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Full text of "Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik I 1927 Heft 7/8/9"

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l. Jahrgang April-Mai-Juni 1927 Heft 7-8-9 
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Zeitschrift für 
psychoanalytische 
Pädagogik 


Herausgeber: Dr. Heinrich Meng, Arzt in Stuttgart 
und Univ.-Prof. Dr. Ernst Schneider in Riga 


Sonderheft: 


Sexuelle Aufklärung 


Aus dem Inhalt: Bernfeld: Über sexuelle Aufklärung / Hitschmann: Eine 
natürliche Schwierigkeit der Aufklärung / Schneider: Zur Sexual- 
forschung des Kindes / Landauer: Die Zurückweisung der Aufklärung 
durch das Kind / Graber: Zeugung und Geburt in der Vorstellung 
des Kindes / Zulliger: Eltern, Schule und sexuelle Aufklärung / Liertz: 


Über kindliche Aufklärung / Wolffheim: Vom Gegensatz der Gene- 


rationen / Friedjung: Die sexuelle Aufklärung und die Erwachsenen 
/ Reich: Eltern als Erzieher: Die Stellung der Eltern zur kindlichen 
Önanie / Hollös: Ein Fall von Schlaflosigkeit bei einem achtein- 
halbjährigen Kinde / Gespräche mit einem Knaben / Berichte usw. 


NN 
Verlag der Zeitschrift für psychoanalytishe Pädagogik 
| Wien, VII, Andreasgasse 3 | 





| Prof. Schneider, Geltungsbereich der Psychoanalyse 
| 


e Der Kastrationskomplex beim Kinde — Zulliger, Ein 


Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik 





12 Hefte jährlich (Der Jahrgang beginnt im Oktober) 


Abonnement auf das Il. Halbjahr (Heft 7-9, Apr. bis Sept. 1927) M. 5°- (schweiz. Frk. 625) 
Preis dieses dreifachen Heftes M. 250 (schweiz. Frk. 3'20) 


Alle geschäftlichen Zuschriften sind zu richten an den 
„Verlag der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik“ 
Wien, VI, Andreasgasse 3, 
alle für die Schriftleitung bestimmten Zuschriften, Manuskripte, Rezensionsexemplare an 


Dr. med. Heinrich Meng, Stuttgart, Sonnenbergstraße OD, oder an 


Univ.-Prof. Dr. Ernst s chnei de er, Absias en PERE M, wann 


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| 
Die früher erschienenen Hefte 1—6 der 


OSLO für psychoanalytische Pädagogik 


| enthielten u. a. folgende Beiträge: 


für die Pädagogik — Zulliger, Über das kindliche Ge- 
wissen — Nunberg, Traum eines sechsjährigen Mädchens 
— Härnik, Therapeutische Kinderanalyye — Jakoby, 
Muß es Unmusikalische geben? — Wittels, Die Trieb- 
haftigkeit des Kindes — Liertz, Über das Traumleben — 
Furrer, Trotzneurose eines fünfzehnjährigen Mädchens — 
Meng, Gespräche mit einer Mutter — Prof. Baudouin, 


Mädchenstreit und seine tieferen Ursachen — Hermann, 
Die Begabung im Lichte der Psychoanalyse — Giese, 
Psychoanalyse im Fabrikbetrieb — Prof. Scheider, Die 
Zukunftsbedeutung Pestalozzis — Bernfeld, Der Irrtum 
des Pestalozzi — Prof. Baudouin, Von Pestalozzi zu 
| Tolstoi — Hofmann, Pestalozzi und die Psychoanalyse — 
| Zulliger, Geständnisangt und Geständniszwang bei 
Kindern — Prof. Schneider, Über sachliche und unsach- 
liche Erziehung — Reik, Psychoanalyse und Mythos — 
| Hackländer, Ärzte und Lehrer über ScHulerselbsLmörde 
| — usw. 
| Preis des I. Halbjahrganges (Heft 1—6) M. 5°— (schweiz. Frk. 6°25) 
| (solange der Vorrat reicht) 
| 


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Das he Heft Ar. Ph eriheint am 15. Juli 


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Wien L Börsegasse 11 








HEFT 7-8-9 DER „ZEITSCHRIFT FÜR 
PSYCHOANALYTISCHE PÄDAGOGIK“ IST 


ALS SONDERHEFT 


HERRN PROFESSOR 
SIGMUND FREUD 





ZUM 6. MAI 1927 
DEM 71 GEBURTSTAG 


VON DEN 
MITARBEITERN 
DEN 
SCHRIFTLEITERN 
UND DEM 
VERLAG 


IN DANKBARKEIT 
GEWIDMET 





Stuttgart-Wien, 6. Mai 1927. 


Mitteilung an die Leser 


Durch Vereinbarungen des H ippokrates-Verlags, Stuttgart” 
Berlin-Zürich, des ‚Verlages der Zeitschrift für psychoanalytische 
Pädagogik’ -Wien und der Schriftleitung der „ Zeitschrift für 
Psychoanalytische Pädagogik”, geht die Zeitschrift mit Begınn 
des 2. Halbjahres in den „Verlag der Zeitschrift für psycho- 
analytische Pädagogik”, Wien, V. II., Andreasgasse 3, über. 

Die Schriftleitung dankt dem Hippokrates-Verlag für seine 
opfervolle Arbeit ım Dienste der Ideen unserer Zeitschrift. 

Wir bitten die Leser und Mitarbeiter, dem neuen Verlag 
das gleiche Vertrauen entgegenzubringen wie dem alten. Für 
den Ausbau und die Verbreitung der Zeitschrift ist es sehr 
erwünscht, daß die psychoanalytisch interessierten Eltern, Er- 
zieher, Lehrer und Ärzte von unseren Lesern auf das Erscheinen 
der Zeitschrift aufmerksam gemacht werden. Der Verlag ist für 
alle Anregungen, wie die Zeitschrift gefördert werden kann, dank- 
bar, die Schriftleitung für jeden Vorschlag zum weiteren Ausbau 
der Zeitschrift. | 


Hippokrates-Verlag, Stuttgart-Berlin-Zürich, Dr. Lohmeyer 


Schriftleitung der „Zeitschrift für psychoanalytische 


Pädagogik’, Dr. Heinrich Meng in Stuttgart, Prof. Dr. Ernst 


Schneider in Riga 


„Verlag der Zeitschrift für psychoanalytische Päda- 
gogik”, A.J. Storfer, Wien VIL, Andreasgasse 3 








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Über sexuelle Auf klärung 
Von Dr. Siegfried Bernfeld, Berlin 


Ob man Kindern aufrichtige Mitteilungen über die sexuellen Tatsachen 
machen solle; wann damit anzufangen sei und wie die Mitteilung gestaltet 
werden sollte, — in diesen Fragen hat sich in den letzten Jahren ein 
sehr bemerkenswerter Wandel des Standpunktes vollzogen. So verschieden 
die Begründungen sind, deren sich die einzelnen Erzieher zur Recht- 
fertigung bedienen, so sehr die Methoden der verschiedenen Aufklärer von 
einander abweichen mögen, im wesentlichen dürften alle modernen Erzieher 
darin einig sein: das Storchmärchen muß abgeschafft werden. Ein Grund für 
diese Wandlung ist gewiß, daß in den vergangenen Jahren die Sexualität 
des Kindes — nicht zuletzt ist dies ein Verdienst Freuds und seiner 
Schule — tiefer erforscht und allgemeiner, vorurteilsfreier erkannt wurde. 
Gekannt hat man sie ja immer. Daß es ein Storchmärchen überhaupt gibt, 
beweist, daß man schon immer bemerkt hatte, wie die Kinder in einem sehr 
frühen Alter für Fragen, die sexuellen Inhalts sind, Interesse zeigen, und 
zwar ein Interesse, das nicht zufällig und nebensächlich ist; denn es 
erwies sich als unstillbar durch Antworten, wie etwa die wäre: „Wenn du 
größer sein wirst, wirst du die Sache verstehen.“ Die Kinder forderten 
hartnäckig eine Antwort, und daher erfand man ihnen das Märchen. Die 
Wahrheit mochte man nicht sagen, angeblich, weil sie die Kinder nicht 
verstünden, Aber man hatte die Probe gar nicht gemacht. Verstünden die 
Kinder die Wahrheit nicht, so könnte man sie ihnen getrost sagen; dann 
würden sie von selbst einsehen, daß hier ein Problem vorliegt, das für sie 
erst später reif wird. Man verschwieg die Wahrheit, weil man wußte, die 
Kinder würden sie verstehen, und eben dies verhindern wollte. 

Die neuen Erzieher wollen diese Verheimlichung nicht mehr, und 
zwar, wie mir scheint, aus zwei Gründen. Erstens haben sie die Erfahrung 
gemacht, daß die Verheimlichung schädlich und überdies gar nicht mög- 
lich ist; zweitens, weil der allgemeine Wesenszug der neuen Pädagogik als 
Aufrichtigkeit vor sich selbst und vor dem Kinde zu bezeichnen ist. Ich 
glaube, sie haben völlig recht, sich so zu verhalten. Aber — wie es so 
zu sein pflegt mit allen menschlichen Dingen — nicht wenige der neuen 
Erzieher meinen, mit der sexuellen Aufklärung eine weiß Gott wie 


— 195 — 


wichtige Neuerung eingeführt zu haben, hoffen, mit ihr ungeheueren 
Nutzen zu stiften, einige haben sogar den Glauben, mit dieser Frage das 
Zentrum pädagogischer Probleme berührt und mit ihrer Lösung den 
Schlüssel zum Aufbau einer neuen Menschheitsgeneration gefunden zu 
haben. Es sei mir gestattet, kurz anzudeuten, warum ich dies alles nicht 
mitglaube, und wie solcher Glaube nicht unschädlich für die Pädagogik ist. 

Man kann gelegentlich bei der Psychoanalyse von Kindern und Adoles- 
zenten die erstaunliche Erfahrung machen, daß sie Neurosen oder neuro- 
tische Züge und dissoziales Verhalten aufweisen, obgleich sie regelrecht, 
und zwar sehr frühzeitig und geschickt, von den Eltern aufgeklärt wurden. 
Das beweist freilich höchstens, daß die sexuelle Aufklärung allein nicht 
jede infantile Entwicklungsstörung verhindern muß, und kein Vernünftiger 
wird die Aufklärung so sehr überschätzt haben. Aber, und das ist das 
Verwunderliche, diese vollaufgeklärten Kinder benehmen sich in ihrem 
Leben und in der Analyse, als hätte die Aufklärung nie stattgefunden. 
Sie haben die Aufklärung in keiner Weise zur Kenntnis genommen. Ich 
hatte Gelegenheit, in zwei Fällen festzustellen, daß die Ablehnung der 
Aufklärung nicht sofort geschah, sondern erst einige Monate später. Und 
in einem Fall war auch ein Motiv für diese Ablehnung zu erkennen, 
Dieses Kind (Mädchen) erhielt auf seine Fragen mit drei Jahren von der 
Mutter alle nötige Auskunft und hat sie sehr wohl verstanden; denn als 
die Mutter sagte: „Dein Geschwisterchen wächst eben in meinem Bauche“, 
erwiderte die Kleine sehr lebhaft: Bitte, Mami, in meinem! Und mehrfach 
bewies sie durch Bemerkungen, daß sie die Sache voll verstanden hatte, 
Nach einem Jahr war alles völlig vergessen; als man ihr die Aufklärung 
neuerlich geben wollte, nahm sie keine Notiz davon und wollte in Zukunft 
nichts mehr davon hören, sondern benahm sich überaus prüde. Sie war 
nämlich bitter enttäuscht worden, da ihre Bitte nicht erfüllt worden war; 
das Schwesterchen war nun einmal nicht in ihr gewachsen. Sie hatte in 
der Zwischenzeit noch ein anderes Trauma erlitten: eine Öperation in 
Narkose. Aber der Raum gestattet nicht, den Fall ausführlich zu 
beschreiben, Hier genüge die Erkenntnis: die Aufklärung kann auch ver- 
drängt werden. 

Und wahrscheinlich ist dies sogar in einem gewissen Sinne immer der 
Fall. Freud hat uns gelehrt, daß die Kinder in frühem Alter sich ihre 
eigenen Theorien über den Unterschied der Geschlechter und über die 
Herkunft der Kinder machen. Leicht möglich, daß sie dabei auch von 
vererbten Dispositionen geleitet werden. Im großen und ganzen leisten 
sie damit aber eigene und wichtige Forscherarbeit. Sie gehen von den 
Daten aus, die ihnen ihre Erfahrung bietet, und ziehen daraus ihre 
Schlüsse, und zwar in ihrer, freilich kindlichen, eigenen Logik. So ver- 
schiedenartig die persönlichen Erfahrungen sein können, so verschieden 
sind die Theorien. Einige Voraussetzungen fehlen den Kindern aber bej 
dieser Forscherarbeit, die Schlüsse sind daher in manchen charakteristischen 


= 196 — 








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Punkten mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung. So fehlt den 
Kindern ganz allgemein die Vorstellung der Vagina. Man mag sie noch 
so richtig aufklären, dies Stück werden sie nicht annehmen, sondern bei 
der Theorie bleiben, die sie sich vorher bildeten: das Baby komme beim 
Mund, After, Nabel usw. heraus. Sie ziehen die Konsequenzen mit kind- 
licher Logik. Diese steht aber noch völlig unter dem Bann der Wünsche, 


hat sich von ihnen noch nicht befreit, wie die der Erwachsenen. Daher. 


lehnen die Kinder oft ein Stück der Aufklärung ab, weil es ihren 
Wünschen weniger entspricht, als ihre eigene Theorie. So ist es z.B. oft 
der Fall bei den Knaben, die es absolut nicht wahr haben wollen, daß 
nur der Frau Kinder gegönnt sein sollen. 

Was folgt daraus? Etwas sehr Einfaches und Selbstverständliches, das 
der Erzieher selbst aber nur ungern für wahr anerkennen möchte: daß 
die Aufklärung — wie jede Erziehungsmaßnahme — fast nie das erreicht, 
was sie anstrebt, sondern bestenfalls ein Kompromiß zwischen den 
Tendenzen des Erziehers und den Trieben der Kinder. Freilich sind die 
Kinder in der Mehrzahl zu gut erzogen; sie wagen es gar nicht, uns 
nicht zu glauben. Sie glauben uns, wenn wir ihnen das Storchmärchen 
erzählen, sie glauben uns, wenn wir ihnen die Wahrheit medizinisch 
korrekt erzählen, nämlich mit ihrem Bewußtsein, in ihrem Unbewußten 
glauben sie uns in beiden Fällen nicht, sondern ausschließlich ihren 
eigenen Erfahrungen und Wünschen. 

Jene Theorien bilden die Kinder gewöhnlich im dritten, vierten Lebens- 
jahre; das ist auch die Zeit, in der sie meistens zu fragen beginnen. Daß 
die Aufklärung, soll sie überhaupt einen Nutzen haben, auch so früh 
beginnen muß, ist selbstverständlich. Und trotzdem darf man sagen, sie 
komme immer zu spät. Denn das Kind fragt erst, wenigstens nachdrück- 
lich und mit wirklichem Interesse, wenn es sich eine Theorie gebildet 
hat und ihm eine neue Schwierigkeit auftaucht, oder wenn es Bestätigungen 
sucht. Daß man aber das Interesse der Kinder abwarten muß, ist eine 
wohlbegründete pädagogische Maxime. Die großen intellektuellen Probleme, 
die Entwicklung von Wißbegier und Forscherdrang, die ihm gerade die 
Sexualfragen bieten, kann man dem Kind nicht ersparen. Wohl aber kann 
man ihm ersparen, daß sein Intellekt gebrochen wird, indem es an die 
mit erwachsener Autorität vorgebrachten Märchen bewußt glauben muß, 
indessen es die ganze Sache selbständig forschend der Wahrheit bereits 
näher gebracht hat und nun gezwungen ist, sein Wissen ins Unbewußte 
zu verdrängen, 

Die Erleichterung der intellektuellen Konflikte ist Nutzen genug, den 
die Aufklärung leistet. Sie ist aber keineswegs die Lösung aller Konflikte, 
die mit diesem Thema sich für das Kind verbinden. Wir sehen das Kind 
zu sehr als Intellektwesen und viel zu wenig als das Trieb- und Sinnes- 
wesen, das es wirklich ist. Ursprünglich ist das Interesse des Kindes nicht: 


zu wissen, sondern: zu sehen und zu tun. Seine Frage: Woher kommen 











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die Kinder? ist oft das Resultat langer gescheiterter Bemühungen, selbst 
Kinder zu kriegen. Und dieser Wunsch bleibt triebhaft und unbefriedigt 
bestehen, auch wenn er intellektuell befriedigt ist. Nun will es das alles, 
was ihm erklärt wurde, auch sehen, und würde man ihm etwa auch 
dies aus unverstandener Kinderpsychologie erfüllen, so würde es not- 
wendigerweise ebenso unbefriedigt bleiben und würde nun alles tun 
wollen. Es muß ein großes Maß seiner Triebe unbefriedigt lassen, auf 
jeden Fall. Und aus diesem Zwange erwachsen jene Konflikte, die, so 
entwicklungsnotwendig sie sind, doch nicht abzusehende Schwierigkeiten 
und zuweilen auch Entgleisungen zur Folge haben. Neurose und Dis- 
sozialität sind bloß zwei Formen dafür. Der Drang zu tun, muß lernen, 
sich zum Teil durch bloßes Wissen zu befriedigen. Nicht immer gelingt 
dies; wir haben keine Mittel, es zu erzwingen. Die sexuelle Aufklärung 
ist dieses Mittel gewiß nicht. Aber sie verhindert wenigstens nicht gewalt- 
sam diese Verwandlung des Triebes, seine Sublimierung in Wißbesgier. 

Noch manche Überlegung ließe sich anstellen, manche Erfahrung 
heranziehen, aus denen sich immer wieder zeigen würde, daß die wissen- 
schaftliche Prüfung der sexuellen Aufklärung ihre Bedeutung und Wirk- 
samkeit einschränkt, sie als viel geringer nachweist, als die Pädagogen ver- 
meinen. Nebenbei gesagt, ist das die hauptsächlichste Funktion der Wissen- 
schaft in der Pädagogik, deren weit über die Erfahrung hinausgehenden 
Wünsche und Hoffnungen auf ein wesentlich reduziertes Maß einzu- 
schränken. Der wirkliche Wert der Aufklärung ist wahrscheinlich ein 
negativer: sie schädigt nicht, während die Methode, — wenn man das 
überhaupt eine Methode nennen will, — die Kinder zu belügen, sehr oft 
einen sicheren Schaden herbeiführt. Darüber hinaus aber wirkt sie kaum, 
gewiß nicht als Schlüssel zu zentralen Problemen der Erziehung. 

Ich möchte nicht mißverstanden werden. Ja, die Kinder sollen, so früh 
sie nur wollen, die Wahrheit von ihren Eltern und Erziehern erfahren. 
Nur soll man das nicht in der Überzeugung tun, dadurch etwas unver- 
gleichlich Wichtiges für die Erziehung getan zu haben. Man soll es selbst- 
verständlich tun. Man belügt doch niemanden, oder wenn man dazu 
genötigt sein sollte, so wird man doch nicht hoffen, für die Lüge 
besonderes Lob zu verdienen. Am wenigsten wird man Kinder belügen 
wollen. Der Verkehr mit ihnen ist schwierig genug; man kann es auf 
keine Weise rechtfertigen, wenn man durch Lügen die Atmosphäre trübt 
und sich so um wichtige Wirkungsmöglichkeiten bringt. Wer nicht 
dogmatisch ist, wird zwar zugeben, daß Situationen denkbar sind, in denen 
eine Unaufrichtigkeit dem Kind gegenüber am Platz ist. Aber man wird 
einen Fall erst nach genauer Überlegung, nur wenn die Nützlichkeit des 
Verfahrens außer Zweifel steht, so beurteilen. Die Fragen der Kinder nach 
dem Woher und Wie der Babys gehören ganz gewiß nicht in diese 
Kategorie. Die sexuelle Aufklärung ist kein besonderer Kunstgriff, keine 
eigene Methode mit ihren eigenen guten Folgen und Hoffnungen, sondern 


— 198 — 











ausschließlich Bestandteil, eine konkrete Bewährung des selbstverständlichen 
Prinzips der allgemeinen Achtung des Kindes und der sich daraus 
ergebenden Aufrichtigkeit ihm gegenüber. 

Und bloß in solchem Zusammenhang hat die Aufklärung jenen ein- 
geschränkten Wert, den man ihr auf Grund des heutigen Standes wissen- 
schaftlicher Erfahrung zusprechen kann. Wenn man in der pädagogischen 
Literatur die begeisterten Lobpreisungen der Aufklärung liest und zugleich 
erfährt, daß dieses gepriesene Verfahren im vierzehnten Jahre angewendet 
und verknüpft werden soll mit erbaulichen Ermahnungen über den sitt- 
lichen Ernst der Sexualfrage und mit Warnungen vor Ausschweifungen 
und geschlechtlicher Ansteckung, dann vermeint man die übertriebene 
Begeisterung zu verstehen. Denn die Anweisung, wie man und wann man 
Kindern Mitteilung über die Sexualvorgänge machen soll, scheint doch 
eine so sachliche Angelegenheit, so sehr eine Frage der Erfahrung, des 
Abwägens, des Für und Wider, zu sein, daß man schwer begreift, was die 
Fanfaren dabei sollen. Diese müssen doch die Aufmerksamkeit von der 
Hauptsache ablenken. Aber dies scheint gerade die Absicht zu sein. Indem 
man eifrig für die sexuelle Aufklärung eintritt, sich und der Menschheit 
tausend Nutzen von ihr verspricht, hat man der modernen Strömung 
genug getan, und kann alles übrige lassen, wie es ist. Alles übrige: die 
eigene Stellung zur Sexualität, die „Komplexe“ des eigenen Unbewußten 
und die gesamte Sexualerziehung braucht man nicht zu revidieren und 
mit Aufwand seelischer Arbeit neu zu gestalten. Die „sexuelle Aufklärung“ 
erspart diese Arbeitsleistung, man ist also mit Recht von ihr begeistert. 

Vielleicht gilt etwas ähnliches oft dort, wo die Pädagogik mit leiden- 
schaftlichem Enthusiasmus Methoden bekämpft und verteidigt und ganz 
große Versprechungen macht. Da heißt es mißtrauisch sein; denn die 
Erziehung ist eine schwierige, sachliche Angelegenheit. Die Hoffnungen 
müssen immer an den Erfahrungen erst geprüft werden, ein Verfahren, 
das allein den Namen wissenschaftlicher Erziehung verdient. 


SINTENTINITITNIITIINTITTNNTNTTITITTITTTTITTTTTTTTTTTITTTTTTTITITTTITTT TUT TT LT TTT IT TTTITTNTTITIT UT TTITTI N N 


Fine natürliche Schwierigkeit der Aufklärung 
Von Dr. med. Eduard Hitschmann, Wien 


Wenn Vertreter der psychoanalytischen Wissenschaft aufgefordert werden, 
zu Fragen der Erziehung oder sexuellen Aufklärung endgültig Stellung zu 
nehmen, so tun sie dies meist nur zögernd. Freud hat einmal deutlich 
genug erklärt, er sei Forscher, nicht Reformer. 

Uns scheint es so schwierig, zu sagen, was sein soll, da wir doch 








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erst daran sind, festzustellen, was ist. Erst wenn die unbewußten 
Triebkräfte sämtlich erforscht sind, welche die menschliche Seele heimlich 
bewegen, kann endgültig vorgeschlagen werden, wie bewußt zu erziehen 
wäre, z. B. wie Schäden der sexuellen Entwicklung verhütet werden 
könnten. Aus vielen individuellpsychologischen Erfahrungen heraus kann 
dann erst ein genereller Standpunkt gefunden werden. 

Vorerst müssen wir wissen, was in der kindlichen Psyche vorgeht, ehe 
wir darangehen, ihr Richtung und Weisung zu geben. Die Freud sche 
Tiefenpsychologie zeigt die unbewußten, vom individuellen Erleben, aber 
auch vom phylogenetischen Erbe beeinflußten latenten Kräfte am Werk 
und verfolgt sie bis zu ihrem Ursprung. Ein Beispiel hiefür ist unser Thema. 

Die psychoanalytische Forschung der letzten Jahre hat in der mensch- 
lichen Psyche einen überaus bedeutsamen, für gewöhnlich unbewußten 
Gedanken- und Gefühlskomplex aufgepfürt und mit dem Namen 
Kastrationskomplex bezeichnet. Durch Befunde bei Neurosen auf- 
merksam gemacht, und Beweismaterial aus der wissenschaftlichen Traum- 
deutung und aus der Mythologie herbeiholend, fand die Forschung durch 
intensive Beschäftigung mit der kindlichen Seele folgende Tatsachen: 

Die kleinen Knaben — über die entsprechenden Vorgänge beim 
kleinen Mädchen fehlt uns z. T. die Einsicht — nehmen sicherlich den 
äußeren Unterschied von Männern und Frauen wahr, aber sie haben 
zunächst keinen Anlaß, ihn mit einer Verschiedenheit ihrer Genitalien 
zusammenzubringen. Es ist dem kleinen Knaben natürlich, ein ähnliches 
Genitale, wie er es selbst besitzt, bei allen anderen Lebewesen, Menschen und 
Tieren, vorauszusetzen; ja wir wissen, daß er auch an unbelebten Dingen 
nach einem seinem Gliede analogen Gebilde forscht. Im Laufe dieser 
Untersuchungen gelangt das Kind — wir folgen hier der Darstellung 
Freuds — zur Entdeckung, daß der Penis nicht ein Gemeingut aller ihm 
ähnlichen Wesen sei. Der zufällige Anblick der Genitalien einer kleinen 
Schwester oder Gespielin gibt hiezu den Anstoß; scharfsinnige Kinder 
haben schon vorher aus ihren Wahrnehmungen beim Urinieren der 
Mädchen, weil sie eine andere Stellung sehen und ein anderes Geräusch 
hören, den Verdacht geschöpft, daß hier etwas anders sei, und dann 
versucht, solche Beobachtungen in aufklärender Weise zu wiederholen. 
Auf die ersten Eindrücke des Penismangels reagieren sie mit der Annahme, 
er sei noch klein, werde erst wachsen, und kommen dann langsam zu 
dem affektiv bedeutsamen Schluß, er sei doch wenigstens vorhanden 
gewesen und dann weggenommen worden. Der Penismangel wird als 
Ergebnis einer Kastration erfaßt, und das Kind steht nun vor der Aufgabe, 
sich mit der Beziehung der Kastration zu seiner eigenen Person auseinander- 
zusetzen. Für den Knaben gibt es zwei Wege: Der gesund Veranlagte und 
nicht Eingeschüchterte freut sich stolz seiner Männlichkeit; Knaben hingegen, 
die zu mehr oder weniger berechtigten Schuldgefühlen (Onanie) neigen, 
tragen Angst um ihr Glied und später den Charakter oft ungünstig 


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beeinflussende hypochondrische und Minderwertigkeitsgefühle davon. Die 
endliche Überzeugung von der Penislosigkeit des weiblichen Wesens führt zu 
Herabwürdigung des Weibes, Grauen vor ihm und allenfalls zur Disposition 
zur Homosexualität. Die kleinen Mädchen fühlen sich, wie die psycho- 
analytische Beobachtung lehrt, dem männlichen Geschlecht gegenüber 
durch den Minderbesitz der (äußeren) Genitalien ben achteiligt. Unfähig, 
eine primäre Benachteiligung seiner Person anzuerkennen, bildet das 
Mädchen, wie wir oft feststellen können, die Vorstellung: „Ich habe 
ursprünglich ein Glied wie die Knaben gehabt, aber es ist mir genommen 
worden“ (Abraham). In dem eifersüchtigen Mädchen werden nun zwei 
Reaktionen ausgelöst: Mit dem Antrieb, dem Knaben jenen Besitz zu 
nehmen, verbindet sich ein feindseliges Gefühl gegen den Bevorzugten. Die 
Vereinigung beider Reaktionen tritt uns als Neid und Eifersucht entgegen. 
Viele weibliche Personen, kindlichen oder reiferen Alters, leiden zeitweise oder 
dauernd unter der Tatsache, daß sie weiblich geboren sind; wir werden 
uns nicht wundern, bei ihnen den Wunsch, männlich zu sein, auf- 
zufinden. Eine große Reihe von Charakter- und Neurosentypen entspringen 
aus diesen Wurzeln. In Träumen und Wunschphantasien findet der Psycho- 
analytiker nicht selten, daß das Weib sich in die beglückende Wunsch- 
erfüllung versetzt hat, männlich gebaut zu sein oder männlich zu 
funktionieren. Ein anderer Typus neurotischer Frauen kann als Rache- 
typus bezeichnet werden; hier finden wir Phantasien, den Mann zu 
verstümmeln. 

Für eine sehr häufige und überaus bedeutsame Krankheit, nämlich die 
Geschlechtskälte (Frigidität) der Frau, liegt die Wurzel vorzugsweise in den 
psychologischen Folgen dieser scheinbaren Zurücksetzung durch die Natur. 
Die unbewußten Tendenzen, den Mann zu enttäuschen, ihm nicht in 
passiver Funktion, als Weib zu dienen, sind die häufigsten seelischen 
Ursachen der weiblichen Geschlechtskälte. Viele ehrgeizige Bestrebungen 
bei Mädchen und Frauen, dem Manne gleichzukommen, sich von den 
weiblichen Beschränkungen zu emanzipieren, auch das Verweigern, Kinder 
auszutragen, nehmen aus dem weiblichen Kastrationskomplex ihren Ursprung. 

Dies alles, weil die kindliche Forschung — das weibliche Genitale nicht 
entdeckt. Der Knabe hat dort etwas, das Mädchen „nichts“. Die 
meisten Kinder nehmen an, daß das im Leibe (Darm) der Mutter aus- 
getragene, zu gebärende Kind durch den Darmausgang geboren wird. Daß 
der weibliche Körper in seinem Inneren ein ebenso 
kunstvolles, mit allem Raffinement zur Erzeugung der 
Wollust ausgestattetes Organ besitzt, wie der männliche, 
bleibt dem kleinen Mädchen wie der frigiden Frau für immer unbekannt. 
Diese Tatsache erscheint, wie wir gezeigt haben, von einer so ungeheuren 
Bedeutung, daß die Anhänger einer sexuellen Aufklärung von hier aus 
ein gewichtiges Argument ableiten müssen; wer sich aber praktisch um 
diese Aufklärung bemüht, findet sich nicht belohnt, sondern enttäuscht. 


= 208: —— 








Man kann Kindern unmöglich die anatomischen Verhältnisse der Scheide 
klarlegen, die ja durch das Hymen fast verschlossen ist. Man kann dem 
kleinen Mädchen nicht vielleicht noch die Anregung bringen, das 
Undemonstrierbare an sich selbst zu untersuchen. Es bleibt also wohl nichts 
anderes übrig, wenn man glaubt, dem kindlichen Irrtum von der Zurück- 
setzung und Verkürzung des weiblichen Wesens und von der obligaten 
Kastriertheit des weiblichen Körpers in einem frühen Alter steuern zu 
sollen, als sich mit allgemeinen Andeutungen zu begnügen. 

Das weibliche Geschlecht hat aber wahrhaftig ein Recht darauf, daß 
dieser so bedeutungsvolle Irrtum wenigstens sofort richtiggestellt wird, 
wenn das Fassungsvermögen der heranwachsenden Mädchen es ermöglicht. 
Die Gesundheitslehre des Lyzeums und der Mittelschule 
hätte also die Pflicht, hier aufklärend zu wirken, wohl auch gleichzeitig 
die sittlichen Hemmungen zu verstärken. 

Die psychologischen Folgen der Einbildung einer Verkürztheit durch dies 
weiblich Geborensein, die Konsequenzen für den Charakter sind aber damit 
kaum mehr abzuwenden. Denn das wahre Wesen des menschlichen 
Individuums ist schon im fünften bis achten Lebensjahr entschieden; 
Anlage und frühes Erleben liefern die Bausteine. So bleibt denn das 
Wichtigste, daß wissende Erzieher, wissende Ärzte und wissende Eltern 
die zarten Pflanzen der Heranwachsenden dauernd beobachten und behüten, 
daß neben diesem Wissen dann Liebe und Instinkt — individuelle Eigen- 
art sich entwickeln lassen, zum eigenen und allgemeinen Wohl. 

Vermutlich erscheint einem Teil der Leser die große Bedeutung und 
der Umfang der weiten Ausstrahlung des Kastrationskomplexes, ja, das 
Vorhandensein dieses seelischen Komplexes selbst unwahrscheinlich ; weiters 
die Behauptung, daß sich das Interesse kleiner Kinder so intensiv den 
Geschlechtsorganen zuwendet, unsympathisch, konstruiert. Da aber hier nicht 
der Ort ist, um eklatante Beweise aus der psychoanalytischen Untersuchung 
anzuführen, so seien folgende indirekte Beweise vorgebracht: 

Die Psychoanalyse hat vielfach nachgewiesen, daß Haeckels biogenetisches 
Grundgesetz auch auf psychologischem Gebiete zu Recht besteht. Sowie das 
menschliche Individuum als Embryo die ganze Entwicklung von der Tier- 
reihe zum Menschen wiederholt, so wiederholen sich im Kinde die Stadien 
der Menschheitsentwicklung vom primitivsten bis zum Kulturmenschen. 
In frühen Stadien der Kultur ist der Phallus von hervorstechender 
Bedeutung. Den Geschlechtsorganen und -funktionen war in primitiven 
Kulturen eine ungeheure Wichtigkeit beigelegt, von der wir uns durch 
die Ergebnisse der ethnographischen Forschung, die in Kult und Mpythus 
erhaltenen Reste, eine annähernde Vorstellung machen können. Was das 
Thema der Kastration anbelangt, so sei hier erinnert, wie oft in der ver- 
gleichenden Mythengeschichte sich das Motiv derEntmannung nach- 
weisen läßt. (Ägyptischer Mythus von Isis und Osiris; Mythus von Uranos; 
Orestes; verhüllter im Zerstückelungsmotiv usw.) 


— 10% — 








| 





Der Begriff der Kastration, des blutigen Wegschneidens, fällt ins Gebiet 
sadistischer Phantasiebildung; in der Entwicklung des Kindes wird er nicht 
selten in den Vordergrund des Bewußtseins geschoben durch die Bedrohung 
des mit seinen Genitalien spielenden Kindes mit dem Weeschneiden des- 
selben, mit der Ankündigung, dasselbe werde verfault abfallen usw. Solche 
Drohungen sind entschieden verwerflich, zumal die ärztliche Erfahrung 
ergeben hat, daß nicht die normale Onanie von Schaden ist, sondern es 
durch die Schuldgefühle und hypochondrischen Erwartungen, die mit ihr 
verknüpft werden, erst wird. 

Ein ungekränkter NarziBmus, das ist eine ungeschmälerte Selberliebe, 
Vertrauen zur eigenen Kraft und Gesundheit, Zufriedenheit mit der eigenen 
Gesamtpersönlichkeit, kann aber nur bestehen, wenn solche Ein- 
schüchterungen und Krankheitsandrohungen unterblieben sind. Auch hier 
sehen wir wieder, daß im Unbewußten Selbstgefühl und Selbstvertrauen 
mit der Sexualität im Zusammenhang stehen. In der Pathologie der 
Neurosen findet sich immer wieder der Kastrationskomplex als eine 
von den Wurzeln ihrer Psychogenese. Es seien als wichtigste erwähnt: 
Frigidität der Frau, psychische Impotenz des Mannes, Errötungsangst, 
Hypochondrie. Nach neuesten Feststellungen ist aber derjenige, der aus 
dem Kastrationskomplex Minderwertigkeitsgefühe ableitet und sich damit 
Weiblichkeit, Schwäche und Erkrankungsneigung suggeriert, auch tatsächlich 
das Opfer wiederholten, mehr oder weniger schweren organischen 
Erkrankens. Auch das organische Erkranken ist seelisch disponiert. 
Angst, Schuldgefühl und Strafbedürfnis sind mit am Werk. 


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Zur Sexualforschung des Kindes 
Von Ernst Schneider 


Eine Mutter suchte meinen Rat, weil ihr sechseinhalbjähriges 
Töchterchen Erna seit vier Jahren fast regelmäßig jede Nacht das Bett 
näßte. Nach verschiedenen erhaltenen Mitteilungen schien eine psycho- 
analytische Behandlung Heilung zu versprechen. Ich schlug eine solche 
vor. Die Mutter war sehr skeptisch, willigte aber ein, weil sie schon alle 
möglichen Mittel erfolglos angewandt hatte. Erna wurde nun gesagt, sie 
dürfe regelmäßig zum Onkel Professor gehen, um ihm Geschichten zu 
erzählen. Die Kleine, ein gut aussehendes, frisches Mädchen, sprach gerne. 
In den Analysen ließ ich sie erzählen, unterbrach nur, um Unklares auf- 
zuhellen, auch ließ ich merken, daß ich mich besonders für Träume interessiere. 








Das erhaltene Material will ich hier in zwiefacher Hinsicht verarbeiten. Einmal 
möchte ich über die kindliche Sexualforschung, die anfangs im Mittel- 
punkt stand, berichten und dann das Symptom des Bettnässens aufzulösen 
versuchen. Der heutige Aufsatz ist der ersten Frage gewidmet. Ich werde 
also im folgenden das herausarbeiten, was zum Problem der Zeugung und 
der Geburt gehört. Die Erzählungen des Kindes stehen in Anführungs- 
zeichen, meine Fragen oder Bemerkungen an das Kind in eckigen 
Klammern —=[]. Das übrige ist verbindender und erläuternder Text. Die 
Zahlen beziehen sich auf die Nummer der Sitzung. 

1) Erna erzählt von ihren Puppenspielen und meint dann: „Weißt du, 
wenn ich groß bin, dann will ich vier Kinder haben. Ich bin dann mit 
Willi verheiratet. So wie Mammi. Sie hat auch drei Kinder. Eines soll 
noch kommen.“ — [Woher soll es denn kommen ?] — „Erst dachte ich, der 
Storch hole die Kinder aus dem Wasser. Dann dachte ich, ein Engel 
bringe sie vom Himmel. Das steht so in den Büchern, und deshalb ist es 
nicht wahr. Jetzt weiß ich, daß die Kinder von der Mamma kommen.“ 
— [Woher weißt du das?] — „Das habe ich mir selbst ausgedacht. Ein 
Engel legt sie der Mamma ins Herz.“ 

Nach den Mitteilungen der Mutter stammt die Storchen- und Engel- 
geschichte aus der weiteren Umgebung des Kindes. Als die Kleine die Frage 
nach der Herkunft der Kinder an die Mutter stellte, bekam sie als Antwort, 
die Kinder wüchsen unter dem Herzen der Mutter, so wie im Ei sich ein 
Hühnchen entwickle. Die Storchen- und Engelgeschichten seien nicht 
wahr, das stehe nur so in den Büchern. Was Erna sich „ausdachte“, das 
ist ein Kompromiß der beiden Quellen der Aufklärung. 

Erna erzählte nun weiter von ihren Puppenspielen, besonders wie sie 
mit ihren Brüdern „Familie“ spielte. Sie hat zwei Brüder: Fritz, neun- 
jährig, und Paul, vierjährig. Im Spiel ist meistens Fritz der Vater, Erna 
die Mutter und Paul das Kind. 

„Einmal haben wir eine Puppe unter den Stuhl gelegt. Dann sind wir 
schlafen gegangen. Paul mußte dann die Puppe holen und sie bringen. 
Ein andermal mußte Paul in ein Zimmer gehen. Er wurde dann gerufen, 
ins Bett gelegt, mit vielen Kissen zugedeckt und gepflegt.“ 

Als Erna nach der vorhin berichteten Aufklärung die Mutter fragte, 
wo denn das Kind herauskomme, so antwortete diese, sie sei in der Klinik 
gewesen und habe geschlafen. Als sie erwachte, sei das Kind da gewesen. 
Sie konnte also nicht sehen, wo das Kind herausgekommen war. Erna 
bekommt auch ein Kind, während sie schläft. Im übrigen scheint im Spiel 
die Lösung dervon der Mutter offengelassenen Geburtsfrage versucht worden 
zu sein. Ich stellte nun die entsprechende Frage. 


[Wie kommen denn die Kinder von der Mutter?] — „Aus dem Munde. 
Fritz hat von einer Frau auf dem Lande erzählt, die so ein Kindchen 
bekommen hat ...., oder von hier (zeigt auf die Brust). Hier geht’s los, 


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das Kind kommt heraus, und dann wächst’s wieder zu. 


— 204 — 





Jetzt erkundigt sich Erna nach unseren kleinen Hunden, die wir vor 
kurzem erhalten hatten. [Wo sind denn die hergekommen?] — „Auch aus 
dem Magen. Unsere Katze bekam auch Junge aus dem Magen. Sie hatte 
schwarze Kinder, so wie der Kater des Nachbars aussieht. Nicht er hat sie 
geboren, aber der Kater hat unsere Katze gesehen. Er ist ja der Vater 
unserer kleinen Katzen.“ — [Gesehen hat sie der Kater?] — „Eigentlich 
zankten sie sich. Der schwarze Kater läuft immer unserer Katze nach.“ 
Erna erzählt noch weiter von den kleinen Kätzchen, wie sie diese zu sich 
ins Bett genommen habe, usw. Sie hat uns mit zwei Geburtstheorien und 
auch mit Anschauungen über die Zeugung bekannt gemacht. 

2) „Paul spielt manchmal kleines Mädchen. Ich flechte ihm ein Haar- 
band in die langen Haare und ziehe ihm ein Röckchen an. Er hat vor 
ein paar Tagen ein Kleid von mir angezogen. Er ist jünger als ich. Fritz 
ist ein Jahr jünger, nein, älter als ich.“ — [Du möchtest wohl gerne älter 
sein als Fritz?] — „Ja, ich möchte, daß ich neun Jahre alt wäre und 
Fritz noch nicht.“ — [Und wenn du so alt wärest?] — „Dann könnte ich die 
Hausfrau sein, wenn Mammi nicht zu Hause ist.“... „Eine meiner 
Puppen hatte lange Haare. Wir haben sie abgeschnitten. Die Puppe Gisela 
hatte lange Haare. Mit ihr spiele ich Junge. Ich hatte einmal einen 
Jungen, Den zerriß mir der Hund. Auf dem Tennisplatz fand ich die 
Augen. Er hieß Friedel und war der einzige Junge aus Mammas Kinder- 
zeit. Er hatte sich eine Hand gebrochen. So habe ich ihn bekommen ... 
Ich spiele lieber mit dem Nachbarsjungen. Er ist kleiner als Paul und 
sieht aus wie ein Bebechen. Er hat kurze Haare, nicht so lange 
wie Paul.“ 

Aus Buben werden Mädchen und aus Mädchen Buben. Die Spielkinder 
sind Buben, ihr Merkmal kurze Haare. Es sei hier auf spätere Erzählungen 
Ernas verwiesen. 

3) Erna erzählt einen Traum: „Der Fritz trägt die Anna, und dann 
klettern sie über das Geländer des Balkons. Die Anna fällt hinunter, denn 
sie dachte, es schickt sich nicht, daß der Gast fällt, und dann ließ sie 
sich fallen. Und dann sitzt die Anna auf der Erde und lacht.“ — [Wer 
ist die Anna?] — „Ich war einmal bei ihr am Strand. Sie ist neun Jahre 
alt, glaube ich. Ich habe zwei Nächte dort geschlafen und bin aus dem 
Bett gefallen. Als ich ein Jahr alt war, fiel ich auch aus dem Bett. Fritz 
und ich, wir schliefen einmal in Papas Bett. Der Papa war im Krieg. 
Einmal habe ich geträumt, ich sei mit der Mamma im Bett, beide fielen 
hinunter. Die Mamma wachte auf und hob mich ins Bett.“ 

Jetzt folgt ein zweiter Traum. Die Mutter hat ihn mir vor der Stunde 
erzählt und dazu bemerkt, Erna habe ihn ihr mitgeteilt, zuerst bloß 
teilweise, den Rest wollte sie nicht vorbringen, weil sie glaubte, die 
Mutter werde böse werden, Erna schrie in der Nacht auf und rief nach dem 
Kindermädchen. Der Traum lautet in der Erzählung des Kindes: „Auf 
einem Hügel lag ein Mann ohne Haut und ohne Hand. Die Hand lag 


— 205 — 


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weit weg. Ein Wolf kam auf mich los. Paul schlug ihm ein Auge aus, 
und ich dachte: Jetzt kann er mich nicht mehr sehen. Er sah mich aber 
mit dem anderen Auge. Er schnappte nach meiner Hand. Da fühlte ich, 
daß seine Zähne alle wackeln, und ich brach sie ihm alle aus, damit er 
Fritz und Paul nicht mehr beißen kann.“ 

Aus dem ersten Traum dürfte ersichtlich sein, daß Anna = Ema = 
Mutter einander gleichgesetzt werden, und zwar als die Hinunterfallenden. 
Die weitere Auflösung wollen wir verschieben, bis wir mehr Material 
haben. Der zweite Traum knüpft offenbar an das in der vorigen Stunde 
erzählte Schicksal der von der Mutter erhaltenen Puppe Friedel an, die 
sich eine Hand gebrochen hatte und die der Hund zerriß. Auch die 
herausgerissenen Augen kommen im Traume vor. Ob er aus dem gleichen 
Gedankenkreise stammt, wie die Erzählungen der letzten Stunde, das 
wollen wir später untersuchen. 

