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Full text of "Zeitschrift Für Klinische Medizin. V. 81.1915"

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ZEITSCHRIFT 

/ 

FÜR 

KLINISCHE MEDIZIN. 


HERAUSGEGEBEN 


VON 

Dr. W. BIS, Dr. F. KRAUS, Dr. A. GOLDSCHEIDER, 

Professor der 1. raed. Klinik Professor der 2. med. Klinik ord. Hon.-Professor, 

Direktor des poliklinischen Instituts 

Dr. 6. KLEMPERER, 

a.o. Professor. Direktor des städt Krankenhauses Moabit 

IN BERLIN, 

Dr. W. von LEUBE, Du. B. NAUNYN, Dr. A. von STRÜMPELL, 

ein. Professor der med. Klinik ein. Professor der raed. Klinik Professor der med. Klinik 

in WUrzburg, in Strassburg, in Leipzig, 

Dr. R. STÄHELIN, 

Professor der med. Klinik 
in Basel, 


Dr. C. von NOORDEN, Dr. N. ORTNER, 

Professor in Frankfurt a. M., Professor der 3. med. Klinik in Wien. 


REDIGIERT VON W. HIS. 


Einundachtzigster Band. 

Mit 5 Tafeln, 17 Abbildungen und 43 Kurven im Text. 


BERLIN 1915. 

VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. 

NW., UNTER DEN LINDEN 68. 


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Inhalt. 

Seite 


1. Aus der 1. med. Klinik der Kgl. Charite zu Berlin (Geh.-Rat His). 
Vergleichende Blutzuckerbestimraungen durch Polarisation und Re¬ 
duktionsmethoden. Von Carl Maase und Hermann Tachau . . 1 

II. Aus der medizinischen Klinik zu Würzburg. Lieber Ungerinnbarkeit 
des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker. Von Privatdozent 

Dr. E. Magnus-Aisleben. 0 

III. Aus der II. med. Universitätsklinik der Kgl. Charitö in Berlin (Gch.- 
Rat Prof. Dr. Fr. Kraus). Untersuchungen über den Mechanismus 

der Harnabsonderung in der Niere. Von Erich Leschke, klinischem ^ 

Assistenten. (Hierzu Tafeln I und II.). 14 


IV. Aus der I. med. Klinik in Wien (Hofrat Prof, von Noorden) und 
dem Sanatorium Neues Kurhaus (Geheimrat Prof. Dr. v. Dapper- 
Saalfels, Bad Kissingen). Beobachtungen über Kapillarpuls. Von 
San.-Rat Dr. E. Jürgensen, mitleitendem Arzt am Sanatorium von 


Dapper-Saalfels, Bad Kissingen. 36 

V. Aus der I. inneren Abteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses zu 
Berlin (Prof. Kuttner). Was leistet die pharmakologische Prüfung 
in der Diagnostik der Störungen im vegetativen Nervensystem? Von 
Dr. Gerhard Lehmann.52 


VI. Aus dem staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen (Direktor: Dr. 
Th. Madsen). Beobachtungen über Klinik und Epidemiologie der 
giftarmen Dysenteriebazilleninfektion in Dänemark. Von Dr. Carl 


Sonne, Assistent am Institut. 73 

VII. Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania (Prof. 

Dr. S. Torup). Kolorimetrische Harnsäurebestimmungen im Harn. 

Von H. F. Höst, Amanuensis. (Mit 1 Kurve im Text.) .... 113 


VIII. Aus der medizinischen Klinik R. von Jaksch in Prag. Klinische 
Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus und Beziehungen 
desselben zur pluriglandulären Erkrankung. Von Privatdozent 
Dr. Hugo Pribram, I. Assistenten der Klinik. (Mit 3 Abbildungen 
im Text.).120 

IX. Aus der I. deutschen medizinischen Klinik in Prag (Vorstand: Prof. 

Dr. Rud. Schmidt). Einige Versuchsresultate zum Verständnisse 
physikalisch-chemischer Vorgänge imBlute unter normalen und patho¬ 
logischen Verhältnissen und ihre theoretische Verwertung. Von 

Dr. Gottfried Holler, Assistent der Klinik.120 

X. Aus der Universitätskinderklinik in Freiburg i. Br. (Direktor: Prof. 

Dr. Noeggerath). Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin 
vorbehandelter Kaninchen auf den Blutdruck normaler. Von Dr. 

H. Zondek, früherem Assistenzarzt der Klinik. (Mit2Kurven im Text.) 156 

XI. Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses in Augs¬ 
burg (früherer Oberarzt: Dr. L. R. Müller). Ueber den Einfluss 
des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. Von Dr. Fritz 
Nehl, früher Volontärassistent am Krankenhause, jetzt Assistenzarzt 
an der Augenheilanstalt Bremen.182 

2091 H) 



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IV 


INHALT. 


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Seite 

XII. Die Hamburger Dipbtberieepidemie 1909—1914. (Epidemiologisches 


und Klinisches.) Von Prof. Dr. F. Reiche, Oberarzt am Allgemeinen 
Krankenhaus Hamburg-Barmbeck. (Mit 5 Kurven im Text.) . 199 

XIII. Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania (Prof. 

Dr. S. Torup). Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns. Von 

H. F. Höst.206 

XIV. Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania (Prof. 

Dr. S. Torup). Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. Von 

H. F. Höst.272 

XV. Aus dem Radium-Institut der Königlichen Charitö (Direktor: Geh. 

Med.-Rat Prof. Dr. W. His). Experimentelle Untersuchungen über 
die biologische Wirkung des Thorium X, insbesondere auf das Blut. 

Von Dr. A. da Silva Mello aus Brasilien. (Hierzu Tafel III.) . . 285 

XVI. Aus dem biochemischen Laboratorium (Prof. Dr. M. Jacoby) des 
städtischen Krankenhauses Moabit in Berlin. Ueber das Wesen der ex¬ 
perimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 

Von L. Dünner.355 


XVII. Aus dem städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin (I. innere Abt.: 
Geh. Medi-Rat Prof. Dr. Georg Klemperer). Zur Diagnostik der 
' metastatischen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. Von 


Johannes von Roznowski.377 

XVIII. Aus der I.med.Universitätsklinik der Kgl.Charite zu Berlin (Direktor: 

Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His). Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 

Von Carl Maase und Hermann Zondek, Assistenten der Klinik. 

(Mit 14 Abbildungen im Text.).391 

XIX. I. Inst, für demonstrative medizinische Pathologie der K. Univ. Neapel 
(Direktor: P. J. Castellino). Ueber den Mechanismus beim Auf¬ 
treten der paroxysmalen Tachykardie. Von S. La Franca. (Mit 

2 Kurven im Text.).410 

XX. Aus der II. med. Universitätsklinik in Wien (Vorstand: Hofrat Prof. 

Dr. Norbert Ortner). Unsere Erfahrungen über die Wirkung von 
Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. Von Doz. 

Dr. Richard Bauer, Dr. Robert Latzei, Assistenten der Klinik, 
und cand. med. Emil Wessely, Hospitant der Klinik .... 420 


XXI. Aus der Friedrichstadtklinik für Lungenkranke zu Berlin (dirigierender 
Arzt: Dr. Arthur Mayer). Ueber Erkrankungen der Lunge bei der 
Gicht. Von Arthur Mayer (Mit 2 Kurven im Text.) .... 438 

XXII. Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. Von Priv.-Doz. Dr. D. de 

Vries Reilingh in Groningen. (Hierzu Tafeln IV und V.) . 450 

XXIII. Aus der k. u. k. Kranken- und Verwundetenstation in Sternberg (Chef¬ 
arzt: Dr. Gottfried Holler). Zur Vakzinetherapie des Typhus 
abdominalis. Von Dr. Gottfried Holler, Assistent der I. deutschen 
med. Klinik in Prag (Prof. R. Schmidt). (Mit 31 Kurven im Text.) 462 


Der Verlag behält sich das ausschliessliche Recht der Vervielfältigung 
und Verbreitung der in dieser Zeitschrift zum Erscheinen gelangenden 
Originalbeiträge innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist vor . 



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I. 

Aus der I. med. Klinik der Kgl. Charite zu Berlin (Geh.-Rat His). 

Vergleichende Blutzuckerbestimmungen 
durch Polarisation und Reduktionsmethoden. 

Von 

Carl Maase und Hermann Tachau. 

Für die Bestimmung des Blutzuckergehaltes sind eine Anzahl von 
Methoden im Gebrauch, die auf verschiedenen Prinzipien beruhen, ent¬ 
weder auf der durch den Traubenzucker bewirkten Drehung des polari¬ 
sierten Lichtes, oder auf dem Grade der Reduktion von Kupfer- oder 
Quecksilbersalzen, oder schliesslich auf der Intensität einer bei einer 
bestimmten Reaktion auftretenden Färbung. Vergleicht man die nach 
verschiedenen Methoden gewonnenen Blutzuckerwerte, so ergeben sich 
zum Teil recht erhebliche Differenzen, besonders findet man mit einigen 
kolorimetrischen Methoden [Reicher und Stein 1 ), Wacker 2 )] weit 
höhere Zahlen als bei Verwendung der Reduktion und Polarisation. 
Aber auch die einzelnen Reduktionsmethoden, die an reinen Trauben¬ 
zuckerlösungen ganz exakt arbeiten, ergeben bei der Untersuchung des 
Blutes verschiedene Werte, wie zuerst von Hollinger 3 ) hervorgehoben 
worden ist. 

Man hat zunächst angenommen, dass diese Differenzen zwischen den 
einzelnen Methoden dadurch bedingt seien, dass neben dem Traubenzucker 
noch andere reduzierende Substanzen im Blute vorhanden sind, die auf 
die verschiedenen Zuckerbestimmungen in verschiedener Weise einwirken. 
Man hat die Menge dieser Substanzen so zu bestimmen gesucht, dass 
man die nach der Vergärung des Traubenzuckers durch Hefe ver¬ 
bleibende Reduktion (Restreduktion) festgestellt hat. Während bei manchen 
Methoden, z. B. dem älteren Verfahren von Bang (I), eine erhebliche 
Restreduition vorhanden ist [Schümm und Hegler 4 )], findet man mit 
den Kupfermethoden von Lehmann-Maquenne und Bertrand und der 
Quecksilberreduktion nach Tachau nach der Vergärung des Trauben¬ 
zuckers keine reduzierenden Substanzen mehr im Blute. [E. Frank 5 ), 
Griessbach und Strassner 6 )]. 

1) Reicher und Stein, Biochemische Zeitschrift. 1910. Bd.67. S. 197. 

2) Wacker, Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1910. Bd. 67. S. 197. 

3) Hollinger, Biochem. Zeitschr. 1909. Bd. 17. S. 1. 

4) Schümm und Hegler, Mitt. a. d. Hamb. Staatskrank.-Anst. Febr. 1913. 

5) Frank u. Bretschneider, Zeitschr. f.physiol.Chemie. 1911. Bd.71. S.157. 

6) Griessbach u. Strassner, eod. loc. 1913. Bd. 88. S. 199. 

Zeituchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 n. 2. i 


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2 


CARL MAASE und HERMANN TACHAU, 


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Vergleichende Untersuchungen nach verschiedenen Methoden sind 
zuerst von Hollinger 1 ) ausgeführt, der feststellte, dass die Kupfermethode 
von Lehmann-Maquenne etwas höhere Werte ergibt als die Queck¬ 
silberreduktion nach Knapp. Takahashi 2 ) fand Uebereinstimmung der 
durch Polarisation und die Kupfermethoden von ßertrand und Kuraa- 
gawa-Suto gefundenen Zahlen, während die Methode von Bang (I) be¬ 
trächtlich höhere Werte ergab. Griessbach und Strassner 3 ) stellten 
kürzlich fest, dass die Kupferraethoden von Bertrand und Lehmann- 
Maquenne mit der Polarisation übereinstimmende Resultate liefern, wäh¬ 
rend die Quecksilberreduktion nach Tach au beim Hunde niedrigere Werte 
ergibt, beim Menschen dagegen mit den anderen Methoden überein¬ 
stimmende Zahlen. 

Vergleichende Bestimmungen des Blutzuckergehaltes durch Polarisa¬ 
tion und Reduktionsmethoden können klinisch dadurch von Bedeutung 
sein, weil sich erhebliche Differenzen zwischen beiden Methoden ergeben 
müssen, sobald neben dem Traubenzucker andere Kohlehydrate im Blute 
vorhanden sind, die nicht das gleiche Verhältnis von Drehung zu Re¬ 
duktion haben, wie die Dextrose. Lävulosc, die von Neuberg und 
Strauss 4 ) im Blute einiger Diabetiker nachgewiesen ist, dreht bekannt¬ 
lich sehr stark nach links, während ihre Reduktion etwa der des 
Traubenzuckers (100:92,08) entspricht. Maltose, * die nach Lepine 5 ) 
häufig im Blute vorkommt, dreht stärker nach rechts, reduziert dagegen 
weniger als Traubenzucker. Galaktose, die ebenfalls stärker nach rechts 
dreht, und schwächer reduziert als Traubenzucker tritt besonders bei 
gewissen Leberkrankheiten nach Aufnahme per os in den Harn und somit 
auch in das Blut über. Auch Dextrine sollen nach einigen Autoren im 
Blute vorhanden sein [Bang 6 )]. Schliesslich mag noch der „Sucre 
virtuel a Lepines 5 ) erwähnt werden, über dessen Natur wir nichts 
Näheres wissen. 

Die Untersuchungen von Takahashi und von Griessbach und 
Strassner sind im Blute von Hunden und normalen Menschen aus¬ 
geführt. Wir haben in einer Anzahl pathologischer Fälle vergleichende 
Blutzuckerbestimmungen durch Polarisation, nach der Kupfermethode von 
Bertrand und nach der Quecksilberreduktionsmethode von Ta«hau vor¬ 
genommen. 

Methodik. 

Das Blut wurde durch Venaepunktion entnommen, lief gewöhnlich in einen 
200 ccm fassenden Messkolben, der mit 120 ccm 2proz. Salzsäure und 20 ccm Wasser 
gefüllt war, derart, dass also 60 ccm Blut nötig waren, um den Kolben bis zur Marke 

1) loc. cit. 

2) Takahashi, Biochem. Zeitscbr. 1911. Bd. 37. S. 30 ff. 

3) loc. cit. 

4) Neuberg und Strauss, Zeitschr. f. physiol. Chemie. 1902. Bd. 86. S. 227. 

ö) Löpine, le Diaböte suerß. 1909. 

6) Ba ng, Der Blutzucker. 1913. 



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Vergleichende Blutzackerbestimmungen durch Polarisation u. Reduktionsmethoden. 3 

zu füllen. In anderen Fällen wurde das Blut in einem Erlenmeyerkolben aufgefangen, 
der etwas Natriumllaorid enthielt. Die Eiweissfällung geschah nach Schenk (Blut 
-j- gleiche Menge Wasser + doppelte Menge 2proz. Salzsäure doppelte Menge 
5proz. Sublimatlösung). Beim Auffangen im Messkolben dienten die noch fehlenden 
40 com Wasser zum quantitativen Ueberspülen in den für die Fällung benutzten Erlen¬ 
meyerkolben, bei Auffangen mit Natriumfluorid wurde die Blutmenge mit der Pipette 
abgemessen. Die Fällung blieb 24 Stunden im Eisschrank, dann wurde abgesaugt, 
das überschüssige Quecksilber durch Einleiten von Schwefelwasserstoff, dieser durch 
einen Luftstrom vertrieben und vom ausgefällten HgS abfiltriert. 150—240 ocm des 
Filtrats wurden, z. T. nach Abstumpfung der sauren Reaktion durch Zusatz von 
Natronlauge, im Vakuum bei einer 40° nicht übersteigenden Temperatur des Heiz¬ 
wassers eingeengt, nach der Einengung im Messkolben auf 25 ccm aufgefüllt. Die 
Einengung dauert ca. 5 Stunden. Die Lösung wurde filtriert, und dann im 1,894-Dezi- 
meterrohr (in einigen Fällen im 2-Dezimeterrohr) in einem Landoltschen Apparat 
polarisiert. 

Es wurde stets mehrmals abgelesen und der Wert als zutreffend notiert, der mit 
überwiegender Häufigkeit festgestellt wurde. 

Nach beendeter Polarisation wurde gewöhnlich mit 10 ccm dieser eingeengten 
Lösung die Reduktionsbestimmung nach B er trän d ausgeführt. 

Weiter dienten 5 oder 10 ccm derselben Lösung zur Zuckerbestimmung nach 
Tach au 1 ). Sie wurden in einem 25 ccm-Messkolben mit Natronlauge neutralisiert, 
nach der Auffüllung bis zur Marke in den 300 ccm fassenden mit eingesohliffenem 
Steigrohr versehenen Jenenser Kolben überführt, mit 5 ccm (Pipette!) Wasser nach¬ 
gespült. Nach Zusatz von 10 ccm der Knappschen (alkalischen Quecksilbercyanid-) 
Lösung wurde bei aufgesetztem Steigrohre schnell erhitzt und 2 Minuten in gelindem 
Sieden erhalten. Dann wurde unter der Wasserleitung gründlich abgekühlt, möglichst 
ohne den Kolben stark zu bewegen, und von dem reduzierten ausgefallenen Queck¬ 
silbersulfid abfiltriert, ln einem aliquoten Teile des klaren Filtrates wurde das in 
Lösung gebliebene nicht reduzierte Quecksilbercyanid gravimetrisch als Quecksilber¬ 
sulfid bestimmt. 35 ccm (Pipette!) des Filtrates wurden in einen Scheidetrichter 
überführt, mit Salzsäure angesäuert, mit frischem Schwefelwasserstoffwasser gefallt. 
Die Ausflussöffnung des Scheidetrichters wurde über einen in der üblichen Weise 
montierten, mit Asbest gefüllten Goochtiegel gebracht, und durch Oeffnen des Scheide¬ 
trichterhahnes durch den Goochtiegel filtriert (das Reinspülen des Scheidetrichters 
gelingt leicht mit der Spritzflasche). Aus der Gewichtszunahme des Goochtiegels, 
hervorgerufen durch das in den 35 ccm der (nach der ersten Reduktion) filtrierten 
Lösung ausgefällte Quecksilbersulfid, festgestellt naoh jedesmaligem Trocknen des 
Goochtiegels bei 105° und Abkühlen im Exsikkator, wird die Traubenzuckermenge, die 
in der für die Reduktion benutzten Lösung vorhanden war, nach der folgenden Tabelle 
gefunden: 


Traubenzucker 

Quecksilbersulfid 

Traubenzucker 

Quecksilbersulfid 

1 mg 

78,0 mg 

11 mg 

44,5 mg 

2 V 

75,0 „ 

12 „ 

40,5 „ 

3 „ 

72,0 „ 

13 „ 

36,5 „ 

4 „ 

69,0 „ 

14 „ 

32,5 „ 

3 „ 

66,0 „ 

15 „ 

28,0 „ 

6 „ 

63,0 „ 

16 „ 

23,5 „ 

7 „ 

59,5 „ 

17 „ 

19,0 „ 

8 „ 

56,0 „ 

18 „ 

14,5 „ 

9 „ 

52,5 „ 

19 „ 

10,0 „ 

10 „ 

48,5 „ 

20 „ 

5,5 „ 


1) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1910. Bd. 102. S. 597. 

1 * 


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4 


CARL MAASE und HERMANN TACHAU, 


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Die raethodischen Fehler sind bei den Reduktionsbestimmungen un¬ 
erheblich, grösser bei der Polarisation. Ein Ablesungsfehler von 0,01° 
ergibt bei Verwendung von 150 ccm Filtrat (entsprechend 25 ccm Blut) 
schon eine Differenz von 0,010 pCt. Zucker, bei normalem Blutzucker¬ 
gehalt also von etwa 10 pCt. 

Protokolle. 

1. Leh., Gravida, nüchtern. Vor der Einengung: nach Tachau 0,074 pCt. 
Blutzucker. 200 ccm nach Abstumpfung der sauren Reaktion durch Natronlauge auf 
25 ccm eingeengt. Drehung 1 ) 0,1° nach rechts, je 10 ccm ergeben nach Bertrand 
10,9 mg, nach Tachau 10,2 mg Dextrose. Polarimetrisch 0,075 pCt., nach Ber¬ 
trand 0,0316 pCt., nach Tachau 0,0765 pCt. 

2. Mu., Gravida, nüchtern. 125 ccm Filtrat ohne Zusatz von Natronlauge auf 
25ccm eingeengt. Drehung +0,06° (0,07°). 10 ccm enthalten nach Tachau 6,2 mg 
Dextrose. Polarimetrisch 0,072 pCt. (0,082 pCt.), nach Tachau 0,076 pCt. 

3. Ra., Apoplexie. Nach Bertrand 0,100 pCt., nach Tachau 0,095 pCt. 

4. Kn., Arteriosklerose, Glykosurie. 200 ccm Filtrat ohne Zusatz von Natron¬ 
lauge eingeengt. Drehung + 0,14°, nach Tachau in 5 ccm 8,0 mg Glykose. Nach 
Bertrand in lOccm 15,8mg. P olarimetrisch 0,l05pCt., nach Bertrand 0,118pCt., 
nach Tachau 0,120 pCt. 

5. Br., Arteriosklerose. Vorder Einengung 0,111 pCt. nach Tachau. 200ccm 
Filtrat nach Abstumpfung der sauren Reaktion durch Natronlauge auf 25 ccm ein¬ 
geengt, filtriert. Drehung + 0,14°, nach Bertrand in 10 ccm 16,6 mg, in 5 ccm 
8,0 mg, nach Tachau in 5 ccm 7,5 mg Glykose. Polarimetrisch 0,105 pCt., nach 
Bertrand 0,124 pCt. (0,120 pCt.), nach Tachau 0,113 pCt. 

6. Mu., Bronchitis, Temp. 38,2°. 150 ccm Filtrat auf 25 ccm eingeengt, ohne 
Zusatz von Natronlauge. Drehung 0,12° nach rechts. lOccm ergeben nach Tachau 
11,2 mg Glykose. Polarimetrisch 0,12 pCt., nach Tachau 0,112 pCt. 

7. Ho., Diabetes, nüchtern. 150 ccm nach Abstumpfung der sauren Reaktion 
durch Natronlauge, eingeengt. Drehung +0,15°, nach Tachau 13,8 mg Glykose in 
lOccm. Polarimetrisch 0,150 pCt., nach Tachau 0,138 pCt. 

8. Ko., Diabetes. Vor der Einengung 0,165 pCt. (Tachau). 130 ccm nach 
Abstumpfung der sauren Reaktion durch Natronlauge eingeengt. Drehung + 0,14° 
(0,15°), nach Bertrand in lOccm 13,5 mg, nach Tachau in 5 ccm 6,6 mg Glykose. 
Polarimetrisch 0,161 pCt. (0,173 pCt.), nach Bertrand 0,155 pCt., nach Tachau 
0,153 pCt. 

9. Hi., Leberlues, Ikterus. 1 Stunde nach 100 g Traubenzucker. 150 ccm Filtrat 
ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt. Drehung+0,23°, nach Bertrand in 5 ccm 
25,1 rag, nach Tachau in 5 ccm 23,2 mg. Polarimetrisch 0,230 pCt., nach 
Bertrand 0,251 pCt., nach Tachau 0,232 pCt. 

10. FL, Diabetes, nüchtern. 150 ccm ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt. 
Drehung + 0,26°, nach Tachau in 5 ccm 12,8mg Traubenzucker. Polarimetrisch 
0,26 pCt., nach Tachau 0,256 pCt. 

11. Ma., Diabetes, nüchtern. Nach Bertrand 0,267 pCt., nach Tachau 
0,273 pCt. 

12. Tan., Diabetes nüchtern. Vor der Einengung nach Tachau 0,301 pCt. 
100 ccm ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt. Drehung im 2 dm-Rohr 0,30 bis 
0,31 °, 5ccm ergeben nach Tachau 10,2 mg Traubenzucker. 15 ccm der eingeengten 


1) Wenn nicht besonders bemerkt im 1,894 dm-Rohr. 



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Vergleichende Blutzuckerbestimmungen durch Polarisation u.Reduktionsrnethoden. 5 


sauren Lösung werden mit Natronlauge neutralisiert, auf 25 ccm aufgefüllt. Drehung 
im 2 cm-Rohre 0,17°, 20 ccm dieser Lösung geben nach Bertrand 27 mg Trauben¬ 
zucker. In 100 ccm Blut sind also gefunden: polarimetrisch: in saurer Lösung 
0,426 bis 0,440 pCt., in neutralisierter Lösung 0,403pCt., nach Bertrand 0,337 pCt., 
nach Tachau 0,306 pCt. 

Naoh etwa 4 Wooben wird dieselbe Patientin nochmals untersucht. 150 ccm 
Filtrat werden nach Abstumpfung der sauren Reaktion mit Natronlauge eingeengt. 
Drehung + 0,15°, Reduktion nach Tachau ergibt in 5 ccm 6,85 mg Traubenzucker. 
In 100 ccm Blut also polarimetrisch 0,150 pCt., nach Tachau 0,137 pCt. 

Eine Zusammenfassung der Resultate gibt die folgende Tabelle (I). 


Tabelle I. 

Zuckergehalt in 100 ccm Blut. 


Nr. 

Diagnose 

Polarimetrisch 

Bertrand 

Tachau 



g 

g 

g 

1 

Gravida. 

0,075 

0,0816 

/ 0.074 
\ 0,0765 

2 

Gravida. 

0,072 

(0,082) 

— 

0,076 

3 

Apoplexie. 

— 

0,100 

0,095 

4 

Glykosurie. 

0,105 

! 0.118 

0,120 

5 

Arteriosklerose. 

0,105 

1 / 0,120 

1 \ 0,124 

/ 0,111 
\ 0,113 

6 

Bronchitis. 

0,12 

1 - 

0,112 

7 

Diabetes. 

0,15 

1 - 

0,138 

8 

Diabetes.* 

ojßi ; 

f0,173) | 

0,155 

0,153 

9 

Leberlues, Ikterus .... 

0,23 j 

0,251 

0,232 



(nach 100 g Dextrose) 

10 

Diabetes. 

0,26 

— 

0,256 

11 

Diabetes. 

— 

0,267 

0,273 

12 

Diabetes . 

| 0,44 

{ 0,426 | 

' l 0,403 1 

0,337 

f 0,301 
\ 0,306 

Dieselbe Pat. nach 4 Wochen | 

0,15 i 

i 

0,137 


Eine erhebliche Differenz zwischen Polarisation und Reduktionswerten 
findet sich lediglich in Fall 12, bei dem polarimetrisch 0,403 pCt. bis 
0,44 pCt., nach Bertrand 0,337 pCt., nach Tachau 0,306 pCt. gefunden 
wurden. Ein Irrtum bei der Polarisation scheint ausgeschlossen, da die¬ 
selbe sofort wiederholt wurde, als die hohe Differenz mit dem vor der 
Einengung festgestellten Reduktionswerte konstatiert wurde, dann noch 
einmal in neutralisierter Lösung ausgeführt wurde, als die erste Reduktions¬ 
bestimmung an der eingeengten Lösung Uebereinstimmung mit dem Werte 
vor der Einengung ergab. Bei den Reduktionsmethoden ist ein so enormer 
Fehler von vornherein ausgeschlossen, die Bestimmung nach Tachau ist 
zudem doppelt ansgeführt. Eine Wiederholung der Blutuntersuchung nach 
4 Wochen ergab wieder für die Polarisation einen höheren Wert als für 
Reduktion, aber bei weitem nicht eine so grosse Differenz wie beim 
ersten Male. In allen übrigen Fällen ist die Uebereinstimmung der ver¬ 
schiedenen Methoden eine gute. Nur einmal (Nr. 4) findet sich zwischen 
der Polarisation und den unter sich gut übereinstimmenden Reduktions- 


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6 


CARL MAASE und HERMANN TACHAU, 


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werten eine Differenz von etwas über 10 pCt. des Blutzuckergehaltes; 
in einem zweiten Falle (Nr. 5) findet sich eine derartige Differenz zwischen 
der Polarisation und der Methode von Bertrand, während der nach 
Tachau gefundene Wert in der Mitte zwischen den beiden anderen liegt. 
Die Bertrand sehe Methode ergab in der Mehrzahl der Fälle etwas höhere 
Werte als die von Tachau. 

Zur Erklärung des verschiedenen Ausfalls von Reduktionsbestimmungen 
und Polarisation im Fall 12 liegt die Annahme am nächsten, dass hier 
neben dem Traubenzucker ein anderes Kohlehydrat im Blute vorhanden 
war, das stärker drehte, aber in geringerem Masse reduzierte als die 
Glykose. Da es sich um einen Fall von Diabetes mit schwerer Störung 
des Kohlehydratstoflfwechsels handelte, ist diese Annahme wohl berechtigt. 
Dass der hohe Tolarisationswert lediglich durch Traubenzucker hervor¬ 
gerufen ist, die Reduktionsmethoden dagegen zu niedrige Zahlen ergeben 
haben, etwa infolge der Anwesenheit einer die Reduktion hemmenden 
Substanz im Blute, scheint weniger wahrscheinlich; es wäre auffallend, 
dass diese Hemmung der Reduktion nur einmal bei den zwölf unter¬ 
suchten Fällen und dabei auch nur bei der einen Untersuchung deutlich 
in Erscheinung getreten wäre. 

Um den Einfluss zu verfolgen, den die Anwesenheit anderer Kohlen¬ 
hydrate neben dem Traubenzucker im Blute hat, haben wir einige Blut¬ 
zuckeruntersuchungen durch Reduktion und Polarisation bei Personen 
ausgeführt, die 1 Stunde vor der Blutentnahme 100 g Lävulose per os 
erhalten hatten. 

Methodik. 

Blutentnahme 1 Stunde nach Verabreichung von 100 g Lävulose (in nüchternem 
Zustande). Die Methode der Blutzuckerbestimmung war dieselbe wie in den früheren 
Untersuchungen. Der Harn wurde in stündlichen Intervallen auf Lävulose untersucht, 
qualitativ mit der Sei iw an off sehen Reaktion, quantitativ mittels Polarisation. 
20 ccm einer 0,1 proz. Lävuloselösung (Kahlbaum) ergaben nach Bertrand einen 
Reduktionswert entsprechend 18,7 mg Traubenzucker, 10 ccm derselben Lösung naoh 
Tachau einen 9,3 mg Dextrose entsprechenden Wert. Die Reduktion durch Lävulose 
ist also bei beiden Methoden die gleiche. 

Protokolle. 

1. Mi., Ikterus. 150 ccm Filtrat ohne Zusatz von Natronlauge eingeengt. 
Drehung + 0,06° (0,07°), nach Tachau in 10 ccm 16,6 mg Glykose. Polari¬ 
metrisch 0,06 pCt. (0,07 pCt.), nach Tachau 0,166 pCt. Im Harn 0,6 g Lävulose. 

2. Ma., gesund. 200 ccm Filtrat ohne Laugenzusatz eingeengt. Drehung 0,08° 
nach rechts, in 5 ccm 6,7 mg Traubenzuoker nach Tachau. Polarimetrisch 0,06pCt., 
durch Reduktion 0,101 pCt. Im Harn Spuren Lävulose. 

3. Pe., gesund. 200 ccm Filtrat ohne Laugenzusatz eingeengt. Drehung im 
2 dm-Rohr 0,15° nach rechts; 5 ccm ergeben nach Tachau 10,1 mg Traubenzucker. 
Polarimetrisch 0,106 pCt., durch Reduktion 0,152 pCt. Im Harn 0,8 g Lävulose. 

4. La., gesund. 200 ccm Filtrat nach Abstumpfung der sauren Reaktion mit 
Natronlauge eingeengt. Drehung 0,10° nach rechts, Reduktion naoh Tachau inlOccm 


Gougle — 


_Original from _ 

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Vergleichende Blatzuckerbestimmungen durch Polarisation u. Reduktionsmethoden. 7 


14,1mg Traubenzucker. Polarimetrisch 0,075 pCt., durch Reduktion 0,106 pCt. 
im Harn Spuren von Lävulose. 

5. Ni., Bronchopneumonie. 240 ccm Filtrat eingeengt. Drehung 0,11° (0,12°) 
im 2 Dm-Rohr, nach Bertrand in 10 cm 12,6 mg, nach Tachau in 5 com 7,0 mg 
Traubenzucker. Polarimetrisch 0,065pCt. (0,071 pCt.), nach Bertrand 0,079pCt., 
nach Taohau 0,088 pCt. Im Harn 1,4 g Lävulose. 

Tabelle II. 



Wie ein Blick auf die Tabelle zeigt, sind die nach der Lävulose- 
zufuhr hervorgetretenen Differenzen zwischen Polarisation und Reduktion 
weit grösser, als in den Fällen der Tabelle I. Einmal ist der Reduk¬ 
tionswert mehr als doppelt so hoch als der Drehungswert, in den anderen 
Fällen um 66, 44, 40, 30 pCt. höher. Berücksichtigt man, dass die 
Lävulose 1,8 mal so stark nach links dreht als die Dextrose nach rechts, 
dass die Reduktion von 10 mg Lävulose der von 9,3 mg Dextrose ent¬ 
spricht, so lässt sich aus Polarisations- und Reduktionswert der Gehalt 
des Blutes an Dextrose und Lävulose berechnen: 

1. Dextrose -f- 0,93 Lävulose = gefundener Reduktionswert. 

2. Dextrose — 1,8 Lävulose = gefundener Drehungswert. 

Voraussetzung für die Richtigkeit der Berechnung ist, das, neben 

Dextrose und Lävulose keine reduzierenden oder optisch-aktiven Sub¬ 
stanzen in erheblicher Menge im Blute vorhanden sind, weiter dass bei 
der Eiweissfällung und dem Einengen des Filtrates keine Aenderungen 
in dem Verhältnis von Dextrose zu Lävulose eingetreten sind. 

In den letzten beiden Spalten sind die für Dextrose und Lävulose 
berechneten Werte verzeichnet. Auch bei Gesunden ergibt sich ein 
Lävulosegehalt des Blutes, zwischen 0,011 und 0,017 pCt., z. T. bei sehr 
geringer Ausscheidung im Harn. Höher ist der Wert in einem Falle 
von Ikterus (0,035 pCt.) 1 ). Es wäre von grossem klinischen Interesse, 
an einer grösseren Zahl von Fällen festzustellen, ob nicht gelegentlich 
nach der Zufuhr von Lävulose ein gleiches Verhalten beobachtet wird, 

1) Dementsprechend fiel in diesen Fällen und besonders deutlich im Fall I die 
Seii w an off sehe Probe in dem eingeengten Filtrate der Schenkschen Fällung 
positiv aus. 


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8 C. MAASE und H. TACHAU, Vergleichende Blutzuckerbestimmungen. 

wie nach der Aufnahme von 100 g Traubenzucker, dass nämlich der 
Zucker in pathologisch erhöhter Konzentration im Blute vorhanden ist, 
ohne in den Harn überzutreten. 

Der berechnete Dextrosegehalt ergibt in zwei Fällen Werte, die 
deutlich über der beim Nüchternen gewöhnlichen Grenze liegen (Nr. 1 
und 3). Hier müsste man annehmen, dass im intermediären Stoffwechsel 
eine Umwandlung von Lävulose in Dextrose eingetreten sei, oder dass 
infolge der Lävulosezufuhr Glykogen als Dextrose aus den Glykogen¬ 
depots ausgetreten sei. 

Zusammenfassung: Vergleichende Blutzuckerbestimmungen durch 
Polarisation und die ßeduktionsmethoden von Bertrand und Tachau 
ergaben am Menschen, bei normalem und erhöhtem Blutzuckergehalt, 
mit Ausnahme von einem Falle, gut übereinstimmende Werte. In dem 
einen Falle war der durch Polarisation festgestellte Blutzuckergehalt er¬ 
heblich höher als der mit den Reduktionsmethoden gefundene, wahr¬ 
scheinlich wohl infolge der Anwesenheit eines anderen, stärker als die 
Dextrose drehenden aber schwächer reduzierenden Kohlehydrates im 
Blute. — Nach der Aufnahme von 100 g Lävulose ergab die Reduktion 
erheblich höhere Werte als die Polarisation, am grössten war die Differenz 
in einem Falle von Ikterus. Der berechnete Dextrosegehalt des Blutes 
lag in diesen Fällen nach Zufuhr von 100 g Lävulose wiederholt über 
der in nüchternem Zustande gewohnten Grenze. 


Gck igle 


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ii. 

Aus der medizinischen Klinik zu Würzburg. 

Ueber Ungerinnbarkeit des Blutes bei der Hämoptoe 

der Phthisiker. 

Von 

Privatdozent Dr. E. Magnus-Alsleben. 

Auf dem Wiesbadener Kongress 1913 hatte ich über Beobachtungen 
berichtet, in denen das von Lungenkranken ausgehustete Blut gelegent¬ 
lich zu einem mehr oder weniger grossen Teil ungerinnbar blieb. Eine 
Reihe von Experimenten, die zur Erklärung dieses neuerdings auch von 
v. Ho esslin 1 ) erwähnten Vorkommnisses angestcllt wurden, sowie die 
klinischen Fälle, welche die Veranlassung dazu gegeben, hatte Herr 
cand. med. Schmitt in einer Inauguraldissertation veröffentlichen wollen. 
Da dieselbe sich jedoch noch länger hinauszögern wird, wollte ich hier 
in Kürze einige unserer Versuchsprotokolle als Belege meines damaligen 
Vortrags veröffentlichen. 

Das expektorierte Blut enthielt manchmal einige geronnene Flocken; 
der flüssige Teil war aber durch keinerlei Mittel nachträglich zum Ge¬ 
rinnen zu bringen und es blieben auch Kalksalze, Serum und Gewebs- 
extrakte ohne jeden Einfluss darauf. Das den Patienten aus der Arm¬ 
vene entnommene Blut kam dagegen in vollkommen normaler Weise zur 
Gerinnung. Setzte man dem flüssigen Hämoptoeblut kleine Mengen nor¬ 
malen Blutes zu, so blieb es flüssig, während bei Zusatz von etwas 
grösseren Mengen (ca. die Hälfte), eine, wenn auch verlangsamte Koagu¬ 
lation eintrat. Der Speichel des Patienten, der ja vielleicht in atypischer 
Weise gerinnungshemmende Eigenschaften hätte zeigen können, war nicht 
die Ursache. Er beschleunigte sogar, wie er es normaliter tut, die Ge¬ 
rinnung ganz prompt. 

Was diesen Einfluss der Gewebssäfte auf die Gerinnung anbetrifft, 
so sollen bekanntlich die Extrakte fast aller Organe stark gerinnungs¬ 
beschleunigende Eigenschaften aufweisen. Nur gewisse Teile der weib¬ 
lichen Genitalien machen hierin eine Ausnahme 2 ), eine Tatsache, welche 
neuerdings zur Erklärung des Flüssigbleibens des Menstrualblutes heran¬ 
gezogen wird 3 ). Durch Autolyse soll dagegen aus allen Organen eine 

1) Arch. f. klin. Med. 1913. Bd. 112. S. 580. 

2) Genau dasselbe Verhalten fand ich bei 2 Fällen von Hämatokolpos, welche 
Herr Prof. Polano mir freundlichst zugestellt hatte. 

' 3) Sohickele, Biochemische Zeitschr. 1912. 



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10 


E. MAGNUS-AL3LEBEN 


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gerinnungshemmendc Substanz extrahierbar sein. Versuche über die Be¬ 
einflussung der Gerinnung durch frische, sowie durch autolytisch gewonnene 
Gewebssäfte wurden nun mit einer grossen Zahl von normalen und patho¬ 
logisch veränderten Organen angestellt. 

Zur Gewinnung von Autolysaten wurden die frischen Organe in der Fleisch¬ 
maschine zerkleinert und der Brei (nötigenfalls mit etwas Ringerlösung verdünnt) 
mit Chloroform und Toluol mehrere Tage lang geschüttelt und dann im Brutschrank 
bei 37° verdaut. Die Verflüssigung ging verschieden rasch vor sich. Am raschesten 
lösten sich Schilddrüse und Leber, ebenso rasch Karzinome, am langsamsten Nieren¬ 
brei. Zur Anstellung der Proben machte es manchmal einige Schwierigkeiten, die zu 
prüfende Flüssigkeit frei von Chloroform und Toluol zu bekommen; doch war dies 
durch mehrmaliges Filtrieren durch angefeuchtete Filter fast immer zu erreichen. Die 
Filtrate waren klar, gelblich und enthielten auch nach 2—3 monatelanger Autolyse 
meist noch kleine Mengen koagulablen Eiweisses. 

Zur Herstellung von Presssäften bedienten wir uns mit freundlicher Erlaubnis 
von Herrn Prof, von Frey der im hiesigen physiologischen Institut befindlichen 
Buchnerschen Presse. Die Organe wurden nach Zerkleinern in der Fleischmaschine 
unter immer neuem Zusatz von Kieselgur in einem Mörser so lange klein gestampft, 
bis sie ein vollständig trockenes Pulver darstellten. Auf die völlige Trockenheit ist 
grosses Gewicht zu legen. Manchmal war die 10—20 fache Menge des zu verarbeitenden 
Organes an Kieselgur nötig. Dann wurde dieses Pulver in die mit einem Koliertuch 
ausgekleidete Form hineingedrückt, das Koliertuch geschlossen und nun wurde das 
Ganze in der Presse ausgepresst. Der austropfende Saft muss völlig klar sein. Trü¬ 
bung desselben oder gar das Hervortreten kleiner Teile von Organbrei zeigt an, dass 
das Koliertuch gerissen ist, was bei nicht sehr sorgfältigem Verpacken sehr leicht 
passierte. 

Was die Prüfung auf die Gerinnungsdauer betrifft, so bestimmten 
wir die Zeit, nach welcher das frisch aus der Vene in einem kleinen 
Probiergläschen aufgefangene Blut bei raschem Umkehren des Glases 
nicht mehr herausläuft. Diese Probe ist wohl nicht sehr scharf und 
darf auf Differenzen von ein oder zwei Minuten nicht viel Gewicht gelegt 
werden. Grosse Differenzen, wie die hier beobachteten es häufig waren, 
sind aber wohl bei Einhaltung sonst gleicher Versuchsbedingungen in 
Bezug auf Temperatur usw. in eindeutiger Weise auf eine Beschleunigung 
resp. Verlangsamung der Gerinnungsfähigkeit zu beziehen. Wir nahmen 
meistens Hundeblut aus der V. jugularis, einige Male auch Aderlassblut 
vom Menschen. Das Blut, je 5 ccm, wurde stets sofort in das darunter 
gehaltene, mit l / 2 ccm des zu prüfenden Saftes beschickte Probiergläschen 
geleitet. In die Kontrollen kam Ringerlösung. 

I. Versuche 1 ) mit frischen Presssäften. 

Versuche vom 19. 12. 1912 Gerinnungszeit 

1. Normale Niere.fast sofort 

2. Normale Lunge.fast sofort 

3. Normale Leber.fast sofort 

Kontrolle mit Ringerlösung.6 Minuten 

1) Es wurde in allen Versuchen 0,5 ccm Organsaft und 5ccm Blut genommen; 
im Versuch vom 19. 12. 12 wurde Aderlassblut vom Menschen, sonst immer Hunde¬ 
blut verwendet. 



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Ueber Ungerinnbarkeit des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker. 


11 


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Versuche vom 10. 1. 1913 

4. Leberkarzinom . 

5. Meersohweinchenleber . . 

Kontrolle mit Ringerlösung 

Versuche vom 6. 2. 1913 

6. Tuberkulöse Lunge . 

7. Tuberkulöse Lunge . 
Kontrolle mit Ringerlösung 

Versuche vom 4. 3. 1913 

8. Tuberkulöse Lunge . 

9. Tuberkulöse Lunge . 

10. Hypernephrom . 

Kontrolle mit Ringerlösung 

Versuche vom 20. 6. 1913 

11. Tuberkulöse Lunge . 

12. Tuberkulöse Lunge . 

13. Normale Lunge . 

Kontrolle mit Ringerlösung 

Versuche vom 23. 6. 1913 

14. Kalbslunge .... 

15. Rinderlunge .... 

16. Schweinelunge . 

17. Hammellunge 

18. Tuberkulöse Lunge . 
Kontrolle mit Ringerlösung 


Gerinnungszeit 
7 Minuten 

iv* „ 

7 „ 

Gerinnungszeit 
ß l / 2 Minuten 
7 Minuten 


Gerinnungszeit 
. 13 Minuten 

. 25 „ 

• 4 „ 

. 6 „ 


Gerinnungszeit 
. 18 Minuten 
. 12 „ 

• 3 „ 

• 6 „ 
Gerinnungszeit 

. 2 x / 2 Minuten 

. 3 Minuten 

• 5 „ 

• 3 „ 

• 8 „ 

. 8 „ 


n. Versuche mit autolytischen Säften. 


Versuche vom 14. 2. 1913 verdaut seit Gerinnungszeit 

19. Hypernephrommetastasen 


‘ in der Leber .... 

16. 12. 12 

12 Minuten 

20. Normale Leber .... 

16. 12. 12 

über 40 Minuten 

Kontrolle mit Ringerlösung 

. 

8 Minuten 

Versuche vom 4. 3. 13 

verdaut seit 

Gerinnungszeit 

21. Tuberkulöse Lunge 

14. 1. 13 

18 Minuten 

22. Croupöse Pneumonie . 

20. 12. 12 

9 „ 

23. Schilddrüse .... 

17. 12. 12 

16 „ 

24. Milz. 

16. 12. 12 

10 „ 

Kontrolle mit Ringerlösung 

. 

. 6 „ 

Versuche vom 12. 3. 13 

verdaut seit 

Gerinnungszeit 

25. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 6) 

6. 2. 13 

20 Minuten 

26. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 7) 

6. 2. 13 

30 „ 

27. Fettleber. 

4. 12. 12 

14 „ 

28. Fettleber. 

14. 1. 13 

19 „ 

29. Tuberkulöse Lunge 

14. 1. 13 

13 

30. Hypernephrom .... 

16. 12. 12 

13 „ 

Kontrolle mit Ringerlösung 

. 

. 6 „ 

Versuche vom 3. 6. 13 

verdaut seit 

Gerinnungszeit 

31. Niere. 

16. 12. 12 

20 Minuten 

32. Niere. 

16. 12. 12 

22 „ 

33. Bronchopneumonie 

17. 12. 12 

23 „ 

34. Hypernephrommetastase in 
der Lunge .... 

16. 12. 12 

23 „ 



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12 


E. MAGNUS-ALSLEBEN, 


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35. Karzinommetastase d. Leber 

verdaut seit 

23. 1. 13 

Gerinnungszeit 
16 „ 

36. Milz. 

17. 12. 12 

10 „ 

37. Tuberkulöse Lunge 

14. 1. 13 

0 r 

38. Tuberkul. Lunge (Kaverne) 

8. 2. 13 

25 „ 

Kontrolle mit Ringerlösung 


• 4 „ 

Versuche vom 20. 5. 13 

verdaut seit 

Gerinnungszeit 

39. Hypernephrommetastase in 
der Leber .... 

16. 12. 12 

8 Minuten 

40. Tuberkulöse Lunge 

14. 1. 13 

6 „ 

Kontrolle mit Ringerlösung. 

. . . . 

• 6 „ 

Versuche vom 30. 6. 13 

verdaut seit 

Gerinnungszeit 

41. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 6) 

6. 2. 13 

17 Minuten 

42. Tuberkul. Lunge (cf. Nr. 7) 

6. 2. 13 

26 „ 

Kontrolle mit RingerlösuDg 


. 6 „ 


Die Tabellen ergeben zunächst in Bestätigung der Versuche von 
Conradi 1 ), dass die Pressssäfte fast aller Organe eine starke gerinnungs¬ 
fördernde Wirkung haben. Ganz sicher eindeutig trat dies, was für den 
vorliegenden Fall von besonderer Wichtigkeit ist, bei allen geprüften 
Menschen- und Tierlungen auf (Versuche Nr. 2, 13, 14, 15, 16, 17). 

Die durch Autolyse gewonnenen Säfte zeigten meistens eine ge¬ 
rinnungsverzögernde Wirkung. Während die Kontrollen nach 4—6 Min. 
geronnen waren, blieb das Blut nach Zusatz eines Autolysates einer 
normalen Leber (nach zweiraonatelanger Verdauung) fast 40 Min., einer 
Fettleber (2 72 Monate verdaut) ca. 30 Min., einer Niere (6 Monate ver¬ 
daut) ca. 22 Min. flüssig. Die gleichen Organe, welche frisch ausgepresst 
also stark gerinnungsfördernd sind, bilden durch eine mehrmonatliche 
antiseptische Autolyse eine gerinnungsverzögernde Substanz. 

Im auffallenden Gegensatz hierzu standen die Resultate, welche die 
die Presssäfte pathologisch veränderter Organe häufig ergaben. Oftmals 
verhielten sie sich in Bezug auf die Blutgerinnung indifferent. In anderen 
Fällen wirkten sie sogar gerinnungsverzögernd. Besonders deutlich trat 
dies mehrmals mit den Presssäften tuberkulöser Lungen auf. Sie wirkten 
einige Male, freilich nicht immer, verzögernd wie die Autolysate normaler 
Lungen (Versuche Nr. 8, 9, 11, 12). 

Wenn diesen Versuchsresultaten und den klinischen Beobachtungen 
über das Flüssigbleiben des Hämoptoeblutes eine analoge Deutung ge¬ 
geben werden darf, so schien es am nächstliegenden, an das Auftreten 
gerinnungshemmender Agentien zu denken und die Vorstellung schien 
erlaubt, dass bei der Tuberkulose (oder wohl auch bei andern chronisch 
destruierenden Prozessen) ähnliche gerinnungsverzögernde Stoffe entstehen 
könnten, wie bei der experimentellen Autolyse. In der Diskussion zu 
meinem Vertrag wies Morawitz, wie inzwischen durch Zahn und 


1) Hofmeisters Beiträge. 1902. Bd. 1. S. 136. 



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Ueber Ungerinnbarkeit des Blutes bei der Hämoptoe der Phthisiker. 


13 


Walker 1 ) ausführlich publiziert wurde, darauf hin, dass Blut ungerinnbar 
wird, wenn es in der Pleurahöhle geweilt hat oder auch, wenn man es 
nur langsam über die Oberfläche einer Lunge hat laufen lassen. Mora¬ 
witz denkt weniger an gcrinnungshemmende Stoffe, sondern er nimmt an, 
dass es sich um eine Veränderung des Fibrinogens, aber nicht im Sinne 
der Fibrinolyse, handle. Morawitz fand nämlich, dass Fibrinogenlösungen 
nach Zusatz von spontan nicht gerinnendem Pleurablut gerinnen. Dies 
spricht tatsächlich dafür, dass dem Pleurablut die zur Gerinnung not¬ 
wendigen Fermente nicht fehlen und ebenso ist es hiernach unwahr¬ 
scheinlich, dass stark wirksame Antifermente darin enthalten sind. Frei¬ 
lich stimmen mit der Annahme einer Veränderung des Fibrinogens einige 
andere Versuche nicht ganz überein. So gerannen z. B. Fibrinogen¬ 
lösungen, welche in der Pleurahöhle tatsächlich flüssig geblieben waren, 
doch später in vitro. Ebenso fielen die Versuche mit Hirudin nicht ganz 
eindeutig aus. Hirudinblut wurde wohl durch Aufenthalt in der Pleura¬ 
höhle dauernd ungerinnbar, während entsprechend behandeltes Plasma 
durch Zusatz von Thrombin oder Serum nachträglich koaguliert werden 
konnte. Die Ursache für die Ungerinnbarkeit des Pleurablutes kann 
hiernach wohl auch nicht als gesichert betrachtet werden. 

Die Annahme scheint natürlich zunächst naheliegend, dass das Un¬ 
gerinnbarwerden des Blutes durch Kontakt mit dem Pleuraendothel und 
die durch Zusatz von Lungenautolysaten bedingte Gerinnungsverzögerung 
auf den gleichen oder doch wenigstens eng verwandten Ursachen beruht. 
Aber es sei hierbei gleich an einen vielleicht nicht unwesentlichen Unter¬ 
schied erinnert, nämlich daran, dass es sich das eine Mal um ein dauerndes 
Flüssigbleiben, das andere Mal um eine Verzögerung des schliesslich 
doch vollständig erfolgenden Gerinnungsvorganges handelt. 

Wenn hierin eine prinzipielle Differenz gegeben ist, so hätten wir 
ein experimentelles Analogon für das Flüssigbleiben des Hämoptoe¬ 
blutes weniger in den Gerinnungsstörungen zu sehen, welche bei Zusatz 
von Organsäften auftreten, sondern es wäre eher in der durch Kontakt 
mit dem Pleuraendothel bedingten Aufhebung der Gerinnung zu suchen. 

1) Biocbem. Zeitschr. 1913. Bd. 58. S. 130. 


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in. 

Aus der II. med. Universitätsklinik der Kgl. Charite in Berlin 
(Geh.-ßat Prof. Dr. Fr. Kraus). 

Untersuchungen über den 
Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 

Von 

Erich Leschke, 

klinischem Assistenten. 

(Hierzu Tafeln I und II.) 


Die Bestrebungen der jüngsten Zeit, die Nierenerkrankungen nicht 
allein pathogenetisch und anatomisch zu differenzieren, sondern auch im 
einzelnen Falle über die Schwere der vorliegenden Funktionsbeeinträch¬ 
tigung ein klinisches Urteil zu gewinnen, haben zur Ausarbeitung einer 
Reihe von Methoden geführt, die Funktion der verschiedenen Teile des 
harnabsondernden Apparates zu prüfen. Namentlich waren es die physio¬ 
logisch wie klinisch zutage tretenden Unterschiede in den Leistungen des 
vaskulären Apparates, inbesondere der Glomeruli, einerseits und des 
Systems der Harnkanälchen andererseits, die die Frage nach den ver¬ 
schiedenen Partialfunktionen dieser Teilorgano in den Nieren in den 
Mittelpunkt des theoretischen wie des praktisch-diagnostischen Interesses 
rückten. 

Der erste und bis heute noch beste Versuch, die Frage nach dem 
Mechanismus der Harnabsonderung zu beantworten, stammt von 
W. Bowman. In seiner berühmten Arbeit „On the structure and use 
of the Malpighian Bodies of the kidney, with obversation on the circu- 
lation through that gland u stellte er im Jahre 1842 die Hypothese auf, 
dass die Gefässknäuel der Glomeruli im wesentlichen nur das Wasser 
als ein Filtrat der Blutflüssigkeit hindurchtreten lassen, während die 
Harnkanälchen, in erster Linie die Tubuli contorti erster Ordnung, den 
Harnstoff und die Salze absondern. Dieser Ansicht stellte Carl Ludwig 
schon 2 Jahre darauf eine andere entgegen, indem er behauptete, dass 
die Glomeruli bereits den gesamten Harn mit allen seinen Bestandteilen 
durchfiltrieren lassen und die Konzentration desselben dadurch erfolgt, 
dass ein grosser Teil des Hamwassers auf seinem Wege durch die Harn¬ 
kanälchen durch die Epithelzellen derselben rückresorbiert wird. 

Eine Entscheidung über die Richtigkeit der Bowmanschen und der 
Ludwigschen Theorie der Nierenfunktion war nur auf experimentellem 


Gck igle 


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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 15 


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Wege möglich. Trotz aller hierauf gerichteten Untersuchungen ist aber 
diese Frage bisher noch nicht eindeutig gelöst worden. 

I. Die Ausscheidung von Farbstoffen dnrch die Niere. 

Den ersten und grundlegenden Versuch einer experimentellen In¬ 
angriffnahme des Problems des Nierenfunktionsmechanisraus machte 
R. Heidenhain im Jahre 1874 in Gemeinschaft mit A. Neisser. Er 
injizierte Tieren Farbstoffe, welche durch die Nieren ausgeschieden 
wurden, und zwar indigschwefelsaures und phoenizinsaures Natron, und 
fand, dass dieselben unabhängig von der Höhe des Blutdruckes und der 
Durchströmungsgeschwindigkeit in den Nierengefässen lediglich von den 
Epithelzellen der Harnkanälchen aufgenommen und in die Harnkanälchen 
ausgeschieden wurden. Die Gefässknäuel und die Kapselräume der 
Glomeruli dagegen erwiesen sich als frei von den Farbstoffen. Auch bei 
der Untersuchung der Harnsäureausscheidung in der Vogelniere konnten 
grössere Mengen von Harnsäure nur in den Harnkanälchen gefunden 
werden. Heidenhains Versuche bedeuteten also eine wichtige experi¬ 
mentelle Stütze für die Richtigkeit der Bowmanschen Theorie. Zugleich 
erkannte er, dass die Harnabsonderung kein einfacher physikalischer 
Filtrationsprozess sei, sondern auf einer vitalen Tätigkeit der sezernierenden 
Drüsenzellen beruhe. Und zwar entnehmen diese Zellen die harn fähigen 
Stoffe nicht unmittelbar dem Blute, sondern der die Harnkanälchen um¬ 
spülenden Lymphe. 

Die Ergebnisse der Versuche von Heidenhain und Neisser blieoen 
jedoch nicht unwidersprochen. So fanden Pantinsky und ebenso 
Henschen nach Injektion von indigschwefelsaurem Natron auch ge¬ 
legentlich Blaufärbung der Glomeruli. Auch Wittich, der die Aus¬ 
scheidung des Indigkarmins untersuchte, fand den Farbstoff nicht allein 
in den Tubulis, sondern auch den Gefässschlingen der Glomeruli auf¬ 
liegend, und ebenso kam Gurwitsch auf Grund seiner Versuche zu der 
Annahme, dass „im Glomerulusfiltrat gewisse geringe Mengen von den 
im Blute zirkulierenden Farbstoffen ausgeschieden werden müssen“. 
Namentlich bei sehr starker Anhäufung von Farbstoffen (Anilinblau, 
Kongorot) im Blute Hessen sich dieselben auch im Glomerulusfiltrat nach- 
weisen. v. Sobieranski schliesslich zog aus seinen Versuchen über die 
Ausscheidung von Indigkarmin und Natronkarmin den Schluss, dass alle 
harnfähigen Stoffe im Glomerulus filtriert werden und die Harnkanälchen 
nur einen „Eindickungsapparat“ darstellen. „Dafür, dass die Harn¬ 
kanälchen auch eine absondernde Fähigkeit besitzen, besteht bis jetzt 
keine feststehende Beobachtung, obwohl es an sich nicht unmöglich ist; 
jedoch ist diese Funktion, wenn sie überhaupt existiert, sehr gering.“ 

Dagegen fehlte es auch nicht an Bestätigungen der Heidenhain- 
Neisserschen Versuchsergebnisse. So fand Grützner nach Injektion 
von indigschwefelsaurem Natron niemals eine Blaufärbung der Glomeruli, 



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sofern die Versuchsbedingungen die Grenzen des Physiologischen nicht 
überschritten, und er führte die abweichenden Angaben von Pantinsky 
und Henschen auf eine rohe Injektionstechnik mit Schädigung der 
Zirkulation in den Glomerulusgefässen zurück. Adolf Schmidt deckte 
einen weiteren technischen Fehler in den mit Injektion grösserer oder 
konzentrierterer Farbstoffmengen ausgeführten Versuchen auf, indem er 
in diesen Farbstofflösungen bzw. -Suspensionen grössere, ungelöste Farb¬ 
stoffkörner nachwies, die sich leicht in den Kapillaren der Glomerulus- 
sehlingen fortsetzen und dadurch eine Sekretion durch die Glomeruli 
Vortäuschen. Bei Ausschaltung dieser Fehlerquelle durch Anwendung 
sorgfältig filtrierter Farbstofflösungen fand er weder in den Gefäss- 
schlingen noch in den Kapselräumen der Glomeruli jemals Indig- 
karmin. Biberfeld, der ein ausserordentlich reines, von Grübler extra 
dargestelltes Karmin benutzte, fand selbst bei Injektion sehr grosser 
Mengen des Farbstoffes bei Kaninchen „stets, dass die Glomeruli farblos 
blieben und das Karmin sich nur in den Tubulis contortis fand“ (1. c. 
S. 315). Auch ein grüner Farbstoff, ein *\midin von der Formel 
Ci 4 H 16 N 2 wurde nur in den Harnkanälchen ausgeschieden, obwohl er 
eine schwere Schädigung der Glomeruli hervorrief. Basler stellte unter 
physiologischen Versuchsbedingungen gleichfalls eine ausschliessliche Aus¬ 
scheidung des Indigkarmins und Kongorots in den Epithelzellen der ge¬ 
wundenen Harnkanälchen fest. Nur bei Schädigung der Glomeruli 
durch brüske Injektion grosser Mengen fand er auch in ihnen etwas 
Farbstoff. 

Sehr wichtig sind die ausgedehnten Untersuchungen von Ribbert, 
der Kaninchen 5—10 ccm einer möglichst konzentrierten Karminlösung 
in Lithiumkarbonat intravenös injizierte und die Heidenhainschen An¬ 
gaben durchaus bestätigen konnte. Er untersuchte auch die Ausscheidung 
des indigschwefelsauren Natriums, der Harnsäure, des Eiweisses und des 
Hämoglobins und kam zu folgenden Ergebnissen: 

1. Karmin, indigschwefelsaures Natrium und Harnsäure werden durch die ge¬ 
wundenen Harnkanälchen ausgeschieden. Sie finden sich nie in den Glomerulus- 
kapseln, sondern nur in den Harnkanälchen. 

2. Gleichzeitige Einspritzung von den drei genannten Substanzen hat örtlich 
getrennte Ausscheidung in den gewundenen Harnkanälchen zur Folge. Erst weiter 
unten in den Schleifen und Schaltstücken und in den geraden Kanälchen sind die 
Stoffe stets gemischt. 

3. Nach gleichzeitiger Injektion von Eiweiss oder Hämoglobin mit Karmin 
finden sich jene in den Glomeruluskapseln, das Karmin stets in den gewundenen 
Kanälchen vor. 

Zu den gleichen Resultaten kam auch Schlecht. 

R. Höher und A. Königsberg haben eine Reihe weiterer Farb¬ 
stoffe zum Studium der Nierensekretion benutzt, und zwar die vitalen 
Farbstoffe: Toluidinblau, Methylenblau, Neutralrot und Bismarckbraun; 
ferner als Vertreter der nicht vitalen Farbstoffe das Kongorot, Anilin- 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 17 

blau, Scharlachrot, Ponceaublau, Indulin, Nigrosin, Bordeauxrot, Indig- 
karmin, Benzoazurin, Benzopurpurin und indigschwefelsaures Natrium. 
In allen Versuchen fanden sie die Farbstoffe lediglich in den Epithelicn 
der Harnkanälchen; die Glomeruluskapseln waren stets frei von Farb¬ 
stoff, selbst wenn die Gefässschlingen solchen enthielten. 

Mit grosser Sorgfalt und Gründlichkeit hat unlängst Tatzno Suzuki 
unter Aschoffs Leitung die Farbstoffausscheidung in der Niere einer 
erneuten Untersuchung unterzogen. Das methodisch wichtigste Ergebnis 
dieser Untersuchungen besteht darin, dass vieles, was die früheren Autoren 
auf eine Ausscheidung des Farbstoffes durch die Nierenepithelien bezogen 
hatten, in Wirklichkeit nur Ausdruck einer Speicherung des Farbstoffes 
in den Zellen ist. 

Suzuki fasst seine Ergebnisse selbst in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Die Ausscheidung der Farbstoffe mit dem Ham erfolgt, ehe eine irgendwie 
nennenswerte Färbung der granulären Strukturen in den Hauptstücken festzustellen ist. 

2. Während dieser frühzeitigen Ausscheidungsperiode lassen sich in den fixierten 
Organen reichliche feingranulierte Karminzylinder in den Nieren nachweisen. 

3. Die Bildung dieser Zylinder erfolgt so gut wie ausschliesslich in den sogon. 
Resorptionsabschnitten der Kanälchensysteme. 

4. Die Bildung dieser granulierten Massen ist nicht auf eine sekretorische Aus¬ 
scheidung karmingefärbter echter Granula seitens der Epithelien der Hauptstücke 
zurüokzuführen, da hier, wenn überhaupt, nur bei stärkerer Karminzufuhr Abscheidung 
des Karmins in körnig-fester Form beobachtet wird, während die eigentlichen Zell¬ 
granula ganz schwach oder garnicht gefärbt sind. 

5. Bei der Abscheidung korpuskularen Karmins handelt es sich um Niederschlags¬ 
bildungen in den Grenzgebieten des Bürstensaumes, die sich an einem sonst in gelöster 
Form ausgeschiedenen Farbstoff vollziehen. 

6. Auch die Ausscheidung des gelösten Farbstoffes findet nur zum Teil in den 
Epithelien der Hauptstücke statt, da sie sonst zur Zeit der Zylinderbildung schon 
stärkere Granulafärbung aufweisen müssten. Vielmehr ist eine weitere Quelle der 
Ausscheidung in den Glomerulis zu suchen, dereu Kapselraum bei allzu starker 
Karminzufuhr und bei zunehmender Verstopfung der distalen Kanälchenabschnitte 
ebenfalls Karminniederschläge aufweisen kann. 

7. Nach diesen Versuchen muss das Nierensystem in drei Abschnitte zerlegt 
werden, in den Glomerulusfilterapparat, durch welchen die Ausscheidung der Harn¬ 
flüssigkeit und des in ihr gelösten Farbstoffes erfolgt, in den sekretorischen Kanälchen¬ 
abschnitt, durch welchen gleichfalls eine Ausscheidung gelösten Farbstoffes vor sich 
geht, und den Resorptionsabschnitt, in welchem keine Ausscheidung des Farbstoffes 
seitens der Epithelien mehr beobachtet werden kann, in welchem vielmehr eine auf 
Eindickung zurückzuführende hyalin-körnige Zylinderbildung sichtbar wird. 

8. Von der Ausscheidung des gelösten Farbstoffes, die sich relativ schnell voll¬ 
zieht, ist die allmählich erfolgende Speicherung des Farbstoffes in den echten Granulis 
scharf zu trennen. Die karminspeichernden Granula haben mit der Sekretion des 
Farbstoffes nichts zu tun. 

Eine sehr ingeniöse physiologische Methode zur Untersuchung der 
Nierenfunktion wandte Moritz Nussbaum an. Er machte an der 
lebenden Kaltblütlerniere die Beobachtung, dass die Glomeruli von der 
Nierenarterie, die Harnkanälchen von der Nierenpfortader gespeist werden. 

Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2. 2 


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Diese Feststellung gab ihm die Möglichkeit, durch Unterbindung eines 
dieser beiden Zirkulationssysterae die Glomeruli oder die Harnkanälchen 
von der Blutversorgung abzuschneiden. Nach Unterbindung der Nieren¬ 
arterie sistierte die Wasserausscheidung, während intravenös injiziertes 
indigschwefelsaures Natrium oder Harnstoff durch die Harnkanälchen 
sezerniert wurde. Dabei zeigte es sich, dass ein gewisser Teil des 
Wassers von den sezernierten Salzen mitgeführt wurde, und dass z. B. 
der Harnstoff mehr Wasser mit sich führt als das indigschwefelsaure 
Natrium. Die Glomeruli haben demgegenüber die Funktion, unabhängig 
von der sekretorischen Tätigkeit der Harnkanälchen, die Wassermenge 
des Blutes konstant zu erhalten; ausserdem wird aber auch der Zucker 
und das Eiweiss durch die Glomeruli ausgeschieden. 

Leider erfuhren diese überaus wichtigen Feststellungen Nuss bau ms 
eine gewisse Beeinträchtigung dadurch, dass Adami Anastomosen zwischen 
den beiden genannten Gefässsystemen nachwies, so dass auch nach Unter¬ 
bindung der Nierenarterie noch eine geringe Blutversorgung der Glomeruli 
durch die Anastomosen von der Nierenpfortader aus erfolgen kann. 

Gurwitsch unterband bei Kaltblütlern die Nierenpfortader und fand 
nach Ausschaltung der gesamten Harnkanälchen, dass die Haupt¬ 
ausscheidung der Salze und Farbstoffe zweifellos durch die Harnkanälchen 
erfolgt, dass sie aber auch bei stärkerer Anhäufung im Blute „durch die 
Glomeruli in einer bestimmten Konzentration durchfiltriert werden, die 
dem Prozentgehalte des Blutes an ihnen mehr oder weniger gleichkommt“. 

Ich selbst möchte an dieser Stelle betonen, dass die grundlegenden 
Ergebnisse der Nussbaumschen Versuche trotz der geringen Ein¬ 
schränkungen Adamis doch für vollkommen gesichert und den Tatsachen 
entsprechend gelten müssen. 

Die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen, den Mechanismus der 
Nierenfunktion durch das Studium der Farbstoffausscheidung aufzuklären, 
sind demnach noch recht wenig eindeutig. Denn die früheren Arbeiten 
haben den Unterschied zwischen Ausscheidung und Speicherung des 
Farbstoffs nicht berücksichtigt, und Suzuki, der zwar die Ausscheidung 
des Farbstoffs durch die Harnkanälchen gleichfalls bestätigt hat, hält im 
Gegensatz zu Heidenhain und der Mehrzahl der gesamten Nachunter¬ 
sucher eine Ausscheidung des Farbstoffs durch die Glomeruli für wahr¬ 
scheinlich. Einen zwingenden Beweis hierfür kann ich jedoch in seinen 
Versuchen nicht sehen, da der Befund von Farbstoffkörnchen im Kapsel¬ 
raum der Glomeruli „bei starker Karminzufuhr und bei zunehmender 
Verstopfung der distalen Kanälchenabschnitte“ für eine Sekretion des 
Farbstoffs durch die Gefässschlingen der Glomeruli unter physiologischen 
Verhältnisse nicht beweisend ist. Sicher ist daher nur die Farbstoff¬ 
ausscheidung durch die Harnkanälchen, unentschieden da¬ 
gegen die durch die Glomeruli. 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 19 

II. Die Ausscheidung von histochemisch nachweisbaren Salzen 
durch die Niere. 

Schon vor Heidenhain hat H. Quincke im Jahre 1868 die Aus¬ 
scheidung von Eisensalzen (zitronensaures, weinsaures und apfelsaures 
Eisen) durch die Niere mit Hilfe histochemischer Methoden (Schwefel- 
amraonium- und Berlinerblau-Reaktion) untersucht; er fand das Eisen 
lediglich in den Harnkanälchen und ihren Epithelien. Auf seine An¬ 
regung hat Glaevecke 1883 diese Versuche wieder äufgenommen und 
bestätigt. „Die Epithelien der gewundenen Harnkanälchen nehmen das 
Eisen aus der sie umgebenden Lymphe und sammeln es in ihrem Innern 
zunächst an. Sie scheiden dann das gesammelte Eisen wieder aus u . 

In neuerer Zeit haben Biberfeld und Basler die Ausscheidung 
des Ferrozyans durch die Niere studiert. Biberfeld fand das Ferrozyan, 
das er mit Hilfe von Eisenchlorid als Berlinerblau nachwies, niemals ira 
Kapselraum der Glomeruli, sondern nur in den gewundenen Harn¬ 
kanälchen, und zwar sowohl in der Wand als auch an andern Stellen 
innerhalb der Epithelzellen und im Lumen der Harnkanälchen. Auch 
Basler fand die Glomeruli meist ungefärbt. Die Harnkanälchen dagegen 
waren durch eine blaue Linie konturiert. Jedoch fand er das Ferrozyan 
niemals in dcA Zellen selbst oder im Lumen der Kanälchen, so dass er 
den Schluss ziehen musste, dass der Farbstoff nicht da niedergeschlagen 
wird, wo er sich während des Lebens befindet. Darum hält Basler 
auch den Schluss von Biberfeld, dass die gewundenen Kanälchen den 
Ort der Ferrozyanausscheidung darstellen, für verfrüht. 

Waschetkow dagegen konnte bei seinen Versuchen, in denen er 
grosse Mengen (10—31 g) Ferrozyan bei Hündinnen injizierte, das Salz 
auch ira Plasma der Epithelzellen nach weisen; er hält also das spezifische 
Nierenepithel für den Ort der Ausscheidung. 

Ich selbst habe 1912 auf Anregung von Herrn Prof. Bunge in Bonn 
als damaliger Assistent der chirurgischen Abteilung des Friedrich Wilhelm- 
Stiftes die Ausscheidung des Ferrozyannatriums in zahlreichen Versuchen 
histochemisch geprüft. Auf die Einzelheiten dieser Versuche brauche ich 
hier nicht einzugehen, da ich über dieselben in einer grösseren Arbeit 
gemeinschaftlich mit Herrn Prof. Bunge anderen Ortes ausführlicher be¬ 
richten werde. Hier sei nur soviel gesagt, dass selbst bei Injektion 
ganz enormer Mengen des Salzes dieses niemals in den 
Glomerulis, sondern ausschliesslich in den gewundenen Harn¬ 
kanälchen nachweisbar ist, welche das Salz der umgebenden 
Lymphe aufnehmen, in den Zellen konzentrieren und in das 
Lumen ausscheiden. 

Wir dürfen es demnach wohl als bewiesen ansehen, dass die histo¬ 
chemisch nachweisbaren körperfremden Salze, wie die Eisensalze und 
die Fcrrozyansalze, lediglich in den Harnkanälchen aus¬ 
geschieden werden. 

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III. Eigene Untersuchungen Uber die Ausscheidung der normalen 
Harnbestandteile in den Nieren. 

In den vorangegangenen Abschnitten haben wir gesehen, dass der 
Mechanismus der Farbstoffausscheidung noch nicht absolut geklärt ist, 
dass dagegen die körperfremden Eisensalze lediglich durch die Harn¬ 
kanälchen abgesondert werden. So wichtig dieses letztere Ergebnis ist, 
beweist es doch nichts für den Mechanismus der Absonderung der nor¬ 
malen, körpereigenen Harnbestandteile. Angeregt durch die Ergebnisse 
meiner eben angeführten Untersuchungen über die Ausscheidung des 
Ferrozyans, habe ich daher bereits vor zwei Jahren unter Leitung von 
Herrn Prof. Bunge versucht, die Ausscheidung des Kochsalzes in den 
Nieren nachzuweisen. Diese Versuche scheiterten jedoch an gewissen 
technischen Schwierigkeiten und wurden daher von mir seinerzeit auf¬ 
gegeben. Erst im Juli 1913 habe ich die Versuche im Laboratorium 
der 2. medizinischen Klinik der Kgl. Charitö zu Berlin von neuem auf¬ 
genommen, die Ausscheidung der normalen Harnbestandteile in den Nieren 
mit Hilfe von histochemischen Methoden, die ich zu diesem Zweck aus¬ 
arbeitete, zu untersuchen und die Frage nach dem Orte ihrer Ausscheidung 
in der Niere endgültig zu klären. Ueber das Ergebnis (fieser Versuche 
habe ich zuerst auf dem 31. Kongress für innere Medizin in Wiesbaden 
und kurz danach auf Einladung des ärztlichen Vereins in Hamburg (vgl. 
Münchener med. Wochenschr., 1914, Nr. 28) kurz berichtet und daselbst 
auch die Originalpräparate demonstriert. 

a) Die Ausscheidung des Kochsalzes. 

Der histochemischc Nachweis des Kochsalzes gelingt mit folgender 
Methode: 

y 2 bis 1 mm dünne Scheiben der frisch exstirpierten Niere werden 
sogleich in eine 1- bis 3proz. Silbernitratlösung eingelegt und im Dunkeln 
12 bis 24 Stunden aufbewahrt. Ist die Silbcrnitratlösung neutral, so 
fallen hierbei sowohl die Chloride als auch die Phosphate als unlösliche 
Silbersalze aus. Will man die Chloride allein ohne die Phosphate er¬ 
halten, so säuert man die Silbernitratlösung mit Salpetersäure an (auf 
etwa 1 pCt. Salpetersäuregehalt). In dieser sauren Lösung bleiben die 
Phosphate gelöst, und nur die Chloride fallen als Chlorsilber aus. Hierauf 
wässert man die Stücke in destilliertem Wasser, das man wiederholt 
wechseln muss, mehrere Stunden, wonach man dieselben dem Lichte 
aussetzt. Man bringt sie darauf in einen photographischen Entwickler 


von der Zusammensetzung: 

Hydrochinon. 2,0 ccm 

Natriumsulfit. 0,5 „ 

Aqua dest.100,0 „ 

40 proz. Formol. 5,0 „ 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 21 


In dieser Lösung bleiben die Schnitte 10 bis 20 Stunden liegen, 
wodurch der Chlorsilberniederschlag zu metallischem Silber reduziert 
wird. Es ist vorteilhaft, diese Reduktion im Stück vorzunehmen und 
dann erst die Stücke einzubetten und zu schneiden, weil bei der Ein¬ 
bettung der unreduzierten Stücke ein grosser Teil des Chlorsilbers aus¬ 
geschwemmt wird. Es ist gleichgültig, ob man die frisch exstirpierten 
Nierenstücke in die Silbernitratlösung einlegt oder ob man die Niere von 
der Arterie aus vorher mit Silbernitratlösung durchspült. Nachdem die 
Stücke in Paraffin oder Celloidin eingebettet und geschnitten worden sind, 
färbt man die Schnitte mit einer Kernfarbe nach. Die schönsten Bilder 
gibt eine Gegenfärbung mit Alaunkarmin; doch eignen sich auch andere 
Kernfarben zur Gegenfärbung, sofern sie nicht die Silberniederschläge 
angreifen. 

Ueber die einzelnen Versuche sei im Folgenden kurz berichtet: 

Kaninohen 1. 5 ccm 10 proz. Kochsalzlösung intravenös. Niere exstirpiert und 
histochemisch untersucht. Die Glomeruli sind frei von Kochsalz, die gewundenen 
Harnkanälchen und die breiten Anfangsteile [Uebergangsteile 1 )] der geraden Harn¬ 
kanälchen dagegen sind mit Kochsalz stark angefüllt. Das Kochsalz findet sich in 
allen Teilen der Epithelzellen; es scheint in diesen Zellen eine starke Anreicherung 
des aus den Lymphdrüsen resorbierten Kochsalzes stattzufinden. In den Blut- und 
Lymphbahnen findet sich nur wenig Kochsalz. Die aufsteigenden Abschnitte der 
Henleschen Schleifen und die Sammelröhren sind frei von Kochsalz. 

Kaninchen 2. Nach gewöhnlicher Fütterung (Rüben und Kohl) wird die Niere 
exstirpiert, ohne dass vorher eine Kochsalzzulage gegeben worden war. Die histo- 
chemische Untersuchung zeigte nur wenig Kochsalz in den Epithelzellen der ge¬ 
wundenen Harnkanälchen und den breiten Anfangsteilen (Uebergangsteilen) der geraden. 
Glomeruli und Sammelröhren frei von Kochsalz. 

Kaninchen 4. 7,5 ccm 20proz. Kochsalzlösung = 1,5 g Kochsalz intravenös. 
Die linke Niere wird nach 35 Minuten exstirpiert und in 2proz. Silbernitrat eingelegt. 
Bei der histochemischen Untersuchung findet sich ein ausserordentlich starker Koch¬ 
salzgehalt der Harnkanälchen; die Zellen der gewundenen und die der breiten Anfangs¬ 
teile der geraden Harnkanälchen sind geradezu vollgepfropft mit histochemischen 
Silberniederschlägen. Trotz der enormen Anforderung, die durch die Injektion einer 
so grossen, die Grenze des Normalen weit überschreitenden Kochsalzmenge in die 
Blutbahn an die Niere gestellt wurde, waren es auch in diesem Falle lediglich die 
Harnkanälchen, die die Ausscheidung dieser Kochsalzmenge bewerkstelligten, während 
die Glomeruli selbst bei dieser Mehrbelastung der Niere nichts als Wasser (natürlich 
in physiologischer Lösung) absonderten. 

Meerschweinchen 1. Nach gewöhnlicher Fütterung entblutet, die Nieren¬ 
stückchen in Silbernitratlösung eingelegt. Kochsalz wurdo nur in den gewundenen 
und den Uebergangsteilen der geraden Harnkanälchen gefunden; Glomeruli und distale 
Teile der Ausführungsgänge frei von Koohsalz. 

Kaninchen 5. Erhält 30 ccm 10 proz. Kochsalzlösung durch die Magensonde 
in den Magen eingefüllt. Die linke Niere wurde nach einer halben, die rechte nach 
1 1 / 2 Stunden exstirpiert und in Silbernitratlösung eingelegt. Beide Nieren zeigen einen 

1) Diese Uebergangsteile werden von vielen Autoren noch zu den gewundenen 
Kanälchen (Hauptstücken nach Aschoff) gerechnet und gehören auch funktionell 
za ihnen. 


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ziemlich starken Kochsalzgehalt der gewundenen und der Uebergangsteile der geraden 
Harnkanälchen bei Freisein der Glomeruli und der anderen Nierenabschnitte. 

Kaninchen 6. Eben gestorbenes Kaninchen (infolge Darmperforation bei Tem¬ 
peraturmessung), Niere unmittelbar nach dem Tode exstirpiert und in neutrale Silber¬ 
nitratlösung gelegt; Chloride und Phosphate finden sich in gleichen Mengen wie bei 
Kaninchen 2 in den Harnkanälchen; die übrigen Nierenabschnitte frei. 

Kaninchen 7. Nach zweitägigem Hungern und reichlicher Wasserzufuhr wird 
eine Niere exstirpiert und histochemisch untersucht. Es finden sich nur hier und da 
ganz vereinzelte Silberkörnohen in den Harnkanälchen, während die meisten Teile der 
Niere keine histochemische Reaktion geben. Nach intravenöser Injektion von 5 ccm 
einer lOproz. Kochsalzlösung wird die andere Niere exstirpiert und ebenfalls unter¬ 
sucht. Sie zeigt einen ziemlich starken Kochsalzgehalt in den Harnkanälchen, während 
die Glomeruli und die distalen Nierenabschnitte frei sind. 

Dieser Versuch lehrt, dass die Niederschläge in den Zellen der Harn¬ 
kanälchen in der Tat die Gegenwart von Kochsalz anzeigen und nicht 
unspezifische Metallniederschläge sind. Bei dem geringen Kochsalzgehalt, 
wie ihn die Niere des hungernden und reichlich mit Flüssigkeit durch¬ 
spülten Tieres aufwies (das spezifische Gewicht des Urins betrug nur 
etwa 1002 bis 1003), war auch auf histochemischem Wege kein Koch¬ 
salz nachweisbar. Unmittelbar nach der Injektion von Kochsalz dagegen 
zeigte sich parallel mit dem Erscheinen des Kochsalzes im Urin auch ein 
auf histochemischem Wege nachweisbarer Kochsalzgehalt in den Zellen 
der Harnkanälchen. 

Kaninchen 8. Erhält 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung intravenös. Ex¬ 
stirpation der linken Niere nach 10 Minuten. Die Harnkanälchen zeigen einen starken 
Kochsalzgehalt; die Glomeruli und die Zellen der absteigenden Schenkel der Henle- 
schen Schleifen und der Sammelröhren sind frei von Kochsalz. Dem Tier wird reich¬ 
lich Wasser zugeführt, und nach 10 Stunden, nachdem das zugeführte Kochsalz aus¬ 
geschieden ist, wird die andere Niere exstirpiert und gleichfalls histochemisch unter¬ 
sucht. Entsprechend dem überaus geringen Koohsalzgehalt des zuletzt entleerten 
Urins finden sich auch bei der histochemischen Untersuchung der Niere nur äusserst 
minimale Spuren von Kochsalz in den Harnkanälchen. 

Dieser Versuch zeigt, dass die histochemischen Niederschläge auf 
einer Ausscheidung des Salzes durch die Zellen der Harnkanälchen be¬ 
ruhen und nicht etwa durch eine Resorption desselben bedingt sind; 
denn man findet sie nur im Stadium der Ausscheidung; nach beendigter 
Ausscheidung dagegen gibt die histochemische Untersuchung ein negatives 
Resultat. Dieser Befund ist um so wichtiger, als bekanntlich die Unter¬ 
suchung der Farbstoffausscheidung gelehrt hat, dass auch nach Beendigung 
der Farbstoffausscheidung im Urin sich immer noch Farbstoffniederschläge 
in den Nierenzellen finden, welche somit auf einer Speicherung des Farb¬ 
stoffs beruhen und erst nach einer viel längeren Zeit allmählich ausge¬ 
schieden werden. Bei den Salzen dagegen, sowohl bei den körpereigenen 
wie bei den körperfremden, habe ich eine solche Resorption oder Auf¬ 
speicherung niemals finden können. Schliesslich ist es ja auch nicht 
Aufgabe der Niere, die Salze zu resorbieren oder aufzuspeichern, sondern 
sie auszuscheiden. 


Gergle 


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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 23 


Kaninchen 9 und 10. Normale Kaninchen. Gewöhnliche Fütterung mit etwas 
Salzzulage. Die histochemische Untersuchung ergibt denselben Befund wie bei 
Kaninchen 2, nur etwas stärkere Anhäufung von Salz in den Zellen der Harnkanälchen. 

Kaninchen 11. Injektion von 10 ccm einer 10proz. Kochsalzlösung. Exstir¬ 
pation der linken Niere unmittelbar nach Beendigung der Injektion. Das Kochsalz 
findet sich in mässigen Mengen in den Zellen der Harnkanälchen. Nach 30 Minuten 
Exstirpation der rechten Niere. Entsprechend der sehr viel stärkeren Konzentration 
des Koohsalzes im Urin findet sich auch in den Zellen der Harnkanälchen ein be¬ 
deutend stärkerer Kochsalzgehalt. Glomeruli und Zellen der aufsteigenden Schenkel 
und der Sammelröhren frei. 

Kaninchen 12. Injektion von 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung mit lproz. 
Diuretingehalt. Exstirpation der linken Niere nach 30 Minuten. Starker Kochsalz¬ 
gehalt der Harnkanälchen, reichliche Flüssigkeitszufuhr (intravenöse Injektion von 
30 ccm Wasser); darauf einsetzende starke Verdünnung des Urins mit Sinken des 
spezifischen Gewichts von 1020 auf 1004. Auf der Höhe dieser Harnflut wird die 
andere Niere exstirpiert und histochemisch untersucht. Sie zeigt entsprechend der 
geringen Salzkonzentration im Urin keinen histochemisch deutlich nachweisbaren 
Kochsalzgehalt in den Harnkanälchen. 

Meerschweinchen 2 und 3. Normale Fütterung mit etwas Salzzulage. Die 
histochemische Untersuchung der Niere ergibt die gleichen Verhältnisse wie bei 
Meerschweinchen 1. 

Meerschweinchen 4. Subkutane Injektion von 3 ccm einer 5proz. Kochsalz¬ 
lösung. Kochsalz nach einer Stunde in den Harnkanälchen in etwas stärkerem Grade 
nachweisbar als bei den vorigen Tieren. 

Meerschweinchen 5. 1 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung intravenös. Exstir¬ 
pation beider Nieren nach 30 Minuten. Ausserordentlich starker Kochsalzgehalt in 
den Zellen der gewundenen Harnkanälchen und den Anfangsteilen der geraden. Die 
Zellen aller übrigen Nierenteile enthalten kein Kochsalz. 

In allen diesen Fällen fand sich demnach das Kochsalz 
nur in den gewundenen Harnkanälchen und in den breiten 
Uebergangsteilen der geraden, die •och zu den Hauptstücken 
gehören, in den Zellen der übrigen Nierenabschnitte dagegen 
nicht. Natürlich findet man auch in diesen Zellen hin und wieder kleine 
Silberkörnchen, und es ist ja auch einleuchtend, dass eine solche mini¬ 
malste histochemische Reaktion auch in diesen Zellen stattfinden muss, 
da sie ja alle Kochsalz in physiologischer Lösung enthalten. Es ist nun 
ein Merkmal aller histochemischen Reaktionen, dass sie erst von einer 
stärkeren Konzentration der Salze an deutliche positive Reaktionen geben. 
So erhält man bei einem geringen Kochsalzgehalt des Harns, der mit 
Silbernitrat noch einen deutlichen Niederschlag gibt, in den Nieren keine 
histochemische Reaktion. Besonders deutlich tritt das bei Verwendung 
körperfremder Salze (z. B. des Ferrozyans) hervor. Injiziert man einem 
Kaninchen l / 2 —1 ccm einer 4 proz. Ferrozyanlösung, so kann man das 
Ferrozyan schon nach 10 Minuten mühelos im Urin nachweisen und hier 
eine deutliche Berlinerblaureaktion erhalten; in der Niere dagegen kann 
man auf histochemischem Wege die Ferrozyanausscheidung bei dieser 
Konzentration überhaupt nicht nachweisen, sondern benötigt hierzu erst 


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einer grösseren Ferrozyanraenge, etwa 5—10 ccm einer lOproz. Ferro- 
zyanlösung. Meine oben erwähnten ersten Versuche in Bonn, das Koch¬ 
salz nachzuweisen, sind zu einem grossen Teile daran gescheitert, dass 
die Kaninchen infolge der Rübenfütterung einen sehr verdünnten Urin 
entleerten und demgemäss nicht genügend Salze in den Nierenzellen ent¬ 
hielten, als dass ein histochemischer Nachweis möglich gewesen wäre. 
Erst nach der Injektion der grösseren eben genannten Salz¬ 
mengen gelang der histochemische Nachweis des Salzes in 
den Zellen der Harnkanälchen. 

Bei grösseren Schnitten sieht man namentlich bei Injektion grösserer 
Mengen von Kochsalz stets, dass einzelne Nierenabschnitte mehr Salz 
enthalten als andere. Es ist naheliegend, zunächst anzunehmen, dass 
diese Unterschiede z. T. auf einer verschiedenen Imprägnation mit den 
histochemischen Reagentien beruhen; da sie sich jedoch so konstant 
finden und immer verschiedene Abschnitte der Niere betreffen, halte ich 
es doch für wahrscheinlich, dass die verschiedenen Teile der Niere 
zur gleichen Zeit nicht gleich stark sezernieren, so dass man 
gleichzeitig gewisse Teile der Harnkanälchen mit starkem Kochsalzgehalt 
antrifft, während andere weniger Salz ausscheiden. Auch aus anderen 
Beobachtungen hat man ja diesen Schluss auf eine verschieden starke 
Tätigkeit der einzelnen Nierenabschnitte gezogen, und wenn meine 
Präparate hierfür auch keinen absolut sicheren Beweis bringen, so sprechen 
sie doch zu gunsten dieser Annahme. 

b) Die Ausscheidung des Harnstoffs. 

Der histochemische Nachweis des Harnstoffs gelingt dadurch, dass 
man den Harnstoff als Quecksilbersalz fällt und das Quecksilber durch 
Schwefelwasserstoff in schw^fzbraunes Quecksilbersulfid überführt. Im 
einzelnen verfährt man folgendermassen: Man bringt ganz dünne, höchstens 
1 j 2 —1 mm dicke Nierenstückchen in eine VlO ■~ 1 /2 gesättigte Lösung von 
Merkurinitrat in lproz. Salpetersäure. Die Schnitte müssen so dünn sein, 
weil das schwere Queeksilbersalz nur sehr langsam in sie eindringt. 
Bei Verwendung konzentrierter Lösungen werden die Schnitte sehr leicht 
brüchig; daher empfiehlt es sich, in jedem Falle verschiedene Stücke in 
verschieden stark konzentrierte Lösungen einzulegen, um sicher zu sein, 
nicht allzu brüchige Präparate mit guter Harnstoffreaktion zu erhalten. 
Man lässt die Nierenstücke einen Tag in der Quecksilbernitratlösung, 
wäscht dann das Salz mit destilliertem Wasser mehrere Stunden lang 
unter häufigem Wechseln aus und bettet die Nierenstücke über Alkohol 
und Nylol in Paraffin ein. Erst im Schnitt macht man die Harnstoff¬ 
quecksilberverbindung durch Behandeln mit Schwefelwasserstoffwasser 
sichtbar. Wenn man diese Behandlung bereits im Stück vornimmt, be¬ 
kommt man leicht grobe Niederschläge von Quecksilbersulfid in scholliger 
Anordnung, während bei der Behandlung im Schnitt der Quecksilber- 


Gck igle 


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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 25 


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harnstoff in feinkörniger Form als braunschwarzes Sulfid in den Nieren 
sichtbar wird. Zur Gegenfärbung verwendet man am besten Hämotoxylin. 

Kaninchen 13 erhält 7,5 ccm einer 20proz. Harnstofflösung = 1,5 g. Exstir¬ 
pation der linken Niere nach 25 Minuten. Die Zellen der gewundenen Harnkanälchen 
und die Anfangsteile der Uebergangsteile der geraden enthalten grosse Mengen der 
Harnstoffverbindung. Die Zellen und namentlich die Kerne der Glomeruli und der 
übrigen Nierenabschnitte geben auch eine leichte Graufärbung, da sie ja auch eine 
gewisse Menge von Harnstoff physiologischerweise enthalten. Diese geringe Reaktion 
steht jedoch in gar keinem Verhältnis zu dem ausserordentlich starken Niederschlag 
in den Zellen des sezernierenden Epithels. 

Nach Injektion von 30 ccm Wasser und 1 ocm lproz. Diuretinlösung setzt eine 
mächtige Harnflut ein; das spezifische Gewicht des Urins sinkt von 1022 auf 1005. 
Entsprechend der sehr geringen Harnstoffmenge in diesem polyurischen Harn zeigt 
auch die auf der Höhe der Harnflut exstirpierte rechte Niere nur die oben beschriebene 
physiologische Harnstoffreaktion (leichte Graufärbung) in allen Teilen der Niere gleich- 
massig. Es ist sogar möglich, dass diese Reaktion weniger auf dem Harnstoffgehalt 
der Zellen als auf ihrem Eiweissgehalt beruht, da ja das Quecksilberoxydnitrat auch 
Eiweiss fallt. Von der spezifischen histochemischen Harnstoffreaktion, wie man sie 
nach der Injektion grösserer Harnstoffmengen findet, ist sie jedoch ohne weiteres zu 
unterscheiden. 

Kaninchen 14. 5 ccm einer 20proz. Harnstofflösung in den Magen eingebracht. 
Nach s / 4 Stunden wird die linke Niere exstirpiert. Es zeigt sich ein massig starker 
Harnstoffgehalt in den gewundenen Harnkanälchen und in den Anfangsteilen der ge¬ 
raden. Nach einigen Tagen wird nach gewöhnlicher Fütterung (Kohl) die andere 
Niere exstirpiert. Auch in ihr lässt sich histochemisch Harnstoff in mässiger Menge 
in den Harnkanälchen nachweisen. 

Meerschweinchen 6—10. Nach gewöhnlicher Fütterung mit Brot, Kohl usw. 
werden diesen Meerschweinchen, die zur Komplementabnahme für andere Versuche 
getötet werden mussten, unmittelbar nach dem Tode die Nieren exstirpiert und histo¬ 
chemisch untersucht. Auch hier wurde das gleiche Ergebnis erhalten wie bei den 
Kaninchen: Mässig starker Harnstoffgehalt der gewundenen Harnkanälchen (der 
Hauptstüoke), Freisein der übrigen Nierenabschnitte. 

Meerschweinchen 11 erhält 1 ccm einer 20proz. Harnstofflösung intravenös. 
Der Harnstoffgehalt der Harnkanälchen ist in diesem Falle ein ausserordentlich grosser 
entsprechend der starken Konzentration im Urin. 

Meerschweinchen 12 erhält 2 ccm einer 20proz. Harnstofflösung intraperi¬ 
toneal. Auch hier zeigt sich entsprechend der die Norm überschreitenden Harnstoff¬ 
konzentration im Urin ein starker Harnstoffgehalt des sezernierenden Nierenepithels. 

Kaninchen 15—18. Normale Tiere bei gewöhnlicher Fütterung, die zu andern 
Zwecken getötet werden mussten. Die unmittelbar nach dem Tode exstirpierten Nieren 
zeigten das gleiche Verhalten, wie es oben bei den Meerschweinchen beschrieben 
wurde. 

Kaninchen 19 erhält 5 g Harnstoff durch den Magenschlauch per os. Nach 
einer Stunde wird die linke Niere exstirpiert. Sie zeigt entsprechend der starken Harn¬ 
stoffkonzentration im Urin einen ziemlich starken Harnstoffgehalt in den gewundenen 
Harnkanälchen und den Anfangsteilen der geraden. Die am folgenden Tage nach 
reichlicher Flüssigkeitszufuhr exstirpierte rechte Niere zeigt keine deutlich nachweis¬ 
bare auf Harnstoff zu beziehende histochemische Reaktion. 

Kaninchen 20—22. Injektion von 5 ccm einer lOproz. Harnstofflösung intra¬ 
venös. Ziemlich starker Harnstoffgehalt des sezernierenden Nierenepithels bei Freisein 
der übrigen Nierenabschnitte. 



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ERICH L ESCH KE, 


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Diese Versuche zeigen also übereinstimmend, dass die 
Sekretion des Harnstoffs dem gleichen Ausscheidungsmecha¬ 
nismus unterliegt wie die des Kochsalzes. Die Glomeruli 
sondern natürlich mit dem Wasser auch gewisse kleine Mengen 
von Harnstoff ab, wie sie der physiologischen Konzentration 
dieses Stoffes im Blutserum entsprechen. Diese kleinen Mengen 
entziehen sich aber aus dem schon oben angeführten Grunde dem histo- 
chemischen Nachweis, und sie steigen auch bei einer starken Mehr¬ 
belastung der Niere nach Injektion sehr grosser Harnstoff¬ 
mengen nicht an. Die eigentliche Ausscheidung des Harn¬ 
stoffs besorgen die Zellen des spezifischen sezernierenden 
Nierenepithels, d. h. die gewundenen Harnkanälchen und die 
Uebergangsteile der geraden. In ihnen findet man eine starke 
Anreicherung des Harnstoffs, der dann in das Lumen der 
Kanälchen übergeführt wird. 

c) Die Ausscheidung der Phosphate. 

Die Ausscheidung der Phosphate kann man auf zweierlei Weise 
histochemisch sichtbar machen: erstens indem man sie zusammen mit 
den Chloriden durch neutrale Silbernitratlösung fällt, und zweitens, wenn 
man sie allein erhalten will, indem man sie mit Urannitrat oder Uran- 
azetat fällt, und durch Behandeln mit salzsaurer Ferrozyanlösung in 
Uraniferrozyanat überführt. Auf die erste Methode brauche ich nicht 
nochmals einzugehen, da sie bei dem Abschnitt über das Kochsalz schon 
beschrieben worden ist. Bei der zweiten Methode bringt man dünne 
Nierenschnitte in 0,1—0,5 proz. Urannitratlösung. Stärkere Urannitrat¬ 
lösungen haben ebenso wie stärkere Quecksilbernitratlösungen, wohl im 
Zusammenhang mit ihrer eiweissfällenden Kraft, die Eigenschaft, die 
Schnitte ausserordentlich brüchig zu machen und auseinanderzureissen. 
Auch für die Darstellung der Phosphate empfiehlt es sich, verschiedene 
Nierenstücke in verschieden stark konzentrierte Urannitratlösung einzu¬ 
legen, um sicher zu gehen gute Präparate zu gewinnen. Nach 12 bis 
24stündigem Verweilen in der Lösung wäscht man das überschüssige 
Urannitrat mit häufig gewechseltem destillierten Wasser sehr gründlich 
mehrere Stunden lang aus. Um den Niederschlag von weissgelbem 
Uraniphosphat sichtbar zu machen, behandelt man die Stücke oder die 
Paraffinschnitte mit einer frisch bereiteten Lösung von lproz. Ferro- 
zyannatriura in 1 proz. Salzsäure. Es verwandelt sich dann das Urani¬ 
phosphat in rotbraunes Uraniferrozyannatrium. Zur Gegenfärbung ver¬ 
wendet man am besten Hämatoxylin. 

Kaninchen 23. Normales Tier bei gewöhnlicher Fütterung. Exstirpation der 
linken Niere. Ein Teil derselben wird mit Silbernitrat, ein anderer mit Urannitrat be¬ 
handelt. Beide Methoden zeigen übereinstimmend einen sehr geringen Phosphatgehalt 
in den gewundenen Harnkanälchen. Am folgenden Tage werden 5 ccm einer 20proz. 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 27 

Lösung von Natriumphosphat intravenös injiziert und die rechte Niere nach 45 Minuten 
auf der Höhe der Phosphatsekretion exstirpiert. Sie zeigt mit beiden Methoden einen 
ausserordentlich starken Gehalt an Phosphaten in den sezernierenden Epithelzellen 
der Harnkanälchen. 

Kaninchen 24 erhält 5 ccm einer lOproz. Lösung von Natriumphosphat intra¬ 
venös. Die nach einer halben Stunde exstirpierte linke Niere zeigt starken Phosphat¬ 
gehalt der gewundenen Harnkanälchen und der Hauptstücke. Am folgenden Tage wird 
nach reichlicher Wasserzufuhr (30 ccm intravenös) auf der Höhe der Harnflut die 
rechte Niere exstirpiert; sie zeigt weder mit Silber noch mit Uran einen deutlich nach¬ 
weisbaren Phosphatgehalt. 

Kaninchen 25. lg Natriumphosphat in den Magen eingeführt. Nach einer 
Stunde wird die linke Niere exstirpiert; sie zeigt mässig starken Phosphatgehalt in 
den gewundenen Harnkanälchen und den Uebergangsteilen der geraden. 

Kaninchen 26. 7 com einer 20proz. Natriumphosphatlösung sehr langsam 
intravenös injiziert. Das Tier bekommt wohl einige Krämpfe, übersteht die Injektion 
aber gut; nach 1 Stunde Exstirpation beider Nieren. Die sezernierenden Epithelzellen 
der Harnkanälchen zeigen einen sehr starken Phosphatgehalt, während in den Gefäss- 
schlingen der Glomeruli und in den Kapselräumen kein Phosphat, abgesehen von den 
vereinzelten, auch sonst zu findenden Körnchen nachweisbar ist. 

Meerschweinchen 13. 1 ccm einer lOproz. Natriumphosphatlösung subkutan. 
Mässig starker Phosphatgehalt der sezernierenden Zellen der Harnkanälchen mit beiden 
Methoden nachweisbar, bei Freisein der übrigen Nierenabschnitte. 

Meerschweinchen 14. 1 ccm einer lOproz. Natriumphosphatlösung intra¬ 

venös. Starker Phosphatgehalt der gleichen Zellen bei Freisein der übrigen Nieren¬ 
abschnitte. 

Meerschweinchen 15—17. Normale Tiere bei gewöhnlicher Fütterung. Mit 
Urannitrat lässt sich nur sehr wenig Phosphat in den gewundenen Harnkanälchen 
nachweisen. Mit neutraler Silbernitratlösung tritt infolge der gleichzeitigen Dar¬ 
stellung der Chloride eine etwas stärkere histochemische Reaktion auf. 

Diese Versuche zeigen, dass auch die Phosphate ebenso 
wie das Kochsalz und der Harnstoff im wesentlichen nur durch 
die Epithelzellen der gewundenen Harnkanälchen und die 
Uebergangsteile der geraden abgesondert werden. Auch bei 
einer sehr starken Belastung der Niere durch Injektion grosser 
Phosphatmengen beteiligen sich die Glomeruli an der Sekretion 
dieser Salze nicht, sondern sezernieren nur die der physio¬ 
logischen Konzentration der Phosphate im Blutserum ent¬ 
sprechenden geringen Mengen. 

d) Die Ausscheidung der Harnsäure und der Purine. 

Die Ausscheidung der Harnsäure ist bereits von Heidenhain 
studiert worden, der in der Niere von Vögeln, die bekanntlich den grössten 
Teil ihres Stickstoffs in Form von Harnsäure ausscheiden, Harnsäure¬ 
kristalle in den Harnkanälchen nachwies, während sie den Glomerulis 
fehlten. 

Auch Ribbert hat, wie schon im I. Abschnitt dieser Arbeit bemerkt 
worden ist, in seinen Versuchen über die Ausscheidung der Harnsäure, 
diesen Stoff nur in den Harnkanälchen, nicht aber in den Glomerulis 
nachweisen können. 



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KRICH LESCIIKK, 


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Sauer und ebenso Minkowski fanden nach Injektion von Harn¬ 
säure in Piperazin gelöst in der frisch untersuchten Niere die Harnsäure 
nur in den Epithelzellen der gewundenen Kanälchen und im Lumen 
(aber nicht in den Zellen) der Markkanälchen, während die Glomeruli 
frei davon waren. 

Den ersten Versuch einer histochemischen Darstellung der Urate 
machte Anten, der bei Hunden eine ammoniakalische Chlorsilberlösung 
in die Nierenarterie injizierte und die Körner des Silberurates nur in 
den Zellen der gewundenen und den breiten, aufsteigenden (?) Schenkeln 
der Henleschen Schleifen fand. Ich halte es für wahrscheinlich, dass 
Anten die breiten aufsteigenden Schleifenschenkel mit den breiten Ueber- 
gangsabschnitten der gewundenen in die geraden Harnkanälchen ver¬ 
wechselt hat, was bekanntlich leicht möglich ist. In den Glomerulis 
und den Zellen der Markkanälchen fand auch er keine Harnsäure. Durch 
die Methodik der Silberdurchspülung der Nierenarterie und Nachspülung 
von NaCl-Lösung lassen sich jedoch unspezifische Silberniederschläge 
nicht mit Sicherheit ausschalten. 

Auf histochemischem Wege haben auch Courmont und Andre die 
Harnsäure- bei Ratten, Hunden und Menschen in der Niere nachgewiesen, 
indem sie die Nieren in absolutem Alkohol fixierten, über Chloroform in 
Paraffin einbetteten und mit Silbernitrat behandelten. Die Harnsäure¬ 
silberverbindung machten sie dann durch Reduzieren mit Hydrochinon 
sichtbar. Sie fanden die Harnsäure nur in den gewundenen Kanälchen, 
niemals aber in den Glomerulis oder in den Kapselräumen. In den 
Zellen der gewundenen Kanälchen fanden sich feine körnige Niederschläge, 
die sich auch noch in den Zellen der breiten Schleifenschenkel in geringer 
Menge nachweisen liessen. 

Diese Versuche von Courmont und Andre sind jedoch nicht ganz 
beweiskräftig, da die histochemische Reaktion erst an den eingebetteten 
Schnitten vorgenoramen wurde und möglicherweise bei dem geringen 
Ammoniakgehalt der Silbcrlösung auch Chloride und Phosphate mit zur 
Darstellung gelangt sind. 

Zur histochemischen Darstellung der Harnsäure und der Purine habe 
ich folgende Methode benutzt: Nach Injektion von Harnsäure (gelöst in 
Piperazin oder Lithiumkarbonat) w r urde die Niere in eine 1—2 proz. 
ammoniakalische Silbernitratlösung für 12—24 Stunden eingelegt. Die 
Silbernitratlösung wurde jedes Mal frisch bereitet und tropfenweise 
Ammoniak so lange hinzugefügt, bis der zuerst sich bildende Nieder¬ 
schlag sich gerade wieder auflöste. Die ammoniakalische Silbernitrat¬ 
lösung fällt nur die Harnsäure und die Purine als unlösliche Silbersalze, 
während die Chloride und Phosphate in Lösung bleiben. Hierauf wurden 
die Nierenstücke mit destilliertem Wasser unter häufigem Wechseln 
mehrere Stunden lang ausgewaschen, bis das Waschwasser frei von Silber 
war, und in den gleichen Hydrochinonentwickler gebracht, den ich zur 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 29 


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Darstellung der Chloride benutzt habe (Hydrochinon 2,0, Natrium¬ 
sulfit 0,5, Aqua dest. 100,0, 40 proz. Formol 5 ccm). Sodann wurden 
die Stücke in Paraffin eingebettet, geschnitten und mit Alaunkarmin oder 
Safranin nachgefärbt. 

Versuche, die Harnsäure in Gefrierschnitten mittels der Farbenreak¬ 
tion mit Phosphorwolframsäure nacli Folin nachzuweisen, führten zu 
keinem Ergebnis. 

Kaninchen 27. Injektion von 0,5 g Harnsäure gelöst in Piperazinlösung. Ex¬ 
stirpation der Nieren nach 30 Minuten. Die Harnsäure findet sich in den Zellen der 
gewundenen Kanälchen und der Uebergangsteile, nicht dagegen in den Glomeruli und 
den übrigen Nierenabschnitten. 

Kaninchen 28. 0,2 g Harnsäure in wässeriger Emulsion (20 ccm Wasser) 
intravenös. Nieren nach 5 Minuten exstirpiert, zeigen geringe Harnsäuremengen in 
den Harnkanälchen. 

Kaninchen 29. 1 g Harnsäure in 20 ccm Lithiumkarbonat gelöst intravenös. 
Nach 20 Minuten Exstirpation der linken Niere. Harnsäure findet sich in grossen 
Mengen in den Zellen der gewundenen Harnkanälchen und den Uebergangsteilen der 
geraden. Trotz der grossen injizierten Menge sind die Glomeruli vollkommen frei 
von Harnsäure. 

Kaninchen 30. 0,2 g Xanthin intravenös. Linke Niere nach 20 Minuten ex¬ 
stirpiert. Der Purinkörper findet sich an den gleichen Stellen wie die Harnsäure bei 
Kaninchen 28. Am folgenden Tage Exstirpation der rechten Niere bei reichlicher 
Diurese. Weder Harnsäure noch Purine histochemisch in der Niere nachweisbar. 

Kaninchen 31. 0,5 g Harnsäure in Lithiumkarbonat gelöst intravenös. Exstir¬ 
pation der linken Niere nach 30 Minuten. Die Harnsäure findet sich nur in den 
sezernierenden Zellen der Harnkanälchen. 

Kaninchen 32 und 23. Normale Tiere, die zu anderen Zwecken getötet 
werden mussten, bei gewöhnlicher Fütterung. Exstirpation der Nieren unmittelbar 
nach dem Tode. In den Zellen der Harnkanälchen finden sich ganz vereinzelte feine 
Silberniederschläge, während die Glomeruli und die übrigen Nierenabschnitte davon 
frei sind. 

Meerschweinchen 18 und 19. Normale Tiere, die zu anderen Zwecken ge¬ 
tötet werden mussten, bei gewöhnlicher Fütterung. In den Nieren finden sich nur in 
den Zellen der Harnkanälchen sehr geringe Spuren eines Silberniederschlages. 

Meerschweinchen 20. 0,1 g Harnsäure in Piperazinlösung intravenös. Die 
Harnsäure findet sich in beträchtlicher Menge in den Zellen der gewundenen Harn¬ 
kanälchen und der absteigenden Schenkel der geraden. Die Glomeruli sind frei. 

Ausserdem wurden noch einige frische Nieren von Hühnern unter¬ 
sucht, die eine deutliche histochemische Harnsäurereaktion hauptsächlich 
in den Zellen der gewundenen Harnkanälchen und etwas weniger stark 
in den Uebergangsteilen der graden gab. Die Glomeruli und die distalen 
Teile der Harnkanälchen und Sammelröhren sind auch in der Vogelniere 
frei von Harnsäure. 

Das Ergebnis dieser Untersuchungen besteht darin, dass 
auch die Harnsäure ebenso wie die Salze und der Harnstoff 
lediglich durch die gewundenen Harnkanälchen und die Ueber¬ 
gangsteile zu den geraden Kanälchen, soweit dieselben spe¬ 
zifisch sezernierendes Epithel besitzen, ausgeschieden werden; 



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ERICH LESCHKE, 


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während die Glomeruli sich an der Sekretion auch dieser 
Stoffe in histochemisch nachweisbarer Menge nicht beteiligen. 

IV. Die Ausscheidung der Jodsalze in der Niere. 

Der Ort der Jodausscheidung hat seit den grundlegenden Versuchen 
von Schlayer und der Einführung dieses Mittels durch ihn in die funk¬ 
tionelle Nierendiagnostik zur Prüfung des tubulären Apparates sowohl 
theoretisch als auch praktisch-klinisch grosses Interesse gewonnen. Da 
sich die Jodsalze histochemisch mit der gleichen Methode wie die Chloride 
sehr leicht nachweisen lassen, habe ich auch den Ausscheidungsraecha- 
nismus dieses körperfremden Salzes in den Kreis meiner Untersuchungen 
einbezogen. 

Kaninchen 34. Nach zweitägigem Hungern und reichlicher Wasserzufuhr 
wird die linke Niere exstirpiert und histochemisch mit Hilfe der Sibermethode unter¬ 
sucht. Es zeigt sich fast absolutes Freisein von mit Silbernitrat fällbaren Stoffen 
(Chloriden). Darauf intravenöse Injektion von 5 ccm einer lOproz. Jodnatriumlösung. 
Exstirpation der rechten Niere nach 15 Minuten. Reichliche Silberniederschläge in 
sämtlichen gewundenen Harnkanälchen und den Uebergangsteilen der geraden. Bei 
dem negativen Befunde vor der Injektion sind diese Silberhalogenniederschläge nur 
auf Jodsilber zu beziehen. 

Kaninchen 35. Ebenso vorbehandelt wie Kaninchen 34. In der exstirpierten 
linken Niere kein nennenswerter Silberniederschlag. 15 Minuten nach Injektion von 
5 ccm einer 20 proz. Jodnatriumlösung Exstirpation der rechten Niere. Starker Jod¬ 
silberniederschlag in dem sezernierenden Epithel der Harnkanälchen bei Freisein der 
Glomeruli und der übrigen Nierenabschnitte. 

Diese Versuche zeigen, dass die Ausscheidung der Jodide dem 
gleichen Mechanismus unterliegt, wie die der körpereigenen 
Salze, und dass die Voraussetzungen, die Schlayer veranlasst haben, 
die Ausscheidung der Jodsalze zur funktionellen Prüfung des tubulären 
Apparates zu verwenden, durchaus richtig sind. Auch bei Injektion 
grosser Mengen von Jodsalzen werden diese lediglich durch 
die Harnkanälchen und nicht durch die Glomeruli ausge¬ 
schieden. 

V. Die Spezifität der histochemischen Methoden zur Darstellung der 
normalen Harnbestandteile. 

Dafür, dass die histochemischen Niederschläge in den Harnkanälchen 
wirklich die normalen Harnbestandteile darstellen und nicht auf einer 
Durchtränkung der Zellen mit den Reagentien beruhen, können folgende 
Beweise angeführt werden. 

1. Die histochemischen Methoden ermöglichen nur den Nachweis 
grösserer Mengen von Harnstoff und Salzen. Organe, welche die¬ 
selben nur in der normalen physiologischen Konzentration ent¬ 
halten (Milz, Lunge usw.) geben keine histochemische Reaktion. 

2. Durch Auswaschen kann man die Salze und den Harnstoff aus 
der Niere und Leber entfernen, ohne die Vitalität der Zellen aufzuheben. 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 31 


In solchen ausgewaschenen Organen lässt sich niemals histo- 
chemisch etwas nachweisen. 

3. Wären die histochemischen Niederschläge unspezifisch, so müssten 
sie sich in allen Zellen der betreffenden Organe finden. Man sieht sie 
aber in den Nieren niemals in den Zellen der Sammelröhrchen oder im 
Mark, sondern ausschliesslich in den Harnkanälchen. Auch in 
anderen Organen tritt dieser Unterschied klar hervor: so geben z. B. im 
Magen nur die Salzsäure ausscheidenden Belegzellen eine histo- 
chemische Chlorsilberreaktion, nicht aber die Hauptzellen. 

4. Die Menge der histochemisch nachweisbaren Harn¬ 
bestandteile in den Zellen der Harnkanälchen geht ganz parallel 
mit ihrer Konzentration im Urin. Bei hungernden Tieren mit guter 
Diurese und stark verdünntem Urin findet man kaum etwas, bei Injektion 
von Salzen oder Harnstoff dagegen eine mit steigender Injektionsmenge 
parallel steigende histochemische Reaktion in den Zellen der Harnkanälchen. 

Diese vier Beweise zeigen, dass die histochemischen 
Methoden in der Tat den Nachweis der normalen flarnbestandteile 
in den Nierenzellen und die Lokalisation ihrer Ausscheidung in den 
Harnkanälchen ermöglichen. 

VI. Der Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 

Wie haben wir uns nun auf Grund dieser Untersuchungen den 
Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere vorzustellen? Die Gefäss- 
schlingen der Glomeruli stellen einen Filterapparat dar, durch dessen 
Endothel im wesentlichen nur das Wasser hindurchtritt; natürlich nicht als 
destilliertes Wasser, sondern, wie wir nach den grundlegenden Untersuchungen 
v. Freys als bewiesen annehmen können, in physiologischer Lösung. Es 
werden somit ganz selbstverständlich auch durch die Glomeruli 
geringe Mengen von Salzen, wie sie eben der Konzentration 
dieser physiologischen Lösung entsprechen, ausgeschieden. 
Der Hauptausscheidungsort für die Salze sind jedoch die ge¬ 
wundenen Kanälchen und in etwas geringerem Grade die 
Uebergangsteile der geraden Kanälchen. Die Epithelzellen 
dieser Kanälchen entnehmen der sie umgebenden Lymphe 
durch eine spezifische vitale Resorptionstätigkeit die Salze, 
den Harnstoff und die Purine, wobei diese Stoffe in ihnen 
stark konzentriert werden. Durch eine ebenso spezifische 
vitale Sekretionstätigkeit sondern sie dann diese Stoffe in 
ziemlich konzentrierter Lösung in das Lumen der Harnkanälchen 
ab. Die Konzentration des Urins, die ja die der Blutflüssigkeit 
weit zu übertreffen vermag, wird also dadurch bedingt, dass 
die spezifisch sezernierenden Epithelzellen der Harnkanälchen 
die Fähigkeit haben, die Salze, den Harnstoff und die Purinc 
in ziemlich konzentrierter Lösung auszuscheiden. 


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Original fro-m 

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32 


ERICH LESCHKE, 


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Ebenso wie das Konzentrationsvermögen ist auch das Ver¬ 
dünnungsvermögen hauptsächlich eine Funktion des spezifisch 
sezernierenden Nierenepithels. In den Versuchen mit Injektion 
grosser Flüssigkeitsmengen haben wir gesehen, dass die in diesen Zellen 
sonst stets nachweisbaren Salz- und Harnstoffmengen vollständig ver¬ 
schwinden. Es sondern also die Epithelzellen bei starker Diurese keine 
konzentrierte Salz- und Harnstofflösung ab, sondern eine so stark ver¬ 
dünnte, dass der histochemische Nachweis dieser Stoffe unmöglich wird. 
Wenn bei einer Mehrbelastung der Niere mit Wasser auch zweifellos die 
Glomeruli eine erhebliche Mehrarbeit leisten, so beteiligen sich doch auch 
die Epithelzellen der Harnkanälchen an der Mehrausscheidung des 
Wassers in sehr erheblichem Masse. Bei einer stärkeren Belastung der 
Niere mit körpereignen oder körperfremden Salzen, Harnstoff, Harnsäure 
oder Purinen besorgen hingegen lediglich die spezifisch sezernierenden 
Epithelzellen der Harnkanälchen die Mehrausscheidung, während die 
Glomeruli auch bei einer das Normale weit übersteigenden Leistung sich 
nicht mehr an der Salzausscheidung beteiligen als sie es auch unter 
physiologischen Verhältnissen tun, d. h. nur Wasser (in physiologischer 
Lösung) absondern. 

Im ganzen genommen kommen wir also auf die Bowman- 
sche Theorie der Nierenfunktion, die Heidenhain zuerst experi¬ 
mentell zu begründen versucht hat, zurück. 


Nach Fertigstellung dieser Arbeit hatte ich durch die Liebens¬ 
würdigkeit des Herrn Prosektor Dr. Fahr in Hamburg Gelegenheit, seine 
schönen Originalpräparate der Sekretionsgranula in den Epithel¬ 
zellen der Harnkanälchen 1 ) zu sehen. Dabei überzeugten wir uns, 
dass eine erfreuliche und für die Wertung der Ergebnisse nicht un¬ 
wichtige Uebereinstimmung der mit den verschiedenen Methoden 
gewonnenen Resultate besteht. Die Sekretionsgranula finden 
sich nämlich in den gleichen Abschnitten des harnabsondernden 
Apparates wie die histochemisch sichtbar gemachten normalen 
Harnbestandteile. Und zwar sieht man sie ausschliesslich in den 
gewundenen Harnkanälchen und in geringerer Menge in den breiten 
Uebergangsteilen zu den graden Kanälchen. In den Zellen der 
schmalen absteigenden und der breiten aufsteigenden Schleifenschenkel 
sowie der Samraelröhrchen finden sich dagegen die Sekretionsgranula 
ebensowenig wie die histochemisch darstellbaren Harnbestandteile. Ein 
weiteres Parallelgehen besteht in dem Umstande, dass im Hunger¬ 
zustande weder Sekretionsgranula noch histochemisch darstellbare Harn¬ 
salze zu finden sind, und dass sie beide mit steigender Salz- und Harnstoff¬ 
absonderung in zunehmender Menge auftreten. 

1) Vgl. Fahr, Verhandl. d. pathol. Gesellschaft. München 1914. 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Harnabsonderung in der Niere. 33 


Zusammenfassung. 

1. Die bisherigen Versuche, den Mechanismus der Nieren¬ 
funktion durch das Studium der Farbstoffausscheidung zu er¬ 
klären, haben zu dem Ergebnis geführt, dass der grösste Teil 
der Farbstoffe zweifellos durch die Harnkanälchen aus¬ 
geschieden wird; strittig ist noch, ob und inwieweit auch die 
Glomeruli sich an der Farbstoffausscheidung beteiligen. 

2. Fremde sowohl wie eigene Untersuchungen über den 
Ort der Ausscheidung körperfremder Salze (Ferrozyan- und 
Jodsalze) in der Niere haben einwandfrei ergeben, dass ledig¬ 
lich die Harnkanälchen diese Salze ausscheiden, während die 
Glomeruli selbst bei starker Inanspruchnahme der Niere durch 
Injektion grosser Salzmengen kein Salz in histochemisch nach¬ 
weisbarer Menge ausscheiden. 

3. Es gelingt mit Hilfe der von mir ausgearbeiteten histo- 
chcrnischen Methoden, die hauptsächlichen normalen Harn¬ 
bestandteile in den Nieren darzustellen. Die hierbei gewonnenen 
Niederschläge sind durchaus spezifisch. 

4. Die Ausscheidung der normalen Harnbestandteile (der 
Chloride, Phosphate, des Harnstoffs, der Harnsäure und 
Purine) erfolgt im Wesentlichen nur durch das spezifisch 
sezernierende Epithel der gewundenen Harnkanälchen und der 
Uebergangsteile zu den absteigenden Schenkeln der geraden 
Kanälchen. In den gleichen Abschnitten finden sich auch die 
Sekretionsgranula von Fahr, deren Lokalisation und Auftreten 
bzw. Verschwinden (im Hungerzustand) mit der der histo¬ 
chemisch darstellbaren Harnbestandteile übereinstimmt. 

5. Die Glomeruli sondern das Wasser in physiologischer 
Lösung ab. Die geringen Mengen von Salz und anderen Harn¬ 
bestandteilen, die einer physiologischen Lösung entsprechen, 
werden demnach auch durch die Glomeruli abgesondert. 

6. Auch bei einer starken Mehrbelastung der Niere durch 
Injektion grosser Salz-, Harnstoff- oder Purinmengen wird die 
Ausscheidung derselben lediglich durch die Harnkanälchen 
besorgt. Die Glomeruli scheiden auch unter diesen Ver¬ 
hältnissen nur Wasser in physiologischer Lösung aus. 

7. Die Fähigkeit der Konzentration und der Verdünnung 
des Urins kommt ausschliesslich den spezifischen sezernieren- 
den Zellen der Harnkanälchen zu. 

8. Durch meine Versuche wird dieurspünglicheBowmansche 
Theorie der Harnabsonderung, die Heidenhain experimentell 
zu begründen versucht hat, aufs neue gestützt. Inwieweit 
eine Rückresorption von Wasser, wie sie zuerst Ludwig an- 

Zeitschr. f. klin. Medizin 81. Bd. II. 1 ... 2. - q 

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ERICH LESCIIKE 


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genommen hat, im Nierenmark stattfindet, ist ungewiss. Zur 
Erklärung der Urinkonzentration ist die Annahme einer solchen 
Rückresorption jedenfalls nicht erforderlich, da das Kon¬ 
zentrationsvermögen ebenso wie das Verdünnungsvermögen 
eine Funktion des spezifischen sezernierenden Epithels der 
Harnkanälchen ist. 

Berlin, Juni 1914. 

Erklärung der Abbildungen auf Tafeln I und II. 

Figur 1: Kochsalzausscheidung. Uebersichtsbild. Obj. 2. Ok. 2. Kaninchen. 

Intravenöse Injektion von 0,5 g Kochsalz. Die Glomeruli treten deutlich 
durch ihren hellroten Farbenton hervor, ln den gewundenen Harnkanälchen 
und den Uebergangsteilen zu den geraden findet sich das Kochsalz als 
Chlorsilber niedergeschlagen und zu Silber reduziert. 

Figur 2: Kochsalzausscheidung. Obj. 4. Ok. 2. Kaninchen. Intravenöse In¬ 
jektion von lg Kochsalz. Drei Glomeruli, die kein Kochsalz enthalten; 
ebenso einige im Querschnitt getroffene Sammelröhren, die frei von Koch¬ 
salz sind. Dagegen zeigen alle teils im Quer-, teils im Schrägschnitt ge¬ 
wundenen Harnkanälchen starken Kochsalzgehalt. 

Figur 3: Harnstoffausscheidung. Uebersichtsbild. Obj. 3. Ok. 2. Kaninchen. 

.Intravenöse Injektion von 0,5 g Harnstoff. Glomeruli frei, mit Hämatoxylin 
blau gefärbt. Harnkanälchen harnstoffhaltig. 

Figur 4: Harnstoffausscheidung. Obj. 6. Ok. 1. Kaninchen. 1 g Harnstoff 
intravenös. Drei Glomeruli, die frei von Harnstoff sind; nur die Zellkerne 
enthalten etwas Harnstoff. Einige Sammelröhren frei von Harnstoff. Eine 
grosse Zahl von gewundenen Harnkanälchen mit starkem Harnstoffgehalt. 
Figurö: Harnstoffausscheidung. Obj. 6. Ok. 2. Kaninchen. 1 g Harnstoff 
intravös. Die breiten Uebergangsteile zu den absteigenden Schleifen zeigen 
starke Harnstoffreaktion. In der Mitte des Präparates sind auch einige ge¬ 
wundene Kanälchen zu sehen. Man sieht, dass nur die Uebergangsteile zu 
den geraden Harnkanälchen harnstoffhaltig sind, und dass die Sekretion in 
den Henleschen Schleifen aufhört. Die absteigenden Schleifenschenkel und 
die Sammelröhren sind gleichfalls frei von Harnstoff; d. h. sie zeigen nur 
eine schwache Graufärbung, die dem normalen Harnstoff- bzw. Eiweiss¬ 
gehalt aller Körperzellen entspricht. 

Figur 6: Phosphatausscheidung. Obj. 1. Ok. 1. Kaninchen. 0,5 g Natrium¬ 
phosphat intravenös. Drei Glomeruli, frei von Phosphat; eine Vene, deren 
Intima mit Phosphat durchtränkt ist; eine Reihe quer und schräg ge¬ 
troffener gewundener Harnkanälchen mit starkem Phosphatgehalt. 

Figur?: Phosphatausscheidung. Obj. 6. Ok. 1. Kaninchen, lg Natrium¬ 
phosphat intravenös. Links ein phosphathaltiges gewundenes Harnkanälchen 
im Querschnitt. Die breiten Uebergangsteile zu den geraden Harnkanälchen 
zeigen starken Phosphatgehalt, der an der Uebergangsstelle in die dünneren 
Abschnitte der Henleschen Schleifen aufhört, wie an einzelnen Stellen 
deutlich zu sehen ist. Auch in den Lymphräumen und in der Wand der 
rechts getroffenen Arterie lässt sich etwas Phosphat nachweisen. 

FigurS: llarnsäureausscheidung. Obj. 6. Ok. 1. Kaninchen. 0,5 g Harnsäure 
intravenös. Drei Glomeruli, frei von Harnsäure; ebenso einige im Quer¬ 
schnitt getroffene Saramclröhren. Zahlreiche gewundene Harnkanälchen 
mit starkem Harnsäuregehalt. 



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Untersuchungen über den Mechanismus der Ilarnabsonderung in der Niere. 35 


Figur 9: Jodausscheidung. Obj. 3. Ok. 4. Kaninchen. 1 g Jodnatrium intra¬ 
venös. Zahlreiche Glomeruli, die frei von Jod sind. Gewundene Harn¬ 
kanälchen mit starkem Jodgehalt. 


Literaturverzeichnis. 

1) Adam, J., On the nature of glomerular activity in the kidney. Journ. of 
physiol. 1884. Vol. VI. p. 382. — 2) Anton, Arch. internat. pharmacodyn. Bd. 8. 
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pathologischen Bedingungen nach Untersuchungen von Dr. Suzuki. Verhandl. des 
XXV. Kongresses für Pathol. Strassburg 1912. — 4) Basler, Ueber Ausscheidung 
und Resorption in der Niere. Pflügers Archiv. 1906. Bd. 112. S. 203. —5) Biber¬ 
feld, Zur Kenntnis der Sekretionsstelle körperfremder Substanzen in der Niere. 
Ebenda. 1905. Bd. 105. S. 308. — 6) Bowman, W., On the structure and use of 
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Ausscheidung und Verteilung des Eisens im tierischen Organismus nach Injektion von 
Eisensalzen. Inaug.-Diss. Kiel 1883. — 8) Grützner, F., Zur Physiologie der Harn¬ 
sekretion. Pflügers Archiv. 1881. Bd.24. S.441. — 9) Gurwitsch, A., Zur Physiologie 
und Morphologie der Nierentätigkeit. Ebenda. 1902. Bd. 91. S. 71. — 10) Heiden¬ 
hain, R., Versuche über den Vorgang der Harnabsonderung. Ebenda. 1874. Bd. 9. 
S. 1. — 11) Henschen, S., Om indigswafelsyradt natrons absondring in jurarne. 
Stockholm 1879. lief, in Hofmann-Schwalbe. Bd. 8. S. 347. — 12) Höher, R. und 
Königsberg, A., Farbstoflausscheidung durch die Nieren. Pflügers Archiv. 1905. 
Bd. 108. S. 323. — 13) Leschke, E., Histochemische Untersuchungen über die 
Funktion der Niere und Leber. XXXI. Kongress für innere Med. Wiesbaden, April 
1914. — 14) Derselbe, Untersuchungen über die Nierenfunktion. Münchener med. 
Wochenschr. 1914. Nr. 28. — 15) Ludwig, C., Nieren und Harnbereitung. Wagners 
Handwörterbuch. 1844. Bd. 2. S. 628 u. 637. — 16) Minkowski, Virchows Archiv 
Archiv f. pathol. Anat. 1896. Bd. 146. S. 337. — 17) Nussbaum, M., Ueber die 
Sekretion der Niere. Pflügers Archiv. 1878. Bd. 16. S. 139. -- 18) Derselbe, Fort¬ 
gesetzte Untersuchungen über die Sekretion der Niere. Ebenda. 1878. Bd. 17. S. 580. 
— 19) Derselbe, Ueber den Bau und die Tätigkeit der Drüsen. V. Mitteilung. Zur 
Kenntnis der Nierenorgane. Archiv f. mikrosk. Anatomie. 1886. Bd. 27. S. 442. — 
20) Pantinsky, F., Ueber die Ausscheidung des indigsohwefelsauren Natrons durch 
die Nieren unter normalen und pathologischen Bedingungen. Virchows Archiv. 1880. 
Bd. 79. S. 393. — 21) Quincke, Ueber das Verhalten der Eiscnsalze im Tierkörper. 
Archiv f. Anat. und Physiol. 1868. S. 757. — 22) Ribbert, H., Die normale und 
pathologische Anatomie der Niere. Bibliotheca medica. 1896. Bd. IV. — 23) Der¬ 
selbe, Die Abscheidung intravenös injizierten Karmins in den Geweben. Zeitschr. f. 
allgem. Physiol. 1904. Bd. 9. — 24) Sauer, Archiv f. mikrosk. Anat. 1899. Bd. 53. 
S. 218. — 25) Schlecht, IL, Experimentelle Untersuchungen über die Resorption 
und Ausscheidung des Lithionkarmins unter physiologischen und pathologischen Be¬ 
dingungen. Zieglers Beiträge zur pathol. Anat. 1906. Bd. 11. — 26) Suzuki, T., 
Zur Morphologie der Nierensekretion unter physiologischen und pathologischen Be¬ 
dingungen. Jena, Verlag von Fischer. 1912. 244 S. Mit 6 Tafeln. — 27) Wasch etko, 
N., Ueber die Ausscheidung des Ferrozyanates durch die Nieren beim Hunde. Zeit¬ 
schr. f. Urol. 1910. Bd. 53. S. 128. — 28) v. Witt ich, Beiträge zur Physiologie 
der Nieren. Archiv f. mikrosk. Anat. 1875. Bd. 11. S. 81 und Archiv f. pathol. 
Anat. Bd. 10. S. 323. 


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IV. 


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Aus der I. mcd. Klinik in Wien (Hofrat Prof, von Noorden) und dem 
Sanatorium Neues Kurhaus (Gcheimrat Prof. Dr. v. Dapper-Saalfels, 

Bad Kissingen). 

Beobachtungen über Kapillarpuls. 

Von 

San.-Rat Dr. E. Jürgensen, 

mitleitendein Arzt atu Sanatorium ron Dapper-Saalfels, Bad Kissingen. 


Auf Grund statistischer Studien weist Grassmann (1) ein erhebliches 
Anwachsen der Todesfälle durch Krankheiten der Kreislaufsorgane nach. 
Er knüpft daran die Mahnung zu einem systematischen Zusammenarbeiten 
zur Bekämpfung der Kreislaufserkrankungen, ähnlich, wie dies bei der 
Bekämpfung der Tuberkulose und des Karzinoms schon seit Jahren ge¬ 
schieht. Frühdiagnose, zwecks Frühtherapie, ist seine Forderung. 

Es mag zunächst befremden, dass trotz der intensiven Arbeit, die 
in den letzten Jahrzehnten gerade auf dem Gebiet der Herz- und Gefäss- 
erkrankungen geleistet wurde, die Statistik hier eine auffallende Zunahme 
der Todesfälle verzeichnet. Zugegeben, dass die gesteigerten Anforde¬ 
rungen unserer rastlos vorwärts strebenden Zeit zu einer erhöhten Ab¬ 
nutzung lebenswichtiger Organe führen, wird man nicht ausser Acht 
lassen dürfen, dass mit der erfolgreichen Bekämpfung der früher die 
Volkssterblichkeit beherrschenden Seuchen naturgemäss andere Krankheits¬ 
gruppen in ihren Mortalitätsziffern in den Vordergrund treten. Ferner 
wird man sich vor Augen halten müssen, dass die Ausgleichsmöglich¬ 
keiten bei Störungen im Kreislaufsapparate so vielseitige sind, dass es 
nicht zu verwundern ist, wenn wir die Kranken oft erst mit schweren 
Kompensationsstörungen zu sehen bekommen. In dem Studium dieser 
Ausgleichsmöglichkeiten und dem frühzeitigen Eingreifen auch bei Störungen, 
die dem Erkrankten noch kaum nennenswerte, von ihm gar nicht be¬ 
achtete, Beschwerden machen, wird der gemeinsame Angriffspunkt pro¬ 
phylaktischer Tätigkeit gegeben sein. 

Schon bevor die Mahnung Grassmanns kam, hatte ich mich auf 
Grund der Ausführungen Stadlers (2) „Die Klinik der syphilitischen 
Aortenerkrankung, u bemüht, in jedem mir zur Untersuchung zugehenden 
Falle besonders auf etwaige Kreislaufsstörungen zu achten. Die für 



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Beobachtungen über Kapillarpuls. 


37 


meine Beobachtungen verwerteten Fälle stammen zum grössten Teil aus 
dem Ambulatorium der I. raed. Klinik in Wien (Hofrat Prof. v. Noorden), 
zum Teil aus dem Sanatorium in Kissingen. Schwere Kompensations¬ 
störungen, Komplikationen sind ausgeschaltet, um die Verhältnisse so 
darzustellen, wie sie der Praxis am meisten entsprechen. Ich habe daher 
besonderen Wert darauf gelegt, möglichst nur die Fälle herauszugreifen, 
deren anamnestische Angaben zunächst nicht zu der Annahme einer 
Kreislaufsstörung geführt hätten. Das ist natürlich cum grano salis zu 
nehmen. Bei eingehenderem Nachfragen erhielt man doch mancherlei 
Anhaltspunkte, die auf eine Störung im Kreislaufsapparat hinwiesen. 
Jedenfalls waren die Kranken allermeist ihrem, körperlich oft recht an¬ 
strengenden, Beruf ohne besondere Beschwerden nachgekommen. In den 
anamnestischen Angaben spielten namentlich „rheumatische“ Be¬ 
schwerden, Schmerzen in den Schultern, im Kreuz, Neuralgien, Interkostal¬ 
neuralgien eine gewisse Rolle. In einer anderen Gruppe sind mehr 
Magendarmbeschwerden im Vordergrund. Die meisten waren bald 
wegen diesem, bald wegen jenem Leiden behandelt, ohne dass — soweit 
anamnestische Angaben überhaupt zuverlässig — auf etwaige Kreislaufs¬ 
störungen geachtet worden war. In der Mehrzahl der Fälle handelt es 
sich um Frauen zwischen 30 und 60. Es mag sein, dass Frauen eher ge¬ 
neigt sind, mit ihren kleineren Leiden schon früher zum Arzt zu gehen als 
Männer, die in schwerer Berufsarbeit stecken. Im wesentlichen liegt es 
bei dem vorliegenden Material daran, dass ich, seit Jahren auf der 
Frauenambulanz der Klinik beschäftigt, mit der Eigenart der Klientel 
vertraut, diese schon leichter zu wiederholten Kontrolluntersuchungen 
bewegen konnte. Soweit ich die Resultate übersehe, hätte ich dieselhen 
Ergebnisse auch auf der Männerabteilung gehabt, nur hätte ich mir die 
Klientel erst wieder heranziehen müssen und dabei Zeit verloren. Für 
die Bewertung der Fälle macht das meines Erachtens nichts aus. 

Zur Erklärung meiner Beobachtungen muss ich auf manches Be¬ 
kannte zurückgreifen. 

Zum Ausgangspunkt habe ich die syphilitische Aortitis genommen, 
die, seit Einführung der Wassermannschen Reaktion als diagnostisches 
Hilfsmittel, auffallend häufig festgestellt wird und praktisch von aller¬ 
grösster Bedeutung ist. Wer häufiger Gelegenheit hat, syphilitische 
Aortitis zu sehen, wird immer wieder erstaunt sein, wie gering manch¬ 
mal die subjektiven Beschwerden sind bei oft ganz erheblichen Verände¬ 
rungen der Aorta. Ich sehe hier von den schweren Fällen ausge¬ 
sprochener Aorteninsuffizienz, Verlegung der Koronarostien, Aneurysma 
ab. Wie ist es möglich, dass die Kranken sogar körperlich schwere 
Arbeit verrichten konnten, wenn ein so wichtiger Abschnitt des Kreis¬ 
laufapparates, meist handelt es sich um die isolierte Erkrankung der 
Aorta ascendens und des Arcus aortae, zum mindesten in seiner Funktion 


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38 E. JTUGEN SEN, 

schwer geschädigt ist? Wodurch ist die Ausgleichsmöglichkcit gegeben, 
die auch hier den heimtückischen Charakter der Lues so verhängnisvoll 
unterstützt? Ich habe eine ganze Reihe von Fällen gesehen mit rönt¬ 
genologisch festgestellter diffuser Aortendehnung von über 7,5 bis 8 cm, 
die subjektiv kaum nennenswerte Beschwerden hatten. Eine wesentliche 
Hypertrophie des linken Ventrikels, aus der eine stärkere Inanspruch¬ 
nahme des Herzens gefolgert werden könnte, findet sich in den unkom¬ 
plizierten Fällen nicht immer. Der Ausgleich für die in ihrer Funktion 
geschädigte Aorta muss also noch anderweitig gewährleistet werden. 
Rombergs (3) Modellversuch zeigt, dass die Erweiterung der starr ge¬ 
wordenen Aorta kompensierend für den Elastizitätsverlust eintritt. Als 
weiterer Regulator würde nach den bisherigen Tierversuchen der Nervus 
depressor eingreifen. Auf die vielen Einzelfragen will ich hier nicht 
näher eingehen. Sie sind in der oben erwähnten Arbeit von Stadler 
klar und ausführlich behandelt. 

Ueberlegt man sich, welche Bedeutung der Aorta für die Blutver¬ 
teilung im Kreislauf zukommt, so gibt man sich mit den angedeuteten 
Ausgleichsmöglichkeiten doch nicht so recht zufrieden. Es sind oft ganz 
beträchtliche Veränderungen, die wir, namentlich bei der syphilitischen 
Aortenerkrankung, finden. Es müssen hier noch anderweitige Komponenten 
in Frage kommen, die den ungestörten Gang im Kreislaufsmechanismus 
aufrecht erhalten. Diese werden, ausser im Herzen, noch im 
peripheren Gefässgebiet zu suchen sein. Zu ähnlichen Schluss¬ 
folgerungen kommt man auch bei manchen Fällen von Concretio cordis. 
Bei völliger Verwachsung der beiden Blätter des Perikards, Entwicklung von 
hartem Bindegewebe und Einlagerung von Kalkplatten, Verwachsung mit 
dem Sternum, der Wirbelsäule, wenig hypertrophischem Herzmuskel, 
muss man sich doch die Frage vorlegen, ob denn hier der Herzmuskel 
allein imstande war, den Anforderungen des Kreislaufs gerecht zu werden, 
oder ob nicht in solchen Fällen dem Arteriensystera eine grössere Selbst¬ 
ständigkeit für die Kreislaufsregulierung zuerkannt werden muss, als man 
das bisher zugeben wollte. 

Es ist das freilich eine noch vielumstrittene Frage, deren Lösung 
bei der Vorsicht, mit der die beim Tierexperiment gewonnenen Resultate 
auf den Menschen zu übertragen sind, mancherlei Schwierigkeiten bietet. 
Wohl jeder, der sich eingehender mit physikalischer Therapie beschäftigt, 
wird unwillkürlich dem Gedankengang folgen, den Hasebroek (4) in 
seiner Arbeit eingeschlagen hat und dabei zu der Ueberzeugung kommen, 
dass dem peripheren Arteriengebiet eine nicht zu unterschätzende Auf¬ 
gabe bei der Blutverteilung im Kreislauf zuzusprechen ist. 

Es würde zu weit führen, die ganze Frage hier aufzurollen. Ich 
verweise dem gegenüber auf die Arbeiten von Bier (5), Hasebroek (4), 
Griitzner (G), Matthes (7) und die Ausführungen der physiologischen 



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Beobachtungen über Kapillarpuls. 


39 


Lehrbücher. Jedenfalls verdienen die Ausführungen Uasebroeks ein¬ 
gehende Beachtung. Ein einwandsfreier Beweis für die aktive Beteiligung 
der Gefässmuskulatur an der Blutverteilung erscheint noch nicht erbracht, 
der Gegenbeweis, der eine solche ausschliesst, aber auch nicht. 

Für die Annahme spricht die Tatsache der Zunahme der Gefäss¬ 
muskulatur vom Zentrum nach der Peripherie. Ferner, an der Leiche 
finden sich die Arterien leer, die Venen gefüllt. Auch die experimen¬ 
tellen Untersuchungen von Bezold und Gscheidlen (8) sprechen für 
die aktive Arbeit der Arterienrauskulatur bei der Blutbeförderung. 
Schwieriger wird die Sache, wenn es sich darum handelt, nachzuweisen, 
wie erfolgt diese „aktive“ Arbeit der Gefässmuskulatur. Ist 
sie eine rhythmisch-synchron mit der Herzsystole verlaufende, 
oder erfolgt sie peristaltisch? Schiff (9) hat am Kaninchenohr eine 
vom Herzen unabhängige Arterienpulsation nachgewiesen. Als strikter 
Beweis ist das bisher nicht anerkannt worden. Nach neueren Unter¬ 
suchungen von Hürthle (Berl. klin. Wochenschr., 1913, Nr. 8, S. 371ff.) 
erscheint eine aktive pulsatorische Tätigkeit der Arterien sehr in den 
Bereich der Möglichkeiten gerückt. Wie steht es nun mit der Frage 
einer peristaltischen Bewegung? 

Ich möchte hier eine Beobachtung anfügen, die ich unter allerdings 
ausserordentlich günstigen Bedingungen bei einem meiner Kissinger Sana¬ 
toriums-Patienten machen konnte. 

Es handelte sich um einen kräftig gebauten Herrn, Ausgang der 40er 
Jahre. Er war wegen gastrointestinaler Beschwerden zur Aufnahme ge¬ 
kommen. Objektiv fand sich am Herzen Hypertrophie des linken Ven¬ 
trikels, Aortendämpfung, systolisches Geräusch über der Herzspitze und 
Aorta, dort ausgeprägter, der zweite Aortenton zeigte klingenden Charakter. 
Die peripheren Arterien waren nicht geschlängelt, nicht rigide. Puls 
ohne Besonderheiten, 74 in der Minute, Blutdruck (Gärtner) 120 mm. 
Urin ohne Sonderheiten. Zwerchfellhochstand. Magen durch reichliche 
Gasblähung quergedehnt, ebenso zeigte das Kolon vermehrte Gasbildung. 
Gelegentlich eines Krankenbesuches konnte ich nun folgende Beobachtung 
machen: Ich traf den Kranken in tiefem ruhigen Schlaf an. Der linke 
Arm war im Ellbogengelenk leicht gebeugt, Unterarm und Hand ruhten 
auf der Brust, der rechte Arm lag schlaff auf der Bettdecke. Das Licht 
fiel etwas links vom Kopfende auf den Kranken. Ich trat, ohne dass 
der Patient mich bemerkte, an das Bett heran, um zu sehen, ob ich bei 
ihm in der nunmehr günstigsten Beleuchtung und Haltung des Armes 
etwa Kapillarpuls wahrnehmen könnte. Kapillarpuls konnte ich nicht 
beobachten. Ich tastete mir nun bei dem immer noch ruhig Schlafenden 
die linke Radialis ab. Der Puls ging ruhig rhythmisch und zeigte nichts 
Auffallendes. Durch die Berührung erwachte der Kranke. Wie ich be¬ 
tonen möchte, war er durchaus nicht aufgeschreckt, da ich ihn stets um 


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40 E. JORG ENSEN, 

dieselbe Zeit zu besuchen pflegte und ihm so mein Besuch etwas Ge¬ 
wohntes war. Mit dem Erwachen änderte sich das Bild. Ich hatte die 
Radialis deutlich unter meinen palpierenden Fingern gelassen und beob¬ 
achtete das Nagelbett des linken Zeigefingers. Der Puls wurde frequenter, 
zeigte deutliche Zelerität, gleichzeitig sah ich am Zeigefinger Kapillar¬ 
puls auftreten. Daneben konnte ich aber an der Radialis neben der 
Pulswelle eine ausgesprochene Bewegung wahrnehmen, die dem mit leisem 
Druck palpierenden Finger ganz entschieden den Eindruck einer peri¬ 
staltischen, vom Zentrum nach der Peripherie fortschreitenden 
Wellenbewegung machte. Das Ganze dauerte nur wenige Sekunden, 
bis der Kranke völlig erwacht war, darauf konnte ich Kapillarpuls auch 
nicht mehr wahrnehmen. Ich muss gestehen, dass mir die im Moment ge¬ 
machte Beobachtung so neuartig war, dass ich zunächst an eine 
Täuschung dachte. Indes hatte ich so angespannt] beobachtet, dass, 
für mich wenigstens, ein Zweifel an der Richtigkeit meiner Wahrnehmung 
nicht in Frage kommt. 

Zur Erklärung meiner Beobachtung möchte ich folgende Ueber- 
legungen heranziehen. Es handelte sich um einen Kranken mit nicht 
mehr intaktem Kreislaufmechanismus. Dafür sprechen die an der Aorta 
gefundenen Veränderungen und die Hypertrophie des linken Ventrikels. 
Durch den Zwerchfellhochstand bestanden für ihn ausserdem ungünstige 
Kreislaufbedingungen. Nun ist bekannt, dass beim Erwachen an das 
Herz an sich grössere Anforderungen gestellt werden. Die während des 
Schlafens verminderte Durchströmung des Gehirns bewirkte eine Aende- 
rung in den regulatorischen Gefässzentren. Der Vorgang bei dem Kranken 
wäre folgendermassen zu deuten: Der Forderung einer reichlicheren Blut- 
durchströmung der Organe beim Erwachen entsprach das Herz durch 
kräftigere, raschere Kontraktionen. Dadurch wurde eine vermehrte Blut¬ 
menge mit erhöhter Geschwindigkeit in die Aortenwurzel geworfen. Die 
Gefässzentren hatten sich nicht so rasch den veränderten Bedingungen 
anpassen können, da sie weniger reichlich durchblutet waren und es sich 
um einen nicht mehr intakten Kreislaufmechanismus handelte. Um nun 
trotzdem für einen möglichst raschen Ausgleich des gestörten Gleich¬ 
gewichtes zu sorgen, traten die Gefässmuskeln selbsttätig ein und sorgten 
durch eine vom Zentrum nach der Peripherie fortlaufende, den Blutstrom 
in dieser Richtung unterstützende, peristaltische Bewegung für einen 
rascheren Abfluss der vermehrten in den Kreislauf geworfenen Blutmenge. 
Im Moment der reichlicheren Blutdurchströmung der Zentralorgane traten 
deren regulatorische Gefässzentren wieder in Tätigkeit und sorgten durch 
Wiederherstellung des normalen Gefässtonus für die Herstellung des 
Gleichgewichtes. Damit war die dem Gefässsystem gestellte Korapen- 
sationsforderung erfüllt. Die Unterstützung durch die Gefässmuskeln war 
entbehrlich, die peristaltische Bewegung kam zur Ruhe. Bei dem ganzen 
Vorgänge konnte es sich natürlich nur um Sekunden handeln. 



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Beobachtungen über Kapillarpuls. 


41 


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Nach dieser Darstellung müsste man den Gefässmuskeln zwei ver¬ 
schiedene Aufgaben zuweisen. In der einen hätten wir die Sorge 
für die Aufrechterhaltung desGefässtonus zu sehen, in der anderen 
eine Ausgleichreserve, die nur unter bestimmten Verhältnissen heran¬ 
gezogen wird, um für möglichst rasche Beseitigung eingetretener Störungen 
im Kreislauf zu sorgen. Letztere Aufgabe würde von der Gefässmuskulatur 
selbsttätig geleistet und fände in einer vom Zentrum nach der Peripherie 
fortschreiteuden peristaltischen Bewegung ihren Ausdruck. Ein Vergleich 
mit Bewegungen, die wir an anatomisch den Gefässen ähnlich gebauten 
Organen, wie z. B. dem Darm, sehen, lässt eine solche peristaltische 
Bewegung nicht so absurd erscheinen. Nach den Untersuchungen von 
Goltz und Ewald (10) müssen wir, ausser den im Gehirn und Rücken¬ 
mark gelegenen Regulationszentren, eigene, in der Gefässwand selbst ge¬ 
legene, Nervenzentren annehmen, die in diesem Falle den Mechanismus 
der Gefässmuskulatur ausgelöst hätten. Auf die Selbsttätigkeit der Ar¬ 
terien zum Ausgleich von Störungen im Blutkreislauf hat von Noor¬ 
den (15) in sehr klaren Ausführungen hingewiesen. 

Meine Beobachtung ist vereinzelt. Vielleicht regt sie doch zur Nach¬ 
prüfung an. Die gegebene Erklärung schien mir am plausibelsten. 

Wie erwähnt, hatte sich bei meinem Patienten beim Uebergang vom 
tiefen Schlaf zu völligem Erwachen Kapillarpuls auftreten und — nach 
Herstellung des Gleichgewichtes im Kreislauf — wieder verschwinden 
sehen. Der Kapillarpuls findet in dem vorübergehenden Pulsus celer 
seine Erklärung und wäre an sich nichts so Aussergewöhnliches. Wenn 
man sich überlegt, dass der Kranke, der nicht etwa plötzlich aus dem 
Schlaf geschreckt wurde, für den einfachen Uebergang aus dem Schlaf zum 
Erwachen seine Kreislaufregulatoren derartig intensiv in Anspruch nehmen 
musste, so erscheint die Beobachtung des Kapillarpulses doch nicht be¬ 
langlos. Hier handelte es sich um einen Mann, bei dem eine krankhafte 
Veränderung der Aorta festgestellt war. 

Erkennt man den Kapillaren eine hohe Bedeutung für die 
Erhaltung und Regulierung des normalen Kreislaufs zu, so 
wird man dem Kapillarpuls, der uns eine erhöhte Inanspruch¬ 
nahme dieses wichtigen Gefässgebietes anzeigt, eine ein¬ 
gehendere Beachtung schenken müssen. In den allermeisten Fällen 
haben wir es dabei, neben anderweitigen, mehr zentral gelegenen Kreis¬ 
laufveränderungen, um über die Norm erweiterte Kapillaren zu tun. Das 
kann auf die Dauer für den Kreislauf nicht gleichgültig sein. Ob diese 
Erweiterung der Kapillaren selbsttätig erfolgt und demnach als Regula¬ 
tionsvorgang zu deuten ist, oder ob sie mehr passiv geschieht und als 
Zeichen einer krankhaften Veränderung der Kapillaren anzusehen ist, 
dürfte im Einzelfalle nicht leicht zu entscheiden sein. Allgemeiner ge¬ 
fasst, mag man sich die Frage so vorlegcn: „lassen sich aus der 
Beobachtung des Kapillarpulses allein schon Schlüsse auf 



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42 B. .11 K (j E N S E N , 

Störungen im arteriellen Gefässgebict ziehen und in welchem 
Gcfässabschni tt sind diese vorzugsweise zu suchen? In meinen 
Untersuchungen habe ich mir dabei namentlich über den Zustand des 
wichtigen Aortengebietes Aufklärung an einem grösseren Untersuchungs¬ 
materiale zu verschaffen gesucht. 

An sich scheint die Frage durch die zahlreichen Untersuchungen 
seit der Entdeckung des Kapillarpulses durch Quincke (11, 12) gelöst. 
Schlägt man aber die verschiedenen Lehrbücher nach, so findet sich der 
Kapillarpuls zwar als pathognomonisches Zeichen für die Aorteninsuffizienz 
verwertet, im übrigen wird sein Zeichen im Fieber, bei Basedow, Hyper¬ 
tonien usw. — wenigstens soweit mir die Literatur hierüber bekannt ist 
— mehr nebenbei erwähnt. Für die Praxis scheint er doch grösserer 
Beachtung wert. Mir ist wohl bekannt, dass man Kapillarpuls schon 
bei ganz gesunden Menschen beobachten kann. Er erscheint dann aber 
doch mehr oder minder verschwommen und ist nur bei einiger Uebung des 
Beobachters zu sehen. Um solche Fälle handelt es sich hier nicht. 
Ebenso habe ich alle Fälle mit ausgesprochenen Hypertonien, Verdacht 
auf Basedow, Anämie, Chlorose* und klinisch sichere Fälle von Aorten¬ 
insuffizienz ausgeschlossen. Es sind nur solche Fälle ausgesucht, die 
der Zufall mehr wegen anderer Beschwerden zur Untersuchung brachte. 
Man ist überrascht, wie häufig allein schon die Beachtung des Kapillar¬ 
pulses zur Aufdeckung oft nicht unbeträchtlicher Kreislaufdefekte führt, 
von denen die Kranken selbst oft kaum nennenswerte Beschwerden hatten. 
Berücksichtigt man, dass es unter schwierigen äusseren Umständen oft 
geradezu unmöglich wird, feinere perkutorische oder auskultatorische Unter¬ 
scheidungen zu treffen, mag das hervorgehoben werden. Es sei an Massen¬ 
untersuchungen erinnert, wie sie bei Rekruteneinstellungen, Untersuchungen 
einer überfüllten Ambulanz gegeben sind, oder bei Untersuchungen an 
Bord. Jedenfalls wird ein gut geschultes Auge viel weniger leicht er¬ 
müden, als das Ohr, das sich viel weniger leicht gegen störende Ge¬ 
räusche schützen lässt. Fälle mit Kapillarpuls sollten stets zu 
einer genauen Spezialuntersuchung zurückgestellt werden. 

Ucbcr die Technik der Untersuchung möchte ich folgendes bemerken: 
Quincke (11, 12) hat anfangs als Beobachtungsstelle für den Kapil¬ 
larpuls den Fingernagel angegeben. Er hat später vorgezogen, durch 
Reiben an der Stirn einen roten Streifen zu erzeugen und hier zu beob¬ 
achten, da sich am Nagelbett häufig durch Verdickungen oder Undurch¬ 
sichtigkeit Schwierigkeiten für die Beobachtung ergeben. Für die Beob¬ 
achtung am Nagelbett führte er als günstiges Moment die von Kölliker 
gefundenen Untersuchungsergebnisse an, nach denen der Durchmesser der 
Kapillaren am Nagelbett grösser ist, als er sonst im Mittel beim Men¬ 
schen beträgt (0,005—0,008, gegenüber 0,002—0,006). Ich ziehe die 
Beobachtung am Nagelbett allen anderen Beobachtungsstellen vor, und 



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Beobachtungen über Kapillarpuls. 


43 


zwar aus folgendem Grunde: Ich möchte jede irgendwie geartete Reizung 
des Gefässsystems durch mechanische Einflüsse vermieden sehen, um den 
ganz natürlichen Ablauf der Pulswelle beobachten zu können. Wenn 
man bedenkt, wie unendlich fein namentlich ein krankhaft verändertes 
Gefässsystem auf die verschiedensten Reize antwortet, wird man diesen 
Wunsch begründet finden. Jeder, noch so schonende, Reiz schafft aber 
veränderte Beobachtungsbedingungen. Man kann sich am Nagelbett jeder¬ 
zeit eine zur Beobachtung geeignete anämische Zone, unter Vermeidung 
jeden Druckes dadurch hersteilen, dass man dem Kranken bei über Herz¬ 
höhe erhobenem Arm die Finger strecken lässt. Man bekommt dann, 
ungefähr in der Mitte, oder im oberen Drittel des Nagelbettes, eine mehr 
oder minder runde anämische Zone, deren Ränder sich vorzüglich zur 
Beobachtung eignen. Es lässt sich so ganz unauffällig neben dem Puls¬ 
fühlen ein für die weitere Untersuchung wertvoller Befund erheben. Das 
ist praktisch für die Untersuchung misstrauischer Herzkranker ein Vor¬ 
teil. Grundbedingung ist gutes Licht und der Wegfall störender Reflexe. 
Manikürte Nägel eignen sich deshalb weniger gut zur Beobachtung. Am 
besten lässt sich bei horizontaler Lage des Patienten beobachten. Der 
Oberkörper ruht leicht erhöht. Man lässt den Arm leicht im Ellenbogen¬ 
gelenk beugen, Unterarm und Hand (die Finger gestreckt) werden auf 
die Brust gelegt, wobei die Hand etwas über Herzhöhe sein soll. Man 
beobachtet bei seitlich einfallendem Licht. Ich habe diese an sich gewiss 
einfache Technik ausführlicher erwähnt, weil ich gefunden habe, dass bei 
der Prüfung auf Kapillarpuls oft die schwierigsten Kunststücke gemacht 
werden und ich es für wichtig halte, derartige Beobachtungen möglichst 
unauffällig für den Kranken zu machen, um nicht einen unerwünschten 
Erregungszustand zu schaffen. 

Quincke (11) erwähnt, dass er den Kapillarpuls am deutlichsten am 
Zeigefinger beobachten konnte. Eine Ursache gibt er dafür nicht an. 
Ich habe die Originalarbeiten Quinckes erst beim Abschluss meiner 
Arbeit erlangen können. Aus eigener Erfahrung kann ich aber bestätigen, 
dass sich der Kapillarpuls am deutlichste^ durchschnittlich am Zeige¬ 
finger beobachten lässt. Das kommt, wie ich glaube, daher, dass das 
Nagelbett des Zeigefingers für gewöhnlich viel flacher ist, als das 
der übrigen Finger. Das Hesse sich durch den Gebrauch der Finger 
erklären. Ich habe ihn daher auch rechts meist deutlicher gefunden, als 
links. Es fallen am flachen Nagelbett die störenden Lichtreflexe weg. 
Erwähnen möchte ich noch, dass ich nicht selten Kapillarpuls am 
Zeigefinger wahrnehmen konnte, während es nicht gelingen wollte, ihn 
durch Herstellen eines roten Streifens an der Stirn deutlich zu machen. 

Die Grundbedingungen für das Zustandekommen des Kapillarpulses, 
die im wesentlichen in den Bedingungen für das Auftreten eines Pulsus 
celer gipfeln, setze ich als bekannt voraus. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



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44 E. JFRG ENSEN, 

Glässner (14) kommt auf Grund seiner klinischen Studien über den 
Kapillarpuls zu der Annahme, dass der Kapillarpuls von der Höhe des 
Pulsdrucks, von dem Verhalten der grossen und dem Zustand der klein¬ 
sten Gefässe abhängig ist und diesen drei Faktoren einzeln, oder kom¬ 
biniert, seinen Ursprung verdankt. Er möchte nach seinen Untersuchungen 
den Kapillarpuls in einen zentralen (vom Herzen bzw. den grossen Ge- 
fässen bedingten) und einen peripheren (durch Veränderungen in den 
kleinsten Gefässen verursachten) einteilen. Der Vorschlag hat manches 
für sich. Einzelheiten sind in der Originalarbeit einzusehen. 

Des Interesses halber sei hier noch eine Bemerkung Quinckes (12) 
aus seiner zweiten Publikation über Kapillarpuls und Venenpuls ange¬ 
führt: . . . „zustande kommt dieselbe (nämlich die Erscheinung des 
Kapillarpulses) augenscheinlich dadurch, dass die systolische Druck¬ 
zunahme in den zuführenden Arterien sich bis in die kleinsten Arterien¬ 
ästchen und zugleich in die (nur passiv oder selbständig?) erweiterten 
Kapillaren fortpflanzt und dieselben stärker füllt . . . u . Demnach hatte 
Quincke an eine etwaige Selbsttätigkeit der Kapillaren gedacht. Aller¬ 
dings drückt er sich darüber sehr zurückhaltend aus. (Es handelt sich, 
um nicht missverstanden zu werden, nicht etwa um die Annahme einer 
aktiven Pulsation der Kapillaren.) 

Auf Grund der Arbeit Stadlers über die syphilitische Aortitis hatte 
ich mich eingehender mit dem Studium der Erkrankungen der Aorta be¬ 
fasst. Dabei ist mir das häufige Zusammentreffen von Kapillar¬ 
puls und Erkrankung der Aorta aufgefallen. Es lag mir nun daran 
an grösserem klinischen Material mit den neueren Untersuchungsmethoden 
festzustellen, inwieweit sich aus dem Kapillarpuls tatsächlich Rück¬ 
schlüsse auf den Zustand der Aorta, das heisst auf eine Aortendehnung, 
ziehen lassen. 

Ich habe nur solche Fälle aufgenommen, bei denen der Kapillarpuls 
in aller Deutlichkeit wahrzunehmen war, "und nur solche, bei denen die 
wiederholte Untersuchung die Richtigkeit der Beobachtung bestätigte. 
Gleichzeitig sind Blutdruck und die Ergebnisse der Wassermannschen 
Reaktion angegeben. Die Blutdruckmessungen wurden mit dem Gärtner¬ 
sehen Apparat gewonnen, sie sind dementsprechend zu bewerten. Im 
einzelnen namentlich die Herzbefunde anzugeben, hätte zu weit geführt. 
Mehr oder minder ausgesprochene Hypertrophie des letzten Ventrikels, 
Aortendämpfung, klingender zweiter Aortenton, systolisches Geräusch 
über Herzspitze und Aorta wiederholen sich in den Krankengeschichten 
in monotoner Weise. Viele der Kranken habe ich seit Jahren unter 
Beobachtung. Bemerkenswertes werde ich bei der Schlussübersicht her¬ 
vorheben. Komplikationen von Seiten der Nieren finden sich in keinem 
der Fälle. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Beobachtungen über Kapillarpuls. 

U ebersichts-Tabelle. 


45 


u 

CJ 

s 

HM 

1 

Röntgen masse 

Radialpuls 

c n 

3 

O. 

_rt 

Blutdruck 

nach 

Gärtner 

• 3 

C ® 
G -P 
c3 M 
C c3 

c ® 

Diagnose 

Bemerkungen 


■ 


Q 

Herz- 

Aorten- 

’cu 

o CC 

■ 

IS 


breite 

breite 



mm Hg 




1 

Frau 

He. 

51 

13 cm 

7 cm 

98—100 i. d. M, 
regelm., celer 

+ 

140/145 


Atheroskler. 

Vor 18 J. Rheumarthritis. 
Periphere Art. rigide, 
Radialis geschlängelt. 

2 

d 

Ko. 

57 

13 „ 

6,5 


93 i. d. M., ccler, 
ohne Besonderh. 

+ 

130 


do. 

Periphere Arterien ri¬ 
gide. Radialis wenig 
geschlängelt. 

3 

fl 

Sa. 

48 

11,5, 

8 

A 

100 i. d. M., regel¬ 
mässig, celer, 
puls. diff. 

+ 

140 


Aoititis 

(Lues??) 

lml2.LebensjahrGelenk- 
entziindung. Periphere 
Arterien o. B. 

4 

fl 

Fra. 

67 

11 „ 

7,5 

» 

82 i. d. M., irregul. 
Zelerität n. sehr 
ausgesprochen 

+ 

120 

- 

Atheroskler., 

(Bronchitis) 

Ausgesprochene athero- 
sklerot. Veränderungen 
der peripheren Arier. 

5 

a 

Nu. 

63 

13 , 

7 


102 i. d. M., irre¬ 
gulär. 

+ 

145 


Atheroskler. 

(Koronar¬ 

sklerose?) 

Wie bei Fall 4. 

6 


We. 

60 

13,5 „ 

6 

» 

82, unregelmässig, 
setzt jed. 6.—7. 
Schlag aus, celer 

+ 

130 


Atheroskler., 

Bronchitis 

PeriphereArt. sehrrigide. 
Anamnestisch im Vor¬ 
dergrund d. Besch werd. 
Neuralgien i. Schultern 
und Armen. 

7 

r> 

Tro. 

64 

16 , 

8,5 

n 

70, unregelmässig, 
jed. 4. 5.Schlag 
aussetzend, 
celer, puls. diff. 

+ 

140 


Atheroskler., 

Koronar¬ 

sklerose 

Periphere Arterien wie 
bei Fall 6. 

8 

» 

Ko. 

56 

12 , 

6 


98, Zelerität wenig 
ausgesprochen 

+ 

135 

— 

Atheroskler., 

Bronchitis 

Periphere Arterien stark 
geschlängelt. 

9 

fl 

Bla. 

50 

12,8 * 

1 

9 

«• 

85, regelm., celer, 
puls. diff. i 

+ 

130 


Atheroskler., 
Struma re- 
trosternalis 

W r ie bei Fall 2. 

10 

» 

Rin. 

1 

57 

15 „ 

! 

7,5 


98, leicht unter- ! 
drückbar, Extra¬ 
systolen, celer 

+ 

130 


Atheroskler. 

Wie bei Fall 2. 

11 


Jo. , 

64 

13 * 

6 


70, celer 

+ 

125 

— 

do. 

Wie bei Fall 2. 

12 

fl 

Zwo. 

43 

“ ’i 

6,5 


81, celer 

+ 

100/105 


Aortitis 

Periph. Art o. B. Vielfach 
bisher wegen Rheuma¬ 
tismusbehandelt, keine 
Anhaltspunkte f. Lues. 

13 

fl 

Ro. 

63 

12 , 

i 

7,5 

» 

84, regelm., celer, 
puls. diff. 

+ 

135 


Atheroskler. 

i 

Vor 20 J. Gelenkrheuma¬ 
tismus. Mann Luetiker, 
sonst wie bei Fall 2. 

14 

Herr 

Ca. 

62 

14 " 

5,5 

fl 

72, regelm., Zele¬ 
rität schwach 
angedeutet 

+ 

(-) 

1 

i 

100 

1 


do. 

Vor 27 J. Lues. Seit 3 J. 
rheumat. Beschwerden. 
Nach Abschluss einer 
4 wöch. hydrother. Be¬ 
händ!. Kapillarpuls n. 
mehr wahrzunehmen. 

15 

Frau 

Su. 

63 

13 , 

1 7 

i 

fl 

80, regelm., celer 

+ 

130 


Atheroskler., 

Claudicatio 

intermittens 

Vor 30 Jahren schwerer 
Gelenkrheumatismus, 
sonst w^e bei Fall 2. 

IG 


Wa. 

55 

11,5 1 

5,5 

» 

86, celer 

+ 

120 

— 

Atheroskler. 

Vielfach wegen rheumat. 
Beschwerd. inBehandl. 

17 

» 

Kos. 

58 

12 , 

6 


78, celer 

+ 

140 

— 

Atheroskler., 
Diab. mellit. 

Wie bei Fall 2. 

18 

r 

Zo. 

59 

12,5'* 

i 6,5 


63, ccler 

+ 

90 

— 

Atheroskler. 

Wie bei Fall 2. 

19 

fl 

Do. 

,45 

13 * 

7,6 


78, ccler 

+ 

1 

135 

i 


do. 

Periphere Art. etwas ri- 
rigider, sonst o. B. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 












46 


E. JURGENSEN, 


o 

£ 

p 


C_> 

Röntgenmasse 

R a d i a 1 p u 1 s 

r r. 

'S 

04 

CC 

§ ^ 
llt 

• C 

a o 
fl S 

£ «e 

U, O 

Diagnose 

Bemerkungen 

5 



< 

Herz¬ 

breite 

Aorten¬ 

breite 

’o. 

rt 

CQ O 

mm Hg 

CJ pä 
CO ö 

eö Ä 

CO 

20 

Frau 

Lo. 

63 

12,5cpi 

7 cm 

96,Zelerit. a. d.Ra- 
dialis nicht sehr 
ausgesprochen 

+ 

105 


Atheroskler. 

Wie bei Fall 2. 

*21 

V 

Esp. 

55 

13 » 

7,5 „ 

83, regelm., celer, 
puls. dift. 

+ 

95/100 


do. 

Vor 30 J. schwer. Gelenk¬ 
rheuma. Radial, beider¬ 
seits hart, sonst o. B. 

22 

n 

Rin. 

51 

13,5, 

7,5 , 

85, regelm., celer 

+ 

105 


Atheroskler., 
Diab. mellit. 

Vor 15 J. Gelenkrheum., 
im übrigen wie Fall 21. 

23 

V 

Lew. 

57 

12 , 

5,5 „ 

75, regelm., celer 

+ 

110115 

_ 

Atheroskler. 

Vor 3 .J. Gelenkrheum., 
sonst wie Fall 21. 

24 

Herr 

Die. 

47 

15 r 

7,5 „ 

74, regelm., keine 
eigeutl. Zeleri- 
tät, puls. difT. 

+ 

90 


Aortit. syphil.? 
Tabes dors., 
Atheroskler. 

Vor 20 J. Lues. Potus zu¬ 
gegeben. Periph. Art. 
wie bei Fall 2. 

25 

Frau 

Ba. 

50 

14 „ 

7 * 

77, Zeleritiit 
schwach ange¬ 
deutet 

+ 

95/100 

4 + 4- 

Atheroskler., 

Lues 

Lues negiert. Ausser der 
Gefässerkrankg. keine 
nachweisbaren luet. Er¬ 
scheinungen. Im übrig, 
wie bei Fall 2. 

2G 

n 

Schm. 

50 

12 „ 

6,75 „ 

80, regelm., celer 

+ 

100/110 


Atheroskler., 

Bronchitis 

Wie bei Fall 2. 

27 


Näh. 

34 

12 „ 

6,5 r 

57, regelm., celer 

+ 

iio 


Aortitis, Bron¬ 
chitis 

Anamnestisch keine An¬ 
haltspunkte für Lues, 
objektiv ebenfalls keine 
Erscheinungen nachzu¬ 
weisen. Periph. A. o. B. 

28 

n 

Rub. 

60 

13 „ 

6,5 „ 

55, regelm., celer 

+ 

100/110 

+ 4 + 

Atheroskler. 

i 

Lues negiert. Objektiv 
auss.d.Gefässerkrankg. 
keine Erscheinung. Seit 
3J. wegen Rheum. viel¬ 
fachbehandelt. Periph. 
Arterien wie bei Fall 2. 

29 

r 

Ro. 

62 

12 , 

7,5 „ 

70, regelm., celer, 
puls. difT. 

+ 

130 

— 

Atheroskler., 
j Bronchitis 

Wie bei Fall 2. 

30 

r 

Wi. 

37 

11 „ 

7 „ 

78, regelm., celer 

1+' 

125 

+ 4 + 

Aortitis syphi¬ 
litica 

Anamnestisch Lues ne¬ 
giert. Periph. xYrt. o. B. 

31 

T 

Mi. 

52 

12 „ 

! 

8 „ 

98, regelm., celer 

4 

130 

! 

+ 4 + 

' Aortitis (Athe- 
: rosklcrosc?) 

i 

Lues negiert. Vor 2 J. an- 
gebl. Gelenkrheum. Pe¬ 
riphere Art. hart, aber 
nicht geschlängelt. 

32 

r» 

Tro. 

j 52 

1 

1 

13 * 

6,5 „ 

! 

66, leicht unregel¬ 
mässig, celer 

+ 

, 115 


! Atheroskler. 

Vor 6J. Gelenkrheum.? 
Seitdem vielfach wegen 
Rheumat. in Behandlg. 
Sonst wie bei Fall 2. 

33 

T 

Wik. 

62 

12,5, 

6,5 „ 

80, regelm., celer 

+ 

130 

— | 

Atheroskler., 
Diab. mellit. 

Wie bei Fall 2. 

34 


Seher. 

48 

i 

l 

i 

14,5, 

7 , 

75, regelm , celer 

+ 

l 

125 

i 

i l 


do. 

Vielfach wegen Rheum. in 
Behandlg. Seitl 4. Diab. 
mellit. Periph Art. aut- 
fallend starr und ge¬ 
schlängelt. 

35 


Gro. 

55 

13,5 „ 

7 „ 

90, leicht unregel¬ 
mässig, celer, i 
puls, di IV. 

+ 

125 

i 

44 4 

| 

Aortitis, Athe¬ 
rosklerose 

Lues negiert. Ausser der 
Gelassen krankg. keine 
Anhaltspunkte f. Lues. 
Periphere Art. rigide. 

30 

r 

Lo. 

GO 

13.5 „ 

i 7 „ 

70, unregelmässig, 
celer 

+ 

115 

1 


Atheroskler. 

Seit 2 J. vielfach wegen 
rheum.Beschw. behänd. 

37 

* 

Mert. 

41 

11 * 

5 » 

SO, regelm., celer 

+ 

95/100 

44-4 

Aortitis syphi¬ 
litica 

Lues negiert. Periphere 
Arterien o. B. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 










Beobachtungen über Kapillarpuls. 


47 


■J 

3 

Name 

Alter j 

Röntge 

Herz¬ 

breite 

nmasse 

Aorten¬ 

breite 

' 

R a d i a 1 p u 1 s 

Kapillarpuls 

o o 

Ö 

y o 
^ ^ 

~ fl :rt 

5 ° 

mm Hg 

Wassermann- | 
sehe Reaktion j 

Diagnose 

Bemerkungen 

-8 

Frau Bra. 

53 

12 cm 

6,5 cm 

94, regelm., celer 

+ 

120/125 


Athcroskler. 

In d. letzten Jahren viel¬ 
fach wegen rheum. Be¬ 
schwerden i. Behandlg. 
Periph. A. wie b. Fall 2. 

13 

r 

Ja. 

37 

13,25„ 

7 » 

72, etwas unregel¬ 
mässig, celer 

+ 

95 


Aortitis syphi¬ 
litica 

Lues negiert. Ausser der 
Gefässerk ran kg. ohjekt. 
keine Anhaltspunkte. 
Periph. Arterien weich. 

: ) 

V 

La. 

43 

12 * 

8,5 , 

64, regelm., celer, 
puls. diff. 

+ 

90,95 


Aortitis (sy¬ 
philitica?), 
Bronchitis 

Anamnestisch rheumat. 
Beschwerden. Lucs ne¬ 
giert. Periph. A. weich. 

. i. 

V 

No. 

57 

11 r 

7 , 

90, regelm., celer 

+ 

95/100 


A theroskler., 
Bronchitis 

Periphere Art. leicht ge¬ 
schlängelt, rigide. 

’ > 

r 

Schw. 

60 

11,5 * 

7,25„ 

88, regelm., cclcr i -f- 

125 

+++ 

A theroskler., 
Aortitis 

Wie bei Fall 40. 

i > 

T 

Schei. 

49 

11,5 „ 

8,25, 

I 

80, regelm., celer 

+ 

95/100 


Aortitis 

Anamnest. für Lucs keine 
Anhaltspunkte. Periph. 
Arterien weich. 


T 

Gi., 

53 

12,5 „ 

5,5 „ 

i 

76, regelm., celer 1 + 

1 

I 

130 


Athcroskler. 

Seit Jahren wegen rheum. 
Beschwerd. i. Behandlg. 
Periph. Arterien hart. 

‘ 1 


Ser. 

51 

12 „ 

1 6,5 „ 

90, regelm, celer 

+ 

95/100 

— 

1 do. 

Wie bei Fall 44. 


V 

Paw. 

48 

13,5 r 

; 8 - 

i 

i 

80, regelm., celer, 
puls. diff. 

+ 

90/95 

i 

i 


j do. 

Seit 3 Woch. an Rheum. in 
der linken Schulter be¬ 
handelt. Periphere Art. 
wenig geschlängelt. 


V) 

Sith. 

51 

12,5 „ 

i 7 „ 

i 

92, regelm., celer 

+ 

95/100 

j 

i 

i j 

Athcroskler., 

Bronchitis 

Vor 20 J. schwerer Ge- 
lenkrheum., mehrfach 
Rückfälle, im übrigen 
wie bei Fall 2. 


ri 

Berg. 

49 

12 „ 

6,5 „ 

88, regelm., celer 

+ 

! 90/95 


A theroskler. 

Wie bei Fall 2. 

3 

» 

We. 

35 

1 

12 „ 

6 „ 

i 

73, regelm., celer 

+ 

| 100 

I 

1 

I 

Aortitis? 

Vielfach an Rheum. be¬ 
handelt. Periph. Art. 
weich. 



Kew. 

i 67 

1 

11,5 „ 

1 5,5 „ 

i 

| 

1 

92, sehr klein, 
Extrasystolen 

+ 

120 

1 

1 

! _ 

l 

A theroskler., 

' (Koronar¬ 
ski crose?) 

Seit Jahren wegenRheum. 
i. Behandlung. Periph. 
Arterien auffallend hart 
und geschlängelt. 


Ueberblicken wir die Tabelle, so findet sich darin einiges recht Be¬ 
merkenswerte. Es handelt sich, wie erwähnt, im wesentlichen um Frauen. 
Es sind das alles Frauen aus einer armen Bevölkerungsklasse, die sich 
in mühseliger Arbeit um die Existenz wehren muss. Uebermässiger 
Genuss von Fleisch ist da ausgeschlossen. Ich hebe das hervor, da das 
Fleischverbot bei Arteriosklerotikern eine so einseitige Rolle spielt. Potus 
war nur in einem Fall bei einem Manne nachzuweisen. In den übrigen 
Fällen ist er absolut auszuschliessen. Von irgend nennenswertem Nikotin- 
abusus konnte in keinem Fall die Rede sein. Dagegen gibt der relativ 
häufige positive Ausfall der Wassermannschcn Reaktion doch 
zu denken. Bei den beiden Männern war Lues zugegeben (Wassermannsche 
Reaktion negativ), also jedenfalls Lucs für die Aetiologie der Erkrankung 
sehr stark in Rechnung zu ziehen. Dazu kämen 8 Fälle (25, 28, 30, 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 









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48 E. J Ü RG ENSEN, 

31, 35, 37, 39, 42) mit positiver Wassermannscher Reaktion. Es sind 
also 20 pCt. der Fälle ätiologisch für Lues zu berücksichtigen. Freilich 
Grossstadtklientel, dabei ist aber zu betonen, dass sich ausser der Ge- 
fässerkrankung keinerlei Anhaltspunkte für Lues finden liessen. Von 
vornherein lässt sich aber der Charakter einer luetischen Aortitis gegen¬ 
über einer nichtluetischen Gcfässerkrankung schwerlich mit Sicherheit 
bestimmen. Wenn man bedenkt, dass die in der Tabelle angeführten 
Fälle mehr oder minder vom Zufall zusammengewürfelt wurden und 
anamnestisch (abgesehen von 2 Fällen) keinerlei Anhaltspunkte für Lues 
gaben, erscheint es ein Fingerzeig mehr, it) jedem Fall, in dem Ver¬ 
änderungen an der Aorta vermutet werden, unbekümmert um Lebensalter 
und äussere Umstände auf der Ausführung einer Wasscrmannschen 
Reaktion zu bestehen. Das kann für die Therapie von allergrösster 
Bedeutung werden. 

Auf einen anderen praktisch wichtigen Punkt hat Oberndorfer (13) 
hingewiesen. In seiner Arbeit über die syphilitische Aortenerkrankung 
führt er unter anderem aus, dass bei der luetischen Aortitis neben den 
Vasa vasorum auch die Nerven der Adventitia im Anfangsstadium der 
Entzündung von Entzündungszellen umgeben sind. Ein Teil der Be¬ 
schwerden bei luetischer Aortitis liesse sich dadurch erklären, dass auch 
in sie hinein Entzündungszellen dringen. Ob es sich bei der nicht¬ 
luetischen Form der Aortenerkrankung um ähnliche Vorgänge handelt, 
weiss ich nicht. Ohne weiteres ist das nicht abzuweisen. Die Gefäss- 
krisen im Sinne von Pal liessen sich so gut erklären. Geht man näm¬ 
lich den häufigen „rheumatischen“ Beschwerden älterer Leute nach, so 
findet man nicht selten mehr oder minder ausgesprochene Gefässver- 
änderungen. Es sind das die so oft nicht bestimmt zu lokalisierenden 
„Rheumatismen“, an denen vielgeschäftige Masseure ihr Brot verdienen, 
ohne wesentlichen Nutzen zu stiften. Dabei wird viel kostbare Zeit für 
eine rationelle Therapie vergeudet. Praktisch ergibt sich daraus die 
Folgerung, in jedem Fall von „Rheuma“ oder wie das nun gerade be¬ 
nannt wird, Herz und Gefässe genau zu untersuchen, wie es bei ana¬ 
mnestischen Angaben über Gelenkrheumatismus längst geschieht. 

Ferner der Kapillar puls. Ein Blick auf die Tabelle zeigt, dass 
sich die Vermutung, bei deutlichem Kapillarpuls auch Veränderungen an 
der Aorta zu finden, im wesentlichen bestätigt findet. Diese lassen 
sich ja auch anders nachweisen, und allein wird man sich auf den 
Kapillarpuls nie verlassen dürfen. Er ist aber wohl geeignet, auf die 
richtige Fährte zu führen. Ich möchte dabei auf Fall 37 hinweisen. 
Radiologisch fand sich hier keine Verbreiterung des Aortenschattens. Es 
handelte sich um eine 37jährige, mittelgrosse, gut entwickelte Frau, die 
schon längere Zeit wegen „nervöser Brustbeschwerden“ behandelt worden 
war und dabei immer mehr herunterkam. Anamnestisch waren keinerlei 
genauere Angaben zu erlangen. Objektiv fand sich bei der Frau am 



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Beobachtungen über Kapillarpuls. 


49 


Herzen ein eigentümlich klingender 2. Aortenton, daneben deutlicher 
Kapillarpuls. Zu bemerken ist, dass die Frau keineswegs anämisch war. 
Diese beiden einzigen Anhaltspunkte führten zu dem Verdacht, dass es 
sich hier um das Anfangsstadium einer syphilitischen Aortenerkrankung 
handeln könne. Der stark positive Ausfall der Wassermann’schen Reaktion 
bestätigte die Vermutung. Die eingeleitete antisyphilitische Therapie 
brachte erhebliche Besserung. Es mögen hier vielleicht die ersten akuten 
Entzündungsvorgänge an der Aorta diese in ihrer Funktion in der Weise 
beeinflusst haben, dass der Effekt einer mehr oder minder starren Röhre 
erzielt wurde, der sich in der Peripherie in dem deutlichen Kapillarpuls 
erkennbar machte. Ob die Kapillaren an sich schon in diesem Fall 
krankhaft dilatiert waren, lässt sich schwer entscheiden. 

ln Fall 14 handelt es sich um einen 62jährigen Mann mit luetischer 
Vorgeschichte. Auch er war schon längere Zeit wegen rheumatischer 
Beschwerden in Behandlung gewesen. Am Herzen fand sich Hypertrophie 
des linken Ventrikels, über Spitze und Aorta leise systolische Geräusche, 
der 2. Aortenton war klingend. Es bestand deutlicher Kapillarpuls. 
Wassermannsche Reaktion negativ. Die peripheren Arterien waren rigide, 
der Radialpuls ohne Besonderheiten. Nach Einleitung einer antisyphili¬ 
tischen Kur, welche durch physikalische Massnahmen unterstützt wurde, 
trat auch hier erhebliche Besserung ein. Nach vierwöchiger Behand¬ 
lung war Kapillarpuls nicht mehr wahrzunehmen. 

Ich habe das auch in anderen Fällen, bei denen der Befund am 
Herzen nichts Ausserge wohnliches ergab, mehrfach beobachtet. Ich möchte 
in solchen Fällen vasomotorische Störungen annehmen, die zu einer Er¬ 
weiterung der Kapillaren führten und durch die eingeleitete physikalische 
Therapie beseitigt wurden. Es waren das aber keineswegs „nervöse“ 
Kranke. Das subjektive Gefühl der Besserung ging mit der Wiederher¬ 
stellung der normalen Funktion der Kapillaren Hand in Hand. Die 
anamnestischen Beschwerden solcher Patienten bestanden meist in Par- 
ästhesien und Schmerzempfindungen, die nie genau zu lokalisieren waren, 
bald hier, bald dort auftraten und den Kranken mehr unbequem als 
störend waren. Da es sich meist um Leute jenseits der Vierziger 
handelte, mögen sie der Ausdruck beginnender Gefässveränderungen sein. 
Auch Glaessner (14) spricht auf Grund seiner Untersuchung eine ähn¬ 
liche Vermutung aus. Seine Untersuchungen sind mir erst nach Ab¬ 
schluss dieser Arbeit zugänglich geworden. Gerade solche Fälle lenken 
die Aufmerksamkeit auf die Peripherie und erwecken die Vorstellung, 
dass der normalen Funktion der Kapillaren für den Ablauf der Kreis¬ 
laufregulierung eine wichtige Rolle zukommt und dem gesamten peri¬ 
pheren Arteriensystem doch eine grössere Selbstständigkeit gebührt, als 
man ihm zuraessen will. Das erfahrungsgeraäss frühe Auftreten von 
Arteriosklerose bei Syphilitikern konnte man, gestützt auf die mecha¬ 
nische Theorie von der Entstehung der Arteriosklerose, ebenfalls in dem 

Zeitscbr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 n. 2. < 


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50 


E. JURGENSEN 


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Sinne erklären. Es erkrankt zunächst die Aorta. Für die in ihrer 
Funktion beeinträchtigte Aorta tritt die Peripherie ein. Dadurch erhöhte 
Inanspruchnahme und Abnutzung der Arterien, Uebergang zu diffuser 
Sklerose. Der grösseren Mehrzahl der Befunde nach scheint jedenfalls 
der linke Ventrikel bei syphilitischer Aortitis, wenn man von Kompli¬ 
kationen absieht, anfangs nicht in erhebjicherem Masse zur Regulierung 
herangezogen zu werden. 

Beim Studium der Aortenerkrankungen bekommt man es natur- 
gemäss in der Mehrzahl der Fälle mit Arteriosklcrotikern zu tun. Ist 
die Arteriosklerose diffuser entwickelt, so wird in dem starren Röhren¬ 
system die Pulswelle mehr ruckweise durch die kleinsten Arterienäste 
nach der Peripherie befördert, sie gelangt so zu den Kapillaren und wird 
als Kapillarpuls erkennbar. Es mag in solchen Fällen der Kapillarpuls 
zu der Annahme einer diffusen Ausbreitung der sklerosierenden Prozesse 
berechtigen. In der Mehrzahl wird man mit einer unter Umständen er¬ 
heblichen Erweiterung der Aorta zu rechnen haben. 

Quincke (12) macht darauf aufmerksam, dass bei Kompensations- 
Störungen einer Aorteninsuffizienz der Kapillarpuls oft verwischt erscheint 
und erst mit dem Kräftigerwerden des linken Ventrikels wieder deutlich 
wird. Die gleiche Beobachtung kann man bei Arteriosklerotikern machen 
ohne Insuffizienz der Aortenklappen. Hier gibt die Beobachtung des 
Kapillarpulses oft ein recht feines Kriterium für die jeweilige Leistungs¬ 
fähigkeit des linken Ventrikels und therapeutisch verwertbare Anhalts¬ 
punkte. Das erfordert allerdings einige Uebung des Beobachters und 
eine dauernde Ueberwachung der Kranken. 

Unter verwischtem Kapillarpuls wäre der Kapillarpuls zu verstehen, 
wie er manchesmal bei ganz Gesunden unter günstigen Umständen zu 
sehen ist. Bei deutlichem Kapillarpuls halte man sich das Erinnerungs¬ 
bild des Kapillarpulses bei ausgesprochener Aorteninsuffizienz vor Augen. 
Der systolisch-diastolische Kontrast ist oft so scharf ausgeprägt, dass 
man die anämische Zone am Nagelbett direkt aufleuchten sieht. 

Die Frage nach der Selbständigkeit der Peripherie als Triebkraft 
für den Kreislauf möchte ich weniger in einer aktiven systolisch-dia¬ 
stolischen Tätigkeit der Arterien gelöst sehen. Sie mag eher in einer Tätig¬ 
keit gelegen sein, die unter bestimmten Bedingungen regulierend eingreift 
und in einer peristaltischen, der Pulswelle nachrückenden, vom Zentrum nach 
der Peripherie fortschreitenden Bewegung ihren Ausdruck findet. Eine 
derartige Peristaltik entspricht auch viel mehr den Bewegungen, die wir 
sonst bei Organen mit glatter Muskulatur wahrnehmen. Daneben bleibt 
die Aufgabe der Gefässmuskulatur zur Aufrechterhaltung des Gefässtonus 
ganz zu recht bestehen. Beide Aufgaben lassen sich wohl vereinigen. 

Eine vereinzelte in diesem Sinne gemachte Beobachtung mag wenig 
massgebend sein, immerhin gibt sie vielleicht Richtpunkte für die Lösung 
dieser sehr verwickelten Vorgänge. 



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Beobachtungen über Kapillarpuls. 


51 


Auf Grund igeiner Beobachtungen möchte ich empfehlen, dem 
Kapillarpuls grössere Beachtung zu schenken, als es im allgemeinen ge¬ 
schieht. Der deutlich erkennbare Kapillarpuls ist der Ausdruck 
einer erhöhten Inanspruchnahme des linken Ventrikels und 
des arteriellen Gefässgebietes mit allen ihren Folgerungen für 
den Gesamtkreislauf. Wo wir ihn sehen, weist er auf Störungen 
hin, die eine sorgfältige Kontrolle aller, auch der kleinsten, 
für den regelrechten Ablauf der Blutbewegung und Blutver¬ 
teilung in Betracht kommenden Faktoren nötig machen. So 
aufgefasst wird uns seine Beobachtung in einer prophylaktischen Tätig¬ 
keit bei der Bekämpfung der Kreislauferkrankungen im Sinne Grass - 
manns (1) unterstützen. Die Fälle mit positivem Kapillarpuls 
bedürfen einer ganz besonderen Ueberwachung. Die Beobachtung 
und richtige Einschätzung des Kapillarpulses verlangt zwar einige Uebung, 
aber die aufgewandte Mühe lohnt sich reichlich, da sie auch für die 
Therapie wichtige Anhaltspunkte gibt. 


Literatur. 

1) Grassmann, Münchener med. Wochenschr. 1913. Nr. 45. S. 2503. — 
2) Stadler, Die Klinik der syphilitischen Aortenerkrankung. Arb. a. d. med. Klinik 
zu Leipzig. 1912. H. 1. — 3) E. Romberg, Ueber Arteriosklerose. Verli. d. 
21. Kongr. f. inn. Med. 1904. — 4) Hasebroek, Deutsches Arch. f. klin. Med. 
Bd. 77. S. 351 ff. — 5) Bier, Virchows Arch. Bd. 147 u. 153. — 6) Grützner, 
Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 89. S. 133ff. — 7) Matth es, Deutsches Archiv 
f. klin. Med. Bd. 89. S. 381 ff. — 8) v. Bezold u. Gscheidlen, Unters, a. d. 
phys. Laborat. in Würzburg. 1867. S. 347. — 9) Schiff, Arch. f. phys. Heilk. 
Bd. 13. S. 512; Gesammelte Beitr. Bd. 1. S. 131. — 10) Goltz u. Ewald, 
Pflügers Archiv. Bd. 63. S. 362. — 11) Quincke, Berliner klin. Wochenschr. Bd. 5. 
S. 357 ff. — 12) Quincke, Berliner klin. Wochenschr. Bd. 27. S. 265 ff. — 

13) Oberndorfer, Münchener med. Wochenschr. 1913. Nr. 10. S. 505 ff. — 

14) Glaessner, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd.97. S. 83ff. — 15) v. Noorden, 
Charitö-Annalen. Jahrg. 15. 1890. S. 188ff. 


4* 


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V. 


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Aus der 1. inneren Abteilung des Rudolf-Virchow-Krankenhauses zu 
Berlin (Prof. Kuttner). 

Was leistet die pharmakologische Prüfung in der Dia¬ 
gnostik der Störungen im vegetativen Nervensystem? 

Von 

Dr. Gerhard Lehmann. 

Eppinger und Hess waren die ersten, die systematisch die Er¬ 
gebnisse der experimentellen Pharmakologie auf das Krankenbett über¬ 
tragen und die ganze Frage der Vagotonie und Sympathikotonie in Fluss 
gebracht haben. Wenn wir auch in der Zwischenzeit gelernt haben, 
manche der damals aufgestellten Behauptungen einzuschränken und in 
Sonderheit den strengen Antagonismus zwischen Sympathikus- und er¬ 
weitertem Vagussystem in der damals formulierten strengen Form nicht 
anerkennen können, so wird doch jeder, der sich mit diesen Fragen be¬ 
schäftigt hat, zugeben müssen, dass wir durch diese Betrachtungsweise 
ganz neue Einblicke in grosse Krankheitsgruppen, besonders in das Heer 
der Organneurosen, getan haben. 

Sollte es sich wirklich bewahrheiten, um nur zwei aus der Unzahl 
der Beispiele herauszugreifen, dass wir, wie Eppinger und Hess an- 
annehmen, in der Krise eines Pneumonikers und im Serumexanthem eines 
Diphtheriekranken nichts anderes als eine Vagusreizung, als die erhöhte 
Reaktion eines zur Vagotonie disponierten Individuums zu betrachten 
haben, so würden sich neue therapeutische Ausblicke eröffnen und alte, 
am Krankenbett schon längst erprobte, therapeutische Tatsachen ihre 
Bestätigung finden. 

Jede Betrachtungsweise von einem fixierten Standpunkt aus ist aber 
einseitig und gibt ganz bestimmte, begrenzte Bilder, zumal man leicht 
in den begreiflichen Fehler verfällt, von diesem einen Gesichtspunkt aus 
möglichst viel, womöglich alles sehen und erklären zu wollen. 

Eine solche Beurteilung kann fördernd sein für das Verständnis 
einer Erkrankung und mag zu Recht bestehen bei festgelegten Krankheits¬ 
bildern, kann aber leicht auf Irrwege führen, wenn es sich um noch so 
unbestimmte Begriffe wie die Vagotonie und Sympathikotonie handelt. 
Statt an Serien von Krankheitsfällen der verschiedensten Art neben den 
üblichen Untersuchungsmethoden vorläufig nur die etwa vorhandenen 
Stigmata des vegetativen Nervensystems einzutragen und an Hunderten 



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Was leistet d. pharm. Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat.Nervensystem? 53 


von Fällen derselben Art die Symptome herauszuschälen, die auf Grund 
der pharmakologischen Prüfung dem Vagus und Sympathikus zur Last 
fallen, spricht man schon jetzt recht häufig von Vagotonie und Syrapa- 
thikotonie und verbindet damit nicht den Begriff von Symptomen, sondern 
von ganz bestimmten Krankheitsbildern. 

Fast scheint man sich dabei in einem Circulus vitiosus zu befinden: 
Man wollte das Heer der funktionellen Erkrankungen in Störungen des 
vegetativen Nervensystems auflösen und ist im Begriff, einen viel grösseren 
Komplex der verschiedensten Krankheiten unter dem Sammelnamen 
Vagotonie und Sympathikotonie zusammenzudrängen. 

Sicherlich gibt es Individuen, die ganz im Sinne von Eppinger und 
Hess den Namen Vagotoniker verdienen und bei denen viele Krankheits¬ 
symptome ungezwungen durch Störung im vegetativen Nervensystem er¬ 
klärt werden können, anderseits aber wissen wir und glauben, wie an 
an einer späteren Stelle auseinandergesetzt werden soll, auch beweisen 
zu können, dass jeder Mensch in der Jugend, auch der, welcher uns 
bisher als gesund und normal galt, irgend ein Stigma aufweist und eine 
deutliche Reaktion auf eines der für diese Prüfungen gebräuchlichen 
Pharmaka gibt. 

Die daraus sich ergebende Folgerung, dass dann eben — wenn die 
pharmakologische Prüfung massgebend ist — fast kein Mensch ein nor¬ 
males vegetatives Nervensystem besitze, hat praktisch keine Berechtigung; 
am Krankenbett können wir jedenfalls mit diesen Voraussetzungen nichts 
anfangen, und ich glaube, dass eine Verallgemeinerung dieser Begriffe 
am wenigsten im Sinne der um dieses Gebiet so verdienten Autoren 
Eppinger und Hess wäre. 

Um eine Störung im vegetativen Nervensystem nachzuweisen, stehen 
uns zwei Wege zur Verfügung: Wir suchen erstens bei unseren Patienten 
nach Stigmata, die als Symptome bzw. Folge dieser Störung aufgefasst 
werden könnten (Glanzauge, abnormer Schweiss, spastische Obstipa¬ 
tionen u. a.), und geben ihm andererseits bestimmte Pharmaka, die eine 
Lähmung bzw. Reizung des Vagus oder Sympathikus herbeiführen. 

Das Nächstliegende ist es, dem ersten Weg zu folgen und bei dem 
für diese Untersuchung in Betracht kommenden Fällen nach Stigmata zu 
suchen. Sind solche in genügender und überzeugender Menge vorhanden, 
so erscheint eine pharmakologische Prüfung durchaus nicht unumgänglich 
notwendig. Eine solche käme besonders erst in Frage, wenn das eine 
oder andere Symptom wohl auf eine Störung im Vagus oder Sympathikus 
hindeutet, aber schliesslich auch anders erklärt werden könnte. 

Tatsächlich wird es sich gewöhnlich um Fälle dieser Art handeln. Die 
Zahl der absolut klaren Fälle aber ist eine verhältnismässig sehr geringe. 

In der Regel stösst die Beurteilung solcher Kranken auf Grund einer 
rein äusserlichen Untersuchung auf erhebliche Schwierigkeiten. 


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54 


GERHARD LEHMANN, 


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Zwischen einem hellen Auge und einem Sympathikusglanzauge sind 
fliessende Uebergänge und Pulsverlangsamung, Pulsbeschleunigung, Obsti¬ 
pation und Diarrhoe sind von recht vielen, differenten Dingen abhängig. 

Hauptsächlich für diese, in diagnostischer Beziehung so überaus 
schwierigen Fälle, würden wir die pharmakologische Prüfung heranzu¬ 
ziehen haben, ja sie würde uns ausschlaggebend für die Diagnose sein, 
vorausgesetzt, dass sie auch absolut zuverlässig wäre. 

Erfüllt nun die pharmakologische Prüfung diese unsere 
Erwartung? 

Ehe man den Begriff der Hyperazidität und Hyperchlorhydrie fest¬ 
legte und es unternahm, diese Funktionsstörung diagnostisch zu ver¬ 
werten, musste man sich erst einen Einblick von dem normalen Ablauf 
der Sekretionstätigkeit des Magens verschaffen, musste man erst durch 
zahlreiche Untersuchungen am Gesunden feststellen, unter welchen Be¬ 
dingungen man berechtigt sei, von einer normalen Azidität, von einer 
Euchlorhydrie zu sprechen. 

Aehnliohe Erwägungen waren die Veranlassung, mich zunächst in 
einer grösseren Untersuchungsreihe darüber zu orientieren, wie anscheinend 
Gesunde und Kranke der verschiedensten Art, die keine Symptome von 
Störungen im vegetativen Nervensystem zeigten, auf die Verabreichung 
der für die Prüfung des vegetativen Nervensystems empfohlenen Phar¬ 
maka reagierten. 

Die Lösung dieser Vorfrage hielt ich für um so notwendiger, als 
mir bei meinen Untersuchungen über „Ulcus ventriculi und vegetatives 
Nervensystem“ die pharmakologische Prüfung, die mir oft ausschlag¬ 
gebend für die Diagnose „gestört oder nicht gestört im vegetativen 
Nervensystem“ sein musste, keineswegs immer zuverlässig erschien. 

Die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems be¬ 
steht, um es in aller Kürze zusammenzufassen, darin, dass man dem 
Patienten bestimmte Pharmaka einverleibt, die eine Reizung bzw. Lähmung 
des Vagus oder Sympathikus herbeiführen. 

Wir prüfen dabei die Reaktion an sich, ob stark, ob schwach, und 
hoffen, durch Reizung dieser Nerven irgendwelche Symptome, die uns 
sonst als Zeichen einer bestimmten Krankheit imponieren, auslösen zu 
können. Wieweit dieser Einfluss sich geltend macht, geht am besten 
daraus hervor, dass es Eppinger und Hess gelang, bei Tabikern 
gastrische Krisen, bei Astmathikern dyspnoische Anfälle durch Pilokarpin 
hervorzurufen. 

Wie wir, um einen Vergleich zu gebrauchen, unsern Kranken mit 
negativem Wassermann aber mit Luesverdacht eine provokatorische Hg- 
oder Salvarsaninjektion geben, um durch Mobilisierung alter Spirochäten¬ 
nester einen Umschlag der Reaktion und eine richtige Diagnose zu er¬ 
halten, so injizieren wir unseren Vagotonieverdächtigen diese Gifte, um 
latente Symptome temporär manifest zu machen. 



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Was leistet d.pharm. Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i.vegetat.Nervensystem? 55 


Da es mir ja auf eine Nachprüfung bzw. kritische Beleuchtung der 
bis jetzt gehandhabten Methodik ankam, gab ich die Pharmaka in der 
bisher üblichen Weise, d. h. ich injizierte als Vagusreizer Pilokarpin 
3 U —l cg, als Vaguslähmer Atropin 1 mg und als Sympathikusreizer 
Adrenalin 3 / 4 —1 rag und belastete bei letzterer Prüfung drei Stunden 
vor der Injektion den Kohlehydratstoffwechsel mit 100 g Traubenzucker. 

Für die Stärke der Dosis war uns das Körpergewicht und der ganze 
Zustand des Patienten massgebend. 

Zwischen den einzelnen Prüfungen Hessen wir zwei, mindestens aber 
einen Tag vergehen. Diese Art der Handhabung ist entschieden ratsam, 
um unerwünschte, zu starke Reaktionen zu verhüten. 

Die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems wurde 
an über 200 Individuen mit insgesamt etwa 700 Injektionen angestellt. 

Da ich im Laufe meiner Untersuchungen zu der Ansicht kam, dass 
es sich bei ausgesprochenen Störungen im vegetativen Nervensystem sehr 
oft um allgemein innersekretorische Störungen handelt, habe ich bei etwa 
50 Kranken, hauptsächlich Patienten mit Magengeschwüren, diesbezüg¬ 
liche Untersuchungen (alimentäre Glykosurie, Blutzucker, Phlorizindiabetes, 
Blutbild, Blutgerinnung ev. Purinstoffwechsel) soweit sie mir eine Klärung 
in diesen interessanten Fragen erhoffen Hessen, ausgeführt. Es wird 
darüber an anderer Stelle ausführlich berichtet werden. 

An weiteren etwa 50 Individuen wurden die Injektionen teils nur 
mit Pilokarpin, teils nur mit Pilokarpin und Adrenalin mehrmals zu 
verschiedenen Zeiten und unter ganz anderen Gesichtspunkten angestellt. 
Diese Versuche sind noch nicht soweit abgeschlossen, dass ich schon 
heute darüber berichten möchte. 

Dagegen wurden bei den 100 Patienten, die in folgenden Tabellen 
eingetragen sind, die pharmakologische Prüfung des vegetativen Nerven¬ 
systems in der bisher üblichen Weise vollständig mit Pilokarpin, Atropin 
und Adrenalin durchgeführt. 

Die Untersuchung von „Gesunden“ habe ich an mir selbst, und haupt¬ 
sächlich an Kollegen, die sich dazu bereit erklärten, angestellt. Die Kranken, 
bei denen diese Prüfung durchgeführt wurde, standen alle in mehrwöchiger 
klinischer Behandlung. Neben den üblichen Untersuchungsmethoden wurde be¬ 
sonders nach Stigmata des vegetativen Nervensystems gefahndet und, soweit 
diese vorhanden waren, in die Rubrik C der folgenden Tabellen eingetragen. 

Die Zusammenstellung in den folgenden Tabellen erscheint mir des¬ 
halb von besonderem Interesse, weil die darin aufgeführten Fälle nicht 
nach dem Ergebnis der pharmakologischen Prüfung zusammengestellt 
sind und weil zu diesen Untersuchungen nicht nur solche Individuen 
herangezogen wurden, bei denen von vornherein ein gestörtes vegetatives 
Nervensystem anzunehmen war. Es wurde vielmehr bei den verschiedensten 
Kranken, bei denen nicht äussere Gründe dagegen sprachen, die be¬ 
treffende pharmakologische Prüfung angestellt. 


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56 


GERHARD LEHMANN, 


Nummer 

Name, Alter, 
Geschlecht 

Diagnose 

Anamnese und Stigmata 
des vegetativen Nervensystems 

Pilo¬ 

karpin 

Atropin 

Adrenalin 1 

A 

B 

c 

D 

E 1 

V 

1 

R., 15 J., w. 

Mitralinsuffizienz 

Tremor man. +? Dermograph. dilat. +, 
adenoide Vegetat. Zungenfollikel sehr gross 

+ 

i 

+ 

2 

L., 16 J., w. 

Appendizitis 

Tremor man. +, Dermograph. dilat. -j- 

+ 

! + ' 

— 

3 

W., 16 J., w. 

Ulcus ventriculi 

Rachenreflexe aufgehob., relat. Lymphozyt. 

+ 


— 

4 

B., 16 J., w. 

Basedow 

Eltern sehr nervös, alimentäre Glykos. —, 
Phlorizindiab. 4,45, Möbius +, Kocher + 


r 

— 

5 

B., 17 .], w. 

Hypothyreoidism. 

Blutgerinnung 6 Minuten 

— 

— ; 

+ 

6 

K., 18 J., m. 

gesund 

ohne Besonderheiten 

+ 

— ! 


7 

Kl., 18 J., w. 

Angina 

ohne Besonderheiten 

+ + 

— 

— 

8 

0., 18 J., w. 

Asthenia univers. 

Tremor +, Dermograph. dil. +, menstruelle 
Störungen 


— , 

— 

9 

B., 18 J., w. 

gesund 

ohne Besonderheiten 

+ 


— 

10 

W., 18 J., w. 

Arthritis gonorrh. 

Gesteig. Reflexe, sehrnervös, VaterParalyse f 

+ + + 


+ 

11 

W., 18 J., w. 

Nephritis luetica 

beide Eltern an Lues +, stets kränklich 

+ + + 


— 

12 

H., 18 J., w. 

Ulk us verdacht 

keine motorische Störung, keine Hyperazidität 

+ + 

i + l 

— 

13 

W., 18 J., w. 

Kolitis 

Rosenbach +, leichter Dermograph. dilat. 

+ + 

l + l 

— 

14 

H., 18 J., w. 

Lues II 

aus gesund. Familie, vorh. stets völlig gesund 

+ 


— 

15 

L„ 18 J., w. 

Appendizitis 

nie krank, stets gesund, nicht nervös 

+ 

1 — 

— 

16 

Ci., 19 J., w. 

Gastritis 

stets vorher gesund 

+ + 

i + 

+ 

17 

II., 19 J., w. 

Ulkusverdacht 

vorher stets gesund, Dermograph. dilat. + 

+ + 


18 

M., 19 J., w. 

Thrombophlebitis 

Glanzauge+, Rachenrefiexe—, Dermograph. 
dil. +, Periodenstörungen 

4- 

i - 

-— 

19 

P., 19 J., w. 

Mitralinsuffizienz 

Tremor man. +, Dermograph. dil. +, vor 
10 Jahren Gelenkrheumatismus 

+ 

i + 

— 

20 

K., 19 J., w. 

Polvarthritis 

vorher stets gesund 

-i 

— 

— 

21 

G., 20 J., w. 

Ulkusverdacht 

sehr nervös, Tremor man. et palp. +, leichte 
Struma, Puls frequent, aliment. Glykos. — 

+ 

. — 

+ 

22 

K., 20 J., w. 

gesund 

ohne Besonderheiten 

+ 

, — 

+ 

23 

C., 20 J., w. 

Pleuritis 

Glanzauge,Tremor man.-f-, Periodenstörung. 

+ + 

+ 

l + 

24 

S., 20 J., w. 

Mitralinsuffizienz 

vor 2 Jahren Struma exstirp., Tremor —|—|—|—, 
Dermograph. + 4 +, relative Lympho¬ 
zytose, Exophthalmus 

+ + 

+ 

I 

+ 

25 

M., 20 J., w. 

Arthritis gen. 

bis dahin stets gesund, geringes Glanzauge 

+ 

— 

, — 

26 

L., 20 J., w. 

Ulcus ventriculi 

keine Hyperazidität, Makroretention, relative 
Lymphozytose, alimentäre Glykosurie — 

+ 

1 

— 

27 

S , 21 .!., m. 

gesund 

ohne Besonderheiten 

+ + 

— 

— 

28 

Z , 21 .1 , w. 

Ulcus ventriculi 

Glanzauge, Hyperazidität, relat. Lymphozyt. 

