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Full text of "Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik VI 1932 Heft 1"

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VI. Jahrg. 



Januar 



1932 



Nr. 1 



Zeitschrift für 

psychoanalytische 

Pädagogik 



Anna Freud 



Psychoanalyse des Kindes 

Hans Zulliger 

iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii 

Ein jugendliches Diebskleeblatt 

Walter Kulemeyer: An Straßen und Zäunen 

Beitrag zum Problem der infantilen Sexualität 

Hedwig Sdiaxel: „Der Weg ins Leben" 

Psychoanalytische Bemerkungen zu einem russischen Film 

B e r i di t e 



Preis dieses Heftes Mark 1" — 



Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik 

Begründet von Heinrich Meng und Ernst Schneider 



Dr. Paul Federn 

Wien VI, Köstlergasse 7 



Herausgeber: 
Anna Freud 

Wien R, Berggasse 19 



Prof. Dr. Ernst Schneider 

Stuttgart, Gänsheidestraße AI 



Dr. Heinrich iM e n g 

Frankfurt a. M. Marlenstraße !5 

A. J. Storfer 

Wien I, In der Börse 



Schriftleiter: Dr. Paul Federn, Wien VI, Köstlergasse 7 



12 Hefte jährlich: M. 10'-, schw. Frk. 1250, österr. S 17-- 
Elnzelheft M. 1 — (schw. Frk. 1-25, österr. S 170) 

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Das nächste Heft erscheint Ende Februar als Sonderheft 

„Psychoanalyse des Kinderzimmers" von Alice Bälint 



ZEITSCHRIFT FÜR 
PSYCHOANALYTISCHE 

PÄDAGOGIK 



Zeitschrift für psychoana lytische Pädagogik" 

Das Ersd.einen des Sd,lufll.eftes <•<* J al ~J*£ 
(Heft 11/12) verzögert sid. aus ted.nisd.en Gründen (da 
S.L LI Heft bestimmter Aufsat, <«££«» 
i,„ Dcudt befand, vom Verfasser zumtkgezogen wurdet 
Um nid* dadurd. and. bei Heft I des •><**»»"« 
etae Verzögert.»* antreten Z n lassen geb en w* hternn 
das Heft 1 aus und werden das verspätete SAlußheft des 
ahen Jahrgangs in Kürze den Abonnenten nad.t,efern. 



-* 



ZEITSCHRIFT FÜR 

PSYCHOANALYTISCHE 
PÄDAGOGIK 



HERAUSGEBER: 



PAUL FEDERN ANNA FREUD HEINRICH MENG 

W,EN WIEN FRANKFÜRT a. M. 

ERNST SCHNEIDER A. J. STORFER 

STUTTGART WIEN 



VI. JAHRGANG 



1932 



VERLAG DER ZEITSCHRIFT FÜR 
PSYCHOANALYTISCHE PÄDAGOGIK 



WIEN, I, BORSEGASSE 11 







INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 

DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 



ZEITSCHRIFT FÜR PSYCHO- 
ANALYTISCHE PÄDAGOGIK 



VI. Jahrgang 



Jan.— Febr. 1932 



Heft 1 



Psychoanalyse des Kindes 

Von 
Anna Freud 

Dieser Aufsatz wurde auf Aufforderung von Prof. Carl 
Murchison für das von ihm herausgegebene „Handbook of 
Child Psychology" (Worcester, Mass., Clark University 
Press, 1931) geschrieben. Auf dieses Handbuch beziehen 
sich auch die Bemerkungen Seite Xif der Arbeit. 

Die Psychoanalyse hat ihre Laufbahn nicht als Kinderpsychologie be- 
gonnen. Sie verdankt ihre Beziehung zum Verständnis der Kindheit einer 
Eigentümlichkeit der Neurosen, auf deren Erforschung ihre Methode im 
Anfang ausschließlich gerichtet war. Jede Hysterie oder Zwangsneurose 
reicht mit ihrem Ursprung bis in die frühesten Kinderzeiten zurück. Das 
Ziel der Psychoanalyse war nur, die Geschichte der einzelnen neurotischen 
Erkrankung möglichst vollständig zusammenzustellen. Aber während sie 
diesen Ursprung in immer tiefere Schichten verfolgte, mußte sie sich immer 
intensiver mit den ersten Erlebnissen des Patienten beschäftigen. So kam 
sie, ohne daß es ihre ursprüngliche Absicht gewesen wäre, zu einer fast 
lückenlosen Rekonstruktion der Kindheit der von der Neurose befallenen 
Menschen. 

Die weitere Entwicklung der psychoanalytischen Arbeit machte es mög- 
lich, auf dem Umweg über die Deutung der Träume und Fehlleistungen 
von Gesunden die Ergebnisse, die an den neurotisch Erkrankten gewonnen 
worden waren, auch auf das Seelenleben der gesunden Menschen auszu- 
dehnen. In derselben Weise verwandelten sich die ersten Aufstellungen und 
Vermutungen über die infantile Neurose und die merkwürdigen Vorgänge 
in der Kindheit der Neurotiker in eine für normale und abnormale Ent- 
wicklungen in gleicher Weise gültige psychoanalytische Theorie der ersten 
l^ebensjahre des Menschen. 

— 5 — 



Es ist bekannt, daß die neue psychoanalytische Psychologie im Anfang 
überall mehr Widerspruch als Interesse erweckte. Sie beleidigte jeden, der 
sich ihr nähern wollte, vor allem durch zwei Feststellungen. Sie behatip- 
tete die Existenz eines unbewußten Seelenlebens. Damit zerstörte 
sie die Vorstellung, daß der Mensch wenigstens ein kleines Stück Welt, 
sein eigenes Ich, absolut zu beherrschen imstande ist, und entwarf ein 
wenig schmeichelhaftes Bild von ihm, als einem Spielball zwischen den 
Mächten der Aussenwelt und seinen eigenen im Unbewußten verborgenen 
Trieben. Und sie zog die Sexualtriebe aus der Dunkelheit hervor, in 
der die Menschen sie, wenigstens soweit es die Theorie anging, bisher ver- 
borgen gehalten hatten, rückte sie gerade in den Mittelpunkt der Forschung 
und scheute sich nicht, so wie die Ergebnisse dieser Forschung es mit sich 
brachten, ihnen eine zentrale Rolle als Krankheitserreger und Lebensbe- 
stimmer zuzuschreiben. 

Wenn aber die Schulpsychologie auf diese Art zwei gute Gründe hatte, 
sich gegen den Einzug der neuen psychoanalytischen Erkentnisse zu wehren, 
so hatte die hergebrachte Kinderpsychologie noch um zwei Widerstände 
mehr zu überwinden. Schließlich war die Rolle der Sexualität im erwachsenen 
Leben von der Psychoanalyse nur neu betont und in ein grelleres Licht 
gerückt worden, der ganze Begriff der erwachsenen Sexualität hatte eine 
weitere Ausdehnung erfahren ; aber es handelte sich dabei mehr um den. 
Verstoß gegen ein bisher von allen gehaltenes stilles Übereinkommen, etwas 
totzuschweigen, als um eine wirklich neue Entdeckung. Die Tatsachen, 
welche für die neue Auffassung des Sexuallebens sprachen, waren eigentlich 
niemandem völlig unbekannt, waren nur vernachlässigt worden. Anders 
war es bei der Auffassung der Kindheit. Nicht nur die Kinderpsychologie 
und die Pädagogik, sondern auch die ganze übrige gebildete und unge- 
bildete Welt war bis zur Zeit der Psychoanalyse fest überzeugt gewesen, 
daß Kindheit und Sexualität miteinander unverträgliche Begriffe wären. 
Tatsachen, die dagegen sprachen, waren nicht allgemein bekannt, waren 
jedenfalls weder in den wissenschaftlichen Lehrbüchern, noch in den po- 
pulären unter den Eltern und Erziehern verbreiteten Meinungen zu finden. 
Wo man an einem einzelnen Kind eine besonders krasse, unverkennbar 
sexuelle Regung doch feststellen mußte, wurde sie als Seltenheit, als An- 
zeichen besorgniserregender Frühreife und schwerer Abnoimität gewertet. 
Diese Abwesenheit aller geschlechtlichen Regungen war direkt das Wahr- 
zeichen und eine der am höchsten geschätzten Eigenheiten dieser Lebens- 
zeit. Unter „Sorglosigkeit" der Kinderzeit verstand man vor allem die 
Freiheit von allen drückenden Fragen und Konflikten des Geschlechts- 
lebens, die das erwachsene Leben beschweren; die ersten geschlechtlichen 

-6- 



Regungen des jungen Menschen, die von der Umgebung als solche anerkannt 
wurden, die Zeit der Geschlechtsreife, beendete ja auch das Stadium der 
Kindheit. 

Für diese „harmlose" Auffassung der Kindheitsperiode bedeutete die 
neue psychoanalytische Theorie eine schwere Erschütterung. Die Psycho- 
analyse schrieb dem Kind ein Sexualleben zu. Aber sie ging noch weiter. 
Sie behauptete, daß es sich bei diesem Sexualleben des Kindes nicht um 
vereinzelte, mehr oder weniger zufällige Regungen handelte, sondern um 
eine Organisation, eine Triebentwicklung von hervorragender Bedeutung 
für das übrige Leben des Kindes. Die Normalität des ganzen späteren Ge- 
schlechtslebens, die Liebes- und Zeugungsfähigkeit sollten mit dem Schicksal 
dieser kindlichen Sexualität untrennbar verknüpft sein. Die Psychoanalyse 
förderte reichliches Material zutage, genügend bisher übersehene Tatsachen, 
um die Richtigkeit ihrer Behauptungen mit einem Schlag zu beweisen. 
Aber dieses Material selbst verhinderte nur die Anerkennung der infantilen 
Sexualität in der außeranalytischen Welt, anstatt sie zu beschleunigen. Die 
Erfahrungen aus den Psychoanalysen an Erwachsenen und etwas später 
die direkte Beobachtung am Kinde ergaben, daß das Kind zwar auch 
sexuelle Erregungen und Neigungen nach Art des Erwachsenen zeigt, daß 
seine Sexualität aber vor allem einen Charakter trägt, den die öffentliche 
Meinung, wo immer er beim Erwachsenen zutage tritt, als verwerfliche 
Abnormität einschätzt und mit dem Namen „Perversion" belegt. 

Die Ursache dieser Ähnlichkeit zwischen dem kleinen Kind und dem 
erwachsenen Perversen war nicht schwer zu finden. Als pervers bezeichnet 
man im erwachsenen Sexualleben jede Handlung, die nicht am Genitale 
selbst, sondern an irgendeinem anderen Körperteil geschlechtliche Lust 
gewinnt und diese Lust in den Mittelpunkt seines Sexualstrebens, also an 
die Stelle des normalen genitalen Geschlechtsakts setzt. Das Kind ist aber 
einer erwachsenen genitalen Geschlechtlichkeit noch gar nicht fähig, seine 
Geschlechtsorgane stehen noch nicht im Zentrum der Lustgewinnung. Die 
Psychoanalyse konnte nachweisen, daß es verschiedene Stufen der Sexual- 
entwicklung zu durchlaufen hat, ehe die endgiltige erwachsene Gestaltung 
erreicht wird. Auf der ersten dieser Organisationsstufen ist der Mund der 
Körperteil, an dem die meiste Lust gewonnen wird, auf der nächsten Stufe 
übernimmt der Anus die Rolle des Lustspenders. Erst auf der dritten Stufe 
beginnt der Geschlechtsteil selbst die Stellung einzunehmen, die für die 
Vorherrschaft der Genitalzone im erwachsenen Geschlechtsleben entscheidend 
wird. Die ersten lustspendenden — wie die Psychoanalyse sie nennt: die 
erogenen — Zonen der Kindheit behalten auch beim erwachsenen Ge- 
schlechtsakt noch eine allerdings untergeordnete Bedeutung. Der Erwachsene, 

— 7 - 



der sich ausschließlich an die kindliche Art der Lustgewinnung klammert, 
ist ein Kranker, ein Perverser; das Kind hat nach der Auffassung der 
Psychoanalyse normalerweise ein Recht auf die seiner Entwicklung an- 
gemessene „perverse" Form der Geschlechtlichkeit. 

Die außeranalytische Welt aber lehnte es ab, sich in das Material zu 
vertiefen, das die psychoanalytischen Veröffentlichungen ihr zur Unter- 
stützung und Erklärung dieser Aufstellungen darboten. Für sie blieb der 
Sachverhalt ein zweifach unliebsamer: nicht nur daß man dem Kind zu- 
mutete, eine Geschlechtlichkeit zu besitzen, diese Geschlechtlichkeit wurde 
auch noch dazu als pervers geschildert. Mit dieser Festlegung in ihrer Theorie 
hatte die Psychoanalyse die eine schwer übersteigliche Mauer zwischen sich 
und den schon bestehenden psychologischen Auffassungen der Kindheit auf- 
gerichtet. 

Zu dieser einen anstößigen Behauptung kam dann noch eine zweite, 
nicht weniger befremdende. Man war bisher sowohl in der populären wie 
in der wissenschaftlichen Meinung gewöhnt gewesen, die ersten vier oder 
fünf Lebensjahre des Kindes in ihrer Bedeutung für die Entwicklung 
seiner Persönlichkeit geringzuschätzen. Der Wissenschaft war dieser Zeit- 
raum vor allem für die körperliche Entwicklung bedeutsam, in ihn fallen 
wichtige psychologische Vorgänge, eine ständige Vervollkommnung im 
Gebrauch der Sinnesorgane und die Erwerbung der grundlegendsten 
Fähigkeiten wie z. B. der Sprache. Diese Erlebnisse des Wachsens und 
Erlernens schienen die erste Lebenszeit vollständig auszufüllen, eine Pflege 
die für beide Vorgänge die besten Bedingungen schuf, schien allen An- 
sprüchen, die gestellt werden konnten, völlig zu genügen. Für eine Frage 
nach den eigentlichen seelischen Inhalten dieser Zeit blieb daneben kein 
Raum. Daß diese Auffassung nicht auf die Kinderpsychologie selbst be- 
schränkt blieb, zeigt sich schon daraus, daß die Selbstbiographien, die 
Lebensbeschreibungen und die Entwicklungsromane dieser Zeit vor der 
Psychoanalyse die erste Kindheit fast ganz vernachlässigten. Sie glaubten, 
allen Forderungen der Persönlichkeitsforschung durchaus zu genügen, wenn 
sie die Geschichte ihres Helden mit dem Schulalter oder mit den Jünglings- 
jahren beginnen ließen. 

Diese objektive Schilderung der ersten fünf Kinder jähre, wie die Wissen- 
schaft sie lieferte, stimmte außerdem mit dem subjektiven Gefühl jedes 
einzelnen Laien vollkommen überein. Man glaubte umso bereitwilliger an 
das Fehlen ernsthafter seelischer Inhalte dieser Zeit, als fast niemand seine 
eigene Kindheit in der Rückerinnerung wirklich durchdringen konnte. 
Die Kindheitserlebnisse, die der Erwachsene bereitwillig anderen erzählt 
oder sich selber zum Vergleich mit seinem erwachsenen Leben gelegentlich 

— 8 - 









vor Augen hält, reichen im Zusammenhang selten weiter zurück als bis 
in das vierte oder fünfte Lebensjahr. Was dahinter noch zum Vorschein 
kommt, sind einzelne zusammenhanglose Brocken, die aus einem ver- 
schwommenen Dunkel auftauchen. Sie scheinen nicht besonders wichtig, 
zeigen keine rechte Beziehung zu den äußeren Lebensschicksalen dieser 
Zeit, und man kann ihnen nicht ansehen, welchem Umstand gerade sie 
die Erhaltung und Aufbewahrung im Gedächtnis verdanken. Man glaubte 
alles Recht zu haben, wenn man diese Einzelheiten vernachlässigte oder 
bestenfalls gelegentlich in halb scherzhafter Weise als Kuriositäten anderen 
zum Besten gab. 

Die Psychoanalyse war die erste, die sich bei ihrer Arbeit an der Neurosen- 
erforschung in dieses unbekannte Gebiet vorwagte. Es war ihr auffällig, 
daß der neurotische Konflikt, so kompliziert seine Endgestaltung auch aus- 
sah, keine rechte Vorgeschichte in der Erinnerung des Patienten hatte. 
An irgendeiner Stelle am Ausgang der Kindheit kam er fertig gestaltet an 
die Oberfläche. Denselben Eindruck bekam die psychoanalytische Beobach- 
tung aber auch von dem Charakter und der Persönlichkeit des einzelnen 
gesunden Menschen. Zuerst kam offenbar die frühe Kindheit ohne erkenn- 
bare Vorgänge. An ihrem Ausgang aber fand sich eine vollentwickelte 
Miniaturpersönlichkeit mit ausgeprägten Neigungen und individuellen 
Reaktionen, einer fertigen Eigenart also, an der durch die erziehliche 
Beeinflussung nur schwer mehr etwas abzuändern war. Der Schluß lag 
nahe, daß diese ersten Kinder jähre irgendetwas Bedeutsames enthielten, daß 
sich dort Vorgänge abspielten, von denen die später auftretende Neurose 
oder der plötzlich zutage tretende Charakter nur der Endausgang waren. 
Man hatte sich offenbar zu Unrecht verleiten lassen, aus dem Fehlen der 
bewußten Erinnerung an diese Periode auf ihren Mangel an Bedeutung 
zu schließen. Auch die direkte Beobachtung des Kindes sprach durchaus 
für eine Abänderung der hergebrachten Meinung. Es erschien kaum mehr 
glaublich, daß man den Widerspruch zwischen der leidenschaftlichen An- 
teilnahme des Kindes an allen Vorgängen seines Lebens und dem voll- 
ständigen Vergessen dieser selben Vorgänge nie schärfer ins Auge gefaßt 
hatte. 

Durch diese Unstimmigkeiten aufmerksam gemacht, tastete sich die 
psychoanalytische Methode immer weiter in die Kindheit der von ihr stu- 
dierten Menschen zurück. Sie bediente sich zur Aufdeckung des bisher 
Verborgenen aller ihrer Hilfsmittel: des freien Einfalls, der Deutung der 
Träume, der Fehl- und Symptomhandlungen und der Deutung der von 
ihr so genannten „Übertragung", d. h. des Verhältnisses des Analysierten 
zum Analytiker, das sich während einer analytischen Behandlung herstellt 

- Q — 



und die ältesten Kindheitsbeziehungen in dieser neuen Einkleidung zum 
Vorschein bringt. Das Ergebnis war die Ausfüllung der großen, allen 
Menschen gemeinsamen Erinnerungslücke und damit die Gewinnung 
überraschender Tatsachen für eine neue Kindheitsgeschichte des Men- 
schen. 

Das Bild, das die Psychoanalyse auf Grund dieser Bemühungen in den 
Rahmen der Erinnerungslücke einfügen konnte, stimmt allerdings nicht 
mit den Vorstellungen von einer zärtlichen, harmlosen und konfliktfreien 
Anhänglichkeit des kleinen Kindes an seine Blutsverwandten, an die man 
sich bisher geklammert hatte, gleichgültig ob der äußere Anschein im 
einzelnen Fall dafür oder dagegen sprach. Die Auffassungen der Psycho- 
analyse verstießen Schritt für Schritt gegen die bisherige Kenntnis. Hatte 
man bisher nur gesehen, wie der Wunsch nach der Erfüllung seiner 
großen Lebensbedürfnisse das kleine Kind an die Mutter bindet und aus 
seiner Dankbarkeit für ihre Pflege und Ernährung neben der körperlichen 
auch eine rein seelische, zärtliche Beziehung zu ihr entsteht, so konnte 
man jetzt, nachdem das Vergessen der Kindheitsperiode rückgängig gemacht 
worden war, erst die Natur dieser psychischen Beziehung untersuchen. 
Man fand sie — wo es sich um Knaben handelte — der erwachsenen 
Liebesbeziehung eines Mannes zu der von ihm gewählten Frau erstaun- 
lich ähnlich. Sie enthält — wie man fand — alle Elemente, die aus der 
erwachsenen Beziehung bekannt sind: die hohe Einschätzung der geliebten 
Person, man könnte sagen ihre Überschätzung; der Wunsch nach ihrem 
Alleinbesitz; nach irgendeiner Art der körperlichen Befriedigung durch 
sie; und leidenschaftliche Gefühle von Haß und Rivalität für alle jene, 
die ihm sein Eigentumsrecht auf sie streitig machen wollen. Dabei han- 
delt es sich auch nicht einmal um eine Miniaturliebe, wie der Erwachsene 
sich gerne glauben machen möchte. Die Leidenschaft des Kindes ist ihrem 
Charakter und ihrer Intensität nach durchaus nicht verschieden von dem 
entsprechenden erwachsenen Gefühl, seine Enttäuschung und Verzweiflung, 
wenn es seine Absicht nicht durchsetzen kann, gleicht vollständig der 
erwachsenen Liebesenttäuschung, die Konflikte, die aus seiner Liebe ent- 
stehen, spielen in seinem kindlichen Leben die den erwachsenen Liebes- 
konflikten entsprechende Rolle. Der einzige Unterschied besteht darin, daß 
die körperliche Befriedigung, die er an seinem Liebesobjekt genießen möchte, 
der erwachsenen genitalen Sexualbefriedigung noch unähnlich ist. Je nach- 
dem, wie weit das Kind eben schon auf dem Entwicklungsweg der in- 
fantilen Sexualität gekommen ist, drehen sich seine Wünsche um eine 
Reizung der erogenen Zonen, des Mundes, des Anus, des Genitales oder 
um die in diesen Entwicklungsweg eingefügte Befriedigung seiner Schau- 

— 10 - 



und Zeigelust, seines Sadismus oder Masochismus, seiner sexuellen Wiß- 
begierde. Auch in dem Verhältnis zu seinen Rivalen benimmt das Kind 
sich nur wenig anders als ein Erwachsener. Wo es sich um ihm gleich- 
gestellte oder jüngere Personen handelt, um die Geschwister also, verleiht 
es seinen unfreundlichen Gefühlen mehr oder weniger freien Ausdruck 
in feindseligen Handlungen. Hier ist der Ausgangspunkt für den in jeder 
Kinderstube endlosen Geschwisterstreit, die Realität hinter der Geschwister- 
liebe, wie die Religion oder die Ethik sie postulieren. Wo aber der Rivale 
ein übermächtiger ist, der Vater, also der eigentliche und in der Wirk- 
lichkeit unangreifbare Resitzer der Mutter, da erschöpft sich seine Feind- 
seligkeit in ohnmächtigen Todeswünschen und Vernichtungsphantasien. 
Die Psychoanalyse konnte eigentlich, mit Ausnahme des geänderten Sexual- 
ziels, nur einen einzigen wirklichen Unterschied zwischen dieser ersten 
Liebe des Knaben und seinen späteren Reziehungen zu Frauen entdecken: 
ihre größere relative Redeutung. Der Knabe erwirbt sich an diesem ersten 
Liebeserlebnis ein Vorbild, an das er im späteren Leben gebunden bleibt. 
Sein erwachsenes Liebesleben verhält sich zum infantilen gewöhnlich nicht 
anders als Kopien zu ihrem Original. 