4) Ema erzählt einen Traum ihres Bruders Fritz: „Wir haben zwei 
Sorten Ziegen, Muschi und Trini. Die Knechtsfrau sperrt sie in den Stall, 
jede Sorte in einen anderen. Paul vertauscht sie aber, so daß in jedem 
Stall gleichviel Muschi und Trini sind, und deshalb bekommen sie Kinder. 
Auf beiden Seiten sind Männchen und Weibchen. Das ist auch bei den 
Kaninchen so. Die Ratte frißt die Jungen. Die Männchen müssen acht- 
geben, daß keine Ratten kommen. Das Männchen ist schrecklich böse. 
Bei der Ziege muß das Männchen sorgen, daß die Ziegenkinder nicht von 
der Kuh gestört werden. Auch bei den Gänsen ist das Männchen böse, 
Es schützt die Gans beim Brüten.“ 


[Und bei den Kühen?] — „Einmal beim Mittagessen, da kam die 
Köchin und sagte, die Kuh habe ein Kälbchen bekommen.“ — [Ist da auch 
ein Vater?]| — „Nein, die Kuh bekommt so ein Kälbchen. Der Ochse stößt 


die Kuh, er muß weggenommen werden. Die Kaninchen bekommen nur 
Kinder, wenn ein Männchen dabei ist, bei den Kühen ist es umgekehrt, 
bei den Ziegen einerlei. Das Ziegenmännchen stößt nie die Mamma, wie 
bei der Kuh.“ 

[Und beim Hund?] — „Der Hundevater stört niemals. Es ist gleich, ob 
er dabei ist oder nicht. Da die Mutter selbst bellen kann, ist der Hunde- 
vater nicht nötig. Ich weiß nicht, warum die Kaninchen- und Ziegen- 
mütter nicht selbst böse sein können.“ 

[Und der Menschenvater?| — „Mich und Paul hat Mamma bekommen 
ohne Vater, in der Kriegszeit, als Papa weg war. Der Fritz ist in der 
Klinik geboren. Ich habe mir einmal eine Geschichte ausgedacht mit 
spassigen Namen von Menschen: ein Vater, eine Mutter und ein Kind. 
Ich spielte die Mamma, Fritz den Papa und Paul das Kind. Fritz war 
fünf Jahre alt, ich zwei und Paul ganz klein. Als ich vier Jahre alt war, 
durfte ich Paul bis zum fünften in meinem Bettchen haben. Dann wurde 
er wieder zur Mamma gebracht. Er aber schrie. Er wollte wieder zu mir 
kommen. Er tat so, als ob ich die Mamma wäre.“ 


— 200 — 





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An dieser ausgedachten Geschichte fällt die Rückdatierung auf, und 
zwar ungefähr in die Zeit der Geburt des kleinen Paul. Erna macht sich 
zu dessen Mutter. Er will bei ihr bleiben. Daß es sich wirklich um aus- 
gedachte Geschichten handelt, verrät schon die Tatsache, daß die Mutter 
streng darauf sah, daß von den Kindern jedes in seinem Bettchen schlief. 
Die spassige Geschichte dürfen wir so lesen: „Ich bin (bzw. möchte sein) 
die Mamma. Paul ist mein Kind. Ich habe ihn geboren. Fritz, d. i. der 
Papa, ist der Vater.“ Die rückdatierte Phantasie folgte spontan der 
Erzählung über die Geburt der Kinder, wo der Vater zur Seite geschoben 
wird. Die voraufgehenden Mitteilungen beschäftigten sich unverkennbar 
mit der Frage nach der Holle des Vaters. Erna hat offenbar die Frage 
gelöst, denn sie scheint den Traum des Bruders, in dem der kleine Paul 
gescheiter ist als die Knechtsfrau, verstanden zu haben. Sie weiß, wie die 
Kaninchen zu Kindern kommen, lenkt dann sofort ab und überweist dem 
Männchen die Rolle des Beschützers. Sie folgt damit, wie ich feststellen 
konnte, der erhaltenen Aufklärung durch die Mutter, läßt aber durch- 
blicken, daß sie die Mutter durchschaue, ebenso wie Paul die Knechtsfrau. 
Sehen wir uns das Bösesein des Männchens noch etwas näher an. Es soll 
den Zweck haben, Mutter und Kinder zu schützen. Dabei fällt auf, daß 
der böse Ochse gerade wegen dieser Eigenschaft entfernt werden muß, 
und daß die Kuh „so“, d. h. ohne „Mann“ ein Kind bekommt. Hat 
vielleicht das Bösesein für das Kind einen auderen Sinn gehabt, wollte es 
sich darüber bei der Mutter Klarheit verschaffen, und hat ihm dann diese 
die Vorstellung des Schutzes vermittelt? Erna hat uns früher zu verstehen 
gegeben, daß der schwarze Kater eine Beziehung hat zu den schwarzen 
Kindern einer andersfarbigen Mutter, jener Kater, der die Katze „angeschaut“ 
hat, „eigentlich mit ihr zankte“. Dürfen wir annehmen, das Bösesein des 
Männchens habe etwas mit der Vorstellung von der Zeugung zu tun? Wir 
vermuten, daß Erna die Begattung bei den Kühen und wahrscheinlich 
auch anderswo beobachtet hat, und daß sie diese als etwas Gewalttätiges 
auffaßte. Hier setzte dann die Verdrängung ein. Das Bösesein wurde nur 
im Sinne der mütterlichen Aufklärung beibehalten, und zwar dort, wo, 
wie bei den Kaninchen, ein Männchen dabei sein muß, wenn sie Kinder 
bekommen. Beim Ochsen und beim Menschen wird der Vater entfernt, 
da bekommen die Mütter ohne Vater Kinder. Die Kleine identifiziert sich 
ja unverkennbar mit der Mutter. Sie möchte auch Kinder haben. Ihr 
Entstehen ist aber mit Gewalttätigkeit verbunden. Die Angst davor dürfte 
die Verdrängung bewirkt haben. Hier können wir ein Stück des Wolfs- 
traums aus der dritten Sitzung verstehen. Aus diesem Traum erfolgte 
Aufschrecken. Die Mutter sagte mir, daß das erste Aufschrecken im Alter 
von etwa zweieinhalb Jahren erfolgte. Erna schrie und behauptete, ein 
Wolf sei im Zimmer. Sie wurde von der Mutter ins Bett genommen. 
Diese war damals schwanger, und die Kleine soll von den Kinds- 
bewegungen gestoßen worden sein, worauf sie schrie: Der Wolf ist im 


— 207 — 











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Bett! Sie wollte nicht mehr da bleiben. Der Pavor wiederholte sich noch 
einigemal und blieb dann weg. Es ist eine analytisch bekannte Tatsache, 
daß das nächtliche Aufschrecken bei Kindern häufig durch die Belauschung 
des elterlichen Verkehrs ausgelöst wird. Ein treffendes Beispiel finden die 
Leser in den Beobachtungen einer Mutter in dieser Zeitschrift (Nr. 6, 
S. 186). Hinter dem Wolf verbirgt sich der Vater. Im erwähnten Traume 
wird ihm ein Auge ausgeschlagen, damit er nicht mehr sehen kann. Es 
ist dies ein Schutz, eine Abwehr des Böseseins. Dabei werden Sehen und 
Bösesein gleichbedeutend gebraucht, wie in der Erzählung vom schwarzen 
Kater. Sehen wir zu, ob der weitere Verlauf der Analyse uns 
recht gibt. 

f) Erna erzählt einen Traum: „Paul guckt zum Fenster hinaus und 


sagt: Rulka hat Kindchen bekommen. Er ruft: Rulka ist doch eine 


Mamma. Der Knecht bringt einen Wagen mit Holz und Pferden davor. 
Rulka wird böse und wirft den Wagen um, und das Holz fällt auf den 
Mann. Paul kommt und läuft mit Rulka weg, damit der Knecht auf- 
stehen kann.“ 

„Aulka ist der Nachbarshund. Er ist böse. Er hat einmal den Knecht 
ins Bein gebissen, nein, in die Hand. Er ist aber ein Väterchen. Papa 
kann niemals Kinder bekommen. Einmal sagte Mamma, der Nachbarshund 
sei ein Väterchen, und der hat doch sechs Kinder bekommen. Vor zwei 
Jahren habe ich es herausgekriegt, daß Papas keine Kinder bekommen. 
Ich dachte einmal, heute werde Papa ein Kind bekommen. Er bekam 
aber bis jetzt noch keines... Ich kann nur bei Hunden und Kühen 
unterscheiden, ob sie Männchen seien, und auch bei Schweinen. Die haben 
so ein Pumperchen unten am Magen.“ 

„Ich habe Paul verkleidet und ihm Zöpfe geflochten. Dem Fritz kann 
ich vorn Zöpfe flechten. Er will es nicht haben. Ich mache mir mit dem 
Haarband ein Horn auf der Stirne, und dann muß Fritz lachen, Einmal 
fragte mich Fritz: ‚Was spielst du da so im Dunkeln?‘ Ich sagte: ‚Ich 
spiele Hundchen, und Paul ist das Kind.‘ Ich bin der Hund, und der 
bekommt doch keine Kinder, er ist ja ein Väterchen.“ 

Die Mitteilungen dieser Stunde beschäftigen sich weiter mit der Rolle 
des Vaters, besonders mit der Frage: Kann er auch Kinder bekommen? 
Die Lösung, die Erna früher fand, findet auch der Traum: Ein männlicher 
Hund bekommt Junge. Es ist zu vermuten, daß das zweite Traumstück 
dasselbe Problem in Anwendung auf den Menschen, und daher in ver- 
kleideter Darstellung, behandelt. Aus der Analyse wissen wir, daß Träume 
vom Um- und Ausleeren eines Wagens Niederkunftsträume sein können. Wagen 
und Knecht „kommen nieder“. Fallträume müssen überhaupt häufig als 
Geburtsträume angesprochen werden. Man nimmt an, daß der Traum- 
dichter diese bildliche Darstellung aus dem Erlebnis der eigenen Geburt 
herhole, wo man mit großer Kraft, Kopf voran, nach unten gestoßen 
wurde. Ziehen wir noch andere Träume Ernas mit der gleichen Bilder- 


+ 208 — 








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sprache bei! Die Mutter erzählte mir vor Beginn der Analyse einen Traum 
Ernas, den diese wiederholt geträumt habe. Ich ließ ihn mir auch von 
der Tochter erzählen. Er lautet: „Mein Lieblingshühnchen kommt zum 
Fenster hereingeflogen und klopft unten an der Bettstelle. Ich erwache, 
stehe auf, hebe es ins Bett und lege es an meine Seite so unter den 
Arm (drückt beide Hände an die rechte Brust). Dann ist’s schön warm.“ 
Hier wird das Hühnchen wie ein zu stillendes Kind an die Brust gehoben, 
Das Klopfen entnimmt der Traum wohl einer Mitteilung der Mutter, daß 
das Hühnchen im Ei, wenn es herauskommen wolle, die Schale aufpicke. 
Das Aufstehen und Emporheben dürfte dann eine Darstellung der Geburt 
sein (Niederkunft und Hebamme). Einen weiteren Beitrag zur Auflösung 
dieses Iraumes als Geburtstraum werden wir später hören, wenn wir das 
Symptom des Bettnässens aufzulösen haben. 

Können wir jetzt auch den Traum von der Anna aus der dritten 
Sitzung verstehen? Wir sagten dort schon, daß Anna, Erna und die Mutter 
im Hinunterfallen einander gleichgesetzt werden. In den der Traumerzählung 
folgenden Aussagen wird etwas Ähnliches vorgebracht, wie wir es aus dem 
Hühnchentraum kennen: Die heruntergefallene Mamma wacht auf und 
hebt das Kind ins Bett. Auch im Puppenspiel (erste Sitzung) wurde das 
„Kind“ aufgehoben. Die folgende Auflösung des Traumes fügt sich leicht 
in den Zusammenhang der Gedankengänge, wie sie Erna kundtat, ein: 
„Ich möchte wie die Mutter auch ein Kind haben. Fritz soll der 
Vater sein.“ 

Das Hinunterfallen hat aber noch einen anderen Sinn. Er ergibt sich 
aus der gegenteiligen Tätigkeit, dem Hinaufsteigen. Fritz klettert mit 
Anna hinauf. Wir haben es hier mit dem jedenfalls von Erna oft 
beobachteten Aufsteigen bei Tieren und dem Oben und Unten zu tun. 
Erna wuchs inmitten von Kühen, Hunden und allerlei Geflügel auf. 
Den Traum von der Anna würden wir also auch als Zeugungstraum 
ansprechen. 

Sehen wir uns nun wieder den Traum von Rulka an! Rulka bringt 
den Knecht und den Wagen zu Fall. Das Bösesein des Hundes dürfen 
wir hier in der früher besprochenen Bedeutung auffassen. Dazu paßt der 
Einfall, daß Rulka den Knecht „einmal ins Bein, nein, in die Hand 
gebissen hat“, Im Knechtshause, wo auch Kinder geboren wurden, hat 
sehr wahrscheinlich Erna die Storchenfabel gehört und so auch vernommen, 
daß der Storch die Mutter ins Bein gebissen habe. Im Traume tritt Rulka 
zuerst in der weiblichen Bedeutung auf, dann in der männlichen. Der 
Knecht wird zur Frau gemacht, resp. zum Mann, der Kinder bekommen 
kann, wie im ersten Traumstück der Hund. Wir haben schon in der 
zweiten Sitzung gehört, daß Erna aus Buben Mädchen und aus Mädchen 
(Puppen) Buben macht. In dieser fünften Stunde erzählt sie neuerdings, 
wie sie die beiden Brüder in Mädchen verwandelte, sich aber in einen 
Buben (Hundespiel). Das Horn, das sie sich mit dem Haarband auf der 


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Stirne anbringt, hat offenbar männliche Bedeutung und ist das Gegenstück 
zum Zöpfeflechten bei den Buben. 

6) „Ich habe E. B. gespielt. (E. B. ist ein Herr von 2, Jahren.) Er 
gefällt mir. Er kam zu uns tanzen. Er ist noch furchtbar jung. Es kommt 
mir vor, wie wenn Mammi älter ist als Papa. Es kann aber nicht sein, 
weil Papa größer ist. Er sieht aber jünger aus,” 

Es ist dies eine häufige Vorstellung der Mädchen, daß die Mutter viel 
älter sei als der Vater. So sagte ein anderes Mädchen zur Mutter: „Mamma, 
du bist schon alt und wirst bald sterben.“ Die 35jährige Mutter erwiderte: „Ich 
bin sechs Jahre jünger als Papi.“ Die Kleine darauf: „O nein, Papi ist noch 
ganz jung.“ — Bei den Knaben ist gewöhnlich die Mutter die „ewig 
Junge“. Ein Herr beschrieb seiner Braut die Mutter als junge Dame. Sie 
war dann überrascht, als sie eine würdige Frau von 70 Jahren kennen 
lernte. Dieser Herr hatte während der Analyse Mühe, sich an den Gedanken 
zu gewöhnen, daß seine Mutter alt geworden sei. Er hielt illusionshaft an 


ihrem Jugendbild fest. 

7) Erna hat wieder geträumt. Sie gibt vor, den Traum vergessen zu 
haben, und beginnt „Geschichten“ zu erzählen: „Wenn Fritz groß ist, 
dann ist er ein Förster und ich bin dann das, was Mammi. Er geht 
dann auf die Jagd und bringt viele Tiere und bekommt dafür viel Geld. 
7u Hause sind zwei Kinder und eine Mamma und ein Onkel. Paul ist 
der Onkel. Wenn Fritz zu Hause ist, dann bin ich die Frau. Als Mammi 
die letzten Tage auswärts schlief, dann ging ich zu Fritz ins Bett... Ich 
möchte haben, daß Paul älter ist als ich. Ich möchte entweder das Jüngste 
oder das Älteste sein, Fritz das Mittlere. Jünger oder älter sein, ist besser.“ 


[Warum?] — „Ich weiß nicht. Es ist besser, älter zu sein als Fritz. Ich 
könnte dann allein zur Schule (Kindergarten) gehen. Wenn ich älter wäre, 
dann wäre Mamma auch älter... Eines weiß ich nicht, warum 
Geschwister sich nicht heiraten können.“ [Du möchtest wohl den Fritz 
heiraten?] — „Ja, das möchte ich furchtbar gerne. Mamma sagt, daß sich 
Geschwister nicht heiraten können. Dann möchte ich den Ernstel, deinen 
Jungen, heiraten.” — Hier haben wir Tagträume. Die Angabe, daß die 


Mutter in den letzten Tagen auswärts schlief, stimmt nicht. Da es Erna 
' verboten ist, zu Fritz ins Bett zu gehen, realisiert sie ihre Wünsche 
in der Phantasie. Die Mutter wird entfernt und älter gemacht, anscheinend 
zur Großmutter. Erna rückt zur Mutter vor. Der Jäger ist offenbar eine 
Verdichtung des jungen Vaters und des Bruders. 

8) „Alsich vier Jahre alt war, sagte ich, ich möchte ein Junge und 
Fritz und Paul wollten Mädchen sein. Paul will jetzt noch kein Junge 
sein.“ [Was willst du werden?] — „Schauspielerin. Fritz kann dann 
kommen und sehen, wie ich auf dem Pferde sitze. Das verstehe ich schon 
heute. Fritz war einmal auf dem Pferd. Es war böse, er hatte Anest. 
Seither will er nicht mehr hinauf. Einmal war ich auf dem Pferd mit 
Fritz. Es wurde böse. Fritz hatte Angst, ich nicht.“ 


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„Gestern habe ich mir ausgedacht, daß ich von irgend einem Förster 
die Frau sein werde. Nur verstehe ich schlecht zu zeichnen. Weißt du, 
warum Fritz so wunderbar zeichnet? Wenn ich dabei bin, dann sag’ ich, 
was er machen soll.“ [Warum willst du eine Förstersfrau sein ?] — „Dann 
kann mir Fritz schöne Tierchen mitbringen. “ [Fritz soll also der Förster sein 2] — 
„Ja, aber ich denke, daßich zu groß für Fritz bin.“ [Er ist ja älter und größer 
als du.] — „Die Frau muß sechs Jahre jünger sein, dann kann man sich 
heiraten. Paul ist sechs Jahre jünger als Fritz, aber Herren können sich 
nicht heiraten. Mammi ist auch sechs Jahre jünger als Papi. Es sieht aber 
so aus, als ob Mammi älter wäre... Weißt du, warum es traurig ist, 
wenn zwei Frauen sich heiraten? Sie bekommen keine Kinder, weil sie 
keinen Mann haben. Wir warten auf ein Schwesterchen. Es kommt aber 
keines. Fritz betet dafür, ich nicht.“ 

Jetzt wird uns der Sinn der schon wiederholt aufgetauchten Vertauschung 
der Geschlechtsrolle verständlich. Erna möchte ein Junge sein, sie beneidet 
| ihre beiden Brüder. In Spielen und Tagträumen macht sie sich zum | 
| Knaben. Wiederholt hat sie sich mit den Brüdern, dem Vater oder anderen 
| männlichen Personen identifiziert, z. B. mit E. B. (sechste Sitzung). Wenn 
| sie behauptet, Paul wünsche noch heute ein Mädchen zu sein, so stimmt 
| das nicht. Sie steckt ihn allerdings häufig in Mädchenkleider, obgleich er 
| heftig dagegen protestiert. Was sie mir von den Pferden erzählt, verhielt 
sich nach den Mitteilungen der Mutter umgekehrt. Sie hatte Angst, Fritz 
war der Mutige. Daß Fritz gut zeichnen kann und sie nicht, das bedrückt 
sie schwer. Wie sie ihre Angst durch eine Identifikation mit dem Bruder 
als mutige Reiterin verdeckt, so findet ihr Minderwertigkeitsgefühl im 
Zeichnen einen Ausgleich in der Annahme, daß Fritz seine Fähigkeit ihr 
| verdanke. 

Wieder wie in früheren Sitzungen ist für Ernas Heirat das Vorbild der 
Eltern maßgebend. Leider kann es hinsichtlich des Altersunterschiedes 
nicht analoge Anwendung auf sie und den Bruder finden. Die Mutter 
wird wieder alt gemacht. Den realen Anlaß, warum sie Erna schon früher 
zur Großmutter gemacht und weggeschickt hat, vernehme ich jetzt aus 
der Mitteilung der Mutter: Vor einiger Zeit ist die Großmutter mütter- 
licherseits gestorben. Gegenwärtig ist Erbteilung, wovon viel gesprochen 
wird. Erna hat wiederholt zum Ausdruck gebracht, daß sie sich sehr 
darauf freue, die Mamma zu beerben. Sie identifiziert sich mit der 
Mutter, setzt sich an ihre Stelle und gleicht sich im Alter dem „jungen“ 
Vater an. 

9) Ein Traum wird erzählt: „Ein Hund wohnt in einem kleinen 
Häuschen, der heißt Rappi. Den lieb ich. Weiter bei der Ecke wohnt 
auch ein großer Hund, und der ist furchtbar böse. Ich träumte, ich hab’ 
einen Hund, und den lieb ich sehr, und habe einen grauen, und der ist 
böse. Dann kommen die zwei Hunde, und ich rufe: Rappi! Da kommt 
aber der böse. Ich nehme einen Ast und haue ihm den Kopf ab. Der 

















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kullert in den Teich. Dann kommt der Rumpf ohne Kopf. Ich haue ihn 
in zwei Stücke. Da kommen die Teile. Ich haue die Beine ab. Da kommen 
die Beine und dann der Kopf aus dem Wasser. Ich zerhacke ihn. Dann 
kommen die Teilchen. Jetzt tue ich alles in einen Kessel und zerstampfe 
es, so daß Mehl daraus wird. Ich gebe es Mamma. Sie bäckt daraus Weiß- 
brot. Einen Teil vom Brot habe ich auch dem anderen Hund gegeben. 
Er ist so wachsam.“ 

Erna erzählt alle ihre Träume so, als ob sie sich ihrer schäme. Der 
heutige wurde äußerst stockend vorgebracht, Erna machte den Eindruck 
eines Kindes mit einem schlechten Gewissen. In der dritten Sitzung hörten 
wir von einem ähnlichen Traum, den Erna unter Schuldgefühlen der 
Mutter berichtete. Auch das Geschichtenerzählen will heute nicht in Fluß 
kommen, entgegen den bisherigen Sitzungen. Ich muß immer wieder 
durch Hinweise auf den Traum zum Sprechen anregen, was ich bis jetzt 
absichtlich vermieden habe. 


[Rappi.]| — „Er ist uns einmal nachgelaufen. Wir lieben ihn sehr“. 
[Der böse Hund.] — Erna ist äußerst verlegen, endlich lenkt sie ab und 
sagt, sie sei heute Schneeschuh gefahren. — [Ast.] — „Am See liegt 


einer bei R’s Häuschen. Die dort hatten ein schwarzes Kaninchen, und 
das bekam Kinder, die starben. Wir haben auch schwarze Kaninchen, die 
weiße Mutter lebt noch und hat drei Kinder. Einmal dachte ich, ich 
werde in den Stall gehen zu der Kuh, die ich lieb habe. Ich habe dann 
mit ihrem Kälbchen herumgespaßt.“ — [Der böse Hund.] — Wieder große 
Verlegenheit. Endlich ze „Ich finde es furchtbar spassig, wenn Paul sagt: 
kleingroß für mittel: Über dieses kleine Brückchen ist einmal eine klein- 
große Sau gegangen.“ — [Was wollte der Hund?] — „Beißen.“ — [Wo?] 
— „In die Füße.“ — [Und der Hund ohne Kopf?] — „Der Kopf ist in 
den Teich gekullert. Der Hund wollte mich beißen.“ — [Aber ohne Kopf 
kann er das nicht mehr.| — „Aber kratzen.“ — [Die Beine?] — „Jedes 
kam für sich, sie wollten mich kratzen.“ [Wo?] Große Verlegenheit, nach 
langer Pause: „Gestern haben wir furchtbar gealbert. Als es im Zimmer 
dunkel war, ging ich aus dem Bett und zu Fritz, und da haben wir 
furchtbar geschrien und getobt. Einmal als das Kindermädchen Wasser 
holte, zogen wir uns ganz aus und tanzten im Zimmer herum, ohne 
Hemdchen ... Wenn ich am Morgen erwache, dann gehe ich zu Fritz 
ins Bett. Dann sprechen wir oder spielen mit den Tieren.“ 

[Was wollten die Stückchen?] „Sie wollten mich schlagen. Mehl ist 
ganz weiß, es kann nichts machen, höchstens in die Augen fliegen,“ 
[Wohin kamen die kleinen Stückchen?] — „Sie kamen zu den Füßen, 
auch auf den Bauch.“ [Und die Beine?]| — „Die kamen auch auf den 
Bauch.“ — [Und der Kopf?] — „Der kam zu den Füßen.“ — [Wohin 
auf den Bauch?) — Erna zeigt die gleiche Stelle, die sie früher als 
Geburtsort bezeichnete. [Hast du auch von dem Brot gegessen?] — „Ja, 
und Rappi gegeben.“ 


= 2: 














Die Mitteilungen Ernas geben uns einige nähere Angaben zum Traum 
und beschäftigen sich im übrigen mit dem Kinderbekommen der Kaninchen 
und mit dem Insbettgehen zu Fritz. Die Mutter meint, das seien Phan- 
tasien der Kleinen, sie sehe streng darauf, daß die Kinder nicht zueinander 
ins Bett kriechen. Behandelt der Traum die gleichen Gedanken, wie die 
Einfälle: Zusammenschlafen und Kinder bekommen? Sind die beiden 
Hunde ein Paar? Dann wäre der böse Hund das Männchen. Bösesein wird 
bei Erna bekanntlich mit der Begattung in Beziehung gebracht. Der böse 
Hund wird, wie das goldene Kalb, zerrieben und schließlich verzehrt, und 
zwar vom lieben Hund und von Erna. Das erinnert uns an das 
Märchen, wo Königinnen Fische oder Früchte verzehren, damit ihr sehn- 
lichster Wunsch nach einem Kinde in Erfüllung gehen kann. Die Auf- 
fassung der Zeugung durch Essen können wir zu den in der ersten 
Sitzung vorgebrachten Geburtstheorien in Beziehung setzen, wonach die 
Kinder aus dem Munde geboren werden und die Hunde und Katzen aus 
dem Magen kommen. Auch der Überfall durch die Tierteile wird mit 
einer angenommenen Geburtsstelle in Beziehung gebracht. Es entspricht 
durchaus der primitiven Logik, daß man, um zu Blut zu kommen, Blut- 
würste ißt und roten Wein trinkt. Und wie vom Samenkorn, das ein 
Stück einer Pflanze ist, wieder eine ganz neue entsteht, so können doch 
aus Hundeteilen wieder ganz neue Hunde werden. Erna will, wie die 
Mutter, auch Kinder haben. Um das zu erreichen, muß sie etwas vom 
Vater oder in der Überschiebung etwas vom Bruder in sich aufnehmen. 
Das geschieht aber irgendwie unter Anwendung von Gewalt. Der Traum 
stellt den Zeugungsvorgang als Kampf dar. („Eigentlich zankten sie sich“, 
erste Sitzung.) Wir werden später, wenn neues Material gekommen sein 
wird, noch weiter in das Verständnis des sonderbaren Traumes dieser Sitzung 
vordringen. 

10) „Wir spielten: Fritz ist der Storch und bringt mir zwei Kinder. 
Paul ist der Sohn... Einmal hatten wir ein Häschen verloren. Das hat 
dann unser Hund aus dem Koffer hervorgezogen. Wir wissen nicht, wer es 
hineingesteckt hat. Das wird gewiß der Paul gewesen sein.“ [Bringt denn 
der Storch die Kinder?] — „Nein, die kommen von selbst. Wenn sie 
jemand bringt, dann schon die Engel.“ [Aber du weißt ja, daß die Kinder 
in der Mamma wachsen.] „Der Engel kommt überhaupt nicht. Das steht 
so in den Geschichten, das vom Engel und vom Storch.“ 

Diese Mitteilungen muten insofern sonderbar an, als hier wieder der 
Storch und die Engel auftreten, nachdem wir erfahren haben, daß Erna 
weit über die Aufklärungen der Mutter hinausgehende Beobachtungen 
gemacht hat, die sie zu Lösungsversuchen für ihre brennendste Frage ver- 
wertet hat. Auch die heutigen „Erzählungen“ dürften klar erkennen lassen, 
welchem Wunsch das Spiel seine Entstehung verdankt. (Möglicherweise 
war es bloß eine Phantasie.) Der zugrundeliegende Gedanke dürfte lauten: 
„Ich wünsche, daß Fritz mit mir ein Kind zeugt, das dann aus mir hervor- 


— 213 — 














gezogen werden kann.“ Wir haben es hier offenbar mit einem Vorgang 
zu tun, den wir häufig beobachten können. Etwa dort, wo an der 
Storchentheorie bis ins Pubertätsalter hinaus festgehalten wird. Man meint 
dann, es mit besonders „harmlosen“ Kindern zu tun zu haben, mit 
Kindern, die ein besonders feines moralisches Empfinden haben und dem 
„Schmutz“ aus dem Wege gehen. Wenn wir derartige Fälle in die 
Analyse bekommen, so können wir regelmäßig feststellen, daß eine früher 
sehr intensive Sexualforschung irgendwie eine Hemmung erfahren hat. Es 
erfolgte Verdrängen und später Ausweichen vor den möglichen Aufklärungen, 
weil sie eine schlecht vernarbte Wunde wieder aufgerissen hätten. Eine 
zirka dreißigjährige Dame produzierte in Träumen und Einfällen ver- 
schiedene infantile Sexualtheorien. Anfangs wollte ich eine Korrektur 
anbringen und sagte: Aber jetzt werden Sie wissen, daß das nicht stimmt. 
Darauf erhielt ich in angstvoll ablehnendem Tone zur Antwort: „Ich 
weiß nichts und will nichts wissen.“ Ich mußte Zeit lassen, damit das 
ins Bewußtsein steigende Material innerlich verarbeitet werden konnte. 
Man hatte deutlich das Gefühl, daß man sich einer besonders schmerz- 
haften Stelle nähere. Es war das Versagen der Sexualforschung in der 
Kinderzeit. Es äußerte sich auch sonst im Leben der Dame. Wenn sie 
vor bestimmten Aufgaben stand, da drängte sich ihr der Gedanke auf: 
Was will ich da tun, ich verstehe ja doch nichts. Das Versagen der 
infantilen Sexualforschung dürfte im allgemeinen die folgenden Gründe 
haben: ı) Es fehlen die notwendigen Kenntnisse. 2) Das Kind merkt, daß 
es auf ein verpöntes Gebiet geraten ist, woraus es durch Schuldgefühle 
und Angst vertrieben wird. 3) Dieser Rückzug wird beschleunigt und 
verschärft durch ein traumatisches Erlebnis. 4) Die Fragen entstammen 
Wünschen, deren Realisierung unmöglich ist. 5) Die richtige Lösung 
steht in Widerspruch zu bestimmten persönlichen Wünschen. Der Rückzug 
wird dann durch die Storchfabel gedeckt, an ihr wird festgehalten, einmal, 
um die Verdrängung zu sichern, und andererseits, um die von der Umwelt 
geforderte „Unschuld“ und „Harmlosigkeit“ zu dokumentieren. 

Das Verhalten Ernas in der neunten Sitzung ließ mich vermuten, daß 
die Grenze, die nur unter Entwicklung starker Schuldgefühle und Anest 
überschritten werden kann, erreicht sei. Der bisherige Gang der Analyse 
ließ erkennen, daß bei unserer Kleinen alle die angeführten Punkte des 
Versagens der Sexualforschung vorhanden sind. Ich habe Erna bis jetzt 
sich selbst überlassen und jede Aufklärung vermieden. Ich ließ mich mehr 
von wissenschaftlichen als praktisch-pädagogischen Absichten leiten. Jetzt 
griff ich ein, um der Kleinen weiterzuhelfen, um ein neues Zurück- 
weichen zu verhüten, damit sie nicht auch an mir scheiterte. Das würde 
mich um jeden weiteren Erfolg bringen. Es war auch zu erwarten, daß 
eine nun einsetzende Aufklärung weiteres Material zur „Erzählung“ frei 
machen werde, da manches Unverstandene jetzt verständlich und manches 
Verpönte jetzt frei werden kann. 


— U — 





[Weißt du, wie das Hühnchen im Ei wird?] — „Ja, im Ei, da ist ein 
Pünktchen. Wenn das Huhn brütet, so wird es immer größer, und zuletzt 
wird ein Hühnchen, das die Schale aufpickt und herauskommt. Wir haben 
auch so gespielt. Fritz war eine Gans. Wir haben Stoffkaninchen unter- 
gelegt. Er hat drei Kaninchen ausgebrütet. Ich habe auch Kaninchen 
ausgebrütet.“ 

[Weißt du, in Mammi, da sind viele ganz kleine Eilein. Wenn sie nun 
ein Kindchen bekommen soll, dann wird eines immer größer, es wächst 
und es wird zuletzt ein Kindchen daraus.| — „Ja, ich habe gesehen, wie 
Mammi dick geworden ist und auch die Knechtsfrau. Tante L. ist nie 
dick geworden. — Schade, daß das Kälbchen meiner Kuh ein Ochs war 
und es der Metzger fortgenommen hat. — Einmal kam der Gänserich 
auf mich zu und ich sprang davon.“ 

Ich versuche nun, Erna einiges über die Entwicklung des Embryos zu 
sagen. Ich weise darauf hin, daß sie esse, daß aus den Speisen Blut 
werde, daß das Blut durch Adern in den ganzen Körper geführt werde 
und daß sie deshalb wachsen könne. Das Eichen bekommt Blut von der 
Mutter und wächst zum Kindchen aus. Wenn dieses alles hat, was es zum 
Leben gebracht, Lunge, Magen, Herz usw., so will es hinaus. Es wird 
geboren. Dann schneidet man das Blutrohr, das vom Herzen der Mutter 
Blut zuführt, ab. Es bleibt dann nur das kleine Knöpfchen, der Nabel. 
Jetzt nimmt die Mutter das Kind an die Brust, es trinkt Milch und ver- 
wandelt sie in Blut. Darauf ging ich über zur Frage der Befruchtung 
und stellte einleitend die Frage: [Wozu ist der Vater da?}) — „Bei den 
Enten muß er auf die Eier aufpassen. Die Kuh muß vom Ochsen ange- 
sehen werden, daß sie ein Kälbchen bekommt.“ 

Die Idee des Beschützens haben wir früher kennen gelernt, ebenfalls 
die Meinung, daß die Zeugung durch Anschauen geschehe. Hinter dem 
Anschauen kam dann ein Zanken zum Vorschein. Dies wurde von der 
Katze ausgesagt. Der Ochse wurde früher immer abgelehnt. „Die Kuh 
bekommt ‚so‘ ein Kälbchen.“ Wir sahen darin die Abwehr bestimmter 
Erlebnisse. Wir können jetzt sehen, daß der Widerstand zu weichen beginnt, 
eine Beziehung zwischen Ochse und Kuh wird angenommen. Der Ochse 
braucht nicht mehr „entfernt zu werden“. | 

11) Ich frage Erna, ob sie geträumt habe. Sie erzählt: „Ich träume 
oft vom Kalkunenvater (Truthahn). Ich hatte einmal ein weißes Hühnchen, 
und der Hahn sprang immer auf und zupfte es und hat es tot gemacht, 
Es sollte viele Eier legen. Weil er es liebte, sollte es viele Eier legen, 
und er zupfte es, bis es starb. Jetzt tut der Hahn oft so mit meinem und 
Pauls Huhn.“ 

Die gegebene Erklärung des Zusammenhanges zwischen Bespringen und 
Eierlegen stammt von der Mutter. Ob tatsächlich aus jenen Gründen das 
Hühnchen starb, ist nicht zu kontrollieren. Wahrscheinlich handelt es 
sich um eine Phantasie, die mit den Vergewaltigungsvorstellungen ver- 


— 215 — 








knüpft ist. Die Erzählungen dieser Sitzung führen die in der vorigen 
angeschnittene Frage nach der Rolle des Vaters weiter, 

Es ergibt sich nun die Notwendigkeit, den Vergewaltigungskomplex zu 
lösen. Ich versuchte dies durch Einführung des Begriffes des Samens. Wir 
fanden zusammen, wie es kommt, daß eine Pflanze Samen produziert und 
wie hieraus neue Pflanzen entstehen. Anknüpfend an das, was Erna von 
den Hühnern vorgebracht hat, wird erklärt, daß im Huhne viele kleine 
Eilein sind, die aber erst wachsen können, wenn ein Sämchen dazukommt. 
Dieses hat aber der Hahn. Wenn er auf das Huhn springt, so gibt er 
ihm Sämchen. Jetzt wachsen die Eier, und wenn sie groß geworden sind, 
werden sie vom Huhn gelegt. Werden sie ausgebrütet, so kommt ein 
Küchlein heraus. 

12) Die heutigen Mitteilungen führen die 'Diskussion spontan weiter. 
Die Beziehungen zwischen Ochse und Kuh sind verstanden worden, der 
Widerstand weicht weiter. Auf die Frage, was sie mir heute erzählen 
wolle, sagt Erna: „Wir wollen, daß unsere Kuh ein Kuhkälbchen bekommt. 
Sie hat sonst immer einen Ochsen bekommen. Ich träume oft, sie habe 


ein Kälbchen bekommen.“ [Wann bekommt sie es?) — „Ich weiß es 
nicht, sie ist schon ganz dick.“ [Wie kann die Kuh denn ein Kälbchen 
bekommen?) — „Vom Bullen. Er springt auf die Kuh und gibt ihr 
Sämchen.“ 


Nun stellt sich die Aufgabe, die Geschlechtsunterschiede zu klären. Ich 
frage: [Hast du schon gesehen, wie der Bulle anders ist, als die Kuh?] — 
„Ja, er hat hinten einen Sack und vorn so einen Büschel, wo Wasser 
herauskommt.“ — [Dort im Sack, da sind die Sämchen, und wenn der 
Bulle auf die Kuh aufspringt, dann kommen dort, wo du gesehen hast, daß 
das Wasser herausfließt, die Sämchen heraus, und dann gibt er sie der 
Kuh dort hinein, weißt du, wo auch bei ihr das Wasser herauskommt. ] 
— „Wir haben eine Kuh, die will ein Kälbchen haben. Sie will zum 
Bullen. Deshalb springt sie auch auf die Kühe.“ [In der Kuh, da sind 
auch Eilein. Wenn ihr der Bulle Sämchen gegeben hat, so gehen sie zu 
den Eilein. Eines davon, das zuerst ein Sämchen bekommen hat, das 
wächst, und es wird dann ein Kälbchen.| 

Erna nimmt die gebotenen Aufklärungen entgegen, als ob ich ihr eine 
Selbstverständlichkeit gesagt hätte, die sie schon längst wußte. Ich habe 
ja auch weiter nichts getan, als das Erfahrungsmaterial des Kindes geordnet 
und dadurch möglich gemacht, daß es verstanden werden kann. Ich nahm 
nun an, daß die erhaltene Klärung der Verhältnisse bei den Tieren auch 
die Vorstellungen über Zeugung und Geburt beim Menschen berichtigen 
werden. Hier lagen aber noch Widerstände vor. Wir wissen, daß sich 
solche auch gegenüber den Beziehungen zwischen Ochse und Kuh offen- 
barten. Hier stellte es sich dann heraus, daß Erna nach eigenen Beob- 
achtungen darum wußte. Ich wollte eine Stichprobe anstellen und fest- 
stellen, ob die Verhältnise beim Menschen nun durchschaut werden 


— 210 — 











—— —— ou io 


können: [Gibt nicht Papi der Mammi auch Sämchen?]) — „Nein.“ [Wieso 
hat denn Mammi Kinder bekommen?] — „Vom Essen. Sie muß Milch 
trinken. Das Kindchen wächst von der Milch.“ Erna wird sehr verlegen, 
ihr Gesicht bekommt einen gequälten Ausdruck, sie macht verschiedene 
„nervöse“ Bewegungen. Ich merke, daß wir auf die angst- und schuld- 
bewußte Versagungsgrenze gestoßen sind. Eine der beobachteten 
Bewegungen dürfte als unbewußter Verrat zu deuten sein. Erna hob das 
Röckchen empor und stieß die Händchen oberhalb dem Knie zwischen die 
Beine, Zu der zuletzt erhaltenen Antwort füge ich hinzu: [Aber Tanti L. 
trinkt auch Milch und sie bekommt doch keine Kinder (zehnte Sitzung).] 
— „Weil sie keinen Mann hat.“ — [Du sagtest, Mammi müsse essen ?] 
— „Ja.“ — [Was?] — „Brot.“ Große Verlegenheit, die beschriebenen 
Bewegungen wiederholen sich. [Woher weißt du, daß Mammi Milch 
trinken und Brot essen muß, wenn sie ein Kindchen bekommen will?) 
— „Das habe ich mir so ausgedacht.“ [Da hast du dir aber was Falsches 
gedacht.] — Wieder große Bedrücktheit. Die Bewegungen werden stärker 
als vorher. Zuletzt hoppst Erna auf dem Stuhl auf und ab. Schließlich 
sagt sie: „Ich weiß nicht, warum die Hirsche im Winter ihre Hörner 
verlieren. Der Elch verliert seine Hörner nicht, der Hirsch wohl. Mamma 
hat eine komische Geschichte erlebt. Sie fuhr mit dem Rad durch den 
Wald. Sie meinte, sie sehe ein Pferd, das sich losgerissen hat. Das Pferd 
rennt, und was war es? Ein Elch war es, mit großen Hörnern, der 
davonläuft.“ 

Diese sonderbaren zoologischen Anschauungen verraten dem Analytiker 
den Vorstellungskomplex, von dem aus der Widerstand geht. Er war 
schon lange sichtbar. Ich unterließ aber, näher darauf hinzuweisen, bis 
weiteres Material eine Besprechung erleichtern würde. Vorläufig möchte 
ich nur sagen, daß wir im Sinne jenes Komplexes die aufgeworfene Frage 
von den Hirschen so lesen können: „Ich weiß nicht, warum die Knaben 
und Männer ihr Genitale behalten können, während die Mädchen und 
Frauen es verlieren.“ Als Antwort auf diese versteckt vorgebrachte Frage 
suche ich den Zeugungsvorgang beim Menschen zu klären. 

[Du weißt doch, daß du nicht gleich bist, wie Fritz und Paul?] — 
„Ich habe lange Haare und trage ein Röckchen.“ [Dann hast du noch 
anderes an Fritz und Paul beobachtet.| — „Die haben unten so ein 
Pumperchen und ein Zipfelchen.“ [Wenn dann Fritz und Paul groß 
geworden sind, dann kommen in dies Pumperchen Sämchen, und wenn 
sie heiraten, dann wollen sie Kinder haben. Sie geben dann ihren Frauen 
von den Sämchen. Die kommen dann aus dem Pumperchen und gehen 
durch das Zipfelchen heraus und dort hinein, wo bei der Frau das 
Wässerchen herauskommt. Die Sämchen gehen dann zu den Eilein, und 
dann können sie wachsen, bis ein Kindchen geworden ist. Das weißt du 
ja schon. — Du kannst erst heiraten und Kinder bekommen, wenn du 
groß bist, erst dann sind die Eilein reif. Den Fritz aber kannst du nicht 


— 27 — 





heiraten. Er wird sich eine andere als Frau suchen. Dich wird dann ein 
anderer Mann viel lieber haben als Fritz. Bis dahin mußt du mit Puppen- 
kindern vorlieb nehmen.] Nach diesen Mitteilungen geht eine Veränderung 
im Kinde vor. Die Unruhe ist verschwunden, das Gesicht mit dem 
gequälten Ausdruck hat sich aufgehellt und strahlt fröhlich. Die Mutter 
sagt mir nachher, daß Erna sich verändert habe. Sie sei viel harmonischer 
und zutraulicher geworden. Sie habe früher bei aller Fröhlichkeit, die sie 
sonst auszeichnete, immer etwas Gedrücktes in sich gehabt und sie sei 
manchmal schwer zugänglich gewesen, Das Bettnässen verschwand für 
längere Zeit. Hierüber habe ich später zu berichten. 

Noch ein Wort zu der in dieser Sitzung vorgebrachten Zeugungstheorie 
beim Ausweichen von der Angstgrenze. Sie vermittelt uns den Anschluß 
an den Traum von den beiden Hunden, wo der böse zerstückelt, in Mehl 
umgesetzt, gebacken und das Brot vom anderen Hund und von der 
Träumerin verzehrt wurde. Wir haben diesen Traum als Zeugungstraum 
angesprochen und bekommen hier die Bestätigung. Das Material wird 
einer Aufklärung durch die Mutter entnommen. Zur Zeit, als Riga von 
den Bolschewiki besetzt war (1919), hatte Erna oft den Wunsch nach 
einem Schwesterchen geäußert. Angesichts der Lebensmittelnot meinte die 
Mutter, wenn man ein Kindchen wolle, so müsse man Weißbrot und 
Milch haben; da das aber fehle, so könne sie auch kein Schwesterchen 
bekommen. 

13) Da die Geburtsfrage noch nicht geklärt wurde, so stellte ich die 
entsprechende Frage an Erna. Sie beantwortete sie sofort ganz richtig und 
fügte spontan bei, daß sie früher geglaubt habe, das Kind komme hinten 
heraus; auch meinte sie, daß der Bauch aufgehe. Wenn wir die von Erna 
vertretenen Geburtstheorien zusammenstellen, so erhalten wir: Das Kind 
wird geboren durch den Mund, nach der Öffnung der Brust, nach der 
Öffnung des Bauches, anal, vaginal. 

In dieser Sitzung erzählt Erna weiter: „Gestern spielten wir Reiter, 
Ich war E. B. und Fritz war Hilde. Beim Schlafengehen bin ich Dorette A, 
Früher spielte Fritz Dorette A. Wenn ich Reiter spiele, dann bin ich ein 
Mann. Dann habe ich Dorette A. bei mir vornauf... Paul hat gesagt, 
als er jung war, da sei er ein Mädchen gewesen und ich ein Junge und 
Fritz ein Mädchen. Wenn man größer wird, dann wird’s umgekehrt, , , 


Der Nachbarsjunge klettert überall hin. Wenn ich nur so hoch klettern 


könnte wie er. Bei mir dauert es am längsten, der Rock ist mir im 
Wege. Mit Hosen ginge es besser. Gestern habe ich mich geübt, auf 
Bäume zu klettern.“ | 

Die Vertauschung der Geschlechtsrolle ist uns wiederholt begegnet. Es 
zeiste sich immer deutlicher, daß sie dem heißen Wunsche entspringt, 


ein Bube zu sein, wobei die Buben um das Zipfelchen beneidet werden. 


Die Theorie, die in dieser Sitzung Paul zugeschrieben wird, die aber 
gewiß Ernas eigene ist, nimmt die Frage, die wir in der vorigen Sitzung 


— 235 — 








run _ 


seinen 


hinter der Geschichte von den Hirschen vermuteten, wieder auf. Sie wird 


jetzt individuell gesehen: „Ich war früher ein Knabe, aber dann bin ich 
ein Mädchen geworden, indem ich das Zipfelchen verloren habe. Meine 
Brüder waren früher Mädchen. Bei ihnen ist das Zipfelchen gewachsen.“ 
Die erste Annahme ist ein schlechter Trost und die zweite will nicht in 
Erfüllung gehen. Es bleiben noch zwei Auswege. Der eine besteht darin, 
daß man sich gedanklich das Zipfelchen beilegt, sich mit den Knaben 
identifiziert und in Phantasien, Spielen und Gewohnheiten diese nachahmt., 
Auch in dieser Sitzung identifiziert sich Erna mit E. B. wie in der 


sechsten Sitzung. In der Reiterszene übernimmt sie wie in der früheren 


achten Sitzung) die männliche Rolle. Der andere Ausweg ist der, den 
Neid überflüssige zu machen, indem die Buben in Mädchen verwandelt 
werden und ihnen das Zipfelchen weggeschnitten wird. Das geschah 
offenbar einmal bei ihr, nimmt sie an. 