+ 

— 

— 

29 

F., 22 J., w. 

Spitzen katarrh 

nie krank bis vor einem halben Jahre, Glanz¬ 
auge, Tremor man. + + 

+ 

— 

— 

30 

G., 22 J., w. 

Lues 

Hypertrophie der Gaumentonsille, adenoide 
Vegetationen 

+ 

1 

— 

31 

K., 22 J., w. 

Thyreoidismus 

Dermograph. dil.+, Hcrzklopf.,Tremor -\ — 1-> 
Glanzauge, Struma, relative Lymphozytose 

+ + 

i 

+ 

32 

R., 22 J., w. 

Ulkusverdacht 

Dermograph., Tremor, keine Hyperazidität 

4- 

i 

— 

33 

0., 22 J., w. 

Melancholie 

Mutter geisteskrank, ebenso drei Schwestern, 
leichte Struma. Tremor, Dermograph. 

+ + 

i + 

— 

34 

Z., 22 J., m. 

gesund 

ohne Besonderheiten 

+ + 

— 

+ 

35 

P., 23 .1., w. 

Mitralinsuffizienz 

vor 10 Jahren wegen Ulkus operiert, jetzt 
beschwerdefrei, Glanzauge 

+ 

I — 


36 

R , 23 .1., w. 

Spitzenkatarrh 

Tremor +, Glanzauge +, angedcutetcStruma 

+ + + 

— 

— 

37 

St., 23 J., w. 

Ulk us verdacht 

Mutter Gallensteinleiden, stets sehr bleich- 
süchtig, normale Säurewerte 

+ 



38 

B., 23 J., w. 

Lungeninfarkt 

ohne Besonderheiten 

+ 

.+ 

i 

39 

D , 24 .1., w. 

Spitzenaffektion 

sehr nervös, Tremor palpebrar. + + 

-4- 

— 

i 

40 

R., 24 J., w. 

Neurasthenie 

Muttergeisteskrank, Pcriodenstörung., Schrei¬ 
krämpfe 

+ 

1_ 

• — 

41 

R., 24 .1 . w. 

Asthenia univers. 

Habitus asthenieus, adenoide Vegetationen, 
Schwellung der Unterschenkel 

+ 

1 

i 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Was leistet d. pharm. Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i.vegetat.Nervensystem? 57 


Nummer 

Name, Alter, 
Geschlecht 

Diagnose 

Anamnese und Stigmata 
des vegetativen Nervensystems 

Pilo- • 
karpin 

Atropin , 

Adrenalin 


A 

B 

c 

D 

K 

F 

42 

R., 24 J , w. 

Tuberculosis 

pulmonum 

sehr nervös, Trcm. + +, Dermograph. ++, 
Obstipation 

+ + + j 

— 

+ 

43 

R., 25 .1., w. 

Spitzenkatarrh 

Dysmenorrhoe, Dermograph. -}- 

+ 

+ 

— 

44 

K., 25 J., w. 

Lues 

ohne Besonderheiten 

+ + 

— 

+ 

45 

M., 25 J., w. 

Pleuritis sicca 

stets gesund, ohne Besonderheiten 

+ + 

— 


46 

G, 25 J., w. 

Ulkusverdacht 

Hyperazidität 

+ + 

— 

— 

47 

C., 27 J., w. 

Tuberculosis pul¬ 
monum 

Exophthalmus, leichte Struma 

+ + . 

— 

— 

48 

W., 27 J., w. 

Polyarthritis 

Patellarreflex -)—f-,Gaumenreriex — ,Korneal- 
retlex —, Dermograph. dil. + 

+ + 

— 

— 

49 

R., 28 J., w. 

Erschöpfungszust. 

Habitus asthenicus 

+ 

i — 

+ 

50 

G, 28 J., w. 

Enteritis 

sehr nervös 

+ + 

i + 

— 

51 

H., 28 J., w. 

Cholezystitis 

Exophthalmus -f-, Tremor man. —, aliment. 
Glykosurie — 

+ + + 

i 

— 

52 

M., 29 J., w. 

oper. Struma 

Exophthalm., Phloridzindiab.7,6, Dermograph. 
dil. +, Herzklopfen +, Tremor man. ++ 

+ 

+ 

— 

53 

Z., 30 J., w. 

Ausfalls¬ 
erscheinungen n. 
Ovariektomie 

sehr nervös, Dermograph. +, vasomotorische 
Störungen, Rachenrcflexe aufgehoben 

+ 

! _ 

+ 

54 

F., SO J., w. 

Arthritis 

sehr nervös, Herzklopfen 

+ + 

| — 

+ 

55 

K., 30 J., w. 

Basedow 

Tremor man. palp.-j—Dermograph. dil. —f-, 
Möbius -f-, aliment. Glykos. —, Phloridzin- 
diabetes 4,64 

+ 

! + 

+ 

56 

G., 30 J., w. 

Ulkusverdacht 

sehr nervös 

+ 

. — 

i 

57 

R., 30 J., w. 

do. 

normale Säurewerte 

+ + 

i 

i 

58 

Ff., 30 J., w. 

Gastritis 

normale Säurewerte, sehr nervös 

+ + 

+ 

+ 

59 

R., 31 J , w. 

Nephrolithiasis 

von 7 Jahren Appendizitisoperation, heftige 
Schmerzen, Obstipation 


i_ 

i_ 

60 

B., 33 J., w. 

Neurasthenie 

Rosenbach +, Dermograph. +, Tremor 
man. +, Schweiss + 

+ + 


— 

61 

J., 33 J., w. 

Ulcus ventriculi 

sehr nervös, Blutbrcchcn, drittes Rezidiv, 
Hyperchlorhydrie 

+ 

i 

+ 

62 

D., 33 J., w. 

do. 

normale Säurewerte 

+ 

i+ 

— 

63 

F.. 34 J., w. 

Kyphoskoliose 

sehr nervös, Tremor man. + 

+ 

;+ 

— 

64 

L , 34 J , w. 

Neurasthenie 

früher stets gesund, seit 5 Wochen viel Kopf¬ 
schmerzen, Angstgefühl, Dermograph. + + 

+ 

i 

i 

65 

S., 34 J., w. 

Neurasth. gravi s 

sehr nervös, Dermogr. +, vasomot. Störung. 

+ 

! + 

i — 

66 

D., 34 J., w. 

Gastroplegie 

nie magenkrank, Tremor man. -4 , Obsti¬ 
pation -f-, Röntgen: Ptosis ventriculi 

+ 

j I 

i 

67 

L., 35 J , w. 

Thyreoidismus 

Dermograph. + +, Tremor + +, Exophthal¬ 
mus, aliment. Glykos. ■—, relat. Lymphozyt. 

+ + 

i 

+ 

6S 

R., 35 J., w 

Arthritis urica 

Purinstoffwechsel +, Eltern gesund 


l 

— 

69 

I., 36 J., w. 

do. 

Eltern sehr nervös, selbst sehr nervös, Purin- 
stoffwechsel +, Tremor -f- 

+ + + 


1 — 

70 

P., 38 J., w. 

Neurasthenie 

Obstipation -|—stets sehr langsamer Puls 

+ 

| _ 

— 

71 

I., 38 J., w. 

Tabes 

früher stets gesund, jetzt ausgebildetcs Bild 
der Tabes 

+ 

j 


72 

S., 39 J., w. 

Metastasen nach 
Carcin. mammae 

früher stets gesund, vor 2 Jahren Mamma¬ 
operation 

+ + + 

_ 

! i 


73 

E., 39 J., w. 

Colitis chronica 

sehr nervös, Tremor +, Abgang von viel 
Schleim im Stuhl 

+ 

I + 1 

+ 

74 

Pf., 48 J., w. 

Myokarditis 

Tremor +, Dermograph. + 

+ ! 

— i 

— 

75 

Pr., 49 J., w. 

Polyarthritis 

stets gesund, Mutter an Gallensteinen ge¬ 
storben, Obstipation 

1 


— 

76 

H., 49 J., w. 

Cholezystitis 

Skleral-, Korneal- und Gaumenreflex —, 
Patellarreflex + 

+ 


— 

77 

St., 51 J., w. 

Neurasthenie 

Stellwag +, sonst ohne Besonderheiten 

+ + 


— 

78 

S., 53 J., w. 

gesund 

ohne Besonderheiten 

+ 


— 


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58 


GERHARD LEHMANN 


Nummer 

Name, Alter, 
Geschlecht 

Diagnose 

Anamnese und Stigmata 
des vegetativen Nervensystems 

Pilo- 

karpin 

Atropin I 

Adrenalin 

A 

B 

c 

D 

e 1 

lL 

79 

Sp., 53 J., w. 

Cholezystitis 

Obstipation +, Granulierung des Rachens 

1 

_ 

_ 

SO 

S., 53 J., w. 

Migräne 

sehr nervös 

+ + + 

— 

— 

81 

C., 54 J., w. 

Carcinoma ventr. 

Dermograph. +, Tremor palpebrar. + 

+ + 

— 

— 

82 

M , 55 .J., w. 

Asthma bronch. 

Dyspnoische Anfälle, Tremor + 

+ + 

— 


83 

H., 5S J., w. 

Gastrog. Diarrhöe 

vorher nie krank, sonst ohne Besonderheiten 

— 

— 

— 

84 

Z., 5S J., w. 

Carcinoma coli 

nie vorher krank 

— 

— 

— 

85 

F., 59 J., w. 

Neurasthenie 

Rachen- und Gaumenreflexe fehlen 

— 

— 

— 

86 

Tr., 59 J., w. 

Hinterseiten¬ 

strangerkrankung 

stets gesund, bis vor Jahr 

+ + 

— 

—■ 

87 

P., 59 ,1 , w. 

Arthritis i.r. Knie 

Reflexe gesteigert, sonst ohne Besonderheiten 

+ + + 

1 — 

— 

88 

S., 59 J , w. 

Carcinoma recti 

stets gesund 

+ + + 

— 

— 

89 

k\, 60 J , w. 

Ulcus cruris 

nicht nervös 


— 

— 

90 

S., 61 J , w. 

Sklerodermie 

Diemals krank 

— 

— 

— 

91 

M., 61 w. 

Arthritis urica 

seit 1 Jahr Reissen, Harnsäureretention + + 

+ 

+ 

— 

92 

M., 6*2 J., w. 

Verdacht auf 
Magenkarzinom 

früh, stets gesund, seit l / i JahrMagcnkrämpfe 

+ 


— 

93 

Z , 62 w. 

Hyperchlorhydrie 

Tremor man. + 

— 


— 

94 

K., 64 J , w. 

Karzinom d. Perit 

stets gesund 

— 

+ 

— 

95 

B , 64 w. 

Arthritis urica 

nicht nervös, Harnsäurcretcntion + 

— 


— 

96 

L., 66 J , w. 

Carcinoma ventr. 

nie früh, krank, seit V 2 Jahr Magenschmerzen 

— 


1 — 

97 

E , 68 J.. w. 

Arthritis chronica 

sehr nervös 

+ 

— 

1 — 

98 

P., 74 J , w. 

Karzinom d. Perit. 

nie vorher krank 

+ 

+ 

+ 

99 

R., 77 J , w. 

Zystitis 

stets gesund 

+ + 



100 

L., 79 ,1., w. 

Blasendivertikel 

als junges Mädchen viel Magenschmerzen 

+ + 

— 

1 — 


Für die Beurteilung der Reaktionen waren uns Angaben der v. Berg- 
mannschen Klinik massgebend, die mit denen anderer Untersucher 
übereinstimmen. 

Pilokarpin. 

Die Versuche mit Pilokarpin wurden mit einer Dosis von 0,8 bis 
1 cg an 100 Patienten angestellt. Obgleich wir das Pilokarpin als puls¬ 
verlangsamend aus Tierversuchen kennen, so sahen doch schon Eppinger 
und Hess am Menschen fast nie eine wirkliche Verlangsamung der 
Schlagfolge des Herzens. Bauer stellte sogar wiederholt eine Be¬ 
schleunigung des Pulses fest, konnte aber keine Erklärung dafür finden. 

Auch ich habe, um mir ein eigenes Urteil zu bilden, in meinen 
ersten 30 Pilokarpinversuchen genau auf die Schlagfolge des Herzens 
geachtet. Niemals konnte ich eine ausgesprochene Wirkung, insonderheit 
nie eine ausgesprochene Verlangsamung feststellen. Die wenigen Fälle, 
bei denen ich eine Beschleunigung von 15 bis 20 Schlägen pro Minute 
beobachtete, zeichneten sich auch schon so durch eine sehr starke 
Reaktion, Speichelfluss, stärkster Schweiss, Aufgeregtsein aus. Ich glaubte 
mir diese Pulsbeschleunigung bezw. das Fehlen der Verlangsamung unge¬ 
zwungen in der Weise erklären zu können, dass die pulsverlangsamende 
Wirkung des Pilokarpins beim Menschen, wenn überhaupt vorhanden, 
sehr gering ist und bei sensiblen, neuropathischen Individuen von der 


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Was leistet d. pharm. Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat. Nervensystem? 59 


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durch Schmerzen, Angstgefühl hervorgerufenen Pulsbeschleunigung kom¬ 
pensiert oder übertroffen wird. 

Auf jeden Fall sind die Veränderungen in der Schlagfolge des 
Herzens nach Pilokarpin so gering, dass sie uns ohne Bedeutung für die 
Beurteilung der Reaktion sein können. Ich habe deshalb später, wie 
auch die anderen Untersucher, auf die Pulszahl bei meinen Pilokarpin¬ 
versuchen keine Rücksicht genommen. 

Dagegen waren uns Schweiss, Speichel neben Magcn-Darm- 
symptomen u. a. für die Stärke der Reaktion massgebend. Den An¬ 
gaben von v. Bergmann folgend, musste die Menge des Speichels 
mindestens 75 ccm betragen, um in Berücksichtigung der übrigen 
Symptome als + zu gelten. 

Um einigermassen exakte Zahlen und Vergleichswerte zu erhalten, 
bezeichnete ich Speichel von 80 bis 200 ccm und starkem Schweiss 
als -f-, von 200 bis 300 ccm und Schweiss als -f- + und über 300 
als + ++. 

Es erübrigt sich wohl hinzufügen, dass wir auf die Gesamtheit der 
Symptome das Schwergewicht legten, und dass wir z. B. eine Speichel¬ 
menge von 120 ccm ohne jeden Schweiss und ohne jede Allgemein¬ 
symptome — was übrigens nur ein einziges Mal vorkam — als negativ 
bezeichneten, während wir ein anderes Mal eine Speichelmenge von nur 
150 ccm, die mit starkem Erbrechen und schwerem Angstgefühl einher¬ 
ging, als -J—|- in unsere Tabellen eintrugen. Schweiss und Speichel sind 
die fast nie fehlenden Kardinalsymptome bei einer positiven Pilokarpin¬ 
reaktion. Nur in 2 von 100 Fällen sahen wir Speichel ohne Schweiss- 
sekretion auftreten, während das Umgekehrte nie festgestellt wurde, 
jedenfalls ging die Intensität der Schweiss- und Speichelsekretion keines¬ 
wegs immer Hand in Hand. Ebenso wie der Speichel, dessen Menge in 
einem Fall 550 ccm erreichte, so kann auch der Schweissausbruch ein 
ganz enormer sein. Das nicht so selten auftretende Kältegefühl wird 
wohl auf die dem Schweiss folgende Abkühlung zurückzuführen sein. 

Druck und Brennen in der Magengegend, das sich oft bis zu heftigen 
Schmerzen steigerte, wurde in llpCt., Uebelkeit und Brechreiz in 10 pCt. 
der Fälle angegeben, 6mal trat heftiges Erbrechen ein und in einem 
Falle beobachtete ich im Anschluss an die Pilokarpinreaktion profuse 
Diarrhöen, die wohl auf eine erhöhte Darmperistaltik zurückzuführen sind. 

Man kann also Erscheinungen vom Magendarmtraktus relativ häufig 
beobachten. Auf eine Erklärung dieser Symptome, insonderheit auf die 
Frage, ob es sich in diesen Fällen um Magendarmkranke gehandelt hat, 
soll an einer späteren Stelle dieser Arbeit eingegangen werden. 

Seltener wurden Herzklopfen, Schwindel, Flimmern vor den Augen 
beobachtet und in einem Falle trat ein sehr lästiger Akkommodations¬ 
krampf des Sphincter iridis ein. 



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60 


GERHARD LEHMANN 


Im grossen und ganzen kann man sagen, dass die Reaktion um so 
intensiver war, je früher sie eintrat. 

Ein Blick auf die Rubrik D unserer Tabelle zeigt uns nun, dass 
13pCt. —, 47pCt. -f, 28pCt. ++, 12pCt. + + + nach Pilokarpin 
reagierten. Auffallend ist, dass von den 13 Patienten, die jede Reaktion 
auf Pilokarpin vermissen lassen, 10, d. h. 76,92 pCt., das 50. Lebensjahr 
überschritten haben. Der Schluss, dass eine negative Pilokarpinreaktion 
ein Charakteristikum des Alters sei, wäre verfehlt, denn von 24 Patienten, 
die jenseits des 50. Lebensjahres standen, gaben 14, d. h. 58,33 pCt., 
eine positive Reaktion. Trotzdem aber bleibt bestehen, dass fast die 
Hälfte 41,67 pCt. (10 von 24 Patienten) gar nicht auf Pilokarpin reagierten, 
und dass wir darum das höhere Alter als wenig empfänglich für 
Pilokarpin ansprechen müssen. Im Gegensatz dazu sehen wir, dass 
von 76 Patienten, die diesseits des 50. Lebenjahres standen, nur 3, d. h. 
3,95 pCt., eine negative Pilokarpinreaktion gaben. 

Diese interessante Tatsache wird es rechtfertigen, dass ich die 
Krankengeschichten dieser 3 Individuen, die trotz ihrer Jugend jegliche 
Reaktion auf Pilokarpin vermissen lassen, in aller Kürze hier anführe. 

Ch. B., Näherin, 16 Jahre. — Diagnose: Hyperthyreoidismus. — 
Anamnese: Eltern sehr nervös, eine Tante hat Kropf. Als Kind stets gesund, mit 
12 Jahren erste Periode, stets regelmässig, alle 4 Wochen, 2—3 Tage dauernd, ohne 
Schmerzen. Seit dem 14. Jahre bleichsüchtig. Seit 4 Wochen Herzklopfen, Angst¬ 
gefühl, merkt seit 3 Wochen das Anschwellen ihres Halses. Seit dieser Zeit unbe¬ 
stimmte Schmerzen im Leib und hartnäckige Diarrhöen. — Status: Mittelgross, leid¬ 
licher Ernährungszustand, blasse Hautfarbe. Beide seitlichen Schilddrüsenlappen 
mässig angcschwollen. Massige Protrusio bulbi. Stark glänzende Augen. Pulmones 
und Abdomen o. B. — Cor nicht verbreitert, Töne rein, Puls äqual, regulär, in Ruhe 
nicht beschleunigt, nach Bewegung 110 —120 pro Minute. Reflexe nicht erhöht, 
Gräfe -f-, Stellwag —, Möbius angedeutet. Tremor man. —j—|—, palp. -j-, ling. —. 
Dermographismus dilat. —|—|—. Wassermannsc-he Reaktion —. Blutbild: 82 pCt. 
Leukozyten, 15pCt. Lymphozyten, 3pCt. Uebergangsformcn, OpCt. Eosinophile, Blut¬ 
gerinnung stark verlangsamt bei 20 Minuten, Phloridzindiabetes nach 3 Stunden 
5,45 g Zucker, Urinmenge 2240 ccm in 24 Stunden. Alimentäre Glykosurie e saccharo 
et amylo —. Pilokarpin negativ, Atropin negativ, Adrenalin negativ. 

M. B., 18 Jahre, Dienstmädchen. — Diagnose: Hypothyreoidismus. — 
Anamnese: Mutter lebt, Vater an Darmkrebs gestorben, eine Schwester leidet an 
Magengeschwür. Will als Kind stets kränklich und sehr schwächlich gewesen sein. 
Erste Periode mit 16 Jahren, stets unregelmässig, oft ein halbes Jahr sistierend. 
Letzte Periode vor 5 Monaten. Klagt jetzt über Stiche in Brust und Rücken und über 
stärkste Obstipation. Seit 1 Jahr starker Haarausfall. Fühlt sich matt und schläfrig, 
kann nach Angabe der Mutter tagelang schlafen, hat ohne Grund sehr viel abge- 
nommen. — Status: Grazil gebautes, sehr kleines Mädchen in schlechtem Ernäh¬ 
rungszustand, blasse Hautfarbe, trockene Haut, Fehlen jeglicher Schweisssekretion, 
spärliches Kopfhaar. Macht sehr indolenten, stets schläfrigen Eindruck. Ist zeitlich 
und örtlich orientiert, gibt richtige Antwort, lacht oft unmotiviert. Pulmones, Ab¬ 
domen o. B. — Cor nicht verbreitert, Töne rein, Puls äqual, 48—52 Schläge pro 
Min. Rellexc nicht erhöht. Gräfe, Stellwag, Möbius —, Tremor man. -|-, palp. 
ling. —. Dermographismus dilat. -f . Wassermannsche Reaktion —. Keine Gravi- 


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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat.Nervensystem? Gl 


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dität. — Blutbild: 48pCt. Leukozyten, 50pCt. Lymphozyten, 2pCt. Uebergangs- 
formen, OpCt. Eosinophile, 4910000 Erythrozyten, 6300 Leukozyten, Blutgerinnung 
stark beschleunigt bei 6 Minuten. Phloridzindiabetes nach 4 Stunden, 5,69 g Zucker. 
— Purinstoffwechsel: Keine Harnsäureretention. Pilokarpin Atropin —, 
Adrenalin -|-, 2,6 g Zucker. — Subjektiv und objektiv gebessert nach Zufuhr von 
Jodothyrin. Blutgerinnung bei Entlassung 15 Min. Hatte jetzt regelmässig 2 mal 
Periode, Stuhlgang erfolgt ohne Abführmittel. 

A. R., 31 Jahre. — Diagnose: Bakteriurie. — Anamnese: Familien¬ 
anamnese o. B. Als Kind nie krank. Mit 13 Jahren I. Periode, stets unregelmässig. 
Vor 7 Jahren wegen Appendizitis operiert. Seit 2 Jahren plötzlich auftretende 
Schmerzen, nach den Beinen hin ausstrahlend. Urin nach Anfall nie fleischfarben 
oder blutig gefärbt, nie Abgang von Stein oder Gries bemerkt. In letzter Zeit auch 
„Magenkrämpfe, u seit einigen Jahren sehr verstopft. — Status: Gross, guter Ernäh¬ 
rungszustand, gelbliche Hautfarbe. Macht nicht schwer kranken Eindruck. — Gor, 
Pulmones o. B. — Abdomen: Leichte Druckempfindlichkeit in der rechten Nieren¬ 
gegend. — Reflexe gesteigert. — Blutdruck: Riva Rocci 175 -125. Wassermannsche 
Reaktion—. Urin trübe, sauer. Saccharum —, Albumen —, Blut—. Sediment spärliche 
Leukozyten und Epithelien, keine Zylinder. Blut und Urin auf GallenfarbstolT unter¬ 
sucht —. Auf Drigalskiplatten, die mit steril der Blase entnommenem Urin beschickt 
sind, wächst Bacterium coli in typischen, massenhaften Kolonien. Bei Wiederholung 
dieser Untersuchung dasselbe Resultat. 

Letztere Patientin verliess geheilt das Krankenhaus, ehe unsere 
Untersuchungen, die uns über eventuell vorhandene innersekretorische 
Störungen hätte auf klären können, abgeschlossen waren. 

Mit Sicherheit dagegen handelt es sich in den beiden ersten Fällen, 
die wir auch, als sie aus dem Krankenhaus entlassen waren, ständig im 
Auge behielten, um schwere innersekretorische Störungen. 

Bei Fall I um einen Hyperthyreoidismus mit deutlichem Exophthalmus, 
deutlicher Struma, Herzpalpitation, Tremor und stark verzögerter Blut¬ 
gerinnung. Bei Fall II um einen Hyperthyreoidismus mit Haarausfall, 
vasomotorischen Störungen, stärkster Schläfrigkeit, relativer Lympho¬ 
zytose, stark beschleunigter Blutgerinnung, der durch Jodothyrin ganz 
erheblich subjektiv und objektiv gebessert wurde. Wenn auch eine 
fehlende Pilokarpinreaktion in der Jugend durchaus nicht Störungen in 
der Schilddrüse voraussetzt, so ist doch nicht zu übersehen, dass es sich 
in 2 von diesen 3 hier raitgeteilten Fällen um sichere Erkrankungen der 
Schilddrüse gehandelt hat. 

Beide Fälle unterscheiden sich aber wesentlich auch bei der pharma¬ 
kologischen Prüfung von einander, während der Fall I auch auf Adrenalin 
nicht die geringste Reaktion zeigt, finden wir bei Fall II eine mässig 
starke Adrenalinreaktion. 

Nicht wunderbar wird es uns erscheinen, dass mit nur einer Aus¬ 
nahme kein einziger von diesen für Pilokarpin unempfindlichen Individuen 
eine deutliche Atropinreaktion gab, es wurde weder Herzklopfen noch 
Trockenheit beobachtet und die Pulsdifferenzen waren so gering, dass sie 
noch innerhalb der Fehlergrenzen lagen. 



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62 


GERHARD LEHMANN, 


Wenn der von Eppinger und Hess aufgestellte Antagonismus 
zwischen Pilokarpin- und Adrenalinempfindlichkeit zu Recht bestände, 
müssten wir gerade bei diesen extremsten, für Pilokarpin völlig un¬ 
empfindlichen Individuen eine sehr starke Adrenalinreaktion erwarten, 
trotzdem finden wir nur bei 4 von diesen Individuen eine massig starke 
Adrenalinreaktion. Es soll an einer späteren Stelle auf diese Verhält¬ 
nisse ausführlicher eingegangen werden. 

Wenn wir uns nun den am stärksten auf Pilokarpin reagierenden 
Fällen zuwenden, so sei gleich betont, dass wir hier in der Mehrzahl 
der Fälle neben einer enorm grossen Schweiss- und Speichelsekretion 
meist Allgemeinsymptome wie Angstgefühl, Herzklopfen, Erbrechen be¬ 
obachten und zwar von solcher Stärke, wie nach dem klinischen Befund 
bzw. nach dem Status des vegetativen Nervensystems kaum zu erwarten 
gewesen wäre. Wohl hören wir von diesen Patienten allerlei Klagen, die 
wir als funktionell oder nervös bezeichnen können und finden ab und zu 
auch Stigmata des vegetativen Nervensystems, aber eben dieselben oder 
oft noch stärkere Befunde können wir bei denen erheben, bei welchen 
die Pilokarpinreaktion nur ein einfaches + verdient. 

Noch auffallender aber ist es, dass auch Leute, die wir nach unseren 
bisherigen Anschauungen für „gesund halten“ müssen, deutlich auf Pilo¬ 
karpin reagierten. Ich habe deshalb Versuche ganz systematisch in dieser 
Richtung hin angestellt. Wenn ich hier nur 7 Fälle anführen kann, so 
mag das seinen Grund in der Schwierigkeit der Diagnose „völlig ge¬ 
sund“ finden. Ich habe mich bei diesen Individuen nicht auf den ein¬ 
fachen üblichen klinischen Status beschränkt, sondern einen genauen 
Status des vegetativen Nervensystems aufgenommen, genau nach einer 
auch nur angedeutet vorhandenen degenerativen Anlage geforscht und 
der Familienanamnese in weitestem Masse Aufmerksamkeit geschenkt. 
Bei all diesen 7 Gesunden habe ich recht starke Reaktionen nach der 
Injektion gesehen. Im Fall 27 z. B., bei dem es sich um einen völlig 
gesunden, sicherlich nicht nervösen Kandidaten der Medizin von 21 Jahren 
handelte, beobachtete ich nach 0,9 cg Pilokarpin eine fast beängstigende 
starke Reaktion, die mit schweren Allgemeinsymptomen, Herzklopfen, 
lang andauernder Akkommodationsstörung, intensiver Rötung des Gesichts, 
Schwindeln und Brechreiz einherging. 

Was ich eben für die extremsten Fälle, für die für Pilokarpin be¬ 
sonders empfindlichen auseinandergesetzt habe, gilt auch ebenso für die 
weniger stark auf Pilokarpin reagierenden Individuen. Ein Vergleich der 
Rubrik D mit der Rubrik B und C zeigt uns, dass die Reaktion der pharma¬ 
kologischen Prüfung keineswegs immer der klinischen Diagnose und 
den vorhandenen klinischen Symptomen entspricht. Ich möchte noch 
einmal betonen, dass es sich bei diesen mit einem einfachen -f- bezeich- 
neten Fällen keineswegs um eine schwache oder nur angedeutete Reaktion 
handelt, sondern um starke Schweiss- und Speichelreaktion bis 200 ccm. 


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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i. vegetat.Nervensystem? 63 

Ich möchte also schon jetzt zusammen fassend sagen, dass bei der 
bisher üblichen Versuchsanordnung die Stärke der Reaktion bei der 
pharmakologischen Prüfung keineswegs Hand in Hand geht 
mit den klinischen Symptomen. 

Die neben Speichel- und Schweisssekretion am häufigsten beob¬ 
achteten Erscheinungen von seiten des Magen-Darmtraktus betreffen fast 
zur Hälfte Patienten, die schon vorher über Magen-Darmbeschwerden 
geklagt hatten, andererseits aber reagierten auch völlig 'Magen-Darm- 
gesunde mit Uebelkeit, Erbrechen, Schmerzen. Ich bin in meiner Arbeit 
„Ulcus ventriculi und vegetatives Nervensystem“ näher auf diese Ver¬ 
hältnisse eingegangen. 

Atropin. 

Wir wissen, dass im Gegensatz zu Pilokarpin das Atropin eine 
Lähmung bzw. eine Herabsetzung der Erregbarkeit des autonomen Systems 
bewirkt. 

3 Symptome sind es, die wir, wenn wir von den okularen absehen, 
hauptsächlich nach der bisher üblichen Atropininjektion beobachten: 
Herzklopfen, Trockenheit, Zunahme der Pulsfrequenz. Ueber 200 Atropin¬ 
injektionen haben mir gezeigt, dass eine mehr oder weniger starke 
Trockenheit niemals fehlt. Es kann deshalb die Trockenheit, bei deren 
Beurteilung man überdies von den Angaben des Patienten abhängt, nicht 
ausschlaggebend für die Reaktion sein. Wir sind demnach hauptsäch¬ 
lich auf Herzklopfen und Steigerung der Pulsfrequenz angewiesen. 

Eppinger und Hess bezeichnen als starke Atropinreaktion, wenn 
die Pulsfrequenz auf das Doppelte steigt und eventuell Herzklopfen auf- 
tritt. Petren und Thorling begnügen sich mit einer Steigerung der 
Pulsfrequenz um 20, wenn Palpitatio cordis oder die bekannten Pharynx¬ 
symptome auftreten. 

Ich bezeichnete, den Angaben v. Bergmanns folgend, Herzklopfen 
und Steigerung der Pulsfrequenz um etwa 30 als eine positive Reaktion, 
fehlte das Herzklopfen, so konnte die Reaktion bei ausgesprochener 
Trockenheit im Munde trotzdem neben obiger Pulsbeschleunigung positiv 
sein, dagegen haben wir auf die Pulsbeschleunigung über 30, das einzige 
objektive Zeichen, niemals verzichtet, wenn wir die Atropinreaktion als 
positiv ansprachen. 

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich bei einigen wenigen 
Fällen eine Pulsverlangsamung beobachtet habe. Im Gegensatz zu Bauer 
konnte ich diese „paradoxe“ Atropinreaktion nicht nur nach l j 2 mg 
beobachten, sondern auch nach grösseren Dosen. 

Betrachten wir nun Rubrik E obiger Tabelle, so sehen wir, dass 21 
von 100 eine positive Atropinreaktion gaben. Von diesen beobachteten 
wir bei 18 neben Erhöhung der Pulsfrequenz starkes Herzklopfen, bei 3 
fehlte dieses Herzklopfen. Trockenheit war bei allen Fällen ausgeprägt. 



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64 


G EK II ARD LEHMANN, 


Die Pulsdifferenz dieser 21 positiv reagierenden Fälle bewegte sieh in 
recht engen Grenzen zwischen 32 und 52 Schlägen pro Minute. 

7mal beobachteten wir eine Pulsbeschleunigung von 32 Schlägen pro Min. 

4 40 

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* 

Dagegen gaben 79 von 100 Fällen eine negative Reaktion. Meist 
war die Pulsdifferenz hier sehr gering, 4, 6, 8 Schläge pro Minute und 
lag dann noch innerhalb der Fehlerquellen. In den wenigen Fällen (16), 
die einen höheren Grad erreichten, fehlte aber jedes Herzklopfen und 
(juälende Trockenheit. 

Von den 100 Individuen hatten 24 das 50. Lebensjahr Überschriften, 
76 das 50. Lebensjahr noch nicht erreicht. Von den ersteren gaben 
16,67 pCt. eine positive Reaktion, während von den letzteren, jüngeren 
Individuen 22,37 pCt. positiv reagierten. 

Wir müssen also auch hier sagen, dass das höhere Alter weniger 
empfänglich für Atropin ist, doch beobachteten wir auch im Alter 
positive Reaktionen. 

Wenn wir vorher feststellen konnten, dass die ganz pilokarpin¬ 
unempfindlichen Individuen niemals eine positive Atropinreaktion gaben, 
so ist das Umgekehrte nicht der Fall. Denn wir sehen, dass von 
79 Individuen, die auf Atropin keine Reaktion gaben, 69 trotzdem auf 
Pilokarpin reagierten. Wir sehen also, dass positive Pilokarpinreaktion 
keineswegs mit positiver Atropinreaktion Hand in Hand geht. 

Dass wir auch hier, ähnlich dem Pilokarpin, eine erhebliche Dis¬ 
krepanz zwischen dem klinischen Bild bzw. Status des vegetativen Nerven¬ 
systems antreffen, sei hier nur in aller Kürze envähnt. 

Adrenalin. 

Vom Adrenalin wissen wir, dass es ausschliesslich auf die Nerven¬ 
endigungen des Sympathikus wirkt. Adrenalininjektionen lösen an den 
einzelnen Organen dieselben Effekte aus, wie Reizung der sympathischen 
Fasern, so z. B. Beschleunigung und Verstärkung der Herzaktion wie 
nach Reizung der Nervi accelerantes. 

F. Blum hat als erster nach Injektionen von Adrenalin auch bei 
hungernden und kohlehydratfrci ernährten Versuchstieren Glykosurie her¬ 
vorgerufen. Diese Glykosurie hat mit Pankreasdiabetes nichts zu tun. 

ßiedl glaubt vielmehr, dass „der Angriffspunkt des Adrenalins jene 
Sympathikusfasern sind, deren zentrale Reizung den Effekt der Piqüre 
bewirkt“. 

Beim Menschen beobachtet man wohl am häufigsten nach Adrenalin- 
darrcichung einen Tremor von hoher Frequenz und kleiner Amplitude, 
meist nur an Händen und Augenlidern sichtbar, zuweilen aber auch an 


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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat.Nervensystem? 65 


anderen Körperteilen oder in grösster Intensität den ganzen Körper be¬ 
fallend. Auch ich muss, wie Bauer, zugeben, dass dieser Tremor eine 
täuschende Aehnlichkeit mit dem Basedowtremor besitzt. 

Beschleunigung und Verstärkung der Herzaktion, Auftreten von 
Glykosurie und starkem Tremor waren mir für die Beurteilung der 
Reaktion massgebend. Daneben habe ich nicht gar so selten Pulsation 
der Karotiden oder im Epigastrium, enorme Blässe besonders im Gesicht, 
Kopfschmerzen, einmal heftiges Erbrechen und öfter auch Angstzustände 
beobachtet. 

Ueberhaupt habe ich den Eindruck gehabt, dass die Adrenalininjek¬ 
tion, wenn überhaupt die subjektiven Symptome in den Vordergrund 
traten, ungeheuer lästig empfunden wurde. 

Die Beeinflussung der Temperatur nach Adrenalindarreichung ist 
schon lange bekannt. Bei nebennierenlosen Hunden tritt Abfall der 
Körpertemperatur ein, wir selbst beobachteten Störung der Wärmeregu¬ 
lation am Krankenbett bei Morbus Addisonii. 

Bei 30 Patienten wurden deshalb vor und in verschiedenen Abstän¬ 
den nach der Adrenalininjektion genaue Temperaturmessungen angestellt. 
Rechnen wir die Temperatur von 37 in der Achselhöhle als normal und 
jede Steigerung über 37 als erhöht, so stellen wir bei 12 von 30 Patien¬ 
ten, d. h. in 40 pCt. erhöhte Temperatur fest, die sich allerdings in sehr 
geringen Grenzen bewegt (6mal 37,2°, 4 mal 37,5°, lmal 37,8° und 
lmal 38,1°). Ist diese Temperaturerhöhung ja auch meist an sich ge¬ 
ring, so verdienen doch auch die leichten Temperatursteigerungen einiges 
Interesse, da die Temperatur vor der Injektion oft kaum 36 überschritt, 
und so die Temperaturdifferenz vor und nach der Injektion auch schon 
bei 37,2° bzw. 37,5° innerhalb einer Stunde eine erhebliche, jedenfalls 
nicht normale war. Vielleicht wäre es überhaupt richtiger die Tempe¬ 
ratur an sich, gleichgültig ob über 37°, zu rechnen, wir würden dann aller¬ 
dings fast bei allen Individuen Temperaturdifferenzen antreffen. 

Irgendwelche Schlüsse auf einen Parallelismus zwischen Tempera¬ 
tursteigerung und Adrenalinempfindlichkeit zu ziehen, erscheint mir an 
der Hand von 30 Untersuchungen zu gewagt. 

Bei Beurteilung der Reaktion waren mir wieder Angaben aus der 
v. Bergmannschen Klinik massgebend. Reaktion war-f- bei Steigerung 
der Pulsfrequenz um 30 pro Minute, bei Glykosurie über 3 g und bei 
starkem Tremor. Auch wenn die recht selten auftretende Glykosurie 
fehlte, konnte bei starkem Tremor und Pulsbeschleunigung über etwa 30 
die Reaktion -f- sein. 

Wenn ich mich an diese Kriterien für eine + Reaktion halte, so 
muss ich feststellen, dass nur 22 von 100 eine -f- Reaktion gaben. Unter 
diesen 22 Fällen befindet sich nur einer, welcher weder eine Pulsdifferenz 
von 30 Schlägen noch eine Glykosurie aufwies, der aber so ungeheuer 
stark mit Allgemeinerscheinungen, Herzklopfen, Erbrechen, Zittern des 

Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. I u. 2. r. 


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66 


GERHARD LEHMANN 


ganzen Körpers reagierte, dass ich den Eindruck einer enorm starken 
Reaktion hatte. 

Während ich Herzklopfen und massige Pulsdifferenz, die allerdings 
auch nicht annähernd 30 Schläge pro Minute erreichte, fast bei allen 
meinen Patienten nach Adrenalindarreichung feststellen konnte, habe ich 
Glykosurie nur in 8 von 100 Fällen beobachtet. 5 mal waren nur Spuren 
von Zucker (lmal 1 g, lmal 1,3 g und lmal 6,5 g) nachzuweisen. Dem¬ 
nach tritt nach meinen Erfahrungen Glykosurie nach der bisher üblichen 
Adrcnalininjektion nur selten ein. 

Weiter kann ich feststellen, dass die Jugend ähnlich dem Pilokar¬ 
pin, so auch dem Adrenalin gegenüber eine gewisse Empfindlich¬ 
keit zeigt. Denn von 76 Individuen, die diesseits des 50. Lebensjahres 
standen, gaben 20, d. h. 26,32 pCt., eine -f- Reaktion, während wir bei 
der Gruppe, die das 50. Lebensjahr überschritten hatte, nur 2 mal, d. h. 
8,33 pCt., eine + Adrenalininjektion finden. 

Wenn also von anderer Seite die Behauptung aufgestellt wurde, dass 
der Vagotonus der Jugend und Sympathikotonus dem Alter zukomme, 
so kann ich dies an der Hand meiner Untersuchungen nicht bestätigen. 

Betrachten wir nun die adrenalincmpfindlichen Individuen näher, so 
sehen wir, dass nur ein einziger von ihnen eine negative Pilokarpinreak¬ 
tion ergab, während 21, d. h. 95,45 pCt., deutlich auf Pilokarpin rea¬ 
gierten. Unter diesen 21 befinden sich wieder 12, welche eine enorm starke 
Reaktion nach Pilokarpin aufweisen, d. h. Speichelmengen bis 300 ccm 
in einem Fall über 400 ccm mit schweren Allgemeinerscheinungen. 

Wenn Eppinger und Hess schreiben „Befunde, dass Menschen mit 
den von uns angewendeten Dosen, sowohl auf Atropin und Pilokarpin 
als auch auf Adrenalin starke Reaktion gezeigt hätten, fehlen uns voll¬ 
kommen“, so muss ich dem entgegenstellen, dass von 22 adrenalin¬ 
empfindlichen 21 d. h. 95,45 pCt. eine deutliche Pilokarpinreaktion gaben. 
Auch fand ich, wie ich an anderer Stelle schon erwähnt habe, auch 
bei den pilokarpinunempfindlichen fast nie eine starke Adrenalin- 
rcaktion. 

Ich brauche auf diese Befunde, die schon mehrfach von anderer 
Seite (Petren und Thorling, Bauer u. a.) erhoben wurden, nicht näher 
einzugehen. Haben doch auch Eppinger und Hess in Gemeinschaft 
mit Plötzl allerdings nur bei verschiedenen Formen von Geisteskrank¬ 
heit bestätigen müssen, dass sich der Antagonismus zwischen Pilokarpin- 
und Atropinempfindlichkeit einerseits und Adrenalinempfindlichkeit an¬ 
dererseits nicht aufrecht erhalten lässt. 

Von den 7 Individuen, die wir als „gesund“ bezeichnet hatten, rea¬ 
gierte einer, ein 22jähriger Kandidat der Medizin, welcher auch eine 
erhebliche Pilokarpinwirkung gezeigt hatte, sehr stark auf Adrenalin. 
Es konnte zwar keine Glykosurie, aber starkes Herzklopfen, Pulsbe¬ 
schleunigung und ausgeprägtes Angstgefühl festgestellt werden, und die 


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Was leistet d.pharm.Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i.vegetat.Nervensystem? 6? 


Reaktion wurde von dem Träger als ungeheuer quälend und unangenehm 
bezeichnet. 

Kritische Betrachtungen. 

Wenn wir noch einmal — ganz unabhängig davon, ob es überhaupt 
richtig und logisch ist, das vegetative Nervensystem nach rein pharma¬ 
kologischen Gesichtspunkten zu beurteilen — die Resultate dieser Tabelle 
und die Erfahrungen, die wir mit 700 Injektionen an etwa 200 Indivi¬ 
duen gesammelt haben, überblicken, so müssen wir sagen, dass die von 
Eppinger und Hess aufgestellte Lehre der Vagotonie und Sympathi- 
kotonie noch mancher Berichtigung und Erklärung bedarf. 

Meine Untersuchungen haben einwandfrei — zum ersten Mal an einem 
grösseren, gemischten Kranken material — festgestellt, dass der von 
Eppinger und Hess aufgestellte Antagonismus zwischen Vagotonie 
und Sympathikotonie d. h. zwischen Pilokarpinempfindlichkeit einerseits 
und Adrenalinempfindlichkeit andererseits nicht existiert. Adrenalin¬ 
empfindliche zeigten fast stets in 95,45 pCt. eine sehr starke Pilokarpin¬ 
reaktion und andererseits reagierten auf Pilokarpin völlig unempfindliche 
Individuen sehr selten auf Adrenalin. 

Wenn Eppinger und Hess annehmen, dass „jugendliche Menschen 
eher einen erhöhten Vagustonus zeigen, bei älteren Menschen aber Er¬ 
scheinungen vorherrschen, die leicht als vermehrter Sympathikotonus zu 
deuten sind“, so kann ich das nach meinen Untersuchungen keines¬ 
wegs bestätigen. Dagegen muss ich feststellen, dass die Jugend 
überhaupt eine grosse Empfindlichkeit beiden Mitteln, sowohl 
Pilokarpin als Adrenalin, gegenüber zeigt. 

Ich möchte hier in aller Kürze einige Worte über die Bezeichnung 
Vagotonus und Sympathikotonus einflechten. 

Eppinger und Hess selbst sagen: „es bestehen zwei Möglichkeiten, 
entweder das betreffende Nervensystem ist reizbar oder es besteht in 
ihm ein hoher Tonus, auf den nur ein geringer Reiz aufgesetzt zu wer¬ 
den braucht, um grosse Wirkung auszulösen“ und entscheiden sich für 
das Letztere. 

Meine Untersuchungen haben mir gezeigt, dass es sich wohl am 
ehesten um eine abnorme Reizbarkeit für diese Gifte im gesamten vege¬ 
tativen Nervensystem handelt. Wenn die Annahme, dass der Vagus sich 
bei diesen Individuen in einem erhöhten Tonus befindet, zu Recht be¬ 
stände, müssten wir bei vagotonischcn Individuen nach Atropin, das ja 
einen lähmenden Einfluss auf den im erhöhten Tonus befindlichen Vagus 
ausübt, starke Reaktionen beobachten. Wir haben aber gesehen, dass 
starke Pilokarpinreaktion keineswegs Hand in Hand geht mit starker 
Atropinreaktion. 

Durch diese unsere Annahme einer gesteigerten Reizbarkeit im vege¬ 
tativen Nervensystem wird uns auch das Nichtvorhandensein des An¬ 
tagonismus zwischen Vagotonie und Sympathikotonie verständlich. Es 

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68 


GERHARD LEHMANN, 


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ist ganz einleuchtend, dass ein. reizbares Nervensystem überhaupt auf 
ihm zugeführte Gifte, d. h. auf Pilokarpin und Adrenalin leicht oder 
abnorm stark reagiert. 

Noch ein kurzes Wort zu der bisher üblichen Dosierung. Man wird 
unbedingt zugeben müssen, dass in der bisher üblichen Weise, allein das 
Körpergewicht für die Grösse der Dosen veiantwortlich zu machen, viel 
Willkür liegt. Ich selbst habe mehrmals verschiedene Fälle untersucht, 
die auf 0,7—0,8 cg Pilokarpin nicht reagierten und wo die Injektion von 
1 cg Pilokarpin eine stark positive Reaktion auslöste. Welches ist die 
rechte Reaktion gewesen? 

Wir legen doch allen unseren Toleranzbestimmungen, so z. B. der 
Prüfung des Kohlehydratstoffwechsels, bestimmte Standardvorschriften zu 
Grunde und können beispielsweise bei Prüfung des Kohlehydratstoff- 
wechs'els nur dann eine Glykosurie e saccharo diagnostisch verwerten, 
wenn nach zweckentsprechender Verabreichung von 100 g Trauben¬ 
zucker Glykosurie auftritt. Zuckerausscheidungen nach Genuss grösserer 
Mengen Traubenzucker haben praktisch nicht dieselbe Bedeutung und 
ebenso darf man aus dem Ausbleiben der Glykosurie nach Genuss 
von weniger als 100 Traubenzucker keine weitgehenden Schlüsse 
ziehen. 

Ich bin vorläufig noch nicht imstande, die rechte Dosis anzugeben. 
Doch kann ich mich nach vergleichenden Untersuchungen, die ich haupt¬ 
sächlich mit Pilokarpin angestellt habe, des Eindrucks nicht erwehren, 
dass die Feinheit der Reaktion durch ein Herabsetzen der Dosis nur ge¬ 
winnen würde, und dass wir in der bisher üblichen Weise oft die Reiz¬ 
schwelle für Gesunde und Kranke überschritten haben, mit anderen 
Worten: wir erhalten jetzt mehr positive als negative Resultate und dies 
gilt besonders für Pilokarpin. Deshalb ist es auch ganz verständlich, 
dass fast alle Menschen, auch die ganz gesunden, eine positive Pilokar¬ 
pinreaktion aufweisen. Wollen wir die Dosis nicht herabsetzen, so müssen 
wir wenigstens für die positive Pilokarpinreaktion eine grössere Speichel¬ 
menge als 75 ccm (v. Bergmann) verlangen. Welche Unsicherheit in 
der Dosierung herrscht, geht am besten daraus hervor, dass Eppinger 
und Hess, die die Lehre der Vagotonie aufgestellt haben, 1 cg Pilo¬ 
karpin gaben, während andere Autoren (Bauer, Deutsch und Hoff¬ 
man n u. a.) selten 0,007 g Pilokarpin überschritten. Meine Unter¬ 
suchungen* beweisen, wie different die Reaktionen für diese verschiedenen 
Dosen sind, bald im positiven, bald im negativen Sinne. 

Es scheint mir überhaupt ein sehr gewagtes Unternehmen, das grosser 
Kritik bedarf, Einheiten, d. h. hier Nerven mit verschiedenen Massen 
zu messen und die gefundenen Werte dann gleich zu stellen oder mitein¬ 
ander zu vergleichen. 

Es ist doch etwas ganz anderes, wenn wir im Experiment Vagus 
und Sympathikus durch den leicht dosierbaren elektrischen Strom reizen, 



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Was leistet d. pharm.Prüf, in der Diagnostik d. Störungen i. vegetat. Nervensystem? 69 


statt Vagus und Sympathikus durch untereinander ganz verschiedene 
Gifte zu erregen. 

Wenden wir uns nun — und das ist für die Klinik wohl das Wich¬ 
tigste — der Frage zu: Ist der Ausfall der pharmakologischen Prüfung 
ein sicherer Beweis für das Vorhandensein oder Fehlen von Störungen 
im vegetativen Nervensystem? so geht schon aus meinen Untersuchungen 
hervor, dass wir hierauf nur mit einem sehr bedingten Ja antworten 
können. Fällen mit Hypersekretion, Hyperazidität und starker Pilokar¬ 
pinreaktion stehen Fälle mit denselben oder schwereren klinischen Sym¬ 
ptomen gegenüber, die nur eine recht schwache Reaktion aufweisen. 
Individuen, die ganz enorm stark pharmakologisch reagieren, lassen auch 
bei genauester Untersuchung klinisch jede Störung im vegetativen Nerven¬ 
system vermissen. 

Der Kernpunkt dieser Frage liegt meines Erachtens in der Schwierigkeit 
der klinischen Diagnose „gestört im vegetativen Nervensystem.“ 

Aber auch wenn wir alle diese eben erörterten Punkte bei Seite 
lassen wollten, so drängen sich doch bei dem Vorhaben, alle „nervösen 
Erkrankungen“ in Vagotonie und Sympathikotonie aufzuteilen, mancherlei 
Fragen und Bedenken auf. 

Nicht immer bringt uns die pharmakologische Prüfung die Bestäti¬ 
gung physiologischer Erfahrungen. Anatomische und physiologische Unter¬ 
suchungen haben uns gezeigt, dass die Schweissdrüsen in das Bereich 
des Sympathikus fallen, während uns die pharmakologische Prüfung nur 
eine autonome Innervation anzeigt. Gerade die Schweisssekretion aber 
stellt eins der Kardinalsyraptome der Pilokarpinreaktion dar. Schon aus 
diesem einen Beispiel geht zur Genüge hervor, dass das anatomische 
physiologische Sympathikussystem — worauf auch Lewandowsky schon 
ausdrücklich immer wieder aufmerksam gemacht hat — etwas ganz 
anderes ist als das pharmakologische. Es wirkt aber verwirrend und ist 
nicht angängig, anatomisch-physiologische Einheiten aufzulösen und unter 
Beibehaltung der alten Namen in pharmakologische Schemata einzuzwängen. 

Weiter hat Lewandowsky mit Recht darauf hingewiesen, dass 
Eppinger und Hess „fälschlich quergestreifte Muskulatur wie den 
Levator palpebrae und die Stimmbänder zum Viszeralsystem rechnen und 
auch den sensiblen Lungenvagus in ihre Vagotonie hereinbringen.“ 

Ferner zeigen uns Nebenwirkungen dieser Gifte, so Erregung des 
Vaguszentrums durch Adrenalin (Biedl, Reiner), wieviel Kritik und 
Vorsicht bei der Beurteilung der Wirkung dieser Pharmaka notwendig ist. 

Was bedeutet ferner die grosse Dissoziation bei den verschiedenen 
Giften? Warum reagiert der eine auf Adrenalin mit Temperatur, ein 
anderer mit Glykosurie, warum zeigt dieser seine Adrenalinempfindlichkeit 
durch Herzklopfen, jener mit einer an Stenokardie erinnernden Todesangst ? 
Müssten wir nicht bei einer wirklich stark positiven Reaktion stets 
wenigstens ungefähr die gleiche Summe von Erscheinungen erwarten. 


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70 


GERHARD LEHMANN, 


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Mir erscheint die Mahnung Bauers, doch auf das Erfolgsorgan mehr 
Rücksicht zu nehmen, sehr angebracht. 

Sehen wir nicht täglich am Krankenbett, dass ein geschädigtes 
Organ als Locus minoris resistentiae auf eine neue Infektion, auf eine 
neue Krankheit am ersten und intensivsten reagiert, und sollte es uns 
nun wundern, wenn ein organisch krankes Herz oder ein geschädigter 
Magendarmtraktus besonders heftig auf diese starken Gifte antwortet. 
Wie kompliziert aber unter diesen Verhältnissen eine richtige Deutung 
der diesen Giften folgenden Reaktionen wird, muss jeder zugeben. Auch 
lassen sich nicht alle diese Erscheinungen dadurch erklären! 

Noch komplizierter aber und fast unübersehbar werden diese Ver¬ 
hältnisse, wenn wir wissen, dass in die Wechselbeziehungen zwischen 
Sympathikus und Vagus auch noch die Drüsen mit innerer Sekretion 
eingreifen. 

Eppinger selbst hat in Gemeinschaft mit Falta und Rudinger 
die innigen Beziehungen zwischen Thyreoidea, Pankreas, chroraaffinem 
System einerseits und dem vegetativen Nervensystem andererseits nach¬ 
gewiesen. Teils werden die Drüsen nach ihren Untersuchungen von einer 
dieser Gruppe innerviert, teils übt das innere Sekret wieder auf den Er¬ 
regungszustand des betreffenden vegetativen Nerven seine Wirkung aus. 

Wohl hat man in den letzten Jahren auf dem Gebiete der inneren 
Sekretion ungeheure Fortschritte zu verzeichnen, aber es ist doch nicht 
von der Hand zu weisen, dass wahrscheinlich die Verhältnisse noch viel 
komplizierter und mannigfaltiger sind, und es ist die Frage, ob es uns 
je gelingen wird, von diesem wunderbaren Getriebe ein klares, der 
Wirklichkeit entsprechendes Bild zu erhalten. 

Auf jeden Fall bilden die innersekretorischen Organe und das 
vegetative Nervensystem eine Kette von Gliedern, jedes abhängig von 
dem anderen, aber in sich geschlossen als ein Ganzes. Jede Störung in 
einem dieser Glieder muss eine Verschiebung, eine Störung im ganzen 
System nach sich ziehen. Selten wird dieses Verhältnis ungestört sein 
und dann den seelisch und körperlich ideal Gesunden vorstellen, meist 
werden nur geringe Störungen vorliegen, die wir kaum Krankheit nennen, 
zuweilen aber können interkurrente Erkrankungen, psychische Traumen, 
physiologische Vorgänge (Pubertät, Wochenbett, Klimakterium) so ein¬ 
greifende Verschiebungen in diesen Wechselbeziehungen hervorrufen, dass 
sie Hypo- bzw. Hyperplasien lebenswichtiger, innersekretorischer Organe 
hervorrufen und uns als ernste Krankheitsbilder imponieren. 

Es ist ganz klar, dass wir durch die pharmakologische Betrachtungs¬ 
weise bei groben innersekretorischen Störungen (s. Morbus Addisonii) 
manche anerkennenswerte Förderung erfahren werden, es ist aber andererseits 
nicht zu verkennen, dass die leichten innersekretorischen Störungen, die 
noch an der Grenze des physiologischen liegen, die Beurteilung der 
pharmakologischen Reaktion erschweren. Diesbezügliche Untersuchungen, 



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Was leistet d.pharm. Prüf, in der Diagnostik d.Störungen i.vegetat.Nervensystem? 71 


die ich bei verschiedenen Personen ante-, intra- und postmenstruell an¬ 
gestellt habe, zeigten mir, wie ganz verschieden in diesen einzelnen 
Phasen die pharmakplogische Prüfung des vegetativen Nervensystems aus¬ 
fällt und wie begründet deshalb meine Mahnung zur Vorsicht und 
Kritik ist. 


Therapie. 

Die grosse Rolle, die besonders zwei von den eben besprochenen 
Pharmaka, Atropin und Adrenalin, in unserem Heilmittelschatz ein¬ 
nehmen, mag es berechtigt erscheinen lassen, wenn ich einige kurze 
Worte über ihre therapeutische Anwendung und Wirkungsweise hier ein¬ 
flechte. 

Wer glaubt in dem Atropin ein Allheilmittel gegen die Vagotonie 
bzw. allerlei „nervöse Beschwerden 14 gefunden zu haben, wird sehr 
schwere Enttäuschungen erleben. 

Wir haben in unseren Krankenjournalen mehrere Fälle zu ver¬ 
zeichnen, die deutliche Vagusstigmata und sehr starke Pilokarpinreaktion 
aufwiesen und die trotz fortgesetzter energischer Atropinbehandlung nicht 
den geringsten Erfolg zeigten. 

Derartige Erfahrungen sind verständlich, wenn wir. das Vorhergesagte 
berücksichtigen und bedenken, dass es sich meist nicht um einfache 
Krampfzustände des Vagus, sondern um Störungen handelt, die ein 
ganzes, äusserst kompliziertes System betreffen. 

Der in jüngster Zeit von verschiedenen Autoren gemachte Einwand, 
dass die unbeeinflussten Fälle mit zu geringen Dosen behandelt worden 
seien, kann für unsere Kranken nicht in Frage kommen, wir haben die 
Patienten einer äusserst langen und sehr energischen Atropinbehandlung 
unterzogen. Andererseits muss ich aber auch zugeben, dass ich aller¬ 
dings in wenigen, hierhergehörigen Fällen eine günstige Beeinflussung 
der Beschwerden nach Atropindarreichung gesehen habe. Die Besserung 
trat jedesmal so prompt ein und wurde von den Patienten so präzise 
bestätigt, dass wir nicht anstehen, den Erfolg dem Atropin zuzuschreiben. 
Ich möchte also für alle diese Fälle einen Versuch mit einer lang fort¬ 
gesetzten energischen Atropinbehandlung empfehlen, aber warnen, allzu 
grosse Hoffnungen auf diese Behandlung zu setzen. 

Wegen seiner blutdrucksteigernden Wirkung hat man in jüngster 
Zeit auch das Adrenalin bei verschiedenen Krankheiten, besonders bei 
schweren Kreislaufsstörungen verwendet. Auch wir haben uns oft genug 
von der fast lebensrettenden Wirkung des Adrenalins bei schwerster 
akuter Herzinsuffizienz am Krankenbett überzeugen können und möchten 
es in diesen Fällen nicht mehr missen. 

Andererseits aber mahnen die starken, oft recht unangenehmen 
Nebenwirkungen, die wir nach einmaligen Adrenalingaben bei verschie¬ 
denen Individuen beobachtet haben, Vorsicht. Bei längere Zeit hindurch 


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72 G. LEHMANN, Was leistet die pharmakologische Prüfung in der Diagnostik etc. 


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fortgesetzter Adrenalinbehandlung, wie sie gerade in letzter Zeit bei den 
verschiedensten Krankheiten empfohlen wird, könnten unter Umständen 
auch die unerwünschten Adrenalinwirkungen zur Geltung kommen. 

Wenn ich im Vorhergehenden an der Hand eines grossen Kranken¬ 
materials nachzuweisen versucht habe, dass die von Eppinger und 
Hess aufgestellte Lehre der Vagotonie mancher Berichtigung und Er¬ 
klärung bedarf, und dass es im Besonderen unzulässig ist, pharmakolo¬ 
gische Einheiten physiologisch-anatomischen gleichzustellen, so geschah 
es nicht etwa, um den Wert der pharmakologischen Prüfung des vege¬ 
tativen Nervensystems herabzusetzen, sondern nur, um zu zeigen, wie viel 
Kritik und Vorsicht bei der Bewertung dieser Reaktionen notwendig sind. 
Es ist ohne Einschränkung zuzugeben, dass uns die pharmakologische 
Prüfung des vegetativen Nervensystems ganz neue Einblicke in die Gruppe 
der innersekretorischen Störungen und der Organneurosen ermöglicht hat. 


Literatur. 

1) Biedl, Innere Sekretion. — 2) Bauer, Zur Funktionsprüfung des vegetativen 
Nervensystems. Arch. f. kl. Med. Bd. 107. S. 39—100. — 3) D eh io, Ueber den 
Einfluss des Atropins auf die rhythmische Herztätigkeit. Ebendas. Bd. 52. S. 97. — 
4) Deutsch und Hoffmann, Untersuchungen über das Verhalten des vegetativen 
Nervensystems bei tuberkulösen Erkrankungen der Lunge. Wiener klin. Wochenschr. 
1913. S. 569. — 5) Eppinger und Hess, Die Vagotonie. Samml. klin. Abbandl. 
H. 8 u. 10. — 6) Dieselben, Zur Pathologie des vegetativen Nervensystems. Diese 
Zeitschr. Bd. 67. S. 345—351. — 7) Dieselben, Ebendas. Bd. 68. S. 204—246. 
— 8) Eppinger, Falta und Rudinger, Ueber die Wechselwirkung der Drüsen 
mit innerer Sekretion. Diese Zeitschr. 1908. Bd. 66. S. 1. — 9) Dieselben, 
Wiener klin. Wochenschr. 1908. Nr. 21. — 10) Gottlieb und Meyer, Die experi¬ 
mentelle Pharmakologie. — 11) Lewandowsky, Stand und Aufgaben der allge¬ 
meinen Physiologie und Pathologie des sympathischen Systems. Zeitschr. f. d. ges. 
Neurol. u. Psych. 1913. Bd. 14. S. 281. — 12) Petren und Thorling, Unter¬ 
suchungen über Vorkommen von Vagotonus und Sympathikotonus. Diese Zeitsohr. 
Bd. 73. S. 27. — 13) Plötzl, Eppinger und Hess, Ueber Funktionsprüfungen des 
vegetativen Nervensystems bei einigen Gruppen von Psychosen. Wiener klin. Wochen¬ 
schrift. 1910. Nr. 51. S. 1831. — 14) R. Schmidt, Ueber Diathesen, Dyskrasien, 
Konstitutionen. Ebendas. 1911. Nr. 48. S. 1659. — 15) Stoerk, Zur Klinik des 
Lymphatismus. — 16) Thies, Ueber die Differentialdiagnose abdomineller Erkran¬ 
kungen auf Grund von Symptomen des vegetativen Nervensystems, insbesondere mit 
Rücksicht auf die Erkrankungen der Gallenwege. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. 
Chir. Bd. 27. H. 3. 



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Aus dem staatlichen Seruminstitut in Kopenhagen 
(Direktor: Dr. Th. Madsen). 

Beobachtungen über Klinik und Epidemiologie der 
giftarmen Dysenteriebazilleninfektion in Dänemark. 

Von 

Dr. Carl Sonne, 

Assistent am Institut. 


Synonyme: Giftarme Dysenteriebazillen (Lentz); ungiftige Dysenterie¬ 
bazillen (Kraus und Doerr); Pseudo-Dysenteriebazillen (Kruse). Dysen¬ 
teriebazillen der Typen: „Flexner“, „Y u und „Strong“; Paradysenterie¬ 
bazillen (Park, Liefmann und Nieter u. a.). 

Im Jahre 1911 herrschte in der Nähe der kleinen dänischen Stadt 
Thisted eine recht ernste Dysenterie-Epidemie, 34 Personen waren befallen 
und von denselben starben 26 pCt. In mehreren der zur Diagnosenstation 
des staatlichen Seruminstitutes in Kopenhagen eingesandten Fäkalproben 
fanden sich Shiga-Kruse’sche Dysenteriebazillen. Die näheren Umstände 
bei der Epidemie und die Resultate der hierher gehörenden bakteriologi¬ 
schen Untersuchungen sind von Leschly und Sonne in „Hospitalstidende“ 
1912 beschrieben. 

Vor dieser Zeit sind Befunde von Dysenteriebazillen in Dänemark 
nicht beschrieben. 

Die bösartige Epidemie, die man eine Zeit lang wegen besonderer 
Umstände nur schwer bewältigen konnte, veranlasste während ihrer 
Dauer viele und häufige Besprechungen in allen Zeitungen des Landes, 
welche gleichzeitig Mitteilungen von dem ßazillenbefunde brachten. Es 
stellte sich dann recht natürlich eine starke Infektionsfurcht rings im 
Lande ein, und viele Patienten, welche sonst vielleicht nicht auf eine 
nur vorübergehende, mehr oder weniger blutige Diarrhöe Rücksicht ge¬ 
nommen hatten, wurden jetzt von ihren Aerzten zu einer bakteriolo¬ 
gischen Untersuchung der Fäkalien mittels Einsendung derselben zum 
staatlichen Seruminstitute veranlasst. In einer grossen Zahl dieser 
Proben wurden Dysenteriebazillen und zwar alle von anderen Typen 
als die Shiga-Kruseschen gefunden. 

Weil es sich beim Durchlesen der Literatur zeigte, dass man vor 
mehreren Jahren in Amerika (Flexner und seine Schüler) Dysenterie¬ 
bazillen als Ursache vieler Fälle von Cholerine bei Kindern gefunden 


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CARL SONNE 


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hatte, und weil ähnliche Untersuchungen gleichartiger Ausdehnung in 
Europa niemals ausgeführt waren, untersuchte ich darnach systematisch 
den Stuhl von einer grösseren Reihe von Kindern mit Cholerine und 
fand dann auch hier in vielen Fällen dieselben giftarmen 
Dysenteriebazillen. 

Die zu diesen Befunden giftarmer Dysenteriebazilleninfektion gehörigen 
Beobachtungen über die Bakteriologie der Bazillen und die diagno¬ 
stische Bedeutung der Agglutination derselben in den Sera der Patienten 
werden anderswo 1 ) beschrieben werden. Hier werden die Studien über die 
Klinik und die Epidemiologie der Infektion erwähnt werden. 


Ehe ich zu der Beschreibung meiner eigenen Untersuchungen über¬ 
gehe, müssen einige Bemerkungen über die angenommene Häufigkeit, 
Gegenwart und Natur der Infektion in anderen Ländern worausgeschickt 
werden, indem ich übrigens auf die vorliegenden Handbücher über diesen 
Gegenstand hinweise. 

Die Infektion ist beinahe überall auf der Erde nachgewiesen, und man 
kann absolut nicht sagen, dass dieselbe an eine bestimmte Zone gebunden ist. 

Was Japan betrifft, ist die Krankheit in diesem Lande besonders 
häufig und wird dieselbe von den japanischen Verfassern (Shiga, 
Amako) für immer endemisch und für das Auftreten grosser Epidemien 
häufig veranlassend angesehen. In Europa scheint nach den meisten 
Verfassern ein rein epidemisches und eigentlich recht seltenes Auftreten 
angenommen zu werden. Im ganzen ist die Beschreibung von Befunden 
dieser Dysenteriebazillen nicht etwas so besonders Häufiges. So hat 
Pachnio im „Klinischen Jahrbuch“ 1911 ein scheinbar vollständiges 
Verzeichnis aller Veröffentlichungen von den Befunden von Dysenterie¬ 
bazillen, welche von der Entdeckung der Bazillen bis zum September 
1909 gemacht sind, gegeben. Nach demselben ist während dieser Zeit 
42 mal ein Befund von Shiga-Kruse-Bazillen und 32 mal von anderen 
Dysenteriebazillen beschrieben; dieses betrifft die Bazillenbefunde rings 
umher in allen Weltteilen. 

Es ist, wie gesagt, beinahe ausschliesslich die Rede von Epidemien. 
Was die in Europa beschriebenen Epidemien betrifft, so sind dieselben 
in den meisten Fällen nicht besonders gross gewesen. Am grössten war 
die militärische Epidemie in Hagenau im Jahre 1908, wo 171 Personen 
als krank angemeldet waren; demnächst die andere militärische Epidemie 
in Fürth mit 53 Kranken. Während einer Epidemie in Gruppe im Jahre 
1903 (Jürgens) waren 26 krank, wovon 18 mit Befunden von Bazillen, 
und in Saarbrücken im Jahre 1905 fand Lentz die Bazillen in 14 Fällen. 
Bei allen den übrigen Epidemien ist die Zahl der Fälle allerdings kleiner 
gewesen, häufig hat es sich um nur wenige Fälle gehandelt. 

1) Zentralbl. f. Bakteriologie. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 75 


Nur ganz vereinzelte europäische Verfasser behaupten, gegründet auf 
ihre Untersuchungen, dass die Dysenteriebazilleninfektion nicht nur in 
grösseren oder kleineren wohlabgegrenzten Epidemien auftritt, sondern 
auch sporadisch vorkommt. Namentlich Kruse meint, dass dieses keines¬ 
wegs selten ist und in der grossen Arbeit, die er im Verein mit Ritter¬ 
haus, Kemp und Metz im Jahre 1907 veröffentlichte, wurde von 
ca. 50 Dysenteriebazillenstämmen berichtet, welche sie im Verlaufe von 5 
bis 6 Jahren bei verschiedenen Individuen gefunden haben und von 
welchen etliche von solchen isolierten sporadischen Fällen herrühren. 
Einen überwältigenden Eindruck von Häufigkeit macht dies jedoch nicht, 
und Kruse meint ’ dann auch, dass die Infektion in Europa wohl als 
etwas mehr verbreitet angesehen werden muss, als man sich früher ge¬ 
dacht hatte, aber so häufig als in Amerika z. B. sei sie doch kaum. 
Eine etwas ähnliche Anschauung vertritt Morgan in England im Jahre 
1911 auf Grund von ca. 15 Stämmen, die wesentlich gefunden sind, ohne 
dass von eigentlichen Epidemien die Rede gewesen war. 

Lösener (Deutschland) teilt im Jahre 1910 mit, dass er in den 
Jahren 1908, 1909 und 1910 im Verlaufe von 18 Monaten unter Soldaten 
in 2 Garnisonen 6mal sporadische Fälle von Dysenterie mit Bazillen 
beobachtet hat, und er schliesst daraus, dass die Infektion wahrschein¬ 
lich bei den Zivilisten ebenso häufig ist. Wenn ein Befund von 6 Fällen 
im Verlaufe von 18 Monaten als ein häufiger angesehen wird, sieht man 
indessen am besten, wie selten man in der Tat mit der Infektion hier 
in Europa zu rechnen geneigt ist. Loewenthal teilt denn auch mit, 
dass nach den Wochenberichten in Berlin im Verlaufe des Jahres 
1911 nur 5 Fälle von Dysenterie gefunden wären. Loewenthal meint 
übrigens von ausgedehnten serologischen Untersuchungen vermittels 
Dysenteriebazillenagglutination ausgehend ausser Zweifel stellen zu können, 
dass die Infektion in der Tat viel häufiger ist; aber wie ich anderswo 1 ) 
unter den Untersuchungen der Sera der Patienten beweise, kann seine 
Schätzung der Agglutination indessen nicht als eine berechtigte angesehen 
werden. 

Mehrere Verfasser haben chronisch verlaufende Dysenterie¬ 
fälle mit periodischer Ausscheidung von Dysenteriebazillen 
beobachtet. 

So beschreibt Morgenroth einen leichten Fall von Dysenterie, den 
er in China hatte; derselbe dauerte 14 Tage, er blieb aber immer auf 
und lag seinen Geschäften ob; nach % Jahr bekam er einen neuen An¬ 
fall, welcher diesmal etwas schwerer und langwieriger war; seitdem hatte 
er oft schleimgemischte Diarrhöe, und als er nach einiger Zeit nach 
Europa kam, fand Pfuhl Flexner-Bazillen in seinem Stuhl, welcher 
früher nicht untersucht war. Lentz fand während der Epidemie in 

1) Zentralbl. f. Bakteriologie. 


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CARL SONNE, 


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Saarbrücken „Y “-Bazillen bei einem Soldaten während eines leichten 
Rezidivs 5 Monate nach dem ersten Anfall. Ganz ähnliche Beobachtungen 
haben auch Pfuhl, Eckert und Kruse bei vereinzelten Patienten ge¬ 
macht. Avelin, Boycott und Macdonald beschreiben einen Fall von 
Dysenterie mit Flexnerdysenterie, wo die Symptome 4 1 / 2 Monate dauerten 
und die Krankheit nahm dann einen tötlichen Ausgang. 

Macalister hat während einer „Flexner a -Epidemie in einer Irren¬ 
anstalt beobachtet, dass ca. 26pCt. von 80, welche klinisch Dysenterie 
gehabt hatten, mehrere Monate nach dem eigentlichen Anfall Neigung zur 
Diarrhöe, schleimiger Abführung oder auch typischem Rezidive bekamen; 
bei einigen fand er auch die Bazillen während dieses chronischen Verlaufes. 

Ehe das Resultat der Nachuntersuchungen von den Epidemien in 
Fürth und Hagenau vorlag, scheint man doch solche chronische Fälle 
mit Ausscheidung von Bazillen für recht selten gehalten zu haben. 
Lutzksch (1906) meinte zwar in einer russischen Irrenanstalt bemerkt 
zu haben, dass etwa die Hälfte der Geisteskranken, die akute Dysenterie 
gehabt hatten, später diese Krankheit in einer chronischen Form bekam; 
seine Beobachtungen stützten sich aber wesentlich auf die unzuverlässige 
Agglutinationsreaktion im Patientenserum (s. Sonne, Zentralbl. f. Bakt.). 

Bei der Epidemie in Fürth (1909) fand Mayer, dass nur 70 pCt. 
der 53 Kranken im Verlaufe von 4 Wochen bazillenfrei wurden, von 
28 Schwerkranken hatten 31 pCt. Bazillen in der Abführung bis zwischen 
5 und 16 Wochen und 25 Leichtangegriffene in 28 pCt. der Fälle 
Bazillen bis zwischen 5 und 12 Wochen. Durchschnittlich fanden sich 
Bazillen in der Abführung bis zwischen 2 und 3 Monaten nach dem Ver¬ 
laufe des akuten Anfalles. In wie hohem Grade bei diesen Individuen 
mit langdauernder Ausscheidung der Bazillen gleichzeitig von einem 
klinisch beobachteten chronischen Verlaufe die Rede gewesen ist, darüber 
bekommt man leider keine rechte Auskünfte. Mayer sagt selbst, dass 
die bakteriologische Arbeit so gross gewesen ist, dass man keine hin¬ 
reichende Zeit auf eine genaue Beobachtung und Beschreibung von dem 
Aussehen, event. Schleiminhalt usw. der Abführung verwenden konnte. 
In wie vielen Fällen Rezidive klinisch beobachtet sind, darüber finden sich 
auch keine Auskünfte. 

Im Anfang des Jahres 1909 nahm Simon eine Nachuntersuchung 
von einem Teil der Soldaten vor, welche während der Epidemie in Hagenau 
im Sommer 1908 mit „Y u -Bazillen infiziert gewesen waren. Bei 4 von 
55 Soldaten, welche typische Dysenterie gehabt hatten, fanden sich die 
Bazillen noch nach einem halben Jahre; ebenso bei 13 von 84, bei welchen 
die Bazillen früher gefunden waren, ohne dass die Individuen Dysenterie¬ 
symptome gehabt hatten. Jede Person wurde einmal des Monats in den 
Monaten Januar bis Juli 1909 untersucht, und nur ab und zu fand man 
die Bazillen bei einem Individuum; es ist auch hier nicht angegeben, in¬ 
wieweit die Soldaten mit Dysenteriebazillen in der Abführung Symptome 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 77 


von chronischer Dysenterie haben oder wie viele derselben eigentliche 
Rezidive gehabt haben. Obgleich man annehmen muss, dass ein Teil 
der in Fürth und Hagenau gefundenen Bazillenträger überhaupt nicht 
Dysenteriesymptome irgend einer Art darbieten oder jemals dargeboten 
haben, wird man doch sicher, übereinstimmend mit den Beobachtungen 
in früheren Jahren, welche darauf hinzeigen, dass man selten Dysenterie¬ 
bazillen in der Abführung, ohne dass diese schleimig ist (Kruse, 
Conradi), findet, davon ausgehen können, dass jedenfalls ein wesentlicher 
Teil der Individuen nicht in allen Hinsichten vollständig normal gewesen 
ist, z. B. eine gewisse Neigung zur Diarrhöe oder zur schleimigen Ab¬ 
führung hat, aber nur nicht in einem so bedeutenden Grade, dass man 
wegen des Individuums selbst Grund hatte, dies zu berücksichtigen. So¬ 
wohl Mayer als Simon meinen denn auch nicht, dass diese chronischen 
Bazillenträger für gesunde Individuen angesehen werden können, und 
ähnlich wie Küster und Lcntz denken sie, dass die Ursache dazu, dass 
die Bazillen nicht wieder aus dem Darme verschwinden, in der Gegen¬ 
wart von atonischen Darraulzera in demselben gesucht werden muss. 
Mayer empfiehlt Untersuchung mit Rektoskop von solchen Bazillen¬ 
trägern, hat es aber nicht selbst versucht. 

Lentz’ Anschauung von diesen atonischen Darmulzera stützen sich 
auf eine rektoskopischc Untersuchung, die er in Gemeinschaft mit 
Kantorowicz bei zwei Dysenterierekonvaleszenten vorgenommen hat. 
4—8 Wochen nach der klinischen Genesung und 5—8 Wochen nach der 
letzten Konstatierung von Bazillen in den Fäzes konnten bei diesen Patienten 
noch einzelne Ulzerationen auf der sehr roten Schleimhaut des Rektums 
bemerkt werden. 

Ausserhalb des Darmes und der Mcsenterialdrüsen findet man in 
der Regel nicht die Bazillen (Shiga, Amako, Wollstein, Aveline, 
Boycott und Macdonald, Eyre). Nur Brückner hat einmal Y- 
Bazillen in den kleinen Gallengängen in der Leber bei einem Dysenterie¬ 
bazillenträger post mortem und Aveline, Boycott und Macdonald 
einmal Flexner-Bazillen in der Milz gefunden. 

Eine besondere Erwähnung verdienen die Untersuchungen, welche 
die Dysenteriebazilleninfektion als Ursache der Gastroenteritis bei kleinen 
Kindern betreffen. 

Wie es aus dem Nachfolgenden hervorgehen wird, hat diese Frage 
für die meisten der europäischen Forscher eine ganz unwesentliche Rolle 
bei ihren Untersuchungen und Erwägungen über die bazilläre Dysenterie 
gespielt und die Beobachtungen, welche besonders von seiten der Ameri¬ 
kaner hierüber gemacht worden sind, können kaum als hinreichend 
angesehen werden. 

Nachdem Vedder und Duval im Jahre 1901 die ersten gewesen 
waren, welche in Amerika Dysenteriebazillen bei vielen Fällen von 
Dysenterie fanden, waren cs Duval und Basset in demselben Lande, 


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CARL SONNE 


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welche im folgenden Jahre daran dachten, nach den Bazillen bei Sommer¬ 
diarrhöe der Kinder zu suchen, welche ja in mehreren Hinsichten, be¬ 
sonders bei der schleimigen und nicht selten blutigen, dünnen Abführung, 
Aehnlichkeiten mit der Dysenterie zeigen konnte; sie fanden dann bei 
Untersuchungen in Baltimore die Bazillen in 42 von 54 Fällen. Hiernach 
meinten sie sich zu der Vermutung berechtigt, dass die Aetiologie der 
Sommerdiarrhöe der kleinen Kinder in einer Dysenteriebazilleninfektion 
zu suchen war. 

In dem folgenden Jahre (1903) nimmt dann Flexner auf dem 
Rockefcllerschen Institute in New York die Frage auf, und es wird in 
der Weise arrangiert, dass in diesem Jahre 12 Bakteriologen in NewYork, 
Philadelphia, Boston und Baltimore alle auf einigen Hospitälern während 
einer bestimmten Zeit aufgenommenen Fälle der Krankheit untersuchen. 
Damit die Untersuchungen gleichartig werden konnten, bekamen die 
Bakteriologen, welche früher mit der Bakteriologie der Dysenteriebazillen 
nicht gearbeitet hatten, bei Flexner einen Kursus. Von Allem, 
was überhaupt den Charakter eines infektiösen Darrakatarrhs darbot, 
wird die Abführung ohne Rücksicht auf das oft vielfach verschiedene 
klinische Bild bei den verschiedenen Patienten untersucht. Weiter wird 
dafür gesorgt, dass die Abführung so schnell als möglich nach dem Stuhl¬ 
gänge zur Untersuchung kommt. Das Resultat war, dass unter 
412 Fällen Dysenteriebazillen 279mal, in ca. 63,2 pCt. gefunden wurden. 
In 26 der 279 Fälle handelte es sich um Shiga-Kruse-Dysenteriebazillen; 
in allen übrigen 254 Fällen fanden sich mannitvergärende, giftarme Dys¬ 
enteriebazillen. 

Bei den verschiedenen Untersuchern schwankt die prozentische An¬ 
gabe von Fällen mit Dysenteriebazillen von 94 bis 25. Flexner meint, 
dass die Ursachen der niederen Angaben vielleicht darin zu suchen sind, 
dass sich die Laboratoriumsverhältnisse an den betreffenden Orten etwas 
schwierig gestaltet haben, z. B., dass die Abführung aus dem Hospitale 
ziemlich lange unterwegs gewesen ist und die Dysenteriebazillen dabei 
von Kolibazillen überwachsen waren. Dass die Ursache der grossen Ver¬ 
schiedenheit in dem Resultate der einzelnen Untersucher vielleicht auch 
in gewissem Grade darin zu suchen ist, dass die Infektion in grösserer 
Stärke in einigen Orten als in anderen auftrat, was ja wahrscheinlich 
sein kann, daran scheint er kaum gedacht zu haben. Flexner meint 
sich berechtigt zu schliessen, dass die Dysenteriebazilleninfektion in einer 
sehr grossen Zahl der Fälle sich als die Ursache der sogenannten 
Sommerdiarrhöe bei kleinen Kindern zeigt, wenn sie auch wohl kaum als 
die einzige angesehen werden kann. 

Andere amerikanische Verfasser wie Hastings, Knox und Shorer 
und Weawer und Tunnicliff fanden bald nachher ähnliche Verhältnisse 
bei anderen Epidemien von Kinder-Cholerine in Amerika, während wieder 
andere, wie Schwartz, Pease und Shaw und Collins, kaum so 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 79 


häufig die Dysenteriebazillen fanden, augenscheinlich, weil die Infektion 
nicht immer und in allen Orten in Amerika gleich häufig ist. 

Die Flexnersche Anschauung von der Aetiologie der Kinder- 
Cholerine kann keineswegs als allgemein anerkannt oder in höherem 
Grade von europäischen Verfassern bestätigt angesehen werden; es muss 
dann aber auch zugestandeu werden, dass auch keiner derselben ähnliche 
Untersuchungen entweder in so grosser Ausdehnung oder scheinbar mit 
so grosser Genauigkeit vorgenoramen hat. 

Leiner in Wien ist vielleicht der erste, der hier in Europa Dysenterie¬ 
bazillen bei Kindern, ohne dass diese typische Dysenterie hatten, ge¬ 
funden hat. Er findet in 7 Fällen Flexners Dysehteriebazillen bei 
Kindern, welche klinisch Symptome wie bei Enteritis follicularis hatten. 
Er scheint übrigens nicht Abführung von Kindern mit Gastroenteritis in 
grösserer Ausdehnung untersucht zu haben. 

Jehle und Chariton haben — ebenfalls in Wien — einige Kinder 
(sie sagen nicht wie viele) mit Cholerine untersucht; sie fanden nur in 
zwei Fällen, wo überdies keine besonderen Darmsymptome bestanden, 
Dysenteriebazillen. In einer späteren Arbeit gibt Jehle an, dass sporadische 
Fälle von Dysenterie bei Kindern nicht selten sind, aber bei Dyspepsie, 
Sommerdiarrhöe und Cholera infantum hat er die Bazillen niemals 
gefunden; auch hier wird nicht angegeben, wieviel Fälle er untersucht hat. 

Manicatide hat in Jassy und Umgegend 54 Fälle von Kinder- 
Cholerine untersucht; in 5 Fällen fand er Dysenteriebazillen, bei Kindern, 
die über ein Jahr alt waren; er meint konstatiert zu haben, dass Dysenterie¬ 
bazilleninfektion wenigstens in dieser Gegend keine Rolle als Ursache 
der Cholerine bei Kindern unter einem Jahre spielt. 

In Deutschland hat nur Rimpau 1 ) eine leidlich ausgedehnte Unter¬ 
suchung dieser Frage vorgenoramen. Ira Sommer 1910 untersuchte 
er die Abführung von 122 poliklinisch behandelten Kindern mit allen 
Arten von Darmstörungen: Dyspepsie, Diätfehler, akuter und chronischer 
Magen- und Darmkatarrh, klinische Dysenterie usw., nur in einem Falle 
findet er Flexners Dysenteriebazillen, in 9 Fällen paratyphusähnliche 
Bazillen und in den übrigen keine Bakterien von bekannter pathogener 
Bedeutung. 

Allein HennT)n in Frankreich scheint unter den europäischen Ver¬ 
fassern der einzige zu sein, welcher meint, dass den Dysenteriebazillen 
eine grössere Bedeutung als ätiologischer Faktor bei vielen Fällen von 
Kinder-Cholerine beigelegt werden muss. Er unterscheidet bei dieser 
Krankheit zwei Formen: eine spastische, welche nicht durch Tierorganismen 
verursacht ist, und eine andere, die durch Infektion mit Dysenterie¬ 
bazillen verursacht ist. In 10 Fällen findet er diese Bazillen; man be- 


1) Siehe jedoch später Gildemeisters und Baerthleins Untersuchungen, 
Seite 109. 


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CARL SONNE, 


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kommt aber keinen Eindruck von der Häufigkeit, mit welcher ein solcher 
Befund erwartet werden kann. 

Morgan in England und Bahr hier in Dänemark haben beide zahl¬ 
reiche Fälle von Kinder-Cholerine untersucht, ohne dass sie meinen, 
jemals Dysenteriebazillen gefunden zu haben. Die Untersuchungen dieser 
Verfasser haben indessen nicht besonders auf diese Bazillen, sondern eher 
auf bestimmte andere Bazillen gezielt; das spezielle Verfahren bei 
der Aufsuchung von Dysenteriebazillen, z. B. unter anderem Unter¬ 
suchung des Stuhls so schnell wie nur möglich nach Absetzen des¬ 
selben, ist dabei möglicherweise nicht immer zur vollen Anwendung ge¬ 
kommen. Aus der tabellarischen Uebersicht Morgans von den bakterio¬ 
logischen Eigenschaften einiger der gefundenen Bakterien geht übrigens 
hervor, dass einzelne der Bazillen sehr gut Dysenteriebazillen sein können; 
er ist bloss nicht imstande gewesen, zur Zeit eine bestimmte Entscheidung 
hierüber zu treffen. 

Wenn man in Betracht zieht, dass die Untersuchungen Rim paus 
nur poliklinisch behandelte Kinder betreffen und dass viele derselben 
augenscheinlich nicht als an Gastroenteritis Leidende aufgeführt werden 
konnten, so sieht man also, in welchem geringen Grade die Frage hier 
in Europa untersucht ist. Wenn auch einzelne europäische Verfasser 
(Leiner, Knöpfelmacher, Kruse) meinen, dass man bei der klinischen 
Enteritis follicularis der kleinen Kinder immer an die Möglichkeit einer 
Dysenteriebazilleninfektion denken muss, ist es doch augenscheinlich, z. B. 
bei Durchsicht der neuesten Hand- und Lehrbücher über Kinderkrank¬ 
heiten (Pfaundler und Schlossmann 1910, Feer 1912), wo gar nicht 
oder jedenfalls nur sehr im Vorbeigehen von der möglichen Ursache der 
Dysenteriebazilleninfektion für die Fälle von klinischer Kinder-Cholerine 
gesprochen wird, dass die meisten europäischen Kliniker im allgemeinen 
nicht glauben, dass mancher Fall von klinischer Kinder-Cholerine als ein 
atypischer Fall von Dysenterie aufzufassen ist. 

Dass die Bakteriologen aus dem Rockefellerschen Institute in so 
vielen Fällen Dysenteriebazillen gefunden haben, ist nach der Meinung 
Lentz’ ganz einfach darin zu suchen, dass es sich bei ihren Unter¬ 
suchungen gar nicht um gewöhnliche Fälle von Sommerdiarrhöe, sondern 
in Wirklichkeit um eine typische Dysenterie, welche eben bloss be¬ 
sonders ausgebreitet in Amerika zu sein scheint, gehandelt hat. Er be¬ 
merkt ausdrücklich, dass allgemeine Sommerdiarrhöe und Dysenterie bei 
Kindern von einander unterschieden werden müssen. Darüber sind wohl 
jetzt alle Verfasser übrigens einig, indem die Anschauung von Duval 
und Basset sich ja offenbar nicht hat behaupten können. Welche 
Schwierigkeit klinisch mit dieser Entscheidung verbunden ist, scheint in¬ 
dessen Lentz nicht recht eingesehen zu haben. Wenn er z. B. sagt, 
dass die amerikanischen Fälle von Cholerine mit Dysenteriebazillen auch 
klinisch als Dysenterie aufzufassen sind, weil die Patienten schleimige 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 81 


und in vereinzelten Fällen auch blutige Abführung hatten, so ist dies doch 
keineswegs anders, als was so überaus häufig bei der Krankheit, die all¬ 
gemein Kinder-Cholerine genannt wird, gefunden wird. 

Ob man klinisch gesehen einen sicheren Unterschied zwischen Gastro¬ 
enteritisfällen mit und ohne Dysenteriebazillen beobachten kann, muss 
als nicht entschieden dahingestellt bleiben. Die Beobachtungen, welche 
in dieser Hinsicht von verschiedenen Klinikern in Amerika eben im An¬ 
schluss an die ausgedehnten bakteriologischen Untersuchungen von 
Flexners Schülern gemacht worden sind, haben nämlich keinen solchen 
sicheren Unterschied zutage gebracht. Eramet Holt hat alle die Beob¬ 
achtungen in einer klinischen Uebersicht über die Fälle gesammelt; aus 
derselben geht hervor: 

Die Infektion wird sowohl bei „Brustkindern“ als bei Kindern, 
welche künstliche Ernährung bekommen haben, gesehen. Sie zeigt sich 
1. als oine akute primäre Infektion bei früher gesunden Kindern, 2. als 
eine subakute Infektion ohne frühere akute Symptome, 3. im Vereine 
mit anderen Krankheiten, Masern usw. und 4. oft als eine terminale In¬ 
fektion bei Kindern mit Marasmus oder bei schlecht ernährten Kindern. 

Sie kommt sowohl als eine milde, als eine schwere Infektion vor; 
entweder allein mit intestinalen Symptomen oder mit vorzüglich kon¬ 
stitutionellen Symptomen. 

Von 237 Fällen waren 91 mit schwerer Infektion und vielem Schleim 
und gewöhnlich mit Blut in der Abführung verbunden, 81 mit raässiger 
Infektion und vielem Schleim und oftmals Blut, 63 mit milder Infektion 
und selten mit Blut. Ab und zu etwas Fieber, in anderen Fällen nicht. 
Im ganzen fanden sich alle Grade der Abstufung zwischen der Stärke 
der Infektion und der Darmstörung: jedoch mit einer Ausnahme, der 
sogenannten Cholera infantum, der ernsten, akuten, intestinalen 
Intoxikation mit plötzlichem gewaltsamem Anfang, fortdauerndem Er¬ 
brechen, hohem Fieber, starker Prostration, frühzeitigem Kollaps und in 
der Regel schnellem Tod; hier wurden keine Dysenteriebazillen, vielleicht 
mit Ausnahme von einem Falle, gefunden. Bei chronischer Dyspepsie 
sind die Bakterien nicht gefunden, wenn auch Schleim vorhanden war. 
Die häufigste Form ist die akute, febrile, mit schleimiger, oft bluttingierter 
Abführung. 

Die Beobachtungen, die Knox über die Fälle von Duval und 
Basset aus dem Jahre 1902 und später Knox und Shorer, Hastings, 
Michael (Weawer und Tunnicliff) bei anderen Fällen machten, waren 
im wesentlichen dieselben. 

Dass eine Dysenteriebazilleninfektion bei Kindern leicht verlaufen 
kann, haben übrigens auch europäische Verfasser wie Deiner und Lentz 
selbst beobachtet. Lentz erwähnt z. B. Fälle, die er in Gemeinschaft 
mit Kantorowicz in Berlin untersucht hat, in welchen kaum einmal 
Schleim in der Abführung gefunden wurde. 

Zeitsehr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2. 


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CARL SONNE, 


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Mit welchem Rechte Lentz von diagnostischen Fehlern bei den 
amerikanischen Verfassern sprechen kann und wo er im ganzen meint, 
dass die Grenze zwischen Sommerdiarrhöe und Dysenterie bei Kindern auf 
Grundlage von den bis jetzt gemachten Beobachtungen gezogen werden 
kann, ist, wie das Obenstehende zeigt, nicht ganz deutlich. 

In betreff eines für Dysenterie recht charakteristischen Symptoms 
wie der Vermischung der Abführung mit Blut legt Flexner etwas Ge¬ 
wicht darauf, dass nur ein Drittel der Proben, in welchen Dysenterie¬ 
bazillen gefunden wurden, mehr oder weniger blutig waren; ja selbst in 
Abführung ohne Schleim sind gelegentlich Bazillen gefunden worden. 

Typische Dysenterieepidemien bei Kindern mit Bazillen sind in Europa 
mehrmals beschrieben; ausser von Deiner und Jehle sind solche u. a. 
von Lentz, Auche und Campana und jüngst von Bauer, Ellenbeck 
und Fromme beobachtet und beschrieben. 

Wie lange nach einem Anfall von Dysenterie ein Patient Dysenterie¬ 
bazillen auszuscheiden pflegt und dann für seine Umgebungen gefährlich sein 
kann, davon bekommt man bei den früher erwähnten Nachuntersuchungen 
bei der Fürther und bei der Hagenauer Epidemie einen Eindruck. 

Mayer nimmt hiernach eine Isolation der Patienten vor, bis sie sich 
bei einer häufig wiederholten Untersuchung der Fäkalien als bazillenfrei 
während 3 Monaten gezeigt haben; für Individuen, bei welchen Bazillen 
ohne vorausgehende Krankheit gefunden sind, fordert er Isolation, bis sie 
durch 4 Wochen bazillenfrei gewesen sind. Simon, welcher die Nach¬ 
untersuchungen bei der Hagenauer Epidemie vornahm, meint, dass jeder 
Dysenterierekonvaleszent zum mindesten einmal des Monats untersucht 
werden muss und erst als ungefährlich angesehen werden kann, wenn 
keine Bazillen dreimal hintereinander gefunden sind. Im Gegensatz zu 
Mayer meint er jedoch nicht, dass eine strenge Isolierung der Bazillen¬ 
träger notwendig ist; so meint er, dass Soldaten, welche Bazillenträger 
sind, wohl Dienst machen können, wenn sie unter guten hygienischen 
Verhältnissen in einer Kaserne sind, wogegen Dienst im Felde und in 
der Küche nicht erlaubt werden darf. 

Auch Boehncke empfiehlt, dass die Untersuchung von Dysenterie- 
rekonvaleszenten in Deutschland in derselben umfassenden und genauen 
Weise wie bei den Typhusrekonvaleszenten vor sich gehen muss. 

Eigene Untersuchungen. 

Wie es aus der an einer anderen Stelle veröffentlichten Abhandlung 
über die Bakteriologie der Bazillen hervorgehen wird, habe ich giftarme 
Dysenteriebazillen unter drei verschiedene Stämme gehörend gefunden. 
Unter die zwei ersten dieser Gruppe gehören nach aller Wahrscheinlich¬ 
keit alle früher als giftarrae Dysenteriebazillen sicher erkannte Bazillen 
(„Flexner“, „V“ und Strong), und die letzte umfasst Bazillen, welche 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 83 


früher nicht mit Sicherheit als Dysenteriebazillen erkannt worden sind, 
die man aber jetzt als solche betrachten muss. 

In ca. 2 Jahren habe ich alle an die Diagnosestation des Serum¬ 
institutes eingesandten Proben von Fäkalien systematisch auf Dysenterie¬ 
bazillen untersucht, ohne zu berücksichtigen, auf welche Krankheiten diese 
Proben sonst untersucht werden sollten (Typhus, Paratyphus, Dysenterie 
usw.); im ganzen ca. 1500 Proben ausser ca. 100 Urinproben. Dabei habe 
ich von April 1911 bis März 1913 die Bazillen an Proben von 69 ver¬ 
schiedenen Individuen isoliert; 18mal sind es Bazillen von Gruppe I, 
15 mal von Gruppe II und 36 mal von Gruppe III gewesen. 

Mit Ausnahme von einem Falle (zureisender Seemann) habe ich die 
Shiga-Kruscschen Dysenteriebazillen nicht gefunden.— ausserhalb der 
früher erwähnten Epidemie in Thisted 1911. Die Bazillen der drei 
Gruppen I, II, III gehen dann ausschliesslich Mannit-vergärende giftarme 
Dysenteriebazillen an. 

Es kann gleich gesagt werden, dass die Fälle sich nicht in grösseren 
Epidemien gruppieren, obwohl sich für einige der Fälle ein Zusammenhang 
konstatieren lässt, wie es später näher gezeigt werden soll Es ist so 
gut wie ausschliesslich von einem sporadischen Vorkommen die Rede, 
welches auch zum Teil daraus hervorgeht, dass die Fälle einigermassen 
gleichmässig über den ganzen Zeitraum zerstreut Vorkommen, wie nach¬ 
folgendes Schema zeigt. 



1911 

1912 

1913 

Erwachsene 

Kinder 

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a 

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V3 

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Marz. 

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April. 

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Mai. 

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— 


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Juni . 

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Juli. 

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August. 

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Dezember .... 

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Dieses Schema sagt nichts von der Häufigkeit der Infektion hier im 
Lande zu den verschiedenen Zeiten, indem man durchaus nicht davon 
ausgehen kann, dass ich zu irgend einem Zeitpunkte geschweige in der 
ganzen Zeit die Abführung aller verdächtigen Patienten zur Untersuchung 
bekommen habe. 

Obwohl es ja bekannt ist, dass Dysenterie und ähnliche Infektionen 
am häufigsten im Herbst oder am Ende des Sommers Vorkommen, 

G* 


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84 


CARL SONNE, 


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und obwohl es auch hiermit in guter Uebereinstimmung ist, dass ich 
besonders in den Monaten August, September, Oktober viele Fälle ge¬ 
funden habe, hat doch der relativ grosse Fund von Bazillen in diesen 
Monaten seine Ursache auch darin, dass die ganze Shiga-KruS»e- 
Dysenterieepidemie in Thisted im Sommer 1911, von welchen die Zei¬ 
tungen so viele Berichte brachten, auftrat; die Leute rings im Lande 
wurden dabei aufgescheucht, und viele Fälle, die wohl sonst kaum be¬ 
achtet worden waren, kamen dabei zur Untersuchung. Die vielen Fälle 
im Spätsommer 1912 wurden wesentlich durch eine ausgedehnte Unter¬ 
suchung von Gastroenteritis bei kleinen Kindern verursacht. 

Uebrigens kommen auch Fälle über das ganze Jahr verstreut vor, ja 
selbst in den Wintermonaten habe ich vereinzelte angetroffen. 

Befand von Dysenteriebazillen bei darmgesnnden Menschen. 

Ich habe die Bazillen bei 3 Personen, von welchen mir nicht bekannt 
dass sie Dysenterie oder eine andere Form von Diarrhöe gehabt haben, 
gefunden; alle drei waren erwachsene Frauen. Doch lagen nur für 
eine derselben bestimmte Angaben von der Patientin selbst und von 
ihrem Arzte vor, dass sie solche Symptome nicht gehabt hat; es handelte 
sich hier um eine verheiratete Frau aus Thisted, deren Abführung 
immer natürlich, ohne Schleim oder Blut, war; dieselbe wurde mehr¬ 
mals untersucht, weil ihr Gatte, welcher Desinfektor war, und ihre drei 
Kinder während der Thisted-Epidemie Shiga-Kruse-Dysenterie hatten, 
während sie allein in der Familie nicht davon betroffen wurde. Bei der 
ersten Untersuchung am 9. Oktober 1911 wurden keine Dysenteriebazillen 
irgend einer Art gefunden; bei der zweiten Untersuchung am 17.Oktober 1911 
wurden zahlreiche Dysenteriebazillen von Gruppe I (keine Shiga-Kruse- 
Bazillen), und bei der dritten Untersuchung am 22. Oktober 1911 wieder 
keine Dysenteriebazillen irgend einer Art gefunden; ihre Abführung war 
immer natürlich und nicht häufiger als gewöhnlich (alle drei Tage) 
gewesen. 

Zwei Stämme rührten von Proben von Fäkalien her, die zur Unter¬ 
suchung von Typhusbazillen eingesandt waren. Das Individuum, von welchem 
ich den einen Stamm bekam, zeigte sich später bei wiederholten Unter¬ 
suchungen als Typhusbazillenträger, während Dysenteriebazillen niemals 
später wieder gefunden wurden; ob es möglich ist, dass sie ausser ihrer 
Typhusinfektion zugleich eine dysenterische Diarrhöe gehabt haben bann, 
wird man nimmer anamnestisch aufklären können. Ueber das zu dem 
anderen Stamm gehörige Individuum ist es mir nicht möglich gewesen, 
irgend welche Aufklärungen zu bekommen, auch für diesen Patienten 
liegt denn wohl die Möglichkeit eines Darmleidens vor. 

In der Tat ist es denn nur ein Individuum mit Dysenteriebazillen 
in der Abführung, für welches es mit einiger Sicherheit aufgeklärt ist, dass 
dasselbe kein akutes Darmleiden gehabt hat. Indessen erreicht dieser 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 85 

Befund doch erst eine vollständige Bedeutung durch einen Vergleich mit 
den in demselben Zeitraum untersuchten Proben von Fäkalien. 

In der Zeit vom September 1911 bis März 1913 — im ganzen 
19 Monate — habe ich 1515 Proben von Fäkalien untersucht. Zieht man 
hiervon einige Proben von Shiga-Kruseschen Dysenteriepatienten in 
Thisted ab, so bleiben 1482 Proben übrig, welche ich in diesem Zeitraum 
auf Dysenteriebazillen untersucht habe, ohne zu berücksichtigen, warum 
sie übrigens untersucht werden sollten. In 62 dieser Proben (von 
58 Patienten^ wurden Dysenteriebazillen gefunden, in 1420 keine. Wie 
viele dieser Proben von Individuen, die keine Symptome von Dysenterie 
gehabt haben, stammen, weiss ich nicht, aber die Zahl zeigt jedenfalls 
mit Sicherheit, dass Funde von Dysenteriebazillen im allgemeinen keines¬ 
wegs ein häufig vorkommendes Phänomen sind. 

Diese 1420 Proben lassen sich übrigens in der folgenden Weise näher 
verteilen (siehe die zwei folgenden Schemata): 48 sind Proben von den 
Individuen, bei welchen Dysenteriebazillen ein andermal gefunden sind, 
18 enthielten Blut (ab und zu auch Schleim), 37 waren mit Schleim ge¬ 
mengt (ohne Blut), und 141 rührten von Kindern mit Gastroenteritis (mit 
oder ohne Schleim und Blut her; werden diese 48-f-18-j-37-j-141 = 244 
von 1420 abgezogen, bekommt man 1176 Proben von Individuen, bei 
welchen einige Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass der bei weitem grössere 
Teil derselben keine dysenterischen Symptome gehabt hat. Diese 
Individuen sind teils verdächtige Typhus- oder Dysenteriebazillenträger, 
folglich in der Regel aus der Umgebung und den Verwandten von 
Typhus- oder Dysenteriepatienten, oder auch Typhusrekonvaleszenten 
gewesen. Nicht wenige der Proben stammen von denselben Individuen, 
im ganzen etwa ein Drittel der 1176, welche demnach von 800—900 ver¬ 
schiedenen Individuen herrühren. In 107 der 1176 Proben fanden sich 
Typhusbazillen und in 4 Paratyphusbazillen. 

99 mal habe ich Urinproben untersucht; ich habe 12 mal Typhus- 
bazillen, aber niemals Dysenteriebazillen gefunden. Indessen habe ich 
nicht selten im Urin Bazillen gefunden, welche in der ersten Zeit kaum 
von Dysenteriebazillen mit Rücksicht auf die kulturellen Verhältnisse 
unterschieden werden konnten, namentlich gaben sie nicht gleich Gas¬ 
entwickelung in Glukoseagar; die meisten haben indessen später nach 
Umsäen nach einiger Zeit Gasentwickelung gegeben und haben die 
Gelatine verflüssigt; agglutinatorisch haben sich keine derselben wie 
Dysenteriebazillen verhalten. 

Das Aussehen der Abführung mit und ohne Befund von Dysenteriebazillen. 

In den 1482 Abführungen, die in dem früher erwähnten Zeitraum 
auf Dysenteriebazillen untersucht worden sind, sind Dysenteriebazillen 
in 62 gefunden, und 48 mit negativem Resultat der Untersuchung rühren 
von denselben Individuen her, von welchen diese 62 stammen. 


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86 


CARL SONNE 


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a) 62 mit Dysenteriebazillen 

I b) 48 von denselben Individuen wie 
die 62 mit Dysenteriebazillen 
c) 1372 von Individuen, bei 
welchen keine Dysenterie¬ 
bazillen gefunden sind. 

Indem ich eine besondere Untersuchung bei Gastroenteritis kleiner 
Kinder in Kopenhagen vorgenoramen habe, und weil die Abführungen von 
denselben sehr schnell nach dem Stuhlgang zur Untersuchung gekommen 
sind und deshalb nicht so gut mit den anderen Proben verglichen werden 
können, lässt sich die Abführung in den Gruppen a), b) und c) nach 
folgendem Schema anordnen: 



Von Kindern in Kopenhagen unter 6 Jahr. 

Von Kindern mit Gastro¬ 
enteritis 

Von Kindern, 
die akute 

Diarrhöe nicht 
gehabt haben 

Blot mit oder ohne Blut 

°Ü”fR»i!l ra »it , ohne 1 
| Schleim j Schleim 


Von allen anderen als die 
unter die vorhergehenden 
Rubriken gehörigen 

Blut mit oder | ohne Blut 
ohne Schleim, 
und Filzes I 


mit ohne 

Schleim Schleim 


Gruppe a) 62 3 

n b) 48 0 

„ c) 1372 1 


23 

10 


4 

7 


0 

0 


87 | 53 j 125 


12 

1 

18 


12 

12 

37 


8 

18 

1051 


Nur eine der dysenteriebazillenfreien Abführungen von Kindern in 
Kopenhagen hat Blut enthalten; dagegen findet man zwischen den anderen 
Proben 19, welche mehr oder weniger mit Blut gemischt waren und doch 
keine Dysenteriebazillen enthielten. Hierbei muss bemerkt werden, dass 
es nicht sicher ist, ob die Patienten, von welchen die Proben stammen, 
dysenterieähnlicheSymptome oder überhaupt Zeichen einer akuten Infektions¬ 
krankheit gehabt haben. Die in dem Institut eingegangenen Mitteilungen 
bezüglich des Individuums berechtigen nicht immer zu einer solchen An¬ 
nahme. Indessen hat man doch wohl Grund zu vermuten, dass für die 
meisten dieser 19 Personen in der Tat die Rede von dysenterieähnlichen 
Symptomen gewesen ist. Dass ich in diesen Fällen Dysenteriebazillen 
nicht gefunden habe, ist nach meiner Annahme am ehesten durch die in 
der Regel langsame Versendung verursacht, während der die Bazillen 
entweder von Kolibazillen überwachsen werden können, oder, was vielleicht 
von noch grösserer Bedeutung ist, bei der bakteriziden Einwirkung des 
Blutes zu Grunde gegangen sein können; es sind nämlich sehr oft grosse 
Mengen von Blut, um die es sich handelt. Ich bin nun nicht imstande zu 
entscheiden, welche Abführungen beinahe ausschliesslich aus Blut be¬ 
standen haben bzw. mit wenig Schleim vermengt, und in welchen das 
Blut z. B. nur als Streifen und Flecke auf dem Schleim gewesen war; 
aber ich habe den bestimmten Eindruck, dass es am ehesten die sehr 
blutigen waren, in denen die Bazillen nicht gefunden werden konnten. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 87 


Ein einziges Mal ist es mir auch gelungen, die Dyscnteriebazillen in 
einer Abführung ohne Schleim und Blut zu finden, und zwar bei einem 
Patienten, wo ich 4 Tage früher in der stark blutigen Abführung die 
Bazillen nicht finden konnte. Soviel ich weiss, habe ich in anderen Fällen 
nicht Gelegenheit gehabt, die Untersuchung einer neuen Probe von 
Fäkalien von den Patienten, deren blutige Abführung bei der einmaligen 
Untersuchung ein negatives Resultat gegeben hat, zu wiederholen; bei 
zukünftigen Untersuchungen muss auf eine solche Wiederholung sicher 
grosses Gewicht gelegt werden. 

Dass der Patient kurz nach der ersten Untersuchung so gut wie voll¬ 
ständig gesund ist, und dass eine fortgesetzte Untersuchung nach der 
Meinung des Arztes nicht mehr notwendig ist — welche Antwort ich 
gelegentlich auf meine Bitte um eine neue Probe zur Untersuchung er¬ 
halten habe —, kann der Arzt nicht als einen hinreichenden Standpunkt 
wegen der eventuell fortdauernden Infektionsmöglichkeiten annehmen. 

Die Untersuchung der Abführung von Kindern unter 6 Jahren in 
Kopenhagen (eine Altersgrenze, die eigentlich ganz willkürlich ist, aber aus 
dem Grunde, weil 6 Jahre als das höchste Alter von Kindern, die auf 
Gastroenteritis untersucht wurden, angesetzt ist), wird später wegen der 
speziellen Untersuchung, die ich über das Verhältnis zwischen Gastro¬ 
enteritis und Dysenteriebazilleninfektion vorgenommen habe, erwähnt 
werden. 

Klinik. 

Einleitende Bemerkungen. 

Die Mitteilungen, die ich von den Symptomen, welche die Infektion 
begleitet haben bei den Individuen, bei welchen ich Dysenteriebazillen ge¬ 
funden habe, geben kann, machen keinen Anspruch darauf, erschöpfend 
zu sein; nur äusserst wenige der Patienten habe ich selber gesehen und 
bei keinem derselben habe ich die Gelegenheit gehabt, den Verlauf zu ver¬ 
folgen. Für einige habe ich die Krankenjournale durchgesehen, aber 
viele sind überhaupt nicht in einem Krankenhause oder in einem Hospital 
behandelt worden. Nur in einigen Hinsichten vermag ich daher Mitteilungen 
von einiger Bedeutung für die Klinik der Krankheit zu machen. 

Zuerst muss gesagt werden, dass sich kein entscheidender Unterschied 
zwischen der Art, der Stärke und der Dauer der Infektion wahrnehraen 
lässt, sei es, dass dieselbe von Bazillen der Gruppe I oder II oder IH ver¬ 
ursacht wird. Alle Bazillen können Infektionen mit typischen dysenterischen 
Symptomen geben, welche bald leicht, bald etwas schwerer verlaufen, 
bei einigen Patienten einen ausgesprochen akuten und bei anderen einen 
mehr chronischen Verlauf haben. 

In dem nachfolgenden Schema sind die Fälle teils nach der Art der 
infizierenden Bazillen und teils nach der Heftigkeit der Infektion ge¬ 
ordnet. Bei schweren Fällen werden solche mit starkem Allgemeinleiden 


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88 


CARL SONNE, 


(hohes Fieber, starke Intoxikation, Kollaps und ähnliches), bei leichten 
solche mit kurzdauernder Diarrhöe ohne Blut und ohne Allgemeinleiden 
und bei mittelschweren alle anderen Fälle verstanden. Mit „Kindern“ 
werden Individuen unter 10 Jahren gemeint. 



Ohne Angaben 

Schwere Fälle 

Mittelschwere 

Fälle 

Leichte Fälle 

Scheinbar keine 
Krankheit 

Total 

Gruppe 

1 

. 11 Erwachsener 
A \0 Kinder 

. / 0 Erwachsene 
\ 4 Kinder 

. 9 / 5 Erwachsene 
1Z \ 7 Kinder 

0 

. /1 Erwachsener 
A \0 Kinder 

.q/ 7 Erwachsene 
Aö \ll Kinder 

Gruppe 

11 

9 / 2 Erwachsene 
0 Kinder 

of 2 Erwachsene 
ö \ 1 Kind 

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5 Kinder 

0 

0 

. A 9 Erwacbsem 
AO l 6 Kinder 

Gruppe 

III 

r f 1 Erwachsener 
4 Kinder 

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13 Kinder 

9 / 0 Erwachsene 
M 2 Kinder 

0 

o/»/ lOErwachsen 
26Kinder 

Total 

<,/ 4 Erwachsene 
8 U Kinder 

1ß /4 Erwachsene 
10 \ 12 Kinder 

17 Erwachsene 
^\25Kinder 

9 / 0 Erwachsene 
\2 Kinder 

. / I Erwachsener 
A \0 Kinder 

a A 26Erwachscn 
43 Kinder 


Nur viermal ist ein tödlicher Ausgang eingetreten, also in ca. 
6 pCt. der Fälle. Alle vier waren Kinder unter 13 Monaten; eins war 
mit einem Bazillus der Gruppe I und drei mit Bazillen der Gruppe III 
infiziert. 

Am häufigsten ist eine Infektion mit Bazillen der Gruppe III, näm¬ 
lich ein wenig häufiger als mit den beiden anderen Gruppen zusammen¬ 
gerechnet gefunden. 

43 mal hat es sich um Kinder unter 10 Jahren, 26mal um ältere 
Individuen, soweit man aufklären konnte, alle über 20 Jahre alt, ge¬ 
handelt. 

In dem Folgenden werden meine Wahrnehmungen über die Klinik 
der Dysenteriebazilleninfektion, ohne zu berücksichtigen, von welcher 
Bazillengruppe die Infektion verursacht wird, mitgeteilt werden. 

Die 69 Individuen mit Dysenteriebazillen in der Abführung teile 
ich in zwei Gruppen: eine Gruppe B, die Kinder in Kopenhagen mit 
der klinischen Diagnose Gastroenteritis und eine Gruppe A, die alle 
anderen Fälle einschliesst. 

Gruppe A. 

Diese Gruppe umfasst 45 Individuen. Unter denselben finden sich 
vereinzelte, von welchen keine oder jedenfalls nur äusserst sparsame 
Angaben vorliegen. Dies gilt von den früher erwähnten zwei Indi¬ 
viduen, deren Fäkalien zur Untersuchung auf Typhusbazillen eingesandt 
waren, und von welchen keine Angaben, ob dysenterische oder ähnliche 
Symptome vorhanden gewesen sind, vorliegen, weiter den einen Fall 
aus Thisted, in welchem es als sicher angegeben wird, dass keine Krank¬ 
heit im Anschluss an den Befund von Dysenteriebazillen vorhanden ge¬ 
wesen war. Von allen den anderen 42 Individuen liegen hinreichende 
Kriterien dafür vor, dass sie eine akute oder chronische Diarrhöe haben 
oder gehabt haben. 


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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 89 


Wie bekannt, rechnet man zu den dysenterischen Symptomen: Tenes- 
mus und blutige, schleimige Diarrhöe. 

In wie vielen Fällen unter den 42 Tenesmi vorhanden gewesen 
sind, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die Diagnose: 
„Dysenterie“ oder der Fall als mit „dysenterischen Symptomen 
verlaufend“, findet sich jedenfalls in 16Fällen von dem Arzte 
angegeben, könnte aber sicher in noch zahlreicheren angegeben werden. 

ln allen 42 Fällen bestand eine Diarrhöe und es ist ange¬ 
geben, dass dieselbe jedenfalls bei 36 mit Schleim gemengt war. 
In 6 Fällen liegen dafür keine Angaben vor, in keinem ‘Falle ist es 
angegeben, dass die Abführung nicht mit Schleim gemengt war. 
Uebrigens ist eine geringe Beimischung von Schleim in der Abführung 
ja ein Phänomen, welches leicht der Aufmerksamkeit entgehen kann. 

Eine grössere Aufmerksamkeit wird dagegen die Beimischung mit 
Bluterregen und in 37 Fällen ist dann auch „blutige Abführung“ 
konstatiert (für drei Fälle ist die Angabe hierüber jedoch nur in der 
Form einer Mitteilung von „dysenterischen Symptomen“ gegeben). In 
4 Fällen ist nichts von einer blutigen Abführung erwähnt, aber nur 
in einem einzigen Falle (Kind, zwei Jahre alt), meint man 
dieses mit Bestimmtheit nicht bemerkt zu haben. 

In ca. 90 pCt. dieser Fälle mit Dysenteriebazilleninfektion 
ist dann von blutig schleimigen Diarrhöen die Rede gewesen. 

Bei der Untersuchung war die Abführung unter den 42 Fällen nur 
13mal, also in etwas mehr als 30 pCt., blutig. 

Dass eine Dysenteriebazilleninfektion im grossen und ganzen in einer 
so grossen Prozentzahl der Fälle (ungefähr 90) blutige Diarrhöe geben 
sollte, kann man selbstverständlich nicht hieraus schliessen; man muss ja 
wohl daran erinnern, dass diese Gruppe der Fälle eben solche umfasst, 
welche klinisch mehr oder weniger Aehnlichkeit mit Dysenterie haben und 
gerade aus diesem Grunde in der Regel wegen der blutigen Diarrhöe zur 
Untersuchung kamen. Bei der Erwähnung von dem Resultate der Unter¬ 
suchung der Gastroenteritiden bei kleinen Kindern wird sich Gelegenheit 
zu weitergehender Diskussion über diese Verhältnisse geben. 

Eine Statistik über die Anfangsweise und die Gegenwart von 
Fieber, Unwohlsein, Unklarheit, Schmerzen und ähnlichen 
Symptomen kann nicht gebracht werden, dafür ist der Verlauf der 
Krankheit in der Regel zu leicht gewesen, sodass der Arzt den Patienten 
oft nur einmal oder ab und zu erst nach der Kulmination der Krankheit 
gesehen hat. Im allgemeinen kann nun folgendes gesagt werden: 

In der Regel setzt die Krankheit plötzlich mit Unwohlsein, leichtem 
Fieber und mehr oder weniger starker Diarrhöe ein; oft ist diese 
letztere gleich sehr stark mit Blut vermischt, ab und zu geschieht dieses 
erst nach einiger Zeit. Nur selten geht dem eigentlichen Anfall von 


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90 CA KL SONNE, 

Diarrhöe eine kürzere Periode mit allgemeinem Unwohlsein voraus oder 
wie in einem Falle mit Fieber, Dedolationen und Obstipation 6 Tage vor 
dem Anfall von blutiger Diarrhöe. In der Regel scheinen solche Pro¬ 
dromalsymptome nicht vorhanden zu sein. Das Fieber scheint selten 
bedeutend gewesen zu sein; nur ein paar Mal ist es stark gewesen, ein¬ 
mal bis auf 40° steigend; in der Regel schwindet es nach ein oder zwei 
Tagen. Oft bessert sich der Patient schnell, in einigen Tagen verliert die 
Abführung die Vermischung mit Blut und der Patient scheint hiermit bei¬ 
nahe wieder vollständig gesund zu sein; ab und zu ist jedoch schlei¬ 
mige oder dünne Abführung während längerer Zeit oder eine ziemlich 
langwierige Rekonvaleszenz wahrgenoramen. In nicht ganz wenigen 
Fällen ist der Verlauf ziemlich heftig und schwer gewesen und dieses 
sowohl bei Erwachsenen als bei Kindern; nur einmal, bei einem neu¬ 
geborenen Kinde, trat der Tod ein. 

Einmal ist es bei einem erwachsenen Patienten angegeben, dass der 
Anfall von Albuminurie begleitet gewesen ist; wie häufig dieses Phänomen, 
ist, kann übrigens nicht aus diesen Krankengeschichten gefolgert werden. 

Komplikationen anderer Art scheinen nicht beobachtet zu sein. In 
zahlreichen Fällen ist oder wird augenscheinlich von einem chronischen 
oder chronisch rezidivierenden Verlauf die Rede. 

Unter 38 Fällen, von welchen Angaben in betreff dieses Punktes vor¬ 
liegen, finden sich 7, welche zu dem Zeitpunkte, in welchem die Ab¬ 
führung zur Untersuchung kommt und den Befund von Dysenteriebazillen 
gibt, als mehr oder weniger chronisch oder als Rezidive angesehen 
werden müssen, indem die 7 Patienten seit längerer Zeit (zwei oder 
mehrere Monate) dysenterische Symptome gehabt haben. In keinem dieser 
Fälle ist davon die Rede, dass der Patient seit dem Anfang der Krank¬ 
heit ohne Unterbrechung akut leidend^ gewesen ist. Der Patient hat sich 
scheinbar von dem ersten akuten Anfall erholt, aber nachher sind mit 
Zwischenräumen neue gekommen, oder die Abführung im ganzen genommen 
niemals recht natürlich, in der Regel mit Schleim und ab und zu auch 
mit Blut vermischt gewesen. 

Von diesen sieben liegen folgende Mitteilungen vor: 

Nr. 1 hat dysenterische Symptome in den letzten zwei Monaten auf 
einer Reise als Matrose von Südamerika bis nach Helsingör gehabt; 
wahrscheinlich hat er in der meisten Zeit seine Arbeit leisten können; 
nach und nach haben drei andere Matrosen auf dem Schiffe ähnliche 
Symptome bekommen, und bei einem derselben finden sich auch bei der 
Ankunft in Dänemark Dysenteriebazillen. 

Nr. 2 ist ein Fall mit Diarrhöe, Fieber und Schmerzen im Unter¬ 
leibe, der Patient soll in Canada vor 5 Jahren „Typhus“ gehabt haben; 
ob eigentliche dysenterische Symptome vorhanden gewesen sind, ist nicht 
aufgeklärt, aber die Wahrscheinlichkeit spricht doch dafür, dass hier ein 
chronischer Fall vorliegt. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 91 


Nr. 3 ist ein erstmaliges Rezidiv, nachdem der Patient (\ l / 2 Jahre 
altes Kind) ein paar Monate früher einen akuten Anfall mit blutiger Diar¬ 
rhöe und einer ziemlich langwierigen Rekonvaleszenz gehabt hat. 

Nr. 4 und 5 (Erwachsene) sind beides Fälle, in denen 3—4 Monate 
früher akute dysenterische Anfälle auftraten, und in welchen später zu 
keinem Zeitpunkte von einer vollständigen Genesung die Rede war, zu 
Zeiten ist die Abführung nur schwach mit Schleim vermischt gewesen; 
sonst aber ungefähr natürlich, zu anderen Zeiten mehr wie eine gewöhn¬ 
liche Diarrhöe und wieder zu anderen Zeiten mehr oder weniger mit Blut 
vermischt wie bei dem ersten Anfälle. 

Etwas Aehnliches gilt für die zwei letzten Fällen 6 und 7; bei den¬ 
selben scheint die Krankheit noch länger gedauert zu haben und die Ab¬ 
führung zu Zeiten beinahe natürlich und die Krankheit übrigens somit 
der ähnlich gewesen zu sein, welche „chronische Kolitis“ genannt wird. 
Bei beiden ist gelegentlich in der Abführung Blut vorhanden gewesen; die 
Abführung der beiden Patienten ist mehrmals untersucht worden; dessen 
ungeachtet sind bei jedem derselben nur einmal Dysenteriebazillen gefun¬ 
den; .bei den meisten Untersuchungen ist die Abführung auch beinahe 
vollkommen natürlich gewesen. 

Von den verschiedenen Aerzten habe ich versucht Aufklärung über 
die Gesundheit der Patienten nach einiger Zeit zu erlangen. In vielen 
Fällen ist es indessen für den Arzt unmöglich gewesen, die Patienten 
wieder aufzufinden, und übrigens werden ja die Erkundigungen, die auf 
diese Weise durch die eigenen Beobachtungen der Patienten eingesammelt 
werden können, immer ziemlich mangelhaft sein. 

In 16 Fällen, in welchen es sich, als ich die Bazillen fand, schein¬ 
bar um einen akuten ersten Anfall handelte, habe ich solche Mittei¬ 
lungen bekommen, ln 13 Fällen soll 7 bis 14 Monate nach dem ersten 
Anfalle kein neuer Anfall von Diarrhöe aufgetreten sein; in drei Fällen 
scheint ein Rezidiv eingetreten zu sein; in dem einen Falle war es 
typisch mit schleimiger und blutiger Diarrhöe ca. 2 Monate nach dem 
Anfang des ersten Anfalles; in den zwei anderen war es nur eine 
einfache Diarrhöe gewesen, das eine Mal nach 12 Monaten, das andere 
Mal nach 7 Monaten; diese letztere war zugleich von Fieber begleitet. 

Während keines dieser eventuellen Rezidive ist eine bakteriologische 
Untersuchung vorgenommen; sie können daher nicht sicher als von der 
Dysenteriebazilleninfektion veranlasst angesehen werden. 

Einen zahlenmässigen Ausdruck von der Häufigkeit der Dysenterie¬ 
bazilleninfektion mit chronischem Verlauf können meine Untersuchungen 
nicht geben; sie deuten aber doch, wie gesagt, darauf hin, dass ein 
solcher Verlauf nicht so ganz besonders selten ist und zeigen, dass 
derselbe verhältnismässig mild ohne grössere Schäden für den Patienten 
sein kann. Dass dieselben für die Umgebung so viel gefährlicher sein 
können, wird in der Besprechung der Epidemiologie näher diskutiert werden. 


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92 


CARL SONNE 


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Gruppe B. 

Diese Gruppe schliesst 27 Kinder in Kopenhagen mit der klinischen 
Diagnose „Gastroenteritis 4 * ein. Die Besprechung dieser Fälle geschieht 
am besten, indem ich die vorgenommenen Untersuchungen der Fälle von 
Gastroenteritis bei Kindern gesammelt beschreibe. 

Einleitende Bemerkungen. 

Es ist nur ein geringer Teil von allen Kindern in Kopenhagen, die 
in den letzten 2 bis 3 Jahren an dieser Krankheit, die ich untersucht 
habe, gelitten haben. Erstens sind es nur Fälle aus dem Kinderhospital 
„Königin Louise 44 und aus der Kinderabteilung des Reichs- 
Hospitals nebst vereinzelten aus der Abteilung VIII des Kommune¬ 
hospitals und aus der Poliklinik Kopenhagens, welche untersucht 
sind, und zweitens fangen die Untersuchungen im Jahre 1911 erst spät 
an, so dass nur 39 Fälle in diesem Jahre untersucht sind; im Jahre 
1912 bis März 1913 sind 105 Fälle untersucht, also im ganzen 144 Fälle. 

Ausserdem habe ich die Abführung von 123 Kindern, 
welche keine akute Diarrhöe gehabt haben sollen, untersucht. 
Wie früher erwähnt (s. S. 86), fanden sich bei diesen Kindern keine 
Dysenteriebazillen. Sie waren alle Patienten auf dem Kinderhospital und 
auf der Kinderabteilung des Reichs-Hospitals. 35 der Kinder lagen mit 
der Diagnose Dyspepsia chronica, 14 hatten Atrophie, 5 Pyelitis, 5 La- 
bium leporinum, 5 Tuberculosis pulmonum, 7 Pneumonie, 4 Tetanie, 
4 Rachitis, 3 Hernia, 4 Bronchitis und die übrigen verschiedene Dia¬ 
gnosen wie Fraktur, Otitis, Meningitis, Ekzem usw. 

Unter den 144 Kindern mit Gastroenteritis fanden sich 
27 mit Dysenteriebazillen in der Abführung, nämlich 4 im Jahre 
1911, 23 im Jahre 1912 und 1913; 19 sind noch nicht 1 Jahr alt, 8 
zwischen 1 und 6 Jahren. 

Der klinische Verlauf von Fällen von Gastroenteritis mit 
Dysenteriebazillen. 

Dieser Verlauf scheint nicht anders zu sein, als es zu jeder Zeit 
hier bei uns bei Fällen von Gastroenteritis beobachtet ist. Von zwei — 
beide aus der Poliklinik, wo sie sich nur einmal vorgestellt haben — 
habe ich keine Nachricht bekommen können; beide Fälle sind augen¬ 
scheinlich sehr leicht verlaufen; für die übrigen kann folgendes gesagt 
werden: 

Nur in einem Falle ist der Verlauf äusserst mild gewesen, indem 
nur ein paar Tage schleimige Abführungen, aber kein Fieber oder andere 
Zeichen von allgemeinem Unwohlsein auftraten. Es handelte sich um 
ein 10 Monate altes Kind, welches sich nach einer Pneumonie beinahe 
erholt hatte, als es infiziert wurde. Hätte das Kind nicht zufällig auf dem 
Hospital gelegen, wäre die Darmkrankheit vielleicht kaum entdeckt worden. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 93 


In allen anderen Fällen handelt es sich um eine länger 
dauernde Krankheit; nur in vereinzelten Fällen wird der Patient in 
8 bis 14 Tagen gesund, in der Regel vergehen ein oder zwei Monate, wenn 
der Fall dann nicht nach und nach einen chronischen Charakter an¬ 
nimmt, bevor die Abführung natürlich und frei von Schleim ist. 

Bisweilen ist der Anfang ein plötzlicher mit häufigen schleimigen 
oder wasserdünnen Abführungen; aber oft scheint der Anfall weniger 
heftig angefangen zu haben und dann entweder nach einigen Tagen 
heftiger geworden zu sein, oder am häufigsten sich mit fortdauernder 
dünner schleimiger, bisweilen blutiger Abführung in mässiger Stärke ge¬ 
halten zu haben, unter welchem Zustande das Kind doch oft nach und 
nach sohwächer wird. In vielen Fällen ist kurze oder längere Zeit 
Fieber beobachtet und in einigen Fällen eine mehr oder weniger starke 
Intoxikation; diese letzte scheint jedoch keineswegs etwas für 
dieseFälle besonders Charakteristisches zu sein; in den meisten 
Fällen ist in den Journalen nichts von der Gegenwart einer Intoxi¬ 
kation angegeben. Bisweilen tritt Kollaps und in 3 Fällen (ca. 10 pCt.) 
der Tod ein, dieser letztere kann auch während einer grösseren Tempe¬ 
ratursteigerung auftreten, wie in einem Falle, wo die Temperatur unmittel¬ 
bar vor dem Tode bis zu 40,9° steigt. Alle die 3 Toten waren Kinder 
unter 1 Jahre. 

Was das Aussehen der Abführung betrifft, so ist dasselbe 
in allen Fällen, in welchen Angaben hierüber überhaupt vorliegen, 
schleimig gewesen. Grösseres Interesse haben selbstverständlich 
die Angaben über die Vermischung mit Blut. Von zwei Fällen 
liegen überhaupt keine Angaben vor. Unter den übrigen 25 Fällen ist 
bei 19 (ca. 75 pCt. der Fälle) blutige Abführung sicher konstatiert. 
Nur für einen Fall (den früher erwähnten, leicht verlaufenen Fall) steht 
in dem Journal ausdrücklich angegeben, dass Blut in der Abführung 
nicht beobachtet ist; in den anderen 5 Fällen ist dieses nicht speziell 
notiert. Weil weiter die wenigsten Fälle während der ganzen Zeit unter 
ärztlicher Beobachtung gewesen sind, liegt in der Tat die Möglichkeit für 
eine noch grössere Häufigkeit vor. Die Vermischung mit Blut scheint 
in diesen Fällen bei Kindern in der Regel einen anderen Charakter, als 
man es am häufigsten bei der Dysenteriebazilleninfektion bei Erwachsenen 
findet, zu haben. Es scheint nämlich für die Kinder kaum in einem 
einzigen Falle die Rede von profusen Blutungen, wie man es oft bei 
Erwachsenen sieht, gewesen zu sein. Ara häufigsten ist es nur eine mehr 
oder weniger starke Bluttingierung des Schleimes, bisweilen entweder 
mehrere Tage fortdauernd, oder mit Zwischenräumen wiederkehrend, 
oder auch vereinzelte Male nur an einem Tage, vielleicht nur bei einer 
einzigen Abführung, beobachtet. 

In einem noch höheren Grade als für die unter Gruppe A be¬ 
schriebenen Patienten scheint bei diesen Kindern von einem chro- 


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94 


CARL SONNE 


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nischen oder subchronischen Verlauf die Rede zu sein oder zu 
werden. 

4 Fälle hatten eine Dauer von 3 Monaten bis zu iy 2 Jahre, als 
Dysenteriebazillen gefunden wurden, und mehrere andere scheinen auch 
einen etwas langwierigen, jedenfalls subakuten Verlauf gehabt zu haben. 

Bei so vielen (16), wie ich aufspüren konnte, habe ich mich nach einiger 
Zeit nach dem späteren Befinden erkundigt. Bei 5 Patienten zeigten 
sich später ähnliche, meist aber leichter verlaufende Anfälle als im An¬ 
fang; der eine hat nach der Entlassung aus dem Krankenhause mehr¬ 
mals dünnschleimigen Stuhlgang gehabt, sonst aber gedieh er gut; der 
andere hat oft später eine „lose“ Abführung gehabt; der 'dritte und 
vierte wurden beide einen Monat nach dem Aufenthalt im Hospital wieder 
mit schleimigem Stuhlgang bzw. blutiger, schleimiger Diarrhöe aufge¬ 
nommen, und endlich der fünfte hat mehrmals Diarrhöeanfälle, einmal 
auch mit blutiger Abführung gehabt. Bei den anderen 11 Patienten 
konnten keine späteren Diarrhöeanfälle festgestellt werden. Einer war 
kurz nach der Entlassung aus dem Hospital an Pneumonie gestorben. 
In den meisten Fällen ist jedoch die Zeit nach der Entlassung aus dem 
Krankenhause nur sehr kurz gewesen (die kürzeste 2 Monate), so dass 
ein noch späteres Rezidiv wohl nicht ausgeschlossen ist. 

Wie für die Gruppe A ist es auch hier nicht möglich, einen zahlen- 
raässigen Ausdruck für die Neigung der Infektion, chronisch oder rezi¬ 
divierend zu werden, zu geben. Um eine sichere Bestimmung hierüber 
zu ermöglichen, müsste man eine systematisch wiederholte Untersuchung 
der Abführung von allen Patienten während einer langen Zeit und 
Gelegenheit zu einer fortdauernden effektiven Beobachtung fordern. Be¬ 
sonders mit Rücksicht auf die Epidemiologie hat das hier Gesagte wohl 
etwas Interesse. 

Fälle von Gastroenteritis ohne Dysenteriebazillen. 

Wie erwähnt, habe ich die Abführung von 144 Kindern von Gastro¬ 
enteritis untersucht und in 27 Fällen Dysenteriebazillen gefunden. Der 
Anfall bei den 27 Kindern scheint, wie aus dem Obenstehenden hervor¬ 
geht, nicht von den gewöhnlichen, wohlbekannten Formen von Cholerine 
abzuweichen. Um dies näher zu untersuchen, habe ieh ausser den 
Krankengeschichten von den 27 positiven auch solche von 62 negativen 
Fällen untersucht. 

Erstens lässt es sich leicht konstatieren, dass bei diesen Gastro¬ 
enteritiden der Verlauf keineswegs weniger heftig gewesen ist als 
in den Fällen, bei welchen Dysenteriebazillen gefunden wurden. Unter 
diesen 62 ohne Dysenteriebazillen finden sich 11 mit tödlichem Aus¬ 
gange (etwa 18 pCt. gegen 10 pCt. für die 27 positiven). Vier sind 
jedoch nach Komplikation mit Bronchopneumonie gestorben. Wenigstens 
22, unter welchen die meisten von den Gestorbenen waren, sind mehr 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 95 


oder weniger stark, oft sehr stark intoxiziert gewesen; in wenigstens 
8 Fällen (3 gestorbenen) ist Albuminurie und in mehreren Fällen 
Fieber zu konstatieren gewesen; ausserdem trat in 6 Fällen 
(4 gestorbenen) blutiges Erbrechen auf, welches Symptom kaum 
einmal bei den Patienten mit Dyscntcriebazillen beobach¬ 
tet ist. 

Auffällig häufig scheinen bei den 62 Fällen solche mit einem 
plötzlichen, gewaltsamen Anfang und spritzenden, wasser¬ 
dünnen Entleerungen, welche erst später oft eine mehr schleimige 
Konsistenz bekommen, zu sein. Weil die anamnestischen Angaben 
mit Rücksicht hierauf natürlich oft sehr mangelhaft sind, habe ich 
keinen Versuch gemacht, eine zahlenmässige Abrechnung hiervon zu er¬ 
langen, sondern begnüge mich damit, die Vermutung auszusprechen, 
dass die Gastroenteritiden mit Dysenteriebazillen in der Regel einen weniger 
gewaltsamen Anfang mit nachfolgender allmählicher Verschlimmerung, 
also einen mehr subakuten Verlauf, welcher sich auch in einer Tendenz 
zu langsamerer Genesung zeigt, aufweisen werden. Alles in allem lässt 
sich doch kaum bei diesen angeführten Symptomen ein charakteristischer 
Unterschied konstatieren. 

In der Vermengung des Stuhles mit Blut, gerade also bei 
dem für Dysenterie am meisten charakteristischen Symptom, lässt sich 
dagegen anscheinend ein ausgesprochener Unterschied zwischen den 
62 Fällen ohne Dysenteriebazillen und den 27 mit Dysenteriebazillen 
zeigen. 

Unter den 62 Fällen finden sich nur 9, bei denen Blut im 
Stuhlgang zu konstatieren ist. Von einem derselben meine ich 
a priori abzusehen berechtigt zu sein. Es handelt sich um einen 
Patienten, bei dem in den Tagen, an welchen schwache frische Blut¬ 
spuren in dem Stuhl auftraten, eine Fissura ani konstatiert wurde. Es 
gehen demnach 8 von den 61 ab. Demnach wurde blutige Ab¬ 
führung in etwa 13 pCt. beobachtet, während bei den 27 mit 
Dysenteriebazillen mit Sicherheit in 75 pCt. der Fälle Blut 
und nur in einem Falle mit Bestimmtheit kein Blut gefunden 
wurde. Der Unterschied ist hier so beträchtlich, dass dies Resultat als 
normal und nicht als ein zufälliges anzusehen ist. 

Es wird darum von grossem Interesse sein, die Krankengeschichten 
dieser 8 Patienten mit blutiger Entleerung, aber ohne Dysenteriebazillen 
zu vernehmen. Es ist daran zu erinnern, dass eine nur einmal vor- 
genomraene Untersuchung der Fäkalien ohne Auffindung dieser Bazillen 
nicht mit absoluter Sicherheit eine Dysenteriebazilleninfektion ausschliesst, 
auch wenn die Untersuchung in einem akuten Krankheitsstadium vor¬ 
genommen worden ist, und dass die Untersuchung in einem so späten 
Stadium vorgenoraraen sein kann, dass man die Bazillen dann nicht 
mehr findet. 


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Aus dem Kinderhospital der Königin Luise. 

1. Povl M., 9 Monate alt, aufgenommen am 28. 8. 1911. Krank im letzten Monat 
vor der Aufnahme, hat namentlich in der letzten Woche zuvor dünne, schleimige, 
stinkende Abführungen gehabt. Fieber iu den ersten 4—5 Tagen nach der Aufnahme. 
Im Urin Albumen. Am 29. u. 30. 8. fand sich etwas blutiger Schleim im Stuhl, später 
nicht mehr; der Stuhl wird dann im Verlauf einiger Wochen natürlich. 8. 9. Stuhl 
etwas schleimig, dunkelgrün; keine Dysenteriebazillen. 

Aus der Kinderabteilung des Reichshospitals. 

2. Britta C., 2 Jahro alt, aufgenommen am 31. 7. 1912. 8 Tage vor der Auf¬ 
nahme plötzlich krank, mit dünnem, schleimigem, später auch blutigem Stuhlgang; 
Unterleibsschmerzen vor der Abführung. Fieber in den ersten Tagen mit Temperatur 
bis 40,5. Kein Blut im Stuhl während des Aufenthalts im Hospital, wo Wohlbefinden 
und natürlicher Stuhl schnell wieder eintritt. 5. 8. Stuhl geformt, recht natürlich, nur 
mit wenig klarem Schleim; keine Dysenteriebazillen. 

3. Anna Ketty J., 2 Monale alt, aufgenommen am 19. 8. 1912. Die Verdauung 
ist niemals recht in Ordnung gewesen. Jetzige Krankheit fing plötzlich mit spritzender 
Abführung und Erbrechen an; Intoxikation. 20. 8. 2 grüne, schleimige Abführungen 
mit wenig Blutfarbe. Später wurde kein Blut beobachtet, Stuhl lange Zeit schleimig. 
Dünne grüne Abführungen ohne Blut und mit zweifelhaften Schleimpartikeln; ohne 
Dysenteriebazillen. 

4. Egan Harry E., 4 Monate alt, aufgenommen am 16. 9. 1912. l l / 2 Monat 
vor der Aufnahme fing die Krankheit mit dünnem und schleimigem Stuhl an, in 
den letzten 3 Tagen Erbrechen und zunehmende Schwäche. Die Abführung in 
den ersten Tagen nach der Aufnahme dünnschleimig mit frischem Blut. Hiernach 
gleichmässige Erholung. — 16.9. Stuhl grüngelb, mit wenigem bluttingierten 
Schleim, ohne Dysenteriebazillen. — 17. 9. Abführung mit wesentlich gelbem 
Schleim, ohno Dysenteriebazillen. 

5. Ungetaufter Knabe, 2 Monate alt, aufgenommen am 27. 9. 1912. Krank in 
den letzten 2 Monaten vor der Aufnahme, mit häufigen, grünen, schleimigen, in kleinen 
Portionen geteilten Abführungen. — Vom 29. 9. bis 4. 10. ab und zu wenig frisches 
Blut im Stuhl. — 27. 9. Im Stuhl wesentlich gelber Schleim, ohne Dysenteriebazillen. 
— 26. 11. Stuhl natürlich, ohne Dysenteriebazillen. 

6. Kaj L., 2 Monate alt, aufgenommen am 19. 10. 1912. Die Krankheit fing 
2 Tage vor der Aufnahme mit dünnen, grünen, schleimigen Abführungen an. Am 
Tage der Aufnahme, an welchem die Blutuntersuchung stattfand, wurde die Abführung 
ausdrücklich als natürlich bezeichnet. Am nächsten Tage wieder dünner schleimiger 
Stuhl und am 18. 10. eine Abführung mit einem frischen Blutpartikel. Bei der 
Aufnahme leichte Intoxikation, erholt sich schnell, bekommt aber am 21. 10. einen 
Rückfall mit Somnolenz und Intoxikation, nach welchem er sich nach einigen Tagen 
wieder erholt. Später kein Blut im Stuhl. — 14. 10. Abführung (wie am Tage der 
Aufnahme) natürlich, ohne Schleim und Blut, keine Dysenteriebazillen. 

7. Borge J., 2 Monate alt, aufgenommen am 18. 10. 1912. 14 Tage vor der Auf¬ 
nahme fing die Krankheit an. Hat grüne, häufige, schleimige, faulige Abführungen. 
Starke Intoxikation, Urin mit starker Albumenreaktion. Gestorben am 20. 10. Einige 
Tage vor dem Tode treten Blutpartikelchen im Stuhl auf, was früher 
nicht der Fall gewesen sein soll, gleichzeitig trat blutiges Erbrechen und 
sickernde Blutung aus der Nase ein. — 19. 10. Abführung mit wesentlich 
grünem Schleim, ohne Dysenteriebazillen. 

8. Svend J., 1 Monat alt, aufgenommen am 23. 11. 1912. Die Krankheit fing 
14 Tage vor der Aufnahme mit häufigen schleimigen Stühlen an, einmal mit Blut- 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 97 

streifen. Die Entleerungen waren in den ersten Tagen int Hospital etwas breiig, 
aber während der ganzen Zeit ohne Schleim. — oü. 11. Stuhl natürlich, ohne Schleim 
und Blut, keine Dysenteriebazillen. 

Wie aus den Krankengeschichten hervorgeht, sind die Patienten der 
Fälle 1, 2 und 8 in sichtlicher Besserung gewesen, als die Untersuchung 
der Fäkalien vorgenomrnen wurde, und dieselbe wurde erst etwa 8 bis 
14 Tage nach dem Auftreten des Blutes im Stuhl vorgenommen. Dem 
Resultate der so spät in der Krankheit erfolgten Untersuchung 
kann keine Bedeutung beigelegt werden als Beweis dafür, dass 
diese 3 Fälle % nicht in einer Dyscntericbazilleninfektion be¬ 
gründet sind. 

Dasselbe gilt zum Teil von der Untersuchung des Falles G, 
bei dem dieselbe an einem Tage vorgenommen wurde, wo die Abführung 
vollständig natürlich war; so auch vom Falle 5, wo die Abführung erst 
einige Tage nachher blutig wurde, während der Patient in den Monaten 
vorher grünen schleimigen Stuhl, also eine entsprechende subakute Krank¬ 
heit, gehabt hat, wie so viele von denen, bei welchen Dysenteriebazillen 
gefunden wurden. 

Im Falle 3 steht die Abführung „mit Blutfarbe u bezeichnet. 
Ob hiermit Blut gemeint wurde, ist wohl nicht sicher; ich habe aber 
doch nicht unterlassen wollen, diesen Fall mitzunehmen. Die Blutfarbe 
wurde eben an dem Tage gefunden, an welchem die Untersuchung vor¬ 
genommen wurde. In der untersuchten Probe sah ich kein Blut und 
nur zweifelhaften Schleim. 

Ebenso ist es zweifelhaft, inwieweit es berechtigt ist, die blutigen 
Fäkalien des Falles 7 mit den anderen Fällen von blutiger Abführung 
bei den Gastroenteritiden zu vergleichen. Das Blut zeigt sich nämlich 
hier erst in der Zeit kurz vor dem Tode, gleichzeitig mit dem Aus¬ 
sickern des Blutes aus der Nase und aus dem Munde. Das Blut 
scheint hier eher durch die gewaltige Intoxikation veranlasst, 
als direkt eine Folge einer lokalisierten Darmentzündung 
zu sein. 

Es bleibt noch Fall 4, in welchem trotz Untersuchung an zwei auf¬ 
einander folgenden Tagen, am ersten Tag von bluttingiertem Schleim, 
am zweiten von Schleim ohne Blut, keine Dyscnteriebazillen gefunden 
wurden. Ob man hier bei fortgesetzter Untersuchung die Bazillen ge¬ 
funden hätte, ist wohl denkbar, aber vielleicht kaum wahrscheinlich. 

Dieser Fall ist aber dann der einzige mit typischer blutiger Ab¬ 
führung, von dem man mit einiger Bestimmtheit behaupten darf, dass 
die Krankheit nicht von einer Dysenteriebazilleninfektion veranlasst 
wurde. In den anderen Fällen ohne Dysenteriebazillen kann man wegen 
besonderer Umstände dem Resultat der Untersuchung keine entscheidende 
Bedeutung beilegen. 

Zeitschr. f. klin. Medizin. Kl. Bd. H. 1 u. 2. 7 


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CARL SONNE, 


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Es kann demnach wohl begründet sein anzunehmen, dass blutige 
Abführung bei der Gastroenteritis der kleinen Kinder ein 
Symptom ist, welches sich in der Regel nur findet, wenn die 
Krankheit durch eine Dysenteriebazilleninfektion verursacht ist. 


Das Verhältnis zwischen der Zahl der Fälle von Gastroenteritis 
hervorgerufen durch Dysenteriebazillen und durch andere 

Ursachen. 

Im Jahre 1912, als die meisten Untersuchungen von Gastroenteritiden 
vorgenommen wurden, traten in Kopenhagen nur wenige Fälle von 
Cholerine im Vergleich mit anderen Jahren auf. In den letzten 5 Jahren 
wurden folgende Zahlen gefunden: 1908 7841 Fälle, 1909 3897 Fälle, 
1910 6738 Fälle, 1911 6522 Fälle und 1912 4589 Fälle. In früheren 
Jahren, so in den Jahren 1880—90, war die Zahl mehrfach etwa 
zweimal so gross als die höchste derselben. Ungefähr 30 pCt. sind Kinder 
unter 1 Jahre und etwa ebenso viele Kinder von 1 bis 15 Jahren. 
Vornehmlich wird dann in etwa 50 pCt. der Fälle von Kindern in den 
hier untersuchten Altersklassen (0—6 Jahre) die Rede sein. Dass in 
jedem Jahre beinahe derselbe Prozentsatz der Fälle durch eine Dysenterie¬ 
bazilleninfektion verursacht sein sollte, ist wohl kaum anzunehmen. 
Während es auf der einen Seite als gegeben angesehen werden muss, 
dass in jedem Jahre ein Teil der Fälle von Cholerine durch eine 
Dysenteriebazilleninfektion verursacht ist, wegen der Ausbreitung, die 
diese Infektion bei uns und vorzüglich in vereinzelten Fällen ohne nach¬ 
weisbare gegenseitige Verbindung (siehe später) hat, ist cs doch auf der 
andern Seite wahrscheinlich, dass diese Infektion, die ja gelegentlich die 
Ursache grosser Epidemien sein kann, auch zeitweise eine grössere Rolle 
als Erreger der Cholerine als zu anderen Zeiten, ja vielleicht eine grössere 
als irgendeine, spielt. Wie sich dieses verhält, werden nur zukünftige 
Untersuchungen zeigen können. 


Wenn ich so möglichst genau berechnen soll, wie das Verhältnis 
ln den von mir untersuchten Fällen gewesen ist, muss ich die Gastro¬ 
enteritiden aus dem Jahre 1911, wo ich in einer kürzeren Periode nur 
,e schwersten Fälle zur Untersuchung bekam, und die Fälle aus der 
teilung VIII des Kommunehospitals im Jahre 1912, von welchen eben- 
^ s nur einige der schwersten, vorzugsweise solche mit blutiger Ab- 
p.. run g> zur Untersuchung kamen, ausscheiden. Dann haben wir die 
a ^ aus dem Kinderhospital und aus der Kinderabteilung des Reichs- 
°spitals von Juni bis Dezember 1912, in welchem Zeiträume ich alle 


Falle 
^ allen 


^eit 


10 it akuten Darmkrankheiten zur Untersuchung bekam, nebst den 
aus der Poliklinik Kopenhagens von einem allerdings kürzeren 
ra unie. Diese Fälle verteilen sich folgendermassen: 

2g -Finderhospital 27 Fälle, davon 7 mit Dysenteriebazillen, etwa 
Kinderabteilung des Reichshospitals 78 Fälle, davon 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 99 


10 mit Dysenteriebazillen, etwa 13 pCt.; Poliklinik 7 Fälle, davon 2 
mit Dysenteriebazillen, etwa 28 pCt. Alles in allem 112 Fälle, davon 
19 mit Dysenteriebazillen, etwa 17 pCt. 

In ungefähr 17 pCt. der während der Cholerine-Epidemie 
im Sommer und Spätsommer 1912 untersuchten 112 Fälle 
wurden also Dysenteriebazillen gefunden. Ob es richtig ist, 
hieraus zu schliessen, dass von den in diesem Jahre angemeldeten 
Oholerinefällen bei Kindern von 1 bis 6 Jahren (etwa 2200 Fälle) un¬ 
gefähr 1 / 6 durch Dysenteriebazillen verursacht sein sollten, ist wohl eine 
grosse Frage, aber vollständig unrichtig ist es vielleicht doch kaum. 
Jedenfalls muss man daran erinnern, dass, wenn auch die meisten von 
diesen 2200 Fällen leichte gewesen sind, es doch eine Tatsache ist, dass die 
Dysenteriebazilleninfektion auch bei kleinen Kindern ganz ausserordent¬ 
lich leicht verlaufen kann. Wie häufig solche leichten Fälle sein können, 
davon wciss man zwar noch nichts. Die früher erwähnten Untersuchungen 
von den Epidemien in Hagenau und Fürth könnten doch vielleicht darauf 
deuten, dass sie nicht ganz selten sind. 

Welche Rolle diese Infektion in den Jahren, in welchen wirklich 
von ernsten Cholerineepidemien die Rede ist, spielt, muss in der Zukunft 
entschieden werden. 

Epidemiologie. 

Ein Teil der 69 Fälle lässt sich in der Weise gruppieren, dass 
einige in kleinen Epidemien zusammengehören; als solche können auf¬ 
gestellt werden: 


1. In Svendborg 

2. „ Aarhus 

3. „ Horsens 

4. „ Helsingör 

5. „ Kopenhagen 

6. „ Skais (Kopenhagen) 

7. „ Hellerup 


September 1911 2 Fälle 

„ 1911 2 „ 

Oktober 1911 2 „ 

Juni 1912 2 „ 

Juli 1912 3 „ 

August (Oktober) 1912 2 „ 

Oktober (Dezember) 1912 2 „ 


Zwischen allen übrigen 59 Fällen lässt sich keineswegs eine Verbin¬ 
dung mit einander oder mit diesen 15 nachweisen. 

Im ganzen sind hier in Dänemark in dem Zeiträume April 1911 
bis April 1913 (24 Monaten) 61 Fälle mit Dysenbazilleninfektion 
(unter 69) ohne irgend eine wahrnehmbare Verbindung unter 
einander nachgewiesen worden. 

Nach den vorliegenden Auskünften scheinen jedoch ausser den er¬ 
wähnten 15 Fällen auch mehrere der anderen aus kleinen Epidemien 
hervorgegangen zu sein, aus welchen entweder nur vereinzelte zur Unter¬ 
suchung gekommen sind, oder die Untersuchung von einigen der Gesamt¬ 
zahl aus dem einen oder dem anderen Grunde — zu spät in der Krankheit, 


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langdauernder Transport der Abführung oder vielleicht zu blutige bakteri¬ 
zide Abführung usw. — keinen Nachweis von Dysenteriebazillen er¬ 
bracht hat. 

Als aus solchen kleinen Epidemien stammend können im ganzen 
folgende Fälle vermutet werden. 

1. Ein Fall in Aarhus. August 1911. Der zweijährige Sohn des Patienten be¬ 
kam einen Anfall von Diarrhöe ohne Schleim mit Blut nach kurzer Zeit. 

2 . Ein Fall in Bogense. August 1911. Pat., ein 4jähriges Kind, hat seit drei 
Jahren eine chronische Darmkrankheit gehabt. Der Vater hat seit 5. bis 6. Lebens¬ 
jahre zu wiederholten Malen ernste Magen- und Darmstörungen oft mit Diarrhöe und 
Schmerzen im Unterleibe gehabt. Eine Schwester, 12Jahre alt, hatte im 3.Lebens¬ 
jahre, eine „gastrische Krankheit“ mit Fieber und langwieriger Rekonvaleszenz; eine 
andere Sohwester, 7 Jahre alt, hatte ebenso im 3. Lebensjahre, eine langwierige 
Magen- und Darmkrankheit, nach welcher sie sich nur langsam erholte. 

3. Zwei Fälle in Aarhus. August 1911. Ausser der Mutter und einer Tochter 
ein zweites Kind, 2 Jahre alt, ähnliche Symptome. 

4 . Ein Fall in Frederikshavn. Septembar 1911. Der Prinzipal des Pat. und 
die Familie desselben bekam nach einigen Tagen ähnliche, wenn auch leichtere An¬ 
fälle. Im ganzen traten etliche Enteritisfälle in der Stadt in dieser Zeit auf. 

5 . Ein Fall in Aarhus. September 1911. Die zwei kleinen Kinder des Pat. 
(4 und \ l j 2 Jahre) hatten gleichzeitig ähnliche Symptome. 

6. 2 Fälle, Eheleute in Svendborg. September 1911, gleichzeitig krank. 

7. Ein Fall in Kopenhagen. September 1911. Kind, eins der Geschwister des 
Pat. soll an Cholerine gestorben sein. 

8. Ein Fall in Aarhus. September 1911. 2 erwachsene Töohter hatten gleich¬ 
zeitig ähnliche Symptome; später geschah das Gleiche mit ihrer Krankenpflegerin. 

9. 2 Fälle in Horsons. Oktober 1911. 2 Brüder, 5 und 2 Jahre alt, waren gleich¬ 
zeitig krank. 

10. Ein Fall in Aarhus. Oktober 1911. Die zehnjährige Tochter des Pat. hatte 
einmal blutige Abführung. 

11. Ein Fall in Odense. Dezember 1911. Gleichzeitig eine ausgedehnte Chole- 
rineepidemie in der Stadt. 

12 . Ein Fall in Odense. Dezember 1911. Kind. Eine ausgebreitete Cholerine- 
epidemie in der Stadt. Zwei ältere Geschwister hatten eine ähnliche Krankheit. 

13. Ein Fall in Herning. April 1912. Das vierjährige Kind des Pat. bekam 
3 Monate später Cholerine und blutige Abführung. 

14 . Ein Fall in Kopenhagen. Juni 1912. Kind. Ein Bruder soll ca. ein Jahr 
früher in ähnlicher Weise krank gewesen sein. 

15 . 2 Fälle in Helsingör. Juni 1912. 2 Matrosen; 2 andere Matrosen von dem¬ 
selben Schiffe hatten auch ungefähr gleichzeitig dysenterische Symptome. 

16 . 3 Fälle in Kopenhagen. Juli 1912. Die Patienten sind drei Kinder, die in 
dem Kinderhospital wegen anderer Krankheiten aufgenommen waren, und in der ersten 
Zeit keine Daimanomalien darboten. Sie lagen in derselben Stube und bekamen in 
einem kurzen Zwischenräume akute Diarrhöe; während derselben wurden Dysen¬ 
teriebazillen von demselben Typus bei allen dreien gefunden. 

17. Ein Fall in Charlottenlund. August 1912. Kind. In Charlottenlund waren 
gleichzeitig andere Fälle mit blutiger Diarrhöe. 

18 . Ein Fall in Kopenhagen. August 1912. Kind. Ein älterer Bruder hat mehr¬ 
mals Anfälle von schleimiger Diarrhöe gehabt. 

19. Ein Fall in Kopenhagen. August 1912. Kind. Ein Bruder und eine 
Schwester des Pat. hat vor kurzem blutige Diarrhöe gehabt. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 101 

20. Ein Fall in Kopenhagen. August 1912. Kind. Eins der Geschwister des 
Pat. soll früher an Cholerine gestorben sein. 

21. 2 Fälle in Skais (und Kopenhagen), August (und Oktober) 1912. Zwei er¬ 
wachsene Schwestern. Die eine hatte längere Zeit Symptome von chronischer Kolitis 
gehabt und während einiger Anfälle von Diarrhöe zugleich zu vereinzelten Malen 
Blut verloren; während eines solchen Anfalls besuchte sie die andere Schwester, 
welche hernach einen heftigen Anfall von Dysenterie bekam, während dessen die 
Dysenteriebazillen gefunden wurden (August 1912). Während eines neuen Anfalles 
bei der ersten Schwester wurden entsprechende Bazillen bei derselben im Oktober 1912 
gefunden. 

22. Ein Fall in Dragör. September 1912. Kind. Der Bruder des Pat. hat im 
letzten Jahre eine ohronische Kolitis nach einem akuten Anfalle gehabt. 

23. 2 Fälle in Hellerup. Oktober (und Dezember) 1912. Kinder. Beinahe 
gleichzeitig mit dem ersten Anfall der zwei Geschwister hatte ihre Mutter einen ganz 
ähnlichen Anfall. Der Vater hat seit vielen Jahren (zum mindesten acht) chronische 
Kolitis ab und zu mit Blut gehabt; blutige Diarrhöe zum leztenmal im September 1912. 
Eine Schwester des Vaters soll vor etwa zehn Jahren an „Dysenterie“ gestorben sein. 

24. Ein Fall in Kopenhagen. Oktober 1912. Kind. Ein Bruder hat chronischen 
Darmkatarrh. 

25. Ein Fall in Kopenhagen. November 1912. Kind. Die Schwester des Pat. 
bekam nach kurzer Zeit ähnliche Symptome. 

26. Ein Fall in Kopenhagen. Februar 1913. Kind. 3 der 10 Geschwister des 
Pat. sollen an „Magenkrankheit“ gestorben sein. 

27. Ein Fall in Kopenhagen. März 1913. Die Patientin ist Krankenpflegerin 
in der Kinderabteilung des Reichshospitals, wo Fälle mit Dysenteriebazilleninfektion 
oft beobachtet werden. 

Man könnte vielleicht denken, dass mehrere von diesen 27 kleinen 
Epidemien wirklich zusammengehören und nur als eine gerechnet wer¬ 
den sollten, indem sie gleichzeitige Fälle aus demselben Orte umfassen; 
so z. B. die Epidemien 1, 3, 5, 8 und 10, welche alle Fälle in Aarhus 
im Spätsommer umfassen und 11 und 12 aus Odense im Dezember 1911. 
Wenn es nicht so aufgeführt ist, so ist dies darin begründet, dass entweder 
die Aerzte der betreffenden Patienten ausdrücklich betont haben, dass 
man keinen Zusammenhang hätte nachweisen können, oder dass es sich 
um Infektion mit verschiedenen Dysenteriebazillen gehandelt hat. In 
Fall 11 aus Odense ist es ein Bazillus aus Gruppe II und in Fall 12 aus 
Gruppe III gewesen, in Fall 1, 3, 5 und 10 aus Aarhus ist es Gruppe III 
und in Fall 8 Gruppe I. Dass es sich in den Fällen aus der Epi¬ 
demie in Svendborg 6 bei Eheleuten um einen Bazillus der Gruppe II 
und I gehandelt, berechtigt nach meiner Meinung doch nicht mit Sicher¬ 
heit die Annahme, dass es sich um zwei verschiedene Infektionen 
gehandelt hat; vielleicht deutet dieser Fall eher darauf hin, dass die 
zwei Bazillengruppen I und II vielleicht in Wirklichkeit als eine einzige 
Gruppe gerechnet werden sollten. Weil ich dieses nicht mit Sicherheit 
entscheiden kann, müssen wir die Frage jedoch vorläufig dahingestellt 
sein lassen. 

Es kann selbstverständlich nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, 
dass in allen 27 beschriebenen Fällen von einer Uebertragung der Infektion 


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102 


CARL SONNE, 


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von anderen oder auf andere die Hede gewesen ist, aber wie die Kranken¬ 
geschichten dartun, besteht doch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit 
dafür, dass es sich in den meisten Fällen so verhielt. 

Niemals sind also grössere Epidemien aufgetreten. In 
35 Fällen von den 69 mit Dysenteriebazillen liegen keine An¬ 
gaben von einer möglichen Uebertragung der Infektion von 
anderen oder auf andere vor. Die meisten dieser 35 finden sich 
unter den Fällen von Gastroenteritis bei kleinen Kindern. 


Ein paarmal ist davon die Rede gewesen, dass die Infektion mög¬ 
licherweise durch Trinkwasser hervorgerufen worden ist. 

Das eine Mal war es in Odense, wo im Dezember 1911 eine be¬ 
deutende Cholerineepidemie in der Stadt herrschte. Nur fünf Abführungen 
kamen hiervon zur Untersuchung und nur in zwei wurden Dysentcrie- 
bazillen gefunden; aber wie erwähnt, waren es verschiedene Typen. Ob 
die Cholerineepidemie im grossen und ganzen wirklich von einer Dysen¬ 
teriebazilleninfektion veranlasst wurde, ist zwar sehr zweifelhaft. Die 
Fälle sollen einen sehr akuten Verlauf gehabt haben. Bei der Unter¬ 
suchung des Trinkwassers wurden keine Dysenteriebazillen 
gefunden. 

Das zweite Mal war es bei der Epidemie Nr. 15, wo vier Matrosen 
auf demselben Schiffe während einer Reise von Südamerika bis nach Hel¬ 
singör dysenterische Symptome bekamen. Zwei Matrosen waren seit 
der Abfahrt aus Amerika (Sta-Fe an der Mündung des La Plataflusses) 
krank gewesen, die zwei anderen waren kurz nach der Oeffnung eines 
Trinkwasserbehälters mit Wasser aus Sta-Fe krank geworden. Bei der 
Ankunft in Helsingör wurden bei der Untersuchung des Trink¬ 
wassers keine Dysenteriebazillen gefunden. Die Infektion kann 
ja auch von den zwei Erstangegriffenen herrühren, deren Darmsymptome 
sehr langdauernd und bei der Ankunft in Helsingör und bei der Abfahrt 
aus diesem Orte nach einigen Tagen noch vorhanden waren. 

In allen übrigen Fällen liegen keine ähnlichen Angaben von der 
supponierten Uebertragung der Infektion vor, dieselbe scheint also 
im allgemeinen eine einfache Kontaktinfektion von Individuum 
zu Individuum, direkt übertragen, gewesen zu sein. 

Die Häufigkeit und Ausbreitung der Dysenteriebazilleninfektiou. 

Die Fälle der Dysenteriebazilleninfektion sind ziemlich gleichmässig 
über einen Zeitraum von 2 Jahren verteilt, und über das ganze Land 
zerstreut gewesen. 

In 62 von den 69 Fällen war es nicht möglich einen Zusammenhang 
nach/.uweisen, und so gut wie in allen, vielleicht mit Ausnahme von 
3—4 derselben, findet sich auch nichts, das für einen solchen spricht. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysentcriebazilleninfekt. 103 


Hiernach kann kein Zweifel darüber bestehen, dass die 
Dysenteriebazilleninfektion ein ganz konstant vorkommendes 
Phänomen hier in Dänemark ist. 

Es muss als gegeben angesehen werden, dass die Infektion 
zugleich recht häufig ist. Wie häufig dieselbe normal vorkommt, 
darüber mit wahrscheinlicher Sicherheit eine Meinung auszusprechen, ist 
natürlich unmöglich; wenn man aber davon ausgeht, dass nur 15 pCt. 
der während der Cholerine-Epidemie in Kopenhagen 1913 — die ja ver¬ 
hältnismässig klein war — befallenen Kinder diese Infektion hatten, dann 
müssen etwa 300 kleine Kinder in Kopenhagen infiziert ge¬ 
wesen sein; und weil diese Krankheit ja keineswegs eine spezifische 
Kinderkrankheit ist und ebenso gut Erwachsene ergreift, worauf alles 
hindeutet, und wahrscheinlich eben diese in den meisten Fällen die 
Kinder infiziert haben, so muss man wohl annehmen, dass jedenfalls 
drei- bis viermal so viele Individuen in Kopenhagen im Laufe 
eines Jahres von dieser Infektion befallen werden. 

Dieses Resultat ist ja ein besonders überraschendes, und es wird 
darum notwendig sein, näher zu erörtern, wie dieses möglich sein kann, 
weil es ja doch als feststehend angesehen werden muss, dass die 
klinische Diagnose „Dysenterie“ keineswegs auch nur annähernd so 
häufig zur Anwendung wird kommen können. 

Es muss dann natürlich sein, die Erklärung in der grossen 
Neigung der Infektion, eine chronische, verhältnismässig leicht 
verlaufende Krankheit hervorzurufen, zu suchen. Wie früher 
beschrieben, kommt es oftmals vor, dass sich unter den Angehörigen 
des Infizierten Individuen finden, welche längere Zeit hindurch Symptome 
eines chronischen Darmleidens zeigten, indem sie ab und zu schleimige 
Diarrhöe, bisweilen vielleicht auch blutige Diarrhöe hatten. Weil es ver¬ 
einzelte Male gelungen ist, Dysenteriebazillen in der Abführung von 
anderen, ganz ähnlichen Patienten zu finden, ist die Vermutung wohl 
begründet, dass diese ersten Patienten mit einer Krankheit, 
die man allgemein „chronische Kolitis“ zu nennen pfegt, in 
Wirklichkeit auch die Ursache der Infektion ihrer Angehörigen 
gewesen sind. Mit Rücksicht hierauf sind namentlich die nachfolgenden 
drei Krankengeschichten illustrierend: 

1. Erik Andreas A., geb.5.5.1907, Bogense. Gesund bis zum Alter von D/g Jahren. 
Erkrankte dann plötzlich mit stinkender, schleimig-grünlicher Abführung, einige Male 
mit wenig Blut vermischt. Ist seitdem nicht ganz gesund gewesen, indem er in 
Zwischenräumen von etwa ein paar Monaten Anfälle von Fieber mit plötzlich oft sehr 
hoch steigender und langsam fallender Temperatur, sowie einige Male Kollaps bekam; 
Abführung während der Anfälle schleimig, grünlich und bisweilen blutig. 

21. 8. 1911. Probe der Fäkalien: Ein wenig schleimig, mit Dysenteriebazillen. 

23. 9. 11. Fäzesprobe: Breiig, nicht deutlich schleimig; ohne Dysenteriebazillen. 

10. 10. 11. Fäzesprobe: Sehr dünn, schleimig; ohne Dysenteriebazillen. 

17. 2. 1912. Fäzesprobe: Nicht deutlich schleimig; ohne Dysenteriebazillen. 


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104. 


CA KL SONN E, 


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12. 6. Fäzesprobe: Schleimig; ohne Dysenteriebazillen. 

Der Vater hatte, 5—6 Jahre alt, eine ernste Magen-Darmkrankheit, die mehrere 
Monate dauerte. Ist seitdem als Jüngling und Erwachsener, etwa 20 Jahre lang, mehr¬ 
mals in Behandlung wegen chronischer Darmkrankheiten, in der Kegel mit starken 
Schmerzen im Unterleib und häufigen dünnen und stinkenden Abführungen gewesen; es 
ist nicht beobachtet worden, ob dieselbe schleimig oder blutig gewesen ist. Wurde im 
Jahre 1909 appendektomiert; Appendix soll nach der Mitteilung des Arztes nicht weiter 
angegriffen gewesen sein. Hat seitdem keine Anfälle gehabt, muss aber noch immer 
Diät halten. 

Eine Schwester hatte im Jahre 1913, 3 Jahre alt, einen „gastrischen Anfall“ mit 
Fieber und langwieriger Rekonvaleszenz; eine andere Schwester hatte im Jahre 1907, 
3 Jahre alt, eine langwierige Magen- und Darmkrankheit, nach welcher sie sich nur 
langsam erholte. Die Mutter und zwei jüngere Geschwister scheinen ähnliche Symptome 
nicht gehabt zu haben. 

2. Jörgen v. E., 3 Jahre alt, Hellerup. Am 2. 10. 1912 plötzlich krank mit 
blutiger, schleimiger Abführung (6—7 mal des Tages), und mit starkem Tcnesmus. 
Temperatur 38,7. Puls klein, das Aussehen kollabiert. Diffuse Empfindlichkeit des 
ganzen Abdomen; allmähliche Besserung im Verlaufe von 4 Wochen; stand auf, 
Wohlbefinden 4—5 Wochen, dann Rezidiv und 5—6 Tage später Aufnahme in das 
Kinderhospital. Hier nach einigen Tagen Wohlbefinden. — Entlassen 4. Oktober. 
Fäzesprobe: Grüner Schleim und zahlreiche Dysenteriebazillen. 

Eine Schwester, 1 1 j 2 Jahre alt. wurde gleichzeitig mit ähnlichen Symptomen 
krank. Die Mutter bekam etwa 8 Tage nach der Krankheit des Sohnes Diarrhöe; in 
den ersten Tagen ohne besonderen Charakter, 2—3 Tage später mit Schleim und Blut. 
Ziemlich schnelle Erholung. Bei der Untersuchung ihrer Abführung, einige Tage 
nachdem die Blutung aufgehört hatte, fanden sich keine Dysenteriebazillen. 

Der Vater ist seit 1905 mit einer rezidivierenden chronischen Kolitis, ab und zu 
mit blutiger Abführung, behaftet. Er hatte ein Rezidiv im September 1912. Seine 
Abführung ist nur einmal (23. Oktober 1912) untersucht, keine Dysenteriebazillen, 
dann war dieselbe aber auch beinahe natürlich; er ist für den Gedanken, dass er der 
Infektionsträger sein sollte, sehr wenig zugänglich, und will von einer weiteren 
Untersuchung nichts hören. Soll wieder im Frühling 1913 Kezidiv gehabt haben. Eine 
Schwester des Vaters soll im Jahre 1902 oder 1903 an „Dysenterie“ gestorben sein. 

3. Fräulein H., 24 Jahre alt, Kopenhagen. Im Herbst 1911 plötzlich krank mit 
Schmerzen im Unterleib und dünner, heller Abführung ohne Schleim und Blut. War 
etwas febril. Wurde etwa einen Monat diätetisch behandelt; lag im Bett, fühlte sich 
hiernach immer schwach. Nach 3 Monaten erkrankte sie wieder unter ähnlichen Er¬ 
scheinungen ; war aber noch mehr angegriffen. Die Abführung enthielt dann mehrmals 
Schleim und Koagula; ab und zu Erbrechen; lag 3 Monate im Bett, war hierauf sehr 
müde und schwach. 4—5 Monate später (August 1912) erkrankte sie wieder unter 
schweren Symptomen. Drei Wochen lang Schleim und Blut in der Abführung. Be¬ 
suchte dann eine verheiratete Schwester und infizierte dieselbe. Seitdem hatte sie 
längere Zeit Schmerzen im Abdomen; die Abführungen waren dann ziemlich natürlich. 
— Ara 23. 9. 1912 wurde Pat. im Frederiksberg-Hospital aufgenommen. In der ersten 
Zeit klagte sie nur über leichte Schmerzen im Unterleib und Empfindlichkeit längs 
des Colon transvers. Nach 14 Tagen wurden die Schmerzen stärker und die Abführungen 
blutig und schleimig. Während dieses Anfalles wurden Dysenteriebazilion gefunden. 
Die Abführung besserte sich nach einigen Tagen, ist jedoch noch immer ab und zu 
schleimig, und die Schmerzen im Lnterleib dauern bis zur Entlassung am 21. 12. 1912 
fort. Pat. wird dann nach dem Kranken hause zu Helsingör überführt, wo sie eine 
Zeitlang sehr schwach und beinahe kollabiert ist; erholt sich aber, als sie auf reine 
Milchdiät, was früher nicht versucht worden ist, gesetzt wird. 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d.giftarmen Dysenteriebazillcninfekt. 105 

14.9.1912. Fäzesprobe: Normal, keine Dysentericbazillen. 

26. 9. Fäzesprobe: Normal, keine Dysenteriebazillen. 

10. 10. Fäzesprobe: Dünn mit bluttingiertemSchleim und vereinzelten Dysenterie¬ 
bazillen. 

7. 10. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen. 

14. 11. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen. 

5. 12. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen. 

6. 1. 1913. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen. 

19. 1. Fäzesprobe: Etwas schleimig, keine Dysenteriebazillen. 

Auf Anfrage (5. 8. 1913) befand sich Pat. später wohl und ohne grössere Anfälle 
von Diarrhöe und Schmerzen. Die Abführung ist jedoch ab und zu etwas dünn und 
bisweilen mit Schleim vermischt. 

Solche chronischen Kolitiden können oft verhältnismässig leicht ver¬ 
laufen, und sie stellen auch wahrscheinlich meistens gar keine Infektions¬ 
gefahr dar. Wie die oben stehenden Krankengeschichten zeigen, kann 
man jedenfalls die Abführung mehrmals untersuchen, ohne die Bazillen 
zu finden, und vielleicht findet man dieselben nur einmal unter 10 Fällen; 
am häufigsten dann, wenn der Patient einen mehr oder weniger heftigen 
Anfall von Diarrhöe gehabt hat. 

Ohne Zweifel würde man bei einer systematisch durch¬ 
geführten Untersuchung von Individuen mit einer sogenannten 
chronischen Kolitis finden, dass die Krankheit in einem Teil 
der Fälle durch eine Dysenteriebazilleninfektion verursacht ist; 
dass man keine Dysenteriebazillen bei nur wenigen Untersuchungen findet, 
besagt nichts. Man muss entweder durch Monate mi.t einem 
Zwischenräume von z. B. 8 Tagen zwischen den einzelnen Unter¬ 
suchungen, oder vorzugsweise im Beginn der akuten Exazer¬ 
bationen untersuchen. 

Dann und wann habe ich Fäzes von solchen Patienten zur Unter¬ 
suchung gehabt, es gelang aber selten, die Untersuchung so systematisch 
wie z. B. für Patient Nr. 3 durchzuführen.. Der Vater der in Fall 2 
erwähnten Kinder liess sich nur zu einer einmaligen Untersuchung seines 
Stuhles bewegen und zudem zu einem Zeitpunkte, wo er ziemlich natür¬ 
lich war. Oft muss man wohl auch sagen, dass es für einen Patienten 
etwas unangenehm sein kann, seine eventuelle chronische Dysenterie¬ 
bazilleninfektion konstatiert zu bekommen. 

Uebersicht und nähere Disknssion der Resultate der Untersuchung 
über die Epidemiologie und Klinik der Infektion. 

Als Resultat meiner Untersuchungen über die bazilläre Dysenterie¬ 
infektion geht vor allen Dingen hervor, dass dieselbe hier in Dänemark 
in dem Zeiträume von April 1911 bis April 1913 so häufig wie sonst 
niemals früher anderswo in Europa konstatiert wurde. Jeden¬ 
falls wenn man darauf Rücksicht nimmt, dass bei dieser Infektion in 
der erwähnten Zeit unter 69 Fällen 62 mal von Fällen die Rede gewesen 
ist, bei denen nichts auf einen gegenseitigen Zusammenhang deutet. 


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106 


CARL SONNE, 


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Grössere Epidemien kamen nicht vor; nur bei einem kleinen 
Teil der Fälle (27) ist es überhaupt möglich gewesen, Erkundigungen 
über ähnliche Symptome bei einigen Verwandten des Patienten einzu¬ 
ziehen. In den meisten Fällen (35) liegen überhaupt keine Mitteilungen 
hierüber trotz sorgfältiger Nachfrage vor. 

Es ist dann in ausgesprochenem Grade von einem spora¬ 
dischen Auftreten die Rede gewesen. Wenn auch einzelne Unter¬ 
sucher (Kruse, Lösener, Morgan), auf ihren Beobachtungen fussend, 
meinen, dass sporadisch vorkommende Dysenteriebazilleninfektion kaum 
so selten ist, wie gewöhnlich angenommen wird, so ist die Zahl der von 
ihnen gefundenen, hierher gehörigen Fälle, worauf sie ihre Vermutung 
stützen, so gering (S. 75), dass dieselbe keineswegs auch nur annähernd 
einer so grossen Häufigkeit, wie ich sie hier in Dänemark gefunden 
habe, Ausdruck gibt. 

Man muss sagen, dass die Umstände, unter welchen ich 
die Bazillen gefunden habe, derartig sind, dass in denselben 
kein Grund zu der Annahme vorliegt, die Infektion sei nur in 
diesen bestimmten 24 Monaten so häufig gewesen. 

Weil frühere Untersuchungen im übrigen Europa, bei denen es sich 
mehi oder weniger um typische Dysenterieepidemien handelt, wesentlich 
gesondert gemacht erscheinen, und weil in Europa früher kaum 
Untersuchungen von Fäkalien unter den gleichen von mir 
angewandten Umständen vorgenommen worden sind, kann denn 
auch nichts im Wege stehen zu behaupten, dass die Dysenteriebazillen¬ 
infektion, in Gestalt sporadischer Fälle, im grossen und ganzen 
auch ausserhalb Dänemarks in Europa ein viel häufiger vor¬ 
kommendes Phänomen ist, als man früher annahm. 


In betreff der Kindercholerine habe ich Dysenteriebazillen in einer 
so grossen Zahl von Fällen und in vereinzelten Fällen in einem so langen 
Zeiträume gefunden, dass man annehmen muss, die Infektion mit 
diesen Bazillen sei stets die Ursache vieler Krankheitsfälle 
dieser Art. Eine bloss annähernd so grosse Prozentzahl von Fällen 
als Flexner und seine Schüler sie für Anfälle von Kindercholerine in 
Amerika im Sommer 1903 fanden, habe ich während der Zeit meiner 
Untersuchungen hier in Dänemark nicht gefunden. Wie indessen die 
Zahl der Fälle von Kindercholerine von Jahr zu Jahr bedeutend variieren 
kann, so kann man sich auch sehr wohl denken, dass die unzweifelhaft 
sehr verschiedenen Ursachen der Krankheit zu verschiedenen Zeiten in 
gegenseitigem Häufigkeitsverhältnis variieren können. Hierauf deuten 
unter anderem auch andere amerikanische Untersuchungen, zu anderen 
Zeiten vorgenommen, aber mit einer viel geringeren Anzahl von Dys¬ 
enteriebazillenfunden. Möglicherweise wird man dafür in anderen Jahren 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d.giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 107 


z. ß. vielleicht während grösserer Cholerinecpidemien auch bei uns in 
einer viel grösseren Prozentzahl der Fälle die Bazillen finden können. 

Dem, speziell von Eramet Holt in Amerika, früher Angegebenen 
gemäss, sind auch die von mir gefundenen Fälle von Gastro¬ 
enteritis mit Dysenteriebazillen, von den Fällen von Cholerine, 
die man früher schon immer gekannt hat, klinisch nicht 
verschieden gewesen. Wie Holt habe auch ich alle Arten von 
Krankheitsfällen, von der ganz leichten schleimigen Diarrhöe mit kaum 
bemerkenswerten und kurzdauernden Anfällen bis zu den ganz schweren, 
mit tödlichem Ausgange, gefunden. Nicht selten sind die Patienten 
typisch intoxiziert gewesen, aber im allgemeinen muss doch gesagt werden, 
dass die schwerste Intoxikation am häufigsten bei den Fällen, 
die nicht von Dysenteriebazillen veranlasst werden, gefunden 
wird. Insofern als die Fälle von Cholerine, die sehr akut sind, mit 
fortgesetztem starken Erbrechen und oft auch mit sehr häufigen, wasser¬ 
ähnlichen Stühlen einhergehen, auch die, welche am ehesten Intoxikation 
geben, stimmt dies ebenfalls mit der Beobachtung von Holt überein, 
welche darauf hinausgeht, dass man bei diesen, in der Regel sehr akut 
und oft tödlich verlaufenden Fällen (Cholera infantum) keine Dysenterie¬ 
bazillen findet. 

Dieses scheint auch mit der Auffassung von Hennon übereinzustimmen, 
dessen „spastische“ Form von Gastroenteritis, welche im Gegensatz zu der 
„dysenterischen“, nicht von Mikroorganismen veranlasst sein sollte, nach 
der Beschreibung eben mit dieser Cholera infantum identisch zu sein scheint. 

Es ist jedoch nicht möglich gewesen, eine sichere Sonderung zwischen 
Cholerinefällen mit oder ohne Dysenteriebazilleninfektion allein mittelst 
der erwähnten Symptome zu treffen; hierfür sind zu zahlreiche Ueber- 
gangsformen vorhanden. In der Vermischung des Stuhles mit Blut 
meine ich dagegen ein Symptom von grösserer Bedeutung 
in dieser Hinsicht gefunden zu haben. Meine Untersuchungen 
deuten darauf hin, dass wahrscheinlich die meisten Fälle von 
Cholerine, in welchen hin und wieder während des Krank¬ 
heitsverlaufs Blut im Stuhl, selbst wenn auch nur die 
schwächste Bluttingierung, gefunden wird, von einer Dys¬ 
enteriebazilleninfektion veranlasst sind. Hiervon müssen jedoch 
die Fälle abgerechnet werden, in welchen wegen starker Intoxikation eine 
sickernde Blutung aus verschiedenen Schleimhäuten (Nase, Mund, Magen, 
Darm usw.) auftreten kann. Ein Symptom wie blutiges Erbrechen ist so 
keineswegs für die Dysenteriebazilleninfektion pathognomonisch. 

Hiermit ist indessen nicht gesagt, dass immer Blut im Stuhl 
bei den Cholerinefällen mit Dysenteriebazilleninfektion ge¬ 
funden wird; aber solche Fälle ohne Blut scheinen einen besonders 
milden Verlauf in kürzerer Zeit bei schleimiger Diarrhöe und ohne grössere 
Intoxikation zu haben. 


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CARL SONNE, 

Etwas begründet scheint auch die Vermutung, dass alle schwer 
verlaufenden Fälle, besonders solche mit mehr oder weniger 
heftigem, ab und zu blutigem Erbrechen und oft starker In¬ 
toxikation, in welchen auch niemals Blut in dem Stuhl kon¬ 
statiert wurde — wenn dieses nicht gerade als Symptom einer 
allgemeinen hämorrhagischen Diathese betrachtet werden 
muss —, nicht durch Dysenteriebazilleninfektion veranlasst 
werden und daher eine andere Ursache haben müssen. 

Obgleich diese Schlüsse, die auf meinem Material basieren, jeden¬ 
falls in einigen Punkten mit denen von Holt übereinstimmen, liegt doch 
bei dem amerikanischen Material ein Umstand vor, welcher bewirkt, dass 
das letztere nicht ganz und gar dasselbe zu zeigen scheint. 

Weder Holt noch Flexner und seine Schüler haben eine Berech¬ 
nung aufgestellt, wie viele Patienten mit Dysenteriebazillen während des 
Krankheitsverlaufs Blut oder Blutspuren im Stuhl zeigten, ebenso wenig 
als über die Zahl derer, welche Blut in der Abführung und keine Dysenterie¬ 
bazillen gehabt haben. Dagegen findet man eine Beschreibung von allen 
Fäzesproben, welche untersucht worden sind; diese benützt Flexner (wie 
Seite 82 erwähnt) wesentlich nur um festzustellen, dass man sehr wohl 
Dysenteriebazillen in einem Stuhl finden kann, der nicht Blut enthält; 
aber es geht auch hervor, dass in etlichen Abführungen mit 
Blut keine Dysenteriebazillen gefunden wurden. Von den An¬ 
gaben der verschiedenen Untersucher ausgehend habe ich eine Berech¬ 
nung dieser Verhältnisse vorgenomraen, und ich fand dann, dass sich in 
120 Fäzesproben mit Blut nur in 75 pCt. der Fälle Dysenteriebazillen 
fanden. Ob dieses Ergebnis mit den 25 pCt. blutigen Fäzesproben ohne 
Dysenteriebazillen, gegen das, was meine Untersuchungen zu zeigen 
scheinen, zu sprechen braucht, ist jedoch keineswegs sicher. Dass ein Teil 
der Untersucher nach den eigenen Mitteilungen Flexners unter recht 
schlechten Laboratoriumsverhältnissen arbeitete, so dass die Fäzesproben 
aus den Hospitälern oft ziemlich lange unterwegs waren, wobei die 
eventuellen Dysenteriebazillen vielleicht von Kolibazillen überwuchert 
wurden oder durch die bakterizide Einwirkung des Blutes zugrunde 
gingen, ist nicht der am nächsten liegende Grund für meine Annahme, 
obwohl dies doch vielleicht eine Rolle gespielt haben kann. Es ist 
vielmehr ein anderer Grund, der in diesem Falle nicht ausser Betracht 
zu lassen ist, dass nämlich diese amerikanischen Forscher nach 
allem, was entscheidend in Betracht kommt, die Bazillen der 
von mir aufgestelltcn Gruppe III nicht zu den Dysenterie¬ 
bazillen gerechnet haben. Denn cs geht aus einigen Beschreibungen 
der verschiedenen Bazillenfunde der Verfasser hervor, dass auch von 
einer Infektion mit diesen Bazillen die Rede gewesen sein kann. In 
mehreren Fällen wird angegeben, dass Bazillen gefunden worden sind, 
welche bekannten, giftarmen Dysenteriebazillen sehr ähnlich sind, wegen 



Original fro-m 

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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 109 


gewisser kultureller Abweichungen, welche ganz den von den Bazillen 
der Gruppe III gezeigten entsprechen, von den Verfassern aber an¬ 
scheinend nicht zu den Dysenteriebazillen gerechnet werden. Eine genauere 
Besprechung dieser Verhältnisse findet sich in der anderen publizierten 
Arbeit über die Bakteriologie der Bazillen. Es scheint mir also, dass 
in hohem Grade vermutet werden muss, dass diese amerika¬ 
nischen Dysenteriebazillenuntersuchungen der Abführung der 
Patienten mit Kindercholerine nicht erschöpfend gewesen sind. 
Dem Umstande, dass man in 25 pCt. der Fälle mit blutigem Stuhl 
keine Dyscnteriebazillen gefunden hat, darf man darum kaum einige Be¬ 
deutung als Argument gegen die Behauptung, dass Kindercholerine mit 
blutiger Abführung in der Regel durch Dysenteriebazilleninfektion ver¬ 
anlasst wird, beilegen. 

Dasselbe gilt für die Schlüsse des Klinikers Michael aus den Unter¬ 
suchungen von Weawer und Tunnicliff über Fälle von Gastroenteritis. 
Er resümiert, dass Fälle mit blutiger Abführung ohne Dysenteriebazillen 
gefunden werden können, aber alle die von Weawer und Tunicliff ge¬ 
fundenen Dysenteriebazillcn gehen auch mit Lackmusmolke eine Vergärung 
ein wie die Bazillen der Gruppe I und II, aber keine der Gruppe III. 

Vor kurzem erschien eine Arbeit von Gildemeister und Baerth- 
lein, welche zeigt, dass man jetzt auch in Deutschland daran zu denken 
beginnt, dass die Dysenteriebazilleninfektion bei der Kindercholerine eine 
Rolle spielen kann. Sie haben im Jahre 1912 die Abführung von 
70 darmkranken Kindern untersucht und die Bazillen in 9 Fällen ge¬ 
funden. Ausserdem fanden sie die Bazillen bei einem scheinbar ge¬ 
sunden Kinde unter 120 untersuchten. Es geht hervor, dass sie die 
Dysenteriebazillen vorzugsweise in blutiger Abführung gefunden haben; 
es hat jedoch auch vereinzelte blutige Stühle gegeben, in welchen Bazillen 
nicht gefunden wurden, weiter fanden sich 4 mal Paratyphus B-Bazillen 
und 1 mal Bac. entcrit. Gärtner. Zu diesem letzten Falle teilt Siegel 
mit, dass der Stuhl blutig war; ob möglicherweise die Stühle der 
4 Paratyphusfälle auch blutig waren, davon bekommt man nichts zu 
wissen. Jedenfalls hat es gewiss nur ganz wenige Fälle mit blutiger 
Abführung ohne Dysenteriebazillen gegeben. 2 der 9 Dysenteriebazillen 
wären von dem der Gruppe III entsprechenden Typus. Siegel, 
welcher den klinischen Verlauf von einem Teil der 70 untersuchten 
Fälle beschrieben hat, bemerkt, dass unter den 9 von ihm beob¬ 
achteten Fällen mit Dysenteriebazillen 8 mit blutiger Abführung waren, 
und mit Ausnahme des einen Falles mit Bac. enterit. Gärtner fand sich 
keine blutige Abführung bei 51 anderen untersuchten Fällen ohne Dys¬ 
enteriebazillen. 


ln betreff einer Abführung mit Beimengung frischen Blutes 
im allgemeinen, sowohl bei Erwachsenen als bei Kindern, berechtigt das 


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CARL SONNE, 


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Resultat meiner Untersuchungen mich selbstverständlich nicht dazu, etwas 
Bestimmtes von der Beziehung einer solchen blutigen Abführung zu der 
Dysenterieinfektion zu sagen, besonders wegen der Art meines Materials, 
welches ja von so vielen verschiedenen Patienten rings herum im Lande, 
von welchen die Auskünfte dazu recht oft sehr mangelhaft sind, her¬ 
rührt. Von den mit Blut vermischten Fäzesproben (s. Tabelle Seite 86), 
in welchen keine Dysenteriebazillen gefunden wurden, weiss ich in den 
meisten Fällen nicht einmal, ob sie nicht möglicherweise schliesslich von 
Patienten mit Darmtuberkulose, blutenden Darmtumoren, Hämorrhoiden 
oder dergleichen stammen. Jedenfalls sind alle diese Proben, mit Aus¬ 
nahme einer vereinzelten, ringsherum vom Lande zugesandt worden und 
dann längere Zeit unterwegs gewesen; dieses Umstandes wegen ist der 
negative Ausfall der Untersuchung weniger wertvoll. 

Weil indessen die blutige Abführung bei der Kindercholerine ent¬ 
schieden ein Symptom ist, welches auf Dysenteriebazilleninfektion schliessen 
lässt, und es sich gezeigt hat, dass diese Infektion eine verhältnismässig 
bedeutende Ausbreitung auch bei den Erwachsenen aufweist, bei welchen 
sie in vielen Fällen mit blutiger Abführung zusammen aufgetreten ist, 
wird es unzweifelhaft berechtigt sein, in allen Fällen mit mehr oder 
weniger blutigem Stuhl, wo keine anderen bestimmten Ur¬ 
sachen wie Typhus, Tuberkulose, Tumoren, Hämorrhoiden usw. 
nachgewiesen werden können, vor allen Dingen an eine Dys¬ 
enteriebazilleninfektion zu denken, besonders dann, wenn die 
Abführung zugleich schleimig ist. 

Dieses gilt nicht nur bei einer Blutung infolge akuten Darmleidens, 
sondern auch, was vielleicht von noch grösserer Bedeutung sein kann, 
bei chronisch verlaufenden Darmleiden. 


Meine Untersuchungen deuten im ganzen darauf hin, dass die Dys¬ 
enteriebazilleninfektion sehr oft einen ausgesprochen chroni¬ 
schen Verlauf nimmt und unzweifelhaft in der Form einer soge¬ 
nannten Kolitis verlaufen kann. Weil es überhaupt kaum möglich sein 
wird, die grosse Verbreitung der Infektion z. B. bei kleinen Kindern zu 
erklären, ohne die Vermutung, dass zahlreiche Menschen mit einer solchen 
Kolitis umhergehen, welche jedenfalls zeitweise eine infektionsgefährliche 
Abführung geben kann, wird es für die Aerzte die wichtigste Aufgabe 
sein, die Aufmerksamkeit des Kolitis-Patienten auf diese even¬ 
tuelle Ansteckungsgefahr für ihre Kinder und Verwandten hin¬ 
zuleiten, namentlich dann, wenn die Abführung ausser Schleim 
zugleich ab und zu Blut enthält. 


Wie es bereits von früheren Untersuchern nachgewiesen ist und wie es 
nun auch bei meinen Untersuchungen bestätigt ist, liegt eine Dysente¬ 
riebazilleninfektion sehr oft in Fällen vor, in welchen die kli- 



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Beobachtungen über Klinik u. Epidemiologie d. giftarmen Dysenteriebazilleninfekt. 111 


nische Diagnose Dysenterie nicht mit Recht angewendet wer¬ 
den kann. Dies gilt nicht nur für die mehr chronisch verlaufenden Formen, 
sondern auch für die akuten, in welchen die Infektion vielleicht nur bei 
vorübergehender, leicht schleimiger Diarrhöe sich zeigt. Man muss sich 
dann klar machen, dass eine Dysenteriebazilleninfektion keineswegs mit 
Dysenterie gleichwertig ist. Nur so wird der häufige Nachweis dieser In¬ 
fektion hier zu Lande verständlich. 

Weil die Infektion nach meinen Untersuchungen als eine so häufige 
angesehen werden muss, sind selbstverständlich die ausserordentlich ge¬ 
strengen Forderungen, welche z. B. von deutschen Verfassern (Mayer, 
Simon u. a.) wegen der Ansteckungsgefahr an Individuen mit Dysenterie¬ 
bazillen in der Abführung oder an Rekonvaleszenten nach der Infektion 
gestellt werden, ganz undurchführbar. Eine Isolierung von Rekonvales¬ 
zenten so lange vorzunehmen, dass dieselben sich bei einer oft wieder¬ 
holten Untersuchung drei Monate hindurch bazillenfrei gezeigt haben, wie 
Mayer es schon 1910 fordert, wird ja nicht möglich sein. Glück¬ 
licherweise ist ja solches auch nicht notwendig; algemeine Vorsicht 
und Reinlichkeit bei der Abführung wird hinreichend sein 
und strengere Verhaltungsmassregeln müssen allein für solche 
Fälle reserviert werden, welche Veranlassung zur Ausbreitung 
der Epidemie geben, und bei welchen man sonst nicht die 
Infektionsquelle beseitigen kann. 

Um eine Verwirrung zu vermeiden, dürfte es nach dem Obenstehen¬ 
den im höchsten Grade notwendig scheinen, andere Benennungen für 
diese Infektion als Dysenterie und Dysenteriebazillen anzuwenden. Die 
Gefahr, eine Terminologie zu ändern, ist in diesem Falle nicht so gross, 
weil doch ein bestimmter Name noch nicht angenommen ist. 

Pseudodysenterie (und Pseudodysenteriebazillen) scheinen mir 
nicht brauchbar, indem man sehr wohl auch klinische echte Dysenterie 
durch diese Infektion bedingt, antreffen kann. 

Dagegen scheinen mir die Namen Paradysenterie und Para- 
dysenteriebazillen viel eher in dieser Verbindung brauchbar, und zwar 
besonders weil bei dieser Infektion das Verhältnis zwischen dem Krank¬ 
heitsbilde und der wirklichen Dysenterie (Shiga-Kruse) in der Regel 
ganz dasselbe ist, wie zwischen Paratyphus und Typhus. Ebensowohl 
wie Paratyphus gelegentlich in schweren typhusähnlichen Fällen auftritt, 
so kann auch Paradysenterie mitunter ganz an Dysenterie erinnern, aber 
Paratyphus wie auch Paradysenterie sind in der Regel sehr viel milder 
verlaufende Infektionen als Typhus bzw. Dysenterie (Shiga-Kruse). 
Wenn wirklich bakteriologisch, klinisch und epidemiologisch ein charak¬ 
teristischer Unterschied zwischen den beiden dysenterieähnlichen Krank¬ 
heiten vorliegt, wäre es auch in Uebereinstimmung mit den gegenwärtigen 
Forderungen eine Krankheit nach ihrer Aetiologie zu benennen, passend, 


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112 CA KL SONNE, Beobachtungen über Dysenteriebazilleninfektion. 

diesem einen bestimmten Ausdruck in der Benennung der Krankheit zu 
geben. 

Dass Kruse und seine Schüler mit diesem Namen ganz andere, 
vielleicht gar nicht pathogene Bazillen gemeint haben, ein paar Jahre 
nachdem der Name vorgeschlagen worden ist (Park, Liefmann und 
Nieter u. a.), macht doch diesen Namen nicht weniger brauchbar, ebenso 
wie das—jedenfalls in klinischer Beziehung ganz unwesentliche — Ver¬ 
hältnis, dass Paratyphusbazillen in Glukosenährböden Gas produzieren, 
was bei Typhusbazillen dagegen nicht der Fall ist, während sowohl Dys¬ 
enteriebazillen (Shiga-Kruse) als auch Paradysenteriebazillen kein Gas 
entwickeln. 

In Fällen, wo Paradysenterie in grossen Epidemien auftritt, und 
wo der Nachweis der Infektionsquelle schwierig sein wird, lassen sich 
immer strenge Vorbeugungmasssregeln treffen, wie man es jetzt auf 
ähnliche Weise bei Paratyphusepidemien oder ähnlichen Infektionen tut. 

Literatur: Siehe Lentz, Handbuch der pathogenen Mikroorganis¬ 
men (Kolle und Wassermann). 1913. 



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VII. 


Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania 
(Prof. Dr. S. Torup). 

Kolorimetrisehe HarDsäurebestiimmmgen im Harn. 

Von 

H. F. Höst, Amanuensis. 

(Mit 1 Kurve im Text.) 


Die bisherigen, zur Bestimmung von Harnsäure angewandten Ver¬ 
fahren (Salkowski-Ludwig, Krüger-Schmidt, Hopkins usw.) be¬ 
anspruchen, wie bekannt, nicht geringe Zeit und Mühe. Bei der wachsenden 
Bedeutung, welche die quantitativen Harnsäurebestimmungen für Diagnose 
und Therapie erlangt haben, sind einfachere und schnellere Verfahren 
daher zur Notwendigkeit geworden. 

Im Jahre 1912 brachten Riegler 1 ) sowie Folin und Macallum 2 ) 
fast gleichzeitig zwei kolorimetrisehe Verfahren in die Oeffentlichkeit, die 
beide gleich einfach, leicht und schnell ausführbar sind. Falls sich diese 
ebenso zuverlässig und genau wie einfach erweisen, würden sie zweifels¬ 
ohne die Forderungen, die an eine gute klinische Methode zur Harnsäure¬ 
bestimmung zu stellen sind, erfüllt haben. Nun hat Riegler aber, 
soweit ersichtlich, sein Verfahren keiner eingehenderen Prüfung unter 
wechselnden Verhältnissen unterzogen, und Folin und Macallum haben 
das ihrige nur innerhalb enger Grenzen und an normalem Harn erprobt. 
Ich habe daher beide zum Gegenstand sorgfältigerer Prüfung gemacht, 
was ich im weiteren erläutern werde. 

Nachdem diese Arbeit im wesentlichen beendigt war, haben Auten- 
rieth und Funk 3 ) ein neues Verfahren veröffentlicht, das ebenfalls sehr 
brauchbar erscheint, wo ein Ergebnis aber erst am nächsten Tag vorliegt. 

Das Prinzip der Rieglerschen Methode beruht auf der blauen 
Farbe, die sich bildet, wenn Harnsäure mit Phosphormolybdänsäure und 
Dinatriumphosphat behandelt wird. Die Reaktion ist wohl der reduzierenden 
Kraft der Harnsäure zuzuschreiben. 

Neben der Harnsäure rufen auch die normal ira Harn auftretenden 
Phenole — die Mono- sowohl wie die Di- und Polyphenole —, sobald sie 

1) Zeitschr. f. analytische Chemie. Bd. 51. S. 466. 

2) Journ. of biolog. Chemistry. XII. 

3) Münchener med. Wochenschr. 1914. Nr. 9. 

Zeitschr. f. klin. Mediiin. 81. Bd. H. 1 u. 2. 3 


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114 H. F. HÖST, 

nach Riegler behandelt werden, blaue Farbstoffe hervor; dies ist jedoch 
nicht der Fall mit den Eiweissstoffen, den Kreatinen und mit Zucker, 
wenn nicht stärkeres Alkali, z. B. NaOH anstatt Dinatriumphosphat zur 
Anwendung kommt. 

Meine Untersuchungen haben zudem erwiesen, dass auch Lösungen 
von Glykokoll, Allantoin und Hippursäure, wenn nach Rieglers Methode 
behandelt, nicht reagieren. 

Bei Anwendung des Verfahrens wird zunächst die Farbenintensität 
bestimmt, die entsteht, wenn 1 ccm Harn unter Zusatz von 2 ccm 
lOproz. Phosphormolybdänsäurelösung und 7 ccm 5 proz. Dinatpum- 
phosphatlösung bis zum Kochpunkt erhitzt und darauf abgekühlt wird, 
indem Vergleiche angestellt werden mit der Farbflüssigkeit, die sich bei 
der Behandlung von 1 ccm 1 prom. Harnsäurelösung (= 1 mg Harnsäure) 
mit denselben Reagentien bildet. 

In einer anderen Probe des Harns wird sodann die Harnsäure durch 
Sättigung mit Ammoniumchlorid ausgefällt, und man bestimmt die Farbe, 
die in diesem nicht harnsäurehaltigen Teil des Harns entsteht. Dieser 
letztere Wert wird dann vom ersteren abgezogen, und das Ergebnis stellt 
die vorhandene Harnsäureraenge dar. 

Diese zweifachen Bestimmungen, zunächst im Harn, danach in dem 
von der Harnsäure befreiten Harn, müssen jedoch als nachteilig be¬ 
zeichnet werden, erstens weil es beschwerlich fällt, zweitens weil man 
vermittelst dieser zwei Bestimmungen leicht den Fehler noch verschlimmern 
kann, mit dem man stets bei kolorimetrischen Bestimmungen rechnen 
muss. Zudem zeigte es sich, dass die in der nicht harnsäurehaltigen 
Harnprobe entstehende Farbe so verschieden von derjenigen der Standard¬ 
lösung war, dass ein Vergleich sehr schwierig und das Ergebnis dem¬ 
gemäss unsicher wurde. 

Das Prinzip des Folin-Macallumschen Verfahrens beruht auf dei 
blauen Farbe, die entsteht, wenn zur Harnsäure eine Phosphorwolfrara- 
säure, deren Herstellungsweise die Verfasser näher beschreiben, zugefügt 
wird und danach eine gesättigte Lösung von Natr. carbonic. Die blaue 
Farbe ist sicher auch hier einer Reduktion zuzuschreiben. Den Verfassern 
zufolge kommt die blaue Farbe nicht zum Vorschein, wenn das Alkali nicht 
zuletzt hinzugefügt wird, woraus sie schliessen, dass Harnsäure in saurer 
Flüssigkeit eine Substanz bildet, die mit Alkali blauen Farbstoff ergibt. 

Meine Untersuchungen haben aber dargetan, dass sich die blaue 
Farbe zeigt, auch wenn das Alkali vor dem Reagens hinzugefügt wird, 
wenn dieselbe auch nicht ganz so kräftig ist, als wenn das Alkali zuletzt 
kommt; es mag dies daran liegen, dass ein Teil der Harnsäure durch 
das starke Alkali gespalten wird. 

Eiweissstoffe, Monophenole und Allantoin ergeben, wenn nach Folin 
behandelt, keine Färbung, ebenso reagieren, meinen Untersuchungen zu¬ 
folge, Hippursäure und Glykokoll nicht. 



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Kolorimetrische Harnsäurobestimmungen im Harn. 115 

Bei Anwendung des Verfahrens werden 2—5 ccm — „tlie amount 
depending upon the spec. gravity“ — nach Zusatz von 1 Tropfen ge¬ 
sättigter Oxalsäurelösung bis zur Trockenheit eingedämpft, nun extrahiert 
man mit Aetheralkohol, worauf das Residuum in Wasser, dem ein Tropfen 
konz. Sodalösung zugesetzt ist, aufgelöst wird; 2 ccm des Phosphor¬ 
wolframsäurereagens werden hinzugefügt sowie 20 ccm gesättigte Soda¬ 
lösung und die Farbe kommt zum Vorschein. 

Vergleiche zieht man mit einer Standardflüssigkeit, die durch die 
Behandlung von 1 mg Harnsäure mit den obigen Mengen des Phosplior- 
wolframsäurcreagens und Soda hergestellt wird. 

Beiden Farbflüssigkeiten wird, ehe ein Vergleich angestellt wird, 
Wasser bis zu 100 ccm aufgefüllt. 

Meine nach dieser Methode vorgenommenen Versuche erwiesen jedoch 
sofort, dass die Harnsäuremengen, wenn aufs Tausend berechnet, je 

***• 2 

wie<)ey*K >\ % 0 

JCavas - 
u re-. /, t 

U 

1 ,6 

V 
/,* 

/,3 
1,2 

V 





nach der angewandten Menge (2—5 ccm) des Harns schwankten. Um 
hier auf den Grund zu kommen, wurde daher die Methode zunächst ver¬ 
mittelst bestimmter Mengen Harnsäure nachgeprüft, wozu man sich der 
Harnsäurestandardlösung des Verfassers bediente (1 pM. durch Lithium¬ 
karbonat aufgelöste Harnsäure, vgl. den späteren Text). Es stellte sich 
nun heraus, dass bei Harnsäuremengen von 0,10—1 mg eine Farben¬ 
intensität vorhanden war, die mit derjenigen der untersuchten Mengen 
proportional war, sobald jedoch mehr als 1 mg zur Verwendung kam, 
entstand eine relativ weniger intensive Farbe und zwar in desto höherem 
Masse, je mehr Harnsäure verwendet wurde. 

Die Ergebnisse meiner Versuche sind in der beigegebenen Kurve 
veranschaulicht, wo die Abszissen die Harnsäuremengen vorstellen und 
die Ordinaten die Farbenintensität. 

Danach wurde die Methode von neuem und zwar wechselnden Harn¬ 
mengen gegenüber untersucht (2—5 ccm, teilweise auch 1—5 ccm), wobei 

8* 


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116 


H. F. HOST, 


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als Kontrollmittel das „modifizierte Rieglersche Verfahren“ (vgl. später), 
teilweise auch Hopkin-Wörners Methode benutzt wurde 1 ). Hierbei er¬ 
wies es sich als konstant, dass die pro Mille berechneten Harnsäure- 
raenge am grössten war, wenn kleine Harnmengen (1—2 ccm) unter¬ 
sucht wurden, am geringsten, sobald grössere Mengen (4—5 ccm) zur 
Verwendung kamen (vgl. Tabelle I). 


Tabelle I. 

Folin-Macallumsche Methode. 


Harn 

pM. Ha 
in folg« 

1 ccm 

rn säure, 
inden w< 
wa 

2 ccm 

wenn zur Reaktion Harn 
3chselnden Mengen vcr- 
mdt wird: 

3 ccm | 4 ccm | 5 ccm 

Modifiziert 

Riegler 

Hopkin- 

Wörner 

Spez. 

Gewicht 

I 

_ 

0,33 

0,34 

0,32 

0,28 

0,29 0,30 

0,32 

1012 

11 

0,87 

0,80 

0,62 

0,51 

0,49 

0,61 0,62 

— 

1025 

III 

0,67 

0,61 

0,54 

0,40 

0,38 

0,32 0,32 

— 

1019 

IV 

0,77 

0,62 

0 50 

0,46 

0,38 

0,59 0,58 

— 

1024 

V 

0,63 

0,59 

0,50 

0,43 

0,35 

0,34 

— 

1023 

VI 

— 

0,67 

0,52 

0,46 

0,41 

0,49 

— 

1026 


Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, fallen die relativen Harnsäurc- 
raengen allmählich, je nach den steigenden zur Untersuchung kommenden 
Harnmengen; dies ist stets zutage getreten bei den etwa 30 Harnproben, 
die ich zur Prüfung der Folin-Macallumschen Methode verwandte; 
als einzige Ausnahme ist der Harn I zu betrachten, wo der Abfall erst 
bei 5 ccm erfolgte. Die tatsächlich vorhandenen, durch „modifiziert 
Riegler“ oder „Hopkin-Wörner“ bestimmten Harnsäuremengen habe ich 
auch vermittelst des Folin-Macallumschen Verfahrens gefunden, falls ich 
mich bei jeder Harnprobe an ein bestimmtes Volumen hielt, das, wie es 
sich erwies, stets innerhalb der von den Verfassern angegebenen Grenzen 
(2—5 ccm) lag. Indessen habe ich nicht, wie die Verfasser, bestimmte 
Beziehungen zwischen den Harnmengen, die man zur Feststellung der 
richtigen Werte benutzen muss, und dem spezifischen Gewicht gefunden; 
die Arbeit der Verfasser besagt zudem nicht, in welcher Weise man vom 
spezifischen Gewicht auf die zu benutzenden Harnmengen zu schliessen 
hat. Selbstverständlich kann aber ein konstantes Verhältnis zwischen 
den Harnsäuremengen und dem spezifischen Gewicht nicht bestehen, dies 
kann demnach auch hinsichtlich der zu benutzenden Harnmengen nicht 
als Richtschnur dienen. 

