereinzelte europäische Verfasser behaupten, gegründet auf
ihre Untersuchungen, dass die Dysenteriebazilleninfektion nicht nur in
grösseren oder kleineren wohlabgegrenzten Epidemien auftritt, sondern
auch sporadisch vorkommt. Namentlich Kruse meint, dass dieses keines¬
wegs selten ist und in der grossen Arbeit, die er im Verein mit Ritter¬
haus, Kemp und Metz im Jahre 1907 veröffentlichte, wurde von
ca. 50 Dysenteriebazillenstämmen berichtet, welche sie im Verlaufe von 5
bis 6 Jahren bei verschiedenen Individuen gefunden haben und von
welchen etliche von solchen isolierten sporadischen Fällen herrühren.
Einen überwältigenden Eindruck von Häufigkeit macht dies jedoch nicht,
und Kruse meint ’ dann auch, dass die Infektion in Europa wohl als
etwas mehr verbreitet angesehen werden muss, als man sich früher ge¬
dacht hatte, aber so häufig als in Amerika z. B. sei sie doch kaum.
Eine etwas ähnliche Anschauung vertritt Morgan in England im Jahre
1911 auf Grund von ca. 15 Stämmen, die wesentlich gefunden sind, ohne
dass von eigentlichen Epidemien die Rede gewesen war.
Lösener (Deutschland) teilt im Jahre 1910 mit, dass er in den
Jahren 1908, 1909 und 1910 im Verlaufe von 18 Monaten unter Soldaten
in 2 Garnisonen 6mal sporadische Fälle von Dysenterie mit Bazillen
beobachtet hat, und er schliesst daraus, dass die Infektion wahrschein¬
lich bei den Zivilisten ebenso häufig ist. Wenn ein Befund von 6 Fällen
im Verlaufe von 18 Monaten als ein häufiger angesehen wird, sieht man
indessen am besten, wie selten man in der Tat mit der Infektion hier
in Europa zu rechnen geneigt ist. Loewenthal teilt denn auch mit,
dass nach den Wochenberichten in Berlin im Verlaufe des Jahres
1911 nur 5 Fälle von Dysenterie gefunden wären. Loewenthal meint
übrigens von ausgedehnten serologischen Untersuchungen vermittels
Dysenteriebazillenagglutination ausgehend ausser Zweifel stellen zu können,
dass die Infektion in der Tat viel häufiger ist; aber wie ich anderswo 1 )
unter den Untersuchungen der Sera der Patienten beweise, kann seine
Schätzung der Agglutination indessen nicht als eine berechtigte angesehen
werden.
Mehrere Verfasser haben chronisch verlaufende Dysenterie¬
fälle mit periodischer Ausscheidung von Dysenteriebazillen
beobachtet.
So beschreibt Morgenroth einen leichten Fall von Dysenterie, den
er in China hatte; derselbe dauerte 14 Tage, er blieb aber immer auf
und lag seinen Geschäften ob; nach % Jahr bekam er einen neuen An¬
fall, welcher diesmal etwas schwerer und langwieriger war; seitdem hatte
er oft schleimgemischte Diarrhöe, und als er nach einiger Zeit nach
Europa kam, fand Pfuhl Flexner-Bazillen in seinem Stuhl, welcher
früher nicht untersucht war. Lentz fand während der Epidemie in
1) Zentralbl. f. Bakteriologie.
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Original fro-m
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CARL SONNE,
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Saarbrücken „Y “-Bazillen bei einem Soldaten während eines leichten
Rezidivs 5 Monate nach dem ersten Anfall. Ganz ähnliche Beobachtungen
haben auch Pfuhl, Eckert und Kruse bei vereinzelten Patienten ge¬
macht. Avelin, Boycott und Macdonald beschreiben einen Fall von
Dysenterie mit Flexnerdysenterie, wo die Symptome 4 1 / 2 Monate dauerten
und die Krankheit nahm dann einen tötlichen Ausgang.
Macalister hat während einer „Flexner a -Epidemie in einer Irren¬
anstalt beobachtet, dass ca. 26pCt. von 80, welche klinisch Dysenterie
gehabt hatten, mehrere Monate nach dem eigentlichen Anfall Neigung zur
Diarrhöe, schleimiger Abführung oder auch typischem Rezidive bekamen;
bei einigen fand er auch die Bazillen während dieses chronischen Verlaufes.
Ehe das Resultat der Nachuntersuchungen von den Epidemien in
Fürth und Hagenau vorlag, scheint man doch solche chronische Fälle
mit Ausscheidung von Bazillen für recht selten gehalten zu haben.
Lutzksch (1906) meinte zwar in einer russischen Irrenanstalt bemerkt
zu haben, dass etwa die Hälfte der Geisteskranken, die akute Dysenterie
gehabt hatten, später diese Krankheit in einer chronischen Form bekam;
seine Beobachtungen stützten sich aber wesentlich auf die unzuverlässige
Agglutinationsreaktion im Patientenserum (s. Sonne, Zentralbl. f. Bakt.).
Bei der Epidemie in Fürth (1909) fand Mayer, dass nur 70 pCt.
der 53 Kranken im Verlaufe von 4 Wochen bazillenfrei wurden, von
28 Schwerkranken hatten 31 pCt. Bazillen in der Abführung bis zwischen
5 und 16 Wochen und 25 Leichtangegriffene in 28 pCt. der Fälle
Bazillen bis zwischen 5 und 12 Wochen. Durchschnittlich fanden sich
Bazillen in der Abführung bis zwischen 2 und 3 Monaten nach dem Ver¬
laufe des akuten Anfalles. In wie hohem Grade bei diesen Individuen
mit langdauernder Ausscheidung der Bazillen gleichzeitig von einem
klinisch beobachteten chronischen Verlaufe die Rede gewesen ist, darüber
bekommt man leider keine rechte Auskünfte. Mayer sagt selbst, dass
die bakteriologische Arbeit so gross gewesen ist, dass man keine hin¬
reichende Zeit auf eine genaue Beobachtung und Beschreibung von dem
Aussehen, event. Schleiminhalt usw. der Abführung verwenden konnte.
In wie vielen Fällen Rezidive klinisch beobachtet sind, darüber finden sich
auch keine Auskünfte.
Im Anfang des Jahres 1909 nahm Simon eine Nachuntersuchung
von einem Teil der Soldaten vor, welche während der Epidemie in Hagenau
im Sommer 1908 mit „Y u -Bazillen infiziert gewesen waren. Bei 4 von
55 Soldaten, welche typische Dysenterie gehabt hatten, fanden sich die
Bazillen noch nach einem halben Jahre; ebenso bei 13 von 84, bei welchen
die Bazillen früher gefunden waren, ohne dass die Individuen Dysenterie¬
symptome gehabt hatten. Jede Person wurde einmal des Monats in den
Monaten Januar bis Juli 1909 untersucht, und nur ab und zu fand man
die Bazillen bei einem Individuum; es ist auch hier nicht angegeben, in¬
wieweit die Soldaten mit Dysenteriebazillen in der Abführung Symptome
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 77
von chronischer Dysenterie haben oder wie viele derselben eigentliche
Rezidive gehabt haben. Obgleich man annehmen muss, dass ein Teil
der in Fürth und Hagenau gefundenen Bazillenträger überhaupt nicht
Dysenteriesymptome irgend einer Art darbieten oder jemals dargeboten
haben, wird man doch sicher, übereinstimmend mit den Beobachtungen
in früheren Jahren, welche darauf hinzeigen, dass man selten Dysenterie¬
bazillen in der Abführung, ohne dass diese schleimig ist (Kruse,
Conradi), findet, davon ausgehen können, dass jedenfalls ein wesentlicher
Teil der Individuen nicht in allen Hinsichten vollständig normal gewesen
ist, z. B. eine gewisse Neigung zur Diarrhöe oder zur schleimigen Ab¬
führung hat, aber nur nicht in einem so bedeutenden Grade, dass man
wegen des Individuums selbst Grund hatte, dies zu berücksichtigen. So¬
wohl Mayer als Simon meinen denn auch nicht, dass diese chronischen
Bazillenträger für gesunde Individuen angesehen werden können, und
ähnlich wie Küster und Lcntz denken sie, dass die Ursache dazu, dass
die Bazillen nicht wieder aus dem Darme verschwinden, in der Gegen¬
wart von atonischen Darraulzera in demselben gesucht werden muss.
Mayer empfiehlt Untersuchung mit Rektoskop von solchen Bazillen¬
trägern, hat es aber nicht selbst versucht.
Lentz’ Anschauung von diesen atonischen Darmulzera stützen sich
auf eine rektoskopischc Untersuchung, die er in Gemeinschaft mit
Kantorowicz bei zwei Dysenterierekonvaleszenten vorgenommen hat.
4—8 Wochen nach der klinischen Genesung und 5—8 Wochen nach der
letzten Konstatierung von Bazillen in den Fäzes konnten bei diesen Patienten
noch einzelne Ulzerationen auf der sehr roten Schleimhaut des Rektums
bemerkt werden.
Ausserhalb des Darmes und der Mcsenterialdrüsen findet man in
der Regel nicht die Bazillen (Shiga, Amako, Wollstein, Aveline,
Boycott und Macdonald, Eyre). Nur Brückner hat einmal Y-
Bazillen in den kleinen Gallengängen in der Leber bei einem Dysenterie¬
bazillenträger post mortem und Aveline, Boycott und Macdonald
einmal Flexner-Bazillen in der Milz gefunden.
Eine besondere Erwähnung verdienen die Untersuchungen, welche
die Dysenteriebazilleninfektion als Ursache der Gastroenteritis bei kleinen
Kindern betreffen.
Wie es aus dem Nachfolgenden hervorgehen wird, hat diese Frage
für die meisten der europäischen Forscher eine ganz unwesentliche Rolle
bei ihren Untersuchungen und Erwägungen über die bazilläre Dysenterie
gespielt und die Beobachtungen, welche besonders von seiten der Ameri¬
kaner hierüber gemacht worden sind, können kaum als hinreichend
angesehen werden.
Nachdem Vedder und Duval im Jahre 1901 die ersten gewesen
waren, welche in Amerika Dysenteriebazillen bei vielen Fällen von
Dysenterie fanden, waren cs Duval und Basset in demselben Lande,
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CARL SONNE
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welche im folgenden Jahre daran dachten, nach den Bazillen bei Sommer¬
diarrhöe der Kinder zu suchen, welche ja in mehreren Hinsichten, be¬
sonders bei der schleimigen und nicht selten blutigen, dünnen Abführung,
Aehnlichkeiten mit der Dysenterie zeigen konnte; sie fanden dann bei
Untersuchungen in Baltimore die Bazillen in 42 von 54 Fällen. Hiernach
meinten sie sich zu der Vermutung berechtigt, dass die Aetiologie der
Sommerdiarrhöe der kleinen Kinder in einer Dysenteriebazilleninfektion
zu suchen war.
In dem folgenden Jahre (1903) nimmt dann Flexner auf dem
Rockefcllerschen Institute in New York die Frage auf, und es wird in
der Weise arrangiert, dass in diesem Jahre 12 Bakteriologen in NewYork,
Philadelphia, Boston und Baltimore alle auf einigen Hospitälern während
einer bestimmten Zeit aufgenommenen Fälle der Krankheit untersuchen.
Damit die Untersuchungen gleichartig werden konnten, bekamen die
Bakteriologen, welche früher mit der Bakteriologie der Dysenteriebazillen
nicht gearbeitet hatten, bei Flexner einen Kursus. Von Allem,
was überhaupt den Charakter eines infektiösen Darrakatarrhs darbot,
wird die Abführung ohne Rücksicht auf das oft vielfach verschiedene
klinische Bild bei den verschiedenen Patienten untersucht. Weiter wird
dafür gesorgt, dass die Abführung so schnell als möglich nach dem Stuhl¬
gänge zur Untersuchung kommt. Das Resultat war, dass unter
412 Fällen Dysenteriebazillen 279mal, in ca. 63,2 pCt. gefunden wurden.
In 26 der 279 Fälle handelte es sich um Shiga-Kruse-Dysenteriebazillen;
in allen übrigen 254 Fällen fanden sich mannitvergärende, giftarme Dys¬
enteriebazillen.
Bei den verschiedenen Untersuchern schwankt die prozentische An¬
gabe von Fällen mit Dysenteriebazillen von 94 bis 25. Flexner meint,
dass die Ursachen der niederen Angaben vielleicht darin zu suchen sind,
dass sich die Laboratoriumsverhältnisse an den betreffenden Orten etwas
schwierig gestaltet haben, z. B., dass die Abführung aus dem Hospitale
ziemlich lange unterwegs gewesen ist und die Dysenteriebazillen dabei
von Kolibazillen überwachsen waren. Dass die Ursache der grossen Ver¬
schiedenheit in dem Resultate der einzelnen Untersucher vielleicht auch
in gewissem Grade darin zu suchen ist, dass die Infektion in grösserer
Stärke in einigen Orten als in anderen auftrat, was ja wahrscheinlich
sein kann, daran scheint er kaum gedacht zu haben. Flexner meint
sich berechtigt zu schliessen, dass die Dysenteriebazilleninfektion in einer
sehr grossen Zahl der Fälle sich als die Ursache der sogenannten
Sommerdiarrhöe bei kleinen Kindern zeigt, wenn sie auch wohl kaum als
die einzige angesehen werden kann.
Andere amerikanische Verfasser wie Hastings, Knox und Shorer
und Weawer und Tunnicliff fanden bald nachher ähnliche Verhältnisse
bei anderen Epidemien von Kinder-Cholerine in Amerika, während wieder
andere, wie Schwartz, Pease und Shaw und Collins, kaum so
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 79
häufig die Dysenteriebazillen fanden, augenscheinlich, weil die Infektion
nicht immer und in allen Orten in Amerika gleich häufig ist.
Die Flexnersche Anschauung von der Aetiologie der Kinder-
Cholerine kann keineswegs als allgemein anerkannt oder in höherem
Grade von europäischen Verfassern bestätigt angesehen werden; es muss
dann aber auch zugestandeu werden, dass auch keiner derselben ähnliche
Untersuchungen entweder in so grosser Ausdehnung oder scheinbar mit
so grosser Genauigkeit vorgenoramen hat.
Leiner in Wien ist vielleicht der erste, der hier in Europa Dysenterie¬
bazillen bei Kindern, ohne dass diese typische Dysenterie hatten, ge¬
funden hat. Er findet in 7 Fällen Flexners Dysehteriebazillen bei
Kindern, welche klinisch Symptome wie bei Enteritis follicularis hatten.
Er scheint übrigens nicht Abführung von Kindern mit Gastroenteritis in
grösserer Ausdehnung untersucht zu haben.
Jehle und Chariton haben — ebenfalls in Wien — einige Kinder
(sie sagen nicht wie viele) mit Cholerine untersucht; sie fanden nur in
zwei Fällen, wo überdies keine besonderen Darmsymptome bestanden,
Dysenteriebazillen. In einer späteren Arbeit gibt Jehle an, dass sporadische
Fälle von Dysenterie bei Kindern nicht selten sind, aber bei Dyspepsie,
Sommerdiarrhöe und Cholera infantum hat er die Bazillen niemals
gefunden; auch hier wird nicht angegeben, wieviel Fälle er untersucht hat.
Manicatide hat in Jassy und Umgegend 54 Fälle von Kinder-
Cholerine untersucht; in 5 Fällen fand er Dysenteriebazillen, bei Kindern,
die über ein Jahr alt waren; er meint konstatiert zu haben, dass Dysenterie¬
bazilleninfektion wenigstens in dieser Gegend keine Rolle als Ursache
der Cholerine bei Kindern unter einem Jahre spielt.
In Deutschland hat nur Rimpau 1 ) eine leidlich ausgedehnte Unter¬
suchung dieser Frage vorgenoramen. Ira Sommer 1910 untersuchte
er die Abführung von 122 poliklinisch behandelten Kindern mit allen
Arten von Darmstörungen: Dyspepsie, Diätfehler, akuter und chronischer
Magen- und Darmkatarrh, klinische Dysenterie usw., nur in einem Falle
findet er Flexners Dysenteriebazillen, in 9 Fällen paratyphusähnliche
Bazillen und in den übrigen keine Bakterien von bekannter pathogener
Bedeutung.
Allein HennT)n in Frankreich scheint unter den europäischen Ver¬
fassern der einzige zu sein, welcher meint, dass den Dysenteriebazillen
eine grössere Bedeutung als ätiologischer Faktor bei vielen Fällen von
Kinder-Cholerine beigelegt werden muss. Er unterscheidet bei dieser
Krankheit zwei Formen: eine spastische, welche nicht durch Tierorganismen
verursacht ist, und eine andere, die durch Infektion mit Dysenterie¬
bazillen verursacht ist. In 10 Fällen findet er diese Bazillen; man be-
1) Siehe jedoch später Gildemeisters und Baerthleins Untersuchungen,
Seite 109.
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kommt aber keinen Eindruck von der Häufigkeit, mit welcher ein solcher
Befund erwartet werden kann.
Morgan in England und Bahr hier in Dänemark haben beide zahl¬
reiche Fälle von Kinder-Cholerine untersucht, ohne dass sie meinen,
jemals Dysenteriebazillen gefunden zu haben. Die Untersuchungen dieser
Verfasser haben indessen nicht besonders auf diese Bazillen, sondern eher
auf bestimmte andere Bazillen gezielt; das spezielle Verfahren bei
der Aufsuchung von Dysenteriebazillen, z. B. unter anderem Unter¬
suchung des Stuhls so schnell wie nur möglich nach Absetzen des¬
selben, ist dabei möglicherweise nicht immer zur vollen Anwendung ge¬
kommen. Aus der tabellarischen Uebersicht Morgans von den bakterio¬
logischen Eigenschaften einiger der gefundenen Bakterien geht übrigens
hervor, dass einzelne der Bazillen sehr gut Dysenteriebazillen sein können;
er ist bloss nicht imstande gewesen, zur Zeit eine bestimmte Entscheidung
hierüber zu treffen.
Wenn man in Betracht zieht, dass die Untersuchungen Rim paus
nur poliklinisch behandelte Kinder betreffen und dass viele derselben
augenscheinlich nicht als an Gastroenteritis Leidende aufgeführt werden
konnten, so sieht man also, in welchem geringen Grade die Frage hier
in Europa untersucht ist. Wenn auch einzelne europäische Verfasser
(Leiner, Knöpfelmacher, Kruse) meinen, dass man bei der klinischen
Enteritis follicularis der kleinen Kinder immer an die Möglichkeit einer
Dysenteriebazilleninfektion denken muss, ist es doch augenscheinlich, z. B.
bei Durchsicht der neuesten Hand- und Lehrbücher über Kinderkrank¬
heiten (Pfaundler und Schlossmann 1910, Feer 1912), wo gar nicht
oder jedenfalls nur sehr im Vorbeigehen von der möglichen Ursache der
Dysenteriebazilleninfektion für die Fälle von klinischer Kinder-Cholerine
gesprochen wird, dass die meisten europäischen Kliniker im allgemeinen
nicht glauben, dass mancher Fall von klinischer Kinder-Cholerine als ein
atypischer Fall von Dysenterie aufzufassen ist.
Dass die Bakteriologen aus dem Rockefellerschen Institute in so
vielen Fällen Dysenteriebazillen gefunden haben, ist nach der Meinung
Lentz’ ganz einfach darin zu suchen, dass es sich bei ihren Unter¬
suchungen gar nicht um gewöhnliche Fälle von Sommerdiarrhöe, sondern
in Wirklichkeit um eine typische Dysenterie, welche eben bloss be¬
sonders ausgebreitet in Amerika zu sein scheint, gehandelt hat. Er be¬
merkt ausdrücklich, dass allgemeine Sommerdiarrhöe und Dysenterie bei
Kindern von einander unterschieden werden müssen. Darüber sind wohl
jetzt alle Verfasser übrigens einig, indem die Anschauung von Duval
und Basset sich ja offenbar nicht hat behaupten können. Welche
Schwierigkeit klinisch mit dieser Entscheidung verbunden ist, scheint in¬
dessen Lentz nicht recht eingesehen zu haben. Wenn er z. B. sagt,
dass die amerikanischen Fälle von Cholerine mit Dysenteriebazillen auch
klinisch als Dysenterie aufzufassen sind, weil die Patienten schleimige
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 81
und in vereinzelten Fällen auch blutige Abführung hatten, so ist dies doch
keineswegs anders, als was so überaus häufig bei der Krankheit, die all¬
gemein Kinder-Cholerine genannt wird, gefunden wird.
Ob man klinisch gesehen einen sicheren Unterschied zwischen Gastro¬
enteritisfällen mit und ohne Dysenteriebazillen beobachten kann, muss
als nicht entschieden dahingestellt bleiben. Die Beobachtungen, welche
in dieser Hinsicht von verschiedenen Klinikern in Amerika eben im An¬
schluss an die ausgedehnten bakteriologischen Untersuchungen von
Flexners Schülern gemacht worden sind, haben nämlich keinen solchen
sicheren Unterschied zutage gebracht. Eramet Holt hat alle die Beob¬
achtungen in einer klinischen Uebersicht über die Fälle gesammelt; aus
derselben geht hervor:
Die Infektion wird sowohl bei „Brustkindern“ als bei Kindern,
welche künstliche Ernährung bekommen haben, gesehen. Sie zeigt sich
1. als oine akute primäre Infektion bei früher gesunden Kindern, 2. als
eine subakute Infektion ohne frühere akute Symptome, 3. im Vereine
mit anderen Krankheiten, Masern usw. und 4. oft als eine terminale In¬
fektion bei Kindern mit Marasmus oder bei schlecht ernährten Kindern.
Sie kommt sowohl als eine milde, als eine schwere Infektion vor;
entweder allein mit intestinalen Symptomen oder mit vorzüglich kon¬
stitutionellen Symptomen.
Von 237 Fällen waren 91 mit schwerer Infektion und vielem Schleim
und gewöhnlich mit Blut in der Abführung verbunden, 81 mit raässiger
Infektion und vielem Schleim und oftmals Blut, 63 mit milder Infektion
und selten mit Blut. Ab und zu etwas Fieber, in anderen Fällen nicht.
Im ganzen fanden sich alle Grade der Abstufung zwischen der Stärke
der Infektion und der Darmstörung: jedoch mit einer Ausnahme, der
sogenannten Cholera infantum, der ernsten, akuten, intestinalen
Intoxikation mit plötzlichem gewaltsamem Anfang, fortdauerndem Er¬
brechen, hohem Fieber, starker Prostration, frühzeitigem Kollaps und in
der Regel schnellem Tod; hier wurden keine Dysenteriebazillen, vielleicht
mit Ausnahme von einem Falle, gefunden. Bei chronischer Dyspepsie
sind die Bakterien nicht gefunden, wenn auch Schleim vorhanden war.
Die häufigste Form ist die akute, febrile, mit schleimiger, oft bluttingierter
Abführung.
Die Beobachtungen, die Knox über die Fälle von Duval und
Basset aus dem Jahre 1902 und später Knox und Shorer, Hastings,
Michael (Weawer und Tunnicliff) bei anderen Fällen machten, waren
im wesentlichen dieselben.
Dass eine Dysenteriebazilleninfektion bei Kindern leicht verlaufen
kann, haben übrigens auch europäische Verfasser wie Deiner und Lentz
selbst beobachtet. Lentz erwähnt z. B. Fälle, die er in Gemeinschaft
mit Kantorowicz in Berlin untersucht hat, in welchen kaum einmal
Schleim in der Abführung gefunden wurde.
Zeitsehr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2.
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82
CARL SONNE,
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Mit welchem Rechte Lentz von diagnostischen Fehlern bei den
amerikanischen Verfassern sprechen kann und wo er im ganzen meint,
dass die Grenze zwischen Sommerdiarrhöe und Dysenterie bei Kindern auf
Grundlage von den bis jetzt gemachten Beobachtungen gezogen werden
kann, ist, wie das Obenstehende zeigt, nicht ganz deutlich.
In betreff eines für Dysenterie recht charakteristischen Symptoms
wie der Vermischung der Abführung mit Blut legt Flexner etwas Ge¬
wicht darauf, dass nur ein Drittel der Proben, in welchen Dysenterie¬
bazillen gefunden wurden, mehr oder weniger blutig waren; ja selbst in
Abführung ohne Schleim sind gelegentlich Bazillen gefunden worden.
Typische Dysenterieepidemien bei Kindern mit Bazillen sind in Europa
mehrmals beschrieben; ausser von Deiner und Jehle sind solche u. a.
von Lentz, Auche und Campana und jüngst von Bauer, Ellenbeck
und Fromme beobachtet und beschrieben.
Wie lange nach einem Anfall von Dysenterie ein Patient Dysenterie¬
bazillen auszuscheiden pflegt und dann für seine Umgebungen gefährlich sein
kann, davon bekommt man bei den früher erwähnten Nachuntersuchungen
bei der Fürther und bei der Hagenauer Epidemie einen Eindruck.
Mayer nimmt hiernach eine Isolation der Patienten vor, bis sie sich
bei einer häufig wiederholten Untersuchung der Fäkalien als bazillenfrei
während 3 Monaten gezeigt haben; für Individuen, bei welchen Bazillen
ohne vorausgehende Krankheit gefunden sind, fordert er Isolation, bis sie
durch 4 Wochen bazillenfrei gewesen sind. Simon, welcher die Nach¬
untersuchungen bei der Hagenauer Epidemie vornahm, meint, dass jeder
Dysenterierekonvaleszent zum mindesten einmal des Monats untersucht
werden muss und erst als ungefährlich angesehen werden kann, wenn
keine Bazillen dreimal hintereinander gefunden sind. Im Gegensatz zu
Mayer meint er jedoch nicht, dass eine strenge Isolierung der Bazillen¬
träger notwendig ist; so meint er, dass Soldaten, welche Bazillenträger
sind, wohl Dienst machen können, wenn sie unter guten hygienischen
Verhältnissen in einer Kaserne sind, wogegen Dienst im Felde und in
der Küche nicht erlaubt werden darf.
Auch Boehncke empfiehlt, dass die Untersuchung von Dysenterie-
rekonvaleszenten in Deutschland in derselben umfassenden und genauen
Weise wie bei den Typhusrekonvaleszenten vor sich gehen muss.
Eigene Untersuchungen.
Wie es aus der an einer anderen Stelle veröffentlichten Abhandlung
über die Bakteriologie der Bazillen hervorgehen wird, habe ich giftarme
Dysenteriebazillen unter drei verschiedene Stämme gehörend gefunden.
Unter die zwei ersten dieser Gruppe gehören nach aller Wahrscheinlich¬
keit alle früher als giftarrae Dysenteriebazillen sicher erkannte Bazillen
(„Flexner“, „V“ und Strong), und die letzte umfasst Bazillen, welche
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 83
früher nicht mit Sicherheit als Dysenteriebazillen erkannt worden sind,
die man aber jetzt als solche betrachten muss.
In ca. 2 Jahren habe ich alle an die Diagnosestation des Serum¬
institutes eingesandten Proben von Fäkalien systematisch auf Dysenterie¬
bazillen untersucht, ohne zu berücksichtigen, auf welche Krankheiten diese
Proben sonst untersucht werden sollten (Typhus, Paratyphus, Dysenterie
usw.); im ganzen ca. 1500 Proben ausser ca. 100 Urinproben. Dabei habe
ich von April 1911 bis März 1913 die Bazillen an Proben von 69 ver¬
schiedenen Individuen isoliert; 18mal sind es Bazillen von Gruppe I,
15 mal von Gruppe II und 36 mal von Gruppe III gewesen.
Mit Ausnahme von einem Falle (zureisender Seemann) habe ich die
Shiga-Kruscschen Dysenteriebazillen nicht gefunden.— ausserhalb der
früher erwähnten Epidemie in Thisted 1911. Die Bazillen der drei
Gruppen I, II, III gehen dann ausschliesslich Mannit-vergärende giftarme
Dysenteriebazillen an.
Es kann gleich gesagt werden, dass die Fälle sich nicht in grösseren
Epidemien gruppieren, obwohl sich für einige der Fälle ein Zusammenhang
konstatieren lässt, wie es später näher gezeigt werden soll Es ist so
gut wie ausschliesslich von einem sporadischen Vorkommen die Rede,
welches auch zum Teil daraus hervorgeht, dass die Fälle einigermassen
gleichmässig über den ganzen Zeitraum zerstreut Vorkommen, wie nach¬
folgendes Schema zeigt.
1911
1912
1913
Erwachsene
Kinder
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a
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Kinder
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—
Dieses Schema sagt nichts von der Häufigkeit der Infektion hier im
Lande zu den verschiedenen Zeiten, indem man durchaus nicht davon
ausgehen kann, dass ich zu irgend einem Zeitpunkte geschweige in der
ganzen Zeit die Abführung aller verdächtigen Patienten zur Untersuchung
bekommen habe.
Obwohl es ja bekannt ist, dass Dysenterie und ähnliche Infektionen
am häufigsten im Herbst oder am Ende des Sommers Vorkommen,
G*
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und obwohl es auch hiermit in guter Uebereinstimmung ist, dass ich
besonders in den Monaten August, September, Oktober viele Fälle ge¬
funden habe, hat doch der relativ grosse Fund von Bazillen in diesen
Monaten seine Ursache auch darin, dass die ganze Shiga-KruS»e-
Dysenterieepidemie in Thisted im Sommer 1911, von welchen die Zei¬
tungen so viele Berichte brachten, auftrat; die Leute rings im Lande
wurden dabei aufgescheucht, und viele Fälle, die wohl sonst kaum be¬
achtet worden waren, kamen dabei zur Untersuchung. Die vielen Fälle
im Spätsommer 1912 wurden wesentlich durch eine ausgedehnte Unter¬
suchung von Gastroenteritis bei kleinen Kindern verursacht.
Uebrigens kommen auch Fälle über das ganze Jahr verstreut vor, ja
selbst in den Wintermonaten habe ich vereinzelte angetroffen.
Befand von Dysenteriebazillen bei darmgesnnden Menschen.
Ich habe die Bazillen bei 3 Personen, von welchen mir nicht bekannt
dass sie Dysenterie oder eine andere Form von Diarrhöe gehabt haben,
gefunden; alle drei waren erwachsene Frauen. Doch lagen nur für
eine derselben bestimmte Angaben von der Patientin selbst und von
ihrem Arzte vor, dass sie solche Symptome nicht gehabt hat; es handelte
sich hier um eine verheiratete Frau aus Thisted, deren Abführung
immer natürlich, ohne Schleim oder Blut, war; dieselbe wurde mehr¬
mals untersucht, weil ihr Gatte, welcher Desinfektor war, und ihre drei
Kinder während der Thisted-Epidemie Shiga-Kruse-Dysenterie hatten,
während sie allein in der Familie nicht davon betroffen wurde. Bei der
ersten Untersuchung am 9. Oktober 1911 wurden keine Dysenteriebazillen
irgend einer Art gefunden; bei der zweiten Untersuchung am 17.Oktober 1911
wurden zahlreiche Dysenteriebazillen von Gruppe I (keine Shiga-Kruse-
Bazillen), und bei der dritten Untersuchung am 22. Oktober 1911 wieder
keine Dysenteriebazillen irgend einer Art gefunden; ihre Abführung war
immer natürlich und nicht häufiger als gewöhnlich (alle drei Tage)
gewesen.
Zwei Stämme rührten von Proben von Fäkalien her, die zur Unter¬
suchung von Typhusbazillen eingesandt waren. Das Individuum, von welchem
ich den einen Stamm bekam, zeigte sich später bei wiederholten Unter¬
suchungen als Typhusbazillenträger, während Dysenteriebazillen niemals
später wieder gefunden wurden; ob es möglich ist, dass sie ausser ihrer
Typhusinfektion zugleich eine dysenterische Diarrhöe gehabt haben bann,
wird man nimmer anamnestisch aufklären können. Ueber das zu dem
anderen Stamm gehörige Individuum ist es mir nicht möglich gewesen,
irgend welche Aufklärungen zu bekommen, auch für diesen Patienten
liegt denn wohl die Möglichkeit eines Darmleidens vor.
In der Tat ist es denn nur ein Individuum mit Dysenteriebazillen
in der Abführung, für welches es mit einiger Sicherheit aufgeklärt ist, dass
dasselbe kein akutes Darmleiden gehabt hat. Indessen erreicht dieser
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 85
Befund doch erst eine vollständige Bedeutung durch einen Vergleich mit
den in demselben Zeitraum untersuchten Proben von Fäkalien.
In der Zeit vom September 1911 bis März 1913 — im ganzen
19 Monate — habe ich 1515 Proben von Fäkalien untersucht. Zieht man
hiervon einige Proben von Shiga-Kruseschen Dysenteriepatienten in
Thisted ab, so bleiben 1482 Proben übrig, welche ich in diesem Zeitraum
auf Dysenteriebazillen untersucht habe, ohne zu berücksichtigen, warum
sie übrigens untersucht werden sollten. In 62 dieser Proben (von
58 Patienten^ wurden Dysenteriebazillen gefunden, in 1420 keine. Wie
viele dieser Proben von Individuen, die keine Symptome von Dysenterie
gehabt haben, stammen, weiss ich nicht, aber die Zahl zeigt jedenfalls
mit Sicherheit, dass Funde von Dysenteriebazillen im allgemeinen keines¬
wegs ein häufig vorkommendes Phänomen sind.
Diese 1420 Proben lassen sich übrigens in der folgenden Weise näher
verteilen (siehe die zwei folgenden Schemata): 48 sind Proben von den
Individuen, bei welchen Dysenteriebazillen ein andermal gefunden sind,
18 enthielten Blut (ab und zu auch Schleim), 37 waren mit Schleim ge¬
mengt (ohne Blut), und 141 rührten von Kindern mit Gastroenteritis (mit
oder ohne Schleim und Blut her; werden diese 48-f-18-j-37-j-141 = 244
von 1420 abgezogen, bekommt man 1176 Proben von Individuen, bei
welchen einige Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass der bei weitem grössere
Teil derselben keine dysenterischen Symptome gehabt hat. Diese
Individuen sind teils verdächtige Typhus- oder Dysenteriebazillenträger,
folglich in der Regel aus der Umgebung und den Verwandten von
Typhus- oder Dysenteriepatienten, oder auch Typhusrekonvaleszenten
gewesen. Nicht wenige der Proben stammen von denselben Individuen,
im ganzen etwa ein Drittel der 1176, welche demnach von 800—900 ver¬
schiedenen Individuen herrühren. In 107 der 1176 Proben fanden sich
Typhusbazillen und in 4 Paratyphusbazillen.
99 mal habe ich Urinproben untersucht; ich habe 12 mal Typhus-
bazillen, aber niemals Dysenteriebazillen gefunden. Indessen habe ich
nicht selten im Urin Bazillen gefunden, welche in der ersten Zeit kaum
von Dysenteriebazillen mit Rücksicht auf die kulturellen Verhältnisse
unterschieden werden konnten, namentlich gaben sie nicht gleich Gas¬
entwickelung in Glukoseagar; die meisten haben indessen später nach
Umsäen nach einiger Zeit Gasentwickelung gegeben und haben die
Gelatine verflüssigt; agglutinatorisch haben sich keine derselben wie
Dysenteriebazillen verhalten.
Das Aussehen der Abführung mit und ohne Befund von Dysenteriebazillen.
In den 1482 Abführungen, die in dem früher erwähnten Zeitraum
auf Dysenteriebazillen untersucht worden sind, sind Dysenteriebazillen
in 62 gefunden, und 48 mit negativem Resultat der Untersuchung rühren
von denselben Individuen her, von welchen diese 62 stammen.
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a) 62 mit Dysenteriebazillen
I b) 48 von denselben Individuen wie
die 62 mit Dysenteriebazillen
c) 1372 von Individuen, bei
welchen keine Dysenterie¬
bazillen gefunden sind.
Indem ich eine besondere Untersuchung bei Gastroenteritis kleiner
Kinder in Kopenhagen vorgenoramen habe, und weil die Abführungen von
denselben sehr schnell nach dem Stuhlgang zur Untersuchung gekommen
sind und deshalb nicht so gut mit den anderen Proben verglichen werden
können, lässt sich die Abführung in den Gruppen a), b) und c) nach
folgendem Schema anordnen:
Von Kindern in Kopenhagen unter 6 Jahr.
Von Kindern mit Gastro¬
enteritis
Von Kindern,
die akute
Diarrhöe nicht
gehabt haben
Blot mit oder ohne Blut
°Ü”fR»i!l ra »it , ohne 1
| Schleim j Schleim
Von allen anderen als die
unter die vorhergehenden
Rubriken gehörigen
Blut mit oder | ohne Blut
ohne Schleim,
und Filzes I
mit ohne
Schleim Schleim
Gruppe a) 62 3
n b) 48 0
„ c) 1372 1
23
10
4
7
0
0
87 | 53 j 125
12
1
18
12
12
37
8
18
1051
Nur eine der dysenteriebazillenfreien Abführungen von Kindern in
Kopenhagen hat Blut enthalten; dagegen findet man zwischen den anderen
Proben 19, welche mehr oder weniger mit Blut gemischt waren und doch
keine Dysenteriebazillen enthielten. Hierbei muss bemerkt werden, dass
es nicht sicher ist, ob die Patienten, von welchen die Proben stammen,
dysenterieähnlicheSymptome oder überhaupt Zeichen einer akuten Infektions¬
krankheit gehabt haben. Die in dem Institut eingegangenen Mitteilungen
bezüglich des Individuums berechtigen nicht immer zu einer solchen An¬
nahme. Indessen hat man doch wohl Grund zu vermuten, dass für die
meisten dieser 19 Personen in der Tat die Rede von dysenterieähnlichen
Symptomen gewesen ist. Dass ich in diesen Fällen Dysenteriebazillen
nicht gefunden habe, ist nach meiner Annahme am ehesten durch die in
der Regel langsame Versendung verursacht, während der die Bazillen
entweder von Kolibazillen überwachsen werden können, oder, was vielleicht
von noch grösserer Bedeutung ist, bei der bakteriziden Einwirkung des
Blutes zu Grunde gegangen sein können; es sind nämlich sehr oft grosse
Mengen von Blut, um die es sich handelt. Ich bin nun nicht imstande zu
entscheiden, welche Abführungen beinahe ausschliesslich aus Blut be¬
standen haben bzw. mit wenig Schleim vermengt, und in welchen das
Blut z. B. nur als Streifen und Flecke auf dem Schleim gewesen war;
aber ich habe den bestimmten Eindruck, dass es am ehesten die sehr
blutigen waren, in denen die Bazillen nicht gefunden werden konnten.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 87
Ein einziges Mal ist es mir auch gelungen, die Dyscnteriebazillen in
einer Abführung ohne Schleim und Blut zu finden, und zwar bei einem
Patienten, wo ich 4 Tage früher in der stark blutigen Abführung die
Bazillen nicht finden konnte. Soviel ich weiss, habe ich in anderen Fällen
nicht Gelegenheit gehabt, die Untersuchung einer neuen Probe von
Fäkalien von den Patienten, deren blutige Abführung bei der einmaligen
Untersuchung ein negatives Resultat gegeben hat, zu wiederholen; bei
zukünftigen Untersuchungen muss auf eine solche Wiederholung sicher
grosses Gewicht gelegt werden.
Dass der Patient kurz nach der ersten Untersuchung so gut wie voll¬
ständig gesund ist, und dass eine fortgesetzte Untersuchung nach der
Meinung des Arztes nicht mehr notwendig ist — welche Antwort ich
gelegentlich auf meine Bitte um eine neue Probe zur Untersuchung er¬
halten habe —, kann der Arzt nicht als einen hinreichenden Standpunkt
wegen der eventuell fortdauernden Infektionsmöglichkeiten annehmen.
Die Untersuchung der Abführung von Kindern unter 6 Jahren in
Kopenhagen (eine Altersgrenze, die eigentlich ganz willkürlich ist, aber aus
dem Grunde, weil 6 Jahre als das höchste Alter von Kindern, die auf
Gastroenteritis untersucht wurden, angesetzt ist), wird später wegen der
speziellen Untersuchung, die ich über das Verhältnis zwischen Gastro¬
enteritis und Dysenteriebazilleninfektion vorgenommen habe, erwähnt
werden.
Klinik.
Einleitende Bemerkungen.
Die Mitteilungen, die ich von den Symptomen, welche die Infektion
begleitet haben bei den Individuen, bei welchen ich Dysenteriebazillen ge¬
funden habe, geben kann, machen keinen Anspruch darauf, erschöpfend
zu sein; nur äusserst wenige der Patienten habe ich selber gesehen und
bei keinem derselben habe ich die Gelegenheit gehabt, den Verlauf zu ver¬
folgen. Für einige habe ich die Krankenjournale durchgesehen, aber
viele sind überhaupt nicht in einem Krankenhause oder in einem Hospital
behandelt worden. Nur in einigen Hinsichten vermag ich daher Mitteilungen
von einiger Bedeutung für die Klinik der Krankheit zu machen.
Zuerst muss gesagt werden, dass sich kein entscheidender Unterschied
zwischen der Art, der Stärke und der Dauer der Infektion wahrnehraen
lässt, sei es, dass dieselbe von Bazillen der Gruppe I oder II oder IH ver¬
ursacht wird. Alle Bazillen können Infektionen mit typischen dysenterischen
Symptomen geben, welche bald leicht, bald etwas schwerer verlaufen,
bei einigen Patienten einen ausgesprochen akuten und bei anderen einen
mehr chronischen Verlauf haben.
In dem nachfolgenden Schema sind die Fälle teils nach der Art der
infizierenden Bazillen und teils nach der Heftigkeit der Infektion ge¬
ordnet. Bei schweren Fällen werden solche mit starkem Allgemeinleiden
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CARL SONNE,
(hohes Fieber, starke Intoxikation, Kollaps und ähnliches), bei leichten
solche mit kurzdauernder Diarrhöe ohne Blut und ohne Allgemeinleiden
und bei mittelschweren alle anderen Fälle verstanden. Mit „Kindern“
werden Individuen unter 10 Jahren gemeint.
Ohne Angaben
Schwere Fälle
Mittelschwere
Fälle
Leichte Fälle
Scheinbar keine
Krankheit
Total
Gruppe
1
. 11 Erwachsener
A \0 Kinder
. / 0 Erwachsene
\ 4 Kinder
. 9 / 5 Erwachsene
1Z \ 7 Kinder
0
. /1 Erwachsener
A \0 Kinder
.q/ 7 Erwachsene
Aö \ll Kinder
Gruppe
11
9 / 2 Erwachsene
0 Kinder
of 2 Erwachsene
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ir J 5 Erwachsene
5 Kinder
0
0
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AO l 6 Kinder
Gruppe
III
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13 Kinder
9 / 0 Erwachsene
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0
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26Kinder
Total
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8 U Kinder
1ß /4 Erwachsene
10 \ 12 Kinder
17 Erwachsene
^\25Kinder
9 / 0 Erwachsene
\2 Kinder
. / I Erwachsener
A \0 Kinder
a A 26Erwachscn
43 Kinder
Nur viermal ist ein tödlicher Ausgang eingetreten, also in ca.
6 pCt. der Fälle. Alle vier waren Kinder unter 13 Monaten; eins war
mit einem Bazillus der Gruppe I und drei mit Bazillen der Gruppe III
infiziert.
Am häufigsten ist eine Infektion mit Bazillen der Gruppe III, näm¬
lich ein wenig häufiger als mit den beiden anderen Gruppen zusammen¬
gerechnet gefunden.
43 mal hat es sich um Kinder unter 10 Jahren, 26mal um ältere
Individuen, soweit man aufklären konnte, alle über 20 Jahre alt, ge¬
handelt.
In dem Folgenden werden meine Wahrnehmungen über die Klinik
der Dysenteriebazilleninfektion, ohne zu berücksichtigen, von welcher
Bazillengruppe die Infektion verursacht wird, mitgeteilt werden.
Die 69 Individuen mit Dysenteriebazillen in der Abführung teile
ich in zwei Gruppen: eine Gruppe B, die Kinder in Kopenhagen mit
der klinischen Diagnose Gastroenteritis und eine Gruppe A, die alle
anderen Fälle einschliesst.
Gruppe A.
Diese Gruppe umfasst 45 Individuen. Unter denselben finden sich
vereinzelte, von welchen keine oder jedenfalls nur äusserst sparsame
Angaben vorliegen. Dies gilt von den früher erwähnten zwei Indi¬
viduen, deren Fäkalien zur Untersuchung auf Typhusbazillen eingesandt
waren, und von welchen keine Angaben, ob dysenterische oder ähnliche
Symptome vorhanden gewesen sind, vorliegen, weiter den einen Fall
aus Thisted, in welchem es als sicher angegeben wird, dass keine Krank¬
heit im Anschluss an den Befund von Dysenteriebazillen vorhanden ge¬
wesen war. Von allen den anderen 42 Individuen liegen hinreichende
Kriterien dafür vor, dass sie eine akute oder chronische Diarrhöe haben
oder gehabt haben.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 89
Wie bekannt, rechnet man zu den dysenterischen Symptomen: Tenes-
mus und blutige, schleimige Diarrhöe.
In wie vielen Fällen unter den 42 Tenesmi vorhanden gewesen
sind, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die Diagnose:
„Dysenterie“ oder der Fall als mit „dysenterischen Symptomen
verlaufend“, findet sich jedenfalls in 16Fällen von dem Arzte
angegeben, könnte aber sicher in noch zahlreicheren angegeben werden.
ln allen 42 Fällen bestand eine Diarrhöe und es ist ange¬
geben, dass dieselbe jedenfalls bei 36 mit Schleim gemengt war.
In 6 Fällen liegen dafür keine Angaben vor, in keinem ‘Falle ist es
angegeben, dass die Abführung nicht mit Schleim gemengt war.
Uebrigens ist eine geringe Beimischung von Schleim in der Abführung
ja ein Phänomen, welches leicht der Aufmerksamkeit entgehen kann.
Eine grössere Aufmerksamkeit wird dagegen die Beimischung mit
Bluterregen und in 37 Fällen ist dann auch „blutige Abführung“
konstatiert (für drei Fälle ist die Angabe hierüber jedoch nur in der
Form einer Mitteilung von „dysenterischen Symptomen“ gegeben). In
4 Fällen ist nichts von einer blutigen Abführung erwähnt, aber nur
in einem einzigen Falle (Kind, zwei Jahre alt), meint man
dieses mit Bestimmtheit nicht bemerkt zu haben.
In ca. 90 pCt. dieser Fälle mit Dysenteriebazilleninfektion
ist dann von blutig schleimigen Diarrhöen die Rede gewesen.
Bei der Untersuchung war die Abführung unter den 42 Fällen nur
13mal, also in etwas mehr als 30 pCt., blutig.
Dass eine Dysenteriebazilleninfektion im grossen und ganzen in einer
so grossen Prozentzahl der Fälle (ungefähr 90) blutige Diarrhöe geben
sollte, kann man selbstverständlich nicht hieraus schliessen; man muss ja
wohl daran erinnern, dass diese Gruppe der Fälle eben solche umfasst,
welche klinisch mehr oder weniger Aehnlichkeit mit Dysenterie haben und
gerade aus diesem Grunde in der Regel wegen der blutigen Diarrhöe zur
Untersuchung kamen. Bei der Erwähnung von dem Resultate der Unter¬
suchung der Gastroenteritiden bei kleinen Kindern wird sich Gelegenheit
zu weitergehender Diskussion über diese Verhältnisse geben.
Eine Statistik über die Anfangsweise und die Gegenwart von
Fieber, Unwohlsein, Unklarheit, Schmerzen und ähnlichen
Symptomen kann nicht gebracht werden, dafür ist der Verlauf der
Krankheit in der Regel zu leicht gewesen, sodass der Arzt den Patienten
oft nur einmal oder ab und zu erst nach der Kulmination der Krankheit
gesehen hat. Im allgemeinen kann nun folgendes gesagt werden:
In der Regel setzt die Krankheit plötzlich mit Unwohlsein, leichtem
Fieber und mehr oder weniger starker Diarrhöe ein; oft ist diese
letztere gleich sehr stark mit Blut vermischt, ab und zu geschieht dieses
erst nach einiger Zeit. Nur selten geht dem eigentlichen Anfall von
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90 CA KL SONNE,
Diarrhöe eine kürzere Periode mit allgemeinem Unwohlsein voraus oder
wie in einem Falle mit Fieber, Dedolationen und Obstipation 6 Tage vor
dem Anfall von blutiger Diarrhöe. In der Regel scheinen solche Pro¬
dromalsymptome nicht vorhanden zu sein. Das Fieber scheint selten
bedeutend gewesen zu sein; nur ein paar Mal ist es stark gewesen, ein¬
mal bis auf 40° steigend; in der Regel schwindet es nach ein oder zwei
Tagen. Oft bessert sich der Patient schnell, in einigen Tagen verliert die
Abführung die Vermischung mit Blut und der Patient scheint hiermit bei¬
nahe wieder vollständig gesund zu sein; ab und zu ist jedoch schlei¬
mige oder dünne Abführung während längerer Zeit oder eine ziemlich
langwierige Rekonvaleszenz wahrgenoramen. In nicht ganz wenigen
Fällen ist der Verlauf ziemlich heftig und schwer gewesen und dieses
sowohl bei Erwachsenen als bei Kindern; nur einmal, bei einem neu¬
geborenen Kinde, trat der Tod ein.
Einmal ist es bei einem erwachsenen Patienten angegeben, dass der
Anfall von Albuminurie begleitet gewesen ist; wie häufig dieses Phänomen,
ist, kann übrigens nicht aus diesen Krankengeschichten gefolgert werden.
Komplikationen anderer Art scheinen nicht beobachtet zu sein. In
zahlreichen Fällen ist oder wird augenscheinlich von einem chronischen
oder chronisch rezidivierenden Verlauf die Rede.
Unter 38 Fällen, von welchen Angaben in betreff dieses Punktes vor¬
liegen, finden sich 7, welche zu dem Zeitpunkte, in welchem die Ab¬
führung zur Untersuchung kommt und den Befund von Dysenteriebazillen
gibt, als mehr oder weniger chronisch oder als Rezidive angesehen
werden müssen, indem die 7 Patienten seit längerer Zeit (zwei oder
mehrere Monate) dysenterische Symptome gehabt haben. In keinem dieser
Fälle ist davon die Rede, dass der Patient seit dem Anfang der Krank¬
heit ohne Unterbrechung akut leidend^ gewesen ist. Der Patient hat sich
scheinbar von dem ersten akuten Anfall erholt, aber nachher sind mit
Zwischenräumen neue gekommen, oder die Abführung im ganzen genommen
niemals recht natürlich, in der Regel mit Schleim und ab und zu auch
mit Blut vermischt gewesen.
Von diesen sieben liegen folgende Mitteilungen vor:
Nr. 1 hat dysenterische Symptome in den letzten zwei Monaten auf
einer Reise als Matrose von Südamerika bis nach Helsingör gehabt;
wahrscheinlich hat er in der meisten Zeit seine Arbeit leisten können;
nach und nach haben drei andere Matrosen auf dem Schiffe ähnliche
Symptome bekommen, und bei einem derselben finden sich auch bei der
Ankunft in Dänemark Dysenteriebazillen.
Nr. 2 ist ein Fall mit Diarrhöe, Fieber und Schmerzen im Unter¬
leibe, der Patient soll in Canada vor 5 Jahren „Typhus“ gehabt haben;
ob eigentliche dysenterische Symptome vorhanden gewesen sind, ist nicht
aufgeklärt, aber die Wahrscheinlichkeit spricht doch dafür, dass hier ein
chronischer Fall vorliegt.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 91
Nr. 3 ist ein erstmaliges Rezidiv, nachdem der Patient (\ l / 2 Jahre
altes Kind) ein paar Monate früher einen akuten Anfall mit blutiger Diar¬
rhöe und einer ziemlich langwierigen Rekonvaleszenz gehabt hat.
Nr. 4 und 5 (Erwachsene) sind beides Fälle, in denen 3—4 Monate
früher akute dysenterische Anfälle auftraten, und in welchen später zu
keinem Zeitpunkte von einer vollständigen Genesung die Rede war, zu
Zeiten ist die Abführung nur schwach mit Schleim vermischt gewesen;
sonst aber ungefähr natürlich, zu anderen Zeiten mehr wie eine gewöhn¬
liche Diarrhöe und wieder zu anderen Zeiten mehr oder weniger mit Blut
vermischt wie bei dem ersten Anfälle.
Etwas Aehnliches gilt für die zwei letzten Fällen 6 und 7; bei den¬
selben scheint die Krankheit noch länger gedauert zu haben und die Ab¬
führung zu Zeiten beinahe natürlich und die Krankheit übrigens somit
der ähnlich gewesen zu sein, welche „chronische Kolitis“ genannt wird.
Bei beiden ist gelegentlich in der Abführung Blut vorhanden gewesen; die
Abführung der beiden Patienten ist mehrmals untersucht worden; dessen
ungeachtet sind bei jedem derselben nur einmal Dysenteriebazillen gefun¬
den; .bei den meisten Untersuchungen ist die Abführung auch beinahe
vollkommen natürlich gewesen.
Von den verschiedenen Aerzten habe ich versucht Aufklärung über
die Gesundheit der Patienten nach einiger Zeit zu erlangen. In vielen
Fällen ist es indessen für den Arzt unmöglich gewesen, die Patienten
wieder aufzufinden, und übrigens werden ja die Erkundigungen, die auf
diese Weise durch die eigenen Beobachtungen der Patienten eingesammelt
werden können, immer ziemlich mangelhaft sein.
In 16 Fällen, in welchen es sich, als ich die Bazillen fand, schein¬
bar um einen akuten ersten Anfall handelte, habe ich solche Mittei¬
lungen bekommen, ln 13 Fällen soll 7 bis 14 Monate nach dem ersten
Anfalle kein neuer Anfall von Diarrhöe aufgetreten sein; in drei Fällen
scheint ein Rezidiv eingetreten zu sein; in dem einen Falle war es
typisch mit schleimiger und blutiger Diarrhöe ca. 2 Monate nach dem
Anfang des ersten Anfalles; in den zwei anderen war es nur eine
einfache Diarrhöe gewesen, das eine Mal nach 12 Monaten, das andere
Mal nach 7 Monaten; diese letztere war zugleich von Fieber begleitet.
Während keines dieser eventuellen Rezidive ist eine bakteriologische
Untersuchung vorgenommen; sie können daher nicht sicher als von der
Dysenteriebazilleninfektion veranlasst angesehen werden.
Einen zahlenmässigen Ausdruck von der Häufigkeit der Dysenterie¬
bazilleninfektion mit chronischem Verlauf können meine Untersuchungen
nicht geben; sie deuten aber doch, wie gesagt, darauf hin, dass ein
solcher Verlauf nicht so ganz besonders selten ist und zeigen, dass
derselbe verhältnismässig mild ohne grössere Schäden für den Patienten
sein kann. Dass dieselben für die Umgebung so viel gefährlicher sein
können, wird in der Besprechung der Epidemiologie näher diskutiert werden.
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92
CARL SONNE
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Gruppe B.
Diese Gruppe schliesst 27 Kinder in Kopenhagen mit der klinischen
Diagnose „Gastroenteritis 4 * ein. Die Besprechung dieser Fälle geschieht
am besten, indem ich die vorgenommenen Untersuchungen der Fälle von
Gastroenteritis bei Kindern gesammelt beschreibe.
Einleitende Bemerkungen.
Es ist nur ein geringer Teil von allen Kindern in Kopenhagen, die
in den letzten 2 bis 3 Jahren an dieser Krankheit, die ich untersucht
habe, gelitten haben. Erstens sind es nur Fälle aus dem Kinderhospital
„Königin Louise 44 und aus der Kinderabteilung des Reichs-
Hospitals nebst vereinzelten aus der Abteilung VIII des Kommune¬
hospitals und aus der Poliklinik Kopenhagens, welche untersucht
sind, und zweitens fangen die Untersuchungen im Jahre 1911 erst spät
an, so dass nur 39 Fälle in diesem Jahre untersucht sind; im Jahre
1912 bis März 1913 sind 105 Fälle untersucht, also im ganzen 144 Fälle.
Ausserdem habe ich die Abführung von 123 Kindern,
welche keine akute Diarrhöe gehabt haben sollen, untersucht.
Wie früher erwähnt (s. S. 86), fanden sich bei diesen Kindern keine
Dysenteriebazillen. Sie waren alle Patienten auf dem Kinderhospital und
auf der Kinderabteilung des Reichs-Hospitals. 35 der Kinder lagen mit
der Diagnose Dyspepsia chronica, 14 hatten Atrophie, 5 Pyelitis, 5 La-
bium leporinum, 5 Tuberculosis pulmonum, 7 Pneumonie, 4 Tetanie,
4 Rachitis, 3 Hernia, 4 Bronchitis und die übrigen verschiedene Dia¬
gnosen wie Fraktur, Otitis, Meningitis, Ekzem usw.
Unter den 144 Kindern mit Gastroenteritis fanden sich
27 mit Dysenteriebazillen in der Abführung, nämlich 4 im Jahre
1911, 23 im Jahre 1912 und 1913; 19 sind noch nicht 1 Jahr alt, 8
zwischen 1 und 6 Jahren.
Der klinische Verlauf von Fällen von Gastroenteritis mit
Dysenteriebazillen.
Dieser Verlauf scheint nicht anders zu sein, als es zu jeder Zeit
hier bei uns bei Fällen von Gastroenteritis beobachtet ist. Von zwei —
beide aus der Poliklinik, wo sie sich nur einmal vorgestellt haben —
habe ich keine Nachricht bekommen können; beide Fälle sind augen¬
scheinlich sehr leicht verlaufen; für die übrigen kann folgendes gesagt
werden:
Nur in einem Falle ist der Verlauf äusserst mild gewesen, indem
nur ein paar Tage schleimige Abführungen, aber kein Fieber oder andere
Zeichen von allgemeinem Unwohlsein auftraten. Es handelte sich um
ein 10 Monate altes Kind, welches sich nach einer Pneumonie beinahe
erholt hatte, als es infiziert wurde. Hätte das Kind nicht zufällig auf dem
Hospital gelegen, wäre die Darmkrankheit vielleicht kaum entdeckt worden.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 93
In allen anderen Fällen handelt es sich um eine länger
dauernde Krankheit; nur in vereinzelten Fällen wird der Patient in
8 bis 14 Tagen gesund, in der Regel vergehen ein oder zwei Monate, wenn
der Fall dann nicht nach und nach einen chronischen Charakter an¬
nimmt, bevor die Abführung natürlich und frei von Schleim ist.
Bisweilen ist der Anfang ein plötzlicher mit häufigen schleimigen
oder wasserdünnen Abführungen; aber oft scheint der Anfall weniger
heftig angefangen zu haben und dann entweder nach einigen Tagen
heftiger geworden zu sein, oder am häufigsten sich mit fortdauernder
dünner schleimiger, bisweilen blutiger Abführung in mässiger Stärke ge¬
halten zu haben, unter welchem Zustande das Kind doch oft nach und
nach sohwächer wird. In vielen Fällen ist kurze oder längere Zeit
Fieber beobachtet und in einigen Fällen eine mehr oder weniger starke
Intoxikation; diese letzte scheint jedoch keineswegs etwas für
dieseFälle besonders Charakteristisches zu sein; in den meisten
Fällen ist in den Journalen nichts von der Gegenwart einer Intoxi¬
kation angegeben. Bisweilen tritt Kollaps und in 3 Fällen (ca. 10 pCt.)
der Tod ein, dieser letztere kann auch während einer grösseren Tempe¬
ratursteigerung auftreten, wie in einem Falle, wo die Temperatur unmittel¬
bar vor dem Tode bis zu 40,9° steigt. Alle die 3 Toten waren Kinder
unter 1 Jahre.
Was das Aussehen der Abführung betrifft, so ist dasselbe
in allen Fällen, in welchen Angaben hierüber überhaupt vorliegen,
schleimig gewesen. Grösseres Interesse haben selbstverständlich
die Angaben über die Vermischung mit Blut. Von zwei Fällen
liegen überhaupt keine Angaben vor. Unter den übrigen 25 Fällen ist
bei 19 (ca. 75 pCt. der Fälle) blutige Abführung sicher konstatiert.
Nur für einen Fall (den früher erwähnten, leicht verlaufenen Fall) steht
in dem Journal ausdrücklich angegeben, dass Blut in der Abführung
nicht beobachtet ist; in den anderen 5 Fällen ist dieses nicht speziell
notiert. Weil weiter die wenigsten Fälle während der ganzen Zeit unter
ärztlicher Beobachtung gewesen sind, liegt in der Tat die Möglichkeit für
eine noch grössere Häufigkeit vor. Die Vermischung mit Blut scheint
in diesen Fällen bei Kindern in der Regel einen anderen Charakter, als
man es am häufigsten bei der Dysenteriebazilleninfektion bei Erwachsenen
findet, zu haben. Es scheint nämlich für die Kinder kaum in einem
einzigen Falle die Rede von profusen Blutungen, wie man es oft bei
Erwachsenen sieht, gewesen zu sein. Ara häufigsten ist es nur eine mehr
oder weniger starke Bluttingierung des Schleimes, bisweilen entweder
mehrere Tage fortdauernd, oder mit Zwischenräumen wiederkehrend,
oder auch vereinzelte Male nur an einem Tage, vielleicht nur bei einer
einzigen Abführung, beobachtet.
In einem noch höheren Grade als für die unter Gruppe A be¬
schriebenen Patienten scheint bei diesen Kindern von einem chro-
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nischen oder subchronischen Verlauf die Rede zu sein oder zu
werden.
4 Fälle hatten eine Dauer von 3 Monaten bis zu iy 2 Jahre, als
Dysenteriebazillen gefunden wurden, und mehrere andere scheinen auch
einen etwas langwierigen, jedenfalls subakuten Verlauf gehabt zu haben.
Bei so vielen (16), wie ich aufspüren konnte, habe ich mich nach einiger
Zeit nach dem späteren Befinden erkundigt. Bei 5 Patienten zeigten
sich später ähnliche, meist aber leichter verlaufende Anfälle als im An¬
fang; der eine hat nach der Entlassung aus dem Krankenhause mehr¬
mals dünnschleimigen Stuhlgang gehabt, sonst aber gedieh er gut; der
andere hat oft später eine „lose“ Abführung gehabt; der 'dritte und
vierte wurden beide einen Monat nach dem Aufenthalt im Hospital wieder
mit schleimigem Stuhlgang bzw. blutiger, schleimiger Diarrhöe aufge¬
nommen, und endlich der fünfte hat mehrmals Diarrhöeanfälle, einmal
auch mit blutiger Abführung gehabt. Bei den anderen 11 Patienten
konnten keine späteren Diarrhöeanfälle festgestellt werden. Einer war
kurz nach der Entlassung aus dem Hospital an Pneumonie gestorben.
In den meisten Fällen ist jedoch die Zeit nach der Entlassung aus dem
Krankenhause nur sehr kurz gewesen (die kürzeste 2 Monate), so dass
ein noch späteres Rezidiv wohl nicht ausgeschlossen ist.
Wie für die Gruppe A ist es auch hier nicht möglich, einen zahlen-
raässigen Ausdruck für die Neigung der Infektion, chronisch oder rezi¬
divierend zu werden, zu geben. Um eine sichere Bestimmung hierüber
zu ermöglichen, müsste man eine systematisch wiederholte Untersuchung
der Abführung von allen Patienten während einer langen Zeit und
Gelegenheit zu einer fortdauernden effektiven Beobachtung fordern. Be¬
sonders mit Rücksicht auf die Epidemiologie hat das hier Gesagte wohl
etwas Interesse.
Fälle von Gastroenteritis ohne Dysenteriebazillen.
Wie erwähnt, habe ich die Abführung von 144 Kindern von Gastro¬
enteritis untersucht und in 27 Fällen Dysenteriebazillen gefunden. Der
Anfall bei den 27 Kindern scheint, wie aus dem Obenstehenden hervor¬
geht, nicht von den gewöhnlichen, wohlbekannten Formen von Cholerine
abzuweichen. Um dies näher zu untersuchen, habe ieh ausser den
Krankengeschichten von den 27 positiven auch solche von 62 negativen
Fällen untersucht.
Erstens lässt es sich leicht konstatieren, dass bei diesen Gastro¬
enteritiden der Verlauf keineswegs weniger heftig gewesen ist als
in den Fällen, bei welchen Dysenteriebazillen gefunden wurden. Unter
diesen 62 ohne Dysenteriebazillen finden sich 11 mit tödlichem Aus¬
gange (etwa 18 pCt. gegen 10 pCt. für die 27 positiven). Vier sind
jedoch nach Komplikation mit Bronchopneumonie gestorben. Wenigstens
22, unter welchen die meisten von den Gestorbenen waren, sind mehr
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 95
oder weniger stark, oft sehr stark intoxiziert gewesen; in wenigstens
8 Fällen (3 gestorbenen) ist Albuminurie und in mehreren Fällen
Fieber zu konstatieren gewesen; ausserdem trat in 6 Fällen
(4 gestorbenen) blutiges Erbrechen auf, welches Symptom kaum
einmal bei den Patienten mit Dyscntcriebazillen beobach¬
tet ist.
Auffällig häufig scheinen bei den 62 Fällen solche mit einem
plötzlichen, gewaltsamen Anfang und spritzenden, wasser¬
dünnen Entleerungen, welche erst später oft eine mehr schleimige
Konsistenz bekommen, zu sein. Weil die anamnestischen Angaben
mit Rücksicht hierauf natürlich oft sehr mangelhaft sind, habe ich
keinen Versuch gemacht, eine zahlenmässige Abrechnung hiervon zu er¬
langen, sondern begnüge mich damit, die Vermutung auszusprechen,
dass die Gastroenteritiden mit Dysenteriebazillen in der Regel einen weniger
gewaltsamen Anfang mit nachfolgender allmählicher Verschlimmerung,
also einen mehr subakuten Verlauf, welcher sich auch in einer Tendenz
zu langsamerer Genesung zeigt, aufweisen werden. Alles in allem lässt
sich doch kaum bei diesen angeführten Symptomen ein charakteristischer
Unterschied konstatieren.
In der Vermengung des Stuhles mit Blut, gerade also bei
dem für Dysenterie am meisten charakteristischen Symptom, lässt sich
dagegen anscheinend ein ausgesprochener Unterschied zwischen den
62 Fällen ohne Dysenteriebazillen und den 27 mit Dysenteriebazillen
zeigen.
Unter den 62 Fällen finden sich nur 9, bei denen Blut im
Stuhlgang zu konstatieren ist. Von einem derselben meine ich
a priori abzusehen berechtigt zu sein. Es handelt sich um einen
Patienten, bei dem in den Tagen, an welchen schwache frische Blut¬
spuren in dem Stuhl auftraten, eine Fissura ani konstatiert wurde. Es
gehen demnach 8 von den 61 ab. Demnach wurde blutige Ab¬
führung in etwa 13 pCt. beobachtet, während bei den 27 mit
Dysenteriebazillen mit Sicherheit in 75 pCt. der Fälle Blut
und nur in einem Falle mit Bestimmtheit kein Blut gefunden
wurde. Der Unterschied ist hier so beträchtlich, dass dies Resultat als
normal und nicht als ein zufälliges anzusehen ist.
Es wird darum von grossem Interesse sein, die Krankengeschichten
dieser 8 Patienten mit blutiger Entleerung, aber ohne Dysenteriebazillen
zu vernehmen. Es ist daran zu erinnern, dass eine nur einmal vor-
genomraene Untersuchung der Fäkalien ohne Auffindung dieser Bazillen
nicht mit absoluter Sicherheit eine Dysenteriebazilleninfektion ausschliesst,
auch wenn die Untersuchung in einem akuten Krankheitsstadium vor¬
genommen worden ist, und dass die Untersuchung in einem so späten
Stadium vorgenoraraen sein kann, dass man die Bazillen dann nicht
mehr findet.
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Aus dem Kinderhospital der Königin Luise.
1. Povl M., 9 Monate alt, aufgenommen am 28. 8. 1911. Krank im letzten Monat
vor der Aufnahme, hat namentlich in der letzten Woche zuvor dünne, schleimige,
stinkende Abführungen gehabt. Fieber iu den ersten 4—5 Tagen nach der Aufnahme.
Im Urin Albumen. Am 29. u. 30. 8. fand sich etwas blutiger Schleim im Stuhl, später
nicht mehr; der Stuhl wird dann im Verlauf einiger Wochen natürlich. 8. 9. Stuhl
etwas schleimig, dunkelgrün; keine Dysenteriebazillen.
Aus der Kinderabteilung des Reichshospitals.
2. Britta C., 2 Jahro alt, aufgenommen am 31. 7. 1912. 8 Tage vor der Auf¬
nahme plötzlich krank, mit dünnem, schleimigem, später auch blutigem Stuhlgang;
Unterleibsschmerzen vor der Abführung. Fieber in den ersten Tagen mit Temperatur
bis 40,5. Kein Blut im Stuhl während des Aufenthalts im Hospital, wo Wohlbefinden
und natürlicher Stuhl schnell wieder eintritt. 5. 8. Stuhl geformt, recht natürlich, nur
mit wenig klarem Schleim; keine Dysenteriebazillen.
3. Anna Ketty J., 2 Monale alt, aufgenommen am 19. 8. 1912. Die Verdauung
ist niemals recht in Ordnung gewesen. Jetzige Krankheit fing plötzlich mit spritzender
Abführung und Erbrechen an; Intoxikation. 20. 8. 2 grüne, schleimige Abführungen
mit wenig Blutfarbe. Später wurde kein Blut beobachtet, Stuhl lange Zeit schleimig.
Dünne grüne Abführungen ohne Blut und mit zweifelhaften Schleimpartikeln; ohne
Dysenteriebazillen.
4. Egan Harry E., 4 Monate alt, aufgenommen am 16. 9. 1912. l l / 2 Monat
vor der Aufnahme fing die Krankheit mit dünnem und schleimigem Stuhl an, in
den letzten 3 Tagen Erbrechen und zunehmende Schwäche. Die Abführung in
den ersten Tagen nach der Aufnahme dünnschleimig mit frischem Blut. Hiernach
gleichmässige Erholung. — 16.9. Stuhl grüngelb, mit wenigem bluttingierten
Schleim, ohne Dysenteriebazillen. — 17. 9. Abführung mit wesentlich gelbem
Schleim, ohno Dysenteriebazillen.
5. Ungetaufter Knabe, 2 Monate alt, aufgenommen am 27. 9. 1912. Krank in
den letzten 2 Monaten vor der Aufnahme, mit häufigen, grünen, schleimigen, in kleinen
Portionen geteilten Abführungen. — Vom 29. 9. bis 4. 10. ab und zu wenig frisches
Blut im Stuhl. — 27. 9. Im Stuhl wesentlich gelber Schleim, ohne Dysenteriebazillen.
— 26. 11. Stuhl natürlich, ohne Dysenteriebazillen.
6. Kaj L., 2 Monate alt, aufgenommen am 19. 10. 1912. Die Krankheit fing
2 Tage vor der Aufnahme mit dünnen, grünen, schleimigen Abführungen an. Am
Tage der Aufnahme, an welchem die Blutuntersuchung stattfand, wurde die Abführung
ausdrücklich als natürlich bezeichnet. Am nächsten Tage wieder dünner schleimiger
Stuhl und am 18. 10. eine Abführung mit einem frischen Blutpartikel. Bei der
Aufnahme leichte Intoxikation, erholt sich schnell, bekommt aber am 21. 10. einen
Rückfall mit Somnolenz und Intoxikation, nach welchem er sich nach einigen Tagen
wieder erholt. Später kein Blut im Stuhl. — 14. 10. Abführung (wie am Tage der
Aufnahme) natürlich, ohne Schleim und Blut, keine Dysenteriebazillen.
7. Borge J., 2 Monate alt, aufgenommen am 18. 10. 1912. 14 Tage vor der Auf¬
nahme fing die Krankheit an. Hat grüne, häufige, schleimige, faulige Abführungen.
Starke Intoxikation, Urin mit starker Albumenreaktion. Gestorben am 20. 10. Einige
Tage vor dem Tode treten Blutpartikelchen im Stuhl auf, was früher
nicht der Fall gewesen sein soll, gleichzeitig trat blutiges Erbrechen und
sickernde Blutung aus der Nase ein. — 19. 10. Abführung mit wesentlich
grünem Schleim, ohne Dysenteriebazillen.
8. Svend J., 1 Monat alt, aufgenommen am 23. 11. 1912. Die Krankheit fing
14 Tage vor der Aufnahme mit häufigen schleimigen Stühlen an, einmal mit Blut-
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 97
streifen. Die Entleerungen waren in den ersten Tagen int Hospital etwas breiig,
aber während der ganzen Zeit ohne Schleim. — oü. 11. Stuhl natürlich, ohne Schleim
und Blut, keine Dysenteriebazillen.
Wie aus den Krankengeschichten hervorgeht, sind die Patienten der
Fälle 1, 2 und 8 in sichtlicher Besserung gewesen, als die Untersuchung
der Fäkalien vorgenomrnen wurde, und dieselbe wurde erst etwa 8 bis
14 Tage nach dem Auftreten des Blutes im Stuhl vorgenommen. Dem
Resultate der so spät in der Krankheit erfolgten Untersuchung
kann keine Bedeutung beigelegt werden als Beweis dafür, dass
diese 3 Fälle % nicht in einer Dyscntericbazilleninfektion be¬
gründet sind.
Dasselbe gilt zum Teil von der Untersuchung des Falles G,
bei dem dieselbe an einem Tage vorgenommen wurde, wo die Abführung
vollständig natürlich war; so auch vom Falle 5, wo die Abführung erst
einige Tage nachher blutig wurde, während der Patient in den Monaten
vorher grünen schleimigen Stuhl, also eine entsprechende subakute Krank¬
heit, gehabt hat, wie so viele von denen, bei welchen Dysenteriebazillen
gefunden wurden.
Im Falle 3 steht die Abführung „mit Blutfarbe u bezeichnet.
Ob hiermit Blut gemeint wurde, ist wohl nicht sicher; ich habe aber
doch nicht unterlassen wollen, diesen Fall mitzunehmen. Die Blutfarbe
wurde eben an dem Tage gefunden, an welchem die Untersuchung vor¬
genommen wurde. In der untersuchten Probe sah ich kein Blut und
nur zweifelhaften Schleim.
Ebenso ist es zweifelhaft, inwieweit es berechtigt ist, die blutigen
Fäkalien des Falles 7 mit den anderen Fällen von blutiger Abführung
bei den Gastroenteritiden zu vergleichen. Das Blut zeigt sich nämlich
hier erst in der Zeit kurz vor dem Tode, gleichzeitig mit dem Aus¬
sickern des Blutes aus der Nase und aus dem Munde. Das Blut
scheint hier eher durch die gewaltige Intoxikation veranlasst,
als direkt eine Folge einer lokalisierten Darmentzündung
zu sein.
Es bleibt noch Fall 4, in welchem trotz Untersuchung an zwei auf¬
einander folgenden Tagen, am ersten Tag von bluttingiertem Schleim,
am zweiten von Schleim ohne Blut, keine Dyscnteriebazillen gefunden
wurden. Ob man hier bei fortgesetzter Untersuchung die Bazillen ge¬
funden hätte, ist wohl denkbar, aber vielleicht kaum wahrscheinlich.
Dieser Fall ist aber dann der einzige mit typischer blutiger Ab¬
führung, von dem man mit einiger Bestimmtheit behaupten darf, dass
die Krankheit nicht von einer Dysenteriebazilleninfektion veranlasst
wurde. In den anderen Fällen ohne Dysenteriebazillen kann man wegen
besonderer Umstände dem Resultat der Untersuchung keine entscheidende
Bedeutung beilegen.
Zeitschr. f. klin. Medizin. Kl. Bd. H. 1 u. 2. 7
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Es kann demnach wohl begründet sein anzunehmen, dass blutige
Abführung bei der Gastroenteritis der kleinen Kinder ein
Symptom ist, welches sich in der Regel nur findet, wenn die
Krankheit durch eine Dysenteriebazilleninfektion verursacht ist.
Das Verhältnis zwischen der Zahl der Fälle von Gastroenteritis
hervorgerufen durch Dysenteriebazillen und durch andere
Ursachen.
Im Jahre 1912, als die meisten Untersuchungen von Gastroenteritiden
vorgenommen wurden, traten in Kopenhagen nur wenige Fälle von
Cholerine im Vergleich mit anderen Jahren auf. In den letzten 5 Jahren
wurden folgende Zahlen gefunden: 1908 7841 Fälle, 1909 3897 Fälle,
1910 6738 Fälle, 1911 6522 Fälle und 1912 4589 Fälle. In früheren
Jahren, so in den Jahren 1880—90, war die Zahl mehrfach etwa
zweimal so gross als die höchste derselben. Ungefähr 30 pCt. sind Kinder
unter 1 Jahre und etwa ebenso viele Kinder von 1 bis 15 Jahren.
Vornehmlich wird dann in etwa 50 pCt. der Fälle von Kindern in den
hier untersuchten Altersklassen (0—6 Jahre) die Rede sein. Dass in
jedem Jahre beinahe derselbe Prozentsatz der Fälle durch eine Dysenterie¬
bazilleninfektion verursacht sein sollte, ist wohl kaum anzunehmen.
Während es auf der einen Seite als gegeben angesehen werden muss,
dass in jedem Jahre ein Teil der Fälle von Cholerine durch eine
Dysenteriebazilleninfektion verursacht ist, wegen der Ausbreitung, die
diese Infektion bei uns und vorzüglich in vereinzelten Fällen ohne nach¬
weisbare gegenseitige Verbindung (siehe später) hat, ist cs doch auf der
andern Seite wahrscheinlich, dass diese Infektion, die ja gelegentlich die
Ursache grosser Epidemien sein kann, auch zeitweise eine grössere Rolle
als Erreger der Cholerine als zu anderen Zeiten, ja vielleicht eine grössere
als irgendeine, spielt. Wie sich dieses verhält, werden nur zukünftige
Untersuchungen zeigen können.
Wenn ich so möglichst genau berechnen soll, wie das Verhältnis
ln den von mir untersuchten Fällen gewesen ist, muss ich die Gastro¬
enteritiden aus dem Jahre 1911, wo ich in einer kürzeren Periode nur
,e schwersten Fälle zur Untersuchung bekam, und die Fälle aus der
teilung VIII des Kommunehospitals im Jahre 1912, von welchen eben-
^ s nur einige der schwersten, vorzugsweise solche mit blutiger Ab-
p.. run g> zur Untersuchung kamen, ausscheiden. Dann haben wir die
a ^ aus dem Kinderhospital und aus der Kinderabteilung des Reichs-
°spitals von Juni bis Dezember 1912, in welchem Zeiträume ich alle
Falle
^ allen
^eit
10 it akuten Darmkrankheiten zur Untersuchung bekam, nebst den
aus der Poliklinik Kopenhagens von einem allerdings kürzeren
ra unie. Diese Fälle verteilen sich folgendermassen:
2g -Finderhospital 27 Fälle, davon 7 mit Dysenteriebazillen, etwa
Kinderabteilung des Reichshospitals 78 Fälle, davon
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10 mit Dysenteriebazillen, etwa 13 pCt.; Poliklinik 7 Fälle, davon 2
mit Dysenteriebazillen, etwa 28 pCt. Alles in allem 112 Fälle, davon
19 mit Dysenteriebazillen, etwa 17 pCt.
In ungefähr 17 pCt. der während der Cholerine-Epidemie
im Sommer und Spätsommer 1912 untersuchten 112 Fälle
wurden also Dysenteriebazillen gefunden. Ob es richtig ist,
hieraus zu schliessen, dass von den in diesem Jahre angemeldeten
Oholerinefällen bei Kindern von 1 bis 6 Jahren (etwa 2200 Fälle) un¬
gefähr 1 / 6 durch Dysenteriebazillen verursacht sein sollten, ist wohl eine
grosse Frage, aber vollständig unrichtig ist es vielleicht doch kaum.
Jedenfalls muss man daran erinnern, dass, wenn auch die meisten von
diesen 2200 Fällen leichte gewesen sind, es doch eine Tatsache ist, dass die
Dysenteriebazilleninfektion auch bei kleinen Kindern ganz ausserordent¬
lich leicht verlaufen kann. Wie häufig solche leichten Fälle sein können,
davon wciss man zwar noch nichts. Die früher erwähnten Untersuchungen
von den Epidemien in Hagenau und Fürth könnten doch vielleicht darauf
deuten, dass sie nicht ganz selten sind.
Welche Rolle diese Infektion in den Jahren, in welchen wirklich
von ernsten Cholerineepidemien die Rede ist, spielt, muss in der Zukunft
entschieden werden.
Epidemiologie.
Ein Teil der 69 Fälle lässt sich in der Weise gruppieren, dass
einige in kleinen Epidemien zusammengehören; als solche können auf¬
gestellt werden:
1. In Svendborg
2. „ Aarhus
3. „ Horsens
4. „ Helsingör
5. „ Kopenhagen
6. „ Skais (Kopenhagen)
7. „ Hellerup
September 1911 2 Fälle
„ 1911 2 „
Oktober 1911 2 „
Juni 1912 2 „
Juli 1912 3 „
August (Oktober) 1912 2 „
Oktober (Dezember) 1912 2 „
Zwischen allen übrigen 59 Fällen lässt sich keineswegs eine Verbin¬
dung mit einander oder mit diesen 15 nachweisen.
Im ganzen sind hier in Dänemark in dem Zeiträume April 1911
bis April 1913 (24 Monaten) 61 Fälle mit Dysenbazilleninfektion
(unter 69) ohne irgend eine wahrnehmbare Verbindung unter
einander nachgewiesen worden.
Nach den vorliegenden Auskünften scheinen jedoch ausser den er¬
wähnten 15 Fällen auch mehrere der anderen aus kleinen Epidemien
hervorgegangen zu sein, aus welchen entweder nur vereinzelte zur Unter¬
suchung gekommen sind, oder die Untersuchung von einigen der Gesamt¬
zahl aus dem einen oder dem anderen Grunde — zu spät in der Krankheit,
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langdauernder Transport der Abführung oder vielleicht zu blutige bakteri¬
zide Abführung usw. — keinen Nachweis von Dysenteriebazillen er¬
bracht hat.
Als aus solchen kleinen Epidemien stammend können im ganzen
folgende Fälle vermutet werden.
1. Ein Fall in Aarhus. August 1911. Der zweijährige Sohn des Patienten be¬
kam einen Anfall von Diarrhöe ohne Schleim mit Blut nach kurzer Zeit.
2 . Ein Fall in Bogense. August 1911. Pat., ein 4jähriges Kind, hat seit drei
Jahren eine chronische Darmkrankheit gehabt. Der Vater hat seit 5. bis 6. Lebens¬
jahre zu wiederholten Malen ernste Magen- und Darmstörungen oft mit Diarrhöe und
Schmerzen im Unterleibe gehabt. Eine Schwester, 12Jahre alt, hatte im 3.Lebens¬
jahre, eine „gastrische Krankheit“ mit Fieber und langwieriger Rekonvaleszenz; eine
andere Sohwester, 7 Jahre alt, hatte ebenso im 3. Lebensjahre, eine langwierige
Magen- und Darmkrankheit, nach welcher sie sich nur langsam erholte.
3. Zwei Fälle in Aarhus. August 1911. Ausser der Mutter und einer Tochter
ein zweites Kind, 2 Jahre alt, ähnliche Symptome.
4 . Ein Fall in Frederikshavn. Septembar 1911. Der Prinzipal des Pat. und
die Familie desselben bekam nach einigen Tagen ähnliche, wenn auch leichtere An¬
fälle. Im ganzen traten etliche Enteritisfälle in der Stadt in dieser Zeit auf.
5 . Ein Fall in Aarhus. September 1911. Die zwei kleinen Kinder des Pat.
(4 und \ l j 2 Jahre) hatten gleichzeitig ähnliche Symptome.
6. 2 Fälle, Eheleute in Svendborg. September 1911, gleichzeitig krank.
7. Ein Fall in Kopenhagen. September 1911. Kind, eins der Geschwister des
Pat. soll an Cholerine gestorben sein.
8. Ein Fall in Aarhus. September 1911. 2 erwachsene Töohter hatten gleich¬
zeitig ähnliche Symptome; später geschah das Gleiche mit ihrer Krankenpflegerin.
9. 2 Fälle in Horsons. Oktober 1911. 2 Brüder, 5 und 2 Jahre alt, waren gleich¬
zeitig krank.
10. Ein Fall in Aarhus. Oktober 1911. Die zehnjährige Tochter des Pat. hatte
einmal blutige Abführung.
11. Ein Fall in Odense. Dezember 1911. Gleichzeitig eine ausgedehnte Chole-
rineepidemie in der Stadt.
12 . Ein Fall in Odense. Dezember 1911. Kind. Eine ausgebreitete Cholerine-
epidemie in der Stadt. Zwei ältere Geschwister hatten eine ähnliche Krankheit.
13. Ein Fall in Herning. April 1912. Das vierjährige Kind des Pat. bekam
3 Monate später Cholerine und blutige Abführung.
14 . Ein Fall in Kopenhagen. Juni 1912. Kind. Ein Bruder soll ca. ein Jahr
früher in ähnlicher Weise krank gewesen sein.
15 . 2 Fälle in Helsingör. Juni 1912. 2 Matrosen; 2 andere Matrosen von dem¬
selben Schiffe hatten auch ungefähr gleichzeitig dysenterische Symptome.
16 . 3 Fälle in Kopenhagen. Juli 1912. Die Patienten sind drei Kinder, die in
dem Kinderhospital wegen anderer Krankheiten aufgenommen waren, und in der ersten
Zeit keine Daimanomalien darboten. Sie lagen in derselben Stube und bekamen in
einem kurzen Zwischenräume akute Diarrhöe; während derselben wurden Dysen¬
teriebazillen von demselben Typus bei allen dreien gefunden.
17. Ein Fall in Charlottenlund. August 1912. Kind. In Charlottenlund waren
gleichzeitig andere Fälle mit blutiger Diarrhöe.
18 . Ein Fall in Kopenhagen. August 1912. Kind. Ein älterer Bruder hat mehr¬
mals Anfälle von schleimiger Diarrhöe gehabt.
19. Ein Fall in Kopenhagen. August 1912. Kind. Ein Bruder und eine
Schwester des Pat. hat vor kurzem blutige Diarrhöe gehabt.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 101
20. Ein Fall in Kopenhagen. August 1912. Kind. Eins der Geschwister des
Pat. soll früher an Cholerine gestorben sein.
21. 2 Fälle in Skais (und Kopenhagen), August (und Oktober) 1912. Zwei er¬
wachsene Schwestern. Die eine hatte längere Zeit Symptome von chronischer Kolitis
gehabt und während einiger Anfälle von Diarrhöe zugleich zu vereinzelten Malen
Blut verloren; während eines solchen Anfalls besuchte sie die andere Schwester,
welche hernach einen heftigen Anfall von Dysenterie bekam, während dessen die
Dysenteriebazillen gefunden wurden (August 1912). Während eines neuen Anfalles
bei der ersten Schwester wurden entsprechende Bazillen bei derselben im Oktober 1912
gefunden.
22. Ein Fall in Dragör. September 1912. Kind. Der Bruder des Pat. hat im
letzten Jahre eine ohronische Kolitis nach einem akuten Anfalle gehabt.
23. 2 Fälle in Hellerup. Oktober (und Dezember) 1912. Kinder. Beinahe
gleichzeitig mit dem ersten Anfall der zwei Geschwister hatte ihre Mutter einen ganz
ähnlichen Anfall. Der Vater hat seit vielen Jahren (zum mindesten acht) chronische
Kolitis ab und zu mit Blut gehabt; blutige Diarrhöe zum leztenmal im September 1912.
Eine Schwester des Vaters soll vor etwa zehn Jahren an „Dysenterie“ gestorben sein.
24. Ein Fall in Kopenhagen. Oktober 1912. Kind. Ein Bruder hat chronischen
Darmkatarrh.
25. Ein Fall in Kopenhagen. November 1912. Kind. Die Schwester des Pat.
bekam nach kurzer Zeit ähnliche Symptome.
26. Ein Fall in Kopenhagen. Februar 1913. Kind. 3 der 10 Geschwister des
Pat. sollen an „Magenkrankheit“ gestorben sein.
27. Ein Fall in Kopenhagen. März 1913. Die Patientin ist Krankenpflegerin
in der Kinderabteilung des Reichshospitals, wo Fälle mit Dysenteriebazilleninfektion
oft beobachtet werden.
Man könnte vielleicht denken, dass mehrere von diesen 27 kleinen
Epidemien wirklich zusammengehören und nur als eine gerechnet wer¬
den sollten, indem sie gleichzeitige Fälle aus demselben Orte umfassen;
so z. B. die Epidemien 1, 3, 5, 8 und 10, welche alle Fälle in Aarhus
im Spätsommer umfassen und 11 und 12 aus Odense im Dezember 1911.
Wenn es nicht so aufgeführt ist, so ist dies darin begründet, dass entweder
die Aerzte der betreffenden Patienten ausdrücklich betont haben, dass
man keinen Zusammenhang hätte nachweisen können, oder dass es sich
um Infektion mit verschiedenen Dysenteriebazillen gehandelt hat. In
Fall 11 aus Odense ist es ein Bazillus aus Gruppe II und in Fall 12 aus
Gruppe III gewesen, in Fall 1, 3, 5 und 10 aus Aarhus ist es Gruppe III
und in Fall 8 Gruppe I. Dass es sich in den Fällen aus der Epi¬
demie in Svendborg 6 bei Eheleuten um einen Bazillus der Gruppe II
und I gehandelt, berechtigt nach meiner Meinung doch nicht mit Sicher¬
heit die Annahme, dass es sich um zwei verschiedene Infektionen
gehandelt hat; vielleicht deutet dieser Fall eher darauf hin, dass die
zwei Bazillengruppen I und II vielleicht in Wirklichkeit als eine einzige
Gruppe gerechnet werden sollten. Weil ich dieses nicht mit Sicherheit
entscheiden kann, müssen wir die Frage jedoch vorläufig dahingestellt
sein lassen.
Es kann selbstverständlich nicht mit Bestimmtheit gesagt werden,
dass in allen 27 beschriebenen Fällen von einer Uebertragung der Infektion
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102
CARL SONNE,
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von anderen oder auf andere die Hede gewesen ist, aber wie die Kranken¬
geschichten dartun, besteht doch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
dafür, dass es sich in den meisten Fällen so verhielt.
Niemals sind also grössere Epidemien aufgetreten. In
35 Fällen von den 69 mit Dysenteriebazillen liegen keine An¬
gaben von einer möglichen Uebertragung der Infektion von
anderen oder auf andere vor. Die meisten dieser 35 finden sich
unter den Fällen von Gastroenteritis bei kleinen Kindern.
Ein paarmal ist davon die Rede gewesen, dass die Infektion mög¬
licherweise durch Trinkwasser hervorgerufen worden ist.
Das eine Mal war es in Odense, wo im Dezember 1911 eine be¬
deutende Cholerineepidemie in der Stadt herrschte. Nur fünf Abführungen
kamen hiervon zur Untersuchung und nur in zwei wurden Dysentcrie-
bazillen gefunden; aber wie erwähnt, waren es verschiedene Typen. Ob
die Cholerineepidemie im grossen und ganzen wirklich von einer Dysen¬
teriebazilleninfektion veranlasst wurde, ist zwar sehr zweifelhaft. Die
Fälle sollen einen sehr akuten Verlauf gehabt haben. Bei der Unter¬
suchung des Trinkwassers wurden keine Dysenteriebazillen
gefunden.
Das zweite Mal war es bei der Epidemie Nr. 15, wo vier Matrosen
auf demselben Schiffe während einer Reise von Südamerika bis nach Hel¬
singör dysenterische Symptome bekamen. Zwei Matrosen waren seit
der Abfahrt aus Amerika (Sta-Fe an der Mündung des La Plataflusses)
krank gewesen, die zwei anderen waren kurz nach der Oeffnung eines
Trinkwasserbehälters mit Wasser aus Sta-Fe krank geworden. Bei der
Ankunft in Helsingör wurden bei der Untersuchung des Trink¬
wassers keine Dysenteriebazillen gefunden. Die Infektion kann
ja auch von den zwei Erstangegriffenen herrühren, deren Darmsymptome
sehr langdauernd und bei der Ankunft in Helsingör und bei der Abfahrt
aus diesem Orte nach einigen Tagen noch vorhanden waren.
In allen übrigen Fällen liegen keine ähnlichen Angaben von der
supponierten Uebertragung der Infektion vor, dieselbe scheint also
im allgemeinen eine einfache Kontaktinfektion von Individuum
zu Individuum, direkt übertragen, gewesen zu sein.
Die Häufigkeit und Ausbreitung der Dysenteriebazilleninfektiou.
Die Fälle der Dysenteriebazilleninfektion sind ziemlich gleichmässig
über einen Zeitraum von 2 Jahren verteilt, und über das ganze Land
zerstreut gewesen.
In 62 von den 69 Fällen war es nicht möglich einen Zusammenhang
nach/.uweisen, und so gut wie in allen, vielleicht mit Ausnahme von
3—4 derselben, findet sich auch nichts, das für einen solchen spricht.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysentcriebazilleninfekt. 103
Hiernach kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die
Dysenteriebazilleninfektion ein ganz konstant vorkommendes
Phänomen hier in Dänemark ist.
Es muss als gegeben angesehen werden, dass die Infektion
zugleich recht häufig ist. Wie häufig dieselbe normal vorkommt,
darüber mit wahrscheinlicher Sicherheit eine Meinung auszusprechen, ist
natürlich unmöglich; wenn man aber davon ausgeht, dass nur 15 pCt.
der während der Cholerine-Epidemie in Kopenhagen 1913 — die ja ver¬
hältnismässig klein war — befallenen Kinder diese Infektion hatten, dann
müssen etwa 300 kleine Kinder in Kopenhagen infiziert ge¬
wesen sein; und weil diese Krankheit ja keineswegs eine spezifische
Kinderkrankheit ist und ebenso gut Erwachsene ergreift, worauf alles
hindeutet, und wahrscheinlich eben diese in den meisten Fällen die
Kinder infiziert haben, so muss man wohl annehmen, dass jedenfalls
drei- bis viermal so viele Individuen in Kopenhagen im Laufe
eines Jahres von dieser Infektion befallen werden.
Dieses Resultat ist ja ein besonders überraschendes, und es wird
darum notwendig sein, näher zu erörtern, wie dieses möglich sein kann,
weil es ja doch als feststehend angesehen werden muss, dass die
klinische Diagnose „Dysenterie“ keineswegs auch nur annähernd so
häufig zur Anwendung wird kommen können.
Es muss dann natürlich sein, die Erklärung in der grossen
Neigung der Infektion, eine chronische, verhältnismässig leicht
verlaufende Krankheit hervorzurufen, zu suchen. Wie früher
beschrieben, kommt es oftmals vor, dass sich unter den Angehörigen
des Infizierten Individuen finden, welche längere Zeit hindurch Symptome
eines chronischen Darmleidens zeigten, indem sie ab und zu schleimige
Diarrhöe, bisweilen vielleicht auch blutige Diarrhöe hatten. Weil es ver¬
einzelte Male gelungen ist, Dysenteriebazillen in der Abführung von
anderen, ganz ähnlichen Patienten zu finden, ist die Vermutung wohl
begründet, dass diese ersten Patienten mit einer Krankheit,
die man allgemein „chronische Kolitis“ zu nennen pfegt, in
Wirklichkeit auch die Ursache der Infektion ihrer Angehörigen
gewesen sind. Mit Rücksicht hierauf sind namentlich die nachfolgenden
drei Krankengeschichten illustrierend:
1. Erik Andreas A., geb.5.5.1907, Bogense. Gesund bis zum Alter von D/g Jahren.
Erkrankte dann plötzlich mit stinkender, schleimig-grünlicher Abführung, einige Male
mit wenig Blut vermischt. Ist seitdem nicht ganz gesund gewesen, indem er in
Zwischenräumen von etwa ein paar Monaten Anfälle von Fieber mit plötzlich oft sehr
hoch steigender und langsam fallender Temperatur, sowie einige Male Kollaps bekam;
Abführung während der Anfälle schleimig, grünlich und bisweilen blutig.
21. 8. 1911. Probe der Fäkalien: Ein wenig schleimig, mit Dysenteriebazillen.
23. 9. 11. Fäzesprobe: Breiig, nicht deutlich schleimig; ohne Dysenteriebazillen.
10. 10. 11. Fäzesprobe: Sehr dünn, schleimig; ohne Dysenteriebazillen.
17. 2. 1912. Fäzesprobe: Nicht deutlich schleimig; ohne Dysenteriebazillen.
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104.
CA KL SONN E,
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12. 6. Fäzesprobe: Schleimig; ohne Dysenteriebazillen.
Der Vater hatte, 5—6 Jahre alt, eine ernste Magen-Darmkrankheit, die mehrere
Monate dauerte. Ist seitdem als Jüngling und Erwachsener, etwa 20 Jahre lang, mehr¬
mals in Behandlung wegen chronischer Darmkrankheiten, in der Kegel mit starken
Schmerzen im Unterleib und häufigen dünnen und stinkenden Abführungen gewesen; es
ist nicht beobachtet worden, ob dieselbe schleimig oder blutig gewesen ist. Wurde im
Jahre 1909 appendektomiert; Appendix soll nach der Mitteilung des Arztes nicht weiter
angegriffen gewesen sein. Hat seitdem keine Anfälle gehabt, muss aber noch immer
Diät halten.
Eine Schwester hatte im Jahre 1913, 3 Jahre alt, einen „gastrischen Anfall“ mit
Fieber und langwieriger Rekonvaleszenz; eine andere Schwester hatte im Jahre 1907,
3 Jahre alt, eine langwierige Magen- und Darmkrankheit, nach welcher sie sich nur
langsam erholte. Die Mutter und zwei jüngere Geschwister scheinen ähnliche Symptome
nicht gehabt zu haben.
2. Jörgen v. E., 3 Jahre alt, Hellerup. Am 2. 10. 1912 plötzlich krank mit
blutiger, schleimiger Abführung (6—7 mal des Tages), und mit starkem Tcnesmus.
Temperatur 38,7. Puls klein, das Aussehen kollabiert. Diffuse Empfindlichkeit des
ganzen Abdomen; allmähliche Besserung im Verlaufe von 4 Wochen; stand auf,
Wohlbefinden 4—5 Wochen, dann Rezidiv und 5—6 Tage später Aufnahme in das
Kinderhospital. Hier nach einigen Tagen Wohlbefinden. — Entlassen 4. Oktober.
Fäzesprobe: Grüner Schleim und zahlreiche Dysenteriebazillen.
Eine Schwester, 1 1 j 2 Jahre alt. wurde gleichzeitig mit ähnlichen Symptomen
krank. Die Mutter bekam etwa 8 Tage nach der Krankheit des Sohnes Diarrhöe; in
den ersten Tagen ohne besonderen Charakter, 2—3 Tage später mit Schleim und Blut.
Ziemlich schnelle Erholung. Bei der Untersuchung ihrer Abführung, einige Tage
nachdem die Blutung aufgehört hatte, fanden sich keine Dysenteriebazillen.
Der Vater ist seit 1905 mit einer rezidivierenden chronischen Kolitis, ab und zu
mit blutiger Abführung, behaftet. Er hatte ein Rezidiv im September 1912. Seine
Abführung ist nur einmal (23. Oktober 1912) untersucht, keine Dysenteriebazillen,
dann war dieselbe aber auch beinahe natürlich; er ist für den Gedanken, dass er der
Infektionsträger sein sollte, sehr wenig zugänglich, und will von einer weiteren
Untersuchung nichts hören. Soll wieder im Frühling 1913 Kezidiv gehabt haben. Eine
Schwester des Vaters soll im Jahre 1902 oder 1903 an „Dysenterie“ gestorben sein.
3. Fräulein H., 24 Jahre alt, Kopenhagen. Im Herbst 1911 plötzlich krank mit
Schmerzen im Unterleib und dünner, heller Abführung ohne Schleim und Blut. War
etwas febril. Wurde etwa einen Monat diätetisch behandelt; lag im Bett, fühlte sich
hiernach immer schwach. Nach 3 Monaten erkrankte sie wieder unter ähnlichen Er¬
scheinungen ; war aber noch mehr angegriffen. Die Abführung enthielt dann mehrmals
Schleim und Koagula; ab und zu Erbrechen; lag 3 Monate im Bett, war hierauf sehr
müde und schwach. 4—5 Monate später (August 1912) erkrankte sie wieder unter
schweren Symptomen. Drei Wochen lang Schleim und Blut in der Abführung. Be¬
suchte dann eine verheiratete Schwester und infizierte dieselbe. Seitdem hatte sie
längere Zeit Schmerzen im Abdomen; die Abführungen waren dann ziemlich natürlich.
— Ara 23. 9. 1912 wurde Pat. im Frederiksberg-Hospital aufgenommen. In der ersten
Zeit klagte sie nur über leichte Schmerzen im Unterleib und Empfindlichkeit längs
des Colon transvers. Nach 14 Tagen wurden die Schmerzen stärker und die Abführungen
blutig und schleimig. Während dieses Anfalles wurden Dysenteriebazilion gefunden.
Die Abführung besserte sich nach einigen Tagen, ist jedoch noch immer ab und zu
schleimig, und die Schmerzen im Lnterleib dauern bis zur Entlassung am 21. 12. 1912
fort. Pat. wird dann nach dem Kranken hause zu Helsingör überführt, wo sie eine
Zeitlang sehr schwach und beinahe kollabiert ist; erholt sich aber, als sie auf reine
Milchdiät, was früher nicht versucht worden ist, gesetzt wird.
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d.giftarmen Dysenteriebazillcninfekt. 105
14.9.1912. Fäzesprobe: Normal, keine Dysentericbazillen.
26. 9. Fäzesprobe: Normal, keine Dysenteriebazillen.
10. 10. Fäzesprobe: Dünn mit bluttingiertemSchleim und vereinzelten Dysenterie¬
bazillen.
7. 10. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen.
14. 11. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen.
5. 12. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen.
6. 1. 1913. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen.
19. 1. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen.
Auf Anfrage (5. 8. 1913) befand sich Pat. später wohl und ohne grössere Anfälle
von Diarrhöe und Schmerzen. Die Abführung ist jedoch ab und zu etwas dünn und
bisweilen mit Schleim vermischt.
Solche chronischen Kolitiden können oft verhältnismässig leicht ver¬
laufen, und sie stellen auch wahrscheinlich meistens gar keine Infektions¬
gefahr dar. Wie die oben stehenden Krankengeschichten zeigen, kann
man jedenfalls die Abführung mehrmals untersuchen, ohne die Bazillen
zu finden, und vielleicht findet man dieselben nur einmal unter 10 Fällen;
am häufigsten dann, wenn der Patient einen mehr oder weniger heftigen
Anfall von Diarrhöe gehabt hat.
Ohne Zweifel würde man bei einer systematisch durch¬
geführten Untersuchung von Individuen mit einer sogenannten
chronischen Kolitis finden, dass die Krankheit in einem Teil
der Fälle durch eine Dysenteriebazilleninfektion verursacht ist;
dass man keine Dysenteriebazillen bei nur wenigen Untersuchungen findet,
besagt nichts. Man muss entweder durch Monate mi.t einem
Zwischenräume von z. B. 8 Tagen zwischen den einzelnen Unter¬
suchungen, oder vorzugsweise im Beginn der akuten Exazer¬
bationen untersuchen.
Dann und wann habe ich Fäzes von solchen Patienten zur Unter¬
suchung gehabt, es gelang aber selten, die Untersuchung so systematisch
wie z. B. für Patient Nr. 3 durchzuführen.. Der Vater der in Fall 2
erwähnten Kinder liess sich nur zu einer einmaligen Untersuchung seines
Stuhles bewegen und zudem zu einem Zeitpunkte, wo er ziemlich natür¬
lich war. Oft muss man wohl auch sagen, dass es für einen Patienten
etwas unangenehm sein kann, seine eventuelle chronische Dysenterie¬
bazilleninfektion konstatiert zu bekommen.
Uebersicht und nähere Disknssion der Resultate der Untersuchung
über die Epidemiologie und Klinik der Infektion.
Als Resultat meiner Untersuchungen über die bazilläre Dysenterie¬
infektion geht vor allen Dingen hervor, dass dieselbe hier in Dänemark
in dem Zeiträume von April 1911 bis April 1913 so häufig wie sonst
niemals früher anderswo in Europa konstatiert wurde. Jeden¬
falls wenn man darauf Rücksicht nimmt, dass bei dieser Infektion in
der erwähnten Zeit unter 69 Fällen 62 mal von Fällen die Rede gewesen
ist, bei denen nichts auf einen gegenseitigen Zusammenhang deutet.
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Grössere Epidemien kamen nicht vor; nur bei einem kleinen
Teil der Fälle (27) ist es überhaupt möglich gewesen, Erkundigungen
über ähnliche Symptome bei einigen Verwandten des Patienten einzu¬
ziehen. In den meisten Fällen (35) liegen überhaupt keine Mitteilungen
hierüber trotz sorgfältiger Nachfrage vor.
Es ist dann in ausgesprochenem Grade von einem spora¬
dischen Auftreten die Rede gewesen. Wenn auch einzelne Unter¬
sucher (Kruse, Lösener, Morgan), auf ihren Beobachtungen fussend,
meinen, dass sporadisch vorkommende Dysenteriebazilleninfektion kaum
so selten ist, wie gewöhnlich angenommen wird, so ist die Zahl der von
ihnen gefundenen, hierher gehörigen Fälle, worauf sie ihre Vermutung
stützen, so gering (S. 75), dass dieselbe keineswegs auch nur annähernd
einer so grossen Häufigkeit, wie ich sie hier in Dänemark gefunden
habe, Ausdruck gibt.
Man muss sagen, dass die Umstände, unter welchen ich
die Bazillen gefunden habe, derartig sind, dass in denselben
kein Grund zu der Annahme vorliegt, die Infektion sei nur in
diesen bestimmten 24 Monaten so häufig gewesen.
Weil frühere Untersuchungen im übrigen Europa, bei denen es sich
mehi oder weniger um typische Dysenterieepidemien handelt, wesentlich
gesondert gemacht erscheinen, und weil in Europa früher kaum
Untersuchungen von Fäkalien unter den gleichen von mir
angewandten Umständen vorgenommen worden sind, kann denn
auch nichts im Wege stehen zu behaupten, dass die Dysenteriebazillen¬
infektion, in Gestalt sporadischer Fälle, im grossen und ganzen
auch ausserhalb Dänemarks in Europa ein viel häufiger vor¬
kommendes Phänomen ist, als man früher annahm.
In betreff der Kindercholerine habe ich Dysenteriebazillen in einer
so grossen Zahl von Fällen und in vereinzelten Fällen in einem so langen
Zeiträume gefunden, dass man annehmen muss, die Infektion mit
diesen Bazillen sei stets die Ursache vieler Krankheitsfälle
dieser Art. Eine bloss annähernd so grosse Prozentzahl von Fällen
als Flexner und seine Schüler sie für Anfälle von Kindercholerine in
Amerika im Sommer 1903 fanden, habe ich während der Zeit meiner
Untersuchungen hier in Dänemark nicht gefunden. Wie indessen die
Zahl der Fälle von Kindercholerine von Jahr zu Jahr bedeutend variieren
kann, so kann man sich auch sehr wohl denken, dass die unzweifelhaft
sehr verschiedenen Ursachen der Krankheit zu verschiedenen Zeiten in
gegenseitigem Häufigkeitsverhältnis variieren können. Hierauf deuten
unter anderem auch andere amerikanische Untersuchungen, zu anderen
Zeiten vorgenommen, aber mit einer viel geringeren Anzahl von Dys¬
enteriebazillenfunden. Möglicherweise wird man dafür in anderen Jahren
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d.giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 107
z. ß. vielleicht während grösserer Cholerinecpidemien auch bei uns in
einer viel grösseren Prozentzahl der Fälle die Bazillen finden können.
Dem, speziell von Eramet Holt in Amerika, früher Angegebenen
gemäss, sind auch die von mir gefundenen Fälle von Gastro¬
enteritis mit Dysenteriebazillen, von den Fällen von Cholerine,
die man früher schon immer gekannt hat, klinisch nicht
verschieden gewesen. Wie Holt habe auch ich alle Arten von
Krankheitsfällen, von der ganz leichten schleimigen Diarrhöe mit kaum
bemerkenswerten und kurzdauernden Anfällen bis zu den ganz schweren,
mit tödlichem Ausgange, gefunden. Nicht selten sind die Patienten
typisch intoxiziert gewesen, aber im allgemeinen muss doch gesagt werden,
dass die schwerste Intoxikation am häufigsten bei den Fällen,
die nicht von Dysenteriebazillen veranlasst werden, gefunden
wird. Insofern als die Fälle von Cholerine, die sehr akut sind, mit
fortgesetztem starken Erbrechen und oft auch mit sehr häufigen, wasser¬
ähnlichen Stühlen einhergehen, auch die, welche am ehesten Intoxikation
geben, stimmt dies ebenfalls mit der Beobachtung von Holt überein,
welche darauf hinausgeht, dass man bei diesen, in der Regel sehr akut
und oft tödlich verlaufenden Fällen (Cholera infantum) keine Dysenterie¬
bazillen findet.
Dieses scheint auch mit der Auffassung von Hennon übereinzustimmen,
dessen „spastische“ Form von Gastroenteritis, welche im Gegensatz zu der
„dysenterischen“, nicht von Mikroorganismen veranlasst sein sollte, nach
der Beschreibung eben mit dieser Cholera infantum identisch zu sein scheint.
Es ist jedoch nicht möglich gewesen, eine sichere Sonderung zwischen
Cholerinefällen mit oder ohne Dysenteriebazilleninfektion allein mittelst
der erwähnten Symptome zu treffen; hierfür sind zu zahlreiche Ueber-
gangsformen vorhanden. In der Vermischung des Stuhles mit Blut
meine ich dagegen ein Symptom von grösserer Bedeutung
in dieser Hinsicht gefunden zu haben. Meine Untersuchungen
deuten darauf hin, dass wahrscheinlich die meisten Fälle von
Cholerine, in welchen hin und wieder während des Krank¬
heitsverlaufs Blut im Stuhl, selbst wenn auch nur die
schwächste Bluttingierung, gefunden wird, von einer Dys¬
enteriebazilleninfektion veranlasst sind. Hiervon müssen jedoch
die Fälle abgerechnet werden, in welchen wegen starker Intoxikation eine
sickernde Blutung aus verschiedenen Schleimhäuten (Nase, Mund, Magen,
Darm usw.) auftreten kann. Ein Symptom wie blutiges Erbrechen ist so
keineswegs für die Dysenteriebazilleninfektion pathognomonisch.
Hiermit ist indessen nicht gesagt, dass immer Blut im Stuhl
bei den Cholerinefällen mit Dysenteriebazilleninfektion ge¬
funden wird; aber solche Fälle ohne Blut scheinen einen besonders
milden Verlauf in kürzerer Zeit bei schleimiger Diarrhöe und ohne grössere
Intoxikation zu haben.
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108
CARL SONNE,
Etwas begründet scheint auch die Vermutung, dass alle schwer
verlaufenden Fälle, besonders solche mit mehr oder weniger
heftigem, ab und zu blutigem Erbrechen und oft starker In¬
toxikation, in welchen auch niemals Blut in dem Stuhl kon¬
statiert wurde — wenn dieses nicht gerade als Symptom einer
allgemeinen hämorrhagischen Diathese betrachtet werden
muss —, nicht durch Dysenteriebazilleninfektion veranlasst
werden und daher eine andere Ursache haben müssen.
Obgleich diese Schlüsse, die auf meinem Material basieren, jeden¬
falls in einigen Punkten mit denen von Holt übereinstimmen, liegt doch
bei dem amerikanischen Material ein Umstand vor, welcher bewirkt, dass
das letztere nicht ganz und gar dasselbe zu zeigen scheint.
Weder Holt noch Flexner und seine Schüler haben eine Berech¬
nung aufgestellt, wie viele Patienten mit Dysenteriebazillen während des
Krankheitsverlaufs Blut oder Blutspuren im Stuhl zeigten, ebenso wenig
als über die Zahl derer, welche Blut in der Abführung und keine Dysenterie¬
bazillen gehabt haben. Dagegen findet man eine Beschreibung von allen
Fäzesproben, welche untersucht worden sind; diese benützt Flexner (wie
Seite 82 erwähnt) wesentlich nur um festzustellen, dass man sehr wohl
Dysenteriebazillen in einem Stuhl finden kann, der nicht Blut enthält;
aber es geht auch hervor, dass in etlichen Abführungen mit
Blut keine Dysenteriebazillen gefunden wurden. Von den An¬
gaben der verschiedenen Untersucher ausgehend habe ich eine Berech¬
nung dieser Verhältnisse vorgenomraen, und ich fand dann, dass sich in
120 Fäzesproben mit Blut nur in 75 pCt. der Fälle Dysenteriebazillen
fanden. Ob dieses Ergebnis mit den 25 pCt. blutigen Fäzesproben ohne
Dysenteriebazillen, gegen das, was meine Untersuchungen zu zeigen
scheinen, zu sprechen braucht, ist jedoch keineswegs sicher. Dass ein Teil
der Untersucher nach den eigenen Mitteilungen Flexners unter recht
schlechten Laboratoriumsverhältnissen arbeitete, so dass die Fäzesproben
aus den Hospitälern oft ziemlich lange unterwegs waren, wobei die
eventuellen Dysenteriebazillen vielleicht von Kolibazillen überwuchert
wurden oder durch die bakterizide Einwirkung des Blutes zugrunde
gingen, ist nicht der am nächsten liegende Grund für meine Annahme,
obwohl dies doch vielleicht eine Rolle gespielt haben kann. Es ist
vielmehr ein anderer Grund, der in diesem Falle nicht ausser Betracht
zu lassen ist, dass nämlich diese amerikanischen Forscher nach
allem, was entscheidend in Betracht kommt, die Bazillen der
von mir aufgestelltcn Gruppe III nicht zu den Dysenterie¬
bazillen gerechnet haben. Denn cs geht aus einigen Beschreibungen
der verschiedenen Bazillenfunde der Verfasser hervor, dass auch von
einer Infektion mit diesen Bazillen die Rede gewesen sein kann. In
mehreren Fällen wird angegeben, dass Bazillen gefunden worden sind,
welche bekannten, giftarmen Dysenteriebazillen sehr ähnlich sind, wegen
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 109
gewisser kultureller Abweichungen, welche ganz den von den Bazillen
der Gruppe III gezeigten entsprechen, von den Verfassern aber an¬
scheinend nicht zu den Dysenteriebazillen gerechnet werden. Eine genauere
Besprechung dieser Verhältnisse findet sich in der anderen publizierten
Arbeit über die Bakteriologie der Bazillen. Es scheint mir also, dass
in hohem Grade vermutet werden muss, dass diese amerika¬
nischen Dysenteriebazillenuntersuchungen der Abführung der
Patienten mit Kindercholerine nicht erschöpfend gewesen sind.
Dem Umstande, dass man in 25 pCt. der Fälle mit blutigem Stuhl
keine Dyscnteriebazillen gefunden hat, darf man darum kaum einige Be¬
deutung als Argument gegen die Behauptung, dass Kindercholerine mit
blutiger Abführung in der Regel durch Dysenteriebazilleninfektion ver¬
anlasst wird, beilegen.
Dasselbe gilt für die Schlüsse des Klinikers Michael aus den Unter¬
suchungen von Weawer und Tunnicliff über Fälle von Gastroenteritis.
Er resümiert, dass Fälle mit blutiger Abführung ohne Dysenteriebazillen
gefunden werden können, aber alle die von Weawer und Tunicliff ge¬
fundenen Dysenteriebazillcn gehen auch mit Lackmusmolke eine Vergärung
ein wie die Bazillen der Gruppe I und II, aber keine der Gruppe III.
Vor kurzem erschien eine Arbeit von Gildemeister und Baerth-
lein, welche zeigt, dass man jetzt auch in Deutschland daran zu denken
beginnt, dass die Dysenteriebazilleninfektion bei der Kindercholerine eine
Rolle spielen kann. Sie haben im Jahre 1912 die Abführung von
70 darmkranken Kindern untersucht und die Bazillen in 9 Fällen ge¬
funden. Ausserdem fanden sie die Bazillen bei einem scheinbar ge¬
sunden Kinde unter 120 untersuchten. Es geht hervor, dass sie die
Dysenteriebazillen vorzugsweise in blutiger Abführung gefunden haben;
es hat jedoch auch vereinzelte blutige Stühle gegeben, in welchen Bazillen
nicht gefunden wurden, weiter fanden sich 4 mal Paratyphus B-Bazillen
und 1 mal Bac. entcrit. Gärtner. Zu diesem letzten Falle teilt Siegel
mit, dass der Stuhl blutig war; ob möglicherweise die Stühle der
4 Paratyphusfälle auch blutig waren, davon bekommt man nichts zu
wissen. Jedenfalls hat es gewiss nur ganz wenige Fälle mit blutiger
Abführung ohne Dysenteriebazillen gegeben. 2 der 9 Dysenteriebazillen
wären von dem der Gruppe III entsprechenden Typus. Siegel,
welcher den klinischen Verlauf von einem Teil der 70 untersuchten
Fälle beschrieben hat, bemerkt, dass unter den 9 von ihm beob¬
achteten Fällen mit Dysenteriebazillen 8 mit blutiger Abführung waren,
und mit Ausnahme des einen Falles mit Bac. enterit. Gärtner fand sich
keine blutige Abführung bei 51 anderen untersuchten Fällen ohne Dys¬
enteriebazillen.
ln betreff einer Abführung mit Beimengung frischen Blutes
im allgemeinen, sowohl bei Erwachsenen als bei Kindern, berechtigt das
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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CARL SONNE,
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Resultat meiner Untersuchungen mich selbstverständlich nicht dazu, etwas
Bestimmtes von der Beziehung einer solchen blutigen Abführung zu der
Dysenterieinfektion zu sagen, besonders wegen der Art meines Materials,
welches ja von so vielen verschiedenen Patienten rings herum im Lande,
von welchen die Auskünfte dazu recht oft sehr mangelhaft sind, her¬
rührt. Von den mit Blut vermischten Fäzesproben (s. Tabelle Seite 86),
in welchen keine Dysenteriebazillen gefunden wurden, weiss ich in den
meisten Fällen nicht einmal, ob sie nicht möglicherweise schliesslich von
Patienten mit Darmtuberkulose, blutenden Darmtumoren, Hämorrhoiden
oder dergleichen stammen. Jedenfalls sind alle diese Proben, mit Aus¬
nahme einer vereinzelten, ringsherum vom Lande zugesandt worden und
dann längere Zeit unterwegs gewesen; dieses Umstandes wegen ist der
negative Ausfall der Untersuchung weniger wertvoll.
Weil indessen die blutige Abführung bei der Kindercholerine ent¬
schieden ein Symptom ist, welches auf Dysenteriebazilleninfektion schliessen
lässt, und es sich gezeigt hat, dass diese Infektion eine verhältnismässig
bedeutende Ausbreitung auch bei den Erwachsenen aufweist, bei welchen
sie in vielen Fällen mit blutiger Abführung zusammen aufgetreten ist,
wird es unzweifelhaft berechtigt sein, in allen Fällen mit mehr oder
weniger blutigem Stuhl, wo keine anderen bestimmten Ur¬
sachen wie Typhus, Tuberkulose, Tumoren, Hämorrhoiden usw.
nachgewiesen werden können, vor allen Dingen an eine Dys¬
enteriebazilleninfektion zu denken, besonders dann, wenn die
Abführung zugleich schleimig ist.
Dieses gilt nicht nur bei einer Blutung infolge akuten Darmleidens,
sondern auch, was vielleicht von noch grösserer Bedeutung sein kann,
bei chronisch verlaufenden Darmleiden.
Meine Untersuchungen deuten im ganzen darauf hin, dass die Dys¬
enteriebazilleninfektion sehr oft einen ausgesprochen chroni¬
schen Verlauf nimmt und unzweifelhaft in der Form einer soge¬
nannten Kolitis verlaufen kann. Weil es überhaupt kaum möglich sein
wird, die grosse Verbreitung der Infektion z. B. bei kleinen Kindern zu
erklären, ohne die Vermutung, dass zahlreiche Menschen mit einer solchen
Kolitis umhergehen, welche jedenfalls zeitweise eine infektionsgefährliche
Abführung geben kann, wird es für die Aerzte die wichtigste Aufgabe
sein, die Aufmerksamkeit des Kolitis-Patienten auf diese even¬
tuelle Ansteckungsgefahr für ihre Kinder und Verwandten hin¬
zuleiten, namentlich dann, wenn die Abführung ausser Schleim
zugleich ab und zu Blut enthält.
Wie es bereits von früheren Untersuchern nachgewiesen ist und wie es
nun auch bei meinen Untersuchungen bestätigt ist, liegt eine Dysente¬
riebazilleninfektion sehr oft in Fällen vor, in welchen die kli-
Original from
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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 111
nische Diagnose Dysenterie nicht mit Recht angewendet wer¬
den kann. Dies gilt nicht nur für die mehr chronisch verlaufenden Formen,
sondern auch für die akuten, in welchen die Infektion vielleicht nur bei
vorübergehender, leicht schleimiger Diarrhöe sich zeigt. Man muss sich
dann klar machen, dass eine Dysenteriebazilleninfektion keineswegs mit
Dysenterie gleichwertig ist. Nur so wird der häufige Nachweis dieser In¬
fektion hier zu Lande verständlich.
Weil die Infektion nach meinen Untersuchungen als eine so häufige
angesehen werden muss, sind selbstverständlich die ausserordentlich ge¬
strengen Forderungen, welche z. B. von deutschen Verfassern (Mayer,
Simon u. a.) wegen der Ansteckungsgefahr an Individuen mit Dysenterie¬
bazillen in der Abführung oder an Rekonvaleszenten nach der Infektion
gestellt werden, ganz undurchführbar. Eine Isolierung von Rekonvales¬
zenten so lange vorzunehmen, dass dieselben sich bei einer oft wieder¬
holten Untersuchung drei Monate hindurch bazillenfrei gezeigt haben, wie
Mayer es schon 1910 fordert, wird ja nicht möglich sein. Glück¬
licherweise ist ja solches auch nicht notwendig; algemeine Vorsicht
und Reinlichkeit bei der Abführung wird hinreichend sein
und strengere Verhaltungsmassregeln müssen allein für solche
Fälle reserviert werden, welche Veranlassung zur Ausbreitung
der Epidemie geben, und bei welchen man sonst nicht die
Infektionsquelle beseitigen kann.
Um eine Verwirrung zu vermeiden, dürfte es nach dem Obenstehen¬
den im höchsten Grade notwendig scheinen, andere Benennungen für
diese Infektion als Dysenterie und Dysenteriebazillen anzuwenden. Die
Gefahr, eine Terminologie zu ändern, ist in diesem Falle nicht so gross,
weil doch ein bestimmter Name noch nicht angenommen ist.
Pseudodysenterie (und Pseudodysenteriebazillen) scheinen mir
nicht brauchbar, indem man sehr wohl auch klinische echte Dysenterie
durch diese Infektion bedingt, antreffen kann.
Dagegen scheinen mir die Namen Paradysenterie und Para-
dysenteriebazillen viel eher in dieser Verbindung brauchbar, und zwar
besonders weil bei dieser Infektion das Verhältnis zwischen dem Krank¬
heitsbilde und der wirklichen Dysenterie (Shiga-Kruse) in der Regel
ganz dasselbe ist, wie zwischen Paratyphus und Typhus. Ebensowohl
wie Paratyphus gelegentlich in schweren typhusähnlichen Fällen auftritt,
so kann auch Paradysenterie mitunter ganz an Dysenterie erinnern, aber
Paratyphus wie auch Paradysenterie sind in der Regel sehr viel milder
verlaufende Infektionen als Typhus bzw. Dysenterie (Shiga-Kruse).
Wenn wirklich bakteriologisch, klinisch und epidemiologisch ein charak¬
teristischer Unterschied zwischen den beiden dysenterieähnlichen Krank¬
heiten vorliegt, wäre es auch in Uebereinstimmung mit den gegenwärtigen
Forderungen eine Krankheit nach ihrer Aetiologie zu benennen, passend,
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Original fro-m
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112 CA KL SONNE, Beobachtungen über Dysenteriebazilleninfektion.
diesem einen bestimmten Ausdruck in der Benennung der Krankheit zu
geben.
Dass Kruse und seine Schüler mit diesem Namen ganz andere,
vielleicht gar nicht pathogene Bazillen gemeint haben, ein paar Jahre
nachdem der Name vorgeschlagen worden ist (Park, Liefmann und
Nieter u. a.), macht doch diesen Namen nicht weniger brauchbar, ebenso
wie das—jedenfalls in klinischer Beziehung ganz unwesentliche — Ver¬
hältnis, dass Paratyphusbazillen in Glukosenährböden Gas produzieren,
was bei Typhusbazillen dagegen nicht der Fall ist, während sowohl Dys¬
enteriebazillen (Shiga-Kruse) als auch Paradysenteriebazillen kein Gas
entwickeln.
In Fällen, wo Paradysenterie in grossen Epidemien auftritt, und
wo der Nachweis der Infektionsquelle schwierig sein wird, lassen sich
immer strenge Vorbeugungmasssregeln treffen, wie man es jetzt auf
ähnliche Weise bei Paratyphusepidemien oder ähnlichen Infektionen tut.
Literatur: Siehe Lentz, Handbuch der pathogenen Mikroorganis¬
men (Kolle und Wassermann). 1913.
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VII.
Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania
(Prof. Dr. S. Torup).
Kolorimetrisehe HarDsäurebestiimmmgen im Harn.
Von
H. F. Höst, Amanuensis.
(Mit 1 Kurve im Text.)
Die bisherigen, zur Bestimmung von Harnsäure angewandten Ver¬
fahren (Salkowski-Ludwig, Krüger-Schmidt, Hopkins usw.) be¬
anspruchen, wie bekannt, nicht geringe Zeit und Mühe. Bei der wachsenden
Bedeutung, welche die quantitativen Harnsäurebestimmungen für Diagnose
und Therapie erlangt haben, sind einfachere und schnellere Verfahren
daher zur Notwendigkeit geworden.
Im Jahre 1912 brachten Riegler 1 ) sowie Folin und Macallum 2 )
fast gleichzeitig zwei kolorimetrisehe Verfahren in die Oeffentlichkeit, die
beide gleich einfach, leicht und schnell ausführbar sind. Falls sich diese
ebenso zuverlässig und genau wie einfach erweisen, würden sie zweifels¬
ohne die Forderungen, die an eine gute klinische Methode zur Harnsäure¬
bestimmung zu stellen sind, erfüllt haben. Nun hat Riegler aber,
soweit ersichtlich, sein Verfahren keiner eingehenderen Prüfung unter
wechselnden Verhältnissen unterzogen, und Folin und Macallum haben
das ihrige nur innerhalb enger Grenzen und an normalem Harn erprobt.
Ich habe daher beide zum Gegenstand sorgfältigerer Prüfung gemacht,
was ich im weiteren erläutern werde.
Nachdem diese Arbeit im wesentlichen beendigt war, haben Auten-
rieth und Funk 3 ) ein neues Verfahren veröffentlicht, das ebenfalls sehr
brauchbar erscheint, wo ein Ergebnis aber erst am nächsten Tag vorliegt.
Das Prinzip der Rieglerschen Methode beruht auf der blauen
Farbe, die sich bildet, wenn Harnsäure mit Phosphormolybdänsäure und
Dinatriumphosphat behandelt wird. Die Reaktion ist wohl der reduzierenden
Kraft der Harnsäure zuzuschreiben.
Neben der Harnsäure rufen auch die normal ira Harn auftretenden
Phenole — die Mono- sowohl wie die Di- und Polyphenole —, sobald sie
1) Zeitschr. f. analytische Chemie. Bd. 51. S. 466.
2) Journ. of biolog. Chemistry. XII.
3) Münchener med. Wochenschr. 1914. Nr. 9.
Zeitschr. f. klin. Mediiin. 81. Bd. H. 1 u. 2. 3
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114 H. F. HÖST,
nach Riegler behandelt werden, blaue Farbstoffe hervor; dies ist jedoch
nicht der Fall mit den Eiweissstoffen, den Kreatinen und mit Zucker,
wenn nicht stärkeres Alkali, z. B. NaOH anstatt Dinatriumphosphat zur
Anwendung kommt.
Meine Untersuchungen haben zudem erwiesen, dass auch Lösungen
von Glykokoll, Allantoin und Hippursäure, wenn nach Rieglers Methode
behandelt, nicht reagieren.
Bei Anwendung des Verfahrens wird zunächst die Farbenintensität
bestimmt, die entsteht, wenn 1 ccm Harn unter Zusatz von 2 ccm
lOproz. Phosphormolybdänsäurelösung und 7 ccm 5 proz. Dinatpum-
phosphatlösung bis zum Kochpunkt erhitzt und darauf abgekühlt wird,
indem Vergleiche angestellt werden mit der Farbflüssigkeit, die sich bei
der Behandlung von 1 ccm 1 prom. Harnsäurelösung (= 1 mg Harnsäure)
mit denselben Reagentien bildet.
In einer anderen Probe des Harns wird sodann die Harnsäure durch
Sättigung mit Ammoniumchlorid ausgefällt, und man bestimmt die Farbe,
die in diesem nicht harnsäurehaltigen Teil des Harns entsteht. Dieser
letztere Wert wird dann vom ersteren abgezogen, und das Ergebnis stellt
die vorhandene Harnsäureraenge dar.
Diese zweifachen Bestimmungen, zunächst im Harn, danach in dem
von der Harnsäure befreiten Harn, müssen jedoch als nachteilig be¬
zeichnet werden, erstens weil es beschwerlich fällt, zweitens weil man
vermittelst dieser zwei Bestimmungen leicht den Fehler noch verschlimmern
kann, mit dem man stets bei kolorimetrischen Bestimmungen rechnen
muss. Zudem zeigte es sich, dass die in der nicht harnsäurehaltigen
Harnprobe entstehende Farbe so verschieden von derjenigen der Standard¬
lösung war, dass ein Vergleich sehr schwierig und das Ergebnis dem¬
gemäss unsicher wurde.
Das Prinzip des Folin-Macallumschen Verfahrens beruht auf dei
blauen Farbe, die entsteht, wenn zur Harnsäure eine Phosphorwolfrara-
säure, deren Herstellungsweise die Verfasser näher beschreiben, zugefügt
wird und danach eine gesättigte Lösung von Natr. carbonic. Die blaue
Farbe ist sicher auch hier einer Reduktion zuzuschreiben. Den Verfassern
zufolge kommt die blaue Farbe nicht zum Vorschein, wenn das Alkali nicht
zuletzt hinzugefügt wird, woraus sie schliessen, dass Harnsäure in saurer
Flüssigkeit eine Substanz bildet, die mit Alkali blauen Farbstoff ergibt.
Meine Untersuchungen haben aber dargetan, dass sich die blaue
Farbe zeigt, auch wenn das Alkali vor dem Reagens hinzugefügt wird,
wenn dieselbe auch nicht ganz so kräftig ist, als wenn das Alkali zuletzt
kommt; es mag dies daran liegen, dass ein Teil der Harnsäure durch
das starke Alkali gespalten wird.
Eiweissstoffe, Monophenole und Allantoin ergeben, wenn nach Folin
behandelt, keine Färbung, ebenso reagieren, meinen Untersuchungen zu¬
folge, Hippursäure und Glykokoll nicht.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Kolorimetrische Harnsäurobestimmungen im Harn. 115
Bei Anwendung des Verfahrens werden 2—5 ccm — „tlie amount
depending upon the spec. gravity“ — nach Zusatz von 1 Tropfen ge¬
sättigter Oxalsäurelösung bis zur Trockenheit eingedämpft, nun extrahiert
man mit Aetheralkohol, worauf das Residuum in Wasser, dem ein Tropfen
konz. Sodalösung zugesetzt ist, aufgelöst wird; 2 ccm des Phosphor¬
wolframsäurereagens werden hinzugefügt sowie 20 ccm gesättigte Soda¬
lösung und die Farbe kommt zum Vorschein.
Vergleiche zieht man mit einer Standardflüssigkeit, die durch die
Behandlung von 1 mg Harnsäure mit den obigen Mengen des Phosplior-
wolframsäurcreagens und Soda hergestellt wird.
Beiden Farbflüssigkeiten wird, ehe ein Vergleich angestellt wird,
Wasser bis zu 100 ccm aufgefüllt.
Meine nach dieser Methode vorgenommenen Versuche erwiesen jedoch
sofort, dass die Harnsäuremengen, wenn aufs Tausend berechnet, je
***• 2
wie<)ey*K >\ % 0
JCavas -
u re-. /, t
U
1 ,6
V
/,*
/,3
1,2
V
nach der angewandten Menge (2—5 ccm) des Harns schwankten. Um
hier auf den Grund zu kommen, wurde daher die Methode zunächst ver¬
mittelst bestimmter Mengen Harnsäure nachgeprüft, wozu man sich der
Harnsäurestandardlösung des Verfassers bediente (1 pM. durch Lithium¬
karbonat aufgelöste Harnsäure, vgl. den späteren Text). Es stellte sich
nun heraus, dass bei Harnsäuremengen von 0,10—1 mg eine Farben¬
intensität vorhanden war, die mit derjenigen der untersuchten Mengen
proportional war, sobald jedoch mehr als 1 mg zur Verwendung kam,
entstand eine relativ weniger intensive Farbe und zwar in desto höherem
Masse, je mehr Harnsäure verwendet wurde.
Die Ergebnisse meiner Versuche sind in der beigegebenen Kurve
veranschaulicht, wo die Abszissen die Harnsäuremengen vorstellen und
die Ordinaten die Farbenintensität.
Danach wurde die Methode von neuem und zwar wechselnden Harn¬
mengen gegenüber untersucht (2—5 ccm, teilweise auch 1—5 ccm), wobei
8*
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116
H. F. HOST,
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als Kontrollmittel das „modifizierte Rieglersche Verfahren“ (vgl. später),
teilweise auch Hopkin-Wörners Methode benutzt wurde 1 ). Hierbei er¬
wies es sich als konstant, dass die pro Mille berechneten Harnsäure-
raenge am grössten war, wenn kleine Harnmengen (1—2 ccm) unter¬
sucht wurden, am geringsten, sobald grössere Mengen (4—5 ccm) zur
Verwendung kamen (vgl. Tabelle I).
Tabelle I.
Folin-Macallumsche Methode.
Harn
pM. Ha
in folg«
1 ccm
rn säure,
inden w<
wa
2 ccm
wenn zur Reaktion Harn
3chselnden Mengen vcr-
mdt wird:
3 ccm | 4 ccm | 5 ccm
Modifiziert
Riegler
Hopkin-
Wörner
Spez.
Gewicht
I
_
0,33
0,34
0,32
0,28
0,29 0,30
0,32
1012
11
0,87
0,80
0,62
0,51
0,49
0,61 0,62
—
1025
III
0,67
0,61
0,54
0,40
0,38
0,32 0,32
—
1019
IV
0,77
0,62
0 50
0,46
0,38
0,59 0,58
—
1024
V
0,63
0,59
0,50
0,43
0,35
0,34
—
1023
VI
—
0,67
0,52
0,46
0,41
0,49
—
1026
Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, fallen die relativen Harnsäurc-
raengen allmählich, je nach den steigenden zur Untersuchung kommenden
Harnmengen; dies ist stets zutage getreten bei den etwa 30 Harnproben,
die ich zur Prüfung der Folin-Macallumschen Methode verwandte;
als einzige Ausnahme ist der Harn I zu betrachten, wo der Abfall erst
bei 5 ccm erfolgte. Die tatsächlich vorhandenen, durch „modifiziert
Riegler“ oder „Hopkin-Wörner“ bestimmten Harnsäuremengen habe ich
auch vermittelst des Folin-Macallumschen Verfahrens gefunden, falls ich
mich bei jeder Harnprobe an ein bestimmtes Volumen hielt, das, wie es
sich erwies, stets innerhalb der von den Verfassern angegebenen Grenzen
(2—5 ccm) lag. Indessen habe ich nicht, wie die Verfasser, bestimmte
Beziehungen zwischen den Harnmengen, die man zur Feststellung der
richtigen Werte benutzen muss, und dem spezifischen Gewicht gefunden;
die Arbeit der Verfasser besagt zudem nicht, in welcher Weise man vom
spezifischen Gewicht auf die zu benutzenden Harnmengen zu schliessen
hat. Selbstverständlich kann aber ein konstantes Verhältnis zwischen
den Harnsäuremengen und dem spezifischen Gewicht nicht bestehen, dies
kann demnach auch hinsichtlich der zu benutzenden Harnmengen nicht
als Richtschnur dienen.
Der Grund für die zu kleinen Werte, die ich oft bei der Benutzung
grösserer Harnmengen (4—5 ccm) erzielte, ist zweifelsohne dem Umstand
zuzuschreiben, dass das Phosphorwolframsäurereagens den absolut be¬
trachtet grösseren Harnsäuremengen gegenüber versagt, da sich das Ver¬
hältnis hier sowohl wie bei der Probe mit reiner Harnsäure wieder her-
steilen lässt, wenn man die Reagenzmenge steigert; es scheint indessen,
1) Hoppe-Seylers Zeitschr. Bd. 29. S. 70.
Original from
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Kolorimetrische Harnsäurebestimmungen im Harn.
117
als versage das Reagens reiner Harnsäure gegenüber früher als bei der
Harnsäure im Harn (vgl. die Tabelle).
Dass die Sache „ aber nicht so ganz einfach ist, zeigt sich darin,
dass man zu hohe Werte bei der Verwendung ganz kleiner Harnmengen
(1—2 ccm) findet. Eine Erklärung dieses Umstandes lässt sich meinen
Versuchen nicht entnehmen. Natürlich macht dies die Anwendung des
Verfahrens höchst unsicher, da man sich im voraus über die Harnsäure¬
menge keine Ansicht bilden kann.
Was das Folin-Macallumsche Verfahren sonst betrifft, so erschwert
das Eindämpfen bis zur Trockenheit und die Aether-Alkoholextraktion,
jedenfalls dem praktizierenden Arzt, die Ausführung. Auch geschieht es
oft, dass die beiden miteinander zu vergleichenden Flüssigkeiten einen
ziemlich verschiedenen Farbenton haben, indem die Standardflüssigkeit
grünblau ist, und die durch Zusetzung vom Reagens zum Harn ent¬
stehende graublau (bei diffusem Tageslicht), so dass ein genauer Vergleich
erschwert wird.
Es geht demnach aus diesen Untersuchungen hervor, dass die Folin-
Macallumsche Methode, von mir ausgeführt, weniger gute Ergebnisse ge¬
bracht hat, während dagegen Rieglers Verfahren für klinische Zwecke
durchaus anwendbar ist; doch muss man es einen Mangel nennen, dass
die in der harnsäurefreien Harnprobe gewonnene Farbe ziemlich ver¬
schieden von derjenigen der Standardflüssigkeit ist, was wesentlich dazu
beiträgt, das Verfahren weniger genau zu machen.
Ich habe deshalb versucht Rieglers Verfahren zu modifizieren, und
dadurch einfacher und genauer zu machen.
Bekanntlich wird, wenn der Harn mit Ammoniumchlorid gesättigt
wird, die Harnsäure als Ammoniumurat ausgefällt, und dieses Umstandes
bedient sich die Hopkin-Wörnersche Methode, wie ihn auch Riegler für
die Entfernung der Harnsäure aus dem Harn zur Verwendung bringt.
Statt nun wie Riegler die Hamsäuremenge indirekt zu bestimmen,
habe ich die Harnsäure als Ammoniumurat ausgefällt und den kolori-
metrischen Wert hiervon direkt bestimmt. Vorerst musste ich mich aber
davon überzeugen, dass Ammoniurachlorid auf die gebildete blaue Farbe
keinen Einfluss haben würde, und dies traf, wie es sich erwies, zu.
Bei dieser Modifikation des Rieglerschen Verfahrens habe ich mich
derselben Reagentien wie Riegler selbst bedient, doch habe ich bei der
Herstellung von Harnsäurelösung der Folinsehen Methode den Vorzug
gegeben.
Das endgültige Verfahren gestaltet sich wie folgt:
Reagentien:
1. lprom. Harnsäurelösung. 0,10 g Harnsäure Chemisch rein) wird abgewogen, ver¬
mittelst etwas destillierten Wassers in einen Messkolben von 100 ccm gebracht,
10 ccm 0,4 proz. Lithiumkarbonatlösung hinzugefügt und das Ganze im Wasser-
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118 II. F. HÖST,
bad 10—15 Minuten lang erhitzt, bis sich die Harnsäure aufgelöst hat, worauf der
Kolben bis zum Merkzeichen gefüllt wird.
Polin und Macall um geben an, dass die Harnsäure sich bei alleinigem
Schütteln bis zu einer Stunde auf löst; selbst bei mehrstündigem Schütteln an
mehreren Tagen hintereinander ist es mir nicht geglüokt, die Harnsäure ohne Er¬
hitzung aufzulösen.
Diese Harnsäurelösung ist, obschon auoh sie sich nicht länger als etwa eine
Woche lang hält, doch haltbarer als die Rieglers.
2. 10 proz. Phosphormolybdänsäurelösung; diese scheint sehr haltbar zu sein.
3. 20 proz. Ammoniumsulfatlösung zum Auswaschen.
4. 5 proz. Dinatriumphosphatlösung.
5. Chlorammonium in Pulvern zu 0,3 oder 0,6 g, je nachdem 1 oder 2 ccm Harn zur
Untersuchung kommen.
Zwecks kolorimetrischer Vergleichsanstellungen bediene man sich
eines beliebigen Kolorimeters. Ich wählte das Wolffsche Kolorimeter
mit ziemlich weiten, grossen Zylindergläsern und fand es demzufolge
zweckmässig, 2 ccm Harn für die Untersuchung zu verwenden.
Verfahren: 2 ccm Harn (klar, wenn nicht dies, erhitzt und filtriert)
werden mit der Pipette in ein Reagenzglas gemessen, wo 20 ccm ab¬
merkt sind; 0,6 g Ammoniumchlorid werden hinzugefügt und das Ganze
wird zu etwa 40 0 erhitzt. Nach halbstündigem oder längerem Ruhen
wird es durch ein kleines Filter filtriert, worauf Reagenzglas und Filter
4—5 mal mit etwa 2—3 ccm Ammoniumsulfat nachgespült werden.
Darauf wird der Trichter in das erste Reagenzglas (in dem der Harn
mit Ammoniurachlorid erhitzt wurde) gesetzt und das Filter wird mit
15 ccm kochender Dinatriumphosphatlösung ausgespült, wodurch das
Ammoniumurat zur Auflösung kommt. Zum Filtrat werden 4 ccm
Phosphormolybdänsäurelösung getan, worauf das Glas bis hinauf zu 20 ccm
mit Dinatriumphosphatlösung gefüllt wird. Nun erhitzt man das Ganze
bis zum Kochpunkt und vergleicht es nach der Abkühlung mit der
Standardflüssigkeit, die durch die Behandlung von 2 ccm Harnsäurelösung
(gleich 2 mg Harnsäure) mit 4 ccm Phosphormolybdänsäurelösung und
14 ccm Dinatriumphosphatlösung in derselben Weise hergestellt wird wie
bei der Harnprobe (Erhitzung — Abkühlung).
Abgesehen von der halben Stunde, in der das Ammoniumurat aus¬
gefällt wird, erfordert dieses Verfahren kaum längere Zeit als 10 bis
15 Minuten.
Zunächst wurde die Methode auf ihre relative Genauigkeit hin unter¬
sucht, und als Belege hierfür sind die Harnproben I und II der Tabelle II
anzuschen.
Danach wurde die absolute Genauigkeit der Methode und zwar teil¬
weise an normalen, teilweise an pathologischen Harnproben geprüft; als
Kontrolle diente die Hopkin-Wörnersche Methode.
Der Tabelle 11, wo mehrere Ziffern in ein und derselben Rubrik
doppelte, bzw. einfache Analysen bezeichnen, ist zu entnehmen, dass die
Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Kolorimotrische Harnsäurebestinmningen im Harn. 119
Tabelle II.
Hopkin-
Wörner
Modifiziert Riegler
i- 1
r Harn I.
i) 0,79
2 ) 0,80
3 ) 0,80
4 ) 0,81
1s o 1
i Harn II.
-
-
!) 0,58
2 ) 0,59
3, 0,58
*) 0,59
E * <
Harn III.
i) 0,60
-) 0,62
i) 0,64
2) 0,66
o W l
* 1
| Harn IV.
0,62
9 0,79
i) 0,60
2) 0,61
‘ Harn V.
2 ) 0,79
1 ) 0,71
2) 0,72
Ö
• 5* /
Harn VI (Leukämie) . .
1,38
i) 1,39
2 ; 1,46
o
O® '
1 Harn VII (Leukämie) . .
0,89
i) 0,89
2) 0,90
■■>) 0,90
*) 0.90
t~\ I-l ,
7a O (
Harn VII (Diabetes) . .
i) 0,60
2 ) 0,56
9 0,57
2) 0,58
3 ; 0,57
0,57
(6 J3 ,
pL, % |
| Harn VIII (Albuminurie)
i) 0,36
2) 0,36
») 0,31
2) 0,31
‘So
Harn IX (Albuminurie) .
9 0,28
2 ) 0,31
i) 0,27
2 ) 0,27
Analysen sehr gut miteinander stimmen, wie sie auch, praktisch be¬
trachtet, dieselben Ergebnisse wie die Hopkin-Wörnersche Methode
bringen. Aus eiweisshaltigen Harnproben muss das Eiweiss erst durch
Kochen mit Essigsäure ausgefällt werden.
Ausser klinischen Zwecken völlig zu genügen, ist dies umgestaltete
Rieglersche Verfahren so einfach und bequem, dass nicht nur Klinikern,
sondern auch praktizierenden Aerzten damit gedient sein wird. Ein
Kolorimeter ist zur Ausführung nicht unbedingt notwendig. Verdünnt
man die am stärksten gefärbte Flüssigkeit in zwei gleich dicken Reagenz¬
oder Zylindergläsern, bis die Farbe gleich erscheint, so ist der Harnsäure¬
gehalt unmittelbar proportional zur Flüssigkeitshöhe; man erzielt auf
diese Weise fast ebenso gute Ergebnisse wie vermittelst des Kolorimeters.
Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen mit der Folin-Macalluru¬
schen Methode erweist das Phosphormolybdänsäurereagens hier mit Leichtig¬
keit Harnsäuremengen, die nur spurenweise und bis zu 2pM. vorhanden
sind. Hierzu kommt, dass das Verfahren reichlich so handlich ist wie
die Folin-Macallumsche und die eigentliche Rieglersche Methode,
ferner, dass die gewonnene Standardflüssigkeit sich länger ( l l 2 —1 Stunde)
hält als die Folin-Macallumsche Standardflüssigkeit (die im Laufe einer
Viertelstunde erheblich einschwindet), und endlich, dass dies Verfahren
mehr identische Farben ergibt — da die Harnsäure hier im Gegensatz
zu den beiden andern Methoden isoliert wird —, so dass bessere Ver¬
gleiche angestellt werden können.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
VIII.
Aus der medizinischen Klinik R. von Jak sch in Prag.
Klinische Beobachtungen
zur Kenntnis des Status lymphaticus und Beziehungen
desselben zur pluriglandulären Erkrankung.
Von
Privatdozent Dr. Hugo Pribram,
I. Assistenten der Klinik.
(Mit 3 Abbildungen im Text.)
Seit den Beobachtungen von A. Paltauf, Wiesel und Bartel hat eine
grosse Reihe von Autoren sich mit der Frage des Status thymicolymphaticus
und hypoplasticus beschäftigt. So einfach es in der Regel für den patho¬
logischen Anatomen ist, die Diagnose auf Status lymphaticus zu stellen,
so schwierig ist es in der Regel für den Kliniker. Die Schwierigkeit
liegt einerseits darin, dass eine Reihe von Manifestationen des Status
lymphaticus an Organen lokalisiert ist, die bei der Untersuchung des
Kranken nicht direkt zugänglich sind, andererseits darin, dass es sich
beim Status lymphaticus nicht um ein wohlumgrenztes Krankheitsbild
handelt, sondern um eine Reihe mehr oder weniger wichtiger Zeichen
somatischer Minderwertigkeit, die im Verlauf des Lebens sich ändern
können und die nicht scharf von den Verhältnissen beim gesunden
Menschen abgegrenzt sind, sondern wohl in allmählich absteigender Reihe
in das Normale übergehen können.
Es ist für die Feststellung des Status lymphaticus eine eingehende
zeitraubende Untersuchung des Kranken mit den physikalischen, rönt¬
genologischen, chemischen, laryngologischen und anderen Untersuchungs¬
methoden nötig, und bei aller Mühe werden die leichteren Fälle sehr oft
der Diagnose entgehen. Ueber die Wichtigkeit der Feststellung des
Status lymphaticus, des Status thymicus und hypoplasticus wegen der
Gefahren, denen sein Träger ausgesetzt ist (Narkose, verminderte Wider¬
standskraft bei körperlicher Inanspruchnahme, Verlauf der Infektions¬
krankheiten, Gefährlichkeit der Salvarsaninjektionen) soll nicht gesprochen
werden; darüber ist schon vieles bekannt.
Trotzdem in letzter Zeit von mehreren Autoren systematische Unter¬
suchungen an einer grossen Zahl von Lymphatikern gemacht wurden
(ich nenne nur die Namen Störk und Horak, Kahler), so erschienen
weitere Beobachtungen um so mehr erwünscht, als die meisten bisherigen
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Original from
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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus. 121
Untersuchungen aus Wien stammen, und die Verbreitung des Status und
seine Konkurrenz mit anderen Krankheiten in verschiedenen Gegenden
recht verschieden zu sein scheint, wenigstens sprechen dafür die Befunde
Zellwegers. Ich habe deshalb sowohl in der Ambulanz als auf der
Klinik von Jaksch das gesamte durch meine Hände gehende Material,
aus äusseren Gründen waren es bloss weibliche Kranke, diesbezüglich
untersucht.
Es waren dies etwa 2500 Kranke, die ich seit Oktober vergangenen
Jahres untersucht habe. Für die Beurteilung des Status lymphaticus
waren nur die jüngeren Kranken geeignet. Unter diesen wurden 150 Kranke,
die mehrere für Status lymphaticus charakteristische Symptome aufwiesen,
gründliehst untersucht.
Zuerst seien einige im allgemeinen als wichtig für den Status lympha¬
ticus und thymicus angesehenen Symptome, von denen jedoch keines
obligatorisch ist, kurz angeführt:
1. Allgemeines: Die Körperlänge soll die Spannweite übertreffen, die
Oberlänge und die Extremitätenlänge soll vergrössert sein, die Fett¬
verteilung der des anderen Geschlechts sich nähern, die Psyche soll
etwas infantil sein. Die Alkoholtoleranz ist vermindert.
2. Gesicht: Der Unterkiefer und die Processus mastoidei sollen weniger
entwickelt sein, das Gebiss Defekte, Schmelzdefekte und Stellungs¬
anomalien zeigen. Der Gaumen ist hoch, Tonsillen, Rachenmandeln
und Zungenpapillen sind vergrössert, die Epiglottis ist infantil oder
omegaförmig. Das Auge zeigt Epicanthus, exzentrische Pupillen,
regelrecht gefärbte Irides. Die Ohrläppchen sind angewachsen, der
äussere Gehörgang ist eng.
3. Hals: Schilddrüse und Halsdrüsen, ebenso die anderen Drüsen sind
vergrössert.
4. Skelett: Der Thorax ist lang und schmal, man findet Halsrippen
und eine Costa fluct. X. In der Wirbelsäule fehlt die kompensa¬
torische Lordose. Die Scapulae sind flügelförmig. Das Becken ist
heterosexuell entwickelt, das Sakrum ist schmal, das Promontorium
hoch. Brachia und Genua valga, erhaltene Epiphysen, Hyperdaktylie,
Plattfuss, Hyperextension der Ellenbeuge.
5. Behaarung: Die Achsel- und Schamhaare sind spärlich, die Ex¬
tremitäten sind behaart.
6. Brustorgane: Die Thymus ist vergrössert, die Mammae dem anderen
Geschlecht entsprechend entwickelt, oft Polymastie. Herz: Die Aorta
ist eng, Tropfenherz, niedriger^Blutdruck (Münzer), Herzpalpitationen,
diktatorische Herzschwäche.
7. Abdomen: Ptose, Distantia jugulo-pubica ist vergrössert gegenüber
der Circumferentia abdominis minima. Die Milz ist gross, die Niere
gesenkt. Es besteht Neigung zu orthostatischer Albuminurie und
alimentärer Glykosurie.
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HUGO PR1BRAM,
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8. Blut: Neutropenie, Lymphozytose und Eosinophilie.
9. Genitale: Kryptorchismus, Genitalhypoplasie, Menstruationsstörungen,
heterosexuelle sekundäre Geschlechtsmerkmale.
10. Disposition zu anderen Erkrankungen und modifizierter (erschwerter)
Verlauf.
a) Infektiöse Krankheiten verlaufen schwerer.
b) Tuberkulose ist oft modifiziert, weniger Lungen- und oft andere
Organ tuberkulöse.
c) Nervenkrankheiten: Neigung zu Tetanie, Gliomen, Syringomyelie,
Hydrozephalus, Tabes, Paralyse, Myasthenie.
d) Stoffwechselkrankheiten: Diabetes, Fettsucht und Gicht.
e) Blutkrankheiten: perniziöse Anämie, Leukämie, Chlorose.
f) ßlutdrüsenerkrankungen; Basedow, Addison, Osteomalazie.
g) Urogenitalerkrankungen: Nephritis, Eklampsie.
h) Lunge: Asthma bronchiale, juveniles Emphysem.
i) Haut: Hämangiome, Ekzeme.
k) Darm: Appendizitis.
l) Tumoren.
Bei den Untersuchungen, die sich hauptsächlich auf ambulatorische
Kränke erstreckten, war selbstverständlich eine alles umfassende Unter¬
suchung meist nicht möglich. In folgendem seien die wichtigsten Be¬
funde kurz angegeben.
Die Spannweite war in 95 pCt. der Fälle grösser als die Körper¬
länge, und zwar betrug die Differenz bis cm. 1° 5 pCt. der Falle
war die Länge grösser oder gleich der Spannweite. Ganz ähnlich waren
jedoch die Verhältnisse bei Leuten ohne Status lymphaticus, und es muss,
wenigstens für die hierortige Bevölkerung, die relativ grosse Spannweite
als eine allgemein verbreitete Eigenschaft angesehen werden.
Die Zungengrundfollikel waren in 80 pCt. der Fälle wesentlich ver-
grössert, die Epiglottis in über ein Drittel der Fälle infantil oder omega¬
förmig. Der Blutdruck, von dem angegeben wurde, dass er in der Regel
herabgesetzt ist, war in überder Hälfte der Fälle normal (110—120 Riva-
Rocci), in je J / 4 der Fälle vergrössert oder herabgesetzt.
In 36 pCt. der Fälle waren Crines pubis und axillares vermindert
oder fehlend, in 16 pCt. der Fälle war reichliche Behaarung an den Ex¬
tremitäten, um die Mammae, in der Linea alba oder an anderen atypi¬
schen Stellen bei sonst nicht übermässiger Behaarung.
In 24 pCt. der Fälle konnte eine Wanderniere, in 12 pCt. eine Costa
fluctuans nachgewiesen werden. Zeichen von Vagotonie (Eppinger)
konnten nur in 5 Fällen beobachtet werden.
In 11 Fällen wurde eine Genitalhypoplasie nachgewiesen, weitere
11 Fälle, die gynäkologisch nicht untersucht werden konnten, wiesen
eine lange dauernde Amenorrhoe oder noch nicht eingetretene Menses auf.
ln 14 pCt. der Fälle waren die Mammae abnorm schwach entwickelt,
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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus.
123
in 4 pCt. der Fälle war eine Andeutung einer akzessorischen Mamilla
vorhanden.
Bei 30 pCt. der Fälle waren die seitlichen und hinteren Halslymph-
drüsen deutlich vergrössert, ohne dass die Anamnese irgend einen Grund
für die Vergrösserung auffinden liess.
In einem Drittel der Fälle waren sehr auffallende Genua und Brachia
valga vorhanden. Auf das Blutbild wurde ein besonderes Gewicht gelegt.
Nach den Untersuchungen Kahlers ist die Mononukleose beson¬
ders häufig.
Bei meinen Beobachtungen fanden sich in etwa 93 pCt. der Fälle
über 25 pCt. Lymphozyten. Wenn man jedoch, den Angaben Huhles
folgend, erst 40 pCt. oder 2400 pro emm als obere normale Grenze der
Lymphozytenzahl ansieht, so fand sich bloss in 13 pCt. der Fälle Lym¬
phozytose. Betreffs der Basophilen, deren Werte Kahler als schwankend
erklärt, ist zu sagen, dass in nahezu der Hälfte der Fälle die baso¬
philen Zellen etwas, wenn auch nur gering, vermehrt waren. In etwa
der Hälfte der Fälle waren die Uebergangsformen, in y 4 der Fälle die
grossen mononukleären Leukozyten vermehrt. Eine Eosinophilie fand
sich bloss in 18 pCt. der Fälle.
Recht häufig war die ßasophilie bei den Fällen mit Genitalhypo¬
plasie (11 Fälle). In fast 3 / 4 der Fälle von Genitalhypoplasie war Baso-
philie, in etwa Ve der Fälle Eosinophilie vorhanden.
Eine alimentäre Glykosurie konnte nur in etwa 6 pCt. der Fälle,
eine lordotische Albuminurie, die nur bei Individuen unter 20 Jahren
versucht wurde, in über y 3 der Fälle nachgewiesen werden.
Auf alle anderen Symptome soll hier nicht weiter eingegangen wer¬
den, da sie entweder sich als weniger konstant oder weniger charakte¬
ristisch erwiesen. Eine vergrösserte Thymus war nur in wenigen Fällen
anzunchraen oder direkt nachweisbar (Operation, Autopsie).
Unter den untersuchten Fällen wiesen eine grosse Zahl keine erheb¬
lichen Erkrankungen auf.
Auffallend oft waren unter den Lymphatikern leichte Lungenspitzen¬
affektionen, ziemlich oft auch Strumen leichten Grades vorhanden.
Von innersekretorischen Erkrankungen waren einige Fälle von Morb.
Basedowii, von Blutkrankheiten einige Fälle von Lymphogranulomatose
und viele Chlorosen unter den Lymphatikern.
Bei einer Reihe anderweitiger Kranker (mit Tabes, mit multipler Sklerose
und ähnlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems), die auf Status
lymphaticus untersucht wurden, konnte nichts gefunden werden. Auch
bei einigen Fällen von Morbus Basedowii wurden Symptome des Status
lymphaticus vermisst.
Wenn man resümiert, so ist zu sagen, dass Fälle mit vereinzelten
Symptomen des Status lymphaticus relativ häufig, dagegen, typische
symptomenreiche Fälle ziemlich selten sind.
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HUGO PRI BRAM,
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Auf eine genaue Beschreibung der von mir beobachteten Fälle soll
verzichtet werden, und nur ein Fall von Status lymphaticus und hypo-
plasticus, der mit einer Erkrankung der endokrinen Drüsen kombiniert
war, und bei dem klinisch der Status nicht nachweisbar, ausführlich mit¬
geteilt werden.
Es handelt sich um ein 24jähriges Mädchen, das im Februar 1913 auf unserer
Klinik aufgenommen worden ist.
Anamnese: Hereditäre Verhältnisse, abgesehen von einer Belastung mit Tuber¬
kulose (der Vater hat Tuberkulose, ein Bruder starb an Hirnhautentzündung), ohne
Belang.
Frühere Erkrankungen: Schafblattern und Masern in der Kindheit, Bauchfell¬
entzündung mit 14 Jahren.
Jetzige Erkrankung: Seit6Jahren Exophthalmus, seit l / 2 Jahr Herzbeschwerden.
Menses seit dem 13. Jahre regelmässig.
Status (15. 2. 1913). Pat. ist grazil, Haut feucht, Exophthalmus; die Sym¬
ptome von Graefe, Moebius und Stellwag fehlen.
Tonsillen vergrössert, Rachenreflex fehlt. Schilddrüse vergrössert, zeigt Pulsa¬
tionen. Mammae entsprechend entwickelt. Tachykardie (114 Pulse). 1. Geräusch
über allen Herzostien. Lunge normal. Bauohdecken- und Patellarreflexe lebhaft,
Dermographie, Fingertremor.
Harn: Kein Eiweiss, kein Urobilin, kein Indikan; 1,3 pCt. Zucker.
Blutbefund: 5376000 rote, 6200 weisse Blutkörperchen, 11,9 g Hgl.
Lymphozyten 45pCt., grosse mononukläre Leukozyten 5 pCt., Uebergangsformen
6 pCt., polynukleäre neutrophile Leukozyten 44 pCt.
Befund der Augenklinik mit Hertels Exophthalmometer: R.22 1 / 2 ,L.21 1 / 2 j Graefe
negativ, beim Blick nach oben tritt das Oberlid so stark zurück, dass fast die ganze
Kornea frei wird. Unregelmässiges Blinzeln.
Dekursus: 16. 2. Blutdruck (Rivä-Rocci) 152. Röntgenbefund der Thorax¬
organe normal. Im Harne 1,2 pCt. Zucker. Temperatur normal, Puls 104.
In den folgenden Tagen wird bei Eiweiss-Fettdiät mit Zulage von 1—2 Semmeln
anfänglich 57 g, später weniger Zucker ausgeschieden, bis am 27. 2. die Zucker¬
ausscheidung auf 3 g sinkt, bei einer Zufuhr von über 100 g Kohlenhydrat.
Am 28. 2. steigt die Temperatur auf 39,2° C. Angina. Zuckerausscheidung lg.
Am 2. 3. Temperatur 36,9—39°. Gemischte Diät mit einer Semmel, Trommer,
Nylander und Polarisation negativ.
3. 3. bis 4. 3. Dauernd Angina und Fieber. Zuckerausscheidung bei gleicher
Diät 3—14 g.
6. 3. Zucker negativ. Fieber.
7. 3. Kohlenhydratarme Kost. Kein Zucker. Diurese 950. Fieber.
8. 3. Kein Zucker, 0,166 pCt. Eiweiss, zahlreiche Leukozyten, spärliche Ery¬
throzyten, granulierte Zylinder, Nierenepithelien, Diurese 600, Fieber.
15. 3. Urämische Symptome. Aderlass. An der Stelle der angelegten Binde
Hauthämorrhagien.
21. 3. Urämische Symptome. Aderlass und Kochsalzinfusion.
24. 3. 0,05 pCt. Eiweiss, Schmerzen in der rechten Niere. Erbrechen. Diurese
gering.
29. 3. Temperatur und Diurese normal. Eiweiss in Spuren, kein Zucker.
30. 3. Ausscheidung von 6 g Zucker. Blutdruck 124 mm Hg.
In den nächsten Tagen nur Spuren von Eiweiss und Aussoheidung von 22 bis
43 g Zucker.
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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus. 125
13. 4. Blutbefund: 4368000 rote, 9000 weisse Blutkörperchen, 85 pCt. Hämo¬
globin. Lymphozyten 34 pCt. kleine und 3 pCt. grosse, 4 pCt. grosse mononukleäre
Leukozyten, 3 pCt. Uebergangsformen, 1 pCt. Eosinophile und 55 Neutrophile.
Mit negativem Zuckergehalte wurde Pat. am 18. 4. entlassen und weiterhin am¬
bulatorisch behandelt.
In kurzer Zeit trat wieder Glykosurie auf, die allen diätetischen Massnahmen
trotzte. Ihr Zuckergehalt blieb über 3 pCt. Eine Zeitlang wurde ihre Schilddrüse
wegen der basedowischen Herzbeschwerden mit Röntgen behandelt.
Am 28. 12. erkrankte sie an einer Periostitis mit Fieber und Prostration, am
30. 12. wurde sie wieder auf die Klinik aufgenommen.
Status vom 30. 12. Pat. ist somnolent, Exophthalmus mit Schlussinsuffizienz
der Lider. Gesicht verfallen, Nase kühl, spitz, Extremitäten kühl, Zunge trocken.
Abb. 1.
Kussmaulsches Atmen angedeutet. Schilddrüse nur wenig vergrössert zu tasten.
Tachykardie. Temperatur 37—35,6° C.
Harn: Azeton und Azetessigsäure positiv, Indikan negativ, Eiweiss und Zucker
negativ. Eiweissgehalt 0,2 pCt., Zuckergehalt 1 pCt.
Im Harnsedimente waren zahlreiche Zylinder, teils vom Typus der Külzschen
Zylinder, teils atypische. Einige Mikrophotographien von Präparaten sind abgebildet.
Die Präparate sind mit Hilfe des Tuschverfahrens 1 ) dargestellt.
Blutbefund: Erythrozyten 6500000, Leukozyten 7400, Hämoglobin 90 pCt.
Lymphozyten: kleine 30 pCt., gross 3 pCt., grosse mononukleäre Leukozyten 1 pCt.,
Uebergangsformen 4 pCt., polynukleäre neutrophile Zellen 64 pCt.
Trotz aller antikomatösen Therapie Exitus.