Die Psychoanalyse schildert das G e s chwi st er Verhältnis des Kindes 
in dieser prähistorischen Zeit als ein ursprünglich eindeutiges, feindseliges. 
Das Kind hätte, wenn es nur auf seine eigene Person ankäme, keinen 
zwingenden Grund zu einer Umwandlung dieser Gefühle. Nur die Rück- 
sicht auf die Mutter, die auch diese andern Kinder liebt und der Ge- 
horsam gegen ihre Wünsche — der Druck der Erziehung also — über- 
deckt die Feindseligkeit allmählich mit einem Anschein ihres Gegenteils. 
Dieses Verhältnis zum Konkurrenten — der durch den Zwang der Um- 
welt zur Duldung ermäßigte Haß — wiederholt sich später unzählige 
Male im erwachsenen Leben. 

Das Verhältnis zum Vater, wie die Psychoanalyse es für diese Prä- 
historie aufgedeckt hat, ist komplizierter gebaut als die Geschwisterbeziehung. 
Es enthält mehr als nur die eine feindliche Strömung, die der Eifersucht 
entspringt. Der Vater ist für den kleinen Knaben zu allererst eine Ideal- 
gestalt, die er ebenso wie die Mutter liebt und überschätzt. Er bewundert 
seine Macht und Größe, die er für uneingeschränkt hält. Hat seine Liebe zur 
Mutter in ihm den Haß gegen den Vater geweckt, den Wunsch, ihn zu ver- 
drängen und selber seine Rolle zu spielen, so gibt die bewundernde liebe 
zum Vater diesem Wunsch, selbst Vater zu sein, erst ihren eigentlichen 
Hintergrund. Man könnte sagen, die Identifizierung mit dem Vater, die 
der Knabe anstrebt und die die mächtigste Triebkraft für seine männliche 
Entwicklung beistellt, stützt sich auf zwei gleichzeitige, aber einander 

— II - 






widersprechende, ambivalente, Einstellungen des kleinen Kindes zum Vater: 
eine feindselige und eine zärtliche. 

Die Psychoanalyse hat für diesen Zusammenhang der Gefühlserlebnisse 
des Kleinkindes, die Liebe zur Mutter mit dem sich daraus ergebenden 
Haß gegen den doch bewunderten und gefürchteten Vater, in Anlehnung 
an die griechische Sage den Namen Ödipuskomplex gefunden. Aber 
es wäre unrecht zu glauben, daß dieses Schlagwort den ganzen seelischen 
Inhalt dieser Zeit mit allen in ihr gegebenen Konfliktmöglichkeiten bereits 
erschöpft. Das Studium des Ödipuskomplexes in seiner hier geschilderten 
einfachsten Form bildet nur den Eingang, die erste Station auf dem Weg 
zu einem tieferen Verständnis dieser Kindheitsperiode. 

Es war offenbar das Schicksal der Psychoanalyse, daß jede ihrer großen 
Entdeckungen an einer Idealvorstellung rütteln mußte, welche die Men- 
schen bisher besonders hochgehalten hatten. Ebenso wie das Ideal der un- 
geschlechtlichen Kindheit durch die Funde der Psychoanalyse ins Wanken 
geraten war, bedrohten die Ergebnisse ihrer Untersuchungen über die ver- 
gessene Kindheitsperiode ein zweites Ideal, das zum alten, nicht nur zum 
wissenschaftlichen, sondern direkt zum religiösen Besitz der Menschheit 
gehörte: die Reinheit der Beziehungen des Kindes zu seiner Familie, also 
die Eltern- und Geschwisterliebe 1 . Die Aufstellung des Ödipuskomplexes 
wurde zur zweiten Scheidewand zwischen der Psychoanalyse und der außer- 
analytischen wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Außenwelt. Es 
ist unter diesen Verhältnissen sicher nicht verwunderlich, daß es eine 
Reihe von Jahren gedauert hat, ehe die offizielle Kinderpsychologie mit 
der Psychoanalyse in Beziehung treten wollte. Vielleicht muß man die 
Aufnahme eines Artikels über „Die Psychoanalyse des Kindes" in ein 
Handbuch über Kinderpsychologie als Anzeichen dafür nehmen, daß die 
Trennungsmauern zwischen der Psychoanalyse und der übrigen Wissen- 
schaft jetzt anfangen, ihre Widerstandsbedeutung zu verlieren. 

Anderseits könnte dieser Versuch aber auch ergeben, daß die Hand- 
bücher für Kinderpsychologie sehr recht daran getan haben, sich bisher 



l) Lange vor der Psychoanalyse machte Diderot in seinem berühmten Dialog 
„Le neveu de Rameau" die folgende erstaunliche Äußerung: „Si le petit sauvage etait 
abandonni ä lui-mcme, qu'ü conserva toutt son imbecillite et qu'il re'unit au peu de raison de 
Penfant au berctau la violence des passions de Vhomme de trente ans, il tordrait le cou ä son 
p'ere et coucherait avec sa m'ere." 

(In Goethes Übersetzung: „Wäre der kleine Wilde sich selbst überlassen und 
bewahrte seine ganze Schwäche, vereinigte mit der geringen Vernunft des Kindes in 
der Wiege die Gewalt der Leidenschaften des Mannes von dreißig Jahren, so brach' 
er seinem Vater den Hals und entehrte seine Mutter.") 

- 12 - 






gegen psychoanalytische Artikel zu verwahren. Die Psychoanalyse läßt sich 
gar nicht in den Zusammenhang der anderen Auffassungen einreihen, sie 
widerstrebt der Gleichstellung mit ihnen. Es widerspricht der Allgemein- 
gültigkeit, die sie für ihre Theorien postuliert, sich auf irgend ein Spezial- 
gebiet, etwa die Auffassung des neurotischen Kindes oder sogar die Sexual- 
entwicklung des Kindes zu beschränken. Sie greift über diese Gebiete 
hinaus, für die man ihr vielleicht gerne das Recht der Beurteilung zu- 
gestehen würde, und bricht in Reiche ein, die — wie das Inhaltsverzeichnis 
dieses Buches zeigt — andere Spezialisten sich vorbehalten haben. Sie hat, 
wie oben erwähnt, ihre eigene Auffassung über die Entwicklungsphasen 
des kindlichen Trieb- und Gefühlslebens. Sie beurteilt auf Grund ihrer 
Funde den Einfluß der verschiedensten Umweltsformen auf die Gestaltung 
der kindlichen Persönlichkeit. Sie hat eine Trieblehre ausgebildet. Sie 
macht tastende Versuche, auf Grund dieser Trieblehre zum Verständnis 
der speziellen Begabungen zu gelangen und die intellektuellen Hemmungen, 
wie auch den Untergang von Begabungen im Zusammenhang mit den 
Triebschicksalen zu erklären. Die Moral des Kindes ergibt sich ihr aus 
der Geschichte seiner sozialen Anpassung im Kampf gegen die andrängenden, 
von der Umwelt des Kindes verpönten Triebregungen. Sie besitzt Ansätze 
zu einer Typenlehre, die zum Teil auf der Neurosenforschung basiert ist, 
zum andern Teil auf der Lehre von den Entwicklungsphasen des Sexual- 
triebes mit den Möglichkeiten, die sie zum Steckenbleiben, zur Fixierung 
bieten, wie auch zur späteren Rückkehr zu ihnen, zur Regression. Sie 
beschreibt das kriminelle und das triebhafte Kind im Vergleich zum neuroti- 
schen als das extrem andere Ergebnis derselben Kindheitserlebnisse. Die 
Deutung der Kinderzeichnungen, der Kinderspiele und Kinderträume sind 
ihr unentbehrliches Hilfsmittel bei der psychoanalytischen Arbeit am Kinde. 
Rückwirkend gewinnt sie aus dieser Arbeit dann wieder brauchbares Ma- 
terial für die Rolle und Bedeutung dieser Äußerungen für das Leben des 
Kindes. Die Psychoanalyse ist offenbar in der Kinderpsychologie ein un- 
bequemer Gast, der die Gebote der Bescheidenheit verletzt. Anstatt sich 
dem Vorhandenen anzureihen, maßt sie sich an, das ganze Lehrbuch über 
Kinderpsychologie auf Grund ihrer eigenen Funde selber schreiben zu 
können. 

Diese neue psychoanalytische Kinderpsychologie läßt sich aber im Rah- 
men eines kurzen Aufsatzes nicht darstellen. Es ist hier nicht einmal 
möglich, die Ergebnisse der psychoanalytischen Forschung aufzuzählen, die 
den psychoanalytischen Kinderpsychologen zu seiner Unbescheidenheit be- 
rechtigen. Der Kinderpsychologe, der sich mit den psychoanalytischen Tat- 
sachen auseinandersetzen will, muß sich ihre Kenntnis aus irgendeiner 

- 13 - 






der ausführlichen Darstellungen der Psychoanalyse holen. An dieser Stelle 
kann es höchstens gelingen, das Bild der Kindheit, wie die Psychoanalyse 
es sieht, weiter zusammenzustellen und dabei aus der Reihe der Grund- 
begriffe der Psychoanalyse diejenigen herauszugreifen, deren Anwendung 
auf das Tatsachenmaterial der Kinderpsychologie die entscheidendsten Um- 
wälzungen der Auffassung herbeiführen mußten. 

Die beiden großen Entdeckungen über die Kindheit, die Anerkennung 
der infantilen Sexualität und des Ödipuskomplexes, eignen sich hier noch 
einmal zum ersten Ausgangspunkt. Der Auffassung der Psychoanalyse nach 
erfüllen diese beiden Abläufe die ersten fünf oder sechs Lebensjahre des 
Menschen. Am Ende dieser frühesten Kindheitsperiode ist, wie oben ge- 
schildert, das Gefühls- und Geschlechtsleben des Kindes dem eines Er- 
wachsenen gar nicht sehr unähnlich. Das Kind ist fähig geworden, seine 
Liebe auf eine ganz bestimmte Person zu konzentrieren, zum Unterschied 
von seinem ersten Lebensjahr, in dem es, narzißtisch, sich selbst liebt, 
und andere Menschen nur so weit für sein Gefühl existieren, als sie für 
seine Selbsterhaltung nötig sind. Das erste aus der Außenwelt genommene 
Liebesobjekt ist, durch den Ödipuskomplex bedingt, für den Knaben die 
Mutter und für das Mädchen — nach einem längeren, sehr interessanten 
Ablösungsprozeß von der Mutter — der Vater. An diesem Liebesobjekt 
will das Kind die Wünsche befriedigen, die sich aus den verschiedenen 
Anteilen seiner infantilen Sexualorganisation ergeben. Auch bei seinem Be- 
mühen, die Befriedigung dieser Partialtriebe durchzusetzen, benimmt das 
Kind sich ganz wie ein Erwachsener, der unter der Herrschaft drängender 
geschlechtlicher Begierden steht. Es empfindet seine Triebbedürfnisse als 
außerordentlich heftig und dringend, jeder Aufschub in der Befriedigung 
erscheint ihm als unerträglich. Die unvermeidlichen ständigen Versagungen 
rufen schwere Enttäuschungsreaktionen bei ihm hervor und haben die 
nachhaltigsten Folgen für seine Charakter- und Neurosenbildung. Bei diesem 
Anschein von Erwachsenheit scheint ihm in dieser frühen Zeit zur Voll- 
endung der Sexualentwicklung nur mehr ein einziger Schritt zu fehlen: 
die Erreichung der körperlichen Geschlechtsreife. 

An diesem Punkt wird aber ein Hindernis in die Entwicklung einge- 
schoben, dessen Aufdeckung auch erst der Psychoanalyse zugehört. Anstatt 
mit der Weiterentwicklung des Kindes Schritt zu halten, verlieren die 
sexuellen Begungen allmählich ihre Energie, die Libido, wie sie die Psycho- 
analyse nennt. Das Streben nach Lustgewinn tritt immer mehr in den 
Hintergrund; die stürmische Liebe zu den Elternobjekten ermäßigt sich, 
um schließlich einer bloßen Anhänglichkeit oder Zärtlichkeit Platz zu 
machen. Der Anschein von Erwachsenheit, den das Kind auf dem ersten 

- 14 - 



Höhepunkt seines Geschlechtslebens erreicht hatte, geht vollständig wieder 
verloren. 

Zur selben Zeit, in der das Triebleben des Kindes auf diese Weise zu 
einem Stillstand kommt, geht in der Entwicklung seiner Persönlichkeit 
etwas wie ein Bruch vor sich. Die Eigenschaften, die sein Benehmen in 
der ersten Kindheit am entscheidendsten charakterisiert haben, verschwinden 
oder verkehren sich ins Gegenteil 1 . Seine Begehrlichkeit verringert sich mit 
dem Nachlassen der Triebwünsche. Seine Zerstörungslust, seine Grausam- 
keit, seine Schamlosigkeit und Neugier, die als Ausflüsse der infantilen 
Sexualregungen das Bild beherrscht und zu ständigen Zusammenstößen 
mit der erwachsenen Umgebung geführt hatten, verschwinden allmählich. 
An ihrer Stelle tauchen Eigenschaften auf, die der Umgebung des Kindes 
weitaus erwünschter erscheinen: das Kind erlernt die Schonung der leb- 
losen Dinge und das Mitleid mit den verschiedenen Lebewesen; es zügelt 
seine Neugierde oder wendet sie doch wenigstens vom sexuellen Gebiet 
auf intellektuelle Dinge; und es empfindet Scham oder Ekel bei allen jenen 
Gelegenheiten, bei denen den Erwachsenen eine solche Beaktion als not- 
wendig und selbstverständlich erscheint. Wenn das Kind auf der Höhe der 
ersten Kindheitsperiode in seinem Sexualleben dem Erwachsenen ähnlich 
gewesen war und sich nur in seinen Eigenschaften und Wertungen außer- 
ordentlich von ihm unterschieden hatte, so liegen die Verhältnisse jetzt 
umgekehrt. In dieser zweiten Periode unterscheidet die Armut an Trieben 
und die untergeordnete Rolle des Sexuallebens das Kind vom Erwachsenen: 
in seinem Benehmen und seinen Wertungen aber ist es dem Erwachsenen 
weitgehend angeglichen. 

Der Bruch zwischen der ersten und zweiten Kindheitsperiode ist in der 
Regel ein sehr vollständiger. Das Kind entwickelt sich nicht nur über die 
Ziele, Vorlieben und Betätigungen seiner ersten Sexualperiode hinaus, es 
entwickelt sich direkt im Gegensatz zu ihr. Nicht nur, daß es die Reste 
jener alten Regungen, wo immer sie noch auftauchen, als unerträgliche 
Störungen empfindet und zu unterdrücken bestrebt ist, es verstößt sogar 
die Erinnerung an die Wünsche und an die Befriedigungen, die sie ihm 
gebracht haben, aus seinem Gedächtnis. Zu der normalen Entwicklung des 
Kindes in diesen Jahren gehört das Vergessen der ersten Kindheit, also die 
Erwerbung gerade jener Erinnerungslücke, die seit jeher das größte Hindernis 
für das Studium der Vorzeit des Menschen gewesen ist. 

An der Grenze zwischen diesen beiden Perioden bedient sich das Kind 



1) Es gibt auch Kinder, die diesen Bruch in der Entwicklung nicht mit- 
machen. Gerade diese Personen charakterisiert man, wenn sie erwachsen werdem 
als infantil. 



- 15 



zum erstenmal der Mechanismen, die für sein ganzes späteres Leben be- 
deutsam bleiben werden. Um unerträglich gewordene Regungen zu beseitigen, 
verweigert es ihnen den Zugang zu seiner bewußten Persönlichkeit, drängt 
sie irgendwohin ins Dunkle und vergißt sie. Die Wirkung dieses Verhaltens 
entspricht allerdings nicht ganz den Erwartungen. Die verstoßenen Regungen 
oder Gefühle erscheinen zwar nicht mehr auf der Oberfläche, existieren 
aber in der Verborgenheit unverändert weiter und behalten ihre Stärke. 
Sie sind aus etwas Bewußtem zu etwas Unbewußtem, aus manifesten 
Äußerungen zu latenten Kräften geworden. Die Psychoanalyse hat diesen 
Mechanismus durch den Namen Verdrängung gekennzeichnet. Das 
Kind empfindet offenbar schon zu dieser Zeit eine der Gefahren, die eine 
solche Lage mit sich bringt. Um zu verhüten, daß die infantilen Trieb- 
regungen wieder hervorbrechen, wenn aus irgendeinem Grund die Stärke 
der Verdrängung nachlassen sollte, richtet es überall, wo es eine solche alte 
Regung beseitigt hat, eine Sicherheitsvorkehrung auf. In seinem Bewußt- 
sein entsteht an dieser Stelle das Gegenteil der beseitigten Neigung oder 
Eigenschaft, die eine Rückkehr des Verdrängten endgiltig unmöglich machen 
soll. Es ist nicht schwer zu erkennen, daß z. B. die Scham als Sicherune 
gegen die alte Zeigelust, der Ekel als Sicherung gegen eine unterge- 
gangene Vorliebe für Schmutziges die Rolle solcher Gegensatz- oder Re- 
aktionsbildungen spielen. Aber die Umwandlung der primitiven 
Strebungen ist auch auf einem andern Wege mit einem geringeren Kräfte- 
aufwand möglich, als Verdrängung und Reaktionsbildung für sich bean- 
spruchen. Die primitive Triebregung kann abgelenkt werden, ihr ursprüng- 
liches sexuelles Ziel wird gegen ein harmloseres, sozial höher geschätztes, 
nicht sexuelles eingetauscht. Diesen Vorgang, den die Psychoanalyse Su- 
hl i m i e r u n g nennt, hat für die Ausgestaltung der kindlichen Persönlich- 
keit, für die Ausbildung seiner Begabungen und Interessen die allergrößte 
Bedeutung. Die Ablenkung der sexuellen Neugierde des Kleinkindes auf 
das geistige Gebiet, die Verwendung dieser Kräfte für das Lernen, das Er- 
werben von intellektuellen Kenntnissen in der zweiten Kindheitsperiode ist 
das deutlichste Beispiel eines solchen Sublimierungsvorganges. Das Kind 
bewältigt in diesen Jahren seine ursprünglichen Triebregungen mit Hilfe 
der beschriebenen Mechanismen, der Verdrängung, der Reaktionsbildung 
und Sublimierung so weit, daß nur ein ganz geringer Anteil von ihnen 
noch in der unveränderten Gestalt bestehen bleibt und sich dann seine 
Befriedigung in Form einer im Vergleich zur ersten Periode sehr ermäßigten 
Masturbation erzwingt. Die Psychoanalyse hat dieser Ruheperiode des Kindes, 
die vor allem von der Entwicklung seines Intellekts und seines Ichs aus- 
gefüllt wird, den Namen Latenzperiode beigelegt. 