Der Grund für die zu kleinen Werte, die ich oft bei der Benutzung 
grösserer Harnmengen (4—5 ccm) erzielte, ist zweifelsohne dem Umstand 
zuzuschreiben, dass das Phosphorwolframsäurereagens den absolut be¬ 
trachtet grösseren Harnsäuremengen gegenüber versagt, da sich das Ver¬ 
hältnis hier sowohl wie bei der Probe mit reiner Harnsäure wieder her- 
steilen lässt, wenn man die Reagenzmenge steigert; es scheint indessen, 

1) Hoppe-Seylers Zeitschr. Bd. 29. S. 70. 



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Kolorimetrische Harnsäurebestimmungen im Harn. 


117 


als versage das Reagens reiner Harnsäure gegenüber früher als bei der 
Harnsäure im Harn (vgl. die Tabelle). 

Dass die Sache „ aber nicht so ganz einfach ist, zeigt sich darin, 
dass man zu hohe Werte bei der Verwendung ganz kleiner Harnmengen 
(1—2 ccm) findet. Eine Erklärung dieses Umstandes lässt sich meinen 
Versuchen nicht entnehmen. Natürlich macht dies die Anwendung des 
Verfahrens höchst unsicher, da man sich im voraus über die Harnsäure¬ 
menge keine Ansicht bilden kann. 

Was das Folin-Macallumsche Verfahren sonst betrifft, so erschwert 
das Eindämpfen bis zur Trockenheit und die Aether-Alkoholextraktion, 
jedenfalls dem praktizierenden Arzt, die Ausführung. Auch geschieht es 
oft, dass die beiden miteinander zu vergleichenden Flüssigkeiten einen 
ziemlich verschiedenen Farbenton haben, indem die Standardflüssigkeit 
grünblau ist, und die durch Zusetzung vom Reagens zum Harn ent¬ 
stehende graublau (bei diffusem Tageslicht), so dass ein genauer Vergleich 
erschwert wird. 

Es geht demnach aus diesen Untersuchungen hervor, dass die Folin- 
Macallumsche Methode, von mir ausgeführt, weniger gute Ergebnisse ge¬ 
bracht hat, während dagegen Rieglers Verfahren für klinische Zwecke 
durchaus anwendbar ist; doch muss man es einen Mangel nennen, dass 
die in der harnsäurefreien Harnprobe gewonnene Farbe ziemlich ver¬ 
schieden von derjenigen der Standardflüssigkeit ist, was wesentlich dazu 
beiträgt, das Verfahren weniger genau zu machen. 

Ich habe deshalb versucht Rieglers Verfahren zu modifizieren, und 
dadurch einfacher und genauer zu machen. 

Bekanntlich wird, wenn der Harn mit Ammoniumchlorid gesättigt 
wird, die Harnsäure als Ammoniumurat ausgefällt, und dieses Umstandes 
bedient sich die Hopkin-Wörnersche Methode, wie ihn auch Riegler für 
die Entfernung der Harnsäure aus dem Harn zur Verwendung bringt. 

Statt nun wie Riegler die Hamsäuremenge indirekt zu bestimmen, 
habe ich die Harnsäure als Ammoniumurat ausgefällt und den kolori- 
metrischen Wert hiervon direkt bestimmt. Vorerst musste ich mich aber 
davon überzeugen, dass Ammoniurachlorid auf die gebildete blaue Farbe 
keinen Einfluss haben würde, und dies traf, wie es sich erwies, zu. 

Bei dieser Modifikation des Rieglerschen Verfahrens habe ich mich 
derselben Reagentien wie Riegler selbst bedient, doch habe ich bei der 
Herstellung von Harnsäurelösung der Folinsehen Methode den Vorzug 
gegeben. 

Das endgültige Verfahren gestaltet sich wie folgt: 

Reagentien: 

1. lprom. Harnsäurelösung. 0,10 g Harnsäure Chemisch rein) wird abgewogen, ver¬ 
mittelst etwas destillierten Wassers in einen Messkolben von 100 ccm gebracht, 
10 ccm 0,4 proz. Lithiumkarbonatlösung hinzugefügt und das Ganze im Wasser- 


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118 II. F. HÖST, 

bad 10—15 Minuten lang erhitzt, bis sich die Harnsäure aufgelöst hat, worauf der 
Kolben bis zum Merkzeichen gefüllt wird. 

Polin und Macall um geben an, dass die Harnsäure sich bei alleinigem 
Schütteln bis zu einer Stunde auf löst; selbst bei mehrstündigem Schütteln an 
mehreren Tagen hintereinander ist es mir nicht geglüokt, die Harnsäure ohne Er¬ 
hitzung aufzulösen. 

Diese Harnsäurelösung ist, obschon auoh sie sich nicht länger als etwa eine 
Woche lang hält, doch haltbarer als die Rieglers. 

2. 10 proz. Phosphormolybdänsäurelösung; diese scheint sehr haltbar zu sein. 

3. 20 proz. Ammoniumsulfatlösung zum Auswaschen. 

4. 5 proz. Dinatriumphosphatlösung. 

5. Chlorammonium in Pulvern zu 0,3 oder 0,6 g, je nachdem 1 oder 2 ccm Harn zur 
Untersuchung kommen. 

Zwecks kolorimetrischer Vergleichsanstellungen bediene man sich 
eines beliebigen Kolorimeters. Ich wählte das Wolffsche Kolorimeter 
mit ziemlich weiten, grossen Zylindergläsern und fand es demzufolge 
zweckmässig, 2 ccm Harn für die Untersuchung zu verwenden. 

Verfahren: 2 ccm Harn (klar, wenn nicht dies, erhitzt und filtriert) 
werden mit der Pipette in ein Reagenzglas gemessen, wo 20 ccm ab¬ 
merkt sind; 0,6 g Ammoniumchlorid werden hinzugefügt und das Ganze 
wird zu etwa 40 0 erhitzt. Nach halbstündigem oder längerem Ruhen 
wird es durch ein kleines Filter filtriert, worauf Reagenzglas und Filter 
4—5 mal mit etwa 2—3 ccm Ammoniumsulfat nachgespült werden. 
Darauf wird der Trichter in das erste Reagenzglas (in dem der Harn 
mit Ammoniurachlorid erhitzt wurde) gesetzt und das Filter wird mit 
15 ccm kochender Dinatriumphosphatlösung ausgespült, wodurch das 
Ammoniumurat zur Auflösung kommt. Zum Filtrat werden 4 ccm 
Phosphormolybdänsäurelösung getan, worauf das Glas bis hinauf zu 20 ccm 
mit Dinatriumphosphatlösung gefüllt wird. Nun erhitzt man das Ganze 
bis zum Kochpunkt und vergleicht es nach der Abkühlung mit der 
Standardflüssigkeit, die durch die Behandlung von 2 ccm Harnsäurelösung 
(gleich 2 mg Harnsäure) mit 4 ccm Phosphormolybdänsäurelösung und 

14 ccm Dinatriumphosphatlösung in derselben Weise hergestellt wird wie 
bei der Harnprobe (Erhitzung — Abkühlung). 

Abgesehen von der halben Stunde, in der das Ammoniumurat aus¬ 
gefällt wird, erfordert dieses Verfahren kaum längere Zeit als 10 bis 

15 Minuten. 

Zunächst wurde die Methode auf ihre relative Genauigkeit hin unter¬ 
sucht, und als Belege hierfür sind die Harnproben I und II der Tabelle II 
anzuschen. 

Danach wurde die absolute Genauigkeit der Methode und zwar teil¬ 
weise an normalen, teilweise an pathologischen Harnproben geprüft; als 
Kontrolle diente die Hopkin-Wörnersche Methode. 

Der Tabelle 11, wo mehrere Ziffern in ein und derselben Rubrik 
doppelte, bzw. einfache Analysen bezeichnen, ist zu entnehmen, dass die 


Gck igle 


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Kolorimotrische Harnsäurebestinmningen im Harn. 119 


Tabelle II. 




Hopkin- 

Wörner 

Modifiziert Riegler 


i- 1 

r Harn I. 



i) 0,79 

2 ) 0,80 

3 ) 0,80 

4 ) 0,81 

1s o 1 

i Harn II. 

- 

- 

!) 0,58 

2 ) 0,59 

3, 0,58 

*) 0,59 

E * < 

Harn III. 

i) 0,60 

-) 0,62 

i) 0,64 

2) 0,66 



o W l 

* 1 

| Harn IV. 

0,62 
9 0,79 

i) 0,60 

2) 0,61 



‘ Harn V. 

2 ) 0,79 

1 ) 0,71 

2) 0,72 



Ö 

• 5* / 

Harn VI (Leukämie) . . 

1,38 


i) 1,39 

2 ; 1,46 



o 

O® ' 

1 Harn VII (Leukämie) . . 

0,89 


i) 0,89 

2) 0,90 

■■>) 0,90 

*) 0.90 

t~\ I-l , 

7a O ( 

Harn VII (Diabetes) . . 

i) 0,60 

2 ) 0,56 

9 0,57 

2) 0,58 

3 ; 0,57 

0,57 

(6 J3 , 

pL, % | 

| Harn VIII (Albuminurie) 

i) 0,36 

2) 0,36 

») 0,31 

2) 0,31 



‘So 

Harn IX (Albuminurie) . 

9 0,28 

2 ) 0,31 

i) 0,27 

2 ) 0,27 




Analysen sehr gut miteinander stimmen, wie sie auch, praktisch be¬ 
trachtet, dieselben Ergebnisse wie die Hopkin-Wörnersche Methode 
bringen. Aus eiweisshaltigen Harnproben muss das Eiweiss erst durch 
Kochen mit Essigsäure ausgefällt werden. 

Ausser klinischen Zwecken völlig zu genügen, ist dies umgestaltete 
Rieglersche Verfahren so einfach und bequem, dass nicht nur Klinikern, 
sondern auch praktizierenden Aerzten damit gedient sein wird. Ein 
Kolorimeter ist zur Ausführung nicht unbedingt notwendig. Verdünnt 
man die am stärksten gefärbte Flüssigkeit in zwei gleich dicken Reagenz¬ 
oder Zylindergläsern, bis die Farbe gleich erscheint, so ist der Harnsäure¬ 
gehalt unmittelbar proportional zur Flüssigkeitshöhe; man erzielt auf 
diese Weise fast ebenso gute Ergebnisse wie vermittelst des Kolorimeters. 

Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen mit der Folin-Macalluru¬ 
schen Methode erweist das Phosphormolybdänsäurereagens hier mit Leichtig¬ 
keit Harnsäuremengen, die nur spurenweise und bis zu 2pM. vorhanden 
sind. Hierzu kommt, dass das Verfahren reichlich so handlich ist wie 
die Folin-Macallumsche und die eigentliche Rieglersche Methode, 
ferner, dass die gewonnene Standardflüssigkeit sich länger ( l l 2 —1 Stunde) 
hält als die Folin-Macallumsche Standardflüssigkeit (die im Laufe einer 
Viertelstunde erheblich einschwindet), und endlich, dass dies Verfahren 
mehr identische Farben ergibt — da die Harnsäure hier im Gegensatz 
zu den beiden andern Methoden isoliert wird —, so dass bessere Ver¬ 
gleiche angestellt werden können. 


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VIII. 

Aus der medizinischen Klinik R. von Jak sch in Prag. 

Klinische Beobachtungen 

zur Kenntnis des Status lymphaticus und Beziehungen 
desselben zur pluriglandulären Erkrankung. 

Von 

Privatdozent Dr. Hugo Pribram, 

I. Assistenten der Klinik. 

(Mit 3 Abbildungen im Text.) 


Seit den Beobachtungen von A. Paltauf, Wiesel und Bartel hat eine 
grosse Reihe von Autoren sich mit der Frage des Status thymicolymphaticus 
und hypoplasticus beschäftigt. So einfach es in der Regel für den patho¬ 
logischen Anatomen ist, die Diagnose auf Status lymphaticus zu stellen, 
so schwierig ist es in der Regel für den Kliniker. Die Schwierigkeit 
liegt einerseits darin, dass eine Reihe von Manifestationen des Status 
lymphaticus an Organen lokalisiert ist, die bei der Untersuchung des 
Kranken nicht direkt zugänglich sind, andererseits darin, dass es sich 
beim Status lymphaticus nicht um ein wohlumgrenztes Krankheitsbild 
handelt, sondern um eine Reihe mehr oder weniger wichtiger Zeichen 
somatischer Minderwertigkeit, die im Verlauf des Lebens sich ändern 
können und die nicht scharf von den Verhältnissen beim gesunden 
Menschen abgegrenzt sind, sondern wohl in allmählich absteigender Reihe 
in das Normale übergehen können. 

Es ist für die Feststellung des Status lymphaticus eine eingehende 
zeitraubende Untersuchung des Kranken mit den physikalischen, rönt¬ 
genologischen, chemischen, laryngologischen und anderen Untersuchungs¬ 
methoden nötig, und bei aller Mühe werden die leichteren Fälle sehr oft 
der Diagnose entgehen. Ueber die Wichtigkeit der Feststellung des 
Status lymphaticus, des Status thymicus und hypoplasticus wegen der 
Gefahren, denen sein Träger ausgesetzt ist (Narkose, verminderte Wider¬ 
standskraft bei körperlicher Inanspruchnahme, Verlauf der Infektions¬ 
krankheiten, Gefährlichkeit der Salvarsaninjektionen) soll nicht gesprochen 
werden; darüber ist schon vieles bekannt. 

Trotzdem in letzter Zeit von mehreren Autoren systematische Unter¬ 
suchungen an einer grossen Zahl von Lymphatikern gemacht wurden 
(ich nenne nur die Namen Störk und Horak, Kahler), so erschienen 
weitere Beobachtungen um so mehr erwünscht, als die meisten bisherigen 


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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus. 121 

Untersuchungen aus Wien stammen, und die Verbreitung des Status und 
seine Konkurrenz mit anderen Krankheiten in verschiedenen Gegenden 
recht verschieden zu sein scheint, wenigstens sprechen dafür die Befunde 
Zellwegers. Ich habe deshalb sowohl in der Ambulanz als auf der 
Klinik von Jaksch das gesamte durch meine Hände gehende Material, 
aus äusseren Gründen waren es bloss weibliche Kranke, diesbezüglich 
untersucht. 

Es waren dies etwa 2500 Kranke, die ich seit Oktober vergangenen 
Jahres untersucht habe. Für die Beurteilung des Status lymphaticus 
waren nur die jüngeren Kranken geeignet. Unter diesen wurden 150 Kranke, 
die mehrere für Status lymphaticus charakteristische Symptome aufwiesen, 
gründliehst untersucht. 

Zuerst seien einige im allgemeinen als wichtig für den Status lympha¬ 
ticus und thymicus angesehenen Symptome, von denen jedoch keines 
obligatorisch ist, kurz angeführt: 

1. Allgemeines: Die Körperlänge soll die Spannweite übertreffen, die 
Oberlänge und die Extremitätenlänge soll vergrössert sein, die Fett¬ 
verteilung der des anderen Geschlechts sich nähern, die Psyche soll 
etwas infantil sein. Die Alkoholtoleranz ist vermindert. 

2. Gesicht: Der Unterkiefer und die Processus mastoidei sollen weniger 
entwickelt sein, das Gebiss Defekte, Schmelzdefekte und Stellungs¬ 
anomalien zeigen. Der Gaumen ist hoch, Tonsillen, Rachenmandeln 
und Zungenpapillen sind vergrössert, die Epiglottis ist infantil oder 
omegaförmig. Das Auge zeigt Epicanthus, exzentrische Pupillen, 
regelrecht gefärbte Irides. Die Ohrläppchen sind angewachsen, der 
äussere Gehörgang ist eng. 

3. Hals: Schilddrüse und Halsdrüsen, ebenso die anderen Drüsen sind 
vergrössert. 

4. Skelett: Der Thorax ist lang und schmal, man findet Halsrippen 
und eine Costa fluct. X. In der Wirbelsäule fehlt die kompensa¬ 
torische Lordose. Die Scapulae sind flügelförmig. Das Becken ist 
heterosexuell entwickelt, das Sakrum ist schmal, das Promontorium 
hoch. Brachia und Genua valga, erhaltene Epiphysen, Hyperdaktylie, 
Plattfuss, Hyperextension der Ellenbeuge. 

5. Behaarung: Die Achsel- und Schamhaare sind spärlich, die Ex¬ 
tremitäten sind behaart. 

6. Brustorgane: Die Thymus ist vergrössert, die Mammae dem anderen 
Geschlecht entsprechend entwickelt, oft Polymastie. Herz: Die Aorta 
ist eng, Tropfenherz, niedriger^Blutdruck (Münzer), Herzpalpitationen, 
diktatorische Herzschwäche. 

7. Abdomen: Ptose, Distantia jugulo-pubica ist vergrössert gegenüber 
der Circumferentia abdominis minima. Die Milz ist gross, die Niere 
gesenkt. Es besteht Neigung zu orthostatischer Albuminurie und 
alimentärer Glykosurie. 


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HUGO PR1BRAM, 


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8. Blut: Neutropenie, Lymphozytose und Eosinophilie. 

9. Genitale: Kryptorchismus, Genitalhypoplasie, Menstruationsstörungen, 

heterosexuelle sekundäre Geschlechtsmerkmale. 

10. Disposition zu anderen Erkrankungen und modifizierter (erschwerter) 

Verlauf. 

a) Infektiöse Krankheiten verlaufen schwerer. 

b) Tuberkulose ist oft modifiziert, weniger Lungen- und oft andere 
Organ tuberkulöse. 

c) Nervenkrankheiten: Neigung zu Tetanie, Gliomen, Syringomyelie, 
Hydrozephalus, Tabes, Paralyse, Myasthenie. 

d) Stoffwechselkrankheiten: Diabetes, Fettsucht und Gicht. 

e) Blutkrankheiten: perniziöse Anämie, Leukämie, Chlorose. 

f) ßlutdrüsenerkrankungen; Basedow, Addison, Osteomalazie. 

g) Urogenitalerkrankungen: Nephritis, Eklampsie. 

h) Lunge: Asthma bronchiale, juveniles Emphysem. 

i) Haut: Hämangiome, Ekzeme. 

k) Darm: Appendizitis. 

l) Tumoren. 

Bei den Untersuchungen, die sich hauptsächlich auf ambulatorische 
Kränke erstreckten, war selbstverständlich eine alles umfassende Unter¬ 
suchung meist nicht möglich. In folgendem seien die wichtigsten Be¬ 
funde kurz angegeben. 

Die Spannweite war in 95 pCt. der Fälle grösser als die Körper¬ 
länge, und zwar betrug die Differenz bis cm. 1° 5 pCt. der Falle 
war die Länge grösser oder gleich der Spannweite. Ganz ähnlich waren 
jedoch die Verhältnisse bei Leuten ohne Status lymphaticus, und es muss, 
wenigstens für die hierortige Bevölkerung, die relativ grosse Spannweite 
als eine allgemein verbreitete Eigenschaft angesehen werden. 

Die Zungengrundfollikel waren in 80 pCt. der Fälle wesentlich ver- 
grössert, die Epiglottis in über ein Drittel der Fälle infantil oder omega¬ 
förmig. Der Blutdruck, von dem angegeben wurde, dass er in der Regel 
herabgesetzt ist, war in überder Hälfte der Fälle normal (110—120 Riva- 
Rocci), in je J / 4 der Fälle vergrössert oder herabgesetzt. 

In 36 pCt. der Fälle waren Crines pubis und axillares vermindert 
oder fehlend, in 16 pCt. der Fälle war reichliche Behaarung an den Ex¬ 
tremitäten, um die Mammae, in der Linea alba oder an anderen atypi¬ 
schen Stellen bei sonst nicht übermässiger Behaarung. 

In 24 pCt. der Fälle konnte eine Wanderniere, in 12 pCt. eine Costa 
fluctuans nachgewiesen werden. Zeichen von Vagotonie (Eppinger) 
konnten nur in 5 Fällen beobachtet werden. 

In 11 Fällen wurde eine Genitalhypoplasie nachgewiesen, weitere 
11 Fälle, die gynäkologisch nicht untersucht werden konnten, wiesen 
eine lange dauernde Amenorrhoe oder noch nicht eingetretene Menses auf. 
ln 14 pCt. der Fälle waren die Mammae abnorm schwach entwickelt, 



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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus. 


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in 4 pCt. der Fälle war eine Andeutung einer akzessorischen Mamilla 
vorhanden. 

Bei 30 pCt. der Fälle waren die seitlichen und hinteren Halslymph- 
drüsen deutlich vergrössert, ohne dass die Anamnese irgend einen Grund 
für die Vergrösserung auffinden liess. 

In einem Drittel der Fälle waren sehr auffallende Genua und Brachia 
valga vorhanden. Auf das Blutbild wurde ein besonderes Gewicht gelegt. 

Nach den Untersuchungen Kahlers ist die Mononukleose beson¬ 
ders häufig. 

Bei meinen Beobachtungen fanden sich in etwa 93 pCt. der Fälle 
über 25 pCt. Lymphozyten. Wenn man jedoch, den Angaben Huhles 
folgend, erst 40 pCt. oder 2400 pro emm als obere normale Grenze der 
Lymphozytenzahl ansieht, so fand sich bloss in 13 pCt. der Fälle Lym¬ 
phozytose. Betreffs der Basophilen, deren Werte Kahler als schwankend 
erklärt, ist zu sagen, dass in nahezu der Hälfte der Fälle die baso¬ 
philen Zellen etwas, wenn auch nur gering, vermehrt waren. In etwa 
der Hälfte der Fälle waren die Uebergangsformen, in y 4 der Fälle die 
grossen mononukleären Leukozyten vermehrt. Eine Eosinophilie fand 
sich bloss in 18 pCt. der Fälle. 

Recht häufig war die ßasophilie bei den Fällen mit Genitalhypo¬ 
plasie (11 Fälle). In fast 3 / 4 der Fälle von Genitalhypoplasie war Baso- 
philie, in etwa Ve der Fälle Eosinophilie vorhanden. 

Eine alimentäre Glykosurie konnte nur in etwa 6 pCt. der Fälle, 
eine lordotische Albuminurie, die nur bei Individuen unter 20 Jahren 
versucht wurde, in über y 3 der Fälle nachgewiesen werden. 

Auf alle anderen Symptome soll hier nicht weiter eingegangen wer¬ 
den, da sie entweder sich als weniger konstant oder weniger charakte¬ 
ristisch erwiesen. Eine vergrösserte Thymus war nur in wenigen Fällen 
anzunchraen oder direkt nachweisbar (Operation, Autopsie). 

Unter den untersuchten Fällen wiesen eine grosse Zahl keine erheb¬ 
lichen Erkrankungen auf. 

Auffallend oft waren unter den Lymphatikern leichte Lungenspitzen¬ 
affektionen, ziemlich oft auch Strumen leichten Grades vorhanden. 

Von innersekretorischen Erkrankungen waren einige Fälle von Morb. 
Basedowii, von Blutkrankheiten einige Fälle von Lymphogranulomatose 
und viele Chlorosen unter den Lymphatikern. 

Bei einer Reihe anderweitiger Kranker (mit Tabes, mit multipler Sklerose 
und ähnlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems), die auf Status 
lymphaticus untersucht wurden, konnte nichts gefunden werden. Auch 
bei einigen Fällen von Morbus Basedowii wurden Symptome des Status 
lymphaticus vermisst. 

Wenn man resümiert, so ist zu sagen, dass Fälle mit vereinzelten 
Symptomen des Status lymphaticus relativ häufig, dagegen, typische 
symptomenreiche Fälle ziemlich selten sind. 


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HUGO PRI BRAM, 


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Auf eine genaue Beschreibung der von mir beobachteten Fälle soll 
verzichtet werden, und nur ein Fall von Status lymphaticus und hypo- 
plasticus, der mit einer Erkrankung der endokrinen Drüsen kombiniert 
war, und bei dem klinisch der Status nicht nachweisbar, ausführlich mit¬ 
geteilt werden. 

Es handelt sich um ein 24jähriges Mädchen, das im Februar 1913 auf unserer 
Klinik aufgenommen worden ist. 

Anamnese: Hereditäre Verhältnisse, abgesehen von einer Belastung mit Tuber¬ 
kulose (der Vater hat Tuberkulose, ein Bruder starb an Hirnhautentzündung), ohne 
Belang. 

Frühere Erkrankungen: Schafblattern und Masern in der Kindheit, Bauchfell¬ 
entzündung mit 14 Jahren. 

Jetzige Erkrankung: Seit6Jahren Exophthalmus, seit l / 2 Jahr Herzbeschwerden. 

Menses seit dem 13. Jahre regelmässig. 

Status (15. 2. 1913). Pat. ist grazil, Haut feucht, Exophthalmus; die Sym¬ 
ptome von Graefe, Moebius und Stellwag fehlen. 

Tonsillen vergrössert, Rachenreflex fehlt. Schilddrüse vergrössert, zeigt Pulsa¬ 
tionen. Mammae entsprechend entwickelt. Tachykardie (114 Pulse). 1. Geräusch 
über allen Herzostien. Lunge normal. Bauohdecken- und Patellarreflexe lebhaft, 
Dermographie, Fingertremor. 

Harn: Kein Eiweiss, kein Urobilin, kein Indikan; 1,3 pCt. Zucker. 

Blutbefund: 5376000 rote, 6200 weisse Blutkörperchen, 11,9 g Hgl. 

Lymphozyten 45pCt., grosse mononukläre Leukozyten 5 pCt., Uebergangsformen 
6 pCt., polynukleäre neutrophile Leukozyten 44 pCt. 

Befund der Augenklinik mit Hertels Exophthalmometer: R.22 1 / 2 ,L.21 1 / 2 j Graefe 
negativ, beim Blick nach oben tritt das Oberlid so stark zurück, dass fast die ganze 
Kornea frei wird. Unregelmässiges Blinzeln. 

Dekursus: 16. 2. Blutdruck (Rivä-Rocci) 152. Röntgenbefund der Thorax¬ 
organe normal. Im Harne 1,2 pCt. Zucker. Temperatur normal, Puls 104. 

In den folgenden Tagen wird bei Eiweiss-Fettdiät mit Zulage von 1—2 Semmeln 
anfänglich 57 g, später weniger Zucker ausgeschieden, bis am 27. 2. die Zucker¬ 
ausscheidung auf 3 g sinkt, bei einer Zufuhr von über 100 g Kohlenhydrat. 

Am 28. 2. steigt die Temperatur auf 39,2° C. Angina. Zuckerausscheidung lg. 

Am 2. 3. Temperatur 36,9—39°. Gemischte Diät mit einer Semmel, Trommer, 
Nylander und Polarisation negativ. 

3. 3. bis 4. 3. Dauernd Angina und Fieber. Zuckerausscheidung bei gleicher 
Diät 3—14 g. 

6. 3. Zucker negativ. Fieber. 

7. 3. Kohlenhydratarme Kost. Kein Zucker. Diurese 950. Fieber. 

8. 3. Kein Zucker, 0,166 pCt. Eiweiss, zahlreiche Leukozyten, spärliche Ery¬ 
throzyten, granulierte Zylinder, Nierenepithelien, Diurese 600, Fieber. 

15. 3. Urämische Symptome. Aderlass. An der Stelle der angelegten Binde 
Hauthämorrhagien. 

21. 3. Urämische Symptome. Aderlass und Kochsalzinfusion. 

24. 3. 0,05 pCt. Eiweiss, Schmerzen in der rechten Niere. Erbrechen. Diurese 
gering. 

29. 3. Temperatur und Diurese normal. Eiweiss in Spuren, kein Zucker. 

30. 3. Ausscheidung von 6 g Zucker. Blutdruck 124 mm Hg. 

In den nächsten Tagen nur Spuren von Eiweiss und Aussoheidung von 22 bis 
43 g Zucker. 



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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus. 125 

13. 4. Blutbefund: 4368000 rote, 9000 weisse Blutkörperchen, 85 pCt. Hämo¬ 
globin. Lymphozyten 34 pCt. kleine und 3 pCt. grosse, 4 pCt. grosse mononukleäre 
Leukozyten, 3 pCt. Uebergangsformen, 1 pCt. Eosinophile und 55 Neutrophile. 

Mit negativem Zuckergehalte wurde Pat. am 18. 4. entlassen und weiterhin am¬ 
bulatorisch behandelt. 

In kurzer Zeit trat wieder Glykosurie auf, die allen diätetischen Massnahmen 
trotzte. Ihr Zuckergehalt blieb über 3 pCt. Eine Zeitlang wurde ihre Schilddrüse 
wegen der basedowischen Herzbeschwerden mit Röntgen behandelt. 

Am 28. 12. erkrankte sie an einer Periostitis mit Fieber und Prostration, am 
30. 12. wurde sie wieder auf die Klinik aufgenommen. 

Status vom 30. 12. Pat. ist somnolent, Exophthalmus mit Schlussinsuffizienz 
der Lider. Gesicht verfallen, Nase kühl, spitz, Extremitäten kühl, Zunge trocken. 

Abb. 1. 



Kussmaulsches Atmen angedeutet. Schilddrüse nur wenig vergrössert zu tasten. 
Tachykardie. Temperatur 37—35,6° C. 

Harn: Azeton und Azetessigsäure positiv, Indikan negativ, Eiweiss und Zucker 
negativ. Eiweissgehalt 0,2 pCt., Zuckergehalt 1 pCt. 

Im Harnsedimente waren zahlreiche Zylinder, teils vom Typus der Külzschen 
Zylinder, teils atypische. Einige Mikrophotographien von Präparaten sind abgebildet. 
Die Präparate sind mit Hilfe des Tuschverfahrens 1 ) dargestellt. 

Blutbefund: Erythrozyten 6500000, Leukozyten 7400, Hämoglobin 90 pCt. 
Lymphozyten: kleine 30 pCt., gross 3 pCt., grosse mononukleäre Leukozyten 1 pCt., 
Uebergangsformen 4 pCt., polynukleäre neutrophile Zellen 64 pCt. 

Trotz aller antikomatösen Therapie Exitus. 


1) Vide H. Pribram, Prager med. Wochenschr., 1914, Nr. 39, S. 9, Genaue 
Untersuchungen über das Tuschverfahren durch MUC Jokl sind im Gange. 


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HUGO PRIBRAM, 


Abb. 2. 



Die Diagnose, die der Vorstand der Klinik R. von Jaksch, der mir den Fall 
zur Publikation übcrliess, stellte, lautet: Polyglanduläre Erkrankung, und zwar Mor¬ 
bus Basedowii, Diabetes mellitus, AtTektion der Nebenniere (?), Nephritis (?). 

Der Sektionsbefund ergab: Hochgradige Atrophie des Pankreas, Oedem des 
Gehirnes, Vcrgröserung und Degeneration der Niere, Degeneration und Atrophie der 


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Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymphaticus. 


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Leber, Struma basedowica mit einem Lobus pyramidalis und einem normalen Lappen 
darüber, zweilappige Thymus, Nebenmilz, embryonale Lappung der Nieren, Zyste 
des Corpus pineale, abnorme Lappung des rechten Unterlappens, Anomalie der Koro- 
narostien und der grossen Gefasse am Arkus. Partielle Obliteration der Appendix 
nach Appendicitis mit Residuen von Peritonitis, Deviation des Uterus nach rechts bei 
adhäsiver Pelveoperitonitis. Corpus menstruationis im linken Ovarium. Alte Angina 
lacunaris mit Vergrösserung der Tonsillen und Zungengrundfollikel. Hyperplasie der 
Follikel im ileum und perifollikuläre Hyperämie. Kleiner verkalkter tuberkulöser Herd 
der rechten Lunge und partielle Verkalkung der rechten oberen tracheobronc.hialen 
Lymphknoten. Katarrhalische Bronchitis und Pneumonie in beiden Lungen. Verknöche¬ 
rung der Rippenknorpel. Langschädel. 

Die histologische Untersuchung, die von den Herren Doz. Dr. Luk sch, Dr. 
Roman und Dr. Kraus vorgenommcn wurde, ergab im wesentlichen Folgendes: 

1. Schilddrüse: Typisches Bild der Struma basedowica. 

2. Hypophyse: Eigenartige Veränderungen an den eosinophilen Zellen, deren 
Untersuchung noch aussteht. 

3. Epithelkörperchen annähernd nicht verändert. 

4. Ovarien: Zystisch verändert. 

5. Corpus pineale: Zystisch erweitertes Gliom. 

6. Thymus: Thymus persistens. 

7. Nebenniere: Anscheinend geringer Lipoidgehalt. 

Eine genaue histologische Bearbeitung des Falles wird von den drei genannten 
Herren erfolgen. 

Fassen wir die Befunde bei diesem Falle zusammen, so ergibt sich, 
dass wir hier folgenden Symptomenkomplex vor uns haben. 

Ein Mädchen mit Zeichen eines Status thymicolymphaticus und 
hypoplasticus erkrankt, dank ihrer Prädisposition zu endokrinen Erkran¬ 
kungen an Morbus Basedowii. Dies war das erste klinisch auffällige 
Symptom des ganzen Krankheitsbildes. Später schloss sich daran die 
Glykosurie. 

Bezüglich des Zusammenhanges von Glykosurie und Morbus Base¬ 
dow ist vor allem an die Arbeit von Forschbach und Severin zu 
erinnern. Diese konnten bei 11 Fällen von Morbus Basedowii folgende 
Beobachtungen machen. In 4 Fällen war der Kohlenhydratstoffwechsel 
normal, in 2 Fällen bestand eine alimentäre Hyperglykämie ohne Gly¬ 
kosurie, in einem Falle bestand spontane Glykämie ohne Glykosurie, in 
2 Fällen eine spontane transitorische Glykosurie und in einem Falle ein 
echter Diabetes. Es ist somit die Kombination von Morbus Basedowii 
mit Diabetes ziemlich selten. Bezüglich des Zusammenhanges der Koh¬ 
lenhydratstoffwechselstörung mit dem Morbus Basedowii meint Falta, 
die Ueberfunktion der Schilddrüse bedeute eine Mehrbelastung des Pan¬ 
kreas, die bei ungenügender Funktionsbreite desselben zur Glykosurie 
führe. Forschbach und Severin heben hervor, dass die Kohlenhydrat¬ 
stoffwechselstörung kein unerlässliches Symptom des Basedow darstelle, 
und betonen, dass es fraglich sei, ob man berechtigt sei, eine grundsätz¬ 
liche Scheidung zwischen den Kohlenhydratstoffw r echselstörungen leichteren 


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128 HUGO PRIBRAM, Klinische Beobachtungen zur Kenntnis des Status lymph. 

Grades und den schweren Formen bezüglich der Pathogenese durchzu¬ 
führen. 

ln unserem Falle möchten wir annehmen, dass bei der bekannten 
Hemmung der Pankreasfunktion durch die Schilddrüse, die Hyper- oder 
dysfunktionierende Schilddrüse zu einer Insuffizienz des Pankreas, und 
schliesslich zum Diabetes geführt hat. 

Die Erkrankung der Nebenniere und die Zyste in der Epiphyse sind 
wohl kaum in direkten Zusammenhang mit Basedow und Diabetes zu 
bringen. Wir haben es also mit einem Individuum zu tun, das infolge 
seiner konstitutionellen Minderwertigkeit Erkrankungen der endokrinen 
Drüsen akquirierte, und zwar der Epiphyse, des chroraaffinen Systems, 
der Thyreoidea und des Pankreas; es handelt sich somit um eine echte 
pluriglanduläre Erkrankung. 

Zusammenfassung. 

Die Beobachtung einer grösseren Zahl von Fällen von Status lyra- 
phaticus ergab, dass jedes einzelne Symptom isoliert nicht charakteristisch 
und obligatorisch ist, dass auf das Ueberwiegen der Spannweite, auf den 
Blutdruck gar kein Gewicht gelegt werden kann, dass dagegen die grossen 
Zungengrundfollikel, das Verhalten der Epiglottis von grosser Wichtigkeit 
sind. Im Blute war oft Lymphozytose, manchmal, und besonders bei 
Genitalhypoplasie Eosinophilie und Basophilie nachweisbar. 

Schliesslich wird ein Fall von pluriglandulärer Erkrankung kombi¬ 
niert mit Status lymphaticus und hypoplasticus genauer besprochen. 


Literatur. 

1) Bartel, Status thymico-lymphaticus u. hypoplasticus. Wiener klin. Wochen- 
schr. 1910. Nr. 23. S. 14. 1912. Deutike. — Morbidität und Mortalität. Ebenda. 
1911. — 2) Biedl, Innere Sekretion. 1913. 2. Auflage. Urban-Schwarzenberg. — 
3) Eppinger in Lewandowskys Handbuch der Neurologie. 1913. — 4) Eppinger 
und Hess, Vagotonie. Berlin 1910. Hirschwald. — 5) Falta, Erkrankung der Blut¬ 
drüsen. 1913. Springer. — 6) Forschbach und Severin, Arch. f. exp. Pharm, u. 
Pathol. 1914. Bd. 75. S. 168. — 7) Hedinger, Frankfurter Zeitschr. f. Pathol. 
1907. Bd. 1. — 8) Huhl, Arch. f. klin. Med. 1914. Bd. 113. S. 455.-9) Kahler, 
Zeitschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionslehre. 1913. Bd. 1. S. 1. — 10) A. Palt- 
auf, Wiener klin. Wochenschr. 1889. Nr. 2. S. 46 und 1890. Nr. 3. S. 9. — 
11) H. Pribram, Prager med. Wochensohr. 1914. Nr. 39. — 12) Schridde, Mün¬ 
chener med. Wochenschr. Nr. 48. — 13) Stiller, Asthenischer Symptomenkomplx. 
Enke. Stuttgart 1907. — 14) Stork und Horak, Zur Klinik des Lymphatismus. 
1914. Urban u. Schwarzenberg. — 15) Wiesel, Virchows Arch. 1907. Bd. 176. Zeit¬ 
schr. f. Heilk. 1903. Bd. 24. Lubarsch und Ostertag 1912. — 16) Zellweger, 
Zeitschr. f. angew. Anat. u. Konstitutionslehre. 1913. Bd. 1. S. 75 u. 193. 



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Aus d. 1. deutsch, raed. Klinik in Prag (Vorstand: Prof. Dr. Rud. Schmidt). 

Einige Versuchsresultate 

zum Verständnisse physikalisch-chemischer Vorgänge im 
Blute unter normalen und pathologischen Verhältnissen 
und ihr diagnostischer Wert. 

Von 

Dr. Gottfried Holler, 

Assistent der Klinik. 


Während die Morphologie des Blutes, wenigstens soweit sie für dia¬ 
gnostische Zwecke in Betracht kommt, schon vollkommen ausgebaut ist, 
herrscht über physikalisch-chemische Vorgänge im Blute, namentlich in 
pathologischen Zuständen noch vielfach Unklarheit. Die Arbeiten nam¬ 
hafter Forscher auf diesem Gebiete, ich erwähne von älteren Forschern, 
vor allem Hamburger mit seinem Werke über „osmotischen Druck und 
Ionenlehre“, in welchem auch die osmotischen Verhältnisse im Blute einer 
eingehenden Besprechung unterworfen werden, weiter die grundlegenden 
Arbeiten von ßleibtreu, Eykman, Gryns, Pfeiffer, Koeppe, 
v. Limbeck, Hedin, Hugo de Vries, Biernacki, Overton, Willer- 
ding, Klikowitz, Steward, Roth, Lehmann, van Lier, van der 
Schroeff, Oker-Blom, Zuntz, Bottazi, Hammerschmidt, Vaquez, 
Alex. Schmidt, Leon Frederic, Mathieu, Urbain, Setschenow, 
Loewy, Manassein, Spiro und Pemsel, Rollet, Abderhalden, 
Maragliano, Castellino, Berstein, Becker, Scharffenrot, Laker, 
Ducan, Malassez, Chanel, Landois, Mosso, Viola, Urcelay, 
Ubbels, Ehrlich, Baumgarten, Jaquet, Gaule, Tamman, Bous¬ 
quet usw. ... sie alle versuchen die physikalisch-chemischen Gesetze 
von Boyle-Mariotte, Gay Lussac, Avogadro, van t’Hoff, Arrhe- 
nius, de Vries, Hamburger, Hittorf, Kohlrausch, Ostwald, Mit¬ 
scherlich, Pfeffer, Pringsheim, de Coppet usw. auch in den Ver¬ 
hältnissen, die im Blute herrschen, wiederzufinden. Die Ergebnisse 
dieser Forscher, die ich in meiner Arbeit wiederholt zu erwähnen Ge¬ 
legenheit haben werde, wurden für spätere Forscher richtschnurgebend. 
Von den vielen Arbeiten, die namentlich zuerst von Franzosen, später 
auch von Deutschen und Italienern in der medizinischen Literatur er¬ 
schienen sind, befassen sich die meisten mit der Bestimmung der so¬ 
genannten Resistenz roter Blutkörperchen gegen hvpisotonisehe Salz- 

Zeit.schr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2. q 


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GOTTFRIED HOLLER, 


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lösungen. Ich sage ausdrücklich sogenannte Resistenz, da nach meiner 
Meinung dieser Ausdruck durchaus nicht befriedigen kann. Betrachten 
wir in Kürze die bestehenden Verhältnisse. 

Nach der herrschenden Ansicht müssen wir uns vorstellen, dass die 
Blutzelle aus einem festen Gerüst (Protoplasma) besteht, zwischen wel¬ 
chem die interzellulare Flüssigkeit (Paraplasma) verteilt ist. Das Proto¬ 
plasma hat am Wasseranziehungsvermögen keinen Anteil. Nur die in¬ 
trazellulare Flüssigkeit, mit anderen Worten der intraglobuläre Inhalt des 
Blutkörperchens, repräsentiert die osmotische Kraft desselben. Es ist 
also nur die intrazellulare Flüssigkeit, welche Quellung der Zelle durch 
hypisotonische und Schrumpfung durch hyperisotonische Lösungen her¬ 
beiführt. Unter Resistenz schlechthin können wir eigentlich nur den 
Widerstand verstehen, den dieses protoplasmatische Gerüst (zugleich die 
Begrenzung des Blutkörperchens) einer Quellung des Inhaltes entgegen¬ 
zusetzen vermag. Sicher schwebte auch dieser Gedanke den meisten For¬ 
schern vor. Nach der Art der Anstellung der sogenannten Resistenz¬ 
versuche spielt aber gerade der Widerstand dieser protoplasmatischen 
Begrenzung gegen ein Quellen des Inhaltes eine nur untergeordnete Rolle 
und kommen weit mehr andere Verhältnisse in Betracht. Wir müssen das, 
was wir heute Resistenz roter Blutkörperchen gegenüber Salzlösungen 
nennen, als eine komplexe Grösse auffassen (wie Hamburger sich aus¬ 
zudrücken pflegt). Wir müssen so ausser der Resistenz des Protoplasmas 
den osmotischen Druck der intraglobulären Flüssigkeit, wie das prozen¬ 
tuale Volumen derselben im Verhältnisse zur Gcsamtblutkörperchenmasse 
in Rechnung ziehen. Die überwiegende Bedeutung dieser beiden letzten 
Faktoren vermögen wir nicht so leicht auszuschliessen, vor allem nicht, 
wenn wir die Versuche in einer für den Kliniker handlichen und nicht 
zu sehr zeitraubenden Methode anstellen. 

Es ist hier, glaube ich, am Platze, Einiges über die Methoden, die 
bisher zu Resistenzbestimmungen angewandt wurden, anzugeben: 

Malassez und Chanel bestimmten durch einfaches Zählen, wieviel 
von den Blutkörperchen in einer Blutaufschwemmung mit verdünnter Salz¬ 
lösung zu Grunde gegangen sind. 

Landois untersucht unter Zufügung verdünnter Salzlösung ebenfalls 
unter dem Mikroskop. 

Erst Hamburger und kurz nach ihm von Lirabeck bereiten sich 
systematisch Salzlösungen in abnehmender Konzentration, fügen zu einer 
derartigen Serie von Salzlösungen tropfenweise Blut, lassen längere Zeit 
stehen, oder zentrifugieren ab und notieren nach dem Absetzen die Kon¬ 
zentration derjenigen Kochsalzlösung, in der zum ersten Male Hämolyse 
aufgetreten ist, erkenntlich an der Rotfärbung der sonst klaren Flüssig¬ 
keit über dem roten Bodensatz. Von Limbeck bezeichnete diese obere 
Grenze im Versuch als Minimumresistenz. Er meint damit, dass hier 
die am wenigsten resistenten Blutscheiben gezwungen sind, ihren Farb- 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 131 


stoff abzugeben. Analog hat dann Mosso diese Reihe fortgeführt und 
hat die Konzentration derjenigen Lösung, in der die resistentesten Blut¬ 
körperchen ihren Farbstoff eben noch behalten, Maxiraumresistenz ge¬ 
nannt. Mosso begnügt sich dabei mit dem makroskopischen Nachweise 
eines roten Bodensatzes. 

Von diesen erwähnten Versuchsanordnungen ist von späteren For¬ 
schern wohl fast durchwegs die handliche Blutkörperchenmethode 
Hamburgers angewendet worden; auch ich wählte dieselbe, nur findet 
man bei mir einige Modifikationen, die die Anstellung des Versuches 
einerseits dem Kliniker leicht verwendbar machen sollen, andererseits 
uns aber auch eine bessere Vorstellung von dem geben sollen, was bei 
einem derartigen Versuche in vitro vor sich geht. Dabei schwebte mir 
gleichzeitig der Gedanke vor, Vorgänge im lebenden Organismus nach¬ 
zuahmen, für die Blutkörperchen zumindest ähnliche Bedingungen zu 
schaffen, wie sie im Kreislauf herrschen, kurz möglichst wenig von den 
im lebenden Organismus herrschenden Verhältnissen abzuweichen. Aus¬ 
schlaggebend für mich wurden die Angaben, die wir in der Literatur 
über Versuche mit einerseits kohlensäurearmen, andererseits kohlensäure¬ 
reichen Blutkörperchen finden. Es erscheint mir notwendig, gestützt 
auf ältere anerkannte Versuche, einige theoretische Erörterungen einzu¬ 
schalten. 

Man war zuerst der Meinung, vor allem Gryns und Overton 
glaubten diese Meinung durch ihre Versuche bestätigen zu können, dass 
Alkalisalze, dem Blute beigemischt, in die roten Blutkörperchen nicht 
eindringen. Hedin dagegen schliesst aus seinen eigenen Versuchen, 
dass fixe Alkalisalze doch in geringer Menge in die Blutscheiben ein¬ 
dringen, dass sie aber hauptsächlich im Plasma bleiben. Oker-Blom 
erklärte auf Grund von Leitfähigkeitbestimmungen, dass KCl, MgS0 4 , 
K 2 S0 4 .im Serum aufgelöst und dem Blute hinzugefügt, in unbedeutendem 
Masse in die Blutkörperchen eindringen, während Ammoniumchlorid und 
Amoniumsulfat das in viel höherem Masse tun. In der Tat zur Annahme 
einer Permeabilität scheinen schliesslich die Versuche Koeppes, Willer- 
dings und Hamburgers zu berechtigen. Diese Versuche sprechen da¬ 
für, dass die Blutkörperchen nicht für Salze als solche durchgängig sind, 
sondern lediglich für Ionen, und zwar, soweit Alkalisalze in Betracht 
kommen, für deren Anionen. Damit im Einklang steht der Nachweis 
Gürbers, dass die Blutkörperchen dem Kalium und dem Natrium der 
Alkalisalze nicht den Durchgang gestatten, und die Erfahrung, dass die 
Blutkörperchen mehr Kaliumsalze, das Serum mehr Natriumsalze enthält. 
Weitere Versuche von Hamburger, die durch Gürber, v. Limbeck 
u. a. Bestätigung fanden, zeigten, dass in die Blutkörperchen CB ein¬ 
dringt und Phosphorsäure und Kohlensäure in das Serum hinübergehen, 
wenn man Kohlensäure durch das Blut leitet. So ist also nach Ham¬ 
burger, Willerding, Koeppe u. a. die äussere Hülle der roten Blut- 

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GOTTFRIED HOLLER 


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körperchen nicht allein für Wasser, sondern auch für die in diesem auf¬ 
gelösten Salze zum Teil durchgängig, genau genommen nur für die 
Anionen gewisser Salze, unter denen sie auch das NaCl nennen. Der 
Ham bürgersche Kohlensäureversuch mitBlut liess sich noch überzeugender 
mit Blutkörperchen ausführen, die in dem Blutkörpercheninhalt annähernd 
isotonischen Salz- und Zuckerlösungen aufgeschwemmt waren. Mit diesem 
Eintreten von CI' in die Blutkörperchen unter dem Einflüsse von Kohlen¬ 
säure stehen die Resultate von sogenannten Resistenzversuchen vollständig 
im Einklänge. Wieder sind es die Arbeiten Koeppes, Hamburgers 
und Willerdings, die ich durch nachstehend beschriebenen Versuch be¬ 
stätigen konnte. 

Ich bereitete mir eine 5proz. Blutaufschweramung in 0,9proz. NaCl- 
Lüsung, halbierte nach längerem Schütteln diese Aufschwemmung, leitete 
durch die eine Hälfte durch längere Zeit C0 2 hindurch, während ich die 
andere Hälfte ruhig an der Luft stehen liess, oder besser mit Sauerstoff 
in derselben Weise vorbehandelte. Wenn wir nun mit zwei derartig vor¬ 
behandelten Blutaufschwemmungen parallel laufende Resistenzversuche 
anstellen, so finden wir den ersten Hämoglobinaustritt bei den C0 2 reichen 
Blutkörperchen in einer höher konzentrierten Kochsalzlösung als bei den 
durch die 0-Vorbehandlung C0 2 arm gemachten Blutkörperchen. Gleich¬ 
zeitig nimmt unter dem Einflüsse der C0 2 der Cl-Gehalt der Aufschwem¬ 
mungsflüssigkeit deutlich ab und wird dieselbe alkalisch, v. Limbeck, 
der zum ersten Male den Farbstoffaustritt unter dem Einfluss von C0 2 
in der erwähnten Richtung verändert fand, verdanken wir noch die Ent¬ 
deckung einer weiteren wichtigen Tatsache: nämlich, dass bei Einwir¬ 
kung von C0 2 auf das Blut auch Wasser aus dem Serum in die Blut¬ 
körperchen eindringt. 

Aufbauend auf diese feststehenden Resultate können wir mit Willer- 
ding und Koeppc folgende Erklärung für unseren Versuch geben. Wenn 
ich derartige kohlensäurereiche Blutkörperchen in Kochsalzlösung bringe, 
so ist der Partialdruck der C0 3 "-Ionen im Blutkörpercheninhalt gegenüber 
dem der umgebenden NaCl-Lösung ein hoher; umgekehrt ist in der 
NaCl-Lösung der Partialdruck der CP-Ioncn gegenüber dem im Blut¬ 
körpercheninhalte ein hoher. Diese verschiedenen Partialdrucke streben 
einem Ausgleich entgegen, der durch einen Austausch zwischen den 
CO s Monen im Blutkörpercheninhalte einerseits und den CP-Ionen in der 
Aufschwemmungsflüssigkeit andererseits zustande kommen kann, da ja 
die äussere Hülle der Blutkörperchen für CP- und CO"-Ionen durchgängig 
ist. Es wird also für die CP-Ionen die Tendenz bestehen, in den Blut- 
körpcrcheninhalt einzudringen, während an ihrer Stelle C0 3 "-Ionen in die 
umgebende Flüssigkeit austreten. Ein Austausch muss jedoch in osmo¬ 
tischen Verhältnissen erfolgen, das heisst, für ein zweiwertiges C0 3 "-Ion 
müssen zwei einwertige Cl'-Ionen in den Blutkörperchcninhalt eintreten. 
Da nun ein einwertiges Ion für den osmotischen Druck dasselbe be- 



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Einige Vorsuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 133 


deutet wie ein mehrwertiges Ion oder ein Molekül, so muss, da doppelt 
so viel Cl'-Ionen in die Blutscheiben eintreten, als C0 3 "-Ionen austreten, 
der osmotische Druck im Blutkörpercheninhalt gegenüber dem der um¬ 
gebenden Flüssigkeit steigen. 

Bringt man nun ein derartiges Blutkörperchen in eine hypisotonische 
Salzlösung, so wird es infolge der höheren osmotischen Kraft seines In¬ 
haltes begieriger Wasser aus der Aufschwemmungsflüsssigkeit anziehen, 
rascher quellen und auch in einer höher konzentrierten Salzlösung seinen 
Farbstoff abgeben müssen, als ein mit Kohlensäure nicht vorbehandeltes 
Blutkörperchen. 

Versuchen wir nun w r eiter eine Erkläiung zu geben für das Alkalisch¬ 
werden der Aufschweramungsflüssigkeit unter dem Einflüsse der Kohlen¬ 
säure. Auch diese ist auf Grund der Ionentheoric möglich. Fragen wir 
uns da zunächst: was ist Alkaleszenz? Nach der physikalisch-chemischen 
Auffassung haben wir unter Alkaleszenz die Konzentration der Hydroxyl- 
ionen zu verstehen. Es reagiert z.B. eine KOH-Lösung deshalb alkalisch, weil 
darin freie OH'-Ionen Vorkommen, und je höher deren Konzentration, um so 
stärker auch die Alkaleszenz. Verwerten wir das nun in unserem Versuche. 

Das Alkali findet sich im Blutkörpercheninhalt zum Teil als diffu- 
sibles, zum Teil als nicht diffusibles Alkali. Den nicht diffusiblen Teil 
stellen die Verbindungen mit organischen Stoffen. Leitet man Kohlensäure 
durch Blut (oder wie in unserem Falle durch eine Blutaufschwemmung), so 
geht die grössere Menge dieser Kohlensäure in die Blutkörperchen, und 
es entsteht im Blutkörpercheninhalt aus den Albuminaten eine gewisse 
Menge K 2 C0 3 . Durch die Wirkung der C0 2 werden hier Verbindungen 
von K mit Eiweiss gelöst, und es bildet sich das diffusible K 2 C0 3 . Da 
K 2 C0 3 dissoziierbar ist, entstehen weiter im Blutkörpercheninhalt freie 
C0 3 "-Ionen. Nun ist der Partialdruck dieser C0 3 "-Ionen in den Blut¬ 
körperchen ein hoher gegenüber dem Partialdruck der C0 3 "-Ionen in der 
Kochsalzlösung, wo er gleich Null ist. Die infolgedessen austretenden 
C0 3 "-Ionen werden beim Uebergang in die NaCl-Lösung zum Teil hydro¬ 
lysiert, d. h. das C0 3 // -Ion bildet mit dem H*-Ion des Wassers das ein¬ 
wertige Ion HC0 3 ', und das Ion OH wird frei. Durch den Gehalt an 
freien Hydroxylionen wird die alkalische Reaktion der Aufschwemmungs¬ 
flüssigkeit bedingt. 

Analog diesen Versuchen hat dann Hamburger noch weitere Ver¬ 
suche ausgeführt, die die Durchlässigkeit der Blutkörperchen für ver¬ 
schiedene Säureanionen beweisen sollen. Zunächst beweist er dies für 
das S0 4 "- und N0 3 '-Ion, aus späteren Versuchen gemeinsam mit van Li er 
kommt er zu der Ansicht, dass die Blutkörperchen für die clektroncga- 
tiven Säureionen von Brom- und Jodwasserstoffsäure, Salizylsäure, Oxal¬ 
säure. Phosphorsäure, Arsensäure, Borsäure durchlässig sind. Gleichzeilig 
stellte sich heraus, dass das Eintreten dieser Säureanionen reichlicher 
vor sich geht, wenn die Blutkörperchen C0 2 -gesättigt sind. 


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134 


GOTTFRIED HOLLER, 


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Ich bringe hier die Resultate zweier Versuche Hamburgers mit 
Salzsäure und Schwefelsäre. Zusatz von 0,005 proz. HCl oder 0,01 proz. 
HoS0 4 zum Blut übt danach folgenden Einfluss aus: 

1. Die mit Säure behandelten Blutkörperchen brauchen zum Fest¬ 
halten ihres Farbstoffes eine stärkere NaCl-Lösung als normale 
rote Blutkörperchen. 

2. Dass infolge der Einwirkung von verdünnter Schwefelsäure auf 
Blut der Gehalt des Serums an festen Stoffen steigt. 

3. Dass durch die Einwirkung* von Schwefelsäure der Chlorgehalt 
des Serums abnimmt. 

4. Dass das Volumen der roten Blutkörperchen unter dem Einfluss 
der Säure zunimmt. 

Diese durch Säuren hervorgerufenen Erscheinungen im Blute er¬ 
wiesen sich als reversibel. Zusatz von Alkali (z. B. 0,0622 proz. KOH) 
zum Blute ruft entgegengesetzte Erscheinungon hervor: 

1. Die Blutkörperchen zeigen nach Einwirkung von KOH in einer 
schwächeren NaCl-Lösung Farbstoffaustritt. 

2. Nach Eiuwirkung von Alkali auf Blut nimmt der Gehalt des 
Serums an festen Bestandteilen ab. 

3. Durch die Einwirkung von Alkali wird der Gehalt des Serums 
an CI vermehrt. 

4. Das Volumen der roten Blutkörperchen wird durch die Ein¬ 
wirkung von Alkali vermindert. 

Hamburger ging dann noch weiter und zeigte durch Vergleichung 
des natürlich arteriellen und venösen Blutes, dass der Einfluss der Kohlen¬ 
säure auf die Verteilung der Blutbestandteile auch im Kreislauf zu be¬ 
obachten ist, und dass ebenso der Einfluss von Alkali und Säure auch 
für das Leben gilt. Bedenkt man nun, dass alle diese Versuche nur eine 
vielleicht etwas grobe Nachahmung dessen sein sollen, was im Stoff¬ 
wechsel vor sich geht, so wird man Hamburger Recht geben, der dar¬ 
aus auf eine Funktion der Blutkörperchen im Stoffwechsel schliesst. Er 
meint: 

„Diese Durchlässigkeit der Blutkörperchen für die verschieden¬ 
artigsten Säureionen unter dem Einflüsse von C0 2 und die Vermehrung 
der durchgelassenen Menge bei Steigerung des C0 2 -Gehalts weist den 
Blutkörperchen eine bis jetzt unbekannte Funktion im Stoffwechsel an. 
Denn dadurch werden Stoffwechselprodukte, welche mit Na und K (viel¬ 
leicht auch mit anderen Metallen) Salze bilden, unter dem Einfluss von 
C0 2 aus den Gewebsflüssigkeiten in die Blutkörperchen eindringen können, 
um, sobald das Blut in den Lungen dem Einfluss von Sauerstoff aus¬ 
gesetzt wird, in das Plasma hinüber zu wandern und den Nieren zur 
Ausscheidung angeboten zu werden. In dieser Weise denke ich mir z. B. 


Gck igle 


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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 135 


den Kreislauf des in den Geweben gebildeten und mit dem Harn aus¬ 
geschiedenen S0 4 . u 

Dieser Gedanke leitete auch mich bei Anstellung meiner Versuche, 
deren Technik folgende war: 

In vorher peinlichst salzrein gemachte Glasröhrchen von ungefähr 
1 cm Lichtung und 6 cm Länge wurden NaCl-Lösungen in absteigender 
Konzentration eingefüllt in der Weise, dass in das erste Röhrchen 1 ccm 
einer 0,9 prozentigen, in das folgende die gleiche Menge einer 0,6proz., 
dann einer 0,54proz., einer 0,52proz., 0,50proz. usw. NaCl-Lösung kam. 
Es wurden jedesmal zwei solche Reihen frisch aus einer 1 proz. Koch¬ 
salzlösung durch Verdünnen mit destilliertem Wasser bereitet und in eigens 
dazu gefertigten Stellagen aufgestellt. In der ersten Reihe (ich nenne 
sie R x ) wurden in jedes Röhrchen noch 0,2 ccm einer 5 proz. Blutauf¬ 
schwemmung (in 0,9 proz. NaCl-Lösung) dazugegeben. 

In der zweiten Reihe (ich nenne sie Rg), die also in der gleichen 
Weise mit Salzlösungen gefüllt war wie R 1? kamen ebenfalls 0,2 ccm 
einer Blutkörperchenaufschwemmung dazu, die aus der 5 proz. Blutauf¬ 
schwemmung, von der in R x nachgefüllt wurde, in der Weise hergestellt 
war, dass nach dreimaligem Waschen wieder auf das frühere Volumen 
der Blutaufschwemmung aufgefüllt wurde. Das Waschen und Auffüllen 
erfolgt mit 0,9 proz. Kochsalzlösung. Das Waschen ist ein wohlbekannter 
Vorgang, er besteht im Zentrifugieren, Absaugen der überstehenden 
Flüssigkeit und Wiederaufschwemmen. 

Sind beide Reihen in der eben beschriebenen Weise gefüllt und jedes 
Röhrchen gut durchgebeutelt, die Aufschwemmung in jedem Röhrchen 
hierdurch gleichraässig verteilt, so lasse ich sie bei Zimmertemperatur 
so lange stehen, bis die Blutkörperchen sich als roter Satz am Boden 
der Röhrchen angesammelt haben und die darüber stehende Flüssigkeit 
vollkommen klar erscheint. Die Ablesung eines derartigen Resistenz¬ 
versuches kann unmittelbar nach dem Absetzen erfolgen, kann aber ohne 
die Gefahr eines Fehlresultats ebenso gut bis 24 Stunden und mehr hin¬ 
ausgeschoben werden. Das Resultat ermittle ich in der Weise, dass ich 
die Röhrchen am besten gegen ein Blatt weisses Papier halte und von 
den höchst konzentrierten Lösungen nach abwärts schreitend beobachte, 
in welchem Röhrchen die über dem roten Bodensatz stehende, im übrigen 
vollkommen klare Flüssigkeit zum ersten Mal rötlich gefärbt ist. Die 
Konzentration dieses Röhrchens notiere ich, sie gibt mir nach v. Limbeck 
die Minimumresistenz an (s. o.). Ich muss hier noch folgendes hinzu¬ 
fügen: wenn ich z. B. die erste Hämolyse in 0,48 proz. Kochsalzlösung 
gefunden habe, so notiere ich 0,48 nur dann, wenn die Rotfärbung ganz 
schwach, eben wahrnehmbar ist; ist diese Rotfärbung aber intensiver, 
das vorhergehende konzentriertere Röhrchen trotzdem noch vollkommen 
ungefärbt, so notiere ich nicht 0,48, sondern 0,49 als Minimumresistenz. 
Durch diese Art der Ablesung ist das Verfahren vereinfacht, und die. 


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136 GOTTFRIED HOLLER, 

Resultate befriedigen für praktisch-diagnostische Zwecke vollständig. Die 
Maximumresistenz wird (etwas abweichend von Mosso) in dem Röhrchen 
angenommen, in dem makroskopisch kein Satz mehr sichtbar ist. Mosso 
hat sie, wie schon erwähnt, dort angenommen, wo die letzten Blut¬ 
körperchen eben noch ihren Farbstoff behalten. Ich habe mich über¬ 
zeugen können, dass in dem Röhrchen, in dem makroskopisch zum ersten 
Mal kein roter Satz mehr sichtbar ist, mikroskopisch immer noch ver¬ 
einzelt gut gefärbte Erythrozyten zu finden sind, die dann wohl als die 
von Mosso am resistentesten bezeichneten aufzufassen sind. 

Das gilt selbstverständlich für beide Versuchsreihen, für Rj und R 2 , 
in gleicher Weise. Versuchsfehler entstehen leicht durch ungenügendes 
Aufschütteln und dadurch bedingtes ungleichmässiges Verteilen der Blut¬ 
körperchen in den Lösungen. Geringe Temperaturschwankungen spielen, 
wie auch aus der Literatur ersiehtlich, keine Rolle, deshalb lasse ich 
bei Zimmertemperatur absetzen. 

Unter solchen Versuchsbedingungen findet man unter normalen Ver¬ 
hältnissen die Minimumresistenz in der Reihe der ungewaschenen roten 
Blutkörperchen (MiR x ) schwankend von den Röhrchen 0,48—0,44, die 
Maximumresistenz in derselben Reihe (MaR x ) um 0,20. Die letztere liegt 
innerhalb weiterer Grenzen, schwankt wohl auch etwas unter dem Ein¬ 
fluss einer sehr geringen oder sehr hohen Blutkörperchenzahl, doch 
kommen hierbei wesentlich wohl nur sehr ausgesprochene Polyglobulien 
und Oligozytämien in Betracht. 

In der Reihe der gewaschenen roten Blutkörperchen ist die Minimum¬ 
resistenz (MiRg) gegen MiRj häufig um 1—2 Röhrchen meiner Versuchs¬ 
anordnung im Sinne einer Resistenzverminderung verschoben, manchmal 
dieser gleich, manchmal auch um 1 Röhrchen in entgegengesetzter Richtung 
im Sinne einer Rcsistenzerhöhung verschoben. Die Maximumresistenz in 
dieser Reihe (MaRg) steht fast durchweg um 2—4 Röhrchen im Sinne 
einer Resistenzerhöhung verschoben. 

Zur Erklärung dieser verschiedenen Resultate in beiden Reihen muss 
ich wieder theoretische Erwägungen einschalten und erinnere vor allem 
an den C0 2 -Versuch, sowie überhaupt an die Ergebnisse der Säure- und 
Alkaliversuche Hamburgers. Willerding und Koeppe schon gaben 
auf der Ionentheorie fussend eine Erklärung für die Erhöhung des 
osmotischen Druckes im Blutkörpercheninhalt, die von ihnen nach Auf¬ 
schwemmen von Blut in physiologischer NaCl-Lösung gefunden worden 
war. Mit dem Folgenden schliesse ich mich den Ausführungen dieser 
beiden Forscher an. Auch die für meine Versuche aus dem Ohrläppchen 
der Patienten entnommenen Blutkörperchen sind etwas kohlensäurehaltig, 
enthalten neben freien C0 3 -Ionen auch noch andere austauschfähige mehr¬ 
wertige Ionen. Was geschieht nun, wenn ich solches Blut in 0,9 proz. 
NaCl-Lösung bringe? Auch hier wird CU in die Blutkörperchen eindringen, 
.während Karbonat, eventuell auch andere Ionen, dieselben verlässt. Auch 



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Einige Vorsuchsresultate zum Verständnisse physik.-ehern.Vorgänge im Blute. 137 


hier findet ein Austausch in isotonischen Verhältnissen statt. Es enthält 
die Blutscheibe freie C0 3 ", deren Partialdruck gegenüber dem der um¬ 
gebenden Aufschwemmungsflüssigkeit ein hoher ist. Bei der Tendenz 
dieser C0 3 ", sich gleichmässig über Blutkörperchen und Umgebung zu 
verteilen, wird eine gewisse Menge versuchen, die Blutkörperchen zu ver¬ 
lassen; es muss aber eine äquivalente Menge gleichnamiger, also negativer 
Ionen an ihre Stelle treten; nun enthält die umgebende NaCl-Lösung 
freie Cl'-Ionen und zwar mehr als der Blutkörpercheninhalt, wenn wir, 
wie in unserem Falle, in 0,9 proz. NaCl-Lösung aufgeschwemmt haben. 
Darum wird auch für die Cl'-Ionen der NaCl-Lösung teilweise die Tendenz 
bestehen, in die Blutkörperchen einzudringen. Wie ich es schon früher beim 
Kohlensäureversuch beschrieben habe, wird also auch hier ein Austausch, 
nur in etwas beschränkterem Masse, erfolgen. Dieser Austausch wird 
aber, wie wohl leicht verständlich, ein umso gründlicherer sein, je häufiger ich 
die Blutkörperchen mit frischer 0,9 proz. NaCl-Lösung in Berührung bringe, 
was der Fall ist, wenn ich mit 0,9 proz. NaCl-Lösung wiederholt wasche. 

Den Vorgang des Waschens muss ich hier noch etwas besprechen. 
Die Blutkörperchenaufschwemmung wird 5 Minuten lang zentrifugiert, 
wobei alle Blutkörperchen sich zu Boden gesetzt haben müssen, was man 
daran erkennt, dass die überstehende Flüssigkeit vollständig klar ist. Ist 
letztere dabei gelblich gefärbt, so handelt es sich um Gallenfarbstoff, 
wenn rötlich, um Hämoglobin. In letzterem Falle müssen wir diesen 
Befund im Resistenzversuch berücksichtigen, da, falls nicht im Körper 
des Patienten das Hämoglobin frei geworden ist, es sich um einen Aus¬ 
tritt des Hämoglobins durch das Aufschwemmen in der 0,9 proz. NaCl- 
Lösung handelt. Dadurch sind aber gerade die am wenigsten resistenten 
Blutkörperchen bereits entfernt. Nach Absaugen der über dem roten 
Satze stehenden Flüssigkeit wird unter tüchtigem Umschütteln wieder 
auf das gleiche Volumen mit 0,9 proz. NaCl-Lösung aufgefüllt, den Blut¬ 
körperchen genügend Zeit zum Austausch gelassen, und wieder zentri¬ 
fugiert. Dieser Vorgang des Zentrifugierens und Wiederaufschwemmens 
wird dreimal in gleicher Weise wiederholt. 

Wenn durch das Waschen tatsächlich mehrwertige Ionen noch weiter 
aus den Blutkörperchen austreten und durch mehr einwertige Ionen ersetzt 
werden, so muss dadurch die osmotische Kraft des Inhaltes dieser Blut¬ 
körperchen wachsen. Bringt man nun ein derartiges Blutkörperchen in 
eine hypisotonische NaCl-Lösung, so wird es vermöge der höheren osmo¬ 
tischen Kraft seines Inhaltes begieriger Wasser anziehen, stärker quellen 
und wird im Resistenz versuch seinen Farbstoff schon in einem Röhrchen 
mit höher konzentrierter Salzlösung abgeben müssen, als es in der Versuchs¬ 
reihe mit ungewaschenen roten Blutkörperchen der Fall ist. Ich bringe 
ein dementsprechendes Beispiel: 

In einem Versuche betrug die MiRj = 0,46, die MiR 2 = 0,48. Sie 
sehen hier die Verschiebung der MiR 2 gegen die MiR x im Sinne einer 


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GOTTFRIED HOLLER 


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Resistenzverringerung, wie sie unseren theoretischen Erörterungen ent¬ 
spricht. Solange dieselbe nicht mehr als höchstens zwei Röhrchen unserer 
Versuchsanordnung umfasst, müssen wir, da wir einen derartigen Befund im 
Blute von sich vollständig gesund fühlenden Individuen immer finden können, 
physiologische Verhältnisse annehmen. Ich werde später Fälle bringen, wo 
diese Verschiebung, wahrscheinlich beruhend auf einer chemischen Eigen¬ 
art dieser Blutkörperchen, viel höhere Grade erreicht. 

Ausser dieser Aenderung des chemisch-physikalischen Zustandes des 
ßlutkörpercheninhaltes besteht aber noch ein Unterschied der Verhältnisse 
in der Reihe der gewaschenen und der der ungewaschenen Blutkörperchen. 
Es befinden sich in Rj in der Aufschwemmungsflüssigkeit neben NaCl 
auch die Bestandteile des Plasmas. Es besteht das physikalisch-chemische 
Gesetz, dass, wenn zwei Elektrolyten oder ein Elektrolyt und ein Nicht¬ 
elektrolyt in derselben Lösung sind, sich dieselben gegenseitig in bezug 
auf ihre elektrolytische Dissoziation hemmen. Je stärker aber die Disso¬ 
ziation, umso höher der osmotische Druck. Daher muss die osmotische 
Kraft in der Aufschwemmungsflüssigkeit der R x eine geringere sein als 
in der Aufschwemmungsflüssigkeit der R^, wo die Substanzen des Plasmas 
durch das Waschen entfernt worden sind und sich tatsächlich nur ein 
Elektrolyt, das NaCl, in Lösung befindet. Es treten also in der Rg zwei 
Vorgänge mit entgegengesetzt gerichteten Vorzeichen in Kraft: die höhere 
osmotische Kraft im Blutkörpercheninhalte auf der einen Seite, die höhere 
osmotische Kraft in der Aufschwemmungsflüssigkeit auf der anderen 
Seite. Welche von beiden Grössen überwiegt, entscheidet in jedem Falle 
der Versuch. 

Ich bringe wieder einige Beispiele: 

In einem Falle betrug: MiRj = 0,48, MiR 2 = 0,52 
* n 2. * * * = 0,44, „ “ - 0,44 

n * 3. „ „ „ = 0,46, r = 0,44. 

Sie sehen hier drei Möglichkeiten, die das Ebengesagte illustrieren. 
Die drei zitierten Fälle stammen von Versuchen an ein und demselben 
Individuum Xu verschiedenen Tageszeiten. Mir hat es den Eindruck ge¬ 
macht, dass eine Verschiebung der MiRg im Sinne einer Resistenzverringerung, 
wie sie unser erstes Beispiel zeigt, am ausgesprochensten zur Zeit bester 
Verdauung und unmittelbar nach dieser gefunden wird, während sie 
im nüchternen Zustande häufig fehlt, was wieder mit Hamburger für 
eine Funktion der Blutkörperchen im Stoffwechsel spricht. Ein konstantes 
Fehlen dieser Art der Verschiebung (im Sinne einer Resistenzverringerung) 
bei wiederholter Untersuchung zu verschiedenen Tageszeiten spricht dann 
umgekehrt für eine schlechte Funktion derartiger Blutkörperchen. Ich 
werde später solche Beispiele bringen. Sie werden daraus entnehmen 
können, welchen Wert die von mir angewandte Methode, die Resistenz¬ 
versuche mit gewaschenen und ungewaschenen Blutkörperchen vorzunehmen, 



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Einige Vorsuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 139 


hat; sie sehen aber auch, wie wenig, von diesem Gesichtspunkte betrachtet, 
der Ausdruck Resistenzversuche passt. 

In dieser Weise schwankt die MiR 2 von 0,52 bis 0,42. 

Ich hebe nochmals hervor, dass diese Verschiebung der MiR 2 gegen 
Mil^ bei ein und demselben Individuum, zu verschiedenen Tageszeiten 
untersucht, nicht immer die gleiche ist. Zeitweise erfolgt sie im Sinne 
einer Resistenzverminderung, zeitweise im Sinne einer Resistenzerhöhung, 
manchmal fehlt sie ganz. Im Falle einer Resistenzerhöhung müsste dann, 
wie schon erwähnt, die Vermehrung des osmotischen Druckes in den 
Aufschwemmungsflüssigkeiten der Reihe R^ die Vermehrung desselben in 
den Blutscheiben überwiegen. Je mehr diffusible mehrwertige Ionen die 
Blutkörperchen enthalten, desto mehr werden durch das Waschen mit 
einwertigen Ionen vertauscht werden können, desto mehr wird der osmo¬ 
tische Druck im Blutkörpercheninhalt steigen und desto früher werden 
die ersten Blutkörperchen in der Reihe R 2 ihren Farbstoff abgeben müssen. 
Jedes gesunde Blutkörperchen kann im Kreisläufe bald mehr ein-, bald 
mehr zweiwertige Ionen enthalten, wie es die Stoffwechselvorgänge gerade 
bedingen. In dieser Weise scheinen mir diese Vorgänge, wie wir sie 
jetzt in vitro beobachtet haben, mit physiologischen Zuständen im Orga¬ 
nismus im Einklang zu stehen. 

Die Bestimmung der Maximumresistenz ist für unsere Versuche 
weniger wichtig, weil hier noch weitere Faktoren hinzukommen, die ihren 
Stand bestimmen. Hierdurch wird die Beobachtung erschwert, trotzdem 
erscheint aber eine kurze Betrachtung vielleicht ganz lehrreich. 

Zunächst sind hier gerade nur mehr die allerresistentesten Blut¬ 
körperchen enthalten, während alle übrigen, die sich z. B. in dem Röhrchen, 
das uns die Minimumresistenz angibt, noch unverletzt vorfinden, hier 
zerstört sind und ihren Inhalt, mithin auch ihre osmotische Kraft in die 
Aufschwemmungsflüssigkeit abgegeben haben. Die Abnahme der Kon¬ 
zentration der Salzlösungen in den einzelnen Röhrchen wird dadurch 
etwas abgeschwächt und dies umso mehr, je mehr Blutkörperchen in dem 
betreffenden Röhrchen bereits zugrunde gegangen sind und je höher die 
osmotische Kraft im Inhalte dieser zugrunde gegangenen Blutkörperchen 
war. Da nun in der Reihe der gewaschenen Blutkörperchen, wie aus 
früher Gesagtem bekannt ist, mehr mehrwertige Ionen im Blutkörperchen¬ 
inhalt infolge des Waschens durch je mehr einwertige Ionen ersetzt sind 
als in der Reihe der ungewaschenen Blutkörperchen, werden in der Reihe 
R 2 die Blutkörperchen nach ihrer Zerstörung mehr Ionen in die Auf¬ 
schwemmungsflüssigkeit abgeben und so den osmotischen Druck hier mehr 
steigern können als die zerstörten Blutkörperchen in der Reihe R x . Daraus 
geht hervor, dass die nach dem Waschen fast immer zu beobachtende 
Verschiebung der MaR^ im Sinne einer Vermehrung keine wirkliche 
Resistenzerhöhung dieser Blutkörperchen zu bedeuten hat. Es wäre auch 
nicht verständlich, warum für diese Blutkörperchen an der Maximum- 


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GOTTFRIED HOLLER 


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resistenz-Grenze andere physikalisch-chemische Gesetze gelten sollten als 
für'Blutkörperchen an der Minimumresistenz-Grenze. Wir nehmen wohl 
besser an, dass für erstere dieselben Verhältnisse bestehen, wie wir sie 
für letztere in den Bereich unserer Betrachtungen gezogen haben, nur 
dass diese Verhältnisse (die Vermehrung des osmotischen Drucks im 
Blutkörpercheninhalt und die Vermehrung des osmotischen Drucks in der 
Aufschwemmungsflüssigkeit durch das Waschen) hier durch weitere Ver¬ 
änderungen in den Aufschwemmungsflüssigkeiten der einzelnen Röhrchen 
verwischt sind. Die Verschiebung der MaR^ gegenüber der MaRi wäre 
hiermit zum Teil ein Ausdruck für die Menge der mehrwertigen Ionen, 
die beim Waschen durch einwertige ersetzt worden sind. Dieser Zunahme 
der osmotischen Kraft in der Aufschwemmungsflüssigkeit dadurch, dass 
Blutkörpercheninhalt ihr beigemengt wird, wirkt wieder die höhere osmo¬ 
tische Kraft im Inhalt der noch unzerstörten gewaschenen Blutkörperchen 
entgegen. Es ist nun möglich, dass zwischen diesen Grössen manchmal 
ein Verhältnis zustande kommt, das eine Verschiebung der MaRg gegen 
die MaRj im Sinne einer Resistenzerhöhung aufhebt, ja wir finden sogar 
manchmal, allerdings selten, eine Verschiebung der MaR 2 in entgegen¬ 
gesetzter Richtung im Sinne einer Resistenzverringerung. Zur Erläuterung 
des Gesagten bringe ich einige Beispiele. 

In einem Falle betrug: MaR x = 0,22, MaR 2 — 0,14 

= 0 . 22 , „ = 0,10 

= 0 , 22 , „ = 0 

- 0,24, „ = 0,24 

= 0,24, „ = 0,26. 

Fall 1, 2 und 3 sind Resultate von Versuchen an demselben gesunden 
Mann zu verschiedenen Tageszeiten. Wieder scheinen hier die Versuchs¬ 
resultate physiologischen Vorgängen im Organismus zu entsprechen. Der 

4. Fall stammt von einem jugendlichen Diabetes insipidus, der 5. von 
einem Tetanus im schwersten Krampfstadium. Ich muss zu diesem 

5. Falle erwähnen, dass ich eine derartige Verschiebung der MaR^ im 
Sinne einer Resistenzverminderung bei vollständig gesunden Individuen 
bisher noch nicht beobachten konnte, dass mir aber derzeit hierüber noch 
zu wenig Erfahrung zusteht, um sagen zu können: hier liegt ein patholo¬ 
gischer Befund vor. Ich werde später bei den Anämien nochmals auf 
diesen Punkt zu sprechen kommen. 

Als Grenzen für MaR 2 möchte ich vorderhand die von mir bisher 
gefundenen Werte von 0,26 abwärts einsetzen. 

Meine Versuchsanordnung weicht von den bisher gebräuchlichen 
darin ab, dass ich die Grenzen der Hämolyse nicht in einer Reihe allein 
bestimme (die bisherigen Versuche, die mir aus der Literatur bekannt 
sind, beschränken sich auf die Anwendung entweder nur gewaschener 
oder nur ungewaschener roter Blutkörperchen), sondern, dass ich aus 


2 . 

3. 

4. 

5 . 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 141 


dem Vergleich zwischen beiden Reihen, einerseits mit gewaschenen, 
anderseits mit ungewaschenen Blutkörperchen, Schlüsse ziehe. Was ich 
damit gewonnen habe, glaube ich durch meine bisherigen Ausführungen 
genügend präzisiert zu haben. Damit aber haben sich meine Versuche 
über den Rahmen gewöhnlicher Resistenzprüfungen erhoben und ich wäre 
sehr geneigt, dafür den Namen „Funktionsprüfungs-Versuche roter 
Blutkörperchen“ einzuführen. Wir bleiben so der alten Hamburgerschen 
Idee treu, der aus seinen, den meinen gleichwertigen Versuchen auf eine 
Funktion der Blutkörperchen im Stoffwechsel schliesst. Anhangsweise 
sei hier noch erwähnt, dass nach Hamburgers Versuchen im Verein 
mit van der Schroeff an weisscn Blutkörperchen diese denselben 
chemisch-physikalischen Gesetzen unterliegen wie die roten Blutkörperchen. 

Ich glaube so, an einem schon oben angeführten Gedanken fest¬ 
gehalten zu haben, nämlich: eine Methode zu schaffen, die 

1. uns über chemisch-physikalische Verhältnisse im Blute Auf¬ 
schluss gibt, 

2. die Vorgänge nachzuahmen bestrebt ist, wie sie im lebenden 
Organismus bestehen, 

3. ob ihrer leichten Ausführbarkeit für klinisch-diagnostische Zwecke 
in Betracht kommt. 

Der erste, der Rcsistenzbestimungen im Blute Kranker vornahm, 
war Johann Duncan. Wir finden im Sitzungsbericht der Wiener Aka¬ 
demie der Wissenschaften vom 11. April 1867 eine Beobachtung dieses 
Autors, wonach chlorotische Blutkörperchen ihren Farbstoff schon in 
höher konzentrierten Salzlösungen verlieren, als Blutkörperchen gesunder 
Menschen. Ueber ein Jahrzehnt später findet Chanel bei derselben Er¬ 
krankung ebenfalls eine Abnahme der Resistenz, die nach ihm bei Eisen¬ 
therapie wieder verschwindet. Später finden wir in der Literatur noch 
vielfach Versuche bei Chlorose, die fast durchweg eine mehr oder minder 
ausgesprochene Resistenzverringerung bestätigen. 

Bei Zyanose finden v. Li mb eck und etwas später Vaquez als die 
ersten Resistenzverringerung. 

Bei Ikterus stanjmen die ersten Versuche von Chanel, v. Limbeck, 
Maragliano und Viola. Darnach besteht eine Resistenzvermehrung, 
die v. Limbeck damit erklärt, dass die gallensauren Salze die Blut¬ 
körperchen von schwacher Resistenz zerstören. Diese Rcsistenzvermehrung 
bei Ikterus wurde später noch oft bestätigt, doch wurde neben der Er¬ 
klärung v. Limbecks noch eine andere gegeben, wonach Gallenbestand¬ 
teile im Serum imstande seien, den osmotischen Austausch zwischen 
roten Blutkörperchen und umgebender Flüssigkeit zu erschweren. Dadurch 
stellten sich, da auch dieser wie jeder Hämolyse osmotische Verhältnisse 
zugrunde liegen (Baumgarten, Nolf), Verschiedenheitc'n beim Ablauf 
der Hämolyse ein. 


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142 


GOTTFRIED HOLLER, 


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Zu erwähnen sind ferner Befunde, die bei Krankheiten erhoben wurden, 
die mit Anämie verlaufen. Ich stelle die wichtigsten Befunde hierüber, 
ohne Nennung der Autoren kurz zusammen: bei Blutverlusten Abnahme; 
bei Karzinomen teils Abnahme, teils Zunahme; bei Anaemia saturnina 
Zunahme; bei paroxysmaler Hämoglobinurie Abnahme. 

Bei Fieber bestätigen die Autoren die zuerst von Maragliano ge¬ 
fundene Resistenzverringerung. Auch bei Malaria und Tuberkulose wurde 
im Fieberzustand die Resistenzverringerung gefunden. Bei Tuberkulose 
bestehen im übrigen abweichende Befunde. 

Von grösstem Interesse sind die Arbeiten Widals über hämolytischen 
Ikterus. Dieser Forscher findet in Fällen von nicht hereditärem hämo¬ 
lytischen Ikterus mit Anämie eine Resistenzverringerung. Dieser Befund 
wurde nach ihm noch wiederholt von namhaften Autoren bestätigt. 

Bei Anaemia perniciosa liegen wieder sehr abweichende Befunde 
vor, bald Resistenz Verringerung, bald Vermehrung, bald normale Resistenz. 

Wohl schon bei allen Krankheitszuständen liegen heute in der 
Literatur Resistenzbefunde vor; ich habe nur das Wichtigste heraus¬ 
gegriffen und erübrigt es mir, nur noch einige Literaturangaben über 
Befunde in physiologischen Zuständen des Organismus anzuschliessen: 
da kommt es mir vor allem vor, dass in der Literatur zu wenig auf 
die von mir beobachteten physiologischen Schwankungen der Resistenz 
geachtet wurde. Wir können z. B. unmöglich festsetzen, MiRj beträgt 
normal z. B. 0,44 oder MiR 1 beträgt normal 0,48, wie wir es in manchen 
Arbeiten finden, da weniger Eingeweihte, denen diese ziemlich weiten 
physiologischen Schwankungen der Resistenz nicht bekannt sind, daraus 
vielfach auf eine Resistenzverringerung resp. -erhöhung dort schliessen, 
wo in Wirklichkeit normale Resistenzwerte gefunden wurden. Ich glaube, 
ich kann nicht scharf genug darauf hinweisen, weil gerade das einer der 
Hauptgründe ist, weshalb wir vielfach abweichende Angaben bei denselben 
Krankheitszuständen finden. 

Von Chanel existieren Angaben, wonach dieser Forscher bei jugend¬ 
lichen Individuen geringere Resistenzwerte fand, als bei alten Leuten. 
Italienische Forscher fanden einen Unterschied im Geschlecht im Sinne 
einer Verringerung der Resistenz bei der Frau. Wiederholt wurde eine 
Abnahme der Resistenz in der Schwangerschaft, namentlich in den letzten 
Monaten, von anderen wieder zur Zeit nach der Entbindung einsetzend, 
angegeben. Maragliano erwähnt Abnahme während der Menstruation. 
Nach Vicarelli nimmt die Resistenzverminderung, die bereits nach der 
Entbindung beobachtet wird, während der Laktation zu. 

Im Hungerzustande liegen wieder verschiedene Befunde vor, doch 
schliesst sich die Mehrheit einer Resistenzverringerung an. Vielfach wird 
die Verschiedenheit der Befunde hier wie in Fällen von Ikterus damit 
gedeutet, dass wenig resistente Blutkörperchen im Kreislauf bald zu¬ 
grunde gehen, während die resistenteren erhalten bleiben, und man so 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 143 

dort, wo man früher eine verringerte Resistenz konstatiert hat, kurze 
Zeit später eine Erhöhung finden kann. 

Nachdem ich so kurz nur das Wichtigste aus der Literatur gestreift 
habe, will ich von meinen vielen Versuchen eine grössere Zahl von Be¬ 
funden in einer Tabelle geordnet einschalten, um an der Hand dieser 
Tabelle verschiedene von der Norm abweichende Resultate anschliessend 
zu besprechen. 


(In der Tabelle bedeutet O(S-f), dass in dem Röhrchen mit destilliertem Wasser noch ein wenig roter Satz ist, 
dementsprechend O(S-)—f-), dass ein stärkerer Satz vorhanden war und 0(SH—\—|-), dass dieser Satz sehr stark 

war. Fi. = Färbeindex.) 


Nr. 

Geschlecht, Alter, Diagnose 

Erythroz. 

Fi. 

i 

MiRi — MaRx 

i 

MiR 2 —MaR 2 


1 

Gesunder Mann, 27 J. 

5 512 000 

| 

0,45 — 0.22 

0,44-0(8+) 

1 Std. nach dem Essen. 



G 288 000 

1,09 

0,46 - 0,22 

0,46 — 0,10 

Nüchtern. 

2 

Gesunder Mann, 25 J. 

5 168 000 

! — 

0,45 — 0.22 

1 0,47 — 0,14 

1 Std. nach dem Essen. 



6 072 000 

0,97 

! 0,46 — 0,22 

i 0,45— 0(S+) 

Nüchtern. 

3 

Gesunder Mann, 21 J. 

5 340 000 

; 1,05 

! 0,44 — 0.20 

i 0,47 — 0,20 

Fast nüchtern. 


— 

! — 

1 0,43 — 0,22 

i 0.45 — 0,12 

Nüchtern. 



— 


j 0,44 — 0,24 

i 0,46 — 0 

2 Std. nach dem Essen. 

4 

Mann, 23 J'., Ischias: nach Moor- 

— 

j — 

0,52 - 0,28 

i 0,49 — 0,26 

Nüchtern. 


bädern 

— 

— 

0,51 -0,24 

i 0,49 - 0,20 

Vor dem Mittagessen. 



— 

— 

0,50 — 0,26 

1 0,52 - 0,20 

2 Std. n. dem Mittagessen. 



— 

— 

0,47 — 0.22 

0,50 — 0,16 

5 Std. n. dem Mittagessen. 

5 

Gesunde Frau, 20 J. 

5 164 000 

1 

0,44 — 0,22 

0.47—0,18 

1 Std. nach dem Essen. 

6 

Mädchen, 19 J., Obstipation 

4 564 000 

1,15 

0,45 — 0,20 

0,47 — 0,16 

Tag vorher Fieber. 

7 

Frau, 26 J., Neuropathie 

5 468 000 

1 

j 0,49 — 0,24 

0,49-0,18 

Nüchtern 

8 

Mann, 62 J., Gynäkomastie 

4 372 000 

1,15 

0,46 — 0.22 

0,48 - 0,12 


9 

Mann, 42 J., Ulkusbeschwerden 

6 288 000 

0,98 

0.47 — 0,16 

0.50 — 0(S + ) 


10 

Mann, 39 J., Ulcus duodeni 

4 752 000 

1 

0,46 — 0,18 

0,47-0(8+) 

Okkulte Darmblutung. 

11 

Mann, 38 J., Neurosis ventriculi 

6 652 000 

0,90 

0,46—0,18 ; 

i 0,48 - 0 

12 

mit Hypersekretion 




Mädchen, 27 J., Vagotonie 

4 692 000 

1,02 

0,47 — 0,16 | 

0.48— 0(S+) 


13 

Frau, 52 J., Intumescentiahepat. 

4 772 000 

0,82 

0,49 — 0,28 j 

0.50-0,14 

Nach dem Essen. 

14 

Frau, 54 J., Intuemscentiahepat. 

4 388 000 

1,22 

0,46 - 0,20 | 

0,50 — 0,16 


15 

et lienis 

Mann, 15 J., Hypoplast 

5 232 000 

0.97 

l 

0,40 -0,28 ! 

0,42 — 0,26 


16 

Mann, 37 J., Multiple Sklerose, 

6 264 000 

1,04 

0,46 - 0,26 ! 

0,46 — 0,26 

Nüchtern. 


Aortenvitium 





17 

Mann, 40 J., Mediast.-Tumor, 

5 465 000 

0,92 ! 

0,46 — 0,20 

0,46-0,18 

Nüchtern. 


Wassermann -j—f--f- 



18 

Mann, 18 J., Purpura rheum. 

5 63G 000 

0,97 

0,47 — 0,28 

0,46 — 0,28 

1 Std. nach dem Essen. 

19 

5 924 000 

0,83 

0,43 — 0,24 

0,46 — 0,1 S 

12 Tage später gebessert. 

Mädchen, 15 J., Chorea minor 

5 540 000 

0,86 

0,48 — 0,28 

0,52 - 0,32 

Eosinophilie. 

20 

Mann, 21 J., Chlor-Baryumver- 

7 800 000 

0,85 

0,50 — 0,22 

0,52 — 0(S+) 

Im Krampfstadium. 

21 

giftung 

Mädchen, 22 J., CuS0 4 -Vergift. 

4 360 000 

1,14 

0,44 — 0,24 

0,46-0,18 

10 Tage später geheilt. 

22 

Mann, 17 J., nach 10 ständigem 

10 728 000 

0,49 

0,44 — 0,20 

0,46 - 0 

Angeblich Vergiftung mit 

23 

Marsch, ausgehungert 





Chlor-Baryum. 

Frau, 32 J., Karbolsäurcvergift. 

4 980 000 

1,13 

0,45 - 0,28 

0,47 - 0,22 

Sehr schlecht. 

24 

4 992 000 

1,08 

0,43 — 0,24 

0,42-0(S+++) 

4 Tage später gebessert. 

Frau, 22 J., H 2 S0 4 -Vergiftung 

5 484 000 

1,01 

0,44 — 0,22 

0,48— 0(S+) 

Sehr schlecht. 

25 

Mädchen, 15 J., Ocsophagus- 

8 964 000 

0,78 

0,47 — 0,24 

0,45 — 0,10 

Geri nge Sch 1 u ckbesch werd. 


divertikel, Stenose, Hypoplast 

8 388 000 

0.83 

0,52 — 0,20 

0,52 — 0,20 

Stenose komplett, 3 Tage 






gehungert. 

26 

Mann, 15 J., Diabetes juvenil. 

6 160 000 

1 

0,53 - 0,28 

0,45 - 0,10 


27 

Mann, 50Diabetes insipidus, 

5 356 000 

0,94 

0,48 — 0,24 

0,44 — 0,24 



Hypophysentumor 






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UNIVERSITY OF MINNESOTA 








144 


GOTTFRIED HOLLER 


-- 

- - - - . - 





- 

- 

Nr. 

Geschlecht, Alter, Diagnose 


■ 

MiRj — MalG 

MiRj 

— MaR2 


28 

Mann, 20 J., Diabetes insipidus 

6 876 000 

0,92 

0,49 — 0,24 

0,53 

-0,20 


29 

Frau, 27 J., Morbus Basedow 

6 244 000 

0,85 

0,43 — 0,24 

0,45 

— 0,20 

Schwere Erscheinungen. 



4 820 000 

0,78 

0,43 — 0,24 

0,42 

— 0,10 

Schwere Erscheinungen. 



3 164 000 

0,87 

0,43 - 0,22 

0,38 

-0 

Besserung. 

30 

Frau, 35 J., Tetanie, n. Struma- 

5 432 000 

0,98 

0,50 — 0,30 

0,52 

— 0,18 


Operation 

5 004 000 

1,34 

0,48-0(S++) 0,52-0(S+++) 

N. längerer Calc. lact.-Ther. 



6 180 000 

0.84 

0,48 — 0,30 
0,4S - 0,28 

0,53 

— 0,24 

Ohne Therapie; Rückfall. 

31 

Mädchen, 26 J., Tetanie, Hvpo- 

6 240 000 

0,84 

0,46 

- 0,20 


plast 

5 656 000 

0,83 

0,46 — 0.24 

0.46 

— 0,24 

Vegetarische Kost. 


5 800 000 

1,16 

0,46 — 0,22 
0,44 — 0,16 

0,48 

-0,12 

Calc. lact -Therapie. 



6 036 000 

0,74 

0,46 

- 0,12 

Calc. lact.-Therapie. 



5 716 000 

1,07 

0,86 

0,46 — 0,16 

0,50 

-0(S+) 

Calc. lact.-Therapie. 

32 

Mädchen, 15 J., Tbc. pulm. 

6 124 000 

0,49 — 0,26 

0,49 

— 0,26 

1 Std. nach dem Essen. 


fibrosa, Hypoplast 





33 

Mädchen, 14 J., Apicitis chron. 

6 436 000 

0,72 

0,41—0,20 

0,41 

-0,14 

1 Std. nach dem Essen. 


fibrosa, Hypoplast 






34 

Mädchen, 18 J., Apicitis chron. 

5 481 000 

l 

0,44 - 0,26 

0,42 

— 0,24 

1 Std. nach dem Essen. 


fibrosa, Hypoplast 





35 

Mann, 24 J., Apicitis chron. 

6 572 000 

0,94 

0,43 — 0,24 

0,44 

-0(S+) 



fibrosa, Trichterbrust 







36 

Mädchen, 19 J., Tbc. pulm. 

5 468 000 

0,73 

0,48 — 0,26 

0,49 

— 0,26 



chron., Hypoplast 







37 

Mädchen, 26 J., Tbc. pulm. 

— 

— 

0,47 — 0,20 

0,47 

— 0,20 


38 

Frau, 29 J., Tbc. pulm. et laryn. 

— 

— 

0,45 — 0,30 

0,45 

— 0,12 


39 

Mädchen, 15 .L, Tbc. pulm. 
Mädchen, 19 J., Apicitis incip. 

— 

— 

0,51 — 0,28 

0,51 

— 0,24 

Fieber. 

40 

5 396 000 

1 

0,45 — 0,28 

0,47 

— 0,22 


41 

Frau, 35 J., Tbc.pulm et intest., 

5 424 000 

0,84 

0,47 — 0,20 

0,53 

— 0(S+) 

Hochgrad. Marasmus: ante 


Amyloidose 






exit. 

42 

Mann, 50 J,, Tbc. pulm. et intest. 

6 136 000 

0,65 

0,45 — 0,22 

0,47 

-0,14 


43 

Mädchen, 24J., Apicitis fibrosa? 

5 660 000 

0,94 

0,39 — 0,20 

0,42 

— 0,08 



gut entwickelt 







44 

Mann, 25 J., Konglomerat- und 

6 280 000 

0,92 

0,45 — 0,18 

0,45- 

-0(S++) 

Nüchtern. 


Solitärtuberkel im Ilirn 







45 

Mann, 22 J., Apicitis fibrosa, 

6 34S 000 

1 

0,47 — 0,26 

0,49 

-0,10 



gut entwickelt 







46 

Frau, 32 J., Tbc. pulm. chron. 

5 656 000 

! 0,S4 

0,49 — 0,20 

0,53 

-0 


47 

Mädchen, 24 J., Apicitis chron. 

5 608 000 

1 

0,45—0,18 

0,47 

— 0,10 



fibrosa 







48 

Mann, 21 J., Tbc. pulm. chron. 

5 836 000 

| 1,07 

0,47 — 0,18 

0,49 

— 0 


49 

Mädchen, 16 J., Aktinomykosc 

3 500 000 

i 0,75 

I 0,53 — 0,24 

0,53 

— 0,20 

Hohes Fieber. 


4 332 000 

0,64 

i 0,49 — 0.24 

! 0,50 

— 0,20 

Besserung. 

50 

Mann, 30 <L, Tetanus 

6 428 000 

0,91 

I 0,53 — 0,24 

0,47 

- 0,26 

Im Krampfstad. (Wasch¬ 





1 



wasser rot) ante exi:. 
Fieber. 

51 

Mann, 24 ,T., Typhus abdom. 

4 280 000 

1,17 

0,41 —0,18 

© 

o* 

1 

-0 V S++) 

Fieber. 

52 

Mann, 37 J., Pneumonie 

4 296 000 

1.07 

0,38 — 0,18 

0.52 

— 0,16 

Fieber. 

53 

Mann, Tbc. pulm. librosa, Peri- 

5 340 000 

0,95 

0,47 — 0,18 

0,48 

— 0,08 

Fieber. 


carditis librosa et exsud. 






54 

Frau, 42 J., Ca. vcntriculi c. 

4 512 000 

0,98 

0,49 - 0,32 | 

0,49 

-0,30 



metastas. 







55 

Mann, Ca. ventrieuli 

6 492 000 

1,01 | 

0,49 — 0,22 

0,51 

- 0,16 



5 324 000 

1,13 

0,48 — 0,22 

0,51 

- 0,12 

Nach längerem kräftigem 








Diathermiercn. 

56 

Mann, 57.1., Ca. ventrieuli incip. 

4 492 000 

1,06 

© 

OS 

© 

Ti/ 

© 

0,39 

-(0S+) 



Tbc. pulm. 







57 

Frau, 46 J., Ca. vesic. fei., Ikt. 

2 118 000 : 

1 

0,47 - 0,22 

0,48- 

-0(S++) 


58 

Mann, 42 .L, Ca. vesic. fei., Ikt. 

4 996 000 

1,21 

0,44 — 0,22 

6,44 

— 0,16 


59 

Frau, 64 J., Ca. vcntriculi c. 

3 812 000 | 

0,96 , 

0,43 — 0,14 

0,41-0S(+++) 



metastas. in hepat., Ikterus 







00 

Frau, 58 .J., Ca. vcntriculi c. 

3 584 000 

0,S3 

0.38 — 0,14 

0.34 

— 0 



metastas. in hepat., Ikterus 

2 616 000 

0,96 

0,52 — 0,14 

0,50 

- 0,14 

3 V »iclmn später ante exit. 


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Einige Versucbsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 145 


'r. Geschlecht, Alter, Diagnose 

Erythroz. 

Fi. 

MiRj — MaRj 

MiR 2 — MaR^ 


1 Mann, 37 J., Ca. ventriculi 

5 144 000 

0,57 

0,51 — 0,26 

0,49—0,10 


2 Mann, 34 J., Ca. ventriculi, 

6 140 000 

0,86 . 

0,48 — 0,24 

0,49 - 0,24 

Fast nüchtern. 

Acanthosis nitr. 




3 Mann, 18 J., Icterus catarrh., 

6 512 000 

0,92 

0,29 — 0,12 

0,27—0(S+f) 

Starker Ikterus. 

Orth. Albuminurie, Hypoplast 

5 964 000 


0,47 - 0,08 

0,45 —0(SP+) 

Nur mehr Spur Ikterus. 

i Frau, 70 J., Cholelithiasis 

5 508 000 

0,89 

0,45 — 0,28 

0,47 — 0,22 

Leichter Ikterus. 


— 

— 

0,43 — 0,24 

0,43 - 0,24 

Starker Ikterus. 


5 392 000 

i 

0,44 — 0,26 

0,48 — 0,26 

Rückgang des Ikterus nach 


4 900 000 

1,02 

0,50 — 0,26 

0,52 - 0,24 

Abgang eines Steines. 
Ikterus verschwunden. 

Mann, 23 J., Icterus catarrh. 

5 868 000 

0,95 

0,40 — 0 

0,38—0(S++) 

Sehr hartnäckiger Ikterus, 

Frau, 21 J., Icterus catarrh. 

4 484 000 

Ul 

0,39 - 0,22 

0,43 — 0,10 

gravid. 

Mann, 26 JL Icterus catarrh. 

4 636 000 

6 672 000 

1,02 

0,84 

0,39 - 0,22 
0,44 — 0,20 

0,43 - 0,10 
0,44 — 0,0 

Mann, 43 J., Cirrhosis hepat. 

3 692 000 

1,30 

0,46 — 0,18 

0,44 — 0,10 


(Laennec), Cholangitis 



Mann, 25 J., Icterus catarrh. 

6 904 000 

0,87 

0,43 — 0,14 

0,43 — 0(S++) 


Mann, 27 J., gesund 

4 396 000 

6 040 000 

1,06 

1,03 

0,49 — 0,16 
0,51 —0,18 

0,43-0(S+++) 

0,49-0(8+) 

Vor 1 Jahre hartnäckigen 

Mann, 23 J., Icterus catarrh. 

5 028 000 

1,19 

0,37— 0(S+) 

0,35-0(S+ + +) 

Icterus catarrh. über¬ 
standen; nüchtern. 

Mädchen, 19 J., Phosphor- 

7 540 000 

0,93 

0,44 — 0,26 

0,46 - 0,08 

Beginnender Ikt. ante exit. 

Vergiftung 





Mann, 21J., posthämorrhagische 

3 470 000 

0,53 

0,48 - 0,23 

0,51 —0,18 


Anämie 

5 700 000 

0,48 

0,53 — 0,20 

0,54-0,18 

40 Tage später. 

Frau, 51 J., Anämie, Vitium 

3 848 000 

0,78 

0,44 - 0,14 

0,46 — 0,20 

8 Tage hindurch kräftig 


3 980 000 

0,71 

0,50 — 0,16 

0,50 - 0,10 

diathermiert. 

Frau, 37 J., posthämorrhagische 

3 706 000 

0,66 

0,45 — 0,24 

0,41 -0 


Anämie. 

4 992 000 

0,77 

0,47 — 0,18 

0,48-0,10 

2 Monate später nach Arsen- 

Mädchen, 17 J., Chlorose 

5 996 000 

0,47 

0,48 — 0,18 

0,49 - 0,18 

Eisentherapie. 


4 988 000 

0,80 

0,49 — 0,16 

! 0,50 - 0,10 

3 wöchentl. Eisentherapie. 


5 212 000 

0,87 

0,48-0,16 

0,50 — 0,08 

5 wöchentl. Eisentherapie, 

Mädchen, 18 J., Chlorose 

4 940 000 

0,58 

0,48 — 0,14 

0,51 — 0 

Besserung. 


4 672 000 

0,65 

0,53 — 0,18 

0,54 — 0,10 

Diathermier. durch 1 Woche 


4 884 000 

0,59 

0,54 — 0,18 

0,54-0,14 

2 wöchentl. Arsen-Eisen¬ 

Frau, 37 J., posthämorrhagische 

3 828 000 

0,45 

*0,46 — 0,18 

0,54 - 0,28 

therapie, keine Besserung 

Anämie, Tabes incipiens 




Frau, 24 J., Idiotin, Catarrh. 

7 628 000 

0,66 

0,40 - 0,22 

0,46-0,10 


ventr., Hypersekretion 



Frau, 26 J., posthämorrhagische 

3 472 000 

0,81 

0,46 — 0,22 

0,46—0,18 


Anämie 



Mann, 22 J., Icterus haemolyt. 

6 800 000 

0,91 

0,48 - 0,14 

0,52 - 0 

Fühlt sich zurZeit d. Unter¬ 

Mann, 23 J., Icterus haemolyt., 

6 612 000 

1 

1,06 

0,47 - 0,26 

0,47 - 0,20 

such. gesund; nüchtern. 
Zur Zeit der Untersuchung 

post Malariam 

Mann, 23 J., Anaemia perniciosa 

1 536 000 

1 

1,29 

0,44 - 0,24 

0,48 - 0,28 

gesund; nüchtern. 

Fieber. 


986 000 

1,25 

0,40 - 0,24 

0,54 — 0,23 

8Tage spät, höherfiebernd. 


762 000 

1,33 

0,40 - 0,24 

0,57 - 0,30 

12 Tage später wieder hohes 

Knabe, 13 J., Hypoplast, Bluter 

5 452 000 

0,77 

0,51 —0,18 

0,52 - 0 

Fieber. 

Bruder von Nr. 83 und 85, 

Mann, 25 J., Bluter 

6 176 000 

1,17 

0,40 — 0,22 

0,43 — 0 

fühlt sich gesund. 
Bruder von Nr. 83 und 84, 

Frau, 50 J., Icterus haemolyt. 

3 100 000 

1,20 

0,46 - 0,24 

0,60 - 0,32 

fühlt sich gesund. 

Frau, 38 J., Icterus haemolyt., 

4 100 000 

i ! 

0,50 — 0,34 

0,60 - 0,36 


Cholelithiasis 




Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 n. 

2. 


10 


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14G 


GOTTFRIED HOLLER 


Nr. 

Geschlecht, Alter, Diagnose 

Erythroz. 

Fi. 

i 

| MiR, — MaR! 

MiR 2 — MaR* 


88 

Frau, 72 J., Cholelithiasis 

5 500 000 

i 

1,12 , 

i 

0,40-0,IG 

0,38 — 0(S++) 

Starker Ikterus. 



4 364 000 

1,09 ' 

1 0,42 - 0,16 

0,42 — 0(S+) 

Stein abgegangen, nur g 






i 

ringer Ikterus. 



3 820 000 

1,08 

0,54 - 0,30 

1 0,55 — 0,26 

Ikt. seit 1 Tag verschwur} 

89 

Mann, 30 J., septisch-hämolyt. 

3 592 000 

0,32 

I 0,36—0,12 

i 0,36 - 0 

Fast nüchtern. 


Anämie, Tbc.pulm. cavernosa 

— ; 

— 

0,35-0,12 

! 0,33 - 0 

Nüchtern. 



— 1 


0,46 - 0,22 

0,46 — 0,20 

Fiebernd n. d. Mittagesse 

90 

Mann, 28 J., gesund 



0,45 — 0,16 

0,47 — 0(S+) 

Nicht nüchtern. 

91 

Mädchen, 17 J., Hypoplast 

5 670 000 

0,96 

0,42- 0,14 

0,42 — 0,10 

Fast nüchtern. 



— 

— 

1 0,41 - 0,14 

0,38 -0,12 

Nüchtern. 



— 

— 

! 0,43 - 0,14 

0,43 — 0,08 

Nach dem Essen. 

92 

Knabe, 15 J., Hypoplast 

3 346 000 

1 

0,43 - 0,14 

0,40 — 0,14 

Nüchtern. 



— 

— 

0,43 -0,14 

0,41 — 0,14 

Nüchtern. 



— 

— 

0,44 — 0,16 

0,45 — 0,14 

Nach dem Esseu. 

93 

Mann, 27 J., Lues hereditaria, 

6 127 000 

0,99 

0,41 — 0,12 

0,41 —0.12 

Nüchtern. 


Hypoplast 

— 

— 

0,41 — 0,12 

0,41 — 0,10 

Nüchtern. 



— 

— ! 

0,41-0,10 ! 

0,41 — 0,12 

Fast nüchtern. 



— 

— 

| 0,42 - 0,10 

0,42 - 0,08 

Nach dem Essen. 

94 

Mann, 38 J., Mitralvitium, hoch¬ 

5 423 000 

1 1 

0,50 — 0,26 

0,53 — 0,20 

Fast nüchtern. 


gradige Zyanose 

— j 

— ; 

0,51 —0,26 

0,55 — 0,18 

Nach dem Essen. 

95 

Mann, 41 J., Pulmonalembolie, 

6 100 000 1 

1 

! 0,54 — 0,28 

0,54 - 0,24 

Fast nüchtern. 


höchstgradige Zyanose 

l 


1 



96 

Mann, 37 J., Aortenvitium kom¬ 

5 411 000 1 

1,02 

; 0,46 - 0,22 

! 0,48 — 0,16 



pensiert 






97 

Frau, 52 J., Mitralvitium, hoch¬ 

4 692 000 

0,94 

0,48 — 0,24 

1 0,48-0,22 

Nüchtern. 


gradige Oedeme 

_ i 

— 

0,48 — 0,24 

; 0,48-0,22 

Nach dem Essen. 

98 

Frau, 28 J., Nephritis parench. 

4 900 000 1 

0,92 

0,4S — 0,20 1 

0,47 — 0,20 

Nach dem Essen. 


chron.; starke!lederne; Oligurie 






99 

Frau, 50 J., Zystennieren, Ar¬ 

3 692 000 

1,21 

0,44 — 0,18 

0,49 — 0,20 

Nach dem Essen. 


teriosklerose, Gallensteine 






100 

Mann, 67 J., myeloide Leukämie 

6 516 000 

0,82 

0,54 — 0,26 

0,54 - 0,80 

Nüchtern. 



5 308 000 

1,05 

0.50 — 0,20 

0,54 — 0 

Nüchtern, SWochen spät» 



4 984 000 

1 1,04 

0,48- 0,18 

0,52 - 0 

Durch 10 Tage Arse 





; 


therapie, fast nüchtei 

101 

Mann, 45 J., myeloide Leukämie 

3 176 000 

0,93 

0,52 - 0,18 

0,54 — 0,18 

Nüchtern. 

102 

Frau, 38 J., Lymphogranulo¬ 

4 940 000 

0,91 

0,46 -0,16 

l 0,47 — 0,10 



matose. 

1 

i 

i 

i 



Bei Durchsicht dieser Tabellen fällt vor allem auf, dass ein Unter¬ 
schied in den Resultaten im Gescfilecht nicht existiert; was das Alter 
anbelangt, möchte ich im Gegensatz zu Chanel eher höhere Resistenz¬ 
werte bei jugendlichen Individuen annehmen als im Alter. 

Sehr interssant wäre nun die Frage zu beantworten: Was sind hypo¬ 
plastische Blutkörperchen? Schon Zanier (1895) und Ubbel (1901) 
hatten allerdings beim Rinde nachgewiesen, dass die Blutkörperchen des 
Fötus höhere Resistenzwerte zeigen, als die des Muttertieres. Nach diesen 
Autoren zeigt sich der Unterschied vor allem in der Maximuraresistenz. 
Ubbel machte weiter darauf aufmerksam, dass, wenn man Blutkörper¬ 
chen des Muttertieres einerseits und Blutkörperchen des Fötus anderer¬ 
seits in hyperisotonische Salzlösungen bringt, die Blutkörperchen des Fötus 
stärker schrumpfen, als die des Muttertieres. Aus diesen Befunden 
schliesst Hamburger, dass eine geringere Schrumpfung auf ein kleineres 
Volumen an intraglobularer Flüssigkeit hin weist, dass ausser den Blut- 


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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chcm. Vorgänge im Blute. 147 

körperchen, welche fötales und mütterliches Blut gemein haben (den 
gegenüber Salzlösungen weniger resistenten), im fötalen Blute noch an¬ 
dere Blutkörperchen Vorkommen, die vermöge ihres geringen Gehaltes an 
intraglobularer Flüssigkeit (grossen Gehaltes an Stroma -f- Hämoglobin) 
eine äusserst schwache Salzlösung zu ertragen imstande sind. Auch aus 
Trockenrückstandsbestimmungen Hamburgers ergab sich ein hoher Ge¬ 
halt fötaler Blutkörperchen an Stroma und Hämoglobin. Was geschieht 
nun wieder, wenn wir derartige Blutkörperchen, deren prozentualer Ge¬ 
halt an festem Gerüst (Protoplasma) ein grosser ist, während der Gehalt 
an intrazellulärer Flüssigkeit, welche ja die osmotische Kraft des Blut¬ 
körperchens bedeutet, ein geringer Ist, in hypisotonische Salzlösungen 
bringen. Sie werden weniger begierig Wasser anziehen, weniger stark 
quellen, daher im Resistenversuch auch in Röhrchen mit niedriger kon¬ 
zentrierter Salzlösung ihren Farbstoff abgeben, als normale rote Blut¬ 
körperchen mit höherer osmotischer Kraft ihres Inhaltes. Von diesem 
Gesichtspunkte aus betrachtet, sind also gerade die resistenteren Blut¬ 
körperchen, da sie nach den bisherigen Ausführungen auch für den Stoff¬ 
wechsel als minderwertig zu betrachten sind, als hypoplastisch zu be¬ 
zeichnen. Ich verweise nun auf die Befunde in meinen Tabellen von 
den Fällen: 15, 18, 19, 27, 32, 33, 34, 37, 91, 92 und 93. 

Die Funktionsprüfungsbefunde dieser Fälle stehen mit den Befunden 
von Zanier, Ubbel und Hamburger an fötalen Blutkörperchen auf¬ 
fallend im Einklänge. Greifen wir z. B. Fall 93 in der Tabelle heraus. 
Es handelt sich hier um ein Individuum, das auch sonst auffallend viel 
Degenerationszeichen aufweist, die für einen hier bestehenden Status 
hypoplasticus sprechen. Ein Funktionsprüfungsversuch mit Blut, das diesem 
Patienten nüchtern entnommen wurde, ergibt ein Resultat, das darauf 
schliessen lässt, dass hier ein Austausch zwischen zweiwertigen Ionen des 
Blutkörpercheninhaltes und einwertigen Ionen der Aufschwemmungsflüssig¬ 
keit durch das Waschen gar nicht oder wenn, so nur in ganz unbedeu¬ 
tendem Masse stattgefunden hat. 

MiRj = MiRs = 0,41 desgleichen MaR x = MaR 2 = 0,12. 

Auch drei weitere von diesem Falle erhobene Funktionsprüfungs¬ 
befunde zeigen ein entsprechendes Resultat. Selbst nach dem Essen, wo 
die Verschiebungen im Sinne einer Funktion der Blutkörperchen am ausge¬ 
sprochensten sein sollten, ist eine derartige Verschiebung nur an der 
MaR- 2 -Grenze andeutungsweise vorhanden. 

Auch in den anderen Fällen, auf die ich eben aufmerksam gemacht 
habe, sehen wir entsprechende Resultate. In allen diesen Fällen ist es 
nach dem Waschen, da scheinbar kein oder nur ein geringer Austausch 
zwischen zweiwertigen Ionen des Blutkörpercheninhaltes und einwertigen 
Chlorionen stattgefunden hat, zu keinem Ueberwiegen des osmotischen 
Druckes des Blutkörpercheninhaltes über die Vergrösserung des osmoti- 

10 * 


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148 


GOTTFRIED HOLLER, 


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sehen Druckes in der Aufschwemmungsflüssigkeit der Reihe Itj gegen¬ 
über der Reihe R x gekommen; im Gegenteil wir sehen z. B. in Fall 91 
MiR x = 0,41, MiR 2 = 0,38. Die MiR 2 ist also im Sinne einer Resistenz¬ 
erhöhung bedeutend verschoben, was nach unseren früheren Ausführungen 
nur dadurch zustande kommt, dass durch das Waschen der osmotische 
Druck im Blutkörpercheninhalte nur unwesentlich zugenommen hat und 
die Erhöhung des osmotischen Druckes in den Aufschwemmungsflüssig¬ 
keiten der Reiho R^ gegenüber den entsprechenden Aufschwemmungs¬ 
flüssigkeiten der Reihe R x nicht erreicht hat. 

Ich möchte von nun an die Verschiebung von MiR 2 gegen MiR x im 
Sinne einer Resistenzverringerung als Minimumfunktionsbreite (MiFb),. 
dementsprechend die Verschiebung von MaR 2 gegen MaR x im Sinne einer 
Resistenzerhöhung als Maximurafunktionsbreite (MaFb) bezeichnen. 

Es ist nun nicht zu übersehen, das schlecht funktionierende (un¬ 
reife) Blutkörperchen in fötalem Blute und im Blute von unentwickelten 
hypoplastischen Individuen zu finden sind. Vielleicht ist diese Funktions¬ 
schwäche der Blutkörperchen bei Hypoplasten eine Teilerscheinung der 
auch sonst bei solchen Individuen darniederliegenden Stoffwechselvorgängc, 
die dann ihrerseits wieder die ungenügende Entwicklung bedingen. 

Nach dieser Betrachtung hypoplastischer Blutkörperchen verweise 
ich in meiner Tabelle auf Befunde bei Zyanose. Hier hat schon v. Lim- 
beck darauf aufmerksam gemacht, dass infolge hohen Kohlensäurege¬ 
haltes der Blutkörperchen die Resistenz derselben erniedrigt ist. Dem¬ 
entsprechend ist auch der Befund in meinen Fällen 94 und 95. Die 
Funktionsbreiten sind trotz dieser Resistenzverringerung erhalten geblie¬ 
ben. Es macht den Eindruck, als ob die C0 3 " leichter diffusibel seien, 
daher schon bei einmaligem Aufschweramen von Blut austreten, während 
ausserdem noch schwerer diffusible Ionen im Blutkörpercheninhalte vor¬ 
handen sind, die erst durch wiederholtes Aufschwemmen in 0,9 proz. 
Kochsalzlösung austreten. 

Die Abnahme der Resistenz in Fieberzuständen wird von Ham¬ 
burger mit der Abnahme des Alkaligehaltes des Blutes erkärt. Wir 
wissen, dass Kalilauge dem Serum in entsprechender Konzentration zu¬ 
gesetzt, die Resistenz der Blutkörperchen gegen hypisotonische Salz¬ 
lösungen erhöht. Dass unter einem solchen Alkalimangel auch die Funk¬ 
tionsbreite (wie aus meinen Fällen 39, 49, 50 ersichtlich) zeitweise etwas 
leiden kann, scheint erklärlich, doch gehört dies durchaus nicht zur 
Regel; im Gegenteil in Fällen von akuten Infektionskrankheiten mit 
hohem Fieber, wie Typhus und Pneumonie (51 und 52 der Tabelle) 
sehen wir eine Resistenzerhöhung gleichzeitig mit weiten Funktionsbreiten. 
Besonders auffallend erweitert sind die Funktionsbreiten bei dem Falle 
von Pneumonie. Hier ist wohl vielleicht daran zu denken, dass viel 
NaCl zur Bildung des Exsudates in den Lungen verbraucht wurde. Das 
NaCl bildet andererseits den wichtigsten Bestandteil der Elektrolyten des 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 149 


Blutserums. Durch Dissoziation von NaCl werden einwertige Cl'-Ionen 
frei, deren Wirkungen auf den osmotischen Druck des Blutkörperchen¬ 
inhalts uns bekannt ist. Bei einer Verringerung des NaCl in den Körper¬ 
säften und damit auch im Blute fällt der grösste Teil der einwertigen Ionen 
weg und überwiegen prozentual die mehrwertigen Ionen. Hiermit Hesse 
sich der Befund in unserem Falle 51 erklären. Es besteht zwischen der 
Hamburgerschen Deutung der Resistenzverminderung bei Fieber und der 
Deutung meines Befundes kein Widerspruch, wie es auf den ersten Blick er¬ 
scheinenkönnte. Hamburger hält das Fehlen der positiven Na--und K*-Ionen 
für die Ursache der Resistenzverringerung, während ich die Verminderung 
der einwertigen negativen Chlorionen zur Deutung meiner Befunde benütze. 

Dem unmittelbar anzuschliessen sind Befunde bei Nephritis und 
Stauungsödemen. So handelt es sich im Fall 98 um eine parenchyma¬ 
töse Nephritis, die ein Resultat ohne nachweisbare MiFb zeigt. Es 
scheint sich also hier um ein Ueberwiegen einwertiger Ionen im Blut¬ 
körpercheninhalt gegenüber normalen Blutkörperchen zu handeln. Dem 
entspricht wieder die Tatsache, dass es bei Nephritis zur Retention von 
NaCl in den Körpersäften kommt. Etwas Analoges gilt wohl auch für 
die Deutung des Befundes in Fall 97. 

Für eine therapeutische Beeinflussung der Resistenz und Funktion 
roter Blutkörperchen sprechen die Befunde der Fälle 30, 31, 55, 74 
und 77. Wie ersichtlich kommt es durch Diathermieren einerseits zu 
einer Verringerung der Resistenz, andererseits zu einer Besserung der 
Funktion schlecht funktionierender Blutkörperchen. Der Grund hierzu 
mag darin liegen, dass durch das Diathermieren die elektrolytische Disso¬ 
ziation in den Körpersäften zunimmt und ein reichlicherer Ionenaustausch 
zwischen Bestandteilen des Plasmas und des Blutkörpercheninhaltes statt¬ 
findet. Diese Aenderung der chemisch-physikalischen Vorgänge im Orga¬ 
nismus durch das Diathermieren drückt sich in vitro durch Veränderung 
des Funktionsprüfungsbefundes in der eben beschriebenen Weise aus. 
Auch durch vegetarische Kost (Fall 31), durch Kalzium-Arsen und Eisen¬ 
therapie (Fall 30, 31 und 76) sieht man einen Einfluss. Doch kann ich 
mich heute auf eine Deutung hier nicht weiter einlassen, weil diese 
wenigen Befunde zu einem abschliessenden Urteil nicht genügen. 

Ich komme nun zur Besprechung der Verhältnisse bei Ikterus. Bei 
Ikterus, besonders Icterus catarrhalis, haben schon viele Forscher über 
eine Resistenzerhöhung berichtet, v. Limbeck, einer der ersten unter 
ihnen, erklärt dies damit, dass unter der Wirkung der gallensauren Salze 
die minderresistenten Blutkörperchen zugrunde gehen. Es ist dies nach 
meiner Meinung zumindest nicht der einzige Grund für diese scheinbare 
Resistenzerhöhung. Funktionsprüfungsbefunde geben uns auch hier weitere 
Aufklärung. In meiner Tabelle sind 57, 58, 59, 60, 63, 64, 65, 66, 
67, 68, 69, 71 und 88 Fälle, die uns Resultate bei Ikterus zeigen. Vor 
allem fallen hier die hohen Resistenzwerte auf und die Einengung bzw. 


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150 


GOTTFRIED HOLLER 


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die vollständige Aufhebung der Minimumfunktionsbreite. Ich greife z. B. 
Nr. 71 heraus: 

Mi Ri = 0,37, MiR 2 = 0,35 
MaR x = 0 (S +), MaR 2 = 0 (S + + +). 

Wir müssen uns bei der Deutung dieses Befundes folgendes über¬ 
legen: Vor allem scheint es auch mir, dass wir die Wirkung der Gallen¬ 
bestandteile nicht ausser Acht lassen können. Doch stelle ich mir diese 
Wirkung anders vor als v. Limbeck. Nach dem schon oben erwähnten 
chemisch-physikalischen Gesetze müssen Gallenbestandtcile in der Auf¬ 
schwemmungsflüssigkeit die osmotische Dissoziation daselbst hemmen. 
Dadurch kommt es zu einer Erschwerung im Austausche der Ionen 
zwischen Aufschwemmungsflüssigkeit und Blutkörpercheninhalt. Ein der¬ 
artiges Verhältnis besteht in der Reihe Rj unserer Funktionsprüfungsver¬ 
suche, ebenso auch zwischen Serum und Blutkörperchen im Blutkreis¬ 
läufe eines mit Ikterus behafteten Individuums. Auch im lebenden Orga¬ 
nismus wird durch die Gallenbestandteile die Stoffwechselfunktion der 
Blutkörperchen behindert, die osmotische Kraft des Inhalts derartiger 
Blutkörperchen dadurch eine niedrigere sein. Wir haben schon früher 
bei den hypoplastischen Blutkörperchen gesehen, dass niedrige osmotische 
Kraft des Blutkörperchcninhaltes einerseits die Resistenz der Blutscheiben 
gegen hypisotonisohe Salzlösungen erhöht, andererseits die Funktions¬ 
breite * einschränkt. Beides finden wir in unseren Funktionsprüfungs¬ 
befunden mit ikterischem Blute ausgedrückt. Nach meiner Erklärung 
wirken so die Gallenbestandteile hemmend auf die Funktion, schützend 
für die Resistenz der Blutscheiben. Allerdings ist auch die von v. Lim¬ 
beck erwähnte schädigende Wirkung zu berücksichtigen. Sehr häufig 
sehen wir nach Rückgang des Ikterus eine tatsächliche Verringerung der 
Resistenz in beiden Reihen auftreten. Ganz besonders auffallend war 
mir diese Resistenzverringerung bei Fällen von Ikterus infolge Ein¬ 
klemmung von Steinen im Ductus choledochus nach Abgang des Steines 
und Verschwinden des Ikterus. Ich verweise auf Fall 88 meiner Tabelle. 
Wir sehen hier Resistenzerhöhung und Fehlen der Minimumfunktions¬ 
breite zur Zeit des Ikterus, Resistenzverminderung und Wiederauftreten 
der Funktionsbreiten nach Verschwinden des Ikterus. 

Zur Zeit des Ikterus: 

Mi Ri = 0,40, MiR 2 = 0,38 MaR, = 0,16, MaR 2 = 0 (S + +). 

Nach dem Ikterus: 

MiR* = 0,54, MiR 2 = 0,55 MaRj = 0,30, MaR 2 = 0,26. 

Die noch ausgesprochenere Erhöhung der Resistenz in der Reihe R 2 
und die damit parallel gehende Vergrösscrung der MaFb bei ikterischem 
Blut ist wohl damit zu erklären, dass in den Aufschwemmungsflüssig¬ 
keiten der Röhrchen dieser Reihe die elektrolytische Dissoziation eine 
ausgiebigere und der osmotische Druck in der Aufsehwemmungsflüssig- 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse pliysik.-chem. Vorgänge im Blute. 151 

keit dadurch ein höherer ist. Deshalb finden wir bei Tkterus in dem 
Röhrchen mit destilliertem Wasser der Reihe R 2 sehr häufig noch einen 
auffallend reichlichen roten Bodensatz. 

Einen Fall mit Ikterus möchte ich aus meiner Tabelle noch speziell 
herausgreifen. Es ist dies Falll 63 von einem Individuum, das gleich¬ 
zeitig ganz ausgesprochene hypoplastische Degenerationszeichen an sich 
trug. Hier kommt die Wirkung der Gallenbestandteile bei an und für 
sich schon schlecht funktionierenden roten Blutkörperchen zum Ausdruck. 
Daher die ganz ausgesprochene Erhöhung der Resistenzwerte in diesem 
Falle. Nach dem Rückgang des Ikterus sehen wir die Minimumfunk¬ 
tionsbreite weiter fehlen. 

Zur Zeit des Ikterus: 

MiRj = 0,29, MiR 2 = 0,27 MaRi = 0,12, MaR 2 = 0 (S + +). 

Rückgang des Ikterus: 

MiR x = 0,47, MiRs = 0,45 MaRj = 0,08, MaR 2 = 0 (S + +). 

Bei den von mir angeführten Fällen mit Ikterus sehen wir nur ein 
einziges Mal im Falle 66 Resistenzerhöhung bei erhaltener Minimum¬ 
funktionsbreite. Hier handelt es sich aber um Ikterus bei einer 
Schwangeren. 

Zum weiteren Verständnis füge ich noch ein, dass ich zum Nach¬ 
weise hypoplastischer Blutkörperchen, sowie zum Studium der Verhält¬ 
nisse bei Ikterus das Blut immer zur Zeit bester Verdauung entnehme. 

Wir kommen nun zur letzten Gruppe meiner Versuche, zur Be¬ 
trachtung der Verhältnisse bei Anämien, Nr. 73, 74, 75, 76, 77, 78, 80, 
81, 82, 83, 86, 87, 89. 

Nach meinen Erfahrungen kommt es nach grossen Blutverlusten 
anfangs zu Resistenzwerten, die an der oberen Grenze der Norm liegen, 
und auch die Funktionsbreiten bleiben zuerst erhalten. Später im 
Regenerationsstadiura treffen wir auf minder resistente, schlechter funk¬ 
tionierende rote Blutkörperchen (Fall 73 unserer Tabelle). Bei kleinen, 
aber anhaltenden Blutverlusten, wie z. B. bei okkulten Darmblutungen 
und dadurch bedingten Anämien, nimmt die Funktion der Blut¬ 
körperchen ab. 

Schwere Chlorosen verlaufen mit Verringerung der Resistenz vor¬ 
nehmlich an der Minimumgrenze und Einengung der Funktionsbreiten. 

Einen ganz auffallenden charakteristischen Befund ergibt der Funk¬ 
tionsprüfungsversuch bei hämolytischen Anämien. Ich habe die Be¬ 
sprechung dieser interessanten Resultate absichtlich bis zum Schlüsse 
aufgehoben, weil ich glaube, dass sie zum Verständnis des bisher Ge¬ 
sagten am meisten beitragen. Deshalb werde , ich hier auch ausführlicher 
sein. Ich bringe zunächst die Resultate zweier solcher Funktions¬ 
prüfungsversuche: 


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152 


GOTTFRIED HOLLER 


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Nr. 83 Anaemia perniciosa: 

Mi 1^ = 0,40, MiR 2 = 0,57 MaR x = 0,24, MaR 2 = 0,30. 

Nr. 87 Icterus haeraolyticus: 

MiR x == 0,50, MiRj = 0,60 MaRi = 0,34, Malt* = 0,36. 

Auffallend ist in diesen beiden Fällen die hochgradige Erweiterung 
der MiFb, während die MaFb ganz fehlt. Wie lässt sich dieser Befund 
deuten? Wenn wir denselben mit dem Befunde der mit Kohlensäure vor¬ 
behandelten Blutkörperchen vergleichen, so kommen wir zu dem wohl 
berechtigten Schluss, dass in diesen Fällen von hämolytischen Anämien 
in den Blutscheiben mehrwertige diffusible Ionen vorhanden sind, die in 
normalen Blutkörperchen fehlen oder zumindest dort nicht so reichlich 
vorhanden sind, und die in demselben Sinne wie im Kohlensäureversuche 
die C0 3 "-Ionen wirken. 

Damit diese Erklärung berechtigt ist, müssen wir aber vorerst aus- 
schliessen können, dass dies Kohlensäurewirkung ist. Diese Ansicht 
hätte auf den ersten Blick etwas Bestechendes an sich. Wir wissen ja, 
dass die Erythrozyten bei hämolytischen Anämien sehr hämoglobinreich 
sind; nun verbindet sich die Kohlensäure gerade mit dem Hämoglobin 
des Blutkörperchens, und es wäre nun wohl denkbar, dass solche hämo¬ 
globinreiche rote Blutkörperchen auch kohlensäurereicher und so durch 
die Wirkung der Kohlensäure minder resistent sind. Damit lässt sich 
aber eine weitere so ausgesprochene Verringerung der Resistenz nach 
dem Waschen, wodurch die Weite der Funktionsbreite zustande kommt, 
schwer erklären. Ich habe schon früher bei der Besprechung der Be¬ 
funde bei Zyanose erwähnt, dass ich die Ansicht habe, dass die 
(XV'-Ionen sehr leicht austauschbar sind und rasch den Blutkörperchen- 
inhalt verlassen, so dass sie schon bei einmaligem Aufschwemmen aus- 1 

treten. Hierdurch kommt es dann zu einer Resistenzverringcrung in j 

beiden Reihen unserer Funktions-Prüfungsversuche in gleichem Masse. i 

Die weitere Verringerung der Resistenz durch das Waschen muss aber > 

infolge des Austausches schwerer diffusibler, mehrwertiger Ionen des , 

Blutkörpercheninhalts gegen einwertige Cl'-Ionen der Aufschwemmungs¬ 
flüssigkeit entstehen. Diese mehrwertigen Ionen, wahrscheinlich nicht 
C0 3 // -Ioncn, sind es nun, welche im Inhalt der Blutkörperchen von hämo¬ 
lytischen Anämien, vor allem in Stadien stärkeren Blutzerfalles vermehrt 
zu sein scheinen. 

Um mir nun weitere Einsicht in die chemisch-physikalischen Ver¬ 
hältnisse, die im Blute von primär-hämolytischen Anämien bestehen, zu 
verschaffen, machte ich noch einige Versuche. 

Ich hatte bei Fall 86 meiner Tabelle (hämolytischer Ikterus) als 
Resultat bei einem gewöhnlichen Funktionsprüfungsversuche folgende 
Werte gefunden: 

MiR x = 0,46, MiR 2 = 0,60 MaRj = 0,24, MaR 2 = 0,32. 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 153 

Mit einem Teile von derselben Blutaufschwemmung, mit der ich in dem 
eben angeführten Funktionsprüfungsversuch die Röhrchen der Reihe R x nach¬ 
gefüllt hatte, führte ich nun den schon früher beschriebenen Kohlensäure¬ 
versuch aus. Das heisst, ich halbierte mir wieder die Blutaufschwemmung, 
leitete durch den einen Teil längere Zeit hindurch Kohlensäure, durch den 
anderen ebensolange Sauerstoff, und benutzte nun diese einerseits kohlen- 
säurereichen, anderseits kohlensäurearmen Blutkörperchen zu Funklions¬ 
prüfungsversuchen. Ich erhielt dabei folgende Resultate: 

1. mit C0 2 -reichen Blutkörperchen: 

MiR x = 0,53, MiR 2 = 0,68 MaR x = 0,22, MaRo = 0,26, 

2. mit C0 2 -armen Blutkörperchen: 

MiR x = 0,45, MiR 2 = 0,58 MaR* = 0,26, MaR 2 = 0,34. 

Man sieht aus diesen Resultaten, dass durch die Kohlensäure die 
Resistenz iti beiden Reihen ziemlich gleichmässig beeinflusst wird, dass 
unter dem Einfluss von Kohlensäure und Sauerstoff die Funktionsbreiten 
nur sehr wenig beeinflusst werden. Es scheint also auch nach diesem 
Versuche meine frühere Annahme bestätigt zu werden, dass die C0 3 "- 
Ionen zum grössten Teil leicht diffusibel sind und die Weite der Funktions¬ 
breiten durch den Gehalt des Blutkörpercheninhaltes an anderen schwerer 
diffusiblen, mehrwertigen Ionen bedingt sei. 

Ausserdem bereitete ich mir eine 5 proz. Aufschwemmung derselben 
hämolytischen Blutkörperchen (zur selben Zeit entnommen) in einer den 
Blutkörperchen nahezu isotonischen (4,15 proz.) Traubenzuckerlösung. 

Nachdem ich diese Blutaufschwemmung halbiert, den einen Teil 
dreimal mit 4,15 proz. Traubenzuckerlösung gewaschen hatte und darauf 
mit diesen beiden Aufschwemmungen von einerseits Blut und ander¬ 
seits Blutkörperchen in Traubenzuckerlösung meine Röhrchen mit den 
verschieden konzentrierten NaCl-Lösungen, wie ich sie auch sonst bei 
gewöhnlichen Funktionsprüfungsbefunden benutzt hatte, in der Reihe Rj 
mit 0,2 ccm der Traubenzucker-Blutaufschweramung, in der Reihe I^ mit 
0,2 ccm der Traubenzucker-Blutkörperchenaufschwemmung nachgefüllt 
hatte, erhielt ich folgende Resultate: 

MiR x = 0,45, MiR> = 0,45 Mal^ = 0,24, Mall, = 0,24. 

Auch dieser Versuch ist lehrreich; auch er zeigt uns, dass die Weite 
der Funktionsbreiten von dem Austausch zwischen mehrwertigen Ionen 
des Blutkörpercheninhaltes und einwertigen Ionen der Aufschwemmungs¬ 
flüssigkeit abhängt. Ist die Aufschwemmungsflüssigkeit wie hier eine 
reine Traubenzuckerlösung, so fehlen in ihr einwertige Ionen vollständig 
und dementsprechend fehlen auch die Funktionsbreiten. 

Alle diese Befunde weisen darauf hin, dass bei primär-hämolytischen 
Anämien die chemisch-physikalischen Verhältnisse im Blutkörperchen¬ 
inhalte im Vergleich zu gesunden Blutkörperchen verändert sind, dass 
die Ursache zur verfrühten Hämolyse im Funktionsprüfungsbefunde in 
ihnen selbst gelegen ist. 


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154 


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GOTTFRIED HOLLER, 

Demgegenüber stehen die Befunde bei sekundär-hämolytischen Anämien, 
wie z. B. im Falle 89 unserer Tabelle. Bei diesem Falle einer septischen 
Anämie scheint das toxische Agens durch Schädigung der protoplasma¬ 
tischen Hülle der Blutkörperchen zur Zerstörung derselben ira Kreislauf 
geführt zu haben, während sich ein Einfluss auf den intraglobulären Inhalt 
im Sinne des Befundes bei Anaemia perniciosa nicht nachweisen lässt. 
Es liegt im Gegenteil in den fieberfreien Intervallen ein Befund vor, wie 
wir ihn schon früher bei den Betrachtungen über hypoplastische Blut¬ 
körperchen kennen gelernt haben und den Zanier und Ubbel zuerst für 
fötales Blut nachweisen konnten. Da handelt es sich wohl kaum um ein 
zufälliges Zusammentreffen, sondern nach dem rapiden Zugrundegehen 
funktionstüchtiger Blutkörperchen im Kreisläufe durch den septischen 
Prozess dürfte es wohl gleichzeitig unterstützt durch eine Schädigung der 
Blutbildungsstätten zu einem embryonalen Rückschläge daselbst kommen, 
so dass nurmehr den fötalen ähnliche, also funktionsminderwertige Blut¬ 
körperchen gebildet und in den Kreislauf ausgeschwemmt werden. Derartige 
funktionell untüchtige Blutkörperchen finden sich bei solchen Prozessen 
schon in Zeiten, wo morphologische Veränderungen an ihnen noch kaum 
nachweisbar sind. Letztere pflegen bald darauf zu folgen. Zur Zeit von 
Fieberattacken finden wir bei solchen septischen Anämien die Resistenz 
in beiden Reihen ziemlich gleichmässig verringert, was für die schon 
früher erwähnte Schädigung der protoplasmatischen Hülle der Blut¬ 
körperchen durch das toxische Agens spricht. 

Es muss uns eigentlich wundernehmen, dass nicht auch in Fällen 
von primär-hämolytischen Anämien schlecht funktionierende Erythrozyten 
im Blute kreisen. In der Tat scheint auch hier eine Tendenz zur Bildung 
hypoplastischer Blutscheiben zu bestehen. Wir sehen dementsprechend 
die eine Komponente des Merkzeichens hypoplastischer Blutkörperchen, 
die Zunahme der MiR x , erhalten, während die andere Komponente, das 
Fehlen der Funktionsbreite, jedenfalls durch die überwiegende Macht neu 
hinzugekommener Faktoren weiten Funktionsbreiten Platz machen muss. 
Dies verleiht den primär-hämolytischen Anämien im Funktionsprüfungs¬ 
versuch ihr spezifisches Gepräge. Ich stelle es mir eventuell so vor, 
dass die Blutkörperchen bei primär-hämolytischen Anämien mit fötalen 
und hypoplastischen den grossen Gehalt an Stroma und Hämoglobin 
gemein haben, dass aber ihre intraglobuläre Flüssigkeit reichlich mehr¬ 
wertige, schwer diffusible Ionen enthält. Diese schwer diffusiblen Ionen 
(man könnte sich auch vorstellen, dass ihr Austreten durch die Dicke 
des Protoplasmas erschwert ist) treten erst bei wiederholtem Waschen 
aus, dann aber erfolgt durch den Austausch mit einwertigen CI'-Ionen 
eine mächtige Steigerung des osmotischen Drucks im Blutkörpercheninhalt. 
Dadurch tritt bei primär-hämolytischen Anämien im Funktionsprüfungs¬ 
versuch die MiR 2 in einem Röhrchen mit weit höher konzentrierter NaCl- 
Lösung auf als die MiR x und kommt es so zu der weiten Funktionsbreite. 



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Einige Versuchsresultate zum Verständnisse physik.-chem. Vorgänge im Blute. 155 


Es besteht also ein einschneidender Unterschied der Funktionsprüfungs¬ 
befunde einerseits bei primären, andererseits bei sekundären hämolytischen 
Anämien, und können wir so auch hier das Resultat eines derartigen, 
nur wenig zeitraubenden Versuches für klinisch-diagnostische Zwecke sehr 
wohl verwerten. 

Zusammenfassung. 

1. Die Bedeutung meiner Art der Untersuchung in Doppelreihen mit 
gewaschenen und ungewaschenen Blutkörperchen, die ich Funktions¬ 
prüfung nenne, liegt vor allem darin, dass sie uns Aufschlüsse über 
chemisch-physikalische Verhältnisse im Blute des lebenden Organismus 
gibt und dass sie eine verhältnismässig einfache, für den Kliniker 
leicht handliche und nicht zu sehr zeitraubende Methode ist. 

2. Als neuen Gesichtspunkt möchte ich auf Grund meiner Untersuchungen 
einen Faktor ins Auge fassen, den ich als Funktionsbreite bezeichne 
und der mir unter Umständen wesentlicher erscheint als das Resultat 
der nur nach einer Methode durchgeführten Untersuchung auf Resistenz. 

3. Der von mir als Funktionsbreite bezeichnete Faktor gilt für Versuche 
mit NaCl-Lösungen und ist ein Ausdruck für die Grösse des Aus¬ 
tausches einwertiger Cl'-Ionen der Aufschwemmungsflüssigkeit mit 
verschiedenen, mehrwertigen, diffusiblen Ionen des Blutkörperchen¬ 
inhaltes. Wir können daraus auf die Funktionstüchtigkeit der Blut¬ 
körperchen im Organismus schliessen. 

4. Haben diese Befunde namentlich in Fällen von hämolytischen Anämien 
auch ein theoretisches Interesse, insofern sie in Analogie zum Kohlen¬ 
säureversuch darauf hinweisen, dass in den Fällen von primär-hämo¬ 
lytischen Anämien nicht eine rein mechanische Minderwertigkeit der 
Blutkörpcrchenhülle besteht, sondern eine biochemische Eigenart solcher 
Erythrozyten ihre verfrühte Lyse bedingt. Hier gebührt dem Funktions¬ 
prüfungsversuch diagnostischer Wert. 

5. Geben sie uns einen Aufschluss für die Frage: Was sind hypoplastische 
Blutkörperchen? Danach sind hypoplastische Blutkörperchen solche, 
die im Funktionsprüfungsversuch eine eingeengte Funktionsbreite zeigen 
oder bei denen eine Funktionsbreite trotz wiederholter Versuche ganz 
fehlt und die dann auch im Organismus schlecht zu funktionieren 
scheinen. Solche Blutkörperchen sind gleichzeitig gegen hypisotonische 
Salzlösungen sehr resistent. Damit habe ich mit Hilfe der Funktions¬ 
prüfungsversuche die Symptomatologie des Status hypoplasticus um 
ein neues, wichtiges Merkzeichen bereichert. 

6. Auch in die Verhältnisse bei verschiedenen anderen Krankheiten, wie 
bei Chlorose, bei Blutungsanämien, Ikterus, Fieberzuständen usw. geben 
uns derartige Funktionsprüfungsversuche einigen Einblick. 


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X. 


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Aus der Universitätskinderklinik in Freiburg i. Br. 
(Direktor: Prof. Dr. Noeggerath). 

Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vor¬ 
behandelter Kaninchen auf den Blutdruck normaler. 

Von 

Dr. H. Zondek, 

jetzigem Assistenten der I. med. Universitätsklinik in Berlin. 

(Mit 2 Kurven im Text.) 


Die grosse klinische Bedeutung des Blutdrucks in der Diphtherie¬ 
frage veranlasste mich zur Untersuchung der meines Wissens bisher noch 
nicht behandelten Frage: Welche Wirkung auf den Blutdruck übt das 
Serum mit Diphtherietoxin akut vergifteter, sowie diphtherienephritischer 
Tiere bei Uebcrtragung auf gesunde Tiere der gleichen Art aus? 

Dabei schien es mir nicht unmöglich, auch in der Frage nach dem 
Ursprung der diphtherischen Blutdrucksenkung, in der Entscheidung, ob 
primäre Herzwirkung oder Lähmung der Gefässzentren [v. Steyskal 1 ) 
einerseits und Romberg 2 ), Pässler 3 ), Gottlieb 4 ), Rolly 5 ), Iwanowa 6 ) 
andererseits] Aufschlüsse zu gewinnen. 

Als Vorfragen für meine Experimente, für die ich durchweg Kaninchen 
verwandte, waren Kontrollversuche zur Lösung folgender Fragen nötig: 

1. Welches ist die Blutdruckwirkung des normalen Kaninchenserums 
auf Kaninchen? 

2. Welche Wirkung hat das Serum von Tieren, die beispielsweise 
mittels Uran oder Chrom nephritisch gemacht worden sind? 

3. Welches ist die Wirkung des Diphtherietoxins selbst bei intra¬ 
venöser Injektion? Hat es neben der bekannten allmählich 
auftretenden Blutdrucksenkung auch eine akute zur Folge? 

Verfahren zur Serumgewinnung. 

Das Blut wurde dem eben mit Aether narkotisierten Tiere unter sterilen Kautelen 
mittels einer in die Karotis eingefübrten Kanüle entnommen und in einem Mess- 

1) v. Steyskal, Diese Zeitschr. Bd. 51. H. 1 u. 2. 

2) Homberg, Berliner klin.Wochenschr. 1895. Nr. 51 u. 52. 

3) Pässler, Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 77. 

4) Gottlieb, Med. Klinik. 1905. Nr. 25. 

5) Rolly, Arohiv f. exp. Pathol. Bd. 72. 

6) Iwanowa, Deutsche med.Wochenschr. 1908. 



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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 157 

zylinder aufgefangen. Die auf diese Weise bis zur Verblutung gewonnene Blutmenge 
betrug im Mittel 100 ccm. Das Blut wurde im Eisschrank aufbewahrt, das Serum 
setzte sich spontan ab. Am nächsten Tage wurde es noch ausserdem 4—6 Stunden 
zentrifugiert und vor dem Gebrauch stets mikroskopisch auf seinen etwaigen Gehalt 
an roten Blutkörperchen untersucht. Es war stets völlig blutfrei, vollkommen geruch¬ 
los, seine Farbe blassgrau, klar. Vor der Injektion wurde es stets auf 37° im Wasser¬ 
bade erwärmt. 

Methode der Blutdruckmessung. 

Zur ßlutdruckbestiraraung benutzte ich die van Leersumsche 
Methode der unblutigen Messung, die von mir in einigen Punkten modi¬ 
fiziert worden ist. 

Die freipräparierte Karotis einer Halsseite wird in einen wurstförmigen Schlauch 
von Bindegewebe und dünner Muskulatur eingenäht, so dass der Blutdruck bequem 
an der oberflächlich gelagerten Arterie mittels des Recklinghausen sehen Apparates 
messbar ist. 

Hinsichtlich der genaueren Detaillierung der Methode sei auf meine Arbeit: 
„Beeinflussung des Blutdrucks bei akuter experimenteller Nephritis“ (Deutsches Arch. 
f. klin. Med., 1914, Bd. 115, S. 1) verwiesen. 

Vor Beginn der Messung liess ich jedes Mal das Tier etwa x / 4 Stunde sich in 
seiner Fesselung beruhigen. 


Versuche mit Normalserum. 


Tier IV (normales Tier). 
Ernährung: Grünes und Hafer. 

29. 12. 13 abends 5 3 / 4 Uhr: 

Puls 132, 

Atmung 60, 

Urin: A —, S —, 

Blutdruck 115—178. 

Aus der eröffneten Karotis wird das 
Blut in der oben angegebenen Weise ent¬ 
nommen. Tier stirbt an Verblutung. Das 
Blut wird auf Eis bis zum nächsten Tage 
aufbewahrt. 

Tier V (Kon troll versuch I). 
Gewicht: 1760 g. 

Ernährung: Grünes und Hafer. 

29. 12 . Urin frei, 

Atmung 36, 

Puls 120, 

Blutdruck 125—180. 

Erhält um 6 V 2 Uhr nachmittags 1 ccm 
Diphtherietoxin (Lösung in NaCl 1 : 5) 
subkutan. 

30. 12. nachmittags 6 V 2 Uhr: 

Atmung 30, 

Puls 138, 

Blutdruck 110—159. 

Das Tier ist ziemlich munter, hatte 
vor 1 Stunde gut gefressen. 

6 h 37' Injektion 1 ccm Serum von 
Tier IV (normales Serum) in 
die Ohrvene. 

6 h 38' Blutdruck 115—159 
rh39' „ 110-160 

6 h 39' 30" „ 120—160 


] 6 h 40' 

Injektion einer 2. Spritze des¬ 
selben Serums. 

6 h 41' 

Blutdruck 

110-148 

6 h 42' 

yy 

110—152 

6 h 43' 


110-159 

6 h 43' 50" 

y) 

108—159 

6 h 44'20" 

n 

110-159 

6 h 45' 

Injektion einer 3. Spritze des¬ 
selben Serums. Atmung sehr 
langsam, aber gleichmässig. 

6 h 46' 

Blutdruck 

110-159 

6 h 47' 

J) 

110-150 

6 h 48' 


108-150 

6 h 48' 40" 

n 

110-155 

6 h 49' 


110—158 

6 h 50' 

y> 

110-159 

6 h 51' 

* 

110-160 

7 h 30' 


110-159 


l l / 2 Uhr: Tier leidlich munter, ist beim 
Aufspannen wild. Wird durch Nacken¬ 
schlag getötet. Urin nicht zu erhalten. 
Blase ist fast vollständig leer. 

Sektion. 

Im ganzen ohne Besonderheiten. 
Nieren: Rinde scheint verwaschen. 

Mikroskopisch. 

Nieren: Starke Schwellung und Des¬ 
quamation der Epithelien der gewun¬ 
denen Harnkanälchen und Henleschen 
Schleifen. Zahlreiche Lumina mit Ki- 
weiss verstopft. Giomeruli offenbar 
intakt. 

Nebennieren: Starke Lipoidanhäufung 
in der Rinde. Mark ohne Besonder¬ 
heiten. 



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158 


H. ZONDEK 


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Tier VI (Kontrollversuch 11^. 
Gewicht: 1750 g. 
Ernährung: Grünes und Hafer. 
30. 12. 13 Atmung 43, 

Puls 132, 

Urin: A —, S —. 


7 h Blutdruck 115—176 


7 h 2' Injektion von 1 ccm Serum von 
Tier IV (normales Serum) in 
die Ohrvene. 

7 h 2' 30" Blutdruck 110 — 170 
7 h 3' , 115-170 

7h 4' „ 115-169 

7 h 4' 20" „ 110-173 

Atmung gleich- u. regelmässig. 


7 h 5" Blutdruck 115 — 172 
7 h 6' 30" „ 115—175 

7 h 7' „ 115-176 

7h 9' * 115-177 

7 h 15' „ 115-176 

7 h 16' Tier erhält nun 1 / 2 ccm Uran- 
nitrat (Lös. 1 : 100) subkutan. 
31. 12. nachmittags gegen 5 Uhr ist das 
Tier völlig munter, frisst gut. Erhält 
wieder 1 / 2 cg Urannitrat subkutan. 

1. 1. 14 nachmittags gegen 4 Uhr: Tier 
munter. Erhält l j 2 cg Urannitrat subkut. 

2. 1. nachmittags um 6 Uhr: Tier munter. 
Atmung gleichmässig und regelmässig. 

Urin: AH—|- (Esbach nicht messbar), 


S -. 

Sediment: Zahlreiche granul. Zylinder, 
einige hyaline, zahlreiche Leukozyten, 
vereinzelte Erythrozyten. 

Blutdruck: 128 — 200. 

Dem Tier wird unter denselben Be¬ 
dingungen und auf dieselbe Art wie dies 
bei Tier I geschah, das Blut aus der 
Karotis gelassen, das Serum durch Zentri¬ 
fugieren gewonnen und auf Eis gestellt. 
(Im Serum mikroskopisch keine Erythro¬ 
zyten.) Es steht etwa 24 Stunden im 
Eisschrank bis zur Verwendung. 

Das Serum beträgt also einen Steige¬ 
rungskoeffizienten von 24 cm H 2 0 gegen 
die Norm. 


Tier Via (Kontrollversuch III). 

774 Uhr nachmittags: 

Blutdruck 118—186, 
Atmung 50, 

Puls 150. 


I. 


7 h 15' 

Erhält 1 

intravenös 

injiziert. 

ccm Normalscrum 
(in die Ohrvene) 

7 h 16' 

Blutdruck 

120-182 

7 h 17' 


120-186 

7 h 18' 


118-183 

7 h 18'30" 


115-186 

7 h 19' 


115-182 

7 h 19' 30" 

r 

112—191 

7 h 20' 

» 

112-190 

7h 21' 

n 

120-188 


II. 

7 h 22" 2 ccm Normalserum intravenös 

injiziert. 

7 h 23' Blutdruck 115—188 

7 h 24' r 120-188 

7h 24 / 30 // „ 115-181 

7 h 25' r 120-185 

7 h 26' „ 120-186 

7 h 26' 30" „ 120-186 

7 h 27' „ 125-182 

7 h 28' * 125-188 

7 h 28'30" * 120-186 

7 h 29' * 125-186 

III. 

7 h 30' 1 ccm Normalserum intravenös. 

7 h 31' Blutdruck 110-189 
7 h 32' „ 125-191 

7 h 33' „ 125-188 

Puls 96 (leicht unregelmässig) 
Atmung 48. 

7 h 34' Blutdruck 120-184 

7 h 35' „ 120-186 

7 h 40' „ 120—187 


Die vorstehenden Kontrollversuche zeigen, dass die intravenöse 
Injektion des Normalserums den Blutdruck gesunder Kaninchen entweder 
gar nicht beeinflusst oder ihn doch nur so wenig herabzusetzen imstande 
ist, wie dies auch sonst bei Zuführung irgendwelcher indifferenten Sub¬ 
stanzen oft der Fall ist. 

Im Kontrollversuch I, bei dem die Uebcrtragung des Serums auf ein 
mit Diphtherietoxin 24 Stunden vorher vergiftetes Tier, das übrigens 
eine deutliche Blutdrucksenkung zeigt, stattfindet, tritt selbst nach In¬ 
jektion der 3 ccm Serums kaum eine deutlichere weitere Senkung des 
Blutdrucks innerhalb der nächsten Stunde ein. Gleichwohl scheint er 
sich im ganzen doch in seiner Balance etwas labiler zu verhalten, als 
der ganz normale (Kontrollversuch II). Auf die Beschreibung der übrigen 



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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 159 

5 Uebertragungen von Normalserum, die im gleichen Sinne ausfielen, 
kann ich der Kürze wegen verzichten. 

Versuche mit nephritischen Kaninchen-Seris. 

Um die Analogie mit den Seris der weiter unten zu beschreibenden 
diphtherischen Entnahmetiere zu wahren, wurden als Kontroll-Serum- 
spender Tiere verwandt, bei denen ebenfalls Nephritiden tubulärer Natur 
erzeugt waren. Wie aus den unten stehenden Protokollen ersichtlich ist, 
zeigte nämlich auch die Nephritis der diphtherischen Entnahmetiere, 
vorausgesetzt, dass eine solche vorhanden war, tubulären Charakter. 

a) mit Uranserum (Entnahmetier VI). 


Tier VII (grau). 

Ernährung: Grünes und Hafer. 
Gewicht: 2000 g. 

2. 12. abends 7V 4 Uhr: 

Puls 108, 

Atmung 36, 

Urin: A —, S —, 

Blutdruck 120-ISO. 

Erhält 1 ccm Diphtherietoxin (Lösung in 
NaCl 1: 5) subkutan. 

3. 12. Tier leidlich munter, ist beim Auf¬ 
spannen noch sehr wild. 

Atmung 64 (gleichmässig. regel¬ 
mässig), 

Puls 132, 

bis 6 h 34' Blutdruck 115 — 148, 

I. 

6 h 35' Injektion von 0,65 g Uranserutn 
von Tier VI in die Ohrvene. 
6 h 35'30" Blutdruck 115-156 
6 h 35' 50" * 118-166 

6 h 36' 30" „ 121-171 

6 h 37' r 120-170 

6 h 37'30" r 115—168 

6 h 38' „ 120—170 

6 h 38'30" „ 118-170 

6 h 39' „ 118—168 

6 h 39'30" „ 120-158 

6 h 40' „ 120—150 

6h 41' „ 115—148 

6 h 42' „ 115-148 

II. 

6 h 44' Injektion von 0,7 g desselben 
Serums intravenös. 

6 h 44' 20" Blutdruck 120—158 
6 h 44'40" * 120-162 

6 h 45' , 120-166 

6 h 45' 30" * 122—172 

6 h 46'30" „ 125-171 

6 h 47' „ 125—172 

6 h 47'30" „ 125-172 

6 h 48' * 118—168 

6 h 48'30" „ 118-165 

6 h 49' Puls 120 

Atmung 44, leicht stossend. 

6 h 50' Blutdruck 115—155 
6 h 50'30" * 112—148 


6 h 51' 20" Blutdruck 115 — 148 
6 h 52' „ 115-148 

III. 

6 h 54' Injektion von 1,5 g desselben 
Serums intravenös, Tierzappelt 
dabei etwas. 

6 h 55' Blutdruck 125 — 179 
6 h 55'30" „ 130-188 

Atmung stärker stossend. 

Gh 56' Blutdruck 128—200 

(Tier ruhig) 

[ G h 56' 30" Blutdruck 120—198 
6 h 57' * 128—181 

6 h 58' „ 122—172 

6 h 58'30" r 122—168 
6 h 59' * 125-160 

6 h 59'30" r 125—168 (zappelt) 

7 h r 120-158 

7 h 30" „ 118—149 

7 h 1' „ 115-148 

7 h 2' • * 115—148 

IV. 

7 h 4' Injektion von 1,5 g desselben 
Serums (intravenös) 

7 h 4'40" Blutdruck 120—200 
7 h 5' „ 130-195 

7 h 6' Blutdruck 130 — 192 
7 h 7' „ 130-180 

Messung abgebrochen. 

! 7 V 2 Uhr. Tier durch Luftembolie getötet. 
Urin: AH—[-, leicht blutig gefärbt. (Es¬ 
bach nicht messbar.) S-Probc nicht 
ausführbar. Sediment: zahlreiche Leuko¬ 
zyten und Erythrozyten, einige hyaline 
Zylinder, ganz wenige granulierte. 

Sektion. 

Nieren: ausserordentlich stark vergrössert, 
Kapsel stark gespannt, von dunkelblauer 
! Farbe. Auf dem Durchschnitt starke 
| Hyperämie von Rinde und Mark, deren 
i Grenze relativ deutlich ist. 
j Nebennieren: anscheinend vergrössert. 

I Milz: tief dunkelblass gefärbt, vergrössert. 
Darm: ebenfalls stark hypcrämisch. 
Blase: 0 . B. 

Sonst 0 . B. 



Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



IGO 


II. ZONDEK 


Digitized by 


Mikroskopisch. 

Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitt): Hoch¬ 
gradige Schwellung und an zahlreichen 
Stellen deutliche Desquamation der 
Kpithelien der gewundenen Harnkanäl¬ 
chen und der Henleschen Schleifen. 
In den Luminis an zahlreichen Stellen 
Eiweiss. Glomcruli nicht .nachweislich 
verändert. 

Nebennieren: Starke Lipoidanhäufung 
in der Rinde. Mark o. B. 


Tier VIII (schwarz). 

Ernährung: Grünes und Hafer. 
Gewicht 2000 g. 

2. 12. abends l 1 j 2 Uhr: 

Puls 156, 

Atmung 80, 

Urin: A —, S —, 

Blutdruck 122—179. 

Erhält 1 ccm Diphtherietoxin (Lösung 
in NaCl 1:5) subkutan. 

3. 12. Tier ziemlich munter, keine Durch¬ 
fälle. 

Atmung 68 (gleichmässig, regel¬ 
mässig), 

Puls 132, 

bis 5 h 33' Blutdruck 118—152. 

5 h 33' 30" Injektion von 0,5 ccm Uran¬ 
serum von Tier VI intravenös. 


5 h 34' 30" 
5 h 35' 

5 h 36' 

5 h 36' 50" 
5 h 37' 30" 
5 h 38' 

5 h 38' 40" 
5 h 39' 20" 
5 h 40' 

5 h 40' 50" 
5 h 42' 

5 h 42' 30" 
5 h 43' 

5 h 43' 30" 
5 h 44' 20" 
5 h 45' 

5 h 45' 30" 


I. 

Blutdruck 

r 

* 

w 

yy 

* 

yy 

T) 

r» 

n 

yy 

n 

yy 

Blutdruck 

n 

yy 


118—162 
126—166 
128—168 
118-16S 
128—168 
118—16£ 
118-159 
120-159 
125—159 
115—152 
115-152 
115—153 
120—155 
120—160 
120-152 
118-152 
118—152 


5 h 46' 40" 

Blutdruck 130—174 

5 h 47' 30" 

» 

130-185 

5 h 48' 


yy 

115—182 

5 h 49' 


yy 

122—180 

5 h 50' 


V 

122—180 

5 h 51' 


yy 

125-180 

5 h 52' 


yy 

125-178 

5 h 52' 

30" 

T 

122—175 

5 h 53' 


yy 

118—172 

5 h 54' 


T) 

125—168 

5 h 54' 

30" 

yy 

122-162 



Atmung48, regelmässig,gleich¬ 
mässig, Puls 126. 

Blutdruck 115—155 

5 h 55' 


5 h 56' 


* 

110-156 

5 h 57' 



115-156 

5 h 58' 


ji 

120—155 

5 h 59' 



115-152 

5 h 59' 30" 

yy 

115—152 

6h 



115—152 



III. 


6 h 1' 


Injektion von 0,6 ccm desselben 
Serums intravenös. 

6 h 2' 


Blutdruck 125—170 

6 h 3' 


yy 

125—176 

6 h 4' 


yy 

120-170 

6 h 4' 

30" 

« 

118—168 

6 h 5' 


yy 

118-170 

6 h 5' 

30" 

Ti 

118—168 

6 h 6' 


yy 

118-169 

6 h 7' 


y> 

118-166 

6 h 8' 


yy 

115—155 

6 h 9' 



115—152 

6 h 9' 

30" 

yy 

115-152 

6 h 10' 


r> 

115—151 

6h 11' 


yy 

115—150 

6 h 12' 


yy 

115-148 

6 h 13' 


r 

115-148 

Tier ziemlich matt, 

durch Nackenschlag 


getötet. 


Urin: Menge reicht nur zur Ei weissprobe 
aus. A 4- +• Derselbe ist deutlich 
blutig. 

Sektion. 

Nieren: stark geschwollen, nicht sonder¬ 
lich verfärbt. Rinde scheint verwaschen. 

Nebennieren: anscheinend geschwollen. 

Sonst o. B. 


5 h 46' 


II. 

Injektion von 0,75 ccm des¬ 
selben Serums intravenös. 


Mikroskopisch. 

Nieren und Nebennieren wie bei Tier V. 


Das Serum des Urantieres, dessen Blutdruck unter dem Einfluss 
der Nephritis (an drei aufeinanderfolgenden Tagen je J / 2 cg Urannitrat) 
um 24 cm gestiegen ist, bewirkt bei der Uebertragung auf die Diphtherie¬ 
tiere, bei denen der Blutdruck gesunken ist, eine deutliche ganz akute 
Steigerung desselben; sie ist von relativ kurzer Dauer. Verharrungsfrist 
des Blutdrucks auf der Höhe 1—2 Minuten. Darauf ziemlich schneller 
Abstieg. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 161 

Diese blutdrucksteigernde Tendenz, an deren Eindeutigkeit nicht zu 
zweifeln ist, kehrt in allen Uranversuchen wieder. Es lag mir daran, 
mit möglichst kleinen Dosen zu arbeiten, um diejenige Serummengc zu 
eruieren, die imstande ist, den Steigerungskoeffizienten des betreffenden 
Serums (also in dem Falle 24 cm) auf das Versuchstier gerade noch zu 
übertragen. Die Versuche VIH (III) und VII (I, II) scheinen dafür zu 
sprechen, dass diese Verhältnisse zutreffen, wenn man das Uranserura 
in Mengen von etwa 0,65—0,70 g dem Versuchstier injiziert. Mit anderen 
Worten: 0,65—0,70 g Uranserum enthält offenbar diejenige 
Quantität blutdrucksteigernder Substanz, die — bis zu dem 
Moment ihrer Zersetzung bzw. Ausscheidung aus dem Orga¬ 
nismus — den Gefässtonus des Diphtherietoxintieres auf das 
Niveau des nephritischen Entnahmetieres steigert. 


b) mit Chromserum (Entnahmetier 1). 


Tier I. 

Gewicht 1450 g. 

2. 12. abends & l / 2 Uhr: Tier munter. 

Blutdruck 115—179, 

Urin: A —, S —. 

Erhält V 2 g Kal. chromici (2,0/30,0) 
subkutan. 

3. 12. Tier munter, frisst gut. 

Ernährung: Grünes und Hafer. 

Erhält V 4 g Kal. chromici (2,0/80,0) 
subkutan. 

4. 12. Tier munter, frisst gut. 
nachm. 5 Uhr: Blutdruck 125—190. 

Urin: A+. (Esbach nicht 
messbar.) S —. Sediment: 
ziemlich reichlich granu¬ 
lierte Zylinder, reichlich 
Leukozyten, Epithelien, 
wenige Erythrozyten. 

Erhält V 2 g Kal. chromici (2,0/30,0) 
subkutan. 

5. 12. abends 7 Uhr: Tier munter. 

Blutdruck 130—198. 

7 V 4 Uhr: In leichter Narkose wird die 
Karotis freigelegt, eine sterile Kanüle 
in sie eingeführt, aus welcher das Tier 
verblutet. Das Blut (etwa 75 ccm) wird 
steril aufgefangen und auf Eis gestellt. 

Tier II. 

Ernährung: Grünes und Hafer. 

5. 12. abends 7 Uhr: 

Puls 112, 

Atmung 100, 

Blutdruck 120—179, 

Urin: A —, S —. 

Erhält um 7 '/ 2 Uhr 1 ccm einfachen 
Diphtherietoxins subkutan. 

6. 12. mittags 2 Uhr: Tier munter, keine 
Durchfälle. 

Atmung leicht hebend, 66 in der Min., 

Zeitselir. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 1 u. 2. 


Puls regelmässig. 114 in der Min., 

Urin: siehe unten, 

Blutdruck 120—166 (wiederholt in voll¬ 
ständiger Ruhe des Tieres gemessen). 

2 h 8' bis 2 h 9' Injektion von 2 ccm Serum 
des dem Tier I am 5. 12. entnommenen 
Blutes intravenös (Ohrvene). 


2 h 10' Blutdruck 

129-183 

2h 11' 


130—185 

2 h 12' 


130-189 

2 h 13' 

» 

128—185 

2 h 14' 

n 

130-185 

2 h 15' 

n 

125—185 

2 h 16' 

V 

130-183 

2 h 16' 50" 


128—178 

2 h 17' 20" 

W 

125-169 

2 h 18' 

V 

125-165 

2 h 18' 

n 

120-166 

2 h 19' 30" 

r» 

120-r-166 

2 h 20' 

n 

120—165 

2h 21' 

n 

120—166 

Im Urin, 

der vor 

der Seruminjektion 


entnommen wurde, fand sich: A+ (Es¬ 
bach nicht messbar). S? (Nicht genügender 
Urin.) Sediment: massenhafte Leukozyten, 
wenige Erythrozyten, wenig hyaline und 
ganz vereinzelte granuläre Zylinder. 

In der Nacht zum 7. 12. Exitus letalis. 

Tier III. 

Ernährung: Grünes und nafer. 
Gewicht 1700 g. 

5. 12. abends 7Vi Uhr: 

Puls 116, 

Atmung 52, 

Blutdruck 115—181, 

Urin: A —, S —. 

Erhält 1 ccm eines einfachen Diphtherie¬ 
toxins subkutan. 

6. 12. mittags 1 l / 2 Uhr: Tier munter und 
wild. 

Atmung ziemlich stark stossend, 40 in 
der Minute, 

11 


Digitized b" 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



162 


H. ZONDEK, 


Digitized by 


Puls 134, regelmässig, 

Urin: siche unten, 

Blutdruck 110—160 (wiederholt gemessen). 


1 h 44' 

Injektion von 1 ccm Serum 
des dem Tier I am 5. 12. ent- j 
nommenen Blutes (Chrom¬ 
serum) intravenös (Ohrvcnc). . 

I h 45' 

Blutdruck 

120-170 

1 h 46' 


125 — 179 

1 h 47' 


125-179 j 

1 h 48' 


125—180 1 

1 h 48' 30" 


123—178 | 

1 h 49' 

fl 

125—178 ! 

lh 50' 

a 

125-175 ! 

lh 51' 


120-168 i 

1 h 52' 

a 

120—165 

1 h 53' 

A 

125-172 1 

1 h 54' 

fl 

120—175 1 

1 h 54' 30" 

fl 

120-168 | 


1 h 55' 

Blutdruck 120—162 

1 h 56' 

„ 120—161 

1 h 56' 30" 

„ 120-160 

1 h 57' 

* 115—160 

1 h 57' 30" 

„ 115—158 

1 h 58' 

* 115-160 

1 h 59' 

„ 115—160 


Pause. 

2 h 20' 

„ 115-165 

2 h 23' 

„ 115—160 

2 h 25' 

„ 115-160 


Im Urin, der dem Tier vor der Serum¬ 
injektion entnommen wurde, fand sich: 
A + (Esbach nicht messbar). S —. Sedi¬ 
ment: massenhaft Leukozyten, massig viel 
Erythrozyten, vereinzelte hyaline und sehr 
wenig granulierte Zylinder. 

In der Nacht zum 7. 12. Exitus letalis. 


Die beiden Versuche mit Serum, das einem chromnephritischen Tier 
entnommen wurde (II und III), beweisen, dass sich auch bei dieser Form 
der Nephritis im Serum unzweifelhaft blutdrucksteigernde Substanzen 
vorfinden. Die Nephritis wurde erzeugt durch Injektion von im ganzen 
l ! / 4 g einer Lösung Kal. chromici (2,0/30,0) an drei aufeinanderfolgenden 
Tagen. 

Der Steigerungskoeffizient dieses Serums betrug 19 cm. Im Ver¬ 
such III wurde er bei Injektion von 1 g übertragen. Offenbar ist bei ihm 
die Konzentration von blutdrucksteigernder Substanz in einer bestimmten 
Menge Serum von der des Uranseruras verschieden. 

Ich möchte den Ring der Schlussfolgerungen, der sich aus diesen 
Versuchen ergibt, in Anbetracht ihrer relativ geringen Zahl nicht zu weit 
fassen. Gleichwohl meine ich, dass sie bei einer genügenden Menge im 
gleichen Sinne ausfallender Untersuchungen in derselben Richtung liegen, 
wie die zuerst von Schur und Wiesel 1 ), später von Goldzieher und 
Molnar 2 ) u. a. aufgestellte Theorie vom Vorhandensein mydriatisch 
wirkender Substanzen im Nephritikerserum. Die Feststellung dieser Tat¬ 
sache dürfte deshalb von besonderer Bedeutung sein, weil eine Anzahl 
namhafter Autoren mittels ihrer biologischen Methode zur Adrenalin¬ 
bestimmung nicht nur eine Vermehrung von Adrenalin im Nephritiker- 
blut in Abrede stellten, sondern sogar eine Verminderung seines Gehaltes 
nachgewiesen zu haben glaubten [Schlayer 3 ), Trendelenburg und 
Broking 4 )]. Allerdings hat Schlayer 5 ) später selbst diese seine ur¬ 
sprüngliche mittels der Meyersehen Gefässstreifenmethode gewonnene 
Meinung fallen lassen, nachdem er gesehen hatte, dass die Rinderarteric 

1) Schur und Wiesel, Wiener klin. Wochenschr. 1907. Nr. 23 und 27. 

2) Goldzieher und Molnar, Wiener klin. Wochenschr. 1908. Nr. 7. 

3) Schlayer, Deutsche med. Wochenschr. 1907. 

4) Broking und Trendelenburg, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 103. 
H. 1 u. 2. 

5) Schlayer, Münchener med. Wochenschr. 1908. S. 2604. 



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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 163 

bei Zusatz von Adrenalin zum Normalserum nur dann den entsprechenden 
Kontraktionsgrad aufwies, wenn es sich um artgleiche Sera handelte. 
In Anbetracht dieser Einschränkung, die jedenfalls im gleichen Masse 
auch für die Laewen-Trendelenburgsche Froschdurchspülungsmethode 
gilt, ist das von mir erwiesene Vorhandensein blutdrucksteigernder Substanzen 
im Nephritikerserum meines Erachtens ebenso sehr ein Beweis gegen 
eine Verminderung des Adrenalingehalts bei der genannten Krankheit wie 
der mittels der biologischen Methode angeblich erbrachte Nachweis für 
dieselbe spricht. Dies schon allein deswegen, weil alle biologischen 
Methoden ja ebenso wenig das Adrenalin als solches identifizieren, 
sondern auch nur eine EfTektmessung darstellen. Allerdings bleibt 
die Frage dabei noch offen, ob die blutdrucksteigernde Substanz im 
nephritischen Tierserum wie das Adrenalin peripher angreift oder nicht. 
Ich möchte deshalb auch ausdrücklich betonen, dass ich nicht von einer 
Adrenalinanhäufung in den betreffenden Scris spreche, sondern nur von 
einer Vermehrung blutdrucksteigernder Substanzen. Ingier und Schmorl 1 ) 
fanden sogar direkt den Adrenalingehalt der Nebennieren sowohl bei 
chronischen wie akuten Nephritiden deutlich vermehrt. Wenn die ge¬ 
nannten Autoren als Grundlage für diese Adrenalinvermehrung eine 
Hypertrophie des Nebennierenmarkes auch nicht feststellen konnten, so 
ändert das nichts an der Tatsache, dass sie auf chomischem Wege eine 
Erhöhung des Adrenalingehaltes der Nebennieren bei Nephritis mit Sicher¬ 
heit feststellten. 


Versuche mit Diphtherietoxin. 


Tier IX. 

Gewicht 2670 g. 

19. 1. 14 nachmittags bis 7 h 40': 
Blutdruck 115-176, 
Atmung 30, 

Urin frei. 


7 h 40' 

Injektion 

von 0,5 ccm 

Diph- 


therietoxin (einfaches 
in die Ohrvene. 

Toxin) 

7 h 41' 

Blutdruck 

120-176 


7 h 42' 


120-170 


7 h 42' 30" 

r 

120-176 


7 h 43' 


120-172 


7 h 43' 30" 

„ 

120-176 


7 h 44' 


120-174 



7 h 44' 30" „ 120-176 

Atmung 30 (gleichmäss., regel- 
mcässig), Puls 132. 


7 h 45' 

Blutdruck 

120-175 

7 h 46' 


120—177 

7 h 47' 

V 

120-176 

7 h 50' 


120-176 

7 h 52' 

m 

120-174 

7 h 53' 

V. 

115-176 

7 h 55' 

* 

120-176 


Messung abgebrochen. 


| 20. 1. Als am Nachmittag gegen 6 Uhr 
i der Blutdruck wieder gemessen werden 
soll, wird Tier tot aufgefunden. Ist 
! noch warm. 

, Urin: AH—|-. S (Urin nicht ausreichend). 

I Sediment: Erythrozyten H—|—(-, Lcuko- 
| zyten +, einige hyaline und granulierte 
Zylinder. 


Tier IX a. 

Gewicht 1670 g. 

21. 1. 14 nachmittags 6 h 50': 

Puls 132, 

Atmung 42, 

Urin: frei, 

Blutdruck 118-175. 

6 h 58' Blutdruck 118—175 

6 h 59' Injektion von 0,5 ccm 

therietoxin (einfaches 
in die Ohrvene. 

7 h Blutdruck 120—175 

7 h 30" „ 115—170 

7 h 1' „ 115-172 

7 h 2' „ 120-173 

7 h 3' r 115—174 

7 h 3'30" „ 115-176 


Diph- 

Toxin) 


1) Ingier und Schmorl, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1911. Bd.104. S.125. 


11 * 


Digitized b' 


Google 


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164 


II. ZONDEK 


Digitized by 


7 h 4' Atmung 36, 

Puls 96. 

7 h 4'30" Blutdruck 115-173 
7 h 5' „ 115-176 

7h 6' „ 118-176 

7h 8' „ 118-175 

7 h 10' r 118-176 

7hl3 # „ 115-175 

7 h 15' „ 118-176 

Messung abgebrochen! 

22. 1. 14. Als Mittags gegen 12 Uhr wieder 
Blutdruck gemessen werden soll, wird 
Tier tot aufgefunden. 


Urin: A ++, S 

Sediment: Erythrozyten -|—K Leuko¬ 
zyten +, einige granulierte und hyaline 
Zylinder. 

Nieren mikroskopisch: Hochgradige 
Schwellung und an zahlreichen Stellen 
deutliche Desquamation der Epithelien 
der Hauptstücke und der Henleschen 
Schleifen. In den Lumina an zahlreichen 
Stellen Eiweiss. Glomeruli nicht naeh- 
■ weislich verändert. 

Nebennieren (Sudanfärbung): Rinde sehr 
I lipoidreich. Mark o. B. 


Es wurden an vier Tieren intravenöse Injektionen von 0,5 ccm eines 
einfachen Diphtherietoxins, das mir in liebenswürdiger Weise von den 
Höchster Farbwerken zur Verfügung gestellt wurde, vorgenommen. Von 
ihnen seien der Kürze wegen nur zwei ausführlich mitgeteilt. Sofort 
nach der Injektion wurde der Blutdruck jede Minute etwa x / 4 Stunde lang 
genau gemessen, ohne dass eine akute Blutdruckherabsetzung eintrat, ab¬ 
gesehen von den ganz geringen Schwankungen, die sich sofort wieder 
ausglichen und auch sonst bei fast allen indifferenten Substanzen ein¬ 
zutreten pflegen. Ebensowenig wie diese starken Toxindosen vermochten 
auch sehr kleine Mengen ( 1 / 32 der oben verwandten Menge) den Blutdruck 
irgendwie akut zu beeinflussen. In der Tat hat F. Meyer 1 ) das Auf¬ 
treten der Blutdrucksenkung bei Kaninchen erst 24 Stunden nach der 
Injektion des Diphtherietoxins konstatieren können. Schlayer 2 ) hat aller¬ 
dings bereits 12 Stunden post injectionem ßlutdrucksenkung beobachtet. 

Auch bei meinen Tieren hat sich fast stets eine deutliche Blutdruck¬ 
senkung etwa nach 12 Stunden gezeigt. Einmal (Tier XIII) habe ich sie 
bereits nach 6 Stunden feststellen können. Dabei möchte ich bemerken, 
dass meine Toxindosen etwa den Schlayerschen entsprachen. Wesent¬ 
liche Unterschiede in bezug auf den Eintritt der Senkung zwischen sub¬ 
kutaner und intravenöser Injektion scheinen nicht vorzuliegen (vgl. folgenden 
Versuch, Tier XIII). 


Versuche mit Seris diphtherischer Tiere. 
I. Mit 6 Stunden-Serum, 3 ). 


(Versuchstiere XIV und XV. 

Tier XIII. 

Gewicht 1700 g. 

28. 1. 14 nachmittags 7 1 /-» Uhr: 

Puls 120, 

Atmung 66, 

Blutdruck 118—180, 

Urin frei. 


Entnahmetiere XVI und XIII.) 

29. 1. 14 mittags 1 Uhr: 

Blutdruck 118—180. 

Erhält 1 ccm Diphtherietoxin (einfach) 
subkutan. 

Abends bis 6 h 55' Blutdruck 110 — 162 
(Tier scheint munter.) 

Urin: A—, Sediment—. 


1) F. Meyer, Aich. f. exp. Path. u. Pharmakol. Bd. 60. H. 1—6. 

2) Schlayer und Hedinger, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90. S. 1. 

3) 6 Stunden-Serum = Serum eines Tieres, dem 6 Stunden vor der Blutentnahme 
Diphtherietoxin appliziert worden ist. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Wirkung dos Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 165 


Dem Tier wird in der beschriebenen I 
Weise Blut aus der Karotis gelassen. Serum I 
(+) durch östündiges Zentrifugieren am I 
nächsten Tage gewonnen. 

Sektion. 

Auf der Leber zahlreiche Cystizerken. 
Nieren scheinen leicht hyperiimisch. 
Nebennieren o. B. 

Herz und übrige Organe o. B. 

Mikroskopisch. 

Nieren(Häraatoxylin-Eosinschnitte): Stellen¬ 
weise geringradige Schwellung der Epi- 
thelien der gewundenen Harnkanälchen 
I. Ordnung und der Henleschen Schleifen. 
Hier und da Eiweiss im Lumen derselben. 
Glomcruli nicht nachweislich verändert. 
Nebennieren (Sudanfärbung): Rinde sehr 
reich an anisotropen Lipoiden. Mark o.B. 

Tier XVI. 

Gewicht 2200 g. 

3. 2 . 14 nachmittags 7 Uhr: 

Puls 120, 

Atmung 30, 

Blutdruck 120—188, 

Urin frei. 

4. 2. 14. Erhält mittags um 1 Uhr 0,7 ccm 
Diphtherietoxin (einfach) subkutan. 

Abends 6 3 / 4 Uhr: Puls 120, 

Atmung 34, 

Blutdruck 120 185. 

Tier ist munter, kein Durchfall. 

Urin: A — (reicht zu weiteren Unter¬ 
suchungen nicht aus), scheint milchig 
getrübt. 

Aus der KarotisBIutin der beschriebenen 
Weise entnommen. Serum (—) am nächsten 
Tage durch Zentrifugieren gewonnen. (1 Gläs¬ 
chen Serum.) 

Sektion: ohne Besonderheiten. 

Das Serum des Tieres XVI wird am 

5. 2.14 übertragen auf die Tiere XIV und 
XV. Siehe dort. 

Mikroskopisch. 

Befund von Nieren und Nebennieren 
wie bei Tier XIII. 

Tier XIV. 

Gewicht 1750 g. 

30. 1. 14 nachmittags 6 V 2 Uhr: 

Puls 126, 

Atmung 90, 

Blutdruck 115 — 181, 

Urin: frei. 

I. 

6 h 42 # Blutdruck 115—181 
6 h 43' Tier erhält 1 ccm des dem 
TierXlII entnommen.[GStund.- I 
Serum + *)] Serums in die Ohr- | 
vene. 


6 h 44' 

Blutdruck 115—181 

6 h 45' 

„ 122-178 

6 h 45' 30" 

„ 122 — 180 

6 h 46' 

120-180 

6 h 47' 

110-170 

6 h 47' 30" 

„ 110-158 

6 h 48' 

„ 110-140 

6 h 49' 

r 110-145 

6 h 50' 

„ 110—152 

6 h 51' 

112-154 

6 h 52' 

115-149 

6 h 53' 

„ 110 — 155 

6 h 54' 

110-163 

6 h 54' 30" 

„ 110-165 


Atmung 78, 

Puls 138. 

6 h 55' 

Blutdruck 120-176 

6 h 56' 

„ 120-180 

6 h 57' 

„ 120-180 

6 h 58' 

„ 120—182 


n. 

6 h 59' 

1 / 2 ccm desselben S( 
die Ohrvene. 

7h 

Blutdruck 110—173 

7 h 30" 

„ 120-170 

7 h 1' 

* 120-172 

7 h 2' 

„ 130-182 


(Tier hat gezappelt.) 

7 h 3' 

Blutdruck 120—176 

7 h 4' 

„ 125—170 

7 h 5' 

„ 125-163 

7 h 6 ' 

„ 110-166 


Puls 138, 

7 h 7' 

Atmung 84. 
Blutdruck 110-175 

7 h 10' 

„ 120-181 

n h 11 ' 

* 110—170 

7 h 12' 

r 120-180 


Serums 


in 


III. 

5. 2. 14 nachmittags 6 3 / 4 Uhr: 

Puls 132, 

Atmung 84. 

6 h 54' Blutdruck 125-188 

6 h 55' l ccm des dem Tier XV 1 
[6 Stunden-Serum — 1 2 )] ent¬ 
nommenen Serums i.d. Ohrvene. 
6 h 55' 30" Blutdruck 120-172 

6 h 56' * 125-182 

6 h 57' „ 120-172 

6 h 57'30" „ 130-182 

6 h 58' „ 130-180 

6 h 59' „ 125-188 

7 h „ 125-188 

Atmung 60, 

Puls 198. 

7 h 1' Blutdruck 125-189 

IV. 

7 h 2' Injektion von , / 2 ccm desselben 

Serums in die Ohrvenc. 

7 h 3' Blutdruck 120-186 

7 h 4' * 125-180 


1) Serum + = Serum, bei dessen Spender der Blutdruck bereits gesunken war. 

2) Serum — = Serum, bei dessen Spender der Blutdruck noch nicht gesunken war. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



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7 h 

4' 

30" 

Blutdruck 

125-175 

7h 

5' 


n 

125-180 

7h 

5' 

3Q" 

V 

125—180 

7 h 

6' 


r> 

122-178 

7h 

r 


rt 

127-182 

7h 

7' 

30" 

T 

125—189 

7 h 

8' 


n 

125-190 

7h 

8' 

30" 

r> 

128—190 




V. 


7h 

9' 


Injektion von 1 ccm desselben 




Serums in 

die Ohrvene. 

7h 

10' 


Blutdruck 

125-195 

7h 



(Tier zappelt ein wenig.) 

1P 


Blutdruck 

122 — 191 

7 h 

1P 

30" 

V 

125-190 




(Tier ruhig.) 

7h 

12' 


Blutdruck 

125-181 

7h 

13' 


V 

125-180 

7h 

14' 



130-185 

7 h 

14' 30" 


125—186 

7 h 

15' 


V 

130-191 


7 h 16' Blutdruck 130 — 192 
Puls 150, 

Atmung 84. 

7 h 17' Blutdruck 125—190 
6. 2. 14. Tier munter. Urin frei. 

16. 2. 15. Tier munter. 

Urin: A +. 

Sediment: sehr viel Salze, Erythrozyten 
Leukozyten +, Zylinder —. 

Tier XV. 

Gewicht 2000 g. 

30. 1. 14 nachmittags 7 h 24': 

Puls 192, 

Atmung 42, 

Urin frei, 

Blutdruck 1)5—185. 

I. 

Erhält 7 h 25' ccm des dem Tier XIII 
entnommenen (6Stunden-Scrum+) Serums 
in die Ohrvene. 


Go igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 






























Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 167 


7 h 26' 

Blutdruck 120-185 

7 h 27' 

n 

120-180 

7 h 28' 

r> 

120-170 

7 h 29' 

n 

120-178 

7 h 30' 

n 

110-175 

7 h 31' 


120-180 

7 h 31'30" 

T> 

120-186 

7 h 32' 

« 

120-186 

7 h 33' 


120-192 

7 h 34' 

7! 

118-193 

7 h 34' 30" 


120-190 

7 h 35' 

7) 

130-195 

7 h 36' 


130-190 

7 h 37' 


130-190 

7 h 38' 

n 

130-190 

7 h 39' 

r> 

II. 

115-188 

7 h 40-42' 

= 2 ccm desselben Serums in 


die Obrvene. 

7 h 43' 

Blutdruck 

120-168 

7 h 44' 

fl 

120-158 

7 h 44' 30" 

fl 

120-151 

7 h 45' 

fl 

120-150 

7 h 45' 30" 

* 

115-149 

7 h 46' 

fl 

115-150 

7 h 47' 

fl 

115-154 

7 h 48' 

fl 

120-161 

7 h 48' 30" 

fl 

115—160 

7 h 49' 

fl 

110 — 170 (zappelt) 

7 h 49' 30" 


115-176 

7 h 50' 

fl 

120-190 

7h 51' 

fl 

120-196 

7 h 52' 

fl 

120-192 

7 h 53' 

fl 

120-196 

7 h 54' 

fl 

120-190 

7 h 55' 


120-190 


III. 

31. 1. 14 mittags 1 1 / 2 Uhr: 

Blutdruck 115-181, 

Puls 124, 

Atmung 32. 

Ih36' Blutdruck 115-181 

1 h 37' 3 ccm desselben Serums (in¬ 

zwischen auf Eis auf bewahrt, 
Serum vollständig klar und 
geruchlos) in die Ohrvenc. 

1 h 38' Blutdruck 110—158 

1 h 39' „ 105-141 

1 h 39' 30" * 105—136 


lh 40' 

Blutdruck 

95—131 


1 h 40' 30 

ii 

7) 

115-146 


1 h 41' 


85-152 


1 h 41' 30 

II 

T 

110-162 

(zappelt) 

1 h 43' 


118-181 


1 1 h 44' 

r 

118-182 


1 h 45' 


120-180 


1 h 46' 

n 

120-178 

(zappelt) 

1 h 47' 

71 

120—185 


1 h 48' 

V 

120—186 


1 h 49' 


120-185 


lh 50' 

7) 

110-181 



IV. 



5. 2. 14 nachmittags 7 

h 20': 



Puls 138, 




Atmung 30. 



7 h 26' 

Blutdruck 

120-189 


7 li 27' 

2ccm des dem Tier XVI (OStd.- 


Serum—) entnommenen Serums 


in die Ohrvene. 


7 h 28' 

Blutdruck 

128-180 


7 h 29' 

fl 

130—188 


7 h 30' 

fl 

125—185 


7 h 31' 


130—180 


7 h 32' 

fl 

130—180 


7 h 33' 

fl 

120—162 


7 h 34' 

fl 

125-158 


7 h 35' 

fl 

130-165 


7 h 36' 

fl 

125—168 


7 h 36' 30' 

fl 

125-184 


7 h 37' 

fl 

128—188 


7 h 38' 


128—191 



Puls 140, Atmung 36. 

7 h 39' 

Blutdruck 

130—190 


7 h 39' 30' 

r 

125-182 


7 h 40' 

T 1 

128—189 



1 13. 2. Tier morgens tot aufgefunden. 
Sektion: 

Lungen: Ausgedehnte Miliartuberkulose, 
i Leber: Einzelne Miliarknötchen. 

Milz: Ohne Besonderheiten. 

I Magen: Stark gefüllt, 
j Nieren: Makroskopisch? 

I Nebennieren: Ohne Besonderheiten. 

Urin: A —? 

I Sediment: Nicht ausreichend. 

| Mikroskopisch: 

| Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitte): o. B. 


Das Serum des Tieres XIII, dem 1 ccm eines einfachen Diphtherie¬ 
toxins subkutan appliziert worden ist, zeigt bereits 6 Stunden nach der 
Applikation eine ziemlich deutliche Blutdrucksenkung (18 cm). Es wurde 
sofort entblutet. Sein Serum nenne ich 6 Stunden-Serum. 

Dieses auf die Tiere XIV und XV übertragene 6 Stunden-Serum, das, 
wie gesagt, von einem Tiere stammt, bei dem selbst bereits durch das 
Diphtherietoxin eine Blutdrucksenkung eingetreten war, bewirkt bei der 
Uebertragung in den verschiedenen Dosen ebenfalls deutliche Senkungen: 
A. Bereits l / A ccm Serum lässt bei der Uebertragung eine Blutdruck¬ 
senkung eintreten (Beginn der Senkung 2 Minuten nach der Injektion). 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



168 


H. ZONDEK 


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Sic beträgt allerdings nurD 1 )=15cm, ist aber immerhin doch 
sichtlich stärker als es bei der Uebertragung einer gleich geringen 
Menge von Normalserum der Fall sein würde (s. S. 158). Die Tiefe 
ist 3 Minuten nach der Injektion erreicht. 

Verharrungsfrist des Blutdrucks auf derselben 1 Minute. S l / 2 Minuten 
nach Beginn des Anstiegs hat die Kurve die alte Höhe erreicht, um 
dann für einige Minuten über sie hinauszuschiessen. Allmählich stellt 
sie sich aber auf die Druckhöhe ein, die vor der Injektion bestand. 

B. 1 / 2 ccm desselben Serums löst bei Tier XIV etwa die gleiche Wirkung 
aus. D = 12 cm. Beginn der Senkung 1 Minute nach der Injektion. 

C. Bei 1 ccm (Tier XIV) Serum beträgt die Senkungstiefe D = 41 cm H 2 0. 
Beginn der Blutdrucksenkung 4 Minuten nach der Injektion. 

Verharrungsfristin derextremen Tiefe IMinute. Darauf relativschneller 
Anstieg. 8 Minuten nach Beginn desselben ist die alte Höhe erreicht. 

D. 2 ccm desselben Serums haben bei Tier XV etwa die gleiche Senkungs¬ 
tiefe wie 1 ccm bei Tier XIV bewirkt. D hier = 39 cm. Nur dass 
der Blutdruck hier sofort nach der Injektion zu fallen anfängt und 
3 Minuten später bereits die tiefste Tiefe erreicht hat, während dort 
erst 4 Minuten post injectionem die Senkung beginnt. 

Die Verharrungsfrist in der Tiefe beträgt auch hier etwa 1 Minute. 
Darauf schneller Anstieg. 4 Minuten nach Beginn desselben ist die 
alte Druckhöhe erreicht. 

E. 3 ccm desselben Serums bewirken eine Senkungstiefe von D = 50 cm. 
Die Senkung tritt auch hier sofort nach der Injektion ein. Dieser 
sofortige Senkungsbeginn scheint also lediglich den grösseren Serum¬ 
dosen Vorbehalten zu sein. 

Verharrungsfrist des Blutdrucks in der extremen Tiefe ebenfalls 
etwa l Minute. Darauf schneller Aufstieg. Etwa 2 Minuten nach 
Beginn desselben ist die alte Druckhöhe erreicht. 

Während also bei den Versuchen mit dem 6 Stunden-Serum die 
Grösse der injizierten Serumdosis einen gewissen Einfluss auf den Grad 
der Blutdrucksenkung hat, ist sie auf den Beginn der Senkung, auf die 
Verharrungsfrist desselben in der Tiefe sowie auf die Anstiegsdauer bis 
zur alten Höhe hinauf ohne deutlichen Einfluss. Vielleicht beruht dieser 
Umstand auf einer besonders schnellen Zersetzung bzw. Ausscheidung des 
eingeführten Serums. 

Entnahmetier XVI. Das Tier XVI, das im Gegensatz zum Tier XIII 
nur 0,7 ccm einfachen Diphtherietoxins subkutan erhalten hatte, zeigt 
6 Stunden nach der Applikation selbst noch keine Blutdrucksenkung. 
Das dem Tier zu dieser Zeit entnommene Serum hat nun, wie die nach- 


1) D = Distanz zwischen höchster Höhe des Blutdrucks vor der Seruminjektion 
und tiefster Tiefe nach derselben. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 169 


stehenden Tabellen zeigen mögen, bei der Uebertragung eine sichtlich 
geringere blutdruckherabsetzende Wirkung als das Serum des Tieres XIII. 

Wenn man die folgenden mit dem Serum 16 hervorgerufenen Senkungs¬ 
tiefen, also 

bei 1 / 2 ccm Serum D = 14 cm, 

„1 „ „ D = 16 bzw. 10 cm, 

„2 „ „ D = 31 cm 

mit den obigen vergleicht, und sich fernerhin den hier relativ ver¬ 

langsamten Eintritt der Blutdrucksenkung z. B. bei Tier XV (IV) ver¬ 
gegenwärtigt, so wird man den Eindruck haben, dass im Serum 16 jene 
hypothetischen blutdruckherabsetzenden Substanzen noch nicht die Kon¬ 
zentration derer des Serums 13 erlangt haben. Offenbar stellt das 
Serum 16 eine Entwicklungsstufe dar, die sich bei längerer Einwirkungs¬ 
dauer bzw. bei grösserer Toxindosis zur Wirkungsstärke des Serums 13 
gesteigert hätte. Die Blutentnahme bei dem Tier XVI geschah eben in 
einem Augenblick, wo im Serum bereits blutdruckherabsetzende Substanzen 
aufzutreten im Begriffe waren, ohne dass deren'Konzentration schon zu 
einer Herabsetzung des Gesamtblutdrucks bei dem betreffenden Tier genügte. 

Auch die weiter unten bei Tier XII noch einmal vorgenommene 

Uebertragung von 2 ccm Serum von Tier XVI fällt etwa im gleichen 
Sinne aus wie dies bei den Tieren XIV und XV der Fall war. Bei 
Tier XII ist zwar die Senkungstiefe D dieselbe wie bei den anderen 
Tieren. Die Schwäche der Wirkung markiert sich hier aber deutlich in 
der ausserordentlich kurzdauernden, fast blitzartig auftretenden Senkung. 
Nur eine Minute hält sich der Blutdruck in der Tiefe, in der nächsten 
steht er bereits wieder auf der alten Höhe. 


II. Versuche mit dem io Stunden-Serum. 

(Versuchstiere XVIII und XXI. — Entnahroctiere XVII und XIX; dieselben 


erhielten subkutan 0,7 bzw. 

Tier XVIII. | 

11. 2. 14 abends 7 V 2 Uhr: j 

Bis 7 h 27' Blutdruck 128-192. I 


7 h 28' Injektion von 1 cem Diphtherie- ; 

serum (10 Stundcn-Scrura) von j 
Tier XVII in die Ohrvenc. 1 
7 h 29' Blutdruck 120 — 175 
7 h 30' „ 110-161 

7 h 30' „ 120—151 

Atmung ruhig u. gleichmäßig, 
Puls regelmässig. 

7 h 31' Blutdruck 105—143 
7 h 31'30" „ 115-148 

7 h 32' „ 120-150 

7 h 32'30" „ 110-161 

7 h 33' . 125-176 

7 h 34' . 120-179 

7 h 34' 30" „ 120 — 17rt ! 

7 h 35' „ 115-183 I 


0,9 ccm einfachen Toxins.) 

7 h 36' Blutdruck 128-192 
7 h 37' „ 125-192 

H. 

7 h 37' 30' Injektion von l / 2 ccm desselben 
Serums in die Ohrvenc. 

7 h 38' Blutdruck 120-179 
7 h 38'30" „ 118—168 

7 h 39' „ 118-159 

7 h 40' „ 110-159 

7 h 40'30" . 115-161 

7 h 41' „ 105-159 

7 h 41'30" „ 105-170 

7 h 42' „ 128—180 

7 h 43' „ 118-192 

7 h 44' r 120-180 

7 h44'30" „ 125-188 

7 h45' w 128-192 

III. 

7 h 47' Injektion von 2 cem desselben 
Serums in die Ohrvene. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



170 H. ZONDEK, 


7 h 48' 

Blutdruck 118—178 

7 h 49' 

„ 115-151 | 

7 h 50' 

„ 90-120 ! 

7 h 50' 80" 

* 75-102 | 

7 h 51' 

„ 90-120 1 

7 h 52' 

„ 90-128 | 

7 h 52' 30" 

„ 115—148 1 

7 h 53' 

105-150 | 

7 h 54' 

100-155 | 

7 h 54' 30" 

r 180—178 

7 h 55' 

125-181 i 

7 h 57' 

125-186 , 


IV. 1 

12. 2. mittags: Puls 38, 


Atmung 30. ! 

Bis 1 h 44' 

Blutdruck 125 —192. 

1 h 45' 

Injektion von l ,U ccm desselben ; 


inzwischen aufEis aufbewahrten 
völlig klaren und geruchlosen 
Serums in die Ohrvene. 


1 h 46' 


Blutdruck 112 — 179 

1 h 47' 


„ 125-173 

1 h 47' 

30" 

90-138 

1 h 48' 


„ 95-M47 

1 h 49' 


„ 105-154 

1 h 49' 

30" 

Atmung 30, Puls 138. 

1 h 50' 


Blutdruck 120-163 

lh 51' 


95-152 

1 h 51' 

30" 

105-165 

1 h 52' 


„ 125-183 

1 h 53' 


„ 130-192 

1 h 54' 


„ 125—192 

V. 

1 h 55' 


Injektion von l / 2 ccm desselben 
Serums in die Ohrvene. 

1 h 56' 


Blutdruck 125—192 

1 h 56' 

30" 

„ 105-156 

1 h 57' 


Blutdruck 110—155 

1 h 57' 

30" 

r 108-146 

1 h 58' 


* 115—160 

1 h 59' 


* 120-154 

2 h 


* 110-149 

2h 

30" 

* 105—150 

2 h 1' 


„ 105—160 

2 h 2' 


* 130—180 

2 h 3' 


„ 120—180 

2 h 3' 

30" 

„ 105-172 

2 h 4' 


„ 110-178 

2 h 5' 


„ 110—180 

2 h 5' 

30" 

„ 125-192 

2 h 6' 


„ 130-195 

VI. 

2 h 7' 


Injektion von V 2 ccm desselben 
Serums in die Ohrvene. 

2 h 8' 


Blutdruck 125 — 180 

2 h 9' 


„ 118—165 

2 h 10' 


105-150 

2 h 11' 


„ 110-160 


Messung abgebrochen. 
14. 2. morgens Exitus. 


Sektion. \ 

Organe im ganzen ohne Besonderheiten. 
Niere: Rinde geschwollen, Grenze gegen 
das Mark deutlich. Mark hypcrätnisch. i 


Urin: A -f--T. 

Sediment: zahlreiche Erythrozyten, einige 
Leukozyten, keine Zylinder. 


19. 

2. 

Tier XXI. 

Gewicht 2000 g. 

6h 

45' 

Puls 144, 

6 h 

48' 

Atmung 76. 

Blutdruck 122— 185, 

6 h 

49' 

Urin frei. 

Injektion v. 1 / 2 ccm Diphtherie- 

6 h 

50' 

Scrum(TierXlX = lOStundcn- 
Serum) in die Ohrvene. 
Blutdruck 105—171 

6 h 

51' 

110-163 

6h 

51' 30" 

„ 115—159 

6 h 

52' 

„ 112—149 

6 h 

52' 30" 

„ 115—150 

6h 

53' 

„ 120-162 

6 h 

54' 

Tier zappelt etwas. 

6h 

55' 

Blutdruck 120 — 179 

6 h 

57' 

r 130-188 

6h 

58' 

„ 120-190 

6 h 

59' 

„ 120-187 

7 h 


H. 

Injektion von 1 ccm desselben 

7 h 

1' . 

Serums intravenös. 

Blutdruck 105—156 

7 h 

2' 

„ 115-159 

7 h 

2' 30" 

„ 108—155 

7 h 

4' 

„ 110—149 

7 h 

5' 

108-135 

7h 

5' 30" 

115—140 

7 h 

7' 

r 115—150 



Puls 150, 

Atmung 30, regelmässig. 

7 h 

8' 

Blutdruck 110—165 

7 h 

9' 

„ 118—178 

7h 

10' 

* 125—185 

7h 

11' 

r 125—189 

7h 

12' 

„ 122—189 

7 h 

13' 

HL 

Injektion von 2 ccm desselben 

7h 

14' 

Serums. 

Blutdruck 112—151 

7 h 

15' 

„ 110-145 

7h 

15' 30" 

„ 115-136 

7h 

16' 

„ 105—128 

7h 

17' 

„ 100-130 

7 h 

18' 

104—132 

7 h 

18' 30" 

„ 110-137 

7 h 

19‘ 

„ 110—150 

7h 

20' 

Puls 132, regelmässig, gleich- 

7 h 

21' 

massig, 

Atmung 36, regelmässig. 
Blutdruck 110—170 

7h 

22' 

120-186 

7 h 

23' 

125—190 

7 h 

24' 

* 122-190 

20. 

2. 14. 

Dasselbe inzwischen auf Eis 


auf bewahrte, vollkommen klare und ge¬ 
ruchlose Serum wird auf Tier XIY über¬ 
tragen. 


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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 171 


Tier XIV. 

1 h 40' mittags: 

Blutdruck 120—185, 
Puls 132, 

Urin frei, 

Atmung 96. 


1 h 41' 

Injektion von */ 2 ccm desselben 
Serums. 

1 h 42' 

Blutdruck 108-179 

lh 43' 

Y> 

115—165 

1 h 44' 

r> 

115-169 

1 h 45' 


115—155 

1 h 45' 30" 

V 

105-149 

1 h 47' 

T. 

105-139 

1 h 49' 30" 


110-155 

1 h 50' 


110-178 

1 h 51' 

V 

115-190 

1 h 52' 

n 

V. 

118-192 

lh 53' 

Injektion von 2 ccm desselben 
Serums. 

1h 53' 30" 

Blutdruck 

110-152 

1 h 54' 


120-145 

1 h 55' 


110—141 

1 h 56' 

jy 

115-137 

1 h 57' 


108—132 

1 h 58' 

j* 

108-130 

1 h 58' 30" 

yy 

110—130 

1 h 59' 


115—141 

1 h 59' 30" 

m 

115—149 

2h 


118-158 

2 h 1' 


118—181 

2 h 2' 

w 

115—186 

2 h 3' 


120-190 

2 h 3* 

n 

120—186 


Tier XVII. 

Gewicht 2000 g. 
10. 2. 14 nachmittags 7 Uhr: 
Puls 132, 

Atmung 42, 
Blutdruck 120—180. 


11. 2. 14 morgens 9 Uhr: T),7 ccm Diph¬ 
therietoxin (einfach) subkutan, 

Abends 7 Uhr: Blutdruck 120—170. 

Tier munter. 

Urin nicht zu erhalten. 

Tier verblutet aus der Karotis. 

Blut steril aufgefangen. Auf Eis gestellt. 

Sektion: 

Organe ohne Besonderheiten. 

Blase leer. 

Mikroskopisch: 

Niere und Nebenniere wie bei Tior XIX. 

Tier XIX. 

Gewicht 1950 g. 

17. 2.: Atmung 56, 

Puls 138, 

Urin: frei. 

Blutdruck 125—190. 

18. 2.* Erhält morgens um 8 3 / 4 Uhr 0,9 ccm 
Diphtherietoxin (einfach) subkutan. 

! Abends 7 Uhr: Tier munter. 

Puls 156, 

Atmung 48, 

Blutdruck 105—167. 

Urin: A +. 

Sediment: Erythrozyten + + +> Leuko¬ 
zyten +, Zylinder —. 

Dem Tier wird das Blut aus der Karotis 

gelassen. 

Sektion: 

Makroskopisch ohne Besonderheiten. 

Mikroskopisch; 

Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitte): Hier 
und da geringgradige Schwellung der 
Epithelien in den gewundenen Harn¬ 
kanälchen erster Ordnung und in den 
Henleschen Schleifen. Stellenweise Ei- 
weiss im Lumen derselben. Glomeruli 
nicht nachweislich verändert. 

Nebenniere; Rinde äusserst reich an 
anisotropen Lipoiden. Mark ohne Be¬ 
sonderheiten. 


Bei den mit den 10 Stunden-Seris vorgenommenen Uebertragungen 
ist zunächst auffällig, dass die Blutdrucksenkung stets sofort nach der 
Seruminjektion eintritt, während in den vorigen Versuchen der Blutdruck 
sich meistens noch einige Minuten auf der Höhe hielt. 

Die mit dem 10 Stunden - Serum erzielten Blutdrucksenkungen 
schwanken bei Injektion 

von J / 2 ccm Serum D = zwischen 33 und 54 cm II 2 0, 

» 1 „ n D= » 49 „ 52 „ 

A 2 „ „ D= „ 61 „ 90 „ „ 


Die Verharrungsfrist des Blutdrucks in der extremsten 
bei 1 / 2 ccm Serum etwa ... 1 Minute, 


TI 

n 


1 

2 


TI 

r> 


r> . . . . 

„ ebenfalls . 


1 

1 


77 

TI 


Tiefe beträgt 


Digitized b' 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



172 


H. ZONDEK, 


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Der Aufstieg von der Tiefe bis hinauf zur Höhe des Blutdrucks vor 
der Injektion schwankt 

bei y 2 ccm Serum zwischen ... 2 und 5 Minuten, 

1 4 'S 

» A 7) 77 77 ••• * 7 ) ° 71 

„ 2 „ „ ebenfalls zwischen 4 „ 5 „ 

Die Grösse der injizierten Serumdosis hat also hiernach lediglich 
einen Einfluss auf die Tiefe der Senkung D, während die Verharrungsfrist 
des Blutdrucks in der Tiefe sowie die Anstiegsdauer desselben bis zur 
alten Höhe von ihr unabhängig sind. 

Verhalten des Minimaldrucks siehe Protokoll. 