Bei der Analyse des Zwangssymptoms einer Dame, das im Impuls bestand, 
männlichen Wesen einen Finger abzubeißen, versteckte sich dahinter ein 
früherer zwangsmäßiger Wunsch, den Buben den Penis abzubeißen und 
ihn zu verschlucken, in der Meinung, daß sie auf diese Art zu einem 
eigenen Penis kommen könne. Eine andere Dame konnte in der Zeit der 
Analyse plötzlich kein Fleisch mehr essen. In der Folge wurden frühere 
Phantasien bewußt, auf dem Markte Penes von Ochsen zu kaufen, zu kochen 
und essen, um dann so zu einem solchen eigenen Organ zu gelangen. 
In den Träumen Ernas stoßen wir auch auf den Kastrationskomplex. In der 
dritten Sitzung wird ein solcher Traum erzählt. Auf einem Hügel liegt ein 
abgehäuteter Mann ohne Hand. Das Modell hiezu lieferte unzweifelhaft 
die Puppe Friedel, jene männliche Puppe aus Mammas Kinderzeit, die 
eine Hand verloren hatte und die dann vom Hund zerrissen wurde. Ein 
Auge fand sich auf dem Tennisplatz. Erna reißt im gleichen Traume dem 
Wolfe die Zähne aus, damit er die Brüder nicht beißen kann. Paul hat 
ihm vorher ein Auge ausgerissen. Er kann aber noch mit dem anderen 
sehen. Den Sinn des Beißens, Böseseins, Anschauens konnten wir ein- 
deutig wiederholt feststellen. Augen- und Zähneausreißen waren bild- 
liche Darstellungen für Kastration und bedeuten, in den ganzen Traum 
eingefügt, eine Abwehr der „Gewalttätigkeit“. Da angegeben wird, das 
Zähneausreißen erfolge, um die Brüder zu schützen, so läßt sich hier 
noch die Abwehr eines auf diese gerichteten Kastrationswunsches ver- 
muten. Als die Analyse weiter fortgeschritten war, kam ein ähnlicher 
Traum. Dort wurde die Vergewaltigung durch Kastration abgewehrt, aber 
gleichzeitig auch die Zeugung angenommen. Die Hundeteile kommen auf 
die Träumerin, werden dann als Brot genossen. Das Essen bedeutet offenbar 
nicht bloß Befruchtung, wie wir früher ausführten, sondern wird auch im 
Dienste des Wunsches, sich ein männliches Genitale zu erwerben, stehen, 
ähnlich den Phantasien der mitgeteilten Zwangssymptome. Wie ja in den 
„Erzählungen“ und Spielen Ernas die Mutteridentifikation (Kinderwunsch) 











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und die Identifikation mit Vater und Bruder ruhig nebeneinander und 
ineinander standen, so ist eine derartige Verbindung auch in den Träumen 
möglich. Die bekannten Traummechanismen erleichtern sie. Der Mann, 
der Kinder bekommt, ist vielleicht ein Kompromiß der beiden zentralen 


Wünsche der kleinen Erna. 
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Wir wollen hier die Mitteilung der Analyse abbrechen. Bei der Besprechung 
des Bettnässens werden wir noch verschiedenes ergänzen können. Wir 
haben einen Einblick in die verschiedenen von Erna 'entwickelten Zeugungs- 
und Geburtstheorien erhalten. Es haben sich uns Dinge gezeigt, die in 
der Psychoanalyse von Erwachsenen und Kindern sowie in Kinder- 
beobachtungen häufig nachgewiesen wurden. Auch wurden die dazu- 
gehörenden völkerpsychologischen Parallelen aufgezeigt.” Für uns ergibt sich 
die Frage, wie wir uns als Pädagogen hiezu stellen. Wir können hier nur 
eine kurze Antwort geben. Bevor wir sie suchen, wollen wir uns fragen: 
Wie ist Erna zu dieser Sexualforschung gekommen? Leider ist das Material 
sehr lückenhaft, so daß wir häufig auf Vermutungen angewiesen sind, 

Die Forschung scheint mit der Geburt des kleinen Paul eingesetzt zu 
haben. Erna war damals zweieinhalb Jahre alt. Die Untersuchung des 
Symptoms des Bettnässens wird diese Annahme stützen. Wir hören in der 
zehnten Sitzung, daß Erna behauptet, gesehen zu haben, wie die Mutter 
dick geworden sei. Das kann sich nur auf die Schwangerschaft mit Paul 
beziehen. Es kann sich hier aber auch um eine Beobachtung im Knechts- 
hause, die Erna mit erwähnt, die später erfolgt ist und die nun rückdatiert 
der Mutter zugedacht wird, handeln. Im weiteren ist zu vermuten, daß Erna 
die intimen Beziehungen der Eltern erlauscht hat, worauf sie mit einem Pavor 
reagierte. Die Geburt Pauls mußte in der Kleinen den Wunsch wecken, 
auch ein Kindchen zu haben. Wir wissen ja, daß die Kinder sich in allem 
den Eltern gleichsetzen wollen und die dahin gehenden Wünsche in ihren 
Spielen realisieren. Diese Identifikationstendenz bekommt einen starken 
Anstoß aus der Tatsache, daß bei der Geburt eines Geschwisters die Mutter 
von diesem beansprucht wird. Der erlittene Liebesverlust und die Zurück- 
setzung verlangen nach einem Ausgleich. Das Spiel kann ihn bringen.? Es 
ergibt sich also als Grundfrage der infantilen Sexualforschung: Wie komme 
ich zu einem Kinde? Aus unserem Material ist ersichtlich, wie brennend 
diese Frage für Erna war. Die Frage kann auch so lauten: Wie kann die 
Wiederholung der Geburt eines Geschwisterchens verhindert werden? Bei 
Erna ist, wie es scheint, hievon wenig zu spüren. Ihre Forschung geht in 
positiver Richtung nach Kindern. Zur Zeit der Analyse, mit sechseinhalb 
Jahren, erweist es sich, daß sie in den Hauptpunkten die Vorgänge der 
Zeugung und der Geburt richtig erfaßt hat, und zwar scheinen diese Auf- 

ı) Rank, Völkerpsychologische Parallelen zu den infantilen Sexualtheorien. In 
„Psychoanalytische Beiträge zur Mythenforschung“. (Int. PsA. Bibl., Bd. 4.) 

2) Schneider, Über Identifikation, Imago XII (1926), Heft 2/3. 


er 








fassungen die ältesten zu sein, wobei die anderen Theorien bei der Aus- 
weichung entstanden sind, Das Kind ist „natursichtiger“ als der Erwachsene 
und wird wahrscheinlich „das Richtige” eben „erfühlen“ können, wenn 
allerlei Erfahrungen im Schlafzimmer und in der weiteren Umgebung 
gemacht werden. Allerlei Störungen hemmen den natürlichen Ablauf der 
Forschung, und es kommt dann dazu, daß vorübergehende Erwägungen zu 
Theorien ausgebaut werden, an denen festgehalten wird. So kommt die 
Verdrängungs- und Verschiebungsreihe zustande: Vagina, Anus, Bauch, 
Brust, Mund, Storch, Engel. Auf diese Störungen habe ich im Bericht 
über die zehnte Sitzung hingewiesen. Die dort angeführten Gründe des 
Versagens der Forschung lassen sich alle bei Erna nachweisen. Sie suchte 
sich die nötigen Kenntnisse zu verschaffen, bekam ausweichende oder 
solche Aufklärungen, die leicht zu Mißverständnissen führten. In der 
Analyse war auffällig, wie die Träume, die mit dem Bösesein zu tun 
hatten, bei der Besprechung Angst und Schuldgefühle auslösten. Die Her- 
kunft dieser Affekte ist in unserem Falle noch nicht genügend erforscht. 
Immerhin dürfte anzunehmen sein, daß sie im Zusammenhang stehen mit 
Beobachtungen im Schlafzimmer der Eltern, mit Tierbeobachtungen, die 
jenen folgten, und mit den Erlebnissen (Vorstellungen, Handlungen 
und Gefühlen), die dadurch im Kinde ausgelöst wurden. Das führte 
dann dazu, dem Kinderwunsch eine „harmlosere“ Richtung zu geben. 
Das Ausweichen der Umgebung bestärkte das Kind in seinem Ausweichen. 
Das Gebiet, wo die Frage zu lösen ist, wurde zum Verpönten, das nur unter 
Angst und Entbindung von Schuldgefühlen betreten werden kann, sowohl 
vom Kinde wie von den Erwachsenen. Um loszukommen, wurde die 
Lösung auf immer harmlosere Gebiete überschoben. Man hat wiederholt 
der Psychoanalyse den Vorwurf gemacht, daß sie die Kinder „entharmlose“. 
In unserem Falle zeigt sich deutlich das Gegenteil. Das besprochene Aus- 
weichen bedeutet unter der Maske der Erhaltung der Harmlosigkeit eine 
Gewissensbelastung einer ursprünglich harmlosen Einstellung des Kindes. 
Es war infolgedessen ganz natürlich, daß unsere Erna die erhaltenen Auf- 
klärungen wie Selbstverständlichkeiten aufnahm und mit dem Ausdruck einer 
Befreiung reagierte. Es erfolgte also das Gegenteil einer Entharmlosung. 

Es ist klar, daß der Wunsch des Kindes nach einem Kinde unerfüllt 
bleiben mußte. Er kann nur im Spiel realisiert werden. Das ist ja die natürliche 
Aufgabe des Spieles, in unserem Falle des Puppenspieles. Der ursprüngliche 
Wunsch scheitert an der Unmöglichkeit der Verwirklichung und unterhält, 
haften geblieben, immer wieder die Forschung und lenkt sie ab. Sie wird 
immer unter Druck erhalten. Andererseits droht eine Fixierung in der 
Ödipussituation. Erna macht die Mutter zur Großmutter, läßt sie sterben 
und beerbt sie, um ihre Stelle beim Vater einzunehmen. Dadurch könnte 
ihr Wunsch realisiert werden. Das hieran sich knüpfende Schuldgefühl 
veranlaßt Verdrängung und Verschiebung. Zuletzt sei noch darauf hin- 
gewiesen, daß eine Abweichung von der richtigen Lösung in der Sexual- 


TE) en 





forschung befördert wird durch entgegengesetzte persönliche Wünsche. Bei 
Erna ist es der sehr stark betonte Männlichkeitswunsch. Die Illusion, ein 
Bube zu sein, führt zur Ignorierung der natürlichen Stelle der Zeugung 
und der Geburt. Es kommt auch von hier aus zu Verschiebungen. Wenn 
die Kinder den Weg des Verdauungstraktus nehmen, so kann die 
Illusion ruhig aufrecht erhalten bleiben, ebenfalls, wenn der Storch die 
Kinder bringt. Hier ist es das, was die Psychoanalyse unter dem Begriff 
des Kastrationskomplexes zusammengefaßt hat, was Angst und Schuldgefühle 
erzeugt und zur Abweichung nötigt. In Ernas Kastrationsträumen waren 
diese Affekte deutlich erkennbar. 

Die sich nun ergebenden pädagogischen Vorschläge möchte ich hier in 
Form von Thesen aufführen. Die Begründung liegt meistens im gebotenen 
Analysematerial. 

1) Die Sexualforschung in der Spielzeit, die sich bei jedem einigermaßen 
begabten Kinde geltend machen dürfte, ist erzieherisch zu leiten, indem die 
Fragen nach der Herkunft der Kinder beantwortet werden, und zwara) sobald 
das Kind eine entsprechende Frage stellt, gleichgültig in welchem Alter. 
Wer die Begabung, hat, eine vernünftige Frage zu stellen, hat auch die 
Begabung, eine vernünftige Antwort zu verstehen. b) Die Antwort hat sich 
auf den Umfang der Frage einzustellen. Sie darf nicht zu wenig enthalten, 
damit im Kinde nicht der Verdacht aufkommt, man habe etwas zu ver- 
heimlichen, und damit die Forschung nicht in eine falsche Richtung 
abgedrängt wird. Sie darf auch nicht über die gestellte Frage hinausgehen, 
denn sonst wird der Forscherdrang des Kindes unterbunden, oder es hört 
noch unverständliche Dinge, die leicht falsch verwertet werden können. 
c) Die Antwort muß den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Auch 
bei Besprechung anatomischer und physiologischer Vorgänge ist Offenheit 
geboten. Die Antwort soll also eine rechtzeitige, eine genügende 
und eine sachliche sein. 

2) Jede Beantwortung muß dem Kinde die „Überzeugung“ aufrecht 
erhalten, daß es sich jederzeit vertrauensvoll an die gleiche Quelle um 
Aufklärung seiner Fragen wenden könne. | 

3) Die Leitung der kindlichen Sexualforschung hat durch die Eltern zu 
geschehen, resp. durch die Personen, die das Vertrauen des Kindes 
genießen. Eine Massenaufklärung in der Schule ist ein Unding, weil sie 
zu spät kommt und keine Rücksicht nimmt auf das, was das Kind bisher 
in der Sache erlebt hat. Soll eine spätere Aufklärung wirklich sachlich 
wirken, so müssen die bisherigen falschen Anschauungen korrigiert und 
die vorhandenen Konflikte gelöst werden. Die Verdrängungen sind auf- 
zuheben, und die dahinter oder besser davor liegenden Angst- und Schuld- 
gefühle müssen erledigt werden. Eine damit verknüpfte Aufklärung muß 
dort einsetzen, wo die besonderen Fragen des Kindes liegen, und hat mit 
seinem Erfahrungsmaterial zu arbeiten. Daher kann eine Aufklärung nur 
eine individuelle sein. Wo die Eltern versagen, da ist es wünschenswert, 


— 22 














wenn der Lehrer das Versäumte nachholt. Manche Schwierigkeiten in 
Erziehung und Unterricht legen dies sogar sehr nahe. Dabei ist aber immer 
nötig, daß das Bewußtsein des Kindes in analytischem Sinne erweitert wird, 
damit die bisherigen falschen und schuldbeladenen Anschauungen geklärt 
und gereinigt werden können. 

4) Die kindliche Sexualforschung setzt zweimal ein, zuerst in der Spielzeit, 
dann bei beginnender Pubertät. Die erhaltenen Aufklärungen der Spielzeit 
können vollständig verdrängt werden, so daß man bei der zweiten Forschung 
bereits früher gestellte Fragen neu beantworten muß. 

5) Eine sexuelle Aufklärung im Sinne unserer Forderungen unter ı) 
kann bei der Leitung der kindlichen Sexualforschung niemals schaden. 
Sie wirkt erziehend und manchen späteren Konflikten vorbeugend. Eine 
spätere Aufklärung in Verbindung mit analytischer Lösung verdrängter 
Konflikte wirkt befreiend. 


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Sexuelles Wissen und sexuelle Aufklärung 
Von Dr. Heinrich Meng, Stuttgart 


Das Kind ist ein Teil des Elternleibes, verläßt ihn und wächst allmählich 
zu einem selbständigen Wesen heran. Nach Ewald Hering fallen 
Gedächtnis und Vererbung in einen Begriff zusammen, so daß Kinder 
Eigenschaften ihrer Vorfahren durch das „Gedächtnis der Materie“ über- 
nehmen. Ernst Mach schließt daraus, daß wir durch dieses Wissen 
verstehen, weshalb z. B. die Amerikaner der Union die englische Sprache 
beibehielten und auch sonst manche Einrichtung, die typisch englisch ist. 
Wessely beobachtete, daß die Pflanzen der südlichen Hemisphäre bei 
uns dann blühen, wenn in ihrer Heimat Frühling ist, daß sie also eine 
Art „Gedächtnis“ haben müssen. Wir nehmen auch vom Menschenkinde 
an, daß es ein Wissen mit auf die Welt bringt vom Zeugen, Befruchtet- 
werden, Gebären und Geborenwerden.' Biologisch zweckmäßig wird eine 
solche „Aufklärung“ sein, bei der eine Klärung erfolgt in den im Kinde 
dumpf aufsteigenden Vorstellungen, Gedanken und Gefühlen und bei der 
die Trieberziehung nach vernünftigen Gesichtspunkten die Triebbeherrschung 
bahnt. 

Der Mensch hat schon sehr früh die Fähigkeit, den Gesichtsausdruck 
anderer Wesen zu „verstehen“; das kleine Kind deutet aus dem Benehmen 
und dem Ausdruck seiner Mitmenschen deren Gefühle. Ferner ahmt es 
sehr frih — schon in den ersten Lebensmonaten — das, was es sieht, nach. 





ı) Näheres siehe Meng, „Schutz durch sexuelle Aufklärung“ im Band ı des 
„Arztlichen Volksbuchs“ (Hippokrates-Verlag, Stuttgart). 


— 223 — 


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Bedenken wir, daß das Kind nur ausnahmsweise im Spiegel sich selbst 
sieht, seine Bewegungen also nicht nach der wahrgenommenen Gleichheit 
zu kontrollieren vermag. Die Nachahmung kann daher nur geleistet werden, 
weil es ein bestimmtes Tun, Fühlen und Können bereits in sich trägt. 
Deshalb müssen wir einer Annahme von Hans Driesch zustimmen: Der 
Mensch hat eine angeborene Fähigkeit, auf Reize in bestimmter Form 
und von bestimmtem Rhythmus mit Handlungen von derselben Form und 
demselben Rhythmus zu reagieren. 

„Sexuelle Aufklärung“ ist daher vorwiegend nicht eine Angelegenheit 
des Wortes, sondern des gesamten Verhaltens der Umwelt. Biologisch 
gesehen, kann Vermittlung von intellektuellem Wissen sehr unwichtig 
oder falsch sein, wenn nicht das gesamte Verhalten des Erziehers, seine 
eigene „Sexuelle Aufklärung“, die von ihm ausgehenden Reize und die 
von ihm gezeigten Reaktionen den natürlichen Aufklärungsprozeß im 
Kinde fördern und erleichtern. Freud hat uns Gesichtspunkte vermittelt, 
dem Kinde die Realitätsanpassung zu erleichtern, darunter auch die An- 
passung an seine eigene Geschlechtlichkeit und an die Geschlechtlichkeit 
der Wesen um ihn herum. Er hat uns gelehrt, daß das Verstehen und 
Nachahmen des Kindes einem Identifizierungsprozeß entspricht, bei dem 
durch Aufrichten von Idealen, die der Umwelt entnommen sind, wichtige 
Anstöße zur Charakterbildung gesetzt werden. Damit ist jeder aufklärenden 
Erziehung die Aufgabe gegeben, überhaupt sich nicht mit dem Ja oder 
Nein, sich nicht mit dem Sprechen oder Nichtsprechen zu begnügen. Der 
Erzieher muß sich vielmehr leiten lassen von der Einsicht und Einfühlung 
in die Konflikte der Menschwerdung, er muß sein gesamtes Verhalten als 
Reiz werten, der das Kind zum Verstehen und Nachahmen anregt, und 
sich für sein gesamtes Verhalten verantwortlich — fühlen. 


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Die Zurückweisung der Aufklärung durch das Kind 
Von Dr. med. Karl Landauer, Frankfurt a. M. 


Wenn man Kinder über die körperliche Beschaffenheit, namentlich die 
Geschlechtsmerkmale, die Zeugungs-, Schwangerschafts- und Geburtsvorgänge 
im Unklaren läßt, treten so häufig und so offenkundig Schädigungen! 
zutage, daß man sich die Frage vorlegen muß, wieso es möglich ist, 
daß die Sexualaufklärung heute noch bei so vielen Kindern gar nicht, 
mangelhaft oder doch zu spät erfolgt. Die Gründe, welche von den 
Gegnern der Offenheit vertreten werden, scheinen mir nicht zu genügen, 


ı) Ein Beispiel einer solchen Schädigung gebe ich in „Analyse der Phobie eines 
achtjährigen Mädchens“ im gleichen Heft dieser Zeitschrift. 


— 24 — 





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weder die bewußten vernunftmäßigen noch die beträchtlich stärkeren 
unbewußten gefühlsmäßigen. Denn wenn das Kind sich mit seiner ganzen 
Person für seinen Wunsch, aufgeklärt zu werden, einsetzen würde, würde 
es wohl fast stets sein Ziel erreichen, da ihm ja massenhaftes Material 
zufließt, wie wir täglich in unseren Analysen sehen. Dieses Material wird 
aber entweder gar nicht verwertet — oder dient zum Aufbau bestimmter 
meist recht typischer Theorien. Diese können sich also wohl nur deshalb 
halten, ja, müssen sich immer wieder erneuern, weil sie dem Kinde gefallen 
und wichtigen Triebregungen jener Zeit entsprechen, in der es zu fragen 
anfängt und wenn es die Fragen erneuert. Das ist das dritte bis fünfte 
Lebensjahr, das achte bis zehnte und die Pubertät. 

Bereits mit drei Jahren ist das Kind kein unbeschriebenes Blatt mehr. 
Im Gegenteil: es hat schon eine Menge wichtiger Erziehungsmaßnahmen 
über sich ergehen lassen müssen, besonders solche, die mit der Beherrschung 
von Harn- und Kotentleerung zusammenhängen. Die Verrichtungen des 
Enddarms und der Blase, an sich mit recht erheblicher körperlicher Lust 
und Unlust verknüpft, sind ihm durch die Stellungnahme der Mutter oder 
deren Vertretung auch zu einer Quelle wichtigster seelischer Lust und 
Unlust geworden. Belohnungen und Bestrafungen haben nicht nur sein 
Verhältnis zu den Pflegepersonen dabei stark berührt, sondern auch seine 
Einstellung zu den Organen immer wieder beeinflußt, die ihm in gewisser 
Beziehung selbständig, aber als Ursache der Stellungnahme der Pflegeperson 
gegenüberstehen. Auch seine Selbstliebe ist durch diese Beziehungen oft 
gekränkt und gestützt worden. Dadurch besteht eine kolossale Wertung 
dieser Schamgegend beim Kinde in positiver und negativer Art. 

Trotz der Bedeutung, die die Erzieher den Funktionen dieser Teile 
geben, konnte es dem Kinde nicht entgehen, daß die Produkte nicht in 
entsprechender Weise von ihnen gewertet werden. Sie werden weggeschüttet. 
Nach ihrer Produktion ist die hauptsächlichste Beachtung, die sie erfahren, 
daß ja kein Spürchen von ihnen übrig bleibt, weder an den Händen, noch 
am Gesäß, noch in der Luft. Selbst ihr Geruch muß aus dem Raum. 
Die Funktionen werden also hochgeschätzt, das Produkt aber verachtet, 
damit fördert man den Zwiespalt auch der Wertung der Organe. 

Dieser Prozeß erhält neue Nahrung durch die Beobachtung immer 
wiederkehrender Tatsachen: diese Gegend wird möglichst rasch verhüllt, 
namentlich vor Fremden. Mutter und Vater zeigen sie nicht wie Gesicht 
und Hände, ja verbergen sie offenkundig. Bei der Reinigung wird häufig 
eilig über die Partien hinweggegangen, jedenfalls ihre Berührung im 
Sinne des Kindes, das daran Freude empfindet, zu kurz gestaltet. Durch 
all dies wird der psychophysische (leib-seelische) Vorgang der Scham ausgelöst, 
der nun seine ererbten Äußerungen zeigt. Es ist bei der Scham (und 
beim Ekel) wohl ähnlich wie beim Sprechen, Stehen und Gehen: sie muß 
zwar im Einzelleben erlernt werden, aber die Lernfähigkeit, ja, die Lern- 
notwendigkeit ist angeboren. 


— 195 — 





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Gestärkt und unterstützt wird diese Scham durch immer neue Maß- 
nahmen. Der After darf nie berührt werden, sonst sind die Finger „ba“. 
Das Genitale anzufassen, trägt Schelte, Drohungen und Strafen ein. Auch 
die Verhütungsmaßnahmen, wie Festbinden der Hände, erscheinen dem 
Kinde als schwere Ahndungen. Gar nicht selten werden Knaben von 
neurotischen Eltern zu den drolligsten Maßnahmen gedrill, um nicht 
einmal heim Urinieren das schreckliche Ding, vor dem die Mutter sich 
so ekelt, anzulangen. Um diese Zeit gelingt es zumeist den Erziehern 
mit mehr oder weniger gewaltsamen Mitteln, die Säuglingsonanie zu unter- 
drücken, das normalerweise bestehende reflexartige Spielen am Genitale. 
Um den Erziehern zu gefallen, — „so, jetzt habe ich dich lieb“, will es 
hören, — nimmt das Kind wenigstens mit einem Teil seiner Person 
diese Wertung der Schamgegend und bald ihrer Verrichtungen an; ja, da 
eine gegenteilige Wertung, eine Vorliebe, gleichfalls besteht, aber verdrängt 
werden muß, wird diese Scham häufig übermäßig verstärkt. Jede 
Beschäftigung, auch jede gedankliche Beschäftigung mit der Schamgegend, 
scheint verboten. 

Oft hat es schlimme Folgen, wenn das Kind gegen einen starken 
inneren Antrieb gehorsam ist. Dann wird der Gehorsam leicht zwangs- 
mäßig. Er bleibt auch bestehen, wenn das Gebot überholt, ja, sinnwidrig 
geworden ist. So kann es sich ereignen, daß eine dauernde Unfähigkeit 
die Schamgegend am wirklichkeitsgerechten Arbeiten hindert. Neben 
Darm- und Blasenstörungen können geschlechtliche Unzulänglichkeiten — 
Impotenzen beim Mann, Kälte bei der Frau, Geschlechtsverirrungen und 
Neurosen bei beiden Geschlechtern — auf diese Erlebnisse zurückgehen. 
Die mangelnden Fragen des Kindes über sexuelle Dinge, die ungenügende 
Stärke des Interesses und die Dummheit in Beschaffung und Verwertung 
des sich sonst aufdrängenden Materials sind bereits Vorläufer der oben 
genannten späteren Störungen. Häufig handelt es sich auch um eine regel- 
rechte infantile Neurose, die sich außerdem in anderen Symptomen, wie 
Angstanfällen, Zwangshandlungen, Charakterverbildungen, namentlich Trotz 
und Jähzorn, und vor allem allgemeiner Dummheit, der häufigsten 
neurotischen Erscheinung, äußert. 

Auslösend hiefür sind nicht selten Ereignisse, die dem Kinde noch 
besonders triftige Gründe geben, nichts von den wahren Zusammenhängen 
bei der Entstehung von Menschen wissen zu wollen. Dafür ein kleines 
Beispiel: Die Mutter eines vierjährigen Knaben erwartet ein Kind. Sie 
will nicht, daß ihr Junge belogen werde, nimmt ihn daher eines Tages 
auf den Schoß und erklärt ihm, daß er hier jetzt nicht mehr wie früher 
herumtollen dürfe, weil in ihrem Leibe ein Geschwisterchen wachse. Auf- 
merksam hört der Knabe zu und stellt auch einige Fragen, die sein Ver- 
ständnis beweisen. Trotzdem verlangt er andern Tags ein Stückchen Zucker 
für den Storch, damit dieser ein Schwesterchen bringe. Wieder erklärt ihm 
die Mutter wahrheitsgetreu alles. Am dritten Tag wiederholt sich die 


— 220 — 








Szene. Als die Mutter aufs neue beginnt, wird sie von dem wütenden 
Ausruf unterbrochen „Du lügst!“. 

Also: das Kind will keine Aufklärung. Es will das Storchenmärchen. 
Das ist ihm angenehmer, denn wäre es wahr, so brauchte es keine Rück- 
sicht zu nehmen auf'den gemeinen Eindringling in die Mutter, der ihm 
seinen bisherigen Alleinbesitz an diesem Liebesobjekt raubt. Niemand soll 
ihr doch näher sein als er. Jetzt aber schon muß es deshalb Liebesspiele 
lassen, aufliebendes Tollen verzichten. Wenn schon ein Konkurrent kommt, 
— warum nicht eine lebendige Puppe, gern auch ein Spielgefährte, — so 
doch einer von außen, ein Fremder, der der Mutter nicht so nahe kommt. 
Eifersucht ist ein Hauptmoment, warum Aufklärung dem Kinde 
unerwünscht sein kann. Ein anderes Kind kommt über diese Dinge viel- 
leicht dadurch hinweg, daß es ständig Fragen stellt, ob bei ihm dasselbe 
sich ereignet habe, verlangt immer wieder, erzählt zu bekommen, wie es 
getragen und gestillt worden sei, und beruhigt sich in dem Gefühle, daß 
es nicht schlechter gestellt sei als der Ankömmling. | 

Noch deutlicher treten all diese Momente in der zweiten Frage- und 
Aufklärungsepoche zutage. Hier ist der Tatbestand der bewußten Ver- 
fehmung der Schamgegend meist längst gründlich festgelegt. Alles, was 
mit ihr zu tun hat, ist Schweinerei. Und dieser Gegend soll man nun 
entstammen. 

Auch ist der Reiz der Aufklärung häufig zu stark. Das Kind scheut 
vor der Erregung, die es packt, zurück. Oft kann man beobachten, daß 
die Neugier, immer wieder geschürt durch tropfenweise von Kameraden, 
die sich daran aufpeitschen, sexuell erregt Vorgetragenes, das Kind so auf- 
wühlt, daß es davon gequält ist und sich aus Selbstschutz, und um weiter 
ein braves Kind zu sein, vor neuen Mitteilungen abschließt. Nicht selten 
tritt solches Nichtwissenwollen in Form des Ekels auf, der auch körper- 
lichen Ausdruck finden kann. So begegnete mir mehrfach morgendliches 
Erbrechen als Schutzmittel gegen gemeinsamen Schulweg mit Kameraden, 
wodurch Zuhausebleiben oder Fahren erreicht wurden. 

Und nun soll gar noch der Vater, der nur allzuoft Störenfried der lust- 
vollen Spiele mit der Mutter war, eine wichtige Rolle dabei spielen. Meist 
ist er, zu mindesten für einen Teil der kindlichen Persönlichkeit, ein not- 
wendiges Übel, der Geldverdiener, Nahrungs- und Geschenkeverschaffer, 
den man deshalb bei guter Laune erhalten muß. So kommt es, daß das 
Kind, das doch so oft hört, es selbst oder andere ähneln dem Vater, das 
weiß, daß der Vater irgendwie zu ihm gehört, nicht wahr haben will, 
daß er etwas mit der Entstehung des Kindes zu tun habe. Und gewiß 
will es meist nicht wissen, welch schmutzige Dinge mit welch ekelhaften 
Organen dabei vorgehen. „So was tun meine Eltern nicht“, ist eine 
häufige Antwort auf Erklärungsversuche durch Kameraden. 


Sollen wir nun vor diesen Tendenzen zurückweichen und die Auf-' 


klärung unterlassen? Ich glaube, die Frage ist falsch gestellt. Da Scham, 





Ekel und Eifersucht, stark entwickelt, den Keim kommender Erkrankungen 
darstellen können, oft schon kindliche Charakterverbiegungen und Neurosen 
sind, ist es Aufgabe des Erziehers, deren Wucherung zu verhüten, beziehungs- 
weise, wenn sie einmal eingetreten sind, sie abzubauen. Demnach muß vom 
ersten Tage an dafür gesorgt werden, daß die Verrichtungen von Harn- 
röhre und After ebensowenig als schlimm empfunden werden wie die des 
Mundes. So gut wir nicht in den Fehler mancher Negerstämme verfallen, 
die das Essen mit Scham bedecken,'! ebenso können wir Harn- und Stuhl- 
verrichtungen zu gleichgültigeren Vorgängen werden lassen. Dazu 
gehört, daß wir die ursprünglich bestehende hohe Wertung dieser Tätig- 
keiten nicht selbst noch ins Groteske steigern, damit nicht die Scham, die 
ererbt ist, übermäßig ausgebaut werden muß, um die lriebkräfte der 
Harn- und Kotlust in Schach zu halten. Auch wird die Mutter und deren 
Vertretung dadurch, daß sie das Kind nicht allzufest an sich bindet, es 
von vorneherein daran gewöhnen, zu teilen, namentlich Zeit und Liebe 
der Mutter. Wird all dies vermieden, so sucht das Kind die Aufklärung 
und nimmt sie freudig als wertvollen Liebesbeweis entgegen. Dann wird 
es nicht der Köchin glauben, die erzählt: Ganz weit weg ist ein Teich; 
von dem holt der Storch irgend ein Kind heraus; das ist dann dein Bruder. 


IINIIHIIHITHIKUIFTHIEBEBULSIKERUHTEHLHUHUADETLETDDIDDBERRENKTTU RL UROADBELEERADLDRGERARSLDDDERUAODRTRUUATREBEKDDDEEDDRKDKADSEEDDEKUDDDCODOEERRDPSODSIERTDLDDUKDERERROBAREERRR 


Eltern, Schule und sexuelle Aufklärung 
Von Hans Zulliger, Ittigen (Bern) 
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Die sexuelle Aufklärung der Kinder kommt in der Regel zu spät. Sie 
müßte nämlich schon im vorschulpflichtigen Alter ihren Anfang nehmen: 
dann, wenn das Kind sich mit der Frage beschäftigt, woher der Mensch 


komme und wohin er gehe (Geburt und Tod). In der Regel fangen diese 
Fragen die Kinder dann an zu beschäftigen, wenn ein Geschwisterchen 


ankommt, oder wenn in der Nachbarschaft ein Kind geboren worden ist. 


Alsdann rückt das Kind mit Fragen sexuellen Inhaltes heraus, und je nach 
seiner Verschüchtertheit stellt es sie mehr oder weniger direkt. 

Ein Kind z. B., dem man einst mit der Kastration drohte, als es mit 
seinen Genitalien spielte, und dem man immer als unanständig verbot, 
etwas über seine „unteren Körperpartien“ zu sprechen, wird schon als 
Vierjähriges auf eine Art fragen, daß der. eigentliche Zweck der Frage 
nicht offen zutage liegt. Denn sexuelle Dinge sind für es bereits mit dem 
Tabu belegt, die Verdrängungsmechanik müßte durch die Erwachsenen 





ı) Immerhin „darf man“ bei uns nicht auf der Straße essen. 


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schon durchschaut werden können. Man hört Eltern nicht selten über 
die leidige „Fragesucht“ ihrer Vierjährigen klagen, die sie nicht ver- 
stehen können. Es handelt sich um Kinder, die die Frage der Fragen 
dieses Alters stellen möchten: „Woher kommen dieKinder, woher 
kam ich?“ Sie wissen es jedoch selber nicht, was sie eigentlich fragen 
möchten — von der sexuellen Frage ist ihnen bewußt nur noch der 
Drang zum Fragen (Fragen allgemeiner Art) zurückgeblieben. Aufgeklärte 
Kinder zeigen diese Fragesucht nie. Denn ihr Fragedrang wurde weder 
von seinem eigentlichen Ziel durch Verbote abgelenkt, noch wurden sie 
durch eine barsche elterliche Antwort auf eine Frage sexuellen Inhaltes 
dahin gebracht, plötzlich und traumatisch eine brüske Ablehnung zu 
erfahren, die sie zum Verdrängen zwang. 

Oft „verwächst“ ein Kind seine Fragesucht, die von vier bis sieben Jahren 
bestand, wenn es schulpflichtig wird. Und fast ebensooft geht alsdann 
diese Fragesucht in eine „Lesesucht” über. Das Kind sucht aus seiner 
Verdrängung heraus entweder Ablenkung, oder, wo es sich eine infantile 
Sexualtheorie zurechtdachte, hofft es in den Büchern irgendwie eine 
Bestätigung zu finden. Was ihm seine Eltern oder Pflegepersonen vor- 
enthielten, könnten ihm die Bücher verraten. 

Ich habe in meinen Schulklassen mehr denn einmal einen „Leseratz“ 
gesehen, der mit seiner Süchtigkeit fast plötzlich aufhörte, nachdem er entweder 
von einer erwachsenen Person ernsthaft aufgeklärt wurde, oder nachdem 
es ihm gelang, das berühmte „Doktorbuch” heimlich zu erwischen. 

Eine Mutter brachte mir einmal ein zehnjähriges Mädchen, das an 
Lesesucht litt. Ich fragte, ob es aufgeklärt worden sei. Die Frau bejahte 
es und meinte, gerade diese Tatsache bringe sie in Erstaunen. Es sei ihr 
bekannt, was die Kinder in den Büchern eigentlich suchten, nämlich 
sexuelle Aufklärung; so behaupteten ja die Psychoanalytiker. Sie war sehr 
geneigt, die „psychoanalytische Ansicht über die Bedeutung der Lesesucht“ 
in Zweifel zu ziehen. — Das Mädchen war, wie sich später herausstellte, 
mit neun Jahren von der Mutter aufgeklärt worden. Vorher hatte man 
ihm gesagt, die Kinder kommen vom Storch, oder die Hebamme bringe 
sie, oder man grabe sie unter einem Findling im Walde hervor. Es waren 
Erwachsene (Erwachsene sind für Kinder bis zu neun Jahren immer 
„Autoritäten“) gewesen, welche so widersprechende Antworten auf die Frage 
der Herkunft des Lebens gegeben hatten. Das gab dem Mädchen zu denken, 
es traute schließlich keinem Erwachsenen in der Sache 
mehr und bildete sich die sogenannte „anale Geburtsth eorie"“ als 
Erklärung und Antwort. Als es dann von der Mutter „richtig“ aufgeklärt 
wurde, glaubte es ihr nicht recht und suchte in den Büchern die Bestätigung 
für seine eigene Theorie. 

Es ist eigentlich unvollständig, wenn von einer „analen“ Geburtstheorie 
gesprochen wird. Denn zu ihr gehört die „orale Zeugungstheori e”. 
Eine Schülerin hat sich mir gegenüber folgendermaßen geäußert: 








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„Ich habe mir gedacht, der Vater gibt der Mutter etwas zu essen. Eine 
Medizin. Und daraus entsteht das Kind, und dann kommt es hinten heraus, 
wenn es gewachsen ist.“ 

Andere Kinder teilten mir ähnliche Phantasien mit: der Pfarrer oder 
der Zivilstandesbeamte hätten dem Manne etwas, ein geheimes Mittelchen, 
übergeben, als sich die Eltern trauen ließen, der Vater habe dann davon 
der Mutter übergeben, und so sei ein Kind entstanden. Häufig glauben 
Kinder, die schon junge Vögelchen oder Küchlein haben ausschlüpfen sehen, 
der Vater lasse die Mutter Eier essen, und diese gingen dann im Leibe 
der Mutter aus, und so entständen die Kinder. 

Auf einer späteren, mehr verdrängenden Entwicklungsstufe kommt dann 
eine neue Annahme hinzu. Man findet es für unschicklich, daran zu denken, 
daß das Kind aus dem After ausgetreten sei. Dann glauben viele Kinder, 
sie seien aus dem Bauchnabel hervorgekommen. 

Oft jedoch bleibt die oral-anale Theorie bestehen bis ins spätere Alter. 
Eine Frau Pfarrerin mit einer Schar Kinder erwartete ihr Nesthäkchen, 
als die ältesten Töchter schon ı8- und ı6jährig waren. Und nun vernahm 
ich die unglaublich „reine“ Vorstellung der Achtzehnjährigen, die aus 
folgendem Gespräche ersichtlich wird: 

Mutter: „Jetzt nimmt dich wohl wunder, liebe Klara, woher denn die 
kleine Hanna kam?“ (Die Mutter hat die Älteste aufklären wollen, weil sie 
es jetzt doch schließlich an der Zeit fand.) 

Klara: „Ich weiß schon, ein Engel hat Hanna gebracht!” 

Die Mutter unterläßt es, Tränen in den Augen über die Reinheit ihrer 
Tochter, diese mit dem wahren Sachverhalt bekannt zu machen. Zwei Tage 
später drückt sich die Klara an ihre Mutter heran. 

Mutter: „Willst du mich etwas fragen ?” 

Klara, errötend: „Ja, Mutter, mich quält noch eine Frage wegen der 
kleinen Hanna. Aber ich darf fast nicht fragen ?” 

Mutter: „Sprich nur, liebes Kind!“ 

Klara: „Ich möchte nur eines wissen: wo kam der Engel herein? 
Kam er vorn durch die Küche oder kam er hinten durch die 
Stube herein? Sag’ mir nur dieses, liebe Mutter, damit ich wieder 
schlafen kann, ich dachte die ganze Nacht darüber nach!” 

Für den psychoanalytisch Orientierten besteht kein Zweifel, wieso eine 
scheinbar so „dumme“ Frage die Jungfrau derart intensiv beschäftigte, daß 
sie nicht schlafen konnte. Die von ihr — wahrscheinlich unter dem Ein- 
flusse ihrer in sexuellen Dingen sehr streng denkenden Eltern — längst 
unterdrückte, verpönte und als höchst peinlich empfundene Frage nach der 
Herkunft der Kinder beschäftigte sie. „Ist das Kind vorn oder 
hinten herausgekommen’?“ so lautet die Frage eigentlich. Aber wir 
‘dürfen darin wohl auch die Frage nach der Zeugung vermuten: „Wo kam 
der Engel ins Haus herein?“ Aus den Traumanalysen kennen wir die 
Bedeutung des Hauses (auch aus dem Sprachgebrauch „Ein altes Haus“ — 
„Holz vor dem Haus“ [Brüste] usw.). Die Frage lautet also auch: „Wie 


— 230 — 











und wo kam das Kind in die Mutter hinein?“ Wir wissen 
jedoch auch, was „Küche“ symbolisch bedeutet, und wenn wir gar ver- 


nehmen, daß Klara ausdrücklich sagt „... vorn durch die Küche... .“, dann 
sind wir nicht mehr im Zweifel, was damit gemeint ist, und was dann 
jenes „... hinten durch die Stube. .“ zu bedeuten hat. 


Klara ist darüber im Zweifel, ob das Kind anal oder 
genital geboren und gezeugt werde. Was sie von ihrem 
Bewußten ängstlich als peinliche und verpönte Gedanken abhielt, beschäftigte 
sie unbewußt halt doch — ihre Gedanken konnten jedoch infolge der 
Verdrängung nicht mehr anders als symbolisch zum Ausdrucke kommen. 


2 


Ein kleiner Jude hat mir einst eine interessante Geburtstheorie gebracht, 
die mit der Beschneidung zusammenhing, 

Er litt an hysterischen Schmerzen in der Blinddarmgegend, die physisch 
ganz unbegründet waren. Dies war neben seiner Renitenz eines der Haupt- 
symptome. Weil er sich zu Hause schlimm verhielt, schickte man ihn zu 
mir in Heilbehandlung — dem Blinddarmsymptom schenkte man im 
Elternhause keine Beachtung mehr, nachdem der Hausarzt versichert hatte, 
der Junge sei durchaus nicht blinddarmkrank. 

Der Bub stellte sich vor, daß die Kinder im Blinddarm entstehen. 
Den Männern würde, wie seinem Vater, seinem Onkel usw., der Blinddarm 
weggeschnitten, deshalb wären die Männer nicht imstande, Kinder zu 
bekommen. Den Frauen, die den Blinddarm noch besaßen, wachse darin 
von Zeit zu Zeit ein Kind und trete dann durch den Anus aus. 

Die Eltern des Knaben hatten es unterlassen gehabt, den Jungen 
beschneiden zu lassen. Kameraden aus der konfessionellen Schule, die er 
in seiner Heimatstadt besuchte, sah er während des Badens als Beschnittene, 
und da er nicht war, wie die anderen, hielt er sich für minderwertig: er 
war über seine Geschlechtsrolle im Zweifel. 

Das Herausnehmen des Blinddarms hielt er (in dieser Schichte der 
Behandlung) als ein Äquivalent für die Beschneidung. Er wollte sich den 
Blinddarm herausnehmen lassen: das bedeutete, er wollte sich beschneiden 
lassen, um ein männliches Kind zu werden. (Später kam heraus, daß er 
sich vor der Beschneidung seines Gliedes fürchtete; sie bedeutete für ihn 
die symbolische Kastration, und da wurde es klar, warum er lieber den 
Blinddarm als den Penis hergeben wollte.) 

Sehr häufig stellen sich die schon älteren Kinder die Zeugung und 
Geburtals einen sadistischen Akt vor. Die Hebamme schneidet 
der Mutter den Leib auf. Der Vater würgt und schlägt die Mutter, dann 
entsteht ein dicker Leib, darin wird ein Kind (Analogieschluß: wenn man 
jemand schlägt, so schwillt die betroffene Stelle auf —?). 

Vierzehn- und fünfzehnjährige Mädchen, die teilweise schon mitten in 
der Pubertät drin stehen, haben mir folgende Fragen gestellt: 


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„Warum bekommen die Mädchen nicht den Stimmbruch ?“ 

„Weshalb bekommen die Mädchen keinen Schnurrbart ?” 

„Wieso erhalten die Knaben die Periode nicht?“ (Menses.) 

„Wieso bleiben bei den Knaben die Brüste immer klein ?” 

„Warum bedarf man bei der Geburt der Hebamme?“ 

„Wo kommt das Kind aus dem Mutterleibe heraus ?“ 

„Was hat der Bauchnabel zu bedeuten?” 

„Wie kommt das Kind in die Frau hinein ?“ 

„Wieso gibt es Zwillinge ?” 

„Ist es wahr, dal3 eine Geburt so schmerzhaft ist a“ 

„Was heißt das, eine Fehlgeburt ?” 

„Warum müssen die Frauen Röcke tragen, und warum dürfen die Männer 
Hosen anhaben ?“ 

Knaben des gleichen Alters sind weniger entwickelt, stärker in sich gekehrt, 
die Teilfragen der Sexualität beschäftigen sie nicht so stark. Möglicher- 
weise begnügen sie sich auch eher mit der Aufklärung, die von Kameraden 
kommt, von Knechten, von der Gasse. Sie fragen hie und da wegen 
der sekundären Geschlechtsmerkmale, verraten sich gelegentlich als 
Masturbanten (— vielleicht fragen sie aus Schuld- 
gefühlen weniger als die Mädchen —) und geben sich nach 
meinen Beobachtungen mehr in anal-sadistischen Spielen sexuell 
aus, denn in sexueller Neugier. Es ist so, als ob das sexuelle Problem 
in diesem Lebensalter für sie nicht so brennend wäre als für ihre gleich- 
alterigen Schulgenossinnen. 

Kinder, die auf der Gasse mehr oder minder genau aufgeklärt worden 
sind, verlangen doch nach Aufklärung durch eine erwachsene 
Vertrauensperson. Wieso dem so ist, war mir lange Zeit ein Rätsel, 
bis mir einst eine Schülerin mitteilte - „Wenn Sie es mir sagen 
dann kann man es glauben, und dann ist es nicht so 
dreckig I“ Dieser Ausspruch verrät schlaglichtartig, was die Eltern 
versäumen, wenn sie die Gelegenheiten unbenutzt lassen, um ihre Kinder 
aufzuklären: sie verlieren dabei das Vertrauen ihrer Jungen und 
Mädels! Das ist später schwer wieder gut zu machen, und die meisten 
Eltern gewinnen es nie wieder. 