1) Vide H. Pribram, Prager med. Wochenschr., 1914, Nr. 39, S. 9, Genaue
Untersuchungen über das Tuschverfahren durch MUC Jokl sind im Gange.
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HUGO PRIBRAM,
Abb. 2.
Die Diagnose, die der Vorstand der Klinik R. von Jaksch, der mir den Fall
zur Publikation übcrliess, stellte, lautet: Polyglanduläre Erkrankung, und zwar Mor¬
bus Basedowii, Diabetes mellitus, AtTektion der Nebenniere (?), Nephritis (?).
Der Sektionsbefund ergab: Hochgradige Atrophie des Pankreas, Oedem des
Gehirnes, Vcrgröserung und Degeneration der Niere, Degeneration und Atrophie der
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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus.
127
Leber, Struma basedowica mit einem Lobus pyramidalis und einem normalen Lappen
darüber, zweilappige Thymus, Nebenmilz, embryonale Lappung der Nieren, Zyste
des Corpus pineale, abnorme Lappung des rechten Unterlappens, Anomalie der Koro-
narostien und der grossen Gefasse am Arkus. Partielle Obliteration der Appendix
nach Appendicitis mit Residuen von Peritonitis, Deviation des Uterus nach rechts bei
adhäsiver Pelveoperitonitis. Corpus menstruationis im linken Ovarium. Alte Angina
lacunaris mit Vergrösserung der Tonsillen und Zungengrundfollikel. Hyperplasie der
Follikel im ileum und perifollikuläre Hyperämie. Kleiner verkalkter tuberkulöser Herd
der rechten Lunge und partielle Verkalkung der rechten oberen tracheobronc.hialen
Lymphknoten. Katarrhalische Bronchitis und Pneumonie in beiden Lungen. Verknöche¬
rung der Rippenknorpel. Langschädel.
Die histologische Untersuchung, die von den Herren Doz. Dr. Luk sch, Dr.
Roman und Dr. Kraus vorgenommcn wurde, ergab im wesentlichen Folgendes:
1. Schilddrüse: Typisches Bild der Struma basedowica.
2. Hypophyse: Eigenartige Veränderungen an den eosinophilen Zellen, deren
Untersuchung noch aussteht.
3. Epithelkörperchen annähernd nicht verändert.
4. Ovarien: Zystisch verändert.
5. Corpus pineale: Zystisch erweitertes Gliom.
6. Thymus: Thymus persistens.
7. Nebenniere: Anscheinend geringer Lipoidgehalt.
Eine genaue histologische Bearbeitung des Falles wird von den drei genannten
Herren erfolgen.
Fassen wir die Befunde bei diesem Falle zusammen, so ergibt sich,
dass wir hier folgenden Symptomenkomplex vor uns haben.
Ein Mädchen mit Zeichen eines Status thymicolymphaticus und
hypoplasticus erkrankt, dank ihrer Prädisposition zu endokrinen Erkran¬
kungen an Morbus Basedowii. Dies war das erste klinisch auffällige
Symptom des ganzen Krankheitsbildes. Später schloss sich daran die
Glykosurie.
Bezüglich des Zusammenhanges von Glykosurie und Morbus Base¬
dow ist vor allem an die Arbeit von Forschbach und Severin zu
erinnern. Diese konnten bei 11 Fällen von Morbus Basedowii folgende
Beobachtungen machen. In 4 Fällen war der Kohlenhydratstoffwechsel
normal, in 2 Fällen bestand eine alimentäre Hyperglykämie ohne Gly¬
kosurie, in einem Falle bestand spontane Glykämie ohne Glykosurie, in
2 Fällen eine spontane transitorische Glykosurie und in einem Falle ein
echter Diabetes. Es ist somit die Kombination von Morbus Basedowii
mit Diabetes ziemlich selten. Bezüglich des Zusammenhanges der Koh¬
lenhydratstoffwechselstörung mit dem Morbus Basedowii meint Falta,
die Ueberfunktion der Schilddrüse bedeute eine Mehrbelastung des Pan¬
kreas, die bei ungenügender Funktionsbreite desselben zur Glykosurie
führe. Forschbach und Severin heben hervor, dass die Kohlenhydrat¬
stoffwechselstörung kein unerlässliches Symptom des Basedow darstelle,
und betonen, dass es fraglich sei, ob man berechtigt sei, eine grundsätz¬
liche Scheidung zwischen den Kohlenhydratstoffw r echselstörungen leichteren
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128 HUGO PRIBRAM, Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymph.
Grades und den schweren Formen bezüglich der Pathogenese durchzu¬
führen.
ln unserem Falle möchten wir annehmen, dass bei der bekannten
Hemmung der Pankreasfunktion durch die Schilddrüse, die Hyper- oder
dysfunktionierende Schilddrüse zu einer Insuffizienz des Pankreas, und
schliesslich zum Diabetes geführt hat.
Die Erkrankung der Nebenniere und die Zyste in der Epiphyse sind
wohl kaum in direkten Zusammenhang mit Basedow und Diabetes zu
bringen. Wir haben es also mit einem Individuum zu tun, das infolge
seiner konstitutionellen Minderwertigkeit Erkrankungen der endokrinen
Drüsen akquirierte, und zwar der Epiphyse, des chroraaffinen Systems,
der Thyreoidea und des Pankreas; es handelt sich somit um eine echte
pluriglanduläre Erkrankung.
Zusammenfassung.
Die Beobachtung einer grösseren Zahl von Fällen von Status lyra-
phaticus ergab, dass jedes einzelne Symptom isoliert nicht charakteristisch
und obligatorisch ist, dass auf das Ueberwiegen der Spannweite, auf den
Blutdruck gar kein Gewicht gelegt werden kann, dass dagegen die grossen
Zungengrundfollikel, das Verhalten der Epiglottis von grosser Wichtigkeit
sind. Im Blute war oft Lymphozytose, manchmal, und besonders bei
Genitalhypoplasie Eosinophilie und Basophilie nachweisbar.
Schliesslich wird ein Fall von pluriglandulärer Erkrankung kombi¬
niert mit Status lymphaticus und hypoplasticus genauer besprochen.
Literatur.
1) Bartel, Status thymico-lymphaticus u. hypoplasticus. Wiener klin. Wochen-
schr. 1910. Nr. 23. S. 14. 1912. Deutike. — Morbidität und Mortalität. Ebenda.
1911. — 2) Biedl, Innere Sekretion. 1913. 2. Auflage. Urban-Schwarzenberg. —
3) Eppinger in Lewandowskys Handbuch der Neurologie. 1913. — 4) Eppinger
und Hess, Vagotonie. Berlin 1910. Hirschwald. — 5) Falta, Erkrankung der Blut¬
drüsen. 1913. Springer. — 6) Forschbach und Severin, Arch. f. exp. Pharm, u.
Pathol. 1914. Bd. 75. S. 168. — 7) Hedinger, Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.
1907. Bd. 1. — 8) Huhl, Arch. f. klin. Med. 1914. Bd. 113. S. 455.-9) Kahler,
Zeitschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionslehre. 1913. Bd. 1. S. 1. — 10) A. Palt-
auf, Wiener klin. Wochenschr. 1889. Nr. 2. S. 46 und 1890. Nr. 3. S. 9. —
11) H. Pribram, Prager med. Wochensohr. 1914. Nr. 39. — 12) Schridde, Mün¬
chener med. Wochenschr. Nr. 48. — 13) Stiller, Asthenischer Symptomenkomplx.
Enke. Stuttgart 1907. — 14) Stork und Horak, Zur Klinik des Lymphatismus.
1914. Urban u. Schwarzenberg. — 15) Wiesel, Virchows Arch. 1907. Bd. 176. Zeit¬
schr. f. Heilk. 1903. Bd. 24. Lubarsch und Ostertag 1912. — 16) Zellweger,
Zeitschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionslehre. 1913. Bd. 1. S. 75 u. 193.
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Aus d. 1. deutsch, raed. Klinik in Prag (Vorstand: Prof. Dr. Rud. Schmidt).
Einige Versuchsresultate
zum Verständnisse physikalisch-chemischer Vorgänge im
Blute unter normalen und pathologischen Verhältnissen
und ihr diagnostischer Wert.
Von
Dr. Gottfried Holler,
Assistent der Klinik.
Während die Morphologie des Blutes, wenigstens soweit sie für dia¬
gnostische Zwecke in Betracht kommt, schon vollkommen ausgebaut ist,
herrscht über physikalisch-chemische Vorgänge im Blute, namentlich in
pathologischen Zuständen noch vielfach Unklarheit. Die Arbeiten nam¬
hafter Forscher auf diesem Gebiete, ich erwähne von älteren Forschern,
vor allem Hamburger mit seinem Werke über „osmotischen Druck und
Ionenlehre“, in welchem auch die osmotischen Verhältnisse im Blute einer
eingehenden Besprechung unterworfen werden, weiter die grundlegenden
Arbeiten von ßleibtreu, Eykman, Gryns, Pfeiffer, Koeppe,
v. Limbeck, Hedin, Hugo de Vries, Biernacki, Overton, Willer-
ding, Klikowitz, Steward, Roth, Lehmann, van Lier, van der
Schroeff, Oker-Blom, Zuntz, Bottazi, Hammerschmidt, Vaquez,
Alex. Schmidt, Leon Frederic, Mathieu, Urbain, Setschenow,
Loewy, Manassein, Spiro und Pemsel, Rollet, Abderhalden,
Maragliano, Castellino, Berstein, Becker, Scharffenrot, Laker,
Ducan, Malassez, Chanel, Landois, Mosso, Viola, Urcelay,
Ubbels, Ehrlich, Baumgarten, Jaquet, Gaule, Tamman, Bous¬
quet usw. ... sie alle versuchen die physikalisch-chemischen Gesetze
von Boyle-Mariotte, Gay Lussac, Avogadro, van t’Hoff, Arrhe-
nius, de Vries, Hamburger, Hittorf, Kohlrausch, Ostwald, Mit¬
scherlich, Pfeffer, Pringsheim, de Coppet usw. auch in den Ver¬
hältnissen, die im Blute herrschen, wiederzufinden. Die Ergebnisse
dieser Forscher, die ich in meiner Arbeit wiederholt zu erwähnen Ge¬
legenheit haben werde, wurden für spätere Forscher richtschnurgebend.
Von den vielen Arbeiten, die namentlich zuerst von Franzosen, später
auch von Deutschen und Italienern in der medizinischen Literatur er¬
schienen sind, befassen sich die meisten mit der Bestimmung der so¬
genannten Resistenz roter Blutkörperchen gegen hvpisotonisehe Salz-
Zeit.schr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2. q
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130
GOTTFRIED HOLLER,
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lösungen. Ich sage ausdrücklich sogenannte Resistenz, da nach meiner
Meinung dieser Ausdruck durchaus nicht befriedigen kann. Betrachten
wir in Kürze die bestehenden Verhältnisse.
Nach der herrschenden Ansicht müssen wir uns vorstellen, dass die
Blutzelle aus einem festen Gerüst (Protoplasma) besteht, zwischen wel¬
chem die interzellulare Flüssigkeit (Paraplasma) verteilt ist. Das Proto¬
plasma hat am Wasseranziehungsvermögen keinen Anteil. Nur die in¬
trazellulare Flüssigkeit, mit anderen Worten der intraglobuläre Inhalt des
Blutkörperchens, repräsentiert die osmotische Kraft desselben. Es ist
also nur die intrazellulare Flüssigkeit, welche Quellung der Zelle durch
hypisotonische und Schrumpfung durch hyperisotonische Lösungen her¬
beiführt. Unter Resistenz schlechthin können wir eigentlich nur den
Widerstand verstehen, den dieses protoplasmatische Gerüst (zugleich die
Begrenzung des Blutkörperchens) einer Quellung des Inhaltes entgegen¬
zusetzen vermag. Sicher schwebte auch dieser Gedanke den meisten For¬
schern vor. Nach der Art der Anstellung der sogenannten Resistenz¬
versuche spielt aber gerade der Widerstand dieser protoplasmatischen
Begrenzung gegen ein Quellen des Inhaltes eine nur untergeordnete Rolle
und kommen weit mehr andere Verhältnisse in Betracht. Wir müssen das,
was wir heute Resistenz roter Blutkörperchen gegenüber Salzlösungen
nennen, als eine komplexe Grösse auffassen (wie Hamburger sich aus¬
zudrücken pflegt). Wir müssen so ausser der Resistenz des Protoplasmas
den osmotischen Druck der intraglobulären Flüssigkeit, wie das prozen¬
tuale Volumen derselben im Verhältnisse zur Gcsamtblutkörperchenmasse
in Rechnung ziehen. Die überwiegende Bedeutung dieser beiden letzten
Faktoren vermögen wir nicht so leicht auszuschliessen, vor allem nicht,
wenn wir die Versuche in einer für den Kliniker handlichen und nicht
zu sehr zeitraubenden Methode anstellen.
Es ist hier, glaube ich, am Platze, Einiges über die Methoden, die
bisher zu Resistenzbestimmungen angewandt wurden, anzugeben:
Malassez und Chanel bestimmten durch einfaches Zählen, wieviel
von den Blutkörperchen in einer Blutaufschwemmung mit verdünnter Salz¬
lösung zu Grunde gegangen sind.
Landois untersucht unter Zufügung verdünnter Salzlösung ebenfalls
unter dem Mikroskop.
Erst Hamburger und kurz nach ihm von Lirabeck bereiten sich
systematisch Salzlösungen in abnehmender Konzentration, fügen zu einer
derartigen Serie von Salzlösungen tropfenweise Blut, lassen längere Zeit
stehen, oder zentrifugieren ab und notieren nach dem Absetzen die Kon¬
zentration derjenigen Kochsalzlösung, in der zum ersten Male Hämolyse
aufgetreten ist, erkenntlich an der Rotfärbung der sonst klaren Flüssig¬
keit über dem roten Bodensatz. Von Limbeck bezeichnete diese obere
Grenze im Versuch als Minimumresistenz. Er meint damit, dass hier
die am wenigsten resistenten Blutscheiben gezwungen sind, ihren Farb-
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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 131
stoff abzugeben. Analog hat dann Mosso diese Reihe fortgeführt und
hat die Konzentration derjenigen Lösung, in der die resistentesten Blut¬
körperchen ihren Farbstoff eben noch behalten, Maxiraumresistenz ge¬
nannt. Mosso begnügt sich dabei mit dem makroskopischen Nachweise
eines roten Bodensatzes.
Von diesen erwähnten Versuchsanordnungen ist von späteren For¬
schern wohl fast durchwegs die handliche Blutkörperchenmethode
Hamburgers angewendet worden; auch ich wählte dieselbe, nur findet
man bei mir einige Modifikationen, die die Anstellung des Versuches
einerseits dem Kliniker leicht verwendbar machen sollen, andererseits
uns aber auch eine bessere Vorstellung von dem geben sollen, was bei
einem derartigen Versuche in vitro vor sich geht. Dabei schwebte mir
gleichzeitig der Gedanke vor, Vorgänge im lebenden Organismus nach¬
zuahmen, für die Blutkörperchen zumindest ähnliche Bedingungen zu
schaffen, wie sie im Kreislauf herrschen, kurz möglichst wenig von den
im lebenden Organismus herrschenden Verhältnissen abzuweichen. Aus¬
schlaggebend für mich wurden die Angaben, die wir in der Literatur
über Versuche mit einerseits kohlensäurearmen, andererseits kohlensäure¬
reichen Blutkörperchen finden. Es erscheint mir notwendig, gestützt
auf ältere anerkannte Versuche, einige theoretische Erörterungen einzu¬
schalten.
Man war zuerst der Meinung, vor allem Gryns und Overton
glaubten diese Meinung durch ihre Versuche bestätigen zu können, dass
Alkalisalze, dem Blute beigemischt, in die roten Blutkörperchen nicht
eindringen. Hedin dagegen schliesst aus seinen eigenen Versuchen,
dass fixe Alkalisalze doch in geringer Menge in die Blutscheiben ein¬
dringen, dass sie aber hauptsächlich im Plasma bleiben. Oker-Blom
erklärte auf Grund von Leitfähigkeitbestimmungen, dass KCl, MgS0 4 ,
K 2 S0 4 .im Serum aufgelöst und dem Blute hinzugefügt, in unbedeutendem
Masse in die Blutkörperchen eindringen, während Ammoniumchlorid und
Amoniumsulfat das in viel höherem Masse tun. In der Tat zur Annahme
einer Permeabilität scheinen schliesslich die Versuche Koeppes, Willer-
dings und Hamburgers zu berechtigen. Diese Versuche sprechen da¬
für, dass die Blutkörperchen nicht für Salze als solche durchgängig sind,
sondern lediglich für Ionen, und zwar, soweit Alkalisalze in Betracht
kommen, für deren Anionen. Damit im Einklang steht der Nachweis
Gürbers, dass die Blutkörperchen dem Kalium und dem Natrium der
Alkalisalze nicht den Durchgang gestatten, und die Erfahrung, dass die
Blutkörperchen mehr Kaliumsalze, das Serum mehr Natriumsalze enthält.
Weitere Versuche von Hamburger, die durch Gürber, v. Limbeck
u. a. Bestätigung fanden, zeigten, dass in die Blutkörperchen CB ein¬
dringt und Phosphorsäure und Kohlensäure in das Serum hinübergehen,
wenn man Kohlensäure durch das Blut leitet. So ist also nach Ham¬
burger, Willerding, Koeppe u. a. die äussere Hülle der roten Blut-
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GOTTFRIED HOLLER
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körperchen nicht allein für Wasser, sondern auch für die in diesem auf¬
gelösten Salze zum Teil durchgängig, genau genommen nur für die
Anionen gewisser Salze, unter denen sie auch das NaCl nennen. Der
Ham bürgersche Kohlensäureversuch mitBlut liess sich noch überzeugender
mit Blutkörperchen ausführen, die in dem Blutkörpercheninhalt annähernd
isotonischen Salz- und Zuckerlösungen aufgeschwemmt waren. Mit diesem
Eintreten von CI' in die Blutkörperchen unter dem Einflüsse von Kohlen¬
säure stehen die Resultate von sogenannten Resistenzversuchen vollständig
im Einklänge. Wieder sind es die Arbeiten Koeppes, Hamburgers
und Willerdings, die ich durch nachstehend beschriebenen Versuch be¬
stätigen konnte.
Ich bereitete mir eine 5proz. Blutaufschweramung in 0,9proz. NaCl-
Lüsung, halbierte nach längerem Schütteln diese Aufschwemmung, leitete
durch die eine Hälfte durch längere Zeit C0 2 hindurch, während ich die
andere Hälfte ruhig an der Luft stehen liess, oder besser mit Sauerstoff
in derselben Weise vorbehandelte. Wenn wir nun mit zwei derartig vor¬
behandelten Blutaufschwemmungen parallel laufende Resistenzversuche
anstellen, so finden wir den ersten Hämoglobinaustritt bei den C0 2 reichen
Blutkörperchen in einer höher konzentrierten Kochsalzlösung als bei den
durch die 0-Vorbehandlung C0 2 arm gemachten Blutkörperchen. Gleich¬
zeitig nimmt unter dem Einflüsse der C0 2 der Cl-Gehalt der Aufschwem¬
mungsflüssigkeit deutlich ab und wird dieselbe alkalisch, v. Limbeck,
der zum ersten Male den Farbstoffaustritt unter dem Einfluss von C0 2
in der erwähnten Richtung verändert fand, verdanken wir noch die Ent¬
deckung einer weiteren wichtigen Tatsache: nämlich, dass bei Einwir¬
kung von C0 2 auf das Blut auch Wasser aus dem Serum in die Blut¬
körperchen eindringt.
Aufbauend auf diese feststehenden Resultate können wir mit Willer-
ding und Koeppc folgende Erklärung für unseren Versuch geben. Wenn
ich derartige kohlensäurereiche Blutkörperchen in Kochsalzlösung bringe,
so ist der Partialdruck der C0 3 "-Ionen im Blutkörpercheninhalt gegenüber
dem der umgebenden NaCl-Lösung ein hoher; umgekehrt ist in der
NaCl-Lösung der Partialdruck der CP-Ioncn gegenüber dem im Blut¬
körpercheninhalte ein hoher. Diese verschiedenen Partialdrucke streben
einem Ausgleich entgegen, der durch einen Austausch zwischen den
CO s Monen im Blutkörpercheninhalte einerseits und den CP-Ionen in der
Aufschwemmungsflüssigkeit andererseits zustande kommen kann, da ja
die äussere Hülle der Blutkörperchen für CP- und CO"-Ionen durchgängig
ist. Es wird also für die CP-Ionen die Tendenz bestehen, in den Blut-
körpcrcheninhalt einzudringen, während an ihrer Stelle C0 3 "-Ionen in die
umgebende Flüssigkeit austreten. Ein Austausch muss jedoch in osmo¬
tischen Verhältnissen erfolgen, das heisst, für ein zweiwertiges C0 3 "-Ion
müssen zwei einwertige Cl'-Ionen in den Blutkörperchcninhalt eintreten.
Da nun ein einwertiges Ion für den osmotischen Druck dasselbe be-
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Einige Vorsuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 133
deutet wie ein mehrwertiges Ion oder ein Molekül, so muss, da doppelt
so viel Cl'-Ionen in die Blutscheiben eintreten, als C0 3 "-Ionen austreten,
der osmotische Druck im Blutkörpercheninhalt gegenüber dem der um¬
gebenden Flüssigkeit steigen.
Bringt man nun ein derartiges Blutkörperchen in eine hypisotonische
Salzlösung, so wird es infolge der höheren osmotischen Kraft seines In¬
haltes begieriger Wasser aus der Aufschwemmungsflüsssigkeit anziehen,
rascher quellen und auch in einer höher konzentrierten Salzlösung seinen
Farbstoff abgeben müssen, als ein mit Kohlensäure nicht vorbehandeltes
Blutkörperchen.
Versuchen wir nun w r eiter eine Erkläiung zu geben für das Alkalisch¬
werden der Aufschweramungsflüssigkeit unter dem Einflüsse der Kohlen¬
säure. Auch diese ist auf Grund der Ionentheoric möglich. Fragen wir
uns da zunächst: was ist Alkaleszenz? Nach der physikalisch-chemischen
Auffassung haben wir unter Alkaleszenz die Konzentration der Hydroxyl-
ionen zu verstehen. Es reagiert z.B. eine KOH-Lösung deshalb alkalisch, weil
darin freie OH'-Ionen Vorkommen, und je höher deren Konzentration, um so
stärker auch die Alkaleszenz. Verwerten wir das nun in unserem Versuche.
Das Alkali findet sich im Blutkörpercheninhalt zum Teil als diffu-
sibles, zum Teil als nicht diffusibles Alkali. Den nicht diffusiblen Teil
stellen die Verbindungen mit organischen Stoffen. Leitet man Kohlensäure
durch Blut (oder wie in unserem Falle durch eine Blutaufschwemmung), so
geht die grössere Menge dieser Kohlensäure in die Blutkörperchen, und
es entsteht im Blutkörpercheninhalt aus den Albuminaten eine gewisse
Menge K 2 C0 3 . Durch die Wirkung der C0 2 werden hier Verbindungen
von K mit Eiweiss gelöst, und es bildet sich das diffusible K 2 C0 3 . Da
K 2 C0 3 dissoziierbar ist, entstehen weiter im Blutkörpercheninhalt freie
C0 3 "-Ionen. Nun ist der Partialdruck dieser C0 3 "-Ionen in den Blut¬
körperchen ein hoher gegenüber dem Partialdruck der C0 3 "-Ionen in der
Kochsalzlösung, wo er gleich Null ist. Die infolgedessen austretenden
C0 3 "-Ionen werden beim Uebergang in die NaCl-Lösung zum Teil hydro¬
lysiert, d. h. das C0 3 // -Ion bildet mit dem H*-Ion des Wassers das ein¬
wertige Ion HC0 3 ', und das Ion OH wird frei. Durch den Gehalt an
freien Hydroxylionen wird die alkalische Reaktion der Aufschwemmungs¬
flüssigkeit bedingt.
Analog diesen Versuchen hat dann Hamburger noch weitere Ver¬
suche ausgeführt, die die Durchlässigkeit der Blutkörperchen für ver¬
schiedene Säureanionen beweisen sollen. Zunächst beweist er dies für
das S0 4 "- und N0 3 '-Ion, aus späteren Versuchen gemeinsam mit van Li er
kommt er zu der Ansicht, dass die Blutkörperchen für die clektroncga-
tiven Säureionen von Brom- und Jodwasserstoffsäure, Salizylsäure, Oxal¬
säure. Phosphorsäure, Arsensäure, Borsäure durchlässig sind. Gleichzeilig
stellte sich heraus, dass das Eintreten dieser Säureanionen reichlicher
vor sich geht, wenn die Blutkörperchen C0 2 -gesättigt sind.
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Ich bringe hier die Resultate zweier Versuche Hamburgers mit
Salzsäure und Schwefelsäre. Zusatz von 0,005 proz. HCl oder 0,01 proz.
HoS0 4 zum Blut übt danach folgenden Einfluss aus:
1. Die mit Säure behandelten Blutkörperchen brauchen zum Fest¬
halten ihres Farbstoffes eine stärkere NaCl-Lösung als normale
rote Blutkörperchen.
2. Dass infolge der Einwirkung von verdünnter Schwefelsäure auf
Blut der Gehalt des Serums an festen Stoffen steigt.
3. Dass durch die Einwirkung* von Schwefelsäure der Chlorgehalt
des Serums abnimmt.
4. Dass das Volumen der roten Blutkörperchen unter dem Einfluss
der Säure zunimmt.
Diese durch Säuren hervorgerufenen Erscheinungen im Blute er¬
wiesen sich als reversibel. Zusatz von Alkali (z. B. 0,0622 proz. KOH)
zum Blute ruft entgegengesetzte Erscheinungon hervor:
1. Die Blutkörperchen zeigen nach Einwirkung von KOH in einer
schwächeren NaCl-Lösung Farbstoffaustritt.
2. Nach Eiuwirkung von Alkali auf Blut nimmt der Gehalt des
Serums an festen Bestandteilen ab.
3. Durch die Einwirkung von Alkali wird der Gehalt des Serums
an CI vermehrt.
4. Das Volumen der roten Blutkörperchen wird durch die Ein¬
wirkung von Alkali vermindert.
Hamburger ging dann noch weiter und zeigte durch Vergleichung
des natürlich arteriellen und venösen Blutes, dass der Einfluss der Kohlen¬
säure auf die Verteilung der Blutbestandteile auch im Kreislauf zu be¬
obachten ist, und dass ebenso der Einfluss von Alkali und Säure auch
für das Leben gilt. Bedenkt man nun, dass alle diese Versuche nur eine
vielleicht etwas grobe Nachahmung dessen sein sollen, was im Stoff¬
wechsel vor sich geht, so wird man Hamburger Recht geben, der dar¬
aus auf eine Funktion der Blutkörperchen im Stoffwechsel schliesst. Er
meint:
„Diese Durchlässigkeit der Blutkörperchen für die verschieden¬
artigsten Säureionen unter dem Einflüsse von C0 2 und die Vermehrung
der durchgelassenen Menge bei Steigerung des C0 2 -Gehalts weist den
Blutkörperchen eine bis jetzt unbekannte Funktion im Stoffwechsel an.
Denn dadurch werden Stoffwechselprodukte, welche mit Na und K (viel¬
leicht auch mit anderen Metallen) Salze bilden, unter dem Einfluss von
C0 2 aus den Gewebsflüssigkeiten in die Blutkörperchen eindringen können,
um, sobald das Blut in den Lungen dem Einfluss von Sauerstoff aus¬
gesetzt wird, in das Plasma hinüber zu wandern und den Nieren zur
Ausscheidung angeboten zu werden. In dieser Weise denke ich mir z. B.
Gck igle
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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 135
den Kreislauf des in den Geweben gebildeten und mit dem Harn aus¬
geschiedenen S0 4 . u
Dieser Gedanke leitete auch mich bei Anstellung meiner Versuche,
deren Technik folgende war:
In vorher peinlichst salzrein gemachte Glasröhrchen von ungefähr
1 cm Lichtung und 6 cm Länge wurden NaCl-Lösungen in absteigender
Konzentration eingefüllt in der Weise, dass in das erste Röhrchen 1 ccm
einer 0,9 prozentigen, in das folgende die gleiche Menge einer 0,6proz.,
dann einer 0,54proz., einer 0,52proz., 0,50proz. usw. NaCl-Lösung kam.
Es wurden jedesmal zwei solche Reihen frisch aus einer 1 proz. Koch¬
salzlösung durch Verdünnen mit destilliertem Wasser bereitet und in eigens
dazu gefertigten Stellagen aufgestellt. In der ersten Reihe (ich nenne
sie R x ) wurden in jedes Röhrchen noch 0,2 ccm einer 5 proz. Blutauf¬
schwemmung (in 0,9 proz. NaCl-Lösung) dazugegeben.
In der zweiten Reihe (ich nenne sie Rg), die also in der gleichen
Weise mit Salzlösungen gefüllt war wie R 1? kamen ebenfalls 0,2 ccm
einer Blutkörperchenaufschwemmung dazu, die aus der 5 proz. Blutauf¬
schwemmung, von der in R x nachgefüllt wurde, in der Weise hergestellt
war, dass nach dreimaligem Waschen wieder auf das frühere Volumen
der Blutaufschwemmung aufgefüllt wurde. Das Waschen und Auffüllen
erfolgt mit 0,9 proz. Kochsalzlösung. Das Waschen ist ein wohlbekannter
Vorgang, er besteht im Zentrifugieren, Absaugen der überstehenden
Flüssigkeit und Wiederaufschwemmen.
Sind beide Reihen in der eben beschriebenen Weise gefüllt und jedes
Röhrchen gut durchgebeutelt, die Aufschwemmung in jedem Röhrchen
hierdurch gleichraässig verteilt, so lasse ich sie bei Zimmertemperatur
so lange stehen, bis die Blutkörperchen sich als roter Satz am Boden
der Röhrchen angesammelt haben und die darüber stehende Flüssigkeit
vollkommen klar erscheint. Die Ablesung eines derartigen Resistenz¬
versuches kann unmittelbar nach dem Absetzen erfolgen, kann aber ohne
die Gefahr eines Fehlresultats ebenso gut bis 24 Stunden und mehr hin¬
ausgeschoben werden. Das Resultat ermittle ich in der Weise, dass ich
die Röhrchen am besten gegen ein Blatt weisses Papier halte und von
den höchst konzentrierten Lösungen nach abwärts schreitend beobachte,
in welchem Röhrchen die über dem roten Bodensatz stehende, im übrigen
vollkommen klare Flüssigkeit zum ersten Mal rötlich gefärbt ist. Die
Konzentration dieses Röhrchens notiere ich, sie gibt mir nach v. Limbeck
die Minimumresistenz an (s. o.). Ich muss hier noch folgendes hinzu¬
fügen: wenn ich z. B. die erste Hämolyse in 0,48 proz. Kochsalzlösung
gefunden habe, so notiere ich 0,48 nur dann, wenn die Rotfärbung ganz
schwach, eben wahrnehmbar ist; ist diese Rotfärbung aber intensiver,
das vorhergehende konzentriertere Röhrchen trotzdem noch vollkommen
ungefärbt, so notiere ich nicht 0,48, sondern 0,49 als Minimumresistenz.
Durch diese Art der Ablesung ist das Verfahren vereinfacht, und die.
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Resultate befriedigen für praktisch-diagnostische Zwecke vollständig. Die
Maximumresistenz wird (etwas abweichend von Mosso) in dem Röhrchen
angenommen, in dem makroskopisch kein Satz mehr sichtbar ist. Mosso
hat sie, wie schon erwähnt, dort angenommen, wo die letzten Blut¬
körperchen eben noch ihren Farbstoff behalten. Ich habe mich über¬
zeugen können, dass in dem Röhrchen, in dem makroskopisch zum ersten
Mal kein roter Satz mehr sichtbar ist, mikroskopisch immer noch ver¬
einzelt gut gefärbte Erythrozyten zu finden sind, die dann wohl als die
von Mosso am resistentesten bezeichneten aufzufassen sind.
Das gilt selbstverständlich für beide Versuchsreihen, für Rj und R 2 ,
in gleicher Weise. Versuchsfehler entstehen leicht durch ungenügendes
Aufschütteln und dadurch bedingtes ungleichmässiges Verteilen der Blut¬
körperchen in den Lösungen. Geringe Temperaturschwankungen spielen,
wie auch aus der Literatur ersiehtlich, keine Rolle, deshalb lasse ich
bei Zimmertemperatur absetzen.
Unter solchen Versuchsbedingungen findet man unter normalen Ver¬
hältnissen die Minimumresistenz in der Reihe der ungewaschenen roten
Blutkörperchen (MiR x ) schwankend von den Röhrchen 0,48—0,44, die
Maximumresistenz in derselben Reihe (MaR x ) um 0,20. Die letztere liegt
innerhalb weiterer Grenzen, schwankt wohl auch etwas unter dem Ein¬
fluss einer sehr geringen oder sehr hohen Blutkörperchenzahl, doch
kommen hierbei wesentlich wohl nur sehr ausgesprochene Polyglobulien
und Oligozytämien in Betracht.
In der Reihe der gewaschenen roten Blutkörperchen ist die Minimum¬
resistenz (MiRg) gegen MiRj häufig um 1—2 Röhrchen meiner Versuchs¬
anordnung im Sinne einer Resistenzverminderung verschoben, manchmal
dieser gleich, manchmal auch um 1 Röhrchen in entgegengesetzter Richtung
im Sinne einer Rcsistenzerhöhung verschoben. Die Maximumresistenz in
dieser Reihe (MaRg) steht fast durchweg um 2—4 Röhrchen im Sinne
einer Resistenzerhöhung verschoben.
Zur Erklärung dieser verschiedenen Resultate in beiden Reihen muss
ich wieder theoretische Erwägungen einschalten und erinnere vor allem
an den C0 2 -Versuch, sowie überhaupt an die Ergebnisse der Säure- und
Alkaliversuche Hamburgers. Willerding und Koeppe schon gaben
auf der Ionentheorie fussend eine Erklärung für die Erhöhung des
osmotischen Druckes im Blutkörpercheninhalt, die von ihnen nach Auf¬
schwemmen von Blut in physiologischer NaCl-Lösung gefunden worden
war. Mit dem Folgenden schliesse ich mich den Ausführungen dieser
beiden Forscher an. Auch die für meine Versuche aus dem Ohrläppchen
der Patienten entnommenen Blutkörperchen sind etwas kohlensäurehaltig,
enthalten neben freien C0 3 -Ionen auch noch andere austauschfähige mehr¬
wertige Ionen. Was geschieht nun, wenn ich solches Blut in 0,9 proz.
NaCl-Lösung bringe? Auch hier wird CU in die Blutkörperchen eindringen,
.während Karbonat, eventuell auch andere Ionen, dieselben verlässt. Auch
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Einige Vorsuchsresultate zum Verständnisse physik.-ehern.Vorgänge im Blute. 137
hier findet ein Austausch in isotonischen Verhältnissen statt. Es enthält
die Blutscheibe freie C0 3 ", deren Partialdruck gegenüber dem der um¬
gebenden Aufschwemmungsflüssigkeit ein hoher ist. Bei der Tendenz
dieser C0 3 ", sich gleichmässig über Blutkörperchen und Umgebung zu
verteilen, wird eine gewisse Menge versuchen, die Blutkörperchen zu ver¬
lassen; es muss aber eine äquivalente Menge gleichnamiger, also negativer
Ionen an ihre Stelle treten; nun enthält die umgebende NaCl-Lösung
freie Cl'-Ionen und zwar mehr als der Blutkörpercheninhalt, wenn wir,
wie in unserem Falle, in 0,9 proz. NaCl-Lösung aufgeschwemmt haben.
Darum wird auch für die Cl'-Ionen der NaCl-Lösung teilweise die Tendenz
bestehen, in die Blutkörperchen einzudringen. Wie ich es schon früher beim
Kohlensäureversuch beschrieben habe, wird also auch hier ein Austausch,
nur in etwas beschränkterem Masse, erfolgen. Dieser Austausch wird
aber, wie wohl leicht verständlich, ein umso gründlicherer sein, je häufiger ich
die Blutkörperchen mit frischer 0,9 proz. NaCl-Lösung in Berührung bringe,
was der Fall ist, wenn ich mit 0,9 proz. NaCl-Lösung wiederholt wasche.
Den Vorgang des Waschens muss ich hier noch etwas besprechen.
Die Blutkörperchenaufschwemmung wird 5 Minuten lang zentrifugiert,
wobei alle Blutkörperchen sich zu Boden gesetzt haben müssen, was man
daran erkennt, dass die überstehende Flüssigkeit vollständig klar ist. Ist
letztere dabei gelblich gefärbt, so handelt es sich um Gallenfarbstoff,
wenn rötlich, um Hämoglobin. In letzterem Falle müssen wir diesen
Befund im Resistenzversuch berücksichtigen, da, falls nicht im Körper
des Patienten das Hämoglobin frei geworden ist, es sich um einen Aus¬
tritt des Hämoglobins durch das Aufschwemmen in der 0,9 proz. NaCl-
Lösung handelt. Dadurch sind aber gerade die am wenigsten resistenten
Blutkörperchen bereits entfernt. Nach Absaugen der über dem roten
Satze stehenden Flüssigkeit wird unter tüchtigem Umschütteln wieder
auf das gleiche Volumen mit 0,9 proz. NaCl-Lösung aufgefüllt, den Blut¬
körperchen genügend Zeit zum Austausch gelassen, und wieder zentri¬
fugiert. Dieser Vorgang des Zentrifugierens und Wiederaufschwemmens
wird dreimal in gleicher Weise wiederholt.
Wenn durch das Waschen tatsächlich mehrwertige Ionen noch weiter
aus den Blutkörperchen austreten und durch mehr einwertige Ionen ersetzt
werden, so muss dadurch die osmotische Kraft des Inhaltes dieser Blut¬
körperchen wachsen. Bringt man nun ein derartiges Blutkörperchen in
eine hypisotonische NaCl-Lösung, so wird es vermöge der höheren osmo¬
tischen Kraft seines Inhaltes begieriger Wasser anziehen, stärker quellen
und wird im Resistenz versuch seinen Farbstoff schon in einem Röhrchen
mit höher konzentrierter Salzlösung abgeben müssen, als es in der Versuchs¬
reihe mit ungewaschenen roten Blutkörperchen der Fall ist. Ich bringe
ein dementsprechendes Beispiel:
In einem Versuche betrug die MiRj = 0,46, die MiR 2 = 0,48. Sie
sehen hier die Verschiebung der MiR 2 gegen die MiR x im Sinne einer
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Resistenzverringerung, wie sie unseren theoretischen Erörterungen ent¬
spricht. Solange dieselbe nicht mehr als höchstens zwei Röhrchen unserer
Versuchsanordnung umfasst, müssen wir, da wir einen derartigen Befund im
Blute von sich vollständig gesund fühlenden Individuen immer finden können,
physiologische Verhältnisse annehmen. Ich werde später Fälle bringen, wo
diese Verschiebung, wahrscheinlich beruhend auf einer chemischen Eigen¬
art dieser Blutkörperchen, viel höhere Grade erreicht.
Ausser dieser Aenderung des chemisch-physikalischen Zustandes des
ßlutkörpercheninhaltes besteht aber noch ein Unterschied der Verhältnisse
in der Reihe der gewaschenen und der der ungewaschenen Blutkörperchen.
Es befinden sich in Rj in der Aufschwemmungsflüssigkeit neben NaCl
auch die Bestandteile des Plasmas. Es besteht das physikalisch-chemische
Gesetz, dass, wenn zwei Elektrolyten oder ein Elektrolyt und ein Nicht¬
elektrolyt in derselben Lösung sind, sich dieselben gegenseitig in bezug
auf ihre elektrolytische Dissoziation hemmen. Je stärker aber die Disso¬
ziation, umso höher der osmotische Druck. Daher muss die osmotische
Kraft in der Aufschwemmungsflüssigkeit der R x eine geringere sein als
in der Aufschwemmungsflüssigkeit der R^, wo die Substanzen des Plasmas
durch das Waschen entfernt worden sind und sich tatsächlich nur ein
Elektrolyt, das NaCl, in Lösung befindet. Es treten also in der Rg zwei
Vorgänge mit entgegengesetzt gerichteten Vorzeichen in Kraft: die höhere
osmotische Kraft im Blutkörpercheninhalte auf der einen Seite, die höhere
osmotische Kraft in der Aufschwemmungsflüssigkeit auf der anderen
Seite. Welche von beiden Grössen überwiegt, entscheidet in jedem Falle
der Versuch.
Ich bringe wieder einige Beispiele:
In einem Falle betrug: MiRj = 0,48, MiR 2 = 0,52
* n 2. * * * = 0,44, „ “ - 0,44
n * 3. „ „ „ = 0,46, r = 0,44.
Sie sehen hier drei Möglichkeiten, die das Ebengesagte illustrieren.
Die drei zitierten Fälle stammen von Versuchen an ein und demselben
Individuum Xu verschiedenen Tageszeiten. Mir hat es den Eindruck ge¬
macht, dass eine Verschiebung der MiRg im Sinne einer Resistenzverringerung,
wie sie unser erstes Beispiel zeigt, am ausgesprochensten zur Zeit bester
Verdauung und unmittelbar nach dieser gefunden wird, während sie
im nüchternen Zustande häufig fehlt, was wieder mit Hamburger für
eine Funktion der Blutkörperchen im Stoffwechsel spricht. Ein konstantes
Fehlen dieser Art der Verschiebung (im Sinne einer Resistenzverringerung)
bei wiederholter Untersuchung zu verschiedenen Tageszeiten spricht dann
umgekehrt für eine schlechte Funktion derartiger Blutkörperchen. Ich
werde später solche Beispiele bringen. Sie werden daraus entnehmen
können, welchen Wert die von mir angewandte Methode, die Resistenz¬
versuche mit gewaschenen und ungewaschenen Blutkörperchen vorzunehmen,
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Einige Vorsuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 139
hat; sie sehen aber auch, wie wenig, von diesem Gesichtspunkte betrachtet,
der Ausdruck Resistenzversuche passt.
In dieser Weise schwankt die MiR 2 von 0,52 bis 0,42.
Ich hebe nochmals hervor, dass diese Verschiebung der MiR 2 gegen
Mil^ bei ein und demselben Individuum, zu verschiedenen Tageszeiten
untersucht, nicht immer die gleiche ist. Zeitweise erfolgt sie im Sinne
einer Resistenzverminderung, zeitweise im Sinne einer Resistenzerhöhung,
manchmal fehlt sie ganz. Im Falle einer Resistenzerhöhung müsste dann,
wie schon erwähnt, die Vermehrung des osmotischen Druckes in den
Aufschwemmungsflüssigkeiten der Reihe R^ die Vermehrung desselben in
den Blutscheiben überwiegen. Je mehr diffusible mehrwertige Ionen die
Blutkörperchen enthalten, desto mehr werden durch das Waschen mit
einwertigen Ionen vertauscht werden können, desto mehr wird der osmo¬
tische Druck im Blutkörpercheninhalt steigen und desto früher werden
die ersten Blutkörperchen in der Reihe R 2 ihren Farbstoff abgeben müssen.
Jedes gesunde Blutkörperchen kann im Kreisläufe bald mehr ein-, bald
mehr zweiwertige Ionen enthalten, wie es die Stoffwechselvorgänge gerade
bedingen. In dieser Weise scheinen mir diese Vorgänge, wie wir sie
jetzt in vitro beobachtet haben, mit physiologischen Zuständen im Orga¬
nismus im Einklang zu stehen.
Die Bestimmung der Maximumresistenz ist für unsere Versuche
weniger wichtig, weil hier noch weitere Faktoren hinzukommen, die ihren
Stand bestimmen. Hierdurch wird die Beobachtung erschwert, trotzdem
erscheint aber eine kurze Betrachtung vielleicht ganz lehrreich.
Zunächst sind hier gerade nur mehr die allerresistentesten Blut¬
körperchen enthalten, während alle übrigen, die sich z. B. in dem Röhrchen,
das uns die Minimumresistenz angibt, noch unverletzt vorfinden, hier
zerstört sind und ihren Inhalt, mithin auch ihre osmotische Kraft in die
Aufschwemmungsflüssigkeit abgegeben haben. Die Abnahme der Kon¬
zentration der Salzlösungen in den einzelnen Röhrchen wird dadurch
etwas abgeschwächt und dies umso mehr, je mehr Blutkörperchen in dem
betreffenden Röhrchen bereits zugrunde gegangen sind und je höher die
osmotische Kraft im Inhalte dieser zugrunde gegangenen Blutkörperchen
war. Da nun in der Reihe der gewaschenen Blutkörperchen, wie aus
früher Gesagtem bekannt ist, mehr mehrwertige Ionen im Blutkörperchen¬
inhalt infolge des Waschens durch je mehr einwertige Ionen ersetzt sind
als in der Reihe der ungewaschenen Blutkörperchen, werden in der Reihe
R 2 die Blutkörperchen nach ihrer Zerstörung mehr Ionen in die Auf¬
schwemmungsflüssigkeit abgeben und so den osmotischen Druck hier mehr
steigern können als die zerstörten Blutkörperchen in der Reihe R x . Daraus
geht hervor, dass die nach dem Waschen fast immer zu beobachtende
Verschiebung der MaR^ im Sinne einer Vermehrung keine wirkliche
Resistenzerhöhung dieser Blutkörperchen zu bedeuten hat. Es wäre auch
nicht verständlich, warum für diese Blutkörperchen an der Maximum-
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resistenz-Grenze andere physikalisch-chemische Gesetze gelten sollten als
für'Blutkörperchen an der Minimumresistenz-Grenze. Wir nehmen wohl
besser an, dass für erstere dieselben Verhältnisse bestehen, wie wir sie
für letztere in den Bereich unserer Betrachtungen gezogen haben, nur
dass diese Verhältnisse (die Vermehrung des osmotischen Drucks im
Blutkörpercheninhalt und die Vermehrung des osmotischen Drucks in der
Aufschwemmungsflüssigkeit durch das Waschen) hier durch weitere Ver¬
änderungen in den Aufschwemmungsflüssigkeiten der einzelnen Röhrchen
verwischt sind. Die Verschiebung der MaR^ gegenüber der MaRi wäre
hiermit zum Teil ein Ausdruck für die Menge der mehrwertigen Ionen,
die beim Waschen durch einwertige ersetzt worden sind. Dieser Zunahme
der osmotischen Kraft in der Aufschwemmungsflüssigkeit dadurch, dass
Blutkörpercheninhalt ihr beigemengt wird, wirkt wieder die höhere osmo¬
tische Kraft im Inhalt der noch unzerstörten gewaschenen Blutkörperchen
entgegen. Es ist nun möglich, dass zwischen diesen Grössen manchmal
ein Verhältnis zustande kommt, das eine Verschiebung der MaRg gegen
die MaRj im Sinne einer Resistenzerhöhung aufhebt, ja wir finden sogar
manchmal, allerdings selten, eine Verschiebung der MaR 2 in entgegen¬
gesetzter Richtung im Sinne einer Resistenzverringerung. Zur Erläuterung
des Gesagten bringe ich einige Beispiele.
In einem Falle betrug: MaR x = 0,22, MaR 2 — 0,14
= 0 . 22 , „ = 0,10
= 0 , 22 , „ = 0
- 0,24, „ = 0,24
= 0,24, „ = 0,26.
Fall 1, 2 und 3 sind Resultate von Versuchen an demselben gesunden
Mann zu verschiedenen Tageszeiten. Wieder scheinen hier die Versuchs¬
resultate physiologischen Vorgängen im Organismus zu entsprechen. Der
4. Fall stammt von einem jugendlichen Diabetes insipidus, der 5. von
einem Tetanus im schwersten Krampfstadium. Ich muss zu diesem
5. Falle erwähnen, dass ich eine derartige Verschiebung der MaR^ im
Sinne einer Resistenzverminderung bei vollständig gesunden Individuen
bisher noch nicht beobachten konnte, dass mir aber derzeit hierüber noch
zu wenig Erfahrung zusteht, um sagen zu können: hier liegt ein patholo¬
gischer Befund vor. Ich werde später bei den Anämien nochmals auf
diesen Punkt zu sprechen kommen.
Als Grenzen für MaR 2 möchte ich vorderhand die von mir bisher
gefundenen Werte von 0,26 abwärts einsetzen.
Meine Versuchsanordnung weicht von den bisher gebräuchlichen
darin ab, dass ich die Grenzen der Hämolyse nicht in einer Reihe allein
bestimme (die bisherigen Versuche, die mir aus der Literatur bekannt
sind, beschränken sich auf die Anwendung entweder nur gewaschener
oder nur ungewaschener roter Blutkörperchen), sondern, dass ich aus
2 .
3.
4.
5 .
Original from
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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 141
dem Vergleich zwischen beiden Reihen, einerseits mit gewaschenen,
anderseits mit ungewaschenen Blutkörperchen, Schlüsse ziehe. Was ich
damit gewonnen habe, glaube ich durch meine bisherigen Ausführungen
genügend präzisiert zu haben. Damit aber haben sich meine Versuche
über den Rahmen gewöhnlicher Resistenzprüfungen erhoben und ich wäre
sehr geneigt, dafür den Namen „Funktionsprüfungs-Versuche roter
Blutkörperchen“ einzuführen. Wir bleiben so der alten Hamburgerschen
Idee treu, der aus seinen, den meinen gleichwertigen Versuchen auf eine
Funktion der Blutkörperchen im Stoffwechsel schliesst. Anhangsweise
sei hier noch erwähnt, dass nach Hamburgers Versuchen im Verein
mit van der Schroeff an weisscn Blutkörperchen diese denselben
chemisch-physikalischen Gesetzen unterliegen wie die roten Blutkörperchen.
Ich glaube so, an einem schon oben angeführten Gedanken fest¬
gehalten zu haben, nämlich: eine Methode zu schaffen, die
1. uns über chemisch-physikalische Verhältnisse im Blute Auf¬
schluss gibt,
2. die Vorgänge nachzuahmen bestrebt ist, wie sie im lebenden
Organismus bestehen,
3. ob ihrer leichten Ausführbarkeit für klinisch-diagnostische Zwecke
in Betracht kommt.
Der erste, der Rcsistenzbestimungen im Blute Kranker vornahm,
war Johann Duncan. Wir finden im Sitzungsbericht der Wiener Aka¬
demie der Wissenschaften vom 11. April 1867 eine Beobachtung dieses
Autors, wonach chlorotische Blutkörperchen ihren Farbstoff schon in
höher konzentrierten Salzlösungen verlieren, als Blutkörperchen gesunder
Menschen. Ueber ein Jahrzehnt später findet Chanel bei derselben Er¬
krankung ebenfalls eine Abnahme der Resistenz, die nach ihm bei Eisen¬
therapie wieder verschwindet. Später finden wir in der Literatur noch
vielfach Versuche bei Chlorose, die fast durchweg eine mehr oder minder
ausgesprochene Resistenzverringerung bestätigen.
Bei Zyanose finden v. Li mb eck und etwas später Vaquez als die
ersten Resistenzverringerung.
Bei Ikterus stanjmen die ersten Versuche von Chanel, v. Limbeck,
Maragliano und Viola. Darnach besteht eine Resistenzvermehrung,
die v. Limbeck damit erklärt, dass die gallensauren Salze die Blut¬
körperchen von schwacher Resistenz zerstören. Diese Rcsistenzvermehrung
bei Ikterus wurde später noch oft bestätigt, doch wurde neben der Er¬
klärung v. Limbecks noch eine andere gegeben, wonach Gallenbestand¬
teile im Serum imstande seien, den osmotischen Austausch zwischen
roten Blutkörperchen und umgebender Flüssigkeit zu erschweren. Dadurch
stellten sich, da auch dieser wie jeder Hämolyse osmotische Verhältnisse
zugrunde liegen (Baumgarten, Nolf), Verschiedenheitc'n beim Ablauf
der Hämolyse ein.
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Zu erwähnen sind ferner Befunde, die bei Krankheiten erhoben wurden,
die mit Anämie verlaufen. Ich stelle die wichtigsten Befunde hierüber,
ohne Nennung der Autoren kurz zusammen: bei Blutverlusten Abnahme;
bei Karzinomen teils Abnahme, teils Zunahme; bei Anaemia saturnina
Zunahme; bei paroxysmaler Hämoglobinurie Abnahme.
Bei Fieber bestätigen die Autoren die zuerst von Maragliano ge¬
fundene Resistenzverringerung. Auch bei Malaria und Tuberkulose wurde
im Fieberzustand die Resistenzverringerung gefunden. Bei Tuberkulose
bestehen im übrigen abweichende Befunde.
Von grösstem Interesse sind die Arbeiten Widals über hämolytischen
Ikterus. Dieser Forscher findet in Fällen von nicht hereditärem hämo¬
lytischen Ikterus mit Anämie eine Resistenzverringerung. Dieser Befund
wurde nach ihm noch wiederholt von namhaften Autoren bestätigt.
Bei Anaemia perniciosa liegen wieder sehr abweichende Befunde
vor, bald Resistenz Verringerung, bald Vermehrung, bald normale Resistenz.
Wohl schon bei allen Krankheitszuständen liegen heute in der
Literatur Resistenzbefunde vor; ich habe nur das Wichtigste heraus¬
gegriffen und erübrigt es mir, nur noch einige Literaturangaben über
Befunde in physiologischen Zuständen des Organismus anzuschliessen:
da kommt es mir vor allem vor, dass in der Literatur zu wenig auf
die von mir beobachteten physiologischen Schwankungen der Resistenz
geachtet wurde. Wir können z. B. unmöglich festsetzen, MiRj beträgt
normal z. B. 0,44 oder MiR 1 beträgt normal 0,48, wie wir es in manchen
Arbeiten finden, da weniger Eingeweihte, denen diese ziemlich weiten
physiologischen Schwankungen der Resistenz nicht bekannt sind, daraus
vielfach auf eine Resistenzverringerung resp. -erhöhung dort schliessen,
wo in Wirklichkeit normale Resistenzwerte gefunden wurden. Ich glaube,
ich kann nicht scharf genug darauf hinweisen, weil gerade das einer der
Hauptgründe ist, weshalb wir vielfach abweichende Angaben bei denselben
Krankheitszuständen finden.
Von Chanel existieren Angaben, wonach dieser Forscher bei jugend¬
lichen Individuen geringere Resistenzwerte fand, als bei alten Leuten.
Italienische Forscher fanden einen Unterschied im Geschlecht im Sinne
einer Verringerung der Resistenz bei der Frau. Wiederholt wurde eine
Abnahme der Resistenz in der Schwangerschaft, namentlich in den letzten
Monaten, von anderen wieder zur Zeit nach der Entbindung einsetzend,
angegeben. Maragliano erwähnt Abnahme während der Menstruation.
Nach Vicarelli nimmt die Resistenzverminderung, die bereits nach der
Entbindung beobachtet wird, während der Laktation zu.
Im Hungerzustande liegen wieder verschiedene Befunde vor, doch
schliesst sich die Mehrheit einer Resistenzverringerung an. Vielfach wird
die Verschiedenheit der Befunde hier wie in Fällen von Ikterus damit
gedeutet, dass wenig resistente Blutkörperchen im Kreislauf bald zu¬
grunde gehen, während die resistenteren erhalten bleiben, und man so
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 143
dort, wo man früher eine verringerte Resistenz konstatiert hat, kurze
Zeit später eine Erhöhung finden kann.
Nachdem ich so kurz nur das Wichtigste aus der Literatur gestreift
habe, will ich von meinen vielen Versuchen eine grössere Zahl von Be¬
funden in einer Tabelle geordnet einschalten, um an der Hand dieser
Tabelle verschiedene von der Norm abweichende Resultate anschliessend
zu besprechen.
(In der Tabelle bedeutet O(S-f), dass in dem Röhrchen mit destilliertem Wasser noch ein wenig roter Satz ist,
dementsprechend O(S-)—f-), dass ein stärkerer Satz vorhanden war und 0(SH—\—|-), dass dieser Satz sehr stark
war. Fi. = Färbeindex.)
Nr.
Geschlecht, Alter, Diagnose
Erythroz.
Fi.
i
MiRi — MaRx
i
MiR 2 —MaR 2
1
Gesunder Mann, 27 J.
5 512 000
|
0,45 — 0.22
0,44-0(8+)
1 Std. nach dem Essen.
G 288 000
1,09
0,46 - 0,22
0,46 — 0,10
Nüchtern.
2
Gesunder Mann, 25 J.
5 168 000
! —
0,45 — 0.22
1 0,47 — 0,14
1 Std. nach dem Essen.
6 072 000
0,97
! 0,46 — 0,22
i 0,45— 0(S+)
Nüchtern.
3
Gesunder Mann, 21 J.
5 340 000
; 1,05
! 0,44 — 0.20
i 0,47 — 0,20
Fast nüchtern.
—
! —
1 0,43 — 0,22
i 0.45 — 0,12
Nüchtern.
—
j 0,44 — 0,24
i 0,46 — 0
2 Std. nach dem Essen.
4
Mann, 23 J'., Ischias: nach Moor-
—
j —
0,52 - 0,28
i 0,49 — 0,26
Nüchtern.
bädern
—
—
0,51 -0,24
i 0,49 - 0,20
Vor dem Mittagessen.
—
—
0,50 — 0,26
1 0,52 - 0,20
2 Std. n. dem Mittagessen.
—
—
0,47 — 0.22
0,50 — 0,16
5 Std. n. dem Mittagessen.
5
Gesunde Frau, 20 J.
5 164 000
1
0,44 — 0,22
0.47—0,18
1 Std. nach dem Essen.
6
Mädchen, 19 J., Obstipation
4 564 000
1,15
0,45 — 0,20
0,47 — 0,16
Tag vorher Fieber.
7
Frau, 26 J., Neuropathie
5 468 000
1
j 0,49 — 0,24
0,49-0,18
Nüchtern
8
Mann, 62 J., Gynäkomastie
4 372 000
1,15
0,46 — 0.22
0,48 - 0,12
9
Mann, 42 J., Ulkusbeschwerden
6 288 000
0,98
0.47 — 0,16
0.50 — 0(S + )
10
Mann, 39 J., Ulcus duodeni
4 752 000
1
0,46 — 0,18
0,47-0(8+)
Okkulte Darmblutung.
11
Mann, 38 J., Neurosis ventriculi
6 652 000
0,90
0,46—0,18 ;
i 0,48 - 0
12
mit Hypersekretion
Mädchen, 27 J., Vagotonie
4 692 000
1,02
0,47 — 0,16 |
0.48— 0(S+)
13
Frau, 52 J., Intumescentiahepat.
4 772 000
0,82
0,49 — 0,28 j
0.50-0,14
Nach dem Essen.
14
Frau, 54 J., Intuemscentiahepat.
4 388 000
1,22
0,46 - 0,20 |
0,50 — 0,16
15
et lienis
Mann, 15 J., Hypoplast
5 232 000
0.97
l
0,40 -0,28 !
0,42 — 0,26
16
Mann, 37 J., Multiple Sklerose,
6 264 000
1,04
0,46 - 0,26 !
0,46 — 0,26
Nüchtern.
Aortenvitium
17
Mann, 40 J., Mediast.-Tumor,
5 465 000
0,92 !
0,46 — 0,20
0,46-0,18
Nüchtern.
Wassermann -j—f--f-
18
Mann, 18 J., Purpura rheum.
5 63G 000
0,97
0,47 — 0,28
0,46 — 0,28
1 Std. nach dem Essen.
19
5 924 000
0,83
0,43 — 0,24
0,46 — 0,1 S
12 Tage später gebessert.
Mädchen, 15 J., Chorea minor
5 540 000
0,86
0,48 — 0,28
0,52 - 0,32
Eosinophilie.
20
Mann, 21 J., Chlor-Baryumver-
7 800 000
0,85
0,50 — 0,22
0,52 — 0(S+)
Im Krampfstadium.
21
giftung
Mädchen, 22 J., CuS0 4 -Vergift.
4 360 000
1,14
0,44 — 0,24
0,46-0,18
10 Tage später geheilt.
22
Mann, 17 J., nach 10 ständigem
10 728 000
0,49
0,44 — 0,20
0,46 - 0
Angeblich Vergiftung mit
23
Marsch, ausgehungert
Chlor-Baryum.
Frau, 32 J., Karbolsäurcvergift.
4 980 000
1,13
0,45 - 0,28
0,47 - 0,22
Sehr schlecht.
24
4 992 000
1,08
0,43 — 0,24
0,42-0(S+++)
4 Tage später gebessert.
Frau, 22 J., H 2 S0 4 -Vergiftung
5 484 000
1,01
0,44 — 0,22
0,48— 0(S+)
Sehr schlecht.
25
Mädchen, 15 J., Ocsophagus-
8 964 000
0,78
0,47 — 0,24
0,45 — 0,10
Geri nge Sch 1 u ckbesch werd.
divertikel, Stenose, Hypoplast
8 388 000
0.83
0,52 — 0,20
0,52 — 0,20
Stenose komplett, 3 Tage
gehungert.
26
Mann, 15 J., Diabetes juvenil.
6 160 000
1
0,53 - 0,28
0,45 - 0,10
27
Mann, 50Diabetes insipidus,
5 356 000
0,94
0,48 — 0,24
0,44 — 0,24
Hypophysentumor
Digitized b’
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
144
GOTTFRIED HOLLER
--
- - - - . -
-
-
Nr.
Geschlecht, Alter, Diagnose
■
MiRj — MalG
MiRj
— MaR2
28
Mann, 20 J., Diabetes insipidus
6 876 000
0,92
0,49 — 0,24
0,53
-0,20
29
Frau, 27 J., Morbus Basedow
6 244 000
0,85
0,43 — 0,24
0,45
— 0,20
Schwere Erscheinungen.
4 820 000
0,78
0,43 — 0,24
0,42
— 0,10
Schwere Erscheinungen.
3 164 000
0,87
0,43 - 0,22
0,38
-0
Besserung.
30
Frau, 35 J., Tetanie, n. Struma-
5 432 000
0,98
0,50 — 0,30
0,52
— 0,18
Operation
5 004 000
1,34
0,48-0(S++) 0,52-0(S+++)
N. längerer Calc. lact.-Ther.
6 180 000
0.84
0,48 — 0,30
0,4S - 0,28
0,53
— 0,24
Ohne Therapie; Rückfall.
31
Mädchen, 26 J., Tetanie, Hvpo-
6 240 000
0,84
0,46
- 0,20
plast
5 656 000
0,83
0,46 — 0.24
0.46
— 0,24
Vegetarische Kost.
5 800 000
1,16
0,46 — 0,22
0,44 — 0,16
0,48
-0,12
Calc. lact -Therapie.
6 036 000
0,74
0,46
- 0,12
Calc. lact.-Therapie.
5 716 000
1,07
0,86
0,46 — 0,16
0,50
-0(S+)
Calc. lact.-Therapie.
32
Mädchen, 15 J., Tbc. pulm.
6 124 000
0,49 — 0,26
0,49
— 0,26
1 Std. nach dem Essen.
fibrosa, Hypoplast
33
Mädchen, 14 J., Apicitis chron.
6 436 000
0,72
0,41—0,20
0,41
-0,14
1 Std. nach dem Essen.
fibrosa, Hypoplast
34
Mädchen, 18 J., Apicitis chron.
5 481 000
l
0,44 - 0,26
0,42
— 0,24
1 Std. nach dem Essen.
fibrosa, Hypoplast
35
Mann, 24 J., Apicitis chron.
6 572 000
0,94
0,43 — 0,24
0,44
-0(S+)
fibrosa, Trichterbrust
36
Mädchen, 19 J., Tbc. pulm.
5 468 000
0,73
0,48 — 0,26
0,49
— 0,26
chron., Hypoplast
37
Mädchen, 26 J., Tbc. pulm.
—
—
0,47 — 0,20
0,47
— 0,20
38
Frau, 29 J., Tbc. pulm. et laryn.
—
—
0,45 — 0,30
0,45
— 0,12
39
Mädchen, 15 .L, Tbc. pulm.
Mädchen, 19 J., Apicitis incip.
—
—
0,51 — 0,28
0,51
— 0,24
Fieber.
40
5 396 000
1
0,45 — 0,28
0,47
— 0,22
41
Frau, 35 J., Tbc.pulm et intest.,
5 424 000
0,84
0,47 — 0,20
0,53
— 0(S+)
Hochgrad. Marasmus: ante
Amyloidose
exit.
42
Mann, 50 J,, Tbc. pulm. et intest.
6 136 000
0,65
0,45 — 0,22
0,47
-0,14
43
Mädchen, 24J., Apicitis fibrosa?
5 660 000
0,94
0,39 — 0,20
0,42
— 0,08
gut entwickelt
44
Mann, 25 J., Konglomerat- und
6 280 000
0,92
0,45 — 0,18
0,45-
-0(S++)
Nüchtern.
Solitärtuberkel im Ilirn
45
Mann, 22 J., Apicitis fibrosa,
6 34S 000
1
0,47 — 0,26
0,49
-0,10
gut entwickelt
46
Frau, 32 J., Tbc. pulm. chron.
5 656 000
! 0,S4
0,49 — 0,20
0,53
-0
47
Mädchen, 24 J., Apicitis chron.
5 608 000
1
0,45—0,18
0,47
— 0,10
fibrosa
48
Mann, 21 J., Tbc. pulm. chron.
5 836 000
| 1,07
0,47 — 0,18
0,49
— 0
49
Mädchen, 16 J., Aktinomykosc
3 500 000
i 0,75
I 0,53 — 0,24
0,53
— 0,20
Hohes Fieber.
4 332 000
0,64
i 0,49 — 0.24
! 0,50
— 0,20
Besserung.
50
Mann, 30 <L, Tetanus
6 428 000
0,91
I 0,53 — 0,24
0,47
- 0,26
Im Krampfstad. (Wasch¬
1
wasser rot) ante exi:.
Fieber.
51
Mann, 24 ,T., Typhus abdom.
4 280 000
1,17
0,41 —0,18
©
o*
1
-0 V S++)
Fieber.
52
Mann, 37 J., Pneumonie
4 296 000
1.07
0,38 — 0,18
0.52
— 0,16
Fieber.
53
Mann, Tbc. pulm. librosa, Peri-
5 340 000
0,95
0,47 — 0,18
0,48
— 0,08
Fieber.
carditis librosa et exsud.
54
Frau, 42 J., Ca. vcntriculi c.
4 512 000
0,98
0,49 - 0,32 |
0,49
-0,30
metastas.
55
Mann, Ca. ventrieuli
6 492 000
1,01 |
0,49 — 0,22
0,51
- 0,16
5 324 000
1,13
0,48 — 0,22
0,51
- 0,12
Nach längerem kräftigem
Diathermiercn.
56
Mann, 57.1., Ca. ventrieuli incip.
4 492 000
1,06
©
OS
©
Ti/
©
0,39
-(0S+)
Tbc. pulm.
57
Frau, 46 J., Ca. vesic. fei., Ikt.
2 118 000 :
1
0,47 - 0,22
0,48-
-0(S++)
58
Mann, 42 .L, Ca. vesic. fei., Ikt.
4 996 000
1,21
0,44 — 0,22
6,44
— 0,16
59
Frau, 64 J., Ca. vcntriculi c.
3 812 000 |
0,96 ,
0,43 — 0,14
0,41-0S(+++)
metastas. in hepat., Ikterus
00
Frau, 58 .J., Ca. vcntriculi c.
3 584 000
0,S3
0.38 — 0,14
0.34
— 0
metastas. in hepat., Ikterus
2 616 000
0,96
0,52 — 0,14
0,50
- 0,14
3 V »iclmn später ante exit.
Digitized by
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Einige Versucbsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 145
'r. Geschlecht, Alter, Diagnose
Erythroz.
Fi.
MiRj — MaRj
MiR 2 — MaR^
1 Mann, 37 J., Ca. ventriculi
5 144 000
0,57
0,51 — 0,26
0,49—0,10
2 Mann, 34 J., Ca. ventriculi,
6 140 000
0,86 .
0,48 — 0,24
0,49 - 0,24
Fast nüchtern.
Acanthosis nitr.
3 Mann, 18 J., Icterus catarrh.,
6 512 000
0,92
0,29 — 0,12
0,27—0(S+f)
Starker Ikterus.
Orth. Albuminurie, Hypoplast
5 964 000
0,47 - 0,08
0,45 —0(SP+)
Nur mehr Spur Ikterus.
i Frau, 70 J., Cholelithiasis
5 508 000
0,89
0,45 — 0,28
0,47 — 0,22
Leichter Ikterus.
—
—
0,43 — 0,24
0,43 - 0,24
Starker Ikterus.
5 392 000
i
0,44 — 0,26
0,48 — 0,26
Rückgang des Ikterus nach
4 900 000
1,02
0,50 — 0,26
0,52 - 0,24
Abgang eines Steines.
Ikterus verschwunden.
Mann, 23 J., Icterus catarrh.
5 868 000
0,95
0,40 — 0
0,38—0(S++)
Sehr hartnäckiger Ikterus,
Frau, 21 J., Icterus catarrh.
4 484 000
Ul
0,39 - 0,22
0,43 — 0,10
gravid.
Mann, 26 JL Icterus catarrh.
4 636 000
6 672 000
1,02
0,84
0,39 - 0,22
0,44 — 0,20
0,43 - 0,10
0,44 — 0,0
Mann, 43 J., Cirrhosis hepat.
3 692 000
1,30
0,46 — 0,18
0,44 — 0,10
(Laennec), Cholangitis
Mann, 25 J., Icterus catarrh.
6 904 000
0,87
0,43 — 0,14
0,43 — 0(S++)
Mann, 27 J., gesund
4 396 000
6 040 000
1,06
1,03
0,49 — 0,16
0,51 —0,18
0,43-0(S+++)
0,49-0(8+)
Vor 1 Jahre hartnäckigen
Mann, 23 J., Icterus catarrh.
5 028 000
1,19
0,37— 0(S+)
0,35-0(S+ + +)
Icterus catarrh. über¬
standen; nüchtern.
Mädchen, 19 J., Phosphor-
7 540 000
0,93
0,44 — 0,26
0,46 - 0,08
Beginnender Ikt. ante exit.
Vergiftung
Mann, 21J., posthämorrhagische
3 470 000
0,53
0,48 - 0,23
0,51 —0,18
Anämie
5 700 000
0,48
0,53 — 0,20
0,54-0,18
40 Tage später.
Frau, 51 J., Anämie, Vitium
3 848 000
0,78
0,44 - 0,14
0,46 — 0,20
8 Tage hindurch kräftig
3 980 000
0,71
0,50 — 0,16
0,50 - 0,10
diathermiert.
Frau, 37 J., posthämorrhagische
3 706 000
0,66
0,45 — 0,24
0,41 -0
Anämie.
4 992 000
0,77
0,47 — 0,18
0,48-0,10
2 Monate später nach Arsen-
Mädchen, 17 J., Chlorose
5 996 000
0,47
0,48 — 0,18
0,49 - 0,18
Eisentherapie.
4 988 000
0,80
0,49 — 0,16
! 0,50 - 0,10
3 wöchentl. Eisentherapie.
5 212 000
0,87
0,48-0,16
0,50 — 0,08
5 wöchentl. Eisentherapie,
Mädchen, 18 J., Chlorose
4 940 000
0,58
0,48 — 0,14
0,51 — 0
Besserung.
4 672 000
0,65
0,53 — 0,18
0,54 — 0,10
Diathermier. durch 1 Woche
4 884 000
0,59
0,54 — 0,18
0,54-0,14
2 wöchentl. Arsen-Eisen¬
Frau, 37 J., posthämorrhagische
3 828 000
0,45
*0,46 — 0,18
0,54 - 0,28
therapie, keine Besserung
Anämie, Tabes incipiens
Frau, 24 J., Idiotin, Catarrh.
7 628 000
0,66
0,40 - 0,22
0,46-0,10
ventr., Hypersekretion
Frau, 26 J., posthämorrhagische
3 472 000
0,81
0,46 — 0,22
0,46—0,18
Anämie
Mann, 22 J., Icterus haemolyt.
6 800 000
0,91
0,48 - 0,14
0,52 - 0
Fühlt sich zurZeit d. Unter¬
Mann, 23 J., Icterus haemolyt.,
6 612 000
1
1,06
0,47 - 0,26
0,47 - 0,20
such. gesund; nüchtern.
Zur Zeit der Untersuchung
post Malariam
Mann, 23 J., Anaemia perniciosa
1 536 000
1
1,29
0,44 - 0,24
0,48 - 0,28
gesund; nüchtern.
Fieber.
986 000
1,25
0,40 - 0,24
0,54 — 0,23
8Tage spät, höherfiebernd.
762 000
1,33
0,40 - 0,24
0,57 - 0,30
12 Tage später wieder hohes
Knabe, 13 J., Hypoplast, Bluter
5 452 000
0,77
0,51 —0,18
0,52 - 0
Fieber.
Bruder von Nr. 83 und 85,
Mann, 25 J., Bluter
6 176 000
1,17
0,40 — 0,22
0,43 — 0
fühlt sich gesund.
Bruder von Nr. 83 und 84,
Frau, 50 J., Icterus haemolyt.
3 100 000
1,20
0,46 - 0,24
0,60 - 0,32
fühlt sich gesund.
Frau, 38 J., Icterus haemolyt.,
4 100 000
i !
0,50 — 0,34
0,60 - 0,36
Cholelithiasis
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 n.
2.
10
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
14G
GOTTFRIED HOLLER
Nr.
Geschlecht, Alter, Diagnose
Erythroz.
Fi.
i
| MiR, — MaR!
MiR 2 — MaR*
88
Frau, 72 J., Cholelithiasis
5 500 000
i
1,12 ,
i
0,40-0,IG
0,38 — 0(S++)
Starker Ikterus.
4 364 000
1,09 '
1 0,42 - 0,16
0,42 — 0(S+)
Stein abgegangen, nur g
i
ringer Ikterus.
3 820 000
1,08
0,54 - 0,30
1 0,55 — 0,26
Ikt. seit 1 Tag verschwur}
89
Mann, 30 J., septisch-hämolyt.
3 592 000
0,32
I 0,36—0,12
i 0,36 - 0
Fast nüchtern.
Anämie, Tbc.pulm. cavernosa
— ;
—
0,35-0,12
! 0,33 - 0
Nüchtern.
— 1
0,46 - 0,22
0,46 — 0,20
Fiebernd n. d. Mittagesse
90
Mann, 28 J., gesund
0,45 — 0,16
0,47 — 0(S+)
Nicht nüchtern.
91
Mädchen, 17 J., Hypoplast
5 670 000
0,96
0,42- 0,14
0,42 — 0,10
Fast nüchtern.
—
—
1 0,41 - 0,14
0,38 -0,12
Nüchtern.
—
—
! 0,43 - 0,14
0,43 — 0,08
Nach dem Essen.
92
Knabe, 15 J., Hypoplast
3 346 000
1
0,43 - 0,14
0,40 — 0,14
Nüchtern.
—
—
0,43 -0,14
0,41 — 0,14
Nüchtern.
—
—
0,44 — 0,16
0,45 — 0,14
Nach dem Esseu.
93
Mann, 27 J., Lues hereditaria,
6 127 000
0,99
0,41 — 0,12
0,41 —0.12
Nüchtern.
Hypoplast
—
—
0,41 — 0,12
0,41 — 0,10
Nüchtern.
—
— !
0,41-0,10 !
0,41 — 0,12
Fast nüchtern.
—
—
| 0,42 - 0,10
0,42 - 0,08
Nach dem Essen.
94
Mann, 38 J., Mitralvitium, hoch¬
5 423 000
1 1
0,50 — 0,26
0,53 — 0,20
Fast nüchtern.
gradige Zyanose
— j
— ;
0,51 —0,26
0,55 — 0,18
Nach dem Essen.
95
Mann, 41 J., Pulmonalembolie,
6 100 000 1
1
! 0,54 — 0,28
0,54 - 0,24
Fast nüchtern.
höchstgradige Zyanose
l
1
96
Mann, 37 J., Aortenvitium kom¬
5 411 000 1
1,02
; 0,46 - 0,22
! 0,48 — 0,16
pensiert
97
Frau, 52 J., Mitralvitium, hoch¬
4 692 000
0,94
0,48 — 0,24
1 0,48-0,22
Nüchtern.
gradige Oedeme
_ i
—
0,48 — 0,24
; 0,48-0,22
Nach dem Essen.
98
Frau, 28 J., Nephritis parench.
4 900 000 1
0,92
0,4S — 0,20 1
0,47 — 0,20
Nach dem Essen.
chron.; starke!lederne; Oligurie
99
Frau, 50 J., Zystennieren, Ar¬
3 692 000
1,21
0,44 — 0,18
0,49 — 0,20
Nach dem Essen.
teriosklerose, Gallensteine
100
Mann, 67 J., myeloide Leukämie
6 516 000
0,82
0,54 — 0,26
0,54 - 0,80
Nüchtern.
5 308 000
1,05
0.50 — 0,20
0,54 — 0
Nüchtern, SWochen spät»
4 984 000
1 1,04
0,48- 0,18
0,52 - 0
Durch 10 Tage Arse
;
therapie, fast nüchtei
101
Mann, 45 J., myeloide Leukämie
3 176 000
0,93
0,52 - 0,18
0,54 — 0,18
Nüchtern.
102
Frau, 38 J., Lymphogranulo¬
4 940 000
0,91
0,46 -0,16
l 0,47 — 0,10
matose.
1
i
i
i
Bei Durchsicht dieser Tabellen fällt vor allem auf, dass ein Unter¬
schied in den Resultaten im Gescfilecht nicht existiert; was das Alter
anbelangt, möchte ich im Gegensatz zu Chanel eher höhere Resistenz¬
werte bei jugendlichen Individuen annehmen als im Alter.
Sehr interssant wäre nun die Frage zu beantworten: Was sind hypo¬
plastische Blutkörperchen? Schon Zanier (1895) und Ubbel (1901)
hatten allerdings beim Rinde nachgewiesen, dass die Blutkörperchen des
Fötus höhere Resistenzwerte zeigen, als die des Muttertieres. Nach diesen
Autoren zeigt sich der Unterschied vor allem in der Maximuraresistenz.
Ubbel machte weiter darauf aufmerksam, dass, wenn man Blutkörper¬
chen des Muttertieres einerseits und Blutkörperchen des Fötus anderer¬
seits in hyperisotonische Salzlösungen bringt, die Blutkörperchen des Fötus
stärker schrumpfen, als die des Muttertieres. Aus diesen Befunden
schliesst Hamburger, dass eine geringere Schrumpfung auf ein kleineres
Volumen an intraglobularer Flüssigkeit hin weist, dass ausser den Blut-
Digitized b'
Google
Original frorn
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chcm. Vorgänge im Blute. 147
körperchen, welche fötales und mütterliches Blut gemein haben (den
gegenüber Salzlösungen weniger resistenten), im fötalen Blute noch an¬
dere Blutkörperchen Vorkommen, die vermöge ihres geringen Gehaltes an
intraglobularer Flüssigkeit (grossen Gehaltes an Stroma -f- Hämoglobin)
eine äusserst schwache Salzlösung zu ertragen imstande sind. Auch aus
Trockenrückstandsbestimmungen Hamburgers ergab sich ein hoher Ge¬
halt fötaler Blutkörperchen an Stroma und Hämoglobin. Was geschieht
nun wieder, wenn wir derartige Blutkörperchen, deren prozentualer Ge¬
halt an festem Gerüst (Protoplasma) ein grosser ist, während der Gehalt
an intrazellulärer Flüssigkeit, welche ja die osmotische Kraft des Blut¬
körperchens bedeutet, ein geringer Ist, in hypisotonische Salzlösungen
bringen. Sie werden weniger begierig Wasser anziehen, weniger stark
quellen, daher im Resistenversuch auch in Röhrchen mit niedriger kon¬
zentrierter Salzlösung ihren Farbstoff abgeben, als normale rote Blut¬
körperchen mit höherer osmotischer Kraft ihres Inhaltes. Von diesem
Gesichtspunkte aus betrachtet, sind also gerade die resistenteren Blut¬
körperchen, da sie nach den bisherigen Ausführungen auch für den Stoff¬
wechsel als minderwertig zu betrachten sind, als hypoplastisch zu be¬
zeichnen. Ich verweise nun auf die Befunde in meinen Tabellen von
den Fällen: 15, 18, 19, 27, 32, 33, 34, 37, 91, 92 und 93.
Die Funktionsprüfungsbefunde dieser Fälle stehen mit den Befunden
von Zanier, Ubbel und Hamburger an fötalen Blutkörperchen auf¬
fallend im Einklänge. Greifen wir z. B. Fall 93 in der Tabelle heraus.
Es handelt sich hier um ein Individuum, das auch sonst auffallend viel
Degenerationszeichen aufweist, die für einen hier bestehenden Status
hypoplasticus sprechen. Ein Funktionsprüfungsversuch mit Blut, das diesem
Patienten nüchtern entnommen wurde, ergibt ein Resultat, das darauf
schliessen lässt, dass hier ein Austausch zwischen zweiwertigen Ionen des
Blutkörpercheninhaltes und einwertigen Ionen der Aufschwemmungsflüssig¬
keit durch das Waschen gar nicht oder wenn, so nur in ganz unbedeu¬
tendem Masse stattgefunden hat.
MiRj = MiRs = 0,41 desgleichen MaR x = MaR 2 = 0,12.
Auch drei weitere von diesem Falle erhobene Funktionsprüfungs¬
befunde zeigen ein entsprechendes Resultat. Selbst nach dem Essen, wo
die Verschiebungen im Sinne einer Funktion der Blutkörperchen am ausge¬
sprochensten sein sollten, ist eine derartige Verschiebung nur an der
MaR- 2 -Grenze andeutungsweise vorhanden.
Auch in den anderen Fällen, auf die ich eben aufmerksam gemacht
habe, sehen wir entsprechende Resultate. In allen diesen Fällen ist es
nach dem Waschen, da scheinbar kein oder nur ein geringer Austausch
zwischen zweiwertigen Ionen des Blutkörpercheninhaltes und einwertigen
Chlorionen stattgefunden hat, zu keinem Ueberwiegen des osmotischen
Druckes des Blutkörpercheninhaltes über die Vergrösserung des osmoti-
10 *
Digitized b'
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
148
GOTTFRIED HOLLER,
Digitized by
sehen Druckes in der Aufschwemmungsflüssigkeit der Reihe Itj gegen¬
über der Reihe R x gekommen; im Gegenteil wir sehen z. B. in Fall 91
MiR x = 0,41, MiR 2 = 0,38. Die MiR 2 ist also im Sinne einer Resistenz¬
erhöhung bedeutend verschoben, was nach unseren früheren Ausführungen
nur dadurch zustande kommt, dass durch das Waschen der osmotische
Druck im Blutkörpercheninhalte nur unwesentlich zugenommen hat und
die Erhöhung des osmotischen Druckes in den Aufschwemmungsflüssig¬
keiten der Reiho R^ gegenüber den entsprechenden Aufschwemmungs¬
flüssigkeiten der Reihe R x nicht erreicht hat.
Ich möchte von nun an die Verschiebung von MiR 2 gegen MiR x im
Sinne einer Resistenzverringerung als Minimumfunktionsbreite (MiFb),.
dementsprechend die Verschiebung von MaR 2 gegen MaR x im Sinne einer
Resistenzerhöhung als Maximurafunktionsbreite (MaFb) bezeichnen.
Es ist nun nicht zu übersehen, das schlecht funktionierende (un¬
reife) Blutkörperchen in fötalem Blute und im Blute von unentwickelten
hypoplastischen Individuen zu finden sind. Vielleicht ist diese Funktions¬
schwäche der Blutkörperchen bei Hypoplasten eine Teilerscheinung der
auch sonst bei solchen Individuen darniederliegenden Stoffwechselvorgängc,
die dann ihrerseits wieder die ungenügende Entwicklung bedingen.
Nach dieser Betrachtung hypoplastischer Blutkörperchen verweise
ich in meiner Tabelle auf Befunde bei Zyanose. Hier hat schon v. Lim-
beck darauf aufmerksam gemacht, dass infolge hohen Kohlensäurege¬
haltes der Blutkörperchen die Resistenz derselben erniedrigt ist. Dem¬
entsprechend ist auch der Befund in meinen Fällen 94 und 95. Die
Funktionsbreiten sind trotz dieser Resistenzverringerung erhalten geblie¬
ben. Es macht den Eindruck, als ob die C0 3 " leichter diffusibel seien,
daher schon bei einmaligem Aufschweramen von Blut austreten, während
ausserdem noch schwerer diffusible Ionen im Blutkörpercheninhalte vor¬
handen sind, die erst durch wiederholtes Aufschwemmen in 0,9 proz.
Kochsalzlösung austreten.
Die Abnahme der Resistenz in Fieberzuständen wird von Ham¬
burger mit der Abnahme des Alkaligehaltes des Blutes erkärt. Wir
wissen, dass Kalilauge dem Serum in entsprechender Konzentration zu¬
gesetzt, die Resistenz der Blutkörperchen gegen hypisotonische Salz¬
lösungen erhöht. Dass unter einem solchen Alkalimangel auch die Funk¬
tionsbreite (wie aus meinen Fällen 39, 49, 50 ersichtlich) zeitweise etwas
leiden kann, scheint erklärlich, doch gehört dies durchaus nicht zur
Regel; im Gegenteil in Fällen von akuten Infektionskrankheiten mit
hohem Fieber, wie Typhus und Pneumonie (51 und 52 der Tabelle)
sehen wir eine Resistenzerhöhung gleichzeitig mit weiten Funktionsbreiten.
Besonders auffallend erweitert sind die Funktionsbreiten bei dem Falle
von Pneumonie. Hier ist wohl vielleicht daran zu denken, dass viel
NaCl zur Bildung des Exsudates in den Lungen verbraucht wurde. Das
NaCl bildet andererseits den wichtigsten Bestandteil der Elektrolyten des
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 149
Blutserums. Durch Dissoziation von NaCl werden einwertige Cl'-Ionen
frei, deren Wirkungen auf den osmotischen Druck des Blutkörperchen¬
inhalts uns bekannt ist. Bei einer Verringerung des NaCl in den Körper¬
säften und damit auch im Blute fällt der grösste Teil der einwertigen Ionen
weg und überwiegen prozentual die mehrwertigen Ionen. Hiermit Hesse
sich der Befund in unserem Falle 51 erklären. Es besteht zwischen der
Hamburgerschen Deutung der Resistenzverminderung bei Fieber und der
Deutung meines Befundes kein Widerspruch, wie es auf den ersten Blick er¬
scheinenkönnte. Hamburger hält das Fehlen der positiven Na--und K*-Ionen
für die Ursache der Resistenzverringerung, während ich die Verminderung
der einwertigen negativen Chlorionen zur Deutung meiner Befunde benütze.
Dem unmittelbar anzuschliessen sind Befunde bei Nephritis und
Stauungsödemen. So handelt es sich im Fall 98 um eine parenchyma¬
töse Nephritis, die ein Resultat ohne nachweisbare MiFb zeigt. Es
scheint sich also hier um ein Ueberwiegen einwertiger Ionen im Blut¬
körpercheninhalt gegenüber normalen Blutkörperchen zu handeln. Dem
entspricht wieder die Tatsache, dass es bei Nephritis zur Retention von
NaCl in den Körpersäften kommt. Etwas Analoges gilt wohl auch für
die Deutung des Befundes in Fall 97.
Für eine therapeutische Beeinflussung der Resistenz und Funktion
roter Blutkörperchen sprechen die Befunde der Fälle 30, 31, 55, 74
und 77. Wie ersichtlich kommt es durch Diathermieren einerseits zu
einer Verringerung der Resistenz, andererseits zu einer Besserung der
Funktion schlecht funktionierender Blutkörperchen. Der Grund hierzu
mag darin liegen, dass durch das Diathermieren die elektrolytische Disso¬
ziation in den Körpersäften zunimmt und ein reichlicherer Ionenaustausch
zwischen Bestandteilen des Plasmas und des Blutkörpercheninhaltes statt¬
findet. Diese Aenderung der chemisch-physikalischen Vorgänge im Orga¬
nismus durch das Diathermieren drückt sich in vitro durch Veränderung
des Funktionsprüfungsbefundes in der eben beschriebenen Weise aus.
Auch durch vegetarische Kost (Fall 31), durch Kalzium-Arsen und Eisen¬
therapie (Fall 30, 31 und 76) sieht man einen Einfluss. Doch kann ich
mich heute auf eine Deutung hier nicht weiter einlassen, weil diese
wenigen Befunde zu einem abschliessenden Urteil nicht genügen.
Ich komme nun zur Besprechung der Verhältnisse bei Ikterus. Bei
Ikterus, besonders Icterus catarrhalis, haben schon viele Forscher über
eine Resistenzerhöhung berichtet, v. Limbeck, einer der ersten unter
ihnen, erklärt dies damit, dass unter der Wirkung der gallensauren Salze
die minderresistenten Blutkörperchen zugrunde gehen. Es ist dies nach
meiner Meinung zumindest nicht der einzige Grund für diese scheinbare
Resistenzerhöhung. Funktionsprüfungsbefunde geben uns auch hier weitere
Aufklärung. In meiner Tabelle sind 57, 58, 59, 60, 63, 64, 65, 66,
67, 68, 69, 71 und 88 Fälle, die uns Resultate bei Ikterus zeigen. Vor
allem fallen hier die hohen Resistenzwerte auf und die Einengung bzw.
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
150
GOTTFRIED HOLLER
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die vollständige Aufhebung der Minimumfunktionsbreite. Ich greife z. B.
Nr. 71 heraus:
Mi Ri = 0,37, MiR 2 = 0,35
MaR x = 0 (S +), MaR 2 = 0 (S + + +).
Wir müssen uns bei der Deutung dieses Befundes folgendes über¬
legen: Vor allem scheint es auch mir, dass wir die Wirkung der Gallen¬
bestandteile nicht ausser Acht lassen können. Doch stelle ich mir diese
Wirkung anders vor als v. Limbeck. Nach dem schon oben erwähnten
chemisch-physikalischen Gesetze müssen Gallenbestandtcile in der Auf¬
schwemmungsflüssigkeit die osmotische Dissoziation daselbst hemmen.
Dadurch kommt es zu einer Erschwerung im Austausche der Ionen
zwischen Aufschwemmungsflüssigkeit und Blutkörpercheninhalt. Ein der¬
artiges Verhältnis besteht in der Reihe Rj unserer Funktionsprüfungsver¬
suche, ebenso auch zwischen Serum und Blutkörperchen im Blutkreis¬
läufe eines mit Ikterus behafteten Individuums. Auch im lebenden Orga¬
nismus wird durch die Gallenbestandteile die Stoffwechselfunktion der
Blutkörperchen behindert, die osmotische Kraft des Inhalts derartiger
Blutkörperchen dadurch eine niedrigere sein. Wir haben schon früher
bei den hypoplastischen Blutkörperchen gesehen, dass niedrige osmotische
Kraft des Blutkörperchcninhaltes einerseits die Resistenz der Blutscheiben
gegen hypisotonisohe Salzlösungen erhöht, andererseits die Funktions¬
breite * einschränkt. Beides finden wir in unseren Funktionsprüfungs¬
befunden mit ikterischem Blute ausgedrückt. Nach meiner Erklärung
wirken so die Gallenbestandteile hemmend auf die Funktion, schützend
für die Resistenz der Blutscheiben. Allerdings ist auch die von v. Lim¬
beck erwähnte schädigende Wirkung zu berücksichtigen. Sehr häufig
sehen wir nach Rückgang des Ikterus eine tatsächliche Verringerung der
Resistenz in beiden Reihen auftreten. Ganz besonders auffallend war
mir diese Resistenzverringerung bei Fällen von Ikterus infolge Ein¬
klemmung von Steinen im Ductus choledochus nach Abgang des Steines
und Verschwinden des Ikterus. Ich verweise auf Fall 88 meiner Tabelle.
Wir sehen hier Resistenzerhöhung und Fehlen der Minimumfunktions¬
breite zur Zeit des Ikterus, Resistenzverminderung und Wiederauftreten
der Funktionsbreiten nach Verschwinden des Ikterus.
Zur Zeit des Ikterus:
Mi Ri = 0,40, MiR 2 = 0,38 MaR, = 0,16, MaR 2 = 0 (S + +).
Nach dem Ikterus:
MiR* = 0,54, MiR 2 = 0,55 MaRj = 0,30, MaR 2 = 0,26.
Die noch ausgesprochenere Erhöhung der Resistenz in der Reihe R 2
und die damit parallel gehende Vergrösscrung der MaFb bei ikterischem
Blut ist wohl damit zu erklären, dass in den Aufschwemmungsflüssig¬
keiten der Röhrchen dieser Reihe die elektrolytische Dissoziation eine
ausgiebigere und der osmotische Druck in der Aufsehwemmungsflüssig-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Einige Versuchsresultate zum Verständnisse pliysik.-chem. Vorgänge im Blute. 151
keit dadurch ein höherer ist. Deshalb finden wir bei Tkterus in dem
Röhrchen mit destilliertem Wasser der Reihe R 2 sehr häufig noch einen
auffallend reichlichen roten Bodensatz.
Einen Fall mit Ikterus möchte ich aus meiner Tabelle noch speziell
herausgreifen. Es ist dies Falll 63 von einem Individuum, das gleich¬
zeitig ganz ausgesprochene hypoplastische Degenerationszeichen an sich
trug. Hier kommt die Wirkung der Gallenbestandteile bei an und für
sich schon schlecht funktionierenden roten Blutkörperchen zum Ausdruck.
Daher die ganz ausgesprochene Erhöhung der Resistenzwerte in diesem
Falle. Nach dem Rückgang des Ikterus sehen wir die Minimumfunk¬
tionsbreite weiter fehlen.
Zur Zeit des Ikterus:
MiRj = 0,29, MiR 2 = 0,27 MaRi = 0,12, MaR 2 = 0 (S + +).
Rückgang des Ikterus:
MiR x = 0,47, MiRs = 0,45 MaRj = 0,08, MaR 2 = 0 (S + +).
Bei den von mir angeführten Fällen mit Ikterus sehen wir nur ein
einziges Mal im Falle 66 Resistenzerhöhung bei erhaltener Minimum¬
funktionsbreite. Hier handelt es sich aber um Ikterus bei einer
Schwangeren.
Zum weiteren Verständnis füge ich noch ein, dass ich zum Nach¬
weise hypoplastischer Blutkörperchen, sowie zum Studium der Verhält¬
nisse bei Ikterus das Blut immer zur Zeit bester Verdauung entnehme.
Wir kommen nun zur letzten Gruppe meiner Versuche, zur Be¬
trachtung der Verhältnisse bei Anämien, Nr. 73, 74, 75, 76, 77, 78, 80,
81, 82, 83, 86, 87, 89.
Nach meinen Erfahrungen kommt es nach grossen Blutverlusten
anfangs zu Resistenzwerten, die an der oberen Grenze der Norm liegen,
und auch die Funktionsbreiten bleiben zuerst erhalten. Später im
Regenerationsstadiura treffen wir auf minder resistente, schlechter funk¬
tionierende rote Blutkörperchen (Fall 73 unserer Tabelle). Bei kleinen,
aber anhaltenden Blutverlusten, wie z. B. bei okkulten Darmblutungen
und dadurch bedingten Anämien, nimmt die Funktion der Blut¬
körperchen ab.
Schwere Chlorosen verlaufen mit Verringerung der Resistenz vor¬
nehmlich an der Minimumgrenze und Einengung der Funktionsbreiten.
Einen ganz auffallenden charakteristischen Befund ergibt der Funk¬
tionsprüfungsversuch bei hämolytischen Anämien. Ich habe die Be¬
sprechung dieser interessanten Resultate absichtlich bis zum Schlüsse
aufgehoben, weil ich glaube, dass sie zum Verständnis des bisher Ge¬
sagten am meisten beitragen. Deshalb werde , ich hier auch ausführlicher
sein. Ich bringe zunächst die Resultate zweier solcher Funktions¬
prüfungsversuche:
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
152
GOTTFRIED HOLLER
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Nr. 83 Anaemia perniciosa:
Mi 1^ = 0,40, MiR 2 = 0,57 MaR x = 0,24, MaR 2 = 0,30.
Nr. 87 Icterus haeraolyticus:
MiR x == 0,50, MiRj = 0,60 MaRi = 0,34, Malt* = 0,36.
Auffallend ist in diesen beiden Fällen die hochgradige Erweiterung
der MiFb, während die MaFb ganz fehlt. Wie lässt sich dieser Befund
deuten? Wenn wir denselben mit dem Befunde der mit Kohlensäure vor¬
behandelten Blutkörperchen vergleichen, so kommen wir zu dem wohl
berechtigten Schluss, dass in diesen Fällen von hämolytischen Anämien
in den Blutscheiben mehrwertige diffusible Ionen vorhanden sind, die in
normalen Blutkörperchen fehlen oder zumindest dort nicht so reichlich
vorhanden sind, und die in demselben Sinne wie im Kohlensäureversuche
die C0 3 "-Ionen wirken.
Damit diese Erklärung berechtigt ist, müssen wir aber vorerst aus-
schliessen können, dass dies Kohlensäurewirkung ist. Diese Ansicht
hätte auf den ersten Blick etwas Bestechendes an sich. Wir wissen ja,
dass die Erythrozyten bei hämolytischen Anämien sehr hämoglobinreich
sind; nun verbindet sich die Kohlensäure gerade mit dem Hämoglobin
des Blutkörperchens, und es wäre nun wohl denkbar, dass solche hämo¬
globinreiche rote Blutkörperchen auch kohlensäurereicher und so durch
die Wirkung der Kohlensäure minder resistent sind. Damit lässt sich
aber eine weitere so ausgesprochene Verringerung der Resistenz nach
dem Waschen, wodurch die Weite der Funktionsbreite zustande kommt,
schwer erklären. Ich habe schon früher bei der Besprechung der Be¬
funde bei Zyanose erwähnt, dass ich die Ansicht habe, dass die
(XV'-Ionen sehr leicht austauschbar sind und rasch den Blutkörperchen-
inhalt verlassen, so dass sie schon bei einmaligem Aufschwemmen aus- 1
treten. Hierdurch kommt es dann zu einer Resistenzverringcrung in j
beiden Reihen unserer Funktions-Prüfungsversuche in gleichem Masse. i
Die weitere Verringerung der Resistenz durch das Waschen muss aber >
infolge des Austausches schwerer diffusibler, mehrwertiger Ionen des ,
Blutkörpercheninhalts gegen einwertige Cl'-Ionen der Aufschwemmungs¬
flüssigkeit entstehen. Diese mehrwertigen Ionen, wahrscheinlich nicht
C0 3 // -Ioncn, sind es nun, welche im Inhalt der Blutkörperchen von hämo¬
lytischen Anämien, vor allem in Stadien stärkeren Blutzerfalles vermehrt
zu sein scheinen.
Um mir nun weitere Einsicht in die chemisch-physikalischen Ver¬
hältnisse, die im Blute von primär-hämolytischen Anämien bestehen, zu
verschaffen, machte ich noch einige Versuche.
Ich hatte bei Fall 86 meiner Tabelle (hämolytischer Ikterus) als
Resultat bei einem gewöhnlichen Funktionsprüfungsversuche folgende
Werte gefunden:
MiR x = 0,46, MiR 2 = 0,60 MaRj = 0,24, MaR 2 = 0,32.
Original from
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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 153
Mit einem Teile von derselben Blutaufschwemmung, mit der ich in dem
eben angeführten Funktionsprüfungsversuch die Röhrchen der Reihe R x nach¬
gefüllt hatte, führte ich nun den schon früher beschriebenen Kohlensäure¬
versuch aus. Das heisst, ich halbierte mir wieder die Blutaufschwemmung,
leitete durch den einen Teil längere Zeit hindurch Kohlensäure, durch den
anderen ebensolange Sauerstoff, und benutzte nun diese einerseits kohlen-
säurereichen, anderseits kohlensäurearmen Blutkörperchen zu Funklions¬
prüfungsversuchen. Ich erhielt dabei folgende Resultate:
1. mit C0 2 -reichen Blutkörperchen:
MiR x = 0,53, MiR 2 = 0,68 MaR x = 0,22, MaRo = 0,26,
2. mit C0 2 -armen Blutkörperchen:
MiR x = 0,45, MiR 2 = 0,58 MaR* = 0,26, MaR 2 = 0,34.
Man sieht aus diesen Resultaten, dass durch die Kohlensäure die
Resistenz iti beiden Reihen ziemlich gleichmässig beeinflusst wird, dass
unter dem Einfluss von Kohlensäure und Sauerstoff die Funktionsbreiten
nur sehr wenig beeinflusst werden. Es scheint also auch nach diesem
Versuche meine frühere Annahme bestätigt zu werden, dass die C0 3 "-
Ionen zum grössten Teil leicht diffusibel sind und die Weite der Funktions¬
breiten durch den Gehalt des Blutkörpercheninhaltes an anderen schwerer
diffusiblen, mehrwertigen Ionen bedingt sei.
Ausserdem bereitete ich mir eine 5 proz. Aufschwemmung derselben
hämolytischen Blutkörperchen (zur selben Zeit entnommen) in einer den
Blutkörperchen nahezu isotonischen (4,15 proz.) Traubenzuckerlösung.
Nachdem ich diese Blutaufschwemmung halbiert, den einen Teil
dreimal mit 4,15 proz. Traubenzuckerlösung gewaschen hatte und darauf
mit diesen beiden Aufschwemmungen von einerseits Blut und ander¬
seits Blutkörperchen in Traubenzuckerlösung meine Röhrchen mit den
verschieden konzentrierten NaCl-Lösungen, wie ich sie auch sonst bei
gewöhnlichen Funktionsprüfungsbefunden benutzt hatte, in der Reihe Rj
mit 0,2 ccm der Traubenzucker-Blutaufschweramung, in der Reihe I^ mit
0,2 ccm der Traubenzucker-Blutkörperchenaufschwemmung nachgefüllt
hatte, erhielt ich folgende Resultate:
MiR x = 0,45, MiR> = 0,45 Mal^ = 0,24, Mall, = 0,24.
Auch dieser Versuch ist lehrreich; auch er zeigt uns, dass die Weite
der Funktionsbreiten von dem Austausch zwischen mehrwertigen Ionen
des Blutkörpercheninhaltes und einwertigen Ionen der Aufschwemmungs¬
flüssigkeit abhängt. Ist die Aufschwemmungsflüssigkeit wie hier eine
reine Traubenzuckerlösung, so fehlen in ihr einwertige Ionen vollständig
und dementsprechend fehlen auch die Funktionsbreiten.
Alle diese Befunde weisen darauf hin, dass bei primär-hämolytischen
Anämien die chemisch-physikalischen Verhältnisse im Blutkörperchen¬
inhalte im Vergleich zu gesunden Blutkörperchen verändert sind, dass
die Ursache zur verfrühten Hämolyse im Funktionsprüfungsbefunde in
ihnen selbst gelegen ist.
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Original from
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154
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GOTTFRIED HOLLER,
Demgegenüber stehen die Befunde bei sekundär-hämolytischen Anämien,
wie z. B. im Falle 89 unserer Tabelle. Bei diesem Falle einer septischen
Anämie scheint das toxische Agens durch Schädigung der protoplasma¬
tischen Hülle der Blutkörperchen zur Zerstörung derselben ira Kreislauf
geführt zu haben, während sich ein Einfluss auf den intraglobulären Inhalt
im Sinne des Befundes bei Anaemia perniciosa nicht nachweisen lässt.
Es liegt im Gegenteil in den fieberfreien Intervallen ein Befund vor, wie
wir ihn schon früher bei den Betrachtungen über hypoplastische Blut¬
körperchen kennen gelernt haben und den Zanier und Ubbel zuerst für
fötales Blut nachweisen konnten. Da handelt es sich wohl kaum um ein
zufälliges Zusammentreffen, sondern nach dem rapiden Zugrundegehen
funktionstüchtiger Blutkörperchen im Kreisläufe durch den septischen
Prozess dürfte es wohl gleichzeitig unterstützt durch eine Schädigung der
Blutbildungsstätten zu einem embryonalen Rückschläge daselbst kommen,
so dass nurmehr den fötalen ähnliche, also funktionsminderwertige Blut¬
körperchen gebildet und in den Kreislauf ausgeschwemmt werden. Derartige
funktionell untüchtige Blutkörperchen finden sich bei solchen Prozessen
schon in Zeiten, wo morphologische Veränderungen an ihnen noch kaum
nachweisbar sind. Letztere pflegen bald darauf zu folgen. Zur Zeit von
Fieberattacken finden wir bei solchen septischen Anämien die Resistenz
in beiden Reihen ziemlich gleichmässig verringert, was für die schon
früher erwähnte Schädigung der protoplasmatischen Hülle der Blut¬
körperchen durch das toxische Agens spricht.
Es muss uns eigentlich wundernehmen, dass nicht auch in Fällen
von primär-hämolytischen Anämien schlecht funktionierende Erythrozyten
im Blute kreisen. In der Tat scheint auch hier eine Tendenz zur Bildung
hypoplastischer Blutscheiben zu bestehen. Wir sehen dementsprechend
die eine Komponente des Merkzeichens hypoplastischer Blutkörperchen,
die Zunahme der MiR x , erhalten, während die andere Komponente, das
Fehlen der Funktionsbreite, jedenfalls durch die überwiegende Macht neu
hinzugekommener Faktoren weiten Funktionsbreiten Platz machen muss.
Dies verleiht den primär-hämolytischen Anämien im Funktionsprüfungs¬
versuch ihr spezifisches Gepräge. Ich stelle es mir eventuell so vor,
dass die Blutkörperchen bei primär-hämolytischen Anämien mit fötalen
und hypoplastischen den grossen Gehalt an Stroma und Hämoglobin
gemein haben, dass aber ihre intraglobuläre Flüssigkeit reichlich mehr¬
wertige, schwer diffusible Ionen enthält. Diese schwer diffusiblen Ionen
(man könnte sich auch vorstellen, dass ihr Austreten durch die Dicke
des Protoplasmas erschwert ist) treten erst bei wiederholtem Waschen
aus, dann aber erfolgt durch den Austausch mit einwertigen CI'-Ionen
eine mächtige Steigerung des osmotischen Drucks im Blutkörpercheninhalt.
Dadurch tritt bei primär-hämolytischen Anämien im Funktionsprüfungs¬
versuch die MiR 2 in einem Röhrchen mit weit höher konzentrierter NaCl-
Lösung auf als die MiR x und kommt es so zu der weiten Funktionsbreite.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 155
Es besteht also ein einschneidender Unterschied der Funktionsprüfungs¬
befunde einerseits bei primären, andererseits bei sekundären hämolytischen
Anämien, und können wir so auch hier das Resultat eines derartigen,
nur wenig zeitraubenden Versuches für klinisch-diagnostische Zwecke sehr
wohl verwerten.
Zusammenfassung.
1. Die Bedeutung meiner Art der Untersuchung in Doppelreihen mit
gewaschenen und ungewaschenen Blutkörperchen, die ich Funktions¬
prüfung nenne, liegt vor allem darin, dass sie uns Aufschlüsse über
chemisch-physikalische Verhältnisse im Blute des lebenden Organismus
gibt und dass sie eine verhältnismässig einfache, für den Kliniker
leicht handliche und nicht zu sehr zeitraubende Methode ist.
2. Als neuen Gesichtspunkt möchte ich auf Grund meiner Untersuchungen
einen Faktor ins Auge fassen, den ich als Funktionsbreite bezeichne
und der mir unter Umständen wesentlicher erscheint als das Resultat
der nur nach einer Methode durchgeführten Untersuchung auf Resistenz.
3. Der von mir als Funktionsbreite bezeichnete Faktor gilt für Versuche
mit NaCl-Lösungen und ist ein Ausdruck für die Grösse des Aus¬
tausches einwertiger Cl'-Ionen der Aufschwemmungsflüssigkeit mit
verschiedenen, mehrwertigen, diffusiblen Ionen des Blutkörperchen¬
inhaltes. Wir können daraus auf die Funktionstüchtigkeit der Blut¬
körperchen im Organismus schliessen.
4. Haben diese Befunde namentlich in Fällen von hämolytischen Anämien
auch ein theoretisches Interesse, insofern sie in Analogie zum Kohlen¬
säureversuch darauf hinweisen, dass in den Fällen von primär-hämo¬
lytischen Anämien nicht eine rein mechanische Minderwertigkeit der
Blutkörpcrchenhülle besteht, sondern eine biochemische Eigenart solcher
Erythrozyten ihre verfrühte Lyse bedingt. Hier gebührt dem Funktions¬
prüfungsversuch diagnostischer Wert.
5. Geben sie uns einen Aufschluss für die Frage: Was sind hypoplastische
Blutkörperchen? Danach sind hypoplastische Blutkörperchen solche,
die im Funktionsprüfungsversuch eine eingeengte Funktionsbreite zeigen
oder bei denen eine Funktionsbreite trotz wiederholter Versuche ganz
fehlt und die dann auch im Organismus schlecht zu funktionieren
scheinen. Solche Blutkörperchen sind gleichzeitig gegen hypisotonische
Salzlösungen sehr resistent. Damit habe ich mit Hilfe der Funktions¬
prüfungsversuche die Symptomatologie des Status hypoplasticus um
ein neues, wichtiges Merkzeichen bereichert.
6. Auch in die Verhältnisse bei verschiedenen anderen Krankheiten, wie
bei Chlorose, bei Blutungsanämien, Ikterus, Fieberzuständen usw. geben
uns derartige Funktionsprüfungsversuche einigen Einblick.
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X.
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Aus der Universitätskinderklinik in Freiburg i. Br.
(Direktor: Prof. Dr. Noeggerath).
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vor¬
behandelter Kaninchen auf den Blutdruck normaler.
Von
Dr. H. Zondek,
jetzigem Assistenten der I. med. Universitätsklinik in Berlin.
(Mit 2 Kurven im Text.)
Die grosse klinische Bedeutung des Blutdrucks in der Diphtherie¬
frage veranlasste mich zur Untersuchung der meines Wissens bisher noch
nicht behandelten Frage: Welche Wirkung auf den Blutdruck übt das
Serum mit Diphtherietoxin akut vergifteter, sowie diphtherienephritischer
Tiere bei Uebcrtragung auf gesunde Tiere der gleichen Art aus?
Dabei schien es mir nicht unmöglich, auch in der Frage nach dem
Ursprung der diphtherischen Blutdrucksenkung, in der Entscheidung, ob
primäre Herzwirkung oder Lähmung der Gefässzentren [v. Steyskal 1 )
einerseits und Romberg 2 ), Pässler 3 ), Gottlieb 4 ), Rolly 5 ), Iwanowa 6 )
andererseits] Aufschlüsse zu gewinnen.
Als Vorfragen für meine Experimente, für die ich durchweg Kaninchen
verwandte, waren Kontrollversuche zur Lösung folgender Fragen nötig:
1. Welches ist die Blutdruckwirkung des normalen Kaninchenserums
auf Kaninchen?
2. Welche Wirkung hat das Serum von Tieren, die beispielsweise
mittels Uran oder Chrom nephritisch gemacht worden sind?
3. Welches ist die Wirkung des Diphtherietoxins selbst bei intra¬
venöser Injektion? Hat es neben der bekannten allmählich
auftretenden Blutdrucksenkung auch eine akute zur Folge?
Verfahren zur Serumgewinnung.
Das Blut wurde dem eben mit Aether narkotisierten Tiere unter sterilen Kautelen
mittels einer in die Karotis eingefübrten Kanüle entnommen und in einem Mess-
1) v. Steyskal, Diese Zeitschr. Bd. 51. H. 1 u. 2.
2) Homberg, Berliner klin.Wochenschr. 1895. Nr. 51 u. 52.
3) Pässler, Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 77.
4) Gottlieb, Med. Klinik. 1905. Nr. 25.
5) Rolly, Arohiv f. exp. Pathol. Bd. 72.
6) Iwanowa, Deutsche med.Wochenschr. 1908.
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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 157
zylinder aufgefangen. Die auf diese Weise bis zur Verblutung gewonnene Blutmenge
betrug im Mittel 100 ccm. Das Blut wurde im Eisschrank aufbewahrt, das Serum
setzte sich spontan ab. Am nächsten Tage wurde es noch ausserdem 4—6 Stunden
zentrifugiert und vor dem Gebrauch stets mikroskopisch auf seinen etwaigen Gehalt
an roten Blutkörperchen untersucht. Es war stets völlig blutfrei, vollkommen geruch¬
los, seine Farbe blassgrau, klar. Vor der Injektion wurde es stets auf 37° im Wasser¬
bade erwärmt.
Methode der Blutdruckmessung.
Zur ßlutdruckbestiraraung benutzte ich die van Leersumsche
Methode der unblutigen Messung, die von mir in einigen Punkten modi¬
fiziert worden ist.
Die freipräparierte Karotis einer Halsseite wird in einen wurstförmigen Schlauch
von Bindegewebe und dünner Muskulatur eingenäht, so dass der Blutdruck bequem
an der oberflächlich gelagerten Arterie mittels des Recklinghausen sehen Apparates
messbar ist.
Hinsichtlich der genaueren Detaillierung der Methode sei auf meine Arbeit:
„Beeinflussung des Blutdrucks bei akuter experimenteller Nephritis“ (Deutsches Arch.
f. klin. Med., 1914, Bd. 115, S. 1) verwiesen.
Vor Beginn der Messung liess ich jedes Mal das Tier etwa x / 4 Stunde sich in
seiner Fesselung beruhigen.
Versuche mit Normalserum.
Tier IV (normales Tier).
Ernährung: Grünes und Hafer.
29. 12. 13 abends 5 3 / 4 Uhr:
Puls 132,
Atmung 60,
Urin: A —, S —,
Blutdruck 115—178.
Aus der eröffneten Karotis wird das
Blut in der oben angegebenen Weise ent¬
nommen. Tier stirbt an Verblutung. Das
Blut wird auf Eis bis zum nächsten Tage
aufbewahrt.
Tier V (Kon troll versuch I).
Gewicht: 1760 g.
Ernährung: Grünes und Hafer.
29. 12 . Urin frei,
Atmung 36,
Puls 120,
Blutdruck 125—180.
Erhält um 6 V 2 Uhr nachmittags 1 ccm
Diphtherietoxin (Lösung in NaCl 1 : 5)
subkutan.
30. 12. nachmittags 6 V 2 Uhr:
Atmung 30,
Puls 138,
Blutdruck 110—159.
Das Tier ist ziemlich munter, hatte
vor 1 Stunde gut gefressen.
6 h 37' Injektion 1 ccm Serum von
Tier IV (normales Serum) in
die Ohrvene.
6 h 38' Blutdruck 115—159
rh39' „ 110-160
6 h 39' 30" „ 120—160
] 6 h 40'
Injektion einer 2. Spritze des¬
selben Serums.
6 h 41'
Blutdruck
110-148
6 h 42'
yy
110—152
6 h 43'
110-159
6 h 43' 50"
y)
108—159
6 h 44'20"
n
110-159
6 h 45'
Injektion einer 3. Spritze des¬
selben Serums. Atmung sehr
langsam, aber gleichmässig.
6 h 46'
Blutdruck
110-159
6 h 47'
J)
110-150
6 h 48'
108-150
6 h 48' 40"
n
110-155
6 h 49'
110—158
6 h 50'
y>
110-159
6 h 51'
*
110-160
7 h 30'
110-159
l l / 2 Uhr: Tier leidlich munter, ist beim
Aufspannen wild. Wird durch Nacken¬
schlag getötet. Urin nicht zu erhalten.
Blase ist fast vollständig leer.
Sektion.
Im ganzen ohne Besonderheiten.
Nieren: Rinde scheint verwaschen.
Mikroskopisch.
Nieren: Starke Schwellung und Des¬
quamation der Epithelien der gewun¬
denen Harnkanälchen und Henleschen
Schleifen. Zahlreiche Lumina mit Ki-
weiss verstopft. Giomeruli offenbar
intakt.
Nebennieren: Starke Lipoidanhäufung
in der Rinde. Mark ohne Besonder¬
heiten.
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
158
H. ZONDEK
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Tier VI (Kontrollversuch 11^.
Gewicht: 1750 g.
Ernährung: Grünes und Hafer.
30. 12. 13 Atmung 43,
Puls 132,
Urin: A —, S —.
7 h Blutdruck 115—176
7 h 2' Injektion von 1 ccm Serum von
Tier IV (normales Serum) in
die Ohrvene.
7 h 2' 30" Blutdruck 110 — 170
7 h 3' , 115-170
7h 4' „ 115-169
7 h 4' 20" „ 110-173
Atmung gleich- u. regelmässig.
7 h 5" Blutdruck 115 — 172
7 h 6' 30" „ 115—175
7 h 7' „ 115-176
7h 9' * 115-177
7 h 15' „ 115-176
7 h 16' Tier erhält nun 1 / 2 ccm Uran-
nitrat (Lös. 1 : 100) subkutan.
31. 12. nachmittags gegen 5 Uhr ist das
Tier völlig munter, frisst gut. Erhält
wieder 1 / 2 cg Urannitrat subkutan.
1. 1. 14 nachmittags gegen 4 Uhr: Tier
munter. Erhält l j 2 cg Urannitrat subkut.
2. 1. nachmittags um 6 Uhr: Tier munter.
Atmung gleichmässig und regelmässig.
Urin: AH—|- (Esbach nicht messbar),
S -.
Sediment: Zahlreiche granul. Zylinder,
einige hyaline, zahlreiche Leukozyten,
vereinzelte Erythrozyten.
Blutdruck: 128 — 200.
Dem Tier wird unter denselben Be¬
dingungen und auf dieselbe Art wie dies
bei Tier I geschah, das Blut aus der
Karotis gelassen, das Serum durch Zentri¬
fugieren gewonnen und auf Eis gestellt.
(Im Serum mikroskopisch keine Erythro¬
zyten.) Es steht etwa 24 Stunden im
Eisschrank bis zur Verwendung.
Das Serum beträgt also einen Steige¬
rungskoeffizienten von 24 cm H 2 0 gegen
die Norm.
Tier Via (Kontrollversuch III).
774 Uhr nachmittags:
Blutdruck 118—186,
Atmung 50,
Puls 150.
I.
7 h 15'
Erhält 1
intravenös
injiziert.
ccm Normalscrum
(in die Ohrvene)
7 h 16'
Blutdruck
120-182
7 h 17'
120-186
7 h 18'
118-183
7 h 18'30"
115-186
7 h 19'
115-182
7 h 19' 30"
r
112—191
7 h 20'
»
112-190
7h 21'
n
120-188
II.
7 h 22" 2 ccm Normalserum intravenös
injiziert.
7 h 23' Blutdruck 115—188
7 h 24' r 120-188
7h 24 / 30 // „ 115-181
7 h 25' r 120-185
7 h 26' „ 120-186
7 h 26' 30" „ 120-186
7 h 27' „ 125-182
7 h 28' * 125-188
7 h 28'30" * 120-186
7 h 29' * 125-186
III.
7 h 30' 1 ccm Normalserum intravenös.
7 h 31' Blutdruck 110-189
7 h 32' „ 125-191
7 h 33' „ 125-188
Puls 96 (leicht unregelmässig)
Atmung 48.
7 h 34' Blutdruck 120-184
7 h 35' „ 120-186
7 h 40' „ 120—187
Die vorstehenden Kontrollversuche zeigen, dass die intravenöse
Injektion des Normalserums den Blutdruck gesunder Kaninchen entweder
gar nicht beeinflusst oder ihn doch nur so wenig herabzusetzen imstande
ist, wie dies auch sonst bei Zuführung irgendwelcher indifferenten Sub¬
stanzen oft der Fall ist.
Im Kontrollversuch I, bei dem die Uebcrtragung des Serums auf ein
mit Diphtherietoxin 24 Stunden vorher vergiftetes Tier, das übrigens
eine deutliche Blutdrucksenkung zeigt, stattfindet, tritt selbst nach In¬
jektion der 3 ccm Serums kaum eine deutlichere weitere Senkung des
Blutdrucks innerhalb der nächsten Stunde ein. Gleichwohl scheint er
sich im ganzen doch in seiner Balance etwas labiler zu verhalten, als
der ganz normale (Kontrollversuch II). Auf die Beschreibung der übrigen
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 159
5 Uebertragungen von Normalserum, die im gleichen Sinne ausfielen,
kann ich der Kürze wegen verzichten.
Versuche mit nephritischen Kaninchen-Seris.
Um die Analogie mit den Seris der weiter unten zu beschreibenden
diphtherischen Entnahmetiere zu wahren, wurden als Kontroll-Serum-
spender Tiere verwandt, bei denen ebenfalls Nephritiden tubulärer Natur
erzeugt waren. Wie aus den unten stehenden Protokollen ersichtlich ist,
zeigte nämlich auch die Nephritis der diphtherischen Entnahmetiere,
vorausgesetzt, dass eine solche vorhanden war, tubulären Charakter.
a) mit Uranserum (Entnahmetier VI).
Tier VII (grau).
Ernährung: Grünes und Hafer.
Gewicht: 2000 g.
2. 12. abends 7V 4 Uhr:
Puls 108,
Atmung 36,
Urin: A —, S —,
Blutdruck 120-ISO.
Erhält 1 ccm Diphtherietoxin (Lösung in
NaCl 1: 5) subkutan.
3. 12. Tier leidlich munter, ist beim Auf¬
spannen noch sehr wild.
Atmung 64 (gleichmässig. regel¬
mässig),
Puls 132,
bis 6 h 34' Blutdruck 115 — 148,
I.
6 h 35' Injektion von 0,65 g Uranserutn
von Tier VI in die Ohrvene.
6 h 35'30" Blutdruck 115-156
6 h 35' 50" * 118-166
6 h 36' 30" „ 121-171
6 h 37' r 120-170
6 h 37'30" r 115—168
6 h 38' „ 120—170
6 h 38'30" „ 118-170
6 h 39' „ 118—168
6 h 39'30" „ 120-158
6 h 40' „ 120—150
6h 41' „ 115—148
6 h 42' „ 115-148
II.
6 h 44' Injektion von 0,7 g desselben
Serums intravenös.
6 h 44' 20" Blutdruck 120—158
6 h 44'40" * 120-162
6 h 45' , 120-166
6 h 45' 30" * 122—172
6 h 46'30" „ 125-171
6 h 47' „ 125—172
6 h 47'30" „ 125-172
6 h 48' * 118—168
6 h 48'30" „ 118-165
6 h 49' Puls 120
Atmung 44, leicht stossend.
6 h 50' Blutdruck 115—155
6 h 50'30" * 112—148
6 h 51' 20" Blutdruck 115 — 148
6 h 52' „ 115-148
III.
6 h 54' Injektion von 1,5 g desselben
Serums intravenös, Tierzappelt
dabei etwas.
6 h 55' Blutdruck 125 — 179
6 h 55'30" „ 130-188
Atmung stärker stossend.
Gh 56' Blutdruck 128—200
(Tier ruhig)
[ G h 56' 30" Blutdruck 120—198
6 h 57' * 128—181
6 h 58' „ 122—172
6 h 58'30" r 122—168
6 h 59' * 125-160
6 h 59'30" r 125—168 (zappelt)
7 h r 120-158
7 h 30" „ 118—149
7 h 1' „ 115-148
7 h 2' • * 115—148
IV.
7 h 4' Injektion von 1,5 g desselben
Serums (intravenös)
7 h 4'40" Blutdruck 120—200
7 h 5' „ 130-195
7 h 6' Blutdruck 130 — 192
7 h 7' „ 130-180
Messung abgebrochen.
! 7 V 2 Uhr. Tier durch Luftembolie getötet.
Urin: AH—[-, leicht blutig gefärbt. (Es¬
bach nicht messbar.) S-Probc nicht
ausführbar. Sediment: zahlreiche Leuko¬
zyten und Erythrozyten, einige hyaline
Zylinder, ganz wenige granulierte.
Sektion.
Nieren: ausserordentlich stark vergrössert,
Kapsel stark gespannt, von dunkelblauer
! Farbe. Auf dem Durchschnitt starke
| Hyperämie von Rinde und Mark, deren
i Grenze relativ deutlich ist.
j Nebennieren: anscheinend vergrössert.
I Milz: tief dunkelblass gefärbt, vergrössert.
Darm: ebenfalls stark hypcrämisch.
Blase: 0 . B.
Sonst 0 . B.
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
IGO
II. ZONDEK
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Mikroskopisch.
Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitt): Hoch¬
gradige Schwellung und an zahlreichen
Stellen deutliche Desquamation der
Kpithelien der gewundenen Harnkanäl¬
chen und der Henleschen Schleifen.
In den Luminis an zahlreichen Stellen
Eiweiss. Glomcruli nicht .nachweislich
verändert.
Nebennieren: Starke Lipoidanhäufung
in der Rinde. Mark o. B.
Tier VIII (schwarz).
Ernährung: Grünes und Hafer.
Gewicht 2000 g.
2. 12. abends l 1 j 2 Uhr:
Puls 156,
Atmung 80,
Urin: A —, S —,
Blutdruck 122—179.
Erhält 1 ccm Diphtherietoxin (Lösung
in NaCl 1:5) subkutan.
3. 12. Tier ziemlich munter, keine Durch¬
fälle.
Atmung 68 (gleichmässig, regel¬
mässig),
Puls 132,
bis 5 h 33' Blutdruck 118—152.
5 h 33' 30" Injektion von 0,5 ccm Uran¬
serum von Tier VI intravenös.
5 h 34' 30"
5 h 35'
5 h 36'
5 h 36' 50"
5 h 37' 30"
5 h 38'
5 h 38' 40"
5 h 39' 20"
5 h 40'
5 h 40' 50"
5 h 42'
5 h 42' 30"
5 h 43'
5 h 43' 30"
5 h 44' 20"
5 h 45'
5 h 45' 30"
I.
Blutdruck
r
*
w
yy
*
yy
T)
r»
n
yy
n
yy
Blutdruck
n
yy
118—162
126—166
128—168
118-16S
128—168
118—16£
118-159
120-159
125—159
115—152
115-152
115—153
120—155
120—160
120-152
118-152
118—152
5 h 46' 40"
Blutdruck 130—174
5 h 47' 30"
»
130-185
5 h 48'
yy
115—182
5 h 49'
yy
122—180
5 h 50'
V
122—180
5 h 51'
yy
125-180
5 h 52'
yy
125-178
5 h 52'
30"
T
122—175
5 h 53'
yy
118—172
5 h 54'
T)
125—168
5 h 54'
30"
yy
122-162
Atmung48, regelmässig,gleich¬
mässig, Puls 126.
Blutdruck 115—155
5 h 55'
5 h 56'
*
110-156
5 h 57'
115-156
5 h 58'
ji
120—155
5 h 59'
115-152
5 h 59' 30"
yy
115—152
6h
115—152
III.
6 h 1'
Injektion von 0,6 ccm desselben
Serums intravenös.
6 h 2'
Blutdruck 125—170
6 h 3'
yy
125—176
6 h 4'
yy
120-170
6 h 4'
30"
«
118—168
6 h 5'
yy
118-170
6 h 5'
30"
Ti
118—168
6 h 6'
yy
118-169
6 h 7'
y>
118-166
6 h 8'
yy
115—155
6 h 9'
115—152
6 h 9'
30"
yy
115-152
6 h 10'
r>
115—151
6h 11'
yy
115—150
6 h 12'
yy
115-148
6 h 13'
r
115-148
Tier ziemlich matt,
durch Nackenschlag
getötet.
Urin: Menge reicht nur zur Ei weissprobe
aus. A 4- +• Derselbe ist deutlich
blutig.
Sektion.
Nieren: stark geschwollen, nicht sonder¬
lich verfärbt. Rinde scheint verwaschen.
Nebennieren: anscheinend geschwollen.
Sonst o. B.
5 h 46'
II.
Injektion von 0,75 ccm des¬
selben Serums intravenös.
Mikroskopisch.
Nieren und Nebennieren wie bei Tier V.
Das Serum des Urantieres, dessen Blutdruck unter dem Einfluss
der Nephritis (an drei aufeinanderfolgenden Tagen je J / 2 cg Urannitrat)
um 24 cm gestiegen ist, bewirkt bei der Uebertragung auf die Diphtherie¬
tiere, bei denen der Blutdruck gesunken ist, eine deutliche ganz akute
Steigerung desselben; sie ist von relativ kurzer Dauer. Verharrungsfrist
des Blutdrucks auf der Höhe 1—2 Minuten. Darauf ziemlich schneller
Abstieg.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 161
Diese blutdrucksteigernde Tendenz, an deren Eindeutigkeit nicht zu
zweifeln ist, kehrt in allen Uranversuchen wieder. Es lag mir daran,
mit möglichst kleinen Dosen zu arbeiten, um diejenige Serummengc zu
eruieren, die imstande ist, den Steigerungskoeffizienten des betreffenden
Serums (also in dem Falle 24 cm) auf das Versuchstier gerade noch zu
übertragen. Die Versuche VIH (III) und VII (I, II) scheinen dafür zu
sprechen, dass diese Verhältnisse zutreffen, wenn man das Uranserura
in Mengen von etwa 0,65—0,70 g dem Versuchstier injiziert. Mit anderen
Worten: 0,65—0,70 g Uranserum enthält offenbar diejenige
Quantität blutdrucksteigernder Substanz, die — bis zu dem
Moment ihrer Zersetzung bzw. Ausscheidung aus dem Orga¬
nismus — den Gefässtonus des Diphtherietoxintieres auf das
Niveau des nephritischen Entnahmetieres steigert.
b) mit Chromserum (Entnahmetier 1).
Tier I.
Gewicht 1450 g.
2. 12. abends & l / 2 Uhr: Tier munter.
Blutdruck 115—179,
Urin: A —, S —.
Erhält V 2 g Kal. chromici (2,0/30,0)
subkutan.
3. 12. Tier munter, frisst gut.
Ernährung: Grünes und Hafer.
Erhält V 4 g Kal. chromici (2,0/80,0)
subkutan.
4. 12. Tier munter, frisst gut.
nachm. 5 Uhr: Blutdruck 125—190.
Urin: A+. (Esbach nicht
messbar.) S —. Sediment:
ziemlich reichlich granu¬
lierte Zylinder, reichlich
Leukozyten, Epithelien,
wenige Erythrozyten.
Erhält V 2 g Kal. chromici (2,0/30,0)
subkutan.
5. 12. abends 7 Uhr: Tier munter.
Blutdruck 130—198.
7 V 4 Uhr: In leichter Narkose wird die
Karotis freigelegt, eine sterile Kanüle
in sie eingeführt, aus welcher das Tier
verblutet. Das Blut (etwa 75 ccm) wird
steril aufgefangen und auf Eis gestellt.
Tier II.
Ernährung: Grünes und Hafer.
5. 12. abends 7 Uhr:
Puls 112,
Atmung 100,
Blutdruck 120—179,
Urin: A —, S —.
Erhält um 7 '/ 2 Uhr 1 ccm einfachen
Diphtherietoxins subkutan.
6. 12. mittags 2 Uhr: Tier munter, keine
Durchfälle.
Atmung leicht hebend, 66 in der Min.,
Zeitselir. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2.
Puls regelmässig. 114 in der Min.,
Urin: siehe unten,
Blutdruck 120—166 (wiederholt in voll¬
ständiger Ruhe des Tieres gemessen).
2 h 8' bis 2 h 9' Injektion von 2 ccm Serum
des dem Tier I am 5. 12. entnommenen
Blutes intravenös (Ohrvene).
2 h 10' Blutdruck
129-183
2h 11'
130—185
2 h 12'
130-189
2 h 13'
»
128—185
2 h 14'
n
130-185
2 h 15'
n
125—185
2 h 16'
V
130-183
2 h 16' 50"
128—178
2 h 17' 20"
W
125-169
2 h 18'
V
125-165
2 h 18'
n
120-166
2 h 19' 30"
r»
120-r-166
2 h 20'
n
120—165
2h 21'
n
120—166
Im Urin,
der vor
der Seruminjektion
entnommen wurde, fand sich: A+ (Es¬
bach nicht messbar). S? (Nicht genügender
Urin.) Sediment: massenhafte Leukozyten,
wenige Erythrozyten, wenig hyaline und
ganz vereinzelte granuläre Zylinder.
In der Nacht zum 7. 12. Exitus letalis.
Tier III.
Ernährung: Grünes und nafer.
Gewicht 1700 g.
5. 12. abends 7Vi Uhr:
Puls 116,
Atmung 52,
Blutdruck 115—181,
Urin: A —, S —.
Erhält 1 ccm eines einfachen Diphtherie¬
toxins subkutan.
6. 12. mittags 1 l / 2 Uhr: Tier munter und
wild.
Atmung ziemlich stark stossend, 40 in
der Minute,
11
Digitized b"
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
162
H. ZONDEK,
Digitized by
Puls 134, regelmässig,
Urin: siche unten,
Blutdruck 110—160 (wiederholt gemessen).
1 h 44'
Injektion von 1 ccm Serum
des dem Tier I am 5. 12. ent- j
nommenen Blutes (Chrom¬
serum) intravenös (Ohrvcnc). .
I h 45'
Blutdruck
120-170
1 h 46'
125 — 179
1 h 47'
125-179 j
1 h 48'
125—180 1
1 h 48' 30"
123—178 |
1 h 49'
fl
125—178 !
lh 50'
a
125-175 !
lh 51'
120-168 i
1 h 52'
a
120—165
1 h 53'
A
125-172 1
1 h 54'
fl
120—175 1
1 h 54' 30"
fl
120-168 |
1 h 55'
Blutdruck 120—162
1 h 56'
„ 120—161
1 h 56' 30"
„ 120-160
1 h 57'
* 115—160
1 h 57' 30"
„ 115—158
1 h 58'
* 115-160
1 h 59'
„ 115—160
Pause.
2 h 20'
„ 115-165
2 h 23'
„ 115—160
2 h 25'
„ 115-160
Im Urin, der dem Tier vor der Serum¬
injektion entnommen wurde, fand sich:
A + (Esbach nicht messbar). S —. Sedi¬
ment: massenhaft Leukozyten, massig viel
Erythrozyten, vereinzelte hyaline und sehr
wenig granulierte Zylinder.
In der Nacht zum 7. 12. Exitus letalis.
Die beiden Versuche mit Serum, das einem chromnephritischen Tier
entnommen wurde (II und III), beweisen, dass sich auch bei dieser Form
der Nephritis im Serum unzweifelhaft blutdrucksteigernde Substanzen
vorfinden. Die Nephritis wurde erzeugt durch Injektion von im ganzen
l ! / 4 g einer Lösung Kal. chromici (2,0/30,0) an drei aufeinanderfolgenden
Tagen.
Der Steigerungskoeffizient dieses Serums betrug 19 cm. Im Ver¬
such III wurde er bei Injektion von 1 g übertragen. Offenbar ist bei ihm
die Konzentration von blutdrucksteigernder Substanz in einer bestimmten
Menge Serum von der des Uranseruras verschieden.
Ich möchte den Ring der Schlussfolgerungen, der sich aus diesen
Versuchen ergibt, in Anbetracht ihrer relativ geringen Zahl nicht zu weit
fassen. Gleichwohl meine ich, dass sie bei einer genügenden Menge im
gleichen Sinne ausfallender Untersuchungen in derselben Richtung liegen,
wie die zuerst von Schur und Wiesel 1 ), später von Goldzieher und
Molnar 2 ) u. a. aufgestellte Theorie vom Vorhandensein mydriatisch
wirkender Substanzen im Nephritikerserum. Die Feststellung dieser Tat¬
sache dürfte deshalb von besonderer Bedeutung sein, weil eine Anzahl
namhafter Autoren mittels ihrer biologischen Methode zur Adrenalin¬
bestimmung nicht nur eine Vermehrung von Adrenalin im Nephritiker-
blut in Abrede stellten, sondern sogar eine Verminderung seines Gehaltes
nachgewiesen zu haben glaubten [Schlayer 3 ), Trendelenburg und
Broking 4 )]. Allerdings hat Schlayer 5 ) später selbst diese seine ur¬
sprüngliche mittels der Meyersehen Gefässstreifenmethode gewonnene
Meinung fallen lassen, nachdem er gesehen hatte, dass die Rinderarteric
1) Schur und Wiesel, Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 23 und 27.
2) Goldzieher und Molnar, Wiener klin. Wochenschr. 1908. Nr. 7.
3) Schlayer, Deutsche med. Wochenschr. 1907.
4) Broking und Trendelenburg, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 103.
H. 1 u. 2.
5) Schlayer, Münchener med. Wochenschr. 1908. S. 2604.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 163
bei Zusatz von Adrenalin zum Normalserum nur dann den entsprechenden
Kontraktionsgrad aufwies, wenn es sich um artgleiche Sera handelte.
In Anbetracht dieser Einschränkung, die jedenfalls im gleichen Masse
auch für die Laewen-Trendelenburgsche Froschdurchspülungsmethode
gilt, ist das von mir erwiesene Vorhandensein blutdrucksteigernder Substanzen
im Nephritikerserum meines Erachtens ebenso sehr ein Beweis gegen
eine Verminderung des Adrenalingehalts bei der genannten Krankheit wie
der mittels der biologischen Methode angeblich erbrachte Nachweis für
dieselbe spricht. Dies schon allein deswegen, weil alle biologischen
Methoden ja ebenso wenig das Adrenalin als solches identifizieren,
sondern auch nur eine EfTektmessung darstellen. Allerdings bleibt
die Frage dabei noch offen, ob die blutdrucksteigernde Substanz im
nephritischen Tierserum wie das Adrenalin peripher angreift oder nicht.
Ich möchte deshalb auch ausdrücklich betonen, dass ich nicht von einer
Adrenalinanhäufung in den betreffenden Scris spreche, sondern nur von
einer Vermehrung blutdrucksteigernder Substanzen. Ingier und Schmorl 1 )
fanden sogar direkt den Adrenalingehalt der Nebennieren sowohl bei
chronischen wie akuten Nephritiden deutlich vermehrt. Wenn die ge¬
nannten Autoren als Grundlage für diese Adrenalinvermehrung eine
Hypertrophie des Nebennierenmarkes auch nicht feststellen konnten, so
ändert das nichts an der Tatsache, dass sie auf chomischem Wege eine
Erhöhung des Adrenalingehaltes der Nebennieren bei Nephritis mit Sicher¬
heit feststellten.
Versuche mit Diphtherietoxin.
Tier IX.
Gewicht 2670 g.
19. 1. 14 nachmittags bis 7 h 40':
Blutdruck 115-176,
Atmung 30,
Urin frei.
7 h 40'
Injektion
von 0,5 ccm
Diph-
therietoxin (einfaches
in die Ohrvene.
Toxin)
7 h 41'
Blutdruck
120-176
7 h 42'
120-170
7 h 42' 30"
r
120-176
7 h 43'
120-172
7 h 43' 30"
„
120-176
7 h 44'
120-174
7 h 44' 30" „ 120-176
Atmung 30 (gleichmäss., regel-
mcässig), Puls 132.
7 h 45'
Blutdruck
120-175
7 h 46'
120—177
7 h 47'
V
120-176
7 h 50'
120-176
7 h 52'
m
120-174
7 h 53'
V.
115-176
7 h 55'
*
120-176
Messung abgebrochen.
| 20. 1. Als am Nachmittag gegen 6 Uhr
i der Blutdruck wieder gemessen werden
soll, wird Tier tot aufgefunden. Ist
! noch warm.
, Urin: AH—|-. S (Urin nicht ausreichend).
I Sediment: Erythrozyten H—|—(-, Lcuko-
| zyten +, einige hyaline und granulierte
Zylinder.
Tier IX a.
Gewicht 1670 g.
21. 1. 14 nachmittags 6 h 50':
Puls 132,
Atmung 42,
Urin: frei,
Blutdruck 118-175.
6 h 58' Blutdruck 118—175
6 h 59' Injektion von 0,5 ccm
therietoxin (einfaches
in die Ohrvene.
7 h Blutdruck 120—175
7 h 30" „ 115—170
7 h 1' „ 115-172
7 h 2' „ 120-173
7 h 3' r 115—174
7 h 3'30" „ 115-176
Diph-
Toxin)
1) Ingier und Schmorl, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1911. Bd.104. S.125.
11 *
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
164
II. ZONDEK
Digitized by
7 h 4' Atmung 36,
Puls 96.
7 h 4'30" Blutdruck 115-173
7 h 5' „ 115-176
7h 6' „ 118-176
7h 8' „ 118-175
7 h 10' r 118-176
7hl3 # „ 115-175
7 h 15' „ 118-176
Messung abgebrochen!
22. 1. 14. Als Mittags gegen 12 Uhr wieder
Blutdruck gemessen werden soll, wird
Tier tot aufgefunden.
Urin: A ++, S
Sediment: Erythrozyten -|—K Leuko¬
zyten +, einige granulierte und hyaline
Zylinder.
Nieren mikroskopisch: Hochgradige
Schwellung und an zahlreichen Stellen
deutliche Desquamation der Epithelien
der Hauptstücke und der Henleschen
Schleifen. In den Lumina an zahlreichen
Stellen Eiweiss. Glomeruli nicht naeh-
■ weislich verändert.
Nebennieren (Sudanfärbung): Rinde sehr
I lipoidreich. Mark o. B.
Es wurden an vier Tieren intravenöse Injektionen von 0,5 ccm eines
einfachen Diphtherietoxins, das mir in liebenswürdiger Weise von den
Höchster Farbwerken zur Verfügung gestellt wurde, vorgenommen. Von
ihnen seien der Kürze wegen nur zwei ausführlich mitgeteilt. Sofort
nach der Injektion wurde der Blutdruck jede Minute etwa x / 4 Stunde lang
genau gemessen, ohne dass eine akute Blutdruckherabsetzung eintrat, ab¬
gesehen von den ganz geringen Schwankungen, die sich sofort wieder
ausglichen und auch sonst bei fast allen indifferenten Substanzen ein¬
zutreten pflegen. Ebensowenig wie diese starken Toxindosen vermochten
auch sehr kleine Mengen ( 1 / 32 der oben verwandten Menge) den Blutdruck
irgendwie akut zu beeinflussen. In der Tat hat F. Meyer 1 ) das Auf¬
treten der Blutdrucksenkung bei Kaninchen erst 24 Stunden nach der
Injektion des Diphtherietoxins konstatieren können. Schlayer 2 ) hat aller¬
dings bereits 12 Stunden post injectionem ßlutdrucksenkung beobachtet.
Auch bei meinen Tieren hat sich fast stets eine deutliche Blutdruck¬
senkung etwa nach 12 Stunden gezeigt. Einmal (Tier XIII) habe ich sie
bereits nach 6 Stunden feststellen können. Dabei möchte ich bemerken,
dass meine Toxindosen etwa den Schlayerschen entsprachen. Wesent¬
liche Unterschiede in bezug auf den Eintritt der Senkung zwischen sub¬
kutaner und intravenöser Injektion scheinen nicht vorzuliegen (vgl. folgenden
Versuch, Tier XIII).
Versuche mit Seris diphtherischer Tiere.
I. Mit 6 Stunden-Serum, 3 ).
(Versuchstiere XIV und XV.
Tier XIII.
Gewicht 1700 g.
28. 1. 14 nachmittags 7 1 /-» Uhr:
Puls 120,
Atmung 66,
Blutdruck 118—180,
Urin frei.
Entnahmetiere XVI und XIII.)
29. 1. 14 mittags 1 Uhr:
Blutdruck 118—180.
Erhält 1 ccm Diphtherietoxin (einfach)
subkutan.
Abends bis 6 h 55' Blutdruck 110 — 162
(Tier scheint munter.)
Urin: A—, Sediment—.
1) F. Meyer, Aich. f. exp. Path. u. Pharmakol. Bd. 60. H. 1—6.
2) Schlayer und Hedinger, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90. S. 1.
3) 6 Stunden-Serum = Serum eines Tieres, dem 6 Stunden vor der Blutentnahme
Diphtherietoxin appliziert worden ist.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung dos Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 165
Dem Tier wird in der beschriebenen I
Weise Blut aus der Karotis gelassen. Serum I
(+) durch östündiges Zentrifugieren am I
nächsten Tage gewonnen.
Sektion.
Auf der Leber zahlreiche Cystizerken.
Nieren scheinen leicht hyperiimisch.
Nebennieren o. B.
Herz und übrige Organe o. B.
Mikroskopisch.
Nieren(Häraatoxylin-Eosinschnitte): Stellen¬
weise geringradige Schwellung der Epi-
thelien der gewundenen Harnkanälchen
I. Ordnung und der Henleschen Schleifen.
Hier und da Eiweiss im Lumen derselben.
Glomcruli nicht nachweislich verändert.
Nebennieren (Sudanfärbung): Rinde sehr
reich an anisotropen Lipoiden. Mark o.B.
Tier XVI.
Gewicht 2200 g.
3. 2 . 14 nachmittags 7 Uhr:
Puls 120,
Atmung 30,
Blutdruck 120—188,
Urin frei.
4. 2. 14. Erhält mittags um 1 Uhr 0,7 ccm
Diphtherietoxin (einfach) subkutan.
Abends 6 3 / 4 Uhr: Puls 120,
Atmung 34,
Blutdruck 120 185.
Tier ist munter, kein Durchfall.
Urin: A — (reicht zu weiteren Unter¬
suchungen nicht aus), scheint milchig
getrübt.
Aus der KarotisBIutin der beschriebenen
Weise entnommen. Serum (—) am nächsten
Tage durch Zentrifugieren gewonnen. (1 Gläs¬
chen Serum.)
Sektion: ohne Besonderheiten.
Das Serum des Tieres XVI wird am
5. 2.14 übertragen auf die Tiere XIV und
XV. Siehe dort.
Mikroskopisch.
Befund von Nieren und Nebennieren
wie bei Tier XIII.
Tier XIV.
Gewicht 1750 g.
30. 1. 14 nachmittags 6 V 2 Uhr:
Puls 126,
Atmung 90,
Blutdruck 115 — 181,
Urin: frei.
I.
6 h 42 # Blutdruck 115—181
6 h 43' Tier erhält 1 ccm des dem
TierXlII entnommen.[GStund.- I
Serum + *)] Serums in die Ohr- |
vene.
6 h 44'
Blutdruck 115—181
6 h 45'
„ 122-178
6 h 45' 30"
„ 122 — 180
6 h 46'
120-180
6 h 47'
110-170
6 h 47' 30"
„ 110-158
6 h 48'
„ 110-140
6 h 49'
r 110-145
6 h 50'
„ 110—152
6 h 51'
112-154
6 h 52'
115-149
6 h 53'
„ 110 — 155
6 h 54'
110-163
6 h 54' 30"
„ 110-165
Atmung 78,
Puls 138.
6 h 55'
Blutdruck 120-176
6 h 56'
„ 120-180
6 h 57'
„ 120-180
6 h 58'
„ 120—182
n.
6 h 59'
1 / 2 ccm desselben S(
die Ohrvene.
7h
Blutdruck 110—173
7 h 30"
„ 120-170
7 h 1'
* 120-172
7 h 2'
„ 130-182
(Tier hat gezappelt.)
7 h 3'
Blutdruck 120—176
7 h 4'
„ 125—170
7 h 5'
„ 125-163
7 h 6 '
„ 110-166
Puls 138,
7 h 7'
Atmung 84.
Blutdruck 110-175
7 h 10'
„ 120-181
n h 11 '
* 110—170
7 h 12'
r 120-180
Serums
in
III.
5. 2. 14 nachmittags 6 3 / 4 Uhr:
Puls 132,
Atmung 84.
6 h 54' Blutdruck 125-188
6 h 55' l ccm des dem Tier XV 1
[6 Stunden-Serum — 1 2 )] ent¬
nommenen Serums i.d. Ohrvene.
6 h 55' 30" Blutdruck 120-172
6 h 56' * 125-182
6 h 57' „ 120-172
6 h 57'30" „ 130-182
6 h 58' „ 130-180
6 h 59' „ 125-188
7 h „ 125-188
Atmung 60,
Puls 198.
7 h 1' Blutdruck 125-189
IV.
7 h 2' Injektion von , / 2 ccm desselben
Serums in die Ohrvenc.
7 h 3' Blutdruck 120-186
7 h 4' * 125-180
1) Serum + = Serum, bei dessen Spender der Blutdruck bereits gesunken war.
2) Serum — = Serum, bei dessen Spender der Blutdruck noch nicht gesunken war.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
7 h
4'
30"
Blutdruck
125-175
7h
5'
n
125-180
7h
5'
3Q"
V
125—180
7 h
6'
r>
122-178
7h
r
rt
127-182
7h
7'
30"
T
125—189
7 h
8'
n
125-190
7h
8'
30"
r>
128—190
V.
7h
9'
Injektion von 1 ccm desselben
Serums in
die Ohrvene.
7h
10'
Blutdruck
125-195
7h
(Tier zappelt ein wenig.)
1P
Blutdruck
122 — 191
7 h
1P
30"
V
125-190
(Tier ruhig.)
7h
12'
Blutdruck
125-181
7h
13'
V
125-180
7h
14'
130-185
7 h
14' 30"
125—186
7 h
15'
V
130-191
7 h 16' Blutdruck 130 — 192
Puls 150,
Atmung 84.
7 h 17' Blutdruck 125—190
6. 2. 14. Tier munter. Urin frei.
16. 2. 15. Tier munter.
Urin: A +.
Sediment: sehr viel Salze, Erythrozyten
Leukozyten +, Zylinder —.
Tier XV.
Gewicht 2000 g.
30. 1. 14 nachmittags 7 h 24':
Puls 192,
Atmung 42,
Urin frei,
Blutdruck 1)5—185.
I.
Erhält 7 h 25' ccm des dem Tier XIII
entnommenen (6Stunden-Scrum+) Serums
in die Ohrvene.
Go igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 167
7 h 26'
Blutdruck 120-185
7 h 27'
n
120-180
7 h 28'
r>
120-170
7 h 29'
n
120-178
7 h 30'
n
110-175
7 h 31'
120-180
7 h 31'30"
T>
120-186
7 h 32'
«
120-186
7 h 33'
120-192
7 h 34'
7!
118-193
7 h 34' 30"
120-190
7 h 35'
7)
130-195
7 h 36'
130-190
7 h 37'
130-190
7 h 38'
n
130-190
7 h 39'
r>
II.
115-188
7 h 40-42'
= 2 ccm desselben Serums in
die Obrvene.
7 h 43'
Blutdruck
120-168
7 h 44'
fl
120-158
7 h 44' 30"
fl
120-151
7 h 45'
fl
120-150
7 h 45' 30"
*
115-149
7 h 46'
fl
115-150
7 h 47'
fl
115-154
7 h 48'
fl
120-161
7 h 48' 30"
fl
115—160
7 h 49'
fl
110 — 170 (zappelt)
7 h 49' 30"
115-176
7 h 50'
fl
120-190
7h 51'
fl
120-196
7 h 52'
fl
120-192
7 h 53'
fl
120-196
7 h 54'
fl
120-190
7 h 55'
120-190
III.
31. 1. 14 mittags 1 1 / 2 Uhr:
Blutdruck 115-181,
Puls 124,
Atmung 32.
Ih36' Blutdruck 115-181
1 h 37' 3 ccm desselben Serums (in¬
zwischen auf Eis auf bewahrt,
Serum vollständig klar und
geruchlos) in die Ohrvenc.
1 h 38' Blutdruck 110—158
1 h 39' „ 105-141
1 h 39' 30" * 105—136
lh 40'
Blutdruck
95—131
1 h 40' 30
ii
7)
115-146
1 h 41'
85-152
1 h 41' 30
II
T
110-162
(zappelt)
1 h 43'
118-181
1 1 h 44'
r
118-182
1 h 45'
120-180
1 h 46'
n
120-178
(zappelt)
1 h 47'
71
120—185
1 h 48'
V
120—186
1 h 49'
120-185
lh 50'
7)
110-181
IV.
5. 2. 14 nachmittags 7
h 20':
Puls 138,
Atmung 30.
7 h 26'
Blutdruck
120-189
7 li 27'
2ccm des dem Tier XVI (OStd.-
Serum—) entnommenen Serums
in die Ohrvene.
7 h 28'
Blutdruck
128-180
7 h 29'
fl
130—188
7 h 30'
fl
125—185
7 h 31'
130—180
7 h 32'
fl
130—180
7 h 33'
fl
120—162
7 h 34'
fl
125-158
7 h 35'
fl
130-165
7 h 36'
fl
125—168
7 h 36' 30'
fl
125-184
7 h 37'
fl
128—188
7 h 38'
128—191
Puls 140, Atmung 36.
7 h 39'
Blutdruck
130—190
7 h 39' 30'
r
125-182
7 h 40'
T 1
128—189
1 13. 2. Tier morgens tot aufgefunden.
Sektion:
Lungen: Ausgedehnte Miliartuberkulose,
i Leber: Einzelne Miliarknötchen.
Milz: Ohne Besonderheiten.
I Magen: Stark gefüllt,
j Nieren: Makroskopisch?
I Nebennieren: Ohne Besonderheiten.
Urin: A —?
I Sediment: Nicht ausreichend.
| Mikroskopisch:
| Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitte): o. B.
Das Serum des Tieres XIII, dem 1 ccm eines einfachen Diphtherie¬
toxins subkutan appliziert worden ist, zeigt bereits 6 Stunden nach der
Applikation eine ziemlich deutliche Blutdrucksenkung (18 cm). Es wurde
sofort entblutet. Sein Serum nenne ich 6 Stunden-Serum.
Dieses auf die Tiere XIV und XV übertragene 6 Stunden-Serum, das,
wie gesagt, von einem Tiere stammt, bei dem selbst bereits durch das
Diphtherietoxin eine Blutdrucksenkung eingetreten war, bewirkt bei der
Uebertragung in den verschiedenen Dosen ebenfalls deutliche Senkungen:
A. Bereits l / A ccm Serum lässt bei der Uebertragung eine Blutdruck¬
senkung eintreten (Beginn der Senkung 2 Minuten nach der Injektion).
Digitized b'
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
168
H. ZONDEK
Digitized by
Sic beträgt allerdings nurD 1 )=15cm, ist aber immerhin doch
sichtlich stärker als es bei der Uebertragung einer gleich geringen
Menge von Normalserum der Fall sein würde (s. S. 158). Die Tiefe
ist 3 Minuten nach der Injektion erreicht.
Verharrungsfrist des Blutdrucks auf derselben 1 Minute. S l / 2 Minuten
nach Beginn des Anstiegs hat die Kurve die alte Höhe erreicht, um
dann für einige Minuten über sie hinauszuschiessen. Allmählich stellt
sie sich aber auf die Druckhöhe ein, die vor der Injektion bestand.
B. 1 / 2 ccm desselben Serums löst bei Tier XIV etwa die gleiche Wirkung
aus. D = 12 cm. Beginn der Senkung 1 Minute nach der Injektion.
C. Bei 1 ccm (Tier XIV) Serum beträgt die Senkungstiefe D = 41 cm H 2 0.
Beginn der Blutdrucksenkung 4 Minuten nach der Injektion.
Verharrungsfristin derextremen Tiefe IMinute. Darauf relativschneller
Anstieg. 8 Minuten nach Beginn desselben ist die alte Höhe erreicht.
D. 2 ccm desselben Serums haben bei Tier XV etwa die gleiche Senkungs¬
tiefe wie 1 ccm bei Tier XIV bewirkt. D hier = 39 cm. Nur dass
der Blutdruck hier sofort nach der Injektion zu fallen anfängt und
3 Minuten später bereits die tiefste Tiefe erreicht hat, während dort
erst 4 Minuten post injectionem die Senkung beginnt.
Die Verharrungsfrist in der Tiefe beträgt auch hier etwa 1 Minute.
Darauf schneller Anstieg. 4 Minuten nach Beginn desselben ist die
alte Druckhöhe erreicht.
E. 3 ccm desselben Serums bewirken eine Senkungstiefe von D = 50 cm.
Die Senkung tritt auch hier sofort nach der Injektion ein. Dieser
sofortige Senkungsbeginn scheint also lediglich den grösseren Serum¬
dosen Vorbehalten zu sein.
Verharrungsfrist des Blutdrucks in der extremen Tiefe ebenfalls
etwa l Minute. Darauf schneller Aufstieg. Etwa 2 Minuten nach
Beginn desselben ist die alte Druckhöhe erreicht.
Während also bei den Versuchen mit dem 6 Stunden-Serum die
Grösse der injizierten Serumdosis einen gewissen Einfluss auf den Grad
der Blutdrucksenkung hat, ist sie auf den Beginn der Senkung, auf die
Verharrungsfrist desselben in der Tiefe sowie auf die Anstiegsdauer bis
zur alten Höhe hinauf ohne deutlichen Einfluss. Vielleicht beruht dieser
Umstand auf einer besonders schnellen Zersetzung bzw. Ausscheidung des
eingeführten Serums.
Entnahmetier XVI. Das Tier XVI, das im Gegensatz zum Tier XIII
nur 0,7 ccm einfachen Diphtherietoxins subkutan erhalten hatte, zeigt
6 Stunden nach der Applikation selbst noch keine Blutdrucksenkung.
Das dem Tier zu dieser Zeit entnommene Serum hat nun, wie die nach-
1) D = Distanz zwischen höchster Höhe des Blutdrucks vor der Seruminjektion
und tiefster Tiefe nach derselben.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 169
stehenden Tabellen zeigen mögen, bei der Uebertragung eine sichtlich
geringere blutdruckherabsetzende Wirkung als das Serum des Tieres XIII.
Wenn man die folgenden mit dem Serum 16 hervorgerufenen Senkungs¬
tiefen, also
bei 1 / 2 ccm Serum D = 14 cm,
„1 „ „ D = 16 bzw. 10 cm,
„2 „ „ D = 31 cm
mit den obigen vergleicht, und sich fernerhin den hier relativ ver¬
langsamten Eintritt der Blutdrucksenkung z. B. bei Tier XV (IV) ver¬
gegenwärtigt, so wird man den Eindruck haben, dass im Serum 16 jene
hypothetischen blutdruckherabsetzenden Substanzen noch nicht die Kon¬
zentration derer des Serums 13 erlangt haben. Offenbar stellt das
Serum 16 eine Entwicklungsstufe dar, die sich bei längerer Einwirkungs¬
dauer bzw. bei grösserer Toxindosis zur Wirkungsstärke des Serums 13
gesteigert hätte. Die Blutentnahme bei dem Tier XVI geschah eben in
einem Augenblick, wo im Serum bereits blutdruckherabsetzende Substanzen
aufzutreten im Begriffe waren, ohne dass deren'Konzentration schon zu
einer Herabsetzung des Gesamtblutdrucks bei dem betreffenden Tier genügte.
Auch die weiter unten bei Tier XII noch einmal vorgenommene
Uebertragung von 2 ccm Serum von Tier XVI fällt etwa im gleichen
Sinne aus wie dies bei den Tieren XIV und XV der Fall war. Bei
Tier XII ist zwar die Senkungstiefe D dieselbe wie bei den anderen
Tieren. Die Schwäche der Wirkung markiert sich hier aber deutlich in
der ausserordentlich kurzdauernden, fast blitzartig auftretenden Senkung.
Nur eine Minute hält sich der Blutdruck in der Tiefe, in der nächsten
steht er bereits wieder auf der alten Höhe.
II. Versuche mit dem io Stunden-Serum.
(Versuchstiere XVIII und XXI. — Entnahroctiere XVII und XIX; dieselben
erhielten subkutan 0,7 bzw.
Tier XVIII. |
11. 2. 14 abends 7 V 2 Uhr: j
Bis 7 h 27' Blutdruck 128-192. I
7 h 28' Injektion von 1 cem Diphtherie- ;
serum (10 Stundcn-Scrura) von j
Tier XVII in die Ohrvenc. 1
7 h 29' Blutdruck 120 — 175
7 h 30' „ 110-161
7 h 30' „ 120—151
Atmung ruhig u. gleichmäßig,
Puls regelmässig.
7 h 31' Blutdruck 105—143
7 h 31'30" „ 115-148
7 h 32' „ 120-150
7 h 32'30" „ 110-161
7 h 33' . 125-176
7 h 34' . 120-179
7 h 34' 30" „ 120 — 17rt !
7 h 35' „ 115-183 I
0,9 ccm einfachen Toxins.)
7 h 36' Blutdruck 128-192
7 h 37' „ 125-192
H.
7 h 37' 30' Injektion von l / 2 ccm desselben
Serums in die Ohrvenc.
7 h 38' Blutdruck 120-179
7 h 38'30" „ 118—168
7 h 39' „ 118-159
7 h 40' „ 110-159
7 h 40'30" . 115-161
7 h 41' „ 105-159
7 h 41'30" „ 105-170
7 h 42' „ 128—180
7 h 43' „ 118-192
7 h 44' r 120-180
7 h44'30" „ 125-188
7 h45' w 128-192
III.
7 h 47' Injektion von 2 cem desselben
Serums in die Ohrvene.
Difitized
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
170 H. ZONDEK,
7 h 48'
Blutdruck 118—178
7 h 49'
„ 115-151 |
7 h 50'
„ 90-120 !
7 h 50' 80"
* 75-102 |
7 h 51'
„ 90-120 1
7 h 52'
„ 90-128 |
7 h 52' 30"
„ 115—148 1
7 h 53'
105-150 |
7 h 54'
100-155 |
7 h 54' 30"
r 180—178
7 h 55'
125-181 i
7 h 57'
125-186 ,
IV. 1
12. 2. mittags: Puls 38,
Atmung 30. !
Bis 1 h 44'
Blutdruck 125 —192.
1 h 45'
Injektion von l ,U ccm desselben ;
inzwischen aufEis aufbewahrten
völlig klaren und geruchlosen
Serums in die Ohrvene.
1 h 46'
Blutdruck 112 — 179
1 h 47'
„ 125-173
1 h 47'
30"
90-138
1 h 48'
„ 95-M47
1 h 49'
„ 105-154
1 h 49'
30"
Atmung 30, Puls 138.
1 h 50'
Blutdruck 120-163
lh 51'
95-152
1 h 51'
30"
105-165
1 h 52'
„ 125-183
1 h 53'
„ 130-192
1 h 54'
„ 125—192
V.
1 h 55'
Injektion von l / 2 ccm desselben
Serums in die Ohrvene.
1 h 56'
Blutdruck 125—192
1 h 56'
30"
„ 105-156
1 h 57'
Blutdruck 110—155
1 h 57'
30"
r 108-146
1 h 58'
* 115—160
1 h 59'
* 120-154
2 h
* 110-149
2h
30"
* 105—150
2 h 1'
„ 105—160
2 h 2'
* 130—180
2 h 3'
„ 120—180
2 h 3'
30"
„ 105-172
2 h 4'
„ 110-178
2 h 5'
„ 110—180
2 h 5'
30"
„ 125-192
2 h 6'
„ 130-195
VI.
2 h 7'
Injektion von V 2 ccm desselben
Serums in die Ohrvene.
2 h 8'
Blutdruck 125 — 180
2 h 9'
„ 118—165
2 h 10'
105-150
2 h 11'
„ 110-160
Messung abgebrochen.
14. 2. morgens Exitus.
Sektion. \
Organe im ganzen ohne Besonderheiten.
Niere: Rinde geschwollen, Grenze gegen
das Mark deutlich. Mark hypcrätnisch. i
Urin: A -f--T.
Sediment: zahlreiche Erythrozyten, einige
Leukozyten, keine Zylinder.
19.
2.
Tier XXI.
Gewicht 2000 g.
6h
45'
Puls 144,
6 h
48'
Atmung 76.
Blutdruck 122— 185,
6 h
49'
Urin frei.
Injektion v. 1 / 2 ccm Diphtherie-
6 h
50'
Scrum(TierXlX = lOStundcn-
Serum) in die Ohrvene.
Blutdruck 105—171
6 h
51'
110-163
6h
51' 30"
„ 115—159
6 h
52'
„ 112—149
6 h
52' 30"
„ 115—150
6h
53'
„ 120-162
6 h
54'
Tier zappelt etwas.
6h
55'
Blutdruck 120 — 179
6 h
57'
r 130-188
6h
58'
„ 120-190
6 h
59'
„ 120-187
7 h
H.
Injektion von 1 ccm desselben
7 h
1' .
Serums intravenös.
Blutdruck 105—156
7 h
2'
„ 115-159
7 h
2' 30"
„ 108—155
7 h
4'
„ 110—149
7 h
5'
108-135
7h
5' 30"
115—140
7 h
7'
r 115—150
Puls 150,
Atmung 30, regelmässig.
7 h
8'
Blutdruck 110—165
7 h
9'
„ 118—178
7h
10'
* 125—185
7h
11'
r 125—189
7h
12'
„ 122—189
7 h
13'
HL
Injektion von 2 ccm desselben
7h
14'
Serums.
Blutdruck 112—151
7 h
15'
„ 110-145
7h
15' 30"
„ 115-136
7h
16'
„ 105—128
7h
17'
„ 100-130
7 h
18'
104—132
7 h
18' 30"
„ 110-137
7 h
19‘
„ 110—150
7h
20'
Puls 132, regelmässig, gleich-
7 h
21'
massig,
Atmung 36, regelmässig.
Blutdruck 110—170
7h
22'
120-186
7 h
23'
125—190
7 h
24'
* 122-190
20.
2. 14.
Dasselbe inzwischen auf Eis
auf bewahrte, vollkommen klare und ge¬
ruchlose Serum wird auf Tier XIY über¬
tragen.
Difitized by
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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 171
Tier XIV.
1 h 40' mittags:
Blutdruck 120—185,
Puls 132,
Urin frei,
Atmung 96.