III. Versuche mit dem 20 Stunden-Serum. 


(VersuchstiereXI,XII,XXII. — EntnahmetiereX und XX; sie hatten 0,7 bzw. 
0,8 g einfachen Diphtherietoxins subkutan erhalten.) 


Tier X. 

Gewicht 1450 g. 

22. 1 . 14: Puls 102, 

Atmung 42, 

Urin frei, 

Blutdruck 112—177. 

Erhält abends um 9 Uhr 0,7 ccm Diph¬ 
therietoxin (einfaches Toxin) subkutan. 

23. 1. 14. Abends gegen 6 Uhr. ist Tier 
moribund. Da ihm eine Kanüle in die 
Karotis eingeführt werden soll ante exitum, 
kann der Blutdruck nicht mehr gemessen 
werden. Tier verblutet aus einer unter 
sterilen Kautelcn in die rechte Karotis 
eingeführten Kanüle. Blut aufgefangen, 
auf Eis aufbewahrt. 

Am 24. 1. 14 Serum daraus durch vier¬ 
stündiges Zentrifugieren gewonnen. 

Urin: A+, S —, von eigenartig dunkel- 
rötlicher ikterischer Färbung. 

Sediment: Erythrozyten-}-, Leukozyten-)-, 
einige Reste von granulierten Zylindern. 

Sektion: 

Nieren: sehr blutreich, scheinen ge¬ 
schwollen, Rinde verbreitert. 

Nebennieren: Grösse anscheinend normal, 
keine sicheren Blutungen makroskopisch. 

Leber und Milz: sehr blutreich, sonst o.B. 

Mikroskopisch. 

Nieren (Hämatoxylin - Eosinschnitt) und 
Nebennieren wie bei Tier XX. 

Tier XX (schwarz, Stehohren). 

26. 2. 14 nachmittags Uhr: 

Puls 150, 

Atmung 48, 

Blutdruck 118—185. 

Erhält abends 11 Uhr 0,8 ccm Diph¬ 
therietoxin (einfach) subkutan. 


I 27. 2 . 14 nachmittags 6 V 2 Uhr: 

| Puls 138, 

I Atmung 84, 

Blutdruck 115—166. 

I Tier durch Verbluten getötet. Blut in 
1 der oben beschriebenen Weise aufgefangen. 

| Sektion. 

Organe 0 . B. 

Mikroskopisch. 

Nieren (Hämatoxylin-Eosinschnitt): Hoch¬ 
gradige Schwellung und an zahlreichen 
Stellen deutliche Desquamation der Epi- 
thelien der gewundenen Harnkanälchen 
und der Henleschen Schleifen, ln den 
Lumina an zahlreichen Stellen Eiweiss. 
Glomeruli nicht nachweislich verändert. 

Nebennieren: Starke Lipoidanhäufung 
I in der Rinde. Mark 0 . B. 


Tier XI (grau, grosses Tier). 


Gewicht: 1800 g. 

24. 1 . 13: Puls 132. 

Atmung 42, 

bis 6 h 42' Blutdruck 115—176, 
Urin frei. 


6 h 43' 


I 6 h 44' 

1 6 h 45' 

6 h 45'30" 
6 h 46' 

| 6 h 47' 

6 h 47'30" 
6 h 48' 

1 6 h 48'30" 
j G h 50' 

I 6 h 51' 

I 6 h 51' 30" 


I. 

Injektion von 1 ccm Diphtherie¬ 
serum von Tier X (21 Stunden- 
Serum) in die Ohrvene. 
Blutdruck 115—171 
„ 115-170 

115—160 
„ 112—150 

110—142 
„ 110—139 

115-142 
115-143 
115-155 
115—160 
„ 115—160 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 173 


6 h 52' Blutdruck 115 — 168 
Atmung 42, Puls 96. 

6 h 53" Blutdruck 115—170 

6 h 54' „ 115-175 

6 h 54'30" r 115-177 

6 h 55' * 115-176 

6 h 57' „ 115-176 

11 . 

6 h 58' Injektion von 1 / 2 ccm desselben 
Serums. 

6 h 59' Blutdruck 115-160 

7 h „ 110-158 

7h 1' „ 115—155 

7 h 1'30" r 115—155 

7 h 2' „ 120-163 

7 h 3' „ 116—168 

7h 4' „ 115—168 

7 h 4' 30" „ 115—172 

7 h 5' „ 115-173 

7 h 5' 30" r 115—175 

7h 6' r 115-175 

7 h 7' r 115-178 

7h 8' „ 120-176 

Messung abgebrochen! 

26. 1. nachmittags: 

Bis 6 h 57' Blutdruck 120-175. 

6 h 58' Injektion von 1 ccm desselben 
Serums in die Ohrvene. 

6 h 59' Blutdruck 95 — 158 

7 h „ 100-152 

(Tier zappelt etwas) 

7 h 2' Blutdruck 115-151 

7 h 3' „ 105—140 

7 h 4' „ 120-148 

7 h 5' „ 110-150 

7 h 5'30" .. 110-158 

7 h 6' * 110-160 

7 h 7' „ 105—148 

Puls und Atmung gleich- und 
regelmässig. 

7 h 8' Blutdruck 115—160 

7 h 9' r 100—160 

Atmung84, leichtunregelmiiss., 
Puls 102. 

7 h 10' Blutdruck 115—163 
7 h 11' „ 120-172 

7 h 12' „ 100—162 

7 h 13' „ 105—169 

7 h 13'30" „ 100-165 

7 h 14' „ 115—168 

7 h 14'30" r 120—170 

7 h 15' r 100-178 

7 h 18' „ 120—183 

7 h 20' „ 115—179 

Messung abgebrochen. 

Urin: A —, S —. 

25. 2. 14. Tier munter, nicht abgemagert. 
Urin frei. 

27. 2. 14. Urin frei. 

Tier XII. 

Gewicht 1800 g. 

24. 1. 14: Puls 114, Atmung 54, 
bis 7h 19' Blutdruck 120—179. 

Urin frei. 


I. 

7 h 19' Injektion v. l / 4 ccm Diphtherie- 
Serum von Tier X (21 Stundcn- 
Serum) in die Ohrvene. 

7 h 20' Blutdruck 125—176 
7 h 21' „ 120—161 

7 h 22' „ 120—160 

7 h 23' * 120-168 

7 h 24' „ 118—175 

(Tier zappelt etwas) 

7 h 25' Blutdruck 115 — 179 

II. 

7 h 26' Injektion von 2 ccm desselben 
Serums in die Ohrvenc. 

7 h 27' Blutdruck 115—149 
7 h 28' „ 115—14S 

7 h 28'30" . 110-140 

7 h 29' „ 110—135 

7 h 30' * 115—145 

7 h 31' * 120—158 

7 h 31'30" „ 125—168 

7 h 32' „ 125—170 

7 h 33' * 110—179 

7 h 34' . 118—179 

7 h 34'30" „ 125—179 

7 h 35' * 115—182 

7 h 36' „ 115-178 

7 h 38' * 115—179 

III. 

6. 2. 14. Tier munter. Mittags l2 l / 2 Uhr: 
Puls 144, 

Atmung 36, 

Blutdruck 128—191. 

Urin: A+ (milchig getrübt).! 
Sediment: Salze -\—hi Leukozyten +, 
Erythrozyten —, Zylinder —. 

12 h 34' Blutdruck 128—191 
12 h 35' Injektion v. 2 ccm Diphtherie- 
Serum von TierXVl (6Stund.- 
Serum —, etwa 40 Stunden 
alt — auf Eis aufbewahrt, 
Serum klar und geruchlos) 
in die Ohrvene. 

i 12 h 36' Blutdruck 120—150 

12 h 37' „ 130—178 

12 h 38' * 120—180 

12 h 39' * 120-175 

12 h 39'30" „ 120-186 

12 h 40' r 130—190 

12 h 41' . ' 128-190 

12 h 41'30" „ 130-191 

Puls 144, 

Atmung 120. 

12 h 43' Blutdruck 125-191 

12 h 44' * 125-191 

12 h 46' „ 124—189 

| 12 h 47' * 130—195 

12 h 48' * 128—191 

16. 2. 14. Tier munter, scheint stark ab¬ 
gemagert. 

25. 2. 14. Tier munter. 

Urin: A—, S—, Sed.—. 

27. 2. 14. Tier munter. Durchlalle. 
Urin: A —, S—, Sed.—. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



174 


H. ZONDEK, 



Tier XXII. 

Gewicht 1900 g. 

28. 2. nachmittags 6 3 / 4 Uhr: 

Puls 132. 

Atmung 36. 

Urin frei. 

I. 

6 h 50' Blutdruck 115 — 178 

6 h 52' Injektion v. V 2 ccm Diphtherie- 
Serum (von Tier 20 = 20 Std.- 
Serum) in die Ohrvene. 

6 1)53' Blutdruck 120 — 172 

6h54' „ 115—163 

6 h 54'30" „ 110-160 

6h55' „ 115-158 

6 h 56' „ 118-158 

6h57' „ 110-163 

Tier zappelt, 

Puls 132. 

6h59' Blutdruck 115 — 170 

6 h59'30" „ 115—175 

7 h „ 120-178- 

7 h 1' „ 120—179 


II. 


7h 

2' 

Injektion von 1 ccm desselben 
Serums intravenös. 

7h 

3' 

Blutdruck 118 — 162 

7 h 

4' 

110—161 

7 h 

4' 30" 

* 115-152 

7 h 

5' 

„ 120—152 

7h 

5' 30" 

„ 115 — 147 

7 h 

6' 

„ 110—141 

7h 

7' 

„ 108—142 

7 h 

8' 

„ 120—156 

7h 

8' 30" 

Blutdruck 112—165 

7h 

9' 

„ 118—170 

7 h 

10' 

„ 120—181 

7h 

10' 30" 

„ 125-179 



III. 

7 h 

11' 

Injektion von V 2 ccm desselben 
Serums. 

7 h 

12' 

Blutdruck 120 — 174 

7 h 

13' 

* 120—170 

7 h 

14' 

„ 120-163 

7 h 

15' 

„ 115-160 


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Goc gle 


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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 175 


7h 15' 30" Blutdruck 120-175 
7 h 16' „ 118-178 

7 h 17' * 120-180 

IV. 

7 h 21' Injektion von 2 ccm desselben 
Serums, 

Atmung 48. 

7 h 23' Blutdruck 115 — 156 
7 h 24' „ 120-150 

7 h 24' 30" „ 110—140 

7 h 25' „ 105-136 

7 h 25'30" 100-130 

7 h 26' „ 103—129 


7 h 27' 

Blutdruck 102—128 

7 h 27' 30" 

„ 108-128 

7 h 28' 

* 115—130 

7 h 28' 30" 

120-136 

7 h 29' 

110—141 


Puls 120. 


Atmung 30. 

7 h 30' 

Blutdruck 125—156 

7 h 31' 

120-162 

7 h 31'30" 

120—176 

7 h 32' 

120-178 

7 h 33' 

120—179 

7 h 34' 

r 120-178 


Bei den Versuchen mit dem 20 Stunden-Serum tritt die Blutdruck- 
Senkung ziemlich schnell nach der Injektion auf, so dass die Art der 
Senkung in dieser Beziehung mehr den Verhältnissen beim 10 Stunden- 
Serum ähnlich ist. 

Die mit dem 20 Stunden-Serum erzielten Blutdrucksenkungen betragen 
bei y 4 ccm Serum D = 19 cm H 2 0, 

„ 1 / 2 n „ D = zwischen 19 und 21 cm, 

77 ^ 77 77 D = „ 35 „ 38 „ 

77 2 77 77 D= „ 44 „ 52 „ 

Die Verharrungsfrist des Blutdrucks in der extremsten Tiefe beträgt 

bei y 4 ccm Serum.P/ 2 Minuten, 

i/ 1_o 

77 /2 77 77 . 1 77 

77 A 77 77 . . " 77 

77 ^ 77 77 .^ 3 77 

Die Zeit des Aufstiegs von der Tiefe bis hinauf zur Höhe des Blut¬ 
drucks von der Injektion beträgt 


bei 

7* 

ccm 

Serum .... 

. 3 

Minuten 

77 

Va 

77 

„ zwischen . 

. 1—4 

77 

77 

1 

77 

77 77 

. 2—6 

77 

77 

2 

77 

77 .... 

. 4 

77 


Auch hier besteht wie bei den Versuchen mit dem 6 und 10 Stunden- 
Serum lediglich ein Parallelismus zwischen Grösse der injizierten Serum¬ 
dosis und Tiefe der Senkung, während die Verharrungsfrist des Blut¬ 
drucks in der Tiefe sowie dessen Anstiegsdauer bis zur Druckhöhe vor 
der Injektion von ihr vollständig unabhängig sind. 

Den Verlauf der Kurve des minimalen Blutdrucks ist so wenig charak¬ 
teristisch und ihre Senkungsbreite unter dem Einfluss des Serums so gering, dass auf 
ihre Besprechung verzichtet werden kann. 

Die vorstehenden Versuche zeigen zunächst, dass das Serum mit 
Diphtherietoxin vergifteter Kaninchen bei der (Jebertragung auf gesunde 
Tiere der gleichen Art im Gegensatz zu dem entsprechenden Normalserum 
eine deutlich blutdruckherabsetzende Wirkung hat. Die nähere Analyse 
dieser äusserst auffälligen Tatsache, auf welche meines Wissens bislang 


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17 (> 

noch niemand hingewiesen hat, beweist, dass im Laufe der Diphtherie¬ 
vergiftung Substanzen im Serum auftreten, die mit dem Diphtherietoxin 
als solchem nicht identisch sind. Denn im Gegensatz zu ihm setzen sie 
den Blutdruck nicht allmählich, d. h. nach etwa 12 Stunden, sondern 
ganz akut herab. Dass das Diphtherietoxin als -solches selbst in viel 
grösseren Quantitäten, als sie etwa im diphtherischen Serum vor¬ 
handen sein könnten, absolut keine akut blutdruckherabsetzenden Eigen¬ 
schaften besitzt, ist oben gezeigt worden. In der Erwägung, es könnten 
eventuell gerade • starke Verdünnungen von Diphtherietoxin durch Aus¬ 
schliessung irgend einer hemmenden Komponente doch eine akute Blut¬ 
drucksenkung zur Folge haben, habe ich auch solche Untersuchungen 
vorgenommen. Ich habe aber auch bei 732 der oben bezeichnetcn Diph¬ 
therietoxinmenge nach intravenöser Injektion in der nächsten Stunde keine 
Beeinflussung des Blutdrucks wahrgenommen. Wir werden also das 
Diphtherietoxin nur insofern verantwortlich machen dürfen, als es in¬ 
direkt und allmählich zur Erzeugung und Abgabe blutdruckherab¬ 
setzender Substanzen in den Kreislauf — vielleicht auf dem Wege der 
inneren Sekretion — Veranlassung gibt. 

Nun wird man bei der vielfach beschriebenen Affektion der Neben¬ 
nieren bei experimentell erzeugter Diphtherie möglicherweise geneigt sein, 
die Erkrankung des Nebennierenmarkes mit der blutdruckherabsetzenden 
Eigenschaft des Diphtheriescrums in ursächlichen Zusammenhang zu bringen. 

Man könnte sich wohl vorstellen, dass der Erkrankung des Neben¬ 
nierenmarks, speziell dem Auftreten von Blutungen und Nekrosen in ihm 
und der damit verbundenen Minderproduktion von Adrenalin ein relatives 
Ueberwiegen seiner Antagonisten entspricht. Dieser Auffassung aber 
steht entgegen, dass gerade beim Kaninchen im Gegensatz zum Meer¬ 
schweinchen selbst bei den stärksten letalen Toxindosen an den Neben¬ 
nieren anatomisch kaum irgend welche Veränderungen konstatiert werden 
konnten. Diese Befunde, die von A. Strubcll 3 ) und anderen erhoben 
worden sind, kann ich auf Grund meiner eigenen oben niedergelegten 2 ) 
bestätigen. 

Bietet auch das Fehlen nachweislicher anatomischer Veränderungen 
des Nebennierenmarkes allein natürlich noch keinen absoluten Beweis 
gegen die oben diskutierte Annahme, so wird sie vollends widerlegt 
durch die Untersuchungen einer ganzen Reihe von Autoren, die gerade 

1) A. Strub eil, Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. 1910. Bd. 65. H. 2. 

2) Ich fand allein einen auffallenden Reichtum an anisotropen Lipoiden in der 
Rinde und zwar besonders stark ausgeprägt bei denjenigen Tieren, denen ich erst 
20 Stunden nach der Vergiftung das Serum entnommen hatte. Aber der relative Reich¬ 
tum an anisotropen Lipoiden, den ich auch bei normalen Kaninchen fand, beweist, 
dass ich es gerade mit einem an den genannten Lipoiden in ihrer Nebennierenrinde 
reichen Wurf zu tun hatte, so dass diesen Befunden keine besondere Bedeutung zu¬ 
kommt. 



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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 177 


in den ersten Stunden der Diphtherieintoxikation übereinstimmend eine 
Funktionssteigerung der Nebennieren, d. h. eine Mehrproduktion von 
Adrenalin konstatieren konnten. Ehrmann 1 ) konnte bei Kaninchen mit 
seiner Methode noch 15 Stunden nach der Toxininjektion im Neben- 
nierenvenenblute erhöhten Adrenalingehalt nachweisen. 

Tcheboksaroff 2 ) kam bei seinen Versuchen an Hunden zu dem 
gleichen Ergebnis; er fand erst 48 Stunden nach der Vergiftung die 
Adrenalinsekretion unterhalb der Norm. Moltschanoff 3 ), Bogomalez 4 ), 
Sinibaldi 5 ), S. Abramow 8 ) und andere erhielten die gleichen Re¬ 
sultate. Diese Befunde dürften die Möglichkeit, dass die blutdruck¬ 
herabsetzende Wirkung des Diphtherieserums auf einem Darniederliegen 
der Adrenalinproduktion beruhe, mit grosser Wahrscheinlichkeit aus der 
Diskussion ausscheiden lassen. Sollte einer oder der andere der ge¬ 
nannten Autoren mit kleineren Toxindosen gearbeitet haben als ich, so 
würde dieses Plus an Giftmenge in meinen Versuchen ausgeglichen werden 
durch die weit geringere Zeit, die bei mir die Tiere, speziell die Neben¬ 
nieren unter der Wirkung des Toxins standen. Schliesslich konnte ich, 
wie bereits oben auseinandergesetzt wurde, bereits 6 Stunden nach der 
Vergiftung des Tieres blütdruckherabsetzende Substanzen im Serum nach¬ 
weisen, zu einer Zeit also, wo man noch keine weitgehenderen, selbst 
funktionellen Schädigungen der Nebennieren wird vermuten können. Dass 
auch die Hypophyse, an die man in diesem Zusammenhänge ja eben¬ 
falls denken kann, ebenso wenig wie die Nebenniere auf Grund ana¬ 
tomischer Veränderungen ätiologisch für die blutdruckherabsetzende Eigen¬ 
schaft des diphtherischen Serums in Betracht gezogen werden kann, darf 
ich auf Grund folgenden, allerdings klinischen Falles annehraen: Es 
handelte sich um ein Kind unserer Klinik, das eine deutlich ausge¬ 
sprochene zunehmende Blutdrucksenkung im Verlauf einer schweren Diph¬ 
therie hatte, an der es zugrunde ging. Eine Nephritis hatte nicht be¬ 
standen. Die genaue mikroskopische Untersuchung (Geh. Rat Aschoff- 
Freiburg) konnte an der Hypophyse nicht die geringsten anatomischen 
Veränderungen nachweisen. 

Vielmehr lassen mich die Befunde Ehrmanns und der anderen 
oben genannten Autoren daran denken, dass das Diphtherietoxin, das 
im Anfang der Vergiftung auf die Nebennieren als Reiz und erst in den 
Finalstadien auf ihre Funktion lähmend wirkt, denselben Wirkungsmodus 
auch bei anderen Drüsen mit innerer Sekretion in vielleicht noch stärkerem 
Masse ausübt. 

1) Ehrmann zit. nach Tscheboksaroff (s. unten). 

2) Tscheboksaroff, Berliner klin. Wochenschr. 1911. Nr. 23. 

3) Moltschanoff, Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 76. 

4) Bogonalez, Zieglers Beitr. 1905. Bd. 58. 

5) Sinibaldi zit. nach Tscheboksaroff. 

6) S. Abramow, Zeitschr. f. Immunitätsf. u. experim. Ther. Bd. 15. H. 1. 
Ref. Münchener klin. Wochenschr. 1912. S. 2827. 

Zeiteehr. f. klin. Medizin. 81. Bd, H. 1 u. 2. 12 


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178 


H. ZONDEK 


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Vielleicht wird in diesem Sinne speziell an das Pankreas zu denken 
sein, dessen besonders stark blutdruckherabsetzende Eigenschaften hin¬ 
länglich bekannt sind. 

Von besonderem Interesse aber wird meines Erachtens die Frage 
nach dem Angriffspunkt sein, von welchem aus die hypothetische Sub¬ 
stanz im Diphtherieserum ihre Blutdruckherabsetzung besorgt. Da wir 
es hier mit einer akuten Senkung zu tun haben, wird diese Entscheidung 
möglich sein. Damit wird dann gleichzeitig gesagt werden können, ob 
diese Substanz ihre Blutdruckherabsetzung vom Vasomotorenzentrum aus 
bewirkt, wie dies zur Zeit fast allgemein für das Diphtherietoxin selbst 
angenommen wird oder nicht. So viel lässt sich aber schon jetzt an¬ 
nehmen, dass die Blutdruckherabsetznng bei Diphtherie, wenn überhaupt, 
so doch mindestens nicht allein auf eine primäre Schädigung des Herz¬ 
muskels zurückzu führen ist. So akut kann naturgemäss der Herzmuskel 
des Uebertragungstieres durch die im Serum enthaltene Substanz nicht 
lädiert werden. Der Angiffspunkt dieser akut wirkenden und für den 
Zustand der diphtherischen Blutdrucksenkung fraglos sehr wichtigen Sub¬ 
stanz muss unbedingt an anderer Stelle liegen. 

Neben der bisher behandelten blutdruckherabsetzenden Wirkung des 
Diphtherieserums überhaupt dürften meines Erachtens auch dessen quanti¬ 
tativ verschiedene Senkungseffekte von Interesse sein. 

Vergleichen wir noch einmal die Wirkungsintensität der verschiedenen 
3 Sera hinsichtlich der durch sie gesetzten Grösse von D, so ergibt sich, 
um es noch einmal kurz zusammenzufassen: 

1. 6 Stunden-Serum. 

bei 74 ccra Serum Senkungstiefe D = 15 cm H 2 
7) 7 a „ „ ti = 12 u. l4cmH 2 

„ 1 „ „ „ = 15 u. 16 cm Ho 

(bei dem Entnahmetier noch keine Blutdrucksenkung) 
und 41 cm (bei dem Entnahmetier schon Blutdrucksenkung vorhanden), 
bei 2 ccm Serum Senkungstiefe D = 31 cm 
(bei dem Entnahmetier noch keine Blutdrucksenkung) 
und 39 cm (bei dem Entnahmetier schon Blutdrucksenkung vorhanden) 
bei 3 ccm Serum Senkungstiefe D = 50 cm. 

2. io Stunden-Serum. 

bei 1 / 2 ccm Serum D = 33 u. 36, 45 u. 46 und 46 u. 54 cm H 2 0 
„1 „ „ = 49 u. 52 cm H 2 0 

„2 „ „ = 61 u. 62 u. 90 cm H 2 0. 

3. 20 Stunden-Serum. 

bei l / A ccm Serum D = 19 cm fl 2 0 
„ 1 / 2 ri n — 19 u - 20 u. 21 cm H 2 0 

„ 1 „ „ = 35 u. 37 u. 38 cm H 2 0 

„ 2 „ „ = 44 u. 52 cm II 2 0 



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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen etc. 179 

Der Vergleich dieser Zahlen ergibt die bemerkenswerte Tatsache, 
dass die blutdruckherabsetzende Wirksamkeit des Serums von Diph¬ 
therietieren zu verschiedenen Zeiten des Vergiftungszustandes eine 
verschiedene ist. Bei unseren 3 Serumreihen stellt ohne Zweifel das 
10 Stunden-Serum den Höhepunkt der Wirksamkeit dar. Dies tritt 
besonders illustrativ bei den Versuchen mit dem ! / 2 ccm Serum zu Tage, 
wo die Senkungskurve bei den verschiedenen Seris sich von. der Durch¬ 
schnittszahl 13 über 45 nach 20 bewegt, ln ähnlichem Sinne fallen 
auch die übrigen Versuche aus. 

Ich glaube diesem Umstande eine ganz besondere Bedeutung bei¬ 
messen zu dürfen. Ist es doch ausserordentlich auffällig, dass die blut¬ 
druckherabsetzende Wirkung des Diphtherieserums nach Ueberschreitung 
eines zeitlich festgesetzten Kulminationspunktes allmählich mehr und mehr 
abnimmt. Wie ist dieser Umstand mit der allgemein bekannten und von 
mir selbst häufig beobachteten Tatsache zu vereinbaren, dass der Blut¬ 
druck des diphtherischen Entnahmetieres selbst entsprechend der Dauer 
der Toxineinwirkung immer mehr und mehr sinkt, um schliesslich gegen 
Ende des Lebens zu ganz minimalen Werten reduziert zu werden. Eine 
Erklärung dieses Phänomens vermag ich zur Zeit nicht zu geben. Es 
scheint mir allerdings naheliegend, von einem bestimmten Zeitpunkt der 
Vergiftung an das Auftreten irgend einer Substanz im Blutserum des in- 
toxizierten Tieres anzunehmen, die als ein der Blutdrucksenkung ent¬ 
gegen wirkender, kompensierender Faktor anzusehen ist. 

Zu denken wäre da z. B. an die Erkrankung der Niere. Unter der 
Wirkung des Diphtherietoxins entwickelt sich eine Schädigung des Nieren¬ 
parenchyms. Es ist uns geläufig, bei experimentell erzeugten, insbe¬ 
sondere tubulären Nephritiden ein Steigen des Blutdrucks zu beobachten, 
dem, wie ich oben für die Uran- und Chromnephritis gezeigt habe, auch 
eine Steigerungstendenz des Blutserums der betreffenden Tiere entspricht. 
Da die Diphtherienephritis wenigstens anatomisch ebenfalls in die Kate¬ 
gorie der tubulären Nephritiden gehört, werden wir auch hier an ähnliche 
Vorgänge denken. Ich möchte glauben, dass wir in der Nephritis oder 
den sie begleitenden Faktoren jenen kompensierenden Faktor haben. 

Die Nieren sind erst 20 Stunden nach der Injektion des Toxins ana¬ 
tomisch ausgesprochen verändert. Die Glomeruli 1 ) erscheinen intakt, aber 
an den gewundenen Harnkanälchen und den Henleschen Schleifen zeigen 
sich ziemlich hochgradige Veränderungen in Form von starken Schwellungen 


1) Schlayer u. Hedinger (1. c.) haben allerdings schon nach 12 Stunden 
deutliche Erscheinungen einer Schädigung der Glomeruli festgestellt. Ich möchte, ob¬ 
gleich ich an ihnen auch nach 20 Stunden keine gröberen Veränderungen nachweisen 
konnte, trotzdem nicht an ihre vollständige Intaktheit glauben, da ich im Harnsedi¬ 
ment schon nach 10 Stunden auffallend reichliche Mengen von roten Blutkörperchen 
bei geringgradiger Zylindrurie vorfand. OfFenbar bestand schon zu dieser Zeit eine 
abnorme Durchlässigkeit der Gefässwandungen in den Glomerulis. 

12 * 


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180 


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der betreffenden Epithelien mit deutlicher Desquamation derselben, reich¬ 
licher Eiweissausfüllung der Lumina der Tubuli contorti, Erscheinungen, 
die in ihrer Gesamtheit das Bild der parenchymatösen Nephritis dar¬ 
stellen 1 )- Zu dieser Zeit ist die blutdruckherabsetzende Kraft des be¬ 
treffenden Serums gerade stark im Abnehmen begriffen. Sie steht in 
dieser Beziehung etwa auf der Höhe des 6 Stunden-Serums, bei dessen 
Entnahmetier die Veränderungen der Nieren noch so gering sind, dass 
sie auf die Blutdruckwirkung des Serums jedenfalls ohne Einfluss sind. 
Zwischen den anatomischen Nierenveränderungen des 6 und 10 Stunden- 
Tieres bestehen andererseits noch keine wesentlicheren Differenzen. Bei 
beiden finden wir an den Epithelien der Hauptstückc und der Henle- 
schen Schleifen gerade die ersten, im ganzen geringfügigen Schwellungen 
der Epithelien ohne irgend welche Desquamation derselben und hier und 
da etwas Eiweiss im Lumen der gewundenen Kanälchen. Bei diesen 
beiden scheidet also die Niere als kompensierender Faktor aus, und das 
eine repräsentiert, ohne dass ein komplizierender Prozess dazwischen 
tritt, einfach ein weiteres Entwicklungsstadium des ersteren. Dass mit 
dem Eintritt der anatomisch nachweisbaren Nierenveränderung — und 
das dürfte jedenfalls das Wesentliche sein — nun auch die Störung der 
Nieren funk tion Hand in Hand geht, ist naheliegend. Nach der Schlayer- 
schen 2 ) Mitteilung ist denn auch das erste Auftreten einer starken funk-, 
tionellen Beeinträchtigung der Niere in Form wesentlich gestörter Diurese 
12 Stunden nach der Toxininjektion zum ersten Mal nachweisbar. Auch 
dieser Umstand wird für meine Vermutung in Betracht gezogen werden 
müssen, dass sich nämlich im 20 Stunden-Serum auf Grund der gestörten 
Ausscheidungsfähigkeit der inzwischen erkrankten Niere jene Substanzen 
angehäuft haben, die der blutdruckherabsetzenden Eigenschaft des Serums 
entgegenwirken. 

Dass bei dem durch das Diphtherietoxin stark geschwächten Serum¬ 
spender selbst die Nephritis nicht auch als blutdrucksteigernder, die 
primäre Senkung kompensierender Faktor wirkt, erklärt sich leicht aus 
der erheblichen Herzschwäche der Tiere. Sie sind ja in den Stadien, 
wo die nephritische Blutdrucksteigerung etwa in Erscheinung treten 
könnte, meistens moribund. Ganz anders liegen die Verhältnisse natürlich 
bei dem gesunden, kräftigen Uebertragungstier. Bei ihm können die ver¬ 
schiedenen Wirkungsgrade des Serums manifest werden, ohne dass Herz¬ 
schwäche, Gefässalterationen oder ähnliche Vorgänge das Bild trüben. 

Ich möchte allerdings an dieser Stelle betonen: Ob die im Laufe 
der Vergiftung auftretende und allmählich immer stärker werdende 

1) Ich hatte mich bei Durchsicht der mikroskopischen Präparate der wertvollen 
Unterstützung des Herrn Kollegen M. Landau, erstem Assistenten am pathologischen 
Institut in Freiburg zu erfreuen, dem ich auch an dieser Stelle meinen herzlichsten 
Dank aussprechen möchte. 

2) Schlayer 1. c. 



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Die Wirkung des Serums mit Diphtherietoxin vorbehandelter Kaninchen eto. 181 

Nephritis nun tatsächlich jener kompensierende Faktor ist, von dem ich 
eben sprach, bleibt natürlich unbewiesen. Zweifelhaft aber erscheint mir 
jedenfalls die Annahme Schlayers, der in seiner Arbeit über toxische 
Nephritis von der Diphtherienephritis annimmt, sie ginge wie die vasku¬ 
lären Nephritiden mit einer Senkung des Blutdrucks einher. Hätte die 
Diphtherienephritis als solche von sich aus tatsächlich noch blutdruck¬ 
herabsetzende Eigenschaften, so müsste sich im Serum dieser Tiere beim 
Stärkerwerden der Nephritis die blutdruckherabsetzende Kraft dieser 
Nephritis mit der durch die Diphtherie allein bedingten zu einer stärkeren, 
nicht aber zu einer schwächeren Wirkung kombinieren. Es wäre ja immer¬ 
hin auch sonderbar, dass die Diphtherienephritis, obgleich sie anatomisch 
tubulären Charakters ist, also etwa der Sublimat- oder Chromnephritis 
nahesteht, wenn schon keine Steigerung, so gar eine Senkung des Blut¬ 
drucks bewirken sollte. 


Zusammenfassung. 

Das Serum von Kaninchen, die mit Diphtherietoxin akut vergiftet 
worden sind, setzt bei Uebertragung auf gesunde Kaninchen den Blut¬ 
druck derselben akut herunter. 

Normales Serum ist bei der gleichen Versuchsanordnung wirkungs¬ 
los. Serum von uran- bzw. chromnephritischen Kaninchen wirkt bei 
Uebertragung auf Tiere, bei denen durch Diphtherietoxin der Blutdruck 
gesunken ist, deutlich blutdrucksteigernd. 

Der Grad der blutdruckherabsetzenden Kraft ist bei den verschiedenen 
diphtherischen Seris verschieden je nach der Dauer, die das Entnahme¬ 
tier unter der Wirkung des Toxins gestanden hat. Bei 10 Stunden etwa 
hat er seinen Höhepunkt erreicht, bei 20 Stunden ist er bereits deutlich 
im Abnehmen begriffen. Mit der Dauer der Einwirkung des Toxins wird 
bei den Entnahmetieren die durch das Gift bedingte Nierenschädigung 
stärker. Nach 20 Stunden sind die histologischen Veränderungen der 
Niere weit ausgesprochener als nach 10 Stunden. Möglicherweise stellt 
die Nephritis einen der Blutdrucksenkung entgegen wirkenden, gleichsam 
kompensierenden Faktor dar. Jedenfalls scheint die Diphtherienephritis 
als solche von sich aus den Blutdruck nicht herabzusetzen, da sich ihre 
Wirkung sonst zu der durch das Diphtherietoxin allein bedingten zu 
einem stärkeren, nicht aber zu einem schwächeren Senkungseffekte des 
betreffenden Serums kombinieren müsste. 


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XI. 


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Aus der inneren Abteilung des städtischen Krankenhauses in Augsburg 
(früherer Oberarzt: Dr. L. R. Müller). 

Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den 
Pigmentgehalt der Haut, 

Von 

Dr. Fritz Nehl, 

früher Volontärassistent am Krankenhaase Augsburg, jetzt Augenarzt in Bremen. 


So sehr unsere Kenntnisse von der Pigmentbildung in der Haut durch 
eine Reihe von neueren Arbeiten, insbesondere durch die Studien von 
Meirowsky (48) gefördert wurden, so wird dadurch doch fast nur die 
formale Genese berührt. Ueber die kausale Genese, das übergeordnete 
Agens, welches die Zellen zur Pigmentbildung veranlasst, wissen wir 
noch recht wenig. 

Dass chemische, thermische, mechanische Einflüsse und vor allem 
Licht auch ohne Vermittlung des Nervensystems Pigmentierungen der 
Haut hervorrufen, ist genügend bekannt. 

Zweifellos kommen jedoch daneben für die Pigmcntbildung auch 
noch nervöse Einflüsse in Betracht. 

Bei Fischen und Amphibien steht der Pigmentapparat auf einer 
ungleich höheren Stufe als beim Menschen. Er hat dort häufig die Aufgabe, 
das Tier durch Anpassung an die Farbe der Umgebung seinen Feinden 
und seiner Beute gegenüber möglichst unkenntlich zu machen. 

Hier haben sich auch leicht enge Beziehungen zwischen Pigmentierung 
und Nervensystem nachweisen lassen. Kämmerer (37) zeigte beim 
Salamander, dass sowohl der Feuchtigkeitsgehalt wie auch die Farbe der 
Umgebung einen Einfluss auf die Pigmentierung ausüben und zwar in 
verschiedener Weise. Während die „Feuchtwirkung“ darin besteht, dass 
bei grossem Feuchtigkeitsgehalt der Umgebung innerhalb der dunklen 
Hautpartien helle, bei Trockenheit in den hellen dunkle Flecke entstehen, 
vergrössert die Farbe der Umgebung die dunklen oder hellen Flecke 
durch Vermehrung oder Verminderung des dunklen Pigments, je nachdem 
die Umgebung heller oder dunkler gefärbt ist. Bei geblendeten Salamandern 
tritt nur eine „Feuchtwirkung“, aber keine „Farbwirkung“ ein. Daraus 
folgt, dass die Farbwirkung nur durch Vermittlung des Auges, d. h. 
dessen perzipierenden nervösen Elementen stattfindet, von diesen wird die 
Erregung auf die Zen tralorgane und weiter auf die peripherischen, 
zu den Chromatophoren führenden Nerven übertragen. 



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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 183 


Für diese Vermutung spricht auch eine andere Versuchsanordnung. 
Schneidet man Hautstücke aus und transplantiert sie an andere Stellen, 
so äussert sich zunächst nur die Feuchtwirkung, erst nach längerer Zeit 
die Lichtwirkung. Die Feuchtwirkung, die offenbar wenig oder gar nicht 
vom Nervensystem abhängt, kann schon stattfinden, wenn das Gewebe 
wieder genügend ernährt, d. h. hinreichend mit Blutgefässen versorgt ist, 
die Lichtwirkung jedoch, für die eine normale Nervenleitung Bedingung 
ist, erst mit der Herstellung der Innervation, die stets später erfolgt als 
die Blutversorgung. Beim Axolotl stellte Baback (2) nach Blendung ein 
umgekehrtes Verhalten der Hautfärbung dem Licht gegenüber fest; während 
Tiere mit gesunden Augen im Lichte hell, im Dunkeln dunkel wurden, 
nahmen geblendete Tiere die entgegengesetzten Färbungen an. 

Studien über die Pigmentverhältnisse bei Fischen (Cyprinoiden und 
Salmoniden) führten zu ähnlichen Resultaten [Frisch (26)]. Blinde 
Cyprinoide (Pfrillen und Karauschen) verlieren die Fähigkeit, ihre Farbe 
der Umgebung anzupassen; auf beiden Augen geblendete Salmoniden 
(Forellen und Saiblinge) werden dunkler; bei Blendung eines Auges wird 
nur die entgegengesetzte Körperseite dunkler. Also auch hier Ab¬ 
hängigkeit der Pigmentierung vom Auge und vom Nervensystem! 

Bei Pfrillen und Forellen hat Frisch (26) am Vorderendo des ver¬ 
längerten Markes auch ein Zentrum für die Kontraktion der Pigment¬ 
zellen nachgewiesen, dessen Erregung Pigmentballung, dessen Zerstörung 
Erschlaffung der Pigmentzellen zur Folge hat. Den anatomischen Nachweis 
einer direkten Verbindung von Pigment und Nerven brachten Eberth 
und Bunge (22). Sie sahen nach Bleichung des Pigments mittels Chlor¬ 
wassers bei bestimmten Pigmentzellen von Fischen Nervenfasern direkt 
an die Zellen herantreten und mit Endplättchen darin endigen. Ferner 
beschreibt Ballowitz (8) an den elektrischen Organen beim Torpedo 
Nervenendigungen, die mit dem Protoplasma, nicht mit dem Kern der 
Chromatophoren in Verbindung stehen. 

Der anatomische Nachweis einer besonderen Innervation der Pigment¬ 
zellen ist natürlich der sicherste Beweis für die Abhängigkeit der Pigmen¬ 
tierung von nervösen Einflüssen. Er ist jedoch bereits bei Amphibien 
nicht mehr gelungen, geschweige beim Menschen. Es kann daher Schlüssen, 
die aus den Pigraentverhältnissen bei niederen Tierstufen eine Anwendung 
auf den Menschen herleiten, der Vorwurf theoretischer Spekulation nicht 
erspart bleiben. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass die meisten 
Gebilde unseres Organismus sich in ihrer Entwicklung bis in niedere 
Tierstufen verfolgen lassen, ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu 
weisen, dass der Pigmentapparat des Menschen von früheren Entwicklungs¬ 
stufen seinen Ausgang genommen hat, dass er nichts anderes ist als ein 
rudimentäres Ueberbleibsel. 


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184 


FRITZ NEHL, 


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Wenden wir uns nun unserem eigentlichen Thema, dem Einfluss 
des menschlichen Nervensystems auf die Pigmentverschiebungen 
in der Haut zu. 

Die bekannteste Erscheinung, über die auch von Laien oft berichtet 
wird, ist das Ergrauen der Haare nach schweren seelischen Erschütterungen 
und nach angreifenden Sorgen. 

Freilich muss man solchen Beobachtungen und Behauptungen mit 
kritischem Zweifel gegenübertreten. Kann es sich doch in solchen Fällen 
um ein vorzeitiges Ergrauen aus unbekannten Ursachen, vielleicht infolge 
von hereditärer Belastung mit Canities praecox handeln. 

Besonders vorsichtig zu beurteilen sind die Mitteilungen von „plötz¬ 
lichem“ Ergrauen der Haare. 

So erzählt Parry (54), dass ein indischer Soldat der englischen Armee, der zur 
Aburteilung vorgeführt wurde, innerhalb einer halben Stunde (!?) unter seinen Augen 
ergraut sei. 

Doch sind von durchaus ernster Seite solche Fälle eingehend rait- 
geteilt und wissenschaftlich begründet worden. Eine Arbeit über das 
„plötzliche Ergrauen der Haupthaare“ verdanken wir dem Physiologen 
Landois (43) (Virchows Archiv, 1866, Bd. 35). 

Bei einem 34jährigen Trinker, der wegen Delirium tremens in die medizinische 
Klinik zu Greifswald eingeliefert wurde und der an schreckhaften Halluzinationen mit 
schweren Angstzuständen litt, ergrauten, wie ärztlich (Prof. Moser) festgestellt wurde, 
„über Nacht“ Kopf- und Barthaare. Als Patient nach Ablauf des Deliriums und nach 
dem ersten erquickenden Schlaf sich vor dem Spiegel kämmen wollte, rief er er¬ 
schrocken aus: „Ach Gott, mir sind die Haare grau geworden.“ Nach den mikro¬ 
skopischen Untersuchungen von Landois ist es nicht zum Schwund des Farb¬ 
stoffes, sondern zur Entwicklung reichlicher Luftbläschen im Haarschaft gekommen, 
welch letztere dem Haare trotz seines erhaltenen Pigments eine vorwiegend weisse Farbe 
gaben. Die Haare waren in ihrer ganzen Ausdehnung von der Wurzel bis zur Spitze 
weiss geworden. Die Luftbläschen lagen sowohl in der Marksubstanz als auch in der 
Kortikalschicht der Haare. Landois schreibt: „Es lehrt also dieser Fall, dass bei 
dem plötzlichen Ergrauen das Haar ganz andere Veränderungen erleidet als bei dem 
allmählichen. Bei dem plötzlichen Ergrauen behält das Haar sein Pigment bei, und 
die helle Farbe rührt davon her, dass eine reichliche Entwicklung der Lufibläschen 
im Haarschaft vor sich geht, bei dem allmählichen Ergrauen verschwindet das 
Pigment. Landois zweifelt nicht daran, dass in den Fällen von plötzlichem Er¬ 
grauen „ein Einfluss seitens des Nervensystems vorwaltet“. 

Einen wertvollen und ernst zu nehmenden Beitrag liefert auch 
Baelz(6 ), der auf der Versammlung der deutschen anthropologischen 
Gesellschaft über seine Beobachtung berichtet. 

Eine 30jährige Frau, die er beim letzten Male mit dunklen Haaren gesehen hatte, 
kam nach einem halben Jahre mit weissen Haaren in seine Sprechstunde. Sie er¬ 
zählte, dass sie während eines Schiffsunglücks, bei dem sie, den Tod für sich und für 
ihr Kind vor Augen, vom Schiff ins Meer sprang, in einer Nacht weiss geworden 
sei. Baelz (6) erwähnt ausdrücklich, dass dio Haare in ihrer ganzen Länge weiss 
waren, also in einer Ausdehnung des Haares, die zu ihrem Wachstum mindestens 
2 Jahre braucht. 


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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 185 


Boissiers (16) konnte einen 38jährigen Bauern beobachten, bei dem nach hef¬ 
tiger Gemütserschütterung an Bart und Augenbrauen und Kopf das braune Haar aus¬ 
fiel und durch Nachwachsen weissen Haares ersetzt wurde. 

Es sei auch kurz ein Fall von Ploss angeführt, der bei einem ge¬ 
sunden Individuum nach sehr heftigem Schreck akut eine allgemeine 
Pigmentvermehrung wie beim Morbus Addisonii auftreten sah. 

Hierher gehören zweifellos auch die • Beobachtungen von dem Er¬ 
grauen der Haare bei Epilepsie, Dementia praecox und anderen Nerven¬ 
krankheiten. 

Räuber (56) berichtet in Virchows Archiv von einem Epileptiker, bei welchem 
die Haarfarbe jedesmal mit psychischen Erregungszuständen gewechselt habe (!), 
dooh gibt er zu, dass dieser Patient auch viele hysterische Symptome bot. Das Haar 
wurde nicht nur fuchsig rot, sondern es begann sich zu kräuseln und wurde glanzlos. 

(Sollten diesen Haarveränderungen nicht hysterische Manipulationen zu Grunde 
gelegen haben!) 

Hei nicke(29) sah bei einem an Dementia praecox leidenden Mädchen bei jedem 
Anfall ein Weisswerden eines ca. 3 cm breiten, von der Stirn zum linken Scheitelbein 
ziehenden Streifens, der wenige Stunden naoh dem Anfall schon wieder dunkle Farbe 
annahm (?). 

Reinhard (59) beschreibt eine geisteskranke Frau, bei der mit jedem Erregungs¬ 
zustand die Farbe des ganzen Kopfhaares in 48—60 Stunden auf die Dauer von 7 bis 
8 Stunden vom Hellblond ins Rotblonde wechselte. Hier wäre es also zu einer Pig¬ 
mentvermehrung der Haare gekommen. 

Wäre wirklich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Geisteskrank¬ 
heit und Erbleichen der Haare nachzuweisen, so müssten, so sollte man 
glauben, bei der Häufigkeit der psychischen Störungen doch öfters solche 
Beobachtungen gemacht werden. 

Wenn auch die Mitteilungen über all diese Fälle von Ergrauen der 
Haare innerhalb weniger Stunden und Tagen recht vorsichtig und recht 
kritisch beurteilt werden müssen, daran dürfen und können wir doch 
nicht zweifeln, dass ernste Sorge und schwerer Kummer das Haar in 
wenig Wochen und Monaten bleichen können. Solche Feststellungen 
werden zu häufig gemacht, als dass ihre Richtigkeit in Frage gestellt 
werden könnte. 

Gilt es doch auch in Laienkreisen und in der Laienliteratur längst 
als feststehend, dass schwere Zeiten das Haar ergrauen lassen. Uns 
selbst steht eine Reihe von solchen Beobachtungen zur Verfügung. 

Eine verhältnismässig junge Frau pflegt aufopfernd ihren Mann, den Ernährer 
der Familie und den Vater zahlreicher Kinder, welcher an fortgeschrittener Tabes 
(Amaurose, Krisen, Blasenstörungen) leidet. Ihr Haar ist in dieser Zeit des Kummers 
und der Sorge um den Unterhalt schneeweiss geworden, während in der grossen Familie 
der Frau kein einziger Fall von vorzeitigem Ergrauen vorgekommen. Ihre hochbetagte 
Mutter hat noch schwarzes Haar. 

In einer anderen Familie ergraut von drei gesunden Brüdern zuerst der weitaus 
jüngste, der in seiner eigenen Familie infolge Erkrankung seiner Frau viel Sorge und 
Gram durchzumachen hat. 


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Ein Patient der inneren Abteilung, welcher schon mit 30 Jahren stark ergraut 
ist, gab uns in bestimmter und glaubwürdiger Weise an, dass er innerhalb weniger 
Wochen während einer schweren Erkrankung seiner Frau „weiss geworden 4 *, aus 
Kummer darüber, dass seine Kinder unversorgt seien. 

Während der Niederschrift dieser Arbeit findet sich in der süddeutschen Tages¬ 
presse ein Bericht über die Gerichtsverhandlung gegen einen ungetreuen Beamten, 
welcher während der verhältnismässig kurzen Untersuchungshaft „ganz grau 44 ge¬ 
worden. 

Solche und ähnliche Beobachtungen sind zu häufig, als dass ihre 
Richtigkeit bezweifelt werden könnte. Fs trägt sich nur, ob das vor¬ 
zeitige Ergrauen nach Gemütsbewegungen auf „nervöse Einflüsse 44 zurück¬ 
zuführen ist. 

Vorzeitiges Ergrauen des Kapillitiums bei schwerer Sorge und beim 
Kummer könnte schliesslich auch auf allgemeine Ernährungsstö¬ 
rungen zurückgeführt werden. So bietet dasjenige Individuum, das in¬ 
folge von Sorge und von schwerer Krankheit grau geworden, meist auch 
den Eindruck vorzeitigen Alterns. Der Ernährungszustand hat gelitten, 
der Hämoglobingehalt des Blutes ist heruntergegangen, die Elastizität 
der Haut hat nachgelassen, der Turgor der Muskeln ist vermindert, kurz 
der Einwand, dass das Ergrauen der Haare auf allgemeine Ernährungs¬ 
störung und nicht auf nervöse Einflüsse zurückzuführen wäre, kann 
nicht mit Bestimmtheit widerlegt werden. 

Anders liegen die Verhältnisse, wenn nur ein bestimmter Bezirk 
des Kapillitiums, der gerade von einem bestimmten Nerven versorgt 
wird, ergriffen ist. Solche Fälle dürfen wir als sichere Beweise 
von der Abhängigkeit des Haarpigments von der Innervation 
ansprechen. 

Urbantscbitsch (67) beschreibt das Krankheitsbild eines 30jährigen Mannes, 
der an einer Neuralgie des Ramus temporalis des Nervus auriculotemporalis dexter litt 
und bei dem in den Hautgebieten, welches dieser Nerv versorgt, nach jedem Anfall 
die Haare für einige Zeit weiss wurden, um dann später wieder ihre normale Farbe 
anzunehmen. 

Ebenso beobachtete Anstie(l) an sich selbst bei neuralgischen Anfällen im 
Gebiet des Nervus supraorbitalis bei jedem Anfall ein Ergrauen der Haare der zuge¬ 
hörigen Augenbraue und des entsprechenden Teiles des Kapillitiums. 

Cheatle (20) veröffentlichte mit photographischen Abbildungen einige Fälle, 
wo neben anderen Störungen im Gebiet des Nervus mentalis Weisswerden der Haare, 
sowohl doppel- wie einseitig, und zwar in zwei Fällen mit auffallender Genauigkeit 
den einzelnen Aesten des Nerven entsprechend auftrat. 

Erb weist bei dem Kapitel über Neuralgie in Ziemssens Handbuch der spez. 
Pathol. und Therap. Bd. 12 darauf hin, dass es Fälle gibt, bei denen die Haare bei 
jedem Anfall von Neuralgie weiss werden. 

Der Pigmentschwund im Verbreitungsbezirk eines Nerven, der von 
Neuralgie betroffen wurde, scheint gar nicht so selten zu sein. 

So schreibt Strümpell in dem 2. Bande seines Lehrbuchs (19. Auflage) auf 
Seite 317: „Bei längere Zeit bestehenden Neuralgien beobachtet man manchmal 
noch andere eigentümliche trophische Störungen: Veränderung (Verdiokung und Atro- 


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lieber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 187 

phien) der Haut und des Unterhautzellgewebes, Ergrauen und Ausgehen der 
Haare im Gebiet des Frontalis u. a. u Und auf Seite 724 des gleichen Bandes: „ln 
anderen Fällen scheinen Pigmentänomalien der Haut mit nervösen Störungen 
zusammenzuhängen. So z. B. entwickeln sich pigmentfreie Stellen (Vitiligo), manch¬ 
mal im Anschluss an heftige Neuralgien. 

Auf die Beobachtungen Oppen heims (53) und Mendels (40), welche bei einer 
Affektion des Halssympathikus Ergrauen des zugehörigen Haupthaares konstatierten, 
müssen wir später eingehend zurückkoramen. 

S. Loeb (45) beschreibt in der Deutschen medizinischen Wochenschrift eine 
Hemikanities, die sich im Anschluss an eine Hemiplegie auf der gleichen Seite 
entwickelt hat und angeblich sohon acht Tage nach dem Insulte an Kopfhaar, Augen¬ 
braue und Schnurrbart festzustellen war. Ein ähnlicher Fall von halbseitigem Er¬ 
grauen soll nach S. Loeb schon von 0. Berger im Jahre 1871 mitgeteilt worden sein. 

Es wäre nun die Frage zu erörtern, welcher histologische Vorgang 
zum Ergrauen der Haare führt. Die pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchung der Haare ist anscheinend in den meisten Fällen unterlassen 
worden. Eine solche ist nur von Landois (43) und von Heinike(29) 
erwähnt. Diese Autoren wollen in den oben angeführten Fällen den 
Pigmentgehalt der Haare unverändert gefunden haben. Sie schreiben das 
Hellerwerden der Haare der Einlagerung von zahlreichen kleinsten Luft¬ 
bläschen im Haare zu. Heinike nimmt an, dass die Luftbläschen durch 
Schrumpfung des Pigmentes in das Haar eintreten. 

Ergrauen der Haare in kurzer Zeit, in Stunden oder wenigen Tagen 
wird, wenn wirklich solche Fälle Vorkommen, nur durch Eintritt von 
Luftbläschen in das Haar zustande kommen können. 

Gegen die Auffassung von dem Eintritt kleinster Luftbläschen in 
die Haare sprechen jene Beobachtungen, in denen nicht nur die Haare, 
sondern auch die umgebende Haut pigmentlos wurde. 

Wir dürfen wohl vermuten, dass es sich dort, wo es sich um das 
Nachwachsen eines weissen Haares handelt, tatsächlich um ein pigment¬ 
loses Haar handelt. 


Von manchen Seiten hat man auch das Auftreten von halbseitig 
oder symmetrisch angeordneten Pigmentnaevi auf Störungen des Ner¬ 
vensystems zurückgeführt. 1863 stellte Bärensprung (9) verleitet durch 
die Aehnlichkeit in der Anordnung mit den Eruptionen beim Herpes 
zoster die Behauptung auf, dass wie dieser Erkrankung auch den 
Pigmentnaevi Veränderungen der zugehörigen Spinalganglien zugrunde 
liegen. Diese müssten, da die Naevi angeboren seien oder sich aus an¬ 
geborenen Pigmcntanomalien entwickelten, intrauterin zustande gekom¬ 
men sein. 

Auch Th. Simon (62) und andere lassen nervöse Einflüsse bei der 
Entstehung der Pigmentnaevi die ätiologische Rolle spielen. Der ana¬ 
tomische Nachweis einer Nervenerkrankung, wie ihn Bärensprung («> 
für den Herpes zoster feststellte, wurde nun aber noch nicht erbracht. 
Die rein äussere Uebcreinstimmung mit dem Verbreitungsgebiet eines 


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Nerven allein hatte zu dieser Vermutung geführt. Das Fehlen anderer 
Zeichen einer Nervenerkrankung, z. B. das Fehlen von Sensibilitäts¬ 
störungen, die ja beim Herpes eine häufige Begleiterscheinung sind, sowie 
die Tatsache, dass Pigmentnaevi im postuterinen Leben noch nie infolge 
einer Erkrankung des betreffenden Nerven aufgetreten sind, Hessen 
bald Zweifel an der Richtigkeit der oben besprochenen Behauptung auf- 
kommen. Als dann von verschiedenen Autoren an der Hand anatomisch 
eingehend geschilderter Fälle gezeigt wurde, dass die Uebereinstimmung 
mit den nervösen Versorgungsgebieten keine exakte sei, dass die Pigment¬ 
streifen oft viel schärfer abgeschnitten sind oder in ihren einzelnen 
Partien starke Differenzen mit den Nervenverbreitungsgebieten zeigten, 
wurde die Theorie verworfen. An ihre Stelle trat die Anschauung von 
der Entstehung der Pigmentnaevi durch Entwicklungsstörung. Es wurde 
auf die Kongruenz der Pigmentstreifen mit den Voigtschen (68) Grenz¬ 
linien hingewiesen und wurde angenommen, dass die Naevi dort entstehen, 
wo während der Entwicklungsperiode der Haut verschiedene Wachstums¬ 
richtungen aufeinander stossen; hier wäre besonders leicht die Möglichkeit 
zu Störungen gegeben. Nach Blaschko (15) wird an diesen Grenzlinien 
die Disposition zu Entwicklungsstörungen noch dadurch erhöht, dass von 
ihnen aus in den einzelnen Hautplatten auch die Differenzierung zwischen 
Kutis und Epidermis begänne. Auch Ehrmann (23) führt die systemati¬ 
sierten Pigmentnaevi auf Entwicklungsstörungen in den embryonalen 
Kutisplatten der Urwirbel zurück. Wenn diese vom Dorsum segmentär 
ventral-abwärts wüchsen und sich mit dem Wachstum des Körpers in 
die Länge dehnten, nähmen auch alle Missbildungen daran teil und so 
erklärte sich auch die segmentäre Anordnung der Naevi. Dass die 
Pigmentierungen eine, wenn auch ungenaue Uebereinstimmung mit den 
Versorgungsgebieten der betreffenden Nerven haben, lässt sich dadurch 
auch leicht einsehen. Denn ein jeder Hautbezirk hat ja seine bestimmten 
Nerven. Der Zusammenhang zwischen Pigmentnaevi und dem 
nervösen Apparat ist also nur ein akzidenteller, kein kausaler. 
Für die Annahme einer Entwicklungsstörung spricht auch die schon er¬ 
wähnte Tatsache, dass derartige Pigmentierungen entweder angeboren 
Vorkommen oder sich doch in so früher Jugend entwickeln, dass man 
auch hier angeborene Störungen annehmen darf. Diese waren bei der 
Geburt so gering, dass sie erst bei der ferneren Entwicklung aus den 
unbemerkten Anfängen auffielen. 

Ein weiterer Beweis für die Entstehung der Pigmentnaevi durch 
Entwicklungsstörungen wäre es, wenn diese mit anderen Entwicklungs¬ 
störungen Erblichkeit gemeinsam hätten. Aus der Literatur ist uns 
kein Fall bekannt, indes sind wir selbst in der Lage, einen solchen 
Fall beibringen zu können. Januar 1914 wurde auf die innere Ab¬ 
teilung des Krankenhauses Augsburg eine Patientin mit ausgesprochen 
halbseitig angeordneten Pigraentnaevi auf Brust und Rücken aufgenommen. 



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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 189 


Sie gab mit Bestimmtheit an, dass ihr Vater und Grossvater die gleichen 
Pigmentierungen an gleicher Stelle besessen hätten. 

Schliesslich sei daran erinnert, dass Melanosarkome von Pigment¬ 
naevi ihren Ausgang nehmen können. Solange noch die Theorie von 
der Entstehung maligner Tumoren aus embryonal versprengten Keimen, 
also aus Entwicklungsstörungen Geltung hat, besitzen wir auch hierin 
einen Hinweis auf die autogenetische Herkunft der Pigmentnaevi. 

Auch die entgegengesetzte Pigmentanomalie, der partielle Albinismus 
ist vielfach mit nervösen Einflüssen in Zusammenhang gebracht worden, 
denn auch hier finden sich segmentäre, halbseitige oder symmetrische An¬ 
ordnung und Uebereinstimmung mit Nervengebieten (Hutchinson). Doch 
lässt sich auch der partielle Albinismus aus Entwicklungsstörungen, aus 
Hemmungen bei der Bildung der embryonalen Kutisplatten erklären. Er 
ist schliesslich nur eine Abart des totalen Albinismus, der ja auch eine 
Entwicklungsstörung darstellt. 

Eine weitere Pigmentanomalie, und zwar eine im späteren Leben 
erworbene Pigraentatrophie, deren Entstehung häufig mit nervösen Ein¬ 
flüssen in Zusammenhang gebracht wird, ist die Vitiligo. Freilich fehlt 
dafür ein sicherer Nachweis auf experimenteller oder anatomischer Grund¬ 
lage. Indes ist die Theorie von dem Zusammenhang vitiliginöser Pigment¬ 
verschiebungen mit nervösen Erkrankungen besser begründet wie andere. 
Nervöse Einflüsse kommen zum mindesten als eine — vielleicht die 
häufigste — Ursache neben anderen kausalen Momenten in Betracht. 
Dass auch andere Faktoren Vitiligo herbeiführen können, dafür spricht 
zunächst schon das Fehlen nervöser Affektionen in vielen Fällen. Doch 
dürfte auch die Zahl dieser durch genaue Sensibilitätsprüfungen ver¬ 
ringert werden. Von Jarisch werden Ernährungsstörungen für die Vitiligo 
verantwortlich gemacht, desgleichen von Ehrmann (23), der die Er¬ 
krankung häufig bei Personen mit Darmstörungen beobachtet hat. Tro- 
phischc Schädigungen erklären das Leiden jedenfalls in denjenigen Fällen 
am besten, in welchen die Pigmentanomalien im Anschluss an dauernde 
mechanische, thermische und chemische Reize auftreten. 

Die Aufmerksamkeit auf nervöse Einflüsse als Ursache der Vitiligo 
lenkte namentlich die häufige Koinzidenz von Vitiligo mit nervösen 
Affektionen. Bei Störungen des Nervensystems, nach Geisteskrankheiten, 
Neuritiden ist Vitiligo oft beobachtet worden. In einem von Jakob¬ 
sohn (32) beschriebenen und abgebildetcn Falle tritt Vitiligo des Genitale 
als Frühsymptom der Tabes auf, in den vitiliginösen Partien waren 
auch die Schamhaare mit einbegriffen, also ergraut. Kindborg (40) 
bildet in seinem III. Bande der Theorie und Praxis der inneren Medizin 
auf Seite 700 ein „Leukoderma syphiliticum von ungewöhnlicher Lokali¬ 
sation und Grösse“ ab, welches sich in einem Falle von tabischer 
Arthropathie entwickelt hat und sich scharf auf die Gegend des linken 
Nervus supraorbitalis beschränkt. „Dieses Leukoderm sieht aus wie 


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ein sogenannter Vitiligo, ein fleckweiser angeborener Pigmentmangel am 
Kopf. Es ist jedoch kein solcher, sondern ist in seinem Fortschreiten 
mehrere Jahre lang beobachtet worden.“ 

Auch das symmetrische Auftreten der Vitiligo, das gar nicht 
selten unverkennbar ist, weist auf nervöse Einflüsse hin. 

In der medizinischen Poliklinik zu Würzburg wurde im Sommer 1914 ein 
3Gjähriges Mädchen mit ausgesprochenen Caf6 au lait-Flecken beobachtet. Bei diesem 
hatte sich das Leiden im Anschluss an eine gynäkologisch notwendige Kastration aus¬ 
gebildet. Die Linien der Pigmentverschiebungen verlaufen nun auf beiden Körper¬ 
hälften durchaus gleichartig. In den pigmentfreien, weissen Flecken wird „Spitz“ 
und „Warm“ und „Kalt“ weniger lebhaft empfunden als an den braunen Flecken und 
an der normal pigmentierten Haut. 

Bei den von Bacaloglu und Parhon (5) beschriebenen Kranken 
umschliesst ein etwa 3 cm breiter gürtelartiger Streifen vitiliginöser 
Flecken oberhalb des Nabels beide Körperhälften in gleicher Höhe. 
Die Autoren sind der Ansicht, dass hier eine spinale Erkrankung vorliege. 

Eine wesentliche Stütze für die Vermutung, dass die 
vitiliginösen Flecken auf nervöse Störungen zurückzuführen 
seien, bilden ferner Beobachtungen aus den letzten Jahren, 
die über Sensibilitätsstörungen in den vitiliginösen Partien 
berichten. Kreibich (42) stellte fest, dass auf chemische Reize hin 
die pigmentierten Stellen und die übrige Haut weit eher reagieren, als 
die depigmentierten Partien. 

Auf anderem Wege, auf Grund seiner Versuche über Lichtwirkungen 
bei Vitiligo und Leucoderma syphiliticum gelangt Vörner(69) zu der 
Ueberzeugung von der Wichtigkeit nervöser Einflüsse. Er konstatierte, 
dass Bestrahlungen mit der Quarzlampe beim Leucoderma syphiliticum 
nur vorübergehende, bei Vitiligo jedoch dauernde Pigmentierung der hellen 
Stellen hervorruft, er meint, dass beim Leukoderm infolge Schädigung 
der pigmentbildenden Zellen selbst keine Pigmentbildung mehr erfolgen 
könne; bei Vitiligo aber seien die Zellen selbst gesund, es fehle nur 
die Anregung durch die Nerven, die erkrankt seien. Auf An¬ 
regung anderer Art vermöchten daher die Zellen zu reagieren. 

Wohl am besten lässt sich bei der Nervenlcpra ein Zusammen¬ 
hang zwischen Pigmentanomalien und nervösen Einflüssen nachwcisen, 
da hier die Veränderungen an den Nerven eine anatomisch sicher ge¬ 
stellte Grundlage bilden. 

Dass wirklich die Erkrankung der Nerven bei der Lepra maculosa 
für die abnorme Färbung und Entfärbung der Haut verantwortlich zu 
machen ist, dafür sprechen die An- und Hypästhesien in den verfärbten 
Gebieten und dafür sprechen Störungen der Scbweisssekretion in den 
ergriffenen Hautpartien. 

An der Abhängigkeit der Pigmentation von nervösen Ein¬ 
flüssen dürfen und können wir wohl nach diesen Beobachtungen, 
nicht mehr zweifeln. 



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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 191 


Tn den vorhergehenden Abschnitten haben wir von nervösen Einflüssen 
schlechthin gesprochen. In den letzten Jahren haben sich die Stimmen, 
welche eine Abhängigkeit der Pigmentierung vom vegetativen Nervensystem 
vermuten, so vermehrt, dass sie eine ernste Beachtung erfordern. 

Vor allem ist es die Addisonsche Krankheit, welche den Einfluss 
des vegetativen Nervensystemes auf die Pigmentierung der Haut sicher¬ 
stellt. Das Nebennierenmark steht wie alles chromaffine Gewebe dem 
vegetativen Nervensystem in genetischer Beziehung sehr nahe, beide 
Gewebsarten entwickeln sich aus der sympathischen Bildungszelle, der 
Sympathogonie. Die Funktion des Nebennierenmarkes, d. h. die Produktion 
des Adrenalins, steht noch dazu unter dem Einfluss der zahlreichen 
sympathischen Ganglienzellen im Nebennierenmarke und unter dem Ein¬ 
fluss der präzellulären Neurone, die im Nervus splanchnicus verlaufen. 
Nach den Darlegungen Neussers (52) ist es für die Entstehung der 
Addison sehen Krankheit gleichgültig, an welcher Stelle der Krankheits¬ 
prozess sitzt, ob im Verlauf des Nervus splanchnicus oder in den grossen 
Plexusganglien oder schliesslich in den nervösen Endorganen in der 
Nebenniere selbst. Auf Grund dieser Theorie wäre es zu verstehen, dass 
auch manche Fälle von Addison scher Krankheit beobachtet wurden [so 
von Jürgens (36) und Pende e Varvaro (55)], bei denen die Neben¬ 
nieren selbst intakt gefunden wurden und bei denen angeblich nur eine 
Erkrankung des Splanchnikus festzustellen war. Andererseits werden 
Addisonpigmentierungen nicht nur beim primärem Schwund der Neben¬ 
nieren und bei der Tuberkulose dieser Organe, sondern auch bei Hyper¬ 
nephromen und bei Karzinose der Nebenniere beobachtet. Es ist kein 
Zweifel, dass sie auf eine Hypofunktion des Nebennierenmarkes zurück¬ 
zuführen sind. 

Die übermässige Pigmentierung der Haut ergreift vor allem das 
Gesicht, den Hals, die Handrücken und diejenigen Partien, welche durch 
irgendeinen Reiz, wie Sonnenlicht, stärkeren Druck, Vesikantien getroffen 
werden. Zwischen den pigmentierten Hautpartien können auch beim 
Addison wie bei der Vitiligo pigmentfreie Stellen eingeschoben sein. 

Freilich ist es noch gar nicht klargestellt, auf welche Weise denn 
die Nebenniere die Pigmentation der Haut beeinflusst. Meirowsky (48) 
vermutet, dass die Nebenniere dadurch eine hemmende Wirkung auf die 
Pigmentbildung der Haut ausübt, dass die Abbauprodukte der Haut in 
ihr, d. h. also in der Nebenniere, weiter verarbeitet werden. Wenn nun 
die Nebennieren erkrankt sind, dann werden nach Meirowsky die Stoff¬ 
wechselprodukte der Haut durch Oxydasen, die in der Epidermis vor¬ 
handen sind, zum Pigment umgewandelt. „Indem also die Nebennieren 
als Stoffwechselregulatoren ausfallen, wird die Haut hyperpigmentiert und 
so entsteht die Pigmentation des Morbus Addisonii.“ Nach den experi¬ 
mentellen Untersuchungen Meirowskys hat die überlebende Epidermis 
die Fähigkeit zur Pigmentbildung. Unerklärlich bleibt bei der Theorie 


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Meirowskys, warum die Abbauprodukte der Haut bei intakten Neben¬ 
nieren mit dem Lymphstrom weggeschwemmt werden, warum dies aber bei 
erkrankten Organen nicht der Fall ist, warum nur dann die Stoffwechsel¬ 
produkte der Haut durch die Oxydase an Ort und Stelle zu Pigment 
verwandelt werden. 

Für einen lokalen Vorgang in der Haut bei der Bronzefärbung 
sprechen die neuesten Forschungen Bittorfs (14). Bittorf führt die 
gesteigerte Pigmentbildung beim Morbus Addisonii auf einen vermehrten 
Gehalt der Epithelzellen an einer Oxydase zurück, der mit dem Ausfall 
der Nebennierenfunktion in Zusammenhang steht. 

Es liegt nahe, zu vermuten, dass das Produkt der Nebenniere, das 
Adrenalin, in der Epidermis selbst eine weitere Zersetzung der Abbau¬ 
produkte der Haut, die ohne Adrenalin sämtlich in Pigment verwandelt 
werden, herbeiführt und dadurch eine übermässige Pigmentbildung ver¬ 
hindert. 

Die Fälle, in welchen trotz Veränderungen in beiden Nebennieren 
keine Pigmentation auftrat, sind so zu erklären, dass hier das übrige 
chromaffine System (Karotisdrüse, Steissdrüse, chromaffine Zellgruppen 
in den grossen sympathischen Ganglien) vikariierend für die Nebennieren 
eintrat. 

Eine den Nebennierenfunktionen entgegengesetzte Wirkung soll der 
Thymus auf die Pigmentation ausüben: Nach Exstirpation des Thymus 
bei Fröschen tritt angeblich Depigmentierung auf. Nach Injektion von 
Thymusextrakten soll sich sowohl bei normalen wie bei thymuslosen 
Fröschen Verstärkung der Pigmentierung einstellen. Während die Neben¬ 
nieren und ihr Produkt, das Adrenalin, erregend auf das sympathische 
Nervensystem wirken, sollen Thymus und Thymusextrakt eine depressorische 
Wirkung ausüben. [Näheres siehe Hornowsky (30)]. 

Die Pigmentationen, welche bei Schwangerschaft, bei Ovarial¬ 
tumoren [Neusser (52)], bei manchen Unterleibsgeschwülsten, beim 
malignen Deziduom 1 )? bei der Acanthosis nigricans Vorkommen, 
sind zweifellos auch durch Einwirkung auf das vegetative Nervensystem 
verursacht. Bei manchen Abdominaltumoren mag direkter Druck auf 
die Nebennieren oder die grossen Ganglienknoten der Bauchteile die 
Ursache der Pigmentation sein, meist aber handelt es sich wohl um 
Vorgänge der inneren Sekretion, welche das vegetative Nervensystem und 
damit das chromaffine System beeinflussen. 

Aber nicht nur das Chloasma uterinum, auch die nicht selten bei 
der Basedowschen Krankheit auftretenden Hyperpigraentationen sind wie 
die meisten übrigen Erscheinungen bei dieser Krankheit, wie die Tachy- 


1) Spietsohke (63) beschreibt Pigmentationen, die bei einem malignen Dezi- 
duom auftraten und nach der Totalexstirpation des Uterus in 4 1 / 2 Monaten wieder 
schwanden. 



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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 193 


kardie, der Exophthalmus, die starken Schweisse, die Durchfälle, auf 
Reizzustände in den Funktionen des vegetativen Nervensystems zurück¬ 
zuführen. 

Besonders interessant sind die Pigmentverschiebungen, die so 
häufig (in etwa 50 pCt.) mit der Sklerodermie einhergehen 1 ). Sie sind 
deshalb so interessant, weil sie nicht selten auf den Verlauf einzelner 
Hautnerven oder einzelner Wurzelzonen lokalisiert bleiben und 
weil in ihrem Bereiche manchmal die Schweiss- und die Talgsekretion 
beeinträchtigt ist. 

Auch bei der Hemiatrophia facialis, die sicherlich auf Störungen im 
Gebiete des Trigeminus zurückzuführen ist und sich manchmal auf einzelne 
Aeste dieses Nerven beschränkt, kann es zur Hyperpigmentation oder 
zum Pigmentschwund der Gesichtshaut und zur Entfärbung der Wimpern 
kommen. 

Für die Entstehung der Sklerodermie und des Gesichtsschwundes 
und damit für die mit diesen Krankheiten einhergehenden Pigment¬ 
verschiebungen werden von vielen namhaften Autoren Störungen im Grenz¬ 
strang des Sympathikus verantwortlich gemacht. 

Wir können also kaum daran zweifeln, dass das vegeta- 
ti vo Nervensystem einen Einfluss auf die Pigmentation unserer 
Körperoberfläche ausübt. 

Eine weitere Frage ist es nun, auf welchem Wege dies geschieht, 
welche Bahnen im peripherischen Nerven für die Beeinflussung des Haut¬ 
pigmentes in Betracht kommen. Da die motorischen Fasern, welche die 
Muskeln innervieren, und die sensiblen, zentripetal leitenden Nervenbahnen 
nicht in Frage kommen, und da andererseits feststeht, dass die Pigment¬ 
atrophie sich nicht selten auf das Verbreitungsgebiet eines Nerven lokali¬ 
siert, so können nur die in dem betreffenden Nerven verlaufenden 
sympathischen Nervenfasern die Pigmentverschiebungen auslösen. 

Dass in den peripherischen Nerven sympathische Bahnen verlaufen, 
ist längst sichergestellt. Strahlen doch von den Ganglienknoten des 
Grenzstranges Rami communicantes grisei in den Spinalnerven ein und 
werden doch die Blutgefässe, die Schweissdrüsen und die glatte Mus¬ 
kulatur der Piloerektoren und der Tunica dartos zweifellos von sym¬ 
pathischen Fasern, die in den peripherischen Nerven verlaufen, innerviert. 

Den sicheren und bindenden Beweis, dass sympathische 
Nervenfasern es sind, welche die Pigmentierung beeinflussen, liefern 
uns die Beobachtungen von Kurt Mondei (49), von Bistis (13) und 
von Koester (41). 

Mendel sah bei einer durch ossifizierende Struma verursachten 
Druckatrophie des rechten Halssympathikus neben der Pupillenver- 

1) Die Sklerodermie steht bekanntlich in Beziehungen zum Morbus Basedowii, 
zu Hypophysenerkrankungen und zu der Addison sehen Krankheit. Kombinationen 
dieser Krankheiten sind häufig beobachtet und beschrieben worden, vgl.Tsuch ida (66). 

Zeitschr. f. kliu. Medizin 81. Bd. H. 1 n. 2. 


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194 


FRITZ NEUE, 

änderung und dem Einsinken des Augapfels ein Ergrauen der Haare 
auf der rechten Kopfseite und eine hellere Färbung der Iris. 

Bistis-Athen (13) konstatierte in mehreren Fällen von Hetero¬ 
chromie der Iris, dass das betroffene Auge auch die Symptome der 
Sympathikuslähraung (Ptosis, Verengerung der Pupille und Enophthalmus) 
bot. Einmal bestand gleichzeitig Gesichtsatrophie der betroffenen Seite. 

Da Bistis solche Beobachtungen auch in der Literatur fand (Lutz, 
Mayon, Galezowski), so spricht er die Heterochromie des Auges direkt 
als eine Folge der Sympathikuslähraung an. Ja, es ist Bistis gelungen, 
durch Exstirpation des obersten Ganglions des Halssympathikus experi¬ 
mentell eine Entfärbung der Iris auf der betreffenden Seite zu erzielen. 
Freilich kam es nur ganz langsam zum Pigmentschwund. Nach zwei 
Monaten war ein solcher noch nicht fcstzustellen, wohl aber nach einem 
halben Jahre. Mikroskopisch fand sich nicht nur eine Verminderung des 
Pigmentgehaltes der Iris, sondern auch eine Verdickung und eine hyaline 
Umwandlung der Wand der Gefässe. 

Köster (41) exstirpierte einer schwarzen Katze das obere Zervikal¬ 
ganglion des Halssympathikus. Die ausfallenden Haare an der Rück¬ 
seite des linken Ohres wurden durch weisse ersetzt, bei einem anderen 
dunklen Tiere wuchsen nach derselben Operation hellgraue Haare nach. 

Allerdings sind diese Beobachtungen vereinzelt und stehen in keinem 
Verhältnis zu der grossen Anzahl der Beobachtungen von Halssym¬ 
pathikuslähmung, bei welchen nichts von Pigmentschwund erwähnt wurde. 
Vielleicht trifft aber wenigstens für den von Mendel (49) beschriebenen 
Fall die Vermutung Cassirers (18) zu, dass bei der Entstehung nervös 
trophischer Störungen die Durchtrennung und völlige Ausschaltung eines 
Nerven weit weniger zu Veränderungen führt als ein dauernder Reiz¬ 
zustand, wie er bei Erkrankungen des Nerven (in Mendels Fall Druck 
durch eine ossifizierende Struma auf den Halssympathikus) gesetzt wird. 

Bei der Sklerodermie, bei der halbseitigen Gesichtsatrophie und bei 
den mit diesen Erkrankungen einhergehenden Pigmentverschiebungen 
scheint cs sich eben dann um eine isolierte Erkrankung der in den 
peripherischen Nerven verlaufenden sympathischen Fasern zu 
handeln. Jedenfalls lassen sich sensible und motorische Störungen bei 
dieser Affektion, die sich, wie oben schon erwähnt, häufig auf das Gebiet 
eines Hautnerven oder einer Wurzelzone beschränkt, nicht nachweisen. 

Zum Schlüsse möchten wir nochmals auf das Ergrauen der Haare 
bei schweren Sorgen und beim Kummer und nach langdauernden Angst¬ 
zuständen zurückkommen. 

Das vegetative Nervensystem wird in seinem Tonus durch seelische 
Vorgänge im erregenden oder im hemmenden Sinne beeinflusst. Die Er¬ 
weiterung der Pupillen bei der Angst, die Sekretion der Tränendrüsen 
bei der Trauer, die Erregung der Herztätigkeit bei der Freude, das Er- 


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Leber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 1H5 


brechen bei der ängstlichen Spannung, die emotionellen Durchfälle, all’ 
diese Erscheinungen sind Beweise dafür, dass die in unserem Grosshirn 
zustande kommenden Stimmungen einen Einfluss auf das vege¬ 
tative Nervensystem ausüben. 

Stets aber handelt es sich dabei nur um ganz vorübergehende 
Beeinflussungen von körperlichen Funktionen, nie um dauernde Störungen. 

Nun wird behauptet, dass wiederholt und immer wieder einsetzende 
Aufregungen und Verdriesslichkeiten durch die starke nervöse Inanspruch¬ 
nahme der Kranzgefässe und der Gefässe des Gehirns zu einer frühzeitig 
auftretenden Arteriosklerose dort führen könne 1 ). 

Es erscheint uns nun durchaus möglich, dass schwere Sorgen und 
quälende Angstzustände, die lange Zeit hindurch die Psyche in ge¬ 
drückter Stimmung halten, auf dem Wege über das vegetative Nerven¬ 
system zu einem vorzeitigen Pigmentschwunde der Haare führen. 

Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit sei in einigen Sätzen kurz 
zusammengefasst. 

1. Bei niederstehenden Tieren, wie bei Fischen und Amphibien wird 
die Pigmentierung der Haut zweifellos durch nervöse Momente beeinflusst. 

2. Die Mitteilungen über „plötzliches“ Ergrauen der Haupthaare 
nach schweren seelischen Erregungen müssen mit grosser Kritik beurteilt 
werden. Nach den Untersuchungen von Landois (43) scheint es sich 
dabei nicht um Pigmentschwund, sondern um das Auftreten zahlloser 
Luftbläschen im Haare zu handeln. 

3. Die Tatsache, dass nach länger dauerndem tiefen Gram und 
nach schweren Sorgen das Haar vorzeitig ergrauen kann, ist vielleicht 
mit Störungen des Allgemeinbefindens zu erklären. Kommt es doch in 
solchen Zuständen auch zur Abmagerung, zur Herabsetzung des Hämo¬ 
globingehalts und zum Nachlass des Tonus der Haut und der Muskulatur. 

4. Manche Beobachtungen sprechen aber doch sehr dafür, dass es 
auch beim Menschen unter nervösen Einflüssen zu Pigmentverschiebungen 
kommen kann. So wurde wiederholt Kanities im Bereich eines be¬ 
stimmten Nerven festgestellt. Solche Fälle sind besonders dann über¬ 
zeugend, wenn in demselben Nervengebiete neuralgische Schmerzen loka¬ 
lisiert sind oder wenn, wie bei der Vitiligo idiopathica oder bei den 


1) Schlesinger sohreibt in seinem Werke über die Krankheiten des höheren 
Lebensalters (61): „Unter dem Einfluss des Nervensystems bildet sich oft das Atherom 
rasch aus, wobei man den deletären Einfluss schwerer Gemütsbewegungen auf das 
Gefässsystem beobachten kann“. „Seelische Erschütterungen sind oft, besonders wenn 
sie prolongiert auf den Menschen wirken, von weittragendem Einfluss auf das körper¬ 
liche Befinden. Es ist eine dem Laien wohl bekannte Tatsache, dass psychische Ein¬ 
flüsse in kurzer Zeit einem kräftigen Menschen den unverkennbaren Charakter des 
Greisentums aufprägen können.“ 

13 * 


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196 


FRITZ NEHL, 


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pigmentatrophischen Flecken der Lepra in den betroffenen Hautpartien 
auch die Sensibilität herabgesetzt ist. 

5. Die Vermutung Baerensprungs (9), dass auch die segmentären 
Pigmentnaevi auf nervöse (intrafötale) Einflüsse zurückzuführen seien, 
trifft wohl nicht zu. Vielmehr sind die Pigmentanomalien ebenso wie 
der angeborene segmentäre Albinismus mit Entwicklungsstörungen der 
Kutisplatten der Urwirbel zu erklären. 

6. Die Frage, ob die Pigmentierung beim Morbus Addisonii im 
Zusammenhang mit dem Nervensystem steht, ist noch nicht gelöst. 
Zweifellos hat aber die Nebenniere, die vom vegetativen Nerven¬ 
system aus innerviert wird, eine Einwirkung auf die Pigmentbildung der 
Haut und so übt dieses Nervensystem mindestens indirekt einen Einfluss 
auf die Pigmentbildung aus. Dass dies der Fall ist, das geht auch aus 
den Pigmentierungen bei der Basedowschen Krankheit, bei Erkrankungen 
der Ovarien, bei der Pellagra hervor, bei Störungen, die erwiesenermassen 
auf das vegetative Nervensystem übergreifen. 

7. Die Pigmentierungen, welche bei der Sklerodermie und bei der 
einseitigen Gesichtsatrophie beobachtet werden, und welche sich nicht 
selten auf das Gebiet einzelner Hautnerven oder einzelner Wurzelgebiete 
beschränken, legen die Vermutung nahe, dass es die sympathischen 
Fasern in den peripherischen Nerven sind, deren Reizzustanz oder deren 
Ausfallserscheinungen den Pigmentverschiebungen zu Grunde liegen. Jeden¬ 
falls bestehen bei der Sklerodermie und bei der Hemiatrophia facialis 
keine Störungen von Seiten der sensiblen oder der motorischen Nerven. 

8. Dass eine Unterbrechung der sympathischen Fasern zum Pig- 
racntschwundo führen kann, das geht aus den Beobachtungen von halb¬ 
seitigem Ergrauen nach Halssympathikusläsionen und von Heterochromie 
(Pigmentschwund) der Iris nach Resektion des obersten Ganglions des 
Halssympathikus mit Sicherheit hervor. 

9. So scheint es doch wohl möglich, dass langdauerndc schwere 
Sorgen und quälende Angstzustände auf dem Wege über das vegetative 
Nervensystem zum Schwinden des Haarpigments, also zum vorzeitigen 
Ergrauen führen können. 

Nachschrift bei der Korrektur. 

Nach Abschluss vorliegender Arbeit ist ein grosses zusammenfassendes 
Referat von R F. Fuchs „Der Farbwechsel und die chromatische Haut¬ 
funktion der Tiere u in Wintersteins Handbuch der vergleichenden 
Physiologie, Jena 1914, Gustav Fischer, erschienen. Leider konnten die 
dort angeführten Studien über die Abhängigkeit der Pigmentation der 
verschiedenen Tierklassen (z. B. der Cephalopoden, der Anthropoden, der 
Crustaceen und der Wirbeltiere), von der Innervation hier nicht mehr 
berücksichtigt werden. Dies ist um so mehr zu bedauern, weil dort 
mehrere Arbeiten angeführt sind, welche den Nachweis liefern, dass die 


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JMginal frorru 

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Ueber den Einfluss des Nervensystems auf den Pigmentgehalt der Haut. 197 

Innervationsbahnen der Chromatophoren beim Fische, bei den Amphibien 
und insbesondere beim Chamäleon von einem Zentrum im Gehirn oder 
Rückenmark über den Sympathikus und von da über Spinalnerven 
zu den Pigmentzellen der Haut verlaufen. Unsere auf klinische Beob¬ 
achtungen sich stützende Vermutung, dass Bahnen des vegetativen 
Nervensystems die Pigmentierung der Haut beeinflussen, wird also durch 
zoologische Studien bestätigt! 

Literaturiibersicht. 

1) Anstie, Ergrauen der Haare bei Neuralgie des N. supraorbitalis. Eulen- 
burgs Realenzyklopädie. 18S9. — 2) Babäk, Zur chromatischen Hautfunktion der 
Amphibien. Arch. f. Physiol. 1910. Bd. 131. — 3) Babes, Lepra. Nothnagels spez. 
Pathol. u. Ther.—4) Babes u. Lion, Pellagra. Ebenda. 24. Bd. 2. Teil.—5) Baca- 
loglu und Parhon, Sur un cas devitiligo ä topographie en ceinture. Nouv. iconogr. 
de la Salpetr. 1913. Jahrg. 26. — 6) Baelz, Ergrauen der Haare nach Schreck. 
39. Versammlung der deutschen anthropol. Gesellschaft. — 7) Ballowitz, Nerven¬ 
endigungen der Pigmentzellen. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. 56. H. 4. — 
8) Derselbe, Innervation der Chromatophoren. Verhandl. der anatom. Gesellschaft. 
1893. — 9) Bärensprung, Naevus unius lateris. Charit<$-Ann. 1863. 3. — 

10) Derselbe, Ueber Vitiligo und Albinismus partialis. Deutsche Klinik. 1855. — 

11) Bettmann, Alopecia areata mit Vitiligo. Arch. f. Dermatol, u. Syphil. 1904. 
Bd. 70. — 12) Biedl, Innere Sekretion. Wien 1911. —13) Bistis, Ueber die Aetio- 
logie der Heterochromie. Arch. f. Augenheilk. Bd. 75. H. 4. — 14) Bittdorf, Die 
Pathologie der Nebennieren und des Morbus Addisonii. 1908. — Zur Frage der Pig¬ 
mentbildung bei der Addison sehen Krankheit. Archiv f. experim. Pathol. u. Phar¬ 
makologie. 1914. Bd. 75. H. 2. — 15) Blaschko, Bemerkungen zum Aufsatz 
Alexanders: „Ein Fall von Naevus unius lateris linearis 1 *. Dermatol. Zeitschr. 
1895. — 16) Boissier, Progr. med. 1899. No. 24. — 17) Caro, Ueber zwei 
Fälle von periodisch wiederkehrendem Haarausfall. Dermatol. Zentralbl. Mai 
1904. — 18) Cassirer, Die vasomotorisch-trophischen Neurosen. 1912. 2. Aufl. 
Berlin, Hirschwald. — 19) Cauer, Ueber die Beziehungen zwischen abnormer allge¬ 
meiner Pigmentierung und Veränderung im Nervensystem. Arch. f. Dermatol, und 
Syphil. 1898. Bd. 42. — 20) Cheatle, The mental nerve area and its relation to 
the greyness of hair. Brit. med. journ. 1908. — 21) v. Düring, Hauptpigment und 
Pigmentanomalien. Deutsche Klinik am Eingang des 20. Jahrhunderts. — 22) Eberth, 
und Bunge, Die Nerven der Chromatophoren bei Fischen. Arch. f. mikrosk. Anat. 
u. Entwicklungsgesch. Bd. 46. — 23) Ehrmann, Die Pigmentanomalien. Handbuch 
der Hautkrankheiten von Mracek. — 24) Falken heim, Ueber Haarpigment. Viertel- 
jahrsschr. f. Dermatol, u. Syphil. 1888. — 25) Fere, Weisswerden von Federn nach 
Schreck. Progr. med. 1897. — 26) v. Frisch, Beiträge zur Physiologie der Pig¬ 
mentzellen in der Fischhaut. Arch. f. die gesamte Physiol. Bd. 138. — 27) Gebb, 
Poliosis neurotica. Deutsche med. Wochenschr. 1908. Vereinsberichte Nr. 31. — 
28) Gross, Ueber Keratosis nigricans. Wiener klin. Wochenschr. 1902. — 29) Hei- 
nike, Zur Kasuistik des Verhaltens der Haare bei Geisteskrankheiten. Neurol. Zen¬ 
tralbl. 1903. Jahrg. 22. — 30) Hornowsky, Ueber das Verhältnis der Thymus zum 
chromaffinen System usw. Virchows Arch. Bd. 208. H. 3. — 31) Hue, Dystrophie 
papillaire et pigmentaire. Normandie mt$d. 1893. — 32) Jacobsohn, Klinik der 
Nervenkrankheiten. S. 47. Berlin 1913. August Hirschwald. — 33) Jadassohn, 
Vitiligo bei Tabes. Klinik der Hautkrankheiten. — 34) Derselbe, Zur Kenntnis 
der systematisierten Naevi. Arch. 1895. Bd. 33. — 35) Jones, Grey hair and 


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198 F. NE HL, Ueber d. Einfluss des Nervensystems auf d. Pigmentgehalt der Haut. 


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emotional States. Lanc. march. 1902. I. — 36) Jürgens, Aneurysma der Bauch¬ 
aorta mit Kompression und konsekutiver Atrophie des Splanchnikus. Berliner klin. 
Woehenschr. 1884. — 37) Kämmerer, Umgebungseinflüsse auf die Hautfarbe. Um¬ 
schau 1. Nov. 1913. Nr. 45. — 38) Kaposi, Ueber Aetiologie und Therapie der Skle¬ 
rodermie. Wiener klin. Woehenschr. 1890. — 39) Karg, Transplantation von Haut¬ 
stücken und Pigment. Anat. Anz. 1887. Nr. 12. — 40) Kindborg, Theorie und 
Praxis der inneren Medizin. Berlin 1912. S. Karger. — 41) Köster, Haarfarbe nach 
Durchschneidung des Sympathikus. — 42) Kreibich, Ueber lokale Unterempfind¬ 
lichkeit der Haut. Arch. f. Dermatol, u. Syphil. 1910. H. 1. — 43) Landois, Er¬ 
grauen der Haare bei Delirium tremens. Virchows Arch. Bd. 35. — 44) Leloii, 
Recherches cliniques et anatomo-pathologiques sur les afifections cutanees d’origine 
nerveuso. — 45) Loeb, S., Hemikanities bei Hemiplegie. Deutsche med. Wochen- 
schr. 1913. Nr. 13. — 46) Lode, Farbwechsel der Fische. Sitzungsber. d. Akademie 
der Wissensch. in Wien. Mathem. und naturwissenschaftl. Klasse 49. Abt. 111. 1891. 
— 47) Meirowsky, Ueber den Zusammenhang zwischen Hautorganen und Neben¬ 
nieren. Münchener med. Woehenschr. 1911. — 48) Derselbe, Ueber Pigmentbildung 
in vom Körper losgelöster Haut. — 49) Mendel, Beitrag zur Pathologie des Halssym¬ 
pathikus. Beiträge zur Augenheilkunde. Festschr. Julius Hirschberg.—50) Metscli- 
nikoff, Ueber plötzliches Ergrauen der Haare. Annales dTnstitut Pasteur. 1901. 

51) Morri s, A case of acanthos. nigric. Arch. 1895. Bd. 35. - - 52) Neuss er, Die 
Krankheiten der Nebennieren in Nothnagels spez. Pathol. und Therap. Bd. 18. — 
53) Oppenheim, Lehrbuch der Nervenkrankheiten. — 54) Parry, Plötzliches Er¬ 
grauen der Haare. Dublin, med. Press. 1861. — 55) Pen de e Varvaro, Morbo di 
Addison con integrita istologica apparente della glandule surrenali etc. Rif. med. 
Jg. 29. No. 40. — 56) Räuber, Ein Fall von periodisch wiederkehrender Haarver¬ 
änderung bei einem Epileptiker. Virchows Arch. Bd. 97. — 57) Raubitschek, 
Zur Pathogenese der Pellagra. Wiener klin. Woehenschr. 1910. Nr. 23. — 58) Ray¬ 
mond, Schnelle Aendcrung der Haarfarbe. Revue de med. Sept. 1882.—59) Rein¬ 
hard, Periodischer Wechsel der Haarfarbe bei einer geisteskranken Frau. Virchows 
Arch. Bd. 95. — 60) Richter, Ueber Haarfarbe und Haarfärbung. Dermatol. Zeit- 
schr. Bd. 4. — 61) Schlesinger, H., Die Erkrankungen des höheren Lebensalters. 
1914. Leipzig und Wien. Alfred Holder. — 62) Simon, Ueber Pigmentnaevi. Viertel- 
jahresschr. f. Dermatol, u. Syph. 1882. — 63) Spietschke, Dystrophie papillaire et 
pigmentaire. Arch. 1898. Bd. 44. — 64) Stein, Ueber experimentell erzeugtes Pig¬ 
ment bei Vitiligo. Arch. f. Dermatol, u. Syphil. 1909. Bd. 97. — 65) Strümpell, 
Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie. 1914. — 66) Tsuchida üsabro, 
Ein Fall von diffuser Sklerodermie mit ungewöhnlich starker Pigmentierung der Haut 
und der Scheimhäute. Dissertation. Erlangen 1902. — 67) Urbantschitsch, Tro- 
phische Störungen im Gebiete des N. auriculo-temporalis trigemini. Wiener med. 
Presse. 1874. — 68) Voigt, Beiträge zur Dermato-Neurologie nebst Beschreibung 
eines Systems neuentdeckter Linien. Denkschrift der kaiserl. Akademie der Wissen¬ 
schaften in Wien; mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse. 1864. Bd. 22. - 
69) Vorn er, Zur Systematisierung der Hyper- und Depigmentationen. Dermatol. 
Zeitschr. Bd. 18. H. 5. — 70) Vulpian, Störung der Hautfarbe bei Fröschen. Paris. 
Gaz. med. 1856/57. — 71) Wiesel, Krankheiten der Nebenniere, in Lewandowskys 
Handbuch der Neurologie. — 72) Winkler, Beobachtungen über die Bewegung der 
Pigmentzelle. Arch. f. Dermatol, u. Syphil. 1910. 


Druck von L. Schumacher in Berlin S. 4 



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XII. 


Die Hamburger Diphtherieepidemie 1900—1014. 

(Epidemiologisches und Klinisches.) 

Von 

Prof. Dr. F. Reiche, 

Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Barmbeck. 

(Mit 5 Kurven im Text.) 

Nach einem langen, fast 1 1 / 2 Dezennien umfassenden Zeitraum einer 
verhältnismässig geringen Morbidität und Mortalität der Diphtherie in 
Hamburg trat mit dem Jahre 1909 eine starke Erhebung der Er¬ 
krankungsziffern und Todeszahlen ein, die dem Anschein nach 
1912 und 1913 ihre Höhe erreichte, 1908 bereits durch einen Anstieg 
der Sterblichkeit eingeleitet wurde. 

Die den „Berichten des Medizinal-Rats über die medizinische Statistik 
des Haraburgisehen Staates“ entnommenen Daten sind im einzelnen die 
folgenden: 

Tabelle A. 


Es erkrankten auf 10000 Einwohner der Bevölkerung 


im Jahre 

Anzahl 

davon starben 
pCt. 

im Jahre 

Anzahl 

davon starben 
pCt. 

1878 

44 

14,9 

1886 

71 

17,2 

1879 

52 

| 12,4 

1887 

74 

16,7 

1880 

51 

! 14,4 

1888 

54 

16,9 

1881 

54 

j 12,6 

1889 

56 

15,7 

1882 

65 

1 13,1 

1890 

39 

16,3 

1883 

56 

! 13,7 

1891 

27 

14,6 

1884 

60 

1 15,8 

1892 

27 

15,9 

1885 

67 

16,1 





im Jahre 

Anzahl 

davon 

starben 

pCt. 

im Stadt¬ 
gebiet 

Mortalität im | 
Stadtgebiet 1 

pCt. | 

im Land¬ 
gebiet 

Mortalität im 
Landgebiet 

pCt. 

1893 

43 

15,2 

1 

i 1 

15,5 


12,8 

1894 

43 

15,1 


15,5 


12,1 

1895 

26 

8,6 

— 

8,8 i 

— ! 

7,6 

1896 

17 

8,4 

i 

9,1 1 

— 1 

3 

1897 

— 

8,1 

1 19,8 

8,7 ; 

17,2 

3 

1898 

— 

8,9 

1 16,3 

9.3 | 

20 

5,5 

1899 

— 

8,1 

! 16,6 

9,6 

17,8 

1 3,8 

1900 

— 

9,7 

1 16,5 

10 

13 

5 

1901 

— 

1 7,9 

1 19,1 

8,2 | 

14,6 

1 7,6 

1902 

— 

1 8,6 

i 27,4 

8,9 

20,2 

3,8 

1903 

— I 

1 8,3 

! 25,7 

9 

22,2 

, 10,2 

ZeiUchr. f. 

kliu. Medizin. 

öl. Bd. H. 3 u. 

t 


1 

14 


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Original fro-m 

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200 


F. REICHE, 


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im Jahre 

Anzahl 

davon 

starben 

pCt. 

! 

im Stadt¬ 
gebiet 

Mortalität im 
Stadtgebiet 

pCt. 

im Land¬ 
gebiet 

Mortalität im 
Landgebiet 

pCt. 

1904 


8,7 

19,3 

8,7 

15,1 

4,9 

1905 


6,5 

17,6 

6,1 

24,3 

9,4 

1906 


8,2 

18 

8,2 

10,8 

10,1 

1907 

— , 

8,75 

! 17,1 

8,6 

13,2 

8 

1908 

— ! 

10 

15,1 

10,7 

18,4 

T6 

1909 

— . 

12,2 : 

31,6 

12,9 

19,9 

8,1 

1910 

— 

10,65 

47,7 

10,9 

33,4 

5,4 

1911 

— 

10,7 | 

61,8 

11,1 

40,4 

6,4 

1912 

_ ! 

9,7 

44,4 

10 1 

43,9 

7,5 

1913 

— 

9 

45,5 

9,1 1 

20,6 

4,1 


Bemerkt sei hierzu, dass obenstehend nicht die absoluten Morbiditäts¬ 
zahlen gegeben wurden, sondern zutreffender die auf 10000 Einwohner 
verrechneten Erkrankungsziffern; von 1878 bis 1913 nahm die Bevölkerung 
der Stadt Hamburg von 365242 auf 1022905 zu, des Staates Hamburg 
von 405413 auf 1093914, sodass beiden Vergleichen dieses Anwachsen 
mit berücksichtigt werden muss. Bis 1896 stehen uns ausschliesslich 
die Gesamtziffern aus dem ganzen Staat zur Verfügung; von da an ist 
das Stadtgebiet von dem übrigen, vorwiegend durch die räumlich unter 
sich und von Hamburg getrennten Städte Bergedorf und Cuxhaven mit 
ihrer Nachbarschaft gebildeten sogenannten Landgebiet gesondert. 

Die hier mitgeteilten Zahlen sind graphisch in Kurve 1 dargestellt. 
Wir nehmen starke Schwankungen der Morbiditätskurve wahr, An¬ 
stiege in den Jahren 1882 und 1885/87, eine vorübergehende Senkung 
in den Jahren 1891 und 1892, und einen Tiefstand von 1895—1908, dem 
dann die jetzige Epidemie sich anschliesst; sodann zeigt sich ein ge- 
gewisser, wenn auch keineswegs vollständiger, bisweilen sogar offenkundig 
ausbleibender Parallelismus der beiden Kurven, welche die Extensität 
und die Intensität der Erkrankungen widerspiegeln. Es sei ausdrücklich 
darauf hingewiesen, dass die untere Linie die prozentische Mortalität 
darstellt, dass also Veränderungen in ihr dementsprechend gewertet 
werden müssen. Auf die des weiteren sich offenbarenden Differenzen 
nicht nur im Befallensein vom Stadtgebiet und dem übrigen Hamburgischen 
Gebiet, sondern auch in der jeweiligen Sterblichkeit werden wir später 
noch zurückzukommen haben. 

Da die Diphtherie in den verschiedenen Altersklassen in sehr 
verschieden hohem Grade ihre Opfer fordert, ist es notwendig, jene im 
Einzelnen zu berücksichtigen. Mit bezug auf die Erkrankungsfälle ist 
dieses erst seit dem Jahre 1894 möglich, da unsere jährlichen „Berichte“ 
vorher nur die Todesziffern brachten, und eine Nachfrage ergab, dass die 
früheren Krankheitsmeldungen nicht mehr vorhanden sind. Es ist dieses 
um so bedauerlicher, als die Wendung in der Therapie der Krankheit, 
die durch die Einführung der Behringschen Antitoxinbehandlung geschah, 



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Die Hamburger Diphtlierieephlemie 1900—1914. 


201 


in den Beginn des Jahres 1895 fällt, wir mithin aus der Vorserumzeit 
nur das eine Jahr 1894 zu vollem Vergleich zur Verfügung haben. 



Anschliessende Tabelle gibt über die Altersverhältnisse Aufschluss. 
Später ersichtliche Gründe veranlassten mich, die 4 Jahre von 1890 ab 
mit in sie einzubeziehen. 

14 *. 


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202 


V. REICHE 


Tabelle B. 


Jahr 

erkrankten an 
Diphtherie in der 
Altersklasse von 

1—5 15—15 üb. 15 

lm Hamburgisch 
starben an 
Diphtherie in der 
Altersklasse von 

1—5 5—15 üb. 15 

en Staatsgebiet 
starben somit 
prozentisch in *dcr 
Altersklasse von 

1—5 ; 5—15 üb. 15 

starben auf je 
10000 Lebende in 
der Altersklasse von 

1—5 15—15 jüb. 15 

1890 




227 

130 

16 




30,9 

11,7 

0,4 

1891 

— 


— 

175 

65 

9 

— 

— 

_ 

24,2 

5,5 

0,2 

1892 

— 

_ 

— 

187 

72 

ii 

— 


— 

25,3 

5,9 

0,2 

1893 

— 

— 

— 

252 

137 

22 

— 


— 

34,2 

11,3 

0,5 

1894 

737 

1212 

662 

245 

158 

22 

33,2 

13 

3.3 

32,1 

11,8 

0,5 

1895 

540 

694 

458 

105 

38 

3 

19,4 

5,5 

0,7 

13,4 

2,9 

0,00 

1896 

376 

485 

318 

68 

24 

7 

18 

4,9 

2,2 

7,7 

1,7 

0,15 

1897 

497 

524 

374 

72 

37 

7 

14,5 

7,1 

1,9 

8.5 

2,5 

0,14 

1898 

467 

405 

334 

73 

27 

7 

15,6 

6,7 

2.1 

8,1 

2,2 

0,14 

1899 

506 

459 

277 

5o 

50 

8 

10,9 

10,9 

2,9 

6 

3,7 

0,15 

1900 

478 

447 

310 

71 

42 

6 

14,9 

9,4 

1,9 

7.9 

2,7 

0,1 

1901 

469 

654 

340 

77 

37 

6 

16,4 

5,7 

1,8 

8,5 

2,4 

0,1 

1902 

768 

985 

420 

113 

59 

14 

14,7 

6 

3,3 

12,2 

3,8 

0,25 

1903 

633 

1031 

402 

87 

93 

9 

13,7 

9 

2,2 

8,8 

5,3 

0,16 

1904 

527 

718 

336 

85 

40 

9 

14,2 

5,6 

2,7 

8,S 

2,6 

0,16 

1905 

460 

777 | 

329 

53 

42 

6 

11,5 

5,4 | 

1,9 

5.3 | 

2,5 

0,1 

1906 

472 l 

765 I 

310 

62 

61 

6 

13,1 

8 

1.9 

6,3 | 

3,7 

0,1 

1907 

476 i 

756 

314 

76 

54 

4 

16 ! 

7,2 

1,3 

8,2 

3,1 

0,06 

1908 

1097*) 

355 

144 

7 

13 

1,9 

8, 

1 

0,1 

1909 

918 

1383 

660 

194 

147 

32 

21.1 

10,6 

4,8 

19,8 

7,8 

0,5 

1910 

1305 

2114 

1232 

258 

189 

45 

19,8 

8,9 

3,7 

25,5 

9,7 1 

0,6 

1911 

1641 

2944 | 

1597 

313 I 

306 

52 

19,7 

10,4 

3,3 

30 

15,3 | 

0,7 

1912 

1273 

2264 

1181 

192 

224 

47 

15,1 

9,9 | 

4 

18,5 

11,2 

0,6 

1913 

1379 

2158 ! 

1259 

226 

173 

31 

16,4 

8 1 

2,5 

21,2 

8,8 

0,4 


*) Ira Jahresbericht von 1908 hat sich ein Druckfehler eingeschlichen, der die 
Trennung nach den Gruppen von 1—5 und 5—15 Jahren unmöglich macht. 


Kurve 2 gibt die prozentische Mortalität graphisch wieder. 



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I>ic Hamburger I>iphihcrieepideinic 1OOD-—1014. 


203 


Wir sehen in allen 3 Linien einen starken Hochstand ira Jahre 1894, 
dann eine lange, alle drei gleichmässig betreffende Senkung mit mancherlei 
kleinen Oszillationen, die eine Gleichwertigkeit unter sich vermissen lassen, 
und schliesslich einen Anstieg, welcher in den ersten beiden Alters¬ 
gruppen erheblich unter der 1894 er Höhe zurückbleibt, in der dritten 
sie jedoch überflügelt. Ein Weg, diese Verhältnisse noch etwas prägnanter 
zur Anschauung zu bringen, ist in der Zusammenziehung mehrerer 
Jahre gegeben, wodurch grössere Zahlen erlangt werden. 

Es starben prozentisch in der Altersklasse von 



1-5 

5-15 

über 15Jahren 

1894 . 

33,2 

13 

3,3 

1895—1897 . 

17,3 

5, i 

1,5 

1898-1900 . 

13,7 

9,1 

2,3 

1901—1903 . 

14,8 

7,1 

2,5 

1904-1906 . 

13,7 

6,3 

2.2 

1907—1909 . 

— 


3,2 

1910-1912 . 

18,1 

9,8 

3,6 


Dass durch die gehäuften Erkrankungen der letzten Jahre die Alters¬ 
gruppe der Erwachsenen — nach dem 15. Jahre — besonders schwer 
betroffen wurde, ergibt auch die Beziehung der Verstorbenen auf 
10000 Lebende; auch hier treffen wir Werte, die die Jahre 1890—1894 
durchweg und zum Teil erheblich übertreffen (Tab. B). 

Auf diesen epidemischen Auftrieb in der Diphtheriekurve 
unserer Stadt möchte ich noch des Näheren eingehen. Wie eingangs er¬ 
wähnt wurde, begann er 1909. 

In den Jahren 1909—1913 wurden insgesamt aus der Stadt ge¬ 
meldet von Erkrankungen: 


1909 . 

. . . 2801 = 31,6 auf 10000 Einwohner: 

es starben 360= 12,9 pCt. 

1910 . 

. . . 4375 = 47,7 

„ 10000 

.. .. 477 = 10,9 „ 

1911 . 

. . . 5839 = 61,8 

„ 10000 

„ r 649 = 11,1 „ 

1912 . 

. . . 4333 = 44,4 

„ 10000 

434= 10 ., 

1913 1 ) 

. . . 4650 = 45,5 

,. 10000 

.. .. 424 = 9,1 „ 


21998 


2344 = 10,7 pCt. 

Im 

übrigen Gebiet 

kamen zur Meldung 



1909—1913 . . . 1310 Erkrankungen mit S5 Todesfällen = 0,5 pft. 


Unter den in der Stadt Erkrankten zählten 

bis zu 1 Jahr. 381 = 1,8 pCl. 

zwischen 1 und 5 Jahren. 5873 = 26,7 „ 

„ 5 „ 15 10176 = 46,2 !. 

15 .. 30 4212 = 19,1 „ 

über 30 Jahre. 1356 — 6,2 

21998 

1) Zusatz bei der Korrektur: Nach Mitteilung des Medizinalamts wurden gezählt 
Diphtherieerkrankungen im Jahre 1914: 4306 = 41,8 auf 10000 Einwohner; es starben 
353 = 8,2 pCt. 


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204 


F. REICHE, 


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Die Sterblichkeit war in den Altersklassen 
bis za 1 Jahr mit 169 Fällen .... 


i 1 und 5 Jahren 

mit 984 

Fällen . . 

. 16.8 

Ö r 

15 „ 

„ 999 

?? • • 

. S,8 „ 

15 „ 

30 „ 

„ 125 

• • 

3 ,, 

über 

30 „ 

v 67 

?! • * 

. 4,9 „ 


44,4 pCt. 


Es standen somit 25,3pCt. der Gemeldeten jenseits des 15. Lebens¬ 
jahres. Das ist rund J / 4 aller Erkrankungen. Im übrigen sehen wir 
den Hauptteil aller Meldungen mit 46pCt. im Dezennium vom 5. bis 
15. Jahre, doch ist dabei zu bedenken, dass es sich in den ersten 
beiden Groppen bis zum 5. Jahre mit 28,5 pCt. nur um ein Jahrfünft, die 
Hälfte obigen Zeitraums, handelt. Die Verrechnung der Erkrankten auf 
1000 Lebende der betreffenden Altersklassen zeigt die 2. Gruppe — 
zwischen 1 und 5 Jahren — am stärksten belastet. 

In der Mortalitätstabelle findet das alte Gesetz neue Bestätigung, 
dass die Krankheit im Säuglingsalter am gefährlichsten auftritt, um 
dann progressiv bis zur Höhe des Lebens rasch an Malignität einzubüssen, 
während die späteren Lebensjahre nach dem 30. sich ihr gegenüber 
wieder etwas hinfälliger erweisen. 

Dabei ist eins interessant, die recht beträchtlichen Verschiedenheiten 
dieserWerte in den einzelnen Jahren; so starben von den Kindern unter 1 Jahr 


den 1909 erkrankten 83 . . . 

... 39 oder 46 pCt. 

„ 1910 

7? 

40 . . . 

... 27 

?7 67,5 „ 

,, 1911 

7? 

94 . . . 

... 51 

„ 54,3 „ 

„ 1912 

7? 

99 . . . 

... 24 

24,3,, 

„ 1913 


65 . . . 

... 28 

n 43,1 


Dass hier Intensitätsschwankungcn der Epidemie vorlägen, 
ist an sich schon unwahrscheinlich und erscheint ganz ausgeschlossen, 
wenn man sieht, wie die Jahresverschiedenheiten in der Altersgruppe 
der Erwachsenen sich in ganz anderem Wechsel vollziehen. Von den 
Patienten über 15 Jahren starben 

1909 unter 593 . 28 = 4,9 pCt. 

1910 „ 1164.41 = 3.5 ,. 

1911 1501 49 = 3,3 „ 

1912 „ 1062 . 42 = 3,9 „ 

1913 1218 ..... 31 = 2,5 „ 

Die Wichtigkeit, für rein statistische Deduktionen mit möglichst 
grossen Zahlen zu arbeiten, wird hierdurch in ein helles Licht gerückt. 

Es bleibt noch die Frage zn erörtern, ob die oben für die jetzige 
Epidemie nachgewiesene Verteilung der Fälle auf die einzelnen 
Altersklassen nur für sie charakteristisch ist, oder auch früher, zumal 
in der milden Phase der Diphtheriekurve, in gleicher oder ähnlicher Weise 
beobachtet wurde. 1901 bis 1907 hatten wir recht benigne Jahre. In 
diesem Zeitraum kamen 11121 Erkrankungen mit 927 Todesfällen zur 
medizinalamtlichen Kenntnis, d. h. 8,3pCt. Verstorbene. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


















Die Hamburger Diphtherieepidemie 1900—1014. 


205 


Es standen in der Altersklasse von 

unter 1 Jahr . . . 207 = 1,9pCt., davon starben 66 oder 31,0 pCt. 


1—5 Jahren . . 

. 3369 = 30,3 „ 


n 464 „ 

13,8 

5-15 „ . . 

. 5298 = 47,6 „ 

77 

„ 348 „ 

6,6 

über 15 Jahren . 

. 2247 = 20,2 „ 

77 

49 ,, 

2,2 


Die Säuglinge sind in ungefähr gleichem Verhältnis vertreten, der 
Anteil der Erwachsenen beträgt jedoch nur 1 / 5 der Gesamtsumme. 

Und nun das sogenannte „Landgebiet“. 

Wie die zuerst gegebene Haupttabelle bekundet, trat auch in ihm, 
d. h. in den zu Hamburg gehörenden Städten Cuxhaven und Bergedorf 
samt ihrer Umgebung, seit 1910 eine Steigerung der Erkrankungsziffer 
auf, die Sterblichkeit wurde jedoch nicht berührt. Die von dort ge¬ 
meldeten, zu 6,5 pCt. letal geendeten 1310 Fälle verteilten sich also auf 
die einzelnen Altersgruppen: 

Es zählten 1909—1913 


unter 1 Jahr . . . 

16 oder 1,2 pCt., 

davon starben 6 das sind 37,5 

1 —5 Jahre . . . 

. 246 „ 18,8 

77 

77 

77 

24 „ 

77 9,8 

5—15 „ . . . 

. 687 „ 52,4 

77 

77 

77 

40 „ 

77 5,8 

15-30 „ ... 

. 279 „ 21,3 

77 

77 

77 

8 „ 

2 0 
77 

über 30 „ . . . 

. 82 „ 6,3 

77 

7) 

77 

7 » 

77 8,5 



Die Säuglinge sind numerisch ein wenig schwächer, die Erwachsenen 
etwas stärker zugegen als unter den gleichzeitig in Hamburg aufgetretenen 
Fällen. Auch in der Mortalität springen mancherlei Verschiedenheiten 
hervor. 

Die jahreszeitliche Verteilung der Diphtheriemeldungen weist 
charakteristische Besonderheiten auf. Kurve 3 zeigt das Ergriffensein 
der 52 Wochen des Jahres nach den Gesamtfällen der Jahre 1909—13; 



Kurve 3. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 









F. REICHE, 


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20H 


die Hebung der Kurve in den letzten Monaten des Jahres ist sehr aus¬ 
gesprochen. 

Jn das 1. Vierteljahr fielen.*23,3 pCt. 

55 55 V -57 .„ 

ji 55 ,, ?• .23,3 „ 

„„ 4. „ „ . 31,2 „ 

sämtlicher Meldungen. 

In einer Besprechung der Diphtheriekurve im vorigen Jahrhundert 1 ) 
hatte ich hervorgehoben, dass die örtliche Verteilung der Erkrankungen 
an Diphtherie in jedem Jahre erhebliche Differenzen in den einzelnen 
Distrikten der Stadt zeigt, und dass jeder derselben in den verschiedenen 
Jahren sehr verschieden stark ergriffen war. Das Gleiche besteht für 
die Epidemie, welche 1909 einsetzte, zurecht, sie überzog die Stadt 
nicht gleichförmig, sondern mit unregelmässiger Bildung verschiedener, 
wechselnder Centren. 

Die Beziehungen der Krankheit zur sozialen Lage habe ich an 
der Hand der bis 1911 vorliegenden Daten eingehend gewürdigt 2 ). In 
den Jahresberichten des Medizinalamts wird für jeden Stadtteil der 
Wohlstand angegeben, das durchschnittliche jährliche Einkommen, be¬ 
rechnet aus einem Vergleich der Einwohnerzahlen mit dem Einkommen¬ 
steuerergebnis. Neben der Wohlhabenheit ist in den einzelnen Stadt¬ 
bezirken aber noch die Zahl der in ihnen wohnenden erkrankungsfähigen 
Personen zu der Summe der auf sie entfallenden Erkrankungen in Ver¬ 
gleich zu setzen; die Diphtherie ist in erster Linie eine Affektion der 
Kinder, 75 pCt. obiger Fälle ereigneten sich bis zum Abschluss des 
15. Lebensjahres, so muss der in den verschiedenen Stadtteilen stark 
variierende, im allgemeinen mit grösserer Armut zunehmende Prozentsatz 
der Kinder mit herangezogen werden. Dieses tat ich, indem ich als 
beste Charakterisierung der tatsächlichen Frequenz berechnete, wie sich 
a / 4 der gemeldeten Erkrankungen prozentual zur Gesamtzahl der Kinder 
verhielten, wie viel der kindlichen Fälle auf je 1000 Kinder des jeweiligen 
Bezirks kamen. 

Wie in jenem Aufsatz möchte ich hier unter Mit Verwertung der 
Zahlen aus den Jahren 1912 und 1913 eine Gegenüberstellung der drei 
reichsten und der beiden ärmsten grösseren — über 10000 Ein¬ 
wohner zählenden — Stadtbezirke geben; jene haben ein durch¬ 
schnittliches Einkommen über 1500, diese unter 450 Mark. Es handelt 
sich um: 


1) F. Reiche, Diphtherie. Die Gesundheitsverhältnisse Hamburgs im 1U. Jahr¬ 
hundert. Hamburg 1901, Voss. 

2) F. Reiche, Diphtherie und soziale Lage. Med. Klinik. 1913. Nr. 33. 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 







Die Hamburger Diphthe-ricepidemio 1909 — 1914. 207 



Durchschnitt¬ 
liches jährlich. 
Einkommen 
pro Kopf 

Durschnitt- 
liche Ein¬ 
wohnerzahl 

Zahl der 
i gemeldeten 
t Diphtherie¬ 
fälle 

Zahl der 
Todesfälle an 
Diphtherie in 
diesen Jahren 

Prozent¬ 
satz der 
Kinder in 
dem Bezirk 

1. Harvestehude . 

4004,46 Mark 

| 25425 

488 

; 20 

21,7 

IT. Roterbaum . . 

2743,99 „ 

31008 

458 

' 22 

19 

III. Hohenfelde . . 

1569,56 

31303 

i 541 

1 31 

1 23,6 

IV. Barmbeck . . . 

440,36 r 

99024 

I 2973 

293 

34,6 

V. BillwärderAus¬ 
schlag . 

390,15 „ i 

48341 

1283 

! 225 

| 37,9 



Demnach er¬ 
krankten auf je 
1000 Lebende 

i 

| Demnach starben 
! von d. Erkrankten 
j in Prozenten 

Demnach fielen von 
den Erkrankungen 
unter Kindern auf 
je 1000 Kinder 

I. Harvestehude. 

19,2 

4,1 

66,3 

II. Roterbaum. 

14,7 | 

4,8 

j 58,3 

III. Hohenfelde. 

17,3 

5,7 

! 54,9 

IV. Barmbeck. 

30 

9,9 

| 65,8 

V. Billwärder Ausschlag . . 

26,5 

17,5 

! 52,5 


Es sind hier die Gesamtziffern der 5 Jahre (1909—13) verwertet, 
im Jahresdurchschnitt verhalten sich die Stadtbezirke I, II, III, IV, V wie 
13,26 — 11,66 — 10,98 — 13,16 — 10,50 in der letzten Kolumne. 

So ergibt sich, dass die vorwiegend von Einfamilienhäusern besetzten, 
von zahlreichen Gärten und Anlagen unterbrochenen und von weiten Strassen 
durchzogenen Stadtteile hier zum Teil eine höhere Frequenz unter ihren 
Kindern als die engräumig bebauten, Mietskasernen und Hinterhäuser auf¬ 
weisenden und weit mehr von unsesshafter Bevölkerung bewohnten Distrikte 
bieten, dass der höchste Wert auf den reichsten, der niedrigste auf den 
ärmsten Bezirk fällt, genau das Gegenteil dessen, was man a priori er¬ 
warten müsste, tritt hervor. Wie sehr man die Zahl der Kinder mit in 
Rechnung stellen muss, ersieht man aus der Reihe, welche die Erkrankungen 
auf je 1000 Lebende wiedergibt; ohne diese notwendige Korrektur würden 
die schlechtsituierten Teile auch am stärksten belastet erscheinen. Nur 
hinsichtlich der Mortalität zeigen sich auffallend starke Beziehungen zur 
mittleren Wohlhabenheit, eine progressive Abstufung je nach grösserem 
durchschnittlichen Wohlstand. Die Stadtteile I—IV sind auf trockenem 
Geest-, V ist auf feuchtem Marschboden gelegen; auch hier springt eine 
mit dem Untergrund möglicherweise zusammenhängende Verschiedenheit 
nicht hervor. 

Ich bin in der Lage, die gleichen Verhältnisse auf noch breiterer 
Basis zu prüfen, da ich die räumliche Verteilung der akuten Infektions¬ 
krankheiten in Hamburg während des Jahrzehnts von 1901—1910 für 
das Mosse-Tugendreichsche Handbuch „Krankheit und soziale Lage“ M 

1) München 1913. .1. H. Lehmann. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 








208 


V. HEI CHE, 


zusammenstellte; mit Vervollständigung der dabei gegebenen Zahlen bis 
1913 überblicken wir eine Periode von 13 Jahren. Zur Betrachtung 
stehen die beiden reichsten Stadtteile Roterbaum und Harvestehude 
auf der einen, die beiden ärmsten Billwärder Ausschlag und Veddel 
auf der anderen Seite. Die Einwohnerzahl betrug in: 



A. Harveste- 

B. Roterbaum 

C. Billwärder 

D. Veddel 


hude 

Ausschlag 

1901. 

18 352 

29146 

36 833 

4977 

1913. 

26 279 

30 974 

52 681 

7902 

im Durchschnitt 1901—1913 .... 
Das durchschnittliche jährliche Ein- 

25 195 

31 035 

47 183 

7143 

kommen pro Kopf: 





1901. 

2942,09 Mark 

2197,04 Mark 

290,13 Mark 

350,40 Mark 

1913. 

4288,50 „ 

2850,12 „ 

426,50 „ 

436,37 „ 

Der Anteil der Kinder. 

Die Zahl der Diphtheriemeldungen 

21,7 pCt. 

19 pCt. 

34,6 pCt. 

37,9 pCt. 

~ ^ 




1901—1913. 

A und B 

i: 1623 

C und D: 

: 1948 

und d. Diphtherietodesfälle 1901—1913 

69 = 4,25 pCt. 

292 = 14,99 pCt. 

Die Zahl der Kinder. 

11 367 

19 032 

Von den Erkrankungen unter Kindern 





(% der Gesamterkrankungen) fielen 





aufje 1000 Kinder in diesen 13 Jahren 

107 


76,8 

Mithin durchschnittlich im Jahre . . 

8,2 

5,9 


Wir stossen hier auf die gleichen Endergebnisse wie in der früheren, 
eine geringere Zahl von Jahren, aber allein Jahre epidemischen Anstiegs 
umfassenden Uebersicht: die ganz verschiedenen Mortalitätswerte und die 
fehlende Begünstigung der Morbidität durch die im Gefolge der Armut 
ziehenden ungünstigen hygienischen Momente. 

Dass trotz ausreichender armen- und kassenärztlicher Versorgung in 
den armen Quartieren bei grösserer Sorglosigkeit der Patienten bzw. 
ihrer Eltern viele leichte, sicher diphtherische Anginen — zumal nach dem 
bakteriologischen Untersuchungsergebnis — nicht zur ärztlichen und damit 
zur medizinalamtlichen Kenntnis gelangen, wodurch die Höhe der Mortalität 
sich als relativ zu hoch, die Ausbreitung unter der, insonderheit unter 
der kindlichen Bevölkerung als zu niedrig angegeben erweist, steht wohl 
ausser allem Zweifel; ich glaube aber nicht, dass dieser Fehler derartig 
gross sein kann, dass er jene Zahlen von Grund aus falsch gestaltet. 

An den Erkrankungen war das männliche und weibliche Ge¬ 
schlecht in sehr verschieden hohem Grade beteiligt. 

ln der Gesamtheit der Meldungen (23 308) von 1909 — 1913 fielen 
auf jenes mit 10 636 Fällen 45,6 pCt., auf dieses mit 12 672 Fällen 
aber 54,4 pCt.; sehr viel erheblicher ist diese Verschiedenheit bei den 
Erwachsenen, den Patienten über 15 Jahren; hier waren die Männer 
mit 2179 zu 36,8 pCt., die Frauen mit 3750 zu 63,2 pCt. vertreten; 
demgegenüber ist das Verhältnis des männlichen zum weiblichen Ge¬ 
schlecht bei den Kindern wie 48,7 : 51,3 pCt. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 










Die Hamburger Diphtherieepidemic 1909—1014. 


209 


Es war mir von Interesse zu eruieren, ob diese ausgeprägte 
Differenz bereits in früheren Jahren Vorgelegen hat. Seit 1895 ent¬ 
hält die Hamburgische Medizinalstatistik darüber genaue Ausweise. Seit 
dieser Zeit wurden 43 341 Diphtherieerkrankungen gemeldet, und zwar: 


insgesamt bei den Kindern nach dem 15. Lebensjahr 

Männer. 19737 = 45,5pCt. 48,8 pCt. 35,1 pCt. 

Frauen. 23 604 = 54,5 „ 51,2 „ 64,9 „ 


Auch hier die gleiche Präponderanz des weiblichen Geschlechts, in¬ 
sonderheit unter den Erwachsenen. Bei den ins Krankenhaus verlegten 
Fällen zeigt sich ein ähnliches Verhältnis. 

Die Ueberweisung von Diphtheriekranken in Spitalbehandlung 
hat von Jahrzehnt zu Jahrzehnt zugenommen. Das wachsende Vertrauen 
der Bevölkerung zu den dort getroffenen Einrichtungen, der Gedanke an 
die im Krankenhaus am mühelosesten durchführbare Serumtherapie waren 
hierfür massgebend. Glaeser, der von den Aufnahmeziffern im da¬ 
maligen alleinigen Allgemeinen Krankenhause ausging, konstatierte, dass 
von 1880-—1884 nur 8,4 pCt. der überhaupt in der Stadt zur Meldung 
gekommenen Fälle in diesem zur Aufnahme kam; 1890—1894, in den 
Jahren vor Einführung der spezifischen Behandlung, ist der nach den 
Meldungen aus dem St. Georger und dem Eppendorfer Krankenhaus be¬ 
rechnete Prozentsatz 23,7. Vergleichen wir jetzt die ersten Jahre 
nachher mit den Jahren günstigster Mortalität 1903—1906 und 
der jetzigen Epidemie, so resultiert folgende aus den Berichten des 
Medizinalamts gewonnene Uebersicht: 


1895-1898 

1903—1906 

1909—1913 


Gesamt¬ 

mortalität 

7,2 pCt. 
8,1 „ 
13,2 „ 


Prozentsatz der Mortalität in Mortalität unt. 
ins Krankenhaus den Kranken- den zu Haus 
Geschickten häusern Verpflegten 

29.4 14,1 pCt. 4,3 pCt. 

30.5 13 „ 6 „ 

49,7 15,1 „ 6,6 „ 


Auf der mir bis zum 1. 10. 1913 unterstellten Diphtherieabteilung 
des Allgemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf wurde weitaus die 
grösste Zahl der unseren Krankenhäusern zugewiesenen Fälle behandelt. 
Seit der Eröffnung des neuen Infektionspavillons Juni 1907 kamen bis 
zu jenem Termin 8387 Patienten mit echter, durch den Nachweis der 
Löfflerschen Bazillen einwandfrei sichergestellter Diphtherie zur Auf¬ 
nahme und Entlassung; 1063 verstarben (12,7 pCt.). 

Im Oktober 1909 richtete ich bei der Häufung der Fälle neben den 
Krankenjournalen eine ständig kontrollierte, von mir in Gemeinschaft 
mit meinem Assistenten fortlaufend bearbeitete, die uns wichtig er¬ 
scheinenden Einzelfragen eingehend berücksichtigende Listenführung 
ein, welche den nachfolgenden Darlegungen zu Grunde liegt. Dank dieser 
Mitarbeiterschaft kann ich eine in allen Punkten gesichtete und geprüfte, 
nach besten Kräften zuverlässige Uebersicht hier geben. Es sind nicht 



Original fro-m 

UNIVERS1TY OF MINNESOTA 




210 


F. REICHE, 


zusammengestellte statistische Zahlen verschiedener Provenienz, 
sondern ein eigenbeobachtetes, einheitliches und vielfach nach Häufig¬ 
keitswerten abgewogenes klinisches Material. In drei Ver¬ 
öffentlichungen in den „Mitteilungen aus den Hamburgischen Staats¬ 
krankenanstalten“ 1 ), deren letzte bis Juni 1913 reichte, habe ich über 
je 2000 mit Behring'schem Serum behandelte Patienten in tabellarischer 
Registrierung als Unterlage späterer Schlussfolgerungen berichtet; ihnen 
seien die letzten 299 Fälle, die ich von Juni 1913 bis Ende Sep¬ 
tember 1913 bis zu ihrer Entlassung aus dem Krankenhause behandelte, 
in gleicher Bearbeitung angereiht. 


Tabelle C. 




6 

Mit Serum behandelt 


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Komplikationen 



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25 — 50 Jahre I 

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Im ganzen . . 


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2 

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davon starben 


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— 

20: 

— 

21 

7 

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1 

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__ 

1- 

- 

15 


Es handelt sich um 299 Erkrankungen, von denen 21 letal verliefen, 
d. h. 7 pCt.; 250 von ihnen erhielten Serum, und von ihnen starben 20 
oder 8 pCt. Das bei ihnen zur Anwendung gekommene durchschnittliche 

1) F. Reiche und\V. H. Leede, Mitteilungen aus der Diphtheriestation. Mitteil, 
a. d. Hamb. Staatskrankenanst. XIII. 13. — F. Reiche, 2000 weitere mitBehring- 
schem Serum behandelte Diphtheriefälle. Ebenda. XIV. 4. — F. Reiche, Weitere Mit¬ 
teilungen zurBewertung des Behri ngschen Heilserums bei Diphtherie. Ebenda. XIV. 9. 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 






















Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


211 


Serumquantum ist der Aufstellung hinzugefügt und ebenso sind die 
wichtigsten Komplikationen genannt. 

Vom Oktober 1909 bis 30. 9.1913 wurden darnach 7314 Diphtherie- 
kranke auf meiner Station behandelt, 886 starben, die Mortalität 
war mithin 12,1 pCt. Aus obiger Tabelle erhellt bereits, dass ich eine 
Sonderung des Materials nach Altersklassen vornahm und zwar wurden 
hierfür die in der früheren Hamburgischen Medizinalstatistik üblichen 
Gruppen beibehalten — die jetzige trennt nach dem 15. Jahre nur die 
zwischen 15 und 30 Jahren Zählenden von den nach dem 30. Jahre 
Stehenden — und gleichzeitig auch die leichten Verlaufsformen (1) 
von den mittelschweren (II) und schweren (III) trennte. Es schien dieses 
geboten, um die Art und Zusammensetzung unseres Materials ganz all¬ 
gemein zu charakterisieren, denn in dem Eppendorfer keiner Aufnahme 
sich versagenden Krankenhaus muss es naturgemäss anders gebildet sein, 
als beispielsweise in dem llamburg-St. Georger, das eine weit kleinere 
Station besitzt und demgemäss nur für schwerere Verlaufsformen sich 
öffnet, die leichteren eventuell nach Eppendorf überweisend. Die Schwierig¬ 
keiten, die jenes Vorgehen involviert, liegen einmal in dem subjektiven Moment 
der Abschätzung zwischen obigen Graden und zweitens in der fehlenden 
Möglichkeit, hierbei die durch Einleitung einer Behandlung rechtzeitig um¬ 
gestimmten, aus einem schwereren in einen leichteren Ablauf gelenkten 
Fälle ihrer ursprünglichen Form nach einzuschätzen. Man wird dem Wesen 
dieses Einwandes gerecht werden, wenn man in Fragen der Therapie neben 
den Unterabteilungen auch die Altersgruppen als Gesamtheiten betrachtet. 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



212 


P. REICHE, 


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Die Toten stellen die Gesamtheit der an der Diphtherie und ihren 
Komplikationen Verstorbenen dar. Es sind viele darunter, bei denen die 
Sektion neben der schweren Rachenerkrankung und ihren bronchopneu- 
monischen, kardialen und nephritischen Folgezuständen sowie mancherlei 
sekundären ausschliesslich von der Diphtherie eingeleiteten Infektionen 
mehr oder minder schwere, zuweilen schon im Leben hervorgetretene 
andere, vorher bestandene Affektionen aufdeckte, die ebenfalls ihren 
Teil zum Tode beigetragen haben; vor Allem sind die Rhachitis, der 
Status thymo-lyraphaticus — der ganz ungewöhnlich oft zugegen 
war — und Drüsentuberkulosen in jugendlichen Jahren und Tuberkulosen 
und Herzfehler bei den Aelteren zu nennen. Ich halte mich aber nicht 
für berechtigt, diese Fälle aus der Reihe der übrigen zu streichen, denn 
alle die Träger dieser Leiden waren bis zum Augenblick des Erkankens 
an der Diphtherie sich ihrer unbewusst gewesen und waren in voller 
scheinbarer Gesundheit infiziert worden. Es würde ins Uferlose führen, 
wollte man einer akuten Infektionskrankheit gegenüber das von ihr dahin¬ 
geraffte Material in dieser Weise kritisch unter die Lupe nehmen, um an 
ihrer Mortalität zu deuteln. 

Nur in einem Punkte sei es gestattet, die notwendigen Zahlen zu 
geben, die es erlauben, bezüglich einiger therapeutischer Fragen etwaige 
Modifikationen vorzunehmen. Wie schon erwähnt wurde, erlagen 201 von 
unseren Patienten der Krankheit in den ersten 24 Stunden des 
Spitalaufenthalts. Von vornherein musste hier jegliche so sub finem 
eingeleitete Therapie machtlos sein. 156 von ihnen hatten Serum er¬ 
halten, 45 nicht. Es zählten 


bis zu 1 Jahre . . . 

. . . 9, ohne Serum behandelt 

3 

1— 5 

„ ... 

89 

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n 

11 

21 

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über 50 

„ . . . 

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11 

— 


Zusammen . . 201, ohne Serum behandelt 45 
Aufgenommen wurden sie 


am 1. 


3. 

4. 


6. 

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Krankheits 

2. 

5. 

späteren 

bekannten 

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7 

23 

44 

38 

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11 

3 19 

15 


kein Serum be¬ 









kamen mehr: 1 

2 

4 

3 

8 

7 

2 16 

2 



Diese Zahlen werden bei der Tabelle der Serumbehandelten (Tabelle G) 
Berücksichtigung finden. 

Hinsichtlich des Geschlechts trennen sich unsere 7314 Patienten 
in folgender Weise: 

Es waren von den 

122 Kranken unter 1 Jahre 66 männl. u. 56 weibl. =54,1 : 45,9 pCt. 

1904 „ zwischen 1— 5 Jahren 946 „ „ 958 „ =49,7 : 50,3 „ 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


213 


3070 Kranken zwischen 5—15 Jahren 1480 männl. u. 1590 weihl. =48,2 : 51,8pCt, 


1552 

15-25 „ 

561 „ 

„ 991 

„ =36,1 : 63,9 „ 

639 

„ 25-50 „ 

234 „ 

„ 405 

„ =36,(3:63.4 „ 

27 „ 

über 50 ,, 

6 

„ 21 

„ =22,2:77,8 „ 


lm Ganzen verliefen als 


leicht I. *2794 = 38,2 pCt. aller Fälle 

mittelschwer 11 . 1862 = 25,5 „ ,, „ 

schwer III. 2658 = 36,3 „ „ „ 


Es starben 886 = 12,1 pCt., wobei die Sterblichkeit in Gruppe 111 
mit 886 unter 2658 Kranken = 33,3 pCt. war. Von ihnen starben 201 
in den ersten 24 Stunden des Krankenhausaufenthalts (22,6 pCt.). 

Die Diagnose der Diphtherie geschah allemal so, dass bei klinisch 
vorliegenden entzündlichen Erscheinungen im Rachen — die ganz seltenen 
primären Lokalisationen in der Nase und den Luftwegen werden ihnen 
zugerechnet — die bakteriologische, stets auch kulturell durchgeführte 
Untersuchung den Ausschlag gab. In der grossen Mehrzahl der Beob¬ 
achtungen deckt sich die so gewonnene Diagnose mit der klinischen 
Beurteilung, wie wir sie bis zu der Löfflerschen Entdeckung der 
kausalen Mikroben zu üben gewohnt waren. Nur in der Gruppe der 
leichten Verlaufs formen befinden sich viele, die wir früher nach dem 
lokalen Befunde nicht auf die Diphtherieabteilungen gelegt hätten. Akut 
entzündliche Erscheinungen lagen allemal vor, das Aussehen der 
Fauces entsprach aber mehr einer Angina simplex acuta oder ihrem 
follikulären s. lakunären Bilde. 

Zahlreich waren die Komplikationen des diphtherischen Rachen¬ 
prozesses, die während der Krankenhausbeobachtung zu unserer Kenntnis 
kamen. Sie sind in umstehender Tabelle D. übersichtlich zusammengestellt. 

Von erheblicher Bedeutung waren Beteiligungen seitens des Kehl¬ 
kopfes, schon weil sie in einer grossen Zahl der Beobachtungen ein 
aktives Eingreifen erheischten. In den einzelnen Altersgruppen traten 
sie in sehr verschiedener Häufigkeit auf und ebenso boten sie in ihnen 
eine stark variierende Schwere. 

Sie zeigten sich im Verlauf der klinischen Beobachtung bei den Patienten 
bis zu 1 Jahre unter 122 mit 50 zu 41,0 pCt. 
von 1—5 Jahren ,, 1904 „ 449 „ 23,6 „ 

„ 5-15 „ „ 3070 „ 283 „ 9,2 „ 

„ 15—25 „ „ 1552 50 „ 3,2 „ 

„ 25-50 „ „ 639 „ 27 „ 4,2 „ 

„ über 50 „ „ 27 „ 4 „ 14,8 „ 

Die Tracheotomie wurde notwendig bei den Patienten 



bis zu 1 Jahre 

unter 

50 mit 

39 

zu 78,0 pCt 

von 1 — 5 Jahren 

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449 „ 

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*27 „ 

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— 



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214 


F. HEI CH K. 



Trotz dieses Eingriffs erlagen ihrer Diphtherie bei den Patienten 
bis zu 1 Jahre von 30 mit 33 doch 84,6 pCt. 


von 

1- 

- 5 

Jahren „ 

304 

V 

164 

„ 53,9 ,, 

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5 

-15 

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143 

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72 

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„ 57,1 „ 

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7 

V 

5 

.) v 


über 50 

y v 

— 

V 

— 



Ct ' | ;>7,4 pCt. 


Auch aus dieser Aufrechnung erschlichst sich die Notwendigkeit, 
bei jeder Betrachtung von Diphtheriekranken und der Ergebnisse des 
Krankheitsverlaufes die Altersklassen aufs schärfste zu sondern. Die 
Neigung zu laryngcalen Komplikationen und die Schwere der letzteren, 
die sich einmal in der Häufigkeit der Tracheotomienotwendigkeit und 
zweitens in ihrer Letalität ausdrückt, differiert stark je nach dem 
Lebensalter, ist am schwersten bei den Säuglingen, um dann rasch 
abzusinken, nach der Zeit der Adoleszenz wieder anzusteigen; die erste 
und letzte dieser 3 Lebersichten lassen dieses klar erkennen, vielleicht 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


215 


sind in der dritten die Jahre nach den 15. noch zu gering vertreten, um 
voll ausschlaggebend zu sein. 

Ueber die Tracheotomie-Ergebnisse früherer Jahre vermag ich aus 
dem Eppendorfer Krankenhause folgende Daten zu geben: es handelt 
sich um die 2 Perioden der 5 Jahre vorbehringscher Zeit 1890—1894 
(Mitte 1889 wurde das Eppendorfer Krankenhaus eröffnet) und der 5 Jahre 
mildester Diphtherie 1902—1906 im Vergleich zu den Jahren der jetzigen 
Epidemie. Der Luftröhrenschnitt wurde 

A. 1890—1894 .bei 371 Patienten = 21,8 pCt. aller Aufnahmen notwendig 

B. 1902-1906 .„ 177 „ = 12,6 „ „ „ • „ 

C. Okt. 1909—Sept. 1913 ,, 507 „ = 6,9 „ „ „ „ 


Es zählten: 


1890-94 

unter 1 Jahr 14 
1—5 Jahre 262 

5-15 . „ 88 

15—25 „ 6 

über25 „ 1 

371 


davon 

1902-06 

davon 

starben 

starben 

13 = 92,8 pCt. \ 

61,2 pCt. n \ 

7=87,5 pCt. | 

156 = 59,5 „ / 

44 = 39,6 „ j 

oo 

II 

CO 

55 

12 = 21,8 „ 

6— 4 

2 

j ^ | 66,7 pCt. 

100 pCt. 

1 

219 = 59,0 pCt. 

177 

65 = 36,7 pCt. 


Ordnet man die Patienten nach dem Tag ihrer Krankheit, an 
dem die Aufnahme in Krankenhauspflege erfolgte, so ergibt sich 
folgendes Bild, bei dem eine Trennung nach dem Lebensalter nicht 
durchgeführt wurde, da jenseits des 15. Lebensjahres nur 21 Tracheo¬ 
tomien gemacht wurden. Von den Kranken mit bekanntem Krankheits¬ 
anfang, die — meist am 1. oder 2. Tage ihres Kankenhausaufenthalts — 


tracheotomiert 

wurden, 

kamen 

zu uns 

am 






l.Tage 

i 2. Tage 

3. Tage 

4. Tage 

5. Tage 

6. Tage 

7. Tage 

später 


31 

122 

126 

74 

47 

25 

11 

32 

davon starben. . 

12 

65 

63 

50 

24 

19 

7 

20 

das sind in pCt. . 

. 38,7 

53,3 

50,0 

67,6 

51,1 

76,0 

63,6 

60,6 


'ÜO^ 

> pCt. 

56,5 pCt. 

59,7 pCt. 

62,8 pCt. 


Ganz allgemein sehen wir so ein leichtes Ansteigen der Mortalität, 
an je späterem Krankheitstermin die Kranken zur Aufnahme gelangten, bei 
denen eine diphtherische Kehlkopfstenose den Luftröhrenschnitt verlangte. 

Ueber die bei uns übliche Operation hat C. W. Leede 1 ) ein¬ 
gehende Mitteilungen gemacht; wir bevorzugten zuletzt ganz die quere 
Durchtrennung der Haut bei Vornahme des Eingriffs sowohl wegen der 
Erleichterung der operativen Massnahmen wie auch wegen des kosmetischen 
Heilungserfolges. 

An Wichtigkeit hinter den, wie wir sahen, recht häufig ein aktives 
Vorgehen benötigenden Komplikationen seitens des Kehlkopfes zurück- 


1) W. Leede, Die Tracheotomia inf. mit kleinen queren Hautschnitten bei 
Diphtherie und ihre Nachbehandlung Münchener med. Wocbenschr. 1912. Nr. 23. 

ZeiUchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. | ^ 


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216 


F. REICHE 


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stehend, an Häufigkeit ihnen überlegen sind die Beteiligungen der Nase 
an dem diphtherischen Rachenprozess. Bei Säuglingen war wiederholt 
nur die Nase ergriffen. Wir haben diese Komplikationen stets da notiert, 
wo entweder sichtbare pseudomembranöse Veränderungen an der Schleim¬ 
haut des Septums oder der Muscheln zugegen waren, oder ein reichlicher 
trübseröser oder serös-hämorrhagischer Ausfluss aus der Nase auf ihre 
Miterkrankung hindeutete und der kulturelle Nachweis der Löffler’schen 
Bazillen positiv ausfiel, nicht nur da, wo wir aus dem Nasenschleim 
Diphtheriebazillen züchten konnten. 

Mitbefallen war unter den als 




der Kehlkopf 

die Nase 

leicht verlaufenen 

2794 . . 

, . mit 29 Fällen zu 1 pCt., mit 149 zu 5,3 pCt. 

mittelschwer „ 

1862 . . 

• ?? 105 ji 5,6 „ 

» 250 „13,4 „ 

schwer „ 

2658 . . 

„ 729 „ »27,4 „ 

„ 1022 „38,4 „ 

den verstorbenen 

886 . . 

. „ 376 „ „42,4 „ 

,, 465 „52,5 „ 


Im Einzelnen ergab sich die folgende Anordnung: Nasenbeteiligung 
war zugegen unter den 


122 Patienten im ersten Lebensjahr bei 

... 51 = 41,8 pCt. 

1904 

zwisch. 1 und 5 Jahren „ 

. . . 511 = 32,1 „ 

3070 „ 

„ 5 „ 15 „ „ 

. . . 636 = 20,7 „ 

1552 „ 

„ 15 „ 25 „ „ 

. . . 88= 5,7 „ 

639 

„ 25 „ 50 „ „ 

. . . 33= 5,2 „ 

27 „ 

über 50 „ „ 

. . . 2= 7,4 „ 


Rasch sinkt die Frequenz in den Altersgruppen der Kindheit ab, 
um dann nach dem 15. Jahre keine wesentliche Veränderung zu erfahren. 

Diphtherische Konjunktividen traten an Häufigkeit gegenüber den 
eben genannten beiden Komplikationen weit in den Hintergrund. Ueber 
sie ist aus meiner Abteilung von Nordmann 1 ) berichtet worden. Er 
stellte 17 Fälle zusammen, in der Folgezeit kamen noch 34 weitere hinzu. 

Die Bevorzugung jugendlicher Lebensklassen, eine ständige 
Abnahme, je höher diese rücken, ist hier offensichtlich: 

Conjunctivitis diphtherica bestand unter 

122 Patienten bis zu 12'Monaten bei 4 = 3,3 pCt.' 


1904 

3070 

1552 

639 

27 


zwisch. 1 und5 Jahren 
„ 5—15 

„ 15-25 
„ 25-50 
über 50 


3ei 4 = ö,ö pur.\ 

„ 27 = 1,4 „ 0,9 pCt. 

„ 14 = 0,5 „ ) 


4 = 0,3 
2 = 0,3 


0,3 pCt. 


Und sie fand sich unter den 

2794 leichten Verlaufsformen mit 4 Fällen zu 0,1 pCt. 

1862 mittelschweren „ „ 9 ,, „ 0,5 „ 

2658 schweren „ „ 38 „ „ 1,4 „ 

886 letalen „ „ 20 „ „ 2,3 „ 

Bei 40 dieser Kranken waren beide Augen ergriffen, bei 11 nur eins. 


1) L. Nord mann, Beiträge zur Kasuistik und Therapie der Diphtherie der Kon- 
junktiva. Diss. Strassburg i. Eis. 1911. 



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Die Hamburger Diphtberieepidemie 1909—1914. 


217 


In die Wintermonate fiel, wie schon Nordmann hervorhob, die 
ganz überwiegende Mehrzahl dieser diphtherischen Konjunktividen. 

Die Infektion der Augenbindehäute erfolgte auf verschiedenem Wege. 
Unzweifelhaft primär war die Erkrankung bei einem meiner Assistenten, 
dem nachts bei einer Tracheotomie ein Spritzer aus der Luftröhrenwunde 
ins linke Auge flog, worauf sich im Laufe des folgenden Tages eine 
heftige Entzündung mit Bildung von Pseudomerabranen, intensivem 
Schmerz und starker eitriger Sekretion entwickelte. Aus den Ab¬ 
sonderungen und von den Belägen wurden Diphtheriebazillen gezüchtet. 
Rasche Rückbildung der krupösen Erscheinungen — unter Serum¬ 
instillation und 10 proz. Protargoleinträufelungen — binnen 3, der ganzen 
Affektion binnen 7 oder 8 Tagen: am 10. linksseitige Rachendiphtherie, am 
11. waren Rachen und Kehlkopf befallen. Serum VI, mittelschwerer Verlauf. 

Nach den anamnestischen Angaben waren in noch weiteren 4 Fällen, 
bei Kindern von 2—7 Jahren, die Augen zuerst von der Diphtherie er¬ 
griffen gewesen; die Symptome von seiten der anderen Schleimhäute — 
bei einem 7 jährigen Mädchen lag nur eine starke Rhinitis vor, bei den 
übrigen Kindern eine schwere Rachendiphtherie — schlossen sich erst 
nach einer Reihe von Tagen an. 

Es ist wahrscheinlicher, dass das Krankheitsvirus durch den Ductus 
nasolacrymalis abwärts wanderte, als dass es zu einer Infektion der 
tieferen Schleimhäute durch auf die Lippen herabrinnendes oder mit den 
Fingern verschmiertes Konjunktivalsekret kam, ganz wird sich dieser 
Uebertragungsweg bei den Kindern aber nicht von der Hand weisen lassen. 

Ebenso scheint mir der gleiche Modus der Infektion durch den 
Thränennasengang der weitaus häufigste bei der sekundären Beteiligung 
der Augenbindehäute an der diphtherischen Rachenerkrankung zu sein. 
Nicht selten waren die Nasenhöhlen offenkundig mitergriffen, überhaupt 
überwogen die schweren Fälle mit 38 (oder 74,5 pCt.) gegenüber 13 
leichten und mittelschweren ganz erheblich. 

20 dieser Patienten — 39,2 pCt. — starben, bei den übrigen 31 
blieben dreimal Hornhauttrübungen nach der Konjunktivaldiphtherie zurück, 
bei einer Erwachsenen allerdings nur in schwerem und die Sehkraft des 
einen Auges erheblich behinderndem Grade. Meist verlief diese Kom¬ 
plikation relativ leicht und ohne stärkere entzündliche Schwellung. 
Auf ihre Therapie werden wir später noch kurz zurückzukommen haben. 

Das Miterkranken von Zunge und Lippen, mehr oder minder aus¬ 
gebreitete weissliche oder graugelbliche Pseudoraembranen auf ihnen, 
wurde mit 47 bzw. 49 Einzelbeobachtungen nicht allzuhäufig, und zwar 
vorzugsweise bei Kindern, konstatiert. Bei ihnen betrug ihre Frequenz 
0,86 bzw. 0,84 pCt. Schwere Verlaufs formen waren bevorzugt, doch nur 
mit rund zwei Dritteln der Fälle. 

Vulvitiden wurden nur selten gesehen; die pseudomembranösen 
Diphtheriebazillen reichlich beherbergenden Veränderungen nahmen nie 

15* 


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218 


F. REICHE, 


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einen grösseren Umfang oder tiefere Progredienz an, von im ganzen acht 
Beobachtungen betraf die Hälfte leichte und mittelschwere Verlaufsbilder, 
und unter den schweren ist kein letal verlaufener. Manuelle Ueber- 
tragungen der Krankheitserreger sind hier wohl anzunehmen, möglicher¬ 
weise auch Ansiedelungen mit dem Urin wieder ausgeschiedener Löffler¬ 
bazillen. Die Heilung war allemal eine vollständige. 

Echt diphtherische Mittelohrentzündungen mit Diphtheriebazillen 
im Sekret kamen nur äusserst selten und stets als sekundäre Er¬ 
krankung zur Beobachtung: im ganzen in 8 Fällen, 5 bei Kindern, 4 bei 
tödlich geendeten Diphtherien. Von den in Heilung Uebergeführten musste 
bei 2 eine Aufraeisselung gemacht werden. Bei 3 dieser Kranken führte 
das blutig-dünnflüssigeitrige Sekret zu ausgedehntem Ekzem im Gehör¬ 
gang, an der Ohrmuschel und in deren nächster Umgebung, und auch 
hier Hessen sich nach Abtupfen des Eiters und Abhebung der krustösen Be¬ 
läge aus den wunden Hautpartien Diphtheriebazillen leicht in Reinkultur 
gewinnen. 

Dieses führt uns zu den „Hautdiphtherien“, von denen unsere 
frühere Tabelle (D) im ganzen 44 aufführt. Diese Grundsumme schliesst ein 
Gemisch verschiedenartiger kutaner Affektionen in sich; sie 
würde erheblich vermehrt werden, wenn wir die kleinen, oft nach 
unseren Untersuchungen Diphtheriebazillen reichlich in sich hegenden 
ekzematösen Eruptionen an und unter dem Naseneingang hier mit auf- 
genomraen hätten. Nur 3 Fälle aus der 2. Altersgruppe, die klinisch 
schwer verliefen, boten sie in umfangreichem, über die mittlere Nasen¬ 
lippenpartie sich hinziehendem Grade, und diese reihten wir mit in 
unseren spezifisch kutanen Erkrankungen ein. Die Gehörgangs- und 
Ohrmuschelekzeme betrafen einen Erwachsenen von 56 Jahren und 2 letal 
geendete Kinder von 13 und 15 Monaten. Sechsmal fanden wir bei 
Kindern zwischen 2 und 7 Jahren schmierig belegte impetiginöse 
Stellen an Backen-, Stirn- und Kinngegend, aus denen Löfflersche 
Bazillen gewonnen wurden; die anamnestischen Angaben der Eltern und 
das Aussehen dieser Effloreszenzen sprachen dafür, dass es sich hier um 
Hautaffektionen handelte, welche bereits wochen- und zum Teil raonatc- 
und jahrelang — in letzteren Fällen mit zeitweisem Schwinden und Wieder¬ 
auftreten — bestanden hatten, und wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir 
hier an eine sekundäre Infektion von skrophulösen Hautleiden 
denken, nicht an primär diphtherische Hautleiden, die ihrerseits die 
Rachenaffektion im Gefolge hatten. 

Im Verlauf der Diphtherie bildeten sich mehrfach Affektionen der 
Haut mit positivem Bazillenbefund aus, die bald mehr einen ekzematösen 
nässenden, bald mehr einen pustulösen Charakter trugen, immer aber 
wohl sekundär infizierte Ekzeme oder Pusteln darstellten. Die 
diphtherische Affektion erschien nur insofern ätiologisch, als von den 
Kindern der ein Gemisch von Bakterien enthaltende Speichel im Gesicht 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


219 


oder an den Armen verrieben worden war, hier mazerierend und irritierend 
gewirkt hatte. Diese Stellen sassen fast durchweg im Gesicht, vor allem 
an den Backen und Mundwinkeln, zweimal auch auf der Kopfhaut, drei¬ 
mal am Vorderarm, an den Stellen, wo wohl der Kopf beim Schlafen auf 
ihm ruhte; manchmal schien es, als ob ein Herpes labialis Ausgangs¬ 
punkt dieser Entzündung gewesen war. Wir zählten 17 dieser Fälle, 
alles waren Kinder von 3—10 Jahren. Hierzu kommen 6 Panaritien, 
aus deren Eiter auch der Löfflerbazillus kultiviert wurde, für die der 
gleiche Entstehungsraodus einer sekundären Infektion im Anschluss 
an gewöhnliche Eitererreger oder einer simultanen mit diesem von uns 
angenommen wird; unter diesen Beobachtungen ist 1 Erwachsener, die 
übrigen 5 sind Kinder. Auch einer meiner Assistenten — in obige 
Reihe nicht mit aufgenommen, da die Affektion lokal blieb — bekam 
im Anschluss an eine Verletzung bei einer Tracheotomie ein typisches 
Panaritium mit Diphtheriebazillen an seinem einen Daumen. 

In den Testierenden 9 Fällen vereinigen sich 3 gleich stark ver¬ 
tretene Gruppen. Bei einem 4 jährigen Knaben am Kinn, bei 2 Mädchen 
von 7 und 8 Jahren am Handrücken und am Knie sahen wir flache 
von echten Pseudomembranen überzogene Ulzera mit reichlichen 
Diphtheriebazillen in den Belägen. Fette 1 ) hat 2 dieser Beobachtungen 
bereits erwähnt. Sie unterscheiden sich von den vorher aufgezählten vor 
allem dadurch, dass hier schon der äussere Anblick der membranbelegten 
Geschwüre an die spezifische Aetiologie denken Hess, während die vorher 
genannten impetiginösen Stellen, Pusteln, Ekzeme und Panaritien in nichts 
sich von den üblichen gleichartigen kutanen Affektionen unterschieden; 
erst die bakteriologische Untersuchung wies hier die Diphtheriebazillen 
neben anderen Mikroorganismen nach. 

Eigenartig und schwer zu klassifizieren (Unna) waren ferner die bei 
3 Kindern von 6—9 Jahren beobachteten multiplen, etwa pfenniggrossen 
Hautinfiltrate mit weisslichem kleinschuppigem Schorf und be¬ 
sonders derbem und erhabenem Rande, die ebenfalls bei der kulturellen 
Untersuchung reichliche Diphtheriebazillen lieferten. Sie sassen zumeist 
an den Armen, einmal auch im Rücken, am Hinterkopf und in der oberen 
Brusthaut. Die Nasendiphtherie war bei allen drei Patienten eine sehr 
schwere, wenn auch nicht letale. Es muss dahingestellt bleiben, ob für 
diese Beobachtungen wegen ihrer Gleichartigkeit und Eigenartigkeit eine 
Metastase vom Rachen her, eine spezifische echt diphtherische Aetiologie 
anzunehmen ist. Zur histologischen Untersuchung kam es nicht. 

Nicht streng zu den Hautkomplikationen gehörig sind schliesslich 
3 Unterhautabszesse bei Kindern von 5 und 6 Jahren und einer 
26jährigen Erwachsenen, die sämtlich sich an subkutane Injektionen von 

1) H. Fette, Ueber die Diphtherie der Jahre 1907—09 im Allgemeinen Kranken¬ 
haus Hamburg-Eppendorf. Jahrb. d. Hamburger Staatskrankenanst. 1911. Bd. 16. 


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220 


F. REICHE 


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Kampheröl oder Digalen angeschlossen hatten; es wurde aus dem Eiter 
ausschliesslich der Diphtheriebazillus kultiviert, hier war wohl sicher eine 
Ansiedlung von im Blut kreisenden Löfflersehen Bazillen an dem Ort 
einer lokalen an sich sterilen Irritation erfolgt. 

Anschliessen möchte ich diesen auf der Abteilung behandelten Fällen 
eine Beobachtung bei einer nicht aufgenommenen Kranken, der Mutter 
eines mit schwerster Nasen- und Rachendiphtherie eingelieferten Mädchens. 
Sie erzählte bei einem gelegentlichen Besuche, dass in den 14 Tagen seit 
der Erkrankung ihres Kindes, mit dem sie im gleichen Bett geschlafen 
hatte, ihr seit Jahren bestehendes Ulcus cruris sehr schmerzhaft ge¬ 
worden sei und sich vergrössert habe. Es war von schmierigen Pseudo- 
membranen überzogen und aus diesen wurden Diphtheriebazillen in 
reichlichsten Mengen bakterioskopisch und kulturell demonstriert. Weiterer 
Verlauf unbekannt. Ueber einen ähnlichen Fall berichtete Tengely. 
Auch hier gab anscheinend die Anwesenheit der Diphtheriebazillen der 
Affektion ihr besonderes augenblickliches Gepräge. 

Im Anschluss an die Aufrechnung dieser durch den positiven Bazillen¬ 
nachweis als echt erkannten Komplikationen ist Folgendes noch zu be¬ 
merken. Der Ausdruck Komplikation trifft bei einem Teil der obigen 
klinischen Befunde dort nicht im strengeren Sinne zu, wo der Pharynx, 
der gewöhnliche Sitz der diphtherischen Erkrankung, ausnahmsweise ein¬ 
mal nicht ergriffen war. Von den 51 mit Beteiligung von seiten der 
Nase aufgezählten Fällen aus dem ersten Lebensjahr war in ungefähr 
einem Drittel dieses Organ ausschliesslich befallen, in mehreren anderen 
war es primär erkrankt, und der Rachen erst nachträglich Sitz der 
pseudomembranösen Veränderungen. Besonders die Säuglinge aus den 
ersten 6 Lebensmonaten gehörten dieser Gruppe zu; doch ist hinzuzufügen, 
dass gerade der jüngste aller unserer Patienten, der bei der Aufnahme 
17 tägige, vielleicht am 3. oder 2. Krankheitstage damals stehende Knabe 
auf beiden vorderen Gaumenbogen die typischen Beläge aufwies. 

In der Altersklasse 15—25 befinden sich ebenfalls einige Patienten, 
bei denen die Fauces frei von Alterationen blieben, nur eine leichte diffuse 
Rötung boten. Ein 24 jähriges Mädchen hatte und behielt eine alleinige 
Epiglottisdiphtherie, ein 19 jähriges Mädchen und ein 25 jähriger 
Mann zeigten eine primäre Diphtherie der Trachea und Bronchen, 
die bei ersterer Patientin am Tage vor dem Exitus noch auf Abschnitte 
der Stimmbänder Übergriff. 

Primäre reine Kehlkopfdiphtherien sahen wir 11 mal bei Kindern 
zwischen 2 und 8 Jahren; sie entstanden an so frühen Krankheitstagen, 
dass späte sekundäre nach Abheilung im Rachen gelegener primärer 
Prozesse hier ausgeschlossen schienen. 

Die Häufigkeit von Herpeseruptionen bei der Diphtherie fiel uns 
besonders, zumal im Vergleich zu früheren Epidemien, auf. Rolleston 
sah sie 1907 in seinem Material von 1370 Fällen (mit 55) schon in der 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


221 


ungewohnt hohen Zahl von 4 pCt. Wir beobachteten sie zu 7,9 pCt. 
Ich habe die Ziffern, soweit sie die ersten 4830 Patienten betrafen, be¬ 
reits früher bekannt gegeben 1 ) und dabei erwähnt, dass im Gegensatz 
zu den Herpesbläschengruppen bei der Meningitis cerebrospinalis die bei 
der Diphtherie auftretenden fast ausschliesslich das Gesicht, die Lippen 
und deren Umgebung, seltener Nasenflügel, Kinn, Wangen, Ohrmuschel, 
Augenlider besetzt halten, extrem selten andere Hautstellen des Körpers 
betreffen. Nur bei einem Kinde sass ein ungewöhnlich starker Herpes 
auf der Haut der Glutäalgegend. 

In der Gesamtheit unserer Beobachtungen sahen wir ihn mit 566 
unter 7165 Fällen zu 7,9 pCt. In den 122 Fällen der Altersgruppe 
bis zu 12 Monaten und den 27 oberhalb des 50. Lebensjahres fehlte er 
stets, unter den übrigen 3272 männlichen und 3893 weiblichen Kranken 
fand er sich bei 7,2 bzw. 8,5 pCt. Im einzelnen war die Verteilung 
folgender Gestalt: 

Lebensalter (Jahre) Zahl der Fälle Herpesfälle in Prozenten 


1- 5 . 1904 35 1,8 

5—15 . 3070 258 8,4 

15-25 . 1552 197 12,7 

25-50 . 639 ' 76 11,9 


7165 566 7,9 

Bis zur Gruppe der jugendlichen Erwachsenen steigt die Häufig¬ 
keit verhältnismässig rasch an, zwischen 25—50 Jahren wird sie bereits 
ein wenig geringer. Doch erweist eine Trennung der Fälle nach dem 
Geschlecht, dass letzteres Moment nur für die Männer, nicht für den 
weiblichen Anteil gilt. Wir sahen hier folgende Zahlen: 


Alter 

Männer 

Herpes 
bei Männern 

Prozent 

Frauen 

Herpes 
bei Frauen 

Prozent 

1- 5 . . 

949 

18 

1.9 

955 

17 

1,8 

5-15 . . 

1477 

134 

9,1 

1593 

124 

7,8 

15-25 . . 

584 

62 

10,6 

968 

135 

13,9 

25-50 . . 

262 

21 

8 

377 

55 

14,6 


3272 

235 

7,2 

3893 

331 

8,5 


Ein starkes Ueberwiegen bei Frauen tritt erst nach dem 15. Lebens¬ 
jahre zutage. 

Die Beziehungen des Herpes zur Schwere des Krankheits¬ 
verlaufs, somit bis zu einem gewissen Grade seine prognostische Be¬ 
deutung, erhellt aus angeschlossener Aufstellung; wir hatten bei Trennung 
unseres Materials in die verschieden schweren Ablaufsformen in 

Gruppe I bei ... . 2794 Kranken 221 Herpesfälle, das sind 7,9 pCt. 

„ II „ . . . . 1862 „ 149 „ „ 8 n 

n KI „ ... . 2658 „ 196 „ „ 7 , *j4 

1. F. Reiche, Ueber Herpes facialis bei Diphtherie. Med. Klin. 1913. Nr. 35. 


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2*22 


F. REICHE, 


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Letztere Zahl muss zu niedrig sein, wenn man in Rechnung setzt, 
dass viele unserer Patienten bereits an frühen Krankheitstagen der 
Diphtherie erlagen — Tabelle F gibt hierüber Auskunft —, zu einer 
Zeit, nach der noch mancher Herpes bei den übrigen sich ereignete. Es 
ist in dieser Hinsicht folgendes mitzuteilen: Von allen 566 Patienten mit 
Herpes zeigten 129 ihn bereits bei der Aufnahme, bei 437 brach er erst 
während des Krankenhausaufenthaltes aus, und zwar, wenn wir den 
Krankheitstag massgebend sein lassen, 

am 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. an einem späteren 

Krankheitstage 

war er bei der Aufnahme vor¬ 
handen bei. 3 28 44 23 9 5 4 3 

erschien er im Verlauf der I — 26 169 126 56 27 17 16 

Krankenhausbeobachtung bei \ 5,9 38,7 28,9 12,8 6,2 3,9 3,6 pCt. 

Die starke Bevorzugung des 3. Krankheitstages ist in dieser 
zweiten, allein für diese Frage verwertbaren Reihe offensichtlich. Geissler 
fand auch bei der Pneumonie den Herpes am 3. Tage am häufigsten, 
darnach am 4. und am 2. Tage, Mann nennt den 2.—5. Krankheitstag 
bei der epidemischen Genickstarre. 

Dass er der eigentlichen Krankheit zuzurechnen ist und nicht den 
Seruminjektionen in erster Linie, habe ich früher bereits ausgeführt. Vor 
Ueberweisung ins Krankenhaus und damit vor Einleitung der spezifischen 
Therapie war er bereits bei 129 Kranken zugegen, auch von den übrigen 
hatten manche kein Antitoxin erhalten. Bei den späteren Herpes¬ 
eruptionen mögen allerdings reaktive Vorgänge auf die Serum¬ 
injektionen mitspielen, wie wir dieses auch gelegentlich nach Ein¬ 
spritzung anderer Sera beobachten. 

Meist war nur eine Bläschengruppe zugegen, nicht selten auch 
mehrere, bald benachbarte, bald weit von einander getrennte; ihre 
Grösse schwankte sehr, wiederholt kam es zu ungewöhnlich aus¬ 
gebreiteten, den grössten Teil einer Wange, das Kinn oder die Unterkinn¬ 
gegend ganz einnehmenden oder den Mund rings umgürtenden Eruptionen. 

Dem bakteriologischen Verhalten schenkte Rail 1 ) Aufmerksam¬ 
keit. Unter 94 untersuchten Fällen fand er in 26 oder in 27,65 pCt. 
Diphtheriebazillen kulturell in dem unter den notwendigen Kautelen 
entnommenen Bläscheninhalt. Wohl mit vollem Recht vertritt er die 
Ansicht, dass es sich hier um ein sekundäres Eindringen der spezifischen 
Mikroorganismen in die Vesikeln aus dem im Gesicht verriebenen Sekret 
der Nase und des Mundes, das sie mazerierte, handeln muss. Weder in 
dem Aussehen noch in der Abheilung unterscheiden sich die sterilen 
Herpesausbrüche von den die Löfflerschen Bazillen beherbergenden in 
irgend einer Weise. 

1) Rail, Ueber das Vorkommen von Diphtheriebazillen in Herpesbläschen bei 
Diphtherie. Ersch. in der Münchener med. Wochenschr. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1009—1914. 


223 


Ueber die lokalen Befunde im Rachen ist klinisch kämm Neues zu 
sagen. Die von Rolleston hervorgehobene üble prognostische Be¬ 
deutung einer öderaatösen Schwellung der Schleimhaut des Rachens, 
des weichen und harten Gaumens und mächtiger frühzeitiger Lymphdrüsen- 
infiltrationen am Halse konnten auch wir bestätigen. Wiederholt sahen 
wir dabei, und stets bei Erwachsenen, dass die ödematöse Durchtränkung 
der Mucosa faucium streng unilateral blieb und so eine para¬ 
tonsilläre Abscedierung Vortäuschen konnte, wobei gleichzeitig die Hals- 
lymphdrüsen intensiv bereits an frühen Krankheitstagen zu mächtigen, 
sehr empfindlichen Paketen vergrössert waren. Trotz dieser Einseitigkeit 
war der Verlauf hier ein allerschwerster, in der Regel tödlicher. 

Die Kombination einer Rachendiphtherie mit einer peritonsillären 
Abszessbildung — mit Löfflerbazillen in dem durch Inzision gewonnenen 
Eiter — wurde ein einziges Mal bei einer 34 jährigen Frau beobachtet. 
Die Heilung erfolgte glatt. 

Nur recht selten stiessen wir auf Kopliksche Flecken in der 
Wangenschleimhaut an initialen Krankheitstagen, etwas häufiger auf ein 
Enanthem an Gaumen- und Bukkalschleimhaut, das von einem morbillären 
nicht zu unterscheiden war. Beide Befunde als Begleiterscheinungen auch 
des Diphtheriebeginns zu .kennen, ist um so wichtiger, als der Aus¬ 
bruch während der Inkubationszeit in eine vollbelegte Diphtheriestation' 
eingeschleppter Masern zu den verhängnisvollsten Komplikationen gehört. 
Dass es bisweilen noch gelingt, ihn fernzuhalten, wenn die Kinder vor 
Auftreten des Hautexanthems rechtzeitig in Isolierstationen verlegt wurden, 
konnten wir wiederholt beobachten. 

Flüchtige Erytheme der Haut, meist der des Gesichts, der Brust- 
und Oberbauchgegend wurden wiederholt, im ganzen aber doch sehr selten, 
notiert; es sind nur die gemeint, die früh im Krankheitsverlauf und vor 
Anwendung von Diphtherieserum sich zeigten. 

Wichtig sind die Erscheinungen von seiten der Nieren 1 ), die am 
Krankenbett beobachtet werden. Wir müssen scheiden zwischen leichten, 
oft nur in einer Opaleszenz der erhitzten Flüssigkeitsschicht bei der 
Salpetersäure-Kochprobe sich kundtuenden toxischen oder febrilen 
Albuminurien und echten mehr oder minder schweren und verschieden 
langdauernden nephritischen Reizungen mit reichlicherem Eiweiss¬ 
gehalt und gewöhnlich auch mit Blutgehalt des Urins und Zylindern, 
Zelltrümmern und Leukozyten im Sediment. Ueber die Häufigkeit dieser 
echten begleitenden Nierenentzündungen gibt die frühere Tabelle D Aus¬ 
kunft. Die erste Gruppe — Kinder unter 1 Jahr — ist hier un¬ 
zuverlässig, da es nur sehr selten gelang, Harn zur Untersuchung zu ge¬ 
winnen, aus den übrigen ergibt sich das wichtige Faktum, dass auch 

1) cf. auch F. Reiche, Beiträge zur Kenntnis der Diphtherie. Jahrb. d. Ham¬ 
burger Staatskrankenanstalt. Bd.4. 1893/94; und Nierenveränderungen bei Diphtherie. 
Zentralbl. f. innere Med. 1895. Nr. 50. 


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224 


F. REICHE 


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bei leichtefti Ablaufforraen der Diphtherie die Nieren schwer leiden 
können. Es fand sich dieses 

unter 2757 leichten Fällen.22 mal oder zu 0,8 pCt. 

„ 1843 mitttelschweren Fällen . . 27 „ „ „2 „ 

„ 2592 schweren Fällen.179 7 ? „ „ 6,9 „ 

„ 839 letalen Fällen.60 „ „ „ 7,2 „ 

Die Prognose dieser Nephritiden, soweit diese allein in Betracht 
kommen, ist quoad Ausheilung eine recht gute. Die dazu notwendige 
Zeit schwankt sehr in den einzelnen Fällen, und wiederholt wurde bei 
langer Dauer ein Kind vor Ablauf der letzten renalen Symptome gegen 
unseren Willen aus der Krankenhausbeobachtung genommen. In allen 
übrigen Fällen jedoch konnten wir ihre Ausheilung registrieren, selbst 
in schweren und langdauernden Formen nnd oft trotz der Unmöglichkeit 
der Durchführung reizlosester blander Diät, wo das übrige Befinden eine 
kräftige Ernährung und Verabreichung von Weinen erforderte. In der 
Mehrzahl unserer Beobachtungen kam es zu einer raschen Abheilung. 
Kinder neigen mehr zu dieser Komplikation als Erwachsene. Vor dem 
15. Lebensjahr hatten wir sie mit 184 Fällen zu 3,7 pCt., nach diesem 
Lebensabschnitt mit 54 Fällen zu 2,1 pCt. 

Viel häufiger sind die ersterwähnten toxisch-infektiösen Eiweiss- 
absonderungen. Sie kamen in mehr als der Hälfte, in den schwer ver¬ 
laufenden Fällen in rund drei Viertel zu unserer Kenntnis; sie waren fast 
ganz an die Tage des Fiebers bzw. der noch nicht beseitigten Rachen¬ 
veränderungen gebunden und konnten gelegentlich die Vorläufer einer 
echten nephritischen Reizung sein. Auch sie zeigten sich zuweilen in 
leichtesten Verlaufsformen und fehlten hin und wieder bei den gravst 
affizierten Patienten. 

Späte passagäre Albuminurien, die, nach lange freiem Urin, in 
der 2.—3. Krankheitswoche bei bereits begonnener Rekonvaleszenz ent¬ 
deckt wurden, waren selten. Da die Serumbehandlung in der über¬ 
wiegend grössten Zahl unserer — zumal der schweren — Fälle durch¬ 
geführt wurde, mag ein Teil auf die vorangegangene Injektion artfremden 
Eiweisses zu beziehen sein. Die gleiche Deutung scheint mir für 
spät eingetretene ausgeprägte Nephritiden bei Kindern in der dritten 
Krankheitswoche nach schweren Diphtherien nicht zutreffend zu sein, 
denn unter 9 hierhergehörigen Fällen war in einem Antidiphtherieserum 
überhaupt nicht zur Anwendung gekommen, ferner lag die Serum¬ 
einspritzung durchweg über 14 Tage zurück und schliesslich hätte man 
bei so intensiver Reaktion seitens der Nieren bei diesen Kranken wohl noch 
andere Symptome der Serumkrankheit gleichzeitig erwarten können. 
Ebenso ist es nicht angängig, hier an eine vorangegangene Scharlach¬ 
diphtherie bei Skarlatina sine exanthemate zu denken, denn eine echte 
Skarlatina hätte in unseren vollbesetzten Krankensälen sicher zu Haus- 


Gck igle 


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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


225 


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infektionen geführt, wenn sie wochenlang unentdeckt zwischen den übrigen 
Diphtheriekindern gelegen hätte. 

Der Hervorhebung wert erscheinen mir des Weiteren noch zwei 
Beobachtungen sehr schwerer Hämaturie bei Erwachsenen; ich habe 
sie in eingeklammerten Zahlen mit in die Uebersicht unserer Nephritis¬ 
fälle aufgenoramen. Sie trateu beide Male in der 2. Krankheitswoche 
nach Rückbildung der Rachen Veränderungen ein, das eine Mal bei einem 
32 jährigen kyphoskoliotischen Manne nach einer mittelschweren Diphtherie 
und hier von 3 tägiger Dauer, das andere Mal bei einem 19 jährigen sehr 
kräftigen Manne von 5 tägigem Bestände, woran sich noch über 11 weitere 
Tage Blutspuren, zuletzt nur noch mikroskopische, im Harn anschlossen. 
Hier waren durch mehr als 3 Wochen dann noch geringe Ei weissmengen 
im Urin und im Sediment Zylinder nachweisbar, bei den erstgenannten 
Kranken war mit Aufhören der Blutung auch das Harnzentrifugat wieder 
ohne pathologische Beimengungen, auch fanden sich, als der Kranke 
1% Jahre später wieder mit Pyelitis auf meine interne Abteilung 
kam, wiederholt in seinem Urin nur Leukozyten, keine nephritischen 
Formelemente. Röntgenbilder der Nieren ergaben wegen der schweren 
Rückgratsverkrümmung hier keine verwertbaren Befunde, bei dem anderen 
Patienten konnten wir einen Stein durch die Durchleuchtung ausschliessen. 

Ueber das Auftreten von Azeton im Urin von Diphtheriekranken 
habe ich 1911 nach Untersuchungen von 3200 Patienten berichtet 1 ). 
Die Untersuchung war bei 2079 oder 65 pCt. positiv gewesen. Unsere 
Hoffnung, aus dem Vorhandensein einer Azetonurie als Ausdruck einer 
tiefen Stoffwechselstörung diagnostische und vielleicht auch pro¬ 
gnostische Schlüsse zu gewinnen, bewährte sich nicht. Sie war bei 
Kindern sehr viel häufiger zugegen als bei Erwachsenen, unter 2056 
vom 2. bis zum 15. Lebensjahre zu 72 pCt., unter 1141 Erwachsenen 
nach dem 15. Jahre zu 52,3 pCt., direkte Abhängigkeit von der Höhe 
der Fiebersteigerung ergab sich nicht, wohl aber von der jeweiligen Ver¬ 
laufsschwere der Krankheit. 

Von den Patienten mit Albuminurien oder Nephritis hatten 80 pCt. 
auch Azeton im Harn; es besteht somit eine gewisse, wenn auch nicht 
bedingungslose Beziehung zwischen diesen beiden Erscheinungen. 

Die Ehrlichsche Paradimethylamidobenzaldehydreaktion wurde 
bei 370 Kranken während der Zeit ihrer Rachenaffektion täglich und 
stets mit dem frisch gelassenen Harn ausgeführt. 157 Fälle verliefen 
leicht, hier wurde 11 mal oder zu 7 pCt. ein positives Ergebnis erzielt, 
128 mittelschwer mit 14 oder 10,9 pCt. positiven Reaktionen, 85 schwer 
mit 11,8 pCt. positiven Reaktionen. Eine Urobilinurie ist hiernach mit 
im Ganzen 9,5 pCt. und mit 11,8 pCt. in graven Verlaufsformen ein, 


1) F. Reiche, Azetonurie bei Diphtherie und akuten Halsentzündungen. 
Münchener med. Wochenschr. 1911. Nr. 41. 



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226 F. REICHE, 

zumal im Vergleich zu anderen Affektionen wie Skarlatina, seltenes Vor¬ 
kommnis, dessen Eintritt nur verhältnismässig wenig durch die Schwere 
der Diphtherie begünstigt wird. Sie war bei einem unserer Kranken be¬ 
reits am 1. Krankheitstage vorhanden, bei 9 am 2., bei 6 am 3., bei 10 
am 4., und bei den übrigen 9 an späteren Tagen. Sie hielt sich meist 
nur kurze Zeit, niemals über 3 Tage. 

In weiteren 14 mit Skarlatina komplizierten Diphtherien war die 
Benzaldehydreaktion ausnahmslos und stets gleich am Tage der Auf¬ 
nahme, dem 1. oder 2. Krankheitstage zugegen. In diesem Sinne darf 
sie einen gewissen diagnostischen Wert beanspruchen. Einen solchen 
schrieb Umber ihr auch in der Trennung des Scharlachexanthems und 
des Serumexanthems zu, da sie bei jenem zu 96 pCt. sich zeigt, bei 
diesem nie beobachtet wurde. Auch wir konnten sie bei 22 schweren 
Serumexanthemen niemals nachweisen und danken dem Um berschen 
Hinweis manche rechtzeitige Entfernung ausbrechender Scharlach¬ 
erkrankungen von unseren Diphtheriepavillons. 

Unsere Beobachtungen über Komplikationen seitens des Herzens 
hat Lee de eingehend mitgeteilt 1 ). 

Begleitende Lungenaffektionen waren sehr häufig. 3 Kinder be¬ 
kamen im Anschluss .an solche bronchopneumonische und pneumonische 
Prozesse ein Empyem, das durch Rippenresektion ausheilte, eine 
19jährige Erwachsene eine Unterlappengangrän, die zur Operation 
und zur Heilung mit Bildung einer kleinen Fistel kam. 

Lähmungen schlossen sich an schwere und auch mittelschwere 
Verlaufsbilder von Diphtherie bei vielen Patienten an; mit Zahlen 
können wir dieses Vorkommnis nicht belegen, da diese Komplikationen 
sich erst recht häufig nach der Entlassung der Kranken aus dem 
Krankenhaus einstellten. Die Prädilektionszeit war die 6. und mehr 
noch die 7. Krankheitswoche; in einer Reihe von Fällen trat in der 
10. und 11. Woche noch ein schwerer Nachschub der Paralysen 
ein. Postdiphtherische Abduzenslähmungen wurden verhältnis¬ 
mässig häufig, stets in Kombinationen mit anderen Lösungen, be¬ 
obachtet, eine einseitige Fazialislähmung nur einmal bei einem 
20 jährigen Mädchen, bei dem sie in der 7. Krankheitswoche entstehend 
nach 14 Tagen wieder ausgeheilt war. Rother 2 ) hat bis Ende 1911 
von 4168 meiner Kranken 34 mit Abduzenslähmungen zusammengestellt; 
vorwiegend waren Knaben zwischen 5 und 15 Jahren betroffen, der 
Durchschnittstermin für ihr Auftreten war der 35. Tag, am häufigsten 
wurde der linke Abduzens ergriffen, 3 mal öfter als der rechte, und 


1 ) W. Leede, Beiträge zur Diphtherie mit besonderer Berücksichtigung der 
pathologisch-anatomischen Organ- und bakteriologischer Leichenblutbefunde in ihrem 
Verhalten zum klinischen Bilde. Diese Zeitschr. 1913, Bd. 77. 

2) C.Rother, Ueber postdiphtherische Abduzenslähmungen. Diss. Leipzigl912. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


227 


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noch seltener beide Abduzentes. Die Prognose ist eine gute; Nach¬ 
untersuchungen ergaben bis auf 1 Fall eine Restitutio ad integrum. 

Eine Meningitis serosa, die nur auf die Diphtherie zurückzuführen 
war, kam bei einem 7 jährigen Mädchen und einem 6 jährigen Knaben 
zur Beobachtung; sie ging beidemale in Heilung über. Blut und Spinal¬ 
flüssigkeit war bei beiden Patienten steril. Ich habe diese Fälle mit 
6 weiteren Hirnhautentzündungen veröffentlicht 1 ), welche unter obigen 
rund 8000 Diphtherien sich ereigneten, die aber sämtlich sich als durch 
Mischinfektionen bedingt erwiesen; Weichselbaumsche Meningokokken, 
Streptokokken, Staphylokokken, Pneumokokken und Kolibazillen wurden 
bei ihnen aus dem intra vitara gewonnenen Liquor spinalis isoliert. 

Die seltene Hemiplegia postdiphtherica schloss sich an vier 
schwerverlaufene Fälle mit grosser Herzschwäche im Alter von 3, 8, 18 
und 24 Jahren an; dreimal führte die Krankheit zum Tode, bei einem 
8 jährigen Mädchen trat Heilung von der Diphtherie und der begleitenden 
Nephritis und anfänglich auch gute Rückbildung der hemiparetischen Er¬ 
scheinungen ein, 2 Jahre später war aber eine starke Beeinträchtigung 
der Extremitäten der befallenen Seite durch Schwäche und Athetosis des 
Armes und spastische Rigidität des Beines wieder vorhanden. Die Sektion 
ergab bei zweien der Kranken Erweichungsherde in der motorischen 
Region der betreffenden Grosshirnhemisphäre, bei dem dritten fehlte jeder 
makroskopische anatomische Befund; embolische Gefässverschlüsse waren 
in keinem dieser Fälle nachzuweisen, Thromben in der Wand des rechten 
Herzens nur in einem zugegen. Leede hat diese Fälle ausführlich be¬ 
schrieben 2 ). Eine bulbäre Sprachstörung entwickelte sich bei einem 
58jährigen Manne in der Rekonvaleszenz; in monatelanger Beobachtung 
erfolgte nur wenig Aufbesserung. 

Dem Verhalten des Blutes wurde besondere Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt. Willrich 8 ) fand in 42 — darunter 20 schweren — Fällen, 
dass die Zahl der roten Blutkörperchen und im Allgemeinen parallel 
damit, wenn auch weniger deutlich, das Hämoglobin eine Herabsetzung 
erfährt, Poikilozytose, Schizozytose, melaninhaltige Zellen und Erythro- 
blasten wurden nie beobachtet. Die Leukozyten erfahren oft eine 
hochgradige Vermehrung, die keinen Gesetzen folgt, vor allem nicht 
von Temperatur, entzündlichen Erscheinungen und Puls unabhängig ist. 
Das weisse Blutbild erleidet nur hinsichtlich der azidophilen Zellen eine 
wesentliche quantitative Veränderung; ihre Zahl geht bei schweren, 
letalen Fällen bis zum völligen Fehlen zurück, in leichten und mittel¬ 
schweren Verlaufsformen ist sie erhöht. Sie sind im Anfang fast nicht 

1) F. Reiche, Meningitis bei Diphtherie. Zentralbl. f. Kinderheilk. 1914. 

2) W. Leede, Die Hemiplegia postdiphtherica. Zeitschr. f. Kinderheilk. 1913. 
Bd. 8 H. 1. 

3) G. Willrich, Das Blutbild bei Diphtherie als Hilfsmittel für die Diagnose 
und Prognose. Jahrb. d. Hamb. Staatskrankenanst. Bd. 21. H. 1. 



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228 


F. REICHE, 


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vorhanden, sie nehmen dann in den ersten Krankheitstagen bis zu einem 
Höhepunkt zu und gehen weiterhin in wellenförmiger Kurve auf mittel¬ 
hohe Werte herunter. 

So hat das Vorkommen von eosinophilen Leukozyten einen dia¬ 
gnostischen, vor allem aber einen prognostischen Wert. 

Blutdruckmessungen führte Cobliner 1 ) bei 138 meiner Kranken, 
durchweg Erwachsenen, mit dem von Deneke modifizierten Riva- 
Roccischen Apparat durch. Es zeigten sich tiefe und langdauernde 
Senkungen des Blutdrucks in einer grossen Zahl von sch wer verlaufenden 
Fällen; sie konnten schweren und tödlichen Herzkomplikationen schon 
tagelang voraufgehen. 

Vielfach wurden kulturelle Blutuntersuchungen bei unseren 
Patienten vorgenommen. Einen grossen Teil unserer Befunde haben 
Leede 2 ) und Roedelius 3 ) bereits in ihren Arbeiten niedergelegt. Ich 
kann sie um 56 weitere Fälle vervollständigen, die 186 Fälle von 
Roedelius (einer, der erste, fällt weg, da hier neben der mittelschweren 
Diphtherie eine infizierte Hautwunde vorlag, die anscheinend zu der bei 
ihm nachgewiesenen Sepsis per diplococcum lanceolatum geführt hatte) 
auf 242 vermehren. 1910 wurden 3, 1911 104, 1912 64 und 1913 
71 Fälle vital bakteriologisch untersucht, 9 von den schweren Verlaufs¬ 
formen je 2 mal und 1 3 mal, und 2 von den mittelschweren Verlaufs¬ 
formen je 3 mal. Letztere sind in der Gesamtsumme mit 17, erstere 
mit 225 Fällen vertreten, es handelt sich demnach um insgesamt 236 
einzelne Blutentnahmen in jener, um 21 in dieser Gruppe. Sie werden 
in nachfolgender Uebersicht in ihrer Beziehung zum Krankheitstag ver¬ 
anschaulicht. 



? 

I 

2 - 

)ie Blutnahme erfolgte 
3. | 4. | 5. | 6. 17.18. 
K rankheitstag 

am 

q 1 mehr als 
| dem 9. 

Summe 

In mittelschweren Diphtherien bei Patienten 












im Alter von 1— 5 Jahren bei .... 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

£-15 „ „ - 

— 

3 

1 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

7 

15-25 „ . - 

— 

2 

2 

2 

1 

1 

— 

1 

— 

4 

13 

In schweren Diphtherien bei Patienten 












im Alter von 1— 5 Jahren bei .... 

— 

1 

2 

— 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

5 

5-15 * ..... 

2 

8 

26 

28 

17 

8 

4 

4 

1 

3 

101 

15-25 „ ..... 

— 

8 

18 

10 

13 

12 

2 

2 

1 

10 

76 

25-50 r ..... 

3 

6 

12 

8 

13 

4 

— 

1 

2 

2 

51 

über 50 . ..... 


— 

— 

1 

1 

— 



_ 1 _ 

— 

_3 


5 

28 

61 

50 

48 

26 

7 

8 

5 

19 

257 


1 ) W. Cobliner, Blutdruckmessungen bei erwachsenen Diphtheriekranken. 
Inaug.-Diss. Berlin 1912. 

2) W. Leede, Bakteriologische Blutbefunde bei Diphtherie. Zeitschr. f. Hyg. 
u. Infektionskrankh. 1911. Bd. 69. 

3) Roedelius, Ueber das Vorkommen von Diphtheriebazillen im strömenden 
Blut. Ebenda. 1913. Bd. 70. 



_ QriginaLfrom _ 

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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 229 


Positive Ergebnisse hatten wir in 9 Fällen: 

1. 1910: 4762. W.,45J., Blut am 6. Tage entnommen: Streptokokken u. Diphtherie¬ 


2 . 

1911 

8022. 

R., 9 J., 

71 

„u- 

71 

71 

bazillen, 

Diphtheriebazillen, 

3. 

1911 

8401. 

A., 4 J., 

n 

* 5 - 

TI 

71 

77 

4. 

1911 

26475. 

D.,15J., 

r> 

» 5 - 

71 

71 

r 

Streptococcus haemol. 

5. 

1911 

27264. 

A., 9J., 

71 

9 

71 

71 

71 71 

6 . 

1911 

15769. 

M., 5J., 

n 

„27. 

7 ? 

71 

71 71 

7. 

1911 

24159. 

L.,22J., 

r> 

„ »■ 

71 

71 

71 71 

8 . 

1913 

6219. 

B.,40J., 

r> 

„19. 

71 

71 

71 71 

9. 

1913 

8649. 

V.,17J, 

71 

„ 14. 

7) 

71 

gramposit. Staphylokokken. 


in allen übrigen Entnahmen, also in rund 96 pOt. der Gesamtzahl, 
war das Blut steril. 

Diphtheriebazillen wurden 3 mal, einmal zusammen mit Strepto¬ 
kokken, im Blut nachgewiesen; 2 dieser Fälle verliefen tödlich, 12 und 
2 Tage nachdem dieser Befund erhoben war, der 3., ein Mädchen von 
4 Jahren, genas von ihrer sehr schweren Rachen-, Nasen- und Lippen¬ 
diphtherie, die schon vom 4. Krankheitstage an eine schwere hämor¬ 
rhagische Diathese komplizierte. Von den eine Streptokokken¬ 
invasion in die Blutbahn aufweisenden Patienten genas nur eine, 
eine 22 jährige Patientin, bei der schon früh eine schwere Pneumonie 
neben der an sich nur mittelschweren Diphtherie einsetzte, und im 
weiteren Verlauf noch eine Entzündung eines Hüftgelenks hinzutrat. 
Das klinische Bild spricht hier für eine Sepsis, nicht eine einfache 
Bakteriämie. 

Dass das Fieber bei der Diphtherie weder in ihrer leichten, noch 
in ihrer schweren Form typische, massgebende, diagnostisch oder pro¬ 
gnostisch verwertbare Verhältnisse zeigt, ist in den Lehrbüchern genügend 
hervorgehoben. Nur ganz allgemein bedeutet, darin ist Baginsky zu¬ 
zustimmen, ein allmähliches Niedergehen anfänglich hoher 
Temperaturen einen normalen Ablauf, und ist bei den späteren Er¬ 
hebungen der Körperwärme auf Komplikationen zu fahnden. Der 
Beginn der Krankheit ist recht häufig von Fieber begleitet. Uns fiel es 
auf, wie oft gerade in sehr schweren Verlaufsarten eine wesentliche 
Steigerung der Körperwärme vermisst wurde. Ein auffallend grosser 
Prozentsatz gerade dieser Fälle wird uns jedoch erst an späteren 
Krankheitstagen, vom 3. an, eingeliefert, während die leichten und mittel¬ 
schweren gewöhnlich sehr viel früher in Krankenhausbeobachtung ge¬ 
langen. Will man hier, zumal im Hinblick auf die Prognose, brauchbare 
Vergleiche anstellen, so muss man nur die an den ersten beiden 
Krankheitstagen eingelieferten und klinisch gemessenen Patienten heran¬ 
ziehen. Das sind 4058 unserer Kranken, über die die Tabelle E. Aus¬ 
kunft gibt. 


Digitized b' 


Google 


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230 


F. REICHE 


Digitized by 


Tabelle E. 


Die höchste Temperatur am 1. und 2. Krankheitstage 


37 bis 
38° 

stan 

38 bis 
39o 1 

d zwis 
39 bis 
400 

chen 

|40 bis|41 bis 
41° | 420 

bei 

oder nach Prozentei 
37 bis|38 bis]39 bis'40 bis' 
380 | 390 | 400 | 410 

1 

41 bis 
42o 

in der 
Altersklasse 

8 

9 

2 

1 

_ 

20 

1 

40 | 

45 

10 

5 

_ 

11 

4 

4 

3 

— 

— 

11 

36,4 

36,4 

27,3 

— 

— 

II> bis 1 Jahr 

4 

6 

5 

2 

4 

21 

19 

28,6 1 

23,8 

9,5 

19 

ml 

126 

168 

94 

21 

— 

409 

80,8 

41,1 

23 

5,1 

_ 

11 

77 

113 

110 

27 

1 

328 

23,5 

34,4 

33,5 

8,2 

0,3 

II > 1—5 Jahre 

51 

136 

105 

36 J 

4 

332 

15,4 

41 

31,6 

10,8 

1,2 

ml 

169 

323 

218 

56 

1 

767 

22 

42,2 

28,4 

7,3 

0,1 

ii 

49 

194 

220 

74 

— 

537 

9,1 

36,1 

41 

13,8 


11} 5-15 Jahre 

49 

148 

172 

69 

1 

439 

11,2 

33,7 

39,2 

15,7 

0,2 

IIIJ 

158 

200 

138 

13 

— 

509 

31 ! 

39,3 

27,1 

2,6 

— 

11 

29 

85 

76 i 

20 

— 

210 

13,8 

40,5 

36,2 

9,2 

— 

11} 15-25 Jahre 

13 

42 

54 

28 

— 

137 

9,5 

30,6 

39,4 

20,5 

— 

III) 

50 

77 

42 

3 

— 

172 

29,4 

44,8 

24,4 

1,7 

— 

11 

13 

29 

32 

5 

— 

79 

16,5 

36,7 

40,5 

6,3 

— 

II }25-50 Jahre 

11 

24 

35 

6 

— 

76 

14,5 

31,6 

46 

7,9 

— 

ml 

— . 

4 

3 

1 

2 

— 

— 

5 

5 

— 

80 

20 

— 

— 

n 1 












ml 50 Jahre 


1 

—— 



1 





1 — 

I 1 U 


Zusammen 4058 # 


Ziehen wir die verschiedenen Gruppen zusammen, so lag die höchste 
Temperatur in Gruppe 


zwischen 3< 

[-38° 

38-39° 

39-40° 

0 

1 

s 

41-42 

I (1882 Fälle) bei ... . 

511 

781 

495 

94 

1 

II (1170 Fälle) „ .... 

172 

427 

444 

126 

1 

UI (1006 Fälle) „ .... 

128 

357 

371 

141 

9 

oder in Prozenten in Gruppe 

I bei. 

27,2 

41,5 

26,3 

5 


n .. 

14,7 

36,5 

37,9 

10,8 

0,1 

in „. 

12,7 

35,5 

36,9 

14 

0,9 


Ganz allgemeine Beziehungen sind hier unschwer zu erkennen: 
niedere Temperatur begleiten doch weit häufiger die leichteren, hohe die 
schwereren Diphtherien an ihren frühen Krankheitstagen. 

19 mal, also im ganzen in einer Häufigkeit von 0,26 pCt., kamen 
unter meinen 7314 Fällen Appendizitiden 1 ) zur Beobachtung, 3 mal 
bei Patienten im Alter von über 12 Monaten bis zu 5 Jahren, 9 mal bei 
Patienten von 5 bis 15 Jahren, 7 mal bei Erwachsenen. Der jüngste 
Kranke zählte 4, der älteste 36 Jahre. 11 mal war eine schwere 
Diphtherie voraufgegangen, 3 mal eine mittelschwere und 5 mal eine 
leichte. Die Erkrankung des Wurmfortsatzes entwickelte sich bei 4 bereits 
auf der vollen Höhe des primären Leidens, bei 5 in der 1., bei 7 in 
der 2. Krankheitswoche, bei den übrigen 3 zwischen 22. und 36. Krank- 

1) F. Reiche, Erkrankungen des Appendix (in einem Falle mit anschliessender 
Pylephlebitis) nach Diphtherie. Mitteil. a.d. Grenzgeb. d. Med. u.Chir. 1913. Bd.27. 11.2. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 






1 


Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 231 


heitstage. Sie bot bei 14 unserer Kranken ein leichtes bis mittelschweres 
Bild, 5 dieser Appendizitiden waren ausgesprochen schwer, 3 von 
ihnen verliefen letal, der eine durch eiterige Phlebitis einer Mesenterial¬ 
vene mit anschliessender Pylephlebitis. 

Die Mitbeteiligung des Appendix wird wohl nicht von der spezifischen 
diphtherischen Angina beherrscht, sondern von der Rachenentzündung als 
solcher und der sie begleitenden Mischinfektion, jedoch weniger in dem 
Sinne bakteriämischer Metastasen, die nur in einzelnen unserer 
Fälle anzunehmen wären, sondern auf dem Wege lokaler Alterationen 
des Processus vermiformis, wie wir sie häufig bei Sektionen von Diphtherie¬ 
leichen in Form von Schwellungen der Mukosa und ihres Follikelapparats 
antreffen. 

Ueber die Mortalität unter unseren 7314 Kranken und in den 
einzelnen nach Alter und Krankheitsschwere aufgestellten Unterabteilungen 
ist bereits in unserer Haupttabelle (S. 211) Mitteilung gemacht. Es 
erübrigt noch, sie nach dem Krankheitstage, an dem sie erlagen, zu 
ordnen. Wir fanden hier folgende Zahlen: 


Tabelle F. 











Es verstarben am 






-i-s 

a 

a 

cö 

Im Alter 

1. | 

2 . i 

3. 

4. i 

5. ' 

1 

6. ! 

7 .| 

s. 

9. 

10 -i 

1L i 

H ,3 -i 

u. 

1 15.bis' 
21. , 

22.bis 

28. 

29.bis' 
35. | 

an spä¬ 
teren 

es 

<v 

ja 

s 

1 

Ul 









Y 

irankheitstag 






5 

bis zu 1 Jahr . . 

1 

1 

1 

3 

1 3 

4 

8 

1 

2 

2 1 

2 

i, 

1 ! 

12 

1 


2 

1 

1 

1 11 

47 

von 1“5 Jahren . 

2 

5 

30 

46 

56 

36 

28 

24 ; 

17 

23 i 

16 

20 10 

6 

23 | 

12 

7 

10 1 

23 

394 

von 5 — 15 Jahren 

— 

9 

19 

43 

35, 

38 

20 1 

1 29 1 

21 1 

17 

22 1 

21 12 

10 l 

43 

5 

4 

7 

! 6 

361 

von 15~25 Jahren 

1 

2 

3 

3 

3 

1 6 

3 1 

3 

2 

2 ! 

3 1 

6 1 

1 

8 1 

1 2 

1 1 

, 3 

1 

54 

von 25—50 Jahren 

— 

— 

— 

6 

6 

1 2 

— 

— 

1 

1 1 


21 1 

1 1 

2 

1 

l 

3 

— 

27 

von über 50 Jahren 

— 

— 

— 

— 

1 


— 

1 11 

— 

— 

_ 

— | — 

— 1 

1 

— 

— 

— 

1 — 

3 

Summa . . . 

4 

19 

55 

102 

109 

83 

53 

59 

| 43 

I 44 

42 

50,26 19 

1 77 

i 22 

14 

24 

i 41 

886 


Es waren also verstorben: 


bis zum 3. Krankheitstage 
7 

n ri * • n 



in der 
von 0—15 Jahren 
(802 Verstorbene) 

72 = 8,8 pCt. 
389 = 48,5 „ 
647 = 80,7 „ 
713 = 88,9 „ 


ersgruppe 
von über 15 Jahren 
(84 Verstorbene) 

6 = 7,1 pCt. 
36 = 42,9 „ 
61=72,6 „ 

72 = 85,7 „ 


Alt 


Gehen wir nun zur Behandlung unserer Fälle über, so möchte ich 
kurz vorwegnehmen, dass die allgemeine Diätetik sich in den überall 
geübten Formen bewegte, und Medikamente im allgemeinen während der 
ersten Tage des Krankenhausaufenthalts nicht zur Anwendung gelangten, 
mit Ausnahme einer kleinen Gruppe von 200 hintereinander aufgenommenen 
Patienten, bei denen zweistündlich Tag und Nacht eine Chlorkalium¬ 
lösung und unmittelbar danach eine Salzsäuremixtur nach Hegers und 
Alys Vorschlag gegeben wurde; wir nahmen von dieser durch die 

Zeitschr. f. kliu. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. lg 


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232 


F. REICHE, 


Störungen des Schlafes für die Patienten recht quälenden Therapie wieder 
Abstand, da wir keinerlei lokale Erfolge in den schweren Fällen und keine 
Beeinflussung der Sterblichkeit dadurch sahen. 

Die bei uns, wo immer es notwendig und angängig erschien, durch¬ 
geführte Behandlung bestand in der Injektion des Behringschen 
Serums. Nur dort wurde es nicht verwandt, wo ganz leichte Ver¬ 
laufsformen Vorlagen, wo die Patienten an sehr späten Krankheitstagen 
oder wo sie moribund aufgenommen wurden oder, zur Vermeidung 
anaphylaktischer Erscheinungen, nicht selten bei solchen Patienten, bei 
denen früher bereits einmal eine Diphtherie mit Antitoxineinspritzung 
behandelt worden war. 

Die leicht übersichtliche Tabelle G enthält die Ergebnisse unserer 
Behandlung, geordnet nach dem Tage, an dem das Serum zur An¬ 
wendung kam. 

Tabelle G. 


Alter 


Gesamt- ' 
summe 

Es erhielten: 
kein Serum | 

Kranklieitstagl 
unbestimmt | 

Krankheitstag, an dem das Serum 
Anwendung kam 

1. 2. 1 3. 4. 5. 6. 7. 

zur 

1 Uber 
|7 Tape 


bis 1 Jahr I 

geh. 

37 

9 

6 

6 

i 12 

1 

1 2 

1 

_ 


1 _ 

28 

II 


19 

1 

1 

5 

6 

3 

2 


— 

— 

i 

18 

III 

/ r 

19 

— 

1 

2 

8 

6 


— 

1 

I 

1 

19 

l gest. 

47 

5 

11 

3 

9 

8 

7 

1 

— 

i 

2 

42 

1—5 Jahre I 

geh. 

52G 

‘ 63 

6 

129 

210 

78 

25 

3 

3 

3 

6 

463 

II 


522 

13 

11 

85 

235 

93 

37 

25 

9 

6 

8 

509 

III 

1 - 

462 

10 

6 

58 

167 

114 

58 

22 

11 

5 

11 

452 

l gest. 

394 

29 

23 

21 

81 

101 

62 

36 

13 

8 

20 

365 

5—15 Jahre I 

geh. 

1059 

256 

8 

170 

384 

154 

53 

20 

3 

4 

7 

803 

II 


822 

37 

3 

136 

381 

166 

57 

21 

12 

3 

6 

785 

III < 

1 , 

828 

12 

7 

84 

296 

218 

112 

52 

18 

9 

20 

816 

t gest. 

361 

25 

6 

11 

66 

104 

65 

40 

20 

7 

17 

336 

15-25 Jahre I 

geh. 

871 

397 

4 

45 

249 

111 

39 

13 

5 

3 

3 

474 

11 


351 

28 

1 

24 

168 

83 

24 

11 

4 

4 

1 4 

323 

m| 

( , 

276 

9 

— 

24 

95 

89 

28 

15 

7 

1 3 

6 

267 

[ gest. 

54 

4 

1 

1 

15 

10 

14 

4 

3 


2 

50 

25—50 Jahre I 

geh. 

291 

130 

1 

18 

84 

40 

11 

1 

1 

2 

3 

161 

II 

r> 

142 

18 

1 

14 

52 

33 | 

! 12 

7 

1 

i 

3 

124 

111 < 

r . 

179 

7 

— 

9 J 

71 

56 

12 

14 

5 

i 

4 

172 

1 gest. 

27 

5 

— 

1 I 

4 

4 

3 

7 

1 I 

| 1 

1 

22 

über 50 Jahre I 

geh. 

10 

6 

1 


1 

2 

— 

— | 

— 

— 

— 

4 

II 


6 

— 

— 


5 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

6 


r „ 

8 

— 

— 

— 

1 

4 ! 

1 

1 

1 

— 

— 

8 

l gest. 

3 

— 

— 

— 1 

— 


2 

1 

— 1 

— 

— 

3 

Zusammen . . . 

7314 

1064 

98 

846 1 

2600 

1478 

627 1 

295 

118 

63 

125 

6250 

Davon starben . . . 


886 

68 

41 

37 

175 

227 

153 

89 

37 

17 

42 

818 

Mortalität in pCt. 

Nach Abrechnung der in 
den ersten 24Std.-Spital- 
aufenthalt Verstorbenen 

12,1 

6,4 

41,9 

4,4 

6,7 

15,4 

24,4, 

30,2 

31,4 

27 

33,6 

13,1 

zusammen. 


7113 

1019 

85 

840 

2579 

1438 

592 

262 

114 

62 

122 

6094 

Davon starben . . . 


685 

23 

21 

31 

154 

187 

118 

56 

33 

16 

39 

662 

Mortalität in pCt. . 


9,6 

2,3 

32,9 

3,7 | 

6 

13 

19,9 

21,4 

29 

26 

32 

10,9 


Difitized by 


Go igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 








Die Hamburger Dipbtherieepidemie 1909 — 1914. 


233 


1064 Patienten erhielten kein Serum; 861 von ihnen, rund 81 pCt., 
waren leichte Diphtherien, zum grösseren Teil, zu fast zwei Dritteln, bei 
Erwachsenen. 

106 oder 10 pCt. waren schwere Verlaufsformen, und von ihnen 
endeten 68 oder 64,2 pCt. letal; das Hauptkontingent sind moribund Ein¬ 
gelieferte, nicht weniger als 45 starben am ersten Tage des Aufenthalts 
im Krankenhause. 


Es ist von Interesse, diese Fälle nach dem Tage ihrer Aufnahme 
ins Krankenhaus zu ordnen; rezipiert wurden 



am 1. 

2. 

3. | 4. | 5. | 6. 
Krankheitstag 

7. 

einem 

späteren 

im Ganzen. 

161 

331 

178 

106 

104 

40 

26 

118 

davon starben . 

4 

9 

7 

10 

14 

5 

5 

14 

oder in pCt. 

2,5 

2,7 

3,9 

9,4 

13,4 

12,5 

19,2 

11,9 

In der Gesamtzahl aller unserer 
Patienten (Tab. F.) starben . . . 

4 I 

1 19 

I 55 

102 

109 | 

l 83 

53 

461 


6250 unserer Kranken erhielten Serum; es wurde meist subkutan, 
in schweren Verlaufsformen aber auch häufig intravenös 1 ) zugeführt. 
Nur sehr wenige Patienten hatten das Mittel bereits draussen, vor der 
Aufnahme erhalten, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle fällt Auf¬ 
nahmetag und Injektionstag zusammen. In Formen mit vorschreitendem 
Charakter der lokalen Veränderungen wurde die Injektion am gleichen 
oder am folgenden Tage, nicht selten auch an mehreren späteren Tagen 
wiederholt. In der Tabelle ist immer der 1. Tag der Anwendung des 
Mittels verrechnet worden. 

(Tabellen H und I siehe umstehend.) 

Ueber die von uns verwandten Serummengen gibt Tabelle H ge¬ 
naueren Aufschluss, Tabelle I weiterhin enthält die durchschnitt¬ 
lichen Werte für jede einzelne Gruppe unserer Patienten. Aus beiden 
ist ersichtlich, in wie weitem Masse wir dem von vielen Seiten, ins¬ 
besondere auch aus der Heubnerschen Klinik gegebenen Rate Rechnung 
trugen, die Menge des' Antitoxins je nach der Schwere des Falles weit 
über die ursprünglich empfohlenen Gaben zu erhöhen. 

Kehren wir zu unserer Hauptübersicht zurück. Was aus ihr am 
deutlichsten heraustritt, ist eine — nur gegen Schluss einmal gering¬ 
fügig unterbrochene — progressive Erhebung der Mortalität je nach den 
Krankheitstagen, an denen Diphtherieserum eingespritzt worden war. 
Das trifft für die Gesamtheit und für die Auslese der schweren Verlaufs¬ 
formen zu, es zeigt sich bei den Kindern sowohl wie zum grösseren Teil 
auch bei den Erwachsenen, nur die Niveauhöhe dieser Kurven ist eine 
verschiedene. 

1) H. Fette, Die Behandlung der Diphtherie mit intravenösen Seruminjektionen. 
Med. Klinik. 1909. Bd. 50. 