- 16 - 



Der nächste Abschnitt im Leben des Kindes, das Einsetzen der Puber- 
tät, nimmt dann die infantile Sexualentwicklung gerade an dem Punkt 
wieder auf, an dem sie bei Eintritt der Latenzperiode zum Stillstand ge- 
kommen war. Die ersten Äußerungen der Pubertät bringen die Beweise, 
daß es den Verdrängungsanstrengungen des Kindes wirklich nur gelungen 
ist, die infantile Sexualität und den mit ihr verbundenen seelischen Inhalt, 
den Ödipuskomplex, stillzulegen, daß aber nichts davon vernichtet oder 
zugrunde gegangen ist. Der Ansturm von Libido, der den Heranwachsenden 
zur Zeit der Geschlechtsreife überflutet, belebt noch einmal die unver- 
ändert erhaltenen infantilen Sexualregungen und drängt zu perversen Be- 
friedigungshandlungen oder Abfuhr in gehäufter genitaler Masturbation. 
Ebenso flammt der Ödipuskomplex in der vollen Stärke und Leidenschaft- 
lichkeit seiner Konflikte noch einmal auf, allerdings dieses Mal nur in 
stürmischen Phantasien, nicht mehr in der realen Beziehung zu den wirklichen 
Elternpersonen. Soll der Ausgang der Pubertät die normale erwachsene Sexua- 
lität sein, so muß es dem Jugendlichen gelingen, seine perversen Par- 
tialtriebe unter der Vorherrschaft der genitalen Stre- 
bungen zusammenzufassen. Gleichzeitig muß das Phantasieobjekt 
des Ödipuskomplexes durch ein fremdes nicht mehr der Familie ange- 
höriges realesLiebesobjekt abgelöst werden. Die zärtlichen Regungen 
der Latenzperiode sollen gleichzeitig mit den sinnlichen Regungen der 
frühen Kindheit und der Pubertät an diesem neuen Objekt ihre Befriedi- 
gung finden. 

Zu diesen beiden schwierigen Aufgaben, die die Pubertät dem Jugend- 
lichen zu lösen gibt, tritt dann noch eine weitere nicht weniger bedeut- 
same. Die Normalität der Entwicklung verlangt nicht nur, daß der Heran- 
wachsende sich am Ausgang der Kindheit in seinem Liebesleben von den 
Eltern frei macht und fremden Menschen zuwendet, sie fordert auch, daß 
er sich zur gleichen Zeit zumindest innerlich der Führerschaft und 
Vormundschaft von Vater und Mutter entzieht. Dabei 
handelt es sich hier nicht nur wie im Falle der Unterbringung der Liebes- 
regungen um einen Objektwechsel. Der Jugendliche sucht zwar auch unter 
seinen Lehrern und unter den Idealgestalten, die Literatur und Geschichte 
ihm bieten, nach Vorbildern, deren Wertungen er übernehmen und deren 
Eigenschaften er nacheifern kann. Aber diese Vorbilder übernehmen doch 
nur zu einem sehr geringen Teil die leitende Stellung der Eltern. Die 
Vollendung der Kindheit ist vor allem dadurch gekennzeichnet, daß die 
Rolle des Mentors aus einer äußeren zu einer inneren Angelegenheit des 
Individuums geworden ist. 

Die Ablösung von den Eltern im Sinne einer wachsenden Unabhängig- 
zeitschrift f. psa. Päd., VI/i ]7 2 



keit von ihnen, soweit es die eigenen Urteile und Handlungen betrifft, 
gehört nicht einer einzelnen Periode an. Sie erstreckt sich über die ganze 
Kindheit vom Anfang der Latenzzeit bis zur vollendeten Erwachsenheit. 
In der ersten Kindheitsperiode steht das Kind unter der Herrschaft von 
zwei Mächten, einer inneren, die durch das Drängen seiner eigenen Triebe, 
und einer äußeren, die durch die Gebote und Verbote der Eltern gegeben 
ist. Die Absicht des inneren Drängens ist auf die Befriedigung der Triebe, 
die Absicht der äußeren Elternmacht auf Triebeinschränkung gerichtet. 
Die Kenntnis der Lage des Kindes, wie die psychoanalytische Beleuchtung 
sie zeigt, erklärt, warum das Kind bereit ist, sich der Elternmacht zu 
beugen. Es befindet sich in einer doppelten Abhängigkeit von den Eltern, 
einer körperlichen Abhängigkeit, die durch seine lange Unselbständigkeit, 
seine Unfähigkeit, sich selbst am Leben zu erhalten, gegeben ist; und 
gleichzeitig in der seelischen Abhängigkeit, die durch die Gefühlskonstellation 
des Ödipuskomplexes erklärt ist. Die Liebesbedürftigkeit des Kindes macht 
es von seinen Liebesobjekten ebenso abhängig, wie das Bedürfnis nach 
Nahrung und Pflege es seinen Pflegepersonen ausliefert. Die Macht der 
Eltern löst daher im Kind zwei ganz bestimmte Ängste aus, die es den 
Anforderungen der Erziehung gefügig machen: die Angst einerseits vor der 
Schädigung durch die Eltern, wenn es sich ihren Wünschen widersetzt. 
Im Falle der verbotenen Lustgewinnung am Genitale oder einem anderen 
dazu geeigneten Körperteil wird daraus die Angst vor dem Verlust dieses 
Körperteils, die Kastrationsangst. Andererseits die Angst vor dem 
Verlust ihrer Liebe. Die psychoanalytische Pädagogik erkennt in diesen beiden 
Drohungen, deren sich die Eltern mehr oder weniger ausgesprochen bedie- 
nen, der Drohung mit Kastration oder mit Liebesverlust, die beiden Haupt- 
faktoren für die Erziehbarkeit des Kindes. 

Diese äußere Macht der Erziehung wird dann im Laufe der Latenz- 
periode immer mehr von innerlichen Kräften übernommen. Das Kind 
richtet allmählich eine Instanz in sich auf, die fähig ist, nach rationellen, 
nach ästhetischen, nach moralischen Gesichtspunkten zu urteilen und zu 
werten. Es schafft auf diese Weise den Triebmächten in seinem eigenen 
Innern einen fast gleichstarken Gegner, der im Laufe der Pubertät imstande 
werden soll, mit immer weniger Unterstützung von außen her den Trieben 
die Waage zu halten. Alle Kämpfe, die sich in der ersten Kindheitsperiode 
in der Außenwelt zwischen dem Kleinkind und seinen Erziehern abgespielt 
haben, werden auf diese Art schon von der Latenzperiode an in immer 
größerem Maße zu inneren Konflikten. Diese Instanz im Innern des Kindes 
war vor der Psychoanalyse nach einer ihrer wichtigsten Funktionen als 
das Gewissen bekannt. Die Psychoanalyse hat für sie den Namen Über- 

— 18 — 



Ich gewählt, um ihre herrschende Stellung dem Ich des Individuums 
gegenüber zu kennzeichnen 1 . 

Wenn aber das fertig ausgebildete Über-Ich dem Jugendlichen in der 
Pubertät die volle innere Unabhängigkeit von den Eltern und die selb- 
ständige Lösung seiner Triebkonflikte ermöglichen soll, so bleibt es doch 
gleichzeitig ein dauerndes Zeichen seiner Abhängigkeit von ihnen. Das 
Über-Ich ist tatsächlich seiner Herkunft nach ein Abkömmling der Eltern- 
gebote, es ist das Resultat der alten Bemühungen des Kindes, sich den 
Eltern anzugleichen, es ihnen gleichzutun, sich mit ihnen zu identifizieren. 
Wann immer das Kind im Laufe seiner Entwicklung Liebesregungen von 
den Eltern ablöst und auf andere Weise verwendet, richtet es das Stück 
Vater oder Mutter, dem es sich in der Außenwelt entzogen hat, in seinem 
Innern als einen Teil seiner eigenen Persönlichkeit von neuem auf. Wenn 
die Liebesablösung von den Eltern in der Pubertät vollendet ist, dann ist 
auch die Identifizierung mit ihnen schon vollzogen. Die äußere Freiheit, 
die der Jugendliche am Ausgang der Kindheit erreicht, ist bei näherem 
Hinsehen nichts anderes als die vollendete innere Gebundenheit. 



* 



Das hier gezeichnete Bild der drei großen Kindheitsperioden zeigt die 
Anwendung der Psychoanalyse auf die Auffassung der Kindheit nur in 
ihren gröbsten Umrissen. Neben einer Erwähnung einiger wichtiger Grund- 
prinzipien der psychoanalytischen Theorie, der Aufzählung einiger charakte- 
ristischer Mechanismen, wie der Verdrängung, einer Andeutung der Trieb- 
lehre und der Libidotheorie, findet in ihm kaum die Schilderung zweier 
Inhalte, des Ödipuskomplexes und des Kastrationskomplexes Platz. Die 
Eigenart einer wirklich psychoanalytisch-psychologischen Denkweise besteht 
aber nicht nur in der Einführung dieser Begriffe in die hergebrachte 
psychologische Anschauung. Die psychoanalytische Psychologie, die auf den 
Ergebnissen der analytischen Forschung aufgebaut ist, hat ihre eigene Be- 
trachtungsweise, die sie von jeder andern bisherigen psychologischen Auf- 
fassung unterscheidet. Sie bemüht sich, jeden einzelnen seelischen Vorgang, 
den sie beobachtet, von drei Gesichtspunkten aus zu beschreiben. Sie faßt 
die seelischen Tatsachen nicht als Zustände auf, sondern als das Ergebnis 
von Konflikten, von seelischen Kräften, die miteinander im Kampfe liegen. 
Diesen Gesichtspunkt nennt sie den dynamischen. Sie bemüht sich, 

1) Jede Abweichung im Aufbau des Über-Ichs wird zum Ausgangspunkt von Störun- 
gen der Charakterbildung und Gesundheit des Individuums. 

— 19 - 



den seelischen Ort festzustellen, an welchem jeder einzelne Vorgang vor 
sich geht und unterscheidet dabei drei Systeme: das Bewußte, das Vor- 
bewußte und das Unbewußte. Diesen Gesichtspunkt nennt sie den topi- 
schen. Und sie hält es für möglich, die relative Energie, die jeder ein- 
zelnen Seelenregung zur Verfügung steht, abzuschätzen und sich aus diesen 
Größenverhältnissen den Ausgang der einzelnen seelischen Konflikte zu er- 
klären. Diesen Gesichtspunkt bezeichnet sie als ökonomischen. Aber 
es ist leicht einzusehen, daß nur eine eingehende Beschäftigung mit den 
Grundlagen der psychoanalytischen Theorie es möglich machen würde, 
diese Betrachtungsweise in alle Einzelheiten zu verfolgen, sie auf die oben 
gegebene Schilderung der Kindheitsperioden anzuwenden und auf diese 
Weise daraus die legitime psychoanalytische Psychologie der Kindheit auf- 
zubauen. 



Im Internationalen Psychoanalytischen Verlag 

erschien von §| 

1 ANNA FREUD 

I § 

Einführung in die Technik der Kinderanalyse 

2., vermehrte Auflage — Geb. M 270, Ganzleinen M 4'— 1 



Aufschlußreich, besonders auch durch die ungeschminkte Darstel- 
lung der ungelösten Schwierigkeiten . . . Undogmatische Haltung. (Die 
neue. Erziehung) 

Das kleine Buch stützt sich auf zehn offenbar recht sorgsam durch- 
gearbeitete Falle und illustriert die Hauptgedanken durch zahlreiche 
Beispiele. ('Lcitsclvrift für Kinderforschung) 

Nicht nur in jener vorsichtigen, der Wirklichkeit Rechnung 
tragenden Formulierung verrat uns Anna Freud, wes Geistes Kind sie 
ist. (Neue Freie Presse) 

Dank der flotten, klaren Darstellung ist das Lesen des Buches ein 
Genuß. (Deutsches Phüologenblatt) 

Die Ausführungen sind sehr klar und instruktiv; sie erinnern in 
ihrer Art an die Schriften Sigmund Freuds, des Vaters der Verfasserin. 
(Frankfurter 'Leitung) 



Bj 



— 20 






Ein jugendliches Diebskleeblatt 

Von Hans Z uliiger, Ittigen (Bern) 

Die Behörden der Stadt B. mußten sich mit drei vierzehnjährigen Volks- 
schülern befassen, die eine ganze Anzahl von Diebstählen begangen hatten. Man 
entschloß sich, bevor man irgendwelche Maßnahmen ergriff, die Jungen ab- 
strafte oder sie in einer Zwangserziehungsanstalt unterbrachte, psychologischen 
Rat einzuholen. 

Einen Knaben, nennen wir ihn Heinrich X., hielt man für den gefähr- 
lichsten und für den Rädelsführer. Seine Schuld war es gewesen, daß die Diebe 
sich verrieten. 

In einer Schirmhandlung waren von einem Jungen eine Anzahl Regenschirme 
abgeholt worden. Er gab an, er stehe im Dienste einer bekannten, angesehenen 
und begüterten Kaufmannsfamilie und habe von der Dame des Hauses den Auf- 
trag erhalten, ihr aus dem Geschäft Schirme zur Auswahl zu überbringen, sie 
wolle einen für ihren Gatten auslesen. Der Inhaber der Schirmhandlung ver- 
traute dem ehrlichen Gesichte, der bescheidenen und höflichen Haltung des 
Jungen. Ohne weitere Erkundigungen übergab er ihm, was er wünschte. 

Als er sich dann ein paar Tage später bei der Kaufmannsfrau erkundigte, 
ob ihr einer der Schirme gefallen habe, und ob er die übrigen wieder abholen 
lassen könne, erhielt er die erstaunte Antwort, man wisse von der ganzen Ge- 
schichte nichts. 

Es erfolgte eine Anzeige an die Polizei, und die Sache sprach sich in der 
kleinen Stadt herum. Dann stellte sich heraus, daß in einem neuen Stadtviertel 
ein Junge in Begleitung eines kleineren Kameraden Regenschirme zu günstigen 
Preisen verhausiert hatte. Die Nachforschungen der Polizei führten jedoch zu 
keinem weiteren Ergebnis, die Jungen wurden nicht eruiert. 

Eines Tages aber sah eine der Frauen, die einen der wohlfeilen „Gelegen- 
heitsschirme" erstanden hatte, den Verkäufer die Straße heraufschlendern. Sie 
ließ telephonisch die Polizei verständigen und rief inzwischen den Jungen zu 
sich. Bald war auch ein Polizist zur Stelle, und es ergab sich, daß der Bub 
Heinrich X. hieß, der Sohn eines Werkmeisters in einem der industriellen Be- 
triebe und noch schulpflichtig war. 

Es stellte sich heraus, daß Heinrich noch zwei Komplizen hatte, Karl Y. 
und Raymond Z.,und daß das Kleeblatt schon während ungefähr 4 Monaten 
sein Unwesen trieb; man hatte in der Hauptsache Eßwaren, hie und da Zigaretten 
und einige kleine Geldbeträge, die man sofort in Eßwaren umwandelte, unter- 
schlagen oder gestohlen. 

Es wurde ein Verzeichnis über die Diebstähle aufgenommen. Sie beliefen 
sich auf einen Betrag von ungefähr 100 Franken. Man legte Geld zusammen, 
um alle die Geprellten oder Bestohlenen zu entschädigen. Das Kleeblatt erhielt 
den Auftrag, zu den Leuten hinzugehen und ihnen die Beträge nach dem Ver- 
zeichnisse einzuhändigen. 

Auf ihrer Fahrt kamen die Jungen in eine Spezereihaudlung, wo sie 12 Franken 
abgeben sollten. Es waren gerade viele Kunden im Laden, und als man der 
stark beschäftigten Geschäftsinhaberin den Zettel vorwies, glaubte sie, es handle 

- 21 — 



sich um eine Geldsammlung zu einem alljährlich wiederkehrenden Schul- und 
Jugendfeste. Sie sprach ihr Erstaunen aus, daß sie dermaßen viel bezahlen 
sollte, denn andere Jahre hatte man freiwillige Beiträge beliebig gezeichnet. Sie 
übergab den Knaben drei Franken, und sie gingen, ohne den Irrtum aufzuklären. 
Nachher erkundigte sich die Frau über die angebliche Geldsammlung und ver- 
nahm, daß man bei ihr gar nicht habe Geld holen, sondern solches hatte 
bringen sollen. 

Das Kleeblatt wurde zur Rede gestellt. Karl und Raymond erklärten, Heinrich 
habe sie durch Püffe und leise Zuflüsterungen veranlaßt, nichts zur Aufklärung 
des Irrtums mitzuteilen. Heinrich gab an, er habe sich vor der Frau und den 
Kunden geschämt, den eigentlichen Zweck des Besuches bekannt zu geben, und 
deshalb habe er geschwiegen. Karl habe auch von den mit den drei Franken 
gekauften Näschereien genommen, Raymond jedoch hätte sich nichts davon 
genommen. 

Es war nicht zuletzt dieses merkwürdige und undurchsichtige Verhalten 
der Jungen, was die Behörden veranlaßte, anderswo Hilfe zu suchen. Insbesondere 
fiel wiederum die Verhaltungsweise Heinrichs auf, sie verstärkte den Eindruck, 
daß er der Rädelsführer und ein ganz schlimmer Kumpan sei. 

Man schickte die Drei zu mir, wollte wissen, wie ich die Sache ansehe und 
was für Maßregeln ich als angezeigt betrachte. Karl und Raymond sah ich 
während je ca. 2 Stunden. Heinrich kam während einer größeren Anzahl von 
Stunden im Verlaufe von etwa 3 Monaten zu mir. 

Karl ist ein für sein Alter verhältnismäßig schmächtiger, unterernährter und 
verschlagener Proletarierjunge aus schlechten Verhältnissen. Er stammt aus einer 
Familie mit zahlreichen Kindern, wo der Vater allein verdient. Dieser ist ein 
untergeordneter Fabrikarbeiter und war schon mehr als einmal arbeitslos. Der 
Bub macht einen etwas verwahrlosten Eindruck. Er erzählt, wenn ich seine 
Berichte in chronologischer Reihenfolge wiedergebe: 

Er lernte seinen Schulkameraden Raymond erst näher kennen, als er 
nach einem Wohnungswechsel seiner Eltern den gleichen Schulweg gehen 
mußte wie dieser. Oft lungerten sie nach der Nachmittagsschule noch im Ge- 
schäftsviertel der Stadt herum, bewunderten hauptsächlich die Auslagen und 
Schaustellungen mit Eßwaren und beneideten die Leute, die dort von all den 
Gutsachen kaufen konnten. Ein Südfrüchtehändler hatte außerhalb seines Ladens 
einen kleinen Verkaufsstand auf der Straße vor seinem Hause. Nun begab es 
sich einmal, als gerade Karl und Raymond die Ausstellung im Schaufenster be- 
wunderten, daß der alte Händler zur Tür heraustrat und seinen Sohn, der 
den Verkaufsstand auf der Straße betreute, hereinrief, er müsse ihm etwas helfen. 

Karl und Raymond hörten dies und sahen, daß der unbewachte Verkaufs- 
stand vom Laden aus nicht beobachtet war, und sie benutzten die Gelegenheit, 
um rasch eine Handvoll Erdnüsse und ein Täfelchen Schokolade zu entwenden. 
Dann machten sie sich mit der Beute aus dem Staube. Am folgenden Tage 
kamen sie wieder, um sich zu überzeugen, daß man vom Diebstahl nichts ge- 
merkt hatte : sie plauderten mit dem jungen Händler. Nachher machten sie ab, 
künftighin bei passender Gelegenheit den Diebstahl zu wiederholen. 

Karl erzählte seinem Kameraden, daß er schon eine Reihe solcher kleiner 
Kostaufbesserungen getätigt hatte. Auch Felddiebstähle habe er begangen, prahlte 
er, und man habe bei ihm zu Hause nicht lange gefragt, woher die Kartoffeln, 

- 22 — 



der Kohlkopf, die Rüben und das Obst kamen, die er in der Küche abgab und 
von seinen Streifereien mitgebracht hatte. Ja, als er einmal bei Tische erzählt 
habe, wie er einen Bauern hinters Licht führte und bestahl, da hätten alle seine 
Angehörigen, auch der Vater, laut lachen müssen. 

In der darauffolgenden Zeit stahlen die Zwei beim ersten und dann auch 
bei den anderen Straßenhändlern Eßwaren, manchmal auch Zigarretten. Später 
sei dann Heinrich noch dazu gekommen, und er habe immer neue Streiche 
ausgedacht, die sie dann gewöhnlich gemeinsam ausführten. Karl gibt zu, er 
habe mitgeholfen, die 3 Franken, die man auf betrügerische Art von der 
Spezereihändlerin bei Anlaß der Schadengutmachung bekam, zu verbrauchen, 
weil er Hunger hatte. 

Als die Eltern Karls von der Untersuchung vernahmen, prügelten sie ihren 
Jungen durch. Er hatte halbwegs den Eindruck, man habe ihn hauptsächlich 
darum abgestraft, weil die Diebstähle an den Tag gekommen waren, nicht 
deshalb, weil man ihm seine Taten übel nahm und ihn zur Ehrlichkeit anhalten 
wollte. 

Raymond, ein grobschlachter, breitschultriger und dickköpfiger Junge, 
der größte der Drei, Sohn eines gelernten Arbeiters, war früher neben der 
Schule Ausläufer bei einem Zuckerbäcker. Wenn er dann zwei Dutzend Zehner- 
oder Zwanzigerstücklein irgendwohin bringen mußte, gab der Meister jeweilen 
noch ein Stück drüberein, also ihrer 25 statt 24. Eines Tages mußte der Junge 
25 Stücklein den Telephonfräuleins auf der Hauptpost überbringen, und sie 
schenkten ihm neben einem kleinen Trinkgeld ein Stück von den Bäckereien. 