3 


Wir haben im Sittenunterrichtt Lügen der Schüler gesammelt und 
besprochen. Dabei hielt ich darauf, wo immer möglich das Ideal der 
‚Wahrhaftigkeit hoch zu halten. 

(Es gibt Fälle, wo dies unmöglich ist, z. B. wenn ein Knabe aussagt: 
„Der Vater kommt betrunken heim. Seinen Zahltag hat er verspielt und 
vertrunken. Er weiß, daß Mutter noch Geld hat. Ich weiß es auch und 
weiß wo. Der Vater verlangt von der Mutter Geld. Sie sagt, sie habe 
keines mehr. Er kommt zu mir und sagt, ich solle ihm das Versteck 
verraten, wo die Mutter das Geld verborgen hält. Ich sage, ich wisse von 











nichts, denn ich weiß, das Geld ist nötig, um Lebensmittel zu 
kaufen, und er würde es nur vertrinken und verspielen. Da darf ich doch 
lügen ?“) 

Wir kommen schließlich, nachdem wir alle Sorten von Lügen geprüft 
haben, nach der Formel: „Wäre es in diesem Falle nicht möglich gewesen, 
die Lüge zu vermeiden ?* dazu, die Regel aufzustellen, daß eine Lüge nur 
dann erlaubt sei, wenn sich der Mensch entscheiden müsse zwischen der 
Wahrhaftigkeit als dem niedrigeren und einem höheren Ideale. 

Da fliegt auf einmal eine Hand auf: 

„Lehrer, dürfen denn die Erwachsenen lügen?” „Die 
Erwachsenen ? Wen meinst du damit?” „Die Großen — die Eltern — 
(zaghaft:) die Lehrer!“ „Wie hat man euch Kinder denn angelogen ?" 

Da gibt es hohnvolles Gelächter: „Vom Osterhasen — vom Weihnachts- 
kinde — vomStorch!” Das letzte klingt wie Wut. Und ein Junge, dessen 
Stimme schon im Stimmbruch schwankt, erklärt trotzig: „Die Großen 
(Erwachsenen) lehren einen das Lügen! Wenn sie einen so blöd 
mit dem Storche betrügen, so hat man ganz recht, wenn man 
sie auch belügt und betrügt, wo man kann!" 

Eine neue Perspektive! Die Lügenhaftigkeit der Kinder basiert oft — 
vielleicht überhaupt — auf der sexuellen Verlogenheit der Erwachsenen. 
Diese enttäuscht und erbittert stärker, als wir so obenhin anzunehmen 
geneigt sind. Bei näherem Zusehen wird auch ganz klar, warum das so ist. 

Ich habe einmal, nämlich im Anschluß an die Sittenlektionen über die 
Lüge, die Klasse gefragt: „Warum möchtet ihr denn so gern wissen, wie 
die Kinder entstehen?“ und ich erhielt prompt zur Antwort: „Wir 
wollen wissen, woher wir kommen!“ 

Die Frage nach der Herkunft des Menschen ist eine sehr persönliche 
Frage, eine persönlichere als beispielsweise die der Herkunft des Kaffees 
oder der Baumwolle. Je persönlicher der Mensch mit einer Frage verhängt 
ist, desto schmerzhafter und brennender bedrängt sie ihn. Und wenn er 
weiß: Ich könnte Auskunft erhalten, ich könnte aus dem Dilemma 
heraus, wenn man mir gut wollte, aber man will nicht, — dann muß er 
mit Zorn, Haß und Rachegefühlen reagieren. Das Kind, das man 
in seinem Gefühlsleben mit den temperamentvollen Primitiven gleich- 
gesetzt hat, wird heftiger reagieren, als es der zivilisiertere erwachsene 


Europäer tun würde. 
4 

„Wer soll aufklären?“ das ist die oft gehörte Frage. Sollen es die 
Eltern, soll es die Schule tun? 

Es scheint klar, daß die Eltern es tun müßten. Denn wenn die sexuelle 
Aufklärung richtig vorgenommen wird, so beginnt sie schon sehr früh, 
jedenfalls vor dem schulpflichtigen Alter. Außerdem sollen sich die Eltern 
durch ihre Aufklärung in dieser persönlichsten aller Fragen das Vertrauen 
der Kinder erhalten und festigen — ein Vertrauen, auf das gestützt später 


— 1233 — 





alle sexuellen Verwicklungen und Verirrungen viel besser umgangen oder 


beseitigt werden können. Denn durch die Erhaltung des Vertrauens gerade 
in sexuellen Dingen wird bewirkt, daß der Jüngling und die Jungfrau 
auch später, nach Eintritt der Reife, bei ihren Vertrauensleuten Rat in 
ihren Nöten holen. 

„Wie soll man aufklären?“ 

Da gibt es verschiedene Wege. Am besten ist wohl, man stellt dem 
Kinde bei seiner sexuellen Frage vorerst die Gegenfrage: „Wie stellst 
du es dir denn vor — was denkst du, wie es sei?“ oder ähn- 
lich. Dann kann man sich am besten einfühlen und infolgedessen am 
angepaßtesten antworten. Und man antwortet nuraufdie Teil- 
frage, die das Kind gestellt hat. Ein Vierjähriger fragt noch nicht nach 
der Bedeutung des Vaters (Mannes) bei Ehe und Zeugung. Ihn wird nur 
interessieren: „Wo war ich vor der Geburt?“, und es genügt ihm voll- 
kommen, wenn ihn die Mutter belehrt: „Du schliefst unter meinem 
Herzen, bis du groß genug warst, um auf die Welt zu kommen!“ Erst 
nach längerer Zeit wird der Junge fragen: „Wo kam ich denn heraus?“ — 
und viel später noch: „Wie kam ich denn in dich hinein?“ 

Ich habe weiter oben angedeutet, wie ältere Schüler über sexuelle 
Dinge fragen. Vielleicht hat meine Aufzählung der Kinderfragen glauben 
lassen, sie wären nacheinander während einer Besprechung gestellt worden. 
Dem ist nicht so. Es lagen wochen- und monatelange Zeiträume dazwischen. 
Jede beantwortete Frage beruhigt das Kind für eine geraume Zeit, und 
erst später tauchen neue Fragen in ihm auf. 

„Sie haben als Lehrer aber doch aufgeklärt?“ sagt man mir. Gewiß! 
Warum sollte dies ein Lehrer nicht tun dürfen! Es kommt dabei nicht 
ungefähr, sondern ganz auf das „Wie“, auf das persönliche Ver- 
hältnis zwischen Schüler und Lehreran. 

Die Eltern leiden in der Mehrzahl selber an sexuellen Hemmungen 
und Verklemmungen, die sie hindern, gegen ihre Kinder offen und natürlich 
zu sein. „Wir können die Aufklärung nicht übernehmen; wenn Sie sie 
auf sich nehmen wollen, so ist es uns recht!” — diese Erklärung habe 
ich schon oft von Eltern ausgesprochen gehört, wenn ich sie von der Not- 
wendigkeit überzeugte, daß sie eines ihrer Kinder aufklären sollten. Andere 
sagen direkter: „Wir schämen uns, etwas zu sagen!“ Wieder andere 
erklären: „Das ist Sache der Schule oder des Unterweisungsunterrichtes!“, 
oder aber: „Wozu haben wir einen Schularzt ?!“ 

Im kirchlichen Unterweisungsunterrichte, an vielen Orten auch durch 
Schulärzte, ist bei den austretenden Schülern der Versuch einer Massen- 
aufklärung gemacht worden. Massenaufklärung ist in der Regel ein 
verfehltes Unterfangen. Das könnte nicht einmal der Lehrer tun, der die 
Kinder ein oder mehrere Jahre unter seiner Obhut hielt und genau kennt, 
geschweige denn ein Geistlicher, der die Kinder während des spärlichen 
Unterweisungsunterrichtes sah, oder gar ein Mediziner, der besonders dazu 


— 134 — 





a 


herkommt. Zuerst muß der gefühlsmäßige Kontakt vorhanden 
sein. Und auch dann noch wirkt eigentlich nur das Gespräch unter 
vier Augen. 

Wo der Lehrer die Erlaubnis der Eltern erhält, oder wo er gar 
darum gebeten wird, darf er aufklären, und wenn er es als eine 
persönliche Sache nach oder außerhalb der Schule unter vier Augen tut, 
da wird sein Vertrauen von den Schülern sicherlich nie mißbraucht. Ich 
dürfte mich nicht beklagen, je so etwas erlebt haben zu müssen. 


Ö 


Als mein Erster vier Jahre alt war, wurde er aufgeklärt über die 
Geburt: Als später sein um zwei Jahre jüngeres Schwesterchen vier Jahre 
und er sechse alt war, brachte er ihm ein Buch, worin der Storch am 
Kindleinteich abgebildet ist. Die Kleine war damals auch aufgeklärt. 
Dennoch redeten die beiden nun, als ob sie an die Storchenfabel glauben 
würden. 

Später einmal erwischte die Kleinste das Buch, und sie glaubte an die 
Abbildung — also an das Storchenmärchen. 

Da gaben die beiden anderen auf einmal ihre Überlegenheit kund, 
indem sie die Kleinste belächelten und die Mutter zum Zeugen anriefen, 
daß sie alle drei als ganz klein in der Mutter geschlafen hätten. 

Dieses Zurückkommen und Wiederverlassen der Auffassung der Geburt 
im Sinne der Storchenfabel ist nicht Einzelerscheinung. Viele anderen 
Eltern haben ähnliches beobachtet. 

Offenbar hat das Storchenmärchen etwas an sich, was der Phantasie 
der Kinder in einem gewissen Alter mehr entgegenkommt als die realen 
Tatsachen. Vom psychoanalytischen Gesichtspunkt aus bedeutet das Storchen- 
märchen gar nichts so Unsinniges — es liegt in seiner Symbolik dem 
Kinderdenken wohl wenigstens ebenso nahe, wie eine wirklich sachgemäße, 
materialistische Erklärung. Wahrscheinlicherweise liegt darin ein Stück 
uralten Volksgutes wie etwa in den Sagen und Mythen. Darum die 
„Affinität“ des frühkindlichen Gemütes für die Storchenfabel. Wo aber 
ein Kind ins „Realitätsalter“ hineinkommt, da ist es für seine Erzieher 
höchste Zeit, das Storchenmärchen zu berichtigen. 


Ö 


Wo ein Lehrer sieht, daß einer seiner Schüler oder Schülerinnen um 
der sexuellen Frage willen in arge Not gerät und das Kind zu ihm 
kommt und ihn um Hilfe bittet, da könnte er in die Lage kommen, ihm 
ohne Erlaubnis der Eltern aufklärend zu helfen, | 

Er steht alsdann vor zwei Übeln: er kann das Kind aufklären und 
muß erwarten, daß es möglicherweise zu Hause etwas davon berichtet, 
und dann ist er dem Haß und der Verfolgung der Eltern ausgesetzt, denn 
er hat kein im Lehrplan verbrieftes Recht zur sexuellen Aufklärung. Oder 


N I EE 


aber, er will sich lieber nicht „aufs Glatteis“ begeben, er schützt sich 
von der oben bezeichneten möglichen Gefahr und unterläßt die Auf- 
klärung. Das Kind, das in Not ist, wird dann irgendwo anders her, 
vielleicht auf der Gasse, Aufklärung suchen. | 

Ich gestehe, daß ich in solchen Fällen die Aufklärung ohne Bedenken 
auf mich nahm. Die pädagogische Pflicht — so erscheint mir 
— gehtvor der persönlichen Sicherheit und der Bewahrung 
von etwelchen Kämpfen und Verantwortungen. Was mich betrifft, so sind 
mir bei solchen Maßnahmen noch nie irgendwelche durch die aufgeklärten 
Kinder verursachten Schwierigkeiten erwachsen. Kinder haben auch Takt, 
oft nicht weniger als etwa die Erwachsenen .., 

Manchmal kommen die Kinder mit „heiklen“ Fragen. Eine 
Fünfzehnjährige hatte z. B, zu Hause „so Dinger gefunden“, die ihre 
Neugier erweckten, und von denen sie aus bestimmten Gründen überzeugt 
war, daß sie mit dem Sexualleben ihrer Eltern zusammenhängen mußten. 
Die „Dinger“ beschrieb sie mir deutlich als Kondoms, 

„Ich habe gedacht,” teilte sie mir vertrauensvoll mit, „vielleicht geben 
Sie mir Auskunft. Und was Sie mir sagen, das kann ich glauben. Und es 
wird wohl nichts Schlechtes sein, wenn Mutter und Vater damit zu tun 
haben —. Es nimmt mich halt sehr wunder! Und wenn man mich 
abweist, so nimmt es mich noch viel mehr wunder!“ 

Sie hatte schon die Mutter gefragt, diese hatte sie jedoch schroff 
abgewiesen. Deshalb kam sie nun zu mir. Nachdem ich mich überzeugt 
hatte, daß sie wirklich nicht wußte, zu was man die „Dinger“ gebrauchte, 
fragte ich, wieviele Kinder zu Hause seien — es handelte sich für eine 
Arbeiterfamilie um eine beträchtliche Schar. Und dann sagte ich: „Siehst 
du, da werden deine Eltern denken, sie haben genug zu schaffen, um 
euch acht Kinder ernähren und schulen zu können. Du bist die älteste, 
kommst bald aus der Schule, und dann willst du in eine Berufslehre — 
das kostet den Vater wiederum viel Geld. Darum werden deine Eltern 
wohl beschlossen haben, sie wollen, wenn möglich, kein weiteres Kind mehr 
bekommen. Und nun gibt es sogenannte Verhütungsmittel. Die sollen ver- 
hindern, daß eine männliche und eine weibliche Zelle sich treffen. Und 
ich denke, was du zu Hause im Nachttischehen gesehen hast, ist ein 
solches Verhütungsmittel.“ 

Die Schülerin gab sich mit der Erklärung zufrieden. Sie hatte mit 
großem Ernst zugehört und blickte mich dankbar an, als sie von mir 
wegging. 

Ein gleichaltriger Bub versuchte mich einmal auf die Probe zu stellen, 
indem er mich fragte: „Lehrer, wieso kommt das? Da wohnt bei uns 
zuoberst im Haus in einem Dachzimmerchen ein Fräulein, das schafft 
nichts. Am Abend geht sie in einer vornehmen Toilette weg, in der Nacht 
oder am Morgen früh kommt sie im Auto zurück, oft betrunken, und oft 
sind Herren bei ihr. Wo nimmt die das Geld zu ihrem Leben her?“ 


za 230 — 











Ich spreche zuerst die Vermutung aus, vielleicht besitze sie Geld, und 
da verrät er sich, indem er es verneint und aussagt: „Die Mutter 
hat gesagt, die verdieneihr Geld — ‚anders —!“ 

Nun frage ich ihn, warum er denn nicht die Mutter gefragt habe — 
und ob ich etwa für ihn die Mutter fragen solle. Da verliert er seine 
Haltung, bekommt Angst, ich könnte mit seiner Mutter reden, und er 
gesteht mir, daß er weiß, daß es sich um ein „chlechtes Mädchen” 
handelt, und daß er mich habe „ans Seil nehmen wollen“, weil er 
dachte, ich wage es doch nicht, ihm Auskunft zu erteilen. Er bat mich 
alsdann für seine schlimme Absicht — ohne mein Drängen — um 
Verzeihung, die ich ihm gewährte, und ich konnte in der Folge mit 
dem Burschen anfangen, was ich wollte, er war wie umgewandelt, und er 
wäre für mich durchs Feuer gegangen. 

Ich meine, der Lehrer darf sich nicht durch heikle Fragen verblüffen 
lassen. Wo er nicht in Angst gerät, findet er auch daraus einen Ausweg, 
und wo ihm dies gelingt, gewinnt er die Schüler für ein Vertrauens- 
verhältnis, das moralische und intellektuelle Früchte zeitigt. Denn das gute 
Gefühlsverhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist nicht unbedeutend für 
die intellektuellen Leistungen des Schülers." 


” 


Die Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hat unter 
ihrem Patronate „Aufklärungsfilm e“ herstellen und aufführen lassen. 
Sie sind ebensogut gemeint, wie die medizinische Massenaufklärung in 
den Schulen bei den Austretenden. 

Sie haben jedoch einen großen Nachteil: sie wirken abschreckend 
und oft neurosenfördernd. Einige junge Leute, welche die Filme 
sahen, haben mir nachher schaudernd erklärt, sie hätten auf der Straße 
jeden Menschen beobachten müssen, ob er nicht Anzeichen von Syphilis 
zeigte. Ein junges Mädchen erklärte mir: „Ich sah mir jeden jungen 
Mann an und dachte: „Bist du wohl auch so ein Schuft?" 

Damit will ich nur andeuten, daß derartige Aufklärungsarbeit Schäden 
entstehen lassen kann. Sie wirken weiter als die Ärzte, die die Herstellung 
der betreffenden Filme begünstigten oder veranlaßten, voraussahen und 
beabsichtigten. Die Ansteckungsangst, wie man sie bei vielen 
Neurotikern vorfindet, wird genährt und ist imstande, die natürliche 
Verbindung mit dem anderen Geschlechte zu unterbinden. Sexuelle Auf- 
klärung tut not, gewiß, aber sie dürfte nicht in sexuelle Abschreckung 
ausarten. 

Die Einsicht, die aus dem Verhalten vieler junger Menschen zu den 
Aufklärungsfilmen gewonnen werden kann, überzeugt uns noch stärker, 
daß alle Aufklärung eigentlich persönlich geschehen müßte. Ärztliche 


ı) Vgl. „Gefühlsverhältnis und intellektuelle Leistung“ in meinem Buche „Gelöste 
Fesseln“. Verlag Alwin Huhle, Dresden. 


Autoren haben für die Kinder kleine populäre Aufklärun gs- 
schriftchen geschrieben. Zahlreiche Eltern, die gerne in der Sache 
etwas an ihren Kindern tun wollen und doch das offene Wort nicht 
wagen, machen es nun so, daß sie ihren Kindern einfach so ein Schriftchen 
diskret in die Hand drücken: „Da, lies!“ 

Solches Vorgehen ist verfehlt: es braucht unbedi ngt das 
gesprochene Wort, nicht das geschriebene! Das Kind soll fra gen, 
diskutieren können, und die beste derartige Aufklärungsschrift ist 
niemals imstande, alle die kindlichen Fragen zu beantworten, weil die 
Fragen der Kinder anders lauten, als sich der Erwachsene vorstellt, und 
weil sie bei jedem Kinde wieder anders lauten: ein Kind ist von der 
einen, ein anderes von einer anderen Teilfrage bewegt. 

Schließlich sollten in den Seminarien die jungen Lehrer 
richtig aufgeklärt werden. Man könnte dies sachlich tun im Unterricht 
über den Bau des Menschen, und im Psychologieunterricht sollte man 
sich auch nicht scheuen, die Fragen zu berühren. Es gibt nicht 
‚bald einen Stand wie den der Lehrer, der so viele 
„nervöse“ Leute aufweist, und, nachdem die Ätiologie der Neurosen 
bekannt ist (Freud), könnte möglicherweise noch in den Seminarien viel 
zurechtgebogen oder im Sinne einer Prophylaxe verhindert werden, 
was sich heute zu Neurosen auswächst. Einer Lehrerschaft, die 
selber weniger unter sexuellen Hemmungen und Ver- 
klemmungen litte, würde es nicht so schwer fallen, sich 
über sexuelle Themen mit ihren Schülern zu unter- 
halten, sie fände auch eher und leichter den Weg, um mit den Eltern 
ihrer Schüler zu sprechen und ihnen Anleitungen darüber zu geben, auf 
welche Art diese ihren Kindern Aufklärung erteilen könnten. 

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Sexuelle Aufklärung ist Sache der Eltern. Wo es diese jedoch nicht 
tun können und wollen, da muß die Schule stellvertretend einspringen. 
Die Schulaufklärung darf niemals Massen-, sondern muß unter allen Um- 
ständen Individualaufklärung sein und schon früh einsetzen. Spätere Auf- 
klärung wirkt nur als Bestätigung, Klärung und Reinlichmachung, wo 
Schulkinder auf sch mutzige Art aufgeklärt worden waren. Vor der 
Schulentlassung sollte der Lehrer (wo es die Eltern nicht 
tun) seine Schüler mit den Gefahren desauß erehelichen 
Verkehrs bekannt machen (Geschlechtskrankheiten, Verhütungs- 
mittel), damit die Möglichkeit geringer werde, daß junge 
Leute ins Unglück kommen, sei es durch Ansteckung 
oder durch uneheliche Zeugung. Hier gilt nur ehrliche 
Offenheit! 

Wo ein Kind in Not ist, hat der Lehrer die Pflicht, zu helfen, wo er 
helfen kann, auch wenn er sich dabei exponiert: er ist für das Kind 
da, und nicht das Kind für ihn! 


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Es ist zu hoffen, daß die Erfahrungen und Wirkungen der Psycho- 
analyse und der Sexualforschung in absehbarer Zeit eine Menschheits- 
generation entstehen lassen, die weniger verdrängt und weniger prüde ist, 
so daß die Elternaufklärung etwas Selbstverständliches wird. Darum halte 
ich es für verfrüht und verfehlt, wenn von gewisser Seite her angestrebt 
wird, daß der Staat die sexuelle Aufklärung in der Schule lehrplanmäßig 
vorschreibe. 

Wo die Eltern aufklären, wird die Schulaufklärung überflüssig. 
Wenn diese heute notwendig wird, so bedeutet sie nichs weiter als einen 


vorläufigen Notbehelf. 


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Vom Gegensatz der Generationen 


Von Nelly Wolffheim 
I 


Es ist offenkundig, daß zwischen den Generationen — zwischen Eltern 
und Kindern — ein Gegensatz besteht. Man irrt sehr, wenn man annimmt, 
daß die sich abspielenden Konflikte erst in unserer Zeit in 
Erscheinung traten. Bereits in der Geschichte der Urvölker hören wir 
vom Kampf der Söhne gegen den Stammivater. Die Rivalenschaft zwischen 
Vater und Sohn fand in vielen Mythen Darstellung. Im besonderen sei 
da an die Sage vom König Oedipus erinnert; die Furcht der älteren 
Generation vor der nachfolgenden und das Besitzergreifen der jüngeren haben 
in dieser Verarbeitung eine klassische Darstellung gefunden. 

Wer Märchen und Sagen auszulegen weiß, wird in ihnen eine Fülle 
von Andeutungen und Symbolisierungen finden, die auf unser Thema 
zurückgehen. Die bösen Stiefmütter der Märchen stehen an Stelle der 
Mütter im allgemeinen. Die Schneewittchen-Stiefmutter sucht sich ihrer 
Tochter zu entledigen, weil sie auf deren Schönheit eifersüchtig ist und 
fürchtet, hinter ihr zurückstehen zu müssen. Aschenbrödel darf nicht mit 
auf den Ball gehen und sticht, als es ihr doch gelingt, die Mutter (und 
die sie auch symbolisierenden Schwestern) aus. In anderen Märchen und 
Sagen werden Riesen — die Väter — von ihren Gegnern, den Zwergen — 
also den Kleinen, den Kindern — bekämpft. Könige — als Vatersymbol — 
stehen in Konflikt mit ihren Untertanen. 

Alles dies sind dem Leben entlehnte Stoffe. Eifersucht und Rivalenschaft, 


Herrschsucht und der Kampf gegen sie werden als etwas allgemein Vorhandenes 


aufgefaßt, da eben Sagen und Märchen Typisches zum Ausdruck bringen. Die 
feindlichen Triebe der Generationen gegen einander wirken auch noch heute 
in den Menschen, doch hat die Kultur dafür gesorgt, daß sie ins Unbewußte 
verdrängt werden und daher weniger stark zur Auswirkung kommen. Wir 





schenken in der neueren Zeit dieser Materie mehr Aufmerksamkeit, 
wissen und erfahren heute mehr von den Konflikten zwischen Eltern und 
Kindern, weil sich jetzt alles freier durchzusetzen vermag, was früher durch 
den Kespekt vor der Autorität zum Schweigen gebracht wurde. Dann aber 
sind uns durch die Ergebnisse moderner Forschung Kenntnisse von den 
seelischen Geschehnissen übermittelt worden, die uns zu diesen Problemen 
eine andere Stellung einnehmen lassen. | 
Die Psychoanalyse hat aufgedeckt, wieviele Konflikte der Eifersucht 
und Rivalenschaft aus der unter dem Namen „Ödipuskomplex“ bekannten | 
frühkindlichen Liebe des Sohnes zur Mutter, der Tochter zum Vater 
erwachsen. Wenn hier auch nicht des Näheren auf diese Zusammenhänge 
eingegangen werden soll, so sei doch kurz hervorgehoben, wie viel für 
die ganze Entwicklung des Menschen davon abhängt, daß die an sich als 
normal zu bezeichnende Sohn-Mutter-, 'Tochter-Vaterbindung in rechter 
Weise zum Abklingen kommt. Wo die Kinder zu stark an die Eltern 
gebunden bleiben, ist der Boden für Schwierigkeiten geschaffen, die sich 
nicht nur in entwicklungshemmender Weise bei den Heranwachsenden 


u er u 


auswirken, sondern die auch bei aller Liebe — und vielleicht gerade durch 
sie — das Verhältnis der Generationen zu einander ungünstig beeinflussen. | 
Aber die Gegensätzlichkeit zwischen Eltern und Kindern hat noch andere | 
Ausgangspunkte, von denen hier der eine — vielleicht der alltäglichste — | 
beleuchtet werden soll. 
Die Erzieher — fast ohne Ausnahme — wollen das Kind haben, wie 


sie es sich denken, wie sie es sich aus irgend einer Idealvorstellung heraus 
wünschen, und darauf baut sich das Gegen-das-Kind-Arbeiten auf. 
Das Kind lernt dadurch früh erkennen, daß es sich fügen muß. Aus dem 
Gefühl des Schwächerseins entstehen beim Kinde starke Minderwertigkeits- 
gefühle, die es hilflos machen und gemeinsam mit den aus frühester 
Kindheit stammenden Schuldgefühlen dazu beitragen, es zu hemmen. Aber 
neben diesem Gefühl der Minderwertigkeit steht der Protest, das Sichwehren 
gegen die Übermacht, so daß schon in erster Entwicklung sich ein 
Gegensatz auftut. 

Frühes Minderwertigkeitsgefühl und frühes Aufbegehren werden besonders 
dort stark zur Entwicklung kommen, wo man die Kluft zwischen den | 
Eltern, überhaupt den Erwachsenen und den Kindern in einer bei der | 
alten Erziehung selbstverständlichen, heute weniger allgemeinen Weise | 
betont. Denn das Kind will den Eltern ähnlich sein, ihnen gleichen. 
Es mißt sich an ihnen, vergleicht sich, strebt danach, das Vorbild zu 
erreichen. Drückt man das Kind zu sehr herab, so bringt man es in eine 
schiefe Stellung zu seiner Umgebung: Man läuft Gefahr, das Kind zu einem 
sich minderwertig fühlenden Menschen heranzubilden, oder aber man 
erreicht das Gegenteil: Man züchtet eine überstarke Gegnerschaft, die dem 
Kinde — und auch zumeist den späteren Erwachsenen — zu einer 
dauernden Opposition Veranlassung geben. 


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| 








Es sind neben vielen anderen Gründen auch die hier erwähnten Tat- 
sachen, die es wünschenswert erscheinen lassen, daß das Kind mitKindern 
aufwächst, sich mit vielen verschiedenartigen Kindern messen kann. Unter 
Kindern kommt sich das Kind nicht immer „klein“ und unterliegend 
vor; es steht dort nicht immer einem Mächtigeren gegenüber, der es, 
auch wenn er es nicht beabsichtigt, in gewissem Sinne herabdrückt. Die 
Kinder verstehen sich trotz aller Händel und Kämpfe untereinander besser, 
als wir Erwachsenen sie verstehen können. Sind wir offen gegen uns, dann 
müssen wir zugeben, daß wir dem Kinde gegenüber oft vor Unbegreiflich- 
keiten stehen und mit unseren erziehlichen Maßnahmen daher meist im 
Dunkeln tappen. Wir richten so leicht Schaden an, reizen das Kind und 
nehmen es gegen uns ein. | 

Doch auch die Kinder verstehen die Erwachsenen nicht; sie wissen im 
Grunde nicht, was wir von ihnen wollen, warum wir sie stören und in 
ihrer Freiheit beschränken. Es ist nur zu natürlich, daß die Kinder den 
wahren Sinn unserer Erziehungsversuche nicht erfassen können; denn der 
Erwachsene überschaut die Folgen einer Handlung anders, als das Kind 
es tut, und unsere Erfahrungen führen uns zu Folgerungen, die dem 
Kinde ganz fern liegen. 

So liegt zwischen Kind und Erwachsenen eine Kluft, die sich nicht leicht 
überbrücken läßt, und schon in frühester Kindheit wird so der Boden 
vorbereitet, aus dem spätere Konflikte erwachsen können. Aller Erziehungs- 
erfolg hängt davon ab, wie wir es verstehen, das Problem der Gegensätz- 
lichkeit, des Gegeneinandergestelltseins zu lösen. Es gilt, eine Vermittlung 
zu schaffen zwischen Vorbildsein — denn das Kind will wachsen, sich 
angleichen, hinaufstreben — und Kameradschaft, d. h. einer herab- 
setzendes Kleinmachen vermeidenden Umgangsform. 

Der heranwachsende Mensch muß sich seine Erfahrungen erst 
erarbeiten, sie nicht nur einfach übernehmen. Es liegt in dem Kinde 
ein Trieb, der zum Selbsterfahren drängt; so will es sich durchsetzen, 
erproben, seine Umwelt erforschen. Zuviel Bevormundung wirkt hemmend 
und aufreizend. 

Die Verschlossenheit vieler Kinder, auch die sogenannte Verstocktheit, 
beruht häufig auf einem Gefühl des Nichtverstandenseins, das das Nicht- 
verstehenkönnen der Erwachsenen zur Ursache hat. Was wir können 
— und auch müssen — ist: das Ernstnehmen des Kindes und seiner 
Konflikte. Das Bewußtsein des Gewürdigtwerdens und Geachtetseins ist 
für das Kind Notwendigkeit. 

Wie viele Rücksichten verlangen wir Erwachsenen vom Kinde, meist 
ohne daß wir uns bewußt sind, welche Überwindung und Opfer wir 
eigentlich vom Kinde fordern. Wie wenig Rücksicht wird aber auf Spiel 
und Beschäftigung der Kinder genommen, wie leichtfertig stören wir 
das Kind. Dem Erwachsenen erscheint ja im Grunde des Kindes Tun klein 
und nebensächlich. Nicht aus Mangel an Liebe sind wir rücksichtslos 


— AU — 














m u 00.0000. 


Susi 





gegen das Kind, — die Liebe ist ja vielfach zu groß und führt zu 
unerwünschter Verwöhnung, — unsere falsche Einstellung ist es, die uns 
dazu bringt, Die Erwachsenen glauben zumeist, daß sie als fertige 
Menschen die Wichtigen sind und tragen zu wenig Achtung vor dem 
Werden der Kindheitsepoche in sich. Immer wird der Gegensatz betont; 
das Gleichsein wird im Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern 
zu wenig in den Vordergrund gestellt. Es ist ein Wahn der Erzieher, daß 
sie glauben, den Kindern eine Rolle vorspielen zu müssen, Man meint, 
etwas von seinem Einfluß zu verlieren, wenn man den Kindern in 
Natürlichkeit gegenübertritt, sich ihnen als ein mit Schwächen behafteter 
Mensch zu zeigen getraut. Eines Tages aber durchschauen die Kinder dies 


Verhalten, und im besten Fall belächeln sie es; oft aber fühlen sich die 


Kinder dadurch hintergangen und verlieren den Glauben an ihre Umgebung, 
Gereiztheit und Aufsässigkeit heranwachsender Kinder können hier eine 
Quelle haben. 

u 

Besonders in der Pubertätszeit — doch auch bereits in der Vorpubertät — 
wird man Trennungswände aufrichten, wenn man zu sehr den Erzieher 
spielt. Die aus inneren Schwierigkeiten entstehende Überempfindlichkeit 
des jungen Menschen läßt ihn in allem einen Eingriff in die Freiheit 
seiner Persönlichkeit erblicken. Die Jugendlichen leben in einem Zwischen- 
land, wie Lou Andreas-Salome& diese Epoche genannt hat. Sie fühlen sich 
nicht mehr als Kinder, streben nach dem Erwachsensein, können aber den 
rechten Anschluß dahin schwer finden und leiden unter dem Noch-nicht- 
für-voll-Genommenwerden. 

Die innere Loslösung der Kinder von den Eltern ist in dieser Zeit 
selbstverständliche Notwendigkeit. Man kann es fast mit Sicherheit als ein 
neurotisches Symptom deuten, wenn Kinder diesen Entwicklungsweg nicht 
gehen. Es pflegen nicht die schlechtesten Menschen zu sein, die sich in 
ihrer Sturm- und Drangperiode schroff-ablehnend und oppositionell betrugen. 
Nach Spranger „gelangen die Söhne, die ohne tiefere Krisis einfach der 
Linie des Vaters folgen, selten über das Mittelgut hinaus.” (Zur Psychologie 
des Jugendalters.) 

Besonders schwer ‘haben es unter Anerkennung dieser Einsichten die 
. heutigen Mütter herangewachsener Kinder. Die Väter sind durch Beruf 
und mancherlei andere Interessen innerlich mehr in Anspruch genommen 
als die Frauen, die, ohne Beruf lebend, immer nur für die Kinder da 
sein wollten, sich ihnen aufopferten, und denen die Kinder eben Kern- 
punkt des Lebens waren. Diese Nur-Mütter leiden schwer, wenn sie sich 
eines Tages überflüssig fühlen; sie erkennen vielleicht mit dem Verstande 
an, daß die Kinder sich von ihnen fortentwickeln müssen, aber gefühls- 
mäßig empfinden sie den Vorgang als etwas Kränkendes und werden — 
auch beim besten Willen — schwer damit fertige. Wenn Mütter sich zu 
sehr aufopferten, müssen sich die Schuldgefühle der Kinder, die im Los- 


— 2142 — 





— —_ —— __ m 








lösungsprozeß stehen, so stark entfachen, daß schon dadurch eine Gegner- 
schaft — wenn auch vielleicht unbewußt — entsteht, Sich enttäuscht 
fühlende Eltern pflegen die Heranwachsenden in ihrer Entfaltung zu 
stören, ohne zu ahnen, daß ihre eigenen Schwierigkeiten sie veranlassen, 
die Kinder zu quälen. 

Wir müssen uns ja überhaupt darüber klar sein, daß Unbewußtes 
in erheblichem Maße dazu beiträgt, die Familienbeziehungen zu beeinflussen. 
Wenn Kinder stark geistig gerichteter Eltern z. B. betont ins praktische 
Gebiet übergehen, wie man dies vielfach beobachten kann, so ist dies 
nicht — wie übrigens nichts im Leben! — reiner Zufall, sondern die 
Opposition steht dahinter. Die bekannten Schwierigkeiten der Söhne 
berühmter Väter sind in diesem Zusammenhange auch zu erwähnen. 
Wenn aus einer starken Identifizierung mit dem Vater der gleiche Beruf 
von einem der Kinder gewählt wird, bleiben meist Schwierigkeiten nicht 
aus, und Rivalenschaft und Eifersucht pflegen hier eine große Rolle 
zu spielen. 

Besonders stark mischen sich unbewußte Komponenten in das Verhalten 
der Mütter erwachsenen Töchtern gegenüber. Die oft verhältnismäßig jungen 
Mütter leiden — ohne daß die Motive ihnen immer ins Bewußtsein 
kommen —- darunter, daß sie hinter den aufblühenden Töchtern zurück- 
stehen müssen; sie werden durch die Töchter immer wieder an nahendes 
Altsein, an das Verzichtenmüssen erinnert. Dieser Neid gibt sicherlich eine 
der Grundlagen für die meist vorhandenen Schwierigkeiten zwischen 
Müttern und Töchtern. Fast überall besteht aber auch eine Gegnerschaft 
der Töchter gegen die Mütter, die wir aus infantilen Quellen ableiten 
müssen. Zur Zeit der vorher erwähnten frühkindlichen Liebe des kleinen 
Mädchens zum Vater entwickelt sich eine Eifersucht auf die Mutter, die 
im Unbewußten nachwirkt. 

Wenn wir die hier geschilderten Gegensätzlichkeiten zwischen den 
Generationen als naturgegeben anerkennen, so wird ein gewisser Fatalismus 
von seiten der Eltern nötig, um mit den Dingen innerlich fertig” zu 
werden. Mit direkter Erziehung ist bei den Herangewachsenen noch 
weniger zu erreichen als beim kleinen Kinde, und wo nicht in der früheren 
Zeit ein festes Leitmotiv gegeben wurde, ist auf einer späteren Altersstufe 
nichts mehr auszurichten. Der Jugendliche lehnt aus einem gewissen 
Selbsterhaltungstrieb heraus die Leitung durch die Eltern ab; er fühlt 
instinktiv, daß ihm das Durchkämpfen seiner Konflikte auf eigene, 
individuelle Art zur Selbstentfaltung nötig ist. Alle, denen jederzeit 
Beratung und Vorschrift den Weg zu ebnen suchten, leiden darunter. 
Wenn es ihnen nicht gelingt, sich in oppositioneller Stellungnahme zu 
befreien, werden sie mit ihrem ins Unbewußte verdrängten Aufbegehren 
zu schaffen haben. Solche Menschen bleiben auch leicht irgendwie unentwickelt 
und zeigen noch in späten Jahren eine unnatürliche Abhängigkeit von 
ihren Angehörigen und von ihrer Umgebung überhaupt. 


.— 43 — 





Nur wenn die Eltern es verstehen, sich im gegebenen Augenblick zu- 
rückzuziehen und sich abwartend im Hintergrund zu halten, bis — oder 
ob — die Kinder sich wieder zu ihnen finden, kann man erwarten, daß 
sich nach Ablauf der kritischen Periode ein, wenn auch vielleicht um- 
gestaltetes, so doch gutes Verhältnis anbahnt. Den Gegensatz der Gene- 
rationen können wir nicht aus der Welt schaffen; gewinnen wir aber eine 
richtige Einstellung zu diesen Fragen, so wird das Lebensglück von Eltern 
und. Kindern weniger gefährdet sein. Bis zum Tiefsten verstehen können 
wir die Jugendlichen nicht, auch dann nicht, wenn wir mit der Zeit 
mitzugehen versuchten und innerlich jung geblieben sind. Ein jeder wurzelt 
ja in seiner eigenen Jugend und trägt mit sich, was ihm einst wertvoll 
und wichtig war. Wir müssen doch anerkennen, daß sich die Einstellungen 
wandeln, und was der einen Jugend Ideal und Lebenswert war, wird von 
der nächsten Generation in einem anderen Lichte gesehen. Der Lebens- 
trieb der neuen Jugend, ihr Geltungsdrang und ihr Machtbedürfnis lassen 
sie ihre Wege gehen, wie wir die unseren gingen. Moderne Erkennt- 
nisse haben uns die Zusammenhänge aufgezeigt; wir haben den Schluß 
zu ziehen, daß Kampf Gegebenes ist, daß Elternaufgabe — Resignation. 


FRI TITMTTTTNINNNNTTTTNNTNNTNTTNTNTNNNNNTTNNNNNNNNNNNNNNNTNNTN 


Zeugung und Geburt in der Vorstellung des Kindes 
Von Dr. Gustav Hans Graber (Bern) 
I) Werden und Vergehen 


Daß das Urinteresse am Werden und Vergehen beim Kinde die Seele 
und das Denken noch uneingeschränkter als beim Erwachsenen erfüllt, 
das erkennen wir (und wir haben es in der psychoanalytischen Literatur 
oft — vielleicht noch nicht zur Genüge — dargestellt) an der ständig 
hierauf gerichteten Aufmerksamkeit, den unaufhörlichen Fragen, hinter 
denen sich die Urfrage nach Geburt und Tod verbirgt, vor allem aber 
auch daran, daß wir in der Kinderanalyse meist sehr schnell auf jene 
Fragen treffen. Wir staunen dabei immer erneut über die Fülle dieses 
von außen überkommenen oder intuitiv erfaßten Wissens in Bezug auf 
diese Phänomene, über welches das Kind verfügt, und wir sind gleicher- 
zeit erstaunt über die mächtige Gewalt der vollzogenen Verdrängung beim 
Erwachsenen, der uns gelegentlich unglaubliche Rätsel seiner Unkenntnis 
aufgibt. 

Eine Frau, Mutter dreier Kinder, die in einer Großstadt bei Mittel- 
schulbildung aufwuchs, berichtet mir verschämt, sie sei bereits verheiratet 


— 44 — 


und im vierten Monat der Schwangerschaft gestanden und habe den 
Grund ihres veränderten Zustandes nicht gekannt, habe überhaupt nicht 
gewußt, wie lange eine Schwangerschaft dauere und nicht gewußt, welcher 
Art das Kind zur Welt komme. Der Arzt habe sie dann aufgeklärt. Sie 
hätte nämlich gemeint, die Kinder würden aus dem Bauche geschnitten. 
Ich lächelte etwas ungläubig, doch die Dame, die mein Lächeln wohl 
auf ihre Einfalt bezog, fand zu ihrer Entschuldigung Worte, die meiner- 
seits erneutes Staunen erzeugten: 

„Und meine Freundin! Die hat doch sogar einen Zahnarzt zum 
Mann, und sie meinte noch in der letzten Periode ihrer Schwanger- 
schaft, der Nabel werde aufschwellen, sich öffnen, und das Kind werde 
da heraustreten.“ 

Der Leser wird wahrscheinlich lächeln, wie ich lächelte, aber wenn 
solche Fälle auch nur ganz vereinzelt bekannt werden, sie sind — viel- 
leicht nicht gerade in dieser krassen Form — gar nicht so selten, und 
die Witze, die landauf, landab über Unkenntnis (besonders den Zeugungs- 
vorgang betreffend) umgehen, reden auch ein nicht mißzuverstehendes 
Kapitel. 

Aber ich will mich beschränken und will mich nicht weiter verbreiten 
über die üblen Folgen solchen Maulwurfdaseins im Dunkeln und auch 
nicht über die Notwendigkeit der Aufklärung der Jugend. Wir haben alle 
ein Stück Einsicht. Und Einsicht gibt Aussicht — auf Besserung. 


2) dus der Menschheits- und Einzelentwicklung 


Die Frage „Wie kommt das Kind (der Same) in die Mutter?” tritt 
sowohl in der Menschheits- als in der Einzelentwicklung erst nach der 
Geburtsfrage auf. Antike Symbole, Darstellungen hermaphroditischer (zwei- 
geschlechtiger) Menschen und Götter belehren uns,’ daß dem Urmenschen 
die Rolle des Mannes als Erzeuger nicht bekannt war. Das Weib zeugt 
und gebiert aus sich selbst, wie der Sumpf, die noch unentmischte (zwei- 
geschlechtige) Verbindung von Wasser und Erde, sich mit sich selbst 
begattet. „In den Sumpfpflanzen, welche aus der Tiefe des Schlammes 
ans Licht emporwachsen, tritt die Frucht des in Selbstumarmung 
empfangenen Stoffes vor der Sterblichen Blick.”? 

Das Kind hat, wie wir hören werden, eine ähnliche Auffassung wie die 
Alten. Wenn es sich einmal volle Klarheit über seine Herkunft verschafft 
hat, so bleibt ihm die Zeugung immer noch ein Rätsel. In der päd- 


ı) Siehe J. J,. Bachofen: Urreligion und antike Symbole, herausgegeben von 
C. A. Bernoulli, Leipzig, 1926. Rank, Beiträge zur Mythenforschung (Internat. PsA. 
Bibl. Nr. IV). Ferner: G.H. Graber: Die schwarze Spinne, Menschheitsentwicklung 
nach Jeremias Gotthelfs gleichnamiger Novelle, dargestellt unter besonderer Berück- 
sichtigung der Rolle der Frau, Wien, 1925. 

2) Bachofen: Op. cit., Bd. I, $. 378. 


— 2145 — 


zn rn 


agogischen Analyse erlebt man meist dieselbe sich stets wiederholende Ent- 
rollung der Probleme. Vorerst taucht die Frage des nächsten „Woher“ auf, 
und erst wenn diese erledigt ist und das Kind weiß, daß es aus der 
Mutter stammt, will es auch wissen, wie es da hineingekommen ist. Wir 
können dabei die interessante Beobachtung machen, daß im allgemeinen 
das jüngere Kind (sowie der entwicklungsgeschichtlich ältere Mensch) den 
Fragenkomplex viel weniger entmischt hat als das ältere, so daß Geburts- 
und Zeugungsprobleme meist in enger Verschränkung gelöst werden 
wollen, während beim älteren Kind, das bereits des Vaters Rolle bei der 
Zeugung ahnt oder kennt, diese, weil mit erheblich stärkerem Affekt 
belegt, viel heftiger verdrängt ist, so daß oft während längerer Zeit in der 
Analyse das Interesse krampfhaft auf die Geburt gerichtet bleibt, während 
das Zeugungsproblem erst nach Überwindung stärkster Widerstände zur 
Sprache kommt und natürlich auch erst nachher seinen konfliktschaffenden 
Zwangscharakter verliert. 


3) „Die sexuelle Frage“ 


Die Frage, die man noch gelegentlich zu hören bekommt, warum der 
analytische Pädagoge die Kapitel über Zeugung und Geburt (also im 
weitesten Sinne = „die sexuelle Frage“) derart in den Vordergrund schiebe, 
ist falsch gestellt, von falscher Voraussetzung ausgehend. Ich habe 
ausgeführt, daß sie beim Kinde lebendiger ist als beim Erwachsenen, der 
sie — und damit das Natürlichste — einesteils verdrängt und anderenteils, 
wie angedeutet, durch sekundäre Interessen (ökonomische, usw.) ersetzt hat. Es 
ist nicht der Analytiker, der das Kind auf die Geburts- und Zeugungs- 
frage führt, sondern es ist das Kind selbst’ das hier einmal in unge- 
zwungener Weise sich der ungeheuren Spannung seines Lebensinteresses 
auf natürlichere Weise, als dies in der ungesunden, stickigen Luft der 
Hintertreppe geschieht, entledigen kann. Es wird gefragt: Ist diese Ent- 
spannung notwendig? — Ja! Das Kind findet die innere Ruhe und kann 
bald — zum Erstaunen der Eltern — seine freigewordenen Kräfte auf 
reale Aufgaben des täglichen Lebens, wie sie ihm vor allem von der 
Schule gestellt werden, richten und sie bewältigen. 