IG* 


Digitized b' 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 







234 


F. REICHE, 


Ta- 


— 












- - - 

— 

— 

— 


Es erhielten Immunitäts¬ 
einheiten in den Alters- 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

o 

4000 

o 

o 

O 

O 

o 

o 


s 

8 


gruppen von 


o 

lO 

o 

2 

o 

»o 

s 

o 

CO 

uO 

o 

HO 






i 

2 

9 

10 

1 

_ 

3 

_ 

3 


_ 

_ 


_ 

_ 


0— 1 Jahr 

11 

— 

3 

14 

— 

— 

1 

— 

— 


— 

1 — 


— 

— 



iii 

1 

4 

21 

3 

15 

11 

— 

2 

4 

— 

_ 

— 

— 

— 



I 

1 

45 

333 

6 

3 

60 

— 

10 

4 

— 


1 

— 

— 


1—5 Jahren < 

11 

— 

14 

168 

5 

7 

247 

3 

8 

43 

— 

1 

11 

— 

1 



HI 

— 

2 

63 

5 

2 

339 

8 

14 

143 

6 

2 

188 

1 

1 



I 

4 

84 

53G 

31 

7 

104 

— 

34 

2 


— 

1 

— 

— 


5—15 Jahren 

II 

1 

18 

247 

6 

3 

360 

4 

30 

71 

1 

3 

38 

— 

— 



III 

— 

3 

39 

1 

2 

332 

2 

11 

198 

5 

10 

338 

3 

8 



I 

3 

52 

328 

9 

2 

67 

— 

7 

5 

— 

_ 

1 

— 

— 


15—25 Jahren < 

II 

— 

3 

126 

3 

3 

127 

2 

5 

20 1 

— 

— | 

27 

— 

1 



III 

— 

1 

17 

1 

1 2 

79 

— 

3 

32 

1 

— 

102 

— 

1 


1 

[ I 

— 

9 1 

124 

5 

— 

22, 

— 

— 

1 

— 


— 

— 

— 


25—50 Jahren < 

11 

— 

6 

38; 

5 

2 

54 j 

1 

1 

10 I 

— 


7 

— 

— 


1 

! m 

— 

1 1 

4 | 


2 1 

51 

— 

'1 

24 1 

1 

1 

48 

— 

6 



1 i 

— 

— i 

2 | 

1 

i 

— 

— 


— 

— 

— 

— 

— 

— 


über 50 Jahren j 

11 

1 iii 

— 

_ | 

2 

1 1 

_ 

1 

_ 

1 

3 

1 

_ 

2 ; 

— 


1 

_ 

_ 


Zusammen . 


12 i 

254 

2073 

83 

51 1 

1861 

21 

129 1 

559 j 

14' 

18 

763 1 

4 

18 


Gegeben wurden in 

I 

i°, 

199 

1333 

53 

13 

256 

— 

54 ^ 

12 i 

— 


3 

— 

— 


y> v v 

II 

i 1 

44 

595 

19 

15 

790 1 

11 

44 

144 

1 

4 1 

84 

— 

2 


r * n 

III 

1 

11 1 

145 

11 

23 

815 

10 

31, 

3031 

13 

14 ; 

676 

4 

16 



Tabelle I 


Altersklassen 

Zahl 

der Fälle 

Gegeben wurden 
insgesamt 
Einheiten 

Ab¬ 

gerundeter 

Durch¬ 

schnitt 


i i 

28 

49 500 

1770 

) 

0—1 Jahr { II 

18 

27 000 

1500 

> 2010 

Im 

61 

138 500 

2270 

) 

\ i 

463 

808 500 

1750 

\ 

1—5 Jahre < 11 

509 

1 356 500 

2665 

} 3130 

l m 

817 

3 434 000 

4200 

1 

t i 

803 

1 432 500 

1780 

\ 

5—15 Jahre J 11 

785 

2 215 500 

2820 

J 3560 

1 in 

1152 

6 108 500 

5300 

/ 

( i 

474 

806 000 

1700 

) 

15—25 Jahre { II 

323 

920 500 

2850 

} 3210 

1 III 

317 

1 856 500 

5860 

J 

| I 

161 

272 500 

1690 

1 

25-50 Jahre { II 

124 

334 500 

2700 

) 3760 

l III 

194 

1 200 000 

6190 

1 

( I 

4 

7 500 

1875 

) 

über 50 Jahre < 11 

6 

26 000 

4330 

} 4600 

l m_ 

11 

63 000 

5730 

J 

Insgesamt . . . 

6250 

21 057 000 

3370 


Davon in Gruppe I 

1933 

3 376 500 

1750 


* * * II 

1765 

4 880 000 

2760 


. r * HI 

2552 

12 800 500 

5020 



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Go igle 


-Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


235 


belle H. 


— 

— 

— 

— 







— 

— 









7500 

8000 

8500 

9000 

10000 

10500 

11000 

11500 

00021 

13000 

13500 

14000 

15000 

16000 

16500 

18000 

19 500 



— 

1 - 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

_ 


— 

— 

— 


_ 


— 

281 

18 } 107 

61 J 


1 

15 



17 

— 

2 

— 

— 

8 

i 

— 

— 


_ 

_ 



463 ) 

509 } 1789 
817 j 


2 

49 

5 

1 

"I 

92 

— 

5 

1 

1 

32 

— 

— 

2 

7 


1 

3 

1 

803 \ 

785 > 2740 
1152 1 


4 

9 

2 

— 

2 

40 

— 

2 

— 


14 


1 

— 

6 

1 

— 

3 

— 

474 ) 

323 } 1112 
317 ) 


8 

— 

— 

23 

1 

3 

— 

l 

9 

— 

1 

— 

7 

— 

— 

| 


161 ) 

124 ) 481 
194 J 


— 

— 

— 

3 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 




““ I 

— 

E 

6 1 

4 } 21 

11 J 


88 

7 

1 

178 

1 

13 

1 

2 

63 

_ 

1 

2 

2 

20 

1 

1 

8 ! 

1 

6250 


7 

81 

7 

1 

3 

175 

1 

1 

12 

1 

2 

63 

1 

2 

2 

20 

1 

1 

8 

1 



So sehen wir bei sämtlichen mit Serum Behandelten (cf. Tabelle G) 
eine Sterblichkeit 



am 1. 

I am 2. 

I am 3. | am 4. am 5. 
Krankheitstage 

am 6. 

am 7. 

von pCt. 

4,4 

6,7 

15,4 

24,4 

30,2 

31,4 

27 

schwer verliefen (III) .... 

214 

813 

714 

364 

193 

80 

35 

davon starben . 

37 

175 

227 

153 

89 

37 

17 

das sind pCt. 

17,3 

21,5 

31,8 

42 

46,1 

46,25 

48,6 

Kinder waren. 

710 

1855 

1046 

480 

221 1 

90 

46 

davon starben. 

35 

156 

213 

134 

77 

33 

16 

das sind pCt. 

4,9 

8,4 

20,4 

27,9 

34,8 

36,7 

34.8 

über 15 Jahre zählten .... 

136 

745 

432 

147 

74 

28 

17 

davon starben . 

2 

19 

14 

19 

12 

4 

1 

das sind pCt. 

1,5 

2,6 

3,2 

12,9 

16,2 

14,3 

6 


Nebenstehendes Diagramm stellt diese Ver¬ 
hältnisse graphisch dar; oben liegt die Kurve 
der schweren Erkrankungen (III), unten (aus¬ 
gezogen) die der Gesamtheit (G), und über 
und unter ihr die der Kinder (K) und der 
Erwachsenen (E) (beide gestrichelt). 

Was diese Zahlen lehren, ist auch früher 
beobachtet und hinreichend betont worden. 
Aus der grossen Reihe der vorliegenden Daten 
möchte ich nur einige wenige zitieren. 



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236 


P. REICHE, 


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Es starben von den am 

1. 2. 3. 4. 

Krankheitstag injizierten 

nach Rolleston ... 0 pCt. 3,1 pCt. 6,1 pCt. 10,6 pCt. 

„ Kossel. 0 „ 3 „ 13 „ 23 „ 

„ M. Cohn .... 1,3 „ 11.1 „ 16,5 „ 24,7 „ 

Dieses Moment, die rasch vorrückende Sterblichkeit, an je 
weiter vorgeschrittenem Krankheitstage die Serumbehandlung ein¬ 
geleitet wurde, ist dieser letzteren zugute geschrieben worden. Daneben 
wurde zu ihren Gunsten die sehr viel niedrigere Gesamtmortalität 
geltend gemacht, die seit 1895, der Einführung der Antitoxintherapie, 
zur Beobachtung kam. 

Wir werden beide Punkte abzuwägen haben, wenn wir an der Hand 
unseres Materials nunmehr die Frage nach dem Umfang und den Grenzen 
dieser Behandlung werden erörtern müssen. 

Sie ist eine ungemein schwere und glatt nicht zu lösen, da wir nur 
über bedingte Vergleichspunkte verfügen. Statistiken fehlen, die das 
Schicksal der Patienten der Vorserumzeit nach dem Krankheitstage ge¬ 
ordnet wiedergeben, an dem sie der damals üblichen Krankenhaus¬ 
behandlung überwiesen wurden, und damit den gewichtigen Beweisgrund 
beschaffen könnten, ob früher jene rasch sich hebende Stufenleiter immer 
schlechterer Ergebnisse der Krankenhaustherapie mit jedem späteren Tage 
des Eintritts in diese nicht vorhanden war. Die Durchsicht der Kranken¬ 
journale jener Zeit erwies es, dass gerade in der wichtigsten Gruppe 
der Schwerstaffizierten, der rasch Verstorbenen und der Kinder, die dies¬ 
bezüglichen Angaben zu häufig vermisst werden. 

Wie vorsichtig nur man des Weiteren Diphtheriestatistiken 
verschiedener Zeiten und ebenso auch verschiedener Orte zu Beweis¬ 
führungen in Vergleich setzen darf, habe ich früher bereits auseinander¬ 
gesetzt 1 ). Das gilt für die Uebersichten aus Städten und ganzen Ländern, 
in denen die grossen von uns unbeeinflussten Schwankungen im epidemischen 
Gange der Krankheit (Newsholme, Gottstein) tiefgreifende und erst 
aus jahrzehntelanger Verfolgung erkennbare Modifikationen bedingen und 
auch die Wandlungen von der früher nur klinischen zu der jetzigen 
bakteriologischen Diagnose der Krankheit zum Ausdruck kommen müssen, 
und weit mehr noch für die aus einzelnen Krankenhäusern, in denen 
daneben noch verschiedene Aufnahmecinrichtungen und ihre verschiedene 
Inanspruchnahme seitens der Bevölkerung wirksam sind. Unerlässlich 
ist eine Trennung des Materials nach den Altersklassen, wo die 
Sterblichkeit in ihnen die grössten Verschiedenheiten darbietet, mit zu¬ 
nehmenden Jahren beträchtlich absinkt. Nicht umgehbar ist desgleichen 
die Sonderung nach der verschiedenen Schwere der Krankheits- 

1) F. Reiche, Klinisches und Kritisches zurBehringschen Antitoxinbehandlung 
der Diphtherie. Med. Klinik. 1913. II. 1 u. 2. 



Original frer 

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Die Hamburger Diphtherieepidemio 1909—1914. 


237 


formen, weil ihre Gruppierung eine ganz andere sein muss, wenn Hospitäler 
kleinere Stationen für schwere Erkrankungen vorwiegend bereitgestellt haben 
(wie in Hamburg das Allgemeine Krankenhaus St. Georg), oder wenn sie alle 
Aufnahmesuchenden unterzubringen in der Lage sind (Allgemeines Kranken¬ 
haus Hamburg-Eppendorf), und nicht minder — dieses gilt besonders bei 
Parallelen zwischen ehedem und jetzt —, wenn bei ständig wachsendem 
Vertrauen der Bevölkerung zur Krankenfürsorge ihr nicht nur die ver¬ 
zweifelten, sondern alle, leichte wie schwere, Fälle in Obhut gegeben 
werden. So notwendig die letzterwähnte Klassifizierung der Patienten aus 
diesen Gründen erscheint, nicht verhehlen lässt es sich, dass gerade sie 
wieder manche Unsicherheit involviert. Dem subjektiven Faktor des 
Beurteilenden und die Grenzfälle von leicht zu mittelschwer, von mittel¬ 
schwer zu schwer nach seiner Auffassung Einordnenden wird ein gewisser 
Spielraum dabei eingeräumt. Und hinzukoramt, dass nicht jeder Fall, 
und am wenigsten der im Beginn seines Leidens stehende, 'gleich sein 
wahres Antlitz zeigt, ob er zu den milderen oder zu den graveren Er¬ 
krankungen gehören wird; so wird erst am Abschluss der Behandlung 
das letzte Urteil in dieser Hinsicht über ihn möglich sein, und gerade 
hier wird wieder für alle Fragen nach den Ergebnissen der angewandten 
Mittel und Heilverfahren der Einwand auftauchen müssen, ob nicht 
viele der als leicht oder mittelschwer registrierten Formen nur deshalb 
so verliefen, weil diese Therapie einen sonst sehr viel ernster gewordenen 
Decursus morbi erfolgreich umwandelte. 

Ich habe mein Material erst bei der Entlassung jedes Falles, je 
nach seiner Verlaufsart, der Gruppe I, II oder III zugewiesen. 

Setzen wir nun so wichtiger Einschränkungen eingedenk zur Prüfung 
der Serumwirkung die an der Sterblichkeit gemessenen Heilungs¬ 
ergebnisse der vor der Behringschen Entdeckung liegenden Jahre den 
jetzigen gegenüber, so ist bei den aus dem Stadtgebiet stammenden 
Zahlen folgendes als sicher auszusprechen: im Verlaufe des nach langer 
relativ geringer Extensität der Diphtherie eingesetzten und 1911 an¬ 
scheinend sein Maximum erreichenden epidemischen Auftriebs der Krank¬ 
heit war 1911 die auf 10000 Einwohner verrechnete Erkiankungsziffer 
wieder eine so hohe, dass nur die Jahre 1882 und 1885/87 sie über¬ 
treffen. Nach den Erfahrungen früherer Jahrzehnte, die gewisse, aber 
doch nur sehr bedingte Beziehungen zwischen Morbidität und Mortalität 
erkennen lassen, wäre ein gleichzeitiges, nicht nur allgemeines, sondern 
auch prozentarisches Ansteigen der Sterblichkeit zu erwarten gewesen, 
jedenfalls hätte sein Ausbleiben so gedeutet werden können, dass dieselbe 
inzwischen Gemeingut gewordene Therapie, der allein von mancher Seite 
der Tiefstand der Diphtheriesterblichkeit seit 1895 zugeschrieben wurde, 
die Schrecken der Krankheit dauernd gemindert hätte. Unsere Zahlen 
zeigen, dass eine solche Steigerung tatsächlich nicht ausblieb, dass die 
im günstigsten Jahre 1905 auf 6,5 pCt. abgesunkene Mortalität 1909 auf 


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238 


F. KFICHE 


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12,2 pCt. sich hob und damit fast die Höhe der beiden Jahre der vor- 
behringschen Zeit 1879 und 1881 erreichte, welche mit 12,4 und 12,6 pCt. 
registriert sind; ja sie würde sie überschreiten, wenn man in Berücksichtigung 
zieht, dass neuerdings durch die bakteriologische Diagnose viele leichte 
Fälle als ätiologisch der Diphtherie zugehörig zur behördlichen Anmeldung 
gelangen, die früher, als nur der Aspectus pharyngis entschied, noch den 
follikulären Anginen zugerechnet wären. 

Wenn wir auch nicht in der Lage sind, zu sagen, welche Sterblich¬ 
keitshöhe die Diphtherie ohne die jetzt geübte Behringsche Behandlung 
möglicherweise erreicht haben könnte, so viel ist sicher, dass sie ihre 
nicht unbeträchtliche Erhebung nicht zu verhindern vermochte, wiewohl 
eine grosse Zahl von Patienten, rund die Hälfte aller Erkrankten, jetzt 
den Spitälern zugeführt wird, und in diesen die Menge der bei ihnen 
verwandten Immunitätseinheiten gewaltig gegen früher gesteigert ist. 

Gehen wir zu den Ergebnissen der Krankenhausbehandlung über. 
Im Sommer 1889 wurde unser Eppendorfer Krankenhaus eröffnet. In 
den darauffolgenden 5 Jahren bis zur Einführung der Behringschen 
Therapie 1890—1894 wurden 1677 Patienten mit 544 (32,4 pCt.) Todes¬ 
fällen in ihm behandelt. 


Es zählten bis zu 

1 Jahr . . . 

1— 5 Jahren 
5—15 „ 

über 15 „ 


32, davon starben 27 = 84,4 pCt. 
. 707, „ „ 368 = 52,1 „ 

. 477, „ „ 129 = 27 „ 

. 461, „ „ 20= 4,3 „ 


Stellen wir diesen Zahlen die jetzt erreichten entgegen, so sehen wir 


Kranke unter 1 Jahr . 
„ zwischen 1— 5 
T) V ü—15 
„ über 15 


Jahre 


1890-1894 

Mortalität 84,4 pCt. 1 

„ 52,1 „ > 43,1 pCt. 

* 27 „ \ 

n D 


Oktober 1909 bis 
Oktober 1913. 
38,5 pCt. i 
20,7 „ > 15,7 pCt. 

i> \ 

3,8 „ 


Hier offenbaren sich erhebliche Differenzen, jedoch fast ausschliess¬ 
lich in den 3 Gruppen des kindlichen Alters. In diesen ist die 
Mortalität fast gleichmässig stark heruntergegangen, so dass die Werte 
sich verhalten 

bei den Kindern unter 1 Jahr wie. 2,2 : 1 

„ „ „ zwischen 1 und 5 Jahren ... 2,5 : 1 

„„ „ „ 5 „ lo „ ... 2,3 1 1 

„ „ Erwachsenen über 15 „ ... 1,1 : 1 


Es hatte also das die Erfolgsziflfern verschiebende Moment, das in 
jenen ersten Gruppen in nahezu gleicher Stärke wirkend zur Entfaltung 
kam, in der letzten fast keine Kraft mehr oder es wurde diese durch 
andere Faktoren wieder aufgehoben. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


239 


Eine sonderliche Verschiebung der Altersverteilung hat dabei 
nicht stattgefunden, sie würde ja auch nur für die Beurteilung der End¬ 
summe in Betracht kommen. 

Es zählten 

1890-1894 1909-1913. 

unter 1 Jahr. 1,9 pCt. 1,7 pCt. 

über 15 Jahre. 27,5 „ 30,3 „ 

Unter welch einengenden Bedingungen, mit welcher Reserve aber 
im übrigen ein Vergleich daraufhin statthaben muss, ob man aus den 
gefundenen Differenzen auf die Wirkungen des einen, jene beiden Gruppen 
freilich auch prinzipiell trennenden Moments der früher unbekannten, 
jetzt herrschenden Antitoxinbehandlung schlussfolgern darf, sei auch hier 
wieder ausgesprochen. Die Statistik kann durch sich allein keine ur¬ 
sächlichen Bedingungen erschliessen, sondern nur Tatsachen numerisch 
belegen. Beweisend ist sie allein da, wo zwei oder mehrere mit Aus¬ 
nahme des einen in Zahlen ausdrückbaren Punktes vollkommen gleich¬ 
wertige Gruppen sich gegenüberstehen. Und dem ist hier nicht so. Wir 
dürfen unmöglich voraussetzen, dass die Mischung des Materialsaus 
leichteren und schweren Verlaufsformen jetzt die gleiche war, 
wie sie es 1890—94 gewesen ist. Es ist anzunehmen, dass die ersteren 
jetzt zahlreicher vertreten sind. Aus der Mortalität können wir dieses 
nicht herleiten, solange wir nach einem Beweis trachten, ob ein Heil¬ 
verfahren sie modifizierte. Nur die Tatsache, dass mit 29,4 pCt. aller 
Gemeldeten dem Krankenhaus ehedem die schwereren Verlaufs formen in 
erster Linie zugesandt wurden, während jetzt ein sehr viel allgemeinerer 
Andrang statt hat, und ihm mit 49,7 pCt. der Gesamtmorbidität wohl 
viel mehr mittelschwere und leichte Fälle überwiesen werden, gibt uns 
einen allgemeinen Hinweis und zweitens erörterten wir schon, dass mit 
Hilfe der bakteriologischen Diagnostik gerade die Zahl der leichten Ver¬ 
laufsbilder jetzt gegenüber einst einen Zuwachs erfährt. Ich kann dieses 
kurz illustrieren. In den letzten Jahren wurden auf meiner Station 
23 Fälle von echter Plaut-Vincentscher Angina, die klinisch nach 
ihrem Aussehen und ihrem Verlauf nur als solche imponierten, behandelt, 
bei denen Diphtheriebazillen als ein die Krankheit nicht beeinflussender, 
nur durch die unterschiedslose bakteriologische Untersuchung aller Belag¬ 
anginen aufgedeckterNebenbefund nachgewiesen wurden 1 ). Das zeigt uns, wie 
häufig diese Keime, deren Gegenwart im Rachen vieler gesunder Personen und 
Nichtdiphtheriekranker bekannt, von Einzelnen (F. Meyer) in ihrer Häufig¬ 
keit auf 2,5—3,3 pCt., in Epidemiezeiten auf 8—9 pCt. der Normalgross¬ 
stadtbevölkerung geschätzt wird (Lippmann), auch da unter parasitären 
Daseinsverhältnissen als gelegentliche Schmarotzer gefunden werden, wo 
Halsaffektionen sich entwickelt haben, und es wirft ein Schlaglicht auf 

1) F. Reiche, Plaut-Vincentsche Angina und Diphtherie. Med. Klinik. 1914. 
Nr. 33. 


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240 F. REICHE, - 

so manche Anginen leicht entzündlichen oder follikulären Typus, die wir 
nach den aufgefundenen Löfflerstäbchen als Diphtherie klassifizierten, die 
aber möglicherweise doch nur nichtdiphtherische Anginen sensu stric- 
tiore mit schmarotzenden Diphtheriebazillen waren. Tierpathogen und 
menschenpathogen geht nicht Hand in Hand bei diesen Krankheits¬ 
erregern, so würde auch die Zuhilfenahme von Tierversuchen keine end¬ 
gültige Entscheidung in diesen Fällen liefern, ganz abgesehen davon, dass 
sie in Zeiten von Epidemien sich kaum wird durchführen lassen. 

Resümieren wir, so dürfen wir die Krankenhausheilerfolge von ehe¬ 
dem und heut nur mit dem Vorbehalt vergleichen, dass ein stärkeres 
Vorwalten schwerer Verlaufsformen jetzt nicht vorhanden, mit grosser 
Wahrscheinlichkeit aber für früher anzunehmen ist. Um so auffallender 
ist es, dass trotzdem die Sterblichkeit unter den doch wahrlich reichlichst 
mit Serum versorgten Erwachsenen, den über 15 Jahre Zählenden, nur 
diese minimale Veränderung im Vergleich zu früher erfuhr, dass allein 
die Kinder sich wesentlich günstiger präsentieren. 

Befragt man daraufhin die nach dem Lebensalter getrennte allge¬ 
meine Erkrankungskurve Hamburgs (Tab. B), so sieht man, wie auch 
hier sich das gleiche überraschende Ergebnis herausschält: in dem einen 
zur Verfügung stehenden Jahre der Vorserumzeit 1894 war die Mortalität 
unter den Erwachsenen 3,8 pCt., — seit 1909 betrug sie sogar in den 
einzelnen Jahren zwischen 3,3 und 4,8 pCt. Und dass dieses eine Jahr 
1894 allem Anschein nach nicht ausnahmsweise niedrig war, können wir 
aus der Parallelspalte dieser Tabelle ermessen, in welcher die auf 
1000 Lebende verrechnete Sterblichkeit dargestellt ist: das Jahr 1894 
hat mit 0,5 den höchsten Wert, der nur 1893 erreicht, 1890—1892 mit 
0,4 und 0,2 unterschritten wurde, und erst jetzt, seit 1909, mit 0,6 und 
0,7 übertroffen worden ist. 

Nach alledem ist in dieser Uebereinstimmung der klinischen und 
epidemiologischen Ergebnisse eine Beeinflussung der Mortalität durch die 
Serumtherapie einzig und allein für die jetzt viel günstiger dastehenden 
jugendlichen Fälle als möglich anzusprechen, für die Aelteren bleibt 
sie aus. An sich wird diese Anschauung noch nicht aus dem Rahmen 
des theoretisch Begründbaren fallen, da es sich um ein antitoxisches 
Behandlungsverfahren handelt: häufen sich doch bei Kindern mehr oder 
minder gleiche Giftmengen im Vergleich zu den Erwachsenen in sehr 
viel kleineren Körpern an und leiden doch auch Kinder schon klinisch 
sehr viel schwerer unter den Toxinwirkungen der Krankheit, wie dieses 
sich in den Komplikationen von seiten des Herzens und der Häufigkeit 
der hämorrhagischen Diathese vor allem dartut. 

Ist dem aber wirklich so, und welcher Umfang ist der Serurawirk- 
samkeit zuzumessen? Da fehlt wieder jeder Leitstern der Beurteilung. 
Wohl ist neben der Herabdrückung der Gesamtsterblichkeit noch ein 
zweites wichtiges Beweismoment von allen Anhängern der Serumtherapie 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


241 


— denen ich selbst voll zugehörte, ehe eine schwere Epidemie mir die 
bedingungslose Gläubigkeit nahm — in den Vordergrund geschoben 
worden: das progressive, rein gesetzmässige Steigen der Morta¬ 
lität je nach den vorrückenden Tagen der Krankheit, an denen die Ein¬ 
leitung der Serumbehandlung geschah. Dass dieser Punkt etwas Be¬ 
stechendes hat, ist zuzugeben, dass er nicht, oder doch wenigstens nicht 
in dem geschilderten Masse ausschlaggebend sein muss, habe ich früher 
schon einmal auseinandergesetzt 1 ). Es sind die allgemeinen Vorteile 
der Krankenhauspflege da mit in Anschlag zu bringen, und andererseits 
ist zu bedenken, dass doch die leichten und mittelschweren Verlaufs¬ 
bilder der Krankheit sich in der Regel rasch als solche bekunden, so 
dass die an jedem späteren Tage aufgenomraenen Kranken eben die 
sind, welche noch ins Hospital gebracht wurden, weil bis zu diesem 
Tage die entscheidende Wendung zum Besseren sich nicht eingestellt 
hatte; sie müssen mit jedem Tag vorschreitend schwerer sein, während 
die alsbald, am 1. Tag Hereingeschickten, alle Verlaufsformen der Diph¬ 
therie, benigne wie grave, in sich vereinigen. So sank denn auch von 
einem Maximum am 2. Tage die Zahl derer, die wegen Gutartigkeit ihrer 
diphtherischen Veränderungen kein Serum erhielten, mit jedem späteren 
Tage rasch progressiv ab. Und ist es nicht eigenartig, dass bei den 
nach dem 15. Lebensjahre stehenden, bei denen die Gesaratmortalität 
keine sicheren Einflüsse der Serurawirksamkeit bekundet, sich doch das 
gleiche Gesetz der von Tag zu Tag ansteigenden Sterblichkeit de¬ 
monstrieren lässt, wie bei den Kindern, wo man aus ihm das schlagendste 
Argument zu Gunsten des Serums schmiedete? Und schliesslich, lässt 
es sich nicht eher für die von mir entwickelte Deutung verwerten, dass 
diese Progressivität der mit jedem weiteren Tage schlechteren Behand¬ 
lungsergebnisse in gleicher Form sich am 3., 4., 5. und 6. Tage fort¬ 
setzt, obwohl der beste vollste Serumerfolg nur am 1. und 2. Krank¬ 
heitstage erwartet wird? Gerade dieses Moment werde ich später noch 
einmal zu berühren haben. 

Zu all diesem kommt hinzu, dass bei analogem treppenförmigen 
Absinken unsere Heilungsergebnisse verglichen mit denen von Kossel, 
Ganghofer, M. Cohn, Rolleston u. a. doch mit ganz anderen, sehr 
viel höheren Anfangswerten beginnen, trotz einer viel ausgiebigeren 
Anwendung des Antitoxins. Dort sind die ersten Tage zum Teil mit 
0 pCt. notiert, wir heben mit 4,4 bzw. 3,7 pCt. an, haben am 2. Tage 
bereits 6,7 bzw. 6 pCt. 

Natürlich muss der Einwand erhoben werden, ob die Angaben über 
den Krankheitstag auch tatsächlich zutreffen. Wir können dem aber nur 
entgegnen, dass dieses Bedenken für jede Zusammenstellung gültig ist 
und dass unsere Nachforschungen nach diesem Termin mit ganz beson- 


1) Med. Klinik. 1913. Nr. 1 u. 2. 


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242 


F. REICHE, 


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derer Sorgfalt und Mühewaltung betrieben wurden; unsere Angaben 
können von denen anderer demnach nicht differieren und speziell die 
Daten über den 1. Tag der Erkrankung sind für einen recht hohen 
Prozentsatz der Fälle besonders vertrauenswürdig, weil hier alle im 
Krankenhaus bei schon vorher tagelang auf ihre Temperatur kontrollierten 
Personen entstandenen Diphtherien eingeschlossen sind und ebenso auch 
alle uns vom Waisenhaus zugeschickten Kinder, in dem eine sehr scharfe 
ärztliche Kontrolle aller Insassen statt hatte, nachdem die Krankheit mit 
wiederholten Ausbrüchen sehr viele Opfer dort forderte. Und noch ein 
weiteres nebensächliches Moment spricht für die relativ grosse Zuver¬ 
lässigkeit unserer Angaben: das zeitliche Auftreten des Herpes mit 
seiner Bevorzugung des 3., dann des 4. und 2. Krankheitstages, wodurch 
eine völlige Uebereinstimmung mit der akuten fibrinösen Pneumonie ge¬ 
schaffen wird, deren Anfang durch den initialen Schüttelfrost auf die 
Stunde genau sich normieren lässt. 

Dass nach den Serumeiuspritzungen eine dezidiertere Umstimmung 
des örtlichen Befundes im Rachen in manchen schweren Fällen ein¬ 
zutreten schien, als mir dieses aus der Vorserumzeit in Erinnerung ist, 
möchte ich nicht vergessen, auch bei diesen Ausführungen noch einmal 
hervorzuheben. Ob man dieses oder die gelegentlich auffällige Besserung 
des subjektiven Befindens zahlenmässig wird strikt beweisen können, ist 
mehr als fraglich. Ich habe durch Meinshausen 1 ) das Verhalten der 
Membranen hinsichtlich ihrer Lösung, insbesondere hinsichtlich völligen 
Wiederreinwerdens des Pharynx bei ablaufender Erkrankung verfolgen 
lassen; seine Zusammenstellungen führen uns vor Augen, dass von einem 
Einfluss des Serums auf ihre Lösung nicht gesprochen werden kann, 
auch selbst bei Verabreichung grosser Dosen nicht, dass die mit und 
die ohne Antitoxin Behandelten schlagende Differenzen nicht bieten. 

Noch eines weiteren Punktes der Therapie mit Antitoxininjektionen 
habe ich zu gedenken. Unter dem Druck der vielen schweren Verlaufs¬ 
bilder der Krankheit wurden gemäss der Empfehlung vieler Autoren die 
Serumgaben ständig von uns durch Jahre erhöht. Unsere Tabelle H 
legt dar, wie viel im ganzen an Serum bei uns verabreicht wurde. Es 
fragt sich nun, wie weit solche Steigerung bessere Erfolge zeitigte; 
auch so liesse sich ein gewisser Beweis für das Serum erbringen und 
zugleich die Berechtigung zur weiteren Erhöhung der Serum¬ 
quanten prüfen. Aus dieser Ueberlegung heraus stellte ich aus der 
seit Oktober 1909 gewonnenen Gesamtzahl aller Kranken — es waren 
bis September 1913 7314 — die ersten 2000 mit Serum Gespritzten 
in Parallele zu den zweiten und dritten 2000; als letzte Gruppe figu- 

1) W. Meinshausen, Die Abstossung der Diphtheriemembranen. Brauers 
Beitr. z. Klinik d. Infektionskrankh. Bd. III. H. 1 u. 2. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


243 


rieren die von den 6250 Seruminjizierten übrig bleibenden 250, deren 
geringe Zahl sie von dem generellen Vergleiche ausschliesst. 

Alle diese Gruppen sind unter sich wohl vergleichbar, denn sie 
gehören einer und derselben Epidemie an und nichts änderte sich 
in dieser Spanne Zeit im Hersendemodus ins Krankenhaus, im Aufnahme¬ 
modus dortselbst und in der bakteriologischen Diagnostik der Fälle. Es 
handelt sich um ein in allen Einzelheiten gleich bewertetes rein kli¬ 
nisches Material, dessen Grösse nur zur zahlenmässigen Wiedergabe 
der einzelnen in Frage kommenden Punkte zwingt. 

Umstehende Kurve 4 gibt den Gang der Diphtherie im Hamburger 
Stadtgebiet aus dieser Zeit, von Januar 1908 beginnend, in Abschnitten von 
8 Wochen zu 8 Wochen wieder. Die kräftig gezogene Linie zeigt dieMorbidität, 
die zarte die prozentarische Mortalität an. In der Mitte ist eingetragen, 
welchen Phasen der Epidemie die 3 Gruppen von je 2000 zugehören. 
Trotz hochsteigender Erkrankungswelle war in diesen Jahren seit Oktober 
1909 die Sterblichkeit nur unbedeutenden Schwankungen unterworfen, 
die eigentliche Schwere der Epidemie verschob sich anscheinend nicht. 

Die nicht mit Serum behandelten Fälle, zum grössten Teil 
leichter Natur, betrugen in diesen 3 Gruppen 254 + 343 + 418 = 1015; 
sie verlangen Berücksichtigung in dieser die Gesamtverhältnisse be¬ 
handelnden Uebersicht. Im übrigen suchte ich diese Hauptgruppen hin¬ 
sichtlich ihrer allgemeinen Prognose durch Hinzufügung ihrer Ein¬ 
teilung nach Lebensalter und Injektionstag und hinsichtlich ihrer Schwere 
durch Aufzählung der wichtigsten Komplikationen noch genauer zu 
charakterisieren. 

So haben wir: A. Gruppe Imit2254Fällen (Oktober 1909 bis Märzl911), 
— 254 erhielten kein Serum, 2000 wurden damit behandelt; es zählten 



Zahl 

der Fälle 

davon 
verstarb en 

durchschnittliche 
Serummenge bei 
den Injizierten 

durchschnittliche 
Serummenge in der 
Gruppe der schweren 
Verlaufsformen (III) 

unter 1 Jahr 

. . . 55 

47,0pCt. 

2030 

2300 

1—5 Jahre . 

. . 577 

24,8 „ 

2770 

3400 

5—15 Jahre 

. . . 889 

11 „ 

2830 

4000 

über 15 Jahre 

. . . 733 

3,4 „ 

2540 

4200 

Zusammen . 

. . 

13 „ 

2700 

3700 

B. Gruppe 11 mit 2343 Fällen (M 

ärz 1911 bis März 1912), — 343 

erhielten kein 

Serum; es 

Zahl 

der Fälle 

zählten 

davon 

verstarben 

durchschnittliche 
Serummenge bei 
den Injizierten 

durchschnittliche 
Serummenge in der 
Gruppe der schweren 
Verlaufsformen (III) 

unter 1 Jahr 

. . 39 

35,9pCt. 

2210 

2400 

1—5 Jahre . 

. . 635 

21,6 „ 

3350 

4600 

5—15 Jahre 

. . 978 

12,7 „ 

3880 

5700 

über 15 Jahre 

. . 691 

4,2 „ 

3640 

6200 

Zusammen . . 

. . 

>3 „ 

3600 

5400 


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Original frum 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 






244 


F. REICHE 



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_Originaiirn-m^ 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


245 


C. Gruppe III mit 2418 Fällen (März 1912 bis Juni 1913), — 418 
erhielten kein Serum; es zählten 



Zahl 

der Fälle 

davon 

verstarben 

durchschnittliche 
Serummenge bei 
den Injizierten 

durchschnittliche 
Serummenge in der 
Gruppe der schweren 
Verlaufsforraen (III) 

unter 1 Jahr . 

. . 27 

22,2 pCt. 

1730 

2100 

1—5 Jahre . . 

. . 636 

16,7 „ 

3280 

4700 

5—15 Jahre . 

. . 1057 

12 „ 

3990 

6100 

über 15 Jahre 

. . 698 

4,3 „ 

4300 

7600 

Zusammen . . 

. . 

11,1 „ 

3800 

6000 


D. Anhang Gruppe IV mit 299 Fällen (Juni 1913 bis I. Oktober 1913), 
— 49 erhielten kein Serum; es zählten 


Zahl 

der Fälle 

davon 

verstarben 

durchschnittliche 
Serummenge bei 
den Injizierten 

durchschnittliche 
Serummenge in der 
Gruppe der schweren 
Verlaufsformen (III) 

unter 1 Jahr ... 1 

100 pCt. 


1500 



1500 

1—5 Jahre .... 56 

14,3 „ 


2730 



4200 

5—15 Jahre ... 146 

8,2 „ 


2870 



5500 

über 15 Jahre . . 96 

« „ 


2430 



5600 

Zusammen .... 

7 „ 


2760 



5000 


in Gruppe A 

B 


C 

D 

Gesamtmortalität. 

. . . 13,0 pCt. 

13,0 pCt. 

11,1 pCt. 7,0 pCt. 

Es zählten unter 6 Jahr .... 

... 2,4 

77 

1,7 

77 

1,1 

„ 0,3 „ 

„ „ 1—5 Jahre .... 

. . . 25,6 

77 

27,1 

77 

26,3 

„ 18,7 „ 

7) v ** 15 rt • • • • 

. . . 39,4 

77 

41,7 

77 

43,7 

* 48,8 „ 

„ „ über 15 Jahre . . . 

. . . 32,5 

77 

20,5 

77 

28,9 

* 32,1 „ 

Es verliefen leicht. 

. . . 39,6 

77 

35,5 

77 

36,5 

61,9 „ 

„ „ mittelschwer . . . 

. . . 22,7 

77 

24,9 

77 

29,9 

» 14,7 „ 

„ „ sohwer. 

. . . 37,7 

77 

39,6 

77 

33,6 

» 23,4 „ 

Es bestand: 

Mitbeteiligung der Nase bei , . 

. . . 25,6 

77 

16,9 

77 

15,3 

ft 26,1 „ 

„ des Larynx . . . 

. . . 12,7 

77 

n,i 

77 

11,2 

ft 14,7 „ 

Es wurden tracheotomiert . . . 
Es bestand: 

. . . 8,3 

77 

7,0 

77 

5,6 

ft 6,7 „ 

Mitbeteiligung der Zunge und Lippen 1,6 

77 

0,6 


1,6 

n 2,3 „ 

„ „ Konjunktiven 

. . . 1,0 

77 

0,3 

77 

0,7 

ft 1> 3 ft 

eine hämorrhagische Diathese . 

... 2,6 

77 

2,0 

77 

2,3 

77 77 

Von den Serumgespritzten erhielten ihr 






Antitoxin: 







am 1. Krankheitstage. 

. . . 11,1 

77 

13,8 

77 

15,9 

ft 17,2 „ 

«2. „ . 

. . . 42,0 


42,7 

77 

42,3 

„ 40,8 „ 

77 77 . 

. . . 24,9 

77 

23,6 

77 

24,0 

ft 19,6 „ 


In manchen Punkten bestehen Differenzen in diesen 3 ersten auf 
grossen Zahlenreihen fussenden Hauptgruppen. Das etwas günstigere 
Gesamtresultat in Gruppe C — 11,1 pCt. — ist jedoch nicht auf die 
sehr gesteigerten Serumdosen zurückzuführen, denn bei den Säuglingen 
ist die Sterblichkeit von 47,3 pCt. auf 22,2 pCt. im Vergleich zu A ab- 


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246 


F. REICHE, 


gesunken, obwohl in dieser Altersklasse die durchschnittliche Antitoxin¬ 
menge nicht erhöht wurde, ja eine etwas geringere war, und bei den Er¬ 
wachsenen, wo wir im Durchschnitt von 2540 Einheiten und in den 
schweren Fällen von 4200 Einheiten auf 4300 bzw. 7600, also recht er¬ 
heblich gestiegen sind, ist die Mortalität doch eine höhere geworden, auf 
4,3 von 3,4 pCt. vermehrt. 

Dass Gruppe D eine besonders günstige Sterblichkeit (7 pCt.) trotz 
einer durchschnittlich geringeren Serumzufuhr in den schweren Fällen 
verglichen mit C aufweist, soll hier nur kursorisch berührt, nicht irgendwie 
als Argument benutzt werden. Es mag sein, dass dieser niedrige Wert 
damit zusammenhängt, dass die absinkende Epidemie auch wieder eine 
Rückkehr zu ihrem früheren leichten Charakter mit sich bringt — der 
weitere Verlauf der Hamburger Kurve könnte dieses erst klarlegen 1 ) —, 
jedenfalls sind aber diese Zahlen viel zu klein, um nicht noch manche 
Irrtüraer unausgeglichen in sich zu schliessen. 

Gruppe C ist dadurch etwas begünstigt, weil in ihr die am schwersten 
gefährdeten Säuglinge geringer an Zahl — mit 1,1 pCt. aller Fälle — 
vertreten sind als in Gruppe B. Ferner sehen wir, dass die Zahl der 
frühzeitig ins Krankenhaus Gekommenen in ihr eine ein wenig grössere 
ist, dort sind 53,1 pCt. an den ersten beiden Krankheitstagen injiziert, hier 
58,2 pCt. von den Serumgespritzten. In der Zahl der Kinder (bis zum 
15. Jahre) ist dieser Unterschied am deutlichsten, nicht vorhanden ist er mehr 
bzw. leicht in sein Gegenteil verkehrt ist er in der Gruppe der Erwachsenen. 

Von den mit Antitoxin behandelten erhielten ihr Serum: 


bei den Kindern am 1. Krankheitstag 



bei den Erwachsenen „ 1. 



n 

n 

n 

rt 

n 


in Grappe A 
11,6 pCt. 
37,8 „ 

22.4 „ 
9-3 „ 

54.4 „ 

32.4 „ 


in Gruppe C 

18.2 pCt. 

40.2 „ 

22,6 „ 

8,2 „ 

49.2 „ 

29.2 * 


Eingeschaltet sei hier, dass das in vorstehenden Zahlen erkennbare 
Moment, wonach die Kinder im allgemeinen etwas früher in Krankenhaus¬ 
behandlung treten, auch in der Gesamtheit unserer Beobachtungen sich 
wiederholt: zählt man die Seruminjizierten nach dem Tag ihrer Injektion 

1) Nachtrag bei der Korrektur: In dieser Hinsicht sei mir gestattet, die Er¬ 
gebnisse aus dem Krankenhaus Hamburg-Barmbeck vom Jahre 1914 hier kurz an¬ 
zuführen. Diphtheriepatienten wurden bis 31. Dezember 1914 aufgenommen und ent¬ 
lassen : 

im Alter von unter 1 Jahr 11, davon starben 3 = 27,2 pCt. 

„ „ „ 1—5 Jahren 184, „ „ 38 = 20,7 „ 

„ „ „ 5-15 „ 377, „ „ 39 = 10,3 „ 

„ n n 15—25 „ 93, „ „ 1 = 1,1 „ 

n n » 25-50 „ 60. * n 4 = 6,7 „ 

Insgesamt 725, davon starben 85=ll,7pCt. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


247 


geordnet [der meist, aber nicht immer dem Aufnahmetag entspricht 1 )] 
mit den nach dem Aufnahraetag geordneten ohne Serum Behandelten 
zusammen, so erhalten wir 

770 Kinder und 237 Erwachsene, die vom 1. Krankheitstag an behandelt wurden 
1976 „ *, 955 „ „„2. „ „„ „ 

1112 „ „ 544 „ „ „ 3. „ „ „ „ 


Das sind bei den Kindern am 1. Tag 15,4 pCt., bei den Erwachsenen 10,7 pCt. 

71 71 71 7 ) 2 * 71 71 71 71 * 43 > 2 71 

71 71 71 71 71 71 71 71 71 24 1 8 71 


Der Vorsprung, den die Kinder am 1. Tag vor den Erwachsenen 
haben, ist von diesen am 2. noch nicht ganz — mit 53,9 pCt. gegenüber 
54,9 pCt. — wettgemacht, erst am 3. sind sie ein wenig in der Ueberzahl. 

Alles in allem aber sehen wir, dass unsere Patienten das Kranken¬ 
haus relativ früh aufsuchen, mehr als die Hälfte bereits an den 
ersten beiden Krankheitstagen ihm zugeführt ist. 

Eines also ergibt sich mit Sicherheit aus dem Vergleich zwischen 
den Gruppen A—C, dass die Steigerung der Serumdosen an sich 
keine besseren Heilresultate im Gefolge hatte. Noch deutlicher 
zeigt sich dieses, wenn wir die Serummengen, die in den Jahren günstigster 
Diphtheriemortalität 1902—1906 gegeben wurden, mit den heute ver¬ 
wandten vergleichen. 


Damals war 

das Ergebnis bei den 

im Krankenhaus behandelten Fällen 


behandelt 

gestorben 

Mortalität 


bis 1 Jahr . . 

. . 21 

9 

42,85 \ in . 

38,5 pCt. 

1—5 Jahre . . 

. . 461 

75 

16,26 / ^7 42 pCt., jetzt 

20-7 „ 

5-15 „ . . 

. . 624 

44 

7,05 

11,7 „ 

über 15 Jahre. 

. . 298 

9 

3,02 



1404 

137 

9,75 pCt. 

12,1 pCt. 


Damals erhielten (insgesamt 1344 Fälle): 






I m 

m u 

nitätseinheiten 



— 

ln der 














8 

HO 

O 

Altersklasse 

8 

8 

| 

8 

ho 

0 

0 

0 

0 

s 

8 

O 

0 

0 

»0 

| 

8 

HO 

| 

0 

8 

8 

»O 


<M 



** 

(N 

0 * 

« 

CO 



vO 




bis 1 Jahr .... 

. 

2 

12 

7 

_ 


_ 








1—5 Jahren. . . 

1 

1 

61 

272 

5 

16 

82 

2 

2 

4 

1 

1 

— 

— 

5-15 .... 

— 

1 

58 

404 

3 

9 

105 

3 

3 

16 

2 

3 

1 

1 

15-25 „ . . . 

— 

1 

31 

135 

— 

5 

18 

— 

3 

1 

— 

— 

— 

— 

25—50 «... 

— 

— 

5 

53 

2 

— 

9 

— , 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

über 50 „ . . . 

— 

— 

1 

1 

— 

— 

— 

— 1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


1 

5 

168 

872 

10 

30 

214 

5 

8 

22 

3 

4 

1 

1 


1) Da manche Fälle nicht am Tage der Aufnahme bzw. die bei uns entstandenen 
nicht am 1. Krankheitstage gespritzt wurden, ergibt sich eine unbedeutende Ver¬ 
schiebung gegenüber Tabelle E. Sie zeigt uns, dass von den 5007 kindlichen und 
2209 erwachsenen Kranken mit bekanntem Krankheitsanfang 2864 Kinder und 1194 Er¬ 
wachsene bereits an den ersten 2 Krankheitstagen rezipiert waren, nach obiger Zähl¬ 
weise sind es 2746 Kinder und 1192 Erwachsene. 

Zeitaebr. f. klin. Medizin. 81. Bd, H. 3 u. 4. 17 


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248 


F. REICHE 


Es wurden also gegeben: 



1000 

1500 

I ir 

2000 

und 

2500 

l m u i 

3000 

i i t ä t s e i 
3500 

und 4500 
4000 

n h e i 
5000 
und 
5500 

t e n 

6000 

b i s 
6500 
bis 
90001 

9500 

bis 

12000 

über 

12000 

1902-1904 bei pCt. 
1909-1913 „ „ 

12,9 

4,3 

64,9 

33,2 

3,0 

2,1 

15,9 

29,8 

1,0 

2,4 

1,6 

8,9 

0.2 

0,5 

0,3 

12,2 

0,1 

4,7 

0,1 

1,3 

0,6 


unserer Kranken. Trotzdem dort 9,8, hier 12,1 pCt. Gesamtmortalität. 

Ein weiterer Weg, Bedeutung und Umfang derSerum Wirkung zu ermessen, 
ist von Siegert eingeschlagen worden. Er stellte aus den Berichten einer 
grossen Zahl von Krankenanstalten nur die tracheotomierten Patienten 
zusammen, solche Kranke mithin, die bei zweifelloser Diagnose von vorn¬ 
herein als schwerste zu bezeichnen sind, und fand aus den letzten 4 serum¬ 
freien Jahren 60,4 pCt. Mortalität, aus den 4 ersten Serurajahren 36,3 pCt. 

Das Material unseres Krankenhauses ist bei Gegenüberstellung der 
beiden auch früher gewählten Vergleichszeiten das folgende: 

1890—1894 wurde, wie erwähnt, bei 351 Patienten oder 21,8 pCt. 
aller Aufnahmen der Luftröhrenschnitt notwendig; 

von Oktober 1909 bis Ende September 1913 bei 507 Patienten oder 6,9 pCt. 

Es zählten 1890-1894 1909—1913 

unter 1 Jahr 14, Mortalität 92,8 pCt. ) 39, Mortalität 84,6 pCt. J 

1—5 Jahre 262, „ 59,5 „ J 58,2 pCt. 304, „ 53,9 „ > 55,4 pCt. 

5—15 „ 88, „ 48,7 „ j 143, „ 50,3 „ \ 

über 15 Jahre 7, „ 100,0 „ 21, „ 61,9 „ 

371 Mortalität 59,0 pCt. 507 Mortalität 55,6 pCt. 

Einen durchschlagenden Erfolg konnten wir demnach von unserer 
ausgiebigen Serumbehandlung nicht konstatieren, ich habe aber früher 
schon mein Bedenken formuliert, dieses Faktum als einen Beweis gegen 
ihre Wirksamkeit zu verwerten, ganz besonders auch deshalb, weil die 
zur Tracheotomie gelangenden Patienten überwiegend häufig erst an 
späteren Krankheitstagen, vom 2. an, dem Hospital zugewiesen wurden. 

Trotz reichlicher Serumzufuhr wurden viele Patienten mit bereits be¬ 
stehenden Zeichen von Mitbefallcnsein des Kehlkopfes nicht vor der 
späteren Tracheotomie bewahrt; dass ein anfänglich freier Larynx 
tagelang, nachdem die Serumtherapie eingeleitet war, von einer die 
Operation benötigenden Kehlkopfstenose befallen wurde, kam nur sehr 
selten, im ganzen in 8 Fällen, zur Beobachtung. 

Als beachtenswerte Tatsache sei diesen Ausführungen und Vergleichen 
noch hinzugefügt, dass die Häufigkeit einer Kehlkopfbeteiligung an dem 
diphtherischen Prozess keineswegs einen Schluss auf die Schwere einer 
Epidemie auch nach unseren Beobachtungen gestattet. Johannessen 
hat von den skandinavischen Diphtherieepidemien Aehnliches berichtet. 

In den letzten Vorserumjahren 1890—1894 kamen 21,8 pCt. aller 
Aufnahmen zur Tracheotomie, jetzt, 1909—1913, 6,9 pCt., hingegen in 


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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 249 

den Jahren bester Diphtheriemortalität 1902 — 1906: 12,6 pCt. In diesen 
Jahren, um auch hier die Vergleichszahlen im Einzelnen zu nennen bzw. 
zu wiederholen, wurden bei uns tracheotomiert im Alter von 

unter 1 Jahre . . 8, davon starben 7 d. h. 87,5 pCt. i ~ \ 

1-5 Jahren. . . 111, „ „ 44 „ „39,6 „ pU ‘ i 36,2 pCt. 

5 15 „ ... 55, „ „ 12 „ „ 21,8 „ 1 

über 15 . . . 3, „ „ 2 „ „ 66,7 „ 

insgesamt . . . 177, davon starben 65 d. h. 36,7 pCt. 

Die Serumbehandlung erschien bereits einmal wie ein sicherer hoher 
Gewinn unserer Therapie, von dem man sich selbst die völlige Ueber- 
windung der Krankheit versprach. Erst weitere schwere Epidemien 
werden unser endgültiges Urteil über sie formieren können. 

Als ich Ende 1912 im Hamburger ärztlichen Verein die in der 
Medizinischen Klinik 1 ) veröffentlichten Ergebnisse unserer Diphtherie¬ 
behandlung an der Hand der Tabellen vortrug und die erwachten Zweifel 
an dem Umfang der Serumwirkung äusserte, die besonders bei Er¬ 

wachsenen sich nicht darlegen liess und nicht entsprechend der Steigerung 
der Antitoxinzufuhr gehoben wurde, wurden mir von mehreren Seiten 
Bedenken entgegen getragen. Wenn Kissling 2 ) unter Hinweis auf die 
seit Einführung des Serums von allen Seiten geforderte möglichst früh¬ 
zeitige Anwendung meinte, dass es demnach nicht angehe, „den Wert 
der Serumbehandlung nach solchen Statistiken zu beurteilen, die alle mit 
Serum behandelten Fälle, also auch die, bei denen jenseits des 2. Krank¬ 
heitstages das Serum eingespritzt worden ist, einbeziehen u , so ist mir 
der Vorteil dieser Betrachtungsweise nicht ersichtlich, wo meine Ueber¬ 
sicht gerade bestrebt war, wie die am 1. und am 2., so auch die an 
jedem weiteren Krankheitstag Gespritzten einzeln und dazu noch nach 
Lebensalter und ihrer Schwere gesondert klar herauszuheben. Welchem 
wissenschaftlichen Gesichtspunkt wäre gedient gewesen, wie gar wäre 
die grundlos gefürchtete „systematische Diskreditierung“ des Serums wo¬ 
möglich in ihr Gegenteil gekehrt worden, wenn ich die übrigen Tage 
fortgelassen hätte? Ihre Miterwähnung war unbedingt nötig, um das ge¬ 
samte Material der möglichst scharfen Nachprüfung anderer objektiver 
Beobachter zu unterbreiten, um so mehr, als ich mir der Verantwortlich¬ 
keit meiner Mitteilungen voll bewusst war und keine Behandlung dis¬ 
kreditieren, sondern die herrschende nur mit aller Gewissenhaftigkeit un¬ 
beeinflusst von dem sich dabei herausstellenden Ergebnis nachprüfen wollte 
und selbst erklärte, dass meine Untersuchungen keineswegs abgeschlossen 
seien, dass ich persönlich das Serum weiter prüfen, weiter verwenden 
würde und mich noch nicht zu dem Schritte berechtigt fühlte, durch den 
Vergleich einiger Tausend mit und ohne Serum zu behandelnder Fälle 


1) 1913. 1 und 2. 

2) Deutsche med. Wochenschv. 1913. S. 246. 

17* 


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250 


F. REICHE, 


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aus dieser Epidemie die Frage zu entscheiden. Ueber die Tatsache, dass 
jetzt von 846 am 1. Tage Gespritzten 37 oder 4,4 pCt., von 2600 des 
2. Tages 175 oder 6,7 pCt. starben, dass unter den 710 Kindern des 
1. Krankheitstages die Mortalität mit 35 sogar 4,9 pCt., unter den 16 Säug¬ 
lingen mit 3 Todesfällen 18,8 pCt. war, hilft uns nichts hinweg, es fragt 
sich nur, wie wir sie wissenschaftlich zu deuten haben. Dass das Serum 
an den ersten beiden Krankheitstagen am besten seine Wirkung entfalte, 
ist eine immer wiederholte Argumentation, dass es, wenn es überhaupt 
wirksam, auch später nicht ohne hohen Wert sein kann, wird doch 
keiner bestreiten können. Die in den ersten Krankheitstagen gebildeten 
Giftstoffe mögen ja so fest bereits verankert sein, dass bei späteren In¬ 
jektionen die eingespritzten antitoxischen Substanzen sie nicht mehr zu 
neutralisieren vermögen, die vorschreitende Krankheit — und welche 
überhaupt einer aktiven Therapie bedürftige Diphtherie hätte im all¬ 
gemeinen mit dem 2. Tage schon ihren Höhepunkt erreicht? — wird 
aber immer doch neue Toxine in den Kreislauf schwemmen, deren Bindung 
und Unschädlichmachung unser erstes Bestreben sein muss. Wenn für 
die steigende Zahl der schlechten, ungünstigen Verlaufsformen in den 
späteren Tagen — ich verweise auf die stetig sich hebende Mortalitäts¬ 
linie im Diagramm — ein anderer Gesichtspunkt als die Serumzufuhr mass¬ 
gebend sein soll, können wir dann der letzteren den gleichartigen Aus¬ 
schlag für die beiden ersten Tage bedingungslos zumessen? Ich vermag 
Brauer 1 ) nicht beizupflichten, dass die Tatsache der unverhältnismässig 
besseren Prognose der an den beiden ersten Krankheitstagen Gespritzten 
unumstösslich den guten Nutzen des Serums erweise. Dass auch 
eine andere Deutung möglich wäre, habe ich in früheren Sätzen schon 
ausgeführt. Zudem sei auf Rumpels 2 ) Erfahrungen verwiesen, der bei 
allen Infektionskrankheiten den Verlauf um so günstiger sah, je früher 
die Krankenhausbehandlung einsetzte. Im Uebrigen aber kann ich 
Brauers Wunsch nach einem verbesserten Serum nurzustimmen, ebenso 
wie ich seine Bedenken gegen zu weitgehende Schlüsse aus reinen 
Statistiken voll teile. Meine zahlenmässigen Aufrechnungen und Dar¬ 
legungen, die nur mein eigenes klinisches Material umspannen, sind von 
den üblichen statistischen Zusammenstellungen, die eine Sammlung aus 
verschiedenen Quellen in der Regel bedeuten, an sich schon grundsätz¬ 
lich zu sondern, sie sind, das muss ich immer wieder unterstreichen, 
keine Allgemein-, sondern eine Individualstatistik und belegen die sonst 
aus meinem Beobachtungsfelde generell mit „häufig“, „meist“, „nicht 
selten“ und „selten“ formulierten Daten gewissenhaft mit dem diese 
weiteren Begriffe genauer substantiierenden ziffernmässigen Wert. Dann 
aber darf zweierlei nicht vergessen werden. Die ganze Proklamierung 


1) Deutsche med. Wochensohr. 1913. S. 246. 

2) Ebenda. 1913. S. 247. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


251 


des Serumerfolges, der Abfall der Krankenhausmortalität, der bessere 
Erfolg bei den tracheotomierten Fällen, der Niedergang der Letalitäts¬ 
kurve in Stadt und Land, der gute allgemeine und lokale Effekt der 
Serumeinspritzung, an je früherem Krankheitstage sie geschah — wurde 
sie nicht ausschliesslich durch die Statistik begründet, sind ihre 
Daten nicht noch heut in allen Lehrbüchern der Leitstern der Beweis¬ 
führung, beugte sich nicht Virchow nach Baginskys Worten gerade 
vor der Wucht der zahlenmässigen serotherapeutischen Erfolge? Soll 
diese Hilfswissenschaft der Medizin, vorausgesetzt, dass sie richtig an¬ 
gewendet wurde, heute nicht mehr das gleiche Recht für sich beanspruchen 
und zur „mensonge en chiffre“ herabsinken, wo ihre Daten nicht mehr 
so einschränkungslos sich zu Gunsten des Serums verwerten lassen? Soll 
statt all der Zahlen, in die vordem das klinische Material geordnet 
wurde, wo diese, nach gleichen Gesichtspunkten angelegt, zu anderen 
Schlussergebnissen kamen, nunmehr das subjektive Empfinden der 
Gespritzten, ein manchem kritischen Zweifel zugängiges, wenn auch 
an sich keineswegs unterschätztes Moment, als wichtigster Kronzeuge 
für das Serum gelten? 

Und zweitens: Keiner, der Diphtheriekranke in grösserem Massstabe 
zu sehen Gelegenheit hatte, kann sich der Ueberzeugung verschliessen, 
dass bei dieser Krankheit nur zahlreiche, möglichst zahlreiche Er¬ 
fahrungen, die dann richtig zu ordnen Pflicht des Klinikers ist, zur 
sicheren Entscheidung einer Behandlung, in erster Linie der Serumtherapie 
erforderlich sind und Einzelbeobachtungen, noch so trefflich verfolgt, 
nicht dazu genügen. Der mannigartige Gang der Krankheit mit plötz¬ 
lichen raschen Verschlimmerungen, mit unerwartet einsetzendem Um¬ 
schwüngen zum Besseren erschwert unser Urteil über das durch Heil¬ 
verfahren Erreichte und Erreichbare sehr; in vielen Einzel fällen legten 
schnell sich vollziehende Auflichtungen des ganzen Krankheitsbildes im 
zeitlichen Anschluss an die Serumeinspritzung den Gedanken an einen 
ursächlichen Zusammenhang beider Vorgänge greifbar nahe, in anderen 
selbst ganz früh behandelten Einzelfällen blieb jegliche Beeinflussung aus 
oder eine Besserung vollzog sich unüberzeugend langsam. Es mag sero¬ 
logischen Studien Vorbehalten sein, die Gründe hierfür durch gesicherte 
Tatsachen klarzulegen und in noch ferneren Tagen Wegweiser für unser 
therapeutisches Handeln daraufhin zu finden, vorderhand hat die praktische 
Krankenbeobachtung mit grossen beweisenden Zahlenreihen zu reden 1 ). 

1) Zusatz bei der Korrektur: ln dem nach Fertigstellung dieser Arbeit er¬ 
schienenen Aufsatz v. Stenitzers über Tetanus (Kraus-Brugsch, Spez. Path. u. 
Ther.inn.Krankh., Lieferung9—12) finden sich folgende Sätze: „Ueberden kurativen 
Wert des Serums ist auch heute noch nicht das entscheidende Wort gefallen, wohl 
deshalb, weil aus der Praxis heraus die Beurteilung der therapeutischen Wirkung auf die 
allergrössten Schwierigkeiten stösst. Schon v. Behring hat den Einzelbeobachtungen 
jede Beweiskraft abgesprochen, da am Krankenbett nur Wahrscheinlichkeitsprognosen 


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252 


F. REICHE, 


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ln der „Medizinischen Klinik“ (1913, 1) ferner äusserte Beyer 
kritische Bedenken gegen meinen Versuch, auch aus einem Vergleich 
grosser zeitlich zusammenhängender Gruppen, in denen verschieden 
reichliche Serummengen zur Anwendung gezogen waren, Licht auf die 
Serumwirkung als Hilfe zu werfen. An sich war dieser etwas weiter 
greifende Ausblick nur ein Nebenergebnis des Bestrebens, es klarzulegen, 
ob unsere jetzt sehr viel grösseren Dosen anders und besser als die 
früheren kleineren wirkten. Und diese — klinische, tierexperimentell 
nicht lösbare — Feststellung war notwendig, um die Berechtigung der 
von vielen Seiten (Eckert, Ehrhardt, Meyer, Rolleston, Wick¬ 
ln an n u. A.) befürworteten weiteren Erhöhung der Serumquanten zu 
prüfen. 

Beyer erscheinen die dabei sich ergebenden Unterschiede in den 
Mengen der Immunitätseinheiten zu geringfügig. Meines Ermessens ist 
dieser Einwand nicht berechtigt. Ein Ansteigen der Durchschnitts¬ 
werte von 3400 auf 4600 bedeutet eine Vermehrung der mittleren Dosen um 
35,3 pCt. (Altersgruppe 2), der von 4000 auf 5700 (Gruppe 3) eine solche 
um 42,5 pCt., der von 4000 auf 6400 (Gruppe 4) eine solche von 60 pCt., 
wobei mit durchschnittlich mehr gegebenen 1200, 1700 und 2400 Ein¬ 
heiten doch im Mittel zum Teil bedeutend mehr zugeführt wurde, als im 
Anfang der Antitoxintherapie überhaupt zur Verwendung gelangte, wo 
man sich mit den Injektionen von 1000 und 1500 Einheiten be¬ 
gnügte und doch dann eklatante Erfolge zu erblicken meinte. Es ist 
also nicht zutreffend, von „ausserordentlich geringen Differenzen“ hier 
zu reden. 

Auf die detaillierten, in den „Mitteilungen aus den Haraburgischen 
Staatskrankenanstalten“ erschienenen Angaben über diese Erhöhung der 
Serummengen, nicht nur in ihren allgemeinen durchschnittlichen, sondern 
den sehr viel wichtigeren Einzelwerten hatte ich in meiner damaligen 


gestellt werden können, wieviel also bei einem Ausgang in Heilung der Serumwirkung 
zuzuschreiben sei, wäre nicht unanfechtbar zu beurteilen, v. Behring erhoffte, ein 
klares Bild aus dem Vergleich der Letalitätsstatistik vor und nach der Einführung der 
Serumtherapie zu gewinnen. Auch dio Statistik muss mit einer gewissen Reserve auf¬ 
genommen werden. Die Sammelstatistik deshalb, weil sie infoige des sporadischen 
Vorkommens des Tetanus vielfach ungleiches Material verarbeiten musste, die Einzel¬ 
statistik aus Kliniken und Krankenhäusern hingegen, weil sie über ein, wenn auch 
wertvolleres, aber nur kleines Material verfügte.“ Klar und bündig sind hier die 
Richtlinien der Beurteilung von Serumheilwirkungen gezogen. Die rein ärztlichen 
objektiven Beobachtungen im Einzelfall, auf die Brauer so besonderen Nachdruck 
legt, werden auch hier, und wie mir scheinen will mit Recht, zurückgedrängt gegenüber 
der endgültigen zwingenden Beweiskraft grosser rein ärztlicher Untersuchungs¬ 
reihen. Und diese liegen bei der Diphtherie vor. Was bei der Seltenheit des Wund¬ 
starrkrampfs uns versagt bleibt, das lieferte diese letzte Epidemie 1909—1913: ein 
ungewöhnlich umfangreiches und völlig einheitliches Material. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 190 ( J—1914. 


253 


Publikation bereits hingewiesen; in 3 Veröffentlichungen sind die 3 Gruppen 
zu je 2000 serumgespritzten Fällen in diesen Einzelheiten aufgerechnet. 
Da ist es ersichtlich, wie beispielsweise in Gruppe 4 (Alter von 15 bis 
25 Jahren, Erhöhung im Durchschnitt von 4000 auf 6400 Immunitäts¬ 
einheiten) von 108 Fällen der ersten Serie 14 bis 1500, weitere 48 bis 
zu 3000, weitere 39 bis zu 6000 erhielten und der Rest von 7 Patienten 
bis zu 18000, in der zweiten 115 Fälle einschliessenden Serien jedoch 
nur 4 bis 1500, weitere 25 bis zu 3000, weitere 48 aber bis zu 6000 
und 38 darüber hinaus! 

Ferner wundert sich Beyer, dass ich bei der Gegenüberstellung der 
grossen Gruppen von je 2000 Seruminjizierten auch der Ungespritzten 
Erwähnung tat. Sie wurden ausschliesslich deshalb eiubezogen, und 
durften darum nicht fehlen, um die Schwere der Phase der Epidemie, 
der sie entstammten und damit das Grundmaterial zu charakterisieren, 
bei dem eigentlichen Vergleich der Serumerfolge standen sich, wie ja 
auch die Tabellen bezeugen, natürlich nur die nach v. Behring Be¬ 
handelten gegenüber 1 ). 

Auf unsere anderen therapeutischen Massnahmen einzugehen, 
kann ich mir um so eher ersparen, als wesentlich Neues dabei nicht ge¬ 
wonnen wurde. Nur 2 Punkte möchte ich berühren: In den Fällen 
diphtherischer Conjunctivitis schien uns die lokale häufige Serum¬ 
instillation nicht annähernd den gleichen Wert zu besitzen, wie die An¬ 
wendung von Desinfizientien, vor allem Protargollösungen. Und zweitens, 
es bewährte sich uns von allen Herztonicis beim akuten Versagen 
des Herzens am meisten der Alkohol, besser wie Digitalis, besser wie 
Adrenalin; mit ihm zusammen wurde Coffein sehr viel, am liebsten in 
subkutanen Einspritzungen, gegeben. Für mehr chronisch roborierende 
Zwecke war Strychnin unersetzlich. 

Ueber die Verstorbenen ist bereits nach dem Todestage Mit¬ 
teilung gemacht; ihre Zahlen nach den Tagen geordnet geben eine Kurve 
mit steilem Anstieg bis zum 5. Tage, dem 12,3 pCt. sämtlicher Toten 
zugehören, und langsamerem, leicht wellenförmigen Abfall, der sich über 
viele Wochen hinzieht. 

Auf die bakteriologischen im Pathologischen Institut des Kranken¬ 
hauses ausgeführten Untersuchungen des Herzblutes sei hier kurz 
eingegangen. Es fand sich: 

1) Wenn Beyer schliesslich meint, dass meine Fälle „mangels anderslautender 
Angaben“ nur subkutan gespritzt seien, so kann ich demgegenüber meinen diesbezüg¬ 
lichen Satz zitieren: „4763 erhielten Serum; es wurde subkutan und bei Schwer¬ 
kranken vielfach auch intravenös appliziert“, und daraufhinweisen, dass aus 
meiner Station eine sehr frühe Befürwortung der intravenösen Einbringung des Anti¬ 
diphtherieserums aus Fettes Feder (Med. Klinik, 1909, Nr. 50) erschien. 


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254 


P. REICHE, 


Bei den zur Autopsie 
Gekommenen, am 

Steriles Blut 

Diphtheriebazillen 

Streptococc. pyog. 

Staphylococc. pyog. aureus. | 

Diplocoec. lanceol. 

Kolibazillen 

Streptococc. mucos. 

Pyocyaneus 

Paratyphus B-Bazillen 

Proteus vulgaris 

Diphtheriebazillen -f- Strepto¬ 
kokken 

Streptococc. pyog. 

4- Staphylococc. pyog. aureus 

Streptococc. pyog. 

4 Diplococc. lanceol. 

Streptococc. pyog. -f- Koli- 
b&zilten 

Staphylococc. pyog. aureus 
- 1 - Kolibazillen 

Diplococc. lanceol. -f koli¬ 
bazillen 

Diplococc. lanceol. 

4- Streptococc. mucos. 

Diplococc. lanceol. + Fried- 
lftnderbazillen 

Streptococc. + Staphylococc. 

4 - Diplococc. lanceol. 

Streptococc. -f Staphylococc. 

4- Kolibazillen 

Streptococc. 4- Kolibazillen 
-f Streptococc. mucos. 

Streptococc. pyog. 4- nicht 
identifizierte Stäbchen 

B 

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1. Krankheitstag Verstorb. 

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1 

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16 

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17 

1 

171 

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1 

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1 

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1 

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— 

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4. 

29 

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1 

3 

1 

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1 

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— 

— 

— 

1 

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— 

71 

3- * » 

37 

i 5 

30 

2 

3 

— 

1 

1 

— 

1 

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11 

2 

1 

— 

1 

— 

1 

— 

1 

— 

— 

99 

6. 

29 

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24 

— 

3 

1 

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— 

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1 2 

1 

2 1 

— 

— 

— 

— 

— 

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1 

— 

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64 

7. 

20 

2 

24 

i 

1 

1 

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— 

— 

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1 

1 

1 

1 

— 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

55 

8 . 71 v 

24 

— 

17 

— 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

45 

9- 

16 

— 

16 

2 

2 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

37 

10. 

16 

2 

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2 

3 

— 

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— 

— 

— 

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— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

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1 

40 

11. 

13 

1 

17 

— 

2 

1 

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— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

36 

12. 

14 

— 

1 18 

1 

4 

— 

1 

— 

— 

— 


— 

1 

1 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

41 

13. 

3 

— 

1 9 

1 

1 

— 

— 


— 

— 


— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

15 

14. 

7 

— 

5 

1 

— 

i 

— 1 



1— 


1 

— 

— 

— 

1 — 

— 

— 

— 

1 — 

— 

— 

16 

Insgesamt . . . 

237 

17 

217 

16 

'26 

i 6 

1 2 

~ 

| i 

1 2 

1 9 

24 

11 

5 

2 

1 2 

| 1 

1 

2 

2 

1 

1 

586 


So ergab sich also unter den Verstorbenen der ersten 2 Krankheits¬ 
wochen ein steriles Blut in 237 Fällen oder 40,5 pCt. 

Eine Leichenblutbakteriämie wurde festgestellt zu 59,5 pOt. und 
zwar mit einem einzelnen Bakterium in 49,1 pCt. (288 Fälle), mit 
zweien in 9,5 pCt. (56 Fälle) und mit dreien in 0,9 pCt. (5 Fälle). 

Diphtheriebazillen wurden mit 26 Fällen nachgewiesen in 4,4 pCt. 
aller Fälle; sie waren in 2,9 pCt. allein, in 1,5 pCt. zusammen mit Strepto¬ 
kokken zugegen. 

Streptococcus pyogenes wurde mit 272 Fällen isoliert in 46,4pCt. 
aller Fälle, in 37 pCt. allein, in 9,4 pCt. mit anderen Mikroben. 

Fraenkel-Talamon’sche Pneumokokken waren in 43 oder 
7,3 pCt. aller Fälle vorhanden, in 4,4 pCt. allein. 

Von 26 positiven Diphtheriebazillenbefunden fallen 23 oder 
88,5 pCt. in die erste Krankheitswoche, von 272 positiven Streptokokken¬ 
befunden fallen 165 oder 60,7 pCt. in diese Woche, von 43 mit Pneumo¬ 
kokken 62,8 pCt. Von den 237 Fällen mit sterilem Herzblut fallen 144 
auf die 356 aus der ersten Woche stammenden Fälle, d. h. 40,4 pOt. aller 
Fälle und 93 auf die 230 der 3. Woche, d. h. ebenfalls 40,4 pCt. 

Seit 1907 wurde unter 790 in den ersten 3 Wochen ihrer Krank¬ 
heit Verstorbenen ein steriles Herzblut bei 309 nachgewiesen, in 481 
wurden Mikroorganismen reingezüchtet und zwar: 


Diphtheriebazillen.in 17 Fällen 

Streptococcus pyogenes. 323 „ 

Staphylococcus pyogenes aureus. 20 „ 

Diplococcus lanceolatus.»33 „ 


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_ Ürigina Irorru - _ 

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Die Hamburger Diphtherieepidomie 1909—1914. 


255 


ßacterium ooli.in 

Streptococcus mucosus.„ 

Proteus vulgaris.. 

Bacillus pyocyaneus.. 

Bacillus paratyphosus B.„ 

Diphtheriebazillen Streptocoocus pyogenes. 

Streptococcus pyogenes -f- Staphylococcus pyogenes aur. „ 

Streptoooccus pyogenes -j- Diplococcus lanceolatus . . . „ 

Streptococcus pyogenes -j- Bacterium coli. . 

Streptococcus pyogenes -f- nicht identif. Stäbchen . . . „ 

Staphylococcus pyogenes aureus -[- Bacterium coli . . . „ 

Diplocoocus lanceolatus -j- Bacterium coli.„ 

Diplococcus lanceolatus -j- Bac. Friedländer.„ 

Diplococcus lanceolatus -f- Streptococcus mucosus . . . „ 

Streptoc. pyog. + Staphyloo. pyog. aur. + Diploc. lanc. „ 

Streptoo. pyog. -j- Staphyloc. pyog. aur. -f” Bact. coli • • n 

Streptoc. pyog. -j- Streptoc. mucosus Bact. coli . . . „ 


7 Fällen 
2 „ 

9 


1 

1 

10 

25 

15 

9 

1 

2 

3 


v 

V 

V 

V 

n 

v 

V 

V 


1 

1 

4 

3 

1 


V 

V 




Keimfrei war das Blut unter den 204 aus der 3. Krankheitswoche 
stammenden Toten bei 72 oder 15,3 pCt. Der späteste Tag, an dem 
Löfflersche Bazillen noch aus dem Herzblut isoliert wurden, war der 
20. Krankheitstag; neben ihnen wurden bei diesem Kranken noch Strepto¬ 
kokken aus ihm gezüchtet. 

Ich habe 1894 1 ) aus der mir damals unterstehenden Diphtheric- 
abteilung Untersuchungen über „Mischinfektionen bei Diphtherie“ ver¬ 
öffentlicht, bei denen der Nachweis der von dem Blutstrora verschleppten 
Bakterien durch Ausstriche des frischen Parenchymsaftes der Nieren und 
vereinzelt auch der Milz geführt wurde. Die Arbeiten Froschs und 
Escherichs über den Uebertritt von Diphtheriebazillen aus ihrem 
ersten Ansiedlungsort in das Blut waren bereits erschienen. Ich fand damals 
bei 2 unter 42 Fällen, die den ersten 3 Krankheitswochen zugehörten, 
Diphtheriebazillen, und diese Toten entstammten dem 6. und 7. Krank¬ 
heitstage; in meiner jetzigen Reihe mit einer anderen Untersuchungs¬ 
methode sind es 27 unter 768 Beobachtungen. Streptokokken, wieder¬ 
holt mit Staphylokokken vergesellschaftet, wurden in rund zwei Dritteln 
jener Fälle gewonnen, in den übrigen war das Blut steril. 

Die Befunde unserer vitalen Blutentnahmen haben gelehrt, dass wir 
aus diesen postmortal erwiesenen Bakteriämien nicht ohne Weiteres auf 
eine septische Komplikation schliessen dürfen. Letztere kommen ver¬ 
einzelt vor, sind aber als sehr selten zu erachten. Es handelt sich bei 
jenem Nachweis von Keimen im Herzblut zum grössten Teil um termi¬ 
nale oder agonale Invasionen in den Kreislauf und um postmortale Ver¬ 
mehrungen spärlicher bei Infektionen aller Art in die Blutbahn gelangender 
Keime, die unter den Bedingungen des Lebens rasch wieder eliminiert 
oder durch Einflüsse der lebenden Gefässwand unschädlich gemacht 
worden wären. 

1) F. Reiche, Mischinfektionen bei Diphtherie. Zentralbl.f. inn.Med. 1895. Nr.3. 


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F. REICHE, 


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25H 


Wie weit die Toxine dieser neben den Löfflerschen Bazillen in 
den primären und sekundären Krankheitsherden wuchernden Mikroben 
für den Verlauf der Diphtherie im Einzelfall in Betracht kommen, 
darüber fehlt uns noch jegliches Mass der Abschätzung. 

Die Frage nach solchen neben dem Gift der Diphtheriebazillen 
toxisch wirkenden sekundären bakteriellen Stoffwechselprodukten 
ist besonders auch in der Gruppe der Fälle mit hämorrhagischer 
Diathese bei Diphtherie berechtigt. Vereinzelte Haut- und Unterhaut¬ 
blutungen sieht man nicht selten an den Leichen diphtherieverstorbener 
Kinder und Petechien in den inneren Organen sind ein häufig in Sektions¬ 
protokollen notiertes Vorkommnis. Hier möchte ich nur die Fälle be¬ 
trachten, in denen bereits klinisch, intra vitam, die Anzeichen tieferer 
Blutzersetzung in Form von kutanen und subkutanen Hämorrhagien, ver¬ 
bunden mit Epistaxis und Blutungen aus dem Zahnfleisch und den mem- 
branoulzerösen diphtherischen Partien, in vielen Fällen auch aus dem 
Darm, vereinzelt auch mit dem Urin sich präsentierten. 

Wir fanden diese hämorrhagische Diathese in den Altersgruppen von 


0— 1 Jahre 

unter 47 Verstorbenen 2mal, 

d. h. 4,3pCt. 

1— 5 Jahren 


394' 


67 „ 

d. h. 16,9 „ 

5-15 „ 

75 

361 

n 

104 „ 

d. h. 28,8 „ 

15-25 „ 

75 

54 

55 

1 „ 

d. h.\ 

25-50 „ 

75 

27 

r 

1 „ 

d.h. 2,4 „ 

über 50 „ 

Ti 

3 

75 

0 „ 

d. h. ’ 


mithin eine ganz besondere Prädilektion in der Reihe der 5—15Jäh- 
rigen, hinter denen dann die 1—5Jährigen in sehr viel geringerem 
Prozentsatz rangieren; relativ selten ist die Komplikation bei den Säug¬ 
lingen, noch rarer unter Erwachsenen. 

Etwas anders stellt sich die Frequenz dar, wenn wir sie auf die Zahl 
der Lebenden beziehen. Wir sehen sie bei den Kranken im Alter von 


0— 1 Jahre 

unter 

122 bei 

2 

oder 

1,6 pCt, 

1— 5 Jahren 

V 

75 

1904 „ 

68 

75 

3,6 „ 

5-15 

75 

3070 „ 

105 

75 

3,4 „ 

15-25 

71 

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1552 „ 

1 

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25-50 

51 

15 

639 „ 

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0,1 „ 

über50 

55 

11 

27 „ 

0 

) 

75 



Nur 2 von allen diesen Schweraffizierten genasen, ein 4jähriges 
Mädchen und ein 7jähriger Knabe. Der Krankenbericht über das erstere 
ist von Roedelius veröffentlicht, es ist einer der Fälle, in dem uns der 
Nachweis von Diphtheriebazillen aus dem lebenden Blute gelang; das 
war am 5. Krankheitstage, kurze Zeit vorher setzte die ausserordentlich 
schwer verlaufene hämorrhagische Diathese ein. Sie war nicht annähernd 
so umfangreich und grav in dem 2. Falle; bei ihm war das entnommene 
Blut steril gewesen. Die Blutungen zeigten sich hier zuerst am 
6. Krankheitstage. 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


257 


Noch ein weiterer Patient überwand das Stadium der multiplen 
Haut- und Schleimhautblutungen, erlag aber dann seiner Herzschwäche 
am 34. Krankheitstage, 27 Tage, nachdem die ersten Hämorrhagien bei 
ihm sichtbar geworden waren. 

Das Verhältnis zwischen dem Tag der Krankheit, an dem diese 
gravste aller Diphtheriekomplikationen mit ihren ersten Anzeichen hervor¬ 
trat, und dem Todestag, mithin die Lebensdauer mit ihr, wird in 
folgender Uebersicht wiedergegeben. 

Als die hämorrhagische Diathese begann, standen von den Verstor¬ 
benen am 



3. 

4- 

5. 

6. 7. 

Kran 

8. 
k h 

9. 10. 

i t s t a 

11. 

ge 

12. 

14. | 16. 


im ganzen 

16 

19 

34 

26 

22 

12 

8 4 

3 

2 

2 1 149 

von diesen 

starben 











am 3. Krankheitstage 

4 





. 




4 

. 4. 


6 

5 


. 






11 

„ 5. 


2 

6 

10 







18 

. 6. 


2 

5 

12 

7 






. . 26 

. 7. 

r> 

— 

— 

6 

7 

7 





20 

. 8. 


1 

1 

2 

4 

5 

4 




17 

„ 9. 


— 

— 

2 

1 

2 

2 

2 . 



9 

„ 10. 


1 

1 

— 

2 

1 

3 

2 — , 



10 

. 11. 


— 

— 

1 1 

3 

1 

— 

3 1 

1 


10 

, 12. 


— 

— 

— 

1 

3 

1 

— 1 

— 

1 

7 

, 13. 


— 

— 

— 

— 

— 

1 

— 1 

1 

— 

— 3 

. 14- 


— 

— 

1 

1 

— 

— 

— — 

— 

1 1 

1 — 4 

. 15. 


— 

1 

— 

— 

— 

— 

— 1 

1. 

— 

— — 3 

. 16. 

V 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 — — 

— 

— 

1 — 1 

* 17. 

V 

— 

— 

— 

— 

— 

— 


— 

— 

— 1 1 

, 18. 

V 

— 

— 

— 

— 

1 

1 

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i — 

— 

— — 2 

» 20. 

n 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

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I 

— 

— - 1 

, 21. 


— 

— 

— 

— 

1 

— 


— 

— 

- - 1 

* 34. 

r* 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

j — — 

— 

— 

- - 1 


In der Gesamtsumme aller Fälle (177) war bei 2 der Krankheits¬ 
anfang nicht ermittelt, 24 weitere scheiden aus, weil hier bei der Auf¬ 
nahme bereits Hämorrhagien entdeckt wurden, in obigen 149 entwickelten 
sie sich erst unter unseren Augen. Der früheste Tag ist der 3., der 
aber bereits mit 10,7 pCt. der Fälle vertreten ist, dann steigt die Häufig¬ 
keitsskala rasch über den 4. Tag — der 12,7 pCt. zeigt, zum Maximum 
am 5. Krankheitstage mit 22,8 pCt., um langsam dann wieder bis 
zum 16. Tage abzusinken; aus der 1. Krankheitswoche stammen 117 oder 
78,5 pCt., aus der zweiten 32 oder 21,5 pCt. 

Sehr viele dieser Kranken gingen an dem gleichen Tage zugrunde, 
an dem die Hämorrhagien bei ihnen bemerkt wurden: 42 oder 28,2 pCt.; 
ebenso viele starben 1 Tag darnach, 29 oder 19,5 pCt. 2 Tage darnach, 
in der 1. Woche der Krankheit waren bereits 137 von ihnen hingerafft, 
d. h. 92 pCt., in der 2. Krankheitswoche erlagen 11. 

Bei 20 von diesen 177 Kranken war eine vitale Blutunter¬ 
suchung gemacht worden; nur einmal, in der vorerwähnten Beobachtung 


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Original fro-m 

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258 


F. REICHE, 


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bei einem 4jährigen Mädchen, war dabei mit Isolierung von Diphtherie¬ 
bazillen ein positiver bakteriologischer Befund gewonnen worden. Auch 
bei der Diphtherie beruht die sich gelegentlich hinzugesellende hämor¬ 
rhagische Diathesc nicht auf einer septischen Komplikation, ebenso wenig 
wie sich dieses in einer anderen Untersuchungsreihe bei der kavernösen 
fieberhaften Lungenphthise in 11 Beobachtungen erweisen liess 1 )- 

Von den 175 Verstorbenen wurde bei 142 das Herzblut bakte¬ 
riologisch geprüft, es war bei 60 steril, also in einem etwas höheren 
Prozentsatz — 42 gegenüber 40 pCt. — als in der Gesamtheit. In den 
übrigen Fällen fanden sich zumeist Streptokokken, bisweilen mit Staphylo¬ 
kokken, Pneumokokken und Kolibazillen vereint, 5 mal aber Diphtherie¬ 
bazillen, 3mal in Reinkultur. Ueberraschend häufig sahen wir bei den 
mit hämorrhagischer Diathese Verstorbenen schwere innere durch 
Löfflersche Bazillen bedingte Komplikationen der Diphtherie. 
Ich war in der Lage, von diesen im ganzen 45 Beobachtungen zusammen¬ 
zustellen 2 ): 31 mal lag ein Befallensein der Magenschleimhaut von 
sekundären diphtherischen Prozessen vor, wobei 25 mal sie allein, 4mal 
gleichzeitig die des Oesophagus, 2mal die des Mastdarms ergriffen 
war, 12 mal handelte es sich um gleichartige Oesophagusveränderungen, 
je 2mal um solche im Duodenum und Ileum, 4mal um analoge Alte¬ 
rationen der Mastdarmmukosa und bei einer Puerpera um missfarbene 
reichliche Löfflerbazillen beherbergende Pseudomembranen an der Portio 
uteri. 15 von diesen 45 Patienten hatten intra vitam die Symptome 
der hämorrhagischen Diathese geboten, d. i. gerade ein Drittel, während 
sie unter der Gesamtzahl der 886 nur bei 175 sich entwickelt hatten 
oder zu fast 20 pCt. 

Von weiteren seltenen Komplikationen der Diphtherie seien 2 Fälle 
von Analdiphtherien bei 2 Schwestern im Alter von 3 und 5 Jahren 
erwähnt, welche beide umfangreiche luetische Kondylome am After hatten. 
Beide genasen — bei dem kleineren Kinde handelte es sich um eine 
leichte Verlaufsform der Rachendiphtherie —, bei beiden hatte der diph¬ 
therische Prozess die Kondylome stark zum Schwinden gebracht. 

Bakteriologische Untersuchungen der Galle ergaben bei 36 unserer 
Verstorbenen stets ein negatives Resultat [Rail 3 )]. 

Noch ein weiteres Moment fiel uns in dieser letzten Epidemie auf, 
das verhältnismässig häufige Wiederauftreten des diphtherischen Rachen¬ 
prozesses in der Rekonvaleszenz nach Abheilung der primären Verände¬ 
rungen. Eckert (Deutsche raed. Wochenschr. 1912, 24. Sept.) hat als eine 

1) F. Reiche, Die Infektion der Blutbahn bei fieberhafter kavernöser Lungen¬ 
phthise. Med. Klinik. 1909. Nr. 52. 

2) F. Reiche, Seltene Komplikationen der Diphtherie. Mitteil. a. d. Hamburg. 
Staatskrankenanst. XV. 2. 

3) Rail, Bakteriologische Untersuchungen der Galle bei Diphtherieleichen. 
Ersch. in der Münch, med. Wochenschr. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


259 


der wichtigeren Errungenschaften der Antitoxintherapie es besonders her¬ 
vorgehoben, dass die Rezidive der Vorserumzeit kaum noch zur Kenntnis 
kommen. Sie waren in diesen letzten Jahren weit öfter zugegen, als wir 
es je zuvor vor und nach dem von Behring inaugurierten Wendepunkt 
unserer Diphtheriebehandlung erlebten. Ich verweise auf meine früher 
veröffentlichten Ausführungen 1 )- Bis zur Fertigstellung der Arbeit über 
die „Reinfektionen bei Diptherie“ hatte ich 166 gesehen, bis zum 1. Ok¬ 
tober 1913 traten noch 5 weitere hinzu, von denen einer, ein 3jähriger 
Knabe, nach einer leichten Ersterkrankung in dem sehr schweren Rezidiv 
verstarb. Zwei entstammen der 2., drei der 3. Krankheitswoche, so dass 
von allen diesen Rückfälle eintraten 


bis zum 14. Krankheitstage.47 oder 27,5 pCt. 


21 . 

28. 

35. 

42. 

49. 

56. 


66 

23 

19 

10 

5 

1 

171 


38,6 

13,4 

11,1 

5.9 

2.9 
0,6 


Allemal handelte es sich in diesen Fällen nicht nur um Temperatur¬ 
anstiege mit Halslymphdrüsenschwellungen und Schluckbeschwerden in 
der Rekonvaleszenz, sondern vor allem um ein Auftreten von Pseudo¬ 
membranen auf den Tonsillen und gelegentlich darüber hinaus — einfache 
und follikuläre Formen wurden hier nicht einbezogen. Zwei Kranke 
machten zwei Rezidive durch, die 18 und 30 Tage nach dem Beginn 
des 1. Rückfalles einsetzten. Im Rückfall starben 6 Kinder im Alter 
von l x / 4 —5 Jahren und ein Erwachsener von 17; bei diesem und 3 der 
ersteren war der Exitus nui dem schweren Wiederauftreten der Krankheit 
zuzuschreiben, bei den übrigen mehr der von der ersten Attacke zurück¬ 
gebliebenen Herzschwäche. Fünf weitere Rezidive — mit 1 Todesfall — 
ereigneten sich noch in der 11.—13. Krankheitswoche (zwischen 72. und 
89. Tag); ich habe vorgezogen, sie lieber den zweitmaligen Erkrankungen 
als den Rückfällen zuzurechnen. 


Es waren bei der ersten Diphtherie 

a) leicht verlaufen . . .86, davon verliefen im Rezidiv als 

b) mittelschwer verlaufen 43, „ 

c) schwer verlaufen ... 42, „ 



I 57 Fälle 
n 13 „ 

111 16 „ 

I 30 „ 

II 8 „ 

III 5 „ 

I 26 „ 

« ‘ „ 

III 9 „ 


1) Reiche, Rezidive bei Diphtherie. Jahrb. d. Hamburg. Staatskrankenanst. 
Reinfektionen mit Diphtherie. Med; Klinik. 1913. Nr. 41. 


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260 


F. REICHE, 


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Die 3. Gruppe ist die wichtigste, denn sie erweist, dass ein Körper 
auch nach einer schweren Diphtherie aufs neue ihr erliegen kann, 
und dass diese neue Erkrankung dann noch in 16,7 pCt. der Fälle einen 
mittelschweren, in 20,7 pCt. einen schweren Dekursus nahm. Der 
Zeitraum, in dem an eine schwere 1. eine schwere 2. Attacke sich an¬ 
schloss, schwankte zwischen 14 und 44 Tagen und betrug im Mittel 
28 Tage, während die Zweiterkrankung (I., II. und III. Verlaufsschwere) 
ganz allgemein den schweren Formen in durchschnittlich 25 Tagen folgte. 
Wie gering an Dauer war der Schutz, den die erste verliehen hatte! Ucber 
die Häufigkeit der Rezidive ist folgendes zu sagen: In der Gesamt¬ 
zahl der von uns zur Betrachtung gestellten 7314 Diphtheriepatienten 
wurden 159 registriert, das sind 2,2 pCt. Sie wurden beobachtet in der 
Altersklasse 

unter I Jahr unter 122 Patienten lmal oder zu 0,8 pCt. 


1—5 Jahren 

71 

1904 

71 

31 „ 

V 

Ti 

1,G 

71 

5-15 

71 

71 

3070 

71 

58 „ 

V 

71 

1,9 

71 

15-25 

71 

71 

1552 

Ti 

54 , 

71 

V 

3,5 

71 

25-50 

7! 

7) 

639 

n 

13 „ 

V 

Ti 

2,3 

71 

über 50 

Ti 

n 

27 

71 

— 






Rechnet man die Toten ab, die meist mit noch vollentwickelter Rachen¬ 
erkrankung starben, von denen (cf. Tabelle F) ja bis zum 7. Krankheits¬ 
tage 48pCt. erlegen waren, so erhalten wir bei den Kindern bis zum 15. Jahre 

unter 4297 Patienten 90 Rezidive = 2,1 pCt. 
bei Erwachsenen „ 2135 „ 69 „ = 3,2 „ 

insgesamt unter 6432 Patienten 159 Rezidive ='2,5pCt. 

In der Gesamtheit aller unser 7314 Kranken waren verlaufen als 


leicht (I). 2794, davon rezidivierten 82, d. s. 2,9 pCt. 

mittelschwer (11). 1862, „ „ 40, d. s. 2,2 „ 

schwer (III). 2658, „ „ 37, d. s. 1,4 „ 


(III) lebend (nach Abzug der 

Verstorbenen). 1776, „ „ 37, d. s. 2,1 „ 

So ergibt sich, dass die Altersgruppe von 15—25 Jahren bei 
weitem am meisten und Erwachsene mehr wie Kinder zu Rezidiven 
neigen und dass diese ein wenig häufiger eintreten, je leichter die 
Ersterkrankung sich abspielte. 

Reinfektionen wurden in diesen Jahren in grosser Zahl nach den 
anamnestischen Angaben notiert. Gerechnet wurden dazu alle Diphtherien, 
welche länger als 10 Wochen nach der voraufgegangenen Diphtherie sich 
einstellten. Es ist dieses eine rein praktisch gewählte Grenze, ob einzelne 
dieser Kranken dauernd Bazillenträger waren, und die 2. Erkrankung 
demnach eine durch die eigenen im Organismus noch zurückgehaltenen 
Bakterien bedingte Fortsetzung des früheren Leidens und nicht eine Neu¬ 
infektion von aussen war, lässt sich weder bejahend noch ablehnend be¬ 
antworten. Nach unseren früheren bis Ende Juni 1913 reichenden Auf- 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


261 


Stellungen betrug die Frequenz dieser angeblichen Zweiterkrankungen 
5,8 pCt., sie war in der Altersklasse von 1—5 Jahren 1,3 pCt., um in 
der von 25—50 Jahren sich bis auf 15,8 pCt. progressiv zu heben. 

Die Zweifel, denen anamnestische Daten unterworfen sind, brauche 
ich nicht aufs neue zu ventilieren. Für zuverlässige Schlussfolgerungen 
eignen sich nur die Beobachtungen, bei denen in beiden Attacken der 
Nachweis der Löfflerbazillen geführt wurde; höchstens darf man ihnen 
noch die Fälle zurechnen, welche neben ihrer Angabe einer früheren 
schweren Diphtherie in Form der Tracheotomienarbe einen Beweis für 
die Echtheit dieser Angabe mitbrachten. 39 meiner Fälle gehören der 
ersteren Gruppe, 9 bis Ende September 1913 beobachtete der 2. an. 

Die zeitliche Beziehung der 2. zur 1. Diphtherie versinnlicht 
folgende Uebersicht: die erste Erkrankung lag 


zwischen 10 Wochen und 6 Monaten zurück bei 
über 6 bis zu 12 „ „ 

„ 1 Jahr bis zu 2 Jahren „ „ 

n 2 Jahre n » 6 !) n r 

mehr als 6 Jahre .. „ 


7 Patienten 

8 « 

* 

14 * 

8 * 


48 


Und die Beziehung der Schwere der zweiten zu der ersten Er¬ 
krankung ergibt sich aus nachstehenden Zahlen: Die erste Diphtherie 
verlief als 

leicht (I) ... in 17 Fällen, die spätere gestaltete sich aber als I in 8 Fällen 

H» 5 „ 

UI, 4 „ 

mittelschwer (II) „ 13 „ „ „ „ „ „ I „ 6 „ 

.U, 2 „ 

Hl „ * „ 

schwer (III) . . „ 18 „ „ „ * „ I „ 11 „ 

II n 2 „ 

UI n 5 n 

Beide Tabellen zeigen, dass eine Fortdauer aktiv immunisierender 
Kräfte von der ersten Diphtherie weder in Form eines zeitlichen 
Schutzes gegen neues Erkranken noch in Form einer verbesserten 
Ab Wehrfähigkeit gegen die erneut in den Körper einbrechende Infektion 
sich mit der zu fordernden Sicherheit herauslesen und sich ein fester 
Vergleich zur Variola, zu der durch sie erreichten, durch Impfungen 
mit ihrem abgeschwächten Virus erzielbaren Immunität und den ge¬ 
legentlichen stark gemilderten, in der Form der Variolois sich äussernden 
Wiedererkrankungen nicht konstruieren lässt. 

Ein Unterschied zwischen den als Rezidiven klassifizierten erneuten 
Diphtherien und diesen Reinfektionen tritt dabei kaum, oder nur in einem 
bei so kleinen Zahlen nicht verwertbarem Umfange hervor. Von den 
Schweraffizierten waren dort auch bei der 2. Diphtherie 20,7, hier 27,8 pCt. 
wieder schwer erkrankt gewesen. 


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262 


F. REICHE, 


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Reinfektionen beanspruchen noch durch die bei ihnen nötig werdenden 
Reinjektionen von Heilserum unser Interesse. Die Gefahr des schweren 
anaphylaktischen Shocks, den wir bei 2 erwachsenen jungen Mädchen 
und einem 11jährigen Knaben in Form eines Herzkollapses und von 
Atemstörungen in bedrohlichster Weise im Laufe der letzten 5 Jahre be¬ 
obachteten, mahnt zur grössten Vorsicht mit ihnen, wenn auch die 
Häufigkeit dieser graven Komplikation nur recht niedrig anzuschlagen 
ist. Unter 196 Fällen von Reinfektion, bei denen Diphtherieserum mit 
Sicherheit im Verlauf der ersten Erkrankung gegeben worden war, er¬ 
hielten 82 auch bei der 2. von mir Serum; vielfach hörten wir erst 
nachträglich von den besuchenden Eltern über die frühere Erkrankung 
und ihre Serumbehandlung. Gegeben wurden: 

bis zu 3000 Einheiten bei 51, Exanthem trat auf bei 20 = 39,2 pCt. 

von 3000-6000 „ „ 24, „ „ „ „ 11=45,8 „ 

* 6000-12000 „ „ 7, „ „ , „ 3 = 42,9 » 

82, Exanthem trat auf bei 34 = 42,5 pCt. 

In 27 Fällen war mit der Absicht, eine Antianaphylaxie zu er¬ 
zeugen, anfänglich eine Serummenge von nur 500 I.-E. und dann 
6 Stunden später die volle Dosis von 8 mal 1500, 11 mal 3000, 2 mal 4500 
und 6mal 5500 und 6000 eingespritzt worden: in diesen Fällen trat 
bei 12 ein Exanthem zutage, d. s. 44,4 pCt. gegenüber 44,8 pCt. von den 
nicht so nach Besredkas Vorschlag Vorbehandelten. Dieses Ergebnis 
spricht nicht zugunsten der Möglichkeit, auf diesem Wege bei dazu 
Disponierten die Ueberempfindlichkeit auszuschalten. 

Die erstmalige Seruminjektion lag in jenen 80 Fällen zurück: 


1 Jahr in 15 Fällen, ein Exanthem erschien in 6 = 40,0 pCt. 


2 und 3 Jahre 

71 

26 

n 

77 

77 

77 

77 

12 = 46,2 

77 

4-6 „ 

77 

17 

71 

7 ? 

77 

77 

77 

9 = 52,9 

77 

7-10 „ 

7 ? 

10 

7 ? 

77 

77 

77 

77 

4 = 40,0 

77 

über 10 „ 

n 

12 

77 

77 

V 

77 

77 

3 = 25,0 

77 


Die lange Dauer der Neigung zu allergischen Reaktionen 
wird durch diese Ziffern aufs neue exemplifiziert. 

Im grossen und ganzen waren die von uns beobachteten Serum¬ 
exantheme eine, besonders im Vergleich zu Umbers Angaben grosse 
Seltenheit. Ich habe die eingehenden diesbezüglichen Angaben von 
meiner Station gesondert besprochen 1 ). Wir sahen sie unter allen 6250 
von uns mit Antitoxin behandelten Fällen 426 mal oder zu 6,8 pCt. 


Unter 

107 Fällen der Altersgruppe unter 1 Jahr 

lmal 

= 0,9 pCt. 

77 

1789 

77 

77 

77 

1—5 Jahren 103 „ 

= 5,8 „ 

77 

2740 

77 

77 

77 

5—15 

171 * 

= 6,2 „ 

77 

1112 

77 

77 

77 

15-25 

109 „ 

= 9,8 „ 

77 

481 

77 

77 

77 

25—50 „ 

42 „ 

= 8,8 „ 

77 

21 

77 

77 

77 

über 50 „ 




1) F. Reiche, Serumexantheme. Mitteil, aus d. Hamburger Staatskrankenanst. 
1914. Bd. 15. H. 7. 


Gck igle 


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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 


203 

Es ergab sich eine deutliche Abhängigkeit der Häufigkeit der 
Ex'antheme von der Höhe der verwendeten Immunitätseinheiten. 
So war ihre Zahl unter den 

1933 leicht verlaufenen Fällen mit im Mittel 1750 l.-E. 85 oder 4,4 pCt. 

1765 mittelschweren „ „ „ „ 2760 ,, 126 „ 7,1 „ 

2552 schweren „ „ „ „ 5020 „ 215 „ 8,4 ,, 

Und unter den letzten 4250 Serumgespritzten war es von 
1412 Fällen, die 1500 Einheiten erhielten, 42mal oder zu 3,0 pCt. zugegen 


1175 „ 

„ 3000 

11 

79 mal „ 


11 

390 „ 

„ 4500 

11 

„ 35 mal „ 

„ ‘.»,0 „ 

11 

049 „ 

„ 6000 

11 

„ 68 mal ,, 

„10,5 „ 

11 


Aus dieser Reihe können wir auch über den zeitlichen Eintritt 
der reaktiven Hauteruptionen Genaueres aussagen. Nach 2 Tagen, d. h. 
nach zweimal 24 Stunden nach der Injektion traten sie bereits in 1,9 pCt. 
dieser Fälle auf, die Hauptmenge lag aber mit 79,6 pCt. zwischen 6. und 
12. Tag, noch enger mit 46,8 pCt. zwischen 8. und 10. Tag, der Höchst¬ 
befallene war der 9. mit 17,8 pCt. der Exantheme. Nach dem 17. Tage 
wurden sie nicht mehr beobachtet. 

Die Serummengen waren ohne Einfluss auf früheres oder späteres 
Erscheinen der Serumkrankheit. 

Der Charakter der Hautveränderungen liess bei manchen 
Uebergängen im Einzelnen verschiedene Typen erkennen; bei weitem am 
häufigsten waren stark juckende, oft von einer Konjunktivitis begleitete 
urtikarielle Eruptionen, bei denen die Quaddeln alle Verschiedenheiten 
von unmerklichen an das Erythema multiforme erinnernden Erhaben¬ 
heiten bis zu breiten derbelastischen, bald hellroten, bald weissen 
Prominenzen boten, vereinzelt die Form der Quinckeschen Riesen¬ 
quaddel annahmen, zweimal als Urticaria vesiculosa sich darstellten, 
dann folgten nach ihrer Häufigkeit scharlachartige Erytheme, dann 
morbilläre und rubeoliforme. Oedem, zumal des Gesichts, ging 
häufig damit einher. Nach 2—3 Tagen waren die Ausbrüche gewöhnlich 
restlos geschwunden, Desquamation geringen Grades war eine nur 
seltene Folge. Oft ging eine lokale umschriebene urtikarielle Haut¬ 
veränderung am Ort der Seruminjektionsstelle dem universellen Exanthem 
um 24 Stunden vorauf. 

Fiebersteigerungen meist mässigen Grades, selten 39° über¬ 
schreitend oder 40° erreichend, Gliederschmerzen, Gelenkschwellungcn, 
Herzirregularität und Albuminurie waren des Oefteren als Zeichen einer 
allgemeinen Reaktion neben der kutanen Alteration zugegen. 

Bei Patienten, die früher schon einmal Antitoxin erhalten hatten, 
kam es in vereinzelten Fällen zu einem zweimaligen Exanthem. 

Zeitsclir. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. |g 


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264 


F. REICHE, 


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Insgesamt sind rund 7 pCt. unserer Exantheme mit Sicherheit 
mit früheren Seruminjektionen in Verbindung zu bringen, 25 unter 
den letzten 320. 

Benutzt wurde ausschliesslich das Ruete-Enochsche Präparat. 

Der Höhe der bei ihnen zu Hilfe gezogenen Seruradosen entsprechend, 
sahen wir Exantheme relativ selten bei unseren präventiv Geimpften 
bei denen gewöhnlich 1500, sehr viel seltener 3000, 4000 und 6000 Ein¬ 
heiten injiziert wurden, die letzteren gewöhnlich da, wo klinisch eine 
schwere Diphtherie vermutet worden war, die sich bakteriologisch dann 
als eine andere diphtheroide Affektion, zumeist mit kurz danach er¬ 
folgendem Exanthem als Skarlatina erwies. Die Zahl dieser prophylak¬ 
tischen Injektionen überschreitet 760, die Frequenz der Exantheme unter 
ihnen beträgt kaum 4 pCt., doch vermag ich sie nicht zahlenmässig 
exakt anzugeben, da viele von diesen Kranken, wenn es sich um ein¬ 
fache Anginen handelte, bereits nach 5—7 Tagen wieder zur Entlassung 
kamen, andere auf andere Abteilungen verlegt wurden. 

Ueber den Wert der Präventivbehandlung mit v. ßehringschem 
Serum sind unsere früheren zustimmenden Beobachtungen 1 ) mit Er¬ 
langung ausgedehnter Erfahrungen stark modifiziert worden. Zwei Dutzend 
von Erkrankungen an echter, gewöhnlich leichter, hin und wieder aber 
auch schwerer Diphtherie, die sich im Laufe dieser 5 Jahre trotz der 
vorbeugenden Antitoxininjektion bei unseren Patienten und mehr bei dem 
der Infektion andauernder ausgesetzten Pflegepersonal ereigneten, gar 
häufig bereits wenige Wochen nach ihr auftraten, mussten den früheren 
Glauben erschüttern. Ein 3jähriges Mädchen und eine erwachsene Frau 
akquirierten auf der Station schon am 11. bzw. 14. Tage nach der In¬ 
jektion von 4000 bzw. 6000 Immunitätseinheiten beide eine schwer ver¬ 
laufende Diphtherie. Der 11. Tag war überhaupt der früheste Termin 
dieses Eintritts, in der grössten Mehrzahl der Fälle erfolgte er um den 
14. Tag herum nach jener prophylaktischen Massnahme. 

Die Entlassung unserer Patienten geschah nach feststehendem 
Gebrauch unsererseits immer nur dann, wenn der Rachenschleira bei 
zweimaliger kultureller Untersuchung löfflerbazillenfrei gewesen war. 
Sehr oft erfolgte sie aber auf Wunsch der Kranken selbst oder der 
Eltern frühzeitiger. So haben wir über die Persistenz der Diph¬ 
theriebazillen im Rachen der von der Krankheit Genesenen nicht an¬ 
nähernd der Zahl der von uns Behandelten entsprechende Daten. Seit 
der Zeit von Mitte 1907 bis 1. Oktober 1913 wurden 8387 Kranke mit 
echter Löfflerbazillen-Diphthcrie auf meiner Station aufgenommen und 
entlassen, von denen, wie wir berichteten, 1063 starben. Von diesen 
7324 geheilt Entlassenen sind nur 4920, bei denen der Krankheits- 

1) F. Reiche, Ein Beitrag zur Serumbehandlung der Diphtherie. Med. Klinik. 
1909. Nr. 49. 



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Die Hamburger Diphtherieepidemie 1909—1914. 2(>5 

anfang feststand und obige Untersuchung durchgeführt werden konnte, 
verwertbar. 

Von ihnen waren bazillenfrei: 



am 

Schluss der 

2. 

Krankheitswoche 

445 oder 

9,0 pCt. 

bis 

zum 

55 

55 

3. 

55 

6G1 

55 

13,4 „ 

« 

,, 

55 

55 

4. 

55 

1420 

55 

28,9 „ 

55 


55 

55 

5. 

55 

3812 

55 

77,4 „ 

r 

55 

55 


6. 

55 

4343 

55 

88,3 „ 


,, 

55 

55 

8. 

55 

4793 

55 

97,4 „ 

V 

55 

55 

55 

10. 

55 

4912 

55 

99,8 „ 


Die längste von uns konstatierte Dauer betrug bei einem 2jährigen 
Waisenhauszögling 202 Tage. Virulenzprüfungen der so isolierten 
Keime wurden nicht vorgenommen. 

Während dieser Fortdauer des Bazillenbefundes kamen bei unseren 
Rekonvaleszenten nicht selten Anginen einfacher und follikulärer Art, 
Bronchitiden und echte lobäre Pneumonien interkurrent zur Beobachtung, 
ohne dass deren Ablauf irgendwie durch die Anwesenheit jener Mikroben 
alteriert worden wäre. 

Dass aber diese Diphtheriebazillen auch nach monatelanger Per¬ 
sistenz noch volle Infektionstüchtigkeit besassen, bewiesen uns sehr 
zahlreiche return cases unter den Geschwistern, Eltern und Hausgenossen 
von mit noch bazillenhaltigem Rachen und leider auch des Oefteren als 
nach unseren Feststellungen „bazillenfrei“ Entlassenen. 

Bei dieser wie in allen sonst in diesem Bericht angeschnittenen 
Fragen muss ich es mir versagen, auf die vorliegende reiche Literatur 
jedes einzelnen dieser Punkte einzugehen. Es müsste den Rahmen 
meiner Arbeit sprengen. Mir kam es darauf an, unsere im Laufe einer 
schweren Epidemie gesammelten Erfahrungen geschlossen mitzuteilen. 
Ihre grosse Fülle erforderte in vielen Punkten zahlenmässige Auf¬ 
rechnungen, eine numerische Gliederung der klinischen Beobachtungen, 
die mit den landläufigen Statistiken nur den äusseren Aufbau gemein¬ 
sam hat. 

Dass diese eingehende, Fehlerquellen nach aller Möglichkeit aus- 
schliessende Wiedergabe unserer Beobachtungen möglich war, danke ich 
der wertvollen Mitarbeit meiner Assistenten DDr. Görner, Königer, 
Leede, Meinshausen, Querner, Rail und Rödelius. 


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XIH. 


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Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania 
(Prof. Dr. S. Torup). 

Heber Reaktionsbestimmungen des Harns. 

Vod 

H. F. Höst. 

Um die Reaktion des Harns (die Azidität oder Basizität) zu be¬ 
stimmen, hat man sich in den Kliniken bis jetzt des Titrierens mit 
n/ 10 Natronlauge oder n/ 10 Säure bedient, unter Zuhilfenahme irgendeines 
Indikators und zwar insbesondere von Phenolphthalein. 

Das Titrieren gibt jedoch bekanntlich niemals die wahre Reaktion 
des Harns an, und wenn sich auch — worauf L. v. Rohrer 1 ) zuerst die 
Aufmerksamkeit gelenkt hat — ein annähernder Parallelismus zwischen 
der „Titrierazidität“ und der „loncnazidität“ findet, kann dies nur auf 
gesunde Personen und nur für den Fall gleichartiger Ernährung in An¬ 
wendung gebracht werden. Aber selbst unter diesen Umständen ist ein 
derartiger Parallelismus nicht immer vorhanden, und in pathologischen 
Fällen werden erhebliche Verschiebungen zwischen der „Titrier-“ und der 
„Ionenazidität“ eintreten können. 

Wenn man bedenkt, welche vitale Bedeutung es für den Organismus 
hat, die Reaktion der Blut- und Gewebsflüssigkeiten innerhalb ganz enger 
Grenzen zu halten, und ferner, dass die Nieren, praktisch genommen, 
das einzige Organ sind, vermittelst dessen sich der Organismus seiner 
überschüssigen Hydroxyl- und Wasserstoffionen cntäussern kann, dann 
wird es begreiflich, dass es unter physiologischen, wie auch insbesondere 
unter pathologischen Verhältnissen von grösster Bedeutung ist, die wirkliche 
Reaktion des Harns zu bestimmen. 

Die älteren Verfahren, die darauf beruhen, dass die Schnelligkeit der 

+ 

von (H) katalysierten chemischen Prozesse proportional ist zur Wasserstoff¬ 
ionenkonzentration, werden stets nur beschränkte Verwendung finden und 
für die Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration des Harns nicht 
geeignet sein: Auch das in seinen Grundzügen von W. Nernst 2 ) an¬ 
gegebene elektrometrische Verfahren ist wegen seiner grossen Umständlich¬ 
keit für klinischen Gebrauch nicht sehr angebracht; erübrigt ist dann 

1) Pflügers Archiv. Bd. 86. S. 586. 

2) Zcitschr. f. physik. Chemie. 1889. Bd. 4. S. 129. 


% 



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Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns. 


207 


noch die kalorimetrische Probe, die, zuerst von Friedenthal und Salm 1 ) 
ausgearbeitet, später von S. P. L. Sörensen 1 ) zum Gegenstand genauer 
Untersuchung und Bearbeitung gemacht wurde. Dies Verfahren ist viel 
einfacher als die zuerst erwähnten, hat aber bei klinischen Untersuchungen 
bisher nur geringe Anwendung gefunden. Für Reaktionsbestiramungen 
des Harns erweist es sich als sehr geeignet, und kommt die Unter¬ 
suchung mehrerer Harne in Frage, fällt es reichlich so bequem wie das 
Titrieren; kommt hierzu noch, dass es umgekehrt zu diesem die wirk- 

liche (H)-Konzentration angibt, sollte es bei Reaktionsbestimmungen des 
Harns an Stelle des Titrierverfahrens treten. 

Das Prinzip dieser Probe besteht in dem Vergleich des Farbentons, 
den ein hierzu passender Indikator in den Lösungen bekannter Wasserstoff- 
ionenkonzentrationen hervorruft, mit der Farbe, die derselbe Indikator der 
Flüssigkeit, deren Reaktion bestimmt werden soll, verleiht. 

Für derartige Standardflüssigkeiten können eine Reihe verschiedener 
Salzlösungen dienen, deren Reaktion teils berechnet, teils vermittelst des 
elektrometrischen Verfahrens bestimmt ist, und als Farbstoff gebraucht 
man irgendeinen Indikator, dessen Farbenuraschlag gerade bei der Reaktion 
stattfindet, die von der zu untersuchenden Flüssigkeit dargestellt wird, 
dessen Farbenton bei dieser Reaktion leicht erkennbar und auffällig ist. 

Das kolorimetrische Verfahren ist bei Reaktionsbestimmungen des 
Harns schon von Lawrence L. Henderson 2 ) 3 ) und von W. W. Palmers 8 ) 
benutzt worden, die vermittelst dieses Verfahrens bei gesunden Personen 
wie auch bei zahlreichen Patienten eine Reihe Bestimmungen der Wasserstoff¬ 
ionenkonzentration im Harn ausgeführt haben. 

Da die kolorimetrische Probe in den Kliniken noch nicht recht in 
Aufnahme gekommen ist, sei hier in aller Kürze eine Verfahrungsweise 
wiedergegeben, wie sie sich bei einer Reihe von mir ausgeführter Reaktions¬ 
bestimmungen des Harns als zweckmässig erwiesen hat. 

Reagentien: Sörensens Phosphat- und Boratmischungen und Michaelis’ 
Chlorammonium-Ammoniakmischungen. Bismarckbraun zum 
Färben der Vergleichsflüssigkeiten sowie als Indikatoren: 
Neutralrot, Methylrot und Phenolphthalein. 

1. Eine 1 j l5 Mol.-Lösung von primärem Kaliumphosphat, die 
9,078 g KH 2 P0 4 im Liter enthält (benannt: Primäres 
Phosphat). 

2. Eine J / 13 Mol.-Lösung von sekundärem Natriuraphosphat, die 
11,876 g Na 2 HP0 4 12 H 2 0 im Liter enthält (benannt: 
Sekundäres Phosphat). 

1) Vgl. Ergehn, d. Physiol. 1912. I—II. S. 393. 

2) Biochem. Zeitschr. Bd. 24. S. 40. 

3) Journ. of biolog. Chem. XIII, p. 393, und XIV, p. 81. 


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268 H. F. HÖST, 

3• Eine alkalische Borsäurelösung, hergestellt durch die Lösung 
von 0,29 Mol.-Borsäure (12,404g) in 100 ccm n-Natronlösung 
und dessen Verdünnung zu einem Liter (benannt: Borat). 

4. n/ 10 -Salzsäure, benannt HCl. 

5. n-Chlorammoniumlösung. 

6. n-Ammoniaklösung. 

Indikatoren: 

1. Gesättigte Lösung von Methylrot in 50 proz. Alkohol. 

2. 0,1 pM. Neutralrot in 50 proz. Alkohol gelöst. 

3. 1 pCt. Phenolphthalein in 96 proz. Alkohol. 

Schliesslich ist es notwendig, der Vergleichsflüssigkeit die Farbe des 
Harns zu verleihen; es kam hier eine wässerige Lösung von Bismarck¬ 
braun zur Anwendung. 

Zur Ausführung des Farbenvergleichs ist es am besten, 18—20 gleich 
weite Reagenzgläser zu benutzen und ein, oder besser zwei Reagenz¬ 
gestelle, die nur einer Reihe von etwa 10 Reagenzgläsern Platz bieten. 
Die Gestelle sollten am liebsten — so wie von Sörensen angegeben 
— schräg stehen, so dass die Gläser mit der Vertikalen einen Winkel 
von 30—40° bilden, wodurch ihr Inhalt leicht und bequem gegen eine 
weisse Unterlage (Papier oder dergl.) beobachtet werden kann. 

Aus den Phosphat-, Borat- und Chlorammonium-Ammoniaklösungen 
stellt man folgende Mischungen her, deren Wasserstoffionenexponent (Ph) 
beigefügt steht. 

Phosphatmischungen. 


1 

ccm 

sek. Phospat -}- 99 ccm 

prim. Phosphat . . 

4,94 1»„ 

2,5 „ 

71 

71 

+ 97,5 

71 

71 

71 

5,28 „ 

5 

n 

71 

71 

4- 95 

71 

71 

71 

5,58 „ 

10 

r> 

71 

71 

+ 90 

71 

71 

71 

5,90 „ 

•20 

n 

71 

71 

+ 80 

71 

71 

71 

6,23 „ 

30 

n 

71 

71 

+ 70 

71 

71 

71 

6,46 „ 

40 

71 

71 

71 

+ 60 

71 

71 

71 

6,64 „ 

50 

» 

71 

71 

+ 50 

71 

71 

71 

6,81 „ 

60 

r> 

71 

71 

+ 40 

71 

71 

71 

6,97 „ 

70 

n 

V 

71 

+ 30 

71 

71 

71 

7,16 „ 

80 

71 

71 

n 

+ 20 

71 

71 

71 

7,38 „ 

90 

n 

71 

n 

+ 10 

71 

71 

71 

7,73 „ 

95 


71 

71 

l tß n r 71 • 

Boratmischungen. 

8,04 „ 

60 

ccm 

Borat 

-j- 40 

ccm HCl 


. 

8,28 Pu 

65 

n 

71 

4- 35 

71 71 




• 8,50 „ 

70 

7 ? 

71 

+ 30 

71 71 




• 8,67 „ 

75 

n 

71 

+ 25 

71 71 




• 8,79 „ 



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Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns. 


269 


Chloramraonium-Ammoniakmischungcn. 


~ = 16/1.8,29 P„ 

Y = 8/1 .8,59 „ 

» = 4/1.8,89 „ 


Alle diese Flüssigkeiten müssen in Flaschen von gutem Glas auf¬ 
bewahrt werden. 

Ausführung: Man bringe 9 bis 10 Reagenzgläser in je einem der 
Gestelle an und giesse in jedes Reagenzglas 10 ccm einer der her¬ 
gestellten Mischungen, so dass eine fortlaufende Reihe von Lösungen mit 
steigenden Wasserstoffionenexponenten von 4,94 Phosphat bis 8,79 Borat 
entsteht. Die Flüssigkeiten müssen die Temperatur von 18 0 haben, da 
der Exponent bei dieser Temperatur bestimmt ist und die Reaktion sich 
infolge der Hydrolyse mit der Temperatur verändert. 

Jeder der Vergleichsflüssigkeiten in den Reagenzgläsern wird so viel 
der Bismarckbraunlösung zugesetzt, dass die Flüssigkeiten dieselbe Farbe 
wie ein mittelstark gefärbter Harn annehmen (Vogel III—-IV). 

Besonders helle und besonders dunkle Harne sowie ammoniakalische 
Harne müssen allein für sich untersucht werden (vgl. weiter unten). 

Darauf füge man die Indikatoren hinzu. Zu den Phosphatmischnngen 
mit dem Exponenten von 4,94 einschl. bis 6,23 einschl. kommt 1 / 2 ccm 
Methylrotlösung, zu Phosphat von 6,43 bis Borat 8,28 einschl. 1 ccm 
Neutralrotlösung und zu Lösungen mit noch höheren Exponenten 3 Tropfen 
Phenolphthaleinlösung. 

Man untersuche den Harn am liebsten sofort nach der Entleerung, weil derselbe 
seine Reaktion verändert, wenn er stehen bleibt und die Kohlensäure entweicht. Kann 
er nicht sofort zur Untersuchung kommen, fülle man ihn in Flaschen, die ganz voll¬ 
gegossen und dann verkorkt werden müssen. 

+ 

Der Harn, dessen (H) Konzentration bestimmt werden soll, ist bis 
auf 37° zu erwärmen und, wenn erforderlich, zu filtrieren, worauf in 
2 Reagenzgläser 10 ccm Harn getan wird. Die Temperatur wird wiederum 
bis auf 37 0 gebracht, die Reaktion mit Lackmuspapier untersucht, worauf 
man zu dem einen Reagenzglas 1 ccm Neutralrotlösung fügt und zum 
andern, falls das Lackrauspapier saure Reaktion zeigte, 0,5 ccm Methylrot¬ 
lösung, dagegen 3 Tropfen Phenolphthaleinlösung, sofern die Reaktion 
alkalisch war. 

Hierauf vergleiche man die Farbe des Harnes mit derjenigen der 
Standardflüssigkeiten, da unschwer zu erkennen ist, welcher Farben¬ 
umschlag der beiden zugefügten Indikatoren am besten auf den Harn 
passt. Hat der Harn z. B. dieselbe Farbe wie Phosphat 6,23, so ist 
dies der gesuchte Wasserstoffionenexponent. 

Entspricht die Farbe des Harns keiner der Farben, die die Standard¬ 
flüssigkeiten zeigen, ist sie z. B. dunkler als Ph = 5,90, doch heller als 
P H = 5,58, kann man ungefähr beurteilen, wo der Exponent liegen muss 


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Original fro-m 

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*270 II. F. IIOST, 

oder auch eine Standardflüssigkeit mit dem zwischenliegenden Exponenten 
cinschieben, indem man 5 ccm der beiden Mischungen, deren Exponent 
demjenigen des Harns am nächsten kommt, zusammenbringt. 

Bei sehr hellen oder sehr dunklen Harnen muss man den Standard¬ 
flüssigkeiten durch Hinzufügen von weniger bzw. mehr der Bisraarckbraun- 
lösung ungefähr die Farbe verleihen, die der Harn hat. Doch zeigt es 
sich in den allermeisten Fällen, dass es hinreichend ist, den Standard¬ 
flüssigkeiten die Färbung eines mitteldunklen Harns zu geben, da 
Bismarckbraun zusammen mit den oben erwähnten Indikatoren Farben 
ergibt, die leicht vergleichbar sind mit der durch den Zusatz des 
Indikators zum Harn entstehenden Farbe. Man kann mithin die Reaktion 
einer ganzen Reihe von Harnen untersuchen, ohne die Standardflüssig¬ 
keiten verändern oder erneuern zu brauchen. 

Will man die Reaktion stark ammoniakalischer Harne bestimmen, 
nehme man als Vergleichsflüssigkeiten statt Borat 8,28—8,79 lieber die 
Chlorammonium-Ammoniakmischungen 8,29—8,81, da sich diese in solchen 
Fällen besser hierzu eignen als die Boratmischungen. 

Henderson und Palmer, die übrigens teilweise andere Vergleichs¬ 
flüssigkeiten und andere Indikatoren benutzt haben, verdünnen jeden der 
Harne, der P H zwischen etwa 5,3 und 7,6 zeigt, mit Wasser, um die 
Farbe des Harns fortzueleminieren und dadurch das Färben der Standard¬ 
flüssigkeiten zu vermeiden. Sowohl der Harn wie die Standardflüssig¬ 
keiten werden mit Wasser von 10 ccm bis hinauf zu 250 ccm verdünnt, 
ehe die Indikatoren (Paranitrophenol und Neutralrot) hinzugetan werden. 
Bei der Untersuchung einer Reihe von Harnen haben Henderson und 
Palmer gefunden, dass das Verdünnen das Verhältnis zwischen der 
WasserstofTionenkonzentration des Harns und der Standardflüssigkeiten — 
falls dieser innerhalb der oben genannten Grenzen liegt — nicht ver¬ 
schiebt. 

Hierzu sei aber bemerkt, dass, wenn auch ein solches Verdünnen im 
allgemeinen vielleicht denselben Einfluss auf die Dissoziation des Harns 
wie der Standardflüssigkeiten hat, so lässt sich doch nicht voraussetzen, 
dass dies stets der Fall sein wird. 

Nun habe ich auch eine Reihe von Vergleichen zwischen Hendersons 
und Palmers und dem oben beschriebenen Verfahren angestellt, und habe 
stets sichere Ergebnisse ohne die Verdünnung erzielt, sofern die erwähnten 

Indikatoren in dem Massenverhältnis und zu den (H)Konzentrationen, wie 
oben angegeben, verwendet wurden. 

Aus Hendersons und Palmers Arbeiten geht nicht deutlich hervor, 
ob sie den Harn bei Körpertemperatur untersucht haben, was ja selbst¬ 
verständlich immer geschehen sollte, denn infolge der hydrolytischen 
Dissoziation wird sich ein Unterschied in der Reaktion bei Zimmer¬ 
temperatur und bei Körpertemperatur stets bemerkbar machen, ja, dieser 



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Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns. 271 

Unterschied kann recht erheblich sein; am stärksten tritt dies natürlich 
bei Phophatharnen und ammoniakalischen Harnen zutage und zwar wird 
die Reaktion bei Körpertemperatur natürlich das grössere physiologische 
und pathologische Interesse haben. 

4- 

Soll aber die (H)Konzentration mehrerer Harne bestimmt werden, 
ist es viel unbequemer, jedesmal 250 ccm bis auf Körpertemperatur zu 
erwärmen als nur 10 ccm, wie es überhaupt beschwerlicher ist, mit 10 
bis 12 Standardflüssigkeiten von 250 ccm statt von 10 ccm zu arbeiten. 



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XIV. 


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Aus dem physiologischen Institut der Universität zu Kristiania 
(Prof. Dr. S. Torup). 

üeber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 

Von 

H. F. Höst. 

Seit Nicolaier 1 ) in der Mitte der neunziger Jahre das Urotropin in 
die Therapie einführte und dasselbe insbesondere bei bakteriellen Krank¬ 
heiten der Harnwege anempfahl, hat es weite Verbreitung gefunden und 
ist zum Gegenstand mancher Untersuchungen gemacht worden. Die bis 
jetzt veröffentlichten Arbeiten über Urotropin haben jedoch grösstenteils 
in kasuistischen Mitteilungen über die therapeutische Wirkung desselben 
bestanden, während dagegen sein chemisches Verhalten im Organismus 
und die zu seiner Wirkung erforderlichen Bedingungen noch nicht hin¬ 
reichend untersucht worden sind. 

Urotropin, Hexamethylentetramin, ist ein Kondensationsprodukt von 
Formaldehyd und Ammoniak. Schon Hartung 2 ) hat dargetan, dass 
Urotropin durch Kochen mit Salzsäure oder wenn man es eine Zeit lang 
mit Salizylsäure stehen lässt, in Formaldehyd und Ammoniak zersetzt 
wird, während gleichzeitig noch etwas Methylamin entsteht. 

Als eine Folge der Konstitution des Urotropins nahm Nicolaier 
an, dass seine bei Leiden im Harntraktus zutage tretende bakterielle 
Wirkung auf der Freimachung von Formaldehyd im Harn beruhe, eine 
Annahme, die noch wahrscheinlicher gemacht wurde durch die Unter¬ 
suchungen von Mosso und Paoletti 3 ), nach denen erwiesenermassen 
schon 0,02 pM. Formaldehyd hinreichend waren, um die ammoniakalische 
Harngärung zu hemmen, und 0,1 pCt., um dieselbe völlig zu verhindern. 

In seiner grossen und ausführlichen Arbeit von 1899 hat Nicolaier 
unter anderem die antibakterielle Wirkung des Urotropins untersucht und 
hat sich insbesondere bestrebt, die Verhältnisse klarzulegen, welche die 
Abspaltung des Formaldehyds im Harn bedingen. 

Zum Nachweis von Formaldehyd bedient sich Nicolaier — mit 
einigen Modifikationen — einer schon früher von Jorissen angegebenen 

1) Diese Zeitschrift. 1899. Bd. 38. S. 350. 

2) Journ. f. prakt. Chemie. Bd. 46. S. 16. 

3) Archiv. Ital. de biologio, ber. in The British Medical. 1896. 8. 2. 



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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 273 

Methode. Nach Nicolai er wird die Reaktion folgendermassen aus¬ 
geführt: 

Zu 5—10 ccm der zu untersuchenden Flüssigkeit werden einige 
Körnchen Phlorogluzin und danach 5—10 Tropfen Natronlauge getan. 
Die Reaktion ist positiv, wenn sich die Flüssigkeit je nach der Menge 
des Formaldehyds schwach gelbrot bis intensiv rot färbt. 

Das Phlorogluzin selbst gibt mit Natronlauge eine schwach violette 
Färbung, die sich nach etwa ^2 Minute zeigt, für die Formaldehyd¬ 
reaktion aber nicht störend ist. 1 Teil Formaldehvd zu 800000 Teilen 
Flüssigkeit gibt Nicolaier zufolge positive Reaktion; wird dieselbe im 
Harn ausgeführt, muss dieser zuvor mit Tierkohle entfärbt werden. 

Die Untersuchungen Nicolaiers geben in Kürze folgende Ergebnisse: 

Urotropin spaltet Formaldehyd nicht nur beim Kochen mit starken 
Mineralsäuren, sondern auch dann ab, wenn die Behandlung mit 
schwächeren Säuren erfolgt, ja sogar in rein wässerigen Lösungen ist 
dies der Fall, sobald diese eine Zeit lang bei 37° erhalten werden. 

Schon 10—15 Minuten nach der Verabreichung von Urotropin kann 
derselbe im Harn, wo die Abspaltung von Formaldehyd sofort beginnt, 
nachgewiesen werden; saure sowohl wie neutrale und alkalische Harne 
zeigen in dieser Beziehung dasselbe Verhalten. So lange dem Harn die 
Temperatur von 37° erhalten bleibt, tritt eine bakterielle Entwicklung 
nicht ein, bei Zimmertemperatur dagegen wuchern die Bakterien un¬ 
behindert. 

In einer Reihe von Krankengeschichten erläutert Nicolaier schliess¬ 
lich die Wirkung des Urotropins bei verschiedenen Entzündungszuständen 
der Harnwege; und wie diese Krankengeschichten Nicolaier zufolge 
dartun, „führt das Urotropin nicht nur bei den Affektionen der Harnwege 
mit ammoniakalischer oder alkalischer bzw. neutraler Reaktion, sondern 
auch bei denen mit saurer Reaktion zur Besserung bzw. Heilung“. 

In einigen Fällen versagt jedoch das Urotropin, ohne dass die 
Reaktion des Harns, wie der Verfasser meint, in dieser Beziehung irgend¬ 
welche Bedeutung habe. 

Die meisten der späteren Arbeiten über Urotropin behandeln im 
wesentlichen seine therapeutische Wirkung auf die vielen verschiedenen 
Krankheiten, bei denen es zur Anwendung kommt. Vor etwa 2 Jahren 
jedoch hat L’Esperance 1 ) die nach dem Gebrauch von Urotropin ein¬ 
tretende Formaldehydausscheidung untersucht und ist zu dem Ergebnis 
gelangt, dass nur bei 50 pCt. der Patienten Formaldehyd im Harn — 
dessen Reaktion der Verfasser in dieser Beziehung für belanglos erklärt 
— nachgewiesen werden konnte. Aehnliche von A. Brinchmann 2 ) ge- 

1) Boston med. and surg. jonrn. Vol. CLXVII. No. 17, bcr. in British mod. 
journ. No. 2729. 

2) Norsk Magasin f. Laegevidenskab. 1913. No. 10. 


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274 II. F. II<)ST, 

machte Untersuchungen lassen diesen anführen, dass er in den meisten, 
auf die Harnreaktion hin untersuchten Fällen Formaldehyd erweisen 
konnte, sobald der Harn sauer reagierte, dagegen fast nie bei neutraler 
oder alkalischer Reaktion. 

L’Esperance und nach ihm Brinchmann haben sich jedoch der 
sogenannten „ßurnams a -Reaktion, einer auf Formaldehyd im Harn 
verhältnismässig wenig empfindlichen Reaktion bedient, denn, wie meine 
Untersuchungen erweisen, macht das Kreatinin eine Beurteilung des Er¬ 
gebnisses bei kleineren Mengen Forraaldehyd schwierig bzw. unmöglich. 
Diese Reaktion ist übrigens schon vor 12 Jahren von Rim in i angegeben 
worden und sollte wohl eigentlich seinen Namen verdienen. 

Zu 10 ccm Harn werden einige Tropfen 5proz. Phenylhydrazin¬ 
chloridlösung, danach .einige Tropfen 5proz. Nitroprussidnatriumlösung 
gesetzt, und nach erfolgtem Umschütteln einige Tropfen konz. Natronlauge. 

Die Reaktion wird als positiv angesehen, wenn nach dem Zusatz 
von Kalilauge sich eine dunkle Purpurfarbe bildet, die schnell ins grün- 
blauschwarze übergeht. 

In wässeriger Formaldehydlösung vorgenommen, lässt diese Reaktion, 
wie Rimini erwiesen hat, eine schöne Blaufärbung entstehen, die bei 
stärkeren Konzentrationen blauschwarz bis ganz schwarz wird. Im Harn 
reagiert aber das Kreatinin mit Nitroprussidnatrium und bildet beim Vor¬ 
handensein von Alkali eine mehr oder weniger rote Farbe, die über die 
von den geringeren Mengen Formaldehyd herrührende schwache Blau¬ 
färbung deckt; in solchen Fällen kann man aber die blaue Farbe — 
sofern sie nicht allzu schwach ist — durch einen Zusatz von Essigsäure 
hervorrufen, welche die Kreatininreaktion zum Schwinden bringt. 

Enthält der Harn etwas mehr Formaldehyd, entsteht eine Dunkel¬ 
färbung, die bei der Gegenwart von hinlänglichen Mengen Formaldehyd 
ins grünschwarze-blauschwarze übergeht. 

1 ccm Formalin zu 20000 ccm Harn (neutral oder schwach sauer): 
dunkle Rotfärbung, 

1 ccm Formalin zu 5000 ccm Harn (neutral oder schwach sauer): 
dunkle Purpurfärbung, 

1 ccm Formalin zu 2000 ccm Harn (neutral oder schwach sauer): 
dunkle Purpurfärbung, die schnell ins grünschwarze-blau¬ 
schwarze übergeht. 

In wässerigen Lösungen wird bei einer Verdünnung von 1 ccm 
Formalin zu 50000 ccm Wasser Riminis Reaktion schwach positiv. 

Riminis Reaktion zeigt sich also im Harn erst positiv, wenn dieser 
etwa 0,3 pM. Formaldehyd (Formalin = 40 pCt. Formaldehyd) enthält, 
während Jorissens Reaktion, Nicolaier zufolge, das Formaldehyd in 
einer Verdünnung von 1 : 800000 erweist, so dass diese also — wie es 
auch meine Untersuchungen betreffs des Harns gezeigt haben — über 


Gck igle 


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Ueber Urotropin als Desinüziens der Harnwege. 


275 


100 Mal so empfindlich ist. ln wässeriger Formaldehydlösung ist 
Jorissens Reaktion aber noch empfindlicher, denn sie ist positiv in der 
Verdünnung 1:7000000; sie ist demnach wohl die empfindlichste der 
vielen Formaldehydreaktionen. 

Von dem Eintritt des Urotropins in die Therapie an hat man die 
Beobachtung gemacht, dass seine Wirkung auf die Leiden der Harnwege 
ziemlich inkonstant war. Nach den Untersuchungen Nicolaiers ist 
anzunehmen, dass die desinfizierende Wirkung des Urotropins auf der 
Abspaltung von Formaldehyd beruht, während das Urotropin selbst keine 
wesentlich antibakterielle Wirkung hat, denn urotropinhaltiger, in Zimmer¬ 
temperatur stehender Harn, in dem kein Formaldehyd erwiesen werden 
konnte, wurde ebenso schnell trübe und ammoniakalisch wie urotropin¬ 
freier Harn derselben Konzentration und Reaktion. Hingegen, wenn der 
Harn, bei 37° auf bewahrt, Formaldehyd abspaltete, verblieb er klar. 

Unter diesen Umständen wird es Interesse haben, die Faktoren klar¬ 
zulegen, welche die Abspaltung des Urotropins vom Formaldehyd und 
vor allem im Harn bedingen. 

Während Citron 1 ) meint, Formaldehyd bilde sich nur im sauren 
Harn, betont Nicolaier die Bedeutungslosigkeit der Reaktion an und für 
sich und legt das Gewicht nur auf die erhöhte Temperatur. L’Esperance 
hält ebenfalls die Reaktion für belanglos und vermutet, dass die Formaldehyd¬ 
abspaltung im Harn von individuellen Eigentümlichkeiten abhängig sei. 
Andere Verfasser nehmen in dieser Beziehung je verschiedene Standpunkte 
zur Frage der Harnreaktion ein, so dass sich aus den gewonnenen Er¬ 
gebnissen ^nichts Bestimmtes schliessen lässt. 

Als Reagens für Formaldehyd bediente ich mich bei meinen Unter¬ 
suchungen sowohl der Reaktion Jorissens wie derjenigen Riminis; bei 
der sehr verschiedenen Empfindlichkeitsgrenze dieser Reaktionen und ihrer 
beim Reagieren so-abweichenden Intensität kann man sehr wohl zu einer 
ungefähren Schätzung der vorhandenen Menge Formaldehyd gelangen. 

Bei der Ausführung von Jorissens Reaktion sollte die Reaktion 
vergleichshalber auch gleichzeitig in einer frisch zubereiteten Urotropin¬ 
lösung vorgenommen werden, wobei das Reagenzglas schräg von oben 
nach unten zu betrachten ist, weil sodann der erste gelbrote Schein am 
besten ins Auge fällt. Tritt dieser nicht nach 1 / 2 Minute zutage, habe 
ich die Reaktion für negativ angesehen, da die violette, vom Phlorogluzin 
herrührende Färbung sich nach Verlauf dieser Zeit geltend macht und die 
Beobachtung der schwachen gelbroten Farbe erschwert. 

Bei diesen Untersuchungen über die Abspaltung des Urotropins vom 
Formaldehyd sind, sofern nichts anderes bemerkt ist, die Urotropin¬ 
lösungen stets in der Konzentration von 0,2 pCt. verwandt, was an- 


1) Monatsschr. über d. Gesamtleistungen auf d. Gebiet d. Krankh. d. Harn- u. 
Sexualapparate. 1S81. BJ. 3. Nr. 2. 


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276 H. F. HÖST, 

nehmbarerweise ungefähr der Menge Urotropin entspricht, die man ira 
Harn bei den gewöhnlichen Dosen (1 g 2—3 mal täglich) vorfindet. 

Zunächst galt die Untersuchung dem Spaltungsverhalten des Urotropins 
in rein wässerigen Lösungen. 

Bleibt eine wässerige Urotropinlösung im Laboratorium bei.17—18° C 
stehen, wird man gewöhnlich nach 3—4 Wochen kleine Mengen Formaldehyd 
nachweisen können. 

Erwärmt man eine Urotropinlösung bis zum Siedepunkt, wird Urotropin 
in Formaldehyd und Ammoniak zersetzt; das Formaldehyd kann durch 
die zuvor erwähnten Reaktionen erwiesen werden, das Ammoniak wie 
üblich mit Lackmuspapier. Wird die Lösung bis auf 14—15° abgekühlt, 
verschwindet Riminis Reaktion und Jorissens Reaktion wird sehr 
schwach; wird die Lösung eine Zeitlang bis auf 0° abgekühlt, wird 
Jorrissens Reaktion zweifelhaft, denn erst nach y 2 —I Minute entsteht 
eine ganz schwache rötliche Färbung, die ebensogut der Einwirkung des 
Alkalis auf das Phlorogluzin wie kleinsten Mengen Formaldehyd zu¬ 
geschrieben werden kann. Erhitzt man die Lösung von neuem, werden 
beide Reaktionen wiederum stark positiv; dies kann mehrmals wiederholt 
werden. 

Setzt man zu 10—15 ccm Urotropinlösung einige Tropfen Salzsäure 
oder Schwefelsäure, werden die beiden obigen Reaktionen nach kurzer Zeit 
positiv. Fügt man nun einen Ueberschuss Alkali hinzu, schwindet Riminis 
Reaktion, während die Intensität in Jorissens Reaktion nach einer Weile 
etwas abnimmt. Indem man die Lösung abwechselnd sauer und alkalisch 
werden lässt, kann man Riminis Reaktion wiederholt bzw. positiv und 
negativ machen, während Jorrissens Reaktion nach einmaliger Behandlung 
der Flüssigkeit mit Säure keiner sonderlichen Veränderung unterliegt. 

Um zu vermeiden, dass Alkali im allgemeinen auf die angewandten 
Formaldehydreaktionen einen störenden Einfluss üben könne, wurde eine 
schwache Formaldehydlösung stark alkalisch gemacht, ohne dass dies auf 
die Intensität der obigen Reaktionen einen Einfluss hatte. 

Wenn beide Reaktionen nach Abkühlung einer erwärmten wässerigen 
Urotropinlösung schwinden, Jorissens Reaktion aber bei einem Ueber¬ 
schuss von Alkali nach vorheriger Säurenbehandlung nicht schwindet, 
deutet dies darauf hin, dass die durch Säure verursachte Zersetzung unter 
Bildung von Produkten erfolgt, die nach dem Zusatz von Alkali nicht 
völlig zu Urotropin synthetisiert werden. Dies mag auch mit dem Nachweis 
Har tun gs übercinstimraen, demzufolge durch Säureeinwirkung geringe 
Mengen von Methylamin entstehen. 

Erhitzt man eine Urotropinlösung unter Hinzufügung einiger Tropfen 
Säure bis zum Kochen, werden die Formaldehydreaktionen in noch höherem 
Masse positiv, als wenn die Lösungen nur erwärmt oder bei Zimmer¬ 
temperatur mit Säure behandelt werden; nach der Abkühlung bewahren 
die Reaktionen ihren stark positiven Charakter. 



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lieber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 


277 


Beim Kochen einer alkalischen Urotropinlösung zeigt es sich, dass 
die Formaldehydreaktion positiv bleibt, selbst wenn die Flüssigkeit 
stark alkalisch ist (z. B. etwa 6 ccm 0,2 proz. Urotropinlösung + 2 ccm 
lOproz. NaOH); doch darf der Alkaligehalt ein gewisses Mass nicht über¬ 
schreiten. Es kann z. B. kein Formaldehyd erwiesen werden, wenn 
Urotropin in Substanz mit 10 proz. Natronlauge aufgekocht wird. Kocht 
man dagegen einige Tropfen Formalin mit lOproz. Natronlauge, hat dies 
keinerlei Einfluss auf die Stärke der Formaldehydreaktionen. 

Diese Untersuchungen ergeben, wie auch Nicolaier geltend gemacht 
hat, dass Urotropin durch die Erhitzung in wässerigen Lösungen oder 
durch die Behandlung mit Säuren Forraaldehyd abspaltet, sie zeigen aber 
auch, dass diese Reaktion reversibel ist bei Abkühlung, und im wesent¬ 
lichen auch reversibel, wenn man nach vorherigem Säurenzusatz eine 
hinreichende Menge Alkali hinzutut, und dass ferner die Gegenwart einer 
gewissen Menge Alkali die Abspaltung von Formaldehyd beim Kochen 
verhindert. 

Nach diesen vorbereitenden Untersuchungen über das Spaltungs¬ 
verhalten des Urotropins in wässerigen Lösungen bei Zimmertemperatur, 
bei Kochung und unter der Einwirkung von Alkali und Säuren, wurde 
das Verhalten der wässerigen Urotropinlösungen bei 37° teils mit, teils 
ohne Zusatz von geringen Mengen Alkali, Säure und verschiedenen Salzen 
untersucht. 

Lässt man eine wässerige 0,2 proz. Urotropinlösung bei 37° stehen, 
kann Formaldehyd, wie aus der Tabelle I hervorgeht, nach 15 Minuten 
nachgewiesen werden. 

Tabelle I. 


Wässerige Lösung. 


R i m i n i s 
Reaktion 

J orissens 
Reaktion 

0,2 pCt. Urotropin 

24 Stunden bei 37° .... 

. + 

+ 

0,2 „ 

< r T O i .... 

. — 

+ 

0,2 „ 

15 Minuten „37° .... 

. — 

+ 

0,2 „ 

10 „ „ 37o ... . 

. — 


Natriumhydroxyd in 
0,2 pCt. Urotropin 

wässeriger Lösung, 
in n/1000 NaOH 24 Std. bei 37° 



0,2 . 

* n/1000 „ 48 „ „ 37° 

. — 

+ 

0,2 „ 

„ n/10000 „ 24 „ „ 37° 

. — 

schw. + 

1 . 

* n/10000 „ 24 * r 370 

. — 

stark -j- 

A m moniakalische Lösung. 

0,2 pCt. Urotropin n/1000 NH 8 24 Std. bei 37° 



0,2 * 

n/1000 NH, 48 . „ 37» . 

. — 

+ 

0,2 „ 

n/10000 NH 3 24 „ „ 37° . 

. — 

+ 

Salzsäurelösung. 

0,2 pCt. Urotropin 

n/100000 HCl 10 Min. bei 37° . 

. — 

+ 


Wie man sieht, haben Säuren und Alkali hinsichtlich der Zersetzung 
enorme Bedeutung. Kleinste Säuremengen, n/100000 HCl, beschleunigen 
die Zersetzung, während dieselbe umgekehrt durch geringe Mengen Alkali 
in ausgesprochener Weise verzögert bzw. ganz verhindert werden kann. 



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278 


H. F. HÖST, 


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Die Abspaltung von Formaldehyd in einer Urotropinlösung ist demnach 

— +- 

abhängig von dem vorhandenen (OH) und (H), mit anderen Worten von 

+ 

der tatsächlichen Reaktion der Lösung, so dass also (H) als positiver 
Katalysator und (OH) als negativer Katalysator wirkt. Die Reaktion 
verläuft im wesentlichen: 

(CH 2 ) 6 N 4 + 6 HoO 6 CH 2 0 + 4 NH S 

indem jedoch gleichzeitig, wie oben erwähnt, etwas Methylamin entsteht. 

Die von Nicolaier betonte grosse Bedeutung der Temperatur für 
die Zersetzung ist zweifelsohne auch der Ionenwirkung zuzuschreiben, 
denn die Dissoziationskonstante des Wassers steigt bekanntlich enorm 
mit der Temperatur. 

Wenn indessen eine Urotropinlösung sogar beim Vorhandensein eines 
erheblichen Ueberschusses von Alkali das Formaldehyd bei hinreichend 
hoher Temperatur abspaltet, beweist dies, dass die positiv katalytische 
Kraft der (H) Ionen stärker ist als die negativ katalytische Kraft der 
(OH) Ionen. 

Erwärmt man eine wässerige Urotropinlösung, wodurch sowohl (OH) 
4- — 

wie (H) an Anzahl steigen, wird demnach selbst ein Ueberschuss von (OH), 

sofern er ein bestimmtes Mass nicht überschreitet, die Formaldehyd¬ 
abspaltung nicht verhindern können. 

Die vom Urotropin in einer Zeiteinheit gebildete Menge von Formaldehyd 
ist demnach abhängig von 

1. dem Verhältnis zwischen (OH) und (H) (d. h. der Reaktion der 

Lösung), + 

2. der absoluten Menge (H), 

3. der Konzentration der Urotropinlösung. 

Während die Formaldehydspaltung, wie erwiesen, in einer sauren 
Urotropinlösung leicht und schnell vor sich geht, vermögen selbst geringe 
Mengen Alkali die Abspaltung zu hemmen, und da nun der Harn oft 
neutral oder schwach alkalisch ist, wurde die Abspaltung in reinen Salz¬ 
lösungen neutraler und vor allem schwach alkalischer Reaktion untersucht. 

Zu diesem Zweck sind, wie die Tabellen II und III angeben, die 
Phosphat- und Boratmischungen Sörensens sowie die Chlorammonium- 
Ammoniaklösungen von Michaelis verwendet worden. Mit Bezug auf die 
Zusammensetzung sei auf die Urschriften 1 ) verwiesen, sowie auf meinen 
Artikel „Ueber Reaktionsbestimmungen des Harns“ 2 ), wo die Zusammen¬ 
setzung der meisten in der vorliegenden Arbeit beschriebenen Flüssigkeiten 
angegeben sind. Nur möchte ich bemerken, dass Sörensen seine 

1) S. P. L. Sörensen, Ergebnisse der Physiologie. 1912. I—II. S. 393. — 
Michaelis, Abderhaldens Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. 1910. 
Bd. 3. S. 1337. 

2) S. 266 dieses Heftes. 



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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 


279 


Wasserstoffionenexponenten bei 18° bestimmte. Wenn die in Frage 
kommenden Lösungen dieser Arbeit grösstenteils bei 37 0 verwendet 

Tabelle II. 



Pn bei 

18° 

Ph ge¬ 
funden 

bei 37 0 

Jorissen ►- 

m 

I m ' 
>td. 

a 

S 

5 

The 
2 5 

fl 

03 

co 

CO 

Im 

O 

l-i 

r m 0 

Std. 

fl 

i 

5 

s t a t 

3 S 

fl 

03 

co 

91 

Im 

O 

1-5 

; be 
5td. 

fl 

e 

5 

i 370 

7 S 

A 

03 

CO 

CO 

Im 

O 

•-5 

ltd. 

fl 

S 

5 

0,2 pCt. Urotropin gelöst in 











dest. Wasser. 

7,07 


+ 

— 


— 


— 


— 

n/IMill. NaOH .... 

8,14 


+ 

— 


— 


— 


— 

n/100000 NaOH .... 

9,14 


+ 

— 




— 


— 

Pb09phatmischungen . . 

7,16 

7,30 

+ 

— 


— 


— 


+ 


7,73 

8,04 

+ 

— 


— 


—- 


— 


8,04 

8,28 

+ 

— 


— 


— 


! 

Boratmischungen .... 

8,90 


— 

— 

+ 

— 


— 


— 


9,36 


— 

— 

+ 

— 


— 


— 


9,67 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Amcl-NH 3 -MischuDgcn . . 

7,38 


+ 

— 


— 


— 


— 


7,68 


+ 

— 


— 


— 


— 


8,89 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

+ 

— 


9,48 


— 

— 

— 

— 

— 

! — 

+ 

— 

Phosphatmischungen . . 

5,58 


+ 

+ 




i 




5,90 


+ 

— 

aber + nach 1 1 

I 2 Stunden. 


Tabelle III. 



Ph 

18° 

Ph ge¬ 
funden 
bei 36 0 

Tp. 

10 

Min. 

Joriss 

15 I 20 
Min. j Min. 

cns Reakt 

25 | 30 
Min. 1 Min. 

ion nach 

0,2 pCt. Urotropin 









gelöst in 









n/IMill. NaOH . . 

8,14 


370 

— 

— 

— 

+, 


n/100000 NaOH . . 

9,14 


370 

— 

— 

— 

_ : — | 


n/IMill. HCl. . . 

6,0 


370 

— 

+ 


! 


n/100000 HCl . . 

5,0 


370 

+ 



1 j 


Phosphatmischungen 

6,81 


18° 

+ 





(Sörensen) 

6,87 


180 

1 

+ i 





7,16 


18° 


— 

— 

; + ’ 



7,38 


18° 





! -f- nach 50 Min. 


7,73 


18° 




; ■ — 

- „ 70 r 


7,16 

ca. 7,30 

37° 

+ 






7,38 

* 7.55 

37° 

+ 






7 73 

. 8,04 

37° 


+ 





8,04 

. 8,28 

37° 

— 

— 

— 

! 


Boratmischungen 

8,28 

„ 8,50 

37° 



I 

— 

-f- nach 45 Min. 

(Sörensen; 

8,67 

, 8,75 

37° 



j 

1 , - 

+ „ 1 Std. 


8,90 


37° 




: - 

+ * IV* Std. 

Ammoniak-Chlor- 

7,38 


37° 

— 

+ 

! 

1 

i ; 


ammoniummischung. 

7,68 


37° 

— 


1 + 

! 1 


(Michaelis) 

7,98 


37° 




- + 



8,28 


37° 




— 

1 T" nacli 45 Min. 


Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. |y 


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Gck igle 


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280 


H. F. HÖST 


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wurden mit dem beigefügten Exponenten für 18°, so ist dies natürlich 
unrichtig, da bekanntlich die Reaktion der Lösung eines aus einer starken 
Base und einer schwachen Säure bestehenden Salzes bei steigender 
Temperatur zur alkalischen Seite hin gestört wird. Wird demnach die 
Reaktion in den Phosphat- und Boratmischungen Sörensens bei 37° be¬ 
stimmt, so ist sie, wie die Tabelle zeigt, erheblich „alkalischer“ als bei 18°. 

Prüft man die Tabellen II und III, so ersieht man, dass sich Formal¬ 
dehyd bei 37° in Urotropinlösungen sowohl in sauren, neutralen wie 
alkalischen Lösungen abspaltet, aber die Schnelligkeit der Abspaltung 
verhält sich im grossen ganzen proportional zur Wasserstoffionenkonzen¬ 
tration (NB. umgekehrt proportional zum Wasserstoffionenexponenten). 
Doch zeigt es sich, dass auch andere Faktoren bedeutungsvoll für die 
Abspaltung sind, denn die Phosphatmischungen können, wie die Tabellen 

dartun, das Formaldehyd leichter abspaltcn als ihre (H)-Konzentration 
vermuten Hesse. So ergeben z. B. Phosphatmischungen mit P H =7,16 
und 7,38 bei 37°, wo die Exponenten erwiesenermassen bzw. 7,30 und 
7,55 sind, schon nach 10 Minuten eine positive „Jorisscnreaktion“, 
mithin schneller als rein (neutrale) wässerige Lösungen und auch schneller 
als die Chloraramonium-Ammoniakmischungen mit den entsprechenden 
Exponenten. 

Um dies zu erklären, darf man nicht vergessen, dass bei der Zer¬ 
setzung von Urotropin in wässeriger Lösung neben Formaldehyd auch 
Ammoniak entsteht, und dies wird zweifelsohne, indem es die (ÖH)-Kon- 
zentration erhöht, die weitere Zersetzung erschweren. Indessen, die 
Mischungen von Mono- und Dinatriumphosphat wirken in ausgesprochener 
Weise neutralisierend, worauf unter andern Henderson aufmerksam ge¬ 
macht hat, und als Folge hiervon werden die Phosphatmischungen bis 
zu einem gewissen Grad verhindern, dass das entstandene Ammoniak 
die Reaktion nach der alkalischen Seite hin verschiebt und hierdurch 
wird wiederum die weitere Abspaltung von Formaldehyd erleichtert. 
Hier muss man den Grund dafür suchen, dass Phosphatmischungen das 
Formaldehyd vom Urotropin leichter abspalten, als es rein wässerige 
Lösungen und die Lösungen anderer Salze mit entsprechender Wasser¬ 
stoffionenkonzentration tun. 

Ebenso ist aus den Tabellen zu ersehen, dass wenn sich auch geringe 
Mengen Formaldehyd verhältnismässig schnell sowohl in neutralen wie 
in schwach alkalischen Lösungen abspalten, es doch augenscheinlich 
schwer fällt, unter solchen Verhältnissen grössere Mengen von Formal¬ 
dehyd abzuspalten; nur in „Phosphat 7,16“ (7,30) sieht man z. B., dass 
Riminis Reaktion nach 7 Stunden positiv ist; in rein wässerigen Lösungen 
sowohl wie in andern Versuchsflüssigkeiten ist dieselbe nach derselben 
Zeit negativ. Augenscheinlich erfolgt die Abspaltung in diesen Flüssig¬ 
keiten anfangs schnell, um dann erheblich langsamer zu werden. Dies 



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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 


281 


muss sicher der Entstehung von Ammoniak zugeschrieben werden. In 
viel leichterer Weise bilden sich grössere Formaldehydmengen in sauren 
Phosphatmischungen, so war Riminis Reaktion in einer Phosphat¬ 
mischung mit dem Exponenten 5,58 nach 1 Stunde positiv, und ebenso 
in einer andern Phosphatmischung mit dem Exponenten 5,90 nach 
V/o Stunden positiv. 

Hiernach lag es nahe, anzunchmen, dass das wechselnde Ergebnis, 
wie es hinsichtlich des Auftretens von Formaldehyd im Harn bei der 
Behandlung mit Urotropin zutage trat, der Reaktion des Harns selbst 
zuzuschreiben sei. 

Ich habe deshalb das Verhalten des Urotropins in Harnen mit 
wechselnder Reaktion untersucht. 

Um die Reaktion des Harns zu bestimmen (d. h. die Wasserstoff- 
bzw. Hydroxylionenkonzentration) ist das kolorimetrische Verfahren der 
schon früher von mir beschriebenen Form 1 ) benutzt worden. 

Wie die Tabelle IV dartut, stellt es sich heraus, dass die bei 37° 
im Harn erfolgende Formaldehydabspaltung des Urotropins — gemäss 
den oben erwähnten Ergebnissen — proportional ist zur Wasserstoff- 
ionenkonzentration und zur Zeit. Während saure Harne Formaldehyd 
verhältnismässig schnell in nicht unerheblichen Mengen abspaltcn, indem 
sogar ein Harn mit dem Exponenten 6,46 nach 1 Stunde Riminis 
Reaktion positiv zeigt, bemerkt man, wie sich das Verhältnis gänzlich 
ändert, sobald der Exponent bis auf den Neutralpunkt und auf die 
alkalische Seite hinüber geht. Ein Harn mit Ph = 7,50 zeigt z. B. nach 
I x / 2 Stunden-^„Jorissen“, und in dekomponierten, ammoniakalischen 
Harnen mit P H von 8,30 bis 8,40 tritt sogar nach 7 Stunden keine er¬ 
weisbare Formaldehydabspaltung zutage. 


Tabelle IV. 

Harne bei 37° mit 0,2pCt. Urotropin. 


Ham Nr. 

Ph 370 

Harn¬ 

unter¬ 

suchung 

nach 

1 

J orissen 

Rimini j 

Harn¬ 

unter¬ 

suchung 

nach 

Jorissen 

Rimini j 

Harn¬ 

unter¬ 

suchung 

nach 

Jorissen j 

1 

Rimini | 

1 

8,80 

7 Std. 









2 

8,30 

7 

fi 

— 

— 







S 

8,40 

7 


— 

— 







4 

6,35 

V* 


+ 

— 

1 Std. 


— 

IV, Std. 


— 

5 

7,16 

7* 

V 


— 

1 * 

— 


172 - 

+ 

— 

6 

5,90 

i k 

r> 

+ 

— 

1 „ 1 


+ 




7 

7,50 

V* 

r> 

— 

— 

1 „ 

— 


172 - 

— 


8 

7,16 

7. 

r> 

schw.+ 

— 

1 * 

+ 

— 

2 


— 

9 

5,40 

7. 

V 

+ 

| — 

1 , 


+ 




10 

6,46 

72 

r> 

+ 

' — 

1 , 


J- 




11 

5,50 

72 

V 

+ 

| — 

1 . 

i 

+ 





Wie zu ersehen ist, erfordert dieselbe Wasserstoffionenkonzentration, 
ehe Jorissens Reaktion erweisbar positiv wird, erheblich längere Zeit 


1) S. 266 dieses Heftes. 

ID* 


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282 H. F. HÖST, 

in Harnen als in wässerigen Salzlösungen. Der Grund liegt hier, wie 
schon früher erwähnt, in dem Umstand, dass die Reaktion im Harn bei 
weitem nicht so empfindlich ist als in wässerigen Lösungen, was un¬ 
zweifelhaft auf die notwendige Entfärbung durch Kohle zu schieben ist, 

4 - — 

die sowohl (H) wie (OH) adsorbiert, was eine Veränderung in der Reaktion 
des Harns bewirkt, und ausserdem vielleicht kleine Uormaldehydmengen 
im Harn adsorbieren kann 1 ). Hierzu kommt noch, dass der Harn auch nach 
der Behandlung mit Kohle oft einen schwach gelblichen Schein beibehält, 
was den Nachweis geringer Mengen Formaldehyd ausserordentlich erschwert. 

Um nun die Prozesse, welche die Anwendung von Urotropin im 
lebenden Organismus hervorruft, zu untersuchen, habe ich schliesslich 
einer Reihe von Individuen Urotropin verabreicht und den Harn bei 37° 
nach einer wechselnden Stundenanzahl untersucht (vgl. Tabelle V). Das 
Ergebnis zeigt— wie auch schon von Nicolaier ausgesprochen — dass 
das Urotropin als solches im Harn ausgeschieden wird, und dass die 
Formaldehydabspaltung proportional ist zur Wasserstoffionenkonzentration 
und zur Zeit, so wie man es bei den oben erwähnten Versuchen fand. 
Wie die Tabelle V zeigt, kann aber der Formaldehydgehalt im Harn 

nach der Darreichung von Urotropin trotz der nämlichen (H)-Konzentration 
und gleich langer Zeit etwas verschieden sein (vgl. den Harn 6 und 7 
sowie 16 und 17); der Grund hierfür ist wohl in der verschiedenen 
Schnelligkeit zu suchen, womit das Urotropin resorbiert und aus¬ 
geschieden wird. 

Tabelle V. 


1 g Urotropin per os (nach vorheriger Harnlassung). 


Person 

Kr. 

Harn¬ 

lassung 

nach 

Ph des 
Harns 
bei 370 

! Jorissen 

Rimini 

Bei 37° 

nach 

J orissen 

Rimini 

1 

2 

Std. 

5,43 

+ 

1 

+ 




2 

4 

n 

5,58 

+ 

— 




3 

1 

r> 

5,58 

+ 

4- 




4 

i*/t 

r> 

5,58 

+ 

+ 




5 

1 

r 

5,75 

+ 

+ 




6 

1 


5,90 

+ 

— 

1 Std. 


+ 

7 

1 


5,90 

+ 

+ 




8 

1 

r 

6,23 ; 

+ 

+ 




9 

1 

V 

6,30 

+ 

— 




10 

1 


6,46 

+ 

— 




11 

1 

r 

1 6,64 

+ 

— 




12 

1 

r 

1 6,64 

+ 

— 




13 

2 

„ 

6,81 

+ 

— 




14 

2 


6,97 

+ 

— 

6 Std. 


-- 

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1) Filtriort man wässerige Formaldehydlösungen durch Kohle, wird Formaldehyd 
in erweisbaren Mengen nicht adsorbiert. 



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Ueber Urotropin als Desinfiziens der Harnwege. 283 

Was die Resorptions- und AusscheidungsVerhältnisse des Urotropins 
im allgemeinen betrifft, muss man diesen Untersuchungen zufolge an¬ 
nehmen, dass das Urotropin im Ventrikel unter normalen Sekretions¬ 
verhältnissen teilweise in Formaldehyd und Ammoniak zersetzt wird, 
dass diese Zersetzungsprodukte aber grösstenteils wieder im Darm syn¬ 
thetisiert werden. 

Der nach der Resorption stattfindende Durchgang des Urotropins 
durch die Blutbahnen ist sicherlich ein schneller, denn Nicolaier hat 
es schon 10 Minuten nach der Einführung per os im Harn nachweisen 
können. Während dieses Durchgangs im Blut spaltet sich wahrschein¬ 
lich etwas Formaldehyd ab, denn bei meinen Versuchen mit Phosphat¬ 
mischungen mit P H = 7,30 und 7,55 bei 37° wird die Jorissensche 
Reaktion schon nach 10 Minuten positiv, und neueren Untersuchungen 1 ) 
zufolge zeigt es sich, dass der Wasserstoffionenexponent des Blutes un¬ 
gefähr =7,19 bei 40 mm C0 2 -Spannung beträgt. Bedenkt man jedoch 
die starke Giftigkeit des Formaldehyds, so muss man annehraen, dass 
die geringen Formaldehydmengen, wenn abgespalten, sofort unschädlich 
gemacht werden und zwar entweder vermittels Oxydation zu Ameisen¬ 
säure oder durch ihre Verbindung mit Bluteiweiss oder vielleicht auch 
durch Polymerisation. 

Das Urotropin als solches wird sich daher gänzlich oder doch jeden¬ 
falls zum überwiegenden Teil im Harn ausscheiden, wo sein weiteres 
Schicksal von den obengenannten Faktoren abhängig ist. 

Die praktischen Folgerungen für die Verwendung von Urotropin bei 
bakteriellen Leiden der Harnwege werden diesen Untersuchungen gemäss 
in folgendem bestehen: 

Bei Leiden der Nieren, des Nierenbeckens, des Ureters kann man 
im allgemeinen eine therapeutische Wirkung des Urotropins nicht er¬ 
warten, da der Harn diese Organe so schnell passiert, dass sich gar 
kein oder nur sehr wenig Formaldehyd bilden wird. Vielleicht kann man 
jedoch bei stark sauren Harnen eine Wirkung erhoffen. 

In der Vesica urinaria wird die Wirkung zuvörderst von der Reaktion 
des Harns abhängig sein, demnächst von der Häufigkeit des Harnlassens. 
Ist der Harn sauer, wird sich das Formaldehyd verhältnismässig schnell 
in hinreichenden Mengen abspalten, um die erwünschte bakterielle Wirkung 
hervorzubringen. Bei neutralen oder schwach alkalischen Harnen wird 
die Wirkung zweifelhaft und höchst abhängig von der Häufigkeit des 
Harnlassens sein. Wird der Harn bei alkalischem Urin häufig gelassen, 
wird sich wahrscheinlich gar kein Formaldehyd bilden und eine Wirkung 
nicht eintreten; liegen aber zwischen jeder Harnlassung 6—7 Stunden, so 
kann man vielleicht auch bei schwach alkalischen Harnen auf thera- 


1) Siehe Lundsgaard, Biochem. Zeitschr. 41. S. 247. 


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284 II. F. IIOST, Ueber Urotropin als Dcsinfiziens der Harnwege. 

peutischen Erfolg hoffen. Bei stark alkalischen Harnen lässt sich eine 
therapeutische Wirkung des Urotropins nicht erwarten. 

Einige, wenn auch verhältnismässig untergeordnete Bedeutung haben 
in allen Fällen auch die Gaben, in denen das Urotropin dargereicht wird. 

Eine Rolle kann das Urotropin zweifelsohne auch als Prophylaktikum 
bei allerlei Eingriffen in die Harnwege (Operationen, Katheterisieren usw.) 
spielen, da normaler Harn fast immer sauer oder neutral ist. Doch 
muss man hiermit bei Retentio urinae grosse Vorsicht beobachten, da 
sich bei seltener Blasenentleerung erhebliche Formaldehydmengen bilden 
und heftige Tenesraen verursachen können. 

Erst nach Abschluss dieser Abhandlung wurde ich auf eine Arbeit 
von Frank Hinman (The Journ. of Amer. Med. Ass., Vol. 61, p. 1601, 
November 1913) aufmerksam, in der er durch rein klinische, die Formal¬ 
dehydabspaltung im Harn betreffende Untersuchungen im wesentlichen 
zu denselben Ergebnissen gelangt, wie ich; doch meint er, Formaldehyd 
könne sich nicht in neutralen oder schwach sauren Harnen abspalten, 
während meine Versuche dartun, dass es nicht nur in schwach sauren 
und neutralen, sondern sogar in schwach alkalischen Harnen abgespalten 
werden kann. Der Grund mag sein, dass er augenscheinlich den grossen 
Einfluss der Temperatur auf die jedenfalls teilweise reversible Reaktion: 
UrotropinFormaldehyd -j- Ammoniak nicht beachtet und infolge¬ 
dessen die Formaldehydreaktionen nicht bei 37° ausgeführt hat. 



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XV. 


Aus dem Radium-Institut der Königlichen Charite 
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His). 

Experimentelle Untersuchungen über die biologische 
Wirkung des Thorium X, insbesondere auf das Blut, 

Von 

Dr. A, da Silva Mello (aus Brasilien). 

(Hieran Tafel UI.) 

Einleitung. 

Die ersten Mitteilungen über die Wirkung der strahlenden Energie 
auf die inneren Organe sind durchaus verwirrend. Während die Franzosen 
die verschiedensten Symptome wie Erbrechen, Durchfall, Koliken, Herz¬ 
klopfen, Kopfschmerz, Schwindel usw. auf die Röntgenbestrahlung zurück¬ 
führten und über Heilung der Lungenentzündung, Tuberkulose usw. durch 
die Wirkung der Strahlen berichteten, waren die Deutschen solchen An¬ 
gaben gegenüber sehr skeptisch. Die Mitteilung Senns wurde in Deutsch¬ 
land direkt als amerikanischer Bluff aufgenommen. „Von einer Ein¬ 
wirkung von Röntgenstrahlen auf innere Organe war überhaupt ausser¬ 
ordentlich wenig die Rede; und doch sollte man erwarten, dass die alles 
durchdringenden Strahlen, die sogar die Haut an der Austrittsstelle zu 
verändern imstande sind, auch die Gewebe im Innern des Körpers nicht 
ganz unberührt lassend Das war, wie Heineke hervorhob, zum Teil 
abhängig von „der tausendfältigen Erfahrung, die immer wieder gelehrt 
hat, dass Bestrahlungen auch von langer Dauer keine - Erscheinungen 
hervorrufen, die auf eine Alteration innerer Organe zu beziehen wären. 
Würden auch innere Organe durch die Strahlen geschädigt oder sonstwie 
verändert, dann hätten eigentlich gerade die ersten Jahre der Röntgenära 
in der Medizin ausgiebige Erfahrung liefern müssen, weil man damals 
mit den Strahlen sehr sorglos umging und selbst stundenlange Exposition 
nicht scheute. 14 Dass das Wachstum von niedrigen Tieren usw. stark 
beeinflusst werden konnte, war schon durch zahlreiche Versuche mit 
Radiumstrahlung erwiesen. Später wurde eine ganz ähnliche Wirkung 
auch für die Röntgenstrahlen festgestellt. Die erste gross angelegte 
Arbeit, die die Wirkung auf die inneren Organe berücksichtigte, stammt 
von Heineke her. Durch zahlreiche Versuche ist es ihm gelungen, eine 
enorme Empfindlichkeit des hämatopoietischen Apparates, besonders des 
lymphoiden Gewebes, festzustellen. Die Lymphozyten und das lymphoide 


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286 


A. da SILVA MELLO, 


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Gewebe wurden durch Röntgenstrahlen fast explosionsartig vernichtet. 
Schon 2y 2 —3 Stunden nach der Bestrahlung begann die Zerstörung, die 
ihren Höhepunkt nach 6—8 Stunden erreichte, um nach 24 Stunden 
vollständig beendigt zu sein. Das lymphoide Gewebe konnte dadurch 
fast völlig verschwinden. Die Veränderungen am Knochenmark und an 
der Milzpulpa begannen dagegen erst später und erreichten den Höhe¬ 
punkt erst kurz vor dem Tode des Tieres, zu einer Zeit, in welcher das 
lymphoide Gewebe schon wieder in Regeneration begriffen war. Aehnlichc 
Vorgänge wurden auch von London, Bouchard, Curie, Aubertin u. a. 
bei der Radiumbestrahlung beobachtet. Bis zu dieser Zeit (1905) war 
von allen Seiten angenommen worden, dass die Tiere infolge der Haut¬ 
läsionen zugrunde gingen. Auf Grund der Veränderungen der blutbildenden 
Organe und des klinischen Verhaltens der Tiere hat Heineke den Ge¬ 
danken ausgesprochen, dass der Tod des Tieres vielleicht auch durch 
die Veränderungen an den inneren Organen herbeigeführt sein könnte, 
ohne dass die Hautläsion in Frage komme. Er hat hervorgehoben, dass 
schon am 2. und 3. Tage nach der Bestrahlung eine ganz bedeutende 
fortschreitende Gewichtsabnahme zu konstatieren war und dass die Tiere 
oft vor dem Eintritt einer Dermatitis starben. Worauf der Tod in 
solchen Fällen zurückzuführen war, liess Heineke unbeantwortet. Das 
Interessanteste war aber dabei, dass er den Zerstörungen der blutbildenden 
Organe keine letale Wirkung zuschrieb. Bei letzteren fand er Zeichen 
von Regeneration nicht nur bei denjenigen Tieren, die, wie er anniramt, 
an Dermatitis zugrunde gingen, sondern auch bei denjenigen, die vor dem 
Ausbruch der Hautläsionen starben. Heineke hat diese Beobachtungen 
nicht weiter verfolgt, und da das Verhalten des Blutes dabei nicht mit 
in Betracht gezogen wurde, waren weitere Schlüsse nicht möglich. Das 
Merkwürdigste ist, dass weitere Versuche in derselben Richtung bis jetzt 
noch nicht angestellt worden sind. Diese Angaben sind vereinzelte, in 
der Fülle der neuen Tatsachen verloren stehen gebliebene. Die neueren 
Forschungen mit den radioaktiven Substanzen haben auch viel dazu bei¬ 
getragen, uns von solchen Problemen zu entfernen. Schon durch die 
innere Verabreichung solcher Mittel wurde die Rolle der Dermatitis mit 
einem Schlag beiseite geschoben und die Möglichkeit gegeben, die reine 
Wirkung der ^-Strahlen auf die inneren Organe zu studieren. Die ersten 
Versuche waren derart ausgefallen, dass man unmittelbar danach von 
einer einheitlichen Wirkung zu sprechen begann. Die pathologischen Ver¬ 
änderungen, die therapeutischen Wirkungen, alles war so gleichartig, dass 
überhaupt kein Zweifel mehr darüber bestehen konnte. Die Organotropie 
des Mittels war auch gewissermassen die Erklärung der autoptischen Be¬ 
funde und der klinischen Symptome. Wir sind sozusagen in einem Ge¬ 
dankenzirkel eingeschlossen geblieben. Die Vorgänge, die sich in den 
hämatopoictischen Organen abspielten, traten so mächtig in den Vorder¬ 
grund, dass alles, was daneben passierte, schwer oder unmöglich wahr- 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologischo Wirkung des Thorium X usw. 287 


zunehmen war. Es wäre z. B. von der allergrössten Wichtigkeit zu 
wissen, welche Bedeutung überhaupt den Veränderungen des Blutes und 
der hämatopoietischen Organe für das Leben und das Allgemeinbefinden 
der Tiere zuzuschreiben ist. Diese Fragen sind aber bis jetzt noch nicht 
Gegenstand einer eingehenden Forschung gewesen, obgleich von ihrer Be¬ 
antwortung zum grössten Teil unser therapeutisches Handeln direkt ab¬ 
hängig ist. 

Die bisherigen Untersuchungen sind meistens mit derartig grossen 
Dosen ausgeführt, wie sie niemals für die therapeutische Anwendung in 
Frage kommen werden. Die Tiere sterben unter einer solch brutalen 
Vergiftung, dass man daraus nur wenige klinische Schlüsse ziehen kann. 
Wir werden bald sehen, dass die bei solchen Fällen erhobenen patho¬ 
logischen Veränderungen überhaupt nicht brauchbar sind, den Tod und 
das Verhalten der Tiere unter kleineren Dosen radioaktiver Substanzen 
zu erklären. Die erhobenen Befunde haben auch insofern geschadet, als 
wir dadurch gewissermassen unsere Aufmerksamkeit immer wieder auf 
einen und denselben Punkt zu richten gewöhnt haben. Heineke selbst 
ist von diesem Gedankengange fortgerissen worden. Kürzlich stellte er 
die Frage auf, ob durch intensive Bestrahlung in der menschlichen 
Therapie die bekannten Veränderungen an den inneren Organen nicht so 
gross werden können, dass Nebenwirkungen auftreten könnten. Dabei 
denkt er hauptsächlich an die hämatopoietischen Organe und zeigt noch, 
wie wenig Beachtung der systematischen Blutuntersuchung während der 
Behandlung geschenkt wird. In "seiner letzten Arbeit gibt er auch an, 
dass die Empfindlichkeit der Lymphozyten den Strahlen gegenüber noch 
ausserordentlich viel grösser ist, als er früher angenommen hat. Durch 
eine ganz kurze direkte Bestrahlung der Darmwand und Milzfollikel 
(5 Sekunden! nur die Kapsel aufsetzen und wieder abnehmen) mit einer 
relativ sehr geringen Menge Radium (20 rag RaBr 2 ) konnte er weit¬ 
gehende Zellzerstörungen hervorrufen. „Man wende nicht ein, dass sich 
die Resultate der Tierexperimente nicht auf den Menschen übertragen 
lassen. Die Reaktion der blutbildenden Organe ist beim Menschen ganz 
dieselbe wie beim Tier, nur bei gleich starker Strahlenquelle natürlich 
quantitativ geringer, schon wegen der grösseren Entfernung.“ 

Er vermutet auch, dass das Knochenmark auf eine viel geringere 
Strahlendosis reagiere, als man bisher angenommen hat, und verweist als 
Beispiel auf die Arbeit Wöhlers (Leukozytose durch einmalige Be¬ 
strahlung zu diagnostischen Zwecken). Als praktisches Ergebnis sieht 
er die Notwendigkeit fortlaufender Blutuntersuchungen bei der Anwendung 
grosser Strahlendosen an. Die Frage, ob die Zerstörung grosser Leuko¬ 
zyten- und Lyraphozytenmassen für den Körper einen Schaden bedeute 
und ob diese Schädigung mehr als eine vorübergehende sei, betrachtet 
er als noch nicht beantwortet. Er findet aber, dass vielleicht ein Zu¬ 
sammenhang zwischen dem Röntgen- und Mesothoriumkater und der Zer- 


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Störung der Leukozyten existiere, da beide zeitlich zusammenfallen. Für 
viel wichtiger hält er aber die Frage nach einer dauernden Schädigung 
der Blutbildung. Obwohl nichts darüber bekannt geworden ist (gegenüber 
den negativen Resultaten von Aschoff, Krönig und Gauss betont er, 
dass das Knochenmark nicht mit untersucht wurde), ist er der Meinung, 
dass jedenfalls die Gefahren für das Blut und die hämatopoietischen 
Organe nicht sehr gross sein können, da bis jetzt keine klinischen Er¬ 
fahrungen darüber vorliegen, obgleich diese Schädigungen als möglich, an¬ 
zunehmen sind, wie die Blutbefunde und Leukämien bei Röntgcnologen 
und Radiologen zur Genüge zeigen. „Gefahren dieser Art schienen aller¬ 
dings nur dann zu drohen, wenn der Körper jahrelang der Bestrahlung 
ausgesetzt wird, während dauernde Blutschädigungen den in kurzer Zeit 
applizierten Massendosen nicht zu folgen scheinen. Es ist ja auch ver¬ 
ständlich, dass die jahrelange Einwirkung kleinster Strahlendosen auf die 
Blutkörperchenbildungsstätten leichter zu einer Reizwirkung und zur 
.Hyperfunktion (Leukämie) oder zu einer Erschöpfung der leukozyten¬ 
bildenden Tätigkeit (Leukopenie) führen wird, als eine einmalige, wenn 
auch tiefgreifende Zellzerstörung, die der Organismus vermutlich aus¬ 
zugleichen vermag. Doch wissen wir über diese Dinge noch herzlich 
wenig und die Mahnung zur Vorsicht scheint mir nicht unangebracht zu 
sein. Ich meine, dass diejenigen, die die Tiefentherapie mit enormen 
Strahlendosen in die Praxis einzuführen bemüht sind, eigentlich erst den 
Beweis liefern müssten, dass eine Schädigung der Blutbildung dabei nicht 
zu befürchten ist. u Alle die von Heineke aufgeworfenen Bedenken und 
Mahnungen sind sicher von ausserordentlich grosser Wichtigkeit. Sie 
fassen aber nur einen Teil des Problems und lassen eine Menge wichtiger 
Tatsachen ausser acht, die unbedingt berücksichtigt werden müssen. Durch 
unsere Forschungen haben wir z. B. die enorm wichtige Feststellung ge¬ 
macht, dass ziemlich grosse Dosen Thorium X das Blut derart schädigen 
können, dass es nicht mehr zur Norm zurückkehrt, obgleich die Tiere 
viele Wochen, ja selbst Monate noch leben können. Ob der Tod in 
letzter Linie in solchen Fällen auf die chronischen Blutveränderungen 
zurückzuführen ist, ist eine Frage, die wir mit einer an Sicherheit 
grenzenden Wahrscheinlichkeit verneinen können. Wir werden z. B. sehen, 
dass bei unseren Versuchen der Tod des Tieres durch die Thorium X- 
Vergiftung zu einer Zeit einzutreten pflegt, in welcher der hämatopoietische 
Apparat schon völlig regeneriert und selbst in Hyperplasie geraten ist. 
Wir werden auch sehen, dass die leuko- und erythrozytären Apparate 
eine volle Funktion oder selbst eine Hyperfunktion zu leisten imstande 
sind, wenn der gesamte Organismus unter der Wirkung des Thoriums 
schwer leidet. Diese Tatsachen sind geeignet, das ganze Problem des 
Todes durch die Wirkung der radioaktiven Substanzen in ein anderes 
Licht zu rücken. Durch unsere Experimente ist es uns gelungen, die 
Dignität der Veränderungen des Blutes und der Blutbildungsstätten für 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 289 


das Leben und das Allgemeinbefinden gewissermassen klarzulegen. Wir 
haben oben von einem geschlossenen Gedankenzirkel gesprochen. Wenn 
man keine Veränderungen an den blutbildenden Organen fand und weiter 
auch nichts oder fast nichts finden konnte, wie konnte man da schliessen, 
dass der Tod der Radioaktivwirkung zuzuschreiben war? Das war un¬ 
verständlich und deswegen auch nicht leicht annehmbar. Wir werden 
sehen, dass unsere Experimente eine wesentliche Vertiefung in die Kenntnis 
der Wirkung der strahlenden Substanzen ermöglicht haben. Hier ist der 
Platz, auf eine Menge Tatsachen hinzuweisen, die in der Literatur ver¬ 
streut vorliegen und die in Zusammenhang zu bringen sind mit alledem, 
was wir später anzuföhren haben. Im Jahre 1907 hat Försterling auf 
dem Kongress der deutschen Röntgengesellschaft die interessante Mit¬ 
teilung gemacht, dass durch Röntgenbestrahlung erhebliche Wachstums¬ 
schädigungen bei Tieren erzeugt werden konnten. Er berichtet z. B., dass 
durch partielle Bestrahlung von Körperteilen diese im Wachstum stark 
zurückblieben, so z. B. Extremitäten, die viel weniger sich entwickelten 
und deswegen viel kleiner wurden als die nicht bestrahlten. Dabei wurden 
alle Gewebe betroffen, die Knochen, die Muskeln, die Nerven. Dasselbe 
gilt für innere Organe, so konnte z. B. eine Niere unter der verderblichen 
Wirkung der Bestrahlung sich viel weniger entwickeln und deswegen 
kleiner bleiben als die andere nicht bestrahlte. Dabei waren keine groben 
Gewebsveränderungen in den Organen nachzuweisen. Bei der Bestrahlung 
von trächtigen Tieren wurden die Jungen teils totgeboren, andere starben 
bald nach der Geburt. Ueber ähnliche Resultate hat auch Max Cohn 
in derselben Sitzung berichtet. Er hat Kaninchen genommen, die von 
demselben Rammler zur selben Zeit gedeckt waren. Er bestrahlte den 
Kopf von einigen und liess eins unbestrahlt zur Kontrolle. „Die Tiere 
kameh zum richtigen Termin nieder. In den ersten 14 Tagen verhielten 
sich die Jungen der bestrahlten Muttertiere ebenso wie die der un- 
bestrahlten. Von da an setzte bei den Jungen der bestrahlten Tiere eine 
enorme Wachstumshemmung ein, die jede Woche zunahm. Nach 7 Wochen 
war der Unterschied 1:3.“ London hat Kaninchen der dauernden Ein¬ 
wirkung der Radiumbestrahlung ausgesetzt. Die Tiere nahmen zuerst 
regelmässig zu, um nachher abzunehmen. Die Hautläsionen wurden 
immer grösser und die Kaninchen starben erst im 13. oder 14. Monat 
nach Beginn der Bestrahlung. Das weibliche Kaninchen wurde während 
der Zeit 3mal trächtig. Bei der Sektion wurden, ausser den Haut¬ 
läsionen, ausgedehnte Veränderungen an Herz, Leber, Hoden, Nebenhoden, 
Ovarien, Niere, Milz festgestellt. In der Milz war der Pigmentgehalt 
stark vermehrt, die Follikel verkleinert und arm an Lymphozyten. Sehr 
beachtenswert sind die im Laboratorium Lazarus-Barlows durch Wedd 
und Russ und Chambers und Russ ausgeführten Versuche. „Es wurde 
gefunden, dass Zellen von Mäusekarzinora und Rattensarkom, die auf 
ein anderes Tier übertragen, sofort in gewohnter Weise weiter wachsen 


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würden, sobald sie einer bestimmten Bestrahlung unterworfen wurden, in 
einem Stadium der Latenz verharren, das bis zu 80 Tagen anhalten 
kann. Während dieser Zeit sind die transplantierten Zellen mikroskopisch 
von den normalen Geschwulstzellen nicht zu unterscheiden, nur ihre Ver¬ 
mehrungsfähigkeit ist zur Zeit aufgehoben. Trotzdem ist Grund zur An¬ 
nahme vorhanden, dass sie doch verändert sind, denn wenn sich das 
transplantierte Stück an fängt weiter zu entwickeln, so geschieht dies viel 
langsamer als bei normalen Zellen.“ Beachtenswert ist die Mitteilung 
Reifferscheids, „dass die nach einmaliger Bestrahlung von Mäusen 
einsetzende Wirkung auf die Ovarien nach 6 Monaten ausgesprochener 
war, wie bei den nach 1 Monät schon getöteten Kontrollieren“. Alles 
dies sind Tatsachen von enorm praktischer Wichtigkeit, insbesondere, 
weil sie in enger Beziehung zu therapeutischen Fragen stehen. Es 
besteht heute in der Therapie vielfach die Tendenz, die Neben- und 
Spätwirkungen immer mehr und mehr auf konkoraittierende Ursachen 
zurückzuführen. Das kommt vielleicht daher, dass man die Haut¬ 
schädigungen immer mehr in den Hintergrund zu schieben imstande 
ist, so dass man mit den neuen Apparaten und Röhren immense Dosen 
(innerhalb 8 Tagen 350—370 X auf eine Hautstelle) applizieren kann, 
ohne dabei die geringste Hautschädigung zu erzeugen zu brauchen (so 
pflegt z. B. nur eine vorübergehende Hautrötung einzutreten). Nach den 
Forderungen der Homogenbestrahlung darf man sogar, nach dem Vor¬ 
schlag Dessauers, „den Organismus insgesamt unter die Wirkung der 
Strahlenenergie setzen“. „Es gibt auch Röntgenologen, die die Ansicht 
vertreten, dass es für die filtrierte harte Strahlung überhaupt keine 
Erythemdose mehr gebe“. Es scheint aber gerade das der Grund zu 
sein, unsere Aufmerksamkeit mehr auf die eventuellen inneren Schädi¬ 
gungen zu richten. Wir wissen z. B., dass Bleiblech die Haut vor 
Reaktionen schützt, dass man aber durch dasselbe Bleiblech die Knochen 
photographieren kann. Diesen Vorgang hat Holzknecht vor vielen 
Jahren als rätselhaft bezeichnet. Heute neigen, wie gesagt, viele dazu, 
die inneren Schädigungen fast als ausgeschlossen zu betrachten. Man 
glaubt z. B. dem Röntgenkater schon teilweise durch eine gute Ventilation 
des Röntgenzimmers Vorbeugen zu können; man will die Diarrhöen und 
die Darmerscheinungen nur auf die mechanischen und thermischen Reize 
zurückführen, wie sie durch das wiederholte Aufsetzen des Tubus auf 
den Leib, das Entblössen von Körperteilen, das Liegen auf dem Bauche usw. 
entstehen. Im Gegensatz dazu und in Anbetracht der inneren Wirkungen 
warnen auch viele vor der Anwendung sehr grosser Dosen. Einige be¬ 
trachten sogar den Röntgen- und Mesothoriumkater als etwas Bedenkliches 
und von den organischen Veränderungen herrührend. „Der Ausdruck 
,Röntgenkater* ist ein etwas burschikoses Wort für eine ernste, nicht 
zu unterschätzende Sache“. Was die Darmsyraptome anbetrifft, so muss 
man immer wieder an die Arbeiten von Regaud, Nogier und Lacassagne 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 291 

erinnern, die schwere, ja lebensbedrohende Zerstörungen, besonders im 
Dünndarm bei Hunden durch X-Strahlung erzeugen konnten. Wie oft 
Diarrhöen und andere Darmerscheinungen in der menschlichen Therapie 
zur Beobachtung kommen, ist allgemein bekannt. Schon den ersten 
französischen Autoren waren solche Erscheinungen aufgefallen, die sie 
damals als „viszerale Anfälle 44 beschrieben. Hier muss auch hervor¬ 
gehoben werden, dass durch die Einspritzung radioaktiver Substanzen 
ähnliche Symptome hervorgerufen werden können. Das Merkwürdigste 
dabei ist, dass sie besonders beim Menschen und beim Hunde aufzutreten 
pflegen. Man will sie durch die Ausscheidungsverhältnisse der Mittel er¬ 
klären. Ein anderes Ding, das noch besonders beachtet werden muss, 
ist der Eintritt von Spätschädigungen, ja des Todes nach Tumor¬ 
bestrahlungen. In solchen Fällen, wenn der Tumor unter Besserung des 
Allgemeinbefindens schon stark verkleinert oder selbst verschwunden ist, 
treten zuweilen erst nach einigen Wochen schwere Krankheitserscheinungen, 
die zum Tode führen können, auf. Meist werden dabei Fieber, Durch¬ 
fälle, Kräfteverfall, ein der Kachexie ähnlicher Zustand beobachtet. Man 
nimmt an, dass diese Symptome durch die Resorption der eingeschmolzenen 
Geschwulstmassen hervorgerufen werden; es ist so „als könnte es Vor¬ 
kommen, dass diese Leute gewissermassen an ihrer Heilung zugrunde 
gehen“. Diese Auffassung ist die im allgemeinen angenommene. Vor 
kurzem ist sie noch durch die Berichte von Aschoff, Krönig, Gauss, 
Wätgen, Schüler u. a. wesentlich gestützt worden. Vereinzelte Autoren 
haben noch Bedenken dagegen. Heineke z. B. will, wie wir schon er¬ 
örterten, nicht viel aus den autoptischen Befunden Aschoffs schliessen, 
da das Knochenmark nicht mit untersucht wurde; Sippel wandte auch 
ein, dass diese Befunde kurze Zeit nach der Verabfolgung der Strahlen 
erhoben wurden, und dass erst notwendig ist, „solche bestrahlte Kranke 
lange genug am Leben zu erhalten, um eine nachteilige Spätwirkung nach 
jeder Richtung hin ausschliessen zu können“. Wir sehen aus allen diesen 
Meinungsverschiedenheiten sowie aus den Ergebnissen experimenteller 
Versuche, dass diese Dinge nichts weniger als entschieden sind. Die 
Wichtigkeit der Probleme macht eine weitere, tiefere Erforschung notwendig. 
Die systematische Blutuntersuchung würde vielleicht die eigentliche 
Wirkung der Strahlen besser verfolgen lassen und könnte gewissermassen 
ein Kriterium liefern, um die Schädigungen durch die Strahlen von denen 
durch die Resorption zu trennen. Durch unsere Versuche mit Thorium X 
ist es aber möglich gewesen zu zeigen, dass dieses Kriterium nur ein 
lückenhaftes sein kann, weil, wie schon oben gesagt, die Tiere unter der 
Wirkung der radioaktiven Substanz sterben können, wenn sich das Blut 
und die blutbildenden Organe schon regeneriert haben. Durch die Be¬ 
funde z. B. am Knochenmark ist es möglich, eine Thoriumvergiftung zu 
diagnostizieren, nicht aber eine solche auszuschliessen. Dass dasselbe 
für die Röntgenstrahlen gelten wird, ist als wahrscheinlich anzunehmen. 


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A. DA SILVA MELLO 


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Die Feststellung der Rolle, die das Blut und die hämatopoietischen 
Organe bei dem Tode und dem Allgemeinbefinden des unter einer radio¬ 
aktiven Wirkung stehenden Tieres zu spielen haben, hat uns in der 
Kenntnis der Wirkung von der strahlenden Energie sicher ein Stück 
weiter gebracht. Die Rolle, die die anderen Organe dabei zu spielen 
haben, können wir vorläufig nicht beurteilen, da unsere Versuche in der 
Richtung noch nicht in allen Einzelheiten abgeschlossen sind. Würden 
wir aber nur negative Befunde zu konstatieren haben, so wäre es noch 
nicht möglich, daraus endgültige Schlüsse zu ziehen. Oft ist man klinisch 
und wahrhaftig tot, während man noch pathologisch-anatomisch das Recht 
hätte zu leben und gesund zu sein. -Die histologischen Untersuchungen 
sind sozusagen noch in ihrer Kindheit; bei einer grossen Zahl tödlicher 
Vergiftungen sind wir nicht imstande, anatomisch auch nur das Geringste 
ausfindig zu machen. Dass dies auch für die radioaktiven Substanzen 
der Fall sein könnte, wäre an sich nicht verwunderlich. Wir haben es 
da wahrscheinlich nicht mehr mit pharmakodynamischen Wirkungen zu 
tun. Die verabreichten Mengen sind so winzig klein — man denke z. B. 
dass ein zehntausendstel Milligramm Thorium X tödlich wirkt —, dass 
man nur eine strahlende Wirkung, eine Wirkung durch Aetherwellen an¬ 
nehmen kann. 

Was unsere Arbeit anbetrifft, so haben wir die Versuche in vier 
Gruppen geteilt. Am Ende eines jeden Teiles wurden partielle Schlüsse 
gezogen, die zuletzt zusammengefasst worden sind. Oft sind wir auf 
verschiedenen Wegen zu demselben Resultat gekommen. Durch unsere 
Experimente haben wir die Ueberzeugung gewonnen, dass alles Wider¬ 
sprechende über die Wirkung der radioaktiven Substanzen auf den 
tierischen Organismus hauptsächlich daher kommt, dass meistens viel zu 
wenig Versuche angestellt werden. Es ist eine allgemein bekannte Tat¬ 
sache, dass oft auf ein und dieselbe Wirkung die Kaninchen z. B. höchst 
verschieden reagieren. Wir haben es da mit höchst launenhaften, mit 
höchst labilen und individuellen Reaktionen zu tun. Der biologische 
Determinismus ist da fast immer schwer und oft auch unmöglich zu 
finden. Die Verschiedenheit der Individualität spielt zwischen Ursache 
und Wirkung eine so wichtige Rolle, dass uns der ganze Zusammenhang 
verloren geht. Um nur ein Beispiel anzuführen, so sehen wir schon 
normalerweise die roten Blutkörperchen von weniger als 4 Millionen bis 
über 7 Millionen von Individuum zu Individuum schwanken. Wir sehen 
auch bei denselben Individuen physiologische Schwankungen von über 
einer Million. Das sind aber keine Zufälligkeiten, das muss seinen bio¬ 
logischen Grund haben. Die Verschiedenheit der Reaktion unter ein und 
derselben Wirkung kann also auch kein Zufall sein. Sie ist begründet 
in der Verschiedenheit der Individualität. Seit langem wissen wir, dass 
die Zufälligkeiten und Widersprüche nichts anderes sind als die Un- 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 293 


kenntnis der bedingenden Ursachen. Die Kaninchen sind untereinander 
höchst verschieden. Um feine Reaktionen bei ihnen zu studieren, muss 
man unbedingt die Experimente sehr zahlreich und sehr verschieden an¬ 
stellen. Das gilt vielleicht namentlich für das Blut. Gerade hier können 
wir besonders leicht die Individualität studieren; oder ist überhaupt das 
Blut nicht einer der individualisiertesten Teile des Organismus? Das geht 
aus allen serologischen Untersuchungen hervor, die auch geeignet sind, 
•uns zu zeigen, wie grob und oberflächlich wir überhaupt durch unsere 
morphologischen Befunde urteilen. Es ist vielleicht so, als wenn wir die 
Gicht nur durch die Tophi oder den Anfall feststellen würden. Mehrmals 
sind wir zu ganz merkwürdigen Resultaten gekommen. Auf solchen ab¬ 
weichenden Resultaten haben wir Hypothesen und Theorien aufgebaut 
und oft hat auch eine Wiederholung oder eine Kontrolle der ersten Ver¬ 
suche diese Hypothese oder Theorie bestätigt. Bald nachher häuften 
sich aber die Widersprüche und der ganze Zusammenhang ging verloren. 
Man lernt dabei vorsichtig und weniger schlussbegierig zu sein. Aus 
diesem Grunde sind viele unserer Experimente nicht brauchbar. Sie sind 
nicht zahlreich und eindeutig genug. Andere haben einen Wert nur, um 
Widersprüche hervorzuheben. 

Vorbemerkungen. 

Bei allen unseren Versuchen wurde das Thorium X subkutan unter 
die Rückenhaut eingespritzt. Es wurde immer sehr stark mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung verdünnt, so dass selbst bei den kleinsten Dosen 
mehrere Kubikzentimeter injiziert wurden. Die Injektionsstelle wurde 
nachher gründlich massiert. Die beiden Massnahmen sollten der Bildung 
eines Thoriumdepots Vorbeugen und die schnelle Resorption des Mittels 
fördern. Die Dosierung wurde nach der Fabriktabelle genommen oder 
durch den Radiologen des Instituts, Herrn Dr. Herschfinkel, ausgeführt 
und kontrolliert. Bei unseren Angaben haben wir einfach die Thoriura- 
dosen als RaBr 2 -Aequivalent ausgedrückt. Alle Tiere lebten unter gleichen 
äusseren Bedingungen. Die Hämoglobinbestimmung wurde immer mit 
demselben Sahlischen Apparat gemacht, die Leukozyten- und Erythro¬ 
zyten ungefähr um dieselbe Tageszeit ausgeführt, um bestimmte physio¬ 
logische Schwankungen möglichst auszuschliessen. Wenn eine Injektion 
und eine Zählung an demselben Tage ausgeführt wurde, wurde die 
Zählung immer vor der Injektion gemacht. 


I. Teil. 

Kaninchen, die nnr einmal eingespritzt wurden. 

Je nach der Grösse der eingespritzten Thorium X-Dosis und des¬ 
wegen auch nach der Zeit, die bis zum Tode des Tieres verflossen war, 
können wir die Tiere in zwei Gruppen einteilen. Bei der einen haben 
wir es mit akuten, schnell tödlich verlaufenen Vergiftungen zu tun, bei 


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294 


A. da SILVA MELLO 


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der anderen dagegen mit langdauernden, chronischen und eventuell gleich¬ 
falls tödlich endenden Schädigungen. 


A. Akute tödliche Vergiftungen. 
Kaninchen Nr. 3. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,225 mg 

1 

1130 

70 

5 500 000 

5400 

4 

1010 

63 

5 400 000 

760 


5 

980 

62 

5 500 000 

700 


7 

860 

58 

I 5 100 000 

400 


8 

t 





Sektion: Die Milz verkleinert, das Knochenmark tief dunkelrot, weich, leicht zer- 
reissbar. Im Magendarmkanalkeine Blutungen, nur die mesenterialenGefässe stark injiziert. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Enorme Zerstörung im Knochenmark. Die charakteristischen weissen Elemente 
ungeheuer stark reduziert. Das Stützgewebe deutlich hervortretend und von Blutungen 
durchsetzt. Bei den übrig gebliebenen Zellen fand man, abgesehen von den binde¬ 
gewebigen Elementen, relativ viele Myelozyten und polymorphkernige Leukozyten. Bei 
vielen Zellen war der Kern pyknotisch, geschädigt, im Zerfall begriffen. Es waren auch 
reichliche Phagozyten voll von Chromatinkügelchen zu finden. Die Riesenzellen — das 
sei besonders hervorgehoben —, waren zahlreich vorhanden und viele sahen durchaus 
normal aus. Die kernhaltigen roten Blutkörperchen waren ebenfalls sehr zahlreich. 
Besonders bei den Abstrichpräparaten konnte man viele typische Mitosen und Ami- 
tosen beobachten. Die Erythrozyten durchaus normal. 

Milz: Gewaltige Zerstörung des Milzparenchyms. Durch Blutungen und Zell¬ 
vernichtung war die histologische Struktur des Organs zum Teil fast verloren gegangen. 
Der Zellgehalt der Pulpa vermindert. Die Lymphfollikel noch als solche deutlich zu 
erkennen und zum Teil aus typischen zahlreichen Lymphozyten gebildet. Die Blutungen 
waren meistens perifollikulär und schonten gewissermassen die Follikel. Keine be¬ 
sondere Pigmentierung. 

Die anderen Organe wurden nicht untersucht. 


Kaninchen Nr. 8. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,15 mg 

1 

810 

70 

6 000 000 

9120 

4 

760 

61 

5 600 000 

1200 


7 

680 

t 




Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Ungeheure Zellzerstörungen; die weissen Elemente auf ein 
Minimum reduziert, vielfach Karyorrhexis, Pyknose und Mitosen. Viele Phagozyten 
voll von Chromatinkugeln. Die Kapillaren prall mit Blut gefüllt. Enorme Blutungen. 
(Siehe Figur 1.) 

Milz: Die Hauptveränderungen spielen sich in der Pulpa ab; an einigen Stellen 
sind die Pulpazellen fast gänzlich verschwunden, das Stützgewebe tritt stark hervor. 
Blutungen. Die Lymphfollikel deutlich erkennbar und sehr reich an Lymphozyten, 
davon viele in Pyknose begriffen (s. Figur 2). 

Wir haben es in diesen Fällen mit der oft beschriebenen Thorium X- 
Vcrgiftung zu tun. Im grossen und ganzen bestätigen unsere Befunde die 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 295 


zahlreichen experimentellen Angaben, die in der Literatur bis jetzt darüber 
vorliegen. Wir publizieren aber die Fälle, um einige Daten besser fest¬ 
zulegen. Zuerst machen wir darauf aufmerksam, dass die Tiere zu einer Zeit 
gestorben sind, in welcher enorme Schädigungen an den hämatopoietischen 
Organen zu finden waren. Einen Zusammenhang zwischen diesen Schädi¬ 
gungen und dem Tod der Tiere anzunehraen, liegt selbstverständlich ganz 
nahe, einmal, da sie die augenfälligsten und weitgehendsten zu sein 
pflegen. Das ist übrigens eine Annahme, die man schon seit den ersten 
Versuchen mit Röntgenbestrahlung immer und immer wieder bestätigt ge¬ 
funden hat, und für welche stets neue Stützen beigebracht wurden. Wie 
schon früher gesagt wurde, ist es durch unsere Versuche gelungen, diesen 
Zusammenhang, wenigstens was das Thorium X anbetrifft, für eine sehr 
grosse Reihe von Fällen, ja vielleicht für alle Fälle, als falsch zurück¬ 
zuweisen. Vorläufig möchten wir nur auf einige von anderer Seite erhobene 
Befunde zurückgreifen. Besonders durch die mit übertödlichen Dosen 
Thorium X ausgeführten Versuche Pappenheims und Pleschs wurde 
festgestellt, dass der Tod der Tiere meistens eintrat, wenn das Knochen¬ 
mark derart zerstört war, dass man überhaupt fast nichts mehr von 
Knochenmarkselementen finden konnte, und wenn eine vollständige oder 
fast vollständige Entvölkerung des Blutes an Leukozyten eingetreten war. 
Dass ein ähnlicher Befund auch nach Einwirkung intensiver Röntgen¬ 
bestrahlung zu beobachten ist, ist eine allgemein bekannte Tatsache. In 
unseren Fällen waren freilich die Zerstörungen der blutbildenden Organe 
und die Leukopenie ungeheuer gross, man konnte aber im Knochenmark 
noch viele . normale Myelozyten und viele normale polymorphkernige 
Leukozyten finden und die Zerstörungen der Lymphfollikel der Milz 
waren eigentlich als gering zu betrachten. Im Knochenmark waren auch 
viele Zellen im Proliferationszustande mit typischen karyokinetischen 
Bildern zu beobachten. Man hatte direkt den Eindruck, als ob neben 
den VernichtungsVorgängen sich auch Regenerationsprozesse abspielten. 
Daraus können wir die wichtigen Schlüsse ziehen, dass die Tiere bis zu 
einer absoluten Zerstörung des Knochenmarks mit totaler Leukozyten- 
losigkeit des Blutes am Leben bleiben können, dass sie aber auch schon 
sterben können, wenn derartige Läsionen noch nicht so weit fortgeschritten 
sind und eine Entvölkerung des Blutes an Leukozyten noch nicht statt¬ 
gefunden hat. Es geht auch daraus hervor, dass die Tiere sterben können, 
wenn man deutliche Zeichen von Regeneration an den hämatopoietischen 
Organen feststellen kann. Ob diese Regenerationsvorgänge als eine Folge 
der Zerstörungsprozesse zu betrachten sind, oder ob sie zu den normalen 
Vorgängen am Knochenmark gehören, die sich trotz der tödlichen Ver¬ 
giftung erhalten oder fortgesetzt haben, muss dahingestellt bleiben. Die 
merkwürdige Tatsache bleibt aber bestehen, dass man bei den charakte¬ 
ristischen Knochenmarkselementen typische karyokinetische Bilder finden 
kann, wenn sich daneben die intensivsten Zerstörungen geltend machen, 

Zeitsebr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 u. 4. oq 


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296 


A. da SILVA MELLO 


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und wenn der Organismus noch unter der direkten Wirkung des Thorium X 
steht. Das sind sicher Tatsachen, die die grösste Beachtung verdienen 
und die mit den jetzigen Theorien über die Wirkung der radioaktiven 
Substanzen schwer in Einklang zu bringen sind. 

Hier müssen wir noch auf die in der Milz gefundenen Veränderungen 
unsere Aufmerksamkeit lenken. In Anbetracht der bekannten Röntgen¬ 
strahlenwirkungen und der von allen Seiten betonten Aehnlichkeit der 
Wirkung der X-Strahlen und der radioaktiven Substanzen, wären hier 
freilich andere Läsionen zu vermuten. Das ist auch schon früher 
Pappenheim und Plesch aufgefallen. Die relative Integrität der 
Lymphfollikel würde hier nicht nur für eine besondere Resistenzfähigkeit 
der Lymphozyten sprechen, sondern auch einen wesentlichen Unterschied 
zwischen der Wirkung der Röntgen- und Radiumstrahlen einerseits und 
des Thorium X andererseits erweisen. Das sind aber Dinge, die nicht 
so leicht entschieden werden können und die eine weitgehende und ge¬ 
naue Erforschung verlangen. Durch unsere Experimente ist es uns ge¬ 
lungen, diese Frage in dem obigen Sinne zu lösen, d. h. einen radikalen, 
ja einen gegensätzlichen Unterschied zwischen der Wirkung der Röntgen- 
und Radiumstrahlen und des Thorium X auf die hämatopoietischen Organe 
festzulegen. Darauf werden wir später noch eingehend zurückkommen. 
Ein anderer Befund, der etwas Abweichendes an sich trägt, ist der, der 
bei den Riesenzcllen erhoben worden ist. Wir haben gesehen, dass sie 
bei dem einen Kaninchen sejir zahlreich und zum Teil ganz normal zu 
finden waren. Dies in Verbindung mit Befunden, die wir in anderen 
Fällen und unter anderen Bedingungen erhoben haben, hat \ins gezeigt, 
dass sie nicht so empfindlich dem Thorium X gegenüber zu sein scheinen, 
wie von anderen Autoren angegeben wird (vgl. Figuren 2, 5 und 6). 

Ein anderer Punkt, der noch hervorgehoben werden muss, ist das 
Verhalten der roten Blutkörperchen. Hier liegen zum erstenmal genaue 
Angaben darüber vor. Pappenheim und Plesch konnten keine deut¬ 
lichen Veränderungen konstatieren, obgleich sie nur mit tödlichen und 
übertödlichen Dosen gearbeitet haben. Ihre Resultate sind aber nicht 
einwandsfrei, zumal da Auszählungen nicht vorgenommen wurden. 
Bald darauf haben Hirschfeld und Meidner über abweichende Er¬ 
gebnisse berichtet, indem sie durch tödliche Dosen eine Abnahme des 
Hämoglobins und auch der Erythrozytenzahl feststellen konnten. Aehn- 
liche Befunde sind später auch von Arneth angegeben worden, obgleich 
er keine tödlichen Dosen verabreicht hat. Seine Angaben sind aber 
ebenso wie die Pappenheims und Pleschs lückenhaft, weil sie nur 
auf die Farbe des Bluttropfens und auf Abstrichpräparate basiert waren. 
Unsere Fälle sind dagegen geeignet zu zeigen, dass ein Tier in Wirklich¬ 
keit durch eine akute Thorium X-Vergiftung sterben kann, ohne dass 
dabei die Erythrozyten an Zahl abnehmen. Wie dieses Verhalten über¬ 
haupt zu verstehen ist, werden wir später sehen. Im Gegensatz zu den 
Erythrozyten stand das Verhalten des Hämoglobins, das stark abnahm. 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 297 


Das scheint übrigens ein konstanter Vorgang bei der rapiden, tödlichen 
Thorium X-Wirkung zu sein. Der enorme Gewichts- und Leukozyten¬ 
absturz gehört zu den klassischen Symptomen der Thoriumvergiftung. 
Darauf werden wir noch oft zurückzukommen haben. 