Das brachte ihn auf den Gedanken, anderenortes, wo man ihm nur ein 
Trinkgeld überreichte, sich das 25. Stück selber zu nehmen, und es zu ver- 
zehren. Er lieferte dann nur die genauen zwei Dutzend ab. Einem Kunden, 
der nach dem Drübereinstücklein fragte, gab Raymond pfiffig zur Antwort, der 
Zuckerbäcker gebe nichts mehr obendrauf, weil der Mehlpreis aufgeschlagen 

habe. 

Das erzählte er dem Heinrich, der ihn ablöste und seine Ausläuferstelle 
übernahm, als Raymond eine besser bezahlte bekommen hatte. Heinrich sollte 
es machen wie er. Erstens, um auch zu gutem Essen zu kommen, und zweitens, 
damit es den Kunden des Zuckerbäckers nicht auffalle, wenn plötzlich, mit dem 
Erscheinen des neuen Ausläufers, die Zugabe des 25. Stückleins wieder erfolgte: 
so wäre Raymond verraten gewesen. 

Zu gleicher Zeit machte Raymond den Heinrich auf Karl aufmerksam. Er 
erzählte ihm, wie geschickt dieser beim Stehlen sei, und was sie schon alles 
zusammen geleistet hätten. Heinrich wurde eingeladen mitzumachen, und er 
nahm das Anerbieten an. Er hatte sich nach dem ersten gemeinsamen Dieb- 
stahl zuerst wieder von seinen Kameraden zurückziehen wollen, aber nachdem 
man ihm mit Verrat gedroht, ihm zugesprochen und ihn bei seiner Ehre ge- 
nommen hatte („Du bist doch kein solcher Feigling!"), habe er weiter mit- 
gemacht, und dies immer eifriger. 

Sie hielten oft, wenn sie an einsamen Stellen am Flußufer den Ertrag ihrer 
Diebereien verzehrten, unter der Führung Heinrichs langen Ratschlag ab, wie 
man auf leichte und vermehrte Art zu feinen Eßwaren kommen könnte. 

Man machte es beispielsweise folgendermaßen: die Drei gingen zu einem 
Spezereihändler, und zwar wurde eine Zeit ausspioniert, da sonst kein weiterer 

— 23 — 



Kunde im Laden war. Raymond sagte, er wollte eine große Kiste haben, er 
möchte sich damit einen Kaninchenstall zimmern. Die Jungen wußten genau, 
daß die Händler ihre großen, leeren Kisten nicht im Verkaufslokal hatten 
und genötigt waren, sich von dort zu entfernen. Gewöhnlich ging Raymond 
mit dem Krämer, und nachdem er mit ihm zusammen lange genug herum- 
gesucht hatte, erklärte er. es passe ihm keine der Kisten, oder er habe zu 
wenig Geld bei sich. Unterdessen hatten sich seine Kumpane rasch mit Scho- 
kolade, dürren Pflaumen, Aprikosen, Biskuits, Rauchwaren usw. versorgt, hie 
und da ließen sie auch kleinere Beträge aus der Ladenkasse, ein Fünfzigrappen- 
stück, einen Frankier oder Zweifränkler mitlaufen. Sie hüteten sich, auf einmal 
und am selben Ort viel zu stehlen, damit es nicht auffalle. Die Beute wurde 
brüderlich verteilt, und aus dem Gelde wurden in der Regel Würste gekauft. 

Derjenige unter ihnen, der immer neue Ideen brachte, um die Ladeninhaber 
zu betrügen oder zu bestehlen, war Heinrich. So hatte er auch die Geschichte 
mit den Regenschirmen ausgeheckt und sie mit Karl zusammen ausgeführt. 

Raymond machte nicht mit, weil er dieser Sache mißtraute. Er warnte die 
Kameraden, hatte jedoch keinen Erfolg. Als man jene drei Franken, um die 
man bei der Schadenrückerstattung die Krämerfrau betrogen hatte, verputzte 
half er nicht mit, um nicht auch noch in diese Sache hineingezogen zu werden. 
Er habe den Irrtum darum nicht vor der Frau berichtigt, um nicht den Hein- 
rich noch tiefer in Schuld zu verstricken. Daß er sich durch sein Verschweigen 
mitschuldig machte, trotzdem er dann beim Verzehren der gekauften Eßwaren 
nicht mithalf, daran dachte er nicht. 

Als Raymond zu mir kam, hatte ich bald den Eindruck, es mit einem etwas 
verblödeten und trotz seiner Größe furchtsamen Jungen zu tun zu haben. Er 
ließ es zuerst nicht an einem plumpen Versuche fehlen, die von ihm begon- 
nenen Unterschlagungen der Backwaren zu verschweigen und sie dann auf 
einen einzigen Fall zu reduzieren. Denn dort fühlte er sich am meisten be- 
lastet. Schließlich gab er doch alles zu, was Karl mir schon verraten hatte. 
Bei den gemeinsamen Diebstählen war er fast immer nur Gehilfe gewesen 
oder war Schmiere gestanden, hat aber gewöhnlich nicht selber gestohlen. Er 
fürchtete sich vor den Folgen für den Fall, daß einmal etwas auskomme, aß 
jedoch immer gerne mit und war nie schwer zur Mithilfe zu bewegen gewesen. 
Der Entschluß zur Mithilfe oder zu einem Diebstahl sei immer plötzlich und 
bestimmt über ihn gekommen, sodaß er seinem Drange nicht habe wider- 
stehen können. Aus seinem Berichte über die von ihm überstandenen Krank- 
heiten, über bestimmte Symptome (u. a. Absenzen) über sein Befinden und sein 
Leben mußte ich schließen, daß seine Debilität einen weiteren Hintergrund 
hatte. Der Testversuch nach Dr. H. Rorschach 1 , den ich mit ihm an- 
stellte, bestätigte die Vermutung und ließ auf epileptoide Veränderungen 
schließen. 

Heinrich ist ein langgeschossener Junge mit schlechter Haltung. Er läßt 
die Schultern vorhängen, als ob er eine Last trüge oder gerne kleiner wäre. 
Seine Stimme klingt gebrochen. Seine Bewegungen sind oft sehr ruhig, manch- 
mal rasch und nervös, der Blick bald verlegen und dann wieder treuherzig. 
Eines seiner Brillengläser ist gespalten. Er hat die Brille fallen lassen, bevor 

1) Dr. H. Rorschach, Psychodiagnostik, Verlag Bircher, Bern. 

— 24 - 



\ 



er die Reise zu mir antrat. Die Augenränder sind gerötet. Geweint habe er 
nicht, sagt er, hingegen habe er sehr Angst gehabt und wäre lieber nicht ge- 
kommen. Er erwartete, daß ich ihn bestrafen würde, wie, das will er sich 
nicht ausgedacht haben. 

Mit dem Berichte über die Diebstähle rückt er ohne weiteres heraus. Seine 
Aussagen decken sich mit denjenigen seiner einstigen Freunde. Er fügt bei, 
daß man die Drei, die ursprünglich in die gleiche Schulklasse gingen, sofort zu 
verschiedenen Lehrern verteilte, nachdem die Diebstähle ausgekommen waren. 
Der Zweck dieser Maßnahme sollte sein, daß sie sich weniger antrafen. Be- 
sonders der Unterricht in den Spezialfächern wie Turnen, Zeichnen und Hand- 
fertigkeit ist für die verschiedenen Klassen zu besonderen Zeiten festgesetzt 
und findet nicht an den gleichen Halbtagen statt. 

Die Trennung des Kleeblattes, die Sprengung der Freundschaft und die Um- 
wandlung der Zuneigung in Haß kam jedoch aus anderen, wichtigeren Gründen 
zustande. Vor den Behörden sagte nämlich jeder gegen seine zwei Mithelfer 
aus, ganz besonders suchten Karl und Raymond sich zu entlasten und die 
Kameraden als räudige Schafe hinzustellen. Nur Heinrich wehrte sich eigent- 
lich nicht für seine Haut, dahingegen hatte er darüber Bericht erstattet daß 
Karl schon Eßwarendiebstähle hinter sich hatte, bevor das Kleeblatt sich zu- 
sammenschloß. Das brachte ihm die erbitterte Feindschaft Karls ein Von 
Raymond sagte Heinrich aus, daß dieser ihn zu den Unterschlagungen des Back- 
werks anhielt. Raymond und Karl fanden, der Kamerad hätte darüber schweigen 
und als echter Freund überhaupt seine Mithelfer nicht verraten sollen. Es hatte 
jremurt, wenn Heinrich ausgebracht hätte, daß er im Vereine mit Karl die 
Schirme an den Mann brachte, von allem anderen habe niemand etwas gewußt 
und es sei gar nicht nötig und kreuzdumm gewesen, wenn nicht schlecht, ciau 
Heinrich auch die übrigen Diebereien eingestand und seine „Kollegen mit ms 
„Verderben" zu bringen suchte. 

Bei der ersten Untersuchung durch die Behörden suchten Karl und Raymond 
zuerst zu leugnen. Im Kreuzverhör und bei der Gegenüberstellung jedoch ver- 
wickelten sie sich in Widersprüche und gaben schließlich alles zu. Aber von 
diesem Zeitpunkt an war es mit der Freundschaft zu Heinrich aus. 

Heinrich erzählt, es habe an einem Tage geregnet, und da sei ihm, als er 
auf einem Gange an dem Schirmgeschäft vor überschritt, in den Sinn gekom- 
men, er könnte einen Schirm für sich gebrauchen. Erst nachher habe er den 
Plan gefaßt, sich gerade in den Besitz von mehreren Schirmen zu setzen um 
den Überfluß zu verkaufen. Und als er mit den Schirmen hausierte, da habe 
er den letzten auch noch fortgegeben. Auf die Frage, weshalb er denn keinen 
für sich behielt, gibt er an, es sei inzwischen wiederum schöneres Wetter an- 
gerückt gewesen. Karl half beim Hausieren mit. 

Heinrich macht den Eindruck eines Neurotikers. Er hat einen um zwei 
Jahre älteren Bruder und eine um anderthalb bis zwei Jahre jüngere Schwester. 
Er fühlt sich als das Korn, das zwischen den beiden anderen „Mahlsteinen 
gemahlen wird. Das Schwesterchen werde gehätschelt und verzogen. Der ältere 
Bruder brauche ihn, um allen Dreck zu machen. Beide Geschwister benutzten 
ihn vor den Eltern als Sündenbock, wenn etwas Dummes angestellt worden sei. 

Anderthalb Jahre vor Beginn der Diebstähle und bevor Heinrich eine Aus- 
läuferstelle hatte, schickten ihn seine Eltern häufig in den Wald, um dort Holz 

— 25 — 






zu sammeln. Dabei kam der Junge mit einem Klub von gleichaltrigen und halb- 
wüchsigen Jünglingen in Verbindung. Sie erzählten sich die saftigsten Zoten 
schilderten sexuelle Beobachtungen an Mädchen und Frauen, und der älteste" 
der Burschen, der Anführer, berichtete über seine Erlebnisse mit einer ver- 
heirateten Frau. Dabei zeigte er auch Kondoms vor, gab Belehrungen über 
deren Gebrauch und über den Koitus. Nachdem man sich auf diese Art gegen- 
seitig genügend begeilt hatte, onanierte man gemeinsam. Heinrich wurde, als 
er das erstemal mit von der Partie war, an seinen Geschlechtsteilen untersucht 
und eingeladen, bei der Orgie mitzuhelfen, und er half. 

Die Berichte über die Geschlechtsteile der verheirateten Frau und den Ver- 
kehr mit ihr brachten ihn jeweilen ganz besonders in Erregung. Er stellte sich 
selber in den vom Anführer erzählten Situationen vor und bekam dabei Herz- 
klopfen vor Lust und Angst. In der Folgezeit onanierte er nicht allein im 
Walde, sondern auch zu Hause im Bett, auf dem Abort, im Estrich und im Keller. 

Sein Bruder ertappte ihn einmal dabei und drohte ihm, was alles mit ihm 
geschehen wurde, wenn er auf diese Weise seine „besten Kräfte" vergeude Es 
handelte sich um die üblichen Onaniedrohungen, wie sie eine gewisse pseudo- 
wxssenschafthche Literatur heute noch unterstützt und aufrecht erhält. Heinrich 
konnte jedoch der Versuchung nicht leicht und nie lange widerstehen. Mit dem 
Klub wollte er brechen, ging später aber wieder hin. Ihn lockten die Schilde- 
rungen des Bädeisführers. Zudem stellten sich, wenn er sich ein paar Tage 
zurückhielt, wollüstige Träume und Pollutionen ein, und das erschreckte ihr. 
Es passierte ihm, daß er, nachdem er sich drei Tage lang die Onanie versagte, 
um vierten dafür drei- oder mehrmals masturbierte. 

Nachdem ihn sein Bruder gewarnt hatte, fing er an, sich peinlich darüber 
zu beobachten, ob sein Gedächtnis und seine Denkkraft an Schärfe abnahmen, 
oder ob er andere Zeichen seines geistigen Zerfalles an sich wahrnehme. Er 
dachte, man sehe ihm sein geheimes Treiben an. Darum suchte er zu vermei- 
den, daß man ihm ins Gesicht blickte. So erklärt er seine schlechte, vornüber 
gebeugte Haltung: damals habe er sich diese angewöhnt. Später fügt er noch 
bei, wenn man sich vornüber halte, dann sehe man es einem nicht an, wenn 
das Glied steif sei, weil dann die Hosen am Bauche nicht mehr so straff sitzen. 
Eines Tages nun vergaß Heinrich, den Kellerschlüssel nach Gebrauch an 
den richtigen Platz zu hängen. Er hatte Kartoffeln heraufgeholt und bei dieser 
Gelegenheit onaniert. Nun steckte er den Schlüssel in die Hosentasche, zog am 
Morgen darauf andere Beinkleider an, und als man den Schlüssel nötig hatte 
und suchte, fand er ihn erst dann und nur zufällig, als man schon zum Schlosser 
gelaufen war. 

Dieses scheinbar unbedeutende Erlebnis war ihm das erschreckende Zeichen 
der beginnenden Verdummung infolge der Onanie, die er jetzt auch dem Vater 
den er angeblich lieber hat als die Mutter, verriet. Dieser malte ihm nun den 
leufel mit noch ganz anderem Applomb an die Wand, als es vorher der 
Bruder getan hatte. 

„Man hat es dir schon lange angemerkt", schalt er ihn. ,Du bist ja schon 
jetzt ganz stumpfsinnig!" 

Dieser Ausspruch aus dem Munde des Vaters erschütterte Heinrich nicht 
nur, er erbitterte ihn, denn er fand ihn ungerecht. So sehr als blödsinnio- 
schätzte er sich denn doch nicht ein. Er verglich sich mit dem Vater, dessen 

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Schwächen er kennt, und fand, Herr X. habe keinen Grund, ihn dermaßen 
herabzuschätzen, er merke es ja auch nicht immer, wenn ihn seine Tochter 
oder der ältere Sohn belogen. 

Aufgefordert, sich genau an jenes Erlebnis zu erinnern, als er den Schlüssel 
verlegte, auch an das, was vor- und nachher geschehen sei, berichtet er: er hat 
der Mutter mitgeholfen, Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Als die Zeit zum 
Kochen heranrückte, schickte ihn Frau X. in den Keller. Nachher rief sie ihn, 
er solle die Wäsche fertig aufhängen, sie ging weg um zu kochen. Es sei müh- 
sam gewesen, die Wäschestücke aufzuhängen, weil die Brise stark wehte. Er 
hätte lieber gekocht. Dazu schämte er sich vor den anderen Kindern, besonders 
darum, weil der Wind die Hosen der Mutter aufblähte. Auf meine Frage, ob 
er schon vorher gelegentlich beim Wäscheaufhängen mitgeholfen und sich dabei 
schokiert gefühlt habe, gibt Heinrich die Auskunft, ja, er habe die Arbeit 
früher auch schon verrichtet, doch hätte er sich dabei nichts weiter gedacht. 
Auf meine neuerliche Frage, warum es ihm denn wohl früher nichts gemacht 
habe, erklärt der Junge, damals sei er eben noch „kleiner" gewesen. 

Vom Zeitpunkt der Fehlhandlung mit dem Schlüssel an datiert bei Hein- 
rich der Kampf gegen seine Triebe. Mit dem Klub brach er nun ganzlich. 
Dies wurde ihm um so leichter, als er jetzt die Ausläuferstelle erhielt, wo er 
gleich auf Veranlassung Raymonds den kleinen Kuchen unterschlug und für 
sich selbst aß. Das erstemal packte ihn die Angst, die Unterschlagung konnte 
auskommen, er könnte bestraft und von der Stelle gejagt werden. Raymond 
und dann Karl sprachen ihm zu und trösteten ihn zuversichtlich. Er beruhigte 
sich bald, fand Freude an seinem Streiche, und als er merkte, daß nichts aus- 
kam, wiederholte er ihn ohne allzugroße Angst, 

Die Diebstähle seiner Kameraden lockten ihn und regten ihn auf. Es gelüstete 
ihn, dabei teilzunehmen, um wie sie recht oft zu vornehmer und, wie er sagte, 
„reich wertiger" Nahrung zu kommen. 

Er beteiligte sich also, die Diebereien nahmen sein Interesse immer mehr 
gefangen, er half dabei immer aktiver mit, und jetzt, ohne daß er daran dachte 
oder sich willenmäßig anstrengte, gelang es ihm zum erstenmal^ mehrere 
Wochen lang nicht zu onanieren. Er behauptete, während dieser Zeit auch 
keine „solchen" Träume und Pollutionen mehr gehabt zu haben Vielmehr 
plagten ihn jetzt Angstträume, worin er sich stereotyp von fremden Tieren 
verfolgt fühlte. Diese Träume waren ihm weniger schrecklich: wenn er daraus 
erwalte, so freute er sich, daß er nur geträumt hatte und nichts weiteres ge- 

schehen war. ' . , .. , 

Daß die Diebstähle und die Angstträume etwas mit der Onanieunterdruckung 
zu schaffen hatten und damit im Zusammenhange stehen konnten, darauf kam 

er nicht. „ _ „..,, ., . 

Ihn trieb, wie er sich ausdrückte, „eine Art Fieber". Es erfüllte ihn mit großer 
Spannung, neue Streiche auszuhecken. Am schönsten dabei sei gewesen, die Ge- 
fahr zu bestehen, die man durch vorheriges Nachdenken und dementsprechendes 
Handeln vermeiden konnte. Es machte ihm Freude, „bessere" Leute, und zwar 
Erwachsene zu schädigen, zu übertölpeln und zu sehen, daß er klüger war als sie. 
Offenbar drehten sich seine Gedanken zwangsmäßig um die Diebstähle und 
das Problem ihrer neuen Arrangements, um damit seine Phantasien nicht anderen, 
„gefährlicheren" Inhalten zuzuwenden, nämlich der Onanie. 

— 27 - 



Nach dem ersten Rückfall in seine „üble Gewohnheit", einige Wochen nach 
Beginn seiner Tätigkeit als Dieb, war er sehr erschrocken, und bevor er wieder 
etwas stahl, machte er eine kurze Karenzzeit durch. „Ich darf nicht mehr 
onanieren", dachte er, „damit ich meinen Willen und meine geistige Kraft für 
die Schelmereien vollständig zur Verfügung habe!" 

Daß es ihm besser als seinen Kameraden gelang, neue Arten von Betrüger- 
eien und Diebstählen auszudenken, erfüllte ihn mit Zuversicht und gab ihm den 
Beweis, daß ihm seine Onaniezeit doch noch nicht allzusehr geistig geschadet 
habe, und daß sein Vater mit dem Ausspruche, er sei schon ganz Stumpfsinnig 
im Unrecht war. 

Das Verzehren von guter und „reichwertiger" Nahrung bereitete ihm Lust. 
Nicht allein darum, weil er Süßigkeiten und Würste gerne verzehrt. Heinrich 
fühlte sich durch den „Verlust der besten Säfte" geschwächt und dachte sich 
aus, er könne das Manko durch reichliches und „reichwertiges" Essen ausgleichen 
oder doch teilweise wieder wettmachen. 

Während einer der letzten Besprechungen, zu denen Heinrich kam, teilte 
er mir mit, seine Mutter habe einem neuen Geschwisterchen, einem Mädchen, 
das Leben gegeben. „Als ich wegging, um zu Ihnen zu kommen, lag es schön 
und friedlich und unschuldig bei der Mutter und trank!" schildert er, und 
seine Stimme vibriert fast vor Rührung. 