1 h 41'
Injektion von */ 2 ccm desselben
Serums.
1 h 42'
Blutdruck 108-179
lh 43'
Y>
115—165
1 h 44'
r>
115-169
1 h 45'
115—155
1 h 45' 30"
V
105-149
1 h 47'
T.
105-139
1 h 49' 30"
110-155
1 h 50'
110-178
1 h 51'
V
115-190
1 h 52'
n
V.
118-192
lh 53'
Injektion von 2 ccm desselben
Serums.
1h 53' 30"
Blutdruck
110-152
1 h 54'
120-145
1 h 55'
110—141
1 h 56'
jy
115-137
1 h 57'
108—132
1 h 58'
j*
108-130
1 h 58' 30"
yy
110—130
1 h 59'
115—141
1 h 59' 30"
m
115—149
2h
118-158
2 h 1'
118—181
2 h 2'
w
115—186
2 h 3'
120-190
2 h 3*
n
120—186
Tier XVII.
Gewicht 2000 g.
10. 2. 14 nachmittags 7 Uhr:
Puls 132,
Atmung 42,
Blutdruck 120—180.
11. 2. 14 morgens 9 Uhr: T),7 ccm Diph¬
therietoxin (einfach) subkutan,
Abends 7 Uhr: Blutdruck 120—170.
Tier munter.
Urin nicht zu erhalten.
Tier verblutet aus der Karotis.
Blut steril aufgefangen. Auf Eis gestellt.
Sektion:
Organe ohne Besonderheiten.
Blase leer.
Mikroskopisch:
Niere und Nebenniere wie bei Tior XIX.
Tier XIX.
Gewicht 1950 g.
17. 2.: Atmung 56,
Puls 138,
Urin: frei.
Blutdruck 125—190.
18. 2.* Erhält morgens um 8 3 / 4 Uhr 0,9 ccm
Diphtherietoxin (einfach) subkutan.
! Abends 7 Uhr: Tier munter.
Puls 156,
Atmung 48,
Blutdruck 105—167.
Urin: A +.
Sediment: Erythrozyten + + +> Leuko¬
zyten +, Zylinder —.
Dem Tier wird das Blut aus der Karotis
gelassen.
Sektion:
Makroskopisch ohne Besonderheiten.
Mikroskopisch;
Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitte): Hier
und da geringgradige Schwellung der
Epithelien in den gewundenen Harn¬
kanälchen erster Ordnung und in den
Henleschen Schleifen. Stellenweise Ei-
weiss im Lumen derselben. Glomeruli
nicht nachweislich verändert.
Nebenniere; Rinde äusserst reich an
anisotropen Lipoiden. Mark ohne Be¬
sonderheiten.
Bei den mit den 10 Stunden-Seris vorgenommenen Uebertragungen
ist zunächst auffällig, dass die Blutdrucksenkung stets sofort nach der
Seruminjektion eintritt, während in den vorigen Versuchen der Blutdruck
sich meistens noch einige Minuten auf der Höhe hielt.
Die mit dem 10 Stunden - Serum erzielten Blutdrucksenkungen
schwanken bei Injektion
von J / 2 ccm Serum D = zwischen 33 und 54 cm II 2 0,
» 1 „ n D= » 49 „ 52 „
A 2 „ „ D= „ 61 „ 90 „ „
Die Verharrungsfrist des Blutdrucks in der extremsten
bei 1 / 2 ccm Serum etwa ... 1 Minute,
TI
n
1
2
TI
r>
r> . . . .
„ ebenfalls .
1
1
77
TI
Tiefe beträgt
Digitized b'
Google
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
172
H. ZONDEK,
Digitized by
Der Aufstieg von der Tiefe bis hinauf zur Höhe des Blutdrucks vor
der Injektion schwankt
bei y 2 ccm Serum zwischen ... 2 und 5 Minuten,
1 4 'S
» A 7) 77 77 ••• * 7 ) ° 71
„ 2 „ „ ebenfalls zwischen 4 „ 5 „
Die Grösse der injizierten Serumdosis hat also hiernach lediglich
einen Einfluss auf die Tiefe der Senkung D, während die Verharrungsfrist
des Blutdrucks in der Tiefe sowie die Anstiegsdauer desselben bis zur
alten Höhe von ihr unabhängig sind.
Verhalten des Minimaldrucks siehe Protokoll.
III. Versuche mit dem 20 Stunden-Serum.
(VersuchstiereXI,XII,XXII. — EntnahmetiereX und XX; sie hatten 0,7 bzw.
0,8 g einfachen Diphtherietoxins subkutan erhalten.)
Tier X.
Gewicht 1450 g.
22. 1 . 14: Puls 102,
Atmung 42,
Urin frei,
Blutdruck 112—177.
Erhält abends um 9 Uhr 0,7 ccm Diph¬
therietoxin (einfaches Toxin) subkutan.
23. 1. 14. Abends gegen 6 Uhr. ist Tier
moribund. Da ihm eine Kanüle in die
Karotis eingeführt werden soll ante exitum,
kann der Blutdruck nicht mehr gemessen
werden. Tier verblutet aus einer unter
sterilen Kautelcn in die rechte Karotis
eingeführten Kanüle. Blut aufgefangen,
auf Eis aufbewahrt.
Am 24. 1. 14 Serum daraus durch vier¬
stündiges Zentrifugieren gewonnen.
Urin: A+, S —, von eigenartig dunkel-
rötlicher ikterischer Färbung.
Sediment: Erythrozyten-}-, Leukozyten-)-,
einige Reste von granulierten Zylindern.
Sektion:
Nieren: sehr blutreich, scheinen ge¬
schwollen, Rinde verbreitert.
Nebennieren: Grösse anscheinend normal,
keine sicheren Blutungen makroskopisch.
Leber und Milz: sehr blutreich, sonst o.B.
Mikroskopisch.
Nieren (Hämatoxylin - Eosinschnitt) und
Nebennieren wie bei Tier XX.
Tier XX (schwarz, Stehohren).
26. 2. 14 nachmittags Uhr:
Puls 150,
Atmung 48,
Blutdruck 118—185.
Erhält abends 11 Uhr 0,8 ccm Diph¬
therietoxin (einfach) subkutan.
I 27. 2 . 14 nachmittags 6 V 2 Uhr:
| Puls 138,
I Atmung 84,
Blutdruck 115—166.
I Tier durch Verbluten getötet. Blut in
1 der oben beschriebenen Weise aufgefangen.
| Sektion.
Organe 0 . B.
Mikroskopisch.
Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitt): Hoch¬
gradige Schwellung und an zahlreichen
Stellen deutliche Desquamation der Epi-
thelien der gewundenen Harnkanälchen
und der Henleschen Schleifen, ln den
Lumina an zahlreichen Stellen Eiweiss.
Glomeruli nicht nachweislich verändert.
Nebennieren: Starke Lipoidanhäufung
I in der Rinde. Mark 0 . B.
Tier XI (grau, grosses Tier).
Gewicht: 1800 g.
24. 1 . 13: Puls 132.
Atmung 42,
bis 6 h 42' Blutdruck 115—176,
Urin frei.
6 h 43'
I 6 h 44'
1 6 h 45'
6 h 45'30"
6 h 46'
| 6 h 47'
6 h 47'30"
6 h 48'
1 6 h 48'30"
j G h 50'
I 6 h 51'
I 6 h 51' 30"
I.
Injektion von 1 ccm Diphtherie¬
serum von Tier X (21 Stunden-
Serum) in die Ohrvene.
Blutdruck 115—171
„ 115-170
115—160
„ 112—150
110—142
„ 110—139
115-142
115-143
115-155
115—160
„ 115—160
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 173
6 h 52' Blutdruck 115 — 168
Atmung 42, Puls 96.
6 h 53" Blutdruck 115—170
6 h 54' „ 115-175
6 h 54'30" r 115-177
6 h 55' * 115-176
6 h 57' „ 115-176
11 .
6 h 58' Injektion von 1 / 2 ccm desselben
Serums.
6 h 59' Blutdruck 115-160
7 h „ 110-158
7h 1' „ 115—155
7 h 1'30" r 115—155
7 h 2' „ 120-163
7 h 3' „ 116—168
7h 4' „ 115—168
7 h 4' 30" „ 115—172
7 h 5' „ 115-173
7 h 5' 30" r 115—175
7h 6' r 115-175
7 h 7' r 115-178
7h 8' „ 120-176
Messung abgebrochen!
26. 1. nachmittags:
Bis 6 h 57' Blutdruck 120-175.
6 h 58' Injektion von 1 ccm desselben
Serums in die Ohrvene.
6 h 59' Blutdruck 95 — 158
7 h „ 100-152
(Tier zappelt etwas)
7 h 2' Blutdruck 115-151
7 h 3' „ 105—140
7 h 4' „ 120-148
7 h 5' „ 110-150
7 h 5'30" .. 110-158
7 h 6' * 110-160
7 h 7' „ 105—148
Puls und Atmung gleich- und
regelmässig.
7 h 8' Blutdruck 115—160
7 h 9' r 100—160
Atmung84, leichtunregelmiiss.,
Puls 102.
7 h 10' Blutdruck 115—163
7 h 11' „ 120-172
7 h 12' „ 100—162
7 h 13' „ 105—169
7 h 13'30" „ 100-165
7 h 14' „ 115—168
7 h 14'30" r 120—170
7 h 15' r 100-178
7 h 18' „ 120—183
7 h 20' „ 115—179
Messung abgebrochen.
Urin: A —, S —.
25. 2. 14. Tier munter, nicht abgemagert.
Urin frei.
27. 2. 14. Urin frei.
Tier XII.
Gewicht 1800 g.
24. 1. 14: Puls 114, Atmung 54,
bis 7h 19' Blutdruck 120—179.
Urin frei.
I.
7 h 19' Injektion v. l / 4 ccm Diphtherie-
Serum von Tier X (21 Stundcn-
Serum) in die Ohrvene.
7 h 20' Blutdruck 125—176
7 h 21' „ 120—161
7 h 22' „ 120—160
7 h 23' * 120-168
7 h 24' „ 118—175
(Tier zappelt etwas)
7 h 25' Blutdruck 115 — 179
II.
7 h 26' Injektion von 2 ccm desselben
Serums in die Ohrvenc.
7 h 27' Blutdruck 115—149
7 h 28' „ 115—14S
7 h 28'30" . 110-140
7 h 29' „ 110—135
7 h 30' * 115—145
7 h 31' * 120—158
7 h 31'30" „ 125—168
7 h 32' „ 125—170
7 h 33' * 110—179
7 h 34' . 118—179
7 h 34'30" „ 125—179
7 h 35' * 115—182
7 h 36' „ 115-178
7 h 38' * 115—179
III.
6. 2. 14. Tier munter. Mittags l2 l / 2 Uhr:
Puls 144,
Atmung 36,
Blutdruck 128—191.
Urin: A+ (milchig getrübt).!
Sediment: Salze -\—hi Leukozyten +,
Erythrozyten —, Zylinder —.
12 h 34' Blutdruck 128—191
12 h 35' Injektion v. 2 ccm Diphtherie-
Serum von TierXVl (6Stund.-
Serum —, etwa 40 Stunden
alt — auf Eis aufbewahrt,
Serum klar und geruchlos)
in die Ohrvene.
i 12 h 36' Blutdruck 120—150
12 h 37' „ 130—178
12 h 38' * 120—180
12 h 39' * 120-175
12 h 39'30" „ 120-186
12 h 40' r 130—190
12 h 41' . ' 128-190
12 h 41'30" „ 130-191
Puls 144,
Atmung 120.
12 h 43' Blutdruck 125-191
12 h 44' * 125-191
12 h 46' „ 124—189
| 12 h 47' * 130—195
12 h 48' * 128—191
16. 2. 14. Tier munter, scheint stark ab¬
gemagert.
25. 2. 14. Tier munter.
Urin: A—, S—, Sed.—.
27. 2. 14. Tier munter. Durchlalle.
Urin: A —, S—, Sed.—.
Digitized by UjQuQle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
174
H. ZONDEK,
Tier XXII.
Gewicht 1900 g.
28. 2. nachmittags 6 3 / 4 Uhr:
Puls 132.
Atmung 36.
Urin frei.
I.
6 h 50' Blutdruck 115 — 178
6 h 52' Injektion v. V 2 ccm Diphtherie-
Serum (von Tier 20 = 20 Std.-
Serum) in die Ohrvene.
6 1)53' Blutdruck 120 — 172
6h54' „ 115—163
6 h 54'30" „ 110-160
6h55' „ 115-158
6 h 56' „ 118-158
6h57' „ 110-163
Tier zappelt,
Puls 132.
6h59' Blutdruck 115 — 170
6 h59'30" „ 115—175
7 h „ 120-178-
7 h 1' „ 120—179
II.
7h
2'
Injektion von 1 ccm desselben
Serums intravenös.
7h
3'
Blutdruck 118 — 162
7 h
4'
110—161
7 h
4' 30"
* 115-152
7 h
5'
„ 120—152
7h
5' 30"
„ 115 — 147
7 h
6'
„ 110—141
7h
7'
„ 108—142
7 h
8'
„ 120—156
7h
8' 30"
Blutdruck 112—165
7h
9'
„ 118—170
7 h
10'
„ 120—181
7h
10' 30"
„ 125-179
III.
7 h
11'
Injektion von V 2 ccm desselben
Serums.
7 h
12'
Blutdruck 120 — 174
7 h
13'
* 120—170
7 h
14'
„ 120-163
7 h
15'
„ 115-160
Digitized by
Goc gle
_ Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 175
7h 15' 30" Blutdruck 120-175
7 h 16' „ 118-178
7 h 17' * 120-180
IV.
7 h 21' Injektion von 2 ccm desselben
Serums,
Atmung 48.
7 h 23' Blutdruck 115 — 156
7 h 24' „ 120-150
7 h 24' 30" „ 110—140
7 h 25' „ 105-136
7 h 25'30" 100-130
7 h 26' „ 103—129
7 h 27'
Blutdruck 102—128
7 h 27' 30"
„ 108-128
7 h 28'
* 115—130
7 h 28' 30"
120-136
7 h 29'
110—141
Puls 120.
Atmung 30.
7 h 30'
Blutdruck 125—156
7 h 31'
120-162
7 h 31'30"
120—176
7 h 32'
120-178
7 h 33'
120—179
7 h 34'
r 120-178
Bei den Versuchen mit dem 20 Stunden-Serum tritt die Blutdruck-
Senkung ziemlich schnell nach der Injektion auf, so dass die Art der
Senkung in dieser Beziehung mehr den Verhältnissen beim 10 Stunden-
Serum ähnlich ist.
Die mit dem 20 Stunden-Serum erzielten Blutdrucksenkungen betragen
bei y 4 ccm Serum D = 19 cm H 2 0,
„ 1 / 2 n „ D = zwischen 19 und 21 cm,
77 ^ 77 77 D = „ 35 „ 38 „
77 2 77 77 D= „ 44 „ 52 „
Die Verharrungsfrist des Blutdrucks in der extremsten Tiefe beträgt
bei y 4 ccm Serum.P/ 2 Minuten,
i/ 1_o
77 /2 77 77 . 1 77
77 A 77 77 . . " 77
77 ^ 77 77 .^ 3 77
Die Zeit des Aufstiegs von der Tiefe bis hinauf zur Höhe des Blut¬
drucks von der Injektion beträgt
bei
7*
ccm
Serum ....
. 3
Minuten
77
Va
77
„ zwischen .
. 1—4
77
77
1
77
77 77
. 2—6
77
77
2
77
77 ....
. 4
77
Auch hier besteht wie bei den Versuchen mit dem 6 und 10 Stunden-
Serum lediglich ein Parallelismus zwischen Grösse der injizierten Serum¬
dosis und Tiefe der Senkung, während die Verharrungsfrist des Blut¬
drucks in der Tiefe sowie dessen Anstiegsdauer bis zur Druckhöhe vor
der Injektion von ihr vollständig unabhängig sind.
Den Verlauf der Kurve des minimalen Blutdrucks ist so wenig charak¬
teristisch und ihre Senkungsbreite unter dem Einfluss des Serums so gering, dass auf
ihre Besprechung verzichtet werden kann.
Die vorstehenden Versuche zeigen zunächst, dass das Serum mit
Diphtherietoxin vergifteter Kaninchen bei der (Jebertragung auf gesunde
Tiere der gleichen Art im Gegensatz zu dem entsprechenden Normalserum
eine deutlich blutdruckherabsetzende Wirkung hat. Die nähere Analyse
dieser äusserst auffälligen Tatsache, auf welche meines Wissens bislang
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
H. ZONDEK
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17 (>
noch niemand hingewiesen hat, beweist, dass im Laufe der Diphtherie¬
vergiftung Substanzen im Serum auftreten, die mit dem Diphtherietoxin
als solchem nicht identisch sind. Denn im Gegensatz zu ihm setzen sie
den Blutdruck nicht allmählich, d. h. nach etwa 12 Stunden, sondern
ganz akut herab. Dass das Diphtherietoxin als -solches selbst in viel
grösseren Quantitäten, als sie etwa im diphtherischen Serum vor¬
handen sein könnten, absolut keine akut blutdruckherabsetzenden Eigen¬
schaften besitzt, ist oben gezeigt worden. In der Erwägung, es könnten
eventuell gerade • starke Verdünnungen von Diphtherietoxin durch Aus¬
schliessung irgend einer hemmenden Komponente doch eine akute Blut¬
drucksenkung zur Folge haben, habe ich auch solche Untersuchungen
vorgenommen. Ich habe aber auch bei 732 der oben bezeichnetcn Diph¬
therietoxinmenge nach intravenöser Injektion in der nächsten Stunde keine
Beeinflussung des Blutdrucks wahrgenommen. Wir werden also das
Diphtherietoxin nur insofern verantwortlich machen dürfen, als es in¬
direkt und allmählich zur Erzeugung und Abgabe blutdruckherab¬
setzender Substanzen in den Kreislauf — vielleicht auf dem Wege der
inneren Sekretion — Veranlassung gibt.
Nun wird man bei der vielfach beschriebenen Affektion der Neben¬
nieren bei experimentell erzeugter Diphtherie möglicherweise geneigt sein,
die Erkrankung des Nebennierenmarkes mit der blutdruckherabsetzenden
Eigenschaft des Diphtheriescrums in ursächlichen Zusammenhang zu bringen.
Man könnte sich wohl vorstellen, dass der Erkrankung des Neben¬
nierenmarks, speziell dem Auftreten von Blutungen und Nekrosen in ihm
und der damit verbundenen Minderproduktion von Adrenalin ein relatives
Ueberwiegen seiner Antagonisten entspricht. Dieser Auffassung aber
steht entgegen, dass gerade beim Kaninchen im Gegensatz zum Meer¬
schweinchen selbst bei den stärksten letalen Toxindosen an den Neben¬
nieren anatomisch kaum irgend welche Veränderungen konstatiert werden
konnten. Diese Befunde, die von A. Strubcll 3 ) und anderen erhoben
worden sind, kann ich auf Grund meiner eigenen oben niedergelegten 2 )
bestätigen.
Bietet auch das Fehlen nachweislicher anatomischer Veränderungen
des Nebennierenmarkes allein natürlich noch keinen absoluten Beweis
gegen die oben diskutierte Annahme, so wird sie vollends widerlegt
durch die Untersuchungen einer ganzen Reihe von Autoren, die gerade
1) A. Strub eil, Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. 1910. Bd. 65. H. 2.
2) Ich fand allein einen auffallenden Reichtum an anisotropen Lipoiden in der
Rinde und zwar besonders stark ausgeprägt bei denjenigen Tieren, denen ich erst
20 Stunden nach der Vergiftung das Serum entnommen hatte. Aber der relative Reich¬
tum an anisotropen Lipoiden, den ich auch bei normalen Kaninchen fand, beweist,
dass ich es gerade mit einem an den genannten Lipoiden in ihrer Nebennierenrinde
reichen Wurf zu tun hatte, so dass diesen Befunden keine besondere Bedeutung zu¬
kommt.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 177
in den ersten Stunden der Diphtherieintoxikation übereinstimmend eine
Funktionssteigerung der Nebennieren, d. h. eine Mehrproduktion von
Adrenalin konstatieren konnten. Ehrmann 1 ) konnte bei Kaninchen mit
seiner Methode noch 15 Stunden nach der Toxininjektion im Neben-
nierenvenenblute erhöhten Adrenalingehalt nachweisen.
Tcheboksaroff 2 ) kam bei seinen Versuchen an Hunden zu dem
gleichen Ergebnis; er fand erst 48 Stunden nach der Vergiftung die
Adrenalinsekretion unterhalb der Norm. Moltschanoff 3 ), Bogomalez 4 ),
Sinibaldi 5 ), S. Abramow 8 ) und andere erhielten die gleichen Re¬
sultate. Diese Befunde dürften die Möglichkeit, dass die blutdruck¬
herabsetzende Wirkung des Diphtherieserums auf einem Darniederliegen
der Adrenalinproduktion beruhe, mit grosser Wahrscheinlichkeit aus der
Diskussion ausscheiden lassen. Sollte einer oder der andere der ge¬
nannten Autoren mit kleineren Toxindosen gearbeitet haben als ich, so
würde dieses Plus an Giftmenge in meinen Versuchen ausgeglichen werden
durch die weit geringere Zeit, die bei mir die Tiere, speziell die Neben¬
nieren unter der Wirkung des Toxins standen. Schliesslich konnte ich,
wie bereits oben auseinandergesetzt wurde, bereits 6 Stunden nach der
Vergiftung des Tieres blütdruckherabsetzende Substanzen im Serum nach¬
weisen, zu einer Zeit also, wo man noch keine weitgehenderen, selbst
funktionellen Schädigungen der Nebennieren wird vermuten können. Dass
auch die Hypophyse, an die man in diesem Zusammenhänge ja eben¬
falls denken kann, ebenso wenig wie die Nebenniere auf Grund ana¬
tomischer Veränderungen ätiologisch für die blutdruckherabsetzende Eigen¬
schaft des diphtherischen Serums in Betracht gezogen werden kann, darf
ich auf Grund folgenden, allerdings klinischen Falles annehraen: Es
handelte sich um ein Kind unserer Klinik, das eine deutlich ausge¬
sprochene zunehmende Blutdrucksenkung im Verlauf einer schweren Diph¬
therie hatte, an der es zugrunde ging. Eine Nephritis hatte nicht be¬
standen. Die genaue mikroskopische Untersuchung (Geh. Rat Aschoff-
Freiburg) konnte an der Hypophyse nicht die geringsten anatomischen
Veränderungen nachweisen.
Vielmehr lassen mich die Befunde Ehrmanns und der anderen
oben genannten Autoren daran denken, dass das Diphtherietoxin, das
im Anfang der Vergiftung auf die Nebennieren als Reiz und erst in den
Finalstadien auf ihre Funktion lähmend wirkt, denselben Wirkungsmodus
auch bei anderen Drüsen mit innerer Sekretion in vielleicht noch stärkerem
Masse ausübt.
1) Ehrmann zit. nach Tscheboksaroff (s. unten).
2) Tscheboksaroff, Berliner klin. Wochenschr. 1911. Nr. 23.
3) Moltschanoff, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 76.
4) Bogonalez, Zieglers Beitr. 1905. Bd. 58.
5) Sinibaldi zit. nach Tscheboksaroff.
6) S. Abramow, Zeitschr. f. Immunitätsf. u. experim. Ther. Bd. 15. H. 1.
Ref. Münchener klin. Wochenschr. 1912. S. 2827.
Zeiteehr. f. klin. Medizin. 81. Bd, H. 1 u. 2. 12
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
178
H. ZONDEK
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Vielleicht wird in diesem Sinne speziell an das Pankreas zu denken
sein, dessen besonders stark blutdruckherabsetzende Eigenschaften hin¬
länglich bekannt sind.
Von besonderem Interesse aber wird meines Erachtens die Frage
nach dem Angriffspunkt sein, von welchem aus die hypothetische Sub¬
stanz im Diphtherieserum ihre Blutdruckherabsetzung besorgt. Da wir
es hier mit einer akuten Senkung zu tun haben, wird diese Entscheidung
möglich sein. Damit wird dann gleichzeitig gesagt werden können, ob
diese Substanz ihre Blutdruckherabsetzung vom Vasomotorenzentrum aus
bewirkt, wie dies zur Zeit fast allgemein für das Diphtherietoxin selbst
angenommen wird oder nicht. So viel lässt sich aber schon jetzt an¬
nehmen, dass die Blutdruckherabsetznng bei Diphtherie, wenn überhaupt,
so doch mindestens nicht allein auf eine primäre Schädigung des Herz¬
muskels zurückzu führen ist. So akut kann naturgemäss der Herzmuskel
des Uebertragungstieres durch die im Serum enthaltene Substanz nicht
lädiert werden. Der Angiffspunkt dieser akut wirkenden und für den
Zustand der diphtherischen Blutdrucksenkung fraglos sehr wichtigen Sub¬
stanz muss unbedingt an anderer Stelle liegen.
Neben der bisher behandelten blutdruckherabsetzenden Wirkung des
Diphtherieserums überhaupt dürften meines Erachtens auch dessen quanti¬
tativ verschiedene Senkungseffekte von Interesse sein.
Vergleichen wir noch einmal die Wirkungsintensität der verschiedenen
3 Sera hinsichtlich der durch sie gesetzten Grösse von D, so ergibt sich,
um es noch einmal kurz zusammenzufassen:
1. 6 Stunden-Serum.
bei 74 ccra Serum Senkungstiefe D = 15 cm H 2
7) 7 a „ „ ti = 12 u. l4cmH 2
„ 1 „ „ „ = 15 u. 16 cm Ho
(bei dem Entnahmetier noch keine Blutdrucksenkung)
und 41 cm (bei dem Entnahmetier schon Blutdrucksenkung vorhanden),
bei 2 ccm Serum Senkungstiefe D = 31 cm
(bei dem Entnahmetier noch keine Blutdrucksenkung)
und 39 cm (bei dem Entnahmetier schon Blutdrucksenkung vorhanden)
bei 3 ccm Serum Senkungstiefe D = 50 cm.
2. io Stunden-Serum.
bei 1 / 2 ccm Serum D = 33 u. 36, 45 u. 46 und 46 u. 54 cm H 2 0
„1 „ „ = 49 u. 52 cm H 2 0
„2 „ „ = 61 u. 62 u. 90 cm H 2 0.
3. 20 Stunden-Serum.
bei l / A ccm Serum D = 19 cm fl 2 0
„ 1 / 2 ri n — 19 u - 20 u. 21 cm H 2 0
„ 1 „ „ = 35 u. 37 u. 38 cm H 2 0
„ 2 „ „ = 44 u. 52 cm II 2 0
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 179
Der Vergleich dieser Zahlen ergibt die bemerkenswerte Tatsache,
dass die blutdruckherabsetzende Wirksamkeit des Serums von Diph¬
therietieren zu verschiedenen Zeiten des Vergiftungszustandes eine
verschiedene ist. Bei unseren 3 Serumreihen stellt ohne Zweifel das
10 Stunden-Serum den Höhepunkt der Wirksamkeit dar. Dies tritt
besonders illustrativ bei den Versuchen mit dem ! / 2 ccm Serum zu Tage,
wo die Senkungskurve bei den verschiedenen Seris sich von. der Durch¬
schnittszahl 13 über 45 nach 20 bewegt, ln ähnlichem Sinne fallen
auch die übrigen Versuche aus.
Ich glaube diesem Umstande eine ganz besondere Bedeutung bei¬
messen zu dürfen. Ist es doch ausserordentlich auffällig, dass die blut¬
druckherabsetzende Wirkung des Diphtherieserums nach Ueberschreitung
eines zeitlich festgesetzten Kulminationspunktes allmählich mehr und mehr
abnimmt. Wie ist dieser Umstand mit der allgemein bekannten und von
mir selbst häufig beobachteten Tatsache zu vereinbaren, dass der Blut¬
druck des diphtherischen Entnahmetieres selbst entsprechend der Dauer
der Toxineinwirkung immer mehr und mehr sinkt, um schliesslich gegen
Ende des Lebens zu ganz minimalen Werten reduziert zu werden. Eine
Erklärung dieses Phänomens vermag ich zur Zeit nicht zu geben. Es
scheint mir allerdings naheliegend, von einem bestimmten Zeitpunkt der
Vergiftung an das Auftreten irgend einer Substanz im Blutserum des in-
toxizierten Tieres anzunehmen, die als ein der Blutdrucksenkung ent¬
gegen wirkender, kompensierender Faktor anzusehen ist.
Zu denken wäre da z. B. an die Erkrankung der Niere. Unter der
Wirkung des Diphtherietoxins entwickelt sich eine Schädigung des Nieren¬
parenchyms. Es ist uns geläufig, bei experimentell erzeugten, insbe¬
sondere tubulären Nephritiden ein Steigen des Blutdrucks zu beobachten,
dem, wie ich oben für die Uran- und Chromnephritis gezeigt habe, auch
eine Steigerungstendenz des Blutserums der betreffenden Tiere entspricht.
Da die Diphtherienephritis wenigstens anatomisch ebenfalls in die Kate¬
gorie der tubulären Nephritiden gehört, werden wir auch hier an ähnliche
Vorgänge denken. Ich möchte glauben, dass wir in der Nephritis oder
den sie begleitenden Faktoren jenen kompensierenden Faktor haben.
Die Nieren sind erst 20 Stunden nach der Injektion des Toxins ana¬
tomisch ausgesprochen verändert. Die Glomeruli 1 ) erscheinen intakt, aber
an den gewundenen Harnkanälchen und den Henleschen Schleifen zeigen
sich ziemlich hochgradige Veränderungen in Form von starken Schwellungen
1) Schlayer u. Hedinger (1. c.) haben allerdings schon nach 12 Stunden
deutliche Erscheinungen einer Schädigung der Glomeruli festgestellt. Ich möchte, ob¬
gleich ich an ihnen auch nach 20 Stunden keine gröberen Veränderungen nachweisen
konnte, trotzdem nicht an ihre vollständige Intaktheit glauben, da ich im Harnsedi¬
ment schon nach 10 Stunden auffallend reichliche Mengen von roten Blutkörperchen
bei geringgradiger Zylindrurie vorfand. OfFenbar bestand schon zu dieser Zeit eine
abnorme Durchlässigkeit der Gefässwandungen in den Glomerulis.
12 *
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180
H. ZONDEK
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der betreffenden Epithelien mit deutlicher Desquamation derselben, reich¬
licher Eiweissausfüllung der Lumina der Tubuli contorti, Erscheinungen,
die in ihrer Gesamtheit das Bild der parenchymatösen Nephritis dar¬
stellen 1 )- Zu dieser Zeit ist die blutdruckherabsetzende Kraft des be¬
treffenden Serums gerade stark im Abnehmen begriffen. Sie steht in
dieser Beziehung etwa auf der Höhe des 6 Stunden-Serums, bei dessen
Entnahmetier die Veränderungen der Nieren noch so gering sind, dass
sie auf die Blutdruckwirkung des Serums jedenfalls ohne Einfluss sind.
Zwischen den anatomischen Nierenveränderungen des 6 und 10 Stunden-
Tieres bestehen andererseits noch keine wesentlicheren Differenzen. Bei
beiden finden wir an den Epithelien der Hauptstückc und der Henle-
schen Schleifen gerade die ersten, im ganzen geringfügigen Schwellungen
der Epithelien ohne irgend welche Desquamation derselben und hier und
da etwas Eiweiss im Lumen der gewundenen Kanälchen. Bei diesen
beiden scheidet also die Niere als kompensierender Faktor aus, und das
eine repräsentiert, ohne dass ein komplizierender Prozess dazwischen
tritt, einfach ein weiteres Entwicklungsstadium des ersteren. Dass mit
dem Eintritt der anatomisch nachweisbaren Nierenveränderung — und
das dürfte jedenfalls das Wesentliche sein — nun auch die Störung der
Nieren funk tion Hand in Hand geht, ist naheliegend. Nach der Schlayer-
schen 2 ) Mitteilung ist denn auch das erste Auftreten einer starken funk-,
tionellen Beeinträchtigung der Niere in Form wesentlich gestörter Diurese
12 Stunden nach der Toxininjektion zum ersten Mal nachweisbar. Auch
dieser Umstand wird für meine Vermutung in Betracht gezogen werden
müssen, dass sich nämlich im 20 Stunden-Serum auf Grund der gestörten
Ausscheidungsfähigkeit der inzwischen erkrankten Niere jene Substanzen
angehäuft haben, die der blutdruckherabsetzenden Eigenschaft des Serums
entgegenwirken.
Dass bei dem durch das Diphtherietoxin stark geschwächten Serum¬
spender selbst die Nephritis nicht auch als blutdrucksteigernder, die
primäre Senkung kompensierender Faktor wirkt, erklärt sich leicht aus
der erheblichen Herzschwäche der Tiere. Sie sind ja in den Stadien,
wo die nephritische Blutdrucksteigerung etwa in Erscheinung treten
könnte, meistens moribund. Ganz anders liegen die Verhältnisse natürlich
bei dem gesunden, kräftigen Uebertragungstier. Bei ihm können die ver¬
schiedenen Wirkungsgrade des Serums manifest werden, ohne dass Herz¬
schwäche, Gefässalterationen oder ähnliche Vorgänge das Bild trüben.
Ich möchte allerdings an dieser Stelle betonen: Ob die im Laufe
der Vergiftung auftretende und allmählich immer stärker werdende
1) Ich hatte mich bei Durchsicht der mikroskopischen Präparate der wertvollen
Unterstützung des Herrn Kollegen M. Landau, erstem Assistenten am pathologischen
Institut in Freiburg zu erfreuen, dem ich auch an dieser Stelle meinen herzlichsten
Dank aussprechen möchte.
2) Schlayer 1. c.
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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen eto. 181
Nephritis nun tatsächlich jener kompensierende Faktor ist, von dem ich
eben sprach, bleibt natürlich unbewiesen. Zweifelhaft aber erscheint mir
jedenfalls die Annahme Schlayers, der in seiner Arbeit über toxische
Nephritis von der Diphtherienephritis annimmt, sie ginge wie die vasku¬
lären Nephritiden mit einer Senkung des Blutdrucks einher. Hätte die
Diphtherienephritis als solche von sich aus tatsächlich noch blutdruck¬
herabsetzende Eigenschaften, so müsste sich im Serum dieser Tiere beim
Stärkerwerden der Nephritis die blutdruckherabsetzende Kraft dieser
Nephritis mit der durch die Diphtherie allein bedingten zu einer stärkeren,
nicht aber zu einer schwächeren Wirkung kombinieren. Es wäre ja immer¬
hin auch sonderbar, dass die Diphtherienephritis, obgleich sie anatomisch
tubulären Charakters ist, also etwa der Sublimat- oder Chromnephritis
nahesteht, wenn schon keine Steigerung, so gar eine Senkung des Blut¬
drucks bewirken sollte.
Zusammenfassung.
Das Serum von Kaninchen, die mit Diphtherietoxin akut vergiftet
worden sind, setzt bei Uebertragung auf gesunde Kaninchen den Blut¬
druck derselben akut herunter.
Normales Serum ist bei der gleichen Versuchsanordnung wirkungs¬
los. Serum von uran- bzw. chromnephritischen Kaninchen wirkt bei
Uebertragung auf Tiere, bei denen durch Diphtherietoxin der Blutdruck
gesunken ist, deutlich blutdrucksteigernd.
Der Grad der blutdruckherabsetzenden Kraft ist bei den verschiedenen
diphtherischen Seris verschieden je nach der Dauer, die das Entnahme¬
tier unter der Wirkung des Toxins gestanden hat. Bei 10 Stunden etwa
hat er seinen Höhepunkt erreicht, bei 20 Stunden ist er bereits deutlich
im Abnehmen begriffen. Mit der Dauer der Einwirkung des Toxins wird
bei den Entnahmetieren die durch das Gift bedingte Nierenschädigung
stärker. Nach 20 Stunden sind die histologischen Veränderungen der
Niere weit ausgesprochener als nach 10 Stunden. Möglicherweise stellt
die Nephritis einen der Blutdrucksenkung entgegen wirkenden, gleichsam
kompensierenden Faktor dar. Jedenfalls scheint die Diphtherienephritis
als solche von sich aus den Blutdruck nicht herabzusetzen, da sich ihre
Wirkung sonst zu der durch das Diphtherietoxin allein bedingten zu
einem stärkeren, nicht aber zu einem schwächeren Senkungseffekte des
betreffenden Serums kombinieren müsste.
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XI.
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Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses in Augsburg
(früherer Oberarzt: Dr. L. R. Müller).
Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den
Pigmentgehalt der Haut,
Von
Dr. Fritz Nehl,
früher Volontärassistent am Krankenhaase Augsburg, jetzt Augenarzt in Bremen.
So sehr unsere Kenntnisse von der Pigmentbildung in der Haut durch
eine Reihe von neueren Arbeiten, insbesondere durch die Studien von
Meirowsky (48) gefördert wurden, so wird dadurch doch fast nur die
formale Genese berührt. Ueber die kausale Genese, das übergeordnete
Agens, welches die Zellen zur Pigmentbildung veranlasst, wissen wir
noch recht wenig.
Dass chemische, thermische, mechanische Einflüsse und vor allem
Licht auch ohne Vermittlung des Nervensystems Pigmentierungen der
Haut hervorrufen, ist genügend bekannt.
Zweifellos kommen jedoch daneben für die Pigmcntbildung auch
noch nervöse Einflüsse in Betracht.
Bei Fischen und Amphibien steht der Pigmentapparat auf einer
ungleich höheren Stufe als beim Menschen. Er hat dort häufig die Aufgabe,
das Tier durch Anpassung an die Farbe der Umgebung seinen Feinden
und seiner Beute gegenüber möglichst unkenntlich zu machen.
Hier haben sich auch leicht enge Beziehungen zwischen Pigmentierung
und Nervensystem nachweisen lassen. Kämmerer (37) zeigte beim
Salamander, dass sowohl der Feuchtigkeitsgehalt wie auch die Farbe der
Umgebung einen Einfluss auf die Pigmentierung ausüben und zwar in
verschiedener Weise. Während die „Feuchtwirkung“ darin besteht, dass
bei grossem Feuchtigkeitsgehalt der Umgebung innerhalb der dunklen
Hautpartien helle, bei Trockenheit in den hellen dunkle Flecke entstehen,
vergrössert die Farbe der Umgebung die dunklen oder hellen Flecke
durch Vermehrung oder Verminderung des dunklen Pigments, je nachdem
die Umgebung heller oder dunkler gefärbt ist. Bei geblendeten Salamandern
tritt nur eine „Feuchtwirkung“, aber keine „Farbwirkung“ ein. Daraus
folgt, dass die Farbwirkung nur durch Vermittlung des Auges, d. h.
dessen perzipierenden nervösen Elementen stattfindet, von diesen wird die
Erregung auf die Zen tralorgane und weiter auf die peripherischen,
zu den Chromatophoren führenden Nerven übertragen.
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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 183
Für diese Vermutung spricht auch eine andere Versuchsanordnung.
Schneidet man Hautstücke aus und transplantiert sie an andere Stellen,
so äussert sich zunächst nur die Feuchtwirkung, erst nach längerer Zeit
die Lichtwirkung. Die Feuchtwirkung, die offenbar wenig oder gar nicht
vom Nervensystem abhängt, kann schon stattfinden, wenn das Gewebe
wieder genügend ernährt, d. h. hinreichend mit Blutgefässen versorgt ist,
die Lichtwirkung jedoch, für die eine normale Nervenleitung Bedingung
ist, erst mit der Herstellung der Innervation, die stets später erfolgt als
die Blutversorgung. Beim Axolotl stellte Baback (2) nach Blendung ein
umgekehrtes Verhalten der Hautfärbung dem Licht gegenüber fest; während
Tiere mit gesunden Augen im Lichte hell, im Dunkeln dunkel wurden,
nahmen geblendete Tiere die entgegengesetzten Färbungen an.
Studien über die Pigmentverhältnisse bei Fischen (Cyprinoiden und
Salmoniden) führten zu ähnlichen Resultaten [Frisch (26)]. Blinde
Cyprinoide (Pfrillen und Karauschen) verlieren die Fähigkeit, ihre Farbe
der Umgebung anzupassen; auf beiden Augen geblendete Salmoniden
(Forellen und Saiblinge) werden dunkler; bei Blendung eines Auges wird
nur die entgegengesetzte Körperseite dunkler. Also auch hier Ab¬
hängigkeit der Pigmentierung vom Auge und vom Nervensystem!
Bei Pfrillen und Forellen hat Frisch (26) am Vorderendo des ver¬
längerten Markes auch ein Zentrum für die Kontraktion der Pigment¬
zellen nachgewiesen, dessen Erregung Pigmentballung, dessen Zerstörung
Erschlaffung der Pigmentzellen zur Folge hat. Den anatomischen Nachweis
einer direkten Verbindung von Pigment und Nerven brachten Eberth
und Bunge (22). Sie sahen nach Bleichung des Pigments mittels Chlor¬
wassers bei bestimmten Pigmentzellen von Fischen Nervenfasern direkt
an die Zellen herantreten und mit Endplättchen darin endigen. Ferner
beschreibt Ballowitz (8) an den elektrischen Organen beim Torpedo
Nervenendigungen, die mit dem Protoplasma, nicht mit dem Kern der
Chromatophoren in Verbindung stehen.
Der anatomische Nachweis einer besonderen Innervation der Pigment¬
zellen ist natürlich der sicherste Beweis für die Abhängigkeit der Pigmen¬
tierung von nervösen Einflüssen. Er ist jedoch bereits bei Amphibien
nicht mehr gelungen, geschweige beim Menschen. Es kann daher Schlüssen,
die aus den Pigraentverhältnissen bei niederen Tierstufen eine Anwendung
auf den Menschen herleiten, der Vorwurf theoretischer Spekulation nicht
erspart bleiben. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass die meisten
Gebilde unseres Organismus sich in ihrer Entwicklung bis in niedere
Tierstufen verfolgen lassen, ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu
weisen, dass der Pigmentapparat des Menschen von früheren Entwicklungs¬
stufen seinen Ausgang genommen hat, dass er nichts anderes ist als ein
rudimentäres Ueberbleibsel.
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184
FRITZ NEHL,
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Wenden wir uns nun unserem eigentlichen Thema, dem Einfluss
des menschlichen Nervensystems auf die Pigmentverschiebungen
in der Haut zu.
Die bekannteste Erscheinung, über die auch von Laien oft berichtet
wird, ist das Ergrauen der Haare nach schweren seelischen Erschütterungen
und nach angreifenden Sorgen.
Freilich muss man solchen Beobachtungen und Behauptungen mit
kritischem Zweifel gegenübertreten. Kann es sich doch in solchen Fällen
um ein vorzeitiges Ergrauen aus unbekannten Ursachen, vielleicht infolge
von hereditärer Belastung mit Canities praecox handeln.
Besonders vorsichtig zu beurteilen sind die Mitteilungen von „plötz¬
lichem“ Ergrauen der Haare.
So erzählt Parry (54), dass ein indischer Soldat der englischen Armee, der zur
Aburteilung vorgeführt wurde, innerhalb einer halben Stunde (!?) unter seinen Augen
ergraut sei.
Doch sind von durchaus ernster Seite solche Fälle eingehend rait-
geteilt und wissenschaftlich begründet worden. Eine Arbeit über das
„plötzliche Ergrauen der Haupthaare“ verdanken wir dem Physiologen
Landois (43) (Virchows Archiv, 1866, Bd. 35).
Bei einem 34jährigen Trinker, der wegen Delirium tremens in die medizinische
Klinik zu Greifswald eingeliefert wurde und der an schreckhaften Halluzinationen mit
schweren Angstzuständen litt, ergrauten, wie ärztlich (Prof. Moser) festgestellt wurde,
„über Nacht“ Kopf- und Barthaare. Als Patient nach Ablauf des Deliriums und nach
dem ersten erquickenden Schlaf sich vor dem Spiegel kämmen wollte, rief er er¬
schrocken aus: „Ach Gott, mir sind die Haare grau geworden.“ Nach den mikro¬
skopischen Untersuchungen von Landois ist es nicht zum Schwund des Farb¬
stoffes, sondern zur Entwicklung reichlicher Luftbläschen im Haarschaft gekommen,
welch letztere dem Haare trotz seines erhaltenen Pigments eine vorwiegend weisse Farbe
gaben. Die Haare waren in ihrer ganzen Ausdehnung von der Wurzel bis zur Spitze
weiss geworden. Die Luftbläschen lagen sowohl in der Marksubstanz als auch in der
Kortikalschicht der Haare. Landois schreibt: „Es lehrt also dieser Fall, dass bei
dem plötzlichen Ergrauen das Haar ganz andere Veränderungen erleidet als bei dem
allmählichen. Bei dem plötzlichen Ergrauen behält das Haar sein Pigment bei, und
die helle Farbe rührt davon her, dass eine reichliche Entwicklung der Lufibläschen
im Haarschaft vor sich geht, bei dem allmählichen Ergrauen verschwindet das
Pigment. Landois zweifelt nicht daran, dass in den Fällen von plötzlichem Er¬
grauen „ein Einfluss seitens des Nervensystems vorwaltet“.
Einen wertvollen und ernst zu nehmenden Beitrag liefert auch
Baelz(6 ), der auf der Versammlung der deutschen anthropologischen
Gesellschaft über seine Beobachtung berichtet.
Eine 30jährige Frau, die er beim letzten Male mit dunklen Haaren gesehen hatte,
kam nach einem halben Jahre mit weissen Haaren in seine Sprechstunde. Sie er¬
zählte, dass sie während eines Schiffsunglücks, bei dem sie, den Tod für sich und für
ihr Kind vor Augen, vom Schiff ins Meer sprang, in einer Nacht weiss geworden
sei. Baelz (6) erwähnt ausdrücklich, dass dio Haare in ihrer ganzen Länge weiss
waren, also in einer Ausdehnung des Haares, die zu ihrem Wachstum mindestens
2 Jahre braucht.
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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 185
Boissiers (16) konnte einen 38jährigen Bauern beobachten, bei dem nach hef¬
tiger Gemütserschütterung an Bart und Augenbrauen und Kopf das braune Haar aus¬
fiel und durch Nachwachsen weissen Haares ersetzt wurde.
Es sei auch kurz ein Fall von Ploss angeführt, der bei einem ge¬
sunden Individuum nach sehr heftigem Schreck akut eine allgemeine
Pigmentvermehrung wie beim Morbus Addisonii auftreten sah.
Hierher gehören zweifellos auch die • Beobachtungen von dem Er¬
grauen der Haare bei Epilepsie, Dementia praecox und anderen Nerven¬
krankheiten.
Räuber (56) berichtet in Virchows Archiv von einem Epileptiker, bei welchem
die Haarfarbe jedesmal mit psychischen Erregungszuständen gewechselt habe (!),
dooh gibt er zu, dass dieser Patient auch viele hysterische Symptome bot. Das Haar
wurde nicht nur fuchsig rot, sondern es begann sich zu kräuseln und wurde glanzlos.
(Sollten diesen Haarveränderungen nicht hysterische Manipulationen zu Grunde
gelegen haben!)
Hei nicke(29) sah bei einem an Dementia praecox leidenden Mädchen bei jedem
Anfall ein Weisswerden eines ca. 3 cm breiten, von der Stirn zum linken Scheitelbein
ziehenden Streifens, der wenige Stunden naoh dem Anfall schon wieder dunkle Farbe
annahm (?).
Reinhard (59) beschreibt eine geisteskranke Frau, bei der mit jedem Erregungs¬
zustand die Farbe des ganzen Kopfhaares in 48—60 Stunden auf die Dauer von 7 bis
8 Stunden vom Hellblond ins Rotblonde wechselte. Hier wäre es also zu einer Pig¬
mentvermehrung der Haare gekommen.
Wäre wirklich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Geisteskrank¬
heit und Erbleichen der Haare nachzuweisen, so müssten, so sollte man
glauben, bei der Häufigkeit der psychischen Störungen doch öfters solche
Beobachtungen gemacht werden.
Wenn auch die Mitteilungen über all diese Fälle von Ergrauen der
Haare innerhalb weniger Stunden und Tagen recht vorsichtig und recht
kritisch beurteilt werden müssen, daran dürfen und können wir doch
nicht zweifeln, dass ernste Sorge und schwerer Kummer das Haar in
wenig Wochen und Monaten bleichen können. Solche Feststellungen
werden zu häufig gemacht, als dass ihre Richtigkeit in Frage gestellt
werden könnte.
Gilt es doch auch in Laienkreisen und in der Laienliteratur längst
als feststehend, dass schwere Zeiten das Haar ergrauen lassen. Uns
selbst steht eine Reihe von solchen Beobachtungen zur Verfügung.
Eine verhältnismässig junge Frau pflegt aufopfernd ihren Mann, den Ernährer
der Familie und den Vater zahlreicher Kinder, welcher an fortgeschrittener Tabes
(Amaurose, Krisen, Blasenstörungen) leidet. Ihr Haar ist in dieser Zeit des Kummers
und der Sorge um den Unterhalt schneeweiss geworden, während in der grossen Familie
der Frau kein einziger Fall von vorzeitigem Ergrauen vorgekommen. Ihre hochbetagte
Mutter hat noch schwarzes Haar.
In einer anderen Familie ergraut von drei gesunden Brüdern zuerst der weitaus
jüngste, der in seiner eigenen Familie infolge Erkrankung seiner Frau viel Sorge und
Gram durchzumachen hat.
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186
FRITZ NEHL,
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Ein Patient der inneren Abteilung, welcher schon mit 30 Jahren stark ergraut
ist, gab uns in bestimmter und glaubwürdiger Weise an, dass er innerhalb weniger
Wochen während einer schweren Erkrankung seiner Frau „weiss geworden 4 *, aus
Kummer darüber, dass seine Kinder unversorgt seien.
Während der Niederschrift dieser Arbeit findet sich in der süddeutschen Tages¬
presse ein Bericht über die Gerichtsverhandlung gegen einen ungetreuen Beamten,
welcher während der verhältnismässig kurzen Untersuchungshaft „ganz grau 44 ge¬
worden.
Solche und ähnliche Beobachtungen sind zu häufig, als dass ihre
Richtigkeit bezweifelt werden könnte. Fs trägt sich nur, ob das vor¬
zeitige Ergrauen nach Gemütsbewegungen auf „nervöse Einflüsse 44 zurück¬
zuführen ist.
Vorzeitiges Ergrauen des Kapillitiums bei schwerer Sorge und beim
Kummer könnte schliesslich auch auf allgemeine Ernährungsstö¬
rungen zurückgeführt werden. So bietet dasjenige Individuum, das in¬
folge von Sorge und von schwerer Krankheit grau geworden, meist auch
den Eindruck vorzeitigen Alterns. Der Ernährungszustand hat gelitten,
der Hämoglobingehalt des Blutes ist heruntergegangen, die Elastizität
der Haut hat nachgelassen, der Turgor der Muskeln ist vermindert, kurz
der Einwand, dass das Ergrauen der Haare auf allgemeine Ernährungs¬
störung und nicht auf nervöse Einflüsse zurückzuführen wäre, kann
nicht mit Bestimmtheit widerlegt werden.
Anders liegen die Verhältnisse, wenn nur ein bestimmter Bezirk
des Kapillitiums, der gerade von einem bestimmten Nerven versorgt
wird, ergriffen ist. Solche Fälle dürfen wir als sichere Beweise
von der Abhängigkeit des Haarpigments von der Innervation
ansprechen.
Urbantscbitsch (67) beschreibt das Krankheitsbild eines 30jährigen Mannes,
der an einer Neuralgie des Ramus temporalis des Nervus auriculotemporalis dexter litt
und bei dem in den Hautgebieten, welches dieser Nerv versorgt, nach jedem Anfall
die Haare für einige Zeit weiss wurden, um dann später wieder ihre normale Farbe
anzunehmen.
Ebenso beobachtete Anstie(l) an sich selbst bei neuralgischen Anfällen im
Gebiet des Nervus supraorbitalis bei jedem Anfall ein Ergrauen der Haare der zuge¬
hörigen Augenbraue und des entsprechenden Teiles des Kapillitiums.
Cheatle (20) veröffentlichte mit photographischen Abbildungen einige Fälle,
wo neben anderen Störungen im Gebiet des Nervus mentalis Weisswerden der Haare,
sowohl doppel- wie einseitig, und zwar in zwei Fällen mit auffallender Genauigkeit
den einzelnen Aesten des Nerven entsprechend auftrat.
Erb weist bei dem Kapitel über Neuralgie in Ziemssens Handbuch der spez.
Pathol. und Therap. Bd. 12 darauf hin, dass es Fälle gibt, bei denen die Haare bei
jedem Anfall von Neuralgie weiss werden.
Der Pigmentschwund im Verbreitungsbezirk eines Nerven, der von
Neuralgie betroffen wurde, scheint gar nicht so selten zu sein.
So schreibt Strümpell in dem 2. Bande seines Lehrbuchs (19. Auflage) auf
Seite 317: „Bei längere Zeit bestehenden Neuralgien beobachtet man manchmal
noch andere eigentümliche trophische Störungen: Veränderung (Verdiokung und Atro-
Gck igle
^Original frorn _
UNIVERSITY OF MINNESOTA
lieber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 187
phien) der Haut und des Unterhautzellgewebes, Ergrauen und Ausgehen der
Haare im Gebiet des Frontalis u. a. u Und auf Seite 724 des gleichen Bandes: „ln
anderen Fällen scheinen Pigmentänomalien der Haut mit nervösen Störungen
zusammenzuhängen. So z. B. entwickeln sich pigmentfreie Stellen (Vitiligo), manch¬
mal im Anschluss an heftige Neuralgien.
Auf die Beobachtungen Oppen heims (53) und Mendels (40), welche bei einer
Affektion des Halssympathikus Ergrauen des zugehörigen Haupthaares konstatierten,
müssen wir später eingehend zurückkoramen.
S. Loeb (45) beschreibt in der Deutschen medizinischen Wochenschrift eine
Hemikanities, die sich im Anschluss an eine Hemiplegie auf der gleichen Seite
entwickelt hat und angeblich sohon acht Tage nach dem Insulte an Kopfhaar, Augen¬
braue und Schnurrbart festzustellen war. Ein ähnlicher Fall von halbseitigem Er¬
grauen soll nach S. Loeb schon von 0. Berger im Jahre 1871 mitgeteilt worden sein.
Es wäre nun die Frage zu erörtern, welcher histologische Vorgang
zum Ergrauen der Haare führt. Die pathologisch-anatomische Unter¬
suchung der Haare ist anscheinend in den meisten Fällen unterlassen
worden. Eine solche ist nur von Landois (43) und von Heinike(29)
erwähnt. Diese Autoren wollen in den oben angeführten Fällen den
Pigmentgehalt der Haare unverändert gefunden haben. Sie schreiben das
Hellerwerden der Haare der Einlagerung von zahlreichen kleinsten Luft¬
bläschen im Haare zu. Heinike nimmt an, dass die Luftbläschen durch
Schrumpfung des Pigmentes in das Haar eintreten.
Ergrauen der Haare in kurzer Zeit, in Stunden oder wenigen Tagen
wird, wenn wirklich solche Fälle Vorkommen, nur durch Eintritt von
Luftbläschen in das Haar zustande kommen können.
Gegen die Auffassung von dem Eintritt kleinster Luftbläschen in
die Haare sprechen jene Beobachtungen, in denen nicht nur die Haare,
sondern auch die umgebende Haut pigmentlos wurde.
Wir dürfen wohl vermuten, dass es sich dort, wo es sich um das
Nachwachsen eines weissen Haares handelt, tatsächlich um ein pigment¬
loses Haar handelt.
Von manchen Seiten hat man auch das Auftreten von halbseitig
oder symmetrisch angeordneten Pigmentnaevi auf Störungen des Ner¬
vensystems zurückgeführt. 1863 stellte Bärensprung (9) verleitet durch
die Aehnlichkeit in der Anordnung mit den Eruptionen beim Herpes
zoster die Behauptung auf, dass wie dieser Erkrankung auch den
Pigmentnaevi Veränderungen der zugehörigen Spinalganglien zugrunde
liegen. Diese müssten, da die Naevi angeboren seien oder sich aus an¬
geborenen Pigmcntanomalien entwickelten, intrauterin zustande gekom¬
men sein.
Auch Th. Simon (62) und andere lassen nervöse Einflüsse bei der
Entstehung der Pigmentnaevi die ätiologische Rolle spielen. Der ana¬
tomische Nachweis einer Nervenerkrankung, wie ihn Bärensprung («>
für den Herpes zoster feststellte, wurde nun aber noch nicht erbracht.
Die rein äussere Uebcreinstimmung mit dem Verbreitungsgebiet eines
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188
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Nerven allein hatte zu dieser Vermutung geführt. Das Fehlen anderer
Zeichen einer Nervenerkrankung, z. B. das Fehlen von Sensibilitäts¬
störungen, die ja beim Herpes eine häufige Begleiterscheinung sind, sowie
die Tatsache, dass Pigmentnaevi im postuterinen Leben noch nie infolge
einer Erkrankung des betreffenden Nerven aufgetreten sind, Hessen
bald Zweifel an der Richtigkeit der oben besprochenen Behauptung auf-
kommen. Als dann von verschiedenen Autoren an der Hand anatomisch
eingehend geschilderter Fälle gezeigt wurde, dass die Uebereinstimmung
mit den nervösen Versorgungsgebieten keine exakte sei, dass die Pigment¬
streifen oft viel schärfer abgeschnitten sind oder in ihren einzelnen
Partien starke Differenzen mit den Nervenverbreitungsgebieten zeigten,
wurde die Theorie verworfen. An ihre Stelle trat die Anschauung von
der Entstehung der Pigmentnaevi durch Entwicklungsstörung. Es wurde
auf die Kongruenz der Pigmentstreifen mit den Voigtschen (68) Grenz¬
linien hingewiesen und wurde angenommen, dass die Naevi dort entstehen,
wo während der Entwicklungsperiode der Haut verschiedene Wachstums¬
richtungen aufeinander stossen; hier wäre besonders leicht die Möglichkeit
zu Störungen gegeben. Nach Blaschko (15) wird an diesen Grenzlinien
die Disposition zu Entwicklungsstörungen noch dadurch erhöht, dass von
ihnen aus in den einzelnen Hautplatten auch die Differenzierung zwischen
Kutis und Epidermis begänne. Auch Ehrmann (23) führt die systemati¬
sierten Pigmentnaevi auf Entwicklungsstörungen in den embryonalen
Kutisplatten der Urwirbel zurück. Wenn diese vom Dorsum segmentär
ventral-abwärts wüchsen und sich mit dem Wachstum des Körpers in
die Länge dehnten, nähmen auch alle Missbildungen daran teil und so
erklärte sich auch die segmentäre Anordnung der Naevi. Dass die
Pigmentierungen eine, wenn auch ungenaue Uebereinstimmung mit den
Versorgungsgebieten der betreffenden Nerven haben, lässt sich dadurch
auch leicht einsehen. Denn ein jeder Hautbezirk hat ja seine bestimmten
Nerven. Der Zusammenhang zwischen Pigmentnaevi und dem
nervösen Apparat ist also nur ein akzidenteller, kein kausaler.
Für die Annahme einer Entwicklungsstörung spricht auch die schon er¬
wähnte Tatsache, dass derartige Pigmentierungen entweder angeboren
Vorkommen oder sich doch in so früher Jugend entwickeln, dass man
auch hier angeborene Störungen annehmen darf. Diese waren bei der
Geburt so gering, dass sie erst bei der ferneren Entwicklung aus den
unbemerkten Anfängen auffielen.
Ein weiterer Beweis für die Entstehung der Pigmentnaevi durch
Entwicklungsstörungen wäre es, wenn diese mit anderen Entwicklungs¬
störungen Erblichkeit gemeinsam hätten. Aus der Literatur ist uns
kein Fall bekannt, indes sind wir selbst in der Lage, einen solchen
Fall beibringen zu können. Januar 1914 wurde auf die innere Ab¬
teilung des Krankenhauses Augsburg eine Patientin mit ausgesprochen
halbseitig angeordneten Pigraentnaevi auf Brust und Rücken aufgenommen.
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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 189
Sie gab mit Bestimmtheit an, dass ihr Vater und Grossvater die gleichen
Pigmentierungen an gleicher Stelle besessen hätten.
Schliesslich sei daran erinnert, dass Melanosarkome von Pigment¬
naevi ihren Ausgang nehmen können. Solange noch die Theorie von
der Entstehung maligner Tumoren aus embryonal versprengten Keimen,
also aus Entwicklungsstörungen Geltung hat, besitzen wir auch hierin
einen Hinweis auf die autogenetische Herkunft der Pigmentnaevi.
Auch die entgegengesetzte Pigmentanomalie, der partielle Albinismus
ist vielfach mit nervösen Einflüssen in Zusammenhang gebracht worden,
denn auch hier finden sich segmentäre, halbseitige oder symmetrische An¬
ordnung und Uebereinstimmung mit Nervengebieten (Hutchinson). Doch
lässt sich auch der partielle Albinismus aus Entwicklungsstörungen, aus
Hemmungen bei der Bildung der embryonalen Kutisplatten erklären. Er
ist schliesslich nur eine Abart des totalen Albinismus, der ja auch eine
Entwicklungsstörung darstellt.
Eine weitere Pigmentanomalie, und zwar eine im späteren Leben
erworbene Pigraentatrophie, deren Entstehung häufig mit nervösen Ein¬
flüssen in Zusammenhang gebracht wird, ist die Vitiligo. Freilich fehlt
dafür ein sicherer Nachweis auf experimenteller oder anatomischer Grund¬
lage. Indes ist die Theorie von dem Zusammenhang vitiliginöser Pigment¬
verschiebungen mit nervösen Erkrankungen besser begründet wie andere.
Nervöse Einflüsse kommen zum mindesten als eine — vielleicht die
häufigste — Ursache neben anderen kausalen Momenten in Betracht.
Dass auch andere Faktoren Vitiligo herbeiführen können, dafür spricht
zunächst schon das Fehlen nervöser Affektionen in vielen Fällen. Doch
dürfte auch die Zahl dieser durch genaue Sensibilitätsprüfungen ver¬
ringert werden. Von Jarisch werden Ernährungsstörungen für die Vitiligo
verantwortlich gemacht, desgleichen von Ehrmann (23), der die Er¬
krankung häufig bei Personen mit Darmstörungen beobachtet hat. Tro-
phischc Schädigungen erklären das Leiden jedenfalls in denjenigen Fällen
am besten, in welchen die Pigmentanomalien im Anschluss an dauernde
mechanische, thermische und chemische Reize auftreten.
Die Aufmerksamkeit auf nervöse Einflüsse als Ursache der Vitiligo
lenkte namentlich die häufige Koinzidenz von Vitiligo mit nervösen
Affektionen. Bei Störungen des Nervensystems, nach Geisteskrankheiten,
Neuritiden ist Vitiligo oft beobachtet worden. In einem von Jakob¬
sohn (32) beschriebenen und abgebildetcn Falle tritt Vitiligo des Genitale
als Frühsymptom der Tabes auf, in den vitiliginösen Partien waren
auch die Schamhaare mit einbegriffen, also ergraut. Kindborg (40)
bildet in seinem III. Bande der Theorie und Praxis der inneren Medizin
auf Seite 700 ein „Leukoderma syphiliticum von ungewöhnlicher Lokali¬
sation und Grösse“ ab, welches sich in einem Falle von tabischer
Arthropathie entwickelt hat und sich scharf auf die Gegend des linken
Nervus supraorbitalis beschränkt. „Dieses Leukoderm sieht aus wie
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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FRITZ NEHL
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ein sogenannter Vitiligo, ein fleckweiser angeborener Pigmentmangel am
Kopf. Es ist jedoch kein solcher, sondern ist in seinem Fortschreiten
mehrere Jahre lang beobachtet worden.“
Auch das symmetrische Auftreten der Vitiligo, das gar nicht
selten unverkennbar ist, weist auf nervöse Einflüsse hin.
In der medizinischen Poliklinik zu Würzburg wurde im Sommer 1914 ein
3Gjähriges Mädchen mit ausgesprochenen Caf6 au lait-Flecken beobachtet. Bei diesem
hatte sich das Leiden im Anschluss an eine gynäkologisch notwendige Kastration aus¬
gebildet. Die Linien der Pigmentverschiebungen verlaufen nun auf beiden Körper¬
hälften durchaus gleichartig. In den pigmentfreien, weissen Flecken wird „Spitz“
und „Warm“ und „Kalt“ weniger lebhaft empfunden als an den braunen Flecken und
an der normal pigmentierten Haut.
Bei den von Bacaloglu und Parhon (5) beschriebenen Kranken
umschliesst ein etwa 3 cm breiter gürtelartiger Streifen vitiliginöser
Flecken oberhalb des Nabels beide Körperhälften in gleicher Höhe.
Die Autoren sind der Ansicht, dass hier eine spinale Erkrankung vorliege.
Eine wesentliche Stütze für die Vermutung, dass die
vitiliginösen Flecken auf nervöse Störungen zurückzuführen
seien, bilden ferner Beobachtungen aus den letzten Jahren,
die über Sensibilitätsstörungen in den vitiliginösen Partien
berichten. Kreibich (42) stellte fest, dass auf chemische Reize hin
die pigmentierten Stellen und die übrige Haut weit eher reagieren, als
die depigmentierten Partien.
Auf anderem Wege, auf Grund seiner Versuche über Lichtwirkungen
bei Vitiligo und Leucoderma syphiliticum gelangt Vörner(69) zu der
Ueberzeugung von der Wichtigkeit nervöser Einflüsse. Er konstatierte,
dass Bestrahlungen mit der Quarzlampe beim Leucoderma syphiliticum
nur vorübergehende, bei Vitiligo jedoch dauernde Pigmentierung der hellen
Stellen hervorruft, er meint, dass beim Leukoderm infolge Schädigung
der pigmentbildenden Zellen selbst keine Pigmentbildung mehr erfolgen
könne; bei Vitiligo aber seien die Zellen selbst gesund, es fehle nur
die Anregung durch die Nerven, die erkrankt seien. Auf An¬
regung anderer Art vermöchten daher die Zellen zu reagieren.
Wohl am besten lässt sich bei der Nervenlcpra ein Zusammen¬
hang zwischen Pigmentanomalien und nervösen Einflüssen nachwcisen,
da hier die Veränderungen an den Nerven eine anatomisch sicher ge¬
stellte Grundlage bilden.
Dass wirklich die Erkrankung der Nerven bei der Lepra maculosa
für die abnorme Färbung und Entfärbung der Haut verantwortlich zu
machen ist, dafür sprechen die An- und Hypästhesien in den verfärbten
Gebieten und dafür sprechen Störungen der Scbweisssekretion in den
ergriffenen Hautpartien.
An der Abhängigkeit der Pigmentation von nervösen Ein¬
flüssen dürfen und können wir wohl nach diesen Beobachtungen,
nicht mehr zweifeln.
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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 191
Tn den vorhergehenden Abschnitten haben wir von nervösen Einflüssen
schlechthin gesprochen. In den letzten Jahren haben sich die Stimmen,
welche eine Abhängigkeit der Pigmentierung vom vegetativen Nervensystem
vermuten, so vermehrt, dass sie eine ernste Beachtung erfordern.
Vor allem ist es die Addisonsche Krankheit, welche den Einfluss
des vegetativen Nervensystemes auf die Pigmentierung der Haut sicher¬
stellt. Das Nebennierenmark steht wie alles chromaffine Gewebe dem
vegetativen Nervensystem in genetischer Beziehung sehr nahe, beide
Gewebsarten entwickeln sich aus der sympathischen Bildungszelle, der
Sympathogonie. Die Funktion des Nebennierenmarkes, d. h. die Produktion
des Adrenalins, steht noch dazu unter dem Einfluss der zahlreichen
sympathischen Ganglienzellen im Nebennierenmarke und unter dem Ein¬
fluss der präzellulären Neurone, die im Nervus splanchnicus verlaufen.
Nach den Darlegungen Neussers (52) ist es für die Entstehung der
Addison sehen Krankheit gleichgültig, an welcher Stelle der Krankheits¬
prozess sitzt, ob im Verlauf des Nervus splanchnicus oder in den grossen
Plexusganglien oder schliesslich in den nervösen Endorganen in der
Nebenniere selbst. Auf Grund dieser Theorie wäre es zu verstehen, dass
auch manche Fälle von Addison scher Krankheit beobachtet wurden [so
von Jürgens (36) und Pende e Varvaro (55)], bei denen die Neben¬
nieren selbst intakt gefunden wurden und bei denen angeblich nur eine
Erkrankung des Splanchnikus festzustellen war. Andererseits werden
Addisonpigmentierungen nicht nur beim primärem Schwund der Neben¬
nieren und bei der Tuberkulose dieser Organe, sondern auch bei Hyper¬
nephromen und bei Karzinose der Nebenniere beobachtet. Es ist kein
Zweifel, dass sie auf eine Hypofunktion des Nebennierenmarkes zurück¬
zuführen sind.
Die übermässige Pigmentierung der Haut ergreift vor allem das
Gesicht, den Hals, die Handrücken und diejenigen Partien, welche durch
irgendeinen Reiz, wie Sonnenlicht, stärkeren Druck, Vesikantien getroffen
werden. Zwischen den pigmentierten Hautpartien können auch beim
Addison wie bei der Vitiligo pigmentfreie Stellen eingeschoben sein.
Freilich ist es noch gar nicht klargestellt, auf welche Weise denn
die Nebenniere die Pigmentation der Haut beeinflusst. Meirowsky (48)
vermutet, dass die Nebenniere dadurch eine hemmende Wirkung auf die
Pigmentbildung der Haut ausübt, dass die Abbauprodukte der Haut in
ihr, d. h. also in der Nebenniere, weiter verarbeitet werden. Wenn nun
die Nebennieren erkrankt sind, dann werden nach Meirowsky die Stoff¬
wechselprodukte der Haut durch Oxydasen, die in der Epidermis vor¬
handen sind, zum Pigment umgewandelt. „Indem also die Nebennieren
als Stoffwechselregulatoren ausfallen, wird die Haut hyperpigmentiert und
so entsteht die Pigmentation des Morbus Addisonii.“ Nach den experi¬
mentellen Untersuchungen Meirowskys hat die überlebende Epidermis
die Fähigkeit zur Pigmentbildung. Unerklärlich bleibt bei der Theorie
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Meirowskys, warum die Abbauprodukte der Haut bei intakten Neben¬
nieren mit dem Lymphstrom weggeschwemmt werden, warum dies aber bei
erkrankten Organen nicht der Fall ist, warum nur dann die Stoffwechsel¬
produkte der Haut durch die Oxydase an Ort und Stelle zu Pigment
verwandelt werden.
Für einen lokalen Vorgang in der Haut bei der Bronzefärbung
sprechen die neuesten Forschungen Bittorfs (14). Bittorf führt die
gesteigerte Pigmentbildung beim Morbus Addisonii auf einen vermehrten
Gehalt der Epithelzellen an einer Oxydase zurück, der mit dem Ausfall
der Nebennierenfunktion in Zusammenhang steht.
Es liegt nahe, zu vermuten, dass das Produkt der Nebenniere, das
Adrenalin, in der Epidermis selbst eine weitere Zersetzung der Abbau¬
produkte der Haut, die ohne Adrenalin sämtlich in Pigment verwandelt
werden, herbeiführt und dadurch eine übermässige Pigmentbildung ver¬
hindert.
Die Fälle, in welchen trotz Veränderungen in beiden Nebennieren
keine Pigmentation auftrat, sind so zu erklären, dass hier das übrige
chromaffine System (Karotisdrüse, Steissdrüse, chromaffine Zellgruppen
in den grossen sympathischen Ganglien) vikariierend für die Nebennieren
eintrat.
Eine den Nebennierenfunktionen entgegengesetzte Wirkung soll der
Thymus auf die Pigmentation ausüben: Nach Exstirpation des Thymus
bei Fröschen tritt angeblich Depigmentierung auf. Nach Injektion von
Thymusextrakten soll sich sowohl bei normalen wie bei thymuslosen
Fröschen Verstärkung der Pigmentierung einstellen. Während die Neben¬
nieren und ihr Produkt, das Adrenalin, erregend auf das sympathische
Nervensystem wirken, sollen Thymus und Thymusextrakt eine depressorische
Wirkung ausüben. [Näheres siehe Hornowsky (30)].
Die Pigmentationen, welche bei Schwangerschaft, bei Ovarial¬
tumoren [Neusser (52)], bei manchen Unterleibsgeschwülsten, beim
malignen Deziduom 1 )? bei der Acanthosis nigricans Vorkommen,
sind zweifellos auch durch Einwirkung auf das vegetative Nervensystem
verursacht. Bei manchen Abdominaltumoren mag direkter Druck auf
die Nebennieren oder die grossen Ganglienknoten der Bauchteile die
Ursache der Pigmentation sein, meist aber handelt es sich wohl um
Vorgänge der inneren Sekretion, welche das vegetative Nervensystem und
damit das chromaffine System beeinflussen.
Aber nicht nur das Chloasma uterinum, auch die nicht selten bei
der Basedowschen Krankheit auftretenden Hyperpigraentationen sind wie
die meisten übrigen Erscheinungen bei dieser Krankheit, wie die Tachy-
1) Spietsohke (63) beschreibt Pigmentationen, die bei einem malignen Dezi-
duom auftraten und nach der Totalexstirpation des Uterus in 4 1 / 2 Monaten wieder
schwanden.
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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 193
kardie, der Exophthalmus, die starken Schweisse, die Durchfälle, auf
Reizzustände in den Funktionen des vegetativen Nervensystems zurück¬
zuführen.
Besonders interessant sind die Pigmentverschiebungen, die so
häufig (in etwa 50 pCt.) mit der Sklerodermie einhergehen 1 ). Sie sind
deshalb so interessant, weil sie nicht selten auf den Verlauf einzelner
Hautnerven oder einzelner Wurzelzonen lokalisiert bleiben und
weil in ihrem Bereiche manchmal die Schweiss- und die Talgsekretion
beeinträchtigt ist.
Auch bei der Hemiatrophia facialis, die sicherlich auf Störungen im
Gebiete des Trigeminus zurückzuführen ist und sich manchmal auf einzelne
Aeste dieses Nerven beschränkt, kann es zur Hyperpigmentation oder
zum Pigmentschwund der Gesichtshaut und zur Entfärbung der Wimpern
kommen.
Für die Entstehung der Sklerodermie und des Gesichtsschwundes
und damit für die mit diesen Krankheiten einhergehenden Pigment¬
verschiebungen werden von vielen namhaften Autoren Störungen im Grenz¬
strang des Sympathikus verantwortlich gemacht.
Wir können also kaum daran zweifeln, dass das vegeta-
ti vo Nervensystem einen Einfluss auf die Pigmentation unserer
Körperoberfläche ausübt.
Eine weitere Frage ist es nun, auf welchem Wege dies geschieht,
welche Bahnen im peripherischen Nerven für die Beeinflussung des Haut¬
pigmentes in Betracht kommen. Da die motorischen Fasern, welche die
Muskeln innervieren, und die sensiblen, zentripetal leitenden Nervenbahnen
nicht in Frage kommen, und da andererseits feststeht, dass die Pigment¬
atrophie sich nicht selten auf das Verbreitungsgebiet eines Nerven lokali¬
siert, so können nur die in dem betreffenden Nerven verlaufenden
sympathischen Nervenfasern die Pigmentverschiebungen auslösen.
Dass in den peripherischen Nerven sympathische Bahnen verlaufen,
ist längst sichergestellt. Strahlen doch von den Ganglienknoten des
Grenzstranges Rami communicantes grisei in den Spinalnerven ein und
werden doch die Blutgefässe, die Schweissdrüsen und die glatte Mus¬
kulatur der Piloerektoren und der Tunica dartos zweifellos von sym¬
pathischen Fasern, die in den peripherischen Nerven verlaufen, innerviert.
Den sicheren und bindenden Beweis, dass sympathische
Nervenfasern es sind, welche die Pigmentierung beeinflussen, liefern
uns die Beobachtungen von Kurt Mondei (49), von Bistis (13) und
von Koester (41).
Mendel sah bei einer durch ossifizierende Struma verursachten
Druckatrophie des rechten Halssympathikus neben der Pupillenver-
1) Die Sklerodermie steht bekanntlich in Beziehungen zum Morbus Basedowii,
zu Hypophysenerkrankungen und zu der Addison sehen Krankheit. Kombinationen
dieser Krankheiten sind häufig beobachtet und beschrieben worden, vgl.Tsuch ida (66).
Zeitschr. f. kliu. Medizin 81. Bd. H. 1 n. 2.
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FRITZ NEUE,
änderung und dem Einsinken des Augapfels ein Ergrauen der Haare
auf der rechten Kopfseite und eine hellere Färbung der Iris.
Bistis-Athen (13) konstatierte in mehreren Fällen von Hetero¬
chromie der Iris, dass das betroffene Auge auch die Symptome der
Sympathikuslähraung (Ptosis, Verengerung der Pupille und Enophthalmus)
bot. Einmal bestand gleichzeitig Gesichtsatrophie der betroffenen Seite.
Da Bistis solche Beobachtungen auch in der Literatur fand (Lutz,
Mayon, Galezowski), so spricht er die Heterochromie des Auges direkt
als eine Folge der Sympathikuslähraung an. Ja, es ist Bistis gelungen,
durch Exstirpation des obersten Ganglions des Halssympathikus experi¬
mentell eine Entfärbung der Iris auf der betreffenden Seite zu erzielen.
Freilich kam es nur ganz langsam zum Pigmentschwund. Nach zwei
Monaten war ein solcher noch nicht fcstzustellen, wohl aber nach einem
halben Jahre. Mikroskopisch fand sich nicht nur eine Verminderung des
Pigmentgehaltes der Iris, sondern auch eine Verdickung und eine hyaline
Umwandlung der Wand der Gefässe.
Köster (41) exstirpierte einer schwarzen Katze das obere Zervikal¬
ganglion des Halssympathikus. Die ausfallenden Haare an der Rück¬
seite des linken Ohres wurden durch weisse ersetzt, bei einem anderen
dunklen Tiere wuchsen nach derselben Operation hellgraue Haare nach.
Allerdings sind diese Beobachtungen vereinzelt und stehen in keinem
Verhältnis zu der grossen Anzahl der Beobachtungen von Halssym¬
pathikuslähmung, bei welchen nichts von Pigmentschwund erwähnt wurde.
Vielleicht trifft aber wenigstens für den von Mendel (49) beschriebenen
Fall die Vermutung Cassirers (18) zu, dass bei der Entstehung nervös
trophischer Störungen die Durchtrennung und völlige Ausschaltung eines
Nerven weit weniger zu Veränderungen führt als ein dauernder Reiz¬
zustand, wie er bei Erkrankungen des Nerven (in Mendels Fall Druck
durch eine ossifizierende Struma auf den Halssympathikus) gesetzt wird.
Bei der Sklerodermie, bei der halbseitigen Gesichtsatrophie und bei
den mit diesen Erkrankungen einhergehenden Pigmentverschiebungen
scheint cs sich eben dann um eine isolierte Erkrankung der in den
peripherischen Nerven verlaufenden sympathischen Fasern zu
handeln. Jedenfalls lassen sich sensible und motorische Störungen bei
dieser Affektion, die sich, wie oben schon erwähnt, häufig auf das Gebiet
eines Hautnerven oder einer Wurzelzone beschränkt, nicht nachweisen.
Zum Schlüsse möchten wir nochmals auf das Ergrauen der Haare
bei schweren Sorgen und beim Kummer und nach langdauernden Angst¬
zuständen zurückkommen.
Das vegetative Nervensystem wird in seinem Tonus durch seelische
Vorgänge im erregenden oder im hemmenden Sinne beeinflusst. Die Er¬
weiterung der Pupillen bei der Angst, die Sekretion der Tränendrüsen
bei der Trauer, die Erregung der Herztätigkeit bei der Freude, das Er-
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Leber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 1H5
brechen bei der ängstlichen Spannung, die emotionellen Durchfälle, all’
diese Erscheinungen sind Beweise dafür, dass die in unserem Grosshirn
zustande kommenden Stimmungen einen Einfluss auf das vege¬
tative Nervensystem ausüben.
Stets aber handelt es sich dabei nur um ganz vorübergehende
Beeinflussungen von körperlichen Funktionen, nie um dauernde Störungen.
Nun wird behauptet, dass wiederholt und immer wieder einsetzende
Aufregungen und Verdriesslichkeiten durch die starke nervöse Inanspruch¬
nahme der Kranzgefässe und der Gefässe des Gehirns zu einer frühzeitig
auftretenden Arteriosklerose dort führen könne 1 ).
Es erscheint uns nun durchaus möglich, dass schwere Sorgen und
quälende Angstzustände, die lange Zeit hindurch die Psyche in ge¬
drückter Stimmung halten, auf dem Wege über das vegetative Nerven¬
system zu einem vorzeitigen Pigmentschwunde der Haare führen.
Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit sei in einigen Sätzen kurz
zusammengefasst.
1. Bei niederstehenden Tieren, wie bei Fischen und Amphibien wird
die Pigmentierung der Haut zweifellos durch nervöse Momente beeinflusst.
2. Die Mitteilungen über „plötzliches“ Ergrauen der Haupthaare
nach schweren seelischen Erregungen müssen mit grosser Kritik beurteilt
werden. Nach den Untersuchungen von Landois (43) scheint es sich
dabei nicht um Pigmentschwund, sondern um das Auftreten zahlloser
Luftbläschen im Haare zu handeln.
3. Die Tatsache, dass nach länger dauerndem tiefen Gram und
nach schweren Sorgen das Haar vorzeitig ergrauen kann, ist vielleicht
mit Störungen des Allgemeinbefindens zu erklären. Kommt es doch in
solchen Zuständen auch zur Abmagerung, zur Herabsetzung des Hämo¬
globingehalts und zum Nachlass des Tonus der Haut und der Muskulatur.
4. Manche Beobachtungen sprechen aber doch sehr dafür, dass es
auch beim Menschen unter nervösen Einflüssen zu Pigmentverschiebungen
kommen kann. So wurde wiederholt Kanities im Bereich eines be¬
stimmten Nerven festgestellt. Solche Fälle sind besonders dann über¬
zeugend, wenn in demselben Nervengebiete neuralgische Schmerzen loka¬
lisiert sind oder wenn, wie bei der Vitiligo idiopathica oder bei den
1) Schlesinger sohreibt in seinem Werke über die Krankheiten des höheren
Lebensalters (61): „Unter dem Einfluss des Nervensystems bildet sich oft das Atherom
rasch aus, wobei man den deletären Einfluss schwerer Gemütsbewegungen auf das
Gefässsystem beobachten kann“. „Seelische Erschütterungen sind oft, besonders wenn
sie prolongiert auf den Menschen wirken, von weittragendem Einfluss auf das körper¬
liche Befinden. Es ist eine dem Laien wohl bekannte Tatsache, dass psychische Ein¬
flüsse in kurzer Zeit einem kräftigen Menschen den unverkennbaren Charakter des
Greisentums aufprägen können.“
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pigmentatrophischen Flecken der Lepra in den betroffenen Hautpartien
auch die Sensibilität herabgesetzt ist.
5. Die Vermutung Baerensprungs (9), dass auch die segmentären
Pigmentnaevi auf nervöse (intrafötale) Einflüsse zurückzuführen seien,
trifft wohl nicht zu. Vielmehr sind die Pigmentanomalien ebenso wie
der angeborene segmentäre Albinismus mit Entwicklungsstörungen der
Kutisplatten der Urwirbel zu erklären.
6. Die Frage, ob die Pigmentierung beim Morbus Addisonii im
Zusammenhang mit dem Nervensystem steht, ist noch nicht gelöst.
Zweifellos hat aber die Nebenniere, die vom vegetativen Nerven¬
system aus innerviert wird, eine Einwirkung auf die Pigmentbildung der
Haut und so übt dieses Nervensystem mindestens indirekt einen Einfluss
auf die Pigmentbildung aus. Dass dies der Fall ist, das geht auch aus
den Pigmentierungen bei der Basedowschen Krankheit, bei Erkrankungen
der Ovarien, bei der Pellagra hervor, bei Störungen, die erwiesenermassen
auf das vegetative Nervensystem übergreifen.
7. Die Pigmentierungen, welche bei der Sklerodermie und bei der
einseitigen Gesichtsatrophie beobachtet werden, und welche sich nicht
selten auf das Gebiet einzelner Hautnerven oder einzelner Wurzelgebiete
beschränken, legen die Vermutung nahe, dass es die sympathischen
Fasern in den peripherischen Nerven sind, deren Reizzustanz oder deren
Ausfallserscheinungen den Pigmentverschiebungen zu Grunde liegen. Jeden¬
falls bestehen bei der Sklerodermie und bei der Hemiatrophia facialis
keine Störungen von Seiten der sensiblen oder der motorischen Nerven.
8. Dass eine Unterbrechung der sympathischen Fasern zum Pig-
racntschwundo führen kann, das geht aus den Beobachtungen von halb¬
seitigem Ergrauen nach Halssympathikusläsionen und von Heterochromie
(Pigmentschwund) der Iris nach Resektion des obersten Ganglions des
Halssympathikus mit Sicherheit hervor.
9. So scheint es doch wohl möglich, dass langdauerndc schwere
Sorgen und quälende Angstzustände auf dem Wege über das vegetative
Nervensystem zum Schwinden des Haarpigments, also zum vorzeitigen
Ergrauen führen können.
Nachschrift bei der Korrektur.
Nach Abschluss vorliegender Arbeit ist ein grosses zusammenfassendes
Referat von R F. Fuchs „Der Farbwechsel und die chromatische Haut¬
funktion der Tiere u in Wintersteins Handbuch der vergleichenden
Physiologie, Jena 1914, Gustav Fischer, erschienen. Leider konnten die
dort angeführten Studien über die Abhängigkeit der Pigmentation der
verschiedenen Tierklassen (z. B. der Cephalopoden, der Anthropoden, der
Crustaceen und der Wirbeltiere), von der Innervation hier nicht mehr
berücksichtigt werden. Dies ist um so mehr zu bedauern, weil dort
mehrere Arbeiten angeführt sind, welche den Nachweis liefern, dass die
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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 197
Innervationsbahnen der Chromatophoren beim Fische, bei den Amphibien
und insbesondere beim Chamäleon von einem Zentrum im Gehirn oder
Rückenmark über den Sympathikus und von da über Spinalnerven
zu den Pigmentzellen der Haut verlaufen. Unsere auf klinische Beob¬
achtungen sich stützende Vermutung, dass Bahnen des vegetativen
Nervensystems die Pigmentierung der Haut beeinflussen, wird also durch
zoologische Studien bestätigt!
Literaturiibersicht.
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Druck von L. Schumacher in Berlin S. 4
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XII.
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1900—1014.
(Epidemiologisches und Klinisches.)
Von
Prof. Dr. F. Reiche,
Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Barmbeck.
(Mit 5 Kurven im Text.)
Nach einem langen, fast 1 1 / 2 Dezennien umfassenden Zeitraum einer
verhältnismässig geringen Morbidität und Mortalität der Diphtherie in
Hamburg trat mit dem Jahre 1909 eine starke Erhebung der Er¬
krankungsziffern und Todeszahlen ein, die dem Anschein nach
1912 und 1913 ihre Höhe erreichte, 1908 bereits durch einen Anstieg
der Sterblichkeit eingeleitet wurde.
Die den „Berichten des Medizinal-Rats über die medizinische Statistik
des Haraburgisehen Staates“ entnommenen Daten sind im einzelnen die
folgenden:
Tabelle A.
Es erkrankten auf 10000 Einwohner der Bevölkerung
im Jahre
Anzahl
davon starben
pCt.
im Jahre
Anzahl
davon starben
pCt.
1878
44
14,9
1886
71
17,2
1879
52
| 12,4
1887
74
16,7
1880
51
! 14,4
1888
54
16,9
1881
54
j 12,6
1889
56
15,7
1882
65
1 13,1
1890
39
16,3
1883
56
! 13,7
1891
27
14,6
1884
60
1 15,8
1892
27
15,9
1885
67
16,1
im Jahre
Anzahl
davon
starben
pCt.
im Stadt¬
gebiet
Mortalität im |
Stadtgebiet 1
pCt. |
im Land¬
gebiet
Mortalität im
Landgebiet
pCt.
1893
43
15,2
1
i 1
15,5
12,8
1894
43
15,1
15,5
12,1
1895
26
8,6
—
8,8 i
— !
7,6
1896
17
8,4
i
9,1 1
— 1
3
1897
—
8,1
1 19,8
8,7 ;
17,2
3
1898
—
8,9
1 16,3
9.3 |
20
5,5
1899
—
8,1
! 16,6
9,6
17,8
1 3,8
1900
—
9,7
1 16,5
10
13
5
1901
—
1 7,9
1 19,1
8,2 |
14,6
1 7,6
1902
—
1 8,6
i 27,4
8,9
20,2
3,8
1903
— I
1 8,3
! 25,7
9
22,2
, 10,2
ZeiUchr. f.
kliu. Medizin.
öl. Bd. H. 3 u.
t
1
14
Digitized by ^ouQie
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
200
F. REICHE,
Digitized by
im Jahre
Anzahl
davon
starben
pCt.
!
im Stadt¬
gebiet
Mortalität im
Stadtgebiet
pCt.
im Land¬
gebiet
Mortalität im
Landgebiet
pCt.
1904
8,7
19,3
8,7
15,1
4,9
1905
6,5
17,6
6,1
24,3
9,4
1906
8,2
18
8,2
10,8
10,1
1907
— ,
8,75
! 17,1
8,6
13,2
8
1908
— !
10
15,1
10,7
18,4
T6
1909
— .
12,2 :
31,6
12,9
19,9
8,1
1910
—
10,65
47,7
10,9
33,4
5,4
1911
—
10,7 |
61,8
11,1
40,4
6,4
1912
_ !
9,7
44,4
10 1
43,9
7,5
1913
—
9
45,5
9,1 1
20,6
4,1
Bemerkt sei hierzu, dass obenstehend nicht die absoluten Morbiditäts¬
zahlen gegeben wurden, sondern zutreffender die auf 10000 Einwohner
verrechneten Erkrankungsziffern; von 1878 bis 1913 nahm die Bevölkerung
der Stadt Hamburg von 365242 auf 1022905 zu, des Staates Hamburg
von 405413 auf 1093914, sodass beiden Vergleichen dieses Anwachsen
mit berücksichtigt werden muss. Bis 1896 stehen uns ausschliesslich
die Gesamtziffern aus dem ganzen Staat zur Verfügung; von da an ist
das Stadtgebiet von dem übrigen, vorwiegend durch die räumlich unter
sich und von Hamburg getrennten Städte Bergedorf und Cuxhaven mit
ihrer Nachbarschaft gebildeten sogenannten Landgebiet gesondert.
Die hier mitgeteilten Zahlen sind graphisch in Kurve 1 dargestellt.
Wir nehmen starke Schwankungen der Morbiditätskurve wahr, An¬
stiege in den Jahren 1882 und 1885/87, eine vorübergehende Senkung
in den Jahren 1891 und 1892, und einen Tiefstand von 1895—1908, dem
dann die jetzige Epidemie sich anschliesst; sodann zeigt sich ein ge-
gewisser, wenn auch keineswegs vollständiger, bisweilen sogar offenkundig
ausbleibender Parallelismus der beiden Kurven, welche die Extensität
und die Intensität der Erkrankungen widerspiegeln. Es sei ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass die untere Linie die prozentische Mortalität
darstellt, dass also Veränderungen in ihr dementsprechend gewertet
werden müssen. Auf die des weiteren sich offenbarenden Differenzen
nicht nur im Befallensein vom Stadtgebiet und dem übrigen Hamburgischen
Gebiet, sondern auch in der jeweiligen Sterblichkeit werden wir später
noch zurückzukommen haben.
Da die Diphtherie in den verschiedenen Altersklassen in sehr
verschieden hohem Grade ihre Opfer fordert, ist es notwendig, jene im
Einzelnen zu berücksichtigen. Mit bezug auf die Erkrankungsfälle ist
dieses erst seit dem Jahre 1894 möglich, da unsere jährlichen „Berichte“
vorher nur die Todesziffern brachten, und eine Nachfrage ergab, dass die
früheren Krankheitsmeldungen nicht mehr vorhanden sind. Es ist dieses
um so bedauerlicher, als die Wendung in der Therapie der Krankheit,
die durch die Einführung der Behringschen Antitoxinbehandlung geschah,
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtlierieephlemie 1900—1914.
201
in den Beginn des Jahres 1895 fällt, wir mithin aus der Vorserumzeit
nur das eine Jahr 1894 zu vollem Vergleich zur Verfügung haben.
Anschliessende Tabelle gibt über die Altersverhältnisse Aufschluss.
Später ersichtliche Gründe veranlassten mich, die 4 Jahre von 1890 ab
mit in sie einzubeziehen.
14 *.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
202
V. REICHE
Tabelle B.
Jahr
erkrankten an
Diphtherie in der
Altersklasse von
1—5 15—15 üb. 15
lm Hamburgisch
starben an
Diphtherie in der
Altersklasse von
1—5 5—15 üb. 15
en Staatsgebiet
starben somit
prozentisch in *dcr
Altersklasse von
1—5 ; 5—15 üb. 15
starben auf je
10000 Lebende in
der Altersklasse von
1—5 15—15 jüb. 15
1890
227
130
16
30,9
11,7
0,4
1891
—
—
175
65
9
—
—
_
24,2
5,5
0,2
1892
—
_
—
187
72
ii
—
—
25,3
5,9
0,2
1893
—
—
—
252
137
22
—
—
34,2
11,3
0,5
1894
737
1212
662
245
158
22
33,2
13
3.3
32,1
11,8
0,5
1895
540
694
458
105
38
3
19,4
5,5
0,7
13,4
2,9
0,00
1896
376
485
318
68
24
7
18
4,9
2,2
7,7
1,7
0,15
1897
497
524
374
72
37
7
14,5
7,1
1,9
8.5
2,5
0,14
1898
467
405
334
73
27
7
15,6
6,7
2.1
8,1
2,2
0,14
1899
506
459
277
5o
50
8
10,9
10,9
2,9
6
3,7
0,15
1900
478
447
310
71
42
6
14,9
9,4
1,9
7.9
2,7
0,1
1901
469
654
340
77
37
6
16,4
5,7
1,8
8,5
2,4
0,1
1902
768
985
420
113
59
14
14,7
6
3,3
12,2
3,8
0,25
1903
633
1031
402
87
93
9
13,7
9
2,2
8,8
5,3
0,16
1904
527
718
336
85
40
9
14,2
5,6
2,7
8,S
2,6
0,16
1905
460
777 |
329
53
42
6
11,5
5,4 |
1,9
5.3 |
2,5
0,1
1906
472 l
765 I
310
62
61
6
13,1
8
1.9
6,3 |
3,7
0,1
1907
476 i
756
314
76
54
4
16 !
7,2
1,3
8,2
3,1
0,06
1908
1097*)
355
144
7
13
1,9
8,
1
0,1
1909
918
1383
660
194
147
32
21.1
10,6
4,8
19,8
7,8
0,5
1910
1305
2114
1232
258
189
45
19,8
8,9
3,7
25,5
9,7 1
0,6
1911
1641
2944 |
1597
313 I
306
52
19,7
10,4
3,3
30
15,3 |
0,7
1912
1273
2264
1181
192
224
47
15,1
9,9 |
4
18,5
11,2
0,6
1913
1379
2158 !
1259
226
173
31
16,4
8 1
2,5
21,2
8,8
0,4
*) Ira Jahresbericht von 1908 hat sich ein Druckfehler eingeschlichen, der die
Trennung nach den Gruppen von 1—5 und 5—15 Jahren unmöglich macht.
Kurve 2 gibt die prozentische Mortalität graphisch wieder.
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
I>ic Hamburger I>iphihcrieepideinic 1OOD-—1014.
203
Wir sehen in allen 3 Linien einen starken Hochstand ira Jahre 1894,
dann eine lange, alle drei gleichmässig betreffende Senkung mit mancherlei
kleinen Oszillationen, die eine Gleichwertigkeit unter sich vermissen lassen,
und schliesslich einen Anstieg, welcher in den ersten beiden Alters¬
gruppen erheblich unter der 1894 er Höhe zurückbleibt, in der dritten
sie jedoch überflügelt. Ein Weg, diese Verhältnisse noch etwas prägnanter
zur Anschauung zu bringen, ist in der Zusammenziehung mehrerer
Jahre gegeben, wodurch grössere Zahlen erlangt werden.
Es starben prozentisch in der Altersklasse von
1-5
5-15
über 15Jahren
1894 .
33,2
13
3,3
1895—1897 .
17,3
5, i
1,5
1898-1900 .
13,7
9,1
2,3
1901—1903 .
14,8
7,1
2,5
1904-1906 .
13,7
6,3
2.2
1907—1909 .
—
3,2
1910-1912 .
18,1
9,8
3,6
Dass durch die gehäuften Erkrankungen der letzten Jahre die Alters¬
gruppe der Erwachsenen — nach dem 15. Jahre — besonders schwer
betroffen wurde, ergibt auch die Beziehung der Verstorbenen auf
10000 Lebende; auch hier treffen wir Werte, die die Jahre 1890—1894
durchweg und zum Teil erheblich übertreffen (Tab. B).
Auf diesen epidemischen Auftrieb in der Diphtheriekurve
unserer Stadt möchte ich noch des Näheren eingehen. Wie eingangs er¬
wähnt wurde, begann er 1909.
In den Jahren 1909—1913 wurden insgesamt aus der Stadt ge¬
meldet von Erkrankungen:
1909 .
. . . 2801 = 31,6 auf 10000 Einwohner:
es starben 360= 12,9 pCt.
1910 .
. . . 4375 = 47,7
„ 10000
.. .. 477 = 10,9 „
1911 .
. . . 5839 = 61,8
„ 10000
„ r 649 = 11,1 „
1912 .
. . . 4333 = 44,4
„ 10000
434= 10 .,
1913 1 )
. . . 4650 = 45,5
,. 10000
.. .. 424 = 9,1 „
21998
2344 = 10,7 pCt.
Im
übrigen Gebiet
kamen zur Meldung
1909—1913 . . . 1310 Erkrankungen mit S5 Todesfällen = 0,5 pft.
Unter den in der Stadt Erkrankten zählten
bis zu 1 Jahr. 381 = 1,8 pCl.
zwischen 1 und 5 Jahren. 5873 = 26,7 „
„ 5 „ 15 10176 = 46,2 !.
15 .. 30 4212 = 19,1 „
über 30 Jahre. 1356 — 6,2
21998
1) Zusatz bei der Korrektur: Nach Mitteilung des Medizinalamts wurden gezählt
Diphtherieerkrankungen im Jahre 1914: 4306 = 41,8 auf 10000 Einwohner; es starben
353 = 8,2 pCt.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
204
F. REICHE,
Digitized by
Die Sterblichkeit war in den Altersklassen
bis za 1 Jahr mit 169 Fällen ....
i 1 und 5 Jahren
mit 984
Fällen . .
. 16.8
Ö r
15 „
„ 999
?? • •
. S,8 „
15 „
30 „
„ 125
• •
3 ,,
über
30 „
v 67
?! • *
. 4,9 „
44,4 pCt.
Es standen somit 25,3pCt. der Gemeldeten jenseits des 15. Lebens¬
jahres. Das ist rund J / 4 aller Erkrankungen. Im übrigen sehen wir
den Hauptteil aller Meldungen mit 46pCt. im Dezennium vom 5. bis
15. Jahre, doch ist dabei zu bedenken, dass es sich in den ersten
beiden Groppen bis zum 5. Jahre mit 28,5 pCt. nur um ein Jahrfünft, die
Hälfte obigen Zeitraums, handelt. Die Verrechnung der Erkrankten auf
1000 Lebende der betreffenden Altersklassen zeigt die 2. Gruppe —
zwischen 1 und 5 Jahren — am stärksten belastet.
In der Mortalitätstabelle findet das alte Gesetz neue Bestätigung,
dass die Krankheit im Säuglingsalter am gefährlichsten auftritt, um
dann progressiv bis zur Höhe des Lebens rasch an Malignität einzubüssen,
während die späteren Lebensjahre nach dem 30. sich ihr gegenüber
wieder etwas hinfälliger erweisen.
Dabei ist eins interessant, die recht beträchtlichen Verschiedenheiten
dieserWerte in den einzelnen Jahren; so starben von den Kindern unter 1 Jahr
den 1909 erkrankten 83 . . .
... 39 oder 46 pCt.
„ 1910
7?
40 . . .
... 27
?7 67,5 „
,, 1911
7?
94 . . .
... 51
„ 54,3 „
„ 1912
7?
99 . . .
... 24
24,3,,
„ 1913
65 . . .
... 28
n 43,1
Dass hier Intensitätsschwankungcn der Epidemie vorlägen,
ist an sich schon unwahrscheinlich und erscheint ganz ausgeschlossen,
wenn man sieht, wie die Jahresverschiedenheiten in der Altersgruppe
der Erwachsenen sich in ganz anderem Wechsel vollziehen. Von den
Patienten über 15 Jahren starben
1909 unter 593 . 28 = 4,9 pCt.
1910 „ 1164.41 = 3.5 ,.
1911 1501 49 = 3,3 „
1912 „ 1062 . 42 = 3,9 „
1913 1218 ..... 31 = 2,5 „
Die Wichtigkeit, für rein statistische Deduktionen mit möglichst
grossen Zahlen zu arbeiten, wird hierdurch in ein helles Licht gerückt.
Es bleibt noch die Frage zn erörtern, ob die oben für die jetzige
Epidemie nachgewiesene Verteilung der Fälle auf die einzelnen
Altersklassen nur für sie charakteristisch ist, oder auch früher, zumal
in der milden Phase der Diphtheriekurve, in gleicher oder ähnlicher Weise
beobachtet wurde. 1901 bis 1907 hatten wir recht benigne Jahre. In
diesem Zeitraum kamen 11121 Erkrankungen mit 927 Todesfällen zur
medizinalamtlichen Kenntnis, d. h. 8,3pCt. Verstorbene.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1900—1014.
205
Es standen in der Altersklasse von
unter 1 Jahr . . . 207 = 1,9pCt., davon starben 66 oder 31,0 pCt.
1—5 Jahren . .
. 3369 = 30,3 „
n 464 „
13,8
5-15 „ . .
. 5298 = 47,6 „
77
„ 348 „
6,6
über 15 Jahren .
. 2247 = 20,2 „
77
49 ,,
2,2
Die Säuglinge sind in ungefähr gleichem Verhältnis vertreten, der
Anteil der Erwachsenen beträgt jedoch nur 1 / 5 der Gesamtsumme.
Und nun das sogenannte „Landgebiet“.
Wie die zuerst gegebene Haupttabelle bekundet, trat auch in ihm,
d. h. in den zu Hamburg gehörenden Städten Cuxhaven und Bergedorf
samt ihrer Umgebung, seit 1910 eine Steigerung der Erkrankungsziffer
auf, die Sterblichkeit wurde jedoch nicht berührt. Die von dort ge¬
meldeten, zu 6,5 pCt. letal geendeten 1310 Fälle verteilten sich also auf
die einzelnen Altersgruppen:
Es zählten 1909—1913
unter 1 Jahr . . .
16 oder 1,2 pCt.,
davon starben 6 das sind 37,5
1 —5 Jahre . . .
. 246 „ 18,8
77
77
77
24 „
77 9,8
5—15 „ . . .
. 687 „ 52,4
77
77
77
40 „
77 5,8
15-30 „ ...
. 279 „ 21,3
77
77
77
8 „
2 0
77
über 30 „ . . .
. 82 „ 6,3
77
7)
77
7 »
77 8,5
Die Säuglinge sind numerisch ein wenig schwächer, die Erwachsenen
etwas stärker zugegen als unter den gleichzeitig in Hamburg aufgetretenen
Fällen. Auch in der Mortalität springen mancherlei Verschiedenheiten
hervor.
Die jahreszeitliche Verteilung der Diphtheriemeldungen weist
charakteristische Besonderheiten auf. Kurve 3 zeigt das Ergriffensein
der 52 Wochen des Jahres nach den Gesamtfällen der Jahre 1909—13;
Kurve 3.
Digitized
by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
F. REICHE,
Digitized by
20H
die Hebung der Kurve in den letzten Monaten des Jahres ist sehr aus¬
gesprochen.
Jn das 1. Vierteljahr fielen.*23,3 pCt.
55 55 V -57 .„
ji 55 ,, ?• .23,3 „
„„ 4. „ „ . 31,2 „
sämtlicher Meldungen.
In einer Besprechung der Diphtheriekurve im vorigen Jahrhundert 1 )
hatte ich hervorgehoben, dass die örtliche Verteilung der Erkrankungen
an Diphtherie in jedem Jahre erhebliche Differenzen in den einzelnen
Distrikten der Stadt zeigt, und dass jeder derselben in den verschiedenen
Jahren sehr verschieden stark ergriffen war. Das Gleiche besteht für
die Epidemie, welche 1909 einsetzte, zurecht, sie überzog die Stadt
nicht gleichförmig, sondern mit unregelmässiger Bildung verschiedener,
wechselnder Centren.
Die Beziehungen der Krankheit zur sozialen Lage habe ich an
der Hand der bis 1911 vorliegenden Daten eingehend gewürdigt 2 ). In
den Jahresberichten des Medizinalamts wird für jeden Stadtteil der
Wohlstand angegeben, das durchschnittliche jährliche Einkommen, be¬
rechnet aus einem Vergleich der Einwohnerzahlen mit dem Einkommen¬
steuerergebnis. Neben der Wohlhabenheit ist in den einzelnen Stadt¬
bezirken aber noch die Zahl der in ihnen wohnenden erkrankungsfähigen
Personen zu der Summe der auf sie entfallenden Erkrankungen in Ver¬
gleich zu setzen; die Diphtherie ist in erster Linie eine Affektion der
Kinder, 75 pCt. obiger Fälle ereigneten sich bis zum Abschluss des
15. Lebensjahres, so muss der in den verschiedenen Stadtteilen stark
variierende, im allgemeinen mit grösserer Armut zunehmende Prozentsatz
der Kinder mit herangezogen werden. Dieses tat ich, indem ich als
beste Charakterisierung der tatsächlichen Frequenz berechnete, wie sich
a / 4 der gemeldeten Erkrankungen prozentual zur Gesamtzahl der Kinder
verhielten, wie viel der kindlichen Fälle auf je 1000 Kinder des jeweiligen
Bezirks kamen.
Wie in jenem Aufsatz möchte ich hier unter Mit Verwertung der
Zahlen aus den Jahren 1912 und 1913 eine Gegenüberstellung der drei
reichsten und der beiden ärmsten grösseren — über 10000 Ein¬
wohner zählenden — Stadtbezirke geben; jene haben ein durch¬
schnittliches Einkommen über 1500, diese unter 450 Mark. Es handelt
sich um:
1) F. Reiche, Diphtherie. Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 1U. Jahr¬
hundert. Hamburg 1901, Voss.
2) F. Reiche, Diphtherie und soziale Lage. Med. Klinik. 1913. Nr. 33.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphthe-ricepidemio 1909 — 1914. 207
Durchschnitt¬
liches jährlich.
Einkommen
pro Kopf
Durschnitt-
liche Ein¬
wohnerzahl
Zahl der
i gemeldeten
t Diphtherie¬
fälle
Zahl der
Todesfälle an
Diphtherie in
diesen Jahren
Prozent¬
satz der
Kinder in
dem Bezirk
1. Harvestehude .
4004,46 Mark
| 25425
488
; 20
21,7
IT. Roterbaum . .
2743,99 „
31008
458
' 22
19
III. Hohenfelde . .
1569,56
31303
i 541
1 31
1 23,6
IV. Barmbeck . . .
440,36 r
99024
I 2973
293
34,6
V. BillwärderAus¬
schlag .
390,15 „ i
48341
1283
! 225
| 37,9
Demnach er¬
krankten auf je
1000 Lebende
i
| Demnach starben
! von d. Erkrankten
j in Prozenten
Demnach fielen von
den Erkrankungen
unter Kindern auf
je 1000 Kinder
I. Harvestehude.
19,2
4,1
66,3
II. Roterbaum.
14,7 |
4,8
j 58,3
III. Hohenfelde.
17,3
5,7
! 54,9
IV. Barmbeck.
30
9,9
| 65,8
V. Billwärder Ausschlag . .
26,5
17,5
! 52,5
Es sind hier die Gesamtziffern der 5 Jahre (1909—13) verwertet,
im Jahresdurchschnitt verhalten sich die Stadtbezirke I, II, III, IV, V wie
13,26 — 11,66 — 10,98 — 13,16 — 10,50 in der letzten Kolumne.
So ergibt sich, dass die vorwiegend von Einfamilienhäusern besetzten,
von zahlreichen Gärten und Anlagen unterbrochenen und von weiten Strassen
durchzogenen Stadtteile hier zum Teil eine höhere Frequenz unter ihren
Kindern als die engräumig bebauten, Mietskasernen und Hinterhäuser auf¬
weisenden und weit mehr von unsesshafter Bevölkerung bewohnten Distrikte
bieten, dass der höchste Wert auf den reichsten, der niedrigste auf den
ärmsten Bezirk fällt, genau das Gegenteil dessen, was man a priori er¬
warten müsste, tritt hervor. Wie sehr man die Zahl der Kinder mit in
Rechnung stellen muss, ersieht man aus der Reihe, welche die Erkrankungen
auf je 1000 Lebende wiedergibt; ohne diese notwendige Korrektur würden
die schlechtsituierten Teile auch am stärksten belastet erscheinen. Nur
hinsichtlich der Mortalität zeigen sich auffallend starke Beziehungen zur
mittleren Wohlhabenheit, eine progressive Abstufung je nach grösserem
durchschnittlichen Wohlstand. Die Stadtteile I—IV sind auf trockenem
Geest-, V ist auf feuchtem Marschboden gelegen; auch hier springt eine
mit dem Untergrund möglicherweise zusammenhängende Verschiedenheit
nicht hervor.
Ich bin in der Lage, die gleichen Verhältnisse auf noch breiterer
Basis zu prüfen, da ich die räumliche Verteilung der akuten Infektions¬
krankheiten in Hamburg während des Jahrzehnts von 1901—1910 für
das Mosse-Tugendreichsche Handbuch „Krankheit und soziale Lage“ M
1) München 1913. .1. H. Lehmann.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
208
V. HEI CHE,
zusammenstellte; mit Vervollständigung der dabei gegebenen Zahlen bis
1913 überblicken wir eine Periode von 13 Jahren. Zur Betrachtung
stehen die beiden reichsten Stadtteile Roterbaum und Harvestehude
auf der einen, die beiden ärmsten Billwärder Ausschlag und Veddel
auf der anderen Seite. Die Einwohnerzahl betrug in:
A. Harveste-
B. Roterbaum
C. Billwärder
D. Veddel
hude
Ausschlag
1901.
18 352
29146
36 833
4977
1913.
26 279
30 974
52 681
7902
im Durchschnitt 1901—1913 ....
Das durchschnittliche jährliche Ein-
25 195
31 035
47 183
7143
kommen pro Kopf:
1901.
2942,09 Mark
2197,04 Mark
290,13 Mark
350,40 Mark
1913.
4288,50 „
2850,12 „
426,50 „
436,37 „
Der Anteil der Kinder.
Die Zahl der Diphtheriemeldungen
21,7 pCt.
19 pCt.
34,6 pCt.
37,9 pCt.
~ ^
1901—1913.
A und B
i: 1623
C und D:
: 1948
und d. Diphtherietodesfälle 1901—1913
69 = 4,25 pCt.
292 = 14,99 pCt.
Die Zahl der Kinder.
11 367
19 032
Von den Erkrankungen unter Kindern
(% der Gesamterkrankungen) fielen
aufje 1000 Kinder in diesen 13 Jahren
107
76,8
Mithin durchschnittlich im Jahre . .
8,2
5,9
Wir stossen hier auf die gleichen Endergebnisse wie in der früheren,
eine geringere Zahl von Jahren, aber allein Jahre epidemischen Anstiegs
umfassenden Uebersicht: die ganz verschiedenen Mortalitätswerte und die
fehlende Begünstigung der Morbidität durch die im Gefolge der Armut
ziehenden ungünstigen hygienischen Momente.
Dass trotz ausreichender armen- und kassenärztlicher Versorgung in
den armen Quartieren bei grösserer Sorglosigkeit der Patienten bzw.
ihrer Eltern viele leichte, sicher diphtherische Anginen — zumal nach dem
bakteriologischen Untersuchungsergebnis — nicht zur ärztlichen und damit
zur medizinalamtlichen Kenntnis gelangen, wodurch die Höhe der Mortalität
sich als relativ zu hoch, die Ausbreitung unter der, insonderheit unter
der kindlichen Bevölkerung als zu niedrig angegeben erweist, steht wohl
ausser allem Zweifel; ich glaube aber nicht, dass dieser Fehler derartig
gross sein kann, dass er jene Zahlen von Grund aus falsch gestaltet.
An den Erkrankungen war das männliche und weibliche Ge¬
schlecht in sehr verschieden hohem Grade beteiligt.
ln der Gesamtheit der Meldungen (23 308) von 1909 — 1913 fielen
auf jenes mit 10 636 Fällen 45,6 pCt., auf dieses mit 12 672 Fällen
aber 54,4 pCt.; sehr viel erheblicher ist diese Verschiedenheit bei den
Erwachsenen, den Patienten über 15 Jahren; hier waren die Männer
mit 2179 zu 36,8 pCt., die Frauen mit 3750 zu 63,2 pCt. vertreten;
demgegenüber ist das Verhältnis des männlichen zum weiblichen Ge¬
schlecht bei den Kindern wie 48,7 : 51,3 pCt.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemic 1909—1014.
209
Es war mir von Interesse zu eruieren, ob diese ausgeprägte
Differenz bereits in früheren Jahren Vorgelegen hat. Seit 1895 ent¬
hält die Hamburgische Medizinalstatistik darüber genaue Ausweise. Seit
dieser Zeit wurden 43 341 Diphtherieerkrankungen gemeldet, und zwar:
insgesamt bei den Kindern nach dem 15. Lebensjahr
Männer. 19737 = 45,5pCt. 48,8 pCt. 35,1 pCt.
Frauen. 23 604 = 54,5 „ 51,2 „ 64,9 „
Auch hier die gleiche Präponderanz des weiblichen Geschlechts, in¬
sonderheit unter den Erwachsenen. Bei den ins Krankenhaus verlegten
Fällen zeigt sich ein ähnliches Verhältnis.
Die Ueberweisung von Diphtheriekranken in Spitalbehandlung
hat von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zugenommen. Das wachsende Vertrauen
der Bevölkerung zu den dort getroffenen Einrichtungen, der Gedanke an
die im Krankenhaus am mühelosesten durchführbare Serumtherapie waren
hierfür massgebend. Glaeser, der von den Aufnahmeziffern im da¬
maligen alleinigen Allgemeinen Krankenhause ausging, konstatierte, dass
von 1880-—1884 nur 8,4 pCt. der überhaupt in der Stadt zur Meldung
gekommenen Fälle in diesem zur Aufnahme kam; 1890—1894, in den
Jahren vor Einführung der spezifischen Behandlung, ist der nach den
Meldungen aus dem St. Georger und dem Eppendorfer Krankenhaus be¬
rechnete Prozentsatz 23,7. Vergleichen wir jetzt die ersten Jahre
nachher mit den Jahren günstigster Mortalität 1903—1906 und
der jetzigen Epidemie, so resultiert folgende aus den Berichten des
Medizinalamts gewonnene Uebersicht:
1895-1898
1903—1906
1909—1913
Gesamt¬
mortalität
7,2 pCt.
8,1 „
13,2 „
Prozentsatz der Mortalität in Mortalität unt.
ins Krankenhaus den Kranken- den zu Haus
Geschickten häusern Verpflegten
29.4 14,1 pCt. 4,3 pCt.
30.5 13 „ 6 „
49,7 15,1 „ 6,6 „
Auf der mir bis zum 1. 10. 1913 unterstellten Diphtherieabteilung
des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf wurde weitaus die
grösste Zahl der unseren Krankenhäusern zugewiesenen Fälle behandelt.
Seit der Eröffnung des neuen Infektionspavillons Juni 1907 kamen bis
zu jenem Termin 8387 Patienten mit echter, durch den Nachweis der
Löfflerschen Bazillen einwandfrei sichergestellter Diphtherie zur Auf¬
nahme und Entlassung; 1063 verstarben (12,7 pCt.).
Im Oktober 1909 richtete ich bei der Häufung der Fälle neben den
Krankenjournalen eine ständig kontrollierte, von mir in Gemeinschaft
mit meinem Assistenten fortlaufend bearbeitete, die uns wichtig er¬
scheinenden Einzelfragen eingehend berücksichtigende Listenführung
ein, welche den nachfolgenden Darlegungen zu Grunde liegt. Dank dieser
Mitarbeiterschaft kann ich eine in allen Punkten gesichtete und geprüfte,
nach besten Kräften zuverlässige Uebersicht hier geben. Es sind nicht
Original fro-m
UNIVERS1TY OF MINNESOTA
210
F. REICHE,
zusammengestellte statistische Zahlen verschiedener Provenienz,
sondern ein eigenbeobachtetes, einheitliches und vielfach nach Häufig¬
keitswerten abgewogenes klinisches Material. In drei Ver¬
öffentlichungen in den „Mitteilungen aus den Hamburgischen Staats¬
krankenanstalten“ 1 ), deren letzte bis Juni 1913 reichte, habe ich über
je 2000 mit Behring'schem Serum behandelte Patienten in tabellarischer
Registrierung als Unterlage späterer Schlussfolgerungen berichtet; ihnen
seien die letzten 299 Fälle, die ich von Juni 1913 bis Ende Sep¬
tember 1913 bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhause behandelte,
in gleicher Bearbeitung angereiht.
Tabelle C.
6
Mit Serum behandelt
0
Komplikationen
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bC
bf
bf
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1
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—
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—
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15—25 Jahre I
geh.
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—
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25 — 50 Jahre I
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—
20:
—
21
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1
1-
__
1-
-
15
Es handelt sich um 299 Erkrankungen, von denen 21 letal verliefen,
d. h. 7 pCt.; 250 von ihnen erhielten Serum, und von ihnen starben 20
oder 8 pCt. Das bei ihnen zur Anwendung gekommene durchschnittliche
1) F. Reiche und\V. H. Leede, Mitteilungen aus der Diphtheriestation. Mitteil,
a. d. Hamb. Staatskrankenanst. XIII. 13. — F. Reiche, 2000 weitere mitBehring-
schem Serum behandelte Diphtheriefälle. Ebenda. XIV. 4. — F. Reiche, Weitere Mit¬
teilungen zurBewertung des Behri ngschen Heilserums bei Diphtherie. Ebenda. XIV. 9.
□ igitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
211
Serumquantum ist der Aufstellung hinzugefügt und ebenso sind die
wichtigsten Komplikationen genannt.
Vom Oktober 1909 bis 30. 9.1913 wurden darnach 7314 Diphtherie-
kranke auf meiner Station behandelt, 886 starben, die Mortalität
war mithin 12,1 pCt. Aus obiger Tabelle erhellt bereits, dass ich eine
Sonderung des Materials nach Altersklassen vornahm und zwar wurden
hierfür die in der früheren Hamburgischen Medizinalstatistik üblichen
Gruppen beibehalten — die jetzige trennt nach dem 15. Jahre nur die
zwischen 15 und 30 Jahren Zählenden von den nach dem 30. Jahre
Stehenden — und gleichzeitig auch die leichten Verlaufsformen (1)
von den mittelschweren (II) und schweren (III) trennte. Es schien dieses
geboten, um die Art und Zusammensetzung unseres Materials ganz all¬
gemein zu charakterisieren, denn in dem Eppendorfer keiner Aufnahme
sich versagenden Krankenhaus muss es naturgemäss anders gebildet sein,
als beispielsweise in dem llamburg-St. Georger, das eine weit kleinere
Station besitzt und demgemäss nur für schwerere Verlaufsformen sich
öffnet, die leichteren eventuell nach Eppendorf überweisend. Die Schwierig¬
keiten, die jenes Vorgehen involviert, liegen einmal in dem subjektiven Moment
der Abschätzung zwischen obigen Graden und zweitens in der fehlenden
Möglichkeit, hierbei die durch Einleitung einer Behandlung rechtzeitig um¬
gestimmten, aus einem schwereren in einen leichteren Ablauf gelenkten
Fälle ihrer ursprünglichen Form nach einzuschätzen. Man wird dem Wesen
dieses Einwandes gerecht werden, wenn man in Fragen der Therapie neben
den Unterabteilungen auch die Altersgruppen als Gesamtheiten betrachtet.
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by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
212
P. REICHE,
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Die Toten stellen die Gesamtheit der an der Diphtherie und ihren
Komplikationen Verstorbenen dar. Es sind viele darunter, bei denen die
Sektion neben der schweren Rachenerkrankung und ihren bronchopneu-
monischen, kardialen und nephritischen Folgezuständen sowie mancherlei
sekundären ausschliesslich von der Diphtherie eingeleiteten Infektionen
mehr oder minder schwere, zuweilen schon im Leben hervorgetretene
andere, vorher bestandene Affektionen aufdeckte, die ebenfalls ihren
Teil zum Tode beigetragen haben; vor Allem sind die Rhachitis, der
Status thymo-lyraphaticus — der ganz ungewöhnlich oft zugegen
war — und Drüsentuberkulosen in jugendlichen Jahren und Tuberkulosen
und Herzfehler bei den Aelteren zu nennen. Ich halte mich aber nicht
für berechtigt, diese Fälle aus der Reihe der übrigen zu streichen, denn
alle die Träger dieser Leiden waren bis zum Augenblick des Erkankens
an der Diphtherie sich ihrer unbewusst gewesen und waren in voller
scheinbarer Gesundheit infiziert worden. Es würde ins Uferlose führen,
wollte man einer akuten Infektionskrankheit gegenüber das von ihr dahin¬
geraffte Material in dieser Weise kritisch unter die Lupe nehmen, um an
ihrer Mortalität zu deuteln.
Nur in einem Punkte sei es gestattet, die notwendigen Zahlen zu
geben, die es erlauben, bezüglich einiger therapeutischer Fragen etwaige
Modifikationen vorzunehmen. Wie schon erwähnt wurde, erlagen 201 von
unseren Patienten der Krankheit in den ersten 24 Stunden des
Spitalaufenthalts. Von vornherein musste hier jegliche so sub finem
eingeleitete Therapie machtlos sein. 156 von ihnen hatten Serum er¬
halten, 45 nicht. Es zählten
bis zu 1 Jahre . . .
. . . 9, ohne Serum behandelt
3
1— 5
„ ...
89
■ • 11
n
11
21
5-15
11 . . .
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2.
5.
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15
kein Serum be¬
kamen mehr: 1
2
4
3
8
7
2 16
2
Diese Zahlen werden bei der Tabelle der Serumbehandelten (Tabelle G)
Berücksichtigung finden.
Hinsichtlich des Geschlechts trennen sich unsere 7314 Patienten
in folgender Weise:
Es waren von den
122 Kranken unter 1 Jahre 66 männl. u. 56 weibl. =54,1 : 45,9 pCt.
1904 „ zwischen 1— 5 Jahren 946 „ „ 958 „ =49,7 : 50,3 „
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
213
3070 Kranken zwischen 5—15 Jahren 1480 männl. u. 1590 weihl. =48,2 : 51,8pCt,
1552
15-25 „
561 „
„ 991
„ =36,1 : 63,9 „
639
„ 25-50 „
234 „
„ 405
„ =36,(3:63.4 „
27 „
über 50 ,,
6
„ 21
„ =22,2:77,8 „
lm Ganzen verliefen als
leicht I. *2794 = 38,2 pCt. aller Fälle
mittelschwer 11 . 1862 = 25,5 „ ,, „
schwer III. 2658 = 36,3 „ „ „
Es starben 886 = 12,1 pCt., wobei die Sterblichkeit in Gruppe 111
mit 886 unter 2658 Kranken = 33,3 pCt. war. Von ihnen starben 201
in den ersten 24 Stunden des Krankenhausaufenthalts (22,6 pCt.).
Die Diagnose der Diphtherie geschah allemal so, dass bei klinisch
vorliegenden entzündlichen Erscheinungen im Rachen — die ganz seltenen
primären Lokalisationen in der Nase und den Luftwegen werden ihnen
zugerechnet — die bakteriologische, stets auch kulturell durchgeführte
Untersuchung den Ausschlag gab. In der grossen Mehrzahl der Beob¬
achtungen deckt sich die so gewonnene Diagnose mit der klinischen
Beurteilung, wie wir sie bis zu der Löfflerschen Entdeckung der
kausalen Mikroben zu üben gewohnt waren. Nur in der Gruppe der
leichten Verlaufs formen befinden sich viele, die wir früher nach dem
lokalen Befunde nicht auf die Diphtherieabteilungen gelegt hätten. Akut
entzündliche Erscheinungen lagen allemal vor, das Aussehen der
Fauces entsprach aber mehr einer Angina simplex acuta oder ihrem
follikulären s. lakunären Bilde.
Zahlreich waren die Komplikationen des diphtherischen Rachen¬
prozesses, die während der Krankenhausbeobachtung zu unserer Kenntnis
kamen. Sie sind in umstehender Tabelle D. übersichtlich zusammengestellt.
Von erheblicher Bedeutung waren Beteiligungen seitens des Kehl¬
kopfes, schon weil sie in einer grossen Zahl der Beobachtungen ein
aktives Eingreifen erheischten. In den einzelnen Altersgruppen traten
sie in sehr verschiedener Häufigkeit auf und ebenso boten sie in ihnen
eine stark variierende Schwere.
Sie zeigten sich im Verlauf der klinischen Beobachtung bei den Patienten
bis zu 1 Jahre unter 122 mit 50 zu 41,0 pCt.
von 1—5 Jahren ,, 1904 „ 449 „ 23,6 „
„ 5-15 „ „ 3070 „ 283 „ 9,2 „
„ 15—25 „ „ 1552 50 „ 3,2 „
„ 25-50 „ „ 639 „ 27 „ 4,2 „
„ über 50 „ „ 27 „ 4 „ 14,8 „
Die Tracheotomie wurde notwendig bei den Patienten
bis zu 1 Jahre
unter
50 mit
39
zu 78,0 pCt
von 1 — 5 Jahren
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—
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
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F. HEI CH K.
Trotz dieses Eingriffs erlagen ihrer Diphtherie bei den Patienten
bis zu 1 Jahre von 30 mit 33 doch 84,6 pCt.
von
1-
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,,
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7
V
5
.) v
über 50
y v
—
V
—
Ct ' | ;>7,4 pCt.
Auch aus dieser Aufrechnung erschlichst sich die Notwendigkeit,
bei jeder Betrachtung von Diphtheriekranken und der Ergebnisse des
Krankheitsverlaufes die Altersklassen aufs schärfste zu sondern. Die
Neigung zu laryngcalen Komplikationen und die Schwere der letzteren,
die sich einmal in der Häufigkeit der Tracheotomienotwendigkeit und
zweitens in ihrer Letalität ausdrückt, differiert stark je nach dem
Lebensalter, ist am schwersten bei den Säuglingen, um dann rasch
abzusinken, nach der Zeit der Adoleszenz wieder anzusteigen; die erste
und letzte dieser 3 Lebersichten lassen dieses klar erkennen, vielleicht
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
215
sind in der dritten die Jahre nach den 15. noch zu gering vertreten, um
voll ausschlaggebend zu sein.
Ueber die Tracheotomie-Ergebnisse früherer Jahre vermag ich aus
dem Eppendorfer Krankenhause folgende Daten zu geben: es handelt
sich um die 2 Perioden der 5 Jahre vorbehringscher Zeit 1890—1894
(Mitte 1889 wurde das Eppendorfer Krankenhaus eröffnet) und der 5 Jahre
mildester Diphtherie 1902—1906 im Vergleich zu den Jahren der jetzigen
Epidemie. Der Luftröhrenschnitt wurde
A. 1890—1894 .bei 371 Patienten = 21,8 pCt. aller Aufnahmen notwendig
B. 1902-1906 .„ 177 „ = 12,6 „ „ „ • „
C. Okt. 1909—Sept. 1913 ,, 507 „ = 6,9 „ „ „ „
Es zählten:
1890-94
unter 1 Jahr 14
1—5 Jahre 262
5-15 . „ 88
15—25 „ 6
über25 „ 1
371
davon
1902-06
davon
starben
starben
13 = 92,8 pCt. \
61,2 pCt. n \
7=87,5 pCt. |
156 = 59,5 „ /
44 = 39,6 „ j
oo
II
CO
55
12 = 21,8 „
6— 4
2
j ^ | 66,7 pCt.
100 pCt.
1
219 = 59,0 pCt.
177
65 = 36,7 pCt.
Ordnet man die Patienten nach dem Tag ihrer Krankheit, an
dem die Aufnahme in Krankenhauspflege erfolgte, so ergibt sich
folgendes Bild, bei dem eine Trennung nach dem Lebensalter nicht
durchgeführt wurde, da jenseits des 15. Lebensjahres nur 21 Tracheo¬
tomien gemacht wurden. Von den Kranken mit bekanntem Krankheits¬
anfang, die — meist am 1. oder 2. Tage ihres Kankenhausaufenthalts —
tracheotomiert
wurden,
kamen
zu uns
am
l.Tage
i 2. Tage
3. Tage
4. Tage
5. Tage
6. Tage
7. Tage
später
31
122
126
74
47
25
11
32
davon starben. .
12
65
63
50
24
19
7
20
das sind in pCt. .
. 38,7
53,3
50,0
67,6
51,1
76,0
63,6
60,6
'ÜO^
> pCt.
56,5 pCt.
59,7 pCt.
62,8 pCt.
Ganz allgemein sehen wir so ein leichtes Ansteigen der Mortalität,
an je späterem Krankheitstermin die Kranken zur Aufnahme gelangten, bei
denen eine diphtherische Kehlkopfstenose den Luftröhrenschnitt verlangte.
Ueber die bei uns übliche Operation hat C. W. Leede 1 ) ein¬
gehende Mitteilungen gemacht; wir bevorzugten zuletzt ganz die quere
Durchtrennung der Haut bei Vornahme des Eingriffs sowohl wegen der
Erleichterung der operativen Massnahmen wie auch wegen des kosmetischen
Heilungserfolges.
An Wichtigkeit hinter den, wie wir sahen, recht häufig ein aktives
Vorgehen benötigenden Komplikationen seitens des Kehlkopfes zurück-
1) W. Leede, Die Tracheotomia inf. mit kleinen queren Hautschnitten bei
Diphtherie und ihre Nachbehandlung Münchener med. Wocbenschr. 1912. Nr. 23.
ZeiUchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. | ^
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216
F. REICHE
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stehend, an Häufigkeit ihnen überlegen sind die Beteiligungen der Nase
an dem diphtherischen Rachenprozess. Bei Säuglingen war wiederholt
nur die Nase ergriffen. Wir haben diese Komplikationen stets da notiert,
wo entweder sichtbare pseudomembranöse Veränderungen an der Schleim¬
haut des Septums oder der Muscheln zugegen waren, oder ein reichlicher
trübseröser oder serös-hämorrhagischer Ausfluss aus der Nase auf ihre
Miterkrankung hindeutete und der kulturelle Nachweis der Löffler’schen
Bazillen positiv ausfiel, nicht nur da, wo wir aus dem Nasenschleim
Diphtheriebazillen züchten konnten.
Mitbefallen war unter den als
der Kehlkopf
die Nase
leicht verlaufenen
2794 . .
, . mit 29 Fällen zu 1 pCt., mit 149 zu 5,3 pCt.
mittelschwer „
1862 . .
• ?? 105 ji 5,6 „
» 250 „13,4 „
schwer „
2658 . .
„ 729 „ »27,4 „
„ 1022 „38,4 „
den verstorbenen
886 . .
. „ 376 „ „42,4 „
,, 465 „52,5 „
Im Einzelnen ergab sich die folgende Anordnung: Nasenbeteiligung
war zugegen unter den
122 Patienten im ersten Lebensjahr bei
... 51 = 41,8 pCt.
1904
zwisch. 1 und 5 Jahren „
. . . 511 = 32,1 „
3070 „
„ 5 „ 15 „ „
. . . 636 = 20,7 „
1552 „
„ 15 „ 25 „ „
. . . 88= 5,7 „
639
„ 25 „ 50 „ „
. . . 33= 5,2 „
27 „
über 50 „ „
. . . 2= 7,4 „
Rasch sinkt die Frequenz in den Altersgruppen der Kindheit ab,
um dann nach dem 15. Jahre keine wesentliche Veränderung zu erfahren.
Diphtherische Konjunktividen traten an Häufigkeit gegenüber den
eben genannten beiden Komplikationen weit in den Hintergrund. Ueber
sie ist aus meiner Abteilung von Nordmann 1 ) berichtet worden. Er
stellte 17 Fälle zusammen, in der Folgezeit kamen noch 34 weitere hinzu.
Die Bevorzugung jugendlicher Lebensklassen, eine ständige
Abnahme, je höher diese rücken, ist hier offensichtlich:
Conjunctivitis diphtherica bestand unter
122 Patienten bis zu 12'Monaten bei 4 = 3,3 pCt.'
1904
3070
1552
639
27
zwisch. 1 und5 Jahren
„ 5—15
„ 15-25
„ 25-50
über 50
3ei 4 = ö,ö pur.\
„ 27 = 1,4 „ 0,9 pCt.
„ 14 = 0,5 „ )
4 = 0,3
2 = 0,3
0,3 pCt.
Und sie fand sich unter den
2794 leichten Verlaufsformen mit 4 Fällen zu 0,1 pCt.
1862 mittelschweren „ „ 9 ,, „ 0,5 „
2658 schweren „ „ 38 „ „ 1,4 „
886 letalen „ „ 20 „ „ 2,3 „
Bei 40 dieser Kranken waren beide Augen ergriffen, bei 11 nur eins.
1) L. Nord mann, Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Diphtherie der Kon-
junktiva. Diss. Strassburg i. Eis. 1911.
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Die Hamburger Diphtberieepidemie 1909—1914.
217
In die Wintermonate fiel, wie schon Nordmann hervorhob, die
ganz überwiegende Mehrzahl dieser diphtherischen Konjunktividen.
Die Infektion der Augenbindehäute erfolgte auf verschiedenem Wege.
Unzweifelhaft primär war die Erkrankung bei einem meiner Assistenten,
dem nachts bei einer Tracheotomie ein Spritzer aus der Luftröhrenwunde
ins linke Auge flog, worauf sich im Laufe des folgenden Tages eine
heftige Entzündung mit Bildung von Pseudomerabranen, intensivem
Schmerz und starker eitriger Sekretion entwickelte. Aus den Ab¬
sonderungen und von den Belägen wurden Diphtheriebazillen gezüchtet.
Rasche Rückbildung der krupösen Erscheinungen — unter Serum¬
instillation und 10 proz. Protargoleinträufelungen — binnen 3, der ganzen
Affektion binnen 7 oder 8 Tagen: am 10. linksseitige Rachendiphtherie, am
11. waren Rachen und Kehlkopf befallen. Serum VI, mittelschwerer Verlauf.
Nach den anamnestischen Angaben waren in noch weiteren 4 Fällen,
bei Kindern von 2—7 Jahren, die Augen zuerst von der Diphtherie er¬
griffen gewesen; die Symptome von seiten der anderen Schleimhäute —
bei einem 7 jährigen Mädchen lag nur eine starke Rhinitis vor, bei den
übrigen Kindern eine schwere Rachendiphtherie — schlossen sich erst
nach einer Reihe von Tagen an.
Es ist wahrscheinlicher, dass das Krankheitsvirus durch den Ductus
nasolacrymalis abwärts wanderte, als dass es zu einer Infektion der
tieferen Schleimhäute durch auf die Lippen herabrinnendes oder mit den
Fingern verschmiertes Konjunktivalsekret kam, ganz wird sich dieser
Uebertragungsweg bei den Kindern aber nicht von der Hand weisen lassen.
Ebenso scheint mir der gleiche Modus der Infektion durch den
Thränennasengang der weitaus häufigste bei der sekundären Beteiligung
der Augenbindehäute an der diphtherischen Rachenerkrankung zu sein.
Nicht selten waren die Nasenhöhlen offenkundig mitergriffen, überhaupt
überwogen die schweren Fälle mit 38 (oder 74,5 pCt.) gegenüber 13
leichten und mittelschweren ganz erheblich.
20 dieser Patienten — 39,2 pCt. — starben, bei den übrigen 31
blieben dreimal Hornhauttrübungen nach der Konjunktivaldiphtherie zurück,
bei einer Erwachsenen allerdings nur in schwerem und die Sehkraft des
einen Auges erheblich behinderndem Grade. Meist verlief diese Kom¬
plikation relativ leicht und ohne stärkere entzündliche Schwellung.
Auf ihre Therapie werden wir später noch kurz zurückzukommen haben.
Das Miterkranken von Zunge und Lippen, mehr oder minder aus¬
gebreitete weissliche oder graugelbliche Pseudoraembranen auf ihnen,
wurde mit 47 bzw. 49 Einzelbeobachtungen nicht allzuhäufig, und zwar
vorzugsweise bei Kindern, konstatiert. Bei ihnen betrug ihre Frequenz
0,86 bzw. 0,84 pCt. Schwere Verlaufs formen waren bevorzugt, doch nur
mit rund zwei Dritteln der Fälle.
Vulvitiden wurden nur selten gesehen; die pseudomembranösen
Diphtheriebazillen reichlich beherbergenden Veränderungen nahmen nie
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218
F. REICHE,
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einen grösseren Umfang oder tiefere Progredienz an, von im ganzen acht
Beobachtungen betraf die Hälfte leichte und mittelschwere Verlaufsbilder,
und unter den schweren ist kein letal verlaufener. Manuelle Ueber-
tragungen der Krankheitserreger sind hier wohl anzunehmen, möglicher¬
weise auch Ansiedelungen mit dem Urin wieder ausgeschiedener Löffler¬
bazillen. Die Heilung war allemal eine vollständige.
Echt diphtherische Mittelohrentzündungen mit Diphtheriebazillen
im Sekret kamen nur äusserst selten und stets als sekundäre Er¬
krankung zur Beobachtung: im ganzen in 8 Fällen, 5 bei Kindern, 4 bei
tödlich geendeten Diphtherien. Von den in Heilung Uebergeführten musste
bei 2 eine Aufraeisselung gemacht werden. Bei 3 dieser Kranken führte
das blutig-dünnflüssigeitrige Sekret zu ausgedehntem Ekzem im Gehör¬
gang, an der Ohrmuschel und in deren nächster Umgebung, und auch
hier Hessen sich nach Abtupfen des Eiters und Abhebung der krustösen Be¬
läge aus den wunden Hautpartien Diphtheriebazillen leicht in Reinkultur
gewinnen.
Dieses führt uns zu den „Hautdiphtherien“, von denen unsere
frühere Tabelle (D) im ganzen 44 aufführt. Diese Grundsumme schliesst ein
Gemisch verschiedenartiger kutaner Affektionen in sich; sie
würde erheblich vermehrt werden, wenn wir die kleinen, oft nach
unseren Untersuchungen Diphtheriebazillen reichlich in sich hegenden
ekzematösen Eruptionen an und unter dem Naseneingang hier mit auf-
genomraen hätten. Nur 3 Fälle aus der 2. Altersgruppe, die klinisch
schwer verliefen, boten sie in umfangreichem, über die mittlere Nasen¬
lippenpartie sich hinziehendem Grade, und diese reihten wir mit in
unseren spezifisch kutanen Erkrankungen ein. Die Gehörgangs- und
Ohrmuschelekzeme betrafen einen Erwachsenen von 56 Jahren und 2 letal
geendete Kinder von 13 und 15 Monaten. Sechsmal fanden wir bei
Kindern zwischen 2 und 7 Jahren schmierig belegte impetiginöse
Stellen an Backen-, Stirn- und Kinngegend, aus denen Löfflersche
Bazillen gewonnen wurden; die anamnestischen Angaben der Eltern und
das Aussehen dieser Effloreszenzen sprachen dafür, dass es sich hier um
Hautaffektionen handelte, welche bereits wochen- und zum Teil raonatc-
und jahrelang — in letzteren Fällen mit zeitweisem Schwinden und Wieder¬
auftreten — bestanden hatten, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir
hier an eine sekundäre Infektion von skrophulösen Hautleiden
denken, nicht an primär diphtherische Hautleiden, die ihrerseits die
Rachenaffektion im Gefolge hatten.
Im Verlauf der Diphtherie bildeten sich mehrfach Affektionen der
Haut mit positivem Bazillenbefund aus, die bald mehr einen ekzematösen
nässenden, bald mehr einen pustulösen Charakter trugen, immer aber
wohl sekundär infizierte Ekzeme oder Pusteln darstellten. Die
diphtherische Affektion erschien nur insofern ätiologisch, als von den
Kindern der ein Gemisch von Bakterien enthaltende Speichel im Gesicht
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
219
oder an den Armen verrieben worden war, hier mazerierend und irritierend
gewirkt hatte. Diese Stellen sassen fast durchweg im Gesicht, vor allem
an den Backen und Mundwinkeln, zweimal auch auf der Kopfhaut, drei¬
mal am Vorderarm, an den Stellen, wo wohl der Kopf beim Schlafen auf
ihm ruhte; manchmal schien es, als ob ein Herpes labialis Ausgangs¬
punkt dieser Entzündung gewesen war. Wir zählten 17 dieser Fälle,
alles waren Kinder von 3—10 Jahren. Hierzu kommen 6 Panaritien,
aus deren Eiter auch der Löfflerbazillus kultiviert wurde, für die der
gleiche Entstehungsraodus einer sekundären Infektion im Anschluss
an gewöhnliche Eitererreger oder einer simultanen mit diesem von uns
angenommen wird; unter diesen Beobachtungen ist 1 Erwachsener, die
übrigen 5 sind Kinder. Auch einer meiner Assistenten — in obige
Reihe nicht mit aufgenommen, da die Affektion lokal blieb — bekam
im Anschluss an eine Verletzung bei einer Tracheotomie ein typisches
Panaritium mit Diphtheriebazillen an seinem einen Daumen.
In den Testierenden 9 Fällen vereinigen sich 3 gleich stark ver¬
tretene Gruppen. Bei einem 4 jährigen Knaben am Kinn, bei 2 Mädchen
von 7 und 8 Jahren am Handrücken und am Knie sahen wir flache
von echten Pseudomembranen überzogene Ulzera mit reichlichen
Diphtheriebazillen in den Belägen. Fette 1 ) hat 2 dieser Beobachtungen
bereits erwähnt. Sie unterscheiden sich von den vorher aufgezählten vor
allem dadurch, dass hier schon der äussere Anblick der membranbelegten
Geschwüre an die spezifische Aetiologie denken Hess, während die vorher
genannten impetiginösen Stellen, Pusteln, Ekzeme und Panaritien in nichts
sich von den üblichen gleichartigen kutanen Affektionen unterschieden;
erst die bakteriologische Untersuchung wies hier die Diphtheriebazillen
neben anderen Mikroorganismen nach.
Eigenartig und schwer zu klassifizieren (Unna) waren ferner die bei
3 Kindern von 6—9 Jahren beobachteten multiplen, etwa pfenniggrossen
Hautinfiltrate mit weisslichem kleinschuppigem Schorf und be¬
sonders derbem und erhabenem Rande, die ebenfalls bei der kulturellen
Untersuchung reichliche Diphtheriebazillen lieferten. Sie sassen zumeist
an den Armen, einmal auch im Rücken, am Hinterkopf und in der oberen
Brusthaut. Die Nasendiphtherie war bei allen drei Patienten eine sehr
schwere, wenn auch nicht letale. Es muss dahingestellt bleiben, ob für
diese Beobachtungen wegen ihrer Gleichartigkeit und Eigenartigkeit eine
Metastase vom Rachen her, eine spezifische echt diphtherische Aetiologie
anzunehmen ist. Zur histologischen Untersuchung kam es nicht.
Nicht streng zu den Hautkomplikationen gehörig sind schliesslich
3 Unterhautabszesse bei Kindern von 5 und 6 Jahren und einer
26jährigen Erwachsenen, die sämtlich sich an subkutane Injektionen von
1) H. Fette, Ueber die Diphtherie der Jahre 1907—09 im Allgemeinen Kranken¬
haus Hamburg-Eppendorf. Jahrb. d. Hamburger Staatskrankenanst. 1911. Bd. 16.
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220
F. REICHE
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Kampheröl oder Digalen angeschlossen hatten; es wurde aus dem Eiter
ausschliesslich der Diphtheriebazillus kultiviert, hier war wohl sicher eine
Ansiedlung von im Blut kreisenden Löfflersehen Bazillen an dem Ort
einer lokalen an sich sterilen Irritation erfolgt.
Anschliessen möchte ich diesen auf der Abteilung behandelten Fällen
eine Beobachtung bei einer nicht aufgenommenen Kranken, der Mutter
eines mit schwerster Nasen- und Rachendiphtherie eingelieferten Mädchens.
Sie erzählte bei einem gelegentlichen Besuche, dass in den 14 Tagen seit
der Erkrankung ihres Kindes, mit dem sie im gleichen Bett geschlafen
hatte, ihr seit Jahren bestehendes Ulcus cruris sehr schmerzhaft ge¬
worden sei und sich vergrössert habe. Es war von schmierigen Pseudo-
membranen überzogen und aus diesen wurden Diphtheriebazillen in
reichlichsten Mengen bakterioskopisch und kulturell demonstriert. Weiterer
Verlauf unbekannt. Ueber einen ähnlichen Fall berichtete Tengely.
Auch hier gab anscheinend die Anwesenheit der Diphtheriebazillen der
Affektion ihr besonderes augenblickliches Gepräge.
Im Anschluss an die Aufrechnung dieser durch den positiven Bazillen¬
nachweis als echt erkannten Komplikationen ist Folgendes noch zu be¬
merken. Der Ausdruck Komplikation trifft bei einem Teil der obigen
klinischen Befunde dort nicht im strengeren Sinne zu, wo der Pharynx,
der gewöhnliche Sitz der diphtherischen Erkrankung, ausnahmsweise ein¬
mal nicht ergriffen war. Von den 51 mit Beteiligung von seiten der
Nase aufgezählten Fällen aus dem ersten Lebensjahr war in ungefähr
einem Drittel dieses Organ ausschliesslich befallen, in mehreren anderen
war es primär erkrankt, und der Rachen erst nachträglich Sitz der
pseudomembranösen Veränderungen. Besonders die Säuglinge aus den
ersten 6 Lebensmonaten gehörten dieser Gruppe zu; doch ist hinzuzufügen,
dass gerade der jüngste aller unserer Patienten, der bei der Aufnahme
17 tägige, vielleicht am 3. oder 2. Krankheitstage damals stehende Knabe
auf beiden vorderen Gaumenbogen die typischen Beläge aufwies.
In der Altersklasse 15—25 befinden sich ebenfalls einige Patienten,
bei denen die Fauces frei von Alterationen blieben, nur eine leichte diffuse
Rötung boten. Ein 24 jähriges Mädchen hatte und behielt eine alleinige
Epiglottisdiphtherie, ein 19 jähriges Mädchen und ein 25 jähriger
Mann zeigten eine primäre Diphtherie der Trachea und Bronchen,
die bei ersterer Patientin am Tage vor dem Exitus noch auf Abschnitte
der Stimmbänder Übergriff.
Primäre reine Kehlkopfdiphtherien sahen wir 11 mal bei Kindern
zwischen 2 und 8 Jahren; sie entstanden an so frühen Krankheitstagen,
dass späte sekundäre nach Abheilung im Rachen gelegener primärer
Prozesse hier ausgeschlossen schienen.
Die Häufigkeit von Herpeseruptionen bei der Diphtherie fiel uns
besonders, zumal im Vergleich zu früheren Epidemien, auf. Rolleston
sah sie 1907 in seinem Material von 1370 Fällen (mit 55) schon in der
Original from
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
221
ungewohnt hohen Zahl von 4 pCt. Wir beobachteten sie zu 7,9 pCt.
Ich habe die Ziffern, soweit sie die ersten 4830 Patienten betrafen, be¬
reits früher bekannt gegeben 1 ) und dabei erwähnt, dass im Gegensatz
zu den Herpesbläschengruppen bei der Meningitis cerebrospinalis die bei
der Diphtherie auftretenden fast ausschliesslich das Gesicht, die Lippen
und deren Umgebung, seltener Nasenflügel, Kinn, Wangen, Ohrmuschel,
Augenlider besetzt halten, extrem selten andere Hautstellen des Körpers
betreffen. Nur bei einem Kinde sass ein ungewöhnlich starker Herpes
auf der Haut der Glutäalgegend.
In der Gesamtheit unserer Beobachtungen sahen wir ihn mit 566
unter 7165 Fällen zu 7,9 pCt. In den 122 Fällen der Altersgruppe
bis zu 12 Monaten und den 27 oberhalb des 50. Lebensjahres fehlte er
stets, unter den übrigen 3272 männlichen und 3893 weiblichen Kranken
fand er sich bei 7,2 bzw. 8,5 pCt. Im einzelnen war die Verteilung
folgender Gestalt:
Lebensalter (Jahre) Zahl der Fälle Herpesfälle in Prozenten
1- 5 . 1904 35 1,8
5—15 . 3070 258 8,4
15-25 . 1552 197 12,7
25-50 . 639 ' 76 11,9
7165 566 7,9
Bis zur Gruppe der jugendlichen Erwachsenen steigt die Häufig¬
keit verhältnismässig rasch an, zwischen 25—50 Jahren wird sie bereits
ein wenig geringer. Doch erweist eine Trennung der Fälle nach dem
Geschlecht, dass letzteres Moment nur für die Männer, nicht für den
weiblichen Anteil gilt. Wir sahen hier folgende Zahlen:
Alter
Männer
Herpes
bei Männern
Prozent
Frauen
Herpes
bei Frauen
Prozent
1- 5 . .
949
18
1.9
955
17
1,8
5-15 . .
1477
134
9,1
1593
124
7,8
15-25 . .
584
62
10,6
968
135
13,9
25-50 . .
262
21
8
377
55
14,6
3272
235
7,2
3893
331
8,5
Ein starkes Ueberwiegen bei Frauen tritt erst nach dem 15. Lebens¬
jahre zutage.
Die Beziehungen des Herpes zur Schwere des Krankheits¬
verlaufs, somit bis zu einem gewissen Grade seine prognostische Be¬
deutung, erhellt aus angeschlossener Aufstellung; wir hatten bei Trennung
unseres Materials in die verschieden schweren Ablaufsformen in
Gruppe I bei ... . 2794 Kranken 221 Herpesfälle, das sind 7,9 pCt.
„ II „ . . . . 1862 „ 149 „ „ 8 n
n KI „ ... . 2658 „ 196 „ „ 7 , *j4
1. F. Reiche, Ueber Herpes facialis bei Diphtherie. Med. Klin. 1913. Nr. 35.
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2*22
F. REICHE,
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Letztere Zahl muss zu niedrig sein, wenn man in Rechnung setzt,
dass viele unserer Patienten bereits an frühen Krankheitstagen der
Diphtherie erlagen — Tabelle F gibt hierüber Auskunft —, zu einer
Zeit, nach der noch mancher Herpes bei den übrigen sich ereignete. Es
ist in dieser Hinsicht folgendes mitzuteilen: Von allen 566 Patienten mit
Herpes zeigten 129 ihn bereits bei der Aufnahme, bei 437 brach er erst
während des Krankenhausaufenthaltes aus, und zwar, wenn wir den
Krankheitstag massgebend sein lassen,
am 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. an einem späteren
Krankheitstage
war er bei der Aufnahme vor¬
handen bei. 3 28 44 23 9 5 4 3
erschien er im Verlauf der I — 26 169 126 56 27 17 16
Krankenhausbeobachtung bei \ 5,9 38,7 28,9 12,8 6,2 3,9 3,6 pCt.
Die starke Bevorzugung des 3. Krankheitstages ist in dieser
zweiten, allein für diese Frage verwertbaren Reihe offensichtlich. Geissler
fand auch bei der Pneumonie den Herpes am 3. Tage am häufigsten,
darnach am 4. und am 2. Tage, Mann nennt den 2.—5. Krankheitstag
bei der epidemischen Genickstarre.
Dass er der eigentlichen Krankheit zuzurechnen ist und nicht den
Seruminjektionen in erster Linie, habe ich früher bereits ausgeführt. Vor
Ueberweisung ins Krankenhaus und damit vor Einleitung der spezifischen
Therapie war er bereits bei 129 Kranken zugegen, auch von den übrigen
hatten manche kein Antitoxin erhalten. Bei den späteren Herpes¬
eruptionen mögen allerdings reaktive Vorgänge auf die Serum¬
injektionen mitspielen, wie wir dieses auch gelegentlich nach Ein¬
spritzung anderer Sera beobachten.
Meist war nur eine Bläschengruppe zugegen, nicht selten auch
mehrere, bald benachbarte, bald weit von einander getrennte; ihre
Grösse schwankte sehr, wiederholt kam es zu ungewöhnlich aus¬
gebreiteten, den grössten Teil einer Wange, das Kinn oder die Unterkinn¬
gegend ganz einnehmenden oder den Mund rings umgürtenden Eruptionen.
Dem bakteriologischen Verhalten schenkte Rail 1 ) Aufmerksam¬
keit. Unter 94 untersuchten Fällen fand er in 26 oder in 27,65 pCt.
Diphtheriebazillen kulturell in dem unter den notwendigen Kautelen
entnommenen Bläscheninhalt. Wohl mit vollem Recht vertritt er die
Ansicht, dass es sich hier um ein sekundäres Eindringen der spezifischen
Mikroorganismen in die Vesikeln aus dem im Gesicht verriebenen Sekret
der Nase und des Mundes, das sie mazerierte, handeln muss. Weder in
dem Aussehen noch in der Abheilung unterscheiden sich die sterilen
Herpesausbrüche von den die Löfflerschen Bazillen beherbergenden in
irgend einer Weise.
1) Rail, Ueber das Vorkommen von Diphtheriebazillen in Herpesbläschen bei
Diphtherie. Ersch. in der Münchener med. Wochenschr.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1009—1914.
223
Ueber die lokalen Befunde im Rachen ist klinisch kämm Neues zu
sagen. Die von Rolleston hervorgehobene üble prognostische Be¬
deutung einer öderaatösen Schwellung der Schleimhaut des Rachens,
des weichen und harten Gaumens und mächtiger frühzeitiger Lymphdrüsen-
infiltrationen am Halse konnten auch wir bestätigen. Wiederholt sahen
wir dabei, und stets bei Erwachsenen, dass die ödematöse Durchtränkung
der Mucosa faucium streng unilateral blieb und so eine para¬
tonsilläre Abscedierung Vortäuschen konnte, wobei gleichzeitig die Hals-
lymphdrüsen intensiv bereits an frühen Krankheitstagen zu mächtigen,
sehr empfindlichen Paketen vergrössert waren. Trotz dieser Einseitigkeit
war der Verlauf hier ein allerschwerster, in der Regel tödlicher.
Die Kombination einer Rachendiphtherie mit einer peritonsillären
Abszessbildung — mit Löfflerbazillen in dem durch Inzision gewonnenen
Eiter — wurde ein einziges Mal bei einer 34 jährigen Frau beobachtet.
Die Heilung erfolgte glatt.
Nur recht selten stiessen wir auf Kopliksche Flecken in der
Wangenschleimhaut an initialen Krankheitstagen, etwas häufiger auf ein
Enanthem an Gaumen- und Bukkalschleimhaut, das von einem morbillären
nicht zu unterscheiden war. Beide Befunde als Begleiterscheinungen auch
des Diphtheriebeginns zu .kennen, ist um so wichtiger, als der Aus¬
bruch während der Inkubationszeit in eine vollbelegte Diphtheriestation'
eingeschleppter Masern zu den verhängnisvollsten Komplikationen gehört.
Dass es bisweilen noch gelingt, ihn fernzuhalten, wenn die Kinder vor
Auftreten des Hautexanthems rechtzeitig in Isolierstationen verlegt wurden,
konnten wir wiederholt beobachten.
Flüchtige Erytheme der Haut, meist der des Gesichts, der Brust-
und Oberbauchgegend wurden wiederholt, im ganzen aber doch sehr selten,
notiert; es sind nur die gemeint, die früh im Krankheitsverlauf und vor
Anwendung von Diphtherieserum sich zeigten.
Wichtig sind die Erscheinungen von seiten der Nieren 1 ), die am
Krankenbett beobachtet werden. Wir müssen scheiden zwischen leichten,
oft nur in einer Opaleszenz der erhitzten Flüssigkeitsschicht bei der
Salpetersäure-Kochprobe sich kundtuenden toxischen oder febrilen
Albuminurien und echten mehr oder minder schweren und verschieden
langdauernden nephritischen Reizungen mit reichlicherem Eiweiss¬
gehalt und gewöhnlich auch mit Blutgehalt des Urins und Zylindern,
Zelltrümmern und Leukozyten im Sediment. Ueber die Häufigkeit dieser
echten begleitenden Nierenentzündungen gibt die frühere Tabelle D Aus¬
kunft. Die erste Gruppe — Kinder unter 1 Jahr — ist hier un¬
zuverlässig, da es nur sehr selten gelang, Harn zur Untersuchung zu ge¬
winnen, aus den übrigen ergibt sich das wichtige Faktum, dass auch
1) cf. auch F. Reiche, Beiträge zur Kenntnis der Diphtherie. Jahrb. d. Ham¬
burger Staatskrankenanstalt. Bd.4. 1893/94; und Nierenveränderungen bei Diphtherie.
Zentralbl. f. innere Med. 1895. Nr. 50.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
224
F. REICHE
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bei leichtefti Ablaufforraen der Diphtherie die Nieren schwer leiden
können. Es fand sich dieses
unter 2757 leichten Fällen.22 mal oder zu 0,8 pCt.
„ 1843 mitttelschweren Fällen . . 27 „ „ „2 „
„ 2592 schweren Fällen.179 7 ? „ „ 6,9 „
„ 839 letalen Fällen.60 „ „ „ 7,2 „
Die Prognose dieser Nephritiden, soweit diese allein in Betracht
kommen, ist quoad Ausheilung eine recht gute. Die dazu notwendige
Zeit schwankt sehr in den einzelnen Fällen, und wiederholt wurde bei
langer Dauer ein Kind vor Ablauf der letzten renalen Symptome gegen
unseren Willen aus der Krankenhausbeobachtung genommen. In allen
übrigen Fällen jedoch konnten wir ihre Ausheilung registrieren, selbst
in schweren und langdauernden Formen nnd oft trotz der Unmöglichkeit
der Durchführung reizlosester blander Diät, wo das übrige Befinden eine
kräftige Ernährung und Verabreichung von Weinen erforderte. In der
Mehrzahl unserer Beobachtungen kam es zu einer raschen Abheilung.
Kinder neigen mehr zu dieser Komplikation als Erwachsene. Vor dem
15. Lebensjahr hatten wir sie mit 184 Fällen zu 3,7 pCt., nach diesem
Lebensabschnitt mit 54 Fällen zu 2,1 pCt.
Viel häufiger sind die ersterwähnten toxisch-infektiösen Eiweiss-
absonderungen. Sie kamen in mehr als der Hälfte, in den schwer ver¬
laufenden Fällen in rund drei Viertel zu unserer Kenntnis; sie waren fast
ganz an die Tage des Fiebers bzw. der noch nicht beseitigten Rachen¬
veränderungen gebunden und konnten gelegentlich die Vorläufer einer
echten nephritischen Reizung sein. Auch sie zeigten sich zuweilen in
leichtesten Verlaufsformen und fehlten hin und wieder bei den gravst
affizierten Patienten.
Späte passagäre Albuminurien, die, nach lange freiem Urin, in
der 2.—3. Krankheitswoche bei bereits begonnener Rekonvaleszenz ent¬
deckt wurden, waren selten. Da die Serumbehandlung in der über¬
wiegend grössten Zahl unserer — zumal der schweren — Fälle durch¬
geführt wurde, mag ein Teil auf die vorangegangene Injektion artfremden
Eiweisses zu beziehen sein. Die gleiche Deutung scheint mir für
spät eingetretene ausgeprägte Nephritiden bei Kindern in der dritten
Krankheitswoche nach schweren Diphtherien nicht zutreffend zu sein,
denn unter 9 hierhergehörigen Fällen war in einem Antidiphtherieserum
überhaupt nicht zur Anwendung gekommen, ferner lag die Serum¬
einspritzung durchweg über 14 Tage zurück und schliesslich hätte man
bei so intensiver Reaktion seitens der Nieren bei diesen Kranken wohl noch
andere Symptome der Serumkrankheit gleichzeitig erwarten können.
Ebenso ist es nicht angängig, hier an eine vorangegangene Scharlach¬
diphtherie bei Skarlatina sine exanthemate zu denken, denn eine echte
Skarlatina hätte in unseren vollbesetzten Krankensälen sicher zu Haus-
Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
225
Difitized by
infektionen geführt, wenn sie wochenlang unentdeckt zwischen den übrigen
Diphtheriekindern gelegen hätte.
Der Hervorhebung wert erscheinen mir des Weiteren noch zwei
Beobachtungen sehr schwerer Hämaturie bei Erwachsenen; ich habe
sie in eingeklammerten Zahlen mit in die Uebersicht unserer Nephritis¬
fälle aufgenoramen. Sie trateu beide Male in der 2. Krankheitswoche
nach Rückbildung der Rachen Veränderungen ein, das eine Mal bei einem
32 jährigen kyphoskoliotischen Manne nach einer mittelschweren Diphtherie
und hier von 3 tägiger Dauer, das andere Mal bei einem 19 jährigen sehr
kräftigen Manne von 5 tägigem Bestände, woran sich noch über 11 weitere
Tage Blutspuren, zuletzt nur noch mikroskopische, im Harn anschlossen.
Hier waren durch mehr als 3 Wochen dann noch geringe Ei weissmengen
im Urin und im Sediment Zylinder nachweisbar, bei den erstgenannten
Kranken war mit Aufhören der Blutung auch das Harnzentrifugat wieder
ohne pathologische Beimengungen, auch fanden sich, als der Kranke
1% Jahre später wieder mit Pyelitis auf meine interne Abteilung
kam, wiederholt in seinem Urin nur Leukozyten, keine nephritischen
Formelemente. Röntgenbilder der Nieren ergaben wegen der schweren
Rückgratsverkrümmung hier keine verwertbaren Befunde, bei dem anderen
Patienten konnten wir einen Stein durch die Durchleuchtung ausschliessen.
Ueber das Auftreten von Azeton im Urin von Diphtheriekranken
habe ich 1911 nach Untersuchungen von 3200 Patienten berichtet 1 ).
Die Untersuchung war bei 2079 oder 65 pCt. positiv gewesen. Unsere
Hoffnung, aus dem Vorhandensein einer Azetonurie als Ausdruck einer
tiefen Stoffwechselstörung diagnostische und vielleicht auch pro¬
gnostische Schlüsse zu gewinnen, bewährte sich nicht. Sie war bei
Kindern sehr viel häufiger zugegen als bei Erwachsenen, unter 2056
vom 2. bis zum 15. Lebensjahre zu 72 pCt., unter 1141 Erwachsenen
nach dem 15. Jahre zu 52,3 pCt., direkte Abhängigkeit von der Höhe
der Fiebersteigerung ergab sich nicht, wohl aber von der jeweiligen Ver¬
laufsschwere der Krankheit.
Von den Patienten mit Albuminurien oder Nephritis hatten 80 pCt.
auch Azeton im Harn; es besteht somit eine gewisse, wenn auch nicht
bedingungslose Beziehung zwischen diesen beiden Erscheinungen.
Die Ehrlichsche Paradimethylamidobenzaldehydreaktion wurde
bei 370 Kranken während der Zeit ihrer Rachenaffektion täglich und
stets mit dem frisch gelassenen Harn ausgeführt. 157 Fälle verliefen
leicht, hier wurde 11 mal oder zu 7 pCt. ein positives Ergebnis erzielt,
128 mittelschwer mit 14 oder 10,9 pCt. positiven Reaktionen, 85 schwer
mit 11,8 pCt. positiven Reaktionen. Eine Urobilinurie ist hiernach mit
im Ganzen 9,5 pCt. und mit 11,8 pCt. in graven Verlaufsformen ein,
1) F. Reiche, Azetonurie bei Diphtherie und akuten Halsentzündungen.
Münchener med. Wochenschr. 1911. Nr. 41.
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Digitized by
226 F. REICHE,
zumal im Vergleich zu anderen Affektionen wie Skarlatina, seltenes Vor¬
kommnis, dessen Eintritt nur verhältnismässig wenig durch die Schwere
der Diphtherie begünstigt wird. Sie war bei einem unserer Kranken be¬
reits am 1. Krankheitstage vorhanden, bei 9 am 2., bei 6 am 3., bei 10
am 4., und bei den übrigen 9 an späteren Tagen. Sie hielt sich meist
nur kurze Zeit, niemals über 3 Tage.