Gewiß ist damit das Kind „erwachsener“ geworden, aber dies ist kein 
Unglück. Es wird dabei bloß eine alte Illusion des Erwachsenen zerstört, 
die Illusion, als ob das Seelenleben und Denken des Kindes im „Paradiese 
der Jugend“ nach völlig anderen Gesetzen sich abwickle, als dasjenige der 
Erwachsenen. Das Glück des Kindes besteht nicht in seiner Unwissenheit 
gegenüber tiefsten Lebensfragen, wie dies die landläufige Meinung sein mag. 
Dadurch, daß dem Kinde diese Dinge, an denen der Erwachsene vielleicht 





ı) Vgl. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (Ges. Schriften, Bd. V). — 
Über infantile Sexualtheorien (ebendort), — Zur sexuellen Aufklärung der Kinder 
(ebendort). — Die Traumdeutung (ebendort, Bd. II u. II). 


— 2406 — 








bittere Erfahrungen gemacht hat, vorenthalten werden, — damit es bewahrt 
bleibe vom Leide, das man selbst zu erdulden hatte, — wird es eben 
nicht bewahrt, sondern im Gegenteil tiefer hineingestoßen. 

Ich will aus der Erfahrung meiner pädagogisch-analytischen Tätigkeit 
hier nur einen Fall herausgreifen. Er erscheint mir als typisch 
ınd bietet uns wesentliche Einsichten in die kindliche Auffassung von 


Zeugung und Geburt. 


4) Unbewußte und symbolische Zeugungsvorstellungen 


Eine Frau aus einfachen Arbeiterverhältnissen kommt mit ihrem neun- 
jährigen Söhnchen Rudolf in die Sprechstunde der Erziehungsberatung. 
Ich rede vorerst mit der Mutter allein und lege Rudolf im Nebenzimmer 
verschiedene Bilderbücher vor. Sie klagt über Rudolf, mit dem sie sich so 
eine furchtbare Mühe gegeben habe. Er sei so nervös, schreie des Nachts 
im Schlafe, sei empfindlich, gerate oft in Wutausbrüche und zeige seinen 
Schularbeiten gegenüber gar keine Freude, sondern beginne sie immer mehr 
zu vernachlässigen. Dagegen sei er darauf versessen, immer mit ihr Halma 
zu spielen. Seine Kameraden quälten ihn, und das müsse doch auch seinen 
Grund haben usw. 

Rudolf, mit dem ich nachher allein spreche, zeigt einen leichten Augen- 
tic, verkrampft während des Sprechens beständig seine Finger ineinander, 
sitzt öfters zum Sprechen auf und nieder und macht wirklich den Eindruck 
großer Unsicherheit und Nervosität. Ich frage ihn: 

„Haben dir die Bilder gefallen?“ 

„Hm, ja.“ 

„Was hast du dir für welche angeschaut?“ 

„Viele.“ 

„Und welche haben dir besonders gefallen?“ 

„Hm, von den zwei Dieben,' wie sie den Mann im Bett mit dem 
Messer erstechen wollen, wie sie sich im Schrank verstecken und dann 
vor der Polizei fliehen, zum Fenster hinausspringen und von ihren 
‚Paraplüs‘ durch den Bauch aufgespießt werden.“? Schon diese Erwähnung 
ließ mich darauf schließen, daß Rudolf sich mit dem Zeugungsproblem 
beschäftigte. Nach Träumen gefragt, erzählte er einen Traum, der meine 


Vermutung bestärkte: 


ı) „Die zwei Diebe“ aus einem Wilhelm-Busch-Album. 

2) Diese Buschgeschichte ist — wie übrigens die meisten anderen auch — voll 
nicht mißzuverstehender Mutterleibs- und Sexualsymbolik. Die Diebe beginnen mit 
dem Privatier eine Messer- und Säbelstecherei im Bett. Eine Pistole wird unter dem 
Federbett losgefeuert. Darauf wird der Privatier mit verstopftem Mund in embryo- 
naler Lage gleichsam an der Nabelschnur an die Wand gehängt. Auch die Köchin 
muß dieselbe Regression erdulden und wird in einen Sack gesteckt. Schließlich 
ereilt sie selber gleiches Schicksal. Die Diebe fliehen vor der Polizei in einen Schrank, 
dann aber mit gespanntem Regenschirm zum Fenster hinaus. Unten werden sie 
übereinanderliegend durch die Geschlechtsteile hindurch aufgespießt. 











„Ich bin mit der Mutter in der Küche. Da kommt ein Engländer und 
will die Mutter erstechen. Ich sage, er dürfe nicht. Aber er ersticht 
_ die Mutter durch den Bauch. Ich ziehe ihr das Messer heraus und jage 
den Mörder fort.“ 

In der nächsten Stunde lasse ich Rudolf Einfälle zum Traum geben. 
Er spricht von einem Gedicht, „Ach, wer doch das könnte“ (Viktor 
Blüthgen). „Ein Knabe fliegt auf einem Papierdrachen durch die Luft, 
stattet dem Storchen einen Besuch ab und sieht weit unter sich Papachen 
und Mamachen, wie sie so klein sind.“ | 

Der tiefere Sinn der Geschichte ist klar. Rudolf identifiziert sich mit 
dem Knaben, der fliegend sich über Vater und Mutter erhebt und auf 
dem Papierdrachen liegend zum Zeuger (Storch) wird. 

Vom Engländer nun berichtet Rudolf: „Er hat eine grüne Kleidung 
getragen wie ein Hotelangestellter (der Beruf seines Vaters). Dazu trug er 
einen großen Schnurrbart, wie ein anderer Hotelangestellter der Stadt, den 
ich kenne. Auch ein großes Maul hat er, wie Fernando, der Italiener- 
knabe, der mich immer quält. Der Engländer ist ein Fremder (wie der 
Italienerknabe), und mein Papa hat auch mit den Fremden zu tun.“ 

Der Engländer ist die im Traum entstellte und verdichtete Vaterfigur 
(aber auch Rudolf selbst). Er wird von Rudolf vertrieben, weil er sich 
selbst mit seiner Mutter identifiziert, und weil er gleichzeitig aber auch 
den Platz des Vaters einnehmen möchte Mehrmals, und zwar immer im 
Anschluß an Aussagen über das In-den-Bauch-Stechen, erzählt der Knabe 
unter heftigen Affektäußerungen von seinem Halmaspiel mit der Mutter: 
„Ich hüpfe immer mit meinen Kügelchen in das Feld der Mutter. Ich 
spiele alle Tage Halma. Ich möchte immer mit ihr spielen.“ 

Rudolf dringt bei diesem Kampfspiel in das Feld der Mutter, Er 
„ersticht” sie. Am Schluß der zweiten Sitzung gebe ich Rudolf diesen 
Zusammenhang. Ich sage ihm, ohne auf das sexuelle Moment anzuspielen, 
daß er wie der Engländer ins Feld der Mutter, in die Mutter dringen 
möchte. In der nächsten Stunde (einige Tage später) berichtet mir Rudolf 
als erstes, er habe seither nicht mehr Halma gespielt. Es sei ihm ver- 
leidet. Er wisse nicht warum. Dann schweigt er, lenkt ab und erzählt die 
Geschichte von einem verlorenen Büblein, das man unter einem Gebüsch 
im Walde wieder fand. Das aktuelle Interesse an der Zeugung wird ver- 
drängt, denn das Bewußtsein „merkt“ plötzlich den Sinn des Traumes 
und der Symbole. Die Übertragung aber ist noch nicht soweit gediehen 
und die Widerstände noch zu mächtig, als daß dieser Komplex erledigt 
werden könnte. Wir werden ihm später wieder begegnen. An seine Stelle 
tritt ds Geburtsproblem (gefundenes Knäblein im Gebüsch). 

Es wird bewußt zu lösen versucht. Dazwischen tauchen aber immer 
wieder symbolische Vorstellungen, die mit dem Zeugungsvorgang im 
Zusammenhang stehen, auf, So beschäftigt Rudolf noch lange das Loch, 
das durch den Stich an die Stelle des Nabels getreten. Ein Loch muß 


— 248 — 





sein, und zwar das Loch, wo man hinein kann und wo das Kind heraus- 
kommt. Rudolf erzählt die Geschichte von den Schildbürgern und dem 
fensterlosen Rathaus, wo das Licht (als männliches Prinzip = Phallus, 
siehe Bachofen, op. cit. I 114—ı6, 118, 120—22, 503f. II 52, 62—66, 
68—7ı, 118, ı78f, 246—49, 298—303 usw.) nicht in das Dunkel 
(Nacht = Weib, Rathausinnere = Mutterleib, Bachofen I 63f., ı20, 462, 
486, II 29, 56, 95, 117, 299) hineindringen kann. Aber hier ist Tabu, 
Verbot, Gefahr, Tod. „Es tut weh,“ erzählt Rudolf, „wenn man in den 
Bauch sticht, man (mit der verallgemeinernden Bezeichnung bezieht er 
sich in seiner Mutteridentifikation mit hinein) wird krank und muß 
sterben. Auf der Schützenmatte schaute ich in einer Meßbude durch 
Löcher und sah Bilder von Unglücken, und vor einiger Zeit fuhr ein 
Knabe auf einem Velo den Aargauerstalden hinunter, wobei die Bremse 
versagte und er in den Bärengraben (Loch) stürzte. Er riß noch einen 
anderen Knaben mit sich hinunter, den die Bären fraßen.“ Die Vor- 
stellung „Lochstechen“ (Koitus) verbindet sich dem Knaben mit Todes- 
phantasien. Zeugung = Tod, und zwar für beide Teile, für den ins Loch 
Fallenden und den Gestochenen (Mutter). 

Die Widerstände Rudolfs werden in folgender Sitzung noch stärker. 
Unbewußtes und Bewußtsein sind nun fast voll in Anspruch genommen 


durch das Geburtsproblem. 


5) Das Geburtsproblem! 


Rudolf ist ungehalten darüber, daß er nichts weiß, daß er nicht auf- 
geklärt wurde über „das Loch“ und den dazugehörigen Fragenkomplex. 
Er selbst ist das verlorene Büblein der erwähnten Geschichte, das sich, des 
Weges unkundig (unaufgeklärt), verläuft und schließlich unter dem Gebüsch 
gefunden wird (Wiedergeburt). Ein Traum zeigt ihn auch seinen Schul- 
kameraden gegenüber in dieser Beziehung im Nachteil: 

„Ich ging mit der Klasse zum Baden. Wir hatten ein Schifflein, aber 
ich durfte nicht mit ihnen übers Wasser fahren. Ich schwamm ihnen 
nach und hielt mich am Schifflein fest. Dabei versteckte ich mich und 
sah und hörte, was sie machten.“ 

Hören wir, was Rudolf zum Traum vorbringt: „Einmal hatte ich die 
Rechnungen in der Schule recht und derjenige neben mir nicht. Fernando 
(Italienerknabe) rief nach der Schule die Knaben zusammen, und sie 
schlugen mich durch, aber ich sagte ihnen die Rechnungsresultate gleich- 
wohl nicht. Ich darf auch nicht immer helfen, wenn gespielt wird, oder 
nur als Ersatz. — Im Schifflein war zu wenig Platz. — Die Knaben 
sagen immer so grausige Sachen von dem... (Hemmung). 


ı) Den ganzen Komplex über die Geburt als Trauma, der das Kind auch 


beschäftigt, ließ ich hier unberührt. Siehe darüber Rank: Das Trauma der Geburt, 
Wien, 1924, und Graber: Die Ambivalenz des Kindes, Wien, 1924. 








Rudolf erzählt nun unzusammenhängend einige von Knaben gehörte „Sau- 
Sachen“, wie er sie nennt, die hauptsächlich ins Gebiet der Zeugung 
gehören und später noch Erwähnung finden sollen. Plötzlich kommt her- 
aus, was ihn längst schon quälte: „Ich glaube nicht, daß der Storch die 
Kindlein bringt, aber Mama sagte es immer, noch als ich in das dritte 
Schuljahr ging (Pause). Einmal sagte sie auch, sie habe alle Tabletten 
gegessen, sie wolle (?) mir keine geben. Ich habe es nicht geglaubt. Ein 
andermal sagte sie, Akila, die Wölfin (Rudolf ist Wölfling bei den Pfad- 
findern), sei dagewesen und wollte mich mitnehmen. Aber es war gelogen.“ 

Die Aussagen brauchen keines großen Kommentars. Rudolfs Fall ist der 
Fall. Er ist von den Eltern betrogen, ist das verlorene, verstoßene Kind, 
das man nicht einmal einer Wahrheit würdig erachtete. Die Kameraden 
wissen mehr. Sie fahren im Schiff, und er muß hinten nachschwimmen 
und im Versteckten erspähen, was sie treiben, Daß er aber schwimmt, ist 
für das Verständnis seiner Psyche aufschlußreich. Es zeigt bereits eine 
Regenerationstendenz (dürfte auch die analytische Situation darstellen, wo 
ebenfalls dem verpaßten Leben nachgeschwommen wird). 

Rudolf hatte es nämlich früh schon verstanden, aus der Not seiner 
Unwissenheit eine Tugend zu machen. Er sonderte sich von seinen 
Kameraden ab, verstopfte sich die Ohren, wenn sie über „Sau-Sachen“ 
sprachen und wurde natürlich deswegen ständig als Sonderling gehaßt und 
verfolgt. Das Mißverhältnis gestaltete sich durch seine starke kompen- 
sierende intellektuelle Tätigkeit in der Schule noch krasser (Obgleich er 
sich oft lernfaul zeigte, war er doch einer der Ersten der Klasse), Rudolf 
fährt fort: „Ich habe es dann selber herausbekommen. Einmal lag auf 
dem Tisch ein Büchlein von einem Doktor,’ und ich las darin. Es hieß, 
der liebe Gott schenkt die Kindlein der Mutter, aber nur wenn sie sie 
verdient hat (Pause). Es stand noch mehr im Büchlein: Eine Klasse hatie 
nur einen Onkel. Sie war nur wie eine Familie, eine Privatschule. Die Kinder 
gingen einmal mit dem Onkel heim ins Gartenhäuschen. Er erzählte, daß 
die Mutter ein Kindlein bekomme. Wenn sie still seien, wolle er fragen 
gehen, woher. Sie versprachen es. Die Hebamme gab ihm Auskunft und 
erlaubte ihm, es auch den Kindern zu sagen. Er sagte ihnen, daß bei 
Mutters Brust ein Kästlein sei mit Eilein, die größer werden, und man {f) 
werde krank, und das Kindlein komme dann aus der Brust.“ 

Die Verlegung des Geburtsaktes scheint des Knaben eigene Erfindung 
zu sein. Die nächste Stunde leitet Rudolf mit folgenden Worten ein: „Ein 
Knabe sagte mir einmal, wenn es stinke, so komme das Kindlein zur 
Welt.“ Es war die Einleitung zur Theorie der analen Geburt. Ich war 
von Anfang an überzeugt, daß Rudolf den richtigen Vorgang der Geburt 
kennt. Ich habe die Erfahrung öfters gemacht, daß die Kinder in der 





ı) Hoppeler: „Woher die Kindlein kommen“, Zürich. Der Inhalt ist aller- 
dings von Rudolf — typisch — entstellt. 


— 250. — 





Analyse gleichsam in konzentrischen Kreisen der richtigen Darstellung 
zusteuern, ungefähr nach den entsprechenden verschiedenen Phasen der 
Aufklärung, die sie erhalten haben, und entsprechend derjenigen der 
Phylogenese, und so überließ ich denn Rudolf sich selbst, äußerte höchstens 
gelegentlich meine Zweifel gegen die Richtigkeit der vorgebrachten 
Lösungen. Ich fragte, wieso es denn stinke, wenn das Kindlein zur Welt 
komme. Aber ich erhielt keine Antwort. Rudolf greift statt dessen 
beständig in die Kreuzgegend, und nach einiger Zeit stottert er hervor: 
„Beim Kreuz kommt das Kindlein heraus. Das Kästlein mit den Eilein 
ist weiter unten. Das Loch gibt es von selbst.“ Ich sage ihm, daß dies 
unmöglich sei, und als Antwort darauf meint er kleinlaut: „Dann kommt 
das Kindlein zum Mund heraus.” Ich äußere meine Zweifel. Er schweigt 
lange und erzählt schließlich eine Geschichte von einem Sauhirten, wobei 
deutlich ersichtlich ist, daß er sich mit diesem identifiziert, denn er ist 
nun derjenige, der auch mit „Sau-Sachen“ zu tun hat. Mehr wie eine 
Stunde arbeitet er daran herum, zu sagen, daß die Kinder aus dem 
„Hindere“ (Anus) kommen. Immer wieder setzt er an: „Ich weiß jetzt 
woher, aber ich darf es nicht sagen. Sie kommen vom... Es ist ein 
grausiges Wörtchen.“ In diesem Zusammenhang äußerst interessant ist die 
Geschichte, die ihm plötzlich zwischenhinein einfällt. Ich gebe sie stark 
gekürzt wirder: 

„Eine Mutter bekommt ein Kind. Sie bettet es im Walde auf ein 
Bärenfell. Da kommt ein Wildschwein und greift es an. Die Mutter wehrt 
sich, sie wird gebissen. Da kommt der Vater. Er findet das Kind heil, 
die Mutter aber ganz zerbissen, und er ersticht das Wildschwein. Sie stirbt 
nachher.“ 

Aus der sehr beziehungsreichen Geschichte sickert erneut neben dem 
Geburtsproblem (Bärenfell = Mutterleib) das Zeugungsproblem, verbunden 
mit der Vorstellung von Blut und Tod, durch. Das Erstechen ist aber 
bereits auf das T'otemtier übertragen worden. Das Schwein ist ein bekannter 
Vertreter des Muttertums, in unserer Geschichte aber tritt es hermaphro- 
ditisch auf. Es schlägt (männlich) seine Hauer (Messer, Phallus) in die 
Mutter und wird selbst vom Mann erstochen. Die Erzählung erinnert an 
den Amazonenbekämpfer und zugleich Frauenbeschützer Bellerophon und 
an seine Erlegung des Wildschweines.' Auch die Amazonen sind herma- 
phroditischer Natur. 

Rudolf schildert den Muttercharakter des Schweines in lebhaften Farben 
und mit viel Liebe. Er sah im Kino die Szene einer säugenden „Färli- 
mutter“ (Mutterschwein), sah, wie die Jungen genährt wurden, wie die 
Alte den schwächeren riet, sie müßten halt sehen, daß sie auch etwas zu 
trinken erwischten. 

Eine alte Schranke des Widerstandes ist gebrochen, die Versöhnung mit 
der Sau, den „Sau-Sachen“, gefunden, und Rudolf kann von da an ziem- 


ı) Bachofen op. cit. II, 166. 


— 251 — 





er 


lich frei über Geburt und Zeugung sprechen. Er sagt im Anschluß, er 
habe geglaubt, das Kindlein könne da (Anus) nicht zur Welt kommen, 
weil dort sonst nur Wüstes herauskomme, aber es sei halt eben schon ein 
Loch. Ich frage ihn, ob er auch ganz sicher sei, daß das Kind da hinten 
geboren werde. Er stutzt. Als Antwort erzählt er mir zwei neue Schild- 
bürgergeschichten: „Die Schildbürger tauschten in Schilda einst die Häuser. 
Sie brachen sie ab, und wer zu unterst wohnte, ging nun zu oberst und 
umgekehrt.“ Wir merken die Absicht: Die Schildbürger wohnten verkehrt, 
was oben war, kommt nun unten, oder auf die Geburtstheorie übertragen: 
Was hinten war, ist nun vorn. Auch die zweite Geschichte spiegelt dieses 
Verkehrte wieder: Die Schildbürger ziehen eine Kuh am Hals zu einem 
Grasbüschel auf das Dach. Ebenfalls verkehrt ist die Handlungsweise 
der Eierfrau, von der Rudolf auch noch erzählt, daß sie, als sie auf den 
Markt ging, sich träumte, wie sie vom Eierhandel immer reicher werde, 
Schafe kaufe, einen Mann bekomme, Kinder usw., wie sie aber hinfiel 
und alles zerschlug. 

Es ist interessant zu beobachten, wie beim Brechen des Widerstandes 
immer, sobald ein peinliches Thema sich in den Vordergrund zum 
Geständnis drängt, vorerst der Weg des geringeren Widerstandes über eine 
symbolische Erzählung oder Begebenheit eingeschlagen wird. So auch hier. 
Rudolf sagt selbst, daß es verkehrt sei, wenn das Kind hinten heraus- 
komme, denn es komme doch vorn, beim Nabel heraus. Er weicht also 
noch einmal aus, spricht ausführlich über Nabel, Nabelschnur usw., um 
schließlich endlich bei der vaginalen Geburt zu endigen. 

Wenn wir den Ablauf der analytischen Aufklärung uns kurz resümierend 
vergegenwärtigen, dann fällt uns vor allem auf, daß Rudolf so ziemlich 
erschöpfend all die infantilen Auffassungen über die Geburt äußert, und 
zwar stehen sie in einer Reihenfolge da, wie sie, wenigstens nach meinen 
Erfahrungen, genetisch in der kindlichen Psyche meistens auftreten. 

Die Kinder kommen also: 

ı) Vom lieben Gott: Gott ist also hermaphroditisch, der Gott des 
Altertums. Ihn vertreten: Himmel, Engel, Heiland, Mond." 

2) Vom Storch: Der Storch als kosmisches Wesen ist der Übermittler 
aus dem uranischen Reich. Er ist aber gleichzeitig auch das Sumpftier, wo 
das Kind wie aus androgyner Geschlechtsvereinigung entsprießt. Das Kind 
und die Alten teilen dieselbe Meinung: Neues Leben entsprießt 
hermaphroditischem Urgrund.? Darin liegt ein Beweis für Bachofen. 
Auch der Mond, den besonders die Ägypter mit dem Sumpf in engsten Zu- 
sammenhang brachten, trägt den zweigeschlechtigen Charakter (Luna, Lunus),3 





ı) Über die lunare Mütterlichkeit siehe Bachofen op. eit. I, 64, 109, ı22, 
zı48£., II 49, 52, 62f., 468 usw. 


2) Vgl. Freud: Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci (Ges. Schr. Bd. IX). 
3) Bachofen Op. cit. I z314f., 377: II 65— 71, 298— 300. 


— 12 — 


.— — — 


z) Aus dem Gebüsch (Höhle, Quelle, Brunnen, Teich, See, Meer, 
Schlucht, Wald usw.). Das Hermaphroditische ist gesprengt. Der Himmel 
befruchtet die Erde. 

4) Von der Mutter: 

a) Aus der Brust (Verlegung nach oben und Gleichstellung mit 
der Nahrungsquelle). 

b) Aus dem Kreuz (Schmerzen im Kreuz bei den Geburtswehen). 

c) Aus dem Mund. Die Nahrung vertritt das Sperma. Wo sie 
hineinkam, muß die Frucht herauskommen. 

d) Anal (Entsprechend dem Abgang der Nahrung). 

e) Aus dem Nabel. 

pP Vaginal. 

6) Das Zeugungsproblem 

Mit der Erledigung des Geburtsproblems war für Rudolf der Wider- 
stand gegen die bewußte Lösung des Zeugungsproblems gelockert. Die 
enge Verschränkung der Phylo- und Ontogenese erwies sich auch hier. 

Nachdem Rudolf sich zwischenhinein eingehender mit dem Geschlechts- 
unterschied beschäftigt hatte, stellte er die Frage, wie das Kindlein in die 
Mutter komme. Er versucht eine Lösung zu finden, wobei er die kosmi- 
schen Darstellungen mit ihrem vornehmlich hermaphroditischen Charakter 
übergeht (was sonst im allgemeinen in Kinderanalysen ebenfalls zutage 
tritt) und sich auf die Mutter beschränkt, auf die er allerdings den 
Hermaphroditismus überträgt und konzentriert. Zur Stütze des auch 
männlichen Charakters des Weibes (er selber ist ja als Knabe in der 
Identifikation mit der Mutter ebenfalls hermaphroditisch) erzählt er von 
seinem Schwesterchen (vier Jahre jünger), das immer früher so tat, als ob 
es wie die Buben „bisle“ (uriniere). Ferner: „In der Schule hatte ein 
Mädchen eine Stricknadel in der Hand und schlug damit immer auf die 
Heizungsröhre. — Ich weiß noch einen Witz: Ein Knabe fragte mich, ob 
ich es auch gehört habe. Ich fragte: Was gehört? Er sagte: Daß am 
Bahnhof in Zürich ein Fräulein einen ‚Stink‘ (Flatus) losgelassen hat? 
Er lachte. Ich sagte ihm, das könne man doch in Bern nicht hören.“ 
— Nachdem Rudolf dieserart den männlich selbstzeugenden Charakter des 
Weibes angedeutet hatte, rückte er der eigentlichen Zeugung näher: „Das 
Kindlein kommt im Essen in die Mutter, und zwar entsteht es aus dem 
Guten, das nicht fortgeht. Das Kind entsteht aber nicht vom Fleisch,* 
sondern von den Haferflocken (spermaartig) oder aus Brei, jedenfalls 
von einer guten und gesunden Speise.“ Ich frage ihn: „Könnte das Kind 
nicht noch auf andere Weise in die Mutter gelangen?” 

Als Antwort erzählt mir Rudolf wieder zwei Schildbürgergeschichten: 
Die Versenkung der Glocke im See und die Ersäufung des Krebses. Beide 
Geschichten spiegeln typisch die Zeugungssymbolik. 


ı) Siehe dagegen: Graber, Die Ambivalenz des Kindes, Wien, 1924 9. 42. 


Schon früher erzählte mir Rudolf, ein Knabe hätte ihm gesagt, der 
Mann stoße der Frau einen langen Stock durch den Rücken (siehe seine 
Auffassung über die Geburt im Kreuz), daß er vorn herausschaue (Ver- 
männlichung des Weibes), und dann gehe er vorn dran und stoße sich 
selbst den Stock durch den Bauch. Jetzt erinnert sich Rudolf auch an eine 
zweite Geschichte aus dem Busch-Album: „Schreckliche Folgen eines Blei- 
stiftes.“ Es ist eine äußerst eindrucksvolle Darstellung der Analogie 
Zeugung = Tod! Der Zeichner Pedrillo trägt stets einen an beiden Enden 
wohlgespitzten Bleistift in der Tasche. Als er nun einstmals bei Monden- 
schein im Myrtenhaine seine Geliebte an die Brust drückte, fielen beide 
vom Bleistift durchbohrt tot zu Boden. 

Leider widerfuhr mir, an diesem Punkte der Analyse angelangt, ein 
kleines Mißgeschick. Ich hatte wahrscheinlich den Eltern Rudolfs zu wenig 
eindrücklich die Einmischungin die Analyse verboten, und so kam es, daß 
nun der Vater den Knaben vorgreifend über die Zeugung aufklärte. Ich 
hörte deshalb darüber von Rudolf wenig mehr als diese Mitteilung. Das 
Zeugungsproblem wurde bald vom Kastrationskomplex abgelöst. Dabei stellte 
sich allerdings heraus, daß Rudolf die Zeugung auch als Kastration 
auffaßte. 

Ich breche hier ab und beschränke mich, abschließend darauf hin- 
zuweisen, daß nach meiner Erfahrung in Analysen von Kindern der Zeugungs- 
vorgang genetisch analog der Geburt vorgestellt wird. Wir würden also ohne 


das Vorgreifen des Vaters von Rudolf wahrscheinlich Theorien über Zeugung 


durch den Mund, Brust, Nabel, Anus usw. gehört haben. 
Das Thema ist nicht erschöpft. Auch das Therapeutische habe ich 
unberührt gelassen." 


UFFFTTFTFTTTIETUTHUUUUUUUUUTTTTEAPITTLLT LTE LALTTTTTEIFEP PETE TFT DPPTTELEP LET EIPUUUUUTSTTTTT FETTE TTTPTTTTTTTLTTLETTTLETEUTTETTTTTTEETEETTTTTTTTTTITN) 


Analyse der Phobie eines achtjährigen Mädchens 


Von Dr. med. Karl Landauer, Frankfurt a. M. 


Nachfolgende Beobachtung, welche bereits mehrere Jahre zurückliegt, 
soll zeigen, daß im Mittelpunkt mancher kindlicher Neurosen die „Auf- 
klärung“ steht. Man darf dann allerdings diesen Begriff nicht eng fassen, 
sondern muß in ihn sowohl die Antwort auf das Woher und Wie — kindlich: 
Warum? — als auch das Wohin — in der Kindersprache: Und dann? — 
die Frage nach dem Sterben und Totsein einschließen. 

Kurz vor den Weihnachtsferien suchte mich eine Frau aus einer 
nahe gelegenen Stadt auf, da die zweite ihrer drei Töchter, damals acht Jahre 





ı) Rudolf ist ruhiger geworden. Er hat mit seinen Kameraden mehr Kontakt 
gefunden und arbeitet in der Schule mit Fleiß und Ausdauer. Sein Augentic ist nach 
Erledigung des Voyeur- und Kastrationskomplexes verschwunden. 


SEHE 





alt, sehr unter Angstzuständen leide, die das Kind herunterkommen ließen, 
weil es nicht schlafen und nicht essen könne. Immer meine es, die Speisen 
seien vergiftet. Zuerst wurde diese Erscheinung während des Sommer- 
aufenthaltes beobachtet, nachdem tags zuvor die Jüngste sich den Magen 
verdorben hatte. Abends weine die Kleine immer und könne nicht einschlafen, 
wenn nicht die Mutter bei ihr sitze, und selbst dann beruhige sie sich oft 
erst 'nach Stunden. Wenn sich auch diese Erscheinung zuerst gleichfalls 
während des Badeaufenthaltes ab und zu gezeigt habe, so sei der Zustand 
doch erst während der Herbstferien unleidlich geworden, die das Kind zu 
Hause verbracht hatte. 

In der Tat war das Mädchen sehr herabgekommen, sah körperlich 
zurückgeblieben aus (etwa wie sechsjährig), hatte aber einen alten müde- 
traurigen Blick. 

Wir verabredeten, daß das Kind während der Weihnachtsferien zu einer 
Tante nach Frankfurt kommen solle und mir täglich für eine halbe Stunde 
gebracht werde. Kinder behandle ich wegen ihrer leichten Ermüdbarkeit 
stets nur so kurz. Zur Vorsicht machte ich die Mutter darauf aufmerksam, 
daß es wohl nötig werden würde, auch über Sexuelles zu reden. Ihr 
Töchterchen sei noch ganz naiv. Bei ihr spiele so was keine Rolle. Im 
übrigen, wenn ich es für nötig hielte, sie aufzuklären, so wäre ihr das 
nur recht. Auch bei der Ältesten, damals zwölf Jahre alt, habe es die 
Erzieherin auf einem Spaziergang in den letzten Herbstferien gemacht, 
gemeinsam mit einer gleichalterigen Tochter einer Freundin. 

In den ersten zwei Behandlungsstunden war das Mädchen kaum zum 
Reden zu bringen. Jedoch war es kein trotziges Schweigen, sondern ein 
vorsichtiges. Einzig wenn man auf die Angstzustände kam, wurde es 
gesprächig. Es fühlte sich deutlich dadurch interessant. Allmählich wird 
durch Plaudern über die Schule, die wenig bekannte Stadt usw. das Kind 
zutraulich. Es freut sich, daß ich mich so eingehend mit ihm befasse, mit 
ihm ganz allein. Die anderen hätten auch immer Geheimnisse. Hier hacke 
ich ein und erfahre nun: die Schwester habe mit ihrer Freundin immer 
was zu tuscheln. Dann werde es weggeschickt, es verstehe nichts davon, 
sei noch zu klein. Das ginge seit den Herbstferien so, wo das Fräulein 
sie beim Spazierengehen vorausgeschickt und mit den Großen Geheimnis 
gemacht habe. Auf die Frage, was da wohl gesprochen worden sei, wird 
die Kleine rot und schweigt verlegen. Der Ausdruck ist so eindeutig, daß ich ihr 
auf den Kopf zusage, daß sie es wüßte. Sie dürfe es mir ruhig sagen, ich 
hielte sie für groß genug, um mit ihr darüber zu sprechen. Jetzt sagt 
sie ohne weiteres, daß sie von Kinderkriegen gesprochen hätten, und daß 
sie alles wisse. Die brauchten gar nicht zu denken, daß sie das nicht 
verstehe. Als ich ihr recht gebe, wird sie heiter. Nun frage ich weiter, 
was ihr denn wirklich bekannt sei. Wenn sie noch etwas wissen wolle, so 
würde ich wahrheitsgetreu antworten. Daraufhin stellte sie die Frage, wie 
die Kinder in den Bauch der Mutter kommen. Ich sagte ihr, daß sie 





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doch wisse, daß der Bauer Samen in die Erde lege, damit das Getreide in 
ihr wachse. Dasselbe täte der Vater. Diese ganze Unterhaltung hatte etwa 
zehn Minuten gedauert und nun plauderte sie frei über alles mögliche, 
durchaus verwandelt, ein frisches Kind. Offenkundig war ihr das 
Wesentliche an dem Gespräch der Liebesbeweis, den ich ihr dadurch 
gegeben, daß ich sie für voll nahm. Von diesem Tag an ißt und schläft 
die Kleine etwa zehn Tage vollkommen normal, nimmt sichtlich zu, ihre 
körperliche und seelische Entwicklung macht einen deutlichen Sprung, 

Während unserer Stunden tritt immer mehr die Eifersucht auf die 
Geschwister, namentlich auf das vier Jahre jüngere Schwesterchen, hervor. 
Im Mittelpunkt ihrer Liebe steht die Mutter, deren Liebling aber die 
Jüngste sei. Die verstehe sich einzuschmeicheln. Wenn sie nur den Magen 
verdorben habe, dann weiche die Mutter nicht von ihr. Da auf diese 
Bemerkung hin vom Kinde, selbst auf direktes Fragen, keine neuen Einfälle 
zu erzielen sind, entschließe ich mich, ihr die Erzählung der Mutter von 
der Entstehung der Vergiftungsangst im Sommer mitzuteilen.” Daraufhin 
fällt ihr ein, daß die Angst gewöhnlich zuerst in der Form auftrete, daß 
sie Angst für das Leben des Schwesterchens und des Vaters empfinde, erst 
später für sich selbst. Das allererste Mal überhaupt sei die Angst auf- 
getreten, als die Mutter im Sommer abends mit dem Vater ins Kurhaus 
habe gehen wollen. Sie wäre damals so gern mitgegangen, habe geweint, 
weil sie nicht mit dem Vater habe gehen dürfen. Als ihr nun die Mutter 
Adieu gesagt habe, habe sie so schön ausgesehen, und da sei plötzlich die 
Angst gekommen. Diese ganzen Mitteilungen erfolgen ohne weiteres 
Zutun von meiner Seite. Leider mußte hier die Unterredung abgebrochen 


werden. 
Anderen Tags ist die Kleine wieder blaß und verstört, spricht stockend wie 


in der ersten Stunde, klagt, daß es nicht geschlafen und kaum gegessen 
habe und sehr von Angst über die Mutter gequält worden sei. Auch für 
mich habe sie Angst gehabt. Hier setzte nun der zweite Teil der Auf- 
klärung ein: Sie habe sich wohl über mich geärgert, weil ich gestern hatte 
abbrechen müssen, da sie im besten Reden war. Sie habe das als Zurück- 
weisung ihrer Liebe empfunden. „Aber ich will doch nicht, daß du stirbst. 
Das ist doch gräßlich, wenn man tot ist.“ Ich bemerke ausdrücklich, daß 
ich selbst nichts von Todesgedanken erwähnt hatte. Nunmehr aber spreche 
ich ausführlich mit ihr, daß man natürlich jemanden, der einem wehe 
tue, zum Teufel wünsche, das sei nicht schlimm. Man dürfe ihm nur 
nichts Böses tun. Sie aber strafe sich schon wegen der Gedanken mit 
ebensolchen Todeswünschen. Jetzt beruhigt sie sich etwas, fragt aber dann, 
was nach dem Tode sei. Sie berichtet über Erzählungen von der Hölle, 
die reichlich blutrünstig sind. Ich erkläre ihr, daß wir nur wüßten, daß 

ı) Anna Freud hat in ihrer „Einführung in die Technik der Kinderanalyse“ 
(Internat. PsA. Verlag, Wien ıg27) dargelegt, daß eine derartige Verwendung von 
Mitteilungen der Angehörigen in Kinderanalysen oft nötig ist. 


—— 256 — 


mit dem Tode eben das Leben aufhöre. Was dann sei, wisse niemand. 
Was sie erzählt habe, seien Märchen, um die Menschen zu schrecken. 
Jetzt will sie ausführlich wissen, wie das Sterben vor sich gehe, ob es 
schmerzhaft ist und dergleichen. Alles wird wahrheitsgetreu beantwortet, 
soweit nicht die Einschränkung gemacht werden muß, daß auch kein 
Erwachsener es wisse. Ohne weitere Nachhilfe zieht das Mädchen nun 
selbst die Schlußfolgerungen, wie ihre Krankheit entstanden ist: als Angst, 
daß die Todeswünsche gegen sich in Erfüllung gehen, weil sie Todes- 
wünsche gegen ihr Nahestehende gehabt habe. 

Von diesem Tag ab ist das Kind völlig geheilt. Die 20 Tage des Ferien- 
aufenthaltes bedeuten nicht nur eine Zunahme von 8 Pfund, sondern auch 
eine deutliche Änderung des Ausdrucks und des Charakters. Etwa vier Jahre 
später, aus Anlaß einer anderweitigen Behandlung in der Familie, sah ich 
sie wieder: Ein hübsches gesundes freies Ding, dessen Erziehung weder 
in körperlicher noch in geistiger Hinsicht Schwierigkeiten bereitete. 

Ich bin mir wohl bewußt, daß die Psychoanalyse dieses Falles recht 
wenig in die Tiefe ging. Es scheint mir aber, daß dies in Fällen wie 
hier durchaus nicht nötig ist. Trotz der schweren Erscheinungen, die das 
Kind zuerst bot, handelt es sich doch nur um eine Schädigung, die durch 
besondere Erlebnisse bei einem sonst relativ gesunden Kind entstanden 
waren. Die kurze Behandlung reichte aus, um es wieder auf den normalen 
Stand zu setzen, von dem aus dann die Entwicklung normal weiter ging. 
Nach dem Erfolg der Behandlung erscheint es wohl kaum zweifelhaft, daß 
wahrheitsgetreue Aufklärung durch die Mutter, zur rechten Zeit gegeben, 
den Ausbruch der Erkrankung hätte verhindern können, allerdings eine 
Aufklärung, die sich sowohl auf das Werden wie auf das Vergehen des 
Menschen bezogen hätte. 


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Die „sexuelle Aufklärung® und die Erwachsenen 
Von Josef K. Friedjung 


Dozent der Kinderheilkunde in Wien 


Seit meiner studentischen Jugend, also seit reichlich 40 Jahren, habe 
ich die Einsicht gewonnen, daß die Verlogenheit der üblichen Erziehung 
in geschlechtlichen Dingen für die physische und psychische Entwicklung 
der heranwachsenden Generation gleich folgenschwer sei, und mich um 
ihre Anerkennung bemüht. In ungezählten Vorträgen vor Eltern habe 
ich die Frage erörtert, in Diskussionen meinen Standpunkt vertreten, in 





meiner Sprechstunde auch darin Rat erteilt. So glaube ich mich denn 
dazu befugt, vom Verhalten der Erwachsenen zu der Frage einiges 
zu berichten. 

Zwiespältig stellen sich die Menschen zu unserem Probleme. Vorerst 
lehnen sie es als Problem ab. Konnten sie ohne solche Skrupeln erzogen 
werden, ging es auch so, — wie schlecht es ging, wissen sie entweder 
nicht oder wollen es nicht wahr haben, — so ist es eine Störung ihres 
satten und im ruhigen Gewissen verankerten Behagens, solche Probleme 
aufzuspüren und Stellungnahme zu ihnen zu fordern. Und da man sich 
und anderen nicht gerne gestehen mag, daß man bloß sein blinzelndes 
Behagen verteidige, so verschanzt man sich lieber hinter sittlichen Bedenken. 
Es ist also nicht nur bequem, sich um diese Fragen zu drücken, sondern 
auch sittlich. Und die anderen sind ruchlose Entweiher kindlicher 
Unberührtheit. Aber dann regt sich das einmal geweckte Gewissen doch 
wieder, es läßt den Leutchen keine Ruhe, und so verlangt man von allen 
Seiten nach einem Vortrage über „sexuelle Erziehung“, dem der Ruf 
vorausgeht, er gebe auf die vielen Zweifel erschöpfende Auskunft, schrecke 
vor der „Wahrheit“ nicht zurück und wahre doch ein hohes sittliches 


Niveau. Dankbarer Beifall, erfreulich-offene Aussprache, ehrende 
Zustimmung auch hoher kirchlicher Würdenträger, herzliches Geleite, 
Dankesbriefe, — und zu Hause fehlt dann doch meist der Mut zu neuen 


Wegen, man schiebt die Tat so lange auf, bis sich das aufgescheuchte 
Gewissen wieder halbwegs beruhigt hat. Und fromme Eiferer reihen mich 
in bewegten Zeilen unter die „Kinderverderber“. Eine kleinere Zahl nur 
von Eltern folgt meinen Ratschlägen und dankt mir mehr oder weniger 
überschwenglich. — Es ist also eine wahre Sisyphusarbeit, die ich hier 
unverdrosssen leiste, weil sie getan werden muß. 

Weit erfreulicher ist es, vor Jugendlichen über das „Sexualproblem der 
Jugend“ zu sprechen. Diese mit sich selbst und ihrer Umgebung ringenden 
jungen Menschen suchen nach einem Virgil, der sie durch das „Inferno“ 
geleite, sie freuen sich des Vortragenden, der sie ernst nimmt, sich 
rückhaltslos äußert, der gewohnten Scheinheiligkeit entbehren kann. 
Sie folgen ihm willig, weil er ihnen, die an ihren Eltern Enttäuschungen 
erlebt haben, eine Übertragungsmöglichkeit bietet, ihnen ein Ichideal 
setzt, das im Einklang steht mit dem Klassenideal, von dem sie mehr 
oder weniger klar erfüllt sind. Seine Gedanken werden als revolutionär 
empfunden und daher gerne angenommen. Und so scheint es denn, daß 
die neue geschlechtliche Erziehung erst von der Generation wird im 
größerem Ausmaße geübt werden, der sie einen prometheischen Feuerbrand 
bedeutet, vom Herde der „Götter“ heimlich entwendet und den „Menschen“ 


trotzig gebracht. 


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Über kindliche Aufklärung 
Von Dr. med. Rhaban Liertz, Müncen 


Die Kenntnis der Wurzeln vieler Seelenleiden und der Schwierigkeiten, 
die sich oft infolge unwirklichen Einstellens bei Kranken mit gestörtem 
seelischem Gleichgewicht während der Behandlung zeigen, drängt uns zu 
der Überzeugung, daß ein Verhüten der Leiden leichter ist und daher 
in der Erziehung geboten erscheint. Vor allem sind die Wirklichkeits- 
erziehung, das wahrhaftige Unterweisen und die Erziehung zur Wahrheit 
nicht zu unterschätzende Hilfsmittel zum Bewahren des Menschen vor 
Seelenleiden. 

Vor allem ist die Unterweisung über das Geschlechtliche nach Form 
und Inhalt so zu geben, daß sich ein Seelenleiden aus kindlichem Miß- 
verstehen nicht bilden kann. Der Unterricht hierüber muß immer wahr 
sein und sich vor jeder selbst gutgemeinten Überspannung hüten. Eine 
natürliche, gesunde Erziehung des Kindes zur Keuschheit als menschlicher 
Tugend, also im bejahenden Sinn, wird entschieden mehr nutzen als 
alles Warnen, Drohen und alle Heimlichtuerei in Form dem Kind 
unverständlicher Andeutungen. 

Es gibt keinen Zweig des menschlichen Lebens, der so tief in das 
Innenleben und das gesellschaftliche Verhältnis der Menschen eingreift, 
wie gerade die Regungen des Arterhaltungstriebes von seinem Erwachen 
in der Kindheit bis zu seinem Erlöschen, vielleicht erst am Ende des 
Lebens überhaupt. Daher ist es geboten, dem Kind von Anfang an klare 
Begriffe über das Geschlechtsleben zu vermitteln, damit der Heranwachsende 
die von selbst wachsende Aufklärung, d. h. die Zunahme der Einblicke 
in sich, guten Glaubens abwickeln läßt. 

Beim Unterweisen über die geordnet geleitete 'Triebregung, die wir 
unter dem Sammelbegriff des F ortpflanzungstriebes zusammenfassen, ist es 
ratsam, die Selbstbeobachtung daran zu gewöhnen, daß sie den Geschlechts- 
organen und ihrem weiteren Begriff nur die Aufmerksamkeit widmet, die 
dem Teilverhältnis zum Gesamtkörper entspricht. Hierdurch wird das 
Geschlechtliche in das Gesamtbild der Person richtig eingereiht. Wie das 
wirklich unterwiesene Kind es als selbstverständlich annimmt, daß nicht 
jede Triebregung im Menschen befriedigt werden muß, weder die Eßlust 
noch die Wollust, so überzeugt es sich durch Übung, daß die Spannung 
aus dem Triebleben nicht nur im Genuß gelöst werden muß. Neben das 
natürliche Ablenken als Ersatzmittel tritt das Erhöhen des geschlechtlichen 
Triebes, d. h. das Einordnen des ursprünglich gesellschaftlich gleichgültigen 
Lustsuchens in den Fortschritt des Weltganzen. Daß diese Kräfte bei jedem 


geistigen Mehrleisten mitarbeiten, ist nicht erst in der Erhöhungslehre 





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aufschließender Seelenforschung ausgesprochen worden, sondern war schon 
längst teilweise vermutet, teilweise behauptet worden. 

„An den Tagen und Stunden, wo der Trieb der Wollust am stärken 
ist, eine brennende Gier, gerade dann sind auch die höchsten Kräfte des 
Geistes, ja, das bessere Bewußtsein zur höchsten Tätigkeit bereit. Es bedarf 
nur einer gewaltigen Anstrengung zur Richtungsumkehr, und statt einer 
quälenden, bedürftigen, verzweifelnden Begierde füllt die Tätigkeit der 
höchsten Geisteskräfte das Bewußtsein“ (Schopenhauer). 