Er behauptet, von dem Zustande der Mutter erst etwas gemerkt zu haben, 
als sie seiner Schwester einmal nach dem Abendessen und in seiner Gegenwart 
mitteilte, sie erwarte ein Kind. Genauer ausgefragt, erzählt er: die Mutter 
strickte an einem kleinen Jäckchen, da fragte die Hilda (das Schwesterchen), 
warum sie das mache. Die Mutter antwortete, daß bald ein Brüderlein oder 
ein Schwesterlein anrücke. Auf die Frage, ob die Mutter damals zum ersten- 
mal an Kleinkinderkleidern gearbeitet habe, erklärt Heinrich: doch, das habe 
sie schon recht lange vorher auch schon getan, aber er hätte sich nichts dabei 
gedacht. Als ich behauptete, er müsse sich doch etwas gedacht haben, meint 
er, er habe vielleicht angenommen, sie wolle das Kindszeug verschenken. Er 
weiß über den Zeitpunkt, da er seine Mutter bei der Durchsicht oder beim 
Nähen von Kleinkinderwäsche beobachtete,* nichts auszusagen, es seien jeden- 
falls schon Monate seither verstrichen. Dahingegen weiß er noch genau, wann 
er vernahm, daß Familienzuwachs anrücken würde; am Tage nachher habe er 
die Sache mit den Regenschirmen erdacht aud ausgeführt. 

Die Vermutung ist sehr naheliegend, daß Heinrich aus Verdrängungsgründen 
die schon lange vorher beobachtete Gravidität der Mutter nicht bewußtseinsfähig 
werden lassen konnte. Es hätte ihm mindestens verdächtig erscheinen müssen, 
als er die Mutter mit Kinder wasche beschäftigt sah. Aber er unterlag einer 
Denkhemmung, deren unbewußte Motive wir jetzt noch nicht erkennen können. 
Sie ist jener anderen Denkhemmung gleichzustellen, der man recht häufig bei 
neurotischen Bauernkindern begegnet: sie schauen der Begattung der Haustiere 
zu und sind doch nicht imstande, den Schluß zu ziehen, daß bei der Zeugung 
eines Menschen ein analoger Vorgang stattfindet. 

Die Nichtbeachtung der Gravidität der Mutter schien mir bei Heinrich ein 
sehr wichtiges Zeichen zu sein, und ich suchte herauszubringen, ob der Vorfall mit 
dem Kellerschlüssel nicht damit in Verbindung stehe. Es ließ sich leicht aus- 
rechnen, daß er auf eine Zeit fiel, als Frau X. im 4. bis 5. Monate gravid war. 

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Ob sie sich schon damals um die Säuglingswäsche sorgte, konnte nicht sicher 
festgestellt werden. 

Trotzdem dürfen wir mit der Möglichkeit rechnen, daß der veränderte Zu- 
stand der Mutter dem Jungen nicht verborgen blieb. Denn erst mit dieser An- 
nahme bekommt die Fehlhandlung einen tieferen Sinn. 

Als ich Heinrich versicherte, er habe mit der Fehlhandlung etwas gewollt, 
und sie sei nicht sinnlos, gab er an, daß ihm der Bruder nach dem Onanie- 
geständnis überall aufpaßte. Indem er den Schlüssel in die Tasche steckte, habe 
er verhindert, daß der Bruder im Keller nachkontrollierte und möglicherweise 
Spuren von Heinrichs Tat vorfand. Außerdem habe er Angst gehabt, es könnte 
ihn noch ein anderes Familienmitglied einmal erwischen, was bei jenem Male 
durch das Mitnehmen des Schlüssels vermieden wurde. 

Wir beurteilen diese Aussagen als Rationalisierungen, umsomehr, wenn wir 
vernehmen, daß der Bruder damals gar nicht zu Hause war. 

Der Schlüssel ist uns aus der Traumsprache und aus den Andeutungen im 
vulgären Sprachgebrauche als Penisäquivalent wohlbekannt. Der Keller ist ein 
gebräuchliches Mutterleibssymbol. Der Sinn der Fehlhandlung ist darin zu suchen, 
daß sich der Junge des väterlichen Penis bemächtigt, nachdem er den mütter- 
lichen Schoß abgeschlossen hat, das heißt, Heinrich leugnet durch eine sym- 
bolische Handlung das, was er zuvor beobachtete: die Gravidität der Mutter, 
er macht sie gleichsam ungeschehen. 

Man soll aber auch nicht merken, daß er im Keller onanierte. Denn diese 
Onanie entspricht dem Mutterinzeste. Das Abschließen des Kellers hat also auch 
den Sinn, daß Heinrich zugleich mit der Mutter Inzest treibt, und zwar mit 
dem Penis (=Schlüssel) des Vaters, dessen er sich bemächtigte d. h. indem er 
den Vater kastrierte. 

Bei der ganzen Fehlhandlung sehen wir Kräfte am Werke, die dem Ödipus- 
komplexe entsprungen sind. Wenn wir uns fragen, weshalb denn gerade zu 
diesem bestimmten Zeitpunkte die Fehlhandlung geschah, dann liegt die Ant- 
wort wohl darin, daß Heinrich die Gravidität der Mutter 
beobachtet haben mußte. 

Dieser Beobachtung sind wir nicht vollständig sicher. Wir wissen nur, daß 
er sich dagegen bewußt wie blind verhielt, das sagt uns sein Verhalten dort 
deutlich, wo er die Mutter mit Säuglingskleidern beschäftigt sieht. Wir führen 
noch ein Indiz dafür an: Heinrich schämt sich beim Wäscheaufhängen deshalb, 
weil sich die Hosen der Mutter im Winde aufblähen. Wir könnten uns denken: 
Er sagt die Hosen und meint den Leib der Mutter, so wie man den Sack 
schlägt und den Esel meint. 

Vorläufig haben wir noch keinen zwingenderen Beweis für die Annahme, 
daß der Junge die Schwangerschaft der Mutter beobachtete. 

Der Vorfall mit dem Schlüssel war für Heinrich entscheidend und bedeutet 
einen Wendepunkt in der Geschichte seiner Entwicklung: er bedeutet den 
Durchbruch der ernsthaften und schuldbewußten Onanieunterdrückung 
und der Verschiebung der verdrängten Impulse ins Kriminelle, denn jetzt be- 
ginnen die Diebereien. 

Verfolgen wir unsere Hypothese noch ein Stück weiter. Warum, fragen wir 
uns, löst die Beobachtung der mütterlichen Gravidität die Fehlhandlung und 
den Entwicklungsschub aus? 

- 29 - 



Darum, weil sicli Heinrich für den Zustand der Mutter 
verantwortlich, und weil er den Inzest verraten fühlt. Denn 
seine Onaniephantasien galten der Mutter. Das wissen wir nicht erst aus der 
Deutung der Fehlhandlung. Wir haben gehört, daß ihn im Walde besonders 
die Erzählungen des Rädelsführers aufregten, die sich um den Geschlechts- 
verkehr mit einer verheirateten Frau drehten. Heinrich gesteht weiter, daß er 
sich, wenn er onanierte, den Schoß jener Frau, die er nicht kannte, vorstellte. 
Er ließ sich nie, wie es andere Mitglieder des Klubs machten, von Kameraden 
onanieren, denn solches, sagt er, hätte ihn bei der Vorstellung des Frauen- 
schoßes gestört. Eher schloß er bei seinen Manipulationen die Augen, um leb- 
hafter phantasieren zu können. 

Aus analogen Fällen dürfen wir als sicher annehmen, daß Heinrichs Onanie- 
phantasien den Inzest mit der Mutter zum Inhalte hatten. Der Schoß jener 
unbekannten verheirateten Frau, dessen Vorstellung ihn so aufregt, ist der 
Schoß der Mutter: Heinrich identifiziert sich bei der Onanie mit dem älteren 
Burschen, der einem verheiratetem Manne die Gattin wegnimmt, und er be- 
geht somit die Ödipustat, für die er Strafe erwartet. Nur auf diese Weise ist 
verständlich, weshalb der an" sich recht wenig bedeutende Vorfall mit dem 
Kellerschlüssel so weitgehende Folgen zeitigte. 

Er ist für den Jungen ein Zeichen der bereits deutlich hervorgebrochenen 
Kastrationsangst: Heinrich glaubt sich infolge der Onanie in seinen 
geistigen Kräften geschädigt (Verblödung), und als ihm der Vater, dem er aus 
lauter Angst die Onanie eingesteht, was aus äußeren Gründen gar nicht nötig 
gewesen wäre, seine eigene Erklärung und Annahme bestätigt, fühlt er sich 
sehr getroffen. So sehr, daß er Beweise dafür nötig hat, daß er und sein 
Vater nicht recht haben. Er prüft seinen Scharfsinn beim Ausdenken von 
Diebereien. 

Diese haben den Sinn, Erwachsene zu übertölpeln. Sie zeigen ihm deutlich, 
daß er sich noch im Vollbesitze seiner geistigen Kraft befindet, d. h. daß er 
durch die Onanie noch nicht kastriert worden ist. Durch die „reich wertigen " 
Speisen führt er sich Kraft zu, die er eventuell doch verloren hat. 

Damit ist jedoch der Symbolwert der Diebstähle noch nicht restlos erklärt. 
Sie bedeuten die Kastration des Vaters. In den Ladeninhabern, die Heinrich 
schädigt, nimmt er seinem Vater den Penis und die Potenz (Eßwaren, Besitz, 
Geld) weg, schmälert ihn und stellt sich selber als potenter (klüger) hin. 

Das geht bis zu dem Zeitpunkt, da Heinrich die Gravidität der Mutter 
nicht mehr länger wegleugnen kann, weil sie diese selbst eingesteht. Da stiehlt 
er die Regenschirme. Diese Tat bedeutet neuerdings das Hervorbrechen von 
Schuldgefühlen und eine neue Phase in des Jungen Entwicklung. Denn bis 
dahin waren seine Diebereien so gut überlegt und gerissen ausgeführt, daß sie 
niemand entdecken konnte. Der Schirmdiebstahl nun ist viel plumperer Art. 
Zudem wird zum erstenmale ein bedeutender Diebstahl an anderen Objekten 
ausgeführt als an Eßwaren und Geld. Die Bedenken Raymonds werden in den 
Wind geschlagen, das Unvorsichtige wird getan. 

Es sieht so aus, als ob Heinrichs Unbewußtes es hätte erzwingen wollen, 
daß man ihn erwische. 

Als der Streich nicht auskommt, treibt es den Verbrecher an den Tatort 
zurück, wo er erwischt wird. Er hätte nicht dorthin zu gehen brauchen, er geht 

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dennoch, und er schlendert, gleichsam um den ehemaligen Schirmkäuferinnen 
genügend lange Zeit zu lassen, um ihn zu erkennen. 

Die selhstverräterische Absicht bei dem Schirmdiebstahl wird augenfällig. 
Während die ersten Diebstähle der Negierung der Ödipus- 
tat und des Mutterinzestes galten, dient der letzte dem 
Sühne- und S tr af b edür f n i s des sich vollständig entlarvt 
sehenden (phantasierten) Blutschänders. Denn das Strafbedürfnis 
ist durch die mütterliche Bestätigung der Gravidität endgültig zum Durchbruch 
gelangt. Dafür zeugt auch das Verhalten Heinrichs bei der nachfolgenden Unter- 
suchung. Er wehrt sich nicht, er gesteht alles zu und noch viel mehr, als man 
von ihm verlangt. 

„Als ich Red' und Antwort stehen mußte, da habe ich mich nicht ge- 
wehrt", erzählte er. „Ich dachte immer, wenn die Leute erst alles von mir 
wüßten — sie haben ja keine Ahnung, was für ein schlechter Mensch ich bin! 
Ich kann nicht hart genug bestraft werden — die Diebstähle sind die kleinere 
Sünde — und von der anderen wissen sie nichts!" 

Mit der „anderen" Sünde meinte Heinrich seine Onanie. Wir könnten nicht 
verstehen, warum er nun so heftig mit Schuldgefühlen darauf reagiert, nach- 
dem er sie doch seinem Vater eingestanden hat. Wenn wir jedoch bedenken, 
was hinter der Onanie für Phantasien stecken, deren Inhalt ihm gewiß nicht 
bewußt ist, deren Gewissensbelastung er jedoch dennoch zu tragen hat, dann 
verstehen wir die Bedeutung des Ausspruches von der „größeren" Sünde. Es 
sind der Inzest und seine Folgen, die Gravidität, und wir sind über Heinrichs 
Verhalten nicht länger verwundert. 

Er habe sich für die gravide Mutter geschämt und sie kaum mehr anschauen 
dürfen, vernehmen wir weiter, und er habe große Angst um sie gehabt, Sie 
war ihm eben der leibhaftige Beweis seiner „Sünde". 

Das Schwesterlein habe er vom ersten Augenblicke an sehr lieb gehabt, 
erzählt er. Das wird wohl einer Reaktionsbildung entsprechen, denn sicher hat 
er einst das Zeichen seiner Schuld weggewünscht. Und dann wird er, der 
Häßliche, mit sich Unzufriedene und Schuldige nicht umsonst so gerührt 
worden sein, als er das Kind „schön, friedlich und unschuldig bei seiner Mutter 
liegen und trinken" sah. Wir dürfen in Heinrichs Schilderung von dem Säugling 
sowohl einen Identifikationswunsch als auch unbewußten und überkompensierten 
oralen Neid vermuten. 

Aber kehren wir wieder zum Schirmdiebstahl zurück. Er zeigt eine kompli- 
ziertere Struktur und Symbolik als die vorangegangenen Eßwarendiebstähle: 

1) Heinrich eignet sich im gehäuften Symbole den Penis seines Vaters an 
(der Schirmhändler ist seine Ersatzperson, Schirm = Penis), d. h. er kastriert 
den Vater nochmals. 

2) Heinrich gibt die Schirme um wenig Geld an Frauen ab. Das bedeutet, 
daß er den Wert des väterlichen Penis herabzusetzen sucht, daß er ihn ent- 
werten will, und er liefert ihn an seine Mutter (= Frauen) ab. Dies hat einen 
doppelten Sinn; es ist eine Art von Wiedergutmachung, bedeutet jedoch auch 
eine Maßnahme, um die Mutter vor dem väterlichen Penis zu schützen. Denn 
wenn er ihn an sie abgibt, so verfügt sie und nicht der Vater darüber. Der 
Regenschirm hat jedoch noch eine besondere Bedeutung. Mit ihm schützt man 
sich vor dem Regen. Aus der Traumlehre und der Deutung der freien Ein- 

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. 



fälle -wissen wir, daß der Regen das Sperma versinnbildlicht, das Tuch am 
Schirme den Kondom, der ja Heinrich nicht unbekannt ist. 

3) Die Abgabe der Schirme bedeutet ferner die Selbstkastration, denn Hein- 
rich gibt scliließlich auch den letzten Schirm weg, den er ursprünglich für 
sich behalten wollte (den Penis des Vaters für sich behalten). 

4) Das ganze Arrangement des Schirmdiebstahles dient der Tendenz zum 
Selbstverrate und zeugt von einem starken Sühnebedürfnis. Für das letztere 
spricht auch das Verhalten Heinrichs bei der Festnahme und Untersuchung, 
wo er sich nicht verteidigt und es ruhig geschehen läßt, daß sich die Gewitter- 
wolken über seinem Haupte zusammenballen. Durch die Angabe aller früheren 
Diebstähle verschlimmert er seine Position noch mehr. 

Möglicherweise geht auch das merkwürdige Verhalten Heinrichs bei der 
Krämersfrau, der er die zwölf Franken hätte bringen sollen und die er statt dessen 
um drei betrog, auf Bestrafungswünsche zurück. Dieses Detail seiner Handlungen 
blieb unaufgeklärt, weil die Besprechungen mit mir vorzeitig abgebrochen 
werden mußten. Schuld am Abbruche waren hauptsächlich die Einmischung 
von Vater X. und der Schwester Hilda, die den Burschen beständig sekkierten. 
Sie bedrängten ihn auch deshalb, weil er „so lange und viel länger als die 
anderen Zwei" zu mir kommen mußte, und weil ihn schließlich Herr X. unter 
Drohungen über unsere Gespräche ausquetschte. Er ließ mir sagen, sein Junge 
habe keine Zeit mehr, um zu mir zu kommen, weil er den Säugling betreuen 
müsse, und um Heinrich nicht in weitere Diskussionen mit seinem unverständi- 
gen Erzeuger zu stoßen, gab ich mein Einverständnis zum Abbruch. Über das 
Verhalten Heinrichs bei der Krämersfrau können also nur Vermutungen auf- 
gestellt werden. Neben dem Strafbedürfnis gaben vielleicht noch orale Ansprüche 
an die Mutter (Verkäuferin) ein Motiv zur Tat. 

Wir wollen hier unseren Gedankengang unterbrechen, das Ganze überblicken 
und eine Gewißheit gewinnen. Bis jetzt haben wir nicht mit Sicherheit fest- 
stellen können, was den Anlaß zu der Fehlhandlung mit dem Kellerschlüssel 
gab, und was sie bedeutet. Wir errieten, daß Heinrich damals, im vierten oder 
fünften Monat der Schwangerschaft der Mutter, ihren Zustand beobachtete, ihn 
jedoch aus Schuldgefühlen nicht bewußtseinsfähig werden ließ, etwas wie einen 
Schock erlitt und die Fehlhandlung darum beging, um symbolisch die Gravidität 
als untatsächlich darzustellen. Wir hatten Beweise dafür, daß Heinrich die 
Schwangerschaft nicht sehen wollte, und wir verzeichneten einen gleichsam 
symbolischen Beleg dazu, daß er unmittelbar vor der Fehlhandlung die Gravidität 
wahrnahm: die Sache mit den geblähten Hosen. Mit der Hypothese, Heinrich 
habe am Tage der Fehlhandlung die mütterliche Gravidität zum ersten Male 
entdeckt, ließ sich vorzüglich operieren, und alles andere Material stimmte 
damit überein. Aber wir hatten doch immer das unbehagliche Gefühl, es klaffe 
da eine Lücke, und unser Gebäude sei doch vielleicht auf Sand gebaut. Ein 
Kritiker, dachten wir, anerkennt unseren oben zitierten Beweis nicht als stich- 
haltig genug. Ein Advokat, den wir Heinrich gegen unsere Argumentierung 
gäben, würde sofort die schwache Stelle entdecken und aufgreifen, um unsere 
ganze Arbeit in Frage zu ziehen. Einen überzeugenden Indizienbeweis können 
wir erst jetzt geben, nachdem wir das Erlebnis mit den Regenschirmen auf- 
gearbeitet haben. 

Zu diesem Zwecke wollen wir die beiden Geschehen, das mit den Regen- 

- 32 - 



schirmen und jenes mit dem Kellerschlüssel wie eine Gleichung in Parallele 
setzen und einander gegenüberstellen: 



(Schirmdiebstahl :) 

a) Heinrich wird von der Gravidität 
der Mutter überzeugt. 

b) Seine Schuldgefühle werden mobil, 
wie die nachfolgende Tat, der Schirm- 
diebstahl, beweist; es erfolgt der Selbst- 
verrat. 

c) Der Selbstverrat und die Sühne- 
wünsche bringen Heinrich zu einem vol- 
len Geständnis vor den Behörden, er 
verrät Dinge, die er nach der Meinung 
seiner Kameraden leicht hätte verschwei- 
gen können. 

d) Der Schirmdiebstahl bedeutet den 
Durchbruch eines kräftigen Entwicklungs- 
schubes im Zeichen der Kastrationsangst: 
das Überhandnehmen der Bestrafungs- 
wünsche. 

e) Die Tat ist der Schirmdiebstahl. 



(Fehlhandlung mit dem Schlüssel:) 

a) ....?.... 

b) Der Vorfall mit dem Kellerschlüssel 
zeigt deutlich das Wirken der Schuld- 
gefühle: Heinrich deutet sie rationalisie- 
rend damit an, daß er behauptet, die Onanie 
habe ihn verblödet. 

c) In der seelischen Bedrängnis, hervor- 
gerufen durch die an sich belanglose Fehl- 
handlung, verrät er scheinbar ganz un- 
motiviert seinem Vater die Onanie. 



d) Die Fehlhandlung bedeutet den An- 
bruch eines kräftigen Entwicklnngsschubes 
im Zeichen der Kastrationsangst: die Ver- 
drängung der Onanie und die Verschie- 
bung der Affekte ins Kriminelle. 

e) Die Tat ist eine Fehlhandlung, die 
sich bei genauerer Betrachtung als An- 
eignen fremden Gutes, also als etwas dem 
gewöhnlichen Diebstahl recht Ähnliches 
erweist. 

Wir sehen, wie das ganze Geschehen, der Ablauf der inneren und äußeren 
Fakten in beiden Fällen genau der gleiche ist, und nun können wir als aus- 
lösendes Motiv für die Fehlhandlung mit dem Schlüssel ruhig dasjenige für die 
Auslösung des Schirmdiebstahles hinübersetzen: Heinrich muß die Gravidität 
der Mutter beobachtet haben. 

Es läßt sich nachkontrollieren, daß eine Person zweimal genau gleich handelt 
und übereinstimmend reagiert, also muß auch der Antrieb der gleiche sein. 

Die Gegenüberstellung und der Vergleich der beiden Abläufe ist noch in 
einer weiteren Beziehung interessant. Wir haben gefunden, daß die Fehlhand- 
lung fast etwas wie einen noch unbewußten Diebstahl bedeutet. Das erinnert 
uns an gewisse Verbrecher, die durch eine Fehlhandlung zur kriminellen Tat 
angeregt wurden 1 . 