In weiteren 14 mit Skarlatina komplizierten Diphtherien war die
Benzaldehydreaktion ausnahmslos und stets gleich am Tage der Auf¬
nahme, dem 1. oder 2. Krankheitstage zugegen. In diesem Sinne darf
sie einen gewissen diagnostischen Wert beanspruchen. Einen solchen
schrieb Umber ihr auch in der Trennung des Scharlachexanthems und
des Serumexanthems zu, da sie bei jenem zu 96 pCt. sich zeigt, bei
diesem nie beobachtet wurde. Auch wir konnten sie bei 22 schweren
Serumexanthemen niemals nachweisen und danken dem Um berschen
Hinweis manche rechtzeitige Entfernung ausbrechender Scharlach¬
erkrankungen von unseren Diphtheriepavillons.
Unsere Beobachtungen über Komplikationen seitens des Herzens
hat Lee de eingehend mitgeteilt 1 ).
Begleitende Lungenaffektionen waren sehr häufig. 3 Kinder be¬
kamen im Anschluss .an solche bronchopneumonische und pneumonische
Prozesse ein Empyem, das durch Rippenresektion ausheilte, eine
19jährige Erwachsene eine Unterlappengangrän, die zur Operation
und zur Heilung mit Bildung einer kleinen Fistel kam.
Lähmungen schlossen sich an schwere und auch mittelschwere
Verlaufsbilder von Diphtherie bei vielen Patienten an; mit Zahlen
können wir dieses Vorkommnis nicht belegen, da diese Komplikationen
sich erst recht häufig nach der Entlassung der Kranken aus dem
Krankenhaus einstellten. Die Prädilektionszeit war die 6. und mehr
noch die 7. Krankheitswoche; in einer Reihe von Fällen trat in der
10. und 11. Woche noch ein schwerer Nachschub der Paralysen
ein. Postdiphtherische Abduzenslähmungen wurden verhältnis¬
mässig häufig, stets in Kombinationen mit anderen Lösungen, be¬
obachtet, eine einseitige Fazialislähmung nur einmal bei einem
20 jährigen Mädchen, bei dem sie in der 7. Krankheitswoche entstehend
nach 14 Tagen wieder ausgeheilt war. Rother 2 ) hat bis Ende 1911
von 4168 meiner Kranken 34 mit Abduzenslähmungen zusammengestellt;
vorwiegend waren Knaben zwischen 5 und 15 Jahren betroffen, der
Durchschnittstermin für ihr Auftreten war der 35. Tag, am häufigsten
wurde der linke Abduzens ergriffen, 3 mal öfter als der rechte, und
1 ) W. Leede, Beiträge zur Diphtherie mit besonderer Berücksichtigung der
pathologisch-anatomischen Organ- und bakteriologischer Leichenblutbefunde in ihrem
Verhalten zum klinischen Bilde. Diese Zeitschr. 1913, Bd. 77.
2) C.Rother, Ueber postdiphtherische Abduzenslähmungen. Diss. Leipzigl912.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
227
Difitized by
noch seltener beide Abduzentes. Die Prognose ist eine gute; Nach¬
untersuchungen ergaben bis auf 1 Fall eine Restitutio ad integrum.
Eine Meningitis serosa, die nur auf die Diphtherie zurückzuführen
war, kam bei einem 7 jährigen Mädchen und einem 6 jährigen Knaben
zur Beobachtung; sie ging beidemale in Heilung über. Blut und Spinal¬
flüssigkeit war bei beiden Patienten steril. Ich habe diese Fälle mit
6 weiteren Hirnhautentzündungen veröffentlicht 1 ), welche unter obigen
rund 8000 Diphtherien sich ereigneten, die aber sämtlich sich als durch
Mischinfektionen bedingt erwiesen; Weichselbaumsche Meningokokken,
Streptokokken, Staphylokokken, Pneumokokken und Kolibazillen wurden
bei ihnen aus dem intra vitara gewonnenen Liquor spinalis isoliert.
Die seltene Hemiplegia postdiphtherica schloss sich an vier
schwerverlaufene Fälle mit grosser Herzschwäche im Alter von 3, 8, 18
und 24 Jahren an; dreimal führte die Krankheit zum Tode, bei einem
8 jährigen Mädchen trat Heilung von der Diphtherie und der begleitenden
Nephritis und anfänglich auch gute Rückbildung der hemiparetischen Er¬
scheinungen ein, 2 Jahre später war aber eine starke Beeinträchtigung
der Extremitäten der befallenen Seite durch Schwäche und Athetosis des
Armes und spastische Rigidität des Beines wieder vorhanden. Die Sektion
ergab bei zweien der Kranken Erweichungsherde in der motorischen
Region der betreffenden Grosshirnhemisphäre, bei dem dritten fehlte jeder
makroskopische anatomische Befund; embolische Gefässverschlüsse waren
in keinem dieser Fälle nachzuweisen, Thromben in der Wand des rechten
Herzens nur in einem zugegen. Leede hat diese Fälle ausführlich be¬
schrieben 2 ). Eine bulbäre Sprachstörung entwickelte sich bei einem
58jährigen Manne in der Rekonvaleszenz; in monatelanger Beobachtung
erfolgte nur wenig Aufbesserung.
Dem Verhalten des Blutes wurde besondere Aufmerksamkeit ge¬
schenkt. Willrich 8 ) fand in 42 — darunter 20 schweren — Fällen,
dass die Zahl der roten Blutkörperchen und im Allgemeinen parallel
damit, wenn auch weniger deutlich, das Hämoglobin eine Herabsetzung
erfährt, Poikilozytose, Schizozytose, melaninhaltige Zellen und Erythro-
blasten wurden nie beobachtet. Die Leukozyten erfahren oft eine
hochgradige Vermehrung, die keinen Gesetzen folgt, vor allem nicht
von Temperatur, entzündlichen Erscheinungen und Puls unabhängig ist.
Das weisse Blutbild erleidet nur hinsichtlich der azidophilen Zellen eine
wesentliche quantitative Veränderung; ihre Zahl geht bei schweren,
letalen Fällen bis zum völligen Fehlen zurück, in leichten und mittel¬
schweren Verlaufsformen ist sie erhöht. Sie sind im Anfang fast nicht
1) F. Reiche, Meningitis bei Diphtherie. Zentralbl. f. Kinderheilk. 1914.
2) W. Leede, Die Hemiplegia postdiphtherica. Zeitschr. f. Kinderheilk. 1913.
Bd. 8 H. 1.
3) G. Willrich, Das Blutbild bei Diphtherie als Hilfsmittel für die Diagnose
und Prognose. Jahrb. d. Hamb. Staatskrankenanst. Bd. 21. H. 1.
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228
F. REICHE,
Digitized by
vorhanden, sie nehmen dann in den ersten Krankheitstagen bis zu einem
Höhepunkt zu und gehen weiterhin in wellenförmiger Kurve auf mittel¬
hohe Werte herunter.
So hat das Vorkommen von eosinophilen Leukozyten einen dia¬
gnostischen, vor allem aber einen prognostischen Wert.
Blutdruckmessungen führte Cobliner 1 ) bei 138 meiner Kranken,
durchweg Erwachsenen, mit dem von Deneke modifizierten Riva-
Roccischen Apparat durch. Es zeigten sich tiefe und langdauernde
Senkungen des Blutdrucks in einer grossen Zahl von sch wer verlaufenden
Fällen; sie konnten schweren und tödlichen Herzkomplikationen schon
tagelang voraufgehen.
Vielfach wurden kulturelle Blutuntersuchungen bei unseren
Patienten vorgenommen. Einen grossen Teil unserer Befunde haben
Leede 2 ) und Roedelius 3 ) bereits in ihren Arbeiten niedergelegt. Ich
kann sie um 56 weitere Fälle vervollständigen, die 186 Fälle von
Roedelius (einer, der erste, fällt weg, da hier neben der mittelschweren
Diphtherie eine infizierte Hautwunde vorlag, die anscheinend zu der bei
ihm nachgewiesenen Sepsis per diplococcum lanceolatum geführt hatte)
auf 242 vermehren. 1910 wurden 3, 1911 104, 1912 64 und 1913
71 Fälle vital bakteriologisch untersucht, 9 von den schweren Verlaufs¬
formen je 2 mal und 1 3 mal, und 2 von den mittelschweren Verlaufs¬
formen je 3 mal. Letztere sind in der Gesamtsumme mit 17, erstere
mit 225 Fällen vertreten, es handelt sich demnach um insgesamt 236
einzelne Blutentnahmen in jener, um 21 in dieser Gruppe. Sie werden
in nachfolgender Uebersicht in ihrer Beziehung zum Krankheitstag ver¬
anschaulicht.
?
I
2 -
)ie Blutnahme erfolgte
3. | 4. | 5. | 6. 17.18.
K rankheitstag
am
q 1 mehr als
| dem 9.
Summe
In mittelschweren Diphtherien bei Patienten
im Alter von 1— 5 Jahren bei ....
—
—
—
—
—
1
—
—
—
—
1
£-15 „ „ -
—
3
1
1
1
—
1
—
—
—
7
15-25 „ . -
—
2
2
2
1
1
—
1
—
4
13
In schweren Diphtherien bei Patienten
im Alter von 1— 5 Jahren bei ....
—
1
2
—
2
—
—
—
—
—
5
5-15 * .....
2
8
26
28
17
8
4
4
1
3
101
15-25 „ .....
—
8
18
10
13
12
2
2
1
10
76
25-50 r .....
3
6
12
8
13
4
—
1
2
2
51
über 50 . .....
—
—
1
1
—
_ 1 _
—
_3
5
28
61
50
48
26
7
8
5
19
257
1 ) W. Cobliner, Blutdruckmessungen bei erwachsenen Diphtheriekranken.
Inaug.-Diss. Berlin 1912.
2) W. Leede, Bakteriologische Blutbefunde bei Diphtherie. Zeitschr. f. Hyg.
u. Infektionskrankh. 1911. Bd. 69.
3) Roedelius, Ueber das Vorkommen von Diphtheriebazillen im strömenden
Blut. Ebenda. 1913. Bd. 70.
_ QriginaLfrom _
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 229
Positive Ergebnisse hatten wir in 9 Fällen:
1. 1910: 4762. W.,45J., Blut am 6. Tage entnommen: Streptokokken u. Diphtherie¬
2 .
1911
8022.
R., 9 J.,
71
„u-
71
71
bazillen,
Diphtheriebazillen,
3.
1911
8401.
A., 4 J.,
n
* 5 -
TI
71
77
4.
1911
26475.
D.,15J.,
r>
» 5 -
71
71
r
Streptococcus haemol.
5.
1911
27264.
A., 9J.,
71
9
71
71
71 71
6 .
1911
15769.
M., 5J.,
n
„27.
7 ?
71
71 71
7.
1911
24159.
L.,22J.,
r>
„ »■
71
71
71 71
8 .
1913
6219.
B.,40J.,
r>
„19.
71
71
71 71
9.
1913
8649.
V.,17J,
71
„ 14.
7)
71
gramposit. Staphylokokken.
in allen übrigen Entnahmen, also in rund 96 pOt. der Gesamtzahl,
war das Blut steril.
Diphtheriebazillen wurden 3 mal, einmal zusammen mit Strepto¬
kokken, im Blut nachgewiesen; 2 dieser Fälle verliefen tödlich, 12 und
2 Tage nachdem dieser Befund erhoben war, der 3., ein Mädchen von
4 Jahren, genas von ihrer sehr schweren Rachen-, Nasen- und Lippen¬
diphtherie, die schon vom 4. Krankheitstage an eine schwere hämor¬
rhagische Diathese komplizierte. Von den eine Streptokokken¬
invasion in die Blutbahn aufweisenden Patienten genas nur eine,
eine 22 jährige Patientin, bei der schon früh eine schwere Pneumonie
neben der an sich nur mittelschweren Diphtherie einsetzte, und im
weiteren Verlauf noch eine Entzündung eines Hüftgelenks hinzutrat.
Das klinische Bild spricht hier für eine Sepsis, nicht eine einfache
Bakteriämie.
Dass das Fieber bei der Diphtherie weder in ihrer leichten, noch
in ihrer schweren Form typische, massgebende, diagnostisch oder pro¬
gnostisch verwertbare Verhältnisse zeigt, ist in den Lehrbüchern genügend
hervorgehoben. Nur ganz allgemein bedeutet, darin ist Baginsky zu¬
zustimmen, ein allmähliches Niedergehen anfänglich hoher
Temperaturen einen normalen Ablauf, und ist bei den späteren Er¬
hebungen der Körperwärme auf Komplikationen zu fahnden. Der
Beginn der Krankheit ist recht häufig von Fieber begleitet. Uns fiel es
auf, wie oft gerade in sehr schweren Verlaufsarten eine wesentliche
Steigerung der Körperwärme vermisst wurde. Ein auffallend grosser
Prozentsatz gerade dieser Fälle wird uns jedoch erst an späteren
Krankheitstagen, vom 3. an, eingeliefert, während die leichten und mittel¬
schweren gewöhnlich sehr viel früher in Krankenhausbeobachtung ge¬
langen. Will man hier, zumal im Hinblick auf die Prognose, brauchbare
Vergleiche anstellen, so muss man nur die an den ersten beiden
Krankheitstagen eingelieferten und klinisch gemessenen Patienten heran¬
ziehen. Das sind 4058 unserer Kranken, über die die Tabelle E. Aus¬
kunft gibt.
Digitized b'
Google
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
230
F. REICHE
Digitized by
Tabelle E.
Die höchste Temperatur am 1. und 2. Krankheitstage
37 bis
38°
stan
38 bis
39o 1
d zwis
39 bis
400
chen
|40 bis|41 bis
41° | 420
bei
oder nach Prozentei
37 bis|38 bis]39 bis'40 bis'
380 | 390 | 400 | 410
1
41 bis
42o
in der
Altersklasse
8
9
2
1
_
20
1
40 |
45
10
5
_
11
4
4
3
—
—
11
36,4
36,4
27,3
—
—
II> bis 1 Jahr
4
6
5
2
4
21
19
28,6 1
23,8
9,5
19
ml
126
168
94
21
—
409
80,8
41,1
23
5,1
_
11
77
113
110
27
1
328
23,5
34,4
33,5
8,2
0,3
II > 1—5 Jahre
51
136
105
36 J
4
332
15,4
41
31,6
10,8
1,2
ml
169
323
218
56
1
767
22
42,2
28,4
7,3
0,1
ii
49
194
220
74
—
537
9,1
36,1
41
13,8
11} 5-15 Jahre
49
148
172
69
1
439
11,2
33,7
39,2
15,7
0,2
IIIJ
158
200
138
13
—
509
31 !
39,3
27,1
2,6
—
11
29
85
76 i
20
—
210
13,8
40,5
36,2
9,2
—
11} 15-25 Jahre
13
42
54
28
—
137
9,5
30,6
39,4
20,5
—
III)
50
77
42
3
—
172
29,4
44,8
24,4
1,7
—
11
13
29
32
5
—
79
16,5
36,7
40,5
6,3
—
II }25-50 Jahre
11
24
35
6
—
76
14,5
31,6
46
7,9
—
ml
— .
4
3
1
2
—
—
5
5
—
80
20
—
—
n 1
ml 50 Jahre
1
——
1
1 —
I 1 U
Zusammen 4058 #
Ziehen wir die verschiedenen Gruppen zusammen, so lag die höchste
Temperatur in Gruppe
zwischen 3<
[-38°
38-39°
39-40°
0
1
s
41-42
I (1882 Fälle) bei ... .
511
781
495
94
1
II (1170 Fälle) „ ....
172
427
444
126
1
UI (1006 Fälle) „ ....
128
357
371
141
9
oder in Prozenten in Gruppe
I bei.
27,2
41,5
26,3
5
n ..
14,7
36,5
37,9
10,8
0,1
in „.
12,7
35,5
36,9
14
0,9
Ganz allgemeine Beziehungen sind hier unschwer zu erkennen:
niedere Temperatur begleiten doch weit häufiger die leichteren, hohe die
schwereren Diphtherien an ihren frühen Krankheitstagen.
19 mal, also im ganzen in einer Häufigkeit von 0,26 pCt., kamen
unter meinen 7314 Fällen Appendizitiden 1 ) zur Beobachtung, 3 mal
bei Patienten im Alter von über 12 Monaten bis zu 5 Jahren, 9 mal bei
Patienten von 5 bis 15 Jahren, 7 mal bei Erwachsenen. Der jüngste
Kranke zählte 4, der älteste 36 Jahre. 11 mal war eine schwere
Diphtherie voraufgegangen, 3 mal eine mittelschwere und 5 mal eine
leichte. Die Erkrankung des Wurmfortsatzes entwickelte sich bei 4 bereits
auf der vollen Höhe des primären Leidens, bei 5 in der 1., bei 7 in
der 2. Krankheitswoche, bei den übrigen 3 zwischen 22. und 36. Krank-
1) F. Reiche, Erkrankungen des Appendix (in einem Falle mit anschliessender
Pylephlebitis) nach Diphtherie. Mitteil. a.d. Grenzgeb. d. Med. u.Chir. 1913. Bd.27. 11.2.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
1
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 231
heitstage. Sie bot bei 14 unserer Kranken ein leichtes bis mittelschweres
Bild, 5 dieser Appendizitiden waren ausgesprochen schwer, 3 von
ihnen verliefen letal, der eine durch eiterige Phlebitis einer Mesenterial¬
vene mit anschliessender Pylephlebitis.
Die Mitbeteiligung des Appendix wird wohl nicht von der spezifischen
diphtherischen Angina beherrscht, sondern von der Rachenentzündung als
solcher und der sie begleitenden Mischinfektion, jedoch weniger in dem
Sinne bakteriämischer Metastasen, die nur in einzelnen unserer
Fälle anzunehmen wären, sondern auf dem Wege lokaler Alterationen
des Processus vermiformis, wie wir sie häufig bei Sektionen von Diphtherie¬
leichen in Form von Schwellungen der Mukosa und ihres Follikelapparats
antreffen.
Ueber die Mortalität unter unseren 7314 Kranken und in den
einzelnen nach Alter und Krankheitsschwere aufgestellten Unterabteilungen
ist bereits in unserer Haupttabelle (S. 211) Mitteilung gemacht. Es
erübrigt noch, sie nach dem Krankheitstage, an dem sie erlagen, zu
ordnen. Wir fanden hier folgende Zahlen:
Tabelle F.
Es verstarben am
-i-s
a
a
cö
Im Alter
1. |
2 . i
3.
4. i
5. '
1
6. !
7 .|
s.
9.
10 -i
1L i
H ,3 -i
u.
1 15.bis'
21. ,
22.bis
28.
29.bis'
35. |
an spä¬
teren
es
<v
ja
s
1
Ul
Y
irankheitstag
5
bis zu 1 Jahr . .
1
1
1
3
1 3
4
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1
2
2 1
2
i,
1 !
12
1
2
1
1
1 11
47
von 1“5 Jahren .
2
5
30
46
56
36
28
24 ;
17
23 i
16
20 10
6
23 |
12
7
10 1
23
394
von 5 — 15 Jahren
—
9
19
43
35,
38
20 1
1 29 1
21 1
17
22 1
21 12
10 l
43
5
4
7
! 6
361
von 15~25 Jahren
1
2
3
3
3
1 6
3 1
3
2
2 !
3 1
6 1
1
8 1
1 2
1 1
, 3
1
54
von 25—50 Jahren
—
—
—
6
6
1 2
—
—
1
1 1
21 1
1 1
2
1
l
3
—
27
von über 50 Jahren
—
—
—
—
1
—
1 11
—
—
_
— | —
— 1
1
—
—
—
1 —
3
Summa . . .
4
19
55
102
109
83
53
59
| 43
I 44
42
50,26 19
1 77
i 22
14
24
i 41
886
Es waren also verstorben:
bis zum 3. Krankheitstage
7
n ri * • n
in der
von 0—15 Jahren
(802 Verstorbene)
72 = 8,8 pCt.
389 = 48,5 „
647 = 80,7 „
713 = 88,9 „
ersgruppe
von über 15 Jahren
(84 Verstorbene)
6 = 7,1 pCt.
36 = 42,9 „
61=72,6 „
72 = 85,7 „
Alt
Gehen wir nun zur Behandlung unserer Fälle über, so möchte ich
kurz vorwegnehmen, dass die allgemeine Diätetik sich in den überall
geübten Formen bewegte, und Medikamente im allgemeinen während der
ersten Tage des Krankenhausaufenthalts nicht zur Anwendung gelangten,
mit Ausnahme einer kleinen Gruppe von 200 hintereinander aufgenommenen
Patienten, bei denen zweistündlich Tag und Nacht eine Chlorkalium¬
lösung und unmittelbar danach eine Salzsäuremixtur nach Hegers und
Alys Vorschlag gegeben wurde; wir nahmen von dieser durch die
Zeitschr. f. kliu. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. lg
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
232
F. REICHE,
Störungen des Schlafes für die Patienten recht quälenden Therapie wieder
Abstand, da wir keinerlei lokale Erfolge in den schweren Fällen und keine
Beeinflussung der Sterblichkeit dadurch sahen.
Die bei uns, wo immer es notwendig und angängig erschien, durch¬
geführte Behandlung bestand in der Injektion des Behringschen
Serums. Nur dort wurde es nicht verwandt, wo ganz leichte Ver¬
laufsformen Vorlagen, wo die Patienten an sehr späten Krankheitstagen
oder wo sie moribund aufgenommen wurden oder, zur Vermeidung
anaphylaktischer Erscheinungen, nicht selten bei solchen Patienten, bei
denen früher bereits einmal eine Diphtherie mit Antitoxineinspritzung
behandelt worden war.
Die leicht übersichtliche Tabelle G enthält die Ergebnisse unserer
Behandlung, geordnet nach dem Tage, an dem das Serum zur An¬
wendung kam.
Tabelle G.
Alter
Gesamt- '
summe
Es erhielten:
kein Serum |
Kranklieitstagl
unbestimmt |
Krankheitstag, an dem das Serum
Anwendung kam
1. 2. 1 3. 4. 5. 6. 7.
zur
1 Uber
|7 Tape
bis 1 Jahr I
geh.
37
9
6
6
i 12
1
1 2
1
_
1 _
28
II
19
1
1
5
6
3
2
—
—
i
18
III
/ r
19
—
1
2
8
6
—
1
I
1
19
l gest.
47
5
11
3
9
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7
1
—
i
2
42
1—5 Jahre I
geh.
52G
‘ 63
6
129
210
78
25
3
3
3
6
463
II
522
13
11
85
235
93
37
25
9
6
8
509
III
1 -
462
10
6
58
167
114
58
22
11
5
11
452
l gest.
394
29
23
21
81
101
62
36
13
8
20
365
5—15 Jahre I
geh.
1059
256
8
170
384
154
53
20
3
4
7
803
II
822
37
3
136
381
166
57
21
12
3
6
785
III <
1 ,
828
12
7
84
296
218
112
52
18
9
20
816
t gest.
361
25
6
11
66
104
65
40
20
7
17
336
15-25 Jahre I
geh.
871
397
4
45
249
111
39
13
5
3
3
474
11
351
28
1
24
168
83
24
11
4
4
1 4
323
m|
( ,
276
9
—
24
95
89
28
15
7
1 3
6
267
[ gest.
54
4
1
1
15
10
14
4
3
2
50
25—50 Jahre I
geh.
291
130
1
18
84
40
11
1
1
2
3
161
II
r>
142
18
1
14
52
33 |
! 12
7
1
i
3
124
111 <
r .
179
7
—
9 J
71
56
12
14
5
i
4
172
1 gest.
27
5
—
1 I
4
4
3
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1 I
| 1
1
22
über 50 Jahre I
geh.
10
6
1
1
2
—
— |
—
—
—
4
II
6
—
—
5
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1
—
—
—
—
6
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—
—
—
1
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1
1
1
—
—
8
l gest.
3
—
—
— 1
—
2
1
— 1
—
—
3
Zusammen . . .
7314
1064
98
846 1
2600
1478
627 1
295
118
63
125
6250
Davon starben . . .
886
68
41
37
175
227
153
89
37
17
42
818
Mortalität in pCt.
Nach Abrechnung der in
den ersten 24Std.-Spital-
aufenthalt Verstorbenen
12,1
6,4
41,9
4,4
6,7
15,4
24,4,
30,2
31,4
27
33,6
13,1
zusammen.
7113
1019
85
840
2579
1438
592
262
114
62
122
6094
Davon starben . . .
685
23
21
31
154
187
118
56
33
16
39
662
Mortalität in pCt. .
9,6
2,3
32,9
3,7 |
6
13
19,9
21,4
29
26
32
10,9
Difitized by
Go igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Dipbtherieepidemie 1909 — 1914.
233
1064 Patienten erhielten kein Serum; 861 von ihnen, rund 81 pCt.,
waren leichte Diphtherien, zum grösseren Teil, zu fast zwei Dritteln, bei
Erwachsenen.
106 oder 10 pCt. waren schwere Verlaufsformen, und von ihnen
endeten 68 oder 64,2 pCt. letal; das Hauptkontingent sind moribund Ein¬
gelieferte, nicht weniger als 45 starben am ersten Tage des Aufenthalts
im Krankenhause.
Es ist von Interesse, diese Fälle nach dem Tage ihrer Aufnahme
ins Krankenhaus zu ordnen; rezipiert wurden
am 1.
2.
3. | 4. | 5. | 6.
Krankheitstag
7.
einem
späteren
im Ganzen.
161
331
178
106
104
40
26
118
davon starben .
4
9
7
10
14
5
5
14
oder in pCt.
2,5
2,7
3,9
9,4
13,4
12,5
19,2
11,9
In der Gesamtzahl aller unserer
Patienten (Tab. F.) starben . . .
4 I
1 19
I 55
102
109 |
l 83
53
461
6250 unserer Kranken erhielten Serum; es wurde meist subkutan,
in schweren Verlaufsformen aber auch häufig intravenös 1 ) zugeführt.
Nur sehr wenige Patienten hatten das Mittel bereits draussen, vor der
Aufnahme erhalten, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle fällt Auf¬
nahmetag und Injektionstag zusammen. In Formen mit vorschreitendem
Charakter der lokalen Veränderungen wurde die Injektion am gleichen
oder am folgenden Tage, nicht selten auch an mehreren späteren Tagen
wiederholt. In der Tabelle ist immer der 1. Tag der Anwendung des
Mittels verrechnet worden.
(Tabellen H und I siehe umstehend.)
Ueber die von uns verwandten Serummengen gibt Tabelle H ge¬
naueren Aufschluss, Tabelle I weiterhin enthält die durchschnitt¬
lichen Werte für jede einzelne Gruppe unserer Patienten. Aus beiden
ist ersichtlich, in wie weitem Masse wir dem von vielen Seiten, ins¬
besondere auch aus der Heubnerschen Klinik gegebenen Rate Rechnung
trugen, die Menge des' Antitoxins je nach der Schwere des Falles weit
über die ursprünglich empfohlenen Gaben zu erhöhen.
Kehren wir zu unserer Hauptübersicht zurück. Was aus ihr am
deutlichsten heraustritt, ist eine — nur gegen Schluss einmal gering¬
fügig unterbrochene — progressive Erhebung der Mortalität je nach den
Krankheitstagen, an denen Diphtherieserum eingespritzt worden war.
Das trifft für die Gesamtheit und für die Auslese der schweren Verlaufs¬
formen zu, es zeigt sich bei den Kindern sowohl wie zum grösseren Teil
auch bei den Erwachsenen, nur die Niveauhöhe dieser Kurven ist eine
verschiedene.
1) H. Fette, Die Behandlung der Diphtherie mit intravenösen Seruminjektionen.
Med. Klinik. 1909. Bd. 50.
IG*
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
234
F. REICHE,
Ta-
—
- - -
—
—
—
Es erhielten Immunitäts¬
einheiten in den Alters-
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
4000
o
o
O
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8
gruppen von
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2
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o
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i
2
9
10
1
_
3
_
3
_
_
_
_
0— 1 Jahr
11
—
3
14
—
—
1
—
—
—
1 —
—
—
iii
1
4
21
3
15
11
—
2
4
—
_
—
—
—
I
1
45
333
6
3
60
—
10
4
—
1
—
—
1—5 Jahren <
11
—
14
168
5
7
247
3
8
43
—
1
11
—
1
HI
—
2
63
5
2
339
8
14
143
6
2
188
1
1
I
4
84
53G
31
7
104
—
34
2
—
1
—
—
5—15 Jahren
II
1
18
247
6
3
360
4
30
71
1
3
38
—
—
III
—
3
39
1
2
332
2
11
198
5
10
338
3
8
I
3
52
328
9
2
67
—
7
5
—
_
1
—
—
15—25 Jahren <
II
—
3
126
3
3
127
2
5
20 1
—
— |
27
—
1
III
—
1
17
1
1 2
79
—
3
32
1
—
102
—
1
1
[ I
—
9 1
124
5
—
22,
—
—
1
—
—
—
—
25—50 Jahren <
11
—
6
38;
5
2
54 j
1
1
10 I
—
7
—
—
1
! m
—
1 1
4 |
2 1
51
—
'1
24 1
1
1
48
—
6
1 i
—
— i
2 |
1
i
—
—
—
—
—
—
—
—
über 50 Jahren j
11
1 iii
—
_ |
2
1 1
_
1
_
1
3
1
_
2 ;
—
1
_
_
Zusammen .
12 i
254
2073
83
51 1
1861
21
129 1
559 j
14'
18
763 1
4
18
Gegeben wurden in
I
i°,
199
1333
53
13
256
—
54 ^
12 i
—
3
—
—
y> v v
II
i 1
44
595
19
15
790 1
11
44
144
1
4 1
84
—
2
r * n
III
1
11 1
145
11
23
815
10
31,
3031
13
14 ;
676
4
16
Tabelle I
Altersklassen
Zahl
der Fälle
Gegeben wurden
insgesamt
Einheiten
Ab¬
gerundeter
Durch¬
schnitt
i i
28
49 500
1770
)
0—1 Jahr { II
18
27 000
1500
> 2010
Im
61
138 500
2270
)
\ i
463
808 500
1750
\
1—5 Jahre < 11
509
1 356 500
2665
} 3130
l m
817
3 434 000
4200
1
t i
803
1 432 500
1780
\
5—15 Jahre J 11
785
2 215 500
2820
J 3560
1 in
1152
6 108 500
5300
/
( i
474
806 000
1700
)
15—25 Jahre { II
323
920 500
2850
} 3210
1 III
317
1 856 500
5860
J
| I
161
272 500
1690
1
25-50 Jahre { II
124
334 500
2700
) 3760
l III
194
1 200 000
6190
1
( I
4
7 500
1875
)
über 50 Jahre < 11
6
26 000
4330
} 4600
l m_
11
63 000
5730
J
Insgesamt . . .
6250
21 057 000
3370
Davon in Gruppe I
1933
3 376 500
1750
* * * II
1765
4 880 000
2760
. r * HI
2552
12 800 500
5020
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-Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
235
belle H.
—
—
—
—
—
—
7500
8000
8500
9000
10000
10500
11000
11500
00021
13000
13500
14000
15000
16000
16500
18000
19 500
—
1 -
—
—
—
—
—
—
_
—
—
—
_
—
281
18 } 107
61 J
1
15
17
—
2
—
—
8
i
—
—
_
_
463 )
509 } 1789
817 j
2
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5
1
"I
92
—
5
1
1
32
—
—
2
7
1
3
1
803 \
785 > 2740
1152 1
4
9
2
—
2
40
—
2
—
14
1
—
6
1
—
3
—
474 )
323 } 1112
317 )
8
—
—
23
1
3
—
l
9
—
1
—
7
—
—
|
161 )
124 ) 481
194 J
—
—
—
3
—
1
—
—
—
—
—
““ I
—
E
6 1
4 } 21
11 J
88
7
1
178
1
13
1
2
63
_
1
2
2
20
1
1
8 !
1
6250
7
81
7
1
3
175
1
1
12
1
2
63
1
2
2
20
1
1
8
1
So sehen wir bei sämtlichen mit Serum Behandelten (cf. Tabelle G)
eine Sterblichkeit
am 1.
I am 2.
I am 3. | am 4. am 5.
Krankheitstage
am 6.
am 7.
von pCt.
4,4
6,7
15,4
24,4
30,2
31,4
27
schwer verliefen (III) ....
214
813
714
364
193
80
35
davon starben .
37
175
227
153
89
37
17
das sind pCt.
17,3
21,5
31,8
42
46,1
46,25
48,6
Kinder waren.
710
1855
1046
480
221 1
90
46
davon starben.
35
156
213
134
77
33
16
das sind pCt.
4,9
8,4
20,4
27,9
34,8
36,7
34.8
über 15 Jahre zählten ....
136
745
432
147
74
28
17
davon starben .
2
19
14
19
12
4
1
das sind pCt.
1,5
2,6
3,2
12,9
16,2
14,3
6
Nebenstehendes Diagramm stellt diese Ver¬
hältnisse graphisch dar; oben liegt die Kurve
der schweren Erkrankungen (III), unten (aus¬
gezogen) die der Gesamtheit (G), und über
und unter ihr die der Kinder (K) und der
Erwachsenen (E) (beide gestrichelt).
Was diese Zahlen lehren, ist auch früher
beobachtet und hinreichend betont worden.
Aus der grossen Reihe der vorliegenden Daten
möchte ich nur einige wenige zitieren.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
236
P. REICHE,
Digitized by
Es starben von den am
1. 2. 3. 4.
Krankheitstag injizierten
nach Rolleston ... 0 pCt. 3,1 pCt. 6,1 pCt. 10,6 pCt.
„ Kossel. 0 „ 3 „ 13 „ 23 „
„ M. Cohn .... 1,3 „ 11.1 „ 16,5 „ 24,7 „
Dieses Moment, die rasch vorrückende Sterblichkeit, an je
weiter vorgeschrittenem Krankheitstage die Serumbehandlung ein¬
geleitet wurde, ist dieser letzteren zugute geschrieben worden. Daneben
wurde zu ihren Gunsten die sehr viel niedrigere Gesamtmortalität
geltend gemacht, die seit 1895, der Einführung der Antitoxintherapie,
zur Beobachtung kam.
Wir werden beide Punkte abzuwägen haben, wenn wir an der Hand
unseres Materials nunmehr die Frage nach dem Umfang und den Grenzen
dieser Behandlung werden erörtern müssen.
Sie ist eine ungemein schwere und glatt nicht zu lösen, da wir nur
über bedingte Vergleichspunkte verfügen. Statistiken fehlen, die das
Schicksal der Patienten der Vorserumzeit nach dem Krankheitstage ge¬
ordnet wiedergeben, an dem sie der damals üblichen Krankenhaus¬
behandlung überwiesen wurden, und damit den gewichtigen Beweisgrund
beschaffen könnten, ob früher jene rasch sich hebende Stufenleiter immer
schlechterer Ergebnisse der Krankenhaustherapie mit jedem späteren Tage
des Eintritts in diese nicht vorhanden war. Die Durchsicht der Kranken¬
journale jener Zeit erwies es, dass gerade in der wichtigsten Gruppe
der Schwerstaffizierten, der rasch Verstorbenen und der Kinder, die dies¬
bezüglichen Angaben zu häufig vermisst werden.
Wie vorsichtig nur man des Weiteren Diphtheriestatistiken
verschiedener Zeiten und ebenso auch verschiedener Orte zu Beweis¬
führungen in Vergleich setzen darf, habe ich früher bereits auseinander¬
gesetzt 1 ). Das gilt für die Uebersichten aus Städten und ganzen Ländern,
in denen die grossen von uns unbeeinflussten Schwankungen im epidemischen
Gange der Krankheit (Newsholme, Gottstein) tiefgreifende und erst
aus jahrzehntelanger Verfolgung erkennbare Modifikationen bedingen und
auch die Wandlungen von der früher nur klinischen zu der jetzigen
bakteriologischen Diagnose der Krankheit zum Ausdruck kommen müssen,
und weit mehr noch für die aus einzelnen Krankenhäusern, in denen
daneben noch verschiedene Aufnahmecinrichtungen und ihre verschiedene
Inanspruchnahme seitens der Bevölkerung wirksam sind. Unerlässlich
ist eine Trennung des Materials nach den Altersklassen, wo die
Sterblichkeit in ihnen die grössten Verschiedenheiten darbietet, mit zu¬
nehmenden Jahren beträchtlich absinkt. Nicht umgehbar ist desgleichen
die Sonderung nach der verschiedenen Schwere der Krankheits-
1) F. Reiche, Klinisches und Kritisches zurBehringschen Antitoxinbehandlung
der Diphtherie. Med. Klinik. 1913. II. 1 u. 2.
Original frer
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemio 1909—1914.
237
formen, weil ihre Gruppierung eine ganz andere sein muss, wenn Hospitäler
kleinere Stationen für schwere Erkrankungen vorwiegend bereitgestellt haben
(wie in Hamburg das Allgemeine Krankenhaus St. Georg), oder wenn sie alle
Aufnahmesuchenden unterzubringen in der Lage sind (Allgemeines Kranken¬
haus Hamburg-Eppendorf), und nicht minder — dieses gilt besonders bei
Parallelen zwischen ehedem und jetzt —, wenn bei ständig wachsendem
Vertrauen der Bevölkerung zur Krankenfürsorge ihr nicht nur die ver¬
zweifelten, sondern alle, leichte wie schwere, Fälle in Obhut gegeben
werden. So notwendig die letzterwähnte Klassifizierung der Patienten aus
diesen Gründen erscheint, nicht verhehlen lässt es sich, dass gerade sie
wieder manche Unsicherheit involviert. Dem subjektiven Faktor des
Beurteilenden und die Grenzfälle von leicht zu mittelschwer, von mittel¬
schwer zu schwer nach seiner Auffassung Einordnenden wird ein gewisser
Spielraum dabei eingeräumt. Und hinzukoramt, dass nicht jeder Fall,
und am wenigsten der im Beginn seines Leidens stehende, 'gleich sein
wahres Antlitz zeigt, ob er zu den milderen oder zu den graveren Er¬
krankungen gehören wird; so wird erst am Abschluss der Behandlung
das letzte Urteil in dieser Hinsicht über ihn möglich sein, und gerade
hier wird wieder für alle Fragen nach den Ergebnissen der angewandten
Mittel und Heilverfahren der Einwand auftauchen müssen, ob nicht
viele der als leicht oder mittelschwer registrierten Formen nur deshalb
so verliefen, weil diese Therapie einen sonst sehr viel ernster gewordenen
Decursus morbi erfolgreich umwandelte.
Ich habe mein Material erst bei der Entlassung jedes Falles, je
nach seiner Verlaufsart, der Gruppe I, II oder III zugewiesen.
Setzen wir nun so wichtiger Einschränkungen eingedenk zur Prüfung
der Serumwirkung die an der Sterblichkeit gemessenen Heilungs¬
ergebnisse der vor der Behringschen Entdeckung liegenden Jahre den
jetzigen gegenüber, so ist bei den aus dem Stadtgebiet stammenden
Zahlen folgendes als sicher auszusprechen: im Verlaufe des nach langer
relativ geringer Extensität der Diphtherie eingesetzten und 1911 an¬
scheinend sein Maximum erreichenden epidemischen Auftriebs der Krank¬
heit war 1911 die auf 10000 Einwohner verrechnete Erkiankungsziffer
wieder eine so hohe, dass nur die Jahre 1882 und 1885/87 sie über¬
treffen. Nach den Erfahrungen früherer Jahrzehnte, die gewisse, aber
doch nur sehr bedingte Beziehungen zwischen Morbidität und Mortalität
erkennen lassen, wäre ein gleichzeitiges, nicht nur allgemeines, sondern
auch prozentarisches Ansteigen der Sterblichkeit zu erwarten gewesen,
jedenfalls hätte sein Ausbleiben so gedeutet werden können, dass dieselbe
inzwischen Gemeingut gewordene Therapie, der allein von mancher Seite
der Tiefstand der Diphtheriesterblichkeit seit 1895 zugeschrieben wurde,
die Schrecken der Krankheit dauernd gemindert hätte. Unsere Zahlen
zeigen, dass eine solche Steigerung tatsächlich nicht ausblieb, dass die
im günstigsten Jahre 1905 auf 6,5 pCt. abgesunkene Mortalität 1909 auf
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238
F. KFICHE
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12,2 pCt. sich hob und damit fast die Höhe der beiden Jahre der vor-
behringschen Zeit 1879 und 1881 erreichte, welche mit 12,4 und 12,6 pCt.
registriert sind; ja sie würde sie überschreiten, wenn man in Berücksichtigung
zieht, dass neuerdings durch die bakteriologische Diagnose viele leichte
Fälle als ätiologisch der Diphtherie zugehörig zur behördlichen Anmeldung
gelangen, die früher, als nur der Aspectus pharyngis entschied, noch den
follikulären Anginen zugerechnet wären.
Wenn wir auch nicht in der Lage sind, zu sagen, welche Sterblich¬
keitshöhe die Diphtherie ohne die jetzt geübte Behringsche Behandlung
möglicherweise erreicht haben könnte, so viel ist sicher, dass sie ihre
nicht unbeträchtliche Erhebung nicht zu verhindern vermochte, wiewohl
eine grosse Zahl von Patienten, rund die Hälfte aller Erkrankten, jetzt
den Spitälern zugeführt wird, und in diesen die Menge der bei ihnen
verwandten Immunitätseinheiten gewaltig gegen früher gesteigert ist.
Gehen wir zu den Ergebnissen der Krankenhausbehandlung über.
Im Sommer 1889 wurde unser Eppendorfer Krankenhaus eröffnet. In
den darauffolgenden 5 Jahren bis zur Einführung der Behringschen
Therapie 1890—1894 wurden 1677 Patienten mit 544 (32,4 pCt.) Todes¬
fällen in ihm behandelt.
Es zählten bis zu
1 Jahr . . .
1— 5 Jahren
5—15 „
über 15 „
32, davon starben 27 = 84,4 pCt.
. 707, „ „ 368 = 52,1 „
. 477, „ „ 129 = 27 „
. 461, „ „ 20= 4,3 „
Stellen wir diesen Zahlen die jetzt erreichten entgegen, so sehen wir
Kranke unter 1 Jahr .
„ zwischen 1— 5
T) V ü—15
„ über 15
Jahre
1890-1894
Mortalität 84,4 pCt. 1
„ 52,1 „ > 43,1 pCt.
* 27 „ \
n D
Oktober 1909 bis
Oktober 1913.
38,5 pCt. i
20,7 „ > 15,7 pCt.
i> \
3,8 „
Hier offenbaren sich erhebliche Differenzen, jedoch fast ausschliess¬
lich in den 3 Gruppen des kindlichen Alters. In diesen ist die
Mortalität fast gleichmässig stark heruntergegangen, so dass die Werte
sich verhalten
bei den Kindern unter 1 Jahr wie. 2,2 : 1
„ „ „ zwischen 1 und 5 Jahren ... 2,5 : 1
„„ „ „ 5 „ lo „ ... 2,3 1 1
„ „ Erwachsenen über 15 „ ... 1,1 : 1
Es hatte also das die Erfolgsziflfern verschiebende Moment, das in
jenen ersten Gruppen in nahezu gleicher Stärke wirkend zur Entfaltung
kam, in der letzten fast keine Kraft mehr oder es wurde diese durch
andere Faktoren wieder aufgehoben.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
239
Eine sonderliche Verschiebung der Altersverteilung hat dabei
nicht stattgefunden, sie würde ja auch nur für die Beurteilung der End¬
summe in Betracht kommen.
Es zählten
1890-1894 1909-1913.
unter 1 Jahr. 1,9 pCt. 1,7 pCt.
über 15 Jahre. 27,5 „ 30,3 „
Unter welch einengenden Bedingungen, mit welcher Reserve aber
im übrigen ein Vergleich daraufhin statthaben muss, ob man aus den
gefundenen Differenzen auf die Wirkungen des einen, jene beiden Gruppen
freilich auch prinzipiell trennenden Moments der früher unbekannten,
jetzt herrschenden Antitoxinbehandlung schlussfolgern darf, sei auch hier
wieder ausgesprochen. Die Statistik kann durch sich allein keine ur¬
sächlichen Bedingungen erschliessen, sondern nur Tatsachen numerisch
belegen. Beweisend ist sie allein da, wo zwei oder mehrere mit Aus¬
nahme des einen in Zahlen ausdrückbaren Punktes vollkommen gleich¬
wertige Gruppen sich gegenüberstehen. Und dem ist hier nicht so. Wir
dürfen unmöglich voraussetzen, dass die Mischung des Materialsaus
leichteren und schweren Verlaufsformen jetzt die gleiche war,
wie sie es 1890—94 gewesen ist. Es ist anzunehmen, dass die ersteren
jetzt zahlreicher vertreten sind. Aus der Mortalität können wir dieses
nicht herleiten, solange wir nach einem Beweis trachten, ob ein Heil¬
verfahren sie modifizierte. Nur die Tatsache, dass mit 29,4 pCt. aller
Gemeldeten dem Krankenhaus ehedem die schwereren Verlaufs formen in
erster Linie zugesandt wurden, während jetzt ein sehr viel allgemeinerer
Andrang statt hat, und ihm mit 49,7 pCt. der Gesamtmorbidität wohl
viel mehr mittelschwere und leichte Fälle überwiesen werden, gibt uns
einen allgemeinen Hinweis und zweitens erörterten wir schon, dass mit
Hilfe der bakteriologischen Diagnostik gerade die Zahl der leichten Ver¬
laufsbilder jetzt gegenüber einst einen Zuwachs erfährt. Ich kann dieses
kurz illustrieren. In den letzten Jahren wurden auf meiner Station
23 Fälle von echter Plaut-Vincentscher Angina, die klinisch nach
ihrem Aussehen und ihrem Verlauf nur als solche imponierten, behandelt,
bei denen Diphtheriebazillen als ein die Krankheit nicht beeinflussender,
nur durch die unterschiedslose bakteriologische Untersuchung aller Belag¬
anginen aufgedeckterNebenbefund nachgewiesen wurden 1 ). Das zeigt uns, wie
häufig diese Keime, deren Gegenwart im Rachen vieler gesunder Personen und
Nichtdiphtheriekranker bekannt, von Einzelnen (F. Meyer) in ihrer Häufig¬
keit auf 2,5—3,3 pCt., in Epidemiezeiten auf 8—9 pCt. der Normalgross¬
stadtbevölkerung geschätzt wird (Lippmann), auch da unter parasitären
Daseinsverhältnissen als gelegentliche Schmarotzer gefunden werden, wo
Halsaffektionen sich entwickelt haben, und es wirft ein Schlaglicht auf
1) F. Reiche, Plaut-Vincentsche Angina und Diphtherie. Med. Klinik. 1914.
Nr. 33.
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240 F. REICHE, -
so manche Anginen leicht entzündlichen oder follikulären Typus, die wir
nach den aufgefundenen Löfflerstäbchen als Diphtherie klassifizierten, die
aber möglicherweise doch nur nichtdiphtherische Anginen sensu stric-
tiore mit schmarotzenden Diphtheriebazillen waren. Tierpathogen und
menschenpathogen geht nicht Hand in Hand bei diesen Krankheits¬
erregern, so würde auch die Zuhilfenahme von Tierversuchen keine end¬
gültige Entscheidung in diesen Fällen liefern, ganz abgesehen davon, dass
sie in Zeiten von Epidemien sich kaum wird durchführen lassen.
Resümieren wir, so dürfen wir die Krankenhausheilerfolge von ehe¬
dem und heut nur mit dem Vorbehalt vergleichen, dass ein stärkeres
Vorwalten schwerer Verlaufsformen jetzt nicht vorhanden, mit grosser
Wahrscheinlichkeit aber für früher anzunehmen ist. Um so auffallender
ist es, dass trotzdem die Sterblichkeit unter den doch wahrlich reichlichst
mit Serum versorgten Erwachsenen, den über 15 Jahre Zählenden, nur
diese minimale Veränderung im Vergleich zu früher erfuhr, dass allein
die Kinder sich wesentlich günstiger präsentieren.
Befragt man daraufhin die nach dem Lebensalter getrennte allge¬
meine Erkrankungskurve Hamburgs (Tab. B), so sieht man, wie auch
hier sich das gleiche überraschende Ergebnis herausschält: in dem einen
zur Verfügung stehenden Jahre der Vorserumzeit 1894 war die Mortalität
unter den Erwachsenen 3,8 pCt., — seit 1909 betrug sie sogar in den
einzelnen Jahren zwischen 3,3 und 4,8 pCt. Und dass dieses eine Jahr
1894 allem Anschein nach nicht ausnahmsweise niedrig war, können wir
aus der Parallelspalte dieser Tabelle ermessen, in welcher die auf
1000 Lebende verrechnete Sterblichkeit dargestellt ist: das Jahr 1894
hat mit 0,5 den höchsten Wert, der nur 1893 erreicht, 1890—1892 mit
0,4 und 0,2 unterschritten wurde, und erst jetzt, seit 1909, mit 0,6 und
0,7 übertroffen worden ist.
Nach alledem ist in dieser Uebereinstimmung der klinischen und
epidemiologischen Ergebnisse eine Beeinflussung der Mortalität durch die
Serumtherapie einzig und allein für die jetzt viel günstiger dastehenden
jugendlichen Fälle als möglich anzusprechen, für die Aelteren bleibt
sie aus. An sich wird diese Anschauung noch nicht aus dem Rahmen
des theoretisch Begründbaren fallen, da es sich um ein antitoxisches
Behandlungsverfahren handelt: häufen sich doch bei Kindern mehr oder
minder gleiche Giftmengen im Vergleich zu den Erwachsenen in sehr
viel kleineren Körpern an und leiden doch auch Kinder schon klinisch
sehr viel schwerer unter den Toxinwirkungen der Krankheit, wie dieses
sich in den Komplikationen von seiten des Herzens und der Häufigkeit
der hämorrhagischen Diathese vor allem dartut.
Ist dem aber wirklich so, und welcher Umfang ist der Serurawirk-
samkeit zuzumessen? Da fehlt wieder jeder Leitstern der Beurteilung.
Wohl ist neben der Herabdrückung der Gesamtsterblichkeit noch ein
zweites wichtiges Beweismoment von allen Anhängern der Serumtherapie
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
241
— denen ich selbst voll zugehörte, ehe eine schwere Epidemie mir die
bedingungslose Gläubigkeit nahm — in den Vordergrund geschoben
worden: das progressive, rein gesetzmässige Steigen der Morta¬
lität je nach den vorrückenden Tagen der Krankheit, an denen die Ein¬
leitung der Serumbehandlung geschah. Dass dieser Punkt etwas Be¬
stechendes hat, ist zuzugeben, dass er nicht, oder doch wenigstens nicht
in dem geschilderten Masse ausschlaggebend sein muss, habe ich früher
schon einmal auseinandergesetzt 1 ). Es sind die allgemeinen Vorteile
der Krankenhauspflege da mit in Anschlag zu bringen, und andererseits
ist zu bedenken, dass doch die leichten und mittelschweren Verlaufs¬
bilder der Krankheit sich in der Regel rasch als solche bekunden, so
dass die an jedem späteren Tage aufgenomraenen Kranken eben die
sind, welche noch ins Hospital gebracht wurden, weil bis zu diesem
Tage die entscheidende Wendung zum Besseren sich nicht eingestellt
hatte; sie müssen mit jedem Tag vorschreitend schwerer sein, während
die alsbald, am 1. Tag Hereingeschickten, alle Verlaufsformen der Diph¬
therie, benigne wie grave, in sich vereinigen. So sank denn auch von
einem Maximum am 2. Tage die Zahl derer, die wegen Gutartigkeit ihrer
diphtherischen Veränderungen kein Serum erhielten, mit jedem späteren
Tage rasch progressiv ab. Und ist es nicht eigenartig, dass bei den
nach dem 15. Lebensjahre stehenden, bei denen die Gesaratmortalität
keine sicheren Einflüsse der Serurawirksamkeit bekundet, sich doch das
gleiche Gesetz der von Tag zu Tag ansteigenden Sterblichkeit de¬
monstrieren lässt, wie bei den Kindern, wo man aus ihm das schlagendste
Argument zu Gunsten des Serums schmiedete? Und schliesslich, lässt
es sich nicht eher für die von mir entwickelte Deutung verwerten, dass
diese Progressivität der mit jedem weiteren Tage schlechteren Behand¬
lungsergebnisse in gleicher Form sich am 3., 4., 5. und 6. Tage fort¬
setzt, obwohl der beste vollste Serumerfolg nur am 1. und 2. Krank¬
heitstage erwartet wird? Gerade dieses Moment werde ich später noch
einmal zu berühren haben.
Zu all diesem kommt hinzu, dass bei analogem treppenförmigen
Absinken unsere Heilungsergebnisse verglichen mit denen von Kossel,
Ganghofer, M. Cohn, Rolleston u. a. doch mit ganz anderen, sehr
viel höheren Anfangswerten beginnen, trotz einer viel ausgiebigeren
Anwendung des Antitoxins. Dort sind die ersten Tage zum Teil mit
0 pCt. notiert, wir heben mit 4,4 bzw. 3,7 pCt. an, haben am 2. Tage
bereits 6,7 bzw. 6 pCt.
Natürlich muss der Einwand erhoben werden, ob die Angaben über
den Krankheitstag auch tatsächlich zutreffen. Wir können dem aber nur
entgegnen, dass dieses Bedenken für jede Zusammenstellung gültig ist
und dass unsere Nachforschungen nach diesem Termin mit ganz beson-
1) Med. Klinik. 1913. Nr. 1 u. 2.
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242
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derer Sorgfalt und Mühewaltung betrieben wurden; unsere Angaben
können von denen anderer demnach nicht differieren und speziell die
Daten über den 1. Tag der Erkrankung sind für einen recht hohen
Prozentsatz der Fälle besonders vertrauenswürdig, weil hier alle im
Krankenhaus bei schon vorher tagelang auf ihre Temperatur kontrollierten
Personen entstandenen Diphtherien eingeschlossen sind und ebenso auch
alle uns vom Waisenhaus zugeschickten Kinder, in dem eine sehr scharfe
ärztliche Kontrolle aller Insassen statt hatte, nachdem die Krankheit mit
wiederholten Ausbrüchen sehr viele Opfer dort forderte. Und noch ein
weiteres nebensächliches Moment spricht für die relativ grosse Zuver¬
lässigkeit unserer Angaben: das zeitliche Auftreten des Herpes mit
seiner Bevorzugung des 3., dann des 4. und 2. Krankheitstages, wodurch
eine völlige Uebereinstimmung mit der akuten fibrinösen Pneumonie ge¬
schaffen wird, deren Anfang durch den initialen Schüttelfrost auf die
Stunde genau sich normieren lässt.
Dass nach den Serumeiuspritzungen eine dezidiertere Umstimmung
des örtlichen Befundes im Rachen in manchen schweren Fällen ein¬
zutreten schien, als mir dieses aus der Vorserumzeit in Erinnerung ist,
möchte ich nicht vergessen, auch bei diesen Ausführungen noch einmal
hervorzuheben. Ob man dieses oder die gelegentlich auffällige Besserung
des subjektiven Befindens zahlenmässig wird strikt beweisen können, ist
mehr als fraglich. Ich habe durch Meinshausen 1 ) das Verhalten der
Membranen hinsichtlich ihrer Lösung, insbesondere hinsichtlich völligen
Wiederreinwerdens des Pharynx bei ablaufender Erkrankung verfolgen
lassen; seine Zusammenstellungen führen uns vor Augen, dass von einem
Einfluss des Serums auf ihre Lösung nicht gesprochen werden kann,
auch selbst bei Verabreichung grosser Dosen nicht, dass die mit und
die ohne Antitoxin Behandelten schlagende Differenzen nicht bieten.
Noch eines weiteren Punktes der Therapie mit Antitoxininjektionen
habe ich zu gedenken. Unter dem Druck der vielen schweren Verlaufs¬
bilder der Krankheit wurden gemäss der Empfehlung vieler Autoren die
Serumgaben ständig von uns durch Jahre erhöht. Unsere Tabelle H
legt dar, wie viel im ganzen an Serum bei uns verabreicht wurde. Es
fragt sich nun, wie weit solche Steigerung bessere Erfolge zeitigte;
auch so liesse sich ein gewisser Beweis für das Serum erbringen und
zugleich die Berechtigung zur weiteren Erhöhung der Serum¬
quanten prüfen. Aus dieser Ueberlegung heraus stellte ich aus der
seit Oktober 1909 gewonnenen Gesamtzahl aller Kranken — es waren
bis September 1913 7314 — die ersten 2000 mit Serum Gespritzten
in Parallele zu den zweiten und dritten 2000; als letzte Gruppe figu-
1) W. Meinshausen, Die Abstossung der Diphtheriemembranen. Brauers
Beitr. z. Klinik d. Infektionskrankh. Bd. III. H. 1 u. 2.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
243
rieren die von den 6250 Seruminjizierten übrig bleibenden 250, deren
geringe Zahl sie von dem generellen Vergleiche ausschliesst.
Alle diese Gruppen sind unter sich wohl vergleichbar, denn sie
gehören einer und derselben Epidemie an und nichts änderte sich
in dieser Spanne Zeit im Hersendemodus ins Krankenhaus, im Aufnahme¬
modus dortselbst und in der bakteriologischen Diagnostik der Fälle. Es
handelt sich um ein in allen Einzelheiten gleich bewertetes rein kli¬
nisches Material, dessen Grösse nur zur zahlenmässigen Wiedergabe
der einzelnen in Frage kommenden Punkte zwingt.
Umstehende Kurve 4 gibt den Gang der Diphtherie im Hamburger
Stadtgebiet aus dieser Zeit, von Januar 1908 beginnend, in Abschnitten von
8 Wochen zu 8 Wochen wieder. Die kräftig gezogene Linie zeigt dieMorbidität,
die zarte die prozentarische Mortalität an. In der Mitte ist eingetragen,
welchen Phasen der Epidemie die 3 Gruppen von je 2000 zugehören.
Trotz hochsteigender Erkrankungswelle war in diesen Jahren seit Oktober
1909 die Sterblichkeit nur unbedeutenden Schwankungen unterworfen,
die eigentliche Schwere der Epidemie verschob sich anscheinend nicht.
Die nicht mit Serum behandelten Fälle, zum grössten Teil
leichter Natur, betrugen in diesen 3 Gruppen 254 + 343 + 418 = 1015;
sie verlangen Berücksichtigung in dieser die Gesamtverhältnisse be¬
handelnden Uebersicht. Im übrigen suchte ich diese Hauptgruppen hin¬
sichtlich ihrer allgemeinen Prognose durch Hinzufügung ihrer Ein¬
teilung nach Lebensalter und Injektionstag und hinsichtlich ihrer Schwere
durch Aufzählung der wichtigsten Komplikationen noch genauer zu
charakterisieren.
So haben wir: A. Gruppe Imit2254Fällen (Oktober 1909 bis Märzl911),
— 254 erhielten kein Serum, 2000 wurden damit behandelt; es zählten
Zahl
der Fälle
davon
verstarb en
durchschnittliche
Serummenge bei
den Injizierten
durchschnittliche
Serummenge in der
Gruppe der schweren
Verlaufsformen (III)
unter 1 Jahr
. . . 55
47,0pCt.
2030
2300
1—5 Jahre .
. . 577
24,8 „
2770
3400
5—15 Jahre
. . . 889
11 „
2830
4000
über 15 Jahre
. . . 733
3,4 „
2540
4200
Zusammen .
. .
13 „
2700
3700
B. Gruppe 11 mit 2343 Fällen (M
ärz 1911 bis März 1912), — 343
erhielten kein
Serum; es
Zahl
der Fälle
zählten
davon
verstarben
durchschnittliche
Serummenge bei
den Injizierten
durchschnittliche
Serummenge in der
Gruppe der schweren
Verlaufsformen (III)
unter 1 Jahr
. . 39
35,9pCt.
2210
2400
1—5 Jahre .
. . 635
21,6 „
3350
4600
5—15 Jahre
. . 978
12,7 „
3880
5700
über 15 Jahre
. . 691
4,2 „
3640
6200
Zusammen . .
. .
>3 „
3600
5400
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_Originaiirn-m^
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
245
C. Gruppe III mit 2418 Fällen (März 1912 bis Juni 1913), — 418
erhielten kein Serum; es zählten
Zahl
der Fälle
davon
verstarben
durchschnittliche
Serummenge bei
den Injizierten
durchschnittliche
Serummenge in der
Gruppe der schweren
Verlaufsforraen (III)
unter 1 Jahr .
. . 27
22,2 pCt.
1730
2100
1—5 Jahre . .
. . 636
16,7 „
3280
4700
5—15 Jahre .
. . 1057
12 „
3990
6100
über 15 Jahre
. . 698
4,3 „
4300
7600
Zusammen . .
. .
11,1 „
3800
6000
D. Anhang Gruppe IV mit 299 Fällen (Juni 1913 bis I. Oktober 1913),
— 49 erhielten kein Serum; es zählten
Zahl
der Fälle
davon
verstarben
durchschnittliche
Serummenge bei
den Injizierten
durchschnittliche
Serummenge in der
Gruppe der schweren
Verlaufsformen (III)
unter 1 Jahr ... 1
100 pCt.
1500
1500
1—5 Jahre .... 56
14,3 „
2730
4200
5—15 Jahre ... 146
8,2 „
2870
5500
über 15 Jahre . . 96
« „
2430
5600
Zusammen ....
7 „
2760
5000
in Gruppe A
B
C
D
Gesamtmortalität.
. . . 13,0 pCt.
13,0 pCt.
11,1 pCt. 7,0 pCt.
Es zählten unter 6 Jahr ....
... 2,4
77
1,7
77
1,1
„ 0,3 „
„ „ 1—5 Jahre ....
. . . 25,6
77
27,1
77
26,3
„ 18,7 „
7) v ** 15 rt • • • •
. . . 39,4
77
41,7
77
43,7
* 48,8 „
„ „ über 15 Jahre . . .
. . . 32,5
77
20,5
77
28,9
* 32,1 „
Es verliefen leicht.
. . . 39,6
77
35,5
77
36,5
61,9 „
„ „ mittelschwer . . .
. . . 22,7
77
24,9
77
29,9
» 14,7 „
„ „ sohwer.
. . . 37,7
77
39,6
77
33,6
» 23,4 „
Es bestand:
Mitbeteiligung der Nase bei , .
. . . 25,6
77
16,9
77
15,3
ft 26,1 „
„ des Larynx . . .
. . . 12,7
77
n,i
77
11,2
ft 14,7 „
Es wurden tracheotomiert . . .
Es bestand:
. . . 8,3
77
7,0
77
5,6
ft 6,7 „
Mitbeteiligung der Zunge und Lippen 1,6
77
0,6
1,6
n 2,3 „
„ „ Konjunktiven
. . . 1,0
77
0,3
77
0,7
ft 1> 3 ft
eine hämorrhagische Diathese .
... 2,6
77
2,0
77
2,3
77 77
Von den Serumgespritzten erhielten ihr
Antitoxin:
am 1. Krankheitstage.
. . . 11,1
77
13,8
77
15,9
ft 17,2 „
«2. „ .
. . . 42,0
42,7
77
42,3
„ 40,8 „
77 77 .
. . . 24,9
77
23,6
77
24,0
ft 19,6 „
In manchen Punkten bestehen Differenzen in diesen 3 ersten auf
grossen Zahlenreihen fussenden Hauptgruppen. Das etwas günstigere
Gesamtresultat in Gruppe C — 11,1 pCt. — ist jedoch nicht auf die
sehr gesteigerten Serumdosen zurückzuführen, denn bei den Säuglingen
ist die Sterblichkeit von 47,3 pCt. auf 22,2 pCt. im Vergleich zu A ab-
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246
F. REICHE,
gesunken, obwohl in dieser Altersklasse die durchschnittliche Antitoxin¬
menge nicht erhöht wurde, ja eine etwas geringere war, und bei den Er¬
wachsenen, wo wir im Durchschnitt von 2540 Einheiten und in den
schweren Fällen von 4200 Einheiten auf 4300 bzw. 7600, also recht er¬
heblich gestiegen sind, ist die Mortalität doch eine höhere geworden, auf
4,3 von 3,4 pCt. vermehrt.
Dass Gruppe D eine besonders günstige Sterblichkeit (7 pCt.) trotz
einer durchschnittlich geringeren Serumzufuhr in den schweren Fällen
verglichen mit C aufweist, soll hier nur kursorisch berührt, nicht irgendwie
als Argument benutzt werden. Es mag sein, dass dieser niedrige Wert
damit zusammenhängt, dass die absinkende Epidemie auch wieder eine
Rückkehr zu ihrem früheren leichten Charakter mit sich bringt — der
weitere Verlauf der Hamburger Kurve könnte dieses erst klarlegen 1 ) —,
jedenfalls sind aber diese Zahlen viel zu klein, um nicht noch manche
Irrtüraer unausgeglichen in sich zu schliessen.
Gruppe C ist dadurch etwas begünstigt, weil in ihr die am schwersten
gefährdeten Säuglinge geringer an Zahl — mit 1,1 pCt. aller Fälle —
vertreten sind als in Gruppe B. Ferner sehen wir, dass die Zahl der
frühzeitig ins Krankenhaus Gekommenen in ihr eine ein wenig grössere
ist, dort sind 53,1 pCt. an den ersten beiden Krankheitstagen injiziert, hier
58,2 pCt. von den Serumgespritzten. In der Zahl der Kinder (bis zum
15. Jahre) ist dieser Unterschied am deutlichsten, nicht vorhanden ist er mehr
bzw. leicht in sein Gegenteil verkehrt ist er in der Gruppe der Erwachsenen.
Von den mit Antitoxin behandelten erhielten ihr Serum:
bei den Kindern am 1. Krankheitstag
bei den Erwachsenen „ 1.
n
n
n
rt
n
in Grappe A
11,6 pCt.
37,8 „
22.4 „
9-3 „
54.4 „
32.4 „
in Gruppe C
18.2 pCt.
40.2 „
22,6 „
8,2 „
49.2 „
29.2 *
Eingeschaltet sei hier, dass das in vorstehenden Zahlen erkennbare
Moment, wonach die Kinder im allgemeinen etwas früher in Krankenhaus¬
behandlung treten, auch in der Gesamtheit unserer Beobachtungen sich
wiederholt: zählt man die Seruminjizierten nach dem Tag ihrer Injektion
1) Nachtrag bei der Korrektur: In dieser Hinsicht sei mir gestattet, die Er¬
gebnisse aus dem Krankenhaus Hamburg-Barmbeck vom Jahre 1914 hier kurz an¬
zuführen. Diphtheriepatienten wurden bis 31. Dezember 1914 aufgenommen und ent¬
lassen :
im Alter von unter 1 Jahr 11, davon starben 3 = 27,2 pCt.
„ „ „ 1—5 Jahren 184, „ „ 38 = 20,7 „
„ „ „ 5-15 „ 377, „ „ 39 = 10,3 „
„ n n 15—25 „ 93, „ „ 1 = 1,1 „
n n » 25-50 „ 60. * n 4 = 6,7 „
Insgesamt 725, davon starben 85=ll,7pCt.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
247
geordnet [der meist, aber nicht immer dem Aufnahmetag entspricht 1 )]
mit den nach dem Aufnahraetag geordneten ohne Serum Behandelten
zusammen, so erhalten wir
770 Kinder und 237 Erwachsene, die vom 1. Krankheitstag an behandelt wurden
1976 „ *, 955 „ „„2. „ „„ „
1112 „ „ 544 „ „ „ 3. „ „ „ „
Das sind bei den Kindern am 1. Tag 15,4 pCt., bei den Erwachsenen 10,7 pCt.
71 71 71 7 ) 2 * 71 71 71 71 * 43 > 2 71
71 71 71 71 71 71 71 71 71 24 1 8 71
Der Vorsprung, den die Kinder am 1. Tag vor den Erwachsenen
haben, ist von diesen am 2. noch nicht ganz — mit 53,9 pCt. gegenüber
54,9 pCt. — wettgemacht, erst am 3. sind sie ein wenig in der Ueberzahl.
Alles in allem aber sehen wir, dass unsere Patienten das Kranken¬
haus relativ früh aufsuchen, mehr als die Hälfte bereits an den
ersten beiden Krankheitstagen ihm zugeführt ist.
Eines also ergibt sich mit Sicherheit aus dem Vergleich zwischen
den Gruppen A—C, dass die Steigerung der Serumdosen an sich
keine besseren Heilresultate im Gefolge hatte. Noch deutlicher
zeigt sich dieses, wenn wir die Serummengen, die in den Jahren günstigster
Diphtheriemortalität 1902—1906 gegeben wurden, mit den heute ver¬
wandten vergleichen.
Damals war
das Ergebnis bei den
im Krankenhaus behandelten Fällen
behandelt
gestorben
Mortalität
bis 1 Jahr . .
. . 21
9
42,85 \ in .
38,5 pCt.
1—5 Jahre . .
. . 461
75
16,26 / ^7 42 pCt., jetzt
20-7 „
5-15 „ . .
. . 624
44
7,05
11,7 „
über 15 Jahre.
. . 298
9
3,02
1404
137
9,75 pCt.
12,1 pCt.
Damals erhielten (insgesamt 1344 Fälle):
I m
m u
nitätseinheiten
—
ln der
8
HO
O
Altersklasse
8
8
|
8
ho
0
0
0
0
s
8
O
0
0
»0
|
8
HO
|
0
8
8
»O
<M
**
(N
0 *
«
CO
vO
bis 1 Jahr ....
.
2
12
7
_
_
1—5 Jahren. . .
1
1
61
272
5
16
82
2
2
4
1
1
—
—
5-15 ....
—
1
58
404
3
9
105
3
3
16
2
3
1
1
15-25 „ . . .
—
1
31
135
—
5
18
—
3
1
—
—
—
—
25—50 «...
—
—
5
53
2
—
9
— ,
—
1
—
—
—
—
über 50 „ . . .
—
—
1
1
—
—
—
— 1
—
—
—
—
—
—
1
5
168
872
10
30
214
5
8
22
3
4
1
1
1) Da manche Fälle nicht am Tage der Aufnahme bzw. die bei uns entstandenen
nicht am 1. Krankheitstage gespritzt wurden, ergibt sich eine unbedeutende Ver¬
schiebung gegenüber Tabelle E. Sie zeigt uns, dass von den 5007 kindlichen und
2209 erwachsenen Kranken mit bekanntem Krankheitsanfang 2864 Kinder und 1194 Er¬
wachsene bereits an den ersten 2 Krankheitstagen rezipiert waren, nach obiger Zähl¬
weise sind es 2746 Kinder und 1192 Erwachsene.
Zeitaebr. f. klin. Medizin. 81. Bd, H. 3 u. 4. 17
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248
F. REICHE
Es wurden also gegeben:
1000
1500
I ir
2000
und
2500
l m u i
3000
i i t ä t s e i
3500
und 4500
4000
n h e i
5000
und
5500
t e n
6000
b i s
6500
bis
90001
9500
bis
12000
über
12000
1902-1904 bei pCt.
1909-1913 „ „
12,9
4,3
64,9
33,2
3,0
2,1
15,9
29,8
1,0
2,4
1,6
8,9
0.2
0,5
0,3
12,2
0,1
4,7
0,1
1,3
0,6
unserer Kranken. Trotzdem dort 9,8, hier 12,1 pCt. Gesamtmortalität.
Ein weiterer Weg, Bedeutung und Umfang derSerum Wirkung zu ermessen,
ist von Siegert eingeschlagen worden. Er stellte aus den Berichten einer
grossen Zahl von Krankenanstalten nur die tracheotomierten Patienten
zusammen, solche Kranke mithin, die bei zweifelloser Diagnose von vorn¬
herein als schwerste zu bezeichnen sind, und fand aus den letzten 4 serum¬
freien Jahren 60,4 pCt. Mortalität, aus den 4 ersten Serurajahren 36,3 pCt.
Das Material unseres Krankenhauses ist bei Gegenüberstellung der
beiden auch früher gewählten Vergleichszeiten das folgende:
1890—1894 wurde, wie erwähnt, bei 351 Patienten oder 21,8 pCt.
aller Aufnahmen der Luftröhrenschnitt notwendig;
von Oktober 1909 bis Ende September 1913 bei 507 Patienten oder 6,9 pCt.
Es zählten 1890-1894 1909—1913
unter 1 Jahr 14, Mortalität 92,8 pCt. ) 39, Mortalität 84,6 pCt. J
1—5 Jahre 262, „ 59,5 „ J 58,2 pCt. 304, „ 53,9 „ > 55,4 pCt.
5—15 „ 88, „ 48,7 „ j 143, „ 50,3 „ \
über 15 Jahre 7, „ 100,0 „ 21, „ 61,9 „
371 Mortalität 59,0 pCt. 507 Mortalität 55,6 pCt.
Einen durchschlagenden Erfolg konnten wir demnach von unserer
ausgiebigen Serumbehandlung nicht konstatieren, ich habe aber früher
schon mein Bedenken formuliert, dieses Faktum als einen Beweis gegen
ihre Wirksamkeit zu verwerten, ganz besonders auch deshalb, weil die
zur Tracheotomie gelangenden Patienten überwiegend häufig erst an
späteren Krankheitstagen, vom 2. an, dem Hospital zugewiesen wurden.
Trotz reichlicher Serumzufuhr wurden viele Patienten mit bereits be¬
stehenden Zeichen von Mitbefallcnsein des Kehlkopfes nicht vor der
späteren Tracheotomie bewahrt; dass ein anfänglich freier Larynx
tagelang, nachdem die Serumtherapie eingeleitet war, von einer die
Operation benötigenden Kehlkopfstenose befallen wurde, kam nur sehr
selten, im ganzen in 8 Fällen, zur Beobachtung.
Als beachtenswerte Tatsache sei diesen Ausführungen und Vergleichen
noch hinzugefügt, dass die Häufigkeit einer Kehlkopfbeteiligung an dem
diphtherischen Prozess keineswegs einen Schluss auf die Schwere einer
Epidemie auch nach unseren Beobachtungen gestattet. Johannessen
hat von den skandinavischen Diphtherieepidemien Aehnliches berichtet.
In den letzten Vorserumjahren 1890—1894 kamen 21,8 pCt. aller
Aufnahmen zur Tracheotomie, jetzt, 1909—1913, 6,9 pCt., hingegen in
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 249
den Jahren bester Diphtheriemortalität 1902 — 1906: 12,6 pCt. In diesen
Jahren, um auch hier die Vergleichszahlen im Einzelnen zu nennen bzw.
zu wiederholen, wurden bei uns tracheotomiert im Alter von
unter 1 Jahre . . 8, davon starben 7 d. h. 87,5 pCt. i ~ \
1-5 Jahren. . . 111, „ „ 44 „ „39,6 „ pU ‘ i 36,2 pCt.
5 15 „ ... 55, „ „ 12 „ „ 21,8 „ 1
über 15 . . . 3, „ „ 2 „ „ 66,7 „
insgesamt . . . 177, davon starben 65 d. h. 36,7 pCt.
Die Serumbehandlung erschien bereits einmal wie ein sicherer hoher
Gewinn unserer Therapie, von dem man sich selbst die völlige Ueber-
windung der Krankheit versprach. Erst weitere schwere Epidemien
werden unser endgültiges Urteil über sie formieren können.
Als ich Ende 1912 im Hamburger ärztlichen Verein die in der
Medizinischen Klinik 1 ) veröffentlichten Ergebnisse unserer Diphtherie¬
behandlung an der Hand der Tabellen vortrug und die erwachten Zweifel
an dem Umfang der Serumwirkung äusserte, die besonders bei Er¬
wachsenen sich nicht darlegen liess und nicht entsprechend der Steigerung
der Antitoxinzufuhr gehoben wurde, wurden mir von mehreren Seiten
Bedenken entgegen getragen. Wenn Kissling 2 ) unter Hinweis auf die
seit Einführung des Serums von allen Seiten geforderte möglichst früh¬
zeitige Anwendung meinte, dass es demnach nicht angehe, „den Wert
der Serumbehandlung nach solchen Statistiken zu beurteilen, die alle mit
Serum behandelten Fälle, also auch die, bei denen jenseits des 2. Krank¬
heitstages das Serum eingespritzt worden ist, einbeziehen u , so ist mir
der Vorteil dieser Betrachtungsweise nicht ersichtlich, wo meine Ueber¬
sicht gerade bestrebt war, wie die am 1. und am 2., so auch die an
jedem weiteren Krankheitstag Gespritzten einzeln und dazu noch nach
Lebensalter und ihrer Schwere gesondert klar herauszuheben. Welchem
wissenschaftlichen Gesichtspunkt wäre gedient gewesen, wie gar wäre
die grundlos gefürchtete „systematische Diskreditierung“ des Serums wo¬
möglich in ihr Gegenteil gekehrt worden, wenn ich die übrigen Tage
fortgelassen hätte? Ihre Miterwähnung war unbedingt nötig, um das ge¬
samte Material der möglichst scharfen Nachprüfung anderer objektiver
Beobachter zu unterbreiten, um so mehr, als ich mir der Verantwortlich¬
keit meiner Mitteilungen voll bewusst war und keine Behandlung dis¬
kreditieren, sondern die herrschende nur mit aller Gewissenhaftigkeit un¬
beeinflusst von dem sich dabei herausstellenden Ergebnis nachprüfen wollte
und selbst erklärte, dass meine Untersuchungen keineswegs abgeschlossen
seien, dass ich persönlich das Serum weiter prüfen, weiter verwenden
würde und mich noch nicht zu dem Schritte berechtigt fühlte, durch den
Vergleich einiger Tausend mit und ohne Serum zu behandelnder Fälle
1) 1913. 1 und 2.
2) Deutsche med. Wochenschv. 1913. S. 246.
17*
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250
F. REICHE,
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aus dieser Epidemie die Frage zu entscheiden. Ueber die Tatsache, dass
jetzt von 846 am 1. Tage Gespritzten 37 oder 4,4 pCt., von 2600 des
2. Tages 175 oder 6,7 pCt. starben, dass unter den 710 Kindern des
1. Krankheitstages die Mortalität mit 35 sogar 4,9 pCt., unter den 16 Säug¬
lingen mit 3 Todesfällen 18,8 pCt. war, hilft uns nichts hinweg, es fragt
sich nur, wie wir sie wissenschaftlich zu deuten haben. Dass das Serum
an den ersten beiden Krankheitstagen am besten seine Wirkung entfalte,
ist eine immer wiederholte Argumentation, dass es, wenn es überhaupt
wirksam, auch später nicht ohne hohen Wert sein kann, wird doch
keiner bestreiten können. Die in den ersten Krankheitstagen gebildeten
Giftstoffe mögen ja so fest bereits verankert sein, dass bei späteren In¬
jektionen die eingespritzten antitoxischen Substanzen sie nicht mehr zu
neutralisieren vermögen, die vorschreitende Krankheit — und welche
überhaupt einer aktiven Therapie bedürftige Diphtherie hätte im all¬
gemeinen mit dem 2. Tage schon ihren Höhepunkt erreicht? — wird
aber immer doch neue Toxine in den Kreislauf schwemmen, deren Bindung
und Unschädlichmachung unser erstes Bestreben sein muss. Wenn für
die steigende Zahl der schlechten, ungünstigen Verlaufsformen in den
späteren Tagen — ich verweise auf die stetig sich hebende Mortalitäts¬
linie im Diagramm — ein anderer Gesichtspunkt als die Serumzufuhr mass¬
gebend sein soll, können wir dann der letzteren den gleichartigen Aus¬
schlag für die beiden ersten Tage bedingungslos zumessen? Ich vermag
Brauer 1 ) nicht beizupflichten, dass die Tatsache der unverhältnismässig
besseren Prognose der an den beiden ersten Krankheitstagen Gespritzten
unumstösslich den guten Nutzen des Serums erweise. Dass auch
eine andere Deutung möglich wäre, habe ich in früheren Sätzen schon
ausgeführt. Zudem sei auf Rumpels 2 ) Erfahrungen verwiesen, der bei
allen Infektionskrankheiten den Verlauf um so günstiger sah, je früher
die Krankenhausbehandlung einsetzte. Im Uebrigen aber kann ich
Brauers Wunsch nach einem verbesserten Serum nurzustimmen, ebenso
wie ich seine Bedenken gegen zu weitgehende Schlüsse aus reinen
Statistiken voll teile. Meine zahlenmässigen Aufrechnungen und Dar¬
legungen, die nur mein eigenes klinisches Material umspannen, sind von
den üblichen statistischen Zusammenstellungen, die eine Sammlung aus
verschiedenen Quellen in der Regel bedeuten, an sich schon grundsätz¬
lich zu sondern, sie sind, das muss ich immer wieder unterstreichen,
keine Allgemein-, sondern eine Individualstatistik und belegen die sonst
aus meinem Beobachtungsfelde generell mit „häufig“, „meist“, „nicht
selten“ und „selten“ formulierten Daten gewissenhaft mit dem diese
weiteren Begriffe genauer substantiierenden ziffernmässigen Wert. Dann
aber darf zweierlei nicht vergessen werden. Die ganze Proklamierung
1) Deutsche med. Wochensohr. 1913. S. 246.
2) Ebenda. 1913. S. 247.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
251
des Serumerfolges, der Abfall der Krankenhausmortalität, der bessere
Erfolg bei den tracheotomierten Fällen, der Niedergang der Letalitäts¬
kurve in Stadt und Land, der gute allgemeine und lokale Effekt der
Serumeinspritzung, an je früherem Krankheitstage sie geschah — wurde
sie nicht ausschliesslich durch die Statistik begründet, sind ihre
Daten nicht noch heut in allen Lehrbüchern der Leitstern der Beweis¬
führung, beugte sich nicht Virchow nach Baginskys Worten gerade
vor der Wucht der zahlenmässigen serotherapeutischen Erfolge? Soll
diese Hilfswissenschaft der Medizin, vorausgesetzt, dass sie richtig an¬
gewendet wurde, heute nicht mehr das gleiche Recht für sich beanspruchen
und zur „mensonge en chiffre“ herabsinken, wo ihre Daten nicht mehr
so einschränkungslos sich zu Gunsten des Serums verwerten lassen? Soll
statt all der Zahlen, in die vordem das klinische Material geordnet
wurde, wo diese, nach gleichen Gesichtspunkten angelegt, zu anderen
Schlussergebnissen kamen, nunmehr das subjektive Empfinden der
Gespritzten, ein manchem kritischen Zweifel zugängiges, wenn auch
an sich keineswegs unterschätztes Moment, als wichtigster Kronzeuge
für das Serum gelten?
Und zweitens: Keiner, der Diphtheriekranke in grösserem Massstabe
zu sehen Gelegenheit hatte, kann sich der Ueberzeugung verschliessen,
dass bei dieser Krankheit nur zahlreiche, möglichst zahlreiche Er¬
fahrungen, die dann richtig zu ordnen Pflicht des Klinikers ist, zur
sicheren Entscheidung einer Behandlung, in erster Linie der Serumtherapie
erforderlich sind und Einzelbeobachtungen, noch so trefflich verfolgt,
nicht dazu genügen. Der mannigartige Gang der Krankheit mit plötz¬
lichen raschen Verschlimmerungen, mit unerwartet einsetzendem Um¬
schwüngen zum Besseren erschwert unser Urteil über das durch Heil¬
verfahren Erreichte und Erreichbare sehr; in vielen Einzel fällen legten
schnell sich vollziehende Auflichtungen des ganzen Krankheitsbildes im
zeitlichen Anschluss an die Serumeinspritzung den Gedanken an einen
ursächlichen Zusammenhang beider Vorgänge greifbar nahe, in anderen
selbst ganz früh behandelten Einzelfällen blieb jegliche Beeinflussung aus
oder eine Besserung vollzog sich unüberzeugend langsam. Es mag sero¬
logischen Studien Vorbehalten sein, die Gründe hierfür durch gesicherte
Tatsachen klarzulegen und in noch ferneren Tagen Wegweiser für unser
therapeutisches Handeln daraufhin zu finden, vorderhand hat die praktische
Krankenbeobachtung mit grossen beweisenden Zahlenreihen zu reden 1 ).
1) Zusatz bei der Korrektur: ln dem nach Fertigstellung dieser Arbeit er¬
schienenen Aufsatz v. Stenitzers über Tetanus (Kraus-Brugsch, Spez. Path. u.
Ther.inn.Krankh., Lieferung9—12) finden sich folgende Sätze: „Ueberden kurativen
Wert des Serums ist auch heute noch nicht das entscheidende Wort gefallen, wohl
deshalb, weil aus der Praxis heraus die Beurteilung der therapeutischen Wirkung auf die
allergrössten Schwierigkeiten stösst. Schon v. Behring hat den Einzelbeobachtungen
jede Beweiskraft abgesprochen, da am Krankenbett nur Wahrscheinlichkeitsprognosen
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252
F. REICHE,
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ln der „Medizinischen Klinik“ (1913, 1) ferner äusserte Beyer
kritische Bedenken gegen meinen Versuch, auch aus einem Vergleich
grosser zeitlich zusammenhängender Gruppen, in denen verschieden
reichliche Serummengen zur Anwendung gezogen waren, Licht auf die
Serumwirkung als Hilfe zu werfen. An sich war dieser etwas weiter
greifende Ausblick nur ein Nebenergebnis des Bestrebens, es klarzulegen,
ob unsere jetzt sehr viel grösseren Dosen anders und besser als die
früheren kleineren wirkten. Und diese — klinische, tierexperimentell
nicht lösbare — Feststellung war notwendig, um die Berechtigung der
von vielen Seiten (Eckert, Ehrhardt, Meyer, Rolleston, Wick¬
ln an n u. A.) befürworteten weiteren Erhöhung der Serumquanten zu
prüfen.
Beyer erscheinen die dabei sich ergebenden Unterschiede in den
Mengen der Immunitätseinheiten zu geringfügig. Meines Ermessens ist
dieser Einwand nicht berechtigt. Ein Ansteigen der Durchschnitts¬
werte von 3400 auf 4600 bedeutet eine Vermehrung der mittleren Dosen um
35,3 pCt. (Altersgruppe 2), der von 4000 auf 5700 (Gruppe 3) eine solche
um 42,5 pCt., der von 4000 auf 6400 (Gruppe 4) eine solche von 60 pCt.,
wobei mit durchschnittlich mehr gegebenen 1200, 1700 und 2400 Ein¬
heiten doch im Mittel zum Teil bedeutend mehr zugeführt wurde, als im
Anfang der Antitoxintherapie überhaupt zur Verwendung gelangte, wo
man sich mit den Injektionen von 1000 und 1500 Einheiten be¬
gnügte und doch dann eklatante Erfolge zu erblicken meinte. Es ist
also nicht zutreffend, von „ausserordentlich geringen Differenzen“ hier
zu reden.
Auf die detaillierten, in den „Mitteilungen aus den Haraburgischen
Staatskrankenanstalten“ erschienenen Angaben über diese Erhöhung der
Serummengen, nicht nur in ihren allgemeinen durchschnittlichen, sondern
den sehr viel wichtigeren Einzelwerten hatte ich in meiner damaligen
gestellt werden können, wieviel also bei einem Ausgang in Heilung der Serumwirkung
zuzuschreiben sei, wäre nicht unanfechtbar zu beurteilen, v. Behring erhoffte, ein
klares Bild aus dem Vergleich der Letalitätsstatistik vor und nach der Einführung der
Serumtherapie zu gewinnen. Auch dio Statistik muss mit einer gewissen Reserve auf¬
genommen werden. Die Sammelstatistik deshalb, weil sie infoige des sporadischen
Vorkommens des Tetanus vielfach ungleiches Material verarbeiten musste, die Einzel¬
statistik aus Kliniken und Krankenhäusern hingegen, weil sie über ein, wenn auch
wertvolleres, aber nur kleines Material verfügte.“ Klar und bündig sind hier die
Richtlinien der Beurteilung von Serumheilwirkungen gezogen. Die rein ärztlichen
objektiven Beobachtungen im Einzelfall, auf die Brauer so besonderen Nachdruck
legt, werden auch hier, und wie mir scheinen will mit Recht, zurückgedrängt gegenüber
der endgültigen zwingenden Beweiskraft grosser rein ärztlicher Untersuchungs¬
reihen. Und diese liegen bei der Diphtherie vor. Was bei der Seltenheit des Wund¬
starrkrampfs uns versagt bleibt, das lieferte diese letzte Epidemie 1909—1913: ein
ungewöhnlich umfangreiches und völlig einheitliches Material.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 190 ( J—1914.
253
Publikation bereits hingewiesen; in 3 Veröffentlichungen sind die 3 Gruppen
zu je 2000 serumgespritzten Fällen in diesen Einzelheiten aufgerechnet.
Da ist es ersichtlich, wie beispielsweise in Gruppe 4 (Alter von 15 bis
25 Jahren, Erhöhung im Durchschnitt von 4000 auf 6400 Immunitäts¬
einheiten) von 108 Fällen der ersten Serie 14 bis 1500, weitere 48 bis
zu 3000, weitere 39 bis zu 6000 erhielten und der Rest von 7 Patienten
bis zu 18000, in der zweiten 115 Fälle einschliessenden Serien jedoch
nur 4 bis 1500, weitere 25 bis zu 3000, weitere 48 aber bis zu 6000
und 38 darüber hinaus!
Ferner wundert sich Beyer, dass ich bei der Gegenüberstellung der
grossen Gruppen von je 2000 Seruminjizierten auch der Ungespritzten
Erwähnung tat. Sie wurden ausschliesslich deshalb eiubezogen, und
durften darum nicht fehlen, um die Schwere der Phase der Epidemie,
der sie entstammten und damit das Grundmaterial zu charakterisieren,
bei dem eigentlichen Vergleich der Serumerfolge standen sich, wie ja
auch die Tabellen bezeugen, natürlich nur die nach v. Behring Be¬
handelten gegenüber 1 ).
Auf unsere anderen therapeutischen Massnahmen einzugehen,
kann ich mir um so eher ersparen, als wesentlich Neues dabei nicht ge¬
wonnen wurde. Nur 2 Punkte möchte ich berühren: In den Fällen
diphtherischer Conjunctivitis schien uns die lokale häufige Serum¬
instillation nicht annähernd den gleichen Wert zu besitzen, wie die An¬
wendung von Desinfizientien, vor allem Protargollösungen. Und zweitens,
es bewährte sich uns von allen Herztonicis beim akuten Versagen
des Herzens am meisten der Alkohol, besser wie Digitalis, besser wie
Adrenalin; mit ihm zusammen wurde Coffein sehr viel, am liebsten in
subkutanen Einspritzungen, gegeben. Für mehr chronisch roborierende
Zwecke war Strychnin unersetzlich.
Ueber die Verstorbenen ist bereits nach dem Todestage Mit¬
teilung gemacht; ihre Zahlen nach den Tagen geordnet geben eine Kurve
mit steilem Anstieg bis zum 5. Tage, dem 12,3 pCt. sämtlicher Toten
zugehören, und langsamerem, leicht wellenförmigen Abfall, der sich über
viele Wochen hinzieht.
Auf die bakteriologischen im Pathologischen Institut des Kranken¬
hauses ausgeführten Untersuchungen des Herzblutes sei hier kurz
eingegangen. Es fand sich:
1) Wenn Beyer schliesslich meint, dass meine Fälle „mangels anderslautender
Angaben“ nur subkutan gespritzt seien, so kann ich demgegenüber meinen diesbezüg¬
lichen Satz zitieren: „4763 erhielten Serum; es wurde subkutan und bei Schwer¬
kranken vielfach auch intravenös appliziert“, und daraufhinweisen, dass aus
meiner Station eine sehr frühe Befürwortung der intravenösen Einbringung des Anti¬
diphtherieserums aus Fettes Feder (Med. Klinik, 1909, Nr. 50) erschien.
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254
P. REICHE,
Bei den zur Autopsie
Gekommenen, am
Steriles Blut
Diphtheriebazillen
Streptococc. pyog.
Staphylococc. pyog. aureus. |
Diplocoec. lanceol.
Kolibazillen
Streptococc. mucos.
Pyocyaneus
Paratyphus B-Bazillen
Proteus vulgaris
Diphtheriebazillen -f- Strepto¬
kokken
Streptococc. pyog.
4- Staphylococc. pyog. aureus
Streptococc. pyog.
4 Diplococc. lanceol.
Streptococc. pyog. -f- Koli-
b&zilten
Staphylococc. pyog. aureus
- 1 - Kolibazillen
Diplococc. lanceol. -f koli¬
bazillen
Diplococc. lanceol.
4- Streptococc. mucos.
Diplococc. lanceol. + Fried-
lftnderbazillen
Streptococc. + Staphylococc.
4 - Diplococc. lanceol.
Streptococc. -f Staphylococc.
4- Kolibazillen
Streptococc. 4- Kolibazillen
-f Streptococc. mucos.
Streptococc. pyog. 4- nicht
identifizierte Stäbchen
B
5
ö
b£
oa
C
1. Krankheitstag Verstorb.
1
1
_
1 _
_
_
_
_
2
2
11
—
2
1
1
—
—
—
1
—
—
—
—
—
—
—
—
— 1
—
—
16
3.
17
1
171
5
1
—
—
—
—
—
3
2
1
—
1
—
—
—
1
—
—
—
49
4.
29
5
j 21 ,
1
3
1
—
1 _
—
_
—
6
3 |
1
—
—
—
—
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1 2
1 9
24
11
5
2
1 2
| 1
1
2
2
1
1
586
So ergab sich also unter den Verstorbenen der ersten 2 Krankheits¬
wochen ein steriles Blut in 237 Fällen oder 40,5 pCt.
Eine Leichenblutbakteriämie wurde festgestellt zu 59,5 pOt. und
zwar mit einem einzelnen Bakterium in 49,1 pCt. (288 Fälle), mit
zweien in 9,5 pCt. (56 Fälle) und mit dreien in 0,9 pCt. (5 Fälle).
Diphtheriebazillen wurden mit 26 Fällen nachgewiesen in 4,4 pCt.
aller Fälle; sie waren in 2,9 pCt. allein, in 1,5 pCt. zusammen mit Strepto¬
kokken zugegen.
Streptococcus pyogenes wurde mit 272 Fällen isoliert in 46,4pCt.
aller Fälle, in 37 pCt. allein, in 9,4 pCt. mit anderen Mikroben.
Fraenkel-Talamon’sche Pneumokokken waren in 43 oder
7,3 pCt. aller Fälle vorhanden, in 4,4 pCt. allein.
Von 26 positiven Diphtheriebazillenbefunden fallen 23 oder
88,5 pCt. in die erste Krankheitswoche, von 272 positiven Streptokokken¬
befunden fallen 165 oder 60,7 pCt. in diese Woche, von 43 mit Pneumo¬
kokken 62,8 pCt. Von den 237 Fällen mit sterilem Herzblut fallen 144
auf die 356 aus der ersten Woche stammenden Fälle, d. h. 40,4 pOt. aller
Fälle und 93 auf die 230 der 3. Woche, d. h. ebenfalls 40,4 pCt.
Seit 1907 wurde unter 790 in den ersten 3 Wochen ihrer Krank¬
heit Verstorbenen ein steriles Herzblut bei 309 nachgewiesen, in 481
wurden Mikroorganismen reingezüchtet und zwar:
Diphtheriebazillen.in 17 Fällen
Streptococcus pyogenes. 323 „
Staphylococcus pyogenes aureus. 20 „
Diplococcus lanceolatus.»33 „
Difitized by
_ Ürigina Irorru - _
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidomie 1909—1914.
255
ßacterium ooli.in
Streptococcus mucosus.„
Proteus vulgaris..
Bacillus pyocyaneus..
Bacillus paratyphosus B.„
Diphtheriebazillen Streptocoocus pyogenes.
Streptococcus pyogenes -f- Staphylococcus pyogenes aur. „
Streptoooccus pyogenes -j- Diplococcus lanceolatus . . . „
Streptococcus pyogenes -j- Bacterium coli. .
Streptococcus pyogenes -f- nicht identif. Stäbchen . . . „
Staphylococcus pyogenes aureus -[- Bacterium coli . . . „
Diplocoocus lanceolatus -j- Bacterium coli.„
Diplococcus lanceolatus -j- Bac. Friedländer.„
Diplococcus lanceolatus -f- Streptococcus mucosus . . . „
Streptoc. pyog. + Staphyloo. pyog. aur. + Diploc. lanc. „
Streptoo. pyog. -j- Staphyloc. pyog. aur. -f” Bact. coli • • n
Streptoc. pyog. -j- Streptoc. mucosus Bact. coli . . . „
7 Fällen
2 „
9
1
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10
25
15
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1
2
3
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V
V
V
n
v
V
V
1
1
4
3
1
V
V
Keimfrei war das Blut unter den 204 aus der 3. Krankheitswoche
stammenden Toten bei 72 oder 15,3 pCt. Der späteste Tag, an dem
Löfflersche Bazillen noch aus dem Herzblut isoliert wurden, war der
20. Krankheitstag; neben ihnen wurden bei diesem Kranken noch Strepto¬
kokken aus ihm gezüchtet.
Ich habe 1894 1 ) aus der mir damals unterstehenden Diphtheric-
abteilung Untersuchungen über „Mischinfektionen bei Diphtherie“ ver¬
öffentlicht, bei denen der Nachweis der von dem Blutstrora verschleppten
Bakterien durch Ausstriche des frischen Parenchymsaftes der Nieren und
vereinzelt auch der Milz geführt wurde. Die Arbeiten Froschs und
Escherichs über den Uebertritt von Diphtheriebazillen aus ihrem
ersten Ansiedlungsort in das Blut waren bereits erschienen. Ich fand damals
bei 2 unter 42 Fällen, die den ersten 3 Krankheitswochen zugehörten,
Diphtheriebazillen, und diese Toten entstammten dem 6. und 7. Krank¬
heitstage; in meiner jetzigen Reihe mit einer anderen Untersuchungs¬
methode sind es 27 unter 768 Beobachtungen. Streptokokken, wieder¬
holt mit Staphylokokken vergesellschaftet, wurden in rund zwei Dritteln
jener Fälle gewonnen, in den übrigen war das Blut steril.
Die Befunde unserer vitalen Blutentnahmen haben gelehrt, dass wir
aus diesen postmortal erwiesenen Bakteriämien nicht ohne Weiteres auf
eine septische Komplikation schliessen dürfen. Letztere kommen ver¬
einzelt vor, sind aber als sehr selten zu erachten. Es handelt sich bei
jenem Nachweis von Keimen im Herzblut zum grössten Teil um termi¬
nale oder agonale Invasionen in den Kreislauf und um postmortale Ver¬
mehrungen spärlicher bei Infektionen aller Art in die Blutbahn gelangender
Keime, die unter den Bedingungen des Lebens rasch wieder eliminiert
oder durch Einflüsse der lebenden Gefässwand unschädlich gemacht
worden wären.
1) F. Reiche, Mischinfektionen bei Diphtherie. Zentralbl.f. inn.Med. 1895. Nr.3.
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
F. REICHE,
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25H
Wie weit die Toxine dieser neben den Löfflerschen Bazillen in
den primären und sekundären Krankheitsherden wuchernden Mikroben
für den Verlauf der Diphtherie im Einzelfall in Betracht kommen,
darüber fehlt uns noch jegliches Mass der Abschätzung.
Die Frage nach solchen neben dem Gift der Diphtheriebazillen
toxisch wirkenden sekundären bakteriellen Stoffwechselprodukten
ist besonders auch in der Gruppe der Fälle mit hämorrhagischer
Diathese bei Diphtherie berechtigt. Vereinzelte Haut- und Unterhaut¬
blutungen sieht man nicht selten an den Leichen diphtherieverstorbener
Kinder und Petechien in den inneren Organen sind ein häufig in Sektions¬
protokollen notiertes Vorkommnis. Hier möchte ich nur die Fälle be¬
trachten, in denen bereits klinisch, intra vitam, die Anzeichen tieferer
Blutzersetzung in Form von kutanen und subkutanen Hämorrhagien, ver¬
bunden mit Epistaxis und Blutungen aus dem Zahnfleisch und den mem-
branoulzerösen diphtherischen Partien, in vielen Fällen auch aus dem
Darm, vereinzelt auch mit dem Urin sich präsentierten.
Wir fanden diese hämorrhagische Diathese in den Altersgruppen von
0— 1 Jahre
unter 47 Verstorbenen 2mal,
d. h. 4,3pCt.
1— 5 Jahren
394'
67 „
d. h. 16,9 „
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75
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1 „
d.h. 2,4 „
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Ti
3
75
0 „
d. h. ’
mithin eine ganz besondere Prädilektion in der Reihe der 5—15Jäh-
rigen, hinter denen dann die 1—5Jährigen in sehr viel geringerem
Prozentsatz rangieren; relativ selten ist die Komplikation bei den Säug¬
lingen, noch rarer unter Erwachsenen.
Etwas anders stellt sich die Frequenz dar, wenn wir sie auf die Zahl
der Lebenden beziehen. Wir sehen sie bei den Kranken im Alter von
0— 1 Jahre
unter
122 bei
2
oder
1,6 pCt,
1— 5 Jahren
V
75
1904 „
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1
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51
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über50
55
11
27 „
0
)
75
Nur 2 von allen diesen Schweraffizierten genasen, ein 4jähriges
Mädchen und ein 7jähriger Knabe. Der Krankenbericht über das erstere
ist von Roedelius veröffentlicht, es ist einer der Fälle, in dem uns der
Nachweis von Diphtheriebazillen aus dem lebenden Blute gelang; das
war am 5. Krankheitstage, kurze Zeit vorher setzte die ausserordentlich
schwer verlaufene hämorrhagische Diathese ein. Sie war nicht annähernd
so umfangreich und grav in dem 2. Falle; bei ihm war das entnommene
Blut steril gewesen. Die Blutungen zeigten sich hier zuerst am
6. Krankheitstage.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
257
Noch ein weiterer Patient überwand das Stadium der multiplen
Haut- und Schleimhautblutungen, erlag aber dann seiner Herzschwäche
am 34. Krankheitstage, 27 Tage, nachdem die ersten Hämorrhagien bei
ihm sichtbar geworden waren.
Das Verhältnis zwischen dem Tag der Krankheit, an dem diese
gravste aller Diphtheriekomplikationen mit ihren ersten Anzeichen hervor¬
trat, und dem Todestag, mithin die Lebensdauer mit ihr, wird in
folgender Uebersicht wiedergegeben.
Als die hämorrhagische Diathese begann, standen von den Verstor¬
benen am
3.
4-
5.
6. 7.
Kran
8.
k h
9. 10.
i t s t a
11.
ge
12.
14. | 16.
im ganzen
16
19
34
26
22
12
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3
2
2 1 149
von diesen
starben
am 3. Krankheitstage
4
.
4
. 4.
6
5
.
11
„ 5.
2
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. 6.
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. 7.
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1 — —
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1
—
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- - 1
* 34.
r*
—
—
—
—
1
—
j — —
—
—
- - 1
In der Gesamtsumme aller Fälle (177) war bei 2 der Krankheits¬
anfang nicht ermittelt, 24 weitere scheiden aus, weil hier bei der Auf¬
nahme bereits Hämorrhagien entdeckt wurden, in obigen 149 entwickelten
sie sich erst unter unseren Augen. Der früheste Tag ist der 3., der
aber bereits mit 10,7 pCt. der Fälle vertreten ist, dann steigt die Häufig¬
keitsskala rasch über den 4. Tag — der 12,7 pCt. zeigt, zum Maximum
am 5. Krankheitstage mit 22,8 pCt., um langsam dann wieder bis
zum 16. Tage abzusinken; aus der 1. Krankheitswoche stammen 117 oder
78,5 pCt., aus der zweiten 32 oder 21,5 pCt.
Sehr viele dieser Kranken gingen an dem gleichen Tage zugrunde,
an dem die Hämorrhagien bei ihnen bemerkt wurden: 42 oder 28,2 pCt.;
ebenso viele starben 1 Tag darnach, 29 oder 19,5 pCt. 2 Tage darnach,
in der 1. Woche der Krankheit waren bereits 137 von ihnen hingerafft,
d. h. 92 pCt., in der 2. Krankheitswoche erlagen 11.
Bei 20 von diesen 177 Kranken war eine vitale Blutunter¬
suchung gemacht worden; nur einmal, in der vorerwähnten Beobachtung
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
258
F. REICHE,
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bei einem 4jährigen Mädchen, war dabei mit Isolierung von Diphtherie¬
bazillen ein positiver bakteriologischer Befund gewonnen worden. Auch
bei der Diphtherie beruht die sich gelegentlich hinzugesellende hämor¬
rhagische Diathesc nicht auf einer septischen Komplikation, ebenso wenig
wie sich dieses in einer anderen Untersuchungsreihe bei der kavernösen
fieberhaften Lungenphthise in 11 Beobachtungen erweisen liess 1 )-
Von den 175 Verstorbenen wurde bei 142 das Herzblut bakte¬
riologisch geprüft, es war bei 60 steril, also in einem etwas höheren
Prozentsatz — 42 gegenüber 40 pCt. — als in der Gesamtheit. In den
übrigen Fällen fanden sich zumeist Streptokokken, bisweilen mit Staphylo¬
kokken, Pneumokokken und Kolibazillen vereint, 5 mal aber Diphtherie¬
bazillen, 3mal in Reinkultur. Ueberraschend häufig sahen wir bei den
mit hämorrhagischer Diathese Verstorbenen schwere innere durch
Löfflersche Bazillen bedingte Komplikationen der Diphtherie.
Ich war in der Lage, von diesen im ganzen 45 Beobachtungen zusammen¬
zustellen 2 ): 31 mal lag ein Befallensein der Magenschleimhaut von
sekundären diphtherischen Prozessen vor, wobei 25 mal sie allein, 4mal
gleichzeitig die des Oesophagus, 2mal die des Mastdarms ergriffen
war, 12 mal handelte es sich um gleichartige Oesophagusveränderungen,
je 2mal um solche im Duodenum und Ileum, 4mal um analoge Alte¬
rationen der Mastdarmmukosa und bei einer Puerpera um missfarbene
reichliche Löfflerbazillen beherbergende Pseudomembranen an der Portio
uteri. 15 von diesen 45 Patienten hatten intra vitam die Symptome
der hämorrhagischen Diathese geboten, d. i. gerade ein Drittel, während
sie unter der Gesamtzahl der 886 nur bei 175 sich entwickelt hatten
oder zu fast 20 pCt.
Von weiteren seltenen Komplikationen der Diphtherie seien 2 Fälle
von Analdiphtherien bei 2 Schwestern im Alter von 3 und 5 Jahren
erwähnt, welche beide umfangreiche luetische Kondylome am After hatten.
Beide genasen — bei dem kleineren Kinde handelte es sich um eine
leichte Verlaufsform der Rachendiphtherie —, bei beiden hatte der diph¬
therische Prozess die Kondylome stark zum Schwinden gebracht.
Bakteriologische Untersuchungen der Galle ergaben bei 36 unserer
Verstorbenen stets ein negatives Resultat [Rail 3 )].
Noch ein weiteres Moment fiel uns in dieser letzten Epidemie auf,
das verhältnismässig häufige Wiederauftreten des diphtherischen Rachen¬
prozesses in der Rekonvaleszenz nach Abheilung der primären Verände¬
rungen. Eckert (Deutsche raed. Wochenschr. 1912, 24. Sept.) hat als eine
1) F. Reiche, Die Infektion der Blutbahn bei fieberhafter kavernöser Lungen¬
phthise. Med. Klinik. 1909. Nr. 52.
2) F. Reiche, Seltene Komplikationen der Diphtherie. Mitteil. a. d. Hamburg.
Staatskrankenanst. XV. 2.
3) Rail, Bakteriologische Untersuchungen der Galle bei Diphtherieleichen.
Ersch. in der Münch, med. Wochenschr.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
259
der wichtigeren Errungenschaften der Antitoxintherapie es besonders her¬
vorgehoben, dass die Rezidive der Vorserumzeit kaum noch zur Kenntnis
kommen. Sie waren in diesen letzten Jahren weit öfter zugegen, als wir
es je zuvor vor und nach dem von Behring inaugurierten Wendepunkt
unserer Diphtheriebehandlung erlebten. Ich verweise auf meine früher
veröffentlichten Ausführungen 1 )- Bis zur Fertigstellung der Arbeit über
die „Reinfektionen bei Diptherie“ hatte ich 166 gesehen, bis zum 1. Ok¬
tober 1913 traten noch 5 weitere hinzu, von denen einer, ein 3jähriger
Knabe, nach einer leichten Ersterkrankung in dem sehr schweren Rezidiv
verstarb. Zwei entstammen der 2., drei der 3. Krankheitswoche, so dass
von allen diesen Rückfälle eintraten
bis zum 14. Krankheitstage.47 oder 27,5 pCt.
21 .
28.
35.
42.
49.
56.
66
23
19
10
5
1
171
38,6
13,4
11,1
5.9
2.9
0,6
Allemal handelte es sich in diesen Fällen nicht nur um Temperatur¬
anstiege mit Halslymphdrüsenschwellungen und Schluckbeschwerden in
der Rekonvaleszenz, sondern vor allem um ein Auftreten von Pseudo¬
membranen auf den Tonsillen und gelegentlich darüber hinaus — einfache
und follikuläre Formen wurden hier nicht einbezogen. Zwei Kranke
machten zwei Rezidive durch, die 18 und 30 Tage nach dem Beginn
des 1. Rückfalles einsetzten. Im Rückfall starben 6 Kinder im Alter
von l x / 4 —5 Jahren und ein Erwachsener von 17; bei diesem und 3 der
ersteren war der Exitus nui dem schweren Wiederauftreten der Krankheit
zuzuschreiben, bei den übrigen mehr der von der ersten Attacke zurück¬
gebliebenen Herzschwäche. Fünf weitere Rezidive — mit 1 Todesfall —
ereigneten sich noch in der 11.—13. Krankheitswoche (zwischen 72. und
89. Tag); ich habe vorgezogen, sie lieber den zweitmaligen Erkrankungen
als den Rückfällen zuzurechnen.
Es waren bei der ersten Diphtherie
a) leicht verlaufen . . .86, davon verliefen im Rezidiv als
b) mittelschwer verlaufen 43, „
c) schwer verlaufen ... 42, „
I 57 Fälle
n 13 „
111 16 „
I 30 „
II 8 „
III 5 „
I 26 „
« ‘ „
III 9 „
1) Reiche, Rezidive bei Diphtherie. Jahrb. d. Hamburg. Staatskrankenanst.
Reinfektionen mit Diphtherie. Med; Klinik. 1913. Nr. 41.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
260
F. REICHE,
Digitized by
Die 3. Gruppe ist die wichtigste, denn sie erweist, dass ein Körper
auch nach einer schweren Diphtherie aufs neue ihr erliegen kann,
und dass diese neue Erkrankung dann noch in 16,7 pCt. der Fälle einen
mittelschweren, in 20,7 pCt. einen schweren Dekursus nahm. Der
Zeitraum, in dem an eine schwere 1. eine schwere 2. Attacke sich an¬
schloss, schwankte zwischen 14 und 44 Tagen und betrug im Mittel
28 Tage, während die Zweiterkrankung (I., II. und III. Verlaufsschwere)
ganz allgemein den schweren Formen in durchschnittlich 25 Tagen folgte.
Wie gering an Dauer war der Schutz, den die erste verliehen hatte! Ucber
die Häufigkeit der Rezidive ist folgendes zu sagen: In der Gesamt¬
zahl der von uns zur Betrachtung gestellten 7314 Diphtheriepatienten
wurden 159 registriert, das sind 2,2 pCt. Sie wurden beobachtet in der
Altersklasse
unter I Jahr unter 122 Patienten lmal oder zu 0,8 pCt.
1—5 Jahren
71
1904
71
31 „
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71
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71
15-25
71
71
1552
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71
V
3,5
71
25-50
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7)
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13 „
V
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2,3
71
über 50
Ti
n
27
71
—
Rechnet man die Toten ab, die meist mit noch vollentwickelter Rachen¬
erkrankung starben, von denen (cf. Tabelle F) ja bis zum 7. Krankheits¬
tage 48pCt. erlegen waren, so erhalten wir bei den Kindern bis zum 15. Jahre
unter 4297 Patienten 90 Rezidive = 2,1 pCt.
bei Erwachsenen „ 2135 „ 69 „ = 3,2 „
insgesamt unter 6432 Patienten 159 Rezidive ='2,5pCt.
In der Gesamtheit aller unser 7314 Kranken waren verlaufen als
leicht (I). 2794, davon rezidivierten 82, d. s. 2,9 pCt.
mittelschwer (11). 1862, „ „ 40, d. s. 2,2 „
schwer (III). 2658, „ „ 37, d. s. 1,4 „
(III) lebend (nach Abzug der
Verstorbenen). 1776, „ „ 37, d. s. 2,1 „
So ergibt sich, dass die Altersgruppe von 15—25 Jahren bei
weitem am meisten und Erwachsene mehr wie Kinder zu Rezidiven
neigen und dass diese ein wenig häufiger eintreten, je leichter die
Ersterkrankung sich abspielte.
Reinfektionen wurden in diesen Jahren in grosser Zahl nach den
anamnestischen Angaben notiert. Gerechnet wurden dazu alle Diphtherien,
welche länger als 10 Wochen nach der voraufgegangenen Diphtherie sich
einstellten. Es ist dieses eine rein praktisch gewählte Grenze, ob einzelne
dieser Kranken dauernd Bazillenträger waren, und die 2. Erkrankung
demnach eine durch die eigenen im Organismus noch zurückgehaltenen
Bakterien bedingte Fortsetzung des früheren Leidens und nicht eine Neu¬
infektion von aussen war, lässt sich weder bejahend noch ablehnend be¬
antworten. Nach unseren früheren bis Ende Juni 1913 reichenden Auf-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
261
Stellungen betrug die Frequenz dieser angeblichen Zweiterkrankungen
5,8 pCt., sie war in der Altersklasse von 1—5 Jahren 1,3 pCt., um in
der von 25—50 Jahren sich bis auf 15,8 pCt. progressiv zu heben.
Die Zweifel, denen anamnestische Daten unterworfen sind, brauche
ich nicht aufs neue zu ventilieren. Für zuverlässige Schlussfolgerungen
eignen sich nur die Beobachtungen, bei denen in beiden Attacken der
Nachweis der Löfflerbazillen geführt wurde; höchstens darf man ihnen
noch die Fälle zurechnen, welche neben ihrer Angabe einer früheren
schweren Diphtherie in Form der Tracheotomienarbe einen Beweis für
die Echtheit dieser Angabe mitbrachten. 39 meiner Fälle gehören der
ersteren Gruppe, 9 bis Ende September 1913 beobachtete der 2. an.
Die zeitliche Beziehung der 2. zur 1. Diphtherie versinnlicht
folgende Uebersicht: die erste Erkrankung lag
zwischen 10 Wochen und 6 Monaten zurück bei
über 6 bis zu 12 „ „
„ 1 Jahr bis zu 2 Jahren „ „
n 2 Jahre n » 6 !) n r
mehr als 6 Jahre .. „
7 Patienten
8 «
*
14 *
8 *
48
Und die Beziehung der Schwere der zweiten zu der ersten Er¬
krankung ergibt sich aus nachstehenden Zahlen: Die erste Diphtherie
verlief als
leicht (I) ... in 17 Fällen, die spätere gestaltete sich aber als I in 8 Fällen
H» 5 „
UI, 4 „
mittelschwer (II) „ 13 „ „ „ „ „ „ I „ 6 „
.U, 2 „
Hl „ * „
schwer (III) . . „ 18 „ „ „ * „ I „ 11 „
II n 2 „
UI n 5 n
Beide Tabellen zeigen, dass eine Fortdauer aktiv immunisierender
Kräfte von der ersten Diphtherie weder in Form eines zeitlichen
Schutzes gegen neues Erkranken noch in Form einer verbesserten
Ab Wehrfähigkeit gegen die erneut in den Körper einbrechende Infektion
sich mit der zu fordernden Sicherheit herauslesen und sich ein fester
Vergleich zur Variola, zu der durch sie erreichten, durch Impfungen
mit ihrem abgeschwächten Virus erzielbaren Immunität und den ge¬
legentlichen stark gemilderten, in der Form der Variolois sich äussernden
Wiedererkrankungen nicht konstruieren lässt.
Ein Unterschied zwischen den als Rezidiven klassifizierten erneuten
Diphtherien und diesen Reinfektionen tritt dabei kaum, oder nur in einem
bei so kleinen Zahlen nicht verwertbarem Umfange hervor. Von den
Schweraffizierten waren dort auch bei der 2. Diphtherie 20,7, hier 27,8 pCt.
wieder schwer erkrankt gewesen.
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262
F. REICHE,
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Reinfektionen beanspruchen noch durch die bei ihnen nötig werdenden
Reinjektionen von Heilserum unser Interesse. Die Gefahr des schweren
anaphylaktischen Shocks, den wir bei 2 erwachsenen jungen Mädchen
und einem 11jährigen Knaben in Form eines Herzkollapses und von
Atemstörungen in bedrohlichster Weise im Laufe der letzten 5 Jahre be¬
obachteten, mahnt zur grössten Vorsicht mit ihnen, wenn auch die
Häufigkeit dieser graven Komplikation nur recht niedrig anzuschlagen
ist. Unter 196 Fällen von Reinfektion, bei denen Diphtherieserum mit
Sicherheit im Verlauf der ersten Erkrankung gegeben worden war, er¬
hielten 82 auch bei der 2. von mir Serum; vielfach hörten wir erst
nachträglich von den besuchenden Eltern über die frühere Erkrankung
und ihre Serumbehandlung. Gegeben wurden:
bis zu 3000 Einheiten bei 51, Exanthem trat auf bei 20 = 39,2 pCt.
von 3000-6000 „ „ 24, „ „ „ „ 11=45,8 „
* 6000-12000 „ „ 7, „ „ , „ 3 = 42,9 »
82, Exanthem trat auf bei 34 = 42,5 pCt.
In 27 Fällen war mit der Absicht, eine Antianaphylaxie zu er¬
zeugen, anfänglich eine Serummenge von nur 500 I.-E. und dann
6 Stunden später die volle Dosis von 8 mal 1500, 11 mal 3000, 2 mal 4500
und 6mal 5500 und 6000 eingespritzt worden: in diesen Fällen trat
bei 12 ein Exanthem zutage, d. s. 44,4 pCt. gegenüber 44,8 pCt. von den
nicht so nach Besredkas Vorschlag Vorbehandelten. Dieses Ergebnis
spricht nicht zugunsten der Möglichkeit, auf diesem Wege bei dazu
Disponierten die Ueberempfindlichkeit auszuschalten.
Die erstmalige Seruminjektion lag in jenen 80 Fällen zurück:
1 Jahr in 15 Fällen, ein Exanthem erschien in 6 = 40,0 pCt.
2 und 3 Jahre
71
26
n
77
77
77
77
12 = 46,2
77
4-6 „
77
17
71
7 ?
77
77
77
9 = 52,9
77
7-10 „
7 ?
10
7 ?
77
77
77
77
4 = 40,0
77
über 10 „
n
12
77
77
V
77
77
3 = 25,0
77
Die lange Dauer der Neigung zu allergischen Reaktionen
wird durch diese Ziffern aufs neue exemplifiziert.
Im grossen und ganzen waren die von uns beobachteten Serum¬
exantheme eine, besonders im Vergleich zu Umbers Angaben grosse
Seltenheit. Ich habe die eingehenden diesbezüglichen Angaben von
meiner Station gesondert besprochen 1 ). Wir sahen sie unter allen 6250
von uns mit Antitoxin behandelten Fällen 426 mal oder zu 6,8 pCt.
Unter
107 Fällen der Altersgruppe unter 1 Jahr
lmal
= 0,9 pCt.
77
1789
77
77
77
1—5 Jahren 103 „
= 5,8 „
77
2740
77
77
77
5—15
171 *
= 6,2 „
77
1112
77
77
77
15-25
109 „
= 9,8 „
77
481
77
77
77
25—50 „
42 „
= 8,8 „
77
21
77
77
77
über 50 „
1) F. Reiche, Serumexantheme. Mitteil, aus d. Hamburger Staatskrankenanst.
1914. Bd. 15. H. 7.
Gck igle
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914.
203
Es ergab sich eine deutliche Abhängigkeit der Häufigkeit der
Ex'antheme von der Höhe der verwendeten Immunitätseinheiten.
So war ihre Zahl unter den
1933 leicht verlaufenen Fällen mit im Mittel 1750 l.-E. 85 oder 4,4 pCt.
1765 mittelschweren „ „ „ „ 2760 ,, 126 „ 7,1 „
2552 schweren „ „ „ „ 5020 „ 215 „ 8,4 ,,
Und unter den letzten 4250 Serumgespritzten war es von
1412 Fällen, die 1500 Einheiten erhielten, 42mal oder zu 3,0 pCt. zugegen
1175 „
„ 3000
11
79 mal „
11
390 „
„ 4500
11
„ 35 mal „
„ ‘.»,0 „
11
049 „
„ 6000
11
„ 68 mal ,,
„10,5 „
11
Aus dieser Reihe können wir auch über den zeitlichen Eintritt
der reaktiven Hauteruptionen Genaueres aussagen. Nach 2 Tagen, d. h.
nach zweimal 24 Stunden nach der Injektion traten sie bereits in 1,9 pCt.
dieser Fälle auf, die Hauptmenge lag aber mit 79,6 pCt. zwischen 6. und
12. Tag, noch enger mit 46,8 pCt. zwischen 8. und 10. Tag, der Höchst¬
befallene war der 9. mit 17,8 pCt. der Exantheme. Nach dem 17. Tage
wurden sie nicht mehr beobachtet.
Die Serummengen waren ohne Einfluss auf früheres oder späteres
Erscheinen der Serumkrankheit.
Der Charakter der Hautveränderungen liess bei manchen
Uebergängen im Einzelnen verschiedene Typen erkennen; bei weitem am
häufigsten waren stark juckende, oft von einer Konjunktivitis begleitete
urtikarielle Eruptionen, bei denen die Quaddeln alle Verschiedenheiten
von unmerklichen an das Erythema multiforme erinnernden Erhaben¬
heiten bis zu breiten derbelastischen, bald hellroten, bald weissen
Prominenzen boten, vereinzelt die Form der Quinckeschen Riesen¬
quaddel annahmen, zweimal als Urticaria vesiculosa sich darstellten,
dann folgten nach ihrer Häufigkeit scharlachartige Erytheme, dann
morbilläre und rubeoliforme. Oedem, zumal des Gesichts, ging
häufig damit einher. Nach 2—3 Tagen waren die Ausbrüche gewöhnlich
restlos geschwunden, Desquamation geringen Grades war eine nur
seltene Folge. Oft ging eine lokale umschriebene urtikarielle Haut¬
veränderung am Ort der Seruminjektionsstelle dem universellen Exanthem
um 24 Stunden vorauf.
Fiebersteigerungen meist mässigen Grades, selten 39° über¬
schreitend oder 40° erreichend, Gliederschmerzen, Gelenkschwellungcn,
Herzirregularität und Albuminurie waren des Oefteren als Zeichen einer
allgemeinen Reaktion neben der kutanen Alteration zugegen.
Bei Patienten, die früher schon einmal Antitoxin erhalten hatten,
kam es in vereinzelten Fällen zu einem zweimaligen Exanthem.
Zeitsclir. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. |g
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264
F. REICHE,
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Insgesamt sind rund 7 pCt. unserer Exantheme mit Sicherheit
mit früheren Seruminjektionen in Verbindung zu bringen, 25 unter
den letzten 320.
Benutzt wurde ausschliesslich das Ruete-Enochsche Präparat.
Der Höhe der bei ihnen zu Hilfe gezogenen Seruradosen entsprechend,
sahen wir Exantheme relativ selten bei unseren präventiv Geimpften
bei denen gewöhnlich 1500, sehr viel seltener 3000, 4000 und 6000 Ein¬
heiten injiziert wurden, die letzteren gewöhnlich da, wo klinisch eine
schwere Diphtherie vermutet worden war, die sich bakteriologisch dann
als eine andere diphtheroide Affektion, zumeist mit kurz danach er¬
folgendem Exanthem als Skarlatina erwies. Die Zahl dieser prophylak¬
tischen Injektionen überschreitet 760, die Frequenz der Exantheme unter
ihnen beträgt kaum 4 pCt., doch vermag ich sie nicht zahlenmässig
exakt anzugeben, da viele von diesen Kranken, wenn es sich um ein¬
fache Anginen handelte, bereits nach 5—7 Tagen wieder zur Entlassung
kamen, andere auf andere Abteilungen verlegt wurden.
Ueber den Wert der Präventivbehandlung mit v. ßehringschem
Serum sind unsere früheren zustimmenden Beobachtungen 1 ) mit Er¬
langung ausgedehnter Erfahrungen stark modifiziert worden. Zwei Dutzend
von Erkrankungen an echter, gewöhnlich leichter, hin und wieder aber
auch schwerer Diphtherie, die sich im Laufe dieser 5 Jahre trotz der
vorbeugenden Antitoxininjektion bei unseren Patienten und mehr bei dem
der Infektion andauernder ausgesetzten Pflegepersonal ereigneten, gar
häufig bereits wenige Wochen nach ihr auftraten, mussten den früheren
Glauben erschüttern. Ein 3jähriges Mädchen und eine erwachsene Frau
akquirierten auf der Station schon am 11. bzw. 14. Tage nach der In¬
jektion von 4000 bzw. 6000 Immunitätseinheiten beide eine schwer ver¬
laufende Diphtherie. Der 11. Tag war überhaupt der früheste Termin
dieses Eintritts, in der grössten Mehrzahl der Fälle erfolgte er um den
14. Tag herum nach jener prophylaktischen Massnahme.
Die Entlassung unserer Patienten geschah nach feststehendem
Gebrauch unsererseits immer nur dann, wenn der Rachenschleira bei
zweimaliger kultureller Untersuchung löfflerbazillenfrei gewesen war.
Sehr oft erfolgte sie aber auf Wunsch der Kranken selbst oder der
Eltern frühzeitiger. So haben wir über die Persistenz der Diph¬
theriebazillen im Rachen der von der Krankheit Genesenen nicht an¬
nähernd der Zahl der von uns Behandelten entsprechende Daten. Seit
der Zeit von Mitte 1907 bis 1. Oktober 1913 wurden 8387 Kranke mit
echter Löfflerbazillen-Diphthcrie auf meiner Station aufgenommen und
entlassen, von denen, wie wir berichteten, 1063 starben. Von diesen
7324 geheilt Entlassenen sind nur 4920, bei denen der Krankheits-
1) F. Reiche, Ein Beitrag zur Serumbehandlung der Diphtherie. Med. Klinik.
1909. Nr. 49.
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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 2(>5
anfang feststand und obige Untersuchung durchgeführt werden konnte,
verwertbar.
Von ihnen waren bazillenfrei:
am
Schluss der
2.
Krankheitswoche
445 oder
9,0 pCt.
bis
zum
55
55
3.
55
6G1
55
13,4 „
«
,,
55
55
4.
55
1420
55
28,9 „
55
55
55
5.
55
3812
55
77,4 „
r
55
55
6.
55
4343
55
88,3 „
,,
55
55
8.
55
4793
55
97,4 „
V
55
55
55
10.
55
4912
55
99,8 „
Die längste von uns konstatierte Dauer betrug bei einem 2jährigen
Waisenhauszögling 202 Tage. Virulenzprüfungen der so isolierten
Keime wurden nicht vorgenommen.
Während dieser Fortdauer des Bazillenbefundes kamen bei unseren
Rekonvaleszenten nicht selten Anginen einfacher und follikulärer Art,
Bronchitiden und echte lobäre Pneumonien interkurrent zur Beobachtung,
ohne dass deren Ablauf irgendwie durch die Anwesenheit jener Mikroben
alteriert worden wäre.
Dass aber diese Diphtheriebazillen auch nach monatelanger Per¬
sistenz noch volle Infektionstüchtigkeit besassen, bewiesen uns sehr
zahlreiche return cases unter den Geschwistern, Eltern und Hausgenossen
von mit noch bazillenhaltigem Rachen und leider auch des Oefteren als
nach unseren Feststellungen „bazillenfrei“ Entlassenen.
Bei dieser wie in allen sonst in diesem Bericht angeschnittenen
Fragen muss ich es mir versagen, auf die vorliegende reiche Literatur
jedes einzelnen dieser Punkte einzugehen. Es müsste den Rahmen
meiner Arbeit sprengen. Mir kam es darauf an, unsere im Laufe einer
schweren Epidemie gesammelten Erfahrungen geschlossen mitzuteilen.
Ihre grosse Fülle erforderte in vielen Punkten zahlenmässige Auf¬
rechnungen, eine numerische Gliederung der klinischen Beobachtungen,
die mit den landläufigen Statistiken nur den äusseren Aufbau gemein¬
sam hat.
Dass diese eingehende, Fehlerquellen nach aller Möglichkeit aus-
schliessende Wiedergabe unserer Beobachtungen möglich war, danke ich
der wertvollen Mitarbeit meiner Assistenten DDr. Görner, Königer,
Leede, Meinshausen, Querner, Rail und Rödelius.
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XIH.
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Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania
(Prof. Dr. S. Torup).
Heber Reaktionsbestimmungen des Harns.
Vod
H. F. Höst.
Um die Reaktion des Harns (die Azidität oder Basizität) zu be¬
stimmen, hat man sich in den Kliniken bis jetzt des Titrierens mit
n/ 10 Natronlauge oder n/ 10 Säure bedient, unter Zuhilfenahme irgendeines
Indikators und zwar insbesondere von Phenolphthalein.
Das Titrieren gibt jedoch bekanntlich niemals die wahre Reaktion
des Harns an, und wenn sich auch — worauf L. v. Rohrer 1 ) zuerst die
Aufmerksamkeit gelenkt hat — ein annähernder Parallelismus zwischen
der „Titrierazidität“ und der „loncnazidität“ findet, kann dies nur auf
gesunde Personen und nur für den Fall gleichartiger Ernährung in An¬
wendung gebracht werden. Aber selbst unter diesen Umständen ist ein
derartiger Parallelismus nicht immer vorhanden, und in pathologischen
Fällen werden erhebliche Verschiebungen zwischen der „Titrier-“ und der
„Ionenazidität“ eintreten können.
Wenn man bedenkt, welche vitale Bedeutung es für den Organismus
hat, die Reaktion der Blut- und Gewebsflüssigkeiten innerhalb ganz enger
Grenzen zu halten, und ferner, dass die Nieren, praktisch genommen,
das einzige Organ sind, vermittelst dessen sich der Organismus seiner
überschüssigen Hydroxyl- und Wasserstoffionen cntäussern kann, dann
wird es begreiflich, dass es unter physiologischen, wie auch insbesondere
unter pathologischen Verhältnissen von grösster Bedeutung ist, die wirkliche
Reaktion des Harns zu bestimmen.
Die älteren Verfahren, die darauf beruhen, dass die Schnelligkeit der
+
von (H) katalysierten chemischen Prozesse proportional ist zur Wasserstoff¬
ionenkonzentration, werden stets nur beschränkte Verwendung finden und
für die Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration des Harns nicht
geeignet sein: Auch das in seinen Grundzügen von W. Nernst 2 ) an¬
gegebene elektrometrische Verfahren ist wegen seiner grossen Umständlich¬
keit für klinischen Gebrauch nicht sehr angebracht; erübrigt ist dann
1) Pflügers Archiv. Bd. 86. S. 586.
2) Zcitschr. f. physik. Chemie. 1889. Bd. 4. S. 129.
%
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Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns.
207
noch die kalorimetrische Probe, die, zuerst von Friedenthal und Salm 1 )
ausgearbeitet, später von S. P. L. Sörensen 1 ) zum Gegenstand genauer
Untersuchung und Bearbeitung gemacht wurde. Dies Verfahren ist viel
einfacher als die zuerst erwähnten, hat aber bei klinischen Untersuchungen
bisher nur geringe Anwendung gefunden. Für Reaktionsbestiramungen
des Harns erweist es sich als sehr geeignet, und kommt die Unter¬
suchung mehrerer Harne in Frage, fällt es reichlich so bequem wie das
Titrieren; kommt hierzu noch, dass es umgekehrt zu diesem die wirk-
liche (H)-Konzentration angibt, sollte es bei Reaktionsbestimmungen des
Harns an Stelle des Titrierverfahrens treten.
Das Prinzip dieser Probe besteht in dem Vergleich des Farbentons,
den ein hierzu passender Indikator in den Lösungen bekannter Wasserstoff-
ionenkonzentrationen hervorruft, mit der Farbe, die derselbe Indikator der
Flüssigkeit, deren Reaktion bestimmt werden soll, verleiht.
Für derartige Standardflüssigkeiten können eine Reihe verschiedener
Salzlösungen dienen, deren Reaktion teils berechnet, teils vermittelst des
elektrometrischen Verfahrens bestimmt ist, und als Farbstoff gebraucht
man irgendeinen Indikator, dessen Farbenuraschlag gerade bei der Reaktion
stattfindet, die von der zu untersuchenden Flüssigkeit dargestellt wird,
dessen Farbenton bei dieser Reaktion leicht erkennbar und auffällig ist.
Das kolorimetrische Verfahren ist bei Reaktionsbestimmungen des
Harns schon von Lawrence L. Henderson 2 ) 3 ) und von W. W. Palmers 8 )
benutzt worden, die vermittelst dieses Verfahrens bei gesunden Personen
wie auch bei zahlreichen Patienten eine Reihe Bestimmungen der Wasserstoff¬
ionenkonzentration im Harn ausgeführt haben.
Da die kolorimetrische Probe in den Kliniken noch nicht recht in
Aufnahme gekommen ist, sei hier in aller Kürze eine Verfahrungsweise
wiedergegeben, wie sie sich bei einer Reihe von mir ausgeführter Reaktions¬
bestimmungen des Harns als zweckmässig erwiesen hat.
Reagentien: Sörensens Phosphat- und Boratmischungen und Michaelis’
Chlorammonium-Ammoniakmischungen. Bismarckbraun zum
Färben der Vergleichsflüssigkeiten sowie als Indikatoren:
Neutralrot, Methylrot und Phenolphthalein.
1. Eine 1 j l5 Mol.-Lösung von primärem Kaliumphosphat, die
9,078 g KH 2 P0 4 im Liter enthält (benannt: Primäres
Phosphat).
2. Eine J / 13 Mol.-Lösung von sekundärem Natriuraphosphat, die
11,876 g Na 2 HP0 4 12 H 2 0 im Liter enthält (benannt:
Sekundäres Phosphat).
1) Vgl. Ergehn, d. Physiol. 1912. I—II. S. 393.
2) Biochem. Zeitschr. Bd. 24. S. 40.
3) Journ. of biolog. Chem. XIII, p. 393, und XIV, p. 81.
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268 H. F. HÖST,
3• Eine alkalische Borsäurelösung, hergestellt durch die Lösung
von 0,29 Mol.-Borsäure (12,404g) in 100 ccm n-Natronlösung
und dessen Verdünnung zu einem Liter (benannt: Borat).
4. n/ 10 -Salzsäure, benannt HCl.
5. n-Chlorammoniumlösung.
6. n-Ammoniaklösung.
Indikatoren:
1. Gesättigte Lösung von Methylrot in 50 proz. Alkohol.
2. 0,1 pM. Neutralrot in 50 proz. Alkohol gelöst.
3. 1 pCt. Phenolphthalein in 96 proz. Alkohol.
Schliesslich ist es notwendig, der Vergleichsflüssigkeit die Farbe des
Harns zu verleihen; es kam hier eine wässerige Lösung von Bismarck¬
braun zur Anwendung.
Zur Ausführung des Farbenvergleichs ist es am besten, 18—20 gleich
weite Reagenzgläser zu benutzen und ein, oder besser zwei Reagenz¬
gestelle, die nur einer Reihe von etwa 10 Reagenzgläsern Platz bieten.
Die Gestelle sollten am liebsten — so wie von Sörensen angegeben
— schräg stehen, so dass die Gläser mit der Vertikalen einen Winkel
von 30—40° bilden, wodurch ihr Inhalt leicht und bequem gegen eine
weisse Unterlage (Papier oder dergl.) beobachtet werden kann.
Aus den Phosphat-, Borat- und Chlorammonium-Ammoniaklösungen
stellt man folgende Mischungen her, deren Wasserstoffionenexponent (Ph)
beigefügt steht.
Phosphatmischungen.
1
ccm
sek. Phospat -}- 99 ccm
prim. Phosphat . .
4,94 1»„
2,5 „
71
71
+ 97,5
71
71
71
5,28 „
5
n
71
71
4- 95
71
71
71
5,58 „
10
r>
71
71
+ 90
71
71
71
5,90 „
•20
n
71
71
+ 80
71
71
71
6,23 „
30
n
71
71
+ 70
71
71
71
6,46 „
40
71
71
71
+ 60
71
71
71
6,64 „
50
»
71
71
+ 50
71
71
71
6,81 „
60
r>
71
71
+ 40
71
71
71
6,97 „
70
n
V
71
+ 30
71
71
71
7,16 „
80
71
71
n
+ 20
71
71
71
7,38 „
90
n
71
n
+ 10
71
71
71
7,73 „
95
71
71
l tß n r 71 •
Boratmischungen.
8,04 „
60
ccm
Borat
-j- 40
ccm HCl
.
8,28 Pu
65
n
71
4- 35
71 71
• 8,50 „
70
7 ?
71
+ 30
71 71
• 8,67 „
75
n
71
+ 25
71 71
• 8,79 „
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns.
269
Chloramraonium-Ammoniakmischungcn.
~ = 16/1.8,29 P„
Y = 8/1 .8,59 „
» = 4/1.8,89 „
Alle diese Flüssigkeiten müssen in Flaschen von gutem Glas auf¬
bewahrt werden.
Ausführung: Man bringe 9 bis 10 Reagenzgläser in je einem der
Gestelle an und giesse in jedes Reagenzglas 10 ccm einer der her¬
gestellten Mischungen, so dass eine fortlaufende Reihe von Lösungen mit
steigenden Wasserstoffionenexponenten von 4,94 Phosphat bis 8,79 Borat
entsteht. Die Flüssigkeiten müssen die Temperatur von 18 0 haben, da
der Exponent bei dieser Temperatur bestimmt ist und die Reaktion sich
infolge der Hydrolyse mit der Temperatur verändert.
Jeder der Vergleichsflüssigkeiten in den Reagenzgläsern wird so viel
der Bismarckbraunlösung zugesetzt, dass die Flüssigkeiten dieselbe Farbe
wie ein mittelstark gefärbter Harn annehmen (Vogel III—-IV).
Besonders helle und besonders dunkle Harne sowie ammoniakalische
Harne müssen allein für sich untersucht werden (vgl. weiter unten).
Darauf füge man die Indikatoren hinzu. Zu den Phosphatmischnngen
mit dem Exponenten von 4,94 einschl. bis 6,23 einschl. kommt 1 / 2 ccm
Methylrotlösung, zu Phosphat von 6,43 bis Borat 8,28 einschl. 1 ccm
Neutralrotlösung und zu Lösungen mit noch höheren Exponenten 3 Tropfen
Phenolphthaleinlösung.
Man untersuche den Harn am liebsten sofort nach der Entleerung, weil derselbe
seine Reaktion verändert, wenn er stehen bleibt und die Kohlensäure entweicht. Kann
er nicht sofort zur Untersuchung kommen, fülle man ihn in Flaschen, die ganz voll¬
gegossen und dann verkorkt werden müssen.
+
Der Harn, dessen (H) Konzentration bestimmt werden soll, ist bis
auf 37° zu erwärmen und, wenn erforderlich, zu filtrieren, worauf in
2 Reagenzgläser 10 ccm Harn getan wird. Die Temperatur wird wiederum
bis auf 37 0 gebracht, die Reaktion mit Lackmuspapier untersucht, worauf
man zu dem einen Reagenzglas 1 ccm Neutralrotlösung fügt und zum
andern, falls das Lackrauspapier saure Reaktion zeigte, 0,5 ccm Methylrot¬
lösung, dagegen 3 Tropfen Phenolphthaleinlösung, sofern die Reaktion
alkalisch war.
Hierauf vergleiche man die Farbe des Harnes mit derjenigen der
Standardflüssigkeiten, da unschwer zu erkennen ist, welcher Farben¬
umschlag der beiden zugefügten Indikatoren am besten auf den Harn
passt. Hat der Harn z. B. dieselbe Farbe wie Phosphat 6,23, so ist
dies der gesuchte Wasserstoffionenexponent.
Entspricht die Farbe des Harns keiner der Farben, die die Standard¬
flüssigkeiten zeigen, ist sie z. B. dunkler als Ph = 5,90, doch heller als
P H = 5,58, kann man ungefähr beurteilen, wo der Exponent liegen muss
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*270 II. F. IIOST,
oder auch eine Standardflüssigkeit mit dem zwischenliegenden Exponenten
cinschieben, indem man 5 ccm der beiden Mischungen, deren Exponent
demjenigen des Harns am nächsten kommt, zusammenbringt.
Bei sehr hellen oder sehr dunklen Harnen muss man den Standard¬
flüssigkeiten durch Hinzufügen von weniger bzw. mehr der Bisraarckbraun-
lösung ungefähr die Farbe verleihen, die der Harn hat. Doch zeigt es
sich in den allermeisten Fällen, dass es hinreichend ist, den Standard¬
flüssigkeiten die Färbung eines mitteldunklen Harns zu geben, da
Bismarckbraun zusammen mit den oben erwähnten Indikatoren Farben
ergibt, die leicht vergleichbar sind mit der durch den Zusatz des
Indikators zum Harn entstehenden Farbe. Man kann mithin die Reaktion
einer ganzen Reihe von Harnen untersuchen, ohne die Standardflüssig¬
keiten verändern oder erneuern zu brauchen.
Will man die Reaktion stark ammoniakalischer Harne bestimmen,
nehme man als Vergleichsflüssigkeiten statt Borat 8,28—8,79 lieber die
Chlorammonium-Ammoniakmischungen 8,29—8,81, da sich diese in solchen
Fällen besser hierzu eignen als die Boratmischungen.
Henderson und Palmer, die übrigens teilweise andere Vergleichs¬
flüssigkeiten und andere Indikatoren benutzt haben, verdünnen jeden der
Harne, der P H zwischen etwa 5,3 und 7,6 zeigt, mit Wasser, um die
Farbe des Harns fortzueleminieren und dadurch das Färben der Standard¬
flüssigkeiten zu vermeiden. Sowohl der Harn wie die Standardflüssig¬
keiten werden mit Wasser von 10 ccm bis hinauf zu 250 ccm verdünnt,
ehe die Indikatoren (Paranitrophenol und Neutralrot) hinzugetan werden.
Bei der Untersuchung einer Reihe von Harnen haben Henderson und
Palmer gefunden, dass das Verdünnen das Verhältnis zwischen der
WasserstofTionenkonzentration des Harns und der Standardflüssigkeiten —
falls dieser innerhalb der oben genannten Grenzen liegt — nicht ver¬
schiebt.
Hierzu sei aber bemerkt, dass, wenn auch ein solches Verdünnen im
allgemeinen vielleicht denselben Einfluss auf die Dissoziation des Harns
wie der Standardflüssigkeiten hat, so lässt sich doch nicht voraussetzen,
dass dies stets der Fall sein wird.
Nun habe ich auch eine Reihe von Vergleichen zwischen Hendersons
und Palmers und dem oben beschriebenen Verfahren angestellt, und habe
stets sichere Ergebnisse ohne die Verdünnung erzielt, sofern die erwähnten
Indikatoren in dem Massenverhältnis und zu den (H)Konzentrationen, wie
oben angegeben, verwendet wurden.
Aus Hendersons und Palmers Arbeiten geht nicht deutlich hervor,
ob sie den Harn bei Körpertemperatur untersucht haben, was ja selbst¬
verständlich immer geschehen sollte, denn infolge der hydrolytischen
Dissoziation wird sich ein Unterschied in der Reaktion bei Zimmer¬
temperatur und bei Körpertemperatur stets bemerkbar machen, ja, dieser
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Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns. 271
Unterschied kann recht erheblich sein; am stärksten tritt dies natürlich
bei Phophatharnen und ammoniakalischen Harnen zutage und zwar wird
die Reaktion bei Körpertemperatur natürlich das grössere physiologische
und pathologische Interesse haben.
4-
Soll aber die (H)Konzentration mehrerer Harne bestimmt werden,
ist es viel unbequemer, jedesmal 250 ccm bis auf Körpertemperatur zu
erwärmen als nur 10 ccm, wie es überhaupt beschwerlicher ist, mit 10
bis 12 Standardflüssigkeiten von 250 ccm statt von 10 ccm zu arbeiten.
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XIV.
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Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania
(Prof. Dr. S. Torup).
üeber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege.
Von
H. F. Höst.
Seit Nicolaier 1 ) in der Mitte der neunziger Jahre das Urotropin in
die Therapie einführte und dasselbe insbesondere bei bakteriellen Krank¬
heiten der Harnwege anempfahl, hat es weite Verbreitung gefunden und
ist zum Gegenstand mancher Untersuchungen gemacht worden. Die bis
jetzt veröffentlichten Arbeiten über Urotropin haben jedoch grösstenteils
in kasuistischen Mitteilungen über die therapeutische Wirkung desselben
bestanden, während dagegen sein chemisches Verhalten im Organismus
und die zu seiner Wirkung erforderlichen Bedingungen noch nicht hin¬
reichend untersucht worden sind.
Urotropin, Hexamethylentetramin, ist ein Kondensationsprodukt von
Formaldehyd und Ammoniak. Schon Hartung 2 ) hat dargetan, dass
Urotropin durch Kochen mit Salzsäure oder wenn man es eine Zeit lang
mit Salizylsäure stehen lässt, in Formaldehyd und Ammoniak zersetzt
wird, während gleichzeitig noch etwas Methylamin entsteht.
Als eine Folge der Konstitution des Urotropins nahm Nicolaier
an, dass seine bei Leiden im Harntraktus zutage tretende bakterielle
Wirkung auf der Freimachung von Formaldehyd im Harn beruhe, eine
Annahme, die noch wahrscheinlicher gemacht wurde durch die Unter¬
suchungen von Mosso und Paoletti 3 ), nach denen erwiesenermassen
schon 0,02 pM. Formaldehyd hinreichend waren, um die ammoniakalische
Harngärung zu hemmen, und 0,1 pCt., um dieselbe völlig zu verhindern.
In seiner grossen und ausführlichen Arbeit von 1899 hat Nicolaier
unter anderem die antibakterielle Wirkung des Urotropins untersucht und
hat sich insbesondere bestrebt, die Verhältnisse klarzulegen, welche die
Abspaltung des Formaldehyds im Harn bedingen.
Zum Nachweis von Formaldehyd bedient sich Nicolaier — mit
einigen Modifikationen — einer schon früher von Jorissen angegebenen
1) Diese Zeitschrift. 1899. Bd. 38. S. 350.
2) Journ. f. prakt. Chemie. Bd. 46. S. 16.
3) Archiv. Ital. de biologio, ber. in The British Medical. 1896. 8. 2.
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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 273
Methode. Nach Nicolai er wird die Reaktion folgendermassen aus¬
geführt:
Zu 5—10 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit werden einige
Körnchen Phlorogluzin und danach 5—10 Tropfen Natronlauge getan.
Die Reaktion ist positiv, wenn sich die Flüssigkeit je nach der Menge
des Formaldehyds schwach gelbrot bis intensiv rot färbt.
Das Phlorogluzin selbst gibt mit Natronlauge eine schwach violette
Färbung, die sich nach etwa ^2 Minute zeigt, für die Formaldehyd¬
reaktion aber nicht störend ist. 1 Teil Formaldehvd zu 800000 Teilen
Flüssigkeit gibt Nicolaier zufolge positive Reaktion; wird dieselbe im
Harn ausgeführt, muss dieser zuvor mit Tierkohle entfärbt werden.
Die Untersuchungen Nicolaiers geben in Kürze folgende Ergebnisse:
Urotropin spaltet Formaldehyd nicht nur beim Kochen mit starken
Mineralsäuren, sondern auch dann ab, wenn die Behandlung mit
schwächeren Säuren erfolgt, ja sogar in rein wässerigen Lösungen ist
dies der Fall, sobald diese eine Zeit lang bei 37° erhalten werden.
Schon 10—15 Minuten nach der Verabreichung von Urotropin kann
derselbe im Harn, wo die Abspaltung von Formaldehyd sofort beginnt,
nachgewiesen werden; saure sowohl wie neutrale und alkalische Harne
zeigen in dieser Beziehung dasselbe Verhalten. So lange dem Harn die
Temperatur von 37° erhalten bleibt, tritt eine bakterielle Entwicklung
nicht ein, bei Zimmertemperatur dagegen wuchern die Bakterien un¬
behindert.
In einer Reihe von Krankengeschichten erläutert Nicolaier schliess¬
lich die Wirkung des Urotropins bei verschiedenen Entzündungszuständen
der Harnwege; und wie diese Krankengeschichten Nicolaier zufolge
dartun, „führt das Urotropin nicht nur bei den Affektionen der Harnwege
mit ammoniakalischer oder alkalischer bzw. neutraler Reaktion, sondern
auch bei denen mit saurer Reaktion zur Besserung bzw. Heilung“.
In einigen Fällen versagt jedoch das Urotropin, ohne dass die
Reaktion des Harns, wie der Verfasser meint, in dieser Beziehung irgend¬
welche Bedeutung habe.
Die meisten der späteren Arbeiten über Urotropin behandeln im
wesentlichen seine therapeutische Wirkung auf die vielen verschiedenen
Krankheiten, bei denen es zur Anwendung kommt. Vor etwa 2 Jahren
jedoch hat L’Esperance 1 ) die nach dem Gebrauch von Urotropin ein¬
tretende Formaldehydausscheidung untersucht und ist zu dem Ergebnis
gelangt, dass nur bei 50 pCt. der Patienten Formaldehyd im Harn —
dessen Reaktion der Verfasser in dieser Beziehung für belanglos erklärt
— nachgewiesen werden konnte. Aehnliche von A. Brinchmann 2 ) ge-
1) Boston med. and surg. jonrn. Vol. CLXVII. No. 17, bcr. in British mod.
journ. No. 2729.
2) Norsk Magasin f. Laegevidenskab. 1913. No. 10.
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274 II. F. II<)ST,
machte Untersuchungen lassen diesen anführen, dass er in den meisten,
auf die Harnreaktion hin untersuchten Fällen Formaldehyd erweisen
konnte, sobald der Harn sauer reagierte, dagegen fast nie bei neutraler
oder alkalischer Reaktion.
L’Esperance und nach ihm Brinchmann haben sich jedoch der
sogenannten „ßurnams a -Reaktion, einer auf Formaldehyd im Harn
verhältnismässig wenig empfindlichen Reaktion bedient, denn, wie meine
Untersuchungen erweisen, macht das Kreatinin eine Beurteilung des Er¬
gebnisses bei kleineren Mengen Forraaldehyd schwierig bzw. unmöglich.
Diese Reaktion ist übrigens schon vor 12 Jahren von Rim in i angegeben
worden und sollte wohl eigentlich seinen Namen verdienen.
Zu 10 ccm Harn werden einige Tropfen 5proz. Phenylhydrazin¬
chloridlösung, danach .einige Tropfen 5proz. Nitroprussidnatriumlösung
gesetzt, und nach erfolgtem Umschütteln einige Tropfen konz. Natronlauge.
Die Reaktion wird als positiv angesehen, wenn nach dem Zusatz
von Kalilauge sich eine dunkle Purpurfarbe bildet, die schnell ins grün-
blauschwarze übergeht.
In wässeriger Formaldehydlösung vorgenommen, lässt diese Reaktion,
wie Rimini erwiesen hat, eine schöne Blaufärbung entstehen, die bei
stärkeren Konzentrationen blauschwarz bis ganz schwarz wird. Im Harn
reagiert aber das Kreatinin mit Nitroprussidnatrium und bildet beim Vor¬
handensein von Alkali eine mehr oder weniger rote Farbe, die über die
von den geringeren Mengen Formaldehyd herrührende schwache Blau¬
färbung deckt; in solchen Fällen kann man aber die blaue Farbe —
sofern sie nicht allzu schwach ist — durch einen Zusatz von Essigsäure
hervorrufen, welche die Kreatininreaktion zum Schwinden bringt.
Enthält der Harn etwas mehr Formaldehyd, entsteht eine Dunkel¬
färbung, die bei der Gegenwart von hinlänglichen Mengen Formaldehyd
ins grünschwarze-blauschwarze übergeht.
1 ccm Formalin zu 20000 ccm Harn (neutral oder schwach sauer):
dunkle Rotfärbung,
1 ccm Formalin zu 5000 ccm Harn (neutral oder schwach sauer):
dunkle Purpurfärbung,
1 ccm Formalin zu 2000 ccm Harn (neutral oder schwach sauer):
dunkle Purpurfärbung, die schnell ins grünschwarze-blau¬
schwarze übergeht.
In wässerigen Lösungen wird bei einer Verdünnung von 1 ccm
Formalin zu 50000 ccm Wasser Riminis Reaktion schwach positiv.
Riminis Reaktion zeigt sich also im Harn erst positiv, wenn dieser
etwa 0,3 pM. Formaldehyd (Formalin = 40 pCt. Formaldehyd) enthält,
während Jorissens Reaktion, Nicolaier zufolge, das Formaldehyd in
einer Verdünnung von 1 : 800000 erweist, so dass diese also — wie es
auch meine Untersuchungen betreffs des Harns gezeigt haben — über
Gck igle
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Ueber Urotropin als Desinüziens der Harnwege.
275
100 Mal so empfindlich ist. ln wässeriger Formaldehydlösung ist
Jorissens Reaktion aber noch empfindlicher, denn sie ist positiv in der
Verdünnung 1:7000000; sie ist demnach wohl die empfindlichste der
vielen Formaldehydreaktionen.
Von dem Eintritt des Urotropins in die Therapie an hat man die
Beobachtung gemacht, dass seine Wirkung auf die Leiden der Harnwege
ziemlich inkonstant war. Nach den Untersuchungen Nicolaiers ist
anzunehmen, dass die desinfizierende Wirkung des Urotropins auf der
Abspaltung von Formaldehyd beruht, während das Urotropin selbst keine
wesentlich antibakterielle Wirkung hat, denn urotropinhaltiger, in Zimmer¬
temperatur stehender Harn, in dem kein Formaldehyd erwiesen werden
konnte, wurde ebenso schnell trübe und ammoniakalisch wie urotropin¬
freier Harn derselben Konzentration und Reaktion. Hingegen, wenn der
Harn, bei 37° auf bewahrt, Formaldehyd abspaltete, verblieb er klar.
Unter diesen Umständen wird es Interesse haben, die Faktoren klar¬
zulegen, welche die Abspaltung des Urotropins vom Formaldehyd und
vor allem im Harn bedingen.
Während Citron 1 ) meint, Formaldehyd bilde sich nur im sauren
Harn, betont Nicolaier die Bedeutungslosigkeit der Reaktion an und für
sich und legt das Gewicht nur auf die erhöhte Temperatur. L’Esperance
hält ebenfalls die Reaktion für belanglos und vermutet, dass die Formaldehyd¬
abspaltung im Harn von individuellen Eigentümlichkeiten abhängig sei.
Andere Verfasser nehmen in dieser Beziehung je verschiedene Standpunkte
zur Frage der Harnreaktion ein, so dass sich aus den gewonnenen Er¬
gebnissen ^nichts Bestimmtes schliessen lässt.
Als Reagens für Formaldehyd bediente ich mich bei meinen Unter¬
suchungen sowohl der Reaktion Jorissens wie derjenigen Riminis; bei
der sehr verschiedenen Empfindlichkeitsgrenze dieser Reaktionen und ihrer
beim Reagieren so-abweichenden Intensität kann man sehr wohl zu einer
ungefähren Schätzung der vorhandenen Menge Formaldehyd gelangen.
Bei der Ausführung von Jorissens Reaktion sollte die Reaktion
vergleichshalber auch gleichzeitig in einer frisch zubereiteten Urotropin¬
lösung vorgenommen werden, wobei das Reagenzglas schräg von oben
nach unten zu betrachten ist, weil sodann der erste gelbrote Schein am
besten ins Auge fällt. Tritt dieser nicht nach 1 / 2 Minute zutage, habe
ich die Reaktion für negativ angesehen, da die violette, vom Phlorogluzin
herrührende Färbung sich nach Verlauf dieser Zeit geltend macht und die
Beobachtung der schwachen gelbroten Farbe erschwert.
Bei diesen Untersuchungen über die Abspaltung des Urotropins vom
Formaldehyd sind, sofern nichts anderes bemerkt ist, die Urotropin¬
lösungen stets in der Konzentration von 0,2 pCt. verwandt, was an-
1) Monatsschr. über d. Gesamtleistungen auf d. Gebiet d. Krankh. d. Harn- u.
Sexualapparate. 1S81. BJ. 3. Nr. 2.
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276 H. F. HÖST,
nehmbarerweise ungefähr der Menge Urotropin entspricht, die man ira
Harn bei den gewöhnlichen Dosen (1 g 2—3 mal täglich) vorfindet.
Zunächst galt die Untersuchung dem Spaltungsverhalten des Urotropins
in rein wässerigen Lösungen.
Bleibt eine wässerige Urotropinlösung im Laboratorium bei.17—18° C
stehen, wird man gewöhnlich nach 3—4 Wochen kleine Mengen Formaldehyd
nachweisen können.
Erwärmt man eine Urotropinlösung bis zum Siedepunkt, wird Urotropin
in Formaldehyd und Ammoniak zersetzt; das Formaldehyd kann durch
die zuvor erwähnten Reaktionen erwiesen werden, das Ammoniak wie
üblich mit Lackmuspapier. Wird die Lösung bis auf 14—15° abgekühlt,
verschwindet Riminis Reaktion und Jorissens Reaktion wird sehr
schwach; wird die Lösung eine Zeitlang bis auf 0° abgekühlt, wird
Jorrissens Reaktion zweifelhaft, denn erst nach y 2 —I Minute entsteht
eine ganz schwache rötliche Färbung, die ebensogut der Einwirkung des
Alkalis auf das Phlorogluzin wie kleinsten Mengen Formaldehyd zu¬
geschrieben werden kann. Erhitzt man die Lösung von neuem, werden
beide Reaktionen wiederum stark positiv; dies kann mehrmals wiederholt
werden.
Setzt man zu 10—15 ccm Urotropinlösung einige Tropfen Salzsäure
oder Schwefelsäure, werden die beiden obigen Reaktionen nach kurzer Zeit
positiv. Fügt man nun einen Ueberschuss Alkali hinzu, schwindet Riminis
Reaktion, während die Intensität in Jorissens Reaktion nach einer Weile
etwas abnimmt. Indem man die Lösung abwechselnd sauer und alkalisch
werden lässt, kann man Riminis Reaktion wiederholt bzw. positiv und
negativ machen, während Jorrissens Reaktion nach einmaliger Behandlung
der Flüssigkeit mit Säure keiner sonderlichen Veränderung unterliegt.
Um zu vermeiden, dass Alkali im allgemeinen auf die angewandten
Formaldehydreaktionen einen störenden Einfluss üben könne, wurde eine
schwache Formaldehydlösung stark alkalisch gemacht, ohne dass dies auf
die Intensität der obigen Reaktionen einen Einfluss hatte.
Wenn beide Reaktionen nach Abkühlung einer erwärmten wässerigen
Urotropinlösung schwinden, Jorissens Reaktion aber bei einem Ueber¬
schuss von Alkali nach vorheriger Säurenbehandlung nicht schwindet,
deutet dies darauf hin, dass die durch Säure verursachte Zersetzung unter
Bildung von Produkten erfolgt, die nach dem Zusatz von Alkali nicht
völlig zu Urotropin synthetisiert werden. Dies mag auch mit dem Nachweis
Har tun gs übercinstimraen, demzufolge durch Säureeinwirkung geringe
Mengen von Methylamin entstehen.
Erhitzt man eine Urotropinlösung unter Hinzufügung einiger Tropfen
Säure bis zum Kochen, werden die Formaldehydreaktionen in noch höherem
Masse positiv, als wenn die Lösungen nur erwärmt oder bei Zimmer¬
temperatur mit Säure behandelt werden; nach der Abkühlung bewahren
die Reaktionen ihren stark positiven Charakter.
Original from
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lieber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege.
277
Beim Kochen einer alkalischen Urotropinlösung zeigt es sich, dass
die Formaldehydreaktion positiv bleibt, selbst wenn die Flüssigkeit
stark alkalisch ist (z. B. etwa 6 ccm 0,2 proz. Urotropinlösung + 2 ccm
lOproz. NaOH); doch darf der Alkaligehalt ein gewisses Mass nicht über¬
schreiten. Es kann z. B. kein Formaldehyd erwiesen werden, wenn
Urotropin in Substanz mit 10 proz. Natronlauge aufgekocht wird. Kocht
man dagegen einige Tropfen Formalin mit lOproz. Natronlauge, hat dies
keinerlei Einfluss auf die Stärke der Formaldehydreaktionen.
Diese Untersuchungen ergeben, wie auch Nicolaier geltend gemacht
hat, dass Urotropin durch die Erhitzung in wässerigen Lösungen oder
durch die Behandlung mit Säuren Forraaldehyd abspaltet, sie zeigen aber
auch, dass diese Reaktion reversibel ist bei Abkühlung, und im wesent¬
lichen auch reversibel, wenn man nach vorherigem Säurenzusatz eine
hinreichende Menge Alkali hinzutut, und dass ferner die Gegenwart einer
gewissen Menge Alkali die Abspaltung von Formaldehyd beim Kochen
verhindert.
Nach diesen vorbereitenden Untersuchungen über das Spaltungs¬
verhalten des Urotropins in wässerigen Lösungen bei Zimmertemperatur,
bei Kochung und unter der Einwirkung von Alkali und Säuren, wurde
das Verhalten der wässerigen Urotropinlösungen bei 37° teils mit, teils
ohne Zusatz von geringen Mengen Alkali, Säure und verschiedenen Salzen
untersucht.
Lässt man eine wässerige 0,2 proz. Urotropinlösung bei 37° stehen,
kann Formaldehyd, wie aus der Tabelle I hervorgeht, nach 15 Minuten
nachgewiesen werden.
Tabelle I.
Wässerige Lösung.
R i m i n i s
Reaktion
J orissens
Reaktion
0,2 pCt. Urotropin
24 Stunden bei 37° ....
. +
+
0,2 „
< r T O i ....
. —
+
0,2 „
15 Minuten „37° ....
. —
+
0,2 „
10 „ „ 37o ... .
. —
Natriumhydroxyd in
0,2 pCt. Urotropin
wässeriger Lösung,
in n/1000 NaOH 24 Std. bei 37°
0,2 .
* n/1000 „ 48 „ „ 37°
. —
+
0,2 „
„ n/10000 „ 24 „ „ 37°
. —
schw. +
1 .
* n/10000 „ 24 * r 370
. —
stark -j-
A m moniakalische Lösung.
0,2 pCt. Urotropin n/1000 NH 8 24 Std. bei 37°
0,2 *
n/1000 NH, 48 . „ 37» .
. —
+
0,2 „
n/10000 NH 3 24 „ „ 37° .
. —
+
Salzsäurelösung.
0,2 pCt. Urotropin
n/100000 HCl 10 Min. bei 37° .
. —
+
Wie man sieht, haben Säuren und Alkali hinsichtlich der Zersetzung
enorme Bedeutung. Kleinste Säuremengen, n/100000 HCl, beschleunigen
die Zersetzung, während dieselbe umgekehrt durch geringe Mengen Alkali
in ausgesprochener Weise verzögert bzw. ganz verhindert werden kann.
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278
H. F. HÖST,
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Die Abspaltung von Formaldehyd in einer Urotropinlösung ist demnach
— +-
abhängig von dem vorhandenen (OH) und (H), mit anderen Worten von
+
der tatsächlichen Reaktion der Lösung, so dass also (H) als positiver
Katalysator und (OH) als negativer Katalysator wirkt. Die Reaktion
verläuft im wesentlichen:
(CH 2 ) 6 N 4 + 6 HoO 6 CH 2 0 + 4 NH S
indem jedoch gleichzeitig, wie oben erwähnt, etwas Methylamin entsteht.
Die von Nicolaier betonte grosse Bedeutung der Temperatur für
die Zersetzung ist zweifelsohne auch der Ionenwirkung zuzuschreiben,
denn die Dissoziationskonstante des Wassers steigt bekanntlich enorm
mit der Temperatur.
Wenn indessen eine Urotropinlösung sogar beim Vorhandensein eines
erheblichen Ueberschusses von Alkali das Formaldehyd bei hinreichend
hoher Temperatur abspaltet, beweist dies, dass die positiv katalytische
Kraft der (H) Ionen stärker ist als die negativ katalytische Kraft der
(OH) Ionen.
Erwärmt man eine wässerige Urotropinlösung, wodurch sowohl (OH)
4- —
wie (H) an Anzahl steigen, wird demnach selbst ein Ueberschuss von (OH),
sofern er ein bestimmtes Mass nicht überschreitet, die Formaldehyd¬
abspaltung nicht verhindern können.
Die vom Urotropin in einer Zeiteinheit gebildete Menge von Formaldehyd
ist demnach abhängig von
1. dem Verhältnis zwischen (OH) und (H) (d. h. der Reaktion der
Lösung), +
2. der absoluten Menge (H),
3. der Konzentration der Urotropinlösung.
Während die Formaldehydspaltung, wie erwiesen, in einer sauren
Urotropinlösung leicht und schnell vor sich geht, vermögen selbst geringe
Mengen Alkali die Abspaltung zu hemmen, und da nun der Harn oft
neutral oder schwach alkalisch ist, wurde die Abspaltung in reinen Salz¬
lösungen neutraler und vor allem schwach alkalischer Reaktion untersucht.