B. Chronische Vergiftungen. 

Die chronische Vergiftung, oder besser gesagt, die chronische Schädi¬ 
gung durch das Thorium oder durch irgend eine strahlende Wirkung muss 
unbedingt als eines der wichtigsten Probleme der Radiobiologie betrachtet 
werden. Abgesehen von einigen alten Arbeiten über Röntgenbestrahlung 
und vereinzelten beiläufigen Bemerkungen in Protokollen von Versuchen, 
die mit radioaktiven Substanzen ausgeführt wurden, ist in der Richtung 
so wenig erforscht, dass man die Frage aufwerfen könnte, ob es über¬ 
haupt eine solche Schädigung gibt, d. h. ob ein Tier beispielsweise durch 
eine einzige Thorium X-Dosis derart geschädigt werden kann, dass cs 
sich davon nicht mehr erholt, trotzdem es daran nicht unmittelbar zu¬ 
grunde geht. Wir haben versucht, durch zahlreiche Experimente dieser 
Frage näher zu kommen. Als besonders geeignete Vergleichsobjekte 
haben wir grosse Rattenstämme gewählt, bei welchen ein Teil der Jungen 
eingespritzt wurde, während der andere als Kontrolle dienen sollte. Dabei 
stellte sich aber die enorme Schwierigkeit der richtigen Dosierung heraus. 
Wurde die Injektion zu gross gewählt, so starben die Tiere innerhalb 
kurzer Zeit; war sie dagegen nicht gross genug, so wurde sie von allen 
Tieren gut überstanden und in beiden Fällen war ein Vergleich un¬ 
möglich. Die Schwierigkeit kommt daher, dass die obere Grenze der 
nicht tödlichen Menge ganz nahe der unteren Grenze der letalen Dosis 
liegt. Eine Dosis, die scheinbar gut überstanden wird, ist nicht viel 
kleiner als eine solche, die sicher innerhalb kurzer Zeit tödlich wirkt. 
Bei den Ratten, die wir gewählt haben, war dieser Unterschied höchst 
minimal, weil sie noch ganz jung waren. Man muss dazu noch die ver¬ 
schiedene Empfindlichkeit der verschiedenen Stämme berücksichtigen, um 
alle Schwierigkeiten zu ermessen, die daraus entstehen können. Bei 
folgendem Stamm haben wir es direkt mit einem Glücksfalle zu tun. 



17. 10. 

14. 11. 

21. 11. 

28. 11. 

12.12. 

16. 1. 

21. 1. 

26.1. 

Ratte Nr. 1 (injiziert) . . 

0,0002 T.X 

0,0002 T.X 

0,002 T. X 

_ 

_ 

_ 

_ 

t 

Gewicht 

24 g 

28 g 

36 g 

34 g 

36 g 

42 g 

— 


Ratte Nr. 2 (nicht injiziert) 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Gewicht 

24 g 

28 g 

37 g 

41 g 

36 g 

56 g 

— 

— 

Ratte Nr. 3 (injiziert) . . 

Gewicht 

Ratte Nr. 4 (nicht injiziert) 

0,0002 T.X 
25 g 

0,0002 T. X 
29 g 

0,002 T.X 
35 g 

37 g 

30 g 

38 g 

+ 


Gewicht 

25 g 

28 g 

35 g 

38 g 

36 g 

51 g 

i 

— 

Ratte Nr. 5 (injiziert) . . 

Gewicht 

Ratte Nr. 6 (nicht injiziert) 

0,0002 T.X 

26 g 

0,0002 T. X 
29 g 

0,002 T. X 
32 g 

30 g 

30 g 

31g 

1 

1 t 


Gewicht 

26 g 

29 g 

38 g 

44 g 

45 g 

71 g 

— 

1 — 


Die drei nicht injizierten haben weiter gelebt und sich normal entwickelt. 


20 * 

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298 


A. da SILVA MELLO, 


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Die klinische Beobachtung stimmt in höchstem Masse dazu, dass 
wir es in diesen Fällen mit einer chronischen Thorium X-Schädigung zu 
tun haben. Alle Tiere haben zusammen unter gleichen äusseren Be¬ 
dingungen gelebt. Wir sehen alle eingespritzten Tiere sich langsam ent¬ 
wickeln und frühzeitig sterben, während daneben alle nicht behandelten 
sich normal entwickeln und am Leben bleiben. Der Umstand, dass die 
Tiere erst zwei Monate nach der Einspritzung starben, zeigt, dass der 
Tod nicht einer direkten Thorium X-Einwirkung zuzuschreiben ist. Ob 
er aber in den Fällen überhaupt als eine Folge der Thorium X-Einwirkung 
zu betrachten ist, kann in Anbetracht der kleinen Zahl der Tiere sowie 
dem Fehlen der mikroskopischen Untersuchungen nicht mit absoluter 
Sicherheit entschieden werden 1 ). Erst eine grosse Menge Beobachtungen, 
die wir noch auszuführen haben, gestattet uns hier auf eine Thorium X- 
Wirkung zu schliessen. Alle diese Versuche bestätigen sich gegenseitig. 
Hier wäre auch noch besonders auf die Versuche Hertwigs hinzuweisen, 
der durch Bestrahlung eine Wachstumsheramung, eine Verlangsamung des 
Furchungsprozesses von befruchteten Amphibieneiern mit einem früh¬ 
zeitigen Tode der Embryonen hervorrufen konnte. 

Es ist von allergrösster Wichtigkeit zu wissen, wie in unseren Fällen 
der Mechanismus der Schädigung oder des daran geknüpften Todes sich 
vollzogen hat. Besonderes Interesse muss dabei das Verhalten des Blutes 
und der blutbildenden Organe erregen. Folgende Fälle werden viel 
Wichtiges zu dem Verständnis all dieser Fragen beibringen. 


Kaninchen Nr. 2^ 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,225 mg 

1 

1680 

65 

5 700 000 

6800 

4 

1630 

63 

5 300 000 

2400 


7 

1480 

62 

5 200 000 

1500 


11 

1280 

64 

5 300 000 

1700 


14 

1270 

60 

5 000 000 

2500 


21 

1380 

54 

4 800 000 

3200 


28 1 

1250 

45 

4 700 000 

4600 


33 

1320 

50 

4 800000 

4300 


39 | 

1470 

45 

4 000 000 

3300 


42 

1370 1 

45 

4 800 000 

3700 


49 

1450 

50 

4 000 000 

3200 


55 j 

1260 

43 

4 000 000 1 

3900 


G2 

— 

— 

— 

5400 


67 

1160 

44 

4 800 000 | 

2900 


74 

1 980 

45 

4 200 000 

2800 


74 | 

1 t 


i 



Wir haben es da mit einem ganz eigenartigen bis jetzt unbekannten 
Befunde zu tun. Wir sehen, wie intensiv, wie langdauernd die Wirkung 
des Thorium X überhaupt sein kann. Das überschreitet alle Vermutungen 


1) Die mikroskopischen Untersuchungen konnten nicht ausgeführt werden, weil 
die gestorbenen Tiere sofort von den noch lebenden aufgefressen wurden. 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 299 


und zeigt wie kompliziert die biologischen Wirkungen der radioaktiven 
Substanzen sich gestalten. Die langdauernde Verfolgung der Leukozyten¬ 
zahlen lässt keinen Zweifel übrig, dass das Tier während der ganzen 
Zeit unter der Wirkung des Thoriums gelitten hat. 

Aus dieser Beobachtung geht deutlich hervor, dass das Thorium eine 
Vergiftung mit chronischem Verlauf zu erzeugen imstande ist. Wir sehen, 
dass der Tod des Tieres erst fast 3 Monate nach der Thoriumeinspritzung 
eingetreten ist, also zu einer Zeit, zu der der Organismus seit Monaten 
frei von radioaktiven Substanzen war. Wir erkennen daraus, dass der 
Organismus derart geschädigt war, dass er sich überhaupt nicht mehr 
erholen konnte. Wir haben es da mit keiner direkten Wirkung des 
Thorium X zu tun. Das ist das Wichtigste. Worauf in letzter Linie der 
Tod der Tieres zurückzuführen sei, mag dahingestellt bleiben. Wenn er 
eine Folge der Thorium X-Wirkung wäre (und das ist das Wahrscheinlichste), 
so wäre es am nächstliegendsten anzunehmen — nach alledem, was wir 
vom Thorium X wissen —, dass die hämatopoietischen Organe derart 
zerstört waren, dass eine vollständige Regeneration überhaupt nicht mehr 
eintreten konnte. Den Tod im Zusammenhang mit solchen Veränderungen 
zu bringen, wäre auch selbstverständlich. Das wäre an sich sehr wichtig 
festzustellen, weil wir auch vielfach gewöhnt sind, von plötzlichen Ver¬ 
nichtungen und rapiden Regenerationen der blutbildenden Organe zu hören. 
Der Umstand, dass ein Tier nach einer gewaltigen Zerstörung der 
hämatopoietischen Organe noch fast 3 Monate leben konnte, dass es 
während der ganzen Zeit der direkten Thoriumwirkung am Leben blieb 
und erst lange nachher starb, dies alles mit einer unvollständigen 
Regeneration, mit einer Erschöpfung des Knochenmarks in Zusammenhang 
zu bringen, würde jedenfalls einen eigenartigen biologischen Vorgang 
zeigen. Die Dinge liegen aber keinesfalls so. In dem Fall konnten wir 
eine vollständige Regeneration, ja eine Hyperplasie des Knochenmarks 
feststellen. Das Protokoll der mikroskopischen Untersuchung lautet 
folgendermassen: 

Knochenmark: Sehr starker Zellenreichtum. Die weissen Zellen so dicht zu¬ 
sammengedrängt, wie bei einem ganz jungen Tiere. Das Mischverhältnis der Elemente 
durchaus normal. Abnorm nur eine starke Hyperämie und das Auftreten eines gelb¬ 
lichen feingranulierten Pigments. In den Abstrichpräparaten grosse Mengen von 
Erythroblasten, bei vielen Amitosen zu finden (s. Figur 3). 

Milz: Anämisch, die Bluträume fast leer. Der Zellgehalt der Pulpa und der 
Lymphfollikel geringer als normal. Die Kapsel gewellt, verdickt, das Bindegewebe 
vermehrt. Sonst das Bild einer Pigmentmilz. 

Worauf die monatelang dauernde Leukopenie zurückzuführen sein 
könnte, ist uns nicht möglich gewesen festzustellen. Die Vermutung einer 
Atrophie des Knochenmarks konnte jedenfalls widerlegt werden. Wie sie 
in Verbindung mit der Hyperplasie der weissen Elemente zu bringen ist, 
ist ebenfalls nicht leicht zu verstehen. Dass die beiden Dinge aber ver¬ 
einbar sind, ist von ausserordentlich grosser Wichtigkeit zu wissen, be- 


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300 


A. DA SILVA MELLO, 


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sonders wenn wir es mit der vernichtenden Wirkung von Knochenraarks- 
giften zu tun haben. Der histologische Befund ist auch geeignet, zu 
zeigen, dass eventuell eine Leukopenie fehlen könnte, wenn der Organismus 
unter einer schädigenden aktinischen Wirkung leidet. Wir werden sehen, 
dass in Wirklichkeit die Vorgänge sich so abspielen können, und ferner, 
dass ein Tier unter der Wirkung des Thorium X sterben kann, wenn die 
Leukopenie schon verschwunden und die Leukozytenzahl zu der normalen 
Höbe zurückgekehrt war, und wenn die blutbildenden Organe schon voll¬ 
ständig regeneriert oder selbst in Hyperplasie geraten waren. Wir werden 
auch sehen, dass ein Tier eine akute Thorium X-Vergiftung durchmachen 
kann, ohne dass überhaupt eine Leukopenie zustande kommt. In dem 
Fall verdient noch das Verhalten der roten Blutkörperchen und des 
Hämoglobins eine besondere Beachtung. Wir konstatieren, dass sie 
während der ganzen Zeit sehr wenig gelitten haben. Die Veränderungen 
sind so minimal, dass man sie zwanglos als eine Stallanämie erklären 
könnte. Diese Feststellung in Verbindung mit der Beobachtung der 
vorigen akut tödlich vergifteten Tiere würde auf eine grosse Resistenz 
der Erythrozyten schliessen lassen. Wir haben besondere Versuche an¬ 
gestellt (s. den letzten Teil der Arbeit), um das Verhalten der Erythro¬ 
zyten dem Thorium X gegenüber näher zu studieren. Aus diesen, wie 
überhaupt aus allen Versuchen geht hervor, dass das Thorium X keine 
einheitliche Wirkung besitzt. Die Vorgänge im Blut und in den blut¬ 
bildenden Organen sind verschieden und ausserordentlich individuell; die 
Dosierung braucht dabei keine Hauptrolle zu spielen. Bei einigen Tieren 
ist das erythrozytäre System besonders empfindlich. Eine Thorium X- 
Schädigung kann eventuell nur durch eine Anämie zum Ausdruck kommen. 
Diese Anämie oder die Leukopenie oder ein Gewichtsverlust sind aber 
keine konstanten Symptome. Die drei können fehlen, es kann aber auch 
jedes allein für sich in Erscheinung treten oder mit den andern kombiniert 
sein. Wir werden auf diese Dinge noch einzugehen haben, ln diesem 
Falle muss noch besonders hervorgehoben werden die starke Pigmentierung 
der Milz und das reichliche Auftreten von amitotischen Bildern bei den 
Erythroblasten des Knochenmarks. Auch darauf werden wir noch zurück¬ 
kommen. Folgende Fälle sind vorläufige Mitteilungen zu dem besonderen Ver¬ 
halten der roten Blutkörperchen (s. nebenstehende Tabelle: Kaninchen Nr. 9). 

Sektion: Alle Organe anämisch. Das Knoohenmark weicher, rötlicher als 
normal. Milz verkleinert. Vereinzelte kleine Leberabszesse mit Coccidieneiern. Im 
Peritoneum vereinzelte kleine Zysten. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Ungeheurer Zellenreichtum. Die Zellen liegen so ausserordent¬ 
lich dicht zusammengedrängt, dass die Fettareolen gänzlich verschwunden sind. An 
der Hyperplasie nehmen alle Knochenmarkselemente teil. Die polymorphkernigen Leuko¬ 
zyten, die Myelozyten und die Erythrozyten sehr reichlich vorhanden, die Riesenzellen 
auch stark vermehrt. Keine abnorme Pigmentierung. Sonst nur eine deutliche 
Hyperämie und kleine Blutungen zu konstatieren. 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 301 


Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Lymphfollikel viel kleiner als normal. 
Das Stützgewebe der Pulpa tritt deutlich hervor. Die Follikel nooh zu erkennen, aber 
derart zellarm, dass sie fast verschwunden sind. Keine Hyperämie, keine Blutungen, 
keine abnorme Pigmentierung. 


Kaninchen Nr. 9. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,16 mg 

1 

1250 


_ 

_ 

7 

1050 

60 

6 800 000 

1600 


9 

980 

65 

6 400 000 

2400 


12 

950 

30 

3 200 000 

1840 


15 

1000 

25 

2 400 000 

2740 


20 

1000 

25 

3 200 000 

5100 


23 

1000 

25 

3 200 000 

5500 


29 

1150 

30 

3 200 000 

7600 


34 

1030 

30 

2 400 000 

8900 


37 

1010 

35 

3 200 000 

7640 


44 

930 

— 

2 400 000 

7500 


46 

t 





In diesem Falle sehen wir eine intensive Wirkung auf die roten Blut¬ 
körperchen. Sie tritt nicht unmittelbar nach der Thorium X-Einverleibung 
ein, sondern erst 10—12 Tage nachher, also, wenn die Thoriumaktivität 
schon fast ganz abgeklungen war. Das Interessanteste ist dabei noch, 
dass die Erythrozytenzahl und das Hämoglobin dauernd vermindert 
bleiben und sich überhaupt nicht mehr regenerieren, trotzdem man eine 
gewaltige Knochenmarkhyperplasie konstatieren kann. Der Umstand, dass 
diese Hyperplasie auch die weissen Elemente betrifft und doch keine 
Hyperleukozytose zu finden war, ist beachtenswert. Ob die Veränderungen 
der roten Blutkörperchen mit der Wirkung des Thorium X in Zusammenhang 
zu bringen sind oder nicht, ist an der Hand nur eines solchen Falles 
unmöglich zu entscheiden. Eine Menge klinischer Tatsachen lassen aber 
keinen Zweifel übrig, dass der Vorgang von der Thorium X-Wirkung ab¬ 
hängig ist. Der Fall ist keine Ausnahme. Mehrere Forscher haben schon 
ähnliche Befunde erhoben und wir selbst haben mehrere solcher Fälle 
beobachten können. Wir müssen auch bedenken, dass die Schädigung der 
roten Blutkörperchen zu einer Zeit eintrat, zu welcher man sie durch die 
Thorium X-Wirkung zu finden pflegt. Die Hyperplasie des Knochenmarks 
sowie die Veränderungen der Milz zeigen auch, dass das Tier noch bei 
seinem Tode unter indirekten Wirkungen des Thorium stand. Das sind 
aber Sachen, die wir erst später auseinanderzusetzen haben. Es wäre 
auch die Annahme naheliegend, dass in unserem Fall die Anämie sich 
vielleicht durch die in der Leber und im Peritoneum gefundenen Parasiten 
erklären lassen würde. Zwischen beiden Dingen besteht aber kein 
ursächlicher Zusammenhang. Wir haben wiederholt Fälle beobachtet, in 
welchen das Lebergewebe durch eine enorme Menge von Abszessen auf 
ein Minimum reduziert war oder wo das Peritoneum von Zysten dicht 


Digitized b' 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



302 


A. da SILVA MHLLO 


Digitized by 


durchsetzt war, Veränderungen, durchweiche wahrscheinlich die Tiere zu¬ 
grunde gegangen waren, und trotzdem konnten wir niemals in solchen Fällen 
eine Verminderung des Hämoglobins oder der Erythrozytenzahl konstatieren. 

Als Beispiel sei folgender Fall angeführt, bei welchem die Leber 
dicht von Abszessen mit Parasiteneiern durchsetzt war. 


Kaninchen Nr. 14. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,1 mg 

1 

— 

— 

— 

— 


4 

1420 

65 

6 400 000 

5300 


10 

1380 

65 

6 400 000 

3600 


11 

1 t 





Dafür, dass bei dem Kaninchen Nr. 9 die Anämie nicht auf die 
Parasiten zurückzuführen ist, spricht auch der Umstand, dass die Ver¬ 
änderungen fast, plötzlich innerhalb 3 Tagen eingetreten sind. Dies und 
der Befund bei anderen Tieren lässt auch die sogenannte Stallanäraie 
ausschliessen. Das Merkwürdigste dabei ist, dass auch das erythro- 
poietische System dauernd geschädigt bleibt, während das leukozytäre 
sich regeneriert und hyperplastisch wird. Wir müssen ausserdem an¬ 
nehmen, dass die Schädigung des erythropoietischen Systems nicht durch 
eine direkte Wirkung des Thorium X entstanden ist. Wir werden später 
sehen, dass, wenn der Organismus unter der giftigen Wirkung des 
Thorium X leidet, das erythrozytenbildende System normal funktionieren 
oder selbst eine Ueberfunktion entfalten kann. Die Veränderungen, wie 
die unseres Falles, müssen als indirekte betrachtet werden. Das Thorium 
schädigt den Organismus und erst diese Schädigungen erzeugen die 
Anämie. Dass aber eine besondere Labilität, eine grössere individuelle 
Empfindlichkeit des erythropoietischen Systems der verschiedenen Tiere 
dabei noch eine grosse Rolle spielt, darauf wurde schon früher hin¬ 
gewiesen. Es ist dieselbe Tatsache, die seit langem für die Leukozyten 
bekannt war und die nicht nur bei Tieren, sondern auch bei Menschen 
oft festzustellen ist. Die biologische Analyse unseres Falles liefert auch 
gewissermassen eine experimentelle Grundlage zu dem Verständnis der Ent¬ 
wicklung von Anämien bei der Behandlung von Leukämien, Tumoren usw. 
mit strahlender Energie. Dass zuletzt die Leukämie der Behandlung 
gegenüber sich als refraktär erweist, während dagegen die Anämie Fort¬ 
schritte macht, ist auch aus dem mikroskopischen Befunde am Knochen¬ 
mark leicht zu verstehen. 


Kaninchen Nr. 31. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo- 
! globin 

i 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,1 mg 

1 

j 

63 1 

! 6 600 000 

1 10 700 

21 

| 2400 

40 ! 

! 3 600 000 

i 7 200 


41 

2250 

i 64 

5 620 000 

6 100 

1 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 303 


Difitized by 


Dieser Fall ist angeführt, um zu zeigen, dass das Tier von der 
Anämie sich vollständig erholen kann. Er ist vielleicht auch geeignet, 
die Rolle der sogenannten Stallanämie besser hervortreten zu lassen. 
Hier sehen wir auch wieder, dass die Anämie zu einer Zeit am intensivsten 
war, zu welcher die Leukozyten die normale Höhe wieder erreicht hatten. 
Es gibt aber keinen Parallelismus zwischen diesen Vorgängen. Das 
leukozytäre und das erythrozytäre System funktionieren getrennt; sic 
werden verschieden durch'die Thorium X-Wirkung getroffen. Jedes besitzt 
seine eigene Individualität. Zuweilen werden auch beide geschädigt. 
Folgender Fall (Nr. 22) mag dies veranschaulichen. Das Merkwürdigste 
ist dabei, dass trotz der intensiven und langdauernden Schädigung des 
Blutes das Gewicht bis zum Ende fast unbeeinflusst bleibt. 


Kaninchen Nr. 22. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,05 mg 

1 

1150 

_ 


8200 

7 

1100 

60 

4 800 000 

2020 


14 

1070 

50 

5 000 000 

2050 


23 

1020 

40 

4 200 000 

3700 


30 

1050 

40 

3 200 000 

2800 


37 

1030 

35 

2 940 000 | 

3400 


49 

— 

— 

— 

— 


I. Partielle Ergebnisse. 

1. Die Zerstörungen der leukozytären Elemente des Knochenmarks 
und der Milz durch eine unmittelbare tödliche Vergiftung durch Thorium X 
sind allein nicht imstande, den Tod des Tieres zu erklären. Das geht 
daraus hervor, dass die Knochenmarkseleraente und besonders die Lymph- 
follikel der Milz noch zum grossen Teil erhalten sein können, wenn das 
Tier unter der Vergiftung stirbt. Dafür spricht auch, dass durch über¬ 
tödliche Vergiftungen (Pappenheim und Plesch) man noch weiter¬ 
gehende Veränderungen zu finden pflegt, und dass man auch durch 
Röntgenstrahlen viel stärkere Zerstörungen der blutbildenden Organe er¬ 
zeugen kann, ohne dass die Tiere unmittelbar daran das Leben verlieren. 

2. Wenn ein Tier unter der direkten Wirkung des Thorium X zu¬ 
grunde geht, kann man im Knochenmark neben den Zerstörungsvorgängen 
deutliche Zeichen von Regeneration (Mitosen) konstatieren (s. Figur 1). 

3. Die Läsionen, die durch das Thorium X an den hämatopoietischen 
Organen erzeugt werden, sind wesentlich verschieden von denen, die durch 
die Radium- und Röntgenstrahlen hervorgebracht werden. Dieser Umstand 
lässt auf eine Verschiedenheit der Wirkung beider schliessen (s. Teil III). 

4. Die Megakaryozyten sind nicht in allen Fällen dem Thorium X 
gegenüber so empfindlich wie im allgemeinen angenommen wird. Beim 
Thorium X-Tod können sie zum Teil noch ganz normal im Knochenmark 
gefunden werden. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



304 


A. DA SILVA MELLO, 


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5. Bei einer akuten, tödlich verlaufenden Thorium X-Vergiftung 
brauchen die Erythrozyten nicht geschädigt zu werden. Sie können sich 
an Zahl und Struktur normal erhalten bis zum Eintritt des Todes. 

6. Eine einzige Dosis Thorium X, die nicht unmittelbar tödlich wirkt, 
kann ein Tier derart schädigen, dass es sich davon nicht mehr erholt 
und nach Wochen oder selbst Monaten zugrunde geht. 

7. Die Wirkung des Thorium X auf das leukozytäre und das erythro- 
zytäre System gestaltet sich je nach der Individualität des einzelnen Tieres 
verschieden. Beide oder jedes dieser Systeme für sich können sich be¬ 
sonders empfindlich oder besonders resistent zeigen. Eine Thorium X- 
Schädigung kann eventuell nur durch eine Anämie oder nur durch eine 
Leukopenie zum Ausdruck kommen. Die Dosierung des Mittels braucht 
dabei keine Hauptrolle zu spielen. 

8. Eine nicht unmittelbar tödliche Dosis Thorium X kann zuweilen 
eine spät eintretende, langdauernde Anämie erzeugen. Diese Anämie kann 
zu einer Zeit eintreten, in welcher der Organismus schon fast frei von 
radioaktiven Substanzen ist. Sie muss als eine späte indirekte Schädigung 
aufgefasst werden. 

9. Diese Anämie kann noch fortdauern, wenn eine Regeneration und 
selbst eine Hyperplasie des Knochenmarks eingetreten ist. 

10. Auf die bei einigen Fällen gefundenen Parasiten kann man diese 
Anämie keinesfalls zurückführen. 

11. Die Entwicklung dieser Anämie und die Hyperplasie des Knochen¬ 
marks gestatten vielleicht das Verständnis der refraktären Fälle und der 
Schädigungen durch wiederholte Bestrahlungen oder Verabreichung von 
radioaktiven Substanzen mit therapeutischem Zweck. 

12. Die Tiere können sich von der Anämie erholen und die Thorium¬ 
vergiftung überstehen. 

13. Die Tiere können auch durch das Thorium derartig geschädigt 
werden, dass sie sich überhaupt nicht mehr erholen und unter der in¬ 
direkten Einwirkung des Thorium X sterben. 

14. Diese Wirkungen sind als indirekte zu bezeichnen, weil die Tiere 
zu einer Zeit sterben können, in welcher der Organismus seit langem, 
ja seit Monaten frei von radioaktiven Substanzen war. 

15. Symptome einer chronischen Thorium X-Schädigung können 
entweder eine langdauernde Gewichtsabnahme oder eine langdauernde 
Anämie oder Leukopenie sein (in einem Fall hat die Leukopenie fast 
3 Monate gedauert). Diese Symptome können jedes für sich allein oder 
auch miteinander kombiniert auftreten. 

16. Die chronische Leukopenie oder die in vielen Fällen gefundene 
Anämie sind aber niemals derart, dass man sie für den Tod des Tieres 
verantwortlich machen könnte. Dafür spricht auch die interessante Tat¬ 
sache, dass in solchen Fällen das Knochenmark in Hyperplasie geraten 
war (s. Bild Nr. 3). Wir haben es hier höchstwahrscheinlich mit Hemmungs- 



_Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 305 


Difitized by 


oder Zerstörungsvorgängen zu tun, die schwer zu bestimmen, aber doch 
in Zusammenhang mit der Thoriumwirkung zu bringen sind. 

17. Worauf der Tod des Tieres in letzter Linie zurückzuführen 
ist, ist nicht leicht festzustellen. Dass er aber in keinem direkten Zu¬ 
sammenhang mit den Vorgängen an den hämatopoietischen Organen zu 
bringen ist, nehmen wir nach unseren Versuchen als sichergestellt an. 

Die folgenden Experimente werden noch in manchen Beziehungen 
die vorigen bestätigen. 


II. Teil. 

Tiere, die mit mehr als einer Thorium X-Einspritzung behandelt worden. 

Hier können wir die verschiedensten Reaktionen beobachten. Es ist 
an sich selbstverständlich, dass z. B. ein Tier bei der zweiten Thorium X- 
Einspritzung verschieden reagieren muss, je nachdem es von der ersten 
noch im Körper etwas retiniert und so noch unter einer direkten radio¬ 
aktiven Wirkung steht oder nicht. Im ersten Falle haben wir es vielleicht 
nur, oder wenigstens hauptsächlich, mit einer kumulativen Wirkung zu 
tun, während im zweiten mehrere Möglichkeiten vorhanden sind, so z. B., 
ob der von radioaktiven Substanzen befreite Organismus noch unter einer 
indirekten Wirkung steht oder nicht. Wenn nicht, würde er noch höchst 
wahrscheinlich je nach dem Grade der cingetretenen Regeneration verschieden 
reagieren. Alle diese Bedingungen komplizieren wesentlich die Erforschung, 
die nur durch besonders zahlreiche Versuche angestellt werden kann. 


Kaninchen Nr. 4. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

. 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,133 mg 

1 

1700 

68 

5 600 000 

5700 

3 

1650 

65 

5 500 000 

3600 


9 

1620 

65 

5 500 000 

2300 


16 

1550 

— 

5 600 000 

3500 


18 

1550 

55 

5 600 000 

3500 


23 

1750 

65 

7 000 000 

3700 


28 

1810 

55 

4 000 000 

4400 


31 

1750 

60 

5 600 000 

3200 


38 

1920 

57 

4 800 000 

4400 


45 | 

1800 

55 

4 800 000 

2300 


50 

1710 

— 

— 

6000 

0,01 mg 

56 

1770 

50 

5 400 000 

7900 

65 

1650 

49 

5 600 000 

3060 


71 

1700 

56 

5 200 000 

4600 


84 

1810 

47 

5 300 000 

5900 


91 

1550 

46 

5 680 000 

3800 


108 

1160 

+ 




Bei derSoktion wurde in diesemFalle nur eine Verkleinerung der Milz konstatiert. 
Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Die weissen Elemente reichlich vorhanden; ihr Missverhältnis 
der Norm entsprechend. Pathologisch war das Vorhandensein eines überall zerstreuten 
Pigmentes und besonders die starke Blutfüllung der Markräume. 



Original from 

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306 


A. DA SILVA MELLO, 


Digitized by 


Milz: Der Zellgehalt reduziert, die Lymphfollikel überhaupt sehr zellarm. 
Reichlich Pigment in der Pulpa. Das Bindegewebe vermehrt, die Kapsel verdickt 
(vgl. Figur 4). 

In diesem Falle, also nach einer nicht sehr grossen Injektion (die 
Leukozyten sind nicht unter 2300 gefallen und das Gewicht und die 
Erythrozyten haben sehr wenig gelitten), sehen wir, dass nach einer 
langdauernden, massigen Leukopenie die Leukozyten wieder zu der 
normalen Höhe steigen, wie auch das Gewicht und die Zahl der roten 
Blutkörperchen. Würde man übrigens als Kriterium der Wiedererholung 
nur das Gewicht und die Erythrozytenzahl annehmen, so hätte man 
schon einen Monat vor der zweiten Einspritzung von einer vollständigen 
Regeneration sprechen können. 23 Tage nach der ersten Einspritzung 
waren Gewicht und die roten Blutkörperchen schon etwas über die Norm 
gestiegen. Die Leukopenie zeigt aber, dass noch nicht alles in Ordnung 
sein kann. Auch diese ist dann einen Monat später verschwunden. Erst 
eine zweite Injektion zeigt, trotzdem man nach der Länge des Intervalls 
und den klinischen Symptomen die Wirkung der ersten als abgelaufen 
annehmen sollte, dass der Organismus noch nicht vollständig zur 
Norm zurückgekehrt war. Wir sehen, dass eine ganz kleine Dosis, die 
sonst nur vorübergehende und geringe Symptome hervorgerufen haben 
würde, jetzt als zweite Injektion, eine langdauernde Leukopenie zu er¬ 
zeugen imstande war. Wir müssen aber annehmen, dass keine absolute 
Regeneration eingetreten war. Dazu stimmten auch die gefundenen Ver¬ 
änderungen an den hämatopoietischen Organen, besonders die der Milz, 
die wir erst später eingehend zu analysieren haben werden. Diese Ver¬ 
änderungen sind zwar nicht derart, dass sie den Tod der Tiere erklären 
könnten, aber doch geeignet zu zeigen, wie langdauernd die Schädigungen 
durch das Thorium X sein können. Dasselbe zeigt uns das 


Kaninchen Nr. 1. 


Thorium X 

Versuchs- 

tagc 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,225 mg 

1 

2720 

- 65 

6 100 000 

7100 

5 

2710 

57 

4 500 000 

1100 


8 

2660 

_ 

— 

— 


11 

2600 

50 

2 500 000 

2000 


14 

2570 

50 

3 200 000 

2600 


18 

2520 

50 

3 800 000 

3000 


22 

2520 

54 

4 000 000 

3800 


29 1 

2300 1 

! 50 

3 200 000 1 

4500 


34 

2420 | 

55 1 

4 800 000 1 

5300 


40 

2400 

: 55 ! 

4 000 000 1 

6200 


43 

2370 1 

48 i 

3 800 000 ; 

5700 


49 

2480 

52 ! 

4 800 000 ! 

4600 


59 

2400 j 

50 

4 800 000 ! 

6000 

0,01 mg 

131 

2280 , 

— : 

— 

5800 

62 

! 2220 

i 

— 1 

5300 


67 

! 2150 1 

38 

3 800 000 1 

4200 


74 

I 2000 | 

40 

3 200 000 i 

2400 


81 

i t 

i i 

1 

1 




Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 307 


Difitized by 


Wir können hier durch die klinischen Symptome feststellen, dass 
zwei Monate nach der ersten Injektion eine vollständige Regeneration 
noch nicht eingetreten war. Auch hier haben wir es mit einer viel 
intensiveren Vergiftung zu tun, wie aus der Dosis, der Leukopenie, der 
Anämie und dem Gewichtsverlust ersichtlich ist. Und wie stark der 
Körper noch geschädigt war, zeigt uns die Wirkung der zweiten Ein¬ 
spritzung, deren Dosis minimal genannt werden kann. Nach den klinischen 
Erscheinungen müssen wir annehmen, dass das Tier daran zu Grunde 
gegangen ist. Das sind Tatsachen, die zweifellos unsere ersten Befunde 
bestätigen. 

Kaninchen Nr. 17. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,11 mg 

1 

1870 

_ 

_ 

___ 

6 

1680 

78 

7 200 000 

4 600 


9 

1530 

75 

7 200 000 

4 260 


16 

1580 

65 

6 400 000 

6 120 


19 

1650 

75 

5 600 000 

6 380 


23 

1670 

55 

5 600 000 

7 640 


26 

1580 

— 

j — 

8 100 


29 

1630 


— 

12 600 


35 

1560 

50 

; 5 300 000 

10 800 


44 

1420 

— 

' — 

6 300 


50 

1520 

42 

4 800 000 

7 200 


62 

1580 

45 

5 400 000 

7 880 

0,02 mg 

69 

1480 

45 

4 880 000 

7 500 

86 

1280 

46 

4 400 000 

6 900 


89 

t j 





In diesem Falle ist besonders beachtenswert die kurzdauernde 
Leukopenie. Die erste Einspritzung hat überhaupt keinen sehr grossen 
Einfluss auf die Leukozyten gehabt, sie sind nicht unter 4260 gefallen. 
Dagegen hat das Tier ziemlich viel an Gewicht abgenoramen, und es 
war ausserdem die Entwicklung einer progressiven Anämie zu konstatieren. 
Die zweite Injektion, obgleich sie nicht als ganz klein zu betrachten ist, 
hat wieder keinen merklichen Einfluss auf die Leukozyten gehabt. Es 
war danach überhaupt keine Leukopenie eingetreten. Das Tier magerte 
jedoch immer weiter ab und starb 20 Tage später. Ob wir es aber hier 
mit einer Thorium X-Wirkung zu tun haben, scheint schwer zu ent¬ 
scheiden. Der Umstand, dass die Leukozyten fast unbeeinflusst blieben, 
ist höchst merkwürdig und muss Bedenken erregen. Er genügt aber 
allein nicht, um die Thorium X-Wirkung auszuschliessen. Wir haben 
schon gesehen, dass man durch das Thorium X eine monatelang dauernde 
Leukopenie erzeugen, und trotzdem in solchen Fällen gewöhnlich eine 
Hyperplasie der Knochenmarkselemente finden kann. Wie diese beiden 
Tatsachen in Zusammenhang zu bringen sind, müssen wir dahingestellt 
sein lassen. Dass aber bei solcher Ueberproduktion von Knochenmarks¬ 
elementen eventuell keine Leukopenie zustande kommt, wäre schon an 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



308 


A. DA SILVA MELLO, 


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sich höchst wahrscheinlich anzunehmen. Unser Fall ist der beste Beweis 
dafür. Da konnten wir auch eine deutliche Hyperplasie der Knochenmarks¬ 
elemente konstatieren. Bei der mikroskopischen Untersuchung haben wir 
die weissen Zellen stark vermehrt gefunden, viel reichlicher und dichter 
zusammengedrängt als in der Norm. Was aber besondere Beachtung 
verdient, war, dass auch im Knochenmark eine starke Hyperämie — die 
Bluträume prall gefüllt —, und Blutungen zwischen den weissen Zellen 
konstatiert werden konnten. Dieser Befund, der fast als pathognomonisch 
für die Thorium X-Wirkung gelten muss, neben den klinischen Symptomen 
(Gewichtsabnahme und Anämie) und der abnormen Pigmentierung und 
Bindegewebsvermehrung in der Milz, zeigt, dass das Thorium X wenigstens 
stark gewirkt hat. Inwieweit es an dem Tode des Tieres schuld war, 
ist nicht zu entscheiden. Das Wichtigste ist aber dabei, dass trotz der 
ziemlich grossen Dosis Thorium X sich keine sehr starke Leukopenie 
entwickelt hat. Dasselbe zeigen uns noch viele andere unserer Versuche. 
Hier sei nur noch folgender Fall angegeben, bei welchem das Resultat 
direkt ausschlaggebend ist. 


Kaninchen Nr. 9. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,03 mg 

1 

1500 

50 

4 420 000 

12 900 

0,045 mg 

9 

1420 

55 

4 500 000 

5 640 

16 

1400 

40 

4 800 000 

4 300 

0,053 mg 

21 

1350 

54 

4 640 000 

7 500 

27 

1500 

52 

4 420 000 

4 200 

0,05 mg 

29 

1570 

— 

— 

— 

37 

1300 

42 

3 900 000 

6 000 


41 

1120 

t 




Wir sehen, dass die Thorium X-Dosen in solcher Grösse und so 
rasch hintereinander verabreicht wurden, dass unbedingt starke Schädi¬ 
gungen zu erwarten gewesen wären. Wir machen aber hier die merk¬ 
würdige Feststellung, dass die Leukozyten überhaupt sehr wenig leiden. 
Die Leukozytenzahl zeigt sehr geringe und vorübergehende Schwankungen 
und noch wenige Tage vor dem Tode war sie als fast normal zu be¬ 
trachten. Ungefähr dasselbe gilt auch für das Körpergewicht, das lange 
Zeit fast unbeeinflusst blieb. Der Befund ist so abweichend, dass am 
nächstliegendsten ein Dosierungsfehler anzunehmen wäre. Das können wir 
aber absolut ausschliessen. Die Versuchsanordnung (ähnliche Dosierungen 
an denselben Tagen bei anderen Tieren usw.) spricht dagegen, haupt¬ 
sächlich aber die Veränderungen, die an den blutbildenden Organen ge¬ 
funden wurden. Die mikroskopische Untersuchung hatte folgendes Er¬ 
gebnis: 

Knochenmark: Der Zellreiohtum sehr gross; zum Teil liegen die Zellen noch 
viel dichter zusammen als im normalen Gewebe. Die Myelozyten im Mischverhältnis 
stark überwiegend. Die polymorphkernigen Leukozyten sehr spärlich vorhanden. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 309 


Viele Zellen enthalten Kernbröokel; auch Mitosen sind zu beobachten. Sonst zahl¬ 
reiche kleine Blutungen. 

Milz: Ungeheure Zellarmut des ganzen Organs. Die Lymphfollikel fast ver¬ 
schwunden. Viele Zellen mit pyknotischen Kernen. Das Stützgewebe tritt deutlich 
hervor. Keine Blutungen, keine Hyperämie. 

Die richtige Bedeutung der mikroskopischen Befunde wird erst durch 
die später auszuführenden Analysen festgelegt. Hier sei nur die Tatsache 
hervorgehoben, dass die Leukopenie kein unbedingtes Symptom der 
Thorium X-Vergiftung zu sein braucht. Wie wir später sehen werden, 
ist es uns auch gelungen, durch experimentelle Massnahmen ein Tier 
intensiv mit Thorium X zu vergiften, ohne dass sich dabei eine Leukopenie 
entwickelt. 

Wir haben bei den vorigen Fällen gesehen, dass eine zweite Thorium X- 
Injektion bei Tieren, die lange vorher eine grosse, fast tödliche Dosis 
bekommen haben, eine derart gewaltige Wirkung entfalten konnte, dass 
man unbedingt eine unvollständige Regeneration annehmen musste, trotz¬ 
dem alle klinischen Untersuchungen die Annahme einer absoluten Wieder¬ 
herstellung nahelegten. Der merkwürdige Befund, dass bei solchen 
Tieren, die, wie wir annehmen, noch unter der Thorium X-Wirkung 
starben, eine Hyperplasie des Knochenmarks zu finden war, hat uns 
darauf geführt, die Wirkung einer zweiten, der ersten gleichgrossen, 
Injektion zu untersuchen. Da diese zweite Injektion auch eine sehr 
grosse, fast tödliche, sein sollte, konnten wir so am besten das Ver¬ 
halten hämatopoietischer Organe studieren und vielleicht auch tiefer in 
den Mechanismus der Thorium X-Wirkung eindringen. Die Resultate 
sind derart ausgefallen, dass sie im grossen ganzen die der vorigen 
Versuche bestätigen. 

Kaninchen Nr. 30. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

8 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,13 mg 

1 

1620 

54 

3 800 000 

5 780 

10 

1220 

51 

5 080 000 

3 300 


38 

1400 

46 

4 600 000 

3 500 


58 

1570 

50 

5 600 000 

5 800 


70 

1700 

61 

6 260 000 

14 200 

0,12 mg 

78 

1750 

62 

6 000 000 

8 600 

86 

1670 

62 

5 880 000 

2 200 


93 

1650 

59 

5 300 000 

3 600 


101 

1300 

t 


2 400 


Bei der Sektion war eine Injektion der Unterbaut- und Mesonterialgefasse zu 
konstatieren. Die Milz war etwas verkleinert, das Knochenmark von dunkelroter Farbe, 
normaler Konsistenz, leicht als Säule herauszunehmen. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Der Zellgehalt des Knochenmarks derart vermehrt, dass die 
Fettareolen fast gänzlich verschwunden waren. Die Zellen lagen ungemein dicht zu¬ 
sammen und waren in ihrem Mischverhältnis durchaus der Norm entsprechend. Die 


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310 


A. da SILVA MELLO, 


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polymorphkernigen Leukozyten sehr zahlreich. Bei den Zellen konnte man übrigens 
keine deutliche Zeichen von Regeneration oder Zerfall feststellen. Es waren auch 
keine Blutungen zu finden (s. Figur 3). 

Milz: Im Gegensatz zu den Befunden im Knochenmark standen die der Milz. 
Hier war der Zellgehalt der Pulpa und der Lympbfollikel stark reduziert, das Stütz¬ 
gewebe trat hervor, das Bindegewebe war stark vermehrt, die Kapsel gewellt und ver¬ 
dickt. Im übrigen noch grosse Mengen von Pigment. 

Wir sehen in diesem Falle, dass eine zweite Injektion Thorium X 
bei einem Tier, das lange vorher eine gleiche Dosis bekommen hat, eine 
ziemlich rasch tödlich endende Vergiftung erzeugt hat, obgleich diese 
zweite Injektion zu einer Zeit ausgeführt wurde, zu welcher, wie man 
annehmen sollte, die Wirkung der ersten schon gänzlich abgelaufen war 
(der Körper war seit langem frei von radioaktiven Substanzen, und das 
Gewicht, das Hämoglobin und die Erythrozyten- und Leukozytenzahl, 
waren auch schon längst über die Anfangshöhe angestiegen). Der Befund 
am Knochenmark zeigte ausserdem, dass wir auf keinen Fall den Tod 
des Tieres auf Veränderungen an den hämatopoietischen Organen zurück¬ 
führen können, trotzdem eine bis zum Tode des Tieres dauernde Leukopenie 
sich geltend machte. Wir haben hier wieder eine starke Hyperplasie der 
Knochenmarkselemente gefunden. Wie die Veränderungen der Milz zu 
deuten sind, können wir erst später auseinandersetzen. Sie allein können 
aber den Tod nicht erklären, zumal die Milz nur eine untergeordnete 
Rolle im Leben des Tieres zu spielen hat. 

K&ninehen Nr. 27. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

Hämo¬ 

globin 

” 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,18 mg 

1 

1810 

63 

5 800 000 

6580 

10 

1650 

53 

6 200 000 

3400 


17 

1530 

62 

6 620 000 

7000 


38 

1500 

44 

5 480 000 

6300 


58 

1570 

52 

4 960 000 

4500 


70 

1600 

58 

5 280 000 

5900 


79 , 

, 1950 

1 54 

4 180 000 

5300 

0,18 mg 

93 

1850 

60 

j 3 770 000 

6200 

99 

1830 

1 G2 

j 4 840 000 

2700 


106 

1800 

- 50 

1 5 880 000 

3580 


112 

1550 

| 55 

! 5 200 000 

3260 


120 

1550 

1 45 

4 180 000 

2500 


123 

1600 

— 

_ 

! 3200 


129 

1330 

48 ' 

4 750 000 

: 4740 


136 

1200 

; t ; 




Bei der Sektion war keine auffallende Veränderung wahrzunehmen. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Mit schwacher Vergrösserung sah das Knochenmark wie das 
eines jungen Tieres aus, so reichlich war sein Zellenreichtum. Mit starker Vergrösserung 
konnte man ein von der Norm stark abweichendes Bild insofern konstatieren, als man 
eine ungeheure Vermehrung der Myelozyten wahrnahm. Die polymorphkernigen Leuko¬ 
zyten und alle anderen weissen Elemente waren im Verhältnis dazu stark zurück- 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 311 


getreten. Sonst war nur eine geringe Vermehrung des Pigment- und Blutgehaltes fest¬ 
zustellen. 

Milz: Der Zellgehalt stark reduziert, besonders in der Pulpa, wo das Stütz¬ 
gewebe deutlich hervortrat; der Blutgehalt vermindert, die Bluträume leer. Auffallend 
die enorme Menge von Pigment, namentlich in Gestalt grosser, zerstreuter Scholen in 
der Pulpa. 

Kaninchen Nr. 67. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs- 

tage 

Gewicht 

S 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

35 ccm 

0,1 mg 

1 

2620 

60 

4 740 000 

7 500 



7 

2500 

41 

4 560 000 

3 400 



17 

2380 

40 

3 180 000 

6 800 



27 

1980 

45 

4 360 000 

10 500 



34 

1980 

60 

6 700 000 

8 500 



45 

2450 

46 

3 860 000 

7 500 



62 

2600 

50 

4 780 000 

7 700 


0,2 mg 

63 

1 — 

1 — 

— 

1 — 



66 

i 2570 

; 49 

4 620 000 

i 3 400 



71 

2420 

I 40 

1 4 300 000 

4 300 



78 

2250 

1 49 

4 340 000 

4 400 



84 

2170 

1 50 

3 660 000 

; 3 600 



90 

2130 

— 

— 

5 800 



99 

2100 

46 

3 680 000 

1 3 500 



106 

1860 

i 

— 

i 6 200 



112 

1650 

! 5t 

3 000 000 

i 6 400 



113 

1570 

! t 


i 


Bei der Sektion fällt nichts Abnormes auf. Alle Organe und Gewebe sehen 
normal aus. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Der Zellenreichtum viel grösser als in der Norm; besonders 
zahlreich die Myelozyten. Die erythroblastisehen Elemente ebenfalls vermehrt. Viele 
Mitosen. Vereinzelte kleine Blutungen. 

Milz: Zellengehalt der Pulpa und besonders der Lymphfollikel stark reduziert. 
Die Follikel fast gänzlich verschwunden. Der Blutgehalt nicht vermehrt, eher ver¬ 
mindert. Starke Vermehrung des Bindegewebes; die Kapsel gewellt und verdickt. 
Besonders auffallend die ungeheure Menge von Pigment (s. Figur 4). 


Diese beiden letzten Fälle sind aus einer grossen Reihe entnommen. 
Sie zeigen ungefähr dasselbe wie die ihnen vorangehenden. Bei dem 
Kaninchen Nr. 27 finden wir, dass die zweite Injektion, obgleich sie 
gleich gross und erst drei Monate nach der ersten verabreicht wurde, 
eine viel intensivere Wirkung entfaltet und wahrscheinlich den Tod des 
Tieres herbeigeführt hat. Interessant dabei ist, dass der Tod erst nach 
länger als einem Monate nach der Einspritzung eingetreten ist. Bei dem 
Kaninchen Nr. 67 ist er sogar erst nach beinahe zwei Monaten eingetreten. 
Diese Unterschiede rühren wahrscheinlich von der Grösse der durch die 
erste Einspritzung erzeugten Schädigung sowie von dem Grade der schon 
eingetretenen Regeneration her. Die Wirkung der zweiten Injektion muss 
direkt von diesen beiden Bedingungen abhängig sein. Was den Tod an¬ 
betrifft, so muss er auf die Thorium X-Wirkung zurückgeführt werden. 
Dafür sprechen alle klinischen Erscheinungen sowie die Gleichmässigkeit 

ZeiUchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 8 u. 4. o 1 


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312 


A. da SILVA MELLO, 


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der bei allen Fällen eintretenden Veränderungen. — Ein Befund, den 
wir noch genau zu analysieren haben, ist der in der Milz erhobene. 

Während bei allen vorigen Fällen das Knochenmark in deutlicher Hyper¬ 
plasie gefunden wurde, waren die Veränderungen der Milz regressiver 
Natur. Der Zellengehalt der Pulpa und der Lymphfollikel war ver¬ 
mindert, das Bindegewebe vermehrt, das Organ immer stark pigmentiert. 
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass wir es da mit zwei von 

einander getrennten Vorgängen zu tun haben. Die Veränderungen der 
Milz sind keine frühzeitigen. Wir haben schon gesehen, dass die Milz 
bei den akuten, rapid tödlich verlaufenden Thorium X-Vergiftungen ziem¬ 
lich wenig geschädigt gefunden wird. Wir werden auch später sehen, 
dass das lymphozytäre Gewebe sich viel resistenter dem Thorium X 
gegenüber verhält, als es -das myeloische Gewebe tut; dass z. B. die 

Lymphfollikel der Milz noch fast normal zu finden sind, wenn das Tier 

seit vielen Tagen unter einer schweren Thorium X-Vergiftung zu leiden 
hat und wenn das myeloische Gewebe schon intensiv geschädigt ist. Die 
Läsionen, die oben beschrieben wurden, sind eher für die chronische 
Vergiftung charakteristisch. Sie gehören zu den konstantesten Symptomen 
der chronischen Thorium X-Wirkung. Bei Versuchen, die wir bald an¬ 
zuführen haben werden, wurde festgestellt, dass ähnliche Läsionen auch 
zu finden waren, wenn die Tiere nur ganz kleine Dosen Thorium X be¬ 
kommen hatten, Dosen, die keine Intoxikationserscheinungen erzeugt 
hatten. Inwieweit wir da einen kausalen Zusammenhang vor uns haben, 
wird erst später die Frage sein. Hier wäre der Platz auf einige in der 
Literatur zerstreute Berichte zurückzugreifen. Wir haben schon gesehen, 
dass Aschoff, Krönig, Gauss, Wätjen u. a. infolge der negativen 
Befunde histologischer Untersuchungen bei Fällen tiefliegender Krebse, 
die mit grossen Bestrahlungsdosen behandelt waren, zu dem Schluss ge¬ 
kommen sind, dass der Organismus ganz intensive Durchstrahlungen ohne 
nachweisbare Schädigungen lebenswichtiger Organe ertragen kann. Wir 
müssen aber hervorheben, dass in der Milz Veränderungen gefunden 
wurden, die in gewisser Beziehung mit der unserigen sich decken. Man 
fand z. B. bald die Lymphknötchen verkleinert, unscharf gegen das 
Pulpagewebe abgegrenzt, bald die Gerüstsubstanz der Pulpa deutlich 
hervortretend. Immer werden auch auffallende Pigmentablagerungen be¬ 
schrieben. Ob diese Veränderungen der Bestrahlungswirkung zuzuschreiben, 
oder ob sie nur als Folge der Geschwulstkachexie aufzufassen sind (die 
Pigmentablagerungen wären dann ein Zeichen des toxischen Blutzerfalls), 
muss dahingestellt bleiben. Solche Befunde bekommen durch die unserigen 
eine grosse Bedeutung. Ob wir es mit einheitlichen Vorgängen oder mit 
Zufälligkeiten zu tun haben, ist vorläufig unmöglich zu entscheiden. Das 
sind aber Dinge, die unbedingt weiter erforscht und aufgeklärt werden 
müssen. Der Thorium X-Tod kann nicht in Zusammenhang mit Ver¬ 
änderungen an den hämatopoietischen Organen gebracht werden. Die 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 313 

Leukopenie hat uns lange irre geführt. Wir müssen sie eher als ein 
sekundäres nebensächliches Symptom auffassen. Die Veränderungen der 
Milz zeigen vielleicht, dass wir es mit anderen Vorgängen zu tun haben. 
Sicher haben wir da eine lange und komplizierte Reihe von solchen vor 
uns. Die Milz ist darin vielleicht ein Glied und höchst wahrscheinlich 
nicht das Hauptsächlichste. Inwieweit da noch korrelative Funktionen 
und Beeinflussungen in Frage kommen, kann auch nicht beantwortet 
werden. Es sind aber Sachen, die auch Beachtung verdienen. Man 
braucht z. B. nur an die eklatantesten Erfolge der Milzbestrahlungen 
gerade bei den Fällen von Myelämien zu denken. Wie die oben be¬ 
schriebenen Milzveränderungen zustande kommen, ist nicht leicht zu ent¬ 
scheiden. Die Regelmässigkeit ihres Auftretens scheint aber keinen 
Zweifel übrig zu lassen, dass wir es mit Bedingungen von Ursache und 
Wirkung zu tun haben. Merkwürdig ist, dass sie besonders in'den 
lymphoiden Geweben zum Ausdruck kommen, die wir als höchst empfind¬ 
lich uud höchst regenerationsfähig zu betrachten gewöhnt sind. Das sind 
so viele Fragen, die eine weitere Erforschung verlangen. Was die 

Pigmentierung anbetrifft, die fast immer sehr stark und zuweilen un¬ 
geheuer gross wird, so muss sie unbedingt auf einen stärkeren Zerfall 
roter Blutkörperchen zurückgeführt werden. Auf die Wichtigkeit dieses 
Befundes werden wir später zurückzukommen haben. Der Umstand, 
dass die obigen Läsionen erst lange nach der Thorium X-Einverleibung 
einzutreten pflegen, verleiht ihnen den Charakter einer Spätschädigung; 
sie entstehen vielleicht indirekt, korrelativ mit anderen noch unbekannten 
Veränderungen, sie sind vielleicht erst die Folge dieser anderen Ver¬ 
änderungen. Eine andere Bedingung, die für ihre Abhängigkeit von der 
Thorium X-Wirkung spricht, ist die, dass sie immer in den Fällen ge¬ 
funden worden sind, bei welchen man keine andere Todesursache ausser 
der Thorium X-Wirkung finden konnte. Man kann ihnen aber keine 
letale Bedeutung zuschreiben. Abgesehen davon, dass die Milz kein 
lebenswichtiges Organ ist, muss betont werden, dass ähnliche Läsionen 
bei Tieren gefunden wurden, die nicht mit tödlichen, ja die nur mit 
kleinen Dosen Thorium X behandelt waren. Ein anderer Punkt, der 
noch besonders hervorgehoben werden muss, ist der, dass solche Läsionen 
fehlen können, wenn ein Tier unter der gleichzeitigen Wirkung einer 
Infektion und einer Thorium X-Einverleibung zugrunde geht. Dies ist 
sicher eine ganz interessante und biologisch wichtige Feststellung. Das 
lymphozytäre Gewebe der Milz leidet im allgemeinen sehr wenig oder 
hyperplasiert sogar durch Infektionskrankheiten, während, wie gesagt, 
das Thorium X indirekt eine entgegengesetzte Wirkung entfaltet, das 
lymphozytäre Gewebe in Aplasie eintritt und fast verschwinden kann. Bei 
dem Zusammentreffen beider Wirkungen kann es sich aber so verhalten, 
als ob es von dem Thorium X nicht geschädigt wäre. Die Lymph- 
follikel bleiben normal oder fast normal. Daraus muss der Schluss ge- 

21 * 


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314 


A. DA SILVA MELLO 


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zogen werden, dass das lymphoide Gewebe der Milz — wenigstens schein¬ 
bar — nicht immer unter der Wirkung des Thorium X zu leiden hat, 
wenn es anderen Anforderungen ausgesetzt ist. Dies würde auch zeigen, 
dass es durch das Thorium X wahrscheinlich nur indirekt, nur durch 
wechselseitige Beeinflussungen geschädigt wird. Wir gehen auf solche 
Einzelheiten ein, weil wir den Eindruck bekommen haben, es nicht mit 
Ausnahmen zu tun zu haben, sondern vor einem konstanten biologischen 
Vorgänge zu stehen. Wir haben Gelegenheit gehabt, denselben Befund 
unter denselben Bedingungen mehrfach zu erheben. Er scheint wichtig 
genug, um beachtet zu werden. Hier seien nur folgende Fälle angeführt, 
die uns besonders frappiert haben. 


Kaninchen Nr. 33. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,1 mg 

1 

1820 

. 71 

6 900 000 

l 10 000 

8 

1770 

61 

6 580 000 

! 3 340 


28 

1820 j 

57 

5 240 000 

1 7 580 


42 

1820 

59 

5 460 000 

! 12 200 

0,1 mg 

46 

— j 

— 

— 

— 

52 

1600 

54 

1 5 020 000 

1 550 


55 

1570 ! 

62 

| 4 720 000 

3 600 


59 

1570 

60 

4 900 000 

4 200 


64 - 

1350 

48 ! 

5 120 000 

4 300 


Sektion: Starke Injektion der Unterhaut- und Mesenterialgefässe, auch die 
Gefässe der Vagina stark injiziert. Die Milz verkleinert, schwärzlich gefärbt. 
Knochenmark dunkelrot, etwas weicher als normal. Die Blase mit einem trüben, 
eiweisshaltigen Urin (Salpetersäurereaktion) prall gefüllt. Linke Lunge normal, die 
rechte mit einigen harten dunkelroten, luftleeren Herden im Oberlappen. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Die weissen Zellen sehr zahlreich vorhanden, aber nicht zu¬ 
sammengedrängt, keine Haufen bildend, nicht um die Fettareolen angeordnet wie in 
der Norm. Das Knochenmark hatte eine andere Struktur, die Fettareolen waren ver¬ 
schwunden und die Zellen diffus verteilt. Daneben leichte Hyperämie und einige kleine 
Blutungen. 

Milz: Die Veränderungen an der Milz waren ganz gering, der Zellgehalt der 
Pulpa und der Lymphfollikel fast wie in der Norm; sonst nur eine ganz leichte Ver¬ 
mehrung des Pigments und des Bindegewebes. 

Darm: Blutungen in der Mukosa, starke Injektion der Blutgefässe. 

Niere: Nephritis, Zylinder, Hyperämie. 

W T ir brauchen keine weitere Analyse des Falles, obgleich die Darm¬ 
blutungen und die besondere Histologie des Knochenmarks Beachtung 
verdienen. Die letztere wäre vielleicht so zu verstehen, dass aus dem 
hyperplastischen Organ eine intensive Zellenausfuhr stattgefunden hat. 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologischeWirkung dos ThoriumX usw. 315 

Kaninchen Nr. 66. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

6 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

40 ccm 


1 

2700 

57 

7 260 000 

10 000 



9 

2800 

43 

4 660 000 

6 200 



19 

2900 

65 

4 840 000 

9 100 

41 ccm 


29 

2870 

60 

5 800 000 

10 500 



33 

3020 

47 

3 800 000 

7 300 



38 

3020 

58 

4 800 000 

11 600 



47 

2820 

62 

5 080 000 

9 800 


0,3 mg 

65 

2700 

65 

5 720 000 

10 200 


68 

2800 

55 

5 760 000 

5 100 

*25 ccm 


73 

2520 

57 

6 420 000 

2 800 



74 

2500 

53 

4 620 000 

4 300 



75 

2450 

| 48 

4 140 000 

3 700 

21 ccm 


80 

2270 

49 

5 040 000 

3 900 



81 

2260 

44 

4 600 000 

4 100 



82 

2130 

— 

— 

5 260 



85 

2050 

t 




Bei der Sektion wurde die linke Lunge in Zerfall gefunden. Von dem normalen 
Gewebe war nichts mehr zu finden; die Pleurahöhle war mit Gewebsfetzen und Eiter 
gefüllt (in dem Eiter fast nur polynukleäre Leukozyten). Perikarditis. Sonst nichts 
Besonderes. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Enormer Zellreichtum. Die Zellen liegen so ungemein dicht 
zusammengefügt, dass die Fettareolen fast gänzlich verschwunden sind. Keine De¬ 
generationszeichen, keine Blutungen, keine Hyperämie. Es ist nur das Bild einer 
Ueberproduktion, besonders der weissen Elemente zu konstatieren. 

Milz: Abgesehen von Läsionen, die hier nicht in Frage kommen, waren die 
Lymphfollikel durchaus normal, aus typischen, zahlreichen Lymphozyten gebildet. In 
der Pulpa war stellenweise eine myeloische Umwandlung eingetreten. 

Diese Fälle, wie andere, die wir zu untersuchen Gelegenheit gehabt 
haben, bestätigen auf das Deutlichste alles, was wir oben geschrieben 
haben. Wir konstatieren ausserdem, dass, wenn der Organismus unter 
der Thorium X-Wirkung zu leiden hat, dass die hämatopoietischen Organe 
imstande sind, höhere Anforderungen, die eventuell an sie gestellt werden, 
vollständig zu erfüllen. Dies war besonders deutlich bei dem letzten 
Falle, bei welchem enorme Mengen Eiter zur Entwicklung gekommen 
sind und die Milz in myeloischer Umwandlung begriffen war, obgleich 
der gesamte Organismus zweifellos zur Zeit unter einer intensiven 
Thorium X-Wirkung stand. Das sind Tatsachen von allergrösster Wichtig¬ 
keit, auf welche wir später eingehend zurückzukommen haben. 


Die vorstehenden Versuche haben gezeigt, dass die Einverleibung einer 
grossen Menge Thorium X den Körper für eine lange Zeit schädigen kann, 
ohne dass diese Schädigungen sich bemerkbar zu machen brauchen. Die 
Leukozyten, die Erythrozyten und das Gewicht können auf der Anfangs¬ 
höhe stehen bleiben, selbst darüber hinaus angestiegen sein und trotzdem 


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31« 


A. DA SILVA MELLO, 


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kann der Körper noch geschädigt bleiben, wie aus den gewaltigen Wir¬ 
kungen, die eine zweite, eventuell minimale Dosis Thorium zu entfalten 
imstande ist, hervorgeht. Der Umstand, dass diese zweite Dosis bei 
einem noch nicht behandelten Tier eine nur ganz geringe Wirkung haben 
würde, und dass sie bei dem vorbehandelten Tiere zu einer Zeit verab¬ 
reicht wurde, in welcher der Körper schon seit langem frei von radio¬ 
aktiven Substanzen und anscheinend ganz regeneriert war, ist geeignet 
zu zeigen, welche langdauernde Schädigungen das Thorium zu erzeugen 
vermag. Dass diese nicht von den hämatopoietischen Organen her¬ 
rühren können, wurde auch durch unsere Experimente festgelegt. Im 
Gegensatz zu den vorigen Versuchen, bei welchen die zweite Thorium¬ 
einspritzung zu einer Zeit ausgeführt wurde, in welcher der Körper schon 
lange frei von Thorium war, zeigen die folgenden die Wirkung einer 
zweiten Injektion, zu einer Zeit, in der das Tier noch unter der ersten 
intensiv leidet, wobei sozusagen eine kumulative Wirkung zustande kommt. 


Kaninchen Nr. 16. 


Thorium X 

Versuchs- 

tago 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,11 mg 

1 

2200 


_ 

_ 

6 

i 2110 

73 

1 6 400 000 

5500 


9 

1980 

80 

7 200 000 

55SO 

0,0G mg 

14 

1 1850 

75 

j 7 200 000 

9800 


16 

1830 

73 

i 6 400 000 

30S0 


21 

1570 

t 




Kaninchen Nr. 15. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht | 

g l 

t Hämo- 
| globin 

i 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,1 mg 

1 

1570 

_ | 


_ 

5 

— 

65 1 

6 400 000 

6020 


10 

1560 

65 1 

6 400 000 

6680 


15 

1510 

68 ! 

5 600 000 

6700 

0,06 mg 

17 

1500 

— | 

— 

7780 

19 

1400 

— 1 

— 

7S0 


22 

1170 

t 

i 



Aus diesen beiden Fällen geht die merkwürdige Tatsache hervor, 
dass eine zweite grosse Thoriuminjektion bei einem Tiere, das noch 
unter der direkten Einwirkung einer ersten Einspritzung steht, eine viel 
intensivere Wirkung entfaltet, als wenn die beiden Dosen auf einmal 
verabreicht werden. Wir sehen dies besonders deutlich bei dem letzten 
Falle. Hier war die erste Einspritzung, trotzdem sic ziemlich gross war, 
anscheinend fast wirkungslos. Die Leukozytenzahl und das Gewicht 
hatten überhaupt sehr wenig gelitten. Die zweite Injektion, die viel 
kleiner war, entfaltete dagegen eine so gewaltige Wirkung, wie man sie 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 317 

nur bei übertödlichen Dosen zu sehen pflegt. Das zeigt noch einmal, 
wie intensiv durch das Thorium der Organismus geschädigt sein kann, 
ohne dass wir dies durch die Leukozytenzahl oder das Körpergewicht 
aufzudecken imstande wären. Diese experimentelle Feststellung scheint 
wertvoll, weil man vielleicht dadurch eine Erklärung für die Todesfälle 
findet, die man zu Beginn der Anwendung des Thorium in der mensch¬ 
lichen Therapie zu verzeichnen hat. Dass man aber noch dabei in An¬ 
betracht der Dosierung mit höchst verschiedenen individuellen Faktoren 
zu rechnen hat, ist eine Tatsache, die schon damals festgestellt wurde 
und die wir immer wieder bei unseren Experimenten bestätigt gefunden 
haben. 

Im Gegensatz zu den vorigen Resultaten, die durch ganz grosse 
Dosen zustande kamen, haben wir es im folgenden mit der Wirkung 
wiederholter kleiner und kleinster Dosen zu tun. 


Kaninchen Xr. 43. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,02 mg 

1 

1500 

72 

6 260 000 

7500 

9 

1250 

73 

7 100 000 

3000 

0,02 rag 

24 

1350 

60 

5 800 000 

6400 

30 

1370 

55 

5 620 000 

5280 

0,02 mg 

35 

1380 

60 

5 760 000 

4500 

0,02 mg 

43 

1400 

48 

5 060 000 

9100 

51 

1320 

49 

4 340 000 

8600 


5b 

1350 

53 

5 100 000 

8500 

0,02 mg 

57 

— 

— 

— 

— 

0,02 mg 

C3 

1500 

50 

4 460 000 

7900 

66 

1250 

45 

3 800 000 

3300 


77 I 

1350 

44 

3 840 000 

6500 

0,02 mg 

79 

— 

— 

1 

— 


83 ! 

1300 : 

40 1 

3 060 000 1 

7980 

0,02 mg 

92 

1500 

— 

— 

6200 

100 

1300 

43 ■ 

4 200 000 | 

6680 

0,02 mg 

102 


— 

— 

— 

0,02 mg 

108 

1170 

— 

— 

3580 

114 1 

1250 ; 

— 

— i 

3580 

0,02 mg 

116 i 

- 1 

— 

— 

— 

121 1 

1120 ! 

— 

— 

— 

0,02 mg 

122 

— 

— 

— 

— 

126 j 

1060 

— 

— 

3560 


136 ! 

1060 

50 

2 840 000 

2960 


144 S 

1070 

— 

— 

3300 


157 | 

800 

4 

, 



Der Fall ist geeignet zu zeigen, wie leicht anscheinend der lcuko- 
zytäre Apparat die wiederholte Einwirkung von kleinen Dosen Thorium X 
zu ertragen imstande ist. Wir sehen, dass kurz nach jeder Einspritzung 
die Leukozytenzahl wieder auf die normale Höhe zurückkehrt. Die 
Schwankungen des Körpergewichts zeigen ebenfalls, dass wir es da mit 
keinen gewaltigen Zerstörungen zu tun haben können. Dies können wir 
so lange konstatieren, als wir einen genügend grossen Zeitraum zwischen 


Digitized b' 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



318 


A. DA SILVA MELLO 


Digitized by 


den einzelnen Thorium X-Einspritzungen innehalten. Sobald wir aber diesen 
Zeitraum verkürzen, tritt eine derartig kumulative Wirkung ein, dass wir 
gezwungen sind, anzunehmen, dass der Organismus die vorangegangene 
Injektion nicht schadlos vertragen hat. Die Entwicklung einer pro¬ 
gressiven Anämie scheint einen Beweis dafür zu liefern. Hier würde es 
auch interessant sein zu untersuchen, wie die blutbildenden Organe bei 
der langdauernden Einwirkung des Thoriums sich verhalten. Folgender 
Fall ist geeignet, dies Verhalten zu zeigen. Die letzten Injektionen 
wurden näher gerückt, um die Resultate besser auszuprägen. Hätten die 
vorangegangenen Einspritzungen eine destruktive Wirkung auf die häma- 
topoietischen Organe ausgeübt, so wurden sie jetzt leichter zerstört und 
vernichtet. Wenn die Wirkung aber eine umgekehrte gewesen wäre, so 
würden sie vielleicht jetzt eine bessere Reaktionsfähigkeit zeigen. So 
wäre auch vielleicht die Möglichkeit gegeben, eine Trennung zwischen 
der Thorium X-Wirkung auf die blutbildenden Organe und die anderen 
Organe durchzuführen. 


Kaninchen Nr. 44. 


Thorium X 

V ersuchs- 
tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,02 mg 

1 

1750 

69 

6 140 000 

8180 

9 

1800 

65 

6 900 000 

6000 

0,02 mg 

24 

1670 

60 

6 100 000 

7100 

30 

1700 

54 

4 780 000 

5600 

0,02 mg 

35 

1550 

59 

5 860 000 

7500 

0,02 mg 

43 

1700 

58 

4 520 000 

5600 

51 

1850 

55 

4 320 000 

5400 


5G 

1720 

52 

3 920 000 

6020 

0,02 mg 

57 

— 


— 

— 

0,02 mg 

63 

1700 

58 

i 4 840 000 

4500 

69 

1700 

j 50 

4 000 000 

3600 


77 

1700 

! 50 

| 5 000 000 

6900 

0,02 mg 

79 

— 

— 

— 

— 


83 

1520 

54 

4 520 000 

4900 

0,02 mg 

92 

1730 

— 


3600 

100 

1750 

55 


4100 

0,02 mg 

102 

— 

— 

— 

— 

0,02 mg 

108 

1470 

j — 

, — 

4100 

114 

115 

1070 

t 


1 

2700 


Bei der Sektion konnte nur eine starke Verkleinerung der Milz konstatiert 
werden. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Zellengehalt sehr gross, obsohon die Zellen nicht dicht zu¬ 
sammengefügt liegen. Im ganzen genommen ist aber der Zellenreichtum so gross 
wie bei einem normalen gleichalterigen Tiere. Die Zellen sind durchaus normal 
und auch das Mischverhältnis entspricht der Norm. Die Myelozyten und polymorph¬ 
kernigen Leukozyten zahlreich vorhanden. Sonst ist das Knochenmark von kleinen 
Blutungen durchsetzt und die Gefässe prall mit Blut gefüllt. Der Pigmentgehalt ist 
vermehrt. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 319 


Difitized by 


Milz: Die Follikel fast verschwunden, der Zellgehalt vermindert. Auffallend 
die ungeheuer starke Pigmentierung. 

Der Fall bestätigt also die vorigen und zeigt ausserdem, dass selbst 
bei der langdauernden durch wiederholte Einspritzungen unterhaltenen 
Thorium X-Vergiftung das Knochenmark nicht in Hypoplasie zu geraten 
braucht. Dieser Befund sowie die tiefgreifenden Veränderungen der Milz 
brauchen hier nicht weiter analysiert zu werden. Sie sind leicht in Zu¬ 
sammenhang zu bringen mit dem, was schon früher auseinandergesetzt 
wurde. 

Kaninchen Nr. 24. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,05 mg 

1 

1050 



11 200 

11 

1020 

53 

5 800 000 

4 700 


20 

1060 

49 

5 600 000 

6 500 


34 

970 

53 

6 400 000 

6 600 

0,05 mg 

56 

920 

56 

5 940 000 

7 580 

64 

900 

45 

5 000 000 

6 400 


77 

970 

53 

5 700 000 

4 800 


84 

1100 

53 

5 080 000 

11 900 

0,05 mg 

89 

1000 

57 

5 660 000 

7 000 

96 

1100 

55 

4 960 000 

2 480 


106 

1120 

60 

5 800 000 

6 800 


112 

1050 

54 

4 880 000 

22 000 


117 

750 

t 




Sektion: Die Milz ausserordentlich klein. Das Knochenmark weioh, dunkelrot. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark sieht fast normal aus. Zum Teil sind die Knoohenmarks- 
elemente noch viel dichter zusammengedrängt als in der Norm. In vielen Zellen sind 
Mitosen zu finden. Die polymorphkernigen Leukozyten sehr zahlreich vorhanden. 

Milz: Die Lymphfollikel auffallend spärlich und klein, ihr Zellgehalt, wie der 
der Pulpa reduziert. Viele Zellen mit pyknotischen Kernen, keine Blutungen, keine 
Hyperämie. Die Kapsel gewellt und verdickt. Besonders beachtenswert die enorme 
Menge von Pigment. 

Der Fall ist wieder eine Bestätigung für die vorigen. Wir sehen, 
dass selbst ziemlich grosse Dosen anscheinend schadlos vertragen werden 
können, wenn sie in genügend grossen Abständen voneinander verabreicht 
werden. In dem Falle haben das Gewicht und die Leukozytenzahl über¬ 
haupt sehr wenig gelitten, während das Hämoglobin und die Erythrozyten¬ 
zahl dauernd normal geblieben sind. Inwieweit wir es da mit individuellen 
Reaktionen zu tun haben, ist nicht zu entscheiden. Die starke Hyper¬ 
leukozytose, die kurz vor dem Tode einsetzte, ist nicht verwunderlich, 
seitdem wir das Verhalten des Knochenmarks unter der Thorium X-Wirkung 
besser kennen gelernt haben. 

Folgende Versuche wurden angestellt, um den Wirkungsmechanismus 
kleiner Mengen Thorium X klarzulegen. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



320 


A. da SILVA MELLO, 

Kaninchen Np. 26. 


Digitized by 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,05 mg 

1 

1 1350 

_ 

_ 

6000 

11 ' 

1230 1 

47 

5 400 000 

2300 


20 

1160 

Gl 

5 200 000 

4580 


34 j 

t ! 





Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Fast wie normal, nur leicht hyperämisch, sehr zellreich. 
Milz: Die Milzfollikel etwas kleiner, der Zellgehalt der Pulpa geringer als 
normal. Das Pigment stark vermehrt. 


Kaninchen Nr. 42. 


Thorium X 

Vorsuchs¬ 

tage 

Gewicht 

S 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,012 mg 

1 

1140 

1 59 

5 800 000 

7500 

12 

950 | 

59 

6 400 000 

6280 


14 

+ j 





Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Der Zellgehalt sehr gross. Besonders auffallend der onorme 
Reichtum an Megakaryozyten. Etwas Hyperämie. 

Milz: Zellgehalt der Pulpa und besonders der Lymphfollikel stark reduziert. 
Starke Vermehrung des Pigments. 


Kaninchen Nr. 41. 


Thorium X 

Versuchs- j 
tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,022 mg 

l 

1 I 

1460 

56 

l 

6 200 000 

9 300 

13 

1290 

50 

7 200 000 > 

13 400 


18 

1160 

— 1 

i — I 

— 


Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Der Zellgehalt etwas geringer als normal. Das Misch Verhältnis 
der weissen Zellen wie in der Norm. Auffallend waren die sehr zahlreichen Blutungen. 

Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Lymphfollikel reduziert. Einige kleine 
Blutungen zu finden. Auch ziemlich viele Erythrozyten zwischen den Lymphozyten 
der Follikel. Keine abnorme Pigmentierung. 


Kaninchen Nr. 37. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

e 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,002 mg 

1 

1670 

_ 

_ 

9400 


7 

1570 

65 

6 100 000 

7800 

0,002 „ 

19 

t 1480 

61 

6 600 000 i 

6400 

0,002 , 

27 

1650 

61 

5 600 000 j 

5100 

0,002 „ 

3G 

1520 

57 ; 

5 560 000 I 

4800 

0.002 . 

40 

— 

— i 

— 

— 


65 

t 1 

1 

1 




Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




Experimentolle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 321 


Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Zellgehalt wie normal. Auffallend waren die zahlreichen 
kleinen Blutungen. 

Milz: Die Lymphfollikel verkleinert, aber noch sehr zellreich. Der Zellgehalt 
der Pulpa zum Teil etwas geringer. Besonders auffallend die ungeheure Menge von 
Pigment. 

Kaninchen Nr. 36. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

K 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,01 mg 

1 

1280 



6 800 

2 

1300 

58 

4 800 000 

8 680 

0,01 mg 

7 

1350 

65 

6 400 000 

7 680 

9 

1320 

— 

— 

9 300 


10 

1260 

60 

4 800 000 

6 000 


14 

1220 

57 

5 000 000 

8 800 

0,01 mg 

17 

1230 

— 

— 

12 800 

0,01 mg 

28 

1240 

60 

5 800 000 

7 900 

37 

1380 

49 

4 480 000 

4 800 


45 

j 1200 

50 

5 940 000 

7 000 

0,01 mg 

49 

— 

— 

— 

— 


74 

j t 





Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Sehr starker Zellreichtum, Blutungen, Pigmentierung. 

Milz: Atrophisch. Die Lymphfollikel kleiner und zellarmer als normal. Der 
Zellgehalt der Pulpa ebenfalls vermindert. Vermehrung des Bindegewebes. Abnorm 
starke Pigmentierung. 

Wir erheben in all diesen Fällen immer einen gleichartigen Befund. 
Die Dosen waren zum Teil als klein, zum Teil als minimal zu bezeichnen. 
Die Leukozytenzahl schwankt in physiologischen Grenzen. Dasselbe gilt 
auch im grossen ganzen für das Gewicht. Ein weiteres Moment, das 
Beachtung verdient, ist das der Dosierung bei dem Kaninchen Nr. 36. Wir 
sehen, dass die Dosen relativ nicht ganz klein waren, und doch sind gerade 
da die Gewichts- und Leukozytenkurve am wenigsten beeinflusst worden. 
Bei dem Kaninchen Nr. 37 waren die Dosen dagegen ausserordentlich viel 
kleiner und wir sehen die Leukozytenzahl langsam heruntergehen. Ob 
wir es da mit wirklicher Thoriumwirkung oder mit anderen unbestimmten 
Vorgängen zu tun haben, ist vorläufig unmöglich zu entscheiden. Der 
Umstand, dass alle diese Tiere spontan zugrunde gegangen sind, macht 
auch die aus den Sektionsbefunden in bezug auf dio Thorium X-Wirkung 
gezogenen Schlüsse gewissermassen illusorisch. In diesen Fällen können 
wir aber den Tod auf eine Thorium X-Wirkung allein nicht zurückführen. 
Dagegen spricht absolut die auf fast einige Hunderte von Fällen basierfe 
Dosierung sowie das Verhalten vieler anderer Tiere, die ähnlich behandelt 
wurden. Ob aber die histologischen Veränderungen der Milz in Zusammen¬ 
hang mit der Thorium X-Wirkung zu bringen sind oder nicht, muss 
dahingestellt bleiben. Dass dies aber möglich und sogar wahrscheinlich 
ist, geht aus einer Menge Tatsachen hervor. Wir müssen zuerst bedenken, 


Difitized 


by Google 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



322 


A. da SILVA MELLO, 


Digitized by 


dass die Leukopenie nicht ein absolutes, ja sogar nicht einmal ein brauch¬ 
bares Kriterium der Thorium X-Wirkung zu sein braucht. Dasselbe gilt 
für das Körpergewicht. Hier und da haben wir nur Szenen eines ganz 
komplizierten Dramas, und Szenen, die zuweilen noch fehlen können. 
Das Verhalten der Erythrozyten (s. u.) zeigt uns schon, dass wir es da 
noch mit anderen Vorgängen zu tun haben. Hier wäre auch auf die 
Beobachtungen Gudzents hinzuweisen, der schon eine ausgesprochene 
Wirkung auf den Leukozytenapparat mit Emanationskonzentrationen von 
3—5 M. E. beobachtet hat, eine Wirkung, die durch das 40- und mehrfache 
der Emanationskonzentration keine wesentliche Steigerung erfahren hat. 
Auf den Befund, den wir nach Applikation grosser Dosen erhoben haben, 
muss besonders hingewiesen werden. Gegenseitig können diese Tatsachen 
sich bestätigen, brauchen sich aber nicht auszuschliessen. Wenn wir aber 
annehmen, dass die Milzveränderungen bei unseren Fällen durch das 
Thorium X erzeugt waren, so haben wir die interessante Tatsache vor 
uns, dass minimale Mengen Thorium X imstande sind, langdauernde, 
histologisch feststellbare Läsionen zu erzeugen, Läsionen, die besonders 
in der Milz zutage treten. Ein solcher Zusammenhang kann vorläufig 
keinesfalls ausgeschlossen werden. Dies sind aber Probleme, die in An¬ 
betracht ihrer grossen therapeutischen Wichtigkeit eine genauere Durch¬ 
forschung verlangen. Aus den Versuchen geht noch eine interessante 
und wichtige Tatsache hervor. Wir haben bei allen diesen und bei 
ähnlichen Fällen (so z. B. noch bei den schon erwähnten Kaninchen Nr. 43 
und Nr. 44) die Beobachtung machen können, dass die kleinen Dosen 
Thorium X einen merklichen Einfluss auf das erythrozytäre System aus¬ 
üben. Wir sehen das Hämoglobin und besonders die Erythrozytenzahl 
regelmässig in die Höhe steigen. Es kommt zwar zu keinen gewaltigen 
Unterschieden, doch ist der Vorgang so konstant, dass man ihn unbedingt 
als Thorium X-Wirkung auffassen muss. Diese experimentellen Resultate 
sind übrigens in Zusammenhang zu bringen mit manchen klinischen Be¬ 
obachtungen, die in der Literatur zerstreut vorliegen. Wir alle kennen 
die Geschichte der Reizdosis bei den Anämien, besonders bei der 
Perniciosa. Wir waren einen Augenblick verblüfft. Wir haben vergessen, 
dass eine der sogenannten spontanen Remissionen an sich und unter 
biologischen Gesichtspunkten viel merkwürdiger ist als eine solche unter 
der Wirkung des Thorium X oder von sonst irgend etwas. Bald nachher 
hat man auch festgestellt, dass die nicht zu grossen Dosen imstande 
w r aren, zuweilen eine rapid cintretende Hyperglobulie bei den kranken 
Menschen zu erzeugen. Man kannte auch schon seit langem die Wirkung 
des Radiums auf die Erythrozyten. Dominici berichtet schon Anfang 1910 
über eine Vermehrung der Roten bei einem Pferde, das eine Injektion 
einer Emulsion unlöslichen Radiumsulfats bekommen hatte. Brill und 
Zehner haben später die Versuche bei Hunden und Kaninchen wiederholt. 
Sic konnten bei diesen Tieren durch einmalige Injektion einer Radium- 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 323 


chloridlösung eine wochenlang dauernde Hyperglobulie bis zu ausser¬ 
ordentlichen Zahlen (13 Millionen) feststellen. Interessant war noch 
dabei, dass die Vermehrung der roten Blutkörperchen schon ganz kurze 
Zeit nach der Injektion anfing, so stiegen sie bei einem Hund von 
5 400 000 auf 7 200 000 innerhalb einer halben Stunde nach der Injektion, 
und dass die Hyperglobulie noch andauerte, wenn bereits eine starke 
Leukopenie eingetreten war. Dass eine vorübergehende Hyperglobulie 
bei Menschen unter dem Einfluss sehr grosser Emanationsmengen ent¬ 
stehen kann, ist ebenfalls eine bekannte klinische Tatsache. Dasselbe 
gilt für die langdauernde Vermehrung der roten Blutkörperchen bei 
Personen, die sich berufsmässig mit radioaktiven Substanzen beschäftigen. 
Interessant sind auch die Fälle, bei welchen eine der ersten Reaktionen 
auf die Einwirkung der strahlenden Energie eine Vermehrung der Erythro¬ 
zytenzahl und des Hämoglobins ist. Dies ist besonders auffallend bei 
der Leukämie, bei welcher man seit Senn ein solches Verhalten immer 
wieder beobachten konnte. Es gibt sogar Fälle, bei welchen man früh¬ 
zeitig, bevor eine Verminderung der Leukozyten eingetreten ist, schon 
eine starke Vermehrung der Erythrozytenzahl und des Hämoglobingehaltes 
neben einer Besserung des Allgemeinbefindens verzeichnen kann. In der 
Literatur findet man auch Berichte über Entwicklung von Erythrämien 
bei Behandlung der myeloischen Leukämie mit strahlender Energie. Alle 
diese Beobachtungen müssen in Zusammenhang gebracht werden mit den 
experimentellen Versuchen, die wir früher auseinandergesetzt haben und 
die das individuelle Verhalten des erythropoietischen Systems bei dem 
einzelnen Tiere gezeigt haben, sowie mit der klinischen Erfahrung der 
Entwicklung der Anämien bei der Behandlung von Leukämien, Tumoren usw. 
mit Röntgenstrahlen und radioaktiven Substanzen. Aus diesem Zusammen¬ 
hang geht hervor, dass das erythropoietische System eine Selbständigkeit 
in seinem Funktionieren sowie eine ausgesprochene Individualität, ver¬ 
schieden von Tier zu Tier, besitzt. Später werden wir noch Versuche 
anzuführen haben, durch welche diese Tatsachen noch einmal bestätigt 
werden. Wir werden sehen, dass das erythrozytäre System eine normale 
und selbst eine Ueberfunktion entfalten kann, wenn der gesamte Organismus 
unter der giftigen Wirkung der radioaktiven Substanz zu leiden hat. Die 
Vorgänge sind nicht so einfach, wie man sie sich bis jetzt vorgestellt 
hat. Wir sind schon gewissermassen gewöhnt, alle biologischen Ge¬ 
schehnisse in das biologische Grundgesetz Pflügers und Arndts hinein¬ 
passen zu wollen. Dies galt besonders für das Gebiet der Radioaktivität. 
Nach allem, was wir schon ausgeführt haben, kann es keinem Zweifel 
unterliegen, dass wir es hier mit höchst komplizierten Vorgängen zu tun 
haben; Vorgänge, die sich gegenteilig beeinflussen und die sich deswegen 
nicht so leicht synthetisieren lassen. Das ist schon ersichtlich aus den 
Erscheinungen, die sich durch die Thorium X-Wirkung getrennt oder 
kombiniert an den leuko- und erythropoietischen Systemen abspielen. 


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324 


A. da SILVA MELLO 


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Daraus geht auch hervor, wie lückenhaft all die heutigen Theorien über 
die Wirkung der strahlenden Energien noch sind. Aber auf solche Einzel¬ 
heiten sich einzulassen, wäre hier nicht angebracht. Ein anderer Punkt, 
auf den hier einzugehen wäre, ist der der Verschiedenheit der Wirkung 
der verschiedenen radioaktiven Substanzen. Bis jetzt wird allgemein an¬ 
genommen, dass ein prinzipieller Unterschied in der Wirkung der einzelnen 
radioaktiven Elemente und der Röntgenstrahlen, besonders auf den 
hämatopoietischen Apparat, nicht besteht. Dabei sind nur die Dosierung, 
die Lebensdauer und die Ausscheidungsverhältnisse zu berücksichtigen. 
Was die Röntgenstrahlen und das Thorium X an betrifft, haben wir schon 
gezeigt, wie grundverschieden sich ihre Wirkungen gestalten. Später 
kommen wir noch darauf zurück. In Anbetracht der roten Blutkörperchen 
scheint auch hier keine absolute Gleichartigkeit der Wirkung vorzuliegen. 
Ob zwischen der Wirkung der einzelnen radioaktiven Substanzen essentielle 
Unterschiede zu verzeichnen sind, muss u. E. vorläufig dahingestellt bleiben. 
Jedenfalls, wie dem auch sei, muss man dem Vorschlag v. Noordens 
zustiramen, der bei der Behandlung der Anämie den Radiumsalzen einen 
Vorteil zuschreibt. Sie üben eine mehr elektive Reizwirkung auf den 
erythropoietischen Apparat und eine minder schädigende auf den leuko- 
zytären aus. Dies geht aus den Versuchen Brills und Zehners sowie 
aus den unserigen hervor. 

II. Partielle Ergebnisse. 

18. Die Einverleibung einer ganz kleinen Dosis Thorium X bei einem 
Tiere, das lange vorher eine erste, grosse, fast tödliche Dosis erhielt, 
kann eine derartige Wirkung entfalten, dass man eine unvollständige 
Regeneration oder eine sehr langdauernde Schädigung annehmen muss, 
trotzdem man nach der Länge des Zeitintervalls und der klinischen Sym¬ 
ptome die Wirkung der ersten Applikation als abgelaufen annehmen sollte. 

19. Diese zweite Injektion, die bei einem nicht vorbehandelten Tiere 
nur ganz geringe und vorübergehende Symptome hervorrufen würde, kann 
eine langdauernde Leukopenie und den Tod des Tieres herbeiführen, ob¬ 
schon der Körper seit langem frei von radioaktiven Substanzen war und 
anscheinend sich von der ersten Injektion wieder erholt hat. 

20. Der mikroskopische Befund an der Milz und besonders am 
Knochenmark zeigt, dass man die hämatopoietischen Organe für die cin- 
tretenden Veränderungen nicht verantwortlich machen kann. Die patho¬ 
logischen Veränderungen sind immer gering und oft kann man sogar 
eine Hyperplasie der Knochenmarkselemente konstatieren (s. Figur 3). 

21. Die wiederholte Einverleibung von Thorium X kann eine Ver¬ 
giftung mit tödlichem Verlaufe erzeugen, obgleich sie während des Lebens 
nur zur Entwicklung einer mässigen Leukopenie geführt hat. 

22. Diese beiden letzten Umstände, die Hyperplasie der Knochen¬ 
markselemente und das Fehlen einer starken Leukopenie sind geeignet 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 325 


den Mechanismus des eintretenden refraktären Zustandes bei der wieder¬ 
holten Behandlung von Leukämiefällen zu erklären. 

23. Die Verabreichung einer grossen Dosis Thorium X bei einem 
Tiere, das lange vorher eine gleiche Dosis erhalten hat, kann eine ziem¬ 
lich rasch tödlich endende Vergiftung erzeugen, trotzdem die Wirkung der 
ersten Dosis scheinbar gänzlich abgelaufen war (der Körper seit langem 
frei von Thorium X und das Gewicht, das Hämoglobin und die Erythro¬ 
zyten- und Leukozytenzahl, schon längst über die Anfangshöhe auf¬ 
gestiegen). Diese zweite Injektion kann auch eine bis zum Tode des 
Tieres andauernde Leukopenie erzeugen. 

24. Auch in diesen Fällen kann man eine ungeheure Hyperplasie 
der Knochenraarkselemente finden. 

25. Dieser letzte Befund zeigt auf das deutlichste, dass Zerstörungen 
des Knochenmarks keine Rolle bei dem Thorium X-Tod zu spielen brauchen. 

26. Im Gegensatz zu dem Befunde am Knochenmark kann der der 
Milz stehen. Hier findet man Veränderungen regressiver Natur: Ver¬ 
minderung des Zellgehaltes der Pulpa und der Lymphfollikel, Vermehrung 
des Bindegewebes, abnorme Pigmentierung (vgl. Figuren 3 und 4). 

27. Diese Milzveränderungen treten nicht frühzeitig ein, sie scheinen 
zu den Spätschädigungen zu gehören, sie entstehen indirekt, vielleicht 
korrelativ mit anderen unbekannten Veränderungen, vielleicht als Folge 
dieser anderen Veränderungen. Dies ist um so merkwürdiger, als wir 
immer von den gewaltigen und frühzeitigen Zerstörungen sowie von der 
ungeheuer rapiden Regeneration des Milzparenchyms, und besonders seiner 
Lymphfollikel, zu hören gewöhnt sind. 

28. Diesen Veränderungen kann man keine letale Bedeutung zu¬ 
schreiben. Sie können schon durch ganz kleine Dosen entstehen und 
können eventuell fehlen, wenn z. B. eine Infektion zu der Thorium X- 
Wirkung sich hinzugesellt. In diesem letzten Fall kann die Milz normal 
bleiben odei selbst sich myeloisch umwandeln, trotzdem der gesamte 
Organismus gleichzeitig intensiv unter der Thorium X-Wirkung zu 
leiden hat. 

29. Dieser letzte Umstand ist auch geeignet zu zeigen, dass diese 
Milzläsionen in wechselseitigen Beziehungen mit anderen Vorgängen stehen 
müssen. Einen näheren Zusammenhang zwischen diesen Tatsachen zu 
finden, scheint vorläufig nicht möglich zu sein. Dazu kämen hinzu die 
eklatanten Erfolge, die man durch die Milzbestrahlung gerade bei den 
Fällen von Myelämien zu erreichen pflegt. 

30. Eine zweite grosse Thoriumeinspritzung bei einem Tiere, das 
noch unter der direkten Einwirkung einer ersten grossen Injektion steht, 
entfaltet eine viel intensivere Wirkung, als wenn die beiden Dosen auf 
einmal verabreicht werden. 

31. Die wiederholte Verabreichung von kleinen Dosen Thorium X 
wird anscheinend leicht, besonders von dem leukozytären Apparat, ver- 


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326 


A. da SILVA MELLO, 


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tragen, wenn zwischen den einzelnen Thorium X-Einverleibungen ein ge¬ 
nügend grosser Zeitraum eingehaltcn wird. Sobald dieser Zeitraum ver¬ 
kürzt wird, tritt eine derartige kumulative Wirkung ein, dass man an¬ 
nehmen muss, dass die vorangegangenen Injektionen nicht schadlos ver¬ 
tragen wurden. 

32. In solchen Fällen, wenn das Tier unter der Vergiftung stirbt, 
kann man noch im Knochenmark einen starken Zellreichtum und selbst 
einen gewissen Grad von Hyperplasie konstatieren. Im Gegensatz dazu 
findet man in der Milz eine Rarefaktion des Zellgehaltes der Pulpa und 
der Lymphfollikel. 

33. Aus unseren Befunden müssen wir schon jetzt die Leukopenie 
als konkomitierendes, nebensächliches Symptom auffassen* Sie hat uns 
lange irregeführt, den Thorium X-Tod immer auf die morphologischen 
Läsionen der blutbildenden Organe zurückführen zu wollen. 

34. Die kleinen Dosen Thorium X sind imstande, eine leichte Ver¬ 
mehrung des Hämoglobins und besonders der Erythrozyten zu erzeugen. 
Dabei brauchen die Leukozyten keine deutliche Beeinflussung zu erleiden. 


III. Teil. 

Bei all den vorangegangenen Versuchen waren die mikroskopischen 
Untersuchungen immer an den durch die Sektion gewonnenen Geweben 
ausgeführt. Alle Tiere starben von selbst, und nur die klinische Unter¬ 
suchung und die Sektionsbefunde gestatteten Rückschlüsse auf die 
Thorium X-Wirkung. Dass dabei, besonders für die autoptischen Be¬ 
funde, andere Faktoren eine grosse Rolle mitspielen konnten, ist an sich 
selbstverständlich. Bei den folgenden Fällen wurde versucht, solche mit¬ 
wirkenden Faktoren auszuschalten, um so die reine Thorium X-Wirkung 
besser zu erforschen. Dazu wurden die Tiere, wenn sie unter der Wirkung 
des Thorium X standen, mit Chloroform getötet, oder es wurden in der 
Narkose Operationen ausgeführt und die dabei gewonnenen Gewebe der 
histologischen Untersuchung unterworfen. Die letzte Prozedur ist 
rationeller und lehrreicher, weil man dadurch Vergleichsobjekte gewinnen 
kann und so die progressive Wirkung des Thoriums bei ein und dem¬ 
selben Organismus zu verfolgen imstande ist. 


Kaninchen Nr. 69. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leuko¬ 

zyten 

0,21 mg 

. 

1950 

5 « 

3 900 000 

5800 

4 

1700 

— 

— 

4600 

Operation 

7 1 

1810 

56 

4 940 000 

1080 

13 1 

1700 

15 

2 080 000 

2200 


15 

1G80 

1 15 

2 400 000 

1 2280 


18 

1650 


— 

! 5860 


21 

1450 

38 

3 960 000 

1900 


24 

, 1350 

! t 





Original from 

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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 327 


Bei diesem Tier ist 7 Tage nach Einspritzung einer ziemlich grossen 
Dosis Thorium X und nachdem eine enorme Leukopenie eingetreten war, 
eine Operation ausgeführt und dadurch ein Stück Knochenmark eines Femur 
gewonnen worden (übrigens sei hier bemerkt, dass bei allen unseren 
Versuchen immer das Mittelstück vom Knochenmark eines Femur unter¬ 
sucht wurde). Die histologische Untersuchung hat folgendes ergeben: 

Zum grössten Teil lagen die Zellen ungemein dicht zusammen¬ 
gedrängt, ausserordentlich viel dichter als bei dem Alter der Tiere zu 
erwarten gewesen wäre. Die Fettareolen waren klein und spärlich. Es 
war das Bild einer starken Zellenüberproduktion, und daran schienen 
alle Knochenmarkselemente gleichmässig teilzunehmen. Die polymorph¬ 
kernigen Leukozyten und die Myelozyten waren besonders zahlreich. Die 
Megakaryozytcn waren ebenfalls zahlreich und sahen ganz normal aus. 
Auch bei den anderen Zellen keine deutlichen Zeichen von Degeneration, 
keine Pyknose, keine Karyorrhexis, keine Schrumpfung. Dagegen waren 
viele Karyokinesen zu finden. Es war also nur das Bild eines normalen 
hyperplastischen Knochenmarks. Von Blutungen oder Hyperämien war 
auch nicht im geringsten die Rede. 

Der Befund ist zweifellos höchst merkwürdig. Wir haben die gleich¬ 
zeitige Entwicklung einnr Knochenmarkshyperplasie und einer enormen 
Leukopenie vor uns. Dass beide von der Thorium X-Wirkung herrühren 
müssen, liegt auf der Hand. Wir haben hier wieder die Tatsache, dass 
die Leukopenie keinesfalls der Ausdruck von Zerstörungsvorgängen am 
Knochenmark zu sein braucht. Sic ist vereinbar mit einer Hyperplasie 
dieses Organs. Das ist übrigens eine Tatsache, die schon vor mehreren 
Jahren von Aubertin und Beaujard für die Röntgenstrahlen in 
therapeutischen Dosen festgestellt wurde. Diese Autoren fanden ausser¬ 
dem Vorgänge von Makrophagie in der Milzpulpa, auf welche sie die 
Leukopenie zurückführten. Es wäre eine Hyperdestruktion von Leuko¬ 
zyten und zwar derart, dass sie selbst durch eine Hyperproduktion nicht 
gedeckt werden könnte. Die Hypothese scheint ganz brauchbar zu sein. 
Die Versuche Aubertins und Beaujards sind aber bis jetzt unbeachtet 
geblieben, vielleicht deswegen, weil sie nicht nur unvollständig waren, 
sondern auch unwahrscheinliche Angaben an sich trugen. Sie berichten 
z. B., dass schon 4 Stunden nach der Bestrahlung die Nekrose der Milz¬ 
follikel vollständig verschwunden und die Follikel bereits völlig regeneriert 
zu finden waren. Unser Fall gestattet aber einen viel tieferen Einblick 
in den Mechanismus der Strahlenwirkung. Wir kennen die Organotropie 
des Thorium X, wir kennen die ausserordentlich hohe Konzentration, die 
es gerade im Knochenmark zu erreichen pflegt (24 Stunden nach einer 
intravenösen Thorium X-Einwirkung findet man mehr als 60 pCt. der 
injizierten Menge im Knochenmark). In unserem Falle stand der ge¬ 
samte Organismus seit mehreren Tagen unter der intensiven Wirkung 
einer grossen Dosis Thorium X. Durch die Operation konstatierten wir 

Zeiteehr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 3 a. 4. 99 


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328 


A. DA SILVA MELLO 


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eine Hyperplasie der Knochenraarkselemente zu einer Zeit, in welcher 
eine enorme Leukopenie zu finden war. Die Annahme, dass diese Hyper¬ 
plasie erst nach einer Vernichtung eingetreten wäre, ist zurückzuweisen, 
weil der Organismus zur Zeit der Operation noch unter der direkten 
Wirkung des Thorium X stand. Noch einmal: wir brauchen die Leukopenie 
auf keinen Vernichtungsvorgang im Knochenmark zurückzuführen, sie kann 
gleichzeitig mit einer Hyperplasie dieses Organs Vorkommen, sie kann 
ein Ausdruck der Thorium X-Vergiftung sein, zeigt aber nicht die Vor¬ 
gänge an, die sich im Knochenmark abspielen. All diese Tatsachen 
sind leicht in Einklang zu bringen mit dem, was wir durch andere Ver¬ 
suche festgelegt haben. Sie sind auch geeignet, die Unzulässigkeit aller 
bis jetzt herrschenden Vorstellungen über die Wirkung der radioaktiven 
Substanzen hervortreten zu lassen. Die weitere Verfolgung unseres Falles 
bietet noch viel Interessantes dar. Wir sehen, dass nach der Operation 
die Leukopenie immer geringer wird, um sich wenige Tage vor dem 
Tode wieder stark auszuprägen. An der Operationsstelle ist eine un¬ 
geheuer starke Eiterung eingetreten und bei der Sektion wurden ausser 
grossen pneumonischen Herden eitrige Pleuritis und Perikarditis gefunden. 
Wir sehen, dass alle diese eitrigen Vorgänge zu keiner Hyperleukozytosc 
geführt haben. Die enorme Anämie, die sich nach der Operation ent¬ 
wickelt hat, ist nachher geringer geworden, trotz der Infektion. Das 
sind Tatsachen, die Beachtung verdienen. Wir sehen, dass trotz der 
Leukopenie enorme Eiteransammlungen sich durch eine Infektion ge¬ 
bildet haben. Dazu war eine gewaltige Produktion von Leukozyten not¬ 
wendig. Der Umstand, dass das Knochenmark diese Reaktion leisten 
konnte, ist leicht mit der gefundenen Hyperplasie in Zusammenhang zu 
bringen, und beide sind geeignet zu zeigen, wie wenig die blutbildenden 
Organe unter der Thoriurawirkung zu leiden brauchen. Die Leukopenie 
kann in solchen Fällen nicht auf Insuffizienzvorgänge zurückgeführt 
werden. Diese Befunde sind auch imstande, Fälle aus der menschlichen 
Therapie, die bis jetzt für rätselhaft gehalten wurden, zu klären. So 
z. B. ein Fall von Pneumonie, bei welchem eine normale Resolution ein¬ 
trat, trotzdem durch Thorium X-Injektion die Leukozytenzahl von 18000 
auf 700 gefallen war. 

Die mikroskopische Untersuchung der hämatopoietischen Organe, die nach dem 
Tode des Tieres ausgeführt wurde, liefert auch etwas Beachtenswertes. 

Knochenmark: Der Zellreichtum noch sehr gross, die Zellen liegen aber mehr 
diffus, nicht Haufen um die Fettareolen bildend. Die nähere Untersuchung der Zellen 
zeigt aber eine enorme Veränderung. Die polymorphkernigen Leukozyten sind fast 
gänzlich verschwunden. Man findet fast nur Myelozyten und die Elemente der erythro- 
poietischen Reihe. Auffallend ist noch die ungeheure Menge von Zellen mit pyknotischen 
Kernen, Kernbröckeln, Vakuolisierung des Kerns und des Protoplasmas und daneben 
von Zellen mit blassem, wenig und schlecht gefärbtem Kern, auch protoplasmatischen 
Massen ohne Kern; also Vorgänge von Karyorhexis und -lysis nebeneinander. Die 
Riesenzellen meist verklumpt. Sonst war das Knochenmark von kleinen Blutungen 
durchsetzt. 


Go gle 


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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 329 

Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Follikel ausserordentlich stark reduziert. 
Viele Zellen im Zerfall begriffen. Das Stützgewebe tritt stark vermehrt hervor. Massen 
von leicht gefärbtem Pigment. Der Blutgehalt vermindert, die Bluträume leer. 

Wir konstatieren wieder Läsionen, die wir immer wieder bei den 
mit Thorium X behandelten Tieren gefunden haben. Die der Milz sind 
besonders beachtenswert. Sic stehen gewissermassen in Widerspruch mit 
den Versuchen, die wir früher ausgeführt haben, bei welchen wir die 
gleichzeitige Wirkung einer Infektion und einer Dosis Thorium X studiert 
haben. Das hängt vielleicht davon ab, dass wir in dem jetzigen Falle 
es mit einer ziemlich grossen Dosis zu tun haben, und dass durch die 
Operation eine starke Anämie zustande gekommen ist. Wir werden 
später sehen, dass eine Anämie allein imstande ist, ähnliche Milzläsionen 
zu erzeugen. 

Kaninchen Nr. 70. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyton 

Leuko¬ 

zyten 

0,4 mg 

1 

1920 

_ 


7200 

2 

— 

— 

— 

4040 


3 

1720 

— 

— 

2100 


4 

1700 

— 

— 

2700 


7 

1570 

— 

— 

1620 


In diesem Fall wurde das Tier mit Chloroform getötet. 

Mikroskopische Untersuchung. 

Knochenmark: Der Zellgehalt scheint stark vermindert zu sein. Zum Teil 
besteht das Gewebe nur aus dem Stützgewebe und vereinzelten Knochenmarkselementen. 
Andernteils sind die Zellen reichlich vorhanden und etwas diffus zwischen den Fett¬ 
areolen zerstreut. Eine nähere Untersuchung zeigt eine enorme Menge von Zellen, be¬ 
sonders durch Vakuolisierung in Zerfall begriffenen. Viele Riesenzellen sehen normal 
aus. Die polymorphkernigen Leukozyten sehr spärlich. In dem Mischverhältnis be¬ 
herrschen die erythroblastischen Elemente und die Myelozyten das Bild. Keine 
Blutungen zu finden. 

Milz: Die Lymphfollikel sehr zahlreich vorhanden und von zahlreichen Lympho¬ 
zytengebildet. DerZellgehalt der Pulpa erheblich vermindert. Der Blutreichtum bedeutend 
(s.Figur5). Ein ähnliches Bild war bei den Lymphdrüsen zu finden, bei welchen starke 
Blutungen neben normalem lymphoiden Gewebe zu beobachten waren (s. Figur 6). 

Der Fall ist insofern interessant, als man es da mit einer, nach der 
angewandten Dosis, als schwer zu betrachtenden Vergiftung zu tun hat. 
Der Befund am Knochenmark bestätigt in gewisser Beziehung diese An¬ 
nahme. Merkwürdig ist aber, dass man keine der sogenannten typischen 
Blutungen finden konnte. Der Befund an der Milz ist von der aller¬ 
grössten Wichtigkeit. Das Organ, besonders die Lymphfollikel, wurden 
fast normal gefunden. Um das zu erklären, sind nur zwei Möglichkeiten 
vorhanden. Entweder das Organ wurde nicht geschädigt und dies würde 
im Gegensatz stehen zu alldem, was wir bis jetzt über die Wirkung der 
radioaktiven Substanzen wissen, oder wir müssen eine vollständige 

22 * 


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330 


A. da SILVA MELLO, 


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Regeneration des Organs annehmen. Diese letztere Annahme möchten 
wir aber ohne weiteres als unmöglich zurückweisen. Man braucht nur 
zu bedenken, dass bei dem Tode des Tieres der Körper noch unter der 
direkten Wirkung einer enormen Menge Thorium X stand. Es wäre dann 
notwendig anzunehmen, nicht nur, dass die Milzfollikel sich immens schnell 
regenerieren könnten, sondern dass sie sich noch regenerieren könnten, 
während das Thorium auf sie eine direkte gewaltige Wirkung weiter ent¬ 
wickelt. Das Argument ist zweifellos entscheidend. So kommen wir 
zu der merkwürdigen Tatsache, dass das Thorium X direkt nur eine 
geringe Wirkung auf das lymphozytäre Gewebe zu entfalten vermag. Das 
ist auch wieder eine Bestätigung für den Befund, den wir vorher mit 
tödlichen Dosen und Pappenheim und Plesch selbst mit übertödlichen 
Dosen erhoben haben. Aus diesen Tatsachen ist also der wichtige Schluss 
zu ziehen, dass die Wirkung der Radium- und Röntgenstrahlen und des 
Thorium X auf den hämatopoietischen Apparat als eine entgegengesetzte 
sich gestaltet. Die Radium- und Röntgenstrahlen haben eine sozusagen 
elektive, fast plötzliche vernichtende Wirkung auf das lyraphoide System, 
während ihre Wirkung auf das myeloische Gewebe viel weniger intensiv 
ist und nicht so frühzeitig sich entfaltet. Das Thorium X dagegen scheint 
keine grosse direkte Wirkung auf die lymphozytären Organe auszuüben, 
aber die myeloischen Gewebe werden dadurch früher geschädigt. Das 
sind grundsätzliche Unterschiede, die geeignet sind, die Verschiedenheit 
der Wirkung bei Fällen von Blutkrankheiten in mancher Hinsicht auf¬ 
zuklären. Es gibt z. B. Fälle von Leukämie, die durch die Röntgen¬ 
behandlung günstig beeinflusst werden und bei welchen das Thorium X 
ohne Einfluss gewesen war. Das Umgekehrte ist vielleicht noch öfter 
der Fall. Das sind Dinge, die bis jetzt ganz unverständlich geblieben 
waren, zumal da man immer und immer wieder von der Gleichheit der 
Wirkung der Röntgenstrahlcn und der radioaktiven Substanzen gesprochen 
hat. Erst jetzt sehen wir, wie gewaltig sich diese Unterschiede gestalten. 
Diese Feststellung ist auch für die Therapie von grösster Wichtigkeit. 
Wir haben nicht ein einziges therapeutisches Mittel, sondern zwei und 
zwei sehr verschiedene Mittel zur Verfügung. Richtungslinien aus den 
experimentellen Versuchen zu ziehen, scheint vorläufig verfrüht zu sein. 
Man hat bis jetzt meistens mit viel zu grossen Dosen geabbeitet und es 
liegt kein Zweifel vor, dass gerade die Reaktion der kranken und der 
gesunden blutbildenden Organe sich höchst verschieden gestaltet. Das 
sind Schwierigkeiten, die nicht leicht zu überwinden sind. Wollten wir 
die Behandlung der lymphatischen Leukämie z. B. auf Grund experimenteller 
Versuche anstellen, so hätten wir sofort zwei verschiedene Richtungs¬ 
linien, je nachdem wir die Röntgenstrahlen oder das Thorium wählten. 
Würden wir die Röntgenstrahlen nehmen, so hätten wir mit einer ge¬ 
waltigen, sofortigen Zerstörung in den lymphoiden Geweben sowie mit 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 331 


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einem baldigen Rezidiv infolge der rapiden Regeneration zu rechnen. 
Durch das Thorium X würde dagegen die Wirkung erst nach Tagen oder 
überhaupt nicht eintreten (die späteren Läsionen der Milz allein sind un¬ 
genügend, um das Verhalten des gesamten lymphoiden Gewebes zu be¬ 
urteilen). Nach diesen beiden Umständen wäre also dio Anwendung 
einer kombinierten Behandlung als die rationellste anzusehen. Leider 
liegen aber die Dinge in Wirklichkeit nicht so einfach. Was man bei 
dem einzelnen Falle zu wählen hat, kann erst eine sehr lange klinische 
Erfahrung lehren. Unsere experimentelle Forschung ist aber geeignet, unser 
therapeutisches Handeln in eine neue Richtung zu lenken und das muss 
unbedingt als ein Fortschritt betrachtet werden. Aus unseren Befunden 
wird auch verständlich, warum gerade die lymphatische Leukämie als 
relativ refraktär gegen die Thorium X-Wirkung sich verhalten soll, sowie 
der Umstand, dass bei vielen Fällen die Besserung erst spät einzutreten 
pflegt. Eine andere Tatsache, die die vorangegangenen Versuche be¬ 
stätigt, ist die der prozentualen Veränderungen der Blutleukozyten unter 
der Thorium X-Wirkung. Wir wissen von den Röntgenstrahlen, dass sie 
zuerst das lymphatische Gewebe zerstören und dass unter ihrer Wirkung 
die Lymphozyten die ersten Zellen sind, die aus dem Blut verschwinden. 
Bei der Leukopenie, die sie erzeugen, kann man eine absolute Ver¬ 
minderung aller Leukozytenarten konstatieren. Dabei nehmen aber die 
Lymphozyten absolut und prozentual ungeheuer ab, die Granulozyten 
dagegen nur absolut ab, prozentual dagegen stark zu. Bei der Thorium X- 
Wirkung haben wir gerade das Gegenteil. Das wurde experimentell zuerst 
von Arneth festgestellt. Vor ihm waren die Angaben widersprechend. 
Hirschfeld und Meidner fanden, dass an der Leukozytenabnahme alle 
Leukozyten ungefähr in gleichem Masse teilnahmen. Pappenheim und 
Plesch fanden dagegen, dass an dem Leukozytensturz die Lymphozyten 
besonders betroffen und die ersten Zellen waren, die aus dem Blut ver¬ 
schwanden. Gudzent fand auch beim Menschen, dass unter der Wirkung 
mässiger Thorium X-Dosen besonders die Lymphozyten abnehmen. Bei 
Arneth liegen die ersten genauen Auszählungen vor. Er fand, dass bei 
dem Absturz der Gesamtleukozyten die Pseudoeosinophilen stark absolut 
und prozentual abnahmen, während dagegen die Lymphozyten prozentual 
Zunahmen. Unsere Befunde bestätigen ganz und gar die Angaben 
Arneths. Folgende Tabellen sind sehr instruktiv. Sie bilden auch 
keine Ausnahme; sie sind aus einer grossen Menge von Fällen ent¬ 
nommen, bei welchen wir immer wieder dasselbe gefunden haben. Hier 
sei noch nebenbei bemerkt, dass zuweilen Zellen gefunden wurden, die 
nicht alle absoluten typischen Charaktere der Blutlymphozyten besassen; 
sie waren aber u. E. zweifelsohne lymphoide Zellen (nicht Lymphoido- 
zyten); Knochenmarkselemente wurden im Blut bei solchen Fällen nicht 
gefunden. 



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332 


A. DA SILVA MELLO 


Tabelle 1. 


Kaninchen 

Nr. 

Thorium X 

Ver¬ 
such s- 
tage 

Leuko¬ 

zytenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorph¬ 

kernige 

Leukozyten 

8 

0,15 mg 

i 

1 

9200 

60 ! 

40 



4 

1200 

80 

20 

3 

0,225 mg 

1 

— 

— 

— 



4 

760 

90 

10 

21 

0,1 rag 

1 

— 

— 

— 



5 

900 

95 

5 


Tabelle 2. Kaninchen Nr. 22. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Leuko¬ 

zytenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorph¬ 

kernige 

Leukozyten 

Mast¬ 

zellen 

0,05 mg 

1 

8200 

47 

46 

7 

7 

2020 

80 

20 1 

— 


14 

2050 

56 

40 

4 


23 

3700 

38 

58 

3 


30 

2800 

27 

69 

j 4 


37 

3400 

i 40 

58 

1 2 


Tabelle 3. Kaninchen Nr. 1. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Leuko¬ 

zytenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorph¬ 

kernige 

Leukozyten 

Mast- 

zellcn 

0,225 mg 

1 

7100 

_ 

_ 

_ 


5 

1100 1 

75 

25 

— 


11 

2000 ! 

60 

40 

— 


14 

2600 

60 

40 

— 


18 

3000 

55 

45 

— 


22 

3800 

35 

65 

— 


29 

4500 

32 

62 

6 


34 

5300 

51 

48 

1 


40 

6200 

35 

62 

3 


59 

6000 

33 

1 61 

6 


Tabelle 4. Kaninchen Nr. 9. 


Thorium X 

Versuchs- 

tagc 

Leuko¬ 
zyten zahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorph¬ 

kernige 

Leukozyten 

Mast- 

zcllcn 

0,16 mg 

7 

1600 

85 

15 

_ 

9 

2400 

80 

19 

1 


12 

1840 

63 

37 

— 


15 

2740 

i 45 

53 

2 


20 

5100 

26 

71 

3 


23 

5500 

1 16 

74 

10 


29 

7600 

; 37 

56 

7 


34 

8900 

27 

65 

8 


37 

7640 

19 

79 

5 


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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 333 


Wir sehen aus allen diesen Fällen, dass die Leukopenie besonders 
durch die Verminderung der polymorphkernigen Leukozyten zustande 
kommt. Die Lymphozyten dagegen nehmen prozentual ungeheuer zu. 
Wie man noch die Lymphozytosen der Personen, die sich viel mit 
strahlender Energie zu beschäftigen haben, sowie die Entwicklung gerade 
von lymphatischen Leukämien bei Röntgenologen und Radiologen mit den 
obigen Beobachtungen in Zusammenhang zu bringen hat, mag vorläufig 
dahingestellt bleiben. (Beachtenswert ist auch, dass die Lymphozyten 
im Thermostaten sich viel resistenter verhalten als die Granulozyten.) 
Sehr interessant ist auch zu verfolgen, wie die Leukopenie verschwindet 
und wie die einzelnen Leukozyten dabei sich verhalten. Arneth gibt 
an: „Mit dem Wiederanstieg der Gesamtleukozytenzahl beim Abklingen 
der Thoriumwirkung kehren in allen Fällen ungefähr die normalen Prozent¬ 
zahlen wieder zurück.“ Bei den obigen Fällen haben wir es insofern 
mit abweichenden Resultaten zu tun, als bei dem Verschwinden der 
Leukopenie die polymorphkernigen Leukozyten das leukozytäre Bild 
stark beherrschen. Das wäre leicht in Einklang zu bringen mit den 
späteren Läsionen, die wir an der Milz gefunden haben, sowie mit der 
Hyperplasie der Knochenraarkselemente. Diese Befunde können aber 
nicht als Regel gelten. Wir werden bald sehen, dass die Leukozyten 
sich auch ganz anders verhalten können. Wie solche Vorgänge zu ver¬ 
stehen sind, ist nicht leicht sich vorzustellen. 

In bezug auf die spät eintretenden Milzveränderungen und der Ucber- 
regeneration des Knochenmarks wäre es auch sehr wichtig, festzustellen, 
wie die Leukozyten bei einer zweiten oder dritten Thorium X-Einver- 
lcibung sich verhalten. Dies zeigen uns folgende Tabellen: 


Tabelle 1 . Kaninchen Nr. 68. 


Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

1 Leuko- 
| zytenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorphkernige 

Leukozyten 

Mastzellen 

Monu- 

kleären 

0,1 mg 

1 

10 000 

77 

» 

3 

5 


7 

3 700 

91 

9 

— 

— 


17 

4 700 

74 

25 

— 

1 


27 

9 300 

77 

19 

2 

2 


101 

6 100 

69 

27 

4 

— 

0,2 mg 

108 i 

— 

— 

— 

— 

— 


Hl 

3 100 

67 

33 

— 

— 


115 

2 380 

69 

29 

2 

— 


133 

3 600 

55 

i 1 

40 

2 

3 


Tabelle 2. Kaninchen Nr. 67. 


Thorium X 

Versucbs- 

tago 

Leuko¬ 

zytenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorphkernige 

Leukozyten 

Mastzellen j 

Monu- 

kleären 

0,1 mg 

1 

7 500 

58 

26 1 

15 

1 


7 

3 400 

76 

18 

4 1 

2 


17 

6 800 

43 

55 

1 | 

1 


27 

10 500 

53 

47 


— 


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334 


A. da SILVA MELLO, 


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Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Leuko- 

zythenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorphkernige 

Leukozyten 

Mastzellen 

Monu- 

kleären 


45 

7 500 

75 

19 

1 

5 


62 

7 700 

60 

31 

— 

9 

0,2 mg 

63 

— 

— 

— 

— 

— 


66 

3 400 

53 

42 

2 

5 


112 

6 400 

| 39 

59 

2 

— 


Tabelle 3. Kaninchen Nr. 61. 


Thorium X 

Yersuchstage 

Leukozyten¬ 

zahl 

Lymphozyten 

Polymorphkernige 

Leukozyten 

Mastzellen 

0,1 mg 

1 

6300 

36 

58 

3 

5 

2800 

80 

20 

— 


29 

5280 

60 

33 

7 


43 

6000 

40 

52 

7 

0,05 mg 

50 

8300 

30 

67 

3 

55 

2600 

66 

34 

— 


63 

6200 

40 

59 

, 1 


84 

4700 

42 - 

56 

i 2 

0,1 mg 

89 

— 

— 

— 

1 — 


92 

4800 

39 

59 

2 


96 

4300 

54 

43 

3 


103 

7400 

48 

47 

5 


Tabelle 4. Kaninchen Nr. 33. 


Thorium X 

Vorsucbs- 

tagc 

Leuko¬ 

zytenzahl 

Lympho¬ 

zyten 

Polymorphkernige 

Leukozyten 

Mastzellen 

Monu- 

kleären 

0,1 mg 

1 

10 000 


_ 

_ 

_ 


8 

3 340 

— 

— 

— 

— 


28 

7 580 

55,5 

42,5 

2 

— 


42 

12 200 

58 

40 

2 

— 

0,1 mg 

46 

— ' 

— 

— 

— 

— 


52 

1540 

86 

7 

5 

2 


55 

3 600 j 

65 

30 

1 

4 


59 

4 200 | 

55 

42 

3 

— 


Wir konstatieren aus den Tabellen, dass die zweite Injektion, selbst 
wenn sie eine sehr grosse, ja sogar eine doppelt so grosse wie die erste 
ist, meistens nur eine massige Leukopenie (der Grad ist selbstverständlich 
abhängig von der eintretenden Regeneration, sowie von der Dosis) erzeugt, 
bei welcher die polymorphkernigen Leukozyten nicht mehr so stark ab¬ 
zunehmen pflegen (Kaninchen 33 scheint eine Ausnahme zu bilden). 
Man hat jetzt den Eindruck, als ob jetzt die Polymorphkernigen die 
Thorium X-Wirkung besser zu vertragen imstande seien. Der Fall der 
Tabelle 2 — Kaninchen 67 — ist besonders lehrreich. Wir sehen, dass 
die zweite Injektion, trotzdem sie doppelt so gross wie die erste war, 
nur eine ebenso starke Leukopenie hervorgerufen hat, wie die erste. 
Ganz verschieden ist aber das Verhalten der einzelnen Leukozytenarten. 
Bei der ersten Injektion war die bekannte Verminderung der Pseudo¬ 
eosinophilen vorherrschend; bei der zweiten haben dagegen alle Leuko- 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 335 


zyten gleiohmässig abgenommen. Ungefähr dasselbe können wir bei dem 
Kaninchen 68 beobachten. Der Befund ist vielleicht in Zusammenhang 
zu bringen mit den bekannten Milzveränderungen und mit der Knochen¬ 
markshyperplasie, die wir als eine der konstantesten Folgen der 
Thorium X-Wirkung kennen gelernt haben. Die Geringfügigkeit der 
zweiten Leukopenie würde damit auch ihre Erklärung finden. Würden 
die polymorphkernigen Leukozyten so intensiv abnehmen wie bei der 
ersten Injektion, so hätten wir eine ungefähr gleich grosse Leukopenie. 

In dem Fall der Tabelle 2 kann man noch das Verhalten der Mast¬ 
zellen besonders gut verfolgen. Wir sehen, dass sie ungefähr wie die 
polymorphkernigen Leukozyten abnehmen und keine besondere Empfind¬ 
lichkeit oder Widerstandsfähigkeit zeigen. Dies ist interessant zu ver¬ 
zeichnen in Anbetracht ihres Verhaltens bei der Behandlung der myeloischen 
Leukämie. 

III. Partielle Ergebnisse. 

35. Die durch Thorium X erzeugte Leukopenie braucht nicht auf 
Zerstörungen der hämatopoietischen Organe zurückgeführt zu werden; 
wenn die Leukopenie am stärksten ist, kann man das Knochenmark 
direkt in hyperplastischem Zustande finden (vgl. Figur 3). 

36. Der Umstand, dass trotz und während der Leukopenie enorme 
Eiterungen sich entwickeln können, oder dass eine Pneumonie zu normaler 
Resolution kommen kann, sind ebenfalls geeignet zu zeigen, dass diese 
Leukopenie nicht auf eine Knochenmarkshypoplasie zurückgeführt zu 
werden braucht. 

37. Das Thorium X übt direkt nur eine als geringfügig zu be¬ 
zeichnende Wirkung auf das lymphoide Gewebe aus. Selbst nach einer 
sehr grossen Dosis, die schon vieleTage hindurch gewirkt und Symptome 
einer schweren Vergiftung erzeugt hat, kann man die Lymphfollikel der 
Milz und der Lymphdrüsen noch fast völlig normal finden (Figuren 5 und 6). 
Die Annahme einer Regeneration können wir auf Grund experimenteller 
Versuche als unmöglich zurückweisen. 

38. Das myeloische Gewebe scheint auch durch das Thorium X 
früher und intensiver geschädigt zu werden als das lymphoide. 

39. Aus diesen Gründen müssen wir mit bezug auf die blutbildenden 
Organe eine enorm, ja eine direkt entgegengesetzte Wirkung zwischen 
den Radium- und Röntgenstrahlen einerseits und derp Thorium X anderer¬ 
seits annehmen. 

40. Diese Unterschiede sind geeignet, die Verschiedenheit ihrer 
Wirkung bei einem und demselben Blutfalle gewissermassen aufzuklären. 

41. Richtungslinien für die menschliche Therapie aus den beschrie¬ 
benen experimentellen Feststellungen zu ziehen, scheint vorläufig nicht 
möglich zu sein. Sie müssen aber als ein Fortschritt betrachtet werden, 
weil damit unserem therapeutischen Handeln neue Richtungen gegeben 
werden. 


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42. Aus unseren Befunden wird auch verständlich, warum sLh gerade 
die Lymphämien relativ refraktär gegen das Thorium X verhalten sollen 
und auch warum bei vielen Fällen die Besserung erst lange nach Ein¬ 
leitung der Behandlung einzutreten pflegt. 

43. Bei dem Leukozytensturze infolge der Thorium X-Wirkung 
nehmen die polymorphkernigen Leukozyten absolut und prozentual stark 
ab, während die Lymphozyten nur absolut abnehmen, dagegen prozentual 
stark zunehmen. Das Blutbild kann so verändert werden, dass man fast 
nur Lymphozyten findet, infolge des fast totalen Verschwindens der 
Polymorphkernigen. Das ist gerade das Gegenteil von dem, was man 
von den Röntgenstrahlen her kennt. 

44. Der Wiederanstieg der Leukozyten nach der ThoriumX-Wirkung 
ist kein regelmässiger. In vielen Fällen bekommen die polymorph¬ 
kernigen Leukozyten das Uebergewicht, in anderen kehren die normalen 
Prozentzahlen wieder zurück. 

45. Bei einer zweiten oder dritten Thorium X-Einverleibung pflegt 
die Leukopenie im allgemeinen anders aufzutreten. Sie kommt nicht 
mehr durch eine besonders starke Verminderung der Polymorphkernigen 
zustande, sondern jetzt nehmen alle Leukozyten gleichmässig absolut und 
prozentual ab; die Leukopenie ist auch viel weniger intensiv. Dieses 
Verhaltcn^wird vielleicht besonders verständlich durch die Knochenmarks¬ 
hyperplasie, die durch die Thorium X-Wirkung einzutreten pflegt. 

46. Unter der Thorium X-Wirkung zeigen die Mastzellen ein Ver¬ 
halten ähnlich dem der polymorphkernigen Leukozyten. 


IV. Teil. 

Verhalten der roten Blutkörperchen. 

Das Verhalten der Erythrozyten der aktinischen Wirkung gegenüber 
hat immer seiner Merkwürdigkeit wegen das grösste Interesse erregt. 
Man fand die gewaltigsten Veränderungen seitens der Leukozyten und 
daneben die Roten ungeschädigt. Durch unsere Versuche ist auch der 
Beweis erbracht worden, dass in Wirklichkeit ein Tier durch eine un¬ 
mittelbar tödliche Thorium X-Dosis zugrunde gehen kann, ohne dass die 
roten Blutkörperchen an Zahl verändert oder histologisch bis zum Eintritt 
des Todes geschädigt werden, während dagegen die Leukozyten fast 
gänzlich aus der Blutbahn verschwinden können. Da man auch dabei 
die weitgehendsten Zerstörungen der hämatopoietischen Organe finden 
konnte, so war dieses Verhalten nur durch die Hypothese aufzuklären, 
die den Erythrozyten eine längere Lebensdauer verleiht, so dass sie im 
Blut bis zum Tode des Tieres unverändert bleiben könnten, ohne dass 
vom Knochenmark ein Nachschub geliefert wurde. Was man durch die 
grossen Dosen gefunden hat, ist auf die kleinen übertragen worden. Und 
so hat man bis jetzt die Leukopenie immer auf Zerstörungen der blut- 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 337 


bildenden Organe und die Integrität der Erythrozyten auf ihre lange 
Lebensdauer zurückgeführt. Wie falsch die erste Annahme war, ist 
schon zur Genüge gezeigt. Jetzt kommen wir zum Studium des beson¬ 
deren Verhaltens der roten Blutkörperchen. 

Zuerst möchten wir auf unsere vorigen Experimente zurückgreifen. 
Wir haben festgestellt, dass eine kleine Dosis Thorium X eine Reiz¬ 
wirkung, die sich in einer Vermehrung des Hämoglobins und der Ery¬ 
throzyten ausdrückt, auszuüben pflegen. Diese Vorgänge können eintreten, 
ohne dass man dabei irgend eine Veränderung der Leukozyten zu finden 
braucht. Wir haben auch festgestellt, dass grosse Dosen Thorium X 
keine einheitliche Wirkung auf das erythropoietische System ausüben, 
dass durch sie bald die Erythrozyten nicht im geringsten litten, oder 
auch bald danach eine ausgeprägte langdauernde Anämie sich entwickeln 
konnte. Es wurde auch festgelegt, dass diese Vorgänge unabhängig 
waren von dem, was sich in dem leukopoietischen Apparat abspielt. Wir 
sind dann zu dem Schluss gekommen, dass das erythropoietische System 
nicht nur eine enorme Selbständigkeit in seinem Funktionieren, sondern 
auch eine ausgesprochene Individualität verschieden von Tier zn Tier 
besitzt. 

Durch die Versuche, die wir jetzt anzuführen haben, haben wir neue 
Bestätigungen für diese Annahme, sowie für manche unserer vorange¬ 
gangenen Experimente gefunden. Sie liefern auch Stoff, uns die Un¬ 
zulänglichkeit aller in dieser Richtung aufgeworfenen Hypothesen besser 
hervortreten zu lassen. 


Kaninchen Nr. 54. 


Blut- 

Versuchs* 

Gewicht 

Hämo- 

1 Erythro- 

Leuko- 

entnähme 

tage 

g 

| globin 

1 zyten 

zyten 

18 ccm 

1 

1 

1350 

55 

5 400 000 

12 000 


4 

1280 

51 

4 600 000 

10 800 


11 

1210 

48 

2 400 000 

10 400 


18 

1020 

62 

6 980 000 

11 120 


25 

1080 

51 

5 600 000 

9 440 


Der Fall ist geeignet, uns zu zeigen, wie im allgemeinen die Ery¬ 
throzytenzahl und der Hämoglobingehalt nach einem grossen Aderlass 
sich verhalten. In diesem Falle war der Aderlass im Verhältnis zum 
Körpergewicht und im Vergleich zu dem menschlichen Körper so, als 
wenn wir einem Menschen von 75 Kilo Gewicht 1 Liter Blut entzogen 
haben würden. In diesen und in allen unseren folgenden Versuchen 
haben wir das Blut aus dem Ohr durch kleine Einstiche entnommen. 
In allen Fällen machten wir unmittelbar nach der Blutentziehung eine 
subkutane Kochsalzinfusion in gleicher Menge wie die des entnommenen 
Blutes. Aus technischen Schwierigkeiten war es uns nicht möglich, in 
allen Fällen ein genaues Verhältnis zwischen der Grösse des Aderlasses 
und des Körpergewichts innezuhalten, wie wir anfangs beabsichtigt hatten. 


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A. da SILVA MELLO, 


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338 


Daraus sind aber keine weiteren Nachteile entstanden, ausgenommen, die 
einer etwas erschwerten Uebersichtlichkeit. 

Aus dem angeführten Fall sehen wir, dass der Hämoglobingehalt 
und die Erythrozytenzahl bis zu einem gewissen Punkt immer niedriger 
werden. Das ist übrigens eine alte bekannte Erfahrung. Wie sie zu 
erklären ist, inwieweit Gewebsflüssigkeit usw. dabei eine Rolle spielen, 
müssen wir dahingestellt lassen. In der Mehrzahl der Fälle erreichen 
sonst der Hb-Gehalt und die Zahl der Roten den tiefsten Punkt schon 
nach ein oder zwei Tagen. Bei anderen Fällen dagegen, wie bei dem 
unserigen, finden wir den geschilderten Befund. Wenn der tiefste Punkt 
erreicht ist, tritt eine allmähliche Regeneration ein, die in der grossen 
Mehrzahl der Fälle (freilich nicht immer) zu einer Ueberkompensation 
führt. Der Hämoglobingehalt und die Erythrozytenzahl steigen stark 
über die normale Höhe hinaus. Wir können das sehr deutlich bei 
unserem Fall beobachten. Die Ueberfunktion, wahrscheinlich weil sie 
gerade keinen normalen Zustand darstellt, dauert nur kurze Zeit und 
kehrt alsbald zur Norm zurück. Der Fall ist aus einer Reihe ähnlicher 
anderer, die als Vergleichsobjekte galten, entnommen. 


Kaninchen Nr. 67. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leukozyten 

35 ccm 

0,1 mg 

1 

2620 

60 

4 740 000 

7 500 


7 

2500 

41 

4 560 000 

3400 



17 

2380 

40 

3180 000 

6 800 



27 

1980 

45 

4 360 000 

10 500 



34 

1980 

60 

6 700 000 

8 500 



45 

2450 

46 

1 3 860 000 

7 500 



62 

2600 

50 

4 780 000 

7 700 


In diesem Falle sehen wir die Erythrozyten und den Hämoglobin- 
gehalt sich wie bei dem vorigen verhalten. Nach einem Absinken steigen 
sie allmählich an, um die normale Höhe zu überschreiten. Das geschieht 
viel langsamer als bei dem Kaninchen Nr. 54. Man sollte eigentlich 
denken, dass das eine Folge der Thorium X-Einspritzung sein müsste. 
Der Umstand, dass zu der Zeit der Hyperfunktion das Gewicht noch auf 
dem tiefsten Punkt stand, ist wieder geeignet zu zeigen, wie unabhängig 
die hämatopoietischen Funktionen bei einem durch Thorium X geschädigten 
Organismus verlaufen können. 

Bei dem nächsten Fall können wir das am deutlichsten konstatieren. 
Wir sehen die Erythrozyten und das Hämoglobin sich regenerieren und 
selbst gewaltig überkorapensiert werden, während das Tier noch zweifellos 
unter einer Thorium X-Wirkung steht, wie es aus den Gewichts- und 
Leukozytenkurven sowie aus dem nach der Injektion abgelaufenen Zeit¬ 
raum zu ersehen ist. Es scheint sogar, dass hier die Regeneration schneller 
zustande gekommen wäre als bei unserem normalen nicht injizierten Tiere. 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 339 


Kaninchen Np. 56. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leukozyten 

20 ccm 

0,06 mg 

1 

1610 

58 

5 800 000 

6600 


4 

1570 

49 

5 000 000 

5200 


0,01 mg 

6 

1500 

42 

4 800 000 

2700 


11 

1360 

57 

3 100 000 

4030 



18 

1350 

62 

8 000 000 

5160 



25 

1510 

50 

4 800 000 

6240 



33 

1500 

58 

4 500 000 

4400 



43 

1500 

52 | 

4 920 000 

6700 


Das nächste Tier liefert eine Menge beachtenswerter Tatsachen. 

Kaninchen Nr. 61. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leukozyten 

30 ccm 

0,1 mg 

1 

2070 

50 

5 2G0 000 

6300 



5 

2070 

37 

4 000 000 

2800 



29 

2070 

55 

5 540 000 

5280 



36 

2150 

55 

5 820 000 

5800 



43 

2200 

GO 

6 280 000 

6000 


0,05 mg 

50 

2220 

55 

4 840 000 

8300 



55 

2200 

64 

5 720 000 

2600 



63 

2320 

45 

4 340 000 

6200 



74 

2230 

1 61 

6 260 000 ! 

| 6300 



84 

2480 

i 63 

6 300 000 

: 4700 


0,1 mg 

89 

— 

— 

— j 

— 



92 

2380 , 

! 63 

5 600 000 

4800 



96 

j 2200 

1 66 

5 340 000 | 

| 4300 



103 

2100 

66 

6 260 000 

7400 



110 

2080 

59 

4 940 000 1 

6480 


• 

116 

1980 

— 

— i 

9680 



127 

1820 

— 

— 

3500 


0,1 mg 

128 

— 

! — 

— 

1 — 



130 

1480 

i t 




Trotz einer nicht als klein zu bezeichnenden Injektion bei diesem 
Tiere regenerieren sich die Erythrozyten und das Hämoglobin rapid nach 
dem Aderlass bis zu einer Ueberkompensation. Das Gewicht leidet 
darunter nicht im geringsten, im Gegenteil. Die zweite Injektion, die 
wieder eine starke Leukopenie erzeugt, übt auch nur eine vorteilhafte 
Wirkung auf die Erythrozyten, das Hämoglobin und das Gewicht, die 
immer die Neigung zeigen, in die Höhe zu steigen. Das ist ein Verhalten, 
das wir niemals, selbst nicht bei ganz jungen Tieren beobachten konnten, 
wenn sie unter der Wirkung von nicht zu kleinen Dosen Thorium X 
standen. Durch unsere Experimente haben wir im Gegenteil immer die 
Feststellung machen können, dass die Dosen, die eine starke Leukopenie 
erzeugten, eher eine wachstumshemmende Wirkung ausüben. In diesem 
Falle sind wir geneigt, die Wirkung auf die Erythrozyten und das Hämo¬ 
globin sowie besonders auf das Körpergewicht hauptsächlich auf die Blut¬ 
entnahme zurückzuführen. Aus Versuchen, die bald Erwähnung finden 
werden, werden wir ersehen, welche Mengen von Tatsachen für eine solche 


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340 


A. DA SILVA MELLO, 


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Annahme sprechen. Interessant in dem Fall ist noch, dass zweifellos 
der Körper während der Zeit der Ueberregeneration unter der Wirkung 
des Thorium X stand. Wir erkennen das aus der Leukozytenkurve, bei 
welcher man ganz tiefe Punkte findet, sowie besonders aus der Wirkung 
der dritten Injektion, die trotz ihrer Kleinheit Symptome einer intensiven 
Vergiftung erzeugt. Dies geht wieder aus der Leukozyten- und Gewichts¬ 
kurve hervor, sowie aus der Wirkung der vierten Injektion, die direkt eine 
fulminante Wirkung entfaltet. Beachtenswert ist, wie wenig die Leukozyten 
überhaupt unter der dritten Injektion gelitten zu haben scheinen, ebenso das 
Verhalten der roten Blutkörperchen. Alles das wäre in Einklang zu bringen 
mit der Knochenmarkshyperplasie, die wir schon früher kennen gelernt 
haben und die hier zweifellos zu der Zeit existieren musste. Nur diese 
Hyperplasie ist auch imstande zu erklären, warum die Erythrozyten sich 
erholen und überkompensieren können, während der Organismus noch 
unter der Wirkung des Thorium X steht und leidet. Wir haben da wieder 
einen Beweis, wie wenig die hämatopoietischen Organe unter der Thorium X- 
Wirkung zu leiden brauchen, wie wenig sie für den Thorium X-Tod ver¬ 
antwortlich sein können. Der Organismus kann schwer unter der aktinischen 
Wirkung leiden und dabei können die blutbildenden Organe ihre volle 
Funktion entfalten und selbst in Hyperfunktion und Hyperplasie geraten 
sein. Dies sind Tatsachen, die wir durch die mannigfaltigsten Experimente 
immer wieder bestätigt gefunden haben. Auf sie immer wieder zurück¬ 
zukommen, ist nicht überflüssig, sie sind neu und merkwürdig genug, um 
stark betont zu werden. 

In unserem Falle verdienen noch die Sektionsbefunde hervorgehoben 
zu werden. Wir haben überhaupt keine makroskopische Läsion gefunden, 
die für den Tod verantwortlich gemacht werden könnte. Alle Organe 
und Gewebe sahen normal und gesund aus. Man hat nur den Eindruck, 
dass die Organe, besonders die Leber und die Niere, verkleinert sind. 
Eine starke Verkleinerung der Milz war hier wie bei allen ähnlichen 
Fällen sicher zu konstatieren. Der mikroskopische Untersuchungsbefund 
lautet folgendermassen: 

Knochenmark: Trotzdem der Zellreichtum noch gross ist, scheint er vermindert 
zu sein, die Zellen liegen mehr diffus, bilden keine dichten Haufen. Das Stützgewebe 
tritt stark vermehrt hervor. Die grosse Mehrzahl der Zellen sieht ganz normal aus. 
Die polymorphkernigen Leukozyten sehr zahlreich vorhanden. Sehr viele Zellen sind 
auch in Zerfall begriffen, zeigen pyknotische Kerne und Kernbröckel. Die Megakaryo- 
zyten zum Teil ganz normal. 

Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Milzfollikel fast wie in der Norm. Die 
Bluträume ziemlich leer. Besondersbeachtenswert istdie ungeheure Menge von Pigment. 

Wir haben also hier wieder Symptome, die für eine Thorium X- 
Wirkung sprechen, die aber nicht genügen, um den Tod aufzuklären. 

Bei folgenden Versuchen waren wir bemüht, die Reaktion der 
hämatopoietischen Organe und besonders des erythropoietischen Systems 
unter der Thorium X-Wirkung zu studieren, nachdem sie vorher durch 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 341 

besondere Massnahmen zu den gewaltigsten Anstrengungen gebracht waren. 
Dazu wurden grosse wiederholte Blutentnahmen mit nachfolgenden oder 
dazwischen eingeschalteten Thorium X-Einverleibungen gemacht. Bei dem 
folgenden Tiere wurden innerhalb eines Monats sechs Aderlässe aus¬ 
geführt und eine so grosse Blutmenge entnommen, als wenn man im 
Verhältnis zum Körpergewicht einem erwachsenen Menschen 7 Liter Blut 
innerhalb eines Monats entzogen hätte. Kurz nach dem letzten Aderlass 
ist dann eine raittelgrosse Dosis Thorium X subkutan eingespritzt worden. 


Kaninchen Nr. 50. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs- 

tago 

Gewicht 

1 K 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leukozyten 

20 ccm 


1 

1370 

48 

4 520 000 

7 300 

22 . 


9 

1450 

39 

4 240 000 

4 500 

20 , 


14 

1400 

39 

3 880 000 

4 600 

20 , 


20 

1400 

— 

— 

— 

32 „ 


23 

1550 

— 

— 

— 



27 

1450 

40 

2 620 000 

5 600 

IT . 


30 

1280 

— 

— 

— 


0,05 mg 

34 

1420 

— 

— 

— 



35 

1250 

40 

3 460 000 

10 400 



36 

1400 

35 

3 700 000 

10 580 



37 

1300 

— 

— 

7 300 



40 

1300 

t 




Wir sehen, dass das Tier wenige Tage nach der Injektion zugrunde 
gegangen ist, ohne dass eine Leukopenie oder ein deutlicher Gewichtsverlust 
eingetreten wäre. Das Verhalten der Erythrozyten ist nicht deutlich zu 
ersehen, da die Zählungen nicht oft genug ausgeführt waren. Man kann nur 
feststellen, dass sie nicht besonders geschädigt waren. Die mikroskopische 
Untersuchung der blutbildenden Organe liefert etwas Beachtenswertes. 

Knochenmark: Der Zellgehalt etwas vermindert. Die Zellen liegen diffus zer¬ 
streut. Die Erythroblasten beherrschen sehr stark das Mischverhältnis. Die polymorph¬ 
kernigen Leukozyten fast gänzlich verschwenden. Vermehrung der Plasmazellen. Viele 
Zellen mit Kernbröckeln und pyknotischen Kernen. Viele Phagozyten. Von den 
weissen Elementen findet man fast nur Myelozyten. Die Riesenzellen sehr spärlich und 
meistens verklumpt. Bei den Abstrichpräparaten viele Amitosen in den Erythroblasten. 

Milz: Verminderung des Zellgehaltes der Follikel und besonders der Pulpa. 
Leichte Vermehrung des Pigments und des Bindegewebes. 

Wir konstatieren also, dass die hämatopoietischen Organe stark ge¬ 
litten haben und zwar höchstwahrscheinlich unter der Wirkung des 
Thorium X, wie aus den Läsionen herauszulesen ist. Das Fehlen der 
Leukopenie scheint also hier doppelt merkwürdig zu sein. Sie war nicht 
nur infolge der bekannten Wirkung des Thorium X, sondern auch infolge 
der gefundenen Insuffizienz der blutbildenden Organe zu erwarten. Beide 
Umstände sind wieder geeignet, die Rolle zu zeigen, die sie bei der 
Thorium X-Vergiftung zu spielen hat. Einen ähnlichen Fall konnten wir 
bei der Verabreichung von Eisen beobachten. Einem Kaninchen wurden 
täglich während 15 Tagen grosse Mengen Eisen verabreicht und dann 


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342 


A. da SILVA MELLO, 


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eine mittelgrosse Dosis Thorium X eingespritzt, dies also zu einer Zeit, 
zu welcher im Körper eine sehr grosse Menge Eisen vorhanden war 
(mehr als 20 g). Die Thorium X-Injektion war von keiner Leukopenie 
gefolgt. Bei einem anderen ähnlichen Fall ist dagegen unter einer viel 
grösseren Thorium X-Dosis eine Leukopenie zustande gekommen. Unser 
Fall ist noch insofern beachtenswert, als durch die wiederholte Blut¬ 
entnahme keine Verminderung des Gewichts, eher eine leichte Zunahme 
eingetreten war. Das wäre schon in Zusammenhang zu bringen mit dem, 
was wir vorher bei dem Kaninchen Nr. 61 geäussert haben. Dies ist 
auch nicht als Ausnahme zu betrachten. Es scheint sogar, dass wir es 
hier mit einem konstanten biologischen Vorgang zu tun haben. Die 
nächsten Fälle bestätigen dasselbe. Sie sind auch wieder geeignet zu 
zeigen, wie die Erythrozyten sich bei einem unter der Wirkung von 
Thorium X stehenden Organismus zu regenerieren imstande sind. 


Kaninchen Nr. 64. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leukozyten 

37 ccm 


1 

2270 

51 

4 800 000 

11 920 



8 

2250 

34 

3 780 000 

6 300 



15 

2150 

42 

4 480 000 

7 100 

27 ccm 


22 

1900 

38 

4 040 000 

6 800 

28 ccm 


30 

2000 

38 

4 080 000 

5 200 

34 ccm 


38 

2270 

35 

3 500 000 

4 780 



43 

2300 

35 

4 000 000 

4 800 

33 ccm 


45 

2220 

39 

3 700 000 

4 700 



50 

2100 

40 

3 400 000 

6 300 

33 ccm 


52 

2200 

— 

— 

— 



54 

2130 

30 

2 980 000 

5 900 



58 

2050 

33 

4 000 000 

6 080 

30 ccm 


59 

— 

— 

— 

— 

30 ccra 


66 

2150 

34 

3 360 000 

5 600 

20 ccm 


73 

1870 

32 

4 180 000 

4 800 



75 

1700 

t 




Dieser Fall soll als Vergleichsobjekt gelten. Es wurde nach einer 
ersten Blutentnahme je einmal wöchentlich zwei Monate lang bis zum 
Eintritt des Todes des Tieres ein Aderlass ausgefiihrt. Jeder Aderlass 
war vergleichsweise so gross wie die Entnahme von einem Liter Blut 
bei einem erwachsenen Menschen. 

Wir sehen, dass das Tier alle diese Blutentnahmen beinahe bis zu 
der letzten vertragen hat, ohne an Gewicht abzunehmen. Auch das 
Hämoglobin und die Erythrozyten scheinen nicht stark gelitten zu haben, 
zumal sie bis zum Ende eine derartige Reaktion entfalten, dass sie nicht 
unter eine gewisse Höhe herunter gingen. Bei den Leukozyten war stets 
eine geringe Leukopenie wahrzunehmen. Ob wir den Tod des Tieres auf 
die wiederholte Blutentnahme zurückzuführen haben, können wir nicht 
mit Sicherheit entscheiden. Nach dem Blutbefund während des Lebens 
sowie nach dem autoptischen Befunde und der mikroskopischen Unter¬ 
suchung der blutbildenden Organe, scheint aber das nicht wahrscheinlich 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 843 

zu sein. Hier wäre die Wiederholung des Versuchs bei einer grossen 
Reihe von Tieren notwendig, um dies zu entscheiden. Wir können aber 
von dieser Feststellung absehen und uns nur mit der Tatsache begnügen, 
dass das Tier über lange Zeit hindurch diese Blutentnahme wenigstens 
scheinbar gut vertragen hat. Durch die Blutuntersuchung können wir 
auch gcwissermassen die Reaktion der hämatopoietischen Organe während 
der Zeit studieren. Folgende mikroskopische Untersuchung unterrichtet 
uns über den Zustand dieser Organe nach dem Tode. 

Knochenmark: Der Zellenreichtum viel grösser als nach dem Alter des 
Tieres zu erwarten wäre. Die Vermehrung betrifft hauptsächlich die erythroblastischen 
Elemente. Die weissen Elemente gleichfalls sehr zahlreich vorhanden. In dem gegen¬ 
wärtigen Mischverhältnis machen die Myelozyten den Ilauptanteil aus. Sonst nur 
Hyperämie zu konstatieren. 

Milz: Der Zellgehalt der Pulpa und der Follikel ungeheuer stark reduziert. 
Das Stützgewebe tritt deutlich hervor. Die Bluträume leer. Leichte Vormehrung des 
Pigments und des Bindegewebes. 

Es ist merkwürdig, dass der hier erhobene Befund fast bis in die 
Einzelheiten mit dem der Thorium X-Fällc übereinstimmt. Nur insofern 
besteht hier ein Unterschied, als die Hyperplasie des Knochenmarks haupt¬ 
sächlich durch die Vermehrung der erythroblastischen Elemente bedingt 
wird. Inwieweit diese Vorgänge in Zusammenhang stehen, müssen wir dahin¬ 
gestellt lassen. Es wäre nur vielleicht daran zu denken, dass diese wieder¬ 
holten grossen Blutentziehungen unbedingt als eine Schädigung für den 
Organismus und besonders für die blutbildenden Organe zu betrachten sind. 

In dem nächsten Fälle haben wir die Wirkung ähnlicher Blutent¬ 
nahmen wie in dem vorigen zu studieren versucht, als das Tier aber noch 
unter der Wirkung des Thorium X stand. 


Kaninehen Nr. 63. 


Blut¬ 

entnahme 

Thorium X 

Versuchs¬ 

tage 

Gewicht 

g 

Hämo¬ 

globin 

Erythrozyten 

Leukozyten 

30 ccm 

0,05 mg 

1 

1700 

60 

6 320 000 

7700 


25 

1800 

48 

4 540 000 

7700 



32 

1870 

45 

5 200 000 

7200 

30 ccm 

0,05 mg 

43 

2000 

43 

4 740 000 

5800 


46 

1820 

38 

4 040 000 

3050 

27 ccm 


50 

1870 

40 

3 330 000 

1SS0 

22 ccm 


57 

1850 

40 

3 340 000 

2500 



61 

2150 

40 

3 200 000 

5600 

32 ccm 


64 

| 2070 

43 

3 600 000 

2800 


0,05 mg 

65 

i — 

— 

— 

! — 


68 

; 2000 

43 

3 740 000 

1 2700 

30 ccm 


71 

: 2020 

— 

— 

— 



74 

i 2050 

42 

3 540 000 

| 3400 

25 ccm 


78 

2020 

53 

4 140 000 

4700 



81 

1 1950 

41 

3 280 000 

1 5300 

30 ccm 


85 

! 1900 

39 

3 780 000 

! 5700 


0,025 mg 

89 

1920 

— 

— 

— 


92 

1870 

41 

3 620 000 

! 7180 



95 

1 1750 

50 

4 240 000 

1 6380 

21 ccm 


97 

1620 

— 

— 

— 


Zeitschr. f. klin. Medi/.in. 81. lld. H. 3 u. 4. 23 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



344 


A. da SILVA MELLO, 


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Knochenmark: Der Zellgehalt noch sehr gross, trotzdem er erheblich ver¬ 
mindert zu sein scheint. Das Stützgewebe tritt stark hervor. Die Zellen liegen mehr 
diffus verteilt. Sehr zahlreich sind die roten Knochenmarkselemente. Bei den weissen 
herrschen die Myelozyten vor, obschon die Polymorphkernigen auch zahlreich zu 
finden sind. Die Riesenzellen meistens verklumpt mit pyknotischen stark gefärbten 
Kernen. Auch viele Zellen mit pyknotischem Kern und Kernbröckeln. Kleine 
Blutungen. 

Milz: Stark anämisch. Die Bluträume fast ganz leer. Der Zellgehalt der Pulpa 
scheint nur leicht vermindert zu sein. Die Lymphfollikel scharf gegen die Umgebung 
abgesetzt, auch kleiner und zellärmer als in der Norm. Leichte Vermehrung des 
Pigments und des Bindegewebes. Beachtenswert war auch die enorme Menge von 
Zellen mit phagozytärem Charakter. 

Wir sehen, dass das Tier ein ähnliches Verhalten zeigt, wie das 
vorige. Hier konstatieren wir wieder, dass das Körpergewicht nicht ab- 
nimrat, sondern stark zunimrat, trotz der wiederholten Einspritzungen 
von Thorium X, Einspritzungen, die ganz enorme Leukopenien zu er¬ 
zeugen imstande waren. Das ist wieder ein Beweis dafür, dass die Ab¬ 
nahme des Körpergewichts nicht zu den Symptomen der Thorium X- 
Vergiftung zu gehören braucht. Besonders beachtenswert in diesem Falle 
ist das Verhalten des Hämoglobins und der roten Blutkörperchen. Wir 
können wahrnehmen, dass sie nicht mehr leiden als die im vorigen Falle, 
in welchem kein Thorium X verabreicht war. Es scheint sogar, wenn 
man nach dem Färbeindex urteilt, als ob die hämatopoietischen Organe 
eine bessere Reaktion gezeigt hätten. Wie dem auch sei, . so können 
wir doch die wichtige Tatsache feststellen, dass das erythropoietische 
System eine regenerative Reaktion entfalten kann, selbst wenn es unter 
der direkten Wirkung des Thorium X steht und wenn sich dabei noch 
eine starke Lcupenie geltend macht. Diese beiden Umstände sind ge¬ 
eignet, gewissermassen den sogenannten refraktären Zustand der roten 
Blutkörperchen gegen das Thorium X zu erklären. 

Wir wissen jetzt, dass die Leukopenie mit einer Hyperplasie des 
Knochenmarks vereinbar sein kann. Die Annahme, dass die Leukopenie 
nur durch eine Hypofunktion, eine Insuffizienz, eine Vernichtung der 
blutbildenden Organe zustande kommt, ist ein falscher Schluss, den man 
aus pathologischen Veränderungen gezogen hat, die durch ungeheure 
Mengen von strahlender Energie erzeugt waren; wenn er überhaupt zu¬ 
treffend sein kann, ist er es nur für die Fälle von schnell tödlich 
endender Vergiftung. Dasselbe gilt für die roten Blutkörperchen. Das 
Fehlen einer Anämie oder irgend einer anderen Veränderung bei den 
Erythrozyten ist nur bei der hyperakuten tödlichen Vergiftung, eventuell 
durch eine lange Lebensdauer dieser Zellen, zu erklären. Bei den an¬ 
deren Fällen kann keinesfalls diese Erklärung als richtig gelten. Wir 
haben gesehen, dass bei vielen Fällen, lange Zeit nach der Thorium X- 
Einspritzung, sich eine langdauernde, zuweilen sehr starke Anämie ent¬ 
wickelt. Es wäre naheliegend, sie durch die alte Theorie so zu erklären, 
dass die Erythrozyten infolge ihrer langen Lebensdauer so lange Zeit 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 345 

normal im Blute weilen konnten und dass die Anämie erst eintrat, wenn 
sie alt geworden, anfingen zugrunde zu gehen. Das Knochenmark wäre 
dann noch nicht völlig regeneriert, um diesen Untergang zu decken. Die 
Theorie wäre leicht in Einklang mit allen bekannten Tatsachen zu 
bringen. Sie ist auch ausgesprochen worden. Sehr interessant war noch, 
dass man histologische Veränderungen bei den roten Blutkörperchen ge¬ 
funden hat, Veränderungen, die erst lange nach der Thorium X-Ein¬ 
spritzung eintraten und die also in demselben Sinne gedeutet werden 
mussten. Wir haben auch solche Veränderungen studiert und werden 
bald darauf zurückkommen. Aus allen unseren Versuchen geht hervor, 
dass die obige Vorstellung nicht richtig sein kann. Die spät eintretende 
Anämie und die Veränderungen der Erythrozyten können nur als eine 
indirekte Schädigung aufgefasst werden, wovon schon mehrmals die Rede 
war. Sie können nicht auf Insuffizienz oder Hypoplasie des erythro- 
poietischen Systems zurückgeführt werden. Unsere zuletzt erwähnten 
Versuche mit Blutentnahmen und Thorium X-Einverleibung beweisen dies 
zur Genüge. Sehr merkwürdig wäre auch, dass diese Ausfallserschei¬ 
nungen erst zu einer Zeit eintreten sollten, in welcher meistens die 
Leukozyten schon meist zur Norm zurückgetreten waren. Nach unseren 
Versuchen ist noch weiter anzunehmen, dass im Gegenteil durch das 
Thorium X ein Mehrverbrauch von Erythrozyten im Körper stattfindet. 
Die Pigmentrailz, die wir immer und immer wieder unter der Thorium X- 
Wirkung entstehen sehen, ist zweifellos ein Zeichen dieses vermehrten 
Verbrauches. Der Umstand, dass sie auch bei den Fällen, bei welchen 
keine Anämie sich entwickelt hat, gefunden wird, lässt schliessen, dass 
dieser Mehrverbrauch durch eine Ueberproduktion vollständig gedeckt wird. 
Durch unsere Versuche hat dieses Verhalten an sich nichts Merkwürdiges. 

Histologische Veränderungen der Erythrozyten. 

Was die feinen Veränderungen der roten Blutkörperchen unter der 
Thorium X-Wirkung anbetrifft, können wir zum Teil den Befund Arneths 
bestätigen. Durch mittelgrosse Thoriumdosen konnten wir auch bei den 
Erythrozyten die Entwicklung einer progressiven Polychromatophilie und 
Anisozytose konstatieren, die wenige Tage nach der Injektion beginnt 
und ihren Höhepunkt um die vierte Woche herum erreicht. 

Die Polychromatophilie entwickelt sich derart, dass zuerst ver¬ 
einzelte leichte Polychromatophile erscheinen, deren Zahl immer grösser 
und deren Polychromatophilie immer ausgeprägter wird, sodass man auf 
der Höhe des Prozesses 10 und mehr solcher Zellen im Gesichtsfeld 
finden kann. Von Anfang an kann man auch beobachten, wie viele von 
diesen Zellen die Tendenz haben, sich stark zu vergrössern. Die Aniso¬ 
zytose verläuft ungefähr mit der Polychromatophilie parallel und die 
grössten Exemplare sind immer polychromatophil. Wenn die Polychro¬ 
matophilie ungefähr auf ihrem Höhepunkt angelangt ist, beginnen basophil 

23* 


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346 


A. da SILVA ME LU), 


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punktierte ortho- und polychromatische Erythrozyten zu erscheinen, deren 
Zahl dann immer grösser und grösser wird, um den Höhepunkt zu er¬ 
reichen, wenn die Polychromatophilie sich schon deutlich reduziert hat. 
Diese beiden Vorgänge verlaufen also nicht parallel. Wie sie Zusammen¬ 
hängen, müssen wir dahingestellt lassen. Wenn die Punktierung am 
stärksten ist (und dann kann man zwischen den Ortho- und Polychro¬ 
matophilen 10 und mehr solcher Zellen im Gesichtsfeld finden), sind fast 
alle vorhandenen Polychromatophilen punktiert. Diese Punktierung ent¬ 
wickelt sich allmählich; im Anfang ist sie nur angedeutet, wird nachher 
immer stärker und dann findet man nebeneinander deutliche fein und 
grob punktierte Zellen. Eine Poikilozytose wurde niemals beobachtet. 

Die Polychromatophilie, die Punktierung, die Anisozytose dauern 
mit Schwankungen eine Zeitlang — ungefähr 2 Wochen — an, um dann 
allmählich abzuklingen. Bei allen diesen Vorgängen scheint noch die 
Individualität des einzelnen Tieres eine grosse Rolle zu spielen. Nicht 
nur in der Zeit, in welcher sie erscheinen und verschwinden, sondern in 
der Stärke, wie sie sich ausprägen, kann man die stärksten Variationen 
beobachten. Das ist vielleicht davon abhängig, dass man oft schon bei 
normalen Kaninchen eine deutliche Polychromatophilie, sowie auch oft 
eine Anisozytose feststellen kann. Das ist eine schon mehrfach gemachte 
Beobachtung, die wir ebenfalls zu verschiedenen Malen anstellen konnten. 
Die Polychromatophilie ist zuweilen derart ausgeprägt, dass man mehrere 
Exemplare im Gesichtsfeld finden kann. Dabei können einige Zellen so 
stark pychromatiseh sein, dass man sie durch eine oberflächliche Beob¬ 
achtung für Lymphozyten halten könnte. Alle diese Umstände erschweren 
beträchtlich die Beurteilung solcher Vorgänge bei der Thorium X-Wirkung. 

Hier möchten wir eine Angabe Arneths näher analysieren. 

Er berichtet über einen Fall, in welchem eine zweite Thorium X-Injektion ge¬ 
macht wurde, folgcndermassen: „Etwa sieben Wochen nach der ersten Injektion 
(600000 M.-E.) waren die roten Blutkörperchen noch nicht zu den normalen Ver¬ 
hältnissen zurückgekehrt. Es war noch fast in jedem Gesichtsfelde ein polychromatischer 
Erythrozyt zu finden, auch punktierte, ausserdem geringe Anisozytose und sogar bei 
längerem Durchmustern des Präparates ein Normoblast. Es wurde dann dem Tier eine 
Dosis von 2000000 M.-E. Thorium X injiziert. Das Resultat war ein umgekehrtes. 
Die pathologischen Zellformen schwanden immer mehr aus dem Blutbilde, und 5 bis 
6 Tage nach der Einspritzung war der Blutbefund fast normal. Auch noch 3 Wochen 
später waren die Roten noch normal; es war keine Anisozytose vorhanden und nur 
etwa in jedem zehnten Gesichtsfelde ein Polychromatischer zu finden, das also zu 
einer Zeit, in weicher der Höhepunkt der Erythrozytonschädigung durch eine einzige 
Injektion zu finden ist.“ 

Arnetli schliesst dann auf eine gegenteilige Wirkung: „bei vorher 
normalem Blutbilde der Erythrozyten erzeugt die Thorium X-Injektion 
eine Schädigung desselben, bei vorher geschädigtem Blutbilde dagegen 
eine Sanation desselben. u Aus diesem Befunde schliesst er dann noch, 
dass die günstige Wirkung des Thorium X bei der perniziösen Anämie 
sich so leichter verstehen lässt. Dies sind sicher viel zu weitgehende 
Folgerungen. Wir müssen zuerst bemerken, dass die Sanation des durch 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Experimentollc Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usvv. 347 


eine erste Thorium X-Einspritzung geschädigten Blutbildes der Erythro¬ 
zyten durch eine zweite Thorium X-Injektion um so merkwürdiger er¬ 
scheint, als diese zweite Injektion ungeheuer gross, fast als eine tödliche 
zu betrachten war (2000000 M.-E.). Dies würde schon an sich ein 
höchst unverständliches biologisches Verhalten sein. Ob das Blutbild der 
Roten vor der zweiten Injektion noch durch die erste geschädigt war, 
oder ob wir es da nur mit einem zufälligen Befund zu tun haben, sind 
Fragen, die nicht zu beantworten sind. Wir haben jedenfalls gesehen, 
dass die Polychromasie und die Anisozytose oft bei dem normalen 
Kaninchen zu finden sind. Der Normoblast kann auch im peripheren 
Blut anscheinend ganz gesunder Kaninchen gefunden werden. Die Haupt¬ 
sache ist aber, dass Arneth seine Schlüsse nur aus einem einzigen Falle 
gezogen hat, einem Falle, in welchem keine Hämoglobinbestimraung und 
keine Erythrozytenzählung stattgefunden hat. Bei unseren Experimenten 
konnten wir zuweilen durch eine erste oder eine zweite Thorium X- 
Injektion die pathologischen Formen der roten Blutkörperchen zum 
Schwinden bringen. Dies war aber kein konstanter Befund. In vielen 
Fällen konnten wir auch, wenn schon die Erythrozyten normal oder fast 
normal waren, durch eine zweite Thorium X-Einspritzung wieder dieselben 
pathologischen Veränderungen eintreten sehen. Dass aber, wie Arneth 
annimmt, eine zweite, fast tödliche Thorium X-Injektion eine Sanation der 
Erythrozyten erzeugen sollte, ist nach all dem, was wir jetzt von der 
Thorium X-Wirkung wissen, als unmöglich zurückzuweisen. (Jm den 
Vorgang aufzuklären, wäre an die vermehrte Zerstörung von Erythrozyten 
in der Milz zu denken. Dass dabei die jungen oder alten, oder besser die 
pathologischen Formen, zuerst zugrunde gehen sollten, wäre an sich nicht 
wunderlich. 

IV. Partielle Ergebnisse. 

47. Das Hämoglobin und die Erythrozyten können sich regenerieren 
und selbst gewaltig überkompensiort werden, wenn ein Tier unter einer 
Thorium X-Wirkung steht, die das Körpergewicht un.d die Leukozyten¬ 
zahl stark beeinträchtigt. 

48. Dieser Umstand ist geeignet zu zeigen, wie wenig das erythro- 
poietische System durch die Thorium X-Wirkung geschädigt zu werden 
braucht. Der Organismus kann unter der Wirkung des Thorium X intensiv 
leiden und dabei das erythropoietische System seine volle Funktion und 
selbst eine Hyperfunktion entfalten. Es ist dasselbe, das wir schon für 
das leukozytäre System kennen gelernt haben. Diese beiden Vorgänge 
sind leicht durch die gefundene Knochenmarkshyperplasie zu erklären. 

49. Durch gleichzeitige Blutentnahme kann ein Tier ziemlich grosse 
Dosen Thorium X vertragen ohne an Körpergewicht abzunehmen, ja es 
kann sogar dabei beträchtlich zunehraen. Dieses Verhalten ist allein auf 
die Wirkung der Aderlässe zurückzuführen, weil die Aderlässe für sich 
allein imstande sind eine solche Wirkung zu entfalten, und weil die ver¬ 
abreichten Dosen Thorium X eher eine gewichtserniedrigende Wirkung 


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ausüben würden. Wie sich diese beiden Wirkungen zusammen vereinigen, 
war nicht möglich aufzuklären. Doch geht daraus hervor, dass zu den 
Thorium X-Schädigungen ein Gewichtsverlust nicht zu gehören braucht. 
(Eine nächste gleichgrosse Thorium X-Einspritzung zeigt, dass die vorige 
nicht schadlos vertragen wurde.) 

50. Die Annahme, dass die roten Blutkörperchen wenig unter d$r 
Thorium X-Wirkung leiden, weil sie eine lange Lebensdauer besitzen und 
so ohne Schaden lange in der Blutbahn verweilen können, kann nur für 
die Fälle von hyperakuten schnell tödlich verlaufenden Vergiftungen mit voll¬ 
ständiger Vernichtung des erythropoietischen Systems angenommen werden. 

Bei den anderen Fällen muss aber eine Hyperdestruktion von Erythro¬ 
zyten angenommen werden, die durch eine Hyperproduktion vollständig 
gedeckt werden kann. 

Zusammenfassende Hauptschlüsse. 

Das Thorium X ist imstande, nicht nur eine akute, unmittelbar 
tödliche Vergiftung, sondern auch eine chronische eventuell nach Monaten 
tödlich endende Vergiftung zu erzeugen. 

Symptome dieser chronischen Thorium X-Schädigung können eine 
langdauernde Gewichtsabnahme oder eine langdauernde Anämie oder 
Leukopenie sein (in einem Fall hat die Leukopenie fast 3 Monate ge¬ 
dauert). Diese Symptome können isoliert oder miteinander kombiniert auf- 
treten. Sie können auch alle drei fehlen und trotzdem kann das Tier noch 
unter der Wirkung des Thorium X leiden. Dies geht daraus hervor, 
dass die Einverleibung einer ganz kleinen Dosis Thorium X, die ganz 
geringe und vorübergehende Symptome bei einem nicht vorbehandelten 
Tiere hervorrufen würde, als zweite Injektion schwere Symptome und 
selbst den Tod herbeiführen kann, obgleich das Tier sich anscheinend 
in jeder Beziehung von der ersten Injektion vollständig erholt hat (der 
Körper kann seit langem frei von Thorium X sein, das Gewicht, das 
Hämoglobin, die Erythrozyten- und Leukozytenzahl können schon längst 
über die Anfangshöhe hinaufgestiegen sein). 

Weder bei der akuten noch bei der chronischen Thorium X-Vergiftung 
kann man den Tod des Tieres auf Veränderungen der hämatopoietischen 
Organe zurückführen. Dies geht für die akute Vergiftung daraus hervor, 
dass die Knochenmarkselemente und besonders die Lymphfollikel der 
Milz noch zum grossen Teil erhalten, und dass neben den Zerstörungs¬ 
vorgängen deutliche Zeichen von Regeneration (Mitosen) zu finden sind, 
wenn das Tier unter der Vergiftung stirbt. Dafür spricht auch, dass 
man nach Applikation übertödlicher Giftdosen noch weitergehendc Ver¬ 
änderungen finden, und auch durch Röntgenstrahlen viel stärkere Zer¬ 
störungen der blutbildenden Organe erzeugen kann, ohne dass die Tiere 
unmittelbar daran zugrunde gehen. Was die chronische Vergiftung an- 
betriirt, so kann sie keinesfalls in Zusammenhang mit Schädigungen der 



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Experimentelle Untersuchungen über die biologische Wirkung des Thorium X usw. 349 


blutbildenden Organe gebracht werden. In solchen Fällen, und selbst 
wenn das Tier unter der indirekten Wirkung des Thorium stirbt, findet 
man das Knochenmark in hyperplastischem Zustande. 

Die Leukopenie hat uns lange irregeführt, den Thorium X-Tod immer 
auf die morphologischen Läsionen der häraatopoietischen Organe zurück¬ 
führen zu wollen. Sie muss jetzt als ein konkomitierendes, neben¬ 
sächliches Symptom aufgefasst werden. Sie braucht keinesfalls der Aus¬ 
druck der Vorgänge zu sein, die sich in den blutbildenden Organen ab¬ 
spielen. Sie kann am stärksten sein, wenn das Knochenmark direkt in 
Hyperplasie sich befindet. Ihre untergeordnete Bedeutung geht auch 
daraus hervor, dass während ihres Bestehens enorme Eiterungen sich 
entwickeln können oder dass eine Pneumonie zu normaler Resolution 
kommen kann. Sie kann auch fehlen, wenn das Tier schwer mit Thorium 
vergiftet ist. Ungefähr dasselbe gilt für die Vorgänge, die sich an dem 
crythropoietischen System abspielen. Das Hämoglobin und die Erythro¬ 
zyten können sich regenerieren und selbst gewaltig überkompensiert 
werden, wenn ein Tier unter einer Thorium X-Wirkung steht, die das 
Körpergewicht und die Leukozytenzahl stark beeinträchtigt. 

Aus unseren Experimenten müssen wir mit bezug auf die blut¬ 
bildenden Organe annehmen, dass eine enorm verschiedene, ja eine direkt 
entgegengesetzte Wirkung zwischen den Röntgenstrahlen einerseits und 
dem Thorium X andererseits besteht. Das Thorium X übt direkt nur 
eine als geringfügig zu bezeichnende Wirkung auf das lymphoide Gewebe 
aus. Das myeloische Gewebe wird dagegen von ihm früher und intensiver 
geschädigt. Dies geht nicht nur aus den anatomischen Läsionen, sondern 
auch aus den Blutuntersuchungen während des Lebens hervor. Daraus 
erklärt sich auch in vieler Hinsicht die Verschiedenheit ihrer Wirkung bei 
einem und demselben Krankheitsfalle. 

Erklärungen der Figuren auf Tafel 111. 

Figur 1. Mikrophotographie Lumiere. Leitz: Obj. 1 / i2 a, Komp.-Ok. 6, Vergr. 800:1. 

Knochenmark des Kaninchens Nr. 8 (akute tödliche Vergiftung). Neben den 
Zerstörungsvorgängen deutliche Zeichen von Regeneration (Mitosen). 
Figur 2. Leitz: Obj. 5, Ok.O, Tub.175. Eosin-Hämatoxylin. Milz desselben Kaninchens 
(akute tödliche Vergiftung). Die Lymphfollikel relativ gut erhalten; die 
Hauptveränderungen spielen sich in der Pulpa ab (vgl. Figur 5.) 

Figur 3. Leitz: Obj. 3, Ok. 1, Tub. 175. Eosin-Hämatoxylin.J Knochenmark des 
Kaninchens Nr. 30 (chronische Vergiftung). Enorme Hyperplasie der 
Knochenmarkselemente, die mit einer starken Leukopenie einherging. 
Figur 4. Leitz: Obj. 3, Ok. 1, Tub. 175. Eosin-Hämatoxylin. Milz des Kaninchens 
Nr. 67 (chronische Vergiftung). Ungeheure Menge von Pigment, Ver¬ 
minderung der Follikel- und Pulpazellen, Vermehrung des Bindegewebes. 
Figur 5. Leitz: Obj. 3, Ok. 0, Tub. 175. Eosin-Hämatoxylin. Milz des Kaninchens 
Nr.70 (schwere akute Vergiftung; das Tier ist auf der Höhe der Leukopenie, 
7 Tage nach der Thorium X-Einspritzung, getötet worden). Die Lymph¬ 
follikel fast normal, Hauptschädigungen in der Pulpa. 


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Figur 6. Leitz: Obj. 3, Ok. 3, Tub. 14. Hämatoxylin-Eosin. Lymphdrüse— Akute 
Thorium X-Vergiftung. Enorme, zahlreiche Blutungen, die Lymphozyten 
zum Teil ganz gut erhalten. 


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354 A. da SILVA MELLO, Exper.Untersuch, üb. d. biolog. Wirkung d.Thorium X. 


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Sebileau, Action des rayons X sur la gestation. Semaine möd. 1906. Nr. 56. — 
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Radium- und Mesothoriumbestrahlung. Ihre theoretischen Grundlagen und ihre prak¬ 
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Strahlentherapie. Med. Klinik. 1913. Nr. 50 u. 51 und 1914. Nr. 15 u. 16. — 149) 
Derselbe, Beiträge zur Klinik der Hämatologie. Berliner klin.„Wochenschr. 1913. 
Nr. 32. — 150) Prado-Tagle, Beitrag zur ambulatorischen Trinkkurbehandlung 
mit Thorium X bei perniziöser Anämie. Ebenda. 1912. Nr. 52. — 151) Tatarsky, 
Experimentelle Untersuchungen über die Einwirkung der Röntgenstrahlen auf 
tierisches Blut. Zeitschr. f. med. Elektrologie u. Röntgenkde. 1907. Bd. 19. — 152) 
Thies, A., Wirkung der Radiumstrahlen auf verschiedene Gewebe und Organe. 
Mitteil, aus d. Grenzgeb. 1905. Bd. 14. — 153) Tschernorutzky, Ueber den Ein¬ 
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gerufenen Veränderungen. Strahlentherapie. 1914. Bd. 4. H. 2. — 155) v. Wasser¬ 
mann, A., Analyso der Wirkung radioaktiver Substanzen auf Mäusekrebs. Deutsche 
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Strahlentherapie. Bd. 3. H. 2. — 157) Wermel, Ueber die Eigenschaften des Blutes 
bzw. Serums nach Einwirkung der Röntgenstrahlen. Münchener med. Woohenschr. 
1914. Nr. 6. — 158) Werner und Werner u. Ascher, Ueber die chemische Imi¬ 
tation der Strahlenwirkung und ihre Verwertbarkeit zur Unterstützung der Radio¬ 
therapie. Strahlentherapie. Bd. 1. H. 4. — 159) Wetterer, Handbuch der Röntgen¬ 
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Wochenschr. 1913. Nr. 22 u. 23. — 161) Wöhler, Experimentelle Beiträge zur 
Wirkung der Röntgenstrahlen auf menschliches Blut. Inaug.-Dissert. 1908. — 162) 
Ziegler, Ueber die klinischen und histologischen Folgeerscheinungen isolierter 
Milzbestrahlung mit Röntgenstrahlen. Zeitschr. f. Elektr. u. Röntgenkunde. 1907. Bd.9. 


Druck von L. Schuma« her in Berlin N, 4. 



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TuMl. 




Fig.6 

£■ Laue. Liik Inst Berlin. 


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XVI. 


Aus dem biochemischen Laboratorium (Prof. Dr. M. Jacobv) des städtischen 
Krankenhauses Moabit in Berlin. 

Ueber das Wesen der experimentellen Ausschwemnuings- 
nephritis (Pohl) nach Uran Vergiftung. 

Von 

L. Dünner. 

Urämie ist chemisch durch Harnverrainderung und Retention charak¬ 
terisiert. Sie wird sowohl klinisch wie experimentell bei bestimmten 
Nierenschädigungen beobachtet und kann als ein wohlbekanntes Krank¬ 
heitsbild in der Nierenpathologie gelten. Um so interessanter sind 
Beobachtungen, die Pohl vor einigen Jahren mitteilte, und die aus ver¬ 
schiedenen Gründen Gegenstand weiterer Untersuchung von anderer Seite 
geworden sind; denn die Pohlschen Experimente brachten ganz neue 
Gesichtspunkte zu der Frage der Urämie, insofern sie Folgeerscheinung 
der subakuten und chronischen Nephritis ist. Pohl fand nämlich, dass 
das äusserst starke Gift des Urannitrates in ganz geringen Dosen, etwa 
0,00035 g, Kaninchen von mittlerem Gewicht subkutan injiziert ein merk¬ 
würdiges Krankheitsbild hervorrief: In den ersten Tagen nach der Ein¬ 
spritzung bleibt die Menge des Urins, der Eiweiss enthält, unverändert 
und auch die täglichen N- und NaCl-Mengen bewegen sich innerhalb 
derselben Grenzen wie vorher, um aber dann nach etwa 7—9 Tagen 
einen anderen Charakter anzunehmen. Es erfolgt nämlich eine recht 
starke Polyurie, die manchmal sogar das Doppelte, Dreifache und Vier¬ 
fache der gewöhnlichen Harnmenge liefert. Mit der starken Polyurie 
geht eine erhöhte Ausschwemmung von N und NaCI einher. Dieser 
Zustand bleibt mehr oder weniger bis zum Tode der Versuchstiere be¬ 
stehen, der ungefähr nach 14 Tagen erfolgt. Der Urin enthält vom 
Beginn der Vergiftung an Eiweiss, der prozentuale Gehalt geht allerdings 
im Verlaufe der Krankheit entsprechend der Steigerung der Polyurie 
herunter; jedenfalls aber ist Albumen bis zum Exitus der Kaninchen 
nachzuweisen. Die Nierensymptome sind um so imponierender, als 
in der Zeit der gesteigerten Ausscheidung an Wasser, N und NaCI die 
Kaninchen nicht mehr Futter und speziell nicht mehr Wasser zu sich 
nehmen; im Gegenteil, mit Fortschreiten des Krankheitsbildes nimmt die 
Fresslust immer mehr ab. Unter stetigem Gewichtsverlust sterben die 
Tiere in vollkommen atrophischem Zustand bei dauernder Harn- 
sekretion. So ergibt sich, wie man aus den Pohlschen Versuchen cr- 

Zeitschr. f. klin Medizin. 81. Bd. H. o u. 6 . 91 


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356 L. DÜNNER, 

sehen kann, ein Symptomenkomplex, bei dem sieh vergleichende Be¬ 
trachtungen mit dem üblichen Bilde der Urämie aufdrängen, und man 
kommt zu dem Resultat, dass die Uranvergiftung (in bestimmter Kon¬ 
zentration) und die Urämie entgegengesetzte Symptome darbieten; auf 
der einen Seite Harnflut, Ausschwemmungen von N und NaCl, auf der 
anderen Harnverminderung bzw. Anurie, Retention von N und ev. auch 
von NaCl. Die Pohlschc Nephritis verdient noch aus einem anderen 
Grunde besonderes Interesse: Der charakteristische Symptomenkomplex 
der Ausschwemmung entwickelt sich nämlich nicht akut im direkten 
Anschluss an die Vergiftung, sondern setzt erst nach einigen Tagen ein. 
Es handelt sich also um eine subakute Nephritis. Pohl konnte in einer 
grösseren Versuchsreihe immer wieder die subakute Nephritis erzeugen, 
auf die nach einigen Tagen die Polyurie folgt, unter der die Tiere 
schliesslich zugrunde gehen. Um das Wesen dieser Affektion noch ge¬ 
nauer zu präzisieren, insbesondere um die Herkunft der grossen Urin¬ 
menge zu eruieren, verminderte Pohl bei einigen mit Uran vergifteten 
Tieren die übliche Tageswasserration. Trotz der verminderten Wasser¬ 
zufuhr stellt sich die Polyurie prompt ein und hält sich bis zum Tode. 
Diese Tiere scheiden durch den Harn mehr Wasser aus, als sie auf¬ 
nehmen. Auch die Chlorentziehung scheint nicht, nach Pohl, die 
letzte Ursache der subakuten Urannephritis zu sein; denn Kochsalzzufuhr 
schützt nicht vor dem letalen Ausgang. Er vermutet daher, dass viel¬ 
leicht in der Niere selbst die Bedingungen liegen, die die Polyurie im 
Gefolge haben. Daher unterwarf er die Nieren einer weitgehenden 
mikroskopischen Untersuchung. 

Er fand immer nach 10—14 Tagen dauernder Erkrankung folgendes: Die Glome- 
ruli erschienen völlig intakt, die Schlingen prall der ganzen Kapsel anliegend, hin¬ 
gegen die Tubuli contorti hochgradig verändert. Das Epithel derselben entweder 
nekrotisch oder fehlend. Die Tunica propria blossliegend. Wo die Epithelzellen mit 
normaler Farbspeickerungsfahigkeit noch vorhanden, sind sie niedrig und abgeplattet. 
Auch in der Medullaris fällt die Epithelverarmung als das Wesentliche auf. Die 
tubuläre Struktur des Gewebes ist ganz verloren gegangen und ist einem alveolären 
Bau gewichen. Die Niere sieht wie durchlöchert, gepinselt aus. Aus seinen Abbil¬ 
dungen glaubt Pohl schliessen zu dürfen, dass die erwähnten nekrobiotischen Epi- 
tholien mit dem Harnstrom ausgeschwemmt werden, dass ausserdem durch die starke 
Glomerularsekretion eine Dilatation der Harnkanälchen gesetzt wird. 

Der pathologische Befund lässt in Pohl den Gedanken auftauchen — 
er erklärt selbst, dass er ihn keineswegs als bewiesen ansieht —, dass 
die Polyurie in ursächliche Beziehung mit dem Fehlen der Epithelien ge¬ 
bracht werden kann, derart, dass der dünne Harn das Gloraerulusfiltrat 
darstellt, das nichts mit der harnausscheidenden Fähigkeit zu tun hat, das 
durch den Fortfall der Epithelien der Rückresorption entgangen ist. 

Die pathologische Morphologie der Nioren bei subakuter Urannephritis, wie sie 
Pohl angibt, ist in der Folgezeit nicht unwidersprochen geblieben. Aus dem 
Aschoffschen Institut in Freiburg publizierte Baehr Arbeiten, die die Anatomie der 
Urannephritis behandelten. Baehr kommt zu anderen Resultaten wie Pohl. 



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Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 357 


Hier soll auf dieses Thema nicht näher eingegangen werden, da es in einer anderen 
Publikation, die gemeinsam mit Herrn Dr. Siegfried, der den anatomischen Teil 
meinerTierversuche übernommen hat, erfolgt, ohnedies im Zusammenhang erörtert wird. 

Für die folgenden Betrachtungen ist diese anatomische Meinungs¬ 
differenz zunächst nicht direkt von Bedeutung. Wir können uns mit den 
biologisch interessanten Faktoren, die Pohl gefunden hat, vorerst be¬ 
scheiden, dass, um es nochmals kurz zu rekapitulieren, ein mit einer be¬ 
stimmten Menge Urannitrat vergiftetes Tier nach einiger Zeit starke 
Polyurie bekommt, die bis zum Ende anhält. Begleitet ist die Polyurie 
von einer erhöhten Ausscheidung von N und unter deutlicher Chlorver¬ 
armung kommen die Tiere zum Exitus. Der Gegensatz zwischen dem 
geläufigen Bilde der Urämie und der Pohlschon subakuten Nephritis ist 
eklatant. Die Studien Pohls veranlassen eine Reihe interessanter Fragen, 
deren Beantwortung in der vorliegenden Arbeit versucht werden soll. 

1. Zunächst musste eine Nachprüfung der PohIschen Experimente 
gemacht werden. 

2. Bei der Pohlschen Urannephritis findet man neben den Symptomen, 
die wie die Albuminurie die Erkrankung der Nieren überhaupt anzeigen, 
eine erhebliche Ausschwemmung von Körpcrbestandteilen. Man muss sich 
nun fragen, ob diese Ausschwemmung eine Folge der gestörten Nierentätig¬ 
keit ist, oder ob sie eine ausser der Nierenschädigung durch das Uran be¬ 
wirkte Schädigung anderer Organe ist. Es ist klar, dass es für die Patho¬ 
logie der Nierenkrankheiten von grosser Bedeutung sein muss, wenn schwere 
Konsumption von Körpersubstanz durch eine primäre Nierenschädigung 
möglich ist. Der Lösung dieser Frage ist der zweite Teil gewidmet. 

Der 3. Abschnitt soll Aufschluss geben, ob es möglich ist, die Pohlsche 
Nephritis pharmakologisch durch Kalksalzc und Kochsalz zu beeinflussen. 

I. Nachprüfung der Pohlschen Versuche. 

Wir haben zunächst einige Tierversucho gemacht, die lediglich eine 
Nachprüfung der Pohlschen Experimente darstellen sollten, weil wir für 
unsere weiteren Versuche wissen mussten, ob und inwieweit individuelle 
Schwankungen möglich sind. Dazu sahen wir uns um so mehr ver¬ 
anlasst, als Baehr in seinen Arbeiten einzelne mit Uran vergiftete Tiere 
sah, deren Nephritis sich nicht mit dem im allgemeinen beobachteten 
Krankheitsbild deckte. Unsere reinen Pohl-Tiere dienten gleichzeitig als 
Kontrollen für andere Versuche. Der Verlauf der Vergiftung gestaltete 
sich derartig, dass er eine gesonderte Besprechung erfordert, der wir 
einige Bemerkungen über die Haltung der Tiere und die chemischen 
Untersuchungsmethoden vorausschicken wollen. 

Wir haben, soweit es sich durchführen liess, Tiere von möglichst gleichem Ge¬ 
wicht in Stoffwechselkäfigen gehalten, die es gestatten, den gesamten Urin von 
24 Stunden genau zu sammeln. Die Tiere wurden jeden Tag gewogen. Noch ehe 
die Vorperiode des Versuches angefangen wurde, liessen wir die Kaninchen einige 
Tage zur Gewichtseinstellung bei einer bestimmten Nahrung, für die wir im allge- 

24* 


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358 L. DÜNNER, 

meinen Hafer und Wasser bestimmten. Auf die Verabreichung von Rüben glaubten wir 
verziohten zu müssen, weil, wie auch schon Pohl erwähnt, Rüben zu viel Wasser ent¬ 
halten, und es darauf ankommt, die Unabhängigkeit der Polyurie von dem zugeführten 
Wasser darzutun. Stattjder Rüben gaben wir den Tieren Hafer, der wasserarm ist. 

Im Verlauf unserer Versuche haben wir als tägliche Nahrung 90 g Hafer und 90 ccm 
Wasser als Jausreichend kennen gelernt. Die nicht eingenommene Hafer- und Wasser¬ 
menge wurde nach 24StundenJzurückgewogen bzw. gemessen. Aus den Tabellen ist er¬ 
sichtlich, dass nicht immer alles angebotene Futter bzw. Wasser von den Tieren genom¬ 
men wurde. Die in den Tabellen angeführten Zahlen sind die tatsächlich gefressenen 
und getrunkenen Quantitäten. Eine Gewichtseinstellung der Tiere gelingt nun bei einer 
solchen Nahrung in wenigen Tagen. Es ist empfehlenswert, den Urin der Kaninchen auch 
schon in dieser Periode täglich auf Eiweiss, Zucker und Blut zu untersuchen. Wir haben 
des öfteren die unangenehme Beobachtung machen müssen, dass, noch ehe die eigent¬ 
lichen Versuche begannen, der Urin Albumen enthielt. Solche Tiere müssen selbstver¬ 
ständlich aus dem Versuch ausscheiden. Andere Kaninchen wieder bekamen plötzlich 
kurz nach der Einstellung Albuminurie, noch ehe ihnen eine Injektion mit Urannitrat ge¬ 
geben worden war. Auch diese müssen als zum Versuch untauglich ausscheiden. Es ist 
dringend notwendig, dass die Vorsichtsmassregeln peinlichst innegehalten werden. 

Mit Beginn der eigentlichen Vorperiode werden dann ausser den täglichen 
Eiweiss-, Zucker- und Blutuntersuchungen das spezifische Gewicht, die Reaktion und 
die ausgeschiedenen N- und NaCl-Mengen bestimmt. Wurde von den Tieren, wie das 
besonders in der Vorperiode der Fall ist, an einem Tage zu wenig oder gar kein 
Urin gelassen, so wurde die Untersuchung mit dem Sammelurin von 2 oder 3 Tagen 
vorgenommen. In dem Glas, in dem der Urin gesammelt wurde, befand sich stets etwas 
Toluol, um ihn vor Zersetzung zu schützen und die Verdunstung des Urins zu ver¬ 
hindern. Die chemischen Untersuchungen haben wir stets am zeptrifugierten Urin, 
nachdem die Menge bestimmt war, vorgenommen. 

D6r Stickstoff wurde nach Kjeldahl, das NaCl nach Larsson bestimmt. Fand 
sich (nach der Injektion) Eiweiss im Urin, so wurde er für den Kjeldahl enteiweisst. 
Wir benutzten dazu die von Pohl in seiner Arbeit empfohlene Methode mit gesättigter 
reinster Magnesiumsulfatlösung. Zum Enteiweissen nimmt man gleiche Mengen des 
Urins und der Magnesiumsulfatlösung + 1 Tropfen 33proz. Essigsäure und erwärmt 
vorsichtig. Es entsteht dann eine Trübung. Die Flüssigkeit lässt man abkühlen, fil¬ 
triert und nimmt dann eine bestimmte Menge zur N-Bestimmung. Die Methode ist, 
wie wir uns überzeugen konnten, sehr gut. (Man darf später bei der Berechnung des 
N nicht vergessen, die erhaltenen Werte mit 2 zu multiplizieren, -da man einen zur 
Hälfte verdünnten Urin zur Bestimmung angesetzt hat.) 

Die Bestimmung des Kochsalzes nahmen wir nach Larsson vor, indem wir 
den (zentrifugierten) Urin mit so viel reinster Tierkohle mischten, dass er gerade un¬ 
durchsichtig wurde und seine Eigenfarbe verlor. Von dem dann filtrierten Harn, der 
ganz klar sein muss, nimmt man eine bestimmte Menge, gewöhnlich 10 ccm, verdünnt 
auf etwa 50 — 100 und fügt einen Tropfen halogenfreie Salpetersäure hinzu. Es folgt 
Alkalisiercn mit Calcium carbonicum, einigo Minuten stehen lassen und schliesslich 
Titrieren mit 1 / 10 Argentum nitricum unter Benutzung einiger Tropfen gesättigter 
Kal. chrom.-Lösung, die der Flüssigkeit eine zeisiggelbe Farbe verleiht. Die Titration 
ist beendet, sobald diese zeisiggelbe Farbe einen Stich ins Rosa bekommt. Der ge¬ 
fundene Titrationswert zeigt die in 1 ccm Urin — falls zur Bestimmung 10 ccm ver¬ 
wandt wurden — enthaltene Kochsalzmenge an. Ist der Urin sehr hochgestellt oder 
steht nur eine geringe Harnmenge zur Untersuchung zur Verfügung, so empfiehlt es 
sich, den Urin vor der Reinigung mit Tierkohle auf die Hälfte zu verdünnen. Die Be¬ 
rechnung der NaCl-Werte ändert sich dann dementsprechend. Diese Larssonsche 
Methode ist nach den Erfahrungen unseres Laboratoriums sowohl bei eiweissfreien wie 
auch bei eiweisshaltigen I nnen anzuwenden. Eine Enteiweissung ist darum überflüssig. 


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Wesen d. experimentellen Ausschwemnningsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 359 


Zur Untersuchung aut Eiweiss, Blut, Zucker, Azeton und Azotessigsäuro wurden 
die üblichen chemischen Methoden herangezogen. Selbstverständlich wurden die 
Sedimente immer mikroskopiert. 


Pohls Versuch Nr. 3. 


Versuchstage 

Gewicht 

Harnmenge 

Eiweissgehalt 

pM. 

N pro die 

CI pro die 

Normaltag 

1420 

23 


0,533 

14 ccm VtoAgNOg. 

1 

— 

24 

— 

0,368 

10,1 

2 

— 

— 

— 

_ 

— 

3 

— 

23 

— 

0,331 

— 

4 

— 

49 

6 

0,5G 

15,6 

5 

— 

23 

5,6 

0,28 

— 

6 

— 

17 

0,8 ! 

0,26 

5,1 

7 

— 

79 

0,5 | 

0,64 

I 41,0 

8 

1120 

70 

0,2 

0,87 

21,0 

9 

1100 

105 

0,2 

1,28 

17,8 

10 

1000 

105 

0,1 

1,48 

2,1 

11 

960 

92 

0,1 

1,45 | 

1,84 

12 

900 

93 

Spur. 

1,56 

1,86 

13 

850 

117 

Opaleszenz. 

1,98 

5,5 

14 

760 

73 

— 

1,06 

2,3 


Tier Nr. 263. 



Go- 



Urin 



Datum 

Hafer 

Wasser 


Spez. 

Gew. 


Alb. und 
Zylinder 


NaCl 

N 


wicht 


Menge 

Reakt. 

Sang. 


15. 1. 

16. 1. 

2060 

2050 

60 

60 

100 

60 

} 35 

V 

s. 


— 

0,042 

0,042 

0,336 

0,336 

17. 1. 

2020 

50 

60 

} 34 





0,081 

0,513 

18. 1. 

2030 

30 

45 


s. 



0,081 

0,513 

19. 1. 

2000 

20 

40 

1 

1 



0,081 

0,788 

20. 1. 

Subkatane Injektion yon0,5 ccra 
Uran (0,07 proz.). 

} 45 

1052 

s. 

_ 



2000 

50 

100 j 

1 





0,081 

0,788 

21. 1. 

1950 

— 

120 






0,087 

0,392 

22. 1. 

1910 

30 

90 

J 50 

1 

1050 


+ 


0,087 

0,392 

23. 1. 

1850 

30 

90 

s. 


0,087 

0,392 

24. 1. 

1820 

10 

120 





0,087 

0,392 

25. 1. 

1850 

20 

50 

35 9 

1043 ; s. 

+ 

— 

0,231 

1,130 

26. 1. 

1770 

10 

50 

} 52 

1043 


+ 

% 


0,057 

0,987 

27.1. 

1650 

20 

60 

s. 


0,057 

0,987 

28. 1. 

1620 

30 

50 

} 37 

1047 


+ 


0,077 

0,730 

29. 1. 

1600 

10 

20 

s. 


0,077 

0,730 

30. 1. 

31. 1. 

1500 

1550 

30 

50 

90 

90 

} 35 

1045 

s. 

+ 

— 

0,150 

0,150 

0,842 

0,842 

1.2. 

1450 

10 

10 

} 30 

1060 


+ 


0,054 

0,886 

2. 2. 

1430 

10 

120 

s . 


0,054 

0,886 

3. 2. 

1410 

10 

40 

1 

1 



0,026 

1,310 

4. 2. 

1380 

— 

20 

} 80 

1055 , s. 

+ 

— 

0,026 

1,310 

5. 2. 

1330 

30 

20 

1 



0,026 

1,310 

6. 2. 

1320 

60 

120 

45 

1035 

s. 

+ i 

— 

0,162 

1,108 

7. 2. 

8. 2. 

1350 

1350 

50 

40 

120 

90 

} 60 

1030 . s. 

+! 

— 

0,043 

0,043 

0,672 

0,672 

9. 2. 

1270 

? 

y 

55 

1020 s. 

+ 

— 

0,316 

1,170 

10.2. 

1170 

Morgens tot 

33 








gefunden 

in der 









1 

Blase 


1 





l ) Enthält Zucker. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




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360 


L. DI NNER, 


Tier Nr. 276. 



Ge- 





Urin 




" 

Datura 

Hafer 

Wasser 






NaCl 

N 


wicht 



Menge 

Gew. 

Reakt. 

Zylinder 

Sang. 

1.3. 

2320 

40 

120 

70 

1035 

s. 



0,168 

1,807 

2. 3. 

2250 

100 

90 

52 

1050 

s. 

— 

— 

0,156 

1,477 

3. 3. 

2270 

100 

90 

45 

1050 

s. 

— 

— 

0,099 

1,345 

4. 3. 

2300 

30 

90 






0,102 

0,872 


Injektion von 0,5 ccm Uran 

1 









(0,07 proz.) 


JllO 

1040 

s. 

_ 

_ 



5. 3. 

2300 

70 

90 




0,102 

0,872 

6. 3. 

2350 

70 

90 * 

) 





0,102 

0,872 

7. 3. 

2270 

50 

90 

50 

1035 

s. 

— 

— 

0,060 

1,354 

8. 3. 

2270 

50 

90 

35 

1040 

s. 

+ 

— 

0,014 

0,946 

9.3. 

2270 

60 

90 

85 

1030 

s. 

+ 

— 

0,170 

1,273 

10. 3. 

2190 

40 

90 

61 

1030 

s. 

+ 

— 

0,244 

0,992i) 

11.3. 

2170 

80 

90 

55 

1026 

s. 

+ 

i 

— 

0,132 

0,826 

12.3. 

2120 

90 

75 

l Af\ 

i nan 



0,080 

0,406 

13. 3. 

2070 

70 

50 


lUoU 

s. 

-r 


0,080 

0,406 

14. 3. 

2070 

90 

65 

55 

1030 

s. 

+ 

Sp. 

0,044 

1,497 

15.3. 
16. 3. 

2000 

2000 

90 

70 

80 

60 

} 48 

1030 

s. 

+ 


0,038 

0,038 

0,762 

0,762 

17. 3. 

18. 3. 

1900 

1900 

75 

50 

60 

5 

} 64 

1045 

s. 

+ 


0,044 

0,044 

1,153 

1,153 

19. 3. 

1950 

45 

90 

l 7 K 

min 


i 


0,022 

1,194 

20. 3. 

1940 

60 

85 

( 70 

lUdU 

s. 

+ 


0,022 

1,194 

21.3. 

1920 

60 

85 

1 93 

1038 


+ 


0,018 

0,863 

22. 3. 

1950 

70 

90 

s. 

— 

0,018 

0,863 

23. 3. 

1870 

40 

40 

1 



1 


0,018 

0,863 

24. 3. 

1870 

40 

45 

| 





0,021 

0,982 

25. 3. 

1900 

60 

85 

108 

1035 

s. 

+ 

— 

0,021 

0,982 

26. 3. 

1910 

50 

90 

1 




0,021 

0,982 

27, 3. 

28. 3. 

1820 

1900 

70 

50 

90 

60 

} 64 

1043 

s. 

; + 

— 

0,016 

0,016 

1,048 

1,048 

29.3. 

1870 

50 

50 




+ 


0,065 

0,887 

30. 3. 

1865 

25 

60 

> oo 

1U40 

s. 


0,065 

0,887 

31.3. 

1820 

20 

60 

l ßO 

moi 


i 


0,148 

0,889 

1.4. 

1800 

15 

90 


IvO 1 

s. 



0,148 

0,889 

2.4. 

1750 

20 

90 

52 

1037 

s. 

+ 

— 

0,280 

1,808 

3.4. 

1700 

30 

90 

65 

1025 

s. 

+ 

— 

0,143 

1,274 

4. 4. 

5. 4. 

1720 

1670 

10 

5 

35 

35 

} 46 

1045 

s. 

+ 

— 

0,032 

0,032 

0,698 

0,698 

6. 4. 

1660 

10 

55 

58 

1030 

s. 

+ 

— 


2 ) 

7. 4. 

1585 

15 

55 ! 

88 

1035 

s. 

+ 

— 

0,121 

2,408 

8. 4. 

1460 

20 . 

80 

90 

1037 

s. 

+ 

— 

0,234 

2,520 

9. 4. 

1460 

25 

50 

85 

1028 

s. 

+ 

— 

0,130 

2,134 

10. 4. 

1460 

30 

60 

90 

1030 

s. 

+ 

— 

0,090 

2,116 

11.4. 

1440 

0 

0 

90 

1030 

s. 

+ 

— 

0,080 

1,663 

12.4. 

Gestorben 


56 

1030 

s. 

i- i 

— 

0,100 

1,379 


J ) Zucker vorhanden. 2 ) Versehentlich fortgeschüttct. 


Tier Nr. 265. 


16. 1. 

2120 

150 

100 

60 

1050 

8. ' - 


0,264 

1,848 

17. 1. 

2020 

90 

100 

} 75 

1032 



0,097 

0,672 

18.1. 

2100 

160 

100 

s. | — 


0,097 

0,672 

19. 1. 

2050 

90 

100 





0,090 

0,441 


Subkutane Injektion von 0,5 ccm 
Uran (0,07 proz.). 

1 50 ; 

1021 


— 

20. 1. 

1950 

120 

100 

1 




0,090 

0,441 

21. 1. 

1970 

130 

120 

' 75 

1010 

s - + 

+ 

0,060 

0,084 

22. 1. 

1980 

110 

120 

0,060 

0,084 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 





Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnepluitis (Pohl) nach Uranvergiftung. 361 


Datum 

Ge¬ 

wicht 

Hafer 

Wasser 

Urin 

NaCl 

N 

Menge 

Spez. 

Gew. 

Rcakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

23.1. 

1960 

100 

120 

l Af\ 1\ 



1 


0,092 

0,288 

24.1. 

1920 

90 

100 

> 4U 


s. 

”+* 


0,092 

0,288 

25. 1. 

1770 

100 

100 

30 

1010 

s. 

+ 

— 

0,030 

0,194 

26.1. 

1800 

120 

120 

66 

1020 

s. 

+ 

— 

0,198 

1,004 

27.1. 

1780 

110 

120 

58 

1018 | 

s. 

+ 


0,162 

0,790 

28. 1. 

1730 

110 

120 

163 

1016 | 

s. 

Sp. 

— 

0,362 

2,418 

29.1. 

1650 

10 

120 

115 

1018 | 

s. 

Sp. 1 

— 

0,092 

1,661 

30. 1. 

1550 

— 

— 

110 

1020 ; 

s. 

Sp. 1 

— 

0,110 

1,749 

31. 1. 

Morgen 

s tot gefunden 

i 

i 


i 





U Etwas Urin verloren gegangen. 


Wenn man die drei letzten Tabellen miteinander vergleicht, so repräsen¬ 
tiert jedes Tier einen besonderen Typ, der sich zwar nicht in krassem 
Gegensatz zu den anderen verhält, aber doch in mancher Beziehung bei be¬ 
stimmten Berührungspunkten ein eigenes Gepräge zeigt. Der besseren 
Uebersicht halber ist den Versuchen eine Tabelle der Pohlschen Arbeit 
vorangestellt. Ihnen allen ist gemein, dass sie bei vollkommen offenen 
Harnwegen zum Exitus kommen, dass bestimmt bei allen Oligurie oder 
gar Anurie nicht vorkommt. Während nun bei den Tieren bei Pohl 
einige Tage nach der Vergiftung eine unzweideutige Polyurie auftritt, 
bewegt sich bei 263 die täglich ausgeschiedene Menge mehr oder 
weniger in den alten Grenzen wie vor der Vergiftung. Von einer 
Polyurie im eigentlichen Sinne des Wortes kann hier also nicht die 
Rede sein, und die Urinmengen sind um so weniger imponierend, 
wenn man sic mit den getrunkenen Wassermengen vergleicht. Eine 
grössere Flüssigkeitsausgabe als -einnahme lässt das Protokoll nicht 
erkennen. Nur der letzte Lebenstag weist 88 ccm Urin auf. Damit 
stimmt auch das spezifische Gewicht von 1020 sehr wohl überein, das 
niedrigste, das überhaupt während des ganzen Versuches gefunden wurde. 
Eine eklatante Ausschwemmung des NaCl ist ebenfalls nicht zu kon¬ 
statieren. Dahingegen steigen die N-Wertc ganz deutlich. Das Tier 
lebte im ganzen nach der Vergiftung noch 21 Tage. 

Die Rubrizierung des Tieres 276 in das Schema bereitet grosse 
Schwierigkeit. Die Polyurie ist erst in den letzten Tagen angedcutet. 
Das Tier lebt auffallend lange, 38 Tage nach der Vergiftung, und die 
N- und NaCl-TabclIe lässt verschiedene Perioden erkennen, in denen 
Vermehrung und Verminderung von N und NaCl abwcchscln, um aller¬ 
dings mit einer deutlichen Ausschwemmung des N zu schlicssen, unter 
der das Tier eingeht. 

Während also die Tiere 263 und 276 mancherlei Unteschiede aufweisen, 
die sie von den Pohlschen Tieren trennen, bestehen bei 265 Symptome, 
die sich dem Typus Pohl schon wesentlich nähern. Bei diesem Tier 
finden wir eine reguläre Polyurie, eine allmähliche, wenn auch nicht 


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362 L. DÜNNER, 

regelmässige Vermehrung der täglich ausgeschiedenen N- und NaCl- 
Mengen bis zum Tode, der nach 11 Tagen erfolgt. So erscheint dieser 
Versuch als positive Bestätigung des Po hl sehen Typus. 

Es war nun natürlich sehr interessant, dass von drei Nachprüfungen 
der Pohlschen Experimente nur eine vollkommen im Sinne Pohls aus¬ 
fiel, während die beiden anderen Abweichungen, wenn auch nicht prin¬ 
zipieller Art, von der Pohlschen subakuten Nephritis aufwiesen. Man 
hätte an einen Versuchsfehler denken können, den wir aber bei der Kritik 
aller Eingriffe, Methoden usw. ausschliessen zu können glauben. Dabei 
richteten wir unser Augenmerk besonders auf die eingespritzten Mengen 
des Urannitrates. Man musste daran denken, dass ein Zuviel oder Zu¬ 
wenig den ganzen Ablauf des Versuches ändern könne. Das dürfte nicht in 
Frage kommen. Pohl selbst ist allem Anschein nach nicht allzu ängstlich 
bei der Menge des cinzuverleibenden Urans gewesen. Er injizierte fast 
allen seinen Kaninchen 0,5 der 0,07 proz. Urannitratlösung subkutan und 
erreichte bei ihnen allen, die verschieden schwer waren, das gleiche Ver¬ 
giftungsbild. Die Gewichtsdifferenzen der Versuchstiere scheinen dem¬ 
nach in gewissen Grenzen irrelevant zu sein. Auch die Reinheit des in¬ 
jizierten Urannitrates war nicht anzuschuldigen. Wie mir Herr Prof. Jacoby 
mitteilte, hat er mit Uranpräparaten, die zwar aus derselben Fabrik, 
aber aus verschiedenen Zeiten stammten — es handelte sich dabei 
um die Bearbeitung einer anderen Frage —, widersprechende Resultate 
erzielt. Man hätte also erwägen können, ob Pohl odfer wir mit 
einem nicht ganz reinen Uranpräparat gearbeitet hatten. Das dürfte 
wohl nicht der Fall sein, da nicht alle unsere Urantierc einen anderen 
Krankheitsverlauf genommen haben, wie die Pohls. Eines der Tiere 
verhielt sich genau wie die Pohlschen Tiere, und dieses eine war mit 
demselben Präparat gespritzt worden, wie die beiden abweichenden. Man 
muss demnach nach einer anderen Ursache suchen, die auch schon Baehr, 
dessen Arbeit während der Zeit meiner Versuche erschien, erörterte. 
Baehr musste es auch erleben, dass seine uranvergifteten Tiere sich 
nicht ganz an das Schema Pohls hielten. Baehr konnte Arten der 
Vergiftungserscheinungen konstatieren, die zum Teil mit meinen Beob¬ 
achtungen übereinstimmen, zum Teil noch mehr von dem charakteristi¬ 
schen Bild, wie es Pohl entworfen hat, abwichen. 