1) So wurde beispielsweise im Jahre 1950 in Zürich ein Mörder abgeurteilt, der 
glaubhaft behauptete, daß ihn eine Fehlhandlung zur Erschießung seiner Geliebten 
brachte. Er war mit ihr auf dem Motorrad ausgefahren, man stieg ab, und der Mann 
manipulierte mit einer Pistole. Da löste sich ein Schuß und verletzte die Frau un- 
bedeutend. In der Verwirrung gab der Mann einen zweiten, gezielten Schuß ab, der 
die Frau tötete. Der Kriminalpsychologe Prof. Herbertz (Bern) bezeichnet solche 
Verbrechen mit dem Terminus „Anschlußverbreche n". Wir könnten die auf 
die Fehlhandlung Heinrichs folgenden kriminellen Handlungen als „Anschlußdelikte" 
ansprechen. 






Zeitschrift f. pia. Päd., VI/i 



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Am Falle Heinrichs wird deutlich, daß die Diebstähle einen symbolischen 
Sinn haben und ein Äquivalent für die Onanie bedeuten. Er erlebt bei den 
Diebereien sukzessive und miteinander alle die psychischen Sensationen wie bei 
der Onanie, vor allem die Angstlustspannung und das Ausleben all der Strebun- 
gen, die aus dem Ödipuskomplexe resultieren. Daß aus „verdrängter Onanie" 
kleptomane Züge entstehen können, darauf verwies zuerst St ekel, dann auch 
Pf ister in seinem Buche „Die Liebe des Kindes und ihre Fehlentwicklungen" 
(S. 152)... 

Der Übergang von der Onanie zu den Diebereien entspricht dem Vorgänge 
einer einfachen Affekt Verschiebung. Die Diebstähle werden gleichsam als „Gegen- 
zauber" gegen die Onanie ausgenutzt: durch sie werden die Onanie, die Pol- 
lutionsträume und Pollutionen, die Onaniebefürchtungen (Verlust der „besten 
Säfte" und der „geistigen Kraft") vermieden oder rückgängig gemacht, und 
zugleich wird der Trieb auf verschobenem Felde befriedigt. 

Die Diebstähle verhalten sich zur Onanie wie die Neurose zur Perversion. 

Über ähnliche symbolische Diebstähle hat uns Kielholz 1 berichtet. 

„Ihre Genese aus sexuellen Triebkräften", sagt Kielholz, „weist den 
symbolischen Diebstählen eine nahe Verwandtschaft mit gewissen Vergehen 
von sexuell Perversen zu, die sich ebenfalls in triebhafter Weise ohne Rück- 
sicht auf die Gefahr, mit den Strafgesetzen in Konflikt zu kommen, Gegen- 
stände verschaffen, welche in symbolischer Weise zur Befriedigung ihrer Lust 
dienen. Ich erinnere an die Zopfabschneider, die Kleider- und Schuhfetischisten. 
Bei allen diesen Leuten stellt doch der Fetisch ursprünglich ein Symbol dar 
für eine geliebte Person, bildet eine Reminiszenz an eine erotische Szene, bei 
der sich aus gewissen konstellativen Momenten die Neigung an eben diesen 
Gegenstand «Hein fixierte." 

„ Auf der anderen Seite berühren sich die symbolischen Diebstähle mit Symbol- 
handlungen nicht krimineller Natur, wie sie beispielsweise bei Zwangsneurotikern 
häufig beobachtet werden, wo durch gewisse, dem Bewußtsein des Betreffenden 
unverständliche Zeremonien und Betätigungen ebenfalls eine unbewußte Tendenz 
symbolisch zur Darstellung kommt. " Dann verweist der Autor auf die Ähnlich- 
keit der Phänomene bei den symbolischen Diebstählen mit den Fehlhandlungen 
des täglichen Lebens. 

Freud hat nachgewiesen, daß sich bei Rückstauungen oder Unterbindungen 
des vollentwickelten Sexualtriebes dieser leicht in seine einzelnen Teilstrebungen 
auflöst, der betreffende Mensch findet dann oft den Ausweg, daß er eine seiner 
sexuellen Teilstrebungen regredierend befriedigt. 

In diesem Sinne verläuft die Entwicklungsgeschichte bei Heinrich. Er hatte 
bereits die genitale Phase seiner Sexualentwicklung erreicht. Dann wurde seine 
Kastrationsangst unter dem Eindrucke seiner Onanie-(Inzest-)Phantasien wach. 
Sie erhielt den ersten kräftigen Schub, als er die Gravidität seiner Mutter 
wahrnahm und die Beobachtung sofort verdrängte, einen zweiten, als er sich 
die Wahrnehmung nicht mehr länger bewußtseinsfremd halten konnte. Er 
regredierte auf eine orale Befriedigung. Während er als Klubmitglied — 
über die Identifikation mit dem Rädelsführer und vermittelst der Onanie — 



1) A. K i e 1 h o 1 z, Symbolische Diebstähle, Zeitschrift für die gesamte Neurologie 
und Psychiatrie. Bd. LV., Jahrg. 1920, pg. 504. 

- 34 - 



*». 



dieÖdipustatauf der genitalen Stufe beging, vollführt er 
als Rädelsführer der Diebsbande die Ödipustat (Stehlen = An- 
eignen des väterlichen Penis = Kastration des Vaters) und den Mutterinzest 
(= Essen) auf oraler Stufe. Einen Fingerzeig, warum er gerade die orale 
Repression auswählt, gibt uns Heinrich dort, wo er über das Neugeborne spricht: 
den oralen Anspruch auf die Mutter hat er einst als schuldfrei und damit als 
angstfrei empfunden, so wie er den Säugling als „schön, friedlich und 
unschuldig" empfindet. 

Diese letzte Deutung zeigt, wie nahe der symbolische Diebstahl der Per- 
version (als der Befriedigung eines Teiltriebes) steht, und der Befund bei Hein- 
rich bestätigt die diesbezügliche Ansicht von Kiel holz. 

Zuletzt wird Heinrich zum „Verbrecher aus Schuldgefühl", wie ihn Freud 
geschildert hat: Das Verbrechen ist ihm Mittel zum Zwecke, bestraft zu werden 
für eine andere, vom Bewußtsein nicht erkannte Missetat. 

Es mag schließlich noch interessieren, wie das Gutachten lautete, das von 
mir an die Behörde von B. abgegeben wurde. 

Für den Fall des Raymond Z. riet ich, es mit einer dringlichen Ver- 
warnung gut sein zu lassen. Der Bursche hatte verhältnismäßig wenig ent- 
wendeter war eine furchtsame Natur und gewiß für autoritativen Zuspruch 
empfänglich. Ich durfte annehmen, daß er froh sein würde, aus der ihn» sein- 
unangenehmen Geschichte noch glimpflich wegkommen zu können, und daß 
er sie sich zur Abschreckung nehmen würde. Zuletzt verwies ich daraul, daß 
der Junge wahrscheinlich nicht ganz gesund und normal sei, und daß man ihn 
durch den Arzt auf eventuelle larvierte epileptische Zustände untersuchen lassen 
möge. Gewiß wäre es möglich gewesen, auch Raymonds Symptome von der 
psychoanalytischen Seite her anzugehen, um deren psychogenen Anteil festzu- 
stehen und vielleicht aufzulösen. In seinem Falle hielt mich das Gefühl davon 
ab, daß ich das als Nichtarzt nicht verantworten könnte: er gehorte in die 

Hände eines Mediziners. . 

Karl Y. schilderte ich als den gesunden, „normalen, nicht neurotischen 
Verbrecher mit kriminellem Über-Ich" 1 , der aus einem Milieu stammt^ das 
seine Delikte nicht als so sehr unangepaßt betrachtet. Für ihn sei ein Milieu 
angezeigt, in dem er genug zu essen bekommt und sich am Vorbilde bürgerlich 
an^epaßterer Pflegeeltern ein anderes Ich-Ideal bilden könne. 

^Bei Heinrich X. riet ich, nichts zu tun, da er ein typischer Neurotiker 
sei und seine kriminellen Handlungen nicht einer schlechten Grundlage, sondern 
aus einer Verwirrung der Gefühle und aus seinem Strafbedürfnis resultieren. 
Ich schlug auch vor, daß man ihn vorläufig weiter zu mir schicke, weil ich 
hoffte, ihm helfen zu können. 

Als ich den Ratschlag gab, Heinrich nicht zu bestrafen, konnte ich mich 
auf die Ausführungen von Kielholz 2 stützen, der seinen Aufsatz „Symbolische 
Diebstähle" mit den Worten schließt: „Wenn wir nun berücksichtigen, daß wir 
alle die Handlungen ähnlicher Natur (die Perversionen), die wir eben erwähnt 
haben, als rein triebhafte, aus dem Unbewußten motivierte, dem Bewußtsein 
des Täters gänzlich unverständliche, beurteilen müssen, so verdienen ohne Zweifel 

1) Alexander und Staub, Der Verbrecher und seine Richter. S. 85. I. PsA.V., 
Wien. 

2) Kielholz, op. cit. pg. 309. 

— 35 - 5 « 



auch diese Symboldiebstähle eine analoge Wertung und erscheint daher die 
Auffassung gerechtfertigt, es sei ein Diebstahl, der sich psychologisch als eine 
symbolische Handlung erweist, als Delikt eines für diese Tat Unzurechnungs- 
fähigen zu taxieren." Diese Auffassung erscheint besonders jugendlichen 
Rechtsbrechern gegenüber als angezeigt. 

Während der Besprechungen, die zwischen Heinrich und mir stattfanden, 
wurde, so gut als es in der kurzen Zeit möglich war, versucht, die Zusammen- 
hänge zwischen der seinerzeit frühzeitig eingesetzten elterlichen Sexualabwehr, 
der Onanie und den Diebstählen aufzuhellen und die Onaniehefürchtungen des 
Burschen herabzudämpfen. Die tiefere Bedeutung der Onanie für das Unbewußte 
der Inzest und die Ödipuswünsche konnten nicht mehr als ein Stück weit 
bewußt gemacht werden, es hatte keinen Sinn, die weiteren Hintergründe dem 
Jungen einfach an den Kopf zu werfen. Er kam in der Folge so weit, daß er 
ohne allzugroße Gewissensbisse pro Woche wieder ein- bis zweimal onanierte, 
und dann mußte ich ihn entlassen. Dabei empfahl ich ihm, mit mir in schrift- 
licher Verbindung zu bleiben. So hoffte ich, ihn weiter zu stützen. Wir haben 
ja gesehen, wie gut der Bursche übertrug: schon bevor er zu mir kam, zer- 
schlug er aus Angst vor mir ein Brillenglas. Da erinnern wir uns des Ödipus, 
der sich für seine Tat blendete, und wir verstehen die Geste des Heinrich X. 
Aus seinen ersten Gesprächen erhellte, daß er mich über seinen Vater und 
über die Behörden stellte. Diese günstige Ühertragungssituation nutzte ich aus, 
um ihm eine mäßige Onanie zu erlauben., 

Trotz des frühzeitigen Abbruches unserer Besprechungen, die nicht den An- 
spruch erheben, als eine psychoanalytische Kur im vollen Sinne zu gelten, scheint 
die Wirkung auf Heinrich nicht ausgeblieben zu sein. Seine allerdings spär- 
lichen Briefe lauten zuversichtlich. Sein Lehrer aber, der zugleich Mitglied der 
Vormundschaftsbehörde ist und Einsicht in die Geschichte des Diebskleeblattes 
hatte, schrieb mir schon einige Zeit später: „Heinrich X. gefällt mir von Woche 
zu Woche besser, er spielt jetzt wieder mit seinen Kameraden, hat auch Krach 
mit ihnen, beteiligt sich wieder wie früher am mündlichen Unterricht, und 
seine Leistungen sind besser geworden." Wir können beruhigt die weitere Ent- 
wicklung Heinrichs abwarten und dürfen mit ziemlicher Sicherheit behaupten, 
daß er zum mindesten nicht in das alte kriminelle Symptom zurückverfällt. 
Äußerlich betrachtet, haben die drei Mitglieder des Diebskleeblattes alle 
das Gleiche getan: sie haben gemeinsam betrogen und gestohlen. Der Unter- 
schied bei den einzelnen, die gleiche Betrachtungsweise vorausgesetzt, liegt allein 
m der Summe der begangenen Delikte. Wenn die entscheidenden Instanzen 
nur nach dem äußerlichen Aspekte, dem objektiven Tatbestand geurteilt hätten, 
dann würde den Rädelsführer Heinrich die härteste Strafe getroffen haben, 
aber auch die beiden anderen hätten wohl etwas abgekriegt. 

Die psychologische Untersuchung der einzelnen Jungen konnte aufzeigen, 
daß die innere Verfassung der drei Diebe dreimal eine verschiedene war, und 
daß wahrscheinlich 'gerade der belastetste der drei, Heinrich, die besten Aus- 
sichten hat, nach Entwirrung seiner Gefühle ein wertvolles Mitglied der Ge- 
sellschaft zu werden. Für alle drei Fälle waren jedesmal besondere Maßnahmen 
angezeigt. Ein summarisches Verfahren konnte es nicht geben. Der subjektive 
Tatbestand mußte für die Maßnahmen der Behörden den Ausschlag geben. 
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, müssen wir es den Behörden 

— 36 - 






hoch anrechnen, daß sie nicht nach dem ersten und äußerlichen Anschein der 
Din^e aburteilten, und es wäre zu wünschen, daß die Jugendgerichte 
ihre Aufgaben mehr darin sähen, nach den tieferliegenden Motiven der jugend- 
lichen Rechtsbrecher zu forschen und geeignete Erziehungshilfe zu leisten, als 
nur etwa Recht zu sprechen 1 . 



An Straßen und Zäunen 

l'.in Beitrag zum Problem der infantilen Sexualität 
Von Walter Kulemeyer, Berlin 

Die Erotik der Vorpubertät erfährt eine gewisse Beleuchtung durch die 
eigenen schriftlichen Äußerungen des Kindes und zwar besonders da wo es 
sich unbeachtet und unkontrolliert wähnt. Es handelt sich nicht um Schriften, 
Zeichnungen, Malereien, die es in Schule oder Familie zustande bringt, sondern 
um Dokumente, die ungehemmt schriftlich fixiert sind an Orten, die abseits 
liefen, an Straßen, Mauern, Zäunen oder Abortanlagen. Kreide, Buntstifte, Gips- 
stückchen, Mauerwerk, Bretter sind die Materialien für diese aufschlußreichen 

Übungen. 

Wer aufmerksam Häuserfronten oder Bretterspaliere der Straßen mustert, 
kann sie in großer Zahl finden und überzeugt sich bald, daß der sexuelle Faktor 
in diesen Darstellungen überwiegt. Es ist nicht immer so, daß nur Narrenhände 
Tisch und Wände beschmieren. Unmündige haben mit den Narren eine gewisse 
Hemmungslosigkeit gemein, und wenn unsere Kinder die Kreide ansetzen, um 
eine Mauer zu bekritzeln, so stellen auch sie ihre Motorik in den Dienst einer 
unbewußten Triebmacht, die nach einem Ausdruck, einer Betätigung sucht. 
Was sie dann schreiben und zeichnen, haben wir als Äußerung jener elemen- 
taren Sexualität aufzufassen, die im Kinde schon ihr Wesen treibt, als eine 
Handlung, die zu seiner Sexualbetätigung gehört, die in die „Kunst" fluchtete 
und ihm eine gewisse erotische Sensation vermittelt. Es ist nicht bloßer Nach- 
ahmungstrieb, der sich da geltend macht, denn dazu hätte es Vorlagen m Hülle 
und Fülle. Das wesentliche und charakteristische ist vielmehr, daß es aus vielen 
Vorbildern gerade das Obszöne herausgreift und variiert. Das Kind schaut dann 
den es erregenden, unbewußt leitenden Affekt in einem Symbol durch seine 
Hand gestaltet vor sich, fühlt sich als Schöpfer dessen, was es heimlich bewegt, 

i) In diesem Zusammenhang sei auf die Bestrebungen des ungarischen Jugend- 
richters und Senatspräsidenten Dr. jur. Peter von Nemeth aufmerksam gemacht, 
wie er sie u. a. auf dem Congres Penal et Penitentiaire International in Prag (1950; 
auf die Frage „Comment faut-il organiser les Services auxilinircs?" vertreten hat. In Budapest 
hat er in Verbindung mit der Psychiatrischen Klinik eine „Beratungsstelle" einge- 
richtet, wo eine Arbeitsgemeinschaft von Psychiatern, Neurologen und Psychologen 
die jugendlichen Rechtsbrecher untersucht, begutachtet, und, wo es angezeigt erscheint, 
auch behandelt. 

- 37 - 



und das bereitet ihm eine lustbetonte Befriedigung. Denn wozu ihm seine Hand 
aus mancherlei Gründen noch nicht praktische Dienste leisten kann, was sich 
am liebsten mit dem erotischen Objekt selbst befassen möchte, wird aus der 
unausführbaren Handlung in eine nachbildende umgewandelt, die dem Kinde 
sowohl durch den Bewegungsreiz beim Schaffen als auch durch den Gesichts- 
eindruck beim Betrachten des fertigen Erzeugnisses eine sinnliche Befriedigung 
gewährt. 

Was dem Betrachter der Mauern und Zäune vor allem ins Auge fällt, ist 
die Darstellung jener rautenförmigen Figur, die keine anatomischen Kenntnisse 
verrät und doch in charakteristischen Zügen die Form der weiblichen Genitalien 
andeutet. Daß dem Verfertiger dabei immer eine bestimmte Anschauung vor- 
schwebt, ist nicht anzunehmen, auch wenn Zeichnungen mit der Unterschrift 
„Else ihre" und ähnliche das Gegenteil besagen wollen. Daneben sieht man 
öfter noch schriftliche Erläuterungen, wie „Frieda hat eine große V . . . e" 
oder „Emma ist eine Sau", die darauf hindeuten, daß das Mädel oder der 
Junge die Geschlechtsorgane der Geschwister oder der Eltern gesehen hat oder 
die von Freunden oder Freundinnen, wohl meist beim Urinieren. Vielleicht 
auch hat das Mädchen männliche Attacken erleiden müssen oder umgekehrt. 
Neben der bildlichen ist die schriftliche Bezeichnung für den weiblichen Ge- 
schlechtsteil häufig zu finden. 

Auch die männlichen Geschlechtsorgane werden in allerlei Verzerrungen 
dargestellt, mitunter sogar in engstem Zusammenhang mit den weiblichen, sei 
es auch nur durch einen einfachen Strich, der in die Raute führt. Von dieser 
primitiven Manier leitet eine reiche Skala von Abstufungen zu oft erstaunlich 
naturgetreuen Malereien hin, die auf eine ziemlich genaue Kenntnis der be- 
treffenden Organe und Vorgänge hinweisen. Allen diesen Zeichnereien liegen 
wohl — bis auf wenige mechanische Nachahmungen anderer — äußere oder 
innere Erlebnisse zu Grunde, auch unbewußte, die das Kind in Bildern festhält. 

Der Kreis der jugendlichen Maler beschränkt sich keineswegs auf die Hinter- 
hausbewohner, die sogenannten „Straßenjungen". Man kann auch Jugend in 
bunten Mützen, also Kinder der „besseren Kreise", sich an den Laszivitäten 
beteiligen sehen. 

Daß die Darstellung des phallischen Zeichens im Verhältnis zum vaginalen 
sehr zurücktritt, hat wohl seinen Grund darin, daß Mädchen aus Schamhaftig- 
keit und Zurückhaltung sich weniger an den Zaun- und Mauermalereien be- 
teiligen, als die aktiveren Knaben. Mädchen wählen meist nicht den Weg der 
roh sinnlichen Darstellung, sondern ihre Erotik macht Umwege. Sie suchen 
ihre Rivalinnen aus der Gunst der männlichen Spielgefährten zu verdrängen, 
indem sie die kleinen Nebenbuhlerinnen im Felde jung weiblicher Eitelkeit mit 
herabsetzenden Inschriften bedenken, wie „Lene ist dof 1 " oder „Marie hat'n 
Triller 2 " oder „Olga hat geklaut 3 ". 

Das Sexualleben des Kindes, ebenso reich wie unkonzentriert und zer- 
fahren, prägt sich noch in einer anderen Richtung aus. Wir bemerken da 
neben den erwähnten Elementen, die schon die Oberherrschaft der Genitalzone 
zeigen, an den Mauern noch die Hinweise auf sexuelle Triebe, die sich auf die 
Analzone beziehen, auf die koprophilen, mit den Exkrementen zusammenhän- 

11 dumm, 2) M. ist schwachsinnig, hat einen Vogel, 3) gestohlen. 

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senden Lusterregungen der Lebensanfänger. Die Vokabeln für die flüssigen 
oder festen Ausscheidungen des Körpers kann man ebenso häufig an den Zäunen 
finden, wie die Bezeichnungen für die ausscheidenden Organe selbst. 