Zu diesem Zweck sind, wie die Tabellen II und III angeben, die
Phosphat- und Boratmischungen Sörensens sowie die Chlorammonium-
Ammoniaklösungen von Michaelis verwendet worden. Mit Bezug auf die
Zusammensetzung sei auf die Urschriften 1 ) verwiesen, sowie auf meinen
Artikel „Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns“ 2 ), wo die Zusammen¬
setzung der meisten in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Flüssigkeiten
angegeben sind. Nur möchte ich bemerken, dass Sörensen seine
1) S. P. L. Sörensen, Ergebnisse der Physiologie. 1912. I—II. S. 393. —
Michaelis, Abderhaldens Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. 1910.
Bd. 3. S. 1337.
2) S. 266 dieses Heftes.
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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege.
279
Wasserstoffionenexponenten bei 18° bestimmte. Wenn die in Frage
kommenden Lösungen dieser Arbeit grösstenteils bei 37 0 verwendet
Tabelle II.
Pn bei
18°
Ph ge¬
funden
bei 37 0
Jorissen ►-
m
I m '
>td.
a
S
5
The
2 5
fl
03
co
CO
Im
O
l-i
r m 0
Std.
fl
i
5
s t a t
3 S
fl
03
co
91
Im
O
1-5
; be
5td.
fl
e
5
i 370
7 S
A
03
CO
CO
Im
O
•-5
ltd.
fl
S
5
0,2 pCt. Urotropin gelöst in
dest. Wasser.
7,07
+
—
—
—
—
n/IMill. NaOH ....
8,14
+
—
—
—
—
n/100000 NaOH ....
9,14
+
—
—
—
Pb09phatmischungen . .
7,16
7,30
+
—
—
—
+
7,73
8,04
+
—
—
—-
—
8,04
8,28
+
—
—
—
!
Boratmischungen ....
8,90
—
—
+
—
—
—
9,36
—
—
+
—
—
—
9,67
—
—
—
—
—
—
—
—
Amcl-NH 3 -MischuDgcn . .
7,38
+
—
—
—
—
7,68
+
—
—
—
—
8,89
—
—
—
—
—
—
+
—
9,48
—
—
—
—
—
! —
+
—
Phosphatmischungen . .
5,58
+
+
i
5,90
+
—
aber + nach 1 1
I 2 Stunden.
Tabelle III.
Ph
18°
Ph ge¬
funden
bei 36 0
Tp.
10
Min.
Joriss
15 I 20
Min. j Min.
cns Reakt
25 | 30
Min. 1 Min.
ion nach
0,2 pCt. Urotropin
gelöst in
n/IMill. NaOH . .
8,14
370
—
—
—
+,
n/100000 NaOH . .
9,14
370
—
—
—
_ : — |
n/IMill. HCl. . .
6,0
370
—
+
!
n/100000 HCl . .
5,0
370
+
1 j
Phosphatmischungen
6,81
18°
+
(Sörensen)
6,87
180
1
+ i
7,16
18°
—
—
; + ’
7,38
18°
! -f- nach 50 Min.
7,73
18°
; ■ —
- „ 70 r
7,16
ca. 7,30
37°
+
7,38
* 7.55
37°
+
7 73
. 8,04
37°
+
8,04
. 8,28
37°
—
—
—
!
Boratmischungen
8,28
„ 8,50
37°
I
—
-f- nach 45 Min.
(Sörensen;
8,67
, 8,75
37°
j
1 , -
+ „ 1 Std.
8,90
37°
: -
+ * IV* Std.
Ammoniak-Chlor-
7,38
37°
—
+
!
1
i ;
ammoniummischung.
7,68
37°
—
1 +
! 1
(Michaelis)
7,98
37°
- +
8,28
37°
—
1 T" nacli 45 Min.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. |y
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280
H. F. HÖST
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wurden mit dem beigefügten Exponenten für 18°, so ist dies natürlich
unrichtig, da bekanntlich die Reaktion der Lösung eines aus einer starken
Base und einer schwachen Säure bestehenden Salzes bei steigender
Temperatur zur alkalischen Seite hin gestört wird. Wird demnach die
Reaktion in den Phosphat- und Boratmischungen Sörensens bei 37° be¬
stimmt, so ist sie, wie die Tabelle zeigt, erheblich „alkalischer“ als bei 18°.
Prüft man die Tabellen II und III, so ersieht man, dass sich Formal¬
dehyd bei 37° in Urotropinlösungen sowohl in sauren, neutralen wie
alkalischen Lösungen abspaltet, aber die Schnelligkeit der Abspaltung
verhält sich im grossen ganzen proportional zur Wasserstoffionenkonzen¬
tration (NB. umgekehrt proportional zum Wasserstoffionenexponenten).
Doch zeigt es sich, dass auch andere Faktoren bedeutungsvoll für die
Abspaltung sind, denn die Phosphatmischungen können, wie die Tabellen
dartun, das Formaldehyd leichter abspaltcn als ihre (H)-Konzentration
vermuten Hesse. So ergeben z. B. Phosphatmischungen mit P H =7,16
und 7,38 bei 37°, wo die Exponenten erwiesenermassen bzw. 7,30 und
7,55 sind, schon nach 10 Minuten eine positive „Jorisscnreaktion“,
mithin schneller als rein (neutrale) wässerige Lösungen und auch schneller
als die Chloraramonium-Ammoniakmischungen mit den entsprechenden
Exponenten.
Um dies zu erklären, darf man nicht vergessen, dass bei der Zer¬
setzung von Urotropin in wässeriger Lösung neben Formaldehyd auch
Ammoniak entsteht, und dies wird zweifelsohne, indem es die (ÖH)-Kon-
zentration erhöht, die weitere Zersetzung erschweren. Indessen, die
Mischungen von Mono- und Dinatriumphosphat wirken in ausgesprochener
Weise neutralisierend, worauf unter andern Henderson aufmerksam ge¬
macht hat, und als Folge hiervon werden die Phosphatmischungen bis
zu einem gewissen Grad verhindern, dass das entstandene Ammoniak
die Reaktion nach der alkalischen Seite hin verschiebt und hierdurch
wird wiederum die weitere Abspaltung von Formaldehyd erleichtert.
Hier muss man den Grund dafür suchen, dass Phosphatmischungen das
Formaldehyd vom Urotropin leichter abspalten, als es rein wässerige
Lösungen und die Lösungen anderer Salze mit entsprechender Wasser¬
stoffionenkonzentration tun.
Ebenso ist aus den Tabellen zu ersehen, dass wenn sich auch geringe
Mengen Formaldehyd verhältnismässig schnell sowohl in neutralen wie
in schwach alkalischen Lösungen abspalten, es doch augenscheinlich
schwer fällt, unter solchen Verhältnissen grössere Mengen von Formal¬
dehyd abzuspalten; nur in „Phosphat 7,16“ (7,30) sieht man z. B., dass
Riminis Reaktion nach 7 Stunden positiv ist; in rein wässerigen Lösungen
sowohl wie in andern Versuchsflüssigkeiten ist dieselbe nach derselben
Zeit negativ. Augenscheinlich erfolgt die Abspaltung in diesen Flüssig¬
keiten anfangs schnell, um dann erheblich langsamer zu werden. Dies
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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege.
281
muss sicher der Entstehung von Ammoniak zugeschrieben werden. In
viel leichterer Weise bilden sich grössere Formaldehydmengen in sauren
Phosphatmischungen, so war Riminis Reaktion in einer Phosphat¬
mischung mit dem Exponenten 5,58 nach 1 Stunde positiv, und ebenso
in einer andern Phosphatmischung mit dem Exponenten 5,90 nach
V/o Stunden positiv.
Hiernach lag es nahe, anzunchmen, dass das wechselnde Ergebnis,
wie es hinsichtlich des Auftretens von Formaldehyd im Harn bei der
Behandlung mit Urotropin zutage trat, der Reaktion des Harns selbst
zuzuschreiben sei.
Ich habe deshalb das Verhalten des Urotropins in Harnen mit
wechselnder Reaktion untersucht.
Um die Reaktion des Harns zu bestimmen (d. h. die Wasserstoff-
bzw. Hydroxylionenkonzentration) ist das kolorimetrische Verfahren der
schon früher von mir beschriebenen Form 1 ) benutzt worden.
Wie die Tabelle IV dartut, stellt es sich heraus, dass die bei 37°
im Harn erfolgende Formaldehydabspaltung des Urotropins — gemäss
den oben erwähnten Ergebnissen — proportional ist zur Wasserstoff-
ionenkonzentration und zur Zeit. Während saure Harne Formaldehyd
verhältnismässig schnell in nicht unerheblichen Mengen abspaltcn, indem
sogar ein Harn mit dem Exponenten 6,46 nach 1 Stunde Riminis
Reaktion positiv zeigt, bemerkt man, wie sich das Verhältnis gänzlich
ändert, sobald der Exponent bis auf den Neutralpunkt und auf die
alkalische Seite hinüber geht. Ein Harn mit Ph = 7,50 zeigt z. B. nach
I x / 2 Stunden-^„Jorissen“, und in dekomponierten, ammoniakalischen
Harnen mit P H von 8,30 bis 8,40 tritt sogar nach 7 Stunden keine er¬
weisbare Formaldehydabspaltung zutage.
Tabelle IV.
Harne bei 37° mit 0,2pCt. Urotropin.
Ham Nr.
Ph 370
Harn¬
unter¬
suchung
nach
1
J orissen
Rimini j
Harn¬
unter¬
suchung
nach
Jorissen
Rimini j
Harn¬
unter¬
suchung
nach
Jorissen j
1
Rimini |
1
8,80
7 Std.
2
8,30
7
fi
—
—
S
8,40
7
—
—
4
6,35
V*
+
—
1 Std.
—
IV, Std.
—
5
7,16
7*
V
—
1 *
—
172 -
+
—
6
5,90
i k
r>
+
—
1 „ 1
+
7
7,50
V*
r>
—
—
1 „
—
172 -
—
8
7,16
7.
r>
schw.+
—
1 *
+
—
2
—
9
5,40
7.
V
+
| —
1 ,
+
10
6,46
72
r>
+
' —
1 ,
J-
11
5,50
72
V
+
| —
1 .
i
+
Wie zu ersehen ist, erfordert dieselbe Wasserstoffionenkonzentration,
ehe Jorissens Reaktion erweisbar positiv wird, erheblich längere Zeit
1) S. 266 dieses Heftes.
ID*
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282 H. F. HÖST,
in Harnen als in wässerigen Salzlösungen. Der Grund liegt hier, wie
schon früher erwähnt, in dem Umstand, dass die Reaktion im Harn bei
weitem nicht so empfindlich ist als in wässerigen Lösungen, was un¬
zweifelhaft auf die notwendige Entfärbung durch Kohle zu schieben ist,
4 - —
die sowohl (H) wie (OH) adsorbiert, was eine Veränderung in der Reaktion
des Harns bewirkt, und ausserdem vielleicht kleine Uormaldehydmengen
im Harn adsorbieren kann 1 ). Hierzu kommt noch, dass der Harn auch nach
der Behandlung mit Kohle oft einen schwach gelblichen Schein beibehält,
was den Nachweis geringer Mengen Formaldehyd ausserordentlich erschwert.
Um nun die Prozesse, welche die Anwendung von Urotropin im
lebenden Organismus hervorruft, zu untersuchen, habe ich schliesslich
einer Reihe von Individuen Urotropin verabreicht und den Harn bei 37°
nach einer wechselnden Stundenanzahl untersucht (vgl. Tabelle V). Das
Ergebnis zeigt— wie auch schon von Nicolaier ausgesprochen — dass
das Urotropin als solches im Harn ausgeschieden wird, und dass die
Formaldehydabspaltung proportional ist zur Wasserstoffionenkonzentration
und zur Zeit, so wie man es bei den oben erwähnten Versuchen fand.
Wie die Tabelle V zeigt, kann aber der Formaldehydgehalt im Harn
nach der Darreichung von Urotropin trotz der nämlichen (H)-Konzentration
und gleich langer Zeit etwas verschieden sein (vgl. den Harn 6 und 7
sowie 16 und 17); der Grund hierfür ist wohl in der verschiedenen
Schnelligkeit zu suchen, womit das Urotropin resorbiert und aus¬
geschieden wird.
Tabelle V.
1 g Urotropin per os (nach vorheriger Harnlassung).
Person
Kr.
Harn¬
lassung
nach
Ph des
Harns
bei 370
! Jorissen
Rimini
Bei 37°
nach
J orissen
Rimini
1
2
Std.
5,43
+
1
+
2
4
n
5,58
+
—
3
1
r>
5,58
+
4-
4
i*/t
r>
5,58
+
+
5
1
r
5,75
+
+
6
1
5,90
+
—
1 Std.
+
7
1
5,90
+
+
8
1
r
6,23 ;
+
+
9
1
V
6,30
+
—
10
1
6,46
+
—
11
1
r
1 6,64
+
—
12
1
r
1 6,64
+
—
13
2
„
6,81
+
—
14
2
6,97
+
—
6 Std.
--
15
1
r
i 7,16
schw. 4"
—
1 r
4 -
—
16
1
r
1 7,25
—
—
9
* r
+
—
17
1
7,25
+
—
2 *
+
—
18
IVa
r>
7,30
schw. 4*
—
2 *
4 -
—
1) Filtriort man wässerige Formaldehydlösungen durch Kohle, wird Formaldehyd
in erweisbaren Mengen nicht adsorbiert.
Original from
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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 283
Was die Resorptions- und AusscheidungsVerhältnisse des Urotropins
im allgemeinen betrifft, muss man diesen Untersuchungen zufolge an¬
nehmen, dass das Urotropin im Ventrikel unter normalen Sekretions¬
verhältnissen teilweise in Formaldehyd und Ammoniak zersetzt wird,
dass diese Zersetzungsprodukte aber grösstenteils wieder im Darm syn¬
thetisiert werden.
Der nach der Resorption stattfindende Durchgang des Urotropins
durch die Blutbahnen ist sicherlich ein schneller, denn Nicolaier hat
es schon 10 Minuten nach der Einführung per os im Harn nachweisen
können. Während dieses Durchgangs im Blut spaltet sich wahrschein¬
lich etwas Formaldehyd ab, denn bei meinen Versuchen mit Phosphat¬
mischungen mit P H = 7,30 und 7,55 bei 37° wird die Jorissensche
Reaktion schon nach 10 Minuten positiv, und neueren Untersuchungen 1 )
zufolge zeigt es sich, dass der Wasserstoffionenexponent des Blutes un¬
gefähr =7,19 bei 40 mm C0 2 -Spannung beträgt. Bedenkt man jedoch
die starke Giftigkeit des Formaldehyds, so muss man annehraen, dass
die geringen Formaldehydmengen, wenn abgespalten, sofort unschädlich
gemacht werden und zwar entweder vermittels Oxydation zu Ameisen¬
säure oder durch ihre Verbindung mit Bluteiweiss oder vielleicht auch
durch Polymerisation.
Das Urotropin als solches wird sich daher gänzlich oder doch jeden¬
falls zum überwiegenden Teil im Harn ausscheiden, wo sein weiteres
Schicksal von den obengenannten Faktoren abhängig ist.
Die praktischen Folgerungen für die Verwendung von Urotropin bei
bakteriellen Leiden der Harnwege werden diesen Untersuchungen gemäss
in folgendem bestehen:
Bei Leiden der Nieren, des Nierenbeckens, des Ureters kann man
im allgemeinen eine therapeutische Wirkung des Urotropins nicht er¬
warten, da der Harn diese Organe so schnell passiert, dass sich gar
kein oder nur sehr wenig Formaldehyd bilden wird. Vielleicht kann man
jedoch bei stark sauren Harnen eine Wirkung erhoffen.
In der Vesica urinaria wird die Wirkung zuvörderst von der Reaktion
des Harns abhängig sein, demnächst von der Häufigkeit des Harnlassens.
Ist der Harn sauer, wird sich das Formaldehyd verhältnismässig schnell
in hinreichenden Mengen abspalten, um die erwünschte bakterielle Wirkung
hervorzubringen. Bei neutralen oder schwach alkalischen Harnen wird
die Wirkung zweifelhaft und höchst abhängig von der Häufigkeit des
Harnlassens sein. Wird der Harn bei alkalischem Urin häufig gelassen,
wird sich wahrscheinlich gar kein Formaldehyd bilden und eine Wirkung
nicht eintreten; liegen aber zwischen jeder Harnlassung 6—7 Stunden, so
kann man vielleicht auch bei schwach alkalischen Harnen auf thera-
1) Siehe Lundsgaard, Biochem. Zeitschr. 41. S. 247.
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284 II. F. IIOST, Ueber Urotropin als Dcsinfiziens der Harnwege.
peutischen Erfolg hoffen. Bei stark alkalischen Harnen lässt sich eine
therapeutische Wirkung des Urotropins nicht erwarten.
Einige, wenn auch verhältnismässig untergeordnete Bedeutung haben
in allen Fällen auch die Gaben, in denen das Urotropin dargereicht wird.
Eine Rolle kann das Urotropin zweifelsohne auch als Prophylaktikum
bei allerlei Eingriffen in die Harnwege (Operationen, Katheterisieren usw.)
spielen, da normaler Harn fast immer sauer oder neutral ist. Doch
muss man hiermit bei Retentio urinae grosse Vorsicht beobachten, da
sich bei seltener Blasenentleerung erhebliche Formaldehydmengen bilden
und heftige Tenesraen verursachen können.
Erst nach Abschluss dieser Abhandlung wurde ich auf eine Arbeit
von Frank Hinman (The Journ. of Amer. Med. Ass., Vol. 61, p. 1601,
November 1913) aufmerksam, in der er durch rein klinische, die Formal¬
dehydabspaltung im Harn betreffende Untersuchungen im wesentlichen
zu denselben Ergebnissen gelangt, wie ich; doch meint er, Formaldehyd
könne sich nicht in neutralen oder schwach sauren Harnen abspalten,
während meine Versuche dartun, dass es nicht nur in schwach sauren
und neutralen, sondern sogar in schwach alkalischen Harnen abgespalten
werden kann. Der Grund mag sein, dass er augenscheinlich den grossen
Einfluss der Temperatur auf die jedenfalls teilweise reversible Reaktion:
UrotropinFormaldehyd -j- Ammoniak nicht beachtet und infolge¬
dessen die Formaldehydreaktionen nicht bei 37° ausgeführt hat.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
XV.
Aus dem Radium-Institut der Königlichen Charite
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His).
Experimentelle Untersuchungen über die biologische
Wirkung des Thorium X, insbesondere auf das Blut,
Von
Dr. A, da Silva Mello (aus Brasilien).
(Hieran Tafel UI.)
Einleitung.
Die ersten Mitteilungen über die Wirkung der strahlenden Energie
auf die inneren Organe sind durchaus verwirrend. Während die Franzosen
die verschiedensten Symptome wie Erbrechen, Durchfall, Koliken, Herz¬
klopfen, Kopfschmerz, Schwindel usw. auf die Röntgenbestrahlung zurück¬
führten und über Heilung der Lungenentzündung, Tuberkulose usw. durch
die Wirkung der Strahlen berichteten, waren die Deutschen solchen An¬
gaben gegenüber sehr skeptisch. Die Mitteilung Senns wurde in Deutsch¬
land direkt als amerikanischer Bluff aufgenommen. „Von einer Ein¬
wirkung von Röntgenstrahlen auf innere Organe war überhaupt ausser¬
ordentlich wenig die Rede; und doch sollte man erwarten, dass die alles
durchdringenden Strahlen, die sogar die Haut an der Austrittsstelle zu
verändern imstande sind, auch die Gewebe im Innern des Körpers nicht
ganz unberührt lassend Das war, wie Heineke hervorhob, zum Teil
abhängig von „der tausendfältigen Erfahrung, die immer wieder gelehrt
hat, dass Bestrahlungen auch von langer Dauer keine - Erscheinungen
hervorrufen, die auf eine Alteration innerer Organe zu beziehen wären.
Würden auch innere Organe durch die Strahlen geschädigt oder sonstwie
verändert, dann hätten eigentlich gerade die ersten Jahre der Röntgenära
in der Medizin ausgiebige Erfahrung liefern müssen, weil man damals
mit den Strahlen sehr sorglos umging und selbst stundenlange Exposition
nicht scheute. 14 Dass das Wachstum von niedrigen Tieren usw. stark
beeinflusst werden konnte, war schon durch zahlreiche Versuche mit
Radiumstrahlung erwiesen. Später wurde eine ganz ähnliche Wirkung
auch für die Röntgenstrahlen festgestellt. Die erste gross angelegte
Arbeit, die die Wirkung auf die inneren Organe berücksichtigte, stammt
von Heineke her. Durch zahlreiche Versuche ist es ihm gelungen, eine
enorme Empfindlichkeit des hämatopoietischen Apparates, besonders des
lymphoiden Gewebes, festzustellen. Die Lymphozyten und das lymphoide
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
286
A. da SILVA MELLO,
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Gewebe wurden durch Röntgenstrahlen fast explosionsartig vernichtet.
Schon 2y 2 —3 Stunden nach der Bestrahlung begann die Zerstörung, die
ihren Höhepunkt nach 6—8 Stunden erreichte, um nach 24 Stunden
vollständig beendigt zu sein. Das lymphoide Gewebe konnte dadurch
fast völlig verschwinden. Die Veränderungen am Knochenmark und an
der Milzpulpa begannen dagegen erst später und erreichten den Höhe¬
punkt erst kurz vor dem Tode des Tieres, zu einer Zeit, in welcher das
lymphoide Gewebe schon wieder in Regeneration begriffen war. Aehnlichc
Vorgänge wurden auch von London, Bouchard, Curie, Aubertin u. a.
bei der Radiumbestrahlung beobachtet. Bis zu dieser Zeit (1905) war
von allen Seiten angenommen worden, dass die Tiere infolge der Haut¬
läsionen zugrunde gingen. Auf Grund der Veränderungen der blutbildenden
Organe und des klinischen Verhaltens der Tiere hat Heineke den Ge¬
danken ausgesprochen, dass der Tod des Tieres vielleicht auch durch
die Veränderungen an den inneren Organen herbeigeführt sein könnte,
ohne dass die Hautläsion in Frage komme. Er hat hervorgehoben, dass
schon am 2. und 3. Tage nach der Bestrahlung eine ganz bedeutende
fortschreitende Gewichtsabnahme zu konstatieren war und dass die Tiere
oft vor dem Eintritt einer Dermatitis starben. Worauf der Tod in
solchen Fällen zurückzuführen war, liess Heineke unbeantwortet. Das
Interessanteste war aber dabei, dass er den Zerstörungen der blutbildenden
Organe keine letale Wirkung zuschrieb. Bei letzteren fand er Zeichen
von Regeneration nicht nur bei denjenigen Tieren, die, wie er anniramt,
an Dermatitis zugrunde gingen, sondern auch bei denjenigen, die vor dem
Ausbruch der Hautläsionen starben. Heineke hat diese Beobachtungen
nicht weiter verfolgt, und da das Verhalten des Blutes dabei nicht mit
in Betracht gezogen wurde, waren weitere Schlüsse nicht möglich. Das
Merkwürdigste ist, dass weitere Versuche in derselben Richtung bis jetzt
noch nicht angestellt worden sind. Diese Angaben sind vereinzelte, in
der Fülle der neuen Tatsachen verloren stehen gebliebene. Die neueren
Forschungen mit den radioaktiven Substanzen haben auch viel dazu bei¬
getragen, uns von solchen Problemen zu entfernen. Schon durch die
innere Verabreichung solcher Mittel wurde die Rolle der Dermatitis mit
einem Schlag beiseite geschoben und die Möglichkeit gegeben, die reine
Wirkung der ^-Strahlen auf die inneren Organe zu studieren. Die ersten
Versuche waren derart ausgefallen, dass man unmittelbar danach von
einer einheitlichen Wirkung zu sprechen begann. Die pathologischen Ver¬
änderungen, die therapeutischen Wirkungen, alles war so gleichartig, dass
überhaupt kein Zweifel mehr darüber bestehen konnte. Die Organotropie
des Mittels war auch gewissermassen die Erklärung der autoptischen Be¬
funde und der klinischen Symptome. Wir sind sozusagen in einem Ge¬
dankenzirkel eingeschlossen geblieben. Die Vorgänge, die sich in den
hämatopoictischen Organen abspielten, traten so mächtig in den Vorder¬
grund, dass alles, was daneben passierte, schwer oder unmöglich wahr-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologischo Wirkung des Thorium X usw. 287
zunehmen war. Es wäre z. B. von der allergrössten Wichtigkeit zu
wissen, welche Bedeutung überhaupt den Veränderungen des Blutes und
der hämatopoietischen Organe für das Leben und das Allgemeinbefinden
der Tiere zuzuschreiben ist. Diese Fragen sind aber bis jetzt noch nicht
Gegenstand einer eingehenden Forschung gewesen, obgleich von ihrer Be¬
antwortung zum grössten Teil unser therapeutisches Handeln direkt ab¬
hängig ist.
Die bisherigen Untersuchungen sind meistens mit derartig grossen
Dosen ausgeführt, wie sie niemals für die therapeutische Anwendung in
Frage kommen werden. Die Tiere sterben unter einer solch brutalen
Vergiftung, dass man daraus nur wenige klinische Schlüsse ziehen kann.
Wir werden bald sehen, dass die bei solchen Fällen erhobenen patho¬
logischen Veränderungen überhaupt nicht brauchbar sind, den Tod und
das Verhalten der Tiere unter kleineren Dosen radioaktiver Substanzen
zu erklären. Die erhobenen Befunde haben auch insofern geschadet, als
wir dadurch gewissermassen unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf
einen und denselben Punkt zu richten gewöhnt haben. Heineke selbst
ist von diesem Gedankengange fortgerissen worden. Kürzlich stellte er
die Frage auf, ob durch intensive Bestrahlung in der menschlichen
Therapie die bekannten Veränderungen an den inneren Organen nicht so
gross werden können, dass Nebenwirkungen auftreten könnten. Dabei
denkt er hauptsächlich an die hämatopoietischen Organe und zeigt noch,
wie wenig Beachtung der systematischen Blutuntersuchung während der
Behandlung geschenkt wird. In "seiner letzten Arbeit gibt er auch an,
dass die Empfindlichkeit der Lymphozyten den Strahlen gegenüber noch
ausserordentlich viel grösser ist, als er früher angenommen hat. Durch
eine ganz kurze direkte Bestrahlung der Darmwand und Milzfollikel
(5 Sekunden! nur die Kapsel aufsetzen und wieder abnehmen) mit einer
relativ sehr geringen Menge Radium (20 rag RaBr 2 ) konnte er weit¬
gehende Zellzerstörungen hervorrufen. „Man wende nicht ein, dass sich
die Resultate der Tierexperimente nicht auf den Menschen übertragen
lassen. Die Reaktion der blutbildenden Organe ist beim Menschen ganz
dieselbe wie beim Tier, nur bei gleich starker Strahlenquelle natürlich
quantitativ geringer, schon wegen der grösseren Entfernung.“
Er vermutet auch, dass das Knochenmark auf eine viel geringere
Strahlendosis reagiere, als man bisher angenommen hat, und verweist als
Beispiel auf die Arbeit Wöhlers (Leukozytose durch einmalige Be¬
strahlung zu diagnostischen Zwecken). Als praktisches Ergebnis sieht
er die Notwendigkeit fortlaufender Blutuntersuchungen bei der Anwendung
grosser Strahlendosen an. Die Frage, ob die Zerstörung grosser Leuko¬
zyten- und Lyraphozytenmassen für den Körper einen Schaden bedeute
und ob diese Schädigung mehr als eine vorübergehende sei, betrachtet
er als noch nicht beantwortet. Er findet aber, dass vielleicht ein Zu¬
sammenhang zwischen dem Röntgen- und Mesothoriumkater und der Zer-
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
288
A. da SILVA MELLO
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Störung der Leukozyten existiere, da beide zeitlich zusammenfallen. Für
viel wichtiger hält er aber die Frage nach einer dauernden Schädigung
der Blutbildung. Obwohl nichts darüber bekannt geworden ist (gegenüber
den negativen Resultaten von Aschoff, Krönig und Gauss betont er,
dass das Knochenmark nicht mit untersucht wurde), ist er der Meinung,
dass jedenfalls die Gefahren für das Blut und die hämatopoietischen
Organe nicht sehr gross sein können, da bis jetzt keine klinischen Er¬
fahrungen darüber vorliegen, obgleich diese Schädigungen als möglich, an¬
zunehmen sind, wie die Blutbefunde und Leukämien bei Röntgcnologen
und Radiologen zur Genüge zeigen. „Gefahren dieser Art schienen aller¬
dings nur dann zu drohen, wenn der Körper jahrelang der Bestrahlung
ausgesetzt wird, während dauernde Blutschädigungen den in kurzer Zeit
applizierten Massendosen nicht zu folgen scheinen. Es ist ja auch ver¬
ständlich, dass die jahrelange Einwirkung kleinster Strahlendosen auf die
Blutkörperchenbildungsstätten leichter zu einer Reizwirkung und zur
.Hyperfunktion (Leukämie) oder zu einer Erschöpfung der leukozyten¬
bildenden Tätigkeit (Leukopenie) führen wird, als eine einmalige, wenn
auch tiefgreifende Zellzerstörung, die der Organismus vermutlich aus¬
zugleichen vermag. Doch wissen wir über diese Dinge noch herzlich
wenig und die Mahnung zur Vorsicht scheint mir nicht unangebracht zu
sein. Ich meine, dass diejenigen, die die Tiefentherapie mit enormen
Strahlendosen in die Praxis einzuführen bemüht sind, eigentlich erst den
Beweis liefern müssten, dass eine Schädigung der Blutbildung dabei nicht
zu befürchten ist. u Alle die von Heineke aufgeworfenen Bedenken und
Mahnungen sind sicher von ausserordentlich grosser Wichtigkeit. Sie
fassen aber nur einen Teil des Problems und lassen eine Menge wichtiger
Tatsachen ausser acht, die unbedingt berücksichtigt werden müssen. Durch
unsere Forschungen haben wir z. B. die enorm wichtige Feststellung ge¬
macht, dass ziemlich grosse Dosen Thorium X das Blut derart schädigen
können, dass es nicht mehr zur Norm zurückkehrt, obgleich die Tiere
viele Wochen, ja selbst Monate noch leben können. Ob der Tod in
letzter Linie in solchen Fällen auf die chronischen Blutveränderungen
zurückzuführen ist, ist eine Frage, die wir mit einer an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit verneinen können. Wir werden z. B. sehen,
dass bei unseren Versuchen der Tod des Tieres durch die Thorium X-
Vergiftung zu einer Zeit einzutreten pflegt, in welcher der hämatopoietische
Apparat schon völlig regeneriert und selbst in Hyperplasie geraten ist.
Wir werden auch sehen, dass die leuko- und erythrozytären Apparate
eine volle Funktion oder selbst eine Hyperfunktion zu leisten imstande
sind, wenn der gesamte Organismus unter der Wirkung des Thoriums
schwer leidet. Diese Tatsachen sind geeignet, das ganze Problem des
Todes durch die Wirkung der radioaktiven Substanzen in ein anderes
Licht zu rücken. Durch unsere Experimente ist es uns gelungen, die
Dignität der Veränderungen des Blutes und der Blutbildungsstätten für
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 289
das Leben und das Allgemeinbefinden gewissermassen klarzulegen. Wir
haben oben von einem geschlossenen Gedankenzirkel gesprochen. Wenn
man keine Veränderungen an den blutbildenden Organen fand und weiter
auch nichts oder fast nichts finden konnte, wie konnte man da schliessen,
dass der Tod der Radioaktivwirkung zuzuschreiben war? Das war un¬
verständlich und deswegen auch nicht leicht annehmbar. Wir werden
sehen, dass unsere Experimente eine wesentliche Vertiefung in die Kenntnis
der Wirkung der strahlenden Substanzen ermöglicht haben. Hier ist der
Platz, auf eine Menge Tatsachen hinzuweisen, die in der Literatur ver¬
streut vorliegen und die in Zusammenhang zu bringen sind mit alledem,
was wir später anzuföhren haben. Im Jahre 1907 hat Försterling auf
dem Kongress der deutschen Röntgengesellschaft die interessante Mit¬
teilung gemacht, dass durch Röntgenbestrahlung erhebliche Wachstums¬
schädigungen bei Tieren erzeugt werden konnten. Er berichtet z. B., dass
durch partielle Bestrahlung von Körperteilen diese im Wachstum stark
zurückblieben, so z. B. Extremitäten, die viel weniger sich entwickelten
und deswegen viel kleiner wurden als die nicht bestrahlten. Dabei wurden
alle Gewebe betroffen, die Knochen, die Muskeln, die Nerven. Dasselbe
gilt für innere Organe, so konnte z. B. eine Niere unter der verderblichen
Wirkung der Bestrahlung sich viel weniger entwickeln und deswegen
kleiner bleiben als die andere nicht bestrahlte. Dabei waren keine groben
Gewebsveränderungen in den Organen nachzuweisen. Bei der Bestrahlung
von trächtigen Tieren wurden die Jungen teils totgeboren, andere starben
bald nach der Geburt. Ueber ähnliche Resultate hat auch Max Cohn
in derselben Sitzung berichtet. Er hat Kaninchen genommen, die von
demselben Rammler zur selben Zeit gedeckt waren. Er bestrahlte den
Kopf von einigen und liess eins unbestrahlt zur Kontrolle. „Die Tiere
kameh zum richtigen Termin nieder. In den ersten 14 Tagen verhielten
sich die Jungen der bestrahlten Muttertiere ebenso wie die der un-
bestrahlten. Von da an setzte bei den Jungen der bestrahlten Tiere eine
enorme Wachstumshemmung ein, die jede Woche zunahm. Nach 7 Wochen
war der Unterschied 1:3.“ London hat Kaninchen der dauernden Ein¬
wirkung der Radiumbestrahlung ausgesetzt. Die Tiere nahmen zuerst
regelmässig zu, um nachher abzunehmen. Die Hautläsionen wurden
immer grösser und die Kaninchen starben erst im 13. oder 14. Monat
nach Beginn der Bestrahlung. Das weibliche Kaninchen wurde während
der Zeit 3mal trächtig. Bei der Sektion wurden, ausser den Haut¬
läsionen, ausgedehnte Veränderungen an Herz, Leber, Hoden, Nebenhoden,
Ovarien, Niere, Milz festgestellt. In der Milz war der Pigmentgehalt
stark vermehrt, die Follikel verkleinert und arm an Lymphozyten. Sehr
beachtenswert sind die im Laboratorium Lazarus-Barlows durch Wedd
und Russ und Chambers und Russ ausgeführten Versuche. „Es wurde
gefunden, dass Zellen von Mäusekarzinora und Rattensarkom, die auf
ein anderes Tier übertragen, sofort in gewohnter Weise weiter wachsen
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
290
A. DA SILVA MELLO,
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würden, sobald sie einer bestimmten Bestrahlung unterworfen wurden, in
einem Stadium der Latenz verharren, das bis zu 80 Tagen anhalten
kann. Während dieser Zeit sind die transplantierten Zellen mikroskopisch
von den normalen Geschwulstzellen nicht zu unterscheiden, nur ihre Ver¬
mehrungsfähigkeit ist zur Zeit aufgehoben. Trotzdem ist Grund zur An¬
nahme vorhanden, dass sie doch verändert sind, denn wenn sich das
transplantierte Stück an fängt weiter zu entwickeln, so geschieht dies viel
langsamer als bei normalen Zellen.“ Beachtenswert ist die Mitteilung
Reifferscheids, „dass die nach einmaliger Bestrahlung von Mäusen
einsetzende Wirkung auf die Ovarien nach 6 Monaten ausgesprochener
war, wie bei den nach 1 Monät schon getöteten Kontrollieren“. Alles
dies sind Tatsachen von enorm praktischer Wichtigkeit, insbesondere,
weil sie in enger Beziehung zu therapeutischen Fragen stehen. Es
besteht heute in der Therapie vielfach die Tendenz, die Neben- und
Spätwirkungen immer mehr und mehr auf konkoraittierende Ursachen
zurückzuführen. Das kommt vielleicht daher, dass man die Haut¬
schädigungen immer mehr in den Hintergrund zu schieben imstande
ist, so dass man mit den neuen Apparaten und Röhren immense Dosen
(innerhalb 8 Tagen 350—370 X auf eine Hautstelle) applizieren kann,
ohne dabei die geringste Hautschädigung zu erzeugen zu brauchen (so
pflegt z. B. nur eine vorübergehende Hautrötung einzutreten). Nach den
Forderungen der Homogenbestrahlung darf man sogar, nach dem Vor¬
schlag Dessauers, „den Organismus insgesamt unter die Wirkung der
Strahlenenergie setzen“. „Es gibt auch Röntgenologen, die die Ansicht
vertreten, dass es für die filtrierte harte Strahlung überhaupt keine
Erythemdose mehr gebe“. Es scheint aber gerade das der Grund zu
sein, unsere Aufmerksamkeit mehr auf die eventuellen inneren Schädi¬
gungen zu richten. Wir wissen z. B., dass Bleiblech die Haut vor
Reaktionen schützt, dass man aber durch dasselbe Bleiblech die Knochen
photographieren kann. Diesen Vorgang hat Holzknecht vor vielen
Jahren als rätselhaft bezeichnet. Heute neigen, wie gesagt, viele dazu,
die inneren Schädigungen fast als ausgeschlossen zu betrachten. Man
glaubt z. B. dem Röntgenkater schon teilweise durch eine gute Ventilation
des Röntgenzimmers Vorbeugen zu können; man will die Diarrhöen und
die Darmerscheinungen nur auf die mechanischen und thermischen Reize
zurückführen, wie sie durch das wiederholte Aufsetzen des Tubus auf
den Leib, das Entblössen von Körperteilen, das Liegen auf dem Bauche usw.
entstehen. Im Gegensatz dazu und in Anbetracht der inneren Wirkungen
warnen auch viele vor der Anwendung sehr grosser Dosen. Einige be¬
trachten sogar den Röntgen- und Mesothoriumkater als etwas Bedenkliches
und von den organischen Veränderungen herrührend. „Der Ausdruck
,Röntgenkater* ist ein etwas burschikoses Wort für eine ernste, nicht
zu unterschätzende Sache“. Was die Darmsyraptome anbetrifft, so muss
man immer wieder an die Arbeiten von Regaud, Nogier und Lacassagne
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 291
erinnern, die schwere, ja lebensbedrohende Zerstörungen, besonders im
Dünndarm bei Hunden durch X-Strahlung erzeugen konnten. Wie oft
Diarrhöen und andere Darmerscheinungen in der menschlichen Therapie
zur Beobachtung kommen, ist allgemein bekannt. Schon den ersten
französischen Autoren waren solche Erscheinungen aufgefallen, die sie
damals als „viszerale Anfälle 44 beschrieben. Hier muss auch hervor¬
gehoben werden, dass durch die Einspritzung radioaktiver Substanzen
ähnliche Symptome hervorgerufen werden können. Das Merkwürdigste
dabei ist, dass sie besonders beim Menschen und beim Hunde aufzutreten
pflegen. Man will sie durch die Ausscheidungsverhältnisse der Mittel er¬
klären. Ein anderes Ding, das noch besonders beachtet werden muss,
ist der Eintritt von Spätschädigungen, ja des Todes nach Tumor¬
bestrahlungen. In solchen Fällen, wenn der Tumor unter Besserung des
Allgemeinbefindens schon stark verkleinert oder selbst verschwunden ist,
treten zuweilen erst nach einigen Wochen schwere Krankheitserscheinungen,
die zum Tode führen können, auf. Meist werden dabei Fieber, Durch¬
fälle, Kräfteverfall, ein der Kachexie ähnlicher Zustand beobachtet. Man
nimmt an, dass diese Symptome durch die Resorption der eingeschmolzenen
Geschwulstmassen hervorgerufen werden; es ist so „als könnte es Vor¬
kommen, dass diese Leute gewissermassen an ihrer Heilung zugrunde
gehen“. Diese Auffassung ist die im allgemeinen angenommene. Vor
kurzem ist sie noch durch die Berichte von Aschoff, Krönig, Gauss,
Wätgen, Schüler u. a. wesentlich gestützt worden. Vereinzelte Autoren
haben noch Bedenken dagegen. Heineke z. B. will, wie wir schon er¬
örterten, nicht viel aus den autoptischen Befunden Aschoffs schliessen,
da das Knochenmark nicht mit untersucht wurde; Sippel wandte auch
ein, dass diese Befunde kurze Zeit nach der Verabfolgung der Strahlen
erhoben wurden, und dass erst notwendig ist, „solche bestrahlte Kranke
lange genug am Leben zu erhalten, um eine nachteilige Spätwirkung nach
jeder Richtung hin ausschliessen zu können“. Wir sehen aus allen diesen
Meinungsverschiedenheiten sowie aus den Ergebnissen experimenteller
Versuche, dass diese Dinge nichts weniger als entschieden sind. Die
Wichtigkeit der Probleme macht eine weitere, tiefere Erforschung notwendig.
Die systematische Blutuntersuchung würde vielleicht die eigentliche
Wirkung der Strahlen besser verfolgen lassen und könnte gewissermassen
ein Kriterium liefern, um die Schädigungen durch die Strahlen von denen
durch die Resorption zu trennen. Durch unsere Versuche mit Thorium X
ist es aber möglich gewesen zu zeigen, dass dieses Kriterium nur ein
lückenhaftes sein kann, weil, wie schon oben gesagt, die Tiere unter der
Wirkung der radioaktiven Substanz sterben können, wenn sich das Blut
und die blutbildenden Organe schon regeneriert haben. Durch die Be¬
funde z. B. am Knochenmark ist es möglich, eine Thoriumvergiftung zu
diagnostizieren, nicht aber eine solche auszuschliessen. Dass dasselbe
für die Röntgenstrahlen gelten wird, ist als wahrscheinlich anzunehmen.
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Original fro-m
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A. DA SILVA MELLO
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Die Feststellung der Rolle, die das Blut und die hämatopoietischen
Organe bei dem Tode und dem Allgemeinbefinden des unter einer radio¬
aktiven Wirkung stehenden Tieres zu spielen haben, hat uns in der
Kenntnis der Wirkung von der strahlenden Energie sicher ein Stück
weiter gebracht. Die Rolle, die die anderen Organe dabei zu spielen
haben, können wir vorläufig nicht beurteilen, da unsere Versuche in der
Richtung noch nicht in allen Einzelheiten abgeschlossen sind. Würden
wir aber nur negative Befunde zu konstatieren haben, so wäre es noch
nicht möglich, daraus endgültige Schlüsse zu ziehen. Oft ist man klinisch
und wahrhaftig tot, während man noch pathologisch-anatomisch das Recht
hätte zu leben und gesund zu sein. -Die histologischen Untersuchungen
sind sozusagen noch in ihrer Kindheit; bei einer grossen Zahl tödlicher
Vergiftungen sind wir nicht imstande, anatomisch auch nur das Geringste
ausfindig zu machen. Dass dies auch für die radioaktiven Substanzen
der Fall sein könnte, wäre an sich nicht verwunderlich. Wir haben es
da wahrscheinlich nicht mehr mit pharmakodynamischen Wirkungen zu
tun. Die verabreichten Mengen sind so winzig klein — man denke z. B.
dass ein zehntausendstel Milligramm Thorium X tödlich wirkt —, dass
man nur eine strahlende Wirkung, eine Wirkung durch Aetherwellen an¬
nehmen kann.
Was unsere Arbeit anbetrifft, so haben wir die Versuche in vier
Gruppen geteilt. Am Ende eines jeden Teiles wurden partielle Schlüsse
gezogen, die zuletzt zusammengefasst worden sind. Oft sind wir auf
verschiedenen Wegen zu demselben Resultat gekommen. Durch unsere
Experimente haben wir die Ueberzeugung gewonnen, dass alles Wider¬
sprechende über die Wirkung der radioaktiven Substanzen auf den
tierischen Organismus hauptsächlich daher kommt, dass meistens viel zu
wenig Versuche angestellt werden. Es ist eine allgemein bekannte Tat¬
sache, dass oft auf ein und dieselbe Wirkung die Kaninchen z. B. höchst
verschieden reagieren. Wir haben es da mit höchst launenhaften, mit
höchst labilen und individuellen Reaktionen zu tun. Der biologische
Determinismus ist da fast immer schwer und oft auch unmöglich zu
finden. Die Verschiedenheit der Individualität spielt zwischen Ursache
und Wirkung eine so wichtige Rolle, dass uns der ganze Zusammenhang
verloren geht. Um nur ein Beispiel anzuführen, so sehen wir schon
normalerweise die roten Blutkörperchen von weniger als 4 Millionen bis
über 7 Millionen von Individuum zu Individuum schwanken. Wir sehen
auch bei denselben Individuen physiologische Schwankungen von über
einer Million. Das sind aber keine Zufälligkeiten, das muss seinen bio¬
logischen Grund haben. Die Verschiedenheit der Reaktion unter ein und
derselben Wirkung kann also auch kein Zufall sein. Sie ist begründet
in der Verschiedenheit der Individualität. Seit langem wissen wir, dass
die Zufälligkeiten und Widersprüche nichts anderes sind als die Un-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 293
kenntnis der bedingenden Ursachen. Die Kaninchen sind untereinander
höchst verschieden. Um feine Reaktionen bei ihnen zu studieren, muss
man unbedingt die Experimente sehr zahlreich und sehr verschieden an¬
stellen. Das gilt vielleicht namentlich für das Blut. Gerade hier können
wir besonders leicht die Individualität studieren; oder ist überhaupt das
Blut nicht einer der individualisiertesten Teile des Organismus? Das geht
aus allen serologischen Untersuchungen hervor, die auch geeignet sind,
•uns zu zeigen, wie grob und oberflächlich wir überhaupt durch unsere
morphologischen Befunde urteilen. Es ist vielleicht so, als wenn wir die
Gicht nur durch die Tophi oder den Anfall feststellen würden. Mehrmals
sind wir zu ganz merkwürdigen Resultaten gekommen. Auf solchen ab¬
weichenden Resultaten haben wir Hypothesen und Theorien aufgebaut
und oft hat auch eine Wiederholung oder eine Kontrolle der ersten Ver¬
suche diese Hypothese oder Theorie bestätigt. Bald nachher häuften
sich aber die Widersprüche und der ganze Zusammenhang ging verloren.
Man lernt dabei vorsichtig und weniger schlussbegierig zu sein. Aus
diesem Grunde sind viele unserer Experimente nicht brauchbar. Sie sind
nicht zahlreich und eindeutig genug. Andere haben einen Wert nur, um
Widersprüche hervorzuheben.
Vorbemerkungen.
Bei allen unseren Versuchen wurde das Thorium X subkutan unter
die Rückenhaut eingespritzt. Es wurde immer sehr stark mit physio¬
logischer Kochsalzlösung verdünnt, so dass selbst bei den kleinsten Dosen
mehrere Kubikzentimeter injiziert wurden. Die Injektionsstelle wurde
nachher gründlich massiert. Die beiden Massnahmen sollten der Bildung
eines Thoriumdepots Vorbeugen und die schnelle Resorption des Mittels
fördern. Die Dosierung wurde nach der Fabriktabelle genommen oder
durch den Radiologen des Instituts, Herrn Dr. Herschfinkel, ausgeführt
und kontrolliert. Bei unseren Angaben haben wir einfach die Thoriura-
dosen als RaBr 2 -Aequivalent ausgedrückt. Alle Tiere lebten unter gleichen
äusseren Bedingungen. Die Hämoglobinbestimmung wurde immer mit
demselben Sahlischen Apparat gemacht, die Leukozyten- und Erythro¬
zyten ungefähr um dieselbe Tageszeit ausgeführt, um bestimmte physio¬
logische Schwankungen möglichst auszuschliessen. Wenn eine Injektion
und eine Zählung an demselben Tage ausgeführt wurde, wurde die
Zählung immer vor der Injektion gemacht.
I. Teil.
Kaninchen, die nnr einmal eingespritzt wurden.
Je nach der Grösse der eingespritzten Thorium X-Dosis und des¬
wegen auch nach der Zeit, die bis zum Tode des Tieres verflossen war,
können wir die Tiere in zwei Gruppen einteilen. Bei der einen haben
wir es mit akuten, schnell tödlich verlaufenen Vergiftungen zu tun, bei
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294
A. da SILVA MELLO
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der anderen dagegen mit langdauernden, chronischen und eventuell gleich¬
falls tödlich endenden Schädigungen.
A. Akute tödliche Vergiftungen.
Kaninchen Nr. 3.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,225 mg
1
1130
70
5 500 000
5400
4
1010
63
5 400 000
760
5
980
62
5 500 000
700
7
860
58
I 5 100 000
400
8
t
Sektion: Die Milz verkleinert, das Knochenmark tief dunkelrot, weich, leicht zer-
reissbar. Im Magendarmkanalkeine Blutungen, nur die mesenterialenGefässe stark injiziert.
Mikroskopische Untersuchung.
Enorme Zerstörung im Knochenmark. Die charakteristischen weissen Elemente
ungeheuer stark reduziert. Das Stützgewebe deutlich hervortretend und von Blutungen
durchsetzt. Bei den übrig gebliebenen Zellen fand man, abgesehen von den binde¬
gewebigen Elementen, relativ viele Myelozyten und polymorphkernige Leukozyten. Bei
vielen Zellen war der Kern pyknotisch, geschädigt, im Zerfall begriffen. Es waren auch
reichliche Phagozyten voll von Chromatinkügelchen zu finden. Die Riesenzellen — das
sei besonders hervorgehoben —, waren zahlreich vorhanden und viele sahen durchaus
normal aus. Die kernhaltigen roten Blutkörperchen waren ebenfalls sehr zahlreich.
Besonders bei den Abstrichpräparaten konnte man viele typische Mitosen und Ami-
tosen beobachten. Die Erythrozyten durchaus normal.
Milz: Gewaltige Zerstörung des Milzparenchyms. Durch Blutungen und Zell¬
vernichtung war die histologische Struktur des Organs zum Teil fast verloren gegangen.
Der Zellgehalt der Pulpa vermindert. Die Lymphfollikel noch als solche deutlich zu
erkennen und zum Teil aus typischen zahlreichen Lymphozyten gebildet. Die Blutungen
waren meistens perifollikulär und schonten gewissermassen die Follikel. Keine be¬
sondere Pigmentierung.
Die anderen Organe wurden nicht untersucht.
Kaninchen Nr. 8.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,15 mg
1
810
70
6 000 000
9120
4
760
61
5 600 000
1200
7
680
t
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Ungeheure Zellzerstörungen; die weissen Elemente auf ein
Minimum reduziert, vielfach Karyorrhexis, Pyknose und Mitosen. Viele Phagozyten
voll von Chromatinkugeln. Die Kapillaren prall mit Blut gefüllt. Enorme Blutungen.
(Siehe Figur 1.)
Milz: Die Hauptveränderungen spielen sich in der Pulpa ab; an einigen Stellen
sind die Pulpazellen fast gänzlich verschwunden, das Stützgewebe tritt stark hervor.
Blutungen. Die Lymphfollikel deutlich erkennbar und sehr reich an Lymphozyten,
davon viele in Pyknose begriffen (s. Figur 2).
Wir haben es in diesen Fällen mit der oft beschriebenen Thorium X-
Vcrgiftung zu tun. Im grossen und ganzen bestätigen unsere Befunde die
Original from
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 295
zahlreichen experimentellen Angaben, die in der Literatur bis jetzt darüber
vorliegen. Wir publizieren aber die Fälle, um einige Daten besser fest¬
zulegen. Zuerst machen wir darauf aufmerksam, dass die Tiere zu einer Zeit
gestorben sind, in welcher enorme Schädigungen an den hämatopoietischen
Organen zu finden waren. Einen Zusammenhang zwischen diesen Schädi¬
gungen und dem Tod der Tiere anzunehraen, liegt selbstverständlich ganz
nahe, einmal, da sie die augenfälligsten und weitgehendsten zu sein
pflegen. Das ist übrigens eine Annahme, die man schon seit den ersten
Versuchen mit Röntgenbestrahlung immer und immer wieder bestätigt ge¬
funden hat, und für welche stets neue Stützen beigebracht wurden. Wie
schon früher gesagt wurde, ist es durch unsere Versuche gelungen, diesen
Zusammenhang, wenigstens was das Thorium X anbetrifft, für eine sehr
grosse Reihe von Fällen, ja vielleicht für alle Fälle, als falsch zurück¬
zuweisen. Vorläufig möchten wir nur auf einige von anderer Seite erhobene
Befunde zurückgreifen. Besonders durch die mit übertödlichen Dosen
Thorium X ausgeführten Versuche Pappenheims und Pleschs wurde
festgestellt, dass der Tod der Tiere meistens eintrat, wenn das Knochen¬
mark derart zerstört war, dass man überhaupt fast nichts mehr von
Knochenmarkselementen finden konnte, und wenn eine vollständige oder
fast vollständige Entvölkerung des Blutes an Leukozyten eingetreten war.
Dass ein ähnlicher Befund auch nach Einwirkung intensiver Röntgen¬
bestrahlung zu beobachten ist, ist eine allgemein bekannte Tatsache. In
unseren Fällen waren freilich die Zerstörungen der blutbildenden Organe
und die Leukopenie ungeheuer gross, man konnte aber im Knochenmark
noch viele . normale Myelozyten und viele normale polymorphkernige
Leukozyten finden und die Zerstörungen der Lymphfollikel der Milz
waren eigentlich als gering zu betrachten. Im Knochenmark waren auch
viele Zellen im Proliferationszustande mit typischen karyokinetischen
Bildern zu beobachten. Man hatte direkt den Eindruck, als ob neben
den VernichtungsVorgängen sich auch Regenerationsprozesse abspielten.
Daraus können wir die wichtigen Schlüsse ziehen, dass die Tiere bis zu
einer absoluten Zerstörung des Knochenmarks mit totaler Leukozyten-
losigkeit des Blutes am Leben bleiben können, dass sie aber auch schon
sterben können, wenn derartige Läsionen noch nicht so weit fortgeschritten
sind und eine Entvölkerung des Blutes an Leukozyten noch nicht statt¬
gefunden hat. Es geht auch daraus hervor, dass die Tiere sterben können,
wenn man deutliche Zeichen von Regeneration an den hämatopoietischen
Organen feststellen kann. Ob diese Regenerationsvorgänge als eine Folge
der Zerstörungsprozesse zu betrachten sind, oder ob sie zu den normalen
Vorgängen am Knochenmark gehören, die sich trotz der tödlichen Ver¬
giftung erhalten oder fortgesetzt haben, muss dahingestellt bleiben. Die
merkwürdige Tatsache bleibt aber bestehen, dass man bei den charakte¬
ristischen Knochenmarkselementen typische karyokinetische Bilder finden
kann, wenn sich daneben die intensivsten Zerstörungen geltend machen,
Zeitsebr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. oq
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A. da SILVA MELLO
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und wenn der Organismus noch unter der direkten Wirkung des Thorium X
steht. Das sind sicher Tatsachen, die die grösste Beachtung verdienen
und die mit den jetzigen Theorien über die Wirkung der radioaktiven
Substanzen schwer in Einklang zu bringen sind.
Hier müssen wir noch auf die in der Milz gefundenen Veränderungen
unsere Aufmerksamkeit lenken. In Anbetracht der bekannten Röntgen¬
strahlenwirkungen und der von allen Seiten betonten Aehnlichkeit der
Wirkung der X-Strahlen und der radioaktiven Substanzen, wären hier
freilich andere Läsionen zu vermuten. Das ist auch schon früher
Pappenheim und Plesch aufgefallen. Die relative Integrität der
Lymphfollikel würde hier nicht nur für eine besondere Resistenzfähigkeit
der Lymphozyten sprechen, sondern auch einen wesentlichen Unterschied
zwischen der Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen einerseits und
des Thorium X andererseits erweisen. Das sind aber Dinge, die nicht
so leicht entschieden werden können und die eine weitgehende und ge¬
naue Erforschung verlangen. Durch unsere Experimente ist es uns ge¬
lungen, diese Frage in dem obigen Sinne zu lösen, d. h. einen radikalen,
ja einen gegensätzlichen Unterschied zwischen der Wirkung der Röntgen-
und Radiumstrahlen und des Thorium X auf die hämatopoietischen Organe
festzulegen. Darauf werden wir später noch eingehend zurückkommen.
Ein anderer Befund, der etwas Abweichendes an sich trägt, ist der, der
bei den Riesenzcllen erhoben worden ist. Wir haben gesehen, dass sie
bei dem einen Kaninchen sejir zahlreich und zum Teil ganz normal zu
finden waren. Dies in Verbindung mit Befunden, die wir in anderen
Fällen und unter anderen Bedingungen erhoben haben, hat \ins gezeigt,
dass sie nicht so empfindlich dem Thorium X gegenüber zu sein scheinen,
wie von anderen Autoren angegeben wird (vgl. Figuren 2, 5 und 6).
Ein anderer Punkt, der noch hervorgehoben werden muss, ist das
Verhalten der roten Blutkörperchen. Hier liegen zum erstenmal genaue
Angaben darüber vor. Pappenheim und Plesch konnten keine deut¬
lichen Veränderungen konstatieren, obgleich sie nur mit tödlichen und
übertödlichen Dosen gearbeitet haben. Ihre Resultate sind aber nicht
einwandsfrei, zumal da Auszählungen nicht vorgenommen wurden.
Bald darauf haben Hirschfeld und Meidner über abweichende Er¬
gebnisse berichtet, indem sie durch tödliche Dosen eine Abnahme des
Hämoglobins und auch der Erythrozytenzahl feststellen konnten. Aehn-
liche Befunde sind später auch von Arneth angegeben worden, obgleich
er keine tödlichen Dosen verabreicht hat. Seine Angaben sind aber
ebenso wie die Pappenheims und Pleschs lückenhaft, weil sie nur
auf die Farbe des Bluttropfens und auf Abstrichpräparate basiert waren.
Unsere Fälle sind dagegen geeignet zu zeigen, dass ein Tier in Wirklich¬
keit durch eine akute Thorium X-Vergiftung sterben kann, ohne dass
dabei die Erythrozyten an Zahl abnehmen. Wie dieses Verhalten über¬
haupt zu verstehen ist, werden wir später sehen. Im Gegensatz zu den
Erythrozyten stand das Verhalten des Hämoglobins, das stark abnahm.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 297
Das scheint übrigens ein konstanter Vorgang bei der rapiden, tödlichen
Thorium X-Wirkung zu sein. Der enorme Gewichts- und Leukozyten¬
absturz gehört zu den klassischen Symptomen der Thoriumvergiftung.
Darauf werden wir noch oft zurückzukommen haben.
B. Chronische Vergiftungen.
Die chronische Vergiftung, oder besser gesagt, die chronische Schädi¬
gung durch das Thorium oder durch irgend eine strahlende Wirkung muss
unbedingt als eines der wichtigsten Probleme der Radiobiologie betrachtet
werden. Abgesehen von einigen alten Arbeiten über Röntgenbestrahlung
und vereinzelten beiläufigen Bemerkungen in Protokollen von Versuchen,
die mit radioaktiven Substanzen ausgeführt wurden, ist in der Richtung
so wenig erforscht, dass man die Frage aufwerfen könnte, ob es über¬
haupt eine solche Schädigung gibt, d. h. ob ein Tier beispielsweise durch
eine einzige Thorium X-Dosis derart geschädigt werden kann, dass cs
sich davon nicht mehr erholt, trotzdem es daran nicht unmittelbar zu¬
grunde geht. Wir haben versucht, durch zahlreiche Experimente dieser
Frage näher zu kommen. Als besonders geeignete Vergleichsobjekte
haben wir grosse Rattenstämme gewählt, bei welchen ein Teil der Jungen
eingespritzt wurde, während der andere als Kontrolle dienen sollte. Dabei
stellte sich aber die enorme Schwierigkeit der richtigen Dosierung heraus.
Wurde die Injektion zu gross gewählt, so starben die Tiere innerhalb
kurzer Zeit; war sie dagegen nicht gross genug, so wurde sie von allen
Tieren gut überstanden und in beiden Fällen war ein Vergleich un¬
möglich. Die Schwierigkeit kommt daher, dass die obere Grenze der
nicht tödlichen Menge ganz nahe der unteren Grenze der letalen Dosis
liegt. Eine Dosis, die scheinbar gut überstanden wird, ist nicht viel
kleiner als eine solche, die sicher innerhalb kurzer Zeit tödlich wirkt.
Bei den Ratten, die wir gewählt haben, war dieser Unterschied höchst
minimal, weil sie noch ganz jung waren. Man muss dazu noch die ver¬
schiedene Empfindlichkeit der verschiedenen Stämme berücksichtigen, um
alle Schwierigkeiten zu ermessen, die daraus entstehen können. Bei
folgendem Stamm haben wir es direkt mit einem Glücksfalle zu tun.
17. 10.
14. 11.
21. 11.
28. 11.
12.12.
16. 1.
21. 1.
26.1.
Ratte Nr. 1 (injiziert) . .
0,0002 T.X
0,0002 T.X
0,002 T. X
_
_
_
_
t
Gewicht
24 g
28 g
36 g
34 g
36 g
42 g
—
Ratte Nr. 2 (nicht injiziert)
—
—
—
—
—
—
—
—
Gewicht
24 g
28 g
37 g
41 g
36 g
56 g
—
—
Ratte Nr. 3 (injiziert) . .
Gewicht
Ratte Nr. 4 (nicht injiziert)
0,0002 T.X
25 g
0,0002 T. X
29 g
0,002 T.X
35 g
37 g
30 g
38 g
+
Gewicht
25 g
28 g
35 g
38 g
36 g
51 g
i
—
Ratte Nr. 5 (injiziert) . .
Gewicht
Ratte Nr. 6 (nicht injiziert)
0,0002 T.X
26 g
0,0002 T. X
29 g
0,002 T. X
32 g
30 g
30 g
31g
1
1 t
Gewicht
26 g
29 g
38 g
44 g
45 g
71 g
—
1 —
Die drei nicht injizierten haben weiter gelebt und sich normal entwickelt.
20 *
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Die klinische Beobachtung stimmt in höchstem Masse dazu, dass
wir es in diesen Fällen mit einer chronischen Thorium X-Schädigung zu
tun haben. Alle Tiere haben zusammen unter gleichen äusseren Be¬
dingungen gelebt. Wir sehen alle eingespritzten Tiere sich langsam ent¬
wickeln und frühzeitig sterben, während daneben alle nicht behandelten
sich normal entwickeln und am Leben bleiben. Der Umstand, dass die
Tiere erst zwei Monate nach der Einspritzung starben, zeigt, dass der
Tod nicht einer direkten Thorium X-Einwirkung zuzuschreiben ist. Ob
er aber in den Fällen überhaupt als eine Folge der Thorium X-Einwirkung
zu betrachten ist, kann in Anbetracht der kleinen Zahl der Tiere sowie
dem Fehlen der mikroskopischen Untersuchungen nicht mit absoluter
Sicherheit entschieden werden 1 ). Erst eine grosse Menge Beobachtungen,
die wir noch auszuführen haben, gestattet uns hier auf eine Thorium X-
Wirkung zu schliessen. Alle diese Versuche bestätigen sich gegenseitig.
Hier wäre auch noch besonders auf die Versuche Hertwigs hinzuweisen,
der durch Bestrahlung eine Wachstumsheramung, eine Verlangsamung des
Furchungsprozesses von befruchteten Amphibieneiern mit einem früh¬
zeitigen Tode der Embryonen hervorrufen konnte.
Es ist von allergrösster Wichtigkeit zu wissen, wie in unseren Fällen
der Mechanismus der Schädigung oder des daran geknüpften Todes sich
vollzogen hat. Besonderes Interesse muss dabei das Verhalten des Blutes
und der blutbildenden Organe erregen. Folgende Fälle werden viel
Wichtiges zu dem Verständnis all dieser Fragen beibringen.
Kaninchen Nr. 2^
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,225 mg
1
1680
65
5 700 000
6800
4
1630
63
5 300 000
2400
7
1480
62
5 200 000
1500
11
1280
64
5 300 000
1700
14
1270
60
5 000 000
2500
21
1380
54
4 800 000
3200
28 1
1250
45
4 700 000
4600
33
1320
50
4 800000
4300
39 |
1470
45
4 000 000
3300
42
1370 1
45
4 800 000
3700
49
1450
50
4 000 000
3200
55 j
1260
43
4 000 000 1
3900
G2
—
—
—
5400
67
1160
44
4 800 000 |
2900
74
1 980
45
4 200 000
2800
74 |
1 t
i
Wir haben es da mit einem ganz eigenartigen bis jetzt unbekannten
Befunde zu tun. Wir sehen, wie intensiv, wie langdauernd die Wirkung
des Thorium X überhaupt sein kann. Das überschreitet alle Vermutungen
1) Die mikroskopischen Untersuchungen konnten nicht ausgeführt werden, weil
die gestorbenen Tiere sofort von den noch lebenden aufgefressen wurden.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 299
und zeigt wie kompliziert die biologischen Wirkungen der radioaktiven
Substanzen sich gestalten. Die langdauernde Verfolgung der Leukozyten¬
zahlen lässt keinen Zweifel übrig, dass das Tier während der ganzen
Zeit unter der Wirkung des Thoriums gelitten hat.
Aus dieser Beobachtung geht deutlich hervor, dass das Thorium eine
Vergiftung mit chronischem Verlauf zu erzeugen imstande ist. Wir sehen,
dass der Tod des Tieres erst fast 3 Monate nach der Thoriumeinspritzung
eingetreten ist, also zu einer Zeit, zu der der Organismus seit Monaten
frei von radioaktiven Substanzen war. Wir erkennen daraus, dass der
Organismus derart geschädigt war, dass er sich überhaupt nicht mehr
erholen konnte. Wir haben es da mit keiner direkten Wirkung des
Thorium X zu tun. Das ist das Wichtigste. Worauf in letzter Linie der
Tod der Tieres zurückzuführen sei, mag dahingestellt bleiben. Wenn er
eine Folge der Thorium X-Wirkung wäre (und das ist das Wahrscheinlichste),
so wäre es am nächstliegendsten anzunehmen — nach alledem, was wir
vom Thorium X wissen —, dass die hämatopoietischen Organe derart
zerstört waren, dass eine vollständige Regeneration überhaupt nicht mehr
eintreten konnte. Den Tod im Zusammenhang mit solchen Veränderungen
zu bringen, wäre auch selbstverständlich. Das wäre an sich sehr wichtig
festzustellen, weil wir auch vielfach gewöhnt sind, von plötzlichen Ver¬
nichtungen und rapiden Regenerationen der blutbildenden Organe zu hören.
Der Umstand, dass ein Tier nach einer gewaltigen Zerstörung der
hämatopoietischen Organe noch fast 3 Monate leben konnte, dass es
während der ganzen Zeit der direkten Thoriumwirkung am Leben blieb
und erst lange nachher starb, dies alles mit einer unvollständigen
Regeneration, mit einer Erschöpfung des Knochenmarks in Zusammenhang
zu bringen, würde jedenfalls einen eigenartigen biologischen Vorgang
zeigen. Die Dinge liegen aber keinesfalls so. In dem Fall konnten wir
eine vollständige Regeneration, ja eine Hyperplasie des Knochenmarks
feststellen. Das Protokoll der mikroskopischen Untersuchung lautet
folgendermassen:
Knochenmark: Sehr starker Zellenreichtum. Die weissen Zellen so dicht zu¬
sammengedrängt, wie bei einem ganz jungen Tiere. Das Mischverhältnis der Elemente
durchaus normal. Abnorm nur eine starke Hyperämie und das Auftreten eines gelb¬
lichen feingranulierten Pigments. In den Abstrichpräparaten grosse Mengen von
Erythroblasten, bei vielen Amitosen zu finden (s. Figur 3).
Milz: Anämisch, die Bluträume fast leer. Der Zellgehalt der Pulpa und der
Lymphfollikel geringer als normal. Die Kapsel gewellt, verdickt, das Bindegewebe
vermehrt. Sonst das Bild einer Pigmentmilz.
Worauf die monatelang dauernde Leukopenie zurückzuführen sein
könnte, ist uns nicht möglich gewesen festzustellen. Die Vermutung einer
Atrophie des Knochenmarks konnte jedenfalls widerlegt werden. Wie sie
in Verbindung mit der Hyperplasie der weissen Elemente zu bringen ist,
ist ebenfalls nicht leicht zu verstehen. Dass die beiden Dinge aber ver¬
einbar sind, ist von ausserordentlich grosser Wichtigkeit zu wissen, be-
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300
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sonders wenn wir es mit der vernichtenden Wirkung von Knochenraarks-
giften zu tun haben. Der histologische Befund ist auch geeignet, zu
zeigen, dass eventuell eine Leukopenie fehlen könnte, wenn der Organismus
unter einer schädigenden aktinischen Wirkung leidet. Wir werden sehen,
dass in Wirklichkeit die Vorgänge sich so abspielen können, und ferner,
dass ein Tier unter der Wirkung des Thorium X sterben kann, wenn die
Leukopenie schon verschwunden und die Leukozytenzahl zu der normalen
Höbe zurückgekehrt war, und wenn die blutbildenden Organe schon voll¬
ständig regeneriert oder selbst in Hyperplasie geraten waren. Wir werden
auch sehen, dass ein Tier eine akute Thorium X-Vergiftung durchmachen
kann, ohne dass überhaupt eine Leukopenie zustande kommt. In dem
Fall verdient noch das Verhalten der roten Blutkörperchen und des
Hämoglobins eine besondere Beachtung. Wir konstatieren, dass sie
während der ganzen Zeit sehr wenig gelitten haben. Die Veränderungen
sind so minimal, dass man sie zwanglos als eine Stallanämie erklären
könnte. Diese Feststellung in Verbindung mit der Beobachtung der
vorigen akut tödlich vergifteten Tiere würde auf eine grosse Resistenz
der Erythrozyten schliessen lassen. Wir haben besondere Versuche an¬
gestellt (s. den letzten Teil der Arbeit), um das Verhalten der Erythro¬
zyten dem Thorium X gegenüber näher zu studieren. Aus diesen, wie
überhaupt aus allen Versuchen geht hervor, dass das Thorium X keine
einheitliche Wirkung besitzt. Die Vorgänge im Blut und in den blut¬
bildenden Organen sind verschieden und ausserordentlich individuell; die
Dosierung braucht dabei keine Hauptrolle zu spielen. Bei einigen Tieren
ist das erythrozytäre System besonders empfindlich. Eine Thorium X-
Schädigung kann eventuell nur durch eine Anämie zum Ausdruck kommen.
Diese Anämie oder die Leukopenie oder ein Gewichtsverlust sind aber
keine konstanten Symptome. Die drei können fehlen, es kann aber auch
jedes allein für sich in Erscheinung treten oder mit den andern kombiniert
sein. Wir werden auf diese Dinge noch einzugehen haben, ln diesem
Falle muss noch besonders hervorgehoben werden die starke Pigmentierung
der Milz und das reichliche Auftreten von amitotischen Bildern bei den
Erythroblasten des Knochenmarks. Auch darauf werden wir noch zurück¬
kommen. Folgende Fälle sind vorläufige Mitteilungen zu dem besonderen Ver¬
halten der roten Blutkörperchen (s. nebenstehende Tabelle: Kaninchen Nr. 9).
Sektion: Alle Organe anämisch. Das Knoohenmark weicher, rötlicher als
normal. Milz verkleinert. Vereinzelte kleine Leberabszesse mit Coccidieneiern. Im
Peritoneum vereinzelte kleine Zysten.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Ungeheurer Zellenreichtum. Die Zellen liegen so ausserordent¬
lich dicht zusammengedrängt, dass die Fettareolen gänzlich verschwunden sind. An
der Hyperplasie nehmen alle Knochenmarkselemente teil. Die polymorphkernigen Leuko¬
zyten, die Myelozyten und die Erythrozyten sehr reichlich vorhanden, die Riesenzellen
auch stark vermehrt. Keine abnorme Pigmentierung. Sonst nur eine deutliche
Hyperämie und kleine Blutungen zu konstatieren.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 301
Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Lymphfollikel viel kleiner als normal.
Das Stützgewebe der Pulpa tritt deutlich hervor. Die Follikel nooh zu erkennen, aber
derart zellarm, dass sie fast verschwunden sind. Keine Hyperämie, keine Blutungen,
keine abnorme Pigmentierung.
Kaninchen Nr. 9.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,16 mg
1
1250
_
_
7
1050
60
6 800 000
1600
9
980
65
6 400 000
2400
12
950
30
3 200 000
1840
15
1000
25
2 400 000
2740
20
1000
25
3 200 000
5100
23
1000
25
3 200 000
5500
29
1150
30
3 200 000
7600
34
1030
30
2 400 000
8900
37
1010
35
3 200 000
7640
44
930
—
2 400 000
7500
46
t
In diesem Falle sehen wir eine intensive Wirkung auf die roten Blut¬
körperchen. Sie tritt nicht unmittelbar nach der Thorium X-Einverleibung
ein, sondern erst 10—12 Tage nachher, also, wenn die Thoriumaktivität
schon fast ganz abgeklungen war. Das Interessanteste ist dabei noch,
dass die Erythrozytenzahl und das Hämoglobin dauernd vermindert
bleiben und sich überhaupt nicht mehr regenerieren, trotzdem man eine
gewaltige Knochenmarkhyperplasie konstatieren kann. Der Umstand, dass
diese Hyperplasie auch die weissen Elemente betrifft und doch keine
Hyperleukozytose zu finden war, ist beachtenswert. Ob die Veränderungen
der roten Blutkörperchen mit der Wirkung des Thorium X in Zusammenhang
zu bringen sind oder nicht, ist an der Hand nur eines solchen Falles
unmöglich zu entscheiden. Eine Menge klinischer Tatsachen lassen aber
keinen Zweifel übrig, dass der Vorgang von der Thorium X-Wirkung ab¬
hängig ist. Der Fall ist keine Ausnahme. Mehrere Forscher haben schon
ähnliche Befunde erhoben und wir selbst haben mehrere solcher Fälle
beobachten können. Wir müssen auch bedenken, dass die Schädigung der
roten Blutkörperchen zu einer Zeit eintrat, zu welcher man sie durch die
Thorium X-Wirkung zu finden pflegt. Die Hyperplasie des Knochenmarks
sowie die Veränderungen der Milz zeigen auch, dass das Tier noch bei
seinem Tode unter indirekten Wirkungen des Thorium stand. Das sind
aber Sachen, die wir erst später auseinanderzusetzen haben. Es wäre
auch die Annahme naheliegend, dass in unserem Fall die Anämie sich
vielleicht durch die in der Leber und im Peritoneum gefundenen Parasiten
erklären lassen würde. Zwischen beiden Dingen besteht aber kein
ursächlicher Zusammenhang. Wir haben wiederholt Fälle beobachtet, in
welchen das Lebergewebe durch eine enorme Menge von Abszessen auf
ein Minimum reduziert war oder wo das Peritoneum von Zysten dicht
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
302
A. da SILVA MHLLO
Digitized by
durchsetzt war, Veränderungen, durchweiche wahrscheinlich die Tiere zu¬
grunde gegangen waren, und trotzdem konnten wir niemals in solchen Fällen
eine Verminderung des Hämoglobins oder der Erythrozytenzahl konstatieren.
Als Beispiel sei folgender Fall angeführt, bei welchem die Leber
dicht von Abszessen mit Parasiteneiern durchsetzt war.
Kaninchen Nr. 14.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,1 mg
1
—
—
—
—
4
1420
65
6 400 000
5300
10
1380
65
6 400 000
3600
11
1 t
Dafür, dass bei dem Kaninchen Nr. 9 die Anämie nicht auf die
Parasiten zurückzuführen ist, spricht auch der Umstand, dass die Ver¬
änderungen fast, plötzlich innerhalb 3 Tagen eingetreten sind. Dies und
der Befund bei anderen Tieren lässt auch die sogenannte Stallanäraie
ausschliessen. Das Merkwürdigste dabei ist, dass auch das erythro-
poietische System dauernd geschädigt bleibt, während das leukozytäre
sich regeneriert und hyperplastisch wird. Wir müssen ausserdem an¬
nehmen, dass die Schädigung des erythropoietischen Systems nicht durch
eine direkte Wirkung des Thorium X entstanden ist. Wir werden später
sehen, dass, wenn der Organismus unter der giftigen Wirkung des
Thorium X leidet, das erythrozytenbildende System normal funktionieren
oder selbst eine Ueberfunktion entfalten kann. Die Veränderungen, wie
die unseres Falles, müssen als indirekte betrachtet werden. Das Thorium
schädigt den Organismus und erst diese Schädigungen erzeugen die
Anämie. Dass aber eine besondere Labilität, eine grössere individuelle
Empfindlichkeit des erythropoietischen Systems der verschiedenen Tiere
dabei noch eine grosse Rolle spielt, darauf wurde schon früher hin¬
gewiesen. Es ist dieselbe Tatsache, die seit langem für die Leukozyten
bekannt war und die nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen
oft festzustellen ist. Die biologische Analyse unseres Falles liefert auch
gewissermassen eine experimentelle Grundlage zu dem Verständnis der Ent¬
wicklung von Anämien bei der Behandlung von Leukämien, Tumoren usw.
mit strahlender Energie. Dass zuletzt die Leukämie der Behandlung
gegenüber sich als refraktär erweist, während dagegen die Anämie Fort¬
schritte macht, ist auch aus dem mikroskopischen Befunde am Knochen¬
mark leicht zu verstehen.
Kaninchen Nr. 31.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo-
! globin
i
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,1 mg
1
j
63 1
! 6 600 000
1 10 700
21
| 2400
40 !
! 3 600 000
i 7 200
41
2250
i 64
5 620 000
6 100
1
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 303
Difitized by
Dieser Fall ist angeführt, um zu zeigen, dass das Tier von der
Anämie sich vollständig erholen kann. Er ist vielleicht auch geeignet,
die Rolle der sogenannten Stallanämie besser hervortreten zu lassen.
Hier sehen wir auch wieder, dass die Anämie zu einer Zeit am intensivsten
war, zu welcher die Leukozyten die normale Höhe wieder erreicht hatten.
Es gibt aber keinen Parallelismus zwischen diesen Vorgängen. Das
leukozytäre und das erythrozytäre System funktionieren getrennt; sic
werden verschieden durch'die Thorium X-Wirkung getroffen. Jedes besitzt
seine eigene Individualität. Zuweilen werden auch beide geschädigt.
Folgender Fall (Nr. 22) mag dies veranschaulichen. Das Merkwürdigste
ist dabei, dass trotz der intensiven und langdauernden Schädigung des
Blutes das Gewicht bis zum Ende fast unbeeinflusst bleibt.
Kaninchen Nr. 22.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,05 mg
1
1150
_
8200
7
1100
60
4 800 000
2020
14
1070
50
5 000 000
2050
23
1020
40
4 200 000
3700
30
1050
40
3 200 000
2800
37
1030
35
2 940 000 |
3400
49
—
—
—
—
I. Partielle Ergebnisse.
1. Die Zerstörungen der leukozytären Elemente des Knochenmarks
und der Milz durch eine unmittelbare tödliche Vergiftung durch Thorium X
sind allein nicht imstande, den Tod des Tieres zu erklären. Das geht
daraus hervor, dass die Knochenmarkseleraente und besonders die Lymph-
follikel der Milz noch zum grossen Teil erhalten sein können, wenn das
Tier unter der Vergiftung stirbt. Dafür spricht auch, dass durch über¬
tödliche Vergiftungen (Pappenheim und Plesch) man noch weiter¬
gehende Veränderungen zu finden pflegt, und dass man auch durch
Röntgenstrahlen viel stärkere Zerstörungen der blutbildenden Organe er¬
zeugen kann, ohne dass die Tiere unmittelbar daran das Leben verlieren.
2. Wenn ein Tier unter der direkten Wirkung des Thorium X zu¬
grunde geht, kann man im Knochenmark neben den Zerstörungsvorgängen
deutliche Zeichen von Regeneration (Mitosen) konstatieren (s. Figur 1).
3. Die Läsionen, die durch das Thorium X an den hämatopoietischen
Organen erzeugt werden, sind wesentlich verschieden von denen, die durch
die Radium- und Röntgenstrahlen hervorgebracht werden. Dieser Umstand
lässt auf eine Verschiedenheit der Wirkung beider schliessen (s. Teil III).
4. Die Megakaryozyten sind nicht in allen Fällen dem Thorium X
gegenüber so empfindlich wie im allgemeinen angenommen wird. Beim
Thorium X-Tod können sie zum Teil noch ganz normal im Knochenmark
gefunden werden.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
304
A. DA SILVA MELLO,
Digitized by
5. Bei einer akuten, tödlich verlaufenden Thorium X-Vergiftung
brauchen die Erythrozyten nicht geschädigt zu werden. Sie können sich
an Zahl und Struktur normal erhalten bis zum Eintritt des Todes.
6. Eine einzige Dosis Thorium X, die nicht unmittelbar tödlich wirkt,
kann ein Tier derart schädigen, dass es sich davon nicht mehr erholt
und nach Wochen oder selbst Monaten zugrunde geht.
7. Die Wirkung des Thorium X auf das leukozytäre und das erythro-
zytäre System gestaltet sich je nach der Individualität des einzelnen Tieres
verschieden. Beide oder jedes dieser Systeme für sich können sich be¬
sonders empfindlich oder besonders resistent zeigen. Eine Thorium X-
Schädigung kann eventuell nur durch eine Anämie oder nur durch eine
Leukopenie zum Ausdruck kommen. Die Dosierung des Mittels braucht
dabei keine Hauptrolle zu spielen.
8. Eine nicht unmittelbar tödliche Dosis Thorium X kann zuweilen
eine spät eintretende, langdauernde Anämie erzeugen. Diese Anämie kann
zu einer Zeit eintreten, in welcher der Organismus schon fast frei von
radioaktiven Substanzen ist. Sie muss als eine späte indirekte Schädigung
aufgefasst werden.
9. Diese Anämie kann noch fortdauern, wenn eine Regeneration und
selbst eine Hyperplasie des Knochenmarks eingetreten ist.
10. Auf die bei einigen Fällen gefundenen Parasiten kann man diese
Anämie keinesfalls zurückführen.
11. Die Entwicklung dieser Anämie und die Hyperplasie des Knochen¬
marks gestatten vielleicht das Verständnis der refraktären Fälle und der
Schädigungen durch wiederholte Bestrahlungen oder Verabreichung von
radioaktiven Substanzen mit therapeutischem Zweck.
12. Die Tiere können sich von der Anämie erholen und die Thorium¬
vergiftung überstehen.
13. Die Tiere können auch durch das Thorium derartig geschädigt
werden, dass sie sich überhaupt nicht mehr erholen und unter der in¬
direkten Einwirkung des Thorium X sterben.
14. Diese Wirkungen sind als indirekte zu bezeichnen, weil die Tiere
zu einer Zeit sterben können, in welcher der Organismus seit langem,
ja seit Monaten frei von radioaktiven Substanzen war.
15. Symptome einer chronischen Thorium X-Schädigung können
entweder eine langdauernde Gewichtsabnahme oder eine langdauernde
Anämie oder Leukopenie sein (in einem Fall hat die Leukopenie fast
3 Monate gedauert). Diese Symptome können jedes für sich allein oder
auch miteinander kombiniert auftreten.
16. Die chronische Leukopenie oder die in vielen Fällen gefundene
Anämie sind aber niemals derart, dass man sie für den Tod des Tieres
verantwortlich machen könnte. Dafür spricht auch die interessante Tat¬
sache, dass in solchen Fällen das Knochenmark in Hyperplasie geraten
war (s. Bild Nr. 3). Wir haben es hier höchstwahrscheinlich mit Hemmungs-
_Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 305
Difitized by
oder Zerstörungsvorgängen zu tun, die schwer zu bestimmen, aber doch
in Zusammenhang mit der Thoriumwirkung zu bringen sind.
17. Worauf der Tod des Tieres in letzter Linie zurückzuführen
ist, ist nicht leicht festzustellen. Dass er aber in keinem direkten Zu¬
sammenhang mit den Vorgängen an den hämatopoietischen Organen zu
bringen ist, nehmen wir nach unseren Versuchen als sichergestellt an.
Die folgenden Experimente werden noch in manchen Beziehungen
die vorigen bestätigen.
II. Teil.
Tiere, die mit mehr als einer Thorium X-Einspritzung behandelt worden.
Hier können wir die verschiedensten Reaktionen beobachten. Es ist
an sich selbstverständlich, dass z. B. ein Tier bei der zweiten Thorium X-
Einspritzung verschieden reagieren muss, je nachdem es von der ersten
noch im Körper etwas retiniert und so noch unter einer direkten radio¬
aktiven Wirkung steht oder nicht. Im ersten Falle haben wir es vielleicht
nur, oder wenigstens hauptsächlich, mit einer kumulativen Wirkung zu
tun, während im zweiten mehrere Möglichkeiten vorhanden sind, so z. B.,
ob der von radioaktiven Substanzen befreite Organismus noch unter einer
indirekten Wirkung steht oder nicht. Wenn nicht, würde er noch höchst
wahrscheinlich je nach dem Grade der cingetretenen Regeneration verschieden
reagieren. Alle diese Bedingungen komplizieren wesentlich die Erforschung,
die nur durch besonders zahlreiche Versuche angestellt werden kann.
Kaninchen Nr. 4.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
.
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,133 mg
1
1700
68
5 600 000
5700
3
1650
65
5 500 000
3600
9
1620
65
5 500 000
2300
16
1550
—
5 600 000
3500
18
1550
55
5 600 000
3500
23
1750
65
7 000 000
3700
28
1810
55
4 000 000
4400
31
1750
60
5 600 000
3200
38
1920
57
4 800 000
4400
45 |
1800
55
4 800 000
2300
50
1710
—
—
6000
0,01 mg
56
1770
50
5 400 000
7900
65
1650
49
5 600 000
3060
71
1700
56
5 200 000
4600
84
1810
47
5 300 000
5900
91
1550
46
5 680 000
3800
108
1160
+
Bei derSoktion wurde in diesemFalle nur eine Verkleinerung der Milz konstatiert.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Die weissen Elemente reichlich vorhanden; ihr Missverhältnis
der Norm entsprechend. Pathologisch war das Vorhandensein eines überall zerstreuten
Pigmentes und besonders die starke Blutfüllung der Markräume.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
306
A. DA SILVA MELLO,
Digitized by
Milz: Der Zellgehalt reduziert, die Lymphfollikel überhaupt sehr zellarm.
Reichlich Pigment in der Pulpa. Das Bindegewebe vermehrt, die Kapsel verdickt
(vgl. Figur 4).
In diesem Falle, also nach einer nicht sehr grossen Injektion (die
Leukozyten sind nicht unter 2300 gefallen und das Gewicht und die
Erythrozyten haben sehr wenig gelitten), sehen wir, dass nach einer
langdauernden, massigen Leukopenie die Leukozyten wieder zu der
normalen Höhe steigen, wie auch das Gewicht und die Zahl der roten
Blutkörperchen. Würde man übrigens als Kriterium der Wiedererholung
nur das Gewicht und die Erythrozytenzahl annehmen, so hätte man
schon einen Monat vor der zweiten Einspritzung von einer vollständigen
Regeneration sprechen können. 23 Tage nach der ersten Einspritzung
waren Gewicht und die roten Blutkörperchen schon etwas über die Norm
gestiegen. Die Leukopenie zeigt aber, dass noch nicht alles in Ordnung
sein kann. Auch diese ist dann einen Monat später verschwunden. Erst
eine zweite Injektion zeigt, trotzdem man nach der Länge des Intervalls
und den klinischen Symptomen die Wirkung der ersten als abgelaufen
annehmen sollte, dass der Organismus noch nicht vollständig zur
Norm zurückgekehrt war. Wir sehen, dass eine ganz kleine Dosis, die
sonst nur vorübergehende und geringe Symptome hervorgerufen haben
würde, jetzt als zweite Injektion, eine langdauernde Leukopenie zu er¬
zeugen imstande war. Wir müssen aber annehmen, dass keine absolute
Regeneration eingetreten war. Dazu stimmten auch die gefundenen Ver¬
änderungen an den hämatopoietischen Organen, besonders die der Milz,
die wir erst später eingehend zu analysieren haben werden. Diese Ver¬
änderungen sind zwar nicht derart, dass sie den Tod der Tiere erklären
könnten, aber doch geeignet zu zeigen, wie langdauernd die Schädigungen
durch das Thorium X sein können. Dasselbe zeigt uns das
Kaninchen Nr. 1.
Thorium X
Versuchs-
tagc
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,225 mg
1
2720
- 65
6 100 000
7100
5
2710
57
4 500 000
1100
8
2660
_
—
—
11
2600
50
2 500 000
2000
14
2570
50
3 200 000
2600
18
2520
50
3 800 000
3000
22
2520
54
4 000 000
3800
29 1
2300 1
! 50
3 200 000 1
4500
34
2420 |
55 1
4 800 000 1
5300
40
2400
: 55 !
4 000 000 1
6200
43
2370 1
48 i
3 800 000 ;
5700
49
2480
52 !
4 800 000 !
4600
59
2400 j
50
4 800 000 !
6000
0,01 mg
131
2280 ,
— :
—
5800
62
! 2220
i
— 1
5300
67
! 2150 1
38
3 800 000 1
4200
74
I 2000 |
40
3 200 000 i
2400
81
i t
i i
1
1
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 307
Difitized by
Wir können hier durch die klinischen Symptome feststellen, dass
zwei Monate nach der ersten Injektion eine vollständige Regeneration
noch nicht eingetreten war. Auch hier haben wir es mit einer viel
intensiveren Vergiftung zu tun, wie aus der Dosis, der Leukopenie, der
Anämie und dem Gewichtsverlust ersichtlich ist. Und wie stark der
Körper noch geschädigt war, zeigt uns die Wirkung der zweiten Ein¬
spritzung, deren Dosis minimal genannt werden kann. Nach den klinischen
Erscheinungen müssen wir annehmen, dass das Tier daran zu Grunde
gegangen ist. Das sind Tatsachen, die zweifellos unsere ersten Befunde
bestätigen.
Kaninchen Nr. 17.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,11 mg
1
1870
_
_
___
6
1680
78
7 200 000
4 600
9
1530
75
7 200 000
4 260
16
1580
65
6 400 000
6 120
19
1650
75
5 600 000
6 380
23
1670
55
5 600 000
7 640
26
1580
—
j —
8 100
29
1630
—
12 600
35
1560
50
; 5 300 000
10 800
44
1420
—
' —
6 300
50
1520
42
4 800 000
7 200
62
1580
45
5 400 000
7 880
0,02 mg
69
1480
45
4 880 000
7 500
86
1280
46
4 400 000
6 900
89
t j
In diesem Falle ist besonders beachtenswert die kurzdauernde
Leukopenie. Die erste Einspritzung hat überhaupt keinen sehr grossen
Einfluss auf die Leukozyten gehabt, sie sind nicht unter 4260 gefallen.
Dagegen hat das Tier ziemlich viel an Gewicht abgenoramen, und es
war ausserdem die Entwicklung einer progressiven Anämie zu konstatieren.
Die zweite Injektion, obgleich sie nicht als ganz klein zu betrachten ist,
hat wieder keinen merklichen Einfluss auf die Leukozyten gehabt. Es
war danach überhaupt keine Leukopenie eingetreten. Das Tier magerte
jedoch immer weiter ab und starb 20 Tage später. Ob wir es aber hier
mit einer Thorium X-Wirkung zu tun haben, scheint schwer zu ent¬
scheiden. Der Umstand, dass die Leukozyten fast unbeeinflusst blieben,
ist höchst merkwürdig und muss Bedenken erregen. Er genügt aber
allein nicht, um die Thorium X-Wirkung auszuschliessen. Wir haben
schon gesehen, dass man durch das Thorium X eine monatelang dauernde
Leukopenie erzeugen, und trotzdem in solchen Fällen gewöhnlich eine
Hyperplasie der Knochenmarkselemente finden kann. Wie diese beiden
Tatsachen in Zusammenhang zu bringen sind, müssen wir dahingestellt
sein lassen. Dass aber bei solcher Ueberproduktion von Knochenmarks¬
elementen eventuell keine Leukopenie zustande kommt, wäre schon an
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
308
A. DA SILVA MELLO,
Digitized by
sich höchst wahrscheinlich anzunehmen. Unser Fall ist der beste Beweis
dafür. Da konnten wir auch eine deutliche Hyperplasie der Knochenmarks¬
elemente konstatieren. Bei der mikroskopischen Untersuchung haben wir
die weissen Zellen stark vermehrt gefunden, viel reichlicher und dichter
zusammengedrängt als in der Norm. Was aber besondere Beachtung
verdient, war, dass auch im Knochenmark eine starke Hyperämie — die
Bluträume prall gefüllt —, und Blutungen zwischen den weissen Zellen
konstatiert werden konnten. Dieser Befund, der fast als pathognomonisch
für die Thorium X-Wirkung gelten muss, neben den klinischen Symptomen
(Gewichtsabnahme und Anämie) und der abnormen Pigmentierung und
Bindegewebsvermehrung in der Milz, zeigt, dass das Thorium X wenigstens
stark gewirkt hat. Inwieweit es an dem Tode des Tieres schuld war,
ist nicht zu entscheiden. Das Wichtigste ist aber dabei, dass trotz der
ziemlich grossen Dosis Thorium X sich keine sehr starke Leukopenie
entwickelt hat. Dasselbe zeigen uns noch viele andere unserer Versuche.
Hier sei nur noch folgender Fall angegeben, bei welchem das Resultat
direkt ausschlaggebend ist.
Kaninchen Nr. 9.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,03 mg
1
1500
50
4 420 000
12 900
0,045 mg
9
1420
55
4 500 000
5 640
16
1400
40
4 800 000
4 300
0,053 mg
21
1350
54
4 640 000
7 500
27
1500
52
4 420 000
4 200
0,05 mg
29
1570
—
—
—
37
1300
42
3 900 000
6 000
41
1120
t
Wir sehen, dass die Thorium X-Dosen in solcher Grösse und so
rasch hintereinander verabreicht wurden, dass unbedingt starke Schädi¬
gungen zu erwarten gewesen wären. Wir machen aber hier die merk¬
würdige Feststellung, dass die Leukozyten überhaupt sehr wenig leiden.
Die Leukozytenzahl zeigt sehr geringe und vorübergehende Schwankungen
und noch wenige Tage vor dem Tode war sie als fast normal zu be¬
trachten. Ungefähr dasselbe gilt auch für das Körpergewicht, das lange
Zeit fast unbeeinflusst blieb. Der Befund ist so abweichend, dass am
nächstliegendsten ein Dosierungsfehler anzunehmen wäre. Das können wir
aber absolut ausschliessen. Die Versuchsanordnung (ähnliche Dosierungen
an denselben Tagen bei anderen Tieren usw.) spricht dagegen, haupt¬
sächlich aber die Veränderungen, die an den blutbildenden Organen ge¬
funden wurden. Die mikroskopische Untersuchung hatte folgendes Er¬
gebnis:
Knochenmark: Der Zellreiohtum sehr gross; zum Teil liegen die Zellen noch
viel dichter zusammen als im normalen Gewebe. Die Myelozyten im Mischverhältnis
stark überwiegend. Die polymorphkernigen Leukozyten sehr spärlich vorhanden.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 309
Viele Zellen enthalten Kernbröokel; auch Mitosen sind zu beobachten. Sonst zahl¬
reiche kleine Blutungen.
Milz: Ungeheure Zellarmut des ganzen Organs. Die Lymphfollikel fast ver¬
schwunden. Viele Zellen mit pyknotischen Kernen. Das Stützgewebe tritt deutlich
hervor. Keine Blutungen, keine Hyperämie.
Die richtige Bedeutung der mikroskopischen Befunde wird erst durch
die später auszuführenden Analysen festgelegt. Hier sei nur die Tatsache
hervorgehoben, dass die Leukopenie kein unbedingtes Symptom der
Thorium X-Vergiftung zu sein braucht. Wie wir später sehen werden,
ist es uns auch gelungen, durch experimentelle Massnahmen ein Tier
intensiv mit Thorium X zu vergiften, ohne dass sich dabei eine Leukopenie
entwickelt.
Wir haben bei den vorigen Fällen gesehen, dass eine zweite Thorium X-
Injektion bei Tieren, die lange vorher eine grosse, fast tödliche Dosis
bekommen haben, eine derart gewaltige Wirkung entfalten konnte, dass
man unbedingt eine unvollständige Regeneration annehmen musste, trotz¬
dem alle klinischen Untersuchungen die Annahme einer absoluten Wieder¬
herstellung nahelegten. Der merkwürdige Befund, dass bei solchen
Tieren, die, wie wir annehmen, noch unter der Thorium X-Wirkung
starben, eine Hyperplasie des Knochenmarks zu finden war, hat uns
darauf geführt, die Wirkung einer zweiten, der ersten gleichgrossen,
Injektion zu untersuchen. Da diese zweite Injektion auch eine sehr
grosse, fast tödliche, sein sollte, konnten wir so am besten das Ver¬
halten hämatopoietischer Organe studieren und vielleicht auch tiefer in
den Mechanismus der Thorium X-Wirkung eindringen. Die Resultate
sind derart ausgefallen, dass sie im grossen ganzen die der vorigen
Versuche bestätigen.
Kaninchen Nr. 30.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
8
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,13 mg
1
1620
54
3 800 000
5 780
10
1220
51
5 080 000
3 300
38
1400
46
4 600 000
3 500
58
1570
50
5 600 000
5 800
70
1700
61
6 260 000
14 200
0,12 mg
78
1750
62
6 000 000
8 600
86
1670
62
5 880 000
2 200
93
1650
59
5 300 000
3 600
101
1300
t
2 400
Bei der Sektion war eine Injektion der Unterbaut- und Mesonterialgefasse zu
konstatieren. Die Milz war etwas verkleinert, das Knochenmark von dunkelroter Farbe,
normaler Konsistenz, leicht als Säule herauszunehmen.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Der Zellgehalt des Knochenmarks derart vermehrt, dass die
Fettareolen fast gänzlich verschwunden waren. Die Zellen lagen ungemein dicht zu¬
sammen und waren in ihrem Mischverhältnis durchaus der Norm entsprechend. Die
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
310
A. da SILVA MELLO,
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polymorphkernigen Leukozyten sehr zahlreich. Bei den Zellen konnte man übrigens
keine deutliche Zeichen von Regeneration oder Zerfall feststellen. Es waren auch
keine Blutungen zu finden (s. Figur 3).
Milz: Im Gegensatz zu den Befunden im Knochenmark standen die der Milz.
Hier war der Zellgehalt der Pulpa und der Lympbfollikel stark reduziert, das Stütz¬
gewebe trat hervor, das Bindegewebe war stark vermehrt, die Kapsel gewellt und ver¬
dickt. Im übrigen noch grosse Mengen von Pigment.
Wir sehen in diesem Falle, dass eine zweite Injektion Thorium X
bei einem Tier, das lange vorher eine gleiche Dosis bekommen hat, eine
ziemlich rasch tödlich endende Vergiftung erzeugt hat, obgleich diese
zweite Injektion zu einer Zeit ausgeführt wurde, zu welcher, wie man
annehmen sollte, die Wirkung der ersten schon gänzlich abgelaufen war
(der Körper war seit langem frei von radioaktiven Substanzen, und das
Gewicht, das Hämoglobin und die Erythrozyten- und Leukozytenzahl,
waren auch schon längst über die Anfangshöhe angestiegen). Der Befund
am Knochenmark zeigte ausserdem, dass wir auf keinen Fall den Tod
des Tieres auf Veränderungen an den hämatopoietischen Organen zurück¬
führen können, trotzdem eine bis zum Tode des Tieres dauernde Leukopenie
sich geltend machte. Wir haben hier wieder eine starke Hyperplasie der
Knochenmarkselemente gefunden. Wie die Veränderungen der Milz zu
deuten sind, können wir erst später auseinandersetzen. Sie allein können
aber den Tod nicht erklären, zumal die Milz nur eine untergeordnete
Rolle im Leben des Tieres zu spielen hat.
K&ninehen Nr. 27.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
Hämo¬
globin
”
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,18 mg
1
1810
63
5 800 000
6580
10
1650
53
6 200 000
3400
17
1530
62
6 620 000
7000
38
1500
44
5 480 000
6300
58
1570
52
4 960 000
4500
70
1600
58
5 280 000
5900
79 ,
, 1950
1 54
4 180 000
5300
0,18 mg
93
1850
60
j 3 770 000
6200
99
1830
1 G2
j 4 840 000
2700
106
1800
- 50
1 5 880 000
3580
112
1550
| 55
! 5 200 000
3260
120
1550
1 45
4 180 000
2500
123
1600
—
_
! 3200
129
1330
48 '
4 750 000
: 4740
136
1200
; t ;
Bei der Sektion war keine auffallende Veränderung wahrzunehmen.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Mit schwacher Vergrösserung sah das Knochenmark wie das
eines jungen Tieres aus, so reichlich war sein Zellenreichtum. Mit starker Vergrösserung
konnte man ein von der Norm stark abweichendes Bild insofern konstatieren, als man
eine ungeheure Vermehrung der Myelozyten wahrnahm. Die polymorphkernigen Leuko¬
zyten und alle anderen weissen Elemente waren im Verhältnis dazu stark zurück-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 311
getreten. Sonst war nur eine geringe Vermehrung des Pigment- und Blutgehaltes fest¬
zustellen.
Milz: Der Zellgehalt stark reduziert, besonders in der Pulpa, wo das Stütz¬
gewebe deutlich hervortrat; der Blutgehalt vermindert, die Bluträume leer. Auffallend
die enorme Menge von Pigment, namentlich in Gestalt grosser, zerstreuter Scholen in
der Pulpa.
Kaninchen Nr. 67.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs-
tage
Gewicht
S
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
35 ccm
0,1 mg
1
2620
60
4 740 000
7 500
7
2500
41
4 560 000
3 400
17
2380
40
3 180 000
6 800
27
1980
45
4 360 000
10 500
34
1980
60
6 700 000
8 500
45
2450
46
3 860 000
7 500
62
2600
50
4 780 000
7 700
0,2 mg
63
1 —
1 —
—
1 —
66
i 2570
; 49
4 620 000
i 3 400
71
2420
I 40
1 4 300 000
4 300
78
2250
1 49
4 340 000
4 400
84
2170
1 50
3 660 000
; 3 600
90
2130
—
—
5 800
99
2100
46
3 680 000
1 3 500
106
1860
i
—
i 6 200
112
1650
! 5t
3 000 000
i 6 400
113
1570
! t
i
Bei der Sektion fällt nichts Abnormes auf. Alle Organe und Gewebe sehen
normal aus.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Der Zellenreichtum viel grösser als in der Norm; besonders
zahlreich die Myelozyten. Die erythroblastisehen Elemente ebenfalls vermehrt. Viele
Mitosen. Vereinzelte kleine Blutungen.
Milz: Zellengehalt der Pulpa und besonders der Lymphfollikel stark reduziert.
Die Follikel fast gänzlich verschwunden. Der Blutgehalt nicht vermehrt, eher ver¬
mindert. Starke Vermehrung des Bindegewebes; die Kapsel gewellt und verdickt.
Besonders auffallend die ungeheure Menge von Pigment (s. Figur 4).
Diese beiden letzten Fälle sind aus einer grossen Reihe entnommen.
Sie zeigen ungefähr dasselbe wie die ihnen vorangehenden. Bei dem
Kaninchen Nr. 27 finden wir, dass die zweite Injektion, obgleich sie
gleich gross und erst drei Monate nach der ersten verabreicht wurde,
eine viel intensivere Wirkung entfaltet und wahrscheinlich den Tod des
Tieres herbeigeführt hat. Interessant dabei ist, dass der Tod erst nach
länger als einem Monate nach der Einspritzung eingetreten ist. Bei dem
Kaninchen Nr. 67 ist er sogar erst nach beinahe zwei Monaten eingetreten.
Diese Unterschiede rühren wahrscheinlich von der Grösse der durch die
erste Einspritzung erzeugten Schädigung sowie von dem Grade der schon
eingetretenen Regeneration her. Die Wirkung der zweiten Injektion muss
direkt von diesen beiden Bedingungen abhängig sein. Was den Tod an¬
betrifft, so muss er auf die Thorium X-Wirkung zurückgeführt werden.
Dafür sprechen alle klinischen Erscheinungen sowie die Gleichmässigkeit
ZeiUchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 8 u. 4. o 1
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
312
A. da SILVA MELLO,
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der bei allen Fällen eintretenden Veränderungen. — Ein Befund, den
wir noch genau zu analysieren haben, ist der in der Milz erhobene.
Während bei allen vorigen Fällen das Knochenmark in deutlicher Hyper¬
plasie gefunden wurde, waren die Veränderungen der Milz regressiver
Natur. Der Zellengehalt der Pulpa und der Lymphfollikel war ver¬
mindert, das Bindegewebe vermehrt, das Organ immer stark pigmentiert.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir es da mit zwei von
einander getrennten Vorgängen zu tun haben. Die Veränderungen der
Milz sind keine frühzeitigen. Wir haben schon gesehen, dass die Milz
bei den akuten, rapid tödlich verlaufenden Thorium X-Vergiftungen ziem¬
lich wenig geschädigt gefunden wird. Wir werden auch später sehen,
dass das lymphozytäre Gewebe sich viel resistenter dem Thorium X
gegenüber verhält, als es -das myeloische Gewebe tut; dass z. B. die
Lymphfollikel der Milz noch fast normal zu finden sind, wenn das Tier
seit vielen Tagen unter einer schweren Thorium X-Vergiftung zu leiden
hat und wenn das myeloische Gewebe schon intensiv geschädigt ist. Die
Läsionen, die oben beschrieben wurden, sind eher für die chronische
Vergiftung charakteristisch. Sie gehören zu den konstantesten Symptomen
der chronischen Thorium X-Wirkung. Bei Versuchen, die wir bald an¬
zuführen haben werden, wurde festgestellt, dass ähnliche Läsionen auch
zu finden waren, wenn die Tiere nur ganz kleine Dosen Thorium X be¬
kommen hatten, Dosen, die keine Intoxikationserscheinungen erzeugt
hatten. Inwieweit wir da einen kausalen Zusammenhang vor uns haben,
wird erst später die Frage sein. Hier wäre der Platz auf einige in der
Literatur zerstreute Berichte zurückzugreifen. Wir haben schon gesehen,
dass Aschoff, Krönig, Gauss, Wätjen u. a. infolge der negativen
Befunde histologischer Untersuchungen bei Fällen tiefliegender Krebse,
die mit grossen Bestrahlungsdosen behandelt waren, zu dem Schluss ge¬
kommen sind, dass der Organismus ganz intensive Durchstrahlungen ohne
nachweisbare Schädigungen lebenswichtiger Organe ertragen kann. Wir
müssen aber hervorheben, dass in der Milz Veränderungen gefunden
wurden, die in gewisser Beziehung mit der unserigen sich decken. Man
fand z. B. bald die Lymphknötchen verkleinert, unscharf gegen das
Pulpagewebe abgegrenzt, bald die Gerüstsubstanz der Pulpa deutlich
hervortretend. Immer werden auch auffallende Pigmentablagerungen be¬
schrieben. Ob diese Veränderungen der Bestrahlungswirkung zuzuschreiben,
oder ob sie nur als Folge der Geschwulstkachexie aufzufassen sind (die
Pigmentablagerungen wären dann ein Zeichen des toxischen Blutzerfalls),
muss dahingestellt bleiben. Solche Befunde bekommen durch die unserigen
eine grosse Bedeutung. Ob wir es mit einheitlichen Vorgängen oder mit
Zufälligkeiten zu tun haben, ist vorläufig unmöglich zu entscheiden. Das
sind aber Dinge, die unbedingt weiter erforscht und aufgeklärt werden
müssen. Der Thorium X-Tod kann nicht in Zusammenhang mit Ver¬
änderungen an den hämatopoietischen Organen gebracht werden. Die
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 313
Leukopenie hat uns lange irre geführt. Wir müssen sie eher als ein
sekundäres nebensächliches Symptom auffassen. Die Veränderungen der
Milz zeigen vielleicht, dass wir es mit anderen Vorgängen zu tun haben.
Sicher haben wir da eine lange und komplizierte Reihe von solchen vor
uns. Die Milz ist darin vielleicht ein Glied und höchst wahrscheinlich
nicht das Hauptsächlichste. Inwieweit da noch korrelative Funktionen
und Beeinflussungen in Frage kommen, kann auch nicht beantwortet
werden. Es sind aber Sachen, die auch Beachtung verdienen. Man
braucht z. B. nur an die eklatantesten Erfolge der Milzbestrahlungen
gerade bei den Fällen von Myelämien zu denken. Wie die oben be¬
schriebenen Milzveränderungen zustande kommen, ist nicht leicht zu ent¬
scheiden. Die Regelmässigkeit ihres Auftretens scheint aber keinen
Zweifel übrig zu lassen, dass wir es mit Bedingungen von Ursache und
Wirkung zu tun haben. Merkwürdig ist, dass sie besonders in'den
lymphoiden Geweben zum Ausdruck kommen, die wir als höchst empfind¬
lich uud höchst regenerationsfähig zu betrachten gewöhnt sind. Das sind
so viele Fragen, die eine weitere Erforschung verlangen. Was die
Pigmentierung anbetrifft, die fast immer sehr stark und zuweilen un¬
geheuer gross wird, so muss sie unbedingt auf einen stärkeren Zerfall
roter Blutkörperchen zurückgeführt werden. Auf die Wichtigkeit dieses
Befundes werden wir später zurückzukommen haben. Der Umstand,
dass die obigen Läsionen erst lange nach der Thorium X-Einverleibung
einzutreten pflegen, verleiht ihnen den Charakter einer Spätschädigung;
sie entstehen vielleicht indirekt, korrelativ mit anderen noch unbekannten
Veränderungen, sie sind vielleicht erst die Folge dieser anderen Ver¬
änderungen. Eine andere Bedingung, die für ihre Abhängigkeit von der
Thorium X-Wirkung spricht, ist die, dass sie immer in den Fällen ge¬
funden worden sind, bei welchen man keine andere Todesursache ausser
der Thorium X-Wirkung finden konnte. Man kann ihnen aber keine
letale Bedeutung zuschreiben. Abgesehen davon, dass die Milz kein
lebenswichtiges Organ ist, muss betont werden, dass ähnliche Läsionen
bei Tieren gefunden wurden, die nicht mit tödlichen, ja die nur mit
kleinen Dosen Thorium X behandelt waren. Ein anderer Punkt, der
noch besonders hervorgehoben werden muss, ist der, dass solche Läsionen
fehlen können, wenn ein Tier unter der gleichzeitigen Wirkung einer
Infektion und einer Thorium X-Einverleibung zugrunde geht. Dies ist
sicher eine ganz interessante und biologisch wichtige Feststellung. Das
lymphozytäre Gewebe der Milz leidet im allgemeinen sehr wenig oder
hyperplasiert sogar durch Infektionskrankheiten, während, wie gesagt,
das Thorium X indirekt eine entgegengesetzte Wirkung entfaltet, das
lymphozytäre Gewebe in Aplasie eintritt und fast verschwinden kann. Bei
dem Zusammentreffen beider Wirkungen kann es sich aber so verhalten,
als ob es von dem Thorium X nicht geschädigt wäre. Die Lymph-
follikel bleiben normal oder fast normal. Daraus muss der Schluss ge-
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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A. DA SILVA MELLO
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zogen werden, dass das lymphoide Gewebe der Milz — wenigstens schein¬
bar — nicht immer unter der Wirkung des Thorium X zu leiden hat,
wenn es anderen Anforderungen ausgesetzt ist. Dies würde auch zeigen,
dass es durch das Thorium X wahrscheinlich nur indirekt, nur durch
wechselseitige Beeinflussungen geschädigt wird. Wir gehen auf solche
Einzelheiten ein, weil wir den Eindruck bekommen haben, es nicht mit
Ausnahmen zu tun zu haben, sondern vor einem konstanten biologischen
Vorgänge zu stehen. Wir haben Gelegenheit gehabt, denselben Befund
unter denselben Bedingungen mehrfach zu erheben. Er scheint wichtig
genug, um beachtet zu werden. Hier seien nur folgende Fälle angeführt,
die uns besonders frappiert haben.
Kaninchen Nr. 33.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,1 mg
1
1820
. 71
6 900 000
l 10 000
8
1770
61
6 580 000
! 3 340
28
1820 j
57
5 240 000
1 7 580
42
1820
59
5 460 000
! 12 200
0,1 mg
46
— j
—
—
—
52
1600
54
1 5 020 000
1 550
55
1570 !
62
| 4 720 000
3 600
59
1570
60
4 900 000
4 200
64 -
1350
48 !
5 120 000
4 300
Sektion: Starke Injektion der Unterhaut- und Mesenterialgefässe, auch die
Gefässe der Vagina stark injiziert. Die Milz verkleinert, schwärzlich gefärbt.
Knochenmark dunkelrot, etwas weicher als normal. Die Blase mit einem trüben,
eiweisshaltigen Urin (Salpetersäurereaktion) prall gefüllt. Linke Lunge normal, die
rechte mit einigen harten dunkelroten, luftleeren Herden im Oberlappen.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Die weissen Zellen sehr zahlreich vorhanden, aber nicht zu¬
sammengedrängt, keine Haufen bildend, nicht um die Fettareolen angeordnet wie in
der Norm. Das Knochenmark hatte eine andere Struktur, die Fettareolen waren ver¬
schwunden und die Zellen diffus verteilt. Daneben leichte Hyperämie und einige kleine
Blutungen.
Milz: Die Veränderungen an der Milz waren ganz gering, der Zellgehalt der
Pulpa und der Lymphfollikel fast wie in der Norm; sonst nur eine ganz leichte Ver¬
mehrung des Pigments und des Bindegewebes.
Darm: Blutungen in der Mukosa, starke Injektion der Blutgefässe.
Niere: Nephritis, Zylinder, Hyperämie.
W T ir brauchen keine weitere Analyse des Falles, obgleich die Darm¬
blutungen und die besondere Histologie des Knochenmarks Beachtung
verdienen. Die letztere wäre vielleicht so zu verstehen, dass aus dem
hyperplastischen Organ eine intensive Zellenausfuhr stattgefunden hat.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologischeWirkung dos ThoriumX usw. 315
Kaninchen Nr. 66.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
6
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
40 ccm
1
2700
57
7 260 000
10 000
9
2800
43
4 660 000
6 200
19
2900
65
4 840 000
9 100
41 ccm
29
2870
60
5 800 000
10 500
33
3020
47
3 800 000
7 300
38
3020
58
4 800 000
11 600
47
2820
62
5 080 000
9 800
0,3 mg
65
2700
65
5 720 000
10 200
68
2800
55
5 760 000
5 100
*25 ccm
73
2520
57
6 420 000
2 800
74
2500
53
4 620 000
4 300
75
2450
| 48
4 140 000
3 700
21 ccm
80
2270
49
5 040 000
3 900
81
2260
44
4 600 000
4 100
82
2130
—
—
5 260
85
2050
t
Bei der Sektion wurde die linke Lunge in Zerfall gefunden. Von dem normalen
Gewebe war nichts mehr zu finden; die Pleurahöhle war mit Gewebsfetzen und Eiter
gefüllt (in dem Eiter fast nur polynukleäre Leukozyten). Perikarditis. Sonst nichts
Besonderes.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Enormer Zellreichtum. Die Zellen liegen so ungemein dicht
zusammengefügt, dass die Fettareolen fast gänzlich verschwunden sind. Keine De¬
generationszeichen, keine Blutungen, keine Hyperämie. Es ist nur das Bild einer
Ueberproduktion, besonders der weissen Elemente zu konstatieren.
Milz: Abgesehen von Läsionen, die hier nicht in Frage kommen, waren die
Lymphfollikel durchaus normal, aus typischen, zahlreichen Lymphozyten gebildet. In
der Pulpa war stellenweise eine myeloische Umwandlung eingetreten.
Diese Fälle, wie andere, die wir zu untersuchen Gelegenheit gehabt
haben, bestätigen auf das Deutlichste alles, was wir oben geschrieben
haben. Wir konstatieren ausserdem, dass, wenn der Organismus unter
der Thorium X-Wirkung zu leiden hat, dass die hämatopoietischen Organe
imstande sind, höhere Anforderungen, die eventuell an sie gestellt werden,
vollständig zu erfüllen. Dies war besonders deutlich bei dem letzten
Falle, bei welchem enorme Mengen Eiter zur Entwicklung gekommen
sind und die Milz in myeloischer Umwandlung begriffen war, obgleich
der gesamte Organismus zweifellos zur Zeit unter einer intensiven
Thorium X-Wirkung stand. Das sind Tatsachen von allergrösster Wichtig¬
keit, auf welche wir später eingehend zurückzukommen haben.
Die vorstehenden Versuche haben gezeigt, dass die Einverleibung einer
grossen Menge Thorium X den Körper für eine lange Zeit schädigen kann,
ohne dass diese Schädigungen sich bemerkbar zu machen brauchen. Die
Leukozyten, die Erythrozyten und das Gewicht können auf der Anfangs¬
höhe stehen bleiben, selbst darüber hinaus angestiegen sein und trotzdem
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
31«
A. DA SILVA MELLO,
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kann der Körper noch geschädigt bleiben, wie aus den gewaltigen Wir¬
kungen, die eine zweite, eventuell minimale Dosis Thorium zu entfalten
imstande ist, hervorgeht. Der Umstand, dass diese zweite Dosis bei
einem noch nicht behandelten Tier eine nur ganz geringe Wirkung haben
würde, und dass sie bei dem vorbehandelten Tiere zu einer Zeit verab¬
reicht wurde, in welcher der Körper schon seit langem frei von radio¬
aktiven Substanzen und anscheinend ganz regeneriert war, ist geeignet
zu zeigen, welche langdauernde Schädigungen das Thorium zu erzeugen
vermag. Dass diese nicht von den hämatopoietischen Organen her¬
rühren können, wurde auch durch unsere Experimente festgelegt. Im
Gegensatz zu den vorigen Versuchen, bei welchen die zweite Thorium¬
einspritzung zu einer Zeit ausgeführt wurde, in welcher der Körper schon
lange frei von Thorium war, zeigen die folgenden die Wirkung einer
zweiten Injektion, zu einer Zeit, in der das Tier noch unter der ersten
intensiv leidet, wobei sozusagen eine kumulative Wirkung zustande kommt.
Kaninchen Nr. 16.
Thorium X
Versuchs-
tago
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,11 mg
1
2200
_
_
6
i 2110
73
1 6 400 000
5500
9
1980
80
7 200 000
55SO
0,0G mg
14
1 1850
75
j 7 200 000
9800
16
1830
73
i 6 400 000
30S0
21
1570
t
Kaninchen Nr. 15.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht |
g l
t Hämo-
| globin
i
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,1 mg
1
1570
_ |
_
5
—
65 1
6 400 000
6020
10
1560
65 1
6 400 000
6680
15
1510
68 !
5 600 000
6700
0,06 mg
17
1500
— |
—
7780
19
1400
— 1
—
7S0
22
1170
t
i
Aus diesen beiden Fällen geht die merkwürdige Tatsache hervor,
dass eine zweite grosse Thoriuminjektion bei einem Tiere, das noch
unter der direkten Einwirkung einer ersten Einspritzung steht, eine viel
intensivere Wirkung entfaltet, als wenn die beiden Dosen auf einmal
verabreicht werden. Wir sehen dies besonders deutlich bei dem letzten
Falle. Hier war die erste Einspritzung, trotzdem sic ziemlich gross war,
anscheinend fast wirkungslos. Die Leukozytenzahl und das Gewicht
hatten überhaupt sehr wenig gelitten. Die zweite Injektion, die viel
kleiner war, entfaltete dagegen eine so gewaltige Wirkung, wie man sie
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 317
nur bei übertödlichen Dosen zu sehen pflegt. Das zeigt noch einmal,
wie intensiv durch das Thorium der Organismus geschädigt sein kann,
ohne dass wir dies durch die Leukozytenzahl oder das Körpergewicht
aufzudecken imstande wären. Diese experimentelle Feststellung scheint
wertvoll, weil man vielleicht dadurch eine Erklärung für die Todesfälle
findet, die man zu Beginn der Anwendung des Thorium in der mensch¬
lichen Therapie zu verzeichnen hat. Dass man aber noch dabei in An¬
betracht der Dosierung mit höchst verschiedenen individuellen Faktoren
zu rechnen hat, ist eine Tatsache, die schon damals festgestellt wurde
und die wir immer wieder bei unseren Experimenten bestätigt gefunden
haben.
Im Gegensatz zu den vorigen Resultaten, die durch ganz grosse
Dosen zustande kamen, haben wir es im folgenden mit der Wirkung
wiederholter kleiner und kleinster Dosen zu tun.
Kaninchen Xr. 43.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,02 mg
1
1500
72
6 260 000
7500
9
1250
73
7 100 000
3000
0,02 rag
24
1350
60
5 800 000
6400
30
1370
55
5 620 000
5280
0,02 mg
35
1380
60
5 760 000
4500
0,02 mg
43
1400
48
5 060 000
9100
51
1320
49
4 340 000
8600
5b
1350
53
5 100 000
8500
0,02 mg
57
—
—
—
—
0,02 mg
C3
1500
50
4 460 000
7900
66
1250
45
3 800 000
3300
77 I
1350
44
3 840 000
6500
0,02 mg
79
—
—
1
—
83 !
1300 :
40 1
3 060 000 1
7980
0,02 mg
92
1500
—
—
6200
100
1300
43 ■
4 200 000 |
6680
0,02 mg
102
—
—
—
0,02 mg
108
1170
—
—
3580
114 1
1250 ;
—
— i
3580
0,02 mg
116 i
- 1
—
—
—
121 1
1120 !
—
—
—
0,02 mg
122
—
—
—
—
126 j
1060
—
—
3560
136 !
1060
50
2 840 000
2960
144 S
1070
—
—
3300
157 |
800
4
,
Der Fall ist geeignet zu zeigen, wie leicht anscheinend der lcuko-
zytäre Apparat die wiederholte Einwirkung von kleinen Dosen Thorium X
zu ertragen imstande ist. Wir sehen, dass kurz nach jeder Einspritzung
die Leukozytenzahl wieder auf die normale Höhe zurückkehrt. Die
Schwankungen des Körpergewichts zeigen ebenfalls, dass wir es da mit
keinen gewaltigen Zerstörungen zu tun haben können. Dies können wir
so lange konstatieren, als wir einen genügend grossen Zeitraum zwischen
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
318
A. DA SILVA MELLO
Digitized by
den einzelnen Thorium X-Einspritzungen innehalten. Sobald wir aber diesen
Zeitraum verkürzen, tritt eine derartig kumulative Wirkung ein, dass wir
gezwungen sind, anzunehmen, dass der Organismus die vorangegangene
Injektion nicht schadlos vertragen hat. Die Entwicklung einer pro¬
gressiven Anämie scheint einen Beweis dafür zu liefern. Hier würde es
auch interessant sein zu untersuchen, wie die blutbildenden Organe bei
der langdauernden Einwirkung des Thoriums sich verhalten. Folgender
Fall ist geeignet, dies Verhalten zu zeigen. Die letzten Injektionen
wurden näher gerückt, um die Resultate besser auszuprägen. Hätten die
vorangegangenen Einspritzungen eine destruktive Wirkung auf die häma-
topoietischen Organe ausgeübt, so wurden sie jetzt leichter zerstört und
vernichtet. Wenn die Wirkung aber eine umgekehrte gewesen wäre, so
würden sie vielleicht jetzt eine bessere Reaktionsfähigkeit zeigen. So
wäre auch vielleicht die Möglichkeit gegeben, eine Trennung zwischen
der Thorium X-Wirkung auf die blutbildenden Organe und die anderen
Organe durchzuführen.
Kaninchen Nr. 44.
Thorium X
V ersuchs-
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,02 mg
1
1750
69
6 140 000
8180
9
1800
65
6 900 000
6000
0,02 mg
24
1670
60
6 100 000
7100
30
1700
54
4 780 000
5600
0,02 mg
35
1550
59
5 860 000
7500
0,02 mg
43
1700
58
4 520 000
5600
51
1850
55
4 320 000
5400
5G
1720
52
3 920 000
6020
0,02 mg
57
—
—
—
0,02 mg
63
1700
58
i 4 840 000
4500
69
1700
j 50
4 000 000
3600
77
1700
! 50
| 5 000 000
6900
0,02 mg
79
—
—
—
—
83
1520
54
4 520 000
4900
0,02 mg
92
1730
—
3600
100
1750
55
4100
0,02 mg
102
—
—
—
—
0,02 mg
108
1470
j —
, —
4100
114
115
1070
t
1
2700
Bei der Sektion konnte nur eine starke Verkleinerung der Milz konstatiert
werden.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Zellengehalt sehr gross, obsohon die Zellen nicht dicht zu¬
sammengefügt liegen. Im ganzen genommen ist aber der Zellenreichtum so gross
wie bei einem normalen gleichalterigen Tiere. Die Zellen sind durchaus normal
und auch das Mischverhältnis entspricht der Norm. Die Myelozyten und polymorph¬
kernigen Leukozyten zahlreich vorhanden. Sonst ist das Knochenmark von kleinen
Blutungen durchsetzt und die Gefässe prall mit Blut gefüllt. Der Pigmentgehalt ist
vermehrt.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 319
Difitized by
Milz: Die Follikel fast verschwunden, der Zellgehalt vermindert. Auffallend
die ungeheuer starke Pigmentierung.
Der Fall bestätigt also die vorigen und zeigt ausserdem, dass selbst
bei der langdauernden durch wiederholte Einspritzungen unterhaltenen
Thorium X-Vergiftung das Knochenmark nicht in Hypoplasie zu geraten
braucht. Dieser Befund sowie die tiefgreifenden Veränderungen der Milz
brauchen hier nicht weiter analysiert zu werden. Sie sind leicht in Zu¬
sammenhang zu bringen mit dem, was schon früher auseinandergesetzt
wurde.
Kaninchen Nr. 24.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,05 mg
1
1050
11 200
11
1020
53
5 800 000
4 700
20
1060
49
5 600 000
6 500
34
970
53
6 400 000
6 600
0,05 mg
56
920
56
5 940 000
7 580
64
900
45
5 000 000
6 400
77
970
53
5 700 000
4 800
84
1100
53
5 080 000
11 900
0,05 mg
89
1000
57
5 660 000
7 000
96
1100
55
4 960 000
2 480
106
1120
60
5 800 000
6 800
112
1050
54
4 880 000
22 000
117
750
t
Sektion: Die Milz ausserordentlich klein. Das Knochenmark weioh, dunkelrot.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark sieht fast normal aus. Zum Teil sind die Knoohenmarks-
elemente noch viel dichter zusammengedrängt als in der Norm. In vielen Zellen sind
Mitosen zu finden. Die polymorphkernigen Leukozyten sehr zahlreich vorhanden.
Milz: Die Lymphfollikel auffallend spärlich und klein, ihr Zellgehalt, wie der
der Pulpa reduziert. Viele Zellen mit pyknotischen Kernen, keine Blutungen, keine
Hyperämie. Die Kapsel gewellt und verdickt. Besonders beachtenswert die enorme
Menge von Pigment.
Der Fall ist wieder eine Bestätigung für die vorigen. Wir sehen,
dass selbst ziemlich grosse Dosen anscheinend schadlos vertragen werden
können, wenn sie in genügend grossen Abständen voneinander verabreicht
werden. In dem Falle haben das Gewicht und die Leukozytenzahl über¬
haupt sehr wenig gelitten, während das Hämoglobin und die Erythrozyten¬
zahl dauernd normal geblieben sind. Inwieweit wir es da mit individuellen
Reaktionen zu tun haben, ist nicht zu entscheiden. Die starke Hyper¬
leukozytose, die kurz vor dem Tode einsetzte, ist nicht verwunderlich,
seitdem wir das Verhalten des Knochenmarks unter der Thorium X-Wirkung
besser kennen gelernt haben.
Folgende Versuche wurden angestellt, um den Wirkungsmechanismus
kleiner Mengen Thorium X klarzulegen.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
320
A. da SILVA MELLO,
Kaninchen Np. 26.
Digitized by
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,05 mg
1
1 1350
_
_
6000
11 '
1230 1
47
5 400 000
2300
20
1160
Gl
5 200 000
4580
34 j
t !
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Fast wie normal, nur leicht hyperämisch, sehr zellreich.
Milz: Die Milzfollikel etwas kleiner, der Zellgehalt der Pulpa geringer als
normal. Das Pigment stark vermehrt.
Kaninchen Nr. 42.
Thorium X
Vorsuchs¬
tage
Gewicht
S
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,012 mg
1
1140
1 59
5 800 000
7500
12
950 |
59
6 400 000
6280
14
+ j
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Der Zellgehalt sehr gross. Besonders auffallend der onorme
Reichtum an Megakaryozyten. Etwas Hyperämie.
Milz: Zellgehalt der Pulpa und besonders der Lymphfollikel stark reduziert.
Starke Vermehrung des Pigments.
Kaninchen Nr. 41.
Thorium X
Versuchs- j
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,022 mg
l
1 I
1460
56
l
6 200 000
9 300
13
1290
50
7 200 000 >
13 400
18
1160
— 1
i — I
—
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Der Zellgehalt etwas geringer als normal. Das Misch Verhältnis
der weissen Zellen wie in der Norm. Auffallend waren die sehr zahlreichen Blutungen.
Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Lymphfollikel reduziert. Einige kleine
Blutungen zu finden. Auch ziemlich viele Erythrozyten zwischen den Lymphozyten
der Follikel. Keine abnorme Pigmentierung.
Kaninchen Nr. 37.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
e
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,002 mg
1
1670
_
_
9400
7
1570
65
6 100 000
7800
0,002 „
19
t 1480
61
6 600 000 i
6400
0,002 ,
27
1650
61
5 600 000 j
5100
0,002 „
3G
1520
57 ;
5 560 000 I
4800
0.002 .
40
—
— i
—
—
65
t 1
1
1
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentolle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 321
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Zellgehalt wie normal. Auffallend waren die zahlreichen
kleinen Blutungen.
Milz: Die Lymphfollikel verkleinert, aber noch sehr zellreich. Der Zellgehalt
der Pulpa zum Teil etwas geringer. Besonders auffallend die ungeheure Menge von
Pigment.
Kaninchen Nr. 36.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
K
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,01 mg
1
1280
6 800
2
1300
58
4 800 000
8 680
0,01 mg
7
1350
65
6 400 000
7 680
9
1320
—
—
9 300
10
1260
60
4 800 000
6 000
14
1220
57
5 000 000
8 800
0,01 mg
17
1230
—
—
12 800
0,01 mg
28
1240
60
5 800 000
7 900
37
1380
49
4 480 000
4 800
45
j 1200
50
5 940 000
7 000
0,01 mg
49
—
—
—
—
74
j t
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Sehr starker Zellreichtum, Blutungen, Pigmentierung.
Milz: Atrophisch. Die Lymphfollikel kleiner und zellarmer als normal. Der
Zellgehalt der Pulpa ebenfalls vermindert. Vermehrung des Bindegewebes. Abnorm
starke Pigmentierung.
Wir erheben in all diesen Fällen immer einen gleichartigen Befund.
Die Dosen waren zum Teil als klein, zum Teil als minimal zu bezeichnen.
Die Leukozytenzahl schwankt in physiologischen Grenzen. Dasselbe gilt
auch im grossen ganzen für das Gewicht. Ein weiteres Moment, das
Beachtung verdient, ist das der Dosierung bei dem Kaninchen Nr. 36. Wir
sehen, dass die Dosen relativ nicht ganz klein waren, und doch sind gerade
da die Gewichts- und Leukozytenkurve am wenigsten beeinflusst worden.
Bei dem Kaninchen Nr. 37 waren die Dosen dagegen ausserordentlich viel
kleiner und wir sehen die Leukozytenzahl langsam heruntergehen. Ob
wir es da mit wirklicher Thoriumwirkung oder mit anderen unbestimmten
Vorgängen zu tun haben, ist vorläufig unmöglich zu entscheiden. Der
Umstand, dass alle diese Tiere spontan zugrunde gegangen sind, macht
auch die aus den Sektionsbefunden in bezug auf dio Thorium X-Wirkung
gezogenen Schlüsse gewissermassen illusorisch. In diesen Fällen können
wir aber den Tod auf eine Thorium X-Wirkung allein nicht zurückführen.
Dagegen spricht absolut die auf fast einige Hunderte von Fällen basierfe
Dosierung sowie das Verhalten vieler anderer Tiere, die ähnlich behandelt
wurden. Ob aber die histologischen Veränderungen der Milz in Zusammen¬
hang mit der Thorium X-Wirkung zu bringen sind oder nicht, muss
dahingestellt bleiben. Dass dies aber möglich und sogar wahrscheinlich
ist, geht aus einer Menge Tatsachen hervor. Wir müssen zuerst bedenken,
Difitized
by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
322
A. da SILVA MELLO,
Digitized by
dass die Leukopenie nicht ein absolutes, ja sogar nicht einmal ein brauch¬
bares Kriterium der Thorium X-Wirkung zu sein braucht. Dasselbe gilt
für das Körpergewicht. Hier und da haben wir nur Szenen eines ganz
komplizierten Dramas, und Szenen, die zuweilen noch fehlen können.
Das Verhalten der Erythrozyten (s. u.) zeigt uns schon, dass wir es da
noch mit anderen Vorgängen zu tun haben. Hier wäre auch auf die
Beobachtungen Gudzents hinzuweisen, der schon eine ausgesprochene
Wirkung auf den Leukozytenapparat mit Emanationskonzentrationen von
3—5 M. E. beobachtet hat, eine Wirkung, die durch das 40- und mehrfache
der Emanationskonzentration keine wesentliche Steigerung erfahren hat.
Auf den Befund, den wir nach Applikation grosser Dosen erhoben haben,
muss besonders hingewiesen werden. Gegenseitig können diese Tatsachen
sich bestätigen, brauchen sich aber nicht auszuschliessen. Wenn wir aber
annehmen, dass die Milzveränderungen bei unseren Fällen durch das
Thorium X erzeugt waren, so haben wir die interessante Tatsache vor
uns, dass minimale Mengen Thorium X imstande sind, langdauernde,
histologisch feststellbare Läsionen zu erzeugen, Läsionen, die besonders
in der Milz zutage treten. Ein solcher Zusammenhang kann vorläufig
keinesfalls ausgeschlossen werden. Dies sind aber Probleme, die in An¬
betracht ihrer grossen therapeutischen Wichtigkeit eine genauere Durch¬
forschung verlangen. Aus den Versuchen geht noch eine interessante
und wichtige Tatsache hervor. Wir haben bei allen diesen und bei
ähnlichen Fällen (so z. B. noch bei den schon erwähnten Kaninchen Nr. 43
und Nr. 44) die Beobachtung machen können, dass die kleinen Dosen
Thorium X einen merklichen Einfluss auf das erythrozytäre System aus¬
üben. Wir sehen das Hämoglobin und besonders die Erythrozytenzahl
regelmässig in die Höhe steigen. Es kommt zwar zu keinen gewaltigen
Unterschieden, doch ist der Vorgang so konstant, dass man ihn unbedingt
als Thorium X-Wirkung auffassen muss. Diese experimentellen Resultate
sind übrigens in Zusammenhang zu bringen mit manchen klinischen Be¬
obachtungen, die in der Literatur zerstreut vorliegen. Wir alle kennen
die Geschichte der Reizdosis bei den Anämien, besonders bei der
Perniciosa. Wir waren einen Augenblick verblüfft. Wir haben vergessen,
dass eine der sogenannten spontanen Remissionen an sich und unter
biologischen Gesichtspunkten viel merkwürdiger ist als eine solche unter
der Wirkung des Thorium X oder von sonst irgend etwas. Bald nachher
hat man auch festgestellt, dass die nicht zu grossen Dosen imstande
w r aren, zuweilen eine rapid cintretende Hyperglobulie bei den kranken
Menschen zu erzeugen. Man kannte auch schon seit langem die Wirkung
des Radiums auf die Erythrozyten. Dominici berichtet schon Anfang 1910
über eine Vermehrung der Roten bei einem Pferde, das eine Injektion
einer Emulsion unlöslichen Radiumsulfats bekommen hatte. Brill und
Zehner haben später die Versuche bei Hunden und Kaninchen wiederholt.
Sic konnten bei diesen Tieren durch einmalige Injektion einer Radium-
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 323
chloridlösung eine wochenlang dauernde Hyperglobulie bis zu ausser¬
ordentlichen Zahlen (13 Millionen) feststellen. Interessant war noch
dabei, dass die Vermehrung der roten Blutkörperchen schon ganz kurze
Zeit nach der Injektion anfing, so stiegen sie bei einem Hund von
5 400 000 auf 7 200 000 innerhalb einer halben Stunde nach der Injektion,
und dass die Hyperglobulie noch andauerte, wenn bereits eine starke
Leukopenie eingetreten war. Dass eine vorübergehende Hyperglobulie
bei Menschen unter dem Einfluss sehr grosser Emanationsmengen ent¬
stehen kann, ist ebenfalls eine bekannte klinische Tatsache. Dasselbe
gilt für die langdauernde Vermehrung der roten Blutkörperchen bei
Personen, die sich berufsmässig mit radioaktiven Substanzen beschäftigen.
Interessant sind auch die Fälle, bei welchen eine der ersten Reaktionen
auf die Einwirkung der strahlenden Energie eine Vermehrung der Erythro¬
zytenzahl und des Hämoglobins ist. Dies ist besonders auffallend bei
der Leukämie, bei welcher man seit Senn ein solches Verhalten immer
wieder beobachten konnte. Es gibt sogar Fälle, bei welchen man früh¬
zeitig, bevor eine Verminderung der Leukozyten eingetreten ist, schon
eine starke Vermehrung der Erythrozytenzahl und des Hämoglobingehaltes
neben einer Besserung des Allgemeinbefindens verzeichnen kann. In der
Literatur findet man auch Berichte über Entwicklung von Erythrämien
bei Behandlung der myeloischen Leukämie mit strahlender Energie. Alle
diese Beobachtungen müssen in Zusammenhang gebracht werden mit den
experimentellen Versuchen, die wir früher auseinandergesetzt haben und
die das individuelle Verhalten des erythropoietischen Systems bei dem
einzelnen Tiere gezeigt haben, sowie mit der klinischen Erfahrung der
Entwicklung der Anämien bei der Behandlung von Leukämien, Tumoren usw.
mit Röntgenstrahlen und radioaktiven Substanzen. Aus diesem Zusammen¬
hang geht hervor, dass das erythropoietische System eine Selbständigkeit
in seinem Funktionieren sowie eine ausgesprochene Individualität, ver¬
schieden von Tier zu Tier, besitzt. Später werden wir noch Versuche
anzuführen haben, durch welche diese Tatsachen noch einmal bestätigt
werden. Wir werden sehen, dass das erythrozytäre System eine normale
und selbst eine Ueberfunktion entfalten kann, wenn der gesamte Organismus
unter der giftigen Wirkung der radioaktiven Substanz zu leiden hat. Die
Vorgänge sind nicht so einfach, wie man sie sich bis jetzt vorgestellt
hat. Wir sind schon gewissermassen gewöhnt, alle biologischen Ge¬
schehnisse in das biologische Grundgesetz Pflügers und Arndts hinein¬
passen zu wollen. Dies galt besonders für das Gebiet der Radioaktivität.
Nach allem, was wir schon ausgeführt haben, kann es keinem Zweifel
unterliegen, dass wir es hier mit höchst komplizierten Vorgängen zu tun
haben; Vorgänge, die sich gegenteilig beeinflussen und die sich deswegen
nicht so leicht synthetisieren lassen. Das ist schon ersichtlich aus den
Erscheinungen, die sich durch die Thorium X-Wirkung getrennt oder
kombiniert an den leuko- und erythropoietischen Systemen abspielen.
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
324
A. da SILVA MELLO
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Daraus geht auch hervor, wie lückenhaft all die heutigen Theorien über
die Wirkung der strahlenden Energien noch sind. Aber auf solche Einzel¬
heiten sich einzulassen, wäre hier nicht angebracht. Ein anderer Punkt,
auf den hier einzugehen wäre, ist der der Verschiedenheit der Wirkung
der verschiedenen radioaktiven Substanzen. Bis jetzt wird allgemein an¬
genommen, dass ein prinzipieller Unterschied in der Wirkung der einzelnen
radioaktiven Elemente und der Röntgenstrahlen, besonders auf den
hämatopoietischen Apparat, nicht besteht. Dabei sind nur die Dosierung,
die Lebensdauer und die Ausscheidungsverhältnisse zu berücksichtigen.
Was die Röntgenstrahlen und das Thorium X an betrifft, haben wir schon
gezeigt, wie grundverschieden sich ihre Wirkungen gestalten. Später
kommen wir noch darauf zurück. In Anbetracht der roten Blutkörperchen
scheint auch hier keine absolute Gleichartigkeit der Wirkung vorzuliegen.
Ob zwischen der Wirkung der einzelnen radioaktiven Substanzen essentielle
Unterschiede zu verzeichnen sind, muss u. E. vorläufig dahingestellt bleiben.
Jedenfalls, wie dem auch sei, muss man dem Vorschlag v. Noordens
zustiramen, der bei der Behandlung der Anämie den Radiumsalzen einen
Vorteil zuschreibt. Sie üben eine mehr elektive Reizwirkung auf den
erythropoietischen Apparat und eine minder schädigende auf den leuko-
zytären aus. Dies geht aus den Versuchen Brills und Zehners sowie
aus den unserigen hervor.
II. Partielle Ergebnisse.
18. Die Einverleibung einer ganz kleinen Dosis Thorium X bei einem
Tiere, das lange vorher eine erste, grosse, fast tödliche Dosis erhielt,
kann eine derartige Wirkung entfalten, dass man eine unvollständige
Regeneration oder eine sehr langdauernde Schädigung annehmen muss,
trotzdem man nach der Länge des Zeitintervalls und der klinischen Sym¬
ptome die Wirkung der ersten Applikation als abgelaufen annehmen sollte.
19. Diese zweite Injektion, die bei einem nicht vorbehandelten Tiere
nur ganz geringe und vorübergehende Symptome hervorrufen würde, kann
eine langdauernde Leukopenie und den Tod des Tieres herbeiführen, ob¬
schon der Körper seit langem frei von radioaktiven Substanzen war und
anscheinend sich von der ersten Injektion wieder erholt hat.
20. Der mikroskopische Befund an der Milz und besonders am
Knochenmark zeigt, dass man die hämatopoietischen Organe für die cin-
tretenden Veränderungen nicht verantwortlich machen kann. Die patho¬
logischen Veränderungen sind immer gering und oft kann man sogar
eine Hyperplasie der Knochenmarkselemente konstatieren (s. Figur 3).
21. Die wiederholte Einverleibung von Thorium X kann eine Ver¬
giftung mit tödlichem Verlaufe erzeugen, obgleich sie während des Lebens
nur zur Entwicklung einer mässigen Leukopenie geführt hat.
22. Diese beiden letzten Umstände, die Hyperplasie der Knochen¬
markselemente und das Fehlen einer starken Leukopenie sind geeignet
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 325
den Mechanismus des eintretenden refraktären Zustandes bei der wieder¬
holten Behandlung von Leukämiefällen zu erklären.
23. Die Verabreichung einer grossen Dosis Thorium X bei einem
Tiere, das lange vorher eine gleiche Dosis erhalten hat, kann eine ziem¬
lich rasch tödlich endende Vergiftung erzeugen, trotzdem die Wirkung der
ersten Dosis scheinbar gänzlich abgelaufen war (der Körper seit langem
frei von Thorium X und das Gewicht, das Hämoglobin und die Erythro¬
zyten- und Leukozytenzahl, schon längst über die Anfangshöhe auf¬
gestiegen). Diese zweite Injektion kann auch eine bis zum Tode des
Tieres andauernde Leukopenie erzeugen.
24. Auch in diesen Fällen kann man eine ungeheure Hyperplasie
der Knochenraarkselemente finden.
25. Dieser letzte Befund zeigt auf das deutlichste, dass Zerstörungen
des Knochenmarks keine Rolle bei dem Thorium X-Tod zu spielen brauchen.
26. Im Gegensatz zu dem Befunde am Knochenmark kann der der
Milz stehen. Hier findet man Veränderungen regressiver Natur: Ver¬
minderung des Zellgehaltes der Pulpa und der Lymphfollikel, Vermehrung
des Bindegewebes, abnorme Pigmentierung (vgl. Figuren 3 und 4).
27. Diese Milzveränderungen treten nicht frühzeitig ein, sie scheinen
zu den Spätschädigungen zu gehören, sie entstehen indirekt, vielleicht
korrelativ mit anderen unbekannten Veränderungen, vielleicht als Folge
dieser anderen Veränderungen. Dies ist um so merkwürdiger, als wir
immer von den gewaltigen und frühzeitigen Zerstörungen sowie von der
ungeheuer rapiden Regeneration des Milzparenchyms, und besonders seiner
Lymphfollikel, zu hören gewöhnt sind.
28. Diesen Veränderungen kann man keine letale Bedeutung zu¬
schreiben. Sie können schon durch ganz kleine Dosen entstehen und
können eventuell fehlen, wenn z. B. eine Infektion zu der Thorium X-
Wirkung sich hinzugesellt. In diesem letzten Fall kann die Milz normal
bleiben odei selbst sich myeloisch umwandeln, trotzdem der gesamte
Organismus gleichzeitig intensiv unter der Thorium X-Wirkung zu
leiden hat.
29. Dieser letzte Umstand ist auch geeignet zu zeigen, dass diese
Milzläsionen in wechselseitigen Beziehungen mit anderen Vorgängen stehen
müssen. Einen näheren Zusammenhang zwischen diesen Tatsachen zu
finden, scheint vorläufig nicht möglich zu sein. Dazu kämen hinzu die
eklatanten Erfolge, die man durch die Milzbestrahlung gerade bei den
Fällen von Myelämien zu erreichen pflegt.
30. Eine zweite grosse Thoriumeinspritzung bei einem Tiere, das
noch unter der direkten Einwirkung einer ersten grossen Injektion steht,
entfaltet eine viel intensivere Wirkung, als wenn die beiden Dosen auf
einmal verabreicht werden.
31. Die wiederholte Verabreichung von kleinen Dosen Thorium X
wird anscheinend leicht, besonders von dem leukozytären Apparat, ver-
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Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
326
A. da SILVA MELLO,
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tragen, wenn zwischen den einzelnen Thorium X-Einverleibungen ein ge¬
nügend grosser Zeitraum eingehaltcn wird. Sobald dieser Zeitraum ver¬
kürzt wird, tritt eine derartige kumulative Wirkung ein, dass man an¬
nehmen muss, dass die vorangegangenen Injektionen nicht schadlos ver¬
tragen wurden.
32. In solchen Fällen, wenn das Tier unter der Vergiftung stirbt,
kann man noch im Knochenmark einen starken Zellreichtum und selbst
einen gewissen Grad von Hyperplasie konstatieren. Im Gegensatz dazu
findet man in der Milz eine Rarefaktion des Zellgehaltes der Pulpa und
der Lymphfollikel.
33. Aus unseren Befunden müssen wir schon jetzt die Leukopenie
als konkomitierendes, nebensächliches Symptom auffassen* Sie hat uns
lange irregeführt, den Thorium X-Tod immer auf die morphologischen
Läsionen der blutbildenden Organe zurückführen zu wollen.
34. Die kleinen Dosen Thorium X sind imstande, eine leichte Ver¬
mehrung des Hämoglobins und besonders der Erythrozyten zu erzeugen.
Dabei brauchen die Leukozyten keine deutliche Beeinflussung zu erleiden.
III. Teil.
Bei all den vorangegangenen Versuchen waren die mikroskopischen
Untersuchungen immer an den durch die Sektion gewonnenen Geweben
ausgeführt. Alle Tiere starben von selbst, und nur die klinische Unter¬
suchung und die Sektionsbefunde gestatteten Rückschlüsse auf die
Thorium X-Wirkung. Dass dabei, besonders für die autoptischen Be¬
funde, andere Faktoren eine grosse Rolle mitspielen konnten, ist an sich
selbstverständlich. Bei den folgenden Fällen wurde versucht, solche mit¬
wirkenden Faktoren auszuschalten, um so die reine Thorium X-Wirkung
besser zu erforschen. Dazu wurden die Tiere, wenn sie unter der Wirkung
des Thorium X standen, mit Chloroform getötet, oder es wurden in der
Narkose Operationen ausgeführt und die dabei gewonnenen Gewebe der
histologischen Untersuchung unterworfen. Die letzte Prozedur ist
rationeller und lehrreicher, weil man dadurch Vergleichsobjekte gewinnen
kann und so die progressive Wirkung des Thoriums bei ein und dem¬
selben Organismus zu verfolgen imstande ist.
Kaninchen Nr. 69.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leuko¬
zyten
0,21 mg
.
1950
5 «
3 900 000
5800
4
1700
—
—
4600
Operation
7 1
1810
56
4 940 000
1080
13 1
1700
15
2 080 000
2200
15
1G80
1 15
2 400 000
1 2280
18
1650
—
! 5860
21
1450
38
3 960 000
1900
24
, 1350
! t
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 327
Bei diesem Tier ist 7 Tage nach Einspritzung einer ziemlich grossen
Dosis Thorium X und nachdem eine enorme Leukopenie eingetreten war,
eine Operation ausgeführt und dadurch ein Stück Knochenmark eines Femur
gewonnen worden (übrigens sei hier bemerkt, dass bei allen unseren
Versuchen immer das Mittelstück vom Knochenmark eines Femur unter¬
sucht wurde). Die histologische Untersuchung hat folgendes ergeben:
Zum grössten Teil lagen die Zellen ungemein dicht zusammen¬
gedrängt, ausserordentlich viel dichter als bei dem Alter der Tiere zu
erwarten gewesen wäre. Die Fettareolen waren klein und spärlich. Es
war das Bild einer starken Zellenüberproduktion, und daran schienen
alle Knochenmarkselemente gleichmässig teilzunehmen. Die polymorph¬
kernigen Leukozyten und die Myelozyten waren besonders zahlreich. Die
Megakaryozytcn waren ebenfalls zahlreich und sahen ganz normal aus.
Auch bei den anderen Zellen keine deutlichen Zeichen von Degeneration,
keine Pyknose, keine Karyorrhexis, keine Schrumpfung. Dagegen waren
viele Karyokinesen zu finden. Es war also nur das Bild eines normalen
hyperplastischen Knochenmarks. Von Blutungen oder Hyperämien war
auch nicht im geringsten die Rede.
Der Befund ist zweifellos höchst merkwürdig. Wir haben die gleich¬
zeitige Entwicklung einnr Knochenmarkshyperplasie und einer enormen
Leukopenie vor uns. Dass beide von der Thorium X-Wirkung herrühren
müssen, liegt auf der Hand. Wir haben hier wieder die Tatsache, dass
die Leukopenie keinesfalls der Ausdruck von Zerstörungsvorgängen am
Knochenmark zu sein braucht. Sic ist vereinbar mit einer Hyperplasie
dieses Organs. Das ist übrigens eine Tatsache, die schon vor mehreren
Jahren von Aubertin und Beaujard für die Röntgenstrahlen in
therapeutischen Dosen festgestellt wurde. Diese Autoren fanden ausser¬
dem Vorgänge von Makrophagie in der Milzpulpa, auf welche sie die
Leukopenie zurückführten. Es wäre eine Hyperdestruktion von Leuko¬
zyten und zwar derart, dass sie selbst durch eine Hyperproduktion nicht
gedeckt werden könnte. Die Hypothese scheint ganz brauchbar zu sein.
Die Versuche Aubertins und Beaujards sind aber bis jetzt unbeachtet
geblieben, vielleicht deswegen, weil sie nicht nur unvollständig waren,
sondern auch unwahrscheinliche Angaben an sich trugen. Sie berichten
z. B., dass schon 4 Stunden nach der Bestrahlung die Nekrose der Milz¬
follikel vollständig verschwunden und die Follikel bereits völlig regeneriert
zu finden waren. Unser Fall gestattet aber einen viel tieferen Einblick
in den Mechanismus der Strahlenwirkung. Wir kennen die Organotropie
des Thorium X, wir kennen die ausserordentlich hohe Konzentration, die
es gerade im Knochenmark zu erreichen pflegt (24 Stunden nach einer
intravenösen Thorium X-Einwirkung findet man mehr als 60 pCt. der
injizierten Menge im Knochenmark). In unserem Falle stand der ge¬
samte Organismus seit mehreren Tagen unter der intensiven Wirkung
einer grossen Dosis Thorium X. Durch die Operation konstatierten wir
Zeiteehr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 a. 4. 99
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
328
A. DA SILVA MELLO
Digitized by
eine Hyperplasie der Knochenraarkselemente zu einer Zeit, in welcher
eine enorme Leukopenie zu finden war. Die Annahme, dass diese Hyper¬
plasie erst nach einer Vernichtung eingetreten wäre, ist zurückzuweisen,
weil der Organismus zur Zeit der Operation noch unter der direkten
Wirkung des Thorium X stand. Noch einmal: wir brauchen die Leukopenie
auf keinen Vernichtungsvorgang im Knochenmark zurückzuführen, sie kann
gleichzeitig mit einer Hyperplasie dieses Organs Vorkommen, sie kann
ein Ausdruck der Thorium X-Vergiftung sein, zeigt aber nicht die Vor¬
gänge an, die sich im Knochenmark abspielen. All diese Tatsachen
sind leicht in Einklang zu bringen mit dem, was wir durch andere Ver¬
suche festgelegt haben. Sie sind auch geeignet, die Unzulässigkeit aller
bis jetzt herrschenden Vorstellungen über die Wirkung der radioaktiven
Substanzen hervortreten zu lassen. Die weitere Verfolgung unseres Falles
bietet noch viel Interessantes dar. Wir sehen, dass nach der Operation
die Leukopenie immer geringer wird, um sich wenige Tage vor dem
Tode wieder stark auszuprägen. An der Operationsstelle ist eine un¬
geheuer starke Eiterung eingetreten und bei der Sektion wurden ausser
grossen pneumonischen Herden eitrige Pleuritis und Perikarditis gefunden.
Wir sehen, dass alle diese eitrigen Vorgänge zu keiner Hyperleukozytosc
geführt haben. Die enorme Anämie, die sich nach der Operation ent¬
wickelt hat, ist nachher geringer geworden, trotz der Infektion. Das
sind Tatsachen, die Beachtung verdienen. Wir sehen, dass trotz der
Leukopenie enorme Eiteransammlungen sich durch eine Infektion ge¬
bildet haben. Dazu war eine gewaltige Produktion von Leukozyten not¬
wendig. Der Umstand, dass das Knochenmark diese Reaktion leisten
konnte, ist leicht mit der gefundenen Hyperplasie in Zusammenhang zu
bringen, und beide sind geeignet zu zeigen, wie wenig die blutbildenden
Organe unter der Thoriurawirkung zu leiden brauchen. Die Leukopenie
kann in solchen Fällen nicht auf Insuffizienzvorgänge zurückgeführt
werden. Diese Befunde sind auch imstande, Fälle aus der menschlichen
Therapie, die bis jetzt für rätselhaft gehalten wurden, zu klären. So
z. B. ein Fall von Pneumonie, bei welchem eine normale Resolution ein¬
trat, trotzdem durch Thorium X-Injektion die Leukozytenzahl von 18000
auf 700 gefallen war.
Die mikroskopische Untersuchung der hämatopoietischen Organe, die nach dem
Tode des Tieres ausgeführt wurde, liefert auch etwas Beachtenswertes.
Knochenmark: Der Zellreichtum noch sehr gross, die Zellen liegen aber mehr
diffus, nicht Haufen um die Fettareolen bildend. Die nähere Untersuchung der Zellen
zeigt aber eine enorme Veränderung. Die polymorphkernigen Leukozyten sind fast
gänzlich verschwunden. Man findet fast nur Myelozyten und die Elemente der erythro-
poietischen Reihe. Auffallend ist noch die ungeheure Menge von Zellen mit pyknotischen
Kernen, Kernbröckeln, Vakuolisierung des Kerns und des Protoplasmas und daneben
von Zellen mit blassem, wenig und schlecht gefärbtem Kern, auch protoplasmatischen
Massen ohne Kern; also Vorgänge von Karyorhexis und -lysis nebeneinander. Die
Riesenzellen meist verklumpt. Sonst war das Knochenmark von kleinen Blutungen
durchsetzt.
Go gle
Original from
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 329
Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Follikel ausserordentlich stark reduziert.
Viele Zellen im Zerfall begriffen. Das Stützgewebe tritt stark vermehrt hervor. Massen
von leicht gefärbtem Pigment. Der Blutgehalt vermindert, die Bluträume leer.
Wir konstatieren wieder Läsionen, die wir immer wieder bei den
mit Thorium X behandelten Tieren gefunden haben. Die der Milz sind
besonders beachtenswert. Sic stehen gewissermassen in Widerspruch mit
den Versuchen, die wir früher ausgeführt haben, bei welchen wir die
gleichzeitige Wirkung einer Infektion und einer Dosis Thorium X studiert
haben. Das hängt vielleicht davon ab, dass wir in dem jetzigen Falle
es mit einer ziemlich grossen Dosis zu tun haben, und dass durch die
Operation eine starke Anämie zustande gekommen ist. Wir werden
später sehen, dass eine Anämie allein imstande ist, ähnliche Milzläsionen
zu erzeugen.
Kaninchen Nr. 70.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyton
Leuko¬
zyten
0,4 mg
1
1920
_
7200
2
—
—
—
4040
3
1720
—
—
2100
4
1700
—
—
2700
7
1570
—
—
1620
In diesem Fall wurde das Tier mit Chloroform getötet.
Mikroskopische Untersuchung.
Knochenmark: Der Zellgehalt scheint stark vermindert zu sein. Zum Teil
besteht das Gewebe nur aus dem Stützgewebe und vereinzelten Knochenmarkselementen.
Andernteils sind die Zellen reichlich vorhanden und etwas diffus zwischen den Fett¬
areolen zerstreut. Eine nähere Untersuchung zeigt eine enorme Menge von Zellen, be¬
sonders durch Vakuolisierung in Zerfall begriffenen. Viele Riesenzellen sehen normal
aus. Die polymorphkernigen Leukozyten sehr spärlich. In dem Mischverhältnis be¬
herrschen die erythroblastischen Elemente und die Myelozyten das Bild. Keine
Blutungen zu finden.
Milz: Die Lymphfollikel sehr zahlreich vorhanden und von zahlreichen Lympho¬
zytengebildet. DerZellgehalt der Pulpa erheblich vermindert. Der Blutreichtum bedeutend
(s.Figur5). Ein ähnliches Bild war bei den Lymphdrüsen zu finden, bei welchen starke
Blutungen neben normalem lymphoiden Gewebe zu beobachten waren (s. Figur 6).
Der Fall ist insofern interessant, als man es da mit einer, nach der
angewandten Dosis, als schwer zu betrachtenden Vergiftung zu tun hat.
Der Befund am Knochenmark bestätigt in gewisser Beziehung diese An¬
nahme. Merkwürdig ist aber, dass man keine der sogenannten typischen
Blutungen finden konnte. Der Befund an der Milz ist von der aller¬
grössten Wichtigkeit. Das Organ, besonders die Lymphfollikel, wurden
fast normal gefunden. Um das zu erklären, sind nur zwei Möglichkeiten
vorhanden. Entweder das Organ wurde nicht geschädigt und dies würde
im Gegensatz stehen zu alldem, was wir bis jetzt über die Wirkung der
radioaktiven Substanzen wissen, oder wir müssen eine vollständige
22 *
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330
A. da SILVA MELLO,
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Regeneration des Organs annehmen. Diese letztere Annahme möchten
wir aber ohne weiteres als unmöglich zurückweisen. Man braucht nur
zu bedenken, dass bei dem Tode des Tieres der Körper noch unter der
direkten Wirkung einer enormen Menge Thorium X stand. Es wäre dann
notwendig anzunehmen, nicht nur, dass die Milzfollikel sich immens schnell
regenerieren könnten, sondern dass sie sich noch regenerieren könnten,
während das Thorium auf sie eine direkte gewaltige Wirkung weiter ent¬
wickelt. Das Argument ist zweifellos entscheidend. So kommen wir
zu der merkwürdigen Tatsache, dass das Thorium X direkt nur eine
geringe Wirkung auf das lymphozytäre Gewebe zu entfalten vermag. Das
ist auch wieder eine Bestätigung für den Befund, den wir vorher mit
tödlichen Dosen und Pappenheim und Plesch selbst mit übertödlichen
Dosen erhoben haben. Aus diesen Tatsachen ist also der wichtige Schluss
zu ziehen, dass die Wirkung der Radium- und Röntgenstrahlen und des
Thorium X auf den hämatopoietischen Apparat als eine entgegengesetzte
sich gestaltet. Die Radium- und Röntgenstrahlen haben eine sozusagen
elektive, fast plötzliche vernichtende Wirkung auf das lyraphoide System,
während ihre Wirkung auf das myeloische Gewebe viel weniger intensiv
ist und nicht so frühzeitig sich entfaltet. Das Thorium X dagegen scheint
keine grosse direkte Wirkung auf die lymphozytären Organe auszuüben,
aber die myeloischen Gewebe werden dadurch früher geschädigt. Das
sind grundsätzliche Unterschiede, die geeignet sind, die Verschiedenheit
der Wirkung bei Fällen von Blutkrankheiten in mancher Hinsicht auf¬
zuklären. Es gibt z. B. Fälle von Leukämie, die durch die Röntgen¬
behandlung günstig beeinflusst werden und bei welchen das Thorium X
ohne Einfluss gewesen war. Das Umgekehrte ist vielleicht noch öfter
der Fall. Das sind Dinge, die bis jetzt ganz unverständlich geblieben
waren, zumal da man immer und immer wieder von der Gleichheit der
Wirkung der Röntgenstrahlcn und der radioaktiven Substanzen gesprochen
hat. Erst jetzt sehen wir, wie gewaltig sich diese Unterschiede gestalten.
Diese Feststellung ist auch für die Therapie von grösster Wichtigkeit.
Wir haben nicht ein einziges therapeutisches Mittel, sondern zwei und
zwei sehr verschiedene Mittel zur Verfügung. Richtungslinien aus den
experimentellen Versuchen zu ziehen, scheint vorläufig verfrüht zu sein.
Man hat bis jetzt meistens mit viel zu grossen Dosen geabbeitet und es
liegt kein Zweifel vor, dass gerade die Reaktion der kranken und der
gesunden blutbildenden Organe sich höchst verschieden gestaltet. Das
sind Schwierigkeiten, die nicht leicht zu überwinden sind. Wollten wir
die Behandlung der lymphatischen Leukämie z. B. auf Grund experimenteller
Versuche anstellen, so hätten wir sofort zwei verschiedene Richtungs¬
linien, je nachdem wir die Röntgenstrahlen oder das Thorium wählten.
Würden wir die Röntgenstrahlen nehmen, so hätten wir mit einer ge¬
waltigen, sofortigen Zerstörung in den lymphoiden Geweben sowie mit
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 331
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einem baldigen Rezidiv infolge der rapiden Regeneration zu rechnen.
Durch das Thorium X würde dagegen die Wirkung erst nach Tagen oder
überhaupt nicht eintreten (die späteren Läsionen der Milz allein sind un¬
genügend, um das Verhalten des gesamten lymphoiden Gewebes zu be¬
urteilen). Nach diesen beiden Umständen wäre also dio Anwendung
einer kombinierten Behandlung als die rationellste anzusehen. Leider
liegen aber die Dinge in Wirklichkeit nicht so einfach. Was man bei
dem einzelnen Falle zu wählen hat, kann erst eine sehr lange klinische
Erfahrung lehren. Unsere experimentelle Forschung ist aber geeignet, unser
therapeutisches Handeln in eine neue Richtung zu lenken und das muss
unbedingt als ein Fortschritt betrachtet werden. Aus unseren Befunden
wird auch verständlich, warum gerade die lymphatische Leukämie als
relativ refraktär gegen die Thorium X-Wirkung sich verhalten soll, sowie
der Umstand, dass bei vielen Fällen die Besserung erst spät einzutreten
pflegt. Eine andere Tatsache, die die vorangegangenen Versuche be¬
stätigt, ist die der prozentualen Veränderungen der Blutleukozyten unter
der Thorium X-Wirkung. Wir wissen von den Röntgenstrahlen, dass sie
zuerst das lymphatische Gewebe zerstören und dass unter ihrer Wirkung
die Lymphozyten die ersten Zellen sind, die aus dem Blut verschwinden.
Bei der Leukopenie, die sie erzeugen, kann man eine absolute Ver¬
minderung aller Leukozytenarten konstatieren. Dabei nehmen aber die
Lymphozyten absolut und prozentual ungeheuer ab, die Granulozyten
dagegen nur absolut ab, prozentual dagegen stark zu. Bei der Thorium X-
Wirkung haben wir gerade das Gegenteil. Das wurde experimentell zuerst
von Arneth festgestellt. Vor ihm waren die Angaben widersprechend.