Der dauernd in Unkenntnis über das Geschlechtsleben gelassene Mensch 
wird überhaupt nicht fertig mit der Entwicklung. Er bleibt geistig in all 


seinen Auffassungen kindlich oder, besser gesagt, kindisch. Das unauf- 


geklärtte Mädchen kommt zur Ehe, deren Zusammenbruch meist schon 
in der ersten Nacht entschieden ist. 

Die geschlechtliche Erziehung, also Aufklärung über das Geschlechts- 
leben des Menschen, kann nur im Rahmen der Gesamterziehung sinnvoll 
geleistet werden. Würde im Elternhaus oder in der Schule am richtigen 
Ort und zur rechten Zeit taktvoll aufgeklärt werden, so wäre ein Teil des 
Kampfes gegen die Schmutzliteratur und die unsittlichen Bildwerke für 
die Jugend unnötig, weil die Neugierde des Kindes einen Hauptinhalt 
verloren hat. Dadurch würde außerdem eine Fülle von nervösen Leiden 
auf dem Gebiet des Geschlechtslebens vermieden werden. 

Von wesentlichem Einfluß auf die Entwicklung der Gefühle bei beiden 
Geschlechtern ist die Zeit der Geschlechtsreife. Bei deren Eintritt findet 
häufig eine Änderung der kindlichen Gefühle im Sinn einer anderen Ziel- 
bestimmung statt. So kann bei zu seelischer Erkrankung veranlagten 
Knaben, die bis dahin ohne jede Aufklärung über die geschlechtlichen 
Verhältnisse geblieben sind, durch den ersten Samenerguß ein Schrecken 
entstehen, der nachhaltige Folgen hat. Wir konnten Fälle beobachten, bei 
denen von diesem FEreienis an die Gefühle nicht Lust, sondern Unlust 
verursachten. Es entstehen dann Verdrängungen und alle ihre gefährlichen 
Nebenerscheinungen. So wurde mitunter von der Zeit der krankhaften 
Gefühlsäußerung an die geistige Person völlig umgewandelt und eine 
Erkrankung ausgelöst, die sich als Zwangsneurose, Angstleiden oder, bei 
geisteskranker Anlage, in jugendlichem Irresein geltend machte. 

Bei Mädchen war der Schrecken bei der erstmaligen Monatsblutung 
und die damit verbundene Angst, die sich danach auf alle Geschlechts- 
vorgänge erstreckte, die Ursache der Verdrängung der natürlichen geschlecht- 
lichen Gefühle. In manchen Krankheiten gewannen wir den Eindruck, 
als hätte ein Seelenleiden nicht das schwere Gepräge angenommen, wenn 
die Kranken im Entwicklungsalter seitens der Mutter verständnisvoll auf- 
geklärt worden wären. Gewiß ist zuzugeben, daß regelrechte Kinder trotz 
mangelnder Aufklärung sich von selbst ohne Schaden zurechtlinden werden, 
sonst müßte das Heer der so entstandenen kranken Zustände noch größer 


sein als es leider schon ist, da der Erwachsene so leicht geneigt ist, sich 


— 260 — 


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vor dem ihn fragenden Kinde zu schämen und ausweichend zu 
antworten. 

Mit dem Beginn der Geschlechtsreife treten besonders für das männliche 
Geschlecht Unruhen auf, die sich an die ersten Samenergüsse anschließen. 
Durch diese Vorgänge werden auch sonst durchweg gesund veranlagte 
Jünglinge Jahre hindurch beunruhigt. Sie leben teils im Ungewissen, teils 
in Angst oder in Sorge, ob sich da bei ihnen nicht krankhafte Erschei- 
nungen zeigen. Der Mangel an Aufklärung bildet hier eine Quelle stiller 
Leiden und läßt wahre Jugendfröhlichkeit häufig nicht aufkommen. Je 
feinfühlender in sittlicher Beziehung der Jüngling und die Jungfrau sind, 
um so schwerer leiden sie in den Zeiten des inneren Ringens nach 
Reife. 

Wenn zu Hause oder besonders in der Schule bei sonst geweckten, 
teilnahmsvollen und aufmerksamen Kindern auf einmal die Schultugenden 
nachlassen oder sogar in das Gegenteil umschlagen, so kann man gewiß 
sein, daß die Fragen nach dem Woher und Wie der eigenen Entstehung 
das Kind lebhaft beschäftigen. Einige kurze, verständnisvolle Worte stellen 
dann oft die alte Seelenstimmung und Leistungsfähigkeit wieder her. 

Der Aufklärungspflicht dürfen Eltern und Erzieher sich nicht entziehen. 
Die Aufklärung soll schon vor der Geschlechtsreife stattfinden, damit die 
Kinder den Ereignissen der ersten IMonatsblutung und des ersten Samen- 
ergusses mit Ruhe entgegengehen und nicht davon überrascht und 
erschreckt werden. Dabei sollen die Erzieher sich wie in allem so auch 
beim Aufklären dem Auffassungsvermögen und der Empfindungsweise des 
einzelnen Kindes anpassen. Also keine Massen-, sondern Einzel- 
aufklärung. 

Den Mädchen und Knaben gegenüber müssen offen die Gefahren 
geschildert werden, die das frühzeitige Auslösen der geschlechtlichen 
Gefühle mit sich bringt, allerdings ohne Furcht zu erzeugen oder ängstlich 
zu machen. Wie manches Unglück könnte so verhütet werden! Die 
Lebensgeschichten unserer Kranken sind voll von den schweren Schäden, 
die die unterbliebene richtige Belehrung mit sich brachte. Wird das Kind 
nicht von berufener Seite unterrichtet, so übernimmt die Gasse diese 
Aufklärung oft in schmutzigster Form; was Gegenstand der Eihrerbietung 
sein sollte, wird als häßlich hingestellt; das Geschlechtsleben wird so von 
vorneherein zu etwas Gemeinem, und auf die Eltern fällt ein Makel, der 
die Mutter in Träumen und neurotischen Handlungen, in Zwangsliebe zu 
Dirnen oder in Donjuanismus als Dirne, den Vater als Wüstling erscheinen 
läßt. Oft schließt sich andererseits daran ein unbezwingbarer Ekel vor dem 
natürlichen Geschlechtsleben, Geschlechtskälte und eine Menge anderer 
seelischer Krankheitszeichen, die ein Menschenleben zu verpfuschen in der 
Lage sind. Bleibt die wirkliche Aufklärung aus, so treten falsche Kindheits- 
bilder an ihre Stelle, oft quälerische oder mit sonstigen abirrenden Vor- 
gängen übereinstimmende Zeugungs-- und Geburtsvorstellungen, deren 


— 201 — 





Folgen schließlich in krankem Abirren des Geschlechtsempfindens zutage 
tritt. 

Bei der Darbietung der Aufklärung kommt es darauf an, daß die Kinder 
nie auf den Gedanken kommen, wir wollten ihnen aus der "Tatsache des 
Geschlechtslebens eher ein Geheimnis machen als aus anderem, was ihrem 
Verständnis zugängig ist. Bei aller sittlichen Achtung vor dem richtig 
gepflegten Schamgefühl als einer menschlichen Tugend müssen wir doch 
bemüht sein, das Geschlechtliche von dem kitzelnden Strahlenkranz des 
allzu Geheimnisvollen oder an sich Unerlaubten zu entkleiden. Um dies 
zu erzielen, ist es erforderlich, daß das Geschlechtliche von Anfang an 
gleich wie anderes Wissenswertes behandelt wird. Vor allem ist es Aufgabe 
der Eltern und der Schule, der Erwähnung des Geschlechtlichen nicht 
auszuweichen, die großen Tatsachen der Fortpflanzung beim Unterricht 
über die Pflanzen- und Tierwelt in ihrer Bedeutung einzusetzen und 
sogleich zu betonen, daß der Mensch alles Wesentliche seiner körperlichen 
Einrichtung ähnlich dem der höheren Tiere hat, 

Die Neugierde des Kindes wird dann nie einen hohen Grad erreichen, 
wenn sie auf jeder Stufe des Lebens die entsprechende Befriedigung findet, 
Die Aufklärung über die besonderen, rein menschlichen Verhältnisse des 
Geschlechtslebens und der Hinweis auf die gesellschaftliche Bedeutung der 
Ehe, und vor allem die daran geknüpfte weise Einrichtung der Erhaltung 
des Menschengeschlechts, hätten sich in der Zeit des reifenden Alters 
anzuschließen und sich dabei an das Verständnis bei Großstadtkindern 
anzupassen. 

Daran anschließend würden dann dem über alles Körperliche, soweit es 
ihm verständlich, aufgeklärten Kind die sittlichen Pflichten, die an die 
Ausübung des Fortpflanzungstriebes geknüpft sind, das sittliche Band 
zwischen Eltern und Kindern, darzustellen sein. Hierbei könnte durchaus 
auch schon über das seelische Verhältnis zwischen Mann und Weib, über 
die Reinerhaltung des Geschlechtslebens und das Sichbewahren für den 
zukünftigen Ehegatten für beide Geschlechter unterwiesen werden. 

Kurz, je vornehmer und edler wir über all diese Dinge mit dem Kinde 
sprechen, um so mehr wecken wir in ihm die Hochachtung für das 
Natürliche in ihm und in anderen. 

Die „sexuelle Frage“ muß genau in der nämlichen Weise in ihrer 
Gesamtheit erfaßt werden, wie die anderen seelischen Begebenheiten und 
Lebenserscheinungen, wie das Leben überhaupt. Es verlangt, um verstanden 
zu werden, nicht nur in Gattungen eingeteilt, nach bestimmten Zwecken 
und begründeten Gesetzen untersucht zu werden, oder daß der lebendige 
Stoff festgehalten wird, sondern es beansprucht umgekehrt, daß aus der 
stetig fortdauernden Schöpfung, wie sie uns im Geschlechts- und Fort- 
pflanzungsleben der Menschen entgegentritt, alle die Äußerungen, Formen 
und Inhalte mit ihrer Abwechslung und Abweichung sich gedanklich 


ableiten lassen. 


— 202 — 


Das Beherrschen des Liebesdranges an Stelle seiner Vernichtung, seine 
Erhöhung gegenüber dem rein körperlichen, menschenunwürdigen Aus- 
toben des Arterhaltungstriebes, sind abhold jeder Verdrängung. Dies wird 
erst durch die höhere Entfaltungsmöglichkeit des Lebenstriebes gegenüber 
dem ursprünglichen, alleinherrschenden Ichtrieb ermöglicht. Soll aber der 
Schwerpunkt der Lebensaufmerksamkeit von den körperlichen in die 
geistigen Vorgänge gelegt werden, so muß das Denken mit den Gemüts- 
regungen gepaart sein und ebensowohl den verstandesmäßigen als auch 
den Triebansprüchen entsprechen. 

Eine dem kindlichen Verständnis angepaßte, mit ihm wachsende, stufen- 
weise fortschreitende und eigentlich zu keiner Zeit der Entwicklung 
unterbrochene Aufklärung erscheint uns als die einzig menschgemäße, 
die ganz der Entwicklung und damit dem Verständnis des Kindes 


Rücksicht trägt. 


TESTTEITTESSNEITLEDDDTELLLELLTRLEDEITTTTLETBETFETLLELTTLTTELISTTEETTETTTTTULEPSTETUETTEILLUT U TEUITEETLTITEIU UST LEE LTE TEE ELDTIPPE TEILTE UUU ULLI 


Eltern als Erzieher 
Von Dr. Wilhelm Reich 


Assistent am Psychoanalytischen Ambulatorium in Wien 


II) Die Stellung der Eltern zur kindlichen Onanie 


Als wir vom Erziehungszwang der Eltern und seinen unbewußten Motiven 
sprachen,! erwähnten wir unter anderem auch die Tatsache, daß die Trieb- 
äußerungen des Kindes eine Gefahr für die Aufrechterhaltung der Sexual- 
verdrängungen der Erwachsenen bedeuten. Diese erwehren sich der Gefahr 
entweder dadurch, daß sie die Triebäußerung garnicht wahrnehmen oder 
als „krankhafte Unart“ verurteilen. Unter den kindlichen Triebhand- 
lungen kommt in dieser Hinsicht der Onanie eine besondere Bedeutung 
zu. Werden andere Triebäußerungen noch als natürliche Unarten aufgefaßt, 
so gilt die Onanie des Kindes, beziehungsweise des Puberilen, als ein 
„krankhaftes Laster“, das unbedingt abgestellt werden müsse. 

Woher kommt es, daß sich diese Ansicht festsetzen, ja, daß eine große 
Schundliteratur über die Onanie entstehen konnte? Und warum nützen 
alle Aufklärungen, daß die Onanie zu den natürlichen Erscheinungen in 
einem bestimmten Alter gehört, nichts? Auch namhafte Autoritäten auf 
dem Gebiete der Hygiene und der Sexualwissenschaft sind der gleichen 
irrigen Ansicht. Außer den unbeweisbaren ethischen Argumenten, die sie 
anführen, lassen sich die angeblichen Schäden der Onanie sämtlich auf 
andere Ursachen zurückführen. Wenn wir auf starre, unbeeinflußbare 





ı) Der Erziehungszwang und seine Ursachen (diese Zeitschrift, Heft 3, Dez. 1926). 


ER 203 — 





und dazu groteske Ansichten stoßen, liegen unbewußte Motive vor, 
die diese Haltung bedingen. Wir verdanken Freud die Aufklärung nicht 
nur des Wesens der Onanie, sondern auch der Motive ihrer Bewertung als 
eines krankhaften Lasters. 

Es ist hier nicht der Ort, auf das Wesen der Onanie näher einzugehen : 
eine kurze Orientierung über die diesbezüglichen Ergebnisse der psycho- 
analytischen Forschung" möge das Verständnis der Unzweckmäßigkeit der 
derzeit üblichen die Onanie betreffenden Erziehungsmaßnahmen erleichtern. 

Die Onanie ist eine Reaktion auf körperliche Reize am Genitalapparat. 
Der Anlaß zur Onanie ist ein Spannungsgefühl oder eine Juckempfindung 
am Genitale; diese Empfindungen werden durch Kratzen oder Reiben be- 
seitigt, wobei sich eine wollustartige Sensation einstellt. Wurde diese 
einmal erlebt, so wird um der Lust willen onaniert. Man unterscheidet 
drei Onanieperioden: ı. Die Säuglingsonanie. Sie wird häufig 
beobachtet als reflexartige Reibung des Genitales und dürfte auf zufälligen 
äußeren Reizungen beruhen (Reinigung usw.). 2. Die OÖnanie des Ödipus- 
alters (etwa 4. bis 6. Lebensjahr). Für diese Zeit ist eine körperliche 
Grundlage der genitalen Reize noch nicht festgestellt worden, doch läßt 
die Gesetzmäßigkeit, mit der die Onanie in diesem Alter aufblüht, auf 
 erregende körperliche Vorgänge schließen. 3. Die Pubertätsonanie. 
Diese hat ihren physiologischen Grund in der rapiden, schubartigen Reifung 
des Geschlechtsapparats. 

Die allgemeine Ansicht, daß nur solche Kinder onanieren, die verführt 
wurden, ist durchaus irrig, weil ja die Onanie Ausdruck eines inneren 
Entwicklungs- und Erregungsprozesses ist. Das bekannte „Doktorspielen“ und 
das gegenseitige Betasten und Beschauen der Genitalien sind Folgen, nicht 
Ursachen des Erregungsvorganges, wenn sie ihn auch sekundär steigern. 
Gelegentlich bieten ein juckendes Ekzem am Genitale oder Würmer 
einen aktuellen Anlaß, doch ist auch die Annahme falsch, daß diese 
zufälligen Erscheinungen die Ursache der Onanie sind. Es ist vielmehr 
wahrscheinlich, daß erst das Kratzen am Genitale das Ekzem hervorruft; 
dieses verstärkt seinerseits wieder den Onaniedrang,. 

Diesem Juckgefühl steht das Kind des Ödipusalters anfänglich harmlos 
gegenüber, es entledigt sich seiner durch Kratzen oder Reiben, solange 
keine Komplikationen durch elterliche Verbote und Drohungen oder durch 
Phantasien eintreten. Die infantile Onanie ist ein Zeichen 
dafür,daß die genitale Stufe der Libido entwicklung erreicht 
wurde, was zur normalen seelischen Entwicklung gehört. 
Krankhaft ist also nicht, wie allgemein angenommen wird, das 
Onanieren, sondern vielmehr das Ausbleiben der Onanie. 

Die körperliche sexuelle Erregung ist bloß die eine Seite des onanistischen 
Geschehens. Mit dem Drang zur körperlichen Erledigung der Reize stellt 
sich auch ein Drang zur Annäherung an das geliebte Objekt — gewöhnlich 

ı) Vgl. hiezu: Die Onanie, Diskussion der Wiener PsA. Vereinigung 1910. 


— 204 — 


— 








an das heterosexuelle — ein. Manche Kinder werden in diesem Stadium 
sehr aggressiv, sie verlangen stürmisch, umarmt, geküßt, ins Bett ge- 
nommen zu werden, ja sexuelle Attacken — mehr oder minder verhüllt — 


kommen gar nicht selten vor. Erst jetzt setzt ein mächtiger Konflikt ein: 
Das Kind lernt sehr bald begreifen, daß das Genitale etwas ist, wovon 
man nicht spricht. Kommt ein Onanieverbot hinzu, so wird das Genitale 
mitsamt allen Wünschen, die durch seine Erregung hervorgerufen werden, 
„tabu“, es darf nicht einmal mehr berührt werden. Hier wird der Keim 
zur späteren Sexualablehnung und Sexualverdrängung gelegt. Die Eltern 
richten das genitale Tabu auf, übersehen aber in ihrer Unwissenheit, daß 
gewisse Notwendigkeiten des Alltags, das kindliche Spiel, ja, ihre eigenen 
Sexualwünsche — je verdrängter diese sind, desto mehr — die genitalen 
Reize steigern. 

Wie gern nehmen die Eltern ihre Kinder morgens oder abends ins Bett, 
und wie freuen sie sich mit den Kindern, wenn sie „Hoppa—Hoppa— 
Reiter“ oder „Huckepacktragen“ spielen. Beides wirkt direkt genital erregend. 
Die notwendigen täglichen Waschungen des Genitales seien hier bloß 
erwähnt. 

Ohne es zu wissen, bewirken die Eltern Steigerungen der genitalen 
Reize auch durch ihre sei es spaßhaften, sei es ernsten Drohungen. Die 
Angstbereitschaft des Kindes ist gerade im kritischen Ödipusalter enorm 
groß. Nun überträgt sich bekanntlich die Angsterregung sehr leicht auf das 
Genitale und ruft hier eine Sensation hervor, die man als „Angs tlust“ 
bezeichnet: eine wollüstise Empfindung, die angstvoll erlebt wird und 
völlie der onanistischen Erregung gleichkommt. Man denke an den 
plötzlichen Harnverlust im Angstzustand bei Kindern, die einen Schreck 


erleben. Daß es sich dabei auch um ein lustvolles Erleben handelt, beweist 


die Vorliebe vieler Kinder für gruselige Geschichten: Sie nehmen die 
Angst mit in Kauf wegen der genitalen Sensation, die dabei auftritt. Und 
daß das Schrecken, Mit-dem-schwarzen-Mann-Drohen, das Erzählen unheim- 
licher, gruseliger Geschichten und ähnliches allgemein geübt wird, braucht 
nicht erst bewiesen zu werden. 

Ferner besteht — notgedrungen in Armenkreisen — die‘ Unsitte, die 
Kinder, wenn nicht im selben Bett, so doch im selben Zimmer schlafen 
zu lassen. Den Wirkungen der Koitusbelauschung entgeht dabei kaum 
je ein Kind. In den Analysen Erwachsener lassen sich hier zwei typische 
Reaktionen feststellen. Zuerst reagiert das Kind auf die Koitusbelauschung 
mit Angst, natürlich mit Angst vor dem unheimlichen, weil unbekannten 
Geschehen im dunklen Zimmer. Es vermutet eine Prügelszene, das 
Keuchen und Stöhnen, eventuell das Sträuben der Mutter geben Anlaß zur 
Bildung einer „sadistischen Auffassung des Geschlechtsaktes“. Die Angst, 
die dabei erlebt wird, löst gewöhnlich genitale Erregungen aus, die den 
Wert einer spontan entstandenen Sexualerregung haben. Allmählich begreift 
das Kind ungefähr den Sinn der nächtlichen Szenen als eines lustvollen 


— 265 — 





Vorganges und die genitale Erregung, die ursprünglich aus Angst zustandekam, 
tritt jetzt in ihrer eigentlichen Eigenschaft auf: das Kind onaniert in 
bewußter oder unbewußter Identifizierung mit einem der Eltern. Viele 
Fälle nächtlicher Angstzustände (pavor nocturnus) und von Bettnässen 
fußen auf diesen Erregungen. 

Wir haben nur einige von den vielen äußeren Anlässen erwähnt, die 
infolge der Unwissenheit der Eltern reizsteigernd auf die ohnehin gegebene 
genitale Erregung wirken. Das Kind würde zwar sicherlich auch onanieren, 
wenn die Anlässe wegfielen, aber erstens bliebe die Onanie dann in den 
physiologisch vorgeschriebenen Grenzen und zweitens geriete das Kind 
nicht unter die Wirkung der Inkonsequenz der die Onanie betreffenden 
Erziehungsmaßnahmen, die darin besteht, daß die Eltern das Resultat des 
onanistischen Reizes beseitigen wollen und nicht deren Anlässe, die sie 
vielmehr, ohne es zu wissen, ungeheuer vermehren, 

Der Hauptmangel der heutigen Erziehung besteht darin, daß sie sich 
des Mittels. der Angsteinflößung bedient und trotzerzeugend wirkt. - 
Beides, Angst und Trotz, ist aber geeignet, den Onaniekonflikt zu verschärfen. 
Die Angst tut es dadurch, daß sie einerseits genitale Sensationen hervorzu- 
rufen vermag, andererseits zu einem Kampf gegen ebendieselben Empfin- 
dungen führt, der notwendigerweise in ein krankhaftes Kompromiß ausläuft. 

Der Trotz, der durch das ÖOnanieverbot hervorgerufen wird, steigert 
ebenfalls die Neigung zur Onanie dadurch, daß die „Lockung des Verbotenen“ 
hinzutritt. Bei vielen chronischen Onanisten findet man diesen Mechanismus: 
sie onanieren dann besonders exzessiv, wenn ihnen etwas versagt wurde, 
mit einer unverkennbaren, häufig sogar bewußten Absicht, sich den Eltern 
zu m-Erotz zu<sruinieren. 

Die Onanieverbote führen ferner, je nach ihrer Art, zu einer mehr oder 
minder weitgreifenden Verbildung des Charakters. Gelang es der Anost 
nicht, die Onanie völlig zu unterdrücken, so pflegen die Kinder — was 
die Eltern weder sehen noch erfahren — zu heimlichen Formen der 
Onanie zu greifen. Sie onanieren dann nicht mehr im Bett, sondern im 
Klosett, nicht mehr mit der Hand, sondern etwa durch /usammenpressen 
der Schenkel, durch Andrücken des Genitales an Gegenstände, durch 
Einklemmen des Gliedes usw. Die Heimlichkeit der Onanie führt zu 
allgemeiner Scheu, Verlogenheit und Unaufrichtigkeit. Welchem Erzieher 
wären nicht jene Kinder aufgefallen, welche sich immer isolieren, niemals 
in die Augen schauen können, einen scheuen Blick oder verkniffene 
Gesichtszüge aufweisen? Wer kennt nicht die „facies masturbatorica“ des von 
Onanieschuldgefühl gedrückten Pubertätsknaben? Solche Kinder weisen 
später eine Lähmung der Liebes- und genitalen Leistungsfähigkeit auf, 
werden impotent, bzw. frigid und sind auch sozial wenig leistungsfähig. 

Gewiß, nicht alle Kinder, die später neurotisch werden, haben Onanie- 
verbote erlebt, und viele, die sie erlebten, sind doch noch gesunde und 
leistungsfähige Menschen geworden. Das Önanieverbot ist ja nur ein 


— 20606 — 


FF 


Teilstück der Gesamterziehung, und seelische Gesundheit oder Krankheit 
ist immer überdeterminiert. Das darf aber nicht dazu verleiten, die 
schlechte Wirkung der Önanieverbote zu unterschätzen. In den Analysen 
Erwachsener kann man beobachten, daß die späteren Sexualstörungen den 
Onanieverboten entsprechende Formen annehmen und daß die krankhafte 
Gestaltung der Gesamtpersönlichkeit proportional ist der asketischen Strenge 
und der Inkonsequenz der genossenen Erziehung. Besonders zu verpönen 
sind die üblichen Erziehungsmaßnahmen gegen die Onanie: Drohung des 
Hände- oder Gliedabschneidens, die Warnung, das Glied werde abfallen, 
eine tödliche Krankheit werde sich einstellen, der böse Geist oder der 
Teufel werde das Kind holen, ferner das Schlagen, das Anbinden der 
Hände, das Verbinden des Genitales und anderes mehr. Diese sinnlosen 
und unwürdigen Maßnahmen verunstalten bloß die kindliche Persönlichkeit 
gerade im Zeitpunkt ihrer blühendsten Entwicklung und erreichen überdies 
nichts, denn entweder bricht sich die natürliche sexuelle Erregung auf 
krankhafte Weise Bahn oder, was noch weit häufiger ist, die Onanieperiode 
geht nicht vorbei, sondern fixiert sich aus mannigfachen Gründen, von 
denen früher einige hervorgehoben wurden. 

Und warum dies alles? Warum lassen die Eltern einem natürlichen 
Prozeß nicht seinen Lauf? Wieder ist es der Erziehungszwang, unbewußt 
determiniert, diesmal durch die eigene Onanieangst. Ein Beispiel, das 
keinen Sonderfall darstellt, veranschauliche das Zustandekommen der 
elterlichen Onanieangst. 

Eine z2jährige Frau, Mutter eines ı2Jährigen Mädchens und eines 
8jährigen Knaben, erkrankte akut an einer hypochondrischen Angsthysterie. 
Sie wurde von der Angst, bzw. dem Zwangsgedanken gequält, sie und ihr 
Bub könnten an Lungentuberkulose sterben. Die Analyse ergab als Anlaß 
der Erkrankung folgendes: Ihr Knabe hatte ein Jahr vorher schlecht aus- 
gesehen, der konsultierte Arzt konnte nichts feststellen und meinte bloß, 
sie solle das Kind gut nähren, damit sich keine Tuberkulose entwickle. 
Ungefähr zur selben Zeit bemerkte sie, daß ihre Tochter im Halbschlaf 
onanierte. Sie erschrak heftig und konnte den Gedanken nicht los werden, 
daß die Tochter den Buben zur Onanie verleiten werde, er würde dann 
an Tuberkulose erkranken und sterben. Warum übertrug sie aber die 
Onanieangst auf sich und den Knaben, wo es doch logischer gewesen 
wäre, sie hätte für ihre Tochter gefürchtet? Sie selbst hatte von ihrem 
4. bis 16. Lebensjahre exzessiv (allein und mit anderen Kindern) masturbiert, 
später, als sie heiratete und Inzestwünsche wegen der nicht sehr glücklichen 
Ehe wieder auftraten, unterdrückte sie die Onanie aus Angst vor den ver- 
meintlichen Folgen (Tuberkulose, Syphilis) und die Verdrängung gelang 
vorübergehend vollkommen. Als sie nun ihre Tochter onanieren sah, 
wurden in ihr die verdrängten Wünsche wieder wach, ohne jedoch bewußt 
zu werden. In Träumen verriet sich nicht nur der Onaniewunsch, sondern 
auch die Tendenz, mit dem Genitale ihres Buben zu spielen. So 


— 207 ai 


träumte sie einmal, daß der Junge mit einem Handwagerl hin und her 
fuhr („Handwagerl fahren“ ist eine ar Umschreibung der Masturbation) 
und sie hinter ihm „hin und her“ rannte, wie um ihn davon abzu- 
halten, weil es gefährlich wäre. Bis zur Analyse schlief sie mit dem Jungen 
in einem Bett, dabei lag sie hinter ihm und pflegte ihre Hand an 
seinem Genitale zu halten. Das alles bedarf keines weiteren Kommentars. 
Ich erwähne nur noch, daß sie die ganze Liebe, die einst dem Vater 
gegolten hatte, auf den Knaben übertrug, und darin hatte auch die 
Befürchtung, er könnte an Tuberkulose sterben, eine weitere Begründung: 
Der Vater war an Lungentuberkulose gestorben. Ferner hatte sie als Kind 
bis zu ı2 Jahren mit ihrem Vater in einem Bette geschlafen und war von 
ihm einmal bei der Onanie ertappt und gescholten worden. „Ich und der 
Junge werden an Tuberkulose sterben“ hatte den Gefühlswert der ver- 
drängten Wunschvorstellung: „Ich und mein Junge (Vater) werden mit- 
einander spielen (onanieren)“; als Strafe dafür waren schwere Erkrankung 
und Tod zu befürchten. 

Wie tief die Onanieangst auch bei aufgeklärten Erwachsenen wurzelt, 
konnte man an einer vernünftigen, klardenkenden Mutter sehen, die beim 
Anblick der Onanie ihres kleinen Sohnes geradezu reflektorisch ausrief: 
„Ja, wirst du die Hand weggeben?“; sie konnte nur mehr über sich 
selbst staunen. 

Warum wird die Onanie ganz allgemein als ein sträfliches Laster 
bewertet? Ein oberflächlicher Grund ist der, daß die Eltern diese Ansicht 
als Kinder wie selbstverständlich in sich aufgenommen haben. Sie verhalten 
sich dann gegen ihre eigenen Kinder so, wie sie es an ihren Eltern erlebt 
haben. Das zweite Motiv hat mit äußeren Einflüssen wenig zu tun und 
ist rein innerer Herkunft. Die Analyse des Onaniekonfliktes, den wir aus- 
nahmslos bei jedem unserer Patienten antreffen, ergibt nämlich, daß 
bewußt zwar die onanistische Manipulation, unbewußt aber die Phantasien 
das Schuldgefühl und die Angst erzeugen, die dieser Bewertung der Onanie 
zugrunde liegen. Mit den genitalen Reizen verbanden sich in der frühen 
Kindheit auch Sexualwünsche, die auf den gegengeschlechtlichen Elternteil 
gerichtet waren; man faßt sie in der Psychoanalyse als „Ödipuskomplex“ 
zusammen. Der Junge wünscht die Mutter zu „heiraten“ und aus diesem 
Grunde den Vater zu beseitigen, das Mädchen umgekehrt. Das Schuld- 
gefühl, das später mit der Onanie erscheint, entstammt dem Haß, der 
infolge des Ödipuswunsches gegen den ja auch geliebten gleich- 
geschlechtlichen Elternteil entwickelt wurde. Der Gefühlswert des 
phantasierten Verbrechens (Beseitigung des Vaters bzw. der Mutter) und 
das ihm entstammende Schuldgefühl übertragen sich nun auf den Inzest- 
wunsch und die ihm geltende onanistische Manipulation, so werden diese 
selbst zu verbrecherischen Akten. Im Bewußtsein verbleibt nach der Ver- 
drängung des Ödipuswunsches bloß ein Onanieschuldgefühl, und nach der 
Verdrängung des Onaniewunsches verwandelt sich dieses in die beschriebene 


— 265 — 





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Ansicht, daß die Onanie überhaupt ein strafbares Laster sei. Da kein 
Mensch dem Schicksal des Ödipuskomplexes entgeht und ‘da zumindest der 
Onaniewunsch ganz allgemein ist, ist es begreiflich, daß jeder ein Onanie- 
schuldgefühl hat und daher diese seine Abwandlung ein so festgewurzeltes 
Vorurteil ist. 

Es verbleibt nun noch die Frage, ob und inwiefern die Onanie wirklich 
schädlich ist; ferner ob sich die Onanie nicht fixieren würde, wenn man 
sie nicht einschränkte. Diese Fragen wären nur dann einwandfrei zu 
beantworten, wenn zahlreiche Beobachtungen an Kindern vorlägen, bei 
denen die Onanie erzieherisch nicht beeinflußt wurde. Vereinzelte Beob- 
achtungen erlauben die Vermutung, daß die Onanieperiode spontan vorüber- 
geht. Das Schuldgefühl aus dem Ödipuskomplex hat genügend verdrängende 
Kraft. Trotzdem wären Beobachtungen zu dieser Frage im Interesse einer 
sicheren Entscheidung sehr erwünscht. 

Dauernde Onanie schadet — nach den klinischen Befunden an Erwachsenen 
zu schließen — weniger körperlich als seelisch durch die aufreibenden 
Kämpfe. Sie lähmt ferner die Werbekraft gegenüber realen Sexualobjekten. 
In körperlicher Hinsicht sehen wir im Gefolge exzessiver Masturbation 
Neurasthenie auftreten. Es gibt aber auch viele exzessive Onanisten, die 
keinerlei Beschwerden haben. Ein Vergleich ergibt, daß bei jenen der 
körperliche Erregungsablauf durch das Schuldgefühl unmittelbar gestört 
wird, so daß sich akute körperliche Beschwerden einstellen. 

Im ganzen muß festgestellt werden, daß die Nachteile der üblichen 
Sexualerziehung die möglichen Nachteile des Gewährenlassens unvergleichlich 
übertreffen. Da Schlimmeres als das, was heute erzielt wird, nicht zu 
erwarten ist, darf das Experiment des Gewährenlassens nicht unversucht 
bleiben. Korrekturen sind ja prinzipiell immer möglich. | 


TITTTITERTERTISEETOTTTTTETTTTTTOTTTTTTNEITOLTTLTTTTTETTITSETTL IT TTITIT TI TTITT TITTEN IT IT IT ITI TEILTE ITTIT LITE 


Aus einem Briefe des holländischen Dichters Multatuli: 


„Im allgemeinen werden einzelne Dinge nach meinem Gefühl zu sehr umschleiert. Man 
tut recht, die Phantasie der Kinder rein zu halten, aber diese Reinheit wird nicht gewährt 
durch Unwissenheit. Ich glaube eher, daß das Verdecken von etwas den Knaben und das 
Mädchen um so mehr die Wahrheit argwöhnen läßt. Man spürt aus Neugierde Dingen nach, 
die uns, wenn sie uns ohne viel Umstände mitgeteilt würden, wenig oder kein Interesse 
einflößen würden. Wäre diese Unwissenheit noch zu bewahren, so könnte ich mich damit 
versöhnen, aber das ist nicht möglich; das Kind kommt in Berührung mit anderen Kindern, 
es bekommt Bücher in die Hände, die es zum Nachdenken bringen; gerade die Geheimtuerei, 
womit das dennoch Begriffene von den Eltern behandelt wird, erhöht das Verlangen, mehr 
zu wissen. Dieses Verlangen, nur zum Teil, nur heimlich befriedigt, erhitzt das Herz und 
verdirbt die Phantasie, das Kind sündigt bereits und die Eltern meinen noch, daß es nicht 
weiß, was Sünde ist,“ (Zitiert nach Sigm. Freud, Gesammelte Schriften, Bd, F, Seite 135f.) 


= 200° — 


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BEOBACHTUNGEN AN KINDERN 
NUN 


Fin Fall von Schlaflosigkeit bei einem achteinhalbjährigen Kinde 
Von Dr. Istvan Hollös, Budapest 


Während des Krieges war ich in der Nähe einer Stadt Kärntens als Arzt tätig. 
In dieser Zeit brachte man mir ein Mädchen wegen Schlaflosigkeit in die Ordination. 
Jede Schlafstörung konnte man allgemein mit dem Umstand begründen, daß in der 
Zeit öfters von Fliegern Bomben auf die Stadt geworfen wurden. Auch die Eltern 
waren dieser Meinung, hatten jedoch den Wunsch, daß das Kind, das vordem auch 
verschiedene Zeichen von Nervosität darbot, dem Nervenarzt gezeigt werde. Nebst- 
dem war es auffallend, daß das Kind in dieser Zeit eine größere Neigung zur Reli- 
giosität bekundete und jeden Morgen spontan in die Kirche ging. 

Das Kind machte keinen aufgeregten oder ängstlichen Eindruck. Eher lag ein 
gespanntes Interesse im Gesichte, eine Neugier, was wohl bei dem Besuche beim 
Arzte herauskommen werde. Mir schien, die Kleine hätte etwas zu erzählen, und ich 
brachte sie ohne Mühe zum Sprechen. Sie hatte mit einem veränderten, etwas 
ängstlichen Blick auf meine Bücher geschaut. Daran knüpfte ich mit einer Frage an. 
Dann sprach sie von selbst, wie jemand, der froh war, endlich von geheimen Sorgen 
befreit zu werden. 

Sie erzählte, daß sie, ohne daß jemand davon Kenntnis hätte, ein Buch in die 
Hände bekommen hatte. Dort fand sie ein großes Bild, wo eine „Dame“ nackt stand. 
Man konnte den Bauch wie einen Deckel aufheben und da stak in dem Bauch der 
Dame ein Baby (Wahrscheinlich war das ein volkstümliches Ärztebuch, das zumeist, 
um klar zu sein, mit krassen, grellfarbigen, zerlegbaren Bildern versehen wird.) 

Sie meinte, daß sie seitdem immer nachdenken hat müssen, wie denn das möglich 
sei, daß solch ein Kind in den Mutterleib komme. Besonders mußte sie des Nachts 
grübeln und davon konnte sie nicht schlafen. Sie war endlich zum Ergebnis 
gekommen, daß jedes Mädchen schon mit einem ganz kleinen Baby im Bauche zur 
Welt komme; aber erst wenn eine Dame heiratet und der Mann sie küßt, kann das 
Baby zur Welt kommen. Ich sagte ihr, daß sie das ja beinahe richtig wisse, und 
wenn sie mehr wissen wolle, so würde ich ihr es gerne sagen, wenn sie wieder 
kommen würde. Sie erwiderte nun, daß sie aber nicht recht sich erklären könne, 
wie denn ein zweites und drittes Baby zustande komme. 

Das zweitemal berichtete sie, daß sie jetzt schon schlafen könne. Auch sei sie 
darauf gekommen, wie es mit dem zweiten Kinde sein möge. Sie habe sich die 
Meinung gebildet, es müsse so sein, daß das erste Kind ein Fingerchen im Bauche 
der Mutter zurücklasse, aus dem wächst dann das zweite Kind und so weiter. 

Das Kind hat seit unserer Unterredung wieder gut geschlafen und, wie ich später 


hörte, hat es sich anscheinend normal entwickelt. 


— 70 — 





—- 


Da es von mir keine Aufklärung erhalten hatte, so hat die bloße Befreiung 
vom Geheimhalten seiner Grübeleien ihm den Schlaf wiedergeben können. Der 
Fall ist deswegen interessant, weil er zeigt, um wie viel mehr der innere Kampf 
mit der sexuellen Gefahr den Schlaf rauben kann, als selbst der Schrecken der 


explodierenden Bomben. 


Aus einem Kindergarten 
Mitgeteilt von der Vorsteherin 


1) 

Eine Gruppe fünf- bis siebenjähriger Knaben und Mädchen malt mit Wasserfarben. 
Den Knaben wird die Arbeit langweilig. Sie gehen ans Fenster und schauen hinaus. 
Die Erzieherin ist hinten in der Klasse beschäftigt. Die Knaben nehmen ihre Genitalien 
heraus und betrachten sie. Darauf holen sie Farbe und bemalen ihre Hoden, der erste 
grün, der zweite rot, der dritte blau und der vierte schwarz. Jetzt kehren sie sich den 
Mädchen zu, um ihnen zu zeigen, wie schön sie jetzt aussehen. Während der ganzen 
Szene war ich unvermerkt ins Zimmer getreten und fragte die Buben nach ihrem 
Tun. Sie erklärten, daß Janis und Petris im „Lihgo dsiesma“ (Johannislied) auch 
gefärbte Hoden hätten, und daß das sehr schön sei. Sie zitierten folgenden Vers: 

Jahnischami sili pauti, Lihgo! 
Peterami puspeleki, Lihgo! 
(Johann hat blaue Hoden, 
Peter hat graue.) 

(Lihgo = Anrufen der Göttin Lihgo, ein ständiger Kehrreim in den lettischen 
Johannisliedern.) 

2) 


Einige Knaben spielten im Sande. Sie hatten Löcher gegraben, legten sich darauf 
und urinierten hinein. Auf die Frage, was sie da tun, antwortete der eine: „Wir 
machen das, was Vater und Mutter in der Nacht zusammen tun.“ — „Woher weißt 
du das?“ — „Das habe ich doch gesehen.“ 


3) 


Eine Mutter beklagte sich, ein sechsjähriges Mädchen O. habe ihrem vierjährigen 
Töchterchen B. das Geschlechtsorgan mit Papier verstopft, als sie zusammen auf dem 
Abort waren. Auf die Frage, warum sie das getan habe, erklärte OÖ. zuerst, sie wisse 
es nicht. Nach und nach kam dann heraus, sie hätte es getan, weil die Öffnung zu 
groß sei, später, weil sie blutete. Das Blut komme aus dem Bauch. Zuletzt stellet 
sich heraus, daß sie bei der Mutter Blutungen beobachtet hatte. Sie glaubte, es tue 
ihr weh, und sie lege daher Papier vor. 

4) 
Ein kleiner Knabe reizte auf dem Abort sein Genitale mit den Händen und sagte 


zu den anderen, das sei sehr schön. 


5) 


Drei Knaben stehen abgesondert und unterhalten sich. Der eine meint, es sei 
schön, das Genitale in dasjenige des Mädchens zu legen. Auf die Frage eines 
Kameraden, woher er das wisse, meinte er, er habe gehört, wie der Vater davon 
gesprochen habe, und fährt fort: „Ich möchte gern mit den Mädchen zusammen- 


schlafen. So tun die Verheirateten. Wenn die Frau dem Manne nicht gut ist, so geht 
er ins Dirnenhaus. Das werde ich auch tun. Dort bezahle ich zehn Rubel und kann 
machen, was ich will.“ — An einem anderen Tage biegt er sein Frühstücksbrot in 
die Form eines weiblichen Genitales und meint zu den anderen Knaben, es wäre sehr 
angenehm, hier sein Genitale hineinzulegen. 


6) 
Zwei Knaben kommen aus dem Abort. Der eine erzählt, daß sie gegenseitig die 
Genitalien gemessen hätten, das seine sei größer und dicker. Diese Feststellung 
erfüllte ihn sichtlich mit Stolz. 


* 


(Diese Mitteilungen zeigen, wie die unbefangene Beobachtung die frühkindliche 
Sexualität, welche durch die Psychoanalyse Erwachsener zuerst aufgefunden wurde, 
unmittelbar bestätigt. Die Mitteilung ı) zeigt den Trieb, die Genitalien auffällig zu 
machen und zu zeigen, den Exhibitionismus; — 2) zeigt eine infantile 
Zeugungstheorie auf der Stufe der Harnerotik, ferner die Gleichsetzung 
der Mutter-Erde mit dem Weibe; — z-6) zeigt frühe Sexualinteressen 
und Geschlechtstrieb mit speziellen Inhalten; — 3) zeigt Sadismus und Abwehr 
der weiblichen Sexualorganisation; — 5) zeigt besonders die Identifizierun £ 
mit dem Vater. — Die Schriftleitung.) 


/ur kindlichen Sexualtheorie 
Mitgeteilt von Frau Dr. med.L. 


Das Dienstmädchen machte meinem sechseinhalbjährigen Knaben davon Mitteilung, 
daß die Nachbarin heute morgen um acht Uhr einen Knaben bekommen hätte. Darauf 
kam der Bube zu mir und fragte mich: „Wie wäre es gewesen, wenn das Kind 
nachts um zwölf Uhr geboren worden wäre? Dann hätte ja die Mutter geschlafen 
und gar nichts gemerkt.“ Ich erklärte darauf, daß die Mutter immer weiß, wann 
das Kind geboren wird. Sie hat dann Schmerzen und schläft nicht. Darauf der 
Kleine: „Wo kommt denn das Kind heraus?“ Es erfolgt eine einfache und sachliche 
Aufklärung. Ganz erstaunt erwidert der Knabe: „Das kann ja gar nicht sein. Ich 
glaubte, das Kind komme dort heraus, wo man ‚groß‘ macht. Der Pipimacher ist ja 
viel zu klein.“ Ich erkläre den Unterschied der männlichen und weiblichen Genitalien, 
spreche von der Vagina und ihrer Elastizität. Diese Aufklärung paßt offenbar nicht 
in seine gegenwärtige Gedanken- und Wunschwelt und er entgegnet mir: „Nein, 
Mama, ich kann doch auch ein Kind kriegen!“ — Ich wiederhole, daß nur Frauen 
Kinder bekommen können, daß er, wenn er groß sein werde, eine Frau haben werde 
und die werde ihm dann Kinder schenken. Damit war die Unterredung beendigt; 
ich warte auf die folgende. Es interessiert mich, dann zu vernehmen, wie er die 
erhaltene Aufklärung verarbeitet hat und wo er den Faden weiıterspinnt. 


— 2172 — 








Gespräche mit einem Knaben 


Es wird hier die skizzenhafte Wiedergabe einer Reihe von Gesprächen 
versucht, in deren Verlauf ein kleiner Junge sein Interesse für Sexuelles ebenso 
wie für alles andere seit den ersten Lebensjahren kundgeben konnte und von 
der Mutter aufrichtige, den jeweilig erfaßten Bedürfnissen des Kindes mög- 
lichst angepalite Aufklärungen erhielt. Interessanteres wurde meist noch am 
selben Tage schriftlich festgehalten. In dieser fortlaufenden Entwicklung ergaben 
sich naturgemäß zwei hervorragende Momente, derjenige, in welchem dem 
Kinde klargemacht wurde, woher die Kinder kommen, und der andere, wo 
er die ergänzende Aufklärung erhielt, wie sie dort hineingelangen. Die Mutter 
hat tunlichst von Anfang an die sogenannte „sokratische” Methode befolgt, 
indem sie ganz auf den Gedankengang des Kindes einging, um aus ihm selbst 
herauszuholen, was er eben brauchte. Sie tat dies lediglich intuitiv, bis sie 
— im siebenten Lebensjahr des Kindes und mehr als ein Jahr nach den 
ersten großen Mitteilungen über Geburt und Schwangerschaft — selbst 
analysiert wurde und nun auf Grund psychoanalytischer Erkenntnisse in 
gesteigertem Maße bestrebt war, nicht nur dem Wissensdrang, sondern auch 
den unbewußten triebhaften Erregungen des Kindes Rechnung zu tragen. Sie 
machte ihm Mut, seine triebhaften Ahnungen zu äußern, bestätigte dieselben 
und kam ihm, wo ihn die Unkenntnis der Tatsachen verwirrte, mit den 
nötigen Aufklärungen zu Hilfe. Dies ist schwieriger, als einem Kinde theore- 
tische Mitteilungen über Pflanzen und 'TTiere zu machen, hat aber einen 
sroßen Vorteil; es ermöglicht nämlich, daß sexuelles Wissen und Erotik sich 
in natürlichem Zusammenhange in die seelische Entwicklung einfügen. Somit 
wird der Durchbruch von hier verdrängten dunklen Sensationen an einer 
unrechten Stelle, die Entzweiung der intellektuellen und der affektiven Ein- 
stellung zur Sexualität vermieden, welche — der Entzweiung von zärtlichen 
und erotischen Liebesstrebungen analog — Konflikte unterhält und das 
künftige Liebesleben störend beeinflußt. 