„Der Exitus“, führt Baehr aus, „erfolgt aber nicht in allen Fällen 
im Stadium der Polyurie, sondern es hängt dies mit der Empündlichkeit 
der betreffenden Tiere zusammen. Bei weniger empfindlichen Tieren geht 
die Polyurie in eine einige Tage anhaltende Oligurie über und das Tier 
erholt sich vollständig. Dass die Tiere nicht an Polyurie, sondern aus 
anderen Gründen starben, geht auch daraus hervor, dass der Tod bald 
im Anfang der Polyurie, bald später erfolgte.“ 

Die ßachrschen und unsere Versuche bewegen sich, wie sich aus 
dieser Zusammenfassung ergibt, prinzipiell in der gleichen Bahn: sie sind 



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Wesen d. experimentellen Ausscliwemmungsneplmtis (Pohl) nach Uranvergiftung. 363 

Bestätigungen der Pohlschen Experimente, enthalten aber den wichtigen 
Hinweis, dass der Vergiftungsprozess nicht unbedingt nach dem gleichen 
Schema sich abwickeln muss. Baehr hat versucht, die verschiedenen 
klinischen Bilder in Beziehung zu dem pathologisch-anatomischen Befund, 
den die Nieren darboten, zu bringen, ohne dabei zu einem eindeutigen 
Resultat kommen zu können. (Wir werden uns mit dieser Frage noch 
in der angekündigten Arbeit zusammen mit Siegfried an Hand der 
anatomischen Befunde beschäftigen.) Es ergaben sich Baehr so viele 
Widersprüche zwischen den Ausscheidungsvorgängen und den Nieren¬ 
veränderungen, dass letztere so länge nicht für die veränderte Aus¬ 
scheidung verantwortlich gemacht werden können, so lange es nicht aus¬ 
geschlossen ist, dass direkt durch die Uranvergiftung eine schwere Schädi¬ 
gung des Gesamtstoffwechsels verursacht wird, die als weitere Folge eine 
Mehrarbeit der Nieren in ihren verschiedenen Symptomen bedingt. Da¬ 
mit ist die Kardinalfrage der Pohlschen Vergiftung angeschnitten: 

II. Handelt es sich um eine Schädigung, die nur die Nieren 
trifft oder um eine Schädigung des ganzen Organismus mit¬ 
samt der Nieren? 

Pohl selbst erörtert auch schon die Frage, ob das Gift nur die 
Niere angreift. An und für sich muss man die Möglichkeit erwägen, ob 
nicht gleichzeitig mit der Nierenzerstörung durch das Urannitrat eine 
Schädigung einzelner Organe oder gar des Gesamtkörpers erfolgt, die 
sich in den hohen Stickstoff- und NaCl-Verlusten durch den Urin doku¬ 
mentiert. Die Polyurie könnte unter diesen Umständen ruhig weiter als 
eine spezifische pathologische Nierenfunktion nach der Vergiftung figu¬ 
rieren. Wenn man dieses Problem lösen will, dann muss man die Tier¬ 
versuche so einrichten, dass man nur die Nieren mit dem vergiftenden 
Urannitrat trifft, das dann hier einzig und allein seine zerstörenden Eigen¬ 
schaften entfaltet. Das applizierte Uran darf dann nicht aus den Nieren 
heraus in den Körperkreislauf gelangen; denn das ist der springende 
Punkt, dass, wie schon oben ausgeführt wird, wir eine reine Nieren¬ 
schädigung unter Schonung der übrigen Organe erzielen. Würde man 
bei einer solchen Versuchsanordnung andere, den erwähnten Pohlschen 
Resultaten entgegengesetzte Ergebnisse erhalten, also keine Polyurie, 
keine Ausschwemmung von N und NaCl, so könnte man den Schluss 
ziehen, die sogenannte PohIsche Nephritis ist keine spezifische Folge¬ 
erscheinung des Urans auf die Nieren, sondern es handelt sich bei ihr 
um eine Vergiftung vieler Organe, von der auch die Nieren betroffen sind. 

Daneben gibt es freilich noch eine zweite Möglichkeit. Selbst wenn 
die Polyurie und die sie begleitende Ausschwemmung von N und NaCl cin- 
tritt, und tatsächlich durch die Injektion des Urans in die Nierenarterien 
nur die Niere geschädigt wird, so braucht trotzdem nicht das Gesamt¬ 
bild der Pohlschen Nephritis nur auf eine direkte Nieren Vergiftung 


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364 L. Df NN ER, 

zurückgeführt zu werden. Es wäre auch denkbar, dass bei der Uran¬ 
vergiftung der Nieren irgendwelche Gifte frei werden, die nunmehr auf 
den übrigen Körper derartig schädigend einwirken, dass grosse Mengen 
N und NaCl als Symptome dieser sekundären Vergiftung im Urin 
erscheinen. In diesem Zusammenhänge wäre an die Beobachtungen 
Tangls zu erinnern, der gefunden hat, dass die Anhäufung von im 
Organismus nicht zersetzbaren Nierenausscheidungsprodukten verstärkend 
auf den Stoffwechsel der übrigen Organe wirkt. So wäre es plausibel, 
dass durch unbekannte toxische Stoffe, die bei der Urannephritis entweder 
abnorm gebildet oder abnorm zurückgehalten werden, die grösseren Um¬ 
setzungen bedingt werden, die dann zu der grossen Ausschwemmung 
führen. Selbstverständlich kann der primäre Vorgang bei der mit 
Anurie einhergehenden gewöhnlichen Nephritis derselbe sein. Die Ver¬ 
stopfung des Filters bedingt aber dann, dass diese abnorm gebildeten 
Stoffwechselprodukte retiniert werden. 

Diese Frage haben wir nun zum Gegenstand der folgenden Versuche 
gemacht. 

Wir glaubten diese Frage am besten lösen zu können, wenn wir das 
Gift in bestimmter Dosis direkt in die Nierenartcricn spritzen, die es 
dann den Nieren zuführen. Solche Versuche wären nur dann beweisend, 
wenn das in die Nierenarterie gespritzte Uran auch wirklich in der Niere 
verbleibt und nicht durch die Venen in den allgemeinen Kreislauf gelangt. 
Dass diese Voraussetzung ausreichend erfüllt ist, glauben wir auf Grund 
zweier Versuche annehmen zu dürfen; wir spritzten nämlich einem Kanin¬ 
chen 0,02 mg, einem anderen 0,2 mg Urannitrat in je eine Nierenarteric. 
Nach l l / 2 bzw. 2 Stunden exstirpierten wir die betreffende Niere. Das eine 
Tier blieb dauernd gesund, das andere starb ohne jede Nierenschädigung 
nach 9 Tagen an einer sekundären Infektion. — So haben wir denn bei 
einigen Tieren Injektionen von Urannitrat in beide Arterien gemacht und 
den Verlauf dieser Vergiftungsart verfolgt. 

Die Operationen hat Herr Dr. Hay wardt, Assistent der II. chirurgischen Ab¬ 
teilung unseres Krankenhauses, ausgeführt, dem ich für seine Bemühungen auch an 
dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche. 

Die Freilegung der Nieren wurde unter geringer Menge von Aether, die an und 
für sich keine Nierenschädigungen im Gefolge haben — es genügt nach vorheriger 
Einspritzung von 0,01 Morphium eine kleine Quantität — in Seitonlage durch einen 
Flankenschnitt vorgenommon. Die Niere wird vorgewälzt und auf einen mit physio¬ 
logischer NaCl-Lösung getränkten Bausch gelegt. Man sieht dann sofort die Arterie. 
Die Einführung einer möglichst feinen Nadel in der Richtung zur Niere hin gelingt 
relativ leicht. Man fühlt sofort, ob man wirklich im Lumen des Gefässes ist. Man 
injiziert die vorher im Brutschrank angewärmte Flüssigkeit ganz langsam und bemerkt, 
wenn die Einspritzung glatt von statten geht, sehr bald eine Schwellung der Niere, 
dio sich prall anfühlt. Eine Nachblutung der Nierenarterie mässigen Grades nach Ent¬ 
fernung der Nadel ist uns nur einmal zugestossen. Die Blutung stand aber prompt 
nach Aufträufeln von lOproz. Kocher-Fonio-Lösung, das bekanntlich in der Haupt¬ 
sache aus Blutplättchen besteht. Verschluss der Hautwunde, ln derselben Sitzung 



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Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 3U>5 

kann man die Injektion in die andere Nierenarterie machen. Nach der Operation sind 
die Tiere relativ munter, sie sitzen ruhig in ihrem Käfig. 

Nach dieser Methode habeu wir zunächst die Kaninchen (Nr. 217 
und 287) operiert. Jedes dieser Tiere erhielt in jede Nierenartcric 0,042 mg 
Urannitrat (3 ccm der 50fachen Verdünnung des 0,07proz. Urannitrats). 


Tier Nr. 217. 



Ge- 



Urin 













Datum 

wicht 

Hafer 

Wasser 

Menge 

Spez. 

Gew. 

Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

NaCl 

N 

4. 5. 

5. 5. 

2200 

2150 

? 

90 

? 

90 

} 130 

1025 

s. 

- 

— 

0,481 

0,481 

1,176 

1,176 

6.5. 

2150 

90 

90 

} 66 

1040 




0,125 

0,949 

7. 5. 

2150 

90 

90 

s 



0,125 

0,949 

8.5. 

2110 

90 

90 | 

} 72 

1045 




0,057 

0,970 

9. 5. 

2120 

90 

90 

s. 



0,057 

0,970 

10.5. 

2130 

90 

90 

63 

1035 

s. 

— 

— 

0,188 

1,195 

11.5. 

2100 

90 

90 

1 





0,409 

0,763 


Operation u. Injektion v. 0,042 mg 
Urannitrat in jede Nierenarterie 

} 124 

1025 

s. 

+ 

— 


12. 5. 

2000 

10 

90 

1 





0,409 

0,763 

13.5. 

1900 

40 

90 

49 

1020 

alk. 

+ 

+ 

0,176 

0,538 

14. 5. 

1840 

50 

90 

62 

1020 

alk. 

+ 

+ 

0,136 

0,876 

15.5. 

1850 

40 

90 

79 

1020 

ampli. 

+ 

+ 

0,079 

1,188 

16. 5. 

1740 

60 

90 

57 

1015 

s. 

+ 

+ 

0,034 

0,750 

17.5. 

1730 

90 

90 

130 

1010 

alk. 

+ 

1 + 

0,078 

1,255 

18.5. 

1720 

70 

90 ! 

74 

1012 

s. 

+ 

+ 

0,046 

0,725 

19. 5. 

1670 

60 

90 

74 

1025 

s. 

+ 

+ 

0,029 

1,212 

20. 5. 

1700 

90 

90 

74 

1020 

s. 

+ 

Sp. 

0,029 

0,911 

21.5. 

1700 

90 

70 

104 

1020 

s. 

+ 


0,083 

1,310 

22. 5. 

1570 

50 

90 

86 

1015 

s. 

+ 

— 

0,051 

1,149 

23.5. 

1500 

60 

90 

70 

1020 

s. 

+ 

1 — 

0,070 

0,970 

24. 5. 

1450 

70 

90 | 

} 108 

1020 


+ 


0,032 

0,982 0 

25. 5. 

1410 

70 

70 

s. 


0,032 

0,982 

26.5. 

1400 

80 

80 

72 

1025 

s. 

+ 

— 

0,014 

1,542 

27. 5. 

1400 

70 

80 

118 

1015 

s. 

+ 

— 

0,035 

1,428 

28.5. 

1390 

70 

90 

56 

1020 

s. 

+ 

— 

0,022 

0,850 

29. 5. 

1300 

10 

90 

144 

1015 

s. 

+ 

1 _ 

0,201 

1,673 

30. 5. 

1130 

10 

90 

130 

1015 

s. 

+ 

1 — 

0,338 

1,892 

31.5. 

1110 

V 

y 

72 

1016 

s. 

+ 

i + 

0,086 

1,058 

1.6. 

Morgens tot gefunden 





0 Werte nicht sicher, da Urin verloren gegangen ist. 


Tier Nr. 287. 


27. 6. 

2530 

80 

90 

} 74 

1025 

s. 



0,133 

0,297 

28. 6. 

2430 

90 

90 



0,133 

0,297 

29. 6. 

2400 

70 

90 

104 

1025 

s. 

— 

— 

0,457 

3,057 

30. 6. 

2450 

60 

90 

34 

1045 

s. 

— 


0,074 

0,778 

1.7. 

2400 

10 

90 

} 120 

1030 




0,108 

1,218 

2. 7. 

2320 

90 

90 

s. 



0,108 

1,218 


Operation 

u. Inj ektion ▼. 0,042 mg 


i 





Urannitrat in jede Nierenarterie 








3. 7. 

2370 

90 

90 

84 

1025 

s. 

+ 

— 

0,184 

1,922 

4.7. 

2380 

50 

80 

50 

1025 

s. 

+ 

— 

0,090 

1,081 

5. 7. 

2370 

60 

90 

80 

1035 i 

s. 

+ 

1 — 

0,320 

3,964 

6.7. 

2200 

10 

90 ! 

44 

1045 ! 

s. 

+ 

1 — 

0,132 

1,814 

7.7. 

2050 

20 

90 

68 

1040 

1 s. 1 

1 + 

1 — 

0,204 

2,189 


Difitized by 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



366 


L. DÜNNER, 


Digitized by 



Ge- 



Urin 


.. 











Datum 

wicht 

Hafer 

Wasser 

Menge 

Spez. 

Gew. 

Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

NaCl 

N 

8. 7. 

1890 

15 

90 

78 

1030 

s. 

+ 

_ 

0,218 

1,850 

9.7. 

1950 

70 

90 

65 

1028 

s. 

+ 

— 

0,104 

1,378 

10. 7. 

1890 

60 

90 

84 

1040 

s. 

+ 

— 

0,151 

2,414 

11.7. 

1830 

40 

90 

34 

1045 

s. 

+ 

— 

0,041 

1,142 

12. 7. 

1700 

10 

90 

88 

1040 

s. 

+ 

— 

0,123 

2,654 . 

13. 7. 

1610 

55 

90 

62 

1040 

s. 

+ 

— 

0,235 

2,061 

14. 7. 

1520 

40 

90 

68 

1040 

s. 

+ 

— 

0,231 

2,299 

15.7. 

1570 

40 

90 

84 

1040 

s. 

+ 

+ 

0,033 

1,728 

16. 7. 

17. 7. 

1550 

1380 

0 

20 

90 

90 

\ 134 ■ 

' j 

1038 

s. 

+ 

+ 

0,134 

0,134 

1,904 

1,904 

18. 7. 

Morgens tot gefunden 

1 

J 






Die Beurteilung der beiden Versuche 217 und 287 muss, da sic 
dazu bestimmt, das Wesen der Pohl sehen Nephritis zu klären, durch 
Vergleich mit den subkutan vergifteten Tieren erfolgen. Sie soll Auf¬ 
schluss geben, ob die intraarteriell gespritzten einen wesentlich andern 
Verlauf nehmen als jene. Als Kriterien dienen dazu die Menge des aus- 
geschiedencn Urins und die in ihm enthaltenen N- und NaCl-Mengen. 
Es kommt dabei, soweit die Art der Polyurie in Frage kommt, nicht so 
sehr darauf an, dass sie von einem bestimmten Tage einsetzt, eine be¬ 
stimmte Zeitlang anhält, sondern es genügt die Tatsache, dass die Tiere 
bei offenen Harnwegen zugrunde gehen. Dieser Forderung entspricht 
sowohl Tier Nr. 217 wie Nr. 287. Nr. 217 zeigt sogar, wie sich aus 
den Tabellen ergibt, verschiedentlich Polyurie, während Tier Nr. 287 
Urinmongen ausscheidet, die als ausreichend anzusehen sind. Die Werte 
bei Nr. 287 sind absolut gesprochen sogar polyurisch, vergleicht man sie 
jedoch mit denen vor der Vergiftung, so halten sie sich in denselben 
Breiten. Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der Frage, ob 
auch die produzierte N- und NaCl-Quantität im Verlaufe der Vergiftung 
eine wesentliche Erhöhung erfahren hat. Ohne die einzelnen Daten der 
Tabellen, auf die wir verweisen, durchzugehen, muss man das Gesami- 
resultat kritisch dahin formulieren, dass bei den verwendeten Uranmengen 
eine sehr eklatante Ausschwemmung von N und NaCl nicht zu kon¬ 
statieren ist. Dabei darf man die injizierte Menge nicht ausser acht 
lassen. Wir haben in jede Niere 3 ccm der 50 fachen Verdünnung von 
0,07 pCt. Urannitrat eingespritzt, das entspricht einer Menge von 0,042 mg 
Urannitrat pro Niere. Insgesamt wurde also 0,084 mg Urannitrat einverleibt. 
Andrerseits sind den rein Pohlschcn Tieren subkutan nur 0,5 ccm der 
0,07 proz. Lösung = 0,35 mg gegeben worden. 

Die Versuche mit der intraartcriellen Injektion des Urannitrats 
haben also das Bild der Pohl sehen Ausschwemmung ergeben, allerdings 
nicht ausgeprägt, sondern nur leidlich angedeutet. Nun muss man sich 
klar darüber sein, dass wir nicht wissen, wieviel des subkutan cinge- 
spriizten Urans in den Nieren zur Wirkung kommt. Es ist durchaus 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 367 


denkbar, dass der PohIsche Syraptomenkomplex sich nur bei sehr 
kleinen, die Nieren treffenden Uranmengen rein entwickelt. Um hier 
möglichst Klarheit zu gewinnen, haben wir einen Versuch mit einer sehr 
kleinen Dosis angestellt. Bekamen wir hier ein positives Resultat, so 
musste das besonders auffallend sein, w r eil hier die Möglichkeit einer 
primären Vergiftung der andern Organe durch in den Kreislauf aus den 
Nieren gelangendes Uran besonders gering ist. 

Wenn wir auch 0,042 mg Urannitrat als Giftmenge pro Niere nicht 
als zu gross betrachten dürfen, um die gestellte Frage zu lösen, so ent¬ 
schlossen wir uns noch zu einem weiteren Experiment, bei dem 0,013 mg 
auf jede Niere wirken sollte. Wir injizieren bei Tier Nr. 261 in jede 
Nierenarterie 2 ccm einer 80 fachen Verdünnung einer 0,05proz. Uranlösung. 
Nur gestaltete sich die Anlage dieses Versuches insofern etwas anders, 
als wir von einer Haferwasserdiät aus äusseren Gründen absahen und 


statt dessen 125 g Rüben dem Tier gaben, Wasser dagegen vollständig 
entzogen. 

Tier Nr. 261. 





Urin 



Datum 

Gewicht 

Rüben 

Menge 

1 Spez. 
Gewichtj 

| Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

NaCl 

N 

1. 1. 

2080 

125 

200 

1025 

s. 



0,9S0 

1,019 

2. 1. 

2110 

125 

170 

1030 

s. 

— 

— 

0,476 

0,856 

3. 1. 

2115 

125 

115 

1020 

s. 

— 

— 

0,322 

0,450 

4. 1. 
5.1. 

2130 

2145 

125 

125 

} 182 

1025 

s. 

— 

— 

0,327 

0,327 

0,301 

0,301 

6. 1. 

2155 

125 

112 

1025 

s. 

— 

— 

0,246 

0,418 

7.1. 

2175 

125 

184 

1025 

s. 

— 

— 

0,809 

0,797 

8 . 1. 

2175 

125 

120 

1027 

s. 

— 

1 — 

0,648 

0,594 

9. 1. 

2160 

125 

115 

1025 

s. 

— | 


0,138 

0,492 

10.1. 

2150 

125 

132 

1030 

s. 

— 


0,237 

0,646 

11.1. 

2145 

0 








Operation und Injektion von 0,013 mg Urannitrat in 

jede Nierenarterie. Urin vom 11. 1. verloren 





gegangen. 





12. 1. 

1950 

0 

I 

i 

1 



0,085 

0,436 

13. 1. 

1800 

0 

) 37 

1 1045 

! s. 

+ 

i 

— 

0,085 

0,436 

14. 1. 

1750 

0 

l 

l 

I 


0,085 

0,436 

15. 1. 

1650 

0 

55 

| 1045 

s. 

+ 

— 

0,462 

1,940 

16.1. 

1550 

0 

48 

; 1040 

s. 

+ 

— 

0,393 

1,842 

17. 1. 

1450 

0 

| 




0,147 

1,476 

18.1. 

1370 

0 

} 82 

I 1060 j 

1 s * 

+ 

i 

— 

0,147 

1,476 

19. 1. 

1300 

0 

1 

1 



0,147 

1,476 

20. 1 . 
21 . 1 . 

1220 

1200 

0 

0 

} 80 

1065 j 

i 

s. 

1 

i 

+ 

— 

0,064 

0,064 

1,981 

1,981 


Wie die Tabelle (Tier Nr. 261) zeigt, verweigerte das Tier vom 
Tage der Operation an jegliche Nahrungsaufnahme, trotzdem schied 
es Urin aus, der freilich im Vergleich zur Vorperiode in bedeutend ge¬ 
ringeren Quantitäten gelassen wurde. Diese Harnraengen stammen also 
unbedingt von dem Körperbestand, da gar keine Rüben, die ziemlich 
wasserreich sind, gefressen wurden. Man kann also insofern von offenen 
Harnwegen bestimmt reden und man ist hierzu um so mehr berechtigt, 


Digitized b' 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Digitized by 


368 L. DÜNNER, 

wenn man sieht, dass die Tiere Nr. 217 und Nr. 287 doch ziemlich 
grosse Wasserrationen in der Vergiftungszeit einnahmen. Die verhältnis¬ 
mässig kleinen Urinportionen bei Tier Nr. 261, die für den ersten Moment 
stutzig machen und vielleicht an Oligurie als Vorstufe vor Anurie er¬ 
innern, erscheinen bei Berücksichtigung der Begleitumstände in einem 
andern Lichte. Damit soll nicht etwa gesagt sein, cs handle sich hier 
um Polyurie. Das kann, wenn man sich die Variationsfähigkeit der 
subakuten Nephritis nach subkutaner Injektion, wie sie Baehr und auch 
wir sahen, in die Erinnerung ruft, nicht verwundern. Das Kaninchen 
Nr. 261 gehört in die Gruppe derjenigen, bei denen im Gefolge der 
Uranvergiftung eine Nephritis mit offenen Harnwegen besteht. Dazu 
passt auch, wie das Protokoll lehrt, die Ausscheidung des N ganz gut, 
nur die NaCl-Werte sind geringer als in der Vorperiode. Von einer 
regulären Retention kann man aber nicht sprechen. 

So schliesst sich der Versuch Nr. 261 mit seinen sehr kleinen Uran¬ 
dosen (0,013 mg pro Niere) den beiden andern (Tier Nr. 217 und 287), 
bei denen auch intraarterielle Uraninjektionen (0,042 mg pro Niere) aus¬ 
geführt wurden, an. Sie können wohl alle als Stütze für die P oh Ische 
Ansicht gelten, dass das Uran eine elektive Wirkung auf die Nieren aus¬ 
übt, bei der eine eigenartige Funktion der Niere, wie wir sie schon ver¬ 
schiedentlich geschildert haben, sich einstellt und die das Endstadium 
einer Nephritis im Gegensatz zur Urämie darstellt. 

Wenn wir demnach mit unseren Versuchen der direkten Nierenver¬ 
giftung eine Stütze für die Pohlsche Anschauung erbringen konnten, 
dass die Nephritis eine Ausschwemmung von Körpersubstanz veranlassen 
kann, so scheint es nunmehr angezeigt, darauf hinzuweisen, dass hiermit 
ein wesentlicher Punkt der durch die Nierenentzündung bewirkten Körper¬ 
schädigungen geklärt ist. Man hatte bisher experimentell und wohl auch 
klinisch bei der Nephritis in erster Linie die Retentionsstörungen berück¬ 
sichtigt. 

lila. Die Beeinflussung der Urannephritis durch Kalksalze. 

Die in den vorigen Kapiteln mitgeteilten ausgesprochenen Funk¬ 
tionsstörungen der Niere nach Uranvergiftung sind zu experimentellen 
therapeutischen Versuchen sehr geeignet. Es ergibt sich die Frage¬ 
stellung, ob sich die abnorme charakteristische Ausschwemmung des N 
und des NaCl, welche durch das Uran bedingt ist, durch irgend welche 
Massnahmen beeinflussen lässt. Es lag nahe, in erster Linie die Wirkung 
des Kalkes zu studieren, da durch die Arbeiten aus unserra Laboratorium 
(M. Jacoby und Eisner) und von von der Velden nachgewiesen war, 
dass Kalksalze die Ausscheidung der Niere herabsetzen. 

Abgesehen von dieser direkten Indikation musste ja auch sonst ein 
Versuch mit Kalk von Interesse sein, da die Arbeiten der letzten Jahro 
gelehrt haben, dass hier ein sehr wirksames Arzneimittel vorliegt. Ueber 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Wesen d. experimentelleu Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 369 


Kalk ist eine sehr grosse Literatur entstanden, und es würde zu weit 
führen, wenn wir die gesamten experimentellen und klinischen Arbeiten 
über Kalkwirkungen überhaupt besprechen wollten. Dahingegen erscheint 
es zweckmässig, einige Versuche über den Einfluss der Kalksalze auf die 
Nierenfunktion zu zitieren. 

Roehl, Roese und Voorhoeve fanden im Tierversuch nach Kalk¬ 
verabreichung eine Retention von Kalk. M. Jacoby und Schroth er¬ 
zielten bei einer Kranken mit Ostitis fibrosa, die grosse Kalkmengen 
durch den Urin ausschied, nach hohen Kalkdoscn eine eklatante Ver¬ 
minderung der Kalkausscheidung durch den Urin. 

Was nun die diuretische Wirkung des Kalkes betrifft, so beobachteten 
Porges und Pribam nach intravenöser Kalziumchloridinjektion Diurese 
und erst, wenn sie sehr grosse Mengen an wandten, eine Verminderung 
derselben. Andere wieder, wie Loeb, Fleisher und Hoyt sahen nur 
Diuresehemmung. 

Auch klinische und therapeutische Versuche mit Kalk bei Nephritis 
gelangten zu keinem eindeutigen Resultat. 

Genaue Untersuchungen über die Kalkwirkung auf die Niere stellte 
Eisnor in unserem Laboratorium an. Er verwandte die modernen 
Nierenfunktionsprüfungen und fand auf Grund dieser breit angelegten 
Versuche eine deutliche Funktionsherabsetzung der Kalkausscheidung bei 
gesunden wie kranken Nieren. Daneben ergab sich, was für uns von 
besonderem Interesse ist, eine mehr oder weniger deutliche Verschlech¬ 
terung einzelner andrer Funktionen und zwar hauptsächlich solcher, 
die schon ohne dies Störungen erlitten hatten, unter ihnen der 
N- und NaCl-Elimination. 

Zu diesen klinischen Studien Eisners passte sehr gut eine experi¬ 
mentelle Studie von Jacoby und R. Rosenfeld, die beim Hund durch 
Kalkdarreichung eine Hemmung der Phloridzinglykosurie erzielten. 

Diese Arbeiten von Eisner und Jacoby-Rosenfeld waren nun 
Anlass, Kalk uranvergifteten Kaninchen zu geben, und zwar rechneten 
wir dabei in Analogie an die von den genannten Autoren beobachteten 
Resultate auf eine Herabsetzung der N- und NaCl-Ausscheidung. Hier 
würde sich dann die funktionsherabsetzende Eigenschaft des Kalkes in 
gewisser Beziehung als Therapeutikum erweisen, während die ange¬ 
wandten grossen Kalkdosen sich in den Beobachtungen Eisners bei der 7 
menschlichen Nephritis, bei der ja schon ohnedies eine Retention von N 
und NaCl besteht, als schädlich erwiesen haben. 

Von diesen Ueberlegungen ausgehend, haben wir Kaninchen intra¬ 
venös Calcium lacticura injiziert. Die verwandte Dosis schwankte, wie 
sich aus der Tabelle ersehen lässt, zwischen 0,04 und 0,6 Calc. lact. 
pro die. 

Wir haben mit den Kalkinjektionen stets sofort nach der Vergiftung 
mit dem Uran begonnen und sie bei allen Tieren 2 mal täglich gemacht. Wir 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



370 


L. DÜNNER, 


Digitized by 


sind dabei niemals auf wesentliche Schwierigkeiten gestossen; allerdings 
haben wir, wenn es irgend angängig war, nur solche Tiere in den Versuch 
eingestellt, die gute Ohrvenen hatten. Es empfiehlt sich, möglichst distal 
die Vene zu benutzen und dann später, wenn dieser Teil thrombosiert, kopf- 
wärts vorzurücken. In eine einzige Vene kann man event. 20mal injizieren. 

Als Kontrolliere nahmen wir Kaninchen, denen wir die gleiche An¬ 
zahl Kubikzentimeter physiologischer Kochsalzlösung intravenös ein¬ 
spritzten. Dadurch hofften wir, gleichzeitig einen Einblick in die Wirkung 
des NaCl auf die Poh Ische Nephritis zu gewinnen. (Es waren das 
überhaupt die ersten Experimente, die wir anstellten zu einer Zeit, in 
der wir noch glaubten, dass die Pohlsche Nephritis nur nach einem 
Schema sich abspiele. Unsere späteren Versuche und die Baehrschen 
Publikationen belehrten uns dann eines anderen.) 

Tier Nr. 88. 





bi 

1 

Urin 

















Datum 

Ge¬ 

wicht 

Hafe] 

v> 

3 

iS 

Menge 

*3 fct 

8.5 

wo 

Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

NaCl 

N 

Bemerkungen. 

18.9. 

2040 

30 

50 

22 


s. 




0,547 


19.9. 

2000 

10 

30 

}61 

1045 

s. 




0,802 


20. 9. 

2020 

10 

30 




0.802 


21.9. 
22. 9. 

1940 

1940 

10 

10 

20 

30 

} 42 

1045 

s. 

— 

— 


0,636 

0,636 


23. 9. 

1880 

30 

40 

20 


s. 

— 

— 


0,564 


24. 9. 

0,5 ccm Urannitrat (0,07 proz.) subkutan. 





2 x 2,0 Calo. lact. 


1880 

— 

70 

89 

1015 

s. 

+ Sp. 

— 

0,373 

0,476 

5 pCt. = 0,2 g 

25. 9. 

1785 

— 

70 

65 

1019 

s. 

+ 

— 

0,091 

0,662 

do. 

26. 9. 

1750 

— 

90 

62 

1020 

s. 

+ 

— 

0,124 

0,521 

do. 

27. 9. 

1660 

— 

70 

62 

1015 

s. 

+ 

— 

0,081 

0,488 7 

do. 

28. 9. 

1610 

— 

50 

25 

? 

s. 

+ 

— 

0,078 

0,194 

do. 

29. 9. 

1550 

— 

60 

40 

1019 

s. 

+ 

— 

0,086 

0,453 

do. 

30. 9. 

1490 

— 

85 

100 

1021 

s. 

+ 

— 

0,080 

1,3132) 

do. 

1 . 10. 

1430 

— 

30 

34 

1026 

s. 

+ 

+ 

0,068 

0,608 8 ) 

do. 

2 . 10. 

1380 

— 

— 

6 



+ 

+ 

? 

? 4 ) 



Um 7*7 Uhr abends gestorben. 







0 Urin Dicht auf Zucker nachgesehen. -) Zucker 0,2 pCt. 3 ) Zucker 0,5 pCt., 
Azctcssigsäurc +. 4 ) Zucker +, Azetcssigsäure —, Azeton —. 


Tier Nr. 50. 



*) Nicht auf Zucker nachgesehen. 2 ) Zucker +, 0,4 pCt. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 371 





Ui 


l 

f r i 

n 





Datum 

Ge¬ 

wicht 

«22 

c« 

S 

CO 

3 

SS 

Menge 

Spez. 

Gew. 

Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

bc 

P 

«e 

cn 

NaCl 

N 

Bemerkungen 

30. 9. 

1690 

0 

100 

66 

1021 

s. 

+ 


0,125 

0,665 

2X2,0 NaCl (0,9 pCt.) 

1. 10. 

1600 

10 

100 

41 

1030 

s. 

+ 

— 

0,092 

0,474i) 

do. 

2.10. 

1630 

5 

70 

73 

1021 

s. 

+ 

_ 

0,189 

0,8832) 

do. 

3.10. 

1570 

10 

60 

44 

1022 

s. 

+ 

— 

0,119 

0,511») 

do. 

4.10. 

1550 

0 

70 

42 

1025 

s. 

+ 

— 

0,113 

0,510 

do. 

5. 10. 

6. 10. 

1520 

1540 

0 

0 

40 

40 

}59 

1021 

s. 

+ 

— 

0,082 

0,082 

0,357 

0,357 

do. 

do. 

7.10. 

1470 

5 

50 

47 

1025 

s. 

+ 

— 

0,136 

0,509 

do. 

8.10. 

1420 

0 

70 

57 

1019 

s. 

+ Sp. 

+ 

0,091 

0,642 

do. 

9.10. 

1400 

0 

80 

46 

1020 

s. 

+ Sp. 

++ 

0,063 

0,520 

do. 

10.10. 

1370 

0 

70 

88 

1029 1 

s. 

+ Sp. 

+ 

0,194 

1,163 

do. 

11.10. 

1280 

0 

50 

12 



+ + 

V 

? 

do. 

12.10. 

1280 






1 

Gestorben. 

IX 2,0 NaCl (0,9 pCt.) 

Bei der i 

Autopsie J 

fanden 

sieh 

90 

i 

1 

1 





in der 

Blase . 



1 

; s - i 

+ i 

4 — hl 

0,252 

1,207 4 ) 



J ) Zucker +, Azeton —, Azetessigsäure —. 2 ) Zucker + Sp., Azeton —, Azetcssig- 
siiure—. 3 ) Vom 3. bis 11. 10. Zucker—, Azeton —, Azetessigsäurc —. 4 ) Zucker +, 
Azeton —, Azetessigsiiure —. 


Das Tier Nr. 88 erhielt also täglich 2mal 2,0 ccm einer 5proz. 
Kalziumlösung. Sofort mit der Uranvergiftung und mit Beginn der Kalk¬ 
applikation setzte am 24. September eine deutliche Diurese ein; die Ta¬ 
belle zeigt vom Vergiftungstage an Urinwerte, die vorher niemals beob¬ 
achtet worden waren. Das spezifische Gewicht sank, im Urin liess sich 
Albumen und späterhin auch Blut und zum Teil auch Zucker, einmal 
sogar Azetessigsäure nachweisen, kurzum ein Krankheitsbild, das nicht 
mehr subakut genannt werden kann, sondern durchaus akut von Anfang 
an verläuft. Allerdings war der Verlauf kein ganz gleichmässigcr, aber 
die Tendenz der Polyurie, die sofort einsetzte, ist offensichtlich. Ueber 
die Aenderung der NaCl-Ausscheidung nach der Vergiftung gibt der Fall 
keine Auskunft. Die Untersuchung unterblieb aus äusseren Gründen. 
Die N-Wcrto halten sich im grossen und ganzen auf dem gleichen Niveau 
wie die vor der Vergiftung. 

Einen ganz anderen Krankheitsverlauf zeigte das Kaninchen Nr. 50, 
das täglich 2 mal 2 ccm physiologische NaCl-Lösung intravenös erhielt. 
Während das Kalktier einer akuten Nephritis innerhalb von 9 Tagen erlag, 
zog sich der Vergiftungsprozess bei dem mit 0,9proz. NaCl behandelten 
Tier über 19 Tage hin und bei ihm tritt einige Tage nach der Uran¬ 
applikation eine erhöhte Diurese — im Sinne Pohls — ein, die sich im 
weiteren Verlauf prinzipiell erhält und bei der das Kaninchen schliesslich 
ad exitum kommt. Auch die übrigen Vergiftungssymptome sind vor¬ 
handen. Eine Erörterung der NaCl-Ausscheidung war bei diesem Tier 
aus den gleichen Gründen wie bei Tier Nr. 88 nicht möglich, und das 
Verhalten der gelieferten N-Menge ist nicht so ausgesprochen, um einen 
Entscheid über regulär erhöhte Ausschwemmung abzugeben, Retention von 
N besteht aber nicht. 

Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 n. (3. 25 


Difitized 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




372 


L. DÜNNER, 


Wie schon oben bemerkt, stellten unsere Experimente an dem Tier 
Nr. 88 unsere ersten tastenden Versuche dar. Es schien danach zunächst, 
als ob Kalk die Pohlsche Nephritis akuter gestaltet, Kochsalz aber sie 
chronischer werden lässt. Später lernten wir dann allerdings, wie wir 
oben gesehen haben, die Schwankungen des Verlaufes der Nephritis 
kennen. Die weiteren Kalk- und Kochsalzversuche ergaben, dass Kalk 
in der Tat die beschleunigende Wirkung auf die Urannephritis hat, 
während physiologische Kochsalzwirkung ohne Einfluss ist. Die mit 
NaCl behandelten Tiere stellen demnach einen der Typen der reinen 
Urannephritis dar. Die Kalkticrc jedoch fallen vollkommen aus dem 
Rahmen der Pohltiere; weder Pohl noch Baehr noch wir sahen bei 
einfacher subkutaner Vergiftung mit den in Betracht kommenden Uran¬ 
dosen eine akute Nephritis, wie sie die mit Kalk behandelten Tiere 
Nr. 88, 225 und 224 zeigten. 

Der besseren Uebersicht halber stellen wir die folgenden NaCl- und 
Kalkversuche getrennt zusammen. 

Nachdem das Tier Nr. 88 mit der täglichen Dosis von 0,2 Calc. lact. 
nicht einer subakuten, sondern akuten Nephritis, die bis zum Schlüsse 
volle Diurese gezeigt hatte, erlegen war, sollten weitere Versuche Auf¬ 
schluss darüber geben, ob ein Unterschied zwischen kleinen und grossen 
Kalkdosen in der Wirkung auf die Pohlsche Nephritis besteht. Die 
Tabelle von Nr. 225 repräsentiert ein Tier mit der (grossen) Kalkmenge 
von 0,6 g Calc. lact. pro die und Nr. 224 mit der (kleinen) Dosis von 
0,04 g Calc. lact. 


Tier Nr. 225. 












— 



Ge¬ 

wicht 

1 

I . 


Urin 






Datum 

Hafer 

Wasse 

Menge 

Spcz. 

Gew. 

Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

NaCl 

N 

Bemerkungen 

23. 10. 

18G0 

40 

40 

| 





0,051 

0,735 


24. 10. 

1860 

50 

70 

} 96 

1050 

s. 

— 

— 

0,051 

0,735 


25. 10. 

1880 

40 

70 

1 





0,051 

0,735 


2G. 10. 
27. 10. 

1800 

1800 

60 

120 

70 

30 

}77 

1050 

s. 

— 

— 

0,069 

0,069 

1,007 

1,007 


28. 10. 

1700 

30 

40 

I 





0,172 

0,883 


29. 10. 

0,5 g Uran (0,07 
subkutan 

proz.) 

jl!5 

1020 

s. 

+ 

— 




1720 

10 

90 





0,172 

0,883 

2 mal tgl. 2,0 7,5 proz. Calc. lact. 

30. 10. 

1580 

10 

20 

95 

1022 

s. 

+ 

+ 

0,323 

1.764 

2 mal tgl. 4,0 = 0,6 g. 

31. 10. 

1470 

40 

70 

90 

1025 

s. 

+ 


0,153 

2,079 

do. 

1. 11. 

1480 

40 

110 

82 1 

1025 1 

s. 

+ 

+ 

0,106 

1,840 

do. 

2 . 11. 

1320 

20 

40 

98 | 

1021 

s. 

+ 

+ 

0,147 

2,231 

do. 

3. 11. 

1240 



104] 

1035 

s. 

+ 1 


0,197 

2,726 

1 mal tgl. 4,0. 


G Uhr abends gestorben. (Die Zahlen vom 3. 11. beziehen sich bis abends G Uhr.) 


Tier Nr. 224. 


25. 10. 

1570 

90 

90 

i 


0,013 

0,638 

2f>. 10. 

1G20 

20 

50 

} 74 | 1035 's. | — 

— 

0,013 

0,638 

27. 10. 

1G00 

20 

50 



0,013 

0,638 


□ igitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uranvergiftung. 373 








Urin 





— 

Datum 

Ge¬ 

wicht 

«2 

o 

00 

3 

o 

fco 

p 

N hl 
(V & 

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ei 

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3 *0 

fcb 

a 

NaCl 

N 

Bemerkungen 




tt 

£ 

o 

S 


o 

P3 


ei 

CG 




28. 

10. 

1530 

30 

50 

I 





0,151 

0,728 


29 

10 

Morg. 9 

Uhr 0,5 

g Uran 











(0,07 proz.) subkutau. 

113 

\ 

1035 

s. 

+ 

_ 




30. 

10. 

1590 

20 

40 



0,151 

0,728 

2mal tgl. 2,0 2proz. Calc. lact. 

1570 

— 

40 

1 





0,151 

0.728 

2mal tgl. 4,0 0,5proz. Calc. lart. = 0,04 g. 

31. 

10. 

1450 

20 

40 






0,126 

0,877 

do. 

1. 

2. 

11. 

11. 

1480 

1480 

10 

20 

30 

40 

!l17 

1040 

s. 

+ 

— 

0,126 

0,126 

0,877 

0,877 

do. 

do. 

3. 

11. 

1500 

20 

50 

1 





0,126 

0,877 

do. 

4. 

11. 

1370 

30 

40 

I 





0.052 

0,804 

do. 

5. 

11. 

1380 

10 

40 

93 | 

1035 

s. 

+ 

— 

0,052 

0,804 

do. 

G. 

11. 

1350 

— 

30 

f 




0,052 

0,804 

do. 

7. 

11. 

1260 

— 

60 

115 

1021 

s. 

+ 1 

+ 

0,358 

1,383 

do. 

8 . 

11. 

1150 

Nachts gest. 









In der 

Blase . . 

93 1 

1026 

s. ; 

+ 

+ 

0,358 

1,383 



Die beiden Tabellen sind zweifelsohne Repräsentanten der Pohl sehen 
Tiere, indem beide bei offenen Harnwegen an ihrer Nephritis zugrunde 
gehen. Trotzdem ist der Verlauf nicht ganz gleich. Das Tier Nr. 225, 
das die hohen Kalkwerte erhalten hat, zeigt von Beginn an, nicht etwa 
erst nachdem einige Tage verstrichen sind, deutlich erhöhte Diurese, die 
in ihrer Intensität sich bis zum Exitus erhält. Entsprechend dem akuten 
Einsetzen der vermehrten Wasserzufuhr dauert der ganze Prozess auch 
nur sechs Tage. In dieser Zeit werden mit dem Urin Mengen an NaCl 
und N ausgeschwemmt, die bedeutend grösser sind als die vor der Ver¬ 
giftung gefundenen Tageswertc. Kurzum das Krankheitsbild ist eine sehr 
schnell einsetzende Nierenentzündung und man sieht, dass das Tier 
Nr. 225 mit der Tagesdosis von 0,6 g Kalzium noch akuter, schneller 
und schwerer die Symptome der Nephritis zeigt als das Tier Nr. 88, 
welches eine Kalkdosis von 0,2 g erhalten hatte, und es liegt nahe, für 
die Schwere des Krankheitsprozesses den injizierten Kalk verantwortlich 
zu machen, derart, dass je grösser die Kalkmenge, um so heftiger die 
klinischen Erscheinungen. In diesen Zusammenhang hinein passt das Tier 
Nr. 224 mit 0,04 g Kalzium pro die sehr gut; es hatte geringere Calc. 
lact.-Dosen als Nr. 88 (0,2) erhalten. Es erkrankt nicht sofort an 
Diurese. Erst am letzten Tage lässt es 208 ccm Urin. Audi die NaCl- 
und N-Werte sind nicht so eklatant gegen die Periode vor der Vergiftung 
erhöht, mit Ausnahme der letzten Tage. Es scheint, wenigstens nach 
den Urinmengen zu schlicssen, als ob sich am Todestage das PohIsche 
Krankheitsbild entwickeln wollte, was der Exitus verhinderte. Die Ur¬ 
sache dieses abgekürzten Decursus morbi ist wohl in dem Kalk zu 
suchen, der den Mittelweg zwischen akuter und subakuter Nephritis 
bewirkte. 


25* 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 










374 


L. DÜNNER, 


III b. 

Wir haben in dem vorhergehenden Abschnitt lila einen Gegensatz 
zwischen der Kalk- und der Kochsalzwirkung auf uranvergiftete Kaninchen 
gesehen und wir glaubten die Beobachtung dahin deuten zu dürfen, dass 
Kalk in entsprechender Dosis aus der subakuten eine akute zu machen 
vermag, während physiologische NaCl-Lösung für den Gang der Nephritis 
ohne Belang sei. Denn das mit 0,9proz. NaCl-Lösung behandelte 
Tier Nr. 50 unterschied sich nicht wesentlich von den gewöhnlichen 
Pohl-Tieren. Es bleibt dahin gestellt, ob alle nach dieser Methode be¬ 
handelten Tiere diese Merkmale haben. Bei der Mannigfaltigkeit der 
Erscheinungen, die wir bei reinen Pohl-Tieren gefunden haben, muss 


Tier Nr. 221. 


-- 

— 

w?— 


— 

U 

r i n 






Datum 

Ge- 

rt 

OJ 

3 

Menge 

N3 fe 

-M 

•o 

c ® 
a 'S 

bß 

NaCl 

N 

Bemerkungen 

wicht 

w 

£ 

ft.? 

rt 

JZ ^ 

fl 

cd 









C/3 O 



in 




25.10. 

1800 

20 

100 

30 

1050 

s. 


_ 

0,048 

0,790 


26. 10. 

1780 

40 

30 

25 

V 

s. 

— 

— 

0,054 

0,673 


27. 10. 

1720 

30 

60 

28 

? 

s. 

— 

— 

0,044 

0,605 


28. 10. 

1740 

30 

50 

1 





0,093 

0,850 


29. 10. 

0,5 ccm Uran 
(0,07 proz) subkutan. 

} 52 

1045 

s. 

+ 


0,093 

0,850 



1770 

30 

30 

) 

1043 


+ 


2 mal tgl. 2,0 NaCl (0,9 pCt.) 

30. 10. 

1700 

20 

40 

55 

s. 

— 

0,176 

1,620 

2 mal ttfl. 4,0 NaCl (0,9 pCt ) 

31. 10. 

1650 

20 

60 

} 50 



+ 


0,075 

0,806 

do. 

1 .11. 

1680 

30 

30 

1 (Jzo 

s. 


0,075 

0,806 

do. 

2 .11. 

1620 

15 

30 

33 

y 

s. 

+ + 

— 

0,158 

0,9640 

do. 

3.11. 

1580 

0 

50 

86 

1025 

s. 

+ 

+ 

0,369 

1,376 

do. 

4. 11. 

1500 

20 

70 

40 

1037 

s. 

++ 


0,080 

1,265 

do. 

5. 11. 

1500 

20 

50 

29 

y 

s. 

++ 

+ 

0,058 

0,872 

do. 

6 . 11. 

1460 

50 

10 

} 36 

1042 

s. 

+ 

+ 

0,072 

0,626 

do. 

7.11. 

1520 

40 

70 



0,072 

0,626 

do. 

8 . 11. 
9. 11. 

1540 

1550 

10 

40 

30 

40 

} 68 

1034 

s. 

+ 

+ 

0,081 

0,081 

0,995 

0,995 

do. 

do. 

10 . 11. 

1470 

40 

70 

48 | 

1035 

s. 

+ 

+ 

0,076 

1,595 

do. 

11 . 11. 
12 . 11. 

1470 

1490 

20 

30 

50 

70 

} 86 1 

1 1032 

s. 

+ 

i 

0,120 

0,120 

0,766 

0,766 

do. 

do. 

13.11. 

1450 

25 

90 

88 

1014 

s. 

+ 


0,210 

1,247 

do. 

14. 11. 

1500 

20 

40 

67 

1020 

s. 

+ 

— 

0,227 

? 

do. 

15. 11. 
16.11. 

1420 

1470 

70 

20 

80 

90 

}94 

1021 

s. 

+ 

— 

0,122 

0,122 

0,789 

0,789 

do. 

do. 

17. 11. 

1420 

40 

110 

105 

| 1015 

s. 

+ 

1 — 

0,420 

0,926 

do. 

18. 11. 
19. 11. 

1400 

1410 

30 

50 

140 

100 

J 155 

1017 

s. 

i + 

1 


0,232 

0,232 

0,898 

0,898 

do. 

do. 

20 . 11. 

1320 

0 

140 

58 

! 1015 

n. 

+ 

— 

0,208 

0,596 

do. 

21 . 11. 

1350 

10 

90 

62 

i 1025 

»■ 

+ 

! _ 

0,124 

0,880 

do. 

22 . 11. 

1340 

0 

100 

60 

! 1013 

! s. 

+ 

— 

0,120 

0,664 

do. 

23. 11. 

1330 

20 

150 

65 

1013 

s. 

+ 

— 

0,221 

0,857 

do. 

24. 11. 

1300 

20 

70 

90 

1015 

s. 

+ 

] 

0,306 

1,780 

do. 

25. 11. 

1270 

20 

110 

64 

1023 

s. 

+ 

1 _ 

0,102 

1,219 

do. 

26. 11. 

1260 

0 

110 

57 

1 1023 

1 s - 

+ 

— 

0,201 

1,005 

do. 

27. 11. 

1240 

? 

? 

63+ 








Am 2$. 1 

1. morg. V 

üt gefunden. 





1 




Boi der 

Autopsie 

Hlsisenuriu 

72 












135 

1015 

s. 

1 

+ 

| — 

0,513 

3,969 



l ) Vom 2. 11. ab Zucker + . 


Digitized by v^ouQie 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) nach Uran Vergiftung. 375 


man mit der Möglichkeit rechnen, auch andere Resultate bei gleicher 
Behandlungsmethode zu erzielen. Es sollte nicht unsere Aufgabe sein, 
alle Varianten zu finden. Wir begnügten uns mit der Repetition des 
Versuches 50 (0,9proz. NaCl-Lösung) mit dem Tier Nr. 221 und 
schlossen hieran, da dieses (Nr. 221) mit jenem fast vollkommen 
übereinstiramte, einen Versuch, in dem wir noch den Einfluss hyperto¬ 
nischer Kochsalzlösungen studierten. Diesem Zweck diente das Tier 
Nr. 277, dem wir täglich 2 mal 4 ccm einer l,2proz. NaCl-Lösung nach 
der Uranvergiftung intravenös injizierten. Die eingespritzte Menge sowohl 
wie der Prozentgehalt des NaCl ist willkürlich gewählt. 


Tier Nr. 277. 








Ur 

i n 





• • 

Datum 

Ge¬ 

wicht 

Hafer 

Wasse 

Menge 

Spez. 

Gew. 

Reakt. 

Alb. und 
Zylinder 

Sang. 

NaCl 

N 

Bemerkungen 

28. 2. 
1.3. 

1750 

1750 

90 

50 

65 

40 

} 

55 

1042 

s. 

— 

— 

0,066 

0,066 

0,612 

0,612 


2. 3. 

1650 

90 

90 


47 

1025 

s. 

— 

— 

0,075 

0,901 


3. 3. 

1770 

90 

90 

\ 






0,024 

0,497 


4.3. 

1620 

90 

90 

t 


1U40 

s. 



0,024 

0,497 


5. 3. 






0,5 ccm Uran (0, 

proz 

.) subkutan. 


6 . 3. 

1620 

1600 

70 

70 

90 

90 

) 

52 

1030 

s. 


— 

0,026 

0,026 

0,575 

0,575 

2X^ ccm NaCl (1,2 pCt ' 
do. 

7. 3. 

1570 

80 

90 


98 

1020 

s. 

+ 

— 

0,254 

1,150 

do. 

8 . 3. 

1450 

50 

90 


47 

1015 

s. 

+ 

+ 

0,150 

0,736 

do. 

9. 3. 

1300 

20 

90 


90 

1020 

s. 

+ 

+ 

0,234 

1,493 

do. 

10. 3. 

1220 

? 

? 


64 

1020 

s. 

+ 

+ 

0,153 

0,947 

do. 

11.3: 

In Agonie morgens 

i früh, 

mittags gestorben 





Das Tier Nr. 277 nimmt eine Sonderstellung ein. Es zeigt den 
Charakter, den wir schon von den mit grossen Kalkdosen gespritzten 
Tieren kennen. Keine über lange Zeit sich hinziehende Nephritis, in 
deren Verlauf sich Tage mit grossen Urinmengen einstellten, sondern 
eine akut einsetzende Nephritis, die am siebenten Tage nach der Ver¬ 
giftung ihr Ende erreicht. Hier sehen wir ganz ausgesprochene Polyurie, 
Ausschwemmung von NaCl und N. 


So hat sich denn, wenn man das Ergebnis der Kalkversuchc bei 
uranvergifteten Tieren zusammenfassen will, die interessante Beobachtung 
ergeben, dass intravenöse Injektionen von Calc. lact. bei der Urannephritis 
das Einsetzen der Polyurie und des Todes beschleunigen. Dement¬ 
sprechend erfolgt auch die Zunahme der NaCl- und N-Ausscheidung 
durch die Nieren schneller und intensiver. Sehr kleine Kalkdosen zeigen 
diese Wirkung nur minimal, dahingegen ist der Einfluss grosser Kalk¬ 
mengen sehr deutlich. Von der hemmenden Wirkung des Kalkes auf 
die Nierenfunktion, die wir oben bei Phloridzindiabetes, Nephritis usw. 
kennengelernt haben, ist hier bei der Urannephritis nichts zu konstatieren. 
Gerade der entgegengesetzte Einfluss tritt in die Erscheinung. 


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i)7() L. Dl 'NN ER, Wesen d. experimentellen Ausschwemmungsnephritis (Pohl) usw. 


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Ira Laufe dieser Versuchsreihe hat sich noch der bemerkenswerte 
Befund ergeben, dass die Zufuhr von verhältnismässig geringen Mengen 
hypertonischer Kochsalzlösung eine ähnliche Wirkung auf die Uran¬ 
nephritis ausübt wie der Kalk. Wir sind dieser Frage des Kochsalz¬ 
einflusses nicht weiter nachgegangen, da sie nicht direkt zum Thema 
gehört. Weitere Versuche in dieser Richtung müssten feststellen, ob cs 
sich dabei um einen Zufall oder um eine Gesetzmässigkeit handelt. 

Zusammenfassung. 

1. Nach subkutaner Injektion kleiner Uranmengen entsteht, wie Pohl 
zuerst gefunden hat, beim Kaninchen eine Nephritis, die bis zum Tode 
mit Polyurie, Ausschwemmung von N und NaCl einhergeht. 

2. Die charakteristische Ausschwemmung bei dieser Nepritis wird höchst¬ 
wahrscheinlich durch eine besondere Affinität des Urans zu den Nieren 
verursacht, derart, dass die übrigen Organe primär durch das Uran 
nicht vergiftet werden; denn nach Injektion des Urans direkt in die 
Nierenarterien erhielten wir das Bild der Pohlschen Krankheit mit 
den Ausschwemmungen, und bei der Injektion von Uran in eine 
Nierenarterie und bei der nach einigen Stunden erfolgten Exstirpation 
der betreffenden Niere blieben die Tiere gesund. 

3. Intravenöse Zufuhr von Kalk vermag je nach der einverleibten Menge 
mehr oder weniger die Symptome der Urannephritis zu beschleunigen 
und zu verstärken. In gleichem Sinne wirkt anscheinend hypertonische 
Kochsalzlösung. Dahingegen beeinflusst intravenös eingespritzte physio¬ 
logische NaCl-Lösung die subakutc Urannephritis nicht. 


Literatur. 

1 ) Pohl, Ueber subakute Nephritis. Aich. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 67. — 
2) Baehr, Ueber die Polyurie bei subakuter Nephritis. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 
Bd. 109. — 3) Derselbe, Ueber experimentelle Schrumpfniore. Beitr. z. path. Anat. 
u. allgem. Path. Bd. 75. — 4) Jacoby u. Eisner, Einwirkung von Kalksalzen auf 
die Niere. Berl. klin. Wochenschr. 1913. Nr. 29. — 5) Jacoby u. R. Rosenfeld, 
Einwirkung von Kochsalzen auf den Phloridzindiabetes. Biochem. Zeitschr. Bd. 69. 
— 6) Eisner, Beeinflussung der Nierenfunktion des Menschen durch Kalksalze. 
Deutsch. Aroh. f. klin. Med. Bd. 112. (Weitere Literatur ist dort angeführt.) — 
7) Tan gl, Biochem. Zeitschr. 1911. Bd. 34. 



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XVII. 


Aus dem städtischen Krankenhaus Moabit in Berlin 
(I. innere Abteilung: Gchf. Med.-Rat Prof. Dr. Georg Klempercr). 

Zur Diagnostik der lnetastatischen Knochenmarkstumoren 
aus dem Blutbefund. 

Von 

Johannes von Roznowski. 

Unerwartet wird bisweilen bei der Sektion sehr kachektischcr Menschen 
eine generalisierte Geschwulstbildung im Knochenmark festgestellt, die im 
Leben nicht diagnostiziert worden war, weil keinerlei Symptome darauf 
hinzuweisen schienen. 

In der Tat kann die Diagnose der multiplen Knochenmarksmetastasen 
maligner Tumoren bisweilen grosse Schwierigkeiten machen. In Fällen, 
wo bei der bestehenden oder auch bei einer früheren Erkrankung ein 
Priraärtumor diagnostiziert, eventuell operativ entfernt worden ist, und 
wo jetzt fortschreitende Anämie und Kachexie, Knochenschmerzen, Knochen¬ 
auftreibungen, Spontanfrakturen auftreten, liegt die Diagnose Knochen¬ 
metastasen auf der Hand. 

Uebrigens ist dabei zu berücksichtigen, dass ein langes Zurückliegen 
der Operation de? Primärtumors und ein jahrelanges Freigebliebensein 
von Rezidiven die Diagnose Metastasenbildung im Knochensystem nicht 
unwahrscheinlich macht. Es sind Fälle bekannt, wo 7 bis 8 Jahre 
und noch länger nach Maramaamputationen wegen Karzinom die ersten 
Symptome von Knochenmetastasen in Erscheinung getreten sind (Petren, 
Ritchie und Stewart, Bruns). 

In anderen Fällen, wo weder früher noch bei der jetzigen Erkrankung 
ein Tumor festgestellt werden konnte, liegt die Annahme metastatischer 
Knochenmarksgeschwülste nicht so nahe. Während nämlich die Metastasen¬ 
bildung maligner Tumoren in den anderen Organen doch meist erst er¬ 
folgt, wenn der Primärtumor schon eine gewisse Grösse erreicht hat, 
kann ausgedehnte Metastasierung ira Skelettsystem oft schon erfolgen, 
wenn der Primärtumor noch ganz jung ist. Recklinghausen teilte 
einen Fall mit, wo bei der Sektion multiple Knochenmarkstumoren ge¬ 
funden wurden, ohne dass zunächst ein Primärtumor aufzufinden war. 
Nur das geübte Auge des Prosektors entdeckte auf der Schnittfläche der 
Prostata eine kleine Stelle von etwas abweichender Färbung. Erst dio 
mikroskopische Untersuchung ergab die Diagnose: Prostatakarzinom mit 
multiplen Knochenmarksmetastasen. 


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378 


JOHANNES von ROZNOWSKI, 


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Ferner kann die Diagnose dadurch sehr erschwert werden, dass die 
von Metastasen durchsetzten Knochen äusserlich oft gar keine Ver¬ 
änderungen aufweisen; die Metastasenbildung bleibt lediglich auf die 
Markhöhle beschränkt. Auch Knochenschmerz kann vollständig fehlen. 
In einem von Schleip veröffentlichten Falle ergaben sich bei der 
Sektion ausgedehnte Tumormassen in Wirbelsäule, Rippen, Sternum, 
rechter Clavicula und Beckenknochen, ohne dass im Leben — abgesehen 
vom Blutbefund — irgendwelche Symptome vorhanden gewesen wären, 
die die Aufmerksamkeit auf eine Skeletterkrarikung gelenkt hätten. Es 
wird ausdrücklich hervorgehoben, dass nirgends Druckempfindlichkeit be¬ 
stand, und dass selbst starkes Beklopfen der Knochen, die sich später 
von Metastasen durchsetzt zeigten, schmerzlos war. 

Von grosser Bedeutung für die Diagnose „multiple, metastatischc 
Knochenmarkstumoren“ ist ein charakteristischer Blutbefund. In der 
grossen Mehrzahl der in der Literatur veröffentlichten Fälle wird als 
einzige Angabe über das Verhalten des Blutes „Anämie“ erwähnt, 
oder es wird angegeben, das Blutbild sei ein der perniziösen Anämie 
ähnliches. 

In der Tat findet sich fast immer ziemlich starke Anisozytose, auch 
Poikilozytose; hin und wieder sieht man hämoglobinreichere und poly¬ 
chromatophile, bisweilen auch basophil punktierte rote Blutkörperchen. 
Oft sind Erythroblasten, in manchen Fällen sogar in auffallend reich¬ 
lichen Mengen — Normoblasten und seltener Megaloblasten — vorhanden. 
Meist jedoch bleibt, im Gegensatz zum Blutbefund bei der perniziösen 
Anämie, der Färbeindex unter 1; die roten Blutkörperchen sind hämo¬ 
globinarm oder wenigstens nicht hyperchrom. Ein ständiges Sinken ihrer 
Anzahl wurde in allen Fällen, die längere Zeit beobachtet werden konnten, 
festgestellt. 

Das Verhalten der Leukozyten ist, was ihre Zahl betrifft, sehr ver¬ 
schieden. Während in manchen Fällen Leukopenie beobachtet worden 
ist — Kurpjuweit und ferner Harrington und Kennedy haben in 
einigen Fällen nur 2500 Leukozyten im Kubikmillimeter gezählt —, war 
in der Mehrzahl der Fälle eine Hyperleukozytosc vorhanden. In der 
Regel bleibt die Zahl der Leukozyten zwischen 10000 und 30000; es 
kann jedoch auch zu sehr hohen Werten kommen, wie die Fälle von 
Käst und von Dieballa und Entz beweisen, wo das eine Mal 114000 
bzw. 120000, das andere Mal 112000 Leukozyten gezählt worden sind. 
Auf die Art der Tumoren kommt es dabei nicht an; sowohl bei Karzinomen, 
als auch bei Sarkomen — den beiden hauptsächlichsten Vertretern der 
malignen Tumoren, die Knochenmetastasen machen — kann bald Leuko¬ 
penie bald Leukozytose auftreten. 

Die polymorphkernigen Leukozyten sind meist in annähernd normalen 
Prozentzahlen vorhanden; sie zeigen im allgemeinen wenig gelappte Kerne. 



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Zur Diagnostik der metastatischen Knochenmarkstumorcn aus dem Blutbefund. 379 


Es ist also eine Verschiebung des Blutbildes nach links in Arnethschem 
Sinne vorhanden. In bezug auf die Lymphozyten sind meist keine 
gröberen Veränderungen vorhanden. Eosinophile und Mastzellen sind fast 
immer vermindert an Zahl. 

Wichtig ist das Auffinden von Myelozyten im Blute in grösserer 
Zahl. In Fällen von ausgedehnterer Metastasenbildung im Knochenmark 
sind Mengen von 11—17 pCt. beobachtet worden. 

Eine Reihe von Autoren sind zu dem Schluss gekommen: Treten 
mit dem Symptomenbild einer schweren Anämie Myelozyten in grösserer 
Zahl im Blute auf, so spricht das für das Bestehen maligner Knochen¬ 
markstumoren. Im übrigen aber weichen ihre Befunde vielfach von 
einander ab. 

1901 hat H. Hirschfeld 1 ) die Fälle von Knochenmarkstumoren aus 
der Literatur gesammelt, bei denen Angaben — vielfach allerdings nur 
ungenaue — über den Blutbefund gemacht waren, und drei eigene 
Beobachtungen veröffentlicht. Er kommt zu dem Schluss: Eins der 
wesentlichsten Symptome von Knochenmarkstumoren grösserer Aus¬ 
dehnung ist schwere Anämie. In der Regel tritt eine Vermehrung der 
Leukozyten auf, und es finden sich pathologische Formen im Blute; 
nämlich Myelozyten, grosse mononukleäre Leukozyten, Comilsche Zellen 
und polymorphkernige Leukozyten ohne Granulationen. Stets ist eine 
Verminderung der eosinophilen Zellen vorhanden. Das Knochenmark be¬ 
sitzt weitgehende Regenerationsfähigkeit. In Fällen jedoch, wo es infolge 
allzu grosser Raurabeschränkung durch ausgedehnte Metastasenbildung 
nicht mehr imstande ist, in normaler Weise zu funktionieren, kann 
vikariierend eine myeloide Umwandlung der Milz eintreten. „Zurzeit 
erscheint es noch nicht möglich, auf Grund des Blutbefundes allein die 
Diagnose zu stellen.“ 

Kurpjuweit 2 ) hat 1903 in ähnlicher Weise eine zusammenfassende 
Arbeit über Knochenmarksmetastasen maligner Tumoren veröffentlicht, 
und aus drei eigenen und zehn Fällen der Literatur den Schluss ge¬ 
zogen: Auch wenu kein Primärtumor konstatiert werden kann, so muss 
die Diagnose maligner Tumor mit Knochenmarksmetastasen gestellt werden, 
falls bei bestehender schwerer Anämie mit Poikilozytose, Polychromatophilie 
und Erythroblasten Myelozyten in Mengen von mehreren Prozenten auf- 
treten. In Fällen von ausgedehnterer Metastasenbildung im Mark zeigen 
Milz, Leber und Lymphdrüsen Zellelementc, wie sie nur dem Knochenmark 
zukommen; also wird anzunehmen sein, dass diese Organe bei Behinderung 
der Blutbildung im Knochenmark dessen Aufgabe übernehmen. 

1) Hans Hirschfeld, Ueber Blutbefunde bei Knochenmarkstumoren. Fortschr. 
d. Med. 1901. Bd. 19. Nr. 29. 

2) 0. Kurpjuweit, Zur Diagnose von Knochenmarksmetastasen bei malignen 
Tumoren aus dem Blutbefund. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1903. Bd. 77. S. 553. 


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380 


JOHANNES von HOZNOWSKI, 


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Eine ziemlich stark abweichende Ansicht hat Schleip 1 ) ausge¬ 
sprochen. Er fand ausser der auch von den anderen Autoren beschrie¬ 
benen Anämie mit Myelozyten in grösserer Zahl in zwei von seinen drei 
Fällen „abnorme Zellen“ im Blut, die „in direktem Zusammenhang mit 
den Knochenmarkstumoren stehen 11 , d. h. also offenbar als Geschwulst- 
zcllen aufgefasst werden. Sie werden beschrieben als zum Teil sehr 
grosse Zellen (bis 25 ^ Durchmesser) mit voluminösem, schwach baso¬ 
philem Protoplasma ohne Granula und relativ grossem, rundem oder 
ovoidem, chromatinreichem Kern von lockerer, oft etwas gelappter Struktur. 
Die Zahl dieser „abnormen Zellen“ stieg in einem Falle bis auf 54,3 pCt. 
bei 6900 Leukozyten im Kubikmillimeter. 

Ob diese Zellen in der Tat als Geschwulstzellen aufgofasst werden 
dürfen, erscheint doch sehr zweifelhaft. Sicherlich werden in Fällen von 
malignen Knochenmarkstumoren auch Geschwulstzellen im Blute vor¬ 
handen sein. Ihr Auffinden im Blutausstrichpräparat wird jedoch nur 
als ein glücklicher Zufall zu bezeichnen sein. Denn einmal ist die Be¬ 
urteilung isolierter Tumorzellen sehr schwierig und andrerseits bleiben 
sio ja im strömenden Blut selten intakt. Vor allen Dingen wird man 
aber eine solche Ueberschwemmung des Blutes mit Tumorzellen — 
54,3 pCt. bei 6900 Leukozyten wären rund 3700 Geschwulstzellen in 
1 emm Blut — nicht annehmen können. Selbst bei 1 pCt. Turaorzellen 
auf 8000 weisse Blutkörperchen im Kubikmillimeter wären 4000 Tumor¬ 
zellen in jedem Blutstropfen (1 ccm = 20 Tropfen gerechnet). Es müssten 
also, gleichmässige Verteilung vorausgesetzt, ungeheure Mengen von Ge¬ 
schwulstzellen im Blute kreisen. Das Auffinden von Zellen, die in di¬ 
rektem Zusammenhang mit der Geschwulst stehen, erscheint demnach 
für die Diagnostik der Knochenmarkstumoren nicht verwertbar; man 
müsste denn die in neuester Zeit bei anderen, hauptsächlich Bluterkran¬ 
kungen hin und wieder zu diagnostischen Zwecken ausgeführte Punktion 
des Knochenmarks anwenden. 

Ehrlich und Grawitz 2 ), ferner Israel und Leyden 3 ) haben eben¬ 
falls in Fällen von metastatischen Knochenmarkstumoren abnorme Zellen 
im Blute gefunden; dieselben werden jedoch nicht als Geschwulstzellen 
aufgefasst. In dem einen Falle wird angenommen, dass es Knochen- 
marksclemente seien, im anderen Falle wird ihre Aetiologie nicht genauer 
erörtert. 

Andere Autoren sind zu ganz ähnlichen Resultaten gekommen, wie 
Hirschfeld oder Kurpj u weit. Erwähnt seien die Arbeiten von Epstein 4 ), 


1) K. Schleip, Zur Diagnose von Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 
Zeitschr. f. klin. Med. 1906. Bd. 59. S. 261. 

2) Charite-Annalen. Bd. 5. S. 198. 

3) Berliner klin. Wochenschr. 1890. S. 231. 

4) Zeitschr. f. klin. Med. 1896. Bd. 30. S. 121. 



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Zur Diagnostik dor metastatischen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbofund. 381 

Braun 1 ), Frese 2 ), Käst 3 ), Rotky 4 ), Harrington - Tcachcr 5 ), 
Roman 6 ) und Harrington-Kennedy 7 ). 

Auch in zwei der im Krankenhaus Moabit in letzter Zeit beobach¬ 
teten vier Fälle von multiplen Knochenmarksmetastasen maligner Tumoren, 
über deren Krankheitsgeschichte in dieser Arbeit berichtet werden soll, 
war derselbe Blutbefund vorhanden. In dem einen Falle handelte es 
sich um eine 53 Jahre alte Frau, welcher 7 Jahre vor dem Auftreten der 
ersten Zeichen von metastatischen Knochenmarkstumoren die linke Mamma 
wegen Karzinom amputiert worden war; der andere Fall betrifft einen 
18jährigen jungen Mann mit periostalem Sarkom des rechten Oberschenkels. 

Zur besseren Uebersicht mögen eine Anzahl der bereits veröffent¬ 
lichten Blutbefunde bei metastatischen Knochenmarkstumoren in Form 
einer Tabelle angeführt werden (vgl. S. 382 u. 383). 

Es sind nur die Fälle verzeichnet, bei denen genaue Angaben über 
das prozentuelle Verhältnis der Leukozyten vorliegen. 

1. Frau E. R., 51 Jahre alt, aufgenommen am 21. 3. 1912. Die Mutter der Pat. 
ist an Leberkrebs gestorben. 1905, also vor 7 Jahren, wurde der Pat. die linke Mamma 
wegen einer bösartigen Geschwulst amputiert. Seit etwa 9 Woohen Schmerzen in 
beiden Hüftgelenken, besonders stark auf der rechten Seite. 

Status bei der Aufnahme: Graziler Körperbau, schlechter Ernährungs¬ 
zustand, blasse Hautfarbe, lieber die linke Brustseite, schräg nach der Achselhöhle 
verlaufende Narbe; die linke Mamma fehlt. 

Cor: Dämpfung normal begrenzt; über allen Ostien systolisches Geräusch, be¬ 
sonders deutlich über der Pulmonalis. II. Ton an der Herzspitze etwas paukend. 

Pulmones: normale Grenzen, gute respiratorische Verschieblichkeit, kein patho¬ 
logischer Auskultations- oder Perkussionsbefund. 

Abdomen: Epigastrium auf Druck etwas empfindlich; Milz ist palpabel und 
ziemlich druckschmerzhaft, sie überragt fingerbreit den Rippenbogen. 

Urin, Stuhl, Magensaft: ohne Besonderheiten. 

Nervensystem: kein pathologischer Befund. 

29. 3. Blutbefund: 45pCt. Hämoglobin, 3000000 Erythrozyten, 9000 Leuko¬ 
zyten. Der gefärbte Blutausstrich zeigt ziemlich viel Erythroblasten, Anisozytoso und 
Poikilozytose der roten Blutkörperchen; von den weissen Blutkörperchen sind: 


Polymorphkernige Neutrophile . 

40,5 pCt. 

Eosinophile. 

3,0 „ 

Lymphozyten. 

42,5 „ 

Grosse Mononukleäre .... 

9,0 „ 

Myelozyten. 

5,0 „ 


Auf dem Röntgenbilde zeigt sich die Flexura coli lienalis sehr tief liegend, 
durch einen Tumor nach unten gedrängt; „doch scheint an dieser Stolle keine 
Passagestörung im Darm vorzuljegen a . 


1) Wiener med. Wochenschr. 1896. S. 481. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Mod. 1900. Bd. 68. S. 387. 

3) Deutsches Arch. f. klin. Med. 1903. Bd. 76. S. 48. 

4) Prager med. Wochenschr. 1906. Nr. 3. 

5) Glasgow medical journal. April 1910. 

6) Zieglers Beiträge. 1912. Bd. 53. S. 69. 

7) The Lancet. 8. Februar 1913. 


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382 


JOHANNES von ROZNOWSKI 


Nr. 

Autor 

Alter und 
Geschlecht 
des 

Patienten 

Primärtumor 

Hämo¬ 

globin 

pCt 

Erythro¬ 
zyten 
im emm 

Färbe¬ 

index 

Leuko¬ 
zyten 
im cmra 

1 

Frese, 1900. 

28 Jahre, 

Pyloruskarzinom. 

21 

900 000 

1,17 

9 220 


Fall 11. 

weiblich. 








1 Tag 

ante mortem. 

12 

681 000 

0,86 

10 150 

2 

Hirschfeld, 1901. 

63 Jahre, 

Uteruskarzinom. 

20 

1000 000 

1,00 

30 000 


Fall II. 

weiblich. 






3 

Käst, 1903. 

56 Jahre, 

Peniskarzinom. 

55 

3 150 000 

0,87 

114 000 



männlich. 








1 Tag ante mortem. 

— 

3 020 000 

— 

120 000 

4 

Kurpjuweit, 1903. 

34 Jahre, 

Pyloruskarzinom. 

25 

1 825 000 

0,69 

9 100 


Fall I. 

weiblich. 







• 

1 Tag später. 

20 

718 000 

1,43 

6 700 

5 

Fall II. 

17 Jahre, 

Multiple 

20 

2 560 000 

0,39 

2 500 



weiblich. 

Knochensarkomc. 





6 

Fall III. 

51 Jahre, 

Gallenblasen¬ 

53 

3 250 000 

0,84 

22 700 



weiblich. 

karzinom. 







1 Tag ante mortem. 

50 

3 200 000 

0,78 

26 600 

7 

Fall IV. 

42 Jahre, 

Magenkarzinom. 

60 

4 320 000 

0,70 

19 700 



männlich. 






8 

Schleip, 1906. 

32 Jahre, 

Magenkarzinom. 

40 

2 328 000 

0,83 

12 600 


Fall I. 

männlich. 








1 Tag ante mortem. 

40 

1 984 000 

1,03 

16 400 

9 

Fall II. 

34 Jahre, 

Appendix¬ 

105 

4 452 000 

1,17 

7 600 



männlich. 

karzinom. 





10 

Fall III. 

57 Jahre, 

Multiple 

60 

3 104 000 

0,97 

3 600 



weiblich. 

Knochensarkome. 



j 




7 Monate später. 

70 

3 792 000 

0,93 

1 ” 


i 

10 Monate später. 

50 

2 608 000 

0,96 

6 900 

11 

1 

Harrington und 

64 Jahre, 

Magenkarzinom. 

35 

1 600 000 

1,09 

14 000 


Teachcr, 1910. 

weiblich. 








8 Tage später. 

42 

1 900 000 j 

1,10 1 

8 000 



6 Tage ante mortem. 

35 

1 800 000 

0,90 1 

8 000 

12 

Roman, 1912. 

27 Jahre, 

Retinagliom. 

67 

4 362 000 

0,77 

6 800 



männlich. 



i 



13 

Harrington und 

52 Jahre, 

Magenkarzinom. 

62 

2 751 000 

1,05 

2 500 


Kennedy, 1913. 

männlich. 








14 Tage später. 

56 

2 525 000 

1,12 

10 000 

14 

Dieballa und 

17 Jahre, 

Pleurasarkom. 

i 41 

2 608 000 

0,79 

112 600 


Entz, 1913. 

weiblich. 


I 

i 

I 




In dieser Arbeit: 

29.3.1912 

45 

| 3 000 000 

0,75 

9 000 

Frau E R., 41 Jahre alt. 

16.4. und 3.5. 1912 

40 

3 200 000 

0,63 

5 000 


Mammakarzinom. 

16. 6. 1912 

— 

| 4 200 000 

— 

3 000 



1 

.7.1912 

55 

' 2 570 000 

1,08 

| 4 800 



22.9. 1912 

45 

1660 000! 1,36 

! 3 100 


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Zur Diagnostik der metastatisohen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 383 



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384 


JOHANNES von ROZNOWSKI, 


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3. 4. Punktion des Milztumors ergibt myeloide Umwandlung der Milz ziemlich 
hohen Grades. 

Damit schien die Diagnose: Myelämie — aleukämische Myelose —, 
an die man wegen Milztumor, Erythroblasten und Myelozyten gedacht 
hatte, gesichert 1 ). 

IG. 4. Blutbefund: 40pCt. Hämoglobin, 3200000 Erythrozyten, 5000 Leukozyten. 


3. G. Von den weissen Blutkörperchen sind: 

Polymorphkernige Neutrophile . 30,5pCt. 

Eosinophile.2,7 „ 

Lymphozyten.51.3 ,, 

Grosse Mononukleäre .... 9,7 „ 

Myelozyten.5,5 „ 


Erythroblasten sind noch reichlich im Blutabstrich vorhanden. 

Unter Arsenbehandlung tritt erhebliche Besserung im Befinden der Pat. ein, so 
dass sie am 16. 6. gebessert entlassen werden kann. 

IG. G. Blutbefund: 4200000 Erythrozyten, 3000 Leukozyten. 

Von den weissen Blutkörperchen sind: 


Polymorphkernige Neutrophile . 

39,7 pCt. 

Eosinophile. 

0 „ 

Lymphozyten. 

44,8 „ 

Grosse Mononukleäre .... 

12,1 „ 

Myelozyten. 

3,4 „ 


Anisozytose und Poikilozytose der roten Blutkörperchen unverändert; Erythro¬ 
blasten seltener. 

15. 8. Pat. hat in der Zwischenzeit 12 Pfund an Gewicht abgenommen. Sie 
fühlt sich jetzt sehr elend und matt. Die Schmerzen sind heftiger geworden, sie sind 
jetzt in fast allen Knochen, besonders stark in den Schultern und im Brustkorb. 
Daher wiederum Aufnahme in das Krankenhaus. 

Status wie am 21. 3. 

16. 8. Blutbefund: 40pCt. Hämoglobin, 3200000Erythrozyten, 4400 Leukozyten. 
19. 8. In der Nacht hat sich die Pat. mit einem Ruck von der linken auf die 

rechte Seite herumgeworfen; dabei hat sie einen heftigen Schmerz im rechten 
Schlüsselbein empfunden und ein lautes knackendes Geräusch gehört. 

Befund: Fraktur der rechten Clavicula. 

Röntgenbild: „Karzinommetastasen in den Thoraxknoohen; Spontanfraktur der 
rechten Clavicula. u 

Jetzt wurde natürlich die Diagnose: Myelämie verlassen; das Blut¬ 
bild war durch das Vorhandensein multipler Knochenmarkstumoren erklärt. 

23. 8. Röntgenbild: „Karzinommetastasen des Kreuzbeins, Oberschenkel und 
Knie frei. u 

30. 8. Reaktion auf Bence-Jonesschen Eiweisskörper im Urin: negativ. 

22. 9. Blutbefund: 45pCt. Hämoglobin, 1660000 Erythrozyten, 3100 Leukozyten. 
Von den weissen Blutkörperchen sind: 


Polynukleäre Neutrophile 

. . 41,5 

Eosinophile .... 

. . 2,1 

Lymphozyten .... 

47,6 

Grosse Mononukleäre . 

. . 4,5 

Myelozyten .... 

. . 4,3 


14.10. Blutbefund: 35pCt.Hämoglobin, 1600000 Erythrozyten, 3000 Leukozyten. 

1 ) Der Fall ist von H. Hirsch feid vom Gesichtspunkte der aleukämischen 
Myelose aus bereits veröffentlicht. 



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Zur Diagnostik der metastatischen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 385 


Allmählich werden die Beschwerden der Pat. geringer. Hin und wieder noch 
Schmerzen in den Beinknochen, im ganzen jedoch Wohlbefinden. Objektiv ist der 
Zustand unverändert. Wiederholt gemachte Blutabstriche zeigen stets die erwähnten 
Veränderungen: schwere sekundäre Anämie und unter den weissen Blutkörperchen ab 
und zu Myelozyten. 

28. 3. 1913. Die Pat. wird auf ihren Wunsch entlassen. Sie hat seit der zweiten 
Aufnahme ins Krankenhaus 6 Pfund an Gewicht zugenommen. Ausser ab und zu 
auftretenden Schmerzen in den Arm- und Beinknochen, die auch, ebenso wie das 
Sternum, beim Beklopfen sehr schmerzhaft sind, fühlt sie sich beschwerdefrei. Eine 
Bestimmung der Erythrozyten zahl und des Hämoglobingehalts ist damals leider nicht 
ausgeführt worden. Es ist aber eine bedeutende Aufbesserung anzunehmen; denn als 
die Pat. wegen heftiger, stechender Knochenschmerzen am 31. 5. das Krankenhaus 
wiederaufsuchte, war der Blutbefund: 60pCt. Hämoglobin, 2900000 Erythrozyten, 
5000 Leukozyten. An Körpergewicht hatte sie seit der Entlassung 12 Pfund abge¬ 
nommen. Während des Aufenthalts im Krankenhaus trat anfänglich eine Besserung 
ein; während der ersten Monate Geringerwerden der Beschwerden. 

16. 8. Blutbefund: 60pCt. Hämoglobin, 3150000 Erythrozyten, 4100 Leukozyten. 
Dann aber bald schnell zunehmende Kachexie und Anämie. 

15. 9. 30pCt. Hämoglobin, 1550000 Erythrozyten. 

28. 10. Exitus letalis. 

Sektionsbefund: Ausgedehnte Karzinommetastasen des Röhrenknochen¬ 
marks, der Knochen und der Dura mater cerebri, an der Konvexität in die Hirn¬ 
substanz wuchernd. Metastasen in den bronchialen Lymphgefässen der Lungen. 
Ausgedehnte Pleuritis carcinomatosa. Lymphadenitis carcinomatosa der Hals-, Me- 
diastinal-, Axillar- und Retroperitonealdrüsen. 

Pulpöse Hyperplasie der Milz; Hydronephrose der linken Niere; Karzinom Verschluss 
des linken Ureters. Subrauköse Karzinommetastasen des Magens. Leber frei. Zirrhose 
des Pankreas. Karzinommetastasen in den Ovarien und in der Glandula thyreoidea. 

2. P. Sp., 18jähriger Telegraphenbote, aufgenommen am 29. 5. 1911. Die 
Familienanamnese ist ohne Besonderheiten. Vor dreiviertel Jahren bemerkte der Pat. 
eine diffuse Anschwellung des rechten Oberschenkels. Allmählich bildete sich eine 
indolente Schwellung der rechten Leistendrüsen, die exzidiert wurden. Bald danach 
bildeten sich zahlreiche neue Tumoren, das ganze rechte Bein schwoll an, Auftreten 
war vor Schmerzen nicht möglich. Der Pat. hat schon 14 Tage zu Hause gelegen. 
Jetzt hat er heftige ziehende Schmerzen im rechten Oberschenkel. 

Status bei der Aufnahme: Mittelgrosser, etwas magerer junger Mann, 
Hautfarbe: fahl, gelblich. 

Cor: Töne nicht ganz rein, II. Pulmonalton akzentuiert. Pulmones: ohne Be¬ 
sonderheiten. 

Abdomen: In der rechten Leistenbeugo zahlreiche glänzende, blaurot vorfärbte 
Tumoren von Bohnen- und Taubeneigrösse; die grösseren weicher, die kleineren 
ziemlich hart. Auch links eine Reihe ebensolcher Tumoren, ausserdem eine weiche 
walnussgrosse Drüse. Der untere Teil des Abdomens ist auf beiden Seiten, besonders 
rechts, derb infiltriert. Starkes Oedem des Penis und des Skrotums. 

Der rechte Oberschenkel ist elephantiastisch verdickt, Haut straff gespannt, 
Unterschenkel und Fuss stark ödematös. 

31. 5. Blutbefund: 53000 Leukozyten, meist polymorphkernige Neutrophile mit 
nur wenig gelappten Kernen. 4 pCt. Myelozyten. Andeutung von Anisozytose und 
Poikilozytose der roton Blutkörperchen; einzelne Norraoblasten. 

6 . 6. Im Punktat eines der Hauttumoren in der reohten Unterbauchgegend 
finden sich Zellen mit homogenem Protoplasma und gut färbbarem Kern von lockerer 
Struktur mit grossem Kernkörperchen — offenbar Tumorzellen. 


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386 


JOHANNES von ROZNOWSK1, 


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Drainage des rechten Beins mit zwei Kanülen, je einer in Ober- und Unter¬ 
schenkel. In 24 Stunden fliessen 8 Liter einer klaren, grüngelb gefärbten Flüssigkeit ab. 

12. 6. Das rechte Bein ist noch immer ödematös, doch ist die starke Spannung 
durch die vor zwei Tagen entfernte Drainago beseitigt. 

Die Tumoraussaat auf der Haut macht Fortschritte: ausser den nussgrossen 
Tumoren treten allenthalben glasige, graurote Knötchen bis zu Linsengrösse in der 
Haut der Unterbauchgegend und des rechten Oberschenkels auf. Darunter sind in der 
Tiefe knotige Tumoren durchzutasten. Die ödematöse Durchtränkung der Skrotal- 
und Präputialhaut hat nachgelassen. 

Herzaktion beschleunigt. 

Der Gesichtsausdruck des Pat. ist schwer leidend. Verfall offenbar in raschem 
Fortschreiten begriffen. 

13. 6. Exitus letalis. 

Sektionsbefund: Periostales Sarkom des rechten Oberschenkels mit massen¬ 
haften Metastasen im Knochenmark. Milzschwellung. Metastasen in Haut, Lymph- 
drüsen, Knochen, Lungen, Leber, Milz, Harnblase. 

Als Ursache für die Veränderung des Blutbildes bei malignen 
Tumoren ist die Metastasenbildung in der Markhöhle der Knochen an¬ 
genommen worden. 

Die Tumormetastasen siedeln sich entweder als Knoten oder diffus 
infiltrierend mit Vorliebe an den Stellen an, wo beim Erwachsenen ge¬ 
wöhnlich das rote Mark sitzt: in den Rumpfknochen, der Diploe der 
Schädelknochen und dem proximalen Teile der Röhrenknochen. Das 
blutbildende Mark wird durch die wachsenden Metastasen verdrängt, dann 
aber auch qualitativ verändert; da es nun nicht mehr imstande ist, in 
normaler Weise zu funktionieren, kommt es zur Anämie, zur überstürzten 
Bildung von roten Blutkörperchen und zum Austritt unreifer roter und 
farbloser Elemente ins Blut. Das vorhandene Fettmark wandelt sich in 
lymphoides um, und dieses produziert nun neue Blutelemente. Reicht 
auch das umgewandelte Mark infolge der Ausdehnung der Tumoren nicht 
mehr für die Blutbildung aus, so beteiligen sich Milz und wohl auch 
Lymphdrüsen an der Regeneration des Blutes. 

Infolge der Knochenmarkstumoren entsteht also Einschränkung der 
Blutbildung an den ursprünglichen Stätten, Behinderung der Regeneration 
und Umlenkung in andere Bahnen, die nicht so regelmässig funktionieren, 
daher auch abnorme Zellen in das Blut hinaustreten lassen (Sternberg). 

Epstein 1 ) ist der Ansicht, dass es Stoffwechsclproduktc der malignen 
Tumoren sind, welche im Sinne der negativen Chemotaxis eine Aus- 
stossung der auswanderungsfähigen Elemente des Knochenmarks be¬ 
wirken. Damit findet aber die Anämie keine Erklärung. Es ist auch 
nicht einzusehen, weshalb bei Bildung derselben Tumoren ausserhalb des 
Knochenmarks nur in ganz seltenen Fällen geringe Mengen von Myelo¬ 
zyten im Blute gefunden worden sind. 


1) J. Epstein, Blutbefunde bei metastatischer Karzinose des Knochenmarks. 
Zeitschr. f. klin. Med. 1896. Bd. 30. S. 121. 



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Zur Diagnostik der metastatisohen Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 387 


Frese 1 ) nimmt einen übermässig starken Zerfall der Erythrozyten 
unter der Einwirkung des Tumorgiftes an. — Daher auch die bei Sektionen 
oft festgestellte Siderose der Organe. — Das blutbildende Gewebe könne 
also einmal wegen der Raumbeschränkung durch die Tumormetastasen, 
dann aber auch wegen des vermehrten Unterganges der Blutkörperchen 
nicht schnell genug Ersatz schaffen und lasse daher unreife Elemente ins 
Blut übertreten. 

Diese Erklärung gewinnt grosse Wahrscheinlichkeit durch eine Mit¬ 
teilung von Dieballa und Entz 2 ): Es wurde ein Blutbefund festgestellt, 
der nach den bisherigen Erfahrungen ausgedehnte Metastasenbildung im 
Knochenmark erwarten liess. 10 pCt. Myelozyten mit dem Bilde schwerer 
sekundärer Anämie. Bei der Sektion jedoch fanden sich nur 4 bis 5 
bohnen- bis pflauraengrosse Knochenmarksmetastasen. Nahezu alle 
Knochen wurden auf das Genauste untersucht. Damit scheint der Be¬ 
weis erbracht, dass nicht allein Verdrängung des blutbildenden Gewebes 
durch die Geschwulstmassen die myeloide Umwandlung des übrig ge¬ 
bliebenen Knochenmarks bzw. der Milz und Lyraphdrüsen bewirken und 
dadurch zu der charakteristischen Blutveränderung führen kann. 

In der Literatur finden sich einige Andeutungen, aus denen hervor¬ 
zugehen scheint, dass besonders in Fällen von osteoplastischer Knochen¬ 
marksmetastasenbildung die myeloide Umwandlung der Milz ausgeprägt 
ist, während sie in Fällen von nicht osteoplastischer Metastasierung 
fehlen kann. Ob die osteoplastische Natur der Knochenmarksmetastasen 
maligner Tumoren in Beziehung steht zu der myeloiden Umwandlung der 
Milz, ist zur Zeit noch nicht zu entscheiden. Bei den meisten Autoren 
sind keine Angaben darüber vorhanden. 

Dieballa und Entz ziehen aus ihrer Beobachtung die Schluss¬ 
folgerung: Anämie und mächtige Vermehrung der Myelozyten kann in 
Ausnahmefällen auf die Geschwulsttoxine bzw. auf die durch dieselben 
verursachte biologische Reaktion des Knochenmarks zurückzuführen sein. 
Myelozyten in höherer Anzahl im Blute bei sekundärer Anämie recht¬ 
fertigt zwar die Annahme eines malignen Tumors mit Knochenmarks¬ 
metastasen; über deren Ausdehnung jedoch lassen sich aus dem Blut¬ 
befund keine Schlüsse ziehen. 

Eine weitere Einschränkung der Bewertung des Blutbefundes für die 
Diagnose: maligner Tumor mit Knochenmarksmetastasen erscheint ge¬ 
boten nach der Beobachtung zweier anderer Fälle des Krankenhauses 
Moabit. In beiden Fällen sind während des Lebens ausgedehnte Metastasen¬ 
bildungen im Skelettsystem röntgenologisch einwandfrei festgestellt, in 
einem Falle durch die Sektion bestätigt worden. (Im anderen Falle 

1) 0. Frese, Ueber schwere Anämie bei metastatischer Knochenkarzinose. 
Deutsches Arch. f. klin. Med. 1900. Bd. 68. S. 387. 

2) Dieballa und Entz, Leukämieähnliohes Blutbild bei einer bösartigen Ge¬ 
schwulst. Fol. haematolog. Archiv. 1913. Bd. 15. S. 59. 

Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 11 . 6. oc 


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388 


JOHANNES VON ROZNOWSKI, 


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kennte aus äusseren Gründen eine Sektion nicht stattfinden.) In beiden 
Fällen jedoch haben wiederholte Blutuntersuchungen, abgesehen von 
geringer Anisozytose und Poikilozytose, normalen Blutbefund ergeben. 

3. Frau M. U., 46 Jahre alt, aufgenommen am 22. 4. 1911. Pat. ist früher nie 
ernstlich krank gewesen. Vor 3 / 4 Jahren wurde sie wegen einer Geschwulst — offen¬ 
bar Karzinom — an der Brust operiert. Seit einiger Zeit klagt sie über Schmerzen im 
Genick, die in den letzten Tagen so heftig geworden sind, dass sie deswegen das 
Krankenhaus aufsuchte. 

Status bei der Aufnahme: Kleine, mittelkräftig gebaute Frau in reduziertem 
Ernährungszustand. Rechte Mamma amputiert; an ihrer Stelle eine lange Narbe, die 
bis in die Achselhöhle hineinführt. Thorax breit, gut gewölbt. Mässige Kyphose im 
Bereiche der Halswirbelsäule, die beim Beklopfen und bei einfacher Palpation sehr 
schmerzempfindlich ist. 

Cor: ohne Besonderheiten. 

Pulmones: Ueber beiden Spitzen ziemlich erhebliche Schallverkürzung und ver¬ 
schärftes Vesikuläratmen. 

Abdomen: nirgends druckempfindlich, palpatorisch nichts Pathologisches. 

Urin und Stuhl: ohne Besonderheiten. 

Nervensystem: ohne pathologischen Befund. 

Röntgenbild: „Karzinommetastasen in Halswirbelsäule, Scapula, Clavicula, 
Humerus. w # 

Andere Röntgenbilder (Dr. Max Cohn) zeigen zahlreiche, ausgedehnte Metastasen 
im gesamten Knoohensystem: Wirbelsäule, Rippen, Beckenknoohen, Oberschenkel. 

Der Blutbefund zeigt keine Abweichung von der Norm. 

4. 6.: Der Befund ist bis vor einigen Tagen stationär geblieben. Dauernd Klagen 
über Schmerzen im Genick, im Kreuz und in den Schultern. An den Knochen keine 
Veränderungen zu tasten. Pat. konnte ausserhalb des Bettes sein und war meist 
euphorisch. Seit vorgestern ist der linke Fuss geschwollen, rotblau verfärbt, fühlt 
sich kalt an. Puls der Arteria dorsalis pedis nicht zu tasten. (Embolischer Verschluss 
der Arterie.) Rapider Kräfteverfall. 

Exitus letalis. 

4. Frau F. R., 44 Jahre alt, aufgenommen am 7. 6. 1911. Vor 13 Jahren Nieren¬ 
entzündung und Blaseneiterung. Vor 8 Jahren bemerkte die Pat. in der linken Brust 
einen harten Knoten, der, ohne Schmerzen zu bereiten, allmählich grösser wurde. Vor 
5 Jahren deswegen Abtragung der linken Brust. Seit 2 Jahren indolente kleine Ge¬ 
schwulst in der rechten Mamma. Seit derselben Zeit Schmerzen in der linken Hüfte 
und im linken Bein. Seit 3 Monaten auch in der Brust Schmerzen* 

Status bei der Aufnahme: Mässig genährte Frau. An der linken Brustseite 
Narbe von der Mammaaraputation. Im Verlauf der Narbe mehrere harte, erbsengrosse, 
druckempfindliche Knötchen, ln der rechten Mamma hühnereigrosser, harter, höokriger 
Tumor. In der rechten Axillar- und in beiden Infraclaviculargruben harte, vergrösserte 
druckempfindliche Drüsen. 

Cor: normale Grenzen; systolisches Geräusch an der Spitze, 2. Aorten ton ver¬ 
stärkt. 

Puls regelmässig, 115 pro Minute. Temperatur 37,2. 

Pulmones: Leicht tympanitischer Perkussionsschall über beiden Spitzen und 
Oberlappen. Hinten unten beiderseits Dämpfung bis zum Angulus scapulae; leises, 
unbestimmtes Atmen. 

Abdomen und Nervensystem: ohne pathologischen Befund. 

Druckempfindlichkeit der Beckenknochen, unsicherer Gang; Hüftgelenke frei be¬ 
weglich. 



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Zur Diagnostik der metastatischen Knoohenmarkstumoren aus dem Blotbefund. 389 

Röntgenaufnahme der Beckenknochen ergibt zahlreiche Karzinommetastasen in 
denselben wie auch im Kreuzbein, fn den Lendenwirbeln und Oberschenkeln. 

Das Blutbild ist, abgesehen von geringer Anisozytose und Poikilozytose der 
Erythrozyten, normal. (Dr. H. Hirschfeld.) 

Im Verlaufe der Krankheit geht die Pleuritis bald zurück, der übrige Befund 
bleibt zunächst unverändert bestehen. Nach drei Monaten zeigt das Röntgenbild, dass 
die Tumormassen in Becken und Oberschenkeln grösser geworden sind. Allmählich 
bildet sich eine Kyphoskoliose aus, es treten Hautmetastasen in der Operationsnarbe, 
an der linken Wange, auf dem reohten Scheitelbein auf. Adynamie und Kachexie 
nehmen immer mehr zu, aber erst im Dezember 1913 erfolgt der Exitus letalis. 

Wiederholte Röntgenaufnahmen ergeben: „Schwere Erkrankung des ganzen 
Skelettsystems durch ausgedehnte Karzinommetastasen.“ 

Das bis zum Exitus von Herrn Dr. Hirschfeld beobachtete Verhalten des Blutes 
ergab keine wesentliche Abweichung von der Norm. 

Sektionsbefund: Ausgedehnte metastatisohe Karzinose, besonders des 
Knochenmarks und der Knochen nach Mammakarzinom. Verkrümmungen des Beckens 
und der Wirbelsäule. An wenigen Stellen der Röhrenknochen myeloides Mark. 
Karzinommetastasen der Haut, der Pleura, des Peritoneums, der Lymphdrüsen, der 
Leber, der Ovarien. 

Aus der Beobachtung dieser beiden Fälle geht hervor, dass bei 
malignen Tumoren mit zahlreichen Knochenmarksmetastasen die be¬ 
schriebene charakteristische Blutveränderung auch ausbleiben kann. Leider 
liegen genauere mikroskopische Befunde nicht vor; es muss also die 
Frage offen gelassen werden, ob die Regeneration des Blutes auf das 
zum geringen Teil von Metastasen freigebliebene Knochenmark allein 
zurückzuführen war, oder ob sich andere Organe, myeloid uragewandelt, 
an der Blutregeneration beteiligt haben. Es liegt die Annahme nahe, 
dass es sich um Tumoren gehandelt hat, deren Stoffwechselprodukte nur 
geringen Untergang von Erythrozyten bewirkt haben. (Für die „Benignität tt 
des Karzinoms in diesem Falle spricht auch der langsame Verlauf.) 
Infolgedessen ist ein grösserer Reiz des Knochenmarks zu überstürzter 
Blutneubildung und zu Ausstossung von Myelozyten ausgeblieben. 

Genaue Beobachtung des Blutbefundes in Fällen von röntgenologisch 
festgestellten Knochenmarksmetastasen maligner Tumoren wäre sehr er¬ 
wünscht zur Klärung der zur Zeit noch nicht zu beantwortenden Frage, 
weshalb in der Mehrzahl der Fälle, auch bei geringer Ausdehnung der 
Metastasen, ein charakteristischer Blutbefund vorliegt, während er 
andererseits bei weitgehendster Metastasierung des ganzen Skelettsystems 
fehlen kann. 

Zusammenfassung. 

Das Auftreten von Myelozyten in Mengen von mehreren Prozenten 
im Blute kachektischer Individuen, besonders solcher mit einem nach¬ 
weisbaren malignen Tumor, neben dem Symptomenbild schwerer sekundärer 
Anämie mit meist auffällig grossen Mengen von Normoblasten, bisweilen 
auch Mcgaloblasten, mit oder ohne gleichzeitige Leukozytose spricht auch 
beim Fehlen sonstiger Symptome mit grosser Wahrscheinlichkeit für das 

26* 


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3 ( J0 J. VON ROZNOWSKI, Zur Diagnostik d. metastatischen Knochenmarkstumoren. 


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Vorhandensein von Knochenraarksmetastasen eines malignen Tumors. 
Ueber die Ausdehnung derselben lassen sich aus dem Blutbefund keine 
Schlüsse ziehen. In zweifelhaften Fällen ist nur der positive Blutbefund 
diagnostisch verwertbar. Auch in Fällen von ausgedehnter Knochenraarks- 
metastasierung kann das Blutbild völlig normal, bleiben. 

Herrn Geh. Med.-RatProf. Dr. Klemperer sowie Herrn Dr. H. Hirsch¬ 
feld spreche ich meinen aufrichtigsten Dank aus für die Anregung zu 
dieser Arbeit und auch für die freundliche Unterstützung bei der Aus¬ 
führung derselben. 


Literatur. 

1) Braun, Ueber osteoplastisches Karzinom der Prostata. Wiener med. Wochen¬ 
schrift. 1896. S. 481. — 2) Dieballa und Entz, Leukämieähnliches Blutbild im 
Anschluss an eine bösartige Geschwulst. Fol. haematol. Arch. 1913. Bd. 15. S. 59. 

— 3) Ehrlich und Grawitz, Beobachtungen über einen Fall von perniziöser pro¬ 
gressiver Anämie mit Sarkombildung. Charitö-Ann. Bd. 5. S. 198. — 4) Epstein, 
Blutbefunde bei metastatischer Karzinose des Knochenmarks. Zeitschr. f. klin. Med. 
1896. Bd. 30. S. 121. — 5) Frese, Ueber schwere Anämie bei metastatischer Knochen¬ 
karzinose. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1900. Bd. 68. S. 387. — 6) Grawitz, 
Klinische Pathologie des Blutes. 1902. S. 625. — 7) Harrington und Teacher, 
Glasgow med. journ. April 1910. — 8) Harrington und Kennedy, Bone-marrow 
metastases and anaemia. The Lancet. 8. Febr. 1913. — 9) H. Hirschfeld, Ueber 
Blutbefunde bei Knochenmarkstumoren. Fortschr. d. Med. 1901. Bd. 19. Nr. 29. —■ 
10) Israel und Leyden, Berliner klin.Wochenschr. 1890. S. 231. — 11) Käst, 
Hyper- und metaplastische Hämatopoese bei universeller Karzinose. Deutsches Arch. 
f. klin. Med. 1903. Bd. 76. S. 48. — 12) Kurpjuweit, Zur Diagnose von Knochen¬ 
marksmetastasen bei malignen Tumoren aus dem Blutbefund. Deutsches Arch. f. klin. 
Med. 1903. Bd. 77. S. 553. — 13) Reinbaoh, Ueber das Verhalten der Leukozyten 
bei malignen Tumoren. Arch. f. klin. Chir. 1893. Bd. 46. S. 486. — 14) Roman, 
Ein Beitrag zu den metastatischen Tumoren des Skelettsystems. Zieglers Beitr. 1912. 
Bd. 53. S. 69. — 15) Rotky, Ueber einen Fall von Knochenkarzinose, der unter den 
Erscheinungen der perniziösen Anämie verlief. Prager med. Wochenschr. 1906. Nr. 3. 

— 16) Schleip, Zur Diagnose von Knochenmarkstumoren aus dem Blutbefund. 
Zeitschr. f. klin. Med. 1906. Bd. 59. S. 261.— 17) Sternberg, Vegetationsstörungen 
und Systemerkrankungen der Knochen. Nothnagel. VII. 2. 



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XVIIJ. 


Aus der I. med. Universitätsklinik der Königlichen Charite zu Berlin 
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. W. His). 

Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 

Von 

Carl Maase und Hermann Zondek, 

Assistenten der Klinik. 

(Hit 14 Abbildungen im Text.) 


Unter den in der I. medizinischen Klinik der Charite aufgenommenen 
Verwundeten hatten wir Gelegenheit, die Herzen von 40 Soldaten gleich 
nach ihrer Ankunft röntgenologisch 1 ) aufzunehmen. In ihrer Anamnese 
war, wie unten ersichtlich, nichts vorhanden, was von sich aus eine Ver¬ 
änderung der Herzen hätte bewirken können, ln allen Fällen wurden 
Fernaufnahmen gemacht. Die Fernaufnahme schien uns deswegen gegen¬ 
über der orthodiagraphischen die geeignetere zu sein, weil es uns bei 
unseren Aufnahmen neben der absoluten Grössenbestimmung der Herzen 
auch auf eine möglichst objektive Darstellung der Herzformen und der 
Proportionen der einzelnen Teile ankam. Einige Zeit nach der ersten 
Aufnahme (1—4 Monate) wurden sie wiederholt, und zwar in der 
gleichen Stellung der Patienten und unter den gleichen Bedingungen wie 
das erste Mal (gleiche Distanz und stets gleiche genaue Zentrierung auf 
den sechsten Dornfortsatz). Gleichzeitig wurden bei den Leuten, soweit 
ihre Herzen Besonderheiten darboten, elektrokardiographische Kurven 2 ) 
zu verschiedenen Zeiten aufgenommen. Es handelte sich durchweg um 
Soldaten, die kurz nach Beendigung von sehr grossen strapaziösen 
Märschen bei uns aufgenommen waren. Sie kamen teils vom östlichen 
Kriegsschauplatz (Nordost-Arraee), teils vom westlichen (Belgien, Nord- 
Frankreich). Ihre Marschleistungen beliefen sich im Durchschnitt auf 
etwa 30—40 km täglich, bisweilen 4 Wochen lang und darüber hinaus. 
Es war zu erwarten, .dass die enormen Ansprüche, die bei diesen ausser- 
gewöhnlichen Anstrengungen gestellt wurden, auf die Herzen der Be¬ 
treffenden nicht ohne Einfluss bleiben könnten. Um Weitschweifigkeiten 
zu vermeiden, mögen aus unserem Untersuchungsmaterial nur einzelne Fälle 
ausführlicher besprochen werden. Die anderen bieten kaum bemerkenswerte 
Abweichungen von dem Typ dar, der sich aus den zu besprechenden ergibt. 

1) Abgesehen davon wurde eine sehr grosse Anzahl von Soldaten nur durch¬ 
leuchtet. 

2) Fast sämtliche Kardiogramme sind nur in Ableitung I und natürlich mit stets 
gleicher Fadenspannung (1,8—2 cm) aufgenommen. Faden widerstand 4500 Ohm. 


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392 CARL MAASE und HERMANN ZONDEK, 

Fall I. Reservist (Infanterist) Paul E., 22 Jahre alt, Kaufmann, wird am 7. 10. 
aufgenommen. Grösse 168 cm, Körpergewicht71V 2 kg. Erkrankung: Furunkulose. 

Aus der Anamnese erfahren wir: Patient hat keinen Sport getrieben, hatte nie 
Gelenkrheumatismus, nie Lues; angeblich kein Alkoholabusus. Patient fuhr vom 
8.—12. 8. mit der Bahn nach A. Vom 13. 8. bis 3. 9. fast täglich Marschleistungen 
von durchschnittlich 50 km. Anfang September einige Tage nur kleinere Märsche, 
dann bis Mitte September eine Woche hindurch sehr grosse (60—70 km täglich). Nach 
zwei Ruhetagen kam Patient bei einem Nachtgefecht von seiner Truppe ab. Da er bei 
der Bagage eines Husaren-Regiments aufgenommen wurde, brauchte er nicht mehr zu 
marschieren. Am 3. 10. Einlieferung in das Lazarett. Gesamtleistung: In etwa 
31 Tagen etwa 1500 km. 

Herz: Auskultatorisch 0 . B. 

Röntgenaufnahmen. Aufnahme I am 7. 10. 1914 (vgl. Abb. 1): 

Basale Breite des Herzens = 15,5 cm 
Länge „ „ = 15,2 „ 



Abb. 1. 


Das Herzbild erscheint ziemlich stark, sowohl nach rechts wie nach links, ver¬ 
breitert. Insbesondere ist der Ausgleich des Pulmonal- und Herzohrbogens bis fast zur 
Graden auffallend. 

Aufmahme 11 am 26. 10. 1914: 

Basale Breite des Herzens = 15 cm 
Länge „ „ = 15 „ 

Die Herzkonfiguration entspricht im ganzen der der ersten Aufnahme. Nur ist das 
Herz in seiner basalen Breite um V 2 cm schmaler geworden. Es ist dies einer der 
wenigen Fälle, wo wir eine messbare Volumenabnahme bei der zweiten Aufnahme 
konstatieren konnten. Puls: 76 in der Minute, regelmässig, gleichmässig, mittel voll. 
Blutdruck: 90—110 mm Hg (Riva-Rocci). 

Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 2). Aufnahme I. Das am 7. 10. in Ab¬ 
leitung I aufgenommene Elektrokardiogramm zeigt folgende Eigentümlichkeiten: 


Geogle 


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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


393 


Die P-Zacke ist an vielen Stellen entweder garnicht vorhanden oder sehr w T enig 
ausgesprochen. An einigen Stellen ist man im Zweifel, ob die zwischen T- und R-Zacke 
befindliche flache Welle der P-Zacke entspricht oder — was das Wahrscheinlichere ist 
— eine (J-Zacke darstellt. Die Strecke a beträgt ungefähr 0,1 Sek. Ausdehnung. Die 
Entfernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,3 und 0,4 Sekunden. 
Die R-Zacke zeigt keine Besonderheiten. Die S-Zacke ist verhältnismässig tief. Die 
T-Zacke zeigt nichts Abnormes. Die Strecke y ist auffallend kurz, sie beträgt im 
Durchschnitt 0,2 Sekunden Ausdehnung. 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 0,5 mm 

77 77 77 == 77 

77 77 S- „ = 10 „ 

T — 

77 77 1 77 - ° 77 

Aufnahme II. Am 19.10. w T urde wiederum in Ableitung 1 ein Elektrokardiogramm 
des Patienten aufgenommen. Irrtümlicherweise wurden die Elektroden bei der Auf¬ 
nahme verwechselt, so dass das Elektrokardiogramm eine negative Richtung hat. Trotz¬ 
dem ist das Wesentliche deutlich aus ihm zu ersehen. Die P-Zacke ist hier überall 
deutlich ausgesprochen, die Strecke y ist wesentlich länger geworden, sie beträgt 



Abb. 2. 

0,4—0,45 Sekunden Ausdehnung. Im übrigen entspricht das Kardiogramm der ersten 
Aufnahme, insbesondere hat sich die tiefe S-Zacke kaum verändert. 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1,2 mm 

77 77 R" 77 == 14 77 

77 77 S- fl 13 v 

77 77 T* 77 == ^ „ 

Funktionsprüfung des Herzens: ln Ruhe 90 Pulsschläge in der Minute. 
Nach zehnmaligem raschem Auf- und Absteigen einerTreppe von 20 Stufen ist der Puls 
auf 110 gestiegen. Eine Minute später ist er bereits auf die Ruhefrequenz zurückgekehrt. 

Fall II. Landwehr-Infanterist Arnold H., 28 Jahre alt, Schlosser, wird am 
10. 10. 1914 aufgenommen. Verwundung: Gewehrschuss am linken Unterarm. 

Anamnese: Patient hat ausser Masern, Scharlach, Diphtherie keine Krankheiten 
durchgemacht. Lues, Gelenkrheumatismus hat er nicht gehabt. Er hat auch nur 
mässig Alkohol genommen und keinen Sport betrieben. Gewicht 76 kg, Grösse 175 cm. 
Am 13. 8. Bahnfahrt von T. nach J . . . . Vom 14.—19. 8. Märsche von 15—20 km 
täglich. Am 20. 8. Gefecht und Marsch von etw T a 48 km. Vom 21. 8. bis 2. 9. täglich 
20—40 km marschiert. 2. 9. Gefecht. Danach erkrankte Patient und lag 3 Tage an 
Magen- und Darmkatarrh darnieder. Von dort aus marschierte Patient 30 km, bis er 
zu seiner Kompagnie kam. Vom 8. 9. bis 18. 9. grosse Märsche von 30—50 km täglich 
nach Russland hinein. Dort 3 Ruhetage. Einige Tage darauf wieder Märsche von 
25—30 km. Vom 27. 9. bis 1. 10. durchschnittlich 50 km täglich zurückgelegt. Vom 
1. 10. bis 6. 10. im Schützengraben. Am 7. 10. wurde Patient verwundet. Gesamt¬ 
marschleistung in etwa 40 Tagen 1300 km. 


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304 CARL MAASE und HERMANN ZONDEK, 

Herz: Auskultatorisch o. B. — Puls: Etwa 80 in der Minute; regelmässig, 
von mittlerer Spannung. — Blutdruck: 85—107 (Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahmen. Aufnahme I am 12. 10. 1914: 

Basale Breite des Herzens = 13,5 mm 
Länge „ „ = 15 „ 

Besonders vergrössert erscheint hier das rechte Herz bzw. der rechte Vorhof. 
Der linke Herzrand stelU eine annähernd gerade Linie dar. 

Aufnahme II am 26. 10. 1914 entspricht sowohl, was die Masse als auoh die 
Herzkonfiguration betrifft, fast genau der ersten. 

Elektrokardiogramm: Das am 12. 10. aufgenommene Elektrokardiogramm 
zeigt mit Ausnahme einer relativ hohen P- und einer massig tiefen S-Zacke keine be¬ 
sonderen Eigentümlichkeiten. Das Profil des am 19. 10. aufgenommenen Elektro- 
kardiogrammms weicht von dejn des ersten nicht wesentlich ab. Die Entfernungen 
zwischen P- und T-Zacke schwanken bei beiden Aufnahmen zwischen 0,35 und 
0,4 Sekunden Ausdehnung. Die ^-Strecke entspricht 0,4 bis 0,45 Sekunden. Die 
«-Strecke beträgt durchschnittlich 0,15 Sekunden. 

Bei Aufnahme I beträgt die 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm 
„ „ R- „ 13 „ 

77 11 S- ; — 4 „ 

n »? v = ^>5 „ 

Bei Aufnahme II beträgt die 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm 

71 71 11 = 1 1 71 

11 77 S“ „ = 5 „ 

T- — 4 

77 11 - 1 71 *71 

Funktionsprüfung des Herzens: In Ruhe 100 Pulsschläge in der Minute. 
Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen ist der Puls 
auf 125 gestiegen. Eine Minute später ist er bereits zur Norm, d. h. auf 100, abgefallen. 

Fall III. Füsilier Adolf F., Bauschlosser, wird am 21. 10. 1914 aufgenommen, 
21 Jahre alt. Verwundung: Schuss durch den linken Unterarm. Grösse 182 cm, 
Gewicht 77 kg. 

Aus der Anamnese erfahren wir: Patient war stets gesund. Gelenkrheumatismus 
und Lues hat er angeblich nicht gehabt. Er fährt mässig Rad, treibt sonst keinen 

Sport, trinkt wenig Alkohol. Vom 9.—11. 8. Bahnfahrt nach L . . . . Vom 12.—19. 8. 

tägliche Märsche von 30—40 km. Vom 20.—24. 8. im Gefecht gelegen. 24. 8. Er¬ 
stürmung von N. mitgemacht. 25. und 26. 8. Ruhetage. Vom 27.—31. 8. marschierte 
das Regiment durch ganz Belgien; durchschnittliche Tagesleistung etwa 30—40 km. 
Vom 1.—4. 9. Bahnfahrt. Vom 4.—17. 9. tägliche Märsche von durchschnittlich 34 km, 
wie dem Regiment amtlich mitgeteilt wurde. Vom 17.—20. 9. Bahnfahrt. Bis zum 
7. 10. tägliche Märsche von etwa 20—30 km. Am 9., 10. und 11. 10. Gefechte. Am 
11. 10. grosser anstrengender Eilmarsch. Am 12. 10. wurde Patient verwundet. 
Gesamtmarsohleistung in etwa 40 Tagen etwa 1300 km. 

Herz: Auskultatorisch o. B. Puls: 76 in der Minute; gleichmässig, regelmässig, 
mittelvoll. Blutdruck: 108—120 (Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahmen. Aufnahme I am 22. 10. 1914: 

Basale Breite des Herzens = 13,8 cm 
Länge „ „ = 15,2 „ 

Gleichmässig vergrössertes Herz mit ziemlich gradlinigem linken Herzrand. 

Aufnahme II am 12. 11. entspricht genau der ersten. 

Elektrokardiogramm: Das am 21.10.1914 aufgenommene Elektrokardiogramm 
zeigt mit Ausnahme einer tiefen S-Zacke keine Besonderheiten. Die Entfernungen 



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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


395 


zwischen der häufig negativen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,4 und 0,45 Sek., 
die ;'-Strecke schwankt zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden Ausdehnung. Es beträgt die 
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm 

» n R- „ =13 „ 

11 11 11 - * 11 

11 11 l “ 11 == ^ 11 

Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 90 Puls¬ 
schläge. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herablaufen einer Treppo von 20 Stufen 
120 Pulsschläge. Nach einer Minute ist der Puls wieder zur Norm zurückgekehrt 
(d. h. 90). Nach zwei Minuten 85 Pulsschläge, ebenso nach drei Minuten. 

Fall IV. Musketier Franz W., 21 Jahre alt, Arbeiter, wird am 12. 10. 1914 
aufgenommen. Verwundung: Streifschuss am rechten Oberschenkel. Grösse 167cm, 
Gewicht 68 kg. 

Aus der Anamnese erfahren wir: Patient war bis zu Kriegsbeginn stets ge¬ 
sund. Gelenkrheumatismus und Lues hat er nicht durchgemacht. Patient ist Bier¬ 
trinker massigen Grades. Vom 8.—10.8. Bahnfahrt. Vom 11.—23. 8. fast tägliche 
Märsche von 30—50 km, einmal 90 km in 24 Stunden. Vom 24. 8. bis 7. 10. nur 
kleinere Märsche, aber fast täglich Gefechte, Ausheben von Schützengräben, dann 
Sturmangriffe. Am 7. 10. wurde Patient verwundet. Gesamtmarschleistung in 
etwa 40 Tagen etwa 1000 km. 

Herz: Auskultatorisch o.B. Puls: 70 in der Minute, regelmässig, gleichmässig, 
mittel voll. Blutdruck: 120 max. (Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahmen (vgl. Abb. 3). Aufnahme I am 13. 10. 1914: 

Basale Breite des Herzens = 14,3 cm 
Länge „ „ = 15,3 „ 



Abb. 3. 


Es handelt sich um ein allgemein vergrössertes Herz mit flachem, d. h. ziemlich 
gradlinigem linken Herzrand. 


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396 


CARL MAASE und HERMANN ZONDEK, 


Aufnahme II am 24. 10. 1914: 

Basale Breite des Herzens = 14,6 cm 
Länge ,, „ = 15,3 ,, 

Die Herzkonfiguration ist im allgemeinen dieselbe wie das erste Mal; bemerkens¬ 
wert scheint aber, dass der Gesamtverlauf des linken Herzrandes konkaver geworden ist. 

Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 4): Das am 17. 10. 1914 aufgenommene 
Elektrokardiogramm zeigt eine relativ grosse S-, R- und T-Zacke. Die Entfernungen 
zwischen der häufig geteilten P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,35 und 0,4 Sek. 


▼ ff fl TTfTTffTTfTfTfTyTfffTTY^ffirv 



Abb. 4. 


Die Strecke y beträgt zwischen 0,35 und 0,5 Sek. Ausdehnung. Das am 26. 10. aufge¬ 
nommene zweite Elektrokardiogramm zeigt keinebesonderen Abweichungen von derersten. 
Bei Aufnahme 1 beträgt die 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1 mm 


55 


= 16 „ 

5' 

„ s- „ 

= 5 „ 

51 

n T- „ 

II 


Bei Aufnahme II beträgt die 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1 mm 

„ „ R- „ = 18 „ 

51 ?1 S- „ = 6 „ 

T- — 4 

•ft 55 X 55 - ^ 51 

Funktionsprüfung des Herzens: In Ruhe 90 Pulsschlage. Unmittelbar 
nach zehnmaligem Hinauf- und Hinunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 128, eine 
Minute später 110, zwei Minuten später 100, drei Minuten später 96 und 4 Minuten 
später 90 Pulsschläge. 

Fall V. Reservist (Infanterist) M., Hausdiener, 26 Jahre alt, wird am 9.10.1914 
aufgenommen. Erkrankung: Fussgeschwulst. Grösse 165 cm, Gewicht 66 kg. 

Anamnese: Patient w T ar stes gesund. In der Jugend hatte er nur Masern. Lues 
und Gelenkrheumatismus hatte er nicht, dagegen häufig „Muskelreissen“ und allgemein 
rheumatische Beschwerden. Er war vom 3. 8. bis 4. 9. in einem Ersatzbataillon und 
machte täglich Uebungsmärsche von 15—20 km. Vom 4.-5. 9. Bahnfahrt, am selben 
Tage noch Gefecht. Am 6. 9. Marsch von 30 km und Gefecht. Vom 7.—18. 9. täglich 
30—50 km zurückgclegt. Nach dem Gefecht am 18. 9. drei Ruhetage. Vom 21. 9. bis 
1. 10. täglich 20—30 km marschiert. Am 2.10. Gefecht. Am 3. 10. Marsch von 29 km 
mit Gefangenentransport bis zur Grenze, dann Bahnfahrt. Am 6. 10. erkrankte Patient. 
Gesamtmarschleistung in etwa 55 Tagen etwa 1430 km. 

Herz: Auskultatorisch. Dumpfe Töne über allen Ostien, keine Geräusche. 

Röntgenaufnahme. Am 11. 10: 

Basale Breite des Herzens = 13,8 cm 
Länge „ „ = 15,5 „ 


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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


397 


Der linke Ventrikel erscheint leicht vergrössert. Auffällig ist wiederum der voll¬ 
kommen gradlinige linke Herzrand, d. h. die Ausgleichung des Pulmonal- und linken 
Herzohrbogens. 

Puls: 78 in der Minute, gleichmässig, regelmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 
120 mm Hg. — Innere Organe o. B. 

Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 5): Das am 9. 10. 1914 in Ableitung I auf¬ 
genommene Elektrokardiogramm zeigt eine hohe R- und eine tiefe S-Zacke. Die Ent¬ 
fernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,35 und 0,45 Sekunden 



Ausdehnung. Die /'-Strecke schwankt zwischen 0,3 und 0,4 Sekunden. Das eineWoche 
später aufgenommene Elektrokardiogramm gleicht im ganzen dem ersten. Es beträgt 
bei beiden Aufnahmen: 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1,6 mm 

n 11 R- 7i =17 „ 

11 71 S" 71 == 6 „ 

n ,1 T- „ = 3,8 „ 

Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 105 Puls¬ 
schläge. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 
Pulsfrequenz 130. Eine Minute später 115, zwei Minuten später 105 Pulsschläge. 


Fall VI. Zugfahrer Ernst E., wird am 11. 10. 1914 aufgenommen. Verwun¬ 
dung: 2 Fleischschüsse im rechten Oberschenkel. Grösse 173 cm, Gewicht 71 kg. 

Anamnese: Patient war bis zu Beginn des Feldzuges nie krank, ist mässiger 
Raucher und Radfahrer, kein Potator. Lues und Gelenkrheumatismus hat er nicht 
gehabt. Er rückte am 10.8. aus. Am 11.8. Marsch von 16 km. Vom 12.—23. 8. 
täglich Uebungsmärsche von 20—30 km. Vom 24.-26. 8. Bahnfahrt. 28. 8. 30 km, 
27., 28. und 29. 8. je 25—30 km marschiert. 30. 8. Marsch von 40 km und Gefecht. 
1. 9. Marsch von 10 km, bis zum 3. 9. im Schützengraben gelegen. 4. 9. Marsch von 
50 km und Gefecht. 5. und 6. 9. Ruhetage. 7.—11. 9. 20—30 km täglich zurück¬ 
gelegt. 12.—15.9. Tagesmärsche von 45—50 km. Vom 16.—21.9. fuhr Patient 
auf dem Patronenwagen. Vom 22. 9. bis 3. 10. kleine Tagesmärsche (etwa 20km) und 
Gefechte. 3. 10. wurde Patient verwundet. Gesamtmarschleistung in etwa 47 Tagen 
etwa 980 km. 

Herz: Auskultatorisch, lieber allen Ostien sind zeitweise leise systolische Ge¬ 
räusche zu hören. 

Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 6). Aufnahme I am 12. 10: 

Basale Breite des Herzens = 13,8 cm 
Länge „ „ = 15,8 „ 

Allgemein vergrössertes Herz, linker Herzrand stellt annähernd eine grade 
Linie dar. 


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398 


CARL MAASE und HERMANN ZONDEK, 


Aufnahme II am 26. 10: 


Basale Breite des Herzens = 13,8 cm 


Länge 


= 16 



Abb. 6. 


Der linke Herzrand ist hier deutlich konkav! Es ist dies einer der Fälle, bei denen 
sich zurzeit der II. Aufnahme bereits eine Volumenabnahme bemerkbar zu machen 
scheint, die dem linken Herzohr- und Pulmonalbogen entspricht. — Puls: 64 in der 
Minute, sonst regelmässig, gleichmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 120 max. (Riva- 
Rocci). Innere Organe o. B. 

Elektrokardiogramm. Aufnahme I (vgl. Abb. 7): Das am 12. 10 aufgenom- 
raene Elektrokardiogramm, auf der sich gleichzeitig die Radialpulskurve des Patienten 
befindet, die ihrerseits nichts Besonderes darbietet, zeigt folgende Eigentümlichkeiten: 
Auffallend ist die absolute Höhe aller Zacken. Die P-Zacke ist deutlich ausgesprochen, 



Abb. 7. 


an einzelnen Stellen verdoppelt. Die Strecke a ist an den Stellen, an denen sich 
doppelte P-Zacken befinden, nicht sichtbar, sondern die zweite Erhebung fällt sofort 
zu der wenig deutlichen Q-Zacke ab. Anderenfalls beträgt sie 0,5—0,1 Sekunde Aus¬ 
dehnung. Die Entfernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken zwischen 0,35 und 
0,45 Sekunden. Ganz auffallend hoch ist die R-Zacke. Ihr entspricht eine tiefe 


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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


399 


S-Zacke. Abnorm hoch ist ebenfalls die T-Zacke. Die /-Strecke, die eine sanft an¬ 
steigende Richtung hat, schwankt zwischen 0,35 und 0,5 Sekunden. Die Maasse be¬ 
tragen für die 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2,8 mm 

» » n —— » 

n n S* ii == 14 „ 

T. — r 

11 11 A 7? - u 11 

Aufnahme II (vgl. Abb. 8): Das am 19. 10. unter denselben Bedingungen auf¬ 
genommene Elektrokardiogramm zeigt entschieden, dass die eben geschilderten Ab¬ 
normitäten die Tendenz zeigen, zur Norm zurückzukehren. Die P-Zacke ist als ein¬ 
fache flache Erhebung zu erkennen. Die Strecke « scheint, soweit man sie sich deut¬ 
lich differenziert, ungefähr 0,1 Sekunde Ausdehnung zu betragen, die Entfernung 
zwischen P- und T-Zacke schwankt zwischen 0,4 und 0,45 Sekunden. Während die 
S-Zacke immer noch relativ tief ist, sind sowohl die R- wie die T-Zacke merklich 



Abb. 8. 


niedriger geworden. Die /-Strecke schwankt zwischen 0,45 und 0,55 Sekunden. Die 
linearen Maasse bei genau gleicher Fadenspannung sind für die 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm 
» „ R- „ = 15 n 

n » n = ^n 

n n 1 n — n 

Funktionsprobe des Herzens: ln Ruhe 65Pulsschläge in der Minute. Nach 
10maligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 112 Pulsschläge, 
1 Minute später 82 Pulsschläge, 2 Minuten später 78 Pulsschläge, 3 Minuten später 
75 Pulsschläge und 4 Minuten später 70 Pulsschläge. Am 15. 10. unter gleichen Be¬ 
dingungen: Vorher 68 Pulsschläge, unmittelbar nach der Arbeitsleistung 84 Puls¬ 
schläge, 1 Minute später 68 Pulsschläge. 

Fall VII. Grenadier Friedrich H., 22 Jahre alt, wird am 11. 10. 1914 aufge¬ 
nommen. Verwundung: Schuss durch das linke Schultergelenk. Grösse 170 cm, 
Gewicht 70 kg. 

Die Anamnese ergibt: Patient hat in der Jugend Masern und Diphtherie ge¬ 
habt. Er ist kein Alkoholiker, treibt keinen Sport. Gelenkrheumatismus und Lues 
hat er nicht gehabt. Vom 9.—11. 8. Bahnfahrt. Vom 11.—19. 8. Märsche von 30 bis 
50 km, ein Marsch von 78 km, täglich. Bis zum 30. 8. wieder grosse, anstrengende 
Märsche (etwa 60 km täglich). Am 30. 8. wurde Patient verwundet. Gesamtmarsch¬ 
leistung in 20 Tagen etwa 650 km. 

Herz: Auskultatorisch: zeitweise systolisches Geräusch über der Pulmonalis, 
sonst o. B. — Puls: 60 in der Minute, gleichmässig, regelmässig, mittelvoll. — 
Blutdruck: 125. 


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400 


CARL MAASE und HERMANN ZONDEK, 


Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 9): 

Basale Breite des Herzens = 15 cm 
Länge „ ^ = 18,3 „ 

Es handelt sich um ein allseitig vergrössertes langgestrecktes Herz mit grossem 
rechten Vorhof und gradlinigem linken Herzrand. 



Abb. 9. 


Elektrokardiogramm: Das am 13. 10 aufgenommene Elektrokardiogramm 
zeigt stellenweise eine geteilte, bzw. verdoppelte P-Zacke. Die S-Zacke ist nicht immer 
gleichmässig tief. Die T-Zacke ist relativ flach. Die Strecke « entspricht durch¬ 
schnittlich 0,15 Sekunden. Die Entfernung zwischen P- und T-Zacke schwankt 
zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden, die /'-Strecke zwischen 0,3 und 0,35 Sekunden. 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1,5 mm 

„ „ K- „ =12 „ 

ii ii S- „ — 2 „ 

ii ii 4- ,, = 2,5 „ 

Funktionsprobe des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 75, nach 
lOmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 110 Pulsschläge. 
1 Minute später 95, 2 Minuten später 84 und 3 Minuten später 70 Pulsschläge. 

Fall VIII. Reservist-(Infanterist) Richard S., Landwirt, 25 Jahre alt, wird am 
1. 10. 1914 aufgenommen. Verwundung: Gewehrschuss durch den linken Unter¬ 
schenkel. Grösse 180 cm, Gewicht 76 kg. 

Aus der Anamnese erfahren wir: Ausser Scharlach und Masern hat Patient 
keine Krankheiten durchgemacht. Gelenkrheumatismus und Lues hat er nie gehabt. 
Er ist Radfahrer massigen Grades. Patient rückte am 10. 8. aus. Vom 14.—24. 8. 
tägliche Märsche von durchschnittlich 30 km. Vom 27. 8. bis 5. 9. 30—60 km täglich 
marschiert. Vom 5.—10. 9. Ruhetage. Vom 10.—12. 9. Marschleistungen von 70 km 
täglich, dann bis zum 16. 9. 25—30 km täglich zurückgelegt, von da ab nur kleinere 
Tagesleistungen. Bei der Aufnahme macht Patient einen ziemlich stark ermüdeten 
Eindruck, seine Gesichtsfarbe hat ein grau-fahles Kolorit. 


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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


401 


Herz: Auskultatorisch: I. Mitralton unrein, systolisches Geräusch über der Pulmo- 
nalis,Spitzenstoss ein Querfingerbreit ausserhalb der linken Mamillarlinie. — Puls: 74 in 
der Minute, gleichmässig, regelmässig, gespannt. —Blutdruck: 135 max.(Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahme (vgl. Abb. 10): 2. 10. 1914. Man sieht eine ziemlich stark 
ausgeprägte Verbreiterung des Herzschattens nach rechts wie nach links. 

Basale Breite des Herzens = 16,5 cm 
Länge „ „ = 16,2 „ 

Die am 22. 10. angefertigte zweite Aufnahme entspricht genau der ersten. 



Abb. 10. 


Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 11). Aufnahme 1: Das am 2. 10. aufge¬ 
nommene Elektrokardiogramm zeigt eine deutliche, stellenweise geteilte P-Zacke; die 
«-Strecke beträgt durchschnittlich 0,1 Sekunden; die Entfernung zwischen der P- und 



Abb. 11. 

T-Zacke entspricht 0,4 bis 0,5 Sekunden. Es findet sich ferner eine auffallend tiefe S- 
und eine relativ hohe T-Zacke. Die ^-Strecke schwankt zwischen 0,4 und 0,55 Sekunden. 
Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm 


n 

* R- 

V 

= 11 

71 

„ s- 

71 

= 10 

77 

» T- 

77 

= 4,5 


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402 


CARLMAASE und HERMANN ZONDEK, 


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Aufnahme II: Das am 23. 10. aufgenommene II. Elektrokardiogramm entspricht 
im ganzen dem oben gekennzeichneten, zeigt aber doch einige bemerkenswerte Ab¬ 
weichungen. Die P-Zacke ist deutlich ausgeprochen und nirgends geteilt. Die 
«-Strecke beträgt durchschnittlich 0,15 Sekunden. Die Entfernung zwischen P- und 
T-Zacke schwankt ebenfalls zwischen 0,4 und 0,5 Sekunden. Die S-Zacke zeigt die¬ 
selbe Tiefe wie oben, dagegen haben sich sowohl die R- wie die T-Zacke deutlich ab- 
geflaoht. Die ^-Strecke entspricht 0,3—0,55 Sekunden. 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 2 mm 
v 7) R - n = 8 n 

* * S- „ =10 „ 

7) 1) V - 3,5 „ 

Funktionsprobe des Herzens: In Ruhe 80 Pulsschläge. Nach lOmaligem 
Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen Pulsfrequenz 110 pro Minute, 
1 Minute später 95 Pulsschläge, 2 Minuten später 86 Pulsschläge und 3 Minuten später 
80 Pulsschläge. 

Fall IX. Reserve-Füsilier Riohard St., Lehrer, 27 Jahre alt. Am 21. 10. auf¬ 
genommen. Verwundung: Gewehrschuss in die linke Brustseite. 

Anamnese ergibt: Patient war bis zu Beginn des Feldzuges stets gesund. 
Infektionskrankheiten, insbesondere Lues, hat er nicht gehabt. Sport hat er nicht ge¬ 
trieben, desgleichen keinen Alkoholabusus. Vom 9.—11. 8. Bahnfahrt. Vom 12.—19. 8. 
Märsche von 30—40 km täglich. Vom 20.—24. 8. im Gefecht gelegen. 24. 8. Er¬ 
stürmung von Namur. 25. u. 26. 8. Ruhetage. Vom 27.—31. 8. 30—40 km marschiert. 
Vom 1.—4. 9. Bahnfahrt. Vom 4.—17. 9. täglich Marschleistungen von durchschnitt¬ 
lich 34 km, wie dem Regiment amtlich mitgeteilt wurde. Vom 17.—20. 9. Bahnfahrt. 
Bis zum 7. 10. tägliche Märsche von 20—30 km. Vom 9.—11. 10. Gefechte. Am 11. 
grosser anstrengender Eilmarsch. Vom 11.—15.10. Gefechte und kleinere Märsche. Am 
15.10. wurde Patient verwundet. Gesamtmarschleistung in 45Tagen etwal400km. 

Herz: Auskultatorisch. l.Ton an der Mitralis unrein, sonst o. B. — Puls: 
gleichmässig, regelmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 125 max. (Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahme (vgl. nebenstehende Abb. 12): 

Basale Breite des Herzens = 14,2 cm 
Länge „ „ = 16 „ 

Gleichmässig vergrössertes Herz mit besonders grossem rechtem Vorhof und grad¬ 
linigem linkem Herzrand. Dabei relativ enge Aorta. Es wurde nur eine Aufnahme 
gemacht. 

Elektrokardiogramm. Aufnahme I: Das am 21. 10. in Ableitung I auf¬ 
genommene Elektrokardiogramm zeigt eine sehr tiefe S-Zacke. Die P-Zacke ist an ver¬ 
schiedenen Stellen überhaupt nicht erkennbar. Die Entfernungen zwischen P- und 
T-Zacke schwanken zwischen 0,4 und 0,45 Sekunden Ausdehnung. Die ^-Strecke be¬ 
trägt zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden. 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 0,8 mm 
?i 71 ft" ii == 13 „ 

71 71 S- „ = 9 „ 

,1 T- „ = 2,8 „ 

Aufnahme H: An demselben Tage wurde ein Elektrokardiogramm in Ableitung II 
aufgenommen (linker Arm und rechtes Bein). Die P-Zacke ist auch hier stellenweise 
kaum zu erkennen; wo sie kenntlioh ist, ist sie negativ. Die a-Strecke beträgt 
0,1 Sekunde. Die Entfernung zwischen P- und T-Zacke lässt sich nur ungenau be¬ 
stimmen, da die T-Zacke entweder überhaupt nicht vorhanden oder eben nur an¬ 
gedeutet ist. Die Entfernung schwankt zwischen 0,35 und 0,5 Sekunden Ausdehnung. 



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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


403 


Die R-Zacke kann eher als niedrig bezeichnet werden, dagegen ist die S-Zacke relativ 
tief. Die ^'-Strecke schwankt zwischen 0,35 und 0,5 Sekunden. 

Ordinatenhöhe der P-Zacke = 1 mm 

n n ft“ ri 9 „ 

» V S- „ = 5 „ 

” n « = 1 



Abb. 12. 


Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung 80 Puls¬ 
schläge. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 
Pulsfrequenz 100 pro Minute, 1 Minute später 95, 2 Minuten später 86 und 3 Minuten 
später 80 Pulsschläge. 

Fall X. Jäger zu Pferde Anton H., Bierbrauer, 23 Jahre alt, wird am 29.11.1914 
aufgenommen. Verwundung: Schussverletzung der linken Hand. Grösse 170cm, 
Gewicht 7l l / 2 kg. 

Anamnese: Patient hat vom 14. bis zum 21. Lebensjahr — er trat dann ins 
Heer ein — viel Bier getrunken; anfangs täglich drei Liter, später vier bis fünf Liter 
und mehr. Im vorigen Jahre hatte Patient Unterleibstyphus, lag elf Wochen im 
Lazarett und acht Wochen in einem Genesungsheim. Patient rückte als Kavallerist 
ins Feld. Am 3. 8. Bahnfahrt bis S. Von dort ritten sie am selben Tage nach T. 
und blieben dort 5 Tage. Nach dem Gefecht bei M. täglich anstrengende Ritte in den 
Vogesen. Von den Vogesen nach Französisch-Lothringen und wieder zurück nach 
Deutsch-Lothringen. Bahnfahrt bis nach X. Von dort tägliche Ritte von 30—40 km. 
Dann 70 Stunden Bahnfahrt nach Osten bis A. In den Kämpfen in Russland nahm 
das Regiment oft am Fussgefecht teil. Am 26. 11. wurde Patient verwundet. 

Herz: Auskultatorisch o. B. Pulmones o. B. — Puls: 80 in der Minute, regel¬ 
mässig, gleichmässig, mittelvoll. — Blutdruck: 115 (Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahme: 

Basale Breite des Herzens = 12,3 cm 
Länge „ „ =15,5 „ 

ZeitHchr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 n. 6 . 97 


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404 CARL MAASE und HERMANN ZONDEK, 

Es handelt sich um ein schlankes, ziemlioh gerade stehendes Cor. Patient war, 
wie oben ersichtlich, Kavallerist, hat gar keine grösseren Fusstouren gemacht, sein 
Herz ist deutlich kleiner und zeigt, wie fast alle andern untersuchten Herzen von 
Kavalleristen, einen sehr drastischen Volumenunterschied gegenüber dem Infanteristen¬ 
herzen. 

Funktionsprüfung des Herzens: Vor Beginn der Arbeitsleistung Puls¬ 
frequenz 90 in der Minute. Nach zehnmaligem Hinauf- und Herunterlaufen einer 
Treppe von 20 Stufen 155; 1 Minute später 130, 2 Minuten später 100, 3 Minuten später 
90 Pulsschläge. 

Fall XI. Reserve-(Feldartillerist) Paul Sch., Metallarbeiter, 32 Jahre alt, wird 
am 7. 10. aufgenommen. Grösse 172 cm, Gewicht 67 kg. Verwundung: Streifschuss 
am linken Knie. 

Anamnese: Patient war stets gesund. Mässiger Alkoholgenuss. Lues und 
Gelenkrheumatismus hat er nicht gehabt. Patient ist Feldartillerist und hat keine 
grösseren Märsche zu Fuss zurückgelegi. Nur hin und wieder ist er einige Kilometer 
zu Fuss gegangen. 

Herz: Auskultatorisch o. B. — Puls: 80 in der Minute; gleichmässig, regel¬ 
mässig, mittelvoll. — Blutdruck: 96 max. (Riva-Rocci). 

Röntgenaufnahme am 10. 10. (vgl. Abb. 13): 

Basale Breite des Herzens = 10,25 cm 
Länge „ „ = 12,5 „ 



Abb. 13. 


Das Herz ist nicht im mindesten vergrössert. Der Unterschied gegenüber den 
Infanteristenherzen ist evident. 

Elektrokardiogramm (vgl. Abb. 14): Bei dem am 9. 10. aufgenommenen 
Elektrokardiogramm ist die Grenze zwischen der Strecke ß und der T-Zacke an vielen 
Stellen nicht zu erkennen. Die Entfernungen zwischen P- und T-Zacke schwanken 
zwischen 0,35 und 0,4 Sekunden. Die ^-Strecke schwankt zwischen 0,3 und 0,35 Se¬ 
kunden. 


Go igle 


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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


405 



Abb. 14. 


Funktionsprüfung des Herzens: ln der Ruhe 90 Pulssohläge. Nach zehn¬ 
maligem Herauf- und Herunterlaufen einer Treppe von 20 Stufen 110 Pulse; 1 Minute 
später 90, 2 Minuten später 90 Pulsschläge. 

Die aus einer grösseren Anzahl von Röntgenaufnahmen herausge¬ 
griffenen Photographien zeigen durchweg ein abnormes Verhalten der Herz¬ 
volumina. Bei allen Fällen finden wir, was die Gesaratfiguration der Herzen 
betrifft, ausgesprochene Dilatationen (unter 38 Fällen 31 mal). Neben 
Fällen, in denen sich die Vergrösserung der Herzhöhlen in etwa gleichem 
Masse auf alle Teile des Herzens erstreckt, finden wir solche mit isolierten 
Erweiterungen des einen oder anderen Herzteils. Häufig scheint die Dilatation 
nur den rechten Vorhof zu betreffen. Daneben finden sich allerdings eine 
ganze Anzahl von Silhouetten, bei denen sich die Volumenzunahme in der¬ 
selben Weise auch auf den linken Ventrikel bezieht (unter 38 Fällen 25 mal). 
In einer Reihe von Fällen wiederum ist neben dem linken Vorhof auch der 
Arcus pulmonalis erweitert (unter 38 Fällen 19 mal), sodass die Gesamtbilder 
wegen der ausgeglichenen linken Herzbögen an raitral-konfigurierte Herzen 
erinnern. Dabei muss man allerdings von der Konfiguration des rechten 
Vorhofs absehen, der häufig gerade bei diesen Herzen nicht dilatiert er¬ 
scheint. Das gewöhnliche und in der Mehrzahl unserer Aufnahmen vor¬ 
handene Bild ist aber dasjenige des gleichmässig dilatierten, allgemein 
vergrösserten Herzens. Als durchschnittliche Grösse der basalen Breite 
normaler Herzen hatte Levy-Dorn bei Leuten von 175 cm Körper¬ 
länge die Zahl 12 cm angegeben, H. Dietlen bei Leuten bis 182 cm 
Körpergrösse 13,1 cm. Die Zahlen des Letzteren gelten für den liegenden 
Patienten. Das Herz des stehenden Menschen ist erfahrungsgemäss nicht 
unerheblich schmäler und länger, erscheint also im allgemeinen kleiner. 
Trotzdem alle unsere Aufnahmen in stehender Stellung angefertigt wurden, 
und unsere Leute im Durchschnitt keineswegs grösser als 175 cm waren, 
haben wir eine basale Breite ihrer Herzen von 12 oder 13 cm nur ganz 
vereinzelt gefunden. Wir würden als Mindestmass etwa 13,8 oder 14 cm 
angeben, haben allerdings auch Zahlen bis zu 16 cm und darüber. 

27* 


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406 


CARLMAASE und HERMANN ZONDEK, 


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Wie haben wir uns diese Veränderung des Herz Volumens zu er¬ 
klären ? 

Wohl nicht anders, als dass sie die Folgeerscheinung jener ungewöhn¬ 
lichen Ueberanstrengungen und Strapazen ist, die unsere Soldaten im Verlaufe 
des Feldzuges durchzumachen haben. Marschleistungen von etwa 1400 km 
in etwa 40 Tagen ohne grössere Ruhepause, häufig ohne vorheriges 
Training, nicht zuletzt unter seelischen Aufregungen und zeitweise redu¬ 
zierter Ernährung stellen in der Tat derart enorme Ansprüche an die 
Leistungsfähigkeit des Herzens, wie sie unter den Verhältnissen des 
Friedens kaum jemals praktisch Vorkommen. 

Alle sportlichen Leistungen, wie Skilaufen, Dauerrennen, Fussball- 
spiele, Radfahren, Dauer- und Wettgehen, Touristik usw., sind, ganz ab¬ 
gesehen von dem stets vorhergegangenen Training, nicht im Entferntesten 
mit diesen Kraftleistungen zu vergleichen. 

Nun sind allerdings auch unter den Verhältnissen des Friedens von 
einer Reihe von Autoren Herzdilatationen und Hypertrophien beschrieben 
worden als Folgeerscheinungen von abnormen an das Herz gestellten 
Ansprüchen. So fanden beispielsweise Dietlen und Moritz bei ihren 
Untersuchungen an Distanzfahrern, dass die Herzgrösse der Radfahrer 
von der Dauer der Sportausübung abhängig sei. Gleiche Befunde bei 
Schwimmern wurden von Kienböck, Selig und Beck mitgeteilt. Be¬ 
stätigt worden sind diese klinisch gewonnenen Beobachtungen durch 
Untersuchungen am Tierexperiment. An den Herzen von Rennpferden 
oder Hunden, die ira Laufgöpel sehr lange angestrengt wurden, zeigten 
sich ausgesprochene Arbeitshypertrophien (Friedberger und Fröhner, 
besonders Külbs). So unzweifelhaft einerseits die chronische Ueber- 
anstrengung als ätiologisches Moment für Volumenzunahme des Herzens 
bekannt ist, so umstritten ist andrerseits die Frage, in wie weit die akute 
exzessive Mehrleistung in gleichem Sinne ursächlich heranzuziehen 
ist. Zwar hatte es, nachdem eine Reihe von Autoren nach akuten An¬ 
strengungen Herzdilatationen festgestellt hatte, Schott als erster unter¬ 
nommen, diese Vergrösserungen auch röntgenologisch nachzuweisen. Die 
Schottschen Befunde, besonders seine Orthodiagramme, wurden dann 
aber von Moritz einer eingehenden Kritik unterzogen. Dabei stellten 
sich Fehler der Technik heraus, die Schott irregeführt zu haben 
schienen. Die grosse Mehrzahl der Autoren (Lennhof, Levy-Dorn, 
Mendel und Selig, sowie Moritz u. a.) ist sogar der Ansicht, dass 
nach akuten Ueberanstrengungen nicht nur keine Vergrösserung des 
Herzens, sondern sogar fast stets eine Herzdiminution eintritt. Kien¬ 
böck, Selig und Beck stellten diese Verkleinerung (10—17 mm) bei 
Wettschwimmern und nach Kniebeugen fest, die bis zur Erschöpfung fort¬ 
gesetzt werden. Dietlen und Moritz fanden sie bei fast allen Teilnehmern 
einer 31stündigen anstrengenden Radfernfahrt. Auch Külbs und Brust¬ 
mann sahen bei ihren Untersuchungen an Sportsleuten nach kurzen an- 



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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 


407 


strengenden Leistungen eine Verschmälerung der Herzsilhouetten, die nament¬ 
lich in einer Streckung des Winkels zwischen Gefäss- und Herzschatten an 
der linken Herzkante zum Ausdruck kam. Bei langen Marschleistungen, 
Rund- und Langstreckenläufern dagegen fand sich eine Zunahme der 
Herzbreite, die, wie sie annehmen, auf einer stärkeren Querlagerung des 
Herzens und einem Spitzerwerden des Gefässherzwinkels beruht. Somit 
muss als höchstwahrscheinlich angenommen werden, dass die akute ex¬ 
zessive Mehrleistung in dor Tat das Herz momentan verkleinert. Wir 
glauben deshalb unsern Befunden, bei denen wir — wie gesagt — auf¬ 
fallend häufig Herzdilatationen feststellen konnten, deshalb ein gewisses 
Interesse beimessen zu dürfen, weil diesen Dilatationen Arbeitsleistungen 
zugrunde liegen, die etwa eine Mittelstellung zwischen der ganz akuten 
und der chronischen Ueberanstrengung einnehmen. Selbstverständlich 
sind die Volumenzunahmen nicht in allen Fällen gleich stark ausge¬ 
sprochen. Wir kennen ja die Herzkonfigurationen bei den Leuten vor 
Beginn des Krieges nicht, und es ist klar, dass z. B. ein Tropfenherz, 
wie es auch bei Soldaten nicht ganz selten gefunden wird, auch trotz 
grösserer Märsche nur ein relativ grosses Volumen zeigen kann. Ab¬ 
gesehen davon bleiben natürlich auch Körpergrösse, Körpergewicht, Kon¬ 
stitution, Beruf usw. zu berücksichtigen. 

Man wird uns eventuell einwenden: sind diese vergrösserten Herzen 
nicht bereits vor dem Feldzuge in ähnlichem Zustande gewesen, rühren 
die Vergrösserungen nicht wenigstens zum Teil von Alkoholismus, chro¬ 
nischen Anstrengungen des Berufes oder — was näher liegt — von den 
Strapazen der militärischen Dienstzeit des Friedens her, wie dies von 
Schieffer häufiger beobachtet wurde? Wir glauben, diese Annahme 
wenigstens für die Mehrzahl der von uns untersuchten Leute ablehnen 
zu dürfen, weil wir bei einer grossen Anzahl von Soldaten, die gleich 
nach Beginn des Feldzuges verwundet waren, ohne grössere und lang¬ 
dauernde Märsche gemacht zu haben, niemals ausgesprochene Verände¬ 
rungen der Herzgrösse und Konfiguration gesehen haben. Ausserdem 
konnten wir bei einer Anzahl von Feldartilleristen — die Leute hatten 
nur geringere Marschleistungen hinter sich — ebenfalls normal aussehende 
Herzsilhouetten, von denen eine mitgeteilt ist, konstatieren (Fall XI). 
Auch die Herzen von Kavalleristen mit recht langdauernden und an¬ 
strengenden Tagesritten wiesen für gewöhnlich normale Herzsilhouetten 
auf (siehe Fall XII). 

Die Frage der Rückbildung dieser Dilatationen scheint uns noch 
nicht ganz geklärt. Unsere ursprüngliche Annahme, die Herzen würden 
im Laufe der Zeit wieder kleiner 1 ) werden, hat sich bis jetzt, nachdem wir 

1) Gemessen wurde regelmässig der Ordinatonabstand der beiden äussersten 
in der Horizontalebene gelegenen Punkte des Herzens. Diese Entfernungen dürften 
der von Levy-Dorn empfohlenen Bestimmung der basalen Breite des Herzens etwa 
entsprechen. 


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408 


CARLMAASE und HERMANNZONDEK 


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3—4 Monate nach der ersten Aufnahme dieselben wiederholt haben, nicht 
bestätigt. Nur in zwei Fällen fanden wir 2 bzw. 4 Wochen nach der ersten 
Aufnahme Verminderung der basalen Breite um 0,5 cm. Diese Differenz 
möchten wir immerhin als deutlichen Ausschlag betrachten, während wir 
von den auch sonst öfter festgestellten Unterschieden um 2—3 mm glauben, 
dass sie innerhalb der technischen Fehlergrenzen liegen. Es möge an dieser 
Stelle erwähnt werden, dass allerdings unter den 38 Fällen 5, die vorher 
einen geradlinigen linken Herzrand aufwiesen, im Laufeder Zeit eine deutliche 
Differenzierung der linken Herzbogen zeigten. Interessant scheint übrigens 
(im Falle VI), dass sich gleichzeitig mit der Volumenänderung des Herzens 
auch das Elektrokardiogramm den Verhältnissen der Norm näherte. 

Der Puls zeigt weder nach Frequenz noch nach Spannung, Grösse 
und Rhythmus irgendwelche Veränderungen. Nur einmal ist die Schlag¬ 
folge raässig verlangsamt (Fall VI). Diese Erscheinung konnten wir 
übrigens regolmässig als auffälliges Symptom bei einer Anzahl von Fällen 
konstatieren, die bald nach Beginn des Feldzuges unter den ersten Ver¬ 
wundetentransporten eintrafen. Hier fanden sich häufig Verlangsamungen 
bis zu 54—50 Schlägen in der Minute. Nach einigen Tagen Bettruhe 
ging die Frequenz auf die durchschnittliche Normalhöhe von 76—80 
herauf. Die Herzgrösse war bei diesen Fällen, die bei weitem nicht die 
anstrengenden Leistungen der oben genau beschriebenen hinter sich hatten, 
nicht wesentlich verändert. Hier war die Pulsverlangsamung höchst 
wahrscheinlich auf die psychischen Shockwirkungen zurückzuführen, die 
durch die ersten ungewohnten Eindrücke des Kampfes ausgelöst waren. 
Rhythrausstörungen, namentlich Extrasystolien, respiratorische Arhythmien 
kamen bei diesen Leuten gleichfalls nicht zur Beobachtung. 

Bemerkenswert ist noch, dass bei unseren Fällen der Puls un¬ 
mittelbar vor der Funktionsprüfung mehrfach erheblich frequenter war 
als sonst bei Körperruhe. 

Auch hier dürften psychische Momente mit in Betracht zu ziehen 
sein. Wir verweisen auf die zitierten Untersuchungen von Külbs und 
Brust mann, die bei Sportsleuten unmittelbar vor der Arbeitsleistung 
beträchtliche Erhöhung der Pulsfrequenz fanden, auch bei solchen, bei 
denen die sonstige Pulsfrequenz eine aussergewöhnlich langsame war. 

Der Blutdruck bewegt sich im ganzen in normalen Grenzen. Bei 
den beiden Kavalleristen (Fall X und XI) ist er niedriger als bei den 
anderen, bei Fall XI bleibt er sogar hinter dem normalen Durchschnitt 
zurück. 

Das Verhalten der Elektrokardiogramme bot im ganzen keine be¬ 
sonders bemerkenswerten Eigentümlichkeiten. 

Die öfters beobachtete Spaltung bzw. Verdoppelung der Vorhofzacke 
(in sechs Fällen) ist von Hoffmann auch unter normalen Umständen 
allerdings nur in Ableitung III beobachtet worden. Die Längen der 
Strecken ß und f, die schon am gesunden Herzen keine irgendwie 



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Herzbefunde bei Kriegsteilnehmern. 409 

konstanten Grössen darstellen, wechselten auch in unsern Aufnahmen in 
ihrer Ausdehnung. 

Auffallend scheint jedoch das ungemein häufige Vorkommen tiefer 
S-Zacken zu sein, wie es gerade bei Ableitung I im allgemeinen unge¬ 
wöhnlich ist (unter 38 Fällen 32 mal). Sie betrugen bis zu 14 mm. Man 
wird sie in unsern Fällen kaum auf Querlagerung des Herzens allein 
beziehen können. Sie kehrt in vielen Kurven auch bei mehrmaligen Auf¬ 
nahmen wieder, ohne dass die betreffenden Herzen sich in Querlage be¬ 
funden hätten. Anscheinend ist sie mit der Hypertrophie des linken 
Ventrikels in Beziehung zu bringen, wofür auch die hohe T-Zacke spricht. 

Bemerkenswert erscheint ausserdem noch neben der in vier Fällen 
beobachteten abnormen Höhe der R-Zacke bis zu 27 mm eine abnorm 
niedrige R-Zacke in acht Fällen. Die letztere dürfte wohl als Ausdruck 
einer vorübergehenden funktionellen Schädigung des Herzens zu deuten sein. 

Schliesslich möchten wir nicht unerwähnt lassen, dass wir ausser 
diesen relativ geringfügigen Anomalien bei keiner einzigen unserer Auf¬ 
nahmen eine Störung des normalen Herzrhythmus gefunden haben. 

Die Funktion der Herzen aller dieser Patienten war im ganzen 
eine erfreulich gute. Nach akuten Anstrengungen, wie zehnmaliger 
Kniebeuge bzw. zehnmaligem Hinauf- und Hinunterlaufen einer Treppe, 
schnellt die Pulsfrequenz in den meisten Fällen mässig in die Höhe, 
ist aber nach 2 bis 3 Minuten zur Norm abgefallen. Es gab aller¬ 
dings eine Anzahl von Fällen, bei denen der Anstieg der Pulsfrequenz 
ein unverhältnismässig hoher war und die absteigende Kurve einen 
ziemlich flachen und nur allmählich abfallenden Verlauf zeigte. Diese Pa¬ 
tienten sahen auch schlecht aus, hatten eine blass-livide Hautfarbe und 
fühlten sich subjektiv doch nicht ganz so wohl wie früher. Aber auch 
bei diesen Leuten besserten sich Aussehen und Funktionszustand des 
Herzens im Laufe des Aufenthalts bei uns durch Ruhe, ohne irgend 
welche besondere Behandlung und ohne dass, wie schon oben ausein¬ 
andergesetzt, eine Verkleinerung ihrer Herzvolumina im Laufe der Zeit 
deutlich wahrnehmbar gewesen wäre. Sie konnten fast alle — soweit 
nicht andere Gründe daran hinderten — trotz ihrer grossen Herzen als 
felddienstfähig entlassen werden. 


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XIX. 


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I. Inst, für demonstrative medizinische Pathologie der K. Universität Neapel 
(Direktor: P. J. Castellino). 

Ueber den Mechanismus beim Auftreten 
der paroxysmalen Tachykardie. 

Von 

S. La Franca. 

(Mit 2 Kurven im Text.) 


Eine der Formen von Störung des Herzrhythmus, deren pathogene¬ 
tische Auffassung durch die neuen Lehren der Physiopathologie des 
Herzens eine tiefgehende Veränderung erfahren hat, ist die paroxysmale 
Tachykardie, d. h. diejenige Form, welche durch ein ungestümes Jagen 
des Herzens (Hoffmanns Herzjagen) charakterisiert ist, das sich durch 
Krisen kundgibt mit Anfällen, die gewöhnlich plötzlich auftreten und 
verschwinden. Ich sage gewöhnlich, weil vor kurzem Gallavardin und 
Croizier einen Fall beschrieben haben, in welchem die Anfälle von 
paroxysmaler Tachykardie langsam eintraten und abnahmen, weshalb sie 
sie tachycardie en dome nannten, die der gewöhnlichen Form, die 
also en plateau wäre, gegenüberzustellen sei. 

Die paroxysmale Tachykardie unterscheidet sich ziemlich deutlich 
von allen anderen Formen von Tachykardie durch ihre besonderen Merk¬ 
male, durch den Ursprung, den sie hat, durch die Bedingungen selbst, 
unter denen sie entsteht und verläuft, obwohl bisweilen zwischen ihr und 
einigen der anderen Formen nicht nur hinsichtlich der Form Ärmlich¬ 
keiten bestehen, sondern häufig auch ätiologische Beziehungen vor¬ 
handen sind. 

Wie bekannt, kann die Dauer des Anfalles verschieden sein: von 
wenigen Minuten kann sie bis zu ganzen Tagen zunehmen und sogar nach 
der Ansicht einiger Autoren den Charakter einer permanenten Tachy¬ 
kardie annehmen. 

Auch in der Art und Weise ihres Auftretens zeigen sich in den 
verschiedenen Fällen erhebliche Unterschiede; aber sie behält trotzdem 
ein ihr eigentümliches Gepräge bei, so dass in die allgemeine Bezeich¬ 
nung „paroxysmale Tachykardie“ alle Formen, bei denen Krisen von 
erheblicher Beschleunigung der Herzfunktion eintreten, weder aufge¬ 
nommen werden können, noch dürfen. 



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Ueber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 411 

Hauptmerkmale des tachykardischen Anfalles sind nämlich: 

1. der sehr hohe Wert der Zahl der Pulsationen, der von 130 
herum bis auf 300 in der Minute steigt; 

2. das Vorhandensein von Intermittenzen, die vor, während und 
nach der Krisis eintreten; ja, häufig folgt auf den Anfall eine 
Periode langsamen Pulses; 

3. dass .die Zahl der Pulsationen während des Anfalles stets ein 
Vielfaches derjenigen ist, die das Individuum vor dem Eintritt 
der Krisis zeigte (Hoffmannsches Zeichen). 

Martius glaubte tatsächlich, dass eine konstante Begleiterscheinung 
dieser Störung des Rhythmus, ja die Ursache ihres Auftretens die Herz¬ 
erweiterung sei. Wenn diese aber zuweilen wirklich beobachtet wird, 
muss sie als eine Folge und nicht als eine Ursache betrachtet werden. 

Sie ist die Wirkung der schlechten Ernährung, der das obendrein 
zu einer übermässigen, mühsamen Arbeit angetriebene Herz ausgesetzt 
wird. Und auf diese Weise wird infolge der stürmischen Art, wie sowohl 
die anabolische als die katabolische Periode verläuft, einerseits die Auf¬ 
nahme der Nährstoffe eingeschränkt, andrerseits die Ausscheidung der 
Desintegrationsprodukte verhindert. Die Tonizitätsstörung — wie bis¬ 
weilen auch die Kontraktilitätsstörung — tritt nämlich in den Fällen ein, 
in denen die Anfälle häufig und von langer Dauer sind, namentlich wenn 
schon in der Faser eine Disposition in bezug auf diese fundamentale 
Eigenschaft infolge krankhafter Bedingungen vorhanden war, die schon 
früher im Herzen eingetreten waren. Die Folge davon ist, dass, wie die 
ihren Ursprung aus der Herzinsuffizienz herleitenden Symptome, so auch 
ihre Folgen im strengen Sinne des Wortes nicht der paroxysmalen 
Tachykardie zur Last gelegt werden können. 

Wichtig erscheinen dagegen — und sie sind es in der Tat — die 
anderen Merkmale, insofern als es bei ihrer Erforschung möglich ist, die 
Natur der Aflfektion und den Mechanismus, infolge dessen sie auftritt, 
zu untersuchen. Ebenfalls wichtig ist in dieser Hinsicht das Studium 
aller der besonderen Krankheitsbedingungen, die im Herzen selbst und 
im Individuum gleichzeitig vorhanden sein können. 

Der folgende Fall, der in der Poliklinik unseres Instituts zur Beob¬ 
achtung kam, schien mir insofern des Studiums würdig, als er eben zu 
einigen diesbezüglichen Ueberlegungen sich eignet. 

Es handelt sich um einen 38jährigen Kranken aus Neapel. Die Mutter starb an 
einer progressiven Gehirnaffektion, die Pat. nicht genauer angeben kann. Der Vater 
starb an Hirnblutung. Ein Bruder leidet an Nervenlähmung, ein andrer ist im Irren¬ 
haus. Aus seiner Anamnese ist bis zum 19. Jahr kein bemerkenswertes Ereignis zu 
erwähnen; zu dieser Zeit trank er, um dem Militärdienst zu entgehen, für den er 
schon ausgehoben war, einen Tabakaufguss, den er sich aus zum Teil gejauchten 
und dann ausgegangenen Zigarren bereitet hatte. Es folgten erhebliche Störungen, 
Erbrechen, allgemeines Zittern und Erscheinungen von Kollaps. 


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412 


S. LA FRANCA, 


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Er wurde ins Spital aufgenommen und wurde bei seinem Austritt frei vom Mi¬ 
litärdienst wegen leichter Herzstörungen, die bei Anstrengung, Laufen usw. eintraten. 

Er erinnert sich an vorübergehende Beschleunigungen des Herzschlages, nach 
denen aber sein Zustand steh besserte. Drei Jahre später wurde er von Malaria mit 
schwerem Typus befallen und nach weiteren zwei Jahren erkrankte er an Typhus. 
Zu dieser Zeit hatte er einen ersten Schweren Anfall von Tachykardie mit Herz¬ 
insuffizienz, Dyspnoo und Oedemen an den unteren Extremitäten. Obgleich er von 
Zeit zu Zeit Störungen des Rhythmus wahrnahm und bei Anstrengungen und beim 
Treppensteigen Schmerzen litt, fühlte er sich trotzdem von da ab besser. Die Malaria¬ 
infektion war nicht ganz überwunden, da von Zeit zu Zeit Fieberanfälle wiederkehrten. 
Vor sechs Jahren hatte er, da er sioh aus dienstlichen Gründen in feuohten Räumen 
hatte aufhalten müssen, einen Anfall von Gelenkrheumatismus. Um diese Zeit erlitt 
er ein schweres psychisches Trauma: es befiel ihn nämlich ein heftiger, längere Zeit 
andauernder Schrecken, weil er sioh in einem Palast befunden hatte, während dieser 
einstürzte. Alsdann zeigte sich eine Krisis von intensiver, lange dauernder Tachy¬ 
kardie mit Erscheinungen von Herzinsuffizienz, Dyspnoe und Oedemen. Darauf folgte 
eine permanente Arrhythmie, die durch zeitweise unregelmässige Intermittenzen 
charakterisiert war, und die Krisen wiederholten sich noch weiter dreimal mit ver¬ 
schiedener Intensität. 

Als er sich vor einem halben Jahre uns zur Untersuchung vorstellte, befand er 
sich in einer der kritischen Perioden. Der Puls erreichte die Zahl von 240 Pulsationen 
pro Minute. Einen Tag später war der Wert des Pulses verringert, die Pulsschläge 
an der Radialis waren 120, mit häufigen Intermittenzen. Es wurden nämlich Puls¬ 
schläge wahrgenommen in mit Frequenz aufeinanderfolgenden Gruppen, auf die dann 
eine lange Pause folgte, oder andernfalls waren die Intermittenzen Staffel förmig, nach 
8 oder 10 Pulsationen mit normalem Typus. 

Es waren inotrope und negative tonotrope Störungen vorhanden, mit Erweiterung 
der Ventrikel, insbesondere des rechten. An der Stelle der Mitralis und der Trikus- 
pidalis war systolisches Geräusch. 

Sein Zustand besserte sich in der Folge; das Geräusch verschwand, der Puls 
blieb arrhythmisch, mit dem weiter oben beschriebenen Typus von Störungen. 

Aber die Anfalle von Tachykardie wiederholten sioh, wenn sie auch weniger 
intensiv waren und nicht so lange dauerten. Während eines dieser Anfälle wurde die 
elektrokardiographische Untersuchung bei ihm vorgenommen. Damals schwankte der 
Puls um 180 Pulsationen in der Minute herum. Es war kein Geräusch vorhanden, 
leichte Vergrösserung des Herzens war zu konstatieren und beim häufigen Aufein¬ 
anderfolgen der Pulssohläge waren von Zeit zu Zeit, sowohl bei der Auskultation des 
Herzens, als bei Palpation der Radialis Intermittenzen deutlioh wahrnehmbar. 

Als er weiteren elektrokardiographischen Untersuchungen unterzogen wurde, er¬ 
hielt ich vermittelst des Universalregistrators von Boch-Thoma mehrere Elektro¬ 
kardiogramme, von denen ich zwei reproduziere. .Das erste wurde erhalten, während 
sich der Anfall von Tachykardie abspielte, das zweite in der Endperiode. 

Das erste (Abb. 1) zeigt die folgenden Erscheinungen: Sowohl im Elektro¬ 
kardiogramm, als im Arteriogramm hat der Pulsschlag tachykardischen Typus. Die 
Welle der A. carotis zeigt sich nicht immer gleich an Weite und es sind auch Un¬ 
gleichheiten im Intervall zwischen zwei Pulsschlägen vorhanden. Im Elektrokardio¬ 
gramm verschmilzt gewöhnlich der aurikuläre Komplex mit der Endwelle des vorher¬ 
gehenden ventrikulären Komplexes; bisweilen ist Pkaum begonnen, wenn die Welle R 
anlangt, auf die die Welle 8 folgt. Oft ist in der Entwicklung von P eine Defor¬ 
mation vorhanden, die fast an eine Umkehrung erinnern könnte. T ist stets augen¬ 
fällig. Die zweite Kurve (Abb. 2) zeigt die folgenden Merkmale: 

1. Nach einigen Pulsschlägen mit tachykardischem Typus (die hier weggelassen 
sind) erscheint einer ( 2 ) mit einer ganz augenfälligen Welle P, auf welche die 
Wellen R 8 folgen, denen immer T folgt. 



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2. Der folgende Pulsschlag (3) zeigt sich mit zwei augenfälligen Wellen P, auf 
welche dann der gewöhnliche ventrikuläre Komplex folgt. Nun findet man aber, wenn 
man diese Phase des Elektrokardiogramms mit dem vom Arteriogramm (Karotis) dar¬ 
gebotenen relativen graphischen Bild vergleicht, eine Periode einer Pause, die 4 /l2 Se¬ 
kunden dauert. 

Die arterielle Welle, die auf die Pause folgt und diesem Pulsschlag entspricht, 
ist erheblich und es folgt darauf eine Linie, die von Hebungen unterbrochen ist, 
deren letzte der folgenden arteriellen Systole (4) entspricht. Interessant ist der Um¬ 
stand, dass nach der erheblichen Welle das Elektrokardiogramm die Wiederherstellung 
des tachykardischen Rhythmus zu erkennen gibt, und die erste Kontraktion, welche 
folgt, hat eben nur ein Gegenstück in der oben erwähnten leichten arteriellen 
Schwankung. Dieses besondere Verhalten sieht man deutlich im Pulsschlag (9) und 
den folgenden sich wiederholen. Tatsächlich kann der Pulsschlag (9) wohl als gleich 
dem Pulsschlag (3) und der Pulsschlag (10) als gleich (4) betrachtet werden. Dies 
beweist, dass der Ventrikel nach einer energischen Systole, die infolge der Möglichkeit 
der vollständigen Entwicklung der Systole des Atriums entstanden ist, sich fast blut¬ 
leer befindet, während dann beim darauf folgenden Wiedereintreten des taohykar- 
dischen Rhythmus die Wiederfüllung möglich ist, aber nicht auf absolut vollständige 
Weise. Dieser Mechanismus wird bestätigt durch den Umstand, dass beim Puls¬ 
schlag (II), wo der aurikuläre Komplex ganz entwickelt, die arterielle Welle hoch 
und vollständig ist. 

Die Art und Weise, wie sich der aurikuläre Komplex entwickelt, 
und die Beziehungen, die er mit der Welle R eingeht, welche den Ur¬ 
sprung der Ventrikelkontraktion bezeichnet, beweisen klar, dass die 
Tachykardie sich nicht mit einer einzigen Form entwickelt, sondern oft 
eine aurikuläre, zuweilen nodale, zu anderen Malen rein ventrikuläre 
Form hat. 

In dem Falle nämlich, in welchem die aurikuläre Systole vollständig 
eintritt und auf sie der ventrikuläre Komplex folgt, ist es leicht an¬ 
zunehmen, dass der hinsichtlich der Frequenz abnorme Reiz im Herzohr 
entsteht, und da ja das graphische Bild des Elektrokardiogramms sich 
als von normalem Typus zeigt, lässt sich nach den Untersuchungen von 
Lewis annehmen, dass er im gewöhnlichen Sitz des Impulses oder in 
seiner Nähe entsteht. 

Dies ist gewiss die gewöhnlichste Form von paroxysmaler Tachy¬ 
kardie und auch diejenige, welche am besten studiert worden ist, nicht 
nur mittels der elektrokardiographischen Methode, sondern auch mittels 
des venösen Pulses. In diesem Falle werden nämlich deutlich a-Wellen 
beobachtet, die den c-Wellen vorausgehen, und häufig zeigen sich beim 
Zusammentreffen der Systole des Atriums mit der des Ventrikels über¬ 
triebene Wellen, die eben durch diesen Charakter ihre Natur und ihren 
Ursprung offenbaren. Auch beim Elektrokardiogramm treten derartige 
Fälle des Zusammentreffens zutage; ein deutliches Beispiel davon ist 
der Pulsschlag (4) der zweiten Kurve, in welchem man die Ueberlagerung 
der aurikulären Welle auf die Endwelle des ventrikulären Komplexes sieht. 

Im Falle, in welchem P Richtungsänderungen der Welle anzeigt, 
lässt sich annehmen, dass entweder der Reiz für diesen Pulsschlag nur 


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Ueber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 415 


in den atrioventrikulären Knoten fällt und das Herzohr und Ventrikel 
zu einer fast gleichzeitigen Kontraktion gereizt werden, oder dass, während 
dennoch der abnorme Reiz im ursprünglichen Bezirk, der die tachy- 
kardische Form bezeichnet, fortfährt sich zu entwickeln, ein ebenfalls 
abnormer Reiz infolge jenes Pulsschlages im Tawaraschen Knoten oder 
hier in der Nähe entsteht, der, indem er eine Welle von unten nach 
oben veranlasst, dem aurikulären Komplex einen verschiedenen Charakter 
verleiht. Bei der ersten Hypothese würde es sich um den nodalen 
Rhythmus handeln. Von Mackenzie bei vielen Erscheinungen von 
Störung des Rhythmus angenommen, ist die Möglichkeit dieser Form 
lebhaft bestritten worden als entgegengesetzt der Art und Weise, wie 
sich die Herzmechanik kundgibt. Indessen zwingen uns experimentelle 
Untersuchungen, die auch durch zahlreiche klinische Beobachtungen, 
namentlich von Lewis, unterstützt wurden, ihre Möglichkeit anzunehmen, 
so dass, wenn der nodale Rhythmus nicht als der Exponent der sehr 
zahlreichen Formen, auf die Mackenzie ihn hätte ausdehnen mögen, 
betrachtet und auch nicht für einen Typus von permanenter Veränderung 
gehalten werden kann, er trotzdem bestehen kann, entweder bei den 
hinzutretenden Formen frühzeitiger Kontraktionen — wie er es im vor¬ 
liegenden Falle wäre — oder wenn er — was selten ist — bei der regel¬ 
mässigen Herztätigkeit eingeschaltet wird. 

Dessenungeachtet ist aber in diesem Falle die zweite Hypothese 
wahrscheinlicher; da man im allgemeinen annimmt, dass die tachy- 
kardischen Anfälle aurikulären Ursprungs von einzigem Typus und mehr 
als ein Ersatz eines Rhythmustypus sind, lässt sich die Interferenz von 
Wellen annehmen, die leicht in einem Herzen Auftreten können, in dessen 
spezifischem System infolge schwerer Veränderungen das Vermögen, Reize 
hervorzubringen, wieder entsteht. In diesem Sinne spricht auch noch 
die Art und Weise, wie in seiner Gesamtheit das Elektrokardiogramm 
seine Entwicklung nimmt. 

Gewiss tritt ausserdem eine Erhöhung des Leitungsvermögens des 
atrio-ventrikulären Bündels ein; aber auf die Zunahme der Funktion folgt 
deshalb eine leichte Ermüdung, so dass entweder eine Schwierigkeit der 
Uebertragung des Reizes eintritt, so dass eine wahre und vollständige 
Welle P im Elektrokardiogramm erscheint, ehe der Ventrikel schlägt (II), 
oder eine Unterbrechung, ein wahrer momentaner Block, so dass zwei 
Wellen P aufeinander folgen, ehe der ventrikuläre Komplex beginnt 
(Kurve 2, 3, 9). 

Das Hinzutreten eines Ermüdungszustandes im atrio-ventrikulären 
Leitungsbündel erklärt es, dass sich die graphischen Bilder in den Ab¬ 
schnitten der Kurve wiederholen, so dass die 3. und die 9. Pulsation 
ein gleiches Arteriogramm und ein gleiches Elektrokardiogramm ent¬ 
stehen lassen. Der Umstand sodann, dass nach Eintreten der energischen 
Systole das Elektrokardiogramm die Wiederherstellung des tachykardischen 


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Rhythmus zu erkennen gibt und der ersten folgenden Kontraktion nur 
eine leichte arterielle Schwankung gegenübersteht, beweist, dass das Herz 
in der energischen Systole sich fast ganz von Blut entleert und die 
darauffolgende Ventrikelkontraktion, die durch eine beschleunigte, un¬ 
genügende aurikuläre Kontraktion verursacht wurde, nicht imstande ist 
ein augenfälliges Arteriogramm entstehen zu lassen. 

Wie bekannt, haben die modernen Studien den Entstehungsmechanismus 
der paroxysmalen Tachykardie auf das Gebiet der frühzeitigen Kon¬ 
traktionen verlegt. Anders ausgedrückt, jeder Anfall stellt nur eine 
Reihe von aufeinander folgenden frühzeitigen Kontraktionen dar. 

Im Endstadium aller Anfälle lassen sich leicht die kompensatorischen 
Pausen nachweisen, die bisweilen einen wahren langsamen Puls ver¬ 
ursachen, wie auch gewiss das Ergebnis einer kompensatorischen Pause 
die Intermittenz ist, die stets gegen das Ende des Anfalles beobachtet 
wird. Sicher ist der Umstand in Betracht zu ziehen, der im vorliegenden 
Falle angetroffen wurde, in welchem deutlich eine Leitungsstörung des 
Bündels vorliegt, so dass man sagen muss, dass wenigstens nicht alle 
Intermittenzen bei der paroxysmalen Tachykardie durch den extra¬ 
systolischen Mechanismus erklärt werden. Man könnte auch die Hypo¬ 
these aufstellen, dass im vorliegenden Falle eher als eine Abnahme des 
Leitungsvermögens eine zeitweilige Erschöpfbarkeit der Erregbarkeit des 
Herzens vorhanden ist, d. h. des Vermögens, das die Faser besitzt, den 
Reiz zu empfinden, auf den sie nun kraft ihrer anderen Eigenschaft sich 
zu kontrahieren mit einer Kontraktion antwortet. Aber wie wahrschein¬ 
lich die Hypothese auch ist, sie ist nicht beweisbar; sie erscheint sogar 
— und sie ist es in der Tat — weniger wahrscheinlich als die andere, 
die einen zeitweiligen Block des Herzens annimmt. 

Aber die Möglichkeit, dass die Intermittenzen einen verschiedenen 
Ursprung haben können, hebt das Prinzip nicht auf, dass die paroxysmale 
Tachykardie sich mit dem Mechanismus der frühzeitigen Kontraktion 
entwickelt. Mag es sich nun um die aurikuläre Form handeln, welche 
die häufigste ist, oder um die ventrikuläre oder auch um die atrio¬ 
ventrikuläre, die Analyse der Form führt sie auf den Ausdruck einer 
antizipierten Systole. Aber damit nicht genug; es muss nämlich fest¬ 
gestellt werden, ob sie einen rein kardialen Ursprung hat oder durch 
die Einmischung des Nervensystems verursacht wird. 

Bekanntlich nahm Bouveret, der zuerst diese Krankheitsform 
• studierte, weshalb die Franzosen sie nach seinem Namen benennen, an, 
dass es sich um eine Neurose des Pneumogastrikus handle. Man sah 
jedoch ein, dass man nach Durchschneidung des Vagus von Beschleunigung, 
nicht von wahrer Tachykardie sprechen kann, weil die Zahl der Pulsationen 
nicht grösser als 130—140 in der Minute ist und nicht lange anhält. 
Kappler sah nämlich, als er im Verlaufe einer Operation den rechten 
Pneumogastrikus durchschnitten hatte, dass der Puls bis auf 120 Pulsationen 



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Lieber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 417 

pro Minute beschleunigt wurde, aber nach 9 Tagen nur noch 88 betrug. 
Auch Vaquez ist dieser Ansicht. 

Ganz verschieden erscheint dagegen die Bedeutung des beschleuni¬ 
genden Nerven. Tatsächlich wurde auch bei ihm irgend welches Ver¬ 
mögen die Tachykardie zu erregen in Abrede gestellt, aber Unter¬ 
suchungen von Hering und dann auch Beobachtungen von Vaquez 
haben die Möglichkeit einer Tachykardie infolge Reizung des N. accelerans 
dargetan, auch wenn der Tonus der Hemmungsfasern des Vagus gar nicht 
vermindert ist. 

Hering sagt nämlich, indem er sich auf seine bekannte Klassifizierung 
der Kontraktionen in nomotope und heterotope bezieht, einer der Punkte, 
die, wie er glaubt, in jedem Falle von Tachykardie erörtert werden 
müssten, sei der, dass man im Falle der heterotopen Form untersuchen 
müsse, ob sie von Reizung des N. accelerans abhängt oder nicht. Nun 
wäre aber zu bemerken, dass, wenn man die Möglichkeit einer Tachy¬ 
kardie infolge Funktionserhöhung des N. accelerans annimrat, die Unter¬ 
suchung, ob er in Frage steht, sowohl im Falle einer heterotopen als 
bei der nomotopcn Tachykardie gerechtfertigt ist. 

Es haben nunmehr zahlreiche experimentelle und klinische Unter¬ 
suchungen den intimen Zusammenhang zwischen dem Sympathikus und 
dem Vagus und dem sinus-aurikulären Knoten nachgewiesen. Sowohl 
die Funktionserhöhung des einen oder des anderen als auch ein De¬ 
pressionszustand müssen sich im Knoten von Keith und Flack fühlbar 
machen und zu einer Vermehrung oder Verminderung der Herzschläge 
führen. Sogar die Herzbeschleunigungen nervösen Ursprungs, seien sie 
nun der Ausdruck eines allgemeinen nervösen Zustandes oder die Wirkung 
von Reflexen infolge Reizungen, die von einer beliebigen Stelle des 
Organismus ausgehen (namentlich vom Verdauungsapparat), erklären sich 
eben durch diesen Mechanismus. 

Wichtig ist dagegen der andere von Hering bezeichnete Punkt, ob 
nämlich die Tachykardie durch ursprüngliche heterotope oder hetero¬ 
typische Reize entstanden ist, weil nach den Untersuchungen desselben 
Autors ein Eingriff mittels Kompression des Vagus zum Aufhören der 
heterotopischen kontraktilen Reize führen kann, aber keinen Einfluss auf 
die heterotypischen ausüben soll; wenigstens scheint dies bei den ex¬ 
perimentell hervorgebrachten der Fall zu sein. 

Aber der Form nervösen Ursprungs gegenüber steht eine andere 
kardialen Ursprungs, die einige Autoren sogar für die einzige gehalten 
haben, die in den Fällen eines wahren Anfalles von paroxysmaler Tachy¬ 
kardie in Betracht komme. 

Diese Form ist leicht anzunehmen, wenn man bedenkt, dass sowohl 
im Knoten von Keith und Flack als an einer beliebigen Stelle des 
spezifischen Gewebes — das das atrio-ventrikuläre Bündel bildet oder 
in der aurikulären Wand vorhanden ist — abnorme Reize entstehen 


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können, die den Anfall verursachen, der natürlich eine verschiedene Form 
annehmen wird je nach der Stelle, an der die übermässige Produktion 
der Reize eintritt. Dieser Ursprung erklärt und rechtfertigt besser die 
lange Dauer des Anfalles und den — von vielen Autoren angenommenen 

— Uebergang der Anfallsform in die andauernde. 

Die experimentelle Forschung hat die Auffassung von der Möglich¬ 
keit des kardialen Ursprungs bestätigt. Lewis ist es nämlich gelungen, 
Anfälle von ventrikulärer Tachykardie hervorzurufen, indem er mittels 
einer Pinzette die rechte A. coronaria oder auch einen Ast derselben 
komprimierte. Hering beobachtete auch Anfälle im isolierten Herzen 
und ich selbst konnte bei einigen am isolierten Herzen gemachten Ex¬ 
perimenten beobachten, dass, wenn man den sinus-aurikulären Knoten 
mit Nikotinlösungen behandelt, während der Vergiftung Momente Vor¬ 
kommen, in denen Kontraktionen in häufigen Reihen eintreten, die Kurven 
ergeben, welche ein ähnliches Bild zeigen wie das der Extrasystolen, 
die mittels der Schläge des Induktionsstromes hervorgerufen wurden. 

In dem oben angeführten Falle erscheint der kardiale Ursprung, 
auch aus den Merkmalen des Elektrokardiogramms, als augenfällig; es 
lässt sich jedoch nicht ausschliessen, dass bei ihm das extrakardiale 
Nervensystem seinen Einfluss ausübt, und mir scheint übrigens, dass in 
allen Fällen ein solcher Einfluss nicht ganz ausgeschlossen werden kann. 

Wie nämlich bekannt ist, üben in ihrer den Herzrhythmus regulie¬ 
renden Funktion die äusseren Nerven ihre Wirkung aus, indem sie die 
fundamentalen Eigenschaften des Herzens positiv oder negativ verändern. 

Nun ist es aber natürlich, anzunehmen, dass sie bei ihrer Erhöhung 
oder Depression die Erregbarkeit der Faser, auf welche die Reize nun 
leichter einzuwirken imstande sind, erhöhen können, oder dass sie sogar 

— was sich auch annehmen lässt — an der schon prädisponierten Stelle 
die Hervorbringung der Reize erwecken können, die beim paroxysmalen 
Anfall zutage tritt. 

Zum Schlüsse lässt sich sagen: 

1. Die paroxysmale Form ist eine Form von Tachykardie, die eigentüm¬ 
liche, ganz bestimmte Merkmale hat, die sie von den anderen unter¬ 
scheiden. 

2. Sie entwickelt sich mit dem Mechanismus der frühzeitigen Kontrak¬ 
tionen und je nach der Stelle, an welcher der abnorme Reiz entsteht, 
besteht eine aurikuläre, ventrikuläre, atrio-ventrikuläre Form. Auch 
kann die gemischte Form vorhanden sein, und der angeführte Fall 
ist ein Beispiel dafür. 

3. Die Intermittenzen, die beobachtet werden, gehören dem Mechanismus 
der frühzeitigen Kontraktionen an; sie können aber einen anderen Ur¬ 
sprung haben, und im angeführten Fall ist es klar, dass sie z. T. auf 
eine Störung der Leitungsfähigkeit folgen. 



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Ueber den Mechanismus beim Auftreten der paroxysmalen Tachykardie. 419 

4. Ihr Ursprung kann seinen Sitz haben im Herzen oder in einem 
ßeizungszustand des N. accelerans. Aber auch im ersteren Falle 
kann der Einfluss des extrakardialen Nervenapparates nicht ganz aus¬ 
geschlossen werden. 


Literatnr. 

1) Bouveret, Revue de med. 1889. — 2) Cohn, Heart. 1910/11. — 3) Galla¬ 
va r d i n et Croizier, Arch. des mal. du coeur. 1913. — 4) Hay, Edinb. med. journ. 
1907. — 5) Hering, Münch, med. Wochenschr. 1911. Nr. 37. Arch. f. d. ges. Phys. 
1909. Ibid. 1910. — 6) His, XV11I. Deutsch. Kongr. f. inn. Med., Karlsbad, 1908. 
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1909. — 7) Hirschfelder, Johns Hopkins Hosp. 
Bul. 1906. — 8) Howlett, Journ. amer. med. assoc. 1908. Heart. 1910, 1911. — 
9) Hoffmann, Die paroxysmale Tachykardie. Wiesbaden 1900. Deutsch. Arch. f. 
klin. Med. 1903. Zeitschr. f. klin. Med. 1906. Verhandl. d. Kongr. f. inn. Med. 1909. 
XXVI. Kongr. — 10) Kraus und Nicolai, Deutsche med. Wochenschr. 1908. Das 
Elektrokardiogramm des gesunden und kranken Menschen. Leipzig 1910. —11) Lewis, 
Heart. 1909. 1910. 1911. British med. journ. 1910. The mechanism of the heart 
beat. London 1911. — 11) Martins, Tachykardie. Stuttgart 1895. — 12) Morris, 
Heart. 1910. — 13) Palfrey, Francis W., Med. and surg. reports of the Bost, city 
hosp. 1913. — 14) Pan, Zeitschr. f. exper. Path. u. Ther. 1904. — 15)Preisen- 
dorff, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1880. — 16) Rihl, Deutsche med. Wochenschr. 
1907. — 17) Schmoll, Amer. journ. of med. sc. 1907. — 18) Wenckebacli, 
Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1910. 


Zeitb'cbr. f. klin. Medizin. Sl. Bil. H. o ti. fJ. 


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XX. 

Aus der II. medizinischen Universitätsklinik in Wien 
(Vorstand: Hofrat Prof. Dr. Norbert Ortner). 


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Unsere Erfahrungen über die Wirkung von Tumor¬ 
autolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 

Von 

Dnz. Dr. Richard Bauer, Dr. Robert Latzei, 

Assistenten der Klinik, 

und cand. med. Emil Wessely, 

Hospitant der Klinik. 


Im Kampfe gegen sämtliche maligne Neoplasmen haben bis heute 
die Chirurgen die Oberhand behalten und werden auch in Zukunft bei 
allen operablen Fällen die idealste Therapie, die radikale Entfernung des 
Tumors üben. Wenn heutzutage danach gestrebt wird, durch andere 
Mittel Heilung bei diesen Erkrankungen zu erzielen, so treibt uns dazu 
hauptsächlich die häufige Inoperabilität, die schwere Zugänglichkeit ge¬ 
wisser Organe und endlich die Häufigkeit der Rezidiven, die Ungewissheit, 
ob der chirurgische Eingriff mit der gewünschten Vollständigkeit ge¬ 
lungen ist oder nicht. Deshalb dürfte wohl jeder Beitrag gerechtfertigt 
sein, den wir zur Frage einer unblutigen Heilung, bzw. Besserung dieser 
Leiden leisten können. 

Seit der Einführung der Strahlentherapie in dieses Gebiet der Heilkunde, der 
Verbesserung, Erweiterung und Kombination der Methoden mit chirurgischen Ein¬ 
griffen haben sich gewiss viele Lichtpunkte im Kampfe gegen den Krebs ergeben, je¬ 
doch bleiben diese Methoden mehr dem Chirurgen als dem Internisten reserviert. 

Die medikamentöse Behandlung, die sich, auf experimentelle Erfahrung stützend, 
bis in die letzte Zeit behauptet hat, war die Arsentherapie, hauptsächlich durch 
Atoxyl. In den letzten Jahren wurden jedoch besonders auf Basis derWassermann- 
schen Arbeit und der Entdeckung der Wirkung von Eosin-Selen Metalle und Me¬ 
talloide und zwar hauptsächlich in kolloidalem Zustande in die Krebstherapie einge¬ 
führt. A. Lade und P. Girard stellten diesbezüglich die ersten Untersuchungen mit 
Elektroselen an. ßougeant und Galliot berichten über zwölf mit Elektroselen be¬ 
handelte Fälle, bei denen sie über Besserung des subjektiven Befindens, Gewichts¬ 
zunahme, Nachlass der Schmerzen, Verkleinerung des Tumors, Erweichung und 
Mobilisierung früher fixierter Tumoren und ihre nachträgliche Operabilität berichten. 
C. Neuberg, W. Kaspari und H. Löhe steigern die in den malignen Geschwülsten 
vorhandenen autolytischen Vorgänge durch Injektion von stark tumoraffinen Sub¬ 
stanzen. Diesbezüglich wirksame Mittel sind Verbindungen von Blei, Zinn, Arsen, 
Antimon, Kupfer, Platin, lvobald und Silber. Die Autoren ziehen die intravenöse In¬ 
jektion vor und finden, dass im Tierexperiment schlecht vaskularisierte Tumoren 
hyperämisoh werden und zahlreiche Blutaustritte aufweisen. In den vertliissigten Tu- 



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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 421 

moren finden sich Derivate der eingespritzten Metall Verbindungen. Zeller verwendet 
neuerdings Arsenpasten in Kombination mit Kieselsäure zur Behandlung äusserer Ge¬ 
schwülste, wie auch Nakasilicium intern, allerdings ohne sichtbare Erfolge, eine Zeitlang 
verwendet wurde. Gaylord und Harvey beschäftigten sich damit, Schilddrüsen¬ 
tumoren bei Fischen und zwar bei Salmoniden zu beobachten, während sie verschie¬ 
dene Substanzen dem Wasser zusetzten, in dem sich die erkrankten Tiere aufhielten. 
Sie fanden Quecksilber in einer Verdünntyig 1:4000000, Arsen in einer Verdünnung 
1:3000000, sowie Jod als Lugolsche Lösung dahingehend wirksam, dass die genannten 
Tumoren vollständig verschwanden, Schilddrüsengewebe wieder normal wurde, 
Kolloid wieder hergestellt wurde und eine erhebliche Besserung im Allgemeinbefinden 
der Tiere sich einstellte. Kausch, der intravenöse Kollargolinjektionen bei Sepsis 
und inoperablen Karzinomen anwendete, sah lebhafte allgemeine und lokale Reaktionen 
ohne wesentliche Heilwirkung. Löb und Fleischer fanden im Tierexperiment bei 
Mäusetumoren kolloidales Kupfer und Platin von Erfolg, besonders bei intravenöser 
Einverleibung; nebenbei machten sie Versuche mit Kasein, Nukleoproteiden und Blut¬ 
egelextrakt, fanden jedoch bei ersteren Lebernekrosen. Spude wendet bei einem 
Gesichtskarzinom in der Peripherie des Tumors Injektionen von feinst pulverisiertem 
Eisenoxyduloxyd an bei gleichzeitiger Behandlung mit dem Wechselstrommagnet und 
subkutan Arsenbehandlung. Braunstein erzielt mit intravenösen Injektionen kolloi¬ 
dalen Selens und gleichzeitiger Verabfolgung von Methylenblau per os und per rectum 
Besserung, jedoch keine Heilung maligner Geschwülste. Lewin verwendet Goldsalze, 
Franz Stronö findet, dass Chinin auf oberflächliche Epitheliome eine elektive 
Wirkung auszuüben vermag, indem es Krebsgewebe zu zerstören und oberflächliche, 
weiche Hautkrebse zu heilen vermag. Die von Beard (Edinburg) angegebene Trypsin¬ 
behandlung inoperabler Karzinome wurde vom Chirurgen des New Yorker Krebs¬ 
hospitals Bambridge nachgeprüft und endete mit einer grossen Enttäuschung. Vor 
allem haften dieser Methode nicht zu unterschätzende Gefahren an, indem Trypsin 
die Tendenz hat, jedes Körpergewebe anzugreifen und indem durch allzuraschen Ge¬ 
schwulstzerfall eine Ueberschwemmung des Organismus mit Toxinen den Exitus be¬ 
schleunigen kann. Abgesehen davon ist die Schmerzhaftigkeit der Injektionen und 
Abszessbildung an der Injektionsstelle nicht zu vermeiden. Goldmann versucht 
durch Applikation von Ehrlichs Ikterogen die Entwicklung von Tumoren zu hemmen. 
Auch die mit Ikterogen behandelten Geschwülste zeigen in ihrem Innern raschen 
Zerfall, mit Gallenfarbstoff tingierte Hohlräume und ikterisch gefärbte Makrophagen. 
Im allgemeinen kann man auch bei diesen Erperijnenten, die durchweg an Mäuse¬ 
tumoren ausgeführt wurden und den deutlichsten Erfolg bei Chondromen zeigten, als 
Arsenwirkung auffassen. Pyrogallol nach von Stein soll innerlich gegeben bei Krebs 
bemerkensw.erte Erfolge haben, ebenso Jodkali ifi Form von Klysmen nach Michailov 
besonders bei Karzinomen des Intestinaltraktes anzuwenden. Schliesslich sei noch der 
direkten Behandlung von Karzinomen mit Formalin, Chlorzink, Resorzin und Benzoe¬ 
säure gedacht. In letzter Zeit führten Werner und Exner das Cholin in die Therapie 
des Krebses ein von der Voraussetzung ausgehend, dass diese Substanz die Strahlen¬ 
therapie auf chemischem Wege nachahmen soll. Es wird als borsaures Cholin 
(Enzytol) in lOproz. Lösung subkutan in zweitägigen Intervallen in Dosen von 5 g 
injiziert. Nach Simons Beobachtungen tritt unmittelbar, oft sogar während der In¬ 
jektion Tränenträufeln, Speichelfluss und Erbrechen auf bei gleichzeitiger Hyperämie 
des Gesichts und Zähneklappern. Die intrakutane Einverleibung ist schmerzhaft. 
Werner verwendet intravenöso Injektion sogar grösserer Dosen mit ermutigendem 
Erfolge. Wichtig sind noch Versuche, die mit Toxinen verschiedener Herkunft ge¬ 
macht wurden. So vor allem mit Bakterientoxinen, Streptokokken und Prodigiosus- 
toxin von Coley, mit denen besonders bei Sarkomen komplette Heilung erzielt werden 
soll. Auch Schlangen- und Bienengift wurde zu gleichem Zwecke, jedoch mit weniger 
Erfolg angewandt. Man darf nicht vergessen, dass bereits in unseren alten chirur- 

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422 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY, 


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gischen Spitälern beobachtet wurde, dass Erysipele, die sich über Karzinome aus¬ 
breiteten, Rückgang, ja Heilung des Karzinoms verursacht haben sollen, wobei sich 
einem besonders durch die Ansicht R. Schmidts, dass Karzinomkranke nur selten 
exanthemische Infektionskrankheiten überstanden haben, die Ansicht aufdrängt, dass 
einerseits die Toxine der Erysipelkokken direkt tumorzerstörend wirken, andrerseits 
im Ueberstehen solcher Infektionskrankheiten eine gewisse Immunität gegen Neo¬ 
plasmen zurückbleibt. Ob die gehäufte Bildung von Antikörpern gegen eine oder 
mehrere Infektionskrankheiten nicht eine dauernde wesentliche Festigung des Orga¬ 
nismus bedeutet, das Nichtüberstehen von Infektionen, ergo die geringe Antikörper¬ 
bildung im jugendlichen Alter späterhin einen leichteren Kampf der Krebszelle gegen 
die unvorbereiteten Körpersäfte bedeutet, bleibt dahingestellt. Das würde natürlich 
nicht hindern, dass hin und wieder auch im jugendlichen Alter dasselbe Missver¬ 
hältnis zwischen Angreifer und Verteidiger bestehen kann. Das Heilverfahren des 
französischen Chirurgen Doyen, basierend auf Immunisierung mit dem von ihm ge¬ 
fundenen Mikrococcus neoformans, sowie das Verfahren 0. Schmidts, der von 
ähnlichen Gedanken ausgehend ausser dem oben genannten Mikroorganismus Sporen 
von Mucor racemosus zur aktiven Immunisierung verwendet (Antimeristem), ist heute 
wohl bereits ganz verlassen. Auch Versuche mit Blastomyzetenkulturen versagten. 

Grosses Interesse erregten in letzter Zeit sowohl vom theoretischen wie prak¬ 
tischen Standpunkte aus, die Versuohe einer direkten aktiven und passiven Immuni¬ 
sierung gegen Tumoren mittels arteigenem Tumormaterial. Bergell und von Leyden 
berichten im Jahre 1907 über ein Ferment im Presssafte von Kaninchenleber, das in 
Krebsgewebe injiziert, weitgehenden Zerfall der Tumoren unter dem Bilde einer enzy¬ 
matischen Auflösung des Tumorgewebes zur Folge hatte. Sie sahen in dem unge¬ 
hinderten Wachstum bösartiger Geschwülste einen Ausdruck dafür, dass im Körper 
ein ungenügender Fermentgehalt oder Mangel jedweden derartigen Fermentes bestehe. 
Bergell und Sticker finden dementsprechend bei Mäusekarzinomen und Hunde¬ 
sarkomen weitgehenden Zerfall der Tumoren sowie Nekrose und Resorption nach In¬ 
jektion von Leberferment, d. h. richtiger Leberautolysat. C. Lewin berichtet 1912 
ebenfalls über Versuche, die er an Mäusen ausgeführt hat und deren Resultat ergab, 
dass Injektion von Tumorautolysat Wachstumsstillstand, Verkleinerung und zuletzt 
Verschwinden der Mäusetumoren zur Folge hatte. Er erwähnt bereits die besten Er¬ 
folge bei Verwendung vom eigenen Tumormaterial und empfiehlt operativ entferntes 
Tumormaterial zur Verwendung bei Patienten zwecks Rezidiv Verhütung. Lewin und 
Meidner geben weiter, indem, sie nach intraperitonealer Injektion von Tumormaterial 
artgleicher Tiere eine Milzexstirpation vornehmen und durch Injektion solcher Milz¬ 
extrakte tumorkranke Tiere heilen. Die subkutane Einverleibung des Tumormaterials 
stand an Wirksamkeit hinter der intraperitonealen zurück. Blumenthal berichtet 
schon im Verein mit Leyden vor Jahren über Versuche am Menschen, denen sie 
tumoreigenes Material eingespritzt und positive Resultate erhalten haben. Blumen- 
thal verwendet 25 g Tumor auf 100 ccm chloroformhaltigen Wassers und spritzt ein 
bis drei Tage altes Autolysat ein, worauf er acht bis vierzehn Tage darauf die Tu¬ 
moren auf ein Drittel ihres Volumens zurückgehen sieht. Graffund Ranzi wider¬ 
legten die Angaben Uhlenhuths, Handels und Staffenhagens, welche nach 
Radikaloperation eines Tumors die Möglichkeit einer Neuimpfung leugneten, während 
eine solche nach teilweiser Entfernung eines Tumors gelänge, durch eigeneVersuche, 
denen sie Beobachtungen anfügen über Autoimmunisierung am Menschen durch sub¬ 
kutane Injektion von Geschwulstmaterial. Alle Patienten litten an einer oder mehreren 
Rezidiven. Verwendet wurden Kochsalzextrakte des mit Hilfe der Buchnerschen 
Presse hergestellten Presssaftes. Ein günstiger Einfluss dieser Therapie ist nach An¬ 
gabe dieser Autoren unverkennbar. Ein Kranker bleibt sogar, nachdem sein Sarkom 
seit 1901 jedes zweite Jahr rezidivierte, seit den Injektionen rezidivfrei. Auch andere 
Fälle von zwei bis vierjähriger Rezidivfreiheit werden berichtet. Beide Autoren er- 



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Uober die Wirkung von Tumorautolysaton bei Behandlung maligner Neoplasmcn. 423 


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mahnen, die Wucherungsfähigkeit des einzuverleibenden Materials zu vernichton, da 
sonst Impftumoren an der Injektionsstelle möglich sind. Nach dem Vorgänge 
Blumenthals richten sich Delbet und Rovsing. Nach der Mitteilung Stammlers 
auf dem Chirurgenkongress 1913 goht hervor, dass auch kleine Mengen Autolysats 
genügen (bei Exstirpation nur einer Drüse), um gute Erfolge zu erzielen. Lunken¬ 
bein, der zuerst die gleiche Technik der Autolysatbereitung und Subkutaninjektion 
verwendete, ging als erster zur intravenösen Injektion über, um damit seinem Bericht 
zufolge recht gute Erfolge zu erzielen. Nach ihm sind frische Autolysate wirksamer 
als alte, wiewohl dieselben wochenlang auf Eis konservierbar sind. Alle Autoren 
stimmen darin überein, dass Autolysate des eigenen Tumors an Wirksamkeit die 
Autolysate fremder Tumoren übertreffen. A. Pinkus berichtet bei Verwendung von 
Autolysaten in Chloroformwasser über wenig ermutigende Resultate, indem in einem 
der Fälle bereits ein halbes Jahr später ein neuer Tumor vorhanden war. Extrakt 
von Kalbsthymus in die Tumorperipherie injiziert, bewirkte wohl Nekrose von Tumor¬ 
partien, wogegen aber die Tumoren an anderen Stellen wieder weiterwucherten. 
Bier berichtet 1907 über Versuche der Beeindussung bösartiger Geschwülste durch 
Einspritzen artfremden Blutes. Er beobachtet im Tumor Nekrosen, Zerfall und Rück¬ 
bildung. Hirschfeld lässt zuerst Blutserum Gesunder, dann Blutserum tumor- 
kranker Tiere auf Tumoremulsion einwirken, um damit Mäuse und Ratten zu impfen. 
Dermassen geimpften Tieren wurde nun Tumormatcrial einverleibt. Der Erfolg war 
der, dass bei den Tieren, die mit Normalserum-Tumoremulsion vorbehandelt worden 
waren, eine viel geringere Impfausbeute zustande kam, als bei den mit Tumorserum- 
Geschwulstemulsion geimpften Versuchstieren. Krokiewicz behandelte zehn Fällo 
von Magenkarzinom, zwei von Uterus- und zwei Fälle von Mammakarzinom mit nor¬ 
malem Menschenblut. Er entnimmt aus der Vena mediana 6 ccm Blut und injiziert 
dasselbe sofort subkutan. Nach sechs bis acht Tagen Wiederholung des Vorganges. 
Ein Kranker kollabierte am dritten Tage. Bei einem anderen beschreibt er nach der 
fünften Einspritzung Hämaturie und Hämoglobinurie. Erfolge beschreibt er nicht. 

Gehen wir nun auf unsere eigenen Versuche der Autolysatthcrapio 
maligner Geschwülste ein, so sei uns noch vorerst erlaubt, die Art und 
Weiso der Bereitung der Autolysate zu schildern, da sie in nicht un¬ 
wesentlichen Punkten von den bisher üblichen Methoden abweicht und 
wir auch mit verschieden bereiteten Autolysaten verschiedene Erfahrungen 
machten. 

In der Bereitung der ersten Autolysatc folgten wir den Vorschriften 
Rovsings und Lunkenbeins, verwendeten physiologische Kochsalz¬ 
lösung, zerkleinerten den Tumor mechanisch, liessen ihn 3 Tage im Eis¬ 
schrank autolysieren und filtrierten dann durch Papierfilter, später eine 
Zeitlang durch Bukalfilter, wobei wir uns aber ausserdem bei Bereitung 
der Extrakte möglichst vor Infektion des Injektionsmaterials zu schützen 
trachteten. Endlich wurden sie noch pasteurisiert (56°), auf das spezi¬ 
fische Gewicht von 1009 gebracht und in Mengen von 2—20 ccm ver¬ 
abfolgt. Bei Befolgung dieser Vorschriften zeigte sich nun, dass das 
spezifische Gewicht der gewonnenen Autolysate grossen Schwankungen 
unterliegt (1005—1032) und dass beim Pasteurisieren die Autolysatc 
sich bisweilen milchig trübten, welcher Umstand die Folge einer Koagu¬ 
lation des Eiweisses infolge schwach saurer Reaktion war. Wir griffen 
infolge dieses Umstandes zu dem Auskunftsmittel, an Stelle der physio- 



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logischen Kochsalzlösung 0,5proz. Sodalösung zu verwenden. Ausserdem 
waren wir wegen der häufigen Infektion der Autolysate genötigt, Chloro¬ 
form zur Unterschichtung zu verwenden, worauf sich aber zeigte, dass 
die allerdings ziemlich eiweissreichen Autolvsate zwar steril, aber viel 
weniger wirksam waren, ja einige in grössten Dosen intravenös verab¬ 
reicht gar keine subjektiven und objektiven Reaktionen auslösten, wie 
ja auch Kaschivabara über den Einfluss von Säuren und Alkalien, 
sowie verschiedener Antiseptika auf die Autolyse Aehnliches berichtet. 
Nach ihm bleiben bei der Autolyse die mit gesättigtem Chloroformwasser 
angesetzten Organextrakte wohl auch bei alkalischer Reaktion völlig 
steril, doch wird die Autolyse bei 0,2—0,5proz. Sodalösung fast gänz¬ 
lich aufgehoben. Wir schalteten nun die Hemmung der Autolyse durch 
Chloroform und Sodalösung aus, indem wir wieder zur physiologischen 
Kochsalzlösung zurückgekehrt sind und auf den Zusatz von Antisepticis 
verzichten, dafür aber von hausaus mit allen Kautelen der Asepsis Vor¬ 
gehen. Der Tumor wird von der Operation weg steril verpackt, dann 
mechanisch zerkleinert und in der 4—5 fachen Menge steriler physiolo¬ 
gischer Kochsalzlösung aufgeschwemmt. Um eventuell Luftkeime abzu¬ 
töten wird dann die Aufschwemmung durch eine Stunde im Wasserbade 
auf 52° erhitzt. Die Aufschwemmung lassen wir nun 3 Tage bei Zimmer¬ 
temperatur autolysieren und filtrieren sie dann durch dichte sterilisierte 
Papierfilter. Die so gewonnenen Autolysate sind wasserklare, leicht 
gelbliche Flüssigkeiten von leichter Opaleszenz, deren spezifisches Ge¬ 
wicht meist zwischen 1005—1012 liegt. Sie geben eine ziemlich starke 
Trichloressigsäurefällung und eine schwache Ferrozyankaliumreaktion. 
Die Reaktion ist meist neutral oder sehr schwach sauer. Durch Zusatz 
einiger Tropfen 0,5proz. Sodalösung werden sie schwach alkalisch ge¬ 
macht und sodann noch einmal durch eine Stunde auf 52° erhitzt. Sind 
die angelegten Kulturen alle steril, dann füllen wir das Autolysat in 
Dosen von 1—20 ccm in Glasfläschchen ab, die sofort zugeschmolzcn 
und dann in den Eisschrank gestellt werden. 