Hirschfeld und Meidner fanden, dass an der Leukozytenabnahme alle
Leukozyten ungefähr in gleichem Masse teilnahmen. Pappenheim und
Plesch fanden dagegen, dass an dem Leukozytensturz die Lymphozyten
besonders betroffen und die ersten Zellen waren, die aus dem Blut ver¬
schwanden. Gudzent fand auch beim Menschen, dass unter der Wirkung
mässiger Thorium X-Dosen besonders die Lymphozyten abnehmen. Bei
Arneth liegen die ersten genauen Auszählungen vor. Er fand, dass bei
dem Absturz der Gesamtleukozyten die Pseudoeosinophilen stark absolut
und prozentual abnahmen, während dagegen die Lymphozyten prozentual
Zunahmen. Unsere Befunde bestätigen ganz und gar die Angaben
Arneths. Folgende Tabellen sind sehr instruktiv. Sie bilden auch
keine Ausnahme; sie sind aus einer grossen Menge von Fällen ent¬
nommen, bei welchen wir immer wieder dasselbe gefunden haben. Hier
sei noch nebenbei bemerkt, dass zuweilen Zellen gefunden wurden, die
nicht alle absoluten typischen Charaktere der Blutlymphozyten besassen;
sie waren aber u. E. zweifelsohne lymphoide Zellen (nicht Lymphoido-
zyten); Knochenmarkselemente wurden im Blut bei solchen Fällen nicht
gefunden.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
332
A. DA SILVA MELLO
Tabelle 1.
Kaninchen
Nr.
Thorium X
Ver¬
such s-
tage
Leuko¬
zytenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorph¬
kernige
Leukozyten
8
0,15 mg
i
1
9200
60 !
40
4
1200
80
20
3
0,225 mg
1
—
—
—
4
760
90
10
21
0,1 rag
1
—
—
—
5
900
95
5
Tabelle 2. Kaninchen Nr. 22.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Leuko¬
zytenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorph¬
kernige
Leukozyten
Mast¬
zellen
0,05 mg
1
8200
47
46
7
7
2020
80
20 1
—
14
2050
56
40
4
23
3700
38
58
3
30
2800
27
69
j 4
37
3400
i 40
58
1 2
Tabelle 3. Kaninchen Nr. 1.
Thorium X
Versuchs¬
tage
Leuko¬
zytenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorph¬
kernige
Leukozyten
Mast-
zellcn
0,225 mg
1
7100
_
_
_
5
1100 1
75
25
—
11
2000 !
60
40
—
14
2600
60
40
—
18
3000
55
45
—
22
3800
35
65
—
29
4500
32
62
6
34
5300
51
48
1
40
6200
35
62
3
59
6000
33
1 61
6
Tabelle 4. Kaninchen Nr. 9.
Thorium X
Versuchs-
tagc
Leuko¬
zyten zahl
Lympho¬
zyten
Polymorph¬
kernige
Leukozyten
Mast-
zcllcn
0,16 mg
7
1600
85
15
_
9
2400
80
19
1
12
1840
63
37
—
15
2740
i 45
53
2
20
5100
26
71
3
23
5500
1 16
74
10
29
7600
; 37
56
7
34
8900
27
65
8
37
7640
19
79
5
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 333
Wir sehen aus allen diesen Fällen, dass die Leukopenie besonders
durch die Verminderung der polymorphkernigen Leukozyten zustande
kommt. Die Lymphozyten dagegen nehmen prozentual ungeheuer zu.
Wie man noch die Lymphozytosen der Personen, die sich viel mit
strahlender Energie zu beschäftigen haben, sowie die Entwicklung gerade
von lymphatischen Leukämien bei Röntgenologen und Radiologen mit den
obigen Beobachtungen in Zusammenhang zu bringen hat, mag vorläufig
dahingestellt bleiben. (Beachtenswert ist auch, dass die Lymphozyten
im Thermostaten sich viel resistenter verhalten als die Granulozyten.)
Sehr interessant ist auch zu verfolgen, wie die Leukopenie verschwindet
und wie die einzelnen Leukozyten dabei sich verhalten. Arneth gibt
an: „Mit dem Wiederanstieg der Gesamtleukozytenzahl beim Abklingen
der Thoriumwirkung kehren in allen Fällen ungefähr die normalen Prozent¬
zahlen wieder zurück.“ Bei den obigen Fällen haben wir es insofern
mit abweichenden Resultaten zu tun, als bei dem Verschwinden der
Leukopenie die polymorphkernigen Leukozyten das leukozytäre Bild
stark beherrschen. Das wäre leicht in Einklang zu bringen mit den
späteren Läsionen, die wir an der Milz gefunden haben, sowie mit der
Hyperplasie der Knochenraarkselemente. Diese Befunde können aber
nicht als Regel gelten. Wir werden bald sehen, dass die Leukozyten
sich auch ganz anders verhalten können. Wie solche Vorgänge zu ver¬
stehen sind, ist nicht leicht sich vorzustellen.
In bezug auf die spät eintretenden Milzveränderungen und der Ucber-
regeneration des Knochenmarks wäre es auch sehr wichtig, festzustellen,
wie die Leukozyten bei einer zweiten oder dritten Thorium X-Einver-
lcibung sich verhalten. Dies zeigen uns folgende Tabellen:
Tabelle 1 . Kaninchen Nr. 68.
Thorium X
Versuchs¬
tage
1 Leuko-
| zytenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorphkernige
Leukozyten
Mastzellen
Monu-
kleären
0,1 mg
1
10 000
77
»
3
5
7
3 700
91
9
—
—
17
4 700
74
25
—
1
27
9 300
77
19
2
2
101
6 100
69
27
4
—
0,2 mg
108 i
—
—
—
—
—
Hl
3 100
67
33
—
—
115
2 380
69
29
2
—
133
3 600
55
i 1
40
2
3
Tabelle 2. Kaninchen Nr. 67.
Thorium X
Versucbs-
tago
Leuko¬
zytenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorphkernige
Leukozyten
Mastzellen j
Monu-
kleären
0,1 mg
1
7 500
58
26 1
15
1
7
3 400
76
18
4 1
2
17
6 800
43
55
1 |
1
27
10 500
53
47
—
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
334
A. da SILVA MELLO,
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Thorium X
Versuchs¬
tage
Leuko-
zythenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorphkernige
Leukozyten
Mastzellen
Monu-
kleären
45
7 500
75
19
1
5
62
7 700
60
31
—
9
0,2 mg
63
—
—
—
—
—
66
3 400
53
42
2
5
112
6 400
| 39
59
2
—
Tabelle 3. Kaninchen Nr. 61.
Thorium X
Yersuchstage
Leukozyten¬
zahl
Lymphozyten
Polymorphkernige
Leukozyten
Mastzellen
0,1 mg
1
6300
36
58
3
5
2800
80
20
—
29
5280
60
33
7
43
6000
40
52
7
0,05 mg
50
8300
30
67
3
55
2600
66
34
—
63
6200
40
59
, 1
84
4700
42 -
56
i 2
0,1 mg
89
—
—
—
1 —
92
4800
39
59
2
96
4300
54
43
3
103
7400
48
47
5
Tabelle 4. Kaninchen Nr. 33.
Thorium X
Vorsucbs-
tagc
Leuko¬
zytenzahl
Lympho¬
zyten
Polymorphkernige
Leukozyten
Mastzellen
Monu-
kleären
0,1 mg
1
10 000
_
_
_
8
3 340
—
—
—
—
28
7 580
55,5
42,5
2
—
42
12 200
58
40
2
—
0,1 mg
46
— '
—
—
—
—
52
1540
86
7
5
2
55
3 600 j
65
30
1
4
59
4 200 |
55
42
3
—
Wir konstatieren aus den Tabellen, dass die zweite Injektion, selbst
wenn sie eine sehr grosse, ja sogar eine doppelt so grosse wie die erste
ist, meistens nur eine massige Leukopenie (der Grad ist selbstverständlich
abhängig von der eintretenden Regeneration, sowie von der Dosis) erzeugt,
bei welcher die polymorphkernigen Leukozyten nicht mehr so stark ab¬
zunehmen pflegen (Kaninchen 33 scheint eine Ausnahme zu bilden).
Man hat jetzt den Eindruck, als ob jetzt die Polymorphkernigen die
Thorium X-Wirkung besser zu vertragen imstande seien. Der Fall der
Tabelle 2 — Kaninchen 67 — ist besonders lehrreich. Wir sehen, dass
die zweite Injektion, trotzdem sie doppelt so gross wie die erste war,
nur eine ebenso starke Leukopenie hervorgerufen hat, wie die erste.
Ganz verschieden ist aber das Verhalten der einzelnen Leukozytenarten.
Bei der ersten Injektion war die bekannte Verminderung der Pseudo¬
eosinophilen vorherrschend; bei der zweiten haben dagegen alle Leuko-
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 335
zyten gleiohmässig abgenommen. Ungefähr dasselbe können wir bei dem
Kaninchen 68 beobachten. Der Befund ist vielleicht in Zusammenhang
zu bringen mit den bekannten Milzveränderungen und mit der Knochen¬
markshyperplasie, die wir als eine der konstantesten Folgen der
Thorium X-Wirkung kennen gelernt haben. Die Geringfügigkeit der
zweiten Leukopenie würde damit auch ihre Erklärung finden. Würden
die polymorphkernigen Leukozyten so intensiv abnehmen wie bei der
ersten Injektion, so hätten wir eine ungefähr gleich grosse Leukopenie.
In dem Fall der Tabelle 2 kann man noch das Verhalten der Mast¬
zellen besonders gut verfolgen. Wir sehen, dass sie ungefähr wie die
polymorphkernigen Leukozyten abnehmen und keine besondere Empfind¬
lichkeit oder Widerstandsfähigkeit zeigen. Dies ist interessant zu ver¬
zeichnen in Anbetracht ihres Verhaltens bei der Behandlung der myeloischen
Leukämie.
III. Partielle Ergebnisse.
35. Die durch Thorium X erzeugte Leukopenie braucht nicht auf
Zerstörungen der hämatopoietischen Organe zurückgeführt zu werden;
wenn die Leukopenie am stärksten ist, kann man das Knochenmark
direkt in hyperplastischem Zustande finden (vgl. Figur 3).
36. Der Umstand, dass trotz und während der Leukopenie enorme
Eiterungen sich entwickeln können, oder dass eine Pneumonie zu normaler
Resolution kommen kann, sind ebenfalls geeignet zu zeigen, dass diese
Leukopenie nicht auf eine Knochenmarkshypoplasie zurückgeführt zu
werden braucht.
37. Das Thorium X übt direkt nur eine als geringfügig zu be¬
zeichnende Wirkung auf das lymphoide Gewebe aus. Selbst nach einer
sehr grossen Dosis, die schon vieleTage hindurch gewirkt und Symptome
einer schweren Vergiftung erzeugt hat, kann man die Lymphfollikel der
Milz und der Lymphdrüsen noch fast völlig normal finden (Figuren 5 und 6).
Die Annahme einer Regeneration können wir auf Grund experimenteller
Versuche als unmöglich zurückweisen.
38. Das myeloische Gewebe scheint auch durch das Thorium X
früher und intensiver geschädigt zu werden als das lymphoide.
39. Aus diesen Gründen müssen wir mit bezug auf die blutbildenden
Organe eine enorm, ja eine direkt entgegengesetzte Wirkung zwischen
den Radium- und Röntgenstrahlen einerseits und derp Thorium X anderer¬
seits annehmen.
40. Diese Unterschiede sind geeignet, die Verschiedenheit ihrer
Wirkung bei einem und demselben Blutfalle gewissermassen aufzuklären.
41. Richtungslinien für die menschliche Therapie aus den beschrie¬
benen experimentellen Feststellungen zu ziehen, scheint vorläufig nicht
möglich zu sein. Sie müssen aber als ein Fortschritt betrachtet werden,
weil damit unserem therapeutischen Handeln neue Richtungen gegeben
werden.
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42. Aus unseren Befunden wird auch verständlich, warum sLh gerade
die Lymphämien relativ refraktär gegen das Thorium X verhalten sollen
und auch warum bei vielen Fällen die Besserung erst lange nach Ein¬
leitung der Behandlung einzutreten pflegt.
43. Bei dem Leukozytensturze infolge der Thorium X-Wirkung
nehmen die polymorphkernigen Leukozyten absolut und prozentual stark
ab, während die Lymphozyten nur absolut abnehmen, dagegen prozentual
stark zunehmen. Das Blutbild kann so verändert werden, dass man fast
nur Lymphozyten findet, infolge des fast totalen Verschwindens der
Polymorphkernigen. Das ist gerade das Gegenteil von dem, was man
von den Röntgenstrahlen her kennt.
44. Der Wiederanstieg der Leukozyten nach der ThoriumX-Wirkung
ist kein regelmässiger. In vielen Fällen bekommen die polymorph¬
kernigen Leukozyten das Uebergewicht, in anderen kehren die normalen
Prozentzahlen wieder zurück.
45. Bei einer zweiten oder dritten Thorium X-Einverleibung pflegt
die Leukopenie im allgemeinen anders aufzutreten. Sie kommt nicht
mehr durch eine besonders starke Verminderung der Polymorphkernigen
zustande, sondern jetzt nehmen alle Leukozyten gleichmässig absolut und
prozentual ab; die Leukopenie ist auch viel weniger intensiv. Dieses
Verhaltcn^wird vielleicht besonders verständlich durch die Knochenmarks¬
hyperplasie, die durch die Thorium X-Wirkung einzutreten pflegt.
46. Unter der Thorium X-Wirkung zeigen die Mastzellen ein Ver¬
halten ähnlich dem der polymorphkernigen Leukozyten.
IV. Teil.
Verhalten der roten Blutkörperchen.
Das Verhalten der Erythrozyten der aktinischen Wirkung gegenüber
hat immer seiner Merkwürdigkeit wegen das grösste Interesse erregt.
Man fand die gewaltigsten Veränderungen seitens der Leukozyten und
daneben die Roten ungeschädigt. Durch unsere Versuche ist auch der
Beweis erbracht worden, dass in Wirklichkeit ein Tier durch eine un¬
mittelbar tödliche Thorium X-Dosis zugrunde gehen kann, ohne dass die
roten Blutkörperchen an Zahl verändert oder histologisch bis zum Eintritt
des Todes geschädigt werden, während dagegen die Leukozyten fast
gänzlich aus der Blutbahn verschwinden können. Da man auch dabei
die weitgehendsten Zerstörungen der hämatopoietischen Organe finden
konnte, so war dieses Verhalten nur durch die Hypothese aufzuklären,
die den Erythrozyten eine längere Lebensdauer verleiht, so dass sie im
Blut bis zum Tode des Tieres unverändert bleiben könnten, ohne dass
vom Knochenmark ein Nachschub geliefert wurde. Was man durch die
grossen Dosen gefunden hat, ist auf die kleinen übertragen worden. Und
so hat man bis jetzt die Leukopenie immer auf Zerstörungen der blut-
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 337
bildenden Organe und die Integrität der Erythrozyten auf ihre lange
Lebensdauer zurückgeführt. Wie falsch die erste Annahme war, ist
schon zur Genüge gezeigt. Jetzt kommen wir zum Studium des beson¬
deren Verhaltens der roten Blutkörperchen.
Zuerst möchten wir auf unsere vorigen Experimente zurückgreifen.
Wir haben festgestellt, dass eine kleine Dosis Thorium X eine Reiz¬
wirkung, die sich in einer Vermehrung des Hämoglobins und der Ery¬
throzyten ausdrückt, auszuüben pflegen. Diese Vorgänge können eintreten,
ohne dass man dabei irgend eine Veränderung der Leukozyten zu finden
braucht. Wir haben auch festgestellt, dass grosse Dosen Thorium X
keine einheitliche Wirkung auf das erythropoietische System ausüben,
dass durch sie bald die Erythrozyten nicht im geringsten litten, oder
auch bald danach eine ausgeprägte langdauernde Anämie sich entwickeln
konnte. Es wurde auch festgelegt, dass diese Vorgänge unabhängig
waren von dem, was sich in dem leukopoietischen Apparat abspielt. Wir
sind dann zu dem Schluss gekommen, dass das erythropoietische System
nicht nur eine enorme Selbständigkeit in seinem Funktionieren, sondern
auch eine ausgesprochene Individualität verschieden von Tier zn Tier
besitzt.
Durch die Versuche, die wir jetzt anzuführen haben, haben wir neue
Bestätigungen für diese Annahme, sowie für manche unserer vorange¬
gangenen Experimente gefunden. Sie liefern auch Stoff, uns die Un¬
zulänglichkeit aller in dieser Richtung aufgeworfenen Hypothesen besser
hervortreten zu lassen.
Kaninchen Nr. 54.
Blut-
Versuchs*
Gewicht
Hämo-
1 Erythro-
Leuko-
entnähme
tage
g
| globin
1 zyten
zyten
18 ccm
1
1
1350
55
5 400 000
12 000
4
1280
51
4 600 000
10 800
11
1210
48
2 400 000
10 400
18
1020
62
6 980 000
11 120
25
1080
51
5 600 000
9 440
Der Fall ist geeignet, uns zu zeigen, wie im allgemeinen die Ery¬
throzytenzahl und der Hämoglobingehalt nach einem grossen Aderlass
sich verhalten. In diesem Falle war der Aderlass im Verhältnis zum
Körpergewicht und im Vergleich zu dem menschlichen Körper so, als
wenn wir einem Menschen von 75 Kilo Gewicht 1 Liter Blut entzogen
haben würden. In diesen und in allen unseren folgenden Versuchen
haben wir das Blut aus dem Ohr durch kleine Einstiche entnommen.
In allen Fällen machten wir unmittelbar nach der Blutentziehung eine
subkutane Kochsalzinfusion in gleicher Menge wie die des entnommenen
Blutes. Aus technischen Schwierigkeiten war es uns nicht möglich, in
allen Fällen ein genaues Verhältnis zwischen der Grösse des Aderlasses
und des Körpergewichts innezuhalten, wie wir anfangs beabsichtigt hatten.
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338
Daraus sind aber keine weiteren Nachteile entstanden, ausgenommen, die
einer etwas erschwerten Uebersichtlichkeit.
Aus dem angeführten Fall sehen wir, dass der Hämoglobingehalt
und die Erythrozytenzahl bis zu einem gewissen Punkt immer niedriger
werden. Das ist übrigens eine alte bekannte Erfahrung. Wie sie zu
erklären ist, inwieweit Gewebsflüssigkeit usw. dabei eine Rolle spielen,
müssen wir dahingestellt lassen. In der Mehrzahl der Fälle erreichen
sonst der Hb-Gehalt und die Zahl der Roten den tiefsten Punkt schon
nach ein oder zwei Tagen. Bei anderen Fällen dagegen, wie bei dem
unserigen, finden wir den geschilderten Befund. Wenn der tiefste Punkt
erreicht ist, tritt eine allmähliche Regeneration ein, die in der grossen
Mehrzahl der Fälle (freilich nicht immer) zu einer Ueberkompensation
führt. Der Hämoglobingehalt und die Erythrozytenzahl steigen stark
über die normale Höhe hinaus. Wir können das sehr deutlich bei
unserem Fall beobachten. Die Ueberfunktion, wahrscheinlich weil sie
gerade keinen normalen Zustand darstellt, dauert nur kurze Zeit und
kehrt alsbald zur Norm zurück. Der Fall ist aus einer Reihe ähnlicher
anderer, die als Vergleichsobjekte galten, entnommen.
Kaninchen Nr. 67.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leukozyten
35 ccm
0,1 mg
1
2620
60
4 740 000
7 500
7
2500
41
4 560 000
3400
17
2380
40
3180 000
6 800
27
1980
45
4 360 000
10 500
34
1980
60
6 700 000
8 500
45
2450
46
1 3 860 000
7 500
62
2600
50
4 780 000
7 700
In diesem Falle sehen wir die Erythrozyten und den Hämoglobin-
gehalt sich wie bei dem vorigen verhalten. Nach einem Absinken steigen
sie allmählich an, um die normale Höhe zu überschreiten. Das geschieht
viel langsamer als bei dem Kaninchen Nr. 54. Man sollte eigentlich
denken, dass das eine Folge der Thorium X-Einspritzung sein müsste.
Der Umstand, dass zu der Zeit der Hyperfunktion das Gewicht noch auf
dem tiefsten Punkt stand, ist wieder geeignet zu zeigen, wie unabhängig
die hämatopoietischen Funktionen bei einem durch Thorium X geschädigten
Organismus verlaufen können.
Bei dem nächsten Fall können wir das am deutlichsten konstatieren.
Wir sehen die Erythrozyten und das Hämoglobin sich regenerieren und
selbst gewaltig überkorapensiert werden, während das Tier noch zweifellos
unter einer Thorium X-Wirkung steht, wie es aus den Gewichts- und
Leukozytenkurven sowie aus dem nach der Injektion abgelaufenen Zeit¬
raum zu ersehen ist. Es scheint sogar, dass hier die Regeneration schneller
zustande gekommen wäre als bei unserem normalen nicht injizierten Tiere.
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 339
Kaninchen Np. 56.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leukozyten
20 ccm
0,06 mg
1
1610
58
5 800 000
6600
4
1570
49
5 000 000
5200
0,01 mg
6
1500
42
4 800 000
2700
11
1360
57
3 100 000
4030
18
1350
62
8 000 000
5160
25
1510
50
4 800 000
6240
33
1500
58
4 500 000
4400
43
1500
52 |
4 920 000
6700
Das nächste Tier liefert eine Menge beachtenswerter Tatsachen.
Kaninchen Nr. 61.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leukozyten
30 ccm
0,1 mg
1
2070
50
5 2G0 000
6300
5
2070
37
4 000 000
2800
29
2070
55
5 540 000
5280
36
2150
55
5 820 000
5800
43
2200
GO
6 280 000
6000
0,05 mg
50
2220
55
4 840 000
8300
55
2200
64
5 720 000
2600
63
2320
45
4 340 000
6200
74
2230
1 61
6 260 000 !
| 6300
84
2480
i 63
6 300 000
: 4700
0,1 mg
89
—
—
— j
—
92
2380 ,
! 63
5 600 000
4800
96
j 2200
1 66
5 340 000 |
| 4300
103
2100
66
6 260 000
7400
110
2080
59
4 940 000 1
6480
•
116
1980
—
— i
9680
127
1820
—
—
3500
0,1 mg
128
—
! —
—
1 —
130
1480
i t
Trotz einer nicht als klein zu bezeichnenden Injektion bei diesem
Tiere regenerieren sich die Erythrozyten und das Hämoglobin rapid nach
dem Aderlass bis zu einer Ueberkompensation. Das Gewicht leidet
darunter nicht im geringsten, im Gegenteil. Die zweite Injektion, die
wieder eine starke Leukopenie erzeugt, übt auch nur eine vorteilhafte
Wirkung auf die Erythrozyten, das Hämoglobin und das Gewicht, die
immer die Neigung zeigen, in die Höhe zu steigen. Das ist ein Verhalten,
das wir niemals, selbst nicht bei ganz jungen Tieren beobachten konnten,
wenn sie unter der Wirkung von nicht zu kleinen Dosen Thorium X
standen. Durch unsere Experimente haben wir im Gegenteil immer die
Feststellung machen können, dass die Dosen, die eine starke Leukopenie
erzeugten, eher eine wachstumshemmende Wirkung ausüben. In diesem
Falle sind wir geneigt, die Wirkung auf die Erythrozyten und das Hämo¬
globin sowie besonders auf das Körpergewicht hauptsächlich auf die Blut¬
entnahme zurückzuführen. Aus Versuchen, die bald Erwähnung finden
werden, werden wir ersehen, welche Mengen von Tatsachen für eine solche
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Annahme sprechen. Interessant in dem Fall ist noch, dass zweifellos
der Körper während der Zeit der Ueberregeneration unter der Wirkung
des Thorium X stand. Wir erkennen das aus der Leukozytenkurve, bei
welcher man ganz tiefe Punkte findet, sowie besonders aus der Wirkung
der dritten Injektion, die trotz ihrer Kleinheit Symptome einer intensiven
Vergiftung erzeugt. Dies geht wieder aus der Leukozyten- und Gewichts¬
kurve hervor, sowie aus der Wirkung der vierten Injektion, die direkt eine
fulminante Wirkung entfaltet. Beachtenswert ist, wie wenig die Leukozyten
überhaupt unter der dritten Injektion gelitten zu haben scheinen, ebenso das
Verhalten der roten Blutkörperchen. Alles das wäre in Einklang zu bringen
mit der Knochenmarkshyperplasie, die wir schon früher kennen gelernt
haben und die hier zweifellos zu der Zeit existieren musste. Nur diese
Hyperplasie ist auch imstande zu erklären, warum die Erythrozyten sich
erholen und überkompensieren können, während der Organismus noch
unter der Wirkung des Thorium X steht und leidet. Wir haben da wieder
einen Beweis, wie wenig die hämatopoietischen Organe unter der Thorium X-
Wirkung zu leiden brauchen, wie wenig sie für den Thorium X-Tod ver¬
antwortlich sein können. Der Organismus kann schwer unter der aktinischen
Wirkung leiden und dabei können die blutbildenden Organe ihre volle
Funktion entfalten und selbst in Hyperfunktion und Hyperplasie geraten
sein. Dies sind Tatsachen, die wir durch die mannigfaltigsten Experimente
immer wieder bestätigt gefunden haben. Auf sie immer wieder zurück¬
zukommen, ist nicht überflüssig, sie sind neu und merkwürdig genug, um
stark betont zu werden.
In unserem Falle verdienen noch die Sektionsbefunde hervorgehoben
zu werden. Wir haben überhaupt keine makroskopische Läsion gefunden,
die für den Tod verantwortlich gemacht werden könnte. Alle Organe
und Gewebe sahen normal und gesund aus. Man hat nur den Eindruck,
dass die Organe, besonders die Leber und die Niere, verkleinert sind.
Eine starke Verkleinerung der Milz war hier wie bei allen ähnlichen
Fällen sicher zu konstatieren. Der mikroskopische Untersuchungsbefund
lautet folgendermassen:
Knochenmark: Trotzdem der Zellreichtum noch gross ist, scheint er vermindert
zu sein, die Zellen liegen mehr diffus, bilden keine dichten Haufen. Das Stützgewebe
tritt stark vermehrt hervor. Die grosse Mehrzahl der Zellen sieht ganz normal aus.
Die polymorphkernigen Leukozyten sehr zahlreich vorhanden. Sehr viele Zellen sind
auch in Zerfall begriffen, zeigen pyknotische Kerne und Kernbröckel. Die Megakaryo-
zyten zum Teil ganz normal.
Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Milzfollikel fast wie in der Norm. Die
Bluträume ziemlich leer. Besondersbeachtenswert istdie ungeheure Menge von Pigment.
Wir haben also hier wieder Symptome, die für eine Thorium X-
Wirkung sprechen, die aber nicht genügen, um den Tod aufzuklären.
Bei folgenden Versuchen waren wir bemüht, die Reaktion der
hämatopoietischen Organe und besonders des erythropoietischen Systems
unter der Thorium X-Wirkung zu studieren, nachdem sie vorher durch
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 341
besondere Massnahmen zu den gewaltigsten Anstrengungen gebracht waren.
Dazu wurden grosse wiederholte Blutentnahmen mit nachfolgenden oder
dazwischen eingeschalteten Thorium X-Einverleibungen gemacht. Bei dem
folgenden Tiere wurden innerhalb eines Monats sechs Aderlässe aus¬
geführt und eine so grosse Blutmenge entnommen, als wenn man im
Verhältnis zum Körpergewicht einem erwachsenen Menschen 7 Liter Blut
innerhalb eines Monats entzogen hätte. Kurz nach dem letzten Aderlass
ist dann eine raittelgrosse Dosis Thorium X subkutan eingespritzt worden.
Kaninchen Nr. 50.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs-
tago
Gewicht
1 K
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leukozyten
20 ccm
1
1370
48
4 520 000
7 300
22 .
9
1450
39
4 240 000
4 500
20 ,
14
1400
39
3 880 000
4 600
20 ,
20
1400
—
—
—
32 „
23
1550
—
—
—
27
1450
40
2 620 000
5 600
IT .
30
1280
—
—
—
0,05 mg
34
1420
—
—
—
35
1250
40
3 460 000
10 400
36
1400
35
3 700 000
10 580
37
1300
—
—
7 300
40
1300
t
Wir sehen, dass das Tier wenige Tage nach der Injektion zugrunde
gegangen ist, ohne dass eine Leukopenie oder ein deutlicher Gewichtsverlust
eingetreten wäre. Das Verhalten der Erythrozyten ist nicht deutlich zu
ersehen, da die Zählungen nicht oft genug ausgeführt waren. Man kann nur
feststellen, dass sie nicht besonders geschädigt waren. Die mikroskopische
Untersuchung der blutbildenden Organe liefert etwas Beachtenswertes.
Knochenmark: Der Zellgehalt etwas vermindert. Die Zellen liegen diffus zer¬
streut. Die Erythroblasten beherrschen sehr stark das Mischverhältnis. Die polymorph¬
kernigen Leukozyten fast gänzlich verschwenden. Vermehrung der Plasmazellen. Viele
Zellen mit Kernbröckeln und pyknotischen Kernen. Viele Phagozyten. Von den
weissen Elementen findet man fast nur Myelozyten. Die Riesenzellen sehr spärlich und
meistens verklumpt. Bei den Abstrichpräparaten viele Amitosen in den Erythroblasten.
Milz: Verminderung des Zellgehaltes der Follikel und besonders der Pulpa.
Leichte Vermehrung des Pigments und des Bindegewebes.
Wir konstatieren also, dass die hämatopoietischen Organe stark ge¬
litten haben und zwar höchstwahrscheinlich unter der Wirkung des
Thorium X, wie aus den Läsionen herauszulesen ist. Das Fehlen der
Leukopenie scheint also hier doppelt merkwürdig zu sein. Sie war nicht
nur infolge der bekannten Wirkung des Thorium X, sondern auch infolge
der gefundenen Insuffizienz der blutbildenden Organe zu erwarten. Beide
Umstände sind wieder geeignet, die Rolle zu zeigen, die sie bei der
Thorium X-Vergiftung zu spielen hat. Einen ähnlichen Fall konnten wir
bei der Verabreichung von Eisen beobachten. Einem Kaninchen wurden
täglich während 15 Tagen grosse Mengen Eisen verabreicht und dann
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342
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eine mittelgrosse Dosis Thorium X eingespritzt, dies also zu einer Zeit,
zu welcher im Körper eine sehr grosse Menge Eisen vorhanden war
(mehr als 20 g). Die Thorium X-Injektion war von keiner Leukopenie
gefolgt. Bei einem anderen ähnlichen Fall ist dagegen unter einer viel
grösseren Thorium X-Dosis eine Leukopenie zustande gekommen. Unser
Fall ist noch insofern beachtenswert, als durch die wiederholte Blut¬
entnahme keine Verminderung des Gewichts, eher eine leichte Zunahme
eingetreten war. Das wäre schon in Zusammenhang zu bringen mit dem,
was wir vorher bei dem Kaninchen Nr. 61 geäussert haben. Dies ist
auch nicht als Ausnahme zu betrachten. Es scheint sogar, dass wir es
hier mit einem konstanten biologischen Vorgang zu tun haben. Die
nächsten Fälle bestätigen dasselbe. Sie sind auch wieder geeignet zu
zeigen, wie die Erythrozyten sich bei einem unter der Wirkung von
Thorium X stehenden Organismus zu regenerieren imstande sind.
Kaninchen Nr. 64.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leukozyten
37 ccm
1
2270
51
4 800 000
11 920
8
2250
34
3 780 000
6 300
15
2150
42
4 480 000
7 100
27 ccm
22
1900
38
4 040 000
6 800
28 ccm
30
2000
38
4 080 000
5 200
34 ccm
38
2270
35
3 500 000
4 780
43
2300
35
4 000 000
4 800
33 ccm
45
2220
39
3 700 000
4 700
50
2100
40
3 400 000
6 300
33 ccm
52
2200
—
—
—
54
2130
30
2 980 000
5 900
58
2050
33
4 000 000
6 080
30 ccm
59
—
—
—
—
30 ccra
66
2150
34
3 360 000
5 600
20 ccm
73
1870
32
4 180 000
4 800
75
1700
t
Dieser Fall soll als Vergleichsobjekt gelten. Es wurde nach einer
ersten Blutentnahme je einmal wöchentlich zwei Monate lang bis zum
Eintritt des Todes des Tieres ein Aderlass ausgefiihrt. Jeder Aderlass
war vergleichsweise so gross wie die Entnahme von einem Liter Blut
bei einem erwachsenen Menschen.
Wir sehen, dass das Tier alle diese Blutentnahmen beinahe bis zu
der letzten vertragen hat, ohne an Gewicht abzunehmen. Auch das
Hämoglobin und die Erythrozyten scheinen nicht stark gelitten zu haben,
zumal sie bis zum Ende eine derartige Reaktion entfalten, dass sie nicht
unter eine gewisse Höhe herunter gingen. Bei den Leukozyten war stets
eine geringe Leukopenie wahrzunehmen. Ob wir den Tod des Tieres auf
die wiederholte Blutentnahme zurückzuführen haben, können wir nicht
mit Sicherheit entscheiden. Nach dem Blutbefund während des Lebens
sowie nach dem autoptischen Befunde und der mikroskopischen Unter¬
suchung der blutbildenden Organe, scheint aber das nicht wahrscheinlich
Original from
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 843
zu sein. Hier wäre die Wiederholung des Versuchs bei einer grossen
Reihe von Tieren notwendig, um dies zu entscheiden. Wir können aber
von dieser Feststellung absehen und uns nur mit der Tatsache begnügen,
dass das Tier über lange Zeit hindurch diese Blutentnahme wenigstens
scheinbar gut vertragen hat. Durch die Blutuntersuchung können wir
auch gcwissermassen die Reaktion der hämatopoietischen Organe während
der Zeit studieren. Folgende mikroskopische Untersuchung unterrichtet
uns über den Zustand dieser Organe nach dem Tode.
Knochenmark: Der Zellenreichtum viel grösser als nach dem Alter des
Tieres zu erwarten wäre. Die Vermehrung betrifft hauptsächlich die erythroblastischen
Elemente. Die weissen Elemente gleichfalls sehr zahlreich vorhanden. In dem gegen¬
wärtigen Mischverhältnis machen die Myelozyten den Ilauptanteil aus. Sonst nur
Hyperämie zu konstatieren.
Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Follikel ungeheuer stark reduziert.
Das Stützgewebe tritt deutlich hervor. Die Bluträume leer. Leichte Vormehrung des
Pigments und des Bindegewebes.
Es ist merkwürdig, dass der hier erhobene Befund fast bis in die
Einzelheiten mit dem der Thorium X-Fällc übereinstimmt. Nur insofern
besteht hier ein Unterschied, als die Hyperplasie des Knochenmarks haupt¬
sächlich durch die Vermehrung der erythroblastischen Elemente bedingt
wird. Inwieweit diese Vorgänge in Zusammenhang stehen, müssen wir dahin¬
gestellt lassen. Es wäre nur vielleicht daran zu denken, dass diese wieder¬
holten grossen Blutentziehungen unbedingt als eine Schädigung für den
Organismus und besonders für die blutbildenden Organe zu betrachten sind.
In dem nächsten Fälle haben wir die Wirkung ähnlicher Blutent¬
nahmen wie in dem vorigen zu studieren versucht, als das Tier aber noch
unter der Wirkung des Thorium X stand.
Kaninehen Nr. 63.
Blut¬
entnahme
Thorium X
Versuchs¬
tage
Gewicht
g
Hämo¬
globin
Erythrozyten
Leukozyten
30 ccm
0,05 mg
1
1700
60
6 320 000
7700
25
1800
48
4 540 000
7700
32
1870
45
5 200 000
7200
30 ccm
0,05 mg
43
2000
43
4 740 000
5800
46
1820
38
4 040 000
3050
27 ccm
50
1870
40
3 330 000
1SS0
22 ccm
57
1850
40
3 340 000
2500
61
2150
40
3 200 000
5600
32 ccm
64
| 2070
43
3 600 000
2800
0,05 mg
65
i —
—
—
! —
68
; 2000
43
3 740 000
1 2700
30 ccm
71
: 2020
—
—
—
74
i 2050
42
3 540 000
| 3400
25 ccm
78
2020
53
4 140 000
4700
81
1 1950
41
3 280 000
1 5300
30 ccm
85
! 1900
39
3 780 000
! 5700
0,025 mg
89
1920
—
—
—
92
1870
41
3 620 000
! 7180
95
1 1750
50
4 240 000
1 6380
21 ccm
97
1620
—
—
—
Zeitschr. f. klin. Medi/.in. 81. lld. H. 3 u. 4. 23
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Knochenmark: Der Zellgehalt noch sehr gross, trotzdem er erheblich ver¬
mindert zu sein scheint. Das Stützgewebe tritt stark hervor. Die Zellen liegen mehr
diffus verteilt. Sehr zahlreich sind die roten Knochenmarkselemente. Bei den weissen
herrschen die Myelozyten vor, obschon die Polymorphkernigen auch zahlreich zu
finden sind. Die Riesenzellen meistens verklumpt mit pyknotischen stark gefärbten
Kernen. Auch viele Zellen mit pyknotischem Kern und Kernbröckeln. Kleine
Blutungen.
Milz: Stark anämisch. Die Bluträume fast ganz leer. Der Zellgehalt der Pulpa
scheint nur leicht vermindert zu sein. Die Lymphfollikel scharf gegen die Umgebung
abgesetzt, auch kleiner und zellärmer als in der Norm. Leichte Vermehrung des
Pigments und des Bindegewebes. Beachtenswert war auch die enorme Menge von
Zellen mit phagozytärem Charakter.
Wir sehen, dass das Tier ein ähnliches Verhalten zeigt, wie das
vorige. Hier konstatieren wir wieder, dass das Körpergewicht nicht ab-
nimrat, sondern stark zunimrat, trotz der wiederholten Einspritzungen
von Thorium X, Einspritzungen, die ganz enorme Leukopenien zu er¬
zeugen imstande waren. Das ist wieder ein Beweis dafür, dass die Ab¬
nahme des Körpergewichts nicht zu den Symptomen der Thorium X-
Vergiftung zu gehören braucht. Besonders beachtenswert in diesem Falle
ist das Verhalten des Hämoglobins und der roten Blutkörperchen. Wir
können wahrnehmen, dass sie nicht mehr leiden als die im vorigen Falle,
in welchem kein Thorium X verabreicht war. Es scheint sogar, wenn
man nach dem Färbeindex urteilt, als ob die hämatopoietischen Organe
eine bessere Reaktion gezeigt hätten. Wie dem auch sei, . so können
wir doch die wichtige Tatsache feststellen, dass das erythropoietische
System eine regenerative Reaktion entfalten kann, selbst wenn es unter
der direkten Wirkung des Thorium X steht und wenn sich dabei noch
eine starke Lcupenie geltend macht. Diese beiden Umstände sind ge¬
eignet, gewissermassen den sogenannten refraktären Zustand der roten
Blutkörperchen gegen das Thorium X zu erklären.
Wir wissen jetzt, dass die Leukopenie mit einer Hyperplasie des
Knochenmarks vereinbar sein kann. Die Annahme, dass die Leukopenie
nur durch eine Hypofunktion, eine Insuffizienz, eine Vernichtung der
blutbildenden Organe zustande kommt, ist ein falscher Schluss, den man
aus pathologischen Veränderungen gezogen hat, die durch ungeheure
Mengen von strahlender Energie erzeugt waren; wenn er überhaupt zu¬
treffend sein kann, ist er es nur für die Fälle von schnell tödlich
endender Vergiftung. Dasselbe gilt für die roten Blutkörperchen. Das
Fehlen einer Anämie oder irgend einer anderen Veränderung bei den
Erythrozyten ist nur bei der hyperakuten tödlichen Vergiftung, eventuell
durch eine lange Lebensdauer dieser Zellen, zu erklären. Bei den an¬
deren Fällen kann keinesfalls diese Erklärung als richtig gelten. Wir
haben gesehen, dass bei vielen Fällen, lange Zeit nach der Thorium X-
Einspritzung, sich eine langdauernde, zuweilen sehr starke Anämie ent¬
wickelt. Es wäre naheliegend, sie durch die alte Theorie so zu erklären,
dass die Erythrozyten infolge ihrer langen Lebensdauer so lange Zeit
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 345
normal im Blute weilen konnten und dass die Anämie erst eintrat, wenn
sie alt geworden, anfingen zugrunde zu gehen. Das Knochenmark wäre
dann noch nicht völlig regeneriert, um diesen Untergang zu decken. Die
Theorie wäre leicht in Einklang mit allen bekannten Tatsachen zu
bringen. Sie ist auch ausgesprochen worden. Sehr interessant war noch,
dass man histologische Veränderungen bei den roten Blutkörperchen ge¬
funden hat, Veränderungen, die erst lange nach der Thorium X-Ein¬
spritzung eintraten und die also in demselben Sinne gedeutet werden
mussten. Wir haben auch solche Veränderungen studiert und werden
bald darauf zurückkommen. Aus allen unseren Versuchen geht hervor,
dass die obige Vorstellung nicht richtig sein kann. Die spät eintretende
Anämie und die Veränderungen der Erythrozyten können nur als eine
indirekte Schädigung aufgefasst werden, wovon schon mehrmals die Rede
war. Sie können nicht auf Insuffizienz oder Hypoplasie des erythro-
poietischen Systems zurückgeführt werden. Unsere zuletzt erwähnten
Versuche mit Blutentnahmen und Thorium X-Einverleibung beweisen dies
zur Genüge. Sehr merkwürdig wäre auch, dass diese Ausfallserschei¬
nungen erst zu einer Zeit eintreten sollten, in welcher meistens die
Leukozyten schon meist zur Norm zurückgetreten waren. Nach unseren
Versuchen ist noch weiter anzunehmen, dass im Gegenteil durch das
Thorium X ein Mehrverbrauch von Erythrozyten im Körper stattfindet.
Die Pigmentrailz, die wir immer und immer wieder unter der Thorium X-
Wirkung entstehen sehen, ist zweifellos ein Zeichen dieses vermehrten
Verbrauches. Der Umstand, dass sie auch bei den Fällen, bei welchen
keine Anämie sich entwickelt hat, gefunden wird, lässt schliessen, dass
dieser Mehrverbrauch durch eine Ueberproduktion vollständig gedeckt wird.
Durch unsere Versuche hat dieses Verhalten an sich nichts Merkwürdiges.
Histologische Veränderungen der Erythrozyten.
Was die feinen Veränderungen der roten Blutkörperchen unter der
Thorium X-Wirkung anbetrifft, können wir zum Teil den Befund Arneths
bestätigen. Durch mittelgrosse Thoriumdosen konnten wir auch bei den
Erythrozyten die Entwicklung einer progressiven Polychromatophilie und
Anisozytose konstatieren, die wenige Tage nach der Injektion beginnt
und ihren Höhepunkt um die vierte Woche herum erreicht.
Die Polychromatophilie entwickelt sich derart, dass zuerst ver¬
einzelte leichte Polychromatophile erscheinen, deren Zahl immer grösser
und deren Polychromatophilie immer ausgeprägter wird, sodass man auf
der Höhe des Prozesses 10 und mehr solcher Zellen im Gesichtsfeld
finden kann. Von Anfang an kann man auch beobachten, wie viele von
diesen Zellen die Tendenz haben, sich stark zu vergrössern. Die Aniso¬
zytose verläuft ungefähr mit der Polychromatophilie parallel und die
grössten Exemplare sind immer polychromatophil. Wenn die Polychro¬
matophilie ungefähr auf ihrem Höhepunkt angelangt ist, beginnen basophil
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346
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punktierte ortho- und polychromatische Erythrozyten zu erscheinen, deren
Zahl dann immer grösser und grösser wird, um den Höhepunkt zu er¬
reichen, wenn die Polychromatophilie sich schon deutlich reduziert hat.
Diese beiden Vorgänge verlaufen also nicht parallel. Wie sie Zusammen¬
hängen, müssen wir dahingestellt lassen. Wenn die Punktierung am
stärksten ist (und dann kann man zwischen den Ortho- und Polychro¬
matophilen 10 und mehr solcher Zellen im Gesichtsfeld finden), sind fast
alle vorhandenen Polychromatophilen punktiert. Diese Punktierung ent¬
wickelt sich allmählich; im Anfang ist sie nur angedeutet, wird nachher
immer stärker und dann findet man nebeneinander deutliche fein und
grob punktierte Zellen. Eine Poikilozytose wurde niemals beobachtet.
Die Polychromatophilie, die Punktierung, die Anisozytose dauern
mit Schwankungen eine Zeitlang — ungefähr 2 Wochen — an, um dann
allmählich abzuklingen. Bei allen diesen Vorgängen scheint noch die
Individualität des einzelnen Tieres eine grosse Rolle zu spielen. Nicht
nur in der Zeit, in welcher sie erscheinen und verschwinden, sondern in
der Stärke, wie sie sich ausprägen, kann man die stärksten Variationen
beobachten. Das ist vielleicht davon abhängig, dass man oft schon bei
normalen Kaninchen eine deutliche Polychromatophilie, sowie auch oft
eine Anisozytose feststellen kann. Das ist eine schon mehrfach gemachte
Beobachtung, die wir ebenfalls zu verschiedenen Malen anstellen konnten.
Die Polychromatophilie ist zuweilen derart ausgeprägt, dass man mehrere
Exemplare im Gesichtsfeld finden kann. Dabei können einige Zellen so
stark pychromatiseh sein, dass man sie durch eine oberflächliche Beob¬
achtung für Lymphozyten halten könnte. Alle diese Umstände erschweren
beträchtlich die Beurteilung solcher Vorgänge bei der Thorium X-Wirkung.
Hier möchten wir eine Angabe Arneths näher analysieren.
Er berichtet über einen Fall, in welchem eine zweite Thorium X-Injektion ge¬
macht wurde, folgcndermassen: „Etwa sieben Wochen nach der ersten Injektion
(600000 M.-E.) waren die roten Blutkörperchen noch nicht zu den normalen Ver¬
hältnissen zurückgekehrt. Es war noch fast in jedem Gesichtsfelde ein polychromatischer
Erythrozyt zu finden, auch punktierte, ausserdem geringe Anisozytose und sogar bei
längerem Durchmustern des Präparates ein Normoblast. Es wurde dann dem Tier eine
Dosis von 2000000 M.-E. Thorium X injiziert. Das Resultat war ein umgekehrtes.
Die pathologischen Zellformen schwanden immer mehr aus dem Blutbilde, und 5 bis
6 Tage nach der Einspritzung war der Blutbefund fast normal. Auch noch 3 Wochen
später waren die Roten noch normal; es war keine Anisozytose vorhanden und nur
etwa in jedem zehnten Gesichtsfelde ein Polychromatischer zu finden, das also zu
einer Zeit, in weicher der Höhepunkt der Erythrozytonschädigung durch eine einzige
Injektion zu finden ist.“
Arnetli schliesst dann auf eine gegenteilige Wirkung: „bei vorher
normalem Blutbilde der Erythrozyten erzeugt die Thorium X-Injektion
eine Schädigung desselben, bei vorher geschädigtem Blutbilde dagegen
eine Sanation desselben. u Aus diesem Befunde schliesst er dann noch,
dass die günstige Wirkung des Thorium X bei der perniziösen Anämie
sich so leichter verstehen lässt. Dies sind sicher viel zu weitgehende
Folgerungen. Wir müssen zuerst bemerken, dass die Sanation des durch
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Experimentollc Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usvv. 347
eine erste Thorium X-Einspritzung geschädigten Blutbildes der Erythro¬
zyten durch eine zweite Thorium X-Injektion um so merkwürdiger er¬
scheint, als diese zweite Injektion ungeheuer gross, fast als eine tödliche
zu betrachten war (2000000 M.-E.). Dies würde schon an sich ein
höchst unverständliches biologisches Verhalten sein. Ob das Blutbild der
Roten vor der zweiten Injektion noch durch die erste geschädigt war,
oder ob wir es da nur mit einem zufälligen Befund zu tun haben, sind
Fragen, die nicht zu beantworten sind. Wir haben jedenfalls gesehen,
dass die Polychromasie und die Anisozytose oft bei dem normalen
Kaninchen zu finden sind. Der Normoblast kann auch im peripheren
Blut anscheinend ganz gesunder Kaninchen gefunden werden. Die Haupt¬
sache ist aber, dass Arneth seine Schlüsse nur aus einem einzigen Falle
gezogen hat, einem Falle, in welchem keine Hämoglobinbestimraung und
keine Erythrozytenzählung stattgefunden hat. Bei unseren Experimenten
konnten wir zuweilen durch eine erste oder eine zweite Thorium X-
Injektion die pathologischen Formen der roten Blutkörperchen zum
Schwinden bringen. Dies war aber kein konstanter Befund. In vielen
Fällen konnten wir auch, wenn schon die Erythrozyten normal oder fast
normal waren, durch eine zweite Thorium X-Einspritzung wieder dieselben
pathologischen Veränderungen eintreten sehen. Dass aber, wie Arneth
annimmt, eine zweite, fast tödliche Thorium X-Injektion eine Sanation der
Erythrozyten erzeugen sollte, ist nach all dem, was wir jetzt von der
Thorium X-Wirkung wissen, als unmöglich zurückzuweisen. (Jm den
Vorgang aufzuklären, wäre an die vermehrte Zerstörung von Erythrozyten
in der Milz zu denken. Dass dabei die jungen oder alten, oder besser die
pathologischen Formen, zuerst zugrunde gehen sollten, wäre an sich nicht
wunderlich.
IV. Partielle Ergebnisse.
47. Das Hämoglobin und die Erythrozyten können sich regenerieren
und selbst gewaltig überkompensiort werden, wenn ein Tier unter einer
Thorium X-Wirkung steht, die das Körpergewicht un.d die Leukozyten¬
zahl stark beeinträchtigt.
48. Dieser Umstand ist geeignet zu zeigen, wie wenig das erythro-
poietische System durch die Thorium X-Wirkung geschädigt zu werden
braucht. Der Organismus kann unter der Wirkung des Thorium X intensiv
leiden und dabei das erythropoietische System seine volle Funktion und
selbst eine Hyperfunktion entfalten. Es ist dasselbe, das wir schon für
das leukozytäre System kennen gelernt haben. Diese beiden Vorgänge
sind leicht durch die gefundene Knochenmarkshyperplasie zu erklären.
49. Durch gleichzeitige Blutentnahme kann ein Tier ziemlich grosse
Dosen Thorium X vertragen ohne an Körpergewicht abzunehmen, ja es
kann sogar dabei beträchtlich zunehraen. Dieses Verhalten ist allein auf
die Wirkung der Aderlässe zurückzuführen, weil die Aderlässe für sich
allein imstande sind eine solche Wirkung zu entfalten, und weil die ver¬
abreichten Dosen Thorium X eher eine gewichtserniedrigende Wirkung
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ausüben würden. Wie sich diese beiden Wirkungen zusammen vereinigen,
war nicht möglich aufzuklären. Doch geht daraus hervor, dass zu den
Thorium X-Schädigungen ein Gewichtsverlust nicht zu gehören braucht.
(Eine nächste gleichgrosse Thorium X-Einspritzung zeigt, dass die vorige
nicht schadlos vertragen wurde.)
50. Die Annahme, dass die roten Blutkörperchen wenig unter d$r
Thorium X-Wirkung leiden, weil sie eine lange Lebensdauer besitzen und
so ohne Schaden lange in der Blutbahn verweilen können, kann nur für
die Fälle von hyperakuten schnell tödlich verlaufenden Vergiftungen mit voll¬
ständiger Vernichtung des erythropoietischen Systems angenommen werden.
Bei den anderen Fällen muss aber eine Hyperdestruktion von Erythro¬
zyten angenommen werden, die durch eine Hyperproduktion vollständig
gedeckt werden kann.
Zusammenfassende Hauptschlüsse.
Das Thorium X ist imstande, nicht nur eine akute, unmittelbar
tödliche Vergiftung, sondern auch eine chronische eventuell nach Monaten
tödlich endende Vergiftung zu erzeugen.
Symptome dieser chronischen Thorium X-Schädigung können eine
langdauernde Gewichtsabnahme oder eine langdauernde Anämie oder
Leukopenie sein (in einem Fall hat die Leukopenie fast 3 Monate ge¬
dauert). Diese Symptome können isoliert oder miteinander kombiniert auf-
treten. Sie können auch alle drei fehlen und trotzdem kann das Tier noch
unter der Wirkung des Thorium X leiden. Dies geht daraus hervor,
dass die Einverleibung einer ganz kleinen Dosis Thorium X, die ganz
geringe und vorübergehende Symptome bei einem nicht vorbehandelten
Tiere hervorrufen würde, als zweite Injektion schwere Symptome und
selbst den Tod herbeiführen kann, obgleich das Tier sich anscheinend
in jeder Beziehung von der ersten Injektion vollständig erholt hat (der
Körper kann seit langem frei von Thorium X sein, das Gewicht, das
Hämoglobin, die Erythrozyten- und Leukozytenzahl können schon längst
über die Anfangshöhe hinaufgestiegen sein).
Weder bei der akuten noch bei der chronischen Thorium X-Vergiftung
kann man den Tod des Tieres auf Veränderungen der hämatopoietischen
Organe zurückführen. Dies geht für die akute Vergiftung daraus hervor,
dass die Knochenmarkselemente und besonders die Lymphfollikel der
Milz noch zum grossen Teil erhalten, und dass neben den Zerstörungs¬
vorgängen deutliche Zeichen von Regeneration (Mitosen) zu finden sind,
wenn das Tier unter der Vergiftung stirbt. Dafür spricht auch, dass
man nach Applikation übertödlicher Giftdosen noch weitergehendc Ver¬
änderungen finden, und auch durch Röntgenstrahlen viel stärkere Zer¬
störungen der blutbildenden Organe erzeugen kann, ohne dass die Tiere
unmittelbar daran zugrunde gehen. Was die chronische Vergiftung an-
betriirt, so kann sie keinesfalls in Zusammenhang mit Schädigungen der
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 349
blutbildenden Organe gebracht werden. In solchen Fällen, und selbst
wenn das Tier unter der indirekten Wirkung des Thorium stirbt, findet
man das Knochenmark in hyperplastischem Zustande.
Die Leukopenie hat uns lange irregeführt, den Thorium X-Tod immer
auf die morphologischen Läsionen der häraatopoietischen Organe zurück¬
führen zu wollen. Sie muss jetzt als ein konkomitierendes, neben¬
sächliches Symptom aufgefasst werden. Sie braucht keinesfalls der Aus¬
druck der Vorgänge zu sein, die sich in den blutbildenden Organen ab¬
spielen. Sie kann am stärksten sein, wenn das Knochenmark direkt in
Hyperplasie sich befindet. Ihre untergeordnete Bedeutung geht auch
daraus hervor, dass während ihres Bestehens enorme Eiterungen sich
entwickeln können oder dass eine Pneumonie zu normaler Resolution
kommen kann. Sie kann auch fehlen, wenn das Tier schwer mit Thorium
vergiftet ist. Ungefähr dasselbe gilt für die Vorgänge, die sich an dem
crythropoietischen System abspielen. Das Hämoglobin und die Erythro¬
zyten können sich regenerieren und selbst gewaltig überkompensiert
werden, wenn ein Tier unter einer Thorium X-Wirkung steht, die das
Körpergewicht und die Leukozytenzahl stark beeinträchtigt.
Aus unseren Experimenten müssen wir mit bezug auf die blut¬
bildenden Organe annehmen, dass eine enorm verschiedene, ja eine direkt
entgegengesetzte Wirkung zwischen den Röntgenstrahlen einerseits und
dem Thorium X andererseits besteht. Das Thorium X übt direkt nur
eine als geringfügig zu bezeichnende Wirkung auf das lymphoide Gewebe
aus. Das myeloische Gewebe wird dagegen von ihm früher und intensiver
geschädigt. Dies geht nicht nur aus den anatomischen Läsionen, sondern
auch aus den Blutuntersuchungen während des Lebens hervor. Daraus
erklärt sich auch in vieler Hinsicht die Verschiedenheit ihrer Wirkung bei
einem und demselben Krankheitsfalle.
Erklärungen der Figuren auf Tafel 111.
Figur 1. Mikrophotographie Lumiere. Leitz: Obj. 1 / i2 a, Komp.-Ok. 6, Vergr. 800:1.
Knochenmark des Kaninchens Nr. 8 (akute tödliche Vergiftung). Neben den
Zerstörungsvorgängen deutliche Zeichen von Regeneration (Mitosen).
Figur 2. Leitz: Obj. 5, Ok.O, Tub.175. Eosin-Hämatoxylin. Milz desselben Kaninchens
(akute tödliche Vergiftung). Die Lymphfollikel relativ gut erhalten; die
Hauptveränderungen spielen sich in der Pulpa ab (vgl. Figur 5.)
Figur 3. Leitz: Obj. 3, Ok. 1, Tub. 175. Eosin-Hämatoxylin.J Knochenmark des
Kaninchens Nr. 30 (chronische Vergiftung). Enorme Hyperplasie der
Knochenmarkselemente, die mit einer starken Leukopenie einherging.
Figur 4. Leitz: Obj. 3, Ok. 1, Tub. 175. Eosin-Hämatoxylin. Milz des Kaninchens
Nr. 67 (chronische Vergiftung). Ungeheure Menge von Pigment, Ver¬
minderung der Follikel- und Pulpazellen, Vermehrung des Bindegewebes.
Figur 5. Leitz: Obj. 3, Ok. 0, Tub. 175. Eosin-Hämatoxylin. Milz des Kaninchens
Nr.70 (schwere akute Vergiftung; das Tier ist auf der Höhe der Leukopenie,
7 Tage nach der Thorium X-Einspritzung, getötet worden). Die Lymph¬
follikel fast normal, Hauptschädigungen in der Pulpa.
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Figur 6. Leitz: Obj. 3, Ok. 3, Tub. 14. Hämatoxylin-Eosin. Lymphdrüse— Akute
Thorium X-Vergiftung. Enorme, zahlreiche Blutungen, die Lymphozyten
zum Teil ganz gut erhalten.
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therapie. Ther. d. Gegenw. September 1913. — 43) Falta, Chemische und bio¬
logische Wirkung der strahlenden Materie. Strahlentherapie. Bd. 2. H. 2. — 44)
Falta, Krieser u. Zehner, Ueber die Behandlung der Leukämie mit Thorium X.
Wiener klin. Wochenschr. 1913. Nr. 12. — 45) Dieselben, Behandlung von
Lymphdrüsentumoren mit Thorium X. Med. Klinik. 1912. Nr. 37. —46) Fraenkel,
A., Ueber die Resistenz der farblosen Blutzellen. Berliner klin. W'ochenschr. 1913.
Nr. 42. — 47) Fränkel u. Budde, Histologische, zytologische und serologische
Untersuchungen bei röntgenbestrahlten Meerschweinchen. Fortschr. a. d. Geb. d.
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Polonium. Strahlentherapie. Bd. 3. H. \. — 49) Flürcken, Beiträge zur Therapie
der perniziösen Anämie. Münchener med. Wochenschr. 1914. Nr. 23. — 50) Förster-
ling, Wachstumsstörungen infolge Röntgenbestrahlung. Verhandlungen d. Deutschen
Röntgengesellschaft. 1907. Bd. 3. — 51) Friedrich, Histologische Untersuchung
eines intrauterin mit Röntgenstrahlen bestrahlten menschlichen Fötus. Zeitschr. f.
Röntgenkd. u. Radiumforschung. 1910. H. 12. — 52) Garis, Ueber die Wirkung
der Röntgenstrahlen auf experimentelle Leukozytose. Ref. Zentralbl. f. inn. Med.
1908. Nr. 22. — 53) Görl, Jetzige Behandlung der Leukämie. Ref. Münchener med.
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tions du sang chez les animaux soumis ä l’action des rayons de Röntgen. Arch. gen.
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Berliner klin. Wochenschr. 1912. Nr. 20. — 56) Derselbe, Biologisch-therapeu¬
tische Versuche mit Thorium X und seinen Zerfallsprodukten. Verb. d. deutschen
Kongr. f. innere Med. Wiesbaden 1912. — 57) Derselbe, Einwirkung von Strahlen
und radioaktiven Substanzen auf das Blut. Strahlentherapie. 1913. Bd. 2. — 58)
Derselbe, Ueber Dosierung und Methodik der Anwendung radioaktiver Stoffe bei
inneren Krankheiten und die erzielten Heilwirkungen. Berliner klinische Wochenschr.
1913. Nr. 35. — 59) Gudzent u. Halberstaedter, Ueber berufliche Schädigungen
durch radioaktive Substanzen. Deutsche med. Wochenschr. 1914. Nr. 13. — 60)
Gudzent u. Hügel, Ueber den Einfluss verschieden hoher Dosen von Radium¬
emanation auf das Blutbild. Rad. in Biol. u.Heilk. 1913. Bd. 2. H. 7. — 61) Halber¬
staedter, Experimentelle Untersuchungen an Trypanosomen über die biologische
Strahlenwirkung. Berliner klin. Wochenschr. 1914. Nr. 6. — 62) Heineke, Experi¬
mentelle Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf innere Organe.
Mitteil, aus d. Grenzgeb. der Med. u. Chir. 1905. Bd. 14. — 63) Derselbe, Experi¬
mentelle Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf das Knochen¬
mark usw. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1905. Nr. 78. — 64) Derselbe, Wie ver¬
halten sich die blutbildenden Organe bei der modernen Tiefenbestrahlung? Münchener
med. Woobonschr. 1913. Nr. 48. — 65) Derselbe, Wirkung der Radiumstrahlen
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352
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Ischin u. Dieterle, Einfluss des Röntgenlichtes auf den wachsenden Organismus,
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82) Krönig, Gauss u. Wätgen, Weitere Erfahrungen bei der nicht operativen Be¬
handlung des Krebses. Deutsche med. Wochenschr. 1914. Nr. 15 u. 16. — 83)
Krüger, Zur Frage der Fernwirkung der Röntgenstrahlen. Strahlentherapie. Bd. 3.
H. 2. — 84) Derselbe, Experimentelle Untersuchungen zum Rönigenschutz mit be¬
sonderer Berücksichtigung der Sekundärstrahlenwirkung. Ebenda. 1913. Bd. 3.
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Juli 1913. Bd. 18. — 86) Derselbe, Zur Röntgenbehandlung von Bluterkrankungen.
Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen. 1905. Bd. 8. — 87) Derselbe, Kritische
Beiträge zur Kenntnis der Röntgentieftherapie. Ebenda. 1913. Bd. 20. H. 2. — 88)
Krause, Vergleich der Wirkung von Thoiium X und Röntgenstrahlen. Berliner
klin. Wochenschr. 1913. Nr. 13. — 89) Krause u. Ziegler, Experimentelle Unter¬
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Behandlung, insbesondere der perniziösen Anämie. Berliner klin. Wochenschr. 1912.
Nr. 48. — 91) Derselbe, Moderne Radiumtherapie. Ebenda. 1914. Nr. 14. — 92)
Derselbe, Stand und neue Ziele der Radium-Mesothoriumtherapie. Ebenda. 1914.
Nr. 5 u. 6. — 93) Lazarus-Barlo w, Die Wirkung radioaktiver Substanz uüd deren
Strahlen auf normales und pathologisches Gewebe. Strahlentherapie. Bd. 3. H. 2. —
94) Levy, Ueber Veränderungen der weissen Blutkörperchen nach Zuführung thera¬
peutischer Dosen von Radiumemanation durch Inhalation und Trinken. Radium in
Biologie und Heilkunde. 1912. Bd. 2. H. 1. — 95) Lh er mitte, Les modifications
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Ueber die Indikationen der Rädiumtherapie bei inneren Krankheiten. Strahlentherapie.
Bd. 1. H. 1. — 98) Löhe, Toxikologische Beobachtungen über Thorium X bei
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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 353
Mensch und Tier. Vircbows Arch. 1912. Bd. 209. H. 1 u. 2. — 99) Lommel,
Stoffwechseluntersuchungen bei tödlicher Röntgenbestrahlung. Med. Klinik. 1907.
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1905. Nr. 12. — 101) Derselbe, Das Radium in der Biologie und Medizin. Leipzig
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strahlen. Ref. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen. Bd. 11. — 103) Meseth,
Thorium X bei inneren Krankheiten. Münchener med. Wochenschr. 1913. Nr. 38. —
104) Metzener, Zur Kenntnis der Organotropie bei Thorium X und Thorium B.
Zeitschr. f. klin. Med. 1913. Bd. 77. — 105) Meyer, H., Die Grundlagen der Me¬
thodik der Röntgentherapie in der Gynäkologie. Strahlentherapie. Bd. 1. H. 3. —
106) Meyer u. IJ. Ritter, Experimentelle Studien zur Feststellung eines biologischen
Normalmasses für die Röntgenstrahlenwirkung. Ebenda. Bd.l. H.2. — 107) Miller,
Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung verschieden gefilterter
Röntgenstrahlen. Ebenda. Bd. 2. H. 2. — 108) Müller, C., Operation oder Be¬
strahlung? Münchener med. Wochenschr. 1914. Nr. 22. — 109) Naegeli, Blut¬
krankheiten und Blutdiagnostik. Leipzig 1912. — 110) Nage 1 schmidt, Ucber
1 horiumbehandlung der Leukämie. Deutsche med. Wochenschr. 1912. Nr. 39. —
111) v. Noorden, Die Bedeutung der Therapie mit radioaktiven Substanzen für die
innere Medizin. Strahlentherapie. Bd. 2. H. 1. — 112) Derselbe, Die Anwendung
radioaktiver Substanzen zur Behandlung innerer Erkrankungen. Zeitschr. f. ärztl. Fort¬
bildung. 1913. Nr.2. — 113) Derselbe, Erfahrungen überThorium X-Behandlung bei
inneren Krankheiten. Therap. Monatsh. 1914. H. 1. — 114) v. Noorden u. Falta,
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Dosen von Radiumemanation. Med. Klinik. 1911. Nr. 39. — 115) Dieselben,
Radium in der inneren Medizin mit Anhang über Thorium X. P. Lazarus’ Handb. d.
Radium-Biol. u. Ther. — 116) Nowaczynski, Ueber den Einfluss des Thorium X
auf die Harnsäureausscheidung bei Leukämie. Strahlentherapie. Bd. 1. H. 3. —
117) Orth, Verhandlungen der Berliner medizinischen Gesellschaft. Berliner klin.
Wochenschr. 1912. Nr. 19. — 118) Pappenheim u. Plesch, Experimentelle und
histologische Untersuchungen zur Erforschung der Wirkung des Thorium X auf den
tierischen Organismus. Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. 1913. Bd. 12. H. 1. —
119) Dieselben, Einige Ergebnisse über experimentelle und histologische Unter¬
suchungen zur Wirkung des Thorium X auf den tierischen Organismus. Berliner
klin. Wochenschr. 1912. Nr. 28. — 120) Perthes, Versuche über den Einfluss der
Röntgenstrahlen und Radi umstrahlen auf die Zellteilung. Deutsche med. Wochenschr.
1904. Nr. 17 u. 18. — 121) Plesch, Zur biologischen Wirkung des Thoriums. Ber¬
liner klin. Wochenschr. 1912. Nr. 16. — 122) Derselbe, Fälle von perniziöser
Anämie und Leukämie mit Thorium X behandelt. Ebenda. 1912. Nr. 20. — 123)
Derselbe, Ueber die Dauer der therapeutischen Wirkung des Thorium X. Ebenda.
1912. Nr. 49. — 124) Plesch u. Karczag, Ueber Thorium X-Wirkung. Verh. d.
deutschen Kongr. f. innere Med. Wiesbaden 1912. — 125) Plesch, Karczag u.
Keetmann, Das Thorium X in der Biologie und Pathologie. Zeitschr. f. exper. Path.
u. Ther. 1913. Bd. 12. H. 1. — 126) Peters, Die Wirkung lokalisierter in Inter¬
vallen erfolgender Röntgenbestrahlung auf Blut, blutbildende Organe, Nieren und
Testikel. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen. Bd. 16. — 127) Pinkuss, Zur
Behandlung des inoperablen Karzinoms mit Mesothorium und kombinierten Behand¬
lungsmethoden. Deutsche med. Wochenschr. 1912. Nr. 32. — 128) R^gaud,
Nogier u. Lacassagne, zit. nach Wetterer. Handbuch der Röntgentherapie.
1913—1914. — 129) Reifferscheid, zit. nach Sippel. Münchener med. Wochen¬
schrift. 1913. Nr. 40. — 130) R^non, Die Radiumtherapie der myeloiden Leukämie.
Semaine med. 1913. Ref. Strahlentherapie. Bd.l. — 131) Rönon, Degrais,
Dreyfus, Radiumtherapie der myeloiden Leukämie. Ebenda. Bd. 3. H. 2. — 132)
R£non, Degrais u. Thibaut, Ueber die Wirkung des Radiums auf die myeloide
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354 A. da SILVA MELLO, Exper.Untersuch, üb. d. biolog. Wirkung d.Thorium X.
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Leukämie und Extirpation der Milz. Journ. de physioth. 1913. Nr. 130. Bd. 1.
Strahlentherapie. — 133) Ritter, Klinische Beobachtungen über die Beeinflussung
der Ovarien durch Röntgenstrahlen. Strahlentherapie. Bd. 1. H. 1. — 134) Rosen-
stein, Verhandlungen der Berliner med. Gesellschaft, 10. Dezember 1913. Berliner
klin. Wochenschr. 1913. Nr. 51. — 135) Rost u. Krüger, Experimentelle Unter¬
suchungen über die Wirkungen von Thorium X auf die Keimdrüsen der Kaninchen.
Strahlentherapie. Bd. 4. H. 1. — 136) Rudberg, Studien über die Thymus¬
involution. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. 1907. Suppl. — 137) Salle u.
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Med. 1913. Bd. 78. — 138) Dieselben, Zur biologischen Wirkung von Thorium X.
Strahlentherapie. 1913. Bd. 3. H. 1. — 139) Schaper, Experimentelle Unter¬
suchungen über die Wirkung des Radiums auf die embryonalen und regenerativen Ent¬
wicklungsvorgänge. Deutsche med.Wochenschr. 1904. — 140) Schmid u. Gerönne,
Die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf die weissen Blutzellen und Mikrophotogra¬
phien mit ultraviolettem Licht. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstrahlen. 1907. Bd. 11. —
141) Albers-Schönberg, Das Problem der Heilwirkung der Röntgenstrahlen. Zeit¬
schrift f. ärztl. Fortbildung. 1914. H. 1. — 142) Schüler, Ueber die Wirkungen
von Radium auf Milztumoren. Berliner klin. Wochenschr. 1914. Nr. 7. — .143)
Sebileau, Action des rayons X sur la gestation. Semaine möd. 1906. Nr. 56. —
144) Senn, Nicholas, Case of splenomedullary leukaemic successfully treated by
the use of the Röntgen ray. Med. Rec. 1913. Vol. 64. No. 8. — 145) v. Seuffert,
Heutiger Stand, Probleme und Grenzen der Strahlenbehandlung des Krebses. Strahlen¬
therapie. April 1914. Bd. 4. — 146) Sippel, Die Behandlung der Uterusmyome mit
Röntgenstrahlen. Münchener med. Woohenschr. 1913. Nr. 40. — 147) Sticker, A.,
Radium- und Mesothoriumbestrahlung. Ihre theoretischen Grundlagen und ihre prak¬
tische Anwendung in der Heilkunde. Strahlentherapie. Bd. 3. H. 1. — 148) Strauss,
Strahlentherapie. Med. Klinik. 1913. Nr. 50 u. 51 und 1914. Nr. 15 u. 16. — 149)
Derselbe, Beiträge zur Klinik der Hämatologie. Berliner klin.„Wochenschr. 1913.
Nr. 32. — 150) Prado-Tagle, Beitrag zur ambulatorischen Trinkkurbehandlung
mit Thorium X bei perniziöser Anämie. Ebenda. 1912. Nr. 52. — 151) Tatarsky,
Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf
tierisches Blut. Zeitschr. f. med. Elektrologie u. Röntgenkde. 1907. Bd. 19. — 152)
Thies, A., Wirkung der Radiumstrahlen auf verschiedene Gewebe und Organe.
Mitteil, aus d. Grenzgeb. 1905. Bd. 14. — 153) Tschernorutzky, Ueber den Ein¬
fluss grosser Thorium X-Dosen bei experimenteller Anämie. Internat. Beiträge der
Ernährungsstörungen. 1913. Bd. 4. Ref. Rad. in Biol. u. Heilkde. 1913. Bd. 2. —
154) Warthin, Ueber die in leukämischen Geweben durch Röntgenstrahlung hervor¬
gerufenen Veränderungen. Strahlentherapie. 1914. Bd. 4. H. 2. — 155) v. Wasser¬
mann, A., Analyso der Wirkung radioaktiver Substanzen auf Mäusekrebs. Deutsche
med. Wochenschr. 1914. Nr. 11. — 156) Wedd u. Russ, zit. nach Lazarus-Barlow.
Strahlentherapie. Bd. 3. H. 2. — 157) Wermel, Ueber die Eigenschaften des Blutes
bzw. Serums nach Einwirkung der Röntgenstrahlen. Münchener med. Woohenschr.
1914. Nr. 6. — 158) Werner und Werner u. Ascher, Ueber die chemische Imi¬
tation der Strahlenwirkung und ihre Verwertbarkeit zur Unterstützung der Radio¬
therapie. Strahlentherapie. Bd. 1. H. 4. — 159) Wetterer, Handbuch der Röntgen¬
therapie. Leipzig 1913—1914. — 160) Wich mann, L., Allgemeine histologische
Veränderungen der Gewebe unter dem Einfluss der Strahlenwirkung. Berliner klin.
Wochenschr. 1913. Nr. 22 u. 23. — 161) Wöhler, Experimentelle Beiträge zur
Wirkung der Röntgenstrahlen auf menschliches Blut. Inaug.-Dissert. 1908. — 162)
Ziegler, Ueber die klinischen und histologischen Folgeerscheinungen isolierter
Milzbestrahlung mit Röntgenstrahlen. Zeitschr. f. Elektr. u. Röntgenkunde. 1907. Bd.9.
Druck von L. Schuma« her in Berlin N, 4.
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r
TuMl.
Fig.6
£■ Laue. Liik Inst Berlin.
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XVI.
Aus dem biochemischen Laboratorium (Prof. Dr. M. Jacobv) des städtischen
Krankenhauses Moabit in Berlin.
Ueber das Wesen der experimentellen Ausschwemnuings-
nephritis (Pohl) nach Uran Vergiftung.
Von
L. Dünner.
Urämie ist chemisch durch Harnverrainderung und Retention charak¬
terisiert. Sie wird sowohl klinisch wie experimentell bei bestimmten
Nierenschädigungen beobachtet und kann als ein wohlbekanntes Krank¬
heitsbild in der Nierenpathologie gelten. Um so interessanter sind
Beobachtungen, die Pohl vor einigen Jahren mitteilte, und die aus ver¬
schiedenen Gründen Gegenstand weiterer Untersuchung von anderer Seite
geworden sind; denn die Pohlschen Experimente brachten ganz neue
Gesichtspunkte zu der Frage der Urämie, insofern sie Folgeerscheinung
der subakuten und chronischen Nephritis ist. Pohl fand nämlich, dass
das äusserst starke Gift des Urannitrates in ganz geringen Dosen, etwa
0,00035 g, Kaninchen von mittlerem Gewicht subkutan injiziert ein merk¬
würdiges Krankheitsbild hervorrief: In den ersten Tagen nach der Ein¬
spritzung bleibt die Menge des Urins, der Eiweiss enthält, unverändert
und auch die täglichen N- und NaCl-Mengen bewegen sich innerhalb
derselben Grenzen wie vorher, um aber dann nach etwa 7—9 Tagen
einen anderen Charakter anzunehmen. Es erfolgt nämlich eine recht
starke Polyurie, die manchmal sogar das Doppelte, Dreifache und Vier¬
fache der gewöhnlichen Harnmenge liefert. Mit der starken Polyurie
geht eine erhöhte Ausschwemmung von N und NaCI einher. Dieser
Zustand bleibt mehr oder weniger bis zum Tode der Versuchstiere be¬
stehen, der ungefähr nach 14 Tagen erfolgt. Der Urin enthält vom
Beginn der Vergiftung an Eiweiss, der prozentuale Gehalt geht allerdings
im Verlaufe der Krankheit entsprechend der Steigerung der Polyurie
herunter; jedenfalls aber ist Albumen bis zum Exitus der Kaninchen
nachzuweisen. Die Nierensymptome sind um so imponierender, als
in der Zeit der gesteigerten Ausscheidung an Wasser, N und NaCI die
Kaninchen nicht mehr Futter und speziell nicht mehr Wasser zu sich
nehmen; im Gegenteil, mit Fortschreiten des Krankheitsbildes nimmt die
Fresslust immer mehr ab. Unter stetigem Gewichtsverlust sterben die
Tiere in vollkommen atrophischem Zustand bei dauernder Harn-
sekretion. So ergibt sich, wie man aus den Pohlschen Versuchen cr-
Zeitschr. f. klin Medizin. 81. Bd. H. o u. 6 . 91
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356 L. DÜNNER,
sehen kann, ein Symptomenkomplex, bei dem sieh vergleichende Be¬
trachtungen mit dem üblichen Bilde der Urämie aufdrängen, und man
kommt zu dem Resultat, dass die Uranvergiftung (in bestimmter Kon¬
zentration) und die Urämie entgegengesetzte Symptome darbieten; auf
der einen Seite Harnflut, Ausschwemmungen von N und NaCl, auf der
anderen Harnverminderung bzw. Anurie, Retention von N und ev. auch
von NaCl. Die Pohlschc Nephritis verdient noch aus einem anderen
Grunde besonderes Interesse: Der charakteristische Symptomenkomplex
der Ausschwemmung entwickelt sich nämlich nicht akut im direkten
Anschluss an die Vergiftung, sondern setzt erst nach einigen Tagen ein.
Es handelt sich also um eine subakute Nephritis. Pohl konnte in einer
grösseren Versuchsreihe immer wieder die subakute Nephritis erzeugen,
auf die nach einigen Tagen die Polyurie folgt, unter der die Tiere
schliesslich zugrunde gehen. Um das Wesen dieser Affektion noch ge¬
nauer zu präzisieren, insbesondere um die Herkunft der grossen Urin¬
menge zu eruieren, verminderte Pohl bei einigen mit Uran vergifteten
Tieren die übliche Tageswasserration. Trotz der verminderten Wasser¬
zufuhr stellt sich die Polyurie prompt ein und hält sich bis zum Tode.
Diese Tiere scheiden durch den Harn mehr Wasser aus, als sie auf¬
nehmen. Auch die Chlorentziehung scheint nicht, nach Pohl, die
letzte Ursache der subakuten Urannephritis zu sein; denn Kochsalzzufuhr
schützt nicht vor dem letalen Ausgang. Er vermutet daher, dass viel¬
leicht in der Niere selbst die Bedingungen liegen, die die Polyurie im
Gefolge haben. Daher unterwarf er die Nieren einer weitgehenden
mikroskopischen Untersuchung.
Er fand immer nach 10—14 Tagen dauernder Erkrankung folgendes: Die Glome-
ruli erschienen völlig intakt, die Schlingen prall der ganzen Kapsel anliegend, hin¬
gegen die Tubuli contorti hochgradig verändert. Das Epithel derselben entweder
nekrotisch oder fehlend. Die Tunica propria blossliegend. Wo die Epithelzellen mit
normaler Farbspeickerungsfahigkeit noch vorhanden, sind sie niedrig und abgeplattet.
Auch in der Medullaris fällt die Epithelverarmung als das Wesentliche auf. Die
tubuläre Struktur des Gewebes ist ganz verloren gegangen und ist einem alveolären
Bau gewichen. Die Niere sieht wie durchlöchert, gepinselt aus. Aus seinen Abbil¬
dungen glaubt Pohl schliessen zu dürfen, dass die erwähnten nekrobiotischen Epi-
tholien mit dem Harnstrom ausgeschwemmt werden, dass ausserdem durch die starke
Glomerularsekretion eine Dilatation der Harnkanälchen gesetzt wird.
Der pathologische Befund lässt in Pohl den Gedanken auftauchen —
er erklärt selbst, dass er ihn keineswegs als bewiesen ansieht —, dass
die Polyurie in ursächliche Beziehung mit dem Fehlen der Epithelien ge¬
bracht werden kann, derart, dass der dünne Harn das Gloraerulusfiltrat
darstellt, das nichts mit der harnausscheidenden Fähigkeit zu tun hat, das
durch den Fortfall der Epithelien der Rückresorption entgangen ist.
Die pathologische Morphologie der Nioren bei subakuter Urannephritis, wie sie
Pohl angibt, ist in der Folgezeit nicht unwidersprochen geblieben. Aus dem
Aschoffschen Institut in Freiburg publizierte Baehr Arbeiten, die die Anatomie der
Urannephritis behandelten. Baehr kommt zu anderen Resultaten wie Pohl.
Qrigiral from _
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Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 357
Hier soll auf dieses Thema nicht näher eingegangen werden, da es in einer anderen
Publikation, die gemeinsam mit Herrn Dr. Siegfried, der den anatomischen Teil
meinerTierversuche übernommen hat, erfolgt, ohnedies im Zusammenhang erörtert wird.
Für die folgenden Betrachtungen ist diese anatomische Meinungs¬
differenz zunächst nicht direkt von Bedeutung. Wir können uns mit den
biologisch interessanten Faktoren, die Pohl gefunden hat, vorerst be¬
scheiden, dass, um es nochmals kurz zu rekapitulieren, ein mit einer be¬
stimmten Menge Urannitrat vergiftetes Tier nach einiger Zeit starke
Polyurie bekommt, die bis zum Ende anhält. Begleitet ist die Polyurie
von einer erhöhten Ausscheidung von N und unter deutlicher Chlorver¬
armung kommen die Tiere zum Exitus. Der Gegensatz zwischen dem
geläufigen Bilde der Urämie und der Pohlschon subakuten Nephritis ist
eklatant. Die Studien Pohls veranlassen eine Reihe interessanter Fragen,
deren Beantwortung in der vorliegenden Arbeit versucht werden soll.
1. Zunächst musste eine Nachprüfung der PohIschen Experimente
gemacht werden.
2. Bei der Pohlschen Urannephritis findet man neben den Symptomen,
die wie die Albuminurie die Erkrankung der Nieren überhaupt anzeigen,
eine erhebliche Ausschwemmung von Körpcrbestandteilen. Man muss sich
nun fragen, ob diese Ausschwemmung eine Folge der gestörten Nierentätig¬
keit ist, oder ob sie eine ausser der Nierenschädigung durch das Uran be¬
wirkte Schädigung anderer Organe ist. Es ist klar, dass es für die Patho¬
logie der Nierenkrankheiten von grosser Bedeutung sein muss, wenn schwere
Konsumption von Körpersubstanz durch eine primäre Nierenschädigung
möglich ist. Der Lösung dieser Frage ist der zweite Teil gewidmet.
Der 3. Abschnitt soll Aufschluss geben, ob es möglich ist, die Pohlsche
Nephritis pharmakologisch durch Kalksalzc und Kochsalz zu beeinflussen.
I. Nachprüfung der Pohlschen Versuche.
Wir haben zunächst einige Tierversucho gemacht, die lediglich eine
Nachprüfung der Pohlschen Experimente darstellen sollten, weil wir für
unsere weiteren Versuche wissen mussten, ob und inwieweit individuelle
Schwankungen möglich sind. Dazu sahen wir uns um so mehr ver¬
anlasst, als Baehr in seinen Arbeiten einzelne mit Uran vergiftete Tiere
sah, deren Nephritis sich nicht mit dem im allgemeinen beobachteten
Krankheitsbild deckte. Unsere reinen Pohl-Tiere dienten gleichzeitig als
Kontrollen für andere Versuche. Der Verlauf der Vergiftung gestaltete
sich derartig, dass er eine gesonderte Besprechung erfordert, der wir
einige Bemerkungen über die Haltung der Tiere und die chemischen
Untersuchungsmethoden vorausschicken wollen.
Wir haben, soweit es sich durchführen liess, Tiere von möglichst gleichem Ge¬
wicht in Stoffwechselkäfigen gehalten, die es gestatten, den gesamten Urin von
24 Stunden genau zu sammeln. Die Tiere wurden jeden Tag gewogen. Noch ehe
die Vorperiode des Versuches angefangen wurde, liessen wir die Kaninchen einige
Tage zur Gewichtseinstellung bei einer bestimmten Nahrung, für die wir im allge-
24*
Digitized b'
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
358 L. DÜNNER,
meinen Hafer und Wasser bestimmten. Auf die Verabreichung von Rüben glaubten wir
verziohten zu müssen, weil, wie auch schon Pohl erwähnt, Rüben zu viel Wasser ent¬
halten, und es darauf ankommt, die Unabhängigkeit der Polyurie von dem zugeführten
Wasser darzutun. Stattjder Rüben gaben wir den Tieren Hafer, der wasserarm ist.
Im Verlauf unserer Versuche haben wir als tägliche Nahrung 90 g Hafer und 90 ccm
Wasser als Jausreichend kennen gelernt. Die nicht eingenommene Hafer- und Wasser¬
menge wurde nach 24StundenJzurückgewogen bzw. gemessen. Aus den Tabellen ist er¬
sichtlich, dass nicht immer alles angebotene Futter bzw. Wasser von den Tieren genom¬
men wurde. Die in den Tabellen angeführten Zahlen sind die tatsächlich gefressenen
und getrunkenen Quantitäten. Eine Gewichtseinstellung der Tiere gelingt nun bei einer
solchen Nahrung in wenigen Tagen. Es ist empfehlenswert, den Urin der Kaninchen auch
schon in dieser Periode täglich auf Eiweiss, Zucker und Blut zu untersuchen. Wir haben
des öfteren die unangenehme Beobachtung machen müssen, dass, noch ehe die eigent¬
lichen Versuche begannen, der Urin Albumen enthielt. Solche Tiere müssen selbstver¬
ständlich aus dem Versuch ausscheiden. Andere Kaninchen wieder bekamen plötzlich
kurz nach der Einstellung Albuminurie, noch ehe ihnen eine Injektion mit Urannitrat ge¬
geben worden war. Auch diese müssen als zum Versuch untauglich ausscheiden. Es ist
dringend notwendig, dass die Vorsichtsmassregeln peinlichst innegehalten werden.
Mit Beginn der eigentlichen Vorperiode werden dann ausser den täglichen
Eiweiss-, Zucker- und Blutuntersuchungen das spezifische Gewicht, die Reaktion und
die ausgeschiedenen N- und NaCl-Mengen bestimmt. Wurde von den Tieren, wie das
besonders in der Vorperiode der Fall ist, an einem Tage zu wenig oder gar kein
Urin gelassen, so wurde die Untersuchung mit dem Sammelurin von 2 oder 3 Tagen
vorgenommen. In dem Glas, in dem der Urin gesammelt wurde, befand sich stets etwas
Toluol, um ihn vor Zersetzung zu schützen und die Verdunstung des Urins zu ver¬
hindern. Die chemischen Untersuchungen haben wir stets am zeptrifugierten Urin,
nachdem die Menge bestimmt war, vorgenommen.
D6r Stickstoff wurde nach Kjeldahl, das NaCl nach Larsson bestimmt. Fand
sich (nach der Injektion) Eiweiss im Urin, so wurde er für den Kjeldahl enteiweisst.
Wir benutzten dazu die von Pohl in seiner Arbeit empfohlene Methode mit gesättigter
reinster Magnesiumsulfatlösung. Zum Enteiweissen nimmt man gleiche Mengen des
Urins und der Magnesiumsulfatlösung + 1 Tropfen 33proz. Essigsäure und erwärmt
vorsichtig. Es entsteht dann eine Trübung. Die Flüssigkeit lässt man abkühlen, fil¬
triert und nimmt dann eine bestimmte Menge zur N-Bestimmung. Die Methode ist,
wie wir uns überzeugen konnten, sehr gut. (Man darf später bei der Berechnung des
N nicht vergessen, die erhaltenen Werte mit 2 zu multiplizieren, -da man einen zur
Hälfte verdünnten Urin zur Bestimmung angesetzt hat.)
Die Bestimmung des Kochsalzes nahmen wir nach Larsson vor, indem wir
den (zentrifugierten) Urin mit so viel reinster Tierkohle mischten, dass er gerade un¬
durchsichtig wurde und seine Eigenfarbe verlor. Von dem dann filtrierten Harn, der
ganz klar sein muss, nimmt man eine bestimmte Menge, gewöhnlich 10 ccm, verdünnt
auf etwa 50 — 100 und fügt einen Tropfen halogenfreie Salpetersäure hinzu. Es folgt
Alkalisiercn mit Calcium carbonicum, einigo Minuten stehen lassen und schliesslich
Titrieren mit 1 / 10 Argentum nitricum unter Benutzung einiger Tropfen gesättigter
Kal. chrom.-Lösung, die der Flüssigkeit eine zeisiggelbe Farbe verleiht. Die Titration
ist beendet, sobald diese zeisiggelbe Farbe einen Stich ins Rosa bekommt. Der ge¬
fundene Titrationswert zeigt die in 1 ccm Urin — falls zur Bestimmung 10 ccm ver¬
wandt wurden — enthaltene Kochsalzmenge an. Ist der Urin sehr hochgestellt oder
steht nur eine geringe Harnmenge zur Untersuchung zur Verfügung, so empfiehlt es
sich, den Urin vor der Reinigung mit Tierkohle auf die Hälfte zu verdünnen. Die Be¬
rechnung der NaCl-Werte ändert sich dann dementsprechend. Diese Larssonsche
Methode ist nach den Erfahrungen unseres Laboratoriums sowohl bei eiweissfreien wie
auch bei eiweisshaltigen I nnen anzuwenden. Eine Enteiweissung ist darum überflüssig.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Wesen d. experimentellen Ausschwemnningsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 359
Zur Untersuchung aut Eiweiss, Blut, Zucker, Azeton und Azotessigsäuro wurden
die üblichen chemischen Methoden herangezogen. Selbstverständlich wurden die
Sedimente immer mikroskopiert.
Pohls Versuch Nr. 3.
Versuchstage
Gewicht
Harnmenge
Eiweissgehalt
pM.
N pro die
CI pro die
Normaltag
1420
23
0,533
14 ccm VtoAgNOg.
1
—
24
—
0,368
10,1
2
—
—
—
_
—
3
—
23
—
0,331
—
4
—
49
6
0,5G
15,6
5
—
23
5,6
0,28
—
6
—
17
0,8 !
0,26
5,1
7
—
79
0,5 |
0,64
I 41,0
8
1120
70
0,2
0,87
21,0
9
1100
105
0,2
1,28
17,8
10
1000
105
0,1
1,48
2,1
11
960
92
0,1
1,45 |
1,84
12
900
93
Spur.
1,56
1,86
13
850
117
Opaleszenz.
1,98
5,5
14
760
73
—
1,06
2,3
Tier Nr. 263.
Go-
Urin
Datum
Hafer
Wasser
Spez.
Gew.
Alb. und
Zylinder
NaCl
N
wicht
Menge
Reakt.
Sang.
15. 1.
16. 1.
2060
2050
60
60
100
60
} 35
V
s.
—
0,042
0,042
0,336
0,336
17. 1.
2020
50
60
} 34
0,081
0,513
18. 1.
2030
30
45
s.
0,081
0,513
19. 1.
2000
20
40
1
1
0,081
0,788
20. 1.
Subkatane Injektion yon0,5 ccra
Uran (0,07 proz.).
} 45
1052
s.
_
2000
50
100 j
1
0,081
0,788
21. 1.
1950
—
120
0,087
0,392
22. 1.
1910
30
90
J 50
1
1050
+
0,087
0,392
23. 1.
1850
30
90
s.
0,087
0,392
24. 1.
1820
10
120
0,087
0,392
25. 1.
1850
20
50
35 9
1043 ; s.
+
—
0,231
1,130
26. 1.
1770
10
50
} 52
1043
+
%
0,057
0,987
27.1.
1650
20
60
s.
0,057
0,987
28. 1.
1620
30
50
} 37
1047
+
0,077
0,730
29. 1.
1600
10
20
s.
0,077
0,730
30. 1.
31. 1.
1500
1550
30
50
90
90
} 35
1045
s.
+
—
0,150
0,150
0,842
0,842
1.2.
1450
10
10
} 30
1060
+
0,054
0,886
2. 2.
1430
10
120
s .
0,054
0,886
3. 2.
1410
10
40
1
1
0,026
1,310
4. 2.
1380
—
20
} 80
1055 , s.
+
—
0,026
1,310
5. 2.
1330
30
20
1
0,026
1,310
6. 2.
1320
60
120
45
1035
s.
+ i
—
0,162
1,108
7. 2.
8. 2.
1350
1350
50
40
120
90
} 60
1030 . s.
+!
—
0,043
0,043
0,672
0,672
9. 2.
1270
?
y
55
1020 s.
+
—
0,316
1,170
10.2.
1170
Morgens tot
33
gefunden
in der
1
Blase
1
l ) Enthält Zucker.
Difitized by
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
360
L. DI NNER,
Tier Nr. 276.
Ge-
Urin
"
Datura
Hafer
Wasser
NaCl
N
wicht
Menge
Gew.
Reakt.
Zylinder
Sang.
1.3.
2320
40
120
70
1035
s.
0,168
1,807
2. 3.
2250
100
90
52
1050
s.
—
—
0,156
1,477
3. 3.
2270
100
90
45
1050
s.
—
—
0,099
1,345
4. 3.
2300
30
90
0,102
0,872
Injektion von 0,5 ccm Uran
1
(0,07 proz.)
JllO
1040
s.
_
_
5. 3.
2300
70
90
0,102
0,872
6. 3.
2350
70
90 *
)
0,102
0,872
7. 3.
2270
50
90
50
1035
s.
—
—
0,060
1,354
8. 3.
2270
50
90
35
1040
s.
+
—
0,014
0,946
9.3.
2270
60
90
85
1030
s.
+
—
0,170
1,273
10. 3.
2190
40
90
61
1030
s.
+
—
0,244
0,992i)
11.3.
2170
80
90
55
1026
s.
+
i
—
0,132
0,826
12.3.
2120
90
75
l Af\
i nan
0,080
0,406
13. 3.
2070
70
50
lUoU
s.
-r
0,080
0,406
14. 3.
2070
90
65
55
1030
s.
+
Sp.
0,044
1,497
15.3.
16. 3.
2000
2000
90
70
80
60
} 48
1030
s.
+
0,038
0,038
0,762
0,762
17. 3.
18. 3.
1900
1900
75
50
60
5
} 64
1045
s.
+
0,044
0,044
1,153
1,153
19. 3.
1950
45
90
l 7 K
min
i
0,022
1,194
20. 3.
1940
60
85
( 70
lUdU
s.
+
0,022
1,194
21.3.
1920
60
85
1 93
1038
+
0,018
0,863
22. 3.
1950
70
90
s.
—
0,018
0,863
23. 3.
1870
40
40
1
1
0,018
0,863
24. 3.
1870
40
45
|
0,021
0,982
25. 3.
1900
60
85
108
1035
s.
+
—
0,021
0,982
26. 3.
1910
50
90
1
0,021
0,982
27, 3.
28. 3.
1820
1900
70
50
90
60
} 64
1043
s.
; +
—
0,016
0,016
1,048
1,048
29.3.
1870
50
50
+
0,065
0,887
30. 3.
1865
25
60
> oo
1U40
s.
0,065
0,887
31.3.
1820
20
60
l ßO
moi
i
0,148
0,889
1.4.
1800
15
90
IvO 1
s.
0,148
0,889
2.4.
1750
20
90
52
1037
s.
+
—
0,280
1,808
3.4.
1700
30
90
65
1025
s.
+
—
0,143
1,274
4. 4.
5. 4.
1720
1670
10
5
35
35
} 46
1045
s.
+
—
0,032
0,032
0,698
0,698
6. 4.
1660
10
55
58
1030
s.
+
—
2 )
7. 4.
1585
15
55 !
88
1035
s.
+
—
0,121
2,408
8. 4.
1460
20 .
80
90
1037
s.
+
—
0,234
2,520
9. 4.
1460
25
50
85
1028
s.
+
—
0,130
2,134
10. 4.
1460
30
60
90
1030
s.
+
—
0,090
2,116
11.4.
1440
0
0
90
1030
s.
+
—
0,080
1,663
12.4.
Gestorben
56
1030
s.
i- i
—
0,100
1,379
J ) Zucker vorhanden. 2 ) Versehentlich fortgeschüttct.
Tier Nr. 265.
16. 1.
2120
150
100
60
1050
8. ' -
0,264
1,848
17. 1.
2020
90
100
} 75
1032
0,097
0,672
18.1.
2100
160
100
s. | —
0,097
0,672
19. 1.
2050
90
100
0,090
0,441
Subkutane Injektion von 0,5 ccm
Uran (0,07 proz.).
1 50 ;
1021
—
20. 1.
1950
120
100
1
0,090
0,441
21. 1.
1970
130
120
' 75
1010
s - +
+
0,060
0,084
22. 1.
1980
110
120
0,060
0,084
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnepluitis (Pohl) nach Uranvergiftung. 361
Datum
Ge¬
wicht
Hafer
Wasser
Urin
NaCl
N
Menge
Spez.
Gew.
Rcakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
23.1.
1960
100
120
l Af\ 1\
1
0,092
0,288
24.1.
1920
90
100
> 4U
s.
”+*
0,092
0,288
25. 1.
1770
100
100
30
1010
s.
+
—
0,030
0,194
26.1.
1800
120
120
66
1020
s.
+
—
0,198
1,004
27.1.
1780
110
120
58
1018 |
s.
+
0,162
0,790
28. 1.
1730
110
120
163
1016 |
s.
Sp.
—
0,362
2,418
29.1.
1650
10
120
115
1018 |
s.
Sp. 1
—
0,092
1,661
30. 1.
1550
—
—
110
1020 ;
s.
Sp. 1
—
0,110
1,749
31. 1.
Morgen
s tot gefunden
i
i
i
U Etwas Urin verloren gegangen.
Wenn man die drei letzten Tabellen miteinander vergleicht, so repräsen¬
tiert jedes Tier einen besonderen Typ, der sich zwar nicht in krassem
Gegensatz zu den anderen verhält, aber doch in mancher Beziehung bei be¬
stimmten Berührungspunkten ein eigenes Gepräge zeigt. Der besseren
Uebersicht halber ist den Versuchen eine Tabelle der Pohlschen Arbeit
vorangestellt. Ihnen allen ist gemein, dass sie bei vollkommen offenen
Harnwegen zum Exitus kommen, dass bestimmt bei allen Oligurie oder
gar Anurie nicht vorkommt. Während nun bei den Tieren bei Pohl
einige Tage nach der Vergiftung eine unzweideutige Polyurie auftritt,
bewegt sich bei 263 die täglich ausgeschiedene Menge mehr oder
weniger in den alten Grenzen wie vor der Vergiftung. Von einer
Polyurie im eigentlichen Sinne des Wortes kann hier also nicht die
Rede sein, und die Urinmengen sind um so weniger imponierend,
wenn man sic mit den getrunkenen Wassermengen vergleicht. Eine
grössere Flüssigkeitsausgabe als -einnahme lässt das Protokoll nicht
erkennen. Nur der letzte Lebenstag weist 88 ccm Urin auf. Damit
stimmt auch das spezifische Gewicht von 1020 sehr wohl überein, das
niedrigste, das überhaupt während des ganzen Versuches gefunden wurde.
Eine eklatante Ausschwemmung des NaCl ist ebenfalls nicht zu kon¬
statieren. Dahingegen steigen die N-Wertc ganz deutlich. Das Tier
lebte im ganzen nach der Vergiftung noch 21 Tage.
Die Rubrizierung des Tieres 276 in das Schema bereitet grosse
Schwierigkeit. Die Polyurie ist erst in den letzten Tagen angedcutet.
Das Tier lebt auffallend lange, 38 Tage nach der Vergiftung, und die
N- und NaCl-TabclIe lässt verschiedene Perioden erkennen, in denen
Vermehrung und Verminderung von N und NaCl abwcchscln, um aller¬
dings mit einer deutlichen Ausschwemmung des N zu schlicssen, unter
der das Tier eingeht.
Während also die Tiere 263 und 276 mancherlei Unteschiede aufweisen,
die sie von den Pohlschen Tieren trennen, bestehen bei 265 Symptome,
die sich dem Typus Pohl schon wesentlich nähern. Bei diesem Tier
finden wir eine reguläre Polyurie, eine allmähliche, wenn auch nicht
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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362 L. DÜNNER,
regelmässige Vermehrung der täglich ausgeschiedenen N- und NaCl-
Mengen bis zum Tode, der nach 11 Tagen erfolgt. So erscheint dieser
Versuch als positive Bestätigung des Po hl sehen Typus.
Es war nun natürlich sehr interessant, dass von drei Nachprüfungen
der Pohlschen Experimente nur eine vollkommen im Sinne Pohls aus¬
fiel, während die beiden anderen Abweichungen, wenn auch nicht prin¬
zipieller Art, von der Pohlschen subakuten Nephritis aufwiesen. Man
hätte an einen Versuchsfehler denken können, den wir aber bei der Kritik
aller Eingriffe, Methoden usw. ausschliessen zu können glauben. Dabei
richteten wir unser Augenmerk besonders auf die eingespritzten Mengen
des Urannitrates. Man musste daran denken, dass ein Zuviel oder Zu¬
wenig den ganzen Ablauf des Versuches ändern könne. Das dürfte nicht in
Frage kommen. Pohl selbst ist allem Anschein nach nicht allzu ängstlich
bei der Menge des cinzuverleibenden Urans gewesen. Er injizierte fast
allen seinen Kaninchen 0,5 der 0,07 proz. Urannitratlösung subkutan und
erreichte bei ihnen allen, die verschieden schwer waren, das gleiche Ver¬
giftungsbild. Die Gewichtsdifferenzen der Versuchstiere scheinen dem¬
nach in gewissen Grenzen irrelevant zu sein. Auch die Reinheit des in¬
jizierten Urannitrates war nicht anzuschuldigen. Wie mir Herr Prof. Jacoby
mitteilte, hat er mit Uranpräparaten, die zwar aus derselben Fabrik,
aber aus verschiedenen Zeiten stammten — es handelte sich dabei
um die Bearbeitung einer anderen Frage —, widersprechende Resultate
erzielt. Man hätte also erwägen können, ob Pohl odfer wir mit
einem nicht ganz reinen Uranpräparat gearbeitet hatten. Das dürfte
wohl nicht der Fall sein, da nicht alle unsere Urantierc einen anderen
Krankheitsverlauf genommen haben, wie die Pohls. Eines der Tiere
verhielt sich genau wie die Pohlschen Tiere, und dieses eine war mit
demselben Präparat gespritzt worden, wie die beiden abweichenden. Man
muss demnach nach einer anderen Ursache suchen, die auch schon Baehr,
dessen Arbeit während der Zeit meiner Versuche erschien, erörterte.
Baehr musste es auch erleben, dass seine uranvergifteten Tiere sich
nicht ganz an das Schema Pohls hielten. Baehr konnte Arten der
Vergiftungserscheinungen konstatieren, die zum Teil mit meinen Beob¬
achtungen übereinstimmen, zum Teil noch mehr von dem charakteristi¬
schen Bild, wie es Pohl entworfen hat, abwichen.
„Der Exitus“, führt Baehr aus, „erfolgt aber nicht in allen Fällen
im Stadium der Polyurie, sondern es hängt dies mit der Empündlichkeit
der betreffenden Tiere zusammen. Bei weniger empfindlichen Tieren geht
die Polyurie in eine einige Tage anhaltende Oligurie über und das Tier
erholt sich vollständig. Dass die Tiere nicht an Polyurie, sondern aus
anderen Gründen starben, geht auch daraus hervor, dass der Tod bald
im Anfang der Polyurie, bald später erfolgte.“
Die ßachrschen und unsere Versuche bewegen sich, wie sich aus
dieser Zusammenfassung ergibt, prinzipiell in der gleichen Bahn: sie sind
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Wesen d. experimentellen Ausscliwemmungsneplmtis (Pohl) nach Uranvergiftung. 363
Bestätigungen der Pohlschen Experimente, enthalten aber den wichtigen
Hinweis, dass der Vergiftungsprozess nicht unbedingt nach dem gleichen
Schema sich abwickeln muss. Baehr hat versucht, die verschiedenen
klinischen Bilder in Beziehung zu dem pathologisch-anatomischen Befund,
den die Nieren darboten, zu bringen, ohne dabei zu einem eindeutigen
Resultat kommen zu können. (Wir werden uns mit dieser Frage noch
in der angekündigten Arbeit zusammen mit Siegfried an Hand der
anatomischen Befunde beschäftigen.) Es ergaben sich Baehr so viele
Widersprüche zwischen den Ausscheidungsvorgängen und den Nieren¬
veränderungen, dass letztere so länge nicht für die veränderte Aus¬
scheidung verantwortlich gemacht werden können, so lange es nicht aus¬
geschlossen ist, dass direkt durch die Uranvergiftung eine schwere Schädi¬
gung des Gesamtstoffwechsels verursacht wird, die als weitere Folge eine
Mehrarbeit der Nieren in ihren verschiedenen Symptomen bedingt. Da¬
mit ist die Kardinalfrage der Pohlschen Vergiftung angeschnitten:
II. Handelt es sich um eine Schädigung, die nur die Nieren
trifft oder um eine Schädigung des ganzen Organismus mit¬
samt der Nieren?
Pohl selbst erörtert auch schon die Frage, ob das Gift nur die
Niere angreift. An und für sich muss man die Möglichkeit erwägen, ob
nicht gleichzeitig mit der Nierenzerstörung durch das Urannitrat eine
Schädigung einzelner Organe oder gar des Gesamtkörpers erfolgt, die
sich in den hohen Stickstoff- und NaCl-Verlusten durch den Urin doku¬
mentiert. Die Polyurie könnte unter diesen Umständen ruhig weiter als
eine spezifische pathologische Nierenfunktion nach der Vergiftung figu¬
rieren. Wenn man dieses Problem lösen will, dann muss man die Tier¬
versuche so einrichten, dass man nur die Nieren mit dem vergiftenden
Urannitrat trifft, das dann hier einzig und allein seine zerstörenden Eigen¬
schaften entfaltet. Das applizierte Uran darf dann nicht aus den Nieren
heraus in den Körperkreislauf gelangen; denn das ist der springende
Punkt, dass, wie schon oben ausgeführt wird, wir eine reine Nieren¬
schädigung unter Schonung der übrigen Organe erzielen. Würde man
bei einer solchen Versuchsanordnung andere, den erwähnten Pohlschen
Resultaten entgegengesetzte Ergebnisse erhalten, also keine Polyurie,
keine Ausschwemmung von N und NaCl, so könnte man den Schluss
ziehen, die sogenannte PohIsche Nephritis ist keine spezifische Folge¬
erscheinung des Urans auf die Nieren, sondern es handelt sich bei ihr
um eine Vergiftung vieler Organe, von der auch die Nieren betroffen sind.
Daneben gibt es freilich noch eine zweite Möglichkeit. Selbst wenn
die Polyurie und die sie begleitende Ausschwemmung von N und NaCl cin-
tritt, und tatsächlich durch die Injektion des Urans in die Nierenarterien
nur die Niere geschädigt wird, so braucht trotzdem nicht das Gesamt¬
bild der Pohlschen Nephritis nur auf eine direkte Nieren Vergiftung
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364 L. Df NN ER,
zurückgeführt zu werden. Es wäre auch denkbar, dass bei der Uran¬
vergiftung der Nieren irgendwelche Gifte frei werden, die nunmehr auf
den übrigen Körper derartig schädigend einwirken, dass grosse Mengen
N und NaCl als Symptome dieser sekundären Vergiftung im Urin
erscheinen. In diesem Zusammenhänge wäre an die Beobachtungen
Tangls zu erinnern, der gefunden hat, dass die Anhäufung von im
Organismus nicht zersetzbaren Nierenausscheidungsprodukten verstärkend
auf den Stoffwechsel der übrigen Organe wirkt. So wäre es plausibel,
dass durch unbekannte toxische Stoffe, die bei der Urannephritis entweder
abnorm gebildet oder abnorm zurückgehalten werden, die grösseren Um¬
setzungen bedingt werden, die dann zu der grossen Ausschwemmung
führen. Selbstverständlich kann der primäre Vorgang bei der mit
Anurie einhergehenden gewöhnlichen Nephritis derselbe sein. Die Ver¬
stopfung des Filters bedingt aber dann, dass diese abnorm gebildeten
Stoffwechselprodukte retiniert werden.
Diese Frage haben wir nun zum Gegenstand der folgenden Versuche
gemacht.
Wir glaubten diese Frage am besten lösen zu können, wenn wir das
Gift in bestimmter Dosis direkt in die Nierenartcricn spritzen, die es
dann den Nieren zuführen. Solche Versuche wären nur dann beweisend,
wenn das in die Nierenarterie gespritzte Uran auch wirklich in der Niere
verbleibt und nicht durch die Venen in den allgemeinen Kreislauf gelangt.
Dass diese Voraussetzung ausreichend erfüllt ist, glauben wir auf Grund
zweier Versuche annehmen zu dürfen; wir spritzten nämlich einem Kanin¬
chen 0,02 mg, einem anderen 0,2 mg Urannitrat in je eine Nierenarteric.
Nach l l / 2 bzw. 2 Stunden exstirpierten wir die betreffende Niere. Das eine
Tier blieb dauernd gesund, das andere starb ohne jede Nierenschädigung
nach 9 Tagen an einer sekundären Infektion. — So haben wir denn bei
einigen Tieren Injektionen von Urannitrat in beide Arterien gemacht und
den Verlauf dieser Vergiftungsart verfolgt.
Die Operationen hat Herr Dr. Hay wardt, Assistent der II. chirurgischen Ab¬
teilung unseres Krankenhauses, ausgeführt, dem ich für seine Bemühungen auch an
dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche.
Die Freilegung der Nieren wurde unter geringer Menge von Aether, die an und
für sich keine Nierenschädigungen im Gefolge haben — es genügt nach vorheriger
Einspritzung von 0,01 Morphium eine kleine Quantität — in Seitonlage durch einen
Flankenschnitt vorgenommon. Die Niere wird vorgewälzt und auf einen mit physio¬
logischer NaCl-Lösung getränkten Bausch gelegt. Man sieht dann sofort die Arterie.
Die Einführung einer möglichst feinen Nadel in der Richtung zur Niere hin gelingt
relativ leicht. Man fühlt sofort, ob man wirklich im Lumen des Gefässes ist. Man
injiziert die vorher im Brutschrank angewärmte Flüssigkeit ganz langsam und bemerkt,
wenn die Einspritzung glatt von statten geht, sehr bald eine Schwellung der Niere,
dio sich prall anfühlt. Eine Nachblutung der Nierenarterie mässigen Grades nach Ent¬
fernung der Nadel ist uns nur einmal zugestossen. Die Blutung stand aber prompt
nach Aufträufeln von lOproz. Kocher-Fonio-Lösung, das bekanntlich in der Haupt¬
sache aus Blutplättchen besteht. Verschluss der Hautwunde, ln derselben Sitzung
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Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 3U>5
kann man die Injektion in die andere Nierenarterie machen. Nach der Operation sind
die Tiere relativ munter, sie sitzen ruhig in ihrem Käfig.
Nach dieser Methode habeu wir zunächst die Kaninchen (Nr. 217
und 287) operiert. Jedes dieser Tiere erhielt in jede Nierenartcric 0,042 mg
Urannitrat (3 ccm der 50fachen Verdünnung des 0,07proz. Urannitrats).
Tier Nr. 217.
Ge-
Urin
Datum
wicht
Hafer
Wasser
Menge
Spez.
Gew.
Reakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
NaCl
N
4. 5.
5. 5.
2200
2150
?
90
?
90
} 130
1025
s.
-
—
0,481
0,481
1,176
1,176
6.5.
2150
90
90
} 66
1040
0,125
0,949
7. 5.
2150
90
90
s
0,125
0,949
8.5.
2110
90
90 |
} 72
1045
0,057
0,970
9. 5.
2120
90
90
s.
0,057
0,970
10.5.
2130
90
90
63
1035
s.
—
—
0,188
1,195
11.5.
2100
90
90
1
0,409
0,763
Operation u. Injektion v. 0,042 mg
Urannitrat in jede Nierenarterie
} 124
1025
s.
+
—
12. 5.
2000
10
90
1
0,409
0,763
13.5.
1900
40
90
49
1020
alk.
+
+
0,176
0,538
14. 5.
1840
50
90
62
1020
alk.
+
+
0,136
0,876
15.5.
1850
40
90
79
1020
ampli.
+
+
0,079
1,188
16. 5.
1740
60
90
57
1015
s.
+
+
0,034
0,750
17.5.
1730
90
90
130
1010
alk.
+
1 +
0,078
1,255
18.5.
1720
70
90 !
74
1012
s.
+
+
0,046
0,725
19. 5.
1670
60
90
74
1025
s.
+
+
0,029
1,212
20. 5.
1700
90
90
74
1020
s.
+
Sp.
0,029
0,911
21.5.
1700
90
70
104
1020
s.
+
0,083
1,310
22. 5.
1570
50
90
86
1015
s.
+
—
0,051
1,149
23.5.
1500
60
90
70
1020
s.
+
1 —
0,070
0,970
24. 5.
1450
70
90 |
} 108
1020
+
0,032
0,982 0
25. 5.
1410
70
70
s.
0,032
0,982
26.5.
1400
80
80
72
1025
s.
+
—
0,014
1,542
27. 5.
1400
70
80
118
1015
s.
+
—
0,035
1,428
28.5.
1390
70
90
56
1020
s.
+
—
0,022
0,850
29. 5.
1300
10
90
144
1015
s.
+
1 _
0,201
1,673
30. 5.
1130
10
90
130
1015
s.
+
1 —
0,338
1,892
31.5.
1110
V
y
72
1016
s.
+
i +
0,086
1,058
1.6.
Morgens tot gefunden
0 Werte nicht sicher, da Urin verloren gegangen ist.
Tier Nr. 287.
27. 6.
2530
80
90
} 74
1025
s.
0,133
0,297
28. 6.
2430
90
90
0,133
0,297
29. 6.
2400
70
90
104
1025
s.
—
—
0,457
3,057
30. 6.
2450
60
90
34
1045
s.
—
0,074
0,778
1.7.
2400
10
90
} 120
1030
0,108
1,218
2. 7.
2320
90
90
s.
0,108
1,218
Operation
u. Inj ektion ▼. 0,042 mg
i
Urannitrat in jede Nierenarterie
3. 7.
2370
90
90
84
1025
s.
+
—
0,184
1,922
4.7.
2380
50
80
50
1025
s.
+
—
0,090
1,081
5. 7.
2370
60
90
80
1035 i
s.
+
1 —
0,320
3,964
6.7.
2200
10
90 !
44
1045 !
s.
+
1 —
0,132
1,814
7.7.
2050
20
90
68
1040
1 s. 1
1 +
1 —
0,204
2,189
Difitized by
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
366
L. DÜNNER,
Digitized by
Ge-
Urin
..
Datum
wicht
Hafer
Wasser
Menge
Spez.
Gew.
Reakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
NaCl
N
8. 7.
1890
15
90
78
1030
s.
+
_
0,218
1,850
9.7.
1950
70
90
65
1028
s.
+
—
0,104
1,378
10. 7.
1890
60
90
84
1040
s.
+
—
0,151
2,414
11.7.
1830
40
90
34
1045
s.
+
—
0,041
1,142
12. 7.
1700
10
90
88
1040
s.
+
—
0,123
2,654 .
13. 7.
1610
55
90
62
1040
s.
+
—
0,235
2,061
14. 7.
1520
40
90
68
1040
s.
+
—
0,231
2,299
15.7.
1570
40
90
84
1040
s.
+
+
0,033
1,728
16. 7.
17. 7.
1550
1380
0
20
90
90
\ 134 ■
' j
1038
s.
+
+
0,134
0,134
1,904
1,904
18. 7.
Morgens tot gefunden
1
J
Die Beurteilung der beiden Versuche 217 und 287 muss, da sic
dazu bestimmt, das Wesen der Pohl sehen Nephritis zu klären, durch
Vergleich mit den subkutan vergifteten Tieren erfolgen. Sie soll Auf¬
schluss geben, ob die intraarteriell gespritzten einen wesentlich andern
Verlauf nehmen als jene. Als Kriterien dienen dazu die Menge des aus-
geschiedencn Urins und die in ihm enthaltenen N- und NaCl-Mengen.
Es kommt dabei, soweit die Art der Polyurie in Frage kommt, nicht so
sehr darauf an, dass sie von einem bestimmten Tage einsetzt, eine be¬
stimmte Zeitlang anhält, sondern es genügt die Tatsache, dass die Tiere
bei offenen Harnwegen zugrunde gehen. Dieser Forderung entspricht
sowohl Tier Nr. 217 wie Nr. 287. Nr. 217 zeigt sogar, wie sich aus
den Tabellen ergibt, verschiedentlich Polyurie, während Tier Nr. 287
Urinmongen ausscheidet, die als ausreichend anzusehen sind. Die Werte
bei Nr. 287 sind absolut gesprochen sogar polyurisch, vergleicht man sie
jedoch mit denen vor der Vergiftung, so halten sie sich in denselben
Breiten. Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der Frage, ob
auch die produzierte N- und NaCl-Quantität im Verlaufe der Vergiftung
eine wesentliche Erhöhung erfahren hat. Ohne die einzelnen Daten der
Tabellen, auf die wir verweisen, durchzugehen, muss man das Gesami-
resultat kritisch dahin formulieren, dass bei den verwendeten Uranmengen
eine sehr eklatante Ausschwemmung von N und NaCl nicht zu kon¬
statieren ist. Dabei darf man die injizierte Menge nicht ausser acht
lassen. Wir haben in jede Niere 3 ccm der 50 fachen Verdünnung von
0,07 pCt. Urannitrat eingespritzt, das entspricht einer Menge von 0,042 mg
Urannitrat pro Niere. Insgesamt wurde also 0,084 mg Urannitrat einverleibt.
Andrerseits sind den rein Pohlschcn Tieren subkutan nur 0,5 ccm der
0,07 proz. Lösung = 0,35 mg gegeben worden.
Die Versuche mit der intraartcriellen Injektion des Urannitrats
haben also das Bild der Pohl sehen Ausschwemmung ergeben, allerdings
nicht ausgeprägt, sondern nur leidlich angedeutet. Nun muss man sich
klar darüber sein, dass wir nicht wissen, wieviel des subkutan cinge-
spriizten Urans in den Nieren zur Wirkung kommt. Es ist durchaus
Original from
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Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 367
denkbar, dass der PohIsche Syraptomenkomplex sich nur bei sehr
kleinen, die Nieren treffenden Uranmengen rein entwickelt. Um hier
möglichst Klarheit zu gewinnen, haben wir einen Versuch mit einer sehr
kleinen Dosis angestellt. Bekamen wir hier ein positives Resultat, so
musste das besonders auffallend sein, w r eil hier die Möglichkeit einer
primären Vergiftung der andern Organe durch in den Kreislauf aus den
Nieren gelangendes Uran besonders gering ist.
Wenn wir auch 0,042 mg Urannitrat als Giftmenge pro Niere nicht
als zu gross betrachten dürfen, um die gestellte Frage zu lösen, so ent¬
schlossen wir uns noch zu einem weiteren Experiment, bei dem 0,013 mg
auf jede Niere wirken sollte. Wir injizieren bei Tier Nr. 261 in jede
Nierenarterie 2 ccm einer 80 fachen Verdünnung einer 0,05proz. Uranlösung.
Nur gestaltete sich die Anlage dieses Versuches insofern etwas anders,
als wir von einer Haferwasserdiät aus äusseren Gründen absahen und
statt dessen 125 g Rüben dem Tier gaben, Wasser dagegen vollständig
entzogen.
Tier Nr. 261.
Urin
Datum
Gewicht
Rüben
Menge
1 Spez.
Gewichtj
| Reakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
NaCl
N
1. 1.
2080
125
200
1025
s.
0,9S0
1,019
2. 1.
2110
125
170
1030
s.
—
—
0,476
0,856
3. 1.
2115
125
115
1020
s.
—
—
0,322
0,450
4. 1.
5.1.
2130
2145
125
125
} 182
1025
s.
—
—
0,327
0,327
0,301
0,301
6. 1.
2155
125
112
1025
s.
—
—
0,246
0,418
7.1.
2175
125
184
1025
s.
—
—
0,809
0,797
8 . 1.
2175
125
120
1027
s.
—
1 —
0,648
0,594
9. 1.
2160
125
115
1025
s.
— |
0,138
0,492
10.1.
2150
125
132
1030
s.
—
0,237
0,646
11.1.
2145
0
Operation und Injektion von 0,013 mg Urannitrat in
jede Nierenarterie. Urin vom 11. 1. verloren
gegangen.
12. 1.
1950
0
I
i
1
0,085
0,436
13. 1.
1800
0
) 37
1 1045
! s.
+
i
—
0,085
0,436
14. 1.
1750
0
l
l
I
0,085
0,436
15. 1.
1650
0
55
| 1045
s.
+
—
0,462
1,940
16.1.
1550
0
48
; 1040
s.
+
—
0,393
1,842
17. 1.
1450
0
|
0,147
1,476
18.1.
1370
0
} 82
I 1060 j
1 s *
+
i
—
0,147
1,476
19. 1.
1300
0
1
1
0,147
1,476
20. 1 .
21 . 1 .
1220
1200
0
0
} 80
1065 j
i
s.
1
i
+
—
0,064
0,064
1,981
1,981
Wie die Tabelle (Tier Nr. 261) zeigt, verweigerte das Tier vom
Tage der Operation an jegliche Nahrungsaufnahme, trotzdem schied
es Urin aus, der freilich im Vergleich zur Vorperiode in bedeutend ge¬
ringeren Quantitäten gelassen wurde. Diese Harnraengen stammen also
unbedingt von dem Körperbestand, da gar keine Rüben, die ziemlich
wasserreich sind, gefressen wurden. Man kann also insofern von offenen
Harnwegen bestimmt reden und man ist hierzu um so mehr berechtigt,
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368 L. DÜNNER,
wenn man sieht, dass die Tiere Nr. 217 und Nr. 287 doch ziemlich
grosse Wasserrationen in der Vergiftungszeit einnahmen. Die verhältnis¬
mässig kleinen Urinportionen bei Tier Nr. 261, die für den ersten Moment
stutzig machen und vielleicht an Oligurie als Vorstufe vor Anurie er¬
innern, erscheinen bei Berücksichtigung der Begleitumstände in einem
andern Lichte. Damit soll nicht etwa gesagt sein, cs handle sich hier
um Polyurie. Das kann, wenn man sich die Variationsfähigkeit der
subakuten Nephritis nach subkutaner Injektion, wie sie Baehr und auch
wir sahen, in die Erinnerung ruft, nicht verwundern. Das Kaninchen
Nr. 261 gehört in die Gruppe derjenigen, bei denen im Gefolge der
Uranvergiftung eine Nephritis mit offenen Harnwegen besteht. Dazu
passt auch, wie das Protokoll lehrt, die Ausscheidung des N ganz gut,
nur die NaCl-Werte sind geringer als in der Vorperiode. Von einer
regulären Retention kann man aber nicht sprechen.
So schliesst sich der Versuch Nr. 261 mit seinen sehr kleinen Uran¬
dosen (0,013 mg pro Niere) den beiden andern (Tier Nr. 217 und 287),
bei denen auch intraarterielle Uraninjektionen (0,042 mg pro Niere) aus¬
geführt wurden, an. Sie können wohl alle als Stütze für die P oh Ische
Ansicht gelten, dass das Uran eine elektive Wirkung auf die Nieren aus¬
übt, bei der eine eigenartige Funktion der Niere, wie wir sie schon ver¬
schiedentlich geschildert haben, sich einstellt und die das Endstadium
einer Nephritis im Gegensatz zur Urämie darstellt.
Wenn wir demnach mit unseren Versuchen der direkten Nierenver¬
giftung eine Stütze für die Pohlsche Anschauung erbringen konnten,
dass die Nephritis eine Ausschwemmung von Körpersubstanz veranlassen
kann, so scheint es nunmehr angezeigt, darauf hinzuweisen, dass hiermit
ein wesentlicher Punkt der durch die Nierenentzündung bewirkten Körper¬
schädigungen geklärt ist. Man hatte bisher experimentell und wohl auch
klinisch bei der Nephritis in erster Linie die Retentionsstörungen berück¬
sichtigt.
lila. Die Beeinflussung der Urannephritis durch Kalksalze.
Die in den vorigen Kapiteln mitgeteilten ausgesprochenen Funk¬
tionsstörungen der Niere nach Uranvergiftung sind zu experimentellen
therapeutischen Versuchen sehr geeignet. Es ergibt sich die Frage¬
stellung, ob sich die abnorme charakteristische Ausschwemmung des N
und des NaCl, welche durch das Uran bedingt ist, durch irgend welche
Massnahmen beeinflussen lässt. Es lag nahe, in erster Linie die Wirkung
des Kalkes zu studieren, da durch die Arbeiten aus unserra Laboratorium
(M. Jacoby und Eisner) und von von der Velden nachgewiesen war,
dass Kalksalze die Ausscheidung der Niere herabsetzen.
Abgesehen von dieser direkten Indikation musste ja auch sonst ein
Versuch mit Kalk von Interesse sein, da die Arbeiten der letzten Jahro
gelehrt haben, dass hier ein sehr wirksames Arzneimittel vorliegt. Ueber
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Wesen d. experimentelleu Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 369
Kalk ist eine sehr grosse Literatur entstanden, und es würde zu weit
führen, wenn wir die gesamten experimentellen und klinischen Arbeiten
über Kalkwirkungen überhaupt besprechen wollten. Dahingegen erscheint
es zweckmässig, einige Versuche über den Einfluss der Kalksalze auf die
Nierenfunktion zu zitieren.
Roehl, Roese und Voorhoeve fanden im Tierversuch nach Kalk¬
verabreichung eine Retention von Kalk. M. Jacoby und Schroth er¬
zielten bei einer Kranken mit Ostitis fibrosa, die grosse Kalkmengen
durch den Urin ausschied, nach hohen Kalkdoscn eine eklatante Ver¬
minderung der Kalkausscheidung durch den Urin.
Was nun die diuretische Wirkung des Kalkes betrifft, so beobachteten
Porges und Pribam nach intravenöser Kalziumchloridinjektion Diurese
und erst, wenn sie sehr grosse Mengen an wandten, eine Verminderung
derselben. Andere wieder, wie Loeb, Fleisher und Hoyt sahen nur
Diuresehemmung.
Auch klinische und therapeutische Versuche mit Kalk bei Nephritis
gelangten zu keinem eindeutigen Resultat.
Genaue Untersuchungen über die Kalkwirkung auf die Niere stellte
Eisnor in unserem Laboratorium an. Er verwandte die modernen
Nierenfunktionsprüfungen und fand auf Grund dieser breit angelegten
Versuche eine deutliche Funktionsherabsetzung der Kalkausscheidung bei
gesunden wie kranken Nieren. Daneben ergab sich, was für uns von
besonderem Interesse ist, eine mehr oder weniger deutliche Verschlech¬
terung einzelner andrer Funktionen und zwar hauptsächlich solcher,
die schon ohne dies Störungen erlitten hatten, unter ihnen der
N- und NaCl-Elimination.
Zu diesen klinischen Studien Eisners passte sehr gut eine experi¬
mentelle Studie von Jacoby und R. Rosenfeld, die beim Hund durch
Kalkdarreichung eine Hemmung der Phloridzinglykosurie erzielten.
Diese Arbeiten von Eisner und Jacoby-Rosenfeld waren nun
Anlass, Kalk uranvergifteten Kaninchen zu geben, und zwar rechneten
wir dabei in Analogie an die von den genannten Autoren beobachteten
Resultate auf eine Herabsetzung der N- und NaCl-Ausscheidung. Hier
würde sich dann die funktionsherabsetzende Eigenschaft des Kalkes in
gewisser Beziehung als Therapeutikum erweisen, während die ange¬
wandten grossen Kalkdosen sich in den Beobachtungen Eisners bei der 7
menschlichen Nephritis, bei der ja schon ohnedies eine Retention von N
und NaCl besteht, als schädlich erwiesen haben.
Von diesen Ueberlegungen ausgehend, haben wir Kaninchen intra¬
venös Calcium lacticura injiziert. Die verwandte Dosis schwankte, wie
sich aus der Tabelle ersehen lässt, zwischen 0,04 und 0,6 Calc. lact.
pro die.
Wir haben mit den Kalkinjektionen stets sofort nach der Vergiftung
mit dem Uran begonnen und sie bei allen Tieren 2 mal täglich gemacht. Wir
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
370
L. DÜNNER,
Digitized by
sind dabei niemals auf wesentliche Schwierigkeiten gestossen; allerdings
haben wir, wenn es irgend angängig war, nur solche Tiere in den Versuch
eingestellt, die gute Ohrvenen hatten. Es empfiehlt sich, möglichst distal
die Vene zu benutzen und dann später, wenn dieser Teil thrombosiert, kopf-
wärts vorzurücken. In eine einzige Vene kann man event. 20mal injizieren.
Als Kontrolliere nahmen wir Kaninchen, denen wir die gleiche An¬
zahl Kubikzentimeter physiologischer Kochsalzlösung intravenös ein¬
spritzten. Dadurch hofften wir, gleichzeitig einen Einblick in die Wirkung
des NaCl auf die Poh Ische Nephritis zu gewinnen. (Es waren das
überhaupt die ersten Experimente, die wir anstellten zu einer Zeit, in
der wir noch glaubten, dass die Pohlsche Nephritis nur nach einem
Schema sich abspiele. Unsere späteren Versuche und die Baehrschen
Publikationen belehrten uns dann eines anderen.)
Tier Nr. 88.
bi
1
Urin
Datum
Ge¬
wicht
Hafe]
v>
3
iS
Menge
*3 fct
8.5
wo
Reakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
NaCl
N
Bemerkungen.
18.9.
2040
30
50
22
s.
0,547
19.9.
2000
10
30
}61
1045
s.
0,802
20. 9.
2020
10
30
0.802
21.9.
22. 9.
1940
1940
10
10
20
30
} 42
1045
s.
—
—
0,636
0,636
23. 9.
1880
30
40
20
s.
—
—
0,564
24. 9.
0,5 ccm Urannitrat (0,07 proz.) subkutan.
2 x 2,0 Calo. lact.
1880
—
70
89
1015
s.
+ Sp.
—
0,373
0,476
5 pCt. = 0,2 g
25. 9.
1785
—
70
65
1019
s.
+
—
0,091
0,662
do.
26. 9.
1750
—
90
62
1020
s.
+
—
0,124
0,521
do.
27. 9.
1660
—
70
62
1015
s.
+
—
0,081
0,488 7
do.
28. 9.
1610
—
50
25
?
s.
+
—
0,078
0,194
do.
29. 9.
1550
—
60
40
1019
s.
+
—
0,086
0,453
do.
30. 9.
1490
—
85
100
1021
s.
+
—
0,080
1,3132)
do.
1 . 10.
1430
—
30
34
1026
s.
+
+
0,068
0,608 8 )
do.
2 . 10.
1380
—
—
6
+
+
?
? 4 )
Um 7*7 Uhr abends gestorben.
0 Urin Dicht auf Zucker nachgesehen. -) Zucker 0,2 pCt. 3 ) Zucker 0,5 pCt.,
Azctcssigsäurc +. 4 ) Zucker +, Azetcssigsäure —, Azeton —.
Tier Nr. 50.
*) Nicht auf Zucker nachgesehen. 2 ) Zucker +, 0,4 pCt.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 371
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Datum
Ge¬
wicht
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3
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Menge
Spez.
Gew.
Reakt.
Alb. und
Zylinder
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NaCl
N
Bemerkungen
30. 9.
1690
0
100
66
1021
s.
+
0,125
0,665
2X2,0 NaCl (0,9 pCt.)
1. 10.
1600
10
100
41
1030
s.
+
—
0,092
0,474i)
do.
2.10.
1630
5
70
73
1021
s.
+
_
0,189
0,8832)
do.
3.10.
1570
10
60
44
1022
s.
+
—
0,119
0,511»)
do.
4.10.
1550
0
70
42
1025
s.
+
—
0,113
0,510
do.
5. 10.
6. 10.
1520
1540
0
0
40
40
}59
1021
s.
+
—
0,082
0,082
0,357
0,357
do.
do.
7.10.
1470
5
50
47
1025
s.
+
—
0,136
0,509
do.
8.10.
1420
0
70
57
1019
s.
+ Sp.
+
0,091
0,642
do.
9.10.
1400
0
80
46
1020
s.
+ Sp.
++
0,063
0,520
do.
10.10.
1370
0
70
88
1029 1
s.
+ Sp.
+
0,194
1,163
do.
11.10.
1280
0
50
12
+ +
V
?
do.
12.10.
1280
1
Gestorben.
IX 2,0 NaCl (0,9 pCt.)
Bei der i
Autopsie J
fanden
sieh
90
i
1
1
in der
Blase .
1
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+ i
4 — hl
0,252
1,207 4 )
J ) Zucker +, Azeton —, Azetessigsäure —. 2 ) Zucker + Sp., Azeton —, Azetcssig-
siiure—. 3 ) Vom 3. bis 11. 10. Zucker—, Azeton —, Azetessigsäurc —. 4 ) Zucker +,
Azeton —, Azetessigsiiure —.
Das Tier Nr. 88 erhielt also täglich 2mal 2,0 ccm einer 5proz.
Kalziumlösung. Sofort mit der Uranvergiftung und mit Beginn der Kalk¬
applikation setzte am 24. September eine deutliche Diurese ein; die Ta¬
belle zeigt vom Vergiftungstage an Urinwerte, die vorher niemals beob¬
achtet worden waren. Das spezifische Gewicht sank, im Urin liess sich
Albumen und späterhin auch Blut und zum Teil auch Zucker, einmal
sogar Azetessigsäure nachweisen, kurzum ein Krankheitsbild, das nicht
mehr subakut genannt werden kann, sondern durchaus akut von Anfang
an verläuft. Allerdings war der Verlauf kein ganz gleichmässigcr, aber
die Tendenz der Polyurie, die sofort einsetzte, ist offensichtlich. Ueber
die Aenderung der NaCl-Ausscheidung nach der Vergiftung gibt der Fall
keine Auskunft. Die Untersuchung unterblieb aus äusseren Gründen.
Die N-Wcrto halten sich im grossen und ganzen auf dem gleichen Niveau
wie die vor der Vergiftung.
Einen ganz anderen Krankheitsverlauf zeigte das Kaninchen Nr. 50,
das täglich 2 mal 2 ccm physiologische NaCl-Lösung intravenös erhielt.
Während das Kalktier einer akuten Nephritis innerhalb von 9 Tagen erlag,
zog sich der Vergiftungsprozess bei dem mit 0,9proz. NaCl behandelten
Tier über 19 Tage hin und bei ihm tritt einige Tage nach der Uran¬
applikation eine erhöhte Diurese — im Sinne Pohls — ein, die sich im
weiteren Verlauf prinzipiell erhält und bei der das Kaninchen schliesslich
ad exitum kommt. Auch die übrigen Vergiftungssymptome sind vor¬
handen. Eine Erörterung der NaCl-Ausscheidung war bei diesem Tier
aus den gleichen Gründen wie bei Tier Nr. 88 nicht möglich, und das
Verhalten der gelieferten N-Menge ist nicht so ausgesprochen, um einen
Entscheid über regulär erhöhte Ausschwemmung abzugeben, Retention von
N besteht aber nicht.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 n. (3. 25
Difitized
by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
372
L. DÜNNER,
Wie schon oben bemerkt, stellten unsere Experimente an dem Tier
Nr. 88 unsere ersten tastenden Versuche dar. Es schien danach zunächst,
als ob Kalk die Pohlsche Nephritis akuter gestaltet, Kochsalz aber sie
chronischer werden lässt. Später lernten wir dann allerdings, wie wir
oben gesehen haben, die Schwankungen des Verlaufes der Nephritis
kennen. Die weiteren Kalk- und Kochsalzversuche ergaben, dass Kalk
in der Tat die beschleunigende Wirkung auf die Urannephritis hat,
während physiologische Kochsalzwirkung ohne Einfluss ist. Die mit
NaCl behandelten Tiere stellen demnach einen der Typen der reinen
Urannephritis dar. Die Kalkticrc jedoch fallen vollkommen aus dem
Rahmen der Pohltiere; weder Pohl noch Baehr noch wir sahen bei
einfacher subkutaner Vergiftung mit den in Betracht kommenden Uran¬
dosen eine akute Nephritis, wie sie die mit Kalk behandelten Tiere
Nr. 88, 225 und 224 zeigten.
Der besseren Uebersicht halber stellen wir die folgenden NaCl- und
Kalkversuche getrennt zusammen.
Nachdem das Tier Nr. 88 mit der täglichen Dosis von 0,2 Calc. lact.
nicht einer subakuten, sondern akuten Nephritis, die bis zum Schlüsse
volle Diurese gezeigt hatte, erlegen war, sollten weitere Versuche Auf¬
schluss darüber geben, ob ein Unterschied zwischen kleinen und grossen
Kalkdosen in der Wirkung auf die Pohlsche Nephritis besteht. Die
Tabelle von Nr. 225 repräsentiert ein Tier mit der (grossen) Kalkmenge
von 0,6 g Calc. lact. pro die und Nr. 224 mit der (kleinen) Dosis von
0,04 g Calc. lact.
Tier Nr. 225.
—
Ge¬
wicht
1
I .
Urin
Datum
Hafer
Wasse
Menge
Spcz.
Gew.
Reakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
NaCl
N
Bemerkungen
23. 10.
18G0
40
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0,051
0,735
24. 10.
1860
50
70
} 96
1050
s.
—
—
0,051
0,735
25. 10.
1880
40
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1
0,051
0,735
2G. 10.
27. 10.
1800
1800
60
120
70
30
}77
1050
s.
—
—
0,069
0,069
1,007
1,007
28. 10.
1700
30
40
I
0,172
0,883
29. 10.
0,5 g Uran (0,07
subkutan
proz.)
jl!5
1020
s.
+
—
1720
10
90
0,172
0,883
2 mal tgl. 2,0 7,5 proz. Calc. lact.
30. 10.
1580
10
20
95
1022
s.
+
+
0,323
1.764
2 mal tgl. 4,0 = 0,6 g.
31. 10.
1470
40
70
90
1025
s.
+
0,153
2,079
do.
1. 11.
1480
40
110
82 1
1025 1
s.
+
+
0,106
1,840
do.
2 . 11.
1320
20
40
98 |
1021
s.
+
+
0,147
2,231
do.
3. 11.
1240
104]
1035
s.
+ 1
0,197
2,726
1 mal tgl. 4,0.
G Uhr abends gestorben. (Die Zahlen vom 3. 11. beziehen sich bis abends G Uhr.)
Tier Nr. 224.
25. 10.
1570
90
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0,013
0,638
2f>. 10.
1G20
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—
0,013
0,638
27. 10.
1G00
20
50
0,013
0,638
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 373
Urin
—
Datum
Ge¬
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NaCl
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10.
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0,151
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29
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Morg. 9
Uhr 0,5
g Uran
(0,07 proz.) subkutau.
113
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1035
s.
+
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30.
10.
1590
20
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0,151
0,728
2mal tgl. 2,0 2proz. Calc. lact.
1570
—
40
1
0,151
0.728
2mal tgl. 4,0 0,5proz. Calc. lart. = 0,04 g.
31.
10.
1450
20
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11.
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s.
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0,126
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0,052
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—
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s.
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0,358
1,383
do.
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11.
1150
Nachts gest.
In der
Blase . .
93 1
1026
s. ;
+
+
0,358
1,383
Die beiden Tabellen sind zweifelsohne Repräsentanten der Pohl sehen
Tiere, indem beide bei offenen Harnwegen an ihrer Nephritis zugrunde
gehen. Trotzdem ist der Verlauf nicht ganz gleich. Das Tier Nr. 225,
das die hohen Kalkwerte erhalten hat, zeigt von Beginn an, nicht etwa
erst nachdem einige Tage verstrichen sind, deutlich erhöhte Diurese, die
in ihrer Intensität sich bis zum Exitus erhält. Entsprechend dem akuten
Einsetzen der vermehrten Wasserzufuhr dauert der ganze Prozess auch
nur sechs Tage. In dieser Zeit werden mit dem Urin Mengen an NaCl
und N ausgeschwemmt, die bedeutend grösser sind als die vor der Ver¬
giftung gefundenen Tageswertc. Kurzum das Krankheitsbild ist eine sehr
schnell einsetzende Nierenentzündung und man sieht, dass das Tier
Nr. 225 mit der Tagesdosis von 0,6 g Kalzium noch akuter, schneller
und schwerer die Symptome der Nephritis zeigt als das Tier Nr. 88,
welches eine Kalkdosis von 0,2 g erhalten hatte, und es liegt nahe, für
die Schwere des Krankheitsprozesses den injizierten Kalk verantwortlich
zu machen, derart, dass je grösser die Kalkmenge, um so heftiger die
klinischen Erscheinungen. In diesen Zusammenhang hinein passt das Tier
Nr. 224 mit 0,04 g Kalzium pro die sehr gut; es hatte geringere Calc.
lact.-Dosen als Nr. 88 (0,2) erhalten. Es erkrankt nicht sofort an
Diurese. Erst am letzten Tage lässt es 208 ccm Urin. Audi die NaCl-
und N-Werte sind nicht so eklatant gegen die Periode vor der Vergiftung
erhöht, mit Ausnahme der letzten Tage. Es scheint, wenigstens nach
den Urinmengen zu schlicssen, als ob sich am Todestage das PohIsche
Krankheitsbild entwickeln wollte, was der Exitus verhinderte. Die Ur¬
sache dieses abgekürzten Decursus morbi ist wohl in dem Kalk zu
suchen, der den Mittelweg zwischen akuter und subakuter Nephritis
bewirkte.
25*
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
374
L. DÜNNER,
III b.
Wir haben in dem vorhergehenden Abschnitt lila einen Gegensatz
zwischen der Kalk- und der Kochsalzwirkung auf uranvergiftete Kaninchen
gesehen und wir glaubten die Beobachtung dahin deuten zu dürfen, dass
Kalk in entsprechender Dosis aus der subakuten eine akute zu machen
vermag, während physiologische NaCl-Lösung für den Gang der Nephritis
ohne Belang sei. Denn das mit 0,9proz. NaCl-Lösung behandelte
Tier Nr. 50 unterschied sich nicht wesentlich von den gewöhnlichen
Pohl-Tieren. Es bleibt dahin gestellt, ob alle nach dieser Methode be¬
handelten Tiere diese Merkmale haben. Bei der Mannigfaltigkeit der
Erscheinungen, die wir bei reinen Pohl-Tieren gefunden haben, muss
Tier Nr. 221.
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0,605
28. 10.
1740
30
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0,093
0,850
29. 10.
0,5 ccm Uran
(0,07 proz) subkutan.
} 52
1045
s.
+
0,093
0,850
1770
30
30
)
1043
+
2 mal tgl. 2,0 NaCl (0,9 pCt.)
30. 10.
1700
20
40
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s.
—
0,176
1,620
2 mal ttfl. 4,0 NaCl (0,9 pCt )
31. 10.
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20
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0,075
0,806
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—
0,158
0,9640
do.
3.11.
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s.
+
+
0,369
1,376
do.
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s.
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0,080
1,265
do.
5. 11.
1500
20
50
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y
s.
++
+
0,058
0,872
do.
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10
} 36
1042
s.
+
+
0,072
0,626
do.
7.11.
1520
40
70
0,072
0,626
do.
8 . 11.
9. 11.
1540
1550
10
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30
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+
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0,081
0,081
0,995
0,995
do.
do.
10 . 11.
1470
40
70
48 |
1035
s.
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+
0,076
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do.
11 . 11.
12 . 11.
1470
1490
20
30
50
70
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1 1032
s.
+
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0,120
0,120
0,766
0,766
do.
do.
13.11.
1450
25
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88
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s.
+
0,210
1,247
do.
14. 11.
1500
20
40
67
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+
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15. 11.
16.11.
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1470
70
20
80
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1021
s.
+
—
0,122
0,122
0,789
0,789
do.
do.
17. 11.
1420
40
110
105
| 1015
s.
+
1 —
0,420
0,926
do.
18. 11.
19. 11.
1400
1410
30
50
140
100
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1017
s.
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1
0,232
0,232
0,898
0,898
do.
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0,208
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23. 11.
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150
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s.
+
—
0,221
0,857
do.
24. 11.
1300
20
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s.
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0,306
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25. 11.
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110
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do.
26. 11.
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3,969
l ) Vom 2. 11. ab Zucker + .
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uran Vergiftung. 375
man mit der Möglichkeit rechnen, auch andere Resultate bei gleicher
Behandlungsmethode zu erzielen. Es sollte nicht unsere Aufgabe sein,
alle Varianten zu finden. Wir begnügten uns mit der Repetition des
Versuches 50 (0,9proz. NaCl-Lösung) mit dem Tier Nr. 221 und
schlossen hieran, da dieses (Nr. 221) mit jenem fast vollkommen
übereinstiramte, einen Versuch, in dem wir noch den Einfluss hyperto¬
nischer Kochsalzlösungen studierten. Diesem Zweck diente das Tier
Nr. 277, dem wir täglich 2 mal 4 ccm einer l,2proz. NaCl-Lösung nach
der Uranvergiftung intravenös injizierten. Die eingespritzte Menge sowohl
wie der Prozentgehalt des NaCl ist willkürlich gewählt.
Tier Nr. 277.
Ur
i n
• •
Datum
Ge¬
wicht
Hafer
Wasse
Menge
Spez.
Gew.
Reakt.
Alb. und
Zylinder
Sang.
NaCl
N
Bemerkungen
28. 2.
1.3.
1750
1750
90
50
65
40
}
55
1042
s.
—
—
0,066
0,066
0,612
0,612
2. 3.
1650
90
90
47
1025
s.
—
—
0,075
0,901
3. 3.
1770
90
90
\
0,024
0,497
4.3.
1620
90
90
t
1U40
s.
0,024
0,497
5. 3.
0,5 ccm Uran (0,
proz
.) subkutan.
6 . 3.
1620
1600
70
70
90
90
)
52
1030
s.
—
0,026
0,026
0,575
0,575
2X^ ccm NaCl (1,2 pCt '
do.
7. 3.
1570
80
90
98
1020
s.
+
—
0,254
1,150
do.
8 . 3.
1450
50
90
47
1015
s.
+
+
0,150
0,736
do.
9. 3.
1300
20
90
90
1020
s.
+
+
0,234
1,493
do.
10. 3.
1220
?
?
64
1020
s.
+
+
0,153
0,947
do.
11.3:
In Agonie morgens
i früh,
mittags gestorben
Das Tier Nr. 277 nimmt eine Sonderstellung ein. Es zeigt den
Charakter, den wir schon von den mit grossen Kalkdosen gespritzten
Tieren kennen. Keine über lange Zeit sich hinziehende Nephritis, in
deren Verlauf sich Tage mit grossen Urinmengen einstellten, sondern
eine akut einsetzende Nephritis, die am siebenten Tage nach der Ver¬
giftung ihr Ende erreicht. Hier sehen wir ganz ausgesprochene Polyurie,
Ausschwemmung von NaCl und N.
So hat sich denn, wenn man das Ergebnis der Kalkversuchc bei
uranvergifteten Tieren zusammenfassen will, die interessante Beobachtung
ergeben, dass intravenöse Injektionen von Calc. lact. bei der Urannephritis
das Einsetzen der Polyurie und des Todes beschleunigen. Dement¬
sprechend erfolgt auch die Zunahme der NaCl- und N-Ausscheidung
durch die Nieren schneller und intensiver. Sehr kleine Kalkdosen zeigen
diese Wirkung nur minimal, dahingegen ist der Einfluss grosser Kalk¬
mengen sehr deutlich. Von der hemmenden Wirkung des Kalkes auf
die Nierenfunktion, die wir oben bei Phloridzindiabetes, Nephritis usw.
kennengelernt haben, ist hier bei der Urannephritis nichts zu konstatieren.
Gerade der entgegengesetzte Einfluss tritt in die Erscheinung.
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Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
i)7() L. Dl 'NN ER, Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) usw.
Digitized by
Ira Laufe dieser Versuchsreihe hat sich noch der bemerkenswerte
Befund ergeben, dass die Zufuhr von verhältnismässig geringen Mengen
hypertonischer Kochsalzlösung eine ähnliche Wirkung auf die Uran¬
nephritis ausübt wie der Kalk. Wir sind dieser Frage des Kochsalz¬
einflusses nicht weiter nachgegangen, da sie nicht direkt zum Thema
gehört. Weitere Versuche in dieser Richtung müssten feststellen, ob cs
sich dabei um einen Zufall oder um eine Gesetzmässigkeit handelt.
Zusammenfassung.
1. Nach subkutaner Injektion kleiner Uranmengen entsteht, wie Pohl
zuerst gefunden hat, beim Kaninchen eine Nephritis, die bis zum Tode
mit Polyurie, Ausschwemmung von N und NaCl einhergeht.
2. Die charakteristische Ausschwemmung bei dieser Nepritis wird höchst¬
wahrscheinlich durch eine besondere Affinität des Urans zu den Nieren
verursacht, derart, dass die übrigen Organe primär durch das Uran
nicht vergiftet werden; denn nach Injektion des Urans direkt in die
Nierenarterien erhielten wir das Bild der Pohlschen Krankheit mit
den Ausschwemmungen, und bei der Injektion von Uran in eine
Nierenarterie und bei der nach einigen Stunden erfolgten Exstirpation
der betreffenden Niere blieben die Tiere gesund.
3. Intravenöse Zufuhr von Kalk vermag je nach der einverleibten Menge
mehr oder weniger die Symptome der Urannephritis zu beschleunigen
und zu verstärken. In gleichem Sinne wirkt anscheinend hypertonische
Kochsalzlösung. Dahingegen beeinflusst intravenös eingespritzte physio¬
logische NaCl-Lösung die subakutc Urannephritis nicht.
Literatur.
1 ) Pohl, Ueber subakute Nephritis. Aich. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 67. —
2) Baehr, Ueber die Polyurie bei subakuter Nephritis. Deutsch. Arch. f. klin. Med.
Bd. 109. — 3) Derselbe, Ueber experimentelle Schrumpfniore. Beitr. z. path. Anat.
u. allgem. Path. Bd. 75. — 4) Jacoby u. Eisner, Einwirkung von Kalksalzen auf
die Niere. Berl. klin. Wochenschr. 1913. Nr. 29. — 5) Jacoby u. R. Rosenfeld,
Einwirkung von Kochsalzen auf den Phloridzindiabetes. Biochem. Zeitschr. Bd. 69.
— 6) Eisner, Beeinflussung der Nierenfunktion des Menschen durch Kalksalze.
Deutsch. Aroh. f. klin. Med. Bd. 112. (Weitere Literatur ist dort angeführt.) —
7) Tan gl, Biochem. Zeitschr. 1911. Bd. 34.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
XVII.
Aus dem städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin
(I. innere Abteilung: Gchf. Med.-Rat Prof. Dr. Georg Klempercr).
Zur Diagnostik der lnetastatischen Knochenmarkstumoren
aus dem Blutbefund.
Von
Johannes von Roznowski.
Unerwartet wird bisweilen bei der Sektion sehr kachektischcr Menschen
eine generalisierte Geschwulstbildung im Knochenmark festgestellt, die im
Leben nicht diagnostiziert worden war, weil keinerlei Symptome darauf
hinzuweisen schienen.
In der Tat kann die Diagnose der multiplen Knochenmarksmetastasen
maligner Tumoren bisweilen grosse Schwierigkeiten machen. In Fällen,
wo bei der bestehenden oder auch bei einer früheren Erkrankung ein
Priraärtumor diagnostiziert, eventuell operativ entfernt worden ist, und
wo jetzt fortschreitende Anämie und Kachexie, Knochenschmerzen, Knochen¬
auftreibungen, Spontanfrakturen auftreten, liegt die Diagnose Knochen¬
metastasen auf der Hand.
Uebrigens ist dabei zu berücksichtigen, dass ein langes Zurückliegen
der Operation de? Primärtumors und ein jahrelanges Freigebliebensein
von Rezidiven die Diagnose Metastasenbildung im Knochensystem nicht
unwahrscheinlich macht. Es sind Fälle bekannt, wo 7 bis 8 Jahre
und noch länger nach Maramaamputationen wegen Karzinom die ersten
Symptome von Knochenmetastasen in Erscheinung getreten sind (Petren,
Ritchie und Stewart, Bruns).
In anderen Fällen, wo weder früher noch bei der jetzigen Erkrankung
ein Tumor festgestellt werden konnte, liegt die Annahme metastatischer
Knochenmarksgeschwülste nicht so nahe. Während nämlich die Metastasen¬
bildung maligner Tumoren in den anderen Organen doch meist erst er¬
folgt, wenn der Primärtumor schon eine gewisse Grösse erreicht hat,
kann ausgedehnte Metastasierung ira Skelettsystem oft schon erfolgen,
wenn der Primärtumor noch ganz jung ist. Recklinghausen teilte
einen Fall mit, wo bei der Sektion multiple Knochenmarkstumoren ge¬
funden wurden, ohne dass zunächst ein Primärtumor aufzufinden war.
Nur das geübte Auge des Prosektors entdeckte auf der Schnittfläche der
Prostata eine kleine Stelle von etwas abweichender Färbung. Erst dio
mikroskopische Untersuchung ergab die Diagnose: Prostatakarzinom mit
multiplen Knochenmarksmetastasen.
□ igitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
378
JOHANNES von ROZNOWSKI,
Digitized by
Ferner kann die Diagnose dadurch sehr erschwert werden, dass die
von Metastasen durchsetzten Knochen äusserlich oft gar keine Ver¬
änderungen aufweisen; die Metastasenbildung bleibt lediglich auf die
Markhöhle beschränkt. Auch Knochenschmerz kann vollständig fehlen.
In einem von Schleip veröffentlichten Falle ergaben sich bei der
Sektion ausgedehnte Tumormassen in Wirbelsäule, Rippen, Sternum,
rechter Clavicula und Beckenknochen, ohne dass im Leben — abgesehen
vom Blutbefund — irgendwelche Symptome vorhanden gewesen wären,
die die Aufmerksamkeit auf eine Skeletterkrarikung gelenkt hätten. Es
wird ausdrücklich hervorgehoben, dass nirgends Druckempfindlichkeit be¬
stand, und dass selbst starkes Beklopfen der Knochen, die sich später
von Metastasen durchsetzt zeigten, schmerzlos war.
Von grosser Bedeutung für die Diagnose „multiple, metastatischc
Knochenmarkstumoren“ ist ein charakteristischer Blutbefund. In der
grossen Mehrzahl der in der Literatur veröffentlichten Fälle wird als
einzige Angabe über das Verhalten des Blutes „Anämie“ erwähnt,
oder es wird angegeben, das Blutbild sei ein der perniziösen Anämie
ähnliches.
In der Tat findet sich fast immer ziemlich starke Anisozytose, auch
Poikilozytose; hin und wieder sieht man hämoglobinreichere und poly¬
chromatophile, bisweilen auch basophil punktierte rote Blutkörperchen.
Oft sind Erythroblasten, in manchen Fällen sogar in auffallend reich¬
lichen Mengen — Normoblasten und seltener Megaloblasten — vorhanden.
Meist jedoch bleibt, im Gegensatz zum Blutbefund bei der perniziösen
Anämie, der Färbeindex unter 1; die roten Blutkörperchen sind hämo¬
globinarm oder wenigstens nicht hyperchrom. Ein ständiges Sinken ihrer
Anzahl wurde in allen Fällen, die längere Zeit beobachtet werden konnten,
festgestellt.
Das Verhalten der Leukozyten ist, was ihre Zahl betrifft, sehr ver¬
schieden. Während in manchen Fällen Leukopenie beobachtet worden
ist — Kurpjuweit und ferner Harrington und Kennedy haben in
einigen Fällen nur 2500 Leukozyten im Kubikmillimeter gezählt —, war
in der Mehrzahl der Fälle eine Hyperleukozytosc vorhanden. In der
Regel bleibt die Zahl der Leukozyten zwischen 10000 und 30000; es
kann jedoch auch zu sehr hohen Werten kommen, wie die Fälle von
Käst und von Dieballa und Entz beweisen, wo das eine Mal 114000
bzw. 120000, das andere Mal 112000 Leukozyten gezählt worden sind.
Auf die Art der Tumoren kommt es dabei nicht an; sowohl bei Karzinomen,
als auch bei Sarkomen — den beiden hauptsächlichsten Vertretern der
malignen Tumoren, die Knochenmetastasen machen — kann bald Leuko¬
penie bald Leukozytose auftreten.
Die polymorphkernigen Leukozyten sind meist in annähernd normalen
Prozentzahlen vorhanden; sie zeigen im allgemeinen wenig gelappte Kerne.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Diagnostik der metastatischen Knochenmarkstumorcn aus dem Blutbefund. 379
Es ist also eine Verschiebung des Blutbildes nach links in Arnethschem
Sinne vorhanden. In bezug auf die Lymphozyten sind meist keine
gröberen Veränderungen vorhanden. Eosinophile und Mastzellen sind fast
immer vermindert an Zahl.
Wichtig ist das Auffinden von Myelozyten im Blute in grösserer
Zahl. In Fällen von ausgedehnterer Metastasenbildung im Knochenmark
sind Mengen von 11—17 pCt. beobachtet worden.
Eine Reihe von Autoren sind zu dem Schluss gekommen: Treten
mit dem Symptomenbild einer schweren Anämie Myelozyten in grösserer
Zahl im Blute auf, so spricht das für das Bestehen maligner Knochen¬
markstumoren. Im übrigen aber weichen ihre Befunde vielfach von
einander ab.
1901 hat H. Hirschfeld 1 ) die Fälle von Knochenmarkstumoren aus
der Literatur gesammelt, bei denen Angaben — vielfach allerdings nur
ungenaue — über den Blutbefund gemacht waren, und drei eigene
Beobachtungen veröffentlicht. Er kommt zu dem Schluss: Eins der
wesentlichsten Symptome von Knochenmarkstumoren grösserer Aus¬
dehnung ist schwere Anämie. In der Regel tritt eine Vermehrung der
Leukozyten auf, und es finden sich pathologische Formen im Blute;
nämlich Myelozyten, grosse mononukleäre Leukozyten, Comilsche Zellen
und polymorphkernige Leukozyten ohne Granulationen. Stets ist eine
Verminderung der eosinophilen Zellen vorhanden. Das Knochenmark be¬
sitzt weitgehende Regenerationsfähigkeit. In Fällen jedoch, wo es infolge
allzu grosser Raurabeschränkung durch ausgedehnte Metastasenbildung
nicht mehr imstande ist, in normaler Weise zu funktionieren, kann
vikariierend eine myeloide Umwandlung der Milz eintreten. „Zurzeit
erscheint es noch nicht möglich, auf Grund des Blutbefundes allein die
Diagnose zu stellen.“
Kurpjuweit 2 ) hat 1903 in ähnlicher Weise eine zusammenfassende
Arbeit über Knochenmarksmetastasen maligner Tumoren veröffentlicht,
und aus drei eigenen und zehn Fällen der Literatur den Schluss ge¬
zogen: Auch wenu kein Primärtumor konstatiert werden kann, so muss
die Diagnose maligner Tumor mit Knochenmarksmetastasen gestellt werden,
falls bei bestehender schwerer Anämie mit Poikilozytose, Polychromatophilie
und Erythroblasten Myelozyten in Mengen von mehreren Prozenten auf-
treten. In Fällen von ausgedehnterer Metastasenbildung im Mark zeigen
Milz, Leber und Lymphdrüsen Zellelementc, wie sie nur dem Knochenmark
zukommen; also wird anzunehmen sein, dass diese Organe bei Behinderung
der Blutbildung im Knochenmark dessen Aufgabe übernehmen.
1) Hans Hirschfeld, Ueber Blutbefunde bei Knochenmarkstumoren. Fortschr.
d. Med. 1901. Bd. 19. Nr. 29.
2) 0. Kurpjuweit, Zur Diagnose von Knochenmarksmetastasen bei malignen
Tumoren aus dem Blutbefund. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1903. Bd. 77. S. 553.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
380
JOHANNES von HOZNOWSKI,
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Eine ziemlich stark abweichende Ansicht hat Schleip 1 ) ausge¬
sprochen. Er fand ausser der auch von den anderen Autoren beschrie¬
benen Anämie mit Myelozyten in grösserer Zahl in zwei von seinen drei
Fällen „abnorme Zellen“ im Blut, die „in direktem Zusammenhang mit
den Knochenmarkstumoren stehen 11 , d. h. also offenbar als Geschwulst-
zcllen aufgefasst werden. Sie werden beschrieben als zum Teil sehr
grosse Zellen (bis 25 ^ Durchmesser) mit voluminösem, schwach baso¬
philem Protoplasma ohne Granula und relativ grossem, rundem oder
ovoidem, chromatinreichem Kern von lockerer, oft etwas gelappter Struktur.
Die Zahl dieser „abnormen Zellen“ stieg in einem Falle bis auf 54,3 pCt.
bei 6900 Leukozyten im Kubikmillimeter.
Ob diese Zellen in der Tat als Geschwulstzellen aufgofasst werden
dürfen, erscheint doch sehr zweifelhaft. Sicherlich werden in Fällen von
malignen Knochenmarkstumoren auch Geschwulstzellen im Blute vor¬
handen sein. Ihr Auffinden im Blutausstrichpräparat wird jedoch nur
als ein glücklicher Zufall zu bezeichnen sein. Denn einmal ist die Be¬
urteilung isolierter Tumorzellen sehr schwierig und andrerseits bleiben
sio ja im strömenden Blut selten intakt. Vor allen Dingen wird man
aber eine solche Ueberschwemmung des Blutes mit Tumorzellen —
54,3 pCt. bei 6900 Leukozyten wären rund 3700 Geschwulstzellen in
1 emm Blut — nicht annehmen können. Selbst bei 1 pCt. Turaorzellen
auf 8000 weisse Blutkörperchen im Kubikmillimeter wären 4000 Tumor¬
zellen in jedem Blutstropfen (1 ccm = 20 Tropfen gerechnet). Es müssten
also, gleichmässige Verteilung vorausgesetzt, ungeheure Mengen von Ge¬
schwulstzellen im Blute kreisen. Das Auffinden von Zellen, die in di¬
rektem Zusammenhang mit der Geschwulst stehen, erscheint demnach
für die Diagnostik der Knochenmarkstumoren nicht verwertbar; man
müsste denn die in neuester Zeit bei anderen, hauptsächlich Bluterkran¬
kungen hin und wieder zu diagnostischen Zwecken ausgeführte Punktion
des Knochenmarks anwenden.
Ehrlich und Grawitz 2 ), ferner Israel und Leyden 3 ) haben eben¬
falls in Fällen von metastatischen Knochenmarkstumoren abnorme Zellen
im Blute gefunden; dieselben werden jedoch nicht als Geschwulstzellen
aufgefasst. In dem einen Falle wird angenommen, dass es Knochen-
marksclemente seien, im anderen Falle wird ihre Aetiologie nicht genauer
erörtert.
Andere Autoren sind zu ganz ähnlichen Resultaten gekommen, wie
Hirschfeld oder Kurpj u weit. Erwähnt seien die Arbeiten von Epstein 4 ),
1) K. Schleip, Zur Diagnose von Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund.
Zeitschr. f. klin. Med. 1906. Bd. 59. S. 261.
2) Charite-Annalen. Bd. 5. S. 198.
3) Berliner klin. Wochenschr. 1890. S. 231.
4) Zeitschr. f. klin. Med. 1896. Bd. 30. S. 121.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Diagnostik dor metastatischen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbofund. 381
Braun 1 ), Frese 2 ), Käst 3 ), Rotky 4 ), Harrington - Tcachcr 5 ),
Roman 6 ) und Harrington-Kennedy 7 ).
Auch in zwei der im Krankenhaus Moabit in letzter Zeit beobach¬
teten vier Fälle von multiplen Knochenmarksmetastasen maligner Tumoren,
über deren Krankheitsgeschichte in dieser Arbeit berichtet werden soll,
war derselbe Blutbefund vorhanden. In dem einen Falle handelte es
sich um eine 53 Jahre alte Frau, welcher 7 Jahre vor dem Auftreten der
ersten Zeichen von metastatischen Knochenmarkstumoren die linke Mamma
wegen Karzinom amputiert worden war; der andere Fall betrifft einen
18jährigen jungen Mann mit periostalem Sarkom des rechten Oberschenkels.
Zur besseren Uebersicht mögen eine Anzahl der bereits veröffent¬
lichten Blutbefunde bei metastatischen Knochenmarkstumoren in Form
einer Tabelle angeführt werden (vgl. S. 382 u. 383).
Es sind nur die Fälle verzeichnet, bei denen genaue Angaben über
das prozentuelle Verhältnis der Leukozyten vorliegen.
1. Frau E. R., 51 Jahre alt, aufgenommen am 21. 3. 1912. Die Mutter der Pat.
ist an Leberkrebs gestorben. 1905, also vor 7 Jahren, wurde der Pat. die linke Mamma
wegen einer bösartigen Geschwulst amputiert. Seit etwa 9 Woohen Schmerzen in
beiden Hüftgelenken, besonders stark auf der rechten Seite.