Nicht selten kommt auch das nachträgliche Beurinieren der Malereien vor. 
Der Knabe sucht gleichsam mit den geschaffenen Bildern eine lebendige Ver- 
bindung herzustellen unter Anwendung des Gliedes, das nach der Pubertät bei 
der sexuellen Betätigung in Aktion treten wird. Der Urinstrahl des Jungen hat 
dabei wohl auch eine symbolische Bedeutung. Es ist bekannt, daß dem Knaben, 
der „am höchsten kann" oder von der Bordschwelle aus r am weitesten", eine 
Vorzugs- oder Führerstelle in der jungmännlichen Spielhorde eingeräumt wird. 
Symbolhaft ist dieser Akt insofern, als damit unbewußt von den Kindern die 
spätere Sexualkraft in Beziehung gesetzt wird, also eine vorausgeahnte männ- 
liche ..Tüchtigkeit" auf erotischem Gebiete. 

Wer alle diese Zeichen unvoreingenommen deutet, muß in ihnen eine 
wichtige Stütze der Freud sehen Forschungsergebnisse sehen, die dahin zielen, 
daß die Urmacht der Sexualität schon vor der Pubertät ihre Herrschaft in der 
seelischen Organisation der Lebensanfänger ausübt, daß das Urphänomen des 
Eros sich anschickt, seinen Thron als Hauptgottheit schon im Kinde zu ok- 
kupieren. Schon vor der Reifung der Geschlechtsdrüsen ist eine intensive infantile 
Erotik vorhanden, die sich noch nicht konzentriert hat, die aber doch gleich- 
sam mit diffusem Licht den kindlichen Lebenshorizont überstrahlt. Die Sym- 
ptome dieser dunkel-tastenden Dränge zu erkennen, zu beobachten und zu über- 
wachen, ist eine Aufgabe, die im Hinblick auf spätere sexuelle und charaktero- 
logische Entwicklungsrichtungen nicht ernst genug genommen werden kann. 



Siegfried Bernfeld 
Sisyphos oder: Die Grenzen der Erziehung 

Zweite Auflage. Geh. M /.— , Ganzleinen M 6.jo 

Der geistreichste unter den Schülern des Ein Buch, das alle Kulissen unserer päd- 

großen, genialen Sigmund Freud hat da agogischen Verbrämungen beiseite schiebt 

den Pädagogen ein Büchlein gewidmet, das und jene Stelle aufdeckt, und «war mit un- 

sie hoffentlich lesen und sobald nicht ver- widcrlcglichen Griffen und Schlüssen, an 

rasen werden. . . . Seit langem im frag- der die wirklichen pädagogischen Probleme, 

würdigen Bereich der Pädagogik keine wich- nämlich die Verankerung der Staatsmacht 

tigere Erscheinung zu verzeichnen. . . . in der Schule, bloßgelegt werden, nüchtern, 

Übrigens auch keine bei allem bitteren Ernst leidenschaftlich, hinreißend. Arnold 

witzigere und vergnüglichere. Gustav Z w e i g auf eine Umfrage über „Das be^te 

Wyneken im „Berliner Tageblatt". Buch des Jahres" im „Tagebuch". 

Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 



Til 



- 39 - 



„Der Weg ins Leben" 

Psychoanalytische Bemerkungen zu einem russischen Film 
Von Hedwig Schaxel, Wien 

Der russische Film „Der Weg ins Leben" ist historische Filmreportage 
nach den eigenen Worten seines Regisseurs, und wir haben keinen Anlaß an 
der Richtigkeit seiner Aussage zu zweifeln. Im Gegenteil, wir wissen alle, daß 
die vagierenden Kindertruppen für die Sowjetunion ein schwierig zu lösendes 
Problem waren. Wir bekommen vor Augen geführt, daß es in beispielgeben- 
der Weise gelöst wurde. 

Vagierende Kinder und Jugendliche in einer Anzahl, die die öffentliche 
Sicherheit gefährdet, sind eine Erscheinung, die den langen Krieg, die Hungers- 
nöte, den Umsturz, den Bürgerkrieg, die Weite und die Primitivität des russi- 
schen Reiches zur Voraussetzung hat. Eine derartige Loslösung von der sozialen 
Einordnung ist unter den bei uns herrschenden Verhältnissen nur für den Ein- 
zelnen möglich, für Tausende aber ausgeschlossen. Trotzdem bestehen zwischen 
dem Vaganten-Problem, wie es sich für Rußland ergab, und dem Verwahr- 
losten-Problem unter unseren Kulturbedingungen Parallelen, es besteht keine 
Verschiedenheit grundsätzlicher Natur, sondern nur in der Zahl und Intensität 
der Fälle. 

Auch die Lösungsversuche sind hier und dort grundsätzlich die gleichen. 
Was August Aichhorn mit den Aggressiven in Oberhollabrunn und St. Andrä 
getan hat, oder Siegfried Bernfeld im Kinderheim Baumgarten mit galizischen 
Flüchtlingskindern, waren ähnliche Lösungsversuche an ähnlichem Menschen- 
material. Daß das Kinderheim Baumgarten und die von Aichhorn geleiteten 
Anstalten Kinder beiderlei Geschlechtes aufnahmen, während die im Film ge- 
zeigte Kinderkommune bloß von Knaben bewohnt wird, ist wichtig. Die 
russische Kinderkommune, die uns der Film zeigt, beherbergt überhaupt kein 
weibliches Wesen. Bei verschiedenen Anlässen tritt deutlich eine Sexualableh- 
nung gegenüber dem Verkehr mit dem andern Geschlecht zutage, sie ist viel- 
leicht eine spezifische Erscheinung des heutigen Rußland. Das völlige Ver- 
schweigen auto- oder homoerotisch gerichteter Bedürfnisse und Strebungen bei 
Knaben, die, wie ausdrücklich erwähnt wird, größtenteils bereits Sexualverkehr 
mit erwachsenen Straßenmädchen hatten, könnte einen in bezug auf die Tat- 
sachentreue mißtrauisch machen. Das mag ein Charakteristikum der gegen- 
wartigen russischen Mentalität sein, oder dem Geschmack des russischen Kunst- 
produzenten entsprechen. Bei gleicher Freiheit und Überlegenheit den sozio- 
logischen Fragen gegenüber, wollen wir als Erzieher auch dem sexuellen Problem 
die seiner Bedeutung zukommende Aufmerksamkeit gewidmet sehen. Wir 
wissen aber, wie wenig Aufrichtigkeit gerade in dieser Frage in allen Ländern 
herrscht. Eine Filmdarstellung würde bei uns und wohl überall abstoßen: die 
große Kunst des russischen Films hätte sich aber auch daran versuchen können. 

Abgesehen davon, befriedigt der russische Film den modernen Erzieher von 
asozialen Jugendlichen sehr. Mancher westliche Erzieher mag voll Neid auf die 
soziologisch idealen Arbeitsbedingungen blicken, unter denen sein russischer 

— 40 — 



Kollege wirkt. Da ist eine, durch die übereinstimmenden individuellen Erleb- 
nisse homogen gewordene Masse von Kindern, die in eine ebenso homogene 
politische Neuordnung eingefügt werden soll. Man erzählt nicht den Verwahr- 
losten von dem ethischen Wert der Arbeit und sie sehen daneben, wie unver- 
gleichlich gut es solchen geht, die nichts arbeiten, und wie Arbeitende aus- 
gebeutet werden. Es kann dort ein einheitliches, soziales Über-Ich entstehen, 
das die Leistung für die Gesellschaft jedem auferlegt und das für alle gilt. Der 
Anführer der Truppe, zur Zeit der Verwahrlosten-Platte, ermöglicht den Mit- 
gliedern der Platte kaum die Übertragung oder die Bildung eines Über-Ichs. 
Dazu genügt wohl die Identifizierung im Saufen und mit den Weibern nicht. 
Er ist kein richtiger Räuberhauptmann, „primus inter pares" ist hingegen Mustafa. 
Das Unternehmen, die Kinder zur Kommune zu bringen, gelingt, weil Mustafa von 
Sergej zum Freund gewonnen wurde. Viele Jungen identifizieren sich erst mit- 
telbar über Mustafa mit Sergej. Dieser Führer der Kommune lebt wie die 
Jungen, er ist wie sie und zugleich wie sie sein sollen, und ebenso verkörpert 
sein Verhalten das staatliche Über-Ich und verbürgt das Glück der Gemein- 
schaft. Fünfzehn Tage Arrest diktiert Kolka für Trunksucht und Arbeitsver- 
weigerung, der Erzieher braucht nur zu bestätigen. Er ist weise, nüchteni, 
asketisch, arbeitsam, genau wie der Staat den Bürger wünscht und er kann 
schweigen und debattieren, sich beherrschen und austoben, ist wie Buben wer- 
den sollen und zum Teile wie sie sind. 

Was sind die Erziehungsmittel: Die Gleichberechtigung mit den anderen 
Mitgliedern des Staates, die Freizügigkeit in der Wahl der Arbeit, die Be- 
teiligung am Gewinn, die Selbstverwaltung. Die Erziehungsinstitutionen in 
Rußland können denen, die nichts hatten als die Freiheit zu verkommen und 
zu verhungern, unverhältnismäßig mehr geben als unsere Einriebtungen unseren 
Verkommenden. Die Geste, mit der der Erzieher den voll Mißtrauen Warten- 
den den Arbeitssaal öffnet, verrät diesen Sachverhalt. Noch stärker wird die 
Rolle des Staates als des verzeihenden und spendenden Gebers nach der Revolte, 
wenn der Erzieher von Moskau das Projekt zum Bahnbau mitbringt. Man 
wird an den Verlauf mancher Analysen erinnert, wo der Analysand die Geduld 
und Objektivität des Analytikers immer wieder ausprobiert, ehe er Bollwerk 
um Bollwerk seines Überbaues aufgibt. Auch die Art, wie der Erzieher ent- 
wertet, die Buben abreagieren und der Sinnlosigkeit ihrer Aggressionen selbst 
gewahr werden läßt, hat viele Parallelen zur Analyse. 

Schon die Art, wie er anfangs die Buben gewinnt, zeigt sein Programm. 
Er verspricht weder Belohnung noch Bestrafung, er zeigt ihnen ein Ziel, dem 
sie freiwillig zustreben können: mitarbeiten. Das ärztliche Schema erwarten 
die Buben vorgehalten zu bekommen oder den Revolver, aber der Erzieher, 
der nichts sein will als der führende Kamerad, zieht seine Schachtel Zigaretten 
aus der Tasche! Der Weg zu den Buben ging über Neugierde, Verblüffung, 
Erstaunen. Er wiederholt dabei zum Teil den infantilen Weg, er wird zum 
Vermittler der geistigen und körperlichen Nahrung, wird nötig und dadurch 
geliebt, wie die Mutter nötig ist und geliebt wird. Neben Neugierde und Not- 
wendigkeit gibt es aber noch ein Band, die Anerkennung, das Imponierende. 
Dieser Erzieher fürchtet sich gar nicht, wenn sie alle auf ihn einschreien. Er 
braucht zur Herstellung seiner Autorität und Sicherheit weder Wachen noch 
Revolver, sein Selbstbewußtsein und seine Angstfreiheit schützen ihn. Die 

- 41 - 



eigene Angstfreiheit setzt die Angst der Kinder herab und macht sie den Er- 
ziehungseinflüssen zugänglicher. Hier ist nichts, was abgewehrt werden muß, 
weder Druck von außen, noch Angstdruck von innen. Wo der Erzieher ge- 
hemmt ist und hilflos, da versagt er und das Resultat ist dementsprechend. 
Wenn das Treibeis die Arbeitsmöglichkeit unterbindet, ist er von der Autorität 
der Arbeit in Stich gelassen und wird ohnmächtig. Er gibt den Kindern ein 
allzu vages Versprechen und flieht nach Moskau, sich mit neuer Arbeit neue 
Kraft zu holen. Die Insassen des Heimes benützen seine Abwesenheit auch 
prompt zur Revolte. Es ist aber für Erzieher und Zöglinge bloß eine kurze 
Episode des Rückfalls ; die neue Arbeit, der verbindende Schienenweg nach der 
Hauptstadt ist mehr als Arbeit, sie ist das Symbol der endgültigen Einordnung 
in die Gemeinschaft; charakteristisch für das heutige Rußland und seine groß- 
artige Einseitigkeit ist es, daß Arbeit und Gemeinschaft als das Leben schlecht- 
hin aufgefaßt werden. 

Denkbar eindeutig und einfach ist die Erziehungsarbeit, die hier geleistet 
wird, und eindeutig ist ihr theoretischer Unterbau: Werdet wie ich bin, wie wir 
alle sind, wie euch der Staat braucht. Ein Ideal herrscht und ein Massenwilie. 
Diese Homogenität erleichtert die Aufrichtung des Über-Ichs, und das Milieu, 
das scheinbar allein wirkende Agens, verspricht dem Ich die Möglichkeit zu 
konfliktlosem Ausleben. Es sind keine Ich-Sicherungen (Mißtrauen) und keine 
Kompromisse zwischen dem Ich und dem Über-Ich nötig. Über-Ich und Ich 
können mit der Realität in Eintracht leben. Die Realisierbarkeit einer solchen 
Lösung ist aber nur möglich, weil es sich um die Erziehung zur Zeit der 
Pubertät handelt, und das ist eine Zeit optimaler Sublimierungsleistung. Zweitens 
ist es, wie schon erwähnt, eine verhältnismäßig einheitliche Gruppe, die sich 
einer einheitlichen Ordnung einfügen soll. Die Primitivität dieser Ordnung und 
der Personen, die sich ihr fügen sollen, sind eine weitere Erleichterung. Drei 
Repräsentanten von Gruppen werden gezeigt: Mustafa, der Führer, der inner- 
halb der Ordnung wirkt und führt, der kraftvolle Ausdruck des Kollektivwillens. 
Er führt Fomkas Bande wie später den Betriebsrat gegen Fomka, wie zuletzt 
die Arbeit am Bahnbau. Er soll die erste Lokomotive führen, die ihn dann in 
den Tod führt. Kolka, der unselbständige Musterknabe, ist der Repräsentant 
eines zweiten Typus. So lange das Familienmilieu ihn schützt, geht alles gut. 
Der Tod der Mutter wirft ihn aus der vorgezeichneten Bahn. Er ist brav aus 
innerer Neigung. Er ist ebenso brav als Pfeifer in Fomkas Bande, nur paßt 
diese Betätigung recht wenig für sein Bravheitsbedürfnis, er ist glücklich, wieder 
richtig brav sein zu dürfen. Im Sinne des Erziehers diktiert er Strafen und 
ordnet sich ihm ebenso freudig unter wie in der Kindheit der Mutter. Ver- 
treter der dritten Gruppe ist der blonde Lockenkopf Saschka. Der Typ, den er 
repräsentiert, kommt wohl dem Typ unserer Verwahrlosten am nächsten. Er 
dürfte der Repräsentant der Neurotiker unter diesen Kindern sein. Er ist der 
Störenfried aus Schwäche und innerer Notwendigkeit, er ist feige und brutal 
zugleich, er macht Revolte, wo er sich sicher fühlt; er geht nicht allein zu 
Fomka in die Waldschenke, aber von zweien unterstützt, geht er besonders 
freudig. Er gibt nicht einmal das Signal zur Revolte, als die Arbeit fehlt, aber 
er hebt den ersten Stein und trifft damit den wehrlosen Hund. Findet er bei 
den anderen keine Unterstützung mehr, so wird auch er sozial, aber nur schein- 
bar, aus Schwäche. Ein dritter Grund für das Gelingen des Erziehungsversuches: 

- 42 — 



das heutige Rußland muß seelische Höchstleistungen erleichtern. Wer in Rußland 
Briefe austrägt oder Balken zuschneidet, ist sich bewußt, Mitarbeiter an einem 
großen Werk, Erbauer einer neuen Weltordnung zu sein. 

So erhellt dieses Experiment die alte pädagogische und analytische Erfahrung, 
daß die Pfeiler jeder Erziehung Beispiel und Milieu mit den Bedingungen zur 
Identifizierung sind. Wo ein einheitliches Über-Ich aufgerichtet wird, ist die 
Aufgabe der sozialen Erziehung gelöst. Unter normalen Verhältnissen hat die 
Erziehung während der Pubertät nur eine etwas veränderte Neuauflage der 
Ai-beit zu leisten, die vom Ich und Erziehungsmilieu schon einmal während 
der Zeit der frühen Kindheit und der nachfolgenden Latenz geleistet wurde. 
In dem vorliegenden Fall müssen wir aber annehmen, daß es sich wenigstens 
bei vielen der Zöglinge um eine erstmalige oder nochmals zu leistende Arbeit 
handelt. Die vorhergehenden Erlebnisse werden ausgelöscht und von allen 
Instanzen verworfen, es wird eine neue Reaktionsbasis geschaffen. 

Die Ursachen der Dissozialität sind in Rußland sicher häufiger wie bei uns 
ein Trauma oder die äußere Unmöglichkeit, in einem geordneten Milieu zu 
leben. Bei dem Menschenmaterial, das unter unseren Verhältnissen dissozial 
wird, sind die äußeren Schädigungen selten so kraß. Was da eventuell das 
Elternhaus anrichtet, macht die weitere Umgehung, der Kindergarten usw. oft 
wieder gut. Die Bereitschaft der eigenen Person zur Asozialität muß also größer 
sein. Unseren dissozialen Jugendlichen muß man nicht nur ein Milieu bieten, 
das die Identifizierung und die Aufrichtung eines sozial gebilligten Über-Ichs 
erleichtert, man muß einen Umbildungsprozeß einleiten. Kinder, die unter 
unseren Kulturbedingungen asozial werden, sind es kraft ihrer Persönlichkeits- 
struktur geworden. Sie haben die Ödipus-Situation erlebt und sie schlecht er- 
ledigt. Sie haben ein Über-Ich gebildet — aber ein zur sozialen Ordnung in 
Gegensatz stehendes. Sie sind triebhaft, hemmungslos, psychotisch, neurotisch 
und häufig intellektuell defekt, während die russischen Kinder nur ungehemmt 
und asozial sind, im gleichen Sinn wie kleine Kinder mit unfertiger Persönlich- 
keit. Ihre psychische Entwicklung wurde durch äußere Faktoren hintangehalten 
und erschwert. Die russischen Kinder werden also weniger Mißtrauen, weniger 
Trotz und weniger Aggression mit sich herumtragen. Sie werden leichter ge- 
neigt sein, sich zu bilden und umzubilden, als solche, die durch ungünstig 
wirkende Einzelbedingungen verbildet und verbogen wurden. 

Fassen wir zusammen, so müssen wir sagen, das russische Erziehungsexperi- 
ment, wie es die Kinderkommune zeigt, lehrt uns nichts grundsätzlich Neues, 
weder in der Handhabung der Übertragung, noch in der Wahl der Erziehungs- 
behelfe. Auch die Heilung unterscheidet sich weder im äußeren Verlauf noch 
in ihren psychischen Elementen von dem, was wir als den Heilungsweg einer 
bestimmten Gruppe von Dissozialen kennen. Die russischen Verhältnisse sind 
nur für einen solchen Versuch günstiger, weil Schwierigkeiten, die sich aus 
äußeren Gründen ergeben, leichter zu beheben sind, als solche, die einem 
inneren Gesetz entsprechen. Der zweite Umstand, der die russische Erziehungs- 
arbeit erleichtert, ist die einheitliche soziale Ordnung, das einheitliche Vorbild, 
das dem Ich den eindeutigen Weg zeigt. 



üliiülilllllllllllllilllllllll Illllllllllli™ 

- 43 - 



BERICHTE 



Bücher 

MARY CHADWICK, Nursing 1» sy cho I og i c a I Patient* Vorwort 
von David Forsyth. Allen & Unwin, London. 

Die Notwendigkeit, Krankenschwestern und Kiiiderpflegerinnen ein besseres Ver- 
ständnis für psychisch Kranke zu vermitteln und sie über die Grundlagen neurotischer 
Erkrankungen im Kindesalter aufzuklären, ist eine Forderung, die auch bei uns von 
psychoanalytischer Seite aufgestellt wird. Mary Chadwick stellt ihr großes psycho- 
analytisches Wissen in den Dienst dieser Aufgabe und beschreibt in einer einfachen 
Weise das, was für die Pflegerinnen wichtig erscheint und sie befähigen soll, den 
auftauchenden Problemen einsichtiger gegenüber zu stehen und nach Möglichkeit Fehler 
zu vermeiden. Die „Gefahrenpunkte«, die sie in dem Kapitel „The Neuroses of 
Childhood" behandelt, werden gut herausgearbeitet, manches wird — besonders im 
Verhalten der Mütter — auf seine unbewußten Hintergründe hin untersucht. Eine 
Verbreitung dieser Schrift in den Kreisen, für die sie bestimmt ist, wäre zu be- 
grüßen. — Das Einfülirungskapitel „History of former treatment of psychological 
disorders" gibt einen recht eingehenden Überblick über die Entwicklung der Lehre 
Freuds. Nelly Wolffheim 

GUSTAV HANS GRABER, Psychoanalyse und Heilung eines nacht- 
wandelnden Knaben. Merlin-Verlag, Baden-Baden 1931. 