Bei Sichtung des uns zur Verfügung gestandenen Materiales sei 
gleich eingangs erwähnt, dass sämtliche Fälle inoperable oder wenigstens 
nicht radikal operierte Fälle waren, wobei wir auch hie und da Gelegen¬ 
heit hatten, Patienten mit tumoreigenem Material zu behandeln und ge¬ 
rade diese Fälle in den weitaus vorgeschrittensten Stadien. Das operativ 
gewonnene Karzinommaterial überliess uns in entgegenkommendster Weise 
die II. chirurgische Klinik des Hofrates Professor Höchen egg. Be¬ 
sonders bemerkt sei noch, dass das zur Behandlung verwendete Material 
fast ausschliesslich aus Mammakarzinom bestand, während die behan¬ 
delten Fälle Magen-, Darm-, Uterus-, Mamma- und Nierenkarzinome be¬ 
trafen. Ein zur Behandlung gelangtes Sarkom, ein Hypernephrom 
und ein Mammakarzinom konnten mit eigenem Tumormaterial behandelt 
werden. 



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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 425 


Im folgenden sei über die bemerkenswertesten Fälle kurz berichtet. 

1. Patientin A. W. bemerkte im August 1913 zum ersten Male eine haselnuss¬ 
grosse Geschwulst unter der rechten Brustwarze, die sich in wenigen Monaten ver- 
grösserte und im Januar 1914 als derbe Geschwulst die ganze rechte Brust ergriffen 
hatte. Die Haut darüber war blauschwarz verfärbt und die Geschwulst selbst schmerz¬ 
haft. Am 27. 2. wurdo sie an der II. chirurgischen Klinik von Dozent Dr. Finsterer 
operiert. Der Tumor wurde uns zur Autolysatbereitung überlassen. 

Aus dem Status sei hervorgehoben, dass sich in der Fossa supraclavicularis 
dextra nebst kleineren harten Drüsen ein grösseres 3y 2 : 2 cm betragendes Drüsen¬ 
paket tasten liess, das fest mit der Unterlage verwachsen, völlig unbeweglich war und 
wegen der darunter liegenden grossen Gefässstämme der Operation wahrscheinlich 
unzugänglich gewesen wäre. Unter die Klavikula war der Tumor nicht abzugrenzen. 

Auch in der linken Fossa supraclavicularis bestanden haselnussgrosse derbe 
Drüsen. Rechterseits an der Basis schlechtere Verschieblichkeit; überall rauhes 
Atmen. Sichere Anhaltspunkte für eine Lungen- oder Pleurametastase sind nicht ge¬ 
geben. Die Leber bis ein Querfinger unter den Nabel reichend, uneben, höckerig und 
von harter Konsistenz. Die Milz eben unter dom Rippenbogen palpabel. Aus dem 
Harnbefund sprachen die zunehmende Urobilin- und Urobilinogenreaktion nebst dem 
erwähnten Palpationsbefunde für die Wahrscheinlichkeit metastatischer Prozesse in 
der Leber. Die Patientin, im allgemeinen stark kachektisch, zeigt in ihrem Blutbefund 
ausser einer geringgradigen Leukozytose (13000) und einer unbeträchtlichen Ver¬ 
minderung der roten Blutkörperchen (4200000) nichts Besonderes. 

Patientin konnte iufolge Verjauchung dos Tumors nur mit geringem eigenen 
Material behandelt werden, das mit Chloroform und 0,5proz. Sodalösung bereitet 
wurde. 

Die Reaktion des Autolysates war basisch, die Essigsäurefällung stark positiv, 
die Ferrozyankalifällung positiv, das spezifische Gewicht 1011. 

Die erste Injektion, 2,5 ccm intravenös, wurde von einer Temperatursteigerung 
von 36,0 auf 37,3 beantwortet und hatte kein wesentliches Unbehagen im Gefolge. 

Die zweite Injektion, 5,0 ccm intravenös in Begleitung von 0,25 g Coffeini natr. 
benz., verursachte unter Schüttelfrösten und intensivem Kältegefühl Tachykardie 
und Schmerzen in dor Narbe und in der Oberbauchgegend, Temperatursteigerung 
auf 38,3. 

Die folgenden Autolysate (Protokoll Autolysat R), welche ebenfalls von einem 
Mammakarzinom herrührten, jedoch nicht mehr von ihrem eigenen Tumor stammten, 
wurden ebenfalls mit Chloroform und Toluol steril gehalten und waren in 0,5proz. 
Sodalösung bereitet. Trotz Steigens der Injektionen auf 10 ccm und 15 ccm waren 
unangenehme subjektive Gefühle von der früheren Intensität nicht mehr zu ver¬ 
zeichnen. Die Temperatur stieg durchschnittlich nicht mehr über 37,2. Nach den 
Injektionen fühlt sich die Patientin matt und schläfrig und verfällt meist in stunden¬ 
langen tiefen Schlaf. Nach der zweiten Injektion vom 16. 3. 1914 war der Driiscn- 
tumor in der rechten Supraklavikulargrube nach unten hin deutlich abzugrenzen, war 
allseits kleiner und härter geworden. Der Patientin wird in der Zwischenzeit aus 
unten anzuführenden Gründen 1 / 2 ccm Adrenalin 1 : 1000 injiziert. Am 22. 3. wurde 
Patientin zum ersten Male mit fremdem Autolysat behandelt, reagierte mit kurzem 
Schüttelfrost und Kältegefühl, um sich nach 2 Stunden wieder vollkommen wohl zu 
fühlen. Die folgenden Autolysatinjektionen, deren im ganzen 8 vorgenommen werden 
konnten, wurden ohne besondere Sensation vertragen. Das supraklavikuläre rechts¬ 
seitige Drüsenpaket wird bis auf einen daumendicken, sehr harten Strang verkleinert 
und auch die übrigen Drüsen gehen wesentlich zurück. Völlig unverändert blieb der 
Leberbefund und, was wir hier wie bei anderen Patienten hervorbeben, der Blut¬ 
befund. 


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426 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY, 


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Eine Herabminderung der Resistenzfähigkeit der roten Blutkörperchen gegen¬ 
über hypotonischen Kochsalzlösungen liess sich nicht nachweisen. Die Patientin, die 
sich infolge rasoher Besserung des Allgemeinbefindens und glatter Heilung der Ope¬ 
rationsnarbe nicht zurüokhalten liess, verliess trotz Widerratens die Klinik. 

2. Patient A. S. bemerkte vor l 1 /«» Jahren Blut im Stuhl. Bei der Aufnahme 
in unsere Klinik wurde ein Rektumkarzinom diagnostiziert, das am 10. 10. 1912 zur 
Operation gelangte. Vor der Operation hatte sich dor Zustand zeitweiliger Stuhl¬ 
verstopfung zum vollständigen Darmverschluss komplettiert. Hochgradige Steifung 
und Auftreibung des Bauches, Ausbleiben von Stuhl und Winden, fortwährendes Er¬ 
brechen. 

An der Klinik Hofrat v. Eiseisberg wurde nun wegen vollständiger Ein¬ 
mauerung des Rektums und Uebergreifens auf das Sigmoideum von einer Radikal¬ 
operation Abstand genommen und da nicht einmal die Möglichkeit bestand, die 
Flexura sigmoidea vorzulegen, zur Cöcostomie geschritten, die wegen Fixation auch 
dieses Darmteiles nicht in typischer Weise vorgenommen werden konnte. Der Lokal¬ 
befund vom 16. 3. 1914 ergab, dass das Eindringen des Fingers ins Rektum nur bis 
höchstens 6—7 cm gelang, dann ein derber, von allen Seiten vordringender Tumor 
ein weiteres Lumen gegen das obere Rektum überhaupt nicht tasten liess. Die Gegend 
des Perineums und Anus ist vorgetrieben und hart. 

Patient leidet an einer vollständigen inoontinentia urinae. Der Stuhl geht durch 
den Anus praeternaturalis ab, während das Rektum auch nicht die geringste Menge 
Fäkalien passierte. Infolge der heftigen Schmerzen im Kreuz und im Perineum kann 
Patient nicht sitzen. Das Gehen ist durch hochgradige motorische Schwäche des 
linken Beines sehr stark beeinträchtigt. Die früher genannten Schmerzen strahlen 
lebhaft in das linke Bein aus. Appetit äusserst gering, es besteht Ekel vor Fleisch. 
Im letzten Monat Gewichtsabnahme um 3 kg. Die genaue neurologische Unter¬ 
suchung ergibt rechterseits eine bessere Funktion des Muse, peroneus und tibialis als 
links, dementsprechend fehlt der linksseitige Achillessehnenreflex, während rechts 
eine Spur vorhanden ist. Sensibilitätsstörungen am Perineum, am Genitale und im 
Bereiche der hinteren Gebiete des Ober- und Unterschenkels stärker als in den vor¬ 
deren. Patellarrellex beiderseits abgeschwächt. Dementsprechend besteht eine Beein¬ 
flussung vom vierten Lumbalsegment abwärts; die Sakralsegmente und der Conus er¬ 
scheinen links mehr betroffen als rechts. 

Zur Verwendung kamen die Mammakarzinomautolysate D, R, F, T, K, XVII. 
Davon waren D, R, F und K mit Chloroform und 0,5proz. Sodalösung bereitet. T und 
XVII ohne Chloroform. Reaktion bei allen alkalisch. Essigsäurefällung bei allen 
positiv. Ferrozyankaliprobe bei T negativ. Spezifisches Gewicht zwischen 1009 bis 
1020 schwankend. 

17. 3. Bereits auf die erste Injektion D 2,3 ccm -j- Adrenalin 0,0005 reagierte 
Patient mit den heftigsten Schmerzen in der Zirkumanalgegend und im Unterbauche. 
Kein Schüttelfrost, keine Temperatursteigerung. 

20. 3. Subkutane Injektion von R 7,5 ccm -{- Adrenalin 0,0005. Dieselben 
Erscheinungen. 

28. 3. Subkutane Injektion von R 15,0 ccm -f- Coffeini natr. benz. 0,25. Pa¬ 
tient reagiert mit grosser Schläfrigkeit. In der Nacht wird er von den heftigsten 
Schmerzen befallen, die wieder im Unterbauch und in der Zirkumanalgegend lokali¬ 
siert sind und in das linke Bein ausstrahlen. 

29. 3. Heftige Schmerzen im linken Bein. 

1. 4. Subkutane Injektion von Autolysat F. 10,0 ccm -j- Autolysat D. 7,5 ccm -j- 
Cuffeini natr. benz. 0,25. 1 Stunde nachher Schmerzen grösster Intensität zirkumanal 
und im Unterbauch. Temperatursteigerung auf 37,8, später auf 39,1; am nächsten 
Tage nochmalige Steigerung auf 38,5. Die Schmerzen waren derart unerträglich, dass 



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Ucbor die Wirkung von Tumorautolysatcn bei Behandlung maligner Neoplasmen. 427 


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wir zu Morphin und Modiskopinjektionen greifen mussten. An Stelle der Schmerzen 
im Fusse stellt sich ausgesprochenes Vertaubungsgefühl ein. 

4. 4. Die Prüfung der Sensibilität des linken Beines ergibt Herabsetzung des 
Temperaturgefühls in der ganzen Extremität, ebenso des taktilen und des Schmerz¬ 
gefühls, an Planta und am Dorsum pedis vollständig fehlend. Im Allgemeinen war 
die Beugeseite stärker betroffen als die Streckseite. Auffallend war die schnelle Zu¬ 
nahme des Vertaubungsgefühles, der taktilen und thermischen Sensibilitätsstörungen 
unmittelbar im Anschlüsse an die Autolysatinjektion, ein Umstand, der wohl nur einer 
momentanen Grössenzunahme des Tumors, wahrscheinlich Hyperämie, zuzuschreiben 
sein dürfte und dies um so mehr, als sich gradatim der Zustand in den nächsten 
Tagen wieder besserte, der Status quo ante nicht nur wieder erreicht, sondern sogar 
weitgehend verbessert wurde. 

Die Sensibilität bis auf einen schmalen Streifen an der Beugeseite normal. 
Die Zehen und die Planta pedis noch im Zustande der Hyposensibilität. Wesentlich 
überraschend kam uns jedoch der Umstand, dass der Patient nunmehr spontan urinieren 
konnte, stundenlang im Bette oder im Lehnstuhl zu sitzen vermochte und die Ge- 
brauchsfahigkeit der linken unteren Extremität sich soweit gebessert hatte, dass der 
Patient, der vor der Behandlung bettlägerig war, nun ohne Hilfe und ohne Stock um¬ 
hergehen konnte. Am meisten überraschte es uns jedoch, das er durch sein vorher 
vermauertes Rektum anfangs jauchende Flüssigkeit später ganz normalen Stuhl ab¬ 
zugeben imstande war. Der nunmehrige Rektalbefund ergab eine weite Ampulle. Der 
Finger konnte gegen das obere Rektum Vordringen und jetzt ein deutliches Lumen 
tasten; doch war der Tumor besonders hinten oben nicht deutlich abgrenzbar und 
leicht blutend. 

20. 4. Aus später anzuführenden Gründen verabfolgten wir dem Patienten eino 
intravenöse Injektion von 5 ccm Elektroselen und subkutan 7,5 ccm Antolysat F. Nach 
einer halben Stunde trat ein durch 30 Minuten anhaltender Schüttelfrost auf, darnach 
Erbrechen und Abgang von grossen Mengen Stuhles per Rektum, kurzdauernde Be¬ 
nommenheit, nach 3 Stunden langsame Erholung. 

28. 4. Wiederholung der Autolysatinjektion mit 3 ccm Elektroselen ergab nebst 
denselben oben geschilderten Symptomen auffallende Schmerzen in der Analgegend, 
darnach Wohlbefinden. Patient wird beim Aufsitzen nicht mehr von den früheren 
Schmerzen geplagt, kann auf harter Unterlage sitzen und demonstriert unaufgefordert 
im Bette, wie leicht er das linke Bein bewegen könne. 

Vom 30. 4. bis 3. 5. täglich vergleichshalber 3 ccm Elektroselen allein intravenös 
injiziert. 

Von nun ab wieder Kombination mit Autolysat, meist von Schmerzreaktion in 
der Perinealgegend gefolgt. 

18. 5. Patient bekommt frisches Autolysat XVII in der Dosis 5,0 ccm subkutan. 
Unter Fiebererscheinung tritt eine so furchtbare Schmerzreaktion auf, dass Pantopon- 
injektionen die rasenden Schmerzen nur auf kurze Zeit zu lindern vermögen. Dabei 
erfolgt Abgang von jauchiger Flüssigkeit aus dem Rektum. 

21. 5. Die Rektaluntersuchung ergibt die früher harte Einscheidung und In¬ 
filtration des Rektums und der Perinealgegend fast völlig verschwunden; die Schleim¬ 
haut des Rektums, soweit sie tastbar, überall leicht verschieblich; vom eigentlichen 
Tumor nur der untere wallartige Rand zu erreichen; auf eine jauchende Fläche stösst 
der palpierende Finger nicht; die Perinealgegend jetzt weich, von einer Vorwölbung 
niehts mehr zu erkennen. 

23. 5. Auf weitere Autolysatverabreichung ohne Selen, Autolysat XVII. 8,0 ccm 
subkutan, neuerdings furchtbare Schmerzen im Mastdarm. Nach einigen Stunden An¬ 
stieg der Temperatur auf 39,2, Puls 140, aber voll, rhythmisch und äqual. Die 
Reaktion dauert diesmal fast 24 Stunden. 



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428 RICHARD BAUER, ROBERT RATZEL UND EMIL WESSELY, 


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Der neurologische Befund bezüglich der Tumordrucksymptome ergibt, dass dio 
hypästhetischen Zonen wesentlich zurückgegangen sind, auch die Anästhesie des 
Skrotums und des Perineums einer Hyperästhesie Platz gemacht haben, Kremaster- 
und Achillessehnenreflex linkerseits noch nicht auslösbar, Patellarsehnonreflex deut¬ 
licher als früher. Professor J. Fuchs, den wir ersuchten die Untersuchung vorzu¬ 
nehmen, konnte sich selbst von der Besserung überzeugen. 

25. 5. Patient verlässt gebessert die Klinik mit dem Aufträge, nach Ablauf eines 
Monats sich wieder einzufinden. 

Während des ganzen Verlaufes besserte sich der Appetit wesentlich. Der Ekel 
vor Fleisch verschwand, zeitweise trat sogar Heisshunger auf. Das Körpergewicht des 
Patienten zeigte beim Austritt eine Zunahme von 3 1 / 2 kg, wobei er nach den Injektionen 
abnahm, um dann wieder zuzunehmen. Im Blut zeigte sich vor der Autolysatbehand¬ 
lung eine geringe Leukozytose (18000), nach derselben betrug die Zahl 8000, bei 
sonst gleichbleibendem leicht anämischem Blutbilde. Die Resistenzfähigkeit der Ery¬ 
throzyten ebenfalls nicht beeinflusst. 

3. Patientin E. D. wurde im Februar 1914 wegen Leukaemia lymphatica an 
unserer Klinik aufgenommen. Seit etwa 3 / 4 Jahren krank, wies sie vielfache Drüsen¬ 
pakete am Halse beiderseits und in der Axilla auf. Das Abdomen von vielfachen 
hügeligen mässig derben Tumoren eingenommen. Dabei bestand ein Milztumor, Leber¬ 
tumor und Oedeme an beiden Fussrücken, die sich nach Umhergehen wesentlich 
steigerten. Diarrhoen dürften im Zusammenhang mit feinschlägigem Tremor, Neigung 
zu Schweissen, Exophthalmus auf einen Hyperthyreoidismus zurückzuführen sein. 
Links vom Sternum deutliche Dämpfung, über dem linken Oberlappen abgeschwächtos 
Atmen, systolisches lautes Geräusch über der Pulmonalis, nicht tastbar, sowie 
Dämpfung der Wirbelsäule bis zum VI. Brustwirbel Hessen mediastinale Drüsen- 
vergrösserungen vermuten. Bestätigung durch das Röntgenbild. Weiter besteht Stridor. 
Die Temperatur ist subfebril zwischen 37,3—37,6. Der Blutbefund vom 22. 2. ergibt: 
Erythrozyten 4500000, Leukozyten 222000, bei 93,8pCt.Lymphozyten, 4,OpCt.Neutro¬ 
philen, 2,0 pCt. Mononukleären, 0,2 pCt. Eosinophilen, unter 900 gezählten Leuko¬ 
zyten. Die Zahl der Lymphozyten in 1 emm beträgt 206460. 

Im Harn Spuren von Eiweiss. Vermehrung von Indikan, sonst negativer Befund. 

Aus den linksseitigen Axillardrüsen, die an der Klinik Hochenegg von Dozent 
P. Finsterer für unsere Zwecke exstirpiert wurden, wurde ein Autolysat bereitet. 
Die Drüsen wurden mechanisch zerkleinert und dann in einer Achatschale mit sterilem 
Quarzsand zerrieben. Der Detritus wurde dann in physiologischer Kochsalzlösung 
aufgeschwemmt und in gewohnter Weise weiter behandelt. Nach Abheilen der Ope¬ 
rationswunde wurde in rascher Aufeinanderfolge 2,5 und 5,0 ccm Autolysat subkutan 
injiziert. Die höchste Temperatur betrug 37,9, Spannung ohne wesentliche Schmerzen 
im ganzen Abdomen. 

7. 3. Nach der dritten Injektion von 7,5 ccm Autolysat hat Patientin die Tem¬ 
peratur von 37° nicht mehr überschritten. Die Leukozytenzählung ergibt eine Abnahme 
auf 175000. 

9. 3. Injektion von 10,0 ccm Autolysat subkutan. Einen Tag darnach wesentlich 
geringere Spannung im Abdomen. Empfindlichkeit besteht höchstens noch in der 
rechten Unterbauchgegend. Infolge der verminderten abdominalen Spannung wesent¬ 
lich leichtere Beweglichkeit. Die Patientin, die sich vorher nur allmählich aufrichton 
konnte, kann jetzt rasch auf einen Stuhl steigen, was ihr früher unmöglich war, sie 
kann sich jetzt auch selbst die Schuhe zuschnüren. Die Oedeme an den Beinen sind 
bedeutend zurückgegangen. 

13. 3. Auf 20 ccm Autolysat ziehende Schmerzen im ganzen Abdomen und 
leichte Dyspnoe, ln der Nacht gestörter Schlaf. 

15. 3. Zahl der Leukozyten 160000. 



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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 429 

18. 3. Letzte der vorhandenen Injektionen 18,0 ccm Autolysat subkutan. 

20. 3. Zahl der Leukozyten 150000. 

22. 3. Der Blutbefund ergibt: Zahl der Erythrozyten 3600000, Zahl der Leuko¬ 
zyten 148200, dabei 96 pCt. Lymphozyten. 

Von nun an musste, da uns das Injektionsmaterial ausgegangen war, die Röntgen¬ 
bestrahlung eintreten, die in 5 Touren vorgenommen, die Leukozytenzahl auf 139000; 
später’auf 80700 herabdrückte. 

Während der Autolysatbehandlung gingen die Leukozyten um 74000 zurück. 
Es verschwand das Oedem an den Beinen vollkommen, die Mattigkeit wich einer völlig 
normalen Agilität, die Erscheinungen der Stenose des linken Bronchus und der 
Arteria pulmonalis waren verschwunden. Das Abdomen und der Bauchumfang hatten 
bedeutend abgenommen. Nach jeder Injektion konnte man ein Grösserwerden der 
Hals- und Axillardrüsen, sowie eine Zunahme der intraabdominalen Spannung kon¬ 
statieren; am Tage nach der Injektion das Gegenteil, so dass Patientin auch objektiv 
in jeder Hinsicht gebessert der Röntgenbestrahlung übergeben wird. Derzeit ist 
Patientin fähig, 2—3 ständige Märsche ohne Ermüdung zurückzulegen, wobei besonders 
die früher beklagten Oedeme an den Beinen nicht mehr auftreten. 

4. Bei Patientin A. T. Hessen wir im Februar 1914 wegen Verdacht eines 
karzinomatös degenerierten Ulcus pylori die Laparotomie vornehmen. Doz.Dr. Finsterer 
resezierte nach Bestätigung der Diagnose den Pylorusanteil des Magens mit den 
regionären Lymphdrüsen, in denen jedoch noch keine Metastasen gefunden werden 
konnten. Auch in der Leber soweit sichtbar keine Metastasen. 14 Tage nach der 
Operation versuchten wir nach Rücktransferierung der Patientin zwecks eventueller 
Verhinderung oder Rückbildung von Rezidiven oder Metastasen in Ermangelung 
eigener Tumorautolysate Injektionen von Mammakarzinomautolysat D, F und R und 
zwar je 7,5 ccm. Die Patientin fühlte sich nach den Injektionen meist matt, bekam 
Schmerzsensationen um den Nabel herum und hatte Temperatursteigerungen bis 37,3 
zu verzeichnen. Während wir nun bei allen übrigen Patienten bei wiederholt vor¬ 
genommenen Harnuntersuchungen niemals eine Aldehydreaktion auftreten sahen, stieg 
nun die schwach positive Reaktion nach der ersten Autolysatinjektion innerhalb eines 
Tages auf das zehnfache an, wobei der Blutbefund stets unverändert über 5000000 Ery¬ 
throzyten, 11000 Leukozyten, Sahli 60 HB aufwies, ohne Besonderheiten im Färbe¬ 
präparat. Diese Aldehydreaktion brachte uns auf die Idee, dass gleichwie die 
Schmerzen in den Tumoren der gespritzten Patientin, der Grössenzunahme der Drüsen 
im Falle E. D., die Zunahme der Drucksymptome im Falle A. S. auf die Nerven¬ 
wurzeln auch diese gesteigerte Aldehydreaktion der Ausdruck einer akuten Hyperämie 
der metastatisch erkrankten Leber sei. Palpatorisch Hess sich nie etwas nach- 
weisen; nur Schmerzhaftigkeit entlang des tastbaren Leberrandes. Nach weiteren 
Autolysatinjektionen alsbald vollkommenes Wohlbefinden, langsames Abklingen der 
Aldehydreaktion. Im Juni befindet sich nach Bericht ihres Bruders die Patientin 
völlig wohl. 

5. Patient L. H. Sarkomatose der rechten Lunge mit Bildung eines reichlichen 
Exsudates. Dämpfung rechterseits über der ganzen Lunge. Bis Mitte der Skapula 
lautes Bronchialatmen, von da abwärts völlig aufgehobenes Atmen. In der rechten 
Fossa supraclavicularis eine grosse harte Drüse. Die Leber hart und bis unter den 
Nabel reichend. Aussehen anämisch-zyanotisch. Tachykardie, vikariierendes Emphysem 
der rechten Lunge. Schluckbeschwerden, Stridor, Dyspnoe, Tachypnoe. Schmerzen 
in der rechten unteren Thoraxpartie hauptsächlich abends und in der Nacht. 

9. 6. Exstirpation der wallnussgrossen Drüsenmetastase in der rechten Supra- 
klavikulargrube und Bereitung eines Autolysates mit physiologischer Kochsalzlösung 
ohne Chloroformzusatz. 


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430 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY, 


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14. 6. 12 Uhr mittags. Intravenöse Injektion von 2,5 ccm Autolysat -J- Coffeini 
natr. benz. 0,25. Nach 15 Minuten plötzlich einsetzender Schüttelfrost, starke Zyanose, 
heftige Dyspnoe, keuchender Atem. Patient bekommt sofort Sauerstoff und 2 Koffein¬ 
injektionen a 0,25 Coff. natr. benz. Der Schüttelfrost klingt nach einer halben Stunde 
langsam ab, die Zyanose geht auf die Sauerstoffatmung langsam zurück, kehrt aber 
beim Aussetzen des Sauerstoffs sofort wieder. Der Patient ist benommen und apathisch, 
spricht nicht und gibt gefragt keine Antwort, sondern deutet bloss mit der Hand. Es 
tritt weithin hörbares Trachealrasseln auf und die Untersuchung ergibt ein akutes 
Lungenödem im Bereiche des linken Unterlappens. 2 Uhr nachmittags. Puls 160, vor 
der Injoktion 140, Atmung 40. 

Die Symptome haben ihren beängstigenden Charakter verloren, sind aber gleich¬ 
wohl noch sehr heftig. Temperatur 39,3. 5 Uhr nachmittags. Puls 60. Patient ist 
stark zyanotisch und benommen. 7 Uhr abends. Puls 140, Atmung 34. Patient ist 
nicht mehr zyanotisch und nicht mehr so stark benommen. 

Tags darauf Abfall der Temperatur auf 37,1. Patient bekommt Appetit und 
schluckt leichter. Die Dyspnoe ist auffallend gering, keine Schmerzen, Schlafsucht. 
Die objektive Untersuchung ergibt rechts unveränderten Befund, links noch ver¬ 
einzelte mittelblasige Rasselgeräusche bei verschärftem vesikulären Atmungstypus. 

16. 6. Intravenöse Injektion von 1,0 ccm Autolysat -j- Coff. natr. benz. 0,25. 
Die Erscheinungen sind weniger stürmisch, darauf wesentliche subjektive Besserung. 
Patient fühlt sich wohler als vor den Injektionen. Die objektive Untersuchung ergibt 
den ganz überraschenden Befund, dass bei Fortbestehen des Bronchialatmens rechts 
vorne, rückwärts bis 2 Querfinger unter den Angulus scapulae rauhes, aber deutlich 
vesikuläres Atmen zu hören ist. 

Unser Material überblickend, drängte sich uns zunächst die Frage 
auf, welche Ursachen dem objektiven und subjektiven Symptomenbildc 
nach Autolysatinjektionen zugrunde liegen. 

Eine der ersten Patientinnen, die wir injizierten, ein weit vorge¬ 
schrittenes Magenkarzinom (nicht unter den erwähnten Fällen), starb, 
nachdem zwei Injektionen von Temperatursteigerungen und Schüttelfrost 
gefolgt, bereits eine scheinbare Besserung des Zustandes herbeigeführt 
hatten, unmittelbar im Anschluss an die Erscheinungen der dritten In¬ 
jektion, wobei Kollaps, Tachypnoe und akutes Lungenödem im Vorder¬ 
gründe standen. Dadurch auf die Möglichkeit einer echten tödlichen 
Anaphylaxie aufmerksam gemacht, wurde bei der Autopsie ganz be¬ 
sonders nach der letzten Todesursache gefahndet. Diese ergab jedoch 
ausser dem akuten Lungenödem und der hochgradigen sekundären An¬ 
ämie eine wohl auf dieser und der hochgradigen Kachexie beruhende 
multiple marantische Thrombosierung der Lungengefässe. 

Schittenhelm und Strobel beschreiben, dass Blutkörperchen-, 
Nieren-, Leber-, Pankreasextrakte und Extrakte von quergestreifter Mus¬ 
kulatur mit an sich unschädlicher Pepsinlösung digeriert nach der Injektion 
shockartigen Tod mit Lungenblähung und Blutdrucksenkung zur Folge 
habe. Die Verfasser schliessen aus ihren Versuchen, dass der normale 
EiweissstofTwechsel im Sinne des Um- und Abbaues innerhalb der Zelle 
vor sich gehen muss, da sonst Krankheitserscheinungen resultieren, die 
anaphylaxieähnlichen Symptomenkomplex befolgen. 



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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 431 


Unsere Autolysate wurden sowohl auf proteolytische Fermente, wie 
auch auf fettspaltende untersucht und stets ein negatives Untersuchungs¬ 
resultat erhalten. Hingegen waren unsere Autolysate stets ziemlich 
eiweissreich. Tierexperimente der letzten Jahre im Sinne der intravenösen 
Einverleibung verschiedener Organextrakte zeigten ebenfalls ähnliche der 
Injektion folgende Erscheinungen, die vor allem von Cesare Bianchi, 
Dold und anderen Autoren beschrieben werden. Schon der erste Autor 
gibt in Uebereinstimmung mit fast allen übrigen an, dass 24 ständige 
Lungenextrakte am giftigsten wirken und bei intravenöser Injektion von 
nur geringem Material Tiere akut töten, wobei arteigene Extrakte ent¬ 
schieden giftiger wirken und von allen Tierspezies die Kaninchen am 
empfindlichsten sind. Es sollen Dyspnoe, ferner Krämpfe und spätere 
Lähmungen das Krankheitsbild ausmachen. Schon hierorts wollen wir 
bemerken, dass auch wir schon vielfache Erfahrungen bezüglich ver¬ 
schiedener Organextrakte bei Tieren gewonnen haben, auffallenderweise 
jedoch bei Verwendung von Lungenextrakt keinen tödlichen Ausgang, 
wohl aber enorme Tachypnoe, Krämpfe und spätere Lähmungen, ver¬ 
mehrte Defäkation und vermehrten Urindrang bemerken konnten. Dieses 
Bild der Vergiftung durch Tierlungenextrakte erinnerte uns ganz be¬ 
sonders an die schweren Symptome nach der Drüsenmetastasen-Extrakt- 
injektion im Falle L. H. des Lungensarkoms. Man kann sich der Idee 
nicht entschlagen, dass ein der Lunge entstammender Tumor auch in 
seinen Metastasen dem Ursprungsraaterial ähnliches Toxin in seinem 
Extrakt führt, welches sodann die Erscheinungen des Lungenödems mit 
Tachypnoe, der Diarrhöen und der schweren Prostration zur Folge hat. 
Es könnte vielleicht trotz weitgehender histologischer Unterschiede ein 
metastatischer Lungentumor doch chemisch-biologisch ähnlich aufgebaut 
sein. Wir verschliessen uns auch selbstverständlich nicht der Möglichkeit, 
dass diese schwerste von uns gesehene Reaktion auf die komplette Aus¬ 
schaltung der rechten Lunge rückbeziehbar wäre, verweisen jedoch darauf, 
dass bei einem anderen hier nicht näher erwähnten Falle eines Mamma¬ 
karzinoms mit Pleurametastasen, Kyphoskoliose, ergo weitgehender 
Atmungseinschränkung keine nur annähernd so heftige Reaktion auf viel 
grössere intravenös einverleibte tumoreigene Injektionen erfolgt war. Dass 
bezüglich der* Wirkungsweise normaler Organextrakte und unserer Kar¬ 
zinomautolysate überhaupt eine auffallende Aehnlichkeit besteht, ist 
wohl nicht zu leugnen. J. Bauer und F. Wüsthoff glauben, dass die 
Symptome und Obduktionsbefunde ihrer nach Organextrakteinverleibung 
verstorbener Tiere grosse Aehnlichkeit mit denen bei Anaphylaxie haben, 
und schliessen daraus, dass das in den Organextrakten vorhandene Gift 
mit dem Anaphylatoxin identisch sei. MacFahrland bestreitet in seiner 
Versuchsanordnung die Wahrscheinlichkeit des anaphylaktischen Sym- 
ptoraenkoraplexes bei den mit Organextrakt behandelten Tieren. E. Gley 
schreibt, dass die Injektion von Hirudin intravenös durch die darauf er- 


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432 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL und EMIL WESSELY, 


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folgende schlechtere Gerinnbarkeit des Blutes tödliche Dosen von Organ¬ 
extrakten unwirksam mache und führt damit die Giftigkeit hauptsächlich 
auf die Bildung von Thromben in den Lungcngefässen zurück. Dold 
und Sagio Ogata finden auch Thromben der Lungenarterien, des 
Herzens und der grossen Yenenstämme. Die Verfasser suchen ebenfalls 
in der primären Gerinnselbildung die Todesursache und trennen dement¬ 
sprechend die Wirksamkeit der Organextrakte scharf von den Anaphyla- 
toxinen. Nach ihnen wirken die ersteren also durch ihre gerinnungs¬ 
erregende Komponente, die wahrscheinlich der Gewebslymphe entstammt. 
Popielski suchte als wirksames Agens ein sogenanntes Vasodilatin, 
erklärte die Blutdruckserniedrigung als peripheren Ursprungs und die 
Blutgerinnbarkeit als ein sekundäres Symptom durch Einwirkung des 
Vasodilatins auf das Endothel der Blutgefässe. 

Wir glauben sicher zu sein, in dem Symptomenkomplex der Auto¬ 
lysatinjektion keine Anaphylaxie erblicken zu können, schon aus dem 
Grunde, da völlig regelloses Auftreten solcher Erscheinungen auf Reinjektion 
desselben oder fremden Tumormaterials erfolgte und da die stürmischen 
Erscheinungen gerade eben bei der ersten und zweiten und weit geringere 
Erscheinungen bei den folgenden Injektionen zu sehen waren. 

Ein weiterer für uns wichtiger Befund waf der, dass wir ausser im 
Falle A. T. niemals nach der Injektion eine Urobilin- oder Urobilinogcn- 
reaktion auftreten sahen, da wir entsprechend eventuellen hämolytischen 
Eigenschaften unserer Autolysate solche erwarten mussten. R. Weil be¬ 
richtet, dass Extrakte von Leber- und Nierenblut verschiedene Mengen 
von Iso- und Autohämolysinen enthalten, die in ihrer Wirkung von Leuko¬ 
zytenextrakten gehemmt, von Erythrozytenextrakten aber verstärkt würden. 
Tumorextrakte sind in bezug auf ihre hämolytischen Eigenschaften variabel. 
Extrakte nicht nekrotisierter Tumoren werden erst durch Zusatz von 
Erythrozytenextrakt hämolytisch. Nekrotisierte Tumoren sind autohämo¬ 
lytisch und ihre Wirkung wird nicht durch Extrakte von roten Blut¬ 
körperchen verstärkt. Der Autor macht die Anämie Karzinomatöser 
von diesen Hämolysinen bis zu einem gewissen Grade abhängig. Die 
ßlutbefunde bei unseren Patienten änderten sich nach monatelanger Be¬ 
handlung wenig oder garnicht. Am ehesten schien eine langsame Zu¬ 
nahme der Leukozytenzahlen und ein späteres Absinken auf die Norm 
zu erfolgen. Die Zahl der roten Blutkörperchen war nur ein einziges 
Mal nach mehreren Autolysatinjektionen um eine erhebliche Ziffer ver¬ 
mindert und dies bei der lymphatischen Leukämie, bei der ein derartiger 
Befund von der Autolysatinjektion wohl schwerlich abhängig gemacht 
werden konnte. In vitro konnten wir Hämolysine für Meerschweinchen¬ 
erythrozyten, jedoch keine für Menschenerythrozyten nachweisen. 

Die Resistenzfähigkeit der Erythrozyten gegenüber hypotonischen 
Kochsalzlösungen wich in keiner Weise von der Norm ab. 



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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 433 


Weiteres Interesse verlangt der Umstand, dass nach dem Aus¬ 
schütteln mit Aether, d. h. der lipoiden Substanzen, in diesen Autoly¬ 
saten noch sowohl mit Essigsäure fällbare, als auch Ferrozyankalium- 
reaktion gebende Ei weisskörper sich nach weisen Hessen, dass aber diese 
ausgeschüttelten Autolysate in ihrer Wirkung sowohl subjektiv wie objektiv 
völlig versagten. Wir werden also dadurch aufmerksam gemacht, ob 
nicht gerade in den Lipoidsubstanzen das wirksame Agens der Autoly¬ 
sate vorhanden ist. 

Dass wir unser Injektionsmaterial als wirkliches Autolysat bezeichnen 
können, betonen wir deshalb, da wir glauben, dass* blosses Stehenlassen 
im Eisschrank eher die Bezeichnung Extrakt rechtfertigt, unsere eiweiss¬ 
reichen Lösungen, aber die zumeist bei Zimmer- oder Bruttemperatur ge¬ 
wonnen wurden, sicherlich wirklicher Autolyse der Tumoren entsprachen. 
Wie bei den Organextrakten, so scheinen auch bei den Autolysaten Ein¬ 
wirkungen chemischer Substanzen in hemmendem oder förderndem Sinne 
die Autolyse und selbstverständlicherweise auch diesbezüglich die Wirksam¬ 
keit zu beeinflussen. So waren die mit 0,5 proz. Sodalösung und Chloro¬ 
formunterschichtung bereiteten Autolysate weitaus weniger wirksam, indem 
Sodalösung nach M. Kaschiwabara in der gebrauchten Konzentration 
die Wirkung der Autolyse hemmt, Chloroform unserer Ansicht nach 
wahrscheinlich auch deshalb einen schlechteren Einfluss auf unsere Auto- 
lysate nahm, weil durch dasselbe Eiweiss und Lipoidsubstanzen in mehr 
oder minder grosser Zahl ausgefällt werden. 

Die Autolysate unterscheiden sich ferner von den Organextrakten 
auch dadurch, dass sie auf Wochen ihre Wirksamkeit behalten, während 
die Organextrakte Cesa Bianchis, Dolds und unsere eigenen ihre 
Wirksamkeit wenigstens, was die akuten Erscheinungen anlangt, in wenigen 
Tagen verlieren. 

Bei einer Reihe unserer Karzinompatienten wurden vor und während 
der Autolysatbehandlung genaue Stoffwechseluntersuchungen bezüglich der 
N-Ein- und Ausfuhr angestellt. Friedrich Müller machte darauf auf¬ 
merksam, dass die Stickstoffausfuhr kachektischer Krebskranker grösser 
sei als die Zufuhr, und sah als die Ursache dieser vermehrten Ausfuhr 
einen von der Nahrungszufuhr unabhängigen N-Einschmelzungsprozess an, 
der wieder vornehmlich durch Toxine hervorgerufen wird, die beim Zer¬ 
fall der Krebsknoten gebildet werden. Fr. Müller zeigt dieses Ver¬ 
halten wohl vornehmlich an Magentumoren, findet jedoch dasselbe 
auch bei einem Karzinom des Penis, bei dem eine Beeinträchtigung der 
Nahrungszufuhr nicht bestand. G. Klemperer bestätigt die Befunde 
Fr. Müllers. 

Braunstein, Moracewski und Setti können keine völlige Ueberein- 
stimmung mit den früher genannten Autoren bekamitgeben. Blumen¬ 
thals Oesophaguskarzinom zeigte ebenfalls ein Verhalten, welches weit- 


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434 RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL und EMIL WESSELY, 

gehend auf die direkte Beteiligung des Gastrointestinaltraktes bezüglich 
des Zustandekommens des negativen N-Stoffwechsels schliessen lässt. In 
diesem Falle findet Blumenthal vor der Sondenbehandlung eine von der 
Möglichkeit genügender Speisezufuhr bedeutenden Gewichts- und N-Ver- 
lust, nach der Sondenbehandlung bei genügender Nahrungsaufnahme nicht 
nur N-Gleichgewicht, sondern N-Ansatz mit beträchtlicher Zunahme des 
Körpergewichtes. Clowes, Frisbie und Glosser fanden in ihren Fällen 
wieder eher N-Verlust. C. Lewin konnte hingegen bei einem Magen¬ 
karzinom unter besonders ungünstigen Ernährungsbedingungen Stickstoff¬ 
ansatz bis 2,94 g pro die finden, A. Schmidt glaubt im Abfluss des zer¬ 
fallenden Gewebes von der Oberfläche exulzerierender Tumoren eine 
Ursache für die vermehrte N-Ausfuhr zu sehen, umsomehr als Salomon 
ja verhältnismässig frühzeitig ganz beträchtliche Eiweissreaktion bei Magen¬ 
karzinomen im Magensafte nachweisen konnte. C. Lewin berechnet den 
Wert des täglich mit dem Kot abgehenden N im Durchschnitt mit 0,6 g. 
Wir haben bei unseren Durchschnittsberechnungen 1,0 g in Rechnung 
gestellt. 

Unsere diesbezüglichen Untersuchungen, die hauptsächlich darauf 
hinausgehen, zu untersuchen, ob wir in den Werten des N-Stoffwechsels 
irgend ein objektives Kriterium für Wirkung unserer Tumorautolysate 
finden, wurden zuerst 10—20 Tage vor jeder Behandlung, und sonach 
während der Behandlung durchgeführt. In beiden Fällen, deren Unter¬ 
suchungsresultate wir tabellarisch bringen, sind die Zahlen der ersten 
Rubrik, also der therapielosen Krankheitsperiode, als Durchschnittswerte 
zu betrachten, was uns der Kürze und Einfachheit halber geboten er¬ 
schien. Alle übrigen untersuchten Fälle geben Parallelresultate, so dass 
die beiden herausgegriffenen Beobachtungen im Falle A. Z. ein Magen¬ 
karzinom ohne Passagebehinderung, im Falle M. L. ein Rektumkarzinom 
mit Anus praeternaturalis als Beispiel bringen. Wir sehen in jeder Tabelle 
in der behandlungslosen Zeit Stickstoffretention, was bei Fall M. L. nicht 
Wunder nimmt, da derselbe metastasenfrei ist und die Nahrungsaufnahme 
als eine vollkommen normale bezeichnet werden muss. Bei Fall A. Z. 
dürften wohl die im Spital vorhandenen besseren Ernährungsbedingungen 
die anfängliche N-Retention erklären. Während der Autolysatinjektions¬ 
periode sahen wir nun gesetzmässig in allen untersuchten Fällen die 
Stickstoffretention herabgehen, ja sogar eine negative Stickstoffbilanz ein- 
treten. Dabei zeigen unsere Tabellen auch ein Heruntergehen des Körper¬ 
gewichts bei steigender Diurese, zum Teil unter Erhaltung eines relativ 
hohen spezifischen Gewichts des Harnes. Im Fall A. Z. war, was wir 
besonders betonen wollen, die Autolysatinjektion von hohem Fieber und 
Schüttelfrösten begleitet, während Fall M. L. fieberfrei oder nur unter 
vorübergehenden subfebrilen Temperaturen verlief. Die Seleninjektionen, 
die wir ungemein langsam bis zu 2y 2 ccm intravenös applizierten, sahen 
wir nie von Fieber gefolgt. Diese sicherlich überraschenden Befunde in 



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Ueber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmon. 435 


A. Z. Carcinoma ventricnli iniiltr. ohne Stenose. 




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24.5. bis 12.6. 

Ohne Therapie (Durchschnittswerte). 

ca. 1400 

12,42 

9,16 

+ 3,26 

0,730 

46,50 

| 

1000 1017 

12.-15. 6. 

läagg«*)».-*.» 


14,36 

10,35 

+ 4,01 

0,804 

47,50 

1100 1021 

15.-30. 6. 

3 Autolysatinjektionen(Durchschnittswert). 
Davon die letzten Tage getrennt unter¬ 

— 

10,50 

8,93 

+ 1,57 

— 

47,20 

1400 1018 


sucht : 








26. 6. 

Dritte Autolysatinjektion. 

— 

6,14 

4,27 

+ 1,87 

— 

— 

400(1022 

27. 6. 

— 

— 

11,53 

11,90 

— 0,37 

— 

— 

750 1019 

28. 6. 

— % 

— 

10,50 

11,89 

— 1,39 

— 

— 

1650 1020 

29. 6. 

— 

— 

15,53 

6,93 

+ 6,61 

1 — 

— 

1050 1019 

M. L. 

Carcinoma recti (keine Oedeme). 






5.—14.5. 

Ohne Therapie (Durchschnittswerte). 

2500 

11,76 

6,47 

1 + 5,29 

1,092'52,60 

| I 

1200,1017 

15. 5. 

1. Autolysatinjektion. 

2500 

9,81 

8,17 + 1,64 

, — 

52,10 

1800 1012 

18 5. 

2. Autolysatinjrktion. 

— 

6,61 

8,83 

— 2,22 

* - 


1600 1012 

19.-20. 5. 

Ohne Therapie. 

— 

9,73 

6,84 +2,89 

| - 


1100 1019 

21.5. 

3. Autolysatinjektion. 

2600 

11,51 

13,35 — 1,84 

1 — 

52,0 

550(1017 

27. 5. bis 5. 6. 

4 Autülysatinjckt. \ /TA , , ... 

3 Elektroseleninjekt. / (Durchschmttswert). 

2600 

11,22 

8,13 + 2,79 

| — 

'53,0 

1 

Il300 1017 

6 — 17. 6. 

2 Autolvsatiniekt. \ . , ... 

2 Elektroseleninjekt. / (Durchschnittswert). 

2600 

13,15 

7,93 + 5,22 

0,82453,0 

11001016 

1 1 

23.6. bis 1.7. 

3 Autolysatinjektionen(Durchschnittswert). 

2200 

6,87 

1 

G,43 0,44 

i 

52,10 

1500 1017 

1 1 


der Tabelle wollen wir nun, soweit dies bei Stoffwechseluntersuchungen 
überhaupt möglich ist, einer Erklärung unterziehen. Den N-Ansatz in 
der Vorperiode bei günstigen Ernährungsbedingungen, krankheitsfreiem 
Gastro-lntcstinaltrakt oder verbesserten Lebensbedingungen bei einem 
stenosefreien Magenkarzinom wollen wir nicht als Tumorwachstum, sondern 
wirklich als Eiweissmast ansehen. Das Absinken der Eiweissretention 
bis zur negativen Stickstoffbilanz könnte man zum Teil wohl mit der 
Idee eines Tumorzerfalls, einer Tumoreinschmelzung in Einklang bringen, 
doch konnten wir uns davon objektiv nicht überzeugen; eher darf man 
den auffälligen Funkt der erhöhten Diurese nicht vergessen. Ausserdem 
finden wir bei gleichzeitigen, andernorts mitzuteilenden Versuchen über 
die Wirkung chronischer Einverleibung verschiedener Organextrakte bei 
Tieren durchwegs (bei monatelanger Beobachtung) Kachexie, kolossale 
Abmagerung und Haarausfall bis zum Verlust der Grannenhaare. Wenn 
Chvostek und Fr. Kraus aber auch im Fieberstoffwechsel einen der 
Karzinomkachexie ganz ähnlichen N-Verlust linden, fände sich für die 
hochfebrilen von Schüttelfrösten heimgesuchten Patienten noch eine Er¬ 
klärung ihrer meist noch erheblicheren N-Ausfuhr. Dass Elektroselen 
wieder N-Retention bewirkt, möchten wir am ehesten in einer Hyperämie 
des Tumors und im Schwinden der erhöhten Diurese begründet sehen. 

Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. II. 5 u. 0. 90 


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43G RICHARD BAUER, ROBERT LATZEL UND EMIL WESSELY, 


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Wenn also vor der Behandlung N-Ansatz auch von anderen Autoren 
beobachtet wurde, so scheint der N-Verlust nach oder während der 
Autolysatbehandlung gesetzmässig zu erfolgen. 

Bei einem Falle sehr weit vorgeschrittenen Mammakarzinoms ver¬ 
suchten wir Autolysate in den Rezidivtumor zu injizieren. Diese Maass- 
nahme blieb ohne jeden Effekt, war aber von grossen Schmerzen be¬ 
gleitet, weshalb wir sie verliessen. Von einem anderen Mammaturaor, 
ebenfalls weit vorgeschritten, mit Pleurametastasen und Exsudat, Hessen 
wir ein Stück Tumor exzidieren und implantierten das Tumorstück intra¬ 
peritoneal einem Kaninchen. Nach 4 Wochen wurde das Tier durch Ent¬ 
blutung getötet und ein Teil des Serums zur Abderhaldenschen Reaktion 
auf den Tumor verwendet, der andere, 5,0 ccm, der Patientin injiziert. 
Das Tierserum reagierte positiv, das Serum der Patientin, welches bis 
dahin gegen den eigenen Tumor keine Abbaureaktion zeigte, reagierte, 
nach 2 Wochen untersucht, ebenfalls deutlich positiv. Ein Erfolg wurde 
in diesem Falle nicht erzielt. Auch in Fällen reiner Autolysatbehand¬ 
lung wurde die Abderhaldensche Reaktion ab und zu geprüft. Neben 
geringen Steigerungen derselben fand sich im Falle A. Z. z. B. eine stets 
negative Reaktion. 

Fassen wir zusammen, so können wir sagen: 

1. Die bescheidenen Erfolge in unseren vorgeschrittenen Fällen dürfen 
nicht abschrecken, die Methode weiter zu prüfen. 

2. ln einem Falle von lymphatischer Leukämie war der Autolysateinfluss 
ein sehr deutlicher und günstiger, was für die Therapie und vielleicht 
auch für die Aetiologie dieser Erkrankung in Zukunft von Interesse 
werden könnte. 

3. Sind jedenfalls die Autolysate von weitgehendem Einfluss auf den 
Stoffwechsel, sie führen an sich zu vermehrter Eiweissausfuhr, oft zu 
negativer Stickstoffbilanz, während Selen den N-Ansatz hinauftreibt. 

4. Nicht nur darin ähneln die Autolysate der Wirkung von Organ¬ 
extrakten bei Tieren, sondern wir konnten auch sehen, dass Meta¬ 
stasen eines Lungentumors fast identische Erscheinungen hervorruft 
wie Lungenextrakte bei artgleichen Tieren. Dasselbe Autolysat erwies 
sich auch bei tumorfreien Patienten als gleich wirksam. Es lässt 
also keine diagnostischen Schlüsse zu, deutet aber darauf hin, dass 
Tumoren mit ihren Ausgangsorganen, von denen sie histologisch völlig 
different sind, biochemische Eigenschaften gemeinsam haben. 

5. Wäre auch noch an die Möglichkeit einer passiven Immunisierung zu 
denken, wozu uns die nach derselben auftretende positive Abder¬ 
haldensche Reaktion ermutigt. 

G. Die Abbaureaktion nach Abderhalden gegen eigenes Tumormaterial 
wurde z. T. in positivem Sinne durch die Autolysatinjektionen beeinflusst, 
z. T. blieb sie negativ. 



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Heber die Wirkung von Tumorautolysaten bei Behandlung maligner Neoplasmen. 437 


Literatur. 

1) Bainbridge, Brit. med. journ. 1907. — 2) Bauer, J. und Wusthoff, 
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29 * 


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XXI. 

Aus der Friedrichstadtklinik für Lungenkranke zu Berlin 
(dirigierender Arzt: Dr. Arthur Mayer). 

lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht, 

Von 

Arthur Mayer. 

(Mit 2 Kurven im Text.) 


Dass gewisse Formen des chronischen Bronchialkatarrhs und des 
Bronchialasthmas in engen Beziehungen zur Gicht stehen, ist seit langem 
bekannt. Manche, besonders französische, Autoren haben überhaupt die 
gichtische Anlage als ein prädisponierendes Moment für das bronchiale 
Asthma angesehen (Garrod, Trousseau, Charcot); Bouchard hat 
sogar behauptet, dass von 100 Gichtikern 9 echtes Asthma hatten, und 
dass 19 in ihrer Familie Asthmatiker aufwiesen. 

Auch chronische Bronchialkatarrhe sind besonders von Laennec 
und Grenhood beschrieben worden, bei denen die arthritische Diathese 
als ätiologisches Moment beschuldigt worden ist. 

Dass zwischen chronischen Bronchialkatarrhen und echtem Bronchial¬ 
asthma einerseits und der Gicht andererseits Beziehungen bestehen, ist 
wohl in der Tat zweifellos; aber ob spezifische gichtige Ursachen diese 
Erkrankungen der Atmungsorgane hervorrufen, ist noch niemals mit 
Sicherheit bewiesen worden. Es sind auch noch niemals Uratablagerungen 
in den Lungen gefunden worden. 

Dagegen sind in einem von Virchow und Litten beschriebenen Falle'an den 
Bändern und Knorpeln des Kehlkopfes Uratdepots gefunden worden, und Thost 1 ) 
beschreibt den Fall eines Gichtikers, bei dem die ganze Schleimhaut der oberen Luft¬ 
wege mit gelblichen scharfen Uratnadeln gespickt war. Auf der Pleura sind wieder¬ 
holt Uratkonkremente, u. a. auch von Umber 2 ) gesehen worden. 

Niemals aber hat man bisher überhaupt die Aufmerk¬ 
samkeit darauf gelenkt, ob auch derartige Erkrankungen der 
Atmungswege bei einer harnsauren Diathese vorkoramt, die 
sich im übrigen gar nicht und vor allem nicht in typischen 
Paroxysmen manifestiert. 

1) Thost, Archiv f. Laryng. u. Rhinol. 1912. 

2) Umber, Ernährung und Stoffwechselkrankheiten. 1914. 



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lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 


439 


Auf das Krankheitsbild der atypischen Gicht ist neuerdings mehr¬ 
fach von Goldscheider 1 ) hingewiesen worden. Goldscheider versteht 
ira Gegensatz zu anderen Autoren, vor allem Duckworth, unter 
atypischer Gicht solche Fälle, bei denen das für die Gicht charakteristische 
Symptom des akuten Anfalles fehlt, aber bei denen sich aus Uratdepots, 
die häufig an atypischen Stellen lokalisiert sind, das Bild einer abge¬ 
schwächten — nicht paroxysmalen — Gicht ableiten lässt. 

Ich habe mich nun allerdings bei meinen Kranken mit chronischem 
Bronchialkatarrh und Asthma, bei denen ich auf eine atypische Gicht 
fahndete, nicht dazu entschlossen können, kleine Verdickungen am Ole¬ 
kranon, am Steissbein, an der Patella oder an irgend welchen anderen 
Körperstellen, die möglicherweise Tophi, wohl aber auch andere 
kleine Geschwülste sein konnten, in dem Umfange pathognostisch zu 
verwenden, wie es Goldscheider getan hat, besonders nachdem ich 
einmal festgestellt hatte, dass ein derartiger „Tophus“ in der Tat ein 
Fibrom war. Ich habe mich auch mehrfach davon überzeugt, dass kleine 
Geschwülste, die ich für Tophi halten konnte, keine Urate enthielten. 
Die Murexidprobe war negativ. Selbst zugegeben, dass es arthritische 
Tophi gibt, die keine Harnsäure mehr enthalten, so ist doch die dia¬ 
gnostische Verwertung derartiger „Tophi“ recht prekär. Es darf wohl 
nur daran erinnert w r erden, dass, wie schon Ebstein hervorgehoben hat, 
Knötchen an den Ohrmuscheln Vorkommen, die chondrogen sind und 
nichts mit der Gicht zu tun haben. Derartige chondrogene Tophi können 
sich natürlich auch bei Gichtikern finden. Wiederholt habe ich auch die 
Röntgenplatte zu Rate gezogen, ohne in vielen Fällen mit Sicherheit von 
dem Charakter der Geschwulst überzeugt werden zu können. 

Auch dem Gelenkknirschen konnte ich bei meinen Patienten nicht 
den Wert beilegen, den ihm Goldscheider verleiht. Dass es sich in 
seiner charakteristischen feinsten Form häufig bei der Gicht findet, ist 
auch schon von Magnus-Levy 2 ) behauptet worden, aber es erscheint 
doch sehr zweifelhaft, aus dem Gelenkknirschen allein die Diagnose der 
Gicht zu machen. Auch Umber spricht ihm keine entscheidende patho- 
gnostische Bedeutung zu. 

Ich habe aber trotzdem bei meinen Patienten auf Tophi und Ge¬ 
lenkknirschen geachtet. Ucber meine Beobachtungen werde ich weiter 
unten Mitteilung machen. 

Für mich war das Entscheidende der Nachweis, dass der Purin¬ 
stoffwechsel in charakteristischer Weise gestört war. Es wurde 
demgemäss der endogene Harnsäurewert, d. h. sowohl die Harnsäure¬ 
menge im Blute dieser Kranken wie auch die Kurve der Harnsäureaus¬ 
scheidung bestimmt. 

1) Goldscheider, Zeitschr. f. phys.-diätet. Ther. Bd. 16 u. Berliner klm. 
Wochenschr. 1914. 

2) Magnus-Levy, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 36. 


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440 


AKTHUK MAYEK 


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Die Harnsäure im Blute wurde nach Fol in und Denis 1 ) bestimmt. Es 
wurden jedesmal 10 ccm Blut untersucht, eine Menge, die neuerdings auch von 
Steinitz gradezu als Optimum hingestellt wird. 

Es sei indessen von vornherein bemerkt, dass ich selbst 
höheren Harnsäurewerten im Blute keine entscheidende Be¬ 
deutung zusprechen möchte. Denn die sogenannte Folinsche 
Methode ist zweifellos wie alle anderen bisher angegebenen mit erheb¬ 
lichen Fehlerquellen verbunden, und wird wohl erst dann für die 
Klinik brauchbar sein, wenn man wesentlich geringerer Mengen Blut 
bedarf. Dazu kommt aber noch, dass die physiologische Breite 
des Harnsäurespiegels sehr gross ist und beträchtlichen Schwankungen 
unterliegt. 

Die Harnsäure im Harn wurde nach der Methode von Salkowski-Ludwig 
bestimmt. 

Ich begnügte mich indessen nicht nur mit der Bestimmung der 
Harnsäurekurve. Seit den Untersuchungen von Ignatowski 2 ), Hirsch¬ 
stein 3 ), Bürger und Schweriner 4 ) aus der Umberschen Klinik wissen 
wir, dass die Glykokollausscheidung bei der Gicht ein genau ent¬ 
gegengesetztes Verhalten zur Harnsäurekurve zeigt. Sie steigt während 
der Harnsäure-Retentionsperiode und sinkt sehr erheblich während der 
Harnsäureflut. Dieses Verhalten der Glykokollkurvc ist so charakteristisch, 
dass man aus der Divergenz der Glykokollkurve und der endogenen 
Harnsäurekurve ohne weiteres die Diagnose der Gicht machen kann. Am 
bemerkenswertesten ist nach den Untersuchungen von Hirschstein und 
Unna 5 ) dieses Verhalten nach intravenöser Harnsäureinjektion. 

Gewisse Schwierigkeiten entstehen durch die Methodik. Auf allerlei Ab¬ 
weichungen von der ursprünglichen von Fischer und B er gell angegebenen Methode 
beruhen wohl auch die Differenzen, die zwischen den Autoren, die im normalen Harn 
sehr wenig und gar kein Glykokoll fanden, und den Untersuchern, die in jedem Harn 
grosse Mengen Glykokoll nachweisen konnten. Wichtig ist es jedenfalls, dauernd 
alkalische Reaktion während der Schüttelung zu unterhalten und nach der Schüttelung, 
der Entfernung des Aethers und der Filtration stark anzusäuern. Befolgt man diese 
Vorschriften genau, so wird man zweifellos, wie ich mich in mehreren Vorversuchen 
überzeugt habe, die Untersuchungen von Abderhalden und Schittenhelm, Wohl- 
gemuth, Bergell und Blumenthal, Mohr und Unna bestätigen können, dass 
sich nämlich im normalen Harn höchstens Spuren von Glykokoll finden, dass aber, 
wie Bürger und Schweriner naohwiesen, schon relativ kleine Mengen von zuge¬ 
führtem Glykokoll beim Gichtiker im Gegensatz zum Gesunden genügen, um den 
Uebertritt desselben in recht erheblichen Mengen in den Harn zu veranlassen. 


1) Folin und Denis, The journ. of biol. ehern. 14. 

2) Ignatowski, Zeitschr. f. phys. Chem. 1904. 

3) Hirsch stein, Archiv f. exper. Pathol. u. Pharm. Bd. 59. 

4) Bürger und Sch weriner,' Archiv f. exper. Pathol. u. Pharm. 1913. 

5) Hirsch stein und Unna, Dissert. Leipzig 1907. 



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lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 


441 


Schliesslich ist bei den Patienten, bei denen eine Störung des Purin¬ 
stoffwechsels vorzuliegen schien, die von Umber und Retzlaff 1 ) ange¬ 
gebene funktionelle Harnsäureprobe angestellt worden. 

Diese Methode besteht darin, dass den Patienten 0,5 g Harnsäure mit etwas 
Piperazin intravenös injiziert wird. Gesunde scheiden die Harnsäure in den nächsten 
2 Tagen fast quantitativ wieder aus, Kranke mit gestörtem Purinwechsel retinieren die 
injizierte Harnsäure in sehr erheblichem Masse. 

Es wurden im ganzen 40 Patienten mit chronischer Bronchitis und 
Asthma, die angeblich niemals einen Gichtanfall gehabt hatten, und bei 
denen sich auch die üblichen gröberen klinischen Symptome nicht nach- 
weisen Hessen, untersucht. 

Bei diesen 40 Patienten fanden sich wiederholt kleine Geschwülste, 
die sich wohl als Tophi ansprechen Hessen, und mehrmals Gelenk¬ 
knirschen. Und zwar verteilten sich die Tophi wie folgt: 

2mal Tophi an der Ohrmuschel mit Gelenkknirschen 
lmal 1 Tophus am Olekranon „ „ 

lmal 1 Tophus vor der Patella „ „ 

ausserdem ohne Gelenkknirschen: 

lmal 1 Tophus am Ohr, 

1 mal 1 Tophus am Olekranon, 
lmal 1 Tophus am Steissbein, 

1 mal 1 Tophus neben der Patella. 

im ganzen fanden sich also bei 8 Patienten Tophi und zwar 4 mal 
mit Gelenkknirschen. 

Es ergab sich nun, wie aus den weiter unten folgenden Tabellen 
hervorgeht, dass tatsächlich bei 4 dieser Patienten der Purinstoffwechsel 
in charakteristischer Weise gestört war, die Glykokollkurve typisch ver¬ 
lief und die Umber-Retzlaffsche Probe eine starke Harnsäureretention 
bewies. Bei den 4 anderen Patienten war das Alles aber nicht 
der Fall: keine Störung des Purinstoffwechsels, kein Glykokoll im 
Harn, keine Retention der Harnsäure bei der Umber-Retzlaffschen 
Probe! Umgekert waren alle diese Beweise für eine arthritische 
Diathese bei 5 Patienten vorhanden, bei denen sich auch bei 
sorgfältigster, wiederholter Untersuchung keine Tophi und 
kein Gelenkknirschen nachweisen liess. 

In allen Fällen war eine chronische Bronchitis mit einem dauernden 
leichten asthmatischen Zustande vereinigt. Dabei handelte es sich durch- 
gehends um einen trockenen Katarrh der Schleimhäute, der verhältnis¬ 
mässig wenig Beschwerden verursachte. Nur unter ganz besonderen 
Verhältnissen kam es zu stärkeren Ausscheidungen der Schleimhäute. 
Dagegen bestand immer ein leichtes Emphysem und eine chronische 
leichte exspiratorischc Dyspnoe — also ein Zustand, der sich vielleicht 
am allerbesten als Status asthmaticus bezeichnen Hesse. 

1) Umber und Retzlafi', Kongr. f. inn. Med. 1910. 


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442 


AKTHUR MAYER, 


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Verhältnismässig leicht, bisweilen ohne jede nachweisbare Ursache, 
kommt es dann zu Exazerbationen, zu einem leichten Bronchialrauskel- 
krampf und einer Schwellung der Bronchialschleimhaut, ohne dass sich 
der Zustand bis zu dem Höhepunkt eines echten asthmatischen Anfalles 
steigert. 

In einzelnen Fällen liess sich aber die auslösende Ursache solcher 
Exazerbationen mit Sicherheit nachweisen. Teils waren es leichte Er¬ 
kältungen, teils aber — was das Wichtigste ist — genau dieselben 
Ursachen, die geeignet sind, einen typischen Gichtanfall auszulösen. In 
2 Fällen konnte ich nach verhältnismässig kleinen Dosen von Alkohol, 
in einem anderen Fall nach dem Genuss von Leber eine deutliche 
Steigerung der Beschwerden und eine objektive Exazerbation nachweisen. 

Diese Exazerbationen waren äusserlich dem Bilde des bronchialen 
Asthmas sehr ähnlich, unterschieden sich aber vom echten Bronchial¬ 
asthma dadurch, dass sich weder Charcot-Leydensche Krystalle, noch 
eine Vermehrung der eosinophilen Leukozyten nachweisen liess. Ich 
möchte das deswegen hervorheben, weil .bereits vor mehreren Jahren 
K. Reicher und E. H. Stein 1 ) Mitteilungen über diesen Gegenstand 
gemacht haben und gleichfalls nachweisen konnten, dass Purinkörper 
unter Umständen Asthmaanfälle auslösen. Sie fanden aber auch gleich¬ 
zeitig eine starke Vermehrung der eosinophilen Zellen und zogen daraus 
weitgehende theoretische Schlüsse, deren Berechtigung schon damals von 
Brugsch und Hirschfeld bestritten worden sind. Diese Fälle waren 
damals auch deswegen nicht ganz beweisend, weil möglicherweise bei dem 
einen oder anderen dieser Patienten eine Achylie bestanden haben kann, 
die zu einer verschleppten Ausscheidung der Harnsäure führt. Das war 
aber bei den von mir untersuchten Patienten ganz bestimmt nicht der Fall. 

In 2 Fällen (Fall 2 und 9) konnte ich den Purinstoffwechsel vor, 
während und nach Exazerbationen beobachten. Da zeigte sich nun, dass 
sich bei diesen Patienten die Harnsäureausscheidung genau so verhielt, 
wie man es von der echten Gicht her kennt: Es entstand eine ausser¬ 
ordentlich charakteristische Harnsäureflut, die auf der Höhe des Anfalls 
einsetzte, am zweiten oder dritten Tage ihren Höhepunkt erreichte 
und im postkritischen Stadium wieder zur Norm herabsank. Auch im 
anakritischen Depressionsstadium zeigte sich das von His entdeckte 
Sinken der Harnsäureflut in unverkennbarer Weise, wenn auch allerdings 
die Differenz zwischen Tiefstand und Hochstand der Kurve nicht so gross 
war, wie man es bei der echten Gicht zu sehen gewohnt ist. 

Auch die Glykokollkurve verhielt sich ganz typisch: dem Sinken der 
Harnsäure im anakritischen Stadium entsprach ein Steigen der Glykokoll- 
ausschcidung, der Harnsäureflut ein Sinken der Glykokollkurve (Kurve 1). 

1) K. Reicher und E. H. Stein, Fol. haem. 1910. 



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Uober Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 443 

Das sind also alles Verhältnisse, die für die Gicht absolut charakte¬ 
ristisch sind. 

Ganz besonders bemerkenswert war es nun, dass es wieder¬ 
holt mit experimenteller Sicherheit gelang, derartige Anfälle 
von „Lungengicht“ durch Darreichung von Natr. nucl. aus- 
zulösen, eine Tatsache, die also auch den Beobachtungen entspricht, 
die man bei der echten Gicht gemacht hat (Reicher und Stein). 


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Kurve 1. 


Während dieses experimentell ausgelösten Anfalles zeigte auch der 
Purinstoffwechsel genau dieselben Abweichungen, die man von der echten 
Gicht her kennt: Es entstand eine ausserordentlich starke Harnsäureflut, 
die am zweiten oder dritten Tage ihren Höhepunkt erreicht, um dann 
wieder zu einem postkritischen Stadium herabzusinken. Dem Ansteigen 
der Harnsäure geht ein Sinken der Kurve voraus (His). Die Harnsäure 
im Blut sank während des Anfalles und stieg dann im postkritischen 
Stadium wieder zur Norm. Die Glykokollkurve verhielt sich umgekehrt: 


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444 ARTII Uli MAVKR, 

Sie stieg während des anakritischen Stadiums und sank während des 
Abfalles recht beträchtlich (Kurve 2). 

Der Harnsäurespiegel lag bei allen Patienten, wie aus den Tabellen 
hervorgeht, ziemlich hoch. Es waren im allgemeinen Werte vorhanden, 
die um 0,035 pM. schwankten. Das sind also Werte, die zweifellos viel 
höher als beim normalen sind, aber doch unter den Werten bei der echten 
Gicht liegen. Sie stehen in gutem Einklang mit den Untersuchungen von 
Stein itz 1 )- 


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Kurve 2. 


Die Umber-Retzlaffschc Probe ergab durchgehends beträchtliche 
Retentionen und betrug in einzelnen Fällen bei wiederholter Prüfung bis 
zu 60 pCt. 

In einigen Fällen zeigte sich eine verhältnismässig hohe Ausscheidung 
der Harnsäure. Das waren besonders solche Fälle, bei denen zweifellos 
die respiratorische Funktion geschädigt war. Auf einen derartigen Zu- 

1) Stein itz, Zeitschr. f. phys. Chemie. Bd. 90, und Deutsche med. Wochenschr. 

1914. 



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Heber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 


44 T) 


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samraenhang hat schon Bartels 1 ) hingewiesen, und ich konnte an anderer 
Stelle gleichfalls zeigen, dass es bei ausgedehnten Schrumpfungsprozessen 
in der Lunge, bei denen es zu einer relativen Atmungsinsuffizienz kommt, 
die Ausscheidung der Harnsäure dauernd gesteigert ist. 

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass bei manchen Patienten 
scheinbar das Frühjahr eine besondere Disposition für derartige Exazer¬ 
bationen abzugeben schien; bei andern konnte indessen eine Abhängigkeit 
von der Jahreszeit nicht festgestellt werden. 

Diese Beobachtung ist deswegen bemerkenswert, weil manche Autoren das Heu- 
asthma in einen Zusammenhang mit der Gicht gebracht haben. Exakte Beweise für 
diese Zusammengehörigkeit sind indessen nicht erbracht worden. 

Sehr bemerkenswert ist dagegen, dass bei fast allen Patienten in 
der Aszendenz oder in der Verwandtschaft echte Gicht bestand. Auch 
zahlreiche Diabetiker waren in den Familien der Kranken. Die Kinder 
der Patienten hatten — was ganz besonders wichtig war — fast alle 
Symptomenkomplexe, die zweifellos in das Gebiet der exsudativen Diathese 
gehörten. Bei mehreren Kindern bestand seit langer Zeit bronchiales 
Asthma, chronischer Bronchialkatarrh, chronische Ekzeme und dergl. 

Die Verhältnisse sind in der folgenden Tabelle übersichtlich dargestellt. 


Familie 1. Familie 2. Familie 3. 



0 = Diabetes. 0 = Exsudative Diathese. 

§ = Gicht. H = Bronchialasthma mit Störung des Purinstoffwechscls. 


Ueberhaupt scheinen zwischen exsudativer Diathese und der Gicht 
enge Zusammenhänge zu bestehen. Möglicherweise ist überhaupt die 
exsudative Diathese eine juvenile Form der atypischen Gicht bei neuro- 
pathischen Kindern, wie ja auch die Chorea vielfach als juveniles Aequi- 
valent des Gelenkrheumatismus aufgefasst wird. Jedenfalls steht 
gerade das Symptoraenbild der „Lungengicht u manchen Erschei¬ 
nungen der exsudativen Diathese so nahe, dass man sich nicht 
des Eindrucks erwehren kann, dass gerade hier enge Be¬ 
ziehungen bestehen. 

Diese Anschauungen werden auch durch Untersuchungen unterstützt, 
die sich auf die Beziehungen von Tuberkulose und Gicht beziehen und 

1) Bartels, Deutsches Archiv f. klm. Med. Bd. 1. 



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44«; 


A K T II l 7 R MAYEK 


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an anderer Stelle von mir veröffentlicht worden sind. Bei 25 Kranken 
mit ausserordentlich gutartig verlaufender Lungentuberkulose war der 
Purinstoffwechsel genau so gestört, wie bei den Patienten, von denen 
hier die Rede ist. Von diesen 25 Kranken kamen 21 Kinder zur Unter¬ 
suchung. Dabei zeigte sich, dass alle diese Kinder von Tuberkulösen 
nicht tuberkulös waren, dass dagegen auch sie das Symptomenbild der 
exsudativen Diathese boten 1 ). 

Auf ähnliche Verhältnisse hat bereits früher Uffelmann 2 ) hingewiesen. Er 
konnte bei drei Kindern, die an Symptomengruppen litten, die wohl in das Gebiet 
der exsudativen Diathese fielen, genauere Untersuchungen der Harnsäureausscheidung 
vornehmen. Die Kurven erweckten durchaus den Anschein, als ob bei gewissen kon¬ 
stitutionellen Störungen, die dem Arthritismus nahestehen, aber nicht arthritisch im 
engeren Sinne sind, die Harnsäureausscheidung Aehnlichkeit mit der Kurve bei der 
echten Gicht hat. 

Es sei auch daran erinnert, dass Strümpell 3 ) überhaupt auch das 
echte Asthma bronchiale als Ausdruck einer exsudativen Diathese ansieht. 

Wie die von mir charakterisierten Störungen in den Funktionen der 
Respirationsorgane bei Urizidämie entstehen, lässt sich übrigens vorläufig 
kaum übersehen. Es steht jedenfalls fest, dass die Vermehrung der 
Harnsäure im Blut allein kaum als eigentliche Ursache in Betracht 
kommen kann, denn es zeigte sich, dass selbst die stärksten An¬ 
reicherungen des Blutes mit Harnsäure bei Tieren keine Stö¬ 
rung in der Respiration auslöst, Versuche, die übrigens schon vor 
Jahren mit demselben Erfolge von Minkowski gemacht worden sind. 

Allerdings besteht auf der anderen Seite die Tatsache, auf die auch 
Umber hinweist, dass die probatorische intravenöse Injektion von Harn¬ 
säure einen chemischen Reiz auf die Atemzentrale auslöst. Die Atem¬ 
züge werden demgemäss während der Injektion sehr erheblich vertieft. 

Wie kommt es nun, dass trotz alledem niemals Uratdepots in den 
Lungen gefunden werden? Die Antwort auf diese Frage gibt die Tatsache, 
dass die Lunge eine ausserordentlich geringe Affinität zur 
Harnsäure hat, und dass ganz besonders das geschädigte Ge¬ 
webe der Lunge fast gar nicht in der Lage ist, Harnsäure an 
sich zu reissen. 

Ueber die Prognose der „Lungengicht“ kann ich zurzeit noch nichts 
sagen. Es ist vielleicht nicht ausgeschlossen, dass der eine oder andere 
Patient später echte Gichtanfälle bekommt. Möglicherweise kann sich 
auch der „Status asthmaticus“ so erheblich verschlimmern, dass es zu 
schwerem Emphysem und echten Asthmaanfällen kommt. Darüber wird 
man erst urteilen können, wenn diese Fälle von Lungengicht bekannter 
geworden und über eine längere Zeit hinaus beobachtet worden sind. 


1) Arthur Mayer, Berliner klin.Wochenschr. 1914. 

2) Uffel mann, Monatsschr. f. Kinderheilk. Bd. 10. 

3) Strümpell, Med. Klinik. 1910. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 


447 


Difitized by 


Für die Behandlung ergibt sich aus diesen Mitteilungen, dass alle 
diejenigen diätetischen und medikamentösen Methoden in Betracht kom¬ 
men, die sich bei der echten Gicht bewährt haben und die geeignet 
sind, die Harnsäure unter möglichst günstigen Bedingungen abzubauen 
und auszuscheiden. 

Die diätetische Behandlung der Gicht ist bekannt genug. Sie braucht 
jedenfalls bei der Lungengicht nicht mit allzugrosser Strenge durchge¬ 
führt zu werden, und muss, wie bei der echten Gicht, in jedem Falle 
individualisiert werden, ganz besonders nach der Richtung hin, ob es 
sich um einen schwächlichen unterernährten Patienten oder um einen 
fettleibigen handelt. 

Ganz besonders erfolgreich scheinen mir übrigens bei der „Lungen¬ 
gicht 44 Kuren mit alkalischen Mineralwassern zu sein. Welche Mineral¬ 
wässer hier in erster Reihe in Betracht kommen, kann ich zur Zeit mit 
Sicherheit noch nicht entscheiden. 

Auch über Radiumkuren fehlen mir Erfahrungen; jedenfalls sollte 
man auch auf diesem Gebiete, das bisher der Radiumtherapie noch nicht 
zugänglich gewesen war, Versuche anstellen. 

Dagegen sah ich, wie schon erwähnt, sehr bemerkenswerte Erfolge 
von Atophan, allerdings weniger in der intravallären Zeit, als während 
der Exazerbation. In einigen Fällen wirkte das Atophan auf der Höhe 
des asthmatischen Anfalles so ausserordentlich, dass es geradezu als Spezi¬ 
fikum betrachtet werden muss. Diese Beobachtung deckt sich übrigens 
auch mit den Mitteilungen, die von anderer Seite über die Wirkungen 
des Atophans gemacht werden. So empfiehlt z. B. auch Umber nicht 
das Atophan anzuwenden, wenn man nur die Harnsäureausfuhr bei Gich- 
tikern, die keine Anfälle haben, steigern will. Dagegen sah auch er 
gute Erfolge von der Atophantherapie in chronischen Fällen mit Neigung 
zu verschleppten Anfällen, was also ja auch dem Bilde der „Lungengicht 44 
entspricht. 

Krankengeschichten nnd Protokolle. 


Fall l. Pat. L., 36 Jahre, Arbeiter. Vater Gichtiker, ein Bruder hat Diabetes. 
Pat. leidet seit mehreren Jahren an Atemnot. Untersuchung ergibt trockene Bronchitis, 
chronisches Asthma mit leichtem Emphysem. Keine Tophi, kein Gelenkknirschen. 


Beob> 

achtungs¬ 

tag 

U im Blut 
pM. 

Gesamtharn 

ccm 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,0’8 

i 

1G00 

11,8 

0,213 

0,015 


2 

0,041 

1800 

11,5 

0,194 , 

0,021 


3 

— 

1950 

9,3 

0,211 1 

l 0,023 


4 

0,039 

1800 

10,4 ! 

0,173 

0,018 


5 

— 

2000 

7,9 

0,175 

0,019 


6 

0,042 

| 1750 | 

1 i 

10,5 1 

1 

1 0,181 1 

1 1 

0,024 



Fall 2. Pat. R., 48 Jahre, Näherin. Anamnestisch und familiär nichts Erheb¬ 
liches. Pat. klagt über grosse Atemnot, besonders abends, und häufige Asthmaanfälle. 



Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



448 


ARTHUR MAYER 


Digitized by 


Keine Tophi, kein Gelenkknirschen, chronische Bronchitis. — Während der Be¬ 
obachtung ein deutlicher Asthmaanfall! 


Beob- 

achtungs 

tag 

U im Blut 
pM. 

Gesamtharn 

ccm 

Gcsamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,041 

1450 

10,3 

0,194 

0,021 


2 

0,038 

1500 

9,4 

0,188 

0,023 


3 

0,040 

1480 

9,8 

0,161 

0,026 

Asthmaanfall, 

4 

0,030 

1630 

8,5 

0,255 

0,019 

Harnsäureflut. 

5 

0,039 

1450 

9,1 

0,233 

0,025 


6 

0,040 

1520 

10,4 

, 0,183 

0,023 



Fall 3 . Pat. M., 44 Jahre, Tischler. Auffallend kräftiger wohlgenährter Mann 
klagt seit 3 Jahren über Atemnot. Es besteht eine chronische trockene Bronchitis, 
leichtes Emphysem und Asthma. Deutliches Knieknirschen und ein Tophus am linken 
Olekranon. 


Beob- 

aohtungs- 

tag 

U im Blut 
pM. 

Gesamtharn 

ccm 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,044 

1850 

10,5 


0,025 


2 

0,039 

1800 

9,3 

0,223 

0,018 


3 

0,046 

1530 

— 

0,209 

0,024 


4 

— 

1750 

10,8 

0,193 

0,017 



Fall 4. Pat. L., 50 Jahre, Schlosser. Ein Bruder soll schwerer Gichtiker sein. 
Pat. klagt über häufige Asthmaanfälle, die trotz langjähriger Behandlung nicht ge¬ 
bessert werden. Es besteht eine chronische Bronchitis und ein leichtes chronisches 
Asthma. Pat. hat einen grossen Tophus am rechten Ohr. 

Während der Beobachtung löst 30 g Natr. nuclein. einen typischen 
Asthmaanfall aus. 


Beob¬ 

achtungs¬ 

U im Blut jGesamtharn 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

Bemerkungen. 

tag 

pM. 

ccm 



(berechnet) 

1 

0,045 

1800 

9,6 

0,172 

0,021 


2 

0,038 

2000 

10,3 

0,18 

0,023 


3 

0,042 

2200 

— 

0,165 

0,025 


4 

0,037 

— 

11,3 

0,195 

0,023 

30 g Natr. nuclein. 

5 

0,034 

1850 

— 

0,14 

0,030 

Anakritische De- 

6 

7 

8 

0,032 

0,039 

0,040 

2000 

8.3 

8.4 

0,22 

0,20 

0,165 

0,021 

0,023 

0,024 

press., Asthma 
anfall, Harn¬ 
säureflut. 

9 

0,037 

j 1930 

12,1 

0,175 

0,022 



Fall 5 . Pat. S., 37 Jahr, Arbeiterfrau. Mutter an Diabetes gestorben. 2 Kinder 
der Frau haben eine typische exsudative Diathese. Das eine dieser Kinder leidet seit 


dem 2. Lebensjahr an chronischem Bronchialkatarrh und Asthma. 


Beob¬ 

achtungs¬ 

tag 

U im Blut 
pM. 

Gesamtharn 

ccm 

Gcsamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,038 

1530 

8,3 

0,209 



2 

— 

1420 

9,4 

— 

0,028 


3 

0,044 

1630 

— 

0,241 

0,024 


4 

0,037 

1580 

8,9 

0,210 

— 


5 

— 

1300 

7,5 , 

, — 

0,017 




Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



lieber Erkrankungen der Lunge bei der Gicht. 


449 


Fall 6 . Pat. W., 55 Jahre, Tischler. Es besteht ein erhebliches Asthma und 
eine chronisohe trockene Bronchitis. Ein Bruder des Patienten ist Diabetiker, 2 Kinder 
haben eine sehr charakteristische exsudative Diathese. 


Beob¬ 
ach tan gs- 
tag 

U im Blut 
pM. 

j 

Gesamtharn 

ccm 

j 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,029 

1800 ! 

11,3 

0,215 

0,018 


2 

0,034 

2100 

10,5 

0,263 

0,026 


3 

— 

2000 

— 

— 

— 


4 

0,037 i 

1900 

1 10,9 

0,25 

0,021 



Fall 7 . Pat. R., 32 Jahre, Arbeiter. Vater und ein Onkel gichtkrank. Pat. 
selbst hat niemals einen Gichtanfall gehabt, leidet aber angeblich besonders im Frühjahr 
unter sehr erheblichem Asthma. Es besteht auch jetzt chronischer Bronchialkatarrh 
und chronisches Asthma. Knirschen im linken Knie. Während der Beobachtung 
gelingt es durch eine Thymusmahlzeit eine sehr erhebliche Exazerbation 
des asthmatischen Zustandes auszulösen! 


Beob- 

achtungs- 

tag 

U im Blut 
pM. 

Gesamtharn 

ccm 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,040 

1800 

9,5 

0,220 

0,018 


2 

0,032 

1900 

— 

! 0,254 

— 


3 

— 

2300 

9,8 

— 

0,024 

Thymusmahlzeit, 

4 

0,035 

1850 

10,1 

| 0,193 

0,038 

Asthmaanfall. 

5 

0,012 

1630 

8,5 

0,298 

0,029 


6 

0,028 

1950 

11,4 

0,20 

0,021 


7 

0,043 

2070 

8,2 

0,213 

— 



Fall 8 . Pat. L., 38 Jahre. Ein Bruder und eine Schwester leiden an Gicht. 
Pat. klagt über grosse Atemnot, besonders nachts. Ein Kind hat deutliche exsudative 
Diathese. Pat. hat ausser einer leichten Retroflexio uteri chronischen Bronchialkatarrh 
und chronisches Asthma. 


Beob- 

acbtungs- 

tag 

U im Blut 
pM. 

Gesamtharn 

ccm 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

(berechnet) 

Bemerkungen. 

1 

0,049 

1600 

8,3 

0,241 

0,029 


2 

0,041 

1380 

— 

0,198 

— 


3 

0,037 

1420 

9,5 

0,183 

0,021 



Fall 9 . Pat. Sch., 60 Jahre, Werkmeister. Anamnestisch und familiär nichts 
von Belang. Der Patient, der schwächlich ist und keinesfalls den Eindruck der 
konstitutionellen Gicht macht, hat seit 20 Jahren Atemnot. Es besteht chronische 
Bronchitis und Asthma. — Während der Beobachtung Asthmaanfall. 


Beob¬ 

achtangs¬ 

U im Blut 

Gesaratharn 

Gesamt-N 

U im Harn 

Glykokoll 

Bemerkungen. 

tag 

pM. 

ccm 



(berechnet) 

1 

0,04 

_ 

10,3 

0,242 

0.02 


2 

0,037 

2100 

9,5 

0,179 

0,017 


3 

— 

1900 

— 

— 

0,029 


4 


1780 

11,3 

0,259 | 

0,018 


5 

0,032 

2030 

— 

0,101 1 

0,034 

Anakritische Dc- 

6 

7 

0,051 j 
0,04 

1850 

2140 

9,7 

0,37 

0,493 1 

0,012 

0,013 

press., Asthma¬ 
anfall, Harn¬ 
säureflut. 

8 

0,029 ! 

1980 

11,1 

| 0,259 

0,02 J 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



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XXII. 

Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. D. de Vries Rellingh in Groningen. 

(Hierzu Tafeln IV und V.) 


Eines der wichtigsten Symptome, welche mit der Mediastino-Perikarditis 
in Verbindung gebracht werden, ist der Pulsus paradoxus, d. h. das 
Kleinerwerden bzw. das Verschwinden des Pulsschlages in den Arterien 
während der Inspiration. 

Wenn wir der Geschichte einer Krankheit oder eines Symptomes 
nachspüren, so ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass wir dabei auf zwei 
Namen stossen: Griesinger und Kussmaul. Das ist auch hier der 
Fall. Nachdem im Jahre 1854 Griesinger den Pulsus paradoxus be¬ 
schrieben hatte, war es 1873 Kussmaul 1 ), welcher diesen Puls mit der 
Mediastino-Perikarditis in Verbindung brachte und ihm den Namen Pulsus 
paradoxus oder Pulsus inspiratione intermittens gab. 

Eine Zeitlang hat dann der Pulsus paradoxus als pathognomonisches 
Symptom dieser Krankheit allgemeine Geltung gehabt. 

Schon 1877 zeigte Somraerbrodt 2 ) jedoch, dass der Pulsus para¬ 
doxus nichts anderes war als eine Verstärkung einer durchaus physio¬ 
logischen Erscheinung (Barry, 1827), dass nämlich bei jeder Inspiration, 
auch bei gesunden Menschen, der negative Druck im Thorax, der sowohl 
Blut als Luft in den Thorakalraum ansaugt, die Ursache eines Kleiner¬ 
werdens des Pulses in dieser Atmungsphase ist. Später hatWiersma 3 ) 
gefunden, dass auch ein reflektorischer Nerveneinfluss, der sehr stark von 
zentralen Zuständen, wie z. B. der Aufmerksamkeit, abhängig ist, bei 
normalen Menschen während der Respiration Aenderungen des Puls- 
rhythraus und der Pulsgrösse im gleichen Sinne hervorrufen kann. Mit 
diesem Nerveneinfluss brauchen wir uns jedoch hier nicht weiter zu be¬ 
schäftigen, weil dieser wohl nie so grosse Schwankungen der Pulshöhe 
verursacht, dass von einem Pulsus paradoxus die Rede sein kann. 

Nach der Publikation Somraerbrodts hat man in der umfang¬ 
reichen Literatur, welche späterhin über dieses Symptom entstanden ist, 
vielfach in zweierlei Hinsicht gesündigt. 

1) A. Kussmaul, Berliner klin. Wochenschr. 1873. 

2) Sommerbrodt, Ebenda. 1877. 

3) E. Wiersma, Zeitsohr. f. d. ges. Neurologie und Psychiatrie. 1913. Bd. 19. 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 


451 


Erstens dadurch, dass man Kuss maul vorgeworfen hat, dass er den 
Namen falsch gewählt hätte. Denn das paradoxe Verhalten des Pulsus 
sei durchaus normal. Wenn man jedoch nachliest, was Kussmaul mit 
dem Namen gemeint hat, so wird man finden, dass er den Namen nicht 
im Gegensatz zu dem normalen Pulse, sondern im Gegensatz zu den 
Herztönen gewählt hat; in dieser Auffassung besteht das Paradoxe im 
Verhalten des Pulsus auch jetzt noch zu Recht, indem, während der 
Puls inspiratorisch kleiner wird, man bei der Auskultation bei der ln- und 
Exspiration an den Herztönen keine Intensitätsänderung verspürt. Dieser 
Unterschied zwischen dem Verhalten von Puls und Herztönen, der bei 
der physiologischen, inspiratorischen Verringerung der Pulshöhe nicht so 
auffällig ist wie beim Pulsus paradoxus, war eben, was Kussmaul 
paradox nannte. 

Zweitens dadurch, dass man, wie es z. B. Huchard 1 ) tat, annahm, 
dass der Pulsus paradoxus bei der Mediastino-Perikarditis in derselben 
Weise entstände wie bei normalen Menschen, nämlich durch inspiratorische 
Ansaugung des Blutes in den Thoraxraum. Vielleicht mag dies der Fall 
sein in gewissen Fällen von Pericarditis adhaesiva ohne Mediastinitis, wo 
also nur die Penkardialblätter mit einander verwachsen sind; allein wenn 
dabei ausserdem eine Mediastinitis im Spiele ist, werden noch weitere 
Ursachen des Entstehens in Betracht kommen (s. weiter unten). 

Wenckebach 2 ) hat in der Frage der klinischen Bedeutung des Pulsus 
paradoxus mit einem Schlage Ordnung geschaffen. Er unterscheidet drei 
Hauptursachen des Kleinerwerdens des Radialpulses während der Inspiration: 

I. eine extrathorakale, 

II. eine dynamische, 

III. eine mechanische. 

Ad I. Der extrathorakal entstandene Pulsus paradoxus hat 
mit der Mediastino-Perikarditis nichts zu tun. Er entsteht, wenn die 
Art. subclavia bei der Hebung des Brustkorbes zwischen der ersten Rippe 
und dem Schlüsselbein zusammengedrückt wird. Wenckebach beschreibt 
einen überzeugenden Fall, wo die Hebung des Schultergürtels das Phänomen 
sofort zum Verschwinden brachte, und er erinnert daran, dass jeder 
normale Mensch seinen Puls zum Verschwinden bringen kann, wenn er 
„auf einem Stuhle sitzend, den Sitz mit beiden Händen greift, und nun, 
bei fixiertem Schultergürtel, einatmet“. 

Ich bin in der Lage, noch eine andere extrathorakal entstandene 
Form von Pulsus paradoxus vorzuführen. Es handelte sich um einen 
Mann mit multiplen Neurofibromen. Eines dieser Neurofibrome 


J) Huchard, Traitä clin. des maladies du coeur et de l’aorte. 1905. T. III. 
p. 146. 

2) Wenckebach, Die unregelmässige Herztätigkeit und ihre klinische Be¬ 
deutung. 1914. 

Zeitschr. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 u. G. qa 


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452 


D. de VR1ES RE1LINGH, 


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war offenbar so gelagert, dass bei jeder Inspiration ein Druck auf die 
linke Art. subclavia ausgeübt wurde, so dass auf der linken Seite ein aus¬ 
gesprochener Pulsus paradoxus zu Tage trat, auf der rechten Seite jedoch 
der Puls ganz das normale Verhalten zeigte. Wir haben es somit hier 
mit einem Falle von einseitigem Pulsus paradoxus zu tun (Fig. 1). 

In verschiedener Lage des Patienten war das Phänomen verschieden 
stark ausgesprochen, sodass bisweilen der linke Pulsus radialis inspira¬ 
torisch fast ganz zum Verschwinden gebracht werden konnte (Fig. 2). 

Während der Exspiration und der Respirationspause war die Puls- 
höhc die gleiche, wie es auch ganz verständlich ist, da in diesen beiden 
Phasen der Atmung der Puls voll unter dem Neurofibrom hindurch schlagen 
kann. Bemerkenswert ist vielleicht, dass die Dauer der Arteriendilatation 
auf der linken Seite während der Inspiration verlängert war. Ungezwungen 
lässt sich dieses Phänomen erklären durch die Schwierigkeit, womit das 
Blut während der Inspiration unter dem drückenden Neurofibrom hin¬ 
durch gepresst wird. 

Ganz im Einklänge mit der lokalen Ursache des Pulsus paradoxus 
in diesem Falle steht die Tatsache, dass in den Venen am Halse keine 
besonderen Erscheinungen zu beobachten waren, dass jedenfalls keine 
inspiratorische Anschwellung dieser Venen vorhanden war. 

Ad II. Unter den aus dynamischen Ursachen entstehenden 
Fällen von Pulsus paradoxus versteht Wcnckebach diejenigen, 
welche durch, aus verschiedenen Faktoren verstärkten, normalen Atmungs¬ 
einfluss zustande kommen, wie z. B. sehr tiefe und schnelle Inspirationen, 
behinderten Lufteintritt in die Lungen (Croup, Müllers Versuch), starke 
Einengung der Atmungsoberfläche (grössere pleuritische Exsudate usw.), 
Atonie und Muskelschwäche des Herzens (sub finem vitae u. a.), schlechte 
Füllung der Aorta (starke Anämie), Aneurysmen (Frank), offener Ductus 
Botalli (Frank) usw. In allen Fällen ist also entweder die inspiratorische 
Ansaugung verstärkt oder der Effekt einer normalen inspiratorischen An¬ 
saugung durch Nachgiebigkeit der Wandungen der Zirkulationsorgane ver- 
grössert. 

Pathognomonisch für diese Fälle von Pulsus paradoxes hält Wencke- 
bach 

a) ein starkes Zusammenfallen der Venen am Halse bei der In¬ 
spiration, weil eben die inspiratorische Ansaugung im Thorax¬ 
raurae verstärkt ist, 

b) dass die Pulswelle während der Inspiration am kleinsten, während 
der Exspiration am grössten, in der Atempause von mittlerer 
Grösse ist. Auch dies ist verständlich, wenn man bedenkt, 
dass während der Ausatmung eine verstärkte Auspressung des 
Biutes aus dem Thoraxraum stattfindet, während der Atem¬ 
pause jedoch keine Auspressung (und kein Ansaugen) vor¬ 
handen ist. 



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Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 


453 


Ad III. Schliesslich bleibt noch der mechanisch verursachte 
Pulsus paradoxus, welcher uns jetzt am meisten interessiert, weil hier¬ 
unter der Pulsus paradoxus bei der schwieligen Mediastino-Perikarditis 
zu rubrizieren ist. 

Charakteristisch für diese Form des Pulsus paradoxus ist nach 
Wenckebach, dass die Pulswellen während der Inspiration am kleinsten, 
während der Atempause am grössten und während der Exspiration von 
mittlerer Grösse sind, weil eben das Herz, das hinten, vorn, unten, 
überall mit ßrustwand, Rücken und Zwerchfell verlötet ist, in extremer 
Inspirationsstellung am schlechtesten, während extremer Exspirations¬ 
stellung (also während der Atempause) noch am besten arbeiten kann. 

Dieses Postulat trifft bei einem Falle von Mediastino-Peri¬ 
carditis adhaesiva völlig zu, welchen ich in der Groninger Klinik 
zu analysieren Gelegenheit hatte. 

Es handelte sich um einen 33jährigen Stuokarbeiter, der am 21. 8. 1913 in der 
inneren Klinik zu Groningen aufgenommen wurde. Die Anamnese ergab keine here¬ 
ditäre Veranlagung, namentlich nicht für Tuberkulose. Er selbst hat niemals eine 
ernstere Krankheit überstanden. Im Juli 1913 bekam er Oedeina pedum; dieses 
Oedem wanderte ziemlich schnell höher hinauf, so dass bald auch der Bauch zu 
schwellen an fang. Erst später wurde auch das Gesicht ödematös. Der Patient 
konnte bald nicht mehr gehen. Er wurde kurzatmig, fing an zu husten und expekto- 
rierte ein wenig schleimiges Sputum ohne Blut. Niemals hatte er über Nachtschweiss, 
niemals auch über Herzklopfen zu klagen. Die 24ständige Urinmenge war klein, die 
Defäkation normal. Lues wird in Abrede gestellt. 

Der Status am 27. 8. war folgender: Der Kranke ist offenbar sehr dyspnoisch, 
er hat Orthopnoe. Er sieht ödematös und zyanotisch aus. Die Lippen sind blau 
verfärbt, wie auch die Ohren. Die Vena jugularis externa ist stark angeschwollen. 
Atmungsfrequenz 30 pro Minuto. Der Puls ist ziemlich gespannt, unregelmässig und 
inäqual. 

Das Oedem im Gesicht ist hart; am Halse inframaxillar eine 3 cm lange Narbe. 
Die Narbe rührt von einer Drüsenoperation im Jahre 1903 her. 

Der Brustkorb ist symmetrisch gebaut; die linke Seite wird bei der Atmung 
besser und ausgiebiger bewegt als die rechte. Auf beiden Seiten findet sich an der 
Hinterfläche ein etwa 3 fingerbreites Exsudat. Die linke Spitze ist schwach gedämpft. 
Ira übrigen werden keine abnormen Symptome auf den Lungen beobachtet. 

Die Herzdämpfung geht nach rechts bis 1 fingerbreit ausserhalb der rechten 
Sternallinie, nach links bis in die Papillarlinie, nach oben bis zur 4. Rippe. Der 
Spitzenstoss ist weder sicht- noch fühlbar. Das Manubrium sterni ist gedämpft. Die 
Herztöne sind schwach, aber rein, zeigen keine abnorme Verstärkungen. 

Die Hautvenen am Abdomen sind angeschwollen, die Haut selbst ist leicht 
ödematös. Im Bauche viel Flüssigkeit, der Bauch umfang über den Nabel beträgt 
98 cm. Dämpfung des Perkussionsschalls bis zum Nabel. 

Die Leber ist handbreit unter dem Rippenbogen zu fühlen, ist somit sehr gross. 
Sie fühlt sich sehr derb an. Ihr Rand ist dick und hart. 

Die Milz ist nicht zu fühlen. 

Skrotum und Penis sind ödematös. 

Die Beine und der Rücken bis zum 12. Processus spinosus sind stark geschwollen, 
Arme und Hände dagegen nicht. 

Der Urin enthält viel Albumen (Esbach 2pM.) und hyaline Zylinder. Spezifisches 
Gewicht 1012. Eine Probepunktion unmittelbar rechts vom rechten Sternalrande ist 

30* 


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454 L). de VRIES REIL1NGH, 

negativ. Eine Röntgenaufnahme weist ziemlich viele Stränge in der rechten Lunge 
auf. Im ganzen ist die rechte Lunge weniger lufthaltig als die linke. Herzschatten 
verbreitert. Wassermann-Reaktion negativ. 

Zur Diagnose war es notwendig, die verschiedenen Symptome näher 
zu analysieren. Fangen wir mit der Zirkulation an. 

Die Pulskurven lassen einen überaus deutlichen Pulsus paradoxus 
erkennen (Fig. 3). Während jeder Inspiration fangen die Pulse an 
kleiner, während jeder Exspiration dagegen grösser zu werden. Am 
grössten sind sie bei der ruhigen Atmung gegen Ende der Exspiration; 
wo eine Atempause vorhanden ist, fallen die grössten Pulse in diese 
Phase der Atmung. Meistenteils jedoch ist die Atempause wegen der 
ziemlich grossen Atemfrequenz bei gewöhnlicher Atmung fast gar nicht 
vorhanden. Wenn aber, wie bei tiefer Atmung, die Atempause deutlich 
ausgesprochen erscheint, fallen, wie erwähnt, die grössten Pulse ganz 
regelmässig in diese Phase. 

Dieser Puls entspricht also in jeder Hinsicht dem paradoxen Pulse 
aus mechanischen Ursachen nach Wenckebach. (Nur sieht man oft¬ 
mals, wenn der Puls im Anfänge der Exspiration auftritt, dass dieser 
Puls ganz klein ausfällt, ln allen einschlägigen Kurven des Pulsus para¬ 
doxus, namentlich bei solchen aus mechanischen Ursachen, auch in den 
Kurven, welche Wenckebach mitteilt, sieht man dieses Phänomen. Dies 
ist aber nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass eben bei den 
mechanischen Störungen durch Verlötung des Herzens das Herz am 
schlechtesten arbeiten kann in der Nähe der Inspirationsstellung, am 
besten in der Nähe der Exspirationstellung.) 

Es lag also bei dieser Form des Pulsus paradoxus nahe, an eine 
Mediastino-Pericarditis adhaesiva zu denken. 

Nun hebt Wenckebach hervor, dass dieser Puls doch noch nicht 
ganz pathognomonisch ist für die Mediastino-Perikarditis, sondern auch 
„bei örtlichen Verwachsungen der rechten Lunge mit dem Zwerchfell, 
wo bei jeder Inspiration vom rechten' Lungenstiel ein Druck auf die 
Venac cavae und den rechten Vorhof ausgeübt wird 44 , sowie bei extremem 
Tiefstand des Zwerchfells Vorkommen kann. Letzterer Umstand war aus 
der Röntgenaufnahme in unserem Falle wohl mit Sicherheit auszuschliessen, 
mit ersterer Möglichkeit aber musste man wegen der auf der Platte sicht¬ 
baren Stränge doch noch rechnen. 

Es galt also noch weitere Merkmale zu suchen, welche uns zur 
richtigen Diagnose führen konnten. 

Unter diesen steht wohl in erster Linie das Verhalten der Hals¬ 
venen. Nach Wenckebach sollen sie während der Inspiration an¬ 
schwellen, statt, wie bei normalen Menschen, abzuschwellen. Die Er¬ 
klärung dieses Phänomens liegt auf der Hand, wenn man bedenkt, dass 
eben die mechanisch veranlasste mangelhafte Systole das Blut während 
der Inspiration in ungenügender Weise aus dem Herzen austreibt, so dass 



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Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 


455 


auch wahrend der Diastole, die wohl auch durch dieselben Verwachsungen 
gerade bei der Inspiration schlecht ausfällt, eine ungenügende inspirato¬ 
rische Ansaugung des Blutes aus den Venen stattfindet. Bei unserem 
Patienten waren die Venen am Halse prall gefüllt, so dass eine weitere 
Anschwellung während der Inspiration nicht zu sehen war. Sicher war 
aber auch nicht die leiseste Abschwellung in der Inspirationsphase vor¬ 
handen. 

Das Friedreichsche Phänomen, des diastolischen Kollapses 
der Halsvenen, welches Mackenzie 1 ) als pathognomonisch für adhä¬ 
sive Perikarditis erachtet, Wenckebach jedoch auch bei starker Stauung 
und stark erweitertem Herzen beobachtete, dagegen bei Pericarditis ad¬ 
haesiva in einem stark ausgesprochenen Falle vermisste, war auch in 
unserem Falle nicht vorhanden. 

Ein anderes Phänomen, der negative Ictus cordis, vermochten 
wir nicht zu registrieren, offenbar weil der Ictus cordis hinten gegen die 
7. Rippe anschlug, wo die Herztöne am deutlichsten zu hören waren. 
Ein Iktus war jedenfalls weder zu sehen, noch zu fühlen. Vielleicht war 
das Herz unseres Kranken zu schwach, um den Brustkorb bei der Systole 
einzuziehen. Dazu gehört ja nach vielen Autoren noch eine gewisse 
Kraft des Herzens. 

Eine systolische Einziehung der unteren Interkostalräumc der linken 
Seite hinten (Zeichen von Broadbent, S. Mackenzie, 1. c.) vermissten 
wir in unserem Falle ebenfalls. 

Der Blutdruck, mittels der schmalen Riva-Roccischcn Manschette 
gemessen, betrug in unserem Falle 144 mm Hg, war demnach wohl etwas 
zu niedrig. Der Radialpuls war klein. 

Die Leberschwellung war sehr bedeutend, wie es Wenckebach 2 3 ) 
bei der Pericarditis adhaesiva verlangt und erklärt. 

Allein, so wichtig diese Symptome zur Komplettierung der Diagnose 
sind, so vermögen sie doch nicht die Diagnose sicher zu begründen, weil 
sic eben auch bei anderen Krankheiten vielmals Vorkommen. 

Ungleich wichtiger aber war das Verhalten der Atraungskurven. 
Um diese richtig zu deuten, müssen wir etwas weiter ausholen. Ich be¬ 
nutze diese Gelegenheit, um einiges bezüglich der Verwertung von 
Atmungskurven überhaupt mitzuteilen, das ich bis jetzt — etwas aus¬ 
führlicher — erst in holländischer Sprache veröffentlicht habe 30 * 4 ). 

Bekanntlich wird die Atmungskurve meistenteils mittels der soge¬ 
nannten Umschnürungsmethode registriert, d. h. um den Thorax wird ein 
Band gelegt, dessen Enden mit den mit Kautschuckmembranen ver- 

1) Mackenzie, Diseases of the heart. 1910. p. 254. 

2) Wenckebach, Volkmanns Vorträge. N. F. Innere Med. 1907. Nr.140u.141. 

3) de Vries Reilingh, Over de registratio der ademhaling. Ned. Tvdschr. v. 
Geneesk. 1912. 1. No. 9. 

4) de Vries Keilingh und Kochat, Paradoxe ademhaling. lbid. No. 20. 


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456 


D. de VRIES REILINGH, 


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sehenen Flachseiten eines starren Zylinders verbunden sind. Jeder Zug 
bei der Inspiration buchtet also die Kautschukraerabranen aus und die 
Luft im Zylinder wird verdünnt. Wird also das Innere des Zylinders 
von vornherein mit einem Mareyschen Tambour mittels Kautschuk¬ 
schlauches in Verbindung gesetzt, so wird eine negative Kurve auf dem 
Kymographion geschrieben, d. h. bei jeder Inspiration senkt sich die 
Kurve, bei jeder Exspiration hebt sie sich (Marey). Legt man aber das 
Band um den Thorax über einen gewöhnlichen Mareyschen Pulsschreiber, 
so wird dieser bei jeder Inspiration eingedrückt, somit schreibt ein da¬ 
mit verbundener Mareyscher Tambour eine positive Kurve, d. h. bei 
jeder Inspiration hebt sich die Kurve, bei jeder Exspiration senkt sie sich. 
Diese Methode habe ich im Anfänge meiner Untersuchungen bevorzugt. 

Meist wird zur Registrierung der Atmung in dieser Weise nur die 
Brustkurve aufgenommen und man meint dann hinreichend über die ver¬ 
schiedenen Atmungsphasen orientiert zu sein. 

Wenn man aber gleichzeitig mit der in dieser Weise registrierten 
Brustatraungskurvc eine in der nämlichen Weise aufgenoramene Bauch¬ 
atmungskurve aufzeichnet, so wird man sich überzeugen, dass die Brust¬ 
atmungskurve, mit der Umschnürungsmethode gewonnen, absolut unzuver¬ 
lässig ist. 

Es zeigt sich, dass in sehr vielen Fällen die Atmungskurven von 
Brust und Bauch nicht synchron verlaufen. Es kann dies in sehr ver¬ 
schiedenen Graden der Fall sein. Sehr oft finden wir im Anfänge der 
Brusteinatmung eine kleine negative, im Anfänge der Brustausatmung 
eine kleine positive Periode (Fig. 4). Manchmal steigern sich diese um¬ 
gekehrten Perioden in dem Maasse, dass die Brustkurve geradezu das 
negative Bild der Bauchkurve wird (Fig. 5). 

Teilweise schon durch Anlegung des Umschnürungsbandes über die 
Kleider der Versuchspersonen, sicherer aber noch durch die weiter unten 
zu beschreibende „Hebelmcthode u , lässt sich beweisen, dass hier zweierlei 
Einflüsse im Spiel sein können, welche die Brustatmungskurve beein¬ 
trächtigen. Erstens der Umstand, dass bei jeder Inspiration die Weich¬ 
teile zwischen den Rippen eingezogen, bei jeder Exspiration ausgebuchtet 
werden. Dieses Verhalten der Zwischenrippenräume macht sich auf der 
Schnur geltend, wenn die Kapsel auf dem Sternum, auf der Kapsel selbst, 
wenn sie im Interkostalraum liegt. Durch Zwischenlagerung schwerer 
Bleistücke lässt sich dies beweisen (Fig. 6). 

Zweitens kann festgestellt werden, dass im ersten Beginn der In¬ 
spiration infolge der Luftdruckerniedrigung im Thoraxraum durch die 
Zwerchfellkontraktion der Thorax als Ganzes oftmals ein wenig einge¬ 
zogen, im Beginn der Exspiration durch Luftdrucksteigerung ein wenig 
ausgebuchtet wird. 

Diese Tatsachen lassen sich leicht demonstrieren, wenn man die 
Kurven, die mittels der Umschnürungsmethode gewonnen sind, vergleicht 



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Ueher Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 


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mit denjenigen, welche mittels der Hebelmethode aufgenommen wurden. 
Die hierbei angewendete Vorrichtung besteht in einem in allen Rich¬ 
tungen (Fig. 7) verstellbaren Hebel, dessen eines Ende auf eine Mareyschc 
Kapsel drückt, die durch einen Kautschukschlauch mit einer Schreibc- 
kapsel verbunden ist und dessen anderer Arm einer auf den zu unter¬ 
suchenden Stellen des Thorax festgeklebten polierten Kupferplatte auf¬ 
liegt. So ist natürlich jeder Einfluss der Intcrkostalräume ausgeschlossen 
und es wird dadurch ermöglicht, die verschiedenen Thoraxpartien isoliert 
zu untersuchen, was mittels der Umschnürungsmethode niemals ge¬ 
lingen kann. 

Wie gesagt, zeigte sich auf diese Weise, dass die umgekehrten 
Brustkurven der Umschnürungsmethode wieder mit der Bauchkurve syn¬ 
chron verliefen und positiv wurden, nur dass im Anfänge jeder Atmungs¬ 
phase noch oftmals ein kurzes negatives Stück in der Brustkurve be¬ 
merkbar war, als Ausdruck der durch die Zwerchfellbewegungen ver¬ 
ursachten Luftdruckänderungen im Innern des Thoraxraumes (Fig. 8). 

Dieses nahezu synchrone Verhalten der Brustkurven mit der Bauch¬ 
kurve war somit eine Bestätigung der Richtigkeit dieser letzteren, was 
auch von vornherein wahrscheinlich war. Nur in ganz vereinzelten Fällen, 
wo wahrscheinlich die Thoraxmuskulatur über das Zwerchfell überwog, 
haben wir eine kurze Strecke ein Nachfolgen der ßauchkurve im Anfänge 
jeder Respirationsphase konstatieren können. Wenn somit, wie ich aus¬ 
drücklich postuliere, in jedem Falle, wo man die Atmung studieren 
will, Brust- und Bauchkurven aufgezeichnet werden, und zwar die erstere 
mittels der Hebelmethode, die zweite mittels der Umschnürungsmethode, 
so geht man den einzigen Weg, auf welchem Irrtümer ausgeschlossen 
sind. Es würde nicht schwer sein an zahlreichen Kurven der ein¬ 
schlägigen Literatur die Fehler, welche zu irrigen Schlussfolgerungen 
Veranlassung gegeben haben, zu demonstrieren 1 ). 

Weiter fortfahrend mit der Registrierung der Atmung in dieser Weise 
konnten wir bei einigen Krankheiten ein paar interessante Beobachtungen 
machen; so in erster Linie bei Emphysema pulmonum mit Tiefstand des 
Zwerchfelles, in anderer Hinsicht bei unserem Kranken. 

Bei Emphysema pulmonum fanden wir, dass sehr oft, besonders 
bei ziemlich weit vorgeschrittenen Fällen, die unteren Thoraxpartien 
während der Inspiration eingezogen, während der Exspiration ausgebuchtet 
werden, somit ein ganz paradoxes Verhalten zeigen (Fig. 9). Was Wencke- 
bach bei Enteroptose und tiefstehendem Diaphragma für möglich er¬ 
achtet, jedoch noch nicht wahrgenommen hat, wird hier zur Tatsache. 
Die Erklärung muss selbstverständlich dieselbe sein, wie sie Wencke- 
bach nach dem Vorgänge Duchennes 2 ) für den paradoxen Atem- 

1 ) Man siehe z. B. die Kurven in Hofbauer, Semiologie und Differentialdiagnostik 
der Kurzatmigkeit. 1904. 

2) Duchenne, Physiologie des Mouvements. 1867. 


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458 


D. de VKIES REILINGH, 


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mechanismus bei der Enteroptose gegeben hat; nämlich, dass das flache 
Diaphragma bei seiner Kontraktion die Rippen nicht wie das normal ge¬ 
wölbte hochhebt und durch die Eigenart der Kosto-Vertebralgelenke 
nach auswärts bewegen kann, sondern ganz einfach die Rippen einzieht. 
Nach uns hat auch M. Creyx 1 ) diese Tatsache bei Emphysematikern 
beobachtet und er schreibt wörtlich: „Les mouvements de la base de 
la poitrine se trouvaient inverses; pendant l’inspiration les cötes inferieures 
se retractaient comme si le diaphragrae les eut attirees directement vers 
son centre phrönique“. Er schliesst sich meiner Erklärung dann auch 
ganz und gar an. 

Ein entgegengesetztes Verhalten der oberen und unteren Thorax¬ 
partien lässt sich bei Emphysematikern mittels der Hebelmethode sehr 
oft nachweisen (Fig. 10) und es darf nicht wundernehmen, welch einen 
schlechten Einfluss diese Verminderung des Atemmechanismus auf den 
Gaswechsel in den Lungen haben muss. Bei einem solchen Emphysematiker 
fand Creyx eine vitale Kapazität von nur 60 cl. 

Bei unserem Kranken haben wir mittels der Hebelmethode sehr 
interessante Tatsachen an den Atmungskurven demonstrieren können, 
welche sehr wesentlich zur Feststellung der Diagnose mitgewirkt haben. 
Ich brauche nur auf die beigegebenen Kurven zu verweisen, um dies 
dem Leser klar zu machen. 

In Fig. 11 sind untereinander aufgeschrieben worden die Atmungs¬ 
kurven von: 

1. Unterende des Corpus sterni und Bauch. 

2. Rechte Seite, ein wenig innerhalb und unterhalb der Papille, 
Bauch. 

3. Linke Seite, ein wenig innerhalb und unterhalb der Papille, Bauch. 

Die Zeit ist in jedem Falle in 1 / 5 Sekunden markiert. 

Wir sehen an der ersten Kurve, wie das Unterende des Corpus sterni 
(nahe am Proc. xiphoideus) bei jeder Inspiration eingezogen, bei jeder 
Exspiration ausgebuchtet, man möchte sagen freigegeben wird, wie also 
die Respiration an dieser Stelle sich vollkommen paradox verhält. 
Nebenbei bemerkt, sehen wir, dass im ersten Anfänge der Inspiration 
die Bauchkurve bisweilen etwas eingezogen zu werden scheint, wie wir 
das auch bei normalen Menschen öfter zu beobachten in der Lage waren 
(vgl. oben). 

An der zweiten Kurve erkennen wir, dass eine Stelle der rechten 
Seite, ein wenig innerhalb und unterhalb der Papille gelagert, ganz das 
nämliche paradoxe Verhalten der Respiration zeigt. 

Und schliesslich sehen wir an der dritten Kurve wie die Respiration 
derselben Stelle der linken Seite nahezu normale Verhältnisse aufweist. 


1) M. Creyx, Les variations respiratoires etc. These de Bordeaux. 1912. 



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lieber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 


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Wir fanden also, dass die rechte Seite unten und das Unterende 
des Corpus stemi bei jeder Inspiration stark eingezogen, bei jeder Ex¬ 
spiration wieder freigegeben wurden, und dass die linke Seite, wie in 
der Norm, bei jeder Inspiration ausgebuchtet, bei jeder Exspiration ein¬ 
gezogen wurde. Beide Seiten verhielten sich also entgegengesetzt; das 
untere Ende des Corpus stemi verhielt sich wie die rechte Seite, d. h. 
zeigte paradoxe Atmung. 

Die weitere Untersuchung ergab aber noch mehr Interessantes. Wenn 
wir die Atmungskurven (Fig. 12) der rechten Seite öberhalb der Papille 
registrieren und mit den Atmungskurven der rechten Seite unterhalb der 
Papille vergleichen, so zeigte sich, dass unterhalb der Papille die Atmung 
paradox, oberhalb der Papille jedoch fast normal war. 

Daraus ging ganz deutlich hervor, dass lokale Einflüsse 
diese lokale paradoxe Atmung verursachen mussten. 

Wenn wir uns erinnern, dass das Herz nach der rechten Seite ver¬ 
zogen war, und dass röntgenologisch in der rechten Lunge Stränge und 
weniger Luftgehalt konstatiert wurden, und dass ein Pulsus paradoxus, 
starke Leberschwellung usw. vorhanden waren, so liegt es nahe, die 
Diagnose Mediastino-Pericarditis adhaesiva zu stellen. Ein Tiefstand des 
Diaphragma war hier nicht vorhanden und vermag nach meinen Er¬ 
fahrungen eine so lokale einseitige paradoxe Atmung auch nicht zu ver¬ 
ursachen. Diese konnte nur ungezwungen erklärt werden durch Ver- 
lötung des Herzens mit dem Perikard und die Verwachsung des Herz¬ 
beutels mit der hinteren und vorderen Thoraxwand und dem Diaphragma 
durch eine Mediastino-Perikarditis. Das Zwerchfell muss dann bei einer 
Kontraktionsbewegung Herz, Perikard, vordere und seitliche untere Thorax¬ 
wand mitnehmen, folglich die Thoraxwand bei der Inspiration nach innen 
ziehen, wie dies auch Wenckebach annimmt. 

Auch photographisch konnten wir, wie es auch Wenckebach schon 
getan hat, eine Einziehung des unteren Endes des Sternums festlegen 
(Fig. 13). 

So hatten wir das Symptom gefunden und registriert, welches 
Wenckebach wohl mit Recht als pathognomonisch für die Mediastino- 
Pericarditis adhaesiva hält und eingehend erklärt. 

Meines Erachtens aber können alle unsere Kurven der paradoxen 
Atmung hierdurch allein noch nicht genügend erklärt werden. So weit 
war das Herz nicht nach rechts gerückt, dass eine Einziehung der ganzen 
rechten Seite, wie es bei unserem Kranken zu beobachten war, dadurch 
verursacht werden konnte. Ich war der Ansicht, dass auch eine Pleuritis 
der rechten Seite mit Verwachsungen der Pleurablätter untereinander, 
dem Mediastinum und dem Zwerchfell angenommen werden musste, wo¬ 
durch dann auch die Einziehung der unteren Hälfte der rechten Seite 
auf die nämliche Weise erklärt werden könnte, wie die Einziehung des 
Corpus sterni. 



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460 


D. de VRIES REILINGH 


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Die Diagnose wurde also gestellt auf: Plcuro-Mediastino-Peri- 
carditis adhaesiva. 

Schade war cs, dass ich den Venen drück nicht gemessen habe. 
Vielleicht wären dabei noch einige interessante Tatsachen zu beobachten 
gewesen. Aber erst nach dem Tode des Kranken habe ich eine einfache 
und zuverlässige Methode zur Venendruckbestimmung gefunden. 
Ganz kurz will ich diese hier noch raitteilen. 

Wir geben zur Venendruckbestiramung an den Armen dem Patienten 
in beide Hände einen kleinen Plethysmographen nach WierSraa 1 ) (Zur 
Venendruckbestimmung in den Beinen brauchen wir um beide Unter¬ 
schenkel einen Luftplethysraographen). Beide Plethysmographen werden 
mit je einer Mareyschen Schreibkapsel verbunden. Die eine schreibt 
auf dem Kymographion nur eine Kontrollkurve. Um den anderen Arm 
aber applizieren wir eine Blutdruckmanschette. In diese pumpen wir 
Luft hinein, bis die Kurve dieses Armes anfängt zu steigen. Dies be¬ 
weist, dass Blutstauung (Fig. 14) in den Händen entsteht, dass also die 
Venen anfangen, durch den Manschettendruck komprimiert zu werden. 
Der abgelesene Druck minus dem auf mm Hg reduzierten vertikalen Ab¬ 
stand zwischen Manschette und Artikulation der 3. Rippe mit dem 
Sternum (ungefähre Einmündungshöhe der Venen in das Herz) ist der 
Venendruck. Mittels der plethysmographischen Methode ist es also 
möglich, innerhalb weniger Minuten den maximalen und minimalen Blut¬ 
druck, den Einfluss der Arterienwand auf diese beiden, und den Venen¬ 
druck zu bestimmen und graphisch zu registrieren 2 ). 

Nun kommen wir auf unseren Kranken zurück; derselbe ist nach 
vielen Leiden schliesslich am 5. Januar 1914 unter den Symptomen der 
Herzschwäche und hochgradiger Zyanose gestorben. 

Das Sektionsergebnis war folgendes (Dr. Roessingh): Im Abdomen 
viel Flüssigkeit, klar, dunkelgelb. Peritoneum viscerale und parietale sind besetzt mit 
sehr zahlreichen nadelkopfgrossen Knötchen, weiche bisweilen zu grösseren Konvoluten 
zusammengeschmolzen sind und dann in der Mitte käsigen Inhalt zeigen. Das 
Diaphragma steht links am unteren Rande der 6., reohts am unteren Rande der 
5. Rippe. Die Leber ist sehr gross, sie steht 3 fingerbreit unter dem Rippenbogen. 

Bei der Oeffnung des Thorax fallt die linke Lunge etwas zusammen, die rechte 
Lunge ist ausserordentlich fest mit der Brustwand verwachsen, sodass 
sie nur mit der Pleura costalis zusammen auszuschälen ist. 

Das Herz ist nach rechts verzogen. Die beiden Porikardialblätter 
sind miteinander verwachsen. Nur an der Spitze des Herzens ist noch eine 
kleine Höhle zwischen den beiden Blättern übrig geblieben. Das Mediastinum ist 
stark verdickt und besteht aus sehr dickem Gewebe. Das Herz ist klein, die 
Muskel und die Klappen zeigen niohts Abnormes. Die Vena cava sup. und inf. zeigen 
sklerotische Stellen und sind erweitert. Ebenso dieVenae hepaticae (wohl durch starke 
Druckvermehrung, weshalb die Venendruckbestimmung im Leben sehr erwünsoht ge¬ 
wesen wäre. Vgl. oben.) 


1) E. Wiersma, Handelingen 13. Nat. en Geneesk. Congr. 1911. 

2) de Vries Reilingh, Diese Zeitschr. 1913. 



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Tarn: 


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ialis. Un 




J\, 


ler Patienl 


f iuchatmung. 
e Atmung. 


Fig. 6. b) Brustatmung rechts unten, c) Bauchatmung. 
Umschnfirungsmethode mit Bleiplatte. 
Derselbe Mann wie Fig. 5. 




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Ueber Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 


461 


Die linke Lunge ist mit der Brustwand nioht verwachsen und klein. 
Die Pleura ist normal. Leichte Atelektase des Unterlappens. 

Die rechte Lunge ist sehr voluminös. Die Pleurablätter sind zu einer 
halbzentimeterdioken Membran zusammengewachsen. Nur ander äussersten 
Spitze besteht noch ein Rest des Pleuraraumes, ln der Spitze kleine Tuberkel. Die 
rechte Lunge ist ödematös. Von der Pleura her dringen zahlreiche dicke 
Bindegewebsmembranen in die Lunge vor. Die Bronchialdrüsen sind ver- 
grössert und zeigen käsige Degeneration. 

Milz vergrössert, byperämisch. 

Rechte Niere, rechte Nebenniere und rechter Ureter fehlen. Linke Niere und 
Nebenniere vergrössert und byperämisch. Keine Nephritis (wie auch der Blutdruck 
vermuten liess). 

Gastritis chronica cyanotica. 

In der Leber starke Stauung, sonst nichts Abnormes. 

Das Wesentliche aus dem Sektionsprotokoll ergibt also eine voll¬ 
ständige Bestätigung unserer Diagnose. Die Verwachsung von Herz, 
Perikard, Mediastinum, vorderer und hinterer Brustwand, Diaphragma, 
Pleura costalis und Pleura pulmonalis der rechten Lunge zu einem festen 
Gewebe, noch kompletiert durch die in die rechte Lunge hineingewachsenen 
Bindegewebsraembranen war also, wie wir cs auch oben erörtert haben, 
die Ursache der verschiedenen Symptome: Pulsus paradoxus, Respiratio 
paradoxa der rechten Unterseite, der Leberschwellung usw. 

Umgekehrt gewinnen also auch wieder diese einwandsfrei festgestellten 
Symptome durch die autoptische Kontrolle eine grosse Bedeutung für die 
Diagnose der Mediastino-Pericarditis adhaesiva. 

Bemerkenswert ist noch, dass wir es hier wieder, wie in einem der 
Fdie Wenckebachs, mit einem Falle von Polyserositis tuberculosa zu 
tun haben. 

Therapeutisch haben wir selbstverständlich nichts machen können; 
namentlich wäre die Kardiolyse Brauers in unserem Falle wegen des 
vorgeschrittenen elenden Zustandes des Patienten, wegen der ausgedehnten 
Verwachsungen auch der rechten Lunge, und wegen des tuberkulösen 
Charakters der Krankheit aussichtslos gewesen. 

Groningen, März 1915. 


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Will. 


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Aus der k. u. k. Kranken- und Verwundetenstation in Sternberg 
(Chefarzt: Dr. Gottfried Holler). 

Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 

Von 

Dr. Gottfried Holler, 

A.ssisteul der 1 . deutschen med. Klinik in Prag (Prof. K. Schmidt). 

(Mit 31 Kurven im Text.) 


Den Verhältnissen entsprechend erfordert heute die Bekämpfung der 
Seuchen unser grösstes Interesse. Unter den vom Kriegsschauplatz zurück¬ 
kehrenden Soldaten beherrscht derzeit der Typhus abdominalis eine Gross¬ 
zahl der Infektions fälle. Es sind zur Handhabung einer spezifischen Therapie 
dieser Seuche in letzter Zeit nunmehr von verschiedener Seite Anforderungen 
ergangen, und wohl jeder, der Gelegenheit hatte sich mit dieser Behandlungs¬ 
art vertraut zu machen, wird zugeben, welch grossen Wert ihr weiterer 
Ausbau für die Behandlung der Infektionskrankheiten zu haben scheint. 

Ausserdem kann ich heute auf Grund genauer Beobachtungen nach 
Vakzineinjektionen über so manches Neue berichten, ich werde Gelegenheit 
haben Befunde zu zeigen, die vor allem das Interesse der Hämatologen 
verdienen. 

Ueber die Bakteriotherapie des Typhus abdominalis sind schon seit 
längerer Zeit in der Literatur Erfahrungen niedergelegt. Es wurden erst 
durch Hitze abgetötete Kulturen verwendet, auch Extrakte aus derartigen 
Kulturen; derzeit sind es vornehmlich drei Vakzinearten, die Anwendung 
finden, lt. Kraus empfiehlt uns aus Buenos Aires die Vincentsche 
Aethervakzine, A. Biedls Erfahrungen sprechen für die Anwendung des 
Besredkaschen Mittels und v. Koranyi in Budapest wieder wandte eine 
Vakzine an, die nach der Vorschrift von Ichikava hergestellt ist. 

Das Vincentsche Mittel besteht aus durch Aether abgetöteten Bazillen, 
die in Kochsalzlösung aufgeschwemmt sind, und ist polyvalent. Besredka 
und Ichikava dagegen verwenden lebende Bazillen, die ersterer durch 
längeres Verweilen in Typhusimmunserum von Pferden, letzterer durch eine 
gleiche Behandlung mit Serum vom Typhusrekonvaleszenten abschwächt. 

Meine Erfahrungen beziehen sich hauptsächlich auf die Anwendungen 
der Vincentschen Vakzine, die mir bei unserem reichen Material in rund 
100 Fällen gute Erfolge gezeigt hat. Ich verwende das Mittel teils sub¬ 
kutan, teils intravenös. 

Kontraindikationen sind mir eigentlich bisher nur Blutungen jeder 
Art, vor allem aus Lunge und Darm. Ausserdem bevorzuge ich bei 



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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


463 


Komplikationen mit heftigen Bronchitiden und Bronchopneumonien die 
subkutane Verabfolgung. Ebenso nehme ich bei grossen Schwächezuständen, 
vor allem bei schlechtem Cor, Zuflucht zu subkutanen Injektionen. Wo 
aber irgend möglich, besonders bei Fällen die im Beginn der Erkrankung 
stehen, rate ich zu intravenöser Injektion. 

Die subkutane Behandlung beginne ich gewöhnlich mit 100 Millionen 
Keimen und steigere diese Dosis täglich um 25 Millionen. Es ist wichtig, 
bei so kleinen Einzeldosen die Injektionen Schlag auf Schlag täglich 
folgen zu lassen 1 ). 

Die intravenöse Injektion gebrauche ich gewöhnlich in der Dosis von 
100 Millionen Keimen, und habe ich schon öfters die Erfahrung gemacht, 
dass, wenn eine einmalige derartige Injektion entweder gar keinen, oder 
nicht vollen Erfolg brachte, eine neuerliche Injektion in derselben Dosis 
schon wenige Tage später prompte Entfieberung bewirkte. 

Sehr gerne kombiniere ich intravenöse und subkutane Methode in der 
Weise, wie ich es weiter unten an mehreren Fällen demonstrieren werde. 

Nach einer intravenösen Vakzineinjektion kommt es fast durchwegs 
zu ziemlich stürmischen Nebenerscheinungen. Unmittelbar nach der 
Injektion sinkt die Temperatur etwas, gewöhnlich nur um einige Zehntel 
Grade, manchmal auch um einen Grad. Nach 20—45 Minuten, selten 
später, kommt es unter raschem Anstieg der Temperatur zu einem recht 
heftigen Schüttelfrost, der bis zu einer halben Stunde andauert. Die 
Temperatur erreicht nicht selten 41,5° und mehr, bleibt dann gewöhnlich 
durch 12 Stunden mit geringen Remissionen hoch, um dann rasch staffel¬ 
weise, selten ausgesprochen kritisch, abzufallen. Auffallend ist das Wohl¬ 
befinden der Patienten bereits am Tage nach einer gelungenen Injektion. 
Speziell nervöse Symptome verschwinden rasch. Häufig beobachten wir 
auch am Tage nach der Injektion wiederholt Schweissausbrüche und es 
besteht bei den Patienten Schlafbedürfnis. 

Bei Subkutaninjektionen sind die Nebenerscheinungen wesentlich 
milder, speziell nach kleinen Dosen ist oft ein leichter Temperaturanstieg 
und darauffolgender Abfall, gewöhnlich von Sohweissausbruch begleitet, das 
einzigWahrnehmbare. Zu Schüttelfrösten kommt es erst bei grösseren Dosen. 

Sehr interessant ist das Verhalten der Blutbefunde in der Zeit nach 
einer intravenösen Injektion. Diese gerade, wie auch die Temperatur¬ 
kurven zeigen uns, dass durch die Vakzinetherapie der Typhus, spezifisch 
beeinflusst, nach Art eines Abortivfalles ausheilt. 

Fall 1 . Patient M. S. wurde am 30. 1 . fiebernd eingebracht. Diazo positiv, 
Ficker negativ, Intrakutan probe positiv, deutlicher Milztumor. In der Zeit vom 1.— 7. 2. 
Diazo fort positiv. Patient erhält am 3. 2. 100 Millionen Keime Vincent intravenös. 
Daraufhin typische Entfieberung, seitdem fieberfrei. Der zuerst flüssige Stuhl ist am 
9. fieberfreien Tage geformt. (Kurve 1.) 

1) Details siehe: G. Holler, Erfahrungen über Bakteriotherapie des Typhus 
abdominalis. Med. Klinik. 1915. Nr. 19. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



464 


GOTTFRIED HOLLER, 



Monate- 30 . j. 3 -). l.fl. 2. 3."MmoooiUm 4 5 , g. 7 ö71 9 10. 11. 12. 1 13. 14. 1 15. 16. 

ta 9 ymcentmtwe/i. 


60 Sk, I Puls:-Temp:- 


Kurve 1. 



Blutbefun 

de: 



Am 2.2. (am Tage 

Am 11.2. (entfiebert 

1 

Am 13. 2. 


vor der Injektion) 

seit 7 Tagen) 

Leukozyten . 

9 930 

11 100 

12 950 

davon sind: 

Polynukleäre (N). 

71,0pCt. (7050) 

47,4 pCt. (5250) 

52,6 pCt. (6 830) 

* (E). 

0,1 „ ( 10) 

0,6 „ ( 70) 

0,5 „ ( 70) 

Mastzellen. 

0 , 

0,9 „ ( 100) 

0,9 „ (120) 

Splenozyten . 

3,2 „ ( 320) 

10,3 * (1150) 

8,0 „ (1000) 

Lymphozyten. 

25,7 „ (2550) 

40,8 „ (4530) | 

38,0 „ (4930) 


Es handelt sich hier um einen sehr leichten Fall, der auf die Injektion 
hin sofort ausheilte. Am 8. Tage nach der Injektion finden wir den 
Blutbefund, wie er für das Rekonvaleszentenstadium des Typhus typisch 
ist: Leukozytose mit relativer und absoluter Lymphozytose und Eosino¬ 
philen. 

Fall 2. Patient R. Brz. wurde am 19. 2. aufgenommen. Etwas benommen, Zunge 
typisch, Milz vergrössert, deutlich palpabel; Erbsenpüreestühle. Ficker bis lOOfacher 
Verdünnung komplett positiv. Diazo stark positiv. Neben dem Typhus besteht bei 
dem Patienten eine sehr heftige Bronchitis. Patient erhält am 21. 2. 100 Millionen 
Vincent intravenös. (Vgl. nebenstehende Kurve 2.) 


Blutbefunde bei der ersten intravenösen Injektion: 


Am 20.2. (amTage ,Am 21.2. (zuBeginn Am 21.2.(am Ende j Am 21.2. (6 Std. 
vor der Injektion) des Schüttelfrostes) d. Schüttelfrostes) nach d. Injektion) 


Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 
(E) 

Mastzcllcn . . . 
Spienozyten . . . 
Plasmazellen . . 
Lymphozyten . . 


5 270 6 970 3 630 11 400 4 620 

49,8 pCt. (2630) 34,6 pCt. (2400) 6,1 pCt. (210) 51,8pCt. (5880) 46,6 pCt. (2140) 

0 „ 0 „ 0 „ 0 „ 0 „ 

0,9 „ ( 50) 0,2 „ ( 20) , 0 „ 0,1 „ ( 20) 0 * 

5,3 * ( 280) 3,1 „ ( 220) 1 3,2 „ ( 120) 6,8 „ ( 780) 3,6 r (170) 

2,6 „ ( 130) 1,9 „ ( 130) | 1,8 „ ( 70) 0,5 „ ( 70) 2,5 „ (110) 

41,4 „ (2180) 60,2 „ (4 200) 88,9 „ (3230) 40,8 „ (4650) | 47,3 * (2200' 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 

















Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


465 



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UNIVERSITY OF MINNESOTA 















466 


GOTTFRIED HOLLER 


Ich habe diesen Fall bis zur ersten Injektion schon einmal in einer 
Arbeit erwähnt, und wollte damit den Misserfolg einer intravenösen 
Vakzineinjektion bei einem durch eine heftige Bronchitis komplizierten 
Typhus zeigen. Die Bronchitis verschlimmerte sich auf die Injektion hin 
und die erst auf subnorraale Werte abgefallene Temperatur stieg rasch 
wieder an. Ich verabfolgte darauf täglich Subkutaninjektionen in langsam 
steigender Dosis. Dadurch kommt es zu einem langsamen Temperatur¬ 
abfall. Am 6. Tage nach der ersten folgt neuerdings eine intravenöse 
Injektion wieder mit 100 xWillionen Keimen, die nach typischem Temperatur¬ 
anstieg und Abfall bald endgültige Entfieberung brachte. Die Zacken, 
die nachher in der Temperaturkurve folgen, hängen mit einer Periostitis, 
ausgehend von einem kariösen Zahn, zusammen. Ich habe das Auftreten 
derartiger Periostitiden nach intravenösen Vakzineinjektion öfters beobachtet, 
und erscheint es mir nicht ganz belanglos, insofern, als es darauf hin¬ 
weist, dass chronische Entzündungen unter dem Einfluss einer solchen 
Injektion in ein akuteres Stadium treten können. Weiter möchte ich 
darauf hin weisen, dass die Nebenerscheinungen, speziell der Schüttelfrost, 
nach der zweiten intravenösen Injektion viel weniger intensiv waren als 
nach der ersten. 

Die Blutbefunde zeigen nach beiden intravenösen Injektionen den 
typischen Verlauf, nach der ersten Injektion noch deutlicher als nach der 
zweiten. 

Die Reihenfolge der Blutbefunde nach Aethervakzineinjektionen ist 
im allgemeinen folgende: 

1. Unmittelbar nach der Injektion häufig eine geringgradige poly¬ 
nukleare Leukozytose. 

2. Schon nach wenigen Minuten verschwindet diese und beginnt 
Leukopenie erst auf Kosten der polynukleären Zellen, während 
die Lymphozyten unvermindert bleiben, ihre Zahl häufig sogar 
ansteigt. Nicht selten beobachten wir sogar ein derartiges An¬ 
steigen der Lyraphozytenzahl, dass dadurch auch in diesem 
Stadium eine deutliche Leukozytose zu Stande kommt. 

3. Höchstgradige Leukopenie mit relativer Lymphozytose, absolut 
ist die Lymphozytenzahl nunmehr verringert. 

4. Nach 6—7 Stunden finden wir gewöhnlich ein Blutbild mit poly¬ 
nukleärer Leukozytose und häufig Lymphopenie. 

5. Nach gelungener Entfieberung kommt es bald zum Blutbild in 
der Typhusrekonvaleszenz: Leukozytose mit relativer und absoluter 
Lymphozytose und Eosinophilen. 

Fall 3. Patient Fr., eingebracht am 20. 2. Hohes Fieber, Kopfschmerzen, 
Roseolen. Diazo stark positiv, Ficker agglutiniert bis 200fach komplett. Grosser Milz¬ 
tumor; typische Stühle. Patient erhält am 22. 2. 100 Millionen Vincent intravenös. 
(Kurve 3.) 


Difitized 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 




. 99 9 Ara 22.2. I Am 22. 2. 

/___ j t • | J (zu Beginn des i (am Ende des Am 23. 2. 
(vor d. Injektion) Schütte 8 lfrostes) ! Schüttelfrostes) 


Am 24. 2. 


Leukozyten .... 

2 830 

2 130 

l 500 

4 720 

5 100 

davon sind: 
Polynukleäre (N) . 

56,6 pCt. (1590) 

37,0pCt. ( 790) 

34,5 pCt. (520) 

43,5 pCt. (2060) 

5Ö,3pCt. (2560) 

* (E) . 

0 , 

1,5 „ ( 30) 

0 „ 

0 „ 

0,5 „ ( 30) 

Mastzellen .... 

0 „ 

0 * 

0 „ 

0 * 

0 „ 

Splenozyten . . . 

3,5 „ ( 100) 

3,8 „ ( 80) 

10,0 „ (150) 

7,4 „ ( 350) 

9,3 „ ( 480) 

Plasmazellen . . . 

2,3 „ ( 70) 

1,5 „ ( 30) 

0 „ 

0,7 „ ( 30) 

0 „ 

Lymphozyten . . . 

37,6 „ (1070) 

56,2 „ (1200) 

55,5 „ (830) 

48,4 , (2280) 

39,8 „ (2030) 


Aus Blutbefunden und Temperaturkurve ersieht man, wie dieser 
Fall nach der einmaligen Verabfolgung von 100 Millionen Keimen intra¬ 
venös typisch ausheilte. 

Fall 4. Patient A. Us. gibt bei seiner Aufnahme am 21. 2. an, dass er schon 
seit einigen Wochen krank sei und fiebere. Diazo negativ, Ficker bis 200fach komplett 
positiv. Erbsenpüreeartige Stühle täglich mehrmals; Milztumor. (Kurve 4.) 

Blutbefunde. 



Am 26. 2. 

Am 27. 2. 

Am 27. 2. 

Am 27. 2. 

Am 27. 2. 


(am Tage vor 
der Injektion) 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

(am Ende des 

Schüttelfrostes) 1 

1 1 

(5 Stunden nach 1 
, der Injektion) | 

(9 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 28. 2. 


Leukozyten . 

davon sind: 
Polynukleäre ( 

( 

Mastzellen . 
Splenozyten . 
Plasmazellen 
Lymphozyten 


(N) 55,3pCt. (5080) 35,7pCt. (1640) 7G,5pCt. (1 960),83,7pCt. (5110)189,6pCt. (7080)164,6pCt. (3820) 


( 50) 4,4 

( 50) 0,7 

(1120) 7,4 
( 70) 0 

(2780) 51,8 


( 200)1 5,0 
( 30), 0,6 

( 330) j 4,4 

(2 300)|13,5 


( 130), 1,0 
( 20 ), 0,2 
( 120) 4,8 
I 0,8 
( 350)' 9,5 


( 70V 0,1 

( 20); 0 

( 300)1 4,2 
( 50) 1 0 

( 580)| 6,1 


( 20 ) 2.2 

1,1 

( 300) 7,6 

0 

( 480) 24,5 


(1450) 


Zeitschr f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 11 . 6. 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 













4 68 


GOTTFRIED HOLLER 






Kurve 4. 


Auch dieser Fall heilt prompt aus. Jch mache hier auf das Ver¬ 
halten der Eosinophilen nach der Vakzineinjektion aufmerksam. Dass 
die Eosinophilen schon vor der Injektion vorhanden sind, steht mit dem 
leichten, mehr lenteszierendcn Verlauf dieses Typhus im Einklang. Un¬ 
mittelbar nach der Injektion, zu Beginn des Schüttelfrostes, steigt ihre 
Zahl an, von da an nimmt sie langsam wieder ab. Tags darauf sind 
wieder ziemlich reichlich Eosinophile vorhanden. Auf dieses Verhalten 
der Eosinophilen habe ich schon in meiner ersten Arbeit bei einem Falle 
hingewiesen, dem ich zu prophylaktischen Zwecken eine intravenöse 
Vakzineinjektion verabfolgte. 

Fall 5 . Patient A. Cz. wurde in schwer benommenem Zustand und kontinuierlich 
hoch fiebernd in unsere Station eingebracht. Diazo stark positiv, Roseolen, Erbsen¬ 
püreestühle, Milztumor. Ausserdem besteht bei dem Patienten eine nicht sehr schwere 



Kurve 5. 


Original ffom J 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



























Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


469 


Bronchitis. Durch eine einmalige Subkutaninjektion von 100 Millionen Keimen Vincent 
drücke ich die Temperatur auf 38,2 herab und schliesse dann sofort eine intravenöse 
Injektion von derselben Dosis an. Die Reaktion ist eine ziemlich heftige, da aber 
trotzdem am nächsten Tag, morgens, die Temperatur noch hoch steht, verabfolge ich 
nochmals 100 Millionen subkutan; darauf rascher Temperaturabfall und endgültige 
Entfieberung. Die Blutbefunde sind typisch. (Kurve 5.) 


Blutbefunde. 



Am 21. 2. 

(am Tage vor 
der Injektion) 

Am 22. 2. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

! Am 22. 2. 

1 (nach Beendi¬ 
gung des 
Schüttelfrostes) 

Am 24. 2. 

Leukozyten . . . 
davon sind: 

6150 

6 100 

2170 

• 

12 500 

Polynukleäre (N) 

58,3 pCt. (3560) 

43,4 pCt. (2680) 

29,4 pCt. ( 530) 

47,4 pCt. (5920) 

* (e; 

0 , 

0 „ 

0 , 

0,3 „ ( 40) 

Mastzellen . . . 

0,2 „ ( 20 ) 

0,2 „ ( 20 ) 

0 , 

0,1 * ( 10 ; 

Splenozyten. . . 

9,4 „ ( 580) 

4,3 „ ( 270) 

3,8 „ ( 80) 

13,8 „ (1730) 

Plasmazellen . . 

1,8 „ ( 120 ) 

1,6 „ ( 100 ) 
50,5 r (3030) 

0,7 „ ( 130) 

0,4 „ ( 50) 

Lymphozyten . . 

30,3 „ (1870)| 

66,1 „ (1430) 

38,0 „ (4750) 


Fall 6. Patient J. H. lag schon längere Zeit mit einer leichten Verletzung, die 
rasch ausheilte, in unserer Station. Am 11. 2. beginnt er zu fiebern. Es ist ein deut¬ 
licher Milztumor aufgetreten; Diazo stark positiv, typische Stühle und Zunge. Auch 
dieser leichte Fall (wie Blutbefund und Temperaturkurven zeigen) heilt auf die ein¬ 
malige Injektion von 100 Millionen Vincent intravenös prompt aus. (Kurve 6). 


Blutbefunde. 



Am 16. 2. 

(am Tage vor 
der Injektion) 

Am 17. 2. 
(kurz,vor der 
Injektion) 

Am 17. 2. 
(Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 17. 2. 
(unmittelb. nach 
Beendigung des 
Schüttelfrostes) 

Leukozyten . . . 

6 480 

6 700 

3 300 

4 300 

davon sind: 





Polynukleäre (N) 

47,2 pCt. (3060) 

62,0 pCt. (4140) 

66,3 pCt. (2190) 

71,5pCt. (3050) 

* (E) 

2,0 * ( 130) 

0,7 , ( 50) 

1,0 „ ( 30) 

0,3 „ ( 20) 

Mastzellen . . . 

0 * 

0,4 „ ( 80) 

0 „ 

1,5 , ( 70) 

Splenozyten . . . 

8,4 „ ( 150) 

8,4 „ ( 570) 

2,0 „ ( 70) 

2,7 „ ( 120) 

Plasmazellen . . 

3,6 „ ( 230) 

1.9 , ( 130) 

1,0 „ ( 30) 

0,3 „ ( 20) 

Lymphozyten . . 

38,8 „ (2510)| 

26,6 „ (1780) 

29,7 „ ( 980) 

23,7 „ (1020) 



Am 17. 2. 

(3 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 17.2. 

(9 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 18. 2. 

i 

Leukozyten . . . 
davon sind; 

5 850 

22 100 

; 

! 5 850 

Polynukleäre (N) 

71,8pCt. (4190) 

76,8 pCt. (16940) 

58,9 pCt. (3430) 
0,8 „ ( 50) 

„ (E) 

0,5 „ ( 30) 

0,1 „ ( 30) j 

Mastzellen . . . 

0,5 „ ( 30) 

0 - 

0,2 . ( 20 ) 

Splenozyten. . . 

5,1 „ ( 300) 

8,1 „ ( 1800) 

9,4 „ ( 550) 

Plasmazellen . . 

0,5 „ ( 30) 

1,0 „ ( 230) 

0,5 „ ( 30) 

Lymphozyten . . 

21,6 „ (1270) 

14,0 „ ( 3100) 

• 30,2 „ (1770) 

31* 


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Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 



470 


GOTTFRIED HOLLER, 


Schon einige Tage nach der Injektion werden die erst flüssigen 
Stühle fest und geht der Milztumor rasch zurück. Die Kopfschmerzen, 
an denen Patient vor der Injektion schon mehrere Tage litt, steigern 



sich unmittelbar nach der Injektion, sind aber am nächsten Tage voll 
kommen verschwunden. 

Das Verhalten der Eosinophilen ist wie in Fall 4. 


_ Origin al fro m __ _ 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


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Zur Vakzinethorapie des Typhus abdominalis. 


471 



Fall 7 . Patient A.Tr. wurde mir am 3. 3. als Typhuskranker vorgestellt. Deut- 
licherMilztumor, kontinuierlich hohes Fieber, Benommenheit, Kopfschmerz, diarrhoische 
Stühle. Es handelte sich hier um einen sehr schweren Fall, noch ganz am Beginn 
der Erkrankung. Patient ist 23 Jahre alt, kräftig; Herz und Lunge finde ich nach ein¬ 
gehender Untersuchung gesund. Ich verabfolge dem Patienten am 4. 3. um 1 1 3 / 4 Uhr 
mittags 250 Millionen Keime Besredka intravenös, und weiter am nächsten Tag, da 
noch keine Entfieberung eingetreten ist, um ll 1 ^ Uhr 100 Millionen Vincent ebenfalls 
intravenös. (Kurven 7 und 8 .) 


Difitized fr, 


Gougle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


3.1. 4. 250,000,000Keime Besrec/ka intravenös 


Kurve 7. 


5J. 000,000,000Heime Vincent intravenös 


Kurve 8. 


Blutbefunde nach 250 Millionen Besredka intravenös 


^der 1 elTtion 01 ^' llUhr 48 Min. H Uhr 55 Min. 12 Uhr 5 Min. 12Uhr 15 Min. ' 12 Uhr 25 Min. 


(eukozyten .. 6 680 | 8 100 7 530 9 860 10 100 4 370 

davon sind: 

'olynukleäre(N) 82,7pCt. (5520)j82,0pCt. (6640) 82,5pCt. (6320) 90,1 pCt. (8880) 82,0pCt. (8280) 64,0pCt. (2760) 

/i?\ n a r\ n n n 


(E) 

lastzellen . . . 
plenozyten . . . 
[lasmazellen . •. 
wmphozyten . . 


( 370) 4,9 
( 20 ) 0,8 
( 770),12,3 


0 

0,4 

( 400) 6,2 
( 60) 0,8 

(1000) 10,1 


( 460) 1,6 
( 60) 0,6 
( 760) 7,7 


( 160); 7,5 
( 60) 1 0,6 
( 760)| 9,9 


0 

0,3 

( 760) 3,8 
( 60) 0,3 

(1000)31,6 


( 30) 

( 330) 
( 30) 

( 1220 ) 























472 


GOTTFRIED HOLLER 


Blutbefunde nach 250 Millionen Besredka intravenös (Fortsetzung): 


12 Uhr 35 Min. 


12 Uhr 45 Min. 


12 Uhr 55 Min. 


1 Uhr 5 Min. 


lUhr 15 Min. 


1 Uhr 25 Min. 


Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polvnukleäre (N) 
(E) 

Mastzellen . . . 
Splenozytcn . . 
Plasmazellon . . 
Lymphozyten . . 


2 000 


2 770 


54,3 pCt. (1080) 69,9 pCt. (1930) 
0 

0,8 
8,3 
0 

41,6 


( ' 20 ) 
( 70) 


0 

0,6 

4,2 

I 0 

( 830)|25,3 


( 20) j 

( 120) 


0,8 
6,1 
1,7 

( 700)128,9 


1900 

62,5 pCt. (1180) 
0 * 


( 20 ) 


2 370 


3 030 


69,8pCt. (1650),75,4pCt. (2270) 


0 

0,7 


( 


( 120): 9,1 „ ( 220) 


0,1 

20)1 0,4 


( 30) 0 

( 550)20,4 


5,5 
( 480)| 17,5 


10 ) 

20 ) 

170) 

30) 


3 430 

81,2 pCt. (2 780: 


0,1 

0,9 

4,3 

0,9 


( 530)42,6 


10 

( SO 
( 150 

( so; 

( 430 



1 Uhr 45 Min. ' 2 Uhr 5 Min. 

! ! 

2 Uhr 25 Min. i) 

1 

2 Uhr 45 Min. 1 ) 

i 

6 Ubr ! 5. 3. 11 Uhr 

Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

» (E) 

Mastzellen . . . 
Splenozytcn . . 
Plasmazellen . . 
Lymphozyten . . 

3 330 

69,9 pCt. (2320) 
0,1 * ( 10) 
0 * 

12,0 „ ( 400) 
0,5 * i 20) 
17,5 „ ( 580) 

2 D50 3 280 

j 1 

78,0pCt. (2280)178,2pCt. (2560)! 
0,1 „ ( 10)! 0,1 „ ( 10) 

0 „ | 0 . 

9,0 „ ( 270) 10,6 „ ( 350) 

0,5 „ ( 20) 1,0 „ ( 30)1 

12,4 . ( 370);i0,l „ ( 330)! 

: 

4 100 ! 10 300 8 320 

82,1 pCt. (3350 )!s 3,6pCt. (8580) 62,2pCt. (5170 
0,1 , ( 10), 0,1 „ ( 20) 0 „ 

0,4 „ ( 20) 0,8 „ ( 80) 0,2 „ ( 20 

9,7 „ ( 400)110,1 „ (10501 14,8 , (1230 

0,4 „ ( 20) 1 0,1 „ ( 20) 1,0 . ( 80 

7,3 . ( 300) 5,3 „ ( 550)21,8 „ (1820 


Blutbefunde nach 100 Millionen Vincent intravenös: 



Am 5. 3. 1 

11 Ubr 15 Min. | 

11 Uhr 25 Min. 

1 1 Uhr 35 Min. 

■ i 

11 Uhr 45 Hin. 

11 Uhr 55Min. 1 ) 

12 Uhr 5 Min. 

Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polvnukleäre (N) 
(E) 

Mastzellen . . . 
Splenozyten. . . 
Plasmazellen . . 
Lymphozyten . . 

5 750 ! 

73,3 pCt. (4200) 

0 » i 

0,2 „ ( 20 )j 

6.3 „ ( 370) 1 

1.4 , ( 80)' 
18,8 „ (1080), 

4 070 

70,2 pCt. (2860), 

0 - 

0,4 „ ( 20)1 

4,5 „ ( 180) 

0,8 , ( 30) ! 

,24,1 „ ( 980)| 

7 450 

61,5pCl. (4580) 
0 „ 

0,6 „ ( 50) 

3,3 , ( 250) 
0,4 , ( 20) 

34,2 „ (2550) 

3 270 

24,6 pCt. ( 900) 

0 . n 

0,5 „ ( 20)! 

7,6 „ ( 150) 
2,0 , ( 70) 

65,3 „ (2130) 

1330 

ll, 8 pCt. ( 160) 
0 „ 

0,8 . ( 10 ) 
9,1 „ ( 120 ) 
2,5 „ ( 30) 

75,8 * (1010) 

8150 

5,9pCt. ( 47t 
ö , 

0,4 „ ( 3i. 

4,0 „ ( 33« 

0,2 „ ( -( 
89,5 „ (730( 


12 Uhr 15 Min. 

12 Uhr 25 Min. 

12 Uhr 45 Min. 1 ) 

1 Uhr 5 Min. 1 ) 

i 

2 Uhr 5 Min. 

6 Uhr 1 ) 

Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polvnukleäre (N) 
(E) 

Mastzcllen. . . . 
Splenozyten . . . 
Plasmazellen . . 
Lymphozyten . . 

920 

16,9pCt. fl60) 
1,2 „ ( 10 ) 
0 „ 

2,4 „ ( 20) 

0 , 

79,5 . (730) 

1 290 

, 8,9 pCt. ( 130) 

1 0,8 r ( 10 ) 

9,5 „ ( 120) 

0 „ 

80,8 „ (1030) 

1 000 

, 11,2pCt. (120) 

! o „ 

I U „ ( 10 ) 
11,1 * ( 110 ) 

; 1,1 „ ( 10 ) 
75.5 „ (750) 

3 070 

19,8pCt. ( 610) 
1,0 „ ( 30) 

0,5 . ( 20) 

15,7 „ ( 480) 
0 * 

63,0 „ (1930) 

j 4 350 

35,8 pCt. (1530) 
0,4 . ( 30) 

0,3 „ ( 20) 

14,1 „ ( 620) 
0 „ 

49,4 „ (2150) 

8 700 

74,7pCt. (647« 
0,3 r ( 3( 

0,1 , ( 2( 
4,7 „ ( 42« 

0,3 „ ( 3« 

19.9 „ (173« 


1) Hier wurden im Blute auch Erythroblasten gefunden. 


DigitizeoTjy 


€kr-gte 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 












Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


473 



Auf die Bcsredka-Jnjektion hin trat eine nicht sehr starke sonst 
normale Reaktion auf (nach 35 Minuten setzt Schüttelfrost ein, der 
17 Minuten dauert; die Temperatur steigt bis 40,6° an). Die Temperatur 
bleibt den ganzen Tag hoch, auch am nächsten Vormittag nur ein ge¬ 
ringer Abfall. 

Die Blutbefunde nach der Injektion verlaufen typisch, doch ist die 
Reaktion des lymphatischen Systems keine sehr ausgiebige; ein Befund, 
wie ich ihn öfters bei minder gelungener Therapie und bei Gesunden 
konstatieren konnte, denen ich zu prophylaktischen Zwecken eine 
Vakzineinjektion gemacht hatte. Auch die Eosinophilen, die wie ge¬ 
wöhnlich bald nach der Injektion auftreten, fehlen am nächsten Tage 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 

































































































































































474 


GOTTFRIED HOLLER, 


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wieder. Ueberhaupt repräsentiert der Blutbefund, am Morgen des 5. 3. 
nicht das Rekonvaleszenzstadium nach einem Typhus. 

Da ich schon in den nächsten Tagen meiner Versetzung aus der Station 
Folge leisten muss, ist es daher mein Bestreben, den Fall rasch zur Ent¬ 
fieberung zu bringen, daher sehe ich mich veranlasst, nach dieser jeden¬ 
falls zu geringen Dosis Besredka nochmals 100 Millionen Vincent nach- 
folgcn zu lassen, da mir über dieses Mittel auch grössere Erfahrungen zustehen. 

Es tritt jetzt der Schüttelfrost in mässiger Heftigkeit schon nach 
13 Minuten auf und dauert 24 Minuten. Bis l 1 ^ Stunden nach der 
Injektion verläuft alles normal, dann treten plötzlich bedrohliche Er¬ 
scheinungen auf. Der Patient wird ganz rot (Gefässkollaps), Angstgefühl 
tritt auf, Atembesch werden, der Puls an der Radialis ist kaum fühlbar. 
Im Gegensatz dazu tastet man an der Temporalis sehr heftiges Pulsieren 
und auch das Herz arbeitet kräftig. Heftige Tachykardie. Nasenbluten, 
das sich rasch stillen lässt. Grosse Dosen Kampfer und Koffein bessern 
den Zustand und als ich um 9 Uhr abends den Patienten nochmals be¬ 
suche, sieht es nicht mehr bedrohlich aus. Wie mir gesagt wurde, ver¬ 
brachte Patient auch die Nacht bis 4 Uhr früh ruhig, grösstenteils 
schlafend. Das Sensoriura war auch zur Zeit der schweren Erscheinungen 
vollständig frei. Ab 4 Uhr früh wurde Patient wieder ängstlich und 
gegen 7 Uhr traten unvermittelt die schon Tags zuvor dagewesenen 
Herz-Lungeerscheinungen mit grösserer Heftigkeit nochmals auf. Blu¬ 
tungen blieben aus. In einem Anfall von Herzschwäche trat trotz aller 
unserer Bemühungen der Tod ein. 

Trotzdem ich diesen Todesfall schwer empfinde, fühle ich mich 
dennoch verpflichtet, gerade darüber ausführlich zu berichten. Die dem¬ 
nach lebensgefährlichen Nebenerscheinungen nach Vakzineinjektion drücken 
nach dem heutigen Stande der Vakzinetherapie ihren Wert für eine all¬ 
gemeine Anwendung vorderhand noch sehr herab. Denn selbst in der 
Hand des Erfahrenen bedeutet eine intravenöse Vakzineinjektion für den 
Kranken das, was wir uns bei Anstellung z. B. einer Appendixoperation 
sagen müssen, deren Ausgang in vielen Fällen ja auch ungewiss ist. 

Weiter mache ich auf die Aehnlichkeit des Blutbildes um 12 Uhr 
5 Minuten (50 Minuten nach Verabfolgung der Vakzineinjektion) mit 
jenem bei einer akuten Leukämie aufmerksam; auch hier waren grosse 
jugendliche Formen unter den Lymphozyten vertreten. Ich habe auf 
diesen Befund schon einmal in einer ähnlichen Arbeit hingewiesen, doch 
wird es notwendig sein, auch bei Fällen von akuter Leukämie Unter¬ 
suchungen in dieser Richtung anzustellen. Leider stehen mir derartige 
Fälle nicht zur Verfügung. 

Nicht zu übersehen ist auch das Verhalten der Splenozyten, die wie 
fast durchweg nach Typhus-Vakzinebehandlung mit den polynukleären 
Formen gehen; eine Abnahme der ersteren geht gleichzeitig mit einer 
Abnahme der letzteren und ebenso ist die Zunahme beiden Zellarten ge- 



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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


475 


meinsam. Mögen daher nach der Ansicht mancher Forscher die grossen 
Mononukleären und Gelapptkernigen anatomisch näher den Lymphozyten 
stehen, so beweist doch ihr funktionelles Verhalten hier in diesem Falle 
ihre nähere Verwandtschaft zu Zellen des myeloiden Systems. 

Die Reaktion im Blute auf die Aethervakzineinjektion hin, ist eine 
sehr intensive. Während ich früher nach Besredka auf das Ausbleiben einer 
absoluten Lymphozytose aufmerksam gemacht hatte, findet man hier 
eine solche von 7300 Lymphozyten im Kubikzentimeter Blut bei einer 
Gesamtleukozytenzahl von 8150 Zellen. Auch die sich anschliessende 
Leukopenie von nur 920 Zellen schon 10 Minuten später, spricht für 
die Stärke der Reaktion. Die Vorbedingungen zu einer Beendigung des 
Typhus waren, wie nach meinen Erfahrungen in anderen Fällen zu 
schliessen, wohl gegeben, doch wurde der Patient durch die zu heftigen 
Nebenerscheinungen getötet. 

Ich möchte hier auch anfügen, dass ich diesmal ganz frisch bereitete 
Vakzine, die ich zuvor noch nicht ausprobiert hatte, anwandte, worauf 
ich noch später zu sprechen kommen werde. 

Die Temperaturkurve verlief typisch, wie ich es bisher in meinen 
best gelungenen Fällen zu sehen gewohnt war. Jedenfalls erfolgte der 
Exitus knapp vor, vielleicht sogar am Beginn der Entfieberung. 

Fall 8. Patient J. K. wurde uns am 19. 1. mit einem schweren Typhus 
und sehr heftiger Bronchitis eingebraoht. Diazo stark positiv; kontinuierliches 
Fieber; Ficker-Agglutination bis 200fach; Roseolen und Milztumor. Typische Stühle. 


Blutbefunde. 



Am 20. 2. 

Am 22. 2. 

Ara 25. 2. 

(am Tage vor 
der Injektion) 

Am 26. 2. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Leukozyten . . . 

5 200 

5 230 

5 180 

4 480 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

54,6 pCt. (2830) 

62,3'pCt. (3250) 

43,2 pCt. (2230) 

34,4pCt. (1560) 

„ (E) 

0 „ 

0 » 

0 . 

0,3 , ( 20) 

Mastzellen . . . 

0 „ 

0,3 „ ( 20) 

0 * 

0 „ 

Splenozytcn. . . 

5,1 „ ( 270) 

5,7 , ( 300) 

7,0 „ ( 370) 

10,4 „ ( 470) 

Plasmazellen . . 

1,6 „ ( 80) 

1.5 „ ( 80) 

0 . 

2,9 , ( 130) 

Lymphozyten . . 

38,7 „ (2020) 

30,2 „ (1580) 

49,8 „ (2580) 

52,0 „ (2300) 



Am 26. 2. 

(am Ende des 
Schüttelfrostes) 

Am 26. 2. 

( 2*/2 Std. nach 
der lojektion) 

Am 26. 2. 

(7 Stunden nach 
der Injektion) 

Leukozyten . . . 
davon sind: 

1 180 

2 030 

3 100 

Polynukleäre (N) 

ll,4pCt. ( 140) 

65,7 pCt. (1340) 

70,5 pCt. (2190) 

* (E) 

0 „ 

0 „ 

0 „ 

Mastzellen . . . 

0,9 „ ( 10 ) 

0 , 

0,3 „ ( 10) 

Splenozyten. . . 

0,9 „ ( 10 ) 

7,6 „ ( 150) 

11,4 „ ( 350) 

Plasmazellen . . 

0 * 

1,6 „ ( 30) 

0.3 „ ( 10) 

Lymphozyten . . 

86,8 „ ( 1020 ) 

25,1 „ (510) 

17,5 1 ( 540) 


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UNIVERSITY OF MINNESOTA 



476 


GOTTFRIED HOLLER, 


Eine intravenöse Injektion von 100 Millionen Besredka verlief reaktionslos. Ich schlage 
daraufhin wegen der heftigen Bronchitis eine Subkutankur in der gewohnten Weise 
ein. Erst mit Besredka, nachdem dieses, wie ich jetzt weiss, jedenfalls wegen zu ge¬ 
ringer Dosen weniger gut wirkte, mit Vincent; schliesslich folgte nach Besserung der 
Bronchitis eine intravenöse Injektion, die die Krankheit beendete. (Kurve 10.) 



Fall 9 . Patient M. Skv. erkrankt am 21.2. mit Fieber, Kopfschmerzen und 
erbsenpüreeartigen Stühlen. Diazo stark positiv, Ficker negativ, Intrakutanprobe 
positiv, Milztumor. 


□ igitized by Google 


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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


477 


Der Patient erhält am 24. 2. um 1 Uhr 30 Min. mittags 100 Millionen Keime 
Vincent intravenös. Darauf nur geringe Reaktion. Auch das Blutbild verspricht keinen 
guten Erfolg. Tatsächlich gelingt es nicht, den Fall zu entfiebern. Ich schlage daher 
wieder eine Subkutankur vor und beende die Krankheit schliesslich durch eine zweite 
intravenöse Injektion. Nach dieser Injektion sind die Nebenerscheinungen ebenfalls 
sehr geringe, trotzdem tritt aber Entfieberung ein und das Blutbild am nächsten Tage 
spricht für das Rekonvaleszenzstadium des Typhus. (Kurve 11.) 



Blutbefunde. 



Am 24. 2. 

(vor der Injek¬ 
tion) 

Am 24. 2. ! 

(za Beginn eines 
nur leichten 
Fröstelns, 1 Stande 
nach der Injektion) 

Am 24. 2. 

(2 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 24. 2. 

(4 Stunden nach 
der Injektion) 

Leukozyten . . . 

12 300 

1 970 

5 880 

18 030 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

79,5 pCt. ( 790) 

39,7 pCt. ( 770) 

76,4 pCt. (4470) 

80,8 pCt. (16180) 

* (E) 

0 n 

0 „ 

0 „ 

0 * 

Mastzellen . . . 

0,1 „ ( 20) 

0 * 

0,2 „ ( 20) 

0,1 „ ( 30) 

Splenozyten. . . 

7,7 „ ( 930) 

5,0 „ ( 100) 

10,2 „ ( 600) 

4,2 „ ( 760) 

Plasmazellen . . 

1,9 „ ( ‘230) 

1,6 „ ( 30) 

0,2 „ ( 20) 

M * ( 200) 

Lymphozyten . . 

10,8 „ (1 330)! 

53,7 „ (1070) 

13,0 „ ( 770) 

4,8 „ ( 860) 



Am 25. 2. 

Am 2. 3. 

(2 Std. nach der 
II. intravenösen 
Injektion) 

1 

Am 3. 3. 

Leukozyten . . . 

13 130 

15 160 

14 230 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

80,9pCt. (10620) 

89,5 pCt. (13560) 

56,8 pCt. (8210) 

(E) 

0,2 „ ( 20) 

0,1 „ ( 10) 

0,9 „ (130) 

Mastzellen. . . . 

0 „ 

0,2 „ ( 30) 

U , ( 160) 

Splenozyten. . . 

4,8 „ ( 630) 

3,7 „ ( 560) 

9,1 „ (1300) 

Plasmazellen . . 

1,5 „ ( 200) 

0 . 

0,2 „ ( 30) 

Lymphozyten . . 

12,6 „ ( 1660) 

6,5 „ (1000) 

31,9 „ (4400) 


□ igitized by Google 


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478 


GOTTFRIED HOLLER, 


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Fall io. Patient B. Kr. wird mit Typhus eingebracht. Am 21.2. hohes Fieber, 
Milztumor, diarrhoische Stühle, Diazo positiv, ziemlich heftige Lungenerocheinungen. 
Wegen der Bronchitis behandle ich erst subkutan und erst nach Abklingen der¬ 
selben verabfolge ich Vakzine intravenös. Es kommt bald zur Entfieberung. 
Nach einigen Tagen steigt die Temperatur wieder vorübergehend an. Es sind 
dies leichte Rezidive, wie ich sie in der Rekonvaleszenz nach Vakzineheilung häufig 
beobachten konnte, besonders anfangs, wo ich keine Tierkohle gab. Nicht selten 
kommt es dabei plötzlich zu einem ganz bedeutenden Temperaturanstieg, der 
ebenso rasch wieder abfallt und am nächsten Tage ist die Temperatur wieder 
normal. Fast immer ist die Ursache ein Diätfehler. Ich kann nicht genug warnen, 
die Diät noch lange über die Entfieberung hinaus auf das Strengste zu überwachen. 
(Kurve 12.) 


Blutbefunde. 



Am 27. 2. 

(vor der Injek¬ 
tion) 

Am 27. 2. 

(10 Min. nach 
Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 27. 2. 

(5 Min. nach 
Beendigung des 
Schüttelfrostes) 

Ara 27. 2. 

(3 Stunden nach 
der Injektion) 

Leukozyten . . . 

6 150 

8 730 

2 770 

5 370 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

54,1 pCt. (3320) 

44,9 pCt. (3890) 

48,9 pCt. (1 360) 

75,2 pCt. (4040) 

„ (E) 

0 „ 

0.1 „ ( 20 ) 

0 , 

0 . 

Mastzellen . . . 

0,2 „ ( 20 ) 

o - 

0 „ 

0 . 

Splcnozyten. . . 

9,4 , ( 580) 

7,8 „ ( 680) 

6,6 , ( 180) 

6,5 , ( 350) 

Plasmazellen . . 

0 , 

0,1 , ( 20 ) 

0 , 

0 , 

Lymphozyten . . 

36,3 „ (2230) 

47,1 „ (4120) 

1 

44,5 „ (1230) 

18,3 „ ( 980) 



Am 27. 2. 

(8 Stunden nach 
der Injektion) 

| 

Ara 28. 2. 

Am 4. 3. 

! 

Leukozyten . . . 

3 920 

! 

5 020 

! 

8 130 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

73,3 pCt. (2 870) 

6,0 pCt. (2810) 

55,lpCt. (4460) 

» (E) 

0 „ 

0,1 „ ( 10) 

0,1 , ( 10) 

Mastzellen . . . 

0 . 

0,3 „ ( 20) 

0,2 „ ( 20) 

Splenozyten . . . 

7,2 „ ( 280) 

7,8 „ ( 380) 

10,0 „ ( 820) 

Plasmazellcn . . 

0 „ 

0,3 „ ( 20) 

0,2 „ ( 20) 

Lymphozyten . . 

19,5 , ( 770) 

35,5 „ (1780) 

34,4 „ (2800) 


Fall 11. Patient F. Gl. wurde am 21. 2. in fieberndem Zustande eingebracht, 
war ausserdem schwer benommen. Diazo stark positiv, Milztumor, Zunge typisch, 
Roseolen. Ausserdem sehr heftige Bronchitis. Patient erhält am 25. 2. eine intra¬ 
venöse Injektion von 100 Millionen Vincent. Diese Injektion bleibt ohne jede 
Reaktion. Es tritt überhaupt kein Schüttelfrost auf; die Temperatur steigt kaum 
an; der Blutbefund ändert sich fast nicht. Nach einer Stunde ein leichter 
Schweissausbruch. Eine neuerliche intravenöse Injektion in derselben Dosis zwei 
Tage später, wo sich die Bronchitis gebessert hat, bringt typische Entfieberung. 
(Kurve 13.) 



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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


479 



== ±E 


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Kurve 13. 













































































480 GOTTFRIED HOLLER, 


Blutbefunde. 



Am 25. 2. 
(vor der Injek¬ 
tion) 

Am 25. 2. 

(1 Std. nach d Injek¬ 
tion ohne Schüttel¬ 
frost bei starkem 
Sohweissausbruch) 

Am 25. 2. 

(2 Stunden nach 
der Injektion) | 

| Am 27. 2. 

(vor der 

1 II. intravenösen 
Injektion) 

Am 27. 2. 

(zu Beginn des 

1 Schüttelfrostes) 

Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

* (E) 

Mastzellen . . . 
Splenozyten. . . 
Plasmazellen . . 
Lymphozyten . . 

3 130 

49,5 pCt. (1420) 
0 , 

0 „ 

12,2 „ ( 380) 
0,5 „ ( 30) 

41,4 „ (1300) 

3 600 j 3 630 

49,2pCt. (1780) !52,9 „ (1 900) 

0 „ i 0 „ 

0,9 „ ( 30) 0 „ 

10,6 „ ( 380) 5,0 , ( 180) 

0,9 „ ( 30) 1 0,4 „ ( 30) 

38,4 „ (1380) ,41,7 „ (1520) 

3 700 

68,1 pCt. (2520) 
0 * 

0 » 

3,6 „ (130) 
0 „ 

28,3 „ (1050) 

9 060 

,47,1 pCt. (4060) 
0,1 „ ( 10) 
0,3 . ( 30) 

14,7 „ (1330) 
0,3 „ ( 30) 

37,5 „ (3600) 



Am 27. 2. 

(5 Min. nach 
Beendigung des 
Schüttelfrostes'! 

Am 27. 2. 

(3 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 27. 2. 

(8 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 28. 2. 

Leukozyten . . . 

6 350 

4 S80 

4 850 

4 630 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

81,2 pCt. (5150) 

58,5 pCt. (2840) 

71,5pCt. (3460) 

57,6 pCt. (2650) 

* (E) 

0 * 

0,1 „ ( 10 ) 

0 „ 

0,1 „ ( 10 ) 

Mastzellen . . . 

0 „ 

0 , 

0 „ 

0 . 

Splenozyten . . . 

1,0 „ ( 70) j 

8 
—r 

* 

GO 

9,6 „ ( 470) 

7,8 „ ( 370) 

Plasmazellen . . 

0 „ 

0,6 , ( 30) 

0 „ 

1,4 „ ( 70) 

Lymphozyten . . 

17,8 „ (1130) j 

32,7 „ (1600) 

18,9 „ ( 920) 

33,1 . (1530) 


Auch die Blutbefunde zeigen die gelungene Therapie. 


Fall 12. Patient M. ist an Typhus mit ziemlich heftiger Bronchitis erkrankt. 
Diazo positiv, Ficker bis 200facher Verdünnung komplett positiv, kontinuierliches 
Fieber, Milztumor, Benommenheit. Wegen der Bronchitis lasse ich erst subkutan be¬ 
handeln, dann eine intravenöse Injektion in der gewöhnlichen Dosis von 100 Millionen 
Keimen Vincent geben. Daraufhin erfolgt Heilung. (Kurve 14.) 



□ igitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 




























Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 
Blutbefunde. 


481 



Am 25. 2. 
(am Tage vor 
der Injektion) , 

Am 26. 2. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 26. 2. 
(am Ende des 
Schüttelfrostes) 

Am 26. 2. 

(2 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 26. 2. 

(6 Stunden nach 
der Injektion) 

1 

1 Am 27. 2. 

I 

1 

Leukozyten . . . 

10 220 

5 900 

3 820 

3 520 

6 800 


5 620 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

51,9 pCt. (5290) 

52,8 pCt. (3 100) 

46,7 pCt. (1770) 

63,2 pCt. (2210) 

74,0 pCt. (5020) 

I 

58,3pCt. (3300) 

» (E) 

0 „ 

0,2 „ ( 20) 

0 „ 

0 „ 

0 , 

0,1 

„ ( 10) 

Mastzellen . . . 

0 , 

0 , 

0 „ 

0 , 

0,7 „ ( 50) 

0.5 

. ( 30) 

Splenozyten. . . 

6,6 „ ( 680) 

3,9 , ( 230) 

0,4 „ ( 20) 

2.3 „ ( 80) 

8,0 „ ( 550) 

5,9 

. ( 300) 

Plasmazellen . . 

1,4 „ (150) 

1,6 „ ( 100) 

U * ( 50) 

2.3 „ ( 80) 

0,7 „ ( 50) 

0,5 

. ( 30) 

Lymphozyten . . 

40,1 „ (4100) 

41,5 „ (2450) 

51,6 „ (1980) 

32,2 „ (1150) 

16,6 , (1130) 

34,7 

„ (1950) 


Fall 13 . Patient R. Ei. Ein Fall, bei dem der Typhus schon seit einigen Wochen 
bestanden zu haben scheint. Am 20. 2. grosser Milztumor, diarrhoische Stühle, leichte 
Benommenheit, Zunge typisch, Ficker bis 200facher Verdünnung komplett positiv. 
Durch eine intravenöse Injektion gelingt die Entfieberung, unmittelbar nachher sehen 
wir wieder einige ziemlich hohe Zacken, die durch Subkutaninjektionen weiter günstig 
beeinflusst werden. Wie mir erzählt wird, hat der ungeduldige Patient sich heimlich 
Esswaren verschafft. Sie sehen daraus, wie wichtig eine strenge Diät ist. (Kurve 15.) 


Blutbefunde. 



Am 26. 2. 
(am Tage vor 
der Injektion) 

1 

Am 27. 2. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

! Am 27. 2.i) j 
(nach Be¬ 
endigung des 
Schüttelfrostes) 

Am 27. 2. 

(2 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 27. 2. 

(6 Sutnden nach 
der Injektion) 

28. 2 . 

Leukozyten . . . 

6 180 

4 270 


1 670 

2 820 

7 000 


9 270 

davon sind: 









Polynukleäre (N) 

50,9 pCt. (3120) 

3G,2pCt. (1600) 

35,2 pCt. ( 720) 

79,5 pCt. (2240) 

80,1 pCt. (5590) 

35,8pCt. (3300) 

* (E) 

0,2 „ ( 20 ) 

0 „ 


0 „ 

0 „ 

0 „ 

0,1 

. ( 10 ) 

Mastzellen . . . 

0 „ 

1,1 . ( 

50) 

0 „ 

1,1 „ ( 30) 

0.2 „ ( 20 ) 

0,3 

. ( 30) 

Splenozyten. . . 

16,4 „ (1020) 

7,8 „ ( 300) 

0 „ 

0 „ 

10,9 , ( 770) 

22,6 

. ( 2100 ) 

Plasmazellen . . 

10 „ ( 70) 

0,3 „ ( 

20 ) 

0 „ 

0,5 „ < 20) 

0 . 

0,1 

. ( 10 ) 

Lymphozyten . . 

31,5 „ (1950) 

54,6 „ (2300)| 

64,7 „ ( 950) 

18,9 „ ( 530) 

8,8 „ ( 620) 

41,1 

. (3820) 


1) Auffallend ist hier, dass mit dem starken Zurückgehen der polynukleären 
Leukozyten gleichzeitig die Splenozyten vollständig aus dem Blute verschwunden sind. 


Fall 14 - Patient V. S., aufgenommen am20.2.: kontinuierlich fiebernd; Milztumor, 

Diazo stark positiv. Erbsenpüreestühle, mittelstarke bronchitische Erscheinungen. Eine 

intravenöse Injektion von 100 Millionen Keimen bringt keine sofortige Entfieberung, 

dieselbe wird aber durch zwei anschliessende Subkutaninjektionen in den nächsten Tagen 

erreicht. (Kurve 16.) _ , ,, , 

Blutbefunde. 



Am 23, 2. 
(unmittelbar vor 
der Injektion) 

Ara 23. 2. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 23. 2. 
(nach Be¬ 
endigung des 
Schüttelfrostes) 

Am 24. 2. 

1 

Am 25. 2. 

Leukozyten . . . 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

„ (E) 

Mastzellen . . . 
Splenozyten. . . 
Plasmazellen . . 
Lymphozyten . . 

9 950 

72.4 pCt. (7180) 

0,1 „ ( 20) 
0,1 „ ( 20) 
7.7 „ ( 770) 
0,8 * ( 30) 

19.4 „ (1930) 

5 680 

77,2pCt. (4 360) 
0,2 „ ( 20) 
0,2 „ ( 20) 
4,1 , ( 230) 
0,5 „ ( 30) 
17,8 „ (1020) 

4 720 

71,3pCt. (3350) 
0,3 „ ( 20) 

0,3 „ ( 20) 

3,8 „ ( 180) 
1,0 „ ( 50) 

23,3 „ (1100) 

8 250 

55,9 pCt. (4630) 
0,4 „ ( 30) 

0,4 „ ( 30) 

11,3 „ ( 930) 
1.2 „ ( 100) 
130,8 „ (2530) 

10 250 

66,4 pCt. (6790) 
0,3 „ ( 30) 

0,4 B ( 40) 

7,6 „ ( 780) 
0 „ 

i25,3 * (2600) 


Auch die Blutbefunde nach der intravenösen Injektion zeigen nur eine geringere Reaktion. 


Digitized b' 


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Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 









Kurve IG. 


482 


GOTTFRIED HOLLER, 



!»§»«!!! 



Original fram. - - 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


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Vincent 

'intrwen 


Monats* 

tag 


Besredka so öl 


Vincent suöcutan 


Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 483 

Fall 15. Patient J. K. Ein ziemlich schwerer Typhus mit Bronchitis. Am 19.2. 
Diazo positiv, Ficker bis 200facher Verdünnung positiv, Milz perkutorisch deutlich 
vergrössert, Zunge typisch, Erbsenpüreestühle. Eine intravenöse Injektion mit 100 
Millionen Besredka ist von mittelstarker Reaktion gefolgt, Entfieberung tritt nicht ein. 
Nur geringen Einfluss auf eine Besserung des Krankheitsprozesses bewirkt eine Sub¬ 
kutankur mit jedenfalls zu geringen Dosen Besredka; besser wirkt eine solche mit 
dem Vincentschen Mittel. Zur Heilung bringt den Prozess erst eine neuerliche intra¬ 
venöse Injektion mit 100 Millionen Vincent und auch die erst vollständig mit Hilfe 
etlicher nachfolgender Subkutaninjektionen. Sie sehen, wie hartnäckig ein mit Bron¬ 
chitis komplizierter Typhus die Vakzinetherapie erschwert. (Kurve 17.) 



Am 20. 2. 1 

(am Tage vor | 
der Injektion) , 

Am 21. 2. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 21. 2. 
(unmittelbar n. 
Beendigung des 
Schüttelfrostes) 1 

Am 21. 2. 

(5 Stunden nach 
der Injektion) 

Leukozyten . . . 

7 430 

19 130 

7 870 

8 930 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

75,7 pCt. (5 630) 

25,2 pCt. (4800) 

32.1 pCt. (2520) 

74,2 pCt. (6 600) 

(E) 

0 . 

0 „ 

0 „ 

0 * 

Mastzollen . . . 

0 „ 

0 „ 

0 „ 

0,1 „ ( 20) 

Splenozyten . . . 

5,3 „ ( 400) 

7,3 „ (1400) 

3,6 „ ( 280) 

7,2 „ ( 650) 

Plasmazellen . . 

0,6 „ ( 50) 

2,0 „ ( 400) 

0,8 „ ( 70) 

0,3 „ ( 30) 

Lymphozyten . . 

18,1 „ (1350) 

65,5 r (2530) 

63,5 „ (5000) 

18,2 „ (1630) 


Difitized fr, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF MINNESOTA 


T 1 100 1 125\150\150 \17S\200\200\ : \100 


"• Tjr Puls:-Temp:— 


Kurve 1<. 


Leukozyten . . . 

5 230 

davon sind: 


Polynukleäre (N) 

64,8pCt. (3380) 

(E) 

0 * 

Mastzellen . . . 

0 r 

Splenozyten. . . 

6,6 „ ( 350) 

Plasmazellen . . 

0 „ 

Lymphozyten . . 

28,6 „ (1500) 


Zeitselir. f. klin. Medizin. 81. Bd. H. 5 u. 6. 


7 630 , 5 480 

65.8 pCt. (5060) ■ 55.1 pCt. (3010) 

0.1 „ ( 10) 0.6 „ ( 30) 

0,4 „ ( 30) | 0 „ 

7,8 „ ( 600) { 8,‘2 „ ( 450) 

0 „ 1,2 „ ( 70) 

25.9 „ (1930) 34,9 „ (1920) 

32 


Am 2. 3. 

(1 Std. nach der 
II. intravenösen 
Injektion) 












484 


GOTTFRIED HOLLER 


Fall 16 . Patient J. Se. wurde in sehr schwerem Zustande eingebracht. Kon¬ 
tinuierliches Fieber, zwischen 39 und 40°, Milztumor, Erbsenpüreestühle, Diazo fort 
positiv, Nasenbluten, Kopfschmerzen, starke Benommenheit. Ausserdem bestehen 
schwere Lungenerscheinungen, bedingt durch eine sehr floride Tuberkulose. Trotzdem 
versuche ich eine vorsichtige Subkutankur, um den Typhus abzuschwächen. Patient 
erhält hintereinander 100, 125, 150, 175 und 200 Millionen Keime Vincent subkutan, 
mit nur geringem Erfolg. Bei dieser letzten Dosis zwingt mich ausserdem eine 
ziemlich heftige Hämoptoe, die Behandlung abzubrechen. Die Blutung steht auf eine 
intravenöse Injektion von 10 ccm einer lOproz. Kochsalzlösung prompt, doch der 
Zustand des Patienten, der übrigens am Tage nach der letzten Injektion eine leichte 
Besserung gezeigt hatte, verschlimmerte sich von da an und eine Woche später trat 
der Exitus ein. 


Anschliessend bringe ich drei Fälle, die wieder zeigen sollen, wie 
hartnäckig sich mit Bronchitiden und Bronchopneumonien komplizierte 
Fälle der Therapie widersetzen (Fall 17, 18, 19). 

Fall 17. M. Pe. mit schwerer Bronchitis und Typhus eingebracht; erst Stuhl¬ 
verstopfung, dann täglich mehrmals erbsenpüreeartige Stühle, Milz anfangs nur per¬ 
kutorisch vergrössert, später deutlich palpabel. Diazo stark positiv, Zunge typisch. 
Durch eine kombinierte subkutane ; und intravenöse Behandlungsweise gelingt 
schliesslich die Heilung. (Kurve 18.) 


Blutbefunde. 



Am 26. 2. 

1 Am 26. 2. 

| Am 26. 2. 

Am 26. 2. 

I Am 26. 2. 


(unmittelbar vor 

1 (zu Beginn des 

I (am Ende des 

(2 Stunden nach 

(5 Stunden nach 


der Injektion) 

Schüttelfrostes) 

Schüttelfrostes) 

der Injektion) 

der Injektion) 

Leukozyten . . . 

6 420 

! 

1 8 080 

i 

4 830 

i 

4 280 

i 

6 750 

davon sind: 






Polynukleäre (N) 

53,6 pCt. (3450) 

I 57,4 p(’t. (4 630) i52,5pCt. (2 530) 

72,7 pCt. (3090) 

72,5 pCt. (4880) 

, (E) 

0 „ 

: 0 „ 

0 „ 

! 0,3 „ ( 20) 

0 „ 

Mastzellen . . . 

0 „ 

; 0 „ 

! 0 „ 

! o „ 

0 „ 

Splenozyten. . . 

6,7 „ ( 420) 

, 2,4 „ ( 200) 

2,4 „ ( 120)1 4,2 „ ( 180) 

8,6 „ ( 580) 

Plasmazellon . . 

1,8 „ ( 120) 
37,9 „ (2430) 

1 0,2 „ ( 20) 

0 „ 

i 0,3 „ ( 20) 

0,2 „ ( 20) 

Lymphozyten . . 

140,0 „ (3230)|45,1 „ (2180)22,5 „ ( 970) 

,18,7 „ (1270) 


Am 27. 2. 

Am 3. 3. 

(5 Min. nach 
Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 3. 3. 

(2 Stunden nach 

! 

Am 3. 3. 

(8 Stunden nach 

1 

Am 4. 3. 



der Injektion) 

der Injektion) 


Leukozyten . . . 

7 250 

6 950 

4 920 

i 

4 400 

6 350 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

56,9 pCt. (4100) , 

44,8 pCt. (3100) 

75,6 pCt. (3 700) 

80,6 pCt. (3530) 

52,6 pCt. (3330) 

» (E) 

0,1 , ( 10); 

0,4 „ ( 30) 

0,6 „ ( 30) 

0 „ 

0 „ 

Mastzellen . . . 

0,2 „ ( 20)1 

0 „ 

0,3 „ ( 20) 

0,3 „ ( 20) 

0 * 

Splenozyten . . . 

6,4 „ ( 470) 

1,6 „ ( 120) 

2,3 „ (120) 

4,1 „ ( 180) 

12,5 „ ( 800) 

Plasmazellen . . 

0,4 „ ( 30) 

0 „ 

0,6 „ ( 30) 

0,3 „ ( 20) 

0 « 

Lymphozyten . . 

36,0 „ (2 C20) 

53.2 „ (3 700) 

20,6 „ (1020) 

14,7 „ ( 650) 

34,9 * (2 220) 


Fall 18. Patient J. B. Ein Fall kombiniert mit Bronchopneumonie; Milztumor; 
Diazo deutlich positiv, Roseolen, schwere Benommenheit und Kopfschmerz. Dieser 
Fall zeigt uns, wie man durch fortgesetzt hartnäckige Therapie sioh schliesslich doch 
die Entfieberung erzwingen kann. (Kurve 19.) 


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Zur Vakzinetlierapie dos Typhus abdominalis. 485 


miBiilllii 




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486 GOTTFRIED HOLLER, 


Blutbefunde. 



Am 25. 2. 

Am 28. 2. 

Am 3. 3. 

(zu Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Am 3. 3. 

(2 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 3. 3. 

(3 Stunden nach 
der Injektion) 

1 

! Am 4. 

1 

1 

Leukozyten . . . 

7 830 

6 530 

9 430 

3 830 

6 720 

1 10130 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

64,8 pCt. (5080) 

65,8 pCt. (4280) 

53,9 pCt. (5010) 

66,2 pCt. (2530) 

80,5 pCt. (5410) 

54,9 pCt. (557 

. (E) 

0 „ 

0 * 

0 „ 

0 - 

0 » 

0,1 , ( ' 

Mastzellen . . . 

0 „ 

0,2 „ ( 20) 

0 „ 1 

0 „ 

0 „ 

0,6 . ( i> 

Splenozytcn. . . 

10,6 „ ( 830) 

6,1 „ ( 400) 

3,5 „ ( 330)1 

3,9 „ (150) 

6,4 „ ( 430) 

9,2 „ ( 93 

Plasmazellcn . . 

0,8 „ ( 60) 

0,7 „ ( 50) 

0,3 „ ( 30)| 

0,8 „ ( 30) 

0 „ i 

0 „ 

Lymphozyten . . 

23,8 „ (1 860'l 

27,2 „ (1780)42,3 „ (4060)| 

29,1 „ (1120) 

13,1 „ ( 880)|35,2 „ (3 56 


Fall 19 . Patient St. Os., gleichfalls Bronchopneumonie und Typhus. Am 20.2. 
Diazo stark positiv, Ficker positiv, deutlicher Milztumor, Roseolen, Kopfschmerz, zu 
Beginn einmal Nasenbluten. Auch dieser Fall heilt durch fortgesetzte subkutane und 
eine eingeschaltete intravenöse Injektion aus. (Kurve 20.) 

Ich möchte aber hier darauf hinweisen, dass wie gewöhnlich so 
auch hier durch die intravenöse Injektion die Bronchitis sich merklich 
verschlechterte. Deshalb behandle ich fortan, solange schwere bronchi- 
tische Erscheinungen bestehen, nur mehr subkutan in steigender Dosis 
(täglich eine Injektion). Je nach dem Kräftezustand des Patienten be¬ 
ginne ich dabei mit 50, 100, seltener mit 200 Millionen Keimen des 
Vincentschen Mittels. 

Blutbefunde. 



Am 25. 2. 

I 

1 Am 28. 2. 

1 

j Am 3. 3. 

1 (V 2 Std. nach 
j der Injektion) 

Am 3. 3. 

(5 Min. nach 
Beginn des 
Schüttelfrostes) 

Leukozyten . . . 

12 320 

5 720 • 

6 450 

3 700 

davon sind: 
Polynukleäre (N) 

68,8pCt (8450) 

55,6 pCt. (3160) 

71,1 pCt. (4570) 

37,9 pCt. (1380) 

„ (E) 

0 „ 

■0,1 „ ( 10) 

0,1 „ ( 10) 

0,2 „ ( 10) 

Mastzellen . . . 

° , 

0,2 „ ( 20) 

0,2 „ ( 20) 

0,4 „ ( 20) 

Splenozyten. . . 

6,3 „ ( 780) 

7,2 „ ( 420) 

6,4 , ( 420 > 

5,4 „ ( 200) 

Plasmazellen . . 

0,9 „ ( 120) 

2,3 , (130) 

0 . 

0,4 „ ( 20) 

Lymphozyten . . 

** 

O 

3 

/—N 

Kl 
<£> 
— 1 
O 

34,6 „ (1980) 

22,2 „ (1430), 

55,7 „ (2070) 



Am 3. 3. 

(3 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 3. 3. 

(9 Stunden nach 
der Injektion) 

Am 4. 3. 

Leukozyten . . . 

4 500 

6 150 

■ 7 820 

davon sind: 




Polynukleäre fN) 

87,5 pCt. (3 970) 

78,6 pCt. (4 790) 

58,8 pCt. (4590) 

(E) 

0 , 

0 „ 

0 , 

Mastzcllen . . . 

0 . ! 

0,2 „ ( 20) 

0,4 „ ( 30) 

Splenozyten . . . 

4,4 „ ( 200) | 

7,4 „ ( 470) 

5,9 „ ( 470) 

Plasmazellen . . 

0,7 „ ( 30) i 

0,2 „ ( 20) ■ 

0,4 „ ( 30) 

Lymphozyten . . 

7,4 „ ( 300) ! 

13,6 „ ( 850) ! 

34,5 „ (2700) 


Ich will noch den Erfolg der reinen subkutanen Behandlungsweise, 
wie ich sie eben für mit Bronchitiden und Bronchopneumonien kompli¬ 
zierte Fälle vorgeschlagen habe, an elf Beispielen demonstrieren. 


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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


487 


Fall 20. Patient J. wurde am 19. 2. in schworst benommenem Zustande mit 
heftigen Lungenerscheinungen eingebracht. Nach einer Woche ist der Fall ausgeheilt. 
(Kurve 21.) 



Fall 21. Patient M. R. ebenfalls mit Bronchopneumonie kompliziert, zeigt gleich¬ 
falls die typische Ausheilung durch subkutane Aethervakzinebehandlung. (Kurve 22.) 


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488 


GOTTFRIED HOLLER, 


Fall 22. Patient M. St. bekam ich in sehr geschwächtem Zustande, kontinuier¬ 
lich hoch fiebernd in meine Behandlung. Ausserdem bestanden heftige bronchitisehe 
Erscheinungen, schwere Delirien und Herzschwäche. Obwohl dieser Patient der weiter 
zunehmenden Herzschwäche erlag, möchte ich diesen Fall dennoch den Vakzine¬ 
erfolgen zuzählen. Die Temperaturkurve zeigt uns die unter dem Einfluss einer vor¬ 
sichtigen subkutanen Behandlungsmethode vor sich gehende Entfieberung. (Kurve 23.) 



Kurve 23. 


Fall 23 . Patient M. Sch. wurde in *sehr geschwächtem Zustande und hoch 
fiebernd aufgenommen. Diazo stark positiv, grosser Milztumor, Ficker bis 200facher 
Verdünnung positiv, Erbsenpüreestühle. Ausserdem besteht eine sehr heftige Broncho¬ 
pneumonie. Bei diesen Patienten gelingt es, trotz des hochgradigen Schwäche¬ 
zustandes den Typhus durch eine vorsichtige Subkutanbehandlung zu heilen. Es 
macht mir den Eindruck, dass dieser Patient verloren gewesen wäre, wenn das Fieber 
noch einige Tage länger angehaltcn hätte. Auch jetzt ist der Patient noch sehr ge¬ 
schwächt, blieb aber seitdem fieberfrei und hat bereits feste Stühle. Durch äusserste Vor¬ 
sicht in der Diät hotTe ich, dass es gelingen wird, ihn zu Kräften zu bringen. (Kurve24.) 



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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 489 


Blutbefunde. 



Am 25. 2. 

Am 28. 2. 

Am 1. 3. 

Leukozyten. 

21 400 

6 970 

37 530 

davon sind: 




Polynukleäre (N) . . . 

70,6pCt. (15080) 

65,9 pCt. (4580) 

69,6 pCt. (26130) 

* (E) . . . 

0 „ 

0,1 „ ( 10) 1 

0,1 , ( 10) 

Mastzellen . 

0 „ 

0.2 r ( 20) 

0 „ 

Splenozvten. 

11,9 „ ( 2 560) 

4,7 „ ( 330) 

16,1 „ ( 6060) 

Plasmazellen. 

0,7 „ ( 160) 

0 „ 

0 „ 

Lymphozyten. 

16,8 „ ( 3600) 

29,1 , (2030) 

| 14,2 „ ( 5330) 


Fall 24. Patient A. Cr. kommt ebenfalls in schon stark geschwächtem Zustand 
in unsere Behandlung. Ebenso wie bei dem vorhergegangenen Fall kompliziert nicht 
allein eine Pneumonie, sondern auch die Herzschwäche die Behandlung. Wie die 
Kurve 25 zeigt, gelang es mir auch in diesem Fall durch Subkutaninjektionen zu heilen. 



Kurve 25. 


Fall 25. Patient P.M. ist in der Schwere des Krankheitsbildes den beiden voraus¬ 
gehenden Fällen anzufügen. Auch hier haben wir die Komplikation mit Pneumonie und 
Herzschwäche. Bei diesem Pat. trat am Tage nach der letzten Injektion Blut im Stuhl auf. 
Die Blutung war aber keine sehr bedeutende, hat sich auch nicht mehr wiederholt; der 
erst sehr sch wache Pat. befindet sich heute im Zustande bester Rekonvaleszenz. (Kurve 26.) 



Kurve 26. 


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490 


GOTTFRIED HOLLER, 


Fall 26. Patient E. K., ein junger, kräftiger Mann mit einem ziemlich schweren, 
durch Bronchitis komplizierten Typhus, der sich durch eine Subkutankur in 8 Tagen 
ausheilen lässt. (Kurve 27.) 



Kurve 27. 


Blutbefund. 



Am 1. 3. 

Leukozyteu . 

S 670 

davon sind: 


Polynukleäre (N). 

64.9pCt. (5610) 

„ (E). 

0.1 „ ( 10) 

Mastzellen . 

0,7 , ( 70) 

Splenozvten. 

6,3 „ ( 550) 

Plasmazellen. 

0.5 „ ( 50) 

Lvmphozyten 

27,5 „ (2380) 


Der Blutbefund spricht ebenfalls für die Beendigung des Krankheits¬ 
bildes. 


Fall 27. Patient S. Pr. mit einer ziemlich leichten Erkrankung wird, wie Blut¬ 
befund und Temperaturkurve 28 zeigen, durch subkutane Behandlung rasch geheilt. 
Letztere wurde bei dem Patienten angewondet, weil bei der Aufnahme eine ziemlich 
heftige Bronchitis bestand, die sich aber rasch besserte. 


Blutbefund c. 



Am 25. 2. 

Am 1. 3. 

Leukozyten . 

6 850 

10 360 

davon sind: 



Polvnukleiirc (N). 

60,1 pCt. (4100) 

1 60,3 pCt. (6240) 

(E). 

0,2 „ ( 20) 

1 1,9 ^ ( 200) 

Mastzellen. 

0 

0,3 „ ( 30) 

Splenozyten. 

13,1 „ ( 900) 

9,6 . (1 000) 

Plasmazcllcn. 

2,1 * ( 150) 

3,5 „ ( 360) 

Lvmphozyten . 

24,5 (1680) 

1 24.4 „ (2 530) 


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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


491 



Kurve 28. 

Fall 28. Patient St. Sw., ebenfalls eine leichtere Erkrankung, bei der aber zu 
Beginn der Behandlung Bronchitis bestand. Dieser Patient wurde ziemlich benommen 
eingebracht, aber gerade bei ihm hatte ich Gelegenheit zu sehen, wie rasch unter dem 
Einfluss der Vakzinebehandlung, die auch hier subkutan vorgenommen wurde, nervöse 
Erscheinungen sich bessern. (Kurve 29.) 



Kurve 29. 


B I u t b c f u n d e. 



Am 25. 2. 

Am 1.3. 

Leukozyten . 

11 400 

5 980 

davon sind: 



Polynukleäre (N) . 

03,2 pCt. (7250) 

54,2 pCt. (3230) 

(K). 

2.3 „ ( 260) i 

2,2 „ ( 130) 

Mastzollen. 

0 „ 

0.2 * ( 20) 

Splenozvten. 

7,6 ., ( 830) 

9.7 „ ( 580) 

Plasmazellen. 

0 „ 

0 „ 

Lymphozyten. 

26,9 „ (3060) i 

33,7 „ (2020) 


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402 


GOTTFRIED HOLLER 


Fall 29 . Patient J. Br., ebenfalls ein durch Bronchitis komplizierter, im übrigen 
leichter Typhus. Auch hier zeigt die Pulskurve 30 und der Blutbefund den Erfolg 
der subkutanen Vakzinebehandlung. 




Am 28. 2. 

Leukozyten . 

davon sind: 

9 070 

Polynukleäre (N). 

40,8 pCt. (3700) 

(E). 

0,1 „ ( 10) 

Mastzellen. 

0,3 „ ( 30) 

Splenozvten. 

12,5 „ (1130) 

Plasmazellen. 

0 „ 

Lvmphozyten. 

46,3 „ (4200) 


Fall 30 . Patient V. K.; dieser Fall war bei seiner Aufnahme sehr schwer be¬ 
nommen, bot überhaupt das Bild einer sehr schweren Erkrankung; ausserdem war 
auch dieser Fall kompliziert durch eine heftige Bronchitis. Die schweren Erscheinungen 
besserten sich bereits nach den ersten subkutanen Injektionen und die Temperatur 
nahm langsam ab. Schon nahe der vollständigen Entfieberung steht mir keine Vakzine 
mehr zur Verfügung; man sieht in der Temperaturkurve, dass die Temperatur die Tage 
hindurch, während welcher keine Vakzine verabfolgt werden konnte, nicht weiter sinkt 
und dass es zu einer endgültigen Entfieberung erst nach zwei weiteren subkutanen 
Injektionen kommt. Die oft ziemlich hohen Zacken in den Kurven bei subkutaner Be¬ 
handlungsweisesind durch die Reaktion auf dieeinzelnen Injektionen bedingt. (Kurve31.) 


Blutbefund. 



Am 4. 3. 

Leukozyten . 

davon sind: 

8 960 

Polvnuklcärc (N). 

55,2 pCt. (4910) 

„ (E) . 

M „ ( 100) 

Mastzellcn. 

0.7 „ ( 60) 

Splcnozyten. 

11,5 „ (1060) 

Plasmazellen. 

0 „ 

Lymphozyten. 

31,5 „ (2830) 


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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


493 


Ich verweise auch bei den subkutan ausgeheilten Fällen auf die 
Blutbefunde nach erfolgter Entfieberung. Sie tragen deutlich den Charakter 
der Blutbilder in der Typhusrekonvaleszenz an sich. 



Kurve 31. 


Ich habe so aus meinem reichen Material an 30 Fällen die Erfolge, 
aber auch die Misserfolge der Aethervakzinebehandlung vorgeführt. Trotz 
des einen im Anschluss an eine intravenöse Injektion erfolgten Exitus 
sprechen, glaube ich, die Erfolge in den anderen Fällen sehr dafür, dass 
die Vakzinetherapie zur Bekämpfung des Typhus abdominalis in dazu 
geeigneten Instituten nur von Erfahrenen anzuwenden und vor allem 
weiter auszubauen sei. Wir hatten in unserer Station bisher unter den 
nicht mit Vakzine behandelten Typhen 12 pCt. Todesfälle, während von 
den seit 1. Januar von mir gespritzten 76 Patienten nur vier starben. 
Das sagt um so mehr, als ich fast alle Fälle, auch die schwersten, ohne 
eine besondere Auswahl zu treffen, vakzinierte und weil man bedenken 
muss, in wie schlechtem Zustande eine grosse Zahl der Typhusfälle in 
unsere Stationen eingebracht wird. 

Ob durch die Anwendung des Besredkaschen oder Ichikavvaschen 
Mittels ein wesentlicher Fortschritt erzielt worden ist, kann ich nach 
meinen bisherigen Erfahrungen nicht konstatieren. Ich muss aber ge¬ 
stehen, dass mir über die beiden letzteren Mittel noch zu wenig eigene 
Erfahrungen zustehen, um ein endgiltiges Urteil darüber fällen zu können. 
Doch glaube ich kaum, dass durch diese Art der Virulenzabschwächung 
mit Immunserum ein besser wirksames Mittel erzeugt worden ist. Ausser¬ 
dem sind die stürmischen Nebenerscheinungen auch bei Anwendung dieser 
Mittel in wirksamer Dosis nicht umgangen. Ein Nachteil des Besredka¬ 
schen Mittels z. B. ist auf jeden Fall, dass es rasch verdirbt und dass 


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GOTTFRIED HOLLER, 


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4<)4 

wir, solange das Mittel noch voll wirksam ist, mit lebenden, wenn auch 
in ihrer Virulenz abgeschwächten Bazillen hantieren. 

Vorderhand sollten wir, das ist meine Apsicht, auf Grund eigener 
jüngst gewonnener Erfahrung und Berichten über Todesfälle aus anderen 
Stationen, mit dem Mittel noch recht vorsichtig sein und vor 
allem von einer allgemeinen Anwendung desselben in der Hand 
nicht sehr Erfahrener absehen. Sie sehen, mit welcher Vorsicht 
ich die Vakzinetherapie handhabe, und ich muss sagen, dass nur die auf¬ 
opfernde, rastlose Tätigkeit der Kollegen cand. med. Marie Puchold, 
cand. med. Johann Vecsler und cand. med. Marie Skopczynska- 
Zivanovic, cand. med. Max Wolf, Dr. Vinccnz Janatka, sowie 
der beiden vorzüglichen Schwestern mir die Ausführung der Vakzine¬ 
therapie ermöglichte. Die Kollegen haben die frisch gespritzten Patienten 
keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Allein hätte ich diese Arbeit 
nicht bewältigen können. Wie überhaupt bei Typhus befinden sich die 
Patienten speziell nach Vakzineinjektionen in einer Art negativer Phase, 
so dass sie in dieser Zeit sehr für andersartige Infektionen, vor allem 
Pneumonien inklinieren. Mit Rücksicht darauf muss speziell rauchige 
Luft und Zug von ihnen abgehalten werden. Auch ist es notwendig, die 
Patienten hoch- zu lagern und für gehörige Expektoration zu sorgen. In 
Anstalten, in denen die Ueberwachung der Patienten nicht sehr streng 
durchgeführt werden kann, sollte die Vakzinetherapie überhaupt nicht 
angewandt werden. 

Die Verordnung' zur allgemeinen Ausführung der Vakzine¬ 
therapie auch in der Hand unerfahrener Aerzte auf diesem Gebiete, wie 
sie in letzter Zeit von den Militärkommanden herausgegeben wurden, 
birgt, abgesehen von ihrer etwas reichlichen Dosierung, grosse Ge¬ 
fahren für unsere Soldaten in sich. Ich halte heute eine Verall¬ 
gemeinerung der Vakzineanwendung noch für verfrüht, sie vergrössert 
die Gefahr, verschlechtert den Gesamterfolg und bringt kaum einen we¬ 
sentlichen Fortschritt. Ich ersuche die Kollegen, die in Zukunft Vakzine 
anwenden wollen, sich vorher gründlich zu informieren und zumindest 
erst an geringen Dosen die Wirkung genau zu studieren. In meiner 
Station wurde die Vakzinetherapie bisher von d,en Herren nur unter 
meiner eigenen ständigen Kontrolle gehandhabt. 

Noch auf einen anderen Umstand muss ich zurückkommen. Die 
Wirksamkeit der verschiedenen Vakzinen nimmt vom Tage ihrer Be¬ 
reitung an ab. Dieses Unwirksamwerden vollzieht sich bei der Besredka- 
schen Vakzine scheinbar rasch, bei dem Vincentschen Mittel dagegen 
sehr langsam. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass bei einer ungefähr 
2 Monate alten Aethervakzine 100 Millionen Keime die gerade ent¬ 
sprechende Dosis für die intravenöse Einverleibung sind, während die 
Höchsldosis hierfür bei einem ganz frischen Mittel vor allem bei dessen 
ersten Anwendung am besten 50 Millionen Keime nicht überschreiten 



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Zur Vakzinetherapie des Typhus abdominalis. 


495 


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soll. Es wäre zu wünschen, dass die Institute den Erzeugungstag auf 
den Fläschchen vermerken. 

Obwohl ich demnach kein Anhänger davon bin, dass die Vakzine¬ 
therapie jetzt schon allgemein angewendet werde, vertrete ich meine 
schon einmal ausgesprochene Anschauung weiter, dass die Bakterio- 
therapie des Typhus abdominalis von dazu Berufenen mit grösster Vor¬ 
sicht weiter anzuwenden und durch genaueste Beobachtung auszubauen 
ist. Es dürfte uns so doch gelingen, eine Methode und ein Mittel zu 
schaffen, dessen Anwendung geringere Gefahren in sich birgt und das 
sich dann auch für die Allgemeinpraxis eignet. Zur Zeit ist jedenfalls 
noch, was erst kürzlich R. Schmidt (vgl. Prager med. Wochenschr., 
1915, Nr. 14) mit besonderem Nachdruck betont hat, eine gewisse Zu¬ 
rückhaltung und grosse Vorsicht hinsichtlich der Indikations¬ 
stellung am Platze. 



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Druck von L. .Scliumadi'T in llerl in N. 4. 


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-ÜNIVERSITY OF MINNESOTA 



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