Status bei der Aufnahme: Graziler Körperbau, schlechter Ernährungs¬
zustand, blasse Hautfarbe, lieber die linke Brustseite, schräg nach der Achselhöhle
verlaufende Narbe; die linke Mamma fehlt.
Cor: Dämpfung normal begrenzt; über allen Ostien systolisches Geräusch, be¬
sonders deutlich über der Pulmonalis. II. Ton an der Herzspitze etwas paukend.
Pulmones: normale Grenzen, gute respiratorische Verschieblichkeit, kein patho¬
logischer Auskultations- oder Perkussionsbefund.
Abdomen: Epigastrium auf Druck etwas empfindlich; Milz ist palpabel und
ziemlich druckschmerzhaft, sie überragt fingerbreit den Rippenbogen.
Urin, Stuhl, Magensaft: ohne Besonderheiten.
Nervensystem: kein pathologischer Befund.
29. 3. Blutbefund: 45pCt. Hämoglobin, 3000000 Erythrozyten, 9000 Leuko¬
zyten. Der gefärbte Blutausstrich zeigt ziemlich viel Erythroblasten, Anisozytoso und
Poikilozytose der roten Blutkörperchen; von den weissen Blutkörperchen sind:
Polymorphkernige Neutrophile .
40,5 pCt.
Eosinophile.
3,0 „
Lymphozyten.
42,5 „
Grosse Mononukleäre ....
9,0 „
Myelozyten.
5,0 „
Auf dem Röntgenbilde zeigt sich die Flexura coli lienalis sehr tief liegend,
durch einen Tumor nach unten gedrängt; „doch scheint an dieser Stolle keine
Passagestörung im Darm vorzuljegen a .
1) Wiener med. Wochenschr. 1896. S. 481.
2) Deutsches Arch. f. klin. Mod. 1900. Bd. 68. S. 387.
3) Deutsches Arch. f. klin. Med. 1903. Bd. 76. S. 48.
4) Prager med. Wochenschr. 1906. Nr. 3.
5) Glasgow medical journal. April 1910.
6) Zieglers Beiträge. 1912. Bd. 53. S. 69.
7) The Lancet. 8. Februar 1913.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
382
JOHANNES von ROZNOWSKI
Nr.
Autor
Alter und
Geschlecht
des
Patienten
Primärtumor
Hämo¬
globin
pCt
Erythro¬
zyten
im emm
Färbe¬
index
Leuko¬
zyten
im cmra
1
Frese, 1900.
28 Jahre,
Pyloruskarzinom.
21
900 000
1,17
9 220
Fall 11.
weiblich.
1 Tag
ante mortem.
12
681 000
0,86
10 150
2
Hirschfeld, 1901.
63 Jahre,
Uteruskarzinom.
20
1000 000
1,00
30 000
Fall II.
weiblich.
3
Käst, 1903.
56 Jahre,
Peniskarzinom.
55
3 150 000
0,87
114 000
männlich.
1 Tag ante mortem.
—
3 020 000
—
120 000
4
Kurpjuweit, 1903.
34 Jahre,
Pyloruskarzinom.
25
1 825 000
0,69
9 100
Fall I.
weiblich.
•
1 Tag später.
20
718 000
1,43
6 700
5
Fall II.
17 Jahre,
Multiple
20
2 560 000
0,39
2 500
weiblich.
Knochensarkomc.
6
Fall III.
51 Jahre,
Gallenblasen¬
53
3 250 000
0,84
22 700
weiblich.
karzinom.
1 Tag ante mortem.
50
3 200 000
0,78
26 600
7
Fall IV.
42 Jahre,
Magenkarzinom.
60
4 320 000
0,70
19 700
männlich.
8
Schleip, 1906.
32 Jahre,
Magenkarzinom.
40
2 328 000
0,83
12 600
Fall I.
männlich.
1 Tag ante mortem.
40
1 984 000
1,03
16 400
9
Fall II.
34 Jahre,
Appendix¬
105
4 452 000
1,17
7 600
männlich.
karzinom.
10
Fall III.
57 Jahre,
Multiple
60
3 104 000
0,97
3 600
weiblich.
Knochensarkome.
j
7 Monate später.
70
3 792 000
0,93
1 ”
i
10 Monate später.
50
2 608 000
0,96
6 900
11
1
Harrington und
64 Jahre,
Magenkarzinom.
35
1 600 000
1,09
14 000
Teachcr, 1910.
weiblich.
8 Tage später.
42
1 900 000 j
1,10 1
8 000
6 Tage ante mortem.
35
1 800 000
0,90 1
8 000
12
Roman, 1912.
27 Jahre,
Retinagliom.
67
4 362 000
0,77
6 800
männlich.
i
13
Harrington und
52 Jahre,
Magenkarzinom.
62
2 751 000
1,05
2 500
Kennedy, 1913.
männlich.
14 Tage später.
56
2 525 000
1,12
10 000
14
Dieballa und
17 Jahre,
Pleurasarkom.
i 41
2 608 000
0,79
112 600
Entz, 1913.
weiblich.
I
i
I
In dieser Arbeit:
29.3.1912
45
| 3 000 000
0,75
9 000
Frau E R., 41 Jahre alt.
16.4. und 3.5. 1912
40
3 200 000
0,63
5 000
Mammakarzinom.
16. 6. 1912
—
| 4 200 000
—
3 000
1
.7.1912
55
' 2 570 000
1,08
| 4 800
22.9. 1912
45
1660 000! 1,36
! 3 100
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Diagnostik der metastatisohen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 383
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UN1VERSITY OF MINNESOTA
384
JOHANNES von ROZNOWSKI,
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3. 4. Punktion des Milztumors ergibt myeloide Umwandlung der Milz ziemlich
hohen Grades.
Damit schien die Diagnose: Myelämie — aleukämische Myelose —,
an die man wegen Milztumor, Erythroblasten und Myelozyten gedacht
hatte, gesichert 1 ).
IG. 4. Blutbefund: 40pCt. Hämoglobin, 3200000 Erythrozyten, 5000 Leukozyten.
3. G. Von den weissen Blutkörperchen sind:
Polymorphkernige Neutrophile . 30,5pCt.
Eosinophile.2,7 „
Lymphozyten.51.3 ,,
Grosse Mononukleäre .... 9,7 „
Myelozyten.5,5 „
Erythroblasten sind noch reichlich im Blutabstrich vorhanden.
Unter Arsenbehandlung tritt erhebliche Besserung im Befinden der Pat. ein, so
dass sie am 16. 6. gebessert entlassen werden kann.
IG. G. Blutbefund: 4200000 Erythrozyten, 3000 Leukozyten.
Von den weissen Blutkörperchen sind:
Polymorphkernige Neutrophile .
39,7 pCt.
Eosinophile.
0 „
Lymphozyten.
44,8 „
Grosse Mononukleäre ....
12,1 „
Myelozyten.
3,4 „
Anisozytose und Poikilozytose der roten Blutkörperchen unverändert; Erythro¬
blasten seltener.
15. 8. Pat. hat in der Zwischenzeit 12 Pfund an Gewicht abgenommen. Sie
fühlt sich jetzt sehr elend und matt. Die Schmerzen sind heftiger geworden, sie sind
jetzt in fast allen Knochen, besonders stark in den Schultern und im Brustkorb.
Daher wiederum Aufnahme in das Krankenhaus.
Status wie am 21. 3.
16. 8. Blutbefund: 40pCt. Hämoglobin, 3200000Erythrozyten, 4400 Leukozyten.
19. 8. In der Nacht hat sich die Pat. mit einem Ruck von der linken auf die
rechte Seite herumgeworfen; dabei hat sie einen heftigen Schmerz im rechten
Schlüsselbein empfunden und ein lautes knackendes Geräusch gehört.
Befund: Fraktur der rechten Clavicula.
Röntgenbild: „Karzinommetastasen in den Thoraxknoohen; Spontanfraktur der
rechten Clavicula. u
Jetzt wurde natürlich die Diagnose: Myelämie verlassen; das Blut¬
bild war durch das Vorhandensein multipler Knochenmarkstumoren erklärt.
23. 8. Röntgenbild: „Karzinommetastasen des Kreuzbeins, Oberschenkel und
Knie frei. u
30. 8. Reaktion auf Bence-Jonesschen Eiweisskörper im Urin: negativ.
22. 9. Blutbefund: 45pCt. Hämoglobin, 1660000 Erythrozyten, 3100 Leukozyten.
Von den weissen Blutkörperchen sind:
Polynukleäre Neutrophile
. . 41,5
Eosinophile ....
. . 2,1
Lymphozyten ....
47,6
Grosse Mononukleäre .
. . 4,5
Myelozyten ....
. . 4,3
14.10. Blutbefund: 35pCt.Hämoglobin, 1600000 Erythrozyten, 3000 Leukozyten.
1 ) Der Fall ist von H. Hirsch feid vom Gesichtspunkte der aleukämischen
Myelose aus bereits veröffentlicht.
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Zur Diagnostik der metastatischen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 385
Allmählich werden die Beschwerden der Pat. geringer. Hin und wieder noch
Schmerzen in den Beinknochen, im ganzen jedoch Wohlbefinden. Objektiv ist der
Zustand unverändert. Wiederholt gemachte Blutabstriche zeigen stets die erwähnten
Veränderungen: schwere sekundäre Anämie und unter den weissen Blutkörperchen ab
und zu Myelozyten.
28. 3. 1913. Die Pat. wird auf ihren Wunsch entlassen. Sie hat seit der zweiten
Aufnahme ins Krankenhaus 6 Pfund an Gewicht zugenommen. Ausser ab und zu
auftretenden Schmerzen in den Arm- und Beinknochen, die auch, ebenso wie das
Sternum, beim Beklopfen sehr schmerzhaft sind, fühlt sie sich beschwerdefrei. Eine
Bestimmung der Erythrozyten zahl und des Hämoglobingehalts ist damals leider nicht
ausgeführt worden. Es ist aber eine bedeutende Aufbesserung anzunehmen; denn als
die Pat. wegen heftiger, stechender Knochenschmerzen am 31. 5. das Krankenhaus
wiederaufsuchte, war der Blutbefund: 60pCt. Hämoglobin, 2900000 Erythrozyten,
5000 Leukozyten. An Körpergewicht hatte sie seit der Entlassung 12 Pfund abge¬
nommen. Während des Aufenthalts im Krankenhaus trat anfänglich eine Besserung
ein; während der ersten Monate Geringerwerden der Beschwerden.
16. 8. Blutbefund: 60pCt. Hämoglobin, 3150000 Erythrozyten, 4100 Leukozyten.
Dann aber bald schnell zunehmende Kachexie und Anämie.
15. 9. 30pCt. Hämoglobin, 1550000 Erythrozyten.
28. 10. Exitus letalis.
Sektionsbefund: Ausgedehnte Karzinommetastasen des Röhrenknochen¬
marks, der Knochen und der Dura mater cerebri, an der Konvexität in die Hirn¬
substanz wuchernd. Metastasen in den bronchialen Lymphgefässen der Lungen.
Ausgedehnte Pleuritis carcinomatosa. Lymphadenitis carcinomatosa der Hals-, Me-
diastinal-, Axillar- und Retroperitonealdrüsen.
Pulpöse Hyperplasie der Milz; Hydronephrose der linken Niere; Karzinom Verschluss
des linken Ureters. Subrauköse Karzinommetastasen des Magens. Leber frei. Zirrhose
des Pankreas. Karzinommetastasen in den Ovarien und in der Glandula thyreoidea.
2. P. Sp., 18jähriger Telegraphenbote, aufgenommen am 29. 5. 1911. Die
Familienanamnese ist ohne Besonderheiten. Vor dreiviertel Jahren bemerkte der Pat.
eine diffuse Anschwellung des rechten Oberschenkels. Allmählich bildete sich eine
indolente Schwellung der rechten Leistendrüsen, die exzidiert wurden. Bald danach
bildeten sich zahlreiche neue Tumoren, das ganze rechte Bein schwoll an, Auftreten
war vor Schmerzen nicht möglich. Der Pat. hat schon 14 Tage zu Hause gelegen.
Jetzt hat er heftige ziehende Schmerzen im rechten Oberschenkel.
Status bei der Aufnahme: Mittelgrosser, etwas magerer junger Mann,
Hautfarbe: fahl, gelblich.
Cor: Töne nicht ganz rein, II. Pulmonalton akzentuiert. Pulmones: ohne Be¬
sonderheiten.
Abdomen: In der rechten Leistenbeugo zahlreiche glänzende, blaurot vorfärbte
Tumoren von Bohnen- und Taubeneigrösse; die grösseren weicher, die kleineren
ziemlich hart. Auch links eine Reihe ebensolcher Tumoren, ausserdem eine weiche
walnussgrosse Drüse. Der untere Teil des Abdomens ist auf beiden Seiten, besonders
rechts, derb infiltriert. Starkes Oedem des Penis und des Skrotums.
Der rechte Oberschenkel ist elephantiastisch verdickt, Haut straff gespannt,
Unterschenkel und Fuss stark ödematös.
31. 5. Blutbefund: 53000 Leukozyten, meist polymorphkernige Neutrophile mit
nur wenig gelappten Kernen. 4 pCt. Myelozyten. Andeutung von Anisozytose und
Poikilozytose der roton Blutkörperchen; einzelne Norraoblasten.
6 . 6. Im Punktat eines der Hauttumoren in der reohten Unterbauchgegend
finden sich Zellen mit homogenem Protoplasma und gut färbbarem Kern von lockerer
Struktur mit grossem Kernkörperchen — offenbar Tumorzellen.
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386
JOHANNES von ROZNOWSK1,
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Drainage des rechten Beins mit zwei Kanülen, je einer in Ober- und Unter¬
schenkel. In 24 Stunden fliessen 8 Liter einer klaren, grüngelb gefärbten Flüssigkeit ab.
12. 6. Das rechte Bein ist noch immer ödematös, doch ist die starke Spannung
durch die vor zwei Tagen entfernte Drainago beseitigt.
Die Tumoraussaat auf der Haut macht Fortschritte: ausser den nussgrossen
Tumoren treten allenthalben glasige, graurote Knötchen bis zu Linsengrösse in der
Haut der Unterbauchgegend und des rechten Oberschenkels auf. Darunter sind in der
Tiefe knotige Tumoren durchzutasten. Die ödematöse Durchtränkung der Skrotal-
und Präputialhaut hat nachgelassen.
Herzaktion beschleunigt.
Der Gesichtsausdruck des Pat. ist schwer leidend. Verfall offenbar in raschem
Fortschreiten begriffen.
13. 6. Exitus letalis.
Sektionsbefund: Periostales Sarkom des rechten Oberschenkels mit massen¬
haften Metastasen im Knochenmark. Milzschwellung. Metastasen in Haut, Lymph-
drüsen, Knochen, Lungen, Leber, Milz, Harnblase.
Als Ursache für die Veränderung des Blutbildes bei malignen
Tumoren ist die Metastasenbildung in der Markhöhle der Knochen an¬
genommen worden.
Die Tumormetastasen siedeln sich entweder als Knoten oder diffus
infiltrierend mit Vorliebe an den Stellen an, wo beim Erwachsenen ge¬
wöhnlich das rote Mark sitzt: in den Rumpfknochen, der Diploe der
Schädelknochen und dem proximalen Teile der Röhrenknochen. Das
blutbildende Mark wird durch die wachsenden Metastasen verdrängt, dann
aber auch qualitativ verändert; da es nun nicht mehr imstande ist, in
normaler Weise zu funktionieren, kommt es zur Anämie, zur überstürzten
Bildung von roten Blutkörperchen und zum Austritt unreifer roter und
farbloser Elemente ins Blut. Das vorhandene Fettmark wandelt sich in
lymphoides um, und dieses produziert nun neue Blutelemente. Reicht
auch das umgewandelte Mark infolge der Ausdehnung der Tumoren nicht
mehr für die Blutbildung aus, so beteiligen sich Milz und wohl auch
Lymphdrüsen an der Regeneration des Blutes.
Infolge der Knochenmarkstumoren entsteht also Einschränkung der
Blutbildung an den ursprünglichen Stätten, Behinderung der Regeneration
und Umlenkung in andere Bahnen, die nicht so regelmässig funktionieren,
daher auch abnorme Zellen in das Blut hinaustreten lassen (Sternberg).
Epstein 1 ) ist der Ansicht, dass es Stoffwechsclproduktc der malignen
Tumoren sind, welche im Sinne der negativen Chemotaxis eine Aus-
stossung der auswanderungsfähigen Elemente des Knochenmarks be¬
wirken. Damit findet aber die Anämie keine Erklärung. Es ist auch
nicht einzusehen, weshalb bei Bildung derselben Tumoren ausserhalb des
Knochenmarks nur in ganz seltenen Fällen geringe Mengen von Myelo¬
zyten im Blute gefunden worden sind.
1) J. Epstein, Blutbefunde bei metastatischer Karzinose des Knochenmarks.
Zeitschr. f. klin. Med. 1896. Bd. 30. S. 121.
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Zur Diagnostik der metastatisohen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 387
Frese 1 ) nimmt einen übermässig starken Zerfall der Erythrozyten
unter der Einwirkung des Tumorgiftes an. — Daher auch die bei Sektionen
oft festgestellte Siderose der Organe. — Das blutbildende Gewebe könne
also einmal wegen der Raumbeschränkung durch die Tumormetastasen,
dann aber auch wegen des vermehrten Unterganges der Blutkörperchen
nicht schnell genug Ersatz schaffen und lasse daher unreife Elemente ins
Blut übertreten.
Diese Erklärung gewinnt grosse Wahrscheinlichkeit durch eine Mit¬
teilung von Dieballa und Entz 2 ): Es wurde ein Blutbefund festgestellt,
der nach den bisherigen Erfahrungen ausgedehnte Metastasenbildung im
Knochenmark erwarten liess. 10 pCt. Myelozyten mit dem Bilde schwerer
sekundärer Anämie. Bei der Sektion jedoch fanden sich nur 4 bis 5
bohnen- bis pflauraengrosse Knochenmarksmetastasen. Nahezu alle
Knochen wurden auf das Genauste untersucht. Damit scheint der Be¬
weis erbracht, dass nicht allein Verdrängung des blutbildenden Gewebes
durch die Geschwulstmassen die myeloide Umwandlung des übrig ge¬
bliebenen Knochenmarks bzw. der Milz und Lyraphdrüsen bewirken und
dadurch zu der charakteristischen Blutveränderung führen kann.
In der Literatur finden sich einige Andeutungen, aus denen hervor¬
zugehen scheint, dass besonders in Fällen von osteoplastischer Knochen¬
marksmetastasenbildung die myeloide Umwandlung der Milz ausgeprägt
ist, während sie in Fällen von nicht osteoplastischer Metastasierung
fehlen kann. Ob die osteoplastische Natur der Knochenmarksmetastasen
maligner Tumoren in Beziehung steht zu der myeloiden Umwandlung der
Milz, ist zur Zeit noch nicht zu entscheiden. Bei den meisten Autoren
sind keine Angaben darüber vorhanden.
Dieballa und Entz ziehen aus ihrer Beobachtung die Schluss¬
folgerung: Anämie und mächtige Vermehrung der Myelozyten kann in
Ausnahmefällen auf die Geschwulsttoxine bzw. auf die durch dieselben
verursachte biologische Reaktion des Knochenmarks zurückzuführen sein.
Myelozyten in höherer Anzahl im Blute bei sekundärer Anämie recht¬
fertigt zwar die Annahme eines malignen Tumors mit Knochenmarks¬
metastasen; über deren Ausdehnung jedoch lassen sich aus dem Blut¬
befund keine Schlüsse ziehen.
Eine weitere Einschränkung der Bewertung des Blutbefundes für die
Diagnose: maligner Tumor mit Knochenmarksmetastasen erscheint ge¬
boten nach der Beobachtung zweier anderer Fälle des Krankenhauses
Moabit. In beiden Fällen sind während des Lebens ausgedehnte Metastasen¬
bildungen im Skelettsystem röntgenologisch einwandfrei festgestellt, in
einem Falle durch die Sektion bestätigt worden. (Im anderen Falle
1) 0. Frese, Ueber schwere Anämie bei metastatischer Knochenkarzinose.
Deutsches Arch. f. klin. Med. 1900. Bd. 68. S. 387.
2) Dieballa und Entz, Leukämieähnliohes Blutbild bei einer bösartigen Ge¬
schwulst. Fol. haematolog. Archiv. 1913. Bd. 15. S. 59.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 11 . 6. oc
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388
JOHANNES VON ROZNOWSKI,
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kennte aus äusseren Gründen eine Sektion nicht stattfinden.) In beiden
Fällen jedoch haben wiederholte Blutuntersuchungen, abgesehen von
geringer Anisozytose und Poikilozytose, normalen Blutbefund ergeben.
3. Frau M. U., 46 Jahre alt, aufgenommen am 22. 4. 1911. Pat. ist früher nie
ernstlich krank gewesen. Vor 3 / 4 Jahren wurde sie wegen einer Geschwulst — offen¬
bar Karzinom — an der Brust operiert. Seit einiger Zeit klagt sie über Schmerzen im
Genick, die in den letzten Tagen so heftig geworden sind, dass sie deswegen das
Krankenhaus aufsuchte.
Status bei der Aufnahme: Kleine, mittelkräftig gebaute Frau in reduziertem
Ernährungszustand. Rechte Mamma amputiert; an ihrer Stelle eine lange Narbe, die
bis in die Achselhöhle hineinführt. Thorax breit, gut gewölbt. Mässige Kyphose im
Bereiche der Halswirbelsäule, die beim Beklopfen und bei einfacher Palpation sehr
schmerzempfindlich ist.
Cor: ohne Besonderheiten.
Pulmones: Ueber beiden Spitzen ziemlich erhebliche Schallverkürzung und ver¬
schärftes Vesikuläratmen.
Abdomen: nirgends druckempfindlich, palpatorisch nichts Pathologisches.
Urin und Stuhl: ohne Besonderheiten.
Nervensystem: ohne pathologischen Befund.
Röntgenbild: „Karzinommetastasen in Halswirbelsäule, Scapula, Clavicula,
Humerus. w #
Andere Röntgenbilder (Dr. Max Cohn) zeigen zahlreiche, ausgedehnte Metastasen
im gesamten Knoohensystem: Wirbelsäule, Rippen, Beckenknoohen, Oberschenkel.
Der Blutbefund zeigt keine Abweichung von der Norm.
4. 6.: Der Befund ist bis vor einigen Tagen stationär geblieben. Dauernd Klagen
über Schmerzen im Genick, im Kreuz und in den Schultern. An den Knochen keine
Veränderungen zu tasten. Pat. konnte ausserhalb des Bettes sein und war meist
euphorisch. Seit vorgestern ist der linke Fuss geschwollen, rotblau verfärbt, fühlt
sich kalt an. Puls der Arteria dorsalis pedis nicht zu tasten. (Embolischer Verschluss
der Arterie.) Rapider Kräfteverfall.
Exitus letalis.
4. Frau F. R., 44 Jahre alt, aufgenommen am 7. 6. 1911. Vor 13 Jahren Nieren¬
entzündung und Blaseneiterung. Vor 8 Jahren bemerkte die Pat. in der linken Brust
einen harten Knoten, der, ohne Schmerzen zu bereiten, allmählich grösser wurde. Vor
5 Jahren deswegen Abtragung der linken Brust. Seit 2 Jahren indolente kleine Ge¬
schwulst in der rechten Mamma. Seit derselben Zeit Schmerzen in der linken Hüfte
und im linken Bein. Seit 3 Monaten auch in der Brust Schmerzen*
Status bei der Aufnahme: Mässig genährte Frau. An der linken Brustseite
Narbe von der Mammaaraputation. Im Verlauf der Narbe mehrere harte, erbsengrosse,
druckempfindliche Knötchen, ln der rechten Mamma hühnereigrosser, harter, höokriger
Tumor. In der rechten Axillar- und in beiden Infraclaviculargruben harte, vergrösserte
druckempfindliche Drüsen.
Cor: normale Grenzen; systolisches Geräusch an der Spitze, 2. Aorten ton ver¬
stärkt.
Puls regelmässig, 115 pro Minute. Temperatur 37,2.
Pulmones: Leicht tympanitischer Perkussionsschall über beiden Spitzen und
Oberlappen. Hinten unten beiderseits Dämpfung bis zum Angulus scapulae; leises,
unbestimmtes Atmen.
Abdomen und Nervensystem: ohne pathologischen Befund.
Druckempfindlichkeit der Beckenknochen, unsicherer Gang; Hüftgelenke frei be¬
weglich.
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Zur Diagnostik der metastatischen Knoohenmarkstumoren aus dem Blotbefund. 389
Röntgenaufnahme der Beckenknochen ergibt zahlreiche Karzinommetastasen in
denselben wie auch im Kreuzbein, fn den Lendenwirbeln und Oberschenkeln.
Das Blutbild ist, abgesehen von geringer Anisozytose und Poikilozytose der
Erythrozyten, normal. (Dr. H. Hirschfeld.)
Im Verlaufe der Krankheit geht die Pleuritis bald zurück, der übrige Befund
bleibt zunächst unverändert bestehen. Nach drei Monaten zeigt das Röntgenbild, dass
die Tumormassen in Becken und Oberschenkeln grösser geworden sind. Allmählich
bildet sich eine Kyphoskoliose aus, es treten Hautmetastasen in der Operationsnarbe,
an der linken Wange, auf dem reohten Scheitelbein auf. Adynamie und Kachexie
nehmen immer mehr zu, aber erst im Dezember 1913 erfolgt der Exitus letalis.
Wiederholte Röntgenaufnahmen ergeben: „Schwere Erkrankung des ganzen
Skelettsystems durch ausgedehnte Karzinommetastasen.“
Das bis zum Exitus von Herrn Dr. Hirschfeld beobachtete Verhalten des Blutes
ergab keine wesentliche Abweichung von der Norm.
Sektionsbefund: Ausgedehnte metastatisohe Karzinose, besonders des
Knochenmarks und der Knochen nach Mammakarzinom. Verkrümmungen des Beckens
und der Wirbelsäule. An wenigen Stellen der Röhrenknochen myeloides Mark.
Karzinommetastasen der Haut, der Pleura, des Peritoneums, der Lymphdrüsen, der
Leber, der Ovarien.
Aus der Beobachtung dieser beiden Fälle geht hervor, dass bei
malignen Tumoren mit zahlreichen Knochenmarksmetastasen die be¬
schriebene charakteristische Blutveränderung auch ausbleiben kann. Leider
liegen genauere mikroskopische Befunde nicht vor; es muss also die
Frage offen gelassen werden, ob die Regeneration des Blutes auf das
zum geringen Teil von Metastasen freigebliebene Knochenmark allein
zurückzuführen war, oder ob sich andere Organe, myeloid uragewandelt,
an der Blutregeneration beteiligt haben. Es liegt die Annahme nahe,
dass es sich um Tumoren gehandelt hat, deren Stoffwechselprodukte nur
geringen Untergang von Erythrozyten bewirkt haben. (Für die „Benignität tt
des Karzinoms in diesem Falle spricht auch der langsame Verlauf.)
Infolgedessen ist ein grösserer Reiz des Knochenmarks zu überstürzter
Blutneubildung und zu Ausstossung von Myelozyten ausgeblieben.
Genaue Beobachtung des Blutbefundes in Fällen von röntgenologisch
festgestellten Knochenmarksmetastasen maligner Tumoren wäre sehr er¬
wünscht zur Klärung der zur Zeit noch nicht zu beantwortenden Frage,
weshalb in der Mehrzahl der Fälle, auch bei geringer Ausdehnung der
Metastasen, ein charakteristischer Blutbefund vorliegt, während er
andererseits bei weitgehendster Metastasierung des ganzen Skelettsystems
fehlen kann.
Zusammenfassung.
Das Auftreten von Myelozyten in Mengen von mehreren Prozenten
im Blute kachektischer Individuen, besonders solcher mit einem nach¬
weisbaren malignen Tumor, neben dem Symptomenbild schwerer sekundärer
Anämie mit meist auffällig grossen Mengen von Normoblasten, bisweilen
auch Mcgaloblasten, mit oder ohne gleichzeitige Leukozytose spricht auch
beim Fehlen sonstiger Symptome mit grosser Wahrscheinlichkeit für das
26*
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3 ( J0 J. VON ROZNOWSKI, Zur Diagnostik d. metastatischen Knochenmarkstumoren.
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Vorhandensein von Knochenraarksmetastasen eines malignen Tumors.
Ueber die Ausdehnung derselben lassen sich aus dem Blutbefund keine
Schlüsse ziehen. In zweifelhaften Fällen ist nur der positive Blutbefund
diagnostisch verwertbar. Auch in Fällen von ausgedehnter Knochenraarks-
metastasierung kann das Blutbild völlig normal, bleiben.
Herrn Geh. Med.-RatProf. Dr. Klemperer sowie Herrn Dr. H. Hirsch¬
feld spreche ich meinen aufrichtigsten Dank aus für die Anregung zu
dieser Arbeit und auch für die freundliche Unterstützung bei der Aus¬
führung derselben.
Literatur.
1) Braun, Ueber osteoplastisches Karzinom der Prostata. Wiener med. Wochen¬
schrift. 1896. S. 481. — 2) Dieballa und Entz, Leukämieähnliches Blutbild im
Anschluss an eine bösartige Geschwulst. Fol. haematol. Arch. 1913. Bd. 15. S. 59.
— 3) Ehrlich und Grawitz, Beobachtungen über einen Fall von perniziöser pro¬
gressiver Anämie mit Sarkombildung. Charitö-Ann. Bd. 5. S. 198. — 4) Epstein,
Blutbefunde bei metastatischer Karzinose des Knochenmarks. Zeitschr. f. klin. Med.
1896. Bd. 30. S. 121. — 5) Frese, Ueber schwere Anämie bei metastatischer Knochen¬
karzinose. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1900. Bd. 68. S. 387. — 6) Grawitz,
Klinische Pathologie des Blutes. 1902. S. 625. — 7) Harrington und Teacher,
Glasgow med. journ. April 1910. — 8) Harrington und Kennedy, Bone-marrow
metastases and anaemia. The Lancet. 8. Febr. 1913. — 9) H. Hirschfeld, Ueber
Blutbefunde bei Knochenmarkstumoren. Fortschr. d. Med. 1901. Bd. 19. Nr. 29. —■
10) Israel und Leyden, Berliner klin.Wochenschr. 1890. S. 231. — 11) Käst,
Hyper- und metaplastische Hämatopoese bei universeller Karzinose. Deutsches Arch.
f. klin. Med. 1903. Bd. 76. S. 48. — 12) Kurpjuweit, Zur Diagnose von Knochen¬
marksmetastasen bei malignen Tumoren aus dem Blutbefund. Deutsches Arch. f. klin.
Med. 1903. Bd. 77. S. 553. — 13) Reinbaoh, Ueber das Verhalten der Leukozyten
bei malignen Tumoren. Arch. f. klin. Chir. 1893. Bd. 46. S. 486. — 14) Roman,
Ein Beitrag zu den metastatischen Tumoren des Skelettsystems. Zieglers Beitr. 1912.
Bd. 53. S. 69. — 15) Rotky, Ueber einen Fall von Knochenkarzinose, der unter den
Erscheinungen der perniziösen Anämie verlief. Prager med. Wochenschr. 1906. Nr. 3.
— 16) Schleip, Zur Diagnose von Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund.
Zeitschr. f. klin. Med. 1906. Bd. 59. S. 261.— 17) Sternberg, Vegetationsstörungen
und Systemerkrankungen der Knochen. Nothnagel. VII. 2.
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XVIIJ.
Aus der I. med. Universitätsklinik der Königlichen Charite zu Berlin
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His).
Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
Von
Carl Maase und Hermann Zondek,
Assistenten der Klinik.
(Hit 14 Abbildungen im Text.)
Unter den in der I. medizinischen Klinik der Charite aufgenommenen
Verwundeten hatten wir Gelegenheit, die Herzen von 40 Soldaten gleich
nach ihrer Ankunft röntgenologisch 1 ) aufzunehmen. In ihrer Anamnese
war, wie unten ersichtlich, nichts vorhanden, was von sich aus eine Ver¬
änderung der Herzen hätte bewirken können, ln allen Fällen wurden
Fernaufnahmen gemacht. Die Fernaufnahme schien uns deswegen gegen¬
über der orthodiagraphischen die geeignetere zu sein, weil es uns bei
unseren Aufnahmen neben der absoluten Grössenbestimmung der Herzen
auch auf eine möglichst objektive Darstellung der Herzformen und der
Proportionen der einzelnen Teile ankam. Einige Zeit nach der ersten
Aufnahme (1—4 Monate) wurden sie wiederholt, und zwar in der
gleichen Stellung der Patienten und unter den gleichen Bedingungen wie
das erste Mal (gleiche Distanz und stets gleiche genaue Zentrierung auf
den sechsten Dornfortsatz). Gleichzeitig wurden bei den Leuten, soweit
ihre Herzen Besonderheiten darboten, elektrokardiographische Kurven 2 )
zu verschiedenen Zeiten aufgenommen. Es handelte sich durchweg um
Soldaten, die kurz nach Beendigung von sehr grossen strapaziösen
Märschen bei uns aufgenommen waren. Sie kamen teils vom östlichen
Kriegsschauplatz (Nordost-Arraee), teils vom westlichen (Belgien, Nord-
Frankreich). Ihre Marschleistungen beliefen sich im Durchschnitt auf
etwa 30—40 km täglich, bisweilen 4 Wochen lang und darüber hinaus.
Es war zu erwarten, .dass die enormen Ansprüche, die bei diesen ausser-
gewöhnlichen Anstrengungen gestellt wurden, auf die Herzen der Be¬
treffenden nicht ohne Einfluss bleiben könnten. Um Weitschweifigkeiten
zu vermeiden, mögen aus unserem Untersuchungsmaterial nur einzelne Fälle
ausführlicher besprochen werden. Die anderen bieten kaum bemerkenswerte
Abweichungen von dem Typ dar, der sich aus den zu besprechenden ergibt.
1) Abgesehen davon wurde eine sehr grosse Anzahl von Soldaten nur durch¬
leuchtet.
2) Fast sämtliche Kardiogramme sind nur in Ableitung I und natürlich mit stets
gleicher Fadenspannung (1,8—2 cm) aufgenommen. Faden widerstand 4500 Ohm.
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392 CARL MAASE und HERMANN ZONDEK,
Fall I. Reservist (Infanterist) Paul E., 22 Jahre alt, Kaufmann, wird am 7. 10.
aufgenommen. Grösse 168 cm, Körpergewicht71V 2 kg. Erkrankung: Furunkulose.
Aus der Anamnese erfahren wir: Patient hat keinen Sport getrieben, hatte nie
Gelenkrheumatismus, nie Lues; angeblich kein Alkoholabusus. Patient fuhr vom
8.—12. 8. mit der Bahn nach A. Vom 13. 8. bis 3. 9. fast täglich Marschleistungen
von durchschnittlich 50 km. Anfang September einige Tage nur kleinere Märsche,
dann bis Mitte September eine Woche hindurch sehr grosse (60—70 km täglich). Nach
zwei Ruhetagen kam Patient bei einem Nachtgefecht von seiner Truppe ab. Da er bei
der Bagage eines Husaren-Regiments aufgenommen wurde, brauchte er nicht mehr zu
marschieren. Am 3. 10. Einlieferung in das Lazarett. Gesamtleistung: In etwa
31 Tagen etwa 1500 km.
Herz: Auskultatorisch 0 . B.
Röntgenaufnahmen. Aufnahme I am 7. 10. 1914 (vgl. Abb. 1):
Basale Breite des Herzens = 15,5 cm
Länge „ „ = 15,2 „
Abb. 1.
Das Herzbild erscheint ziemlich stark, sowohl nach rechts wie nach links, ver¬
breitert. Insbesondere ist der Ausgleich des Pulmonal- und Herzohrbogens bis fast zur
Graden auffallend.
Aufmahme 11 am 26. 10. 1914:
Basale Breite des Herzens = 15 cm
Länge „ „ = 15 „
Die Herzkonfiguration entspricht im ganzen der der ersten Aufnahme. Nur ist das
Herz in seiner basalen Breite um V 2 cm schmaler geworden. Es ist dies einer der
wenigen Fälle, wo wir eine messbare Volumenabnahme bei der zweiten Aufnahme
konstatieren konnten. Puls: 76 in der Minute, regelmässig, gleichmässig, mittel voll.
Blutdruck: 90—110 mm Hg (Riva-Rocci).
Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 2). Aufnahme I. Das am 7. 10. in Ab¬
leitung I aufgenommene Elektrokardiogramm zeigt folgende Eigentümlichkeiten:
Geogle
Original frorn ^
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
393
Die P-Zacke ist an vielen Stellen entweder garnicht vorhanden oder sehr w T enig
ausgesprochen. An einigen Stellen ist man im Zweifel, ob die zwischen T- und R-Zacke
befindliche flache Welle der P-Zacke entspricht oder — was das Wahrscheinlichere ist
— eine (J-Zacke darstellt. Die Strecke a beträgt ungefähr 0,1 Sek. Ausdehnung. Die
Entfernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,3 und 0,4 Sekunden.
Die R-Zacke zeigt keine Besonderheiten. Die S-Zacke ist verhältnismässig tief. Die
T-Zacke zeigt nichts Abnormes. Die Strecke y ist auffallend kurz, sie beträgt im
Durchschnitt 0,2 Sekunden Ausdehnung.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 0,5 mm
77 77 77 == 77
77 77 S- „ = 10 „
T —
77 77 1 77 - ° 77
Aufnahme II. Am 19.10. w T urde wiederum in Ableitung 1 ein Elektrokardiogramm
des Patienten aufgenommen. Irrtümlicherweise wurden die Elektroden bei der Auf¬
nahme verwechselt, so dass das Elektrokardiogramm eine negative Richtung hat. Trotz¬
dem ist das Wesentliche deutlich aus ihm zu ersehen. Die P-Zacke ist hier überall
deutlich ausgesprochen, die Strecke y ist wesentlich länger geworden, sie beträgt
Abb. 2.
0,4—0,45 Sekunden Ausdehnung. Im übrigen entspricht das Kardiogramm der ersten
Aufnahme, insbesondere hat sich die tiefe S-Zacke kaum verändert.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1,2 mm
77 77 R" 77 == 14 77
77 77 S- fl 13 v
77 77 T* 77 == ^ „
Funktionsprüfung des Herzens: ln Ruhe 90 Pulsschläge in der Minute.
Nach zehnmaligem raschem Auf- und Absteigen einerTreppe von 20 Stufen ist der Puls
auf 110 gestiegen. Eine Minute später ist er bereits auf die Ruhefrequenz zurückgekehrt.
Fall II. Landwehr-Infanterist Arnold H., 28 Jahre alt, Schlosser, wird am
10. 10. 1914 aufgenommen. Verwundung: Gewehrschuss am linken Unterarm.
Anamnese: Patient hat ausser Masern, Scharlach, Diphtherie keine Krankheiten
durchgemacht. Lues, Gelenkrheumatismus hat er nicht gehabt. Er hat auch nur
mässig Alkohol genommen und keinen Sport betrieben. Gewicht 76 kg, Grösse 175 cm.
Am 13. 8. Bahnfahrt von T. nach J . . . . Vom 14.—19. 8. Märsche von 15—20 km
täglich. Am 20. 8. Gefecht und Marsch von etw T a 48 km. Vom 21. 8. bis 2. 9. täglich
20—40 km marschiert. 2. 9. Gefecht. Danach erkrankte Patient und lag 3 Tage an
Magen- und Darmkatarrh darnieder. Von dort aus marschierte Patient 30 km, bis er
zu seiner Kompagnie kam. Vom 8. 9. bis 18. 9. grosse Märsche von 30—50 km täglich
nach Russland hinein. Dort 3 Ruhetage. Einige Tage darauf wieder Märsche von
25—30 km. Vom 27. 9. bis 1. 10. durchschnittlich 50 km täglich zurückgelegt. Vom
1. 10. bis 6. 10. im Schützengraben. Am 7. 10. wurde Patient verwundet. Gesamt¬
marschleistung in etwa 40 Tagen 1300 km.
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304 CARL MAASE und HERMANN ZONDEK,
Herz: Auskultatorisch o. B. — Puls: Etwa 80 in der Minute; regelmässig,
von mittlerer Spannung. — Blutdruck: 85—107 (Riva-Rocci).
Röntgenaufnahmen. Aufnahme I am 12. 10. 1914:
Basale Breite des Herzens = 13,5 mm
Länge „ „ = 15 „
Besonders vergrössert erscheint hier das rechte Herz bzw. der rechte Vorhof.
Der linke Herzrand stelU eine annähernd gerade Linie dar.
Aufnahme II am 26. 10. 1914 entspricht sowohl, was die Masse als auoh die
Herzkonfiguration betrifft, fast genau der ersten.
Elektrokardiogramm: Das am 12. 10. aufgenommene Elektrokardiogramm
zeigt mit Ausnahme einer relativ hohen P- und einer massig tiefen S-Zacke keine be¬
sonderen Eigentümlichkeiten. Das Profil des am 19. 10. aufgenommenen Elektro-
kardiogrammms weicht von dejn des ersten nicht wesentlich ab. Die Entfernungen
zwischen P- und T-Zacke schwanken bei beiden Aufnahmen zwischen 0,35 und
0,4 Sekunden Ausdehnung. Die ^-Strecke entspricht 0,4 bis 0,45 Sekunden. Die
«-Strecke beträgt durchschnittlich 0,15 Sekunden.
Bei Aufnahme I beträgt die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm
„ „ R- „ 13 „
77 11 S- ; — 4 „
n »? v = ^>5 „
Bei Aufnahme II beträgt die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm
71 71 11 = 1 1 71
11 77 S“ „ = 5 „
T- — 4
77 11 - 1 71 *71
Funktionsprüfung des Herzens: In Ruhe 100 Pulsschläge in der Minute.
Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen ist der Puls
auf 125 gestiegen. Eine Minute später ist er bereits zur Norm, d. h. auf 100, abgefallen.
Fall III. Füsilier Adolf F., Bauschlosser, wird am 21. 10. 1914 aufgenommen,
21 Jahre alt. Verwundung: Schuss durch den linken Unterarm. Grösse 182 cm,
Gewicht 77 kg.
Aus der Anamnese erfahren wir: Patient war stets gesund. Gelenkrheumatismus
und Lues hat er angeblich nicht gehabt. Er fährt mässig Rad, treibt sonst keinen
Sport, trinkt wenig Alkohol. Vom 9.—11. 8. Bahnfahrt nach L . . . . Vom 12.—19. 8.
tägliche Märsche von 30—40 km. Vom 20.—24. 8. im Gefecht gelegen. 24. 8. Er¬
stürmung von N. mitgemacht. 25. und 26. 8. Ruhetage. Vom 27.—31. 8. marschierte
das Regiment durch ganz Belgien; durchschnittliche Tagesleistung etwa 30—40 km.
Vom 1.—4. 9. Bahnfahrt. Vom 4.—17. 9. tägliche Märsche von durchschnittlich 34 km,
wie dem Regiment amtlich mitgeteilt wurde. Vom 17.—20. 9. Bahnfahrt. Bis zum
7. 10. tägliche Märsche von etwa 20—30 km. Am 9., 10. und 11. 10. Gefechte. Am
11. 10. grosser anstrengender Eilmarsch. Am 12. 10. wurde Patient verwundet.
Gesamtmarsohleistung in etwa 40 Tagen etwa 1300 km.
Herz: Auskultatorisch o. B. Puls: 76 in der Minute; gleichmässig, regelmässig,
mittelvoll. Blutdruck: 108—120 (Riva-Rocci).
Röntgenaufnahmen. Aufnahme I am 22. 10. 1914:
Basale Breite des Herzens = 13,8 cm
Länge „ „ = 15,2 „
Gleichmässig vergrössertes Herz mit ziemlich gradlinigem linken Herzrand.
Aufnahme II am 12. 11. entspricht genau der ersten.
Elektrokardiogramm: Das am 21.10.1914 aufgenommene Elektrokardiogramm
zeigt mit Ausnahme einer tiefen S-Zacke keine Besonderheiten. Die Entfernungen
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
395
zwischen der häufig negativen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,4 und 0,45 Sek.,
die ;'-Strecke schwankt zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden Ausdehnung. Es beträgt die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm
» n R- „ =13 „
11 11 11 - * 11
11 11 l “ 11 == ^ 11
Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 90 Puls¬
schläge. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herablaufen einer Treppo von 20 Stufen
120 Pulsschläge. Nach einer Minute ist der Puls wieder zur Norm zurückgekehrt
(d. h. 90). Nach zwei Minuten 85 Pulsschläge, ebenso nach drei Minuten.
Fall IV. Musketier Franz W., 21 Jahre alt, Arbeiter, wird am 12. 10. 1914
aufgenommen. Verwundung: Streifschuss am rechten Oberschenkel. Grösse 167cm,
Gewicht 68 kg.
Aus der Anamnese erfahren wir: Patient war bis zu Kriegsbeginn stets ge¬
sund. Gelenkrheumatismus und Lues hat er nicht durchgemacht. Patient ist Bier¬
trinker massigen Grades. Vom 8.—10.8. Bahnfahrt. Vom 11.—23. 8. fast tägliche
Märsche von 30—50 km, einmal 90 km in 24 Stunden. Vom 24. 8. bis 7. 10. nur
kleinere Märsche, aber fast täglich Gefechte, Ausheben von Schützengräben, dann
Sturmangriffe. Am 7. 10. wurde Patient verwundet. Gesamtmarschleistung in
etwa 40 Tagen etwa 1000 km.
Herz: Auskultatorisch o.B. Puls: 70 in der Minute, regelmässig, gleichmässig,
mittel voll. Blutdruck: 120 max. (Riva-Rocci).
Röntgenaufnahmen (vgl. Abb. 3). Aufnahme I am 13. 10. 1914:
Basale Breite des Herzens = 14,3 cm
Länge „ „ = 15,3 „
Abb. 3.
Es handelt sich um ein allgemein vergrössertes Herz mit flachem, d. h. ziemlich
gradlinigem linken Herzrand.
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396
CARL MAASE und HERMANN ZONDEK,
Aufnahme II am 24. 10. 1914:
Basale Breite des Herzens = 14,6 cm
Länge ,, „ = 15,3 ,,
Die Herzkonfiguration ist im allgemeinen dieselbe wie das erste Mal; bemerkens¬
wert scheint aber, dass der Gesamtverlauf des linken Herzrandes konkaver geworden ist.
Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 4): Das am 17. 10. 1914 aufgenommene
Elektrokardiogramm zeigt eine relativ grosse S-, R- und T-Zacke. Die Entfernungen
zwischen der häufig geteilten P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,35 und 0,4 Sek.
▼ ff fl TTfTTffTTfTfTfTyTfffTTY^ffirv
Abb. 4.
Die Strecke y beträgt zwischen 0,35 und 0,5 Sek. Ausdehnung. Das am 26. 10. aufge¬
nommene zweite Elektrokardiogramm zeigt keinebesonderen Abweichungen von derersten.
Bei Aufnahme 1 beträgt die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1 mm
55
= 16 „
5'
„ s- „
= 5 „
51
n T- „
II
Bei Aufnahme II beträgt die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1 mm
„ „ R- „ = 18 „
51 ?1 S- „ = 6 „
T- — 4
•ft 55 X 55 - ^ 51
Funktionsprüfung des Herzens: In Ruhe 90 Pulsschlage. Unmittelbar
nach zehnmaligem Hinauf- und Hinunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 128, eine
Minute später 110, zwei Minuten später 100, drei Minuten später 96 und 4 Minuten
später 90 Pulsschläge.
Fall V. Reservist (Infanterist) M., Hausdiener, 26 Jahre alt, wird am 9.10.1914
aufgenommen. Erkrankung: Fussgeschwulst. Grösse 165 cm, Gewicht 66 kg.
Anamnese: Patient w T ar stes gesund. In der Jugend hatte er nur Masern. Lues
und Gelenkrheumatismus hatte er nicht, dagegen häufig „Muskelreissen“ und allgemein
rheumatische Beschwerden. Er war vom 3. 8. bis 4. 9. in einem Ersatzbataillon und
machte täglich Uebungsmärsche von 15—20 km. Vom 4.-5. 9. Bahnfahrt, am selben
Tage noch Gefecht. Am 6. 9. Marsch von 30 km und Gefecht. Vom 7.—18. 9. täglich
30—50 km zurückgclegt. Nach dem Gefecht am 18. 9. drei Ruhetage. Vom 21. 9. bis
1. 10. täglich 20—30 km marschiert. Am 2.10. Gefecht. Am 3. 10. Marsch von 29 km
mit Gefangenentransport bis zur Grenze, dann Bahnfahrt. Am 6. 10. erkrankte Patient.
Gesamtmarschleistung in etwa 55 Tagen etwa 1430 km.
Herz: Auskultatorisch. Dumpfe Töne über allen Ostien, keine Geräusche.
Röntgenaufnahme. Am 11. 10:
Basale Breite des Herzens = 13,8 cm
Länge „ „ = 15,5 „
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
397
Der linke Ventrikel erscheint leicht vergrössert. Auffällig ist wiederum der voll¬
kommen gradlinige linke Herzrand, d. h. die Ausgleichung des Pulmonal- und linken
Herzohrbogens.
Puls: 78 in der Minute, gleichmässig, regelmässig, mittelvoll. — Blutdruck:
120 mm Hg. — Innere Organe o. B.
Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 5): Das am 9. 10. 1914 in Ableitung I auf¬
genommene Elektrokardiogramm zeigt eine hohe R- und eine tiefe S-Zacke. Die Ent¬
fernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,35 und 0,45 Sekunden
Ausdehnung. Die /'-Strecke schwankt zwischen 0,3 und 0,4 Sekunden. Das eineWoche
später aufgenommene Elektrokardiogramm gleicht im ganzen dem ersten. Es beträgt
bei beiden Aufnahmen:
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1,6 mm
n 11 R- 7i =17 „
11 71 S" 71 == 6 „
n ,1 T- „ = 3,8 „
Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 105 Puls¬
schläge. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen
Pulsfrequenz 130. Eine Minute später 115, zwei Minuten später 105 Pulsschläge.
Fall VI. Zugfahrer Ernst E., wird am 11. 10. 1914 aufgenommen. Verwun¬
dung: 2 Fleischschüsse im rechten Oberschenkel. Grösse 173 cm, Gewicht 71 kg.
Anamnese: Patient war bis zu Beginn des Feldzuges nie krank, ist mässiger
Raucher und Radfahrer, kein Potator. Lues und Gelenkrheumatismus hat er nicht
gehabt. Er rückte am 10.8. aus. Am 11.8. Marsch von 16 km. Vom 12.—23. 8.
täglich Uebungsmärsche von 20—30 km. Vom 24.-26. 8. Bahnfahrt. 28. 8. 30 km,
27., 28. und 29. 8. je 25—30 km marschiert. 30. 8. Marsch von 40 km und Gefecht.
1. 9. Marsch von 10 km, bis zum 3. 9. im Schützengraben gelegen. 4. 9. Marsch von
50 km und Gefecht. 5. und 6. 9. Ruhetage. 7.—11. 9. 20—30 km täglich zurück¬
gelegt. 12.—15.9. Tagesmärsche von 45—50 km. Vom 16.—21.9. fuhr Patient
auf dem Patronenwagen. Vom 22. 9. bis 3. 10. kleine Tagesmärsche (etwa 20km) und
Gefechte. 3. 10. wurde Patient verwundet. Gesamtmarschleistung in etwa 47 Tagen
etwa 980 km.
Herz: Auskultatorisch, lieber allen Ostien sind zeitweise leise systolische Ge¬
räusche zu hören.
Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 6). Aufnahme I am 12. 10:
Basale Breite des Herzens = 13,8 cm
Länge „ „ = 15,8 „
Allgemein vergrössertes Herz, linker Herzrand stellt annähernd eine grade
Linie dar.
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398
CARL MAASE und HERMANN ZONDEK,
Aufnahme II am 26. 10:
Basale Breite des Herzens = 13,8 cm
Länge
= 16
Abb. 6.
Der linke Herzrand ist hier deutlich konkav! Es ist dies einer der Fälle, bei denen
sich zurzeit der II. Aufnahme bereits eine Volumenabnahme bemerkbar zu machen
scheint, die dem linken Herzohr- und Pulmonalbogen entspricht. — Puls: 64 in der
Minute, sonst regelmässig, gleichmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 120 max. (Riva-
Rocci). Innere Organe o. B.
Elektrokardiogramm. Aufnahme I (vgl. Abb. 7): Das am 12. 10 aufgenom-
raene Elektrokardiogramm, auf der sich gleichzeitig die Radialpulskurve des Patienten
befindet, die ihrerseits nichts Besonderes darbietet, zeigt folgende Eigentümlichkeiten:
Auffallend ist die absolute Höhe aller Zacken. Die P-Zacke ist deutlich ausgesprochen,
Abb. 7.
an einzelnen Stellen verdoppelt. Die Strecke a ist an den Stellen, an denen sich
doppelte P-Zacken befinden, nicht sichtbar, sondern die zweite Erhebung fällt sofort
zu der wenig deutlichen Q-Zacke ab. Anderenfalls beträgt sie 0,5—0,1 Sekunde Aus¬
dehnung. Die Entfernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,35 und
0,45 Sekunden. Ganz auffallend hoch ist die R-Zacke. Ihr entspricht eine tiefe
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
399
S-Zacke. Abnorm hoch ist ebenfalls die T-Zacke. Die /-Strecke, die eine sanft an¬
steigende Richtung hat, schwankt zwischen 0,35 und 0,5 Sekunden. Die Maasse be¬
tragen für die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2,8 mm
» » n —— »
n n S* ii == 14 „
T. — r
11 11 A 7? - u 11
Aufnahme II (vgl. Abb. 8): Das am 19. 10. unter denselben Bedingungen auf¬
genommene Elektrokardiogramm zeigt entschieden, dass die eben geschilderten Ab¬
normitäten die Tendenz zeigen, zur Norm zurückzukehren. Die P-Zacke ist als ein¬
fache flache Erhebung zu erkennen. Die Strecke « scheint, soweit man sie sich deut¬
lich differenziert, ungefähr 0,1 Sekunde Ausdehnung zu betragen, die Entfernung
zwischen P- und T-Zacke schwankt zwischen 0,4 und 0,45 Sekunden. Während die
S-Zacke immer noch relativ tief ist, sind sowohl die R- wie die T-Zacke merklich
Abb. 8.
niedriger geworden. Die /-Strecke schwankt zwischen 0,45 und 0,55 Sekunden. Die
linearen Maasse bei genau gleicher Fadenspannung sind für die
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm
» „ R- „ = 15 n
n » n = ^n
n n 1 n — n
Funktionsprobe des Herzens: ln Ruhe 65Pulsschläge in der Minute. Nach
10maligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 112 Pulsschläge,
1 Minute später 82 Pulsschläge, 2 Minuten später 78 Pulsschläge, 3 Minuten später
75 Pulsschläge und 4 Minuten später 70 Pulsschläge. Am 15. 10. unter gleichen Be¬
dingungen: Vorher 68 Pulsschläge, unmittelbar nach der Arbeitsleistung 84 Puls¬
schläge, 1 Minute später 68 Pulsschläge.
Fall VII. Grenadier Friedrich H., 22 Jahre alt, wird am 11. 10. 1914 aufge¬
nommen. Verwundung: Schuss durch das linke Schultergelenk. Grösse 170 cm,
Gewicht 70 kg.
Die Anamnese ergibt: Patient hat in der Jugend Masern und Diphtherie ge¬
habt. Er ist kein Alkoholiker, treibt keinen Sport. Gelenkrheumatismus und Lues
hat er nicht gehabt. Vom 9.—11. 8. Bahnfahrt. Vom 11.—19. 8. Märsche von 30 bis
50 km, ein Marsch von 78 km, täglich. Bis zum 30. 8. wieder grosse, anstrengende
Märsche (etwa 60 km täglich). Am 30. 8. wurde Patient verwundet. Gesamtmarsch¬
leistung in 20 Tagen etwa 650 km.
Herz: Auskultatorisch: zeitweise systolisches Geräusch über der Pulmonalis,
sonst o. B. — Puls: 60 in der Minute, gleichmässig, regelmässig, mittelvoll. —
Blutdruck: 125.
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400
CARL MAASE und HERMANN ZONDEK,
Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 9):
Basale Breite des Herzens = 15 cm
Länge „ ^ = 18,3 „
Es handelt sich um ein allseitig vergrössertes langgestrecktes Herz mit grossem
rechten Vorhof und gradlinigem linken Herzrand.
Abb. 9.
Elektrokardiogramm: Das am 13. 10 aufgenommene Elektrokardiogramm
zeigt stellenweise eine geteilte, bzw. verdoppelte P-Zacke. Die S-Zacke ist nicht immer
gleichmässig tief. Die T-Zacke ist relativ flach. Die Strecke « entspricht durch¬
schnittlich 0,15 Sekunden. Die Entfernung zwischen P- und T-Zacke schwankt
zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden, die /'-Strecke zwischen 0,3 und 0,35 Sekunden.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1,5 mm
„ „ K- „ =12 „
ii ii S- „ — 2 „
ii ii 4- ,, = 2,5 „
Funktionsprobe des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 75, nach
lOmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 110 Pulsschläge.
1 Minute später 95, 2 Minuten später 84 und 3 Minuten später 70 Pulsschläge.
Fall VIII. Reservist-(Infanterist) Richard S., Landwirt, 25 Jahre alt, wird am
1. 10. 1914 aufgenommen. Verwundung: Gewehrschuss durch den linken Unter¬
schenkel. Grösse 180 cm, Gewicht 76 kg.
Aus der Anamnese erfahren wir: Ausser Scharlach und Masern hat Patient
keine Krankheiten durchgemacht. Gelenkrheumatismus und Lues hat er nie gehabt.
Er ist Radfahrer massigen Grades. Patient rückte am 10. 8. aus. Vom 14.—24. 8.
tägliche Märsche von durchschnittlich 30 km. Vom 27. 8. bis 5. 9. 30—60 km täglich
marschiert. Vom 5.—10. 9. Ruhetage. Vom 10.—12. 9. Marschleistungen von 70 km
täglich, dann bis zum 16. 9. 25—30 km täglich zurückgelegt, von da ab nur kleinere
Tagesleistungen. Bei der Aufnahme macht Patient einen ziemlich stark ermüdeten
Eindruck, seine Gesichtsfarbe hat ein grau-fahles Kolorit.
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
401
Herz: Auskultatorisch: I. Mitralton unrein, systolisches Geräusch über der Pulmo-
nalis,Spitzenstoss ein Querfingerbreit ausserhalb der linken Mamillarlinie. — Puls: 74 in
der Minute, gleichmässig, regelmässig, gespannt. —Blutdruck: 135 max.(Riva-Rocci).
Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 10): 2. 10. 1914. Man sieht eine ziemlich stark
ausgeprägte Verbreiterung des Herzschattens nach rechts wie nach links.
Basale Breite des Herzens = 16,5 cm
Länge „ „ = 16,2 „
Die am 22. 10. angefertigte zweite Aufnahme entspricht genau der ersten.
Abb. 10.
Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 11). Aufnahme 1: Das am 2. 10. aufge¬
nommene Elektrokardiogramm zeigt eine deutliche, stellenweise geteilte P-Zacke; die
«-Strecke beträgt durchschnittlich 0,1 Sekunden; die Entfernung zwischen der P- und
Abb. 11.
T-Zacke entspricht 0,4 bis 0,5 Sekunden. Es findet sich ferner eine auffallend tiefe S-
und eine relativ hohe T-Zacke. Die ^-Strecke schwankt zwischen 0,4 und 0,55 Sekunden.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm
n
* R-
V
= 11
71
„ s-
71
= 10
77
» T-
77
= 4,5
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402
CARLMAASE und HERMANN ZONDEK,
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Aufnahme II: Das am 23. 10. aufgenommene II. Elektrokardiogramm entspricht
im ganzen dem oben gekennzeichneten, zeigt aber doch einige bemerkenswerte Ab¬
weichungen. Die P-Zacke ist deutlich ausgeprochen und nirgends geteilt. Die
«-Strecke beträgt durchschnittlich 0,15 Sekunden. Die Entfernung zwischen P- und
T-Zacke schwankt ebenfalls zwischen 0,4 und 0,5 Sekunden. Die S-Zacke zeigt die¬
selbe Tiefe wie oben, dagegen haben sich sowohl die R- wie die T-Zacke deutlich ab-
geflaoht. Die ^-Strecke entspricht 0,3—0,55 Sekunden.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm
v 7) R - n = 8 n
* * S- „ =10 „
7) 1) V - 3,5 „
Funktionsprobe des Herzens: In Ruhe 80 Pulsschläge. Nach lOmaligem
Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen Pulsfrequenz 110 pro Minute,
1 Minute später 95 Pulsschläge, 2 Minuten später 86 Pulsschläge und 3 Minuten später
80 Pulsschläge.
Fall IX. Reserve-Füsilier Riohard St., Lehrer, 27 Jahre alt. Am 21. 10. auf¬
genommen. Verwundung: Gewehrschuss in die linke Brustseite.
Anamnese ergibt: Patient war bis zu Beginn des Feldzuges stets gesund.
Infektionskrankheiten, insbesondere Lues, hat er nicht gehabt. Sport hat er nicht ge¬
trieben, desgleichen keinen Alkoholabusus. Vom 9.—11. 8. Bahnfahrt. Vom 12.—19. 8.
Märsche von 30—40 km täglich. Vom 20.—24. 8. im Gefecht gelegen. 24. 8. Er¬
stürmung von Namur. 25. u. 26. 8. Ruhetage. Vom 27.—31. 8. 30—40 km marschiert.
Vom 1.—4. 9. Bahnfahrt. Vom 4.—17. 9. täglich Marschleistungen von durchschnitt¬
lich 34 km, wie dem Regiment amtlich mitgeteilt wurde. Vom 17.—20. 9. Bahnfahrt.
Bis zum 7. 10. tägliche Märsche von 20—30 km. Vom 9.—11. 10. Gefechte. Am 11.
grosser anstrengender Eilmarsch. Vom 11.—15.10. Gefechte und kleinere Märsche. Am
15.10. wurde Patient verwundet. Gesamtmarschleistung in 45Tagen etwal400km.
Herz: Auskultatorisch. l.Ton an der Mitralis unrein, sonst o. B. — Puls:
gleichmässig, regelmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 125 max. (Riva-Rocci).
Röntgenaufnahme (vgl. nebenstehende Abb. 12):
Basale Breite des Herzens = 14,2 cm
Länge „ „ = 16 „
Gleichmässig vergrössertes Herz mit besonders grossem rechtem Vorhof und grad¬
linigem linkem Herzrand. Dabei relativ enge Aorta. Es wurde nur eine Aufnahme
gemacht.
Elektrokardiogramm. Aufnahme I: Das am 21. 10. in Ableitung I auf¬
genommene Elektrokardiogramm zeigt eine sehr tiefe S-Zacke. Die P-Zacke ist an ver¬
schiedenen Stellen überhaupt nicht erkennbar. Die Entfernungen zwischen P- und
T-Zacke schwanken zwischen 0,4 und 0,45 Sekunden Ausdehnung. Die ^-Strecke be¬
trägt zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 0,8 mm
?i 71 ft" ii == 13 „
71 71 S- „ = 9 „
,1 T- „ = 2,8 „
Aufnahme H: An demselben Tage wurde ein Elektrokardiogramm in Ableitung II
aufgenommen (linker Arm und rechtes Bein). Die P-Zacke ist auch hier stellenweise
kaum zu erkennen; wo sie kenntlioh ist, ist sie negativ. Die a-Strecke beträgt
0,1 Sekunde. Die Entfernung zwischen P- und T-Zacke lässt sich nur ungenau be¬
stimmen, da die T-Zacke entweder überhaupt nicht vorhanden oder eben nur an¬
gedeutet ist. Die Entfernung schwankt zwischen 0,35 und 0,5 Sekunden Ausdehnung.
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
403
Die R-Zacke kann eher als niedrig bezeichnet werden, dagegen ist die S-Zacke relativ
tief. Die ^'-Strecke schwankt zwischen 0,35 und 0,5 Sekunden.
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1 mm
n n ft“ ri 9 „
» V S- „ = 5 „
” n « = 1
Abb. 12.
Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 80 Puls¬
schläge. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen
Pulsfrequenz 100 pro Minute, 1 Minute später 95, 2 Minuten später 86 und 3 Minuten
später 80 Pulsschläge.
Fall X. Jäger zu Pferde Anton H., Bierbrauer, 23 Jahre alt, wird am 29.11.1914
aufgenommen. Verwundung: Schussverletzung der linken Hand. Grösse 170cm,
Gewicht 7l l / 2 kg.
Anamnese: Patient hat vom 14. bis zum 21. Lebensjahr — er trat dann ins
Heer ein — viel Bier getrunken; anfangs täglich drei Liter, später vier bis fünf Liter
und mehr. Im vorigen Jahre hatte Patient Unterleibstyphus, lag elf Wochen im
Lazarett und acht Wochen in einem Genesungsheim. Patient rückte als Kavallerist
ins Feld. Am 3. 8. Bahnfahrt bis S. Von dort ritten sie am selben Tage nach T.
und blieben dort 5 Tage. Nach dem Gefecht bei M. täglich anstrengende Ritte in den
Vogesen. Von den Vogesen nach Französisch-Lothringen und wieder zurück nach
Deutsch-Lothringen. Bahnfahrt bis nach X. Von dort tägliche Ritte von 30—40 km.
Dann 70 Stunden Bahnfahrt nach Osten bis A. In den Kämpfen in Russland nahm
das Regiment oft am Fussgefecht teil. Am 26. 11. wurde Patient verwundet.
Herz: Auskultatorisch o. B. Pulmones o. B. — Puls: 80 in der Minute, regel¬
mässig, gleichmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 115 (Riva-Rocci).
Röntgenaufnahme:
Basale Breite des Herzens = 12,3 cm
Länge „ „ =15,5 „
ZeitHchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 n. 6 . 97
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404 CARL MAASE und HERMANN ZONDEK,
Es handelt sich um ein schlankes, ziemlioh gerade stehendes Cor. Patient war,
wie oben ersichtlich, Kavallerist, hat gar keine grösseren Fusstouren gemacht, sein
Herz ist deutlich kleiner und zeigt, wie fast alle andern untersuchten Herzen von
Kavalleristen, einen sehr drastischen Volumenunterschied gegenüber dem Infanteristen¬
herzen.
Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung Puls¬
frequenz 90 in der Minute. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer
Treppe von 20 Stufen 155; 1 Minute später 130, 2 Minuten später 100, 3 Minuten später
90 Pulsschläge.
Fall XI. Reserve-(Feldartillerist) Paul Sch., Metallarbeiter, 32 Jahre alt, wird
am 7. 10. aufgenommen. Grösse 172 cm, Gewicht 67 kg. Verwundung: Streifschuss
am linken Knie.
Anamnese: Patient war stets gesund. Mässiger Alkoholgenuss. Lues und
Gelenkrheumatismus hat er nicht gehabt. Patient ist Feldartillerist und hat keine
grösseren Märsche zu Fuss zurückgelegi. Nur hin und wieder ist er einige Kilometer
zu Fuss gegangen.
Herz: Auskultatorisch o. B. — Puls: 80 in der Minute; gleichmässig, regel¬
mässig, mittelvoll. — Blutdruck: 96 max. (Riva-Rocci).
Röntgenaufnahme am 10. 10. (vgl. Abb. 13):
Basale Breite des Herzens = 10,25 cm
Länge „ „ = 12,5 „
Abb. 13.
Das Herz ist nicht im mindesten vergrössert. Der Unterschied gegenüber den
Infanteristenherzen ist evident.
Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 14): Bei dem am 9. 10. aufgenommenen
Elektrokardiogramm ist die Grenze zwischen der Strecke ß und der T-Zacke an vielen
Stellen nicht zu erkennen. Die Entfernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken
zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden. Die ^-Strecke schwankt zwischen 0,3 und 0,35 Se¬
kunden.
Go igle
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
405
Abb. 14.
Funktionsprüfung des Herzens: ln der Ruhe 90 Pulssohläge. Nach zehn¬
maligem Herauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 110 Pulse; 1 Minute
später 90, 2 Minuten später 90 Pulsschläge.
Die aus einer grösseren Anzahl von Röntgenaufnahmen herausge¬
griffenen Photographien zeigen durchweg ein abnormes Verhalten der Herz¬
volumina. Bei allen Fällen finden wir, was die Gesaratfiguration der Herzen
betrifft, ausgesprochene Dilatationen (unter 38 Fällen 31 mal). Neben
Fällen, in denen sich die Vergrösserung der Herzhöhlen in etwa gleichem
Masse auf alle Teile des Herzens erstreckt, finden wir solche mit isolierten
Erweiterungen des einen oder anderen Herzteils. Häufig scheint die Dilatation
nur den rechten Vorhof zu betreffen. Daneben finden sich allerdings eine
ganze Anzahl von Silhouetten, bei denen sich die Volumenzunahme in der¬
selben Weise auch auf den linken Ventrikel bezieht (unter 38 Fällen 25 mal).
In einer Reihe von Fällen wiederum ist neben dem linken Vorhof auch der
Arcus pulmonalis erweitert (unter 38 Fällen 19 mal), sodass die Gesamtbilder
wegen der ausgeglichenen linken Herzbögen an raitral-konfigurierte Herzen
erinnern. Dabei muss man allerdings von der Konfiguration des rechten
Vorhofs absehen, der häufig gerade bei diesen Herzen nicht dilatiert er¬
scheint. Das gewöhnliche und in der Mehrzahl unserer Aufnahmen vor¬
handene Bild ist aber dasjenige des gleichmässig dilatierten, allgemein
vergrösserten Herzens. Als durchschnittliche Grösse der basalen Breite
normaler Herzen hatte Levy-Dorn bei Leuten von 175 cm Körper¬
länge die Zahl 12 cm angegeben, H. Dietlen bei Leuten bis 182 cm
Körpergrösse 13,1 cm. Die Zahlen des Letzteren gelten für den liegenden
Patienten. Das Herz des stehenden Menschen ist erfahrungsgemäss nicht
unerheblich schmäler und länger, erscheint also im allgemeinen kleiner.
Trotzdem alle unsere Aufnahmen in stehender Stellung angefertigt wurden,
und unsere Leute im Durchschnitt keineswegs grösser als 175 cm waren,
haben wir eine basale Breite ihrer Herzen von 12 oder 13 cm nur ganz
vereinzelt gefunden. Wir würden als Mindestmass etwa 13,8 oder 14 cm
angeben, haben allerdings auch Zahlen bis zu 16 cm und darüber.
27*
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406
CARLMAASE und HERMANN ZONDEK,
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Wie haben wir uns diese Veränderung des Herz Volumens zu er¬
klären ?
Wohl nicht anders, als dass sie die Folgeerscheinung jener ungewöhn¬
lichen Ueberanstrengungen und Strapazen ist, die unsere Soldaten im Verlaufe
des Feldzuges durchzumachen haben. Marschleistungen von etwa 1400 km
in etwa 40 Tagen ohne grössere Ruhepause, häufig ohne vorheriges
Training, nicht zuletzt unter seelischen Aufregungen und zeitweise redu¬
zierter Ernährung stellen in der Tat derart enorme Ansprüche an die
Leistungsfähigkeit des Herzens, wie sie unter den Verhältnissen des
Friedens kaum jemals praktisch Vorkommen.
Alle sportlichen Leistungen, wie Skilaufen, Dauerrennen, Fussball-
spiele, Radfahren, Dauer- und Wettgehen, Touristik usw., sind, ganz ab¬
gesehen von dem stets vorhergegangenen Training, nicht im Entferntesten
mit diesen Kraftleistungen zu vergleichen.
Nun sind allerdings auch unter den Verhältnissen des Friedens von
einer Reihe von Autoren Herzdilatationen und Hypertrophien beschrieben
worden als Folgeerscheinungen von abnormen an das Herz gestellten
Ansprüchen. So fanden beispielsweise Dietlen und Moritz bei ihren
Untersuchungen an Distanzfahrern, dass die Herzgrösse der Radfahrer
von der Dauer der Sportausübung abhängig sei. Gleiche Befunde bei
Schwimmern wurden von Kienböck, Selig und Beck mitgeteilt. Be¬
stätigt worden sind diese klinisch gewonnenen Beobachtungen durch
Untersuchungen am Tierexperiment. An den Herzen von Rennpferden
oder Hunden, die ira Laufgöpel sehr lange angestrengt wurden, zeigten
sich ausgesprochene Arbeitshypertrophien (Friedberger und Fröhner,
besonders Külbs). So unzweifelhaft einerseits die chronische Ueber-
anstrengung als ätiologisches Moment für Volumenzunahme des Herzens
bekannt ist, so umstritten ist andrerseits die Frage, in wie weit die akute
exzessive Mehrleistung in gleichem Sinne ursächlich heranzuziehen
ist. Zwar hatte es, nachdem eine Reihe von Autoren nach akuten An¬
strengungen Herzdilatationen festgestellt hatte, Schott als erster unter¬
nommen, diese Vergrösserungen auch röntgenologisch nachzuweisen. Die
Schottschen Befunde, besonders seine Orthodiagramme, wurden dann
aber von Moritz einer eingehenden Kritik unterzogen. Dabei stellten
sich Fehler der Technik heraus, die Schott irregeführt zu haben
schienen. Die grosse Mehrzahl der Autoren (Lennhof, Levy-Dorn,
Mendel und Selig, sowie Moritz u. a.) ist sogar der Ansicht, dass
nach akuten Ueberanstrengungen nicht nur keine Vergrösserung des
Herzens, sondern sogar fast stets eine Herzdiminution eintritt. Kien¬
böck, Selig und Beck stellten diese Verkleinerung (10—17 mm) bei
Wettschwimmern und nach Kniebeugen fest, die bis zur Erschöpfung fort¬
gesetzt werden. Dietlen und Moritz fanden sie bei fast allen Teilnehmern
einer 31stündigen anstrengenden Radfernfahrt. Auch Külbs und Brust¬
mann sahen bei ihren Untersuchungen an Sportsleuten nach kurzen an-
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern.
407
strengenden Leistungen eine Verschmälerung der Herzsilhouetten, die nament¬
lich in einer Streckung des Winkels zwischen Gefäss- und Herzschatten an
der linken Herzkante zum Ausdruck kam. Bei langen Marschleistungen,
Rund- und Langstreckenläufern dagegen fand sich eine Zunahme der
Herzbreite, die, wie sie annehmen, auf einer stärkeren Querlagerung des
Herzens und einem Spitzerwerden des Gefässherzwinkels beruht. Somit
muss als höchstwahrscheinlich angenommen werden, dass die akute ex¬
zessive Mehrleistung in dor Tat das Herz momentan verkleinert. Wir
glauben deshalb unsern Befunden, bei denen wir — wie gesagt — auf¬
fallend häufig Herzdilatationen feststellen konnten, deshalb ein gewisses
Interesse beimessen zu dürfen, weil diesen Dilatationen Arbeitsleistungen
zugrunde liegen, die etwa eine Mittelstellung zwischen der ganz akuten
und der chronischen Ueberanstrengung einnehmen. Selbstverständlich
sind die Volumenzunahmen nicht in allen Fällen gleich stark ausge¬
sprochen. Wir kennen ja die Herzkonfigurationen bei den Leuten vor
Beginn des Krieges nicht, und es ist klar, dass z. B. ein Tropfenherz,
wie es auch bei Soldaten nicht ganz selten gefunden wird, auch trotz
grösserer Märsche nur ein relativ grosses Volumen zeigen kann. Ab¬
gesehen davon bleiben natürlich auch Körpergrösse, Körpergewicht, Kon¬
stitution, Beruf usw. zu berücksichtigen.
Man wird uns eventuell einwenden: sind diese vergrösserten Herzen
nicht bereits vor dem Feldzuge in ähnlichem Zustande gewesen, rühren
die Vergrösserungen nicht wenigstens zum Teil von Alkoholismus, chro¬
nischen Anstrengungen des Berufes oder — was näher liegt — von den
Strapazen der militärischen Dienstzeit des Friedens her, wie dies von
Schieffer häufiger beobachtet wurde? Wir glauben, diese Annahme
wenigstens für die Mehrzahl der von uns untersuchten Leute ablehnen
zu dürfen, weil wir bei einer grossen Anzahl von Soldaten, die gleich
nach Beginn des Feldzuges verwundet waren, ohne grössere und lang¬
dauernde Märsche gemacht zu haben, niemals ausgesprochene Verände¬
rungen der Herzgrösse und Konfiguration gesehen haben. Ausserdem
konnten wir bei einer Anzahl von Feldartilleristen — die Leute hatten
nur geringere Marschleistungen hinter sich — ebenfalls normal aussehende
Herzsilhouetten, von denen eine mitgeteilt ist, konstatieren (Fall XI).
Auch die Herzen von Kavalleristen mit recht langdauernden und an¬
strengenden Tagesritten wiesen für gewöhnlich normale Herzsilhouetten
auf (siehe Fall XII).
Die Frage der Rückbildung dieser Dilatationen scheint uns noch
nicht ganz geklärt. Unsere ursprüngliche Annahme, die Herzen würden
im Laufe der Zeit wieder kleiner 1 ) werden, hat sich bis jetzt, nachdem wir
1) Gemessen wurde regelmässig der Ordinatonabstand der beiden äussersten
in der Horizontalebene gelegenen Punkte des Herzens. Diese Entfernungen dürften
der von Levy-Dorn empfohlenen Bestimmung der basalen Breite des Herzens etwa
entsprechen.
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408
CARLMAASE und HERMANNZONDEK
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3—4 Monate nach der ersten Aufnahme dieselben wiederholt haben, nicht
bestätigt. Nur in zwei Fällen fanden wir 2 bzw. 4 Wochen nach der ersten
Aufnahme Verminderung der basalen Breite um 0,5 cm. Diese Differenz
möchten wir immerhin als deutlichen Ausschlag betrachten, während wir
von den auch sonst öfter festgestellten Unterschieden um 2—3 mm glauben,
dass sie innerhalb der technischen Fehlergrenzen liegen. Es möge an dieser
Stelle erwähnt werden, dass allerdings unter den 38 Fällen 5, die vorher
einen geradlinigen linken Herzrand aufwiesen, im Laufeder Zeit eine deutliche
Differenzierung der linken Herzbogen zeigten. Interessant scheint übrigens
(im Falle VI), dass sich gleichzeitig mit der Volumenänderung des Herzens
auch das Elektrokardiogramm den Verhältnissen der Norm näherte.
Der Puls zeigt weder nach Frequenz noch nach Spannung, Grösse
und Rhythmus irgendwelche Veränderungen. Nur einmal ist die Schlag¬
folge raässig verlangsamt (Fall VI). Diese Erscheinung konnten wir
übrigens regolmässig als auffälliges Symptom bei einer Anzahl von Fällen
konstatieren, die bald nach Beginn des Feldzuges unter den ersten Ver¬
wundetentransporten eintrafen. Hier fanden sich häufig Verlangsamungen
bis zu 54—50 Schlägen in der Minute. Nach einigen Tagen Bettruhe
ging die Frequenz auf die durchschnittliche Normalhöhe von 76—80
herauf. Die Herzgrösse war bei diesen Fällen, die bei weitem nicht die
anstrengenden Leistungen der oben genau beschriebenen hinter sich hatten,
nicht wesentlich verändert. Hier war die Pulsverlangsamung höchst
wahrscheinlich auf die psychischen Shockwirkungen zurückzuführen, die
durch die ersten ungewohnten Eindrücke des Kampfes ausgelöst waren.
Rhythrausstörungen, namentlich Extrasystolien, respiratorische Arhythmien
kamen bei diesen Leuten gleichfalls nicht zur Beobachtung.
Bemerkenswert ist noch, dass bei unseren Fällen der Puls un¬
mittelbar vor der Funktionsprüfung mehrfach erheblich frequenter war
als sonst bei Körperruhe.
Auch hier dürften psychische Momente mit in Betracht zu ziehen
sein. Wir verweisen auf die zitierten Untersuchungen von Külbs und
Brust mann, die bei Sportsleuten unmittelbar vor der Arbeitsleistung
beträchtliche Erhöhung der Pulsfrequenz fanden, auch bei solchen, bei
denen die sonstige Pulsfrequenz eine aussergewöhnlich langsame war.
Der Blutdruck bewegt sich im ganzen in normalen Grenzen. Bei
den beiden Kavalleristen (Fall X und XI) ist er niedriger als bei den
anderen, bei Fall XI bleibt er sogar hinter dem normalen Durchschnitt
zurück.
Das Verhalten der Elektrokardiogramme bot im ganzen keine be¬
sonders bemerkenswerten Eigentümlichkeiten.
Die öfters beobachtete Spaltung bzw. Verdoppelung der Vorhofzacke
(in sechs Fällen) ist von Hoffmann auch unter normalen Umständen
allerdings nur in Ableitung III beobachtet worden. Die Längen der
Strecken ß und f, die schon am gesunden Herzen keine irgendwie
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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 409
konstanten Grössen darstellen, wechselten auch in unsern Aufnahmen in
ihrer Ausdehnung.
Auffallend scheint jedoch das ungemein häufige Vorkommen tiefer
S-Zacken zu sein, wie es gerade bei Ableitung I im allgemeinen unge¬
wöhnlich ist (unter 38 Fällen 32 mal). Sie betrugen bis zu 14 mm. Man
wird sie in unsern Fällen kaum auf Querlagerung des Herzens allein
beziehen können. Sie kehrt in vielen Kurven auch bei mehrmaligen Auf¬
nahmen wieder, ohne dass die betreffenden Herzen sich in Querlage be¬
funden hätten. Anscheinend ist sie mit der Hypertrophie des linken
Ventrikels in Beziehung zu bringen, wofür auch die hohe T-Zacke spricht.
Bemerkenswert erscheint ausserdem noch neben der in vier Fällen
beobachteten abnormen Höhe der R-Zacke bis zu 27 mm eine abnorm
niedrige R-Zacke in acht Fällen. Die letztere dürfte wohl als Ausdruck
einer vorübergehenden funktionellen Schädigung des Herzens zu deuten sein.
Schliesslich möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass wir ausser
diesen relativ geringfügigen Anomalien bei keiner einzigen unserer Auf¬
nahmen eine Störung des normalen Herzrhythmus gefunden haben.
Die Funktion der Herzen aller dieser Patienten war im ganzen
eine erfreulich gute. Nach akuten Anstrengungen, wie zehnmaliger
Kniebeuge bzw. zehnmaligem Hinauf- und Hinunterlaufen einer Treppe,
schnellt die Pulsfrequenz in den meisten Fällen mässig in die Höhe,
ist aber nach 2 bis 3 Minuten zur Norm abgefallen. Es gab aller¬
dings eine Anzahl von Fällen, bei denen der Anstieg der Pulsfrequenz
ein unverhältnismässig hoher war und die absteigende Kurve einen
ziemlich flachen und nur allmählich abfallenden Verlauf zeigte. Diese Pa¬
tienten sahen auch schlecht aus, hatten eine blass-livide Hautfarbe und
fühlten sich subjektiv doch nicht ganz so wohl wie früher. Aber auch
bei diesen Leuten besserten sich Aussehen und Funktionszustand des
Herzens im Laufe des Aufenthalts bei uns durch Ruhe, ohne irgend
welche besondere Behandlung und ohne dass, wie schon oben ausein¬
andergesetzt, eine Verkleinerung ihrer Herzvolumina im Laufe der Zeit
deutlich wahrnehmbar gewesen wäre. Sie konnten fast alle — soweit
nicht andere Gründe daran hinderten — trotz ihrer grossen Herzen als
felddienstfähig entlassen werden.
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Gck igle
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XIX.
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I. Inst, für demonstrative medizinische Pathologie der K. Universität Neapel
(Direktor: P. J. Castellino).
Ueber den Mechanismus beim Auftreten
der paroxysmalen Tachykardie.
Von
S. La Franca.
(Mit 2 Kurven im Text.)
Eine der Formen von Störung des Herzrhythmus, deren pathogene¬
tische Auffassung durch die neuen Lehren der Physiopathologie des
Herzens eine tiefgehende Veränderung erfahren hat, ist die paroxysmale
Tachykardie, d. h. diejenige Form, welche durch ein ungestümes Jagen
des Herzens (Hoffmanns Herzjagen) charakterisiert ist, das sich durch
Krisen kundgibt mit Anfällen, die gewöhnlich plötzlich auftreten und
verschwinden. Ich sage gewöhnlich, weil vor kurzem Gallavardin und
Croizier einen Fall beschrieben haben, in welchem die Anfälle von
paroxysmaler Tachykardie langsam eintraten und abnahmen, weshalb sie
sie tachycardie en dome nannten, die der gewöhnlichen Form, die
also en plateau wäre, gegenüberzustellen sei.
Die paroxysmale Tachykardie unterscheidet sich ziemlich deutlich
von allen anderen Formen von Tachykardie durch ihre besonderen Merk¬
male, durch den Ursprung, den sie hat, durch die Bedingungen selbst,
unter denen sie entsteht und verläuft, obwohl bisweilen zwischen ihr und
einigen der anderen Formen nicht nur hinsichtlich der Form Ärmlich¬
keiten bestehen, sondern häufig auch ätiologische Beziehungen vor¬
handen sind.
Wie bekannt, kann die Dauer des Anfalles verschieden sein: von
wenigen Minuten kann sie bis zu ganzen Tagen zunehmen und sogar nach
der Ansicht einiger Autoren den Charakter einer permanenten Tachy¬
kardie annehmen.
Auch in der Art und Weise ihres Auftretens zeigen sich in den
verschiedenen Fällen erhebliche Unterschiede; aber sie behält trotzdem
ein ihr eigentümliches Gepräge bei, so dass in die allgemeine Bezeich¬
nung „paroxysmale Tachykardie“ alle Formen, bei denen Krisen von
erheblicher Beschleunigung der Herzfunktion eintreten, weder aufge¬
nommen werden können, noch dürfen.
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Ueber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 411
Hauptmerkmale des tachykardischen Anfalles sind nämlich:
1. der sehr hohe Wert der Zahl der Pulsationen, der von 130
herum bis auf 300 in der Minute steigt;
2. das Vorhandensein von Intermittenzen, die vor, während und
nach der Krisis eintreten; ja, häufig folgt auf den Anfall eine
Periode langsamen Pulses;
3. dass .die Zahl der Pulsationen während des Anfalles stets ein
Vielfaches derjenigen ist, die das Individuum vor dem Eintritt
der Krisis zeigte (Hoffmannsches Zeichen).
Martius glaubte tatsächlich, dass eine konstante Begleiterscheinung
dieser Störung des Rhythmus, ja die Ursache ihres Auftretens die Herz¬
erweiterung sei. Wenn diese aber zuweilen wirklich beobachtet wird,
muss sie als eine Folge und nicht als eine Ursache betrachtet werden.
Sie ist die Wirkung der schlechten Ernährung, der das obendrein
zu einer übermässigen, mühsamen Arbeit angetriebene Herz ausgesetzt
wird. Und auf diese Weise wird infolge der stürmischen Art, wie sowohl
die anabolische als die katabolische Periode verläuft, einerseits die Auf¬
nahme der Nährstoffe eingeschränkt, andrerseits die Ausscheidung der
Desintegrationsprodukte verhindert. Die Tonizitätsstörung — wie bis¬
weilen auch die Kontraktilitätsstörung — tritt nämlich in den Fällen ein,
in denen die Anfälle häufig und von langer Dauer sind, namentlich wenn
schon in der Faser eine Disposition in bezug auf diese fundamentale
Eigenschaft infolge krankhafter Bedingungen vorhanden war, die schon
früher im Herzen eingetreten waren. Die Folge davon ist, dass, wie die
ihren Ursprung aus der Herzinsuffizienz herleitenden Symptome, so auch
ihre Folgen im strengen Sinne des Wortes nicht der paroxysmalen
Tachykardie zur Last gelegt werden können.
Wichtig erscheinen dagegen — und sie sind es in der Tat — die
anderen Merkmale, insofern als es bei ihrer Erforschung möglich ist, die
Natur der Aflfektion und den Mechanismus, infolge dessen sie auftritt,
zu untersuchen. Ebenfalls wichtig ist in dieser Hinsicht das Studium
aller der besonderen Krankheitsbedingungen, die im Herzen selbst und
im Individuum gleichzeitig vorhanden sein können.
Der folgende Fall, der in der Poliklinik unseres Instituts zur Beob¬
achtung kam, schien mir insofern des Studiums würdig, als er eben zu
einigen diesbezüglichen Ueberlegungen sich eignet.
Es handelt sich um einen 38jährigen Kranken aus Neapel. Die Mutter starb an
einer progressiven Gehirnaffektion, die Pat. nicht genauer angeben kann. Der Vater
starb an Hirnblutung. Ein Bruder leidet an Nervenlähmung, ein andrer ist im Irren¬
haus. Aus seiner Anamnese ist bis zum 19. Jahr kein bemerkenswertes Ereignis zu
erwähnen; zu dieser Zeit trank er, um dem Militärdienst zu entgehen, für den er
schon ausgehoben war, einen Tabakaufguss, den er sich aus zum Teil gejauchten
und dann ausgegangenen Zigarren bereitet hatte. Es folgten erhebliche Störungen,
Erbrechen, allgemeines Zittern und Erscheinungen von Kollaps.
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412
S. LA FRANCA,
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Er wurde ins Spital aufgenommen und wurde bei seinem Austritt frei vom Mi¬
litärdienst wegen leichter Herzstörungen, die bei Anstrengung, Laufen usw. eintraten.
Er erinnert sich an vorübergehende Beschleunigungen des Herzschlages, nach
denen aber sein Zustand steh besserte. Drei Jahre später wurde er von Malaria mit
schwerem Typus befallen und nach weiteren zwei Jahren erkrankte er an Typhus.
Zu dieser Zeit hatte er einen ersten Schweren Anfall von Tachykardie mit Herz¬
insuffizienz, Dyspnoo und Oedemen an den unteren Extremitäten. Obgleich er von
Zeit zu Zeit Störungen des Rhythmus wahrnahm und bei Anstrengungen und beim
Treppensteigen Schmerzen litt, fühlte er sich trotzdem von da ab besser. Die Malaria¬
infektion war nicht ganz überwunden, da von Zeit zu Zeit Fieberanfälle wiederkehrten.
Vor sechs Jahren hatte er, da er sioh aus dienstlichen Gründen in feuohten Räumen
hatte aufhalten müssen, einen Anfall von Gelenkrheumatismus. Um diese Zeit erlitt
er ein schweres psychisches Trauma: es befiel ihn nämlich ein heftiger, längere Zeit
andauernder Schrecken, weil er sioh in einem Palast befunden hatte, während dieser
einstürzte. Alsdann zeigte sich eine Krisis von intensiver, lange dauernder Tachy¬
kardie mit Erscheinungen von Herzinsuffizienz, Dyspnoe und Oedemen. Darauf folgte
eine permanente Arrhythmie, die durch zeitweise unregelmässige Intermittenzen
charakterisiert war, und die Krisen wiederholten sich noch weiter dreimal mit ver¬
schiedener Intensität.
Als er sich vor einem halben Jahre uns zur Untersuchung vorstellte, befand er
sich in einer der kritischen Perioden. Der Puls erreichte die Zahl von 240 Pulsationen
pro Minute. Einen Tag später war der Wert des Pulses verringert, die Pulsschläge
an der Radialis waren 120, mit häufigen Intermittenzen. Es wurden nämlich Puls¬
schläge wahrgenommen in mit Frequenz aufeinanderfolgenden Gruppen, auf die dann
eine lange Pause folgte, oder andernfalls waren die Intermittenzen Staffel förmig, nach
8 oder 10 Pulsationen mit normalem Typus.
Es waren inotrope und negative tonotrope Störungen vorhanden, mit Erweiterung
der Ventrikel, insbesondere des rechten. An der Stelle der Mitralis und der Trikus-
pidalis war systolisches Geräusch.
Sein Zustand besserte sich in der Folge; das Geräusch verschwand, der Puls
blieb arrhythmisch, mit dem weiter oben beschriebenen Typus von Störungen.
Aber die Anfalle von Tachykardie wiederholten sioh, wenn sie auch weniger
intensiv waren und nicht so lange dauerten. Während eines dieser Anfälle wurde die
elektrokardiographische Untersuchung bei ihm vorgenommen. Damals schwankte der
Puls um 180 Pulsationen in der Minute herum. Es war kein Geräusch vorhanden,
leichte Vergrösserung des Herzens war zu konstatieren und beim häufigen Aufein¬
anderfolgen der Pulssohläge waren von Zeit zu Zeit, sowohl bei der Auskultation des
Herzens, als bei Palpation der Radialis Intermittenzen deutlioh wahrnehmbar.
Als er weiteren elektrokardiographischen Untersuchungen unterzogen wurde, er¬
hielt ich vermittelst des Universalregistrators von Boch-Thoma mehrere Elektro¬
kardiogramme, von denen ich zwei reproduziere. .Das erste wurde erhalten, während
sich der Anfall von Tachykardie abspielte, das zweite in der Endperiode.
Das erste (Abb. 1) zeigt die folgenden Erscheinungen: Sowohl im Elektro¬
kardiogramm, als im Arteriogramm hat der Pulsschlag tachykardischen Typus. Die
Welle der A. carotis zeigt sich nicht immer gleich an Weite und es sind auch Un¬
gleichheiten im Intervall zwischen zwei Pulsschlägen vorhanden. Im Elektrokardio¬
gramm verschmilzt gewöhnlich der aurikuläre Komplex mit der Endwelle des vorher¬
gehenden ventrikulären Komplexes; bisweilen ist Pkaum begonnen, wenn die Welle R
anlangt, auf die die Welle 8 folgt. Oft ist in der Entwicklung von P eine Defor¬
mation vorhanden, die fast an eine Umkehrung erinnern könnte. T ist stets augen¬
fällig. Die zweite Kurve (Abb. 2) zeigt die folgenden Merkmale:
1. Nach einigen Pulsschlägen mit tachykardischem Typus (die hier weggelassen
sind) erscheint einer ( 2 ) mit einer ganz augenfälligen Welle P, auf welche die
Wellen R 8 folgen, denen immer T folgt.
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413
414
S. LA FRANCA,
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2. Der folgende Pulsschlag (3) zeigt sich mit zwei augenfälligen Wellen P, auf
welche dann der gewöhnliche ventrikuläre Komplex folgt. Nun findet man aber, wenn
man diese Phase des Elektrokardiogramms mit dem vom Arteriogramm (Karotis) dar¬
gebotenen relativen graphischen Bild vergleicht, eine Periode einer Pause, die 4 /l2 Se¬
kunden dauert.
Die arterielle Welle, die auf die Pause folgt und diesem Pulsschlag entspricht,
ist erheblich und es folgt darauf eine Linie, die von Hebungen unterbrochen ist,
deren letzte der folgenden arteriellen Systole (4) entspricht. Interessant ist der Um¬
stand, dass nach der erheblichen Welle das Elektrokardiogramm die Wiederherstellung
des tachykardischen Rhythmus zu erkennen gibt, und die erste Kontraktion, welche
folgt, hat eben nur ein Gegenstück in der oben erwähnten leichten arteriellen
Schwankung. Dieses besondere Verhalten sieht man deutlich im Pulsschlag (9) und
den folgenden sich wiederholen. Tatsächlich kann der Pulsschlag (9) wohl als gleich
dem Pulsschlag (3) und der Pulsschlag (10) als gleich (4) betrachtet werden. Dies
beweist, dass der Ventrikel nach einer energischen Systole, die infolge der Möglichkeit
der vollständigen Entwicklung der Systole des Atriums entstanden ist, sich fast blut¬
leer befindet, während dann beim darauf folgenden Wiedereintreten des taohykar-
dischen Rhythmus die Wiederfüllung möglich ist, aber nicht auf absolut vollständige
Weise. Dieser Mechanismus wird bestätigt durch den Umstand, dass beim Puls¬
schlag (II), wo der aurikuläre Komplex ganz entwickelt, die arterielle Welle hoch
und vollständig ist.
Die Art und Weise, wie sich der aurikuläre Komplex entwickelt,
und die Beziehungen, die er mit der Welle R eingeht, welche den Ur¬
sprung der Ventrikelkontraktion bezeichnet, beweisen klar, dass die
Tachykardie sich nicht mit einer einzigen Form entwickelt, sondern oft
eine aurikuläre, zuweilen nodale, zu anderen Malen rein ventrikuläre
Form hat.
In dem Falle nämlich, in welchem die aurikuläre Systole vollständig
eintritt und auf sie der ventrikuläre Komplex folgt, ist es leicht an¬
zunehmen, dass der hinsichtlich der Frequenz abnorme Reiz im Herzohr
entsteht, und da ja das graphische Bild des Elektrokardiogramms sich
als von normalem Typus zeigt, lässt sich nach den Untersuchungen von
Lewis annehmen, dass er im gewöhnlichen Sitz des Impulses oder in
seiner Nähe entsteht.
Dies ist gewiss die gewöhnlichste Form von paroxysmaler Tachy¬
kardie und auch diejenige, welche am besten studiert worden ist, nicht
nur mittels der elektrokardiographischen Methode, sondern auch mittels
des venösen Pulses. In diesem Falle werden nämlich deutlich a-Wellen
beobachtet, die den c-Wellen vorausgehen, und häufig zeigen sich beim
Zusammentreffen der Systole des Atriums mit der des Ventrikels über¬
triebene Wellen, die eben durch diesen Charakter ihre Natur und ihren
Ursprung offenbaren. Auch beim Elektrokardiogramm treten derartige
Fälle des Zusammentreffens zutage; ein deutliches Beispiel davon ist
der Pulsschlag (4) der zweiten Kurve, in welchem man die Ueberlagerung
der aurikulären Welle auf die Endwelle des ventrikulären Komplexes sieht.
Im Falle, in welchem P Richtungsänderungen der Welle anzeigt,
lässt sich annehmen, dass entweder der Reiz für diesen Pulsschlag nur
Gck igle
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Ueber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 415
in den atrioventrikulären Knoten fällt und das Herzohr und Ventrikel
zu einer fast gleichzeitigen Kontraktion gereizt werden, oder dass, während
dennoch der abnorme Reiz im ursprünglichen Bezirk, der die tachy-
kardische Form bezeichnet, fortfährt sich zu entwickeln, ein ebenfalls
abnormer Reiz infolge jenes Pulsschlages im Tawaraschen Knoten oder
hier in der Nähe entsteht, der, indem er eine Welle von unten nach
oben veranlasst, dem aurikulären Komplex einen verschiedenen Charakter
verleiht. Bei der ersten Hypothese würde es sich um den nodalen
Rhythmus handeln. Von Mackenzie bei vielen Erscheinungen von
Störung des Rhythmus angenommen, ist die Möglichkeit dieser Form
lebhaft bestritten worden als entgegengesetzt der Art und Weise, wie
sich die Herzmechanik kundgibt. Indessen zwingen uns experimentelle
Untersuchungen, die auch durch zahlreiche klinische Beobachtungen,
namentlich von Lewis, unterstützt wurden, ihre Möglichkeit anzunehmen,
so dass, wenn der nodale Rhythmus nicht als der Exponent der sehr
zahlreichen Formen, auf die Mackenzie ihn hätte ausdehnen mögen,
betrachtet und auch nicht für einen Typus von permanenter Veränderung
gehalten werden kann, er trotzdem bestehen kann, entweder bei den
hinzutretenden Formen frühzeitiger Kontraktionen — wie er es im vor¬
liegenden Falle wäre — oder wenn er — was selten ist — bei der regel¬
mässigen Herztätigkeit eingeschaltet wird.
Dessenungeachtet ist aber in diesem Falle die zweite Hypothese
wahrscheinlicher; da man im allgemeinen annimmt, dass die tachy-
kardischen Anfälle aurikulären Ursprungs von einzigem Typus und mehr
als ein Ersatz eines Rhythmustypus sind, lässt sich die Interferenz von
Wellen annehmen, die leicht in einem Herzen Auftreten können, in dessen
spezifischem System infolge schwerer Veränderungen das Vermögen, Reize
hervorzubringen, wieder entsteht. In diesem Sinne spricht auch noch
die Art und Weise, wie in seiner Gesamtheit das Elektrokardiogramm
seine Entwicklung nimmt.
Gewiss tritt ausserdem eine Erhöhung des Leitungsvermögens des
atrio-ventrikulären Bündels ein; aber auf die Zunahme der Funktion folgt
deshalb eine leichte Ermüdung, so dass entweder eine Schwierigkeit der
Uebertragung des Reizes eintritt, so dass eine wahre und vollständige
Welle P im Elektrokardiogramm erscheint, ehe der Ventrikel schlägt (II),
oder eine Unterbrechung, ein wahrer momentaner Block, so dass zwei
Wellen P aufeinander folgen, ehe der ventrikuläre Komplex beginnt
(Kurve 2, 3, 9).
Das Hinzutreten eines Ermüdungszustandes im atrio-ventrikulären
Leitungsbündel erklärt es, dass sich die graphischen Bilder in den Ab¬
schnitten der Kurve wiederholen, so dass die 3. und die 9. Pulsation
ein gleiches Arteriogramm und ein gleiches Elektrokardiogramm ent¬
stehen lassen. Der Umstand sodann, dass nach Eintreten der energischen
Systole das Elektrokardiogramm die Wiederherstellung des tachykardischen
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Rhythmus zu erkennen gibt und der ersten folgenden Kontraktion nur
eine leichte arterielle Schwankung gegenübersteht, beweist, dass das Herz
in der energischen Systole sich fast ganz von Blut entleert und die
darauffolgende Ventrikelkontraktion, die durch eine beschleunigte, un¬
genügende aurikuläre Kontraktion verursacht wurde, nicht imstande ist
ein augenfälliges Arteriogramm entstehen zu lassen.
Wie bekannt, haben die modernen Studien den Entstehungsmechanismus
der paroxysmalen Tachykardie auf das Gebiet der frühzeitigen Kon¬
traktionen verlegt. Anders ausgedrückt, jeder Anfall stellt nur eine
Reihe von aufeinander folgenden frühzeitigen Kontraktionen dar.
Im Endstadium aller Anfälle lassen sich leicht die kompensatorischen
Pausen nachweisen, die bisweilen einen wahren langsamen Puls ver¬
ursachen, wie auch gewiss das Ergebnis einer kompensatorischen Pause
die Intermittenz ist, die stets gegen das Ende des Anfalles beobachtet
wird. Sicher ist der Umstand in Betracht zu ziehen, der im vorliegenden
Falle angetroffen wurde, in welchem deutlich eine Leitungsstörung des
Bündels vorliegt, so dass man sagen muss, dass wenigstens nicht alle
Intermittenzen bei der paroxysmalen Tachykardie durch den extra¬
systolischen Mechanismus erklärt werden. Man könnte auch die Hypo¬
these aufstellen, dass im vorliegenden Falle eher als eine Abnahme des
Leitungsvermögens eine zeitweilige Erschöpfbarkeit der Erregbarkeit des
Herzens vorhanden ist, d. h. des Vermögens, das die Faser besitzt, den
Reiz zu empfinden, auf den sie nun kraft ihrer anderen Eigenschaft sich
zu kontrahieren mit einer Kontraktion antwortet. Aber wie wahrschein¬
lich die Hypothese auch ist, sie ist nicht beweisbar; sie erscheint sogar
— und sie ist es in der Tat — weniger wahrscheinlich als die andere,
die einen zeitweiligen Block des Herzens annimmt.
Aber die Möglichkeit, dass die Intermittenzen einen verschiedenen
Ursprung haben können, hebt das Prinzip nicht auf, dass die paroxysmale
Tachykardie sich mit dem Mechanismus der frühzeitigen Kontraktion
entwickelt. Mag es sich nun um die aurikuläre Form handeln, welche
die häufigste ist, oder um die ventrikuläre oder auch um die atrio¬
ventrikuläre, die Analyse der Form führt sie auf den Ausdruck einer
antizipierten Systole. Aber damit nicht genug; es muss nämlich fest¬
gestellt werden, ob sie einen rein kardialen Ursprung hat oder durch
die Einmischung des Nervensystems verursacht wird.
Bekanntlich nahm Bouveret, der zuerst diese Krankheitsform
• studierte, weshalb die Franzosen sie nach seinem Namen benennen, an,
dass es sich um eine Neurose des Pneumogastrikus handle. Man sah
jedoch ein, dass man nach Durchschneidung des Vagus von Beschleunigung,
nicht von wahrer Tachykardie sprechen kann, weil die Zahl der Pulsationen
nicht grösser als 130—140 in der Minute ist und nicht lange anhält.
Kappler sah nämlich, als er im Verlaufe einer Operation den rechten
Pneumogastrikus durchschnitten hatte, dass der Puls bis auf 120 Pulsationen
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Lieber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 417
pro Minute beschleunigt wurde, aber nach 9 Tagen nur noch 88 betrug.
Auch Vaquez ist dieser Ansicht.
Ganz verschieden erscheint dagegen die Bedeutung des beschleuni¬
genden Nerven. Tatsächlich wurde auch bei ihm irgend welches Ver¬
mögen die Tachykardie zu erregen in Abrede gestellt, aber Unter¬
suchungen von Hering und dann auch Beobachtungen von Vaquez
haben die Möglichkeit einer Tachykardie infolge Reizung des N. accelerans
dargetan, auch wenn der Tonus der Hemmungsfasern des Vagus gar nicht
vermindert ist.
Hering sagt nämlich, indem er sich auf seine bekannte Klassifizierung
der Kontraktionen in nomotope und heterotope bezieht, einer der Punkte,
die, wie er glaubt, in jedem Falle von Tachykardie erörtert werden
müssten, sei der, dass man im Falle der heterotopen Form untersuchen
müsse, ob sie von Reizung des N. accelerans abhängt oder nicht. Nun
wäre aber zu bemerken, dass, wenn man die Möglichkeit einer Tachy¬
kardie infolge Funktionserhöhung des N. accelerans annimrat, die Unter¬
suchung, ob er in Frage steht, sowohl im Falle einer heterotopen als
bei der nomotopcn Tachykardie gerechtfertigt ist.
Es haben nunmehr zahlreiche experimentelle und klinische Unter¬
suchungen den intimen Zusammenhang zwischen dem Sympathikus und
dem Vagus und dem sinus-aurikulären Knoten nachgewiesen. Sowohl
die Funktionserhöhung des einen oder des anderen als auch ein De¬
pressionszustand müssen sich im Knoten von Keith und Flack fühlbar
machen und zu einer Vermehrung oder Verminderung der Herzschläge
führen. Sogar die Herzbeschleunigungen nervösen Ursprungs, seien sie
nun der Ausdruck eines allgemeinen nervösen Zustandes oder die Wirkung
von Reflexen infolge Reizungen, die von einer beliebigen Stelle des
Organismus ausgehen (namentlich vom Verdauungsapparat), erklären sich
eben durch diesen Mechanismus.
Wichtig ist dagegen der andere von Hering bezeichnete Punkt, ob
nämlich die Tachykardie durch ursprüngliche heterotope oder hetero¬
typische Reize entstanden ist, weil nach den Untersuchungen desselben
Autors ein Eingriff mittels Kompression des Vagus zum Aufhören der
heterotopischen kontraktilen Reize führen kann, aber keinen Einfluss auf
die heterotypischen ausüben soll; wenigstens scheint dies bei den ex¬
perimentell hervorgebrachten der Fall zu sein.
Aber der Form nervösen Ursprungs gegenüber steht eine andere
kardialen Ursprungs, die einige Autoren sogar für die einzige gehalten
haben, die in den Fällen eines wahren Anfalles von paroxysmaler Tachy¬
kardie in Betracht komme.
Diese Form ist leicht anzunehmen, wenn man bedenkt, dass sowohl
im Knoten von Keith und Flack als an einer beliebigen Stelle des
spezifischen Gewebes — das das atrio-ventrikuläre Bündel bildet oder
in der aurikulären Wand vorhanden ist — abnorme Reize entstehen
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können, die den Anfall verursachen, der natürlich eine verschiedene Form
annehmen wird je nach der Stelle, an der die übermässige Produktion
der Reize eintritt. Dieser Ursprung erklärt und rechtfertigt besser die
lange Dauer des Anfalles und den — von vielen Autoren angenommenen
— Uebergang der Anfallsform in die andauernde.
Die experimentelle Forschung hat die Auffassung von der Möglich¬
keit des kardialen Ursprungs bestätigt. Lewis ist es nämlich gelungen,
Anfälle von ventrikulärer Tachykardie hervorzurufen, indem er mittels
einer Pinzette die rechte A. coronaria oder auch einen Ast derselben
komprimierte. Hering beobachtete auch Anfälle im isolierten Herzen
und ich selbst konnte bei einigen am isolierten Herzen gemachten Ex¬
perimenten beobachten, dass, wenn man den sinus-aurikulären Knoten
mit Nikotinlösungen behandelt, während der Vergiftung Momente Vor¬
kommen, in denen Kontraktionen in häufigen Reihen eintreten, die Kurven
ergeben, welche ein ähnliches Bild zeigen wie das der Extrasystolen,
die mittels der Schläge des Induktionsstromes hervorgerufen wurden.
In dem oben angeführten Falle erscheint der kardiale Ursprung,
auch aus den Merkmalen des Elektrokardiogramms, als augenfällig; es
lässt sich jedoch nicht ausschliessen, dass bei ihm das extrakardiale
Nervensystem seinen Einfluss ausübt, und mir scheint übrigens, dass in
allen Fällen ein solcher Einfluss nicht ganz ausgeschlossen werden kann.
Wie nämlich bekannt ist, üben in ihrer den Herzrhythmus regulie¬
renden Funktion die äusseren Nerven ihre Wirkung aus, indem sie die
fundamentalen Eigenschaften des Herzens positiv oder negativ verändern.
Nun ist es aber natürlich, anzunehmen, dass sie bei ihrer Erhöhung
oder Depression die Erregbarkeit der Faser, auf welche die Reize nun
leichter einzuwirken imstande sind, erhöhen können, oder dass sie sogar
— was sich auch annehmen lässt — an der schon prädisponierten Stelle
die Hervorbringung der Reize erwecken können, die beim paroxysmalen
Anfall zutage tritt.
Zum Schlüsse lässt sich sagen:
1. Die paroxysmale Form ist eine Form von Tachykardie, die eigentüm¬
liche, ganz bestimmte Merkmale hat, die sie von den anderen unter¬
scheiden.
2. Sie entwickelt sich mit dem Mechanismus der frühzeitigen Kontrak¬
tionen und je nach der Stelle, an welcher der abnorme Reiz entsteht,
besteht eine aurikuläre, ventrikuläre, atrio-ventrikuläre Form. Auch
kann die gemischte Form vorhanden sein, und der angeführte Fall
ist ein Beispiel dafür.
3. Die Intermittenzen, die beobachtet werden, gehören dem Mechanismus
der frühzeitigen Kontraktionen an; sie können aber einen anderen Ur¬
sprung haben, und im angeführten Fall ist es klar, dass sie z. T. auf
eine Störung der Leitungsfähigkeit folgen.
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Ueber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 419
4. Ihr Ursprung kann seinen Sitz haben im Herzen oder in einem
ßeizungszustand des N. accelerans. Aber auch im ersteren Falle
kann der Einfluss des extrakardialen Nervenapparates nicht ganz aus¬
geschlossen werden.
Literatnr.
1) Bouveret, Revue de med. 1889. — 2) Cohn, Heart. 1910/11. — 3) Galla¬
va r d i n et Croizier, Arch. des mal. du coeur. 1913. — 4) Hay, Edinb. med. journ.
1907. — 5) Hering, Münch, med. Wochenschr. 1911. Nr. 37. Arch. f. d. ges. Phys.
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Heart. 1909. 1910. 1911. British med. journ. 1910. The mechanism of the heart
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Heart. 1910. — 13) Palfrey, Francis W., Med. and surg. reports of the Bost, city
hosp. 1913. — 14) Pan, Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. 1904. — 15)Preisen-
dorff, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1880. — 16) Rihl, Deutsche med. Wochenschr.
1907. — 17) Schmoll, Amer. journ. of med. sc. 1907. — 18) Wenckebacli,
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1910.
Zeitb'cbr. f. klin. Medizin. Sl. Bil. H. o ti. fJ.
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XX.
Aus der II. medizinischen Universitätsklinik in Wien
(Vorstand: Hofrat Prof. Dr. Norbert Ortner).
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Unsere Erfahrungen über die Wirkung von Tumor¬
autolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen.
Von
Dnz. Dr. Richard Bauer, Dr. Robert Latzei,
Assistenten der Klinik,
und cand. med. Emil Wessely,
Hospitant der Klinik.
Im Kampfe gegen sämtliche maligne Neoplasmen haben bis heute
die Chirurgen die Oberhand behalten und werden auch in Zukunft bei
allen operablen Fällen die idealste Therapie, die radikale Entfernung des
Tumors üben. Wenn heutzutage danach gestrebt wird, durch andere
Mittel Heilung bei diesen Erkrankungen zu erzielen, so treibt uns dazu
hauptsächlich die häufige Inoperabilität, die schwere Zugänglichkeit ge¬
wisser Organe und endlich die Häufigkeit der Rezidiven, die Ungewissheit,
ob der chirurgische Eingriff mit der gewünschten Vollständigkeit ge¬
lungen ist oder nicht. Deshalb dürfte wohl jeder Beitrag gerechtfertigt
sein, den wir zur Frage einer unblutigen Heilung, bzw. Besserung dieser
Leiden leisten können.
Seit der Einführung der Strahlentherapie in dieses Gebiet der Heilkunde, der
Verbesserung, Erweiterung und Kombination der Methoden mit chirurgischen Ein¬
griffen haben sich gewiss viele Lichtpunkte im Kampfe gegen den Krebs ergeben, je¬
doch bleiben diese Methoden mehr dem Chirurgen als dem Internisten reserviert.
Die medikamentöse Behandlung, die sich, auf experimentelle Erfahrung stützend,
bis in die letzte Zeit behauptet hat, war die Arsentherapie, hauptsächlich durch
Atoxyl. In den letzten Jahren wurden jedoch besonders auf Basis derWassermann-
schen Arbeit und der Entdeckung der Wirkung von Eosin-Selen Metalle und Me¬
talloide und zwar hauptsächlich in kolloidalem Zustande in die Krebstherapie einge¬
führt. A. Lade und P. Girard stellten diesbezüglich die ersten Untersuchungen mit
Elektroselen an. ßougeant und Galliot berichten über zwölf mit Elektroselen be¬
handelte Fälle, bei denen sie über Besserung des subjektiven Befindens, Gewichts¬
zunahme, Nachlass der Schmerzen, Verkleinerung des Tumors, Erweichung und
Mobilisierung früher fixierter Tumoren und ihre nachträgliche Operabilität berichten.
C. Neuberg, W. Kaspari und H. Löhe steigern die in den malignen Geschwülsten
vorhandenen autolytischen Vorgänge durch Injektion von stark tumoraffinen Sub¬
stanzen. Diesbezüglich wirksame Mittel sind Verbindungen von Blei, Zinn, Arsen,
Antimon, Kupfer, Platin, lvobald und Silber. Die Autoren ziehen die intravenöse In¬
jektion vor und finden, dass im Tierexperiment schlecht vaskularisierte Tumoren
hyperämisoh werden und zahlreiche Blutaustritte aufweisen. In den vertliissigten Tu-
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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 421
moren finden sich Derivate der eingespritzten Metall Verbindungen. Zeller verwendet
neuerdings Arsenpasten in Kombination mit Kieselsäure zur Behandlung äusserer Ge¬
schwülste, wie auch Nakasilicium intern, allerdings ohne sichtbare Erfolge, eine Zeitlang
verwendet wurde. Gaylord und Harvey beschäftigten sich damit, Schilddrüsen¬
tumoren bei Fischen und zwar bei Salmoniden zu beobachten, während sie verschie¬
dene Substanzen dem Wasser zusetzten, in dem sich die erkrankten Tiere aufhielten.
Sie fanden Quecksilber in einer Verdünntyig 1:4000000, Arsen in einer Verdünnung
1:3000000, sowie Jod als Lugolsche Lösung dahingehend wirksam, dass die genannten
Tumoren vollständig verschwanden, Schilddrüsengewebe wieder normal wurde,
Kolloid wieder hergestellt wurde und eine erhebliche Besserung im Allgemeinbefinden
der Tiere sich einstellte. Kausch, der intravenöse Kollargolinjektionen bei Sepsis
und inoperablen Karzinomen anwendete, sah lebhafte allgemeine und lokale Reaktionen
ohne wesentliche Heilwirkung. Löb und Fleischer fanden im Tierexperiment bei
Mäusetumoren kolloidales Kupfer und Platin von Erfolg, besonders bei intravenöser
Einverleibung; nebenbei machten sie Versuche mit Kasein, Nukleoproteiden und Blut¬
egelextrakt, fanden jedoch bei ersteren Lebernekrosen. Spude wendet bei einem
Gesichtskarzinom in der Peripherie des Tumors Injektionen von feinst pulverisiertem
Eisenoxyduloxyd an bei gleichzeitiger Behandlung mit dem Wechselstrommagnet und
subkutan Arsenbehandlung. Braunstein erzielt mit intravenösen Injektionen kolloi¬
dalen Selens und gleichzeitiger Verabfolgung von Methylenblau per os und per rectum
Besserung, jedoch keine Heilung maligner Geschwülste. Lewin verwendet Goldsalze,
Franz Stronö findet, dass Chinin auf oberflächliche Epitheliome eine elektive
Wirkung auszuüben vermag, indem es Krebsgewebe zu zerstören und oberflächliche,
weiche Hautkrebse zu heilen vermag. Die von Beard (Edinburg) angegebene Trypsin¬
behandlung inoperabler Karzinome wurde vom Chirurgen des New Yorker Krebs¬
hospitals Bambridge nachgeprüft und endete mit einer grossen Enttäuschung. Vor
allem haften dieser Methode nicht zu unterschätzende Gefahren an, indem Trypsin
die Tendenz hat, jedes Körpergewebe anzugreifen und indem durch allzuraschen Ge¬
schwulstzerfall eine Ueberschwemmung des Organismus mit Toxinen den Exitus be¬
schleunigen kann. Abgesehen davon ist die Schmerzhaftigkeit der Injektionen und
Abszessbildung an der Injektionsstelle nicht zu vermeiden. Goldmann versucht
durch Applikation von Ehrlichs Ikterogen die Entwicklung von Tumoren zu hemmen.
Auch die mit Ikterogen behandelten Geschwülste zeigen in ihrem Innern raschen
Zerfall, mit Gallenfarbstoff tingierte Hohlräume und ikterisch gefärbte Makrophagen.
Im allgemeinen kann man auch bei diesen Erperijnenten, die durchweg an Mäuse¬
tumoren ausgeführt wurden und den deutlichsten Erfolg bei Chondromen zeigten, als
Arsenwirkung auffassen. Pyrogallol nach von Stein soll innerlich gegeben bei Krebs
bemerkensw.erte Erfolge haben, ebenso Jodkali ifi Form von Klysmen nach Michailov
besonders bei Karzinomen des Intestinaltraktes anzuwenden. Schliesslich sei noch der
direkten Behandlung von Karzinomen mit Formalin, Chlorzink, Resorzin und Benzoe¬
säure gedacht. In letzter Zeit führten Werner und Exner das Cholin in die Therapie
des Krebses ein von der Voraussetzung ausgehend, dass diese Substanz die Strahlen¬
therapie auf chemischem Wege nachahmen soll. Es wird als borsaures Cholin
(Enzytol) in lOproz. Lösung subkutan in zweitägigen Intervallen in Dosen von 5 g
injiziert. Nach Simons Beobachtungen tritt unmittelbar, oft sogar während der In¬
jektion Tränenträufeln, Speichelfluss und Erbrechen auf bei gleichzeitiger Hyperämie
des Gesichts und Zähneklappern. Die intrakutane Einverleibung ist schmerzhaft.
Werner verwendet intravenöso Injektion sogar grösserer Dosen mit ermutigendem
Erfolge. Wichtig sind noch Versuche, die mit Toxinen verschiedener Herkunft ge¬
macht wurden. So vor allem mit Bakterientoxinen, Streptokokken und Prodigiosus-
toxin von Coley, mit denen besonders bei Sarkomen komplette Heilung erzielt werden
soll. Auch Schlangen- und Bienengift wurde zu gleichem Zwecke, jedoch mit weniger
Erfolg angewandt. Man darf nicht vergessen, dass bereits in unseren alten chirur-
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422 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY,
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gischen Spitälern beobachtet wurde, dass Erysipele, die sich über Karzinome aus¬
breiteten, Rückgang, ja Heilung des Karzinoms verursacht haben sollen, wobei sich
einem besonders durch die Ansicht R. Schmidts, dass Karzinomkranke nur selten
exanthemische Infektionskrankheiten überstanden haben, die Ansicht aufdrängt, dass
einerseits die Toxine der Erysipelkokken direkt tumorzerstörend wirken, andrerseits
im Ueberstehen solcher Infektionskrankheiten eine gewisse Immunität gegen Neo¬
plasmen zurückbleibt. Ob die gehäufte Bildung von Antikörpern gegen eine oder
mehrere Infektionskrankheiten nicht eine dauernde wesentliche Festigung des Orga¬
nismus bedeutet, das Nichtüberstehen von Infektionen, ergo die geringe Antikörper¬
bildung im jugendlichen Alter späterhin einen leichteren Kampf der Krebszelle gegen
die unvorbereiteten Körpersäfte bedeutet, bleibt dahingestellt. Das würde natürlich
nicht hindern, dass hin und wieder auch im jugendlichen Alter dasselbe Missver¬
hältnis zwischen Angreifer und Verteidiger bestehen kann. Das Heilverfahren des
französischen Chirurgen Doyen, basierend auf Immunisierung mit dem von ihm ge¬
fundenen Mikrococcus neoformans, sowie das Verfahren 0. Schmidts, der von
ähnlichen Gedanken ausgehend ausser dem oben genannten Mikroorganismus Sporen
von Mucor racemosus zur aktiven Immunisierung verwendet (Antimeristem), ist heute
wohl bereits ganz verlassen. Auch Versuche mit Blastomyzetenkulturen versagten.
Grosses Interesse erregten in letzter Zeit sowohl vom theoretischen wie prak¬
tischen Standpunkte aus, die Versuohe einer direkten aktiven und passiven Immuni¬
sierung gegen Tumoren mittels arteigenem Tumormaterial. Bergell und von Leyden
berichten im Jahre 1907 über ein Ferment im Presssafte von Kaninchenleber, das in
Krebsgewebe injiziert, weitgehenden Zerfall der Tumoren unter dem Bilde einer enzy¬
matischen Auflösung des Tumorgewebes zur Folge hatte. Sie sahen in dem unge¬
hinderten Wachstum bösartiger Geschwülste einen Ausdruck dafür, dass im Körper
ein ungenügender Fermentgehalt oder Mangel jedweden derartigen Fermentes bestehe.
Bergell und Sticker finden dementsprechend bei Mäusekarzinomen und Hunde¬
sarkomen weitgehenden Zerfall der Tumoren sowie Nekrose und Resorption nach In¬
jektion von Leberferment, d. h. richtiger Leberautolysat. C. Lewin berichtet 1912
ebenfalls über Versuche, die er an Mäusen ausgeführt hat und deren Resultat ergab,
dass Injektion von Tumorautolysat Wachstumsstillstand, Verkleinerung und zuletzt
Verschwinden der Mäusetumoren zur Folge hatte. Er erwähnt bereits die besten Er¬
folge bei Verwendung vom eigenen Tumormaterial und empfiehlt operativ entferntes
Tumormaterial zur Verwendung bei Patienten zwecks Rezidiv Verhütung. Lewin und
Meidner geben weiter, indem, sie nach intraperitonealer Injektion von Tumormaterial
artgleicher Tiere eine Milzexstirpation vornehmen und durch Injektion solcher Milz¬
extrakte tumorkranke Tiere heilen. Die subkutane Einverleibung des Tumormaterials
stand an Wirksamkeit hinter der intraperitonealen zurück. Blumenthal berichtet
schon im Verein mit Leyden vor Jahren über Versuche am Menschen, denen sie
tumoreigenes Material eingespritzt und positive Resultate erhalten haben. Blumen-
thal verwendet 25 g Tumor auf 100 ccm chloroformhaltigen Wassers und spritzt ein
bis drei Tage altes Autolysat ein, worauf er acht bis vierzehn Tage darauf die Tu¬
moren auf ein Drittel ihres Volumens zurückgehen sieht. Graffund Ranzi wider¬
legten die Angaben Uhlenhuths, Handels und Staffenhagens, welche nach
Radikaloperation eines Tumors die Möglichkeit einer Neuimpfung leugneten, während
eine solche nach teilweiser Entfernung eines Tumors gelänge, durch eigeneVersuche,
denen sie Beobachtungen anfügen über Autoimmunisierung am Menschen durch sub¬
kutane Injektion von Geschwulstmaterial. Alle Patienten litten an einer oder mehreren
Rezidiven. Verwendet wurden Kochsalzextrakte des mit Hilfe der Buchnerschen
Presse hergestellten Presssaftes. Ein günstiger Einfluss dieser Therapie ist nach An¬
gabe dieser Autoren unverkennbar. Ein Kranker bleibt sogar, nachdem sein Sarkom
seit 1901 jedes zweite Jahr rezidivierte, seit den Injektionen rezidivfrei. Auch andere
Fälle von zwei bis vierjähriger Rezidivfreiheit werden berichtet. Beide Autoren er-
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Uober die Wirkung von Tumorautolysaton bei Behandlung maligner Neoplasmcn. 423
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mahnen, die Wucherungsfähigkeit des einzuverleibenden Materials zu vernichton, da
sonst Impftumoren an der Injektionsstelle möglich sind. Nach dem Vorgänge
Blumenthals richten sich Delbet und Rovsing. Nach der Mitteilung Stammlers
auf dem Chirurgenkongress 1913 goht hervor, dass auch kleine Mengen Autolysats
genügen (bei Exstirpation nur einer Drüse), um gute Erfolge zu erzielen. Lunken¬
bein, der zuerst die gleiche Technik der Autolysatbereitung und Subkutaninjektion
verwendete, ging als erster zur intravenösen Injektion über, um damit seinem Bericht
zufolge recht gute Erfolge zu erzielen. Nach ihm sind frische Autolysate wirksamer
als alte, wiewohl dieselben wochenlang auf Eis konservierbar sind. Alle Autoren
stimmen darin überein, dass Autolysate des eigenen Tumors an Wirksamkeit die
Autolysate fremder Tumoren übertreffen. A. Pinkus berichtet bei Verwendung von
Autolysaten in Chloroformwasser über wenig ermutigende Resultate, indem in einem
der Fälle bereits ein halbes Jahr später ein neuer Tumor vorhanden war. Extrakt
von Kalbsthymus in die Tumorperipherie injiziert, bewirkte wohl Nekrose von Tumor¬
partien, wogegen aber die Tumoren an anderen Stellen wieder weiterwucherten.
Bier berichtet 1907 über Versuche der Beeindussung bösartiger Geschwülste durch
Einspritzen artfremden Blutes. Er beobachtet im Tumor Nekrosen, Zerfall und Rück¬
bildung. Hirschfeld lässt zuerst Blutserum Gesunder, dann Blutserum tumor-
kranker Tiere auf Tumoremulsion einwirken, um damit Mäuse und Ratten zu impfen.
Dermassen geimpften Tieren wurde nun Tumormatcrial einverleibt. Der Erfolg war
der, dass bei den Tieren, die mit Normalserum-Tumoremulsion vorbehandelt worden
waren, eine viel geringere Impfausbeute zustande kam, als bei den mit Tumorserum-
Geschwulstemulsion geimpften Versuchstieren. Krokiewicz behandelte zehn Fällo
von Magenkarzinom, zwei von Uterus- und zwei Fälle von Mammakarzinom mit nor¬
malem Menschenblut. Er entnimmt aus der Vena mediana 6 ccm Blut und injiziert
dasselbe sofort subkutan. Nach sechs bis acht Tagen Wiederholung des Vorganges.
Ein Kranker kollabierte am dritten Tage. Bei einem anderen beschreibt er nach der
fünften Einspritzung Hämaturie und Hämoglobinurie. Erfolge beschreibt er nicht.
Gehen wir nun auf unsere eigenen Versuche der Autolysatthcrapio
maligner Geschwülste ein, so sei uns noch vorerst erlaubt, die Art und
Weiso der Bereitung der Autolysate zu schildern, da sie in nicht un¬
wesentlichen Punkten von den bisher üblichen Methoden abweicht und
wir auch mit verschieden bereiteten Autolysaten verschiedene Erfahrungen
machten.
In der Bereitung der ersten Autolysatc folgten wir den Vorschriften
Rovsings und Lunkenbeins, verwendeten physiologische Kochsalz¬
lösung, zerkleinerten den Tumor mechanisch, liessen ihn 3 Tage im Eis¬
schrank autolysieren und filtrierten dann durch Papierfilter, später eine
Zeitlang durch Bukalfilter, wobei wir uns aber ausserdem bei Bereitung
der Extrakte möglichst vor Infektion des Injektionsmaterials zu schützen
trachteten. Endlich wurden sie noch pasteurisiert (56°), auf das spezi¬
fische Gewicht von 1009 gebracht und in Mengen von 2—20 ccm ver¬
abfolgt. Bei Befolgung dieser Vorschriften zeigte sich nun, dass das
spezifische Gewicht der gewonnenen Autolysate grossen Schwankungen
unterliegt (1005—1032) und dass beim Pasteurisieren die Autolysatc
sich bisweilen milchig trübten, welcher Umstand die Folge einer Koagu¬
lation des Eiweisses infolge schwach saurer Reaktion war. Wir griffen
infolge dieses Umstandes zu dem Auskunftsmittel, an Stelle der physio-
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logischen Kochsalzlösung 0,5proz. Sodalösung zu verwenden. Ausserdem
waren wir wegen der häufigen Infektion der Autolysate genötigt, Chloro¬
form zur Unterschichtung zu verwenden, worauf sich aber zeigte, dass
die allerdings ziemlich eiweissreichen Autolvsate zwar steril, aber viel
weniger wirksam waren, ja einige in grössten Dosen intravenös verab¬
reicht gar keine subjektiven und objektiven Reaktionen auslösten, wie
ja auch Kaschivabara über den Einfluss von Säuren und Alkalien,
sowie verschiedener Antiseptika auf die Autolyse Aehnliches berichtet.
Nach ihm bleiben bei der Autolyse die mit gesättigtem Chloroformwasser
angesetzten Organextrakte wohl auch bei alkalischer Reaktion völlig
steril, doch wird die Autolyse bei 0,2—0,5proz. Sodalösung fast gänz¬
lich aufgehoben. Wir schalteten nun die Hemmung der Autolyse durch
Chloroform und Sodalösung aus, indem wir wieder zur physiologischen
Kochsalzlösung zurückgekehrt sind und auf den Zusatz von Antisepticis
verzichten, dafür aber von hausaus mit allen Kautelen der Asepsis Vor¬
gehen. Der Tumor wird von der Operation weg steril verpackt, dann
mechanisch zerkleinert und in der 4—5 fachen Menge steriler physiolo¬
gischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt. Um eventuell Luftkeime abzu¬
töten wird dann die Aufschwemmung durch eine Stunde im Wasserbade
auf 52° erhitzt. Die Aufschwemmung lassen wir nun 3 Tage bei Zimmer¬
temperatur autolysieren und filtrieren sie dann durch dichte sterilisierte
Papierfilter. Die so gewonnenen Autolysate sind wasserklare, leicht
gelbliche Flüssigkeiten von leichter Opaleszenz, deren spezifisches Ge¬
wicht meist zwischen 1005—1012 liegt. Sie geben eine ziemlich starke
Trichloressigsäurefällung und eine schwache Ferrozyankaliumreaktion.
Die Reaktion ist meist neutral oder sehr schwach sauer. Durch Zusatz
einiger Tropfen 0,5proz. Sodalösung werden sie schwach alkalisch ge¬
macht und sodann noch einmal durch eine Stunde auf 52° erhitzt. Sind
die angelegten Kulturen alle steril, dann füllen wir das Autolysat in
Dosen von 1—20 ccm in Glasfläschchen ab, die sofort zugeschmolzcn
und dann in den Eisschrank gestellt werden.
Bei Sichtung des uns zur Verfügung gestandenen Materiales sei
gleich eingangs erwähnt, dass sämtliche Fälle inoperable oder wenigstens
nicht radikal operierte Fälle waren, wobei wir auch hie und da Gelegen¬
heit hatten, Patienten mit tumoreigenem Material zu behandeln und ge¬
rade diese Fälle in den weitaus vorgeschrittensten Stadien. Das operativ
gewonnene Karzinommaterial überliess uns in entgegenkommendster Weise
die II. chirurgische Klinik des Hofrates Professor Höchen egg. Be¬
sonders bemerkt sei noch, dass das zur Behandlung verwendete Material
fast ausschliesslich aus Mammakarzinom bestand, während die behan¬
delten Fälle Magen-, Darm-, Uterus-, Mamma- und Nierenkarzinome be¬
trafen. Ein zur Behandlung gelangtes Sarkom, ein Hypernephrom
und ein Mammakarzinom konnten mit eigenem Tumormaterial behandelt
werden.
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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 425
Im folgenden sei über die bemerkenswertesten Fälle kurz berichtet.
1. Patientin A. W. bemerkte im August 1913 zum ersten Male eine haselnuss¬
grosse Geschwulst unter der rechten Brustwarze, die sich in wenigen Monaten ver-
grösserte und im Januar 1914 als derbe Geschwulst die ganze rechte Brust ergriffen
hatte. Die Haut darüber war blauschwarz verfärbt und die Geschwulst selbst schmerz¬
haft. Am 27. 2. wurdo sie an der II. chirurgischen Klinik von Dozent Dr. Finsterer
operiert. Der Tumor wurde uns zur Autolysatbereitung überlassen.
Aus dem Status sei hervorgehoben, dass sich in der Fossa supraclavicularis
dextra nebst kleineren harten Drüsen ein grösseres 3y 2 : 2 cm betragendes Drüsen¬
paket tasten liess, das fest mit der Unterlage verwachsen, völlig unbeweglich war und
wegen der darunter liegenden grossen Gefässstämme der Operation wahrscheinlich
unzugänglich gewesen wäre. Unter die Klavikula war der Tumor nicht abzugrenzen.
Auch in der linken Fossa supraclavicularis bestanden haselnussgrosse derbe
Drüsen. Rechterseits an der Basis schlechtere Verschieblichkeit; überall rauhes
Atmen. Sichere Anhaltspunkte für eine Lungen- oder Pleurametastase sind nicht ge¬
geben. Die Leber bis ein Querfinger unter den Nabel reichend, uneben, höckerig und
von harter Konsistenz. Die Milz eben unter dom Rippenbogen palpabel. Aus dem
Harnbefund sprachen die zunehmende Urobilin- und Urobilinogenreaktion nebst dem
erwähnten Palpationsbefunde für die Wahrscheinlichkeit metastatischer Prozesse in
der Leber. Die Patientin, im allgemeinen stark kachektisch, zeigt in ihrem Blutbefund
ausser einer geringgradigen Leukozytose (13000) und einer unbeträchtlichen Ver¬
minderung der roten Blutkörperchen (4200000) nichts Besonderes.
Patientin konnte iufolge Verjauchung dos Tumors nur mit geringem eigenen
Material behandelt werden, das mit Chloroform und 0,5proz. Sodalösung bereitet
wurde.
Die Reaktion des Autolysates war basisch, die Essigsäurefällung stark positiv,
die Ferrozyankalifällung positiv, das spezifische Gewicht 1011.
Die erste Injektion, 2,5 ccm intravenös, wurde von einer Temperatursteigerung
von 36,0 auf 37,3 beantwortet und hatte kein wesentliches Unbehagen im Gefolge.
Die zweite Injektion, 5,0 ccm intravenös in Begleitung von 0,25 g Coffeini natr.
benz., verursachte unter Schüttelfrösten und intensivem Kältegefühl Tachykardie
und Schmerzen in dor Narbe und in der Oberbauchgegend, Temperatursteigerung
auf 38,3.
Die folgenden Autolysate (Protokoll Autolysat R), welche ebenfalls von einem
Mammakarzinom herrührten, jedoch nicht mehr von ihrem eigenen Tumor stammten,
wurden ebenfalls mit Chloroform und Toluol steril gehalten und waren in 0,5proz.
Sodalösung bereitet. Trotz Steigens der Injektionen auf 10 ccm und 15 ccm waren
unangenehme subjektive Gefühle von der früheren Intensität nicht mehr zu ver¬
zeichnen. Die Temperatur stieg durchschnittlich nicht mehr über 37,2. Nach den
Injektionen fühlt sich die Patientin matt und schläfrig und verfällt meist in stunden¬
langen tiefen Schlaf. Nach der zweiten Injektion vom 16. 3. 1914 war der Driiscn-
tumor in der rechten Supraklavikulargrube nach unten hin deutlich abzugrenzen, war
allseits kleiner und härter geworden. Der Patientin wird in der Zwischenzeit aus
unten anzuführenden Gründen 1 / 2 ccm Adrenalin 1 : 1000 injiziert. Am 22. 3. wurde
Patientin zum ersten Male mit fremdem Autolysat behandelt, reagierte mit kurzem
Schüttelfrost und Kältegefühl, um sich nach 2 Stunden wieder vollkommen wohl zu
fühlen. Die folgenden Autolysatinjektionen, deren im ganzen 8 vorgenommen werden
konnten, wurden ohne besondere Sensation vertragen. Das supraklavikuläre rechts¬
seitige Drüsenpaket wird bis auf einen daumendicken, sehr harten Strang verkleinert
und auch die übrigen Drüsen gehen wesentlich zurück. Völlig unverändert blieb der
Leberbefund und, was wir hier wie bei anderen Patienten hervorbeben, der Blut¬
befund.
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426 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY,
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Eine Herabminderung der Resistenzfähigkeit der roten Blutkörperchen gegen¬
über hypotonischen Kochsalzlösungen liess sich nicht nachweisen. Die Patientin, die
sich infolge rasoher Besserung des Allgemeinbefindens und glatter Heilung der Ope¬
rationsnarbe nicht zurüokhalten liess, verliess trotz Widerratens die Klinik.
2. Patient A. S. bemerkte vor l 1 /«» Jahren Blut im Stuhl. Bei der Aufnahme
in unsere Klinik wurde ein Rektumkarzinom diagnostiziert, das am 10. 10. 1912 zur
Operation gelangte. Vor der Operation hatte sich dor Zustand zeitweiliger Stuhl¬
verstopfung zum vollständigen Darmverschluss komplettiert. Hochgradige Steifung
und Auftreibung des Bauches, Ausbleiben von Stuhl und Winden, fortwährendes Er¬
brechen.
An der Klinik Hofrat v. Eiseisberg wurde nun wegen vollständiger Ein¬
mauerung des Rektums und Uebergreifens auf das Sigmoideum von einer Radikal¬
operation Abstand genommen und da nicht einmal die Möglichkeit bestand, die
Flexura sigmoidea vorzulegen, zur Cöcostomie geschritten, die wegen Fixation auch
dieses Darmteiles nicht in typischer Weise vorgenommen werden konnte. Der Lokal¬
befund vom 16. 3. 1914 ergab, dass das Eindringen des Fingers ins Rektum nur bis
höchstens 6—7 cm gelang, dann ein derber, von allen Seiten vordringender Tumor
ein weiteres Lumen gegen das obere Rektum überhaupt nicht tasten liess. Die Gegend
des Perineums und Anus ist vorgetrieben und hart.
Patient leidet an einer vollständigen inoontinentia urinae. Der Stuhl geht durch
den Anus praeternaturalis ab, während das Rektum auch nicht die geringste Menge
Fäkalien passierte. Infolge der heftigen Schmerzen im Kreuz und im Perineum kann
Patient nicht sitzen. Das Gehen ist durch hochgradige motorische Schwäche des
linken Beines sehr stark beeinträchtigt. Die früher genannten Schmerzen strahlen
lebhaft in das linke Bein aus. Appetit äusserst gering, es besteht Ekel vor Fleisch.
Im letzten Monat Gewichtsabnahme um 3 kg. Die genaue neurologische Unter¬
suchung ergibt rechterseits eine bessere Funktion des Muse, peroneus und tibialis als
links, dementsprechend fehlt der linksseitige Achillessehnenreflex, während rechts
eine Spur vorhanden ist. Sensibilitätsstörungen am Perineum, am Genitale und im
Bereiche der hinteren Gebiete des Ober- und Unterschenkels stärker als in den vor¬
deren. Patellarrellex beiderseits abgeschwächt. Dementsprechend besteht eine Beein¬
flussung vom vierten Lumbalsegment abwärts; die Sakralsegmente und der Conus er¬
scheinen links mehr betroffen als rechts.
Zur Verwendung kamen die Mammakarzinomautolysate D, R, F, T, K, XVII.
Davon waren D, R, F und K mit Chloroform und 0,5proz. Sodalösung bereitet. T und
XVII ohne Chloroform. Reaktion bei allen alkalisch. Essigsäurefällung bei allen
positiv. Ferrozyankaliprobe bei T negativ. Spezifisches Gewicht zwischen 1009 bis
1020 schwankend.
17. 3. Bereits auf die erste Injektion D 2,3 ccm -j- Adrenalin 0,0005 reagierte
Patient mit den heftigsten Schmerzen in der Zirkumanalgegend und im Unterbauche.
Kein Schüttelfrost, keine Temperatursteigerung.
20. 3. Subkutane Injektion von R 7,5 ccm -{- Adrenalin 0,0005. Dieselben
Erscheinungen.
28. 3. Subkutane Injektion von R 15,0 ccm -f- Coffeini natr. benz. 0,25. Pa¬
tient reagiert mit grosser Schläfrigkeit. In der Nacht wird er von den heftigsten
Schmerzen befallen, die wieder im Unterbauch und in der Zirkumanalgegend lokali¬
siert sind und in das linke Bein ausstrahlen.
29. 3. Heftige Schmerzen im linken Bein.
1. 4. Subkutane Injektion von Autolysat F. 10,0 ccm -j- Autolysat D. 7,5 ccm -j-
Cuffeini natr. benz. 0,25. 1 Stunde nachher Schmerzen grösster Intensität zirkumanal
und im Unterbauch. Temperatursteigerung auf 37,8, später auf 39,1; am nächsten
Tage nochmalige Steigerung auf 38,5. Die Schmerzen waren derart unerträglich, dass
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Ucbor die Wirkung von Tumorautolysatcn bei Behandlung maligner Neoplasmen. 427
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wir zu Morphin und Modiskopinjektionen greifen mussten. An Stelle der Schmerzen
im Fusse stellt sich ausgesprochenes Vertaubungsgefühl ein.
4. 4. Die Prüfung der Sensibilität des linken Beines ergibt Herabsetzung des
Temperaturgefühls in der ganzen Extremität, ebenso des taktilen und des Schmerz¬
gefühls, an Planta und am Dorsum pedis vollständig fehlend. Im Allgemeinen war
die Beugeseite stärker betroffen als die Streckseite. Auffallend war die schnelle Zu¬
nahme des Vertaubungsgefühles, der taktilen und thermischen Sensibilitätsstörungen
unmittelbar im Anschlüsse an die Autolysatinjektion, ein Umstand, der wohl nur einer
momentanen Grössenzunahme des Tumors, wahrscheinlich Hyperämie, zuzuschreiben
sein dürfte und dies um so mehr, als sich gradatim der Zustand in den nächsten
Tagen wieder besserte, der Status quo ante nicht nur wieder erreicht, sondern sogar
weitgehend verbessert wurde.
Die Sensibilität bis auf einen schmalen Streifen an der Beugeseite normal.
Die Zehen und die Planta pedis noch im Zustande der Hyposensibilität. Wesentlich
überraschend kam uns jedoch der Umstand, dass der Patient nunmehr spontan urinieren
konnte, stundenlang im Bette oder im Lehnstuhl zu sitzen vermochte und die Ge-
brauchsfahigkeit der linken unteren Extremität sich soweit gebessert hatte, dass der
Patient, der vor der Behandlung bettlägerig war, nun ohne Hilfe und ohne Stock um¬
hergehen konnte. Am meisten überraschte es uns jedoch, das er durch sein vorher
vermauertes Rektum anfangs jauchende Flüssigkeit später ganz normalen Stuhl ab¬
zugeben imstande war. Der nunmehrige Rektalbefund ergab eine weite Ampulle. Der
Finger konnte gegen das obere Rektum Vordringen und jetzt ein deutliches Lumen
tasten; doch war der Tumor besonders hinten oben nicht deutlich abgrenzbar und
leicht blutend.
20. 4. Aus später anzuführenden Gründen verabfolgten wir dem Patienten eino
intravenöse Injektion von 5 ccm Elektroselen und subkutan 7,5 ccm Antolysat F. Nach
einer halben Stunde trat ein durch 30 Minuten anhaltender Schüttelfrost auf, darnach
Erbrechen und Abgang von grossen Mengen Stuhles per Rektum, kurzdauernde Be¬
nommenheit, nach 3 Stunden langsame Erholung.
28. 4. Wiederholung der Autolysatinjektion mit 3 ccm Elektroselen ergab nebst
denselben oben geschilderten Symptomen auffallende Schmerzen in der Analgegend,
darnach Wohlbefinden. Patient wird beim Aufsitzen nicht mehr von den früheren
Schmerzen geplagt, kann auf harter Unterlage sitzen und demonstriert unaufgefordert
im Bette, wie leicht er das linke Bein bewegen könne.
Vom 30. 4. bis 3. 5. täglich vergleichshalber 3 ccm Elektroselen allein intravenös
injiziert.
Von nun ab wieder Kombination mit Autolysat, meist von Schmerzreaktion in
der Perinealgegend gefolgt.
18. 5. Patient bekommt frisches Autolysat XVII in der Dosis 5,0 ccm subkutan.
Unter Fiebererscheinung tritt eine so furchtbare Schmerzreaktion auf, dass Pantopon-
injektionen die rasenden Schmerzen nur auf kurze Zeit zu lindern vermögen. Dabei
erfolgt Abgang von jauchiger Flüssigkeit aus dem Rektum.
21. 5. Die Rektaluntersuchung ergibt die früher harte Einscheidung und In¬
filtration des Rektums und der Perinealgegend fast völlig verschwunden; die Schleim¬
haut des Rektums, soweit sie tastbar, überall leicht verschieblich; vom eigentlichen
Tumor nur der untere wallartige Rand zu erreichen; auf eine jauchende Fläche stösst
der palpierende Finger nicht; die Perinealgegend jetzt weich, von einer Vorwölbung
niehts mehr zu erkennen.
23. 5. Auf weitere Autolysatverabreichung ohne Selen, Autolysat XVII. 8,0 ccm
subkutan, neuerdings furchtbare Schmerzen im Mastdarm. Nach einigen Stunden An¬
stieg der Temperatur auf 39,2, Puls 140, aber voll, rhythmisch und äqual. Die
Reaktion dauert diesmal fast 24 Stunden.
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428 RICHARD BAUER, ROBERT RATZEL UND EMIL WESSELY,
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Der neurologische Befund bezüglich der Tumordrucksymptome ergibt, dass dio
hypästhetischen Zonen wesentlich zurückgegangen sind, auch die Anästhesie des
Skrotums und des Perineums einer Hyperästhesie Platz gemacht haben, Kremaster-
und Achillessehnenreflex linkerseits noch nicht auslösbar, Patellarsehnonreflex deut¬
licher als früher. Professor J. Fuchs, den wir ersuchten die Untersuchung vorzu¬
nehmen, konnte sich selbst von der Besserung überzeugen.
25. 5. Patient verlässt gebessert die Klinik mit dem Aufträge, nach Ablauf eines
Monats sich wieder einzufinden.
Während des ganzen Verlaufes besserte sich der Appetit wesentlich. Der Ekel
vor Fleisch verschwand, zeitweise trat sogar Heisshunger auf. Das Körpergewicht des
Patienten zeigte beim Austritt eine Zunahme von 3 1 / 2 kg, wobei er nach den Injektionen
abnahm, um dann wieder zuzunehmen. Im Blut zeigte sich vor der Autolysatbehand¬
lung eine geringe Leukozytose (18000), nach derselben betrug die Zahl 8000, bei
sonst gleichbleibendem leicht anämischem Blutbilde. Die Resistenzfähigkeit der Ery¬
throzyten ebenfalls nicht beeinflusst.
3. Patientin E. D. wurde im Februar 1914 wegen Leukaemia lymphatica an
unserer Klinik aufgenommen. Seit etwa 3 / 4 Jahren krank, wies sie vielfache Drüsen¬
pakete am Halse beiderseits und in der Axilla auf. Das Abdomen von vielfachen
hügeligen mässig derben Tumoren eingenommen. Dabei bestand ein Milztumor, Leber¬
tumor und Oedeme an beiden Fussrücken, die sich nach Umhergehen wesentlich
steigerten. Diarrhoen dürften im Zusammenhang mit feinschlägigem Tremor, Neigung
zu Schweissen, Exophthalmus auf einen Hyperthyreoidismus zurückzuführen sein.
Links vom Sternum deutliche Dämpfung, über dem linken Oberlappen abgeschwächtos
Atmen, systolisches lautes Geräusch über der Pulmonalis, nicht tastbar, sowie
Dämpfung der Wirbelsäule bis zum VI. Brustwirbel Hessen mediastinale Drüsen-
vergrösserungen vermuten. Bestätigung durch das Röntgenbild. Weiter besteht Stridor.
Die Temperatur ist subfebril zwischen 37,3—37,6. Der Blutbefund vom 22. 2. ergibt:
Erythrozyten 4500000, Leukozyten 222000, bei 93,8pCt.Lymphozyten, 4,OpCt.Neutro¬
philen, 2,0 pCt. Mononukleären, 0,2 pCt. Eosinophilen, unter 900 gezählten Leuko¬
zyten. Die Zahl der Lymphozyten in 1 emm beträgt 206460.
Im Harn Spuren von Eiweiss. Vermehrung von Indikan, sonst negativer Befund.
Aus den linksseitigen Axillardrüsen, die an der Klinik Hochenegg von Dozent
P. Finsterer für unsere Zwecke exstirpiert wurden, wurde ein Autolysat bereitet.
Die Drüsen wurden mechanisch zerkleinert und dann in einer Achatschale mit sterilem
Quarzsand zerrieben. Der Detritus wurde dann in physiologischer Kochsalzlösung
aufgeschwemmt und in gewohnter Weise weiter behandelt. Nach Abheilen der Ope¬
rationswunde wurde in rascher Aufeinanderfolge 2,5 und 5,0 ccm Autolysat subkutan
injiziert. Die höchste Temperatur betrug 37,9, Spannung ohne wesentliche Schmerzen
im ganzen Abdomen.
7. 3. Nach der dritten Injektion von 7,5 ccm Autolysat hat Patientin die Tem¬
peratur von 37° nicht mehr überschritten. Die Leukozytenzählung ergibt eine Abnahme
auf 175000.
9. 3. Injektion von 10,0 ccm Autolysat subkutan. Einen Tag darnach wesentlich
geringere Spannung im Abdomen. Empfindlichkeit besteht höchstens noch in der
rechten Unterbauchgegend. Infolge der verminderten abdominalen Spannung wesent¬
lich leichtere Beweglichkeit. Die Patientin, die sich vorher nur allmählich aufrichton
konnte, kann jetzt rasch auf einen Stuhl steigen, was ihr früher unmöglich war, sie
kann sich jetzt auch selbst die Schuhe zuschnüren. Die Oedeme an den Beinen sind
bedeutend zurückgegangen.
13. 3. Auf 20 ccm Autolysat ziehende Schmerzen im ganzen Abdomen und
leichte Dyspnoe, ln der Nacht gestörter Schlaf.
15. 3. Zahl der Leukozyten 160000.
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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 429
18. 3. Letzte der vorhandenen Injektionen 18,0 ccm Autolysat subkutan.
20. 3. Zahl der Leukozyten 150000.
22. 3. Der Blutbefund ergibt: Zahl der Erythrozyten 3600000, Zahl der Leuko¬
zyten 148200, dabei 96 pCt. Lymphozyten.
Von nun an musste, da uns das Injektionsmaterial ausgegangen war, die Röntgen¬
bestrahlung eintreten, die in 5 Touren vorgenommen, die Leukozytenzahl auf 139000;
später’auf 80700 herabdrückte.
Während der Autolysatbehandlung gingen die Leukozyten um 74000 zurück.
Es verschwand das Oedem an den Beinen vollkommen, die Mattigkeit wich einer völlig
normalen Agilität, die Erscheinungen der Stenose des linken Bronchus und der
Arteria pulmonalis waren verschwunden. Das Abdomen und der Bauchumfang hatten
bedeutend abgenommen. Nach jeder Injektion konnte man ein Grösserwerden der
Hals- und Axillardrüsen, sowie eine Zunahme der intraabdominalen Spannung kon¬
statieren; am Tage nach der Injektion das Gegenteil, so dass Patientin auch objektiv
in jeder Hinsicht gebessert der Röntgenbestrahlung übergeben wird. Derzeit ist
Patientin fähig, 2—3 ständige Märsche ohne Ermüdung zurückzulegen, wobei besonders
die früher beklagten Oedeme an den Beinen nicht mehr auftreten.
4. Bei Patientin A. T. Hessen wir im Februar 1914 wegen Verdacht eines
karzinomatös degenerierten Ulcus pylori die Laparotomie vornehmen. Doz.Dr. Finsterer
resezierte nach Bestätigung der Diagnose den Pylorusanteil des Magens mit den
regionären Lymphdrüsen, in denen jedoch noch keine Metastasen gefunden werden
konnten. Auch in der Leber soweit sichtbar keine Metastasen. 14 Tage nach der
Operation versuchten wir nach Rücktransferierung der Patientin zwecks eventueller
Verhinderung oder Rückbildung von Rezidiven oder Metastasen in Ermangelung
eigener Tumorautolysate Injektionen von Mammakarzinomautolysat D, F und R und
zwar je 7,5 ccm. Die Patientin fühlte sich nach den Injektionen meist matt, bekam
Schmerzsensationen um den Nabel herum und hatte Temperatursteigerungen bis 37,3
zu verzeichnen. Während wir nun bei allen übrigen Patienten bei wiederholt vor¬
genommenen Harnuntersuchungen niemals eine Aldehydreaktion auftreten sahen, stieg
nun die schwach positive Reaktion nach der ersten Autolysatinjektion innerhalb eines
Tages auf das zehnfache an, wobei der Blutbefund stets unverändert über 5000000 Ery¬
throzyten, 11000 Leukozyten, Sahli 60 HB aufwies, ohne Besonderheiten im Färbe¬
präparat. Diese Aldehydreaktion brachte uns auf die Idee, dass gleichwie die
Schmerzen in den Tumoren der gespritzten Patientin, der Grössenzunahme der Drüsen
im Falle E. D., die Zunahme der Drucksymptome im Falle A. S. auf die Nerven¬
wurzeln auch diese gesteigerte Aldehydreaktion der Ausdruck einer akuten Hyperämie
der metastatisch erkrankten Leber sei. Palpatorisch Hess sich nie etwas nach-
weisen; nur Schmerzhaftigkeit entlang des tastbaren Leberrandes. Nach weiteren
Autolysatinjektionen alsbald vollkommenes Wohlbefinden, langsames Abklingen der
Aldehydreaktion. Im Juni befindet sich nach Bericht ihres Bruders die Patientin
völlig wohl.
5. Patient L. H. Sarkomatose der rechten Lunge mit Bildung eines reichlichen
Exsudates. Dämpfung rechterseits über der ganzen Lunge. Bis Mitte der Skapula
lautes Bronchialatmen, von da abwärts völlig aufgehobenes Atmen. In der rechten
Fossa supraclavicularis eine grosse harte Drüse. Die Leber hart und bis unter den
Nabel reichend. Aussehen anämisch-zyanotisch. Tachykardie, vikariierendes Emphysem
der rechten Lunge. Schluckbeschwerden, Stridor, Dyspnoe, Tachypnoe. Schmerzen
in der rechten unteren Thoraxpartie hauptsächlich abends und in der Nacht.
9. 6. Exstirpation der wallnussgrossen Drüsenmetastase in der rechten Supra-
klavikulargrube und Bereitung eines Autolysates mit physiologischer Kochsalzlösung
ohne Chloroformzusatz.
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430 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY,
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14. 6. 12 Uhr mittags. Intravenöse Injektion von 2,5 ccm Autolysat -J- Coffeini
natr. benz. 0,25. Nach 15 Minuten plötzlich einsetzender Schüttelfrost, starke Zyanose,
heftige Dyspnoe, keuchender Atem. Patient bekommt sofort Sauerstoff und 2 Koffein¬
injektionen a 0,25 Coff. natr. benz. Der Schüttelfrost klingt nach einer halben Stunde
langsam ab, die Zyanose geht auf die Sauerstoffatmung langsam zurück, kehrt aber
beim Aussetzen des Sauerstoffs sofort wieder. Der Patient ist benommen und apathisch,
spricht nicht und gibt gefragt keine Antwort, sondern deutet bloss mit der Hand. Es
tritt weithin hörbares Trachealrasseln auf und die Untersuchung ergibt ein akutes
Lungenödem im Bereiche des linken Unterlappens. 2 Uhr nachmittags. Puls 160, vor
der Injoktion 140, Atmung 40.
Die Symptome haben ihren beängstigenden Charakter verloren, sind aber gleich¬
wohl noch sehr heftig. Temperatur 39,3. 5 Uhr nachmittags. Puls 60. Patient ist
stark zyanotisch und benommen. 7 Uhr abends. Puls 140, Atmung 34. Patient ist
nicht mehr zyanotisch und nicht mehr so stark benommen.
Tags darauf Abfall der Temperatur auf 37,1. Patient bekommt Appetit und
schluckt leichter. Die Dyspnoe ist auffallend gering, keine Schmerzen, Schlafsucht.
Die objektive Untersuchung ergibt rechts unveränderten Befund, links noch ver¬
einzelte mittelblasige Rasselgeräusche bei verschärftem vesikulären Atmungstypus.
16. 6. Intravenöse Injektion von 1,0 ccm Autolysat -j- Coff. natr. benz. 0,25.
Die Erscheinungen sind weniger stürmisch, darauf wesentliche subjektive Besserung.
Patient fühlt sich wohler als vor den Injektionen. Die objektive Untersuchung ergibt
den ganz überraschenden Befund, dass bei Fortbestehen des Bronchialatmens rechts
vorne, rückwärts bis 2 Querfinger unter den Angulus scapulae rauhes, aber deutlich
vesikuläres Atmen zu hören ist.
Unser Material überblickend, drängte sich uns zunächst die Frage
auf, welche Ursachen dem objektiven und subjektiven Symptomenbildc
nach Autolysatinjektionen zugrunde liegen.
Eine der ersten Patientinnen, die wir injizierten, ein weit vorge¬
schrittenes Magenkarzinom (nicht unter den erwähnten Fällen), starb,
nachdem zwei Injektionen von Temperatursteigerungen und Schüttelfrost
gefolgt, bereits eine scheinbare Besserung des Zustandes herbeigeführt
hatten, unmittelbar im Anschluss an die Erscheinungen der dritten In¬
jektion, wobei Kollaps, Tachypnoe und akutes Lungenödem im Vorder¬
gründe standen. Dadurch auf die Möglichkeit einer echten tödlichen
Anaphylaxie aufmerksam gemacht, wurde bei der Autopsie ganz be¬
sonders nach der letzten Todesursache gefahndet. Diese ergab jedoch
ausser dem akuten Lungenödem und der hochgradigen sekundären An¬
ämie eine wohl auf dieser und der hochgradigen Kachexie beruhende
multiple marantische Thrombosierung der Lungengefässe.
Schittenhelm und Strobel beschreiben, dass Blutkörperchen-,
Nieren-, Leber-, Pankreasextrakte und Extrakte von quergestreifter Mus¬
kulatur mit an sich unschädlicher Pepsinlösung digeriert nach der Injektion
shockartigen Tod mit Lungenblähung und Blutdrucksenkung zur Folge
habe. Die Verfasser schliessen aus ihren Versuchen, dass der normale
EiweissstofTwechsel im Sinne des Um- und Abbaues innerhalb der Zelle
vor sich gehen muss, da sonst Krankheitserscheinungen resultieren, die
anaphylaxieähnlichen Symptomenkomplex befolgen.
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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 431
Unsere Autolysate wurden sowohl auf proteolytische Fermente, wie
auch auf fettspaltende untersucht und stets ein negatives Untersuchungs¬
resultat erhalten. Hingegen waren unsere Autolysate stets ziemlich
eiweissreich. Tierexperimente der letzten Jahre im Sinne der intravenösen
Einverleibung verschiedener Organextrakte zeigten ebenfalls ähnliche der
Injektion folgende Erscheinungen, die vor allem von Cesare Bianchi,
Dold und anderen Autoren beschrieben werden. Schon der erste Autor
gibt in Uebereinstimmung mit fast allen übrigen an, dass 24 ständige
Lungenextrakte am giftigsten wirken und bei intravenöser Injektion von
nur geringem Material Tiere akut töten, wobei arteigene Extrakte ent¬
schieden giftiger wirken und von allen Tierspezies die Kaninchen am
empfindlichsten sind. Es sollen Dyspnoe, ferner Krämpfe und spätere
Lähmungen das Krankheitsbild ausmachen. Schon hierorts wollen wir
bemerken, dass auch wir schon vielfache Erfahrungen bezüglich ver¬
schiedener Organextrakte bei Tieren gewonnen haben, auffallenderweise
jedoch bei Verwendung von Lungenextrakt keinen tödlichen Ausgang,
wohl aber enorme Tachypnoe, Krämpfe und spätere Lähmungen, ver¬
mehrte Defäkation und vermehrten Urindrang bemerken konnten. Dieses
Bild der Vergiftung durch Tierlungenextrakte erinnerte uns ganz be¬
sonders an die schweren Symptome nach der Drüsenmetastasen-Extrakt-
injektion im Falle L. H. des Lungensarkoms. Man kann sich der Idee
nicht entschlagen, dass ein der Lunge entstammender Tumor auch in
seinen Metastasen dem Ursprungsraaterial ähnliches Toxin in seinem
Extrakt führt, welches sodann die Erscheinungen des Lungenödems mit
Tachypnoe, der Diarrhöen und der schweren Prostration zur Folge hat.
Es könnte vielleicht trotz weitgehender histologischer Unterschiede ein
metastatischer Lungentumor doch chemisch-biologisch ähnlich aufgebaut
sein. Wir verschliessen uns auch selbstverständlich nicht der Möglichkeit,
dass diese schwerste von uns gesehene Reaktion auf die komplette Aus¬
schaltung der rechten Lunge rückbeziehbar wäre, verweisen jedoch darauf,
dass bei einem anderen hier nicht näher erwähnten Falle eines Mamma¬
karzinoms mit Pleurametastasen, Kyphoskoliose, ergo weitgehender
Atmungseinschränkung keine nur annähernd so heftige Reaktion auf viel
grössere intravenös einverleibte tumoreigene Injektionen erfolgt war. Dass
bezüglich der* Wirkungsweise normaler Organextrakte und unserer Kar¬
zinomautolysate überhaupt eine auffallende Aehnlichkeit besteht, ist
wohl nicht zu leugnen. J. Bauer und F. Wüsthoff glauben, dass die
Symptome und Obduktionsbefunde ihrer nach Organextrakteinverleibung
verstorbener Tiere grosse Aehnlichkeit mit denen bei Anaphylaxie haben,
und schliessen daraus, dass das in den Organextrakten vorhandene Gift
mit dem Anaphylatoxin identisch sei. MacFahrland bestreitet in seiner
Versuchsanordnung die Wahrscheinlichkeit des anaphylaktischen Sym-
ptoraenkoraplexes bei den mit Organextrakt behandelten Tieren. E. Gley
schreibt, dass die Injektion von Hirudin intravenös durch die darauf er-
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432 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL und EMIL WESSELY,
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folgende schlechtere Gerinnbarkeit des Blutes tödliche Dosen von Organ¬
extrakten unwirksam mache und führt damit die Giftigkeit hauptsächlich
auf die Bildung von Thromben in den Lungcngefässen zurück. Dold
und Sagio Ogata finden auch Thromben der Lungenarterien, des
Herzens und der grossen Yenenstämme. Die Verfasser suchen ebenfalls
in der primären Gerinnselbildung die Todesursache und trennen dement¬
sprechend die Wirksamkeit der Organextrakte scharf von den Anaphyla-
toxinen. Nach ihnen wirken die ersteren also durch ihre gerinnungs¬
erregende Komponente, die wahrscheinlich der Gewebslymphe entstammt.
Popielski suchte als wirksames Agens ein sogenanntes Vasodilatin,
erklärte die Blutdruckserniedrigung als peripheren Ursprungs und die
Blutgerinnbarkeit als ein sekundäres Symptom durch Einwirkung des
Vasodilatins auf das Endothel der Blutgefässe.
Wir glauben sicher zu sein, in dem Symptomenkomplex der Auto¬
lysatinjektion keine Anaphylaxie erblicken zu können, schon aus dem
Grunde, da völlig regelloses Auftreten solcher Erscheinungen auf Reinjektion
desselben oder fremden Tumormaterials erfolgte und da die stürmischen
Erscheinungen gerade eben bei der ersten und zweiten und weit geringere
Erscheinungen bei den folgenden Injektionen zu sehen waren.