Die Leser dieser Zeitschrift werden sich des kleinen Fred entsinnen, dessen 
Symptom — Nachtwandeln und andere Anzeichen einer unnormal gesteigerten 
Motorik, eine Phobie — Graber in seinem Aufsatz „Aus der Analyse eines nacht- 
wandelnden Knaben" im vorigen IV. Jabrgang (Heft i und 2/3) veröffentlicht hat. 
Die Arbeit erscheint nun zur selbständigen Schrift erweitert, und ergänzt in einem 
ausgestalteten zweiten Teil vor allem die Gestaltung der Bruderrivalität und des 
Kastrationskomplexes durch eine Reihe von Einzelzügen aus der Analyse. Fred und 
Walter — Abel und Kain — stehen sich als feindliche Brüder gegenüber, wie sie 
in der Literatur so oft geschildert worden sind. Beide sind inzestuös an die Mutter 
fixiert, aber sie erleben den Konflikt radikal verschieden. Fred, der kleine Nacht- 
wandler, hat seine inzestuöse Mutterbindung und seine aggressiven Strebungen gegen 
den Vater schon früh verdrängt und glitt unter der Einwirkung des passiv erlebten 
Kastrationskomplexes in eine starke Vaterfixierung hinein. Sein Bruder Walter, der 
„Kain", war demgegenüber aktiv-aggressiv eingestellt, der „Kastrator" par excellence. 
Interessant aus der Katamnese die von beiden Brüdern entsprechend verschieden 
erlebte Schockwirkung einer gleichzeitig vorgenommenen Phimoseoperation, die von 
Fred ruhig hingenommen, von Walter mit Wutanfällen beantwortet wurde. Das Büch- 
lein ist sehr illustrativ für das Verständnis der „Spezialformen" des Ödipuskomplexes 
beim Knaben und für die Eifersuchtsbindung unter Geschwistern. Seine Stärke liegt 
in der lebendigen und anschaulichen Wiedergabe der Beobachtungen aus einer glück- 
lich durchgeführten Analyse. Schottlaender 

— 44 - 



MARGIT VARRÖ: Der lebendige Klavierunterricht. Seine Metho- 
dik und Psydiologie. 2. Aufl., Simrock, Berlin, 1929. 

Dieses Buch ist zwar in erster Linie für den Musikpädagogen von Interesse bietet 
jedoch auch für den Psychoanalytiker manches, was seine Aufmerksamkeit verdient. 
Besonders interessant sind von unserem Standpunkt die außerordentlich guten Erfolge 
der Verfasserin auf dem Gebiete des Kleinkinderunterrichts. Zwei seelische Faktoren 
spielen in den erteilten Ratschlägen für den Unterricht eine wichtige Rolle. Erstens, 
daß von Anfang an an das Verständnis des Kindes appelliert wird. Das heißt, es wird 
nie von dem Kinde verlangt, daß es irgendetwas tun oder lernen soll, dessen Zweck 
ihm nicht einleuchtet. Überraschenderweise [stellt es sich bei dieser Art Unterricht 
heraus, daß die Kinder nicht nur erstaunlich früh mit den Elementen der Harmonie- 
und Formenlehre vertraut werden, sondern auch, daß dies keineswegs als eine Be- 
lastung von den Kindern empfunden wird, vielmehr ihre Freude an der Musik bedeu- 
tend erhöht. Dies ist ein wertvoller Wink für den Pädagogen im allgemeinen, daß 
die intellektuellen Fähigkeiten des Kindes nicht unterschätzt werden dürfen, und daß 
das Bekanntwerden mit den kausalen Zusammenhängen nicht ein Plus an Arbeit, 
sondern eine Erleichterung für das Kind bedeutet. Der andere wichtige seelische 
Faktor der Varröschen Methode ist, daß den Kindern ziemlich große Freiheit im 
Ausleben ihrer individuellen Neigungen gestattet wird. Im Gegensatz zu der häufig 
geübten Spieltechnik besteht diese Freiheit nicht darin, daß man den Unterricht 
programmäßig spielerisch gestaltet, und der ernste Zweck sozusagen nur durch eine 
Hintertür hineingeschmuggelt wird, sondern daß dem Kinde erlaubt wird, den Phan- 
tasien, die in ihm während des Klavierspielens auftauchen, Ausdruck zu geben. Dieses 
Phantasieren erleichtert dem Kinde die Arbeit, besonders wenn es die Gewißheit hat, 
daß es ihm nicht als „Dummheit" verübelt wird. Zuweilen geschieht es auch, daß 
diese Phantasien dazu verhelfen, gelegentliche Lernschwierigkeiten aufzudecken, was 
natürlich ihre Eliminierung bedeutend fördert. 

Vom psychologischen Gesichtspunkt bietet dieses Werk ein gutes und in seiner 
Art einzigartiges Beispiel dafür, wie sehr die Lehrtätigkeit gefördert werden kann, 
wenn man die im Kinde bereitstehenden seelischen Hilfsmittel richtig auszunützen 
versteht. Alice Haiint 

1. INTERNATIONALE TAGUNG FÜR ANGEWANDTE PSYCHOPATHO- 
LOGIE UND PSYCHOLOGIE, WIEN, 5.-7. Juni 1930. Referate und Vorträge. 
Redigiert von Heinz Hartmann, Martin Pappenheim, Erwin Stransky. — 
S. Karger, Berlin 1931. 

Unter den 24 Referaten und Vorträgen sind 3 von Psychoanalytikern. Hitschmann 
unterstreicht in „P a t h g r a p h i e und Psychoanalyse" die Bedeutung der 
frühen Kindheit für Charakter, Begabung und künstlerische Leistung. 

Federn zeigt in seinem Vortrag „Der neurotische Stil"' die Bedin- 
gungen, unter denen Fehlstilisierung beim Niederschreiben eines Gedankens entsteht, 
ferner, daß durch Psychoanalyse neurotisch schlechter Stil heilbar wird. Die haupt- 
sächlichsten Störungen, welche Federn als Herausgeber, Redakteur und Lektor fand, 
werden aber nur aufgezählt: 

„1) Unvollendete Verdichtung; 2) unvollendete Ablösung vom früheren Gegenstande; 



1) Der Vortrag ist im „Almanach der Psychoanalyse 1932" abgedruckt. 

— 45 — 



a 



3) der einfache phobische Mechanismus; 4) der alternierende phobische Mechanismus; 
5) zwanghaftes Festhalten eines Ersatzbegriffes, dazu gehört auch: 6) Übertreibung 
des Gegensätzlichen: 7} Flucht in Verallgemeinerung: 8; Umkehrung als vollendete 
paranoide Projektion; 9) überflüssige Einschiebung der indirekten Darstellung." Ihre 
ausführliche Darstellung wird versprochen. 

Der Vortrag schließt: „Der richtige Ausdruck in Sprache und Schrift ist für uns 
Bedürfnis, und ist auch Bedingung, daß man ehrlich arbeite und publiziere. Zu diesem 
Zwecke muß vor allem die von pädagogischer Seite wiederholt gestellte Forderung 
erfüllt werden, daß von der ersten Volksschulklasse bis zur Dozenturarbeit niemand 
über Dinge zu schreiben gezwungen werde, für die er nicht reif ist, auch wenn 
deshalb der deutsche Aufsatz in seiner heutigen Form ganz verschwinden müßte. Vor 
allem darf er nicht zensuriert 1 werden, denn die Note zwingt den Schüler, auch zu 
schreiben, wenn er nichts zu sagen hat. Individuell gibt die Analyse der Stilslörungen 
jedem die Möglichkeit, selbst darauf aufmerksam zu werden, daß er durch einen 
Mangel im sachlichen Wissen oder durch affektive Voreingenommenheit gestört wird 
oder daß er sich noch nicht zur Klarheit durchgerungen hat." 

Aus den Abhandlungen der nichtpsychoanalytischen Autoren seien pädagogisch 
Interessierte vor allem auf die Ausführungen von Bühler, Eliasberg, Gatzuck, 
Morgenthaler und K o g e r e r verwiesen. Letzterer veröffentlicht Beobach- 
tungen aus der Wiener Psychiatrischen Klinik an 35 Schizophrenen, von denen 28 
durch Unzuverlässigkeit des Handelns von Eltern. Erziehern usw. erheblich geschädigt 
erschienen, der Autor hebt hervor, wie elementar wichtig das Vertrauen auf die Er- 
zieher für die Charakterentwicklung sei. Meng, Frankfurt a.M. 

TOM SEIDMANN -FREUD, Hurra, wir rechnen! Spielfibel Nr. 3. 
Stuffer, Berlin, 1931. 

Frau Tom Seidmann-Freud hinterließ das Manuskript des vorliegenden 
Buches, das nun vom Verlag in gleicher Art herausgebracht wird wie die ausgezeichnete 
Lese- und Schreibfibel. In dieser Rechenfibel erarbeitet sich das Kind selbst — spie- 
lend und fröhlich — Schreiben der Zahlen, Abzählen, Schätzen kleiner Mengen, Zahlen- 
vorstellungen, Abziehen und Zusammenzählen, Zeichnen von Figuren, deren Größe 
und Bedeutung es allmählich beurteilen lernt. Das Kind schafft sich bei Lösung der 
gestellten Aufgaben ein eigenes Bilderbuch, das dem Erwachsenen mancherlei Auf- 
schluß geben kann über die geistige Entwicklung und den seelischen Werdegang des 
einzelnen Kindes im Lernprozeß. Die Fibel macht dadurch einen Zugang frei zum 
Unbewußten des Kindes. Es wird die Angriffslust des kleinen Forschers auf die Welt 
der Erwachsenen ausgenützt, um eigene Lüsungsversuche auszuprobieren. 

Meng, Frankfurt a. M. 



1) In der österreichischen Volksschule werden die deutschen Aufsätze nicht mehr 
zensuriert. 

Eigentümer, Verleger und Herausgeber für Österreich: Adolf Josef Storfer, Wien, I.. Börsegasse 11 

(„Verlag der Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik"). 

Verantwortlicher Redakteur: Adolf Josef Storfer, Wien, I., Börsogasse 11. 

Druck von Ennl M. Engel. Druckerei und Verlagsanstalt, Wien, I., I" der Börse. 



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SONDERHEFTE 

der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik" 



s » 



„Sexuelle Aufklärung" (=i. Jg., Heft 7-8-9) 

„Onanie" (=11. j g ., Heft 4-5-6) 

„Stottern" (=11. j g ., Heft w-w) 

„Nacktheit" (= 11. j g ., Heft 2- 3 ) 

Die Kindheit eines Proletariermäddiens" 

(=II.Jg, Heft 5-6) 

„Selbstmord" (=111. j g ., Heft n-12-15) 

„Intellektuelle Hemmungen" (=iv.jg., Heft n-12) 

Richard Sterba: „Einführung in die psycho- 
analytische Libidolehre"(= v. j g ., Heft 2-5) 

„Menstruation" (= v. j g , Heft 5-6) 

„Strafen (= v. j g ., Heft 8-9) 

Marie Bonaparte: Die Sexualität des Kindes 
und die Neurosen der Erwachsenen 



Mark 
2.50 



z 



50 



(= V. J g ., Heft 10) 



i.- 



I n Vorbereitung: 



| Alice Baiint: „Psychoanalyse des Kinder- 

1 zimmers (= vi. j g ., Heft 2-3) 2 ._ 



Urteile ober die „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik' 



Der Vorteil der „Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik" ist es. 
bei strengster Wissenschaftlichkeit amüsant und kurzweilig zu sein. 

Monistische Monatshefte 

Man übertreibt kaum, wenn man sie die beste pädagogische Zeitschrift 
nennt, die es gegenwärtig überhaupt gibt. Sie wird von Analytikern und 
Nichtanalytikern geschrieben; der Stil ist keineswegs so fachwissenschaft- 
lich und schwer, daß die Aufsätze nur mit spezieller Vorbildung lesbar 
wären; im Gegenteil sind fast alle Aufsätze allgemeinverständlich. 

Leipziger Volkszeitung 

Wer einmal ein Heft dieser Zeitschrift gelesen hat, wartet mit Span- 
nung auf die nächste Nummer. Denn sie bringt ihm soviel Neues in 
offener Sprache, über das man früher zu schreiben sich nicht getraute, 
daß ihr möglichst weite Verbreitung zu wünschen ist. Unsere Schul- 
pflegen sollten die Zeitschrift auf irgend eine Weise ihren Mitgliedern 
zugänglich machen. Winterthurer Arbeiterzeitung 

Diese Zeitschrift hält die glückliche Mitte zwischen wissenschaftlicher 
Einstellung und Allgemeinverständlichkeit, gepaart mit einem guten lite- 
rarischen und stilistischen Niveau. 

Deutsche Zeitschrift für Homöopathie 

Unsere Arbeit in der Schule erhält von der Psychoanalyse wertvolle 
Anregungen und Aufschlüsse. Es gibt kein Ausweichen mehr, wir müssen 
auch diesen Zweig der Seelenkunde kennen lernen. Ein zuverlässiger 
Führer ist die genannte Zeitschrift. Pfälzische Lehrerzeitung 

Aufsatz für Aufsatz der Zeitschrift bringt Beispiele Menschenleids und 
seines Urgrundes, oft so packend und überzeugend, daß man wünschte, 
es gäbe Tausende von Pädagogen, die in dieser Methode zu Hause wären. 
Hunderttausende von Eltern, die ihre Forderungen für eine richtige Er- 
ziehung verstünden. Darum ist gerade diese Zeitschrift berufen, Fackel 
zu sein. Sie ist sich dessen bewußt und schreibt deshalb in einer Sprache, 
die auch Nichtgelehrten verständlich ist. Möge sie viel gelesen werden 
und unendliche Früchte tragen. Volksblatt, Halle 

Man könnte sich denken, daß Behörden und Pädagogenkreise hier die 
Gefahr einer psychoanalytischen Verseuchung unseres Schulwesens fürch- 
ten und aus berechtigten sachlichen wie persönlichen Gründen nunmehr 
gegen den Versuch vorgehen. Zeitschrift für pädagogische Psychologie 



SIGM. FREUD 

Drei Abhandlungen zur 

Sexualtheorie 

6. durchgesehene Auflage 

Gebunden Mark 3.80 

INHALT: I) Die sexuellen Abirrungen. Abweichungen in Bezug auf 
das Sexualobjekt. Die Inversion. Geschlechtsunreife und Tiere als Sexualobjekte. 
Abweidiungen in Bezug auf das Sexualziel. Anatomisdie Überschreitungen. 
Fixierung von vorläufigen Sexualzielen. Perversionen. Der Sexualtrieb bei den 
Neurofikern. Partialtriebe und erogene Zonen. Erklärung des scheinbaren Über- 
wiegens perverser Sexualität bei den Psychoneurosen. — II) Die infantile 
S e xu a II tat. Die sexuelle Latenzperiode der Kindheit und ihre Durchbrechun- 
gen. Die masturbatorischen Sexualäußerungen. Die infantile Sexualforschung. 
Entwicklungsphasen der sexuellen Organisation. Quellen der infantilen Sexuali- 
tät. - III) D i e Um g'e stal tu n[g der Puber tat. Das Primat der Genital- 
zonen und die Vorlust. Das Problem der Sexualerregung. Die Libidotheorie. Diffe- 
renzierung von Mann und Weib. Die Objektfindung. -Zusammenfassung 

Wer die „Abhandlungen" t nicht kennt, kennt Freud nicht. (Strohmeye, m der »Monats- 
schrift für Psychiatrie und Neurologie") 

Enthalten die Schlüssel für die meisten [Anschauungen Freuds. („Deutsche Medizin. 
Wochenschrift«) 

Die „Drei Abhandlungen" tragen die Züge einer klassischen Darstellung an sich und 
werden auch von Gegnern der Psychoanalyse mit wissenschaftlichem Genuß und mit 
Hochachtung gelesen werden . . . Großzügige, konsequent auf erkenntnismäßige Er- 
fassung des Gegenstandes gerichtete Darstellung . . . ungemein feines und sicheres 
Gefühl für die spezifisch seelischen Probleme auf dem Gebiete der Sexualität . . . 
saubere logische Arbeit . . . knappes vornehmes sprachliches Gewand. {„Leipziger 
Lehrerzeitung*) 

Ich wüßte kein Werk anzuführen, das in solcher Kürze so geist- und gedankenreich 
die wichtigsten Sexualprobleme behandelt. Ganz neue Horizonte. (Näcke in Groß' 
„Arch. für Kriminalanthropologie' 1 ) 

Es erübrigt sich fast, auf die grundsätzliche Wichtigkeit dieser Schrift hinzuweisen, 
die in gedrängter Form den Extrakt der sexualpsychologischen Lehre Freuds enthält. 
(Schneider, Köln, in der „Monatsschrift für Kriminal? sychohgie«) 

Zu beziehen durch: 

INTERNATIONALER PSYCHOANALYTISCHER VERLAG 

Wien I, In der Börse 





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j HIPPOKRATE S-VE RLAG 






| STUTTGART 


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Istvan Hollös 
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1 Hinter der gelben Mauer 






| Von der Befreiung der Irren 


3 
5 




Broschiert RM. }.lf, in Ganzleinen RM. 4.9 j 


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„Vossische Zeitnn g": Eine Formel steht in dem Buch, die in ihrer Einfachheit zu den 

großen Wahrheitspragungen gehört. Vom Allmächtigkeitstraum im Kindesalter heißt es: „Wer 

diesen Traum verwirklichen kann, ist ein Held; wer ihn beschreiben kann ein Dichter; wer 

| endgültig in diesen Traum zurücksinkt — ist der Geisteskranke." Hier verstummen Bedenken, 

denn ein Mann, der gütig und weise genug war, um zu wissen, was er sagen darf, hat das 

1 Buch geschrieben. = 

| = 




1 Fritz Witteis I 

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I Die Befreiung des Kindes | 




Broschiert RM. 4. SO, in Ganzleinen RM. 6.)0 






„Per Bund" (Bern): Ein Buch von urwüchsiger Kraft, geschrieben im heiligon Glauben an 
die langsame, aber sichere Befreiung des Menschen ans den schwersten inneren Noten, einem 

Glauben, der aus der Liebe und dem Mitleid eines großen Menschen und Arztes quoll. = 






Fritz Witteis 

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Die Welt ohne Zuchthaus 






Broschiert RM. 4.JO, in Ganzleinen RM. 6.)0 






„Deutsche Republi k": Dieses Buch, von einem Arzt geschrieben, scheint mir das Wert- 1 
vollste, was bisher zur Frage der Elrafrechtsreforra geschrieben worden ist. Die Existenz dieses 
Buches allein beweist, daß die Strafrechtsreform keine rein innerliche Angelegenheit ist und 

daß sie die Hilfe der Ärzte und Fozialpolitiker nicht entbehren kann. | 


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3 

Zu beziehen durch: 




Internationaler Psydioanalyiisdier Verlag, Wien I, In der Börse 




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| H I P P O K R ATE S-VE R L AG I 

I STUTTGART 



Istvan Hollos 






Hinter der gelben Mauer 

Von der Befreiung der Irren 

Broschiert RM. ß.ij, in Ganzleinen RM. 4.9} 

„Vossische Zeitung": Eine Formel steht in dem Buch, die in ihrer Einfachheit zu den 
großen Wahrheitsprägungen gehört. Vom Allmiichtigkoitstraum im Kindesalter heißt es- Wer 
diesen Traum verwirklichen kann, ist ein Held; wer ihn beschreiben kann ein Dichter-" wer 
endgültig in d.esen Traum zurücksinkt - ist der Geisteskranke." Hier verstummen Bedenken 
denn ein Mann, der gütig und weise genug war, um zu wissen, was er sagen darf, hat das 

Buch geschrieben. 

Fritz Witteis 



Die Befreiung des Kindes 

Broschiert RM. 4.50, in Ganzleinen RM. 6.30 

„Der Bund" (Bern): Ein Buch von urwüchsiger Kraft, geschrieben im heiligen Glauben an 

die langsame, aber sichere Befreiung des Menschen aus den schwersten inneren Nöten, einem 

Glauben, der aus der Liebe und dem Mitleid eines großen Menschen und Arztes quoll. 

Fritz Witteis 



Die Welt ohne Zuchthaus 

Broschiert RM. 4.JO, in Ganzleinen RM. 6.)0 

„DeutscheBepubli k": Dieses Buch, von einem Arzt geschrieben, scheint mir das Wert- 
vollste, was bisher zur Frage dor Strafrcchtsreforra geschrieben worden ist. Die Existenz dieses 
Buches allein beweist, daß die Strafrechtsreform keine rein innerliche Angelegenheit ist und 
daß sie die Hilfe der Ärzte und Sozialpolitiker nicht entbehren kann. 

iiiiniiiiuBiiiiHnm^ 

Zu beziehen durch: 
Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien I, In der Börse 



I 






VI. Jahrg. 



Januar 1932 



Nr. 1 



Zeitschrift für 

psychoanalytische 

Pädagogik 



Anna Freud 



Psychoanalyse des Kindes 



Hans Zulliger 



Ein jugendliches Diebskleeblatt 

Walter Kulemeyer: An Straßen und Zäunen 

Beitrag zum Problem der infantilen Sexualität 

Hedwig Sdiaxel: „Der Weg ins Leben" 

Psychoanalytische Bemerkungen zu einem russischen Film 

Berichte 



Preis dieses Heftes Mark 1" —