Wie wichtig das ist, wird jeder bestätigen, der am eigenen Leibe erfahren 
hat, wie unzulänglich die vor 20 bis 25, Jahren „modern“ gewordenen, recht 
spät gebotenen akademisch-naturwissenschaftlichen Aufklärungen waren, wie 
sie gleichsam Fremdkörper blieben. Eine hochintelligente Freundin erwähnte 
eben unlängst, wie sie als schon erwachsenes Mädchen über alle Tatsachen 
des Geschlechtsleben gelehrt und überlegen diskutierte und dabei ihre erotischen 
Sensationen, verwirrt und beschämt, beim Lesen von Selbstmordnachrichten 
erlebte. Ähnlich erzählt der große ungarische Schriftsteller Michael Babits in 
seinem neuerschienenen Entwicklungsroman „Die Söhne des Todes“, wie sein 
äußerst scheuer und verschüchterter Held in einen kleinen Studentenkreis 
gerät, wo sich Mädchen und Jünglinge in einer Art freimaurerischer Brüder- 
lichkeit verbinden. Denn Mädchen waren auch dabei, Mädchen, mit denen 
sogar Imre sans gene über Feminismus und freie Liebe, über Weininger 
und Strindberg diskutierte. Die Sprechenden schwebten akademisch über dem 
Thema, als ob es sich gar nicht um die Liebe und um Probleme ihnen 
gleichartiger Geschöpfe handelte. 

Natürlich muß man aber mit der größten Umsicht und der größten Vor- 
sicht darauf bedacht sein, die sich vordrängenden Erregungen des Kindes 


nicht in der aktuellen Situation ausleben zu lassen, den dunkel mitschwingenden 
libidinösen Trieben nicht so viel Befriedigung zu gewähren, daß sie an die 
aktuelle Situation und an die Person des Aufklärenden fixiert werden. Man 
muß ganz unpersönlich bleiben und mit rascher Einfühlung das Interesse 
wieder dem Wissensmaterial selbst zuzulenken, die Gefühlsspannung durch eine 
objektive, lösende Erklärung herabzusetzen suchen. Und wenn man dem Kinde 
in der Lösung seiner dringendsten Probleme und Konflikte zu Hilfe kam, 
hat man auch Aussicht, es zur Einsicht zu bringen, daß es nun warten müsse, 
bis es groß wird, um diese ernsten, großen Dingen in der Realität zu 


erkennen und zu erleben. 
>k 


Die Aufzeichnungen sind aus der Kleinkindzeit des fröhlichen, geweckten 
Jungen — geboren im Juni ı911 —- sehr dürftig, da damals, wie oben 
erwähnt, das psychoanalytische Interesse der Mutter noch nicht geweckt war. 
Im allgemeinen waren die Äußerungen des Kindes recht normal, seine Ein- 
stellung zu beiden Eltern überwiegend zärtlich. Er hat nie im Schlafzimmer 
der Eltern geschlafen, hat keine Geschwister gehabt. Er verlor den Vater mit 
viereinhalb Jahren und lebte seitdem mit der verwitweten Mutter im Hause 
der Großeltern. Er hat die Phase der Säuglingsonanie ohne sichtbare 
Schwierigkeiten überwunden. Die Nachwirkung von unvermeidlichen Kastrations- 
drohungen wurde von der Mutter manchmal beobachtet. 

Seit seinem fünften Jahre richtet sich der Fragedrang des Jungen vorzüg- 
lich auf das Thema: wie oder woraus die Dinge entstehen, wobei die Fragen 
oft ohne Abwartung einer Antwort sich überstürzen. Er fragt zum Beispiel 
beim Kastaniensammeln: „Mutti, woraus werden die Kastanienbäume?“ Das 
hat man ihm schon wiederholt erklärt. „Wie wurde aber der erste Kastanien- 
baum, als es noch keine Kastanien gab?... Wie wurde die erste Mutter, die 
noch keine Mutter hatte?” — Ich weiß nicht. — „Mutti, gibt es überhaupt 
etwas, was du nicht weißt? Was niemand weiß, gar niemand?” Die Mutter 
fühlt, wohin die Frage zielt, konnte aber damals den Übergang noch nicht 
finden. 

Einige Monate später fragt das Kind unvermittelt: „Mutti, wie wird das 
Baby?" Die Mutter, zuwartend: „Es wird geboren.“ Das Kind scheint sich 
mit dem bloßen neuen Worte zu begnügen. Die Fortsetzung kommt wieder 
einige Monate später, während eines kurzen Aufenthaltes auf einem Landsute, 
wo sich das Kind — es ist nun genau fünf Jahre alt — freudig in Stall und 
Hühnerhof herumtreibt. Eine Brut kleiner Enten und ein neugeborenes Kalb 
sind sein Entzücken. Eines Tages, wie der Knabe zum Nachmittagsschlaf ins 
Zimmer gebracht wird, wiederholt er wortwörtlich die Frage: 

„Mutti, wie wird das Baby?” — Es wird geboren. 

„Wie, geboren? — Du, wie kamen die kleinen Enten zur Welt? 

„Sie krochen aus den Eiern. Oh, ich habe die Schalen gesehen.“ 

Und das kleine Kälbchen? — „Das — das nicht.“ 

Weißt du, was das Kälbchen zu essen kriegt? — „Es trinkt bei der 
Mutter.” — Also siehst du, es ist auch im Leibe der Mutter gewachsen und ganz 
fertig, lebendig, so wie die Enten aus dem Ei, herausgekommen. — „Wo im 
Leibe der Mutter? Im Bauch?* — Ja, im Bauch. — „Und ist dort Platz?“ 
(Betastet die Mutter.) — Schon, ‚denn erst ist das Kleine ganz winzig und 





| 


wenn es wächst, wird der Bauch auch größer, wie ein Luftballon. — „O ja, 
und dann wird die Sau im Hof, die sehr dicke, auch ein Kleines haben?“ 
— Hast du es dir vielleicht schon gedacht? — „Ich... vielleicht. Aber, wie 
kommt es heraus, im Bauch ist doch kein Loch!” — O ja, unten beim 
Bauch ist ein Loch, aber nur ein kleines, und wenn das Kleine fertig ist und 
hinaus will, dann wird die Öffnung auch größer, damit es herauskommen 
kann, das wirst du schon noch erfahren, wie. — „Und ich bin auch so 
herausgekommen?“ — Ja, mein Bub. — Er hüpft froh herum, legt sich dann 
befriedigt schlafen und kommt längere Zeit auf das 'Thema nicht zurück. Das 
heilt mit weiteren Fragen nicht. Sonst behandelt er seine neuen Kenntnisse 
wie alles andere, was er weiß. „Schau, diese Hündin wird Junge kriegen, sie 


ist furchtbar dick,“ — sagt er beim Spazierengehen seiner Tante. — „Oh, 
das war sehr, sehr lang her, da war ich noch nicht aus dem Bauch meiner 
Mutti herausgerutscht", — bemerkt er wiederholt, wenn er etwas in die ferne 


Vergangenheit versetzen will. 

Als die Tante heiratet, erwartet er ihr erstes Baby mit freudigem Interesse. 
Im Wochenbett sah er die junge Mutter nicht und hat dann mehr Interesse 
für das Neugeborene als für die Mutter. Er hält sich für verpflichtet, als 
„großer Junge“ recht zärtlich zu ihm zu sein, verrät aber deutlich seine 
Eifersucht. „Ich möchte auch so an der Brust trinken“, meint er einmal. 

Die folgenden Jahre bringen nichts wesentlich Neues. Die Gespräche über 
die Entwicklung des Embryos im Mutterleib, über das Spielen mit seinem 
Gliede, das im achten bis neunten Jahre (vielleicht unter dem Einfluß von 
Schulkameraden) wieder auffallender wird, werden natürlich gelegentlich fort- 
gesetzt. Einmal notiert die Mutter eine auffallende Frage, die kühn zur 
schwierigeren Seite des Problems weiterschreitet: „Mutti, warum bekommt 
eine Frau gerade zu dieser Zeit ein Kind und nicht früher oder später?“ 
Jedoch ohne die Antwort abzuwarten, spricht er weiter, lenkt vom Gegen- 
stand ab und Mutter und Kind haben nun längere Zeit keine Gelegenheit, 
auf denselben zurückzukehren. Es waren die furchtbar schweren Krisenjahre 
nach dem Kriege, der Kampf ums tägliche Brot nahm die Mutter immer 
mehr in Anspruch, und da dieses Brot so auch zu karg ausfiel, mußte sie 
froh sein, ihr blasses Kind für lange Monate nach Holland schicken zu können. 
Er kam dort im Hause eines vornehmen Advokaten —- sein verstorbener 
Vater ist auch Rechtsanwalt gewesen — in ein kulturell hochstehendes, fröh- 
liches, gesundes Milieu, hatte Kindergespielen und wußte sich die Liebe der ganzen 
Familie zu gewinnen. Der Haarlemer Gastfreund ist ihm zum väterlichen 
Freund und zum Vaterideal geworden, bei dem er noch alljährlich die Ferien 
verbringt. Ein derartiges Zutrauen, wie zu der Mutter, hat der Junge zu ihm 
aber nicht fassen können. Er verbarg sein Wissen nicht, verlangte aber von 
seinen neuen Freunden keine weiteren Auskünfte. 


* 


Nach einer Abwesenheit von zehn Monaten kehrt das Kind kurz vor 
seinem zehnten Geburtstag zur Mutter zurück. Der Kontakt ist — wenn 
auch nicht so rückhaltlos — bald wieder hergestellt. Während des Sommers 
macht noch das Kind einen mehrtägigen Ausflug, wo es mit größeren Jungen 
zusammen schläft. Seitdem bemerkt die Mutter eine gesteigerte Unruhe, 


Unarten, Neugierde, aber auch eine gewisse Furchtsamkeit. Er scheint damit 
was ihn beschäftigt, sich spontan nicht hervorzuwagen. Die Mutter beschließt, 
ihm entgegenzukommen, um so eher, da er nun ins Gymnasium geht und sie 
eventuell recht dummen oder erschreckenden Aufklärungen seitens der 
Kameraden zuvorkommen will. 


Die Mutter richtet es so ein, einen Septembernachmittag ungestört mit dem 
Kinde zusammenzubleiben, ohne daß es eine Absicht merken kann; sie ist 
mit einer leichten häuslichen Arbeit beschäftigt und hört inzwischen dem 
Jungen die Lektionen ab. Erst kommt die rosa rosae, dann die Naturgeschichte. 
Es ist gerade von der Pflaume die Rede (die Saisonfrucht). Nun sind sie 
schon bei den Fortpflanzungsvorgängen bei den Pflanzen. Das Kind erzählt, 
was er von Staubfäden, Fruchtknoten, Blütenstaub, von der Rolle von Insekten, 
Wind usw. bei der Befruchtung gelernt und in Ewalds „naturhistorischen 
Märchen“ gelesen hat. Die Mutter erklärt ihm, wie diese Art der Fort- 
pflanzung eine „weigeschlechtliche ist. „Und bei den Tieren ist es 
auch so?“ — Bei allen höher organisierten Lebewesen. (Denn von der Ver- 
mehrung durch Teilung weiß der Junge auch schon.) — Die Mutter fährt fort, 
erklärt, wie ein neues Lebewesen immer aus der Verschmelzung zweier 
Zellen, einer männlichen und einer weiblichen, des Samens und der Keim- 
zelle, entsteht, und wie diese aus zweien eins gewordene, diese befruchtete 
Zelle durch Teilung zu einem Organismus wird. Der Junge äußert jetzt ganz 
unverhohlen, daß ihn vor allem die Frage interessiert, wie der Samen zur 
Keimzelle gelangt. Die Mutter weist noch einmal auf Pollen und Stempel 
hin, erinnert noch kurz an das bei Ewald Gelesene, wie bei den Fischen die 
vom Weibchen in den Meeressand gelegten Eier nachträglich mit Samen 
befruchtet werden, und geht geradewegs zu der — für den Jungen doch einzig 
interessanten — Art der Befruchtung über, wo der Samen vom männlichen 
Individuum direkt in den Leib des weiblichen übertragen wird. Dies geschieht 
mit Hilfe besonderer Organe, der Geschlechtsorgane. Der Junge nennt sie 
Fortpflanzungsorgane. Der Junge wird immer lebendiger, spricht von Hahn 
und Henne, von Säugetieren. Selbstverständlich vom Menschen. Aber, sagt er 
etwas zögernd, er wisse doch nicht genau, was der Unterschied zwischen 


Bub und Mädel sei. — Aber natürlich weißt du es, meint die Mutter, 
denk nur mal dran, du hast doch mit der Mitzi und mit Baby (kleine 
Verwandte von zwei und fünf Jahren) in einer Wanne gebadet. — „Ach 
ja, aber ich weiß nicht ... sie... ich habe den kleinen Schwanz nicht 
sesehen....” — Ja, also das haben sie nicht, sondern statt dessen eine kleine 
Öffnung. — Der Junge schweigt, dann erzählt er plötzlich mit vielen Worten, 


aber verwirrt, daß er vor einiger Zeit in der Gasse Hunde beim Geschlechits- 
akt beobachtet hat. Er hat aber nicht gut hinschauen können, er versteht 
doch nicht, wie... wie das vor sich gehen kann. Sein Gesicht ist gespannt, 
grüblerisch, die Augen glänzen aufgeregt. Der Mutter fährt plötzlich durch 
den Sinn, wie Freuds kleiner Hans von seinen eigenen Penissensationen aus 
der Wahrheit so nahe kam. „Ja, das weißt du auch,” bemerkt sie selbst- 
verständlich. — „Ich weiß ja, von ganz klein auf, von den Wickelkindern 
angefangen, sieht man es bei kleinen Jungen, daß ihr kleines Glied steif wird. 
Du kennst ja das sehr gut, du pflegst ja auch damit zu spielen. Also, dieses 
Steifwerden dient dazu, das Eindringen in die weibliche Öffnung zu ermög. 


ae 2706 — 





lichen.” Da, bevor die Mutter noch den Satz beendet hat, ruft der Junge 
dazwischen: „... Weißt du was? Jetzt ist es auch steif!“ Die Mutter fährt 
ruhig fort, erklärt noch, daß da natürlich von erwachsenen, reifen, 
fertigen Individuen die Rede ist. Und siehst du, sagt sie beiläufig, deshalb 
ist es auch nicht gescheit, wenn kleine Jungen zu viel über solche Dinge 
reden, denn da werden sie auch gleich erregt. Wissen sollen sie ja alles, 
das sind ja ganz natürliche Dinge, aber nicht fort und fort mit solchen 
Gedanken spielen. „Willst du jetzt vielleicht noch sehen, wie das Kindchen 
im Mutterleib wächst? Bring’ mir nur das große Buch, ich werde dir viele 
schöne Bilder zeigen.‘ Der Junge ist nun mit Leib und Seele bei den 
Abbildungen, die den Entwicklungsgang des Embryos zeigen, wird darauf 
aufmerksam gemacht, wie es erst einer Kaulquappe und einem Fischchen 
usw. ähnelt und endlich ein winziger Mensch wird. Er stellt auch Fragen 
über Ernährung und Atmung des Embryos und endlich über die Geburt. Die 
Antworten versteht er sofort und freudig, da er schon vom Blutkreislauf 
gewußt hat, nur wie er hört, daß der. „Schlauch, durch welchen das Blut 
der Mutter in das Kind überfloß”, durchschnitten wird, zeigt er eine gewisse 
Ängstlichkeit. „Tut das dem Kind weh?“ Die Mutter meint, die Angst vor 
der Trennung von der Mutter zu erkennen und sagt beschwichtigend: „Da 
die Ärzte sagen, daß Organe, die keine Funktion mehr haben, von selbst 
absterben, sicher nicht.“ 

Wie deutlich die gewonnenen Vorstellungen beim Jungen waren, ist daraus 
ersichtlich, daß er noch nachdenklich hinzusetzte: „Wenn aber der Schlauch 
beim Nabel des Kindes durchschnitten wird und an der anderen Seite das 
Blut noch hineinfließt, muß ja die Mutter verbluten“; worauf ihm noch 
etwas von der Ablösung der Plazenta mitgeteilt wurde. — Jetzt sprangen 
übrigens seine Assoziationen auch zu anderen Gegenständen über, er ist froh 
und erleichtert. Die Mutter hat ihre Arbeit beendigst, steht auf und sagt 
ihm nur noch: „Du mußt das alles nicht deinen Kameraden erzählen. Viele 
Mamas wünschen nicht, daß ihre Kinder dies wissen sollen. Ich habe es 
allenfalls für das beste gehalten, dir die Wahrheit zu sagen.” „— Oh, wie 
sehr hast du recht, Mutti!” Und dann nach einer Weile, nachdem er seine 
Bücher eingepackt und zu spielen begonnen hat: „Weilst du, Mutter, ich hab’ 
mir ja etwas gedacht und auch von den Jungen gehört, aber ich wollte dich 
fragen, denn da wußte ich, werde ich alles verstehen und die Wahrheit 
hören.“ (Kann man deutlicher sagen: Und wenn du gelogen hättest, hätte ich 
dir auch das nicht verraten, was ich ahnte.) Einige Tage später holt er sich 
das noch immer fehlende Stück Wissen, als er auf einem Spaziergang fragt: 
„Mutter, noch eins möchte ich wissen, was sind die zwei runden, so wie 
Zwetschgen, die in einem kleinen Sack hängen ?° Worauf er erfuhr, daß dies 
die eigentlichen Geschlechtsdrüsen sind, die den Samen produzieren. 


Seitdem sind diese Fragen noch viel gemeinsam besprochen worden. Der 
Junge erzählte der Mutter auch, was er von den Kameraden hört, und fühlt 
sich ihnen oft überlegen. Das sexuelle Interesse war in den Vorpubertäts- 
jahren — mit ız bis 14 Jahren — stark aufgeflackert, nun ist es wieder gleich- 
mäßiger. Vor kurzem erwähnte der Junge, wie ein Kamerad in seinen Studien 
zurückbleibt, weil er immer mit diesen Dingen beschäftigt ist. „Huh, ganz 
wild ist er, und seitdem er Zolas Nana bei seiner Mutter gesehen hat, kann 


er nicht leben vor Neugierde.” „Und du möchtest das Buch nicht lesen?” — 
„Jch möchte schon, aber ich weil doch, was ich wissen will, und da denke 
ich mir, es muß nicht alles jetzt sein, ich kann schon noch warten.” — „Und 
wie stehst du jetzt mit den Mädchen?” — „Ich tanze und spreche gerne mit 
ihnen (er ist auch sehr stolz, wenn er gefällt), aber sehr verliebt bin ich in 
keine.“ — „No, und die Onanie?” — „Ich tu es wirklich nicht häufig, nur 
manchmal, wenn wir schulfrei haben und ich einen sehr guten Tag sehabt 
habe und abends noch gar nicht müde bin, dann denke ich im Bett noch 
an allerlei und zuletzt meist an ein Mädchen und dann kommt es so ganz 
mechanisch.“ Dann: „Es gibt auch Buben, die brüsten sich, daß sie schon 
mit Weibern waren, aber sie lügen meist, und wie sie es machen, ist es auch 
so ekelhaft.”“ — „Ja, und meinst du nicht, daß es schade ist, sich das Ganze 
aus roher Neugierde, ohne den richtigen, wirklich starken Wunsch, ein 
Liebesgefühl zu erwarten, so zu verderben und abscheulich zu machen ?“ 
(Davon war schon wiederholt die Rede; in der Großstadt wird ja die 
Begierde direkt aufgerissen, unreif Auissabrchelt und beschmutzt.) — „Ich stelle 
mir vor, ich kann noch eine gute Weile warten, mich interessiert das gar 
nicht so sehr, ich hab’ die Schule und das Tanzen und Ausflüge, und dann 
soll es zur rechten Zeit kommen, und natürlich muß es die rechte Person 
sein, die mir gefällt.” 

Was für Erfolge erzieherische Bemühungen zeitigen, das kann ja nur die 
Zukunft, der Erwachsene zeigen. Nur die eine Bemerkung wäre noch hier 
eafiren; daß der Junge — jetzt bald sechzehn Jahre alt — keineswegs zu 
sehr an die Mutter fixiert, im Gegenteil ein sehr selbständiger, froher, sogar 
„frecher“ Kerl, ein Sroßer Raufer ist und sehr mannigfaltige Freundschafts- 


beziehungen har: 
Dr. M.T. 


Zur Ergänzung der Mitteilung: 


Die Entstehung des Pavor nocturnus 
(Heft 6) 


Gerda (31%, Jahr) schläft abends nicht ein, ängstigt sich. Die Angst begann 
sichtbar zu werden, nachdem der Vater sich als Weihnachtsmann (als freundlicher !) 
verkleidet hatte. Als Gerda ihn sah, flüchtete sie zur Mutter, die bei ihr starkes 
Herzklopfen bemerkte. Seitdem bekommt das Kind Angst, sobald sie auf der Straße 
einen alten Mann sieht. 

Es fiel auf, daß die Angst weniger auftrat, wenn die Eltern nicht zu Hause 
waren, was man sich nicht erklären konnte. Da erzählte mir die Kleine: „Ich kann 
nicht schlafen, weil es dunkel ist. Ich habe Angst, daß der Schornstein kommt. Ich 
hahe vor dem Vater Angst, daß mir der Vater auch etwas tut, er stößt Mutter 
mit dem Fuß.“ — Es bedarf kaum der Mitteilung, daß das Kind im Zimmer der 
Eltern schläft. Auf die symbolische Ausdrucksweise des Kindes sei aufmerksam 
gemacht. 


— 178 — 


INN 
BERICHTE 


TTETTITTEESISTTTEEELLELLLSLLLLLLLLELLLLLLELLLLDGOSTTETLEUPUPTTIDDETTELELLLLTITTUUTTTDTITTTIDTITETTELITTTTTTPPPUPUUUUUUTEAL EEE FEPEPTEFIPETEEITEEPEEEEUUUUUUUUTULEITUUEEETTETTTTEETTTTLLU 


ANNA FREUD, Einführung in die Technik der Kinderanalyse. 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien, 1927. 


Anna Freud gibt in diesen vier Vorträgen ihre Erfahrungen in der Kinderanalyse 
und knüpft daran interessante theoretische Erörterungen. Sie vertritt im Gegensatz 
zu Melanie Klein die Auffassung, daß die Analyse nur für neurotische Kinder 
angebracht ist, und auch da nur mit Auswahl, Ihre Technik weicht in vielem von 
der der Erwachsenen ab; die Analyse des Kindes ist etwas ganz anderes als die der 
Erwachsenen. 

Der erste Vortrag zeigt, wie Anna Freud die Kinder für die Analyse vorbereitet; 
sie schafft eine gute Übertragung und zärtliche Bindung. Der zweite Vortrag zeigt 
die Mittel der Kinderanalyse, die Straßen, die zum Unbewußten des Kindes führen. 
Von den vier technischen Hilfsmitteln der Erwachsenenanalyse: bewußte Erinnerungen, 
Träume, Assoziationen und Deutung, kommen beim Kind vorwiegend Traum und 
Deutung in Betracht. Hervorragend wichtig kann die Deutung der Tagträume sein 
und die Auswertung der Zeichnungen des Kindes. Der dritte Vortrag bringt eine 
Auseinandersetzung mit der Spieltechnik von Melanie Klein und eine Untersuchung 
über das Wesen der Übertragung in der Kinderanalyse.. Das Kind bildet keine 
Übertragungsneurose, vor allem, weil die Objekte der ersten Gefühlsbindung: Eltern, 
Erzieher, noch real im Leben des Kindes vorhanden sind und weil der Kinder- 
analytiker während der Analyse nicht in der Zurückhaltung verharrt wie in der 
Erwachsenenanalyse.. Das Kind erlebt einen großen Teil von dem, was der 
Erwachsene in der Analyse agiert, im Hause, vor allem seine Reaktionen auf die 
Personen, die fir den Aufbau des Ideal-Ichs bedeutungsvoll sind. Die Analyse muß, 
um die Haß- und Liebesreaktionen des Kindes analytisch zu verstehen und zu 
verwerten, sich auf die Zusammenarbeit von Analytiker und Erzieher stützen. 
Im vierten Vortrag wird das Verhältnis der Kinderanalyse zur Erziehung besprochen. 
Der Analytiker muß an die Stelle des Ideal-Ichs beim Kinde treten. Analytiker 
und Erzieher müssen sich in die erzieherische Arbeit teilen. Eine Kinderanalyse 
ohne die Sicherheit, daß die Erzieher den Ablauf der Analyse nicht stören, sollte 
nicht unternommen werden. 

Anna Freud hebt zum Schluß die drei Möglichkeiten der Kinderanalyse gegen- 
über der Erwachsenenanalyse hervor; die Charakteranalyse hat bessere Aussicht als 
beim Erwachsenen. Die Über-Ich-Bildung kann entscheidend beinflußt werden, die 
Anpassung an die Umwelt wird erleichtert, die gesamte Umwelt kann nicht selten 
so umgeändert werden, daß das Kind sich leichter an die Realität anpaßt. 

Die Arbeit von Anna Freud zeichnet sich durch eine klare Sprache, eine besondere 
Feinheit in der Formulierung und durch gute Verständlichkeit für Ärzte, Eltern und 
Erzieher aus. Wer selbst Kinderanalysen durchführt, merkt beim Lesen, mit 
welcher Vorsicht die Verfasserin ihre Ergebnisse verarbeitet und wie gut gesichert 
das Fundament ist, das sie legt, damit sie und andere in den nächsten Jahren gut 
weiterbauen können, | Dr. Heinrich Meng 


— 2179 — 





C. G. JUNG: Analytische Psychologie und Erziehung. Nick 
Kampmann Verlag. Heidelberg, 1926. 


Jung, der in seinen früheren Jahren ein hervorragendes Mitglied der Freudschen 
Schule war, sich dann von ihr trennte und nun seine Lehre analytische Psychologie 
nennt, entwickelt hier kurz und populär, auf den Erzieher berechnet, seine An- 
schauungen. Leider nimmt er sich nicht die Mühe, die Gründe für seine Abwendung 
von der Psychoanalyse deutlich zu machen. Jung gibt nur zu erkennen, daß er an 
der Sexualtheorie Freuds Anstoß nahm. Er entwickelt aber nicht die Tatsachen, die 
er festgestellt hat und die den von Freud entdeckten widersprächen. Er findet, Freud 
sei einseitig, dogmatisch, fanatisch, er überschätze die Bedeutung des Sexualinstinkts. 
Dies alles sind Eindrücke, aber keine Gegenbeweise. Freud hat in seinem Lebens- 
werke eine solch ungeheuere Fülle von Tatsachen, nicht bloß Theorien geboten, daß 
ihn zu widerlegen ein ernsthafteres Argument nötig ist, als die Eindrücke, die der 
Menschenverstand, auf ihn beruft sich Jung, vermittelt. Dabei erweckt Jung den 
Anschein, als kennte Freud nichts anderes als Sexualität; dies wäre nun freilich eine 
Theorie, die vor den höchst komplizierten Tatsachen des Seelenlebens zu einfach 
wäre. Aber gerade das war niemals Freuds Ansicht, sondern er versuchte immer 
die seelischen Erscheinungen aus dem Zusammenwirken oder Gegeneinanderkämpfen 
von zwei verschiedenen Trieben zu erklären, vom Sexualtrieb und dem Ichtrieb. 
Jung vereinseitigt zuerst die Psychoanalyse und hat es dann leicht, sie als „lächer- 
lich und pervers einseitig“ zu bekämpfen. Fehlen somit die wissenschaftlichen Gründe 
(Tatsachen) gegen die Psychoanalyse, so strömen die moralischen und ästhetischen 
ın Fülle. Die Psychoanalyse sehe „nichts als Sexualität und zerre jede Schönheit und 
jeden Wert in den Schlamm perverser Phantasie herunter“. „Das Gefühl wird 
aufs tiefste beschädigt durch die Freudsche Doktrin, während wir nur durch ein 
anständiges Gefühl hoffen können, in der Lösung der Sexualprobleme vorwärts zu 
kommen.“ Solche Sätze sind für Jung sehr bezeichnend. Sie mögen sehr sympathisch 
und wertvoll sein, eines sind sie nicht: wissenschaftlich. An der Richtigkeit der 
Freudschen Befunde wird gar nichts geändert, wenn sie unfähig sein sollten, die 
Sexualprobleme zu lösen. Freud will keine sozialen Sexualprobleme lösen, — dies 
beabsichtigt Jung, — sondern die Tatsachen des Seelenlebens erforschen. Wenn diese 
Tatsachen es Jung erschweren, in seiner Weise die Sexualprobleme zu lösen, so 
spricht das garnicht gegen die Tatsachen, sondern gegen Jung, gegen seine unge- 
eigneten Methoden. Freilich liegt hier ein wichtiges Problem; die Pädagogik, der 
Erzieher muß werten, ethisch, moralisch, ästhetisch; die Wissenschaft aber bemüht 
sich, möglichst wertfrei Tatsachen festzustellen. Gewiß ist der Weg, den Jung zur 
Lösung dieses Problems einschlägt, nicht der richtige, nämlich das Wesen der 
Wissenschaft um der — in der erzieherischen Praxis nötigen — Werte willen zu 
fälschen. Sondern der Erzieher muß die Tatsachen, die die Wissenschaft ihm bietet, 
in ihrer ganzen Reinheit und Strenge zur Kenntnis nehmen. Die Wertkonflikte, die 
sich hieraus ergeben können, sind nicht die Sache der Wissenschaft und werden 
auch nicht durch rasche, wehleidige Resignation vor der Wissenschaft erledigt 
Diesen Weg Jungs müssen wir zurückweisen. Wir sind nicht Dogmatiker. Vor Tat- 
sachen sind wir bereit, zu kapitulieren, aber nicht vor der Angst Jungs und seiner 
Nachfolger, die wissenschaftlichen Tatsachen könnten die Welt verderben. Wohl 
aber muß man Jung in vielen Punkten recht geben. Er tadelt, daß viele sich die 
Psychologie und ihre Anwendung auf das Kind zu leicht vorstellen, daß viele ohne 


— 280 — 


nn 


genügende Kenntnis analysieren; er wendet sich dagegen, daß man als Aufgabe der 
Erziehung hinstellt: „Verdrängungen zu vermeiden“, er bekämpft die Anschauung, 
daß das „Unterbewußte nur aus Verdrängungen bestehe“, man es also sozusagen 
weganalysieren könnte, usw. In all dem hat er völlig recht. Nur ist das alles nicht 
die Meinung der Psychoanalyse, sondern solcher, die Freuds Psychoanalyse nicht 
kennen oder ungenügend verstanden haben. All diesen müßte man demnach ein 
tieferes Studium der Psychoanalyse empfehlen, nicht aber das Studium des recht 
selbstgefälligen Buches von Jung. Dr. Bernfeld 


OTTO SEELING: ReifezeitundsexuelleAufklärung. Pyramiden- 

verlag, Berlin, 1925. 

In dieser wenig geschickten und kaum nützlichen Zusammenstellung höchst 
verschiedenwertiger Autoren findet sich ein sehr lehrreicher, ein erschütternder 
Bericht über den Versuch, der mit ı2- bis ı4jährigen Schülerinnen einer groß- 
städtischen Volksschule gemacht wurde. Die Mädchen wurden aufgefordert, „irgend 
eine Frage oder mehr auf einen Zettel zu schreiben, die sie gern beantwortet haben 
möchten.“ (Natürlich ohne Namensnennung). Die Klasse der ı4jährigen Mädchen 
stellte 46 Fragen, darunter folgende ı5: Wie kommt es, daß neugeborene Kinder, 
solange sie im Mutterleib sind, keine Luft brauchen? Steht Ausfluß mit der Periode 
in Verbindung? Was ist Weißfluß; ist es gefährlich? Was kann man dagegen tun? 
Was ist pervers? Warum sterben manchmal Frauen bei der Geburt des Kindes? 
Was ist Beischlaf? Haben Tiere auch die Regel? Können Männer unwohl sein? 
Warum bekommt man das Unwohl? Was ist Weißfluß? Ist Weißfluß schädlich ? 
Wie kann man einer zu langen Menstruation abhelfen? Was ist Fehlgeburt? Wie 
enisteht Weißfluß? Was ist Gebärmutterentzündung? Die ızjährigen stellten 
45 Fragen, hievon folgende 26: Mit wieviel Jahren darf man einen Freund haben ? 
Wie entwickelt sich in der Brust die Milch? Wieviel Tage darf das Unwohl 
dauern? Ist es gut, wenn man das Unwohl schon mit ı2 Jahren bekommt ? 
Warum lieben Leute, die verheiratet sind, mehr ihren Bräutigam als ihren 
eigenen Vater? Wie entstehen die Kinder ? Was sind Wechseljahre? Wie verhindert 
man Unwohl? Wie kommt es, daß Zwillinge geboren werden? Warum bekommen 
die meisten Mädel bereits mit ı2 Jahren das Unwohl? Darf man beim Unwohlsein 
baden gehen? Wie lange hält Unwohl an? Wie kommt es, daß manche Mädchen 
mit ı7 Unwohl werden? (Und noch drei Fragen nach „Unwohl“.) Woher kommen 
die Kinder? Wodurch entsteht Liebe? Wodurch entsteht eine rechte Liebe unter- 
einander? Wann wird uns erklärt, wie ein Mensch entsteht? Was sind Geschlechts- 
krankheiten? Wann treten die Wechseljahre ein? Warum bekommt man unter dem 
Arm Haare? Wie entsteht der Mensch? Warum sprechen mich Leute auf der 
Straße an? Wie kommt es, daß Zwillinge zusammenwachsen ? Von den 29 Fragen 
der ı2jährigen lauten 26: Was heißt schwanger? Was bedeutet pussieren? Woher 
kommen die Kinder? (Noch dreimal.) Was ist Beischlaf? (Noch zweimal.) Wie ist 
der erste Mensch entstanden? Was ist eine Fose? Was ist pussieren? Was ist 
Schwangerschaft? Woher kommt man auf die Welt? Was ist Eierstock ? Ist Weiß- 
fluß gefährlich? Von wo kommen die Kinder? Und neunmal: Was ist Unwohl? Und 
dies sind Kinder, die viel wissen und zu fragen verstehen, weil in ihrer Schule die 
empfehlenswerte Einrichtung des Fragekastens besteht. Haben wir ein Recht, durch 
systematisches Lügen, Ausweichen, Vertrösten diesen Alp von Unwissenheit und 
Sorge in den Kindern anwachsen zu lassen ? Seeling hat freilich sehr recht: „Eltern, 


et 


Lehrer und Erzieher können die Jugend nur dann aufklären, wenn sie selbst völlig 
unbefangen sind und die in Frage kommenden Dinge weit über den Umfang 
hinaus, den die Aufklärung allenfalls erfordert, übersehen und sachlich klar 
beherrschen. Wer sich selbst befangen fühlt, der unterlasse jeden Versuch, der 
Jugend hier Führer und Berater zu sein.“ Aber darf man von Lehrern und Erziehern 
nicht fordern, daß sie sich selbst zur Unbefangenheit erziehen? Dr. Bernfeld 


ALFRED SEIDEL: Bewußtseinals Verhängnis. Aus dem Nachlaß 

herausgegeben von Hans Prinzhorn. Verlag Friedrich Cohen, Bonn, 1927. 

Das Problem des Buches, für das S. ein glänzendes Schlagwort gefunden hat, 
begegnet uns außerordentlich häufig als Widerstandserscheinung im Laufe der 
Analysen, namentlich am Anfang von Analysen von Zwangsneurotikern und im 
speziellen Zwangsgrüblern: Was wird sein, wenn ich gesund bin? Werde ich dann 
jegliche Handlung und vor allem jegliche Regung bewußt besitzen? Das Leben 
erscheint diesen Leuten, deren Wortführer S. hier ist und deren Sache er glänzend 
führt, dann nicht mehr lebenswert, tot. Und mit Recht. Denn ein Leben unter dem 
Druck des Zwangsdenkens und Zwangsgrübelns ist kein gesundes Leben. S. erfaßt 
nicht den Unterschied zwischen bewußtseinsfähig und bewußt. Nur der geringste 
Teil unserer Handlungen wird vorher, das heißt vor ihrer Ausführung, durch Über- 
legung vorweggenommen, schon einmal in Wortbildern vorgelebt. Der Gesunde läßt 
sich treiben, fühlt nur weitgehend Gefahren voraus, die ihn in Widerstreit mit der 
Außenwelt und seiner Vertretung in ihm selbst, dem Ich und Über-Ich, bringen 
werden, und weichtihnen, indem er diese Gefahren gedanklich vorwegnimmt, unter 
Übernahme von geringerer Unlust aus. Wenn aber ein Patient auch nur ein einziges 
Mal das tiefe Erlebnis in der Analyse hatte, nicht nur mit Wortvorstellungen, 
intellektuell, Zusammenhänge zu erfassen, wenn er als Ganzer von einer Deutung 
ergriffen wurde, so wird er über seine frühere Einstellung lächeln, da er glaubte, er 
kenne sein Unbewußtes, habe es bewußt gemacht, während er in der Tat nur ein 
intellektualistisches Verzeichnis von Dingen besaß, die in seinem Unbewußten auch 
repräsentiert sind und weiter daraus wirken. $. hat nie dieses Erlebnis gehabt. Er 
war ein Zwangsgrübler. Hätte P. das ganze Material veröffentlicht, all die tausend 
Anläufe, Versuche von Formulierungen usw., es wäre eine wunderbare Kranken- 
geschichte dieser interessanten Erscheinung geworden. Vor allem hätte man gesehen, 
daß S. an der Hauptfrage vorbeigegangen ist, wie er 'ja überhaupt trotz fabelhaft 
scharfem Denken nicht in die Tiefe, sondern in die Weite geht: Über das Bewußt- 
sein, seine Aufgabe und seine Arbeitsweise wissen wir noch sehr wenig. Kann das 
Bewußtsein überhaupt wollen? Dann: Durch das ganze S.sche Buch, wie überhaupt 
durch die ganze Literatur, soweit sie eine oberflächliche Ahnung von Analyse hat, 
geht die Vermengung der Begriffe bewußt und bewußtseinsfähig. 

Es ist kein Einwand gegen die Aufstellungen $.s, daß S. entgegen der Behauptung 
seines Herausgebers ein schwer Geisteskranker war. Dies ist der Fall, wie Referent 
aus einer langen, mehrere Jahre vor dem Selbstmorde von S. stattgefundenen Unter- 
redung selbst weiß. Deshalb könnte eine Aufstellung von ihm durchaus wahr sein, 
ja, einen Kernpunkt zum erstenmal darstellen. Aus der geistigen Erkrankung von S. 
aber läßt sich verstehen, warum trotz erstaunlichen Wissens noch erstaunlichere 
Lücken da sind, und vor allem Unkenntnis über die Lücken besteht. So mußte natur- 
notwendig das Werk Fragment bleiben, nicht nur unbeendet, sondern innerlich 
zerrissen, unbeendbar. Dies hat P., trotzdem er sich von S. blenden ließ, richtig erkannt, 


— 2 — 


Dem, der das Buch nicht als Krankengeschichte studieren will, als typische 
Krankengeschichte allerdings in anderem Sinne als P. es denkt, wird es trotz 
mancher Anregung eine enttäuschende Lektüre sein. 


Dr. Landauer, Frankfurt a. M. 


Büchereinlauf 


Alexander,Dr. Franz: Psychoanalyse der Gesamtpersönlichkeit, 
(Neun Vorträge über die Anwendung von Freuds Ichtheorie auf die Neurosen- 
lehre.) Internationale Psychoanalytische Bibliothek Nr. XXII. 235 Seiten, 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1927. Geh. M g’—, Leinen ı1'—. 


Eliasberg, Dr. med. et phil, Nervenarzt in München: Psychotherapie. 
Bericht über den I. Allgemeinen ärztlichen Kongreß für Psychotherapie in 
Baden-Baden, ı7.—ı9. April ı926. Im Auftrag des Vorstandes der Kongreß- 
organisation herausgegeben vom Verfasser. 327 Seiten. Verlag von Carl 
Marhold, Halle a. d. S., 1927. 


Häberlin, Dr. Carl, Arzt in Bad Nauheim: Grundlinien der Psycho- 
analyse. Zweite durchgesehene und vermehrte Auflage. ıı2 Seiten. Verlag 
der Arztlichen Rundschau Otto Gmelin, München. 


Aichhorn, Augut: Verwahrloste Jugend. Die Psychoanalyse in der 
Fürsorgeerziehung. Mit einem Geleitwort von Prof. Sigm. Freud. (Inter- 
nationale Psychoanalytische Bibliothek Nr. XIX.) 290 Seiten. Internationaler 
Psychoanalytischer Verlag, Wien, 1925. Geh. M 9’—, Leinen ı1°—. 

Stieve, Prof. Dr. med. et phil, H.: Unfruchtbarkeit als Folge 
unnatürlicher Lebensweise. Ein Versuch, die ungewollte Kinder- 
losigkeit des Menschen auf Grund von Tierversuchen und anatomischen 
Untersuchungen auf die Folgen des Kulturlebens zurückzuführen. Mit 
20 Abbildungen im Text. 52 Seiten. Preis geheftet RM z'60. 


Bernfeld, Dr. Siegfried: Die heutige Psychologie der Pubertät. 
Kritik ihrer Wissenschaftlichkeit. Sonderakdruck aus „Imago, Zeitschrift für 
Anwendung der Psychoanalyse auf die Natur- und Geisteswissenschaften“ 
(herausgegeben von Sigm. Freud), Band XIII (1927). 58 Seiten. Internationaler 
Psychoanalytischer Verlag, Wien. Geh. M 2'80, Leinen 4'20. 

Kaplan, Leo: Das Problem der Magie und die Psychoanalyse. 
(Die magische Bibliothek, zweiter Band.) ı89 Seiten. Im Merlin-Verlag, 
Heidelberg. Preis broschiert RM 5'50, gebunden RM 7'50. | 

Thoden van Velzen, Dr. 5. K.: Psychoencephale Studien. VI. ver- 
mehrte Auflage. ıgo Seiten. Jänner ı926. Verlag Uelzen, Joachimsthal/Mark. 
Preis broschiert RM 3°—. 

Pfister, Dr. Oskar: Was bietet die Psychoanalyse dem Erzieher? 
Zweite verbesserte Auflage. ı58 Seiten. Verlag von Julius Klinkhardt in 
Leipzig, 1923. 

Ferenczi, Dr. S: Bausteine zur Psychoanalyse, I. Band: Theorie. 
II. Band: Praxis. 304 und zı35 Seiten. Internationaler Psychoanalytischer 
Verlag, Wien, 1927. Preis geheftet RM 24°—, Ganzleinen RM 28 —. 


Reich, Dr. Wilhelm: Die Funktion des Orgasmus. Zur Psychopathologie 
und zur Soziologie des Geschlechtslebens. (Neue Arbeiten zur ärztlichen 
Psychoanalyse, Nr. VI. Herausgegeben von Prof. Sigm. Freud.) 208 Seiten, 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien. Preis geheftet RM ı0°—, 
Ganzleinen RM ı2'—. 

Stern, William: Psychologie der frühen Kindheit. Bis zum sechsten 
Lebensjahre. Mit Benutzung ungedruckter Tagebücher von Klara Stern und 
einem Bild- und Textbeitrag von Kurt Lewin. Vierte überarbeitete und 
erweiterte Auflage. ıı. bis ı4. Tausend. 5532 Seiten. Verlag von Quelle & 
Meyer in Leipzig. Preis gebunden RM ı2°8o. 


— 283 — 


Stählin, Dr. Otto: Zwang und Freiheit in der Erziehung. Vierte 
Auflage. 64 Seiten. Verlag der Arztlichen Rundschau Otto Gmelin, München, 1927. 


Chadwick, Mary: Psychology for Nurses. Introductory Lectures for 
Nurses upon Psychology and Psycho-Analysis. 1ı49 Seiten. Verlag William 
Heinemann, London, 1915. 

Wolf, Prof. Dr. Heinrich: Angewandte Kulturgeschichtein Mythus, 
Sage, Dichtung. 398 Seiten. Verlag Theodor Weicher, Leipzig. 

Freud, Anna: Einführung in die Technik der Kinderanalyse. Vier 
Vorträge am Lehrinstitut der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. 87 Seiten. 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien, ı927. Geh. M 2'70, Ganz- 
leinen 2—. 

Ziehen, Prof. Dr. Theodor: Die Geisteskrankheiten einschließlich 
des Schwachsinns und die psychopathischen Konstitutionen 
im Kindesalter. Mit 33 Abbildungen. Zweite umgearbeitete und erweiterte 
Auflage. 544 Seiten. Preis broschiert RM 16°—, gebunden RM 18° —. 


Wittels, Fritz: Die Befreiung des Kindes. Bücher des Werdenden, 
Band III (Herausgeber Paul Federn, Wien, und Heinrich Meng, Stuttgart). 
258 Seiten. Hippokrates-Verlag, Stuttgart—Berlin— Zürich. Geheftet RM 5—, 
Gebunden RM 7'—. 


Friedjung, Privatdozent Dr. Josef K.: Vom normalen und vom krankhaften 
Triebleben des Kindes. Verlag von Julius Springer in Wien 1927. 


INN 
OFFENE HALLE 


TTTTTNTTEITTTTTTNETTLTEITTTTTTTTTTDTTERERTEETTTTTTTTEIUUTTTTTIETEE LITT ITITTEELEULLUTTTTTTITTEETEPTPVTTTTTTETEEPPUUUT TE PPEETTTUPPUUUUUTTTTTELUUUUUUUUPPELTTTLLIPEEEP PIE 


Antwort auf Frage Nr. 4 


Die psychoanalytische Methode ist allen speziellen Stotternbehandlungen weit 
überlegen und die einzige kausale Therapie dieser durchaus nicht leichten Neurose, 
deren seelische Verursachung leider noch zu wenig bekannt ist, sonst würde nicht 
so viel Zeit und Kraft auf Übungen verwendet werden, deren Dauererfolge ganz 
minimal sind. 