Ein weiterer für uns wichtiger Befund waf der, dass wir ausser im
Falle A. T. niemals nach der Injektion eine Urobilin- oder Urobilinogcn-
reaktion auftreten sahen, da wir entsprechend eventuellen hämolytischen
Eigenschaften unserer Autolysate solche erwarten mussten. R. Weil be¬
richtet, dass Extrakte von Leber- und Nierenblut verschiedene Mengen
von Iso- und Autohämolysinen enthalten, die in ihrer Wirkung von Leuko¬
zytenextrakten gehemmt, von Erythrozytenextrakten aber verstärkt würden.
Tumorextrakte sind in bezug auf ihre hämolytischen Eigenschaften variabel.
Extrakte nicht nekrotisierter Tumoren werden erst durch Zusatz von
Erythrozytenextrakt hämolytisch. Nekrotisierte Tumoren sind autohämo¬
lytisch und ihre Wirkung wird nicht durch Extrakte von roten Blut¬
körperchen verstärkt. Der Autor macht die Anämie Karzinomatöser
von diesen Hämolysinen bis zu einem gewissen Grade abhängig. Die
ßlutbefunde bei unseren Patienten änderten sich nach monatelanger Be¬
handlung wenig oder garnicht. Am ehesten schien eine langsame Zu¬
nahme der Leukozytenzahlen und ein späteres Absinken auf die Norm
zu erfolgen. Die Zahl der roten Blutkörperchen war nur ein einziges
Mal nach mehreren Autolysatinjektionen um eine erhebliche Ziffer ver¬
mindert und dies bei der lymphatischen Leukämie, bei der ein derartiger
Befund von der Autolysatinjektion wohl schwerlich abhängig gemacht
werden konnte. In vitro konnten wir Hämolysine für Meerschweinchen¬
erythrozyten, jedoch keine für Menschenerythrozyten nachweisen.
Die Resistenzfähigkeit der Erythrozyten gegenüber hypotonischen
Kochsalzlösungen wich in keiner Weise von der Norm ab.
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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 433
Weiteres Interesse verlangt der Umstand, dass nach dem Aus¬
schütteln mit Aether, d. h. der lipoiden Substanzen, in diesen Autoly¬
saten noch sowohl mit Essigsäure fällbare, als auch Ferrozyankalium-
reaktion gebende Ei weisskörper sich nach weisen Hessen, dass aber diese
ausgeschüttelten Autolysate in ihrer Wirkung sowohl subjektiv wie objektiv
völlig versagten. Wir werden also dadurch aufmerksam gemacht, ob
nicht gerade in den Lipoidsubstanzen das wirksame Agens der Autoly¬
sate vorhanden ist.
Dass wir unser Injektionsmaterial als wirkliches Autolysat bezeichnen
können, betonen wir deshalb, da wir glauben, dass* blosses Stehenlassen
im Eisschrank eher die Bezeichnung Extrakt rechtfertigt, unsere eiweiss¬
reichen Lösungen, aber die zumeist bei Zimmer- oder Bruttemperatur ge¬
wonnen wurden, sicherlich wirklicher Autolyse der Tumoren entsprachen.
Wie bei den Organextrakten, so scheinen auch bei den Autolysaten Ein¬
wirkungen chemischer Substanzen in hemmendem oder förderndem Sinne
die Autolyse und selbstverständlicherweise auch diesbezüglich die Wirksam¬
keit zu beeinflussen. So waren die mit 0,5 proz. Sodalösung und Chloro¬
formunterschichtung bereiteten Autolysate weitaus weniger wirksam, indem
Sodalösung nach M. Kaschiwabara in der gebrauchten Konzentration
die Wirkung der Autolyse hemmt, Chloroform unserer Ansicht nach
wahrscheinlich auch deshalb einen schlechteren Einfluss auf unsere Auto-
lysate nahm, weil durch dasselbe Eiweiss und Lipoidsubstanzen in mehr
oder minder grosser Zahl ausgefällt werden.
Die Autolysate unterscheiden sich ferner von den Organextrakten
auch dadurch, dass sie auf Wochen ihre Wirksamkeit behalten, während
die Organextrakte Cesa Bianchis, Dolds und unsere eigenen ihre
Wirksamkeit wenigstens, was die akuten Erscheinungen anlangt, in wenigen
Tagen verlieren.
Bei einer Reihe unserer Karzinompatienten wurden vor und während
der Autolysatbehandlung genaue Stoffwechseluntersuchungen bezüglich der
N-Ein- und Ausfuhr angestellt. Friedrich Müller machte darauf auf¬
merksam, dass die Stickstoffausfuhr kachektischer Krebskranker grösser
sei als die Zufuhr, und sah als die Ursache dieser vermehrten Ausfuhr
einen von der Nahrungszufuhr unabhängigen N-Einschmelzungsprozess an,
der wieder vornehmlich durch Toxine hervorgerufen wird, die beim Zer¬
fall der Krebsknoten gebildet werden. Fr. Müller zeigt dieses Ver¬
halten wohl vornehmlich an Magentumoren, findet jedoch dasselbe
auch bei einem Karzinom des Penis, bei dem eine Beeinträchtigung der
Nahrungszufuhr nicht bestand. G. Klemperer bestätigt die Befunde
Fr. Müllers.
Braunstein, Moracewski und Setti können keine völlige Ueberein-
stimmung mit den früher genannten Autoren bekamitgeben. Blumen¬
thals Oesophaguskarzinom zeigte ebenfalls ein Verhalten, welches weit-
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434 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL und EMIL WESSELY,
gehend auf die direkte Beteiligung des Gastrointestinaltraktes bezüglich
des Zustandekommens des negativen N-Stoffwechsels schliessen lässt. In
diesem Falle findet Blumenthal vor der Sondenbehandlung eine von der
Möglichkeit genügender Speisezufuhr bedeutenden Gewichts- und N-Ver-
lust, nach der Sondenbehandlung bei genügender Nahrungsaufnahme nicht
nur N-Gleichgewicht, sondern N-Ansatz mit beträchtlicher Zunahme des
Körpergewichtes. Clowes, Frisbie und Glosser fanden in ihren Fällen
wieder eher N-Verlust. C. Lewin konnte hingegen bei einem Magen¬
karzinom unter besonders ungünstigen Ernährungsbedingungen Stickstoff¬
ansatz bis 2,94 g pro die finden, A. Schmidt glaubt im Abfluss des zer¬
fallenden Gewebes von der Oberfläche exulzerierender Tumoren eine
Ursache für die vermehrte N-Ausfuhr zu sehen, umsomehr als Salomon
ja verhältnismässig frühzeitig ganz beträchtliche Eiweissreaktion bei Magen¬
karzinomen im Magensafte nachweisen konnte. C. Lewin berechnet den
Wert des täglich mit dem Kot abgehenden N im Durchschnitt mit 0,6 g.
Wir haben bei unseren Durchschnittsberechnungen 1,0 g in Rechnung
gestellt.
Unsere diesbezüglichen Untersuchungen, die hauptsächlich darauf
hinausgehen, zu untersuchen, ob wir in den Werten des N-Stoffwechsels
irgend ein objektives Kriterium für Wirkung unserer Tumorautolysate
finden, wurden zuerst 10—20 Tage vor jeder Behandlung, und sonach
während der Behandlung durchgeführt. In beiden Fällen, deren Unter¬
suchungsresultate wir tabellarisch bringen, sind die Zahlen der ersten
Rubrik, also der therapielosen Krankheitsperiode, als Durchschnittswerte
zu betrachten, was uns der Kürze und Einfachheit halber geboten er¬
schien. Alle übrigen untersuchten Fälle geben Parallelresultate, so dass
die beiden herausgegriffenen Beobachtungen im Falle A. Z. ein Magen¬
karzinom ohne Passagebehinderung, im Falle M. L. ein Rektumkarzinom
mit Anus praeternaturalis als Beispiel bringen. Wir sehen in jeder Tabelle
in der behandlungslosen Zeit Stickstoffretention, was bei Fall M. L. nicht
Wunder nimmt, da derselbe metastasenfrei ist und die Nahrungsaufnahme
als eine vollkommen normale bezeichnet werden muss. Bei Fall A. Z.
dürften wohl die im Spital vorhandenen besseren Ernährungsbedingungen
die anfängliche N-Retention erklären. Während der Autolysatinjektions¬
periode sahen wir nun gesetzmässig in allen untersuchten Fällen die
Stickstoffretention herabgehen, ja sogar eine negative Stickstoffbilanz ein-
treten. Dabei zeigen unsere Tabellen auch ein Heruntergehen des Körper¬
gewichts bei steigender Diurese, zum Teil unter Erhaltung eines relativ
hohen spezifischen Gewichts des Harnes. Im Fall A. Z. war, was wir
besonders betonen wollen, die Autolysatinjektion von hohem Fieber und
Schüttelfrösten begleitet, während Fall M. L. fieberfrei oder nur unter
vorübergehenden subfebrilen Temperaturen verlief. Die Seleninjektionen,
die wir ungemein langsam bis zu 2y 2 ccm intravenös applizierten, sahen
wir nie von Fieber gefolgt. Diese sicherlich überraschenden Befunde in
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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmon. 435
A. Z. Carcinoma ventricnli iniiltr. ohne Stenose.
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24.5. bis 12.6.
Ohne Therapie (Durchschnittswerte).
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12,42
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|
1000 1017
12.-15. 6.
läagg«*)».-*.»
14,36
10,35
+ 4,01
0,804
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1100 1021
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3 Autolysatinjektionen(Durchschnittswert).
Davon die letzten Tage getrennt unter¬
—
10,50
8,93
+ 1,57
—
47,20
1400 1018
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—
6,14
4,27
+ 1,87
—
—
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27. 6.
—
—
11,53
11,90
— 0,37
—
—
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28. 6.
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—
10,50
11,89
— 1,39
—
—
1650 1020
29. 6.
—
—
15,53
6,93
+ 6,61
1 —
—
1050 1019
M. L.
Carcinoma recti (keine Oedeme).
5.—14.5.
Ohne Therapie (Durchschnittswerte).
2500
11,76
6,47
1 + 5,29
1,092'52,60
| I
1200,1017
15. 5.
1. Autolysatinjektion.
2500
9,81
8,17 + 1,64
, —
52,10
1800 1012
18 5.
2. Autolysatinjrktion.
—
6,61
8,83
— 2,22
* -
1600 1012
19.-20. 5.
Ohne Therapie.
—
9,73
6,84 +2,89
| -
1100 1019
21.5.
3. Autolysatinjektion.
2600
11,51
13,35 — 1,84
1 —
52,0
550(1017
27. 5. bis 5. 6.
4 Autülysatinjckt. \ /TA , , ...
3 Elektroseleninjekt. / (Durchschmttswert).
2600
11,22
8,13 + 2,79
| —
'53,0
1
Il300 1017
6 — 17. 6.
2 Autolvsatiniekt. \ . , ...
2 Elektroseleninjekt. / (Durchschnittswert).
2600
13,15
7,93 + 5,22
0,82453,0
11001016
1 1
23.6. bis 1.7.
3 Autolysatinjektionen(Durchschnittswert).
2200
6,87
1
G,43 0,44
i
52,10
1500 1017
1 1
der Tabelle wollen wir nun, soweit dies bei Stoffwechseluntersuchungen
überhaupt möglich ist, einer Erklärung unterziehen. Den N-Ansatz in
der Vorperiode bei günstigen Ernährungsbedingungen, krankheitsfreiem
Gastro-lntcstinaltrakt oder verbesserten Lebensbedingungen bei einem
stenosefreien Magenkarzinom wollen wir nicht als Tumorwachstum, sondern
wirklich als Eiweissmast ansehen. Das Absinken der Eiweissretention
bis zur negativen Stickstoffbilanz könnte man zum Teil wohl mit der
Idee eines Tumorzerfalls, einer Tumoreinschmelzung in Einklang bringen,
doch konnten wir uns davon objektiv nicht überzeugen; eher darf man
den auffälligen Funkt der erhöhten Diurese nicht vergessen. Ausserdem
finden wir bei gleichzeitigen, andernorts mitzuteilenden Versuchen über
die Wirkung chronischer Einverleibung verschiedener Organextrakte bei
Tieren durchwegs (bei monatelanger Beobachtung) Kachexie, kolossale
Abmagerung und Haarausfall bis zum Verlust der Grannenhaare. Wenn
Chvostek und Fr. Kraus aber auch im Fieberstoffwechsel einen der
Karzinomkachexie ganz ähnlichen N-Verlust linden, fände sich für die
hochfebrilen von Schüttelfrösten heimgesuchten Patienten noch eine Er¬
klärung ihrer meist noch erheblicheren N-Ausfuhr. Dass Elektroselen
wieder N-Retention bewirkt, möchten wir am ehesten in einer Hyperämie
des Tumors und im Schwinden der erhöhten Diurese begründet sehen.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. II. 5 u. 0. 90
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43G RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY,
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Wenn also vor der Behandlung N-Ansatz auch von anderen Autoren
beobachtet wurde, so scheint der N-Verlust nach oder während der
Autolysatbehandlung gesetzmässig zu erfolgen.
Bei einem Falle sehr weit vorgeschrittenen Mammakarzinoms ver¬
suchten wir Autolysate in den Rezidivtumor zu injizieren. Diese Maass-
nahme blieb ohne jeden Effekt, war aber von grossen Schmerzen be¬
gleitet, weshalb wir sie verliessen. Von einem anderen Mammaturaor,
ebenfalls weit vorgeschritten, mit Pleurametastasen und Exsudat, Hessen
wir ein Stück Tumor exzidieren und implantierten das Tumorstück intra¬
peritoneal einem Kaninchen. Nach 4 Wochen wurde das Tier durch Ent¬
blutung getötet und ein Teil des Serums zur Abderhaldenschen Reaktion
auf den Tumor verwendet, der andere, 5,0 ccm, der Patientin injiziert.
Das Tierserum reagierte positiv, das Serum der Patientin, welches bis
dahin gegen den eigenen Tumor keine Abbaureaktion zeigte, reagierte,
nach 2 Wochen untersucht, ebenfalls deutlich positiv. Ein Erfolg wurde
in diesem Falle nicht erzielt. Auch in Fällen reiner Autolysatbehand¬
lung wurde die Abderhaldensche Reaktion ab und zu geprüft. Neben
geringen Steigerungen derselben fand sich im Falle A. Z. z. B. eine stets
negative Reaktion.
Fassen wir zusammen, so können wir sagen:
1. Die bescheidenen Erfolge in unseren vorgeschrittenen Fällen dürfen
nicht abschrecken, die Methode weiter zu prüfen.
2. ln einem Falle von lymphatischer Leukämie war der Autolysateinfluss
ein sehr deutlicher und günstiger, was für die Therapie und vielleicht
auch für die Aetiologie dieser Erkrankung in Zukunft von Interesse
werden könnte.
3. Sind jedenfalls die Autolysate von weitgehendem Einfluss auf den
Stoffwechsel, sie führen an sich zu vermehrter Eiweissausfuhr, oft zu
negativer Stickstoffbilanz, während Selen den N-Ansatz hinauftreibt.
4. Nicht nur darin ähneln die Autolysate der Wirkung von Organ¬
extrakten bei Tieren, sondern wir konnten auch sehen, dass Meta¬
stasen eines Lungentumors fast identische Erscheinungen hervorruft
wie Lungenextrakte bei artgleichen Tieren. Dasselbe Autolysat erwies
sich auch bei tumorfreien Patienten als gleich wirksam. Es lässt
also keine diagnostischen Schlüsse zu, deutet aber darauf hin, dass
Tumoren mit ihren Ausgangsorganen, von denen sie histologisch völlig
different sind, biochemische Eigenschaften gemeinsam haben.
5. Wäre auch noch an die Möglichkeit einer passiven Immunisierung zu
denken, wozu uns die nach derselben auftretende positive Abder¬
haldensche Reaktion ermutigt.
G. Die Abbaureaktion nach Abderhalden gegen eigenes Tumormaterial
wurde z. T. in positivem Sinne durch die Autolysatinjektionen beeinflusst,
z. T. blieb sie negativ.
Original from
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Heber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 437
Literatur.
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29 *
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XXI.
Aus der Friedrichstadtklinik für Lungenkranke zu Berlin
(dirigierender Arzt: Dr. Arthur Mayer).
lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht,
Von
Arthur Mayer.
(Mit 2 Kurven im Text.)
Dass gewisse Formen des chronischen Bronchialkatarrhs und des
Bronchialasthmas in engen Beziehungen zur Gicht stehen, ist seit langem
bekannt. Manche, besonders französische, Autoren haben überhaupt die
gichtische Anlage als ein prädisponierendes Moment für das bronchiale
Asthma angesehen (Garrod, Trousseau, Charcot); Bouchard hat
sogar behauptet, dass von 100 Gichtikern 9 echtes Asthma hatten, und
dass 19 in ihrer Familie Asthmatiker aufwiesen.
Auch chronische Bronchialkatarrhe sind besonders von Laennec
und Grenhood beschrieben worden, bei denen die arthritische Diathese
als ätiologisches Moment beschuldigt worden ist.
Dass zwischen chronischen Bronchialkatarrhen und echtem Bronchial¬
asthma einerseits und der Gicht andererseits Beziehungen bestehen, ist
wohl in der Tat zweifellos; aber ob spezifische gichtige Ursachen diese
Erkrankungen der Atmungsorgane hervorrufen, ist noch niemals mit
Sicherheit bewiesen worden. Es sind auch noch niemals Uratablagerungen
in den Lungen gefunden worden.
Dagegen sind in einem von Virchow und Litten beschriebenen Falle'an den
Bändern und Knorpeln des Kehlkopfes Uratdepots gefunden worden, und Thost 1 )
beschreibt den Fall eines Gichtikers, bei dem die ganze Schleimhaut der oberen Luft¬
wege mit gelblichen scharfen Uratnadeln gespickt war. Auf der Pleura sind wieder¬
holt Uratkonkremente, u. a. auch von Umber 2 ) gesehen worden.
Niemals aber hat man bisher überhaupt die Aufmerk¬
samkeit darauf gelenkt, ob auch derartige Erkrankungen der
Atmungswege bei einer harnsauren Diathese vorkoramt, die
sich im übrigen gar nicht und vor allem nicht in typischen
Paroxysmen manifestiert.
1) Thost, Archiv f. Laryng. u. Rhinol. 1912.
2) Umber, Ernährung und Stoffwechselkrankheiten. 1914.
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lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht.
439
Auf das Krankheitsbild der atypischen Gicht ist neuerdings mehr¬
fach von Goldscheider 1 ) hingewiesen worden. Goldscheider versteht
ira Gegensatz zu anderen Autoren, vor allem Duckworth, unter
atypischer Gicht solche Fälle, bei denen das für die Gicht charakteristische
Symptom des akuten Anfalles fehlt, aber bei denen sich aus Uratdepots,
die häufig an atypischen Stellen lokalisiert sind, das Bild einer abge¬
schwächten — nicht paroxysmalen — Gicht ableiten lässt.
Ich habe mich nun allerdings bei meinen Kranken mit chronischem
Bronchialkatarrh und Asthma, bei denen ich auf eine atypische Gicht
fahndete, nicht dazu entschlossen können, kleine Verdickungen am Ole¬
kranon, am Steissbein, an der Patella oder an irgend welchen anderen
Körperstellen, die möglicherweise Tophi, wohl aber auch andere
kleine Geschwülste sein konnten, in dem Umfange pathognostisch zu
verwenden, wie es Goldscheider getan hat, besonders nachdem ich
einmal festgestellt hatte, dass ein derartiger „Tophus“ in der Tat ein
Fibrom war. Ich habe mich auch mehrfach davon überzeugt, dass kleine
Geschwülste, die ich für Tophi halten konnte, keine Urate enthielten.
Die Murexidprobe war negativ. Selbst zugegeben, dass es arthritische
Tophi gibt, die keine Harnsäure mehr enthalten, so ist doch die dia¬
gnostische Verwertung derartiger „Tophi“ recht prekär. Es darf wohl
nur daran erinnert w r erden, dass, wie schon Ebstein hervorgehoben hat,
Knötchen an den Ohrmuscheln Vorkommen, die chondrogen sind und
nichts mit der Gicht zu tun haben. Derartige chondrogene Tophi können
sich natürlich auch bei Gichtikern finden. Wiederholt habe ich auch die
Röntgenplatte zu Rate gezogen, ohne in vielen Fällen mit Sicherheit von
dem Charakter der Geschwulst überzeugt werden zu können.
Auch dem Gelenkknirschen konnte ich bei meinen Patienten nicht
den Wert beilegen, den ihm Goldscheider verleiht. Dass es sich in
seiner charakteristischen feinsten Form häufig bei der Gicht findet, ist
auch schon von Magnus-Levy 2 ) behauptet worden, aber es erscheint
doch sehr zweifelhaft, aus dem Gelenkknirschen allein die Diagnose der
Gicht zu machen. Auch Umber spricht ihm keine entscheidende patho-
gnostische Bedeutung zu.
Ich habe aber trotzdem bei meinen Patienten auf Tophi und Ge¬
lenkknirschen geachtet. Ucber meine Beobachtungen werde ich weiter
unten Mitteilung machen.
Für mich war das Entscheidende der Nachweis, dass der Purin¬
stoffwechsel in charakteristischer Weise gestört war. Es wurde
demgemäss der endogene Harnsäurewert, d. h. sowohl die Harnsäure¬
menge im Blute dieser Kranken wie auch die Kurve der Harnsäureaus¬
scheidung bestimmt.
1) Goldscheider, Zeitschr. f. phys.-diätet. Ther. Bd. 16 u. Berliner klm.
Wochenschr. 1914.
2) Magnus-Levy, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 36.
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440
AKTHUK MAYEK
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Die Harnsäure im Blute wurde nach Fol in und Denis 1 ) bestimmt. Es
wurden jedesmal 10 ccm Blut untersucht, eine Menge, die neuerdings auch von
Steinitz gradezu als Optimum hingestellt wird.
Es sei indessen von vornherein bemerkt, dass ich selbst
höheren Harnsäurewerten im Blute keine entscheidende Be¬
deutung zusprechen möchte. Denn die sogenannte Folinsche
Methode ist zweifellos wie alle anderen bisher angegebenen mit erheb¬
lichen Fehlerquellen verbunden, und wird wohl erst dann für die
Klinik brauchbar sein, wenn man wesentlich geringerer Mengen Blut
bedarf. Dazu kommt aber noch, dass die physiologische Breite
des Harnsäurespiegels sehr gross ist und beträchtlichen Schwankungen
unterliegt.
Die Harnsäure im Harn wurde nach der Methode von Salkowski-Ludwig
bestimmt.
Ich begnügte mich indessen nicht nur mit der Bestimmung der
Harnsäurekurve. Seit den Untersuchungen von Ignatowski 2 ), Hirsch¬
stein 3 ), Bürger und Schweriner 4 ) aus der Umberschen Klinik wissen
wir, dass die Glykokollausscheidung bei der Gicht ein genau ent¬
gegengesetztes Verhalten zur Harnsäurekurve zeigt. Sie steigt während
der Harnsäure-Retentionsperiode und sinkt sehr erheblich während der
Harnsäureflut. Dieses Verhalten der Glykokollkurvc ist so charakteristisch,
dass man aus der Divergenz der Glykokollkurve und der endogenen
Harnsäurekurve ohne weiteres die Diagnose der Gicht machen kann. Am
bemerkenswertesten ist nach den Untersuchungen von Hirschstein und
Unna 5 ) dieses Verhalten nach intravenöser Harnsäureinjektion.
Gewisse Schwierigkeiten entstehen durch die Methodik. Auf allerlei Ab¬
weichungen von der ursprünglichen von Fischer und B er gell angegebenen Methode
beruhen wohl auch die Differenzen, die zwischen den Autoren, die im normalen Harn
sehr wenig und gar kein Glykokoll fanden, und den Untersuchern, die in jedem Harn
grosse Mengen Glykokoll nachweisen konnten. Wichtig ist es jedenfalls, dauernd
alkalische Reaktion während der Schüttelung zu unterhalten und nach der Schüttelung,
der Entfernung des Aethers und der Filtration stark anzusäuern. Befolgt man diese
Vorschriften genau, so wird man zweifellos, wie ich mich in mehreren Vorversuchen
überzeugt habe, die Untersuchungen von Abderhalden und Schittenhelm, Wohl-
gemuth, Bergell und Blumenthal, Mohr und Unna bestätigen können, dass
sich nämlich im normalen Harn höchstens Spuren von Glykokoll finden, dass aber,
wie Bürger und Schweriner naohwiesen, schon relativ kleine Mengen von zuge¬
führtem Glykokoll beim Gichtiker im Gegensatz zum Gesunden genügen, um den
Uebertritt desselben in recht erheblichen Mengen in den Harn zu veranlassen.
1) Folin und Denis, The journ. of biol. ehern. 14.
2) Ignatowski, Zeitschr. f. phys. Chem. 1904.
3) Hirsch stein, Archiv f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 59.
4) Bürger und Sch weriner,' Archiv f. exper. Pathol. u. Pharm. 1913.
5) Hirsch stein und Unna, Dissert. Leipzig 1907.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht.
441
Schliesslich ist bei den Patienten, bei denen eine Störung des Purin¬
stoffwechsels vorzuliegen schien, die von Umber und Retzlaff 1 ) ange¬
gebene funktionelle Harnsäureprobe angestellt worden.
Diese Methode besteht darin, dass den Patienten 0,5 g Harnsäure mit etwas
Piperazin intravenös injiziert wird. Gesunde scheiden die Harnsäure in den nächsten
2 Tagen fast quantitativ wieder aus, Kranke mit gestörtem Purinwechsel retinieren die
injizierte Harnsäure in sehr erheblichem Masse.
Es wurden im ganzen 40 Patienten mit chronischer Bronchitis und
Asthma, die angeblich niemals einen Gichtanfall gehabt hatten, und bei
denen sich auch die üblichen gröberen klinischen Symptome nicht nach-
weisen Hessen, untersucht.
Bei diesen 40 Patienten fanden sich wiederholt kleine Geschwülste,
die sich wohl als Tophi ansprechen Hessen, und mehrmals Gelenk¬
knirschen. Und zwar verteilten sich die Tophi wie folgt:
2mal Tophi an der Ohrmuschel mit Gelenkknirschen
lmal 1 Tophus am Olekranon „ „
lmal 1 Tophus vor der Patella „ „
ausserdem ohne Gelenkknirschen:
lmal 1 Tophus am Ohr,
1 mal 1 Tophus am Olekranon,
lmal 1 Tophus am Steissbein,
1 mal 1 Tophus neben der Patella.
im ganzen fanden sich also bei 8 Patienten Tophi und zwar 4 mal
mit Gelenkknirschen.
Es ergab sich nun, wie aus den weiter unten folgenden Tabellen
hervorgeht, dass tatsächlich bei 4 dieser Patienten der Purinstoffwechsel
in charakteristischer Weise gestört war, die Glykokollkurve typisch ver¬
lief und die Umber-Retzlaffsche Probe eine starke Harnsäureretention
bewies. Bei den 4 anderen Patienten war das Alles aber nicht
der Fall: keine Störung des Purinstoffwechsels, kein Glykokoll im
Harn, keine Retention der Harnsäure bei der Umber-Retzlaffschen
Probe! Umgekert waren alle diese Beweise für eine arthritische
Diathese bei 5 Patienten vorhanden, bei denen sich auch bei
sorgfältigster, wiederholter Untersuchung keine Tophi und
kein Gelenkknirschen nachweisen liess.
In allen Fällen war eine chronische Bronchitis mit einem dauernden
leichten asthmatischen Zustande vereinigt. Dabei handelte es sich durch-
gehends um einen trockenen Katarrh der Schleimhäute, der verhältnis¬
mässig wenig Beschwerden verursachte. Nur unter ganz besonderen
Verhältnissen kam es zu stärkeren Ausscheidungen der Schleimhäute.
Dagegen bestand immer ein leichtes Emphysem und eine chronische
leichte exspiratorischc Dyspnoe — also ein Zustand, der sich vielleicht
am allerbesten als Status asthmaticus bezeichnen Hesse.
1) Umber und Retzlafi', Kongr. f. inn. Med. 1910.
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by Google
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
442
AKTHUR MAYER,
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Verhältnismässig leicht, bisweilen ohne jede nachweisbare Ursache,
kommt es dann zu Exazerbationen, zu einem leichten Bronchialrauskel-
krampf und einer Schwellung der Bronchialschleimhaut, ohne dass sich
der Zustand bis zu dem Höhepunkt eines echten asthmatischen Anfalles
steigert.
In einzelnen Fällen liess sich aber die auslösende Ursache solcher
Exazerbationen mit Sicherheit nachweisen. Teils waren es leichte Er¬
kältungen, teils aber — was das Wichtigste ist — genau dieselben
Ursachen, die geeignet sind, einen typischen Gichtanfall auszulösen. In
2 Fällen konnte ich nach verhältnismässig kleinen Dosen von Alkohol,
in einem anderen Fall nach dem Genuss von Leber eine deutliche
Steigerung der Beschwerden und eine objektive Exazerbation nachweisen.
Diese Exazerbationen waren äusserlich dem Bilde des bronchialen
Asthmas sehr ähnlich, unterschieden sich aber vom echten Bronchial¬
asthma dadurch, dass sich weder Charcot-Leydensche Krystalle, noch
eine Vermehrung der eosinophilen Leukozyten nachweisen liess. Ich
möchte das deswegen hervorheben, weil .bereits vor mehreren Jahren
K. Reicher und E. H. Stein 1 ) Mitteilungen über diesen Gegenstand
gemacht haben und gleichfalls nachweisen konnten, dass Purinkörper
unter Umständen Asthmaanfälle auslösen. Sie fanden aber auch gleich¬
zeitig eine starke Vermehrung der eosinophilen Zellen und zogen daraus
weitgehende theoretische Schlüsse, deren Berechtigung schon damals von
Brugsch und Hirschfeld bestritten worden sind. Diese Fälle waren
damals auch deswegen nicht ganz beweisend, weil möglicherweise bei dem
einen oder anderen dieser Patienten eine Achylie bestanden haben kann,
die zu einer verschleppten Ausscheidung der Harnsäure führt. Das war
aber bei den von mir untersuchten Patienten ganz bestimmt nicht der Fall.
In 2 Fällen (Fall 2 und 9) konnte ich den Purinstoffwechsel vor,
während und nach Exazerbationen beobachten. Da zeigte sich nun, dass
sich bei diesen Patienten die Harnsäureausscheidung genau so verhielt,
wie man es von der echten Gicht her kennt: Es entstand eine ausser¬
ordentlich charakteristische Harnsäureflut, die auf der Höhe des Anfalls
einsetzte, am zweiten oder dritten Tage ihren Höhepunkt erreichte
und im postkritischen Stadium wieder zur Norm herabsank. Auch im
anakritischen Depressionsstadium zeigte sich das von His entdeckte
Sinken der Harnsäureflut in unverkennbarer Weise, wenn auch allerdings
die Differenz zwischen Tiefstand und Hochstand der Kurve nicht so gross
war, wie man es bei der echten Gicht zu sehen gewohnt ist.
Auch die Glykokollkurve verhielt sich ganz typisch: dem Sinken der
Harnsäure im anakritischen Stadium entsprach ein Steigen der Glykokoll-
ausschcidung, der Harnsäureflut ein Sinken der Glykokollkurve (Kurve 1).
1) K. Reicher und E. H. Stein, Fol. haem. 1910.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Uober Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 443
Das sind also alles Verhältnisse, die für die Gicht absolut charakte¬
ristisch sind.
Ganz besonders bemerkenswert war es nun, dass es wieder¬
holt mit experimenteller Sicherheit gelang, derartige Anfälle
von „Lungengicht“ durch Darreichung von Natr. nucl. aus-
zulösen, eine Tatsache, die also auch den Beobachtungen entspricht,
die man bei der echten Gicht gemacht hat (Reicher und Stein).
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Kurve 1.
Während dieses experimentell ausgelösten Anfalles zeigte auch der
Purinstoffwechsel genau dieselben Abweichungen, die man von der echten
Gicht her kennt: Es entstand eine ausserordentlich starke Harnsäureflut,
die am zweiten oder dritten Tage ihren Höhepunkt erreicht, um dann
wieder zu einem postkritischen Stadium herabzusinken. Dem Ansteigen
der Harnsäure geht ein Sinken der Kurve voraus (His). Die Harnsäure
im Blut sank während des Anfalles und stieg dann im postkritischen
Stadium wieder zur Norm. Die Glykokollkurve verhielt sich umgekehrt:
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
444 ARTII Uli MAVKR,
Sie stieg während des anakritischen Stadiums und sank während des
Abfalles recht beträchtlich (Kurve 2).
Der Harnsäurespiegel lag bei allen Patienten, wie aus den Tabellen
hervorgeht, ziemlich hoch. Es waren im allgemeinen Werte vorhanden,
die um 0,035 pM. schwankten. Das sind also Werte, die zweifellos viel
höher als beim normalen sind, aber doch unter den Werten bei der echten
Gicht liegen. Sie stehen in gutem Einklang mit den Untersuchungen von
Stein itz 1 )-
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Kurve 2.
Die Umber-Retzlaffschc Probe ergab durchgehends beträchtliche
Retentionen und betrug in einzelnen Fällen bei wiederholter Prüfung bis
zu 60 pCt.
In einigen Fällen zeigte sich eine verhältnismässig hohe Ausscheidung
der Harnsäure. Das waren besonders solche Fälle, bei denen zweifellos
die respiratorische Funktion geschädigt war. Auf einen derartigen Zu-
1) Stein itz, Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 90, und Deutsche med. Wochenschr.
1914.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Heber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht.
44 T)
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samraenhang hat schon Bartels 1 ) hingewiesen, und ich konnte an anderer
Stelle gleichfalls zeigen, dass es bei ausgedehnten Schrumpfungsprozessen
in der Lunge, bei denen es zu einer relativen Atmungsinsuffizienz kommt,
die Ausscheidung der Harnsäure dauernd gesteigert ist.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass bei manchen Patienten
scheinbar das Frühjahr eine besondere Disposition für derartige Exazer¬
bationen abzugeben schien; bei andern konnte indessen eine Abhängigkeit
von der Jahreszeit nicht festgestellt werden.
Diese Beobachtung ist deswegen bemerkenswert, weil manche Autoren das Heu-
asthma in einen Zusammenhang mit der Gicht gebracht haben. Exakte Beweise für
diese Zusammengehörigkeit sind indessen nicht erbracht worden.
Sehr bemerkenswert ist dagegen, dass bei fast allen Patienten in
der Aszendenz oder in der Verwandtschaft echte Gicht bestand. Auch
zahlreiche Diabetiker waren in den Familien der Kranken. Die Kinder
der Patienten hatten — was ganz besonders wichtig war — fast alle
Symptomenkomplexe, die zweifellos in das Gebiet der exsudativen Diathese
gehörten. Bei mehreren Kindern bestand seit langer Zeit bronchiales
Asthma, chronischer Bronchialkatarrh, chronische Ekzeme und dergl.
Die Verhältnisse sind in der folgenden Tabelle übersichtlich dargestellt.
Familie 1. Familie 2. Familie 3.
0 = Diabetes. 0 = Exsudative Diathese.
§ = Gicht. H = Bronchialasthma mit Störung des Purinstoffwechscls.
Ueberhaupt scheinen zwischen exsudativer Diathese und der Gicht
enge Zusammenhänge zu bestehen. Möglicherweise ist überhaupt die
exsudative Diathese eine juvenile Form der atypischen Gicht bei neuro-
pathischen Kindern, wie ja auch die Chorea vielfach als juveniles Aequi-
valent des Gelenkrheumatismus aufgefasst wird. Jedenfalls steht
gerade das Symptoraenbild der „Lungengicht u manchen Erschei¬
nungen der exsudativen Diathese so nahe, dass man sich nicht
des Eindrucks erwehren kann, dass gerade hier enge Be¬
ziehungen bestehen.
Diese Anschauungen werden auch durch Untersuchungen unterstützt,
die sich auf die Beziehungen von Tuberkulose und Gicht beziehen und
1) Bartels, Deutsches Archiv f. klm. Med. Bd. 1.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
44«;
A K T II l 7 R MAYEK
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an anderer Stelle von mir veröffentlicht worden sind. Bei 25 Kranken
mit ausserordentlich gutartig verlaufender Lungentuberkulose war der
Purinstoffwechsel genau so gestört, wie bei den Patienten, von denen
hier die Rede ist. Von diesen 25 Kranken kamen 21 Kinder zur Unter¬
suchung. Dabei zeigte sich, dass alle diese Kinder von Tuberkulösen
nicht tuberkulös waren, dass dagegen auch sie das Symptomenbild der
exsudativen Diathese boten 1 ).
Auf ähnliche Verhältnisse hat bereits früher Uffelmann 2 ) hingewiesen. Er
konnte bei drei Kindern, die an Symptomengruppen litten, die wohl in das Gebiet
der exsudativen Diathese fielen, genauere Untersuchungen der Harnsäureausscheidung
vornehmen. Die Kurven erweckten durchaus den Anschein, als ob bei gewissen kon¬
stitutionellen Störungen, die dem Arthritismus nahestehen, aber nicht arthritisch im
engeren Sinne sind, die Harnsäureausscheidung Aehnlichkeit mit der Kurve bei der
echten Gicht hat.
Es sei auch daran erinnert, dass Strümpell 3 ) überhaupt auch das
echte Asthma bronchiale als Ausdruck einer exsudativen Diathese ansieht.
Wie die von mir charakterisierten Störungen in den Funktionen der
Respirationsorgane bei Urizidämie entstehen, lässt sich übrigens vorläufig
kaum übersehen. Es steht jedenfalls fest, dass die Vermehrung der
Harnsäure im Blut allein kaum als eigentliche Ursache in Betracht
kommen kann, denn es zeigte sich, dass selbst die stärksten An¬
reicherungen des Blutes mit Harnsäure bei Tieren keine Stö¬
rung in der Respiration auslöst, Versuche, die übrigens schon vor
Jahren mit demselben Erfolge von Minkowski gemacht worden sind.
Allerdings besteht auf der anderen Seite die Tatsache, auf die auch
Umber hinweist, dass die probatorische intravenöse Injektion von Harn¬
säure einen chemischen Reiz auf die Atemzentrale auslöst. Die Atem¬
züge werden demgemäss während der Injektion sehr erheblich vertieft.
Wie kommt es nun, dass trotz alledem niemals Uratdepots in den
Lungen gefunden werden? Die Antwort auf diese Frage gibt die Tatsache,
dass die Lunge eine ausserordentlich geringe Affinität zur
Harnsäure hat, und dass ganz besonders das geschädigte Ge¬
webe der Lunge fast gar nicht in der Lage ist, Harnsäure an
sich zu reissen.
Ueber die Prognose der „Lungengicht“ kann ich zurzeit noch nichts
sagen. Es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere
Patient später echte Gichtanfälle bekommt. Möglicherweise kann sich
auch der „Status asthmaticus“ so erheblich verschlimmern, dass es zu
schwerem Emphysem und echten Asthmaanfällen kommt. Darüber wird
man erst urteilen können, wenn diese Fälle von Lungengicht bekannter
geworden und über eine längere Zeit hinaus beobachtet worden sind.
1) Arthur Mayer, Berliner klin.Wochenschr. 1914.
2) Uffel mann, Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 10.
3) Strümpell, Med. Klinik. 1910.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht.
447
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Für die Behandlung ergibt sich aus diesen Mitteilungen, dass alle
diejenigen diätetischen und medikamentösen Methoden in Betracht kom¬
men, die sich bei der echten Gicht bewährt haben und die geeignet
sind, die Harnsäure unter möglichst günstigen Bedingungen abzubauen
und auszuscheiden.
Die diätetische Behandlung der Gicht ist bekannt genug. Sie braucht
jedenfalls bei der Lungengicht nicht mit allzugrosser Strenge durchge¬
führt zu werden, und muss, wie bei der echten Gicht, in jedem Falle
individualisiert werden, ganz besonders nach der Richtung hin, ob es
sich um einen schwächlichen unterernährten Patienten oder um einen
fettleibigen handelt.
Ganz besonders erfolgreich scheinen mir übrigens bei der „Lungen¬
gicht 44 Kuren mit alkalischen Mineralwassern zu sein. Welche Mineral¬
wässer hier in erster Reihe in Betracht kommen, kann ich zur Zeit mit
Sicherheit noch nicht entscheiden.
Auch über Radiumkuren fehlen mir Erfahrungen; jedenfalls sollte
man auch auf diesem Gebiete, das bisher der Radiumtherapie noch nicht
zugänglich gewesen war, Versuche anstellen.
Dagegen sah ich, wie schon erwähnt, sehr bemerkenswerte Erfolge
von Atophan, allerdings weniger in der intravallären Zeit, als während
der Exazerbation. In einigen Fällen wirkte das Atophan auf der Höhe
des asthmatischen Anfalles so ausserordentlich, dass es geradezu als Spezi¬
fikum betrachtet werden muss. Diese Beobachtung deckt sich übrigens
auch mit den Mitteilungen, die von anderer Seite über die Wirkungen
des Atophans gemacht werden. So empfiehlt z. B. auch Umber nicht
das Atophan anzuwenden, wenn man nur die Harnsäureausfuhr bei Gich-
tikern, die keine Anfälle haben, steigern will. Dagegen sah auch er
gute Erfolge von der Atophantherapie in chronischen Fällen mit Neigung
zu verschleppten Anfällen, was also ja auch dem Bilde der „Lungengicht 44
entspricht.
Krankengeschichten nnd Protokolle.
Fall l. Pat. L., 36 Jahre, Arbeiter. Vater Gichtiker, ein Bruder hat Diabetes.
Pat. leidet seit mehreren Jahren an Atemnot. Untersuchung ergibt trockene Bronchitis,
chronisches Asthma mit leichtem Emphysem. Keine Tophi, kein Gelenkknirschen.
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1 1
0,024
Fall 2. Pat. R., 48 Jahre, Näherin. Anamnestisch und familiär nichts Erheb¬
liches. Pat. klagt über grosse Atemnot, besonders abends, und häufige Asthmaanfälle.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
448
ARTHUR MAYER
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Keine Tophi, kein Gelenkknirschen, chronische Bronchitis. — Während der Be¬
obachtung ein deutlicher Asthmaanfall!
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Harnsäureflut.
5
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0,025
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0,040
1520
10,4
, 0,183
0,023
Fall 3 . Pat. M., 44 Jahre, Tischler. Auffallend kräftiger wohlgenährter Mann
klagt seit 3 Jahren über Atemnot. Es besteht eine chronische trockene Bronchitis,
leichtes Emphysem und Asthma. Deutliches Knieknirschen und ein Tophus am linken
Olekranon.
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0,017
Fall 4. Pat. L., 50 Jahre, Schlosser. Ein Bruder soll schwerer Gichtiker sein.
Pat. klagt über häufige Asthmaanfälle, die trotz langjähriger Behandlung nicht ge¬
bessert werden. Es besteht eine chronische Bronchitis und ein leichtes chronisches
Asthma. Pat. hat einen grossen Tophus am rechten Ohr.
Während der Beobachtung löst 30 g Natr. nuclein. einen typischen
Asthmaanfall aus.
Beob¬
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säureflut.
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Fall 5 . Pat. S., 37 Jahr, Arbeiterfrau. Mutter an Diabetes gestorben. 2 Kinder
der Frau haben eine typische exsudative Diathese. Das eine dieser Kinder leidet seit
dem 2. Lebensjahr an chronischem Bronchialkatarrh und Asthma.
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Original from
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lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht.
449
Fall 6 . Pat. W., 55 Jahre, Tischler. Es besteht ein erhebliches Asthma und
eine chronisohe trockene Bronchitis. Ein Bruder des Patienten ist Diabetiker, 2 Kinder
haben eine sehr charakteristische exsudative Diathese.
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1800 !
11,3
0,215
0,018
2
0,034
2100
10,5
0,263
0,026
3
—
2000
—
—
—
4
0,037 i
1900
1 10,9
0,25
0,021
Fall 7 . Pat. R., 32 Jahre, Arbeiter. Vater und ein Onkel gichtkrank. Pat.
selbst hat niemals einen Gichtanfall gehabt, leidet aber angeblich besonders im Frühjahr
unter sehr erheblichem Asthma. Es besteht auch jetzt chronischer Bronchialkatarrh
und chronisches Asthma. Knirschen im linken Knie. Während der Beobachtung
gelingt es durch eine Thymusmahlzeit eine sehr erhebliche Exazerbation
des asthmatischen Zustandes auszulösen!
Beob-
achtungs-
tag
U im Blut
pM.
Gesamtharn
ccm
Gesamt-N
U im Harn
Glykokoll
(berechnet)
Bemerkungen.
1
0,040
1800
9,5
0,220
0,018
2
0,032
1900
—
! 0,254
—
3
—
2300
9,8
—
0,024
Thymusmahlzeit,
4
0,035
1850
10,1
| 0,193
0,038
Asthmaanfall.
5
0,012
1630
8,5
0,298
0,029
6
0,028
1950
11,4
0,20
0,021
7
0,043
2070
8,2
0,213
—
Fall 8 . Pat. L., 38 Jahre. Ein Bruder und eine Schwester leiden an Gicht.
Pat. klagt über grosse Atemnot, besonders nachts. Ein Kind hat deutliche exsudative
Diathese. Pat. hat ausser einer leichten Retroflexio uteri chronischen Bronchialkatarrh
und chronisches Asthma.
Beob-
acbtungs-
tag
U im Blut
pM.
Gesamtharn
ccm
Gesamt-N
U im Harn
Glykokoll
(berechnet)
Bemerkungen.
1
0,049
1600
8,3
0,241
0,029
2
0,041
1380
—
0,198
—
3
0,037
1420
9,5
0,183
0,021
Fall 9 . Pat. Sch., 60 Jahre, Werkmeister. Anamnestisch und familiär nichts
von Belang. Der Patient, der schwächlich ist und keinesfalls den Eindruck der
konstitutionellen Gicht macht, hat seit 20 Jahren Atemnot. Es besteht chronische
Bronchitis und Asthma. — Während der Beobachtung Asthmaanfall.
Beob¬
achtangs¬
U im Blut
Gesaratharn
Gesamt-N
U im Harn
Glykokoll
Bemerkungen.
tag
pM.
ccm
(berechnet)
1
0,04
_
10,3
0,242
0.02
2
0,037
2100
9,5
0,179
0,017
3
—
1900
—
—
0,029
4
1780
11,3
0,259 |
0,018
5
0,032
2030
—
0,101 1
0,034
Anakritische Dc-
6
7
0,051 j
0,04
1850
2140
9,7
0,37
0,493 1
0,012
0,013
press., Asthma¬
anfall, Harn¬
säureflut.
8
0,029 !
1980
11,1
| 0,259
0,02 J
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
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XXII.
Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
Von
Priv.-Doz. Dr. D. de Vries Rellingh in Groningen.
(Hierzu Tafeln IV und V.)
Eines der wichtigsten Symptome, welche mit der Mediastino-Perikarditis
in Verbindung gebracht werden, ist der Pulsus paradoxus, d. h. das
Kleinerwerden bzw. das Verschwinden des Pulsschlages in den Arterien
während der Inspiration.
Wenn wir der Geschichte einer Krankheit oder eines Symptomes
nachspüren, so ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass wir dabei auf zwei
Namen stossen: Griesinger und Kussmaul. Das ist auch hier der
Fall. Nachdem im Jahre 1854 Griesinger den Pulsus paradoxus be¬
schrieben hatte, war es 1873 Kussmaul 1 ), welcher diesen Puls mit der
Mediastino-Perikarditis in Verbindung brachte und ihm den Namen Pulsus
paradoxus oder Pulsus inspiratione intermittens gab.
Eine Zeitlang hat dann der Pulsus paradoxus als pathognomonisches
Symptom dieser Krankheit allgemeine Geltung gehabt.
Schon 1877 zeigte Somraerbrodt 2 ) jedoch, dass der Pulsus para¬
doxus nichts anderes war als eine Verstärkung einer durchaus physio¬
logischen Erscheinung (Barry, 1827), dass nämlich bei jeder Inspiration,
auch bei gesunden Menschen, der negative Druck im Thorax, der sowohl
Blut als Luft in den Thorakalraum ansaugt, die Ursache eines Kleiner¬
werdens des Pulses in dieser Atmungsphase ist. Später hatWiersma 3 )
gefunden, dass auch ein reflektorischer Nerveneinfluss, der sehr stark von
zentralen Zuständen, wie z. B. der Aufmerksamkeit, abhängig ist, bei
normalen Menschen während der Respiration Aenderungen des Puls-
rhythraus und der Pulsgrösse im gleichen Sinne hervorrufen kann. Mit
diesem Nerveneinfluss brauchen wir uns jedoch hier nicht weiter zu be¬
schäftigen, weil dieser wohl nie so grosse Schwankungen der Pulshöhe
verursacht, dass von einem Pulsus paradoxus die Rede sein kann.
Nach der Publikation Somraerbrodts hat man in der umfang¬
reichen Literatur, welche späterhin über dieses Symptom entstanden ist,
vielfach in zweierlei Hinsicht gesündigt.
1) A. Kussmaul, Berliner klin. Wochenschr. 1873.
2) Sommerbrodt, Ebenda. 1877.
3) E. Wiersma, Zeitsohr. f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie. 1913. Bd. 19.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
451
Erstens dadurch, dass man Kuss maul vorgeworfen hat, dass er den
Namen falsch gewählt hätte. Denn das paradoxe Verhalten des Pulsus
sei durchaus normal. Wenn man jedoch nachliest, was Kussmaul mit
dem Namen gemeint hat, so wird man finden, dass er den Namen nicht
im Gegensatz zu dem normalen Pulse, sondern im Gegensatz zu den
Herztönen gewählt hat; in dieser Auffassung besteht das Paradoxe im
Verhalten des Pulsus auch jetzt noch zu Recht, indem, während der
Puls inspiratorisch kleiner wird, man bei der Auskultation bei der ln- und
Exspiration an den Herztönen keine Intensitätsänderung verspürt. Dieser
Unterschied zwischen dem Verhalten von Puls und Herztönen, der bei
der physiologischen, inspiratorischen Verringerung der Pulshöhe nicht so
auffällig ist wie beim Pulsus paradoxus, war eben, was Kussmaul
paradox nannte.
Zweitens dadurch, dass man, wie es z. B. Huchard 1 ) tat, annahm,
dass der Pulsus paradoxus bei der Mediastino-Perikarditis in derselben
Weise entstände wie bei normalen Menschen, nämlich durch inspiratorische
Ansaugung des Blutes in den Thoraxraum. Vielleicht mag dies der Fall
sein in gewissen Fällen von Pericarditis adhaesiva ohne Mediastinitis, wo
also nur die Penkardialblätter mit einander verwachsen sind; allein wenn
dabei ausserdem eine Mediastinitis im Spiele ist, werden noch weitere
Ursachen des Entstehens in Betracht kommen (s. weiter unten).
Wenckebach 2 ) hat in der Frage der klinischen Bedeutung des Pulsus
paradoxus mit einem Schlage Ordnung geschaffen. Er unterscheidet drei
Hauptursachen des Kleinerwerdens des Radialpulses während der Inspiration:
I. eine extrathorakale,
II. eine dynamische,
III. eine mechanische.
Ad I. Der extrathorakal entstandene Pulsus paradoxus hat
mit der Mediastino-Perikarditis nichts zu tun. Er entsteht, wenn die
Art. subclavia bei der Hebung des Brustkorbes zwischen der ersten Rippe
und dem Schlüsselbein zusammengedrückt wird. Wenckebach beschreibt
einen überzeugenden Fall, wo die Hebung des Schultergürtels das Phänomen
sofort zum Verschwinden brachte, und er erinnert daran, dass jeder
normale Mensch seinen Puls zum Verschwinden bringen kann, wenn er
„auf einem Stuhle sitzend, den Sitz mit beiden Händen greift, und nun,
bei fixiertem Schultergürtel, einatmet“.
Ich bin in der Lage, noch eine andere extrathorakal entstandene
Form von Pulsus paradoxus vorzuführen. Es handelte sich um einen
Mann mit multiplen Neurofibromen. Eines dieser Neurofibrome
J) Huchard, Traitä clin. des maladies du coeur et de l’aorte. 1905. T. III.
p. 146.
2) Wenckebach, Die unregelmässige Herztätigkeit und ihre klinische Be¬
deutung. 1914.
Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 u. G. qa
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
452
D. de VR1ES RE1LINGH,
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war offenbar so gelagert, dass bei jeder Inspiration ein Druck auf die
linke Art. subclavia ausgeübt wurde, so dass auf der linken Seite ein aus¬
gesprochener Pulsus paradoxus zu Tage trat, auf der rechten Seite jedoch
der Puls ganz das normale Verhalten zeigte. Wir haben es somit hier
mit einem Falle von einseitigem Pulsus paradoxus zu tun (Fig. 1).
In verschiedener Lage des Patienten war das Phänomen verschieden
stark ausgesprochen, sodass bisweilen der linke Pulsus radialis inspira¬
torisch fast ganz zum Verschwinden gebracht werden konnte (Fig. 2).
Während der Exspiration und der Respirationspause war die Puls-
höhc die gleiche, wie es auch ganz verständlich ist, da in diesen beiden
Phasen der Atmung der Puls voll unter dem Neurofibrom hindurch schlagen
kann. Bemerkenswert ist vielleicht, dass die Dauer der Arteriendilatation
auf der linken Seite während der Inspiration verlängert war. Ungezwungen
lässt sich dieses Phänomen erklären durch die Schwierigkeit, womit das
Blut während der Inspiration unter dem drückenden Neurofibrom hin¬
durch gepresst wird.
Ganz im Einklänge mit der lokalen Ursache des Pulsus paradoxus
in diesem Falle steht die Tatsache, dass in den Venen am Halse keine
besonderen Erscheinungen zu beobachten waren, dass jedenfalls keine
inspiratorische Anschwellung dieser Venen vorhanden war.
Ad II. Unter den aus dynamischen Ursachen entstehenden
Fällen von Pulsus paradoxus versteht Wcnckebach diejenigen,
welche durch, aus verschiedenen Faktoren verstärkten, normalen Atmungs¬
einfluss zustande kommen, wie z. B. sehr tiefe und schnelle Inspirationen,
behinderten Lufteintritt in die Lungen (Croup, Müllers Versuch), starke
Einengung der Atmungsoberfläche (grössere pleuritische Exsudate usw.),
Atonie und Muskelschwäche des Herzens (sub finem vitae u. a.), schlechte
Füllung der Aorta (starke Anämie), Aneurysmen (Frank), offener Ductus
Botalli (Frank) usw. In allen Fällen ist also entweder die inspiratorische
Ansaugung verstärkt oder der Effekt einer normalen inspiratorischen An¬
saugung durch Nachgiebigkeit der Wandungen der Zirkulationsorgane ver-
grössert.
Pathognomonisch für diese Fälle von Pulsus paradoxes hält Wencke-
bach
a) ein starkes Zusammenfallen der Venen am Halse bei der In¬
spiration, weil eben die inspiratorische Ansaugung im Thorax¬
raurae verstärkt ist,
b) dass die Pulswelle während der Inspiration am kleinsten, während
der Exspiration am grössten, in der Atempause von mittlerer
Grösse ist. Auch dies ist verständlich, wenn man bedenkt,
dass während der Ausatmung eine verstärkte Auspressung des
Biutes aus dem Thoraxraum stattfindet, während der Atem¬
pause jedoch keine Auspressung (und kein Ansaugen) vor¬
handen ist.
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
453
Ad III. Schliesslich bleibt noch der mechanisch verursachte
Pulsus paradoxus, welcher uns jetzt am meisten interessiert, weil hier¬
unter der Pulsus paradoxus bei der schwieligen Mediastino-Perikarditis
zu rubrizieren ist.
Charakteristisch für diese Form des Pulsus paradoxus ist nach
Wenckebach, dass die Pulswellen während der Inspiration am kleinsten,
während der Atempause am grössten und während der Exspiration von
mittlerer Grösse sind, weil eben das Herz, das hinten, vorn, unten,
überall mit ßrustwand, Rücken und Zwerchfell verlötet ist, in extremer
Inspirationsstellung am schlechtesten, während extremer Exspirations¬
stellung (also während der Atempause) noch am besten arbeiten kann.
Dieses Postulat trifft bei einem Falle von Mediastino-Peri¬
carditis adhaesiva völlig zu, welchen ich in der Groninger Klinik
zu analysieren Gelegenheit hatte.
Es handelte sich um einen 33jährigen Stuokarbeiter, der am 21. 8. 1913 in der
inneren Klinik zu Groningen aufgenommen wurde. Die Anamnese ergab keine here¬
ditäre Veranlagung, namentlich nicht für Tuberkulose. Er selbst hat niemals eine
ernstere Krankheit überstanden. Im Juli 1913 bekam er Oedeina pedum; dieses
Oedem wanderte ziemlich schnell höher hinauf, so dass bald auch der Bauch zu
schwellen an fang. Erst später wurde auch das Gesicht ödematös. Der Patient
konnte bald nicht mehr gehen. Er wurde kurzatmig, fing an zu husten und expekto-
rierte ein wenig schleimiges Sputum ohne Blut. Niemals hatte er über Nachtschweiss,
niemals auch über Herzklopfen zu klagen. Die 24ständige Urinmenge war klein, die
Defäkation normal. Lues wird in Abrede gestellt.
Der Status am 27. 8. war folgender: Der Kranke ist offenbar sehr dyspnoisch,
er hat Orthopnoe. Er sieht ödematös und zyanotisch aus. Die Lippen sind blau
verfärbt, wie auch die Ohren. Die Vena jugularis externa ist stark angeschwollen.
Atmungsfrequenz 30 pro Minuto. Der Puls ist ziemlich gespannt, unregelmässig und
inäqual.
Das Oedem im Gesicht ist hart; am Halse inframaxillar eine 3 cm lange Narbe.
Die Narbe rührt von einer Drüsenoperation im Jahre 1903 her.
Der Brustkorb ist symmetrisch gebaut; die linke Seite wird bei der Atmung
besser und ausgiebiger bewegt als die rechte. Auf beiden Seiten findet sich an der
Hinterfläche ein etwa 3 fingerbreites Exsudat. Die linke Spitze ist schwach gedämpft.
Ira übrigen werden keine abnormen Symptome auf den Lungen beobachtet.
Die Herzdämpfung geht nach rechts bis 1 fingerbreit ausserhalb der rechten
Sternallinie, nach links bis in die Papillarlinie, nach oben bis zur 4. Rippe. Der
Spitzenstoss ist weder sicht- noch fühlbar. Das Manubrium sterni ist gedämpft. Die
Herztöne sind schwach, aber rein, zeigen keine abnorme Verstärkungen.
Die Hautvenen am Abdomen sind angeschwollen, die Haut selbst ist leicht
ödematös. Im Bauche viel Flüssigkeit, der Bauch umfang über den Nabel beträgt
98 cm. Dämpfung des Perkussionsschalls bis zum Nabel.
Die Leber ist handbreit unter dem Rippenbogen zu fühlen, ist somit sehr gross.
Sie fühlt sich sehr derb an. Ihr Rand ist dick und hart.
Die Milz ist nicht zu fühlen.
Skrotum und Penis sind ödematös.
Die Beine und der Rücken bis zum 12. Processus spinosus sind stark geschwollen,
Arme und Hände dagegen nicht.
Der Urin enthält viel Albumen (Esbach 2pM.) und hyaline Zylinder. Spezifisches
Gewicht 1012. Eine Probepunktion unmittelbar rechts vom rechten Sternalrande ist
30*
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454 L). de VRIES REIL1NGH,
negativ. Eine Röntgenaufnahme weist ziemlich viele Stränge in der rechten Lunge
auf. Im ganzen ist die rechte Lunge weniger lufthaltig als die linke. Herzschatten
verbreitert. Wassermann-Reaktion negativ.
Zur Diagnose war es notwendig, die verschiedenen Symptome näher
zu analysieren. Fangen wir mit der Zirkulation an.
Die Pulskurven lassen einen überaus deutlichen Pulsus paradoxus
erkennen (Fig. 3). Während jeder Inspiration fangen die Pulse an
kleiner, während jeder Exspiration dagegen grösser zu werden. Am
grössten sind sie bei der ruhigen Atmung gegen Ende der Exspiration;
wo eine Atempause vorhanden ist, fallen die grössten Pulse in diese
Phase der Atmung. Meistenteils jedoch ist die Atempause wegen der
ziemlich grossen Atemfrequenz bei gewöhnlicher Atmung fast gar nicht
vorhanden. Wenn aber, wie bei tiefer Atmung, die Atempause deutlich
ausgesprochen erscheint, fallen, wie erwähnt, die grössten Pulse ganz
regelmässig in diese Phase.
Dieser Puls entspricht also in jeder Hinsicht dem paradoxen Pulse
aus mechanischen Ursachen nach Wenckebach. (Nur sieht man oft¬
mals, wenn der Puls im Anfänge der Exspiration auftritt, dass dieser
Puls ganz klein ausfällt, ln allen einschlägigen Kurven des Pulsus para¬
doxus, namentlich bei solchen aus mechanischen Ursachen, auch in den
Kurven, welche Wenckebach mitteilt, sieht man dieses Phänomen. Dies
ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass eben bei den
mechanischen Störungen durch Verlötung des Herzens das Herz am
schlechtesten arbeiten kann in der Nähe der Inspirationsstellung, am
besten in der Nähe der Exspirationstellung.)
Es lag also bei dieser Form des Pulsus paradoxus nahe, an eine
Mediastino-Pericarditis adhaesiva zu denken.
Nun hebt Wenckebach hervor, dass dieser Puls doch noch nicht
ganz pathognomonisch ist für die Mediastino-Perikarditis, sondern auch
„bei örtlichen Verwachsungen der rechten Lunge mit dem Zwerchfell,
wo bei jeder Inspiration vom rechten' Lungenstiel ein Druck auf die
Venac cavae und den rechten Vorhof ausgeübt wird 44 , sowie bei extremem
Tiefstand des Zwerchfells Vorkommen kann. Letzterer Umstand war aus
der Röntgenaufnahme in unserem Falle wohl mit Sicherheit auszuschliessen,
mit ersterer Möglichkeit aber musste man wegen der auf der Platte sicht¬
baren Stränge doch noch rechnen.
Es galt also noch weitere Merkmale zu suchen, welche uns zur
richtigen Diagnose führen konnten.
Unter diesen steht wohl in erster Linie das Verhalten der Hals¬
venen. Nach Wenckebach sollen sie während der Inspiration an¬
schwellen, statt, wie bei normalen Menschen, abzuschwellen. Die Er¬
klärung dieses Phänomens liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass
eben die mechanisch veranlasste mangelhafte Systole das Blut während
der Inspiration in ungenügender Weise aus dem Herzen austreibt, so dass
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
455
auch wahrend der Diastole, die wohl auch durch dieselben Verwachsungen
gerade bei der Inspiration schlecht ausfällt, eine ungenügende inspirato¬
rische Ansaugung des Blutes aus den Venen stattfindet. Bei unserem
Patienten waren die Venen am Halse prall gefüllt, so dass eine weitere
Anschwellung während der Inspiration nicht zu sehen war. Sicher war
aber auch nicht die leiseste Abschwellung in der Inspirationsphase vor¬
handen.
Das Friedreichsche Phänomen, des diastolischen Kollapses
der Halsvenen, welches Mackenzie 1 ) als pathognomonisch für adhä¬
sive Perikarditis erachtet, Wenckebach jedoch auch bei starker Stauung
und stark erweitertem Herzen beobachtete, dagegen bei Pericarditis ad¬
haesiva in einem stark ausgesprochenen Falle vermisste, war auch in
unserem Falle nicht vorhanden.
Ein anderes Phänomen, der negative Ictus cordis, vermochten
wir nicht zu registrieren, offenbar weil der Ictus cordis hinten gegen die
7. Rippe anschlug, wo die Herztöne am deutlichsten zu hören waren.
Ein Iktus war jedenfalls weder zu sehen, noch zu fühlen. Vielleicht war
das Herz unseres Kranken zu schwach, um den Brustkorb bei der Systole
einzuziehen. Dazu gehört ja nach vielen Autoren noch eine gewisse
Kraft des Herzens.
Eine systolische Einziehung der unteren Interkostalräumc der linken
Seite hinten (Zeichen von Broadbent, S. Mackenzie, 1. c.) vermissten
wir in unserem Falle ebenfalls.
Der Blutdruck, mittels der schmalen Riva-Roccischcn Manschette
gemessen, betrug in unserem Falle 144 mm Hg, war demnach wohl etwas
zu niedrig. Der Radialpuls war klein.
Die Leberschwellung war sehr bedeutend, wie es Wenckebach 2 3 )
bei der Pericarditis adhaesiva verlangt und erklärt.
Allein, so wichtig diese Symptome zur Komplettierung der Diagnose
sind, so vermögen sie doch nicht die Diagnose sicher zu begründen, weil
sic eben auch bei anderen Krankheiten vielmals Vorkommen.
Ungleich wichtiger aber war das Verhalten der Atraungskurven.
Um diese richtig zu deuten, müssen wir etwas weiter ausholen. Ich be¬
nutze diese Gelegenheit, um einiges bezüglich der Verwertung von
Atmungskurven überhaupt mitzuteilen, das ich bis jetzt — etwas aus¬
führlicher — erst in holländischer Sprache veröffentlicht habe 30 * 4 ).
Bekanntlich wird die Atmungskurve meistenteils mittels der soge¬
nannten Umschnürungsmethode registriert, d. h. um den Thorax wird ein
Band gelegt, dessen Enden mit den mit Kautschuckmembranen ver-
1) Mackenzie, Diseases of the heart. 1910. p. 254.
2) Wenckebach, Volkmanns Vorträge. N. F. Innere Med. 1907. Nr.140u.141.
3) de Vries Reilingh, Over de registratio der ademhaling. Ned. Tvdschr. v.
Geneesk. 1912. 1. No. 9.
4) de Vries Keilingh und Kochat, Paradoxe ademhaling. lbid. No. 20.
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
456
D. de VRIES REILINGH,
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sehenen Flachseiten eines starren Zylinders verbunden sind. Jeder Zug
bei der Inspiration buchtet also die Kautschukraerabranen aus und die
Luft im Zylinder wird verdünnt. Wird also das Innere des Zylinders
von vornherein mit einem Mareyschen Tambour mittels Kautschuk¬
schlauches in Verbindung gesetzt, so wird eine negative Kurve auf dem
Kymographion geschrieben, d. h. bei jeder Inspiration senkt sich die
Kurve, bei jeder Exspiration hebt sie sich (Marey). Legt man aber das
Band um den Thorax über einen gewöhnlichen Mareyschen Pulsschreiber,
so wird dieser bei jeder Inspiration eingedrückt, somit schreibt ein da¬
mit verbundener Mareyscher Tambour eine positive Kurve, d. h. bei
jeder Inspiration hebt sich die Kurve, bei jeder Exspiration senkt sie sich.
Diese Methode habe ich im Anfänge meiner Untersuchungen bevorzugt.
Meist wird zur Registrierung der Atmung in dieser Weise nur die
Brustkurve aufgenommen und man meint dann hinreichend über die ver¬
schiedenen Atmungsphasen orientiert zu sein.
Wenn man aber gleichzeitig mit der in dieser Weise registrierten
Brustatraungskurvc eine in der nämlichen Weise aufgenoramene Bauch¬
atmungskurve aufzeichnet, so wird man sich überzeugen, dass die Brust¬
atmungskurve, mit der Umschnürungsmethode gewonnen, absolut unzuver¬
lässig ist.
Es zeigt sich, dass in sehr vielen Fällen die Atmungskurven von
Brust und Bauch nicht synchron verlaufen. Es kann dies in sehr ver¬
schiedenen Graden der Fall sein. Sehr oft finden wir im Anfänge der
Brusteinatmung eine kleine negative, im Anfänge der Brustausatmung
eine kleine positive Periode (Fig. 4). Manchmal steigern sich diese um¬
gekehrten Perioden in dem Maasse, dass die Brustkurve geradezu das
negative Bild der Bauchkurve wird (Fig. 5).
Teilweise schon durch Anlegung des Umschnürungsbandes über die
Kleider der Versuchspersonen, sicherer aber noch durch die weiter unten
zu beschreibende „Hebelmcthode u , lässt sich beweisen, dass hier zweierlei
Einflüsse im Spiel sein können, welche die Brustatmungskurve beein¬
trächtigen. Erstens der Umstand, dass bei jeder Inspiration die Weich¬
teile zwischen den Rippen eingezogen, bei jeder Exspiration ausgebuchtet
werden. Dieses Verhalten der Zwischenrippenräume macht sich auf der
Schnur geltend, wenn die Kapsel auf dem Sternum, auf der Kapsel selbst,
wenn sie im Interkostalraum liegt. Durch Zwischenlagerung schwerer
Bleistücke lässt sich dies beweisen (Fig. 6).
Zweitens kann festgestellt werden, dass im ersten Beginn der In¬
spiration infolge der Luftdruckerniedrigung im Thoraxraum durch die
Zwerchfellkontraktion der Thorax als Ganzes oftmals ein wenig einge¬
zogen, im Beginn der Exspiration durch Luftdrucksteigerung ein wenig
ausgebuchtet wird.
Diese Tatsachen lassen sich leicht demonstrieren, wenn man die
Kurven, die mittels der Umschnürungsmethode gewonnen sind, vergleicht
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Ueher Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
457
mit denjenigen, welche mittels der Hebelmethode aufgenommen wurden.
Die hierbei angewendete Vorrichtung besteht in einem in allen Rich¬
tungen (Fig. 7) verstellbaren Hebel, dessen eines Ende auf eine Mareyschc
Kapsel drückt, die durch einen Kautschukschlauch mit einer Schreibc-
kapsel verbunden ist und dessen anderer Arm einer auf den zu unter¬
suchenden Stellen des Thorax festgeklebten polierten Kupferplatte auf¬
liegt. So ist natürlich jeder Einfluss der Intcrkostalräume ausgeschlossen
und es wird dadurch ermöglicht, die verschiedenen Thoraxpartien isoliert
zu untersuchen, was mittels der Umschnürungsmethode niemals ge¬
lingen kann.
Wie gesagt, zeigte sich auf diese Weise, dass die umgekehrten
Brustkurven der Umschnürungsmethode wieder mit der Bauchkurve syn¬
chron verliefen und positiv wurden, nur dass im Anfänge jeder Atmungs¬
phase noch oftmals ein kurzes negatives Stück in der Brustkurve be¬
merkbar war, als Ausdruck der durch die Zwerchfellbewegungen ver¬
ursachten Luftdruckänderungen im Innern des Thoraxraumes (Fig. 8).
Dieses nahezu synchrone Verhalten der Brustkurven mit der Bauch¬
kurve war somit eine Bestätigung der Richtigkeit dieser letzteren, was
auch von vornherein wahrscheinlich war. Nur in ganz vereinzelten Fällen,
wo wahrscheinlich die Thoraxmuskulatur über das Zwerchfell überwog,
haben wir eine kurze Strecke ein Nachfolgen der ßauchkurve im Anfänge
jeder Respirationsphase konstatieren können. Wenn somit, wie ich aus¬
drücklich postuliere, in jedem Falle, wo man die Atmung studieren
will, Brust- und Bauchkurven aufgezeichnet werden, und zwar die erstere
mittels der Hebelmethode, die zweite mittels der Umschnürungsmethode,
so geht man den einzigen Weg, auf welchem Irrtümer ausgeschlossen
sind. Es würde nicht schwer sein an zahlreichen Kurven der ein¬
schlägigen Literatur die Fehler, welche zu irrigen Schlussfolgerungen
Veranlassung gegeben haben, zu demonstrieren 1 ).
Weiter fortfahrend mit der Registrierung der Atmung in dieser Weise
konnten wir bei einigen Krankheiten ein paar interessante Beobachtungen
machen; so in erster Linie bei Emphysema pulmonum mit Tiefstand des
Zwerchfelles, in anderer Hinsicht bei unserem Kranken.
Bei Emphysema pulmonum fanden wir, dass sehr oft, besonders
bei ziemlich weit vorgeschrittenen Fällen, die unteren Thoraxpartien
während der Inspiration eingezogen, während der Exspiration ausgebuchtet
werden, somit ein ganz paradoxes Verhalten zeigen (Fig. 9). Was Wencke-
bach bei Enteroptose und tiefstehendem Diaphragma für möglich er¬
achtet, jedoch noch nicht wahrgenommen hat, wird hier zur Tatsache.
Die Erklärung muss selbstverständlich dieselbe sein, wie sie Wencke-
bach nach dem Vorgänge Duchennes 2 ) für den paradoxen Atem-
1 ) Man siehe z. B. die Kurven in Hofbauer, Semiologie und Differentialdiagnostik
der Kurzatmigkeit. 1904.
2) Duchenne, Physiologie des Mouvements. 1867.
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
458
D. de VKIES REILINGH,
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mechanismus bei der Enteroptose gegeben hat; nämlich, dass das flache
Diaphragma bei seiner Kontraktion die Rippen nicht wie das normal ge¬
wölbte hochhebt und durch die Eigenart der Kosto-Vertebralgelenke
nach auswärts bewegen kann, sondern ganz einfach die Rippen einzieht.
Nach uns hat auch M. Creyx 1 ) diese Tatsache bei Emphysematikern
beobachtet und er schreibt wörtlich: „Les mouvements de la base de
la poitrine se trouvaient inverses; pendant l’inspiration les cötes inferieures
se retractaient comme si le diaphragrae les eut attirees directement vers
son centre phrönique“. Er schliesst sich meiner Erklärung dann auch
ganz und gar an.
Ein entgegengesetztes Verhalten der oberen und unteren Thorax¬
partien lässt sich bei Emphysematikern mittels der Hebelmethode sehr
oft nachweisen (Fig. 10) und es darf nicht wundernehmen, welch einen
schlechten Einfluss diese Verminderung des Atemmechanismus auf den
Gaswechsel in den Lungen haben muss. Bei einem solchen Emphysematiker
fand Creyx eine vitale Kapazität von nur 60 cl.
Bei unserem Kranken haben wir mittels der Hebelmethode sehr
interessante Tatsachen an den Atmungskurven demonstrieren können,
welche sehr wesentlich zur Feststellung der Diagnose mitgewirkt haben.
Ich brauche nur auf die beigegebenen Kurven zu verweisen, um dies
dem Leser klar zu machen.
In Fig. 11 sind untereinander aufgeschrieben worden die Atmungs¬
kurven von:
1. Unterende des Corpus sterni und Bauch.
2. Rechte Seite, ein wenig innerhalb und unterhalb der Papille,
Bauch.
3. Linke Seite, ein wenig innerhalb und unterhalb der Papille, Bauch.
Die Zeit ist in jedem Falle in 1 / 5 Sekunden markiert.
Wir sehen an der ersten Kurve, wie das Unterende des Corpus sterni
(nahe am Proc. xiphoideus) bei jeder Inspiration eingezogen, bei jeder
Exspiration ausgebuchtet, man möchte sagen freigegeben wird, wie also
die Respiration an dieser Stelle sich vollkommen paradox verhält.
Nebenbei bemerkt, sehen wir, dass im ersten Anfänge der Inspiration
die Bauchkurve bisweilen etwas eingezogen zu werden scheint, wie wir
das auch bei normalen Menschen öfter zu beobachten in der Lage waren
(vgl. oben).
An der zweiten Kurve erkennen wir, dass eine Stelle der rechten
Seite, ein wenig innerhalb und unterhalb der Papille gelagert, ganz das
nämliche paradoxe Verhalten der Respiration zeigt.
Und schliesslich sehen wir an der dritten Kurve wie die Respiration
derselben Stelle der linken Seite nahezu normale Verhältnisse aufweist.
1) M. Creyx, Les variations respiratoires etc. These de Bordeaux. 1912.
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lieber Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
459
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Wir fanden also, dass die rechte Seite unten und das Unterende
des Corpus stemi bei jeder Inspiration stark eingezogen, bei jeder Ex¬
spiration wieder freigegeben wurden, und dass die linke Seite, wie in
der Norm, bei jeder Inspiration ausgebuchtet, bei jeder Exspiration ein¬
gezogen wurde. Beide Seiten verhielten sich also entgegengesetzt; das
untere Ende des Corpus stemi verhielt sich wie die rechte Seite, d. h.
zeigte paradoxe Atmung.
Die weitere Untersuchung ergab aber noch mehr Interessantes. Wenn
wir die Atmungskurven (Fig. 12) der rechten Seite öberhalb der Papille
registrieren und mit den Atmungskurven der rechten Seite unterhalb der
Papille vergleichen, so zeigte sich, dass unterhalb der Papille die Atmung
paradox, oberhalb der Papille jedoch fast normal war.
Daraus ging ganz deutlich hervor, dass lokale Einflüsse
diese lokale paradoxe Atmung verursachen mussten.
Wenn wir uns erinnern, dass das Herz nach der rechten Seite ver¬
zogen war, und dass röntgenologisch in der rechten Lunge Stränge und
weniger Luftgehalt konstatiert wurden, und dass ein Pulsus paradoxus,
starke Leberschwellung usw. vorhanden waren, so liegt es nahe, die
Diagnose Mediastino-Pericarditis adhaesiva zu stellen. Ein Tiefstand des
Diaphragma war hier nicht vorhanden und vermag nach meinen Er¬
fahrungen eine so lokale einseitige paradoxe Atmung auch nicht zu ver¬
ursachen. Diese konnte nur ungezwungen erklärt werden durch Ver-
lötung des Herzens mit dem Perikard und die Verwachsung des Herz¬
beutels mit der hinteren und vorderen Thoraxwand und dem Diaphragma
durch eine Mediastino-Perikarditis. Das Zwerchfell muss dann bei einer
Kontraktionsbewegung Herz, Perikard, vordere und seitliche untere Thorax¬
wand mitnehmen, folglich die Thoraxwand bei der Inspiration nach innen
ziehen, wie dies auch Wenckebach annimmt.
Auch photographisch konnten wir, wie es auch Wenckebach schon
getan hat, eine Einziehung des unteren Endes des Sternums festlegen
(Fig. 13).
So hatten wir das Symptom gefunden und registriert, welches
Wenckebach wohl mit Recht als pathognomonisch für die Mediastino-
Pericarditis adhaesiva hält und eingehend erklärt.
Meines Erachtens aber können alle unsere Kurven der paradoxen
Atmung hierdurch allein noch nicht genügend erklärt werden. So weit
war das Herz nicht nach rechts gerückt, dass eine Einziehung der ganzen
rechten Seite, wie es bei unserem Kranken zu beobachten war, dadurch
verursacht werden konnte. Ich war der Ansicht, dass auch eine Pleuritis
der rechten Seite mit Verwachsungen der Pleurablätter untereinander,
dem Mediastinum und dem Zwerchfell angenommen werden musste, wo¬
durch dann auch die Einziehung der unteren Hälfte der rechten Seite
auf die nämliche Weise erklärt werden könnte, wie die Einziehung des
Corpus sterni.
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460
D. de VRIES REILINGH
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Die Diagnose wurde also gestellt auf: Plcuro-Mediastino-Peri-
carditis adhaesiva.
Schade war cs, dass ich den Venen drück nicht gemessen habe.
Vielleicht wären dabei noch einige interessante Tatsachen zu beobachten
gewesen. Aber erst nach dem Tode des Kranken habe ich eine einfache
und zuverlässige Methode zur Venendruckbestimmung gefunden.
Ganz kurz will ich diese hier noch raitteilen.
Wir geben zur Venendruckbestiramung an den Armen dem Patienten
in beide Hände einen kleinen Plethysmographen nach WierSraa 1 ) (Zur
Venendruckbestimmung in den Beinen brauchen wir um beide Unter¬
schenkel einen Luftplethysraographen). Beide Plethysmographen werden
mit je einer Mareyschen Schreibkapsel verbunden. Die eine schreibt
auf dem Kymographion nur eine Kontrollkurve. Um den anderen Arm
aber applizieren wir eine Blutdruckmanschette. In diese pumpen wir
Luft hinein, bis die Kurve dieses Armes anfängt zu steigen. Dies be¬
weist, dass Blutstauung (Fig. 14) in den Händen entsteht, dass also die
Venen anfangen, durch den Manschettendruck komprimiert zu werden.
Der abgelesene Druck minus dem auf mm Hg reduzierten vertikalen Ab¬
stand zwischen Manschette und Artikulation der 3. Rippe mit dem
Sternum (ungefähre Einmündungshöhe der Venen in das Herz) ist der
Venendruck. Mittels der plethysmographischen Methode ist es also
möglich, innerhalb weniger Minuten den maximalen und minimalen Blut¬
druck, den Einfluss der Arterienwand auf diese beiden, und den Venen¬
druck zu bestimmen und graphisch zu registrieren 2 ).
Nun kommen wir auf unseren Kranken zurück; derselbe ist nach
vielen Leiden schliesslich am 5. Januar 1914 unter den Symptomen der
Herzschwäche und hochgradiger Zyanose gestorben.
Das Sektionsergebnis war folgendes (Dr. Roessingh): Im Abdomen
viel Flüssigkeit, klar, dunkelgelb. Peritoneum viscerale und parietale sind besetzt mit
sehr zahlreichen nadelkopfgrossen Knötchen, weiche bisweilen zu grösseren Konvoluten
zusammengeschmolzen sind und dann in der Mitte käsigen Inhalt zeigen. Das
Diaphragma steht links am unteren Rande der 6., reohts am unteren Rande der
5. Rippe. Die Leber ist sehr gross, sie steht 3 fingerbreit unter dem Rippenbogen.
Bei der Oeffnung des Thorax fallt die linke Lunge etwas zusammen, die rechte
Lunge ist ausserordentlich fest mit der Brustwand verwachsen, sodass
sie nur mit der Pleura costalis zusammen auszuschälen ist.
Das Herz ist nach rechts verzogen. Die beiden Porikardialblätter
sind miteinander verwachsen. Nur an der Spitze des Herzens ist noch eine
kleine Höhle zwischen den beiden Blättern übrig geblieben. Das Mediastinum ist
stark verdickt und besteht aus sehr dickem Gewebe. Das Herz ist klein, die
Muskel und die Klappen zeigen niohts Abnormes. Die Vena cava sup. und inf. zeigen
sklerotische Stellen und sind erweitert. Ebenso dieVenae hepaticae (wohl durch starke
Druckvermehrung, weshalb die Venendruckbestimmung im Leben sehr erwünsoht ge¬
wesen wäre. Vgl. oben.)
1) E. Wiersma, Handelingen 13. Nat. en Geneesk. Congr. 1911.
2) de Vries Reilingh, Diese Zeitschr. 1913.
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Tarn:
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ialis. Un
J\,
ler Patienl
f iuchatmung.
e Atmung.
Fig. 6. b) Brustatmung rechts unten, c) Bauchatmung.
Umschnfirungsmethode mit Bleiplatte.
Derselbe Mann wie Fig. 5.
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Gck igle
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Go igle
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Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
461
Die linke Lunge ist mit der Brustwand nioht verwachsen und klein.
Die Pleura ist normal. Leichte Atelektase des Unterlappens.
Die rechte Lunge ist sehr voluminös. Die Pleurablätter sind zu einer
halbzentimeterdioken Membran zusammengewachsen. Nur ander äussersten
Spitze besteht noch ein Rest des Pleuraraumes, ln der Spitze kleine Tuberkel. Die
rechte Lunge ist ödematös. Von der Pleura her dringen zahlreiche dicke
Bindegewebsmembranen in die Lunge vor. Die Bronchialdrüsen sind ver-
grössert und zeigen käsige Degeneration.
Milz vergrössert, byperämisch.
Rechte Niere, rechte Nebenniere und rechter Ureter fehlen. Linke Niere und
Nebenniere vergrössert und byperämisch. Keine Nephritis (wie auch der Blutdruck
vermuten liess).
Gastritis chronica cyanotica.
In der Leber starke Stauung, sonst nichts Abnormes.
Das Wesentliche aus dem Sektionsprotokoll ergibt also eine voll¬
ständige Bestätigung unserer Diagnose. Die Verwachsung von Herz,
Perikard, Mediastinum, vorderer und hinterer Brustwand, Diaphragma,
Pleura costalis und Pleura pulmonalis der rechten Lunge zu einem festen
Gewebe, noch kompletiert durch die in die rechte Lunge hineingewachsenen
Bindegewebsraembranen war also, wie wir cs auch oben erörtert haben,
die Ursache der verschiedenen Symptome: Pulsus paradoxus, Respiratio
paradoxa der rechten Unterseite, der Leberschwellung usw.
Umgekehrt gewinnen also auch wieder diese einwandsfrei festgestellten
Symptome durch die autoptische Kontrolle eine grosse Bedeutung für die
Diagnose der Mediastino-Pericarditis adhaesiva.
Bemerkenswert ist noch, dass wir es hier wieder, wie in einem der
Fdie Wenckebachs, mit einem Falle von Polyserositis tuberculosa zu
tun haben.
Therapeutisch haben wir selbstverständlich nichts machen können;
namentlich wäre die Kardiolyse Brauers in unserem Falle wegen des
vorgeschrittenen elenden Zustandes des Patienten, wegen der ausgedehnten
Verwachsungen auch der rechten Lunge, und wegen des tuberkulösen
Charakters der Krankheit aussichtslos gewesen.
Groningen, März 1915.
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Will.
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Aus der k. u. k. Kranken- und Verwundetenstation in Sternberg
(Chefarzt: Dr. Gottfried Holler).
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
Von
Dr. Gottfried Holler,
A.ssisteul der 1 . deutschen med. Klinik in Prag (Prof. K. Schmidt).
(Mit 31 Kurven im Text.)
Den Verhältnissen entsprechend erfordert heute die Bekämpfung der
Seuchen unser grösstes Interesse. Unter den vom Kriegsschauplatz zurück¬
kehrenden Soldaten beherrscht derzeit der Typhus abdominalis eine Gross¬
zahl der Infektions fälle. Es sind zur Handhabung einer spezifischen Therapie
dieser Seuche in letzter Zeit nunmehr von verschiedener Seite Anforderungen
ergangen, und wohl jeder, der Gelegenheit hatte sich mit dieser Behandlungs¬
art vertraut zu machen, wird zugeben, welch grossen Wert ihr weiterer
Ausbau für die Behandlung der Infektionskrankheiten zu haben scheint.
Ausserdem kann ich heute auf Grund genauer Beobachtungen nach
Vakzineinjektionen über so manches Neue berichten, ich werde Gelegenheit
haben Befunde zu zeigen, die vor allem das Interesse der Hämatologen
verdienen.
Ueber die Bakteriotherapie des Typhus abdominalis sind schon seit
längerer Zeit in der Literatur Erfahrungen niedergelegt. Es wurden erst
durch Hitze abgetötete Kulturen verwendet, auch Extrakte aus derartigen
Kulturen; derzeit sind es vornehmlich drei Vakzinearten, die Anwendung
finden, lt. Kraus empfiehlt uns aus Buenos Aires die Vincentsche
Aethervakzine, A. Biedls Erfahrungen sprechen für die Anwendung des
Besredkaschen Mittels und v. Koranyi in Budapest wieder wandte eine
Vakzine an, die nach der Vorschrift von Ichikava hergestellt ist.
Das Vincentsche Mittel besteht aus durch Aether abgetöteten Bazillen,
die in Kochsalzlösung aufgeschwemmt sind, und ist polyvalent. Besredka
und Ichikava dagegen verwenden lebende Bazillen, die ersterer durch
längeres Verweilen in Typhusimmunserum von Pferden, letzterer durch eine
gleiche Behandlung mit Serum vom Typhusrekonvaleszenten abschwächt.
Meine Erfahrungen beziehen sich hauptsächlich auf die Anwendungen
der Vincentschen Vakzine, die mir bei unserem reichen Material in rund
100 Fällen gute Erfolge gezeigt hat. Ich verwende das Mittel teils sub¬
kutan, teils intravenös.
Kontraindikationen sind mir eigentlich bisher nur Blutungen jeder
Art, vor allem aus Lunge und Darm. Ausserdem bevorzuge ich bei
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
463
Komplikationen mit heftigen Bronchitiden und Bronchopneumonien die
subkutane Verabfolgung. Ebenso nehme ich bei grossen Schwächezuständen,
vor allem bei schlechtem Cor, Zuflucht zu subkutanen Injektionen. Wo
aber irgend möglich, besonders bei Fällen die im Beginn der Erkrankung
stehen, rate ich zu intravenöser Injektion.
Die subkutane Behandlung beginne ich gewöhnlich mit 100 Millionen
Keimen und steigere diese Dosis täglich um 25 Millionen. Es ist wichtig,
bei so kleinen Einzeldosen die Injektionen Schlag auf Schlag täglich
folgen zu lassen 1 ).
Die intravenöse Injektion gebrauche ich gewöhnlich in der Dosis von
100 Millionen Keimen, und habe ich schon öfters die Erfahrung gemacht,
dass, wenn eine einmalige derartige Injektion entweder gar keinen, oder
nicht vollen Erfolg brachte, eine neuerliche Injektion in derselben Dosis
schon wenige Tage später prompte Entfieberung bewirkte.
Sehr gerne kombiniere ich intravenöse und subkutane Methode in der
Weise, wie ich es weiter unten an mehreren Fällen demonstrieren werde.
Nach einer intravenösen Vakzineinjektion kommt es fast durchwegs
zu ziemlich stürmischen Nebenerscheinungen. Unmittelbar nach der
Injektion sinkt die Temperatur etwas, gewöhnlich nur um einige Zehntel
Grade, manchmal auch um einen Grad. Nach 20—45 Minuten, selten
später, kommt es unter raschem Anstieg der Temperatur zu einem recht
heftigen Schüttelfrost, der bis zu einer halben Stunde andauert. Die
Temperatur erreicht nicht selten 41,5° und mehr, bleibt dann gewöhnlich
durch 12 Stunden mit geringen Remissionen hoch, um dann rasch staffel¬
weise, selten ausgesprochen kritisch, abzufallen. Auffallend ist das Wohl¬
befinden der Patienten bereits am Tage nach einer gelungenen Injektion.
Speziell nervöse Symptome verschwinden rasch. Häufig beobachten wir
auch am Tage nach der Injektion wiederholt Schweissausbrüche und es
besteht bei den Patienten Schlafbedürfnis.
Bei Subkutaninjektionen sind die Nebenerscheinungen wesentlich
milder, speziell nach kleinen Dosen ist oft ein leichter Temperaturanstieg
und darauffolgender Abfall, gewöhnlich von Sohweissausbruch begleitet, das
einzigWahrnehmbare. Zu Schüttelfrösten kommt es erst bei grösseren Dosen.
Sehr interessant ist das Verhalten der Blutbefunde in der Zeit nach
einer intravenösen Injektion. Diese gerade, wie auch die Temperatur¬
kurven zeigen uns, dass durch die Vakzinetherapie der Typhus, spezifisch
beeinflusst, nach Art eines Abortivfalles ausheilt.
Fall 1 . Patient M. S. wurde am 30. 1 . fiebernd eingebracht. Diazo positiv,
Ficker negativ, Intrakutan probe positiv, deutlicher Milztumor. In der Zeit vom 1.— 7. 2.
Diazo fort positiv. Patient erhält am 3. 2. 100 Millionen Keime Vincent intravenös.
Daraufhin typische Entfieberung, seitdem fieberfrei. Der zuerst flüssige Stuhl ist am
9. fieberfreien Tage geformt. (Kurve 1.)
1) Details siehe: G. Holler, Erfahrungen über Bakteriotherapie des Typhus
abdominalis. Med. Klinik. 1915. Nr. 19.
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Original fro-m
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464
GOTTFRIED HOLLER,
Monate- 30 . j. 3 -). l.fl. 2. 3."MmoooiUm 4 5 , g. 7 ö71 9 10. 11. 12. 1 13. 14. 1 15. 16.
ta 9 ymcentmtwe/i.
60 Sk, I Puls:-Temp:-
Kurve 1.
Blutbefun
de:
Am 2.2. (am Tage
Am 11.2. (entfiebert
1
Am 13. 2.
vor der Injektion)
seit 7 Tagen)
Leukozyten .
9 930
11 100
12 950
davon sind:
Polynukleäre (N).
71,0pCt. (7050)
47,4 pCt. (5250)
52,6 pCt. (6 830)
* (E).
0,1 „ ( 10)
0,6 „ ( 70)
0,5 „ ( 70)
Mastzellen.
0 ,
0,9 „ ( 100)
0,9 „ (120)
Splenozyten .
3,2 „ ( 320)
10,3 * (1150)
8,0 „ (1000)
Lymphozyten.
25,7 „ (2550)
40,8 „ (4530) |
38,0 „ (4930)
Es handelt sich hier um einen sehr leichten Fall, der auf die Injektion
hin sofort ausheilte. Am 8. Tage nach der Injektion finden wir den
Blutbefund, wie er für das Rekonvaleszentenstadium des Typhus typisch
ist: Leukozytose mit relativer und absoluter Lymphozytose und Eosino¬
philen.
Fall 2. Patient R. Brz. wurde am 19. 2. aufgenommen. Etwas benommen, Zunge
typisch, Milz vergrössert, deutlich palpabel; Erbsenpüreestühle. Ficker bis lOOfacher
Verdünnung komplett positiv. Diazo stark positiv. Neben dem Typhus besteht bei
dem Patienten eine sehr heftige Bronchitis. Patient erhält am 21. 2. 100 Millionen
Vincent intravenös. (Vgl. nebenstehende Kurve 2.)
Blutbefunde bei der ersten intravenösen Injektion:
Am 20.2. (amTage ,Am 21.2. (zuBeginn Am 21.2.(am Ende j Am 21.2. (6 Std.
vor der Injektion) des Schüttelfrostes) d. Schüttelfrostes) nach d. Injektion)
Leukozyten . . .
davon sind:
Polynukleäre (N)
(E)
Mastzcllcn . . .
Spienozyten . . .
Plasmazellen . .
Lymphozyten . .
5 270 6 970 3 630 11 400 4 620
49,8 pCt. (2630) 34,6 pCt. (2400) 6,1 pCt. (210) 51,8pCt. (5880) 46,6 pCt. (2140)
0 „ 0 „ 0 „ 0 „ 0 „
0,9 „ ( 50) 0,2 „ ( 20) , 0 „ 0,1 „ ( 20) 0 *
5,3 * ( 280) 3,1 „ ( 220) 1 3,2 „ ( 120) 6,8 „ ( 780) 3,6 r (170)
2,6 „ ( 130) 1,9 „ ( 130) | 1,8 „ ( 70) 0,5 „ ( 70) 2,5 „ (110)
41,4 „ (2180) 60,2 „ (4 200) 88,9 „ (3230) 40,8 „ (4650) | 47,3 * (2200'
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
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466
GOTTFRIED HOLLER
Ich habe diesen Fall bis zur ersten Injektion schon einmal in einer
Arbeit erwähnt, und wollte damit den Misserfolg einer intravenösen
Vakzineinjektion bei einem durch eine heftige Bronchitis komplizierten
Typhus zeigen. Die Bronchitis verschlimmerte sich auf die Injektion hin
und die erst auf subnorraale Werte abgefallene Temperatur stieg rasch
wieder an. Ich verabfolgte darauf täglich Subkutaninjektionen in langsam
steigender Dosis. Dadurch kommt es zu einem langsamen Temperatur¬
abfall. Am 6. Tage nach der ersten folgt neuerdings eine intravenöse
Injektion wieder mit 100 xWillionen Keimen, die nach typischem Temperatur¬
anstieg und Abfall bald endgültige Entfieberung brachte. Die Zacken,
die nachher in der Temperaturkurve folgen, hängen mit einer Periostitis,
ausgehend von einem kariösen Zahn, zusammen. Ich habe das Auftreten
derartiger Periostitiden nach intravenösen Vakzineinjektion öfters beobachtet,
und erscheint es mir nicht ganz belanglos, insofern, als es darauf hin¬
weist, dass chronische Entzündungen unter dem Einfluss einer solchen
Injektion in ein akuteres Stadium treten können. Weiter möchte ich
darauf hin weisen, dass die Nebenerscheinungen, speziell der Schüttelfrost,
nach der zweiten intravenösen Injektion viel weniger intensiv waren als
nach der ersten.
Die Blutbefunde zeigen nach beiden intravenösen Injektionen den
typischen Verlauf, nach der ersten Injektion noch deutlicher als nach der
zweiten.
Die Reihenfolge der Blutbefunde nach Aethervakzineinjektionen ist
im allgemeinen folgende:
1. Unmittelbar nach der Injektion häufig eine geringgradige poly¬
nukleare Leukozytose.
2. Schon nach wenigen Minuten verschwindet diese und beginnt
Leukopenie erst auf Kosten der polynukleären Zellen, während
die Lymphozyten unvermindert bleiben, ihre Zahl häufig sogar
ansteigt. Nicht selten beobachten wir sogar ein derartiges An¬
steigen der Lyraphozytenzahl, dass dadurch auch in diesem
Stadium eine deutliche Leukozytose zu Stande kommt.
3. Höchstgradige Leukopenie mit relativer Lymphozytose, absolut
ist die Lymphozytenzahl nunmehr verringert.
4. Nach 6—7 Stunden finden wir gewöhnlich ein Blutbild mit poly¬
nukleärer Leukozytose und häufig Lymphopenie.
5. Nach gelungener Entfieberung kommt es bald zum Blutbild in
der Typhusrekonvaleszenz: Leukozytose mit relativer und absoluter
Lymphozytose und Eosinophilen.
Fall 3. Patient Fr., eingebracht am 20. 2. Hohes Fieber, Kopfschmerzen,
Roseolen. Diazo stark positiv, Ficker agglutiniert bis 200fach komplett. Grosser Milz¬
tumor; typische Stühle. Patient erhält am 22. 2. 100 Millionen Vincent intravenös.
(Kurve 3.)
Difitized
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. 99 9 Ara 22.2. I Am 22. 2.
/___ j t • | J (zu Beginn des i (am Ende des Am 23. 2.
(vor d. Injektion) Schütte 8 lfrostes) ! Schüttelfrostes)
Am 24. 2.
Leukozyten ....
2 830
2 130
l 500
4 720
5 100
davon sind:
Polynukleäre (N) .
56,6 pCt. (1590)
37,0pCt. ( 790)
34,5 pCt. (520)
43,5 pCt. (2060)
5Ö,3pCt. (2560)
* (E) .
0 ,
1,5 „ ( 30)
0 „
0 „
0,5 „ ( 30)
Mastzellen ....
0 „
0 *
0 „
0 *
0 „
Splenozyten . . .
3,5 „ ( 100)
3,8 „ ( 80)
10,0 „ (150)
7,4 „ ( 350)
9,3 „ ( 480)
Plasmazellen . . .
2,3 „ ( 70)
1,5 „ ( 30)
0 „
0,7 „ ( 30)
0 „
Lymphozyten . . .
37,6 „ (1070)
56,2 „ (1200)
55,5 „ (830)
48,4 , (2280)
39,8 „ (2030)
Aus Blutbefunden und Temperaturkurve ersieht man, wie dieser
Fall nach der einmaligen Verabfolgung von 100 Millionen Keimen intra¬
venös typisch ausheilte.
Fall 4. Patient A. Us. gibt bei seiner Aufnahme am 21. 2. an, dass er schon
seit einigen Wochen krank sei und fiebere. Diazo negativ, Ficker bis 200fach komplett
positiv. Erbsenpüreeartige Stühle täglich mehrmals; Milztumor. (Kurve 4.)
Blutbefunde.
Am 26. 2.
Am 27. 2.
Am 27. 2.
Am 27. 2.
Am 27. 2.
(am Tage vor
der Injektion)
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
(am Ende des
Schüttelfrostes) 1
1 1
(5 Stunden nach 1
, der Injektion) |
(9 Stunden nach
der Injektion)
Am 28. 2.
Leukozyten .
davon sind:
Polynukleäre (
(
Mastzellen .
Splenozyten .
Plasmazellen
Lymphozyten
(N) 55,3pCt. (5080) 35,7pCt. (1640) 7G,5pCt. (1 960),83,7pCt. (5110)189,6pCt. (7080)164,6pCt. (3820)
( 50) 4,4
( 50) 0,7
(1120) 7,4
( 70) 0
(2780) 51,8
( 200)1 5,0
( 30), 0,6
( 330) j 4,4
(2 300)|13,5
( 130), 1,0
( 20 ), 0,2
( 120) 4,8
I 0,8
( 350)' 9,5
( 70V 0,1
( 20); 0
( 300)1 4,2
( 50) 1 0
( 580)| 6,1
( 20 ) 2.2
1,1
( 300) 7,6
0
( 480) 24,5
(1450)
Zeitschr f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 11 . 6.
Digitized b'
v Google
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
4 68
GOTTFRIED HOLLER
Kurve 4.
Auch dieser Fall heilt prompt aus. Jch mache hier auf das Ver¬
halten der Eosinophilen nach der Vakzineinjektion aufmerksam. Dass
die Eosinophilen schon vor der Injektion vorhanden sind, steht mit dem
leichten, mehr lenteszierendcn Verlauf dieses Typhus im Einklang. Un¬
mittelbar nach der Injektion, zu Beginn des Schüttelfrostes, steigt ihre
Zahl an, von da an nimmt sie langsam wieder ab. Tags darauf sind
wieder ziemlich reichlich Eosinophile vorhanden. Auf dieses Verhalten
der Eosinophilen habe ich schon in meiner ersten Arbeit bei einem Falle
hingewiesen, dem ich zu prophylaktischen Zwecken eine intravenöse
Vakzineinjektion verabfolgte.
Fall 5 . Patient A. Cz. wurde in schwer benommenem Zustand und kontinuierlich
hoch fiebernd in unsere Station eingebracht. Diazo stark positiv, Roseolen, Erbsen¬
püreestühle, Milztumor. Ausserdem besteht bei dem Patienten eine nicht sehr schwere
Kurve 5.
Original ffom J
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
469
Bronchitis. Durch eine einmalige Subkutaninjektion von 100 Millionen Keimen Vincent
drücke ich die Temperatur auf 38,2 herab und schliesse dann sofort eine intravenöse
Injektion von derselben Dosis an. Die Reaktion ist eine ziemlich heftige, da aber
trotzdem am nächsten Tag, morgens, die Temperatur noch hoch steht, verabfolge ich
nochmals 100 Millionen subkutan; darauf rascher Temperaturabfall und endgültige
Entfieberung. Die Blutbefunde sind typisch. (Kurve 5.)
Blutbefunde.
Am 21. 2.
(am Tage vor
der Injektion)
Am 22. 2.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
! Am 22. 2.
1 (nach Beendi¬
gung des
Schüttelfrostes)
Am 24. 2.
Leukozyten . . .
davon sind:
6150
6 100
2170
•
12 500
Polynukleäre (N)
58,3 pCt. (3560)
43,4 pCt. (2680)
29,4 pCt. ( 530)
47,4 pCt. (5920)
* (e;
0 ,
0 „
0 ,
0,3 „ ( 40)
Mastzellen . . .
0,2 „ ( 20 )
0,2 „ ( 20 )
0 ,
0,1 * ( 10 ;
Splenozyten. . .
9,4 „ ( 580)
4,3 „ ( 270)
3,8 „ ( 80)
13,8 „ (1730)
Plasmazellen . .
1,8 „ ( 120 )
1,6 „ ( 100 )
50,5 r (3030)
0,7 „ ( 130)
0,4 „ ( 50)
Lymphozyten . .
30,3 „ (1870)|
66,1 „ (1430)
38,0 „ (4750)
Fall 6. Patient J. H. lag schon längere Zeit mit einer leichten Verletzung, die
rasch ausheilte, in unserer Station. Am 11. 2. beginnt er zu fiebern. Es ist ein deut¬
licher Milztumor aufgetreten; Diazo stark positiv, typische Stühle und Zunge. Auch
dieser leichte Fall (wie Blutbefund und Temperaturkurven zeigen) heilt auf die ein¬
malige Injektion von 100 Millionen Vincent intravenös prompt aus. (Kurve 6).
Blutbefunde.
Am 16. 2.
(am Tage vor
der Injektion)
Am 17. 2.
(kurz,vor der
Injektion)
Am 17. 2.
(Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 17. 2.
(unmittelb. nach
Beendigung des
Schüttelfrostes)
Leukozyten . . .
6 480
6 700
3 300
4 300
davon sind:
Polynukleäre (N)
47,2 pCt. (3060)
62,0 pCt. (4140)
66,3 pCt. (2190)
71,5pCt. (3050)
* (E)
2,0 * ( 130)
0,7 , ( 50)
1,0 „ ( 30)
0,3 „ ( 20)
Mastzellen . . .
0 *
0,4 „ ( 80)
0 „
1,5 , ( 70)
Splenozyten . . .
8,4 „ ( 150)
8,4 „ ( 570)
2,0 „ ( 70)
2,7 „ ( 120)
Plasmazellen . .
3,6 „ ( 230)
1.9 , ( 130)
1,0 „ ( 30)
0,3 „ ( 20)
Lymphozyten . .
38,8 „ (2510)|
26,6 „ (1780)
29,7 „ ( 980)
23,7 „ (1020)
Am 17. 2.
(3 Stunden nach
der Injektion)
Am 17.2.
(9 Stunden nach
der Injektion)
Am 18. 2.
i
Leukozyten . . .
davon sind;
5 850
22 100
;
! 5 850
Polynukleäre (N)
71,8pCt. (4190)
76,8 pCt. (16940)
58,9 pCt. (3430)
0,8 „ ( 50)
„ (E)
0,5 „ ( 30)
0,1 „ ( 30) j
Mastzellen . . .
0,5 „ ( 30)
0 -
0,2 . ( 20 )
Splenozyten. . .
5,1 „ ( 300)
8,1 „ ( 1800)
9,4 „ ( 550)
Plasmazellen . .
0,5 „ ( 30)
1,0 „ ( 230)
0,5 „ ( 30)
Lymphozyten . .
21,6 „ (1270)
14,0 „ ( 3100)
• 30,2 „ (1770)
31*
Digitized b'
Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
470
GOTTFRIED HOLLER,
Schon einige Tage nach der Injektion werden die erst flüssigen
Stühle fest und geht der Milztumor rasch zurück. Die Kopfschmerzen,
an denen Patient vor der Injektion schon mehrere Tage litt, steigern
sich unmittelbar nach der Injektion, sind aber am nächsten Tage voll
kommen verschwunden.
Das Verhalten der Eosinophilen ist wie in Fall 4.
_ Origin al fro m __ _
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Digitized by
Zur Vakzinethorapie des Typhus abdominalis.
471
Fall 7 . Patient A.Tr. wurde mir am 3. 3. als Typhuskranker vorgestellt. Deut-
licherMilztumor, kontinuierlich hohes Fieber, Benommenheit, Kopfschmerz, diarrhoische
Stühle. Es handelte sich hier um einen sehr schweren Fall, noch ganz am Beginn
der Erkrankung. Patient ist 23 Jahre alt, kräftig; Herz und Lunge finde ich nach ein¬
gehender Untersuchung gesund. Ich verabfolge dem Patienten am 4. 3. um 1 1 3 / 4 Uhr
mittags 250 Millionen Keime Besredka intravenös, und weiter am nächsten Tag, da
noch keine Entfieberung eingetreten ist, um ll 1 ^ Uhr 100 Millionen Vincent ebenfalls
intravenös. (Kurven 7 und 8 .)
Difitized fr,
Gougle
Original fro-m
UNIVERSITY OF MINNESOTA
3.1. 4. 250,000,000Keime Besrec/ka intravenös
Kurve 7.
5J. 000,000,000Heime Vincent intravenös
Kurve 8.
Blutbefunde nach 250 Millionen Besredka intravenös
^der 1 elTtion 01 ^' llUhr 48 Min. H Uhr 55 Min. 12 Uhr 5 Min. 12Uhr 15 Min. ' 12 Uhr 25 Min.
(eukozyten .. 6 680 | 8 100 7 530 9 860 10 100 4 370
davon sind:
'olynukleäre(N) 82,7pCt. (5520)j82,0pCt. (6640) 82,5pCt. (6320) 90,1 pCt. (8880) 82,0pCt. (8280) 64,0pCt. (2760)
/i?\ n a r\ n n n
(E)
lastzellen . . .
plenozyten . . .
[lasmazellen . •.
wmphozyten . .
( 370) 4,9
( 20 ) 0,8
( 770),12,3
0
0,4
( 400) 6,2
( 60) 0,8
(1000) 10,1
( 460) 1,6
( 60) 0,6
( 760) 7,7
( 160); 7,5
( 60) 1 0,6
( 760)| 9,9
0
0,3
( 760) 3,8
( 60) 0,3
(1000)31,6
( 30)
( 330)
( 30)
( 1220 )
472
GOTTFRIED HOLLER
Blutbefunde nach 250 Millionen Besredka intravenös (Fortsetzung):
12 Uhr 35 Min.
12 Uhr 45 Min.
12 Uhr 55 Min.
1 Uhr 5 Min.
lUhr 15 Min.
1 Uhr 25 Min.
Leukozyten . . .
davon sind:
Polvnukleäre (N)
(E)
Mastzellen . . .
Splenozytcn . .
Plasmazellon . .
Lymphozyten . .
2 000
2 770
54,3 pCt. (1080) 69,9 pCt. (1930)
0
0,8
8,3
0
41,6
( ' 20 )
( 70)
0
0,6
4,2
I 0
( 830)|25,3
( 20) j
( 120)
0,8
6,1
1,7
( 700)128,9
1900
62,5 pCt. (1180)
0 *
( 20 )
2 370
3 030
69,8pCt. (1650),75,4pCt. (2270)
0
0,7
(
( 120): 9,1 „ ( 220)
0,1
20)1 0,4
( 30) 0
( 550)20,4
5,5
( 480)| 17,5
10 )
20 )
170)
30)
3 430
81,2 pCt. (2 780:
0,1
0,9
4,3
0,9
( 530)42,6
10
( SO
( 150
( so;
( 430
1 Uhr 45 Min. ' 2 Uhr 5 Min.
! !
2 Uhr 25 Min. i)
1
2 Uhr 45 Min. 1 )
i
6 Ubr ! 5. 3. 11 Uhr
Leukozyten . . .
davon sind:
Polynukleäre (N)
» (E)
Mastzellen . . .
Splenozytcn . .
Plasmazellen . .
Lymphozyten . .
3 330
69,9 pCt. (2320)
0,1 * ( 10)
0 *
12,0 „ ( 400)
0,5 * i 20)
17,5 „ ( 580)
2 D50 3 280
j 1
78,0pCt. (2280)178,2pCt. (2560)!
0,1 „ ( 10)! 0,1 „ ( 10)
0 „ | 0 .
9,0 „ ( 270) 10,6 „ ( 350)
0,5 „ ( 20) 1,0 „ ( 30)1
12,4 . ( 370);i0,l „ ( 330)!
:
4 100 ! 10 300 8 320
82,1 pCt. (3350 )!s 3,6pCt. (8580) 62,2pCt. (5170
0,1 , ( 10), 0,1 „ ( 20) 0 „
0,4 „ ( 20) 0,8 „ ( 80) 0,2 „ ( 20
9,7 „ ( 400)110,1 „ (10501 14,8 , (1230
0,4 „ ( 20) 1 0,1 „ ( 20) 1,0 . ( 80
7,3 . ( 300) 5,3 „ ( 550)21,8 „ (1820
Blutbefunde nach 100 Millionen Vincent intravenös:
Am 5. 3. 1
11 Ubr 15 Min. |
11 Uhr 25 Min.
1 1 Uhr 35 Min.
■ i
11 Uhr 45 Hin.
11 Uhr 55Min. 1 )
12 Uhr 5 Min.
Leukozyten . . .
davon sind:
Polvnukleäre (N)
(E)
Mastzellen . . .
Splenozyten. . .
Plasmazellen . .
Lymphozyten . .
5 750 !
73,3 pCt. (4200)
0 » i
0,2 „ ( 20 )j
6.3 „ ( 370) 1
1.4 , ( 80)'
18,8 „ (1080),
4 070
70,2 pCt. (2860),
0 -
0,4 „ ( 20)1
4,5 „ ( 180)
0,8 , ( 30) !
,24,1 „ ( 980)|
7 450
61,5pCl. (4580)
0 „
0,6 „ ( 50)
3,3 , ( 250)
0,4 , ( 20)
34,2 „ (2550)
3 270
24,6 pCt. ( 900)
0 . n
0,5 „ ( 20)!
7,6 „ ( 150)
2,0 , ( 70)
65,3 „ (2130)
1330
ll, 8 pCt. ( 160)
0 „
0,8 . ( 10 )
9,1 „ ( 120 )
2,5 „ ( 30)
75,8 * (1010)
8150
5,9pCt. ( 47t
ö ,
0,4 „ ( 3i.
4,0 „ ( 33«
0,2 „ ( -(
89,5 „ (730(
12 Uhr 15 Min.
12 Uhr 25 Min.
12 Uhr 45 Min. 1 )
1 Uhr 5 Min. 1 )
i
2 Uhr 5 Min.
6 Uhr 1 )
Leukozyten . . .
davon sind:
Polvnukleäre (N)
(E)
Mastzcllen. . . .
Splenozyten . . .
Plasmazellen . .
Lymphozyten . .
920
16,9pCt. fl60)
1,2 „ ( 10 )
0 „
2,4 „ ( 20)
0 ,
79,5 . (730)
1 290
, 8,9 pCt. ( 130)
1 0,8 r ( 10 )
9,5 „ ( 120)
0 „
80,8 „ (1030)
1 000
, 11,2pCt. (120)
! o „
I U „ ( 10 )
11,1 * ( 110 )
; 1,1 „ ( 10 )
75.5 „ (750)
3 070
19,8pCt. ( 610)
1,0 „ ( 30)
0,5 . ( 20)
15,7 „ ( 480)
0 *
63,0 „ (1930)
j 4 350
35,8 pCt. (1530)
0,4 . ( 30)
0,3 „ ( 20)
14,1 „ ( 620)
0 „
49,4 „ (2150)
8 700
74,7pCt. (647«
0,3 r ( 3(
0,1 , ( 2(
4,7 „ ( 42«
0,3 „ ( 3«
19.9 „ (173«
1) Hier wurden im Blute auch Erythroblasten gefunden.
DigitizeoTjy
€kr-gte
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
473
Auf die Bcsredka-Jnjektion hin trat eine nicht sehr starke sonst
normale Reaktion auf (nach 35 Minuten setzt Schüttelfrost ein, der
17 Minuten dauert; die Temperatur steigt bis 40,6° an). Die Temperatur
bleibt den ganzen Tag hoch, auch am nächsten Vormittag nur ein ge¬
ringer Abfall.
Die Blutbefunde nach der Injektion verlaufen typisch, doch ist die
Reaktion des lymphatischen Systems keine sehr ausgiebige; ein Befund,
wie ich ihn öfters bei minder gelungener Therapie und bei Gesunden
konstatieren konnte, denen ich zu prophylaktischen Zwecken eine
Vakzineinjektion gemacht hatte. Auch die Eosinophilen, die wie ge¬
wöhnlich bald nach der Injektion auftreten, fehlen am nächsten Tage
Digitized by Go gle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
474
GOTTFRIED HOLLER,
Digitized by
wieder. Ueberhaupt repräsentiert der Blutbefund, am Morgen des 5. 3.
nicht das Rekonvaleszenzstadium nach einem Typhus.
Da ich schon in den nächsten Tagen meiner Versetzung aus der Station
Folge leisten muss, ist es daher mein Bestreben, den Fall rasch zur Ent¬
fieberung zu bringen, daher sehe ich mich veranlasst, nach dieser jeden¬
falls zu geringen Dosis Besredka nochmals 100 Millionen Vincent nach-
folgcn zu lassen, da mir über dieses Mittel auch grössere Erfahrungen zustehen.
Es tritt jetzt der Schüttelfrost in mässiger Heftigkeit schon nach
13 Minuten auf und dauert 24 Minuten. Bis l 1 ^ Stunden nach der
Injektion verläuft alles normal, dann treten plötzlich bedrohliche Er¬
scheinungen auf. Der Patient wird ganz rot (Gefässkollaps), Angstgefühl
tritt auf, Atembesch werden, der Puls an der Radialis ist kaum fühlbar.
Im Gegensatz dazu tastet man an der Temporalis sehr heftiges Pulsieren
und auch das Herz arbeitet kräftig. Heftige Tachykardie. Nasenbluten,
das sich rasch stillen lässt. Grosse Dosen Kampfer und Koffein bessern
den Zustand und als ich um 9 Uhr abends den Patienten nochmals be¬
suche, sieht es nicht mehr bedrohlich aus. Wie mir gesagt wurde, ver¬
brachte Patient auch die Nacht bis 4 Uhr früh ruhig, grösstenteils
schlafend. Das Sensoriura war auch zur Zeit der schweren Erscheinungen
vollständig frei. Ab 4 Uhr früh wurde Patient wieder ängstlich und
gegen 7 Uhr traten unvermittelt die schon Tags zuvor dagewesenen
Herz-Lungeerscheinungen mit grösserer Heftigkeit nochmals auf. Blu¬
tungen blieben aus. In einem Anfall von Herzschwäche trat trotz aller
unserer Bemühungen der Tod ein.
Trotzdem ich diesen Todesfall schwer empfinde, fühle ich mich
dennoch verpflichtet, gerade darüber ausführlich zu berichten. Die dem¬
nach lebensgefährlichen Nebenerscheinungen nach Vakzineinjektion drücken
nach dem heutigen Stande der Vakzinetherapie ihren Wert für eine all¬
gemeine Anwendung vorderhand noch sehr herab. Denn selbst in der
Hand des Erfahrenen bedeutet eine intravenöse Vakzineinjektion für den
Kranken das, was wir uns bei Anstellung z. B. einer Appendixoperation
sagen müssen, deren Ausgang in vielen Fällen ja auch ungewiss ist.
Weiter mache ich auf die Aehnlichkeit des Blutbildes um 12 Uhr
5 Minuten (50 Minuten nach Verabfolgung der Vakzineinjektion) mit
jenem bei einer akuten Leukämie aufmerksam; auch hier waren grosse
jugendliche Formen unter den Lymphozyten vertreten. Ich habe auf
diesen Befund schon einmal in einer ähnlichen Arbeit hingewiesen, doch
wird es notwendig sein, auch bei Fällen von akuter Leukämie Unter¬
suchungen in dieser Richtung anzustellen. Leider stehen mir derartige
Fälle nicht zur Verfügung.
Nicht zu übersehen ist auch das Verhalten der Splenozyten, die wie
fast durchweg nach Typhus-Vakzinebehandlung mit den polynukleären
Formen gehen; eine Abnahme der ersteren geht gleichzeitig mit einer
Abnahme der letzteren und ebenso ist die Zunahme beiden Zellarten ge-
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
475
meinsam. Mögen daher nach der Ansicht mancher Forscher die grossen
Mononukleären und Gelapptkernigen anatomisch näher den Lymphozyten
stehen, so beweist doch ihr funktionelles Verhalten hier in diesem Falle
ihre nähere Verwandtschaft zu Zellen des myeloiden Systems.
Die Reaktion im Blute auf die Aethervakzineinjektion hin, ist eine
sehr intensive. Während ich früher nach Besredka auf das Ausbleiben einer
absoluten Lymphozytose aufmerksam gemacht hatte, findet man hier
eine solche von 7300 Lymphozyten im Kubikzentimeter Blut bei einer
Gesamtleukozytenzahl von 8150 Zellen. Auch die sich anschliessende
Leukopenie von nur 920 Zellen schon 10 Minuten später, spricht für
die Stärke der Reaktion. Die Vorbedingungen zu einer Beendigung des
Typhus waren, wie nach meinen Erfahrungen in anderen Fällen zu
schliessen, wohl gegeben, doch wurde der Patient durch die zu heftigen
Nebenerscheinungen getötet.
Ich möchte hier auch anfügen, dass ich diesmal ganz frisch bereitete
Vakzine, die ich zuvor noch nicht ausprobiert hatte, anwandte, worauf
ich noch später zu sprechen kommen werde.
Die Temperaturkurve verlief typisch, wie ich es bisher in meinen
best gelungenen Fällen zu sehen gewohnt war. Jedenfalls erfolgte der
Exitus knapp vor, vielleicht sogar am Beginn der Entfieberung.
Fall 8. Patient J. K. wurde uns am 19. 1. mit einem schweren Typhus
und sehr heftiger Bronchitis eingebraoht. Diazo stark positiv; kontinuierliches
Fieber; Ficker-Agglutination bis 200fach; Roseolen und Milztumor. Typische Stühle.
Blutbefunde.
Am 20. 2.
Am 22. 2.
Ara 25. 2.
(am Tage vor
der Injektion)
Am 26. 2.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
Leukozyten . . .
5 200
5 230
5 180
4 480
davon sind:
Polynukleäre (N)
54,6 pCt. (2830)
62,3'pCt. (3250)
43,2 pCt. (2230)
34,4pCt. (1560)
„ (E)
0 „
0 »
0 .
0,3 , ( 20)
Mastzellen . . .
0 „
0,3 „ ( 20)
0 *
0 „
Splenozytcn. . .
5,1 „ ( 270)
5,7 , ( 300)
7,0 „ ( 370)
10,4 „ ( 470)
Plasmazellen . .
1,6 „ ( 80)
1.5 „ ( 80)
0 .
2,9 , ( 130)
Lymphozyten . .
38,7 „ (2020)
30,2 „ (1580)
49,8 „ (2580)
52,0 „ (2300)
Am 26. 2.
(am Ende des
Schüttelfrostes)
Am 26. 2.
( 2*/2 Std. nach
der lojektion)
Am 26. 2.
(7 Stunden nach
der Injektion)
Leukozyten . . .
davon sind:
1 180
2 030
3 100
Polynukleäre (N)
ll,4pCt. ( 140)
65,7 pCt. (1340)
70,5 pCt. (2190)
* (E)
0 „
0 „
0 „
Mastzellen . . .
0,9 „ ( 10 )
0 ,
0,3 „ ( 10)
Splenozyten. . .
0,9 „ ( 10 )
7,6 „ ( 150)
11,4 „ ( 350)
Plasmazellen . .
0 *
1,6 „ ( 30)
0.3 „ ( 10)
Lymphozyten . .
86,8 „ ( 1020 )
25,1 „ (510)
17,5 1 ( 540)
Digitized by Gck igle
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
476
GOTTFRIED HOLLER,
Eine intravenöse Injektion von 100 Millionen Besredka verlief reaktionslos. Ich schlage
daraufhin wegen der heftigen Bronchitis eine Subkutankur in der gewohnten Weise
ein. Erst mit Besredka, nachdem dieses, wie ich jetzt weiss, jedenfalls wegen zu ge¬
ringer Dosen weniger gut wirkte, mit Vincent; schliesslich folgte nach Besserung der
Bronchitis eine intravenöse Injektion, die die Krankheit beendete. (Kurve 10.)
Fall 9 . Patient M. Skv. erkrankt am 21.2. mit Fieber, Kopfschmerzen und
erbsenpüreeartigen Stühlen. Diazo stark positiv, Ficker negativ, Intrakutanprobe
positiv, Milztumor.
□ igitized by Google
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
477
Der Patient erhält am 24. 2. um 1 Uhr 30 Min. mittags 100 Millionen Keime
Vincent intravenös. Darauf nur geringe Reaktion. Auch das Blutbild verspricht keinen
guten Erfolg. Tatsächlich gelingt es nicht, den Fall zu entfiebern. Ich schlage daher
wieder eine Subkutankur vor und beende die Krankheit schliesslich durch eine zweite
intravenöse Injektion. Nach dieser Injektion sind die Nebenerscheinungen ebenfalls
sehr geringe, trotzdem tritt aber Entfieberung ein und das Blutbild am nächsten Tage
spricht für das Rekonvaleszenzstadium des Typhus. (Kurve 11.)
Blutbefunde.
Am 24. 2.
(vor der Injek¬
tion)
Am 24. 2. !
(za Beginn eines
nur leichten
Fröstelns, 1 Stande
nach der Injektion)
Am 24. 2.
(2 Stunden nach
der Injektion)
Am 24. 2.
(4 Stunden nach
der Injektion)
Leukozyten . . .
12 300
1 970
5 880
18 030
davon sind:
Polynukleäre (N)
79,5 pCt. ( 790)
39,7 pCt. ( 770)
76,4 pCt. (4470)
80,8 pCt. (16180)
* (E)
0 n
0 „
0 „
0 *
Mastzellen . . .
0,1 „ ( 20)
0 *
0,2 „ ( 20)
0,1 „ ( 30)
Splenozyten. . .
7,7 „ ( 930)
5,0 „ ( 100)
10,2 „ ( 600)
4,2 „ ( 760)
Plasmazellen . .
1,9 „ ( ‘230)
1,6 „ ( 30)
0,2 „ ( 20)
M * ( 200)
Lymphozyten . .
10,8 „ (1 330)!
53,7 „ (1070)
13,0 „ ( 770)
4,8 „ ( 860)
Am 25. 2.
Am 2. 3.
(2 Std. nach der
II. intravenösen
Injektion)
1
Am 3. 3.
Leukozyten . . .
13 130
15 160
14 230
davon sind:
Polynukleäre (N)
80,9pCt. (10620)
89,5 pCt. (13560)
56,8 pCt. (8210)
(E)
0,2 „ ( 20)
0,1 „ ( 10)
0,9 „ (130)
Mastzellen. . . .
0 „
0,2 „ ( 30)
U , ( 160)
Splenozyten. . .
4,8 „ ( 630)
3,7 „ ( 560)
9,1 „ (1300)
Plasmazellen . .
1,5 „ ( 200)
0 .
0,2 „ ( 30)
Lymphozyten . .
12,6 „ ( 1660)
6,5 „ (1000)
31,9 „ (4400)
□ igitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
478
GOTTFRIED HOLLER,
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Fall io. Patient B. Kr. wird mit Typhus eingebracht. Am 21.2. hohes Fieber,
Milztumor, diarrhoische Stühle, Diazo positiv, ziemlich heftige Lungenerocheinungen.
Wegen der Bronchitis behandle ich erst subkutan und erst nach Abklingen der¬
selben verabfolge ich Vakzine intravenös. Es kommt bald zur Entfieberung.
Nach einigen Tagen steigt die Temperatur wieder vorübergehend an. Es sind
dies leichte Rezidive, wie ich sie in der Rekonvaleszenz nach Vakzineheilung häufig
beobachten konnte, besonders anfangs, wo ich keine Tierkohle gab. Nicht selten
kommt es dabei plötzlich zu einem ganz bedeutenden Temperaturanstieg, der
ebenso rasch wieder abfallt und am nächsten Tage ist die Temperatur wieder
normal. Fast immer ist die Ursache ein Diätfehler. Ich kann nicht genug warnen,
die Diät noch lange über die Entfieberung hinaus auf das Strengste zu überwachen.
(Kurve 12.)
Blutbefunde.
Am 27. 2.
(vor der Injek¬
tion)
Am 27. 2.
(10 Min. nach
Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 27. 2.
(5 Min. nach
Beendigung des
Schüttelfrostes)
Ara 27. 2.
(3 Stunden nach
der Injektion)
Leukozyten . . .
6 150
8 730
2 770
5 370
davon sind:
Polynukleäre (N)
54,1 pCt. (3320)
44,9 pCt. (3890)
48,9 pCt. (1 360)
75,2 pCt. (4040)
„ (E)
0 „
0.1 „ ( 20 )
0 ,
0 .
Mastzellen . . .
0,2 „ ( 20 )
o -
0 „
0 .
Splcnozyten. . .
9,4 , ( 580)
7,8 „ ( 680)
6,6 , ( 180)
6,5 , ( 350)
Plasmazellen . .
0 ,
0,1 , ( 20 )
0 ,
0 ,
Lymphozyten . .
36,3 „ (2230)
47,1 „ (4120)
1
44,5 „ (1230)
18,3 „ ( 980)
Am 27. 2.
(8 Stunden nach
der Injektion)
|
Ara 28. 2.
Am 4. 3.
!
Leukozyten . . .
3 920
!
5 020
!
8 130
davon sind:
Polynukleäre (N)
73,3 pCt. (2 870)
6,0 pCt. (2810)
55,lpCt. (4460)
» (E)
0 „
0,1 „ ( 10)
0,1 , ( 10)
Mastzellen . . .
0 .
0,3 „ ( 20)
0,2 „ ( 20)
Splenozyten . . .
7,2 „ ( 280)
7,8 „ ( 380)
10,0 „ ( 820)
Plasmazellcn . .
0 „
0,3 „ ( 20)
0,2 „ ( 20)
Lymphozyten . .
19,5 , ( 770)
35,5 „ (1780)
34,4 „ (2800)
Fall 11. Patient F. Gl. wurde am 21. 2. in fieberndem Zustande eingebracht,
war ausserdem schwer benommen. Diazo stark positiv, Milztumor, Zunge typisch,
Roseolen. Ausserdem sehr heftige Bronchitis. Patient erhält am 25. 2. eine intra¬
venöse Injektion von 100 Millionen Vincent. Diese Injektion bleibt ohne jede
Reaktion. Es tritt überhaupt kein Schüttelfrost auf; die Temperatur steigt kaum
an; der Blutbefund ändert sich fast nicht. Nach einer Stunde ein leichter
Schweissausbruch. Eine neuerliche intravenöse Injektion in derselben Dosis zwei
Tage später, wo sich die Bronchitis gebessert hat, bringt typische Entfieberung.
(Kurve 13.)
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
479
== ±E
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Kurve 13.
480 GOTTFRIED HOLLER,
Blutbefunde.
Am 25. 2.
(vor der Injek¬
tion)
Am 25. 2.
(1 Std. nach d Injek¬
tion ohne Schüttel¬
frost bei starkem
Sohweissausbruch)
Am 25. 2.
(2 Stunden nach
der Injektion) |
| Am 27. 2.
(vor der
1 II. intravenösen
Injektion)
Am 27. 2.
(zu Beginn des
1 Schüttelfrostes)
Leukozyten . . .
davon sind:
Polynukleäre (N)
* (E)
Mastzellen . . .
Splenozyten. . .
Plasmazellen . .
Lymphozyten . .
3 130
49,5 pCt. (1420)
0 ,
0 „
12,2 „ ( 380)
0,5 „ ( 30)
41,4 „ (1300)
3 600 j 3 630
49,2pCt. (1780) !52,9 „ (1 900)
0 „ i 0 „
0,9 „ ( 30) 0 „
10,6 „ ( 380) 5,0 , ( 180)
0,9 „ ( 30) 1 0,4 „ ( 30)
38,4 „ (1380) ,41,7 „ (1520)
3 700
68,1 pCt. (2520)
0 *
0 »
3,6 „ (130)
0 „
28,3 „ (1050)
9 060
,47,1 pCt. (4060)
0,1 „ ( 10)
0,3 . ( 30)
14,7 „ (1330)
0,3 „ ( 30)
37,5 „ (3600)
Am 27. 2.
(5 Min. nach
Beendigung des
Schüttelfrostes'!
Am 27. 2.
(3 Stunden nach
der Injektion)
Am 27. 2.
(8 Stunden nach
der Injektion)
Am 28. 2.
Leukozyten . . .
6 350
4 S80
4 850
4 630
davon sind:
Polynukleäre (N)
81,2 pCt. (5150)
58,5 pCt. (2840)
71,5pCt. (3460)
57,6 pCt. (2650)
* (E)
0 *
0,1 „ ( 10 )
0 „
0,1 „ ( 10 )
Mastzellen . . .
0 „
0 ,
0 „
0 .
Splenozyten . . .
1,0 „ ( 70) j
8
—r
*
GO
9,6 „ ( 470)
7,8 „ ( 370)
Plasmazellen . .
0 „
0,6 , ( 30)
0 „
1,4 „ ( 70)
Lymphozyten . .
17,8 „ (1130) j
32,7 „ (1600)
18,9 „ ( 920)
33,1 . (1530)
Auch die Blutbefunde zeigen die gelungene Therapie.
Fall 12. Patient M. ist an Typhus mit ziemlich heftiger Bronchitis erkrankt.
Diazo positiv, Ficker bis 200facher Verdünnung komplett positiv, kontinuierliches
Fieber, Milztumor, Benommenheit. Wegen der Bronchitis lasse ich erst subkutan be¬
handeln, dann eine intravenöse Injektion in der gewöhnlichen Dosis von 100 Millionen
Keimen Vincent geben. Daraufhin erfolgt Heilung. (Kurve 14.)
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
Blutbefunde.
481
Am 25. 2.
(am Tage vor
der Injektion) ,
Am 26. 2.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 26. 2.
(am Ende des
Schüttelfrostes)
Am 26. 2.
(2 Stunden nach
der Injektion)
Am 26. 2.
(6 Stunden nach
der Injektion)
1
1 Am 27. 2.
I
1
Leukozyten . . .
10 220
5 900
3 820
3 520
6 800
5 620
davon sind:
Polynukleäre (N)
51,9 pCt. (5290)
52,8 pCt. (3 100)
46,7 pCt. (1770)
63,2 pCt. (2210)
74,0 pCt. (5020)
I
58,3pCt. (3300)
» (E)
0 „
0,2 „ ( 20)
0 „
0 „
0 ,
0,1
„ ( 10)
Mastzellen . . .
0 ,
0 ,
0 „
0 ,
0,7 „ ( 50)
0.5
. ( 30)
Splenozyten. . .
6,6 „ ( 680)
3,9 , ( 230)
0,4 „ ( 20)
2.3 „ ( 80)
8,0 „ ( 550)
5,9
. ( 300)
Plasmazellen . .
1,4 „ (150)
1,6 „ ( 100)
U * ( 50)
2.3 „ ( 80)
0,7 „ ( 50)
0,5
. ( 30)
Lymphozyten . .
40,1 „ (4100)
41,5 „ (2450)
51,6 „ (1980)
32,2 „ (1150)
16,6 , (1130)
34,7
„ (1950)
Fall 13 . Patient R. Ei. Ein Fall, bei dem der Typhus schon seit einigen Wochen
bestanden zu haben scheint. Am 20. 2. grosser Milztumor, diarrhoische Stühle, leichte
Benommenheit, Zunge typisch, Ficker bis 200facher Verdünnung komplett positiv.
Durch eine intravenöse Injektion gelingt die Entfieberung, unmittelbar nachher sehen
wir wieder einige ziemlich hohe Zacken, die durch Subkutaninjektionen weiter günstig
beeinflusst werden. Wie mir erzählt wird, hat der ungeduldige Patient sich heimlich
Esswaren verschafft. Sie sehen daraus, wie wichtig eine strenge Diät ist. (Kurve 15.)
Blutbefunde.
Am 26. 2.
(am Tage vor
der Injektion)
1
Am 27. 2.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
! Am 27. 2.i) j
(nach Be¬
endigung des
Schüttelfrostes)
Am 27. 2.
(2 Stunden nach
der Injektion)
Am 27. 2.
(6 Sutnden nach
der Injektion)
28. 2 .
Leukozyten . . .
6 180
4 270
1 670
2 820
7 000
9 270
davon sind:
Polynukleäre (N)
50,9 pCt. (3120)
3G,2pCt. (1600)
35,2 pCt. ( 720)
79,5 pCt. (2240)
80,1 pCt. (5590)
35,8pCt. (3300)
* (E)
0,2 „ ( 20 )
0 „
0 „
0 „
0 „
0,1
. ( 10 )
Mastzellen . . .
0 „
1,1 . (
50)
0 „
1,1 „ ( 30)
0.2 „ ( 20 )
0,3
. ( 30)
Splenozyten. . .
16,4 „ (1020)
7,8 „ ( 300)
0 „
0 „
10,9 , ( 770)
22,6
. ( 2100 )
Plasmazellen . .
10 „ ( 70)
0,3 „ (
20 )
0 „
0,5 „ < 20)
0 .
0,1
. ( 10 )
Lymphozyten . .
31,5 „ (1950)
54,6 „ (2300)|
64,7 „ ( 950)
18,9 „ ( 530)
8,8 „ ( 620)
41,1
. (3820)
1) Auffallend ist hier, dass mit dem starken Zurückgehen der polynukleären
Leukozyten gleichzeitig die Splenozyten vollständig aus dem Blute verschwunden sind.
Fall 14 - Patient V. S., aufgenommen am20.2.: kontinuierlich fiebernd; Milztumor,
Diazo stark positiv. Erbsenpüreestühle, mittelstarke bronchitische Erscheinungen. Eine
intravenöse Injektion von 100 Millionen Keimen bringt keine sofortige Entfieberung,
dieselbe wird aber durch zwei anschliessende Subkutaninjektionen in den nächsten Tagen
erreicht. (Kurve 16.) _ , ,, ,
Blutbefunde.
Am 23, 2.
(unmittelbar vor
der Injektion)
Ara 23. 2.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 23. 2.
(nach Be¬
endigung des
Schüttelfrostes)
Am 24. 2.
1
Am 25. 2.
Leukozyten . . .
davon sind:
Polynukleäre (N)
„ (E)
Mastzellen . . .
Splenozyten. . .
Plasmazellen . .
Lymphozyten . .
9 950
72.4 pCt. (7180)
0,1 „ ( 20)
0,1 „ ( 20)
7.7 „ ( 770)
0,8 * ( 30)
19.4 „ (1930)
5 680
77,2pCt. (4 360)
0,2 „ ( 20)
0,2 „ ( 20)
4,1 , ( 230)
0,5 „ ( 30)
17,8 „ (1020)
4 720
71,3pCt. (3350)
0,3 „ ( 20)
0,3 „ ( 20)
3,8 „ ( 180)
1,0 „ ( 50)
23,3 „ (1100)
8 250
55,9 pCt. (4630)
0,4 „ ( 30)
0,4 „ ( 30)
11,3 „ ( 930)
1.2 „ ( 100)
130,8 „ (2530)
10 250
66,4 pCt. (6790)
0,3 „ ( 30)
0,4 B ( 40)
7,6 „ ( 780)
0 „
i25,3 * (2600)
Auch die Blutbefunde nach der intravenösen Injektion zeigen nur eine geringere Reaktion.
Digitized b'
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Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
Kurve IG.
482
GOTTFRIED HOLLER,
!»§»«!!!
Original fram. - -
UNIVERSITY OF MINNESOTA
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Vincent
'intrwen
Monats*
tag
Besredka so öl
Vincent suöcutan
Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 483
Fall 15. Patient J. K. Ein ziemlich schwerer Typhus mit Bronchitis. Am 19.2.
Diazo positiv, Ficker bis 200facher Verdünnung positiv, Milz perkutorisch deutlich
vergrössert, Zunge typisch, Erbsenpüreestühle. Eine intravenöse Injektion mit 100
Millionen Besredka ist von mittelstarker Reaktion gefolgt, Entfieberung tritt nicht ein.
Nur geringen Einfluss auf eine Besserung des Krankheitsprozesses bewirkt eine Sub¬
kutankur mit jedenfalls zu geringen Dosen Besredka; besser wirkt eine solche mit
dem Vincentschen Mittel. Zur Heilung bringt den Prozess erst eine neuerliche intra¬
venöse Injektion mit 100 Millionen Vincent und auch die erst vollständig mit Hilfe
etlicher nachfolgender Subkutaninjektionen. Sie sehen, wie hartnäckig ein mit Bron¬
chitis komplizierter Typhus die Vakzinetherapie erschwert. (Kurve 17.)
Am 20. 2. 1
(am Tage vor |
der Injektion) ,
Am 21. 2.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 21. 2.
(unmittelbar n.
Beendigung des
Schüttelfrostes) 1
Am 21. 2.
(5 Stunden nach
der Injektion)
Leukozyten . . .
7 430
19 130
7 870
8 930
davon sind:
Polynukleäre (N)
75,7 pCt. (5 630)
25,2 pCt. (4800)
32.1 pCt. (2520)
74,2 pCt. (6 600)
(E)
0 .
0 „
0 „
0 *
Mastzollen . . .
0 „
0 „
0 „
0,1 „ ( 20)
Splenozyten . . .
5,3 „ ( 400)
7,3 „ (1400)
3,6 „ ( 280)
7,2 „ ( 650)
Plasmazellen . .
0,6 „ ( 50)
2,0 „ ( 400)
0,8 „ ( 70)
0,3 „ ( 30)
Lymphozyten . .
18,1 „ (1350)
65,5 r (2530)
63,5 „ (5000)
18,2 „ (1630)
Difitized fr,
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF MINNESOTA
T 1 100 1 125\150\150 \17S\200\200\ : \100
"• Tjr Puls:-Temp:—
Kurve 1<.
Leukozyten . . .
5 230
davon sind:
Polynukleäre (N)
64,8pCt. (3380)
(E)
0 *
Mastzellen . . .
0 r
Splenozyten. . .
6,6 „ ( 350)
Plasmazellen . .
0 „
Lymphozyten . .
28,6 „ (1500)
Zeitselir. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 u. 6.
7 630 , 5 480
65.8 pCt. (5060) ■ 55.1 pCt. (3010)
0.1 „ ( 10) 0.6 „ ( 30)
0,4 „ ( 30) | 0 „
7,8 „ ( 600) { 8,‘2 „ ( 450)
0 „ 1,2 „ ( 70)
25.9 „ (1930) 34,9 „ (1920)
32
Am 2. 3.
(1 Std. nach der
II. intravenösen
Injektion)
484
GOTTFRIED HOLLER
Fall 16 . Patient J. Se. wurde in sehr schwerem Zustande eingebracht. Kon¬
tinuierliches Fieber, zwischen 39 und 40°, Milztumor, Erbsenpüreestühle, Diazo fort
positiv, Nasenbluten, Kopfschmerzen, starke Benommenheit. Ausserdem bestehen
schwere Lungenerscheinungen, bedingt durch eine sehr floride Tuberkulose. Trotzdem
versuche ich eine vorsichtige Subkutankur, um den Typhus abzuschwächen. Patient
erhält hintereinander 100, 125, 150, 175 und 200 Millionen Keime Vincent subkutan,
mit nur geringem Erfolg. Bei dieser letzten Dosis zwingt mich ausserdem eine
ziemlich heftige Hämoptoe, die Behandlung abzubrechen. Die Blutung steht auf eine
intravenöse Injektion von 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung prompt, doch der
Zustand des Patienten, der übrigens am Tage nach der letzten Injektion eine leichte
Besserung gezeigt hatte, verschlimmerte sich von da an und eine Woche später trat
der Exitus ein.
Anschliessend bringe ich drei Fälle, die wieder zeigen sollen, wie
hartnäckig sich mit Bronchitiden und Bronchopneumonien komplizierte
Fälle der Therapie widersetzen (Fall 17, 18, 19).
Fall 17. M. Pe. mit schwerer Bronchitis und Typhus eingebracht; erst Stuhl¬
verstopfung, dann täglich mehrmals erbsenpüreeartige Stühle, Milz anfangs nur per¬
kutorisch vergrössert, später deutlich palpabel. Diazo stark positiv, Zunge typisch.
Durch eine kombinierte subkutane ; und intravenöse Behandlungsweise gelingt
schliesslich die Heilung. (Kurve 18.)
Blutbefunde.
Am 26. 2.
1 Am 26. 2.
| Am 26. 2.
Am 26. 2.
I Am 26. 2.
(unmittelbar vor
1 (zu Beginn des
I (am Ende des
(2 Stunden nach
(5 Stunden nach
der Injektion)
Schüttelfrostes)
Schüttelfrostes)
der Injektion)
der Injektion)
Leukozyten . . .
6 420
!
1 8 080
i
4 830
i
4 280
i
6 750
davon sind:
Polynukleäre (N)
53,6 pCt. (3450)
I 57,4 p(’t. (4 630) i52,5pCt. (2 530)
72,7 pCt. (3090)
72,5 pCt. (4880)
, (E)
0 „
: 0 „
0 „
! 0,3 „ ( 20)
0 „
Mastzellen . . .
0 „
; 0 „
! 0 „
! o „
0 „
Splenozyten. . .
6,7 „ ( 420)
, 2,4 „ ( 200)
2,4 „ ( 120)1 4,2 „ ( 180)
8,6 „ ( 580)
Plasmazellon . .
1,8 „ ( 120)
37,9 „ (2430)
1 0,2 „ ( 20)
0 „
i 0,3 „ ( 20)
0,2 „ ( 20)
Lymphozyten . .
140,0 „ (3230)|45,1 „ (2180)22,5 „ ( 970)
,18,7 „ (1270)
Am 27. 2.
Am 3. 3.
(5 Min. nach
Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 3. 3.
(2 Stunden nach
!
Am 3. 3.
(8 Stunden nach
1
Am 4. 3.
der Injektion)
der Injektion)
Leukozyten . . .
7 250
6 950
4 920
i
4 400
6 350
davon sind:
Polynukleäre (N)
56,9 pCt. (4100) ,
44,8 pCt. (3100)
75,6 pCt. (3 700)
80,6 pCt. (3530)
52,6 pCt. (3330)
» (E)
0,1 , ( 10);
0,4 „ ( 30)
0,6 „ ( 30)
0 „
0 „
Mastzellen . . .
0,2 „ ( 20)1
0 „
0,3 „ ( 20)
0,3 „ ( 20)
0 *
Splenozyten . . .
6,4 „ ( 470)
1,6 „ ( 120)
2,3 „ (120)
4,1 „ ( 180)
12,5 „ ( 800)
Plasmazellen . .
0,4 „ ( 30)
0 „
0,6 „ ( 30)
0,3 „ ( 20)
0 «
Lymphozyten . .
36,0 „ (2 C20)
53.2 „ (3 700)
20,6 „ (1020)
14,7 „ ( 650)
34,9 * (2 220)
Fall 18. Patient J. B. Ein Fall kombiniert mit Bronchopneumonie; Milztumor;
Diazo deutlich positiv, Roseolen, schwere Benommenheit und Kopfschmerz. Dieser
Fall zeigt uns, wie man durch fortgesetzt hartnäckige Therapie sioh schliesslich doch
die Entfieberung erzwingen kann. (Kurve 19.)
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UNIVERSITY OF MINNESOTA
Zur Vakzinetlierapie dos Typhus abdominalis. 485
miBiilllii
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486 GOTTFRIED HOLLER,
Blutbefunde.
Am 25. 2.
Am 28. 2.
Am 3. 3.
(zu Beginn des
Schüttelfrostes)
Am 3. 3.
(2 Stunden nach
der Injektion)
Am 3. 3.
(3 Stunden nach
der Injektion)
1
! Am 4.
1
1
Leukozyten . . .
7 830
6 530
9 430
3 830
6 720
1 10130
davon sind:
Polynukleäre (N)
64,8 pCt. (5080)
65,8 pCt. (4280)
53,9 pCt. (5010)
66,2 pCt. (2530)
80,5 pCt. (5410)
54,9 pCt. (557
. (E)
0 „
0 *
0 „
0 -
0 »
0,1 , ( '
Mastzellen . . .
0 „
0,2 „ ( 20)
0 „ 1
0 „
0 „
0,6 . ( i>
Splenozytcn. . .
10,6 „ ( 830)
6,1 „ ( 400)
3,5 „ ( 330)1
3,9 „ (150)
6,4 „ ( 430)
9,2 „ ( 93
Plasmazellcn . .
0,8 „ ( 60)
0,7 „ ( 50)
0,3 „ ( 30)|
0,8 „ ( 30)
0 „ i
0 „
Lymphozyten . .
23,8 „ (1 860'l
27,2 „ (1780)42,3 „ (4060)|
29,1 „ (1120)
13,1 „ ( 880)|35,2 „ (3 56
Fall 19 . Patient St. Os., gleichfalls Bronchopneumonie und Typhus. Am 20.2.
Diazo stark positiv, Ficker positiv, deutlicher Milztumor, Roseolen, Kopfschmerz, zu
Beginn einmal Nasenbluten. Auch dieser Fall heilt durch fortgesetzte subkutane und
eine eingeschaltete intravenöse Injektion aus. (Kurve 20.)
Ich möchte aber hier darauf hinweisen, dass wie gewöhnlich so
auch hier durch die intravenöse Injektion die Bronchitis sich merklich
verschlechterte. Deshalb behandle ich fortan, solange schwere bronchi-
tische Erscheinungen bestehen, nur mehr subkutan in steigender Dosis
(täglich eine Injektion). Je nach dem Kräftezustand des Patienten be¬
ginne ich dabei mit 50, 100, seltener mit 200 Millionen Keimen des
Vincentschen Mittels.
Blutbefunde.
Am 25. 2.
I
1 Am 28. 2.
1
j Am 3. 3.
1 (V 2 Std. nach
j der Injektion)
Am 3. 3.
(5 Min. nach
Beginn des
Schüttelfrostes)
Leukozyten . . .
12 320
5 720 •
6 450
3 700
davon sind:
Polynukleäre (N)
68,8pCt (8450)
55,6 pCt. (3160)
71,1 pCt. (4570)
37,9 pCt. (1380)
„ (E)
0 „
■0,1 „ ( 10)
0,1 „ ( 10)
0,2 „ ( 10)
Mastzellen . . .
° ,
0,2 „ ( 20)
0,2 „ ( 20)
0,4 „ ( 20)
Splenozyten. . .
6,3 „ ( 780)
7,2 „ ( 420)
6,4 , ( 420 >
5,4 „ ( 200)
Plasmazellen . .
0,9 „ ( 120)
2,3 , (130)
0 .
0,4 „ ( 20)
Lymphozyten . .
**
O
3
/—N
Kl
<£>
— 1
O
34,6 „ (1980)
22,2 „ (1430),
55,7 „ (2070)
Am 3. 3.
(3 Stunden nach
der Injektion)
Am 3. 3.
(9 Stunden nach
der Injektion)
Am 4. 3.
Leukozyten . . .
4 500
6 150
■ 7 820
davon sind:
Polynukleäre fN)
87,5 pCt. (3 970)
78,6 pCt. (4 790)
58,8 pCt. (4590)
(E)
0 ,
0 „
0 ,
Mastzcllen . . .
0 . !
0,2 „ ( 20)
0,4 „ ( 30)
Splenozyten . . .
4,4 „ ( 200) |
7,4 „ ( 470)
5,9 „ ( 470)
Plasmazellen . .
0,7 „ ( 30) i
0,2 „ ( 20) ■
0,4 „ ( 30)
Lymphozyten . .
7,4 „ ( 300) !
13,6 „ ( 850) !
34,5 „ (2700)
Ich will noch den Erfolg der reinen subkutanen Behandlungsweise,
wie ich sie eben für mit Bronchitiden und Bronchopneumonien kompli¬
zierte Fälle vorgeschlagen habe, an elf Beispielen demonstrieren.
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
487
Fall 20. Patient J. wurde am 19. 2. in schworst benommenem Zustande mit
heftigen Lungenerscheinungen eingebracht. Nach einer Woche ist der Fall ausgeheilt.
(Kurve 21.)
Fall 21. Patient M. R. ebenfalls mit Bronchopneumonie kompliziert, zeigt gleich¬
falls die typische Ausheilung durch subkutane Aethervakzinebehandlung. (Kurve 22.)
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488
GOTTFRIED HOLLER,
Fall 22. Patient M. St. bekam ich in sehr geschwächtem Zustande, kontinuier¬
lich hoch fiebernd in meine Behandlung. Ausserdem bestanden heftige bronchitisehe
Erscheinungen, schwere Delirien und Herzschwäche. Obwohl dieser Patient der weiter
zunehmenden Herzschwäche erlag, möchte ich diesen Fall dennoch den Vakzine¬
erfolgen zuzählen. Die Temperaturkurve zeigt uns die unter dem Einfluss einer vor¬
sichtigen subkutanen Behandlungsmethode vor sich gehende Entfieberung. (Kurve 23.)
Kurve 23.
Fall 23 . Patient M. Sch. wurde in *sehr geschwächtem Zustande und hoch
fiebernd aufgenommen. Diazo stark positiv, grosser Milztumor, Ficker bis 200facher
Verdünnung positiv, Erbsenpüreestühle. Ausserdem besteht eine sehr heftige Broncho¬
pneumonie. Bei diesen Patienten gelingt es, trotz des hochgradigen Schwäche¬
zustandes den Typhus durch eine vorsichtige Subkutanbehandlung zu heilen. Es
macht mir den Eindruck, dass dieser Patient verloren gewesen wäre, wenn das Fieber
noch einige Tage länger angehaltcn hätte. Auch jetzt ist der Patient noch sehr ge¬
schwächt, blieb aber seitdem fieberfrei und hat bereits feste Stühle. Durch äusserste Vor¬
sicht in der Diät hotTe ich, dass es gelingen wird, ihn zu Kräften zu bringen. (Kurve24.)
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 489
Blutbefunde.
Am 25. 2.
Am 28. 2.
Am 1. 3.
Leukozyten.
21 400
6 970
37 530
davon sind:
Polynukleäre (N) . . .
70,6pCt. (15080)
65,9 pCt. (4580)
69,6 pCt. (26130)
* (E) . . .
0 „
0,1 „ ( 10) 1
0,1 , ( 10)
Mastzellen .
0 „
0.2 r ( 20)
0 „
Splenozvten.
11,9 „ ( 2 560)
4,7 „ ( 330)
16,1 „ ( 6060)
Plasmazellen.
0,7 „ ( 160)
0 „
0 „
Lymphozyten.
16,8 „ ( 3600)
29,1 , (2030)
| 14,2 „ ( 5330)
Fall 24. Patient A. Cr. kommt ebenfalls in schon stark geschwächtem Zustand
in unsere Behandlung. Ebenso wie bei dem vorhergegangenen Fall kompliziert nicht
allein eine Pneumonie, sondern auch die Herzschwäche die Behandlung. Wie die
Kurve 25 zeigt, gelang es mir auch in diesem Fall durch Subkutaninjektionen zu heilen.
Kurve 25.
Fall 25. Patient P.M. ist in der Schwere des Krankheitsbildes den beiden voraus¬
gehenden Fällen anzufügen. Auch hier haben wir die Komplikation mit Pneumonie und
Herzschwäche. Bei diesem Pat. trat am Tage nach der letzten Injektion Blut im Stuhl auf.
Die Blutung war aber keine sehr bedeutende, hat sich auch nicht mehr wiederholt; der
erst sehr sch wache Pat. befindet sich heute im Zustande bester Rekonvaleszenz. (Kurve 26.)
Kurve 26.
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490
GOTTFRIED HOLLER,
Fall 26. Patient E. K., ein junger, kräftiger Mann mit einem ziemlich schweren,
durch Bronchitis komplizierten Typhus, der sich durch eine Subkutankur in 8 Tagen
ausheilen lässt. (Kurve 27.)
Kurve 27.
Blutbefund.
Am 1. 3.
Leukozyteu .
S 670
davon sind:
Polynukleäre (N).
64.9pCt. (5610)
„ (E).
0.1 „ ( 10)
Mastzellen .
0,7 , ( 70)
Splenozvten.
6,3 „ ( 550)
Plasmazellen.
0.5 „ ( 50)
Lvmphozyten
27,5 „ (2380)
Der Blutbefund spricht ebenfalls für die Beendigung des Krankheits¬
bildes.
Fall 27. Patient S. Pr. mit einer ziemlich leichten Erkrankung wird, wie Blut¬
befund und Temperaturkurve 28 zeigen, durch subkutane Behandlung rasch geheilt.
Letztere wurde bei dem Patienten angewondet, weil bei der Aufnahme eine ziemlich
heftige Bronchitis bestand, die sich aber rasch besserte.
Blutbefund c.
Am 25. 2.
Am 1. 3.
Leukozyten .
6 850
10 360
davon sind:
Polvnukleiirc (N).
60,1 pCt. (4100)
1 60,3 pCt. (6240)
(E).
0,2 „ ( 20)
1 1,9 ^ ( 200)
Mastzellen.
0
0,3 „ ( 30)
Splenozyten.
13,1 „ ( 900)
9,6 . (1 000)
Plasmazcllcn.
2,1 * ( 150)
3,5 „ ( 360)
Lvmphozyten .
24,5 (1680)
1 24.4 „ (2 530)
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
491
Kurve 28.
Fall 28. Patient St. Sw., ebenfalls eine leichtere Erkrankung, bei der aber zu
Beginn der Behandlung Bronchitis bestand. Dieser Patient wurde ziemlich benommen
eingebracht, aber gerade bei ihm hatte ich Gelegenheit zu sehen, wie rasch unter dem
Einfluss der Vakzinebehandlung, die auch hier subkutan vorgenommen wurde, nervöse
Erscheinungen sich bessern. (Kurve 29.)
Kurve 29.
B I u t b c f u n d e.
Am 25. 2.
Am 1.3.
Leukozyten .
11 400
5 980
davon sind:
Polynukleäre (N) .
03,2 pCt. (7250)
54,2 pCt. (3230)
(K).
2.3 „ ( 260) i
2,2 „ ( 130)
Mastzollen.
0 „
0.2 * ( 20)
Splenozvten.
7,6 ., ( 830)
9.7 „ ( 580)
Plasmazellen.
0 „
0 „
Lymphozyten.
26,9 „ (3060) i
33,7 „ (2020)
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402
GOTTFRIED HOLLER
Fall 29 . Patient J. Br., ebenfalls ein durch Bronchitis komplizierter, im übrigen
leichter Typhus. Auch hier zeigt die Pulskurve 30 und der Blutbefund den Erfolg
der subkutanen Vakzinebehandlung.
Am 28. 2.
Leukozyten .
davon sind:
9 070
Polynukleäre (N).
40,8 pCt. (3700)
(E).
0,1 „ ( 10)
Mastzellen.
0,3 „ ( 30)
Splenozvten.
12,5 „ (1130)
Plasmazellen.
0 „
Lvmphozyten.
46,3 „ (4200)
Fall 30 . Patient V. K.; dieser Fall war bei seiner Aufnahme sehr schwer be¬
nommen, bot überhaupt das Bild einer sehr schweren Erkrankung; ausserdem war
auch dieser Fall kompliziert durch eine heftige Bronchitis. Die schweren Erscheinungen
besserten sich bereits nach den ersten subkutanen Injektionen und die Temperatur
nahm langsam ab. Schon nahe der vollständigen Entfieberung steht mir keine Vakzine
mehr zur Verfügung; man sieht in der Temperaturkurve, dass die Temperatur die Tage
hindurch, während welcher keine Vakzine verabfolgt werden konnte, nicht weiter sinkt
und dass es zu einer endgültigen Entfieberung erst nach zwei weiteren subkutanen
Injektionen kommt. Die oft ziemlich hohen Zacken in den Kurven bei subkutaner Be¬
handlungsweisesind durch die Reaktion auf dieeinzelnen Injektionen bedingt. (Kurve31.)
Blutbefund.
Am 4. 3.
Leukozyten .
davon sind:
8 960
Polvnuklcärc (N).
55,2 pCt. (4910)
„ (E) .
M „ ( 100)
Mastzellcn.
0.7 „ ( 60)
Splcnozyten.
11,5 „ (1060)
Plasmazellen.
0 „
Lymphozyten.
31,5 „ (2830)
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
493
Ich verweise auch bei den subkutan ausgeheilten Fällen auf die
Blutbefunde nach erfolgter Entfieberung. Sie tragen deutlich den Charakter
der Blutbilder in der Typhusrekonvaleszenz an sich.
Kurve 31.
Ich habe so aus meinem reichen Material an 30 Fällen die Erfolge,
aber auch die Misserfolge der Aethervakzinebehandlung vorgeführt. Trotz
des einen im Anschluss an eine intravenöse Injektion erfolgten Exitus
sprechen, glaube ich, die Erfolge in den anderen Fällen sehr dafür, dass
die Vakzinetherapie zur Bekämpfung des Typhus abdominalis in dazu
geeigneten Instituten nur von Erfahrenen anzuwenden und vor allem
weiter auszubauen sei. Wir hatten in unserer Station bisher unter den
nicht mit Vakzine behandelten Typhen 12 pCt. Todesfälle, während von
den seit 1. Januar von mir gespritzten 76 Patienten nur vier starben.
Das sagt um so mehr, als ich fast alle Fälle, auch die schwersten, ohne
eine besondere Auswahl zu treffen, vakzinierte und weil man bedenken
muss, in wie schlechtem Zustande eine grosse Zahl der Typhusfälle in
unsere Stationen eingebracht wird.
Ob durch die Anwendung des Besredkaschen oder Ichikavvaschen
Mittels ein wesentlicher Fortschritt erzielt worden ist, kann ich nach
meinen bisherigen Erfahrungen nicht konstatieren. Ich muss aber ge¬
stehen, dass mir über die beiden letzteren Mittel noch zu wenig eigene
Erfahrungen zustehen, um ein endgiltiges Urteil darüber fällen zu können.
Doch glaube ich kaum, dass durch diese Art der Virulenzabschwächung
mit Immunserum ein besser wirksames Mittel erzeugt worden ist. Ausser¬
dem sind die stürmischen Nebenerscheinungen auch bei Anwendung dieser
Mittel in wirksamer Dosis nicht umgangen. Ein Nachteil des Besredka¬
schen Mittels z. B. ist auf jeden Fall, dass es rasch verdirbt und dass
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GOTTFRIED HOLLER,
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4<)4
wir, solange das Mittel noch voll wirksam ist, mit lebenden, wenn auch
in ihrer Virulenz abgeschwächten Bazillen hantieren.
Vorderhand sollten wir, das ist meine Apsicht, auf Grund eigener
jüngst gewonnener Erfahrung und Berichten über Todesfälle aus anderen
Stationen, mit dem Mittel noch recht vorsichtig sein und vor
allem von einer allgemeinen Anwendung desselben in der Hand
nicht sehr Erfahrener absehen. Sie sehen, mit welcher Vorsicht
ich die Vakzinetherapie handhabe, und ich muss sagen, dass nur die auf¬
opfernde, rastlose Tätigkeit der Kollegen cand. med. Marie Puchold,
cand. med. Johann Vecsler und cand. med. Marie Skopczynska-
Zivanovic, cand. med. Max Wolf, Dr. Vinccnz Janatka, sowie
der beiden vorzüglichen Schwestern mir die Ausführung der Vakzine¬
therapie ermöglichte. Die Kollegen haben die frisch gespritzten Patienten
keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Allein hätte ich diese Arbeit
nicht bewältigen können. Wie überhaupt bei Typhus befinden sich die
Patienten speziell nach Vakzineinjektionen in einer Art negativer Phase,
so dass sie in dieser Zeit sehr für andersartige Infektionen, vor allem
Pneumonien inklinieren. Mit Rücksicht darauf muss speziell rauchige
Luft und Zug von ihnen abgehalten werden. Auch ist es notwendig, die
Patienten hoch- zu lagern und für gehörige Expektoration zu sorgen. In
Anstalten, in denen die Ueberwachung der Patienten nicht sehr streng
durchgeführt werden kann, sollte die Vakzinetherapie überhaupt nicht
angewandt werden.
Die Verordnung' zur allgemeinen Ausführung der Vakzine¬
therapie auch in der Hand unerfahrener Aerzte auf diesem Gebiete, wie
sie in letzter Zeit von den Militärkommanden herausgegeben wurden,
birgt, abgesehen von ihrer etwas reichlichen Dosierung, grosse Ge¬
fahren für unsere Soldaten in sich. Ich halte heute eine Verall¬
gemeinerung der Vakzineanwendung noch für verfrüht, sie vergrössert
die Gefahr, verschlechtert den Gesamterfolg und bringt kaum einen we¬
sentlichen Fortschritt. Ich ersuche die Kollegen, die in Zukunft Vakzine
anwenden wollen, sich vorher gründlich zu informieren und zumindest
erst an geringen Dosen die Wirkung genau zu studieren. In meiner
Station wurde die Vakzinetherapie bisher von d,en Herren nur unter
meiner eigenen ständigen Kontrolle gehandhabt.
Noch auf einen anderen Umstand muss ich zurückkommen. Die
Wirksamkeit der verschiedenen Vakzinen nimmt vom Tage ihrer Be¬
reitung an ab. Dieses Unwirksamwerden vollzieht sich bei der Besredka-
schen Vakzine scheinbar rasch, bei dem Vincentschen Mittel dagegen
sehr langsam. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei einer ungefähr
2 Monate alten Aethervakzine 100 Millionen Keime die gerade ent¬
sprechende Dosis für die intravenöse Einverleibung sind, während die
Höchsldosis hierfür bei einem ganz frischen Mittel vor allem bei dessen
ersten Anwendung am besten 50 Millionen Keime nicht überschreiten
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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis.
495
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soll. Es wäre zu wünschen, dass die Institute den Erzeugungstag auf
den Fläschchen vermerken.
Obwohl ich demnach kein Anhänger davon bin, dass die Vakzine¬
therapie jetzt schon allgemein angewendet werde, vertrete ich meine
schon einmal ausgesprochene Anschauung weiter, dass die Bakterio-
therapie des Typhus abdominalis von dazu Berufenen mit grösster Vor¬
sicht weiter anzuwenden und durch genaueste Beobachtung auszubauen
ist. Es dürfte uns so doch gelingen, eine Methode und ein Mittel zu
schaffen, dessen Anwendung geringere Gefahren in sich birgt und das
sich dann auch für die Allgemeinpraxis eignet. Zur Zeit ist jedenfalls
noch, was erst kürzlich R. Schmidt (vgl. Prager med. Wochenschr.,
1915, Nr. 14) mit besonderem Nachdruck betont hat, eine gewisse Zu¬
rückhaltung und grosse Vorsicht hinsichtlich der Indikations¬
stellung am Platze.
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Druck von L. .Scliumadi'T in llerl in N. 4.
Gch igle
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Gck gle_
Original fro-m
-ÜNIVERSITY OF MINNESOTA
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