Der Mutier sei die gemeinverständlich geschriebene vorzügliche Schrift von 
Prof. Emst Schneider: „Über das Stottern (Entstehung, Verlauf und Heilung)“, 
1922, Verlag Francke, Bern, empfohlen und den Lesern dieser Zeitschrift im 
folgenden ein Literaturverzeichnis einiger psychoanalytischer Aufsätze über Stottern 
gegeben, wobei — als Ergänzung — noch auf die nach meiner Erfahrung wichtige 
unbewußte exhibitionistische Komponente des Stotterns hingewiesen sei, die (bezw. 
deren Abwehr) auch die bekannte Tatsache erklärt, daß in der Einsamkeit, überhaupt, 
wenn sich der Stotterer ganz unbeobachtet glaubt, das Stottern sofort verschwindet. 


Literatur: ı) Dattner Eine psychoanalytische Studie an einem Stotterer, 
Zentralblatt f. Psychoanalyse (ıgı2), — 2) Loquens: Selbstbeobachtungen eines 
Stotterers. Zentralblatt f. Psychoanalyse (1914). — 3) Eder: Das Stottern eine 
Psychoneurose und seine Behandlung durch die Psychoanalyse. Internat, Ztschr. f. 
ärztl. PsA. (1913). — 4) In Graber, Die Ambivalenz des Kindes. Int. PsA. Verlag, 
ist über die Analyse eines Stotterers berichtet. Dr. Walter Cohn (Berlin) 


Der Verfasser der Arbeit „Unartige Kinder”, die in einem der nächsten Hefte 
erscheinen wird, wird ersucht, seine genaue Adresse der Schriftleitung bekanntzugeben. 


— 14 — 


Frage Nr. 5 


Wir haben bis dahin unser annähernd zweieinhalbjähriges Töchterchen an der 
infantilen ÖOnanie möglichst verhindert, und zwar durch zweckentsprechende 
Kleidung (Schlafsack, Badehöschen) und Ablenkung, nie aber durch Strenge. Nach 
dem Studium psychoanalytischer Werke haben wir nunmehr Bedenken, ob wir nicht 
Gefahr laufen, dadurch seine Sexualität an die prägenitale Phase zu fixieren, über- 
haupt das Kind in der normalen Entfaltung zu hemmen und ihm Sublimierungen zu 
erschweren. Sollten wir ihm für solche Betätigungen einige Möglichkeiten offen 
lassen ? — Aufgefallen ist uns, daß unser Töchterchen offenbar am Berühren der Dinge 
großes Gefallen findet und sich bei ihm unbekannten Gegenständen die Erlaubnis 
hierzu in freudiger Erregung einholt. | K.-E. 


Frage Nr. OÖ nebst Antwort 


Ich bitte um gefl. Auskunft, ob und welche Wörterbücher über Psychoanalyse 
es gibt. \W. L., Remscheid 


Ein eigentliches „Wörterbuch über Psychoanalyse“ gibt esnoch nicht. Als Beilage 
zu der von Freud herausgegebenen „Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse“ 
(1924, Heft z)ı sind „Proben aus einem in Arbeit befindlichen ‚Wörterbuch der 
Psychoanalyse‘* von A. J. Storfer (Wien) erschienen. Der Zeitpunkt des Erscheinens 
dieses Wörterbuches ist leider aber noch nicht abzusehen. Die dort probeweise 
veröffentlichten drei „Worte“ („Alkoholismus“, „Allmacht der Gedanken“, „ÄAnwend- 
barkeit der psychoanalytischen Therapie“) umfassen ı4 Seiten in Lexikonformat, es 
läßt sich daher der Gesamtumfang so eines Wörterbuches auf mehrere dickleibige 
Bände schätzen. Ein Wörterbuch in diesem Umfang dient viel mehr einer eingehenden 
Gesamtdarstellung am Schlusse eines großen Forschungsabschnittes, als einer kurzen 
Einführung, wie sie dem Steller der Frage offenbar vorschwebt. Mangels eines 
kleineren, einführenden Wörterbuches muß derjenige, der mit den Grundbegriffen 
der Psychoanalyse, den gebräuchlichsten Fachausdrücken dieser jungen Wissenschaft 
vertraut werden will, auf Freuds „Vorlesungen zur Einführung in die Psycho- 
analyse“2 verwiesen werden (welchem Werke auch ein alphabetisches Register 
beigegeben ist) und auf das „Psychoanalytische Volksbuch“ von Federn und 
Meng3 (das im Anhang eine erklärende Verdeutschung der gebräuchlichsten Fremd- 
worte im psychoanalytischen Schrifttum enthält). — Vollständigkeitshalber sei auch 
das als Beiheft des in London erscheinenden „International Journal of Psycho- 
Analysis“ von E. Jones herausgegebene „Glossary for the use of translators of 
psychoanalytical works“ (Wörterverzeichnis für den Gebrauch der Übersetzer 
psychoanalytischer Werke) angeführt, das etwa 35350 in der deutschen psycho- 
analytischen Literatur übliche Ausdrücke mit englischer Übersetzung und z. T. mit 
englischer Erklärung aufweist. 


r) Preis des Heftes M. 5—; Internat. PsA. Verl. Wien. — 2) Das Werk ist in zwei textlich 
übereinstimmenden Ausgaben erschienen; große Ausg. geh. M. 127° —, Ganzleinen M, 17—; Taschen- 
ausgabe Ganzleinen, M. 5'50, Ganzleder M. 7'50 ; Internat. PsA. Verl. Wien. — 3) Geheftet M. 7'50, 
Ganzleinen M. 950; Hippokrates-Ferlag, Stuttgart. — 4) Geheftet 2 s 6.d. Vertrieb durch Baitlöre 
Tyndail & Co. London. 


hair 255 Bun, 


Frage Nr. 7 

Kann man die psychoanalytische Methode auch lediglich durch Buchstudium, 
beispielsweise an Hand der „psychoanalytischen Methode“ von Dr. Pfister, Zürich, 
erlernen? Meiner Meinung nach genügt dies nicht, da gerade in diesem Fache die 
praktische Erfahrung eines Geübten unbedingt erforderlich ist. Die Lehrinstitute 
Berlin oder Wien zu besuchen, ist aus verschiedenen, entscheidenden Gründen 
unmöglich. Wie komme ich in Nürnberg, meinem Betätigungsort, zu einer prak- 
tischen Einweisung? Besteht eine psA. Gesellschaft? Sind etwa eingeschulte Ärzte 
vorhanden, die man um Rat angehen könnte? R. P., Studienassessor (Nürnberg) 


INN MN 
Pädagogische Woche 


zur Finführung in die psychoanalytische Pädagogik 
für Erzieher, Lehrer und Ärzte in Stuttgart vom 25. bis 31. August 1927. 
Vorläufige Mitteilung 

I) Vortragsfolgen: 

Dr. Siegfried Bernfeld, Berlin: ı) Dressur—Erziehung—Führung. — 2) 
Psychologie der Kinder- und Jugendgruppe; ihre pädagogische Bedeutung. — 
z) Psychologie des Erzieherberufs. 

Dr. med. Karl Landauer, Frankfurt a. M.: ı) Allgemeine Pathologie der 
Psychoneurosen. — 2) Die Auswirkung von Neurosen der Erzieher auf die 
Klassen und die Kinder. 

Dr. med. Heinrich Meng, Stuttgart: ı) Was muß der Lehrer von der Psycho- 
analyse wissen? — 2) Ergebnisse aus Kinderanalysen. — 3) Lehrerfehler. 

Pfarrer Dr. Oskar Pfister, Zürich: Tiefenpsychologische Schülerberatung, 

Prof. Dr. Ernst Schneider, Riga: ı) Der seelische Organismus (Grundbegriffe 
der Psychoanalyse). — 2) Die seelische Entwicklung des Kindes. 

Hans Zulliger, Lehrer, Bern: ı) Psychoanalytische Erziehungsberatung und 
Erziehungshilfe. — 2) Beobachtungen über die Sexualität bei Schülern beiderlei 
Geschlechts im Alter von ız bis ı6 Jahren. — 3) Führung einer Volksschulklasse 
nach psychoanalytischen Grundsätzen. 


II) Kolloquien, gemeinsame Ausflüge, Unterhaltungen. 
>k 


Kursgebühr M z30°—. Anmeldungen mit Kursgebühr an Herrn Dr. Heinrich 
Meng, Arzt, Stuttgart, Sonnenbergstraße 6D, bis zum ı. August 1927 erbeten. — 
Mitteilungen über das Kurslokal und die Wohnungsmöglichkeiten erfolgen später 
an dieser Stelle. — Befreundete Zeitschriften werden um Abdruck des Kurs- 
programms gebeten. 


INN 


Herausgeber: Dr. Heinrich Meng, Arzt in Stuttgart 
und Universitätsprofessor Dr. Ernst Schneider in Riga 


Eigentümer, Verleger und Herausgeber für Österreich: Adolf Josef Storfer, Wien, VII., EU 

(„Verlag der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik“). — Verantwortlicher Redakteur & Dr. Pa 

Federn, Wien, I., Riemergasse 1. — Druck: Elbemühl Papierfabriken und Graphische Industrie A.-G., 
Wien, III., Rüdengasse ıı (Verantwortlicher Druckereileiter: Karl Wrba, Wien). 





SEERKRRKKTTKTNN N RRERRTKLKLKKKEKEK KK EE EK EEE 
f | 

/ Arzt und Geelforger 

G Eine Säriftenreihe, herausgegeben in Verbindung mit Medizinern und Theologen 
/ von Direftor Baftor Dr. Carl Schweißer, Spandau 





Soeben erfheint Heft 11: 


Das Berhaltnis der Pinchoanalnfe 
zu Erhif, Religion und Seelforge 
von Dr. phil. Earl Müller-Braunfchweig in Berlin 


Einzelpreis 270, für Subffribenten‘ 2°43 RM; in Halbleinen 350, für Subffribenten 315 RM 


Der Verfafler behandelt u. a. den pfphoanalytijhen Libidobegriff, den pfphoanalptifhen Kurprozeh, die 
Entwidlungsgefhihte des Iber-Shs (Bewifens), deffen normale und deffen Fehlfunktion (bei Zwangsneurofe 
und Hpfterie) und das Thema der Berwendung der pfphoanalptifhen Lehre in der feelforgerlihen Braris. Bei 
aller Betonung der grundfäglihen Derfhiedenheit von Wilfenfhaft und Glauben fucht er zu zeigen, daf, die 
Binhoanalyfe al8 eine Naturwijjenfhaft der Seele gleihwohl die Grundftruktur des Religiöfen in der Auge 
orudsform einer empirifhen Wiffenfhaft wiederfpiegelt. 


1925/1927 find ferner erfhienen: 


Heft 1: Pfuchotherapie und Geelforge, Don Dr. med. Frit Künkel, Nervenarzt in Berlin, 
- Zur Frage der religisfen Heilungen. Don Dr. med. Herbert Seng, Nervenarst 
in Rönigsfeld i. B. Mit einem Dorwort ded Herausgebers, Einzelpreis 1740, für Subffribenten 126 RM- 

Heft 2: Binchiatrie, Piuchotherapie und GSeelforge. Bon Prof. Dr. med. I. 9. Shuls, 
Nervenarzt, Spezialarzt für PBfpcotherapie in Berlin. Einzelpreis 1'20, für Subffr. 1708 RM. 

Heft 3: Die feruelle Frage und der GSeelforger, Don Erih Karl Knabe, Pfarreran 
der Staatl, Heile und Pflegeanftalt in Arnsdorf (Sachfen). Einzelpreis O°60, für Subftr. 054 RM. 

Heft 4: Die Hetlungen Iefu in medizinischer Beleuchtung. Don Dr. med. Herbert 
Seng, Nervenarzt in Königsfeld 1. B, Mit einem Dorw. d. Herausg. Einzelpreis O'90, für Subjfr, 
0.51 RM. 

Heft 5: Auf metaphufifchen Wegen. Bon Dr. med. Walter Jacobi, Brof, in Iena - 
Charakter, Geiftesfranfheit und Förperliche Geftalt. Bon Dr. med. Kurt Rolle, 
Kiel. Einzelpreis O'90, für Subffr. O'81 RM. 

Heft 6: Pfnchiatrifhe Seelforge im Lichte der Individualpfuchologie. Don 
Sobannes Neumann, At-Ruppin. Einzelpreis 120, für Subffr. 1708 RM. 

Heft 7: Seelforge im Licht der gegenwärtigen Bipchologie von Lie. Werner Gruebn, 
Brivatdozent in Dorpat, Einzelpreis 3°—-, für Subffr. 270 RM. In Halbleinen 380, fir Gubjfr, 3°50 RM. 

Heft 8: Piuchnanalyfe und Synthefe. Der Wiederaufbau der Perfönlihkeit neben ihrer Ana- 
Infe. Bon Dr. med. Alphbonfe Maeder, Züri. Einzelpreis 1'05, für GSubffr. —'95 RM. 

Heft 9: Weten und Grenzen der Piychvanalvfe. DBonLic. Ernft Jahn, Pfarrer in Berlin- 
Steglig. Einzelpreis 210, für Subffr. 189 RM. 

Heft 10: Serualethif und Bendlferungspolitif, Bon Dr. med. Heinrih Widern, 
Bielefeld. Einzelpreis 210, für Subftr. 189 RM. 

Die Inanfpruchnahme Des Subffriptionspreifes verpflichtet 
zur Abnahme von feh8 anfeinanderfolgenden Heften. 
Die Hefte werden iin zwanglofer Reihenfolge fortgefetßt 





Derlag Friedrih Bahn, Schwerin i, Mecklb. 











TIheowill Uebelader 


‚Der Frühling fteigt aus dem Örabe | 
| Gebunden Mart 4, kartoniert Mart I’— 
Einige Stimmen über den Dichter: 


Man muß fhon die Namen der tiefften und deutfheften Dichter nennen, wenn man von Lebeladers geiftigem 
Stammbaum fpreden will... (Bayer. Landeszeitung) 

... durch all die vielen Chöre aber zieht fih wie ein tiefer Orgelpuntt eine ganz ungemein leidenf&haftlide, 
inbrünftige Mnftil. Diefes mertwiirdige Durchfhanen durch alles Sihtbare und Körperlihe auf den geiftigen 


Hintergrund, diefes fortwährende Erfpliven des Ewigen, des Univerfums! les Sihtbare it nur ein Gleihnis, 
Symbol großer Geheimniffe... (Frank, Kurier) 

Mebelader ift fihlechthin Dichter, und zwar ein Dichter, wie er und nit alle Jahre geboren wird, In 
ihn vereinigt fih die Buntefte Bilohaftigkeit Des Impreffionismus mit der Erlebnistiefe und Ausdrudsgewalt des 
Erpreffionismus zu jener dichterifchen Schöpfungskraft, der allein die gefunde Weiterentwidlung unferer deutfchen 
Diitunft gelingen wird. Mag im Ringen Lebeladers nad neuen Ausdrudsformen, nah bislang unerhörter Bild- 
baftigkeit, nach gedanklihen Tiefen, nad fünftlerifher Bewältigung von Raum und Zeit auch no viel unvergorener 
Saft fieden — das ift im großen und ganzen nebenfählih,; viel wichtiger if, daß in Uebelader uns gottlob 
wieder ein Dichter erftanden ift von einer Urfprünglichkeit und Unmittelbarkeit, die zur Bewunderung hinreifen ... 
(Regensburger Anzeiger) 


Im gleichen Verlag erfhien ferner von Zheowill Lebelader: 
Marienfind Schlaf und Tat 
Ein Gedicht in Bildern, geb, Mf, 150 Ein Dreitönigsfpiel, geb, ME. 150 


DER BÄRENREITERVERLAG ZU AUGSBURG 









BEITRÄGE ZUM SEXUALPROBLEM 
Herausgegeben von Dr. Felix A. Theilhaber 


Heft 1: DR. FELIX A. THEILHABER | Die 
menschliche Liebe 

Heft 2: DR. FELIX SERNAU |! Das Fiasko 
der Monogamie 

Heft 5: ALFONS SCHOENE ! Krieg und 
Sexualität 

Heft 4: DR. BATKIS, Moskau ! Die Sexual- 
revolution in Rußland 







































HEIM- 
KINDERGARTEN 


INSCHWARZWALDKURORT 


Heft 5: DR. HAUSTEIN ! Prostitution und 

; Aıimmt Geschlechtskrankheiten in Skandinavien 
I | Heft 6: VICTOR NOACK | Kulturschande, | 

: “ . Die Wohnungsnot als Sexualproöl 

Kinder mit seelischen Heft 7: DR. FELIX A. THEILHABER | Die 
. u Prostitution 
Eintwicklungsstörungen zu Heft 8: WILHELM SCHÖFFER | Das Recht | 
x j h 2 auf den eigenen Körper 

heilerzieherischer Einzelbehand- Heft 9: DR. FELIX A. THEILHABER | Sexu- 


alität und Erotik B 
Heft 10: DR. HANS GRAAZ! Nacktkörperkultur 
Heft 11: WILHELM SCHÖFFER, DR. FELIX | 
A. THEILHABER, DR. MARTHA 
RUBEN-WOLF, DR. LEO KLAUBER 
Zuchthaus oder Mutterschaft 

Heft Ila: MARIA KRISCHE | Die geschlecht- 
liche Belastung der Frau und ihre 
gesellschafilichen Auswirkungen 

Preis für jedes Heft 0'40 Mk. 

DR. LUDWIG BERGFELD: Seliges Verstehen, 
Das Erkenntnisproblem des Jungmädchens. 
Ein offener Brief an die Frauenweli 0&0 Mk. 

FRITZ OERTER | Freie Lıiebe..........VO"15 MR. 

MAX WINKLER |! Das Geburtenproblem 
u. die Veıhütung der Schwangerschaft 0°50 Mr. 


Verlag „DER SYNDIKALIST“, FRITZ KATER, 
BERLIN 034. Postscheck Berlin 138.928, 


lung auf. Besondere Abteilung 
für erholungsbedürftige 
Kinder 


ILSE DÖHL 
KÖNIGSFELD (BADEN) 








Vom kosmogonischen Fros 


4. Tausend / broschiert M.6°—, Halbleinen M. &°—, Leinen M,8'5o 


Inhalt: Begriffliche Betrachtung / Vom Erosbegriff des Altertums / Der elementare Eros / Vom Zu- 
stand der Ekstase / Vom Wesen der Ekstase / Vom Ahnendienst /Schlußwort über Eros u. Leidenschaft. 


Frankfurter Nachrichten: Das Buch ist eine sich immer großartiger steigernde Beschwörung 
des gewaltigen Seelen- und Weltphänomens, das die Alten noch als die Vermählung der Menschen- 
seele mit Gott und die daraus entspringende Bildgeburt kannten; es führt tief hinein in die Unter- 
gründe alles künstlerischen Schaffens, es deckt den Sinn geheimnisvoller Weihebräuche der Vorzeit 
auf, es entschleiert die Tragödie des weltgeschichtlichen Lebens und offenbart, worum in ahnungs- 
vollem Tiefsinn die Besten von Platon bis Goethe und Nietzsche geworben haben; das letzte und 
elementar Wirkliche der Wirklichkeit, das weltenschaffende Wesen der Urbilder. 





Mensch und Erde 


Fünf Abhandlungen | 2. Auflage | broschiert M. 3°—, Halbleinen M. 5'—, Leinen M. 5'5o 


Inhalt: Mensch und Erde [| Bewußtsein und Leben | Über den Begriff der Persönlichkeit / Be- 
merkungen über die Schranken des Goetheschen Menschen / Wilhelm Jordan. 


Der Kärrner: Das Buch will, gestützt auf den „Widerstreit von Geist und Seele“, die Gründe 
erhellen, wohin wir mit der Zivilisation des 20. Jahrhunderts durch die Sünde nicht gegen das 
heilige Geistige, wohl aber gegen das heilige Beseelte gekommen sind und kommen mußten; das 
Beseelte in der Welt ist zertreten, es herrscht nur der Geist, der Geist des „Fortschrittes“. Der 
Leitgedanke ist: wir kranken an dem Leben, an der Seele, an dem Beseelten, der Geist hat es über- 
wuchert und den Wahn vom Fortschritt proklamiert. 


C. G. Carus / Psyche 


Gekürzt herausgegeben und eingeleitet von Ludwig Klages 
Mit einem Porträt / broschiert M.9’—, Leinen M. ı2"— 


Das bedeutendste Werk des von Goethe hochgeschätzten Naturphilosophen Gustav Carus, zugleich 
das Hauptwerk der philosophischen Romantik überhaupt. In vorliegender Ausgabe durch den 
modernen Naturphilosophen Ludwig Klages stellt es das Grundwerk dar für alle Bemühungen 
unserer Zeit, die „Psychologie olıne Seele* zu überwinden und eine Psychologie des seelenhaften 
Unbewußten aufzubauen. 


Eugen Diederichs Verlag in Jena 





Vom 3. Jahrgang an erscheint ın meinem Verlag 


PHILOSOPHIE 
UND LEBEN 


Herausgeber: Prof. Dr. August Messer, Gießen 


Philosophie und Leben ist eine Zeitschrift, die tapfer und gerade auf die 
großen sittlichen und erkenntnistheoretischen Probleme 
unserer Zeit losgeht. Sie ist bemüht, bei allem Ernst und bei 
aller Gründlichkeit eine Sprache zu sprechen, diejeder 
denkende Mensch begreifen kann. 


Aus dem Inhalt der Hefte des neuen Jahrgangs: 


Heft 1: Das Organifhe im Lichte der Philofophie. Don Hans Driefh / France | 
als Thronfolger Hardels. Bon Auguft Mefier / Kebensfinn. Bon Paula Mefjer-Plab / 5 
Lebensfreude. Don U. Berendfohn. | | 


Heft 2: Die Tragik in Peftalozzis Wefen und Leben. Don Auguft Mefler / 
Schaffendes Leben. Don Romano Suarbini / Die innere Lage des Arbeiters. Bon 
Karl Küßner ı Wege zu neuem Adel, Don Hellmut Wolff. 


Heft 3: Sind alle Serufe ethifierbari Don Baul Seldkeller ! Betrahtungen 
über Schiefal und Sendung des Genius. Don *,* / Deutfches Wollen. Don 
Baul Hohe / Autorität der Bemeinfhaft und Gewiffen des Tinzelnen als 
foziologifch-pädngogifhes Problem. Bon Auguft Meffer. 


Heft 4: Der Sinn der demokratifhen Staatsform. Bon Reinhard Streder i Volk, 
Staat und Kirche im Sinne der deutfchenältifhen Weltanfhauung. Bon Mar 
Wundt / Die Dolksvertretung in einem organifchen Kulturftaat. Bon Johannes 
Unold ı Das Wefen der Staatsräfon. Don Friedrih Meinede. 


Doppelheft 316 erscheint Anfang Juni, Heft 7 wird 
der Jugend und ihrer Problematik gewidmet sein. 








In jedem Heft wird der Herausgeber ganz kurze Aufsätze über Grundbegriffe und Grundfragen 
der Philosophie bringen, die als Ganzes eine Einführung in die Philosophie dar- 
stellen sollen. — Der Erörterung von Ansichten und Fragen aus dem Leserkreise in 
der „Aussprache“ wird besondere Sorgfalt gewidmet. — Außerdem 
vierteljährlich wertvolle Buchbeigaben ohne jede Mehrkosten. 





Monatlich ein Heft von 32 Seiten 
Bezugspreis: Vierteljährlich RM. 2°—, 3'50 österr. Schilling 
" 2'50 Schweizer Franken, '/, Dollar 


Probehefte verfendet umfonft der 


VERLAG FELIX MEINER IN LEIPZIG 





Für jeden Leser dieser Zeitschrift sind unentbehrlich die 


Selbstdarstellungen 
SIGMUND FREUD 


und von 


OSKAR PFISTER 


Beide geben in knappen Strichen einen Überblik über ihre geistige Ent- 
wicklung und ihre Stellung zu den Problemen ihrer Zeit. 
Die genannten Selbstdarstellungen finden sich in 


Band IV der „Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen“: 


Freud (Wien), Gottstein (Berlin), Heubner (Dresden), 
v. Kries (Freiburg), Much (Hamburg), Ortner (Wien) 


und in Band II der „Pädagogik der Gegenwart in Selbstdarstellungen“: 


Hans Blüher, Ludwig Gurlitt, August Lay, Rudolf 
Pannwitz, Oskar Pfister, Ernst von Sallwürk 


Bisher 22 Bände mit 150 Mitarbeitern auf den Gebieten der Philosophie, 
Medizin, Rechtswissenschaft, Kunstwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, 
Geschichtswissenschaft, Religionswissenschaft und Pädagogik. 


Jeder Beitrag mit Bild und Namenszug des Perfassers / Geschmackvolle Halb-, bzw. Ganzleinen- 
Geschenkbände zu je RM 12°— / Alle diese Sammlungen werden fortgesetzt, andere vorbereitet. 


Ein Gesamtverzeichnis, 
das alle Mitarbeiter an den einzelnen Bänden der verschiedenen Disziplinen nennt, 
und ein Heft „Leseproben“ versendet der Verlag auf Ansuchen. 


„Keine Zeithat dem Kulturforscher Ähnliches geboten, — und keiner, 
dem es um die Erforschung oder um das Verständnis unserer geistigen Kultur zu tun ist, darf 
an diesen Büchern vorübergehen. Das ist die beste Empfehlung, die man ihnen mitgeben kann, 
— eine Empfehlung, die jede Kritik überflüssig macht; denn so gesehen 
sind auıh die Schwächen einzelner Aufsätze die Stärke der Bücher, 
Sie offenbaren, so wie das Schöne und Große der Sammlung, das 
was sie offenbaren sollen — den Mensehen und die Zeit. 

Fiktor Engelhardt in der „Gesellschaft“ (April 1925). 


VERLAG FELIX MEINER IN LEIPZIG 





u. u 


DR. OSKAR PFISTER 
DIE 
PSYCHOANALYTISCHE 
METHODE 


Eine erfahrungswissenschaftlich - systematische Darstellung / 3., stark 
umgearbeitete Auflage / XVI und 585 Seiten, Gebunden Rm. 20°— 





Eine erschöpfende, tiefgründige Darlegung neuer Wege zum besseren Ver- 
ständnis des seelischen Lebens bei Jugendlichen und Erwachsenen. Das klassische 
Buch über die Tiefenpsychologie. 

‚Der Verfasser ist eine Persönlichkeit in des Wortes schärfster Bedeutung. 
Wer sich über Entwicklung, Art und Bedeutung der Psychoanalyse unterrichten 
will, dürfte kaum ein klareres, kritischeres und ernsteres Buch finden wie dieses... .“ 

(„Pädagogischer Jahresbericht.“) 


* 


WAS BIETET 
DIE PSYCHOANALYSE 
DEM ERZIEHER? 


Zweite, verbesserte Auflage / 158 Seiten / Geheftet Rm. 3.60 


„Wer die eigenartige Pädagogik der Psychoanalytiker noch nicht kennt, 
erfährt darin wohl die beste Einführung.“ („Blätter für die Schulpraxis.“) 


„... Für Freunde und Gegner der Psychoanalyse gleich wertvoll.“ 
(„Schaffende Arbeit und Kunst in der Schule.‘) 


„Gegenüber der ersten, vor sieben Jahren erschienenen Auflage dieser zur 
Einführung in die psychoanalytische Theorie und Praxis sehr brauchbaren Schrift 
erweist sich die vorliegende zweite Auflage insbesondere insofern als verändert, 
als der Begriff der ‚Sublimation‘ anders gefaßt und der der ‚Einstellungsanalyse‘ 
ganz fallen gelassen worden ist. Außerdem wird der Analyse am gesunden 
Kinde eine weit größere Bedeutung als früher beigelegt, so daß an die Zukunft 
der ‚analytischen Erziehung‘ große Hoffnungen geknüpft werden.“ 

(„Pädagogisches Zentralblatt.“) 





JULIUS KLINKHARDT 
VERLAGSBUCHHANDLUNG IN LEIPZIG 


Dr. Oskar Pfister 
Die Liebe vor der Ehe 


und ihre Fehlentwicklungen 


Gewidmet denen, die nicht lieben können, und ihren Freunden 
Gr. 8°, VIT und 304 Seiten (4. bis 9. Tausend) Preis brosch. Mk. 6. —, geb. Mk. 7.20 


Aus dem Inhalt: Vorstadien der Liebe — Ungestillte und unstillbare Sehnsucht nach Liebe — # 
| Physische Untauglichkeit — Sexuelle Abnormalität — Homosexualität — Liebe auf den ersten Blick — Liebe # 
in Bruchstücken — Sinnliche Liebe — Geistige Liebe — Aktive und passive Grausamkeit in der Liebe — 
Der Don Juan und sein weibliches Gegenstück — Die Bevorzugung minderwertiger Objekte — Der Wechsel 
zwischen der Reinen und der Dirne — Die Entwicklung der Liebesfunktionen — Das Liebesziel und seine 
Verwirklichung — Kinderliebe und Flirt — Die Gefahren der „freien“ Liebe — Die Verlobung — Die 
Angst vor und nach der Verlobung — Theoretische Ergebnisse — Praktische Folgerungen — usw. 


Die Liebe des Kindes 


und ihre Fehlentwicklungen 
Gr. 8°, XII und 376 Seiten. Preis brosch. Mk. 6.—, geb. Mk. 7.20 


Der psychologische und biologische Untergrund 
expressionistischer Bilder 
Mit 12 Abbildungen und 2 Tafeln. Preis Mk. 4.80 


| Die Behandlung schwer erziehbarer und abnormer Kinder 
| Preis Mk. 2.40 


j Vermeintliche Nullen und angebliche Musterkinder 
Ä Preis Mk. 1.60 


Zur Psychologie des philosophischen Denkens 


Preis Mk. 2.30 
Der seelische Aufbau des klassischen Kapitalismus 
und des Geldgeistes 


Preis Mk. 2.30 


Han S Zulliger 
Psychoanalytische Erfahrungen aus der Volksschulpraxis 


Preis Mk. 3.20 


Aus dem unbewußten Seelenleben unserer Schuljugend 
Preis Mk. 3.20 





M. Frost 


Erzieherliebe als Heilmittel 
Preis Mk. 1.60 








| Dr. Herbert Silberer 
Der Zufall und die Koboldstreiche des Unbewußten 


Preis Mk. 2.40 
Der Aberglaube 
Preis Mk. 2.— 
Dr. Willi Schohaus 


Die theoretischen Grundlagen und die wissenschafts- 
theoretische Stellung der Psychoanalyse 


Preis Mk. 2.30 


VERLAG HANS HUBER BERN 








Wertvolle Beiträge 
zur psychoanalytischen Pädagogik 











SYCHOANALYSE. Geschichte, Wesen, Aufgaben und Wir- 
kung. Von San.-RatDr. Georg Wanke. Zweite, verb. 
Aufl. Geh. 6'70 RM, in Ganzl. gebd. 8:50 RM. 
Als eine ausgezeichnete Einführung möchte ich das Buch allen Lehrern empfehlen „.. 
Sie mögen zuerst dies Buch durcharbeiten, das sich leicht liest und das in seinem päd- 
agogischen Teil für Eltern und Erzieher eine Fundgrube freier Beobachtungen und Erziehungs- 
hilfen darstellt. (Schulwart, April 1925.) 








N)' FRÜUHERINNERUNG als Trägerin kindlicher Selbsibe- 
LF obachtungen in den ersten Lebensjahren. Von Dr. Hanns 
Reichardt. Geh. 13'40 RM, in Ganzl. gebd. 15'40 RM. 

Mit diesem in seiner Art bisher einzigartigen Buche hat der Verfasser eine für die 
Kinderpsychologie außerordentlich bedeutsame Arbeit geleistet. Alle, die wissen sollten, „wie 
Kinder sind“, werden das flüssig geschriebene, anregende Buch mit großem Nutzen lesen. 
(Zeitschr. f, Kinderheilkunde, Dez. 1926.) 





ee DER MENSCHENKUNDE. Von Priv.- 
Doz. Dr. Fritz Giese. 5 Tle, Xll und 95 Seiten 2. Aufl. 
Geh. 1:40 RM. 


„Das Buch erfüllt seinen Zweck, die Jugend über die Erscheinungen des Sexuallebens 
aufzuklären, in vollkommener Weise." 


EEE EIERN ER EREEEREEZEEEERTERE TE 


CARL MARHOLD VERLAGSBUCHHANDLUNG, HALLE-S 


HUNIIUNLUIENLIUAIUULIIEEILIUDEUDEIIEUIUULHNUVEIIDIIDEUULILDUAILIDEEENRUAEIEILIIDENBENUUDNUKULLILIIUDIKEUBDLNLIGLIDLNDDIENGOUNNLLE 


DAS ÄRZTLICHE VOLKSBUCH 


Gemeinverständliche Gesundheitspflege und 
‚Heilkunde. Herausgegeben von Dr. Heinrih Meng- Stutt- 
gart, Dr. K. A. Fießler-Berlin und Dr. Paul Federn-Wien, 
unter Mitwirkung von 45 namhaften Ärzten und Universitäts- 
professoren. Band I: GESUNDHEITSSCHUTZ 
680 Seiten, 54 Tafeln. Band I: KRANKHEITSLEHRE, 
936 Seiten, 56 Tafeln. Jeder Band in Halbleinen Rm. 20.- 


NEUE FREIE PRESSE: ... Hat ein Anrecht darauf, zum Standardwerk ernannt zu werden 
und den Namen „Meng“ so populär zu machen, wie Meyer, Brockhaus oder Sanders .. » 
Der „große Meng“ wird seine Vorläufer, welche die ganze Richtung populärer Darstellung 
von medizinischen Themen anrüchig gemacht haben, mit Leichtigkeit verdrängen. 


FRANKFURTER ZEITUNG: ...Ist Ausdruck eines wahren wissenschaftlichen Freimutes ... 
Endlich tun sich Wissenschaftler aus allen Lagern zusammen, um ihre Voraussetzungen und 
Methoden vor aller Öffentlichkeit klarzulegen. . . . übermittelt dem Laien gründliche Kennt- 
nisse . . . Einzelne Kapitel Musterbeispiele wissenschaftlich-gemeinverständlicher Darstellung. 


HIPPOKRATES-VERLAG / STUTTGART - BERLIN — ZÜRICH 





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Paul Federn-Wien und Heinrich Meng:-Stuttgart 


geben heraus die: 


Bücher des Werdenden Band TI 
Edward Carpenter 


Wenn die Menschen reif 
zur Liebe werden 


Einzige autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. Karl Federn 


( (arpenter wird der klassische Aufklärer unserer Jugend bleiben. Mit dem 
ruhigen Ernst des Forschers vereinigt er den leidenschaftlichen Schwung 
des Propheten. — Ina Leinen Rm. 5.— 








Bücher des Werdenden Band II 


Das psychoanalpytische 
Volksbuch 


Herausgegeben von Dr. Paul Federn-Wien und Dr. Heinrich Meng- 
Stuttgart unter Mitarbeit von 15 bewährten Ärzten und Erziehern 





Besonders wichtige Abschnitte: 


Hygiene des Kindes / Kinderfehler, Entstehung und Behandlung / Zwang 
und Freiheit in der Schulerziehung / Schutz durch sexuelle Aufklärung / Kör- 
erliche und seelische Hygiene des Geschlechtslebens / Die psychoanalytische 
eilmethode / Fehlleistungen im täglichen Leben / Die Gemütserkrankungen / 
Pflege des Geisteskranken / Psychoanalyse und Sittlichkeit 


550 Seifen, 11 Bilder, Größe 8°, broschiert Rm. 7.50, Ganzleinen Rm. 9.50 


Bücher des Werdenden Band III 
Fritz Wittels 


Die Befreiung des Kindes 


I)* Seelenleben des Kindes folgt seinen eigenen Gesetzen, die schwer 
erforschbar sind, weil die Erwachsenen nicht mehr wissen, wie sie als 
kleine Kinder gefühlt und gedacht haben. So erweist sich die Erziehung 
als eine sehr schwere Aufgabe, der sich Erwachsene nur selten gewachsen 
zeigen. Eher wäre es möglich, daß die Kinder uns erzögen, als wir sie. — 
Das Buch von Wittels rückt die Erziehung ins Licht der modernen Seelenkunde 
und gibt Eltern und Erziehern im weiteren Sinne sehr wertvolle Richtlinien 


254 Seifen, 8°, broschierf Rm. 5.—, in Leinen Rm. 7.— 








Hippokrates-Verlag / Stuttgart / Berlin / Zürich 


PAN:-VERLAG ROLF HEISE CHARLOTTENBURG 2 


JAHRBUCH 
DER CHARAKTEROLOGIE 


Herausgegeben von Emil Utitz 


| BANDI 
Gr. 8°, 375 Seiten mit 18 Tafeln u. 6 Abbildg. im Text. Preis Rm. 15°— in Ganzin. 


INHALT: | 
Rud. Allers: Charakter als Ausdruck / F. Baumgarten: Charakterologisches in dem 
Berufe der Regulierungsbeamten / G. Gesemann: Grundlagen einer Charaktero- 
logie Gogols / Rob. Heindl: Strafrechtstheorie und Praxis / H. Hildebrandt: Der 
Gelehrte / L. Klages: Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches / Kronfeld: 
Der Verstandesmensch / A. Liebert: Immanuel Kants geistige Gestalt / J. Lind- 
worsky: Die charakterologische Bedeutung der Exerzitien des hl. Ignatius von 
Loyola / A. Pfänder: Grundprobleme der Charakterologie / K. Scheffler: Künstler: 
studien / K. Schneider: Der triebhafte und der bewußte Mensch / Fr. Walter: 
Die materiellen Grundlagen der geistigen Persönlichkeit 


DOPPELBAND III 
Gr. 8°, 482 Seiten mit 27 Tafeln. Preis Rm. 20°— in Ganzleinen 


INHALT: 
Hans Prinzhorn: Wege zur Charakterologie / Richard Müller:Freienfels: Charaks 
ter und Erlebnis / Hans Kern: Die Charakterologie des Carl Gustav Carus / Luds 
wig Klages: Die psychologischen Errungenschaften Nietzsches / Ludwig Marcuse: 
Die Struktur der Kultur / Paul Plaut: Soziologie als Typologie / Franziska Baum- 
garten: Charakter und Beruf / Karl Birnbaum: Das Persönlichkeitsproblem in der 
Psychiatrie / Robert Gaupp: Vom dichterischen Schaffen eines Geisteskranken 
Alexander Lipschütz: Innere Sekretion und Persönlichkeit / Franz Brentano: 
Über Prophetie / Willy Andreas; Peter von Meyendorff, Ein russischer Staatsmann 
der Restaurationszeit / Oskar Kraus: Albert Schweitzer, Zur Charakterologie der 
ethischen Persönlichkeit und der philosophischen Mystik / Hans Schneickert: Zum 
Problem der Handschriftensammlung / Robert Heindl: Der Berufsverbrecher ° 


BANDIV 
Gr. 8°, 420 Seiten mit Abbildungen u. Tabellen, Preis Rm, 20°—- in Ganzin. gebund. 


INHALT: 
Erich Everth: Individualität und Geistesgeschichte / Arthur Liebert: Die Angst 
vor der Technik / Alfred Petzelt: Vom Problem des Verstehens / Emil Utitz: 
Charakterologie und Ethik / Hans Prinzhorn: Die Begründung einer reinen Cha- 
rakterologie durch Ludwig Klages / W. Gundel: Individualschicksal, Menschen» 
typen und Berufe in der antiken Astrologie / Theodor Ziehen: Charakterologische 
Studien an Verbrechern / Th. Erismann: Der Massenmensch / Arthur Kronfeld: 
Zur phänomenologischen Psychologie und Psychopathologie des Wollens und der 
Triebe / Walter: Über die Elektrodiagnose seelischer Eigenschaften nach der Dia- 
gnoskopie Bißky / Hoffmann: Charakterforschung und Vererbungslehre / Lipp= 
mann: Der Periphertrieb / David Katz: Charakterologie und Tierpsychologie 
Konrad Eilers: Hermann Löns als Mensch und Dichter 





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A. MARCUS & E.WEBER’S Verlag BERLIN W 10, GENTHINERSTR. 38 





ZEITSCHRIFT FÜR AURUMENIERENNLE ONE 
Gegründet von Prof. Dr. A. Eulenburg und Dr. Iwan Bloch 
, Herausgegeben ; im Auftrage der 
Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung 
Unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter redigiert von Dr. Max Marcuse 


Jahrgang 1927|28. Band XIV. Jährlich erscheinen 12 Hefte im Umfang von 2—3 Bogen. 
| Abonnementspreis vierteljährlich M 5°— (Probenummer kostenlos). 


Die Sexualwissenschaft hat es schwerer als andere Disziplinen, ihren wissenschaftlichen Charakter überall anerkannt 
zu sehen, weil gar zu leicht Halbbildung oder gar Sensationslust sich ihren Problemen zuwendet. Die Führung dieser 
Zeitschrift und ein Einblick in ihre Aufsätze beweisen nicht nur, daß es sich hier um eine ernste Forschungsarbeit 
handelt, sondern auch, wie wesentlich für das Leben und seine tiefere Erkenntnis die Sexualprobleme sind, ‚wie 
umfassend ihr Radius, wie stark beeinflußt von den verschiedensten Seiten der menschlichen Persönlichkeit und der 
sozialen Umwelt. Es versteht sich daher von selbst, daß sowohl Mediziner wie Juristen, Soziologen, Pädagogen, 
Kulturhistoriker, Philosophen an dieser Zeitschrift mitarbeiten und daß die Zeitschrift für alle diese verschiedenen 
Wissenskreise, aber auch für den ernsten, gebildeten Laien jeder Berufe von Bedeutung ist. 


Mit dem neuen Jahrgang erscheint die Zeitschrift in erweitertem Umfange, um noch stärker als bisher der Vielseitigkeit 
ihrer Aufgaben gerecht zu werden und allen Problemen des umfangreichen Gebietes Beachtung schenken zu können. 





FE: Ausführliche Prospekte über die 


GESAMMELTEN SCHRIFTEN 


SIGM. FREUD 


und über Veröffentlichungen über 


psychoanalytische Erziehung 


sendet auf Verlangen der 


Iinernäaftionale Psychoanalytische Verlag 





wien, WVälI., Andreasgasse 5 












durch den auch alle in diesem Hefte angekündigien 
werke bezogen werden können 





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Zum Then 


„Sexuelle Aufklärung“ 





Sigm. Freud 
Drei Abhandlungen 


zur Sexualtheorie 
Gebunden M 3°80 (schw. Frk. 4°75) 


Aus der Fülle psychoanalytischer Schriften haben 
die „Drei Abhandlungen‘ bisher die meiste Beach- 
tung gefunden, und dies mit Recht. Sie tragen die 
Züge einer „klassischen“ Darstellung ihrer Richtung 
an sich und werden auch von Gegnern der Psycho- 
analyse mit wissenschaftlichem Genuß und mit Hoch- 
achtung gelesen werden... Während man in den 
Schriften der Mediziner (gerade auch über Fragen 
des Geschlechtslebens) nicht selten lediglich eine 
Zusammenstellung von kasuistischem und notizen- 
haftem Material findet, ist man bei Freud angenehm 
überrascht, eine zügige, konsequent auf erkenntnis- 
mäßige Erfassung des Gegenstandes gerichtete Dar- 
stellung zu finden. Was aber Freud besonders aus- 
zeichnet, ist eine für sexualtheoretische Schriften 
selten reine psychologische Einstellung, ein 
ungemein feines und sicheres Gefühl für die spezi- 
fisch seelischen Probleme und Fragestellungen auf 
dem Gebiete der Sexualität. Daß daneben gleich- 
zeitig eine biologische Durchdringung der Materie 
erfolgt, ist für Freud als Arzt selbstverständlich. 
Darüber hinaus erfreut er aber noch durch saubere 
logische Arbeit und durch das knappe, vornehme 
sprachliche Gewand, in das er seine Ausführungen 
kleidet. 

(Leipziger Lehrerzeitung.) 


Die ‚Drei Abhandlungen‘ müssen in ihrer 
gedrängten, programmatischen Form nicht nur ge- 
lesen, sondern studiert werden... Sie bilden den 
Unterbau, auf dem die Freudsche Lehre und ihre 
praktische Verwertung, die Psychoanalyse, ruhen. 
Wer die „Abhandlungen“ nicht kennt, kennt Freud 
nicht. - 

(Monatschr. f. Psychiatrie u. Neurologie.) 





 Sigm. Freud 
Aus der Geschichte 


einer infantilen Neurose 
Gebunden M r'fo (schweiz. Frk. I*90\ 


Freud hat es gewagt, aus der mehrjährigen 
Analyse eines zirka 30 jährigen Mannes die neu- 
rotische Kindheitsgeschichte herauszuarbeiten... 
Wir wissen, wie das Genie des Autors vor mehr als 
zwei Jahrzehnten aus viel geringerem Material 
scheinbar kühne Schlüsse zu ziehen vermochte, die 
sich nachher bewahrheiteten, und werden uns des- 
halb hüten, einfach über seine Ansicht hinweg- 
zugehen. Es gibt wohl keine Arbeit Freuds, die so 
wie die vorliegende geeignet ist, in die weniger ge- 
wöhnlichen Gedankengänge des Autors einzuführen. 

(Prof. Bleuler i. d. Münch. Med. Wochenschr,) 


Ein solch tiefer und wichtiger Beitrag zur Kenntnis 
vom Seelenleben des Kindes ist in der gesamten 
Literatur kaum mehr zu finden. 


(Volksstimme, Frankfurt.) - 


Diese zum Teil nachträgliche Analyse einer Neu- 
rose, die beim vierjährigen Kinde als Angsthysterie 
(Phobie vor geträumten Wölfen) begann, sich dann 
beim Knaben in krankhafte Frömmigkeit umsetzte 
und im jugendlichen Mannesalter schließlich den 
Charakter eines schweren Zwanges aufwies, hat aut 
ungeahnte Möglichkeiten der Psychoanalyse Licht 
geworfen. Die vom ebenso kühn schürfenden wie 
skeptischen Verfasser mit sich selbst geführte Dis- 
kussion, ob die in der Analyse rekonstruierte Ur- 
szene (die Belauschung des elterlichen Geschlechts- 
verkehres) wirklich erlebt worden ist, oder ob die 
Phantasie des Kindes eine Anleihe bei dem Er- 
innerungsschatz der Gattung macht, wirkt als eine 
spirituelle Höchstleistung auf steilen Graten der 
Erkenntnis geradezu spannend und atemraubend. 

(Nation.) 


Internationaler Psychoanalytischer Verlag 


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Leipzig 95.112 


Wien, VII, Andreasgasse 3 


Postscheckkonto 


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Zürich VII 11.479 


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